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BEITRAGE
ZUR
LANDES- UND VOLKESKUNDE
VON
ELSASS-LOTHR1NGEN
HEFT XIX.
FORSTGESCnrCIITLICIIE SKIZZEN
AUS DEN
STAATS- UND GEMEINDEWALDUNGEN
i VON RAPPOLTSWEI LER UND REICHENWEIER
AUS DER ZEIT
VOM AUSGANGE DES MITTELALTERS
BIS ZU ANFANG DES XIX. JAHRHUNDERTS.
VON
Dr. AUGUST KAHL
Kaiserl. Oberförster in Rappertsweiler.
Mit einer Uebersiclitskarte.
STRASSBURG ■
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel).
1894.
Verlag von
J. H. ED. 11HTZ (HE1TZ & WIM) 11) Schlauchgasse 5.
BEITRÄGE ZUR LANDES- UND VOLKESKUNDE
von Elsass-Lothringen.
Band I.
Heft 1 : Die deutsch-französische Sprachgrenze in Lothringen
ton C o n st. T h i s. 8. 34 S. mit einer Karte (1 : 300.000). 1 50
Heft II : Ein andechtig geistliche Badenfahrt des hochgelehrten
Herren Thomas Murner. 8. 66 S. Neudruck mit Er-
läutcrgu., insbesond. über das alldeutsche Badewesen, v. Prof. Dr.
E. Martin. Mit 6 Zinkätzungen nach dem Original. 2 —
Heft III: Die Alamannenschlacht vor Strassburg 357 n. Chr.
von Archivdircctor Dr. W. Wieg and. 8. 46 S. mit einer
Karte und einer Wegskizze. 1 —
Heft IV: Leu, Goethe und Cleophe Fibica von Strassburg.
Ein urkundlicher Kommentar zu Goethes Dichtung und
Wahrheit mit einem Fortritt ^rarainta'* in farbigem Lichtdruck
uud ihrem Facsimile aus dem Lenz-Stammbuch- von Dr. Joh.
Froitzheim. 8. 96 S. 2 50
Heft V : Die deutsch-französische Sprachgrenze im Elsass von
Dr. Const. This. 8. 48 S. mit Tabelle, Karte und echt
Zinkätzungen. 1 50
Band I\.
Heft VI: Strassburg im französischen Kriege 1552 von Dr. A.
Hollaender. 8. 68 S. 1 50
Heft VII: Zu Strassburgs Sturm- und Drangperiode 1770—76.
von Dr. Joh. Froitzheim. 8. 88 S. 2 —
Heft VIII : Geschichte des ^eiligen Forstes bei Hagenau im
Elsass. Nach den Quelleu bearbeitet vou C. E. Ney, Kais.
Oberförster. I. Teil von I06ö— 1648. 2 —
Heft IX : Rechts- nnd Wirtschafts- Verfassung des Abteigebietea
Maursmünster während des Mittelalters von Dr. Aug.
Hertzog. 8. 114 S. 2 —
Heft X : Goethe und Heinrich Leopold Wagner. Ein Wort der
Kritik an unsere Goetheforscher von Dr. Joh. Froitzheim.
8. 68 S. 1 50
Band III.
Heft XI : Die Armagnaken im Elsass v. Dr. H. Witt e. 8. 158 S. 2 60
Heft XII : Geschichte d>s heijigen Forstes bei Hagenau im Elsass.
Nach den Quellen bearbeitet von G. N. Ney, Kais. Ober-
förster. II. Teil von 1648-1791. 2 50
Heft XIII: General Kleber. Ein Lebensbild von Friedrich Tei-
ch e r» KOngl. bayr. Hauptmann. 1 20
Heft XIV : Das Staatsrechtliche Verhältnis des Herzogtums Lo-
thringen zum Deutschen Reiche seit dem Jahre 1542
von Dr. Siegfried Fit te. Mit Karte. 2 50
Heft XV: Deutsche und Keltoromaneu in Lothringen nach der
Völkerwanderung. Die Entstehung des Deutschen Sprach-
gebietes vou Dr. Hans N. Witte. Mit Karten. 2 60
Fortsetzung siehe 3. Seite des Umschlags.
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FORSTGESCHICHTLICHE SKIZZEN
AUS DEN
STAATS- UND GEMEINDEWALDUNGEN
VON
RAPPOLTSWEILER UND REICHEN WEIER
AUS DER ZEIT VOM AUSGANGE DES MITTELALTERS BIS ZU
ANFANG DES XIX. JAHRHUNDERTS
VON
Dr. A. KAHL
Kaiser]. Oberförster in Rappertsweiler.
Mit einer Uebersichtskarte.
STRASSBURÜ
J. H. ED. HEITZ (HE ITZ & MÜNDEL)
1894.
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$01
DEM VOGESENCLUB
INSBESONDERE DER SECTIOS RAPPOLTSttEILER
FREUNDLICHST GEWIDMET.
Vorwort.
Fluchtige Skizzoi sind es nur geworden und konnten es
blos werden, welche der Verfasser auf Grund seiner Forsch-
ungen in den Archiven des Bezirks Oberelsass (citirt: Colmar
B.A.), sowie der Städte Rappoltsweiler u. Heichenweier und
nach Benutzung anderweitiger Quellenwerke, namentlich des
Rappollsteinischen Urkundenbuchs von Professor Dr. Albrecht
hiermit veröffentlicht. Einmal fehlt es dem verwaltenden
Beamten an der nötigen Muse, solche Studien, zumal aus-
wärts eingehend zu betreiben. Sodann war das vorgefundene
Material überhaupt zu lückenhaft u. dürftig, um die Forst-
geschichte der vorbezeichneten Waldungen einigermassen er-
schöpfend darzustellen. Nachforschungen in anderen Archiven
hätten weitere Ausbeute ergeben, indes musste eine solche
Heranziehung aus dem angedeuteten Grunde unterbleiben.
Hoffentlich finden auch diese kurzen Schilderungen bei
den zahlreichen Freunden unserer schönen u. geschichtlich
berühmten Gebirgswaldungeny namentlich auch bei den
Fachgenossen von der grünen Farbe einiges Interesse und
wohlwollende Aufnahme.
Der Verfasser will dieses Vorwort nicht abschlössen,
ohne den Archiv- und Gemeindebeamten, insbesondere Herrn
Archivrath Dr. Pfannenschmid für die jederzeit gern gewährte
Förderung u. Erleichterung seiner Studien besten Dank aus-
zusprechen.
Rappoltsweiler im Weinmonat 1803.
DER VERFASSER.
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KAPITEL I.
Allgemeingeschichtliches aus den Herrschaften
Rappoltstein und Reichenweier.
Die Grenze, welche das in der Ueberschrift dieses Hefts
bezeichnete Waldgebiet umfasst, verlauft gegenwärtig von dem
Reinoltstein (auch Ram meistein) östlich dem Tännchelgrat entlang
nach dem Deutschen Hochfslsen, auf dieser Strecke zusammen-
fallend mit der alten Scheide zwischen den Bistumern Strassburg
und Basel, von jenem der sogenannten Heidenmauer nachgehend
auf den Vordertännchel. Von diesem fallt sie über die Langtann
und den Schwarzen Kirschbaum auf den Lützelbachweg, folgt
diesem bis zur Renck und läuft ins Lützelbachlhal hinab.
Zwischen diesem und dem Strengbachthal lässt der Wald ein
Dreieck Rebgelände und Privatwaldungen übrig. Südlich vom
Strengbach liegen die uns interessirenden Waldungen oberhalb
der Rebberge, einiger privaten Kastanienhorste und des Ge-
meindewaldes Hunaweier. Westlich Reichenweier wird der
gleichnamige Stadt- und Staatswald begrenzt von dem Kaysers-
berger Wege und dessen Fortsetzung über Brudermatt, Alexis-
hof, Ursprung. Von der Ursprungquelle steigt die Grenze auf den
Sattel zwischen Seelburg und Kalhlin, folgt dem Kamme dieses
Forstortes ins Müsbachthal hinab, überfallt den südwestlichen
Ausläufer des Müsberges, erreicht über den Schwarzenberg und
den Steinweg die Markircherhöhe und von da nördlich auf-
wärts steigend den obengenannten Eckpunkt Reinoltstein. Der
Besitzstand innerhalb dieser Hauptgrenzen und in den anliegen-
den Waldungen zur Zeit des Ausbruches der französischen Re-
volution ist in der beigefügten Uebersichtskarte dargestellt ; die
Grenze zwischen den Herrschaften Rappoltstein und Reichen-
weier, zu welchen die in der Ueberschrift bezeichneten Wal-
dungen gehörten, ist deutlich ausgezogen.
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Beide Herrschaften erfreuen sich einer berühmten ge-
schichtlichen Vergangenheit ; jedoch würde uns eine einiger-
massen eingehende Schilderung derselben zu weit vom Ziele
abführen. Wir wollen uns daher betreffs der Herrschaft Rap-
poltstein mit den Mittheilungen begnügen, welche Dr. Albrecht
in der Einleitung seines Urkundenbuchs niedergelegt hat. Die
Herrschaft, deren erste Anfange wahrscheinlich in die Mero-
vingerzeit zurückreichen — (der Name Rappoltsweiler wird in
der Form Ratbaldouilare schon 759 als Besitzung Altmanns ge-
nannt) gehörte ursprünglich den Grafen von Egisheim. Mut-
masslich durch Adelheid von Egisheim, Mutter des Kaisers
Konrad II, kam jene in den Besitz der fränkischen Herzöge,
der nachmaligen salischen Kaiser. Heinrich IV. schenkte sie
dem Bischof Burkard von Basel, welcher diesem Könige gegen-
über eine besondere Zuneigung und Opferwilligkeit bekundet
hatte. Heinrich V. nahm indes die Herrschaft Uli wieder an
sich, trotzdem sich die Bischöfe von Basel nicht in den Besitz
der Gegengabe, der Abtei Pfäfers, zu setzen vermochten. Erst
Friedrich Rothbart gab sie 1162 als Castrum Rappoltstein cum
medietate (Hälfte) subjacentis ville Rapolswilre dem Bistum
zurück. Wie Dr. Albrecht annimmt, übten die Herren von
Rappoltstein das dominium utile, also die Nutzniessung des
Lehens, bereits seit alter Zeit aus. Der Ursprung dieser Familie
ist nicht völlig aufgeklärt. Wahrscheinlich ist die ältere Linie
derselben 1157 mit dem Tode des Strassburgcr Dompropstes
Reinhard ausgestorben. Eine Nichte desselben, Emma von
Rappoltstein, soll mit Egenolf von Urslingen vermählt gewesen
sein, welcher somit Stammhalter der jüngeren Linie wurde.
Vermuthlich besassen die Rappoltsteiner anfangs bereits eine
Hälfte von Rappoltsweiler als Allodium nebst einer Anzahl be-
nachbarter Dörfer; auch die Herrschaft Hobenack bei Urbeis
im Kaysersberger Thale gelangte im XII. oder XIII. Jahrh. in
ihren Besitz. «Sie waren» wie Dr. Albrecht ausgeführt «mit
den Herzögen von Lothringen und den angesehensten Grafen
und Herrn diesseit wie jenseit des Rheines verwandt und ver-
schwägert. Lehen trugen sie vom Reiche, von den lothringi-
schen und östreichischcn Herzögen, den Bischöfen von Basel,
Bamberg, Metz und Sirassburg, den Grafen von Luxemburg
und Württemberg, dem Abt von Murbacb und hatten selbst
eine stattliche Mannenschaar. Oefters waren sie im Geleile
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der Kaiser, sei es auf friedlicher Rom fahrt, sei es gegen
des Reiches Feinde: mehrere Glieder ihres Geschlechts fanden
ihr Grab in fremder Erde. Fehdefroh zogen sie gegen ihre
Widersacher oder boten wohl gar den Kaisern Trotz.
«Mit den freien Städten Strassburg und Basel, mit den
elsässischen Reichsstädten, namentlich Colmar, mit den rhei-
nischen Pfalzgrafen, den Markgrafen von Buden, den Grafen
von Württemberg u. a. standen sie in engen, meist freund-
schaftlichen Beziehungen; aber auch im Rathe der burgundi-
schen, lothringischen und östreichischen Herzoge wussten sie
sich Geltung und Ansehen zu erwerben. Ihrer Unterthanen
nahmen sie sich mit unermüdlicher Fürsorge an.»
Zwischen den Mitgliedern des Hauses Rappoltstein fanden
wiederholt Teilungen statt, so im Jahre 1298 zwischen Anselm,
Heinrich, und Heinrich, Sohn von Ulrich. Der erste Teil umfasste
cRappolzstein I Ulrichsburg) und den Stdn (Giersberg) und die
nuwe Stat und das obere Dorf», der zweite «Altenkasten (Hoh-
rappoltstein ?) (vergl. Seite 31) und die alte Stat» und einige Be-
sitzungen in der Umgegend, der dritte die Herrschaft Hohen-
ack. Im Teilungsvertrage heisst es bezüglich der beiden ers-
ten Lose : «Man sol wissen daz die zwo Stette, die alte und
nuwe sollent wunne und weyde gemein haben und niessen an
holtze, an gebirge und velde. Und der walt, der der Herrschafte
ist gelegen hinder Rapoltsten und Alten kästen, den man sprichet
dez banholtz, den soll man teilen under die zwei huser Ra-
poltzsten und Altenkasten halp und halpgelich.» (Albrecht Ur-
kundenb. I. 161.)
Einen ähnlichen Wortlaut hatte der Teilungsvertrag zwi-
schen den Brüdern Bruno und Ulrich im Jahre 1373 (ebenda-
selbst II 88 ff.). Mit dem Grafen Johann Jacob starb im Jahre
1673 der Mannesstamm der Rappoltsteiner aus ; seine Tochter
war mit dem Pfalzgrafen Christian II. von Birkenfeld verhei-
rathet, sodass die Herrschaft auf dieses Haus, später auf die
Linie Birkenfeld — Zweibrücken überging. Als den letzten Ver
treter derselben zur Zeit der französischen Revolution werden
wir Max Joseph, den nachmaligen König Maximilian I. von
Bayern kennen lernen.
An einzelnen denkwürdigen Thatsachen aus der Herrschaft
Rappoltstein wollen wir u. a. noch kurz erwähnen, dass Rap-
poltsweiler gegen Ende des XIII. Jahrb., wie es scheint durch
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die besondere Huld Rudolphs von Habsburg, zur Stadt erhoben
wurde. An der durch die Bauernkriege hervorgerufenen Bewe-
gung nahmen die Bürger nur zu lebhaften An! heil, und es
kam in der Stadt zu recht ärgerlichen Auflritten und Plünde-
rungen. Trotz der feierlichen Warnung Ulrich's von Rappolt-
stein schlössen sich zahlreiche Bürger dem wahnwitzigen Heeres-
haufen an, der 4525 vom Herzog von Lothringen bei Scherwei-
ler unweit Schlettstadt nahezu aufgerieben wurde. 1550 erhielt
Rappoltsweiler nach Feststellung seiner Verfassung, Rechte
und Pflichten sein «Stattbuch». Wahrend des d reissigjährigen
Krieges hatte die Stadt manche Unbill von den Schweden und
andern Kriegsvölkern zu erdulden und fast unerschwing-
liche Lasten zu tragen. Teurung, Hungersnot und Krankheiten
rafften einen grossen Teil der Bevölkerung hinweg. Kein Wun-
der, dass diese nach Beendigung des unseligen Krieges auf-
atmete und die Unterstellung des Herrschaftsgebietes unter die
Souveränität des damals mächtigen französischen Königs ruhig
hinnahm. Auch den Pfalzgrafen als Nachfolgern der Herrn von
Rappoltstein blieb nichts übrig, als jene anzuerkennen. Die
wiederholten Beschwerden der Baseler Bischöfe gegen die Ein-
verleibung ihres Lehens unter französischer Oberherrlichkeit
blieben erfolglos.
Im Jahre 1G88 wurde zwischen dem obengenannten Pfalz-
grafen Christian II. und der Stadt eine Feststellung der bei-
derseitigen Rechte vorgenommen. Im Januar 1712 verlieh Lud-
wig XIV. dessen Sohne Christian III., Generallieutenant der
französischen Armee und Oberst des «Regiment d'Alsace » in
Anerkennung seiner Ergebenheit neue Feudalrechte, u. a. Er-
höhung der Frohndienste, Mutationsgebuhren und Steuein, so-
dass Rappoltsweiler von neuem eine bedeutende Belastung er-
fuhr. Die Unzufriedenheit der Bürger wuchs mehr und mehr
und machte sich schon durch eine Reihe von Beschwerden 10
Jahre vor Ausbruch der Revolution Luft. Dieses welterschüt-
ternde Ereigniss wurde daher auch in Rappoltsweiler mit Be-
geisterung aufgenommen; ward doch mit einem Schlage
drückenden Lasten ein Ende gemacht. Welche weiteren Folgen
die eintretende staatliche Einziehung der herrschaftlichen Güter
hatte, werden wir weiter unten darlegen.
Erwähnen wir schliesslich noch, da«ss die Herrschaft Rap-
poltstein im Oberelsass bis zur frz. Revolution 8 Aemter umfasste :
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1. die rechte Seite des Leberthaies mit dem Sitz in Markirch, (die
linke war lothringisch) 2. Hohenack im Kaysersberger Thal, mit
den Seitenthälern Urbeis, Schnierlach, Urbach, 3. Weier im
Gregorienthai, 4. Rappoltsweiler einschliesslich Thannenkirch,
5. Bergheim, 6. Zellenberg, 7. Gemar, 8. Heiteren. (Stoffel, To-
pograph. Wörterbch. Ob. Eis. 1876 S. 435.)
Die mit der Grafschaft Horburg verbundene Herrschaft
Reichenweier war mutmasslich im XI. Jahrh. Erbgut der Her-
zoge von Lothringen, welche diesen Besitz von den mächtigen
vorgenannten Grafen von Egisheim erhalten zu haben scheinen.
Jener ging im Laufe des XII. Jahrh. an die Grafen von Hor-
burg über, und diese, nämlich Burchard II., der Reichenweier
1291 befestigte, und sein Bruder Walther verkauften im Jahre
1324 Reichenweier und Horburg sowie sonstige elsässische Be-
sitzungen für 4400 Mark Silber an den Grafen Ulrich von
Württemberg (Colmar B. A. Liasse E. Nr. 1 ; Vergl. auch Dr.
Albrecht : Rapp. Urkundenb. Bd. I. Seite 277). In dem Kauf-
akt wird u. a. die noch zu nennende cBurg ßihlstein, Richen-
wilre die stat, Zellenberg bürge und stat» aufgeführt. Zellen-
berg ging jedoch bald darauf nebst Bennweier in den Besitz
der Bischöfe von Strassburg über, welche diese Orte später
dem Herrn von Rappoltstein als Lehen übertrugen. Die Herr-
schaft Reichenweier umfasste hiernach die Ortschaften Reichen-
weier, Hunaweier, Bebeinheim, Mittelweier, Ostheim und
Altweier, während die Grafschaft Horburg 11 nach dem Rheine
zu gelegene Dörfer in sich begriff und mit diesen bis an diesen
Strom sich erstreckte.
Die Grafen von Württemberg, Ende des XV. Jahrh. in
den Herzogstand erhoben, besassen beide Herrschaften als volles
Eigentum unter dem direkten Schutze des Reichs; die Kaiser
bewilligten ihnen zahlreiche Privilegien. Die Nutzniessung der
beiden ersteren hatten bald die regierenden Fürsten selbst,
bald wurde jene deren Witwen und Nachgeborenen vorüber-
gehend zur Apanage überwiesen.
Im Jahre 1397 fiel Eberhard dem Jungen durch Heirat
die Grafschaft Mömpelgard zu, von da ab Residenz der würl-
tembergischen Besitzungen im Elsass und in der Franche-
Comte. Im Jahre 1617 wurden all diese linksrheinischen Be-
sitzungen vom Herzogthum Württemberg förmlich abgezweigt
und damit in geringerem Grade abhängig von der Stuttgarter
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Regierung. Nachdem die Herrschaft Reichenweier bereits
während der Bauernkriege unsägliche Greuel erlitten hatte,
schlug ihr der dreissigjährige Krieg neue tiefe Wunden ; 1635
wurde die Stadt von den Lothringern belagert, eingenommen
und geplündert ; im folgenden Jahre ward Bilsteinschloss von
den Schweden überrumpelt und zerstört.
Der Friedensvertrag von Osnabrück setzte allerdings die
Herzoge von Württemberg, Linie Mömpelgard in ihre elsässi-
schen Besitzungen wieder ein, und zwar unter direkter Ab-
hängigkeit vom Deutschen Reich, indes bald erfuhren jene
die Gefährlichkeit ihres mächtigen und gewalthätigen Nachbarn,
Ludwigs XIV., welcher sich mehr und mehr im Oberelsass
einnistete und namentlich durch Erbauung der Festung Neu-
breisach in die Grafschaft Horburg einen lästigen Keil trieb.
Am 30. September 1680 ward die Stadt Reichenweier von den
Franzosen besetzt, und die Herzoge von Württemberg mussten
die Souveränität des Königs von Frankreich wohl oder übel
anerkennen. Der König versuchte alsbald die herrschaftlichen
Renten an sich zu ziehen und Steuern aufzuerlegen ; von
1723 — 1748 Hess er die Herrschaft infolge ausgebrochener
Erbstreitigkeiten sequestriren und durch seinen Intendanten
verwalten. 1748 übernahm Herzog Karl Eugen, ein gestrenger,
zielbewusster Herrscher die Regierung, vermochte aber die
Aufhebung des Sequesters über Altweier und Ostheim erst 11
Jahre später durchzusetzen. Dagegen erlangte er infolge unab-
lässigen Drängens von Ludwig XV. 1768 sehr günstige cLettres
patentes», welche ihn in seinem Besitzstand und seinen
Rechten von neuem bestätigten und stärkten. (Vergl. Pfister
Le comte de Horbourg et la seigneurie de Riquewihr Paris 1889.)
Indes die längst vorbereitete Revolution nahte und führte
im Februar 1793 zur Aufhebung der württembergischen Herr-
schaft im Elsass. Die herzoglichen Güter wurden erst seque-
striert, alsdann grösstenteils, darunter auch die Waldungen
für Nationalgut erklärt. Diese gewaltsame Umwälzung ward
1802 durch den Lüneviller Frieden bestätigt und Herzog Fried-
rich II., der 1806 die Königs würde annehmen durfte, für den
Verlust der linksrheinischen Besitzungen durch drei säculäri-
sirte Klostergüter und neun ehemalige Reichsstädte zur Abrun-
dung seiner süddeutschen Lande entschädigt.
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KAPITEL II.
EntWickelung der Waldeigentums-Forsthoheits-
und Berechtigungsverhältnisse.
Nach den Forschungen von Schwappach (Grundriss der
Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands) waren um das Jahr
600 Allmendwald und Königlicher Bannforst die einzigen Formen
des Waldbesitzes. So bezeichnete Gregor von Tours 590 die
Vogesen als silva regalis. Unter Allmenden haben wir die in
der Nähe der Ansiedelungen belegenen Waldungen und Weid-
gänge zu verstehen, in welchen die vollberechtigten Gemeinde-
angehörigen Holz- und Weidenutzung, Jagd, Fischerei und
andere Nebennutzungen als Markgenossen gemeinsam ausübten.
Mit der Ausbildung von Grossgrund herrschaflen vom VII.
Jahrh. ab fiel ein beträchtlicher Teil der Königsgüter durch
Verleihung an weltliche und geistliche Grosse, auch an Klöster.
Infolgedessen, und da jene oft Allmendgut an sich zu reissen
wussten, entwickelte sich als dritte, im weiteren Verlaufe häufig
werdende Form das Waldeigenlum der Grossgrundherrn,
während der bauerliche Privatwaldbesitz im frühesten Mittel-
alter kaum in Betracht kam.
In den herrschaftlichen Waldungen, besonders in den ur-
sprünglich freien Markgenossenschaften wurden den Hintersassen
schon zeitig umfangreiche Nutzungsrechte zu Teil. Ebenso
standen den Grossgrundherrn häufig als Mitmärkern solche,
sogar Eigentumsrechte, an den gemeinen Marken zu ; dadurch
dass sie deren Verwaltung und Bewirtschaftung mit versehen
Hessen, gewannen sie mehr und mehr Einfluss und Rechte in
den Waldungen.
Im Gebiete der hiesigen Waldungen können wir die ur-
sprünglichen Eigentumsformen königlicher oder herrschaft-
licher ßannforst und Allmendwald mit ziemlicher Sicherheit
nachweisen. In den 1888er Mitteilungen der Vogesen kl ubsektion
Kaysersberg (Eine Markgenossenschaft im Kaysersberger Thale)
sind Beschreibungen der Rechte von Kienzheim und des oberen
Dinghofes von Sigolsheim aus dem XIV. Jahrh. abgedruckt.
Jenen zufolge hat noch damals zwischen dem Strengbach, ehe-
dem Mulebach, und dem Kaysersberger Thale eine agemeine
merke* oder «waltmarcke» bestanden, in welcher u. a. sieben
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anliegende Dinghöfe berechtigt waren. Diese, auch Herren-
oder Fronhöfe genannt, waren grundherrliche Niederlassungen
mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, von denen aus die Ver-
waltung der zum Hofe gehörigen Güter durch die Beamten und
die Dienerschaft besorgt wurde. Aus jenen entwickelten sich
vom X. Jahrh. ab die befestigten Burgen. Die ebengenannte
Quelle besagt Folgendes :
«Man sol och wissen daz in dirre gemeinen merke ligent
siben dinghöfe, der jit einer in dem oberen dort ze gerner.
Einre ze mittel wilre. Einer ze sygolzhein. Einer ze Könshein.
Einre ze Minrewilre. Einer ze Ongershein. vnd einre ze Tvren-
kein. vssir disen siben hofen sollent gan siben vorster e.
vnd sollent sich die sammenen bi dem mvlbach (Strengbach)
ze rapolzwilre. vnd sollent den mvlbach vf gan vnd vindent
sv ieman do vischen der sinen berren schvttet dise sit des
bachez, den sollent sv pfenden für fvnf Schillinge, vnd sollent
haben einen crapfen einer eilen lang do mitte sv in harvs
ziehen, vnd entrinnet er gyne sid vz so sollent sv in lan lofen.
Dannan sollent sv für sich in gan vffen die hohe virst vnd
vindent sv do ieman kol machen von Standern holze dem sollent
sv den tvmen vffen dem stvnpfe abe slahen, vnd git er in ein
pfunt pfenninge so sollent sv in lan gan. vindent sv och ieman
howen nach der snvre der sol in geben ein unze pfenninge.
ein holzacktz git einen Schilling, vnd ein sehselin (kleines Beil)
sehs pfenninge. vnd sollent pfenden als der sne smilzet. vnd
der bach har nider rvnnet vnd nvme furbas sollent sv pfenden».
Von der First d. h. vom Vogesenkamme, sollen die sieben
Förster abwärts steigen zur Abtei Pairis, von da zum Abt von
Münster, von hier zu den Herrn von Gyrsberg zu Weiher im
Gregorienthai und schliesslich in den Frohnhof zu Türkheim.
Die im Markwalde berechtigten Höfe hatten den Förstern
Trinkbecher, Schüsseln, Kleidungsstücke, Getüch, Wein und
Imbis zu verabreichen. Der rote Türkheimer wird hierbei
schon dazumal erwähnt.
Die Grenzen der Waldmark werden nur ungefähr ange-
deutet. Inwieweit die zwischen den Dinghöfen ansässigen freien
Dorfleute in jener eigentums- und nutzungsberechtigt waren,
ist nicht genau festzustellen. Jedenfalls waren die uns besonders
interessirenden Gemeinden Reichenweier, Bennweier, Mittel-
weier, Bebeinheim, Zellenberg, Hunaweier nach Zerfall der
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»
grossen Waldmark bereits im XV. Jahrh. im Besitz gesonderter
«burger weide». Die noch zu erwähnenden abgelegenen drei
Forstorte Walburg, Griechbühl und Blütling blieben für die
ebengenannten Gemeinden und Rappoltsweiler als ungeteilter
Allmend wald übrig.
Der oberhalb und zwischen der Waldmark belegene Forst
der Herrschaft Reichenweier ist wol ursprünglich Königsgut
gewesen. Der Hauptstock dieses Waldes liegt in der Seelburg
mit dem Königsstuhlfelsen ; in jenem Namen haben wir mut-
masslich einen Anklang an das Salgut (terra salica) der frän-
kischen Könige zu suchen. Später ist dieser Forst wahrschein-
lich durch Verleihung an einen Grossgrundherrn übergegangen.
In dem schon erwähnten 1324er Kaufakt zwischen den Grafen
von Horburg und denen von Württemberg ist der Wald als
Zubehör der Herrschaft ausdrücklich genannt.
Die Bürger von Rappoltsweiler und die des ehedem zwischen
der Stadt und Hunaweier gelegenen Dorfes Ellenweiler (unter-
gegangen gegen Ende des XVI. Jahrh.) haben anscheinend wie
<Jie anderen sechs Gemeinden einen eigenen Bürgerwald aus-
geschieden erhalten, und zwar wohl in dem noch heute soge-
nannten Allmendwald südlich vom Strengbach. Für diese An-
nahme spricht die Thatsache, dass in den Rappoltsteinischen
Porstordnungen von 1429 und 1432 (Rapp. Stadl Arch. DD.)
vom Forstort «almende» und von den «burgerwelden» die
Rede ist. Jedoch scheinen die mächtigen Herren schon damals
-die Hände nach dem Allmendwalde ausgestreckt zu haben, und
1483 heisst es in einer weiteren Forstordnung kurz und bündig:
«item alle weide sein der herrschaft.» Gleich wol ist in Rappolts-
weiler die Erinnerung an frühere Waldeigentumsrechte wach
geblieben, denn noch kurz vor Ausbruch der französischen Re-
volution nahm die Stadtvertretung den Allmendwald (Golmar
B. A. Liasse E 1706) in Anspruch, wie im Schlusskapitel dar-
gelegt werden wird. Abgesehen von diesem Walde und den-
jenigen der Klöster Sylo und St. Nicolaus, welch letztere 1510
von der Herrschaft käuflich erworben wurden, mag der Rap-
poltsteinische Wald bis zur Schenkung an das Bistum Basel in
•der Hauptsache königlicher Bannforst gewesen sein. In den
betreffenden Urkunden findet sich indes ebensowenig wie in
den Teilungsverträgen von 1298 und 1373 eine genauere An-
gabe über die örtliche Liegenschaft und Begrenzung ; nur das
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um die Schlösser gelegene Bannholz wird als Forstort erwähnt.
Jedenfalls waren zu Beginn des XIV. Jahrhunderls die Eigen-
tumsgrenzen gegenüber dem Besitze der Stadt Bergheim strittig.
Um das Jahr 1303 klagt diese (Albrecht Urkundenbuch I 184)
über Gebietsanmassungen seitens der Rappoltsteiner ; diese
hätten die Allmendgüter «Schetteleite», «Hagenach», «Wise»,
«Sultze» sich widerrechtlich angeeignet und sowohl den Leuten
von Bergheim, als denen von Rappoltsweiler die Holznutzung
im gemeinsamen Hochwalde entzogen (in qua silva dicta com-
munitas particeps est sicut et ipsi de Rapoltzwilre.) Infolge dieses
Streites wurden von beiden Parteien die sog. ältesten Leute 1357
vernommen. Die betreffenden «Kundschaften sind in der Liasse
E 2671 des Colmarer B.-A. enthalten ; sie sind für die damalige
Art der Waldbenutzung teilweise recht bezeichnend, sodass
einige auszugsweise hier folgen sollen ; die gleichgültigen Namen
sind durch N. N. ersetzt.
«I. Diez ist der von Rappoltstein Kundtschaft umb die oberen
gütter und weide:
N. N. von Callenberg hant gesait daz si gedenkend 40 jar
und medaz die von Rappoltstein dies ultze und daz jungholtz (öst-
lich Schlüsselstein) habend gehebt in gewaltund nutzlicher gewere.
N. N. hant gesait umb die weide schettelite und vor-
derybach und alfterybach, Eberlinsmatt, Swarzenberg, die ebenin
obent uff dem tennchen untze an daz eigin von Razenhusen
(Rathsamhausen) daz si gedenkend wol 40 jar daz die von
Rappoltstein dieselbe weide inne und har hant braht in nutzlicher
gewere und och befoerstet und gehoertend och me gesagen daz die
von Berckheim ie deheinen (keine) anspräche dar an gehattent.
N. N. hat och gesait umb die vorigen weide daz si daruf
gevarn und dar inne gepfendet von den von Rappoltstein
foerstern und ruogete (rügte) och niemand anders denne die
von Rappoltstein foerster.
Der lutpriester von Thannenkilch hat gesait daz die von
Rappoltstein den von Thannenkilch holtz gapen zu irer Küchen
und daz si nie gehörten gesagen von den von Berckheim
foerstern daz si uf den weiden ie gehnetent.
N. N. hant gesait daz si muesstent. stumpfloess (Abgabe für
einen Baumstumpf als Strafe) geben den von Rappoltstein foerstern.
N. N. hat gesait daz er gedenket 20 jar und me da er
uff Bilstein waz daz er nie anders gehörte sagen denne daz die
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weide ginsit (sudlich) des Mulebaclis (Strengbach) waerent denen
von Horburg und die weide dissit des baches denen von Rappoltstein.
N. N. hant gesait daz die von Rappoltstein fürenl eine
hofstatt in Eberlinsmatt (1347 Benediktinerniederlassung) und
daz er dicke (oft) die von Rappoltsweiler voerster do habe ge-
sehen aber ob die voerster von Berckheim do waren daz weisser nit.»
Fünfzig Leute aus Rappoltsweiler und der Propst von St.
Morandus bezeugen dasselbe und sagen weiter aus «daz die
von Rappoltstein die weide zu lehen haben vom Stift ze Basel. »
«N. N. hat gesait daz er und ouch sine lute uf dem walde
in Eberlinsmatt hinter dem taennchel eichein losent und daz
die voerster von Rappoltstein si pfiindent.
II. Diez ist der von Berckheim Kundtschaft gegen die von
Rappoltstein von der oberen weide und gütter wegen und sine uslute :
N. N. hat gesait umb die Sultze .... daz daz alles der
von Berckheim almende ist und der sie zü der mark gehörent.
N. N. hat gesait daz er holtz habe gehowen in den weiden
und daz er forchte (fürchtete) die voerster von Rappoltzwilre
und die voerster von Berckheim die in den weiden hüettent
ze beiden siten.
N. N. hant och gesait umb die weide daz ist schettelite
(u. s. w. wie vor) daz daz den von Berckheim und den von
Rappoltzwilre (im Gegensatz zur Herrschaft Rappoltstein) und
daz die zü der mark gehoerent gemein sellent sin.
III. Daz sint die zü der mark gehoerent :
N. N. von sant pult hat gesait daz er gesehen hat die von
Berckheim in Eberlinsmatt faren überrücke mit pferden nach holtze.
N. N. von sant pult hant och gesait daz si haben gehört
sagen daz die von Berckheim die von sant pult, von orswilr
und die von Rappoltzwilr gemein sellent han an Eberlinsmatten.
fuenf und fuenfzig von Berckheim hant och gesprochen
umb die weide schettelite (u. s. w. wie vor) indewendig des
Mulbachs daz sie wissent daz die der von Berckheim und die
von Rappoltzwilr die indewendig des baches sint gesessen der
von sant pult von Rodern und von Rosswilr (Rohrschweier)
gemein almende sint und sprochent daz sie selbe weide in
gewalt und in gewere habent gehebt.
N. N. hat gesait daz er gedenket 50 jar do er ze sant pült
diende daz er fure hinder Eberlinsmatt und hinder dem taenn-
chel und hiewe do reifle und bandsteck dez sin meister bedorfte
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und werte ime daz nieman und horte och von einem erbaren
mann do mit im für der waz wol 40 jar daz der sprach : kinder
diese weide sind alle unser almende und weiss wol daz man
si inen mit gewalt neme und genommen habe.
N. N. hat gesait daz er vor 20 jaren habe gehört sagen
daz die von Berckheim reht haben in den weiden im äfftern
und vordem ybach daz er selber si gefaren in Eberlinsmatt und
Eichenholtz drinne gehowen und gen Berckheim gefürt und
werte im daz nieman und sient dez entwert (enteignet) mit
gewalt und ane reht.»
So verworren und sich widersprechend diese Kundschaften
auch lauten, so geht doch aus denselben hervor, dass zwischen
Tännchel, Hohkönigsburg und {den Vorbergen eine andere
Waldmark bestanden hat, als deren Teilhaber die Leute von
Bergheim, Rodern, Rohrschweier^Sankt Pill, Orschweiler, auch
die von Rappoltsweiler nacheinander genannt werden. Diese
Annahme wird bestätigt durch zwei Verleihungsurkunden Karls
des Grossen an die Abtei Leberau aus den Jahren 774 und
£01 ; von diesen soll allerdings die letztere unecht sein ; da
sie indes im XIV. Jahrhundert durch Kaiser Karl IV. anerkannt
worden ist, so legt sie jedenfalls von den damaligen Anschau-
ungen Zeugnis ab. Beide Urkunden sind enthalten in den Re-
gesten der Karolinger herausgegeben von Böhmer-Mühlbacher
(Innsbruck 1889) Bd. I, Seite 69 Nr. 167 und Seite 153 Nr.
372 a. In der 774er Urkunde schenkt Karl der Grosse dem
Abt Fulrad einen Klosterwald oberhalb Leberau «in pago Ali-
sacense, ex marca fisco nostro Quuningishaim», und in der
zweiten Urkunde heisst es, dass der geschenkte Wald reicht
bis an die «Marg dess grossen und hohen Berges im Voge ge-
nannt» (spätere deutsche Uebersetzung). Nach Ansicht des
Verfassers ist unter der ersteren «marca» das Kintzheimer
Königsgut, unter der letzleren «marg» die ebenerwähnte gemeine
Wraldmark der genannten Ortschaften zu verstehen.
Wahrscheinlich sind die den Rappoltsteinern zugefallenen
Bannforsten am Tännchel mit den Grenzen jener Waldmark
zusammengestossen, und mutmasslich haben diese Herrn der
Jagdgründe wegen schon frühzeitig ihre Forsten durch Ueber-
greifen in den angrenzenden Markwald willkürlich abgerundet.
Bei der sehr extensiven Waldbenutzung mögen selbst noch im
XIII. Jahrhundert die Eigentumsgrenzen gerade im Gebirge
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keine festen gewesen sein. War auch in der Mitte des XIV.
Jahrhunderts die Erinnerung an eine frühere grössere Aus-
dehnung der Waldmark gegenüber dem herrschaftlichen Forst
noch rege, so war jene wohl nicht mehr, als eine dunkle Ahnung.
Anno 1357 schlichteten Ulrich vom Huse, Johannes von Eckerich
und Gosse Sturm der Aeltere, Burggraf von Strassburg den
Waldstreit zu Gunsten der Kappoltsteiner. (Albrecht Urkundenb.
I 547). Dieser wurde aber wiederholt wieder angefacht und
erst 4583 durch das Setzen von Grenzsteinen am Tännchel
enlgfiltig erledigt. (Colmar B.-A. Liasse E Nr. 1679.)
Thatsächlich unterscheidet sich somit die Entwickelung
des Waldeigentums in beiden Herrschaften insofern, als die
Stadt Reichenweier an Stelle ihrer ursprünglichen Nutzungs-
rechte an der Waldmark einen Teil derselben als Bürgerwald
erhielt, wogegen der starke Wille der Kappoltsteiner die Bildung
eines solchen zu verhindern wusste. Nachdem diese Herren im
Jahre 1470 die Waldungen der Herrn von Rathsamhausen
oberhalb Thannenkirch (Colmar, B.-A. Liasse E Nr. 678) und
1510 die vorgenannten Klosterwaldungen gekauft hatten (eben-
daselbst E Nr. 2401), war der Besitzstand hüben und drüben
zum Abschluss gelangt und verblieb so bis zur französischen
Revolution. Die ungeteilten Waldungen der sieben Gemeinden
blieben als Zankapfel zwischen beiden Forsten liegen. Ein 1535
angerufenes Schiedsgericht (Colmar, B.-A. Liasse E Nr. 65)
stellte schliesslich fest, dass «im Wahlberg, der sonst der ße-
holtzung halber almend und gemein ist» das Hegen und Jagen
beiden Herrschaften gemeinschaftlich sein soll.
Die Waldabgrenzung war in den vorigen Jahrhunderten
eine sehr primitive. Wie in anderen Waldgauen lehnte sich
diese zuvörderst an Kammlinien, Thäler, Mulden, Holzschleifen,
Wasserläufe und Wege an. Ein uralter Spruch beschreibt das
Verlaufen der Grenzen mit den Worten: c Wie Kugel rollt und
Wasser fliesst». Jedenfalls passen sich die ältesten Grenzen
weit natürlicher dem Gelände an als die in den beiden letzten
Jahrhunderten durchgeführten. Diese mögen wol manchmal
apres le bon diner im Zimmer mit dem Lineal auf der Karle
gezogen worden sein. Wo ehedem scharf ausgeprägte natür-
liche Grenzen nicht vorhanden waren, bediente man sirh an-
fangs besonderer Grenzzeichen, wie Felsen, zusammengeschütteter
Steinhaufen, vor allem der sog. Lochbäume, d. h. ausgezeich-
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neter Stämme, welche mit irgend einem Grenzmal versehen
wurden. Solche waren gerade in hiesiger Gegend sehr üblich.
Das Setzen behauener Grenzsteine wird erst im XVI. Jahrh.
erwähnt, und zwar unseres Wissens am frühesten bezüglich
der im Adelsbach und am Tännchel gesetzten.
Bei der damaligen mangelhaften Begrenzung, Vermessung
und Kartierung herrschte, wie leicht erklärlich, grosse Grenzun-
sicherheit. Häufig entstanden in den hiesigen Waldungen Zwiste
dadurch, dass abständige Lochbäume umgefallen waren. In beiden
Herrschaften wissen dicke Aktenhefte von zahlreichen «Spännen
und Stössen» zu erzählen; doch würde eine vollständige Wieder-
gabe derselben kaum von Interesse sein. Abgesehen von dem
eingehender behandelten Bergheimer Grenzstreit war nament-
lich die Strecke zwischen dem Reinoltstein und der Markircher
Höhe an der lothringischen Grenze strittig, sodass die herr-
schaftlichen Holzknechte das dort gehauene Holz tagtäglich ent-
fernen mussten, damit die Welschen es nicht holen sollten.
Die beiden Herrschaften Rappoltstein und Reichenweier lagen
sich fast beständig wegen irgend eines Uebergriffes in den
Haaren. 1535 z. B. wurde gelegentlich des vorerwähnten
Schiedsspruches wegen des Walburgs festgestellt, wo die
Grenze im Heihocken bei Hunaweier verlaufen solle, ferner dass
«die Strasse von dem Limpachbrücklin (am Ausgange des
Bilsteinthals) an bis zum eichenen Steg (bei Sägemühle Haas)
und bis auf den Isenrain (auch Eysereinen reyn, wohl wegen
früherer Eisenerzgruben so genannt) eine gemeine offene
Keyserliche Strasse wie sie denn ist hinfüro bleiben soll, dass
auch unser gnädiger Herr von Rappoltstein bei der Entpfahung
Zolls und Frevel und Bussen auch Geleitgebung und andere
Dienstbarkeiten auf solcher Strasse fürhin zu lassen und bleiben
solle-). König Wenzel hatte nämlich 1392 Bruno von Rappolt-
stein mit einem einkömmlichen Zolle von Schloss Limburg am
Rhein bis nach Rappol Isweiler und von da über den Isenrain
nach Markirch belehnt. (Albrecht Urkundenb. II 283).
Auch die Ausübung der Fischerei im Müsbach und Streng-
bach bildete lange Zeit Anlass zu Misshelligkeiten zwischen
beiden Häusern, ein Beweis, dass die Forellen schon damals
ein beliebtes Gericht waren.
1554 kam es zu einem Vergleich zwischen Georg von
Württemberg und Egenolf von Rappoltstein, demzufolge jener
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in dem Sylwalde jagen und jährlich 10-30 Stück Bauholz hauen
durfte. (Colmar B. A. Liasse E N* 1706).
Bei der Darstellung der Entwickelung der Waldeigentums-
verhältnisse darf die Frage nicht unerörtert bleiben, in welcher
"Weise die Grossgrundherren in den letzten Jahrhunderten ihre
Hoheitsrechte bestätigten. Es kann nicht Wunder nehmen, d;;ss
die Auffassung jener sich im Einklang befand mil dem Er-
starken der zahlreichen Landesfürsten, deren die schwachen
Kaiser in den beständigen Kriegslasten dringend bedurften.
Diese mussten sich daher '.die Grundherren durch Begünstigungen
aller Art gefügig machen und unterstützten auch deren Be-
strebungen, die Forst- und Jagdhoheit in den eigenen wie in
den übrigen Waldungen ihrer Gebiete mehr und mehr auszu-
bilden. Die Juristen der römisch-rechtlichen Schule definierten
diese Hoheit «als eine öffentliche Macht und Gewalt, in Bezug
auf Jagd, Forst und Wald Etwas zu gebieten und zu verbieten,
über die Forst- und Jagdstreitigkeiten zu erkennen, die Ueber-
treter zu bestrafen und allen Nutzen zu gemessen ». (Bernhardt.
Geschichte des Waldeigentums). Dementsprechend entschied
zu Anfang des vorigen Jahrh. das Rappol Isweiler Ratskolle-
gium, das Forstwesen äussere sich in drei Aktionen, in der
defensio jurium, der perceptio redituum und der conservatio
silvarum. (Colmar B. A. Liasse E N° 676).
Diese drei Rechte hat die Herrschaft in den Waldungen
des Amtes Rappoltsweiler unumschränkt ausgeübt; wenn über
die Beeinflussung der nicht herrschaftlichen Wildungen Nichts
verlautet, so liegt dies eben daran, dass erst im vorigen Jahrh.
einige Privatwäldchen entstanden. Gelegentlich der 1688, also
bereits unter französischer Obelherrlichkeit vorgenommenen
Erneuerung der herrschaftlichen Rechte (Colmar B. A. E N°
1602j wurde namentlich angeführt :
Das Eigentumsrecht an allen Waldungen des Bannes ab-
gesehen von den Dürrholzrechten der Bürger, sodann das aus-
schliessliche Jagd- und Fischereirecht im ganzen Bann.
In der Herrschaft Reichenweier sind die Forsthoheitsrechte
namentlich im vorigen Jahrh. lebhafter erörtert worden. Her-
zog Karl Eugen Hess 1760 durch den Rechtsgelehrten Treitt-
linger hierüber ein Gutachten ausarbeiten (Colmar B. A E 184),
worin beansprucht wurde: 1. Genuss, Polizei und Verwaltung
in allen herrschaftlichen Waldungen, 2. Ausübung der polizei-
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liehen Aufsicht in allen Gemeinde- und Privatwaldungen,
3. Jagd- Weide- und Eckergerechtigkeit in sämtlichen Wal-
dungen, 4. Eigentum an allen hochstämmigen Bäumen, dem
sog. Oberholz in den Mittelwaldungen, es mögen selbige in
den herrschaftlichen Wildungen liegen oder auf den Feld-
äckern, Matten, Allmenden». Im Anschluss daran heisst es:
«Alle Inhaber von Hursten, die glauben obgemelten Rechten
nicht unterworfen zu sein, sollen sich mit Beweismaterial
melden». Von diesen weitgehenden Forderungen wurden die
drei ersten 2 Jahre später durch Ludwig XV anstandslos be-
willigt. Die herrschaftlichen Forstbeamten zeichneten daher
auch in den Gemeinde- und Privatwaldungen die Holzschläge
aus und leiteten den Holzverkauf; sie stellten die Anzahl des
Weideviehs alljährlich fest und sorgten wohlweislich dafür,
dass das Wild mit seiner Aesung nicht zu kurz kam. Nur
die vierte Forderung wurde von der Königlichen Regierung
teilweise abgelehnt, insofern die Nutzung der Oberhölzer ledig-
lich an die Einhaltung der Forstordnung geknüpft ward.
Die Besitzer von Privatwaldungen sollten überdies ihre Eigen-
tumsrechte beweisen und ihren Waldbesitz in ein Lagerbuch
(livre terrier) eintragen lassen. Einige Jahre später legte der
als oberste Justizbehörde fungierende elsässische hohe Rat zu
Colmar diesen Besitzern unverblümt die Verpflichtung auf, so-
viel fruchttragende Bäume belassen zu müssen, als zur Erhal-
tung des Wildstandes nötig sei.
Als besonderen Ausfluss der Forsthoheit betrachteten die
Dynasten etwa von XV. Jahrh. ab die Befugnis zum Erlass
von Forstordnungen. Diese entsprangen teils der landesväter-
lichen Fürsorge bei mehr und mehr überhandnehmender Furcht
vor Holzmangel, teils den Rücksichten auf Erhaltung der Wild-
bahnen, hatten aber wohl auch den Zweck, die Autorität der
Herrscher ins gebührende Licht zu stellen. Auf den sachlichen
Inhalt dieser Kundgebungen, deren aus beiden Herrschaften
eine grössere Anzahl überliefert ist, werden wir noch öfters
zurückkommen. Es möge an dieser Stelle die Rappoltsleinische
Waldordnung aus dem Jahre 1543 abgedruckt (Original in den
Akten des Kais. Amtsgerichts Rappoltsweiler) werden, um dem
Leser von Inhalt und Form solcher Verordnungen ein Beispiel
zu geben :
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t Waldordnung.
Der Wolgeborn herr, herr Wilhelm zu Rappoltzslein, zu
Hohennack und Geroltzeck am WTassichin, unser gnädiger und
regierender herr lat ouch befelhen und gepieten daz ir nun
fürterhin nit mer in den waldt Forderybach genannt faren und
alda holtz nemen sollen weder grien noch dhürr, es sey eichin
oder Ihennin, liegendts oder standts, ohn Ihrer Gnaden wissen
und willen und erlaupung, er sey welchen stants er welle,
edelleut, diener oder von burgern, heimsch oder frembdt, nie-
mandts ausgenommen, dann sein Gnad würd sonderlich darauf
acht haben lassen und welcher daz verbricht umb drythalb
Pfundt Pfennig ohnnachlesslich strafen. Dann sein Gnad selbs
ire hoffkarcher annderst nit mer dahin faren lassen würt, denn
allein die wählt zu säubern. Es verböut ouch sein Gnad alle
wäldt bis ganntz herfür gegen der statt als nämblichen der
Aflerybach, Kaibsrhein, Schelmenkopf, Bannscheidt, Taussem-
bach, Wäldt am Küenberg, alle Sankt Nikiaus wäldt, die Alle-
mendt und Lymbach zu gleicher gestalt wie oben im Fordery-
bach ouch gemelt. Bedenckth sein Gnad wie die fordern wäldt
so gar abkommen, sollt etwan, da Gott vor sey, feurige Not
und anderes zufallen, daz sollichs an holtz ein grosser Mangel
bringen würde, aber dagegen will sein Gnad erlouben daz man
möge zu nothdurflt holtz nemen am Schwarzenberg, Adelsbach
und Mossberg, doch waz von bauwholtz, Sägebomen und jung
Erdtkhymen so mit der zeit aufwachsen möchte es sey liegendes
oder standts, eichin oder thennin bey vorigem gepot ver-
schonen, und so sy wie vorstat daz erloupt holtz nemen sollen
sy die afterslag darvon ouch hinweg füren damit die weldt nit
verwüst und jung hollz wider an die statt wachsen mög. Dez
wisse sich männigl icher vor schaden zu hüeten.
Datum den fünflf und zwinzigsten Tag Augusti anno 1543».
Die Feudalherrn leiteten aus ihren grund herrlichen Rechten
weitgehende Befugnisse über die Heranziehung ihrer Unler-
thanen zu Leistungen und Abgaben aller Art her; sie dehnten
oft die Forsthoheit, insbesondere denjWildbann ins Ungeheuer-
liche und Unerträgliche aus. Auf der anderen Seite brachte es
das patriarchalische Verhältnis zu den Hintersassen mit sich,
dass die Herrn diesen in den ursprünglich herrschaftlichen und
in den usurpierten Waldungen Nutzungsrechte einräumten. In
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der Herrschaft Rappoltslein lag die Notwendigkeit der «Be-
holzung» der Bürger um so mehr vor, als der Stadt ausser
ihrem Siebentel am Walburg und der Gemeinmark im Ried
kein eigener Wald verblieben war. In den vorerwähnten Tei-
lungsvertragen von 1298 und 1373 (s. oben Seite 3) ist denn
auch den Bürgern die Mitbenutzung der Waldungen zuge-
sprochen worden. Jene erfuhr aus waldpfleglichen Rück-
sichten nachträglich mancherlei Beschränkungen. Es erfolgte
wiederholt das Verbot der Schaf- und Ziegen weide, Verjün-
gungen wurden in Schonung gelebt, zu Wiesen geeignete
Mulden und Thäler den Waldgütern zugeteilt. Auch die Ein-
wohner von Thaunenkirch, Altweier, St. Blasien und Fortel-
bach wussten sich 'in den Genuss von Weiderechten in den
beiderseitigen Waldungen zu setzen und behaupteten diese hart-
näckig. Ueber den Umfang der eingeräumten Holznutzungen
geben die Forstordnungen Auskunft. Jene bezogen sich in der
Herrschaft Rappoltstein anfänglich auf das stehende und liegende
Dürrholz, den sog. Afterschlag, d. h. dasjenige Abfallholz,
welches nach dem Zurichten der Stämme im Walde zurück-
blieb und auf die sämtlichen Wmdfälle. So heisst es in der
schon erwähnten Rappoltst. F. 0. 1432: «item man mag afler-
slagen und windwerffen uffhouwen und daz ni essen ane ir-
runge der vörster». Die Waldorte, in denen diese Nutzungen
gestattet sein sollten, wurden öffentlich bekannt gegeben und
meist örtlich «ussgelocht», also durch Lochbäume begrenzt. So
räumt die Rappoltst. F. 0. 1429 das Holzholen ein «in dem
äftern ybach als wyt und breit der uffgetan ist ».
Ferner wurde den hiesigen Bürgern Bauholz gegen ein
Stumpfgeld von etwa 9 Batzen und einen jährlichen Hauszins
für den Förster nach Prüfung des Voranschlages durch den
«Erlaubmeister» verabfolgt. Auch für die zahlreichen Gemeinde-
bauzwecke gab die Herrschaft die Hölzer unentgeltlich ab. Da
.die Herrn zu ihren umfangreichen eigenen Bauten und zu der
Hofhaltung oft der Fuhrleute bedurften und diesen jährlich
mehrere Frohndetage auferlegten, so wussten die Fuhrleute und
Karrcher besondere Begünstigungen sich zu erwirken. So
wurden 155G (Rappoltst. Stadt. Aren. DD.) jedem, der «Ross,
Schiff und Geschirr», also Fuhrwesen besitzt, wöchentlich nach
altem Brauch drei Holztage: Montag, Mittwoch, Freitag zuge-
standen, an welchen sie je einen Baum abfahren durften. An
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den übrigen Tagen sollten sie ihren Mitbürgern «um gebührliche
Belohnung» Holz fahren. Den armen Leuten, die das Holz,
«zu lyp» tragen mussten, wurden bestimmte naheliegende
Forstorte angewiesen.
Von jeher erhielten die Bäcker, Metzger, Müller, Ziegler,
Wirte zur Ermöglichung ihrer Gewerbe grössere Holzmengen
zu ermässigten Taxen.
Ganz besonderer Gerechtsame erfreuten sich die 1671 im
vorderen und hinteren Ibachthale angesiedelten Glaser, worüber
wir im IV. Kapitel Weiteres mitteilen werden.
Je naher man das Gespenst der Holznot heranrücken wähnte,
desto mehr suchten die Herrn von Rappoltstein diese Nutzungs-
rechte einzuschränken. So wurde 1648 den Fuhrleuten wöchent-
lich nur noch ein grüner Montagsbaum und zwar im entlegenen
Schwarzenberg zugestanden, von dem sie Freitags den After-
schlag holen durften. 1666 wird in einer Forstordnung darauf
aufmerksam gemacht, dass nur die mit dem Waldhammer an-
geschlagenen Karrchbäume geholt werden dürfen. 1708 erging
sogar eine Entscheidung, dass die Fuhrleute diese Nutzung
nicht als ein Recht, sondern als « speciale Gnad » anzusehen
hätten. Dassell>e wurde betreffs des Bauholzes erklärt; solches
solle nur denjenigen zukommen, «welche sich durch gute Auf-
führung und Conduile gegen gnädige Herrschaft verdient ge-
macht haben». (Akten des Amtsg. Rappoltsw.) Schon 1648
verweigerte diese den Bürgern die noch grünen Windfalle.
Um diese Zeit führte sie auch die Veräusserung aufge-
klafterten Brennholzes ein, sowie die Zahlung einer Taxe von
2 Batzen für einen Karren Dürrholz. Die Versuche der Rap-
poltsweiler, sich die beim Bewaldrechten des Bauholzes ab-
fallenden Späne und Brocken anzueignen, wurden zurückge-
wiesen ; dagegen erhielten jene den beim Aufarbeiten des herr-
schaftlichen Klafterholzes übrigbleibenden Schlagabraum. Bau-
holzabgaben wurden von Mitte des vorigen Jahrh. ab immer
sparsamer und nur « ohne Consequenz auf dem Gnadenwege »
genehmigt. Je zurückhaltender die Herrschaft gegenüber den
Waldiiutzungsrechten wurde, um so lebhafter wurde, wie wir
im Schlusskapitel darstellen werden, der Ansturm der er-
regten Bevölkerung auf den Wald.
Wie schon angedeutet, war in Reichen weier das Bedürfnis
nach Nutzungsrechten im dortigen Herrschaftswalde kein so
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dringendes, da den unterhalb desselben liegenden Ortschaften
Gemeindewaldungen zugefallen waren. Von grösserer Bedeutung
wurde das Weiderecht des Dorfes Altweier in den Forstorten
Kalblin und Müsberg. Die Forstordnung aus dem Jahre 1581,
ergänzt 1596, welchewir als Reichenw. F. 0. 4581/1)6 anführen
wollen, (Colmar B. A. E 184) verfügt zwar im Art. 2, dass auch
in den gebannten Hölzern verdorrte Baume und Windlalle da
«wo dies unserem Jagen, Hegen und Heyung am unschädlichsten
sey» an die Unterthanen abgegeben werden dürfen; dagegen
befiehlt Art. 29 «dass solch gefallen Holtz in unsern eigenen
Höltzern unsere Förster, . . . ehe sie noch stehenden und uf-
rechten Baum hauen, zuvor das gefallen Holtz verkaufen oder
aber nach unserer Hofhaltung führen » sollen. Auch in Reichen-
weier erhielten die Handwerker und Wirte Brennholz <c gegen
leidentliche Bezahlung » ; nachdem sich indes herausgestellt
hatte, dass jene das Holz teils weiterverkauften, teils zu Reb-
stecken verarbeiteten, wurde ihnen dieser Missbrauch ernstlich
verwiesen. Art. 34 besagter Forst Ordnung erinnert daran, dass
diejenigen Unterthanen, welche in den Bilsteinwäldern das
.Abholz, Afterschlag, Dürr- und Reisholz, auch Windfäll, so
durch unsern Burgvogt oder Förstern uf Biehlstein nicht ge-
zeichnet, (d. h. nicht für die Herrschaft vorbehalten) aus
Gnaden zu holen zugelassen» bei Strafe von 2 Pfund den
hierfür falligen Weinzins zu entrichten haben. Dieser betrug
seitens der Fuhrbesitzer für ein Pferd >js Ohmen, für einen
Esel 8 Maas, wogegen die armen Leute, die das Raffholz auf dem
Kücken heimtrugen, 4 Maas an den Burgvogl abzuliefern hatten.
Allmählich bewirkte auch die Herrschaft Reichenweier
Einschränkungen der Waldnutzungsrechte. Die Bauholzabgaben
wurden fast ausschliesslich aus den Gemeindewaldungen be-
friedigt. Alles im herrschaftlichen Walde abkömmliche Holz
sollte, soweit nicht zur Hofhaltung erforderlich, veräussert
werden, zumal in der fürstlichen Kasse gar häufig tiefe Ebbe
herrschte und trotzdem der Geldbedarf der Herrn ein grosser
war. 1755 weigerte sich die Stadt Reichen weier, den durch
den Herrenwald nach Altweier führenden Weg mit zu unter-
halten, da man den Bürgern das Recht auf Dürr- und Wind-
tallholz verkürzt habe. (Reichenw. Stadt. Aich. DD2).
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KAPITEL III.
Forst- Verwaltung und Gerichtsbarkeit.
Die Herren von Rappoltstein verliessen bereits im Laufe
des XVI. Jahrhunderts die zuletzt bewohnte Ulrichsburg, um in
dem 1525 zum ersten Male erwähnten Schlosse in der Ober-
stadl (jetzt Realschule) ihre Residenz aufzuschlagen. Von einer
Forst Verwaltung im heutigen Sinne war damals noch nicht die
Rede. Die Waldordnungen des XV. und XVI. Jahrhunderts
sprechen von Förstern als denjenigen Beamten, welche die Holz-
abgaben Namens der Herrschaft bewirkten und von Forstknech-
ten, die das Holzhauen, Grenzsteinsetzen und dergleichen Ar-
beiten besorgten. Jenen wurden bei den Grenzbegängen und
Waldbesichtigungen behufs Feststellung der Hiebsorte zuweilen
Bürger beigegeben, bei Bauholzanweisungen war der städtische
Baumeister zugegen. Ueber die Dienstführung der Förster giebt
uns das von der Herrschaft genehmigte Rappoitsweiler Stadt-
buch (Rapp. Stadt Arch. DD.) aus dem Jahre 1550 folgenden
Aufschluss ;
cWaldförster und Bann warten evdt :
Alle drei Waldförster sollen geloben und schweren unser
gnädigen Herrschaft Weide getreulichen zu verhüten
solcher Gestalt, dass jederzeit von inen uff denWaldt gangen
werde und was sie Schaden finden an Hollz oder anderen ge-
treulich anbringen und rügen und niemandtzu verschonen, weder
durch Schenkung oder Gab, Freundschaft oder Feindschaft.
Sy sollen auch kein Holtz verkauften der niemandt ver-
gönnen zu hauwen ohne Verwilligung der Oberkeit und nie-
mandt mit Stumpfrechten weiter beschweren dann von Alter
herkommen und gewonlich ist.»
Die erste Kunde von der Thätigkeit eines unseren heuti-
gen Revierverwaltern gleichstehenden Beamten datiert aus dem
Anfange des XVII. Jahrhunderts ; 1625 starb zu Rappoitsweiler
ein «Forstmeister» Bessler ; am 1. Januar 1674 wird ein
«Meislerjäger» Anthoni angestellt, dessen Hauptobliegenheit die
Besorgung des Jagdwesens war, der aber auch durch häufige
Grenzbegänge den Besitzstand und die Wahrnehmung des
Forstschutzes seitens der Förster beaufsichtigen und die Holz-
abgaben leiten sollte
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1699 erhalt der bereits 1680 als «gentil homme de la chambre,
gruyer, capitaine de chasse, inspecleur general des forets»
bezeichnete Moritz Georg von Heringen das Amt als «Ober-
jäger- und Forstmeister ; » unter ihm stand Oberförster Kühl-
wein. (Colmar B. A. Die Liassen E. 688, 689, 690 enthalten
diese und die nachfolgenden Personalnotizen.) 1701 wird ein
Herr von Wimpfen, bis dahin Rath und Stallmeister, im be-
sonderen Oberforstmeister, von Heringen dagegen Oberjäger-
meister. Dieser starb 1708. An seine Stelle trat Wolf Sigis-
mund von Landsberg ans Niederehnheim, welcher jedoch nur
selten in der Herrschaft Happoltstein anwesend war. 1714 wird
Wolf Böcklin von Böcklinsau als Ober-Jager- und Forstmeister
erwähnt; in seiner Abwesenheit soll ihn der Rentmeister in
Forstsachen vertreten. Von 1724 ab amtiert ein Herr von Stein-
callenfels als Oberforstmeister für die Rappoltsteinischen Besit-
zungen im Ober-Elsass und in der Gegend von Lülzelstein ; zur
Bearbeitung der hiesigen und der Sponheim'schen Forstsachen
ward ihm 1742 Franz Carl Freiherr von Wrede beigegeben, später
Mitglied des Oberforstamts Zweibrücken. 1734 ist auch Ludwig
Zorn von Bulach als Oberforstmeister genannt, der 1737 das
Zeitliche segnete. Damals sehen wir als sonstige Forstbeamte
aufgezeichnet : Forstsecretair Birkel, Jäger Kühl wein Karl,
Kühlwein Georg und Förster Diebold und Heyberger, einen
Forstboten und zwei Anbinder.
Uebrigens nahm man in Rappoltstein schon in frühester
Zeit noch andere Personen aushilfsweise zur Wahrnehmung*
des Fortsschutzes an. So heisst es bereits in der F. 0. Rappolt-
stein 1483: «Die sollen rügen drey Waldtförster, drey Vögt
und ihr Knecht, die Priester und Brüder zu St. Claus und St.
Benedikt zu Eberlinsmatt. »
Später wurden die Pächter auf der Schluck bei Altweier,
am Buckel und auf der Clausmatt zur Verstärkung des Schutzes
gegen geringes Entgelt bestellt. Um die Mitte des vorigen
Jahrhunderls räumte man einem gewissen Vogler im Bilstein-
thal auf Rappoltsteinischem Boden eine Baustelle ein, damit
dieser den angrenzenden Allmendwald vor den Holz- und
Weidefreveln der wurttembergischen Unterthanen schützen solle ;
das betreffende Häuschen steht heule noch als das einzige,
welches nicht auf Reichenweier Bann liegt.
Die Entscheidungen über die forstlichen Angelegenheiten
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der Herrschaft Rappollstein finden wir in den von 1673 ab
vorhandenen Sitzungsberichten, welche bis 1724 in den Allge-
meinen Kanzlei protocollen, von da ah bis zur Revolutionszeit
in denen der besonderen Forstkammer enthalten sind. (Colmar
B. A. Liassen E. No. 971—1006).
1743 wurde das Zvveibrficken'sche Ober-Forstamt für das
Rappoltsteinische Forstwesen bestellt ; die örtlichen Geschäfte
sollte das hiesige Rathscollegium erledigen. (Colmar B. A.
Liasse E. No. 676) Da diese Neuerung indes bei dem infolge
mangelhafter Verkehrsmittel langsamen Schriftverkehr zu Unzu-
träglichkeiten führte, wurde 1756 Landjägermeisler von Wrede
dieser Oberaufsicht enthoben und bei dem ebengenannten Kol-
legium ein Oberjäger zur Begutachtung der Forstsachen ange-
stellt ; in dessen Abwesenheit durfte über solche nicht ver-
handelt werden. Alle Freitage sollte Forstsitzung stattfinden.
1782 musste der seit 1756 vom Oberjäjier zum Forstmeister
avancirte Weber, welcher auch die Forstgeldrechnungen zu
legen hatte, nach Aufdeckung eines auf 60000 francs geschätz-
ten Deficite den Rappoltsteinischen Dienst verlassen ; an seiner
Stelle wurde Oberförster Bachmann Forstverwaller ; derselbe
wohnte auf Forsthaus Jberg, woselbst er sich einen hübschen
Garten anlegte {Colmar B. A. Liasse E. No. 686). 1785 erhielt
Herr von Papelier, Hauptmann vom regiment royal d'Alsace,
eine Ernennung zum Oberforstmeister, von seiner Amtsthälig-
keil verlautet nichts Näheres.
Die Dienstinstructionen wurden den Rappoltsteinischen Forst-
beamten in der Regel in ihrer Bestallungsurkunde mitgeteilt.
Sehr ausführlich ist z. B. die eben angedeutete des Herrn von
Heringen aus dem Jahre 1699. (Colmar B. A. Liasse E. No.
688). Dieser wurde, wie es damals üblich war, auf je ein Jahr
angestellt bei vierteljährlicher Kündigung. Als seine Obliegen-
heiten werden angeführt, er dürfe die Unterthanen nicht be-
schweren, müsse streng auf's Jagdzeug Acht geben und dies
zur Zeil der Hirschbrunft und Schweinshatz abzählen, gut trock-
nen und ausbessern Usscn ; er solle die Versuche durch die
Leithunde, auch das Führen derselben beaufsichtigen und beim
Uebernaehten auf Massigkeit im Essen und Trinken halten,
auch selbst massig sein. Herr von Heringen erhält die
Oberaufsicht über das gesamte Jagd- und Forstwesen ; er
soll die Unterförster und Forstknechte überwachen, dass sie
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ohne sein Vorwissen kein Holz abgeben, die Salzlecken nicht
durch's Vieh verderben lassen, das Mitnehmen von Hunden in
den Wald, das Ausnehmen von Vogelnestern, das Verstören
des Wildes durch Beerensammler zu verhüten wissen. Weiter
enthält die Urkunde eingehende Bestimmungen über den inner-
halb dreier Jahre zu vollziehenden Grenzumritt, die Erneue-
rung der Grenzsteine und Lochbäume, schliesslich über Einschlag
und Ausgabe des Holzes, Benutzung des Eckerichs und dergleichen.
Einige Jägerinstructionen des vorigen Jahrhunderts ent-
halten Vorschriften, wie sie noch heute gang und gäbe sind ;
nur geht aus jenen hervor, dass das jagdliche Interesse dem
forstlichen vorging.
Nicht uninteressant sind die Nachrichten über Besoldungs-
verhältnisse. Anfanglich erhielten die Forst beamten wie über-
all, so auch in hiesiger Gegend, wenig festes Baargehalt; die
betreffenden Gulden wurden gemeiniglich vierteljährlich an den
Frohn fasten verabfolgt.
Schon in der im Rappol Isweiler Stadtarchiv vorgefundenen
ältesten F. 0. Rappoltstein 1429 werden den Förstern für ge-
rügte Frevel Denunciantenanteile versprochen — dem vörs-
ter fünf Batzen, so dick daz beschicht — . In der F. 0. Rap-
poltstein 1432 werden ihnen bestimmte Abgaben von den
Hausbesitzern und Steckenmachern zugebilligt : «Und ist diez
der Förster usswiesunge von der Walde wegen primo git je-
des Hus den vörslern 2 Schilling und wo Pferde sint git des
Hus 4 Schilling. Item wer auch ein Hus bauwen will und
Holtz dazu hauwet, der git den Vörstern 9 Batzen zu Stumpf-
schlägen . . . item wem Stecken erlaubet werden zu hauwen,
der git den Vörstern 4 Schilling zu Stumpfschlägen.» Eine
Aufzählung der Bezüge der Rappoltsteinischen Förster aus dem
XVI. Jahrhundert lautet : (Colmar B. A. E. Nr. 1707).
1. von jedem Burgerhaus, so ein Trott hat, 4 Pf, so aber
keine Trott hat 2 Pf. (Dieses Häusergeld trug jährlich 7 Gul-
den ein ; die Adelhäuser und Freihöfe zahlten nichts.)
2. von jedem Tagwerk Matten 4 Pf. (dies ergab ebenfalls
ein jährliches Einkommen von 7 Gulden.)
3. im Herbst von jedem Acker in der Ellenweyer Bann-
huben 8 Maass Wein ; (von diesem Wein hatten die Förster
23 Ohm der Herrschaft abzuliefern, sodass ihnen noch 28 Ohm
verblieben).
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4. 4 Viertel Frucht Korn von der Herrschaft,
5. im Ellenweyrer Bann und im Rothenberg von jedem
Acker 16 Sester,
6. die Ahngebühr von der sog. Waldeinung, jährlich et-
wa 6 Gulden ;
7. das Stumpfgeld von Bauholz ;
8. waren die Förster von allen Beschwerden mit Ausnahme
der Frohnden frei.
Dass die Förster auch landwirtschaftliche Fruchte und
Wein erhielten, hing damit zusammen, dass sie zeitweise den
Feldbann und die Reben mit zu schätzen hatten.
Die Aufzeichnungen der Förstergehälter aus dem Jahre
1647 waren ungefähr gleichlautend. 1674 erhielt der Meister-
jäger Anthoni ein Jahresgehalt von 60 Gulden bar und Natura-
lien, sein Sohn als Forstgehilfe die Hälfte
Herr von Heringen bekam 169!) 180 Gulden, das Jäger-
recht am erlegten Wildpret, das Pelzwerk «ausgenommen
Bären, Biber, Otter, Marder, so wir uns um das Halbe wollen
vorbehalten haben,» ausserdem Korn, Heu, Holz, Hafer, Stroh,
das Eckerrecht für 6 Schweine, und im Falle auswärtiger
Termine Reisediäten.
1756 erhielt Oberjäger Weber als Forst Verwalter 500 francs
in Geld und verschiedene Naturalien ; 1706 stieg das ßarge-
halt auf 680 francs, und 1778 wurde sein Gesamteinkommen
auf 1854 francs geschätzt.
Die Nachrichten über die Forstverwaltung in der Herr-
schaft Reichenweier sind dürftiger, da deren Acten anlässlich
der schon 1397 erfolgten Unterstellung jener unter die Regie-
rung zu Montbeliard meistens dort geführt und im Jahre 1839
von dort grösstenteils ins Nationalarchiv zu Paris verbracht
worden sind. DieF.O. Reichenweier 1581—96 unterscheidet den
Forstmeister, auch Genera Iforstmeister, die Förster und die Forst-
knechte. Jener erste war nicht allein für den herrschaftlichen
Wald angestellt, sondern sollte auch die Gemeinde- und Privat-
Waldungen beaufsichtigen, alle dieselben «aufs wenigst durch's
Jahr viermahl bereiten und sich des Wüstens und Verderbens,
auch anderer Missbrauch und Schaden erkundigen.»
Die Förster werden angehalten, nichts ohne Vorwissen ihres
Vorgesetzten in Notfallen des Statthalters, Kanzlers oder Rats
zu thun. Anfangs Herbst sollen sie einen Ueberschlag machen,
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wieviel und welcherlei Brennholz in allen Waldungen zum
Verkauf gelangen kann.
Im Gemeindewald Reichenweier sehen wir ausserdem vom
XVI. Jahrhundert an einen Waldmeister, (Reichenw. Stadt
Aren. DD. 2), welcher vor allem die Auswahl der jähr-
lichen Schläge zu treffen , auch die Holzverausgabung zu
leiten hatle. Das aus dem Anfange genannten Jahrhunderts
stammende Reichenweierer Stadtbuch, wegen seines Einbandes
das «Rothe Buch» genannt, bestimmt in der «Ordnung des
Bauholtz», dass bei solchen Anweisungen der Waldmeister
als Vertreter der Stadt mitzuwirken hat, und eine aus dem
Jahre 1607 datirte Waldordnung besagt : «Erstlich wie bis-
hero gebräuchlich gewest, es noch hinfüro gehalten, dass
eine Person auf das Rathsmittel, Alter und Leibes complexion
halb dazu tüchtig und qualificirt zu einem Waldmeister, der
insonderheit seine gute Inspection und Aufsehen Ober gemeine
Statt- oder Burger W'elder haben und halten thue, erkiest
worden soll.»
In den folgenden Artikeln werden die Befugnisse und Ver-
gütungen des Waldmeisters festgestellt. Wenn Jemand ein
neues Haus baut, erhält jener fünf Schilling «und weil der
Bauherr ohnedies dem Zimmermann einen Trunk oder Imbs
nach verrichteter Arbeit giett, soll es dem Waldmeister frei-
stehen, sich bei solchem Imbs auch einzustellen oder nicht.»
Der Burgvogt auf Bilstein und seine Knechte waren zu-
gleich Forstschutzbeamte für den anliegenden Herrschaftswald
und hatte in dieser Eigenschaft einen Eid zu leisten, der
im «Rothen Buch» verzeichnet steht und im 1889 er Jahrbuch
des Vogesenclubs abgedruckt ist. Wie schon bemerkt, nahm der
Vogt den W'einzins seitens der Raff- und Leseholzsammler ein
und schimpfte sehr, wenn die fälligen Krüge nicht eingingen.
Auch in der Herrschaft Reichen weier waren die Förster
auf Denunciantenantheile, Stumpfgelder und dergl. Nebenein-
nahmen angewiesen ; der Forstmeister gehörte zu den höheren
Beamten der Stadt und bezog im vorigen Jahrhundert 1000
francs Gehalt, Dienstwohnung und verschiedene Naturalien.
Die forstliche Gerichtsbarkeit übten beide Herrschaften ur-
sprünglich durchaus selbstständig aus, wie sie denn überhaupt
auf dem Gebiete der Rechtsprechung, dank verschiedener
Kaiserlicher Privilegien, anfänglich sehr autonom waren.
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Der zugleich mit Verwaltungsangelegenheiten betraute
Vogt (spater bailli) sprach Namens der Herrschaft Recht ; er
entschied in Forststrafsachen in der Regel allein. Eine Aende-
rung im gesamten Gerichtswesen führte die französische
Souveränität herbei, insofern bei Geldstrafen oder Civilslreit-
sachen von über 50 francs Berufung an den Conseil souverain
d'Alsace zu Neubreisach bezw. Colmar statthaft erklärt wurde.
Die als Appellinslanz 1679 für Forstsachen errichtete table de
marbre am Parlament zu Metz versuchte jenem diese Befug-
nis streitig zu machen und mischte sich überhaupt in elsässi-
sche Angelegenheilen ein, stiess aber hierbei auf lebhaften
Widerstand.
Seit der französischen Oberherrlichkeit durften die Herren
nicht mehr in eigener Person Recht sprechen, sondern nur
durch ihre Beamten.
Die Herren von Rappoltstein wurden 1698 durch Entschei-
dung desKönigl. Forstamts (Maitrise) zu Ensisheim (Colmar B. A.
Massen 678,679) in ihrem Waldbesitz bestätigt und für berech-
tigt erklärt, einen besonderen Forstrichter, einen sogenannten
cGruyer» anzustellen, «pour connaitre de la matiere des eaux et
forets ä la charge de se conformer dans ses jugements ä l'or-
donnance du roi de 1669.» Das Amt des Gruyer versah der
jeweilige Oberforstmeister.
In Reichen weier soll das Amt des Vogts für hohe Sum-
men käuflich gewesen sein ; Pfister berichtet in seiner oben-
erwähnten Geschichte der Grafschaft Horburg, dass es um die
Milte des vorigen Jahrhunderts 18 000 francs gegolten habe.
Dafür fiel jenem ein Teil der Geldstrafen zu. Die Folge
davon war, dass die Unterlhanen über die ebenso parteiische
als teure Gerichtsbarkeit lebhafte Klagen führten. Die Geld-
strafen bildeten überhaupt in beiden Herrschaften von jeher
eine ergiebige Einnahmequelle. Es erhob sich daher ein gemein-
samer Widerstand von Seiten der zahlreichen elsässischen
Grundherrn, als gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts der In-
tendant d'Alsace dem Conseil souverain zu Colmar die Gerichts-
barkeit in den Herrschafts- und Gemeindewaldungen zu ent-
reissen und damit die Geldstrafen an sich zu ziehen versuchte.
Hiermit drang er jedoch nicht durch. (Vergl. Boug Recueil des
Edits de la Province d'Alsace II Bd. 263 IT.) Auch in sonstiger
Beziehung mischte sich der Intendant viel in Waldangelegenheiten.
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Die forsl polizeilichen Bestimmungen und Strafandrohungen
finden wir in den vielfachen Forstordnungen zerstreut. Die
altdeutsche Auffassung, dass Holz und andere Walderzeugnisse
Gemeindegut Aller seien, und dass infolgedessen die Entnahme
solcher als Diebstahl im strengeren Sinne des Wortes nicht gelte,
dass indes « gehawen Holtz genommen» eine «Dieberey» sei,
hat sich bekanntlich, wenn auch abgeschwächt, bis in unsere
Tage lebendig erhalten.
Als Strafmittel kamen in erster Linie Geld, bei schweren
Freveln und im Unvermögensfalle körperliche Strafen in An-
wendung. Im Sachsenspiegel steht beispielsweise auf nächtliche
Entwendung gefällten Holzes sogar Todesstrafe: cdaz soll man
richten mit der Wid».
Für die uns interessirenden Waldgebiete finden wir die
ersten forstpolizeilichen Bestimmungen vornehmlich in den
Forstordnungen des XV. und der folgenden Jahrhunderte, auch
in den Stadtbüchern.
Die Rappoltsteiner F.O. 1429 und 1432 verbieten das
Holzhauen in geschlossenen Waldungen bei 1 Pfund Strafe
und 5 Batzen Denunciantenanteil für den Förster, das unerlaubte
Hauen von Eichenholz und sonstigen Rebstecken bei 5 Schilling
und 2 Batzen für den Förster. Wersein Bauholz nicht binnen Jahres-
frist verwendete, wurde mit 5 bezw. 1 Pfund Strafe belegt.
Ueber die Umwandlung von Geldstrafen in körperliche
bestimmt die Rappoltsteiner F.O. 1483, dass ein Maulstreich
gleich gilt 5 Schilling, das Zwicken 15 Schilling, Wundschlagen 30
Schilling, Beinschrötigmachen3Pfund, zu Boden schlagen 5 Pfund.
Das Kienzheimer Dorfrecht bedroht, wie eingangs des 2. Ka-
pitels angeführt, Köhler, welche stehendes Holz verwendeten, mit
dem Abhauen des Daumens, verwandelt aber zugleich diese wohl
mehr der Abschreckung halber gewählte Strafe in ein Pfund
Pfennige.
Die 1505 niedergeschriebene, aber anscheinend schon lange
vorher wirksame Forststrafordnung «Rügen und Waldeinung»
des Reichen weirer «Rothen Buchs» setzt für jeden Frevelstock
von Eiche, Erle, Tanne und Wildobst, nachträglich auch für
Kastanie und Rüster 13 Batzen als sogenannte c Einung» fest,
für die übrigen Holzarten die halbe Einung und bestimmt
weiter : «Geschieht ouch daz die Vörster Nachts oder an einem
rechten Fyrtag und Sonntag vyndent Holz howen in den Wel-
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den, der bessert 5 Pfund oder eine Hand von jedem Stumpf,
es geschieht in myns gnädigen Herrn oder den Burgerwelden.»
Am 20. Januar 1544 schlössen der Herzog von Württem-
berg, sowie Reichenweier, Kaysersberg, Kienzheim und Sigols-
heim einen 1590 erneuerten Wald schutzvertrag miteinander ab,
demzufolge die Forstbeamten der Parteien sich gegenseitig un-
terstutzen und bei ihren Begangen auch in den Nachbarwald-
ungen zu rügen berechtigt sein sollten (Colmar B. A. E. 184). Die
Waldeinung wurde für den württembergischen Wald und den
Gerneindewald Reichen weier festgesetzt auf 1 Pfund nebst 5
Schilling für den Förster, in den übrigen Waldungen auf 10
Schilling nebst 2»|8 Scb. für den Förster. Für Entwendung
von Eichenholz wurde die doppelte Einung angedioht.
In den Rappoltsteiner Forstordnungen des XVI. Jahrhun-
derts werden die obengenannten Strafen aufgefrischt und neue
Androhungen beigefügt. In den zahlreichen Forst bussregistern
finden wir z. B. folgende Angaben :
A. hat einen Kestenbaum gehauen, bessert 4 Pfund,
B. hat verbotenerweis Kesten aufgelesen, bessert 3 Pfund,
C. hat unerlaubt Eichenstecken gehauen, bessert 1 Pfund
20 Batzen, u. s. f.
Die Förster erhielten etwa i|6 der Geldstrafen.
Sehr ausfürlich waren die forstpolizeilichen Bestimmungen
der F.O. Reichenweier 1581/96, welche die Rücksicht auf
Erhaltung der Wildbahn fortlaufend im Auge behält. Die
Einung beträgt 4 Gulden für eine Eiche, die Hälfte für eine
Tanne. Wer einen fruchtbaren Baum haut, stümmelt oder
durch Feuer beschädigt zahlt 3 — 6 Pfund; wer Stämme der
Rinde beraubt, ein Frevel der häufig vorgekommen zu sein
scheint, oder wer junge Bäume ausreissl, oder Eicheln ab-
schlägt, bessert 5—6 Pfund, wer die vorgeschriebene Hiebs-
folge in seinen Waldungen nicht innehält, wer Bauholz ver-
kauft, zahlt 6 Pfund und zwar in letzterem Fall für jeden
Stamm ; wer in den aufgethanen Schlägen unordentlich haut,
Fällungsschaden anrichtet, den Schlag nicht säubert,
bei bösem Wetter Holz haut, verfallt bis zu 5 Pfund
Strafe ; wer unerlaubt neue Wege anlegt oder unbefugt Binde-
wieden schneidet, zahlt 3 Pfund ; wer nach Bauholzabgaben an
Stelle der gehauenen Eichenstämme keine jungen setzt, bessert
für das fehlende Stück 30 Plappert ; wer unbefugt mit Pferden
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in dem Wald weidet, oder wer dem Bilsteinvo^t den für das
Raffholz lallten Wein nicht abliefert, hat 2 Gulden zu zahlen;
Köhler, welche an Auswärtige Kohlen verkaufen, werden mit
der hohen Strafe von 10 Pfund belegt u. s. w.
1615 setzt ein Rappoltsteiner F. 0. folgende Einheitsstrafen
fest : für 1 junge Eiche 6 Gulden,
» 1 Tanne 2 »
» 1 Eichenwindfall 12 »
1048 wird der Holzhandel mit den Glasern, welche das Holz
nur für den eigenen Bedarf erhielten, aber anscheinend solches
häufig veräusserten, mit 0 Pfund bedroht, ebenso die Holzent-
wendungen in den Wildhegerevieren ; die Entwendung grünen
Holzes in erlaubten Forstorten zog nur die halbe Strafe nach
sich. Zieht man in Erwägung, dass nach den Berechnungen
des Abbe Hanauer zu Anfang des XVI. Jahrhunderts das Pfund=
20 Schilling damals ungefähr 9 M. heuliger Münze wert war,
und dass das Geld zu jener Zeit etwa den 4 1 fachen Wert
hatte, als heule, so erscheinen all* diese Strafen von vornherein
empfindlich. Dieselben sollten abschreckend wirken und kamen
selten in voller Höhe zur Anwendung. Die Urkunden wimmeln von
Verhandlungen über Strafermässigungen und gänzlichen Nachlass.
Je mehr der Wert des Holzes späterhin sich erhöhte, desto
höher wurde bei meist sich gleich bleibenden Strafsätzen der
Anreiz zu Forstdiebstählen ; namentlich im XVII. und XVIII.
Jahrhundert wird häufig über den schreckenerregenden Umfang
solcher bittere Klagen geführt. Während der fast beständigen
Unruhen und Kriegsläufte waren die Waldungen der Willkür
der Bevölkerung geradezu preisgegeben. Da nach der 1636 er-
folgten Zerstörung des Bilstein-Schlosses die umliegenden
Waldungen nicht mehr durch den Burgvogt beaufsichtigt
wurden, fielen die Einwohner von Rappoltsweiler scharenweise
in den Elendswald ein ; anderseits verwüsteten die württem-
bergischen Bilsteinthäler die östlich vom Dorfe belegenen Rap-
poltsteiner Waldungen. Dass während der französischen Re-
volution die Begehrlichkeit nach dem Walde nach Aufhebung
der Feudal rechte noch mehr stieg und dass der Wald zeitweise
schutzlos alle Unbill über sich ergehen lassen musste, werden
wir im Schlusskapitel näher besprechen.
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KAPITEL IV.
Waldrodungen und Ansiedelungen.
Wer von den luftigen Höhen des Königsstuhls, des Tännchels
oder von den Türmen des Bilsteinschlosses, des Hohrappolt-
steins die zu den Füssen liegenden Gebirgswaldungen überschaut,
der sieht diese hier und da durchbrochen von Weilern und
Einzelgehöften, von Matten und Feldern. Diese Ansiedelungen
sind im Laufe der Jahrhunderte zu verschiedenen Zeiten ent-
standen.
Unsere Bergschlösser sind uralt ; die Ulrichsburg hat be-
reits im XI. Jahrhundert bestanden. Nach der Ansicht des
Herrn Baurats Winkler hiessen die ältesten Teile dieser all-
mählich zum nachmaligen Umlange erbauten Burg Rappoltstein
und Altenkastel, wogegen dieser glaubwürdige Erforscher der
Architektonik unsrer Burgen den Bau des zu höchst gelegenen
Hohrappoltstein's erst ins XIV. Jahrhundert verlegt.
Heichenstein ist schon gegen Ende des XIII. Jahrhunderts
in den Kämpfen Rudolfs von Habsburg wider die Raubritter
zerstört worden ; Bilsleinschloss wird 1324 im Kaufbriefe der
württembergischen Grafen aufgeführt. Auch die Klöster Sylo
und St. Morandus oberhalb der Stadt am Strengbach, sowie die
Dusenbachkapelle bestanden bereits zu Anfang des XIII. Jahr-
hunderts. Gegen Mitte des XIV. Jahrhunderts wurde die Bene-
diktinerniederlassung auf Eberlinsmatt am sogenannten Radslubl
eingeweiht.
Die übrigen Ansiedelungen inmitten der Waldungen ver-
danken wohl erst späteren Rodungen ihren Ursprung.
Bald nach Mitte des XVII. Jahrhunderts hören wir zuerst
von den unterhalb des Tännchels und Schelmenkopfs ansässigen
Glasern ; 1672 haben bereits 14 Häuser dort gestanden. (Colmar
B.-A. Liasse E. 1657 u. 1699). Der erste Glasermeister soll ein
1671 eingewanderter venetianischer Edelmann Namens Fingano
gewesen sein. Aus dem Jahre 1674 ist uns ein Vertrag zwischen
den Glasermeistern und den Holzhauern wegen Anlieferung des
erforderlichen Klafterholzes für die Hütten überkommen, aus
demselben Jahre ferner die Kunde von frechen Wilddiebereien
der Glaser, welche damals unter anderem einen Hirsch ge-
schossen hatten.
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Nach Eingehen der eben genannten Benediktinernieder-
lassung bestand zur selben Zeit auf Eberlinsmatt oberhalb der
Vorderen Glashütte eine herrschaftliche Meierei ; zeitweise
wohnte daselbst ein Jäger.
In den Jahren 1687—1707 schloss die Herrschaft mit
mehreren Glasern aus Savoyen (Fischer), aus der Schweiz (Roth),
aus dem Schwarzwald (Greiner und Matthis) und aus dem Salz-
burgischen (Gretzeren und Magiin) Erbpachtsvertrage ab ;
(Rapp. Stadt-Arch. N. No. 47) diese sollten so lange dauern,
als Holz genug vorhanden sein wurde; die Bauplätze, Aecker,
Wiesen und das Tannenbauholz wurden den Erbpächtern frei
überwiesen, wogegen diese sämtliche Gebäude einschliesslich
der Glashütten auf ihre Kosten zu errichten hatten. Jene mussten
der Herrschaft das Eichen- und Kiefernholz bezahlen und beim
Verziehen sollten die Gebäulichkeiten an die Herrschaft zurück-
fallen. Für die Beholzung wurde den Glasern allmählich der
auf der Karte bezeichnete Forstort abgesteckt, auf welchem sie
auch die Weide ausüben durften. Im übrigen war es ihnen
streng verholen, Holz zu verkaufen, zu jagen, zu tischen und
zu schiessen. Sie sollten, wie es in der 1687er Urkunde heisst,
dem Hofstab unterwürfig sein, nicht der Stadt, oder wie der
Ausdruck 1707 lautete «als herrschaftliche Domestiques consi-
derirt» werden. Die Jahrespacht betrug anfanglich 80 Reichs-
thaler.
Im Jahre 1707 fand nach Hinzukommen anderer Glasmacher
eine Vertragserneuerung statt, Wolf Matthis wurde Schultheiss.
Es wurde angeordnet, dass das Forstamt das Holz förmlich an-
zuweisen habe, auch das Feueranmachen seitens der Hirten
in Anbetracht mehrerer Waldbrände streng verboten; zunächst
sollten die Glaser das bei diesen Bränden beschädigte Holz be-
kommen. Der Pachtbetrag stieg auf 200 Gulden. 1707 wurde
bestimmt, dass nach eingetretenem Holzmangel der Glashütten-
betrieb in das hintere Thal verlegt werden solle. Die Pachtbe-
träge erfuhren abermals eine Erhöhung, auch wurden den
Hintersassen verschiedene Abgaben, wie Umgeld für das Wirt-
schaften, Erbschaftssteuern und Mutationsgebühren auferlegt.
Das Halten von Geisen wurde beschränkt, das Aschenbrennen
zum Verkauf untersagt. Wir sehen also, dass die Herrschaft
sich für die freie Beholzung und Anweisung von Hofstätten
und Ländereien durch all* diese Geldeinkünfte schadlos zu
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halten wusste; jedenfalls halte damals eine anderweitige Ver-
wertung des Waldbodens und der Walderzeugnisse kaum einen
höheren Erlrag eingebracht. Auch in anderen elsässischen und
lothringischen Waldungen entstanden zu jener Zeit Glashütten,
so ist z. B. 1699 in denjenigen der Abtei Murbach der Ort
Wildenstein als Glaserniederlassung gegründet worden.
Wie lange im Verlaufe des XVIII. Jahrhunderts noch Glas
gemacht worden ist, geht aus den dem Verfasser zur Kenntnis
gelangten Urkunden nicht deutlich hervor: die im Walde ab
und zu noch gefundenen Scherben und Schlacken können ja
recht alt sein. Jedenfalls hat der Hüttenbetrieb schon lange vor
der französischen Revolution aufgehört. Gleichwohl bezogen die
Einwohner der beiden Glashütten, welche sich allmählich mebr
der Landwirtschaft zuwandten, nach wie vor gegen Erstattung
der bestimmten Abgaben Bau- und Brennholz.
Die Herrschaft hat den Erbpächtern gegenüber das vorbe-
haltene Vorkaufsrecht wiederholt ausgeübt und sich so in den
Besitz von Meiereien gesetzt, welche sie wieder in Zeitpacht
gab. Daneben blieben mehrere Erbbeständer übrig. In welcher
Weise diese nach der französischen Revolution abgelöst wurden,
werden wir im Schlusskapitel sehen.
Abgesehen von den Glashütten entstanden innerhalb der
Rappoltsteiner Waldungen im Laufe des XVIII. Jahrhunderts
durch Waldrodungen noch mehrere Ansiedelungen. (Colmar
B.-A. E No. 971, 1658—1061). Im Jahre 1709 erhielt ein Wieder-
täufer Namens Peter Eymann ein Grundstück im oberen Müs-
bachthal ; 1726 wurde der Erbpachtsvertrag mit dessen Söhnen
erneuert und hierbei 16 Gulden Erbpacht ausbedungen ; das
WTeiden in jungen Schlägen, das Geisenhalten, sowie das Jagen
und Fischen war strengstens verboten.
1715 erhielt Jacob Rödelsperger als herrschaftlicher Meyer
ein Erblehen auf der Schluck bei Altweier; daselbst entstanden
auf dem damals noch herrschaftlichen Boden noch 2 weitere
Meiereien, desgl. weiter abwärts das sogenannte Kohlhaus und
2 Sägemühlen. 1770 wurde die Meierei Saxermatt für 160 francs
verpachtet, 1774 der damals noch öde Kalbsplatz, 1776 die
Ferme Adelsbach, die Gehöfte Acker und Baracke mögen um
dieselbe Zeit angelegt worden sein. 1763 wurde Forsthaus
Mittelberg gebaut und mit Wiesen ausgestattet, im selben
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Jahre auch im kleinen Steinthal eine einem gewissen Rodels-
perger verpachtete Melkerhütte angelegt.
Im Jahre 1781 wurde die damals schon vorhandene herr-
schaftliche Meierei auf dem Mösherg für 18 Jahre weiter ver-
lehnt unter Zugrundelegung von '26 haarklein niedergeschriebenen
Bedingungen. Der Pächter muss die Gebäude gut unterhalten,
die Wiesen säubern und durch Steinmauern zum Schutz gegen
das Altweirer Weidevieh einfriedigen, jährlich 4 neue Obst-
bäume setzen ; die Beholzung und Waldweide wird eingehend
geregelt. Die Pachtsumme für das ca. 4 Ha. grosse Anwesen
betrug 300 francs. Das 1510 in herrschaftlichen Besitz gelangte
Grundstück auf der Glausmatt wurde von Zeit zu Zeit ver-
pachtet.
In ähnlicher Weise entstanden im Waldgebiete von Reichen-
weier zu Anfang des XVIII. Jahrhunderls die ff. Niederlassungen :
1703 Bilsteinthal, genannt Neudörfel, 1709 Bärenhütle, 1717
Buckel, 1720 Ursprung, 1721 Forsthaus Seelburg. Abgesehen
von dem letzteren und von der Meierei Bärenhütte handelte es
sich bei den übrigen Ansiedelungen wiederum um Erbpacht-
güter. (Colmar B.-A. Liasse K 43).
Zufolge einer in Bikteinthal vorfindlichen Urkunde vom 3.
September 1703 wurde vier von den Glashütten kommenden
Glasern gestattet, sich binnen 6 Jahren im Bilsteinwald als
Holzhauer und Köhler anzubauen gegen Zahlung von etwa 33i/j
francs Erbpacht, welche ihnen nötigenfalls am Holzmacherlohn
abgezogen werden sollte; sie erhielten Waldweide für's eigene
Vieh und einige Wiesen ; die Jagd sollten sie «absolute meiden».
In den Jahren 1709 und 1746 wurde der Vertrag erneuert, die
Pacht auf 64 bezw. 170 francs erhöht; die Hintersassen mussten
ausserdem die üblichen Gefalle entrichten. Bald nach ihrer An-
siedelung fingen die Bilsteinthäler an, sich herrschaftlichen
Waidgrund anzueignen, was ihnen namentlich zur Zeit des
Sequesters erfolgreich gelang. Kein Wunder daher, dass dort
noch heute die Abgrenzung zwischen Wald und den Privat-
ländereien in unregelmässigen Zickzacklinien verläuft. 1783
bestanden im Bilsteinthal 10 Haushaltungen auf Reichenweier
und 1 auf Rappoltsweiler Gebiet.
Aehnlich war der Verlauf der Rodung und Ansiedelung
auf dem kleineren Weiler Buckel oberhalb Forsthaus Baum-
schule, sowie auf dem sogenannten Ursprung.
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Bärenhütte gehörte als Bestandteil des Elendswaldes zum
Apanagengut der Herzogin Anna von Württemberg; diese
bestimmte 1709 15 Acker «an den Brunnen» zur zeitlichen
Verpachtung unter ähnlichen Bedingungen; die Pächter erhielten
Bau- und Brennholz und sollten gute Obsicht auf die Waldungen
haben, begannen diese aber bald durch unerhörte Weidefrevel
in weitem Umkreis zu verwüsten. Die Pacht stieg von 1709
bis 1784 allmählich von 12 Reichsthalern auf 150 francs.
(Colmar B.-A. Liasse E No. 72).
Im Schlusskapitel wollen wir auch des Schicksals der
Reichenweierer Enclaven nach der französischen Revolution in
Kürze gedenken.
KAPITEL V.
Regelung der Holznutzung.
«Die karolingische Zeit», schreibt Bernhardt in seiner Ge-
schichte des Waldeigentums und der Waldwirtschaft, «kann
inbezug auf das Verhältnis der Landesbewohner zum Walde
kurz charakterisiert werden als die Zeit des unbedingten Kampfes
gegen den Wald. Derselbe ist überall Kulturhindernis, seine
wirtschaftliche Bedeutung überaus gering, der Wert seines
Hauptproduktes gleich Null. Die spärlichen Aufzeichnungen
über die Bedeutung der ausgedehnten Waldstriche, welche
Deutschland bedeckten, aus dem X. und XI. Jahrhundert er-
achteten es kaum der Mühe wert von anderen Waldnutzungen
zu reden, als von Weide, Mast, Bienenzucht, der Jagd und
Fischerei.»
Hiermit steht der Wortlaut der obenerwähnten Waldver-
leihungsurkunde Karls des Grossen zu Gunsten der Abtei Leberau
aus dem Jahre 774 im Einklang. Jene zählt als Nutzungen in den
betreffenden Waldungen auf dem unteren Nordabhange des
Tännchels die Fischerei, den Vogelfang und die Weide besonders
auf und thut der Holznutzung gar keine Erwähnung. Erst
gegen Ende des Mittelalters gewinnt wie überall, so auch in
den hiesigen Waldungen jene an Bedeutung. Aber noch lange
Zeit bemächtigten sich die Eingeforsteten der Walderzeugnisse
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nach Belieben und nach Art der freien Güter. Von einer plan-
massigen Waldwirtschaft war keine Rede. Den schon irn XII.
und XIII. Jahrhunderl erlassenen Rodungsverboten lag meistens
das einseitige Interesse des Jagdherrn zu Grunde, kaum die
Ueberzeugung von der dereinstigen Bedeutung des Waldes und
die Furcht vor Holzmangel. Diese Gesichtspunkte kamen erst
mit dem allmählichen Anwachsen der Bevölkerung und Besie-
delung zum Bewusstsein und zur Geltung. Im XIV. Jahrhundert
erst erfahren wir von mannigfachen Regelungen der Waldbe-
nutzung sowohl in den gemeinschaftlichen Markwaldungen, als
in den herrschaftlichen Forsten. Wir vernehmen u. a., dass
in der, zwischen dem Rappoltsweiler und Kaysersberger Thale
belegenen grossen Waldmark 7 von den Dinghöfen ausgehende
Förster auf Ordnung halten und rügen. Wir hören auch, dass
die Rappoltsteinischen und Bergheimer Förster am Tännchel
Holzdiebe pfänden. In den nachfolgenden Jahrhunderten werden
die vornehmlich in den Forstordnungen getroffenen Waldschutz-
massregeln immer strenger, wie sich z. B. aus der abgedruckten
1543er genugsam ersehen lässt.
Abgesehen von der Schonung der Walder selbst durch
Verhegung der jungen Schläge, Verhol des Mähens in den-
selben, Nachzucht junger Eichen, Vorsicht beim Fällen und
Rücken, Verbot des Aushauens von Bindewieden sollte auf
grösstmögliche Ersparnis beim Holzverbrauch eingewirkt werden.
Die 'Bauholzabgaben wurden scharf beaufsichtigt ; zu Brenn-
holz und namentlich zum Kohlen durfte nur geringwertiges
Holz verwendet, von den Windfallstämmen sollten die zu Bau-
oder Arbeiterholz tauglichen Abschnitte bei Strafe nicht als
Brennholz abgegeben werden. Die Anwendung hölzerner Zäune
wurde verboten, vielmehr Anpflanzung lehendiger Hecken an-
befohlen, die Anzahl der bei weltlichen und geistlichen Fest-
lichkeiten, sogar zur Bezeichnung der Gastwirtschaften zu ver-
wendenden Maien wiederholt beschränkt. Holzverschwendung
durch Aschenbrennen sollte nicht geduldet werden. Zur Ver-
hütung von Ueberschreitungen bei den Holzabgaben wurden
auch hierzulande bereits im XV. oder XVI. Jahrhundert WTald-
hämmer zum Anschlagen der Stämme eingeführt. Die franzö-
sische Forstordnung von 1609 blieb auf die Bewirtschaftung der
hiesigen Waldungen nicht ohne wohlthätigen Einfluss, insofern
sie eine Reihe waldpfleglicher Bestimmungen mit peinlicher
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Sorgfalt, allerdings vorwiegend nach dem Schema des fran-
zösischen Mittelwaldes vorschrieb.
Wie überall in Deutschland war die Aufarbeitung des
Holzes auch hierselbst ursprünglich Sache des Empfangers. Die
zur Gewinnung des Brennholzes bestimmten Forstorle, in denen
das Dürr- und Windfallholz und das «smalholtz» — wol zurück-
gebliebene und unterständige schwache Stämme — gemacht
werden durfte, wurden den Einwohnern in sogenannten Kan-
tonen losweise zum Selbsthieb überwiesen. Die Rappoltsweiler
Fuhrleute hieben ihre Karrchbäume im Schwarzenberg selbst
ab. Eine Ausnahme fand von jeher statt beim Einschlage der
Bauhölzer, wobei in der Regel ständige Forstknechte zuge-
zogen wurden. Diese erhielten ein Stammgeld, auch Zehrung
und den unvermeidlichen Trinkwein. In den Rappoltsteinischen
Waldungen bei Markirch, in welchem Amte bereits im XIII.
Jahrhundert, vielleicht schon früher, seitens der Herrschaft der
Bergbau lebhaft betrieben wurde, erfahren wir demgemäss
zuerst von berufsmässigen Holzhauern. Diese hatten bedeutende
Mengen von Minenhölzern herzurichten; sie wohnten grossen-
teils in Fortelbach (Fertru). Eine ähnliche Zunft bildeten im
diesseitigen Thale die Rebsteckenmacher, welche nicht nur für
den eigenen Bedarf, sondern auch zum Verkaufe arbeiteten.
Die Rebstecken mögen auf den bereits 1302 erwähnten «Holz-
merket» in der Stadt verkauft worden sein. (Albrecht, Ur-
kundenb. II, 177.)
Gegen Mitte des XVII. Jahrhunderts hören wir zuerst vom
Aufklaftern des Brennholzes, welches früher wagen- und karren-
weise abgefahren worden war und zwar für den Bedarf der
Glashütten wie der herrschaftlichen Hofhaltungen, auch für die
Brennholz konsumierenden Gewerbe. Der Lohn für die Klafter
— bei 3»|« Schuh Scheitlänge, 6 Schuh Höhe und Breite etwa
3 3/4 Rmtr. — betrug 1648 12 Batzen und 1—2 Mass Trinkwein,
1735 40—50 Sous und Wein, 1750 wurde für Aufarbeitung
eines Sägeklotzes 8—12 Sous bezahlt. Ueber die Holzhauer
gingen mehrfach Klagen wegen Unredlichkeit ein, namentlich
darüber, dass sie sich die Klafter doppelt bezahlen liessen.
(Colmar, B. A. E No. 676.)
Ueber den Brennholzeinschlag besagt die F.O. Reichen-
weier 1581 196 folgendes : Jenes soll entweder im Herbst bis
Skt. Gallen (16. Oktober) gehauen und vor März aus den Hagen
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geführt und geräumt oder im Frühling geschlagen und bis
Michaelis, 29. September, ausgeräumt werden. Brennholz, welches
nicht rechtzeitig abgehauen worden ist, soll bis zum nächsten
Hau stehen bleiben ; solches, welches nicht zu obigen Terminen
abgefahren ist, falls nicht mildernde Umstände vorliegen, der
'Herrschaft trotz Einziehung des Kaufgeldes anheimfallen, lieber
«Zeit, Weiss und Manier Bauholz zu hauen», lässt sich Artikel
25 in einer für die damaligen Ansichten recht bezeichnenden
Weise folgendermassen aus : «Und so unsere Waldvögt und
Förster Befelch haben, als obsteht, jemanden Bauholz zu geben
oder obgedachter unserer Unterthanen zu Reichweyler, Beblen
aus ihren Bürgen- und Gemeinden Wäldern, es sey aus Gnaden,
Gerechtigkeit oder anders wegen, oder zu unsern Gebäuen
hauen lassen würden, wie sich das fügte, so sollen sie bey
ihren Pflichten daran seyn, dass es all wegen zu rechter Zeit
und so der Hau gut ist nehmlich nach gemeiner Regel 2 oder
3 Tag vor oder nach dem neuen bey kleinem Mond, und in-
sonderheit trockenem Wetter gehauen und gefällt werden.
«Item das eichene Bauholtz soll von Jacobi oder mittlen
Julio an biss in den Hornung bey neuem Mond gefallt werden,
so lang der Saft nicht darein gestossen, oder der Teil darinnen
erstorben ist, aber jedoch bey schönem guten Wetter, dann bey
Regenwetter oder wann der Stamm sonst nass ist, so giebt es
von Stund an Wurmstich, dass man die sehen kann, ehe es
gezimmert wird.
«Item soll auch kein Bauholtz gefallt werden, es sey eichen
oder anders, wenn das Holtz gefroren ist, denn es entreckt und
erspalt sich im Fallen, dass es nicht langwährig sein kann.
«Item so man etwan nothalben Bauholz im Saft haben oder
hauen müsste, so soll es gleichfalls uf dem neuen Mond und
schönen Wetter geschehn, aber die Wipfel nicht abtrommern,
sondern 3, 4 Tag liegen lassen, biss das Laub daran anfangt
dörren oder der Saft vom Stammen hinter sich lauft und der
Stamm vom Saft trocken wird, alsdann soll es abtrommt und
gezimmert werden. Welche aber so fahrlässig wären, dass sie
das Holtz in obermeldter Zeit nit gehauen, so soll ihnen nit
gestattet werden, ausserhalb ermeldter Zeit mehr zu hauen.
«Ob es aber Jemandt thäte und Holtz im bösen Wetter
hauen würde, der soll, so oft er ergriffen und von einem jeden
Stamm 60 Plappert bezahlen. Es möcht aber einer so gefahrlich
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gehauen und gewüst haben, so soll es bey solchem nicht bleiben,
sondern dem Verschulden und Schaden nach gestraft werden.»
Dieselben Bestimmungen sind in das Reichenweier Rote
Buch übergegangen.
Ueber den Einfluss des Mondes auf die Dauer des Holzes
und die betreffende beste Fällungszeit sprechen die meisten
Forstordnungen sowie Wirtschafts- und Wetterregeln jener Zeit.
In einem alten Slrassburger Kalender heisst es : ces ist gut holz
anheben zu hauen mit des mondes wedel» ; daher auch «Wadel»
gleichbedeutend mit Fällungszeit ist. Ueberhaupt sollten nach
den früheren Begriffen bei abnehmendem Monde diejenigen
Geschäfte vorgenommen werden, die ein Trennen oder Auf-
lösen bezwecken ; bei zunehmendem dagegen jene, die auf ein
Wachsen und Gedeihen gerichtet sind, daher auch Niederwald-
schläge, weil die Stöcke wieder ausschlagen sollten.
Der Holztransport mag bei der früheren Unwegsamkeit in
den Gebirgs Waldungen recht schwierig gewesen sein : man fuhr
jäh den Berg hinab, wo es gerade am besten ging, um die
wenigen etwas besseren Hauptwege zu erreichen. So kam es,
dass im Waldinnern eine grosse Anzahl von Notwegen entstand,
welche sich nach Gewitterregen aushöhlten, und in denen die
Feinerde bergabrieselte.
Die F. 0. Reichen weier 1581/96 bedrohte daher das Machen
neuer Wege mit «3 Pfund Frevel». Zu dem auf den steilen
Wegen sehr schwierigen Hemmen bedienten sich die Fuhrleute
sog. Kötschen, Sperrbündel, welche hinler dem Wagen nach-
schleiften. Hierzu nahm man die längs der Wege wachsenden
Sträucher, welche daher öffentlich meislbietend versteigert
wurden. Die Rappoltsteinische F. 0. 1556 (Rapp. St. A. D. D.)
bestimmte, dass die Fuhrbesilzer ihren Mitbürgern Holz fahren
mussten. Der Fuhrlohn wurde obrigkeitlich festgesetzt und be-
trug damals: für 1 Steckenbaum mit
3 Ross zu fahren 15 Schilling
d 1 Fahrt Sägetrummen 13 »
» 1 Fahrt Sparren 10 »
» 1 Brennbaum 10 »
Um das Brennholz besser an die Strengbachthalstrasse zu
verbringen, wurden im Adelsbach, Ibach und Steinbach noch
in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Wassertriften
angelegt ; später hört man nichts mehr von solchen.
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Die Bilsteinthäler Holzhauer waren zu Anfang des XVIII.
Jahrhunderts verpflichtet, das Klafterholz aus den württem-
bergischen Waldungen für1/« Gulden ins Strengbachthal zu liefern.
Ueber die ausgangs des Mittelalters übliche Art der Holz-
verwertung haben wir bereits im II. Kapitel bei Schilderung
der Berechtigungsverhältnisse berichtet. Wir sahen, dass die
Herren von Rappoltstein, nachdem sie den gesamten Wald-
besitz an sich gezogen, die «Beholzung» ihrer Unterthanen als
Ausfluss ihrer landesväterlichen Pflicht betrachteten. Wie in
Rappoltstein wurden auch in den herrschaftlichen und Ge-
meindewaldungen bei Reichenweier die aufgethanen Forslorte
ausgegeben (Reichenw. St. A. D.D. 2); in diesen letzteren er-
folgte die Verlosung an 10 bis 16 einzelne Rotten, in welche
die Bürger dieser Stadt jährlich eingeteilt wurden. An der
Spitze jeder Rotte stand; ein Roltenmeister, welcher in dem
betreffenden Los, Juchert oder Juchart genannt, auf Ordnung
beim Einschlag und bei der Verteilung der angeschlagenen
Stämme zu halten hatte. Die Holzausgabebedingungen waren
auf den Bannholz- oder Rottenzeüeln vermerkt. 1617 heisst es
z. B. : cWeil viel dürren Dannebaum in den Stadtwäldten, hat
man vor gut angesehen, solche auszuzeichnen und unter ge-
meine Burgerschaft auszuteilen. Sind auch 10 Juchert gemacht
und ausgelocht zu je 150 Stück und ist jeder Baum mit der
Slattaxt und dem Zeichen gezeichnet».
Die Anzahl der Ueberhälter war unter Angabe der Holzart
in den Bedingungen genau vorgeschrieben, seit Eintritt der
franz. Oberherrlichkeit unter Berufung auf die 1669er Ordo-
nanz. Nichtbefolgung der obigen Bestimmungen konnte Verlust
des Holzloses nach sich ziehen.
Das erforderliche Bauholz bezogen die Bürger von Reichen-
weier in der Regel ebenfalls aus ihrem Stadtwald, unter eben
bereits genannten Bedingungen.
Da der Weinbau hierzulande schon von alters her einen
grossen Bedarf an Rebstecken erforderte, so finden wir
schon in den ältesten Forstordnungen genaue Vorschriften über
die freihändige Abgabe von Steckholz. Zu diesem wurden an-
fänglich spaltbare Tannen und Eichen zu einer Stammtaxe
angewiesen, auch unterdrückte Tannenstangen, sog. Erdkiemen,
welche sehr engringig, harzig und dauerhaft sind, später, etwa
von der Mitte des XVI. Jahrh. ab, Kastanien.
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Die Reichenw. F.O. 1581 196 bestimmt, dass das Steck-
holz nicht mehr in den vorderen herrschaftlichen Waldungen
abgegeben werden dürfe, vielmehr an «weiten unschädlichen
Orten». Auch in den Kappoltsteinischen F.O. werden für diese
Nutzung nur gewisse Forstorte geöffnet. Mit dem Aushieb von
Tannenerdkiemen scheint schon früh Unfug getrieben worden
zu sein, sodass deren Entnahme in jungen Waldungen oft
verboten werden musste. Auch wurde im vorigen Jahrh. seitens
der hiesigen Herrschaft Klage darüber geführt, dass die Ein-
wohner von Rappolts weiler nur deshalb soviel Tannenmaien
zum Frohnleichnamsfest hauen wollten, um nachher Rebstecken
daraus zu machen.
Die freihändige Ausgabe eines Stücks «Kostebaum» aus
<lem Reichenweier Stadtwalde an die Bürger wird zum ersten
Male 1667 erwähnt (Reichenw. Stadt Arch. DD2). Diese süd-
ländische Holzart war jedoch im benachbarten Walde von
Ammerschweier bereits Mitte des XVI. Jahrh. heimisch ; schon
damals wird im Stadtbuche das eigenmächtige Abschlagen von
Kastanien bei Strafe verboten.
Sonstiges Arbeiterholz, wie Wagner- Dauben- Reifholz,
■Sägeblöche, Schindel- und Lattenholz, sowie Weinbäume und
Trottstangen gelangten in beiden Herrschaften in der Regel
freihändig zur Abgabe gegen eine von der Forstverwaltung be-
stimmte Taxe.
Andere Gemeinden und Auswärtige erhielten öfters Bauholz
zur vollen, zuweilen zu einer ermässigten Taxe. 1741 wurden
solche Abgaben wegen «starker Konsumtion des Bauholtzes» in
Rappoltstein eingeschränkt.
Zu Anfang des vorigen Jahrh. fanden auch wiederholt aus
■den, nach der Markircher Höhe zu gelegenen Waldungen für
die Bergwerke im Leberthal Grubenholzabgaben statt. (Colmar
B. A. Liasse E 1701).
Die eigenen Hofhaltungen verschlangen hüben und drüben
ansehnliche Brennholzquantitäten ; freilich wurde den Beamten
auweilen nachgesagt, dass sie das schöne Klafterholz zum
Aschenbrennen und Düngen ihrer Ländereien verschwendeten.
Den städtischen Gebäulichkeiten, Spitälern, Thorwächtern
und dgl. wurde der Brennholzbedarf aus den herrschaftlichen
Waldungen geliefert ; doch legte die rappoltst. Verwaltung im
vorigen Jahrh. Wert darauf, dass solche Zuwendungen nur als
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Gnadengeschenk anzusehen seien. Jene Hess auch dem ehe-
maligen Augustinerkloster zu Rappertsweiler und dem Wald-
bruder der Dusenbachkapellen Brennholz zukommen ; zu deren
Instandhaltung wurde auch öfters Bauholz verabfolgt.
In demselben Masse, als namentlich die hiesige Herrschaft
die Holzberechtigungsbezüge der Einwohner zu beschränken
bestrebt war, gab sie ihren Forstbeamten Anweisung, das Holz
vor dem Dürrwerien, also vor dem Anheimfallen an jene, noch
rechtzeitig zum Besten der Forstkasse zu veräussern. Es geschah
dies dadurch, dass die Förster den Eingeforsteten hiebsreife
Stämme anwiesen und hierüber ein Solleinnahraebuch führten.
Die Holztaxen, welche auch in Wein entrichtet werden durften,
sollten von den Rentmeistern eingezogen werden ; den Förstern
wurden Geldgeschäfte untersagt, und zwar so oft und so ein-
dringlich, dass dringende Notwendigkeit zu solchen Verboten
vorgelegen haben muss. Noch zu Ende des vorigen Jahrh. war
es zulässig, dass die Bürger ihr Brennholz selbst aufarbeiten
durften, sonst wurde das Hauen, Rücken und Aufklaftern von
der Revierverwaltung verdungen.
Die Holzverwertung auf dem Wege des öffentlichen meist-
bietenden Verkaufs war jedenfalls neben den häufigem frei-
händigen Abgaben in hiesiger Gegend bereits im XVI. Jahrh.
gebräuchlich. Die erste Erwähnung über Holzversteigerungen,
welche z. B. in Preussen erst 1713 eingeführt worden sind,
finden wir im Stadtbuch von Ammerschweier aus dem Jahre
1561. Die Versteigerungen fanden auf der Ratsstube statt ;
morgens gab man den Kaufliebhabern eine Suppe; die Holz-
lose wurden vorher von dem Amtsstattmeister, den Leiterern,
(Leute, welche den Wein massen und zutrugen) und den
Förstern gegen ein Entgelt ausgemessen ; die Bieter mussten
bar zahlen.
Die Bedingungen über Einschlag und Abfuhr wurden ver-
lesen. Abends teilte man nochmals mit «was ein jeder kauft
hat, welches furth, auch wie teuer» ; «alle so waldt kauft
handt», bekommen abends wieder eine Suppe, «aber khein
essen gibt niemandt nicht».
In den uns besonders interessierenden Waldungen haben
nachweislich öffentliche Holzversteigerungen erst viel später,
nämlich zu Anfang des XVIII. Jahrh. stattgefunden . Anfänglich
handelte es sich nur um den Verkauf geringer Windfallholz-
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massen, dann auch um grössere Lose stehender Hölzer. Die
mit dem Waldhammer angeschlagenen Stämme wurden los-
weise auf dem Stock ausgeboten. Der Käufer unterwarf sich
den Bedingungen, die Stöcke sauber zu hauen, die Schlag-
räumung rechtzeitig zu bewirken, nicht bei der Nacht zu arbeiten,
das Holz nicht andern abzutreten, nicht Holz in die Nach-
barlose hineinzuwerfen, die Ueberhälter zu schonen und dergl.
mehr (Colmar B. A. Liasse E 1646).
Mit steigenden Geldbedürfnissen der Landesherrn wuchsen
die Ansprüche an die Waldreineinträge. So gab 1763 die Re-
gentschaft von Mömpelgart dem Forstmeister Bregenzer zu Rei-
chenweier den Befehl, sofort 10000 frcs. zu schaffen und hierzu
in erster Linie 400 Klafter, also ca. 1500 Rmtr abgängiges Tannen-
holz im Elendswald hauen zu lassen (Colmar B. A. Liasse E No.183).
Fünf Jahre darauf erhielt derselbe Beamte Anweisung, alljährlich
im herrschaftlichen Walde 300 zu Sägewaren geeignete Tannen
von 20—30 Zoll Durchmesser einzuschlagen, diese auf der noch
zu erwähnenden Sägemühle zu Dielen schneiden zu lassen und
alsdann zu verkaufen ; ferner sollten jährlich 1200 Stück Tan-
nenbauholz, auf 8—15 Zoll vierkantig beschlagen, veräussert
werden. Schliesslich wurde bestimmt, dass das Abholz von den
Nutzstämmen und das zu Nutzholz untaugliche Holz zum Vorteile
der Herrschaft als Brennholz verkauft werden sollte, und zwar
«par preference aux sujets», wie denn überhaupt beide Herr-
schaften den Holzverkauf an «Ausländer» bei jeder Gelegenheit
zu verhindern trachteten.
In den Gemeindewaldungen bekümmerte sich der königliche
Intendant im vorigen Jahrh. eingehend um die Holzverwertung;
Anträge auf Bürgerholzschläge unterlagen seiner Genehmigung.
1789 erlangte Reichenweier einen solchen Schlag aus ihrem
Stadtwalde nur unter der Bedingung, dass sie sich zu einem
don patriotique von 2000 frcs. an die Regierung verstand.
(Reichenw. Stadt Arch. DD 2).
Zur besseren Verwertung der Hölzer befassten sich die
beiderseitigen Verwaltungen mit der Errichtung, von Säge-
mühlen. In denRappoltsweilerThälern (Colmar B.A. ENo. 1658)
entstanden deren vom XVII. Jahrh. ab allmählich fünf, wovon
2 ausserhalb Altweier im Thal zwischen dem Müsberg und dem
Schwarzenberg und 3 im Strengbachthal lagen. Die oberste
Sägemühle wurde 1687 dem schon im IV. Kapitel genannten
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Schluckmeyer Jacob Rödelsberger als Erblehn derart konzessio-
niert, dass die Baukosten zu seinen Lasten seien, dass er
herrschaftliche Steuern nicht zu entrichten, dagegen als jähr-
liche Rente abzuführen habe :
1 Gulden Wasserfallzins,
4 Fuder Dielen,
100 Latten,
1 Huhn als Zins für den Garten.
Dem Rödelsberger wird ein Tannenstamm für 5 Batzen
überlassen, Eichen- und Kiefernholz jedoch versagt. Der Mühlen-
inhaber darf keine Rebstecken machen, weder jagen noch fischen,
keine verdächtige Leute beherbergen ; er erhält Waldwiesen und
Waldweide; der Herrschaft räumt er das Vorkaufsrecht für
alle Zeiten ein.
Die Strengbachsägemühlen standen unter herrschaftlicher
Selbstverwaltung. Die Sägemüller führten über die geschnittenen
Hölzer Register und die beaufsichtigenden Forstbeamten be-
rechneten vierteljährlich auf Grund der festen Einheitssätze die
Schneidetaxen. Die Hölzer aus den herrschaftlichen Waldungen
hatten den Vorzug beim Schneiden ; für andere Hölzer wurde
ein Zuschlag erhoben. Die fertige Säge wäre durfte nur 1
Monat bei den Mühlen aufgestapelt bleiben.
Wie aus den herrschaftlichen Forstgeldrechnungen hervor-
geht, ergaben die Sägemühlen ansehnliche Einnahmen. Mit
der untersten Sägemühle, ungefähr da, wo jetzt die städtische
Sägemühle Allmend steht, war eine Lohmühle verbunden,,
weiche jährlich 5400 Ctr. Eichenrinde zu mahlen vermochte.
In Reichenweier erreichte Forstmeister Bregenzer nach
längeren Verhandlungen 1763 den Bau einer Sägemühle am
Bache unterhalb Schloss Reichenstein auf Gemeindegrund.
(Colmar B. A. Liasse E No. 183). In den Beweggründen war
ausgeführt, dass in den herrschaftlichen Waldungen viel über-
ständiges Tannenholz vorhanden sei, aus welchem mehr erlöst
werden könne, wenn es nicht zum «blossen Scheiterholz er-
bauen würde, wann davon die abfallenden Sägeblöcker zu
Thielen, Latten, Bretter und dergl. employiert und des Endes
eine Sägemühle erbaut würde». Bregenzer hoffte die Holzpreise
durch Anlage derselben mindestens aufs Doppelte zu steigern.
Die Stadt Reichen weier räumte den Platz ein, behielt sich aber
das Benutzungsrecht für die Hölzer aus ihrem Wald und zum
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sonstigen eigenen Schneidegebrauch vor. Die fünfte und
letzle Bedingung des am 15. August 1761) aufgenommenen
Vertrages lautete : «En cinquieme et dernier lieu sera Ja seig-
neurie tenue, de faire assembler ä ses frais les 4 sources, qui
se trouvent dans la foret appelee Seelburg, dans un reservoir
et conduire les eaux jusque sur le lieu appelle Brudermatt».
Thatsächlich sind die Quellen bald darauf gefasst worden ;
eine Brunnenstube oberhalb Alexishof tragt die Jahreszahl 1771.
Jedenfalls geht hieraus hervor, dass die Wasserfrage in
Reichenweier schon damals eine grosse Rolle spielte.
Der 1764 ausgeführte Neubau der Sagemühle kostete fast
3800 frcs. Im März 1705 wurde der Sager Michael Ludwig
mit 30 frcs. Jahresgehalt, Deputatholz und Gartennutzung an-
gestellt. 1791 veräusserte Forstmeister Ziegler im Auftrage des
Herzogs die Mühle noch rechtzeitig vor der allgemeinen Säku-
larisation für 950 frcs. an Malhias Ritzenthaler zu Horburg.
Leider Hess dieser die Mühle bald darauf verfallen.
KAPITEL VI.
Handhabung der Forstnebennutzungen.
Wir haben im vorigen Kapitel angedeutet, dass die Holz-
nutzung im Mittelalter gar oft an Wert gegen die anderen
Forstnebennutzungen zurücktrat. Abgesehen von der Jagd,
welcher wir ein eigenes Kapitel widmen werden, waren wie
überall, so auch hier, Waldweide und Mast von hoher Bedeutung.
Der Weinbau, welcher zur Zeit in der Gemarkung Rappolts-
weiler etwa 12 o/0 der Gesamtfläche beschlagnahmt (in ganz
Elsass-Lothringen 2i/4oj0> im Deutschen Reich knapp J|4°io) und
bereits vor einigen Jahrhunderten im wesentlichen das heute mit
Reben bestockte Gelände einnahm, gab zur Heranziehung des
Waldes für die Viehernährung von alters her unmittelbar Ver-
anlassung. Diese Inanspruchnahme steigerte sich mit wachsender
Bevölkerung mehr und mehr, zumal auch die Ansiedelungen
inmitten der Waldungen zunahmen. Kein Wunder daher, dass
der Waldweide in den Urkunden so häufig Erwähnung gethan
wird, und dass öfters über deren Ausübung in gemeinschaftlich
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oder besessenen genutzten Waldungen «Missehelle, Stösse und
Spänne» entstanden und durch Schiedssprüche geschlichtet
werden mussten. Die Rappoltsteinischen Waldgänge werden in
der 1084er Verleihungsurkunde ausdrücklich als Zubehör der
Herrschaft genannt. Bei den im XIII. und XIV. Jahrhundert
vorgekommenen Teilungen der Rappoltsteiner wird jedesmal aus-
bedungen, dass die Bürger «wunne und weide» weiter gemeinsam
nutzen und niessen dürfen. Der im XIV. Jahrhundert ausge-
brochene und 200 Jahre andauernde Grenzstreit zwischen jenen
Herren und den Bergheimern ward nicht zum wenigsten der
Weidgänge wegen so hartnäckig geführt. Noch 4543 verweigert
die Herrschaft denjenigen Leuten aus Thannenkirch die Wald-
weide am Tännchel, welche Unterthanen der Herren von Wal-
bach waren. (Colmar B. A. E. No. 1678.)
Zur selben Zeit suchten die Herren auch die Weide der
hiesigen Bürger zu beschränken ; diese durften nur noch die
Hälfte ihres Viehs, und erst von Georgentag (23. April) an in
die Waldungen treiben. Gewisse Forstorte, namentlich der Vordery-
bach, von jeher ein beliebtes Wildschonrevier, wurden schon
damals von den Jägern «verwehrt». (Colmar B. A. E. No. 1676.)
Art. 5. der Reichenw. F. 0. 1581 196 trägt die Ueberschrift :
«Hegung der Häuw und jungen Gewächse ; die sollen nicht
ausgereutet, weggerissen oder durch Vieh, insonderheit Schaaf
oder Geisen verderbt werden bey straf 5 Pfund neben dem ge-
bührenden Abtrag des Schadens» und bestimmt, dass das Vieh
nicht eher in die jungen Schläge getrieben werden darf, bis
sie dem Maul desselben entwachsen sind. Das Mähen in jenen
soll abgesehen von der Schonung der jungen Pflanzen auch aus dem
Grunde unterbleiben, damit «seiner Zeit, die ordentliche Weydt für
unserer Unterthanen Vieh desto reichlicher und besser seyn möge.»
Art. 32 obiger F. 0. rügt das Weiden der kleinen Gebirgs-
pferde, welche damals täglich überall in den Wäldern herum-
gelegen und diese arg beschädigt haben sollen ; jene seien über-
dies zu Frohnfuhren zu schwach und daher für die Herrschaft
onne Nutzen. Diese Pferdchen sollen nur an 3 Wochentagen
und zwar zu Zeiten, da die Waldweide erlaubt, in den WTald
«fahren bei 2 Gulden Strafe für jeden Uebertretungsfall». Im
XVII. und XVIII. Jahrhundert nahm die Waldweide allmählich
eine solche- Ausdehnung, dass sie die schwersten Schädigungen
des Holzwuchses zur Folge hatte, zumal die Herden gewöhnlich
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auch nachts draussen lagen. In den Urkunden wimmelt es
geradezu von Klagen über die greulichsten Waldverwüstungen
durch die zahlreichen Rindvieh herden, sowie durch gefrässige
Ziegen und Schafe. Wie im IV. Kapitel angedeutet, finden wir
in den Ansiedelungsverträgen zu Anfang des XVIII. Jahrhunderl
besondere Bestimmungen über die zur Waldweide aufgegebenen
Oile; zuweilen war auch die höchst zulässige Viehzahl fest-
gesetzt. Es ist jedoch fraglich, ob diese eingehalten wurde. In
den Weilern, Ursprung, Bärenhütte, Bilsteinthal, Buckel w irden
gegen Mitte des vorigen Jahrhundert in 22 Haushaltungen fol-
gende Stücke Vieh gezählt : 7 Pferde,
5 Ochsen,
39 Kühe,
21 Kälber,
30 Schweine,
36 Ziegen.
Der Viehstand war also im Verhältnis zu den dortigen
Ländereien und Wiesen recht ansehnlich. In dem benachbarten
ungeteilten Walburg hat es demnach besonders traurig aus-
gesehen; derselbe ward 1739 auf 10 Jahre gegen Weidevieh
und jeden Axthieb in Hege gelegt. (Rapp. Stadt-Arch. DD 1.)
Dem Drängen der Viehzüchter Altweier nachgebend, verpachtete
die Herrschaft benachbarte Weidgänge in den Waldungen. Hier-
gegen zog sie sich indes bereits im Jahre 1003 lebhaften Wider-
spruch der Heimburgen (Bürgermeister) der 4 Gemeinden, Mar-
kirch, Eckkirch, Fortelbach und St. Blasien zu. Diese behaup-
teten, an jenen von alters her Anrechte zu haben und hielten
ihre Forderungen nach besonderer Erneuerung in den Jahren
1762 und 1763 bis zur franz. Revolution aufrecht. Während
dieser erreichten die Weidefrevel ihren Höhepunkt ; mit der
grössten Frechheit wurde das Vieh in die Schonungen getrieben ;
die vorläufig noch im Amt gebliebenen Förster mussten solch*
gewaltthätigem Auftreten der Bevölkerung hilflos zusehen. Um
eines recht bezeichnenden, des Humors nicht entbehrenden Vor-
falles aus jener Zeit zu gedenken, sei aus den Reichenweirer
Gemeindeakten berichtet, dass 1790 22 Mann von dem Corps
de la garde nationale bei einer Patrouille im Walburg etwa
10 Stück Rindvieh der beiden Bärenhütter Pächter Gammen-
thaler beim Weiden in einem jungen Schlage abfassten und als
«corpora delicti» im Triumpf nach Reichenweier zerrten. Das
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Urleil des dortigen Amtmann ging davon aus, dass man ein
warnendes Exempcl statuieren müsse, um andere abzuschrecken,
«die Waldungen auf alle Arten zu verheeren». Die Gebrüder
Gammenthaler wurden trotz Intervention der franz. Regierung
zu 150 francs Geldstrafe verurteilt und mussten obendrein
die Zeche für Imhs und Trank, welche die 22 Tapferen nach
vollbrachter That beim Sternenwirt gemacht hatten, mit 90 francs
berichtigen. (Reichenw. Stadt-Arch. DD 2.)
Der Walburgwald lässt aber in seinen über 100jährigen
Tannenbeständen noch heute die Spuren jener Beschädigungen
insofern erkennen, als jene sehr ungleichaltrig erwachsen und
teilweise lückig sind.
Die Eichelmast, welche in den Urkunden wiederholt als
besondere Gnade Gottes bezeichnet wird, spielte namentlich in
den in der Rheinebene gelegenen Waldungen der Herrschaft
Reichen weier eine wichtige Rolle, weshalb in der F.O. 1581/96
die Eckerichnutzung genaue Regelung erfuhr. Das Eintreiben
von «ausländischen fremden» Schweinen wurde verboten, der
Eintrieb im allgemeinen bis Thomastag (21. Dez.) und nur bei
Vollmast ein Nacheckerich gestattet.
Das Abschlagen und Auflesen von Eicheln war mit Rück-
sicht auf den Wildstand mit empfindlichen Strafen bedroht.
In den Gebirgswaldungen wurden die spärlichen Eichel-
masten meistbietend versteigert.
Das Kohlenbrennen wurde schon frühzeitig ausgeübt. Die
Reichenweier F.O. 1581 j9ü bestimmt, dass die Förster das Kohl-
holz in «verlegenen und unschädlichen Orten» anweisen sollen,
und zwar nicht nach dem Augenrnass, sondern nach Klaftern
abgemessen. Holz, welches zu Nutzholz tauglich, soll nicht ver-
kohlt werden, vielmehr solches, das sonst verfaulen würde.
Die Kohlen sollen bei hoher Strafe nicht an «Ausländer»
verkauft werden.
Im besonderen wird den Schlossern und Schmieden ver-
boten, in den Wäldern um das Bilsteinschloss zu kohlen ; jene
sollten in den Walburg oder in die Altweirer Waldungen gehen.
Die Bilsteinthäler wurden in dem Ansiedelungsvertrage von
1703 besonders zum Kohlenbrennen verpflichtet.
Wiederholt erfolgte das Verbot des Aschenbrennens, Basl-
und Rindeschälens ; diese Unarten scheinen aber zeitweise in
ungebührlicher Weise betrieben worden zu sein.
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Dass Eichenlohnutzung in regelmässigem Betriebe statt-
fand, geht wohl daraus hervor, dass schon im Mittelalter Gerbe-
reien in Rappertsweiler bestanden. Damals hatte Oberhaupt
die Eiche eine weit grössere Waldfläche inne. Der Lohmühle
haben wir bereits Erwähnung gethan.
Auch die Theerschwelerei ist in den hiesigen Waldungen
früher gehandhabt worden. Noch heute Anden wir im Staats-
walddistrikt Kalblin an der Grenze des Gemeindewaldes Alt-
weier die Ueberreste eines alten Harzofens, und diese Stelle
trägt im Volksmunde noch jetzt diesen Namen.
Eine von jeher nicht unwichtige Nebennutzung war ferner
die Gewinnung von Hau- und Bruchsteinen, welche namentlich
am Seelburg ausgeübt wurde. Die Taxe für den Wagen Bruch-
steine betrug im vorigen Jahrhundert 10 Sous.
Schliesslich möge an dieser Stelle die Forellenfischerei in
unseren Gebirgsbächen erwähnt werden ; die nahegelegenen lie-
ferten den Bedarf für die herrschaftlichen Hofhaltungen die
entfernteren wurden zu recht ansehnlichen Preisen verpachtet.
Aus dem Umstände, dass anfangs des vorigen Jahrhunderts im
Adelsbach, Ibach und Steinbach die Flösserei möglich war,
und dass sowohl unterhalb Reichenstein, als der Altweirer
Schluck früher Sägemühlen in Betrieb waren, kann man wohl
schliessen, dass unsere Bäche ehedem einen grösseren Wasser-
reichtum hatten. Jedenfalls waren dieselben den uns über-
lieferten Nachrichten zufolge forellenreicher als heutzutage.
KAPITEL VII.
Waldpflege und Betriebsregelung.
Das Leitmotiv für die Waldbewirtschaftung in den früheren
Jahrh. war die Bedarfsbefriedigung; man führte nicht wie heut-
zutage gleichmässige, auf Bestandespflege und Neuverjüngung
gerichtete Schläge, um die dabei anfallenden Ergebnisse je
nach ihrer Brauchbarkeit zu verwerten; man hielt vielmehr
im Walde Umschau danach, an welchen Orten man «am un-
schädlichsten » die gewünschten Holzsortimente beziehen konnte.
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Bei der vormaligen Art der unmittelbaren Beholzung der Unter-
thanen konnte sich ja ein Holzhandel, der für die verschiedenen
Hölzer Absatz suchle, um so weniger entwickeln, als der Holz-
verkauf an «Ausländer» verpönt war.
Bei der Auswahl der Hiebsorte, wozu die Nutzungsberech-
tigten bisweilen zugezogen wurden, war die Besorgnis für die
Ruhe des Wildprets oft ausschlaggebend. Wenn die aus Mitte
und Ende des vorigen Jahrh. überkommenen, jetzt haubaren
Hochwaldbestände trotz mancher widriger Umstände noch leid-
lich aussehen, so haben wir dies ausser schätzenswerten Eigen-
schaften der Weisstanne vornehmlich der Schliessung und
Hegung der Junghölzer im jagdlichen Interesse zuzuschreiben.
Nach alledem dürfen wir uns auch nicht wundern, dass
die älteren Forstordnungen im grossen und ganzen über Wirt-
schaftsregeln sich ausschweigen. Die Rappoltsteinischen F. 0.
des XV— XVII. Jahrh. sind vorwiegend polizeilicher Natur,
sie verbieten Uebergrifle und regeln die Holzabgabe. Auch die
Reichenw. F. 0. 1581/96 enthält nur vereinzelte forstwirt-
schaftliche Bestimmungen im engeren Sinne, als wichtigste
wohl die Festsetzung der Umtriebszeit für Niederwald ungcn.
Diese sollte auf guten Standorten eine 8 jährige, auf schlechten
eine doppelt so lange sein. Einige andere Anordnungen, wie
Schlagsäuberung, Verbot des Mähens und Weidens in Ver-
jüngungen, Ergänzung eingeschlagener Eichen durch junge,
begreifen alles, was über Bestand pflege gesagt ist. Wenn hier-
zulande die Forstwirtschaft im Gegensatz zu anderen deutschen
"Waldgauen auch im XVII. Jahrh. keine sichtbaren Forlschritte
machte, so erscheint dies von vorneherein glaubhaft, denn
kaum ein Landesteil wurde durch die langjährigen Kriegsläufte
so hart mitgenommen als das Elsass.
Vergessen wir auch nicht, dass die herrschaftlichen Ver-
waltungen, namentlich die Rappoltsteinische, von jeher dem
"Weinbau und im Markircher Thale dem Bergbau als einträg-
licheren Gelderwerbsquellen ein regeres Interesse zuzuwenden
Veranlassung hatten, als dem damals minder ergiebigen Waldbau.
Trotz der vom Intendanten des Elsass energisch versuchten
Durchführung der waldpfleglichen franz. 1669er Ordonanz war
daher der Waldzustand im XVIII. Jahrh. ein höchst unordent-
licher. In den meisten uns erhaltenen Waldbesichtigungspro-
tokollen wird über schreckenerregenden Unfug der Holz- und
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Weidefrevel geklagt, denen gewissenlose Forstbeamte oft noch
Vorschub geleistet zu haben scheinen. Waldbrände waren in-
folge Unvorsichtigkeit der Hirten, ja wegen absichtlicher Er-
zeugung von Weideflachen an der Tagesordnung.
Am traurigsten lauten die betreffenden Nachrichten aus
der Herrschaft Reichenweier, deren Waldungen während des
von 1723-1748 bezw. 1759 andauernden Sequesters arg heim-
gesucht wurden ; insbesondere erlaubten sich auch die Einge-
forsteten, wie schon angedeutet, zahlreiche Grenzüberschrei-
tungen und Landaneignungen.
Nicht viel erfreulicher sind die Schilderungen der Rappolt-
steinischen Waldbesichtigungsprotokolle. (Rapp. Stadt -Arch.
DD 1,2). Bei der im vorstehenden gerügten Sorglosigkeit war an
eine zielbewusste Ausbildung forstlicher Betriebsarten nicht zu
denken. Diese ergaben sich vielmehr als Resultat der Wald-
ausnutzung.
Als einer seit Jahrhunderten verbreiteten Wirtschaftsform
haben wir zunächst des Eichenniederwaldes zu gedenken. Die
Eiche hat in unserm Waldgebiet ehedem eine weit grössere
Flächenverbreilung gehabt. Das im II. Kapitel erwähnte Zeu-
genverhör im Grenzstreit mit Bergheim aus dem XIV. Jahrb.
bekundet, dass in der Nähe der Eberlinsmatt oberhalb der
Vorderen Glashütte, also auf etwa 750 m Meereshöhe wieder-
holt Eicheln sackweise aufgelesen worden sind ; in späteren
Jahrhunderten wird ihr häufiges Auftreten da beschrieben, wo
sie jetzt der Tanne gänzlich Platz gemacht hat. Noch die 1779er
Waldbesichtigung der Rappoltsteinischen Forsten, ausschliess-
lich der Glashütten Waldungen, ergab fast zu gleichen Teilen
Eichenniederwald mit vereinzeltem Ueberhalt älterer Stämme
und Tannenhochwald, ein Verhältnis, das sich im Laufe der
darauffolgenden Jahrzehnte zu Gunsten der Tanne weiter ver-
schoben hat.
Als fruchttragender Baum erfreute sich die Eiche von allers
her grosser Beliebtheit ; auch ihren hohen Nutzwert schätzte
man frühzeitig. Sie wurde daher, wie schon berichtet, in den
Forst Ordnungen unter besonderen Schutz gestellt und ihre Nach-
zucht obrigkeitlich angeordnet.
In unserem Waldgebiete haben daher spätestens im
XVI. Jahrh. Eichel-Saaten und Heisterpflanzungen stattge-
funden.
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Die nutzbaren Eichenstämme wurden von jeher geschont;
in den Ansiedelungsverträgen verbaten sich meist die Herr-
schaften seitens der Hintersassen den Einschlag von Eichen,
auch den von Kiefern.
Infolgedessen wuchsen auf gunstigen Standorten ansehn-
liche Starkhölzer heran, Stämme, wie sie ganz vereinzelt noch
jüngst der Axt anheimgefallen sind.
In den meist flachgründigen, auf Granit stockenden Vor-
bergen hat sich die Eiche am längsten, teilweise bis heute
noch im reinen Stande erhalten und ist .hier schon seit Jahr-
hunderten in kurzen bis 50jährigen Umtrieben mit Ueberhalt
von 35—50 Lassreideln pro ha bewirtschaftet worden. Das
1779er Waldbesichtigungsprotokoll beklagt, dass seither eine
regelmässige Schlagfolge nicht innegehalten worden sei. Trotz-
dem man 1756 unter Zugrundelegung einer 40jährigen Ura-
triebszeit eine Schlagnutzungstabelle mit einer jährlichen Hiebs-
fläche von ca. 20 ha aufgestellt habe, seien durchschnittlich
jährlich knapp 9 ha, also nicht einmal die Hälfte der normalen
Fläche gehauen worden. Es wird festgestellt, dass das Wachs-
tum der Eiche mit Ausnahme in den tiefgründigen Mulden
ein mittelmässiges sei und im 40. Jahre mit eintretender
Gipfeldürre bedenklich nachlasse. Die bösen Buben würden
solche Eichenstangen erklettern und die dürren Aeste abhauen.
Der Lassreidelüberhalt wird als unzweckmässig bezeichnet, da
ihr Wuchs nur in den Mulden befriedige und durch Schnee-
bruch und Wind beeinträchtigt würde. Häufig fielen die Eichen-
stangen wegen zu schlanken Wuchses um. Der Bestand esschluss
war fast durchweg ein so unvollkommener, dass an vielen
Stellen Weichhölzer, wie Aspe, Salweide, Birke anflogen und
schliesslich zum Nachteil der Eiche vorherrschend wurden.
Dem Weichholzaushieb wird daher öfters das Wort geredet,
indes empfohlen, diese Massregel nicht zur Unzeit vorzunehmen,
ehe die jungen Eichen für den Freistand genügend erstarkt
sind, auch .ehe jene verwertbares Brennholz liefern ; in ent-
legenen Waldungen sei zu warten, bis die Weichhölzer
Scheitholz liefern. Zur Ausfüllung der Lücken wird Eichelsaat,
auf gründigen Stellen Kastanien pflanzung angeraten. Sogar
Mengsaaten* von Eicheln oder Buchein mit Tannensamen
werden empfohlen mit der Begründung, dass die Tanne das
Laubholz schützen werde. Die Eichenschläge ergaben je nach
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dem Nutzungsalter Reisig, Knüppelholz, schliesslich auch Nutz-
stämme, namentlich Steckholz.
Ueber die Massenerträge jener, auch über Eicbenholzpreise
enthält das Schlusskapitel einige Angaben. Der Lohrindenutz-
ung ward bereits im vorigen Kapitel gedacht.
Die Kastanie, welche wie oben erwähnt im Walde von
Ammersch weier bereits um die Mitte des XVI. Jahrh. vorkam,
und über welche im Reichen weierer roten Buch in ebendem-
selben ein Zusatz betreffs der auf ihre Entwendung gesetzten
Einung gemacht worden ist, ist im Gemeindewald Reichen-
weier schon zu Anfang des XVII. Jahrh. niederwaldartig be-
wirtschaftet worden. Der 1633er Rottenzettel (Reichenw. Stadt-
Arch. DD 2) besagt über die Schlagpflege im ausgegebenen Wald-
teil : «Die Erdküm (Tannen) und Birkholz daraus zu hauen, die
Käslebäum zur besseren Uflwachsuug darinnen stehen lassen ».
In späteren Rottenzetteln wird Ueberhalt von solchen angeordnet.
In den Rappoltsteinischen Waldungen, in denen zuerst
1688 die, «der Herrschaft eigentümlichen Kestenwäldl» in der
Allmend (Colmar B. A. E. No. 1708» erwähnt werden, ent-
brannte bald nach der Mitte des vorigen Jahrh. eine wahre
Kaslanienmanie. In 9 Baumschulen wurden massenhaft Pflanzen
gezogen, welche zum Preise von 30 frcs das 1000 auch an
Private abgegeben wurden und somit zur Aufforstung von zahl-
reichen kleinen Kastanienhorsten in den Vorbergen dienten.
Die Kastanien im sog. Hohlweg zwischen dem Hohrappolt-
stein und dem hinteren Lützelbachthale, 6,64 ha sind 1769 an-
gepflanzt worden (Colmar B. A. E. No. 684), 1773 sogar 1 ha
am Tännchel auf fast 900 m Meereshöhe. Diese von wenig
Verständnis von der Eigenart der Kastanie zeugende Kultur ist
selbstverständlich bis auf kümmerliche Reste verschwunden.
Die Kastanien im Druckenthal oberhalb Dusenbach und die im
Kalbsrain beim Acker sind zur selben Zeit entstanden, auch
wohl die oberhalb Bilsteinthal. Eine damals in den Akten der
Forstkammer niedergeschriebene Anweisung zur Kaslanienzucht
lehrt bereils ganz richtig die Wichtigkeit intensiver Bodenbe-
arbeitung in den jungen Schlägen durch Hacken, sowie die
Notwendigkeit des Autschneideins zur Erzeugung langschäf-
tiger Stangen und kennt auch die Fortpflanzung der Kastanie
durch seitliche Bodensenker. Der in dieser Anweisung erteilte
Rat, die zarte Kastanie nicht in kalten Lagen und auf zu
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trockenen Böden anzupflanzen, war sehr zeitgernäss. 1788 er-
froren die Kastanien laut mehrfachen Nachrichten fast sämt-
lich; das mag der erste Denkzettel gewesen sein. (Reichenw.
Stadt-Arch. DD 2). Auch über die früheren Kastanienerträge
enthält das Schlusskapitel einige Angaben.
In den höheren Gebirgswaldungen ist die Tanne im Laufe
der letzten Jahrh. zur bestandsbildenden Hauptholzart geworden ;
sie hat, wie wir gesehen, der Eiche mehr und mehr Terrain
abgewonnen. Auf frischem, einigermassen kräftigem Standort hat
sich zwischen der Tanne die Buche behauptet und zwar vor
allem im Forstort Schwarzenberg. Auf trockenem Boden streitet
sich schon seit langer Zeit die Tanne mit der genügsameren
Kiefer, welche in manchen Lagen und zwar bis zu 900 m
Meereshöhe die Oberhand bekommen hat. Dies ist namentlich
der Fall auf den südlichen Expositionen der Forstorte Tännchel
und Schölmenkopf, Isenrain, Müsberg und des Hanges unter-
halb der Altweirer Schluck, sodann im Kalblin und oberhalb
Ursprung bis zur Seelburghöhe. Allerdings ist sie in solchen
Lagen zweifelsohne schon seit 100 Jahren durch Saaten künst-
lich eingebracht worden. Unter der Kiefer ist die leichtbeflügelte
Tanne fast überall angellogen und hat einen wohlthätigen Un-
terstand erzeugt.
Die Fichte kannte man hier vor 100 Jahren noch gar nicht.
Alle andern Holzarten haben im Hochwaldbetriebe keine wesent-
liche Rolle gespielt, es sei denn, dass sich die rasch anfliegen-
den Weichhölzer auf Brandstellen und sonstigen Bestand lücken
vorübergehend breit machten.
In den Tannenhochwald ungen hat man erst seit Mitte des
vorigen Jahrh. die Notwendigkeit planmässiger Verjüngungs-
schläge erkannt und hierüber nachgedacht. Bis dahin waren
Schonung vor Axt und Vieh die einzigen negativen Wohlthaten,
die man ihr angedeihen Hess. Eine Instruction an den Forstmeister
von Reichenweier vom Jahre 1768 (Colmar B. A. E. No. 186) ver-
bietet demselben die weitere Führung von Kahlschlagen und
schreibt vor, dass die Tannenbeslände durchhauen werden sollen
«en jardinant de cantons en cantons, en commencant par les plus
äges en evitant au possible que les jeunes revenues ne soient
endommagees par la chute des arbres». Damit ist der soge-
nannte Femelschlagbetrieb angedeutet. Ein Rappoltsteinisches
Waldbesichtigungsprotokoll vom 1779 ordnet an, dass Eiche
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und Buche zwischen den Tannenjungwüchsen geschont und
künstlich durch Saat eingebracht werden sollen. Ueber die
Tannenverjüngung selbst besagt jenes, dass diese recht leicht
sei, wenn in den haubaren Beständen bereits Anflughorste vor-
handen seien ; (allerdings !) man brauche dann nur die] vielen
abgängigen Tannen und zwar jedesmal 1|3 sämtlicher Stämme
herauszunehmen. Noch nicht vorverjüngte Altbestände habe man
in letzter Zeit «par bandes» exploitiert, d. h. man hat Kulissen-
schläge mit Seitenbeschattung gestellt. Diese Verjüngungs-
methode ist damals auch in andern Waldgebieten Deutschlands
angeordnet worden. In den hiesigen Waldungen ist man indes
von solchen Schlägen der erheblichen Sturmschäden wegen bald
wieder abgekommen. Man hat vielmehr über die ganze Fläche
sich erstreckende Nachlichtungen mit anfanglich 5—10 Schritt
Stammabstand der verbleibenden Samenbäume vorgezogen ; jene
sollten alle fünf Jahre wiederholt werden unter Bezug von je-
weils 1/3 der Stämme. Es ist auch künstliche Ergänzung
durch Tannensaat versucht worden, indes besagt das 1779er
Protokoll von dieser «un semis tres-couteux et tres-incertain. . .
on risque de se voir contraint ä repeter plusieurs fois la meine
Operation et ä faire piocher (hacken) le terrain autant de fois
que Ton y seme, le sol etant endurcis.» Man hat also schon vor
über 100 Jahren die Schwierigkeiten solcher Saaten auf un-
zersetzfem Boden gekannt. Trotzdem finden wir Lückenaus-
pflanzungen nirgends vorgeschrieben, auch nicht die Heran-
zucht von Tannenpflanzen in Kämpen. Man hat eben in den
einzelnen Forstorten solange zugewartet, bis sich schiesslich die
Naturbesamung doch leidlich schloss. Freilich war die Folge
davon, dass höchst ungleichwüchsige und ungleichalte Ver-
jüngungen mit sperrigen Vorwuchsgruppen entstanden.
Ueber die Wahl der Umtriebszeit im Tannen hoch wald sind
uns genaue Bestimmungen nicht übe. kommen ; wenn es im
vorgenannten Protokoll heisst, dass die Tannendickungen inner-
halb 50 Jahren genutzt werden sollen, so lässt dies bei der
früheren sehr langsamen Verjüngung auf eine etwa 100 jährige
Umtriebszeit schliessen. Jedoch ist das thatsächliche Abtriebs -
alter wahrscheinlich ein höheres gewesen.
Das 178i er Rappoltsteinische Besichtigungsprotokoll (Rapp.
Stadt-Arch. DD. 2) wiederholt die vorstehenden Bestimmungen
fast wörtlich. Nicht uninteressant ist die Bemerkung, über die
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Tannenwirtschaft, herrsche unter den Forstleuten «une di-
versite d'avis qui devrait jeter dans l'incertitude tout homme
dont le sentiment n'est fixe par la longueur d'une experience
reftechie.» Es scheinen also schon damals die Meinungsäusse-
rungen über dieses noch heutzutage nicht abgeschlossene
Thema heftig aneinandergeplatzt zu sein. Die Samenschlagsie! -
lung wird 1784 von neuem empfohlen, und zwar dürfe diese
nicht dunkel sein. Bei Nachlichtungen sollen zuvörderst ab-
gängige und mit dem Krebs behaftete Stämme genutzt werden.
Ueber den Durch forstungsbet rieb finden wir keine bestimmten
Vorschriften. Wenn es in den Anweisungen an die Forstbeamten
zuweilen heisst, man solle im Schwarzenberg oder sonst wo einige
Hundert Stück Bauholz hauen, ehe das Holz absteht, so deutet
dies wohl auf massig eingreifende Durchforstungen hin, welche
nur das der Unterdrückung anheimfallende Material nutzten.
Wir wollen schliesslich eines eigenartigen Waldbildes Er-
wähnung thun, dessen einzelne Entwickelungsstufen an manchen
Orten noch heute vorhanden sind, nämlich der räumlich mit
Kiefern und Tannen bestandenen, haidewüchsigen Weidttächen.
Solche waren im vorigen Jahrhundert auch in den mittleren
Gebirgslagen sehr umfangreich. Verschiedene Waldbeschrei-
bungen und die bald nach 1760 auf königlichen Befehl aufge-
nommenen Gemarkungskarten legen Beweis davon ab, dass
u. a. damals nur ganz unvollkommen bestockt waren : die
Forstorte Kalblin und Müsberg unterhalb Altweier, die Ebene
auf der Seelburg, die Hänge Schluck und Holy nördlich Alt-
weier, der grösste Teil der südwestlichen, südlichen und südöst-
lichen Abhänge des Tännchels und Schul menkopfs, auch der
Nordostabhang des ersteren, der jetzige Gemeindewald Thannen-
kirch. Auf all diesen Flächen sind nach Einschränkung der
Waldweide den anfänglich vereinzelten Vorposten auf dem
Wege der Nalurbesamung Trupps von jungen Tannen und
Kiefern nachgefolgt, bis sich allmählich lockerer Bestandschluss
herstellte. Kiefernsaaten mögen später hier da nach geholfen
haben ; vornehmlich aber hat die schattenertragende Tanne auch
die kleineren Lücken auszufüllen vermocht. Auf diese Weise
sind in den genannten Forstorten noch leidlich geschlossene
Bestände erwachsen, deren Vorgeschichte indes das kundige
Auge des Forstmannes unschwer errät.
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KAPITEL VIII.
Jagdwesen.
Seit dem XVI. Jahrhundert entwickelte sich in ganz Deutsch-
land das ursprunglich dem Landesherrn in den Bannforsten
zustehende Jagdrecht zu einem Regal. Jene suchten die ihnen
für diese Forsten verliehenen Rechte über die angrenzenden
Waldungen und schliesslich über das ganze Land auszudehnen.
Dieses Streben wurde durch die Entwicklung der Landeshoheit
im allgemeinen begünstigt und seitens der im Solde der Grossen
stehenden Juristen der römisch-rechtlichen Schule mittels allerlei
Spitzfindigkeiten gerecht fert igt.
Nach den Forschungen von Schwappach (vergl. dessen
Grundriss Seite 94) fasste man im XVIII. Jahrhundert das
Jagdregal auf als das Recht, den Fang aller in den Wäldern
und sonst im Lande vorkommenden wilden Tiere zu leiten,
die Gerichtsbarkeit in allen diesbezüglichen Angelegenheiten
auszuüben, sowie die Jagd überall da zum eigenen Nutzen
auszuüben, wo nicht Privatpersonen Jagdgerechtsame durch
landesherrliche oder kaiserliche Beleihung oder infolge uralten
Herkommens zustehen. Das Regal schloss daher in sich : 1. das
Hoheitsrecht des Wildbannes (jus banni ferini), vermöge dessen
der Regent alles das zu besorgen hatte, was das Wohl des
Staates in Ansehung der wilden Tiere und Jagden erforderte ;
2. das Jagdrecht (jus venandi), also das Recht, selbst zu jagen
einschliesslich des Rechts auf Jagddienstleistungen seitens des
Unterthanen.
Abgesehen von dem Wildbann in ihren eigenen Lehnsgütern
und Besitzungen, hatten die Herrn von Rappoltstein bereits 1481
von Kaiser Friedrich III. das Jagdrecht im ganzen Elsass von
Hagenau bis zum Hauenstein verliehen erhalten. (Colmar B. A.
Liasse E No. 678.) Sie übten in ihren eigenen Gebieten die
Jagd meist selbst aus, traten diese zuweilen in entlegenen
Waldungen an ihre Lehnsleute ab. So besagt ein Regest aus
dem Jahre 1343 : (Albrecht Urkundenb. I 417.)
c Heinrich von Rappoltstein, herr zu Holfenackh belehnt
Joann Pfaffen von Rappoltzwilre ein edelknecht zu niessen die
wildtbenn, zu vischen, hagen und jagen in der herrschaft
Hohenackh.»
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Ebenso haben die Herrn von Horburg-Reichenweier das
Jagdregal ausgeübt und sich jedwede Jagdausübung durch
andere streng verboten «es sey denn dass ein Adelsperson im
Durchreiten strack ungefähr einen Hasen rnöcht antreffen und
hetzen würde, dass ihm solches unabgestrilten sein soll, doch
dass er auf einmal oder in einem Durchzug nicht mehr als
einen Hasen zu hetzen».
Hüben und drüben war die Waldwirtschaft in hohem
Masse von jagdlichen Rücksichten abhangig. Daher auch die
schweren Strafen auf Beschädigung fruchttragender Bäume und
das Auflesen von Eicheln und Kastanien, daher die Beschränk-
ungen bei Benutzung der Eichelmast, daher das Bannen und
Hegen ganzer Forstorte, um das Wild nicht zu beunruhigen,
und dies namentlich zur Zeit der Hirschbninft und Schweins-
halz. Streng waren alle übrigen jagdpolizeilichen Bestimmungen
und dabei so dehnbar, dass die Beslrafung in das Belieben der
von der Herrschaft abhängigen Richter gestellt war. So wurden
1763 vier Roderner, welche im Lützelbach einen Reh bock und
eine Geis gewildert hatten, zu 1000 francs Schadenersatz und
Strafe verurteilt. Bei Rückfällen behielten sich die Herren be-
sondere Verschärfung vor.
An einzelnen Verboten der Reichen weirer F.O. 1581/96
seien z. B. erwähnt, dass «Keiner keine geladenen Büchsen
ausserhalb der gemeinen Landstrass tragen» dürfe bei Verlust
derselben und 10 Pfund Strafe ; dass sich niemand unterstehen
solle, Vogelnester, z. B. von Fasan, Reiher, Auerwild und
dergl. zu zerstoeren oder solche Vögel zu fangen oder zu
schiessen bei 5 — 10 Pfund Strafe; dass gefundenes Wildpret,
auch Fuchs-, Marder-, Luchs und Wolfsbälge abzuliefern seien.
Den Bauernrüden mussten in der Jagdhegezeit Knüppel ange-
hängt werden ; Holzfuhrleute durften keine Hunde in den Wald
mitnehmen.
Es wurde den beiderseitigen herrschaftlichen Beamten ge-
stattet, sogar befohlen, wildernde Hunde und Katzen zu vertilgen;
sie bekamen hierfür Schussprämien. Als einst ein Rappoltsteini-
scher Förster den Hund eines Herrn von Truchsess im Walde er-
schoss und dieser sich bei der Forstkainmer beschwerte, erwiderte
der Beamte lediglich, wenn er gewusst hätte, dass der Hund
dem Herrn von Truchsess gehörte, würde er ihn haben laufen
lassen. (Colmar B. A. E No. 981.)
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Trotz aller jagdpoüzeilichen Verbote und strengen Aufsicht
scheint doch die Wilddieberei zu allen Zeiten betrieben worden
zu sein. Die Reichenweirer F.O. 1581 J96 spricht mit Entrüstung
von den < Wildpretschützen, Hasenläufern und argwöhnischen
Personen». Namentlich verlautet von mannichfachen Wildfreveln
der Glaser, Köhler und Melker, obgleich gerade diesen Personen
das Jagen und Fischen in allen Pachtverträgen bei hoher Strafe
untersagt wurde. Die Gelegenheit machte Diebe !
Seitdem französische Truppen im Elsass in Garnison lagen,
hörte man häufig von Jagdvergehen der Offiziere und Soldaten,
sodass die Fürsten ihre Jagdgebiete unter königlichen Schutz
stellen liessen und Jagdverbote des Generallieutenants der fran-
zösischen Armeen erwirkten. (Reichenw. St. A. DD.)
Die den Landleuten auferlegten Jagddienste erwiesen sich
auch in hiesiger Gegend manchmal als drückend; jene mussten
das umfangreiche Jagdzeug an- und abfahren, die herrschaftlichen
Hunde füttern und führen, zu den Hauptjagdzeilen bei Wind
und Wetter, auch während dringender Feldarbeiten Treiber-
dienste leisten, Wild heimfahren und wer weiss was sonst
alles verrichten. Immerhin scheinen die Unterthanen unserer
beiden Herrschaften nicht in so hohem Masse zu Jagdzwecken
missbraucht worden zu sein, als anderswo. In der Bestallungs-
urkunde für den Oberjägermeister von Heringen vom Jahre 101)9
wird z. B. ausdrücklich verboten, die Treiber zu schimpfen
und zu schlagen ; freilich kann man sagen, dass dieses Verbot
nicht erlassen worden wäre, wenn die Notwendigkeit nicht
vorgelegen hätte.
Ueber die Verbreitung der Wildarten in den vorigen Jahr-
hunderten finden wir ausser in den die hiesigen Waldungen
betreffenden Urkunden in «Ch. Gerard. Essai d'une faune
historique de PAlsace» Paris 1871 verschiedene Anhaltspunkte.
Gerard nimmt Bezug auf die im Colmar B. A. in Liassc E
No. 1504 enthaltenen Goutumes et Statuts du val d'Orbey aus
dem Jahre 15(34. In Art. '22 derselben gestatten die Herren von
Rappoltstein-Hohenack ihren Unterthanen die Jagd auf Luchse
und Bären unter der Bedingung der Ablieferung der Luchs-
bälge und Bärenklauen ; immerhin scheinen diese Raubtiere
schon damals selten gewesen zu sein. Ob und event. bis wann
bei Bärenhütte auf dieses letztere Raubtier gejagt worden
ist, hat der Verfasser nicht feststellen können. Der letzte Luchs
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wurde im Elsass nach Gerard 1640 in der Gegend zwischen
Mülhausen und Mömpelgart, der letzte Bär um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts im Münsterthale erlegt, vorher zwei andere
1675 und 1695 im Hohwald bei Barr. In den Kaufhausrech-
nungen der Stadt Colmar vom Jahre 1514 ist von einer Jagd-
kostenrechnung die Rede, worin es heisst «als man die Woelff
und Behre in Neuland gefangen hat.» Gerard berichtet noch
von einer Bärenjagd bei Thann im Jahre 1621. Die Wölfe sind
im Oberelsass in den früheren Jahrhunderten sehr zahlreich
gewesen ; nach Gerards Angaben hat Graf Ludwig Friedrich
von Württemberg in der Zeit von 1617—1624 eigenhändig 108
Stück zur Strecke gebracht, und während des kalten Winters
1664/65 sollen in den Vogesen 315 Wölfe erlegt worden sein.
Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts machten ganze Rudel
die Gegend zwischen Colmar und Gebweiler unsicher und
zerrissen ab und zu auch einsame Wanderer. In den Jahren
1698 — 1718 wurden in der Gegend von Rappoltsweiler (Colmar
B. A. E No. 674) 28 Stück der Garaus gemacht. Die Reichen -
weirer F.O. 1581/96 spricht von der Ablieferung der Wolf- und
Luchsbälge, und 1699 noch bedingt sich Pfalzgraf Christian bei
der Anstellung des schon genannten Oberjägermeisters von
Heringen das Pelzwerk von Bären, Bibern (diese kamen bis
zu Anfang dieses Jahrhunderts auf den Rheininseln vor), Ottern,
Mardern zur Hälfte aus. Beiläufig sei bemerkt, dass derselbe
Graf Friedrich, welcher die vorgenannte Reichenweirer F.O.
zuerst im September 1581 erlassen, zwei Monate darauf bei
Mömpelgart von einer wütenden, ihre Jungen nährenden
Bärin angefallen wurde und mit Not dem Tode entrann, indem
er sie noch rechtzeitig niederstreckte. Wildkatzen und Sauen
sind seit undenklicher Zeit in dem Oberelsass heimisch gewesen.
Nach Gerard sind 1627 im Hartwalde bei einer Jagd 600
Stück Schwarzwild erlegt worden. Die uns angehenden Urkunden
erwähnen, dass am Tännchel häufig erfolgreich auf Sauen gejagt
worden ist. Das Rotwild ist in den vorigen Jahrhunderten
hier zahlreicher gewesen als jetzt; Gerard behauptet wohl mit
Recht, dass diesem edlem, Waldesruhe verlangenden Wilde
in unsicheren Zeiten, zuletzt namentlich während der französ.
Revolution durch Wilderer stark nachgestellt worden ist, sodass
es 1870 in den Vogesen fast verschwunden war. Auch dem
Rehwild und den Hasen ist in solchen Zeiten allgemeiner
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Willkör sehr Abbruch gelhan worden. Das Damwild soll im
XVI. Jahrhundert im Elsass vertreten gewesen und dann ein-
gegangen sein ; in den beiden letzten Jahrhunderten haben
wiederholte Versuche künstlicher Wiedereinführung Erfolg
gehabt. Auer- und Hasel wild, auch Fasanen werden bereits in
der 1581er Reichenweirer F.O. erwähnt. Wenn Gerard in seiner
Fauna weiter berichtet, dass einstmals in den Vogesen Renn-
tiere, Gemsen, wilde Pferde, Elche, Steinböcke, Auerochsen
vorgekommen sind, so beziehen sich wol seine Vermutungen
auf das vorige Jahrtausend.
Für die Gestaltung des Jagdbetriebes was die Verbesserung
der Schussgewehre seit Ende des Mittelalters von grossem Ein-
fluss ; allgemein wurde der Gebrauch solcher indes erst nach
Erfindung des Feuersteinschlosses im Jahre 1630. Vorher war
die Fangjagd die am meisten ausgeübte Methode. Hierbei be-
diente man sich in älterer Zeit auch in hiesiger Gegend der
sog. Hage oder Haye ; man legte an geeigneten Stellen blei-
bende Hecken oder Holzzaune an, welche in gewissen Abstän-
den OefTnungen hatten. Durch diese nahm das von den Hunden
gehetzte Wild seinen Lauf und wurde hierbei in Schlingen
oder Netzen gefangen, auch von dort aufgestellten Jägern nie-
dergestreckt. Art. 26 der Reichenweirer F.O. 1581/96 besagt,
dass zu beiden Seiten der Haye auf 15 Schritt Breite kein
Holz gehauen werden darf, und dass die Thüren von Astwerk
zu fertigen sind. Die Forstbeamten sollen streng darauf sehen,
«dass die Hay nit zerrissen, hinweggefüret oder vertragen wer-
den». Später traten an Stelle dieser Haye künstliche Wände
von Tüchern, Netzen, Seilen. Hieraus haben sich die noch
heutezutage betriebenen eingestellten Jagen entwickelt. In den
Rappoltsteinischen Verzeichnissen werden zu Anfang des
XVII. Jahrh. über 700 Stück verschiedene Jagdzeuge an Gar-
nen und Seilen aufgeführt, deren gute Aufbewahrung und Un-
terhaltung eine wichtige Obliegenheit der J..gdbeamten war.
Das gefangene oder gestellte Wild wurde ehedem mit Schweins-
federn, Hirschlanzen, Hirschfängern erlegt.
Zum Gebrauch bei den Jagden dienten zahlreiche Hunde,
welche nicht allein von den herrschaftlichen Beamten, sondern
auch von den Bauersleuten gehalten werden mussten.
Als die Jagdgewehre mehr in Aufnahme kamen, wurde
neben grösserem Wild als Jagdsport auch allerlei kleines Ge-
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vögel massenhaft geschossen, welches seither in Netzen gefan-
gen worden war. Jedoch wurde auch der Vogelfang, welcher
oft forstortsweise verpachtet war, fortgesetzt. Ein herrschaft-
licher Jäger lieferte z. B. in einem Jahre 1600 Lerchen ab.
Der im Ried bei Gemar betriebene Entenfang war im vorigen
Jahrhundert sehr ergiebig; 1733 wurden fast 2000 Enten ge-
fangen und zwar meist grosse, sog. Stockenten. Die Vertilgung
des dem edlen Wilde schädlichen Raubzeuges wurde den Forst-
und Jagdbeamten von jeher zur Pflicht gemacht. Oberhalb
Rappoltsweiler bestand am Strengbach ein Fanggarten, von dem
es noch 1731 heisst «worauf zur Winlerszeit die Wölfe und
Füchse geschossen wurden.» (Colmar B.-A. E No. 971.)
Die Jagdbeaufsichtigung erforderte ein zahlreiches Personal,
wir sehen daher neben den eigentlichen Förstern von jeher
eine Anzahl von Jägern und Jägerknechten. Als 1762 der
Bischof von Basel— Pruntrut Rappoltsweiler mit seiner An-
wesenheit beehrte, schenkte er dem Jägerkorps zwölf Duka-
ten, in welche sich der Oberjäger, 10 Jäger und 2 Jägerknechte
teilten. (Colmar B.-A. E No. 1704).
Den Jagdbeamten war die Unterhaltung der Salzlecken
in der Nähe von Quellen und Bächen zur besonderen Pflicht
gemacht. Sie hatten den Abschuss für die herrschaftliche
Köche zu besorgen und erhielten für jedes erlegte oder ge-
fangene Stück Wild Schussgeld.
Dieses betrug im vorigen Jahrhundert in Reichenweier :
für einen Hirsch oder eine Sau 2 Frcs. 10 Sous,
für ein Reh oder einen Frischling 1 Frc. 5 Sous,
für eine Wildgans 10 Sous,
für eine Ente, Schnepfe, einen Hasen, ein Reb- oder
Haselhuhn 5 Sous,
für eine J^erche, Taube, Drossel, Becassine 4 Sous.
Vom gewöhnlichen Raubzeug bekam der Erleger den Balg,
für Wölfe zahlten die Gemeinden Zusatzprämien. Soweit das Wild-
pret nicht von der Hofhaltung selbst gebraucht wurde, verkaufte
man dasselbe zu einer festen Taxe. Die fürstlichen Räte wur-
den hierbei zuerst bedacht. Gegen Mitte des vorigen Jahrhun-
derts kostete: (Colmar B.-A. E No. 691,692)
1 Pfund Rot- oder Schwarzwild 3—4 Sous,
1 Pfund Rehwild 5 »
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1 Hase 24 -30 Sous
1 Wildente 20 »
1 Feldhuhn, Schnepfe, Wildgans 15 »
Ein Teil des Wildpreis fand zu Geschenken an hohe Per-
sönlichkeiten Verwendung und dies namentlich nach Eintreten
der französischen Verwaltung im Elsass. In den Beschussrech-
nungen ist wiederholt von Auerhahnen die Rede, welche dem
oder jenem einflussreichen Herrn verehrt worden sind, sowie
von dem Zurücklegen des «bei den Besuchungen von Colmar
und anderen Orten nötig habenden Wildprets.»
Schliesslich möge noch kurz erwähnt werden, dass wah-
rend der Unruhen der französischen Revolution das Wild ebenso
zu leiden hatte, als der Wald überhaupt.
KAPITEL IX.
Eigentumsveränderungen
infolge der französischen Revolution.
Schon lange vor dem Ausbruch der französischen Revo-
lution herrschten gespannte Verhältnisse zwischen den Vertretern
der feudalen Regenten uud der Bürgerschaft ; auch hierzulande
brodelte es bereits geraume Zeit vorher. Bei den Aeusserungen
der Unzufriedenheit spielten die Ansprüche der Bevölkerung
an den Wald, wie einst bei den Bauernkriegunruhen, eine
grosse Rolle. Die hiesige Bürgerschaft stellte am 17. August
1782 (Vergl. Rapp. Stadt. Arch. N. No. 28—32 betreffs des Nach-
folgenden !) diesbezügliche bestimmte Forderungen u. a. die
Berechtigung : 1. den von den verkauften Stämmen und in
den Bauholzschlägen übrig bleibenden Abraum, den sogenannten
Afterschlag zu holen, 2. das liegende, stehende und vom Winde
gebrochene Dürrholz zu nutzen, 3. Sand und Kies im Walde
graben, 4. auf dem ganzen Bann weiden zu dürfen, 5.
Klafter-Brennholz zu einer mässigen festen Taxe freihändig zu
kaufen. Diese Forderungen wurden nur zu einem geringen Teile
befriedigt, sodass Unzufriedenheit und Ungestüm der Bürger
wuchsen. Sieben Jahre später, bald nach der Erstürmung
der Bastille, im Juli 1789 kam Prinz Max, der damals in
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Strassburg im Finkweiler-Hofe residierte und das Regiment
d'Alsace befehligte, auf jene selbst zurück. Er bat den Baron
von Berckheim, Procurator syndicus des Distrikts Colmar, für
die Aufrechterhaltung der Ruhe in Rappoltsweiler zu sorgen
und zwischen der erregten Bürgerschaft und seinen Hofräten
zu vermitteln. Auf die den Wald bot reffenden Klagepunkte der
Stadt erwiderten die Bevollmächtigten des Prinzen augenschein-
lich unter dem Druck der sich immer ernster gestaltenden
Lage Folgendes : «Gnädigste Herrschaft versprechen ihre treuen
Burger und Inn wohner bei ihren alten Rechten des Abholzes,
Windfälle, dürren stehenden und 1 i egenden Holzes
ruhig zu erhalten und verbietet keinen dürren Baum zu
zeichnen (d. h. behufs Verkaufs durch die Forstverwaltung).
Sie sollen das nötige Bauholz wie bisher erhalten und es
werden von Seiten gnädiger Herrschaft und der Munizipalität
Zimmerleute beeidigt, welche Bauetats aufsetzen, nach denen
das Holz angewiesen werden wird. Es wollen Ihro hochfürst-
liche Durchlaucht den Bürgern das notwendige Brennholz an-
weisen, doch kann die grösste Portion nicht über 4 Klaftern
jährlich gefordert werden. Der Altweier Weg und Hirzensprung
sollen die vordere und hintere Wälde scheiden, in jenen 40,
in diesen 20 sous auf den Stumpf bezahlt werden ohne An-
weisegeld. Es soll auch eine treue Burgerschaft ihr übriges
Brenn- und Geschirrholz vorzüglich vor Fremden zu erhalten
haben. Es wird aber bei Verlust dieser Gnad jedem Burger
und Burgers Wittib verboten, das Holz ausser der Stadt zu
verkaufen. Endlich werden gnädige Herrschaft dero Forst-
kammer anbefehlen, dass alle Gouppen sogleich zugehängt
werden, um dem frischen Anflug aufzuhelfen. Es sollen auch
keine neuen Wiesen noch Melkereien in den Waldungen an-
gelegt werden.
«Es soll der Gemeinde vorbehalten sein im fall sie titres für
Waldungen und Anderes vorfinden sollte, alle ihre Rechte und
Aktionen valiren machen zu können diesem cahier unbeschadet.
«Der Waidgang in dem Wald soll den Innwohnern der Stadt
bis auf die Höhe (Markircher) gestattet sein, wovon die Gärten
so Oberförster Bachman um sein Haus hat, (Forsthaus Iberg)
befreyet bleiben sollen. Gnädigste Herrschaft überlässt der ge-
meinen Burgerschaft den Rennplatz zu einem öffentlichen
Spaziergang». Unter anderm wurde noch zugestanden, dass die
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Gerber der Stadt den Zentner Lohe, aus hiesigen und anderen
Waldungen stammend, auf den herrschaftlichen Mühlen' für
4 sous mahlen lassen können.
Prinz Max bewies also ein verhältnismässig weitgehendes
Entgegenkommen, räumte sogar den Bürgern die umstrittenen
Windfalle wieder ein. Die Revolution nahm indes ihren
Verlauf, allein sie vermochte nicht mit einem Schlage mit den
alten Zuständen und Gewohnheiten aufzuräumen. Es gingen
auch bei weitem nicht alle Wünsche des dritten Standes
in Erfüllung, so auch nicht die der Rappoltsweiler Bürgerschaft
in Bezug auf den herrschaftlichen Wald. Die Stadtvertretuns
beanspruchte anfänglich nichts Geringeres, als das Eigentum
am gesamten Walde, oder doch zu zwei Dritteln. Um die
Hechte der Gemeinde offenbar an den Tag zu legen, nahm
jene alsbald mehrfach Handlungen vor, welche als Austluss
ihres Besitztums angesehen werden sollten. Max legte im
Dezember 1790 ausdrücklich Verwahrung dagegen ein, dass die
Gemeinde sich die Verwaltung über den Wald aumasse und
ihre Holzrechte überschreite. Seine Waldungen seien freilich
unterstellt «sous la sauvegarde de la nation, de la loi, du roi
et sous celle des tribunaux, assemblees administratives, muni-
cipalites, communes et gardes nationales, mais c'est pour ne
pas y commettre des delits, pour en arreter le cours, pour
emprisonner les delinquanls et non pas pour tieferer ä tous
ces corps l'administration et les constituer les arbitres du droit
et des dispositions des proprietaires comme la municipatite de
Ribauviller cherche ä se persuader».
Insbesondere verweigerte der Prinz entgegen der Trans-
aktion vom Juli 1789 die Windfalle, wogegen er zusagte, die
der rechtmässigen Nutzniessung des Waldes entsprechenden
Holzschläge ausführen zu lassen. Gegen die erfolgte Neuver-
eidigung seiner Forstbeamten durch die Stadtvertretung erhob
er Einspruch. Im Januar 1791 erliess er eine neue energische
Kundgebung zur Wahrung seines Standpunkts, in welcher es
unter anderm heisst : Die Waldungen sind Eigentum der
Herrschaft ; die Bürger haben darin nur einige Nutzungsrechte
wie das Bauholzrecht, das Dürrholzrecht und das Recht der
Fuhrleute auf das «Montagsbäumel* im Schwarzenberg, sowie
auf die Aeste desselben, welche jene am Freitag holen ; die
5
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— Gü
Einwohner dürfen ferner den Aflerschlag und das Abholz holen,
nicht aber die Windfälle, welche ihm als Waldbesitzer allein
zustanden.
Infolge dieser geharnischten Erklärung erhob sich ein
längerer lebhafter Streit ; dieser nahm eine neue Wendung,
als das Direktorium des Bezirks Colmar den Wald als Natio-
nalgut beanspruchte und gegen die Gemeinde zu beanspruchen
begann. Diese fasste im November 1792 folgende Beschlüsse :
es dürfe ohne Genehmigung der Munizipalität kein Holz mehr
gehauen, das gefällte nicht an Fremde verkauft und ohne deren
Erlaubnis überhaupt nicht abgefahren werden, die holzbedürf-
tigen Bürger sollten ihren Bedarf anmelden. Sie ernannte auch
eine Waldbesichtigungskommission, welche den Wald in einem
völlig verhauenen und durch die Weide heruntergekommenen .
Zustande schilderte. Anfangs 1793 wählte sie vier Bürger zu
Waldförstern mit 40 frcs. Monatsgehalt, zahlbar in Assignaten.
Vom Direktorium anlässlich der wiederholten lebhaften
Klagen der herrschaftlichen Bäte zum Bericht aufgefordert, er-
widerte die Stadtvertretung, schon 60 Jahre liege sie mit der
Herrschaft in Prozess wegen der Allmendgüter und Waldungen,
dieser sei jedoch von jener absichtlich verschleppt worden.
Prinz Max habe die Transaktion vom Juli 1789 nicht innege-
halten ; inzwischen verschlechtere sich der Wald infolge Aus-
beutung seitens der Herrschaft zusehends. Zur Eernhaltung der
Holznot sei die Ueberweisung eines der Einwohnerzahl der
Stadt entsprechenden Waldteiles zu deren ausschliesslichem
Gebrauch durch das sogenannte Cantonnementsverfahren das
einzig sichere Mittel.
Inmitten dieser Verhandlungen kam am 31. Januar 1793
der förmliche Befehl, sämtliche Güter des Prinzen zu sequest-
rieren ; regierungsseitig wurde zu diesem Behufe ein besonderer
Kommissar ernannt. Ueber die Anstrengungen des Hauses
Zweibrücken, für seine bedeutenden Verluste an den oberel-
sässischen Besitzungen anderweitige Entschädigungen zu erlangen,
werden in «Gottlieb Konrad PfefTels Fremdenbuch» von Dr.
H. Pfannenschmid (Colmar 1892 Selbstverlag) in der Biographie
des Diplomaten Christian Friedrich PfefTel, Seite 53 flf., insbesondere
auf Seite 97 IT. interessante Mitteilungen veröffentlicht.
Wir wollen in unsern forstgeschichtlichen Skizzen nur den
Verlauf der Auseinandersetzung zwischen der französischen
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Regierung und der Stadt über den früher herrschaftlichen
Wald genauer verfolgen.
Es hegannen alsbald hierüber erneute Verhandlungen
zwischen dem Generalprocurator und der Stadt ; jene zogen
sich sehr in die Länge. Während dessen scheint Rappoltsweiler
nach Ansicht der Regierung weitere Uebergriflfe im Walde
sich erlaubt zu haben, denn im Mai 1795 erliess das Colmarer
Direktorium folgende Verfügungen :
1 Es soll ein Commissar den Wald besichtigen, nament-
lich die von der Municipalität angeordneten Schläge.
2. Der Receveur des bois et finances soll über den Stand
der Geldeinnahmen aus dem Walde berichten.
3. Die Vermietung eines Forsthauses seitens der Stadt
wird für nichtig erklärt.
4. Die Jagd soll zum Resten der Nation verpachtet werden.
5. Die von der Municipalität ernannten Waldförster wer-
den abgesetzt und die früheren herrschaftlichen Förster wieder
eingesetzt.
6. Die herrschaftlichen Waldungen werden wie die anderen
forets nationales administriert.
7. Die Municipalität soll sich in die Verwaltung nicht ein-
mischen.
Als zur selben Zeit die Gemeinde das Direktorium um
Ueberweisung des nötigen Rrennholzes bat, wurde jener erst
nach langen Weiterungen durch Förster Göpp ein geeigneter
Schlag ausgezeichnet. Es sollten Lose von je 3 Klaftern auf dem
Stock zum Selbsthieb versteigert werden ; die Steigpreise waren
an den Receveur abzuführen nebst 10<>|o Aufschlag zur Deckung
der Enregistrementskosten.
In dem Prozesse zwischen Fiscus und Stadt stellte sich diese
auf den Standpunkt, dass sie eigentlich als rechtmässige Eigen-
tümerin des Waldes anzusehen sei ; allenfalls könne der Staat
als Rechtsnachfolger der Grafen ein Drittel von jenem bean-
spruchen. Ein Gutachten des Advocaten Rapinat beleuchtete
diese Forderung eingehend. Eine andere Darlegung des Sach-
verhalts von Ortlieb dem Aelteren, vermutlich Mitglied des Ge-
meinderats, klagte zuvörderst sehr über die Revormundung
der Gemeinde durch die neue Regierung und äusserte sich so-
gar dahin «ce joug etant et pesant plus lourdement sur nos
epaules que celui de la puissance feodale notre commune le
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sent insupportable. » Ortlieb macht für das Eigentumsrecht der
Stadt über ein Dutzend einzelne Gründe geltend : z. B. die viel-
fachen Waldbesichtigungen des Magistrats zu allen Zeiten, dessen
Beteiligung beim Setzen von Banngrenzsteinen am Walde, beim
Auslochen von Schlägen, bei allerlei Bauholzanweisungen, die
nur gegen ein Stumpfgeld erfolgten Abgaben letztgenannter
Hölzer und dergl. mehr. Gemäss dem Grundsatze «accessorium
sequitur principale» nimmt er auch die innerhalb des Waldes
belegenen Gehöfte und Ländereien, Sägemühlen und Forsthäuser
für die Stadt in Anspruch.
Am 14. frimaire des Jahres VI. (4. Dezember 1797) wurde
die Sache vor dem Civiltribunal zu Colmar in erster Instanz ver-
handelt. Die Gemeinde verlangte das Gantonnement mit dem
Ersuchen, ihr soviel Wald als Eigentum zu überweisen, um
die in der 1789er Transaktion zugestandenen Holzrechte aus-
üben zu können, indes unter Würdigung des Zustandes und
der Leistungsfähigkeit des Waldes wie der Bevölkerungszahl.
Der Commissar des Direktoriums beantragte die Klage kostentäl-
lig abzuweisen. Die erste Entscheidung fiel in obigem Sinne zu
Gunsten der Stadt aus. Nachdem der Fiscus hiergegen Berufung
eingelegt, erging am 6. praireal des Jahres VI. (25. Mai 1798)
seitens des Appellhofes zu Epinal ein ungefähr gleichlautendes,
rechtskräftig gewordenes Urteil. In diesem heisst es u. a.
c ordonne que par experts. . . il sera proc£de au cantonnement
des forets siluees au ban de Ribeauville dans lesquelles 1*
commune demanderesse est usagere et qu'il sera attribue ä la
dite commune en toute propriete des portions des dites fordts
en Süffisance pour remplir les droits d'usage qui lui competent
au conlenu de la transaction de 29 juillet 1789 en egard tant
ä Petat et la possibilite des dites forets qu' ä la population de
la commune» . . .
Zu Experten wurden ernannt seitens der Stadt Joh. Bapt.
Munschina zu Ensisheirn und seitens des Fiscus Johann Conrad
Tschann zu Colmar. Diese nahmen Mitte August 1798 in Be-
gleitung des Bürgermeisters Kress und des Beigeordneten Ek-
kenberger, sowie des Försters Göpp eine Waldbesichligung vor,
stellten jedoch alsbald fest, dass das vorhandene Kartenmate-
rial zu fehlerhaft sei, um einer so wichtigen Operation zu
Grunde gelegt werden zu können. Ferner überzeugten sie sich
örtlich davon, dass sowohl oberhalb der beiden Glashütten, als
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zwischen der Markircher Höhe und Altweier die Eigentums-
verhältnisse unklar waren und beschlossen daher, erst eine ge-
naue geometrische Aufnahme und Kartierung vornehmen zu
lassen. Zur Befriedigung des augenblicklichen Holzbedarfs zeich-
neten die Experlen zwei Holzschlage aus ; jede Haushaltung sollte
2 Klaftern Brennholz bekommen, auch wurde das erforderliche
Bauholz angewiesen.
Die ursprünglichen Experten wechselten infolge Todesfalls
oder anderweitiger Beschäftigung mehrfach, ebenso die Forst-
geometer. Das Verfahren zog sich ungebührlich in die Länge,
sodass die Stadt hierüber lebhafte Klage führte. Im Jahre 1809
endlich, also etwa 11 Jahre später, traten Forstinspector Piquet
als Vertreter der Forstverwaltung, Bürgermeister Weber aus
Rodern und der ehem. Oberförster Collin aus Weiler bei St.
Amarin als Vertreter des Staats und der Stadt nebst Forstgeo-
meter Pfeffer zusammen. Am 5. Juli 1811 war der erste wich-
tige Termin ; am 20. April 1812 gelangten die wahrlich nicht
überstürzten Verhandlungen zum Abschluss. Inzwischen war
Geometer Kolb junior, Sohn des ursprünglichen Forstgeometers,
der Commission beigetreten. Am 29. Mai 1812 erteilte der Präfekt
zum Kantonnement seine Zustimmung und durch Urteil vom
9. Juni desselben Jahres erkannte das Civiltribunal zu Colmar
jenes endgültig an. Zugleich wurde der nunmehrige Staatswald
Rappoltsweiler abgesehen vom Glashüttenwald von allen Holz-
und Weideberechtigungen frei erklärt. Der Staat erhielt die
Forstorte Renckwald, Hohlenweg, Schlosswald, Wuimthal,
Kaikofen, Dusenbach, Oelberg, Biforst, Tännchel, Mittelberg und
den Osthang des Ibergs mit 759,1 ha, die Stadt den West-
hang des Ibergs, Kalbsrain, Isenrain, Stein weg, Schwarzenberg,
Müsberg, Allmend, Stübel, Mühlköpfel, Clauswald mit 883,2 ha.
Vor Zumessung dieser Flächen hatten die Experten die
WTerte der geometrisch ausgeschiedenen Holzbestandesabtei-
lungen im einzelnen berechnet. Den Holzwert stellten sie nach
der sog. Cameraltaxe fest als Produkt von Fläche X Alter X
Haubarkeitsdurchschnittszuwachs X Nettowert der Holzmassen-
einheiten. Hierbei wurde für den gemischten Tannenhochwald
eine 100 jährige, für den Eichenniederwald eine 30jährige, für
den Kastanienniederwald eine 15jährige Umtriebszeit ange-
nommen. Den Durchschnittszuwachs für dieselben bezifferten die
Experten für den Hochwald auf 4—7,3 Raummeter Derbholz
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und 20—25 Wellen, für den Eichenniederwald auf 3—7 Raum-
meter Derbholz und 35 — 50 Wellen, für den Kastaniennieder-
wald auf 3»[s— 5ifs Hundert Stangen. Die Nettowerte ermittelten
sie je nach der Absatzlage abzüglich Werbungs- Transport- und
sonstiger Nebenkosten :
für den Raummeter Tannenholz auf 3—4 francs
» » » Buchenholz » 5—6 »
» » » Eichenholz » 6 — 8 »
» ein Hunderl Wellen » 5 — 8 »
» » » Kastanienstangen auf 22 — 24 francs.
Letztere hatten also schon damals einen hohen Wert.
Der Bodenwert sollte auf Grund seiner Ertragfähigkeit
bemessen werden und schwankte abgesehen von den wertlosen
Felswänden zwischen 300 — 800 francs für den Hektar. Den
forstlich bewanderten Leser dürften drei Beispiele von Wald-
wertsermittelungen interessieren.
I. Byforst (auch Beyforst, d. h. Wald bei dem um die
Schlösser ausgeschiedenen Bann- Forst.)
25jährige Tannendickung von 15,39 Ha.
Haubarkeitsdurchsehnittszuwachs / iRrntr. Derbh.Tannezu4 frcs.
» 2 * Laubholz » 6 »
» 1 0,225 Hdt. Wellen » 8 >
Holzwert : 15,39 X 25 [(4 X 4.00) + (2 X 5.00)
+ (0,225 X 8,00)] = 10098.55
Bodenwert: 15,39 X 500 = 7695.00
Summa . . frcs. 18393.55
II. Renckwald.
25 jähriger Eichenniederwald von 21,04 Ha.
Haubarkeitsdurchschnittszuwachs | 6 Rmtr. Derbh. Eiche zu 8 frcs.
» 10,40 Hdt. Wellen » 8 »
Holzwert: 21,04 X 25 X -(6 + 0,40) X 8.00 = 26931.00
Bodenwert: 21,04 X 500 = 10520.00
Summa . . frcs. 37451.00
III. Hohlweg (im hinteren Lützelbachthal)
9jährige Kastanien von 6,64 Ha.
Haubarkeitsdurchschnittszuwachs J 5>|3 Hdt. Standen zu 24 frcs.
» 1 1 ,00 » Wellen » 5 »
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Holz wert: 6,64 X *> X [(5»Js X 24) + (1,00
X 5.00)]
Boden wert: 6,64 X 800
= 7948.00
= 5312.00
Summa . . frcs. 13260.00
Die Schlusssumme belief sich für 1642,3 Ha. auf 2226571
francs Holzwert und 676834 francs Bodenwert, zusammen auf
2903405 francs. Ein Hektar stellte sich somit durchschnittlich
auf 1356 + 412 = 1768 francs.
Die Experlen brachten irgend welche Werte für Einnahmen
aus Jagd- und Nebennutzungen nicht in Aufrechnung, anderseits
auch keine besonderen Kosten in Abzug. Sie schätzten alsdann
den Wert der der Stadt Rappoltsweiler durch die 1789er
Transaktion verbrieften Holzrechte ein u. gelangten zu folgenden
Ergebnissen.
1. der Wert des Raff- und Leseholzes wurde bei
der Annahme, dass 200 Sammler wöchentlich für 1 franc Holz
holen, und bei der Unterstellung eines Zinsfusses von 1 : 20
.»ler 5of0 beziffert auf: 200 X X 52 X 20 = 208000
2. Der Wert der der Gemeinde 1789 zugesprochenen
Wind fälle berechnete sich bei Annahme von jährlich 400
Kmtr. ä 3>/2 francs = 1400 francs auf 1400 X 20 = 28000
francs Kapital wert h.
3. Der Wert des Bauholzes wurde mangels einer betref-
fenden Abgabestatislik summarisch dadurch in Anrechnung
gebracht, dass jene für sämtliche 1216 Haushaltungen das
höchst zulässige Brennholzquantum von 4 Klaftern einsetzte ;
dies ergab somit 19456 Rmtr. und damit mehr, als den ge-
samten auf 1642,3 Ha. anfallenden jährlichen Holzzuwachs.
Auch ist der Nettowert dieses Quantums mit 5 francs für
damalige Zeit entschieden zu hoch veranschlagt. Der jährliche
Wert der Bau- und Brennholzberechtigung berechnete sich
daher auf 97280 francs abzüglich 7tl96 francs Berechtigungs-
taxe, also auf 89984 francs ; diese Summe mit dem Zinsfuss,
1 : 20 kapitalisiert ergiebt 1799680 francs !
Der Gesamtkapitalwert der Berechtigungen von 2035680
francs entsprach somit über zwei Dritteln des ganzen Waldwerts.
Mit einem kurzen Hinweis auf die geringere Leistungsfähigkeit
des Waldes ermässigten die Exporten den der Gemeinde an-
francs.
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zurechnende« Tauschwert ohne sonstige Begründung auf
1347435 francs uni sprachen ihr damit die vorgenannten 883,2
Ha. zu. Die Kosten des 14 Jahre lang hingezogenen Cantonne-
mentsverfahrens waren hoch ; allein diejenigen des Experten-
Gutachtens einschl. der geometrischen Arbeiten beliefen sich
auf 14000 francs.
Wie bereits angedeutet, wurden der Glashuttenwald, sowie
die von den Gemeinden Altweier, St. Blaise und Forlelbach
beanspruchten Ablösungsflächen bei dem eben geschilderten
Cantonnement ausser acht gelassen, auch der auf Bergheimer
Bann gelegene nachmalige Gemeindewald Thannenkirch, damals
noch herrschaftlicher Wald, hierbei nicht einbezogen.
Da der zuerst genannte Wald zum grossen Teil nach-
träglich in staatlichen Besitz übergegangen ist, so soll die be-
treffende Entwickelung in Kürze verfolgt werden. Während
der französischen Bevolution hatten die Bewohner der Glas-
hütten in den oberhalb ihrer Ansiedelungen gelegenen WaJd-
ungen arg gehaust und nach Belieben darin Holz gehauen.
Der Bappoltsweiler Oberförster hatte hierauf aufmerksam
gemacht und die Meinung vertreten, dass die Nachkommen der
früheren Glaser auf Fortbezug der Brennhölzer um so weniger
Anrecht hätten, als der Glashüttenbelrieb längst aufgehört habe
und sie mit den Pachtbeträgen noch im Bückstande seien. Der
Präfekt des Oberrheins teijte diesen Standpunkt nicht, entschied
vielmehr am 1. August 1809 dahin, dass jenen Bewohnern
vorbehaltlich Zahlung des Pachtschillings Brennholz zum eigenen
Gebrauch und das Waldweiderecht fernerhin zustehen sollte.
(Rapp. Stadt-Arch. N Nr. 47). Da die Streitigkeiten zwischen
der Forstbehörde und den Glashüttern fortdauerten, da diese
namentlich gegen fiskalische Holzverkäufe aus dem Walde ober-
halb der beiden Weiler opponierten, wurde im Jahre 1824 ge-
richtliche Entscheidung angerufen. Diese erging dahin, dass
die Bewohner wohl als Eigentümer des mit Zustimmung der
Herrschaft abgetriebenen Geländes, hingegen dem Walde gegen-
über lediglich als Nutzungsberechtigte anzusehen seien. Die
Forstverwaltung habe daher das sog. Provocationsrecht auf Ab-
lösung der fraglichen Holz- und Weidegerechtsame durch
Flächencantonnement. Der betreffende Antrag wurde alsbald
gestellt. Indes erst im April 1830 legten die Experten ein
Projekt vor; diese stellten fest, dass die vormalige herrschaft-
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liehe Verwaltung einen Teil der im XVII. und XVIII. Jahr-
hundert eingeräumten Erbpachtgüter zurückgekauft habe; es sei
daher auch dem französischen Staat als Rechtsnachfolger der
entsprechende Wert der Berechtigung wieder zugefallen. Es
wurde angenommen, dass die belastete Fläche 165,87 Ha. be-
trage und einschliesslich der vereinzelt aufstehenden Hölzer
44541,60 francs wert sei. Der Gesamtwert eines Hektar bezifferte
sich somit auf nur 268 francs gegenüber 1768 francs im übrigen
Rappoltsteinischen Walde. Die Fläche wurde in zwei dem Werte
nach gleiche Teile zerlegt. Der staatliche höher gelegene und
daher minderwertige Anteil umfasste 100,45 Ha. wovon 57,32 Ha.
Weidgang und 43,13 Ha. Wald ; derjenige der Berechtigten
unmittelbar oberhalb ihrer W'eiler 65,42 Ha wovon 53,09 Ha.
Weidgang und 12,33 Ha. Wald. Auch die als Wald bezeich-
neten Flächen waren damals nur räumdig bestockt. Hier und
da stand in den unteren Hängen eine sperrige Kiefer, wie wir
sie jetzt noch über nachträglichen Kiefernsaaten die Aeste nach
allen Seiten ausbreiten sehen. Weiter oben zwängten krüppelige
Buchen- und Vogel beerbäume ihr Gewürzel zwischen die Sand-
steinfelsen ; oben auf dem Grat hatte in geschützteren Lagen
die Tanne bereits Fuss gefasst.
Das 1830er Ablösungsprojekt scheint lange geruht zu
haben ; am 15. November 1841 erfolgte eine Bestätigung durch
das Civiltribunal von Colmar, aber erst anfangs der fünfziger
Jahre gelangte das Gantonnement zur Durchführung, nicht
ohne lebhaften Widerstand der Glashütter. Die Auseinander-
setzung der einzelnen berechtigten Familien hinsichtlich der
Ablösungsflächen hat sich bis in die letzte Zeit hingezogen.
Die Bewohner des 800 m hoch gelegenen Gebirgsdorfes
Altweier, welche von jehir die Viehzucht als Haupterwerbs-
zweig betrachtet und daher auf die Weide in den benachbar-
Waldungen und Räumden grosses Gewicht gelegt halten, be-
haupteten nach Beginn der französischen Revolution, sie seien
durch die beiderseitigen Herrschaften ihres ursprünglichen
Eigentums an jenen beraubt worden. Sie forderten insbesondere
von dem Rappoltsteinischen Besitz den oberhalb der drei ehe-
maligen herrschaftlichen Schluckgüter gelegenen Wald und
den Forstort Holy ; bezüglich dieser Weidgänge haben anscheinend
schon in den 1760er Jahren Streitigkeiten stattgefunden. Durch
schiedsrichterliches Urteil vom 2. pluviose II (21. Januar 1794)
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wurden ihr die beanspruchten Flachen zu teil ; eine Waldpa reelle
unmittelbar um die Schluckgüter erwarb die Gemeinde erst
neuerdings. (Altw. Gem. Arch.)
Mit gleich günstigem Erfolge setzten die Gemeinden St.
Blasien und Fortelbach, Annexen von Markirch und Thannen-
kirch, ehedem Annexe von Bergheim, ihre Forderungen
bezüglich der auf der Uebersichtskarte bezeichnenden Weide-
ablösungsflächen durch. So entstand der jetzige Gemeinde-
wald Thannenkirch, welcher nach dem Zeugnis des
ältesten Bewohners damals nicht viel mehr als eine Oedfläche
war. Diese Thatsache scheint seiner Zeit der französischen
Regierung den Verzicht auf diese und andere Flächen erleichtert
zu haben.
Das Schicksal des herrschaftlichen Waldes von Reichen -
weier wurde formell am 4. Februar 1793 besiegelt, an welchem
Tage die Colmarer Regierung über das Mobiliar- und Immobi-
liarvermögen des württembergischen Herzogs im Oberelsa ss
das Sequester verhängte. Am 15. April 1796 verzichtete dieser
endgültig. Am 19. Juli desselben Jahres wurde der etwa 7 l.a
grosse, mit Kastanien bestockte Herren wähl mit der Ruine
Reichenstein für 13 970 fres. an Sattler Andreas zu Reichen-
weier zugeschlagen, (Colmar B.-A. Vente des domaines Serie
L.) und der gesamte übrige Herrschaflswald zum foret nationale
erklärt, er blieb von da ab Staatswald. Die Stadt Reichenweier
behielt ihren Gemeindewald und machte ebenso wie die Nach-
barsdörfer keinerlei Versuche, auf Grund der geringfügigen
Nutzungsrechte am herrschaftlichen Walde sich einen Teil des-
selben zu erkämpfen. Dagegen erhob Altweier ebenfalls An-
spruch auf einige bisher zu diesem gehörige Flächen. Durch
das vorerwähnte Urteil vom 21. Januar 1794 wurden ihr die
auf den Karten bezeichneten Teile der Forstorte Kalblin und
Müsberg als Ersatz für die Waldweiderechte eigentümlich zu-
erkannt, jedoch erst am 3t. März 1842 leistete der Präfekt des
Oberrheins endgültig auf die Flächen Verzicht. Die Bewohner
des Weilers Ursprung behielten ihr Recht auf Weide im
Staatswald Seelburg.
Und was wurde aus den verschiedenen Weilern, Gehöften,
Sägemühlen und Forsthäusern inmitten der beiderseitigen Wald-
ungen? Eine eingehende Behandlung dieser Frage würde uns zu
weit führen. Schon muss ich befürchten, dass der gütige Leser
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ungeduldig geworden ist. Daher nur einige kurze Mitteilungen
hierüber !
Das Schicksal all dieser Grundstücke war ein verschie-
denes, je nachdem diese als Erb- oder als Zeitpachtgüter ge-
gründet oder nachtraglich aus ersteren in letztere umgewandelt
worden waren. Jene wurden mit Aufhebung der Feudalität
Eigentum der Inhaber, jedoch mit der Verpflichtung, den Grund-
zins weiter zahlen zu müssen. Der Erbpächter konnte diesen
nach dem Zinsfuss 4 : 20 (au denier vingt) durch Kapitalzahlung
ablösen, wogegen der Grundherr dieses Provokationsrecht nicht
hatte. Diese Verhandlungen haben sich bis in die letzten Jahre
hingezogen. Sämtliche herrschaftlichen Zeitpachtgüter, also auch
die zurückgekauften Erbpachtgüter, wurden in der Regel öffent-
lich pro fisco verkauft. Diese Veräusserungen (Colmar B.-A,
Vente des domaines Serie L) zogen sich in hiesiger Gegend
mindestens bis 1806 hin ; die meisten fanden in den Jahren
1795, 1796 statt. Als einzelne Erlöse mögen erwähnt werden :
Bärenhütte 4012 francs, das 7 arpents, also etwas über 3 ha
grosse «Zieläckerle» oberhalb Bilsteinthal 2046 frcs. (Anschlag
22 X jährlicher Pachtwert von 03 frcs.) Glausmatt 6308 frcs.,
Sachsermatt 3180 frcs., Schölmenkopf-ferme 4608 frcs., Kohl-
haus 3168 frcs., Kalbsplatz 3728 frcs. Die herrschaftlichen
Sagemühlen wurden gleichfalls versteigert, wogegen man die
Forsthäuser Iberg und Mittelberg als Zubehör des Waldes ansah.
Zum Schluss noch eine kurze Andeutung über die weitere
Entwicklung des Waldbesitzstandes der Stadt Happoltsweiler !
Wir sahen bereits, dass dieselbe von jeher mit je einem Siebentel
an den drei ungeteilten Forstorten Walburg, Griechbühl,
Blütling, sowie an der Gemeinmark im Ried beteiligt war.
Auf Grund einer Provokation der Stadt wurde in den Jahren
1821—1829 bezüglich der ersteren Waldungen eine Eigentums-
auseinandersetzung vorgenommen (Rapp. St.-Arch. N Nu. 33)
bei der Rappoltsweiler wegen Annahme der Feuerstellen als
Verteilungsmassstab von rund 251 ha, fast ein Drittel, nämlich
79,20 ha erhielt; es sind dies die jetzigen Distrikte Walburg
63 — 67 und eine in den Allmendwald vom Griechbühl hinein-
ragende Zunge, (vrgl. Karte) welche den Stadtwald vorteilhaft
abrundete. Hunaweier bekam damals im Anschluss an seinen
Gemeindewald den Hauptteil vom Griechbühl und die etwa
41 ha grosse Parzelle Blütling, zusammen 38,6 ha. Die übrigen
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rund 133 ha im Walburg fielen den fünf Gemeinden Reichen-
weier mit 31,7 ha, Zellenberg mit 13,3 ha, Beblenheim mit
46,0 ha, Mittetweier mit 20,3 ha, Bennweier mit 21,8 ha
gleichzeitig zu. Bei der erst in den fünfziger Jahren endgültig
gewordenen Teilung der Gemeinmark im Ried erhielt Rapperts-
weiler in den sog. Ehrlen 13,83 ha.
Der 40 ha grosse Kastanienwald im sog. Altenholz war
ein Teil der hiesigen Allmend. Von dieser Fläche waren im
Jahre 1831 nur etwa 7 ha mit jungen Kastanien bestockt, der
Rest wurde mit Hackfrüchten bebaut oder lag als Weidgang
öde da, hier und da mit Dornen und Weichhölzern bewachsen.
(Rapp. St.-A. N No. 40.) Ein anfangs der dreissiger Jahre auf-
gestellter Kulturplan schreibt für die 33 ha vor :
1. Ankauf von 33 X 6000 = *9800 Kasta-
nienpflanzen, das 1000 zn 40 frcs. . . . = 7920 frcs.
2. Pflanzenderselbenl9800,dasl000zul0frcs. = 1980 »
3. Vorheriges Roden, Ebnen und Behacken
des Bodens 33 X 120 frcs = 3960 »
Summa . . . 13860 frcs.
dies macht also auf den Hektar die ansehnliche Summe von
420 frcs. Bis 1842 gelangte der Plan nicht zur Ausführung,
es fanden nur einzelne Versuche statl ; damals wurde sogar von
den Herrn G. Schillmann, Faller und Bott vorgeschlagen, die
Stadt möge das Altenholz in kleinen Losen von 10 — 40 ares
veräussern oder verpachten, damit sich jeder Rebbesilzer seine
Kastanienpfähle selbst ziehen könne. Dieser Vorschlag fand
jedoch nicht die Billigung des Gemeinderates, und man kann
wohl sagen glücklicherweise, denn die Knufgelder wären vielleicht
zu irgend welchen laufenden Ausgaben verwendet worden,
während in letzter Zeit die Stadt aus dem Walde eine durch-
schnittliche jährliche Reineinnahme von etwa 3500 Mark gehabt
hat. Die Aufforstung der vorgenannten 33 ha ging infolge ver-
schiedener Schwierigkeiten langsam vor sich und beschäftigte
noch anfangs der siebziger Jahre die Forstverwaltung.
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Inhaltsverzeichnis.
Seite
Kapitel I. Allgemeingeschichtliches aas den Herr-
schaften Bappoltstein und Reichenweier l
» II. Entwickelang der Waldeigentums-, Forst-
hoheit s- und Berechtigungsverhältnisse . 7
» III. Forst- Verwaltung und Gericht sbaikeit . . 2 t
> IV. Wahlordnungen und Ansiedelungen ... 31
> V. Regelang der Holznutzung 35
» VI. Handhabung der Forstnebennutzungen . . 45
> VII. Waldpflege nnd Belriebsregelung 49
> VIII. Jagdwesen 57
» IX. Eigentumsveränderangen infolge der fran-
zösischen Revolution 63
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BEITRAGE
ZUR
! .:. • 3 ES- :JND YOLKE5ICUNDE
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
XX. HEFT.
DIE
- . ..... X i - I .l.Jwj. ^
VON
HERMANN IRLE.
Mti veraehrte Alflage.
A/t7 {»w Ansichten und Plan von Bitsch nebst Karte
der Umgegend,
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
1902.
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BEITRÄGE ZUR LANDES- UND VOLKESKUNDE
von Elsass-Lothringen.
Band I.
1. Die deutsch-französische Sprachgrenze In Lothringen von
C o n s t. This. 31 S. mit 1 Karte ( 1 : 300.000). 1 50
2. Ein andeohtig geistliche Badenfahrt de» hochgelehrten
Herren Thomas Murner. 66 S. Neudruck mit Erläuteren., insbe-
sond. Uber das altdeutsche Badewesen v. Prof. Dr. E. Martin. Mit 6
Zinkätzungen nach dem Original. 2 —
3. Die Ala manne nschlaoht vor Strasbourg 357 n. Chr. von
Archivdirektor Dr. W. Wicgand. 46 S. mit einer Karte und einer Weg-
skizze. 1 —
4. Lenz, Goethe und Cleophe Flbloh von Strassburg. Ein urkund-
licher Kommentar zu Goethes Dichtung und Wahrheit mit einem Porträt
Araminta's In farbigem Lichtdruck und ihrem Facsimile aus dem Lenz-
Stammbuch von Dr J o h. Fro it z hei m. 96 S. 2 50
5. Die deutsch-französische Sprachgrenze Im Elsass von Dr.
Const. This. 43 S. mit Tabelle, Karte und acht Zinkätzungen. 1 50
Band II.
6. Strassburg im französischen Kriege 1552 von Dr. A. Hol-
1 a e n d e r. 68 S. 1 50
7. Zu Strassburgs Sturm- und Drangperlode 1770 bis 76.
Von Dr. Foh. Froitzheim. SSS. 2 —
6. Geschichte des helligen Forstes bei Hagenau im Elsass.
Nach den Quellen bearbeitet von C. E. Ney, Kais. Oberförster. I. Teil
von 1065-1643. 114 S. 2 —
9. Rechts- und Wlrtsohafts-Verfassung des Abteigebietes
M aursmünster während des Mittelalters von Dr. Aug.
Her t zog. 114 S. 2 —
10. Goethe und Heinrich Leopold Wagner. Ein Wort der Kritik
an unsere Goetheforscher von Dr. Joh. Froitzheim. 63 S. 150
Band III.
11. Die Armagnaken im Elsass. Von Dr. H. Witte. 158 S. 2 50
12. Geschichte des heiligen Forstes bei Hagenau im Elsass.
Nach den Quellen bearbeitet von C. E. Ney, Kais. Oberförster. II. Teil
von 1643—1791. 158 S. 2 50
13 General Kleber. Ein Lebensbild von Friedrich Teicher, König!,
bavr. Hauptmann. 4S S. 1 20
14. Das' Staatsrechtliche Verhältnis des Herzogtums Loth-
ringen zum Deutschen Reiche seit dem Jahre 1542 von
Dr. Siegfried Fitte. Mit Karte. 103 S. 2 50
15. Deutsohe und Keltoromanen in Lothringen nach der Völ-
kerwanderung. Die Entstehung des Deutschen Sprachgebietes von
Dr. Hans N. Witte. 100 S. Mit 1 Karte. 2 50
Band IV.
16. Der letzte Puller von Hohenburg. Ein Beitrag zur politischen
und Sittengeschichte des Elsasses und der Schweiz im 15. Jahrhundert
sowie zur Genealogie des Geschlechts der Püller von Dr. H. Witte.
IV u. 143 S. 2 50
17. Eine Strassburger Legende. Ein Beitrag zu den Beziehungen
Strassburg s zu Frankreich im 16. I.ihrhundert von Dr. A. Hollaender.
23 S. 1 —
13. Der lateinische Dichter Johannes Fabrlolus Montanus (aus
Bergheim im Elsass Selbstbiographie rn Prosa und Versen
nebst einigen Gedichten von ihm, verdeutscht von Theodor Vul-
pinus. 30 S. — 80
19. Forstgesohlohtliohe Skizzen aus den Staats- und Gemcindewald-
ungen von Rappoltsweiler und Reichenweier aus der Zeit vom Aus-
gange des Mittelalters bis zu Anfang des XIX. Jahrhunderts von Dr.
Aug. Kahl, Kaiserl. Oberförster. Mit Ucbcrsichtskarte. IV u. 78 S. 2 —
20. Die Festung Bitsch von Hermann Irlc. Dritte vermehrte Aullage
mit einem Anhange enthaltend die Umgebung von Bitsch. Mit 2 Ansichten
und Plan von Bitsch, nebst Karte der Umgegend. 52 S. 1 50
Band V.
21. Ritter Friedrich Kappler. Ein elsässischer Feldhauptraanh aus
dem 15. Jahrhundert von Theodor Vulpinus. VIII u. 112 S. 3 —
22. Die Annexion des Elsass durch Frankreich und Rückblicke
auf die Verwaltung des Landes vom westphälischen Frieden bis zum
Ryswickcr Frieden (1648— 1697) von Hermann Freiherr von Mül-
lenheim u. von Rechberg. 74 S. 250
DIE
f
FESTUNG BITSCH
VON
HERMANN IRLE.
Dritte vermehrte Auflage.
Mit -wei Ansichten und Plan von Bitsch nebst Karte
der Umgegend.
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
1902.
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Als am 6. August 1870 überall in deutschen Landen die
nachfolgende Depesche des preussischen Kronprinzen : «Sieg-
reiche Schlacht bei Wörth, Mac Mahon mit dem grössten Teile
seiner Armee geschlagen und auf Bitsch zurückgeworfen», be-
kannt wurde, hatten wohl die wenigsten unserer Landsleute je
den Namen Bitsch gehört; seit dieser Zeit ist es oft genannt
worden und zu einer gewissen Berühmtheit gelangt wegen der
hartnäckigen Verteidigung, mit der es allein während des ganzen
Feldzuges von 1870/71, nachdem ringsum alles Land von den
Deutschen besetzt und selbst die grössten Festungen genommen
waren, jeder Uebergabe trotzte. Dieses Verhalten hat Bitsch den
Ruf der Uneinnehmbarkeit erworben und zu mehreren Beschrei-
bungen seiner Belagerung Veranlassung gegeben.» Da dieselben
sich mit der früheren Geschichte der nun interessant gewor-
denen Feste gar nicht beschäftigen, und auch die neueste teil-
weise ungenau oder unvollständig wiedergeben, dürfte die Ver-
öffentlichung nachfolgender Zeilen gerechtfertigt erscheinen.
Zwischen Hagenau und Saargemünd, ungefähr gleich weit
von beiden entfernt, zeigt sich dem von Niederbronn aus mit
der 1869 eröffneten Eisenbahn fahrenden Reisenden nach etwa
»'< stündiger Fahrt durch herrlichen Wald plötzlich eine grössere
wald freie Fläche von eigentümlicher Formation, in deren Mitte .
sich ein isolierter Bergkegel erhebt mit weithin leuchtenden
Ziegeldächern: es ist dies die «jungfräuliche» Bergfeste Bitsch, .
erbaut auf einer 366 m hohen Kuppe von 30—60 m Breite und
300 m Länge. Die Kuppe besteht aus mächtigen Sandstein-
1 1) Gefangen und belagert von Max v, Schlägel ; 2) In Bitsch
«refangen, von Oskar v. Marschal; 3) Le siege de Bitche par Dalsörae,
Xe edition; 4) Pradal: Relation historique du siege de Bitche. 5)
La \6rite sur le si6ge de Bitche par Mondelli. C>) Bitche et ses de-
fensenrs par E. Guesquin.
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blocken und uberragt die nächste Umgebung, insbesondere die
Stadt 'Büsch um 80 m, mit der oberen Hälfte (also etwa 40 m
hohe) senkrecht abfallende Felswände bildend.
Die Oberfläche der Kuppe zerfällt, wie wir dies bei so
vielen Burgen in den Nordvogesen finden (Waldeck, Falken-
stein, Ramstein u. a.), in drei Teile, einen mittleren grösseren
und durch Schluchten davon getrennt einen kleineren nörd-
lichen — der grosse — und südlichen — der kleine Kopf ge-
nannt. Ueber der Oberfläche befinden sich auf dem Mittelkörper
zwei Kasernen und eine jetzt als Magazin benutzte Kapelle ;i
die Hauptstärke der Festung liegt in den unterirdischen, in den
Fels gehauenen, bombensicheren Souterrains, weiche Unterkunft
für die Besatzung und genügenden Raum zur Unterbringung
alles sonst Erforderlichen gewähren. Der Besuch der unter-
irdischen Räume ist nicht erlaubt, wohl aber die Besichtigung
der oberen Festung gegen Lösen einer Karte auf der Komman-
dantur; auch diese ist schon interessant genug, um sie allen
denen zu empfehlen, die ihr Weg in die Nähe von Bitsch führt;
ganz eigenartig ist auch der Blick von der Höhe der Festung
in die weiten, verschieden gefärbten Forsten der kuppenreichen
Nordvogesen : so weit das Auge reicht, nichts als Wald, nir-
gends eine Spur menschlicher Niederlassung: «Bitche, laissee
ä elle-meme, c'est la solitude, fisolement, l'abandon le plus
absolu», sagt Dalseme.
Von der Tiefe und Grösse der unterirdischen Anlagen
erhält man einen Begriff, wenn man das grossartige, weithin
schallende Echo in der unter dem Kapelleneingang befindlichen
Zisterne ertönen lässt. Die Kapelle ist überhaupt das inter-
essanteste oberirdische Gebäude, weil sie das einzige aus der
alten Zeit übrig gebliebene ist ; aus der ältesten Zeit stammt
sie freilich auch nicht, denn die ersten Anlagen unserer Feste
führen mindestens in das XII. Jahrhundert zurück.^
Bereits im Jahre 117*2 finden wir ein «Castrum Bytis* er-
wähnt, und zwar als Familiengut der Herzöge von Lothringen.
Wie die Verehrung der Geistlichkeit im Jahre 1135 die
Gründung des Klosters Stürzelbronn veranlasste, so gab die
i Das auf dem «grossen Kopf» befindliche Gefängnis für Zivil-
festungsgefangene wurde 189*2 abgebrochen.
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5 -
Liebe zur Jagd Anlass zum Bau des Schlosses Bitsch : für klöster-
liche Einsamkeit sowohl, wie für Ausübung der Jagd war der
damalige Zustand der Herrschaft Bitsch wie geschaffen, denn
dieselbe bestand meist aus dichtem Wald, nur 12 Orte werden
in einer Greuzbeschreibung vom Jahre 1150 erwähnt, während
später auf demselben Gebiete etwa 70 vorkommen. Das 1172
erwähnte und von Herzog Mathias I., einem grossen Nimrode,
erbaute Castrum Bytis war ursprünglich lediglich 'ein Jagd-
schloss und lag vermutlich nicht an Stelle unserer heutigen
Festung, sondern nordwestlich von Lemberg auf dem sogen,
t Schlossberg wo heute noch wenige Trümmer sichtbar sind,
die früher des öfteren als «Alt Bitsch» erwähnt werden.
Die eigentliche Entwicklung von Bitsch beginnt mit dem
Uebergang der Herrschaft an die Grafen von Zweibrücken ;
1297 wurde nämlich zwischen Herzog Friedrich von Lothringen
und Graf Eberhard von Zweibrücken ein Tauschvertrag abge-
schlossen, wonach letzterer an Lothringen abtrat: Scbloss Saar-
gemünd und Marimont mit Zubehör und die Salinen von Lindre,
und dafür erhielt Schloss und Herrschaft Bitsch.
Graf Eberhard war es nun höchstwahrscheinlich, der das
Schloss Bitsch an der heutigen Stelle aufbaute, jedenfalls das-
selbe von einem einfachen Jagdschloss zu einem den Ansprüchen
der damaligen Zeit entsprechenden festen Herrschaftshaus erhob,
denn während es zu lothringischen Zeiten den Herzögen nur
zu vorübergehendem Aufenthalt oder den jüngeren Familien-
gliedern gewissermassen als Apanarge gedient hatte, wurde es,
vom Grafen Eberhard zum Sitz der jetzt verbundenen Herr-
schaften Zweibrücken und Bitsch erhoben, und Eberhard nennt
sich nun: «comes Gemini Pontis et dominus in Bitsch». Bereits
in einer Urkunde von 1302, durch welche Eberhanl dem Herzog
von Lothringen eine «Oeflfhung» verschrieb, wird eine Vorburg
und ein grosser Thurm in der Burg Bitsch erwähnt. Durch
die Verschreibung dieser Oeffnung erhielt der Herzog von Loth-
ringen das Becht, sich jederzeit in der Burg mit Ausnahme
des grossen Thurmes aufzuhalten, versprach aber eidlich, von
diesem Rechte nur in äussersten Notfallen und nicht zum Schaden
des Burgherrn Gebrauch zu machen.
Es geht hieraus hervor, dass schon zu Anfang des XIV.
Jahrhunderts unsere Festung ein sehr fester Punkt war, der
sogar von einem Herzog als sicherer Zufluchtsort gesucht wurde.
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Dass Bitsch bereits im XIV. Jahrhundert sehr fest und von
tapferen Männern verteidigt, ein schwer zu nehmender Platz
war, ersehen wir auch daraus, dass im Jahre 1366 sich Kur-
fürst Ruprecht mit einer ganzen Menge von Fürsten, Grafen,
Herren und Städten verband, um die Grafen Simon und Hane-
mann «nebst deren Gemeiner in der Burg zu Bitsch», welche
sich durch ausserordentliche Gewaltthätigkeiten und Räubereien
vor ihren anderen Standesgenossen auszeichneten, unschädlich
zu machen ; wer der klügere war und nachgegeben hat, ist
nicht bekannt, jedenfalls kam es nicht zu einem Kampf.
Trotz seiner Gewalttätigkeit, oder vielleicht gerade deshalb
war Graf Simon auch um das Seelenheil der Schlossbewohner
besorgt und bestimmte 1360, dass da3 Kloster Stürzelbronn
jährlich ein feierliches Amt auf dem Schloss abhielt ; ein be-
sonderes Gotteshaus scheint damals auf der Festung noch nicht
bestanden zu haben, wenigstens wurde 1398 für eben diesen
Grafen Simon von 16 Pfarrern aus der Herrschaft Bitsch eine
jährliche Totenfeier an jedem ersten Dienstag im Oktober in
der Katharinenkapelle zu Kaltenhausen unter Bitsch (und nicht
auf dem Schlosse) eingerichtet.
50 Jahre später fand der erste uns überlieferte Sturm auf
Bitsch statt.
In der Nacht vom 19.J20. März 14i7 wurde Bitsch, auf
dem damals Graf Friedrich residierte, plötzlich ohne vorherige
Ankündigung der Fehde durch die Grafen Jakob und Wilhelm
von Lützelstein überfallen ; die Lützelsteiner überstiegen mit Hilfe
von Strickleitern die Mauern, machten die überraschten Mann-
schaften des Grafen meist im Schlafe nieder und verbreiteten
sich im ganzen Schloss, um den Grafen tot oder lebendig in
ihre Hände zu bekommen ; dieser war von einem Diener ge-
weckt worden und entkam nur mit dem Hemde bekleidet auf
den von den Feinden angehängten Strickleitern ; seine beiden
Söhne fielen in die Gewalt der Lützelsteiner.
Dieser gegen alles Recht und Gewohnheit ausgeführte
Ueberfall hatte allerseits grossen Unwillen erregt und Graf
Friedrich gelang es leicht, eine Menge Verbündeter zur Wie-
dereroberung seines Schlosses zu finden. Bereits acht Tage
später war eine grosse Masse Bewaffneter bei Schorbach ver-
sammelt und Bitsch wurde eingeschlossen. Die Lützelsteiner
brannten am 4. Mai das unter der Festung gelegene Dörfchen
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- 7 -
Kaltenhausen, in welchem sich die Belagerer festgesetzt hatten,
nieder, wurden aber, nachdem die beiden Grafen bereits vor-
her aus der Festung geflüchtet waren, am 12. Mai zur Ueber-
gabe gezwungen unter Bewilligung freien Abzuges; nachdem
sie die Burg verlassen, wurden sie von den erbitterten Bürgern
Kaltenhausens überfallen und teilweise niedergemacht.
Von den Festungswerken war bei diesen kurz aufeinander-
folgenden Einnahmen nichts zerstört worden, wohl aber muss
dies bei den Anfang des folgenden Jahrhunderts ausgebrochenen
Bauernkriegen der Fall gewesen sein, da Graf Reinhard vor
den Bauern sich nach Vic tlüchten musste : von seinen (5000
Unterthanen gehorchten ihm, wie er selbst sagte, kaum noch 6.
Nähere Angaben fehlen ; jedenfalls waren die Zerstörungen
nicht gross und bald wieder hergestellt, sonst würde der Her-
zog von Lothringen kein so grosses Gewicht auf den Besitz von
Bilsen gelegt und bei der Eröffnung der sog. Bitscher Erbschaft
im Jahre 1570 kein so gemein-hinterlistiges Spiel getrieben
haben. Er kaufte schliesslich Büsch dem Grafen von Leiningen
um 50,000 fl. ä 24 Batzen ab, obwohl er den Grafen von
Hanau damit belehnt hatte, und am 21. Juli 1572 «hat Graf
Johann Salm — wie der zeitgenössische Chronist Herzog sich
ausdrückt — von wegen Herzog Carolen zu Lothringen das
Haus Büsch mit Gewalt Landfriedensbrüchigerweis und mit
Verräterei eingenommen». Graf Philipp von Hanau strengte
wegen der gewaltsamen Einnahme von Bitsch gegen den Her-
zog von Lothringen einen Prozess am Reichskammergericht an,
der aber wie die meisten, bei diesen» allzu gründlichen Gericht
kein Ende fand und schliesslich im Jahre 400G durch einen
Vergleich beigelegt wurde ; auch bei dieser Gelegenheit lernen
wir wieder die Bedeutung von Bitsch kennen, denn der Her-
zog von Lothringen zahlte an den Grafen von Hanau für den
Verzicht auf Bitsch u. A. 60,000 tl. heraus.«
Die lothringische Herrschaft war von kurzer Dauer : wie
Lothringen vorher bestrebt gewesen, sich in den Besitz von
Bitsch zu setzen, so war es nunmehr Frankreich bezüglich
Lothringens, und fast das ganze XVII. Jahrhundert hindurch
1 Von lfiW — 1;V.)4 war Bitsch durch den Herzog von Lothringen
an den Markgrafen von Baden, von 1;>!*4 — 1 an den Graten Karl
von Hohenzollern-Sigmaringen um 142.SSO fl. verpfändet.
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war infolgedessen Lothringen und insbesondere die Gegend
von Bitsch der Schauplatz blutiger Kämpfe.
Im Frühjahr 1633 drangen auf Veranlassung Frankreichs
die Schweden in Lothringen ein und breiteten sich sengend
und brennend in demselben aus ; im Sommer kamen sie in
die Herrschaft Bitsch und am 6. September verbrannten sie die
beiden am Fusse der Festung gelegenen Dörfer Kaltenhausen
und Rohr, nur wenige Einwohner konnten sich auf die Festung
flüchten, die, obwohl nur schwach besetzt, von den Schweden
nicht genommen worden konnte. Im nächsten Jahre rückten
die Franzosen in Lothringen ein, und auch Bitsch, das sich
mit der im heutigen Departement Vosges gelegenen Festung
La Mothe am längsten gehalten hatte, musste sich nach 12
tägiger Belagerung den Franzosen unter Führung des Marschalls
d'Humier ergeben. (Jeher die damaligen Zustände und insbe-
sondere die Belagerung schreibt der Bitscher Rentamtmann in
einem Bericht 1639: «Dass die arme Unterthanen 7 oder 8
Jahre nacheinander ruinirt und wegen der Truppen, so täglich
in den Dörfern dieser Grafschaft auf- und abgezogen, in's
äusserste Verderben geraten, also dass sie schwerlich mehr
aufkommen haben können, nach ausgestandenem grossem Elend,
und Armut, das Schloss Bitsch von der königlich durch Mar-
schall d'Humier kommandirte Armee auch noch belagert worden,
welche die gedachte arme Unterthanen wieder utFs neu übel
traktiret, betrübet, requiriret, auch alles, was sie zu Ihrem
Unterhalt gehabt, weggenommen, also dass mehrentheils ihrer
in fremde Länder zu gehen und ihr Brod zu suchen genöthigt
worden.» Die Franzosen mussten Bitsch bald wieder verlassen,
und die Besatzung wechselte nun mit dem Kriegsglück : bald
waren es Franzosen, bald Lothringer, bald Schweden, bald
Kaiserliche ; aber auch mit Beendigung des dreissigjährigen
Krieges dauerte für das arme Land das Unglück fort. Franzosen
und Lothringer stritten sich weiter um die Herrschaft. 1658
und 1659 finden wir Lothringer Truppen auf dem Schlosse,
doch müssen sie .sich der Bürgerschaft gegenüber sehr feind-
selig benommen haben, denn am 12. August 1658 erlässt der
Prinzregent (Le duc regen t) Nicole Francois ein Rescript, wo-
durch den Offizieren und Soldaten anbefohlen wird, die Bitscher
Bürger in Ruhe ihr Vermögen gemessen zu lassen und ihnen
nur die Güter der Abwesenden freigegeben werden. 1670 wird
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Bitsch wieder von den Franzosen besetzt und schliesslich 1680
durch Besehluss der in Metz eingesetzten Reunionskammern
definitiv mit Frankreich vereinigt. Nun wurde der von Turenne
schon längst gefasste Plan der Neubefestigung von Bitsch aus-
geführt und der Vater der modernen Befestigungskunst, Vauban
mit der Durchführung beauftragt.
Die Festung erhielt im Grossen und Ganzen bereits die
Gestalt die sie noch heute hat ; die teilweise zerfallenen turm-
artigen Mauerbauten des alten Burgsystems wurden entfernt,
von Hochbauten nur eine einfache Kaserne für 1 Bataillon und
Wohnräume für die verschiedenen höheren Offiziere errichtet,
im Uebrigen aber das Hauptgewicht auf die Durchführung des
Bastionärsystems gelegt. Die Arbeiten wurden mit grossem
Eifer betrieben, eine Menge Arbeiter aus aller Herren Länder
strömten zusammen und bevölkerten die fast vollständig ver-
lassene Gegend insbesondere die Stadt Bitsch selbst wieder.
Der neuerworbenen und neu angelegten Festung wurde über-
haupt eine grosse Bedeutung beigemessen. Marquis von Mor-
ton und dann Graf du Ripaire wurde zum Gouverneur von
Bitsch und Kommandant der Vogesenverteidigung bis ein-
schliesslich Lützelstein ernannt und ihm ein Leutnant de roi
(de Ja Guerle), ein Major (M. d'Angisse) und ein Aide-Major
(M. de Marton) beigegeben. Die französische Herrschaft dauerte
aber nicht lange. Die Befestigungswerke waren kaum been-
det, als Bitsch in Folge des Friedensschlusses von Ryswick 1697
wieder herausgegeben werden musste ; Art. 30 des genannten
Friedensvertrages bestimmte nämlich : «Seine allerchristlichste
König!. Majestät (von Frankreich) wird auch die Festung' Bitsch
mit deren völligen Zugehör wie auch die Festung Hornburg,
wenn vorher die Werker mit dem Beding demolirt worden,
dass selbe nicht wieder aufgeführt werden sollen, ausräumen,
doch soll bei der Demolirung der Festung den angehangen
Städten kein Schade geschehen, sondern selbe unverletzt erhalten
werden.» Die Zerstörung der Festungswerke wurde 1698 durch
ein flandrisches Regiment vorgenommen und Bitsch nur mit einer
kleinen lothringischen Besatzung belegt, die mit Ausbruch des
spanischen Erbfolgekriegs 1701 wieder durch französische ersetzt
wurde. M. de Chenevieres vom Regiment de Champagne wurde
Kommandant von Bitsch mit einem Bataillon Infanterie und 2
Schwadronen Dragoner ; er liess auf der Festung wieder Eide
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und Palissadenbefestigungen anlegen, musste aber 171i in
Folge Bestimmung des Friedensvertrags von Rastatt die Festung
nach Demolierung der wiederangelegten Befestigung verlassen.
Nachdem Lothringen 1737 durch Tausch gegen Toscana
an den Schwiegervater Ludwig XV., den Exkönig von Polen,
Stanislaus Lescinsky, und dadurch thatsächlich bereits unter
französische Herrschaft gekommen war, wurde auch Bitsch wieder
mit französischer Besatzung belegt, und Debournais und nach
dessen 1740 erfolgten Tode Comte de Bombelles zum Komman-
danten ernannt.
Die französische Regierung, an welche Lothringen nach
Stanislaus' Tod vertragsmässig fallen sollte, hatte bei den mehr-
fachen Besetzungen des Landes im vorigen Jahrhundert und
auch jetzt bei dem Abgang von Herzog Franz, so häufig Ge-
legenheit gehabt, die Abneigung der Lothringer gegen Frank-
reich kennen zu lernen, dass sie es für gut fand, zu ihrer
Stütze die wichtigeren Plätze zu befestigen, beziehungsweise die
vorhandenen alten Befestigungen entsprechend den Forderungen
der neueren Kriegskunst auf- und umzubauen.
So wurde auch Bitsch als Knotenpunkt von sechs Strassen,
nämlich der von Strassburg, Palzburg, Saargemünd, Zwei-
brücken, Landau und Weissenburg, von dem Mililärkommissr.r
für Lothringen und Bar dem Marschall Belle Isle für so wich-
tig gehalten, dass dessen Neu befestig ung im grossen Stile be-
schlossen ward; um das dazu erforderliche Geld zu erhalten,
wurde, da bei den verschwenderischen Hofhaltungen von Franz III.
und Stanislaus, andere Gelder nicht flüssig waren, eine beson-
dere Steuer in Lothringen ausgeschrieben.
1738 wurde mit den Arbeiten begonnen und zunächst ein
fahrbarer Weg bis auf das Glacis hergestellt ; sodann wurde
im nächsten Jahre nach einer Instruktion des Ingenieurchef
Desboz auf dem oberen Felsplateau der Schutt der früheren
Bauten weggeräumt, das Plateau durch Steinabsprengungen
planiert und der Grundriss der Vauban'schen Befestigungen
aufgesucht ; nach Beendigung dieser Arbeiten, die einen Kosten-
aufwand von 81,273 Fr. beanspruchten, wurden für das nun
gewonnene ebene Terrain ausführliche Pläne aufgestellt, welche
am 7. September 1741 genehmigt wurden; noch in demselben
Jahre wurde der Grundstein zu der Bastion St. Jacques, der
heutigen Bastion 1, an dem Nordwestende des Mittelkörpers
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gelegt; im nächsten Jahre wurde dieselbe mit einem Aufwand
von 54,130 Fr. vollendet, ebenso die Bastion St. Andre —
jetzige Bastion 4 am Südostende des Mittelbaues — sowie die
grosse Rampe mit Zugbrücke und Poterne, letztere mit einem
Kostenaufwand von 49,539 Fr.
Inzwischen war der österreichische Erbfolgekrieg ausge-
brochen und die Oesterreicher, insbesondere Oberst Mentzel
mit grösseren Kavallerieabteilungen, näherten sich der Grenze ;
Bombelles sah sich deshalb genötigt, vor allem rasch herzu-
stellende provisorische Befestigungen anzulegen, um die noch
unfertige Festung vor einem Ueberfall zu schützen: es wurden
an Stadt und Festung Erd- und Palissadenwerke aufgeführt und
an den Hauptstrassen kleinere Redouten (Sperrforts) erbaut, so
eine am grossen Kindelberg gegenüber dem — damals noch
nicht existierenden — Gaisbronnerhof, eine an der alten Lan-
dauer Strasse, wo diese über den westlich von Haspelscheidt
gelegenen Weiher ging, eine an der Zweibrü£ker Strasse — in
der Nähe des 1846 erbauten Simster Hofes — und eine an der
Saargemünder Strasse, südlich von Klein- Rederchingen.
Die Anlagen zeigten sich von grossem Nutzen, und nur
durch sie war es Bombelles möglich, mit seinem in Bitsch lie-
genden Milizbataillon die zahlreichen feindlichen Streifzüge von
der im Aufbau begriffenen Festung abzuhalten ; so wurde am
13. Juli 1744 eine stärkere Abteilung Panduren und Husaren
an der Kindelbergredoute aufgehalten und zurückgeschlagen,
auf drei verschiedenen anderen Strassen wurde mit Hilfe der
Strassenbefestigungen das Vorrücken feindlicher Abteilungen
verhindert und die Vorbefestigungen durch Anlage grosser Ver-
haue an der Weissenburger Strasse, in der Nähe von Stürzel-
bronn, am 5. August verstärkt. Am 4. September sandte König
Ludwig XV. unter Erhöhung der Garnison auf 1500 Mann drei
Feldschlangen, welche die Franzosen in Konstanz erobert hatten ;
sie wurden auf dem tgrossen Kopf» so aufgestellt, dass sie ins-
besondere die Weissenburger und Landauer Strasse — die
Breitenbach-Zweibrücker existierte damals noch nicht und wurde
erst 1846 erbaut — bestreichen konnten. Die grösste war 15 Fuss
lang und die von ihr geschossene Kugel wog 9 Pfd., die beiden
anderen waren 13 Fuss lang und schössen 3 pfundige Kugeln.
Mit Ausgang des Jahres 1744 zog sich der Krieg mehr in
die Ferne, und der Festungsbau wurde nun mit grösstem Eifer
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betrieben. Ende 1750 waren die Arbeiten auf dem Mittelkörper
beendet und daselbst folgende Hochbauten mit entsprechenden
Souterrains fertiggestellt : eine dreistöckige Kaserne mit 36 Zim-
mern, ein Wohngebäude für Genieoffiziere mit 10 Zimmern und 6
Kabinetten, ein Gouvernementsgebäude, ein Artilleriezeughaus mit
Waffenschmiede und Waffensaal für 8000 Gewehre, eine Haupt-
wache mit grossen Souterrains, ein Offizierpavillon mit 24 Zim-
mern, eine Bäckerei mit Lagerräumen und Souterrains für Kriegs-
bäckerei, ein Pulvermagazin und verschiedene andere Magazine;
im Ganzen wurden für den Mittelbau 283,000 Fr. verwandt.
Noch in demselben Jahre (1750) waren auch die Befesti-
gungen am ((grossen und kleinen Kopf» beendet, erstere mit
Wacht- und Arresthaus und entsprechenden Souterrains kosteten
103,315 Fr., letztere mit Wachthaus und bedeutenden Souter-
rains 122,903 Fr.
Zur Wasserversorgung diente der bereits unter Vauban
angelegte 75 m tiefe Brunnen, der pro Tag 40 hl Wasser zu
liefern vermag ; für denselben wurde mit einem Kostenaufwand
von 10,591 Fr. ein Reservoir erbaut, ausserdem wurden noch
vier Zisternen um 18,000 Fr. angelegt, wovon die unter der
Kapelle mit dem herrlichen Echo allein 12,711 Fr. kostete.
Die Kapelle selbst wurde so, wie sie noch heute besteht,
auf den Grundmauern der früheren wieder aufgebaut ; sie wird
bereits 1020 erwähnt und am 18. Mai 1680 zelebrierte der Bi-
schof von Metz bei einer Bereisung Lothringens darin für die
Garnison, von der er in Paradeaufstellung empfangen worden
war, die heilige Messe.
Nachdem noch in vierjähriger Arbeit für die Befestigungsan-
lagen am Fusse der Felshänge und auf dem Glacis die Summe von
500,000 Fr. verarbeitet worden, warder Festungsbau 1754 beendet
und die Festung unter Benützung der alten Vauban'schen Anla-
gen mit einem Kostenaufwand von 1,688,262 Fr. im Wesentlichen
so hergestellt, wie wir sie noch heute finden : «tres beau, trfcs solide
et presque inexpugnable», sagt ein zeitgenössischer Schriftsteller.
Ludwig XV. liess nun in lateinischer Sprache folgende In-
schrift an dem Hauptlhore anbringen: Ludwig XV., König von
Frankreich etc., hat diese Festung von Grund aus wieder auf-
gebaut zum Walle gegen feindliche Einfälle in die Vogesen und
Lothringen, als Grenzburg für Elsass und als festen Schutz für
das französische Heer, 1754.
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In den folgenden Jahren wurden noch einige Erweiterungen
uod Verbesserungen vorgenommen : so wurde 1755 — 1760 das
Vorwerk, der sog. «Schwalbenschwanz» um 137,000 Fr. erbaut,
1763 — 1764 das Glacis eingeebnet, mit Böschungen versehen
und angepflanzt um 70,000 Fr. und 1765 die Esplanade am
Fusse des Glacis angelegt und mit Lindenbäumen bepflanzt
um (3872 Fr.
Die zahlreichen zum Festungsbau notwendigen Randsteine
wurden aus eigens dazu angelegten Brüchen am Schimberg über
dem damals schon bestehenden Stadtbrunnen und am kleinen
Lernberg rechts von der Hagenauer Strasse entnommen. Bald
nach Fertigstellung der Neubauten wurde Bitsch von zwei berühm-
ten Reisenden besucht, die in ihren Schriften davon erwähnens-
werte Berichte geben ; dieselben seien deshalb hier eingeschaltet :
Im Juni 1771 stattete Goethe mit seinen Freunden Engel-
bach und Weyland, von Zweibrücken kommend, Bitsch einen
Besuch ab und schreibt darüber in seiner Selbstbiographie :
«Dem Hornbach zur Seite stiegen wir nach Bitsch, das an
dem bedeutenden Platze liegt, wo die Gewässer sich scheiden
und ein Teil in die Saar, ein Teil dem Rheine zufällt ; diese
letzteren sollten uns bald nach sich ziehen. Doch konnten wir
dem Städtchen Bitsch, das sich sehr malerisch um einen Berg
herumschlingt, und der oben liegenden Festung unsere Auf-
merksamkeit nicht versagen. Diese ist teils auf Felsen gebaut,
teils in Felsen gehauen. Die unterirdischen Räume sind be-
sonders merkwürdig ; hier ist nicht allein hinreichender Platz
zum Aufenthalt einer Menge Menschen und Vieh, sondern man
trifft sogar grosse Gewölbe zum Exerzieren, eine Mühle, eine
Kapelle und was man unter der Erde sonst fordern könnte,
wenn die Oberfläche beunruhigt würde.»
Einige Jahre später (1777) kam der berühmte Jesuitenpater
Feller, der ganz Europa bereiste, nach Bitsch und schreibt darüber :
* «Bitsch ist eine sehr bemerkenswerte Festung, erbaut auf
einem aus reinem Fels bestehenden, gänzlich isolierten und die
Umgegend beherrschenden Berge ; eine ähnliche Lage habe
ich nur bei Betzko zwischen Tirnau und Frenschin in Ober-
Ungarn gesehen ; nur ist das Bitscher Gestein weniger hart
und verwittert unter dem Einfluss der Sonne und des Regens.»
Der Hauptförderer des Festungsbaues, Graf Bombelles, sollte
das Ende desselben nicht mehr erleben ; er starb im Juli 1760
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und wurde in Büsch mit grossem Pompe beerdigt ; er war sehr
beliebt bei der Bevölkerung gewesen und erhielt im Jahre 1784
als «protecteur de la ville, pere du peuple, surtout des mal-
heureux» in der 1776 neu eingeweihten Kirche von der Stadt-
gemeinde ein Marmordenkmal, welches für 2400 Fr. in Pari»
angefertigt worden, errichtet.
Als Nachfolger Bombelies wurde Graf Tressan zum Gou-
verneur der Grafschaft Bitsch ernannt; die Festung hatte einen
besonderen Stab, bestehend aus Kommandant, Major, Aide-Major
Artillerie-Offizier vom Platz, zwei Ingenieur- und einem Genie-
offizier, drei Aerzten und einem Spitaldirektor.
Der Kommandant hatte einen Gehalt von 3000 Fr., der
Major von 2000 und der Aide-Major von 900 Fr. ; ausserdem er-
hielten sämmtliche Offiziere Wohnungsgeld und Servis, welches
die Stadt bezahlen musste, und zwar für den Kommandanten
500 Fr., für den Major 300 Fr., für den Aide-Major 200 Fr.
Da die meisten Offiziere vom Festungsstabe und alle von
der zwei Bataillon starken Garnison — es waren deren 37 —
in Militärgebäuden freie Wohnungen hatten, beschwerte sich die
Stadt wegen des von ihr dennoch zu zahlenden Wohnungs-
geldes in ziemlich beträchtlicher Höhe. Die Folge davon war,
dass 1777 die aktive Garnison durch drei Invaliden-Kompagnien
mit einer Gesammtstärke von 120 Mann ersetzt wurde ; der
Festungsstab blieb ; für diesen musste die Stadt 2300 Fr.
Wohnungsgeld zahlen, hatte aber wegen Verminderung der
Garnison um 1000 Mann einen bedeutenden Ausfall im Oktroi,
der Haupteinnahmequelle der Stadt.
Nach mehrfachen Gesuchen wurde Ende 1783 wieder eine
aktive Garnison nach Bitsch zurückverlegt und zwar ein gan-
zes Regiment: das Regiment de Neustrie. Da in die beiden
Kasernen — die Schlosskaserne mit 30 und die Stadtkaserne
mit 19 belegungsfähigen Zimmern — nur 1100 Mann unterge-
bracht werden konnten, das Regiment aber 1600 Mann stark
war, musste die Stadt ihrem Versprechen gemäss für die
übrigen 500 Quartier schaflen : sie mietete zu diesem Zwecke
zwei Quartierhäuser, eines für 150 Fr. und eines für 120 Fr.
jährlichen Mietzins, ausserdem musste sie noch eine Schnei-
derwerkstätte für 20 Schneider stellen.
Diese 1600 Mann starke Garnison blieb jedoch nicht lange :
1789 wurde das Regiment de Castella, welches das de Neustrie
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abgelöst hatte, durch ein Bataillon des Chasseurs de Cevennes
ersetzt und auch in dem einige Jahre später ausgebrochener.
Kriege war die Besatzung nur ein Bataillon stark.
In diesem Kriege spielte Bitsch eine gewisse Rolle und
besonders im Jahre 1793 ereignete sich ein Vorfall, der zu
mancherlei Legenden Veranlassung gab : es ist dies der in der
Nacht vom 17. November 1793 von den Preussen versuchte
Sturm der Festung.
Zum besseren Verständnis mag es gestattet sein vorher
kurz die damalige Kriegslage zu erwähnen.
In dem zwischen Preussen, Oesterreich, England, Holland
und den verschiedenen deutschen Reichsfürsten einerseits und
der französischen Revolutionsregierung anderseits 1792 ausge-
brochenen Kriege, wurden die Verbündeten nach anfanglich
leicht errungenen Vorteilen zum Rückzüge gezwungen, und
von der Revolutionsarmee die Pfalz und Rheinhessen mit Mainz,
das sich am 21. November ergeben musste, besetzt.
Die, Anfang des Jahres 1793, erfolgte Hinrichtung Ludwig
XVI. und die Schreckensherrschaft der Revolution feuerte die
Verbündeten, in deren Reihen zahlreiche französische Emigranten
dienten, zu energischerem Vorgehen an : Mainz wurde am 22.
Juli wieder eingenommen und die Revolutionsarmee langsam,
aber stetig nach der Grenze zurückgedrängt, Landau allein konnte
nicht erobert werden, dagegen wurden die Franzosen am 13.
August bei Limbach und am 14. September bei Pirmasenz ge-
schlagen (wo sie 4000 Mann und 20 Kanonen verloren), am
selben Tage dagegen die Oesterreicher bei Bundenthal in der
Nähe von Weissenburg zurückgeworfen. Mitte Oktober wurden
endlich die Weissenburger Linien erobert, und so für den öster-
reichischen General Wurmser der längst erstrebte Weg nach
dem Elsass eröffnet. Das preussische Heer hatte unterdessen
die feindlichen Stellungen bei Hornbach und Ketterich genommen,
und am 28. September verlegte der König sein Hauptquartier
nach Eschweiler- Wolmünster, wo der Herzog von Braunschweig
ein festes Lager bezogen hatte; von hier aus wurden dann zur
Unterstützung des österreichischen Angrifles auf die Weissen-
burger Linien verschiedene Detachements zur Beschäftigung des
linken Flügels der französischen Stellung entsandt ; so mar-
schierte der Erbprinz von Hohenlohe am 12. Oktober mit 5 Ba-
taillonen und 6 Eskadrons an Bitsch vorbei nach Egelshardt,
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griff von hier aus am nächsten Morgen den verschanzten Posten
bei Herzogshand am Moosbacher Strässehen an und zwang das
denselben haltende Bataillon vom 102. Regiment zum Rückzug
nach Dambach ; er selbst zog sich am 14. über Haspelscheidt-
Bussweiler-Breitenbach wieder in das Eschweiler Lager zurück,
während zur Verdeckung des Rückzuges General von Schladen
von Ormers weiter her Demonstrationen gegen Bilsen inachte.
Von nun ab blieben die Verbündeten ziemlich unthätig; sie
hatten, 75—80,000 Mann stark, feste Stellung von Saarbrücken
bis Wanzenau a. /Rhein in einer Ausdehnung von 30 Stunden
bezogen : auf dem rechten Flügel stand bei Zweibrucken General
Knobelsdorf, an der Saargemünd-Zweibrückener Strasse zwischen
Blieskastel und Saargemünd General Kalkreuth, das Zentrum
bildete von Wolmünster bis Schweyener Wald an der Bitsch-
Zweibrückener Strasse Herzog v. Braunschweig und Prinz von
Hohenlohe mit 15 Bataillonen, bei Steinbach stand General v.
Kleist und auf dem linken Flügel General von Wurmser mit
den österreichischen Truppen bei Reichshofen-Brumath und
Wanzenau. Mit Rücksicht auf den herannahenden Winter und
die mangelhaften Verpflegungsverhaltnisse der Truppen, sowie die
erheblichen Verstärkungen die von den Franzosen herbeigezogen
wurden, beschloss Herzog v. Braunschweig Mitte November zurück-
zugehen und Winterquartiere bei Kaiserslautern zu beziehen.
Um für die Operation des nächsten Jahres einen festen
Stützpunkt zu haben und die Verbindung mit der im Elsass
verbleibenden österreichischen Armee nicht ganz zu verlieren,
sollte versucht werden, vorher die Festung Bitsch, die man —
einmal in der Gewalt — für uneinnehmbar hielt, mit Hilfe
eines emigrierten Ingenieurs durch Handstreich zu nehmen.
Die Festung war mit 075 Mann des 2. Bataillon du Clier
unter dem Kommandant Augier undOiKanonieren des I. Artillerie-
Regiments zu Fuss, und 00 Mann Miliztruppen besetzt.
Am Abend des 16. November — irrtümlicher Weise wird der
Sturm vielfach auf den 14. Oktober verlegt, was wohl auf eine
Verwechslung mit den vorher erwähnten, an diesem Tage erfolgten
Operationen des Generals v. Schladen zurückzuführen ist, — als
man bereits von Aufbruch und Rückzug sprach, Hess der Herzog
von Braunschweig aus sämmtliclien 15 Bataillonen 1700 Mann aus-
wählen, von denen nach französischen Quellen jeder 3 Fr. er-
hielt, suchte selbst eine Anzahl Unteroffiziere und Offiziere —
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auf Ersuchen des österreichischen Feldmarschalls Grafen v. War-
tensleben auch dessen 18 jährigen Sohn, edamit auch Oesterreich
etwas zur Expedition gäbe» — aus und befahl die Mitnahme
von Beilen, Brecheisen und Lochsagen, sowie die Umlegung
eines weissen Tuches um den Arm als Erkennungszeichen.
Um 7 Uhr Abends rückte das Kommando in aller Stille
aus dem Lager und versammelte sich bei Nussweiler, ohne be-
stimmt zu wissen, um was es sich handelte; hier erst wurde
es mitgeteilt und folgender Befehl ausgegeben :
«Sämmtliche Kommandierte lassen Tornister, Patronentaschen
und Säbel zurück. Säbelkuppeln werden ohne Säbel über den
Rock geschnallt. 30 Patronen werden in die Rocktasche ge-
steckt, wovon 20 eingewickelt; die Unteroffiziere lassen ihre
Kurzgewehre nebst Tornister ebenfalls zurück und nehmen da-
für ein Schützengewehr und 20 Patronen.
Eine Abteilung unter Oberstleutnant v. Hirschfeld geht
irn Graben «vom kleinen Kopf» die Treppe hinauf, wo man oben
im Schlosse bei des Kommandanten Wohnung herauskommt,
30 ausgesuchte Leute werden bestimmt in des Kommandanten
Wohnung einzudringen und sich seiner Person tot oder lebendig
zu bemeistern; 24 Bewaffnete ersteigen zuerst die Leitern,
wovon 12 Mann 12 Schritte links, die andern ebensoweit rechts
laufen und die Flanken der Abteilung decken, bis selbige
ebenfalls die Leitern erstiegen haben und sie dann der Abtei-
lung folgen. Auf diese 24 Bewaffnete folgen die Arbeiter : 4
Mann mit Hebeeisen, 2 mit Hämmern und Brecheisen und
2 mit Aexten, Beilen und stählernen Keilen, die sie in der
Tasche mittragen ; auf die Arbeiter folgt der Rest der Abteilung.
Die ersten 40 Mann greifen die zur rechten stehenden Wache
bei ihrem Debouehö im Schlosse an; unterdessen sprengen
die Arbeiter die Thüre des Gewölbes, welche in den kleinen
Kopf führt, und durch das Gewölbe linker Hand bei des
Kommandanten Haus herauskommt.
Diese Abteilung lässt am Eingang des Gewölbes 1 Unter-
offizier und 6 Mann stehen, wovon 2 beständig das Gewölbe
patrouillieren, die andern aber zum Rapportieren gebraucht
werden.
Führer ist Kapitän Tutelin mit einem Manne aus der Ge-
gend. Die Wagen zur Fortbringung der Blessierten stehen bei
Rochatshofe.»
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Aus diesem Befehl geht hervor, dass die Verbündeten ge-
nau mit den Oertlichkeiten bekannt waren ; es kam dies da-
her, weil mehrere französische emigrierte Offiziere unter den
preussischen Truppen waren, die früher in Bitsch gestanden
hatten ; insbesondere war der in obigem Befehl erwähnte Tu-
telin bis vor kurzem Ingenieuroffizier in Bitsch gewesen.
Das Kommando brach in 2 Kolonnen unter Führung des
Obersien Grafen v. Wartensleben (vom Regiment Prinz Heinrich)
und Oberstleutnants v. Hirschfeld (Generaladjutanten des Herzogs
von Braunschweig) mit 51) Offizieren und 100 Unteroffizieren auf;
die Kolonnen waren in je 5 Abteilungen geteilt, von denen
jede einen besonderen Auftrag hatte ; nach Erfüllung desselben
sollten sie die Garnison ohne zu schiessen entwaffnen oder
niedermachen und sich dann auf dem Paradeplatz sammeln.
Die Avantgarde bildete Leutnant von Oppeln mit 3 Unter-
offizieren und 30 Mann; diesen folgten 4 Mann mit Hebeeisen,
je 2 Mann mit Hämmern, Brecheisen, Beilen und Lochsägen.
Die Kolonnen marschierten in der Reihenfolge der Abtei-
lungen bis zur Hottweiler Ziegelhütte auf der Zweibrücker
Strasse, von da links die Schlucht hinunter nach Schorbach,
die Schorbacher Strasse lang, über die Hanweiler-Pirmasenzer
Strasse an der (1739 erbauten) Ochsenmühle vorbei, den Wald-
weg längs des Wustweilerberges über die Hardt, Haspelscheidt-
Landauer-Strasse rechts am Rochalshofe, an welchem die Fahr-
zeuge gelassen wurden, vorbei über die Weissenburger Strasse
und den Kindelberg zur Slrassburger Chaussee ; auf dieser,
von welcher, da der feindlichen Stellung entgegengesetzt, ein
Angriff am wenigsten vermutet wurde, marschierten sie fort, bis
dahin, wo der Weg zur Festung rechts heraufführt. Hier gegen
Mitternacht unbemerkt angekommen, trennten sich die einzelnen
Abteilungen, um ihre verschiedenen Aufträge auszuführen.
Die Hauptmasse unter Führung des mit den Festungswerken
genau bekannten Kapitäns Tutelin rückte lautlos in einer
Senkung des Berges nach dem bedeckten Weg herauf, die auf
dem Glacis befindlichen Palissaden werden durchbrochen und
2 Schild wachen niedergestossen. Während nun Oberstleutnant von
Hirschfeld mit seiner Abteilung nach der kleinen Rampe eilt, um
sich der Thore und damit des Haupteinganges zu bemächtigen,
steigen die andern Abteilungen mit Hilfe der mitgebrachten
Leitern in die Gräben und versuchen die Mauern zu erklimmen.
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Inzwischen hat sich Major von Kalkreuth unter Gefangen-
nahme von 3 Offizieren und 60 Mann der Stadt bemächtigt.
Durch den Lärm in der Stadt, sowie das Geräusch, welches
die Abteilung des Oberstleutnants von Hirschfeld beim Ein-
schlagen der Thore verursachte, wurde die Besatzung alarmiert
und eilte teilweise unbekleidet auf die Wälle. Trotzdem drang
Oberstleutnant von Hirschfeld bis zum dritten : dem Haupt-
thore vor und versuchte auch dieses, wie die beiden andern zu
sprengen ; ein mörderisches Feuer empting die Vordringenden
und bald war der Platz vor dem Thore mit Toten und Verwun-
deten bedeckt, unter denen die mitgebrachten Brech Werkzeuge
lagen ; man versuchte mit Kolbenstoßen das Thor zu zertrümmern,
aber vergeblich : vier Stunden lang währte hier und vor dem
Thore an der grossen Rampe, sowie in den Gräben der Kampf,
in welchem die Preussen ohne Schutz und ohne eigentlich selbst
thatig werden zu können dem unablässig von oben herab er-
folgenden Hagel von Steinen und Geschossen ausgesetzt waren.
Als der Tag graute wurde zum Rückzug geblasen, den
aber viele nicht mehr antreten konnten : eine grosse Anzahl
war tot, eine noch grössere verwundet, viele konnten nicht
mehr aus den Gräben herauskommen und wurden gefangen
genommen, darunter auch Kapitän Tutelin, der erkannt und
am Morgen in dem Festungsgraben erschossen wurde.
Von 1800 Mann und 50 Offizieren kehrten nur 1280 Mann
und H5 Offiziere unversehrt zurück. 24 Offiziere und 520 Mann
waren teils tot, teils schwer verwundet oder gefangen. Das
Regiment Braunschweig hatte zwei Drittel der ausgesandten
Mannschaft verloren, Graf von Wartensleben war leicht an der
Brust, Oberstleutnant von Hirschfeld durch einen Steinwurf
schwer am Kopfe verwundet.
Die Namen der beteiligten Offiziere sind in einer 1795 zu
Frankfurt a. M. erschienenen Abhandlung aufgeführt; es sind
auser den erwähnten die Hauptleute : von Below, von Ebra,
von Schmettau, von Hahn, d'Chanel, von Sack, Blumenstein,
von Sommerfeldt, von Welzin, Texier, Olivien, von Goltz, von
Puttlitz, Rochelle, von Haas und von Herwart ; die Leutnants:
von Schade, von Mellersky, von Dolffs, von Witzleben, von
Oppeln, von Wedel), von Tettau, von Killinger, von Dornis,
Graf von Wittgenstein, von Grumkow, von Römer, von Tes-
mann, von Sacken, von Brandenstein, von Nettelhorst, von Lebbin,
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von Balby, von Arnim, von Hagen, von Rhein, von Noss,
Stwolinsky II, von Ledebur II, von Rabenau, von Bisten, von
Grävenitz, von Sacken, von Rechenberg, Guterzenka, Glischinsky,
von Hauteville und von Werder.
120 Preussen sollen am nächsten Tage in der Nähe des
grossen Otterbuehls an dem davon benannten Preussenhübel
beerdigt worden sein.
Ihnen wurde am 17. Nov. 1893 — dem 100jährigen Gedenk-
tage des Sturmes — von der Vogesenclubsection Bitsch auf der
mutmasslichen Grabstätte zehn Minuten nordöstlich von Bitsch
ein Gedenkstein errichtet. Der 3 m hohe Obelisk von weissem
Sandsteine trägt auf dem Sockel eine gusseiserne Tafel mit
folgender Inschrift : Dem Andenken der am 17. November 1793
beim Sturm auf die Veste Bitsch gefallenen Preuss. Krieger
gewidmet von der V. C. Section Bitsch am 17. November 1893.
Dieses Unternehmen, von dem der damalige Befehlshaber
der französischen Vortruppen General Saint-Cyr sagte, man
wisse nicht, was man mehr bewundern solle, die Kühnheit der An-
greifer oder die Nachlässigkeit des Festungskommandanten, erregte
begreifliches Aufsehen und gab Stoff zu mancherlei Erdichtungen.
So verdankt nach der einen Erzählung die Festung ihre Rettung le-
diglich dem Ochsenhirten Billet, der von den Schlägen an das Haupt-
thor der grossen Rampe, deren Spuren noch heute an dem früheren
Holzthor sichtbar sind, geweckt (der sog. Kuhstall, das heisst das
für das Vieh bestimmte Souterrain, beginnt unmittelbar hinler
dem Thore), die Besatzung zu den Waffen rief; nach einer an-
deren Erzählung war die Errettung hauptsächlich dem Opfermute
eines armen Bitscher Bürgers zu danken, indem derselbe sein
an dem Glacis gelegenes Haus anzündete und so die Aufmerk-
samkeit der Schildwachen erregte, der alarmierten Garnison den
Standort der Eindringlinge zeigte und auf diese Weise bei der
herrschenden Dunkelheit das Zielen ermöglichte. Zu letzterem
Zwecke waren von der Festung Leuchtkugeln geworfen worden,
wodurch in der That eine Feuersbrunst in der Stadt entstand,
durch welche drei Häuser eingeäschert wurden ; auch Pech-
kränze hatte man zur Beleuchtung der Gegend auf den Wällen
angezündet, und man soll noch lange Zeit nachher an dem
üppigeren Stand der Pflanzen diese Stellen erkannt haben.
Vielfach — und dies findet sich in sonst sehr genauen Ge-
schichtswerken — wird auch der L'eberfall zu einer grossen
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Schlacht ausgeschmückt, hei der 10,000 Preussen und Oester-
reicher, unter welchen sich auch der Bischof Ronan von Strassburg
befand, von den 675 Freiwilligen der Festung geschlafen wurden.
Eine derartige Schlacht fand weder früher noch später hier
statt: nach der mit 1800 Mann versuchten Ueberrumpelung zog
sich das preussische Heer nach der Pfalz zurück und in dem
weiteren Verlauf des Coalisationskrieges wird von Bitsch nichts
Erwähnenswertes mehr überliefert ; auch in den Napoleon'schen
Kriegen scheint es ohne Bedeutung gewesen zu sein.
1809 diente es einer Anzahl englischer kriegsgefangener
Offiziere als Aufenthalt, von welchen sich noch vielfache In-
schriften auf dem Gestein vorfinden. Die Garnison war damals
400 Mann und 50 Offiziere stark, ausserdem befanden sich in
dem Militärhospital 30 pensionierte Offiziere.
1813 wurde es, wie Lützelstein und Lichtenberg, nur
beobachtet.
1814 erkannte der Kommandant Maisonneuf, nachdem ein
Ausfall mit Verlust von 7 Toten und 11 Gefangenen abgeschlagen
worden war, Ludwig den XVIII. an, und die Feindseligkeiten
wurden am 20. April eingestellt. Im Jahre 1815 war General
von Kreutzer Festungskommandant, der sich nach kurzer
ßlokade vom 11. bis 30. August durch ein Detachement vom
20. Regiment der Garnison Mainz unter General von Krauseneck
für Ludwig XVIII. erklärte.
In Folge Convention vom 20. November 1815 wurde die
Festung von Bayern besetzt, welche bis zum 15. November 1818
darin verblieben.
Die Erhebung der Festung zu einer solchen ersten Hanges ge-
schah durch Dekret vom 28. Februar. 1850 nach Herstellung der
Stadtbefestigung; diese ist nämlich neueren Datums; kleinere An-
lagen bestanden zwar schon früher, dieselben wurden aber gemäss
dem Ryswicker Friedensvertrag geschleift und später durch eine
einfache aus 6822 Stück bestehende Palissadenumzäunung ersetzt ;
an deren Stelle trat Ende des XVIII. Jahrhunderts eine Mauer
in Folge kriegsministerieller Verfügung vom Okiober 1788. Diese
Mauer sollte mehr zur Abschliessung, um die Entweichung von
Gefangenen und Soldaten zu verhindern, als zu Verteidigungs-
zwecken dienen, sie wurde 1795 mit einem Kostenaufwand von
57,202 Fr. beendet und zog sich vom Glacis der Festung direkt hinter
den Häusern her bis zu dem— 1820 trocken gelegten — Stadt weiher.
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— 22 —
Stadtthore werden zum erstenmale 1662 — die Stadt Bitsch
entstand überhaupt erst nach dein 30jähri£en Kriege aus den
Dörfern Kaltenhausen und Rohr — erwähnt und zwar «ein
Hinter-», «Vorder-», «Ober-» und «Unterthor». Zur Bewachung
dieser Thore war ein «Wachtmeister» (später mehrere) bestellt,
von dem es 1662 heisst: «dass er von ehrsamer Burgerschaft an-
genommen wurde, damit er uff die Thore fleissig acht soll geben,
Abends und Morgens dieselbe auf- und zusperren und zu Nacht
ohne Herrn Rentmeisters fürwissen nicht eröffnen ; für seine
Belohnung solle ihm ein jeder Börger für ein Jahr lang ein Sester
Korn liefern, wie auch jeder Wagen oder Karch so Holz zu seinem
Hause füret soll ihm eine Portstang geben, wie auch in der
Heuerndt soll er Macht haben, in ein jeden Wagen mit Heu
dreimal und ein Karch zweimal heraus zu ropfen, wie auch ist
ihm versprochen worden zwei Stück Rindvieh, wie auch zwei
Sauen von dem Hiltenlohn frei zu halten.»
1787 wurden an den vier Thoren von der Stadt auf Ver-
anlassung der Regierung und mit einer Beihilfe derselben von
6920 Fr. Hauptwachen erbaut ; ausser diesen bestanden eigent-
liche Befestigungswerke in der Stadt nicht, wie aus einer Schrift
vom Jahre 1772 hervorgeht, in welcher es heisst: « — il n'y a
pas d'autres fortifications que Celles du chäteau, la ville n'ayant
pas un seul mur d'enceinte.»
Erst 1844 gelang es den Bemühungen des im Kriegsmini-
sterium beschäftigten Generals Schneider — ein Bitscher Kind —
die Stadtbefestigung im grossen Umfange durchzusetzen, nach-
dem auch die Stadt ;durch Anlage eines Verptlegungsmagazins
für eine 30,000 Mann starke Armee, zu welchem Zwecke ein
grosser Speicher um 280,0(0 Fr. hergestellt worden war (jetzige
Speicherkaserne), eine gewisse Bedeutung erlangt hatte.
Durch kriegsministeriellle Verfügung vom 28. Juni 1844
wurden die Befestigungsarbeiten verordnet und 1852 vollendet ;
für die Stadtumwallung, wie sie noch heute teilweise besteht,
wurden 873,098 Fr., für die drei Hohltraversen auf derselben
25,500 Fr. und ausserdem in den Jahren 1852 — 1857 für Er-
weiterungs- und Verbesserungsbauten 37,100 Fr. verwandt.
Durch s ki iegsministerielle Verfügung vom 19. Juli 1846
wurde ferner der Bau eines Forts auf dem «Roche-percee» :
Fort Sebastian, von der in der Nähe gelegenen St. Sebastians-
Kapelle genannt, angeordnet. Die Abtragung des spitzen Gipfels
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— 23 —
und Herstellung eines Plateaus kostete allein 40,000 Fr., der
Bau der Kaserne mit Belegungsraum für 1 Offizier und 81 Mann
54,000 Fr., die Herstellung des Pulvermagazins 44,000 Fr.,
das ganze Fort überhaupt 283,526 Fr. 1848—1849 erfolgte
ausserdem die Anlage eines Paradeplatzes vor dem Fort, mit
einem Kostenaufwand von 40,500 Fr., so dass in den Jahren
1844—1857 für Anlage der nunmehr vollständig aufgegebenen
Befestigungen 1,259,724 Fr. verausgabt wurden: sie geschah
mehr für die Armen als für die Armee und mehr zur Beschäf-
tigung der Bewohner als zur Befestigung der Wohnstätten ; denn
dieselbe ist ohne jegliche Bedeutung und war deshalb auch im
Kriejre 1870)71 nicht armiert. Anfangs des Jahres 1870 befanden
sich in der Festung, nach einem Armierun^sbericht vom I.Ja-
nuar 1870, 53 Geschütze, nämlich 12 gezogene und 10 glatte
Bronzekanonen, 18 Bronzehaubilzen und 13 Bronzemörser, davon
waren aber nur 19 in Schussbereitschaft; Infanteriegewehre be-
fanden sich 4602 Stück mit 1,399,416 Patronen auf der Festung,
ausserdem 120,400 Kilo Pulver und 26,12*8 Geschosse für die ver-
schiedenen Geschütze. Bei Ausbruch des Krieges fand eine beson-
dere Armierung und Verproviantierung nicht statt ; der einige Tage
vorher eingetroffene Platzkommandant Theissier wohnte bis zur
Annäherung der deutschen Truppen im Rathause, und die Auf-
stellung der Geschütze geschah erst nach der Schlacht von Wörth
durch einen retraitierten Artilleriehauptmann, Namens Rossin.
Bitsch war der Sammelplatz des V. Korps unter General
de Failly und bereits am 18. Juli — also ein Tag vor der offi-
ziellen Kriegserklärung — waren daselbst 17 Infanteriebataillone
und 2 Kavallerieregimenter zusammengezogen ; am 23. Juli ver-
legte Failly das Hauptquartier nach Saargemünd und die 3.
Division, bestehend aus dem 17., 27., 30. und 68. Infanterie-
regiment, dem 19. Jägerbataillon und 3 Batterien des II. Artil-
ierieregiments unter General Guyot de Lespart, rückte nach
Bitsch. Nachdem bereits am 24. Juli die Bahnlinie Saargemünd-
Bitsch bei Bliesbrücken durch eine Abteilung 7. Ulanen unter
Lieutenant von Voigt zerstört worden war,1 fand am 29. ein Zu-
sammensloss zwischen einer stärkeren Rekognoszierungspatrouille
vorn 5. Dragonerregiment und französischen Vorposten aller
Waffengattungen bei Breitenbach statt, infolgedessen die fran-
zösische Avantgarde am 31. Juli Befestigungen auf den Höhen
bei Hanweiler (7 Kilometer nördlich von Bitsch) anlegte.
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- 24 -
Am 1. August unternahmen bayrische Chevaulegers unter
Major von EglofFstein und 12. preussische Husaren unter Major
von Parry in einer Stärke von 50 Mann eine Rekognoszierung
nach der Bitsch- Weissen burger Strasse von Eppenbronn aus ; sie
erhielten bei Stürzelbronn lebhaftes Feuer von starken Infanterie-
abteilungen und zogen sich auf Waldwegen über den Mühlenbacher
Hof nach Ludwigswinkel zurück ; mehrere Pferde waren verwundet
worden, und auf dem Mühlenbacher Hof wurde ein Husar, der
sich mit seinem verwundeten Pferde beschäftigte, gefangen.
Nach Bekanntwerden der Einnahme von Weissenburg und
dem olfensiven Vorgehen der III. deutschen Armee erhielt Ge-
neral Failly Befehl, sein ganzes Korps bei Bitsch zu sammeln.
Die Division Lespart, welche am 2. August in der Richtung auf
Pirmasens vorgerückt war, zog sich wieder nach Bitsch zurück
und Failly selbst traf mit dem Rest des Korps am Abend des 5. in
Büsch ein. Am Morgen des 6. kam der Befehl von Mac-Mahon,
eine Division soforl nach Philippsburg, 17 Kilometer südöstlich
von Bitsch, zu senden und mit dem übrigen Korps am 7. August
in der Richtung nach Weissenburg vorzugehen.
Die Division Lespart rückte demgemäss am 6. morgens nach
Philippsburg ab und nahm auf die Kunde von der Schlacht bei
Wörth, 7 Kilometer weiter südöstlich an dem Thalausgang auf
den Höhen links und rechts von Nie,derbronn Aufnahmestellung,
aus welcher sie jedoch durch die unaufhaltsam flüchtenden
Trümmer der Mac Mahon'schen Armee mit in den allgemeinen
Rückzug gerissen wurde: die Brigade Fontanges südwestlich nach
Zubern, die Brigade Abbatucci mit einigen Tausend Verspreng-
ten des I. Korps nach Bitsch. Hier hatte unterdessen Failly,
von Nordwesten (Spichern) und Südosten (Wörth) heftigen
Kanonendonner hörend, vergeblich auf Befehle geharrt, und
wusste nicht, wohin ersieh wenden sollte ; erst am Abend ver-
nahm er die beiderseitigen Niederlagen und marschierte dann
nach Beschluss des rasch zusammengerufenen Kriegsrats des
Abends um 9 Uhr in fluchtähnlicher Weise mit seinen beiden
Divisionen, die Train« zurücklassend, nach Lützelstein ab. Da
deutscherseits angenommen wurde, dass sich Mac Mahon nach
Bitsch zurückgezogen und sich dort sammeln würde, erhielt die
XII. Division, die seither in der Gegend von Pirmasens ge-
standen, den Befehl, auf Bitsch vorzurücken ; dieselbe erreichte
am 7. Stfirzelbronn, Vorposten bis Herzogshand vorschiebend,
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- 25 -
und hei Haspelseheidt (7 Kilometer nordöstlich von Ritsch) Füh-
lung mit dem 5. Dragonerregiment gewinnend. Durch Patrouil-
len wurde festgestellt, dass während der Nacht zahlreiche Flücht-
linge durch Egelshard gezogen, dass am Ahend Truppen bei
Bitsch biwakiert, in der Nacht aber nach Süden abgerückt,
und in der nächsten Umgebung der Festung keine Truppen
mehr sichtbar wären ; doch erhielt die 4. Schwadron des 5.
Dragonerregiments, als sie sich der Festung näherte, von den
Wällen Feuer und musste sich mit einem Verluste von 4 Toten
(die in Haspelscheidt begraben sind) und 5 Verwundeten zu-
rückziehen ; auch eine Brigade vom II. bayrischen Korps, welches
bei Egelshard biwakierte, wurde am 8. August beim Vormarsch
von der Festung aus beschossen, die 1. reitende Batterie La
Roche vom '2. bayrischen Arlillei ierogiment fuhr am Kindelberg
auf und warf einige wirkungslose Schübe in die Festung, wurde
aber bald mit Verlust von 1 Toten und 4 Verwundeten, sowie
einer zertrümmerten Lafette, zum Abfahren gezwungen.
Durch diese Sperrung der Hauptstrasse sahen sich die vor-
rückenden Truppen zu einem Umweg gezwungen : das II. bay-
rische Korps marschierte am 9. August auf Waldwegen über
den Hochkopf nach Lemberg, zur Beobachtung ein Bataillon
Infanterie und eine Schwadron Chevaulegers zurücklassend, die
XII. Division ging an demselben Tage über die Höhen bei Han-
weiler nach Schorbach und Lengelsheim und am nächsten Tage
nach Klein-Rederchingen. Hier war Tags vorher Prinz Fried-
rich Karl von Wolmünster her mit dem IV. Korps eingetroffen,
um Mac Mahon, von dem man ja angenommen, dass er sich
bei Bitsch sammeln würde, den Rückzug zu verlegen.
Die vor Bitsch zurückgelassenen Truppen wurden am 11.
August durch das 1. Bataillon 7. bayrischen Infanterieregiments
abgelöst, welches mit je zwei Kompagnien die Lazarette in
Reichshofen und Niederbronn schützte und durch vorgeschobene
Streifpatrouillen die Festung beobachtete. In dieser war nach
dem Abzug des Failly'schen Korps nur ein Bataillon vom 86.
Infanterieregiment (750 Mann stark) nebst 250 Artilleristen zu-
rückgeblieben, dazu kamen noch etwa 200 in der Unigegend
postiert gewesene Douaniers, und ungefähr 1400 Versprengte
von Wörth und 000 von Spichern. Diese Flüchtlinge kamen
in einem schrecklich abgerissenen und verzweifelten Zustande
an, sie verbreiteten so schlimme Nachrichten von der furcht-
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— 26 —
baren Niederlage der französischen Armee, dass sie der IPlatz-
kommandant, um nichl die Besatzung zu sehr zu entmutigen,
isolieren Hess: sie wurden in den drei auf der Stadtumwallung
befindlichen Hohltraversen, dem Fort Sebastian und dem davor
liegenden «camp retranche» untergebracht und jeder Verkehr
mit der Besatzung verboten. Da die Festung nach dem am 8.
August erfolgten Abmarsch der Bayern längere Zeit unbehelligt
blieb, schöpfte die Besatzung wieder Mut und gab sich den
besten Hoffnungen auf die baldige Rückkehr der französischen
Truppen bin ; der Platzkommandant erliess am 16. August
einen Tagesbefehl, in welchem er auf die günstige Lage von
Bitsch für den Fall des erwarteten Rückzugs der deutschen
Armee hinwies und die Truppen im «camp retranche» auffor-
derte, sich genaue Kenntnis von der Umgegend und allen Wegen
zu verschaffen, um dieselben nötigenfalls unpassierbar zu machen
und den deutschen Truppen den Rückzug abzuschneiden. Die Situa-
tion sollte sich bald ändern: da Gefahr bestand, dass die geringen
zur Beobachtung von Bitsch zurückgelassenen Truppen die durch
die Versprengten auf etwa 300Ö Mann angewachsene Besatzung-
macht im Schach halten könnten, und somit die Lazarette in Nieder-
broun und Reichshofen, sowie die rückwärtige Verbindung gefähr-
det erschienen, wurde zur Operation gegen Bitsch in Germersheini
ein besonderes Detachement gebildet, bestehend aus dem 2. Ba-
taillon 4. bayrischen Infanterieregiments, dem 29. Landwehrba-
taillon, 1 Offizier und 8 Reitern der Besatzungskavallerie und 4
gezogenen 12-Pfündern ä44Schuss und Brandgranaten, im Ganzen :
1850 Mann, 112 Pferde, 4 Geschütze und 13 Fahrzeuge unter dem
Kommando des Obersten Kohlermann. Das Detachement traf am
22. August in Niederbronn ein, und wurde in der Nacht be-
reits, nachdem die Festung vergeblich zur üebergabe aufgefor-
dert worden, bis dicht vor Bitsch vorgeschoben. Die Batterie —
es war die 4. Ausfallbatterie 2. bayrischen Arlillerieregiments
Brodesser — wurde in der Nacht mit grossen Schwierigkeiten
auf den 1100 m in gleicher Höhe (306 m hoch) nördlich der Zita-
delle gelegenen grossen Otterbühel geschafft, und morgens um 5
Uhr das Feuer gegen die Festung eröffnet. Der 3. Schuss schlug
in das auf dem grossen Kopf befindliche Arresthaus, in dem ver-
schiedene deutsche Gefangene waren, von denen einer leicht ver-
wundet wurde; das Feuer wurde zwei Stunden fortgesetzt und
52 Granaten mit Spreng- und 25 mit Brandladung in die Festung-
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— 27 —
geworfen; da ein wesentlicher Erfolg mit den leichten Geschützen
nicht erzielt wurde, die Batterie auch stark dem Feuer der grö-
beren Festungsgeschütze ausgesetzt war, Hess Oberst Kohlermann
um 7 Uhr das Feuer einstellen, durch einen Parlamentär die
Festung nochmals zur Uebergabe auffordern und die Batterie,
von der ein Offizier und zwei Mann verwundet waren, abfahren.
Die Uebergabe wurde abgelehnt, und Oberst Kohlermann,
einsehend, dass er ohne bedeutendes Geschützmaterial die Fes-
tung nicht bezwingen könne, zog sich, um dieses abzuwarten,
zurück in ein Biwak zwischen Langelsheim und Hanweiler und
am 26. August nach Wolmünster.
Das 29. Landwehrbatnilion wurde zum Etappendienst nach
Weissenburg beordert, während die Batterie unter Deckung des
2. Bataillons 4. Infanterie- Regiments arn 27. August eine Be-
obachtungsstellung auf dem nordwestlichen Höhenzug zwischen
Schorbach und dem Freudenbergerhöf einnahm ; bis zum Ein-
treffen weiterer Truppen suchte das Bataillon durch zahlreiche
Posten und Patrouillen seine Schwäche zu maskieren, wobei es
durch 2 von Lemberg nach Reyersweiler herangezogene Etappen-
kompagnien des 5. und 27. Lanuwhi bataillons unterstützt
wurde. Am 31. August ging der Befehl der vollständigen Ein-
Schliessung und gewaltsamen Einnahme der Festung ein, zu-
gleich mit der Benachrichtigung von der abgesandten Verstär-
kung. Die Belagerten erhielten hiervon Kenntnis und versuchten
vor Eintreffen der neuen Truppen das Detachement Kohlermann
zu vertreiben. Es wurde am 1. September Nachmittags 41/2 Uhr
ein kleiner Ausfall nach der Saargemünder Strasse und am 4.
September ein grösserer von 800 Mann (aus dem camp retran-
che) gegen die Stellung zwischen Lemberger und Saargemün-
der Strasse unternommen ; derselbe wurde mit Hilfe des Tags
vorher eingetroffenen 1. Bataillons 8. Infanterie-Regiments zu-
rückgewiesen; die bayrischen Verluste beliefen sich auf 9 Mann
tot, 2 Offiziere und 29 Mann verwundet, die französischen lassen
sich nicht genau angeben, jedenfalls blieben 3 Tote auf dem
Kampfplatze — der Milchenbach links der Saargemünder Strasse
— liegen und wurden nachher von Bitscher Bürgern hereinge-
holt, 6 starben in den nächsten Tagen an den erhaltenen Wunden,
die Zahl der leichter Verwundeten soll sich auf CO belaufen
haben, ausserdem wurden etwa 30 Gefangene verloren.
Nach zwei angeblich noch rechts der Saargemünder Strasse
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am Krähenfelsen liegen gebliebenen Schwerverwundeten wurde
gegen Abend von dem um die Krankenpflege während der Be-
lagerung sehr verdienten Dr. W. mit einigen Bitscher Bürgern
gesucht ; es war vergeblich, dieselben waren bereits von den
bayrischen Krankenträgern aufgenommen worden. Dr. W. und
einer seiner Begleiter, die sich bis in die bayrische Postenkette
gewagt hatten, wurden festgehalten und zu dem am Frexiden-
bergerhof befindlichen bayrischen Hauptquartier geführt, hier
freundlichst bewirtet, mit der soeben eingetroffenen Depesche
über die Ereignisse bei Sedan bekannt gemacht und dann ent-
lassen ; sie kamen erst gegen 10 Uhr wieder in Bitsch an und
fanden mit ihrer Erzählung der Niederlage von Sedan eine
schlechte Aufnahme, ja wären beinahe von den aufgeregten Offizie-
ren misshandelt und als Verräter verhaftet worden ; es erschien
diese Nachricht um so unglaublicher, als einige Tage vorher (am
27. August) folgende Depesche offiziell bekannt gegeben wurde :
«Prinz Karl tot und in Metz begraben, General Steinmetz
und 14 preussische Generale gefangen. 70,000 Verwundete und
Gefangene; in der Nordsee 6 preussische Schiffe mit Goldbar-
ren genommen !»
Am 5. September trafen bei den Belagerern noch 10 gezo-
gene Zwölfpfünder und 4 sechzigpfündige Mörser mit 200 Schuss
pro Geschütz und am <>. die 3ten Bataillone des 4. und 8. Inf.-
Reg. und eine Festungs-Genie-Kompagnie ein : sodass nun die
Belagerungstruppen aus 6760 Mann Infanterie, 28 Heitern und
24 Geschützen mit Bedienungsmannschaften vom II., III., IV.
bayrischen Festungs-Art. -Reg. bestanden, wozu am 13. Septemb.
noch 4 sechspfündige Feldgeschütze kamen.
Die Truppen nahmen vom 6. September ab folgende SteK
hing ein : das I. Bat. 8. bayr. Inf.-Reg. hatte den rechten
Flügelabschnitt zwischen Lemberger und Reyersweiler Strasse
mit Allarmhäuser in Reyersweiler, die 5., 7. und 8. Komp. 4.
Inf.-Reg. das Zentrum an der Saargemünder Strasse mit Al-
larmhäuser in Legeiethof und das 3. Bat. 4. Inf.-Reg. halte
den linken Flügelabschnitt mit Allarmhüuser am Suselhof; das
3. Bat. 8. bayr. Inf.-Reg. stand in Reserve auf dem Simster-
hof, während die 0. Kompagnie 4. Inf.-Reg. mit 8 Reitern
eine fliegende Kolonne zur Beobachtung der Strassen nach Zwei-
brücken, Weissenburg und Hagenau bildete ; Artillerie- und Inge-
nieurpark nebst Munitionsdepots mit je 300 Reserveschuss pro
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Geschütz befand sich bei der Hottweiler Ziegelei. L'nler dem
Schutze dieser Stellung wurden bis zum 11. .September 0 Batterien
hergestellt und mit je 300 Schuss ausgestattet : Batterie 1 mit
4 zwölfem. Kanonen nordöstlich von Beyerswoiler, am Nord-
ostrande des bewaldeten Sehimberges, 1700 m vom Südwest-
Ende der Festung, die II. Batterie mit 4 glatten sechzigpfün-
digen Mörsern an dem von Bitscb nach Beyers weiler führenden
Wege, 1800 m von Bastion I entfernt ; III., IV. und V. Batterie
mit je 4 zwölfem. Kanonen auf der Höbe (Boss»1!) zwischen
dem Reyersweiler Weg und der Saargemünder Strasse, etwa
2000 m von der Festung, VI. Batterie auch mit 4 zwölfem.
Kanonen etwa 500 m nördlich der Saargemünder Strasse am
Waldrande von Schiesseck.
Nach Fertigstellung der Batterien, die alle etwa HO m hö-
her als die Zitadelle lagen, liess Oberst Kohlermann das bevor-
stehende Bombardement der Festung und Stadt dem Komman-
danten anzeigen, mit der Gewährung freien Abzugs für die
Bürgerschaft. Oberst Theissier liess aber die von fielen beab-
sichtigte Auswanderung nicht zu.
Am 11. September, Morgens 10 Uhr, begann das Bombar-
dement der Festung aus sämtlichen 24 Geschützen, das, von
hellem Wetter begünstigt, den besten Erfolg hatte ; bald ent-
stand Feuer in der Festung, und die Festungsgeschütze, die an-
fänglich, 14 an der Zahl, kräftig antworteten, stellten, nachdem
sie etwa 800 Schuss abgegeben und 1 Geschütz der Batterie
VI mit einem Verlust von 1 Mann tot und fünf verwundet de-
montiert hatten, gegen Mittag das Feuer ein, die Belagerungs-
geschütze schwiegen erst um 11 Uhr Nachts.
Am 12. übernahm Major Zeller da< Kommando über die
Belagerungsartillerie und liess das Feuer mit allen Kräften fort-
setzen ; dasselbe wurde nur bis (J L'hr Morgens erwidert : von
da ab blieb es still auf der Festung, woraus mau schloss, dass
die Besatzung sich in die Souterrains zurückgezogen habe ; es
wurde deshalb hauptsächlich das Lager hinter dem Fort Sebastian
und von 6 Uhr Abends ab auch die Stadt beschossen. Letztere
geriet bald in Brand, der die ganze Nacht währte und unge-
fähr 70 Häuser (darunter auch das Raihaus) einäscherte.
Die Folge davon war, dass am nächsten Morgen die Bürger-
schaft um freien Abzug nachsuchte ; derselbe wurde zwar offi-
ziell versagt, trotzdem aber unter stillschweigender Duldung der
- 30 -
Belagerer von einer grossen Anzahl Bürgern ausgeführt ; etwa
die Hälfte der 2700 Seelen zählenden Zivilbevölkerung, darunter
gerade die angesehensten und reichsten, verliessen die Stadt.
Die Beschiessung wurde fortgesetzt ; am 16. wurden grosse
Fourragevorräte, die im Zangenwerke I— V auf der grossen
Rampe lagerten, in Brand geschossen, verschiedene Brände in
der Stadt verursacht und am Abend das Zeughaus und Gou-
vernement auf der Festung zerstört. Am 16. und 17. traten auch
die vier am 13. September eingetroffenen Feldgeschütze in Thä-
tigkeit, die von dem nördlich des Hoten-Stiegs gelegenen Wald-
saum 80 Granaten und dann von dem Terrain zwischen kleinen
und grossen Otterbühel 40 Granaten in die von den Stellungen
etwa 1500 m entfernte Stadt schössen. Das Feuer wurde vorn
18. ab vermindert und am 21. September ganz eingestellt. Die
Batterien wurden, nachdem die 20 gezogenen bronzenen Zwölf-
pfünder und die 4 sechzigpfündigen Mörser auf etwa 1800 m Ent-
fernung innerhalb zehn Tagen 6000 Granaten und 1100 Bomben
in die Sladt und Festung geworfen, desarmiert und die Ge-
schütze abgefahren ; am 25. September wurde auch, da eine
weitere förmliche Belagerung zu viel Material und Truppen in
Anspruch genommen hätte, die Zernierung auf Befehl des
Generalgouverneurs von Elsass, Grafen von Bismarck-Bohlen,
eingestellt ; Oberst Kohlermann rückte mit 2 Bataillonen und
der Feldartillerie ab, der Rest des Detachements (1. und 3. Ba-
taillon 8. Infanterieregiments) blieb unter Befehl des Obersten
Schrot zur Beobachtung zurück, um Beunruhigungen von Pro-
viant- und Munitionstransporten seitens der Besatzung zu ver-
hindern; die Strassen von Niederbronn und Lernberg wurden
gesperrt, indem je 1 Bataillon Barackenlager hinter dem Pfaffen-
berg und in Schwangerbach bezog, auf der Nord- und Westseite
wurde durch Patrouillen der Verkehr möglichst eingeschränkt.
Nach der vom Feinde bemerkten Verminderung der Zernier-
ungstruppen erfolgten mehrere kleine Ausfälle : am 29. nach-
mittags nach dem Freudenberger Hof, der erst nach 4 stündigem
Kampf zurückgeworfen und am nächsten Tage wiederholt
wurde ; das 8. bayrische Infanterieregiment erlitt dabei einen
Verlust von 5 Mann tot und 6 verwundet, von der Kavallerie-
abteilung (5. Chevaulegersregiment) wurde 1 Mann getötet.
Nach mehrfachen kleineren Plänkeleien wurden vom 10. Oktober
ab die Feindseligkeiten beiderseits fast gänzlich eingestellt.
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Durch «las Bombardement waren auf der Festung ;<"e ober-
irdischen Gebäude, mit Aufnahme der Kapelle, gänzlich ver-
nichtet, in der Stadt 121 Häuser ganz, 184 teilweise zerstört
worden, 135 Haushaltungen waren obdachlos, Pfarrei, Bürger-
meister und sonstige Behörden hatten die Stadt verlassen. Die
Not und Verwirrung war gross, am 23. September wurde durch
den Kommandanten ein provisorischer Gemeinderat, bestehend
aus einem Präsidenten, Stellvertreter und 1 V Beisitzern, er-
nannt; es wurde ein Hilfskomite konstituiert, das an die nächst
gelegenen Orte Aufrufe zur Unterstützung mit Kleidungsstücken,
Betten und Nahrungsmittel ergehen liess. Da dir Absperrung
vom Oktober ab nur eine sehr geringe war, und den Verkehr1
nach aussen fast ungehindert zuliess. gingen denn auch bald
von allen Seiten, insbesondere von einem Xiederbronner und Saar-
gemunder Hilfskomite, zahlreiche Filterst fitzungen ein. so dass
an 103 Personen Kleider, an 303 Bettzeug und Lebensmittel, an
107 Saatfrucht und täglich für 30 Fr. Brot verteilt werden konnte.
Die Thore wurden auf Ansuchen der Bürgerschaft von 7
Uhr morgens bis 5 Uhr nachmittags geölfnet und vorn 1. Ja-
nuar ab wurden sogar die Wochenmäi kte wie früher 2 mal
abgehalten ; eine aus 2 Kompagnien von je 80 Mann gebildete
Mobilgarde half die Ordnung in der Stadt aufrecht halten und
die Thore bewachen. Die Handhabung der Sti algei u hlsbarkeit
wurde, da die Gerichtsbehörden die Stadl verlassen hatten,
durch Erlass des Festungskommandanten vom "2*2. Oktober 1*70
dem Gendarmei iekapitän Mathieu, der regelmässig Freitags
Sitzungen abzuhalten hatte, übertragen.
Die teilweise in Eisenbahnwagen untergebrachte Besatzung
des «camp retranche» war den Unbilden des strengen Winters
sehr ausgesetzt, und das zum Militärhospital eingerichtete frühere
Augustinerkloster (College) konnte die Menge der Kr anken, ins-
besondere Typhus- und Blatternkranken, kaum fassen : für die
zahlreichen Blatternkranken wurden später Isolierräume in der
Speicherkaserne eingerichtet. Die Zivilbevölkerung, welche sich
am 1. Dezember 1870 auf 1347 Seelen belief, hatle Dank der
umsichtigen Leitung ihrer Vertretung und der reichlich von
allen Seiten zufliessenden Unterstützungen verhältnismässig wenig
zu leiden; nach einer am 1. Dezember vorgenommenen Auf-
stellung waren in der Stadt noch vorhanden :
924 Hektoliter Korn, 213 Säcke Mehl, 1-4,7;«» Hektoliter
— 32 —
Kartoffeln, 20 Ochsen, 158 Kühe, 0 Kälber, 7 Hämmel und 8
Schweine; die Weiterverproviantierung war bei der unbehinderten
Verbindung nach aussen und den erheblichen Unterstützungen
an Geld — es gingen vom 7. Oktober bis 17. April 8106 Fr.
an Baargeld ein — ohne Schwierigkeiten vorzunehmen.
Bei dem Militär trat bald Geldmangel ein, der Sold konnte
an die zahlreichen Truppen nicht mehr bezahlt werden, und
wurde deshalb anfangs November der Adjutant Mondelli nach
Tours gesandt, um Geld zu holen. Dies war inzwischen durch
den französischen Konsul in Neuchatel, auf einen Brief Theis-
sier's hin, besorgt worden ; derselbe traf am 7. November, kurz
nach der Abreise Mondelli's, mit 50,000 Fr. in Bitsch ein.
Mondelli erhielt in Tours eine Menge Auszeichnungen für die
Besatzung von Bitsch ; fast sämtliche Offiziere wurden um einen
Grad erhöht, viele erhalten Orden und Ehrenzeichen ; es wird die
Errichtung eines neuen Regiments aus dem Besatzungsbataillon
und den Flüchtlingen der verschiedenen Regimenter beschlossen,
und der seitherige Bataillonskommandant Bousquet vom 86, In-
fanterieregiment zum Oberst des neugebildeten Marsch regiments
Nr. 54 ernannt. Mondelli traf am 48. November wieder in Bitsch
ein, und es wurde sofort die Verteilung der Avancements und
Dekorationen, sowie die Formation des neuen Regiments vorge-
nommen. Dasselbe bestand aus 10 Kompagnien zu je 160 Mann
mit der verschiedenartigsten Bekleidung; aus den zahlreichen
Musikern der verschiedenen Regimenter wurde eine freilich nicht
gerade vorzügliche Regimentskapelle gebildet. Ende November
werden abermals 50,000 Fr. gesandt, zugleich mit der Aufforderung,
dass alle entbehrlichen Offiziere sich einer der Armeen im Innern
Frankreichs anschliessen sollten. Daraufhin verliessen etwa 25
Offiziere die Festung. Nach dem Abgang der Offiziere und Mann-
schaften befanden sieh Anfang Dezember noch in Bitsch:
79 Offiziere und Militärbearnte, 2800 Mann Soldaten incl.
Train (Fuhrleute, Marketender etc.), ausserdem 2 Offiziere und
106 Mann in den Spitälern.
Am 1. Februar wird der Festung der Abschluss des Waffen-
stillstandes mitgeteilt; sie verweigert die Anerkennung desselben,
da sie von ihrer vorgesetzten Behörde keine Nachricht über
denselben erhalten und sie in der ihr durch deutsche Parlamen-
täre überbrachten französischen Abschrift des Vertrages nicht
aufgeführt ist.
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— 33 —
Der Festungskommandant bittet um einen Geleitschein für
den Hauptmann Mondelli, der sich bereit erklärt hat, in Bor-
deaux Instruktionen zu holen. Oberst Kohlermann setzt sich
dieserhalb mit dem Gouverneur von Strassburg in Verbindung ;
da die Antwort lange auf sich warten lüsst, reist Mondelli am
11. Februar ohne Geleitschein ab und kommt arn 17. Februar
wohlbehalten in Bordeaux an, am 6. März kehrt er nach mehr-
fachen Verhandlungen in Bordeaux und Paris nach Büsch zurück
mit folgendem Brief des damaligen Kriegsministers, des neuer-
dings durch seine seltsamen «Enthüllungen» aus dem Jahre
1875 vielfach genannten Generals Leflo :
«Bordeaux, 19. Februar 1871. Jules Favre hat zu meinem
grössten Bedauern die durch Ihre tapfere Verteidigung doch
gewiss erwähnenswerte Festung Büsch nicht in den WafTen-
stillstandsvertrag aufgenommen ; ich habe heute an Thiers ge-
schrieben, dass Bitsch bei der nächsten Verhandlung nachträglich
möge aufgenommen werden. Ich ermächtige Sie aber, schon
jetzt die Feindseligkeiten, die, mit Rücksicht auf Ihre verlassene
Lage, doch zwecklos sind, einzustellen. Ich hülfe nicht, dass
Sie bei dem Friedensschluss die Festung werden verlassen
müssen, sollte es doch sein, so werden Sie baldigst nähere
Anweisungen erhalten. Empfangen Sie meine Glückwünsche für
die energische Verteidigung ; beglückwünschen Sie Ihre tapferen
Truppen für ihren Mut und ihre Ausdauer in so gelährlicher
Bedrängnis, beglückwünschen Sie auch die tapfere Zivilbevöl-
kerung, welche so recht gezeigt hat, dass sie französisch ist und
bleiben will. Ich ersuche Sie, mir eine Liste besonders Wür-
diger für Auszeichnungen einzureichen.»
Mondelli brachte zu gleicher Zeit, jedoch nicht offiziell,
auch die Nachricht von dem inzwischen erfolgten Friedensschluss
mit, und Theissier erliess nun am 7. März folgenden Tagesbefehl :
«Hauptmann Mondelli ist zurückgekehrt und hat einen
Brief des Kriegsministers überbracht, durch welchen derselbe
mich beauftragt, die Garnison in seinem Namen zu beglück-
wünschen für ihren Mut, ihre Ausdauer und Ergebenheit.
«Die Friedenspräliminarien sind von der Nationalversamm-
lung angenommen worden, nach welchen der von uns besetzte
Platz abgetreten ist, die Uebergabe steht demnach in nächster
Zeit zu erwarten. Bald werden wir uns inmitten unserer Waf-
fengenossen im Innern befinden und wir können uns stolz
3
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— 34 —
zeigen, uns hei dem allgemeinen Unglück des Vaterlandes bis
zum Ende des Krieges gut gehalten zu haben, ohne uns durch
den Fall so vieler Festungen entmutigen zu lassen. Die eigent-
lichen Verteidigungsarbeiten werden von heute ab aufhören und
es werden nur noch zu den dringendsten Unterhaltungsarbeiten
Arbeiter kommandiert werden. Von jetzt ab wird die Portion Reis
von 40 auf 00 Gramm und die Ration Heu auf 2 Kilo erhöht.»
Am 0. März liess der Oberst Kohlermann dem Komman-
danten folgendes von dem Gouverneur in Strassburg, Grafen
von Rismarck-Bohlen, eingegangene Telegramm mitteilen :
«Nachdem Bitsch, gemäss Art. 1 des Friedensvertrags, an
Deutschland abgetreten wurde, ist der Platzkommandant auf
Refehl des Grafen Moltke sofort aufzufordern, es zu räumen
und auf dem kürzesten Wege mit seinen Truppen das deutsche
Gebiet zu verlassen; der Train kann später verladen werden.
Die Ausführung kann nicht aus Mangel an Waggons durch den
Kommandanten verzögert werden.»
Der Platzkommandant antwortete hierauf, dass er ohne
offizielle Mitteilung des Friedensschlusses und direkter Anwei-
sung seiner Regierung die Festung nicht verlassen könne und
bat zugleich um Vermittlung zweier Depeschen an den Kriegs-
minister in Bordeaux und Paris, durch welche er um Vor-
Schriften ersuchte.
Unterdessen wurde alles zum Abmarsch vorbereite!, die
Geschütze wurden zum Bahnhof geschafft, die nicht brauchbaren
Waffen und Lebensmittel verkauft, die Verteidigungswerke und
Gebäudetrümmer auf der Festung zerstört und von der Zivil-
bevölkerung Abschied genommen.
Dieser erhielt eine besondere Weihe durch Uebergabe einer
Fahne : am 9. März hatte der Gemeinderat einstimmig beschlossen,
der Garnison eine Fahne mit der Aufschrift : «La ville de Bitche
ä ses defenseurs, 8 Aoüt 1870—12 Mars 1871» zu stiften; es
wurden zu diesem Zwecke 50 Fr. bewilligt und die sofortige
Anfertigung verfügt, «da der Abmarsch stündlich zu erwarten ist».
Am 15. wurde die Fahne von Delegierten der Stadt auf dem
«camp retranche» dem Kommandanten überreicht; alle Truppen
wohnen dem feierlichen Akt in Paradeaufstellung bei und defi-
lieren nachher vor den Vertretern der Stadt in folgender Reihe-
folge: Artillerie, Gendarmerie, 54. Infanterieregiment, Tirailleurs,
lnfirmiers, Douaniers, Kavallerie, Train des equipages.
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-- :r» -
An demselben Tage wir«! dem Kommandanten vnn einem
Damenkomite ans Niederbrenn cm Lorbeerkranz üherbracht.
Da die von «Inn K rir^rsnii nisi«;.T erwarteten Befehle ;ms-
hleiben, reist Hauptmann Moudelh am IS. Marz abermals nach
Paris, das er aber bereits von der Kommune besetzt hndet.
Am 22. März war die Festung trotz w 'iedei hoher Aullordenm-.
noch nicht geräumt, und als der Kommandant selbst dann noch
2ögerte, als ihm eröllnet wurde, lautere Weigerung würde als
Besitzergreifun- deutschen Gebietes betrachlet werden, rüstete
man sich, unter Heranziehung von Yei-tarknn j aus Hagenau,
zu einer neuen He.M-hie— un-
Angesichts der Verstärkungen und Vorbereitungen eine-
neuen Bombardement eutschlo» >ii-b I hei-aei , um weitere
unnütze Zerstörung und Mlutvei-io-seu zu \ei hüten, zur l.'eber-
gäbe, und nach längeren \ ei 'hanuluugen kam am Abend des
23. März zwi-chen Oberst Koblei mann und Komtn.md int
Theissier folgende Konvention zustande:
1. Die Garnison ru< kt mit .dien Kne-selit'en. Walleu und
Fahnen, die Artillerie mit allen Foldge-ehuizen ab.
2. Ueber lMag.erungsmatenal und Krieg-munitiun wird
ein doppeltes Inventai mm gefertigt,
3. Ebenso wird ein ln\entar über das Yei wall ungsuiatej aal
aufgenommen.
4. Das in Art. - und erwähnte Material wir« l dem Kom-
mandanten der deutschen Truppen übergehen.
5. Die Festuugsarebive. mit Au>nahme der ej-enen Re-
gister des Kommandanten, werden zune k_ei issen .
6. Die Douaniei-s werden entwatlue! und frei u, ihre Hei mal
entlassen.
7. Die Kantmier-, die aut gewöhuln hem Wi-v abnagen
wollen, erhalten vom IMatzkommandanten einen Geleit, [|lM1]
visiert durch die doiits. he Oherhehürde.
8. Der Plalzkomman lau! bleib« naeli dem Abmarsch der
Truppen zur Yertüguug der deutschen ( »her heim nie hi> zur
definitiven Auseinandersetzung; er \ ei -prlmbte! sj.-h ,oj[ Khren-
wort, die Festung ebne KHauhn:- nicht zu \ erh -n .
9. Die Truppen werden mit inien Pferden und duvm Go-
päck durch die Eisenbahn bei. >rd-rt .
40. Das in Putsch zui ückgolas-eue Gep.'h w der < illi/en e de-
I. und V. Korp.- wird sp.'iter nach einen, m-i 1) anzugehenden
- 36
Orte Frankreichs gesandt werden, 2 Unteroffiziere bleiben zu
seiner Bewachung und späteren Versendung unter ihrer Verant-
wortlichkeit zurück.
11. Die Ambulanzwagen gehen mit den Truppen.
Tags darauf erliess der Kommandant einen Tagesbefehl, in
welchem er den Abmarsch für den nächsten Tag anordnet und
Abschied nimmt von den Truppen; derselbe endet mit den
Worten: «Später wird jeder von uns stolz sein, sagen zu können:
«ich gehörte zu der Garnison von Bitsch». Die uns von den
Einwohnern Bitschs geschenkte Fahne fasst diesen Gedanken
zusammen und ich wünsche jedes Korps könne eine solche tragen.
Tapfere Kameraden : Ich drücke jedem von Euch die Hand
und sage «Auf Wiedersehen».
Am 25. März marschierte die Garnison noch etwa 2500
Mann stark mit klingendem * Spiel und wehenden Fahnen,
unter Begleitung der Bitscher Garde nationale und Garde mo-
bile durch das Strassburgerthor nach dem Bahnhof, wo sie ein-
geladen und auf der am 23. wiederhergestellten Bahnstrecke
Bannstein-Lemberg weiter befördert wurde.
Am 20. erfolgte, nachdem die letzten französischen Solda-
ten die Festung verlassen, durch das Pfalzburger Thor der
Einzug der bayr. Zemierungstruppen ; der Bürgermeistereiver-
walter Lamberton und ein Geistlicher gingen denselben bis zum
Rotenstieg (etwa 2 Kilometer von Bitsch) entgegen, während
am Thore der Festungskommandant an Oberst Kohlermann die
Schlüssel der Festung übergab.
Tags vorher hatte der Bürgermeisterei Verwalter folgenden
Brief an den Obersten Kohlermann gerichtet : «Angeschlossen
beehre ich mich, eine in der Stadt veröffentliche Polizei Verord-
nung zu übersenden. Sollten unglücklicherweise doch verein-
zelte Feindseligkeiten vorkommen, so gebe ich mich der Hoff-
nung hin, dass Ihr Gerechtigkeitssinn dieselben nicht der
Stadt oder deren Verwaltung anrechnet, welche augenblicklich
ohne Machtmittel ist. Wenn Sie zur Verhütung jeglicher Unord-
nung Massregeln für notwendig erachten, können Sie auf die
Unterstützung der Ortsbehörde rechnen. Sie würden mich sehr
verbinden, wenn Sie die Güte haben wollten, mir die Anzahl
der notwendigen Offiziersijuartiere mitzuteilen.»
Die angeführte Polizeiverordnung lautete :
«Die Einwohner werden benachrichtigt, dass die deutschen
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— 37 —
Truppen binnem Kurzem in unsere Stadt einziehen werden,
einige Offiziere zur Abwickelung von Geschäften sogar heute
noch. Die Stadtbehörde fordert die Einwohner auf, keinerlei
feindliche Demonstrationen zu machen, die Kinder in den Häu-
sern zu halten und den Jungens zu verbieten, irgend welche
Rufe auszustossen, welche von den deutschen Truppen übel auf-
genommen werden könnten. Uebertretungen werden streng be-
straft, und sind die Eltern für ihre Kinder verantwortlich.»
Dank dieser Massnahmen erfolgte der Einzug ohne jeden
Zwischenfall und Bitsch war nunmehr, nachdem es etwas über
100 Jahre (seit 1766) französisch gewesen, wieder dem deutschen
Reiche einverleibt.
Tbeissier verliess am 31. März Bitsch und am 2. April
wurde die bayrische Besatzung durch ein Bataillon vom 7. bran-
denburgischen Infanterie-Regiment Nr. 60 abgelöst, das mit kurzer
Unterbrechung, während welcher einem Wachtkommando der
Schutz der Festung anvertraut war, bis zum 1. April 1897 in
Bitsch verblieb und durch das neugebildete Inf.- Reg. 171 ersetzt
wurde; letzteres tauschte am 1. April 1901 die Garnison Colmar
mit den Jägerbataillonen IV und X.
Die Belagerung hatte für die bayrischen Zernierungslrup-
pen einen Verlust von 19 Mann tot (beerdigt auf den Kirch-
höfen von Reyersweiler und Schorbach und in einem Massen-
grab auf der Schorbacher Höhe), 3 Offizieren und 59 Mann
verwundet, zu Folge; ausserdem verlor das 5. preuss. Drago-
nerregiment bei einer Rekognoszierung 4 Mann (beerdigt auf
dem Kirchhof zu Haspelscheidt). Die Verluste der Besatzung
lassen sich nicht genau bestimmen : in der Stadt verstarben 93
Soldaten — dieselben sind mit Ausnahme von 6 bei dem Aus-
fall am 4. September Gefallenen an der Weiherkapelle und in
dem Garten des früheren Hospiz St. Joseph, jetzt Stumm'schen
Hauses in der Vorstadt beerdigt, — die auf der Festung Gefal-
lenen wurden auch auf der Festung registriert und begraben,
so dass man deren Zahl in der Stadt nicht erfuhr. Von dem
auf der Festung garnisonierenden 86. Infanterie-Regiment ver-
starben in den Spitälern 21, die anderen 72 gehörten den ver-
schiedensten Regimentern an: dem 17., 27., 30., 46., 68., 84.,
SS. und 96. Infanterieregiment, dem 4., 9. und 16. Jäger-Ba-
taillon, dem 1. algerischen Tirailleurregiment, dem 2. Zuaven-
P%egiment, 1. Genie-Regiment, 2., 10., 14. und 20. Artillerie-
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— 38 —
Regiment, 3. und 5. Husaren-Regiment und dem Douanier-
korps. Von der Zivilbevölkerung waren während des Bombar-
dements G getötet worden; an Material war durch die Be-
schiessung zerstört worden, beziehungsweise an Entschädigung
wurde bezahlt : für 124 vollständig zerstörte Gebäude 4,308,246
Fr., für 184 teilweise zerstörte Gebäude 78,860 Fr., für Mobi-
liarschäd«n 4,279,245 Fr., im Ganzen 2,666,324 Fr. Zur Lin-
derung der Not erschien am 44. April 4874 ein Not-Ruf, der
allseitig Gehör fand und rasch grosse Summen zusammenbrachte.
Da die Entschädigungen reichlich aus Staatsmitteln bezahlt
wurden, fanden die Gelder keine Verwendung : sie werden
heule, in Höhe von etwa 60,000 Mk., durch die Kreisdirektion
in Saargemünd als Bitscher Fonds verwaltet und zum Besten
der Landwirte des Kreises verwandt.
Mit den Aufräumungsarbeiten an den Festungswerken wurde
bereits am 22. Mai begonnen, und dafür in kurzer Zeit die
Summe von 25,158 Mk. verausgabt; aber erst am 25. Februar
4872 wurde durch kriegsministerielle Verfügung unter Aufgabe
der Stadtbefestigung und Airtreten derselben an die Stadtver-
waltung um 44,370 Mk. die Erhaltung resp. Wiederherstellung
der Schlossbefestigung als Sperrfort er Eisenbahn Hagenau-
Saargemünd verfügt.
Seit dieser Zeit wurden viele bauliche Veränderungen vor-
genommen und die Festungswerke den Anforderungen der Neu-
zeit angepasst. Möge denselben in die weite Zukunft versagt
sein, ihre Tüchtigkeit im Ernstfalle zu erproben •
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Anhang: Die l iiigehuiig.
(R: auch schöne k'.wll. Uivn : .lif ^..-|-- i i* !i •.:.-.;>. i irt, - 1 i •- i. ni .1 1 1 ■ I: • -
1 . Naclimitta^sausllii^c.
1. F r i e d r i c Ii s h a i 11 J<> M min 01t westl.
2. Schimberir Stil. si'uiwe-t
3. Schöne Aussicht — Ji a i »• r n <l 0 u k in ,1 1 l-'rew<l-a;iiTurer-
hof (Wirtschaft; - IÜt>oh lJ', Si-I. imnlw^tl.
4. Rothlaniluielithal - W'm 1 1 - s r j , 1 11 <• 1 1 T - [kuennieuknial
Freudenberg-erhct — Uitsch 2 x st.J.
R. 5. Forst hau> OcliTiiinüblr < Wirtschaft! 1 >l<l innall.
6. Forsthau> < »chsenmuhle - • > <■ !i ,.> r La eh - !i •". r: Au-^ichf
— Bitsch 2.V* Si.l.
7. Forsthans Neubai: h - Wassert':! II — Wul.aclit lial — Ii w in-'-
mühle — Forsthaus * »<-hson m üli lo - llii^-li ■_> : , Sr.l
8. — Pr e u > s e !t - r. i ii jn Minuiin n .. r.l.'.^t I .
9. Ochsenniiihle Hun-]>k:...pf - lYeiis-eitH -1:1 • Fit-ch l >til.
10. Preussrustein II 1 1 1 1 1 1 > U - ^ > f 1 ] I u 1 r Li im 1 Ii ■ > Ii I ■ — A I t e -
SchloRS — Haspolseheidi — Iüim'Ii > t ■ I .
R. 11. Hei-/. 0 1;' > k ü r p (> r i' Stil w < ■ m 1
12. He r z 0 u s b 1 i c k 2] U Si :[
13. Schönblick _>'/; Si.l. rot.^ fi u o>il.
14. Bahnfahl 1 Bannst i a 1 I Minuten . W-i-rhat' . a W a 1 .1-
eck s/4 Stil. (uTÜnes rj ; b. Ha na n <• r W e i Ii e r s s >hl. il-lnu.-
f)i C. Mutter ha usen :\'; >t«l. : .1. Hanau. t W. •iiier - Fall,"!, stein
— Philippsbm l>i;l- Stil.
15. Bahnfahrt: P Ii i 1 i p p - I. u r i: l'l' Minuten, a. Falken-
Stein 1 Stil. ; b. Amslier-; P; mL aMirr >nvli ^ e. Faren-
t ha 1-R a m st ei n I St.l. (wei-ser strich;,
16. Xiedeilu uiiii :;i Minuten Pahntalirt ...Villa Matliiv.
17. Hasselfurt fi Weiher J , Snl. -ai!l.
18. Hasselfuncr Weihe,- H . - c* m k ■ • | -. i" - >i l-r. .nn ■- Fii-eh
2i/s Std.
— 40 —
19. Hochkopf - Bollig fe Isen — Bannstein 2»/» Std.
20. Hasselfurter Weiher - Grünholz — Hochkopf - Bitsch
2»|, Std.
21. Hochkopf — Dürrberg — Lindel — Bannstein 3 Std.
R. 22. Wolfsgarten — Peterphilippsgarten — Bitscherthal —
Mntter hausen — Lindel — Bannstein 3 Std.
23. Hubertus quelle ll/s Std. (weisses f) südwestl.
24. Bahnfahrt: Lemberg 13 Minuten a. Hubertusquelle */* Std.;
b. Götzenbrück 1Ji Std.; c. Münzthal '/2 St.; d. Meisen-
thal VU Std. ; e. Breitenstein 1 Std.; f. Mutterhausen l^s Std.
R. 25. Hanweiler — Bussweiler — Eber bachmti hie — , Haspel-
scheidt — Bitsch 4 Std.
26. Hagenauer Strasse — Dambachersträsschen — Waldbahnhof
(Wirtschaft; — Stürzelbronnerstrasse — Barackenlager — Bitsch 2 Std.
II. Tagestouren.
R. 1. Hauweiler — Bussweiler — Waldhausen — Waise li-
fo r o n n — Breidenbach — Neubach — Bitsch 5 Std.
2. Haspelscheidt — E pp e n b ro n n e rf el sen s chlo s s —
Eppenbronn — Stüdenbach — Herzogsblick — Bitsch 7 Std.
3. Herzogsblick — Erlenmuss — Stürzeibronn — Erbsenthal
— Glasbronn — Schönblick — Bitsch 61/* Std.
R. 4. Stürzelbronn — Lützelhardt — Obersteinbach — Jäger-
thal — Niederbronn — Bitsch 8 Std. i/a Std. Bahnfahrt.
R. 5. Stürzelbronn — Lützelhardt — Schöneck — Dambach —
Neunhofen — Stürzelbronn — Bitsch 8»/« Std.
6. Stürzeibronn — Steinbach — Frönsburgerhof (Wagen) —
Fleckenstein — Hohenburg — Wegeinburg — Schönau — Wasigen-
stein — Obersteinbach (von hier Wagen) — Stürzeibronn — Bitsch
5 Std. Wagenfahrt, 3'/s Std. Fassmarsch.
7. Bannstein — Waldeck — Sohönblick — Herzogskörper —
Herzogsblick — Bitsch (rotes Kreuz) 14 Min. Bahnfahrt, 5»/* Std.
Marsch.
8. Bannstein — Mutterhausen (Bahnfahrt) — Melch — Reiperts-
weiler — Lichtenberg — Reipertsweiler — Kundschaft (Wirtschaft)
— Bannstein 3/4 Std. Bahnfahrt, 6 Std. Marsch.
9. Philippsburg — Raine Arnsberg — Unter-Mühlthal — Bären-
thal — Philippsburg — Bitsch ty4 Std. Bahnfahrt, 3*/* Std. Marsch.
10. Philippsburg — Ruine Hohenfels — Dambach — Ruine
Schöneck — Neunhofen - Philippsburg — Bitsch »/4 Std. Bahn-
fahrt, 4>/* Std. Marsch.
11. Philippsburg — Hohwintcrsberg — Keltisches Lager —
Niederbronn - Bitsch 1 Std. Bahnfahrt, 3»/, Std. Marsch.
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— 41 —
12. Philippsburg* — Ruine Arnsberg — Holdereck — Wasen-
köpfel — Wasenburg - Niederbronn - Bitsch 1 Std. Bahnfahrt,
4'|a Std. Marsch.
13. Lemberg — Münzthal — Meisenthal — Götzenbrück —
Lemberg — Bitsch Vi Std. Bahnfahrt, 3 Std. Marsch.
14. Lemberg — Götzenbrück — Saareinsberg — Althorn —
Habelthal — Mutterhausen — Bannstein s/4 Std. Bahnfahrt, 3 Std.
Marsch.
Arnsberg. Ruine Gross-Arnsberg 1 Std. südl. v. Philippsburg
in tiefster Waldeseinsamkeit versteckt. Im XII. Jahrhdrt. als Reichs-
veste zum Schutz der aus dem Elsass nach Lothringen führenden
Strasse durch die Landvögte des Elsass erbaut; von 1332 ab den
Herren v. Lichtenberg gehörig, später als Lehen den Herren Fessler
v. Arnsburg überlassen, im Bauernkrieg zerstört. Jetzt nur noch
geringe Trümmer erhalten, die am Südende zugänglich.
Baierndenkmal. 40 Minuten nordwestl. Sammelgrabstätte der
bei der Belagerung gefallenen Baiern, 19 an der Zahl, geschmückt
mit einfachem, am 5. IX. 1886 eingeweihten Kreuz; steiler, aber
anssichtsreicher Weg über «schöne Aussicht», oder bequemer, aber
weiter (5|4 Std.) durch das Rotlambachthal.
Bärenthal. Dorf. 1036 E. 1 Std. südl. der Stationen Bannstein und
Philippsburg in lieblichem Waldthal gelegen; gute Verpflegung
<Fische!) im Gasthaus zur Linde.
An dem fischreichen, grossen Weiher ein Stahl- und Eisenwerk
gegründet um 1700, seit 1818 der Firma Coulaux & Cic. gehörig;
1896 mit einem Siemensofen neuester Konstruktion für Tiegelguss-
stahl ausgestattet, 60 Arbeiter. Früher Treff- und Rastort der
Zigeuner («Heiden»). Vi Std. nördl. : Ruine Ramstein (Rabenstein),
wenige Reste eines Ende des XIII. Jahrhunderts erbauten und be-
reits 1335 durch den Landvogt von Elsass zerstörten Raubschlosses;
von dem durch den V.-C. zugänglich gemachten Fels-Plateau schöner
Blick auf Bärenthal und das Zinselthai.
Bannstein. 8 Kil. südustl. von Bitsch. Haltestelle und Einmünd-
ung der von Dietrich'schen Privatbahn in die Reichseisenbahnlinie.
Wirtschaft. Ausgangspunkt einer Reihe schöner Waldtouren. Be-
nannt von den in der Nähe befindlichen Grenzsteinen, welche 1605
zur Abgrenzung lothringischer und hanauischer Besitzungen errichtet
wurden. 2 Kil. westl Bolligfelsen, genannt nach dem um die Auf-
schliessung der Naturschönheiten der Bitscher WTälder hochver-
dienten Forstrat Bollig. Clubhütte ties V.-C. mit prächtigem Rund-
blick auf die herrlichen Waldungen.
Bitsch, (zu den Büschen?) die Stadt, 286 m, also 80 m unter-
halb der Festung gelegen. 3640 Einwohner, einschliesslich 1300
Mann Militär.
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Sitz eines Amtsgerichts mit Gefängnis (Neubau), Notar, Poli-
zeikommisssir, :i Oberförstereien (Bitsch-Süd, Bitsch-Nord. Lemberg),
Verkehrssteueramt, Stcuerkasse, Steaereinnehmerei, Apotheke, vier
Aerzte, Spital St. Joseph mit 27 Betten, katholische and evangelische
Pfarrei mit je einer Kirche, bischöfl. Gymnasium (College), höhere
Töchterschule der Schwestern der heiligen Christiana in Metz,
Garnisonverwaltung, Fortifikation, Filial-Artilleriedepot, Komman-
dantur, Garnison des IV. und X. Jägerbataillons, sowie der Ma-
schinengewehrabteilung II. und III , Meldeamt, Postamt II {Um-
wandlung in I bevorstehend). Hotel zur Stadt Metz und Hotel
Bournique-Aust, beide verbunden mit guten Bierrestaurationen, in
letzterem Clubzimmer der V.-C. Sektion.
Das älteste Gebäude ist die bereits l.'MS als Katharinenkapelle
erwähnte «Weiherkapelle» am Lemberger Thor mit alten Stein-
skulpturen und den Inschriften lölö und 10*>.X. Katholische Kirche
1774 (Turm 1W»S), evangelische 1NS1 erbaut.1 Die um lSöO angelegte
Stadtbefestigung wurde 1*72 aufgegeben; die Thore wurden: Saar-
gemünderl Lemberger Landauer 1*100 abgerissen, die Wälle
teilweise niedergelegt. Im Ramsteiner Wäldchen am aufgegebenen
Fort Sebastian schöne Spaziergänge. In der Nähe der katholischen
Kirche auf dem Platz, wo das alte, 1870 zerstörte Rathaus stand,
Büste Kaiser Wilhelm I, die bereits im Herbst 1WS als erstes Denk-
mal des grossen Kaisers eingeweiht wurde.
Die Stadt Bitsch entstand aus den beiden Orten Kaltenhausen
und Rohr. Kaltenhausen wird Mitte des XIV. Jahrhunderts zum
ersten mal erwähnt, hatte 1442 bereits Marktrechte und heisst
lf>()4 une villette, «une espece de \ille».
16M wird es von den Schweden verbrannt, erst 1002 allmählich
wieder aufgebaut und nun auch Bitsch genannt und selbständige
Mairie, während es früher von der Maine Schorbach abhängig war.
Es gehörte, wie die Festung, den Grafen von Zweibrücken-Bitsch
und kam nach deren Aussterben 1Ö70 an den Herzog von Loth-
ringen, lös'.»— 1000 war es au Markgraf Jakob von Baden bezie-
hungsweise Graf Karl von Hohenzollern verpfändet und letzterer
war häutig mit seiner Familie hier und Umgegend um «der Sau-
hatz und Hochwildjagd» obzuliegen. Er erliess l.VJS verschiedene
Zunftordnungen, 1000 eine Marktordnung und 1G01 eine Stadtordnung.
10O0 fiel B. an Lothringen zurück, wurde 10.U-109S von den
Franzosen besetzt und l'CM respektive 1700 mit Lothringen an
Frankreich abgetreten. Kaltenhausen «das Städtchen» bildete mit
1 In der kathol. Kirche ein Marmor-Denkmal des Grafen vo«
Bombelles. 1740-1700 Gouverneur der Grafschaft Bitsch später
provinciae»). Siehe oben p. !.">.
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— 13 —
Rohr «der Vorstadt», Schorbach, Lengisheim, Hanweiler und Reg-
gisweiler die Mairie Schorbach bis 1611. 1611 prevote Kaltenhausen.
1751 Bailliage ßitsch 55 Orte mit 55.585 Einwohnern. 1790 Dist-
riktshauptort mit 6 Kantonen: Bitsch, Saarunion, Breidenbach, Lem-
berg, Rohrbach und Wolmünster. 1801 Friedensgericht. Das städti-
sche Budget betrug 1595: 85 fl. 8 Batzen (bei 198 Einwohnern),
1626: 293 fl. (400 Einwohner;, 1662: 53 fl., 1770: 6910 Frk. (2200
Einwohner), 1850: 9703 Frk. (3411 Einwohner), 1894 : 50.000 Mark.
2846 Einwohner), 1902 : 70.000 Mk. (3640 Einwohner).
Die Haupteinnahmequelle bildet das 1741 eingeführte Oktroi,
das anfänglich 5500 Frk. einbrachte (1850: 7270 Frk.), jetzt 25—
30.000 Mark.
1629 wurden von den Kircheneinkünften 1500 Frk. den in
Kaltenhausen lebenden Kapuzinermönchen überwiesen zum Ankauf
eines Hauses ; das Kloster — heutige College — wurde erst 1651
zwischen Kaltenhausen und Rohr erbaut, 1725 in Augustinerkloster
umgewandelt und 1789 aufgehoben bei einem Bestand von 9 geist-
lichen und 4 weltlichen Insassen. Die Gebäulichkeiten erhielt die •
Stadt, welche dieselben dem Bischof von Metz 182s zur Unter-
bringung eines Gymnasiums überliess, die Stadt zahlt ausserdem
640 Mk. für einen Lehrer und hat dafür das Recht 8 Freistellen zu
besetzen. Die Anstalt hat jetzt 17 Lehrer und 300 Schüler.
1691 wurde das Wasser einer 2 Kil. südwestl. am Schimberghang
befindlichen Quelle in den Stadtbrunnen geleitet. Diese Leitung wurde
1889 mit einem Kostenaufwand von 32000 Mk. weiter ausgedehnt.
1900 wurde elektrische Beleuchtung eingeführt und dafür der
Betrag von 70000 Mk. ausgegeben.
Die Stadt besitzt 260 Hektar Wald, vom Staat zur Ablösung
verschiedener Berechtigungen Mitte des vorigen Jahrhunderts über-
wiesen, mit einem Reinertrag von etwa 3 000 Mk.
Dienstag und Freitag finden Wochenmärkte (Marktordnung von
1600), ausserdem 4 Krammärkte seit 1443 resp. 1721 statt.
Die Garnison ist teils in den 1872 wieder aufgebauten Kasernen
der Festung (2 Kompagnien), teils in der 1894 neuerbauten Kaserne
am Ostansgang der Stadt (2 Kompagnien), teils in der 1898 erbauten
und nach dem 1899 f General von Falkenstein benannten, am
Nordausgang gelegenen Kaserne (1 Bat.) untergebracht; in der
Nähe der letzteren befindet sich auch das 1898 eröffnete Offizierkasino.
Das Stadtwappen zeigt zwei nach rechts und links gedrehte
Schlangenköpfe auf Silber mit den auf die Unbezwinglichkeit der
Feste hindeutenden Devisen: qui s'y frotte. s'y pique und je mords
derriere, comrae devant.
Von B. gehen Fahrposten nach Stürzelbronn, Haspelscheidt,
Walschbronn, Breidenbach und Wolmünster.
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Bitsch. Uebungs platz bei Bitsch, 1 Eil. östlich der Stadt begin-
nend, umfasst rund 3285 Hektar, die in den Jahren 1900 und 1901
teils durch freiwillige Käufe, teils durch Enteignung seitens der
Militärverwaltung um 7 215 000 Mk. erworben wurden und zwar
490 Hektar Privatländereien auf dem Banne von Bitsch für 1 100000
Mk., 295 Hektar auf dem Banne von Haspelscheidt für (515 000 Mk.
und 2500 Hektar Staatswald auf verschiedenen Bannen für 51/*
Millionen Mark.
Die grösste Ausdehnung beträgt von Süd-West nach Nord-West
9 Kil., von West nach Ost 8 Kil. Der Staatswald soll bis zum Jahre
1911 abgeholzt werden; zur besseren Abführung des Holzes ist
vom Bahnwärterhaus No. lti der Reichseisenbahn Bitsch-Niederbronn
eine Waldbahn gebaut, die bis jetzt 18 Kil. Länge umfasst.
Für die Unterkunft der Truppen sind vorläufig in nächster
Nähe der Stadt, südöstl., Wellblechbaracken mit einer Belegung* -
fähigkeit von 3500 Mann und 100 Offizieren gebaut, die in den
nächsten Jahre auf den Uebungsplatz 3 Kil. östl. von Bitsch an die
Stürzclbronner Strasse verlegt werden.
Am westl. Ende des Uebungsplatzes wurden im Winter 1901
3 Magnesit- und 2 Asbestbaracken für Offiziere gebaut und bereits
am 1. April bezogen; dieselben kosteten rund 100000 Mk. und haben
sich bis jetzt sehr gut bewährt. In der Nähe dieser Baracken :
Preussenstein, ein im Jahre 1893 von der V.-C.-Sektion Bitsch
den beim Sturme auf Bitsch am 17. XI. 1793 gefallenen und hier
beerdigten Preussen errichteter Gedenkstein. Siehe oben p. 20.
Eppenbronner Felsenschloss. 1 Std. nordöstl. von Haspelscheidt,
Ms Std. südlich von Eppenbronn. Riesige Felsengrnppe aus buntem
Sandstein inmitten herrlichsten Buchenhochwaldes nahe der Pfälzer-
lothring. Grenze. 20—25 Meter hoch, mit vielen tropf steinartigeu
Gebilden, teilweise durch Leitern zugänglich.
Ueberreste von Mauerwerk machen die Verwendung des natür-
lichen Bollwerks zu einer Befestigung behufs Schutz der nahe vor-
beiführenden «Römerstrasse» wahrscheinlich.
An dieser Strasse sollen sich einige Minuten nördlich des
Schlosses in eine Felsenwand eingehauen drei Figuren in römischer
Gewandung befinden.
Falkenstein, Ruine. 350 m hoch, *'4 Std. nordwestl. der Station
Philippsburg. In Philippsburg: Wirtschaft Schreiber. Am Fuss des
Falkenstein: gute Wirtschaft im Forsthaus Schlossberg.
Die Burg war teils in, teils auf einem 117 Meter langen, 22
Meter hohen und 2 — 10 breiten Sandsteinfels gebaut; sie ist überall
zugänglich und bietet von der höchsten Spitze einen grossartigen
Rundblick auf die Waldkuppen der Nordvogesen und die pfälzischen
Berge. Aufstellung einer Orientierungstafel ist im Werke.
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Der Fuss des Felsens zeigt auf der Südseite merkwürdige
Formen, über dem Eingang zum Keller (mit einiger Phantasie) den
deutschen Reichsadler. F. wurde im XII. Jahrhundert von den Grafen
von Lützelburg erbaut und dann von den in der elsässischen und
pfälzischen Geschichte vielfach genannten Herren von Falkenstein
bewohnt. 1564 wurde es nebst allen Gerechtsamen an den Grafen
Philipp IV. von Hanau-Lichtenberg verkauft; die Burg selbst war
damals schon durch Blitz zerstört und Graf Philipp baute ein neues
Jagdschloss im Thal: Philippsburg genannt. F. wurde zur Förster-
wohnung eingerichtet, aber 1623 durch Mannsfeld und 1677 durch
Montclar gründlich verwüstet.
F. kam mit dem Amt Lemberg (Pfalz) ebenso wie Philippsburg
und Bärenthal 1736 an Hessen-Darmstadt und erst 1793 an Frankreich.
Friedrichshain, 20 Minuten westlich von Bitsch; durch den
V.-C. hergerichteter Aussichtspunkt auf dem Galgenberg, der alten
Gerichtsstätte des Amtes Bitsch, mit schönem Blick auf Stadt und
Festung. Das felsige Plateau ist im Frühjahr von blauen Anemonen
bedeckt.
Das südliche Thal («Milchenbach») war am 4. IX. 1870 der
Kampfplatz eines vergeblich versuchten Ausfalles.
Freudenberger Hof, 40 Minuten westlich von Bitsch; grosser
Oekonomiehof mit im Sommer viel besuchter Gartenwirtschaft. 1755
zum ersten mal als cense de Roshcell dite Freydenberg erwähnt.
Anfangs September 1870 Hauptquartier der Belagerungstruppen
mit Schiessscharten zur Verteidigung eingerichtet. Nach Aufgabe
der eigentlichen Belagerung wurde es am 2. X. 1870 von Bitscher
Aasfalltruppen in Brand gesteckt. 10 Minuten nördlich davon
Baiern grab.
Gbtzenbrück, »ff Std. südlich von Lemberg. 883 Einwohner.
Von der Strasse Lemberg-Götzenbrück links prächtiger Blick auf
das Zinselthai. 1721 als Glashütte an der Gatter- (Holzgeflechl-)
brücke gegründet, jetzt eine der grössten Brillenglasschleifereien
mit Niederlagen in New-York, Paris, London, Genf und Chaux-de-
Fonds, beschäftigt 1000 Arbeiter und fertigt jährlich etwa 100 000
Gross ührengläser und 360 000 Dutzend Paare Brillengläser ; es
liefert jährlich für 100000 Mk. Brillengläser nach Rathenow, die
dort gefasst und als die berühmten Rathenower Gläser in die Welt
gehen.
Mit G. zusammengebaut, aber eine besondere Gemeinde bildend
von 1503 Einwohner.
Saareinsberg. Wirtschaft Lausecker (guter Wein). 1746 als
Montroyal gegründet, wurde es in der Revolutionszeit in Saar-
Rheinsberg (Wasserscheide von Saar und Rhein) umgetauft, wird
aber von der Landbevölkerung heute noch allgemein Königsberg
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- 4(3
genannt. Vs Std. weiter südlich an der elsässischen Greuze Zwölf
Apostelstein, früher Breitenstein genannt : ein 3> /* m hoher
Steinpfeiler von über 4 m Umfang; er wird bereits 71.'$ als lata
petra erwähnt und auch in der Grenzbeschreibung der Herrschaft
Bitseh von 1170 genannt. Wahrscheinlich keltischer Opferstein.
Ende des XVIII. Jahrhunderts mit den Bildern der 12 Apostel ge-
schmückt und seit dieser Zeit 12 Apostelstein benannt. 10 Minuten
vorher an Forsthaus Colonne der Spitzenstein, etwa 3 m
hoch und 0,30 breit, wahrscheinlich auch ein alter Opferstein. 10
Minuten südwestl. Drei Peter Steine, wo früher die Gebiete von
Bitsch, Lichtenberg und Lützelstein zusammenstiessen.
Hanauer Weiher, »/s Std. nordöstlich von der Station Bann-
stein (blaues f), wenige Schritte östlich der Hananerstrasse, so
genannt von der lt>0"> hier gezogenen Grenze zwischen Lothringen
und Hanau-Lichtenberg. SU m hohe Grenzsteine (Bannsteine, davon
der Name der Station mit dem Lothringer Doppelkreuz und den
hanauischen 3 Sparren.
Vom südlichen Ende des IS Hektar grossen Weihers, wo Tische
und Bänke, prächtiger Blick auf Waldeck und die eigentümlich ge-
formten, turmähulichen Kautel- und Erbsenfelsen : ein herrliches
Waldidyll ! Einige Meter südlich wurde neuerdings vom V.-C eine
gute Quelle gefasst Nach Kuine Falkenstein (blaues f) 1 Std.
Haspelscheidt, Dorf. 612 Einwohner 7 Kil. nordöstlich von
Bitsch innerhalb des Uebungsplatzes gelegen. Ankauf und Abbruch
deshalb bevorstehend. Wirtschaft Osterberger.
l'ls Kil. südwestlich auf dem schönbewaldeten 300 m hohen
Schlossberg das sog. «Alt-Schloss>, alter Steinwall in Form einer
Ellipse etwa 300 m lang und 1»>0 m breit, aus unbearbeiteten Steinen
ohne Verband aufgerichtet, am Fuss etwa l.'i m breit und T> m hoch;
im Osten und Westen befindet sich eine Oeffnung, im Westen auch
eine Quelle ; an der von der Natur weniger geschützten Nordseite
ist ein zweiter Wall im Halbkreise sichtbar, im Inneren Reste ver-
schiedener Steinkonstruktionen.
Schutzwall der Mediematriker gegen die von Osten vordring-
enden Triboker, oder der Römer unter Valentian (369-74 n. Chr.)
gegen die Alemannen. Am Fusse zieht die «alte Haspelscheidter
Strasse> her, uralte Verkehrsstrasse, die nordöstlich von Haspel-
scheidt in der Nähe der Pfälzer Grenze «Römerstrasse» genannt
und durch das Eppenbronner Felsenschloss (siehe dieses) geschützt
wird; wo sie südlich H. über den alten, 2"> Hektar grossen Weiher
zog, wurde 17f>6 eine Redoute errichtet.
Herzogskörper, 2 Std. östlich von Bitsch, 1 Kil. nördlich der
Weissenburger Strasse (rotes f ). Kleine umfriedete Parkanlage, in
welcher sich ein 1,50 m langer, und 0,63 m breiter Sandstein mit
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•
unleserlichen Spuren einer Inschrift und undeutlichen Umrissen
einer menschlichen Gestalt befindet ; der Sage nach soll dieser
Stein die Grabstätte eines Lothringer Herzogs decken, der 2 Kil.
westlich, bei Herzogshand, verwundet, hier starb und begraben wurde.
Vielleicht ist es ein gallo-römischer Merkurstein, am wahr-
scheinlichsten aber ein aus dem Kloster Stürzelbronn herrührender
Grabstein.
Nördlich in 10 Minuten auf bequemem Pfad erreichbar:
H e r z o g s b 1 i c k, eine von der V.-C.-Sektion Bitsch errichtete
0 m hohe Aussichtskanzel mit grossartigem Rundblick auf das uner-
messliche Wäldermeer der Vogesen und Pfalz. Fundort von Lilium
martagon. 2 Kil. westlich an der Bitscher Strasse: Herzogshand,
Ort, wo der Sage nach Herzog Ferry von Lothringen 1203 im
Kampfe mit Graf Eberhard von Zweibrücken die Hand verlor, oder
nach anderer Deutung, die Stätte, wx> nach dem Waltarilied Walther
von Gunther uud Hagen eingeholt wird und im Kampfe mit diesen
seine Hand verliert;. An der vor einigen Jahren hier abgebrochenen
französischen Douanierkaserne befand sich ein Stein mit einer aus-
gehauenen Hand und der Iuschrift: «main du prince> 1Ö47.
Unterhalb Herzogshand kreuzt die Strasse den €prinzenweg> :
die Verbindung zwischen den beiden hessisch-hanauischen Resi-
denzen Buchsweiler und Pirmasenz.
1 Kil. westlich : Ziegelscbeuer, Wirtschaft bei Letzeiter.
Bei Kil. i>,4 nördlich der Strasse, Fundort von Daphne cneorura,
eine in Deutschland höchst selten vorkommende Alpenpflanze.
Hubertusquelle >/2 Std. nördlich von Lemberg, D,2 Std. süd-
westlich von B., inmitten üppigen Hochwaldes auf dem Schlossberg,
dem Berg, auf dem Alt-Bitsch. d. h. das erste Jagdschloss der
Herzöge von Lothringen gestanden haben soll. Auch «Pompöser»
oder wie eine Beschreibung von 17")ö sagt. «Pumphosen» Brunnen
genannt, weil auf dem Felsblock, an dem die Quelle zu Tage tritt,
zwei Figuren mit «Pumphosen» eingehauen sind. Nach einer vom
V.-C. neuerdings vorgenommenen gründlichen Reinigung des Felsens
ist ein grossartiges Bildwerk zu Tage getreten, das Professor
3Iichaelis «zu den ältesten und besten Denkmälern klassischer
Kunst in unserer Gegend» rechnet, dessen Ursprung in das 1.
Jahrhundert n. Chr. zurückreicht. Die obere ^älfte des Steines ist
abgebrochen, so dass die zwei menschlichen Haupttiguren nur bis
zum Gürtel erhalten sind ; Michaelis findet darin links Diana mit
Bogen , rechts Silvanus mit Schlägel. Ferner sind deutlieh zu er-
kennen: vier Hnnde, ein Wildschwein, zwei kämpfende Hirsche und
auf besonderem Reliefbildchen die Brunnennymphe mit Amor, ausser-
dem noch unklar ein grösseres Thier, vielleicht Auerochse.
Lemberg. 7 Kil. südwestlich von B., i:J Minuten Bahnfahrt.
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1665 Einwohner. Wirtschaft Heitzmann am Bahnhof mit Münche
Bier. Ausgangspunkt für Touren nach •Hubertusquelle (weisses
Vi Std. ; Götzenbruck »/s Std.; Breitenstein 1 Std.; Meisenthal l1
Münzthal V« Std. Von der «Hochfürst» schöne Aussicht.
Münzthal. */s Std. südwestlich von Lemberg in anmutigem TA
gelegen. Endstation der Strecke Münzthal-Wingen. 806 Einwohne
1769 an Stelle einer alten, im 30jährigen Kriege verschwunden*
Glashütte gegründet und 178« zur Fabrikation von Krystallgläsei
eingerichtet, mit einem jährlichen Verbrauch von 24000 Ster Hol
und einem Umsatz von 240000 Frk.
Es beschäftigt jetzt 2500 Personen, ist eine der bedeutendste^
Krystallfabriken Europas mit einer jährlichen Produktion von 2*j|
Millionen Kilogramm Krystall und efnem jährlichen Umsatz von 3»/i
Millionen Mark.
Der Mustersaal, angefüllt mit Fabrikaten aller Art, ist einet
Sehenswürdigkeit ersten Ranges und enthält Mahre Kunstwerke
der Gravierarbeit.
Meisenthal. I1/« Std. südlich von Lemberg, Station der Strecke
Münzthal-Wingen. 926 Einwohner. Wirtschaft Lukas.
1702 als Filiale der Glashütte von Sucht auf Pachtgut des
Staates gegründet, erst 1792 den Fabrikanten als Eigentum über-
lassen; beschäftigte 1785 etwa 50 Arbeiter mit Herstellung gewöhn-
lichen Kelch- und Fensterglases, hat jetzt 600 Arbeiter und einen
Jahresumsatz von etwa 600000 Mk.
Neben gewöhnlichen Glaswaaren aller Art, stellt die Fabrik
jetzt farbige Luxusgläser her. die einzig in ihrer Art sind und auf
verschiedenen Ausstellungen allgemein »Bewunderung erregten.
Matterhansen. 821 Einwohner. l»/s Std. südlich von B.; auch
von Station Bannstein mit der unentgeltlich zur Verfügung ste-
henden Privatbahn zu erreichen ; schön gelegen, inmitten fisch-
reicher Weiher ; gute Verpflegung in der Fabrikkantine. Walzeisen-
und Stahlwerk mit 350 Arbeitern der Firma von Dietrich. Forellcn-
brutanstalt.
Das Eisenwerk bestand bereits vor dem 30jährigen Krieg,
wurde darin, wie die ganze Gegend, verwüstet und 1717 wieder er-
öffnet; die 1792 begonnene Umwandlung in eine Glasfabrik unterblieb.
Alte, 1505 von Graf Reinhardt von Bitsch-Zweibrücken er-
baute Kapelle und Trümmer eines 1550 von Graf Jakob inmitten
eines Forellenteiches «erbauten Lusthauses> (Alix). Graf Karl von
Hohenzollern Hess dasselbe 159b für seinen Jagdaufenthalt iin
Bitscherlandc wohnlich einrichten. Südlich das 4'/a Kil. lange, lieb-
liche Haselthal, das wegen seiner Abgeschiedenheit im 30jährigen
Krieg der ganzen Umgegend als Zufluchtsstätte diente.
Auf dem »/* Std. nördlich gelegenen Grünberg befand sich ein
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Jagdschloss, von dem Ende des XVIII. Jahrhunderts noch vier
Türme sichtbar waren ; auf dem 20 *31inuten östlich gelegenen
Dürrberg wird eine 12 m hohe Aussichtskanzel errichtet, die einen
herrlichen Blick auf das Wäldermeer gewährt und am besten von
Lindel (Station der Privatbahn) zu erreichen ist.
Schorbach. 1 Std. nördlich von B. 875 Einwohner. Wirtschaft
Würtz; früher Sitz der Pfarrei und Mairie von Bitsch.
Die Kirche wurde bereits im XII. Jahrhundert erwähnt; von
dieser alten, dem Kloster Stürzelbronn gehörigen Kirche, ist noch
der Turm mit kleinen romanischen Fensterchen erhalten. An der
Südseite des im XVIII. Jahrhundert erbauten Schiffes ist eine alte
Inschrift eingemauert, inhaltlich deren die Kirche 1143 durch den
apostolischen Legaten Theotwin geweiht wurde.
Südwestlich der Kirche das aus der Mitte des XII. Jahrhunderts
stammende Beinhaus, «der einzig romanische Bau dieser Art in
Südwestdeutschland und eines der interessantesten Exemplare von
Ossuarien> (Kraus); die zahlreichen Schädel und Knochenreste, die
es birgt, sind neuerdings geordnet, der Bau selbst ist restauriert
und unter die klassierten Baudenkmäler des Bezirks aufgenommen
worden. Im Dorfe mehrere alte Häuser mit Inschriften.
Stürzelbionn. 295 Einwohner. 13 Kil. östlich von B., an der
grossen Strasse nach Weissenburg; unterwegs zahlreiche «Frohnd-
steine», die in Toisen (= Ufo in) angeben, welche Strassenstrecke
die einzelnen dem Kloster frohndpflichtigen Orte zu unterhalten
hatten. Wirtschaft zum Kreuzberg, (gut) Forellen.
In idyllischem Wiesenthal gelegen, umgeben von prächtigen
Waldbergen, zu längerem Aufenthalt sehr geeignet; früher Sitz
einer Cisterzienser-Abtei, von der nur noch wenige Ueberbleibsel :
Eingangsthor zum Kloster, links davon Prangerstein, von der
Klosterkirche nur noch die Kapitale des Eingangs sichtbar, links
davon in der Felswand Klosterkeller; in der neuen, überladen ge-
schmückten Kirche Kalenderstein aus dem XII. Jahrhundert zur Be-
rechnung der beweglichen Feste, der Kirche gegenüber Gedenktafel
aus dem Jahre 18H5. .
Das Kloster wurde 1135 durch Herzog Simon I. von Loth-
ringen als Kloster Marienthal gegründet und von seinen Nach-
folgern, sowie den adeligen Herren der Umgegend reich 'beschenkt;
es besass 12 Höfe, das Patronat über zahlreiche Kirchen der Uni-
gegend mit über 50 Dörfern (auch Bitsch) und jährliche Einkünfte
von etwa 30 000 Frk. in Geld, über 6000 Morgen Wald — der
1737 und 57 abgegrenzt und mit grossen Steinen versehen wurde
— mit reichem Wildstand an Hirschen, Sauen, Fasanen und (in
frühester Zeit) wilden Pferden (?); zahlreiche Fischweiher, Mühlen,
Eisen- und Glockengiesserei, auch zwei Mineralquellen, wovon noch
4
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heute *(* Eil. westlich das «Laxierbrünnel> bekannt ist. Dem Kloster
stand die Blutgerichtsbarkeit zu, der Galgen befand sich Vfo Kil.
östlich an der Weissenburger Strasse auf dem tGalgenköpfel». Das
Kloster wurde 1525 im Bauernkrieg von dem Kolbenhaufen, dann
l(i33 von den Schweden zerstört, 1734 in geringem Umfang wieder
hergestellt und 1789 durch die Revolution endgültig aufgehoben:
3
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die Mönche (9) wurden vertrieben und das Grundvermögen als
Nationalgut eingezogen; die Kirche wurde 1<S07 auf Abbruch ver-
kauft, ihr Inhalt in die benachbarten Kirchen zerstreut; so erhielt
Hottweiler den hölzernen Glockenturm (der ein Glockenspiel von
24 Glocken trug), Roppweiler eine Kanzel, Breidenbach einen grossen
Beichtstuhl, Bitsch die Uhr und eine Glocke, Haspelscheidt und
Wolmünster eine Glocke, Walschbronn einen Kelch, Saar-Louis die
Orgel, Stürzelbronn selbst hat noch eine Glocke mit der Jahrzahl
11576 und einen emaillierten Kelch mit dem Wappen der Abtei.
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Die zahlreichen Grabsteine, deren Inschriften zum Teil über-
liefert werden, sind spurlos verschwunden, ob darunter wirklich
welche Lothringischer Herzöge, ausser Theobold I. f 1220, ist
zweifelhaft; jedenfalls ist der letzte Graf von Bitsch Jakob 1570
zu Stürzelbronn gestorben und ebenso wie seine in demselben Jahre
verstorbene Gemahlin hier begraben worden.
Ausflüge von Stürzelbronn:
Kreuzberg »/* Std. Kreuz 1737 bei der Abgrenzung des Kloster-
waldes errichtet, neu hergestellt 1895 von V.-C.-Sektion Bitsch.
Hermannstein 3/t Std. Felsblock mit Aussichtskanzel.
Luxfelsen Std. Mächtiger Felsblock mit winziger Grund-
lage und eigentümlicher Formation.
Hoher Reissen l1/« Std. (grünes f), mit prächtiger Aussicht
auf die Pfälzer Berge.
Herzogsblick 1 Std. (grünes f), 9 m hohe Aussichtskanzel.
Waldeck. Weiler zur Gemeinde Egelshardt gehörig, J|s Std. nörd-
lich der Station Bannstein (grünes f). Wirtschaft Mischler. ^4 west-
lich davon Ruine Waldeck 320 m hoch.
Wenig erhaltene Ueberreste eines unter Benutzung der ge-
wachsenen Felsen a*us Buckelquadern Mitte des XIII. Jahrhunderts
erbauten Schlosses; bereits 1594 als «chateau ruin£> erwähnt. 1756
standen noch 2 wohl erhaltene Türme von 80' Höhe und 18'
Breite, jetzt nur noch der südliche, der auch sehr baufällig, nach-
dem vor mehreren Jahren der Blitz hineingeschlagen, und nicht
zugänglich ; ein Teil der Ruine ist durch den V.-C. zugänglich ge-
macht. Von der südlichen Spitze beschränkte, aber liebliche Aus-
sicht, die durch die beiden grossen Weiher, den Hanauer im Süden
und den Waldecker im Norden, einen besonderen Reiz erhält.
Schloss W. ist Mitte des XIII. Jahrhunderts durch die Grafen von
Lichtenberg zum Schutze ihrer in der Umgegend gelegenen Besitzun-
gen erbaut und den Herren von Kirkel aus dem Hause Saarwerden
zu Lehen gegeben. 1387 starben die Herren von Kirkel aus und W.
kam an die Grafen von Bitsch. 'Graf Hahnemann von Bitsch gab 1399,
als er mit seinem Herrn dem Herzog von Lothringen «gen Prüssen»
reiten wollte, sein Haus und Veste Waldeck in Verwaltung seines Vet-
ters Jon. von Lichtenberg. 1445 wurde es von Friedrich von Bitsch
um 1200 fl. an Heinrich von Steinhausen verpfändet und erst 1479 für
ÜKX) fl. wieder eingelöst. Wahrscheinlich wurde es 1525 im Bauern-
kriege zerstört. 1570 kam es an Lothringen und 17(i<> an Frankreich.
Der aus dem Wäldermeer emporragende Waldecker Schlossturni
wurde «un Signal de la carte de France» genannt.
Walschbronn 12 Kil. nördlich von Bitsch über Hanweiler-
Bussweiler- Waldhausen auf bequemem und schönem Weg durch
das Hornbachthal. 741 Einwohner. Wirtschaft Wack.
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1170 Walsburn, früher Sitz einer aus 11 Orten bestehent
Mairie und einer aus 19 Orten gebildeten Pfarrei zur Abtei Stürz
bronn gehörig. In der Kirche Taufstein und Kelch aus dem Klosl
Stürzelbronn.
Bereits zur Römerzeit bewohnt, wie ein hier gefundener Voti
stein und zahlreiche römische Münzen beweisen. t
Bis zum XVII. Jahrhundert ein von Gelähmten und Gicht 3
kranken vielbesuchtes Bad von petrole blanc, cdas der grössten Kält«<-^"
widersteht, sich rasch entzündet und so rein und flüchtig ist, dasgy-
es auf einem damit getränkten Papier keine Flecken hinterlässt». V
Die Quelle ist — wahrscheinlich bei den Verwüstungen des I
30 jährigen Krieges — verschüttet und trotz mehrfachen Nachgrab- *
nngen Mitte des XVIII. und XIX. Jahrhunderts nicht mehr aufgefunden.
Das Bad gehörte den Grafen von Bitsch; 1598 war es von dem
Grafen Karl von Hohenzollern, dem damaligen Pfandinhaber der
Grafschaft Bitsch, um jährlich 10 fl. verpachtet, derselbe gab 1599
100 fl. zur Vergrösserung des Bades. Er weilte in diesen Jahren
längere Zeit auf der Weckersburg, an deren Fuss die Quelle her-
austrat, um der «Hasenjagd obzuliegen».
Die Weckersburg wurde 1490 durch Graf Simon Wecker IV.
von Bitsch erbaut und diente lediglich als Jagdschloss ; Graf Jakob
von Bitsch Hess sie verfallen, und nach dessen 1570 erfolgten Tode
wurde sie auf Abbruch verkauft, sodass jetzt nur noch wenige
Trümmer östlich des Dorfes sichtbar sind.
Von Walschbronn in 14 Kil. über Kröppen Vinningen-Sinten
nach Pirmasenz, der alten Residenz des Landgrafen von Hessen,
jetzt blühende Industriestadt mit 30 000 Einwohnern.
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BEITRÄGE
LANDES- UND VOLKESKUNDE
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
XXI. HEFT.
RITTER
FRIEDRICH KAPPLER.
EIN ELSÄSSISCHER FELDHAUPTMANN
• AUS DEM l5. JAHRHUNDERT
VON
THEODOR VÜLPINUS.
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
1896.
Digitized by
I
Verlag von
J. H. ED. HOTZ (HE1TZ & MÜNDEL) Schiaachgasse 5.
BEITRÄGE ZUR LANDES- UND VOLKESKUNDE
von Elsass-Lothringen.
Band I.
Heft I : Die deutsch-französische Sprachgrenze in Lothringen
von C o n st. T h i s. 8. 34 S. mit ciuer Karte (1 : 30O.0OU). 1 50
Heft II : Ein andethtig geistliche Badenfahrt des hochgelehrten
Herren Thomas Murner. 8. 56 S. Neudruck mit Br-
läutergn., insbesond. über das altdeutsche Badewesen, v. Prof. Dr.
E. Martin. Mit 6 Zinkätzungen nach dem Original. 2 —
Heft III: Die Alaniannenschlacht vor Strassburg 857 n. Chr.
von Arcbivdireclor Dr. W. Wieg and. 8. 46 S. mit einer
Karte und einer Wegskizze. 1 —
Heft IV : Lenz, Goethe und Cleophe Fibich von Strassburg.
Ein urkundlicher Kommentar zu Ooclbes Dichtung und
Wahrheit mit einem Forträt Araminta's in farbigem Lichtdruck
und ihrem Facsimile aus dem Lenz-Stammbuch von Dr. Joh.
Froitzheim. 8. 96 S. 2 50
Heft V : Die deutsch-französische Sprachgrenze im Elsass von
Dr. Co n st. This. 8. 48 S. mit Tabelle, Karte und acht
Zinkätzungen. 1 50
Band II.
Heft VI : Strassburg im französischen Kriege 1552 von Dr. A*
Hollaender. 8. 68 S. 1 50
Heft VII: Zu Strassburg» Sturm- und Drangperiode 1770—76.
von Dr. Joh. Froitzheim. 8. 88 S. 2 —
Heft VIII : Geschichte des heiligen Forstes bei Hagenau im
Elsass. Nach den Quellen bearbeitet von C. E. Ney Kais.
Oberförster. I. Teil von 1065—1648. 2 —
Heft IX : Rechts- und Wirtschafts-Verfassung des Abteigebietes
Maursmünster während des Mittelalters von Dr. Aug.
Hertzog. 8. 114 S. 2 —
Heft X: Goethe und Heinrich Leopold Wagner. Ein Wort der
Kritik an unsere Goetheforscher von Dr. Joh. Froitzheim.
8. 68 S. 1 50
Band III.
Heft XI : Die Armagnaken im Elsass v. Dr. Ii. W i 1 1 e. 8. 158 S. 2 50
Heft XII : Geschichte des heiligen Forstes bei Hagenau im Elsass.
Nach den Quellen bearbeitet von C. N. Ney, Kais. Ober-
förster. II. Teil von 1648-1791. 2 50
Heft XUI : General Kleber. Ein Lebensbild von Friedrich Tei-
cher, Köngl. bayr. Hauptmann. 1 20
Heft XIV : Das Staatsrechtliche Verhältnis des Herzogtums Loth-
ringen zum Deutschen Reiche seit dem Jahre 1542
von Dr. Siegfried Fitte. Mit Karte. 2 50
Heft XV: Deutsche und Keltoromanen in Lothringen nach der
Völkerwanderung. Die Entstehung des Deutschen Sprach»
gebietes von Dr. Hans N. Witte. Mit Karten. 2 50
Fortsetzung siehe 3. Seite des Umschlags.
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BEITRÄGE
ZUR
LANDES- l-xd VOLKESKUNDE
VON
ELSASS-LOTHRINGEN.
VIERTER BAND.
(Heft XVI- XX).
STRASSBÜRG
J. H. ED. HEITZ (H EITZ Sc MÜNDEL).
1895.
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Strassburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel).
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Inhalt.
Heft XVI. Witte, H. Der letzte Puller von Hohenburg IV u. 143 S.
Heft XVII. Holländer, A. Eine Strassburger Legende. Ein Beitrag
211 den Beziehungen Strassburgs zu Frankreich im
XVI. Jahrhundert. 28 S.
Heft XVIII. Yulpinus, Theodor. Der lateinische Dichter Johannes
Fabricius Montanus (aus Bergheim im Elsass). 1527 —
1566. Selbstbiographie in Prosa und Versen nebst eini-
gen Gedichten von ihm. Verdeutscht. 27 S.
Heft XIX. Kahl. Aug. Forstgeschichtliche Skizzen aus den Staats-
u. Gemeindewaldungen von Rappoltsweiler und Reichen-
weier aus der Zeit vom Ausgange des Mittelalters bis
zu Anfang des XIX. Jahrhunderts Mit einer Ueber-
sichtskarte. IV u. 77 S.
Hoft XX. Irle. Hermann. Die Festung Bitsch. Zweite vermehrte
Auflage Mit 2 Ansichten und Plan von Bitsch 39 S
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RITTER
FRIEDRICH KAPPLER
EIN ELSÄSSISCHRK FELDHAUPTMANN
AUS DEM 15. JAHRHUNDERT
VON
THEODOR VÜLPINUS.
«Herrn Friedrich Kapler gibt
das züjrniss all tutsch art, dass
er sich allzit in ritters ehr
Reinigen. Sein Sinn und Ver-
nunft allein mag eim Ranzen
heer widerstand Reben.»
Seb. Brant.
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
1896.
Inhalts verzeichniss
Seite
I. Das Geschlecht Kappler 1
II. Eapplerische Denkmale 14
III. Kindheit und jüngere Jahre 1485 bis 1469 16
IV. a) Unter burgnndischer Herrschaft 1469 bis 1474 .... 20
b) Der Aufstand in Breisach 1474 24
V. a) Friedrich Kappler in der Reimchronik 29
b) Sein Bericht an Wilhelm von Rappoltstein über die Brei-
sacher Ereignisse 43
VI. Beutefahrt nach Blamont und Raohezug Stephans von Ha-
genbach 1474 48
VII. Vor und in Hericourt 1474—1476 51
VIII. Die Schlachten bei Murten und Nanzig 1476 und 1477
(Friedr. Kappler wird zum Ritter geschlagen) ... 56
IX. Gegen Venedig 1487 (Friedr. Kapplers Sieg bei Calliano) . 61
X. Unter Maximilian gegen Frankreich 149H (Friedr. Kapplers
Sieg bei Dournon und Seb. Brants Lied von dieser
Schlacht) 69
XI. a) Auf dem Reichstage in Worms 1495 76
b) Unter Maximilian in Italien 1495 (Kappler bei der Bela-
gerung von Novara) 78
XII. Gegen die Schweizer im Schwabenkrieg 1499 83
XIII. Landvogt in Mömpelgard 1499 bis 1506 (Kappler bei der
Belagerung von Besigheim) 96
XIV. Nachlese zur Familiengeschichte der Brüder Kappler . .103
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Verzeichnis s
der in den Anmerkungen öfters vorkommenden Bücher mit den dabei
gebrauchten Abkürzungen.
Basler Chroniken Baal. Chr.
Birken, Spiegel der Ehren des Erzhauses Oesterreich
(Fugger) 1M8 . Birken
Brandis, Gesch. der Landeshauptleute Tirols .... Brandis
Cart. Mulh. von Mossmann Cart. M.
Duvernoy Ephem. de Montbeliard Duvernoy.
Edlibach, Chron. ed. üsteri (Mitth. der ant. Oes. in
Zürich III.) Edlib.
Fürstenbergisches ürknndenbuch Fürst, ü. B.
Graf, Gesch. der Stadt Mülhausen Graf.
Heyd, Dlrich. Herzog zu Württemberg Heyd.
Jäger, Gesch. der landständ. Verf. Tirols Jäger.
Kindler, Der alte Adel im Oberelsass Rindler.
Kraus, Kunst und Alterthum in Els.-Lothr Kraus.
Liliencron, Die hist. Volkslieder der Deutschen . . . Liliencr.
Mone, Qaellensammlung znr badischen Geschichte . . Mone.
Mone, Zeitschr. für Gesch des Oberrh Mone Ztsch.
Neriinger, Pierre de Bagenbach Neriinger.
Ochs, Gesch. der Landschaft Basel Ochs.
Petri, Der Stadt Mülhausen Gesch Petri.
Rappoltsteinisches Urkundenbach von Albrecht . . . Rapp. U. B.
Stälin. Württemb. Geschichte . Stalin.
Stoffel, topogr. Wörterbuch des Oberelsass .... Stoffel.
Trouillat, Monum. de l'hist de l'anc. ev. de Bale . . Tronillat.
Tuefferd, hist. de comt. souv. de Montbeliard. . . . Tuefferd.
Ulmann, Kaiser Maximilian Ulmann
Würdinger, Kriegsgesch. von Baiern, Franken, u. s. w. Würdinger.
Zeitschrift für Gesch. des Oberrh. (Neue Folge). . . Ztschr. N. F.
Bez. -Archiv Colmar . Bez. A.
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Vorwort.
Friedrich Kappler war seiner Zeit ein weilberühmter
Mann. Sebastian Brant versichert, die ganze deutsche
Nation gebe ihm das ehrenvollste Zeugniss, und in der
Zimmerischen Chronik (II 486), die 60 Jahre nach Kapp-
lers Tod ausgearbeitet wurde, lesen wir : «Fridrich Gap-
ler .. . ist bei seinen lebzeiten ein herzhafter und uner-
schrockener Mann gewesen. Er hat vil trefflicher thaten
mit eigner handt mehrmals verpracht und sich so ge-
treulich und wol bei seinem herrn gehalten, dass ihm
seine gesta billichen bei ewiger gedechtnus sollten er-
halten werden». — Auch das Ausland stimmt in dieses
Lob ein. Der französische Diplomat Gommines, der im
Felde ihm gegenüberstand, nennt ihn «Messire Federic
Gapelare de la conte* de Ferette, vaillaut Chevalier et bien
experimente* tanl en France, que en Italie» (Mem. de
Phil, de Commynes, publ. par Mlle. Dupont II 506
u. A.)
Bald aber verschwand sein Gedächtniss selbst in der
Heimath ; das fünfzehnte Jahrhundert wurde verdunkelt
durch das sechzehnte. Sogar Schöpflin (Als. ill. II 640)
weiss nichts von ihm als den Namen : «Fridericus Kap-
peler», und die Bemerkung seines Uebersetzers Ravenez
(V 662) : «Fr^deric Cappeler. Tun des plus grands capi-
laines de son temps, commanda les armees de Maxirni-
lien I pendant les guerres d' Italic et de Suisse en 1495
et 1499», ist im Grunde doch auch nur eine etwas längere
— Grabschrift.
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- VIII —
Bei dem Versuche, die Urnrisse dieses vergessenen
Lebens wieder herzustellen , haben mich gelegentlich
liebenswürdig gefordert die Herren Prof. Dr. Albrechl in
Colmar, Garn. Freiherr v. Althaus, k. k. Oberstleutnant
a. D. in Freiburg i. B., Prof. Damian in Trient, Archiv-
ralh Dr. Pfannenschmid in Colmar, Prof. Dr. Post in
Mülhausen, Kanonikus Dr. Schrauf, Seklionsrath im k.
k. Haus- Hof- und Staatsarchiv zu Wien, Stadtbiblio-
thekar Wallz in Colmar und Staatsarchivar Dr. Wacker-
nagel in Basel. Besonders verpflichtet bin ich aber Herrn
Archivar und Privatdoceuten Dr. Mich. Mayr in Innsbruck
und Herrn Hauptlehrer Doniat in Kirchberg hei Masmünster.
Jener hat mit acht österreichischer Liebenswürdigkeit
eigenhändig dem Unbekannten eine Reihe von Auszügen
aus den Schätzen des Slatthaltereiarchivs* gefertigt, und
dieser gewährte mir bereitwilligst Einblick in den manig-
faltigen Stoff, den er für eine Geschichte seines Heimalh-
thales zu sammeln fortfährt. Th. V.
* Vgl. das k. k. Stattbalterei-Arch. zu Innsbruck von Dr. M.
Mayr in den Mitth. der dritten (Archiv) Sektion der k. k. Corara.
zur Erf. u. Erhaltung der Kunst- und hist. Denkmale, heransgeg. v.
Dr. v. Helfert II. Bd. (Wien bei W. Braunmller I Graben 21).
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I.
Das Gesohleoht Kappler.
Der Name Kappler war sehr verbreitet ; edle Ge-
schlechter dieses Namens gab es im Elsass, in der
Schweiz, in Schwaben, Baiern, Oeslerreich, ja in der
ganzen abendländischen Christenheit. Ueberall wird er
auf einen Ort zurückzuführen sein, dessen Name mit
«Kapelle» zusammenhängt.
Woher stammen nun die elsässischen Kappler ?
Mone 1 meint, aus Hochburgund, Kindler aus La Gha-
pelle2 (Welschkappeln), südlich von Masmünster. Meines
Erachlens spricht Alles dafür, dass sie von Kappeln,3
südlich von Mülhausen, stammen und später als Mül-
hauser Bürger «die Kappler» genannt wurden.
Der Name dieses Dorfes Kappeln kommt schon 1144
vor. Die Abtei Obermichelbach hatte damals u. A. auch
Besitzungen in öhapellon (= unserem Kappeln), die
Papst Lucius II. für zehntenfrei erklärte. 4
> Mone III 215.
* Chapelle-sous-Rougemont. — Joh. de Capella 1214 Als. dipl. I
327 (Stoffel).
3 Kappelen, Kanton Landser; Reinherns de Chapilla. . . Mehtilt
de capilla 1289; Waldemar von Kappellen 1380. — Die Mutterkirche
war früher die Kapelle St. Wolfgang zwischen Kappelen n. Stetten.
(Stoffel). «Kappeln, Capella, Kapellen, Kappele, Chapellon im Elsass
8üdöstl. Landsev > (ürkundenbuch der Stadt Basel.) — Capella. Capelle,
Kappten (Rapp. Urkb.)
4 Trouillat I 286.
1
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1210 erscheint ein Gotefridus de Capeila unter den
Laienzeugeu einer Urkunde des Bischofs von Basel. 1
Um 1221 bestätigt Friedrich II, Graf von Pfirt, der
Abtei Lützel eine Schenkung; unter den Laienzeugen ist:
dominus Chonon de Capella. 2
1226 sitzt ein Waltherus de Capella im Rath von
Colmar. 3
1248 erscheint der Name zum ersten Mal deutsch :
Johannes, miles diclus Cappeler beurkundet, dass er Be-
sitzungen in Largilzen, die einst von der Tochter des
Ritters Werner von Ranspach der Abtei Lützel geschenkt
worden, auf Lebenszeil gegen jährlich 1 Pfund Wachs
erhalten habe. Die Güter beslanden in Aeckern, Wiesen
und Gehölz. Seinen Herrn nennt er den Grafen von
HaMurg.*
Im Mai 1254 beurkunden Propst und Konvent von
Sl. Leonhard in Basel, dass sie an Werner von Beltlach
und seine Frau drei Juchert apud villam CMpellon ge-
liehen haben. Zwei Juchert lägen an dem Platz, der
«Cherlinges Bongarta» heisse, das dritte «in dem Worn-
bach, 5 und alle drei seien von Reinherus de Chapellon
an St. Leonhard gegeben worden, ut de ipsis in anni-
versario suo, quod est in f'esto sancti Marcelli papae,
solidus nobis singulis annis darelur. Dadurch ist das
Vorhandensein eines von diesem Kappeln stammenden Ge-
schlechtes de Gapella nachgewiesen. 6
i Trouillat I 451 ff.
* Trouillat I 484.
3 Mossraann «Rech, sur la constit. de la corara. ä Colmar S. 6.
Anm. 2.
4 Trouillat II 66. « In cujus rei testimonium praesentem pagi-
nam sigillo mei domini R. comitis de Habsburc. landgravii Alsatiae
atque meo. . . tratidi sigillatam.
5 Der Wurmbach entspringt im Banne von Kappeln, durch*
fliegst den von Brinkheim u. vereinigt sich im Banne von Bartenheim
mit dem Altenbach (Stoffel). — Bonacker ist ein in der Gegend häu-
figer Gewannname; desgleichen Böngarten — Baum.ga.rten (Ebenda).
6 ürkundenbuch der Stadt Basel I 199.
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— 3 -
1256 wurde (nach Kindler) ein Johannes de Capella
von den Herren von Horburg mit einem Theil an der
Vogtei über das St. Amarinthal belehnt.
1267 (24. April) entscheidet der von den Brüdern
Johannes und Otto Kapeller als Schiedsrichter gewählte
Baseler Ritter Heinr. Steinlin, dass die vorgenannten
milites dicti Kappeller erst zu beweisen hätten, mit
welchem Rechte sie auf Güter in Knöringen gegen das
Kloster Klingenthal Ansprüche machen. Zu diesem Be-
hufe hallen sie als Gewährsmann Thüriug von Ramslein
vorzuführen, von dem sie mit jenen Gütern belehnt zu
sein angeben.1
Am 15. Januar 1271 verkauft Graf Ulrich von Pfirl
an den Bischof von Basel Stadt und Schloss Pfirt u. a.
um 850 Mark Silber und empfängt die verkauften Güter
als bischöfliches Lehen. Unter den adeligen Zeugen der
Urkunde ist ein Otto Cappelarius *
Die Brüder Johannes und Otto Kappeler erscheinen
noch einmal in einer Urkunde vom 30. Sept. 1276 («am
Senkelstein bei Hundsbach»),3 worin Ulrich der Aeltere
von Rappoltstein und Buchard Stammheim, Vogt in En-
sisheim, als Vorsitzende des Landgerichtes an Stelle des
elsässischen Landgrafen bezeugen , dass Wallher von
Steinbrunn einen Hof in Sleinbrunn dem Kloster Lützel
übertragen habe. Zeugen : . . . Johannes et Otto fratres
dicti Kappeller und . . . Baldemarus et Johannes fratres
dicti de Capella,
Hier sind zum ersten Mal die Kappeller und die de
Capella (von Kappeleft) unterschieden. Da aber, wie
später erhelll, beide das gleiche Wappen haben, sind es
nur zwei Linien derselben Familie.
Die zwei Brüder de Gapella begegnen uns und zwar
i Ebenda I 346 ff.
* Trouillat II 205.
3 Rapp ü. I 110,16.
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mit deutschem Namen noch einmal in einer 1277 (Ja-
nuar 28.) aufgenommenen Urkunde: «Und waren hiebey
herr .... Johaus von Kapellen, herr Baldemar von
Kapellen». 1
1280 (4. Sept.) verkauft der Mülhauser Bürger Nib-
lung an die Abtei Lützel alle seine Güter in Bisel »prae-
sentibus . . . Joanne de Oapella, Brunotie de Capella.»2
1284 (20. Januar) erklärt Otto miles diclus Cappeler,
dass er zum Heile seiner Seele das ihm durch väterliche
Erbschaft und Schenkung seines Bruders Johannes über-
kommene Patronatsrecht in der Kirche zu Friesen mit
allen Einkünften den Johannitern in Mülhausen (fratri-
bus sacrae domus hospitalis Jerosolymitani) geschenkt
habe.8 Die Schenkung war schon früher in Basel ge-
macht 4 und wird jetzt in Mülhausen erneuert in Gegen-
wart des Schultheissen und der Bürger: Heinrich von III—
zach, «domino Johanne dicto Capeler (militibus), Hugo von
Dornach u. a. Auf die Bitte des vorgenannten Cappelarij
siegelt neben ihm auch die Stadt Mülhausen ; das Siegel
Otto Cappelers ist noch erhallen ; es zeigt eine zuneh-
mende nach rechts gekehrte Mondsichel. Die Urnschrift
ist unleserlich.5
Diese (lalcinische) Urkunde beweist, dass die beiden
(schon oben, 1267 und 1276, vorgekommenen) Brüder
Johannes und Otto Kappeler Mülhauser Bürger waren,
und dass dieser Zweig des Geschlechtes in Mülhausen
sich Kappler nannte und nicht mehr de Capeila oder
von Kappeln.
» Rapp. U I 111,38. -
2 Trouillat II 328. — In der Gemeinde Bisel gibt es noch heute-
eine « Kaplärematten > (Stoffel).
» Cart. M. IN 114.
* in Gegenwart der mit ihm verwandten (cognatornm meorum)
Johann n. Erkenfried von Biederthan u. a.
5 die Urkunde liegt im Bez. A. ( Ordre de Malte, comm. de
Mulh.) — 3lossmann gibt irrtümlich an : « un croissant tourne ä
gauche>.
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— o
Die oben (1280) erwähnten Johannes und Bruno de
Gapella kommen in deutscher Schreibung als «von Kap-
pel»» vor in einer Urkunde vom 4. Juli 1286: «Wir
Bruno ton Kappeion* (und Agnes, seine Frau) bezeugen,
«dass wir aller der anspräche» ... an die Krauen von
St. Klara wegen streitiger Kornzinse» entsagen. Neben
«Johans ze Rine von Hesingen» siegelt «her Johans von
Kappelion, min bruder». (Urk.-Buch der Stadt Basel
III 303.) Das Siegel Johanns von Kappeln ist im Anhange
des Urkundenbuches unter Nr. 170 abgebildet: ein deutsches
Schild mit rechts gekehrter Mondsichel, also dem oben
(zu 1284) mitgetheilten Siegel des Otto Kappler gleich. 1
Im Jahre 1312 stritt die Abtei Lützel mit den Münch
in Basel um «den Wald, dem man spricht der Forst ze
Lutterbach». Graf Ulrich von Pfirt entscheidet (21. April)
als Schiedsrichter zu Gunsten Lülzcls. Unter den «Rat-
lüten» der Abtei befindet sich Johansen von Cappelen. 8
Am 21. Juni 1312 bekennt Heinrich von Sleinbrunn
vor demselben Grafen Ulrich (in Sennheim), dass er kein
Recht auf den Dinghof (Adelheidshof) in Sleinbrunn habe.
Unter den Zeugen wieder: tHcr Johans ton Capelle,
Ritler». 3
Derselbe « her Johannes ton Capelle* ist Zeuge
(25. März 1313), als die hinterlassenen Kinder Heinrichs
von Rappoltstein beurkunden, dass sie von Herzog Leo-
pold von Oestreich die zwischen ihrem Vater und dem
+ König Albrecht vereinbarte Kaufsumme von 800 bzw.
1150 Mark Silber für Bergheim mit Rodern und Rohr-
schweier erhalten haben. 4
Ein «Her Ulrich de Kappella* erscheint 1331
1 Kindler: «Wappen: Ir w. ein r. Halbmond; H.: liegender r.
Halbmond, mit je einem Pfauenschweif an den Hörnern. Hd. : rw
(s. Bühler fol. 52). >
2 Trouillat III 177.
3 Gart M. I N. 146.
* Rapp. 0. I 218,39.
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— 6 -
(15. Nov.) als Zeuge im Urknndenbuche der Laudschafl
Basel (Boos) I 236. Er ist vielleicht aus «Kappel su-
perior» doch kann er auch dem Grafen von Pfirt zu
Ehren Ulrich heissen und den elsässischen Kapplern
angehören.
Um 1343 wurde «der Flecken Thann in verschiedene
Gassen getheilt, die Vorstadt Catlenbach sehr bevölkert,
auch St. Jakobs Vorstatt angesetzt und mit Burgern und
Edeln versehen; darin bauten die von Heinach, Lauden-
berg, Waltwiller .... Capler»*
1356 erhält (nach Schöpflin Als. ill. II 640) ein
Heinricus Cappeler das Burglehen in Thann.3
1371 soll (nach Mone III, 215) ein Friedrich Kappler
Landvogt im Oberelsass gewesen sein.
In Mones Zeitschrift 11 S. 333 steht (28. Juni 1375)
eine französische Urkunde:4 *Je Hezeman Capeller de
Giltwilr» (verkauft um 135 Goldgulden ein Gut zu Hiri-
court an Willi, von Roppe).5 Bruchstück eines kleinen
runden Siegels in dunkelgrünem Wachs ; im Wappen ein
rechtsgekehrter Halbmond. Umschrift : .... Enrici . . .
Kappe . . .
Die Kappler besassen also schon 1375 Gildtveiler
und zwar die in Mülhausen ansässigen ; wenigstens ge-
hörte das Dorf noch 1465 den 1445 mit dem übrigen
Sladladel aus Mülhausen vertriebenen «Cappleren».6
Desgleichen erscheint in einer französischen Urkunde
1 im Buchsgau vgl. Trouillat IV 132 u. 262.
2 T8chara8er, Annalen der Barf. in Thann zu 1343. —
3 nach Mone (IH 215) erst 1361. Nach einer von Doniat ver-
zeichneten Urkunde erhielt das Burggesäss in Thann ein Friedrich
Kappler schon 1326. — In einem Thanner Urbarium von 1350 : so
seind dis die Zinse, so Järlichen gont von dem ambt zu Thann: . . . item
Heinrich Capler VIII U gelts uff dem Zoll (Bez. A. C 854). Dies Zoll-
lehen scheint immer in der Familie geblieben zu sein. Dnser Fried-
rich hatte es 1478 (vgl. S 59 Anm. 2 u. S. 106 Anm. 2 u S. 107 Anm. 1)
* Die Urkunde liegt in Karlsruhe.
5 vgl. Als. ill. II 56.
6 Petri 157 « Giltweiler den Cappleren >. —
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- 7 -
(Luxueil 20. Januar 1381) ein Messire Cappelnire als
Zeuge (Vollmacht für Bruno von Rappoltstein).1
1386 sagt ein Friedrick Kappler den Eidgenossen ab.2
Am 5. Sept. 1393 stand «am lanlage ze Blenne**
Namens der österreichischen Herrschaft der Statthalter
der Landvogtei in Sundgau und Elsass «Klaus vom Huse»
in Gericht vor «Mathis Herrn von Sygenow, lantrichler
in obern Elsass» und ermahnte, bei den ehrbaren Leuten
und den ältesten um «Blenne und in dem gerichte ze
Pfirt» Ansässigen zu erfragen, ob Oesterreich oder das
Bisthum Basel die Gerichtsholieil in Pleignc ausübe und
wem von beiden ein strittiger Wald bei Lützel gehöre.
Eine Reihe alter Männer aus Winkel, Largitzen, Benn-
dorf, Pfetterhausen, Sept u. s. w. wurde vernommen, und
alle sagten zu Gunsten der östr. Herrschaft aus. Nun
verlangte der «vom Huse Briefe harüber», und die Bitter,
«die in dem lantgerichl ze Blenne warent und urteil
gebenU, erklärten dieses Verlangen für berechtigt. Unter
jenen «frommen notvesten» Hitlern steht auch der Name:
Heinrich Kappeler. *
Dieser Heinrich ist wohl der oben (1356 und 1375)
vorgekommene Heinricus (Hezeman).
Auch der Vater unseres Friedrichs hiess Heinrich.
Ueber ihn fliessen die Quellen reichlicher.
1411 (Rufach, 11. März) belehnt Bischof Wilhelm
von Strassburg gegen empfangene 1200 rhein. Goldgulden
die frommen und vesten Hermann Waldner, Rud. von
Neuenslein, Tenyn (= Anton) von Ilattstalt, Klaus von
Hus, Hans Bernh. zu Ryn und Heinrich Kappeler mit
Schloss und Städtlein Jungholz und dem Dorfe Rimbach,
wie vorher die von Rädersdorf und nachher die von
1 Rapp. U. II, 175 (Bez. A. E. 2464).
2 Kindler 20.
8 Pleigne (Pleen) südlich von Lützel.
* Tronillat IV 563ff. (568;.
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Lützelstein solches besassen (Coli. Haid, im erzbisch.
Archiv zu Freiburg i. B. Eis. und Lothr. Urkunden).1
1422 finden wir «Heinrich Kappeler» unter den
Rathen des Landvogts Hans von Thierslein in Emisheim
(Mone Ztsch. 6, ,475).
1427 (Mai 4 bis 10) steht sein Name («Heinrich
Kappeler») unter den Wochenein trägen des Colmarer
Kaufhausbuches (Rapp. U. B. III 261).
Seil mindestens 1430 ist er Vogt zu Masmünster. 2
1436 ("am 29. Juni) schreihen die Brüder Thenj und
Hans Ulrich von Hatlstatl au Herzog Friedrich den Ael-
tern von Oesterreich, dass am Donnerstag Früh nach St.
Barnabastag die jungen Herrn von Neuenburg mit Hilfe
eines Herrn Job. Loy und vieler anderer Welschen
(«Walch») mit 700 Pferden ohne Absage vier Dörfer
zwischen Heiligkreuz und Ensisheim gebrandschatzt
hätten. Ein Diener des Landvogts, Peter Husspfennig,
habe den Feinden den Weg gezeigt , ja sogar «Heinrich
Capeller», des Herzogs «diener, rat, man, undersechs
und ampman» sei nehst vielen andern Edeln und Un-
edeln dnbei gewesen als «kundschafter» ! Kurz vor der
That habe er sich ausserhalb seines Amtes und der
Stadt Masmünsler aufgehalten und nach der That sei er
«für sich» wieder dorthin zurückgeritten. Der Landvogt
(Smasmann von RappoUstein) habe den Neuenburgern .
1 Gütige Mitth. des H. Oberstleutnants Freiherrn von Althaus
in Freiburg. Aus seinen Sammlungen entnehme ich auch, dass der
Bischof schon 1426 Jungholz wieder einzog, weil der Landvogt Hans
Erhalt Bock von Staufenberg sich mit den Bürgern von Ensisheim,
Thann. Altkirch, Masraünster u. a. vor das Schloss gelagert hatte,
wegen des Schadens, der den Städten von dort aus zugefügt worden
sei, u. der Gefangcnhaltung etlicher Ritter (Mone Ztsch. XI. 337). Da
Heinrich Kappler schon 1422 unter den Räthen des Landvogts er-
scheint, wird er an diesen Thaten der Ganerben von Jungholz nicht
betheiligt gewesen sein
8 In der Landvogteirechnung 1430 (Katharinentag) kommt Hein-
rich Kappeler als Vogt von M. vor Desgleichen nennt ihn sein Un-
tervogt in einem Urtheil vom 3. März 1430 : < Jungher Heinrich Cap-
pelars Vogt zu M.» (Stadtarchiv Masmünster: Doniat).
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- 9
und allen den Edeln gestatlet gehabt, überall in des
Herzogs Land «ihre Feinde zu suchen» ! (Rapp. U. B.
III 423).
1437 (am 20. Mai) beurkundet dann Heinrich Cap-
peler, dass er des edlen wolgebornen Herrn Junkers
Smasmanns Herrn zu Rappoltstein, des Landvogls, »Diener»
geworden sei. Ueberall, wo er das mit Ehren thun könne
(ausgenommen «wider meinen gnädigen Herrn von
bestreich») wolle er ihm mit vier Pferden gewärtig
sein. Dafür solle er ein Lehen im Werth von 300 Gulden
erhalten, «das nächste, so ihm ledig wird», und einst-
weilen 50 rhein. Gulden jährlich. (Rapp. U. B. III 452). —
Die beiden obengenannten Hatlstalt waren auch
Lehnsleute des Rappoltsleiners ; das hielt sie aber nicht
ab (oder vielleicht wussten sie es noch nicht), im Juli
1437 «.Heinrich Kaplern* abzusagen : «dass ich euer,
eurer Helfer, Helfershelfer und aller der Euern Feind
sein will von wegen des edeln Junkers Smasmans zu
Rapoltstein und Hohenack, meines gnädigen Junkers».
(Rapp. U. B. III 457.) —
1441 ist ^Heinrich Kapier* im Besitz eines Rappolt-
sleinischen Lehens und zwar des Dinghofes in Egisheim.1
Am 17. März beurkundet er (Rapp. U. III 531), dass er
deshalb Herrn Smasmann gehuldet habe.
1442 scheint er sich längere Zeit in Egisheim auf-
gehalten zu haben ; denn am 20. Juli schreiben Meister
und Rath in Colmar an ihren «guten Freund» Kaspar
Sachse, dass sie bereit seien, in einer Streitfrage mit
1 Die Rappoltsteiner hatten in Egisheim zwei Dinghöfe : a) den
Girsbergdinghof b) den Kaiserdinghof. In diesen wurden die Appel-
lationen der 4 andern Egisheimer Dinghöfe gezogen (Stoffel 116).
Im Rapp. U. III. Nr. 91 und 106 sind die Einkünfte des Dinghofs aus
Wein, Feld, Holz u. s. w. angegeben Auch ein Haus gehörte dazu.
— Vgl. auch Bez. A. E 2365, wo sich u. A. ein Bericht über den
Dinghof aus dem Jahr 1753 von dem rappoltst. Registrator Steinheil
befindet.
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— 10
ihm Herrn Smasman als Schiedsrichter anzunehmen, oder
Thenigen von Hattstatt oder den «vesten Heinrick Cap-
peler». (Rapp. U. III 546.)
1442 kam Kaiser Friedrich von der Krönung in
Aachen den Rhein herauf. In Mülhausen wurde ihm ge-
huldigt, nachdem er schon im Mai 1441 von Neustadt
aus die alten Rechte der Stadt bestätigt hatte.1 Die Edel-
leute der Umgegend verklagten die Bürger, dass sie
Hasen und anderes Wildpret in Löchern fingen. Aber die
Stadt machte geltend, dies geschehe nur auf städtischem
Gebiet, und der Kaiser gab ihr Recht. Da bot sich gegen
Ende des Jahres den Edelleuten eine andere Gelegenheil,
mit Mülhausen anzubinden. Ein Schneider, Namens
Hummel, war in den Rath gewählt worden, aber Graf
Ludwig von Helfenstein schrieb an die Stadt (3. Dec),
Hummel sei sein Leibeigner und habe sich auf Anfordern
nicht gestellt. Es entspann sich ein längerer Briefwechsel,2
und schliesslich sagte der Graf mit Hans von Rechberg
und Heinrich Capler der Stadt ab. Ein Bürger wurde
zum Verräther, spiegelte vor, er wisse Gelegenheit, den
Rechberg abzufangen und erhielt 50 Mann unter dem
kleinen Stadtbanner. Als aber die Schaar am 2. Februar
1443 gegen Sennheim kam, wurde sie von Rechberg und
Kappler überfallen und in Masmiinsler gefangen gelegt.3
Die Gefangenschaft dauerte — drei Jahre ! Nach einem
Jahre kam es zwar durch Vermittlung des Landvogts
Reinharl von Neipperg zu einem Waffenstillstände 4 «von
der geschieht wegen zwischen Heinrich Cappeller, vogt
zu Maszmünster und denen, die dabei gewesen, einerseits,
und uns und den Unsern, so sie uns niedergeworfen
haben andrerseits», aber die weiteren Verhandlungen
i Cart. M. II N 580
* Cart. M. II N 596 ff.
» Petri 116. Graf I 169.
* Cart. M. II, N 611
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- 11 -
zogen sich in die Länge, so dass zuletzt der Kaiser ein-
schritt und folgenden Brief schrieb : 1
«Heinrichen Caplern, Vogl zu Massmünster. —
Friedrich,
«Lieber Getreuer, Uns hat der hochgeborne Ludwig,
Pfalzgraf bei Rhein, des heiligen römischen Reiches Erz-
truchsess und Herzog in Baiern, Unser lieber Oheim und
Kurfürst, vorbringen lassen, wie etliche Bürger von
Mülhausen und die Ihren von Dir und andern der Un-
sern gefangen worden sind, wiewohl sie Unsern Landen
und Leuten nicht Willen gehabt einigen Schaden zu
thun, sondern ihren Feinden nachzustellen, und hat Uns
gebeten, die ledig zu schaffen. Da nun die genannten von
Mülhausen Uns und dem Reich zugehören, ... so ist
Unsre Meinung und befehlen Dir auch gebietend ernstlich
und festiglich mit diesem Brief, dass Du die Genannten
zur Stund und angesichts dieses Briefes, ihres Gefäng-
nisses ungeschätzt und ohne ihren Schaden ledig sagest
und darin keine Ausrede habest, und nehmest von ihnen
eine alte gewöhnliche Urfehde. Und thu in den Sachen
nicht anders ; das ist unsere ernstliche Meinung. Hat
dann Hans von Rechberg oder sonst Jemand von denen
von Mülhausen etwas zu beanspruchen, so sollen sie
ihnen rechtens willig und gefolgig sein vor dem ehge-
nannten Unserm lieben Oheim, dem Pfalzgrafen, oder Uns
als einem römischen Könige, das uns genüglich bedünkt.»
Dieses kaiserliche Schreiben hatte denn doch Erfolg.
Am 30. Mai 1446 kann Pfalzgraf Ludwig aus Konstanz
mittheilen, sein Oheim Herzog Albrecht von Oesterreich,
habe ihm versichert, dass er ihm zu Lieb und Willen
die Mülhauser, die ^Heinrich Öappler, der Amtmann
» Cart M II, N. 700 im Jahr 1446 ohne Tag. (Ich habe die
Sprache etwas gefeilt).
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- 12 -
von Morsemünster» gefangen gehabt, auf eine gewöhnliche
schlichte Urfehde ledig gesagt habe. Und am 26. Sept.
beurkunden Meister und Rath von Mülhausen, dass «die
Unsern, im dritten Jahre ... zu Massmünster von dem
vesten Heinrich Cappeler, Vogt daselbst» niedergeworfen
und gefangen, auf in Konstanz beschlossene Urfehde frei
geworden seien, und dass sich die Stadt weder jetzt noch
zu künftig in keiner Weise rächen wolle. 1
Während dieser Fehde waren die armen Gecken ins
Land gefallen (26. Aug. 1444 Schlacht bei St. Jakob).
Was Wunder, dass die geplagten Bürger und Bauern
sagten, der Adel habe die Schinder gerufen und mitge-
holfen. In Basel und Mülhausen kam es zu Unruhen,
die mit der Verlreibung des Adels endigten. Aus Mül-
hausen wurden die Edelleuteund Achtbürger 1445 sämmllich
«mit Hurst und Nest» ausgewiesen, darunter Hans von
Rechberg und Heinrich Cappler,* der also in Mülhausen
ein «Nest» gehabt haben' muss. 3
In dieser Zeit begegnet uns der Name Heinrich
Kapplers noch einmal urkundlich. Im Carl. Mülh. II
S. 204 steht (2. Sept. 1445) ein «Anschlag von Herren
und Städten der Vereinung wider die Schindern über
die Zahl von Berittenen, die von den einzelnen Mitgliedern
zu stellen seien. Es sind jämmerliche Zahlen : 4 der Rap-
poltsteiner z. B. hat 6, der Vogt von Reichenweier 3,
die Sladt Colmar 8 Reiter zu liefern! Es wurde ein ge-
1 Cart. M. II N. 701 u. 711.
2 Petri 124. Graf 1 178.
3 «Wer Bürger werden will, der gibt den Bürgern ein Pfund
und soll ein Haus kaufen zum mindestens um fünf Pfund> heisst es
in allen kaiserlichen Freiheitsbriefen der Stadt (Cart. M. I S. 10O
u. a.) — «Die Kappler scheinen in der Oberstadt (Schulgasse) ge-
wohnt zu haben ; wenigstens wird ein Conrat Kapeller im Gewerf-
register von 1432 und 38 dort aufgeführte (Gütige Mitth. des Herrn
Prof. Dr Post in Mülhausen, der ausser den Urkunden im Cart. im
Mülh. Archiv sonst nichts über die Kappler gefunden hat.) — Dieser
Konrad war vielleicht der Vater Heinrichs.
4 Die Zahl der Armagnaken wird eben auch übertrieben sein.
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— 13 —
meinsamer Zug nach Mömpelgart geplant und ein Tag
dafür festgeselzt, nachdem man sich zuvor noch mit
Hans von Thierstein und Heinrich Capeller «als von
unserer gnädigen Herrschaft von Oestreich, was ihr
Wille darin sei», verständigt nahen werde.
In der Zeit, als «das fremde französisch Volk, ge-
nannt die Schinder», im Lande waren, haben sie auch
den Mülhausen] «Tag und Nacht allenthalben Schaden
zugefügt, besonders aus dem Schloss und Dorf Zillisheim».
Da zogen die Bürger aus und steckten die Mühle dort-
selbst in Braud, damit sie die Feinde nicht mehr brauchen
könnten. Aber unglücklicher Weise brannte bei dieser
Gelegenheit das ganze Dorf ab, und die Aeblissin von
Masmünsler, der die Mühle gehörte, sowie der Ritter
Albrecht Hatmannsdörfer als Herr des Dorfes forderten
Schadenersatz. Als dieser verweigert, wurde, kam es zur
Fehde, und erst am 20. April 1452 legte Graf Hans von
Thier stein den Handel gerichtlich in Ensisheim bei.
Unter den «Räthen, so hierbei gewesen sind und mit uns
gesprochen hant» erscheint auch Heinrich Cappeller. 1
Bereits 1422 haben wir ihn unter den Ensisheimer
Rathen gefunden. Wenn er damals nicht schon Vogt in
Masmünster war, so wird er es doch 1452 noch gewesen
und als solcher zu dieser Sitzung nacli Ensisheim be-
rufen worden sein.2
In den fünfziger Jahren scheint er gestorben zu sein.
Seine Frau war eine Edle von Pfirt und Ines Clarelse.3
1 Cart. M. II N. 768.
2 Deber das Ensisheimer Reg. vgl. Als. i 11 . II 23.
9 Die Edlen von Pfirt kommen schon 1135 vor, gehörten zu
den bedeutendsten Ministerialen der 1234 ansgestorbenen Grafen
von Pfirt und erloschen erst 1848 zu Freiburg i. B. (Kindler 67).
Sie waren auch Bürger von Mülhausen war ein Heinrich
von Pfirt Bürgermeister, der Vater der Clarelse ? und 1498—1502
Hans Ulrich v. Pf. vgl. Graf I 273).
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- 14 —
II.
Kapplerisohe Denkmale.
«Im Innern der Kirche zu Gildweiler ist eine späl-
gothische Grabplatte erhalten mit der lückenhaft ge-
wordenen Aufschrift : «Anno dmi MGGGGL. . . 1 .... ricus
Cappeler, armiger.» Kraus (Kunst u. Alterth. II 123)
meint, das sei vielleicht der von Schöpflin * angeführte
Fridericus Kappeler. Es wird aber der Vogt Heinrich
(Henricus) sein, dessen Witlwe um 1466 in Gildweiler
wohnte. Der Fridericus Schöpflins (1471; ist Heinrichs
Sohn, unser Friedrich. — «Diezweile Nische der Sebastian-
kirche in Sulzmatt hat, etwa in der Mille des Schiffes
angebracht, eine sehr schöne Verkündigung in Hochrelief,
Sleinsculptur, dazu die knieeuden Bilder der Stifter, eines
Ritters und seiner Dame . . . Ueber dem Relief die
Inschrift: Anno dmi MGGGGLXXXXV hat junkher
Wilhelm Capler dis begrebnis losn machen».3
Dieser Wilhelm ist der Bruder unseres Friedrichs.
Seine Frau hiess «Adelheil Begerin»4 (Beger von Geis-
polsheim). Am Schlusssteine des Gewölbes sind die
Wappen des Paares erhalten.
1 1885 konnte Doniat noch lesen: MCCCCLII. Die heutige
Kirche steht an der Stelle der um 1469 erbauten ; die älteste war
1376 von den Engländern zerstört worden. (Kraus). Jetzt ist der
Grabstein leider nicht mehr im Innern der Kirche», sondern als
Schwelle vor die Kirchthür gelegt! Wenn er da bleibt, wird die
Inschrift bald ganz weggetreten sein ! Ich konnte, im Mai d. J., nur
noch lesen : «Anno domini (auf der einen Schma'seite), «... Her»
(auf der Langseite) und «armiger» (auf der andern Schmalseite);
also gerade der Namen ist schon fast ganz verschwunden !
* Als. ill. 11 640 : «Fridericus Kappeler armiger anno 1471
En8i8hemio praefectus erat».
s Kraus II, 625. Rothmüller (Musee S. 162) gibt eine Ab-
bildung.
4 Brnderschaftsbuch von Ammerzweiler (Doniat).
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— 15 —
In Gildweiler erinnert nur noch ein Flurname
«Kappler» 1 an das alte Geschlecht. Das Schloss ist spurlos
verschwunden. Ein achtzigjähriger Ackerer in Hecken 2
hat dem Lehrer Herrn Fashauer in Falkweiler im Januar
1895 mitgetheilt, was ihm seine Ellern und Grossellern
darüber erzählt haben :
«Zur Zeit, als sein Ur- und Ururgrossvater lebte,
zu Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts standen
in der Flur iLinden* in der Gemarkung Falkweiler, rechts
an der Strasse von Falkweiler nach Hecken,3 Ruinen
eines grossen Hauses, aus dessen Fensteröffnungen
Brennesseln und anderes Unkraut hervorwuchsen. Das
war das Kapplerische Schloss. Sein Vater sah noch zwei
Brunnen (Cisternen) an der Stelle, die wohl erst zu
Anfang unseres Jahrhunderts völlig verschüttet worden
sind. — Zu den Besitzungen der Kappler gehörte auch
der sogenannte «Dreissig Schuh weg». Er führte von Ober-
traubach bis zur Kirche auf dem Berge zu Gildweiler
und ist noch jetzt theil weise erhalten. In der Gemarkung
von Gildweiler stehen mehrere Grenzsteine mit der Zahl
1717 (auch am Dreissig-Schuhweg steht einer), die an-
geblich die Kappierischen Liegenschaften begrenzt haben».4
Von einer Abbildung (?) Friedrich Kapplers in der
Breisacher Reimchronik, von der Ehrentafel zu Trient
und seinem leider nicht mehr vorhandenen Bild im Amis-
hause zu Bozen werden wir später hören.
1 Am obern Eappler 1526, jm Capler 1555, an dem Kappler
1629 (Stoffel 285) ; — Aach eine Flurabtheilung des Bannes Balsch-
weiler an der Grenze des Gildweiler Bannes heisst jetzt noch: Kappler.
* */* Stunde von Gildweiler.
» Vgl dazu Krauss 11 123 : Zwischen Gildweiler und Falkweiler
stand bis zum 18. Jahrb. ein altes Schloss, genannt Wasserhaus
neben der jetzt auch verschwundenen Linde. «Ohne Zweifel ist dies
Wasserhaus identisch mit der Behausung des edlen vesten Friede-
rich Kappeler von Falk weiter» 1608 (Bez. A. Fonds Maz. Lettres
de creanc. du G. d'Ortenb.)
* Gütige Mitth. des H. Fashauer.
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- 16 -
III.
Kindheit und jüngere Jahre.
Der «Kapplerhof» in Masmünster lag bei der Stifts-
mühle auf dem ummauerten Platze, der heute noch
Schlosshof heisst. Doniat hat zwei Urkunden abgeschrieben
(v. 23. August 1485 u. 17. Dec. 1496), nach denen sich
die Lage des Hauses bestimmen lässt. Die Urkunde von
1496 handelt von einem Streite zwischen der Aebtissin
und der Stadt über die Baulast eines Brückleins :
«Luthold von Berenfeis, Fridrich Kappler, Obervogt zu
M., Ritter, und Diebolt von Pfirt, der R. K. M. Räthe
tun kunt mit diesem brief . . . eines brückleins halben
zwischen zweien Mühlen undt gegen Herrn Friderich
Kaplers hof» ; und in der andern Urkunde steht :
^zwischen dem Edlen und Strengen Herrn Friderich
Capeler, Obervogt zu M. und meiner gnädigen Frauen
Mühlen.*
Das Gebäude, welches heute an der Stelle steht, trägt in
eisernen ZifFern die Jahreszahl 1697. Es ist 1685 von
einem Grafen Rothenburg zu bauen begonnen worden.
Thüre (1685) und Treppe zeugen noch von ehe-
maligem Reichtum. Jetzt gehört das Haus der Frau
Ilerpierre, geb. Maria Doniat, und wird von kleinen
Leuten bewohnt. 1
1 1559 bis 1617 war der Kapplerhof im Winter von den Herren
von Bollweiler (den Pfandherrn von Masra.) bewohnt, 1617 — 1632
von Joh. Ernst v. Kirchberg und Weissenborn (=Fugger). Dann,
weil die Fugger franz. Lehnspflicht verweigerten, zog ein Claude
Millot Sieur de la Perriere ein (1661) : Le fief consiste en une
Maison scise dans la petite ville au dit Masmunster». 1684 trat
Konrad von Rosen nach kurzem Besitze das Haus an seinen Schwager,
den Grafen von Rothenburg ab, der es einriss und den Neubau
anfing Die Rothenburg und ihre Verwandten, die Broglie, besassen
das Gebäude bis 1862, wo es Konrad Doniat ersteigerte, der Vater
der jetzigen Eigenthüraerin. (Doniat).
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— 17 -
Ein Mauerrest und ein Pfeiler in dem Gässchen
rechts beim Eingange in den Schlosshof sind die einzigen
Ueberbleibsel des alten Gebäudes.
Hier hat der Vogt Heinrich Kappler gewohnt und
hier wird — um 1435 auch sein Sohn Friedrich geboren
worden sein. Auf diesem Hofe haben die Brüder Friedrich
und Wilhelm 1 gespielt und den Vater aus- und eiureiten
sehen.
Die Mutler Frau Glarelse scheint an den Jungen
die Ruthe nicht gespart zu haben. Wenigstens schrieb
sie später, als Wittwe, von Gildweiler aus an die Mül-
hauser, die zwei Söhne seien aus ihrer «Ruthen und
Straf gewachsen.» 2 Vielleicht hat sie die beiden auch
selbst unterrichtet. Von Friedrich steht fest, dass er
lesen und schreiben konnte.
Besonders edler Art wird die Luft des Elternhauses
schwerlich gewesen sein. Thal doch Herr Heinrich mitunter
einen Ritt, der ihm alsVogt, selbst nach damaligen Begriffen,
übel anstand.3 Auf die Städter, namentlich die Mülhauser,
und auf flie Schweizer war er gewiss schlecht zu sprechen,
und seine zwei Knaben werden diese Abneigung geerbt
haben.
Als der Vater starb, zählte Friedrich 4 etwa 20 Jahre ;
die Mutler zog nach Gildweiler. Das Vermögen war un-
bedeutend. Gildweiler mit seinen Einkünften wurde
1 Sie heissen in den gleichzeitigen Urkunden gewöhnlich nur
«die Kappler» und waren also wohl die einzigen oder doch die
allein bedeutenden Vertreter des Geschlechtes.
2 Cart. M. II N. 747.
s Vgl. Bapp ü. B. III 423 bezw. oben S 5.
* Ein älterer Friedrich Cappeler erscheint 1419 iRapp ü. B. III
44) als Zeuge, als Wilh. von Qirsperg Güter an Smasmann von
Rappoltstein verpfändete. Das war vielleicht sein Oheim und Pathe.
Im Ammertzweiler Bruderschaftsbuch (Doniat) steht : Junkherr
Friedrich Cappler; fraw Anna von Giersperg, sein Gemahel». Im
Schatzarch. (Innsbruck) III 1270: «Urfehden und Stellbrief auf Herzoz
Fridrichen von Fridrkhen Capeller und Jakoben von Hagenbach
irer Vänkhnus halben zu Altkirch» 1414.
2
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- 18 —
Willwensilz der Frau Clarelse. Das väterliche Erbe der
Söhne bestand «in fünfzig und sechs Viertheil Korngelds,
hall) Roggen und halb Gersten, von Bart von Wünnen-
berg und dem Fulweissen von Colmar» und in «sechs
Gulden Gelds von Theugens von Pfirt seliger Hausfrau».
Das Alles war den Genannten für 360 Gulden versetzt
gewesen und auf der Söhne Bitte von der Mutter mit
«eigenem Geld» gegen die Nutzniessung Gildweilers («das
hus mit aller zugehörde, lulen, gülten, zinsen und an-
derem») ausgelöst worden.1
Der Vater war dem Rappoltsteiner mit vier Pferden
gewärtig gewesen ; sein Sohn Wilhelm sagte im Plappert-
krieg (1465) den Mnhlhausern mit nur einem Knechte ab.
Und auch diesen — er hiess Hans Darm — hat er an-
scheinend nicht lange bezahlen können.8
An diesem «Kriege»3, auf dessen Einzelheiten wir
hier nicht eingeheu können, betheiligte sich, später als
sein Bruder, auch Friedrich. Galt es doch den von
Kind auf gehasslen Mülhausen! ! —
Diese streiften einmal im Wiedervergeltungsrecht für
«Nehmen, Brand und Todschlag»4 auf die Ritlerdörfer
der Umgegend z. B. Niedersteinbrunn, Hagenbach und
Gildweiler. Das war Frau Glarelsen unlieb, und sie
sehrieb deshalb in dem schon erwähnten Brief an Meister
und Rath, sie habe gehört, dass die Stadt «von etwas
Unwillens wegen gegen ihre Söhne», sie die Mutter und
Wittwe, an ihrem «Haus Gild weilerund seiner Zubehörde»
1 Aus dem Brief der Frau «Clareilsin von Pfirt, Heinrichs Cap-
pelers seligen Wittwe» an Mülhausen 1466 (Cart. M. III N. 1020).
Die Wunneberg waren Mülh. Adelige (Wonneburggasse: Kindler S. 113).
Hans Fulweißs, ein Colmarer 1460 (Cart. M. II 747). «Meister Fulweis»,
reitender Bote der Stadt Colmar (ßapp. U. B.) — Thenie und Pentelin
Pfirt Gebrüder 1424 (Kindler 68)
2 Cart. M. II N. 919 (918).
3 Vgl. Mossmann «La guerre de six deniers, Paris 68; Graf I
202 ff. Petri 155 ff.
« Cart. M N. 898.
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- 19 -
schädigen wolle. Die Söhne, Friedrich und Wilhelm,
hätten aber ihr väterliches Erbe von ihr erhallen und
«sind aus meiner Ruthen und Straf gewachsen». Es sei
ihr leid, wenn dieselben etwas gegen die Stadt gethan,
dafür dürfe man jedoch die Mutter nicht strafen; sie
stehe unter dem Herrn von Oesterreich und «in siner
Gnaden Schirm».
Mitten in diesen «Krieg» mit den Mülhausern fiel
übrigens (1465) eine ritterliche Fehde. Ritter Wersich
Bock von Stauffenburg 1 auf Schloss Jungholz hatte eine
«uffrechte Ansprach an etliche Edellüt in Lothringen*
und wandte sich, als er bei Fürsten und Herren nicht
zu seinem Rechte kam, an den *tütschen Adel». Die
Herren zogen, 600 Mann zu Fuss und zu Ross (darunter
auch «300 Switzer»), über Thann, Krüth und den Col du
Ventron ins «Wackenthai»*, plünderten dort Dörfer der
feindlichen Edelleute und kehrten, weil «die von Tanne sie nit
über die Steige Ion wollend, miteimrob, 500 stug», durch
das Münsterthal heim. Auch hier wollten die Thalleute den
Durchmarsch verwehren, verloren aber dabei 38 Mann an
Todten und Verwundeten sammt ihrem Banner, das Wer-
sich triumphirend in Herlisheim aufhing. In diesem
Scharmützel waren u. A. dabei die Hattstatt, die Regis-
heim und «die Capler»* .
1468 finden sich die Namen der Brüder Kappler im
Verzeichnisse der vorderöstreichischen Stände beider Ge-
stade, dem sogenannten «Landleutzettet»4, und 1469 sind
1 Er stand in Diensten des Markgrafen Jakob von Baden
(Schöpflin hist. Zar. Bad. II 149).
* Veralteter deutscher Name für das Thal der Moselotte (nach
dem Ort Vagney) oder für das vall6e des Roches bei Plombieres
(Piaraserbad)?
3 Mat. Berler Chr. nnd Basl. Chr. IV 345.
4 Mone Ztschr. 12, 469 ff. Auch Hans von Hagenbach, ein (?)
Bruder des späteren Landvogts (Mone III 187) und die Rappoltsteiner
Smasmann und Wilhelm stehen auf dem «Landleutzettel>. Vgl auch
Huggle, Gesch. von Neuenburg 153 und 155.
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— *) -
zu dem Landtag in Neuenbürg am 14. März u. A. auch
geladen worden : «Wilhelm, Fridrich Kappler, Gebrüder»
Es handelte sich um Aufbringung von Geld zur Abwehr
der Schweizer. Im Verzeichnisse der Sländemitglieder,
die der Vorlage zustimmten, steht nur Wilhelm.
Es ist anzunehmen, dass die Müller kurz vorher
gestorben war, und die Brüder nun das volle Erbe über-
kommen hatten. Wir denken uns Friedrich als den
Aelteren jetzt in Gildweiler sesshaft.
IV.
A.
Unter burgundischer Herrsohaft.
Die Geschichte der Verpfändung der Vorlande durch
Herzog Sigismund (Vertrag von St. Omer: 9. Mai 1469)
und was ihr vorherging, muss als bekannt vorausgesetzt
werden. 1
Peter von Hagenbacli, Karls des Kühnen Landvogt
in den Pfandlanden, halb Burgunder, halb Sundgauer,
war der Ritterschaft nicht unwillkommen. Er ernannte
sogleich einen Einheimischen, Bernhard von Gilgenberg-
Ramslein, zu seinem Stellvertreter und zum Präsidenten
der Regierung in Ensisheim, die, ganz wie zuvor, aus
dem landsässigen Adel zusammengesetzt war.
Die Kappler kannte der Landvogt jedenfalls persön-
lich ; denn Hagenbach liegt nicht weit von Gildweiler.
1 Näheres und Neustes bei Jäger II 21 ff., Witte «Zur Gesch.
der bürg. Herrsch.». Ztschr. N. F. I S. 129 ff. und Neriinger S. 4 ff.
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21
Vermuthlich war Friedrich 1 schon in der ersten Zeit
unter den Rathen in Ensisheim. Schöpflin nennt, wie
wir schon wissen, einen Friedrich Kappler 1471 sogar:
«praefectus Ensishemio» und rauss dafür doch eine Quelle
gehabt haben. Demnach wäre Friedrich der Nachfolger
Gilgenbergs als Vorsitzender der Regierung gewesen, *
oder der Daliv : Ensishemio bedeutet, dass er Bürger-
meister (u. Schultheiss ?) der Stadt war.3
Urkundlich finden wir ihn in der Thal schon 1470 in
Hagenbachs Dienst. Der Landvogt hatte, zu des Adels
Entzücken, angefangen, sich an Mülhausen zu reiben.
Am 6. Mai 1470 4 müssen sich die Bürger ver-
pflichten, einen Gefangenen «mit Namen Specklin», der
Herrn Wilhelm von Rappoltstein zugehörle, « unverzüglich
und ohne Schätzung» ledig zu lassen, und am 25. Mai
geht der Landvogt selbst in die Stadt und fordert sie
auf, sich in burgundischen Schutz zu begeben und «aus
einem Kuhstall ein Rosengarten» zu werden.5
Die kleine, überdiess verschuldete Reichsstadt war
übel daran und musste sich schlechte Behandlung ge-
fallen lassen.
Die Bürger halten ein Pferd Friedrich Kapplers
erschossen ; wo und wie das geschehen, wird nicht gesagt.
Da schrieb der Landvogt (am 17. Sepl. 1470) einen
zunächst «gütlichen» Brief an die Stadl/'
«Liebe Freund, mir ist zukommen, dass ihr Fridrich
Cappelern, der meines gnädigsten Herrn ton Burgund
1 Neben des Landvogts jüngerem Bruder, Stephan von H.
2 Schöpflin (Als. il). II S. 23) führt Gilgenberg 1469 als «praeses»
an. Vgl. Witte (b. S. 20 Anm. 1) S. 141 Anm.
3 Das kann praefectns (nach Du Cange) auch heissen. Mone
(III 338) vermuthet, dass Fr. Kappler später in Breisach von Hagen-
bach zum adeligen Bürgermeister (neben dem bürgerlichen) ernannt
worden sei. Diese Annahme gewänne dadurch eine Stütze.
* Urk. Buch der Landschaft Basel II 1037.
5 Graf 1 248 ff. Petri 180 fif.
6 Cart. M. III N. 1527 ohne Ortsangabe, aber wahrscheinlich
aus Ensisheim
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— 22 —
Diener ist, ein Pferd, das hundert Gulden werth oder
besser gewesen ist, erschossen habt, ohne dass er gegen
euch oder der Euern Nutz gehandelt oder etwas vorge-
nommen hat, weswegen ihr ihm solchen Schaden mit
einiger Billigkeit hallet zufügen mögen. Darum, im
Namen und an Statt meines gnädigsten Herrn von Bur-
gund, forder1 und begehr ich an euch, ihr wollet dem
genannten Friedrich Cappeler als meines gnädigsten
Herrn Diener solch Pferd von Stund an bezahlen».
Als die Stadt nicht sofort antwortete, folgte (und
zwar schon am 19. Sept. !) ein zweites Schreiben Hagen-
bachs aus Ensisheim, worin die Entschädigung Kapplers
und Anderer verlangt und mit Vergellungsmassregeln
gedroht wird.1
Für den November war ein Slädletag zu Colmar
angesetzt, wo über die Lage des verschuldeten Mülhausen
berathen werden sollte. Da erneute der Landvogl sein
Begehren, die Stadt möge sich in burgundischen Schutz
begeben, und unter den neun Forderungen an sie in
seiner «Anmuthung auf den Tag zu Colmar» vom 11.
Nov.2 lautet die fünfte :
«Item und vor allen Dingen sollen die von Mül-
hausen Fridrich Cappeler sein Pferd bezahlen.»
Da diese drei Briefe aus Ensisheim sind, wird
auch Kappler dort gewesen sein ; jedenfalls ersehen wir
daraus, dass er dem Landvogt sehr nahe stand.
Am 12. Nov. war in Ensisheim grosser Truppe n-
zusammenzug. Es handelte sich um die Eroberung der
Orlenburg, deren Besitz dem Landvogt wegen der Ver-
bindung mit Lothringen durch das Weilerlhal wichtig
» Ebenda N. 1529.
2 Cart. M. III N. 1542 ohne Ortsangabe, aber gewiss auch aus
Ensisheim, wo schon Tags daranf der Truppenzusamraenzug < gegen
Ottenburg) stattfand. Zudem lautet die neunte Forderung : «Item die
von Mülh sollen in Ensisheim erscheinen als zu einem andern
gütlichen Tag (auf den 4. Dec.)
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23 —
war. Friedrich Kappler befand sich nicht unter den
Aufgebotenen.1 Er musste eben zu dem «gütlichen Tag»
mit den Mülhausern (S. 22 Anm.2) in Ensisheim bleiben.2
Am 10. Mai verlangte Karl der Kühne die Hilfe der
Pfandlande gegen Frankreich : «Alle seine Mannen in der
Herrschaft Pfirt sollten sich zu Ross rüsten auf seinen
Sold». Der Zuzug war schwach ; bei der Musterung in
Dammerkirch erschienen nur 99 Berittene, im Ganzen
767 Mann. Unter den elsässischen Edlen, die Neriinger
(S 66 ff.) aufzählt, fehlen die Kappler. Auch das lässt
vermuthen, dass Friedrich vom Landvogt in amtlicher
Stellung (in Ensisheim) zurückgelassen wurde.
Im Herbst schlössen Burgund und Frankreich einen
Waffenstillstand (zu Senlis), und Hagenbach kehrte an
den Rhein zurück.
Alsbald bot er (Januar 1473) den Mülhausen! wieder
die burgundische Schutzherrschaft an.3 Die Sladt sei
«ein Unkraut in einem Rosengarten, das man ausreuten
müsse. Würde das aber in ein Wesen gebracht, so
könnte die Stadt die schönste Zierde des Rosengartens
«Elsass, Sundgau und Breisgau» sein, und «er wüsste
dann nicht, wo er lieber wohnen möchte».
Den anderen elsässischen Reichsstädten wurde es
bange, und man vereinbarte 4 (am 18. März) in Basel
ein Schutzbündniss gegen Burgund mit den Eidgenossen
1 46 Geschlechter sind namentlich aufgeführt. (Witte, Ztschr.
N. F. VIII ö51 ff. u I 151 ff.) Vgl. auch Mone 201, 423, 42tf, Nev-
linger 35 ff.
2 Dagegen theilte Wilhelm K. die Gefangensetzung des Land-
vogts bei Ottenburg durch Reinhard von Schauenburg auf der
Heimreise aus Flandern und verbürgte sich (mit Friedrich) für die
Zahlung des Lösegelds. (Schauenburg war Mitbesitzer der von Hagen-
bach eingenommenen Ortenburg gewesen.) Witte ebenda (I lo4 ff.)
and im Jahrbach für Schweizer Gesch. 1885. (Auch Beiträge zur
vaterl. Gesch. von der hist. Ges. in Basel XIII S. 363) Also auch
hier ein Kappler in der unmittelbaren Umgebung Hagenbachs.
s Cart. M. IV. N, 1660.
* Cart. M. N. 1665.
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— 24 —
und die Auslösung der Pfandlande durch gemeinsame
Vorschüsse.
Am 28. März führte nun Hagenback, wider alles
Herkommen ohne Befragung der Stände, den «bösen
Pfennig» ein,1 was grosse Unzufriedenheit und selbst
Unruhen hervorrief. Auch Breisach weigerte sich, die
Steuer zu zahlen und schickte Gesandte an Herzog Karl,
der dann bestimmte, die Sache solle in der Schwebe
bleiben, bis er selbst komme.
Die Gährung im Lande muss schon damals sehr
gross gewesen sein. *
B.
Der Aufstand in Breisach.
Im October 1743 war Hagenbach bei seinem Herrn in
Trier. Kaiser Friedrich III. schien um der burgundi-
schen Heirath willen gegen die Baseler Verbündelen Partei
ergreifen zu wollen. Schon im Juli hatte er dem Land-
vogt das Recht zugestanden, das Stadtschultheissenamt
in Mülhausen zu kaufen,3 und nun ergingen von Trier
aus neue drohende Aufforderungen au die Stadt, sich der
burguudischen Oberhoheit zu unterwerfen. Aber die
1 Eine hohe Weinsteuer. Witte, Zusammenbrach, Ztschr. N. F.
II 4 ff. — Neriinger 69 ff — Chmel, Mon. Habsb. I 116 ff.
8 Der Elsässer Graf schreibt 1819 in seiner Gesch von Mülh.
(I 247) : cAller Groll fiel auf Hagenbach Der Schweiz. Chronist
Schilling bringt nach allen «schentlichen Sachen >, die er nicht nennt,
als Hauptverbrechen gegen ihn vor, dass er «gemein Tutschland
welscher Zun? wollt unterthänig machen». Die deutschen Namen
wurden erbärmlich verdreht, wie aus ff. Beispielen erhellt : Landgraf-
schaft Oberelsass = Vicomte d'Auxois. auch Aussois. Aussay ;
Ensisheim = Anguessel, Mülhausen = Melehouse».
3 Dem kamen aber die verbündeten eis. Städte zuvor. (Ner-
iinger 91 Anm 1.)
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25
Verhandlungen zwischen Kaiser und Herzog zerschlugen
sich; Friedrich reiste plötzlich von Trier ab, und Karl
zog zornig mit grosser Macht durchs Weilerthal das Land
herauf. Colmar schloss ihm die Thore. Da übernachtete er
(am 23. Dez.) im Schlosse von Kienzheim beim Grafen
von Lupfen und Hess sich am folgenden Tage in Breisach
huldigen. 1
Dort stand jetzt Friedrich Kappler als oberster Haupt-
mann der deutschen Fussknechte, nicht ahnend, was ihm
die nächste Zeit bringen sollte.
Breisach war mit burgundischer Einquartierung
überfüllt, und schon während der Anwesenheit des Herzogs
kam es zu Ausbreitungen :
„Man brauchte nicht Heiberg zu geben:
Jeglicher nahm, was ihm war eben,
Und ich sage Euch für wohr,
Sich erhob ein wild Rumor." 2
Am 31. Dez. zog Karl nach Ensisheim weiter; aber
Ilagenbach hatte zum Ersatz 800 Pikarden, die in der
Umgegend einquartiert gewesen, am Morgen in die Stadt
einrücken lassen zum Schrecken der Bürgerschaft und zum
Verdniss der deutschen Söldner, die darin ein Zeichen von
Misstrauen erblickten.
Während Karl in Ensisheim war, dort, um die
Schweizer nicht vorzeitig zu reizen, mit Mülhausen glimpf-
lich verhandelte und endlich (am 8. Januar) über Thann
und Mömpelgard nach Besancon ging, hatte die welsche
Besatzung in Breisach 8 allerhand Rohheil getrieben und
Hagenbach selbst angefangen, die beschworenen Freiheiten
der Stadt mit Füssen zu treten. Das oberste Richteramt
wurde in die Hände eines ganz burgundisch gesinnten
Ritters, Werner von Pforr, gelegt. Neben ihn, den
1 Näheres bei Witte (Zusammenbruch) Ztschr. N F. II 18 ff.
* Reimchronik (Mone III 304).
3 Reimchronik (Mone III 313).
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- 26
Schultheiss, trat als Obervogt Stephau von Ilagenbach,
des Landvogts Bruder. Die Zünfte wurden aufgelöst,
mussten Fahnen und Waffen abliefern und durflen sogar
ihre «Trinkstuben» nicht mehr besuchen. Die Befreiung
vom «bösen Pfennig» hatte der Herzog den Breisachern
schon persönlich abgeschlagen, und es ist anzunehmen,
dass Hagenbach in all seinen Massregeln ganz im Sinne
seines Herren handelte.
Ende Februar sprengte er den Stadtrath, in Begleitung
eiuiger herzoglicher Rälhe persönlich die bürgerlichen
Mitglieder aus der Sitzung weisend. Die adeligen Mit-
glieder blieben, und unter ihrer Zustimmung wurde ein
neuer Rath eingesetzt mit zwei neuen Bürgermeistern
an der Spitze, einem adeligen und einem bürgerlichen.
Mittlerweile hatte Hagenbach (am 24. Januar) in
Thann Hochzeit gehalten und war mit seiner jungen Frau,
einer Gräfin von Thengen, in Breisach eingezogen, um
in der geknechteten Stadt jene berüchtigte tolle Fastnacht
zu feiern, recht eigentlich «auf einem Vulkan tanzend».1
Der neue adelige Bürgermeister war nach Mones
Vermutung (III. 241 u. a.) Friedrick Kappler. Dabei
hat er nur das Bedenken, dass es in der Reimchronik 2
(III 332, 55 ff) heisst:
«Der Bürgermeister ward gesatt,
Mit ihm ein Edeler der Stadt ; >
1 Ebenda 322 ff
2 Die Reimchronik stammt ans dem Jahr 1480, und ihr Ver-
fasser ist, wie Mone glanbt (III 254 ff), der abgesetzte bürgerliche Bür-
germeister Stehelin, weil dessen Namen darin nie genannt wird. Auch
der Name des von Hagenbach eingesetzten adeligen Bürgermeisters
wird nicht mitgetheilt, sondern nur gesagt, dass er des Landvogts
Hauptmann war. Als solcher erscheint aber Friedrich Kappler an
erster Stelle, und die Verschweigung seines Namens in der später ja
nicht sehr rühmlich erscheinenden Würde eines burgundischen Bür-
germeisters kann als eine Schonung Kapplers durch den Chronisten
gelten. Neben Kappler war freilich auch ein geborner Breisacher von
Adel. Friderich Vögelin, Hauptmann; aber es ist unwahrscheinlich,
dass Hagenbach einen Einheimischen als Bürgermeister eingesetzt
hat, und Kappler ist nach der Reirachronik offenbar der oberste
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— 27 —
denn KappJer sei ja nicht aus der Stadt, kein Breisacher
Edler gewesen. Aber die Worte «der Stadt» können
auch der Dativ sein, und überdies lautet die Lesart der
zweiten Handschrift der Reimchronik an dieser Stelle:
«Der Bürgermeister ward erweit,
Ein Edlen anch er zn ihm stelt »
Es ist also nicht ausgeschlossen, dass der frühere
Präfectus Ensishemio und jetzige Hauptmann Hagen-
bachs dieser Edle war. Dazu stimmt auch das schwankende
Verhalten, das die Reimchronik, wie die spätere Rolle
Kapplers vorbereitend, den adeligen Bürgermeister ein-
nehmen lässl. Das schnöde Auftreten des Landvogts ist
ihm oft in der Seele zuwider (III. 338, 45 ff.):
«Wie ich vernahm,
Der Burger meister kam,
Der Hageiibachs Hauptmann was,
Und sagt dem andern Meister, dass
Er beginne sich bekennen
Des Hagenbachs Fürnemen,
Dass sein Gewalt wär zu viel,
Die er treibe mit Yl
Auf die arme Stadt.»
Aber die Bürgerschaft weiss von dieser inneren Ge-
sinnung nichts, sondern urtheilt noch hart über ihn
(III. 338, 80 ff.) :
«Ein Bürgermeister war ein Ritter,
Der ander ein Burger.
Der Ritter war Hagenbachs Hauptmann;
Was Hagenbach wollt fahen an,
Das schuf auch der Ritter;
Das war der Gemeinde bitter. —
Hauptmann: Vgl. die Kap. 120, 121 und 126. Kap. 100 (III 342)
heisst es:
«Hagenbachs oberster Hauptmann
Zu dem anderen Bürgermeister kam.»
Kappler wäre sonach etwa gewesen, was wir heute «Stadtkomman-
dant» nennen und als solcher vielleicht zugleich der «adelige Bür-
germeister».
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— 28 —
Auch Wilhelm Kappler war damals in Breisach, und
die Brüder galten draussen als gut burgundisch. Zu An-
fang des Jahres 1474 war Klaus Hafner, der Leutpriester
von Gundersheim bei Rufach, in Breisach gewesen und hatte
dort die Kappler gesprochen. Im März kam er nach
Basel und erzählte seinem Gastfreunde, Heinrich Rieher,
von diesem Gespräch. Die Kappler hätten gesagt, Strass-
burg und Basel hegten im Bunde mit Freiburg böse Ab-
sichten auf Breisach, «daran uns (Baslern) doch ungütlich
(Unrecht) geschieht.» 1
In der That war auch Basel an dem übrigens miss-
glückten Anschlag Freiburgs (s. u. S. 32) unbetheiligt.
Inzwischen hatten, von Frankreich beeinflusst, die
Eidgenossen mit Sigismund weiter verhandelt. Am
30. März kam es in Konstanz zur «ewigen Richtung»
zwischen ihm und den Schweizern ; Tags darauf schlössen
die Städte der «Niedern Vereinigung» (Colmar, Schlett-
stadt, sowie Basel und Strassburg, einschliesslich der
Bischöfe) ein ßündniss auf 10 Jahre mit den Eidgenossen,
und Herzog Sigismund trat der «Niedern Vereinigung»
bei. — Der «Pfandschilling» wurde zusammengeschossen
und in Basel hinterlegt. Eine Gesandlschaft sollte dem
Herzog von Burgund dies und damit das Ende seiner
Herrschaft am Oberrhein anzeigen.
Am 2. April läutete man in Basel mit allen Glocken,
um der Freude über die Wendung Ausdruck zu geben,
und überall in den Pfandlanden wussle man nun, dass
die Stunde der Befreiung geschlagen habe.
Auf dem Felsen von Breisach aber sass noch der Land-
vogt, mehr und mehr umflutet von Aufruhr und vergeblich
auf Entsatz hoffend.
Die letzten Tage seiner Herrschaft und die Rolle
Kapplers in dieser Zeit schildern wir nun, soweit das nicht
bereits geschehen, nach der Reimchronik.
i Baal. Chr. III 379 u. Änm. 3.
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— 29 -
V.
A.
Friedrioh Kappler in der Reimchronik.
Die Nachricht von den Abmachungen in Conslanz
erhielt Hagenbach durch einen reitenden Boten. 1
«Da der Band am Bodensee
War mit dem Fürsten (Sigism.) beschlossen,
Den Hagenbach hat es verdrossen.»
Er bot den Eidgenossen die vier Waldstädte an,
falls sie auf burgundische Seite träten, fand aber keine
Gegenliebe.
«Aach die Bürger erfahren die Mär,
Wie der Band beschlossen war»,
und dass Sigismund die von Hagenbach besetzte Stadt
«in kurzer Stund» wieder einlösen wolle. Der Landvogt
hatte aber früher geprahlt, weder der Kaiser, noch Sigis-
mund, noch call teutsche Land» würden Breisach lösen
können. Um 50 000 Gulden seien die Lande versezt,
aber für Breisach allein nehme der Herzog von Burgund
nicht 200000 Gulden;
«Er wolle fürwahr ein Herr sein
zu Brysach auf dem Rhein,»
Und «habe auch Guts genug».
Jetzt schickte die Bürgerschaft eine Abordnung an
den Landvogt mit der Frage, wie er sich in den gegen-
wärtigen Umständen verhallen wolle. Die Antwort lautete
noch ebenso stolz : «Kann ich auch das Land und die
andern Städte nicht halten,»
«So will ich doch behalten Brisach.»
«Das von Gotts Gnaden nit beschach», setzt der
Chronist hinzu.
« Cap. 99 (Mone III 340).
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I
— 30 -
Auch unter den deutschen Söldnern gährte es bereits.
Sie waren bei den Bürgern nur auf Dach und Fach ein-
quartiert und konnten ihnen, da sie lange keine Löhnung
erhalten, die aufgewachsenen Verpflegungskosten nicht
zahlen. Als eines Tages der Landvogt «die Söldner alle
beieinander halte» und diese ihn um Geld baten, gab er
ihnen im Zorne den Bescheid: «Schlag* Jeglicher seinen
Wirth zu todt!» Da «antwurl Friedrich Kappler:»1
«0 Herr, das ist zu schwer!
Sollten wir ohn' alle Noth
Schlagen unsre Wirth' zu todt?
Sie haben uns anch gethan nüt (nichts);
Es sind anch fromme Lüt.
Sie mögen es nicht mehr erzügen,
Wie wir es auch fügen,
Dass man mit den Lüten redte,
Dass sie Geduld hätten!
Denn mit solchen Sachen
Möcht sich nichts Guts machen,
Und ob ich das wolt thun,
So will ich ehe Urlaub hon!»
Auch «die andere All» sprachen in diesem Sinn; aber
der Landvogt war über den Einspruch Kapplers in Wuth
gerathen,
«wollt' ihn nit entlassen,
Sprach : «Ein Dreck auf Din Nasen !>
Mir ist es nit zu vil,
Ihr müssen thun, das ich wil»
So schieden sie von einander und hatten «ein gross Ver-
wunder».
Die heimkommenden Söldner erzählten ihren Wirthen
den Auftritt, und beiderseits kam man überein :
«dass wir nit ohn Noth
Einander schlagen todt.»
Der «oberste Hauptmann» aber, Friedrich Kappler
i Cap. 100 (Mone III 342).
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— Si-
eben, begab sich (so ging das Gerücht) zu «dem andern
Bürgermeister»
«und sagt1 ihm die Mären,
dass sie all verrathen wären.» —
Um die Zeit legte ein grosses Schiff bei Breisach an.
Alsbald hiess es in der misstrauischen Bürgerschaft, das
habe der Landvogt bestellt, um für den Fall einer Be-
lagerung die Frauen aus der Stadt zu bringen und weiter
unten im Rhein zu ertränken ! Und weil Hagenbach über-
haupt nicht abliess, den Bürgern «allermeist Ungemach
zu schaffen», so liefen ihrer viele zu dem Bürgermeister
und klagten ihm ihre Noth :
«Helfen Ihr uns nit, so sind wir todt;
Wir mögen nit mehr bleiben.
Wenn Ihr uns so schändlich lasst vertreiben.
Denn des Hagenbachs mutwill
Ist uns worden zu viel !» 1
Dieser Bürgermeister wird wohl der adelige, der
«oberste Hauptmann» gewesen sein ; denn was hätte den
Leuten der bürgerliche helfen können?
Nun tritt in der Reimchronik ein anderer Hauptmann
auf (Vögelin) :
«Auch ein Edler, Hagenbachs Hauptmann.
Zu den Bürgern bald kam»
und warnte sie vor des Landvogts «Anschlag» ; mancher
werde gefangen gesetzt und um einen Kopf kürzer ge-
macht werden. Da baten ihn die Bürger um seinen Rath:
€ Hauptmann, gebet dazu Rath ;
Ihr seid ein Burger in dieser Stadt!»2
und er räth ihnen, «die Nachbarn zur Hilf zu nehmen»
und den Herzog Sigismund von ihrer Lage zu benach-
richtigen. Die Bürger meinen aber, der Herzog «sei noch
i Cap. 101 (Mone III 843).
* Dieser Hauptmann war also der aus Breisach gebürtige Fried-
rich Vögelin. «Auch ein Edler» = Noch ein Edler oder: ein an-
derer Edler, als der vorher genannte «oberste Hauptmann».
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— 32 —
zu fern zur Stund'», und beschliessen, sich an Freiburg
und den östr. Statthalter im Breisgau, Dietrich von Rum-
lang, zu wenden. Gleichzeitig solle aber auch der Herzog
von Burgund von «seines Landvogls bösen Geschichten»
Kunde erhalten.
Ein nächtlicher Zug der Freiburger zur Ueberrurape-
lung Breisachs misslang:
«Es führten sie ihr Haaptleut
Fast um im Feld zu weit
Sie zogen zu Friburg wieder ein
Und liessen Breisach in der Pein.»
Einige Bürger, die sich besonders schuldig fühlten,
entwichen aus der Stadt, die Hagenbach jetzt nur noch
härter drückte.
Persönlich lief er «von Thor zu Thor» und hängte die
Schlüssel an sich; neue Bollwerke wurden aufgeworfen,
neue Gräben gezogen :
«Das mnssten bezahlen die armen Barger ;
Das war der Stadt zu schwer.»
Dazu kam noch die Löhnung der Söldner «aus dem
Geld der Bürger».1
Die Anrufuug Freiburgs war nicht vom Stadtrath
als solchem ausgegangen, sondern von den Bürgern, zu
denen Vögelin gekommen war. Drei gefangene Knechte
aber, denen der Landvogt «grosse Pein anthat» (Folter?),
gaben auf die Frage, wer es mit den Freiburgern gehabt
habe, verworrene Antworten :
«Es sind etlich vom Rath
Unsre Bürgermeister
Haben gesagt der Stadt Beschwer
Sie rief an die Gemein ....
Er (wer?) uns gemahnt hat.
Er hats nit geton ohn' (den) Rat ....
So sind wir gehorsam gewesen.» 2
» Cap. 102; 104; 107.
2 Die drei Knechte scheinen die Botschaft nach Freiburg ge-
bracht zu haben.
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— 33 —
Die Sache wurde vor das Gericht des Stadtrathes
gebracht; denu der Landvogt zählte auf seine Anhäuger
in demselben ; aber der Stadtrath fällte kein Urtheil, und
auch der Schultheiss, zu dem nun Hagenbach «lief» , fand
es zweckmässig, mit einem Schuldig zurückzuhalten. So
Hess Hagenbach die Knechte laufen ; aber, da offenbar
Mitglieder des Raths die Hand mit im Spiel gehabt hatten,
traute er dieser Körperschaft nicht mehr und * setzte wieder
einen neuen Rath* ein.1 Ob dabei auch die beiden Bür-
germeister wechselten, ist nicht gesagt, aber wahrschein-
lich. Der Spielraum des Rathes wurde ohnehin täglich
kleiner, je mehr sich die Dinge zuspitzten. In der Reim-
chronik ist gar nicht mehr die Rede von ihm ; man stand
thatsächlich unter dem Kriegsrecht.
Reitende Wachen durchzogen die Strassen ; auf dem
Berg neben dem Chore des Münsters wurden drei «Haupt-
büchsen» aufgestellt und erprobt ; dabei zersprangen die
Fenster des Gotteshauses :
«Fromme Leute sprachen :
Das ist ein Mathwill gross.
Die Edlen und Söldner es (auch) verdrösse
Um diese in guter Stimmung zu erhalten, schlug
ihnen der Landvogt «eine Küche» auf im «Haus zum
Juden auf der Herrensluben». Da «sass nun zu Tisch
mancher Ritter und Knecht frisch», und wenn die Mahl-
zeiten begannen, musste die — Rathsglocke geläutet
werden.2 Auch am persönlichen Eigenthum vergriff sich
Hagenbach; er Hess Häuser aufbrechen (wohl solche von
flüchtig gewordenen Einwohnern)
«und was er darin fand,
Führt er von der Stadt zu Hand.>
Seine Hauptleute widerriethen ihm das ; aber er ach-
1 Cap. 112.
2 Cap. 113 u. 114.
3
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— 34 —
tele nicht auf sie, so dass auch unter ihnen mehr und
mehr die Meinung Fuss fasste,
«Dess Hagenbachs Regiment
Nimmt nimmer ein gut End'.»
*
Dabei Hess er an der Befestigung der Stadt weiter-
arbeiten und schickte, weil er «den Teutschen nicht mehr
getrauen wollt, in welsche Land nach den Pickarden*
die im December 73 mit Herzog Karl in ßreisach gelegen
hatten.1 Bis Thann ritt er diesen Hilfstruppen entgegen,
hatte aber Mühe eingelassen zu werden : «die Burger
trugen Harnisch an». Und als er hierauf mit den Pikarden
auf dem Weg nach Breisach in Eimsheim Einlass be-
gehrte, wurde er abgewiesen. Der Thorwächter sagte:
«Die Welschen wellen wir hier entbehrn !»
Am 6. April kam er mit ihnen vor Breisach an und
fürchtete,
«dass ihm auch (hier) würde beschehen
Was er zu Thann und Enssin hat gesehen;»
aber die Stadt war ja «mit Gewalt bezwungen», und
«die Zoller» öffneten das Thor. Dabei hörlen sie ihn, als
er «den Welschen vorritt», ganz deutlich sagen:
«Hier bring' ich eitel Mörder und Böswicht;
Die fähr ich mit mir herein.
Den Bnrgern zu fügen Pein.» 2
Nun galt es die welschen Ankömmlinge einzuquar-
tieren. Hagenbach befahl den deutschen Söldnern, den
Pikarden ungesäumt in den Bürgerwohnungen Platz zu
machen :
«Das war den teutschen Söldnern nit eben,
Da hub sich ein wildes Leben.»
Hagenbach schickte «nach dem Hauptmann,3 Frid-
1 Cap. 115.
2 Cap. 116 bis 118.
8 Auch hier erscheint K. zweifellos als der oberste Haupt-
mann. — Die wesentliche Richtigkeit der Darstellung des Sachver-
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— 35 -
rieh Capler war sein Nam' ;» aber eine Abordnung «der
Ritler und Knecht» war schon auf dem Wege zu ihm.
Kappler und die «Edlen» wurden vorgelassen und übel
empfangen :
«Ihr hant nit recht gethan,
Dass ihr die Welschen nit hant eingelan;
Fürwahr, sag ich euch:
Welcher den Welschen nit weicht,
Dem will ich bei meinem Leben
Keinen Sold mehr geben.
Das sag ich Jedermann;
Wem es nicht fugt, der mag Urlaub han!>
Da antwortete *der Capler* :
«Landvogt, sind wir Euch so unehr,
Dass wir unser Herberg sollten rumen
Und die Welschen darin lassen kumec ?
Es ist (das) nit gross noth
Und war' uns allen ein Spott!»
Der Landvogt erwiederte : «Seid ihr meine Herrn ?»
Wollt ihrs nicht thun, so sollt ihr sofort alle «Urlaub
halte in der Reimchronik wird bestätigt durch ein gleichzeitiges
Schreiben Strassburgs an Freiburg. (Schreibers Urkundenbuch der
Stadt Freiburg II 540.) Strassburg hatte «zwei Diener um Erfahrung»
aasgeschickt, und «Philipp von Mülheim, der Meister und der
Rath» melden nun den Freiburgera, was diese Boten berichtet: . . .
«Auch ist mir geseit (am Gründonnerstag in Colmar), als die Pickart
an der mittwoch in Brisach kommen sint, do habent sie glich an
Donnerstag unterstanden, den lüten ire türen uffzubrechen und iren
hochmut mit ihnen zu beginnen. Do hobent die Tütsehen, so vor da-
rinnen gewesen sint, Cappeler und andre, sollichs nit wöllen gestatten
und sind also fast uneins miteinander worden. Da sei der Hagenbach
zuokommen ; do habent die tütschen im kurtz geseit, sie wöllen sol-
lichs nit liden; ouch so wölten sie iren sold haben, den man inen
schuldig sei. Do habe der Hagenbach zuo inen geredt, sie darumb uf-
zerichten, und hot sie damit ledig geseit ir gelübde und irs dienst es.»
— Diese und andere Scenen wurden natürlich mannigfach im Munde
<ier Leute ausgeschmückt und entstellt. So weiss Edlibach (S. 141)
von einem Bruder des «Hauptmanns» zu erzählen, der den Harnisch
nicht habe ablegen wollen und deshalb vom Landvogt eingekerkert
worden sei. Der Hauptmann begehrte die Befreiung, aber Hagenbach
wollte ihn nicht ledig lassen, sondern «im sin Augen ausstechen».
Da sei der Hauptmann vom Zorn übermannt worden und «wollt ihn
erstochen haben» u. s. w.
Uigitized uy
- 36 -
han !» Da gaben der Hauptmann und «die Edlen» ihre
Entlassung, worauf sie Hagenbach zornentbrannt anschrie :
«So halt' ich Euch alle für Narren!»
«Antwort ihm der Hauptmann:
So hant Ihr thöricht gethan,
Dass Ihr nähmet Hauptlit,
Die Euch können rathen nit !»
und wiederholte seine Bitte um Eullassung.
Nun wurde die Sache dem Landvogte doch bedenk-
lich ; denn wie sollte er ohne die Hauptleute mit den
aufsälzigen Söldnern fertig werden? Darum bat er «den
Capler»,
<Das8 er sein Diener bliebe
Und sich nit also von ihm schiebe.»
«Aber der Cappler gab Antwort gedrot,
Er war seiner nit zum Herren not.»
Das 121. Kap. trägt die Ueberschrifl : «Wie sich
Herr Fridrich Capler und die andern Edeln zusammen-
hielten und wahrnahmen uf die Welschen» und erzählt
kurz, dass «Kappler und die Edlen» in einem Hause
«zusammengehalten» und beschlossen hätten, sich «zur
Wehr zu setzen», wenn Hagen bach etwas «fürnähme
mit dem welschen Heer.» — Unter der Bürgerschaft
war es bekannt geworden, dass die Edlen Urlaub ge-
nommen hätten und die Stadt verlassen wollten. Das-
war eine schlechte Bolschaft ; denn den Führern wären
wohl die Söldner gefolgt, und dann halten die Bürger
allein mit den Pickarden fertig werden müssen. Darum
baten sie die Edlen, «als frome Landsleut» sie nicht zu
verlassen, und fanden Gewährung :
«Die Edlen bei ihnen blieben.»
So waren also die deutschen Söldner eigentlich ohne
Officiere, da die «Edlen» dem Landvogt ihre Entlassung
gegeben hatten ; aber die bisherigen Führer befanden
sich doch noch am Ort und konnten ihren mässigenden
Eintluss auf Mannschaft und Bürger geltend machen.
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- 37 -
Wahrscheinlich um die Söldner zu beschäftigen,
befahl ihnen nun der Landvogt, vor der Stadt einen
Graben zu ziehen ; auch die Bürger sollten mitarbeiten.
Da verbreitete sich die Rede, Hagenbach wolle auf diese
Weise die Söldner und die wehrhaften Bürger aus der
Stadt schaffen. Deshalb weigerten sich «die Teutschen»
wie ein Mann, vor das Thor zu gehen, es sei denn, der
Landvogt gebe jedem Deutschen auch einen Welschen
zur Arbeit mit. Und ohne eigentliche Verabredung, waren
die Söldner und «etliche der Gemein» auf den Gedanken
gekommen, wenn der Landvogt trotzdem die «Teutschen»
allein zur Arbeit vor dem Thor «auftrommeln» lasse,
ihn «zu strafen» und «die Welschen von der Stadt zu
weisen.»
«Es war ein grosses Wunder.
Da88 jeglicher besunder
Des andern Meinung wisst
So gar in kurzer Frist.»1
Das Alles trug sich am Ostermontag zu (10. April).
Hagenbach war in das Haus zum Juden gegangen, wo
er den Söldnern ihre «Küche aufgeschlagen» hatte. Er
hoffte wohl, dort die Leute zum Gehorsam zu bringen.
Aber einer der ehemaligen Hauptieute, der Breisacher
Vögelm, sass unter den Knechteu und führte das Wort
gegen den Landvogt, als dieser den Söldnern befahl, die
Harnische abzulegen. Hat Hagenbach das überhaupt
befohlen, so wird es wohl nur für die Zeit der Arbeit
am Graben gemeint gewesen sein. Aber Vögelin erwiderte :
«Herr, wir wollen das nit thun!>
Nur wenn die Welschen auch die Harnische abzögen
und mitgraben müssten, werde man gehorchen. Da schrie
der Landvogt: «Ihr seid Schälk und Buben». «Einer
lugte den Andern au», und Hagen bach «wich in sein
Haus».2
* Cap. 128. - 2 Cap. 124.
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— 38 -
Nun Hess Vögelin die Trommeln rühren. Söldner
und Bürger liefen «in Harnisch» zusammen, Schwerter
und Spiesse blitzlen und
«Alle schrien einander an :
Rett, rett from deutscher Mann !
Etlich : rett römisch Reich !
Die andern : Das Hans von Oesterreich ! >
Die Pikarden flüchteten von den Gassen in die
Häuser, die Bürger besetzten die Thore, aber1
«nit mehr, als ein Mensch ward wund».
Da schickte der Landvogt in seiner Angst *nach
dem Cappler* :
«0 Hauptmann, min lieber Herr,
Wendet noch heut diese grosse Noth,
Dass wir nit alle liegen tot !»
Cappler hat sin Harnisch an
Und lief da als ein Biedermann
Mit andern frommen Edelleut
Die da lagen zu der Zeit.
Cappler schrie uf der ban,
Dass der Schweiss im über die Backen abran :
«Losen zu (hört zu), ihr frommen burger,
Lasst euch die Sach nit liegen also schwer
Und lasst mich mit euch reden !
Ich will schaffen, dass Euch zu bedeu
Syten wird gut Rot !
Bringen Euch selbs nit in grosse Not!»
Auch der Landvogt gab die besten Worte ; (die
Menge hatte sich inzwischen auf dem Platz vor seinem
Hause gesammelt) und versprach sogar, die «Welschen»
morgen abziehen zu heissen. Aber man glaubte ihm
nicht ; es sollte sofort geschehen ;
«Hagenbach, die Welschen müssen hinaus,
Oder sie müssen alle sterben,
Und sollten wir verderben !»
i Cap. 125.
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— 39 -
Da ergriff Kappler das Wort :
«Landvogt, was wollen Ihr nun thun ?
Bedenkt Euch kurz und bald !
Käme auf uns der gross Unfall
Und fingen all an, zu schlahen,
Sie würden keinen fahen ;
So kämen wir erst in Noth
Und würden alle geschlagen zu todt!»
Nun gab der Landvogt nach :
«Wollt Ihr meines Herrn bliben,
So will ich die Bicharden usstriben !»
Die «Gemeinde» antwortete :
Was wir schuldig sind
Dem von Burgünd,
Dabei lassen wirs bliben.
Was uns der Fürst hat verschriben
Und Ihr als ein Landvogt
Geschworen habt und gelobt,
Dem wollen wir nachleben
Oder all darum sterben !»
Da gebot der Landvogt den Pikarden auszuziehen,
und diese waren froh, aus der Stadt zu kommen.1
Söldner und Bürger, letztere mit dem Banner von
Oestreich und dem Stadtbanner, bildeten eine Gasse,
durch die die Welschen gehen inussten. Aber mit dem Er-
folge wuchs der Mulh der Bürgerschaft ; man blieb die
ganze Nacht unter den Waffen ; Wein und Brot wurde
aufgetragen ; die Köpfe erhitzten sich, je mehr man über
die Erlebnisse der letzten Stunden und Ilagenbachs
Bedrückungen redete, und plötzlich «sprach jeglicher aus
einem Mund» :
«Hagenbach hat übel an uns gefahren ;
Wir wollen ihn nit länger sparen !
Der uns hat bracht in disse Noth,
Der muss vor uns liegen todt !»
» Cap. 126.
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— 40 —
Und sie liefen «ihm für sein Haus und wollten ihn neh-
men heraus».
Aber gleichzeitig kam auch *der alt 1 Hauptmann
getreulich zu Hagenbach» gelaufen und mit ihm andere
Edle «als Schiedsleute». Wiederholt «schrie er die
Burger an» ;
«Lieben Freund, was wend ihr than !
Ich will euch rathen und sagen,
Ihr sollen Friden halten !>
Aber die Bürger Hessen sich nicht beruhigen ; «sie
wollten Ilagenbach han».
«Der Capler mil seiner Mannheit
Den Burgern widerstreit,
Und schrie sie fast an,
Dass ihm das Blut zum Mund ussrann.
Dabei merkt man sein Frommekeit,
Die er an beide Theil hat geleiU
Dass Niemand weder schlüg noch stech',
Und kein Theil an den andern brech',
Und ansehen beide Theil ihr Eid,
Den jeglicher Theil mit Unterscheid
Dem anderen geschworen hat>.
Die Menge aber schrie dagegen :
«Hagenbach hält weder brief noch Sigel . . .
Darum muss er sterben.
Und tollten wir all darumb verderben !>
Dem «frommen Fridrich Capler» wurde die Ver-
mittlung immer schwerer, und, um nur den Landvogt
vor dem wüthenden Volke zu reiten, rief er zuletzt:
«Wend ihr nit anders überein,
So sollen ihr ihn gefangen nehmen ;
Das wurd euch bass gezemen,
Und füget ihm nichts zu. als mit Recht.
Sonst wird euer Sach bass schlecht !
Und ich sag euch by meinem eid :
Thut ihrs nit, es wird euch leid !»
1 Der alt Hauptmann = der Althauptmann = der frühere (ober-
ste) Hauptmann; vgl. Altammeister u. s.w.
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— 41 -
Da gehorchten die Bürger «dem guten Mann». Sie
ergriffen den Landvogt und führten ihn, ohne weiter
handgreiflich zu werden, «auf der Herren Stuben in das
Haus zum Juden». Die Menge folgte «vor und nach»
und blieb vor dem Hause versammelt. Hagenbach redete
noch beschwichtigende Worte durchs Fenster :
«Ist es euch nicht eben,
Den bösen Pfennig zu geben, —
Nun, Alles, das ich euch uf gesatt.
Sei ab (geschafft) uf diesen Tag !»
Aber die Antwort scholl hinauf : «Hagenbach, dir
ist nit zu trauen» ! —
«Der Hauptmann*, der den gefangenen Landvogt
begleitet hatte, sagte zu ihm :
< Hagen bach, wie wend Ihr nun than ?
Die Gemein ist erzürnet gar !»
Hagenbach antwortete :
«Rat an, lieber Capj)ler ;
Die Sach liegt mir zu schwer».
Und Kappler erwiderte (was blieb ihm auch anderes
übrig ?) :
«So rath ich Euch eben,
Ihr sollen Euch (ruhig) gefangen geben>.*
Vier Edle, acht Bürger und vier Söldner wurden
mit der Hut des Gefangenen beauftragt. —
Alsbald trat auch der von dem Landvogt aufgelöste
Stadtrath wieder zusammen und schickte an den Herzog
von Burgund als den Pfandherrn eine «Geschrift» über
das Geschehene, übernahm aber zugleich (denn «die
von Brysach waren wise im Rot») die bisherigen Söldner
Hagenbachs in den städtischen Dienst. 2
Aber schon nach wenigen Tagen erschienen die
1 Cap. 127 u. 128.
2 Cap. 130. — Der Hauptmann Vögelin trat bald in Strass-
burgische Dienste (vgl. Mone III 434).
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— 45 —
wir in wider 1 von den knechten in sin herberg. Do was
von stund an die ganz gemeind gerüst mit gewerter
handt uff dem platz und zögent do zesammen. Do wüsten
wir nit, wie wir uns in den Dingen hallen sollent ; dann
es gieng so kurtz2 zu, das wir nit enwüsten, wen es
berürte, biss das sy alle gemeinicklich schrüwent über
die Wallen. Do wir nu das hörten, do mochten wir nit
ze ziten in unsern harnasch kommen, und uns wart nit
anders, dann das wir uns do zwuscben leitent und het-
lent gern gescheidn und die dingk abgeleitt. Das vieng
an um die 6 uren am ostertag ze obeud und werte die
gantze nacht nutz mornens schier ze mittag? und wir
alle nit kondent dovor 4 sin ; dann sy woltent das volck
hiuuss haben. Do wir sohend, das nit anders darann was,
do traffen wir einen tedingk 5 mit inen, das sy noch by
derselben nacht zu füss hinuss komment on harnasch,
und werent wir nit gewesen, so weren ir keiner dovon
kommen. Und mornens früge schicklenl wir inen ir habe,
pferd und harnasch; domit demselben" verlürent sy ett-
was geltz, das nit eine kleine summ was, und ein leill
irs harnasch. Dornach, do das beschach, do icas dennocht
die gantze gemeind mit irem bannr uff dem blatz und die
füssknechte mit inen. Do würdent die gemeind ze ratt,
das sy wollen tu dem landtcogt griffen. Do die rete1 und
wir das vernomen, do besandten wir die gemeind : hettent
sy ytzit anvorderung an den landtvo&t, so möchten sy
uns ze verston geben, so wolten wir gütlich in den dingen
1 vom Platz vor dem Hanse.
2 — schnell.
8 Vom 10. anf den 11. April (Ostermontag).
* Mona hat falsch : davon.
6 Ein Abkommen.
* = dabei.
7 die burgnndiscben Räthe. — Die Bürger hatten, wie ans dem
Folgenden erhellt, am 11. April in aller Frühe den alten Stadtrath
wiedereingesetzt.
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— 49 —
nicht ausbezahlt worden sei, sammelten sie ein Heer
(exercitum), fielen in die Herrschaft Blamont1 ein und
erbeuteten Vieh, Pferde und Schafe. Der Raub wurde
unter den Rittern getheilt, und der Heimweg über Alt Airck
genommen, wo man ausruhen wollte (volentes post laborem
habere quietem). Dort sass der veste Ritler Lazarus
von Andlau als österreichischer Pfandherr. Er liess sie
ein, schloss dann aber die Thore und zwang die Beute-
frohen, ihm zu schwören, dass sie sich in eigner Person
zur Rechtfertigung für ihre Thal stellen wollten, wann
und wohin sie durch den erlauchten Herzog Sigismund
von Oesterreich oder durch dessen Statthalter 2 oder seine
Verbündeten geladeu würden».
Man war eben am Oberrhein noch nicht im offenen
Krieg mit Burgund und rechnete vielleicht auf die Neutra-
lität des Herrn von Blamonl. —
Nun aber fielen im August 1474 die Burgunder, ge-
führt von Stephan von Hagenbach, ins Sundgau ein und
verübten die entsetzlichsten Greuel.
Der Landvogt Herman von Eptingen berichtet dar-
über an den Kaiser u. A. : 3
«Sy hant die Kirchen enteret, ... das heilig wir-
dig Sakrament schnödlich geschüttet . . . Monstrancien
und andere kleinoten hinweggefürt . . . frauen und
mann aus den türmen der kilchen harabgeworfen . . . .
Vil junger frauen und Dochtern geschendet . . . Knaben
ertrenkt . . . unnatürlich lästerlich Sünden in den kirchen
1 Herr von Blamont war damals Heinrich von Neuenbürg (Neuf-
chätel) Neufchätel u. Blamont liegen südlich von Mümpelgart, jenes
westlich, dieses östlich vom Doubs. (vgl. Witte, ebenda 45.)
* Hermann von Eptingen. — Wilh. Kappler stand (s. S. 43)
vor ihm im Hofgericht. Bei dieser Gelegenheit war von der eigenmäch-
tigen Solderhebung in der Herrschaft Blamont nicht die Rede. —
Uebrigens kam es zuweilen vor, dass von vornherein vertrags-
massig die gewaltsame Beschaffung des Guthabens zugestanden
wurde, falls die Gläubiger «sonst nicht dazu kämen.» (Würdinger
II 300).
3 Am 13. Sept — Basl. Chr. III 394 ff
4
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— 50 -
in dem Gerner (ßeinhaus) by den lodenbeinen gewal-
liklich begangen, deshalb ein ganlz land undergan
möcht ! . . .» u. s. w.
In einer dem Bericht beigelegten besonderen Dar-
stellung werden die Greuel Ort für Ort einzeln aufgeführt.
Von Gildweiler heisst es : «Ilem im Dorf zu Giltweiler
hand sy die kilchen und die sacrisly ufFgebrochen, die
kisten und trog zerschlagen und ob hundert pfunt pfennig,
die an unser lieben frowen buwe dasei bs gehörten, ge-
nommen milsampt dem kilchenschalz, mcssgewanden und
andern gezierdeu , das heilig wirdig sacrament ussgeschütlet,
die monstrancien zerschlagen und das alles hinweggefürt.
Item zu GiUweiler hani sy Herr Andres, capplan daselbst
geschlagen und hinweggefürt».1 —
Wuthentbrannt fielen darauf (Eude August) 400 Baumi
aus dein Pfirtischen in die Herrschaft Blamonl ein. Diese
Unbesonnenheit (es war heftiges Regenwetter und ihr
Pulver ganz durchnässt) büssten sie mit dem Verlust von
89 Todteu und 100 Gefangenen. «Das widerfuhr ihnen,
weil sie nicht auf die Anderen warten wollten.» 2
Die Basler sammelten sich schon bei Taüenried (Delle)
und Pruntrut. Denn der Raubzug Stephans hatte die Ver-
bündeten in Harnisch gebracht, und, während am Nieder-
rhein um Neuss gerungen wurde, sammelte sich am
Oberrhein die gesammte alemannische Volkskraft, inneren
Haders vergessend, zu gemeinsamem Kampf gegen die
Welschen, »dem heiligen rych zu ehren, tütscher Nation
zu gut». 3
1 Es sind noch folgende oberels. Orte genannt, wo Aehnliches
geschah : Dararaerkirch, St. Leodegar bei Manspach, St. Ulrich. As-
pach, Merzen, Altenach, Batschweiler, Ballersdorf, Batweiler,
Barnhaupt, Tiefmatten u. Kloster Oelenberg. Selbst Hagenbach
wurde nicht verschont. All diese Verwüstung geschah in vier Tagen !
2 Basl. Chr. II 108 u. Edlibach 143 ff.
8 Nik. Rusch. (Basl. Chr. III 303 ff) Vgl auch Chmel I 209.
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- 51 -
VII.
Vor und in Hörioourt.
Friedrich Kappler stand im Bundesheer bei Biel;1
die Hauptmacht sammelte sich um Basel ; den Oberbefehl
führte der österreichische Feldhauptmann Wilh. Herter.
Man beschloss, vor Allem Hericourt* zu belagern, wohin
sich Stephan v. Hagenbach zurückgezogen hatte.
Bin Zug ist zsamenkehret
Im Sungow überall,
Der traf hat sich genieret
Vor Erikort im Tal,
Vil mehr dann aohtzehntnsend man,
Yil karren und vil wägen,
Dass ichs nit zelcn kann.
Der edel bischof käme
Mit Strassburg also gut,
Schlettstadt er mit ihm name,
Die waren all gemut,
Sie hatten all rot angeleit;
Die von Colmar kamen gezogen
In rot und blau bekleit. 3
Am 8. November eröffneten die Strassburger die Be-
schiessung. Am 13. kam es bei Ghenebier4 zu einem
siegreichen Gefechte gegen ein burgundisches Entsatzungs-
heer. Der Feind wurde «uff zwo mil» verfolgt und hatte
500 Todte; «zwei burgundisch venlin, 2 steinbuchsen»,
viel Pulver und Wagen, «so vil, dass wir der eigent-
lichen nit wissen» und zahlreiche Gefangene fielen in die
» Mone III 216.
2 8üdw. v. Beifort ; deutsch damals : Ellekort, Ellicordt, Erikort,
Ellengurt.
s Veit Weber (Lilienkr. II 89).
* nordw. v. Hencourt.
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- 52 -
Hände des Siegers. 1 — Drei Tage später fiel die Festung,
und Friedrich Kappler wurde ihr Plalzhauplmann. 2
Ein verlassener Posten ! Denn das übrige Heer zog (nach
solchem Sieg!) der — Kälte wegen heim!3 Erst im
Frühling 1475 hob der Krieg wieder an.
Die Mannschaft Kapplers in He>icourt bestand aus
200 Reitern und ebensovielen Fussknechten. 4 Die starke
Belegung mit Reiterei hatte ihren guten Zweck. Kappler
sollte die Umgebung beunruhigen und burgundischen
Streifzügen entgegentreten. Dazu bot sich bald und oft
Gelegenheit.
Schon um den 6. Dezember — es war ein sehr strenger
Winter — erschienen 300 Burgunder in der Nachbarschaft,
um Beute zu machen und über die Lage der Dinge in
Hericourt Kunde zu erhalten. Die Besatzung verjagte
sie aber und brachte 10 Gefangene zurück. — Aehn-
liches wiederholte sich Ende März 1475. Aus Orange 5
kamen Pikarden und Lombarden ; sie wurden von Kapplers
Reitern mit einem Verlust von 25 Todten und 40 Ge-
fangenen zurückgetrieben. 6 Dagegen gelang es den Bur-
gundern am 6. April, aus dem Elsass kommende Zufuhr
von Wein, Mehl u. s. w. abzuschneiden und die Fuhr-
leute gefangen zu nehmen. 7
Bald darauf (Ende April) vereinigten sich die Be-
1 Basl. Chr. II 125 (Bericht des Bürgerm. v. Bärenfels) u. Nähe-
res bei Witte (Zeitschr. N. F. VI 377ff. — Die Gegend ist durch die
Kämpfe Werders gegen Bourbaki im Januar 1871 bekannt. —
Auch Wilh. von Rappoltstein lag vor Hericourt (Hone III 262>.
2 3Ione m 216. — Basl. Chr II 236,12, Ochs IV 277. Er blieb
es bis ins Frühjahr 1476, wo ein Hauptmann Bamont an seine Stelle
trat. (Basl. Chr. II 389).
3 Nur noch einige feste Plätze, bes. Beifort u. Mümpelgard blie-
ben besetzt.
4 Basl. Chronik II 127, 35.
5 nordw. von Mömpelgart.
6 Basl Chr. II 200, 27.
7 Basl. Chr. II 204, 3. — Bei dieser Gelegenheit schilt Knebel
gehörig über die Elsässer (homines illius patriae sine cura vivunt) u.
den eis Adel (maledicta radix etc.)
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— 53 -
Satzungen von üericourt, Mömpelgart, Pruntrut und
Tattenried zu einem gemeinsamen Streifzug ins Burgun-
dische, wobei 14 Dörfer und ein Schloss verbrannt wurden.
Ein anderes Schloss besetzte man. 1
Ein Ehrentag für Friedrich Kappler wurde der
17. Mai. Knebel8 berichtet darüber, wie folgt: «Am
Freitag vor Trinitatis erzählte mir der Basler Domherr
Hartmann vor Hallweiler, der Hauptmann des Herzogs
Sigismund in Mömpelgart, ein Herr Heinrich von Watt-
weiler, habe ihm gesagt, dass sich am letzten Dienstag
120 burgundische Reiter aus Blamont und der Umgegend
bei ffSricourl auf die Lauer gelegt hätten. Aber tFridericns
Cappeler*, der dort Hauptmann war, halte von ihrer
Ankunft Nachricht erhalten und Heinrich von Wallweiler,
sowie andere (aus Tattenried), im ganzen 70 Reiter, her-
beigerufen. • Cappeler» streifte mit 30 Mann durch
Wälder und Felder, sah die Burgunder von Weitem und
merkte, dass sie ihm und seiner Begleitung an Zahl über-
legen seien. Alsbald sandle er einen Bolen zurück, die
übrigen 40 sollten ihm schleunigst folgen; denn er wolle
selbst sogleich gegen die Feinde losbrechen. So geschah
es auch. Tapfer brach er los und stach persönlich
mehrere Reiter von den Rossen. Die Anderen eilten
herbei, und als die Burgunder das Schmettern der Trom-
peten hörten, flohen sie alle und wurden so kräftig ver-
folgt, dass noch 40 fielen und 20 in Gefangenschaft
geriethen. Andere stürzten sich in toller Furcht ins
Wasser (den Doubs?) und ertranken; die Uebrigen ent-
kamen mit genauer Nolh. Laus deo!»
Darnach «zogen die tütschen wieder heim, dass ihrer
keinem nichts geschah, und sind selten 8 tag verloffen,
$y haben dergleichen Sachen getan» .3 —
i Baal. Chr. II 216, 22.
a Baal. Chr. II 236, 5.
» Edlibach 149.
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- 54 -
Die Burgunder in Blamont machten freilich die er-
littene Schlappe durch einen Raubzug quitt, auf dem sie
(Ende Mai) sengend bis Hirsingen vordrangen, wofür
sich die Fussknechte von hiricourt durch die Eroberung
eines Weiherschlosses und Niedermachung der Besatzung
rächten. 1 —
Inzwischen war auf einem Tage zu Colmar (18. April)
Herzog Renatus von Lothringen der niederen Vereinigung
beigetreten, was den heftigsten Zorn Karls des Kühnen
erregte, der noch immer vor Neuss lag. Und in Bern
(21. Mai) beschloss man ein neues Aufgebot.
Am 10. Juni eroberten Fussvolk und Reiter aus
Hericourt, Mömpelgart und Tattenried das Schloss Lomont
bei Luders, wohin die umwohnende Bevölkerung ihre
Habe geflüchtet hatte; so gab es besonders fette Beute!2
Ohne Widerstand drang man noch bis Gourchaton und
Villechevreux vor.
Bald nach der Wiederaufnahme des eigentlichen
Krieges (am 9. August) hei Blamont in die Hände der
Verbündelen. Hunger, Durst, Krankheit und die Strass-
burger Geschütze machten die Besatzung mürbe ; gegen
freien Abzug ötfnete sie die Thore. 3 Aber, wie im Jahre
vorher nach der Eroberung Hericourts, zog auch jetzt
das Bundesheer wieder auf Basel zurück, nachdem man
Blamont geschleift hatte, und löste sich auf!
Zum Glücke war Herzog Karl, der endlich von Neuss
abgelassen und mit dem «Reich» Frieden geschlossen
hatte, jetzt in Lothringen beschäftigt (Belagerung von
Nänziff). — Das ermöglichte auch der Besatzung von
Hericonrt (im Oktober) einen besonders weiten Streifzug
nach Hochburgund. «80 Mann» rückten aus, gewannen
1 Baal. Chr. II 228, 18.
2 Ebenda II 256, 3 und Witte «Zar Gesch.» Ztschr. N. F.
VI 212.
3 Duvernoy 281 und Witte «Zur Gesch.» 237 ff. — Liliencron
II 65 ff.
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— 55 —
ein Schloss, fingen einen Edelmann, 30 Bauern und viele
Pferde und Kühe. 1
Ehe die Verbündeten mit ihren Berathungen über
die Entsetzung von Nanzig fertig wurden, musste sich
(am 26 Nov.) die Stadt ergeben.
Um dieselbe Zeil rückte der tapfere Platzhauptmann
von Hericourt aus und eroberte Stadt und Festung
Ltixeuil, was der neue Landvogt Oswald von Thierstein
früher mit grossen Verlusten vergeblich versucht hatte *.
Bald darauf willigte Karl in den Abschluss eines
Waffenstillstandes bis Neujahr. Die Verbündeten hatten
inzwischen die Hilfe des Reiches angerufen, und die
burgundische Diplomatie bemühte sich während der Zeit,
die Schweizer zum Abfall von den Bundesgenossen zu
bewegen.
Aber nach Neujahr begannen die Feindseligkeiten
aufs Neue, und auch Friedrich Kappler Hess bald wieder
von sich hören. Anfangs Februar 1476 zog er mit einer
auserlesenen Reiterschaar in das ihm wohlbekannte Thal
von Rotenberg (Rougemoni), wo englische Söldner lagen.
Der Ueberfall glückte vollständig : 30 Feinde wurden ge-
tödtet, ihr Anführer und 30 Mann gefangen und nebst
60 erbeuteten Pferden nach IIe>icourt gebracht. 3
Am 2. März erlitt Karl 1 die Niederlage bei Granson,
und Tags darauf, ehe man natürlich in Hericourt Kunde
von dem grossen Siege haben konnte, machten «die von
Ellekort»5 wieder einen erfolgreichen Streifzug: nach
Montbozon an der Oignon. Es ist ihnen (auch 38 Basler
und einige Strassburger von der Mömpelgarter Besatzung
waren dabei) «von den guoden Gottes Alles wohl gelungen».
1 Basl. Chr. II 305, 20.
2 Ebenda II 321, 33.
3 Ebenda II 342. 5.
* «Der ganzen Nation der tatschen Lande zur Freude» (Bericht
Solothurns an Basel, ebenda II 354, *8).
5 Ebenda II 355, 21. (Bericht des Basler Hauptmanns H. Stem-
pffer in Mömpelgart an den Oberstzunftmeister).
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— 56 —
«Sie hand ylends zu dem Schloss da gestürmt, ob 150
gefangen und viel wagen geladen mit gut und anderen
dingen, und sind kommen bis gen Grammoni (östlich von
Rougemont). Da ist junkher Stephan von Hagenbach ge-
halten mit reisigen und Fussknecht ob 70». Er soll auch
«60 Wiber» in seinen Reihen gehabt haben und griff an,
ehe die Heranziehenden «in der Ordnung» gewesen sind.
Trotzdem wurden ihm 26 knechte erstochen, während
auf der anderen Seite nur ein Mann schwer verwundet
ward und einer todt blieb, «genannt Caspar der Schneider,
derdo ist gesin ein kuchenkuecht des gnädigen Herrn von
Oesterreich. — »
Das wird der letzte Zug gewesen sein, an dem
Friedrich Kappler von Hericourt aus theilnahm ; die
Rittersporen sollte er sich anderswo verdienen.
VIII.
Die Sohlaohten bei Murten und Nanzig.
Karl der Kühne dürstete nach Rache für Granson.
«Zu Ellekurt schlug man manchen Mann
Zu Granson man gross got gewann;
Das that er alls verachten.
Er sprach: Den grossen bund genannt
Den will ich strafen allensamrat,
Min schand von Granson rächen!» 1
Schon Ende Marz 1476 stand er wieder bei Lausanne.
Die Eidgenossen besetzten Freiburg ; Bern legte 500 Mann
i Liliencron II 99.
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— 57 —
in das feste Mutten. Auch am Oberrhein regte man sich.
Am 18. Juni war Knebel in Sirassburg1 und sah dort
den Herzog Renatus von Lothringen mit 300 Reitern gen
Süden ziehen. Auch der Landvogt Oswald von Thierstein
war um diese Zeil in Strassburg und erhielt dort (12. Juni)
einen «Mahnbrief» Berns. Sofort beauftragte er den
«Landschreiber zu Ensisheim», das Aufgebot ergehen
zulassen. «Du solt allen Edeln schriben, im Sunlgow
und Elsass geboren, dass sie mit dem reisigen
Zug auf Donnerstag nächst vor Sant Johannstag (20. Juni)
zu Habsheim und darumb itn Lager seien.»' Denn der
gnädige Herr von Oesterreich habe den Eidgenossen ver-
sprochen, dass wir ihnen «zu rettung und utfenlhall der
gantzen Tutschen nation ohn alles verziehen mit ganzer
macht, so slarkisch wir immer mögen, getreulich zu-
ziehen wellend.» — Das Fussvolk sollte sich den folgenden
Tag zwischen Basel und Liestal sammeln.
Karl der Kühne lag seit dem 10. Juni vor Murten,
das nun baldiger Hilfe bedurfte. Schon am 22. waren
die Schaaren der niederen Vereinigung zu den Eidgenossen
gestossen.
Des Fürsten Zug von Oesterrich.
Strassburg. Basel des gelich,
Und ander bundgenossen
Die kamen in einer grossen schar
Wol zu den Eidgenossen dar,
In not wollten si's nit lossen *
In der Nacht hatte es heftig geregnet ; am Morgen
des 22. leuchtete die Sonne, die Siegessonne des Tages
von Murten. Vor dem Beginne der Schlacht, am Bann-
walde von Murten, ertheilte Oswald von Thiersteiu über
hundert Edlen den Ritterschlag ; darunter befanden sich
der Herzog von Lothringen, Graf Wecker von Bitsch,
» Basl. Chr. III 10.
* Ebenda III 5 ff.
s Liliencron II 92 (Veit Weber).
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— 61 —
wis Das ich alls hie bin der Sachen halb as ich | ver-
stand der du vnderricht Syst; den ich nun ze mal zü
Dir gen Engen | nit kernen kan wol wot ich Das mier
by anander werit wns zü wnderreden | geben vff mentag
nenst vergangen in die triten stund nach mittag | geben
zu vilingen.
'Friderich Kappler ritt.
1485 erscheint Frid. Capellen* (und andere
«Rittersleute») unter den Beisitzern des Hofgerichles in
Ensisheim.1
1486 steht im Inusbrucker Schatzarchiv III. 995 unter
«Erbgerechtigkeiten» der Eintrag: '«von Fridrichen und
Wilhelmen den Capellem, dass das dorf Gildwier nach
irem tod wider an das haus Oesterreich feit.»
IX.
Gegen Venedig.2
(Kapplers Sieg bei Galliano.)
Seit langem hatte Venedig seine Herrschaft oder doch
seinen Einfluss über einen Theil des Tridentinischen Ge-
bietes ausgebreitet. Dazu kamen Zollbelästigungen, die
trotz vieler Beschwerden nicht aufhörten. Der kriegslus-
1 Ztschr. IV Anhang n. 25.
8 Vgl. Jäger II S. 323 ff ; Brandis Gesch. der Landeshanptl.
v. Tirol, K. Wengers (Domherr in Brixen) «De hello inter Venetos
etc.» bei Freherus <Rernm Germ, scriptores» (Strassb. 1717) II 449 ff.
und besonders Wotschitzky («Znr Gesch. des Kriegs mit Venedig» ;
Programm des Obergymn. in Bielitz 1890), der auf Grand des Rait-
buches t. 1487 im Innsbrucker Statthalterei-Archiv u. a. Akten viel
Neues bringt.
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65 —
Inzwischen waren staubbedeckt die Trienter heran-
gekommen ; auf den Bergen lag, des Eingreifens harrend,
das Landvolk. Die Schlacht wogte. Endlich, nach 6 Uhr,
geräth der Feind in Verwirrung, «weicht allgemach zu-
rück» und will über die Schiffbrücke. Diese aber ist «gar
schlecht angehängt gewesen» 1 und zerbrach. Tausende
stürzten deshalb auf der Flucht in die Etsch ; zwei Drittel
der Todten sind Ertrunkene, wogegen «auf der Tirolischen
Seiten nit mehr als 500 Mann umkamen». Das war der
Sieg Kapplers bei Calliano am 10. August 1487, einem
Freitag. — .
«Am Abend, als die Knecht über die Massen müd
gewesen, ist der Hauptmann Fridrich noch desselben
Tags in die Stadt Trient, so zwo Meilen Wegs von Ca-
liano, mit Triumph gezogen und hat die Nacht daselbst
wohl geschlafen.» Am andern Morgen begab er sich
wieder auf das Schlachtfeld, Hess «den Platz räumen und
die von dem Feind hinteriassene eroberte Beut, darunter
9200 Wagen und Feuerross gewesen, in die Stadt bringen».2
Auch der feindliche Feldherr Sanseverino war im Fluss
ertrunken. Kappler befahl, nach dem Leichnam zu suchen,
und als dieser endlich »zunächst bei dem Schloss Stein
in der Etsch in einem Sumpf» gefunden wordeu, «hat er
ihn nach Trient führen und daselbst in der Domkirche
gar stattlich begraben lassen, wie dann noch heutig Tags
sein Epitaphium vorhanden, darin sein Bildnis in einen
schwarzen Marmelstein gehauen.»3
Die Wappen und Namen der vornehmsten deutschen
Kämpfer von Calliano wurden dagegen in der «deutschen
1 Nach Wenger hat Kappler die Brücke während der Schlacht
lockern lassen (pontem longe ante dux belli Germanns non impro-
vide solvit.)
8 Quo facto cum milite victorioso Tridentum redit Porape-
janis dignus victo Oriente triumphis, exultans, tanta a Deo prae-
stita victoria (Wenger 455).
» Von Maximilian I 1493 errichtet Wotschitzky 40.)
5
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— 06 -
Pfarrkirche Sankt Petri zu Trient» auf einer langen höl-
zernen Tafel, die jetzt « Altershalber gar unerkenntlich»,1
verewigt. Zu oberst stand das Wappen des Herzogs Si-
gismund neben dem Bilde des h. Laurentius;2 dann
«Fridrich von C/iappl, Veldhauptmann» und unter 38
weiteren Namen noch folgende aus dem Elsass : «Chri-
stoff von Hatstatl, Ritter, Ludwig von Reinach, Ritler,
Marlin Stor, Ritler, Caspar Pöckhlin, Fridrich von Knö-
ringen, Heinrich von Andlau, Simon von Pfirdtt und
Herrnan Waldner».
Und «in dem fürstlichen Ambthaus zu Bozen ist auf
dem obern Saal unter vielen fürnehmsten Kriegshelden
auch Fridrich Kapeller mit nebenstehenden Versen ab-
gemahlt».3 — Auch unter den Marmorreliefs am Mausoleum
Maximilians I. in Innsbruck ist auf einer kleinen Tafel
1 Also schon zu Brandis Zeiten (1610— 2b). — Wotsch. sagt:
«Die Namen etc. finden sich auf einer Gedenktafel im deutschen
Hospiz zu Trient.» Beide Angaben sind ungenau. Herr Prof. Damian
in Trient theilte mir «nach eingezogener Information und eigener
Ansicht der Tafeln» gütigst mit, was folgt: Im Museum der Stadt
sind zwei Tafeln mit Wappen und Namen der Kämpfer; die eine,
kleinere enthält i4 Wappen mit den betr. Namen darunter. Auf
dieser steht auch der Name des Friedr. Kappler ; sie ist sehr gut er-
halten. Die andere (sie befindet sich in einem anderen Lokale) trägt
24 Wappen, ist aber lange nicht so gut erhalten. Der untere Theil,
wo die Namen angebracht sind, hat am meisten gelitten ; jedoch kann
man. obgleich die Tafel hoch hängt und schlechte Beleuchtung bat,
die Wappen gut wahrnehmen und einzelne Namen lesen. Es ist mög-
lich, dass beide Tafeln einmal vereint waren. — Eine «deutsche
Pfarrkirche» besteht in Trient nicht (mehr?), ebenso wenig ein
«deutsches Hospiz» Die Tafeln waren früher in der St. Peterskirche.
Von dieser mögen sie in das vor Zeiten in der Nähe dieser Kirche
bestehende «deutsche Hospiz» gekommen sein. Nach der Aussage des
sehr verlässlichen und alten Dieners des Museums sind die Tafeln
schon über 20 Jahre im Museum, wo sie freilich öfters den Platz
wechselten».
2 Der 10. August ist der Laurentiustag.
8 Der Herausgeber von Brandis (Innsbruck 1850) bemerkt hierzu :
«Dieses Bild ist nicht mehr aufzufinden und von den gegenwärtig
Lebenden hat Niemand eine Erinnerung daran An der Stelle des
alten Amthauses steht jetzt die Hauptschule». Sic transit gloria
mundi!
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(der fünften) die Schlacht bei Galliano dargestellt.1 Leider
steht sie in schlechtem Licht; nur Maximilian selbst ist
darauf deutlich zu erkennen.
Venedig warb nach der Niederlage «widerum viel fremdes
Volk» und setzte den Krieg durch Einfälle in Tirol fort, aber
stets erfolglos. «Dergestalt sein die Venediger sechsmal
in Tirol empfangen worden».
Nach sieben Kriegsmonaten gelang dem Papste In-
nocenz VIII. die Vermittlung des Friedens.2 Auch die
tirolischen Landstande, die schon lange mit Sigismund
und seinen Rathen unzufrieden waren, drangen darauf.
Der Herzog musste dem Landtage (Nov. 1487 in
Meran3) eine neue «Hof- und Landesordnung» bewilligen.
Trotzdem hörten die Reibungen nicht auf, bis 1490 auf
dem Landtage in Innsbruck Tirol (die Abtretung der Vor-
lande geschah am IG. März) an den römischen König
Maximilian abgetreten wurde.
Wann Friedrich Kappler heimkehrte, lässt sich nicht
genau bestimmen. Am 27. Dec. steht er noch in Tirol;
denn im Innsbrucker Raitbnch von 1487 ist zu lesen:
«Dem Friedrich K., Ritter und Knechten, die unter ihm
im Felde sind 27. Dec. 1500 Gldn. und Friedr. K. neuer-
dings am 24. Dec. 100, am 27. Dec. 21 Gldn. 4 Pf. B.
und am 24. Dec. seinem Schreiber 12 Gulden.4
Ebenda steht auch (fol. 691), dass Friedr. Kappler ein
Gnadengeld von 1500 fl., und im Gopialbuch II. Serie 1487
1 Wotschitsky 41.
2 Am 13. Nov. 1487. — Die Friedensbedingungen bei Brandis
309 ff.
3 Vgl. Huggle, Gesch. v. Neuenburg 172 (und 173).
4 Wotschitzky 31 Anm. 3. und 15. Anm. 5. Ebenda 36 Anm. 3:
am 11. Sept. 1000 fl. «dem Frid. v. Kappt durch C. Böckly>.
Ebenda 29: Haus Reymolt von Thann und Jak. Müllner von Ensis-
heim bekennen als Hanptleute und Rottmeister elsässischer Städte
mit 275 Knechten gegen die Venediger gedient nnd an Gnadengeld
für gemachte Gefangene, Zehrung und Schadenersatz 1100 Gld. rh.
erhalten zu haben.
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— 68
fol. 140, dass er die Vogtei über Masmünster und das Dorf
Gildweile?' erhalten habe.1 Sonach wird er Anfang 1488
zur Uebernahme (oder Wiederübernahme) dieses Amtes in
die Heimath zurückgekehrt sein.2
Dass er mit dem Ergebnisse des Krieges unzufrieden
war, geht aus der merkwürdigen Aeusserung eines Zeit-
genossen hervor, der ihn persönlich gekannt zu haben
scheint :
«Het herzog Sigmund mit den Sungowern und Bris-
gowern furtruckt, als her Friderich Cappler begert, so
was Venedig gewunnen, wan sie hant sich in der stat
Venedig in die Flucht bereit.»
Kappler halte also auf kräftige Ausnützung des Sieges
gedrungen, und in Venedig fürchtete man schon das An-
rücken des Feindes, bis man «die Unwissenheit der Tut-
schen vernommen» und wieder zum Angriffe vorging,
nachdem der erste Schrecken vorüber war.3
In Oeslerreich ist das Andenken an den Sieger von
Calliano übrigens noch nicht erloschen. Das beweist ein
gut gemeintes Gedicht von Rudolf Schneider (geb. 1858
in Salzburg) im «Vaterländischen Ehrenbuch» {v. Albin
Teuffenbach, Salzburg 1879; mit der üeberschrift : «Die
Schlacht bei Calliano.» Es ist in Fr. Brümmers «Deutsch-
lands Helden in der deutschen Dichtung» (Stuttgart bei
1 Dr Mich. Mayr in Innsbruck.
2 Dort scheint unter der Ritterschaft damals wegen der Abbe-
rufung des Landvogts Oswald von Thierstein einige Aufregung ge-
herrscht zu haben. Denn 1488 schreibt Erzherzog Sigmund an den
Vogt, Amman und Rath zu Thann, Vogt Schultheiss, Geschworene des
Amts zu Lannser, Herrn Fridrich Kapler, Vogt und den Rat zu Mas-
münster, an Martin Ster, an Wilhelm Kapler, dass sie sich von Graf
Oswald von Tierstein, dem er nicht ohne Grund die Landvogtei (im
Elsass) und die Hauptmannschaft entzogen habe, nicht gegen ihn
verhetzen lassen, sondern sich als getreue Unterthanen verhalten».
(Innsbruck: Copialbücher II. Serie 1488 fol. 11 ff. Dr. M. Mayr).
8 Miscellanhandschrift der Colmarer Stadtbibliothek Nr. 50 fol.
74. b. — Vgl. H. Haupt. «Ein oberrhein Revolutionär aus dem Zeit-
alter Kaiser Maximilians» (Westdeutsche Zeitschrift für Gesch. und
Kunst, Ergänzungsheft VIII 1893 )
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cd
Greiner u. Pfeiffer) abgedruckt (S. 207) und erwähnt Kapp
ler, wie folgt :
Und am Sigismund sich schaaren
Mannen stark and wohlbewehrt;
Das Kommando führt Kapeiter,
Ein Elsüsser, hochgeehrt
Längst schon hat der Kampf begonnen
Und der Boden raucht von Blut,
Schon die deutschen Heere weichen,
Fast erloschen ist ihr Math.
Da mit markgen Feuerworten
Spricht Kapeller, hingewandt
Zu den Treuen, hoch das Banner
Schwingend in der starken Hand:
€ Brüder, nicht die Welschen zählet,
Schlagt sie nieder ohne Gnad!»
Und das Heer begeistert stürmte
Zu der blutgen Waffenthat
Also ward bei Calliano
Oesterreich des Sieges Preis,
Und die Treu der Unterthanen
Pflückte ihm dies Lorbeerreis.
X,
Unter Maximilian gegen Frankreich.
(Kappler siegt bei Dournon).
Maximilian war durch die Vermählung mit Maria,1
der Tochter Karls des Kühnen, in den Besitz der Nieder-
lande gekommen. Schon 1482 starb die Gemahlin; Max
regierte als Vormund seines Sohnes Philipp; sein Töch-
1 «Ich hab ein schöns froras tugenhafftigs weib, dassich mich be-
nügen lass. Sie ist schneeweiss, ein praunes Haar, ein kleins nasl,
ein kleins häuptel und antlitz, praun und graue äugen gemischt,
schön und lauter. Das unter häntel an äugen ist etwas herdann gesenkt,
gleich als (ob) sie geschlaffen hätt ; doch es ist nit wol zu merken : der
mund ist etwas hoch, doch rein und rot.» (Brief vom 8. Dez. 1477
bei Kraus «Maxim. I. vertraulicher Briefwechsel S. 28.)
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terlein Margaretha wurde mit der Grafschaft Burgund,
Artois und der Picardie (Friede zu Arras 1482) dem fran-
zösischen Dauphin Karl zugesagt und alshald an den fran-
zösischen Hof gebracht. 1488 gerieth Max in die Gefangen-
schaft der aufständischen Bürger in Brügge, aus der er
sich aber durch gütliche Zusagen bald befreite. Inzwischen
war sein Vater, Kaiser Friedrich, mit grosser Macht
herangekommen.1 Als Statthalter blieb Herzog Albrecht
von Sachsen im Lande und stellte überall Ruhe her.2
Im März 1490, um diesselbe Zeit also, wo ihm Si-
gismund Tirol und die Vorlande abtrat,3 unterzeichnete
Maximilian (tu felix Austria, nube !) in Innsbruck einen
Ehevertragsentwurf mit der 14jährigen Herzogin Anna
von Bretagne. Die vielumfreite Erbin, die gerne Kaiserin
geworden wäre, willigte ein, und der Gesandte Maximi-
lians bestieg «in Gegenwart ihres Hofes das festlich ge-
schmückte Hochzeitsluger, um symbolisch die rechtlich-
erforderliche Gonsummation der Ehe anzudeuten. i 4
Selbstverständlich war Frankreich von dieser Ehe
nicht erbaut. Dort herrschte (seit 1483) Maximilians
«Schwiegersohn» als Karl VIII. Er war 13 Jahre alt,
als er den Thron bestieg, «ein blasser Knabe, klein und
etwas bucklichl.» Papst Innocenz VIII. wurde in aller
Stille um Dispens zur Auflösung des Eheverlöbnisses mit
Margaretha von Burgund angegangen und willigte ein. Maxi-
milian war durch Krieg in Ungarn und Geschäfte im
Reich ferngehalten; seine «Frau», die er noch gar nicht
1 Seit 16. Febr. 1486 war Maximilian römischer König.
* 1494 trat Philipp (der Schöne), 16 Jahre alt, selbst die Regie-
rung an.
8 1491 Pfleg- und Amt Revers auf Kanig Maximilian von Herrn
Fridrichen Cappeler umb die Vogtei der Stadt Masmünster sein le-
henlang mit den gülten, so zu ainzigen (Enschingen? vgl. Stoffel
141) ledig werden, sover er die nit selbs lost, das im umb zway-
tausend gülden zu thun vergunt ist.» (Innsbr. Schatwch. II 63o Dr.
M. Mayr) Vgl. S. 68.
* Ulmann I, 121.
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71 -
kannte, wurde inzwischen von den Franzosen in Rennes
belagert und ergab sieb am 15. Nov. 1491 gegen freies
Geleite nach Deutschland. Aber schon am 19. Nov. ver-
lobte sie sich mit König Karl, der mit dem päpstlichen
Dispense nach Rennes gekommen war. Am 6. Dec. folgte
die Hochzeit (zu Langeais in Touraine). —
«Der geprellte Procurator»1 Maximilians, der seit
seiner symbolischen Bettbesteigung in Rennes geblieben
war, reiste nun traurig nach Mecheln zu Philipp, dem
Bruder der schnöde verlassenen Margaretha, und von dort
nach Innsbruck zu ihrem gleichfalls «geprellten» Vater.
Die öffentliche Meinung in Deutschland 2 war ent-
rüstet über diesen «Brautraub», und Maximilian selbst
musste sich aufs Tiefste gekränkt fühlen, zumal da ihm
auch sein Töchterlein aus Frankreich schrieb, sie wolle
zu ihrem Vater zurück und «sollte sie im blossen Hemd
herausgehen.»
Es galt aber auch, die Mitgift Margarethas wieder
an sich zu bringen; denn Karl halte zwar die Braut auf-
gegeben, aber nicht die Grafschaft Burgund u. s. w.,
und die ehemalige Braut als «Geisel» festgehalten.
In den Niederlanden stand noch der treue Herzog
Albrecht von Sachsen; darum entscliloss sich Maximilian,
den Feind von Westen zu fassen. Im November 1492
finden wir ihn urkundlich in Metz, Bockenheim (Saar-
union), Zabern, Schlettstadt 3 und Ensisheim. 4
1 Ebenda 147.
2 Als ihr literarischer Fahrer erscheint der Elsässer Jakob
Wimpheling gegen den französischen Gelehrten Robert Gaguin.
(Ulraann 1 183 ff. n. Schmidt hist. lit. de l'Alsace I, 18) - «Kunig
Karl nam die Tochter von Britanien (Bretagne), so vermahlt was eira
Romischen knnig und schickt im sin Dochter, so im eelichen ver-
mahelt was, frow Margarethen, wider, das noch nit gestroffet ist.
Do gab ieh ein 1er, wie man das strofen solt, and alle weit was
willig in dem Elsas, das übel zu stroffen» (Miscellanhandschrifl
N. 50 in der Colmarer Stadtbibl. fol. 43 b.)
3 Ulmann I 166, 4
* Merkten hist d'Ensisheim 183 ff. u. 210 Anm.
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In den ersten Tagen des Decembers steht er mit
seinen Truppen bei Lure, am 21. Dec. zieht er in Be-
sancon ein und lässt, weil er nach Frankfurt zum Reichs-
tag will,1 eine Besatzung in Satins zurück, der aus der
Grafschaft Pfirt Geschütze und Verstärkungen zugeführt
wurden.
Aber er kam nicht bis Frankfurt, sondern berief —
freilich vergeblich — die dort erschienenen Stände nach
Kronenburg (bei Strassburg) und dann nach Colmar. —
Mittlerweile war jedoch das Glück seinen Waffen günstig
gewesen. Nur die Burg Brown (südlich von Salins) hielt
sich noch gegen die Deutschen.
Aus dem Sundgau und dem Breisgau, wo die «öster-
reichische Gesinnung der Bewohner wirkte, was anderswo
der Reichspatriotismus nicht zu Wege brachte,» 2 zogen
die Belagerungsgeschütze von Ensisheim und ein statt-
liches Aufgebot aus. «An der Spitze stand der Ritter
Friedrich Kappler* ein viel erprobter Kriegsmann.» Der
französische Befehlshaber de Baudricourt in Poliguy wollte
ihn mit 5000 Reisigen und einer Anzahl Schützen über-
fallen. Aber Kappler wurde gewarnt :
«Wie er seine feindt angreifen wellen und darauf sein
Ordnung gemacht, sein ihm durch kuulschafter Zeitungen
zukommen, die feindt seien schon in aller nähe und wohl-
gerüst vorhanden, ziehen mit Macht stark daher. Ist er
vor der Ordnung in seiner allen hundskappen (also hat
man solchen harnasch damals genannt) gehalten und
lecherlich, mit höchster modestia, ohne ainiche anzaig
einer forcht oder beweglichkeit des gemiets gesprochen :
«Kommen sie? kommen sie? Das ist recht; wolauf im
1 Am 4. Januar 1493 ist er in Prnntrut, am 15. in Mümpelgart,
am 23. in Altkirch (Ulmann I 168. n. Duvernoy 21 vgl. 243). Ans
Pruntrut schreibt er (3. Januar) an Herzog Sigismund : «wir hoffen
der gnaden Gots, dass wir in kurz hie mit sig und lob diesen
unseren krieg vollenden wellen» (Kraus Briefwechsel 82).
2 Ulmann I 169 ff.
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Namen Gottes, siesollen uns finden!» Hierauf die feindt
grossmiithiglichen angegriffen und angeschlagen.»1
Nicht weit von Salins, «zwischen den Dörfern Dour-
non, St.-Anna und Villeaeuve,» gerieth man aneinander:
am 19. Januar 1493. Aus Salins war der Platzhauplmann
«zur Aufnahme Kapplers* mit einer Abtheilung Schulzen
glücklich zu ihm gestossen. Trotzdem halten die Feinde
die Uebermacht. « Kappler stellte seine Geschütze in einem
langen Hohlweg auf, den die Franzosen passieren muss-
ten; auf den mit dichtem Gestrüpp bewachsenen Rändern
desselben verbarg er seine Schützen. Ohne jede Vorsicht
brausten die französischen Geschwader heran : ein Augen-
blick, und der ganze Weg war bedeckt von todten Män-
nern und Pferden.» Aber der Kampf dauerte noch fort
und endete erst in der Nacht mit dem Rückzug der
Franzosen, die noch weit verfolgt wurden.
«Das ist der Tag von Dournon, dessen Ruhm in
allen deutschen Landen wiederscholl und in einem Se-
bastian Brant seinen Sänger fand.»2
Die Frucht dieses Sieges war der Frieden von Senlis
(23. Mai 1493), der die Freigrafschaft Burgund und die
Grafschaft Arlois, also das Hauplstück der Mitgift Mar-
garethas, wieder an Maximilian brachte und diese selbst
aus der französischen Umarmung befreite.3 Am 3. Juni
durfte sie aus Meaux, wo man sie hatte wohnen lassen,
aufbrechen, um nach zehnjähriger Abwesenheit an der
1 Zimm. Chr. II. 468 ohne Ortsangabe, aber hier in die Sach-
lage passend.
2 Ulmann I 170 «nach dem ans alten Memoiren geschöpften
Berichte des ortskundigen Gollut». (Gollut, Mem. bist, de la republique
Sequanoise. . . ed. Davernoy, Arbois 1846). — «Ich hab gesellen und
gehord wie her Friderieh Cappler zwo grosse tat mit kleinem volk
begangen hat. als ein wider die venediger, die ander zn salin wider
die franzosen, da 10 man an ein man war ; dannocht behelt er das
feldt». (Miscellanhandschrift der Colmarer Stadtbibliothek N. 50 fol.
53 b).
3 Näheres bei Uhnann I 173 ff.
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gefahr und die Eroberungsgelüste Frankreichs in Italien.
Auch wurde auf diesem Reichslage Württemberg zum Her-
zogthum erhoben.1 Graf Eberhard im Bart war mit statt-
lichem Gefolge in Worms eingeritten. Unter den Herren
desselben werden ausser schwäbischen Rittern genannt :
Simon Wecker, Graf von Bitsch, Wilhelm von Rap-
poltstein, ein junger Graf von Bitsch und «Herr
Friedrich Kappler.»2 Der Rappoltsteiner hatte
Württembergische Lehen und wird Kappler, falls nicht
auch dieser solche hatte, als seinen Begleiter nach Stutt-
gart und von dort nach Worms mitgenommen haben.3
Nach langen knauserigen Verhandlungen wurden dem
Kaiser, als die Nachrichten aus Italien immer bedenklicher
lauteten, endlich — am 29. April — ganze 3000 Mann
auf drei Monate « zur Rettung des Papstes » bewilligt
und dann zur Berathung der vom Kaiser vorgeschlagenen
neuen «Reichsordnung geschritten.»4
> Stalin III 638 ff — 643, Anm. 1 : *Wimpfeling hat ein Lob-
gedicht anf den neuen Herzog verfasst. 100 Hexameter (Strass-
burg 1495).
2 Crusins Schwäb Chronik (deutsch von Moser) II 142.
3 Eberhard im Bart stand auch dem Herzog Sigismund nahe.
1434 war er auf der Hochzeit desselben in Innsbruck (Stalin III 636)
u. 1435 (Dienstag nach St. Joh. Bapt.) schloss er mit ihm ein Schutz
u Trutzbündniss auf 10 Jahre. (Bez. A. E. 9.) und 1492 (Staatsarch.
Stuttg. nach Doniat) finden sich in einem «Reissbuch u. Register
Graf Ebern, des Aeltern» in der Liste der auf Samstag vor Oculi
zu einem Zug ins Lechfeld Beschiedenen auch : Friedrich u. Wilhelm
Käppier*. — Ueber diesen Zug (Reichsexekution des schwäb. Bundes
gegen Albrecht von Bayern) vgl. Würdinger II 160 ff. Stalin III, 634,
Klüpfel 126 ff.
* Vgl. auch den Bericht des schwäb. Bundeshauptmanns
Besserer von Worms (2. Juli) an die Städte bei Klüpfel Urk. zur
Gesch. des schwäb. Bds. 171 ff.: «Dagegen haben sich die edelleut mit
saufen auf diesem reichstag ziemlich säuisch gehalten... item einen
abend legten sie eine gesellschaft auf das neuhaus u. Hessen auf 34 tisch
zurichten ; sie lebten wohl, trunken und verwüsteten wein, dass man hätt
drin mögen waten ; der imbiss kost ob 200 fl; zerworfen wohl bei 100
gläser». (Wormser Chron v. Fr. Zorn). — Auch der unbekannte
Verfasser der Reformschi ift (Miscellanhandschrift der Colmarer
Stadtbibl. N. 50), ein Verehrer Kapplers, war damals in Worms. Vgl
Haupt. Westdeutsche Zeitschr.. Ergänzungsheft VIII 1893 S. 99 u.
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— 81 —
•
4. August hatte ein Zuzug von 6000 Fussknechten1 in
Mailand Musterung, und den Oberbefehl über die Deut-
schen vor Novara führte nun, da der ursprünglich dafür
ausersehene Welsperg unterwegs in Trient erkrankt war,
«der wohlbekannte Friedrich von Kappeler».2
Commines vergleicht die Belagerung von Novara mit
der von Jerusalem, so gross sei die Noth in der Stadt
gewesen. 2000 Mann der Besatzung starben an Hunger und
Krankheiten, und der Rest (es lagen 7500 Mann darin) war
«so abgemagert, dass sie mehr Todten glichen, als Lebendi-
gen.» Der König, der mit seinem Heere noch bei Asti lag,
wagte nicht, die Stadt zu entsetzen ; doch gelang es ihm,
durch Verhandlungen3 mit Lodovico Moro, dem an dem
Besitze Novaras alles gelegen war, dem Herzog von Or-
leans mit kleiner Begleitung freien Abzug zu erwirken. Drei
Tage später durfte die ganze Besatzung folgen. Es war
ein trauriger Auszug: kaum ein Pferd mehr dabei (denn
man hatte die Rosse verzehrt) und nicht 600 Mann, die
sich noch halten vertheidigen können ; viele sanken er-
schöpft auf die Strasse ; aber die Feinde nahmen sich
ihrer an.* Noch in Vercelli, wohin die Abziehenden unter
italienischer Bedeckung gebracht wurden, starben über
300 Mann, darunter viele auf — Misthaufen !5
Die Feindseligkeiten schienen wieder beginnen zu
sollen, weil 20,000 geworbene Schweizer bei den Fran-
zosen angekommen waren. Aber der König gab dem Drän-
gen des Herzogs von Orleans nicht nach ; seine Ritter
sehnten sich nach der Heimath und die Feinde waren sehr
stark, in guter Stellung und unter vortrefflicher Führung.6
1 üllmann I 290, 2.
2 üllmann I 290.
3 Diese Verhandlungen leitete Commines ein (II 518 ff.) —
Leo V 103.
* «ä qni les ennemys propres faisoient de l'ayde».
5 cet largement snr les fnmiers de la ville».
6 Leo V 103 ff. — Commines II 524 ff menez de bons chiefz,
comme ce messire Federte Capelare».
6
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— 82 —
Darinn schloss er am 10. Oktober Frieden mit Mailand
(dem er Novara iiberliess), setzte dann seinen Heimzug
fort und kam am 27. Okt. in Grenoble an. Der in Nea-
pel zurückgebliebene Graf Montpensier erlag mit einem
grossen Theile seines Heeres einer Seuche; der vertriebene
König Ferdinand war schon am 7. Juli bei Neapel gelan-
det und rasch wieder in den Besitz seines Reiches ge-
langt. Nur Gaeta und Tarent blieben zunächst noch in
den Händen der Franzosen.1
Die deutsehen Truppen unter Kappler zogen nach
Tirol zurück und werden sich dort aufgelöst haben. Viel
Glück hatten sie in der Bundesgenossenschaft mit den
Italienern nicht gehabt; Lodovico Moro war überdiess
froh, sie los zu sein, und die Venetianer rühmten sich,
bei Fornovo allein gesiegt zu haben.
An dem wenig rühmlichen Zuge Maximilians nach
Italien im folgenden Jahre 2 hat Friedrich Kappler nicht
theilgenommen. Er scheint die folgenden Jahre in Mas-
münster geblieben zu sein.3
1496 «Fritag nach Reminiscere», starb in Innsbruck
sein früherer Landesherr, Erzherzog Sigismund. Bei der
Leichenfeier waren die Vorlande nicht vertreten.4
1498 am 7. April starb Karl VIII. von Frankreich
kinderlos. Sein Nachfolger wurde der Herzog von Orleans
als Ludwig XII. Er heirathete schon nach 4 Wochen die
1 Leo V 105 ff.
2 ülmann I 404 ff. - Leo V 114 ff.
3 Kindier : <1595 Friedrich K. Vogt in M». — In einem Kirchen-
buche von Sewen, das ich bei H. Doniat einsah, steht ein Indulgenz-
brief des Papstes Alexander VI. zn Gunsten der dortigen Wallfahrt
dat. Rom 1497 quarto Idns Junii u. darin die Stelle : «Nos cupientes,
nt ecclesia ipsa ad quam, sicut etiam aeeepimus, dilecti filii nobilis
vir Fridericus Cappler miles et Joannes Berckmann de Olpe, ipsius
ecclesiae Rector> etc. — Stoffel : «Sewen gehörte zum Amt Masm. —
Wallfahrtskirche zu Maria Himmelfahrt». — Der Rector Olpe druckte
in Basel die Werke Seb. Brants 1496. — Ueber die Wallfahrt vgl.
Stöber Sagen des Elsasses (Mündel) I S. 41.
i Brandis 334 ff.
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- 83 —
königliche Wittwe Anna und brachte dadurch die Bre-
tagne endgiltig an die französische Krone. Auch nahm er
ohne Weiteres den Titel eines Herzogs von Mailand an.
Maximilian forderte von dem neuen Könige die Heraus-
gabe des Herzogthums Burgund, worauf keine Antwort
erfolgte. Im Juni wurden bei Ensisheim 6000 Mann zu
Fuss und 1000 Reiter gemustert, unter letzteren auch
der junge Götz von ßerlichingen als «Reiterbub». Dieses
Fleer machte im Juli einen Vorstoss bis Langres, zog sich
aber schon im August nach dem Sundgau zurück, weil
des Kaisers Sohn Philipp, der am 28. Juni grossjährig
geworden war, in Brüssel ein Abkommen mit Frankreich
schloss, das den Frieden von Senlis aufs Neue verbürgte.
Aber die Franzosen machten nun ihrerseits im Sep-
tember einen Vorstoss in die Freigrafschaft, zu dessen
Abwehr Maximilian selbst von Freiburg aus, wo der
Reichstag beisammen war, über Ensisheim 1 und Möm-
pelgard in die Haute-Saöne einrückte. Die Franzosen
zogen sich zurück, und Maximilian wendete sich, mit
einem Theile des Heeres gen Norden nach Metz, wo es
zu Verhandlungen kam.2 Ob Kappler diese Züge mit-
machte? Es ist wahrscheinlich; ich kann es aber nicht
nachweisen. Erst im folgenden Jahre (1499) taucht er
wieder auf in dem unseligen «Schwabenkrieg*, durch den
das deutsche Reich um die Schweiz kam.
XII.
Gegen die Sohweizer im Sohwabenkriege.
Die Waffenbrüderschaft des alemannischen Gesammt-
stammes im Burgunderkriege war wieder dem alten Hader
» Merklen hist. d'Ensisheira 184.
a Ulmann I 583 ff. Tuefferd Ü8ö.
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- 84 —
gewichen. Die Eidgenossen kamen mehr und mehr unter
französischen Einfluss und trachteten, das lose Band, das
sie noch an das Reich knüpfte, ganz zu durchschneiden.
Maximilian selbst bemühte sich, die seiner Zeit von Si-
gismund geschlossene «ewige Richtung» mit ihnen zu
erneuen, und war bis zuletzt in seinem ganzen Verhalten
massvoller, als viele Fürsten und als die Ritterschaft der
Vorlande, des «schwäbischen Bundes» und Tirols. Auch
der Klerus war den Schweizern meist feindlich gesinnt :
«wider die Eidgenossen sei nicht anders dann wider die
Türken zu kriegen.»1 —
Händel der Innsbrucker Regierung mit Graubündten
fachten das alte Misstrauen der Urkantone gegen die
Habsburger aufs Neue an. Man wollte nicht auch im
Osten die Oesterreicher als Grenznachbarn erhalten. So
kam es schliesslich, während Maximilian im Norden mit
dem Herzoge von Geldern zu thun hatte, zum Kriege
gegen die Eidgenossen, der in den ersten Monaten des
Jahres 1499 hauptsächlich in der heutigen Ostschweiz
geführt wurde und dem zusammengewürfelten, schlecht
geleiteten und mangelhaft besoldeten Reichsheere keine
Lorbeern brachte.2
Der Zuzug aus dem Elsass sammelte sich in und
um Altkirch, zunächst unter dem Landvogte Kaspar von
Mörsperg als oberstem Hauptmanne. Maximilians Gemah-
lin, Bianca Maria, wohnte damals in Breisach und be-
mühte sich von dort aus, auch die Baseler «mit Büchsen
und Gezeug, wie das in ein Feld gehört, zu den Ihrigen
in das Lager gen Altkirch» zu bekommen.3 Die übrigen
Verbündeten der alten «niederen Vereinigung» entschlossen
» Heyd I, 57.
a Ulmann I 649 ff. — Ochs IV 463 ff. und Klüpfel S. 218 «e&
sei kein Geld n. Lieferung da S. 291. Unser Ding ist nit wol ver-
sehen in vil weg» S. 321 «an Pulver u. Blei sei Mangel» u. s. w.
3 Ochs IV. 495. — Briefe von ihr liegen im Basler Staatsarchiv.
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— 85 —
sich auf einem Tage in Colmar (am 25. März) zur Mit-
hilfe ; Basel dagegen wollte neutral bleiben und blieb es.
In Altkirch lag Friedrich Kappler als Hauptmann. —
Mehr und mehr breitete sich die Kriegsflamme nach
Westen aus. Slreifzüge und Brandschatzung hinüber und
herüber bildeten, wie gebräuchlich, den Anfang!
In der Nacht vom 21. zum 22. März hatten sich
beide Theile, ohne von einander zu wissen, zu einem
Einfall ins feindliche Gebiet gerüstet. 1 Friedrich Cappler
rückte noch iu der Nacht mit 2100 Landsknechten und
einer Reiterschaar in Altkirch aus und brach bis über
Dorneck an der Birs ins Sololhurnische ein. Die Solo-
thurner waren aber nicht daheim, sondern mit Bernern
und Luzernern plündernd bis Häsingen und Blotzheim ge-
zogen. Als sie heimkehrten, stiessen sie, angeblich nur
1500 Mann stark, um 10 Uhr Vormittags am Bruder holz
auf die durch das Leimenthal 2 nach Altkirch zurück-
marschirenden Feinde. Die Berichte über dieses Gefecht
sind unklar. Bedeutend war es jedenfalls nicht, da die
Schweizer selbst den Verlust der Kaiserlichen nur auf etwa
80 Mann berechneten.3 Pirkheimer* erzählt, die Eidge-
nossen hätten vor der feindlichen Uebermacht in guter
Ordnung sich zurückzuziehen begonnen, und die Kaiser-
lichen seien, als sie das merkten, desto ungestümer auf
sie losgegangen. Da habe der Anführer der Schweizer
den Rückzug nach einer nahen Anhöhe gelenkt. Um
nicht aus der Ordnung zu kommen, hätten sich die
Eidgenossen dabei einander an den Armen festgehalten 5
und seien dann in geschlossenen Reihen von der
1 Ulmann I 734.
* Thal der Birsig, die südw. von Leimen entspringt u. bei Basel
mundet.
3 Ochs IV 542.
4 Bell. Helvet II 69 (bei Freherus III).
5 Dux fugere jussit, ita tarnen, nt connexis brachiis ordines
neqnaqnam dissolverent
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— 86 -
Höhe auf die überraschten und aus der Ordnung
gerathenen Feinde herabgestürzt. Auf diese Weise er-
zwangen sie den Durchzug. — Mehrere Quellen berichten,
die Reiter Kapplers hätten tapfer gekämpft ; aber das
Fussvolk habe «nicht hernach gewollt» ; das Fähnlein
von Pfirt sei zuerst ins Wanken gekommen und bald
hernach Alles gewichen. — Jedenfalls war es ein un-
glücklicher Tag für Kappler, ganz abgesehen davon, dass
er selbst verwundet wurde 1
Die Verwundung muss übrigens ganz unbedeutend
gewesen sein.
Denn schon am 27. März erhielt der Landvogt und
damalige oberste Hauptmann, Kaspar von Mörsperg, in
Basel einen Brief Kapplers und berichtet darüber am 28.
März von Waldshut aus «an Herrn N. herr zu Firmian,
der Rö- kn. hofrnaister», was folgt :
«In dem so kumpt mir ain brief, so Ich gerad auf
sitzen will, von herr Fridrich Cappler dem vellhaupt-
man, der schreibt mir, dieweyluud man die LyfFerung
zu AlUkirch den Edln abkundt hab, so seyeud sy alle
gar zerritten vnd sich auss der statt vnd von den Lanndl-
schafften gethan, vnd dieweil man nyeman Lyferung
geben well vom Adl, so sey es nit in Irem vermügen,
sich auf sich selber also zu enthalten. Deshalben Er Im
nit zu tun wyss vnd Begert darauf an mich, Im die
veldhauptmannschaft (als) Landtvogt vnd Obrister haupt-
man abzunemen. Hab Ich Im geantwurt, ich hab sein
nit gewalt».2
1 Birken S. 1112 (Brich. 6 Kap. 11): «Der Oberste Friedrich
Cappler ward übel verwundet u. nit wol davon gebracht». — So
auch Wurstisen in seiner Basl. Chronik.
8 Haus- Hof- u. Staatsarchiv Wien, Maxirailiana 5a. Der Brief,
dessen Abschrift ich der Güte des Hr. Sektionsrathes Kanonikus Dr.
Schrauf in Wien verdanke, ist «eine gleichzeitige Copie des (dort)
nicht mehr vorhandenen Originals». Zu Anfang erzählt Kaspar von
Mörsperg, dass er vergebens in Basel Geld aufzunehmen versucht
habe. Und «nun ist die nott mit den bezalungen so gross» u. so
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Wenige Tage nach dein Gefechte im Bruderholz
begann also der Adel aus dem Altkircher Lager heimzu-
reiten, da die Lieferungen ausblieben, und Kappler
begehrte, den schlechten Ausgang des Krieges voraus-
sehend, unmuthig seine Entlassung.
Die Mahnung des Landvogtes an den königlichen
Hofmeister, um jeden Preis «den Adel mit Lyferung
wider gen Altkirch zu bringen», 1 hatte aber Erfolg,
und Kappler blieb im Dienste.
Ende April erscheint als oberster Hauptmann in den
Vorlanden Maximilians Ilofmarschall, Graf Heinrich von
Filrstenbergy dessen «Ansprüche auf diese Stellung völlig
im Dunkeln liegen» 2 Er war der Bruder Wolfgangs von
gewaltig vor Augen, dass die Städte n. das Land darüber verloren
werden könnten. <Nun schreib ich nit gern sollich heisse mer. Aber
auss solichem grossen Verlust, dem zuvor ze sein, muss ich solich
geschrifften aussgeen lassen>. Und am Schlüsse sagt er, er persönlich
könne nicht mehr helfen ; er sei, wie allbekannt, in grosse Schulden
«von Kü. Mt. wegen kumen, dass darauf stat. Ich vnd meine kind
dess in gantz verderben kumen werden Dann ich hie zu Waldszhut
ob den Vlc guldin meines aigen gelts hab aussgeben». — Hierdurch
berichtigt sich die Angabe Ulmanns (l 735) dass Kappler diesen
Brief mit der «heissen Mär» geschrieben u aus eigenen M.tteln in
Waldshnt 600 fl. hergegeben habe.
1 «Dieweil nu der Adl auss Altkirch ist vnd die Aidgenossen
mit macht für Mympelgart, Hefort vnd Tatenriedt vernomen zu
ziehen, wie mir das mein herr von Basel (der Bischof) auf gestern
mit mand gesagt hat, das sy den Freyenberg eingenommen vnd am
zng sind, an die Ennd zu ziehen, so erfordert, das man eylends
gedenken hab, dormit man den Adel wider vnd in Altkirch kumm.
So sind sy denen Slössern allen wol gelegen vnd wo die Leut in
das Lannd oder für die Sloss wellen, so mögen allweg von Einem
oder dem andren zu hilff kumen, vnd ist Alltkirch versorgt, dess-
gleichen die Anndere Sloss, vnd wurt der gemain man dardurch
widerumb erkigkgt vnd getrost. Darumb so ist not u. wurt not ein,
das man weg find, wie man den finden kann oder mag, domit man
die leut mit lifferung widerstand wiederumb gen Alltkirch zu bringen.
Sy haben bissher hinder mir vnd on raein wissen sich auf mich
mit der lyffernng auffenthalten, das nit in meinem vermögen ist,
füerohin zu erleiden» . . . Der brief schliesst : «datum in Eyl auf den
hohen Dornstag vor Ostern anno domini etc. 99. mein aygne Handt-
* üimann I S. 754. - Im Fürst, ü. B. IV S. 251 steht (Freib.
24. April) seine Ernennung «zum obristen Veldhauptmann in diesen
unsern vordem landen».
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— 88 —
Fürstenberg, des gleichzeitigen Heerführers des schwäbi-
schen Bundes, und hatte etwa 4000 Mann (darunter die
Hilfstruppen der niederen Vereinigung) unter sich. «Geld
und immer Geld» ist das dritte Wort auch seiner Berichte
aus dieser Zeit. Neben Friedrich Kappler stand diesseits
des Rheines noch Ludwig von Masmünster als Feld-
hauptmann unter seinem Oberbefehl. 1
Wer weiss, ob nicht Alles anders gekommen wäre,
wenn man Kapplern statt des «Hofmarschalls» die oberste
Hauptmannschafl übertragen hätte ? Der einfache Ritter,
der zudem kurz vorher im Bruderholz eine Schlappe
erlitten und sich durch seinen Brief an den Landvogt
auch nicht gerade empfohlen hatte, mussle aber hinter
dem hohen erst 35 jährigen2 Herrn zurückstehen.
Einige Wochen nach dem Gefecht im Bruderholze
kam es in derselben Gegend (am 6. Mai) zu einem
zweiten, kleineren Scharmützel. Bei «Brüglingen, einer
Mühle an der Birs oberhalb St. Jakob» 3 stiessen 60
Reiter aus dem Altkircher Lager auf eine Schaar
Schweizer, die in den Sundgau einfallen wollte. «Beider-
seits blieben 10 Mann», darunter ein Graf Hans von
Ortenburg, der dann in Basel im Chore der Barfüsser-
kirche beigesetzt wurde. Birken4 erzählt : «Vorgedachter
Fridrich von Cappel ward hart verwundet und in einem
Graben vertuscht und in der Nacht davon gebracht».
Ochs weiss aber hiervon nichts ; es liegt augenscheinlich
eine Verwechslung mit der Verwundung Kapplers im
Bruderholze vor, die jedoch, wie wir sahen, ganz unbe-
deutend war. Schon am 14. Mai quitlirt Kappler eigen-
1 Ochs IV 582. Im Breisgau war Graf Mathias Castelwalt sein
Hauptmann. — Ludw. v. Masm. war 1489 «Statthalter im Elsass» ge-
wesen Ztschr. V. Anhang III 117.
Zimm. Chr. II 217.
3 Ochs IV 585.
* s. S. 86 Anm. 1.
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— 89 —
händig in Knsisheim über erhaltnen Sold 1 und erscheint
überhaupt gerade um diese Zeit fortwährend in Thätigkeit,
und zwar merkwürdiger Weise, eine Zeit lang als «oberster
Feldhauplmann» neben Fürstenberg.
In der «rayttung» (s. unten Anm. 1) heisst er am
24. Mai 2 einfach «Hauptmann» ; aber am 13. Juni fordern
«Wir Heinrich, graff zu Furslemberg hoffmarscbalk vnd
ich Fridrich Cappler, bed röm. königl. Majestät oberst
1 Fürst. U. B. IV. S. 242 (aus dem Staatsarchiv in Luzern)
«Graf Heinrichs von Fürste n berg rayttung anno 99:
Sonntag den 12 tag May zu Ensshaim, Montag den 13 tag May zu
Ennshaim : Herr Fr id riehen Capler auf seinen soldt 50 fl r. »
Die Quittung lautet: «Ich Friderich Cappler, Ritter, Bekenn,
das ich von Graff Hainrichen von F empfangen hab fünffzig guldin
zu Enschaym vff Zinstag nach der Crützwochen (=. Himmelfahrts-
woche) a° Im Nun vnd neuntzigsten Jare etc zu vrkundt hab ich
min aygen Insigel by end der geschrifft gedrugkt In disen biieff «
Das Siegel ist aufgedrückt (Luzern, Abschrift Doniat.) — Himmel-
fahrt war am 9 Mai ; die Quittung datirt also vom 14. Mai
2 Ebenda S. 243: « Frey tag den 24tag May zu A 1 1. k i r c h : Herr
Fridrichen Kapler, huptman auff die ritterschaft und goraisi-
gen aus dem Land Sunckaw geben 310 fl r. > Die Quittung lautet
(Luzern. Abschrift Doniat): «Ich Friderich Kappler, Ritter,
Hopptman Bekenn mich mit dieser quitung. das mir der wolgeborcne
Herr, her Heinrich grave zu Fürstenberg, lantgraf ze Bar, Hoffmar-
schalk vnd oberster velthoppttman, min gnediger Herr, geben vnd
vberantwurt hatt In dem leger zu Altkirch die Hern Ritter vnd
knecht für vierzehn tag. So sich geendet haben, uff yettlich pfert
zwen gülden, benantlichen dreyhundert vnd zehn Rutscher gülden, die
ich also von stund an den selben Hern Rittern vnd knechten zur be-
zallung überantwurt vnd geben hab. Hiervff sagen ich gemelten min
gnedigen Hern oder wer von siner gnaden wegen quitirens hierumb
bedarf, gemelter dreyhundert vnd zehen Rinscher gülden quitt, lidig
vnd loss, zu vrkund mit meinem Ingedrnckten Ingesigel versigelt vnd
geben vff dem nechsten frytag nach dem Heiligen pfingstag anno etc
1499. > (Das Siegel ist aufgedrückt). - Am 2. Juni (Fürst. U. B. IV
245) erhält ein Hans Rumely in Rheinfelden 65 fl. « für ain p f e r d ,
so Her Fridrichen Kapler in abschlag seines solds geben ist.»
— Gleichfalls in Luzern liegt folgende Quittung (Doniat) vom 7. Juni
«Ich Friderich Kappler, Ritter. Bekenn, das ich von dem wol-
gebornen Herren Heinrichen Graven zu Fürstenberg etc. oberister velt-
hopptmann etc. empfangen hab Hundert vnd Sibenzig Rinscher gül-
den vnd die Sibenzig vff meinss bruder Wilhelm Kappllers sold.
Hier vff So Sagen ich (etc. wie bei der obigen Quittung). . . vff fryt-
tag vor Sant Margrethentag anno etc. (ohne Ortsangabe ; das Siegel
ist aufgedrückt.)
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— 90 -
velthopptman» die Unterthanen der Herrschaften Pfirl,
Thierstein u. s. w. zum Gehorsam auf. Diese hätten sich
zu den Eidgenossen «geschlagen» und müssten darum
auch unter die Reichsacht fallen, sofern sie nicht «uf den
achten tag nach Datum dieses briefs vor uns hier (in
Altkirch) oder wo wir dann im veldtlager sin, erschinen».1
Und am 21. Juni zeigen Fürstenberg und «.Friedrich
Cappler, ritter, beid obrist veldhauptleut» von Altkirch
aus der Stadt Basel an, a dass sie «an all ungehorsame
underthanen ernstlich gepolsbrief» haben ausgehen lassen.
«Derselben Mandat eins» möge die Stadt am Gerichts-
hause anschlagen. Auch solle sie dem Grafen Wecker
von Bitsch, der «von Reichs wegen» mit 50 Pferden, 26
zu Fuss und zwei W agen heraufziehe, den Durchmarsch
gestalten. — «Statthalter des Bürgermeisterthumbs und
Rath der Stadt Basel» ertheilen hierauf umgehend (am
22. Juni) Fürstenberg und «herrn Fridrichen Cappler,
Ritler, röm. kön. Maj. oberste feldhauptleut sampt und
sonders» ihre Zusage ; nur möge der Bitscher ein oder
zwei Stunden vorher seine Ankunft melden.3
Diese, an sich schon unklare Stellung Kapplers neben
Fürstenberg war aber ganz vorübergehend 4 und halte
vielleicht nur den Zweck, auf ungehorsame Unterthanen
und saumselige Ritter, denen Fürslenberg landfremd war,
grösseren Eindruck zu machen.
Am 29. Juni 5 findeu wir Fürstenberg und Kappler
1 Ebenda S. 261.
2 Ochs IV. 600.
3 Fürst, ü. B. IV 268 u. 265 g. Vgl. auch Ochs IV 615
4 Fürst. U. B. IV S. 24b heisst es in der « raytung » schon am
29. Juni (Altkirch) nur : Her Fridrich Kapler in abschlag seines soldts
aa tuch geben 25 fl. 48 Kr. (Wilhelm Kapler erhält am 30. Juni
desgleichen an Tuch 30 fl. 18 Kr.) und (S. 250) vom 12. Juli (Alt-
kirch) datiren die Quittungen des «Fridrich Kappler. ritters> über
170 fl — Ueber die Stellung des obersten Hauptmanns und der
Hauptleute vgl. Würdiuger II 832 ff.
5 die Quittung vom 29. Juni in Altkirch (s. die vorst. Anm.) ist
nach Fürst. U B. 248, 6 nicht von Kappler selbst ausgestellt, sondern
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in Ensisheim der Geldnoth wegen. Fürstenberg und
tFridrich Capler Ritler», sowie der Statthalter und die
Rälhe zu Ensisheim schreiben an Jakob von Eptingen,1
er habe «uff Fritag zu nacht nechstkünftig hie zu En-
sissheim an der herberg» zu sein «aller mängel halb
helfen beschliessen und Ordnung raachen».2
Am 19. Juli lag das Hauptquartier des Hofmarschalls
im Kloster St. Apollinaris. 3 Man steht vor einem ent-
scheidenden Schlag, und nun erscheint Friedrich Kappler
in einem Schreiben Fürstenbergs von St. Apollinaris aus
an die Stadt Basel nicht mehr neben dem obersten Feld-
hauptmann, sondern in dritter Stelle als «Feldhauplmann»
hinter dem in gleicher Eigenschaft bezeichneten Landvogt.
Fürstenberg will jetzt allein Oberbefehlshaber sein und
heissen. 4
für Rodique, sonlitenant general de la garde da roi von einem Je-
hann de Fontainea > (? Am 28. Jnni : « Rodigo, haubtman der weli-
schen gard auf sein volk in abslag ihres solds tuech. für 612 fl. 45
Kr., am 8 Juni: derselbe Rogdighe de la Lanng 1000 fl vgl. auch
zum 15. Mai >) Die Quittung Kapplers liegt aber in Luzern u. lautet
(Abschrift Doniat): «Ich Friderich Kap pl ler. Ritl er, Bekenn
mich, das ich empfangen hab von etc. zu abschlag Mins soldes vier
vnd zwenzig Elen duclis für vier und zwanzig Rinscher guldin vnd
zwelf ein fntterduch, die ein für nunt Crüzer, tutt Ein gülden vnd
acht vnd vierzig Crüzer. Solicher obgemelter Sum sag ich obgemel-
ten Min gnedigen Hern vnd wer darumb quitirens bedarf quitt, lidig
v. los zu vrkund mit minem Ingedruckten Ingesigel. Geben zu Alt-
kirch vff Sant Petter vnd Panlstag apostol. anno etc. > (=29 Juni.)
Auch die Quittung Wilhelm Kapplers (vom Sonntag nach Peter u.
Paul) liegt in Luzern. — Friedrich ist also erst nach Ausstellung die-
ser Quittung am 29. Juni nach Ensisheim geritten.
1 Fürst. U. B. IV 268. — Jak. von Eptingen war ein Basler
Edelmann. (Ochs IV 603 u. 626).
2 Am 30. Juli ladet Fürstenberg etc von Altkirch aus auch Probst
u. Kapitel von St. Peter in Basel nach Ensisheim < Gelds halber ».
Sie leihen 200 fl. (Ebenda S. 271 Anm. I u. 272)
3 bei Volkensberg, Cistercienser-Kloster, zur Abtei Lützel ge-
hörig.
4 Fürst, ü. B. IV 267, n: Fürstenberg u «Caspar Freiherr zu
Mörsperg, Landvogt, Fridrich Cappeler Ritter, Feldhauptleute
u. andere kön. Maj. Räthe, jetzt zu St Apolinaris versammelt > schrei-
ben, dass nächstens Ludwig von Reinach mit einem Auftrage « von
wegen kön. Majestät > nach Basel kommen werde. — Vgl. Ochs IV
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Und doch hülle Kappler etwa 4 Wochen vorher die
Scharte vom 22. März glänzend ausgewetzt. Am 15. Juni
meldet der Nördlinger Ulrich Strauss nach Hause, «die
beiden Fürstenberg» hatten geschrieben, dass «Herr Frid-
rich Cappeller bei Lauf, dem Bischof von Basel gehörig,
ob 600 Eidgenossen erstochen.* 1 —
Maximilian , der schon seit April in Oberdeutschland
war, lag vcm 9. Juli an in Lindau ; das Genirum des
Heeres sland bei Conslanz. Man hatte von Tirol und vom
Norden her nichts ausgerichtet. Nun sollten die Schweizer,
deren Hauptmacht auf und um den Gaisberg herum im
Thurgau lag (im «Schwaderloch»), dort von Couslanz aus
festgehalten uud von Lindau und dem Sundgaue aus um-
fasst werden. So erhielt der Hofmarschall den Befehl, in
die Wcslschweiz einzurücken. Bereits am 21. Juli sland
er mit 14 000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern vor dem
festen Schlosse Dornach an der Birs in Solothurn.
*Strassburg. Schlettstadt, Colmar mit gewalt
Kamen gezogen jung und alt
Und ander Stadt im Elsass gelegen.
Sie wollten Dornegg zerstöret han.
Dess heten sie sich verwegen.
Friburg in Brisgow und Ensesheim
Die acht geschlecht (?) und Eapelstein.
Darzu vil grafen, ritter und knechte
Mit grossem geschütz kamen für Dornagg das sc bloss
Und heten ein gross geprechte.» -
Obgleich die Baseler durch Abgesandte des Raths
dem Oberbefehlshaber riethen, auf seiner Hut zu sein,
629. — In ähnlicher Weise hatte auch der württemb. Landhofmeister
Wolfgang v. F . des Hofmarschalls Bruder, der Oberbefehlshaber des
schwäbischen Bundes, einen erprobten Kriegsmann neben bzw. unter
sich, den Ritter Diepold Spät. ;Heyd I 61).
1 Ebenda S. 262 Anm. 2 u. Ulmann I 772 An in. 3. — Laufen,
an der Birs, 4 Stunden oberhalb Basels.
2 Ulmann I 778 ff — Ochs IV 631 ff. - Bnrkhardt Bilder aus
der Gesch. Basels. Heft 3. — Pirkheimer 83. — Liliencron II 398 —
Münch, Fürstenberg I 437 ff.
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liess er, nachdem die Geschütze vor dem Schloss aufge-
pflanzt waren, das Heer in dem weilen Thale bis Arles-
heim hin sich lagern, ohne auch nur Wachen aufzustellen !
«Laubhütten wurden errichtet. Das benachbarte Elsass
führte Wein und Speise im Ueberflusse herbei ; die Baseler
Domherrn sandten Silbergeschirr und Kleider». Denn es
war Maria Magdalenentag, und der sollte fröhlich gefeiert
werden. — Die Reiterei1 hatte einen Mann, der nach
Basel wollte, aufgegriffen. Von ihm erfuhr man, dass die
Schweizer in der vorigen Nacht schon in Liestal gewesen
seien. Die Reilerobersten warnten Fürslenberg, aber er
schickte sie in ihre entlegenen Dörfer zurück und liess
den aufgegriffenen Mann als Kundschafter aufhängen !
Da begaben sich die Hauptleute zu ihm und baten, er
möge nun doch wenigstens das Fussvolk zusammenhalten
und Posten aufstellen; sie seien bereit, aufs Sorgfältigste
den Wachtdienst zu handhaben. Aber er schall : «Ich
habe zu befehlen, nicht ihr; ich weiss selbst, was zu thun
und zu lassen ist» ! 2 Und zu Wecker von Bilsen 3 sagte
er: «Lieber Graf, meinst Du, dass es Schweizer regne
oder schneie? Ihrer ist nit so viel, so habend sie an
andern Orten auch zu schaffen. Wer sich förchtet, der
leg ein Panzer an ! » —
Der gehängte Bauer hatte die Wahrheit gesagt. Die
Solothurner waren in Liestal gewesen, und Eilboten um
Zuzug nach Bern, Zürich und Luzern geritten. Ja, am
Nachmittag des 22. Juli, standen Solothurner, Berner und
Züricher bereits auf der Schartenfluh, und sahen das
feindliche Heer drunten in sorgloser Zerstreuung lagern.
Die Einen badeten in der Birs, andere tanzten, würfelten,
1 Es waren auch 400 Bargander dabei, « die welsche Garde >,
von Philipp, dem Sohne Maximilians, gesandt, s. S. 90 Anm. 5.
2 Comes non sine verborum contamelia abire jnssit asserens, se,
non illos imperare, et recte qaid agendum, quidve omittendnm nosse.
(Pirkheim er).
3 Brandis 374.
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zechten, alles wie im tiefsten Frieden ! Da nähten sich
die Solothurner, die die Vorhut bildeten, das österreichi-
sche Kriegszeichen, rolhe Kreuze,1 auf die Brust und
stürtzten gegen 4 Uhr unter die Feinde. Fürstenberg
hörte das Geschrei, eilte herbei, und meinte, durch die
Kriegslist der Schweizer getäuscht, es handle sich nur
um eine Lagerschlägerei. Da hieb ihn ein Eidgenosse
«bei den puchsen» zu Boden, und das Heer war führer-
los. Zwar sammelte man sich, so gut es ging, und bald
kamen die Solothurner selbst in Noth. Aber nun rückten
die übrigen Schweizer heran, die eigentliche Schlacht
entbrannte, viele Edle fanden den Tod, darunter Wecker
von Bitsch, Mathias von Kastelwart, der letzte seines Ge-
schlechtes, der die Breisgauer führte, und Arbogast von
Kageneck, der Fähndrich Strassburgs, gegen Heinrich
Bahn von Zürich, der das Strassburger Banner eroberte.
Doch ist noch nichts entschieden ; ja die Schweizer schei-
nen zu ermüden ; einige fliehen schon. Da naht ihnen Hilfe :
Zuger und Luzerner, frische Mannschaft, greifen um 6
Uhr ein, überrennen die Ensisheimer , Freiburger,
Strassburger, und Alles ist verloren ! Doch geschah der
Rückzug mit «wehrender Hand», und der Sieger verfolgte
den Feind nicht weil. «Nacht, Ermüdung und Besorgniss
vor einem Hinterhall hinderten ihn.»2
Aber der Verlust an Menschen und Kriegszeug war
sehr gross. Alles Geschütz vor Dornach fiel in des Feindes
Hand, auch der «Strauss» von Strassburg und das «Kät-
terli3» von Ensisheim, dieses 55, jener 40 Geniner schwer.
Die erbeutete Strassburger Fahne wurde in die Wasser-
kirche zu Zürich, die Banner von Ensisheim und Frei-
1 Liliencron II 419 «Französische Stück han sie gelert, dass ihr
weiss Kreuz sie han verkehrt. > (Das weisse, eidgenössische Kreuz
trugen sie auf dem Rücken.)
* Ochs IV 643.
8 Bei Liliencron II 41 6 heisst die «büchsen von Ensen»: «das
Rerailli.» (?)
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bürg nach Solothurn gebracht.1 Die Leichen Fürstenbergs,
Weckers von Bitsch und Gastelwarts bestattete man in
der Kirche zu Dornach «nächst bei dem Sakramentshaus.»2
Brandis nennt unter den gefallenen Rittern noch die
Elsässer Christoph von Hattsladt, Martin Slör und —
aherr Fridrich Capeller*. Aber Kappler hat jene zwei
Waffenge fährten seines Silges bei Galliano 3 überlebt ;
er kam glücklich aus der Niederlage ins Elsass zurück.1
Von seinen Erlebnissen an dem Unglückstage verlautet
nichts ; aber 7 Monate hernach taucht sein Name wieder
auf. lier Schwabenkrieg war durch den Frieden von Basel
am 22. Sept. 1499 beigelegt.
Schon vorher (wenige Tage nach der Schlacht bei
Dorn ach) halten Wilhelm von Rappoltstein und die Räthe
in Ensisheim (darunter wohl auch Kappler als Vogt von
Masmünsler) an die Stadt Basel geschrieben : «Uns langt
in Landmannsweise an,» dass eidgenössische Boten «Euch
von dem heil. Reich und der 1. Niedern Verein unter-
stehen abzusondern.» Darum ist «unsere Ermahnung, Be-
gehren und Bitte, Ihr wollet euch in keinem Weg von
dem h. Reich und den Verwandten der bemeldten Verein
weisen lassen.» Und wenn «Euch je gewalliger Gelrang
unsers Widertheils, der Schweizer, zustehen wollte,» so
werdet ihr omit nichten verlassen» werden ! 5
Basel stand eben — wie die Zukunft lehrte, mit
Recht — im Verdachte, abfallen zu wollen, und das führte
zu Spannungen mit den Nachbarn, obgleich die Stadt
1 Liliencron II 405.
2 Ochs IV 645.
3 s. Abschn. IX S. 66.
4 Auch Christoph v. Hattstatt scheint nicht gefallen zu sein, wenn
er derselbe ist, der bei Ochs IV 711 als c Vogt von Landser» er-
wähnt wird.
5 Ochs IV 659 «Datum auf Freitag nach Jacobi Fast eilends,
um 3 Uhr Nachmittag anno 99.» — Landvogt war noch (vgl. Ulmann
782, 1) Konrad von Mörspurg ; der Rappoltsteiner wird also in Beinern
Auftrag (als Altlandvogt) geschrieben haben.
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_ 96 —
noch am 25. August einen Tag der niederen Vereinigung
zu Strassburg beschickte. Der Rath verhandelte wegen
einzelner Vorfälle «in Güte» mit den Beamten der Vor-
lande, unter denen auch Kappler genannt wird,1 und
verbot den Druckern bei Geldstrafe, «Schreiben, Gedichte,
Lieder und Anderes zu drucken», was die Schweizer oder
die «Oesterreicher» übel nehmen könnten. Aber man
traute den Baslern nicht mehr, und in der That trat die
Stadt bereits 1501 der Eidgenossenschaft bei.
XIII.
Landvogt in Mömpelgard
(Kappler bei der Belagerung von Besigheim).
Wenige Tage nach seinem Briefwechsel mit Basel
(siehe die Anm. hier unten) finden wir (am 30 Sept.) den
i und zwar mit dem Titel: Cappler, Ritter, Landvogt von
Mömpelgard und Obervogt zu Masmünster (Ochs IV 711.)
S. 714 erzählt Ochs: < Sonderbare Anmassungen geschahen auch. Ein
Elsässer war zur Zeit der Dornacher Schlacht anf seiner Fluchi zu
einem Solothurner gestossen, der ihn als Feind tödten wollte, als
2 Basler von Mattenz ihn noch zu rechter Zeit davon abmahnten. Der
Solothurner liess sich mit den Hosen, worin 7 gülden waren, u. dem
Wammisch des Elsässers befriedigen. Sieben Monate nachher begehrte
der Ritter Cappler, Vogt zu Massmünster, dass unser Rath die 2
Retter dieses Elsässers anhalten sollte, ihn für seinen erlittenen Ver-
lust zu entschädigen. > — Dieser Elsässer hiess Hans Bintz u. war aus
Masmünster. Nach einem Briefe Kapp ler 8 € Ritters u. Obervogts zu
M. >, an die Stadt Basel (uf unser lieben Frauen tag assumtionis anno
dorn. 1499 > war Bintz « uf königlich freyer stross » von den Mut-
tenzern beraubt worden (Staatsarchiv Basel L 145 N 1-2). Ein
zweites Schreiben (Freytag vor Maria Geburt = 6. Sept.) erinnert den
Rath noch einmal an die Zurückgabe des geraubten Gutes u. ersucht
um Antwort « mit dem boten. > Im Missivbuch (29 Juni 1499 bis 7.
Juli 1502) stehen fol. 95 u. 167 die ausweichenden Antworten der
Stadt.
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97 -
bisherigen Obervogt von Masmünster in würtlembergischen
Diensten als Landvogt von Mömpelgard.1 Schon vor der
Dornacher Schlacht hatte er seine Entlassung nehmen
wollen. Jelzl wird ihn der Aerger über das erlebte Miss-
geschick zu dem Wechsel mitveranlasst haben.
Herzog Ulrich von Württemberg war damals erst
12 Jahre alt und stand unter Vormundschaft. Das Iler-
zogthum wurde auf kaiserlichen Befehl von einer Regie-
rungskomraission unter dem Landhofmeister, Grafen Wolf-
gang von Fürstenberg verwaltet,2 dem Bruder des bei
Dornach gefallenen Heinrich. Ohne Zweifel hat also der
Landhofmeister die Berufung Kapplers herbeigeführt.
Im k. würltbg. Haus- und Staatsarchiv rubr. Be-
stallungen Beschl. 2a liegt folgende P er ganientur Kunde z
mit dem Siegel des Ausstellers (1499, Sept. 30):
«Ich Fridrich Cappler, ritter, bekenn vnd tun kunt
offernbar mit disem brieve, das der durchluchtig hoohge-
bornn fürst vnd herre herre Virich hertzog zu Wirtemberg vnd
zu Teckh grave zu Mumpelgart mit geordnetem regiment.4
etc. min gnediger herre, mich zu siner gnaden vnd dero
erben lanndvogt gen Mumpelgart off hutt dato angenomen
vnd bestelt hat siben jar die nechslen nachainander vol-
gende, mit sechs gerusten pferiden, soverr ich das mins
lybs vermuglichait halben die zyt tun mag, sinen gna-
den vnd siner gnaden erben damit zu warten vnd zu
dienen wider allennenglic/t.5 Vnnd vmb solichen minen
1 Sein Vorgänger war Hans von Reischach (Heyd I 61).
* Stalin 4, 18. — Fürst, ü. B. IV N. 230 u. 234. Wolfgang war
auch 1495 mit Kappler im Gefolge des Grafen Eberhard im Bart anf
dem Reichstag in Worms gewesen. (N. 183, 1.)
8 Abschrift Doniat. (Satzzeichen sind eingesetzt).
4 Der Vorsitzende dieses « geordneten Regiments > war eben der
Landhofmeister.
* Natürlich den Kaiser ausgenommen. Kappler scheint sogar
gleichzeitig Vogt in Masmünster geblieben zu sein, wo dann eben, wie
schon früher während seiner Kriegsfahrten, ein Untervogt die Verwalt-
ung geführt haben wird. Ochs (IV 7 11, s. Äbschn. XII, S.96 Anm. 1) nennt
ihn «Landvogt von Mömpelgard u. Obervogt zu Masmünster» und
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dienst sollen sin gnad vnd dero erben mir die vorgemel-
ten zit vss, jedes jars besonder, geben druwbundert guldin
reinischer, zwaintzig bitscbit waissen, zwaintzig bitschit
baberns, zwai hundert hiinr, hew vnd strow zu minen
sechs pferden, behollzung oder achtzig francken darfur.
Weders ich wil vnd ich soll vnd mag aucli den hussral
im sloss ze Mumpelgart zimlich vnd one abgengisch vnd
vngevarlich bruchen vnd wie ich den find also widerumb
zu antwurten. Und wann ich in siner gnaden oder siner
gnaden dienst zu rydten ervordert wurde, so sol ich von
sinen gnaden vnd dero erben mit schaden vnd anderm
gehalten werden wie ander siner gnaden vnd dero erben
diener. vnd ob desshalb spenn zwüschent vnnser ent-
stünden, des soll ich plyben vngewagert an vsslrag rechts
vor siner gnaden vnd siner gnaden hoflmaistcr vnd retten.
Und ob sin gnad oder siner gnaden erben sin grave-
schafft Mumpelgart vertuschen. verkoutTen oder susl in
ander band vber kvrlz oder lang wenden wurden, so sol
alssdann vorgemelt beslalung ab sein, vnd sin gnad vnd
siner gnaden erben mir furterhin die zyt der siben jar
jedes jars besonder zu sohl geben vnd antwurten zway-
hundert guldin, darumb ich sinen gnaden vnd siner gnaden
erben von hussvss mit sechs pferden zu dienen gewertig
vnd verbunden sin soll in aller mass wie vorgeschoben
stet. Ob auch der vorgenant min gnediger herr hertzog
Ulrich selbs personlich gen Mumpelgart komen vnd aiu
zitlang daselbs sein vnnd dess halben oder sunst costen
«in einem schwäbischen Bundesbuch (Staatsarch Stuttgart), wonach
Kaiser Max am 27. Dec. 1501 wie einer Reihe anderer Adeligen, so
auch dem «Fridrich Capller» mit 12 Mann bereit zu sein gebot,
falls für Zwecke des wiederaufgerichteten schwäbischen Bundes ihm
eine Weisung zugehen sollte, findet sich in dem allgemeinen Aus-
schreiben, dem die Liste der einzelnen Namen folgt, die Bestimmung:
« und du uns in Kraft deiner Bestallung zu dienen schuldig bist. >
(I)oniat). Und im Innsbr. Raitbuche (1504 fol. 97) steht folgender Ein-
trag : < 1504, Dec. 20. Provision, sold und dinstgelt Her Fridrichen
Käpaler ritter an seiner schuld verraiten dinstgelt durch Oswoldn
Streidfelder am XX tag decembris auf sein Quittung VI Guld. *
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— 99 —
haben würde, so dann sin gnad mich mit minem gesiind
in siner gnaden costen auch nemen, so soll mir sin gnad
alsdann jars nit mer dann zwayhunderl guldin zu gehen
schuldig sein vnd alssdann mit mir nach antzal der zyt
auch abgerechet vnd mir min gepurender tail verdients
solds ussgericht und bezall werden. Doch so ich also in
siner gnaden costen were, sol ich auch von sinen gnaden
mit beschlach vnd salelgelt, auch anderm, wie ander
siner gnaden diener gehalten werden. Vnnd ich sol auch
das gejagt die zyt mines diensts zu der graveschafft
Mumpelgart bejagen vnd sinen gnaden daselb auch zum
besten handhaben alles one siuer gnaden schaden. Vnnd
hieruff so hab ich vorgnanter Fridrich geloupt vnd ainen
ayd zu got vnd den hailigen gesworn, siner gnaden nutz
vnd fromen zu schalen vnd dero schaden zu warnen vnd
zu wenden nach minem besten vermögen vnd die landt-
vogty vsszurichlen vnd zu uersehen mit in nemen, vss-
geben vnd anderm zu nutz der graveschafTl, wie sich
gepuret, vnd ain glicher amptman vnd Hehler zu seind
dem armen als dem reichen vnd dem reichen als dem
armen vnd das nit zu lassen weder vmb lieb noch laid,
fruntschafft, vintschafn, miet, noch gäbe, noch kain an-
der sach, vnd dhaiu schenckiu nemen anders dann, wie
andern siner gnaden amptlulen in siner gnadn furslen-
thumb zugelassen sint, auch sinen gnaden vnd siner
gnaden erben, so ich an siner gnaden rat erfordert oder
darinn- sein wurde, gelrulich nach miner besten verstent-
uus zu raten, vnd was in rat vnd gehaym gehandelt
wirdet, dasselb zu verswygen bis in minen tod, vnd sust
auch allem dem, so obgeschriben stet, vfrecht vnd erberg-
lich nach zu komen, alles getrulich vnnd vngevarlich.
Unnd des ze warem vrkund so hab ich min aigen inn-
sigel ofTenlich gehennckl an diesen brieff, der geben ist
an montag nach sant Michels des hailigen erlzengels tag
nach cristi gepurt vierlzehenhundert nunlzig vnd nun
jare.» —
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— 100 -
So ritt denn der alte Friedrich Kappler zu Anfang
Oktober in Masmünster aus und wird über Beifort und
Hericourt, die Gegend seiner ersten Lorbeern, nach
Mömpelgart gelangt sein.
Von seiner Verwaltungsthätigkeit in der neuen
Stellung ist mir nichts bekannt geworden. Dagegen
taucht er einige Jahre später (1504) wieder als Kriegs-
mann auf und zwar im bairischen Erbfolgekrieg.
Georg von Baiern-Landshut (f 1503) hatte seinen
Neffen und Schwiegersohn, den Pfalzgrafen Ruprecht,
zum Nachfolger eingesetzt. Dagegen erhoben die Herzöge
Albrecht und Wolfgang von Baiern-München unter Zu-
stimmung des Kaisers und des schwäbischen Bundes
Einspruch. Ulrich von Württemberg schloss einen Vertrag
mit Herzog Albrecht, dass er ihm mit aller Macht
zuziehen wolle, falls der Kurfürst Philipp seinem Sohne,
dem Pfalzgrafen , beistände. Dies trat ein, und der
Krieg brach aus. Er spielte in Baiern, der Oberpfalz,
Franken und (gegen die Kurpfalz) in der Neckargegend
Auf diesem Theile des Kriegsschauplatzes linden wir
Kappler. 1
Am 12. Mai 1504 schrieb Herzog Ulrich an Wolf-
gang von Fürstenberg, er möge sich schleunigst gerüstet
in Stuttgart einfinden, und in dem Verzeichniss seiner
«Helfer» gegen die Pfalz steht auch : «Friderich Kappler ,
Ritter, lantvogt zwMumpelgart, obrister veldthauptmann».*
Das württembergische Heer (über 15000 Mann)
sammelte sich Mitte Mai bei Vaihingen und Groningen ;
Kappler befehligte die Reilerei. Die Hauptwaffenlhat des
Feldzugs war die Belagerung der Stadt Besigheim.
» Würdinger II, 174 ff. - Heyd I. 95 ff. — Stalin 4, 58 ff.
* Fürst ü. B. IV No. H6I u. Weech in Ztschr. XXVI, 257: Die Ab-
sage (im «Reissbuch» ) scbliesst mit den Worten: und (hab auch) ich Fr i-
derich Cappler, ritter. für mich selbs minaigen insigel zu ende diser
verwarung getruckt. » (1504 < d ins tag nach dem heil, pfingstag > =
28 Mai.) — Auf der pfälz. Seite standen übrigens viele eis. Ritter»
auch Wilh. von Rappoltstein (ebenda S. 219 ff.)
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- 101 -
«Als nun von der Pfalz kein Rettung kam, und
man mil hauptleuten, büchsenmeislern, volk und knechten,
bley und anders, zu solchem schimpf gehörig, ubel
versehen war, versammelte sich ein gantze gemein auf
freytag (27 Juli) nach Maria Magdalenentag in der
kirchen und durch underhandlung graflf WolfTen von
Fürstenberg, her Friderich Kaplers . . . ergaben sie sich
in gnaden des morgens am sambstag»1
Im August wurde dann Weinsberg belagert und
eingenommen. Pfalzgraf Ruprecht war am 20. August
gestorben ; der Krieg neigte sich seinem Ende zu ; am
10. Sept. schloss man einen Waffenstillstand, und Ulrich
entliess einen Tlieil des Heeres. Da um diese Zeit das
Gerücht ging, die Eidgenossen zögen bin I er Mümpelgard
her der Pfalz zu Hilfe * so wird auch Kappler damals
auf seinen Posten zurückgekehrt sein.3
Württemberg gewann im Frieden (endgillig erst
1507 auf dem Reichstage zu Constanz) bedeutenden Land-
zuwachs. —
Wolf gang von Fürstenberg, der bereits 1502 vom
Kaiser zum Landvogte der Vorlande ernannt worden war,4
gerieth in dieser Stellung (im Okt. 1505) in Zwiespalt
mit Herzog Ulrich.
Am 10. Okt. kam er, vom Kaiser «merklicher Ur-
sachen halb auf seine Amtsverwesung der Landvogtei
im obern Elsass gesandt», in Ensisheim an und hörte
dort, dass «des Herzogs Landvogt zu Mumpelgart mit
den Unterthanen allda, auch etlichen aus der Herrschaft
Richenwyler», die zu Ross und zu Fuss gerüstet durch
das österreichische Gebiet heraufgezogen seien, die
1 Crusius (Moser) II, 162 u. Fürst, ü. B.IVN 364. Die Ausrüstung
Besigheims bei Weech im < Reissbuch > (vgl. S. 100 Anm. 2) S. 186.
2 Heyd I 113.
3 Der Feldzug hatte viel Geld gekostet. Der Adel aus dem
Sundgau erhielt an Pferdeschaden 7302 fl. (Heyd I 119.)
< Fürst, ü. B. IV Nr. 325 und 326.
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— 102 -
Herrschaft Blamont eingenommen habe, die jährlich «ob
1000 fl. ertrage». 1
Es war das nicht eine Beutefahrt wie zur Burgunder-
zeit vor 31 Jahren,- sondern Friedrick Kappler hatte
auf ausdrücklichen Befehl seines Herzogs gehandelt.
Das Maus Neuenbürg (Neu-Chalel), dem Blamont gehörte,
war im Mannsstamm erloschen, und Ulrich erhob Erb-
ansprüche auf die Herrschaft gegen die zwei Schwieger-
söhne des letzten Neuenburgers, deren einer Graf Wilhelm
ton Fürstenberg war, der Sohn des Landvogtes Wolfgang. 3
Dieser begab sich denn auch sofort von Eusisheim
nach Mömpelgard, um mit Kappler in der Sache persön-
lich «in Güte» zu verhandeln.
Schon am 18. Okt. schreibt er von Beifort aus an
Ulrich, dass er ohne Erfolg aus Mömpelgart abgeschieden
sei,1 und erhält darauf die Antwort, Blamont gehe den
Landvogt der Vorlande gar nichts an, der Herzog sei im
Recht und werde seine Sache dem Kaiser gegenüber zu
verantworten wissen. 5
Graf Wolfgang nahm diese Antwort sehr übel. In
einem Schreiben an Ulrich (am 30. Okt. aus Sirassburg)
beklagt er sich, dass er dadurch «hoch verunglimpft»
sei ; er habe in der Sache aus Rücksicht auf den Herzog
«gar vil minder gethan», als er vor dem Kaiser verant-
worten könne, und er müsse darum jetzt dem Herzoge
Pflicht und Dienst aufsagen.6 —
Mitten in diesen Handeln, die noch unter seinem
1 Ebenda Nr. 402 a.
2 Siehe oben Abschnitt VI.
3 Stalin IV 71. Duvernoy 10. Tuefferd 286 ff. — Fürstenberg
nannte sich seigneur d'Hericourt, Clemont et Chatelot (Tuefferd 292);
Graf Wilhelm v. F. hat callda sein eigen Gut u. Verwaltung».
(Fürst, ü. B. IV S. 366.) Ulrich hatte ihn in Hericourt unbehelligt
gelassen (Heyd II 108) — Erst 1561 wurde auch Hericourt württem-
bergisch (Tuefferd 288).
Fürst. U. B. IV Nr. 402 b.
* Heyd II 109.
6 Fürst, ü. B IV Nr. 402 c.
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— 103 -
Nachfolger Joh. Kaspar von Bubenhofen1 fortspielten,
ist Friedrich Kappler (Januar 1506; gestorben und zu
Masmünster begraben worden. 2
Uf sein grabstein hat er ihm in seinem absterben
bevolcheu, sein Wappen, schild und heim zu hauen und
darüber ein gaisel mit dem rimen : «Treihs, so gets!».%
XIV.
Nachlese.
(Zur Familiengeschichte der Brüder
K a p p 1 e r.)
Friedrich Kappler slarb ohne männliche Nachkommen.
Ravencz (üebers. der Als. ill. S. 6G2) schreibt: «II
avait pour femme Veroniqne de Waldner, dont il n'eut
qu'une fille unique, Claude- A nney mariee ä Simon de Fe-
relte.» — Die Zimmer'sche Chronik (II 468) dagegen sngt :
« Uber etliche Jar nach Absterben der Spelin hat Wolf
1 Stalin (4. 70), Heyd (II 108) u. Tuefferd (287) erzählen, Buben-
hofen habe (als Landvogt von M.) Blamont eingenommen; nach dem
Briefe Wolfgangs v. Fürstenberg an Herzog Ulrich v. 16. Okt. 1505
war es aber Kappler («herr Fridrich»).
2 Im «Jahrzeitbuch der wohladentlichen 1. Leodegari Stifft u.
Gottshaus zne Massmünster» (angelegt 1674 auf Befehl der Aebtissin
Maria Magdalena v. Falkenstein ; im Bez.-Arch.) steht unter dem
«Verzeichnuss der Namen der gemeinen Jahrzeiten, so jährlich sollen
verkündet werden (S. 11) unter «Januarius 1505» : «Herr Fridrich
Capler Ritter 2 U 10 3»- — Statt 1505 ist zu lesen 1506; der Monat
mag stimmen. Das Grabmal stand hiernach in der Stiftskirche St
Leodegar, dio am Vormittage des 11. August 1859 abgebrannt ist.
Nur der Chor steht noch; in ihm ist heute das Amtsgericht unter-
gebracht — In dem Jahrzeitbuch ist unter «Aprilis» ohne Jahreszahl
auch eingetragen eine «Elissabetha Capierin 1 ff 9 3 6 ^J».
3 Zimra. Chr. 11 468.
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— 104 -
von Bubenhofeu sich wiederum verheirathet und des theu«
ren weit bekannten ritlers, herr Friedrich Gaplers, nach-
gelassene witib genommen. Sie war aine von Radstadt ,
ein erliche liebe Frau, aber sie hat bei im auch kein Kindt
bekommen, zugleich wie bei ihrem vorigen mann, herr
FHdrich Caplarn.*1
Die Mittheilung von Ravenez ist wohl fast ganz irrig,
wie aus dem Folgenden erhellt.2
In einem alten Bruderschaflsbuche3 (Ammerzweiler)
stehen die Namen :
«Junckher Heinrich Gappier, fraw Clara v. Pfirdt,
sein Gemahel. »
«Junckher Friedrich Gappier, fraw Anna von Giers-
perg, sein Gemahel und noch einmal:
«Junckher Heinrich Gappier und sein gemahl.»
«Junckher Frtdrich Cappler und sein Gemahl von
Hattstadt. »
Der erste Heinrich ist zweifellos der Vater unseres
Friedrichs und der zweite Heinrich wird derselbe sein, da
«sein Gemahel», als eben schon einmal eingetragen, nicht
noch einmal mit Namen bezeichnet ist. Der erste Fried'
rieh ist vielleicht (vgl. oben Abschnitt III S. 17 Anm. 4)
der Bruder Heinrichs, der zweite dagegen offenbar Hein-
richs Sohn, also unser Friedrich, und die Zimmer'sche
Chronik hat Hecht, wenn sie seine Frau eine Rattstatt
nennt. Sie hiess, wie sich weiter ergeben wird, Ursula.
Wenn die Zimmer'sche Chronik sagt, sie habe «kein kindt»
1 Und weiter: «Derselbig ntter war bei seinen Lebzeiten von
Kaiser Maximiliano viel gepraucht worden u. hat vil ritterlicher
namhafter thaten begannen, war bei kurzen Jahren davor gestorben
u zu Massmünster begraben worden». — Wolf v. Bnbenhofen war
der Bruder Joh. Kaspars v. B., des Nachfolgers Kapplers in Mömpel-
gatd. (Ebenda II 453)
2 Vgl. S. 107 Anm 1.
8 Aus dem 16. Jahrhundert, anscheinend auf Grund eines älteren
angelegt. Jahreszahlen sind bei den verschiedenen Namensgruppon
nicht angegeben. (Doniat).
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- 105 —
gehabt, so ist das falsch. Sie hatte nur keinen Sohn, wohl
aber eine Tochter, die Clarelse hiess wie die Grossmutter,
und als der Vater starb, noch sehr jung gewesen sein
muss. Auch die weitere Miltheilung, dass sie wenig Jahre
nach ihres Mannes Tod sich wiederverheiralhet habe, wird
nicht richtig sein. Denn 35 Jahre später, 1541, erscheinen
Hans Heinrich Reich von Reichensteins Frau «mit
Namen Frouw Clore Else, eine geborene Caplerin, und der-
selben Mutter, Frouw Ursel Caplerin, geborne von Halt-
statt» in dem Wallfahrtsorte Maria Stein1 (im Sololhur-
nischen, nahe der elsässischen Grenze.)
Frau Ursula war also viel jünger als ihr Mann und
wahrscheinlich seine zweite Gemahlin. Denn er hatte noch
eine Tochter Namens Magdalena, die mit seinem Nach-
folger in der Vogtei, Herrn Jakob von Masmünster2 ver-
1 «Bewährter Eck- u. Gnadenstein Maria zu finden in dem
Gotts-Haoss Maria Stein 1751 > S. 39 «aus einem alt authentischen
pergamentnen Instrument, welches ein geschworner Stadtschreiber zu
Pfirdt (Lienhart Brunner) aufgerichtet». — Frau Ursula war mit
ihrer Tochter u. anderen Verwandten zu Besuche bei Hans Thüring
Reich von Reichenstein, der sich «im Sterben derselben Zyt zu
Dnser Frauen in den Stein in das Bruderhaus» begeben hatte. Auf
einem Spaziergange (am 12. Dezember) mit den Gästen ist er «über
den Felsen ab, fier und zwantzig Kloffter hoch in das tiefte Thall
gefallen», aber «durch din Fürbitt nit gestorben». — Er lebte her-
nach noch 8, nach anderen noch 20 Jahre ; der damalige Pfarrer
hat das «Mirakel am Rucken des Altai blats in der oberen jetzt
Reichensteinischen Capell» malen lassen. — Der hier nicht erwähnte
Mann Clarelsens war der Oheim dieses Hans Thüring. — Schloss
Landskron (in der Nähe von Maria Stein) war damals «den Edlen
Reichen von Reichenstein zuständig» (S. 36). — Die weitaus meisten
der berichteten Wunderheilungen sind an Pilgern aus dem Sundgau
geschehen. — Vgl. auch «Kurze Gesch. des Klosters Maria Stein» von
Boell, Einsiedeln 1871 S. 34 ff u. 140 ff. -- Das Bild (von Christian
Holbein, dem Sohne von Hans H.) befindet sich jetzt im Speisesaale
der Abtei.
2 Aus dem Archive in Masm. hat Doniat einen Lehnsrevers
vom 25. Sept. 1506 abgeschrieben : «Wir Ludwig vnd Melchior,
Bittere u. Jakob von Massmünster, beide des j etzt bemelten Herrn
Ludwigs Süne bekennen vns als vns dann die Römisch königlich
majstat etc. die Stadt u. ambt Massmunster mit aller zugehoerung,
wie dann solchs wyland der Edel Streng Herr Friderich Capler,
Ritter unser lieber Sweher seliger von Irer majestat Pfandwyse inne-
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- 106 —
mählt war und früh gestorben zu sein scheint, da hernach
von ihr gar nicht mehr die Rede ist, sondern nur von
Glarelse. Ihre Mutter, also Friedrichs erste Frau, war dann
vielleicht jene Veronika Waldner, die Ravcnez nennt, oder
die Anna von Giersberg des Ammerzweiler Bruderbuchs.
Dass Glarelse mit Heinrich Reich v. Reichenslein ver-
mählt war, geht auch aus der « Successio der Kapler »
(s. S. 109; hervor.
Nach dessen Tod (f um 1540) verheirathete sie sich
mit Hans Heinrich von Landeck.1
Nach dem Tode des Vaters waren ihr die östreichi-
schen Lehen desselben «umb ihres vaters verdienst willen»2
gehabt bat>. Dazu stimmt der Eintrag im Innsbr. Schatzarch. II
131 f. : «1507 Pfandbrief von Kaiser Maximilian auf Ludwigen von
Masmünster, stathalter des regiments zu Ennsishaym, Mclchiorn*
rat truchsäss und haubtman zu der Newenstat in Osterreich und
Jakoben, gebriideren von Masmünster, des gedachten Ludwigs süne
umb die statt Masmünster und das ambt daselbst, vogtey- und
pfandweise bis auf widerrufen innenzehaben umb 3000 guldin
reinisch pfandschillings, damit sy weylend Friderichs Cappelers erben
abgelöst haben». — Und im Ammerzweiler Bruderschaftsbuche steht:
Jakob von Massmünster u. Magdalena Capplerin, sein Gemahel.
1 Die Landeck hatten Rappoltst. Lehen (Kindler).
8 So steht in einem die ganze folgende Streitfrage zusammen-
fassenden Berichte der Regierung in Ensisheim vom 6. März 1572.
Bez. A. E. L. 1 — 4, dem auch das Weitere entnommen ist. Auch
ein Verzeichniss der Kapplerischen Lehen ist dort zu finden. — Im
Innsbr. Schatzarch. 1 1003 finden sich dieselben aufgeführt wie folgt.
«1500 Vorderlendisch Lehen Revers auf die Herrschaft von herrn
Fridrichen Kappeler landvogt zu Mumpelgart etc. umb. VIII U gelts
ab dem klainen zoll zu Tann, mag mit XXX m. Silbers vom herrn
abgelöst und sol der pfandschilling wider an lehen angelegt werden.
Item die vischenz von Tagolthaim um gen Illefurt und die vier tail
des holzs zu Galfingen des Lümpergs (Limberg, Gem. Bernweiler u.
Heirasbrunn ; limberc in bannis villarum uzwiler et Galvingen 1283;
Stoffel 332) Item ain sesslehen in AUkircher ban und dabey des sich
gebürt, 20 viertel korngelts und vier flf dl gelts. Item die tail der
zehenden, so Eis von Brunkirch (Burnkirch, alte Kirche u. Gottes-
acker bei Illfurt, Stoffel 85; vgl. S. 107 Anm. 1 u. S. 109 Anm. 5) gehabt
hat in den Dörfern zu Sefferann (Severan, Gem. Oberlang ; Stoffal öl4)
und zu TreBtendan (Tretudans. Cant. Beifort Stoffel 557). Item ain
tail an der vesten Münichenstein (bei Basel) und ain zehenden (zu)
Plozheim, das guet zu Galfingen, die Leut und den gezog zu Hirsbach,
herrührend von Hansen Ilzich ( = Illzach.) Item die leut zu Waldpach
(Walbach, Canton Landser) und anderswo, so dann von dem Zielempen
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— 107 —
verliehen worden. Ihr erster Mann scheint sieh aber nicht
viel darum bekümmert zu haben; denn am 10. März 1558
schreibt Hans Heinrich von Landeck an den Landvogt
Hans von Andlau in Ensisheim auf dessen wiederholte
Aufforderung, vor ihm zu erscheinen, um «von wegen
seiner huss frowen Lehen Lehnspflicht zu erstatten» und
den neuen «Lehnsbrief gegen die Tax hinusszuuemen»,
das könne er nicht ohne rechtlichen Beistand ; denn die
Lehen seien zum grossen Theii verloren gegangen.
Und am 18. Sept. 1564 — nach dem Tode seiner
Frau — richtet er ein Bittgesuch an den Landesherrn,
Erzherzog Ferdinand : «So hat denn mein liehe Hausfrau
selige, die eine geboren Caplerin gewesen» auch etliche
Lehnstücke «vermöge besonderer Begnadigung nach ab-
sterben ihres vaters, Hern Fridrichs Caplers selig, so
der letst des geschlechts gewesen, als ein Erb- und Pfand-
lehen gehabt.» Sie habe ihn zum Erben eingesetzt, sei
nun «auch mit Tod abgangen», und so bitte er denn,
«derer von Landegg und der Giipler redlich getreuen
Dienste eingedenk zu sein» und diese Lehen (vollständig)
ihm zu verleihen.
Darauf folgte am 5. Mai 1565 von der Innsbrucker
Regieruug ein Schreiben an den Landvogt in Ensisheim,
weil Landeck den Erzherzog «umb Verleihung der Caple-
rischen Lehen, so von seinem Eheweib an ihn gefallen
sein sollen», gebeten habe, so sei in der Innsbrucker
Lehensregislratur nach diesen Lehen gesucht und gefun-
den worden, dass «Herr Symon von P/irdt1 als Lehen-
(«Zielempengut Gem. Walbach» Stoffel 607) herrüren und mit Damen
das Gesiecht genannt die Eumel (?)>
1 Daher rührt wohl der Irrthum bei Ravenez, Simon v. Pf.
sei der Gemahl Clarelsens gewesen. — Innsbr. Raitbuch (1506 fol.
107): € Schuld. — Herrn Fridrichen Cäpelers gelassen erbn geben am
XXVIII tag julij (1506) in abslag irer verraiten schuld zu handen
Symon von Phierds laut desselben quittung l Cguld.» Und im Innsbr.
«Lehenbuch Vorland 295» : »1520 Dec. 4. Ensisheim. Belehnung des
Herrn Simon von Pfirdt als Lehenträger der Clarelsa, Tochter weiland
Fridrich Capellers mit 8 U Gült vom kleinen zoll zu Thann, welche
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— 408 —
trager der Clarelsa, weiland Friedricken Cappellers ge-
lassene Tochler» und deren männlichen Nachkommen «ver-
möge hierbei verwahrten abschrift mit B anno 1520 et-
liche Slück und Güter» verliehen habe. Man möge nun
berichten, wann Simon von Pfirt und cgedachte Caple-
rin» gestorben seien, welche «Gerechtigkeit» die letztere
von diesen Lehen gehabt habe, die jetzt «ihr Hauswirt
zu haben vermaint» und ob dieselben nicht vielmehr als
«aufgelhan und der fürstlichen Durchlaucht heimgefallen»
zu betrachten seien.
«Damit man einsmal disser Sachen ab», werden dann
(Juli 1565) von Innsbruck aus der Generaleinnehmer in
Oberelsass und der Einnehmer in Thann beauftragt, dem
Landeck die Lehen um 3 bis 4000 Gulden anzubieten,
aber unter 3000 nicht herabzugehen. Damit könne der
Landeck zufrieden sein.
Aber er war es nicht ; es gab noch viel Hin- und
Herschreibens. Am 19. März 1566 wendet er sich in einer
langen Vorstellung an die Regierung in Ensisheim, die
Lehen seien viel zu hoch eingeschätzt ; man möge sie
doch von fremden Leuten abschätzen lassen, damit man
nicht sagen könne, er schätze sie zu nieder. Es sei — und
das ist die letzte Karte, die er ärgerlich ausspielt — über-
haupt u höchlich zu verwundern, dass Herr Friedrick
Kappler, der von seiner Herren, der Fürsten von Oeslreich,
damals Feinden, als Frankreick und Venedig, in ihren
eignen Geschichtsschreibern zum höchsten seiner redlichen
getreuen Dienste und Thaten gerühmt wird, also mit
gar unachtbaren Gaben . . . (sich) abwysen lassen, und
aber daneben sein tochler, mein Hausfrau selig, über die
4000 Gulden nach seinem Absterben Schulden, die er in
seinen Diensten gemacht, bezahlen müssen, daran sie bis
an ihr Ende noch nicht gar bezahlt worden». —
Herzog Albrefcht der Aeltere ihren Vorfahren für 30 mark Basler
Gewicht gegeben, und die Lehen, welche von weiland Conrad von
Brunkirchen dem Capeller zugestellt worden. Diese Lehen hat Fridrich
Capeller für sich selbst u. anstatt seines bruders Wilhelm innegehabt».
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— 109 —
Landeck beruhigte sich erst, als er zur ewigen Ruhe
ging: 1576.
Die Lehen der Frau Clarelse 1 waren eingezogen und
an «Christoph Klöckler, der Rechte Doktor», Rath und
tirol. Kanzler in Innsbruck verliehen worden.
Im Archive zu Masmünster liegt «nach einem Gon-
cept alter Hand, 16. Jahrh.» (Dcmial) folgende
«Successio der Kapler.»
„Her Fridrich Kapier,
starb ohne Mannes-
erben, hat hinterlassen
Wilhelm Kapler zu
Sulzmatt hat erzeugt
neben sein eheweib»
auss der Magt*
Ist nit belehnet worden,
Sonder vor abgang teim
brueder* des lehenlrä-
ger» todts verschieden.
Clarelten, verheirath an Hans Heinrich Reich etc.,
ist belehnt worden durch Äbtissin Reischach,
jedoch kein Lehen Pflichten thuen wellen.8
Wilhelm Kapler,»
auch zu Sulzmatt.
Ist nit belehent
worden, hatt er-
zeugt von Magda-
lena Marschalkin
Jetziger Lehenträger
Fridrich Kapler, or-
temburgischer Ampt-
mann zu Liel etc. *
N. Kapier, Hoffmeister
zu Heimersheim
Fr. Martha Schütziu,
Fr. Anna Kiepein zu
AM (Altkirch?), Elisa-
beth Kempfin, vid. den
Processzu Altkirch." -
1 In der langen Schreiberei ist sogar ihr Name ins Schwanken
gekommen; mitunter wird sie Claranna genannt. — Der Verehrer
Kapplers in der schon mehrfach angeführten Miscellanhandschr. der
Colm. Stadtbibliothek sagt (fol. 53, b): «Ich han nit viel Vorteils ver-
nommen, den man im bewisen het; die schmorotzer, so nechst bim
bret sindt, den git man die lehen, wan einer im feld verlipe on libes
erben; der ritterlich by im stot, dem wirt nüt (nichts)» ; und fol. 195 a:
«so ist der bruch des kaiserlichen hoffs : wen ein lehen ledig wirt,
man gipts dem schriber; man sieht nit an sin alt herkummen, ob
sin eitern das verdient hant».
2 Es handelt sich um das «Vogtlehen» der Abtei ; 1538 erklärt
H. H. v. Reichenstein der Aebtissin, es wegen vieler Geschäfte nicht
übernehmen zu können. (Doniat).
8 Adelheit Begerin (s. Absch. IL).
4 Dergleichen kam (vgl. Abraham-Hagar) zuweilen vor, um das
Aussterben der Familie zu verhüten. Auch der letzte Hattstatt zeugte
auf diesem Wege 3 Söhne, die K. Ferdinand I 1561 legitimirte.
(Kindler 35.)
5 Besass 1539 Lehen von Junker Konrad von Burnkirch (bei
Illfurt) herrührend (Bez. A. E Liasse I Nr. 4), die schon 1479 Wilh.
v Rappoltstein an die Brüder Kappler cedirt hatte. (Bez. A. Fam.
v. Klöckler). K. von Burnkirch, mit dementia v. Mörsperg vermählt,
starb kinderlos u. vermachte (5. Mai 1479) sein Vermögen seinen
«Vettern» Friedr. u. Wilh. Kappler. (Doniat )
6 Bez. A. C 475.
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— 110
Sonach sind die Kappler eigentlich mit unserm Fried-
rich Kappler ausgestorben, und sein Schwiegersohn Landeck
hat Recht, wenn er ihn, die Nachkommen aus der Magd
Wilhelms nicht anerkennend, den letzten des Geschlechtes
nennt. —
Eine Schwester Friedrichs, des Enkels von Wilhelm,
war Ckorfrau in St. Leodegar ; die im Stammbaume ge-
nannte andere Schwester Martha lebte um 1575 als
Wittwe von Schütz von Traubach (vgl. Stoffel 556j gleich-
falls in Masmünster und verlor dort ihren zehnjährigen
Knaben Wilhelm. Die Chorfrau will die trauernde Schwester,
die selbst schwer erkrankt ist, besuchen, erhält aber von
der Aebtissin nicht die Erlaubniss, aus dem Kloster zu
gehen.1
Dieser Friedrich Kappler verkaufte am 2. Mai 1567
an Hans Heinr. v. Landeck das Giltgut zu Horburg, das
1532 sein Vater Wilhelm von Hans Heinrich von Reichen-
stein erworben hatte.2
Im Juli 1601 war ein Nicolaus Cappler Ostreich.
Hauptmann der Besatzung von Luders.3 Er ist vielleicht
ein Sohn des im Stammbaum genannten Hofmeisters in
Pleitersheim 4 oder des Friedrich Kappler von Falk-
weiler.5
Der letzte Sprössling der Familie Kappler soll eine
Tochter gewesen sein, die zu Anfang des 17. Jahrhunderts
1 Bez. A. (Reg v. Ensish.) II Nr. 1 (Pieces rel. ä une Infor-
mation snr la prodigalite" et manvaise admin. d'une Abesse). Die
Aebtissin hiess Scholastica von Falkenstein (Ztschr. N. F. X, 501 ff.)
Ein Hans Ulrich Schütz von Traubach war 1573 Regierungsrath in
Ensisheim. (Ebenda 492.)
2 Gräfl. Andlauisches Archiv in Freiburg unter «Pfirt». (Gütige
Mitth. des H. Cam. Freih v. Althaus.)
8 Bez. A. C 474. Die Reg. in Ensish. beauftragt den Einnehmer
in Beifort, ihm und seinen Leuten den am 16. Juli fälligen Sold zu
zahlen und benachrichtigt ihn hiervon.
* In Baden. (Bez. Amt Staufen.)
5 Kraus II 123 (vgl. S. 15 Anm. 3).
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— 111 -
nach Ensisheim in ein Kloster 1 ging und demselben ihr
ganzes Besitztum schenkte. Sie besass u. A. einen
grossen Weiher, für den der Pächter dem Ensisheimer
Stifte jährlich drei Cenlner Fische liefern musste.2
Noch 1756 ist urkundlich die Rede von einem Erb-
lehen, genannt Käppierichen zu Gildweiler.3
1 Klosterfrauen des 3. Ordens des h. Franziskas (Stoffel 142).
2 Nach der Mittheilung des H. Fashauer (s. S. 15 Anm. 4).
3 Bez. A. (Reg. v. Ensish. : Stift Masm.) XII 6. ,
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BEITRÄGE
ZUR
LANDES- UND VOLKESKUNDE
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
XXII. HEFT.
DIE
ANNEXION DES ELSASS DUUII FMNkliLHlI
UND
RÜCKBLICKE AUF DIE VERWALTUNG DES LANDES
VOM WESTPHÄLISCHEN FRIEDEN BIS ZUM RYSWICKER FRIEDEN
(1648—1697)
VON
HERMANN FREIHERR 7. MÜLLENHEIM u. v. RECHBERG.
ZWEITE AUFLAGE.
■
^*+~«»
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
1896.
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Verlag von
J. 11. ED. HU FZ (HEITZ k ■ÜWPEL) Schlaucligasse S.
BEITRÄGE ZUR LANDES- UND VOLKESKUNDE
von Elsass-Lothringen.
Band I.
Heft I : Die deutsch-französische Sprachgrenze in Lothringen
von C o D st. T b i s. 8. 34 S. mit einer Karte (1 : 300.00U). 1 50
Heft II : Ein andechtig geistliche Badenfahrt des hochgelehrten
Herren Thomas Murner. 8. 56 S. Neudruck mit Er-
läutergu., insbesond. Uber das altdeutsche Badewesen, v. Prof. Dr.
E. Martin. Mit 6 Zinkätzungen nach dem Original. 2 —
Heft III: Die Alamannenschlacht vor Strassburg 857 n. Chr.
von Archivdirector Dr. W. Wicgand. 8. 46 S. mit einer
Karte und einer Wegskizze. 1 —
Heft IV : Lenz, Goethe und Cleophe Fibich von Strassburg.
Ein urkundlicher Kommentar zu Goethes Dichtung und
Wahrheit mit einem Porträt Araniinta's in farbigem Lichtdruck
und ihrem Facsimile aus dem Lenz-Stammbuch von Dr. Joh.
.Froitzheim. 8." 96 S. 2 50
Heft V : Die deutsch-französische Sprachgrenze im Elsass von
Dr. Cm ist Tbis. 8. 48 S. mit Tabelle, Karte und acht
Zinkätzungen. 1 50
Band II.
Heft VI : Strassburg im französischen Kriege 1552 von Dr. A*
Hollaender. 8. 68 S. 1 50
Heft VII: Zu Strassburgs Sturm- und Drangperiode 1770—76.
von Dr. Joh. Froitzheim. 8. 88 S. 2 —
Heft VIII : Geschichte des heiligen Forstes bei Hagenau im
Elsass. Nach den Quellen bearbeitet von G. E. Ney Kais.
Oberförster. L Teil von 1065—1648. 2 —
Heft IX : Rechts- und Wirtschafts- Verfassung des Abteigebietes
Maursmünster während des Mittelalters von Dr. Aug.
Hertzog. 8. 114 S. 2 —
Heft X: Goethe und Heinrich Leopold Wagner. Ein Wort der
Kritik an unsere Goctheforscber von Dr. Joh. Froitzheim.
8. 68 S. 1 50
Band III.
Heft XI : Die Armagnaken im Elsass v. Dr. H. Witte. 8. 158 S. 2 50
Heft XII : Geschichte des heiligen Forstes bei Hagenau im Elsass.
Nach den Quellen bearbeitet von G. N. Ney, Kais. Ober-
förster. II. Teil von 1648-1791. 2 50
Heft XIII: General Kleber. Ein Lebensbild von Friedrich Tei-
cher, Köngl. bayr. Hauptmann. 1 20
Heft XIV : Das Staatsrechtliche Verhältnis des Herzogtums Loth-
ringen zum Deutschen Reiche seit dem Jahre 1542
von Dr. Siegfried Fitte. Mit Karte. 2 50
Heft XV: Deutsche und Keltoromanen in Lothringen nach der
Völkerwanderung. Die Entstehung des Deutschen Sprach-
gebietes von Dr. Hans N. Witte. Mit Karten. 2 50
Fortsetzung siehe 3. Seite des Umschlags.
DIE
ANNEXION DES ELSASS
DURCH FRANKREICH
UND
RÜCKBLICKE AUF DIE VERWALTUNG DES LANDES
VOM WKSTPHÄ LISCHEN FRIEDEN BIS ZUM RYSWICKER FRIEDEN
(1648-1697).
VON
HEB MANN FREIHERR v. MÜLLENHEIM u. v. RECHBERG.
Zweite Auflage.
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & iMündel)
1896.
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Durch den Westphälischen Frieden überliess das Haus
Habsburg der Krone Frankreich seine Besitzungen und Rechte
im Elsass. Dieselben bestanden in der Landgrafschaft Ober-
und Unter-Elsass mit den dazugehörigen einzelnen Territorien ;
dem Besitz im Sundgau und in der kaiserlichen Landvogtei
Hagenau.
Durch eigenmächtige Auslegung der Artikel des West-
phälischen Friedens und durch kriegerische Gewaltmittel wie
juristische Machtsprüche wussle Ludwig XIV. indess seine
Souveränität über das ganze Elsass zur Geltung zu bringen.
Kaiser und Reich mussten im Ryswicker Frieden die
Reunion eines deutschen Landes mit der unmittelbaren freien
Reichsstadt Strassburg an Frankreich völkerrechtlich anerkennen.
Die Geschichte darüber ist eine höchst lehrreiche. Sie zeigt
uns die damalige Ohnmacht des deutschen Reichs; die poli-
tischen wie specifisch katholischen Momente für die Eroberung
des Landes; den Keim aller späteren wie zukünftigen Kriege
zwischen Frankreich und Deutschland ! Ich erinnere an Leopold
Ranke's Ausspruch von 1870 Herrn Thiers gegenüber . «Wir
führen den Krieg nicht mit Frankreich sonder mit Ludwig XIV.»
Neue Momente zur Ausführung meines Themas werde ich
kaum Jemanden bringen. Immerhin erscheint es nützlich, für
uns hier im Lande sogar vorteilhaft, dieselben einmal wieder
in's Gedächtniss zurückzurufen. Jeder kann sich dann sein
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Urtheil über die damaligen Verhältnisse und die jüngste Ver-
gangenheit selbst bilden ! — Die Vergangenheit dient der Klug-
heit als Leitstern. Wir schöpfen sie entweder aus der Er-
fahrung oder aus der Geschichte.
Die allgemeine, besonders französischerseits verbreitete Auf-
fassung, das ganze Elsass mit Ausnahme der freien Reichsstadt.
Strassburg sei 1648 durch den Westphälischen Frieden von
Kaiser und Reich an die Krone Frankreichs abgetreten worden,
ist eine durchaus irrthümliche.
Als 4645 in Münster und Osnabrück die Friedensverhand-
lungen begannen, erhoben die Schweden von vornherein An-
sprüche auf bedeutende Gebietsabtretungen im Norden Deutsch-
lands. Der streng katholische Kurfürst Maximilian von Bayern
erblickte darin nicht nur ein bedenkliches Wachsthum der
protestantischen Macht im deutschen Reich, sondern auch eine
Gefahr für sich und das Haus Wittelsbach. Auf Grund dessen
suchte er Anlehnung an Frankreich und erklärte sich bereit,
falls dasselbe ihn in seinen Rechten schützen würde, demselben
in Anerkennung dafür Gebietsentschädigungen im Elsass zu
verschaffen. Das Anerbieten wurde bereitwilligst angenommen
und hatten die Franzosen somit einen Bundesgenossen im Reich,
als auch sie mit ihren Forderungen auftraten. Der kaiserliche
Bevollmächtigte von Trautmannsdorf bot den französischen Ge-
sandten die drei lothringischen Bisthümer Metz, Toul und Verdun
mit den Rechten voller Souveränität an. Der Herzog von
Longueville erklärte dagegen, von längst erworbenen franzö-
sischen Besitzungen könne keine Rede sein ; Frankreich verlange
als Kompensation für die Abtretung der eroberten Gebiete am
Rhein das österreichische Elsass. i
Die Kaiserlichen Gesandten wiesen die Forderungen der
Franzosen zurück, doch der Kurfürst von Bayern verwandte
sich dafür und drohte sogar den Kaiser zu verlassen, falls
1 Betreffs der französischen Forderangen fahre ich stets nar die
auf das Elsass Bezug habenden an.
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— 5 —
seinem Rathe nicht entsprochen wurde. Durch den Ernst der
Lage gezwungen, ging man im Mai 1646 auf die französischen
Forderungen ein und schon am 17. September benachrichtigten
die französischen Bevollmächtigten die Königin-Regentin, dass
ihr das Ober- und Unter-Elsass mit dem Sundgau zugefallen
sei. Sie priesen die Königin glücklich, dass unter ihrer Regent-
schaft die Grenzen Frankreichs eine grössere Ausdehnung ge-
nommen hätten, als jemals unter einem ihrer Vorgänger.
In dem Bericht der Kaiserlichen Gesandten zu Münster,
Mai 1646 (Meiern, Acta pacis III, 24 — 26), «Bedenken von der
Wichtigkeit des Elsass, dass solches an Frankreich nicht über-
lassen werde», heisst es zum Schluss :
«Von dieses Landes Glückseligkeit wegen gesunder Luft
und guter Temperatur, Jagdbarkeiten, Eichwälder, Mineralien,
warme Bäder und Sauerbrunnen, zum fördersten aber heiligen
Orten, item an Ueberfluss und Fruchtbarkeiten aller Sachen,
ist unnöthig Spezial-Meldung zu machen, weil bekannt ist, dass
keine Provinz in Deutschland dieser gleich, noch eine andere
in Europa solche übertreffen mag. Und was an fremden Ge-
wächsen, Seidenwürmern und anderen nutzbaren Mitteln in
diesem Lande nicht in Uebung ist, das kommt nicht aus Mangel
der Landesqualität, sondern der Leute Willen, welche in
abundantia rerum erzogen und weiter nichts begehret haben.»
Die Grenzen des Elsass im Jahre 1648 waren fast dieselben
wie heute. Im Westen reichten das Amt Schirmeck und die
Herrschaft Albertina im Albrechtsthal oder Weilerthal und die
Herrschaft Rappoltstein nach Lothringen hinein ; sonst bildete
der Kamm des Wasgenwaldes die Grenze. Im Nordwesten ist
1790 eine Grenzverschiebung weiter nach Westen hin eingetreten,
indem die lothringische Grafschaft Nassau-Saarwerden, 1 welche
1648 dem Grafen von Nassau-Saarburg gehörte, dem Elsass
hinzugefügt wurde. Die Grenze im Norden war die Lauter.
Gegen Specklin (1576) und Mercator (1580) eine kleine Ver-
1 Heute Kanton Saar-Union. Bezirk Unter-Elsass.
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Schiebung, indem diese den Selzbach als Nordgrenze angeben.
Derselbe entspringt 3 Kilometer N. N. 0. von Wörth a. d. Sauer
und ergiessl sich 61/2 Kilometer südlich von der Lauter in den
Rhein. Zugleich bildete der Selzbach die Grenze zwischen den
Bisthümern Strassburg und Speier.
Landau wurde 1648 als eine der Kaiserlichen zehn Städte
dem Elsass zugerechnet, aber keineswegs gehörte das Land
zwischen Lauter und Quaich zum Elsass. Landau war eine Enclave
des Elsass in der Kurpfalz.
Die alte Südgrenze war etwas südlicher als die heutige ;
nämlich die Birs, welche bei Basel mündet. Die Herrschaft Bei-
fort wurde 1871, mit Ausnahme von zehn Ortschaften, wieder
an Frankreich abgetreten.
Das Elsass wurde eingetheilt in den Sundgau, in Ober-
Elsass und Nieder-Elsass. Die Nordgrenze vom Sundgau war
die Thür.
Der Sundgau umfasste die Grafschaft Pfirt mit den Herr-
schaften Pfirt, Altkirch, Thann, Beifort und Rothenburg; die
Herrschaft Landser, den Besitz des Bisthums Basel mit den
Ortschaften Hegenheim und Burgfelden, das österreichische und
badische Territorium Landskron und die Herrschaft Masmünster.
Ausserdem lag im Sundgau das Territorium Mülhausen mit
Illzach und Modenheim. Mülhausen gehörte von 1515 — 1798
zur Eidgenossenschaft.
Das Ober-Elsass reichte im Norden bis zum Eckenbach und
dem Landgraben oder der Landwehr. Der Eckenbach fliesst
etwas südlich von Schlettstadt und bildete zugleich die Grenze
zwischen den Bisthümern Strassburg und Basel. Markolsheim
lag an der uralten Grenzscheide ; es gehörte zu Nieder-Elsass.
Der übrige Theil des Landes bildete das Nieder-Elsass. In
demselben lag die autonome freie unmittelbare Reichsstadt
Strassburg.
Das Ober-Elsass umfasste die Vogteien Sennheim und Ensis-
heim ; die Herrschaft Isenheim ; den Besitz des deutschen Ordens
mit der Ortschaft Fessenheim ; die Württembergische Graf-
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— 7 —
schaft Horburg mit der Herrschaft Reichenweier ; das Mundat
Rufach mit den Vogteien Rufach, Sulz und Egisheim ; das
Territorium der Abtei Murbach, die Herrschaften Bollweiter,
Landsberg und Rappoltstein ; den Lothringischen Besitz im
Leberthal ; die Territorien der Kaiserlichen Städte Colmar,
Türckheim, Kaysersberg und Münster im Georgenthal und die
zum Oesterreichischen Breisgau gehörige Ortschaft Biesheim.
Das Nieder-Elsass enthielt das Territorium des Bisthums
Strassburg mit den Aemtern Zabern, Kochersberg Schirmeck,
Dachstein, Benfeld, Markolsheim und Wanzenau, «Burg und
Stadt» Reichshofen ; das Territorium der Reichsritterschaft mit
98 Ortschaften, das Territorium des Kapitels von Strassburg mit
den Aemtern Borsch und Erstein und dem Grafen-Bann (Pfleg-
Frankenburg) im unteren Weilerthal ; das Territorium der freien
Reichsstadt Strassburg mit den zum Gemeindebezirk gehörigen
Dörfern Königshofen, Kronenburg, Neuhof, Neudorf und Ru-
prechtsau, ferner mit dem Amt Iiikirch und den Herrschaften
Barr, Marlenheim, Wasselnheim und Herrenstein ; 1 die Kaiser-
lichen Städte Schlettstadt, Rosheim, Oberehnheim, Hagenau,
1 Zum Amt Iiikirch gehörten: Illkirch-Grafenstaden, III-
wickers heim (ursprünglich Wickersheim, dann St. Oswald, heut Ost-
wald genannt) zum Theil ; Niederhausbergen, Schiltigheim, Dorlis-
hoim, Handschahheim und Ittenheim.
Zur Herrschaft Barr gehörten: Barr, Burgheim, Gertweiler
Goxweiler, Heiligenstein und Mittelbergheim zum Theil.
Zur Herrschaft Marlenheim gehörten: Marlenheim,
Ruine Cronenberg, Kirchheim, Kossweiler, Nordheim und Romans-
weiler mit Schloss Erlenburg. Letzteres mit Romansweiler und Koss-
weiler 1^59 an die Händel von ßreitenbiück verkauft
Zur Herrschaft. Wasselnheim gehörten: Wasselnheim
(Burg und Dorf)i Brechlingen, Flexburg zum Theil, Friedolsheira zur
Hälfte, Ittlenheim zur Hälfte und Zehnacker.
Zur Herrschaft Herren stein gehörten: Burg Herren-
stein, Dettweiler mit Rosenweiler, Dossenheim mit Weiler Kugelberg
zum Theil und Neuweiler zum Theil.
Schliesslich befand sich Strassburg im Theilbesitz von Bliensch weiler
und Nothalten, wo es auch die niedere Gerichtsbarkeit inne hatte. —
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Weissenburg und Landau; das Territorium der Herrschaft
Albertina im Albrechts- oder Weilerthal ; die Herrschaft Königs-
burg ; die Herrschaft im Steinthal ; die 40 Reichsdörfer in der
Landvogtei Hagenau ; die Abtei Andlau ; die Grafschaft Hanau-
Lichtenberg mit den Aemtern Westhofen, Wolfisheim, Brumath,
Ollendorf, Buchsweiler, Ingweiler, Pfaffenhofen, Wörth, Hattgau
und Niederbronn ; die Grafschaft Dagsburg ; die Abtei Mauers-
münster; die Herrschaft Fleckenstein mit den Aemtern Flecken-
stein, Kutzenhausen und Sulz unterm Wald, die Kellerei Rödern,
den Riedgau und das Schulzenthum Weitersweiler ; die Herr-
schaft Beinheim ; die Herrschaft Schöneck ; die Herrschaft Ober-
bronn mit den Aemtern Oberbronn und Niederbronn ; die Herr-
schaft Hohenburg; die Grafschaft Lützelstein ; den Besitz von Pfalz-
Zweibrücken mit den Aemtern Kleeburg und Bischweiler ; den
Besitz von Kur-Pfalz mit Amt Selz ; das Mundat Weissenburg mit
dem Amt Altenstadt; den Besitz des Bisthums Speier mit dem
Amt Laulerburg; die Abteien Neuburg, Walburg und Biblis-
heim ; den Besitz des Erzbisthum Trier ; den Besitz des Erz-
bisthum Cöln und den des Üeutsch-Herren-Ordens.
In diesen verschiedenen Territorien des Elsass betrug
1648 die Gesammtzahl aller Ortschaften 1110»/2. Davon ge-
hörten 22 Ortschaften zu zwei und ein Ort (Nothalten im Unter-
Elsass) zu drei Herrschaften.
Die Einwohnerzahl in den Elsässiscben Orten im Jahre
1648 ist nicht genau bekannt. Nach Herrn von Ichtersheim,
Topographie des Elsass, Regensburg 1710, betrug dieselbe nach
dem d reissigjährigen Krieg nur 245,000 Seelen.
Nach damaliger Sitte pflegten meist nur die Feuerstellen
gezählt zu werden.
Der Intendant Lagrange giebt die Zahl der Einwohner auf
257,000 Seelen an und zwar 171,000 Katholiken, 69,000 Luther-
aner, 12,000 Galvinisten und 3600 Juden.
Der katholische Cultus hing von sieben verschiedenen Diöcesen
ab. Strassburg, Speyer, Metz, Basel, Besancon, Trier und Cöln.
Nur der Bischof von Strassburg hatte sein ganzes Territorium im
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Lande. Der grösste Theil des Elsass stand unter der geist-
lichen Jurisdiction fremder Prälaten.
Behufs Beurtheilung des Westphäli sehen Friedensschlusses
ist es erforderlich, auch auf die frühere Verwaltung des Elsass
kurz zurückzukommen.
Ursprünglich bildete das Elsass ein Herzogthum und wurde
durch Grafen verwaltet. Durch Heinrich I. (9*25) wurde das
Land mit dem deutschen Reich enger vereinigt und unter die
Hoheit der alemannischen Herzöge gestellt ; doch blieben gleich-
zeitig, wie von alters her, Grafen als Königliche Beamten im
Elsass. Die Grafschaft dieser Grafen war lediglich ein Amt.
Der Graf war der Vertreter des Königs im Gericht und im
Heer innerhalb eines Gaues ; er hatte die Jurisdiction. Der Graf
war Vasall des Königs und wurde mit der Grafschaft belehnt.
Das Reichsgut, welches mit der Grafschaft verbunden war,
trug er zu Lehen. Der Ertrag der Reichslehen sowie ein Theil
der Bussen waren das Einkommen der Grafschaft. Der Graf hielt
mit seinen Schönen das öffentliche Gericht, «das echte Ding», zu
bestimmten Zeiten ab und urtheilte in Civilsachen über Freiheit
der Personen und «echtes Eigenthum» ; in Criminalsachen über
Leib und Leben. Es war dies die hohe Gerichtsbarkeit !
Die Unterbeamten, welche der Graf gesetzt hatte, die Cent-
grafen, besassen die niedere Gerichtsbarkeit. Sie urtheilten über
Frevel, deren Strafen bis an's Blut reichten und Streitigkeiten
über geringe Schuldbetrage, sowie über das Erbe unfreier Leute.
Im Elsass gab es im 11. Jahrhundert nur zwei reichslehn-
bare Grafschaften, je eine im Nordgau und Südgau.
Grafen, die in dieser Zeit noch ausser diesen beiden Gau-
grafen genannt werden, sind entweder Gentgrafen oder Schirm-
vögte im Gebiete der Bisthümer und geistlichen Stifte.
Schon in der Zeit der Ottone waren nämlich viele Bischöfe
und Aebte von der Jurisdiction der Grafen exempt geworden,
später erhielten immer mehr geistliche Herren Immunitäten und
wurden eximirt.
Diese höheren Geistlichen übergaben dann Rittern die
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— 10 —
Schirmvogtei zu Lehen und diese Schirmvögte hatten darauf in
den kirchlichen, nicht aber in ihren eigenen Besitzungen die
Jurisdiction cum banno comitis. Dieser Grafenbann unterschied
sich, was die Berechtigung der Strafvollstreckung anbetraf, nicht
von dem Königsbann der Gaugrafen.
Diese Schirmvögte nannten sich schliesslich auch Grafen,
doch Gaugrafen gab es nur zwei im Elsass.
Durch die vielen Exemptionen wurde die alte Gauverfassung
des deutschen Reichs fast labm gelegt. Im 12. Jahrhundert löste
sie sich auf und es traten an die Stelle der alten Gaugrafen —
Landgrafen .
1138 wird als erster Landgraf im Unter-Elsass Theodrich
genannt. Etwas später, 1168, tritt Wernher von Habsburg als
Landgraf im Ober-Elsass auf. Die Landgrafen wurden, wie die
alten Gaugrafen, vom König bestellt. Auch die Landgrafschaft
war kein Territorium, sondern lediglich ein Amt in einem aus
vielen Herrschaften zusammengesetzten Bezirk.
Die Landgrafen hatten die hohe Gerichtsbarkeit über alle
Eingessesenen ihres Districts soweit sie nicht schon exempt
geworden waren, während die Territorialherren die niedere
Gerichtsbarkeit belassen .
Das Gericht des Landgrafen, das Landgericht, kam gewöhn-
lich nur dreimal im Jahre an bestimmten Malstätten zusammen.
Bei dem wachsenden Sländebewusstsein wurde es immer
schwerer, anerkannte Sehöftenbare als Gerichtsbeisitzer zu finden
und der Herren- und Ritterstand zog es daher vor, seine Streitig-
keiten durch Schiedsgerichte entscheiden zu lassen. Ausserdem
eiferten auch die weltlichen Territorialhei ren den Bischöfen und
Aebten nach, sich von der Jurisdiction der Landgrafen exempt
zu machen. Dies gelang ihnen auch allmählig und zwar zuerst
den Schirmvögten der Bisthümer und geistlichen Stifte und
dann auch den andern grösseren Gebietsherren. Endlich ent-
wuchs auch die Ritterschaft der Gewalt der Landgrafen und
ordnete ihre Angelegenheiten ganz selbstständig durch ein von
ihr gewähltes Directorium. So hatten die Landgrafen im
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- -II —
14. Jahrhundert nur noch die Jurisdiction in ihren Besitzungen, in
ihren Allodien und den wenigen Reichslehen, die noch zur Land-
grafschaft gehörten. Das Wort Grafschaft hatte im 12. Jahrhundert
den Begriff von einem Complex Land angenommen und so war
Allodialgrafschaft und Landgrafschaft von einander verschieden: das
erstere bedeutete ein Land ; das letztere ein Amt. Im 14. Jahr-
hundert nimmt das Wort Landgrafschaft jedoch ebenfalls den Be-
griff von einem grösseren Complex Land an und der Landgraf ist
jetzt der Herr dieses Territoriums. Die Landgrafschaft ist nun
ein grosses Allodium geworden. Das Reichsgut war fast alles Haus-
gut geworden. Der Titel Landgraf galt jetzt höher als der Titel Graf.
Im Ober-Elsass waren von 1168 — 1648 die Habsburger
Landgrafen gewesen. Reichsgut war gar nichts geblieben. Es
war ihnen gelungen, den Unterschied von Reichsgut und Haus-
gut völlig zu verwischen. Sie hatten Reichsgut, Rittergut und
Kirchengut an sich gebracht und rechneten den ganzen Sund-
gau mit Ausnahme von Mülhausen und einen grossen Theil des
Ober-Elsass sich als Hausgut an.
Von den 1110 >|2 Ortschaft des Elsass besassen die Habsburger
1648 die Grafschaft Pfirt mit 266 Ortschaften, die Herrschaft
Landser mit 45, Landes krön zur Hälfte, die Herrschaft Mass-
münster mit 16, die Vogtei Sennheim mit 2, die Vogtei Ensisheim
mit I81J2, die Herrschaft Isenheim mit 3, die Lehensherr-
schaften Bollweiler mit 6 ^2, Landsberg mit 7 1/2, die Albertina
im Weiler- oder Albrechtsthale mit 221/2 und die Herrschaft
Königsburg mit einer Ortschaft ; ausserdem die Ortschaft Biesheim
und die 40 Reichsdörfer ; in Summa 429 Ortschaften sowie die
Hälfte des Hagenauer Forst. Schliesslich hatten die Habsburger
die Landvogtei über die zehn Kaiserlichen Städte inne.
Reichsritter gab es im Ober-Elsass nicht mehr ; sie waren
bezwungen und trugen ihre Güter zu Lehen von Oesterreich.
Im Jahr 1478 fand das letzte Landgericht in Ensisheim statt.
Darauf wurde daselbst die österreichische Regierung eingerichtet.
Die Richter urtheilten im Namen des Erzherzogs zu Innsbruck.
Man appellirte von Ensisheim nach Innsbruck.
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So war aus der alten reichslehnbaren Landgrafschaft Ober-
Elsass — dem alten Richteramt mit Königsbann — öster-
reichisches Hausgut geworden.
Im Unter-Elsass waren von 1197 — 1350 die Grafen von
Werde Landgrafen. Die Landgerichte wurden zu Erstein, zu
Röschwoog im UflVied und in Hagenau abgehalten. 1350 wurde
Friedrich von Oettingen, Schwiegersohn des letzten Grafen von
Werde, Landgraf im Unler-Elsass. Sein Sohn Ludwig verkaufte
1359 mit Zustimmung des Kaisers Karl IV. die Reichslehen der
Landgrafschaft. Den grössten Theil erwarb der Herr von Lichten-
berg, der schon das Landgericht zu Röschwoog als Afterlehen
besass. Der Bischof von Strassburg kaufte die Burg Werde und
Erstein, den andern Sitz des Landgerichts, und Kaiser Wenzel
belehnte darauf 1384 den Bischof von Strassburg Friedrich von
Blankenheim mit der Landgrafschaft im Nieder- Elsass. Dieselbe
bestand also damals nur aus der Burg Werde1 und dem Städtchen
Erstein. Das war von allen Gütern der allen reichslehnbaren
Grafschaft Nieder-Elsass geblieben ! Eine Jurisdiction auf «frem-
den Boden» war seit 1384 Oberhaupt nicht mehr vorhanden.
Die Bischöfe von Strassburg führten von 1384 — 1648 den
Titel Landgrafen von Nieder-Elsass.
Im Unter-Elsass nahm Oesterreich als Eigenthum für sich
in Anspruch die Herrschaften Königsburg und im Weilerthal *
23J|2 Ortschaft. Beide Herrschaften waren im Jahre 1648
verpfändet.
Reichslehen gab es im Unter-Elsass 1648 nicht mehr, nur
reichsunmittelbare Stände, 40 Reichsdörfer und einen Reichs-
wald bei Hagenau.
Die 10 Kaiserlichen Städte im Elsass, die Deca-
pole genannt, welche sich zu einem Schutz- und Trutzbündniss
1 Werde wird 1651 in der Reichsritterschaft-Matrikel als Reichs-
rittergut aufgeführt.
Die Herrschaft im Weilerthal, 221|< Ortschaft, von 1314 bis An-
fangs des XVI. Jahrhundert von Oesterreich den Heuen v. Müllenheim
verpfändet.
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— 13
unter kaiserlichem Schutz verbunden hatten und die Landvogtei
Hagenau anerkannten, waren nicht immer dieselben. 1353
waren es Mülhausen, Munster im Georgenthal, Colmar, Türk-
heim, Kaysersberg, Schleltstadt, Oberehnheim, Rosheim, Hage-
nau und Weissen bürg.
Von 1358 — 1409 war auch Selz Kaiserliche Stadt gewesen,
war aber an Kurpfalz verpfändet worden, hatte die Pfand-
summe nicht eingelöst und so seine Rechte wieder verloren.
1511 trat Landau der Decapole bei und 1515 trat Mülhausen aus.
Kaysersberg, Türkheim und Münster bildeten die Reiehs-
vogtei Kaysersberg; sie war der Landvogtei Hagenau unterlhan.
Der Vogt zu Kaysersberg war der Stellvertreter des Land-
vogts zu Hagenau. Die Städte wurden Kaiserliche genannt im
Gegensatz zu den Landstädten, provineiales urbes, in denen der
Gebietsherr als Landesherr die jura regalia halte. Die Land-
vogtei war ein Amt wie die Landgrafschaft es auch war.
Der Landvogt war Schutz- und Schirmherr der Kaiserlichen
Städte.
In dem von den Städten am 20. September 1646 zu Osna-
brück über die Landvogtei Hagenau überreichten Bericht heisst
es: «Nachdem des heiligen Reichs Städte im Ober- und Untcr-
Elsass als Hagenau, Colmar u. s. f. durch unterschiedliche
Einfälle und Beraubungen der benachbarten Westreicher und
Lothringer hiebevor mehrmalen gewaltthatig angefochten und
beschädigt worden, haben diese zu ihrem Schutz und gemeiner
Landeserretlung unter sich vor 300 und mehr Jahren eine Ver-
einigung und Bündniss aufgerichtet und den Kaiser gebeten,
einen von den nächstgesessenen Fürsten des Reiches, der auf
den Nothfall mit Rath und That ihnen beispringen könnte, zu
ihrem Schutzherrn zu ernennen, angesuchet ; auch selbiger
Zeit die Herzöge von Lützelburg und nachgehends das kurfürst-
liche Haus Pfalz zu Schutz- und Schirmherrn erhalten. Im
Jahre 1542 habe Karl V. die Landvogtei vom Hause Pfalz ab-
und auf sich gebracht, und ob nun schon das erzherzogliche
Haus Oesterreich oftmals Neuerungen anzufangen unterstanden,
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haben sich doch die Landstädte dergestalt widersetzt, dass sie
es bei dem alten Herbringen lassen und bekennen müssen, dass
diese tragende Landvogtei anders nicht als «zu Schutz und
Schirm des Reiches, be vorab dieser entlegenen Fronlirstädte,
angesehen sei.»
Der Landvogt wurde vom Kaiser präsentirt und, wenn die
Städte keine Bedenken hatten, angenommen. Darauf leistete
er den Eid, die Rechte der Städte zu wahren und keine Neue-
rung einführen zu wollen und stellte darüber einen Revers aus.
Darnach erst war er Reichsvogt und die Bürger schwuren ihm
Treue und Gehorsam.
Der Landvogt setzte einen Untervogt ein, der statt seiner
nach der üblichen Eidesleistung das Amt verwaltete. Der
Untervogt war Procurator und Administrator der Kammer- und
Reichsgüter, aber nicht Richter. Zu seinen Rechten gehörte
auch, dass er bei den Rathswahlen zugegen sein durfte, um
sich zu überzeugen, ob Alles in Ordnung zuginge, doch hatte
er nicht die Bestätigung der Gewählten. Seine Hauptwirksam-
keit hatte er wohl in den in der Nähe von Hagenau gelegenen
40 Reichsdörfern.
Der Untervogt war immer ein Adeliger und wohnte in der
Kaiserlichen Burg zu Hagenau.
Wenn der Kaiser starb, so gab es keinen Vogt mehr,
weder Landvogt noch Unter vogt, sondern der Vogt musste von
dem neuen Kaiser wieder präsentirt und von den Städten an-
genommen werden. Ebenso wenn der Ober-Landvogt starb, so
gab es keinen Unter-Landvogt mehr. Doch blieb in solchem
Falle der Unterlandvogt in Hagenau in Administration der
Landvogtei , Pfandgüter und Unterthanen , ohne jedoch den
Titel Vogt zu führen. Das Amt des Vogtes war ein jus personale.
Zu Hagenau gab es, wie in den andern kaiserlichen Städten
mit Ausnahme von Colmar, ein kaiserliches Gericht. In Hage-
nau hiess es Landgericht oder Schultheissengericht , auch
Lauben- oder Reichslaubengericht. Es fand zweimal in der
Woche statt in der Laube, der Vorhalle der kaiserlichen Burg.
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Den Vorsitz führte der kaiserliche Schultheiss ; derselbe hatte
aber keine Stimme bei der Urfheilsfällung. Die Schöffen
uiiheilten, der Schultheiss ordnete die Vollstreckung des Ur-
theils an.
Vor das Forum dieses kaiserlichen Landgerichts gehörten
die Fälle der hohen Gerichtsbarkeit über die Bürger von Hage-
nau, über die Bewohner der Reichsdörfer und über die Adeligen,
welche ihre Besitzungen in der Nachbarschaft als Enclaven im
Reichsgebiet hatten.
Die Schültheissen ernannte meistens der Kaiser. Schöffen
waren ursprünglich nur Adelige, später auch Handwerker. Ihr
Amt war erblich.
Die Rechte der Städle waren sehr verschieden, z. B. durften
Colmar und Hagenau Geld schlagen. Colmar und Schlettstadt
erwählten sich die Schültheissen selbst. Colmar hatte sogar den
Blutbann, während in Schlettstadt die hohe Gerichtsbarkeit
kaiserlich blieb.
Der Kaiser Sigismund hatte für die Decapole als jährliche
Steuer (Stadtgeld) 4000 Goldgulden, am Martinstage fällig, fest-
geselzt. Ausserdem hatte jede der zehn Städte zur Erhaltung
des Reichskammergerichts einen jährlichen Beitrag zu zahlen.
Ausserordentliche Steuern waren die sogenannten Geschenke
bei dem Besuche der Kaiser. Auch Kriegssteuern waren als
ausserordentliche Lasten zuweilen zu zahlen. Z. B. zog Karl V.
nach der Schlacht bei Mühlberg von Hagenau 2000 Gulden,
von Türckheim 100 Gulden. Zu den Reichs- Kriegen hatten
die Städte auch Truppen zu stellen ; so z. B. für die Türken-
kriege Colmar 6 Mann zu Pferd und 12 Mann zu Fuss.
Kaiser Karl IV. hatte den Städten das Privilegium gegeben,
nicht verpfändet werden zu dürfen und Sigismund dehnte dies
Recht 1414 auch auf die Voglei und das Schult heissenamt aus.
Dafür gelobten die Städle dem Kaiser und Reich ewige Treue.
Ihre Verwaltung und Regierung hatten die Städte ganz selb-
ständig in der Hand.
Zu den gemeinsamen Ausgaben der Decapole hatte nach
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einer Bestimmung von 1608 Hagenau und Colmar zusammen
die Hälfte, Schlettstadt und Weissenburg zusammen Landau
und Oberehnheim zusammen 1js, Kaysersberg und Türckheim
sowie Münster und Rosheim zusammen je i/iß beizusteuern. Da
diese Bestimmung von den Studien selbst ausging, giebt sie zu-
gleich einen ungefähren Massstab von der Wohlhabenheit der
einzelnen Vereinsstädte. Colmar galt als die reichste, Türck-
heim als die ärmste Stadt.
Nachdem wir uns die Grenzen des Elsass von 1648 und
die Geschichte desselben, soweit für unser Thema nöthig, in's
Gedächtniss zurückgerufen haben, kehre ich zu den Verhand-
lungen des Westphälischen Friedens zurück.
Die deutschen Zugeständnisse fanden hauptsächlich in den
§§ 73, 74, 87 und 88 des Westphälischen Friedens-Tractats,
wie folgt Aufnahme :
§ 73. Der Kaiser für sich und das ganze Haus Oesterreich
und das Reich begeben sich aller Rechte, Eigenthumsrechte,
Herrschaften, Besitzungen und Gerichtsbarkeiten, welche bis
jetzt ihm, dem Reich und der österreichischen Familie zu-
standen, auf die Stadt Breisach, die Landgrafschaft des obern
und des untern Elsass, auf den Sundgau und die Landvogtei
der 10 im Elsass gelegenen kaiserlichen Städte ; nämlich Hage-
nau, Colmar, Schlettstadt u. s. w.; und auf alle Dörfer und
jegliche andere Rechte, welche von der genannten Vogtei ab-
hängen und übertragen dies alles und jedes einzelne auf den
allerchristlichen König und das französische Reich.
§ 74. So sollen die genannte Landgrafschaft von beiden
Elsass und vom Sundgau, dann auch die Landvogtei über die
10 genannten Städte und die abhängigen Orte und ebenso alle
Vasallen, Landsassen, Unterthanen, Leibeigene, Städte, Burgen,
Dörfer, Schlösser, Wälder, Forste, Gold-, Silber- und andere
Mineralgruben, Flüsse, Bäche, Waiden und alle Rechte, die
Regalien und Zubehörungen ohne jeden Vorbehalt mit aller
Gerichtsbarkeit und Oberhoheit von jetzt ab auf immer dem
allerchristlichsten König und der Krone Frankreich gehören
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und der genannten Krone als incorporirt angesehen werden
ohne Einsprache des Kaisers und des Reichs und des Hauses
Oesterreich oder irgend eines andern, so dass überhaupt kein
Kaiser oder Prinz des österreichischen Hauses irgend ein Recht
oder eine gesetzliche Gewalt in den vorher erwähnten diesseits
und jenseits des Rheines gelegenen Landestheilen zu irgend einer
Zeit jemals beanspruchen oder sich aneignen könne oder dürfe.
§ 87. Es soll der allerchristlichste König gehalten sein,
nicht nur die Bischöfe von Strassburg und Basel nebst der
Stadt Sirassburg, sondern auch die übrigen durch beide Elsass
dem römischen Reich unmittelbar unterworfenen Stände, die
Aebte von Murbach und Lure, die Äebtissin von Andlau, das
Benedictiner- Kloster in St. Georgenthal, die Pfalzgrafen von
Lützelstein, die Grafen und Barone von Hanau, Fleckenstein
und Oberstein und die Ritterschaft des ganzen Unter-Elsass
und ebenfalls die 10 Kaiserlichen Städte, welche die Vogtei
Hagenau anerkennen, in derselben Freiheit und in
demselben Besitz der Unmittelbarkeit gegen
das Römische Reich, dessen sie sich bis dahin
erfreut haben, zu belassen, so dass er keine König-
liche Ober-Hoheit darüber hinaus über sie beanspruchen könne,
sondern mit den Rechten zufrieden bleibe, welche immer dem
Hause Oesterreich zustanden und auf Grund dieses Friedens-
tractats der Krone Frankreich abgetreten werden, so dennoch
(ita tarnen), dass durch diese gegenwärtige Erklärung von dem
oben zugestandenen Herrenrechte nichts entzogen werde.
Und endlich § 88. Ebenfalls wird der allerchristlichste
König als Entschädigung für die ihm abgetretenen Landestheile
an den Herrn Erzherzog Ferdinand Karl 3 Millionen Tours'er
Livres in den nächstfolgenden Jahren zahlen. (Der Schluss des
§ setzt die Zahltermine fest.)
Nach diesen §§ steht fest :
1) Dass für eine Entschädigung von drei Millionen Livres
die oben angegebenen österreichischen Besitzungen und Rechte
im Elsass von Oesterreich an Frankreich abgetreten worden sind.
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Im Friedensvertrag werden diese österreichischen Be-
sitzungen die Landgraf schalt Oher- und Unter-Elsass und Sund-
gau genannt.
2) steht fest, dass die Landvogtei in den 10 Kaiserlichen
Städten und die 40 Reichsdörfer, welche zur Landvogtei ge-
hörten und von dem Hagenauer Forst die Hälfte, welcher
Reichsbesitz war, abgetreten wurde.
Was sollte aber mit den übrigen Territorien im Ober- und
Unter-Elsass geschehen ?
Im angeführten § 87, werden eine Reihe von Herren ge-
nannt, welche Besitzungen im Elsass hatten und denen ihre
Reichsunmittelbarkeit und Freiheit zugesichert wird; aber es
werden nicht alle reichsunmittelbaren Stände aufgeführt und
dann scheint der Schluss des £ 87 «so dennoch, dass durch
diese gegenwärtige Erklärung von dem oben zugestandenen
Herrenrechte nichts entzogen werde;-, das wieder aufzuheben,
was der Anfang zugesichert hat.
Der erste Punkt erledigt sich durch § 5 des Friedens-
Tractats, wonach bestimmt wird, dass eine vollständige Wieder-
einsetzung a 1 le r Reichsstände in den Zustand wie vor dem
Krieg erfolgen solle und § 7 erklärt, falls einzelne Stände im
Tractat nicht namentlich aufgeführt seien, diese nicht für
ausgeschlossen erachtet werden sollen.
Schwieriger ist der zweite Punkt, der Schlusssatz des § 87
zu erklären. Bezieht sich derselbe auf alle vorauf genannten
reichsunmittelbaren Stände oder nur auf die Landvogtei und
bestimmt : dass, wenn auch den 10 Kaiserlichen Städten ihre
Reichsunmittelbarkeit voll zugesichert wird, dennoch das Land-
vogteirecht in denselben auf Frankreich übergeht und zwar als
ein Ausfluss seines Souveränitätsrechts und nicht etwa als ein
Lehen vom deutschen Reich. Letztere Auslegung ist trotz der
entgegengesetzten Ansicht der Franzosen nach den Münster'-
schen Friedensverhandlungen die allein richtige.
Es wäre widersinnig anzunehmen, dass in demselben §
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den Ständen ihre Freiheit und Reichsunmittelbarkeit zugesichert
und doch auch wieder abgesprochen wird.
Im dritten Band des von Meiern'schen Werkes Acta pacis
Westphalicae Buch 19—24, findet man die weitläufigen Ver-
handlungen über die Entschädigungen und Abtretungen an
Frankreich. Da heisst es, nachdem im Monat März die Friedens-
verhandlungen stattgefunden und schliesslich ohne Ergebniss
abgebrochen worden waren, hätten die bayrischen Gesandten
als Vermittler am 7. April 1646 den Kaiserlichen Gesandten
mitgetheilt, dass die Instruction der Franzosen dahin ginge :
«dass sie auf die Zurückhaltung des Ober- und Unter-Elsass
und des Sundgau beharren sollten.» Den 9. April verlangen
die französischen Gesandten Unter-Elsass, Ober-Elsass mit dem
Sundgau. Ausserdem wollen sie Benfeld und Zabern inne-
behalten, wobei sie sich indess vermerken lassen, dass sie dar-
über wohl einige Handlung admittiren wollten.
Aus der Forderung von Benfeld und Zabern sehen wir, dass
von den Gesandten mit der Landgrafschaft Unter-Elsass nicht
der Bezirk Unter-Elsass vom Eckenbach bis zur Lauter gemeint
ist ; denn sonst verstand sich die Abtretung von Zabern und
Benfeld von selbst.
Die Kaiserlichen Gesandten antworteten darauf unterm
14. April :
1. Alle Stände, welche im oberen und unteren Elsass vor
dem Kriege unmittelbar gewesen seien, sollen in ihren früheren
Zustand wieder hergestellt und in ihrer Freiheit und Reichs-
unmittelbarkeit gegen Kaiser und Reich belassen werden.
2. Was Benteld und Zabern beträfe, so sei es billig, dass
sie zu ihrem früheren Herrn (Bischof von Strassburg) zurück-
kehrten.
3. Mit solcher Beschränkung und Festsetzung stimmen die
Gesandten im Namen des Kaisers zu, dass Ober- und Unter-
Elsass mit dem Sundgau unter dem Titel Landgrafschaft Elsass
mit dem Rechte, welches bisher Oesterreich besessen, an Lud-
wig XIV. abgetreten werde.
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4. Fordern sie, dass dem gegenwärtigen Besitzer der öster-
reichischen Territorien im Elsass eine Entschädigung von 5 Mil-
lionen Thalern gezahlt werde.
Die französischen Gesandten waren damit nicht zufrieden.
Als sie darauf gefragt wurden, was sie denn eigentlich präten-
dirten, deuteten sie auf die Souveränität über die Kaiserlichen
Städte im Elsass hin, dass ihnen selbige überlassen werden
möchte.
Wir sehen hier, dass die Benennung «Kaiserliche Städte»
die französischen Gesandten zu dem Glauben brachte, die Städte
seien im Besitze des Kaisers.
Darauf gaben die Kaiserlichen Gesandten am 29. Mai 4646
ihre letzte declaratio in puncto satisfactionis Gallicae.
«Der Kaiser will darnach für sich und sein Haus den Sund-
gau, die Landgrafschaft des oberen Elsass und die Landvogtei
im unteren Elsass abtreten mit allen Rechten, die bisher dem
Hause Oesterreich zukamen. Alle reichsunmittelbaren Stände
im Elsass sollen in ihrer Freiheit und Reichsunmittelbarkeit
bleiben und Benfeld und Zabern geräumt werden.»
Die französischen Gesandten acceptirten unterm 3. Juni,
dass die cedirten Lande der Krone Frankreich cum omni supe-
rioritate in perpeluum sollten incorporirt werden ; doch ver-
langten sie auch die kaiserliche und Reichsoberherrlichkeit über
alle ungemittelte Reichsstände im Elsass, ausgenommen die
Bisthümer Strassburg und Basel.
Die Kaiserlichen Gesandten erklärten den bayrischen Ver-
mittlern unterm 9. Juni 1646 darauf: Was die Souveränität des
römischen Reiches über die Elsässischen Reichsstände anlange,
so könnte der Kaiser weder direct noch indirect darein willigen,
weil solches der Kaiserlichen Wahlcapitulation entgegen stehe ;
es sollte dies jedoch den Reichsständen proponirt werden. Die
Verhandlungen dauerten fort ; doch die Frage wurde den Reichs-
ständen nicht vorgelegt. Unterm 22. August 1646 kam es zu
folgenden Abmachungen : Der Kaiser tritt für sich und das
ganze Haus Oesterreich ab alle Rechte, welche sie auf die Land-
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Grafschaft Ober- und Unter-Elsass, auf den Sundgau und auf
die Landvogtei der zehn Kaiserlichen Städte haben. Die reichs-
unmittelbaren Stände im Elsass bleiben in ihrer Freiheit und
Reichsunmittelbarkeit. Der Erzherzog Karl zu Innsbruck er-
hält drei Millionen Livres Entschädigung.
Am 13. September 1646 wurde das scriptum conventionis
zu Münster vollzogen. In diesem lauten die betreffenden Ar-
tikel über die Abtretungen ebenso wie im Friedenstractat vom
24. Oktober 1648. Die Stadt Strassburg wurde auf Drängen
ihrer Gesandten später noch zum § 87 hinzugefügt.
Die Verhandlungen zeigen ganz klar, dass alle Reichs-
unmittelbaren im Elsass in ihrer Freiheit und Unmittelbarkeit
zum Kaiser und Reich bleiben sollten ; dass der Kaiser weder
direct noch indirect, ohne die Stände zu fragen, einwilligen
konnte, dass ihr Gebiet an Frankreich übertragen wurde. Der
Kaiser fragte die Stände nicht ; die französischen Gesandten
standen von ihrer Forderung ab und sie erlangten demnach nur
die Abtretung der österreichischen Territorien und des Vogtei-
rechts in den zehn Reichs-Städten.
Der Schlusssatz des § 87 des Frieden st ractats kann sich
demnach nur auf dies Vogteirecht beziehen. Die Städte blieben
deutsch und unmittelbar; doch das Vogteirecht in denselben
erhielt Frankreich.
Frankreich nahm 1648 auch nur die früheren österreichi-
schen Territorien in Besitz. Allerdings behielt es auch die
lothringischen Besitzungen besetzt ; doch nicht auf Grund des
Friedensschlusses , sondern weil es mit dem Herzog von
Lothringen noch Krieg führte.
Im ersten Jahr nach dem westphälischen Frieden begnügte
sich Frankreich an Stelle der früheren österreichischen Re-
gierung zu Ensisheim einen königlichen Gerichtshof in Breisach
einzurichten. Die Thäligkeit desselben erstreckte sich über das
Gerichtswesen, über die Untersuchung der Rechte und An-
sprüche des Königs von Frankreich im Elsass und über das
Rechnungswesen. Der Gerichtshof wurde dem Grafen Harcourt
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unterstellt, der am 26. April 1649 zum französischen Statt-
halter im Elsass und zum Ober-Landvogt der zehn elsässischen
Vereinsstädte der Landvogtei Hagenau ernannt worden war.
Gegen Ende August 1652 kam der Landvogt in's Elsass
und war seine erste Handlung, dass er von den zehn Reichs-
städten den Eid der Treue und des Gehorsams gegen den
König von Frankreich forderte. Die Städte verlangten von ihm
zuvor nach altem Recht und Herkommen die Zusicherung ihrer
Rechte und Privilegien, wie es von den Erzherzögen jedesmal
vor dem Eidschwur auch geschehen wäre.
Besonders der Rath von Colmar erhob seine Stimme ganz
energisch gegen die Eidesleistung.
Graf Harcourt gab nach. Am 11. Juli 1653 erlheilte er
den zehn Städten der Landvogtei die schriftliche Zusicherung-,
sie bei all ihren Privilegien, Besitzungen, Freiheiten sowie in
ihrer unmittelbaren Stellung zum deutschen Reich zu belassen.
Sofort erklärte der König durch besonderen Erlass, dass
der Graf Harcourt seine Vollmacht überschritten habe. Die
Städte waren aber über ihren Erfolg so erfreut, dass sie sich
dem Wahne hingaben, es würde ihre Stellung zum deutschen
Reich unverändert bleiben. Die Magistrate der elsässischen
Reichsstädte fuhren fort, die deutschen Reichstage zu beschicken
und die Reichstagsabschiede zu unterschreiben. Auch bezahlten
sie ihren Antheil an der Kriegsentschädigung von 5 Millionen
Thalern an die Schweden, nachdem die Reparation auf die 10
Kreise des Reichs 1650 zu Nürnberg festgestellt worden war.
Noch 1653 schwuren die Städte dem Kaiser Leopold Treue.
Ferner erhielten sie 1655 auf dem Reichstag zu Worms ihren
Antheil an der dem Reich zu stellenden Mannschaft. Endlich
erklärte Kaiser Leopold bei der Wahl-Kapitulation zu Frank-
furt a/M. 1658, dass die zehn elsässischen Reichsstädte ebenso
wie die andern Reichsstände, das Landvogteirecht ausgenommen,
mit dem Reich unmittelbar verbunden seien und dies auch
bleiben sollten.
Die Macht der Verhältnisse erwies sich indess stärker 1
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Frankreich war entschlossen, den Widerstand der Reichsstädte
zu brechen, und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit.
Auf Anrathen des Kardinal Mazarin, welcher dem Grafen
Harcourt in der Würde des elsässischen Ober-Landvogts ge-
folgt war, hatte Ludwig XIV. schon 1657 den königlichen Ge-
richtshof zu einem conseil souverain d'Alsace erweitert und den
Sitz desselben nach Ensisheim verlegt.
Das Conseil sollte nicht nur Recht sprechen, sondern auch
die religiösen Angelegenheiten, besonders die der katholischen
Kirche regeln, über die Erhaltung der Domänen wachen und
auch die politischen Verhältnisse der Provinz iu's Auge
fassen, um so mehr als der Landvogt nach französischem Be-
griff nur Statthalter des Königs war und keinen richterlichen
Charakter besass. Die Amtsstellen des Conseil besetzte Mazarin
mit Persönlichkeiten, deren Namen in Frankreich nach jeder
Richtung hin den besten Klang hatten.
Am 24. November 1658 fand die erste öffentliche Sitzung
dieser Körperschaft in feierlichster Weise statt. Die Vertreter
der elsässischen Reichsstädte waren dazu eingeladen worden
und auch erschienen. Als Letzteren der Zweck des Conseil
souverain milgetheilt wurde, betonten sie ihre Reichsunmiltel-
barkeit und setzten eine Protestation auf, in welcher sie der
neuen Körperschaft das Recht absprachen, in politischen An-
gelegenheiten wie in gerichtlichen Fällen die oberste Instanz
des Landes zu bilden ; auch verwahrten sie sich entschieden
gegen jede Neuerung. Der Präsident Colbert nahm zwar ihr
Schreiben nicht an, versicherte indess mündlich, es sollten keine
Neuerungen eingeführt werden, worauf sich die Abgeordneten
beruhigten.
Der Ober- Land vogt Kardinal Mazarin war indess anderer
Meinung. 1656 Hess er eine Untersuchung über die Rechte der
Städte dem Ober-Landvogt gegenüber anstellen. Das Ergebniss
dieser Untersuchung war, dass die Städte in Folge des Schirm-
rechts eine mässige Besatzung innerhalb ihrer Mauern aufzu-
nehmen hätten, dass sie ihre Magazine öffnen und untersuchen
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lassen müssten, ob Alles im guten und ausreichenden Zustand
vorhanden sei, dass dem Landvogt als Vertreter des Königs die
Gerichtsbarkeit über die Städte zustände, dass bei den Wahlen
zu Rathen und Schöffen der Vogt die Beaufsichtigung und Be-
stätigung der Wahlen hätte und derselbe schliesslich auch das
Aufsich tsrecht über ihre innere Verwaltung besässe.
Auf Grund dieses Gutachtens wäre der Kardinal sicherlich
gegen die Städte eingeschritten, hätte ihn nicht am 9. März 1661
der Tod ereilt.
Der Nachfolger, sein Neffe Armand La Meillery, duc de
Mazarin, wirkte indess in seinem Geist fort und forderte die
Städte auf, die französische Oberhoheit in der Rechtspflege, im
Militärwesen und in kirchlichen Angelegenheiten anzuerkennen.
Als sich die Städte dagegen auflehnten, versuchte er mit Ge-
walt durchzudringen.
Auf die darauf erfolgenden Vorstellungen des Kaisers und
der deutschen Reichsstände wurde vom König von Frankreich,
wenn auch ungern, ein Schiedsgericht behufs Schlichtung der
streitigen Punkte zugestanden. Besonders die Forderung der
französischen Krone, dass ihr die elsässischen Reichsstädte den
Eid der Treue schuldig seien, wurde einer grundlichen Prüfung
unterzogen und vom Schiedsgericht, wie die meisten der übrigen
französischen Forderungen, abgelehnt.
So wahrten für dieses Mal die Städte noch ihr Recht !
Allein die Zeit sollte bald kommen, wo die endgültige Lösung
der Fragen selon le hon plaisir du roi stattfand.
Im Jahre 1663 wandten sich die Städte Colmar, Munster
und Türckheim in einer Streitsache mit dem Abt von Münster
bona fide an das Reichs- Kammergericht in Speyer, ihre frühere
Instanz. Der duc de Mazarin erklärte diesen Schritt als eine
Missachtung der Souveränitätsrechte seines Königs und verbot
den Reichsstädten der Landvogtei bei 2000 Livres Strafe sich
künftighin an das Kammergericht von Speyer zu wenden, indem
sich der König die Entscheidung in kirchlichen Angelegen-
heiten vorbehalten habe. Als Colmar, Landau, Weissenburg
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und Münster dagegen protestirten, machte der duc de Mazarin
ihnen ein Edikt des Königs bekannt, nach welchem dem Con-
seil souverain d'Alsace dieselbe Gerichtsbarkeit über die Städte
eingeräumt worden war, wie sie das Reichs-Kammergericht zu
Speyer ausübte ; ferner der König das Recht beanspruchte,
durch die Städte der Landvogtei in Begleitung von Truppen zu
ziehen, in dieselben Garnisonen zu legen und endlich die Auf-
sicht über die Zeughäuser und Festungswerke auszuüben.
Schliesslich sei der Oberland vogt im Namen des Königs befugt,
bei der Wahl des Raths den Vorsitz zu führen.
Die Reichsstädte brachten 1665 diese Streitsache vor den
Reichstag zu Regensburg und verlangten abermals ein Schieds-
gericht. Doch Frankreich wusste die Angelegenheit in die
Länge zu ziehen, bis der Krieg darüber ausbrach und Ludwig
XIV. den gordischen Knoten mit dem Schwert durchhieb.
Colmar Hess sich durch das Vorgehen Frankreichs so wenig
einschüchtern, dass es noch 1666 Münzen mit des Kaisers
Wappen und mit der Inschrift «Eine freye Kaiserliche Stadt»
prägen liess.
Ein letzter ohnmächtiger Protest des Rechts gegen die Ge-
walt, welchen Ludwig XIV. sieben Jahre später schwer ahnden
sollte.
Den 5. April 1672 hatte Ludwig XIV. der Republik Hol-
land den Krieg erklärt. Er hatte England und im deutschen
Reich den Bischof von Münster und den Erzbischof von Köln
zu Verbündeten. Unter allen Fürsten des deutschen Reichs er-
kannte nur der grosse Kurfürst Friedrich Wilhelm von Branden-
burg die Gefahr, welche dem deutschen Reich drohte. Bereits
am 6. Mai schloss er ein Bündniss mit Holland und veranlasste
den Herzog von Braunschweig und den Landgrafen von Hessen
und schliesslich auch den Kaiser dem Bündniss beizutreten und
Truppen an den Rhein zu werfen.
Ludwig fürchtete den grossen Kurfürst mehr als den Kaiser!
Und da er namentlich für den Besitz des Elsass besorgt war,
beschloss er die volle Unterwerfung der elsässischen Reichs-
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Städte an Frankreich so schnell wie möglich herbeizuführen
und auch der Stadl Strassburg seine Macht vor Augen zu
führen. Den ersten Schlag führte er sogar gegen Strassburg
selbst, indem er den Befehl gab, die der Stadt gehörige Rhein-
brücke bei Kehl zu zerstören.
Am 15. November morgens 2 Uhr kamen von Breisach
aus acht Schiffe mit 90 Mann Besatzung unter Befehl des
Kommandanten Vicomte de Lescouet den Rhein herab. In
aller Stille landeten die Franzosen an der Rheinbrücke, setzten
dieselbe an drei Stellen in Brand und vernichteten so den
Rheinübergang binnen kürzester Zeit. Nach Ausführung ihres
Auftrages fuhren sie nach der Wanzenau, stiegen dort unter
Trommelschall ans Land, zechten bis zum Mittag und mar-
schirten dann unbehelligt nach Breisach zurück.
In Kehl und Strassburg ertönten die Sturmglocken, die
Bürger traten sofort unler die Gewehre und besetzten die Wälle ;
doch der Rath verbot Strassburgs Neutralitäts-Erklärung zu Folge
jeglichen Angriff.
Der Ralh beschwerte sich bei Ludwig XIV. über die Ge-
walttat. Am 22. Dezember erfolgte darauf ein Schreiben aus
Versailles, worin der König die Stadt seiner Huld und Gnade
versicherte und ihr kund that, die Zerstörung der Rheinbrücke
sei ohne sein Wissen, auf Befehl des Prinzen von Conde er-
folgt, um einen Einfall der Kaiserlichen und Brandenburgischen
Truppen in's Elsass zu verhindern. Nach dem Kriege wolle er
zum Wiederaufbau der Brücke das Seinige gern beitragen. Als
der Rath die Brücke jedoch sofort wieder herstellen lassen
wollte, wurde dies französischerseits nicht geduldet.
So behandelte schon damals Ludwig XIV. die unmittelbar
freie deutsche Reichsstadt Strassburg, auf die er keinen Schim-
mer von Recht hatte, deren Hülflosigkeit er aber genau kannte.
Die Zerstörung der Brücke machte in Wien den peinlichsten
Eindruck. Der dortige französische Gesandte Herr von Gremon-
ville erklärte indess einfach, die Brücke wäre zerstört worden,
weil man vernommen, dass Colmar und Sehlettstadt mit dem
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Kurfürsten von Brandenburg verhandelt und sich bereit erklärt
halten, Brandenburgische Garnisonen aufzunehmen.
Durch derartige Vorgänge wurden die Franzosen im ganzen
Elsass von Tag zu Tag verhasster. Eine unheimliche Schwüle
laslete auf allen Gernüthern ! Allgemein fühlte man, dass man
am Vorabend wichtiger Ereignisse stehe. Die Aufregung steigerte
sich, als man vernahm, Ludwig XIV. beabsichtige persönlich
nach dem Elsass zu kommen. Von diesem königlichen Besuch
erwartete man nichts Gutes ! Als der französische Landvogt duc
de Mazarin im Dezember 1672 in Hagenau übernachten wollte,
erhob sich unter der Bürgerschaft ein solcher Tumult, dass
man ihm den Eingang verwehrte und die Thore schloss. In
einer Hütte vor der Stadt musste er die Nacht zubringen. Aehn-
liches passirte ihm vor Münster !
Diese Vorgänge kamen auf dem Reichstage zu Regensburg
zwischen den Abgeordneten der elsässischen Reichsstädte und
dem französischen Gesandten Abbe de Gravelle zur Sprache.
Der Colmarer Abgeordnete Antonius Schott schreibt darüber :
M. de Gravelle sagte: «Es sey dem König um diese Städte gar
nicht zu thun und seien sie zu geringschätzig, dass der König
seinen Ruhm dadurch sollte verringern oder sich nachreden lassen,
dass er sie ohne ursach surpreniren wolle, und wolle er infam
sein, wenn der König das geringsle an dergleichen denke, auch
sogar, dass er gewiss versichern könne, wenn die Städte auch
von selbsten sich dem Könige übergeben und sich deswegen
bei ihm anmelden wollten, dass er es nicht acceptiren würde.
Der König habe drei fines seiner Regierung: La gloire, la
justice et Pinteret de son royaume, deren keins zulasse, dass
der König dieser Zeit an diesen Städten einige Gewaltthätigkeit
vornehmen sollte!»
Diese doppelzüngige Rede beruhigte die leichtgläubigen
elsässischen Abgeordneten. Allein schon die nächste Zukunft
sollte die Städte belehren, dass wenn l'interet de son royaume
bei Ludwig XIV. im Spiel war, la gloire et la justice ihr Haupt
verhüllen und verstummen mussten. Seit Mitte November 1672
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hatte der Prinz Conde sein Hauptquartier in Breisach. Mit
richtigem Blick heurt heilte er die Zustände im Eisass und ent-
warf davon in einem Schreiben an Louvois folgendes für die
französische Herrschaft wenig tröstliches aber wahrheitsge-
treues Bild :
«Je ne puis m'empecher Monseigneur de dire que Pautorite
du Roy se va perdant, absolument dans l'Alsace. Les dix villes
imperiales, hien loing d'etre soumises au Roy, com me elles les
devroient estre par la protection que le Roy a sur elles par le
traite ä Münster, sont presque emnemis.
La Noblesse de la Basse- Alsace va presque le meme chemin.
Haguenau a ferme insolemment la porte au nez de M. de Mazarin
et la petite ville de Munster l'a chasse honteusement il y a
quelque temps ; il a souflert ces deux affronts avec beaucoup
de patience ; cependant c'est un pied qui se prend ; je croy
que le roy devroit prendre le temps qu'il jugeroit ä propos pour
mettre Colmar et Haguenau ä la raison, ce serait une chose
bien facile, les autres suivraient sans contredit leur exemple,
c'est ä sa Majeste ä juger quand le temps sera propice.»
Colmar, Hagenau und Schlettstadt waren die mächtigsten
der zehn Reichsstädte. Waren dieselben niedergeworfen, so
war auch der Widerstand der übrigen gebrochen ! Der Prinz
Conde schlug daher Louvois vor, sich dieser Städte zu be-
mächtigen und deren Befestigungen zu zerstören, damit eine
feindliche Armee im Eisass nicht festen Fuss fassen könnte.
Der König und Louvois gaben dem Plan ihre volle Zustim-
mung und brachte ihn der König nach seiner Staatsmaxime
«La force prime le droit» zur Ausführung. Mit Colmar und
Schlettstadt wurde begonnen und an ihnen ein Exempel der
Strenge slatuirt, welches den übrigen Landvogtei-Städten allen
Muth benahm und ihre bisherige Opposition völlig brach.
Ueber den Fall von Colmar berichtet die Chronik:
Am 4. August 1673 reiste der Marquis de Louvois bei
Colmar vorbei. Er wurde gleich einer fürstlichen Person vom
Rath begrüsst und versicherte er die Herren vom Rath der könig-
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liehen Gnade «insofern sie sich derselben würdig zeigen wür-
den.» Am 7. August wollten die Abgeordneten von Colmar
den König in Nancy bewillkommnen. Sie wurden mit dem Be-
scheid abgewiesen, sie möchten in Begleitung ihres Landvogts
erscheinen. Am 10. August trafen 700 Mann Kavallerie unter
Befehl des Oberst Coulange vor Colmar ein. Als am 15. August
dem sogenannten «Meistertag», die Erneuerungswahl des Raths
nach alter Art und Weise stattfinden sollte, befahl der fran-
zösische Oberst die Kanonen von den Wällen zu entfernen.
Dieser Befehl wurde ohne Widerspruch ausgeführt. Als am
18. August Louvois abermals in die Nähe von Colmar kam,
erschienen die Abgeordneten der Landvogteistädte unter dem
Untervogt Marquis de Ruze. Louvois theilte ihnen die Ankunft
des Königs mit und gab ihnen die Zusicherung, dass der König
den Städten nichts von ihren Hechten nehmen wolle , doch
werde er in keine elsässische Stadt einziehen, die nicht von
seiner Garde bewacht sei. In Folge dessen möchten die Bürger
ihre Posten für die Zeit, während welcher der König in der
Stadt weilen werde, an die französischen Soldaten abtreten.
Auch diese Forderung wurde zugestanden. Am nämlichen
Tage, dem 18. August, rückte der Oberst de Coulange mit
seinen 700 Reitern in Colmar ein und übernahm die Bewachung
der Stadt. Tags darauf kam die Garde in die Stadt. Die
Bürger mussten ihre Gewehre abliefern und sogar die Mit-
glieder des Stadtraths ihre Degen ablegen. Auch des Zeug-
hauses bemächtigten sich die Franzosen. Ohne auch nur den
Rath zu fragen, führte man die vorgefundenen Geschütze und
Waffen, die Munition und Ausrüstungsgegenstände nach der
Festung Breisach. Die Franzosen staunten über den Reichthum
des Zeughauses und bekannten offen, dass keine der von ihnen
in Holland eingenommenen Städte solchen Waffenvorrath be-
sessen hätte.
Am 20. August erschienen 6000 Mann : Soldaten, Bauern
aus dem Sundgau und Bergknappen aus Markirch, um die
Wälle, Thürme und Mauern niederzureissen.
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Am nämlichen Tage reiste der König bei Colmar vorbei
nach Breisach. Der Rath von Colmar kam ihm entgegen ;
doch der König würdigte weder die Rathsherren noch die Geist-
lichkeit eines Blickes, sondern ritt im Galopp davon.
So verlor die ehrwürdige Reichsstadt Colmar ihren alten
Ruhm und ihr Ansehen !
Nach Colmar kam Schlettstadt an die Reihe! Gegen diese
Stadt war Ludwig XIV. besonders eingenommen, weil noch
1071 auf ihre Bitte ein kaiserlicher Kommissar, Herr von
Gollern, dort erschienen war, um Streitigkeiten zwischen Rath
und Bürgern zu schlichten.
Am 28. August 1673 zogen 1700 Mann französische Trup-
pen in Schlettstadt ein. Bald darauf erschien auch Louvois.
Die Deputirten der zehn Reichsstädle befanden sich auch ge-
rade in Schlettstadt. Sie versuchten bei Louvois das Aeusserste
von der Stadt abzuwenden und versprachen, sich den könig-
lichen Anordnungen zu unterwerfen. Louvois wies sie kurz
ab : es sei des Königs Wille, dass so verfahren würde. Er ver-
bot jede Getreideausfuhr aus der Sladt — Getreide war der
Haupt-Handelsartikel von Schlettstadt — und befahl die Wälle
und Thore niederzureissen. Bürger und Landleute der Um-
gegend mussten selbst mit Hand anlegen.
Hagenau , Weissenburg und Münster theilten dasselbe
Schicksal wie Colmar und Schletlstadt I Die Stadtmauern von
Weissenburg waren jedoch so fest, dass ein grosser Theil der-
selben stehen blieb.
Ein Schrei der Entrüstung erhob sich in Deutschland, als
man das Schicksal der Städte erfuhr!
Die französischen Gesandten auf dem Reichstag zu Regens-
burg erklärten indess kurz und bündig, der König sei durch
die Feindseligkeit der Städte und die Befürchtigung, dass die
heranziehenden kaiserlichen und brandenburgischen Truppen
in denselben Aufnahme finden könnten, zu diesen Massnahmen
gezwungen worden ; die Städte sollten auch in ihrer jetzigen
Verfassung nichts von ihren Freiheiten einbüssen.
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Somit hatte Ludwig XIV. sein nächstes Ziel erreicht. Die
Widerstandsfähigkeit der elsässischen Reichsstädte war ge-
brochen !
Doch in den Elsässern lebte noch der deutsche Geist ; sie
Hessen den Muth noch nicht sinken und setzten ihre Hoffnungen
auf die Erfolge der heranrückenden Kaiserlichen und Branden-
burgischen Truppen !
Anfangs Mai 1674 kam die kaiserliche Armee unter dem
Herzog von Bournonville in das Elsass. Marschall Turenne
hatte sich in Zabern verschanzt. Allgemein erwartete man im
Elsass eine Schlacht, doch kam es vorläufig noch nicht dazu.
Die Kaiserliche Armee verliess das Elsass wieder und zog nach
der Pfalz, wohin ihr der französische Feldmarschall Turenne
folgte.
Am 27. September war die Kaiserliche Armee, gegen
30,000 Mann stark, wieder in das Elsass zurückgekehrt und
hatte bei Grafenstaden und Iiikirch ein Lager bezogen, um
dort die Ankunft der Brandenburger abzuwarten. Doch
Turenne, der mit seinem nur 22,000 Mann starken Heer in
der Wanzenau stand, entschloss sich zum sofortigen Angriff
und begann seinen Vormarsch. In Folge dessen nahm die
Kaiserliche Armee Stellung bei Enzheim nnd besetzte Düppig-
heim und Düttlenheim. Am 4. Oktober morgens erhielt der
Herzog von Bournonville die Nachricht von dem Anrucken des
Feindes. Sofort stellte er seine Truppen in Schlachtordnung
auf. Bei Enzheim kam es zum erbitterten Kampf. Derselbe
blieb indess unentschieden. Beide Gegner räumten das Schlacht-
feld. Die Kaiserliche Armee zog sich unter die Mauern von
Strassburg zurück ; die Franzosen nahmen beobachtende Stel-
lung bei Achenheim.
Am 43. Oktober überschritt der Kurfürst von Brandenburg
mit seinen Truppen, 11,000 Mann Infanterie, 7500 Reitern, 2
Regimenter Dragonern und 42 Feldstücken, den Rhein bei Kehl
und nahm sein Hauptquartier in der Schachenmühle bei
Strassburg.
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Seine Gemahlin Dorothea und sein ältesler Sohn, der Kur-
prinz Carl- Emil, die ihn begleiteten, nahmen die Gastfreund-
schaft Strassburgs an. Am 14. Oktober veranstaltete der Rath
von Strassburg ein grosses Festmahl zu Ehren des Kurfürsten
in der Schachenmühle. Am 15. Oktober hielt der Kurfürst
auf der Metzgerau eine grosse Heerschau ab. Das Fussvolk
mit seiner strammen Haltung erregte allgemeine Bewunderung.
Nach der Heerschau marschirten die Brandenburger direct nach
Bläsheim, wo die kaiserliche Armee lagerte.
Die Lage Turenne's war eine kritische geworden. Der
Macht der Verbündeten war er nicht gewachsen. Die Fran-
zosen, bedeutend schwächer an Zahl, waren ausserdem durch
die langen Märsche und durch die Kämpfe bei Enzheim ganz
entkräftet. Mit zunehmender Sorge erwartete Turenne die An-
kunft der ihm versprochenen Hilfstruppen.
Die Lage der Verbündeten war demnach eine höchst vor-
theilhafte und wollte der grosse Kurfürst dieselbe auch durch
einen sofortigen Angriff auf Turenne, welcher sich unterdess
bei Marlenheim festgesetzt hatte, ausbeuten. Seiner Ansicht
nach beabsichtigte Turenne entweder am Fuss der Vogesen
nach dem Ober-Elsass zu entkommen, um dort geeignete
Winterquartiere zu beziehen oder sich nach Lothringen zurück-
zuziehen, um sich dort für einen neuen Einfall in's Elsass zu
verstärken. «Um die eine oder die andere Eventualität zu ver-
hindern, sei Turenne von der ganzen verbündeten Armee sofort
anzugreifen. j> Dieser Plan wurde im Kriegsrath am 14. Oktober
allseitig angenommen. War derselbe gewiss auch der allein
richtige, so fehlte doch die sachgemässe Ausführung ! Schon
bei Beginn der Operation musste der Kurfürst die alte traurige
Erfahrung machen, dass Uneinigkeit, Eifersucht und Unfähig-
keit seitens der übrigen Befehlshaber seine wohlangelegten
Unternehmungen scheitern Hessen.
Die Hauptschuld an dieser verhängnissvollen Uneinigkeit
lag in dem Auftreten des kaiserlichen Heerführers, der dem
Kurfürsten fast in den meisten Plänen entgegentrat; trotzdem
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er von Wien die Ordre erhalten, «dass er seiner kurfürst-
lichen Durchlaucht den gebührenden Respect leisten, die Parole
von ihr nehmen und was die Majora beschliessen würde, execu-
tiren solle.»
In Folge dieser Zerwürfnisse im eigenen Hauptquartier
und der Langsamkeit in der Aufstellung und Führung der
Truppen schlug das erste Unternehmen, Turenne bei Marlen-
heim den 48. Oktober zu einer Schlacht zu zwingen, fehl !
In vollständiger Ordnung konnte sich Turenne durch das
schwierige Terrain auf Dettweiler und Hochfelden zurückziehen,
wo er durch die Zorn gesichert, sein Lager aufschlug und die
Verbindung mit seinen Magazinen in Zabern nnd Hagenau her-
stellte. Seinem Rückzug nach Lothringen hinein stand nichts
mehr im Wege !
Der Grosse Kurfürst erging sich über das untreue Be-
nehmen des Herzogs von ßournonville in den heftigsten Aus-
drücken. Einer zu ihm entsendeten Deputation des Strassburger
Magistrats gegenüber äusserte er mit aufgehobener Hand nach
der Stellung Turenne's hinweisend : «Da stehet der Hund in
seinem auserlesenen Vortheil und wir sind hier und müssen
crepiren, können ihm auch nichts thun, da wir ihn doch in
unserer Gewalt gehabt und vertilgt hätten, wo nicht der Bour-
nonville, dieser Schurke, es verhindert hätte.» — Auffallend ist
es, dass der Kurfürst noch länger an Bournonville's Seite blieb.
Nur der Patriotismus seines echt deutschen ritterlichen Herzens
und die deutsche Ehre selbst unter den schwierigsten Verhält-
nissen zu verfechten, mögen ihn dazu bewogen haben. Auch
fühlte er wohl, dass sein Name schliesslich allein für das Miss-
geschick verantwortlich gemacht werden würde.
Mit Marlenheim war es um das Ansehen der Verbündeten,
besonders der kaiserlichen Armee, geschehen. Die Stimmung
schlug völlig um. Im Protokoll der Dreizehner in Strass-
burg heisst es : «Man solle den Kaiserlichen nicht zu wohl
trauen ; gegen die Brandenburger aber und die übrigen, die
es treu meinten, solle man zu unterstützen fortfahren.»
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Die Verbündeten lagerten am Fuss des Kochersberg und
blieben unthätig, während sich Turenne durch Zuzug aus dem
Conde'schen Corps bis auf 20,000 Mann Infanterie und 13,000
Reiter verstärkte. Trotzdem hielt er sich noch für zu schwach,
um die Verbündeten anzugreifen, und zog sich am 29. Novem-
ber 1674 durch den Pass von Lützelstein und über die Zaber-
ner Steige nach Lothringen zurück, während die Verbündeten
Winterquartiere im Ober-Elsass bezogen.
In Lothringen fasste Turenne den Entschluss über Epinal
und Remiremont in das Ober-Elsass einzufallen, um die Ver-
bündelen in ihren Winterquartieren in der Gegend von Mül-
hausen, Thann, Ensisheim und Colmar zu überraschen und sie
einzeln zu schlagen.
Der Grosse Kurfürst hatte mit seiner Gemahlin in Colmar
im Wagkeller, dem Rathhaus, Quartier genommen und lag an
der Gicht krank. Hier hatte er auch den Schmerz, seinen Sohn,
den Kurprinzen Karl-Emil, den er schwer krank in Strassburg
zurückgelassen hatte, durch den Tod zu verlieren. Derselbe
starb den 7. Dezember 1674 im Dettlinger-Hof in der Brant-
gasse, heut Nr. 15, in Folge eines Fiebers.
Den 23. Dezember brach Turenne mit seiner kampfbereiten
Armee auf, überraschte die Kaiserliche Armee völlig und zwang
sie durch siegreiche Gefechte zum Rückzug bis in die Gegend
von Colmar. Hier beschlossen die Verbündeten den Kampf mit
Turenne aufzunehmen. Am 5. Januar kam es zur Schlacht,
die bis in die Nacht dauerte und wiederum zum Nachtheil der
Verbündeten ausfiel. Vor wie während des Kampfes war die
Uneinigkeit und die Eifersucht unter den verschiedenen Heer-
führern erneut zum Ausbruch gekommen und wurde dadurch
besonders die Niederlage verursacht. Selbst bei dem Rückzug
noch zeigte Bournonville seinen schlechten Willen gegen den
Kurfürsten. Ohne einen besonderen Refehl desselben abzu-
warten oder ihn auch nur zu benachrichtigen, zog er sich noch
in derselben Nacht auf Schlettstadt zurück. Die Brandenburger
blieben den Franzosen allein gegenüber. Doch Turenne war
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nicht in der Lage den Feind zu verfolgen und war froh, dass
ihm die Verbündeten das Schlachtfeld überlassen hatten.
Durch den von Ludwig XIV. veranlassten plötzlichen Ein-
fall der Schweden in sein Land, wurde der grosse Kurfürst
gezwungen, schleunigst dahin zurückzukehren. Ende Januar
1675 hatten auch die Kaiserlichen das Elsass geräumt. Der
Krieg zog sich jedoch noch mehrere Jahre in die Lange.
Für die Bevölkerung des Elsass Irat eine neue Zeit der
Schrecken und Drangsalen ein. Die Franzosen behandelten die Ein-
wohner ohne Schonung und Harmherzigkeit. In einer unge-
druckten Chronik der Stadt Colmar von Billing finden wir aus dem
Jahr 1675 unter März folgende Notiz: «Auch wurden von den
Soldaten geschändete Weibspersonen morgens todt auf der Gasse
gefunden. Je mehr man über den Unfug klagte, je mehr wur-
den die Officiers irritirt. Die capitaines der zwei in Colmar in
Besatzung liegenden Regimenter Bouillon und Turenne taxirten
ihre Wirthe über die 6 Rationen Fourage noch an Geld und
erpressten von Jedem täglich 2, 3 — 4 Thaler, deren Exempel
die Obern und Lieutenants nachfolgten. Die Bürgerschaft
nimmt täglich ab durch Sterben und Davonziehen ; die Unver-
möglichsten crepiren uuler der Last ; der gänzliche Untergang
steht uns vor Augen.»
Das Jahr 1677 war wieder ganz besonders verhängnissvoll
für das Elsass. Anfangs Januar kam von Versailles der Befehl,
auch die noch stehen gebliebenen Reste der Befestigungswerke
der Reichsstädte vollständig zu schleifen und auch andere wich-
tige befestigte Punkte im Lande zu zerstören.
Schon am 7. Januar begann man mit Hagenau. Dabei
wurde die stattliche Hohenstaufenburg, das Sinnbild ehemaliger
deutscher Macht und Herrlichkeit, bis auf den Grund zerstört.
Der Parteigänger La Brosse, von den Elsässerh der Mordbrenner
genannt, kam nach Hagenau und Hess über 200 Häuser an-
zünden. Er wollte die ganze Stadt der Erde gleich machen,
doch der General von Montclar hinderte ihn daran. Dann kam
Weissenburg, das der ersten Zerstörungswut!! grösstenteils
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widerstanden halte, an die Reihe. Den 24. Januar rückte La
Brosse dort ein, Hess die Stadt ausplündern und Tags darauf
an allen Enden anzünden. Ueber 70 Häuser gingen in Flam-
men auf. Auch das alte Rathhaus mit dem reichen Stadt-
archiv wurde vernichtet. Erst nach dem Abzüge von La Brosse
durften die Bürger das Feuer löschen.
Die bischöfliche Stadt und Festung Zabern wurde auch
nicht verschont. Am 12. Mai 1677 erhielt der französische
Kommandant La Chedardie von Louvois den Befehl, die uralten
Mauern der Stadt abzubrechen. Die Einwohner baten wenigstens
den Thurm des Oberlhores als Zierde der Stadt stehen zu
lassen. Der Kommandant hätte gern ihre Bitte genehmigt,
doch dem Befehl Louvois' gegenüber durfte er es nicht wagen.
Auch die Mauern von Buchsweiler, der Hanau-Lichtenberg'schen
Residenzstadt, mussten abgebrochen werden. Dem Grafen von
Hanau wurde dazu eine Frist von vier Wochen bewilligt. Des-
gleichen wurden viele feste Schlösser und Burgen, wie Dags-
burg, Fleckenstein, Alt- und Neuwindstein und viele andere,,
welche die Gipfe! der Vogesen krönten, zerstörl. Im Jahr 1678
im November wurde Barr völlig eingeäschert. Der Brand
dauerte vier Tage und blieben nur einige Häuser im Kirneck-
thal stehen.
Der Krieg vernichtete auf Jahre hinaus den Wohlstand des
Elsass. Noth und Elend nahmen bei dem Landmann, dessen
Felder vernichtet, wie bei dem Städter, der unter der uner-
schwinglichen Last der Einquartirung seufzte, überhand. Dass
die Elsässer unter solchen Drangsalen nach Frieden seufzten,
war natürlich. Endlich am 5. Februar 1679 kam derselbe zu
Nim wegen zwischen Kaiser Leopold I. und Ludwig XIV. zu
Stande.
Bei der Ratificirung des Friedens wurden die Rechte der
elsässischen Reichsstädte mit keiner Silbe erwähnt. Bei den
vorhergehenden Verhandlungen beantragten die kaiserlichen
Gesandten die Rückgabe einzelner dieser Städte. Die Franzosen
antworteten darauf, dies sei ebenso, als wenn man ihnen eine
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Stadt mitten in Frankreich entreissen wolle. Auf das weitere
Verlangen auf Einsetzung eines Schiedsgerichts zur Interpre-
tirung des weslphälischen Friedensvertrages, erklärten die Fran-
zosen, daran nicht mehr gebunden zu sein.
Unter diesen Verhältnissen wünschte der Grosse Kurfürst
die Fortsetzung des Krieges ; der Kaiser wollte aber Frieden
um jeden Preis. Er begnügte sich mit dem Versprechen,
Kaiser und Reich würden sich der Rechte und Freiheiten der
bedrohten elsässischen Reichsstädte annehmen und ihre Reichs-
freiheit schützen. Die Franzosen antworteten darauf: «Dies
seien Acte der innern deutschen Politik, um welche sich Dritte
nichts zu kümmern hätten.»
Ludwig XIV. war der erste Theil seines Vorhabens, die
Unterwerfung der elsässischen Reichsstädte, gelungen. Nur
noch eine Reichsstadt gab es im Elsass, dies war Strassburg !
Doch war für jeden Einsichtigen der Verlust auch dieser Stadt
an Frankreich nur eine Frage der Zeit. Im Verlauf des letzten
Krieges hatte sich dies bereits zur Genüge herausgestellt.
Als 1678 Ende Juli Marschall Crequi vom Rath der Stadt
dans Pinteret du Service du Roy die Freigabe des Rheinüber-
gangs bei Kehl forderte und ihm dieser unter Berutung auf
die Neutralität der Stadt nicht bewilligt wurde, gab er sofort
Befehl gegen die Kehler Schanzen vorzurücken. Nach zwei-
tägiger Beschiessung derselben musste die Strassburger Be-
satzung der Uebermacht weichen. Von 800 Mann, welche die
Schanze vertheidigten, blieben 250 Mann auf dem Felde der
Ehre. Crequi liess darauf das der Stadt Strassburg gehörige
Kehl und die Rheinbrücke in Flammen setzen. Als Strassburg
darauf Truppen anwarb, behandelte er das ganze Strassburger
Stadtgebiet als Feindesland und liess die Dörfer Lampertheim,
Mundolsheim, Vendenheim und Reichstedt, obgleich der reichs-
unmittelbaren freien Ritterschaft gehörig, ohne Weiteres ein-
äschern, weil sie mit Strassburg Verkehr unterhielten.
Am 25. August veröflentlichte er von seinem Hauptquartier
Obermodern bei Buchsweiler ein Manifest gegen die Strass-
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burger, worin er die Stadt des Treubruchs beschuldigte und
sämmtlichen Ortschaften im Elsass bei Einäscherung verbot
irgendwelchen Verkehr mit Strassburg zu unterhalten.
Der Strassburger Rath erliess sofort eine Rechtfertigungs-
schrift. Die Franzosen seien es, die durch die Erstürmung der
Kehler Schanze und die Zerstörung der Rheinbrücke die Neu-
tralität von Strassburg verletzt hätten. Erst darnach habe die
Stadt Hilfsiruppen aufgenommen , um sich vertheidigen zu
können. Zugleich wandte sich der Rath an Ludwig XIV., er-
hielt aber keine Antwort !
Alle diese Vorfälle mussten Strassburg belehren, dass die
Tage seiner Unabhängigkeit gezählt seien ; dass es zu ohn-
mächtig sei, dem allmächtigen ländergierigen König von Frank-
reich, dem alle Mittel gut waren, um zu seinem Zweck zu ge-
langen, auf die Dauer zu widerstehen, und dass das deutsche
Reich, an welches beinahe 1000 jährige Bande glorreicher Er-
innerungen und gemeinsam vollführter Waffenthaten die Stadt
knüpften, ausser Stande sei, die Westmark und deren mächtiges
Bollwerk, die Vormauer und den Schlüssel des Reichs, gegen
Frankreich zu schützen.
Das gewaltsame Vorgehen der Reunionskammern bestätigte
bald im vollen Masse diese trüben Ahnungen.
Rechtlich galten noch immer für das Elsass die Bestim-
mungen des Westphälischen Friedensschlusses. Dieselben waren
durch den Frieden von Nimwegen von Rechtswegen nicht aufge-
hoben und bemühte sieh das elsässer Volk seine Rechte auch
bei jeder Gelegenheit, selbst mit den Waffen in der Hand gel-
tend zu machen. Doch Ludwig wusste sich auch hier zu
helfen, um unter dem Schein des Rechtes mit Hülfe französi-
scher Juristen seine Souveränität über das ganze Elsass auszu-
dehnen.
Auf Anrathen des Parlamentsraths Roland de Raveaux in
Metz rief er behufs dessen 1680 die berüchtigte Reunionskammer
zu Alt-Breisach in's Leben.
Das Provinzialgericht in Breisach wurde vom 1. Januar
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1680 ab zu einem obersten Gerichtshof — Conseil superieur
und souverain d'Alsace — erhoben Seine Hauptaufgabe be-
stand darin, gemeinschaftlich mit dem Intendanten die Reunion
(Wiedervereinigung) des ganzen Elsass mit der Krone Frankreich
und deren Oberherrlichkeit im vollsten Umfang, im Gegensatz
zur deutschen Souveränität, zu Stande zu bringen.
Die Reunionskammer von Breisach ging nicht säumig zu
Werke. Schon am 22. März 1680 wurde ein grosser Theil der
zur Landvogtei Hagenau gehörigen Äemter, Dörfer und Schlösser
und das Mundat Weissenburg ohne alle Rücksicht auf die
Rechte Dritter in willkürlicher Interpretirung des § 87 des
Westphälischen Friedens, der französischen Krone einverleibt.
Betreffs des Mundats Weissenburg behauptete der General-
Anwalt Favier, dass dasselbe der kaiserlichen Sladt Weissen-
burg gehöre, welche im Friedensvertrag von Münsler ausdrück-
lich abgetreten sei. Dies war durchaus nicht der Fall ! Nur
die Vogtei in der Decapole, wozu Weissenburg gehörte, war
abgetreten worden, nicht das Mundat Weissenburg. Dies ge-
hörte 1648 zum Bisthum Speyer. Durch weiteres Edict der
Reunionskammer vom 9. August wurde das Veizeichniss dieser
Ortschaften um eine namhafte Zahl vermehrt. Doch damit
nicht genug ! Um weiter zum Ziel zu kommen, stellte der Ge-
richtshof in Breisach ganz einfach den Grundsatz auf: Durch
die letzten Friedensschlüsse sei dem König von Frankreich die
Oberherrschaft über das ganze Elsass vom deutschen Kaiser
überlassen worden und erklärte der General-Anwalt Favier dies
auch kurz und bündig den Vertretern von Horburg, Rufach,
Hanau-Lichtenberg, Oberbronn, Dagsburg, Lützelstein, Mauers-
münster etc., als sie auf Grund des § 87 des Westphälischen
Friedenstraclats für die Reichsunmittelbarkeit und Freiheit ihrer
dienten plädirten. Als sich die Vertreter mit diesem will-
kürlichen Bescheid indess nicht beruhigten, und einen Prozess-
anstrengten, suchte Favier einen positiven Grund vorzubringen.
Er berichtete, dass laut der Protokolle der Stadt Schlettstadt
der Erzherzog Leopold, Bischof von Strassburg, am 20. Mai
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1625 die unterelsässischen Stände zu einer Versammlung nach
Schlettstadt geladen habe, um sich über die Angelegenheiten
zu beratben, die das Beste der Provinz beträfen : dazu seien
die meisten in Person oder durch Vertreter erschienen. Aus
dieser Zusammenkunft, welche als die einzige in dieser Form
in allen Zeiten nachzuweisen war, schloss Kavier nicht etwa,
dass ein angesehener Mann seine Standesgenossen einlud, um
sich zu beratben, sondern, dass er als vorgesetzter Landgraf
die ihm untergebenen Herren zu einer Provinzial-Versammlung
aufgefordert habe.
In Verfolg dessen forderte der als Reunionskammer auf-
tretende Gerichtshof durch seinen Erlass vom 9. August 1680
sämmtliche Herrschaften des Elsass auf, dem Könige von Frank-
reich den Eid der Treue zu leisten, das französische Wappen
an die Stadtthore und Portale der öffentlichen Gebäude anzu-
schlagen und im Gerichtsgange die letzte Entscheidung dem
Gerichtshof zu Breisach anheimzustellen. Auch verlangte die
Breisacher Reunionskammer, dass das ganze weltliche und
geistliche Vermögen des Landes unter die Königliche Ober-
gewalt gestellt würde.
Vor der rohen Gewalt ohne Aussicht auf irgend welche
Hilfe, beugten sich, wenn auch mit schwerem Herzen und
ohne Zustimmung von Kaiser und Reich,1 die meisten Herren
des Elsass. Die Grafen von Hanau-Lichtenberg, die Herren von
Fleckenstein, die Grafen von Leiningen-Dagsburg und viele
andere Herren und Ritter erschienen im Verzeichniss der
französischen Vasallen.
Auch der Graf Georg von Württemberg, Herr der Graf-
schaft Horburg und Reichenweier, die Markgrafen von Baden
1 AU in der Nachtsitzung vom 4./5. August 1789 die französische
Nationalversammlung durch Majoritätsbeschluss alle Feudalrechte in
Frankreich abschaffte, erhielt dieser Vorgang, der vom Reich still-
schweigend hingenommen und nicht beanstandet worden war,
hinsichtlich der Entschädigungsansprücne der depossedirten elsäs-
8ischen Territorialherren eine durchschlagende Bedeutung.
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sowie die Grafen von Rappoltstetn, mussten dem König von
Frankreich huldigen. Freiwillig und wenig rühmlich beugte
sich von vornherein nur der Bischof von Strassburg Carl
Egon von Fürstenberg.
Die Ritterschaft des Unter-EIsass war von jeher reichs-
unmittelbar und ihre Mitglieder waren freie Herren. Der Be-
stand ihrer Privilegien war ihr durch den westphälischen Frieden
zugesichert worden. Ludwig XIV. that alles Mögliche, um
scheinbar die Rechte der Ritterschaft nicht anzutasten. Noch
1681, als die Rillerschaft eine Deputation nach Versailles sandte,
empfing sie der König äusserst huldvoll und sicherte der Ritter-
schaft die Erhaltung sämmtlicher unter Kaiser und Reich her-
gebrachten Privilegien zu. Dies hielt ihn jedoch nicht ab, den
Sitz der Ritterschaft von Strassburg, das noch dem deutschen
Reiche gehörte, nach Niederehnheim zu verlegen. Die Herren
protestirten, ihr schönes Ritterhaus auf dem Stephansplan zu
verlassen ; aber was half es ihnen. Am 2. Mai 1681 wurden
sie gezwungen, dem König von Frankreich in Niederehnheim den
Eid der Treue zu leisten. Der Ammeister Reisseisen bemerkt
dazu in seinem Memorial : «Sic itur ad astra ; aut verius de
übertäte in servitutem.»
Einzelne mächtige Stände widersei zten sich diesen Ueber-
griffen der Königlichen Gewalt, welche so tief einschneidende
Veränderungen in die Verfassung des ganzen Landes brachte.
Was nützte aber ihre Protestation ! Wehe denen, die im Be-
wusstsein ihres guten Rechts es wagten, sich den Aussprüchen
der Reunionskammer zu widersetzen. Ihre Beamten wurden
fortgejagt, ihre Archive geschlossen und weggenommen, ihre
Renten mit Beschlag belegt, ihre Güter eingezogen! Wandten
sie sich an den König, so wurden sie einfach von dem Minister
an den Gerichtshof von Breisach verwiesen. Und was thaten
Kaiser und Reich, welche im Frieden zu Nim wegen das Elsass
zu schützen versprochen hatten , für die hart bedrängten
Stände ?
Der Reichstag zu Regensburg hielt lange Sitzungen und
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Louvois hatte Alles bis in's Detail vorbereitet. 35,000 Mann
standen für den Zug gegen Strassburg wohl ausgerüstet bereit.
Arn Sonnabend, den 27. September 1681, hielt General von
Montclar bei Breisach über die Armee grosse Heerschau ab und
begann darnach sofort den Vormarsch gegen Strassburg. Oberst
von Asfeld traf um Mitternacht mit 2000 Dragonern vor der
Rheinbrücke ein. Als die Franzosen weiter vorrückten, gab
die nur schwache Besatzung Feuer, musste sich indess vor der
Uebermacht schleunigst zurückziehen. In Strassburg gerieth
Alles in grösste Bestürzung! Reisseisen schreibt in seinem
Memoriale : «Umb 2 Uhren gegen Tag hat man angefangen
die Mordglocke zu leuthen, dessen die Ursach gewesen, dass
die Franzosen die Zollschanzen occupirt und eingenommen.»
Alle waffenfähigen Bürger eilten auf die Sammelplätze, die
schweizerischen Soldtruppen, 4 — 500 Mann, besetzten die Wälle
und der Rath versammelte sich auf der Pfalz.
Als der französische Resident Fritschmann um die Ursache des
plötzlichen Angriffs befragt wurde, erwiderte er: er wisse von nichts.
Der Rath schickte hierauf den Stadtschreiber Güntzer zu
dem Obersten von Asfeld. Derselbe gab die kurze Antwort, er
habe auf höheren Befehl gehandelt. General von Montclar
habe in Erfahrung gebracht , dass kaiserliche Truppen den
Rheinpass besetzen wollten. Um denselben zuvor zu kommen,
habe er sich der Zollschanze bemächtigt und dadurch der Stadt
einen grossen Dienst geleistet. Als ihm Güntzer erwiderte
30 — 40 Stunden weit sei kein kaiserlicher Soldat zu sehen, gab er
zur Antwort, er könne sich mit ihm nicht in weitere Erörterungen
einlassen, er habe seine Befehle. Das Weitere möge der Rath
von Strassburg mit dem General von Montclar verhandeln. Der
Rath schickte sofort einen Kourier nach Wien zu Kaiser Leopold
und einen zweiten an den Reichstag nach Regensburg, um
dieselben dringend um Hülfe zu bitten. Beide Kouriere wurden
jedoch mit ihren Handschreiben von den Franzosen abgefangen.
Nächsten Tag traf auch von den Strassburger Aussen-
Aemtern die Nachricht ein, dass sie von den Franzosen besetzt
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Am Tage der Capilulation, nachmittags 4 Uhr, zog der
Marquis de Louvois an der Spitze von zehn Bataillonen und
einem Regiment Kürassiere durch das Metzgerthor in Strass-
burg ein.
Die französischen Soldaten hesetzten sofort das Zeughaus
und die Wälle. Die Kürassiere hivakirten auf dem Barfüsser-
platz. i Am folgenden Tage erhielten alle Bürger Einquartierung.
Am 2. Oktober musste jeder Bürger die in seinem Besitze be-
findlichen Waffen abliefern. Am 4. Oktober leistete der Rath
dem General von Monlclar und dem französischen Gouverneur
Marquis de Chamilly den Eid der Treue. An demselben Tage
tauschte die Stadt ihre frühere Benennung einer kaiserlichen und
freien Stadt des heiligen römischen Reichs gegen den Namen
einer königlichen freien Stadt ein.
Den 12. Oktober wurde das Strassburger Münster, in
welchem mit Ausnahme der Interimszeit seit der Reformation
evangelischer Gottesdienst gehalten worden war, dem Bischof
zurückgegeben.
Den Protestanten wurde dafür die alte Dominikaner- oder
Prediger-Kirche, seitdem Neue Kirche genannt, zugewiesen.
Diese war übel zugerichtet und standen Mühlen darin, die von
Pferden getrieben wurden. Es kostete viel Mühe, sie wieder
herzurichten.
Am 20. Oktober hielt der Bischof, von Zabern kommend,
in grössler Prachtentfaltung seinen feierlichen Einzug in das
Münster. Von den französischen Behörden wurde er mit den
grössten Ehren empfangen.
Ludwig XIV. hatte in Vitry-le-Francais in der Champagne
die Einnahme von Strassburg erwartet und bestätigte daselbst
am 3. Oktober auch die Kapitulation. Noch besonders ver-
sicherte er auf sein königliches Wort, dass dieselbe buch-
stäblich befolgt werden sollte.
Alsbald begab er sich in Begleitung der Königin, des
1 Heute Kleberplatz.
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Dauphins, des Herzogs und der Herzogin von Orleans nach
dem Elsass und hielt am 23. Oktober seinen feierlichen Einzug
in Sirassburg, reduite maintenant ä l'obeissance du roy.
Am Thor musslen ihn der grosse und kleine Rath, die
Collegien der Dreizehner, Fünfzehner und Einundzwanzig er-
warten. Der Dreizehner Jakob Spielmann , der einzige der
Räthe, welcher der französischen Sprache völlig mächtig war,
hielt schweren Herzens die Begrüssungsrede. Der Gouver-
neur de Chamilly überreichte dem König die Schlüssel der
unterworfenen Stadt.
Die Bürgerschaft betrug sich würdig und edel, sie verbarg
ihre inneren Gefühle nicht, küssle nicht die Sklavenketten, be-
sang nicht die Fesseln, die ihr Frankreichs Herrscher soeben
geschmiedet hatte. — Kein : «Es lebe der König» hörte man
aus ihrem Munde ! Dagegegen erfüllten die Franzosen mit
ihrem «vive le roy» die Luft.
Der König stieg im «Badischen Hof» i ab, damals dem
Markgrafen von Baden-Durlach gehörig. Am nächsten Morgen
begab sich der König mit dem ganzen Gefolge in's Münster,
wo ihn der Bischof Franz Egon von Fürstenberg mit den be-
kannten Worten des greisen Simeon empfing: «Herr, nun lassest
du deinen Diener in Frieden fahren, meine Augen haben deinen
Heiland gesehen.» Den 26. Oktober hielt Ludwig grosse Heer-
schau über die 15,000 Mann starke Garnison von Strassburg
ab. Auf der Metzgerau , derselben Stelle, wo sieben Jahre vor-
her der grosse Kurfürst unter dem Jubel der Strassburger Be-
völkerung seine Brandenburger musterte. — Jetzt herrschte
überall düstere Stimmung !
Als die Kunde der Kapitulation sich in Deutschland ver-
breitete, erhob sich ein Schrei der Entrüstung. Der Unwille
der deutschen Patrioten wurde täglich grösser! Der Reichstag
in Regensburg war aber machtlos und der Kaiser hatte voll-
auf an der Ostgrenze mit den Ungarn und Türken zu thun.
1 Heute «Dracbenschule.>
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Sirassburg blieb sich selbst überlassen ! Die Stimmung der
Bürgerschaft war eine trübe und still erbitterte. Das Volk beugte
sich ungern unter das französische Joch. Einzelne hervor-
ragende Persönlichkeiten, wie der Bischof Franz Egon von
Fürstenbersf und der Direktor des Direktoriums der elsässischen
Ritterschaft Freiherr von Wangen-Geroldseck, wie auch manche
andere, waren zwar französisch gesinnt, sie hatten indess auf
die Masse des Volkes gar keinen Einfluss. Die Bürger sahen
alle diejenigen, welche die Kapitulation unterzeichnet hatten,
mit misstrauischen Augen an und hielten sie für Verräther.
Doch das änderte an der Sachlage nichts ! Seitdem Ludwig XIV.
den Hausschlüssel des Elsass besass, beanspruchte er auch das
volle Hausrecht in demselben.
Um das Elsass gegen alle Gefahren zu sichern, Hess er in
erster Linie die neue Grenze Frankreichs gegen Deutschland
in guten Verteidigungszustand setzen. Bereits am 4. Oktober
1681 langte Vauban in Strassburg an, um die Citadelle zu
bauen. Nicht nur zur Verteidigung gegen äussere Feinde, als
vielmehr zur Schulzwehr der Franzosen gegen die Stadt selbst !
Die Arbeiten wurden mit solchem Eifer betrieben, dass die
Citadelle bereits den 26. Mai '1082 vollendet war. Ebenso wurden
die Rheinschanze bei Kehl und der Brückenkopf daselbst wieder
hergestellt und stark befestigt. Um die Sladt Strassburg, welcher
der König nicht traute, noch besonders im Zaum hallen zu können,
wurden bei den Kasernen am Steinthor und an den gedeckten
Brücken starke Schanzen aufgeworfen. — Zum Bau von Kasernen
musste Strassburg von 1682 — 1684 800,000 Livrcs beitragen.
Ausser Strassburg befestigte Vauban noch Schlettstadt und
Hüningen. Ferner wurden die festen Plätze Fort- Louis und
Neubreisach neu erbaut.
Nach hinreichender Sicherung der Grenze liess Ludwig XIV.
am 2. Januar 1682 in Frankfurt afM. den kaiserlichen Ge-
sandten gegenüber erklären: um allen ferneren Missverständ-
nissen vorzubeugen, wäre er bereit, durch die Kaiserlichen und
seine Gesandten eine Grenzscheidung zwischen den deutschen
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und französischen Gebieten vornehmen zu lassen, damit keine
ferneren Ansprüche unter irgend einem Scheine des Hechts an
eines derselben stattfinden könne. Erst im April kam dieser
Gegenstand auf dem Reichstag zu Regensburg wieder zur
Sprache und erklärte der französische Botschafter Graf Crecy,
dass seine Regierung seit ihrer Zusage in Frankfurt alle
Reunionsmassregeln eingestellt habe, auch keine neuen mehr
ergreifen wolle; wenn ihr durch rechtsgültige Urkunde der
Besitz aller der Gebiete, Strassburg einbegriffen, zugesichert
würde, welche die Krone Frankreichs vor der Konferenz in
Frankfurt in Besitz genommen hätte. Der Kaiser weigerte
sich in die Abtretung von Reichsgebieten einzugehen. Bald
entspann sich jedoch zwischen dem Oberhaupt des Reichs und
einigen mächtigen Fürsten des Landes, welche einem neuen
Kriege entgegen waren, ein grosser Zwiespalt. Die Kurfürsten
von Köln, Mainz, Trier und der Pfalz fanden die Vorschläge
Frankreichs annehmbar. Dagegen suchte der Kaiser, der
die Art und Weise der Einnahme Strassburgs für eine Be-
leidigung seiner Würde ansah, einige Fürsten und Stände zum
Krieg gegen Frankreich anzureizen und schloss mit ihnen am
10. Juni 1682 ein besonderes Bündniss zu Luxemburg.
Bei der Gegenstellung der meisten Reichsstände, die dem
Kaiser nicht das Recht einer selbstständigen Kriegsführung ein-
räumten, blieb dieses Bündniss indess gegenstandslos. Die
genannten Kurfürsten nahmen die von Ludwig XIV. gemachten
Vorschläge erneut in Betracht und gelang es ihnen, nachdem
Ludwig XIV. auch Luxemburg erobert hatte, die Angelegen-
heit im Collegium der Kurfürsten durchzubringen und auch
die Annahme der Vorschläge seitens des Kaisers zu erzielen.
Am 15. August 1684 kam ein 20jähriger Waffenstillstand zu
Stande, welcher dem König von Frankreich den ruhigen Besitz
von Strassburg und Kehl und der dazwischen liegenden Schanzen
bis auf Weiteres zusprach ; desgleichen wurden ihm über alle
Herrschaften und Orte, welche ihm durch die Reunionskammern
bis zum 1. August 1681 zugesprochen worden waren, sämmt-
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liehe Hoheitsrechtc vorläufig bestätigt. Im Elsass behielt er
indess auch alle ihm nach dem 1. August 1681 zugesprochenen
Ortschaften im Besitz. Dagegen verpflichtete sich der König,
alle diejenigen Gebiete zurückzugeben, die nicht unter diese
Festsetzungen fielen. Zugleich wurde nocli besonders die freie
Ausübung der Religion und der unverkümmerte Besitz der
Kirchengüter, sowohl für die katholischen als für die beiden
protestantischen Kirchen, ausdrücklich zugesichert.
Alle diese vorlaufigen Verhandlungen hatten Ludwig XIV.
indess nicht gebindert mit der Einführung der Verwaltung im
Elsass nach französischem Muster von vornherein vorzugehen.
Die alten deutschen Titel des Ober- und Unterlandvogts der
Landvogtei Hagenau verschwanden auf Nimmerwiedersehen. An
die Spitze der Regierung trat als Vertreter des Königs der
Intendant de la province d'Alsace. Derselbe hatte sämmtliche
Zweige der allgemeinen und lokalen Verwaltung unter sich ; er
leitete die Verwaltung der Städte und Dörfer, die Ausübung
des Rechts, die Privilegien der Geistlichkeit und des Adels,
die Verlheilung und Eintreibung der Königlichen Steuern, die
öffentlichen Arbeiten, die Industrie, den Handel, den Acker-
bau. Der Sitz desselben wurde 1681 von Breisach nach Strass-
burg verlegt. Neben dem Intendanten stand der General-
Gouverneur der Provinz. Derselbe, wenn auch im Range höher,
hatte doch nur die oberste Mililärgewalt inne und konnte in
die Polizei des Landes eingreifen.
In den Lokal- und Gemeinde- Verhältnissen Hess die fran-
zösische Regierung der Stadt Strassburg noch vorläufig eine
gewisse Selbstständigkeit, indem sie die alten Raths-Collegien
und städtischen Einrichtungen im Grossen und Ganzen fort-
bestehen Hess. Allein, um auch in diesen Versammlungen
ihren "Willen kund zu thun und ihren Einfluss geltend zu
machen und einen genaueren Zusammenhang mit der Regierung
zu bewirken, setzte Ludwig XIV. im März 1685 das Amt eines
preleur royal ein.
Der Prätor war Regierungs-Kommissar, der mit berathen-
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der Stimme das Rechl besass, den Sitzungen des Raths beizu-
wohnen, Einsprüche gegen die Rathsbeschlüsse zu erheben,
sobald dieselben den Interessen der französischen Krone nach-
theilig erschienen und die Wünsche und Forderungen der Re-
gierung vorzulegen. Wie in Strassburg, wurden auch in den
meisten übrigen Städten des Landes, besonders in den früheren
Vereinsstädten, Königliche Prätoren eingesetzt.
So verlor das Elsass immer mehr seine politische Un-
abhängigkeit. Man liess zwar den Elsässern mit einigen
alten Titeln und Namen einen Schatten ihrer früheren Herr-
lichkeit; in Wahrheit betonte aber die französische Regierung
überall im Lande die Souveränität des Königs und wurden
die Capitulationen von 1681 und 1084 trotz gegebenen könig-
lichen Wortes ihrem Wortlaut nach ebensowenig respectirt als
die früheren Bestimmungen des WTestphälischen Friedens.
Im Januar 1685 erschien eine Königliche Verordnung,
nach welcher die Gerichtssprache fortan die französische sein
sollte. Alle Richter, Mugistratspersonen, Notare und Gerichls-
schreiber mussten ihre sämmtlichen Acte bei Strafe der Nichtig-
keitserklärung und 500 Livres Geldbusse in französischer
Sprache abfassen. — Eine Massregel, um das Elsass Frankreich
näher zu bringen. Dieselbe Absicht verfolgte der Intendant
Lagrange, als er am 25. Juni 1685 seine ordonnance relative
ä rhabillemenl suivant la mode fran^aise erliess. Als Haupt-
grund, weshalb die Frauen die schwäbische Tracht, wie es
hiess, ablegen und die französische Mode annehmen sollten,
war die Sparsamkeit angegeben, weil die elsässisch-deutsche
Tracht prächtiger und kostspieliger wäre, als die französische.
Diese Verordnung hatte insofern einen Schein von Berech-
tigung, als in früheren Zeiten die Stadt rälhe das Recht zum Er-
lass von Kleiderordnungen hatten. Lagrange liess den elsässischen
Frauen eine Frist von vier Monaten, um die deutsche Tracht
abzulegen. Doch die Ordonnanz blieb meistens ein todter
Buchstabe, wie auch wohl die über die französische Gerichts-
sprache kaum ausgeführt worden ist.
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März '1689 wurde in Strassburg die Confiscation aller
Güter derer ausgeblasen, welche sich in das Reich zurück-
gezogen hatten; doch wurde denen die Hälfte nachgelassen,
welche in dänische oder hamburgische Dienste gingen.
Sehr energisch wurde in den Religionsangelegenheiten
vorgegangen, in welchen das Conseil souverain d'Alsace,
wenigstens was den protestantischen Cultus anbetraf, als oberste
Instanz auftrat. Dasselbe erliess nachstehende Verordnungen,
— ich führe nur die hauptsächlichsten an — die alle darauf
hinausliefen, der evangelischen Kirche möglichsten Abbruch zu
thun und dieselbe schliesslich zu vernichten :
1680. Alle gemischten Ehen werden verboten, weil
solche Verbindungen den Festsetzungen der katholischen Kirche
entgegen stehen.
Kinder protestantischer Eltern, die ihre Kirchengemein-
schaft verlassen wollen, wird die Wahl gelassen im Hause
ferner zu wohnen oder nicht, damit ihnen von ihren Eltern
bei der Ausübung ihres neuen Kultus kein Hinderniss in den
Weg gelegt werden könne. Wählen sie sich einen anderen
Aufenthaltsort , so sind die Eltern verpflichtet ihnen einen
Lebensunterhalt zu geben, der ihrem Stande angemessen ist.
Die Befugniss hierzu, die sich ursprünglich nur auf Knaben
von 14 und Mädchen von 12 Jahren erstreckte, wurde 16«!
selbst auf 7jährige Kinder ausgedehnt.
In den Stadträthen und Dorfgerichten, die ganz von Prote-
stanten besetzt sind, muss die Hälfte der Mitglieder mit Katho-
liken besetzt werden. Alle Amtsleute, Amts- und Gerichts-
schreiber, Schultheissen und Fiseale, mit Ausnahme derer im
Hanauischen und Zweibrückischen Gebiete, müssen katholisch sein.
1681. Den Evangelischen wird untersagt ihre Kinder
auswärts erziehen zu lassen, weil sie Grundsätze annehmen
könnten, die dem französischen Staat zuwider wären.
1682 Mai 27. wird in Strassburg wieder zum ersten Mal
das Frohnleichnamsfest mit grosser Prozession geleiert.
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4682 wird bestimmt, dass alle unehelichen Kinder der
Protestanten katholisch getauft und erzogen werden müssen.
1683. Kein evangelischer Pfarrer darf bei Verlust seiner
Kirche Proselyten annehmen.
Aendert ein Theil protestantischer Eltern die Religion, so
müssen auch die Kinder, wenn sie noch nicht communicirt
haben, katholisch werden.
«Den Protestanten, Galvinisten, Juden, oder anderen» wird
dreijährige Befreiung von Einquartierung und Abgaben zuge-
sagt, wenn sie «changiren», d. h. katholisch werden. Der
König setzt ausdrücklich hinzu, dass die Gerichte befugt sind,
alle dieser Ordonnance widerstrebenden Beschlüsse umzustossen.
Die Ordonnance wurde von der Kanzel verlesen und erhielten
alle «Magistrats, Baillifs, Maires, Prevots und andere Offiziere
(Gemeindebeamte) der Städte, Dörfer und Flecken» Anweisung,
streng auf die Durchführung des königlichen Willens zu sehen.
1684. Belinden sich in einem protestantischen Ort auf
dem Lande auch nur sieben katholische Familien, so muss
ihnen das Chor der Kirche besonders eingeräumt werden, die
Kirche sammt den Einkünften aber gemeinschaftlich gehalten
und der Bau und die Unterhaltung des katholischen Pfarr- und
Schulhauses mit den Lasten für den Schulmeister von der
ganzen Gemeinde getragen werden.
Den Reforrnirten in dem Amte Altstadt werden die Kirchen
weggenommen, die Pfarrer ihres Amtes verlustig erklärt und,
wer nicht freiwillig zur katholischen Religion übertritt, wird
durch gewaltsame Massregeln dazu gezwungen.
1685. Den Protestanten, welche katholisch werden, wird
dreijährige Sicherheit vor jeder Schuld forderung ihrer Gläu-
biger zugesichert u. s. f.
Ferner war es den Protestanten nicht gestattet, sich in ganz
katholischen Ortschaften niederzulassen ; protestantische Glau-
bensschriften in französischer Sprache drucken zu lassen oder
gar reformirte Kirchen zu bauen, wo die Gemeinden nicht schon
vor 1624 bestanden.
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In dem ehemaligen Amt Germersheim zogen der Intendant
Lagrange, der bischöfliche Generalvikar de Ratabon, die Jesuiten
Lempereur und Dez mit Madame de Chamilly, der Gattin des
Gouverneurs von Strassburg, von Ort zu Ort und ermahnten
die Evangelischen zum Uebertritt zur katholischen Kirche. Wo
man sich sträubte, brauchte man Gewalt, wie in Selz, wo die
reformirten Einwohner, selbst während ihres Gottesdienstes, mit
Hilfe von Dragonern zum Uebertritt gezwungen wurden. In
Düttlenheim, über welches Dorf der Bischof von Strassburg Ober-
lehensherr war, verfuhr dessen Amtsverweser mit rücksichts-
loser Strenge. Er Hess den Pfarrer einkerkern, bis sich zuletzt
die Bewohner theils durch Furcht, theils durch Ueberredung
zum Uebertritt bewegen Hessen. In dem zu Strassburg ge-
hörigen Marlenheim hob der Intendant, ohne auf die Einsprache
des Strassburger Raths auch nur die leiseste Rücksicht zu
nehmen, die protestantische Schule auf. Zwei Jahre später
unterdrückte er auch den protestantischen Gottesdienst daselbst
gänzlich. Den protestantischen Rheindörfern erging es nicht
besser.
Durch diese und ähnliche Verordnungen wie Gewaltmass-
rcgel n, welche überall angewendet wurden, trat von 1681 ab
im Elsass eine Gegenreformation ein. Ganze ursprünglich
protestantische Gegenden wurden wieder katholisch. Die
Jesuiten und Kapuziner waren die eifrigsten Missionare des
Bekehrungswerks. Auch der grösste Theil der unterelsässischen
Ritterschaft trat wieder zur katholischen Kirche über. Mit
Ausnahme der Andlau, Wangen, Schauenburg und Reinach waren
ehemals die sämmtlichen Mitglieder derselben protestantisch ge-
worden. Die meisten waren gezwungen aus well liehen Dingen
katholisch zu werden, denn seit dem Widerruf des Edikt von
Nantes blieb den Protestanten der Weg zu den höhern Aerntern
in Frankreich, mit Ausnahme der Offizierstellen in den deut-
schen Regimentern, verschlossen.
Und wie verfuhr die französische Regierung in Strassburg?
Obgleich es im Artikel 3 der Kapitulations-Urkunde heissf :
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«Sa Majesle laissera le libre exercice de la religion», wurden
daselbst die Bekehrungsversuche im grossartigsten Massstab be-
trieben und setzten sich Ludwig XIV. wie seine Verwaltung
willkürlich über die klaren Bestimmungen der Friedens- und
Kapitulations-Verlräge hinweg.
Die religiösen Interessen, als deren erster Vertheidiger der
König auftrat, drängten sich überall in den Vordergrund;
hinter den politischen Momenten brach deutlich auch der
katholische Charakter der Eroberung des Elsass hervor.
Der General-Gouverneur de Chamilly stand völlig im Dienste
der katholischen Propaganda. In einem Bericht von ihm an
Louvois vom 5. Dezember 1681, den beabsichtigten Uebertritt
einzelner protestantischer Familien zur katholischen Religion
betreffend, heisst es zum Schluss : «Nichts ist sicherer, als
dass, wenn eine Familie den Anfang gemacht haben wird,
andere diesem Beispiele folgen werden ; Sie werden mit der
Zeit sehen, welche Auszeichnungen Sie diesen Familien zu-
kommen lassen wollen, und, ob der König Etwas zu ihren
Gunsten zu thun geneigt wäre.»
Die Konversionsversuche blieben mit Hülfe der herbei-
gerufenen Jesuiten nicht erfolglos. Viele von den Bürgern
schwuren io der Stille ihren alten Glaubeu ab, «changirten»,
um versprochene irdische Vortheile , Geld und einträgliche
Stellen zu erlangen.
Der ausgezeichnete Rechtsprofessor und Rathsherr Ulrich
Obrecht, Verfasser des «Alsaticarum rerum prodromus», war
der Erste aus den angesehenen Familien der Stadt, der «chan-
girte». Ihm folgte der Stadt-Syndicus Güntzer. Beides sehr
ehrgeizige Männer! Als ihre Frauen sich nicht beeilten, auch
die Religion zu wechseln, schrieb Louvois an den Intendanten :
«Da die Frauen der Herren Obrecht und Güntzer sich nicht
bekehren und, da ihr Beispiel die Bekehrung mehrerer Anderer
verhindert, ist es gut, dass Sic ihren Männern, als käme es
von Ihnen, zu verstehen geben, dass, wenn sie noch einige
Zeit in ihrer Religion verharrten, sie befürchten müssten, dass
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Se. Majestät, da sie Anlass habe, an der Aufrichtigkeit ihrer
Bekehrung zu zweifeln, ihnen die bewilligten Pensionen nicht
mehr so pünktlich auszahlen lassen würde. Rathen Sie ihnen
ihre Frauen dazu zu bewegen ohne Verzug das zu thun, was
der König von ihnen verlangt. Ich bitte mir zu berichten,
welchen Eindruck diese Eröffnung auf sie gemacht hat.» —
Dagegen schreibt Louvois an den Intendanten, als Herr Kempfer,
der Syndicus der unterelsässischen Ritterschaft, zur katholischen
Religion ubergetreten war: «Der König hat mit Freuden er-
fahren, dass Herr Kempfer sich endlich entschlossen hat, die
Religion zu wechseln. Se. Majestät hat ihm in Verfolg dessen
tausend Thaler als Gratification zugeschrieben und wünscht,
dass sie den elsässischen Adel bewegen, sein Gehalt um 1500
Livres zu erhöhen, auf dass er mit der Summe, die er jetzt
schon erhält, mit der Pension Sr. Majestät zusammen 2000
Thaler erhalte.»
Schon 1692, elf Jahre nach der Kapitulation, constatirt der
Ammeister Reisseisen, dass nahezu der fünfte Theil der Strass-
burger Bevölkerung — 7000 auf 35,000 — aus Katholiken,
eingewanderten und übergetretenen, bestände.
Zum Anwachsen der katholischen Bevölkerung in der
Stadt trug ganz besonders die willkürliche Verfügung des
Königs bei, wonach die Abgaben, welche fremde in Strassburg
sich niederlassende Familien von jeher an die Stadt zu zahlen
hatten, um ein Drittel herabgesetzt worden waren, wobei
Louvois zugleich gedroht hatte, wenn der Magistrat nicht ein-
willige, würde der König die ganze Steuer aufheben. In Folge
dieser Steuerermässigung kamen viele französische und auch
italienische Familien, sämmtlich katholisch, in die Stadt.
Dasselbe war in den übrigen Städten des Elsass und auch
auf dem platten Lande der Fall.
Die französische Regierung war sich des Vortheils, den sie
durch diese Einwanderung gewann, wohl bewusst und leistete
derselben den weitgehendsten Vorschub. Bei der Vergebung
von Aemtern und Ländereien und sonstigen Regierungsacten
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I
- CO —
genossen die eingewanderten Franzosen die grösstmöglichsten
Bevorzugungen und Vergünstigungen der einheimischen Be-
völkerung gegenüber.
Der Jesuitenpater Dez, Verfasser des mit «Approbation et
privilege du Roy» gedruckten Buches : La Reunion des Prote-
slants de Strasbourg ä l'Eglise romaine, egalement necessaire
pour leur salut, et facile selon leurs principe*, in welchem er
die Bekehrung der nichtrömischen Gliristen im Elsass und
speciell in Strassburg als den Haupt/weck, den man im Auge
haben müsse, hinstellt, sowie der Weihbischof de Ratabon,
der Intendant Lagrange und Madame de Chamilly mit ihrem
Galten unterstützlen die Konversionspropoganda mit allen Kräften.
Der König Hess an mehreren Orten Kirchen bauen, die ihm
zu Ehren Eglises St. Louis genannt wurden. Ferner gründete
er viele katholische Pfarreien, die sogenannten Königspfarren,
besonders an Orlen, wo die katholische Bevölkerung nur gering
war, und unterhielt sie auf seine Kosten. Den Kirchen machte
er fürstliche Geschenke. So verehrte er dem Strassburger
Münster prachtvolle Allarteppiche, Messgewänder und zwei
herrliche Baldachine für die Prozessionen im Werth von 2 Mil-
lionen 400,000 Livres.
Allerheiligen, das Stift und ehemalige Fidei-Kommiss der
Familie v. Müllenheim, musste den Katholiken auch wieder
ganzlich zurückgegeben werden. In Alt- und Jung St. Peter
wurde den Katholiken das Chor mit allen Gefällen eingeräumt.
Chor und Schiff wurden, wie wir es noch heute sehen, durch
Mauern getrennt.
In Strassburg durfte seit der Einführung der Reformation
keine Ralhsslelle mit einem Katholiken besetzt werden. Es gab
im ganzen Stadlgebiet höchstens 30 katholische Bürger. Auch
gegen dieses der Stadt garantirte alte Herkommen wurde vom
Jahre 1087 in rücksichtslosester Weise vorgegangen. Im
Memoriale Reisseisen lesen wir : «ad annum 1687, den Apri-
lis hat allhiesiger (Strassburger) Magistrat eine lettre
de cachel von Ihro Majestät empfangen, worinnen befohlen
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— Gl -
worden, dass man in das künftige auch katholische nach Pro-
portion solle in das Regiment erwählen. Den 15. Mai ist Heu-
Johann Georg Hecker, der Stallmeister, der vor einem Jahr die
Religion ehangirl, zu einem Herin XIIIer erwählet worden.
Also der erste Katholik, welcher seit der Reformation durch
Wahl meiner Herren in das Regiment gezogen worden.» Reiss-
eisen fahrt fort : «Dies Jahr seint 4 katholische Schöffen hei
den ehrsamen Zünften erwählet worden und hat Mr. de Louvois
geschrieben, dass weilen die Ordnung hiebevor mitgebracht,
dass einer 10 Jahre hätte müssen Bürger sein eh und zuvor
er zu einem Schoflen könne gebracht werden, dass solches hin-
für sollte aufgehoben sein ; — alles den Weg desto geschwinder
den Katholiken zum Regiment zu bahnen.»
Alsdann 1(388 bemerkt Reisseisen :
Eodem mense Januarii wurde auch zu eine.n Städtemeister
erwählt Rudolf Streitt von Emmendingen, römisch-katholischer
Religion zugethan, desgleichen in Rath Herr Jakob Haffner
Herr Georg Franz Ludan von Kageneck, catholiei. u. s. f.
Den 5. April befiehlt Ludwig XIV., dass alle Aemler un.l
Stellen der Stadt von Katholiken und Lutheranern wechsel-
weise besetzt werden sollten. Nur die Universität, die sich
ihre Gerechtsame laut Art. 4 der Kapitulation zu sichern
wusste, wurde ausgenommen.
1696 Februar 1. wird der mit 26 Stimmen von dem
Syndicat der unterelsässischen Ritterschaft eassirle Nicolaus
Kaempfer vom König wieder eingesetzt.
Den 15. August, am Tage Himmelfahrt Maria, verlangte
man von dem Magistrat, dass derselbe dem Könige zu Ehren,
der feierlichen Prozession beiwohnen sollte, welche er selbst
angeordnet hatte. Diese Zumuthung setzte die särnmtlichen
Mitglieder des Raths in grosses Erstaunen ; sie merkten wohl,
dass man nicht eher ruhen würde, bis der ganze Rath katho-
lisch gemacht wäre. Sie erklärten indess : «Sie seyen dem
König in aller Ehrerbietung und zu allem Gehorsam verpflichtet
und wären bereit, ihre Treue bei allen Gelegenheiten ferner
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thätig zu beweisen, da aber Ihre Königliche Majestät der Sladt
völlige Religions- und Gewissensfreiheit zugesagt, diese Cere-
monie aber eine solche religiöse Handlung sei, deren sie ihren
Religionsbegriffen gemäss, nicht, beiwohnen könnten, so bäten
'sie. dass Ihre Königliche Majestät ihre Weigerung nicht in Un-
gnaden aufnehmen möchten.»
Ganz besonders war man sich der Wichtigkeit der Schule
bewusst ! Wo es irgend anging, wurden die evangelischen
Schulen unterdrückt, wo dies nicht zulässig, wurden, wie in
Strassburg, Colmar, und in anderen Orten, neben den be-
stehenden evangelischen Schulen katholische Schulen gegründet.
Die Ernennung der katholischen Volks-Schullehrer wurde
meistens von der Zustimmung des Ortspfarrers abhängig gemacht,
in dessen Hände ein Religions-Eid abgelegt werden' musste.
Die Oberaufsicht führten die Bischöfe.
Die von Ordensfrauen geleiteten Mädchen - Pensionate
wurden auch specieller geistlicher Leitung unterstellt. Die von den
Bischöfen Erasmus vom Limburg und Johann von Manderscheid
in das Elsass gerufenen deutschen Jesuiten, mussten auswandern
und wurden auf Befehl Ludwigs durch französische Jesuiten aus
der Champagne ersetzt. Diese pflanzten der elsässischen Jugend
den französischen Geist ein und suchten systematisch alle
deutschen Traditionen des Landes abzuschwächen und zu ver-
nichten.
Als Gegengewicht gegen die von deutschem Geist getragene
Strassburger Hochschule, wurde die 1580 in der bischöflichen
Stadt Molsheim von Johann von Manderscheid gegründete katho-
lische Academie 4682 nach Strassburg verlegt und zu einer
Universität erhoben.
Alle diese katholisch - französischen Lehranstalten waren
geistige Pflanzstädten Roms und Frankreichs zugleich. Alles
wurde daran gesetzt, die Söhne des Adels und der hervor-
ragenden Bürgerfamilien zum Besuch gerade dieser Anstalten
zu veranlassen, was bei den gefälligen französischen Gesellschafts-
formen der Jesuiten und dem Drang dieser Gesellschaftsklassen,
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sich die feinere französische Sprache baldigst anzueignen, auch
iin hohen Masse gelang.
Die Jesuiten gewannen dadurch die künftige Generation
ganz für die französischen Interessen. So entstand mit der Zeit
im Elsass ein Geschlecht, welches die deutsche Geschichte und
die Bande, die das Land früher mit dem deutschen Reich ver-
knüpften, kaum mehr kannte.
Die katholische Geistlichkeit empfing ausschliesslich ihre
Erziehung und Ausbildung im Seminar von Strassburg, welches
1085 von Ludwig XIV. und dem Fürstbischof von Strassburg,
Kardinal Egon von Fürstenberg, gegründet worden war.
Früher schickte das Bisthum die jungen Geistlichen zum
Sludiren nach Freiburg, Ingolstadt und anderen deutschen Städten.
Dies hörte jetzt Alles auf und jede Fühlung mit Deutschland
ging dem elsässischen katholischen Glems dadurch verloren.
Mit Ende des 17. Jahrhunderts wurde im grossen Seminar die
französische Sprache als Lehr- und Umgangssprache eingeführt
und hat sich dies betrefls der Umgangssprache bis auf den
heutigen Tag erhalten. Bis vor einigen Jahren wurde auch noch
in der französischen Sprache unterrichtet.
Daher kommt es auch, dass noch manchem elsässischen
katholischen Geistlichen die Kenntniss der hochdeutschen Sprache
fehlt und aus alP den angegebenen Gründen, dass der katho-
lische Glems des Elsass fast ausnahmslos französisch gesinnt ist.
Front gegen diese Gegenreformation im Elsass und die
Einimpfung französischen Wesens in die Jugend des Landes
machten die evangelischen Schulen, die Universität und der
protestantische Glems.
Auf dem protestantischen Gymnasium wie auf der Uni-
versität zu Strassburg wirkten die Lehrer und Professoren in
deutscher Sprache und deutschem Geist. Im protestantischen
Gymnasium wurde erst 1735 der französische Sprachunterricht
mit drei Stunden wöchentlich eingeführt und 1794 wird die
Universität in der Gemeinderalhssitzung vom 29. Mai (10. Prai-
rial des Jahres II) die Hyder des Deutschthums genannt.
— C4 -
Viele evangelische Elsässer studirten auf deutschen Uni-
versitäten. In Tübingen z. B. existirten allein 12 Freistellen
für Ober-Elsässische evangelische Theologen, welche Graf Georg
von Württemberg als Besitzer der Grafschaft Horburg und
Herrschaft Reichen weier 1555 gegründet hatte. Auch in Jena,
Leipzig und Güttingen studirten junge Elsässer. Alle diese
brachten deutsche Anschauungen in das Elsass mit zurück und
wussten sie durch bleibenden Verkehr mit dem Mutterlande,
von dem sie ihre geistige Nahrung erhielten, im Elsass wach
zu erhallen. — —
Die französische Regierung erwarb sich um das Elsass
indes» auch grosse Verdienste durch Verbesserung der Rechts-
pflege, der Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit ; durch die
Regelung der Finanzen, die Begünstigung des Handels und des
Ackerbaues !
Der bereits angeführte Herr von Ichtersheim, einer der
glühendsten Feinde der französischen Annexion, führt in seiner
Topographie des Elsass unter der besonderen Ueberschrifl :
«Virtus etiam in hoste laudanda» an; in welchen Stücken der
König dieses Land gebessert und geziert hat.
Von der Justiz rühmt er : «Die Justiz hat er um ein merk-
liches verbessert. Da er das Conseil Provincial zu Breisach
in ein Souveraines excoliret, für welches Herzog, Bischof, Fürst,
Herr, Adel, Geistliche, Weltliche, Reich und Arm, Christ und
Juden in gegebenen Fällen erscheinen, Rede und Antwort
geben, auch ürtheil erwarten muss : vor dem kann ein ünter-
than, Knecht oder Dienstbote in rechtmässigen Begebenheiten
seine Herren verklagen ; es werden auch die grössten Prozesse
ultra triennium nicht protrahiret.»
Betreffs der Finanzverwaltung wurde von Anfang an als
oberstes Verwaltungsprincip hingestellt, das Elsass mit den
ausserordentlichen Auflagen des Königreichs zu verschonen, «um
der Bevölkernng mit diesen neuen Dingen nicht vor den Kopf
zu stossen.»
Die Finanzverwaltung des Landes hatte früher meist in
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den Händen der Amtsleute gelegen. Dieselben schickten einer
jeden Gemeinde den Steuerzettel mit der Bestimmung der Auf-
lage; dazu fugten sie auf nichts weiter, als auf ihre eigene
Autorität gestützt, noch andere Auflagen hinzu, unter dem Titel
ausserordentliche Kosten der Aemter; Wegeverbesserung, Ab-
sendung von Boten, Gratificationen für sich u. s. f. Dadurch
litten die Gemeinden und fielen alle Lasten meist auf die
Armen und Abhängigen. Hierin schaffte die französische
Verwaltung radikale Abhilfe. Als das Directorium der Reichs-
ritterschaft des Unter-Elsass, dem im Dezember 1680 die Befug-
niss gewährt worden war, die Auflagen von seinen Unter-
thanen in dem Betrage weiter zu erheben, in welchem sie ihm
gestattet werden wurden ; ohne zu fragen, Beträge für die Be-
zahlung der Beamten des Direktoriums und für die laufenden
Kosten, wie für die Prozesse in Lehens- und Jurisdictionssachen
erhoben hatte, sprach sich der Intendant in schärfster Weise
gegen dieses eigenmächtige Verfahren aus, durch übertriebene
und ungerechte Auflagen die Vasallen des Adels zu belasten,
«welche Unterthanen des Königs seien.»
Welche Wirkungen mussten solche Vorgänge, als sie bekannt
wurden, auf die Landbevölkerung des Landes machen ! Die
französische Verwaltung hatte selbstverständlich keine Ursache
dergleichen geheim zu halten.
Als die Gewalthaber in Paris anfangs des 18. Jahrhunderts
von der bisherigen obersten Verwaltungsmaxime abgehen und
auch das Elsass mit denselben Steuern, wie die übrigen Pro-
vinzen des Königreichs belasten wollten, protestirte der Inten-
dant d'Angervilliers ganz energisch dagegen und behielt die
Oberhand. «Es gibt Zeiten», sagt er, «wo das Land durch
Lieferungen und Arbeitsleistungen das Hundertfache mehr, als
andere Provinzen zu leisten hat. Das sind die Zeiten des Kriegs.»
Elsass war befreit von der Salzsteuer, von den Steuern auf
Waaren und Lebensmittel und der Taille, an deren Stelle
ursprünglich nur eine Königliche Gesammtsteuer von 99,000
Livres bestand, die später bis zu 300,000 Livres erhöht wurde.
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Im Ganzen zahlte Elsass an gemeinschaftlichen Steuern und
direkten Abgaben der verschiedensten Art nach elsassischen
Berichten nur etwa 5 Millionen an den König mit Errechnung
aller indirekten Abgaben. Vierzehn Livres auf den Kopf,
während sich diese Steuern in den übrigen französischen Pro-
vinzen auf dreissig Livres auf den Kopf beliefen.
Von 1681 ab fielen fast alle Zollschranken im Lande. Die
königlichen Zollämter wurden an die Grenze verlegt. Der Ver-
kehr zwischen der Rheinbrücke und der Stadt Strassburg war
frei von jeder zollamtlichen Untersuchung.
Die Schiflerzunft von Strassburg hatte das ausschliessliche
Recht erhalten, den Rheinstrom aufwärts bis Basel zu befahren
und den Schiffen die nöthigen Steuerleute zu liefern.
In Strassburg selbst fanden, wie in früheren Zeiten, zwei
grössere Messen statt ; die Johannis- und die Weihnachtsmesse.
Erstere dauerte 14 Tage und war ebenso besucht als die Frank-
furter. Die Waaren zahlten während dieser Zeit nur die Hälfte
Eingangszoll.
Der Minister Golbert gab dem elsässischen Lande dadurch
einen lebhaften Aufschwung.
Auch für die Hebung des Ackerbaues wurde gesorgt.
Während des dreissigjährigen Krieges waren im Elsass 136
Dörfer völlig eingeäschert worden. Demzufolge lagen ganze
Strecken Landes brach. Den 13. Dezember 1682 erliess der
König an alle Besitzer der brachliegenden Felder den Befehl,
dieselben innerhalb dreier Monate beackern und ansäen zu
lassen. Als diese Massregel den erwünschten Erfolg nicht
hatte, erschien 1687 ein zweites Edict, nach welchem alle Die-
jenigen, welche ein Brachfeld urbar machten, das Eigenthums-
recht an dasselbe erlangten und während zwölf Jahre von
allen Abgaben befreit waren, sobald sie dem früheren Besitzer
nur einen leichten von der Regierung festgesetzten jährlichen
Zins bezahlten.
Diese Verfügung war eine sehr heilsame. Bald wurde das
Land wieder bebaut und erhielt seine frühere Fruchtbarkeit
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wieder. Der Rebbau gelangte ebenfalls wieder zur Blüthe. Die
Strassburger Gärtnerei erhielt wieder ihren alten Ruf. Der
Tabaksbau, den Robert Königsmann 4620 aus England mitge-
bracht und damit zuerst im Bachwörth angefangen hatte,
welches darnach den Namen «Englischer Hof» erhielt, wurde
für den Landmann eine Quelle neuen Wohlstandes. Die Re-
gierung Hess Waldungen ausroden , Sumpfgegenden trocken
legen, Strassen erbauen und unterhalten. Das Postwesen erhielt
wieder seinen geregelten Gang. Nur Briefe nach dem Ausland
wurden an der Grenze geöffnet, um jede politische Korrespon-
denz mit Deutschland zu verhindern.
Die für den Landmann so lästigen und meist ganz will-
kürlich festgesetzten Frohnen wurden herabgesetzt, kamen auch
vielfach in Wegfall und wurden durch Geldentschädigungen er-
setzt. Einer dienstbaren Person durften das Jahr über nicht
mehr als zwölf Frohntage auferlegt werden.
Die Einführung besserer Viehrassen und die Anlegung eines
königlichen Landgestüts inStrassburg wurden ebenfalls in'sWerk
gesetzt und trugen sichtlich zur Förderung des Ackerbaues bei.
Schon der Intendant d'Angervilliers rechnete auf das Elsass
40,000 Pferde, «bereit in jedem Nothfall zu marschiren.»
Bei all diesen neuen Verwaltungsmassregeln war man je-
doch auch wieder darauf bedacht, das Althergebrachte soweit
wie irgend thunlich zu berücksichtigen. Es galt die grossen
und kleinen Vasallen zu schonen und herüberzuziehen, die
breiten Schichten des Volkes bei Entgegenbringung möglichst
grosser materieller Vortheile durch eine gute Verwaltung zu
beherrschen und dabei von den bisherigen Verbindungen mit
dem Reich zu trennen.
Unter allen Verhältnissen Hess man indess niemals den
Hauptzweck aus den Augen, das Land als Glacis zu conser-
viren, um im Falle eines Krieges der Rheinarmee die erforder-
lichen Hilfsmittel möglichst bieten zu können, zumal das Elsass
damals noch durch das Herzogthum Lothringen und das
Württembergische Mömpelgard von dem Innern Frankreichs
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getrennt war und nur durch eine Militärstrasse über Pfalzburg
mit demselben in Verbindung stand.
Die guten Verwaltungsmassregeln mit ihren Wohlthaten
bewirkten denn auch, dass sich die Bevölkerung im Vergleich
zu der Vergangenheit sehr wohl befand und schliesslich ein
Theil der städtischen und die grosse Masse der ländlichen Be-
völkerung selbst bei Wahrung ihres deutschen Charakters die
französische Herrschaft nicht blos passiv hinnahmen.
Die grosse Masse des Volks vergleicht unwillkürlich stets
das Neue mit dem Alten. Bei diesem Vergleiche trug das
Neue in Folge der französischen Verwaltungsmassregeln den
Sieg davon !
Doch Elsass gehörte noch nicht einmal unwiderruflich zu
Frankreich. Dasselbe war ihm durch den Waffenstillstand
von Regensburg vom 15. August 1684 nur in vorläufigem
Besitz belassen worden. Durch den Regensburger Waffenstill-
stand war der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich nur
verschoben, nicht beendigt; indem wohl anzunehmen war,
dass sich die Fürsten Europu's wohl noch zu einem kräfligen
Widerstand gegen Ludwig XIV. ermannen würden, auf der
andern Seite aber auch Frankreich wieder nach neuen Erobe-
rungen trachten würde.
Letzteres trat 1685 durch den vom Zaun gebrochenen
Pfalzischen Krieg ein. Auf diesen näher einzugehen, liegt
ausserhalb des Themas. Ich will nur an die vandalische Zer-
störungswut der Franzosen erinnern ! Worms, Speyer, Franken-
thal, Alzei, Oppenheim, Oberwesel und andere blühende Städte
auf dem linken Rheinufer sanken in Asche. In Speyer schonten
die Franzosen nicht einmal die alten Kaisergräber ! Ebenso
wütheten sie auf dem rechten Rheinufer. Heidelberg mit
seinem prachtvollen Schloss ging in Flammen auf. Noch heute
erheben sich seine Trümmer als beredte Zeugen jener Zeit der
Verwüstung und wälschen Uebermuths ! Bruchsal, Mannheim,
Rastatt, Baden, Pforzheim und andere Städte wurden einge-
äschert. Bis tief nach Schwaben hinein hausten die franzö-
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sischen Mordbrenner und führten den Krieg in deutschen Landen
auf eine bisher noch nie dagewesene unerhörte Weise.
Ein Schrei tiefster Entrüstung ging hei der Kunde dieser
Gräuel durch das ganze gebildete Europa!
Zum Glück erlitt die französische Flotte hei La Hogue 1692
eine vollständige Niederlage. Frankreich verlor allmählig sein
prestige und ganz Europa verband sich gegen dasselbe, bis
schliesslich Ludwig XIV. mit dem Kaiser und deutschen Reich
den 30. Oktober 1697 den Frieden von Ryswick schloss; vom
Volk «Reiss-weg» genannt.
Durch denselben erkannte das deutsche Reich die vollzogenen
Thatsachen mit ihren Konsequenzen an und sanctionirte durch
Völkerverlrag die völlige Abtretung des Elsass an Frankreich.
Der Artikel 4 des Ryswicker Friedens übertrug dem König
von Frankreich die völlige Souveränität über das Elsass. Laut
Arlikel 16 wurde die Stadt Strassburg mit sämmtlichen Rechten,
die das Reich an dieselbe hatte, der Krone Frankreich abge-
treten und ihr Name aus der Reichs-Matrikel gestrichen.
Als die Strassburger erfuhren, dass die Uebergabe der
Sladt an Frankreich eine definitive sei, benutzten viele unter
ihnen das Recht auszuwandern, das ihnen der Friedensschluß
gewährleistete. Ueber 300 Familien verliessen die Stadt, um sich
in Süd-Deutschland niederzulassen. Anfänglich liess die franzö-
sische Regierung die Auswanderung ruhig zu ; als sie aber merkte,
dass gerade die Wohlhabenden auswanderten, so decretirte sie,
dass man den Emigranten den 10. Pfennig ihres Vermögens
zurückbehalten sollte, obgleich dies gegen den Buchstaben des
Friedensvertrages war.
In Deutchland erhoben sich gegen die Bestimmungen des
Ryswickschen Friedens die schwersten Bedenken. Der Kur-
fürst Friedrich III. von Brandenburg, der nachmalige König
Friedrich I. von Preussen, hatte schon bei Beginn der Friedens-
verhandlungen unterm 7. August 1696 durch ein Special-
scbreiben an Kaiser Leopold erneut auf die Wichtigkeit des
Elsass und besonders auf die der Stadt Strassburg hingewiesen
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und zum mindesten die Rückgabe von Strassburg an das Reich
verlangt. Alle einsichtigen Fürsten und Staatsmänner Deutsch-
lands waren derselben Meinung. Allein man war des Krieges
müde. Ganz Europa seufzte nach Frieden !
In Folge seines Ehrgeizes und seiner unersättlichen Länder-
gier hatte Ludwig XIV. durch die Besitzergreifung des Elsass
an Deutschland ein schweres Unrecht begangen, das sich über
kurz oder lang rächen musste.
«Auferstehen soll irgend aus meinen Gebeinen ein Rächer»
Virgil). Diese Worte, in welche der Kurfürst Friedrich-
Wilhelm, als er am 29. Juli 4679 den mit Frankreich
abgeschlossenen Frieden zu St.-Germain unterzeichnen musste,
voll Bitterkeit ausbrach, sind glorreich in Erfüllung gegangen.
Kaiser Wilhelm hat durchgeführt, was sein grosser Ahn-
herr in Folge der Wirren seiner Zeit vergeblich erstrebt. Das
Elsass ist heut wieder deutsches Gebiet und wird es, so Gott
will, im neuen Reich auch immer bleiben !
Die Bevölkerung wird die Trennung von Frankreich über-
winden !
Der Zeitpunkt dafür wird um so eher eintreten, je mehr
die Regierung sich bemüht, das Land , mit andauernder Geduld
dem Charakter des elsässischen Volksstammes entsprechend, recht
und gerecht ohne Ansehen der Person und uneigennützig zu
regieren und, wenn sie sich von Germanisationskünsten
jeglicher Art fern hält.
Erfolge auf letzterer Basis pflegen erfahrungsgemäss doch
auch nur scheinbare zu sein und geben meistens zu Ent-
täuschungen und Verstimmungen Anlass !
Wer mit dem katholischen Glerus pactirt, zieht stets den
Kürzeren! Das Goncordat und die Organischen Artikel reichen
völlig aus, denselben in seinen Schranken zu halten!
Dem evangelischen Glerus, dem das Deutschtum im
Elsass ja so viel verdankt, wird es bei nur einigem Entgegen-
kommen der Regierung nicht schwer fallen, den Einfluss in
der Bevölkerung sich zu bewahren, durch welchen er auch
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unter der französischen Herrschaft eine hochgeachtete Stellung
eingenommen hat.*
Einer zügellosen Presse rufe man ein gehielrisches Halt
zu und scheue sich nicht dieselbe zu unterdrücken ; sei es, um
das Ansehen der Regierung nicht beeinträchtigen zu lassen ;
sei es, um den confessionellen Frieden zu wahren oder das
Land vor dem Gift des Socialismus zu schützen. Das Wohl der
Bevölkerung macht dies zur Pflicht! Um Eingriffe in die
Pressfreiheit braucht es sich dabei garnicht zu handeln, es
können auch Fragen des Anstands in Betracht kommen.
Noch niemals ist die clerical-ultramontane Presse im Elsass
so fanatisch und herausfordernd gewesen, als wie in der
jüngsten Zeit.
Ausserordentlich bedauerlich ist es, dass eine christlich
sein wollende Presse in ihren Auslassungen sich so weit von
dem christlichen Standpunkt entfernt. Der bessere Einfluss
ihrer Oberen muss gleich Null sein.
Aus Haschen nach Popularität oder aus Rücksicht auf
den Landcsausschuss die neuen Elsass-Lothringer den alten
gegenüber zurückzusetzen, wäre schon vom Standpunkt des
Nationalgefühls aus äusserst bedenklich; ganz abgesehen da-
von, dass die neuen Landesangehörigen in Begründung ihrer
Existenzen auf gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiet
gegen die Einheimischen von vornherein schlechter daran sind.
Pflicht der Regierung ist es vielmehr den eingewanderten
Alldeutschen, soweit wie irgend möglich entgegenzukommen
und dieselben nach Kräften zu unterstützen.
* Es wäre äusserst wichtig einmal statistisch festzustellen
welchen Betrag an Stenern im Elsass die Katholiken gegen die
Protestanten zahlen. Man darf annehmen, dass die 28+57!) Protestanten
verhältnissraässig weit mehr Stenern zahlen als die 777914 Katholiken.
Volkszählung im Elsass von 1890.
Die Volkszählung von 1895 weisst im Elsass eine Bevölkerung von
1116028 Seelen auf. Die Confessionen derselben sind noch nicht
festgestellt
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Das Schlagwort «Elsass-Lothringen den Elsass-Lothringern»
(den Eingeborenen) ist lediglich eine politische Phrase ohne
jegliche rechtliche Basis. Wollte man demselben eine solche
heimessen, so würde dies dem klaren Wortlaut des § 3 der
Reichsverfassung widersprechen. Mit dem Augenblick, wo der
Eingewanderte die reichslandische Landesangehörigkeit erwirbt,
gelangt er auch in den Besitz ganz derselben Rechte, wie solche
die Eingeborenen besitzen.
Ihrer Aufgabe, das Reichsland deutsch zu machen, kann
die Regierung schliesslich doch nur mit Hülfe der eingewanderten
Altdeutschen gerecht werden.
Den sogenannten Notablen, worunter übrigens durchaus
nicht Jeder zu verstehen ist, der im öffentlichen Leben in die
Erscheinung tritt, lege man keinen Werth bei, am allerwenigsten
aber den im Lande wohnenden Franzosen.
Ihre politische Stellung verdanken diese Notablen lediglich
doch nur der Macht der Regierung, wobei dieselbe leider der
Gefahr der Ueberschätzung dieser oder jener Persönlichkeit
stets ausgesetzt ist.
Bei der Regierung geben sie sich den Anschein, als ob
sie Einfluss bei dem Volke hätten und bei dem Volk erwecken
sie den Glauben, dass sie Einfluss bei der Regierung besässen.
Ihr Einfluss ist lediglich ein von der Regierung erborgter!
Trotzdem liegt die ßefürchtigung nahe, dnss die Notablen die
Regierung beeinflussen, ja schliesslich beherrschen könnten.
Caveant consules!
Zur Zeit der allerseits als hervorragend und erfolgreich
anerkannten Verwaltung des Oberpräsidenten v. Möller wusste
man nichts von «Einflüssen der Notablen» und das Deutschtum
machte bedeutende Fortschritte !
Nicht nur die Bevölkerung sondern auch die Beamten
fühlten sich ausserordentlich wohl dabei!
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Quellen :
Dr. Ulrich Obrecht: Prodromus rernm Alsaticarum.
Friedrich Schräg: Nullitas iniquitasquo reunionis Alsatiae.
(Beides Zeitgenossen der Ereignisse.)
Wencker, Künast, Roehrich, Chroniken von St rassbarg.
Bong: Ordonnances d'Alsace.
Pillot: Histoire da Conseil Souverain d'Alsace
Billing, Friese and Strobel: Geschichten and Beschreibungen
des Elsass.
. A. Schneegans: Strassbnrg nach der Uebergabe an Frankreich.
Hall ez-Clappa rede: Reunion d'Alsace ä la France.
Baqaol-Ristelhaber: L'Alsace ancienne et moderne.
Lafrange: Memoires sur l'Alsace 1697.
Legrelle: Louis XIV et Strasbourg.
Reunion de Strasbourg ä la France par M. Coste. Strasbourg 1841.
Kirchner: Elsass im Jahre 1648.
Rathgeber: Die Kapitulation von Strassburg 1681.
Rocholl: Der grosse Kurfürst im Elsass.
Freiherr Max du Prel: Die deutsche Verwaltung in Elsass-
Lothringen 1870—1879. Nur die erste Lieferung erschienen.
Strassburg 1879.
Sybel: Der Friede von 1871.
Dr. Schricker: Ein Blick in die französische Verwaltung des Elsass
in den Jahren von 1714—1724 und: Zur Geschichte der Univer-
sität Strassburg.
Emil, Kühn: Briefe aus Elsass-Lothringen, Leipzig 1892.
Das Deutschtum in Elsass-Lothringen 1870 — 95 von einem Deutsch-
nationalen. Leipzig Fr. Wilh. Grunow 1895.
Die alten Territorien des Elsass nach dem Stande vom 1. Janaar 1648.
Herausgegeben von dem statistischen Bureau des Ministeriums
für Elsass-Lothringen 1896.
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BEITRAGE
ZUR
LANDES- UND VOLKESKUNDE
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
XXIII. HEFT.
DIE
POLITISCHEN VERHÄLTNISSE ENI) BEWEGUNGEN
IN
STRASSBURG IM ELSASS
IM JAHRE 1789.
VON
Dr. phil. MANFRED EIMER.
GEKRÖNTE PREISSCHRJFT
MIT ERLAUBNIS DER PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT IN DEN VERLAG GEGEBEN.
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
1897.
Digitized by
Verlag von
J. H. ED. 11EITZ (HEITZ & MÜNDEL) Möllerstrasse 16.
BEITRÄGE ZUR LANDES- UND VOLKESKUNDE
von Elsass-Lothringen.
Band I.
Hcfl I: Die deutsch- französl so ho Sprachgrenze in Loth-
ringen von Const. This. 8. 34. S. mit einer Karte (1 : 300.000).
1 50
Heft II Ein andeohtig geistliche Badenfahrt des hochge-
lehrten Herren Thomas Murner. 8. 56 S. Neudruck
mit Erläuteren., insbesond. Uber das altdeutsche Badewesen,
v. Prof. Dr. E. Martin. Mit 6 Zinkätzungen nach dem Ori-
ginal. 2 -
Heft III: Die Alamannensohlacht vor Strassburg 857. n.
Chr. von Archivdirektor Dr. W. Wiegand. 8. 46 S. mit einer
Karte und einer Wegskizze 1 —
Heft IV : Lenz, Goethe und Cleophe Fibioh von Strassburg.
Ein urkundlicher Kommentar zu Goethes Dichtung und Wahr-
heit mit einem Porträt Araminta's in farbigem Lichtdruck
und ihrem Facsimile aus dem Lenz-Stammbuch von Dr. J o h.
Froitzheim. 8. 96 S. 2 50
Heft V: Die deutsch-französische Sprachgrenze im Elsass
von Dr. Const. This. 8. 48 S. mit Tabelle, Karte und acht
Zinkätzungen. 1 50
Band II.
Heft VI : Strassburg im französischen Kriege 1562 von Dr.
A. H o 1 1 a e n d c r. 8. 68 S. 1 50
Heft VII: Zu Strassburgs Sturm- und Drangperiode 1770
bis 76. von Dr J oh. Froitzheim. 8. 88 S. 2 —
Heft VIII: Geschichte des heiligen Forstes bei Hagenau im
Elsass. Nach den Quellen bearbeitet von C. E. Ney, Kais.
Oberförster. I. Teil von 1065— 1648. 2 —
Heft IX: Rechts- und WIrtsohafts-Verfassung des Abtei-
gebietes Maursmünster während des Mittelalters
von Dr. Au g. H e r t z o g. 8. 114 S. 2 —
Heft X : Goethe und Heinrich Leopold Wagner. Ein Wort
der Kritik an unsere Goetheforscher von Dr. Joh. Froitz-
heim. H. 68 S. 1 50
Band III.
Heft XI: Die Armagnaken im Elsass. von Dr. H. Witte. 8.
158 S. 2 50
Heft XII : Geschichte des heiligen Forstes bei Hagenau im
Elsass. Nach den Quellen bearbeitet von C. N. Nev, Kais.
Oberförster. II. Teil von 1648-1791. 2 50
Heft XIII: General Kleber. Ein Lebensbild von Friedrich Tei-
chcr, Königl. bavr. Hauptmann. 1 20
Heft XIV ; Das Staatsrechtliche Verhältnis des Herzogtums
Lothringen zum Deutschen Reiche seit dem Jahre
1542 von Dr. Siegfried Fitte. Mit Karte. 2 50
Hcfl XV: Deutsohe und Keltoromanen in Lothringen nach
der Völkerwanderung. Die Entstehung des Deutschen
Sprachgebietes von Dr. Hans N. Witte. Mit Karten. 2 50
Fortzetzung siehe 3. Seite des Umschlags.
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DIE
POLITISCHEN VERHALTNISSE
UND
BEWEGUNGEN
IN
STRASSBURG IM ELSASS
IM JAHRE 1789.
VON
■
Dr. phil. MANFRED EIMER.
GEKRÖNTE PREISSCHRIFT
MIT ERLAUBNIS DER PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT IN DEN VERLAG GEGEBEN.
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
1897.
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MEINEN ELTERN.
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I
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t
r
Vorbemerkung.
Das Jahr 1789 war, wie für Frankreich, .so auch für die Stadt
Strassburg epochemachend. Die Verhältnisse und Vorgänge da-
selbst sind jedoch in den vorhandenen zusammenhängenden Dar-
stellungen der Revolutionszeit teilweise gar nicht, teilweise nur
(lüchtig berührt worden. Die einzige ausführlichere Schilderung
findet sich in der von Engelhardt fortgesetzten «Vaterländischen
Geschichte des Elsasses» von Strobel, im fünften Bande. —
Doch hat der Verfasser manche vorhandene Quelle nicht benützt,
vor allem aber die Schatze des Stadtarchivs keineswegs genügend
verwertet. Ihnen ist dann H. Reuss durch die Veröffentlichung
der Korrespondenz zwischen den Strassburger Abgeordneten
und den Repräsentanten der Bürgerschaft in seinem Buch
«L'Alsace pendant la revolution franyaise,» I. Teil, in dankens-
wertester Weise gerecht geworden. Seine Veröffentlichung
forderte zu einer neuen Darstellung der Strassburger Geschichte
im Jahre 1789 auf. Ich selbst habe dabei neben einigen bei
Reuss nicht, abgedruckten Originalen auch die im Entwurf oder
in den Batsprotokollen als Abschrift vorhandenen Briefschaften,
namentlich die Korrespondenz der Deputierten mit dem Magi-
strat, benützt und solche, die mir charakteristisch oder inhalt-
lich wichtig erschienen, im Anhang mitgeteilt.
Es ist nicht zu verkennen, dass gerade das genannte Jahr für
die Stadt und für das Unter-Elsass von besonderer Wichtigkeit ge-
wesen ist, da durch die Revolution die bisher noch in Kraft stehende
altreichsstädtische Verfassung Strassburgs aufgelöst wurde, und
die Stadt, den übrigen Gemeinwesen Frankreichs gleichgestellt,
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— vi —
in engerer Verschmelzung, innigeren Anteil an den Interessen
und Angelegenheiten Frankreichs nehmen musste, als vordem.
Wie aber so oft bei gewaltsamen Umsturzbewegungen, fehlt es
auch in der Geschichte Strassburgs in diesem Jahre nicht an
undurchsichtigen und unaufgeklärten Episoden. Ich hahe mich
bemüht, Wahrscheinliches und Unwahrscheinliches schärfer,
als es schon geschehen, zu kennzeichnen. Es ist aber nicht
gelungen, in jeder Hinsicht ein befriedigendes Ergebnis zu
liefern.
Diesen Gegenstand zu meiner Promotionsschrift zu wählen,1
wurde ich dadurch veranlasst, dass die Philosophische Fakultät
der Kaiser -Wilhelms-Universität im Mai 1895 eine Preisaufgabe
unter dem Titel der vorliegenden Arbeit stellte, deren Lösung
für mich erfolgreich war. Bei der Benutzung des Stadt-Archivs
wurde ich damals wie in der Folge von dem Direktor Herrn
Dr. Winckelmann auf das freundlichste unterstützt. Bei der
Erweiterung zur Promotionsschrift wurde ich bereitwilligst be-
raten und unterstützt durch meine hochverehrten Lehrer, die
Herren Professoren Dr. Varrentrapp und Dr. Bresslau,
sowie durch den Vorstand des Bezirksarchivs, Herrn Professor
Dr. Wiegand, die ich bitte, auch an dieser Stelle meinen
tiefgefühlten und hochachtungsvollen Dank entgegen zu nehmen.
Ihre liebenswürdigen Bemühungen einerseits, das Material der
Archive, sowie der für meine Zwecke lückenlose Bestand der
Universität*- und Landesbibliothek andererseits haben meine
Arbeit auf das angenehmste gefördert. Auch die Direktion des
Generallandesarchivs zu Karlsruhe stellte mir daselbst vorhan-
dene Akten bereitwilligst zur Verfügung, auf die ich durch die
Liebenswürdigkeit des Herrn Privatdozenten Dr. Th. Ludwig
aufmerksam gemacht wurde. Auch den Letzteren bin ich zu
aufrichtigem Dank verpflichtet.
1 Als solche sind mit Genehmigung der Fakultät nur die Ein-
leitung und Kapitel I— IV. in besonderem Abzug erschienen.
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>
Inhalt.
Seite
Einleitung . . 1
I. Vorgänge und Stimmungen in Strassburg bis zur Depu-
tiertenwahl 23
II. Das Beschwerdenheft und die Verhandlungen wegen der
inneren Beschwerden mit der Bürgerschaft 38
III. Die Deputierten bei der Eröffnung der Reichsstände. Weitere
Verhandlungen über das Beschwerdenheft und über die
Einsetzung eines Kommissars. Dietrich und Klinglin. . 48
IV. Die Unruhen vom 18.— 21. Juli nebst Quellen 58
V. Folgen des Aufruhrs. Bürgergarde. Der Soldatenaufstand 87
VI. Dio Verwaltungsänderung 101
VII. Die Bürgerwache. — Die Getreide- und Geldnot. — Der
Au8schuss der Vierzig 113
VIII. Der vergebliche Widerstand Strassburgs gegen die Be-
schlüsse vom 4. August 120
Anhang 145
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Einleitung.
Die Darstellung der Neuwandelungen in den Verhältnissen
Strassburgs im Jahre 1789, welche die Stadt enger mit Frank-
reich verbanden, als es bis dahin der Fall gewesen, hat aus-
zugehen von der Uebergabe der Reichsstadt an das Königreich,
am 30. September 1681, und dem Wortlaut der Kapitulation,
die Ludwig XIV. damals der Stadt gewährte. Dies Ereignis,
und die Aenderungen, die nicht sowohl infolge, als trotz jener
Urkunde im Laufe des bis zur Revolution verflossenen Jahr-
hunderts durch Massnahmen der französischen Regierung ein-
traten, gaben nicht nur der deutschen Nation, sondern auch
den Strassburgern selbst Anlass zu Klagen und Bedenken genug.
Und es war nicht ohne Absicht, wenn auf der anderen Seite
unermüdlich betont wurde, dass der Stadt sämtliche Rechte und
Privilegien, die sie als Reichsstand besessen, feierlich gewähr-
leistet worden waren (Artikel II).* Im Sinne des Vertrags
1 Die Kapitulation ist im Wortlaut abgedruckt in den Or-
donnances d'Alsace, pnbl. von de Bong, Colmar 1776, 2 Bde.
I. S. 106. Ferner bei Türckheim, J. v., Abhandlung das Staats-
recht der Stadt Strassburg und des Elsasses überhaupt betreffend.
Aus dem Französischen übersetzt. Strassburg 1789, S. 149 fg.
— Hermann, Jean-Frederic, Notices historiques, statistiques et
litteraires sur la ville de Strasbourg, 2 Bde., Strassburg 1817, und
1819. I. S. 76 fg. — C o s t e, Reunion de Strasbourg a la France,
Strasbourg 1841. S. 108 fg. — F a c sim i 1 e bei Pi to n, F., Stras-
bourg illustre. Bd. II. 1855. S. 58.
1
— 2 —
wechselte die Stadt nur ihren Herrn ; ihr Magistrat, so hiess
es, sollte in seinem bisherigen Zustand, und im vollen Gebrauch
seiner damaligen Machtbefugnis erhalten werden. (Artikel IV).
Die freie Ausübung der Religion, in Strassburg damals
der protestantischen, sollte bestehen bleiben, nur das Münster
der katholischen Kirche zurückgegeben werden (Art. III). Auf-
lagen für den Staat sollten von der Bürgerschaft nicht erhoben
werden (Art. VI), vielmehr alle Einnahmen, Zölle und Gefalle
in die Stadtkassen fliessen, wie bisher (Art. V). — Der Han-
del sollte keine Veränderung erleiden (Art. V): als erste
Forderung für sein Blühen galt mit Recht die Anerkennung
des Elsass als einer province de Vetranger effectif.1
Ein eigentümliches Verhältnis bestimmte und erleichterte
demgemäss fortan besonders für Sirassburg den Handelsverkehr
nach allen Seiten, vorzüglich mit dem Reich und der Schweiz.
Die Zollgrenze war nicht an den Rhein verschoben worden,
sondern auf den Vogesen geblieben.
Diese Handelsinteressen waren die einzigen, welche die
Stadt mit der Provinz enger verbanden. Denn während in
letzterer ein Intendant gebot, war Strassburg dem Kriegs-
minister unmittelbar untergeordnet. Nur in rechtlicher Be-
ziehung hatte die Stadt, in gewissen Fällen, mit der Verwaltung
des Elsass Gemeinsamkeit. Als französische Stadt zeigte sie
sich nur, wenn es ihren Vorteil galt. Sonst wollte sie ein
Freistaat mit eigener Verwaltung bleiben. Nicht einmal zum
Dienst im Heer des Königs Hessen sich die Strassburger herbei.
Sie blieben frei davon, so lange sie im Elsass wohnten.«
Andererseits gewann die Stadt an äusserem Glanz durch
i Vgl. Krug -Basse, M. J., l'Alsace avant 1789. Paris et Col-
mar. 1876. S. 41.
* Seinguerlet, E.5 Strasbourg pendant la Evolution. Paris
1881. S. 350 irrig: «dans tout le royaume». Diese Vergünstigung
wurde aufgehoben durch einen Brief Brienne's an den Prätor vom 6.
September 1788. (Stadt-Archiv, Actes constitutives et politiques
de la commune. Archives du preteur. Serie AA. 2435.) Vgl. auch
Krug-Basse a. a. 0. S. 71 und das B e s ch wer d e nh ef t der
Stadt, abgedruckt bei Reuss. Rod.. L'Alsace pendant la revolution
francaise. I Correspondence des d§put6s de Strasbourg etc. Paris
1880. S. 31 fg. Freiwillig befanden sich «beständig mehr als 200)0
Elsässer unter den Truppen des Königs». (Türckheim, a. a. 0.
S. 101.)
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die starke Besatzung1 sowie durch die, wenigstens nominelle,
Anwesenheit der hohen Provinzialbeamten, des Domkapitels und
zahlreicher Mitglieder des niederelsässischen Adels, dessen
Direktorium in der Stadt seinen Sitz hatte ; und wäre Strassburg
auch den anderen Städten Frankreichs gleichgestellt worden, so
hätte es doch im französischen Staatskörper als Hauptstadt einer
reichen Provinz, als die es von der weitaus grössten Mehrzahl
der Franzosen thatsächlich betrachtet wurde, allemal grösseres
Ansehen genossen, denn zuvor als Reichsstand.
Naturgemäss blieb der Gesichtspunkt einer Vorherrschaft
über das Elsass auch in der Stadt selbst nicht völlig ausser
Acht. Es kam vor, dass der Magistrat ihn selbst geltend
machte. Aber das war nur in der Not, wenn es galt, den
Rang der Stadt und damit ihre Stellung zu sichern. — Dass
Strassburgs Vorrechte sonst wenig bekannt waren, oder gering
geachtet wurden, das hätte zwar an sich der Kapitulation wenig
Abbruch gethan. Aber nach und nach wurden, wie Reuss es
ausdrückt,2 durch ein jesuitisches Auslegungssystem, durch Ab-
machungen vor allem Ludwig's XIV. selbst, fast alle Punkte be-
einträchtigt oder umgangen. Denn so zäh und ängstlich Strass-
burg an seinen verbrieften Rechten und Freiheiten festhielt, so
wenig gelang es dem Magistrat, der mannigfachen Neuerungen
und Verordnungen des Königs, bzw. der Minister sich zu er-
wehren.
Es dürfte für das Verständnis der Bewegungen des Jahres
1789 nötig sein, zunächst die Hauptmerkmale der Verfassung
1 1789: 2 Bataillone Royal Infanterie. 2 Bat. Alsace. 2 Bat.
Royal Hesse-Darmstadt. Artillerieregiment «Strassbnrg». 4 Eska-
dronen Royal Cavallerie. 4 Eskadronen Artois. Ein Bataillon war
etwa 720 Mann stark. — Das Regiment la Fere, das nach Engel-
hardt (Strobel, A. W., Vaterländische Geschichte des Elsasses ; fort-
gesetzt von 1789—1815 von Dr. L. H. Engelhardt 2. Ausgabe. Strass-
burg 1751. V. Teil; i. d. F. angeführt als «Strobel») S. 312,
Anm. 1, in der Zitadelle lag, stand nach dem Almanach d'Alsace
ponr l'annee 1789 (par Oberlin), S. 128, in Pfalzbnrg. — 1789 .be-
fanden sich am 1. Mai nach einer im XII Ier Protokoll Fol. 137 ein-
getragenen und Gombault nnterschriebenen Note von den Kavallerie-
regimentern nnr noch je drei Eskadronen in Strassbnrg ; im Ganzen
«14 Bataillons ou Escadrons >
* Lonis XIV. et l'eglise protestante de Strasbourg. Paris 1887.
S. 15.
_- 4 -
und Verwaltung der Sladt kurz vor Augen zu führen.1 Sie
war in ihrer Vielgestaltigkeit den Franzosen fremdartig ; was
Erasmus nicht genug als musterhaft hatte loben können, schien
Richelieu nur wegen seiner Absonderlichkeit der Beschreibung
wert.»
Noch immer von besonderer Wichtigkeit war die Einteilung
der Burgerschaft in die zwanzig Zünfte, worunter die der
Metzger, genannt «zur Blum», und die der Handelsleute, «zum
Spiegel», im Jahre 1789 am meisten hervortraten. Diese Zünfte
umfassten alle eigentlichen Bürger, Handwerker, Kaufleute,
Gelehrten, Künstler, ohne Rücksicht auf die Benennung der
einzelnen Zunft, bzw. die Gattung des Erwerbszweiges des
Einzelnen, waren daher von denen Frankreichs grundver-
schieden.'
Die Adeligen, die einen angesehenen Bestandteil auch des
Magistrats ausmachten, waren cives honorarii, und trugen,
dem Namen nach wenigstens,* zu den direkten Steuerleistungen
der Stadt bei. Sie hiessen mit einer alten und etwas dunklen
Benennung die «Herren Constoffler».
Neben diesen und den eigentlichen Bürgern gab es eine
betrachtliche Anzahl von Schirmverwandten, zumeist fremden
Handwerkern, die geringere Rechte besassen, und z. B. weder
aktives noch passives Wahlrecht zum Magistrat hatten. — End-
lich ist die Klasse der Privilegierten zu erwähnen, d. h. die
Beamten des Königs, die von jeder Abgabe frei waren.
Aus den Zünften nun wurden je 15 Schöffen gewählt,
1 Vgl. besonders Scböpflin, Alsatia lllustrata, Band II.
Strassburg 1761. S. 332 fg. — Hermann, a. a. 0. II. S. 6 u. 12
fg. — Schutzenberger, G. F. Esquisse historique de la Con-
stitution de Strasbourg. Str., 1843. — Piton. a. a. 0. I (1852).
S. 156 fg. — Ludwig, H. (von Jan), Strassburg vor hundert Jahren.
Stuttgart 1S88. S. 202 fg., u. a.
* Vgl. den Brief des Erasmus im Anhang seiner Schrift: De
duplici copia verborum et rerum, 1514. — Die Aeusserung Richelieu's
bei K r u g - B a s s e a. a. 0. S. 63.
s Vgl. Ludwig a. a. 0. S. 328. Anra. 101. — Heitz, F. C,
das Zunftwesen in Strassburg. 1856. Dies Buch giebt in bez. auf
die Aemter den Zustand von 1681 wieder.
4 Vgl. Mathien, J., Alsace et Strasbourg 1790. S. 6. Er sagt
zu viel. Die Stättmeister griffen häufig mit Erfolg in die Magistrats-
verhandlnngen ein, wenn schon sie einen Teil ihrer früheren Macht
verloren hatten.
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— 5 —
und aus diesen 300 gingen die Mitglieder der verschiedenen
Ratskollegien hervor. Ohne ihre Genehmigung durfte früher
der Magistrat nach der Verfassungsurkunde der Stadt, dem
Schwörbrief von 1482,1 nichts Wichtiges beschliessen oder ver-
ordnen. Seit dem Jahre 1612 jedoch wurde keine allgemeine
Schöffenversammlung mehr berufen,* und durch die Einzelbe-
ratung eines jeden der 20 SchöfFenkollegien zersplitterte sich
ihre Gewalt. Sie ergänzten sich selbst, was der ursprünglichen
Bestimmung der freien Wahl des Rats durch die Bürgerschaft
widersprach und allmählich von den ausserhalb stehenden,
ämterlosen Bürgern, als grosser Uebelstand empfunden wurde;»
zumal da das Vertrauen in die thatkräftige Vertretung der
Bürgerinteressen durch die Schöffen nicht gross war, und man
sie und besonders die Magistrate der Ueberhebung anklagte.
«Wer dürft' es wagen, den beständigen Magistratspersonen zu-
wider zu handeln, da diese Herren alle nur mögliche Gewalt
in sich vereinigten?»
Aus dem Widerstand gegen die Adeligen war die Macht
der Zünfte und der Schölten im XIV. Jahrhundert hervorge-
gangen; sie wurde durch eine neue Aristokratie, die aus ihr
sich erhob, wiederum beschränkt.*
Besonders bei den Adeligen war wegen ihrer geringen An-
zahl Nepotismus nicht zu vermeiden ; aber auch unter den
zünftigen Ratsherren traten die eigentlichen Gewerbetreibenden
vor Juristen und anderen Studierten in den Hinlergrund, wenn-
gleich gerade bei der obersten richterlichen Behörde der Stadt,
dem Grossen Rat, das Gegenteil von den Zeitgenossen her-
vorgehoben wurde, und den Zornausbrüclien über die unjuri-
1 Vgl. Elsässische und Strassburgische Chronik von J a k ob
von Königshoven, hg. von Schi Her 1698., S. 1092 fg. —
Hegel, C, Chroniken der oberrheinischen Städte. Band II Leipzig
1871. S. 946 fg. — Zu Anfang des Jahres 1789 lautet die Eingangs-
formel der Verordnungen des Magistrats : «Wir, N. N., der Meister
und der Rat der königlichen freien Stadt Strassburg, samt unseren
Freunden, den Einundzwanzigen, thue hiemit kund und jedermann ig -
lieh zu wissen . .>
2 Vgl. Hermann, a. a 0. II. S. 35.
3 Vgl. Reuss, l'Als. S. 10 u. 11 in der Anmerkung, u. Lud-
wig a. a. 0. S. 5 u. 6.
4 Vgl. Schmoller, G., Die Strassburger Tucher- und We-
berzunft. Strassburg 1879. S. 551.
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_ 6 -
*
stischen Stadtgerichte anerkennende Aeusserungen des Ministers
über das Verfahren gegenüberstehen. 1
Der Grosse Rat hatte }in der Kriminaljustiz nur das Be-
gnadigungsrecht an den König verloren ; in bürgerlichen Fällen
dagegen war seine Macht durch die Errichtung des Hohen
Rats in Colmar als oberster Berufungsinstanz der Provinz von
2000 Livres ab beschrankt worden (Art. IV), während er seinerseits
dem Klein en Rat »egenüber diese Funktion erfüllte, wo es sich
um Fälle unter 1000 Livres handelte.«
Ferner unterstanden dem Grossen Rat einige der «unzäh-
ligen» Nebenbehörden, die zur Leitung einzelner Geschäftszweige
abgeordnet wurden.»
Er war die erste Ratskörperschaft, die den Schöffen offenstand.
Nach zweijähriger Thätigkeit daselbst konnten sie in die Ver-
waltungsbehörde der Stadt eintreten.
Diese hiess «das beständige Regiment», und
setzte sich aus zwei Kammern, den «Gnädigen Herren»
Xlller und XVer, sowie einem Kollegium von Ergänzung*
raännern, den s. g. XXIer zusammen.*
Die XVer waren die bestgehassten Ratsherren der Stadt.
Ihnen war die Aufrechterhaltung der alten Verfassung anver-
traut, wobei sie selbst unumschränkt die Gesetze ändern konnten.
Diese Gewalt «zu mehren und zu mindern», das Aufsichtsrecht,
1 Vgl. Hermann a. a. 0. II. S. 21.
2 S ch ntz enb er g er a. a. 0. S. 28, and nach ihm Heitz
a. a. 0. S. 6 und Strohe 1 III. 172. geben die Mitgliederzahl des
Kleinen Rats irrtümlich anf 18 an. Derselbe bestand ans 23 Mit-
gliedern- Vgl. Alma nach 1789 S. 212 und 219; der Stadt Strass-
burg Regimentsverfassung 178y. S. 64 fg. Letztere hat amt-
lichen Charakter. — Für die Einsetzung eines besonderen Richters
für das bischöfliche Schloss giebt Mull er, a. a. 0. S. 19. 1704 an.
Dieselbe erfolgte erst 1729. Vgl. Ordonnances d'Alsace, t. II. S. 42 fg.
3 Es waren an 90 verschiedene, mit einem entsprechenden
Schwall von Unterbeamten. Vgl. Heitz, a. a. 0. S. 8 fg. Muller,
a. a. 0. S. 11 fg.
4 Der Ursprung der letzteren Bezeichnung ist dunkel. Es waren
ihrer gewöhnlich nur 4 bis 5. Man spricht in der Regel von den drei
Kammern, obgleich nur die XIII. und XV. für sich und auch ohne
Verbindung mit den XXI. zu beraten hatten, letztere dagegen nur
in Vereinigung mit den beiden anderen Kammern zu den «Drei ge-
heimen Stuben>, oder mit jenen und dem grossen Rat zum eigent-
lichen Stadt magistrat — den «Rath und XXI> — , amtliche Thätig-
keit besassen, und daher auch die «ledigen Herren XXI» hiessen.
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7
das sie über jedermann vom regierenden Ammeister bis zum
geringsten Büttel berab besassen, die Abhängigkeit, worin die
Zunftgerichte von ihnen als der letzten Instanz in Handwerks-
sachen sich befanden; ferner die Einziehung der Steuern, deren
Festsetzung ihnen oblag — kurz, ihre Stellung als eigentliche
Behörde der inneren Verwaltung versetzte sie in die Lage, viele
"Wünsche, die rege waren, nicht befriedigen und Massnahmen
nicht vermeiden zu können, die hier angenehm, dort aber unlieb-
sam berührten. Es blieb daher nicht aus, dass sie die heftigsten
Anfeindungen zu erdulden hatten, besonders von Seiten der über
die Accise erbitterten Metzger, deren Trotz die XVer vor kurzem
in einer die Abänderung der gebräuchlichen Fleischwaagen
bezweckenden, langwierigen und erbitterten Streitsache mit
Strenge und Gewalt bekämpft hatten. Ausserdem waren sie
eben im Jahre 1789 mit ihnen über einen Schadenersatz von
62000 Livres für den Brand des städtischen Unschlittmagazins
in einen Prozess geraten, wobei die übrigen Zünfte mit ihren
Genossen fühlten, und für sich selbst fürchteten. Das Ver-
hältnis zu den XVern wurde so allmählich ein immer uner-
quicklicheres. Aber abgesehen von dem Waagenstreit, wo
Recht und Unrecht auf beiden Seiten war, — in bez. auf den
sonstigen angeblichen Missbrauch der Amtsgewalt ist doch die
Ueberzeugung hervorzuheben, die man aus den Verhandlungen
der Kammern gewinnt : dass in den meisten Fällen die grosse
Menge von Klagen und Begehren der Zünfte und der Einzelnen
mit Wohlwollen und Geduld entgegengenommen und mit ver-
söhnlicher Nachgiebigkeit, ja mit peinlicher Erwägung des Für
und Wider, behandelt wurden. Welche Vorteile sollten sich
die Ratsherren auch davon erwarten, wenn sie die Bürger Um-
trieben oder knechteten? Man kann sich des Eindrucks nicht
erwehren, dass die Missliebigkeit Einzelner ein schlechtes Licht
auf ihre Körperschaft im allgemeinen warf, und dass im übrigen
von persönlichen Feinden eine eifrige Hetze gegen den Magistrat
betrieben ward. Natürlich waren auch an den strassburgischen
Einrichtungen, wie in jeder Verwaltung, Uebelslände zu finden.
Aber man musste wohl mehr diese Einrichtungen selbst tadeln,
als die, welche danach handelten.8
8 Vgl. Friese, Joh., Nene vaterländische Geschichte der
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— 8 —
Am grellsten treten die Mängel allerdings eben bei den
XVern hervor. Hier vorzüglich zeigt sich das Ungesunde der
Entwickelung der strassburgischen Stadt Verfassung : aus den
Beratern waren die Bestimmenden, aus den bescheidenen, vom
Rat im XV. Jahrhundert eingesetzten Kommissionen mächtige
Behörden geworden, die das innere Leben der Stadt in jeder
Hinsicht beeinflussten.
Weit weniger war es bei der vornehmeren Kammer der
Xiller der Fall, die mit den französischen und auswärtigen
Regierungen, besonders mit den benachbarten Reichsständen
unmittelbar, wie vor 1681, verkehrte und so mit den Angelegen-
heiten der Bürgerschaft wenig zu thun hatte. Ihre Befugnis
als erste, bis zu einer gewissen Summe vom Reichskammer-
gericht unabhängige Berufungsinstanz der SladU hatte ihr die
Kapitulation (Art. IV) genommen. Damit büsste sie ein gut
Teil ihrer Wichtigkeit ein, und «musste sich mit der beschei-
denen Rolle, die einfache Geschäftsträgerin der Stadt bei den
französischen Machthabern zu sein, begnügen. »2
Unbeliebt waren aber auch die Xiller, bei den Schöffen
und den beiden Ratskollegien, als Bestandteil der drei ge-
heimen Stu.ben, die das Finanzwesen leiteten, aber nach
und nach Einfluss auf alle Vorgänge und Angelegenheiten ge-
wonnen hatten, wogegen sich die Bürgerschaft erst auflehnte,
als es zu spät war. 3 —
Die oberste Behörde der Stadt endlich stellten die «Rath
Stadt Strassburg and des ehemaligen Elsasses. 2. Aufl., Strassburg
1792. 4 Bände. Bd. IV. S. 196 fg.
1 Als solche war sie von Maximilian I. 1497 bis za einer
Summe von o(> fl. eingesetzt worden (vgl. die Urkunde, St.-A., AA.
10. 6). Unter Maximilian II. (1ÖB6; AA. 14. 2) und Rudolph II. (1582;
AA. 14. 20) war dies Privilegium auf 600 fl. ausgedehnt worden
(= 3000 Fr.). Dahin ist die Auffassung He r mann' s, a. a. 0. II.
S. 22. zu berichtigen Die Xiller Kammer hiess in dieser Eigenschaft
noch im XVIII. Jahrhundert «einer statt Strassburg privilegiert und
gefryet Cammergericht», die Xiller selbst «die drytzehen Keyserliche
Delegierte Cammerrichter und Commissarien.» — Vgl. Ordnung etc.
in «Getruckte Ordnungen und Mandata von A. D. 1711—1740;
Tomus XXXIV. S. 53 fg. (1727 oder 1728.)
2 Seinguerlet, a. a. 0. S. 2.
3 Vgl. Spach, Louis, Oeuvres choisies, Band III. Paris-Stras-
bourg 1887. S. 432. Derselbe, Histoire de la Basse-Alsace et de
la ville de Strasbourg, 1858. S. 278.
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— 9 _
und XXI» dar, der Magistrat in seiner ganzen altertümlichen
Grösse. Diese Versammlung der drei Kammern und des
Grossen Rats hatte sich mit den kirchlichen Angelegenheiten
zu befassen, sowie mit der Aufnahme in das Bürgerrecht, der
Wahl der lebenslänglichen Mitglieder des Magistrats,» und der
Rechenschaflsaufnahme über die Finanzen. Ihnen stand der
regierende Statt meister vor, der, wie seine drei mit ihm ab-
wechselnden Kollegen, immer ein Constoffler sein musste. Dem
Namen nach war er der höchste Beamte des kleinen Frei-
staats. Thatsächlich galt als solcher der A m m e i s ter, der
von den 20 zünftigen Ratsherren erwählt, mit fünf anderen —
bürgerlichen — Ammeistern jährlich in der Regierung ab-
wechselte. Stets gehörte er zur XIIIer-Kammer, wo er, ebenso
wie bei den Verhandlungen der drei geheimen Stuben und
des Grossen Rats, den Vorsitz führte. Er war eine Art
Friedensrichter,« und hielt täglich Audienzen ab, darunter zwei-
mal wöchentlich in der Neuen Pfalz, dem Versammlungs-
haus sämmtlicher Ratskollegien, das aus dem Ende des XVI.
Jahrhunderts stammend, noch heute eines der stattlichsten Ge-
bäude des alten Strassburg ist.»
«Ein Ammeister», sagt Fr. Th. Ehrmann,* «ist das, was
* D h. der XXI., XV , XIII. — Die Ratsherren führten ihr Amt
nur während zwei Jahren. — Verkäufliche Aemter gab es nicht Es
fehlte daher eine der misslichsten Beschwerden des übrigen Frank-
reich. Das Gesetz über die Verwaltung der Städte v. J. 1764 (vgl.
Tocqneville, Alexis de, L'ancien regime et la Involution. Paris
1866. 7. Aufl. S. 65 fg.) kam für Strassburg nicht in Betracht.
* Vgl. Krug- Basse a. a. 0. S. 115.
3 Der Name Pfalz kommt daher, dass sich der Rat ursprüng-
lich in einem Raum des bischöflichen Palastes versammelte, dessen
Name das neue Rathaus überkam. Die bisher allgemein vertretene
Ueberlieferung, der Baumeister Specklin habe die Neue Pfalz ge-
baut, bewahrheitet sich nach 0. Winckelmann, «Der Erbauer des
alten strassburger Rathauses» (Ztschr. für Geschichte des
Oberrheins 1893. S. 579 fg.) nicht. Vielmehr ist das Gebäude
«unter dem Werkmeister Ambrosius Müller begonnen und durch
dessen Nachfolger Jörg Schmitt und den Parlier Paul Maurer wei-
ter gebaut und vollendet worden. Die Pläne zu dem Bau rühren
entweder von Hans Schoch (einem badischen Baumeister) oder von
Ambrosius Müller her».
4 «Briefe eines reisenden Deutschen an seinen Bruder in H.»
Leipzig und Frankfurt 1789. Nach Hamberger, das Gelehrte
Teutschland, fortgesetzt von Meusel (II. 1796) S. 170, ist Ehrmann,
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— 10 —
ein Burgermeister in einer Reichsstadt.» Leicht war seine
Stellung keineswegs. Mit den Ministern und Beamten des
Königs, mit dem in sich durch Eifersüchteleien der einzelnen
Kollegien gespaltenen Magistrat, mit der unzufriedenen Bürger-
schaft und den bei dieser verhassten Oberherren der Zünfte,
endlich mit den Parteien vor den als «widersinnig» ver-
schrieenen Gerichten, — mit all diesen Faktoren des inneren
und äusseren Lebens hatte er sich abzufinden und in einem
erträglichen Verhältnis zu erhalten.
Zu diesen Schwierigkeiten aber kam der Verkehr mit
einem dem Magistrat direkt vorgesetzten städtischen Beamten
des Königs.
Im Jahre 1685 wurde die Stelle eines Prätors als des
Stellvertreters des französischen Herrschers geschaffen. Diese
Massregel hemmte die Bewegungen des Rats und seines Vor-
sitzenden empfindlich. Sie konnte den Magistrat mit einem
Schlage zu einem schattenhaften und ohnmächtigen Körper
herabdrücken. Denn der Prätor hatte das Recht, allen Ver-
handlungen des Magistrats im Namen des Königs beizuwohnen
und darüber zu wachen, dass daselbst nichts gegen dessen
Dienst unternommen werde, auch im Vereine mit den Behörden
in allen Angelegenheiten zu richten und zu beschliessen . Er
war stets Vorstand der Oekonomiekammer und seit. 1752 Allein-
herrscher daselbst, da ein Beschluss des Staatsrats die bisherigen
Beisitzer aus dem Grossen Rat von allen Verhandlungen bei der
Kammer über die öffentliche Verwaltung ausschloss. Wichtiger
noch war es, dass ihm ausdrüchlich die entscheidende Stimme
übertragen worden war, und dass er das unbedingte Veto besass.i
Ja, eine drohende Instruktion des Königs2 verbietet (1788)
dem Magistrat geradezu «irgend ein neues. Gesetz zu erlassen oder
. . . aufzuheben oder zu ändern, ohne rechtzeitig den königl.
der in Strassburg geborene und aufgewachsene Gatte der Marianne
Brentano (vgl. Allg. deutsche Biographie III. 721), der Verfasser die-
ser Briefe. Dieselben sind sicherlich fingiert. Der gutunterrichtete
Verfasser wollte damit eine Beschreibung seiner Vaterstadt liefern.
Der angeredete «Bruder Karl> (z. B. S. 426) unterzeichnet sich in
der Vorrede «T. N >. —
1 Vgl. H. Ludwig a. a. 0. S. 8. — Coste a. a. 0. S. 157
fg. — Hermann a. a. 0. I. 93. sagt nur «voix deliberative». Ganz
falsch S p a c h, oeuvres choisies III. S. 430.
2 Vgl. Ludwig a. a. 0. S. 210 fg.
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- 11
Prätor davon in Kenntnis gesetzt zu haben, und ohne dass
dieser seine Ansicht kund gegeben hatte.»
Ausserdem aber wurde das, dem vierten Artikel der
Kapitulation genau entgegengesetzte, Verlangen ausgesprochen,
«dass auf keinen Platz im Beständigen Regiment, noch zu
irgend einem anderen wichtigen Amt jemand könne gewählt
werden, ohne dass der königl. Prätor darum wisse, und seine
Stimme persönlich oder schriftlich dazu gegeben habe.»
Dies musste nicht nur in mancher Hinsicht die freie
Meinung und Haltung der Bürger beeinträchtigen,» sondern
es war auch die freie Wahl des Magistrats und die Vollmacht
Gesetze zu geben oder aufzuheben damit in der Theorie ver-
nichtet. Strassburg «stand unter einer Art Diktatur», falls der
Prätor ein der Stadt übelwollender war. Sein Willen konnte die
Verfassung, der Kapitulation (Art. II) zum Trotz, missachten.
Und thatsächlich, «seit der Verordnung vom Jahre 1685 ist es
keinem königlichen Prätor beigefallen, sich mit jener ange-
wiesenen Gewalt zu begnügen oder sie nicht in sensu latiore
zu nehmen ».2
Die Ernennung eines Prätors erhielt in der protestantischen
Stadt aber noch eine besondere Bedeutung dadurch, dass er
stets ein Katholik war.3
Die Begünstigung der Kotholiken ward trotz der Kapitula-
tion (Art. III) in Sirassburg bald sehr fühlbar, und mit aller-
hand, die materielle Seite des Lebens berührenden Mitteln,
wie z. B. die Ausschliessung der Protestanten vom Staatsdienst,*
wusste man ihnen das Dasein zu verleiden, und sie zum
Uebertritt zur Staatskirche zu verlocken. Die Begünstigung
der Katholiken im französischen Zeitraum bis auf Ludwig XVI.
ist nicht zu verkennen. Mit dem Fortschreiten der Aufklärung
allerdings schwanden die schroffen Gegensätze unter den fried-
1 Vgl. auch Reu 88, l'Als. S. 11, in der Anmerkung.
* Ehr mann, a. a. 0. S. 312.
s Vgl. Reuss, Louis XIV. etc. S. 41: «Par Vinstallation de ce
nouveau mandataire royal au sein du magistrat de Strasbourg, l'in-
fluence catholique avait fait un pas considerable en avant>.
* Vgl. das Nähere bei Reuss, Louis XIV. etc., u. bei Coste
a. a. 0. S. 34 fg. u. 169 fg. Klagen des Magistrats über Konver-
tierungen protestantischer Kinder im Stadtarchiv, AA. 2575 u»
2186.
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-Ir-
lich nebeneinanderwohnenden Bürgern in hohem Grade.1 Aber
das System Ludwig's XIV. war im Elsass nicht ohne täglich
fühlbare Folgen geblieben. Während noch 1788 die kleine
reformierte Gemeinde von Strassburg nur mühsam die Er-
laubnis erhielt, ihren Gottesdienst in der Stadt selbst — in
einem Hause ohne äussere kirchliche Abzeichen, — zu halten,
waren unter Ludwig XIV. mehrere protestantische Kirchen
gewaltsam oder durch Hochdruck den Katholiken zurückgegeben,
und die Orden wieder in der Stadt ansässig geworden. An die
Seite der protestantisch-deutschen Universität wurde 1702« die
in Molsheim gegründete katholisch-französische nach Strassburg
verpflanzt. Und auch der Magistrat blieb von der Umgestaltung,
die sich in der Stadt vollzog, nicht unberührt. Nicht nur
wurde das bischöfliche Schloss seiner Gerichtsbarkeit genommen
und die katholischen, d. h. zumeist die neu einwandernden
Burger dem bestehenden Ehegericht entzogen ; es ward auch
1687 eine Ordonnance erlassen, wonach fortan im Magistrat
und in den Zünften bei der Aemterbesetzung eine «nach dem
Verhältnis der beiden Religionen in der Stadt» zu bemessende
Alternative zu beobachten war, was dann zu der Gewohn-
heit führte, einfach zwischen Katholiken und Protestanten ab-
zuwechseln, ohne mehr jenes Verhältnis, zu beachten, wonach
die Protestanten noch beträchtlich im Uebergewicht gewesen
wären. 3 Und dabei stand der katholische Prätor an der Spitze.
1 Vgl. Ludwig a. a. 0. Anm. 198. (S. 267.) Strobel V. S.
263 fg. Schriften des Vereins für Reformations geschiente Nr.
43/44. 1893. «Die Kirche der Wüste von 1715— 1789» von Th. Schott.
S. 176 fg.
2 Vgl. Ordonnances d'Alsace, t. I. S. 331: «an mois de
fevrier, 1702>. — Seinguerlet a. a. 0. S. 284 irrig: 1701.
3 1789 waren von 6858 Znnftmitgliedern neben 4861 protestan-
tischen erst 1997 katholische eingetragen (Krug- Basse a. a. 0.
S. 68.) Unter den nicht ratsfähigen Bewohnern, den Schirmern und
Privilegierten mnss aber das katholische Element, begreiflicherweise,
vorgeherrscht und so den Gesamtprozentsatz der Einwohner zu gunsten
des römischen Bekenntnisses gewandt haben. Wenigstens scheint
folgende in den Akten der «Intendance» auf dem Bezirksarchiv
(Serie C. 394) befindliche Tabelle (Etat de la population de Stras-
bourg pour Tannee 1786) dies zu bestätigen:
Geburten.
Rath. 924
Augsb. 668
Todesf äl 1 e.
896
657
21
Ref. 10
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- 13 —
So ward nicht nur die verheissene Freiheit der Wahlen, sondern
auch die der Religion geschmälert. Damit aber trat das innere
Leben der Stadt in einen weiteren Abschnitt. Mit dem religiösen
Gegensatz ging ein politischer Hand in Hand, der geeignet und
auch wirksam war, die aufgeklärten Ansichten ü^er die Ver-
schiedenheit der Bekenntnisse an sich, wieder zu trüben.
Abgesehen von dem in der Stadt lebenden und im Magistrat
sitzenden Adel, der sich französisch trug und nach französischem
Muster lebte, auch französisch sprach, waren unter den altein-
gesessenen Bürgern, im Gegensatz zu den eingewanderten
Franzosen, die alten Sitten und Bräuche, die alte Tracht und
Sprache, den Verordnungen des Intendanten zum Trotz, fast
durchweg festgehalten worden, vor allern auch in den Kreisen
der Handwerker, deren Gesellen zumeist aus Deutschland her-
über kamen, und im Verein mit den zwei «deutschen» Regi-
mentern Hessen und Elsass einen starken Untergrund deutschen
Wesens bildeten, während andererseits die blühende protestan-
tische Universität ein Gipfelpunkt deutschen Geisteslebens war,
dessen Wirksamkeil die Nebenbuhlerin weit überragte.»
Reu 8 8, Louis XIV. etc. äussert sich S. 256 über die Alternative fol-
gendermassen : «... bien qn'on n'ait qu'ä lire l'article III et IV
par exemple, ponr constater le manque flagrant de parole
de Louis XIV>. Dieses Urteil fällt um so mehr ins Gewicht, als Beuss,
wie er selbst S. 11 hervorhebt, als Historiker sich verpflichtet hielt,
ernste Rücksicht zu nehmen auf «toutes les circonstances attennantes
qu'on peut plaider en faveur du monarque>.
1 Vgl. über diese Verhältnisse besonders: Young, A., Reisen
1781-1790. Aus dem Englischen. I. Berlin 1793. S. 26b fg. — Ehr-
mann a. a. 0. — Volkmann, J. J., Neueste Beise durch Frank-
reich. Leipzig 1783. III Band, S. 128 fg. Grimm, J. F. K. Be-
merkungen eines Reisenden u. s. w. Altenburg 1775. 1. Teil. — Storch,
Skizzen u. 8. w. auf einer Reise durch Frankreich; Heidelberg 1790.
S. 12 fg. (Besonders zu bemerken die Schilderung S. 14). —
Grimm hängt von Billing, Gesch. u. Beschr. des Elsasses u. seiner
Bewohner, Basel 17^2, dieser von Büschings Geographie ab. Von
Grimm hat Volkmann, von diesem Storch manches entnommen. Doch
haben sie auch selbständige Nachrichten. — Vgl. ferner Schrift-
tasche auf einer Reise durch Teutschland, Frankreich u. s. w.,
Frankfurt u. Leipzig 17fc0 (von Fr. Rud. Saltzmann); z. Tl. über-
setzt in Stoeber, Curiosites de voyages en Alsace, Colmar 1874,
u. in der Revue d'Alsace. T. II ser. 2. 1836. S. 842 fg. —
G 0 et h e , Wahrheit u. Dichtung. — Elsässer Schatzkastel,
S. 320. — Stro bei, A. G., Histoire du gymnase Protestant de Stras-
bourg. 1838, S. 66 fg. — S c h m d i t, E., Die Sprache des Elsass im
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— 14 —
Dazu kam, dass die eingesessenen Bürger Protestanten, die
neu aufgenommenen aber Katholiken waren. So wurde katho-
lisch zuletzt geradezu gleichbedeutend mit französisch, protestan-
tisch mit deutsch, oder besser gesagt, altreichsstädtisch. Auch
für die Vorgänge des Jahres 1789 ist dies nicht ausser Acht
x\x lassen. Strassburg,, das den französischen Bestrebungen
durch die Haltung seines Magistrats nach aussen geschlossen
gegenüberstand,1 war im Innern selbst zvviegespalten. Eben in
dem hier zu betrachtenden Zeitabschnitt begann so eine schärfere
Sonderung unter den deutschen und den französischen Bürgern.
vorigen Jahrhundert. Im Neuen Reich 1874. Nr. 27. S. 1011 fg. —
Reuss, Rod., Histoire du gymnase Protestant de Strasbourg pendant
la revolution (1789— 1804). Paris 1891. — Hermann a. a. 0. II.
— Ludwig a. a. 0. — Schrick er, A., z. Gesch. der Universität
Strassburg. Str. 1872. — Friese a. a. 0. I. 127. 133. - Auf-
schläger, J. F., Neue histor.-topogr. Beschreibung der beiden
Rheindepartements I. Strassburg 1825. S. 250. — Strobel (Engel-
hardt) V. 252 fg. u. v. a. Die deutsche Sprache überwog durch-
aus. Dies ist schon daraus zu erklären, dass der Magistrat auch die
Volksschulen unter seiner Aufsicht behielt, und so das Französische
wenig Fortschritte machen konnte. — Das Französisch der Strass-
burger war aber keineswegs glänzend. Eine Probe mag hier Platz
finden (aus dem St.-A. AA. 20ul) ; cExtrait du Livre des Reglemens
et articles de la tribu des Vignierons concernans les Meitres perru-
quier de cette Ville de Strasbourg en datte du 1er septembre 1770,
article 2siem (2,ue). — Le nombre des maitres perruquier seras Reduit et
fixce a lavenire a soixcante et pour paruenire a cette fin, on ne Re-
ceura poin de nouueau maitre a moins que trois Boutiques ne soit
devenus vacante et a jusqua ce quil seront Redhuit fixces Ny seront
cepandant point conprit les fils de maitre etc. . . . Traduit de 1 a 1 e -
ment» (l'allemand)! Das Französisch des Adels war im Verhältnis
nicht besser. Vgl. den Brief des Barons von Oberkirch, St.-A. AA.
2526. — Die in Sprache und Tracht französisierenden Elsässer hatten
denn auch für den Spott ihrer französischen Brüder nicht zu sorgen.
Vgl. u. a. das bei Ludwig a. a. 0. S. 323 abgedruckte Gedicht
und Goethe7 s Aeusserungen über das Verhalten der Franzosen in
Strassburg. — Es berührt sehr seltsam, wenn man angesichts dieser
Litteratur und der bekannten Thatsachen noch heute in einer fran-
zösischen wissenschaftlichen Zeitschrift (Revue historique. Bd.
56. 1894. Miscellanea alsatica S. 217) liest, nur als Franzosen hätten
die Elsässer ihre «Ursprünglichkeit» bewahren können !
1 Vgl. Reuss, l'Als. S. 18. (Arretä du Magistrat vom 10. März
1789), Artikel VIII : «Nous esp6rons . . . que ... les mouvements de
la confiance personnelle ne leur feront pas perdre entierement de vue
les prineipes de Talternative» etc. — Auch in Frankreich half die Dul-
dung von Oben Anfechtungen der Protestanten nicht ab. Vgl. Sehr,
d. Vereins f. Ref. Gesch. a. a. 0. S. 198.
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- 15 -
Wenn trotzdem bis dahin in Strassburg keine Neigung zu ver-
spüren war, sich enger an die französische Nation anzuschliessen,
so rührt es wohl daher, dass im Magistrat die Altreichsstädter,
die angefeindete Familienoligarchie, ihre Sitze durch die Unter-
stützung der Zunftgenossen behaupteten. Daher die ablehnende
Haltung gegen jede Neuerung und gegen den Gebrauch der
vorgeschriebenen französischen Amtssprache, trotz der Ver-
sicherung (4781), dass «die Strassburger nicht nur als wirkliche,
sondern auch als uralte Franzosen erkannt werden» sollten.
Nur mit dem Prätor und andern Beamten des Königs verkehrte
der Rat in französischer Sprache ; und nur hier, oder wenn
der Name Strassburgs in einem Atemzug mit Frankreich ge-
nannt werden musste, erinnerte man sich, dass man Franzose
war. Sonst war die von Frankreich trennende Kapitulation
das Palladium, worauf man sich bei jeder Gelegenheit, schliess-
lich schon ganz formelhaft, berief. Man wollte wenigstens be-
halten, was noch übrig war.
Um dies nach Kräften zu ermöglichen, ergriff man ein
wirksames Mittel. Man begann Geldauflagen, wovon die Stadt
nach der Kapitulation (Art. VI) befreit war, in die Staatskasse
freiwillig zu bezahlen. Allerdings, aus diesem Entgegenkommen
machte der Empfänger alsbald eine Pflicht, die Gewohnheit
ward zu einem stehenden Gebrauch, das don gratuit zu einer
Last.
Dafür, dass die Stadt 1689 ihrer noch ausstehenden Ver-
pflichtungen gegen die mit Ludwig XIV. Krieg führenden
Reichsslände ledig erklärt wurde, versprach sie dem König
jährlich 90000 Livres auszubezahlen. Dann aber behauptete
die Regierung, die Verfügung des angeführten Artikels (VI der
Kapitulation) betreffe nur die alten Auflagen des Königreichs,
nicht die neu eingeführten,1 und königliche Ordonnancen unter-
warfen unbedenklich die Stadt den seit 1733 in Frankreich
umgelegten ausserordentlichen Steuern.2
i Hermann, a. a. 0. S. 202.
8 Vgl. Ordonnances, II. — Diejenige vom 2. Juni 1734
nimmt Strasburg mit seinen Amteien (Barr, Dorlisheim-Illkirch,
Wasslenheim, Marlenheim) noch von der Steuer aas (S. 111). Das
Arret vom 17. April 1736 aber (S. 143) unterwirft die Amteien der
Abgabe. Später z. B. im Augast 1758 (S. 515) heisst es : «Nous . . .
disons, statuons et ordonnons, voalons et nous platt . . . que . . . il
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— 10 —
So bezahlte denn die Bürgerschaft — 6000 Bürger und 3000
Schirmer — im Jahre 1789 über 250000 Livres jährlich, d. h. if8
von der Steuersumme des ganzen Elsass, während die Stadtbevöl-
kerung (50000) etwa «Jlf bis Mis der Gesamtbevölkerung der
Provinz betrug.1
Im ganzen entrichtete die Stadt bis 1789 etwa 54 Millionen, —
eine eigentümliche Wahrung der Abgabenfreiheit. Unmöglich
konnten derartige, nach heutigem Münzwert zu verdoppelnde
Summen ohne Anhäufung von Schulden aufgebracht werden ;
und nachdem das Jahr 1789, durch die Stockung des Handels,
die Teuerung u. a., eine Verringerung der städtischen Ein-
nahmen um 300000 Livres ergeben hatte, betrug die Schulden-
last nach einer geflissentlich milden amtlichen Berechnung«
über 3*/2 Millionen. Dieser Zustand war die Kehrseite der Me-
daille, die 1781 zur Jubelfeier der «glücklichen Vereinigung»
mit Frankreich geprägt worden war. Und kein Ende war ab-
zusehen. Die Erschöpfung der Staatskassen lag klar zu Tage,
aber gerne nahm man in Paris ein Uebriges an. So wurde
auch die starke Garnison von der Stadt unterhalten, «um zu
den Kosten eines Ihätigeren Schutzes beizutragen»,» was schliess-
lich fast 100000 Livres jährlich ausmachte. Dazu kamen
Lieferungen von Brennholz an die Truppen und die Offiziere,
welch' letztere ausserdem die innere Einrichtung selbst ihrer
eleganten Wohnräume von der Stadt erhielten, und überdies,
falls sie in den Kasernen kein Unterkommen fanden, einen
Wohnungszuschuss aus der «Losamentscassa» bezogen, wozu von
jedem Bürger nach Massgabe seiner verfügbaren Zimmer beige-
steuert wurde.*
Der Bau von Kasernen war den Slrassburgern von Lud-
nous soit annuellement paye ä titre de don gratnit extraordinaire
par les Villes . . . savoir, Strasbourg, Fauboargs et dependences la
somme de 100000 livres . . . >, — die übrigen elsässischen Städte
zusammen: 62 360 Livres.
1 Vgl. Türckheim a. a. 0. S. 48- — Die Last des Zwanzig-
sten, diesmal bis 1792 zu entrichten, war in der Provinz allmählich
um 1(68, in Strassburg aber um lfo gestiegen (St. A. AA 2349).
2 Finanzzustand der Stadt Strassburg am Ende des
Jahres 1789. — Abgedruckt in Reuss, l'Als. S. 316 fg.
3 Vgl. Türckheim a. a. 0. S. 70.
* 1789 wurde dieser Beitrag in Naturalleistungen verwandelt,
da man die Geldzahlung als zu drückend empfand.
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- 17 —
wig XIV. «erlaubt» worden. Da aber selbstverständlich das
Unterbringen von 6000 Mann (Friedensstärke) in den Bürger-
häusern höchst unbequem sein musste, und da ferner der ehr-
bare Strassburger von seinem Hause besonders die Offiziere fern
hielt, der Staat aber nicht abhalf, so baute Strassburg selbst wohl
oder übel im Lauf der Jahre acht Kasernen für fast 3200000
Livres. Solche Unkosten mutete man einer Stadt zu, die aus
Geldnot ihre angeworbenen Truppen vor der Uebergabe hatte
verabschieden müssen !
Die bedenkliebe Finanzlage konnte unter diesen Umständen
durch die Belassung der Zollgrenze auf den Vogesen, und die
damit verbundenen Vorteile für den Handel, nicht ausgeglichen
werden. Zwar war die Lage der Stadt als der «Thüre, die
ins Königreich führt», die denkbar günstigste, und wenn auch
«der Speditionshandel, insonderheit seit der schönen badischen
Chaussee nach Basel» sich nicht wieder ganz nach Strassburg
herüber ziehen liess, so konnte der Flusshandel immerhin noch
als blühend bezeichnet werden : die Rheinschiffahrt, woran die
Stadt nach alten Rechten besondere Vorteile bewahrt hatte, er-
nährte die weitberühmten Schiffsleute, deren Zunft «zum Anker»
amtlich den Ehrenplatz als erste in der ganze Reihe inne hatte,
noch in weitem Umfang ; denn ihnen allein stand von allen
Uferbewohnern von Basel bis Mainz die Thalfahrt zu,» was in
Verbindung mit dem ausschliesslichen Besitz der Rheinbrücke
einer Alleinherrschaft auf dem Strome gleichkam.
Auch war am Ende des XVIII. Jahrhunderts durch das
Wachsen der Industrie und die Steigerung der Luxusbedürf-
nisse vor allem der französischen vornehmen Einwohner, der
auswärtige Handel noch keineswegs gelähmt. 2
1 Die badische Regierung griff diese Vorteile heftig an. Vgl.
Ludwig a. a. 0. S. 238. — Erdmannsdorf f er und Obser,
Korrespondenz Karl Friedrichs von Baden I. 1888. S. 241 fg. —
Obser, Badische Politik in den Jahren 1782—1792 (Ztschr. f. Ge-
schichte nnd Politik, hg. von Zwiedenick-Südenhorst, 1888, Band V.
S. 818 nnd 901 fg. — Infolge der Bemühungen der Badener, wo-
nach von den Waaren, die stromaufwärts fahrend ausgeladen wur-
den, die gleichen Abgaben erhoben werden durften, wie wenn sie in
Strassburg ausgeschifft worden wären (Erlass vom 9. November 1773.
Erwähnt in der Enumeration descriptive des privileges etc. de la ville
de Strasbourg. St.-A. AA 2528). Vgl. auch Hermann a. a. 0. II. S. 132.
2 Vgl. Storch, a. a. 0. S. 12. — Ehrmann a. a. 0. S. 121.
2
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— 18 —
Aber Vieles war doch vom alten glänzenden Bestand des
Handels und Wohlstandes verloren gegangen. Nur langsam
konnte sich die Stadt von den Nachwehen des 30jährigen und
der späteren Kriege erholen,1 und dazu kamen direkte Schädig-
ungen durch den Magistrat und die französische Regierung.
Ersterer verschuldete in hartnäckigem Festhalten an den her-
gebrachten Zollsätzen trotz der allmählich verschobenen Ver-
hältnisse, eine Abnahme ' des auswärtigen Verkehrs, dessen
wichtigster Zweig der, in der erwähnten Weise beeinträchtigte,
Waarenverkehr nach der Schweiz bildete. Nächst diesem kam
der Tabak in Betracht, dessen Anbau dem Elsass eine ergiebige
Quelle des Wohlstands war.2 Hier aber griff die Regierung
schädigend ein, indem sie zur Hebung des Kolonialhandels 1749
einen hohen Eingangszoll auf fremden Tabak legte, wozu, be-
zeichnender Weise, auch der elsässische gerechnet ward. Erst
nach 25jährigen Bemühungen von seiten des Magistrats wurde
diese verderbliche Bestimmung wieder aufgehoben^
Auch die Ferme, der nach der Natur ihres Erwerbs daran
lag4 möglichst alles Einschlägige in ihr Machtbereich zu ziehen,
griff die Ausübung des guten, durch Artikel V der Kapitulation
verbürgten Rechtes der Stadt öfters heftig an, wobei Strassburg
vom Minister, dem wohl solch eine Streitfrage schliesslich vor-
gelegt ward, keineswegs geschützt zu werden pflegte.
In ähnlicher Weise wurde das Misstrauen des Magistrats
gegen die Regierung in juristischer Beziehung wachgehalten.
Der Hohe Rat in Colmar machte als höchste Berufungsinstanz
(o. S. 6.) dem Magistrat das Leben sauer, da er dessen Be-
fugnis unaufhörlich zu beeinträchtigen suchte, was die hart-
näckigsten Reibungen hervorrief.^
Ueberhaupt brachte die Einschränkung seiner richterlichen
Ludwig a. a. 0. S. 226. Anm. 65. — Dagegen Lehr a. a. 0. S. 59.
i Vgl. Lehr. E. Melanges de Litterature et d'Histoire Alsa-
tique. Strasbourg 1870. S. 40.
* Vgl. u. S. 130, Anm. 1.
8 Vgl. Lehr a. a. 0. S. 43. — Ree u eil des Titres concer-
nant les droits et Privileges de la ville de Strasbourg relativement
a son commerce. A (Strasbourg 1783. (9. Juli 1754). — Schrift-
tasche u. s w. S. 131, fg.
4 Der Ueberschuss der Einnahmen kam den Pächtern zu gut.
5 Vgl. Ludwig a. a. 0. S. 10.
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— 19 -
Befugnisse «dem Verfassungsleben der Stadt die tötlichste
Wunde». Die schnelle Rechtssprechung in Colmar veranlasste
immer zahlreichere Umgehungen der städtischen Behörden.
Mit aller Kraft suchte sich der Magistrat gegen eine that-
sächliche Unterwerfung zu wehren. So wurden z. B. die
sämtlichen oifenen Briefe über die Schlüsse der National-
versammlung im Spätjahr 1789 von Colmar aus unentwegt
mit der Aufforderung an den Magistrat geschickt, sie zu ver-
öffentlichen und einzutragen, und mit derselben Hartnäckigkeit
wurde der Empfang bestätigt, mit dem Bemerken, der be-
treffende Erlass sei dem Magistrat bereits vom Minister selbst
zugesandt worden.» —
So war denn, genau betrachtet, die Kapitulation im Lauf
des Jahrhunderts gerade in den wesentlichsten Punkten miss-
achtet worden, und bei dem offenbaren Aerger der Minister
über die komplizierte Verwaltungsmaschine der Grenzstadt
kann es wunder nehmen, dass noch im Jahre 1781 ein Mann
zum Prätor ernannt wurde, der die Privilegien und Rechte der
Stadt zu schützen sich ausdrücklich bereit erklärte : Alexander
Conrad de Gerard, ein sehr angesehener und vielfach aus-
gezeichneter Diplomat.8
Er hatte zwar durch den erwähnten Streit über die Ein-
führung neuer Fleisch waagen an Ansehen bei der Burger-
schaft verloren, aber seine überall eingreifende, umsichtige
und wohlwollende Thätigkeit, wovon man bei der Durchsicht
seiner hinterlassenen Schriftstucke auf dem Stadt-Archiv den
erfreulichsten Eindruck erhält, fehlte dem Magistrat sehr, als
er in den wichtigen Verhandlungen, womit auch für Strassburg
das Jahr 1789 begann, infolge einer Krankheit, die ihn 1790
hinraffte, in Frankreich abwesend war.» Daher konnte sich
1 Diese Art der Mitteilung war 1774 durch einen Staatsratsbe-
schlus8 eingeführt worden. Ausserdem hatte der Hohe Rat über die
Streitigkeiten in bez. anf die Patrimonialgüter der Stadt nicht zu
entscheiden. Diese wurden seit 1740 an den Staatsrat evoziert. Vgl.
Artikel XXI des ersten Teils des Beschwerdenhefts, bei Reuss S 35.
* Vgl. über seinen Lebensgang (wie auch über den der einzelnen
Stättmeister und Ammeister) M u 11 er a. a. 0. S. 58, und das aus-
führlichere Ernennungsdekret, St.-A. AA 2526 Ferner Rathgeber
in der «Strassburger Post> vom 30. Juni 1889.
3 Eine Darstellung in cGräuel der Verwüstung oder Blicke
in die französische Revolution», von S. . . . , Deutschland 1793, be-
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— 20 —
der Magistrat nur brieflich mit ihm verständigen und sich an
ihn wenden, was anfangs auch eindringlichst geschah, da man
annehmen konnte, er werde alles in Bewegung setzen, vermöge
seines Einflusses bei den massgebenden Stellen die Kapitulation
zu erhallen. Denn in dem Brief, den er bei seiner Ernennung
an den Magistrat schrieb, heisst es:1
«Die vielfachen Angriffe, die man täglich gegen die Ver-
fassung der Stadt Strassburg zu richten sucht, scheinen die
ernsthafteste Aufmerksamkeit von seiteu derjenigen zu ver-
dienen, in deren Händen Verwaltung und Obmacht liegen. Oft
kommt es vor, dass Unkenntnis Ihrer Formen und Rechte die
einzige Ursache der Irrtümer ist, die sie verletzen, aber es
giebt auch andere, vorbedachte und systematische Angriffe,
sei es von neuerungssüchtigen Geistern, die von Unruhe und Ein-
bildung daran gehindert werden, das Gute in alle dem zu sehen,
was seit Jahrhunderten besteht, sei es von Leuten, die sich ihren
Vorurteilen, ihrer Gewöhnung und vielleicht einer gewissen
Lässigkeit hingeben, indem sie dem Staat eine Einheitlichkeit
wünschen, die zum guten Zusammenleben seiner einzelnen
Teile nicht erforderlich ist. Die grössten Gefahren ergeben
sich aus den Anstrengungen solcher Leute, deren eigene
Interessen sie zu Massregeln verleiten, und solcher, die
ihren Vorteil im Umsturz jener Rechte und Freiheiten finden
würden ; endlich solcher, die glauben, die Bürgschaft des
hauptet (S. 29 fg.), Gerard sei durch seinen Sekretär völlig beherrscht
gewesen, nnd dieser habe die Stellen im Magistrat nach seinem
Willen besetzt. Das stimmt schlecht zu dem Ansehen, das Gerard in
hohen diplomatischen Sendungen zuvor erworben hatte. Seine Krank-
heit, heisst es weiter, sei nur eine Folge der Angriffe gewesen, denen
er durch den Waagenstreit ausgesetzt war. Der Ausgang der Krank-
heit, die Gerard in Bourbonnes-les-Bains zu heilen suchte, zeigt je-
denfalls, dass sie kein vorgeschützter Grund war. Er hätte dann
doch wohl auch früher für einen Stellvertreter sorgen müssen als es
geschah. — Bei der Spaltung, die während des Streites, mit den
Metzgern im Magistrat selbst herrschte, dürfte die Rache «einiger»
Ratsmitglieder (S. 30) kaum so tief gewirkt haben, um Gerard zu
vertreiben. — Spach (FredSric de Dietrich, premier Maire de Stras-
bourg; Revue d'Alsace 1856. S. 500 fg.) folgt dieser Schilderung.
— Vgl. aber über den Wert der «Giäuel> u. s. w. Strobel V.
S 326. Anm. ö. Dennoch giebt Engelhardt die Schilderung der
«Gräuel» S 297 wieder.
i Dat.: 4. juin 1781. St-A. AA 2135.
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— 21 —
Staates und die Versprechen des Königs könnten ein Ende
haben, und dass der hundertjährige Genuss ihrer Vorrechte
die Stadt Strassburg für ihre Unterwerfung unter die Krone
genugsam entschädigt hat.»
Solch eine Erklärung war nach dem Sinne des Magistrats.
Denn welchen Wert er der Kapitulation trotz ihrer Ver-
stümmelung beilegte, das zeigt der Kampf, den die Bürger-
schaft mit ihm vereint gegen die von Frankreich drohenden
Aenderungen führte, gegen die Nation selbst, der man dem
Worte nach nichts als Ergebenheit und Opfer darzubringen
bereit war. Dies Verhalten ist höchst bezeichnend für die Ge-
sinnung, welche die ehemalige Reichsstadt beseelte.
Einer «altehrwürdigen Matrone, die einen neumodischen
pariser Kopfputz hat, einer Mixtur, deren Bodensatz alte
deutsche Reichsbügersitte ist», wird sie von einem der zeit-
genössischen Reisenden verglichen.*
Eine alte Reichsstadt, wo es noch vor zwei Jahrzehnten
Meistersänger gegeben, wo noch bei mehr als 40 Gewerken die
Meisterstückschau festlich begangen wurde, wo noch das
Judenhorn auf dem Münster das Schliessen der Thore all-
abendlich gebot, und die nur eine Familie jenes Volks-
stammes, und dies gezwungenermassen, beherbergte, — eine
solche Stadt war Strassburg äuseerlich nicht nur, sondern auch
im Innersten geblieben, obgleich die «beiden Wasserläufe in
ein Bett eingezwängt, begonnen hatten, sich zu vermischen.»
Einen anderen Geist und auch andere Verhältnisse brachte
da« Jahr 1789 von der Seine herüber an den Rhein.
1 Vgl. Briefe eines Reisenden durchs Elsass, im Deutschen
Museum, 1781. Leipzig, I. Band, S. 422.
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I
Vorgänge und Stimmungen in Strassburg bis
zur Deputiertenwahl.
Ueber die sozialen Verhältnisse im Elsass vor der Revolu-
tion ist noch keine eingehendere Arbeit vorhanden, die zeigte,
in wie weit die Lage vor allem der Landbevölkerung des alten
deutschen Gebietes von der ihrer französischen Nachbarn ver-
schieden war. Immerhin ist anzunehmen, dass die Verhältnisse
der Provinz denen der anderen Teiledes damaligen Frankreich nicht
ohne weiteres an die Seite gestellt werden dürfen. Das Elsass war
bei weitem nicht so streng im Griff der Zentralisation der fran-
zösischen Regierung ; der Intendant hatte hier eine weniger ein-
dringende Macht als seine anderen Amtsgenossen. Das Land
zerfiel noch in jenes Gewirr kleiner Herrschaftsgebiete, die
nach dem dreissigjährigen Kriege in ihrer Gesamtheit an
Frankreich angegliedert und im Besitz der meisten landesherr-
lichen und Patrimonialrechle, vor allem begrenzter Steuerge-
rechtigkeit und der vollen, durch den Hohen Rat in Colmar
allerdings beschränkten Gerichtsbarkeit, belassen worden waren.1
So blieben die alten Verhältnisse und die engen Beziehungen
zwischen Hoch und Gering, zwischen Adel und Bauernschaft,
» Vgl. die Schrift Türckheim's. — Stupfel, Consid6rations
sur les droits particuliers et le veritable interet de la Province
d'Alsace etc. Strasbourg 1789. — Krug -Basse a. a. 0. S. 281 fg.
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— 24 -
Magistrat und Bürgern bestehen. Einen nichtresidierenden Adel gab
es hier in gewissen Gebieten zwar auch, wie in den württember-
gischen, zweibrückischen und ehemals österreichischen Gebieten
des Sundgaus ; im allgemeinen aber nur in so fern, als fast alle
Familien der Ritterschaft, die besonders im Unterelsass bunt
durcheinandergewürfelt ihre Gebiete besass, ein «Höteb in
Strassburg hatten,1 wo sie einen Teil des Jahres zubrachten,
was aber in Beziehung auf ihre Güter und Vasallen bei der
geringen Ausdehnung der Provinz kaum als eine Entfernung
in Betracht kommt. Am Hof zu Versailles zu glänzen, dazu
fehlten ihnen zumeist die Mittel. Viele Adelige des Elsass
dienten zwar im Heere oder nahmen eine Stelle an einem
deutschen Hofe ein; doch waren dies meist die jüngeren
Söhne, und der älteste nur bevor er das Erbe antrat, oder so-
lange er nicht in einen Stadtmagist rat gewählt worden war.
Was Tocqueville* von den deutschen Gebieten längs des
Rheins sagt, gilt auch vom Elsass.
Im Grossen und Ganzen hatte die Vereinigung mit Frank-
reich die Struktur der einzelnen Herrschaften doch in mancher
Hinsicht gar nicht oder wenigstens nicht grundsätzlich verändert.
Der Adelige des Elsass war, im Gegensatz zu dem des alten
Frankreich, nicht «nur ein vornehmerer Einwohner» der Ge-
meinde.» Er kümmerte sich noch um die Verwaltung, wodurch
seinen Untergebenen die Lehensherrschaft weniger drückend
erschien. Dabei waren auch die wirtschaftlichen Verhältnisse
anders als in grossen Teilen von Frankreich. Nachteiliges
Besilzrecht gab es nicht, dagegen viele wohlhabende Grund-
besitzer.*
Der Bauer «lebte ungestört seiner Arbeit . . . und be-
kümmerte sich nicht um die Sachen der Politik.» Weinbau
und Tabakpflanzung brachten ihm beträchtlichen Verdienst.
Und wie die Landwirtschaft, so ernährte auch das Gewerbe
1 Vgl. die Genealogieen der Adelsgeschlechter bei Muller a.
a 0. — Pfalz-Zweibrücken und Hanau-Lichtenberg, bzw. Hessen-
Darmstadt verwalteten die elsässiscben Gebiete durch Mitglieder der
betr. Familie. S. u. S. 75, Anm. 1.
2 Vgl. Tocqueville, a. a. 0 S. 37 fg.
8 Vgl. daselbst S. 40. 44. 45.
* Vgl. Strobel. V. S. 265 fg. und das Urteil Younga, bei
Sybel, Gesch. des Revolutionszeitalters,!. Bd. S. 20.
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- 25 -
seinen Herrn. Zwar druckten die immer mehr gesteigerten
Abgaben das Land. Doch hatten seine Bewohner in dieser
Beziehung viel weniger zu klagen, als die des alten Frankreich.
Fehlten doch die drückenden fünf Grossen Fermen in dieser
«fremden» Provinz. i
Wenn sich daher auch im Elsass in der Folge revolutionäre
Bewegungen z. Tl. mit grosser Heftigkeit geltend machten, so
wird man sie nicht sowohl mit den Stimmungen im Innern
Frankreichs als mit denen im westlichen Deutschland zu ver-
gleichen haben. 2
Es war, wie Wenck sagt, mehr die «sinnliche An-
steckungskraft», die das Elsass in Aufruhr brachte, und «kam
in einer Neigung zu Unruhe und Gewaltsamkeiten überhaupt
zur Erscheinung, mochte nun, was dabei Bewegung oder Losung
hergab, oder damit durchgesetzt werden sollte, den Ideen der
französischen Revolution verwandt oder nicht verwandt . . .
sein.»
Vorbereitet war der Ausbruch allerdings durch einen an-
deren Umstand, dem auch für das übrige Frankreich bekannt-
lich grosse Wichtigkeit beigemessen wird : 3 durch den Anstoss
zur Klage und Beschwerde, den die Provinzialversammlungen
mit der unklugen Offenheit gaben, womit sie die Schäden des
bestehenden Zustandes um so furchtbarer machten ; und durch
das Vorgehen der neuernannten Beamten, die sich über die
der adeligen Herren erhoben, und gegen deren Vorrechte zu
schüren begannen. Dazu kam dann noch der geringe Ernteer-
trag des verflossenen Jahres und der seit acht Jahrzehnten in
solcher Strenge im Elsass nicht mehr erlebte Winter, der sieben
Wochen hindurch furchtbar herrschte und viel Unheil verur-
sachte.*
1 Dies wird bei einer noch so pessimistischen Auffassung der
Zustände im Elsass (vgl. Treitschke, Deutsche Geschichte I.
S. 120) stets hervorzuheben sein.
1 Vgl Wenck, W., Deutschland vor hundert Jahren I. Band.
Leipzig 1887. — Anm. 198. S. 253. — Das folgende Zitat s. I. Bd.
S. 207.
3 Vgl. Tocqueville a. a. 0. S. 270. 272 fg. Cherest
Aime, La chute de l'ancien regime (1787—1789). Paris 1884. T. 1"
S. 399, 4t 4 fg. (besonders 420). T. 2d. S. 289 fg. - Für das Elsaas
im besonderen : Stupfel a. a- 0.
* Vgl. u. a. Strassburgische Privilegierte Zeitung
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So sah man schon zu Anfang 1789 auch in Strassburg der
Zukunft mit Besorgnis entgegen. Der augenblicklichen Not
hatte der Magistrat durch Holz- und Fruchtverteilung und das
Verbot, feinere Brotsorten zu backen, abzuhelfen versucht. Denn
es kostete ein vierpfündiger Laib, dessen Preis im September
9 Sols gewesen, in der ersten Hälfte des Februars noch 15 Sols,
d. h. nach heutigem Wert etwa 1,30 Mk. Daher ging es be-
greiflicherweise nicht ohne unwilliges Murren ab. Man ver-
gass gern die gute Absicht, die den Verordnungen der XVer
zu Grunde lag, und fand um so mehr Stoff zu neuen Anfeind-
ungen darin. Die Wirte und Bäcker beklagten sich über
das Wein-Umgeld,1 die Metzger über die längst verhasste Ac-
cise. Doch kam es nicht zu Ausschreitungen, und noch Ende
Februar konnte man die Ruhe der Bürger und die Klugheit
rühmen, womit sie die Erleichterungen versprechende Entschei-
dung aus Paris hatten an sich herankommen lassen. Das fand seine
Erklärung darin, dass eben der gewöhnliche strassburger Bürger
der sozialen Bewegung jenseits der Vogesen wenig Verständnis
und thätiges Interesse entgegenbrachte, ferner darin, dass die
Stadt an den Provinzialversammlungen nicht beteiligt war, und
endlich darin, dass die Einwohner sich auch um die zu beru-
fenden Reichsstände und die Vertretung der Stadt daselbst
vorläufig nicht kümmerten.
Anders der Magistrat. Von dem Arret des Königs, vom
5. Juli 1788 an, wodurch die Berufung der Generalstände ver-
ordnet wurde, war die künftige Stellung Strassburgs zweifelhaft
und schwierig gewesen. Da sich die neue Ständeversammlung
möglichst nach dem Muster der alten, seit 1614 nicht mehr
1789. 3.-25. Stück. Friese, a. a. 0. IV. S. 169 fg. - Taine, H.,
Les origines de la France contemporaine. La r6volution, I.Paris 1878
S. 4.
1 Die zu jener Zeit in Strassburg nnd heute noch z. B. in
Württemberg allgemein giltige Form dieses Wortes. Sie dürfte aus
Analogie zn dem. einen Teil des alten nngelt bildenden, Ohm-
geld der Bäcker und Wirte entstanden sein. — Die eigentliche Be-
deutung des Wortes aber zeigt die lateinische Uebersetzung dessel-
ben: indebitum. Vgl. Mone's Ztschr. f. Gesch. des Oberrheins, VI.
Bd. 1855. S. 16. Anm. 3.; und Hdwb. der Staatswissenschaf-
ten, VI. S. 337: «Die Form Umgeld, (die übrigens schon früh vor-
kommt), beruht auf Entstellung ... Im wesentlichen sind üngelt und
Accise dasselbe, werden sehr oft [wie in Strassburg] synonym ge-
braucht »
— 27 —
berufenen, richten sollte, konnte man aus Strassburg keine
die Wahlberechtigung nachweisenden Protokolle vorzeigen.
Ebensowenig konnte man sich auf einen Besitz, auf irgend eine
Verbindung mit dem Königreich zu jener Zeit stützen, wodurch
die Stadt Anspruch auf eine eigene Vertretung gehabt hätle.
So fürchtete man, übergangen zu werden, was einer wehrlosen
Abhängigkeit von der Versammlung, unter Umständen von vorn-
herein einem Verlust der Kapitulation gleichkommen konnte.
Man achtete nicht darauf, dass diese nur mit dem Könige,
nicht mit der Nation abgeschlossen worden war.
Als aber mehrere Provinzen, die sich in ähnlicher Lage
befanden, um die Herstellung ihrer ehemaligen Stände anhielten,
und der gleiche Wunsch das übrige Elsass bewegte, so wurde
von der Kammer der Xlller eine Deputation eingesetzt,» um aus
den Nachrichten des Stadtarchivs den Anteil Strassburgs an den
ehemaligen elsässischen Ständeversammlungen nachzu-
weisen, und so zu bewirken, dass es in der französischen Ver-
sammlung seinen alten angesehenen Platz als Reichsstand ein-
nehmen könne, vermöge dessen es vor allem auch den zehn
kaiserlichen Städten des Elsass als einzelne, abgesonderte Stadt
gegen übertrat. *
Alsbald nach der Wiedereinsetzung Necker's ward an diesen
ausserdem eine Denkschrift abgesandt, worin sich der Magistrat
nun auch auf das frühere Recht der Abordnung zu den Reichs-
und Kreislagen berief, und besonders auf den Vorzug hinwies,
dass der Hof nicht durch die Provinzialbehörden, sondern un-
mittelbar mit der Stadt verhandelte. Man sann bereits auf
Wege, die Stellung der Stadt mit den in Versailles zur Geltung
kommenden Grundsätzen möglichst zu vereinigen, um desto
mehr auf ein Entgegenkommen in der Abordnungsfrage hoffen
zu können. Hingegen riet Gerard, welcher Mitglied der zum
zweiten Mal berufenen Notablenversammlung war, und daselbst
die Privilegien der Stadt stets vertreten hatte, unumwunden
1 Vgl. Protokoll der Rath u. XXIer vom 23. Februar 1789.
- Dieser Unterschied sollte auch jetzt noch streng gewahrt werden.
Die 10 kais. Städte wollten geraeinsam die Herstellung der alten
Stände des Elsass bewirken. Strassburg lehnte die Einladung, sich
ihnen dabei anzuschliessen, unter dem Hinweis auf seine vereinzelte
Stellung ab.
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zu Massregeln, um dieselben auch jetzt zu wahren, und ver-
wandte sich dafür eifrigst persönlich bei den Ministern.
Doch blieb die Frage auch nach der Ankündigung der
Etats-Generaux noch lange offen, und der Beginn des Jahres 1789
war eine Zeit peinlichster Ungewissheit für den Magistrat.
Einerseits sehnte er sich nach einer .bestimmten Aeusserung
des Hofes, erklärte aber, da diese zunächst ausblieb, den Ver-
handlungen der Stände in keinem Fall anders als «freiwillig
und aus wahrer Ueberzeugung der daraus zu hoffenden über-
wiegenden Vorteile» beitreten zu wollen. Brief auf Brief ging
nach Paris ab, an Gerard, an den Sohn des Stättmeisters von
Dietrich, an de Crolbois, den thätigen und wohlunterrichteten
Agenten der Stadt; alle wurden ersucht, sich für diese zu ver-
wenden. Die Befürchtungen stiegen auf das Höchste, als die all-
gemeinen Berufungsschreiben vom 24. Januar i eintrafen, welche
die auf das Elsass nicht anwendbare Einteilung der Wahlbezirke
in Baillages und Senechaussees verordnete, und in deren Ver-
zeichnis wahlberechtigter Städte Strassburg nicht erwähnt war.
Erst am 23. Februar erhielt der Altammeister Johann von
Türckheim durch den Intendanten ein Projekt zugesandt,
wonach Strassburg zwei von den Bürgern zu wählende Abge-
ordnete gewährt wurden. Die Verordnung des Königs das Elsass
betreffend,8 die es bestätigte, war schon am 7. Februar ergangen ;
aber erst arn 2. März erhielt der eben regierende Ammeister
Mathias Nicolaus Zäpffel sie vom Prevöl der Marechause zu-
geschickt. Das Schreiben ward in gehobener Stimmung feier-
lich im Rat, und sodann, wie es bei Gegenständen von grösserer
Wichtigkeit zu geschehen pflegte, bei offenen Thüren verlesen.
Neben den allgemeinen Bestimmungen für das Elsass, das
wie zu den Provinzialversammlungen in 6 Distrikte mit insge-
samt 24 Abgeordneten eingeteilt ward, sah sich Strassburg in
der wünschenswertesten Weise bevorzugt. Denn unter besonderer
Berücksichtigung ihrer Kapitulation, ihres Besitzes an eigenem
Gebiet, und ihrer eigenen Verwaltung war der Stadt eine von
den zehn anderen Städten unabhängige «direkte» Abordnung
zugestanden worden.
* Vgl Archives pa rle ra e nt ai res de 1787 ä 1860. T. 1er
Paris 1879. S. 544. fg. u. S. 617.
2 Vgl. Aich, pari I. S. 632 fg u. Reuss, l'Als. S. 1. fg
— 29 —
Zur Wahl derselben sollten alle Bewohner des dritten
Standes der Stadt berufen werden, während ihr Adel und ihre
Geistlichkeit in Hagenau eigene Abgeordnete zu wählen hatten
(Artikel VII). Die Amteien waren ebenfalls in die Distriktsein-
teilung inbegriffen (Art. X).
In Strassburg gab man sich den grösslen Hoffnungen hin ;
die Kapitulation war gerettet, jeder Wunsch sollte an das Ohr
des Königs dringen; was dem Vertrag von 1681 im Lauf der
Jahre entgegengehandelt worden, konnte wieder beseitigt werden y
die Zeit der alten Unmittelbarkeit schien wieder zu erwachen.
Ein Ausschuss ward unverzüglich eingesetzt, um sich mit
den Wahlbestimmungen zu beschäftigen. Bei der eigentüm-
lichen Verfassung, besonders bei der strengen Einteilung der
Zünfte, die ihren Grundstock bildete, zeigte sich die Notwendig-
keit, nicht unbedeutende Abweichungen von den in der Vorschrift
vom 24. Januar befohlenen Formen der Wahl vorzunehmen.1
Einmal konnte eine Unterscheidung der einzelnen Körper-
schaften nach der Art ihrer Thätigkeit in Körperschaften der
Künste, Handwerker, und sonstiger gleichartiger Berufszweige
hier nicht Platz greifen, weil, wie erwähnt, die Zünfte, mehr
äusserlich, die verschiedenartigsten Genossenschaften in sich
zusammenfassten. Daher berief man sich auf das Bestreben des
Königs die herkömmlichen Gebräuche bestehen zu lassen, und
wies darauf hin, wie zweckmässig die Einteilung in eine feste
Zahl von Körperschaften für den glatten Verlauf der Wahlen
sein musste. Hielt man sich aber hieran, so war auch die
einheitliche, mit der Stärke der einzelnen Genossenschaften
steigende Zahl der Wähler der Abgeordneten, der s. g. B e pr ä -
sentanten, nicht anwendbar. Deshalb wurde bestimmt,
dass zwar, wie in den anderen Städten, Teilversammlungen zur
Vorwahl berufen werden sollten, dass aber diese Versammlungen
nach den drei in Strassburg in betracht kommenden Klassen,
— Bürgern, Schirmern und Privilegierten, — unter Ausschluss
jeder weiteren Unterabteilung, zusammentreten sollten. Innerhalb
dieser Versammlungen wurde der vorgeschriebene Wahlmodus
beobachtet. Die Zünfte sollten sich auf ihren besonderen Stuben >
1 Sie wurden im Entwarf am 10. März veröffentlicht. Vgl. Reuse,
l'Als. S. 8 fg.
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- 30 -
womöglich am 18. März, versammeln und je zwei Repräsen-
tanten bis zu 100, vier bis zu 200 Anwesenden u. s. w. wählen.
Auf die Schirmer ward die Bestimmung für die corpora-
tions d'arts et metiers (Art. XXVI) angewandt, so dass
weniger als 100 Anwesende einen, unter 200 zwei Repräsentanten
zu wählen hatten u. s. w. — Die kleine Klasse der Privilegierten
verfuhr in derselben Weise wie die Bürger. — Die Bewohner
der Bannmeile, d. h. der Ruprechtsau und des Neuhofs, er-
hielten das Recht, sich ihren städtischen Zünften anzuschüessen,
oder aber an ihrem Wohnort selbst zusammenzukommen.
Eine weitere Schwierigkeit entstand aus der Verordnung,
dass die «Munizipalbeamten» die «nicht dem dritten Stande
angehörten», in der von ihnen zu leitenden Versammlung keine
Stimme haben sollten, aber dennoch das Recht gewählt zu
werden. Hier erhob sich bald die Frage, ob die Magistrate als
Munizipalbeamte in jenem Sinne zu betrachten seien oder nicht?
Die Meinungen waren verschieden und ein Teil der Ratsherren
glaubte nach der Stimmenthaltung bei den Wahlen praktische
Folgen für die Zukunft befürchten zu müssen. Nach sehr leb-
haften Verhandlungen fand man schliesslich den Ausweg, sich
an Artikel LI. des Reglements zu halten, wonach alle Ver-
ordnungen und Entscheidungen in Bezug auf die Berufungen,
Wahlen und Versammlungen nur provisorisch sein sollten ;
und man entschloss sich, die Angelegenheit vorläufig durch
Stimmenmehrheit zu entscheiden.
Dabei siegte der Vorschlag Türckheims, dass in den Vor-
versammlungen der Zünfte jeder Ratsherr abstimmen und
wahlfähig sein könne, bei der Redaktion des zu verfassenden
Beschwerdenheftes und in den endgiltigen Wahlversammlungen
jedoch nur dann, wenn er als Repräsentant aufgestellt worden
sei.1 Denn, so sagte Türckheim, — mit einer Verzichtleistung
auf das aktive Wahlrecht konnten die Magistrate hoffen, guten
Eindruck auf die Bürgerschaft zu machen ; «wenn jemals ein
Zeitpunkt erfordert, dass dieselben ihre ganze Würde auf
1 Türckheim war in der Stadt Strassburg wahlberechtigt, da er
nicht dem unmittelbaren Adel angehörte Ausserdem enthielt das
Adelsdiploni seines Vaters die eigentümliche Bestimmung, dass der
Träger des Adels denselben stets zeitweilig ablegen konnte. In diesem
Falle befand sich J. v. Türckheim als bürgerlicher Ammeister.
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- 31 -
Bögerliebe und freies Zutrauen gründen, so ist es der
gegenwärtige.»
In den übrigen Verordnungen hielt man sich streng an
die Vorschrift, unter ausdrücklicher Verwahrung gegen jede
daraus etwa entstehende Neuerung.
Uebrigens meldeten sich, trotz der Bestimmung, keiner
weiteren Körperschaft die Wahl eigener Bepräsentanten zu ge-
statten, alsbald der protestantische Kirchenkonvent und das
Kapitel von St. Thomas — das unter 16 Kanonikern 13
Professoren zählte, — sowie die protestantische Universität selbst,
mit dem Ersuchen, als selbständige Körperschaften ihre eigenen
Bepräsentanten abordnen zu dürfen. Auch dies rief grosse
Bedenken und Meinungsverschiedenheiten hervor. Der Stätt-
meister Siegfried von Oberkirch aber trat im Verein mit
Türckheim für die Gewährung ein, da die katholische Geistlich-
keit das hier beanspruchte Becht schon besass, und ohne das
die drei protestantischen Körperschaften, verteilt in die Zünfte,
ihre eigensten Interessen nicht genügend würden wahren
können. Provisorisch wurde demnach beschlossen, dass nach
Artikel X. auch das Stift und der Konvent je zwei Bepräsen-
tanten wählen sollten, die Universität aber, da nur fünf
Professoren nicht zugleich auch Kanoniker waren, nur einen,
«was Conventus professorius nicht ohne einige Verlegen-
heit ersah.»»
Während dieser Vorbereitungen des Magistrats begann
eine erregte Bewegung in der Stadt um sich zu greifen. Aber
dieser Anfang des Umsturzes in Strassburg war eine Bevolution
der Bürger nicht gegen die Staatsregierung, sondern gegen die
Stadtobrigkeit. 2 Der Boden dazu war durch die erwähnten
Missverhältnisse zwischen den Bürgern und dem Magistrat
vorbereitet worden. Der Unmut über die amtlichen Gewalt-
1 Die Minister hatten gegen diese Vergünstigung ebensowenig wie
gegen die übrigen Abweichungen vom Reglement etwas einzuwenden.
— Vgl. den Brief des Magistrats an Puysegur vom 12. März (Ent-
wurf St.-A. AA. 1099); teilweise im Anhang (Nr. 2) mitgeteilt Diese
vorbereitenden Verbandlungen machten es unmöglich, die Vorwahlen
vorschriftmäs8ig 8 Tage nach dem Eintreffen des Berufungsschreibens
vorzunehmen. Der Gouverneur der Provinz, Marschall von Stainville,
gestattete daher, sie bis zum 23. März hinauszuschieben.
* Ganz ähnlich wie z. B. später im Bistum Speyer. Vgl. Wenck
a. a. 0. 1. S. 212.
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— 32
thätigkeilen sah bald, wie gesagt, in allerhand Massnahmen
«persönliche Beleidigungen und Eingriffe», in verschiedenen
Einrichtungen der Verfassung, z. B. der Art der Steuer-
einziehung und der geheimen Rechnungsablage, unerträgliche
und anfechtbare Zustände. Dies waren Schäden, wo man einen
Hebel mit Erfolg ansetzen konnte, der dann allmählich stärker
und wirksamer zu arbeiten begann. Niemals aber wäre es zu
einer so lauten Gehässigkeit gekommen, wie sie durch die
Erlaubnis geweckt wurde, jede Klage und jeden Wunsch in
den Besch werden heften dem König zu Füssen zu legen. Die
Bürger gerieten in freudige und gereizte Stimmung zugleich.
Sie wurden zum Nachdenken über ihre Lage aufgefordert, und
nun entdeckten sie überall neue Uebel, und fanden die schon
bekannten um so unerträglicher,1 wenn auch nur wenige der-
selben mit den Klagen der Altfranzosen zusammenfielen. Eine
Anzahl z. tl. bissiger Druckschriften verstärkte noch die all-
gemeine Bewegung, indem sie teils mit geschmeidigen und
aufreizenden Worten, teils mit aufrichtigen Ermahnungen die
Bürger auf das hinwiesen, was sie von der Nation, bzw. dem
Könige, zu verlangen hätten.8
Dabei führten die Gegner des Magistrats das grosse Wort.
« Hütet euch vor jenen, hiess es, die in der Stadt Diensten sind.
Wählet im Gegenteil bei euren Zünften solche Männer, die bei
der Stadt nichts suchen ! » Der Verfasser der « Erinnerungen » rät
1 Auch im übrigen Elsass zeigte sich eine solche Wirkung der
Massregeln des Königs. Vgl. Taine, a. a. 0., I. S. 13. n. 21. und
auch Cherest a a. 0. S 236 fg.
2 Vgl. Unmassgeblicher Vorschlag einiger Deputirten der
Strassburgischen Zünfte zu einem Vereinigungspunkt ihrer Klagen ;
geschrieben Freitags Morgens den 20. März 1789. — Gedanken
denen Strassburger Burgern und insbesondere denen Repräsentanten
ihrer Zünfte gewidmet. Hievon erschien eine «Zweite, verbesserte
Auflage mit Noten», welch letztere augenscheinlich von dem zu er-
wähnenden Prof. Ditterich stammen. — Unmassgebliche Ge-
danken bei dem bevorstehenden allgemeinen Reichstag von Jon.
Heinrich Kress, dem Zundelpatscher. 1789., besonders gegen
Ditterich sich wendend, von einem Professor der prot. Universität
verfa8st. (Vgl. Strobel, V. 286. Anm. 2). Am meisten schürten das
Feuer die «Erinnerungen an die Bürger Strassburgs», die «den
Mangel an den nötigen Einsichten vieler . . . Bürger» missbrauchte,
und sich zunächst gegen die Wahl eines Magistratsmitgliedes oder
Schöffen zum Deputierten wandte.
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— 33 —
geradezu die Abschaffung aller drei Kammern und des Grossen
Rats an, und verlangt, dass hauptsächlich Rechtsgelehrte in die
von ihm vorgeschlagenen Behörden gewählt werden sollten. Es
ergab sich denn auch alsbald ein solcher, der Lehrer des ka-
nonischen Rechts an der katholischen Universität, D i t te r i c h ,
aus Bamberg gebürtig, als der Verfasser. Was « ihm so viel
Galle gegen die Verfassung verursachte» war der Aerger dar-
über, dass er sich umsonst um eine Ratsstelle beworben hatte,
während er nun danach strebte Abgeordneter zu werden. *
Diese Flugschriften zeigen in ihrem Tone, wie scharf sich
die Parteien vor und nach den Wahlen der Repräsentanten
trennten, wie sich schon hier katholisch und protestantisch ent-
gegentrat, uud wie alles dahin drängte, den Magistrat zu be-
schränken, und die Stellung der Bürgerschaft weniger abhängig
zu gestalten.
Noch deutlicher aber offenbarte dies der Ausfall der
Wahlen am 18. März. Die Stimmenabgabe geschah in jeder
Zunft nach dem Alter ; doch stimmte der Oberherr an letzter
Stelle, wie verordnet worden, da eres schwache Köpfe» gab,
die ihnen oft ((nachbeteten». Die Zahl der Erwählten schwankte
je nach der Stärke der Zünfte zwischen 2 und 12. Am 20.
hatten die Privilegierten und die protestantischen Körperschaften,
am 21. die Schirmer ihre Vertreter gewählt. Im allgemeinen
waren die Versammlungen ruhig verlaufen, wenn es auch bei
einigen Zünften nicht an Lärm und Erregung gefehlt hatte, was
der launige «Zundelpatscher» auf die kräftigen Naturstimmen
der Schmiede, Fischer und Gärtner zurückführte.
Das Gesamtergebnis waren 126 erwählte Repräsentanten,
worunter zur grössten Bestürzung des Magistrats, der «vor
Scham und Zorn kaum das Herz hatte, die Augen aufzuheben»,*
1 Vgl. K r e 8 s , a. a. 0. Dieser Vorhalt scheint nicht grundlos
gewesen zu sein, da Ditterich es bis zum Mitglied des 32er Aus-
schusses brachte, im August sogar bis zum Ratsherrn. Anch in der
nenen Munizipalität war er notable du conseil de la commune und
Mitglied der Departementsverwaltung. Als Geheimer Rat des Fürst-
bischofs von Speyer musste er nach dessen Einspruch gegen die
Neuerungen in seinen elsässischen Herrschaften 1791 fliehen, und
ward 1792 zum Emigrierten erklärt. Vgl. Notes biographiques sur
les hommes de la Revolution ä Strasbourg et les environs, von
E. Barth, Revue d'Alsace. Tome 6me, 1877. S. 257fg.
2 Vgl. Fri ese, a. a. 0. IV. S. 209.
3
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— 34
nur 6 Ratsmitglieder und 44 Schöffen sich befanden, z. B. der
regierende Ammeister Zäpffel, Türckheim und der auch sonst
hervortretende XUIer Hennenberg. Auch Generaladvokat Fischer
und Konsulent Metzler, sowie Ditterich waren von ihren Zünften
gewählt, von den Privilegierten der Syndikus des Ritter-
schaftsdirektoriums Schwendt, vom Kirchenkonvent der be-
kannte Kanzelredner Blessig. Die Schirmer hatten zum Er-
staunen und Schrecken des Magistrats neben zehn anderen den
Königslieutnant Baron von K 1 i n g 1 i n , von dem noch ferner
die Rede sein wird, ernannt. Dies Gesamtergebnis kam einer
Kundgebung gleich. Ein siegesgewisser Ton, wie ihn der bisher
Unterdrückte dem überwundenen Peiniger gegenüber anschlägt,
machte sich bemerkbar. Man erklärte offen, dass eine Ver-
schwörung mehrerer Zünfte bestanden hatte, keinen ihrer Ober-
herrn, Schöffen oder Richter zu wählen.»
Am 23. fand die Versammlung der Repräsentanten unter
dem Vorsitz der Ratsherren statt. Diese begaben sich unter dem
Geleit der Stadtsöldner und Ratsboten, angethan mit ihren
Zeremonialkleidern, von der Pfalz in die nahegelegene Zunft-
stube zum «Spiegel», wo die 126 sie erwarteten. Nach einigen
Ansprachen und nochmaliger Verlesung der königlichen Briefe
wurden die Protokolle mitgeteilt. Während Khnglin sich be-
mühte, Vertrauen zu erwecken, erhob sich Ditterich im Verein
mit einigen anderen Repräsentanten und that «vom Ungeheuer
der Intoleranz und des blinden Religionseifers belebt», heftig
Einspruch gegen die Ernennung von Repräsentanten seitens der
protestantischen Körperschaften. Er hatte sich jedoch Tags zu-
vor 2 bei einem Essen der Repräsentanten so auffallend feindlich
gegen den Magistrat ausgesprochen, dass er den Saal hatte ver-
lassen müssen. Dies veranlasste die Anwesenden, auch nunmehr
sich seinen Angriffen gegenüber auf die Seite des Magistrats zu
stellen. Dieser betonte wiederum die provisorische Giltigkeit
seiner Zustimmung. Darauf schritt man zur Vereidigung sämt-
licher Repräsentanten und zur Wahl der Kommissare, die das
Besch werdenheft fertigstellen sollten. Es kam ein Aus-
schuss von 32 Mitgliedern zu stände. 3 Ditterich befand sich
1 Unmassgeblicher Vorschlag S. 2.
2 Kress, a. a. 0. S. 24.
s Vgl. die Namen bei Reuss, l'Als. S. 31. — - Hermann,
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- 35 -
darunter, — ebenso Klinglin, der sich ebenfalls zum Deputierten
anzubieten schien. — Gern hätte der Magistrat, um voreilige
und schädliche Schritte zu verhüten, eigene Kommissare für
die Beschwerden ernannt; aber seine Lage gegenüber den
Zünlten war bereits so unsicher geworden, dass er nicht einmal
solch einen Vorshlag zu machen wagte. Er gestand ein, dass
er seine Grossmut den Bürgern gegenüber zu bereuen anfing.»
Aber auch ausserhalb seines Kreises sah man in den Um-
trieben vor der Wahl mit Recht das Bestreben, selbst die un-
bedeutenderen Beschwerden unter Umgehung des Magistrats
unmittelbar an den König zu bringen,* trotzdem öfters darauf
hingewiesen worden war, dass sich mit solchen « kleinfügigen
Dingen» die Reichsversammlung nicht abgeben werde. Man
beklagte, dass das Wohl der Stadt nun in den Händen uner-
fahrener Männer lag, die auch bald selbst z. Tl. merkten, dass
«Volksregierung mehr ist als blosses Kannegiessern ». Andere
aber konnte man wichtig einhergehen und Audienzen erteilen
sehen, « gerade als ob sie dazu berufen wären, Magistrat und
Bürgerschaft in eine ganz neue Schöpfung zu verwandeln.» —
Die Arbeit der Kommission dauerte länger als man er-
wartete: bis zum 8. April. Inzwischen kamen mancherlei auf-
regende Nachrichten durch die Zeitungen nach Strassburg, be-
sonders über die Teuerung und die dadurch entstandene Gärung,
und es schien, als ob auch hier die Erregung Herrin werden
wollte. Aber sie liess sich durch die Hoffnung auf baldige
Abstellung der Missbräuche und das Bewusstsein, die Klagen
aufgezeichnet zu haben, wieder dämpfen.3
Eine entschiedene Wendung zum Besseren bedeutete es,
a. a 0. I. S. 106 und 193 spricht irrtümlich von einer <commission
des Quarante.»
1 Vgl. hierüber und über die Repräsentantenwahl überhaupt den
Brief des Magistrats an Gerard vom 25. März 1789, im Entwurf
St.-A, AA. 1099, teilweise mitgeteilt im Anhang, Nr. 8. Bis Ende April
korrespondierte der Magistrat noch eifrig mit Oerard, von da an
wandte er sich mit seinen Berichten an die Deputierten.
2 Vgl. Ge danken u. s. w. S. 4. u. 11. Vermahn ung zur Vor-
sicht bey den Wahlen zum Reichstage von der Elsässischen zwischen-
Commission an die Gemeinden der Provinz gerichtet. S. 3.
5 Vgl. den Brief des Magistrats an den Gross-Siegelbewahrer
vom 15. April (Prot. Rath und XXI), und die Rede Fischers vom
7. April.
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als am 6. April die 32 anzeigen konnten,! dass, entgegen den
Wünschen Ditterichs, die Beschwerden der Bürger über die innere
Verwaltung zunächst nicht der Nationalversammlung, sondern dem
Magistrat vorgelegt werden sollten, und zwar von einer ausder Mitte
der 342 zu ernennenden Kommission, die gemeinsam mit einer
Abordnung des Magistrats über diese Beschwerden, «zur Aufrecht-
erhaltung des guten Einvernehmens», verhandeln sollte. Dass
dieser geheime Wunsch des Magistrats nun auf Veranlassung
der Repräsentanten in Erfüllung ging, verdross ihn aber so,
dass er nur mit Rücksicht auf die herrschende Stimmung ein-
willigte. Immerhin war es der beste Ausweg den Frieden zu
erhalten und die Gelegenheit günstig, die Bürger amtlich des
Wohlwollens des Magistrats eindringlich zu versichern,« in
Hinsicht auf die am 8. stattfindende Wahl.
Als sich an diesem Tage die Ratsherren Morgens sechs
Uhr sämtlich auf der Zunftstube zum Spiegel versammelt
hatten, und der feierliche Kirchgang beendet war, fand die
Vereinigung mit den Repräsentanten statt. Zunächst wurde das
umfangreiche Beschwerdenheft verlesen^ und von den Letzteren
genehmigt. Der Magistrat schwieg, höchst unangenehm be-
troffen,* und beschränkte sich darauf, Gerard sein Leid zu
klagen und ihn um seine Verwendung in Paris zu bitten.
Dann ernannten die Repräsentanten sieben Kommissarien,* die
den Auftrag erhielten, ohne selbständiges Bescblussrecht mit
den vom Magistrat zu ernennenden Deputierten über das Be-
schwerdenheft zu verhandeln.
Dann schritt man zur Wahl der Deputierten. Zunächst
wurden, der königlichen Verordnung zufolge,6 drei Wahl-
richter {scrutateurs) durch geheime Abstimmung bezeichnet,
1 Vgl. den Briet' an Gerard vom 11. April bei Reuss, l'Als.
S. 66.
» Vgl. Reuss l'Als, S. 24.
3 Vgl. Anm. 3. Die Begehren der Zünfte mit den dazu gehörigen
Bemerkungen der Kommission s. bei Heitz a. a. 0. S. 163 fg.
* Vgl. Xlller Protokoll vom 6. April: des <cahiers princi-
pia> seien gegen den Magistrat gerichtet.
5 Es waren dies : Fischer, der Notar Lacombe, Kaufmann Schu-
bart, Herv6, der Banquier von Türckheim (des Ammeisters Bruder
und Gemahl von Goethe's Lilli), Gärtner Wunderer und Lic. Spiel-
mann; als Stellvertreter Ditterich und Metzler.
« Vgl. Proces verbal de l'election etc. bei Reuss, l'Als. S. 25.
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die ihre Stimmzettel zuerst abgaben. Von den 426 Stimmen
fielen beim ersten Wahlgang, wo es sich um den protestan-
tischen Abgeordneten handelte, 96 auf den Altammeister von
Türckheim. Nach dem entmutigenden Ausfall der Repräsentanten-
wahl hatte der Magistrat nun doch die Genuglhuung einen der
Seinen nach Versailles entsenden zu dürfen. Die Wahl des
zweiten Abgeordneten machte einige Schwierigkeiten. Beim
ersten Wahlgange erhielt niemand die absolute Stimmen-
mehrheit. Beim zweiten jedoch ward mit 87 Stimmen der
Syndikus Schwendt zum Deputierten ausgerufen.!
Das Wichtigste an diesem Ergebnis war, dass beide Ab-
geordneten juristisch gebildete und im praktischen Recht er-
fahrene Männer waren, — das erste Erfordernis für die Ver-
treter der von den wenigsten Burgern völlig beherrschten
Staats- und verfassungsrechtlichen Verhältnisse Strassburgs.
Türckheim* wurde diesem Ansprüche in erster Linie ge-
recht. Er war schon seit 1778 Ammeister, wenn auch noch nicht
40 Jahre alt ; auch war er Abgeordneter der Provinzial Ver-
sammlung und Vorstand des Bureaus der öffentlichen An-
gelegenheilen daseibat gewesen. Im Privatleben war er Banquier
und besass mehrere Güter im Elsass und in Baden. Er war
«eine der bedeutendsten politischen Grössen der damaligen
königlichen Freyen Reichsstadt.» Im häuslichen Leben war er
den Sitten der Väter treu geblieben, und trotzdem sein Haus
eines der besten in Strasburg war, widertsrebte er mit seiner
Familie «dem Strom der leichtsinnigen Modesitte», und
«wählte mit Patriarchensimplicität häusliche Ruhe, . . . genaue
Ausübung jeder Pllicht, Anbauung der Kenntnisse, Würde der
Menschheit zu ihrem Glücke. »3
1 Vgl. die Bemerkung von Renss, TAU., S. 30 Anm. 1.
* Vgl. Muller a. a. 0. S. 100. — Rathgeber, Das Elsass
beim Aasbrach der französischen Revolution (Jahrbuch für Gesch.,
Sprache u. Litt. Els.-Lothr. u. s. w. V. Jahrgang, Strassbnrg 1889.
S. 187.) Revue d'Alsace, VII. Band, S. 127 fg. Reuss, l'Als., S.
27. — Pf annen s chmid, G. K., Pfeffel's Fremdenbuch. Colmar
1892. S. 77 u. 97 fg. N i e b u h r erwähnt in seinen Vorlesungen über
die Geschichte des Zeitalters der Revolution (I. S. 199 fg.) den ihm
ersönlich bekannten T., cder manche administrative Kenntnisse
atte, aber nicht bedeutend war.»
3 Vgl. Journal einer Reise nach Frankreich (von S. M.
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Auch Schwendt als Syndikus des Direktoriums der un-
mittelbaren Ritterschaft war mit den vielgestaltigen Herrschafts-
rechten des Elsass wohl bekannt, und so konnte auch ihn der
Magistrat mit Freuden begrüssen. Die Abgeordneten erhielten
ihre Vollmachten, über alles was den Staat angehe, Vorschläge,
und Vorstellungen zu machen, ihre Meinung zu äussern und
ihre Zustimmung zu geben. Die Repräsentanten ihrerseits ver-
sprachen alles zu billigen und zu genehmigen, was durch sie
geschehen und bestätigt werden würde. Am 49. April reisten
Türckheim und Schwendt, nachdem ihnen in einer Huldigungs-
adresse der Repräsentanten zu ihrem «segentriefenden Gang»
unter Ueberreichung von Bürgerkronen Glück gewünscht
worden war, nach Paris ab, wo ihnen de Crolbois als Berater
und als finanzieller Agent und Bevollmächtigter des Magistrats
jederzeit aufmerksam zur Seite stand.»
11.
Das Beschwerdenheft und die Verhandlungen
wegen der inneren Beschwerden mit der
Bürgerschaft.
Thatsächlich erlosch mit der Wahl der Abgeordneten die
Thätigkeit der Repräsentanten, und es blieb noch die Kom-
mission der Sieben, deren Mitarbeiter vom Magistrat,
fünf an der Zahl,2 am 15. April durch den regierenden Am-
ineister ernannt wurden. Als sie zu gemeinsamer Beratung
Laroche) Altenburg 1787. S. 13 u. Reuss, l'Als. S. 163 Anm. 1.
Bei Laroche muss die Familie des Ammeisters gemeint sein.
1 Vgl. Re uss, TAls., S. 69. Die Huldigung ist in dem Brief eines
gew. Krauss an den badischen Minister von Edelsheim (vom 10. März.
Karlsruher Archiv, Frankreich. Reichssache. 1789. 1790) ge-
schildert. In der Adresse findet sich die wenig demokratisch gefärbte
Stelle: «Ihr zwar beide dnreh die Früchte Eures Fleißes, Eurer Ver-
dienste und Eurer Geburt über der Sphäre derer er-
haben, die Eurer Hilfe am meisten bedürfen > . . . Das Schriftstück
schliesst mit einer Apostrophe an Ludwig XVI., «unsere Wonne>.
* Der Stättmeister Chr. von Oberkircb, der Altammeiater Poirot,
Hennenberg, der XVer Mogg und der XXIer von Berstett. — Strobel
V. S. 292, irrtümlich: «sieben von jeder Seite».
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— 39 -
zusammentraten, war das Beschwerdenheft für die Allgemein-
heit noch ein Geheimnis. Als dann, um die entstehende Be-
wegung zu mildern, auf jeder Zunftstube eine Abschrift des
Heftes zur Einsicht niedergelegt worden war, kam es zu
lärmenden Auftritten, woraufhin der Druck und die Führung
eines Protokolls für die Beschwerden jeder Zunft gestattet
wurden. Diese Nötigung des Magistrats zeigt deutlich, wie man
das Beschwerden heft in den Kleinbürgerkreisen auffasste, und
wie aller Augen nicht sowohl auf die Versammlung der 1200
als auf den Ausschuss der 12 und auf die Beseitigung der
städtischen und noch mehr der zünftigen und individuellen
Beschwerden gerichtet waren.
Dennoch kamen durch die günstige Zusammensetzung des
Ausschusses der 32 auch teilweise weitere Gesichtspunkte zur
Geltung, als in den meisten übrigen Beschwere! eheften
des Elsass, deren Verfasser es wagen, von der Erfüllung
eigenster Wünsche die Bewilligung weiterer Steuern abhängig
zu machen, wie z. B. die Geistlichkeit des Distrikts Colmar-
Schlettstadt,» während die Strassburger nur als Bittende auf-
treten. Ihr Heft enthält eine einfache Aufzählung der einzelnen
Forderungen, deren Berechtigung nicht weiter verteidigt wird;
hingegen finden sich in den anderen Heften ausführliche Be-
gründungen der Begehren. Im ganzen macht es den Eindruck,
als sei durch das Zusammenwirken mehrerer an Staats-
geschäfte gewöhnter Gewalten in den beiden Distrikten des
Elsass die Scheu vor der Regierung und der Nationalvertretung
in Versailles minder gross gewesen, als in dem alleinstehenden
Strassburg. Doch hat das Heft dieser Stadt den verdienstlichen
Vorzug, dass es grösser und übersichtlicher angelegt ist, als
die übrigen, die sich daneben ziemlich formlos ausnehmen.
Schon die Einteilung in fünf Abschnitte : Beschwerden in bez.
auf das ganze Königreich — 29. Artikel ; in bez. auf die Pro-
vinz— 24; in bez. auf die Stadt in Verbindung mit Frankreich
— 26; die innere Verfassung der Stadt betreffend — 32;
besondere Begehren der Zünfte — 26 Artikel, zeigt praktische
Erwägung und überlegenes Geschick.
1 S. d. Beachwerdenhefte der elsässischen Wähler: Archives
parle mentaircs III. S. 3. 9. 12, 416 fg.; V. »S. 784. 786 fg. Das
Beschwerdenheft des Conseil Souverain de Colmar ist a. a. 0. V. 784
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Dem Inhalt nach, den für das Strassburger Engel hardt*
ausführlich wiedergegeben hat, ist ein Vergleich, besonders in
Beziehung auf die Frankreich berührenden Beschwerden inte-
ressant. Er giebt ein Bild nicht nur der Gemeinsamkeit der
Wünsche des Elsass, sondern auch des Verhältnises dieser Be-
schwerden zu denen Altfrankreichs. * In Beziehung auf das König-
reich lagen die Forderungen Strassburgs meist auf
finanziellem Gebiete ; z. Tl. aber waren sie blosse Formen (wie
die Forderung «die wahre Verfassung» aufzusuchen), so lange die
Erhaltung der eigenen Privilegien verlangt wurde. Die Wahrung
aller alten Rechte bildet denn auch den Hauptinhalt des zweiten
Abschnitts, neben den ins Einzelne gehenden Beschwerden
über die Wegfrohnen, die Ferme, und Fourragelieferungen,
die man abgeschafft und durch eine Ausgleichssteuer ersetzt
haben wollte. Zwar wurde öffentlich kein Wort von Aufhebung
fg. fälschlich unter dem Titel «Cabier de la Ville de Strasbourg» ab-
gedruckt
1 Strohe 1 a. a. 0. V. 280 fg.
2 Die gemeinsamen Forderangen im einzelnen sind : Gleiche An-
zahl der Vertreter des 3. Standes wie die der beiden anderen zusam-
mengenommen. Abschaffung der Lettres de cachet. Pressfreiheit. Be-
willigung aller Steuern durch die Reichsstände. Entrichtung der
Steuern durch jedermann, ohne Rücksicht auf Rang und Stand.
Veröffentlichung der Schuldenlast und Erklärung derselben zur Na-
tionalschuld. Verminderung der finanziellen Bedürfnisse der einzelnen
Departements, und Veröffentlichung ihrer Rechnungen. Authebung
der Pensionen, der Wohnungssteuer und Holzlieferungen für die Be-
amten und Soldaten des Königs. Periodische Wiederkehr der Reichs-
stände. Aufhebung der «das Volk ruinierenden» (Stadt Colmar 35.)
Lotterien. Verbesserung der Gerichtsbarkeit. Abschaffung der Evo-
kationen vor fremde Gerichtshöfe. Errichtung von Provinzialständen.
Aufhebung der Stelle des General-Einnehmers der Finanzen. Zu-
lassung des 3. Standes zu den Offiziersstellen. Sodann: Erhaltung
der alten Privilegien der Städte und Gemeinden. Abschaffung der
käuflichen Stellen Uebertragung etwaiger Steuerbefreiung auf das
ganze Königreich. Eintragung des Grundbesitzes in Kataster. Auf-
hebung verschiedener Steuern, besonders auf Amluug, Leder, Papier.
Belassung der Zollgrenze an den Vogesen. Erhaltung
des Elsasses in seiner Stellung als fremde Provinz. Verbot des Geld-
verkehrs mit Juden. — Näheres über das Heft von Hagenau vgl. bei
Kiele, Hagenau zur Zeit der Revolution, 1885. S. 18. fg.. woraus
deutlich die Aehnlichkeit der Bestrebungen in Hagenau und Strass-
burg hervorgeht. — S. 22 sagt Klel6. es sei die Abschaffung der
Gabelle verlangt worden. Thatsächlich steht in dem Heft von Ha-
genau-Weissenburg (a. a. 0. III, 416 fg.) nichts davon, da bekannt-
lich die Gabelle im Elsass nicht eingeführt war.
— 41 —
oder Erleichterung der Abgaben des Zwanzigsten laut. Dennoch
stimmt es nicht zu den fortgesetzten amtlichen Versicherungen
der Liebe zum König und Dankbarkeit gegen den schützenden
Staat, dass man bei der schlimmen Lage Frankreichs da, wo
Selbstlosigkeit zu beweisen und Opfer zu bringen gewesen
wären, nur um Vorteile besorgt war.»
Vor allem der dritte Abschnitt, Beschwerden der Stadt in
Verbindung mit Frankreich betreffend, bietet von diesem Ge-
sichtspunkt aus ein sonderbares Bild. Man glaubt sich unter
die Ratsherren von 4681 versetzt, in dem Augenblick, wo sie
die Kapitulation zur Wahrung ihrer alten Herrlichkeit aufsetzten.
Nichts als Privilegien, — Erhaltung, Wiederge Währung und
auch Erweiterung der Privilegien, und Befreiung von Lasten — ,
man muss vergessen, dass Strassburg eine kgl. freie Stadt war,
um jenen Begehren in Anbetracht der Kapitulation gerecht zu
werden, woran niemals hatte gerüttelt werden sollend
Aber eben, dass hier so manchmal auf den Verlust alter
Vorrechte hingewiesen und das ungünstige Verhältnis der Stadl
in Beziehung auf die Höhe der Geldleistungen betont werden
musste,5 zeigt, dass unter der französischen Herrschaft in Strass-
burg die Herzen doch nicht bloss leicht und freudig schlugen, und
wie auch aus dieser Stimmung heraus dem Magistrat die Ab-
sendung eigener Deputierten so dringend erwünscht gewesen
war. Dennoch möchte man versucht sein, die Strassburger
weniger eigensüchtig zu nennen als die übrigen Elsässer, wenn
man die Rücksichten ins Auge fasst, die jene den allgemeiner
Verhältnissen Frankreichs angedeihen lassen, und wenn man
die Vorbehalte der übrigen Distrikte der bedingungslosen
Abgabenbewilligung seitens der Strassburger entgegenstellt.
Ausser dieser Stadt hat nur noch Hagenau die Errichtung einer
Verfassung für das Königreich gefordert, und auf den Gedanken,
1 Die Fourragelieferung für die Garnison, (die, wie betont wird,
der Provinz zum Nutzen gereichte) wollte man dennoch zu 2/s der
Kriegskasse aufgelegt wissen.
* Spach. F. de Dietrich etc. p. 495: «en un mot, on repugnait
ä se fondre avec le reste de la France, tont en cherchant a profiter
des avantages que donnait le reunion a un grand royaume>. Diese
Arbeit lässt öfters an Genauigkeit zu wünschen übrig. So lässt
Spach (1. c.) in dem Strassburger Heft die Adeligen die Aufrechter-
haltung ihrer Herrschaftsrechte verlangen, während sie mit dem
Strassburger Heft gar nichts zu thun haben.
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- 42 —
die Einkünfte der Krongüter zur allgemeinen Tilgung der
Schulden heranzuziehen, ist niemand im Elsass gekommen als
unser Magistrat. Aber widerum darf man nicht vergessen, dass
dieser durch Entgegenkommen und den Beweis des Interesses
an den Vorgängen im Königreich eher erhört zu werden hoffte,
als durch selbstbewusstes Auftreten.
Dem formalen Unterschied steht materielle Gleichheit gegen-
über. Die allgemeinen auch in Frankreich verhassten Schäden
des Steuerwesens und der Gesetzgebung, die drückenden Ver-
brauchssteuern vor allem und die Missstände in der Handhabung
der Justiz, bilden den gemeinsamen Grundstock der Unzufrieden-
heit, wenn auch naturgemäss von den Frohnen im Elsass viel
weniger als in Frankreich, von der taille, den aides und der
gabelle überhaupt nicht die Rede war, und auch verkäufliche
Aemter nicht in Betracht kamen. — Einem gemeinsamen Angst-
schrei gleicht die überall laut werdende Besorgnis wegen der
Verschiebung der Zollgrenze an den Rhein. Diese Massregel,
das empfand jedermann, bedeutete die Vernichtung des Handels
der Provinz. Diese selbst sollte nach der Absicht der übrigen
Distrikte künftig ein geschlosseneres Ganzes bilden, als bisher,
was aber den Wünschen Strassburgs nicht entsprechen konnte.
Hier verlangte man auch fernerhin eine direkte Deputation zu
den Reichsständen, und, da die Stadt ihre eigenen Auflagen
beibehalte, nur unter gewissen Einschränkungen eigene frei er-
wählte Vertreter bei den Provinzialversammlungen. Die anderen
dagegen wünschten, dass sowohl bei den Provinzialversamm-
lungen, wie bei den künftigen Generalständen Strassburg und
die zehn Städte sich nur dann an den Wahlen beteiligten, wenn
ihre Bürger sich den betreffenden Distrikten angeschlossen
hätten. Die eigenen Landsleute tasteten die Ausnahmestellung
ihrer Gemeinwesen an, und so musste es für den Strassburger
Magistrat von besonderer Wichtigkeit werden, was in Versailles
darüber beschlossen wurde.
Im Vordergrund des Interesses der Bürger aber standen
nicht die staatsrechtlichen, sondern die verfassungsrechtlichen
Verhältnisse, die erwünschte Umgestaltung des Magistrats und
die Verbesserung des Finanzwesens der Stadt. Wie erwähnt,
wurde das Selbstergänzungsrecht des SchöfTenkollegiums als ein
grosser Uebelstand betrachtet. Künftig sollte die Wahl der
Schöffen durch 30 jedesmal eigens hiezu ernannte zünftige
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Wähler geschehen, und zwar, wie fortan alle Wahlen, in ge-
heimer Abstimmung. — Neben diesem Artikel erregte ganz
ungewöhnliches Aufsehen derjenige, welcher die Untersuchung
der alten XVer-Ordnung verlangte, damit diese auf ihre
frühere Befugnis zurückgeführt werde, wobei man ausserdem
eine Neuzusammensetzung der Kammer und Verminderung der
Vollmachten der Zunftgerichte und ihrer Rechtssprechung
forderte.» Vor allem sollte die Hauptgewalt der XVer: «zu
mehren und zu mindern», unterdrückt werden, ihnen fortan
nur das Vorschlagsrecht bei der Aufstellung neuer Verordnungen,
die Bestätigung aber den Rät und XXI zustehen, und schliess-
lich das, übrigens fragliche Recht der XVer, jemand «eintürmen»
zu lassen2 an den Ammeister und den Grossen Rat übergehen.
— Diese Forderungen des 5. Artikels beraubte die XVer so
ziemlich alles dessen, worauf sich ihre Machtstellung gründete,
und es ist begreiflich, dass grösste Aufregung im Magistrat
darüber herrschte. Sogar der Generaladvokat Mogg, der
zwei Jahre zuvor während des Metzgerstreits im Rate scharf
und bitter gegen die XVer gesprochen, verstieg sich nun zu
der Aeusserung, Strasburg sei das Muster eines wohleinge-
richteten Staats, mit dessen Verfassung jene Umsturzartikel un-
möglich übereinstimmen.
Auch die weiteren Begehren der Bürger waren dem Magi-
strat wenig genehm. Der jährlichen Hauptrechnung sollten
Repräsentanten der Zünfte beiwohnen, wie denn überhaupt
Öffentlichkeit der Rechnungen und die Einsetzung einer Kom-
mission von 40 Zünftigen unter dem Vorsitz von 3 Magistrats-
mitgliedern zur Aufstellung der Steuerrollen verlangt wurde.
Letztere sollten ausserdem von jedermann eingesehen werden
können. Das «Stallgeld», die Vermögenssteuer der Stadt,
sollte durch eine gleichwertige Stadtsteuer von 90000 Livres»
ersetzt und nach dem neu zu errichtenden Fuss des Kopf-
» Artikel IX. XI. XIV. XVI. XVII. XXI. XXIV. XXVI.
2 Dies bezieht sich darauf, dass infolge der Weigerung der Metz-
ger, die neuen Fleischwaagen anzuwenden, auf ßefehl der XVer die
Zunftmeister der «Blum'» eingekerkert worden waren. Die übrigen
Zünfte, aufgefordert sich über die Giltigkeit dieses Verfahrens zu
äussern, kamen zumeist zu keinem Ergebnis.
3 «80 ODO» bei Reuss, l'Als. S. 54 ist ein Druckfehler. Vgl.
das. S. 95.
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geldes verteilt werden, bis die Schulden der Stadt gedeckt sein
würden. i
Alle Einkünfte der Stadt sollten ferner durch eine zweite
Kommission von 40 untersucht werden, die nach deren Ver-
hältnis die Höhe der künftigen Auflagen zu bemessen hatte.
Diesen 40 sollte der Einblick in alle Kassen- und Kanzleiur-
kunden zustehen, und ausserdem sollten sie zu allen Haupt-
geschäften, die auf eine Veränderung der Verfassung abzielen
möchten, berufen werden. Es ist deutlich, dass diese Artikel,
denen minder radikale und für das allgemeine weniger bedeu-
tende folgten, von dem Bestreben diktiert wurden, die Befug-
nisse der Bügerschaft auf Kosten der Gewalt des Magistrats zu
heben. Auch die sonst wenig bemerkenswertes enthaltenden
Beschwerden in bez. auf die Zünfte sind, soweit sie nicht eine
Forderung im Interesse eines bestimmten Handwerks, z. B. die
Verminderung der Accisen, enthalten, von derselben Stimmung
getragen. Selbst der Wunsch, die einzelnen Vertreter der Zunft
in der Amtsdauer zu beschränken, und stets Mittel in der Hand
zu haben, sie nach Gefallen zu wählen, tritt hervor.
1 Der Name Stallgeld kommt nach der im vorigen Jahrhundert
überall festgehaltenen Ueberlieferung (Schöpflin a. a. 0. II. 304)
daher, dass mit dem Gebäude, wo die zu den Römerzügen bereitge-
haltenen Pferde ernährt wurden, 1505 das Schatzhaus verbunden
ward. Zuvor bestand eine besondere Vermögenssteuer, aber nun
wurde das eigentliche, von den Bürgern nach ihrem Vermögen für
die Pferde zu entrichtende Stallgeld ein Zusatz zum Pferdezug (da-
her: Die Herren vom Stallzusatz) genannt, die Bürgersteuer jedoch
Stallgeld. (Friese a. a. 0. I, 250 Ig.) Vgl. auch Consultation even-
tuelle etc. im St.-A. AA. 2150: «Stallgeld, etimologie qui derive de
son institution, de meme qu'on appelle mois romain les sommes que
les titats de l'Empire payent au lieu et places de cavalerie eto
Der Ausdruck ist infolge dessen für versteuern üblich. Es erscheint
müssig, bei der augenfälligen Herkunft des Wortes nach anderem
Ursprung desselben suchen zu wollen (Mone, Ztschr. f. Gesch. des
Oberrheins Bd. 16, 1864. S. 179. Ludwig a. a. 0. S. 251. Ebensogut
könnte man die Ableitung von etalon, der Hengst, bevorzugen).
Die Steuer an sich war nicht drückend (Hermann a. a. 0. I.
195), aber die Selbsteinschätzung, vermöge deren sie zusammenkam,
zu unsicher. «Wen muss nicht Entsetzen überfallen, wenn er an die
Menge der Meineide von allerlei Stand und Geschlecht denket? Man
darf nur die Stallbücher durchlaufen, so wird er eine recht ärger-
liche Ungleichheit des Ansatzes finden. Man weiss, dass 10, 20 und
mehr Tausend Gulden reiche Personen ... oft so unverschämt sind,
und nicht mehr als der ärmste Bürger geben. > (Memoire a. d. J. 1775.
St.-A. AA. 2150).
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Dies ist überhaupt das Kennzeichen des Beginns der Revo-
lution in den elsässischen Städten. Auch in den Beschwerde-
heften der Städte Colmar und Schlettstadt, sowie des Distrikts
Hagenau-Weissenburg,1 deren ersteres im Namen der zehn
alten Reichsstädte abgefasst ist, und die alle den Reichsständen
unmittelbar vorgelegt wurden, beklagen sich die Bürger über
den «Despotismus» der Magistrate und verlangen, diese fortan
selbst erwählen zu dürfen. Da derartige Verhältnisse kleiner
Gemeinwesen in Versailles keine eingehende Würdigung zu er-
warten hatten, befand sich Strassburg, anscheinend wenigstens,
in dem Vorteil, im gegenseitigen Entgegenkommen von Bürger-
schaft und Obrigkeit einen befriedigenden Ausgleich erlangen
zu können.
Am 22. April begann die gemeinsame Arbeit der Depu-
tierten des Rats mit den Bürgerausschuss-Kommissaren.* Die
ersteren standen unter dem Eindruck — den auch Gerard beim
Lesen des Beschwerdenhefts erhalten hatte — , dass durchaus
nicht alle Forderungen sich mit der Verfassung vereinbaren
liessen.s Nicht berechtigt, selbständig zu entscheiden, berieten
sie daher nur, Punkt um Punkt. Gleich die Eingangsworte des
Verfassungs-Abschnittes hatten im Magistrat schwere Bedenken
hervorgerufen, wo es hiess : «Die Deputierten werden die Vor-
stellung machen, dass ein unwidersprechliches Grundgesetz sei,
dass die Konstitution der Stadt Strassburg ein Eigenthum der
Gemeinde oder der Bürgerschaft ist unter der Autorität des
Königs und dem Schutz des Staats». Man konnte sich über die
Bedeutung des Begriffs Gemeinde nicht einigen. Ferner
widersprachen die Deputierten selbstredend dem Artikel (II)
über die Schöffen wählen. Sie wollten eine Aenderung der
Verfassungsformen überhaupt vermieden wissen, da die erste
wohl andere nach sich ziehen könnte. «Allein, sagen sie in
ihrem Bericht, die dermaligen Umstände und die in dem
ganzen Königreich von der Nation und von der Regierung
1 Vgl. Kleie a. a. 0. S. 18.
2 Vgl. «Bericht an die bürgerliche Repräsentanten von den 7
Kommissaren erstattet, den 2. Junins 1789>, französisch bei Reuss,
l'Als. S. 75 fg, und Protokoll der Räth und XXI. und der XVer,
1789. Besonders den Bericht der Deputierten des Magistrats Prot. R.
u. XXI. Fo. 326.
3 Vgl. den Brief St.-A. AA. 2001., vom 19. April.
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selbt allgemein anerkannten Grundsätze von freier Wahl wahrer
Repräsentanten reden dem Begehren der hiesigen Bürgerschaft
so nachdrücklich das Wort, dass der mehrere Teil der Deputierten
bittet, den Bürgern einigen Anteil an der Wahl zu geben.»
Weniger der Grund als die Begründung dieses Wunsches der
Bürgerschaft erzeugte einen solchen ersten amtlichen Hinweis
auf eine Uebereinstimmung der Bestrebungen Strasburgs mit
der Nation, unter dem Einfluss der Bewegung jenseits der
Vogesen, die anfing mit leichten Wellenschlägen bis an den
Rhein herüberzudringen. Es waren soeben* die Nachrichten
von dem Aufruhr in der Antonsvorstadt eingetroffen, zu der-
selben Zeit, wo sich die Abgeordneten des ganzen Reichs zum
Zusammentritt zu ihrem Werke rüsteten. So flössen die beiden
Bewegungen in einander.
Für die Kommissare, die erklärten, weder die XVer-
Ordnung noch das Stadtrechtbuch anzuerkennen, war der
Widerspruch, worin Artikel II vor allem zu der ersteren stand,
kein Grund zur Nachgiebigkeit. Dadurch wurde die
schwierigste Lage geschaffen, die durch weitere Gegensätze
noch unerfreulicher ward. Die Hinzuziehung jener 40 zur
Abänderung von Grundgesetzen beim ständigen Regiment er-
klärten die Deputierten für unstatthaft. Artikel V wurde der
XVerkammer selbst zur Beratung überwiesen; die Forderung
der Metzger, den Fleischpreis erhöhen zu dürfen, abgelehnt,
von den Sieben aber aufrecht erhalten. In anderen Fragen
gaben die Deputierten möglichst weit nach. So ward z. B. ein
Preis auf den besten Vorschlag einer verbesserten Erhebung
des Stallgeldes ausgesetzt und den Schirmern sollte die
Handwerksgerechtigkeit zugestanden werden. «Wir haben»,
so schrieben die Repräsentanten an die Deputierten der Stadt
in Versailles,2 Boden gewonnen; unsere Verhandlungen hatten
eine sehr günstige Wendung bekommen.» Am 25 Mai legten
die fünf Ratsdeputierten das Ergebnis vor. Sie gaben zu, dass
die meisten Punkte «auf das Herkommen bisher gegründeter
Anstalten anzwecken». Doch «erfordern einige allerdings eine
weit genauere Erwägung, ehe über dieselben eine bestimmte
1 Vgl. Strassburger Priv. Ztg. 46, 49, 51, 53. Stück und
Bulletin vom 4. Mai u. s. w.
2 Vgl. Reu ss, l'Als. S. 73.
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Entscheidung gemacht werden könne.» Daher schlug der Am-
meister vor,* das Ergebnis der Verhandlungen während eines
Monats, also bis zum 25. Juni, zu jedes Raisherrn Einsicht
aufzulegen, und erst dann in der Beratung fortzufahren ; die
strittigen Punkte aber vor die zuständigen Stellen zu weisen,
was mit den Artikeln II und V alsbald geschah. Die Sitzung
vom 25. Mai war nach der Aussage der Repräsentanten so
hitzig und lärmend €wie ein polnischer Reichstag» gewesen,2
so dass sie hatte abgebrochen werden müssen. Ein grosser
Teil des Magistrats hatte den unbefriedigenden Aufschub be-
kämpft. Er brachte, wie sie sagten, eine höchst gefahrdrohende
Stimmung hervor. Aber die Mehrheit blieb dabei, und so wurde
der Aufschub verordnet. Daraufhin antworteten die Sieben sehr
bestimmt, sie haben den Bürgern Hoffnung gemacht, dass ihre
Wünsche angenommen würden. Nun sei wohl die Monatsfrist
vorbehalten worden, um desto gewisser nach deren Ablauf
sämmtliche Gegenstände ihrer Wünsche auf einmal zu er-
ledigen.3 Auch die Repräsentanten, fügten sie mit einer geschickten
WTendung hinzu, die mit ihren Folgen die ganze Angelegenheit
in ein neues Stadium leitete, wollen die Frist benutzen, um
den Bericht ihrer Kommittenten näher zu betrachten ; auch
haben sie von Zeit zu Zeit von den Deputierten in Versailles
Nachricht zu empfangen, deren Mitteilung an die 126 wohl
nur in einer Versammlung derselben geschehen könne, deren
Erlaubnis sie nun vom Magistrat erbaten. Dieser kam
in grosse Verlegenheit. Eine förmliche Versammlung der ehe-
maligen Repräsentanten konnte nicht gestattet werden. Man
wählte daher, mit Widerstreben, einen Ausweg, indem man
i Strobel V, S. 292 verwirrend: «Der grosse Rat», statt Räth
und XXI.
* Im Protokoll der Räth und XXI steht nur, dass die Sitzung
vertagt wurde. Die Repräsentanten (Reuss a. a. 0. S. 74) sagen am
28. Mai : «gestern» seien die Verhandinngen wieder aufgenommen
worden. Auch dies scheint der Magistrat der Nachwelt, auf deren
Einblick in die Protokolle mehrfach hingewiesen wird, vorenthalten
zu haben. Von einer Sitzung am 27. Mai steht nichts im Protokoll.
3 Reuss, l'Als. S. 76. Anm. sagt: «Le 28. Mai, malere les re-
clamations des reprösentants elles furent ajournees au 25. juin.» Von
diesen reclamations ist in den Protokollen nichts zu finden. Vgl.
auch den Brief der Repr. vom 4. Juni (das. S. 99): «Les sentimens
se sont unanimement reunis etc.»
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zur Erleichterung einer Verständigung der Repräsentanten mit
dem Siebener- Ausschuss Unterredungen in Gestalt von Privat-
versammlungen gestattete. Ueber den Briefwechsel aber ward
stillschweigend weggegangen und derselbe in der Folge als
Thatsache hingenommen.*
Damit aber war der Magistrat mehr oder weniger zur
Rolle des Abwartenden verurteilt. Die Abgeordneten nahmen
augenscheinlich keinen Anstoss daran, denn sie legten ihren
Kommittenten auf das genaueste Rechenschaft über ihre
Thätigkeit und die Vorkommnisse besonders in Versailles ab.
III.
<
Die Deputierten bei der Eröffnung der Reichs-
stände. Weitere Verhandlungen über das
Beschwerdenheft und über die Einsetzung eines
Kommissars. — Dietrich und Klinglin.
Am 26. April hatten sich Türckheim und Schwendt von
Paris nach Versailles begeben, wo sie erfuhren, dass die Er-
öffnung der Reichsstände um acht Tage verschoben worden
war. Zunächst sannen sie darauf, auch äusserlich die besondere
Stellung Strassburgs zu bewahren und in ihrer heimatlichen
Amtstracht zu erscheinen. Doch mussten sie sich trotz ihrer
Vorstellungen2 der Verordnung, dass alle Abgeordneten des
dritten Standes dasselbe Gewand zu tragen haben, fügen.
Dieser Abweisung folgte ein Missgeschick, das wie ein kalter
Wasserstrahl auf die von Liebe zum Vaterland, d. h. zur
Stadt Strassburg, glühenden Abgeordneten wirken musste, und
das belustigend wäre, hätte es nicht eine politische Seite ge-
habt, durch deren Behandlung die ganze Rechtsunsicherheil
des Vertrags von 1681 und damit der Stellung der Stadt zu
Frankreich gekennzeichnet wird.
1 Der erste Brief (vgl. Reuss, l'Als. S. 70 fg.) ist vom 18. Mai.
Bereits am 28. wurde er beantwortet. Der Briefwechsel war also, als
die Repräsentanten um die Erlaubnis baten, bereits begonnen.
2 Vgl. den Brief der Deputierten vom 9. Mai, Prot der Xlller Kam-
mer, zum grössten Teile abgedruckt im Anhang Nr. 4.
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Es war verordnet worden, dass die Vertreter des dritten
Standes bei der feierlichen Vorstellung nach der Zeitfolge des
Anschlusses ihrer Provinzen an Frankreich aufeinander folgen
sollten. Anfangs war Strassburg auf Grund seiner Kapitulation
(1681) nach Franche Comte und Flandern (1678) eingereiht
worden ; das Bureau aber ordnete es gemäss dem westfälischen
Frieden in das Jahr 1648. Es versäumte jedoch nicht nur,
Strassburg an dieser Stelle oder überhaupt auf der Liste anzu-
merken, sondern auch die Abgeordneten vor der Feier von der
beabsichtigten Aenderung zu benachrichtigen, so dass sie sich
unerwartet ohne Platz sahen. Schnell gefasst, und um die Haupt-
stadt des Elsass nicht hinter den anderen Gemeinden der Provinz
erscheinen zu lassen, wo man sie nunmehr einreihen wollte,
liessen sie die Abgeordneten der vor 1681 mit Frankreich
vereinigten Landschaften an sich vorüberziehen und traten aus
eigenem Entschluss an die ihnen zu anfang angewiesene
Stelle, vor Lothringen.
Danach beeilten sie sich, am Bureau Einspruch zu erheben,
was ihnen aber nichts half. Sie sandten daher den Entwurf
eines ausführlichen Protestes an den Magistrat,1 worin sie die
Stellung Strassburgs als Provinzialhauptstadt geltend machten.
Der Magistrat hielt an diesem Vorrang fest, aber das Zugeständ-
nis, das die Deputierten zu machen bereit waren, dass Strass-
burg schon 1648 unter die Oberhoheit Frankreichs gekommen
sei, erkannte er nicht an. «Die Meinung des Bureaus» heisst
es in dem interessanten Antwortschreiben,« «braucht nicht die
unsrige zu werden, nachdem wir mehr als ein Jahrhundert
eine entgegengesetzte Ueberzeugung gehabt haben.» Aber in-
folge der Abstimmung von Adel und Geistlichkeit der Stadt in
Hagenau, wurde sie als ein Teil dieses Distrikts betrachtet,« und
auch Gerard hielt für gut, dass der dritte Stand des Elsass
eine geschlossene Vereinigung darstelle.* Daher drang der
1 Vgl. Anhang Nr. 4. n. 6. Der Artikel <teneatur> bei Du
Mont, J., Corps Universel Diplomatique. Amsterdam, 1728. Band
VI. Teil 1. S. 457. (Artikel XII, § 87) und bei Stupfel, a. a. 0.
S. 18. Vgl. auch Häusser, Deutsche Geschichte etc. I. 275. Anm. 2.
2 Vgl. Anhang 7 u. 9.
3 Vgl. den Brief der Deputierten vom 13. Mai, St.-A. AA. 2003;
teilweise im Anhang Nr. 8.
4 Vgl. Prot, der R. und XXI. vom 28. Mai und vom 3. .Juni.
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50 —
Magistrat in dieser «dornigen Frage über die Ausdehnung des
Elsass» nicht durch, und hatte fortan seine Kapitulation politisch
nur als «zweite Sicherheit» nächst den Verträgen von Münster
Frankreich gegenüber zu betrachten, und wer als Knabe im
Jahre 1781 die hundertjährige Vereinigung Strassburgs mit
Frankreich gefeiert, konnte hoffen, das zweihundertjährige
Jubelfest als fünfund siebzig- oder achtzigjähriger Greis im Jahre
1848 zu begehen.
Zu dieser Niederlage kam die ungünstige Stimmung in der
Stadt nach dem Entscheid vom 25. Mai. Durch die lebhaften
Berichte der Deputierten war ausserdem die Versailler Ver-
sammlung in lebendigere Nähe gerückt, was nicht nur allge-
meine Spannung verursachte, sondern auch das Selbstbewusst-
sein der Bürger in der Hoffnung hob, durch das Wohlwollen
der Deputierten, auch ohne den Magistrat, zu den ersehnten
Zielen zu gelangen. Ausserdem aber befürchtete man, der
Aufschub der Verhandlungen möchte den Anfang des gänzlichen
Schlusses derselben bedeuten, und so geschah es, dass in der
Versammlung der Repräsentanten am 2. Juni, wo man die ver-
langte Frist in halbunwilligem Zugeständnis über sich ergehen
liess, Stimmen laut wurden, die eine Beschleunigung durch
Druck von höherer Stelle herbeizuführen wünschten.
Die Repräsentanten berichteten darüber an die Deputierten,
ohne selbst die Wirkung ihres Briefs zu ahnen. Die Depu-
tierten waren nämlich,* sehr bestürzt über die Folgen des
Ausgangs der Verhandlungen, zu Puysegur gegangen und
hatten ihm in einer Note2 die schlimme Lage Strassburgs dar-
gethan. Sie stellten ihm die Notwendigkeit der Absendung
eines königlichen Kommissars an Stelle des erkrankten
Prätors vor, und der Minister versprach dessen Ernennung.
So beruhigend dies für die Bürger war, so peinlich und be-
denklich berührte es den Magistrat. In den schärfsten Aus-
drücken tadelte er das selbständige und voreilige Vorgehen
Türckheim's und Schwendt's. Auch der Ton ihres Schreibens
hatte den Magistrat höchst empfindlich berührt. «Der eine von
1 Vgl Reusa, l'Als. S. 100, und Schreiben der Deputierten vom
8. Juni. Vgl. Prot, der Rath und XXI. Fo. 373 fg.
2 Vgl. Reusa l'Als. S. 103.
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— 51 -
ihnen,)» rufen sie aus,* tder uns in diesem Stil nach so wenig
gemässigten Grundsätzen schreibt, ist ein Mitglied unseres
Staatskörpers, der mit uns jährlich einen Eid der Treue
gegen unsere Verfassung erneuert hat!» — Geben sie hier ihrer
Entrüstung Ausdruck, so macht das Schreiben der Ratsherren
doch auch den Eindruck völliger Hilflosigkeit. In einen
wahren Verzweiflungsschrei klingt es aus : «Die Krankheit des
königlichen Prätors . . . lässt uns völlig vereinsamt, hundert
Meilen weit vom Thron und den Ministem Seiner Majestät.»
Der Magistrat wusste nicht einmal, ob die gegnerische Stellung
der Deputierten auf deren eigener Anschauung oder auf einer
Beeinflussung von Seiten der Repräsentanten beruhte. Denn
auf eine Befragung, erhielt der Magistrat nur die Antwort, das
Vorgehen der Deputierten sei von den Repräsentanten einstimmig
«gebilligt» worden.*
Der Magistrat bat daher innigst um die Erlaubnis, zu
mündlicher Erklärung der Verhältnisse ein adeliges und ein
bürgerliches Ratsmitglied an den Hof absenden zu dürfen.3
In Beziehung auf die Beschwerden hatten sich die Depu-
tierten möglichster Unparteilichkeit befleissigt, und die heiklen
Artikel dem Entgegenkommen des Magistrats empfohlen. Am
25. Juni unterbreiteten die XVer diesem einen Bedacht,* worin
sie erklärten, dass die adeligen Mitglieder des Magistrats bei
einer Verfassungsänderung hätten befragt werden müssen, und
dass die Repräsentanten überhaupt zu solcher Forderung gar
nicht befugt seien. In diesem Sinne wurden die umstrittenen
Artikel abgelehnt.» Nur der Zurückführung ihrer Gewalt auf
die ursprüngliche Ausdehnung und der Verweisung aller die
1 Vgl. Anhang Nr. 10.
2 Thatsächlich herrschte unter den Repräsentanten selbst keine
Uebereinstimmnng. — Vgl. auch Arröte etc. bei Reuss, TAI«.
S. 109, sowie Protokoll der R. u. XXI. vom 2. Ju^i.
3 Welchen Aufruhr die Angelegenheit verursachte, geht daraus
hervor, dass der Magistrat ein kurzes, gleichlautendes Schreiben je
an Necker, Barentin und Montmorin sandte (Prot, der Rath und
XXI. Fo. 400 fg.), damit diese sich bei Puys6gor für ihn verwenden
möchten. — Gerard war nicht mehr in Paris und de Crolbois trat
als Vermittler zwischen der Stadt und den Ministern ein.
* Vgl. auch XVer Prot, vom 22. Juni.
5 Am 3. Juli wurden von den Rath u. XXI. §§ 4. u. 7. des
Verfassungsabschnitts verschoben, § 2. abgelehnt.
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- 52 —
Gesetzgebung betreffenden Gegenstände vor die Rath u. XXIer
stimmten die XVer zu, d. h. sie begaben sich des Rechts «zu
mehren und zu mindern».
Nach einer stürmischen Versammlung wurde im Rat «erkannt,
dass die in dem Bedacht enthaltenen Punkte zur endlichen Ent-
scheidung auszusetzen» seien. Die übrigen Dikasterien hatten
sich noch nicht über die ihnen zugewiesenen Artikel geäussert,
und so war thatsächlich ein delai entstanden, wovon die De-
putierten seinerzeit zur Entrüstung des Magistrats vorahnend
gesprochen hatten. Wenn dieser sich auch, unter dem Druck der
öffentlichen Meinung, bemühte, «womöglich, seiner Meinung
nach, die zum Wohl der Gemeinde erforderliche Erhaltung der
Vorrechte des Magistrats mit den billigen Wünschen der Bür-
ger zu vereinbaren,»» so ist es doch nicht eben rühmenswert,
dass am 20. Juli die Einzelberatungen noch nicht abgeschlossen
waren.2 Noch am 18. stritt man sich über «den Herzenswunsch
der Bürger,» die Form der Schöffen wähl herum. Alle Vermit-
telungsversuche des bürgerlich gesinnten Generaladvokaten
Fischer scheiterten.»
Die Verzögerung ist um so auffallender, als seit dem 6. der
am 28. Juni thatsächlich vom Minister ernannte königliche
Kommissar an den Beratungen teil nahm.*
Es war Philipp Friedrich von Dietrich (geboren 1748
in Strassburg), der Sohn des alten, verehrten Stättmeisters ho-
norarius Johann von Dietrich. * Der Jubel unter den Bürgern
war gross. Goldene Tage schienen gekommen. Aus Frankreich
waren die Nachrichten von den berühmten Junisitzungen ein-
getroffen ; das Ende der Leiden des dritten Standes wurde be-
1 Strobel V. S. 297.
2 Vgl. darüber das. V. S. 296.
3 Man nannte ihn damals den Necker von Strassburg.
* Vgl. Reu es, l'Als. etc. S. 119 fg. und im Anhang Nr. 11.
* Vgl. über diesen Mull er a. a. 0. S. 63. Die Bemerkung «ä la
demande du rainistre de Choiseul, Stettmeister honorarius» dürfte nach
der «Genötigten Erläuterung» Dietrich's (Schöffenmemorial vom 15.
Dezember, Fo. 433) irrig sein. Dennoch war er nach seiner Erhebung
in den Adelsstand, was ihn vom Ammeisterposten ansschloss, und da
schon vier Stättmeister vorhanden waren, auf Antrag des Magistrats,
der sich seines Rats zu erfreuen wünschte, zum überzähligen St. h.
ernannt worden. Ueber Philipp Friedrich vgl. vor allem Spach
a. a. 0., und auch Sybel, a. a. 0., LS. 338.
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- 53 -
grüsst. «Niemals kommt ein Glück ohne das andere», hatten
die Deputierten in ihrem begeisterten Bericht gesagt.1 Nun
schien in Strasburg die Macht der Oligarchie gebrochen.
Aber auch im Magistrat mochte es Leute geben, die gegen
die Wahl des jüngeren Dietrich nichts einzuwenden hatten.*
Seine Ernennung war von mehr als augenblicklicher Bedeu-
tung. Er hatte, ehe er nach Paris übersiedelte, bereits dem
grossen Bat angehört, und konnte daher von vornherein als
Mitglied des Magistrats gellen. Hier hatte man ihn in der
Zwischenzeit nicht aus den Augen verloren. Er war schon
längst der Kandidat für den Posten des Prätors, falls Gerard,
den er nun zunächst vertrat, abdanken sollte.8 Man hatte nicht
nur zur Zeit der Deputiertenwahl an ihn gedacht. Schon am
24. Februar hatte er sich genötigt gesehen,* dem Magistrat zu
schreiben, es seien grundlose Gerüchte verbreitet, als ob er
mit Gerard über dessen Stelle verhandelte. Das, so sagte er,
werde er nicht thun, ehe ihm nicht die Gewissheit geworden,
dass der Magistrat diesen Schritt gern sähe. Dann aber werde
er alles daran setzen, damit kein über die Einrichtungen der
Stadt ungenügend unterrichteter Mann an Gerard's Platz komme.
Der Magistrat antwortete: wenn jene Gerüchte wahr wären,
würde es in dieser kritischen Zeit zum Trost gereichen ; denn
ihn ziehen sie jedem anderen vor. Diese höfliche Antwort hat
Dietrich eilig aufgegriffen. Am 9. März schrieb er zurück, er
werde Herrn de Reyneval, Gerard's Bruder,5 augenscheinlich
seinen Nebenbuhler, in Kenntnis davon setzen, dass er zufolge
der Hochachtungsbezeugungen des Magistrats auf das Feierlichste
verpflichtet worden sei, der Nachfolger Gerard's zu werden.
Damals schon war die Berufung Dietrichs eine abgemachte Sache,
Der Gouverneur Stainville, der Kommandant Marschall Con-
tades und Necker hatten sich für ihn beim Kriegsminister ver-
1 An die Repräsentanten. Vgl. Renss, l'Als. S. 115 fg.
* Vgl. Spachf Ph. F. de Dietrich etc. a. a 0. S. 497.
3 Vgl. Gräuel u. s. w. a. a. 0. 31 fg. In diesem Falle hat der
Verfasser sichere Kunde gehabt.
* Durch Türckheim. Vgl. € Gräuel» S. 32. Vgl. ferner die Briefe
St.-A. AA. 2526. — Vgl. auch Dietrichs eigentümliche Geschäftigkeit
der Stadt zu gefallen, Anhang Nr. 1.
» Vgl. Pf annen schmid a. a. 0. S. 74.
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54 —
wandt. Und das alles, während Gerard 1 noch nicht daran
dachte, seine Entlassung einzureichen ! Vielmehr ersuchte er
in einem bedeutsamen und für den Magistrat jedenfalls sehr
peinlichen Schreiben die Zusicherung, die man Dietrich gewährt,
als nicht gegeben zu betrachten, und rief durch einen ähnlichen,
scharfen Brief an Dietrich selbst im Staatsrat, bis wohin die
Sache schon gekommen war, das grösste Erstaunen hervor, so
dass die Angelegenheit zunächst nicht weiter vorgeleitet ward.
Dennoch scheinen Ende Juni über den Kopf des verdienstvollen
Mannes hinweg die letzten Verhandlungen geführt worden zu
sein.2 Es ist nicht ausgeschlossen, dass Türckheim selbst Diet-
rich als den richtigen Mann vorgeschlagen hat.
Wir haben das Vorspiel zu seiner Ernennung deshalb ein-
gehender verfolgt, weil es weniger zu Gunsten des neuen Kom-
missars spricht, der eine so bedeutende Person in der Revolu-
tion geworden ist, als das abstrakte Lob, das ihm vielfach,
besonders von Spach und Scheube,3 als einem streng rechtlichen,
uneigennützigen Mann von seltenem Seelenadel gespendet wird.
Es sind sehr widersprechende Urteile über ihn gefallt worden.
Das aber steht fest, dass sein Ehrgeiz keine Schranken kannte.
Und dass zur Befriedigung desselben ihm nicht nur seine Klug-
heit diente, sondern dass er auch bei seinen Mitteln nicht immer
wählerisch war, beweist sein oben geschildertes Vorgehen, das
niemand ehrlich nennen wird. Er verstand sich vorzüglich
darauf, jedermann gerecht zu werden, und es doch mit keinem
zu verderben. Zu dem amtlichen Vermittelungsauftrag kamen
für ihn persönliche Momente, die ihn aufforderten, mit diplo-
matischer Vorsicht seinen Mitbürgern gegenüber aufzutreten.
Genau genommen war Dietrich übrigens nicht als Stell-
vertreter des Prätors zu betrachten, da er wohl die Verwaltungs-
behörden der Stadt und die protestantische Universität zu be-
aufsichtigen, nicht aber die richterlichen Befugnisse des Prätors
1 Vgl. seinen Brief an den Magistrat vom 10. März 1789. St.-A.
A\. 252Ü.
2 Vgl. den Brief Puysegurs an Gerard vom 30. Juni, Anhang
Nr. 12.
8 Spach, Fr6d. do Dietrich etc. a. a. 0. S. 531. — Scheube,
G., deutsche Art und deutscher Geist im Elsass, Berlin 1872. S. 341
fg. Auch P fannens c hmid. a. a. 0. S. 134 nennt ihn einen «edlen»
Mann.
— 55 —
zu erfüllen hatte.1 Fortan wohnte er den Versammlungen über
die Beschwerden stets bei, und hatte ausserdem bald nach seiner
feierlichen Einführung in das Amt* Gelegenheit, den Magistrat
von einem sehr unklugen Schritt abzuhalten.
Der Rat fühlte sich durch die Ernennung eines Kommissars
im Innersten verletzt, und wollte die schon früher beabsich-
tigte Abordnung an den Hof nunmehr durchsetzen, zur Ver-
teidigung seiner guten Absichten gegen die «empfindlichen Ver-
läumdungen», die man gegen ihn ausgestreut, trotzdem Puy-
segur das Recht einer solchen Abordnung bestritt.9 Dietrich
aber brachte es dahin, dass der Magistrat sein Vorhaben aufgab,
das den Minister notwendig unliebsam berühren musste. Zugleich
ergriff er die Gelegenheit (11. Juli), feierlichst zu versichern,
dass er die Verfassung mit allen Kräften verteidigen werde,
falls man sie angreife.*
Zunächst aber hatte er genug zu thun, seines eigentlichen
Amts zu walten, und einen Ausbruch der Leidenschaften zu
verhüten. In wahrhaft feindlicher Stimmung standen die
Repräsentanten zu jener Zeit dem Magistrat gegenüber. Zu der
Erbitterung über seine Langsamkeit kamen natürliche Umstände,
wodurch die Lage sich verschlimmerte. Die Teuerung verstimmte
immer mehr und mehr gegen Octroi und Accise. Nachdem das
Viertel Weizen im Februar bereits auf 18 Livres 6 Sous gestanden,
betrug der Preis jetzt 22 Livres. Aber der Magistrat weigerte
sich, den Zuschlag zu verringern.
Da nahm sich ein Mann von grossem Einfluss der Bittenden
an, und drang in den Magistrat, ihnen zu willfahren, der
Königslieutnant Ludwig von Klinglin (geboren 1740). 5 Seit
' Vgl. sein Ernennungsdekret bei Rens 8, l'Als. S. 119.
2 Vgl. das Nähere bei Strobel. V. S. 297 fg.
3 Vgl. Strobel V S. 302. fg.
4 Dennoch dürfte Spach das richtige getroffen haben, wenn er
(a. a. 0. S. 496) sagt : «M. de Dietrich partait de Paris avec la ferme
intention de concilier aatant qu'il le ponrrait ces pretentions oppo-
sees de sauver, pour sa ville natale, quelques unes de ces anciennes
franchises et de la decider ä des sacrifices indispensables». — Noch
weiter geht Scheube a. a. 0. S. 344. — Nicht zustimmen kann ich
Spach 1. c. «Peut-etre aussi F. de Dietrich» etc.
5 Vgl. Rath geber, Strassburger Post vom 21. Juli 1889.
Nr. 200. — Danach ist Friese's Bemerkung (a. a. 0. IV. S. 125)
Klinglin sei i. J. 1753 ein neunjähriger Knabe gewesen unrichtig.
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dem Tode des Marschalls von Stainville am 2. Juni hatte er
den Oberbefehl in der Stadt, bis ihn am 18. Juli der aus dem
nordamerikanischen Kriege allgemein bekannte, 74jährige Grat'
von Rochambeau1 als Kommandant der Provinz ablöste. Die
Thatsache, dass Klinglin sich der unzufriedenen Handwerker
annahm, besonders auch der Metzger, deren Prozess wegen des
abgebrannten Unschlittmagazins noch in Paris anhängig war,*
ist wegen des Aufruhrs, der in Strassburg ausbrach, ebenso be-
achtenswert, wie der Umstand, dass er der Enkel des berüch-
tigten Prätors Franz Joseph von Klinglin war,» der in den
50er Jahren durch grosse Veruntreuungen den Magistrat in
nachhaltige Verlegenheit gebracht und einen aufregenden und
langwierigen Prozess veranlasst hatte, worin auch sein Sohn,
des Königlieutnanls Vater (gestorben 1756), als Mitschuldiger
verwickelt worden war.
Im Jahre 1752 war zunächst ein Mitglied des Parlaments
zu Besancon in Strassburg erschienen, um dem König über
den Aufsehen erregenden Vorfall Bericht zu erstatten.* Im Sommer
desselben Jahres war der Prozess sodann dem Parlament zu
Grenoble übergeben und Klinglin's Vater dorthin gebracht worden.»
Ks ist begreiflich, dass Ludwig von Klinglin, dem so der Vater
entrissen wurde, und der im Bewusstsein aufwuchs, dass durch
den Prozess der Ruf seiner Familie aufs schwerste geschädigt
worden, dem Magistrat nicht wohlgeneigt war. Er verbarg es
keineswegs, und liess es an Anfeindungen nicht fehlen, die den
1 Engelhardt nennt ihn öfters < Marschall». Diesen Titel erhielt
er jedoch erst 1792. Vgl. Sybel, a. a. 0. I. S. 339.
2 Es sei hier gestattet. Reuss zu ergänzen (l'Als. S. 281). Das
in Schwendt's Brief erwähnte regleraent de 1776, das Reuss uner-
klärt lässt, findet sich im Stadt-Archiv AA. 2104 dem Inhalt nach
erläutert.
s Auf schlager, a. a. 0. I. S. 305 irrig: «Der Sohn>. Wenig-
stens muss als «der berüchtigte» Prätor sein Grossvater gelten. Auch
Spach, F. de Dietrich etc. a. a. 0. S. 500 sagt verwirrend «le fils».
4 Vgl. Protokoll der 3 Geheimen Stuben 1751/52 Fo. 120,
u. R. u. XXI. 1752 Fo. 16 fg. u. a.
5 Vgl. die Abschrift der diesbezüglichen kgl Verordnung vom
28. Juni 1752 AA. 2539. Hermann a. a. 0. I. 110, Spach a. a. 0.
geben richtig Grenoble an. Friese, a. a. 0. IV. ist in bez. auf Be-
sancon etwas undeutlich. Engelhardt (bei Strobel a. a. 0. V. S.
323 Anm. 2) sagt unrichtig, der Prozess sri in Besancon anhängig
gewesen Ihm folgt Reuss, Revue d'Alsace, 6m« annee 1877, S. 44.
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— 57 —
Rat bei Hof in ein schlechtes Licht stellen mussten. So tobte
Ende 1788 und Anfang 1789 ein förmlicher Kampf zwischen
dem Magistrat und dem Königslieutnant, welch letzterer sich
ausserordentlich anmassend in die Befugnisse der Brandpolizei
gemischt hatte, und dem Widerspruch der Ratsherren zugleich
in höhnischem und herrischem Ton begegnet war.i Der Gouver-
neur von Stainville hatte ungeachtet einer königlichen Verordnung
von 1691, die dem Magistrat volle Ausübung der Polizeigewalt
zusprach, gegen Gerard und den Magistrat Partei genommen,
und man wollte sich bereits an den Minister, ja an den König
wenden, als Klinglin selbst die Beilegung der Sache in einer per-
sönlichen Unterredung mit dem Ammeister Lemp herbeiführte,*
allerdings mit dem Ergebnis, dass der Magistrat Sieger blieb. Es
wurde sogar amtlich ausgesprochen, dass Klinglin in seinem Eifer
entschieden zu weit gegangen sei. Dies trug natürlich nicht dazu
bei, seine Abneigung gegen den Magistrat zu mildern, und man
braucht Eifersucht gegen die Beliebtheit Dietrichs gar nicht
anzunehmen,3 um sich zu erklären, warum er gerade die unzu-
friedensten Elemente der Zünfte beschützte. Dass er als Offizier
sich deren Klagen annahm wäre nicht zu auffallend, da auch
schon im Juli, wie es später geschah, die Soldaten selbst einen
nicht unbedeutenden Einfluss auf die Bestimmung der Höhe
der Taxen ausgeübt haben mochten, käme nicht dazu seine Gunst
bei den Schirmern, die ihn als Repräsentanten gewählt hatten.*
Die Zuneigung der unteren Klassen ist um so merkwürdiger,
wenn man seinen Namen und seine Herkunft bedenkt, die unter
1 Vgl. St.-A. AA. 2511 nnd 2608. Klinglin hatte sich auch das
Recht angemasst, das an die Garnison <freiwillig> vom Magistrat ge-
lieferte Holz zu messen.
* Vgl. XHIer Prot. 1789. Fo. 62.
s Spach, F. dß Dietrich etc. a. a. 0. S. öOO.
4 Auf der Kaiserlichen Bibliothek in Strassburg finden sich
(Barack's Katalog der Handschriften 1896 Nr. 207; £F. Verse auf
Klinglin, aus dem Frühjahr :
«Le vom d un peuple entier est un arret suprSme
D'une voix unanime, il te nomine Electeur.
Mais ce seroit helas trop peu pour son bonheur —
Si parmi les elus, tu n1es ein toi meme.
Au cri du malheureux tu te laisse attendrir
Toujours hon, toujours juste et jamais trop severe.
Le Tiers pour son appui pouvoit-il raieux choisir ?
Le recouis des enfans est au sien de leur pere >
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— 58 -
gewöhnlichen Verhältnissen für den Durchschnittsbürger gewiss
eher ein Grund gewesen wären ihn zu meiden, als ihm sich
anzuvertrauen. Man wird daher wohl nicht umhin können,
mit Spach zu sagen, dass er die Leidenschaften der Bevölkerung-
nährte.
Fährte er Böses gegen den Magistrat im Schilde, so war
seine Zeit gekommen. In Strassburg lernte man eben die
Forderungen der Menschenrechte kennen, die Lafayette am
11. Juli aufgestellt hatte, und an demselben Tage war Necker
entlassen worden ; die Bastille war gefallen, aber der Sturm
hatte mit Versöhnung zwischen König und Volk geendet.
50 000 Menschen, so berichteten die Deputierten,1 hatten in
Paris gerufen : «Es lebe der König !», schluchzend und jubelnd
zugleich. In der Begeisterung, so erfuhr man, war die ganze
Hauptstadt illuminiert worden. Diese Neuigkeiten ergriffen die
Bürger mächtig, und auch Strassburg entzog sich der allge-
meinen Freude nicht; nicht minder allerdings wurde so der
Trieb unterstützt, dessen dunkle Kräfte sich bereits regten,
auch hier, an der städtischen Gewalt, Rache zu üben.2
IV. Die Unruhen vom 18.— 21. Juli.
Es ist begreiflich, dass ein Aufstand, der Eigentum und
Leben der Bürger und die Sicherheit einer ganzen Stadt gefährdet,
besonders wenn so auflallende Umstände hinzutreten, wie es in
Strassburg der Fall war, von Augenzeugen als ein grosses
Ereignis in ihrem Leben betrachtet und darzustellen versucht
wird. Es kann dabei aber nicht fehlen, dass, wenn nicht
geradezu Widersprüche, so doch allerhand Ungenauigkeiten mit
unterlaufen, die z. Tl. aus mangelhafter Beobachtung und Un-
kenntnis, z. Tl. aus Parteilichkeit entstehen. Daher erklärt es
1 Vgl. den Brief der Deputierten an die Repräsentanten bei
Reusa, l'Als. S. 123 fg., und Anhang Nr. 13.
2 Es ist hervorzuheben, dass schon in der zweiten Juliwoche
der Magistrat von den Repräsentanten ernstlich auf die Misstimmung
in der Bürgerschaft aufmerksam gemacht worden war. Es wurde ihm
mitgeteilt «dass bei länger ausbleibender Abschliessung (der Beratungen
über die Beschwerden! unangenehme Auftritte zu besorgen sind». —
(St.-A. AA. 2002. Ohne Datum, aber bald nach dem 5. Juli).
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sich, dass selbst die Nachrichten der zumeist Beteiligten oft,
wie z. B. beim Sturm auf die Bastille, fehlerhaft sind. Vor
allem aber ist über die Ursachen solch plötzlicher Erhebungen
in der Regel wenig zu ermitteln. Entweder entstehen sie durch
die Treibereien bezahlter Kreaturen, deren geheimer Anhang
alsbald so rasch wächst, dass ihre persönliche "Wirksamkeit
sich unauffällig vervielfachend einerseits die bei solchen Gescheh-
nissen auftauchenden unheimlichen, fremden Gesellen gewinnt,
andrerseits gleich einer selbständigen allgemeinen Bewegung
sich durch die Masse des unzufriedenen Volkes fortpflanzt
und verbreitert, so dass am Ende Keiner als der Anstifter zu
gelten hat, wenn die wenigen, Erkauften, schweigen. Oder aber
sie entstehen durch falsche Gerüchte, die in der erhitzten Ein-
bildungskraft, aus Missverständnissen oder Befürchtungen er-
wachsen, zu Thatsachen werden, und deren Gehalt, — durch
die Verbreitung von Mund zu Mund oft gänzlich verändert, —
dann einen plötzlichen Ausbruch der vielleicht schon wieder
beruhigten Volksleidenschaft zur Folge hat. Auch die Nach-
richten über die Strassburger Wirren leiden unter diesen
Schwierigkeiten. Die angestellten weiteren Nachforschungen
haben nur eine Erweiterung des Materials, besonders eine Er-
gänzung der bisher ausführlichsten Darstellung, derjenigen Engel-
hardts, geboten, die offenen Fragen aber nicht zu beantworten
vermocht, und die bestehenden Vermutungen nur teilweise zur
Gewissheit gemacht.
Ehe wir jedoch die Ereignisse an der Hand der benützten
Berichte schildern, möchte es zweckmässig sein, diese selbst
kurz zu besprechen, um desto sicherer Thatsachen von Gerüchten,
das Glar'würdige vom Unglaubwürdigen zu unterscheiden.
Quellen.
I. Amtliche, handschriftliche Nachrichten.
Es sind deren sechs vorhanden.
1. Der Bericht der Repräsentanten an die Depu
tierten in Versailles über die Ereignisse vom 19.— 21. Juli.1
i (Abschrift St-A. AA. 2003). Er war Engelhardt bekannt. Er
ist französich abgefasst, und zwar vom 31. Juli, wie Engelhardt 'a.
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— C>0 —
Er zeigt basonders deutlich, wie hartnäckig der Magistrat
noch angesichts der Drohungen der Bevölkerung seine altherge-
brachten Rechte verteidigte und giebt eine anschauliche Schil-
derung von der wachsenden Erregung der Gemüter. Doch
verschweigt er das für die Bürger Nachteilige: die Demon-
stration vor der Pfalz am Morgen des 20., und die Drohungen
der Repräsentanten, falls das Besch werdenheft nicht angenommen
werde. In Beziehung auf die Zuverlässigkeit der Wiedergabe
der Thatsachen ist zu bemerken, dass leider die auch sonst un-
sicheren Angaben über das Schlagen des Genera Imarsches am
Nachmittag des 21. hier gänzlich verwirrt erscheinen. Die
Repräsentanten verlegen es auf 6 Uhr Abends, «kurz nachdem»
die Truppen vor der Pfalz eingetroffen waren und lassen sich
jene darauf zurückziehen, während dennoch nachher bei der weiter
laufenden Schilderung beim Sturm auf die Pfalz, der schon
etwa um drei Uhr Nachmittags begann, die Soldaten, der
"Wahrheit gemäss, als auf dem Gärtnersmarkt (Gutenbergplatz)
anwesend, wiederholt erwähnt werden; vgl. u. II. 2.
2. Der im Protokoll der R ä t h und XXI (Fo. 557)
vorhandene Entwurf des Sekretärs Metz über den 20. Juli. Er
stimmt mit dem vorigen ii herein, doch verschweigt er umge-
kehrt im Einzelnen die Versuche des Magistrats, die verfassungs-
widrigen Artikel zu retten. Dagegen enthält er'im Wortlaut die
Drohungen der Repräsentanten, wodurch der Magistrat schliesslich
zum Nachgeben bewogen ward, und die in I. 1. fehlen. Für die
Vorgänge ausserhalb der Rats.stuben kommt er wenig in Betracht.
Dasselbe gilt von den beiden folgenden Berichten.
3. Die hastig und in abgerissenen Sätzen, .halb deutsch,
halb französisch geschriebenen R a pi a ri en der Sitzungen der
a. 0. V. 325. Anm. 2) richtig sagt. Der jener Abschrift vorangestellte
Titel lautet: «Relation faite par les representans aux deputes de la
ville de Strasbourg a l'assemblee des Etats-generaux de France de
ce qui s'est passe du 19. au 21. juitlet. 1789.» Engelhardt führt ihn
folgendermassen au: «Relation faite par la commission des repre-
sentans de la commune» etc. Nach Reuss, «Le sac de l'hdtel de
ville de Strasbourg» (Revue d'Alsace, 6me annee, 1877. S- 43 fg.) der
diesen Bericht, mit Anmerkungen versehen, hier wiedergiebt, ist
es ein und derselbe Bericht. — Re uss hat ihn unter der Ueberschrift :
«Lettre des representants de la bourgeoisio anx deputes de Strasbourg,
ä Versailles,» in L'Alsace etc. S. 127 fg. abermals abgedruckt, je-
doch mit dem irrigen Datum: «28. juillet.»
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— Ol —
Rath und XXI, in zwei Niederschriften. — Besonders von den
Sitzungen am Nachmittag des 20. und am Morgen des 21.
geben sie ein anschauliches Bild, und zeigen die Unsicherheit,
die schon damals bezüglich der Truppen herrschte.
4. Ein ebensolches, kürzeres Rapiarium der Xlller
Kammer vom 20. Juli, das von den Beratungen über die
Verteilung grüner Kokarden und einer aufregenden Zeitung
(«Gazette des Herrn Saltzmann»), und ebenfalls von der Unsicher-
heit bezüglich der Soldaten spricht.
5. Ein auf dem Karlsruher Archiv (Baden, Po-
lizeisache, 1789. Pars. I.) befindliches, am 26. Juli über
einen aus Strassburg entflohenen und in Kehl verhafteten Teil-
nehmer am Pfalzsturm, daselbst aufgenommenes Protokoll,
das Aeusserungen über die Aufreizung des Verhafteten zum
Angriff auf den Magistrat enthalt.
6. Die Schilderung des Philipp Jakob R ü h 1 , des Sohnes
eines Predigers im Elsass, der in fürstlich leiningische Dienste
getreten war, und von Strassburg aus, wo er seit 1771 wieder
seinen Wohnsitz hatte, mit dem Titel eines Geheimrats die
Dagsburger Herrschaft verwaltete. — Er ward eine nicht unbe-
deutende Persönlichkeit der Revolution.»
In unserem Zeitabschnitt tritt er noch wenig hervor. Seine
Nachrichten entnehmen wir den im Strassburger Bezirksarchiv
aufbewahrten Protokollen über die Dagsburgischen Regierungs-
geschäfte, die er allwöchentlich an seinen Fürsten schickte.4
» Vgl. über ihn E. Barth, a. a. 0. Revue d'Alsace 1881
S. 556 fg. Irrtümlich als M. Philippe angeführt. — Vgl. auch Stro-
bel V. S. 519 and 532, Anm. 2. Er wurde 1789 procureur fiscal
beim Grossen Rat in Strassburg, 1790 Mitglied der Verwaltung des
Niederrheins, 1791 des provisorischen Direktoriums daselbst und Ab-
geordneter Strassburgs bei der gesetzgebenden Versammlung. Er
war es, der die Verbringung Dietrichs nach Paris (1792) veranlasste.
Dann war er Abgeordneter der Stadt beim Convent und 1793 des-
sen Commissär um Rhein. Als solcher löste er die Munizipalität
Strassburgs auf. Er gehörte zur Bergpartei, ward jedoch von den
Strassburger Jakobinern als Royalist lange Zeit angefeindet. Er en-
dete nach dem Aufstand vom 1. Prairial (20. Mai) 1795, nachdem er
verhaftet worden, am 30. durch Selbstmord im Gefängnis. Vgl. M o-
niteur, Band XXIV. S. 563 und 583. und Taiue, La Revolution
III. S. 556. — (Er tötete sich keineswegs, wie Barth sagt, ohne
verhaftet worden zu sein in der üeberzeugung, die allgemeine Frei-
heit sei dahin.)
2 Herr Prof. Bresslau, der sich mit diesen Akten beschäftigte,
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— 62 —
Diese Protokolle sind durch ihren harmlos vertraulichen
Ton höchst ergötzlich zu lesen, gewinnen aber durch die Un-
gezwungenheit, die ihnen nach heutigen Anschauungen den
Charakter amtlicher Mitteilungen zu nehmen scheint. Röhl
überliefert mehrere Einzelheiten, die das Ganze erfrischend
beleben.
Wir sehen den Geheimrat nach einer wohl verbrachten,
durch allerhand Pillen und dgl. wirksamer gestalteten Kur aus
Teinach am Dienstag, den 21. Juli, nach Strassburg zurück-
kehren und mitten in den Aufruhr während des Pfalzsturms
geraten, und zwar nach der Beraubung der Archive. Da schildert
er nun, des Entsetzens voll, was er in den durchfahrenen
Strassen, sowie auf dem Münsterplatz gesehen, ehe er, «nach
Atem schnappend», daheim in seine bergere sank. Gerade der-
artige Strassenbilder vom Nachmittage fehlten in allen anderen
Berichten. Rühl Ihat die ganze Nacht kein Auge zu und weiss
daher auch über den Zustand während derselben Einiges zu be-
richten. Andere Einzelheiten erfuhr er durch seinen Diener
und anderweitige Umfragen. — Auch über den Soldatenauf-
stand und die Vereidigung der Garnison berichtete er seinem
Herrn ausführlich, oft in äusserst drastischer Weise.3
machte mich auf die hiehergehörigen Abschnitte freundlichst zur
Veröffentlichung aufmerksam.
3 Für seine Persönlichkeit nicht nur, sondern für die Macht
des Beispiels überhaupt, ist es interessant, in den hier in Be-
tracht kommenden Berichten zu verfolgen, wie das Herz dieses Ge-
heimrats allmählich von der revolutionären Idee erfasst wurde. Zu-
gleich erheitert die Freimut, womit er dies seinem Durchlauchtigsten
Herrn mitzuteilen wagen durfte. — Am 21. Juli beklagt er <den
traurigen Zustand», und «dass der Geist der licence, nicht wahren
Freyheit geweckt worden.» — Am 5. August berichtet er noch iro-
nisch: «Die goldene Aehre der Menschenfreiheit sprosst trefflich, ha
ha ha! ja ja ja es geht sauber zu im Elsass!» — Am 7.: «O heiliger
Rousseau, hl. Voltaire, hl. d'Alambert, hl. Friderich der einzige! Seht
den Triumph eurer Philosophie! Das heisst die Klassenfesseln der
Menschheit abgenommen. Dank sey's euch ewig, ihr Volksbeglücker!»
— Am 21. August, bei Gelegenheit der Truppen Vereidigung, «der wür-
digsten Begebenheit, die sich seit 802 Jahren, als die Kapetinger den
Thron bestiegen», zugetragen: «Nie habe ich einen heiligeren und
das Herz erhebenderen Anblick gehabt, als diesen, da auf einen Tag
bey 30 Millionen Menschen in Freiheit gesetzt wurden. So können
auch die grössten Könige auf ihre ursprüngliche
Erhöhung zurückgebracht werden, wenn sie zu Einnahme
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- 63 —
II. Nichtamtliche handschriftliche Darstellungen von Angen-
zengen :
1. Harth mann, die Pfalzstürmung und die Unruhen
in Strassburg im Sommer 4789.*
Eine eingehende Schilderung nicht nur der Julitage,
sondern auch des Soldatenaufstands am 5. und 6. August
und seinen Folgen, bis zum 31. August;; im Ganzen dem Be-
richt der Repräsentanten entsprechend, besonders über den 21.
Er ergänzt ihn noch bedeutend. Fälschlich giebt H. als Versamm-
lungsort des Magistrats am Nachmittag des 20. die Zunft zum
Spiegel an, und schiebt daher die Steinwürfe gegen das Rat-
haus der blossen Zerstörungswut, nicht der Rachlust zu. Die
Bitte der Bürger, sich bewaffnen zu dürfen, legt er auf den
21. Mittags, das Blasen des General marsches auf 4 Uhr. Diese
Ungenauigkeiten beeinträchtigen jedoch die sonstige Brauch-
barkeit der von ihm entworfenen Schilderung keineswegs.
Dieser und der folgende Bericht waren Engelhardt unbekannt.
2. Ein in dem erwähnten Karlsruher Faszikel vorhandener
orthographisch sehr mangelhafter, aber wertvoller Bericht
(«Wahre und authentische Nachrichten der gegenwerdigen
Epoche in Strasburg») eines Augenzeugen, an den Amtmann
Hofrat Strobel in Kehl gerichtet. Er ist sehr ausführlich, und
betont besonders die anfängliche Harmlosigkeit der Zusammen-
rottung am Abend des 19. Juli. Er berichtet überhaupt mehr-
fach Einzelheiten, die das ganze Bild beleben. Besonders über
die Bewegungen des Militärs am Nachmittag des 20. giebt der
Verfasser Aufschlüsse, die sonst nirgends geboten werden. Er
berichtet z. B., dass «die ganze Garnison nach 5 Uhr in's
Gewehr» getreten, und dass gegen 6 Uhr Klinglin erschienen
sei mit der Nachricht, der Magistrat habe «die Doleance beant-
nnd Ausgabe keine proportion setzen und leiden, dass sich Vampire
an sie hängen, welche sie unverschämt aussaugen ; schröckliche Lehre
Tür grosse und kleine Fürsten. > — Am 29. scheint er völlig gewonnen,
denn er ruft aus: «0 Freyheit. unschätzbarer als Gold und alle
Kostbarkeiten der Erde! Dich zu beschützen, und dich gegen die
Tyrannen, so dich mit Füssen traten, muthig zu vertheidigen sind
schon 40U0 unserer bravsten Bürger bewaffnet !>
1 Kopie vorhanden auf der Kaiserlichen Bibliothek, Barack's
Katalog Nr. 458. Im Druck veröffentlicht z. T. von A. Schricker
in der Wiener «Presse> Nr. 324, vom 26. November 1893.
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— 64 —
wortet», worauf das letzte Regiment den Paradeplatz verlassen-
habe. Dies dürfte dem sonst unverständlichen Passus im Be-
richt der Repräsentanten vom 21. entsprechen (s. o. I. 1.)
3. Ebenda, «Frankreich, Reichsstände» : «Histo-
rischer Bericht von den in Strassburg entstandenen inner-
lichen Unruhen.» Er hat mit den anderen übereinstimmende
gute Nachrichten.
III. Gedruckte Schilderungen von Augenzeugen.
1. Beschreibung des jammervollen Aufruhrs
in Strassburg 1789», der neben I. 1.— 3. Engelhardt folgte. i
Der Verfasser schreibt offenbar unter dem ersten Eindruck
der Ereignisse, und weiss demnach Klinglin nicht genug zu
preisen. Seine Nachrichten sind wertvoll, wenn auch nicht
erschöpfend. Den Beginn des eigentlichen Sturms auf die
Pfalz verlegt er, wie Harthmann, auf 4 Uhr.
2. Dampmartin, A. H., Memoire* sur divers evenements
de la Revolution et. de l'Emigration (Tome II. Paris 1825).
Dampmartin war damals Kompagnieführer im Regiment Royal Ca-
vallerie. Sein Bericht, dem Taine* gefolgt ist, bezieht sich haupt-
sächlich auf den 21. Er giebt 3 Uhr als die Stunde des General-
marsches an. Merkwürdig sind seine Aeusserungen als die eines
Offiziers über die Vorahnung eines kommenden Tumults. Er
spricht direkt von einem «projet aussi vaste qu'important d'armer
le peuple . . . dans une meme circonstance». Höchst sonderbar
aber ist sein Bericht von einem Gastmahl (S. 43 fg.) das bei
Klinglin an einem jener Juliabende stattgefunden, und wobei
eine eigentümlich vielwissende, geheimnissvolle Unterhaltung
darauf hindeutete, dass die Truppen «am nächsten Nachmittag
um 3 Uhr zu den Waffen greifen werden», um eine wichtige
Unternehmung auszuführen, die «den guten Franzosen sehr
angenehm sein werde». Die Gäste zogen sich erst spät zurück,
unter dem erbebenden Bewusstsein, einem Ehrentage entgegen
1 Ausserdem rauss diesem hiefür wie für die Schilderung des
Soldaten aufstandes ein Bericht zu gebot gestanden haben, der nicht
mehr vorbanden ist. Vielleicht befand er sich in dem von Engelhardt
öfters erwähnten «Recueü de pieces relatives ä la revolution» etc., in
der 1870 verbrannten Bibliothek.
* A. a. 0. I. S. 84, 8ö— 89.
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— 65 —
zu gehen. — Die Zahl der aufmarschierten Truppen, die er
auf 8000 angiebt, ist entschieden zu hoch; die Berichte
schwanken jedoch hier so sehr, dass es am klügsten wäre, wie
Engelhardt, nur von einer «grösseren Militärabtheilung» zu
sprechen. — Die Schilderung Dampmartin's durchweht mili-
tärische Frische. Ueber die Verdächtigung Klinglin's ist er als
Soldat empört, ebenso aber über das Verhalten Rochambeau's,
das er als perplexite puerile bezeichnet. Die Anrede des Gene-
rals schildert er als ganz kläglich. — Den Prinzen von Hessen
lässt er um Erlaubnis zum Einschreiten bitten. Dies kommt
aber dem Prinzen Max von Zweibrücken zu.
3. Rochambeau, Memoires militaires, historiques et
politiques (Tome premier, Paris 1819).i
Seine Ausführungen sind sehr kurz gefasst. Er giebt
ebenfalls 3 Uhr als Zeitpunkt des Generalmarsches an. Er
schiebt die Unthätigkeit der Soldaten ihrer Unlust zu. Doch
kann auch er selbst sich eines festen Auftretens nicht rühmen ;
seine Anrede, von deren gutem Erfolg er schreibt, klingt zwar
wesentlich anders als bei Dampmartin ; aber der Inhalt gleicht
trotzdem mehr einer Bitte als einem Befehl. Für die Auffassung
des Verhaltens der Truppen ist eben dieser Bericht von Wert.
4. Arthur Young, der bekannte englische Reisende,
der am 20. Juli nach Strassburg kam,* und auch den 21 . dort
verweilte. Den Pfalzsturm betrachtete er aus nächster Nähe.
Besonders seine Bemerkungen über das Verhalten der Soldaten
sind interessant. — III, 2. — 4. kannte Engelhardt nicht.
5. Friese's Vaterländische Geschichte, das Werk eines
Strassburgers, ist wegen seiner Ausführlichkeit eine der Haupt-
quellen für die ganze Bewegung. Der Verfasser ist aber ziem-
lich revolutionär-fanatisch, und daher auch manchmal unge-
recht. — Er ist überzeugt, dass alles vorbereitet worden, und
dass Klinglin der Urheber war. Wenn seine Ansichten nicht
stets auf Wahrscheinlichkeit Anspruch erheben können, so
ist die Darstellung der Vorgänge den anderweitig berichteten
Thatsachen durchaus entsprechend, wenn auch nicht in allen
Zeitangaben richtig. So lässt er z. B. die Magistrate erst um
1 Der hierhergehörige Abschnitt ist veröffentlicht von Reuss,
Le sac de l'hötel de ville etc. a. a. 0. S. 56 fg.
2 A. a. 0. S. 264. Veröffentlicht von Reuss, Le sac etc. S. 55.
5
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- w —
5 Uhr vor dem Steinhagel aus der Pfalz entfliehen.1 Dagegen
giebt er richtig als Zeit der Zusammenrottung am 21. drei Uhr
Nachmittags an, und setzt auch um diese Stunde den General-
marsch an.
IV. Nicht ausdrücklich von einem Augenzeugen, aber doch
von einem Zeitgenossen und Strassburger Bürger sind die Nach-
richten Hermann's. Derselbe hat mehrere z. Tl. interes-
sante Einzelheiten, wohl auf Berichten aus der Bürgerschaft
beruhend, die zu verwerten sind. Teilweise folgt er bereits
Friese's Darstellung. Auch er schiebt Klinglins Verhalten dessen
Groll gegen den Magistrat zu.
Es ist zu bemerken, dass die amtlichen Berichte über den
Urheber des Aufslands gänzlich schweigen, von den nichtamt-
lichen der Verfasser des «jammervollen Aufruhrs» und Damp-
martin nicht bei Klinglin die Schuld suchen, und dass dies mit
Nennung des Namens nur bei Friese und Hermann geschieht.
Gegen eine ganz andere Seite wenden sich zwei andere Schrif-
ten, die «R;iuberbande»2 und die erwähnten «Gräuel der Ver-
wüstung.» Sie sehen nämlich den Kommissar Dietrich als den
Schuldigen an. Wenn sie auch beide aus einer «giftigen Feder»
geflossen sind, so dürfte doch hervorgehoben werden, dass der
Verfasser der letzteren Schrift jedenfalls den Geheimnissen der
Stadtleitung nicht ferne stand. 3 —
Nunmehr können wir, indem wir besonders für den 21.,
auf die ausführliche Darstellung Engelhardts verweisen, zu der
Schilderung der Ereignisse an der Hand unserer Quellen über-
gehen.
1 Dies hat A u f s c h 1 a g e r a. a. 0. I. 305 übernommen.
2 Vgl. deren Charakteristik bei Strobel V. S. 326 Anm.
3 Zwei weitere Berichte enthalten wenig bemerkenswertes : Re-
volutions d'Alsace, 1789, die von Türckheira selbst als unzuverlässig
bezeichnet wurden ; und die Histoire des deux amis de la libert6,
Tome 2., Paris 1790. Sie sind bei Strobel V. S. 325. Anm. be-
sprochen. Der daselbst von Engelhardt sab 9) aufgeführte Bericht
des Moniteur, Nr. 33 vom 4. August, bietet auch hier nur eine Wie-
dergabe der Histoire des deux amis, wie dies schon für andere Stellen
R an k e, (S. W. XLV. 252 fg.) nachgewiesen hat. Die von ihmS. 252 fg.
hervorgehobenen Abweichungen des Moniteur von dem Bericht der
Deux amis finden sich schon in der ihm nicht bekannt gewordenen
zweiten Auflage dieses Werks.
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— (57 —
Der Beginn der eigentlichen Bewegung wird stets auf den
Augenblick festgesetzt, wo mit der Erleuchtung des Gasthofs
zum «Rothen Haus» am Paradeplatz der Freude über die aus
Paris eingetroffenen Nachrichten Ausdruck gegeben, und das
Beispiel der Hauptstadt durch die, von Seiten der Gassenbuben
z. Tl. erzwungene, Illumination der Stadt nachgeahmt wurde.
Dies wird von allen Berichterstattern, auch von den Repräsen-
tanten, auf den 19. Juli Abends verlegt. Nur der Verfasser
des «jammervollen Aufruhrs» weiss von einer übermütigen Kund-
gebung schon am Samstag, den 18., zu erzählen, und lässt sie
am 19. in verstärktem Masse wiederkehren. Ein Kurier von
Paris nach Strassburg brauchte 3 l\i Tage und es ist daher
wahrscheinlich, dass schon am 18. Abends die Nachricht von
der Versöhnung des Volks mit dem König eintraf, was mit
dem Ruf: «Es lebe der König!» gefeiert ward.i
Aber sei dem, wie ihm wolle; nicht erst am Abend des
betreffenden Tages jedenfalls gerieten die Strassburger durch
Pariser Nachrichten in Aufregung. Man muss, wenn auch
nicht vom Bastillesturm selbst, so doch von den vorhergehenden
Bewegungen vom 12. und 13. schon am Vormittag des 18. in
Strassburg Kunde gehabt haben. Denn in dem stenographischen
Rapiariuin der XHIer vom 18. ist davon die Rede, dass auf
dem Paradeplatz gefährliche Druckschriften verbreitet wurden,
deren eine sich über die Entlassung Necker's ausliess, und
dass ein Hutmacher grüne Kokarden verteilte. Beides wurde
verboten. Denn, abgesehen davon, dass die Lässigkeit des Ma-
gistrats im Beschluss über des Besch werden lieft die Spannung
auf den Höhepunkt gebracht hatte, war die Stimmung in der Stadt
schon seit einigen Tagen aus anderen Gründen unsicher. Man
hatte finstere, unbekannte Gesellen bemerkt, die sich zwecklos
umhertrieben, und sich an Freiwein, der merkwürdigerweise
verteilt ward, gütlich thaten. Selbst im Offizierscorps war man
auf ein Ereignis gefasst. Es ist daher begreiflich, dass die
1 Widersinnig ist es, mit Engelhardt anzunehmen, dass die Menge
diesen Ruf gethan habe, wenn am 18. erst, wie er sagt, die Nach-
richt von der Erstürmung der Bastille eingetroffen war. — Her-
rn ann's Darstellung, a. a. 0. I. S. 108 ist wahrscheinlicher. Im
historischen Bericht» heisst es ausdrücklich : «Sonntag, den
19. Julii, da die Vereinigung des Königs mit der Nationalversamm-
lung bekannt geworden».
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— (58 —
Nachricht von den Schritten des Königs wie eine Erlösung
wirkte. Mit Blitzesschnelle verbreitete sie sich durch die Stadt.
«Die Bürger liefen einander entgegen und umarmten sich ent-
zückt.» Man verlangte und verteilte abermals grüne Kokarden,
und alsbald loderte ein Freudenfeuer auf dem Paradeplatz.
Jederman musste wenigstens mit einer Laterne illuminieren.
Diese Auftritte waren harmloser Natur, i und ebenso auch
zunächst am folgenden Tage, als alles freudig die angeschlagene
Rede des Königs las. Das aber konnte nicht hindern, dass
auch die vorhandenen Gegensätze um so schroffer empfunden
wurden. Paris war befreit, die Burg des Despotismus gefallen,
die Bürger Herren der Stadt. In Strassburg trotzte der Magi-
strat noch ihrem Willen. War eine Kundgebung geplant ge-
wesen und durch den gestrigen Jubel vereitelt worden, so waren
am 19. die Umstände dem Unternehmen schon günstiger.
Ohnedies ein Sonntag, wo jedermann Zeit hatte, aufreizende
Reden anzuhören, und länger den unentgeltlich verschenkten
Spirituosen zuzusprechen, war es der erste von drei Festtagen,
die aus Anlass der väterlichen Gesinnungsbezeugungen des
Königs verordnet worden waren, und es befand sich, wegen
einer abermaligen Illumination und Feuerwerk auf dem Parade-
platz, eine Menge Leute aus allen Schichten auf den Strassen.
Bis 11 Uhr Abends war «alles in Freude, nicht die geringste
Unordnung ging vor». Aber allmählich kamen die Gemüter in
Erregung ; auch Soldaten nahmen teil an der Fröhlichkeit, und
besonders eine Schar von etwa sechzig jungen Leuten aus an-
gesehenen Familien, nebst ungefähr ebensovielen Metzgern,
Stallknechten u. dgl. «sämtlich mit guten, tüchtigen Hebeln und
Prügeln versehen,» machten sich bemerkbar. Sie wiederholten
das Treiben vom vorigen Abend. Die Stimmung aber hatte
einen anderen Anstrich bekommen : «es sollte auch hier ein
Launay und ein Flesselles geopfert werden». Der unbeliebteste
unter den Ratsherren war der Ammeister Lemp, den Anmassung
und hochfahrende Reden persönlich verhasst gemacht hatten.
Nun wollte man ihn in der Stadt umherführen, nach einer
Nachricht in seiner Amtstracht und in Holzschuhen, nach einer
1 Deshalb vielleicht wurden sie in den meisten Aufzeichnungen
weggelassen.
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- 69 -
anderen auf einem Esel, und ihn dann — wie von verschiedenen
Seilen versichert wird — mit dem Leben büssen lassen. Er
war aber durch den Platzmajor de Biquinville rechtzeitig be-
nachrichtigt worden, und in eiligst umgeworfener Verkleidung
durch einen Dachraum entkommen.'
Als man eben anfing, in sein Haus einzudringen, woran
kein Fenster mehr heil war, erschien Klinglin zu Pferde, ge-
folgt von einem Dutzend Offiziere und einer Abteilung Reiter.
«Er benutzte den Einfluss, den er besass, um das Volk zu be-
ruhigen,» und redete den Aufrührern begütigend zu; «Nur kein
Feuer, meine Freunde, kein Feuer!»*
«Meine Herren !» sagte er nach dem Bericht Harthmann's,
«ich glaube, es wäre jetzt genug ! Gehen Sie nach Haus zu
Ihren Frauen und Maitressen, die nach Ihnen schmachten
werden!? Seine Worte wirkten Wunder : man gehorchte. Laute
Kufe : «Es lebe die Nation ! Es lebe Necker ! der Baron von
Klinglin!» erschollen, und die Menge zerstreute sich.8
Interessant ist, was Dampmartin über das Verhalten der
Offiziere sagt : «Die Generäle vergassen (1) in ihrer Bestürzung
die Garnison zu den Waffen zu rufen, trotz des Befehls vom
vorigen Abend.*
Eine Veränderung, die kein Vorwand entschuldigte, wurde
dieQuelle unbedachtsamer Entschlüsse und bitterer Bemerkungen.
Die Verdächtigungen, bis dorthin unbestimmt, gestalteten sich
zur festen Gewissheit, dass gefährliche Pläne im Gange seien.
Rochambeau verbarg seine Aufregung weniger als irgend je-
mand . . . Die alten Offiziere erkannten die Stimme nicht wie-
der, die sie ehemals auf dem Weg der Ehre geführt hatte.»»
1 Er soll sich nach Schlettstadt geflüchtet haben. (Bericht des
Amtmanns Strobel an die badischc Regierung vom 27. Juli).
2 Vgl. Hermann a. a. 0. I. 108.
5 Einen köstlichen Zug erwähnt Harthmann. «Sie wurden be-
sänftigt, sagt er, bis auf Einen, welcher voller Vertrauen Herrn von
Klinglins Pferd beim Zaum nahm und bat : Mon commandant, encore
une pierre, je vous en prie, und denselben mit innigster Zufriedenheit
nach dem Fenster warf.»
4 Infolge der Auftritte vom 18.?
5 Zar Milderung dieses herben Urteils muss man betonen, dass
Rochambeau erst am vergangenen Tage in Strassburg angekommen,
und gänzlich unbekannt mit allen Verhältnissen war. Man darf nicht
vergessen, dass er in dieser Lage auf den Rat des Platzkomman-
danten Klinglin das grösste Gewicht legen musste, und dass, wenn
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Von ein Uhr ab war durch umherstreifende Patrouillen
die Ordnung wieder hergestellt. —
Am nächsten Morgen, Montag, den 20., versammelte sich
der Magistrat auf der Pfalz.»
Die Sitzung wurde aber sogleich durch das Zusammen-
strömen einer Menschenmenge vor dem Rathause, voran
mehrere Metzger, gewaltsam unterbrochen. Die Letzteren ver-
langten ungestüm die Erklärung des Magistrats über das Be-
schwerden lieft und Aufhebung oder Verminderung der Accise.
Fischer gab ihnen eine befriedigende Zusage, und sie ent-
fernten sich. 2
Doch murrten sie, dass sie den Ratsherren «in die Per-
rücken fallen würden, wenn sie nicht auf der Stelle das Ver-
langte gestatten». Fischer versprach, dass Nachmittags um
fünf Uhr alles gewährt sein werde. «Die Ratsherren fanden nun-
mehr, dass die Forderungen der Bürger von einiger Gewichtig-
keit waren.» Sie berieten, wie dem Rechnung zu tragen sei,
indes das Volk, das sich nicht zerstreut hatte, alle Magistrats-
personen die sich sehen Hessen, auspfiff, und sogar einige
mit Steinen und Kot bewarf, so dass die Zurückgebliebenen
versuchen mussten, ihre schwarze Amtstracht mit Bürgerkleidern
zu vertauschen, um ungehindert nach Haus zu entkommen.
Dies wurde, nachdem sie ihre Kutschen hatten wegfahren
lassen, durch eine Hinterthür bewerkstelligt. Zu einer Einigung
waren sie nicht gekommen, wenn auch das Volk die unbe-
dingte Annahme des Beschweidenheftes laut verlangte.
Schliesslich ritt Klinglin, in seiner Eigenschaft als Re-
präsentant der Schirmer, von einem Schwärm schreiender
Knaben umringt, zum Spiegel, und versicherte, die Taxen
werden ermüssigt werden. Er fand leicht Gehör. Aber auch
vor dem Spiegel tobte die Menge.3
Klinglin trat an's Fenster, um sie zu beschwichtigen.
«Kinder, liebe Kinder!» rief er, «habt Geduld,' seid ruhig! Es
einen der beiden, letzteren die Verantwortung an dem eigentüm-
lichen Verhalten der Truppen in hohem Masse trifft.
1 Engelhardt (a. a. 0. V. 311) lässt auch die Repräsentanten
Morgens Sitzung halten. Sie kamen erst Nachmittags zusammen.
2 Spac h, Fr. de Dietrich, a. a. 0. S. 499 giebt die Reihenfolge
der Ereignisse am 20. nicht genau wieder.
3 «Tausend weise > sagt Harthmann.
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wird gut gehen ! Verlasst Euch auf mich !» Diesmal jedoch
wurde er nicht Herr über die Erregung; sie schien sich auch
der Volksmenge vor der Pfalz wieder mitgeteilt zu haben.
Denn, während sich die Repräsentanten in der Zunft «zum
Spiegel» um 2 Uhr Nachmittags versammelten, kamen die sieben
Kommissare und die fünf Ratsdeputierten, zur selben Zeit, auf
der XHIerstube der Pfalz zusammen, um die letzte Hand an
die Ausgleichung der Beschwerden zu legen. Aber schon nach
einer Viertelstunde wurden sie durch einen Hagel von Steinen
gezwungen, die Besprechung aufzuheben und die Pfalz wieder
zu verlassen. Sie begaben sich unter Reiterbedeckung — nur
eine unthätig zuschauende Wache befand sich bis dahin auf
dem Platz, — zu den Repräsentanten, um dort die Erklärung
des Magistrats abzugeben.
Gegen 3 Uhr zog dann ein Regiment Infanterie auf den
Paradeplatz, wo sich die Generalität einfand, «und sich stellte,
als ob sie das Regiment musterte.» «Und so kamen alle Re-
gimenter auf den Platz, und lösten einander ab.» Um diese
Zeit muss es gewesen sein, als Young mit der Post in Strass-
burg ankam, wobei sein Pferd in den dichten Menschenmassen,
vor den Trompeten und dem Lärm scheuend, den Reisenden
in grosse Verlegenheit brachte.
Nach 3 Uhr kam eine Deputation des Magistrats, und
kurz nachher «Dietrich selbst in Begleitung des Platzmajors zu
der Generalität ; gleich darauf marschierte ein grosses De-
tachement» vor die Pfalz, und teilte die Menge auseinander.
«Die Generalität erhielt von Zeit zu Zeit durch ihre Adjutanten
und den Platzmajor Nachricht.»
Da der Magistrat seine Entscheidung auf 5 Uhr in Aus-
sicht gestellt hatte, kam die Mehrzahl seiner Mitglieder um
diese Zeit, ebenfalls unter Soldatenbedeckung, auf die Pfalz.
Ein neues Bombardement mit Steinen und Kohlköpfen ward
eröffnet. Alle Vorstellungen dagegen waren fruchtlos, ja ge-
fährlich. Da ging Dietrich zu den Repräsentanten auf den
Spiegel, um ihnen eine nochmalige Prüfung der beanstandeten
Artikel vorzuschlagen — eine wirklich bewundernswerte Hart-
näckigkeit des Magistrats ! Die Repräsentanten lehnten sein An-
erbieten jedoch ab. Sie erklärten vielmehr : *
1 Vgl. Friese a. a. 0. IV. S. 253.
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— 72
cSie wüssten ganz gewiss, dass das, das Rathaus umge-
bende Volk verlange, dass das ganze Besch werden he ft ohne
Ausnahme angenommen und der Accis und Octroi heute noch
abgeschafft werden müsse, widrigenfalls das Volk bereit sei,
das Rathaus samt dem Magistrat, ohne auch der Repräsentanten
zu verschonen, mit Mord und Brand zu gründe zu richten.
Und dass das Volk geäussert, dass die Garnison ihm versprochen,
nichts gegen das Volk zu unternehmen» u. s. w., eine Drohung,
die an Schroffheit nichts zu wünschen übrig Hess, und die Dietrich
veranlasste, dem Magistrat zu empfehlen, alles zuzugestehen,
unter dem Vorbehalt, es rückgängig zu machen, wenn der Ma-
gistrat wieder selbständig beschliessen könne. Aber dieser er-
bat noch einen Aufschub von einigen Tagen. Nun ward er
mit seinem Verlangen an das Volk gewiesen ; damit war er
machtlos. Die Schlüssel des Pfennigturmes und des Rathauses
musste er den Repräsentanten ausliefern, die dieses besetzten,
um es auf einen Wink dem Volk preiszugeben. Das beweist
auch die Aussage des in Kehl verhafteten Aufrührers : dass
ein Metzger auf dem Spiegel zum «losstürmen» aufgefordert
habe, falls bis um 6 Uhr «die Herren» nicht nachgeben sollten.
Und sie gaben nach : schweren Herzens unterschrieben sie
das Dekret, das alles bewilligte.1
Nunmehr folgte die Menge vor dem Spiegel einer aber-
maligen Aufforderung Klinglin's, und zerstreute sich. Der
Kommandant ritt sodann vor die Pfalz, und beschwichtigte auch
dort die Gemüter. Die letzten Soldaten verliessen alsbald den
Platz, und die Generalität zeigte sich auf den Strassen mit
dem Ruf: «Es lebe der Bürgerstand 1 Der Friede ist geschlossen !»
Die Bürger richteten eine Dankadresse an den Magistrat, und
der Abend sah Strassburg wieder festlich beleuchtet. Ueber
dem Thore von Klinglin's Wohnung erstrahlte ein Transparent
mit den Worten : «Patrem te dicunt filii dicentque nepotes,»
ein bedenkliches Lob.
Der ganze Aufruhr hatte durch die Beteiligung der Hand-
werksgesellen und der fremden Individuen, besonders aber
dadurch etwas unheimliches, dass er von unsichtbarer Hand
und durch unhörbare Worte geleitet zu werden schien. Trotz
1 Vgl. Anhang Nr. 14.
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— 73 -
des äusseren Jubels blieb daher Besorgnis rege. Rochambeau
schlug aber die Bitte der Bürger, sich bewaffnen zu dürfen, ab,
und Hess seinerseits die Patrouillen verdoppeln. Dies scheint
Hermann's Bemerkung zu rechtfertigen, der sagt : 1 cEr war
alt und wohlwollend, aber schwach. Es scheint, dass man ihm
glauben machte, Unordnungen, die den Sturz des Magistrats
zur Folge haben würden, seien der Bürgerschaft angenehm.»
Trotz der Vorsichtsmassregeln ging es ohne Ruhestörungen
nicht ab. Die Macht des Magistrats war zwar gebrochen, und
man hatte alles erreicht, was man seit dem 18. April erhoffte.
Dennoch war dieRache an den Herren XVern noch nicht gekühlt,
und das Militär konnte nicht hindern, dass das Haus des XVers
Flach gänzlich ausgeplündert wurde. —
Am nächsten Morgen, den 21., kam der Magistrat voll-
zählig zusammen, und bestätigte durch neue Unterschriften,
allerdings wiederum nach längeren Verhandlungen, sein Dekret
vom verflossenen Abend. Doch fühlte man sich noch nicht so
sicher, dass Rochambeau nicht jede Art von Feuerwerk u. dgl.
hätte verbieten lassen, und die geplante Illumination auf den
Ludwigstag verschoben worden wäre.
Die Aufhebung von Octroi und Accise war durch öffent-
lichen Anschlag bekannt gemacht worden. Da geschah das
Unerwartete, dass gegen Mittag allgemein verbreitet ward, der
Magistrat habe sein Wort zurückgenommen.2 Alle gegenteiligen
Versicherungen verschollen unbeachtet. Tobend riss man den
Repräsentanten das Dekret aus den Händen, und schrie durch-
einander: die Herabminderung des Fleisch- und Brotpreises sei
zu gering.3 «In Paris habe man die Einnahme-Bureaux zer-
stört; alles werde billiger, wenn man dem Magistrat Furcht
einjage», «und dergleichen Reden mehr, die Misstrauen und
Zweifel, beim Pöbel aber Wut erregten.» Man rottete sich
zusammen ; Männer, Weiber, kampflustige Bursehen feuerten
sich gegenseitig an, Handwerksgesellen verliessen ihre Werk-
i a. a. 0. I. 197. Vgl. auch Taine, a. a. 0. I. 81 Anm. 1.
8 « Wahre und authentische Nachrr. > (Karlsr. Arch.): cDie Dole-
ance sei nicht von allen Ratsmitgliedern unterschrieben, der Magi-
strat also nicht gebunden. Der Magistrat werde sein Versprechen nicht
halten».
3 Die Metzger hatten eine Minderung um 2 sous = 8 deniers
gefordert; der Magistrat hatte es nur um 6 d. ermässigi.
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- 74
statten, Tagelöhner die Arbeit, und nahmen ihre Werkzeuge
mit sich. Auch von auswärts kamen Zimmer- und Maurer-
gesellen herbei. Alles strömte der Pfalz zu. Offenbar war dies
keinN Zufall : sie wussten um den geplanten Aufstand. Man
war übereingekommen, die Pfalz zu stürmen.
Es war gegen drei Uhr. Abermals wandten sich die Bürger
vergebens an Roehambeau, diesmal auch an Klinglin, mit der
Bitte sich bewaffnen zu dürfen. Es ward abgeschlagen, da die
Stadt Festung und Grenzplatz sei. «Wichtige Gründe bei dringen-
der Gefahr!» bemerkt hiezu Harthmann.
Klinglin, der stets bei den Repräsentanten war, begab sich
mit ihnen vor die Pfalz. Sie war bereits mit Militär umstellt,
der Platz vom Pöbel, sowie von waffenlosen Soldaten besetzt.
Man bat Klinglin, sie in die Quartiere zu weisen. Aufrühreri-
sche Zettel wurden verteilt : «Bürger greift an ! Wir wollen
ebenso billiges Fleisch essen wie Ihr!» «Die Zettel, sagen die
Repräsentanten, um die der Königslieutnant wusste, brachten
ihn wahrscheinlich dazu, eine Verstärkung der Truppen vor
dem Rathause autzustellen.» Eine Art Feldgeschrei durchlief,
zu neuer Wut aufreizend, die Haufen : «Keine Steuern ! Es leben
die Generalstände!» Um drei Uhr, als das Rathaus bereits
von einer unzähligen Menge umringt war, Hess Roehambeau
Generalmarseh schlagen.» Die Ordonnanzen und Adjutanten
eilten in die Kasernen und brachten den Befehl sich unver-
züglich zu bewaffnen. Dampmartin führte die erste Eskadron
Royal Gavallerie und erhielt Befehl, vor die Pfalz zu reiten.
Die Strassen, durch die er kam, waren erfüllt von Frauen
und weinenden Kindern, die ihn und die Soldaten zur Eile an-
feuerten, das Gesindel zu zerstreuen, das schon überall festen
Fuss gefasst hatte. Männer traten heran und baten, den Bürgern
Waffen zu geben, um die Soldaten zu unterstützen.
Das Regiment Royal kommt auf den Platz. Dampmartin
mit den Seinen erhält Befehl, die Strasse abzusperren. Gegen-
über ist bereits das Regiment Artois aufgestellt. Zwischen
beiden steht das Infanterie - Regiment Elsass gefechtsbereit.
Roehambeau selbst hat es mit seinem Obersten dem Prinzen
1 Memoires, I. 353. — Engelhardts Darstellung (a. a. 0. V.
319) ist hier in den Zeitangaben zu berichtigen.
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— 75 —
Max von Zweibrücken,1 herangeführt. Auch Prinz Ludwig
Friedrich von Hessen mit seinem Regiment ist ausgerückt.
Auf allen Plätzen, vor den Kirchen und öffentlichen Gebäuden
stehen starke Pikets. Patrouillen schweifen überall umher.
Doch ist es, als wären sie taub und blind. Keine zerstreut,
keine hindert das wütende Volk. Rochambeau findet den
Sturm auf die Pfalz bereits in vollem Gange. Der Pöbel hatte
angefangen, die noch unversehrten Scheiben einzuwerfen. Die
Soldaten wehrten nur um Verletzungen zu verhüten die zu
nahe Herandrängenden zurück. Die Magistratspersonen ent-
flohen, beschimpft und misshandelt.
Eine Sturmleiter lag zum Zweck der beabsichtigten Illumi-
nation bereit. Sie wird an die Pfalz gelegt, und als man wahr-
nimmt, dass von den benachbarten Häusern einige Verwegene
durch die Fenster der Pfalz in die verhassten Stuben der Rats-
kollegien gestiegen sind, klettert ein neunzehnjähriger Zimmer-
gesell aus Mainz* hinauf, ein halbes hundert raublustiger Kerle
ihm nach. «Das lächerlichste und schändlichste Schauspiel
beginnt.» Ruhig und kerzengerade sitzen die Reiter zu Pferde,
als sollten sie Spalier bilden bei einem feierlichen Aufzuge.3
«Durch die offenen Fenster siebt man eine Schar verlump-
ter Menschen. Vier oder fünf Generäle wandeln unruhig auf
und ab; sie gehen von einem Regiment zum andern ; ihre
Vorschläge, ihre Fragen verraten grösste Bestürzung.» Kling-
lin redet zum Volk, aber ohne Erfolg. «Hätte man einige,
obgleich blinde Schüsse, unter das Gesindel gethan, ... so
wäre alles vorbei gewesen.» Aber es geschieht nichts. Kling-
lin erscheint in der Schlossergasse und ruft: «Kinder, macht
was ihr wollt, nur sengt und brennt nicht!»* Das ist alles.
1 Die Anwesenheit der beiden deutschen Prinzen von Zweibrücken
und von Hessen als französische Obersten in Strassbnrg ist dadurch zu
erklären, dass ihre Familien die Herrschaften Rappoltstein und Hanau-
Lichtenberg im Elsass besassen, wo sie den Landesherrn vertraten, zu«
gleich aber die «deutschen» Regimenter «Elsass> und «Hessen» führten.
2 Der Sohn des Hofkutschers daselbst. Vgl. Strobel V. S.
329, Anm. 1. ; Spach, Fr. de Dietrich a. a. 0. S. 504, macht den
Sohn auch zum Hofkutscher.
8 Vgl. die Wiedergabe einer gleichzeitigen Abbildung bei Piton,
a. a. 0. I. 191. Ein farbiges Bild von Pfalzsturm befindet sich im
Besitz des Herrn P. Holl in Strassburg.
4 Am 29. kamen drei Leute ans Strassburg nach Kehl; sie
So kommt es, dass nichts Bewegliches in den Räumen der
Pfalz an seinem Platze bleibt. Alles wird zertrümmert, zerrissen
und zu den Fenstern hinausgeworfen. Rochambeau wäre bei-
nahe von einem herabstürzenden Ofen erschlagen worden. In
demselben Augenblick, als zwei Offiziere seine Zweifel durch
ermutigende Schilderungen über die Gesinnungen der Soldaten
gehoben und ihn zum Vorgehen bestimmt haben, fallt ein
Regen von Schriftstücken und Papierfetzen aller Art aus den
Fenstern der Pfalz nieder, der ihn abermals unsicher macht.
Es wird ein schreckliches Gericht an den Akten, Protokollen und
Urkunden des Archivs und der Vormundschaftsstube vollzogen.
Sie werden zerstückelt und auf den durch ein Gewitter aufge-
weichten Platz und die Strassen hinabgeworfen. Fusshoch
watete man nach übereinstimmenden Berichten darin umher.
Nichts kann die Verwüstung deutlicher malen, als die
Berichte, die verschiedene Ratskommissionen später vom Augen-
schein, den sie genommen, niederlegten. i Im Bureau der
Findlingslotterie war nichts mehr vorhanden, als «die vier
Mauern und der runde Stein, worauf der Ofen gesessen».
In der Archiv kammer des Vogteigerichts war «die grosse mit
Eisen allenthalb beschlagene und mit vier Schlössern versehene
Kiste» erbrochen. In der Schirmerstube sind keine Thüren,
keine Fenstergestelle mehr vorhanden. «Der Schaft, worin
die Protokolle waren, ist das einzige Stück» das noch von
der inneren Einrichtung vorhanden ist. Die Kapitationsstube
«enthielt nichts mehr als die vier Wände». Gründlicher
konnte man es nicht nehmen. Und dabei wurden die Soldaten
nicht zur Rettung befohlen ! Von verschiedenen Seiten wird
vielmehr bezeugt, dass sie die Bürger ungescheut anreizten, ja
sogar selbst mitplünderten.2 Rochambeau klagt denn auch es
sei sehr schwer gewesen, ihnen zu steuern. Er selbst war
völlig in Verwirrung, misstraule dan Offizieren und fürchtete
sagten insgesammt: «Wo nicht der Ausruf erschollen: Leute, macht
was ihr wollt, nur kein Fener ! so würde das Ungemach nicht er-
folgt sein> (Bericht des Amtmann's Strobel vom 29. Juli).
1 Vgl. Ges. Raths Acta im Stadt-Archiv.
* Nachgewiesenermassen beteiligte sich auch ein Zögling des
protestantischen Collegium Wilhelmitanum Namens Roederer am
Sturm. Vgl. Erichson, das Theologische Studienstift Collegium
Wilhelmitanum 1544-1894. Strassburg, 1894.
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sich vor seinen Soldaten. Ungestört ging der Raub an den
Kassen der Stadt vor sich.
Um diese Zeit muss es gewesen sein, als der leiningische
Geheimrat Rühl von seiner Reise nach Strassburg zurückkehrte.
Lassen wir ihn selbst erzählen, was er zu seinem Erstaunen und
Schrecken bemerkte, nachdem er, vor das verschlossene Stadt-
thor gelangt, Einlass durch die Citadelle erhallen:
«Kaum war ich auf der Esplanade, so kamen Weiber ge-
laufen und jammerten, dass alles drunter und drüber ginge,
und kein Mensch abwehre. Als ich bei den hangards (Artille-
rie-Schuppen) anlangte, stund das ganze Corps royal vor den
hangards en ordre de bataille. In gleicher Stellung fand ich die
ouvriers vor ihrer caserne. Inzwischen kam ich ohne grossen
Lärmen zu verspüren, ausser dass alle Boutiquen und Häuser
verschlossen waren, glücklich über die Brücke bei Sanct Wil-
helm. Als ich aber in die Kalbsgasse kam, stiess ich auf einen
unzahligen Pöbel, der mit trophaeen vom Rathaus dem feinen
quartier von Saint Nicolas zueilte. Der eine schrie wie rasend
und trug an einer Stange einen zerfetzten grünen Taflet-Fenster-
Vorhang; der andere hatte Acten und pergamentene Briefe
aufgepackt, und trug sie weg. Ein Weib schleppte einen grossen
zerbrochenen hameaux [Netzwinde?] fort ; ein anderes Fenster-
rahmen, noch andere zerbrochene Gelasse und alle lärmten wie toll
und rasend ; ich fuhr langsam ; als ich vor dem Münster auf der
Seite des Eveche anlangte, fand ich auf diesem Platz das Regi-
ment royal Cavaleriei en ordre de bataille, und nun wurde mir
bedeutet, ich müsse hinter dem Eveche herumfahren, weil des
Tumults wegen niemand über den Münsterplatz fahren könne.
. . . Als ich an der grossen Metzig vorbei unten an den Fisch-
markt bei der Schindbrücke (Rabenbrücke)* kam, lief Jan Hagel
wie Schneeflocken durcheinander, hatte alle Hände voll geraub-
ter Papiere und Tapeten fetzen, und ich hatte ziemliche Mühe
längs am Kaufhaus hin das Scbiffgässlein . . . und meine Be-
hausung» zu erreichen.»
1 Wohl nur eine Abteilung derselben, (vielleicht diejenige Damp-
martins ?) die zum Absperren der auf den Gutenbergsplatz führenden
Strasse kommandiert war.
* Vgl. Piton a. a. 0. I. 143.
3 In der Knoblochsgasse.
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— 78 —
Auch in den von der Pfalz beträchtlich entfernt gelegenen
Stadtteilen ging es demnach bunt genug her. Aber Einhalt
ward nicht geboten, und wagte es einer der Magistrate sich
darum zu bemühen, so geriet er unzart in's Gedränge. Ein
solches Erlebnis des Stättmeisters Haffner von Wasslenheim ist
überliefert. Der Siebzigjährige eilte zur Pfalz. Auf der Treppe
wurde er erkannt und misshandelt. Einige Wohlgesinnte
nahmen sich seiner an. Mit Mühe erreichte er, unter Zurück-
lassung von Stock und Hut seine Wohnung. — Die Zerstörung
blieb in vollem Gange. Rochambeau kam zu keinem Entschluss,
und wagte es nicht, die Soldaten zu kräftigem Eingreifen zu ver-
anlassen. Bis zum Abend, sagt er, haben sie nur lax Hand
angelegt ( agissaient mollement ). Es war hier nicht mehr an-
ders wir im übrigen Frankreich, wo die Truppen, lauter «Aben-
teurer, weggejagte Lehrlinge, verstossene Söhne, Vagabunden
und Obdachlose» waren, «leicht verlockbare, hitzige arme Teufel,
die je nach den Umständen bald Rebellen, bald Soldaten werden.»1
Da war es aber für Strassburg ein Glück, dass nicht alle
Regimenter aus französischen Soldaten zusammengesetzt
waren, sondern dass die beiden «deutschen» Regimenter Hessen
und Elsass daselbst standen, aus Elsässern, deutschsprechenden
Lothringern und auch Reichsdeutschen gebildet. Anstatt zu de-
sertieren, womit es die geworbenen Ausländer in den Heeren
jener Zeiten im Ernstfall leicht genug nahmen, wie z. B. im
preussischen Heere von 1806, waren gerade sie es, die sich den
Bürgern, — deren kaum Einer unter den Plünderern zu be-
merken war, — zu Dank verpflichteten. Während jeder ein-
steckte, was er mitnehmen konnte,2 und schliesslich in der
Pfalz nichts mehr zu holen war, stürmte das Gesindel die da-
mals noch durch einen Bogen über die Schlossergasse mit der
Pfalz verbundene Kontraktstube, und begann von neuem. Es
ist gegen 8 Uhr. Da führt Prinz Friedrich von Hessen, der
Sohn des Landgrafen von Darmstadt, sein Regiment heran. Er
ist anderen Geistes, als die französischen Offiziere. Wie er
sieht, dass die Kontraktstube in Gefahr ist, geht er, unter dem
1 Vgl. Taine, L'ancien regime, S. 513.
2 Feuer wurde glücklicherweise nirgends gelegt, was Taine,
Revolution I. 82. irrtümlich berichtet. Er verlegt den Pfalzsturm auf
den 19., Hermann auf den 22.
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— 79 —
Beifallrufen der übrigen Soldaten, gegen sie vor. Er dringt
durch die Hinterthür ein.
Rochambeau in seiner «kindischen Fassungslosigkeit»
über alle die Gerüchte, die von verbreiteter allgemeiner
Empörung und von bevorstehendem Brand der Stadt, ja
vom Aufenthalt von 2000 Banditen im Keller der Pfalz
umherschwirren, ist ratlos. Er wird von gutgesinnten Burgern
zum Einschreiten ermahnt. Sie hatten sich schon an
mehrere Offiziere gewandt, aber die Antwort erhalten : «Wir
haben den Befehl, nichts zu unternehmen !» Wie sie sich nun
an Rochambeau selbst wenden, zaudert er noch ^eingreifen zu
lassen.» Es bedarf des Zuspruchs des Prinzen Max, später als Ma-
ximilian I. König von Bayern, seit 1777 Oberst des Regiments
«Elsass»,8 um ihn endlich zu einem Befehl zu bringen. «Freunde,
meine lieben Freunde !» ruft er in trübseligem Ton.*
«Seht, was da vorgeht! Wie entsetzlich ! Ach, es sind
Eure Papiere, Eure Rechtstitel, — die Eurer Eltern!» Die
Soldaten bleiben unbewegt. Der führende Offizier hat den Be-
fehl nicht verstanden, und es bedarf der Aufklärung eines
anderen, bis sich zwei Abteilungen des Regiments «Elsass»
gegen das Rathaus in Bewegung setzen.
Indes ist ein Teil der Menge in den Ratskeller einge-
brochen, thut sich gütlich, und lässt 17 000 Mass guten Weines*
zu solcher Höhe auf dem Boden umherlaufen, dass einige Be-
rauschte darin ertrinken. Aber auch den Keller säubert Prinz
Friedrich von den Rasenden. Dann führt er seine Hessen in
die Pfalz. Auf dem Bogen über der Schlossergasse treflen die
Mannschaften der deutschen Prinzen zusammen. Denn auch die
Pfalz war von den beiden Abteilungen «Elsass» inzwischen ge-
i Vgl. Strobel V. S. 322.
a Vgl. Du Moulin-Eckart, R. Graf, «Bayern unter dem Mi-
nisterium Montgelas», I. München 1895. S. 30. — Prinz Max war ein
sehr leichtlebiger Herr, bei den Strassburgern aber ausserordentlich
beliebt. Vgl. Memoires de la baronne d'Oberkirch, 1853. I. 110.
— Dampmartin verwechselt ihn hier mit dem Prinzen von Hessen.
3 So Dampmartin. Rochambeau selbst giebt seine Worte folgen -
dermassen wieder: «Mes enfans. ce sont vos papiers, qu'on pille et
vos contrats qu'on saccage. Ne souflfrez pas un pareil brigandage ;
entrez et chassez ä coup de Crosse tous ces malfaiteurs.»
4 So die Repräsentanten bei Reuss a. a. 0. S. 131. Taine,
la Revol. I. 82 sagt «15,000».
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— 80 -
säubert worden. Die Menge auf dem Platz wurde sodann vom
Prinzen Friedrich zerstreut, und gerettet, was noch zu retten
war. Leicht und rasch wurde die Ruhe wieder hergestellt.
Der hessische Prinz war auf das tiefste entrüstet. Der Ver-
fasser der «Wahren und authentischen Nachrichten» sagt: «Ich
sprach mit diesem Prinzen ; ... er sagte, dass ihm das Herz
blutete, da er Zeuge von allem diesem Unfug sein müsse, und
ihm nicht erlaubt wäre, weil er unter eines anderen Kommando
stehe, demselben Einhalt zu thun, da es leicht gewesen wäre,
mit 20 oder 30 Mann Wache den rasenden Pöbel vom Rathaus
zu vertreiben.»
Die Abwehr raublusliger Scharen vom Pfennigturm durch
das Pikett des Barons von Ruttenberg und die Vernichtung der
Stadtkutschen im Herrenstall bildeten den unmittelbaren Ab-
schluss des Aufruhrs. Die Truppen auf dem Paradeplatz riefen
der VerÜbung dieses Unfugs Beifall und klatschten dazu. — Man
befürchtete am Abend und noch wochenlang nachher, Brand-
stiftungen, und so blieben während der Nacht Truppenabteilungen
auf den Plätzen zurück ; andere streiften allerwärts die mit
ausgehängten Lampen beleuchteten Strassen entlang. Es gab
noch Gelegenheit genug, einzugreifen, i teilweise unter der
Leitung der Prinzen. Erwähnt sei nur, dass schon an jenem
Abend, jeder Zweifel an dem ablehnenden Verhalten der Bürger-
schaft gegen das Treiben des Pöbels schwand. Es war nur noch
vielfach betrunkenes Gesindel, «zumeist Banditen von jenseits des
Rheins», mit denen man es zu thun hatte. Sie waren auch hier
erschienen, wie eine Woche zuvor in Paris und bei den anderen
Aufständen jener Zeit, wo sie, «die Leiter und Vollstrecker der
öffentlichen und privaten Rachsucht» waren. Beides scheint
hier zu seinem Recht gekommen zu sein. Wiederum waren
die XVer die Bedrohten; sie flohen samtlich aus der Stadt.
Nicht zum besten erging es dem XIII er Mogg, dem Sohn
des Generaladvokaten, der bei der Aufdeckung der Verun-
treuungen des Prätors Klinglin beteiligt gewesen. Sein Haus
wurde gänzlich. demoliert, und er selbst floh mit seiner Familie
in das Kehler Post haus.
Anfangs hatten die Soldaten noch Vergnügen daran gehabt,
1 Vgl. das Nähere bei Strohe 1 V. S. 325, und das. Anm. 1.
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— 81 -
das Gesindel vor sich her zu jagen, ohne zu verhaften, was
auch die Menschenmassen erschwert hatten. Gegen Mitternacht
aber ward es ruhiger, und schliesslich hrachte man gegen 400
Verdachtige ein, wovon der Magistrat jedoch nur ein Dutzend
in Gewahrsam hielt.
Ohne Blulvergiessen waren diese aufregenden Tage hinge-
gangen. Aber eine unberechenbare moralische Einbusse hatte
der Magistrat erlitten, nicht minder freilich das Militär und
seine obersten Führer. Es war jedermann unfassüch, dass es
nicht eingegriffen hatte, und bleibt auch heute noch unerklärt.
Ursachen sind, wie gesagt, ohne Zweifel die Kopflosigkeit Ro-
chambeau's, die beginnende Auflösung der Mannszucht, und
die erwachende Parteinahme für die Bürger, die wohl auf den
Eintluss der ähnlichen Pariser Ereignisse zurückzuführen ist.1
Es kommen aber höchst auffallende Umstände hinzu. Ein-
mal die Behauptung jenes Offiziers, er habe Befehl, nichts zu
unternehmen. Das kann allerdings auf Rochambeau's Furcht
zurückgeführt werden. Ferner aber die Antwort des Verhaf-
teten in Kehl, auf die Frage, wer ihn zum Einwerfen der
Fenster in der Pfalz veranlasst habe : «Ein Offizier der Kaval-
lerie von Royal Alsace2 habe es ihn und alle andern geheissen».
Endlich die Schilderung Dampmartin's über jene Abendgesell-
schaft bei Klinglin. Zweifellos sind es Zeichen, die gegen eine
völlige Ueberraschung und völliges Unbeteiligtsein der Offiziere,
oder wenigstens eines Teiles derselben sprechen. Auch unter
ihnen, nicht nur unterden Soldaten, war die Neigung vorhanden,
dem Pöbel nicht zu wehren. Rochambeau, — das ist wohl
sicher — hatte die Hand nicht im Spiele, wenn ihm auch
ein schwerer Vorwurf nicht erspart bleiben kann.5
Aber welcher Offizier konnte überhaupt so sehr an dem
1 Dafür spricht die Bemerkung der Repräsentanten (1. c.) über
die Rene der Soldaten, dass die eigentlichen Bürger bei dem «Kom-
plott» nicht beteiligt gewesen.
2 Ein berittener Offizie** dieses Infanterieregiments?
3 Strobel in Kehl berichtet am 27. Juli : «Nach der Versiche-
rung des Herrn von Perglas, bey Sr. Dorchlaucht dem Prinz von
Darmstadt logiert, soll von dem Magistrat eine Deputation mit Be-
schwerden über die Generalite allda nach Versailles abgesandt wer-
den. Hochgedachter Prinz soll solcher die Schuld von den Verhee-
rungen öffentlich beygelegt, sich seiner Seits aber gegen die Stadt
recht cordial gemacht haben »
6
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— 82 —
Slurz des Magistrats interessiert sein, dass er einen Aufstand
heraufbeschwor, wobei er eine ganze Stadt gefährdete? Daran,
dass die Bewegung seit längerem vorbereitet war und von ir-
gend welcher Seite gelenkt wurde, kann kein Zweifel bestehen.
Das Erstere beweisen in allererster Linie die Warnungen vor
«unangenehmen Auftritten», welche die Repräsentanten vorher-
sahen (vgl. S. 58 Anrn. 2), und welche die Anwesenheit und das
plötzliche Hervortreten des fremden Gesindels, woran man bis-
her so grossen Anstoss nahm, sehr einfach zu erklären scheinen;
ferner die Erwartung einer «expedition» im Offizierskorps und
das Herbeiströmen der Handwerker zu einer und derselben
Stunde, endlich die aufreizenden Zettel und das besondere Feld -
geschrei, das Young und andere bemerkten. Ehe wir aber
weitere Vermutungen über die bedeutsame Teilnahme bestimmter
Persönlichkeiten anstellen, wird es dienlich sein, sich nochmals
den Grund der Erregung und möglicherweise mitwirkende
Faktoren zu vergegenwärtigen. Den Anlass gab unbestreitbar
das Verhalten des Magistrats besonders in bez. auf die For-
derungen der Metzger und der Bäcker. Es ist aber, vor allem
vom 21., durchaus nicht überliefert, dass gerade Metzger und
Bäcker auf die Empörung gedrungen hätten.1 Ihre Forder-
ungen winden gestützt durch das Militär (vgl. u. S. 92.) und
die Schirmer. Letztere hatten zwar ihren eigensten Wunsch, die
Selbständigkeit im Handwerk, vom Magistrat zugestanden erhal-
ten, aber doch besonders unter den hohen Taxen zu leiden. Sie er-
zwangen daher die vermeintlich widerrufene Genehmigung der
Wünsche der beiden Zünfte, die Handwerker durch Aufruhr,
die französischen Soldaten durch völlige, die deutschen durch
anfängliche l Jnthätigkeit. Es ist aber nicht unmöglich, und in
den Verhältnissen wohl begründet, dass die Ursache zu der
Bewegung nicht allein in materieller Bedrückung zu suchen
ist. Sie kann tiefer gelegen haben, als bisher angenommen
worden ist.
In der Einleitung wurde bereits darauf hingewiesen, dass
i Kehlcr Protokoll: <Seines Hausherrn Sohn habe ihm erzählt,
ein Gastwirt habe am verflossenen Dienstag (21.) den in der Gast-
stube befindlichen Personen zugerufen : ,Jetzt wehrt euch, schlagt
alles zusammen! Ich will euch vor heute umsonst zu trinken
geben !'»
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— s:* —
ein, durch das ausschliessende Verhalten der alten Zünfte den
neueingewanderten katholischen Franzosen gegenüber stets wach-
gehaltener politisch-religiöser Gegensatz bestand, worauf die
Duldung Ludwig XVI. ohne grossen Einfluss bleiben mussle,
solange die alten Einrichtungen, insbesondere das Verhältnis
der Schirmer, nicht fielen. Im Magistrat trat dieser konfes-
sionelle Unterschied allerdings wegen der Alternative nicht her-
vor ; in der Bevölkerung aber war es anders. Vielleicht eben
wegen der erwähnten Gleichbedeutung, die sich zwischen deutsch
und protestantisch einer- und französisch und katholisch anderer-
seits herausgebildet hatte, blieb er lebendig. Wir finden denn
auch in den amtlichen Berichten aus Kehl verschiedene Hin-
weise auf die konfessionelle Gärung, die in Strassburg
herrschte und in den, dem Aufstand folgenden Wochen zu
ernsten Besorgnissen Anlass gab. (S. u. S. 105 Anm. 3).
Strobel hebt auch besonders hervor,1 dass es eben Protestanten
gewesen, die am meisten persönlich der Gefahr ausgesetzt waren.
Allerdings darf man nicht vergessen, dass Lemp an sich ver-
hasst und BrackenholTer sein Tochtermann war, und die üb-
rigen Verfolgten der XVerkammer angehörten. Ausserdem war
Kleinmann, einer der XVer, von der «Lucern» (Laterne) zum
Repräsentanten gewählt worden, während der Oberherr der
Bäckerzunft, der XVer Dorsner, in dieser doppelten Eigenschaft
doppelt hassenswert, falls die Bewegung sich gegen die Gewalt
an sich richtete, nicht angegriffen ward. Man wird also nicht
all zu viel einseitiges Gewicht auf eine systematische Verfolgung
protestantischer Ratsherren legen dürfen, da auch der im Juli
entdohene XVer Flach bei der Neuwahl des Magistrais im Au-
gust wieder in den Rat gewählt wurde. Aber die konfessionel-
len Gegensätze, die das Alte und das Neue verkörpern, gänzlich
ausser- Beachtung zu lassen, wird nach den Aeusserungen aus
1 Bericht des Hofrats Strobel vom 26. Juli: «Besonders ist es,
dass der meiste Hass auf Evangelische gefallen» : Lemp, Treitlinger,
Mogg, Flach, Kleinmann; Professor Brackenhoffer. Der letztere wurde
im Juli von einem Trupp aus der Rupreuhtsau in seinem Haus au
Schiltigheim bedroht. Es entging nur durch rechtzeitiges Ein-
greifen des Militärs der Zerstörung. (Bericht Strobels vom 27.) Auch
der protestantische Stättmeister S. von Oberkirch war schon am 20.
in Gefahr gewesen (vgl. Histor. Bericht).
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— 84 —
der Nachbarsladt Kehl und ihrer durch »das Verhalten der Geist-
lichen an Wert gewinnenden Wahrscheinlichkeit nicht statt-
haft sein. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die neueingewan-
derteii, an eine deutsche Magistratsverwaltung nicht gewöhnten
Franzosen in letzter Linie im Hintergrunde des Aufstandes zu
erblicken sind, was mit dem Verhalten der Soldaten und der
Schirmer wiederum übereinstimmt, da eben unter ihnen sich
die meisten Franzosen befanden. Wie bei dem AYaagenstreit
sah sich hier die Masse der Einwohnerschaft durch die städtische
Gewalt selbst bedroht, und so wäre denn in der Organisation
der Verwaltungsbehörden, besonders der XVer, und in den
drückenden indirekten Steuern, in der Vereinigung eines poli-
tischen und eines materiellen Moments die Ursache, in dem
Beispiel der Pariser Vorgänge der zufällige, letzte Anlass zu den
Unruhen in Strassburg zu erblicken. Befriedigend ist diese Er-
klärung aber noch nicht. Es bleibt der eigentümliche Umstand,
der einen geheimnisvollen und unklaren Schein auf den ganzen
Vorgang wirft, das Benehmen K 1 i n g 1 i n s. Es trübt die
willkommene Auffassung der Unmittelbarkeit des Aufstandes,
obwohl 1 (tatsächlich für die beabsichtigte Leitung desselben nur
eben Vermutungen aufzustellen sein werden.
Der auffallendste Punkt in dem ganzen Aufruhr ist der-
jenige, wo am Vormittag des 21. das Gerücht entstand, der
Magistrat werde seine Zugeständnisse zurückziehen. Lassen
wir hier Taine für uns reden : *
«Derlei Gerüchte genügen, um eine leidende Menge zu Ge-
waltthaten zu reizen ; und es genügt, dass sie Jene zu Rat-
gebern und Führern nehmen, die sie in derselben Richtung,
die ihnen ohnehin am besten zusagt, vorwärts treiben ; das
Volk kann nicht ohne Führer sein.» Der Führer der Schirmer
aber war Klinglin, ihr Repräsentant, und die Forderungen
der Metzger und Bäcker vertrat Klinglin, sogar vor dem Magi-
strat. Im Vergleich zum Königslieutnant hatten die Ratsherren
bei der niederen Bevölkerung ihre Rolle ausgespielt ; denn
schon seit den Repräsentanten wählen hiess jener ihr «Vater».
Eben deshalb aber ist sein Verhalten um so auffallender.
Konnte er nicht, da er allem nach auch eine immerhin beach-
1 A. a. 0. I. S. 338.
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— 85
tenswerte Gewalt über das Militär gehabt zu haben scheint, —
trotz der angeblichen Erklärung, es werde ihm nicht mehr ge-
horchen,1 führte er seine Pikets, mit denen er sich hier und
dort sehen liess, anstandslos durch die aufgeregten Massen, —
konnte er nicht sein Ansehen anders geltend machen, als in
beruhigenden Worten, die alles, ausser Feuer, erlaubten? Dies
Verhalten eines Offiziers, und dabei die Vertretung der Wünsche
von Gewerken durch einen adeligen, französischen Offizier, seine
Verhimrnclung durch die untersten Schichten des dritten
Standes einer ganzen Stadt, das scheint gänzlich ungereimt.
In anderem Lichte freilich zeigt sich das Bild, wenn man
bedenkt, dass dieser Offizier den Namen Klinglin trug. Da
scheint jenes Verhalten gewaltsam mit dem natürlichen Hass des
Mannes gegen den Magistrat zusammenzustreben. Es ist ihm.
denn auch, mehr oder weniger verhüllt, die Schuld am Auf-
stand beigemessen worden, und seine Stellung in Strassburg
war alsbald so unhaltbar, dass er um seine Versetzung einkam.2
Er hat sich gege i solche Anschuldigungen verteidigt ; vor
allem gegen eine Behauptung, die leicht unglaubhaft zu machen
ist. Klinglin sollte den Pl'alzslurm eingeleitet haben, um die
Prozessakten seines Vaters, bzw. Grossvaters zu vernichten. 3
Weitere Erörterungen hieran zu knüpfen, scheint müssig, da
im Verlauf des Prozesses vom Magistrat als Antwort auf eine
Klinglin'sche Verteidigungsschrift ein Memorial an den König
gesandt und von diesem dem Parlament zu Grenoble über-
wiesen ward,4 worin eine Menge der unlauteren Geld-
geschäfte des älteren Prälors aufgezählt wurden. Mit der
Vernichtung der Strassburger Archive war daher ein bedenk-
liches Belastungszeugnis gegen Klinglin's Grossvater keineswegs
aus der Welt geschafft, und dass er von dessen Dasein nichts
gewusst haben sollte, ist höchst unwahrscheinlich. Ausserdem
hätte er seinen Zweck bei dem Sturm auf die Pfalz gar nicht
vollkommen erreicht. Neben vielen Papieren, besonders der
Korrespondenz zwischen dem nach Paris gesandten Advokaten»
1 Man bedenke das Verhalten der «deutschen > Regimenter !
* Strassb. Post vom 21. Juli 1889.
» Vgl. Strobel S. 823 Anm. 2.
* Vgl. Friese a. a. 0. IV. 126fg.
5 Dessen Korrespondenz mit dem Prätor Regemorte (z. B. St.-A.
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- 86 -
und dem Magistrat, sind die Protokolle namentlich der drei
geheimen Sluhen von 1751 fg. erhalten gehlieben. Sie tragen
nicht die Spuren besonderer Zerstörungswut, obgleich darin
manches enthalten ist, was auf die Unehrenhaftigkeit jenes
Prätors und den daran sich knöpfenden Prozess Bezug hat.1
Man kann daher nicht sagen, dass alles Aktenmaterial sich
in Grenoble befunden habe ; aber man kann sagen, dass die
Vernichtung des Slrassburger Archivs ganz zwecklos war, wenn
Klinglin nicht auch die Akten aus Grenoble, ja aus Besancon
und Paris in seine Hände bekam. Daher ist diese Begründung
seines Verhaltens und die Glaubhaftigkeit der an dieselbe
sich anknüpfenden Erzählungen 2 zurückzuweisen. War doch
der Prozess gegen seinen Vater vom Mai 1753 bis zu seinem
.Ende im September desselben Jahres in Grenoble gefühlt
worden !
Aber abgesehen von dieser Frage, — dass er dem Magistrat
nichts Gutes wünschte, geht klar aus seinem Benehmen gegen
denselben im Winter 1788)89 hervor. 3 Dies, in Verbindung mit
den Thatsachen des Sommers scheint allerdings unabweislich
auf seine Führerschaft, auf die Lahmlegung der militärischen
Hilfskräfte durch seinen Einfluss hinzuführen. Für die Un-
thätigkeit des Militärs trifft ihn jedenfalls der grösste Vorwurf,
und damit auch die Schuld an der Ausdehnung, die der Auf-
ruhr gewann.
Ganz unbegründet sind dagegen die in der «Räuberbande»
und den «Gräueln der Verwüstung» gegen Dietrich ge-
schleuderten Anfeindungen. Dass er den Aufstand hervor-
AA 2551) stammt aus den Archives des Pretenrs, die Gerard der
Stadt zur Ersetzung ihres Verlustes an Aktenmaterial überwies.
1 Dass die Prozessakten nach Grenoble geschickt worden
sind, ist wohl nicht zu bezweifeln, wenn auch, so weit ich sehe, in
den Protokollen nichts davon erwähnt ist. Zum Teil befanden sich
aber noch andere belastende Originalschriftstücke in Strass-
burg (vgl. Relevöe des documents etc. 1752. St.-A. AA. 2536), und
der Magistrat gab, als die Familie den Prozess aufgenommen hatte
und viele in ihrem Sinne entlastende Schriftstücke abforderte, nur
Auszüge, bzw. Abschriften derselben heraus. Besonders bemerkens-
wert ist das erhaltene «Conferenz Protokoll» über ein Verhör betr.
die Klinglin'sche Angelegenheit. Vgl. Friese, a. a. 0. IV. 84 fg.,
bzw. Protokoll R. u. XXI. 1752, am Schluss.
2 Vgl. Friese, a. a. 0. IV. 260. Strohe 1 V. S. 320. Anm. 1.
3 Vgl. o. S. 57.
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gerufen haben sollte, ist so gut wie ausgeschlossen, seihst wenn
man zugiebt, dass Aussicht vorhanden war, mit einem solchen
Handstreich die Stadtverfassung zu stürzen, was vielleicht nach
seinem Sinne sein mochte. Aber zu solchen Schritten war es
noch nicht Zeit. Die Privilegien bestanden noch in Frankreich,
und es konnte sich höchstens um einen Personenwechsel handeln,
nicht um eine Aenderung des Systems. Erwähnenswert ist
allenfalls sein geringes Hervortreten gegenüber dem Volk im
Vergleich mit Klinglin. Er hielt sich durchaus an seine Vor-
schrift, an sein Amt als Vermittler. Hätte er um das Bevor-
stehende gewusst und es begünstigt, so hätte er sich durch
den Rat, alle Wünsche der Repräsentanten anzunehmen, selbst
nur die Hände gebunden, oder zum mindesten die Ausführung
seines Planes verzögert. Er schützte vielmehr die alte Ver-
fassung durch die Erklärung, dass die Beschlüsse, in der Be-
drängnis verfasst, der Rechtskraft entbehren.
V.
Folgen des Aufruhrs. Bürgergarde.
Der Soldatenaufstand.
Am frühen Morgen des 22. Juli versammelten sich die
Zünfte, und kamen überein, nach dem Beispiel der Pariser eine
Bürgergarde zu errichten. Diesmal beschied sie Rochanibeau
nicht wieder abschlägig, erteilte ihnen vielmehr den Befehl
zur Bewaffnung, und Jiess ihnen 500 Spiesse und 1200 Säbel
aushändigen. An 12 000 Bürger vereinigten sich begeistert mit
den Soldaten zu Patrouillen. Ein ehemaliger Oberst führte sie.
Magistrate, Professoren, Geschäftsleute, Prediger griffen .:u den
Waffen, während Frauen und Kinder in den Häusern gehalten
wurden. Blessig, Rektor der protestantischen Universität, rief
die Studenten zusammen,1 und bildete aus ihnen eine bewaffnete
Schar zur Bewachung der akademischen und humanistischen
Anstalten. Sie trugen nunmehr die weisse Kokarde. — «Da
war es eine Freude, zu sehen, wie die Bürger-Patrouillen die
1 Vgl. Reass, Histoire du gyranase Protestant etc. S. 25.
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— 88 -
verführten und betrogenen Leute . . . mit den entwendeten
Sachen unter dem Arm, nach einander daherbrachten . . .
26000 Livres an Geld und viele andere Sachen kamen wieder
zurück.» Sie wurden mit ihren unrechtmässigen Besitzern in
das grosse Stabsgebäude am Paradeplatz gebracht, wo der Ma-
gistrat bis zur Fertigstellung der Pfalz seine Sitzungen hielt.
Ausser den in der Nacht erfolgten Verhaftungen geschahen
am ersten Morgen deren noch gegen 200. * Die Festgenommenen
wurden summarisch verhört, um die Mitschuldigen zu er-
fahren, und dann 3 — i()0 Leute in die düsteren Gefängnisse,
vier der hoben Sladttürme, die heute noch stehen, abgeführt,
so dass diese bald überfüllt waren. Der mainzer Zimmergeselle
wurde, des Diebstahls überführt, zum Tode durch den Strang
verurteilt, und erlitt seine Strafe am 23. Juli an dem auf dem
Platze aufgeschlagenen Galgen, während Militär und Bürger-
wache die Richtstatt umstanden. Dass man gerade einen Fremden,
für den sich niemand verwandte, zum Büsser genommen, ver-
stimmte so sehr, dass Rochambeau dem Ammeister riet, «beim
nächsten ähnlichen Fall einen Einheimischen zugleich mit einem
Fremden zu exequieren».2
Am 27. wurde sodann ein Küfer Namens Gambs, der die
Vormundschaftskasse erbrochen und bestohlen und im Keller
Weinfässer eingeschlagen hatte, nebst drei anderen Hand-
werkern, worunter ein Bierbrauer, der die Magistratskutsehen
zertrümmert hatte, zur Galeere verurteilt. Ueher Gambs war
bereits der Stab gebrochen, als sich seinetwegen ein Tumult
erhob. Es halten sich Parteien für und wider die Vollstreckung
des Urteils ohne Bestätigung des Königs gebildet. Die
Zunftgenossen der Verurteilten rüsteten sich und bedrohten die
Stadl, falls ihre Meister es geschehen Hessen. Dietrich führte
sie zu Fischer, und der Rat, bei dem Gnadengesuche ein-
liefen, schickte die Akten nach Versailles, wo sich die Depu-
tierten für die Verurteilten verwandten, was um so mehr Er-
folg hatte, als der Minister mit dem schroffen Vorgehen des
Magistrats unzufrieden war. Er erwirkte die Begnadigung durch
1 Vgl. den Brief der Repräsentanten bei Reuss. TAU. S. 132.
2 Rapiarium E. E Grossen Raths vom 25. Juli. Auf der Kais.
Bibliothek; Barack's Katalog Nr. 460.
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— 89 —
den Köni^r.1 Der Galten ward noch an jenem Tage entfernt,
da sein blosser Anblick das Volk beunruhigte. Die bedrohliche
Stimmung veranlasste den Magistrat, im Gefängnis abermals
ein allgemeines Verhör anstellen zu lassen und die schuldlos
befundenen Einheimischen in Freiheit zu setzen, die Fremden
aber an die Rheinbrücke zu verbringen. Verschiedene Ueber-
führle wurden in's Zuchthaus geschickt. 2
Andere, zumeist Landstreicher, waren schleunigst entflohen,
und machten die Gegend weithin unsicher. Teils war man
froh, wenn sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden, teils
suchte man ihrer wieder habhaft zu werden, um sie zu richten.
So bat der Magistrat die badische Regierung, Fremde anzuhalten
und Haussuchungen in Kehl zu veranstalten. Man glaubte, es
seien dort gestohlene Gegenstände aus der Pfalz unterge-
bracht. Baden versagte zwar die «nachbarliche Hilfe» nicht.3
Die Berichte des Kehler Amtmanns verursachten aber in
Karlsruhe einen gewaltigen Schrecken. Besorgt «für des teut-
schen Reiches Sicherheit», befahl die Regierung, jedesmal nur
eine beschränkte Anzahl der Verdächtigen und zwar nur
Deutsche herüberzulassen, und sie dann mit vorgeschriebenem
Weg an die nächste Grenze zu senden. Auch verlegte man so-
fort ein Kommando nach Kehl, und empfahl der verdoppelten
Rheinwache und allen Förstern der Gegend grösste Auf-
merksamkeit. Dies hielt die Flüchtlinge jedenfalls ab, den
Rhein zu überschreiten. Aber dennoch war man zuerst sehr
besorgt und bestimmte schliesslich, nur wenn die Werber an
der Brücke sie übernehmen, solle eine grössere Anzahl auf
einmal herübergebracht werden. Doch zeigten nur wenige
Lust dazu.*
Tn Strassburg war die Unruhe fortgesetzt gross. Der Ma-
gistrat bereute die rasche Hinrichtung,5 die neue Gärung
1 Vgl. Reusa, l'Als S. 134 u. 135.
2 Bericht Strobel's vom 30. Juli: <Drei Wagen voll Aufwieg-
ler sind heute nach Ensesheim in's Zuchthaus geführt worden>. Auch
drei Artilleristen brachte man in das Militärgefängnis. Ein Dutzend
ihrer Kameraden kamen mit einem Verweis davon.
3 Die Haussuchung verlief ergebnislos.
4 Nach einem Schreiben des 3fagistrats an die badische Regie-
rung vom 1. August war überhaupt nur ein Dutzend Ausländer der
Stadt verwiesen worden.
5 Bericht Strobels vom 29. Juli.
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- 00 -
verursachte. Die Laternen brannten Nachts so lange wie im
Winter, um die Patrouillen zu unterstutzen, die noch mancherlei
zu thun fanden. Den Angrill auf Lemp's Schwiegersohn, den
Professor Brackenhotler, haben wir erwähnt.1 Auch das Zoll-
haus an der Rheinbrücke musste durch Infanterie geschützt
werden. Am Holzmagazin der Stadt ward Brandstiftung versucht.
Erst allmählich wagten sich die entflohenen Ratsherren wieder
in die Stadt. Die Geistlichkeit, besonders die protestantische,
liess es sich «angelegen sein, als Vermittlerin» aufzutreten.2
Dem Bepräsentarilenausschuss, dem die Bürgerwache zunächst
untergeben war, wurde auf den Vorschlag des Kommandanten
ein anderer von Magistrats wegen zur Seite gesetzt, dessen
Mitglieder aber von den Repräsentanten bestimmt wurden.
Dietrich verhinderte zunächst, das* der Magistrat sich gänzlich
aullöste, indem er die Anregung des XVers von Weitersheim
zur Demission der XVer Kammer im Verein mit Fischer und
dem Consulenteu Metzler niederschlug. Doch bewirkte er, dass
die unbeliebtesten der Ratsherren ans «lern Magistrat austraten. 3
Diesen Bemühungen Dietrich's, die Parteien einander wieder zu
nähern, spendete der Magistrat hohes Lob.4
Er schien seine Niederlage durch Entgegenkommen ver-
gessen machen zu wollen. Die Herstellung der Pfalz ward mit
ängstlicher Sparsamkeit unternommen. Unersetzlich allerdings
waren die Verluste an Aktenmaterial, dessen Ueberreste man
noch am Abend des 421. wieder gesammelt hatte; und wie nahe
» S. o. S. 82. Anra. 1.
a Vgl. Das Nähere bei Strobel V. S. 331.
s Lemp u. Treitlinger. — Ersterer war durch Berichte, die in
Schu hartes Vaterländischer Chronik 1789 über den Strassburger
Lärm veröffentlicht wurden, (S. 494. 505 fg. 557 fg), heftig angegrif-
fen und «als der grösste Bürgerfeind gebrandmarkt> worden, während
sie den «edlen Baron Klinglin» nicht genug rühmen können. Lemp
schrieb deshalb einen, uns verlorenen, entrüsteten Brief an Schubart,
der ihm (S. 624) nichts weniger als höflich in seiner Chronik ant-
wortete. — Schubart verfolgte die Strassburger Vorgänge mit beson-
derem Interesse. Er schreibt: «Da ich diese Stadt, die das Schick-
sal allgewaltig von meinem Vaterlande riess. und an einen anderen
Slaatskörper anreihte, immer um ihrer edlen Bürger willen hoch
schätzte, so brannte mir ihr Missgeschick heiss auf der Seele. Aus
den vielen erhaltenen [oft übertriebenen] Briefen, die die Sache bald
so, bald anders ansehen, kann ich nur diss Resultat abziehen . . . >
1 Vgl. die Briefe bei lteuss, FAls. S. 137 u. 139.
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— 91 —
sie den davon Betroffenen gingen, zeigt das, was Bühl sich am
Tage nach dem Pfalzsturm erzählen liess — «dass es erbärm-
lich anzusehen sei, wie vor der Pfalz und in der Schlossergasse
die . . . Schriften zerstreut lagen und dass der Professor Oberlin1
auf diesem Papierhügel traurig heaumgroble, und hier und da
eine Urkunde zu retten suche.» —
Materielle Einbussen machten nicht minder zu schaffen.
Der Verlust an baarem Geld infolge des Pfalzsturms betrug
35 000 Livres. Dazu kamen andere Ausgaben.
Fleisch- und Brottaxe wurden abermals verringert, und
Metzger und Bäcker aus der Stadtkasse entschädigt. Aber schon
am 1. August erkannte man, dass so die Mittel der Stadt als-
bald erschöpft sein mussten, und man setzte dann die Taxe
wieder auf den Fuss des 21. Juli fest. 2 Während der Bat in
Bezug auf die öffentliche Sicherheit der Stadt allmählich ruhiger
um sich blicken konnte, begannen neue Sorten für ihn in den
Amteien, wo der Sturm des Aufruhrs immer bedenklichere
Wogen schlug. Besonders das Gerücht, der König habe den
Gemeinden erlaubt, Gewalt zur Erlangung ihrer Beeilte und
Freiheiten auszuüben, wirkte verderblich. Ueberall erhob man
sich wider die Obrigkeit, und besonders in Barr nahm die
Bewegung einen sehr bedrohlichen, für die Abgeordnelen des
Bats lebensgefährlichen Charakter an.3 Noch bis in das Jahr
1790 hinein hatte sich der Magistrat mit diesen Angelegenheiten
zu beschäftigen.
Doch auch in der Stadt herrschte nur vorübergehende Buhe
Ein neuer Schrecken brach aus. Der Magistrat wollte seine
Zufriedenheit mit dem Wachtdienst der Truppen dadurch Aus-
1 Jeremias Jakob 0 , der Verf. des Alraanach, der es dann
übernahm, das Zerstreute wieder zu ordnen. Vgl. über ihn Strobel,
V. S. 234. Anm. 4. Auch AI 1 g. Encyklopädie (Ersch und Gru-
ber), Serie III. Bd. I. S. 118 fg. und A. D. B. XXIV. S. 96 fg.
2 Die Entschädigung an die Metzger (19. Ib. 8 s. von jedem
Ochsen; betrug in einer Woche 2946 Livres, an die Bäcker 12.000
Livres (2 lb. für jedes Viertel Mehl). Die Herstellung der Pfalz
kostete 10 000 Livres.
3 Vgl. das Nähere bei Strobel, V. S. 332 fg. üeber den Ende
August im Dorf Kehl (in dessen Herrschaft sich Strassburg mit
Baden, Nassau Usingen und den Reicbsfreiherren Böcklin von Böck-
linsau teilte) entstandenen Aufruhr vgl. auch Acta des Ges. Rats
1789.
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- 92 -
druck geben, dass er jedem Mann 20 Sols, jedem Korporal 30,
jedem Sergeanten 40 Sols austeilen liess. Rochambeaui hatte
zwar jede Verantwortung von sich gewiesen, und zwei Abord-
nungen, die sich deshalb an ihn wandten, abschlägig beschieden.
Es lag dem Magistrat aber viel daran, da die Bürgerschaft
denselben Zweck, in der Form ungeregelter freiwilliger Gaben,
verfolgte. Auch zeigte sich unter den Soldaten eine Erregung,
weil sie die unvermeidliche Erhöhung der Taxen argwöhnten.
So begab sich eine Abordnung der Repräsentanten und Magi-
stratsdeputierten unter Dietrichs Fühlung zu Rochambeau, der
nun, wenn auch ungern, nachgab. Klinglin aber drang darauf,
dass das Geld nicht auf einmal ausbezahlt werde, und dass man
es den Soldaten nur in den Kasernen auszugeben gestatte.
Rochambeau seinerseits bestimmte, dass nur ein Bataillon zur
Zeit die Belohnung empfange, und der Rest des betreffenden
Regiments auf Wache die Verantwortung für dessen Benehmen
zu tragen habe.
Am 5. August wurde die Hälfte des Geldes ausbezahlt.«
Die Beschränkung ihrer Freiheit aber erweckte die Unzufrieden-
heit der Truppen. Der Trunk that das Seine, und gegen 2 Uhr
Nachmittags rotteten sich die Mannschaften in den Kasernen-
höfen zusammen und begannen zu lärmen. Der General de
Vinee, der seit einigen Tagen als Inspektor in der Stadt weilte,
und eben ein Infanterie-Regiment musterte^ sagte zum Obersten,
«er solle seine Leute nicht in die Kasernen einschliessen. Das
hörten die Gemeinen, und hoben ihn vor Freuden mit samt
1 Vgl. Memoires I. H58 fg.
2 Ueber diesen Aufstand sind die Hanptquellen : Brief der Re-
präsentanten an die Deputierten (Reuss, TAls. S. 139 fg ). Brief des
Magistrats an dieselben (Reuss S. 142 fg.). Rochambeaui und Damp-
martin's Memoiren. Harthmann und Rühl. Engelhardt kannte nur
die ersteren, die sehr kurz gehalten sind, und besonders in den
Zeitangaben zu einer ungenauen Darstellung veranlasst haben. Aus-
serdem muss ihm auch hier eine uns unbekannte Schilderung vor-
gelegen haben. Taine a. a. 0. I. S. 8ö. Anm. 1. folgt Damp-
martin.
:} Aus dem Bericht des als Regierungskommissar nach Kehl
entsandten Assessors Eichrodt vom 9. August. Seine ausfuhrlichen
Berichte (Karlsruher Archiv, Baden, Polizeisache Pars II) sind des-
halb von besonderem Wert, weil er während seines Aufenthalts in
Kehl mit den Spitzen der Strassburger Behörden verkehrte.
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— 93 —
dem Pferd in die Höhe. Dann aberzwangen sie ihn abzu-
steigen, und in die Kaserne zu gehen, daselbst ein Menuett mit
ihnen zu tanzen.» So wurden die Thore geöffnet und ein
Strom von Soldaten ergoss sich durch die Stadt. Dampmartin
berichtet, er sei eben bei einem Essen gewesen, als man durch
lautes Geschrei und Getümmel aufgeschreckt wurde, infolgedessen
alle Offiziere, die sich wegen der getroffenen Massnahmen der
Sorglosigkeit überlassen hatten, in ihre Quartiere eilten.
Rochambeau ritt von Kaserne zu Kaserne, um die Tobenden
zur Ordnung zurückzuführen. Aber man antwortete ihm:
«Es lebe der dritte Stand! Jetzt ist das Befehlen an uns!»
Dampmarlin's Heiter, die eben durch Abgesandte der aufrühreri-
schen Regimenter ins Schwanken gebracht wurden, suchte er
durch rühmende Anerkennung ihrer Tüchtigkeit zu gewinnen.
Aber bald war er von tausenden von Soldaten umgeben, die
stürmisch Freilassung der gefangenen Kameraden verlangten.
Sie fielen seinem Pferd in die Zügel, er befreite sich von ihnen,
aber war rat- und fassungslos. Er gestattete den Reitern, die
Stallarbeit zu verlassen. Sofort eilten sie davon. Er seihst sagt:
«Es blieb mir nichts übrig, als mich zu begnügen, die Leute,
die ausser Rand und Band geraten, zu beobachten.» Man schlug
vor, die ruhig gebliebenen Wachtposten auszusenden, um die
Strassen und Schenken von den Ausgelassenen zu säubern.
«Unter Scheingründen wurde es abgelehnt: , Warum zur Ge-
waltgreifen, wo Geduld genügt? Müdigkeit, Schlaf und Geldmangel
werden in wenigen Stunden die Ruhe wieder herstellen, und vor
Tagesanbruch werden alle in den Kasernen zurück sein.1» Als
aber die Rufe nach Befreiung der Gefangenen immer dringender
wurden, sandte Rochambeau Klinglin zu den Gefangnissen, wo
die Wachen schon verdoppelt und vier Geschütze aufgepflanzt
worden waren. Einige hundert Kavalleristen und Artilleristen,1
die im Wirtshaus «zum Schwanen» gezecht hatten, waren in
der Absicht, die Kameraden an ihrer Fröhlichkeit teilnehmen
zu lassen, nach dem «französischen Turm,» dem Militärgefängnis
bei den Gedeckten Brücken, das bis 1870 als solches dort be-
stand, gezogen.
Ein Teil aber machte sich, da die Freilassung der Gefangenen
1 Bericht Ruh Ts vom 5. Aug.
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abgeschlagen worden, auf den Weg zu den Kasernen, um sich
zu bewafFnen. Sie begegneten unterwegs Klinglin. Er versprach
ihnen, da Widerstand unmöglich war, zu willfahren, und sie
zogen mit ihm an den Turm. «Unterdessen hatten die Zurück-
gebliebenen die Fenster an dem Ofüziersgefängnis eingeworfen,
die Mauern erstiegen, die Thüren eröffnet und alle gefangenen
Soldaten befreit. »* Die Versuche, die übrigen Gefängnisse gleich-
falls zu stürmen, wozu die mit dem Bürgertum sympathisiren-
den Soldaten sich gedrangt fühlten, scheiterten an dem festen
Auttreten des jungen Kommandanten der Geschütze, d'Aubier,
dem es gelang, seine Mannschaft in Ordnung zu halten. Die
Aufrührer begaben sich nun mit den Befreiten «abermals in den
, Schwan'; die Biersiederswittib konnte sich des Lebens nicht
mehr erwehren und musste ihnen alles preislassen. Die Sol-
daten brachten alle Arten Geschirr mit Bier angefüllt nebst
Käse, Würsten und Brot, auf die Strassen, und präsentierten
es jedermann unter lautem Freudengeschrei: ,Vive la nation!
vive la bourgeoisie." . . . Niemand durfte sich weigern zu
trinken.» — «Einige begegneten dem Prinzen Max, boten
ihm ein Glas Wein mit den Worten: ,Trinken Sie, mein
Prinz!' welcher antwortete: ,Ja meine lieben Kinder, ich will
trinken!' Als er das Glas ausgetrunken hatte, sagte ein Reiter
zu ihm: ,Thun Sie Ihre Schuldigkeif, mein Prinz, und werfen
Sie das Glas weg.' Worauf er sich aber weigerte. Darauf
nahm der Reiler das Glas und warf es weit weg.»2
«Es war lustig zu sehen, wie hier ein zuckersüsses
Stutzerchen, ein niedlicher Abbe gezwungen wurden, ihr hoch-
friesierles Haupt in einen Bierkühel zu stecken, dort eine
spröde Schöne von bewaffneten Soldaten geherzt, geküsst und
zum Essen und Trinken angehalten wurde. Hier wurde ein
Leichenzug angehalten^ und der Geistliche bis auf den Fuhr-
mann musston der Nation und der Bürgerschaft aus Kannen
1 Nach Hühl s Bericht vom 7. hatten sie dagegen «alle ihnen
als weitere Diebe und Mörder bekannt gemachten sitzen lassen», und
nur Gambs und andere Pfalzstürmer befreit.
- Bericht Eichrodts vom 9. August. Auch Rühl (8. Aug.)
berichtet, dass dem Prinzen in «höchst unanständiger Weise» begeg-
net worden.
s Vgl. Harthmann a. a. CS. 11. — Bei Strobel, V.
S. 337 ist dieselbe Nachricht, aus einer anderen Quelle.
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D5 -
und Häfen eines zutrinken. Dort sah man einen Juden eine
Wurst mit Furcht und Zittern verzehren. Dies dauerte die
ganze Nacht hindurch, kein Soldat ging nach Hause. Sie ver-
sicherten der Bürgerschaft, dass sie weiter keinen Unfug an-
richten und niemand was Leides anthun wurden, sondern nur
verlangen, dass, da ihnen die Bürgerschaft Geld gegeben, und
zur Lustbarkeit aufgefordert, sie auch selbst daran teilnehmen
möchte, wobei sie zugleich sagten, dass sie von ihren Chefs
Rechnung über die Gelder, die zu ihrem Unterhalt bestimmt
sind, verlangen, indem die Bürger seither von dem Magistrat
und sie von ihren Obersten betrogen wurden.» Auch «mischten
sich von der Arbeit kommende Handwerker und Leute aus dem
Pöbel unter die Soldaten und machten sich die Verwirrung zu
nutze, um mit denselben die Keller zu leeren».
So bedrohlich dies an sich war, so kam es doch zu keinen
Thätlichkeiten. Dagegen erhob sich eine aufgebrachte Stimmung
unter den Soldaten gegen ihre deutschen Kameraden der Re-
gimenter «Elsass» und «Hessen», die sich in Ordnung von dem
tollen Jubel ferne hielten.1 «Es befinde sich, sagten die Fran-
zosen, kein ehrlicher Mann unter ihnen, weil sie sich haben
zwingen lassen, in ihren Kasernen zu bleiben.» Am Morgen
des (>. begaben sie sich dorthin, um die übrigen zu veranlassen,
ihnen in die Stadt zu folgen. Auch begab sich ein Haufe zu
Roehambeau und beklagte sich darüber, dass die Deutschen
von den Offizieren wie Gefangene zurückgehalten werden.
Rochambeau lies* den Oberstlieutenant von Aleneon suchen,
der die «Hessen» befehligte, da Prinz Friedrich die Stadt ver-
lassen hatte.2
> Vgl. Sybel, Rev. III. S. 238. Z. 11 v. u. und fg. über den
Gegensatz der englischen und der deutschen Truppen im Sommer 1794.
2 Er war zur Unterdrückung revolutionärer Bewegungen in der
Landgrafschaft Hanau-Lichtenberg nach Buchsweiler gereist. Ebenso
Prinz Max nach Rappoltsweüer iStrobel's Bericht vom 1. August).
Dieser war jedoch am 6. August wieder in Strassburg. Nachts 12
Uhr begleitete er seine Familie, da ihm mit Thatlichkeiten gedroht
wurde, zu Fuss von seinem Hotel nach Kehl , er flüchtete sie nach
Heidelberg. Auch die Generäle sollten, so berichtet Strobel am
7. August, mit Massakrieren bedroht worden sein. Nach der Rück-
kehr des Prinzen wurde er mit Arrest bestraft, weil er sich ohne
Urlaub entfernt hatte. Eine Abordnung von Unteroffizieren, die für
ihn baten, erlangten jedoch seine Begnadigung. — (Dampmartin's
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- Ü(3 -
Alencon erhielt Befehl, die Kasernenthore zu öffnen. Vor
Erstaunen konnte er sich nicht enthalten, zu bemerken, das
Regiment sei zum grössten Teil aus Fahnenflüchtigen zusammen-
gesetzt, die allein durch strenge Mannszucht zusammengehalten
werden können. Kochambeau bestand jedoch auf seiner Weisung.
Alencon gab nun alles verloren, befahl die Thore zu öffnen
und verliess die Stadt.
Die Deutschen folgten jetzt ihren Kameraden. «Der Spek-
takel war nun noch arger . . . Um zehn Uhr morgens war
die ganze Garnison betrunken».
Der Platzmajor meldete, als die Wache aufziehen sollte,
dass keine Truppe erscheine, und dass die Soldaten nach und nach
ihre Posten verlassen. «Im Bierhaus zum , Schwaig war kein Bier
mehr, sie besuchten also die übrigen Bierhäuser, . . . liefen
mit Kannen, . . . sogar mit Hüten voll Bier durch die
Strassen, hatten Blätter von Kastanienbäumen, die ihnen ihre
Obersten selbst gaben, auf den Hüten,» und trieben allerhand
lustigen Spuk. «Vor den Mädchen fielen sie auf die Kniee nieder
und fragten sie, ob sie zu der Nation halten;» man sieht, in
jeder Weise gebärdelen sie sich als Vertreter der neuen Ideen :
Freiheit, Gleichheit, Huldigung an die Nation als Trägerinder
Suveranität, und auch der Brüderlichkeit. Denn, bejahten die
Mädchen ihre Fragen, «so erscholl ein lautes: ,Es lebe die
Nation ! Wir sind alle Brüder und Schwestern !'»
War das Ganze auch ein mehr oder weniger übermütiges
Treiben, so nahm es in seinen Folgen doch ein bedenklicheres
Antlitz an. Denn die Soldaten verwandten sich nun ernstlich
für die bürgerlichen Anstifter des Pfalzstunnes, und verlangten
deren und aller übrigen Gefangenen Entlassung. Zunächst wies
die Militärbehörde dies ab, sah dabei aber dem Ganzen recht
unthätig zu. Kochambeau, von den Generalen, wie er berichtet,»
gebeten, sich nicht auf die Strasse zu begeben, beauftragte
einen beim Regiment Royal beliebten Hauptmann, sein Bestes
Memoiren). Ausserdem ward er von den Soldaten um Vergebung ge-
beten (R ü h 1 , 8. Aug.).
1 Dampmartin a. a. 0. S. 117 erzählt, Kochambeau habe
sich auf den Weg zu den Gedeckten Brücken gemacht, und abermals
geglaubt, «que son devoir lui perscrivit de se montrer orateur,» sei
dann aber wieder umgekehrt. Auf alle Fälle zeigte sich der General
auch hier nicht als tapferer Soldat.
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zu versuchen. Da man mit Gewalt nicht vorgehen wollte,
führte dieser die Reiter unter Voranlritt von Geigenspielern auf
die Esplanade in der Zitadelle. Die anderen Soldaten aber
eilten zu den Gedeckten Brücken. Klinglin war auf dem Platz
und benahm sich unerschrocken ; aber er hielt es für Wahn-
sinn, allein in dem tosenden Gewühl um ihn her etwas er-
zwingen zu wollen. Er überliess die Gefängnisse ihrem Schicksal.
Dietrich hatte sich dorthin begeben, um die Verbrecher
von den wegen Sittenverderbnis Eingetürmten zu trennen. Er
hörte, wie die Soldaten nach Pick, dem gefangenen Bierbrauer,
riefen. Er musste ihn Nachmittags entlassen, worauf der
Befreite auf einer Tragbahre im Triumph nach Hause ge-
tragen wurde. Indess vereinigten die Offiziere der «Hessen»
ihre Vorstellungen mit denen der Bürger vor dem Zuchthaus,
Raspelhaus genannt, wo viele Frauenspersonen von schlechtem
Wandel sich in Gewahrsarn befanden. Umsonst; der allgemeine
Ruf: «Die Mädchen!» ertönte. Man entliess etwa 200 der-
selben. Aber damit waren die Soldaten noch nicht zufrieden.
Sie ölTneten, da man ihnen endlich die Schlüssel auslieferte,
die Gefängnisse, die nun all ihr Gesindel auspieen. Die be-
rauschte Masse stürzte sich auf das Gebäude und befreite die
noch darin befindlichen Dirnen. Diese «fielen den Soldaten zu
Füssen, und nannten sie ihre Retter . . . Die Soldaten hoben
sie auf, machten ihnen alle möglichen Höfllichkeiten und er-
mahnten sie zum Essen und Trinken». . . . Mit den elsässischen
Mädchen am Arm durchzogen sie die Strassen. Die Auswärtigen
verliessen durch verschiedene Thore die Stadt.1 Ihre Befreier
fingen nun an, «sich ganz unsinnig zu betragen». Sie nahmen
alle Esswaaren mit Gewalt an sich, verkauften sie wieder,
schütteten alle möglichen Getränke durcheinander «und zwangen
jedermann zum Trinken oder schütteten es ihnen nach». Auch
der Weihbischof Dora musste ihnen Bescheid thun. «Nicht
maass- sondern kübelweis» musste man ihnen Wein und Bier
hergeben, sogar im College und im Cardinalspalast. «Niemand
wusste, wer Koch oder Kellner war.»
Der Magistrat war indes in grösster Sorge wegen der entlau-
fenen Gefangenen. Aber auch die Offiziere konnten sich nicht mehr
1 Rühl schildert es in seinem Bericht vom 7. recht humorvoll.
7
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— 98 —
sicher fühlen. Einigen Soldaten fiel es bei, die Vesper zu singen.
Es waren nun die noch widerstandsfähigen «deutschen» Truppen,
die am meisten Unruhe machten. «Kein Offizier, kein Kom-
mandant durfte ein Wort sagen, und abscheulich war, so
schreibt Rühl, das Schauspiel und die Greuel, so vorgingen . . .
alles lief durcheinander, johlte, fiel zu Boden in die Gassen,
wälzte sich im Koth, schlug sich zum Teil, blulete.» Vielfach
hörte man den Ruf: «d la lantemeh Und das allgemeine Ge-
schrei der Soldaten war : Hout soldat bourgeois, tout bourgeois
soldat /» «Es lebe der dritte Stand ! Wir wollen frei sein wie
er, wir wollen nur tapfere Leute zu Befehlshabern!» Eine
ernste Absicht lag solchen Drohungen, wie sie auch dem Prinzen
Max widerfuhren, aber jedenfalls nicht zu gründe. Das geht
auch aus einem Erlebnis Dampmartins hervor. Als er mit einem
Hauptmann durch ein Festungsthor ging, wurde Dampmartin
durch das Geschrei «d la lanterne» aus dem Munde von etwa
20 Soldaten empfangen. Auf gut Glück gingen sie den engen
Weg möglichst ruhig entlang, als die Soldaten Spalier bildeten,
achtungsvoll grüssten, und, lauter als zuvor schrieen : «d la
lanteme!* Sogar einen rührenden Zug weiss er zu berichten.
Ein andermal war er ausgegangen, obgleich er sich sehr un-
wohl fühlte. Sobald die Soldaten sein bleiches Gesicht ge-
wahrten, zogen sie sich von ihm zurück, und mehrere füllten
seine Taschen sogar mit Brot. — So hatte der ganze Lärm
zunächst ziemlich harmlosen, wenn auch begreiflicherweise be-
unruhigenden Charakter. Er hielt die ganze Nacht an.
Wahrhaft bedenklich aber wurde die Lage, als gegen den
Morgen des 7. ein Streit zwischen den «deutschen» und den
«französischen» Regimentern ausbrach. Die ersteren hatten durch
den Gebrauch der Landessprache manchenVorteil, zum Aerger der
anderen, die sie darum beneideten. Sie klagten daher die
«Hessen» einiger tags zuvor geschehener Diebereien, nament-
lich an Silberzeug, an. Besonders eifrig geschah es von Seiten
der Artilleristen. Schon sammelten sich die französischen Gre-
nadiere, als einige Unteroffiziere durch den Hinweis auf das
Unrühmliche eines Zwiespalts unter den Soldaten die Bewegung
zum Stocken brachten. Wiederholt ward Rochambeau um die
Erlaubnis gebeten, Patrouillen zur Sammlung und Beruhigung
der Streitlustigen bilden zu dürfen. Ein dekorierter Veteran
bat um Gnade für das Geschehene, und schloss seine gewandte
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Ansprache mit den Worten : «Wenn während des Aufruhrs
ehrenrührige Handlungen vorgefallen, sind, so ist es der Wunsch
aller, die Schuldigen bestraft zu sehen.» Rochambeau erwiderte :
«Die Hoffnung auf eine segensreiche Umkehr ist in meiner
Brust niemals verlöscht. Nichts hat dies wertvolle und tröst-
liche Gefühl mehr aufrecht erhalten, als Ihr Vorschlag, selbst
die der Vergehen angeklagten Leute in den Arrest zu führen.»
Er gestattete die Patrouillen, und befahl ihnen, 100 Mann von
jedem Regiment auf den Paradeplatz zu führen, an deren
Spitze er vollends die Ordnung herzustellen versprach.
So versammelten sich 600 Mann aller Waffengattungen,
welche die letzten Betrunkenen zur Heimkehr brachten und alle
Wirtschaften mit Posten besetzten. Am schwersten wurden
die noch verhältnismassig frischen «Hessen» zur Einsicht ge-
bracht. Aber um 11 Uhr Vormittags waren alle Regimenter
wieder in den Kasernen ; die Kaufläden öffneten sich, die Ruhe
war hergestellt.
Der Streit zwischen den «Hessen» und den Artilleristen
hatte jedoch zur Folge, dass jene am 8. August die Absicht
kund gaben, ihre Verläumder anzugreifen. Daraufhin befahl
Rochambeau, dass sie die Stadt verlassen und sich nach Schlett-
stadt begeben sollten. Sie zogen mit Sack und Pack aus den
Wrällen, stellten sich jedoch auf der Metzgerau südlich der
Stadt kampfbereit auf. Die Offiziere redeten die Mannschaften
an, die Anklagen seien zu verletzend, als dass man sich nicht
davon rein waschen sollte ; anderenfalls werden sie, die Offiziere,
die unbefleckten Fahnen sofort verlassen. Die Soldaten erklär-
ten, sie seien unschuldig, die Offiziere sollen thun, was ihnen
gut dünke. Eine Abordnung begab sich zu Rochambeau und
verlangte unerschrocken völlige Genugthuung.1 Der General
zeigte sich ärgerlich und erstaunt zugleich. Aber der Sprecher,
ein Hauptmann, fuhr fort : «Im Namen meiner Waffenbrüder
und ohne Furcht, Lügen gestraft zu werden, von irgend einem
derjenigen, die unter den erhabenen Fahnen von Hessen stehen,
schwöre ich, dass wir uns lieber bis auf den letzten Mann
töten lassen, als die Stadt aus den Augen zu verlieren. Die
1 Vgl. Rochambeau a. a. 0. S. 360. Dampmartin a a. 0.
S. 123 fg.
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Soldaten haben ihre Tornister geöffnet und den Inhalt, ausge-
breitet. Die Bürger sind aufgefordert worden, die Gegenstände,
die man ihnen geraubt hat, darunter zu suchen ; man hat
einen Galgen errichtet und ein Spiessrutenlaufen vorbereitet,
um je nach der Natur des Verbrechens zu strafen, vorausge-
setzt, dass welche als schuldig erkannt werden.» Diesem
festen Auftreten wich Rochambeau ; die Stimmung im Regi-
ment hatte sich bedenklich gegen ihn gewandt.1
Der Aufforderung der «Hessen» folgend, strömten die Ein-
wohner hinaus. Niemand entdeckte einen der gestohlenen
Gegenstände. Am Abend wurde ein Lager aufgeschlagen, wo
sich die «Hessen» in musterhafter Ordnung bis zum 17. Au-
gust aufhielten. Es ward ein heiterer Tanzplatz, der Versamm-
lungsort der lebenslustigen Strassburger. Nachdem die Verbann-
ten durch ihr allgemein bewundertes tadelloses Verhalten einen
Beweis ihrer Tüchtigkeit abgelegt hatten, zogen sie unter dem
jubelnden Zuruf der Einwohner und selbst der anderen Soldaten,
des Morgens unier fliegenden Fahnen und klingendem Spiel
wieder in die Stadt.
Die Artilleristen waren inzwischen durch eine anonyme
Schrift heftig angegriffen worden. In stolzem Tone wiesen sie, in
einem von Puysegur unterzeichneten Schreiben, alle Anschul-
digungen zurück.
Die Genugthuung für die «Hessen» aber war völlig,
als man unter den anderen Regimentern der Garnison etwa
30 Diebe entdeckte. Ausser diesen wurden die Hauptrebellen
nach einer Prügelstrafe mit abgeschnittenen Rockknöpfen und
Haaren fortgejagt. Am 13. August kamen die ersten derselben
in Kehl an, wo sie zumeist von den österreichischen und
preussischen Werbern aufgenommen wurden.
In Kehl war die Aufregung ungeheuer. Die Besatzung
war sofort nach dem Bekanntwerden der Oeffnung der Gefang-
nisse bedeutend verstärkt worden. Wegen des Gesindels eben-
so wie wegen des Regiments der «Hessen» war man in grosser
Besorgnis, da es hiess, es werde samt und sonders über den
Rhein herüber kommen. Man hatte schon an teilweisen Ab-
1 Es war alsbald ein Offizier an die National-Versammlang ab-
gegangen, um sich zu beschweren. Als er unverrichteter Dinge zu-
rückkehrte, begnadigte ihn Rochambeau.
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— 101
bruch der Rheinbrücke gedacht. Die starke Wache daselbst
jedoch und die übrigen Massregeln Badens1 verscheuchten die
Flüchtlinge. Rochambeau sprach der badischen Regierung seinen
wärmsten Dank dafür aus. Der Magistrat aber war trotz der thät-
igen Bürgerwache noch lange in Unruhe. Er hatte auch in anderer
Hinsicht an den Folgen seiner Freigebigkeit zu leiden, da er
die Kosten für den von den Soldaten angerichteten Schaden auf
sich zu nehmen hatte,* doppelt drückend bei dem erschöpften
Stand der Kassen.
VI.
Die Verwaltungsänderung.
Am 5. August sandte der Magistrat nach dem Beispiel der
anderen französischen Städte eine Adresse an die Nationalver-
sammlung,8 um sie zu ihrem Erfolge vom 15. Juli zu beglück-
wünschen; er fuhr fort, seine Sitzungen zu halten, wahrend
die Repräsentanten sich mit der Wahl der zu ernennenden
Finanzkommission der 40 beschäftigten, was, in der neu einge-
führten geheimen Abstimmung, auf jeder der 20 Zünfte geschah.
Da, als man eben davon sprach, die Repräsentanten förmlich zu
organisieren und ihnen einen Präsidenten zu erwählen, erhielten
sie und der Magistrat je ein Schreiben der Deputierten vom
5. August,4 worin die Beschlüsse der «unsterblichen Sitzung»
vom 4. zur Kenntnis der Strassburger gebracht wurden.
«Der Adel, berichteten sie dem Magistrat, gab sich dem
Verzicht seiner Besitztümer in einem unbegreiflichen Rausche
und unbegreiflichen Wetteifer hin . . . ; der Klerus vereinigte
mit diesen unfasslichen Opfern die seinigen . . , die Gemeinden
stimmten für die Abschaffung der Meisterschaften und Zünfte,
der Rausch erreichte in dem allgemeinen Beifall eine solche
1 Vgl Ob 8er, «Baden und die revolutionäre Bewegung auf dem
rechten Rheinufer 1789», in der Ztschr. für Gesch. des Oberrheins,
neue Folge, Band IV. (143 der ganzen Reihe) 1889; S. 215 fg.
2 Nach Touchemol in, «Le Regiment d'Alsace dans l'histoire
franc^ise», Paris 1897. S. 141. betrug der Schaden 35400 Livres.
3 Vgl. ReusR, l'Als. S- 137, Anra. 1.
* Vgl. Anhang Nr. 15 u. 16.
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Höhe, dass die, welche ihre kalte Verstandesruhe in dieser
Sitzung hatten bewahren können, einen schönen Traum zu hören
glaubten . . . Aber diese auf einander folgenden Verzichtleist-
ungen geschahen im Taumel des Patriotismus, waren nur die
Vorläufer von noch unfasslicheren . . . Alle Provinzen legten
um die Wette und mit einem Eifer, dessen Feuer man sich
nicht ausmalen kann, alle ihre Freiheiten und Vorrechte wieder
auf den Altar des gemeinsamen Vaterlandes.»
Alle gaben hin, was sie konnten. «Man rief das Elsass
auf — die Verwirrung unserer Abgeordneten war unge-
heuer ; ... sie gingen an das Bureau — wir folgten ihnen und
gaben auf der Kanzlei die beigefügte Note 1 ab, woraus Sie
sehen, dass wir thatsächlich nichts aufgegeben haben, sofern es
nicht die Genehmigung unserer Stadt und Gemeinde findet. . .
Tausend Gedanken kreuzen sich und erstehen in unserer Seele
seit diesem denkwürdigen Tage: sie vereinigen sich alle im
Grunde in der Betrachtung, dass, wenn Strassburg einerseits
vielleicht mehr Opfer als irgend eine andere Stadt des König-
reichs zu bringen hat, . . . es sich andererseits nur mit unend-
licher Mühe dem Wunsche der Nation, dem gemeinsamen
Gesetz entziehen kann.»
Den Repräsentanten aber schrieben sie unter anderem :
«Ihre Deputierten, meine Herren, teilen alle Gefühle der Mit-
glieder der Versammlung, und haben bedauert, der Nation von
Ihrer Seite kein Opfer haben anbieten zu können. . . . Das
Elsass allein vermochte nicht still zu schweigen . . . Wir müssen
Ihnen mitteilen, dass nach dem einmütigen Verzicht, der ge-
schehen ist, es sehr schwer, wo nicht unmöglich für Strassburg
und die Provinz sein wird, allein der Annahme einer Ordnung
der Dinge zu widerstehen, die einförmig für das ganze König-
reich geschaffen werden wird, und Privilegien oder ein Dasein
zu bewahren, die ihr widersprechen.»
Die Schlussworte der Note an die Nationalversammlung
lauten : «Wir zweifeln nicht, die Stadt werde sich bestreben,
dem gemeinschaftlichen Vaterland, von dem sie seit hundert
Jahren ihr Glück erhält, alle Aufopferungen zu machen, die in
ihrer Macht sind, und werde mit allem Zutrauen ihr teuerstes
Interesse ihm überlassen.»
i Vgl. Strobel V. S. 347.
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— 103 —
Im Grunde kommt es also in allen drei Schriftstücken
darauf hinaus, dass Strassburg dem Wunsche der Nation sich
fügen werde. Doch ist die Begründung eine gar verschiedene.
Der Nation gegenüber sprechen die Deputierten von Opfern aus
Dankbarkeit; dem engeren Kreise ihrer Mitbürger raten sie
solche an, da eine Umgehung unendlich mühevoll, Widerstand
unmöglich sei. Der Nation versprechen sie alle Opfer, die in
der Macht der Strassburger seien; diesen raten sie dazu, indem
sie ihnen ihre Ohnmacht der Nation gegenüber vor Augen führen.
Der Nation beteuern sie volles Zutrauen in den von ihr zu er-
wartenden Schutz der teuersten Interessen, dem Magistrat
gegenüber nennen sie die Opfer teilweise schmerzlich und
schädlich.
Es ist klar, und die Deputierten deuten es den Repräsen-
tanten selbst an, dass diese Note nur ein diplomatisches Schrift-
stück war, womit sie den Eindruck abzuschwächen suchten,
den ihr vereinzeltes, ablehnendes Verhalten in der allgemeinen
Begeisterung verursacht hatte, nachdem einer der Elsässer,
wahrscheinlich der radikale Abgeordnete von Colmar und Schlett-
stadt, Reu bei, erklärt hatte:» «In diesem Augenblick auf
die Vorrechte seiner Provinz Verzicht leisten, hat wenig Wert,
denn es heisst sich den Franzosen inniger verschmelzen. Dieser
Name ist nun der schönste, den man tragen kann.» Wie
wenig damit Türckheim übereinstimmte, zeigt die Folge genug-
sam. Eigentümlich aber berührt der auffallende Unterschied
zwischen den beiden Briefen an den Magistrat und an die Re-
präsentanten. Es ist nicht zu verkennen, dass der Letztere nicht
ohne Vorsicht abgefasst ist, die sich schon kundgiebtin der Kürze
und in der Nüchternheit der Fassung gegenüber dem alle Ein-
zelheiten enthaltenden Schreiben an den Magistrat, in seinem
vertraulichen und rückhaltlos die Erregung der Absender dar-
legenden Ton. Es ist, als halten sie, völlig im klaren über
die ablehnende Gesinnung des Magistrats, der Wirkung auf die
Masse der Bürger nicht recht getraut, und befürchtet, ihnen
durch eine ungünstige Kritik der Nationalbeschlüsse zu miss-
fallen. Anders kann man es sich kaum erklären, dass sie nur
dem Magistrat von der möglicherweise schädlichen Wirkung
1 Vgl. Moniteur Band I. Nr. 35., vom 5. August, und Rath-
geber a. a. O. S. 217 fg.
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der Beschlüsse für die Provinz Erwähnung thun, den Reprä-
sentanten gegenüber jedoch den 4. August als glücklichen Zeit-
punkt rühmen ; dass sie die Opferfreudigkeit dort als unfasslich,
als Rausch, als grenzenloses patriotisches Delirium, hier als den
edelsten und lobenswertesten Patriotismus schildern ; dass sie
ihrem eigenen Gefühl, dem Magistrat gegenüber als Bestürzung
in dem hochkritischen Augenblick bezeichnet, den Repräsen-
tanten als Bedauern über ihr eingeschränktes Beschlussrecht
schildern ; dass sie dort gestehen, ihre Zurückhaltung möchte
von den Clubs übel vermerkt werden, während sie den Reprä-
sentanten ihre Beschämung darüber anzudeuten scheinen ; dass
sie endlich dem Magistrat klagen, Frankreich werde auf Privi-
legien wohl keine Rücksicht mehr nehmen, während sie den
Repräsentanten versichern, sie haben alle Gefühle der anderen
Abgeordneten geteilt.
Wenn die Repräsentanten nun auch nicht in die grosse
Heerstrasse der begeisterten Patrioten einlenkten, so nahmen
sie doch im Sinne der Bürgerschaft einen kräftigen Anlauf auf
deren eigenem Wege, wobei das nächste Hindernis die XVer
Kammer war: man verlangte dringend ihre Abschaffung. —
Was half dem Magistrat noch reifliche Ueberlegung, wozu die
Deputierten Helen? Geleitet und bevormundet durch die Re-
präsentanten und in seinen Handlungen eingeschränkt durch
die Vierzig, hatle er die letzten Tage hingebracht. Als er am
10. August zu einer ausserordentlichen Versammlung zusammen-
trat, und man bemerkte, dass mehrere Zünfte auf der Ent-
lassung der XVer Kammer bestehen, da fassten die gnädig
gebietenden Herren des Beständigen Regiments «den edlen patri-
otischen Entschluss, sämtlich ihre Demission freiwillig zu
geben», und der Gemeinde einen Magistrat zu verschaffen,
dessen Mitglieder vor allem nach den Grundsätzen der National-
versammlung frei gewählt seien.
Dietrich teille es noch am nämlichen Abend den Repräsen-
tanten mit, die es «heftig gerührt» entgegennahmen, und so
sehr unter dem Eindruck des Ereignisses standen, dass «an-
fänglich eine tiefe Stille» unter ihnen herrschte, bis sie «in ein
lautes Freudengeschrei über ein so edelmütiges Betragen» aus-
brachen. Doch schien ihnen bald das Opfer, das sie entgegen-
nahmen, noch zu gering. Sie verlangten auch noch die Ent-
lassung der Ratsherren und der Schöffen. Wohl oder übel
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sah sich nun auch Dietrich veranlasst, sein Amt niederzulegen.
Doch wurde er dringendst ersucht, davon abzustehen, und in
dieser kritischen Lage die Bürger mit seinem Rat zu unter-
stützen.1 Am folgenden Tage legten denn auch die Ratsherren ihre
Aemter nieder, und forderten die Schöffen ebenfalls dazu auf.
Als die einzelnen Kollegien es vernommen,8 versammelten sie sich
noch Nachmittags auf dem «Spiegel», nachdem, wie der Bericht
sagt, die traurige Nachricht vom Verzicht der Deputierten auf
die Privilegien und von der Entlassung des Magistrats einge-
troffen war.
Von 300 waren 238 anwesend. Als man aber zur Ab-
stimmung schritt, zeigte es sich, dass nur ein Teil der Schöffen
von dem Hauch der neuen Zeit erfasst worden war ; andere
weigerten sich ihre Entlassung zu nehmen, wenn nicht der
König oder die Nationalversammlung es befehlen.3 Wieder
andere bestanden auf der Gesetzlichkeit ihrer Wahl, und wollten
nur von den Zünften selbst entlassen werden. Diese Ansicht
gewann die Oberhand. Der einhellige Wunsch aller Zünfte
(12. August) ging auf Erneuerung der Scb offen kollegien. Nur
die Schneider wollten die Entscheidung der Nationalversammlung
abwarten.*
Damit war auch die letzte Körperschaft der 300jährigen
Verfassung gefallen, an demselben Tage, wo in Versailles das
Dekret über die Abschaffung der Privilegien verfasst wurde.
Die Abdankung «erregle grosse Freude in den mittleren und
niederen Regionen der Bevölkerung, und unter den französischen
1 Man legte ihm diese angebotene Aufgabe seines Amtes viel-
fach als einen diplomatischen Kunstgriff aus; z. B. Ströbele Bericht
vom 13. August: «welches vermutlich zum Schein geschehen.»
2 Vgl. Schöffenmemoriale vom 11. Aug.
3 Bemerkenswert ist die Aeusserung Eichrodts im Bericht vom
13. August: Die Motion der Zunft zum Spiegel, «wo die wenigsten
evangelisch, die meisten Franzosen sind», halte Dietrich (den
er persönlich gesprochen), für sehr gefährlich, und hoffe, dass sie
zurückgenommen werde. «Er sagte uns ganz offenherzig, dass er
täglich und stündlich noch ärgere und unglücklichere Auftritte be-
fürchtete, als die bisherigen waren, indem die neue Verfassung . . .
schwer Eingang finde.» «Ueberhaupt wird die Religion stark in's
Spiel gezogen».
4 Auch das Komite der Bürgerwache legte seine Aemter nieder,
wurde aber aufgefordert, vorderhand noch seine Thätigkeit fortzu-
setzen.
<
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Beamten . . . Allerdings gab es manche Leute in den höheren
Klassen der Bürgerschaft, denen jene Entsagungen ein Aergernis
waren, und die sie als Vorboten des völligen Sturzes der alten
Verfassung betrachteten.»1
Am 13. und 14. gingen die ersten Neuwahlen vor sich.
In jeder Zunft erwählten 45 Wahlmänner 15 Schöffen nach
dem Grundsatz der Alternative, die Rechtsgelehrten ausge-
schlossen, in geheimer Abstimmung. In einer allgemeinen
Abendversammlung unter Dietrichs Vorsitz wurden diese Wahlen
bestätigt. Unter den Gewählten befanden sich Ammeister
Poirol, Fischer, Ditterieh, Mathieu, L. Zäpffel, Metzler. An sie
gingen nunmehr die Befugnisse der 126 Repräsentanten über.
Ganz vermochte man sich übrigens von der gewohnten
Ordnung nicht loszureissen ; man beschloss, die Dreier des
Pfennigturms, des Stalls u. a. durch Zumänner von derselben
Zunft und Konfession zu besetzen, wie zuvor.
Die erste Frage, welche die Schöffen beschäftigte, betraf
die Unruhen in den Stadtwaldungen und auf den Rheininseln,
die nach der Abschaffung der Privilegien von den Umwohnern
als ihr Eigentum betrachtet wurden.« Auf den einzelnen Stuben
schritt man dann zur Wahl der Mitglieder des Grossen
Rats. Jedes Schöffen kollegium wählte Einen ; es befanden
sich darunter M. N. Zäpffel, der Advokat Levrault, der ehe-
malige XVer Flach, Professor Brackenhoffer. Sodann wählten
sie 20 Constoffler, von denen 10 Ratsherren wurden. Die
sämtlichen ehemaligen Stättmeister ausser Siegfried von Ober-
kirch waren darunter. Um 10 Uhr Abends ward der neue
Rat als rechtskräftig anerkannt und bestätigt. Trotz der vor-
gerückten Stunde schritt man noch zur Wahl des neuen Am-
meisters. Die Mehrzahl der Stimmen fiel auf den sehr belieb-
ten bisherigen Ammeister und Ratsherrn Franz Xaver Po i rot,
der unter dem allgemeinen Reifall der Versammlung somit das
Haupt der neuen Obrigkeit war.
Diese versammelte sich am 17. August auf Dietrichs Ver-
anlassung zum ersten Mal mit den Schöffen. Poirot3 hielt eine
» Vgl. Strohe 1 V. S 355.
- Auch die Jagdfreiheit ward von den Strassburgern, die darüber
tungemein frohlockten,> seit dein 10. August benutzt. (Strobels Be-
richt vom 11.)
3 Reuss, l'Als. S. 148 fg. schreibt diese Rede Dietrich zu und
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Rede, <lie sich hauptsachlich an Letztere wandte, und worin er
auf die Hoffnungen, die ein Zusammenhalten der Bürger und
ihrer frei gewühlten Richter erweckte, hinwies. «Dieser Tag,»
rief er aus, «verdient hei der Nachkommenschaft gefeiert zu
werden, und ich hahe die Ehre, Ihnen vorzuschlagen, dass
jedes Jahr an jenem Tage, dem 14. August, alle Schöffen sich
vereinigen, um sein Gedächtnis zu feiern. Empfangen Sie,»
so schloss er, «das Zeugnis meiner lehhaften Dankbarkeit für
das Zeichen des Vertrauens, welches mir von meinen Mithürgern
zu Teil gewoden ist. Dieser Tag wird niemals aus meinem
Gedächtnis entschwinden ; er ist der schönste meines Lehens.»
Die Wenigsten wohl dachten zu jener Zeil, dass es zur
Feier des Eintrachlsfestes niemals kommen werde.
Der hesondere Hinweis auf die Einigkeit der Bürger mochte
einer tieferen Bedeutung nicht enthehren. Aus zwei fremden
Quellen * nämlich erfahren wir von einer sehr ernsthaften
Verstimmung zwischen Protestanten und Katholiken, die in
den verflossenen Tagen geherrscht hatte. Danach hatten «die
katholischen Einwohner eine Menge geschriehener Kartenhillets
ausgeteilt, dass man die evangelischen hei Kirchgang am Sonn-
tag [1(5. August] erkennen könnte. Man fürchtete sich vor
einer Pariser Bluthochzeit im Kleinen.» Der Weihhischof er-
fuhr es aber hei Zeiten, und veranlasste den Chef des evange-
lischen Konsistoriums zu einer gemeinsamen Rundfahrt durch
die Strassen, was «dem Volk anzudeuten schien : All' Fehd'
hat nun ein Ende.» — «Um aher den unglücklichen Streich
mit Sicherheit abzuwenden, brachten die neu erwählten evan-
gelischen Ratsherren das Opfer, der am 15. stattfindenden
königlichen Prozession persönlich anzuwohnen,» was noch nie
geschehen war. «Auch sind die sturmschlagenden Kontrovers-
predigten, die bisher alle Sonntag im Münster gehalten wurden,
auf immer abgestellt worden.»
sagt tS. 151. Anm.), Engelhardt habe sie irriger Weise Poirot in
den Mund gelegt. Engelhardt hat dennoch Recht. Nicht nur der In-
halt der Rede passt nicht für Dietrich ; es geht auch aus mehreren
Stellen des Schöffenmemorials (19. u. 21. August), sowie aus der
<Frühpost> vom 1*. August, 3. Blatt, wo diese Rede deutsch ge-
druckt ist, hervor, dass der Ammeister sie gehalten hat.
1 Sc hu hart a. a. O. S. 602 und Eichrodts Bericht vom
17. August, nach persönlicher Erkundigung in Strassburg geschildert.
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Als diese Gefahr vorüber war und ehe die regelmässige
Thätigkeit der Obrigkeit wieder begann, beschäftigte vor allem zwei-
erlei dieVersammlung der Schöffen und des Rats : die Stellung der
Stadt zu den Beschlüssen des 4. August, die wir weiter unten
im Zusammenhang betrachten werden, und die Herstellung der
obrigkeitlichen Verwaltung in neuer Form.
Begreiilicherweise machte sich nach der Entlassung der
drei alten Kammern bald ein Stillstand des ganzen öffentlichen
Lebens geltend, der zu schleuniger Abhilfe drängte. Aus den
Schöffen wurde daher ein Ausschuss von 40 Mitgliedern
zur Neugestaltung der Verwaltungsform eingesetzt, der am
20. August Bericht erstattete. Dietrich erschien dabei nicht,
um die Freiheit der Beratungen nicht zu stören, was sehr
überflüssig, ja ungerechtfertigt erscheint, da ihm der König
befohlen hatte, sich «mit allen die Verwaltung der Stadt Strass-
burg betreffenden Angelegenheiten zu befassen». Wenn irgend
einer, so verlangte dieser Zeitpunkt seine Anwesenheit. So
aber verdarb er es mit niemand und brauchte seine eigene
Ansicht nicht zu äussern.
Die 40 in der Verwaltungsfrage Beratenden meinten, «dass
nur einige den französischen Formen sich nähernden Ab-
änderungen anzubringen sein werden, um das Wesentliche der
Verfassung in demselben Geist darzustellen, der die National-
versammlung bei der Abfassung einer allgemeinen Konstitution
beseelt». — Provisorisch wurden zunächst mehrere Behörden
zur Aufrechterhaltung der Ordnung, auch ein neuer Ausschuss
für die Bürgerwache, eingesetzt. Fernerhin aber hemmte die
Ungewissheit über den Umfang der von der Nationalversamm-
lung beabsichtigten Aenderungen «fast bei jedem Schritt».
Doch Hessen die Schöffen sich nicht verblüffen.1 Am 26.
legten die 40 ihren Plan vor und hatten die Genugthuung, ihn
nach warmer Befürwortung durch die Generaladvokaten fast
einstimmig angenommen zu sehen, wenn auch nicht ohne Ver-
einfachungen und wenn man auch das ganze im Hinblick auf die
noch unbestimmten Wandlungen in Frankreich nur dem Prinzip
nach als feststehend, in der Ausführung als vorläufig be-
1 Vgl. Schreiben der Schöffen an die Deputierten (Schöffenmemo-
riale vom 20. Augast) sowie das des Magistrats (Entwurf St.-A. AA
200 i) vom 31. August; teilweise mitgeteilt in Anhang Nr. 18.
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trachtete. Immerhin schritt man zur Wahl der neuen Magistrate,
nachdem schon am 20. die neuen Stättmeister gewählt und
Johann von Dietrich unter allgemeinem Beifall in seiner Würde
als Ehrenstättmeister mit Sitz und Stimme in allen Kammern
erneuert worden war. Nur der Baron von Berstett, als Ersatz
für Siegfried von Oberkirch, trat neu ein. Er war der 349.
und letzte Stättmeister Strassburgs. Unter den Konstofflern
befanden sich zwei, unter den Zünftigen nicht weniger als
neun Mitglieder des früheren Beständigen Regiments, wovon
hervorzuheben sind der ehemalige XVer und Oberherr der
Bäckerzunft, Dorsner,1 und vor allem der Abgeordnete TOrck-
heim, dem es der Magistrat mit besonderer Genugthuung mit-
teilte.»
«Ohne uns, schrieb der Magistrat weiterhin, von den
Grundlagen des alten Gefüges zu entfernen, das in so vieler
Hinsicht unsere Achtung verdient, glauben wir den rich-
tigen Mittelweg eingeschlagen zu haben, indem wir zu jeder
Abteilung der öffentlichen Verwaltung gesetzliche Repräsentanten
gefugt haben, absetzbare Mitglieder, immer in grösserer An-
zahl als die der Beständigen, vom Staat für die einzelnen Ge-
schäfte jener Abtheilungen bestimmten.»
So suchte man den Eindruck abzuschwächen, den das (für die
Ordnung in der Stadt allerdings gebotene) eigenmächtige Vor-
gehen erwecken konnte. Zwar war es durch Artikel IV der
Kapitulation berechtigt, aber bei der opferbereiten Stimmung
in Paris und Versailles konnte es dennoch die Missbilligung
der Nationalversammlung erregen. Besonders der Antrag vom
17. August, den Richtern nur die Rechte von Friedensrichtern
» Vgl. oben S. 83.
2 Vgl. Anhang Nr. 18. — Unter den Adeligen war ein gewisser
Baron Eckbrecht von Dürckheim zum Ratsherrn vorgeschlagen wor-
den, dankte jedoch in einem bei Reuss (l'Als. S. 162) abgedruckten
Brief aus Rücksicht auf Familienangelegenheiten. Reuss bemerkt dazu :
«Nou8 ignorons de quel personnage politique emane cette lettre etc.»
Vgl. Schöffenmem. vom 2. Sept : Dietrich sagt «dass, (obwohl) bis-
hero nicht erforderlich war, dass die adeligen Ratsglieder allhier
wohnhaft und gegenwärtig sein mussten. . . » . — Dürckheim brauchte
also nicht in Strassbnrg wohnhaft gewesen zu sein, und sein Hin-
weis auf frühere Zugehörigkeit zum Magistrat macht es zweifellos,
dass der von Muller a. a. 0. S. 138. erwähnte «Chretien-Frederic»
gemeint war.
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zu belassen, war für die verfassungsmässige Gerichtsbarkeit der
Stadt gefahrdrohend.1
Der neue Magistrat nun stellte sich folgendermassen dar.2
Wie bisher im Grossen Rat war das Verhältnis der ade-
ligen zu den börgerlichen Mitgliedern aller neuen Behörden
wie 1 : 2. Das neue Justizkollegium war in zwei Kammern ge-
schieden, wovon in der ersten der regierende, in der zweiten
der letztabgegangene Ammeister den Vorsitz hatte. Diesmal
war Türckheim zum Leiter der zweiten gewählt worden. «Jede
von den 20 Zünften, sagt er, wird im Justizrat durch ihren
Ratsherrn vorgestellt. Dies ist also ein wahres Tribunal von
Pairs, das nach den allgemeinen Grundsätzen der französischen
Nation eingerichtet ist.» Vier Generaladvokaten waren als Be-
rater stets bei den Verhandlungen zugegen, und gaben ihr ge-
wichtiges Gutachten ab. — Die erste der Justizkammern behielt
die Hauptgeschäfte des bisherigen Grossen Rats. Ihre 10 bürger-
lichen Beisitzer waren meist Rechtsgelehrte, wie denn über-
haupt eine regelmässige Verteilung geübter Rechtskundiger
unter die einzelnen Behörden dem allgemeinen Wunsch ent-
sprach. —
Der zweiten Kammer wurden alle Befugnisse des Kleinen
Rats zugewiesen. Ausserdem war sie Berufungsinstanz gegen die
Zunftgerichte, anstatt der bisherigen XVer Kammer. Bei Todes-
urteilen sollten beide Kammern zusammentreten ; denn auch
das Recht «des höchsten Urteils» wollte man sich wahren.
«Das Munizipal-Corps der Stadt» sagt Türckheim, «welches
die Polizei und die Finanzen dieser alten Republik verwaltet,
besteht aus dreissig beständigen Verwaltern ; aus den
zwanzig zweijährigen Zumännern, ohne deren Mitwissen über
kein wichtiges Geschäft beratschlagt werden kann». Es zerfiel
in 3 Kammern, deren jede wieder ebensoviele Unterabteilungen
erhielt.
Die erste, die eigentliche Verwaltungskammer, erhielt die
Befugnisse der Xlller. Als besondere Abteilungen hatte sie
1 Antrag Bergasse Vgl. Arch. pari VIII. S. 440 fg Moniteur
I. S 340fg.
* Vgl Almanach 1789/90 a. a. 0. S. 22fg. Der Text ist ent-
nommen aus Türckheim, a. a. 0. S. 109 fg., w. s. Ferner vgl.
Anhang Nr. 18.
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— 114 —
unter sich die Kanzlei, das Archiv, die Kontraktstube, sowie die
Notare und die Leitung der städtischen Prozesse, ferner die
Aufsicht über die geistlichen Stiftungen und die Universität.
Die zweite war die Polizeikammer, die sich vom Polizei-
gericht unterschied, das nur in Streitsachen zu entscheiden
hatte. Ihr unterstand u. a. die Beaufsichtigung der Lebens-
mittelpreise und der öffentlichen Sicherheit.
Die dritte endlich war die Finanzkammer, die auch das
Bau- und Forstwesen besorgte.
Von den 18 bürgerlichen Beisitzern der drei Kammern
waren 44 Gelehrte, 2 Kaufleute und 4 Handwerker. Sie hiessen
«beständige Räte», und wurden nicht mehr als «Gnädig ge-
bietende», sondern als «Meine Herren» angeredet. Von den
Schöffen gewählt, wurden sie vom Magistrat den verschiedenen
Abteilungen zugewiesen. Rat und Kammern vereinigt bildeten
den Grossen Rat, wo wichtigere Geschäfte verhandelt und be-
stätigt wurden.» — Die Schöffen versammelten sich viertel-
jährlich zur Entgegennahme der Rechenschaftsablage und Prüfung
des Kassenbestands. In ausserordentlichen Geschäften von be-
sonderem Gewicht sollten die 300 Schöffen jedoch ebenfalls
versammelt werden, um mit zu entscheiden, — die «Versamm-
lung des Rats und der Schöffen». — Von den Schöffen erhielt
jede Kommission einige Zumänner, je auf 2 Jahre ernannt. Dies
war der Ausschuss der 40, den das Besch werdenheft verlangte.
Er sollte zugleich ein Ersatz dafür sein, dass man sich im
übrigen nicht zu der in Frankreich geforderten kurzen Amts-
dauer der Beamten verstand. Dies begründete Türckheim damit,2
dass eine so grosse Stadt, wie Strassburg, es vermeiden müsse,
wohlhabende Leute, die eine vorübergehende Aemterbekleidung
für standesgemäss hielten, in die Verwaltung aufzunehmen ;
dass es vielmehr nötig sei, «dem rechtschaffenen Mann, der auf
jeden anderen Stand Verzicht thut, um sich ganz der öffent-
lichen Verwaltung zu widmen, eine gewisse Aussicht zu eröffnen,
die nicht von der Volkslaune abhängt.»
» Die Eingangsforrael der Verordnungen lautete nunmehr: «Wir
der Meister und der gesamte Rath der Stadt Strassburg nebst Unse-
ren Freunden, den bestandigen Rathen, Urkunden hiemit ...»
2 a. a. 0. S. 116 fg. Teilweise nahm er hier wörtlich den Brief
des Magistrats Anhang Nr. 18 auf.
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I
- na —
Was der französischen Regierung am meisten einleuchten
musste, war die Verringerung der Aemter. Die Dreier des
Pfennigturmes u. s. w. sowie die ganze Unmenge der ständigen
Kommissionen und Deputationen war nun weggefallen. Auch die
Vergütungen an Naturalien, die bis dahin jeder Ratsherr er-
halten, wurden abgeschafft und feste Besoldung eingeführt.
Der Herstellung des Cliquenwesens suchte man durch die
Anordnung zu steuern, dass nahe Verwandte nicht mehr in der-
selben Zunft Schöffen sein durften. i Nicht mehr nach der
Herkunft, sondern nach dem Verdienst sollte belohnt werden. Wer
10 Jahre beständiger Ratsherr gewesen, dem wurde das Gehalt
um ein Viertel (d. h. um 500 Livres), nach 20 Jahren abermals
um ein Viertel, und zwar auf Lebenszeit, erhöht.*
Im Grunde war es der alte Magistrat geblieben, ohne die
alten Namen der Kammern. Eine Annäherung war eigentlich
nur in der freien Wahl der Magistrate zu erblicken, die aber
nicht sowohl auf den 4. August, als auf das ßeschwerdenheft, bzw.
die Stadtverfassung zurückging. Fischer liess sich in einem
Gutachten folgendermassen über die Neuerung aus : «Absonder-
ung der gesetzgebenden, richterlichen und exekutorischen Gewalt
sichert für die Zukunft hinlänglich die durch deren Vereinigung
bedrohte bürgerliche Freiheit.»
Waren es auch die der geforderten Einförmigkeit wider-
sprechenden Privilegien, worauf die Selbständigkeit der Ver-
waltung nach wie vor beruhen sollle, so suchte man in Strassburg
diesen verderblichen Kern mit einer Hülle opferwilligen Ent-
gegenkommens zu umgeben ; und was die Bürgerschaft von sich
aus gewollt, das wurde nun als Hingabe an den Willen der
Nution dargestellt. Viel fehlte, dass dies der Wahrheit ent-
sprochen hätte : aus der AngrifTsstellung gegen den Magistrat,
aus der Revolution, die in Strassburg seit der Vereidigung des
1 Bald zeigte es sich jedoch, dass die Vereinfachung bei der
Menge der Geschäfte unzweckmässig war. Am 2. November war da-
her ein Ausschuss von 20 Schöffen eingesetzt, um die Anträge für
die Versammlungen mit Unterstützung von Ratsherren vorzube-
reiten
2 Schöffenmem. vom 26. August. Den nicht wiedergewählten
Mitgliedern des alten Regiments wurde auf Anregung La Tour du
Pin's eine Pension bewilligt. Vgl. über die früheren Bezüge Muller,
a. a. 0. S. 19 fg.
uigitizeo uy
- 113 —
neuen Regiments auf die Nation, den König und die Gesetze
eigentlich gegenstandslos geworden war, traten die Bürger in
die Verteidigung ein gegen die Beschlüsse der Nationalver-
sammlung.
Die Bürgerwache. — Die Getreide- und Geldnot. —
Der Ausschuss der Vierzig.
Ehe wir den Todeskampf des kaum geborenen Verwaltungs-
körpers verfolgen, haben wir einige innere Vorgänge der Stadt
zu betrachten, deren Keim, soweit sie nicht wirtschaftlicher
Natur waren, noch in den Julitagen wurzelte. Sie sind zwar
z. Tl. nicht rein politischen Charakters, dürften aber doch, kurz-
weg übergangen, in dieser zusammenhängenden Darstellung
vermisst werden.
Am 20. August fand auf dem Paradeplatz die feierliche
Vereidigung der Truppen und Offiziere statt.* Ne-
ben einer unzähligen Menge wohnte der Magistrat, mit der
Kokarde geschmückt, dem Schauspiel bei, dessen Farbenpracht
die adeligen Ratsherren in ihren weissen, goldverbrämten Mänteln
und bunten Gewändern vermehrten. Drei Stunden dauerte der
Akt, der alle Herzen mit dem Gefühl errungener Freiheit erfüllte.
Es herrschte die feierlichste Stille, während nach einer kurzen
Ansprache Klinglin's die Fahnen sich beugten und von den
Truppen die vorgeschriebene Eidesformel nachgesprochen wurde,
von den Regimentern «Hessen» und «Elsass» in deutscher Sprache.
«Wenn man, schrieb dazu die Privilegierte Zeitung,« die Truppen
seither als die Werkzeuge des Despotismus angesehen hat, so
ist jetzt jede Furcht verschwunden, das engste Band vereinigt
nun Bürger und Soldaten, Stadt und Magistrat, und alle ar-
beiten nunmehr mit vereinten Kräften auf denselben Zweck los :
die Ruhe und Sicherheit aller Einwohner.»
Zur Erreichung dieses Zieles sah sich die Obrigkeit zu um-
fassenden Massregeln genötigt. Seit der Entleerung der Gefang-
1 Ruh Ts Bericht vom 21. August. Vgl. auch weiteres bei
Strohe 1. V. S. 360.
s 100. Stück vom 21. August.
8
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— 114 -
nisse bemerkte man mehr Gesindel in der Stadt, als angenehm
war. Daher schlug Fischer eine Haussuchung im grossen
Masstab vor. Jede Zunft stellte 18 Mann, die Stadt war in
10 Kantone eingeteilt. Das Ergebnis (31. August) war aber
ganz unbedeutend. — Dauernde Aufsicht wurde dann durch
die Bürge r'wa che geübt. Schon aber bedurfte sie festeren
Zusammenhalts und bestimmterer Leitung, denn seit Anfang
September war der erste Eifer für den beschwerlichen und
zeitraubenden Dienst merklich erschlafft,» und die Mannszucht
begann sich zu lockern. Es wurde daher ein neuer Plan aus-
gearbeitet, wonach alle Einwohner der Stadt, auch die Schirmer
und Privilegierten, im Alter von 18 bis 50 Jahren nach fest-
gesetzter Reihenfolge Wachtdienste zu thun hatten. 2 Weitläufige
Verhandlungen hatte die Frage der Bewaffnung im Gefolge, da
man in Paris Misstrauen in die Bewehrung der Einwohner einer
Grenzfestung setzte, besonders da der Minister nicht ohne that-
sächliche Begründung von neuen drohenden Gefahren daselbst
benachrichtigt worden war. Aber auf die Verantwortung der
Offiziere hin ward Rochambeau schliesslich ermächtigt, zuver-
lässigen Bürgern Gewehre zu übergeben. Am 26. November
fand sodann die Vereidigung der Bürgergarde in die Hand des
Stättmeisters von Neuenstein statt.
Indem man sich so bemühte, die Ruhe äusserlich zu festigen,
schien alles auf völlige Zerrüttung der Stadtfinanzen hinzu-
drängen. Von vielen Seiten liefen Forderungen ein, die auf
Kosten der Stadtkassen bewilligt werden mussten. Die Schiffer-
knechte drohten mit Auswanderung, falls die verlangte Erhöhung
des Lohnes und der Frachtsätze abgeschlagen werde. Die
Metzger benützen die Machtlosigkeit des Magistrats und
setzten die Vergütung des beim Brand des Unschlittmagazins
erlittenen Schadens durch, noch ehe der Prozess zu Ende ge-
bracht war.
1 Vgl. Gesamten Raths Protokoll vom 9. September.
2 Aasführ lieh schildert die Neuordnung Strobel V. S. 385 fg.
Vgl. auch So hoff enmemoriale vom 2. Nov. und Reuss, TAls.
S. 216. 240.
Vor Jahresschluss erst traf die Entscheidung aus Paris ein,
die der Stadt Recht gab, und die Metzger anwies, sich mit einer
früher angebotenen Entschädigung für einen Teil des Materials za
begnügen.
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— 115 —
Drückender aber war der andauernd hohe Preis des Ge-
treides, der den Magistrat unausgesetzt auf Mittel sinnen hiess,
die Backer nicht zu entmutigen oder zu erbittern. Schon am
21. August betrug der mittlere Preis des Viertels Weizen 22 Livres,
der höchste 26 Livres, obwohl die Stadt 600 Viertel aus ihren
Speichern zu 19 Livres auf den Markt gebracht hatte.» Am
30. Oktober aber war der mittlere Preis gar auf 30 Livres
12Sols gestiegen.8 Für jedes Viertel, das die Bäcker zu 19 Livres
kauften, erhielten sie noch eine Entschädigung von 40 Sols. —
Die Verluste aus der Aufgabe von Octroi und Accise wurden
schliesslich auf mehr als 60 000 Livres berechnet. Wie zu
Anfang des Jahres, ward auch jetzt das Backen von Milch- u.
Eierbrot untersagt, die Bevölkerung selbst verlangte es, um das
Mehl zu sparen.
Solche Ausgaben konnten die Kassen naturlich auf die Dauer
nicht ertragen, und dazu kam die begreiflicherweise erregte
Stimmung der Einwohnerschaft, die sich in der charakteristi-
schen Anschuldigung kund that, der jüdische Händler Bär habe
dem Magistrat die Lieferung von Getreide zu 16 Livres ange-
boten und es stehe nur beim guten Willen der Obrigkeit, das
Brot wohlfeiler zu machen. Es bedurfte einer schriftlichen Er-
klärung Bar's, um diese Gerüchte zu zerstreuen. Auch die
Garnison murrte über zu hohe Preise ; ferner weigerten sich
die Taglöhner der Gärtner, Frucht zu dreschen, und die Bauern
brachten wegen der Feldarbeit nichts zur Stadt und weigerten
sich obendrein, wegen der in Aussicht stehenden Einziehung der
geistlichen Güter, den Stiftern in der Stadt ihre Gülten zu
entrichten. Das hatte Lohnerhöhungen und Ankäufe von aus-
wärts, der hohe Futterpreis aber wieder eine Steigerung des
Fleisch preises zur Folge. Es waren schlimme Wochen für den
Magistrat, und erst am 27. November war das Fallen des Preises
für den Laib um einen Sol zu verzeichnen. *
» Später musste der Magistrat seinen Marktpreis bis auf 23 lb
erhöhen.
« Protokoll des Gesamten Rats Fo. 257. — Reuss, l'Als., S.
157 fg.
» Die Höhe der Lieferungen aus den Speichern betrag 15 900 lb
Wegen des niederen Preises, wozu der Magistrat das Getreide über-
liess, hatte er ausserdem eine Einbusse von 10 000 lb S. d. Nähere
über die Finanzen bei Reuss, l'Als. S. 310 fg.; sowie bei Strobel
V. S. 410.
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- 116 —
Sehr bedenklich war auch die Aufkündigung von den bei
der Stadt angelegten Kapitalien, infolge des Schreckens, den
der Pfalzsturm hervorgerufen hatte ; am 24. September machte
dies schon 120000 Livres aus, die durch eine Neuaufnahme
zu 4o/o, wozu sich einige Privatleute bereit erklärten, zum Teil
wieder ersetzt wurden.
Alle diese Verluste standen dem Rat in noch unbemessenem
Umfang vor Augen, als des Barons d'Harambure Antrag ein-
traf, nach dem Beispiel von Tours, anstatt der bisher aufge-
legten Abgaben für das Jahr 1790 sich zu einer frei-
willigen Subskription zu verpflichten. Hier war es
wieder Fischer, der, wie so oft, mit dem Gewicht seines per-
sönlichen Ansehens in der Schölfenversammlung (5. September)
den Ausschlag und zugleich den Anstoss zu einem bedeutsamen
Vorgehen in der Gemeinde gab. Er wälzte die vorgeschlagene
freiwillige Beisteuer auf die Stadt ab, so dass sie sich nur durch
die Form von den üblichen königlichen Steuern unterschied.
Er schlug dabei vor, den «wahren patriotischen Gesinnungen,
der Zuneigung gegen den König, der ächten Vaterlandsliebe
und dem warmen Eifer für die öffentliche Sache», der die Ein-
wohner Strassburgs beseelte, durch die Beschlussfassung Ausdruck
zu geben, den noch ausstehenden Teil- der Auflagen des laufenden
Jahres — 292 547 Livres — ungesäumt in die königlichen
Kassen zu liefern ; und sein Amtsgenosse Mathieu ging noch
weiter, mit dem Vorschlag, eine gleiche Summe wie 1789
auch im folgenden Jahre an den Staat zu steuern ; und zwar
solle diese Summe vom 1 . Januar an von zwei zu zwei Monaten
im Voraus entrichtet werden. Beiden Anträgen stimmte man
zu, wie es der Ehre der Stadt angemessen erschien. Den
bessergestellten Bürgern sollte es freistehen, sich überdies zu
ausserordentlichen Gaben zusammenzuthun.»
Alsbald bildete sich eine patriotische Gesellschaft in diesem
Sinne. Die Deputierten wurden beauftragt, die Nationalversamm-
lung davon in Kenntnis zu setzen, und Necker dankte in
v einem Schreiben vom 19. September* für die ihm sehr will-
kommene Opferwilligkeit der Strassburger, die gegen Ende des
Jahres entschieden noch im Wachsen war. Die patriotische Ge-
1 Vgl. Reu ss, l'Als. S. 167 fg.
2 Vgl. Rens s, l'Als. S. 177.
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— 117 —
Seilschaft brachte in vier Tagen 18 000 Livres zusammen, und
als die Nationalversammlung den Aufruf zur Entäusserung alles
Silberzeugs erliess,1 beteiligte sich Sirassburg und besonders
Dietrich voll Regsamkeit daran. Ebenso opferwillig zeigte 'sich
der Strasshurger, als der Magistrat am 7. Dezember* zu der
patriotischen Beisteuer aufrief, die am 6. Oktober in der
Nationalversammlung beschlossen worden war. Schirmer und
Privilegierte zog man ebenfalls heran, um sie nicht nur an
den Bürgerrechten, sondern auch an deren Pflichten teilnehmen
zu lassen.
Necker wies die ihm übersandten Gelder zur Besoldung der
elsässischen Truppen an. lieber «die selten schmeichelhafte und
rührende Sprache* seines Schreibens waren die Bürger ent-
zückt, so dass sie unverzüglich an die Deputierten schrieben,
ihren früheren Auftrag, — nämlich hervorzuheben, dass diese Ab-
gaben nur die regelmässigen Steuern, nicht aber eine ausser-
ordentliche Last seien, — nicht auszuführen. Schon am 10. Ok-
tober konnte Necker für den Empfang der ganzen Summe
danken.»
Doch fügte er im selben Atemzug die Aufforderung hinzu,
ebensolchen Vorschuss für 1790 zu entrichten, so dass aber-
mals ein Beirag von 300000 Livres aufgebracht werden
sollte. Um dies zu ermöglichen, musste zu einer Anleihe von
100 bis 150000 Livres geschritten, und die ganze Summe
auf den im nächsten Jahre zu erwartenden Steuerertrag über-
geschrieben werden. In drei monatlichen Zahlungen sollte sie
in die Staatskasse geliefert werden, — d. h. im ganzen in sechs
Monaten 600 000 Livres. — Angesichts dieser Erschöpfung der
Stadtkassen ist es mehr als unwahrscheinlich, dass, wie
der amtliche Bericht sagt, Verwaltung und Magistrat ruhig in
die Zukunft blicken mochten.
Dieser Bericht gab, wie erwähnt, die Schuldenlast der
Stadt auf 3>j2 Millionen an. Anders die Kommission der
Vierzig zur Untersuchung der Finanzen. Sie kamen zu
dem Ergebnis, dass die Stadt 5 Millionen Schulden habe, und
machten sich daran, die Ausgaben möglichst zu beschränken.
1 Vgl. Arch. pari. IX. S. 188, u. S. 352 Art. 21.
2 Vgl. Ren ss, l Als. S. 282.
• Vgl. Reu ss, TAls. S. 211 u. 212.
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Sie schlugen die Aufhebung alier Leistungen für die Garnison
vor. Der Magistrat aber verweigerte es, da man erst den Hof
darüber werde befragen müssen, um nicht des Vertragsbruchs
angeklagt zu werden. Ausserdem aber, so tadelte er, sei der
Schritt der 40 voreilig. Sie sollten zunächst nur die Einnahmen
und Ausgaben der Stadt m mit etwaigen Verbesserungen auf-
zeichnen, aber nicht wie eine beschliessende Kammer auftreten.
Tief gekränkt sandten die 40 nach längerer Pause (24. Nov.) einen
neuen Bedacht ein, den sie «einen schaudernden Abriss des Zu-
standes der Finanzen» Strassburgs nannten, und worin sie aufs neue
gegen die Lieferungen an die Offiziere eiferten. Sie wiesen auf die
allgemeine Erhebung des französischen Volkes hin. «Wollen
Sie, so fragen sie, die Morgenröte, die ein so glücklicher Zufall
über ihrem Haupte scheinen lüsst, ohne Trost vorbeistreichen
lassen ?» Wiederum erfuhren sie eine scharfe Zurückweisung
seitens der Generaladvokalen, worunter sich neuerdings auch
der bisherige Konsulent Metzler befand. Man warf ihnen An-
massung und Ueberschreitung ihrer Befugnisse vor, indem sie
z. B. vor kurzem eine Geldkiste auf dem Pfennigturm er-
brochen hatten ; dagegen habe der Finanzmi nister die seit
drei Monaten verlangten Angaben über die ungerechtfertigten
Auflagen der Stadl noch heute nicht erhalten. Auch Dietrich
hatte sich diesen Vorwürfen angeschlossen. Es wurde zwar ein
Zwist innerhalb des Ausschusses selbst offenbar, indem mehr
und mehr Mitglieder austraten ; aber für den Kommissar hatte
das Benehmen der 40 und dessen Zurückweisung sehr pein-
liche Folgen. Während er von allen Seiten nur Gutes über
seine taktvolle und sichere Amtsführung zu hören hatte, die er
besonders öfters als Wortführer während der Verhandlungen
über den Stand des Getreidepreises bewiesen, wurde er von
den 40 auf das schärfste angegriffen. Sie schickten eine Denk-
schrift nach Paris, worin Dietrich und sein Vater, gewisser-
massen amtlich, verleumdet wurden. Sie thaten es ohne die
Schöllen davon zu benachrichtigen, denen sie über jeden Schritt
Rechenschaft schuldeten. Man verlangte daher, um ihre bis
dahin ziemlich geheimnisvolle Arbeit beaufsichtigen zu können,
die Herausgabe ihres Protokolls und der Denkschrift, welch
letztere keineswegs von allen Mitgliedern des Ausschusses gut
geheissen worden war.
Zum Teil waren die Unterschriften sogar durch List er-
— 119 —
langt worden. Daraufhin traten abermals 15 Mitglieder aus.
Vor allem aber rief das Vorgehen der Kommission in der Rais-
versammlung einstimmige Entrüstung hervor. i
Schon im September war der Ehrenstättmeister von Dietrich
infolge von Gerüchten, dass man ihm eigentlich keine Stimme
habe übertragen wollen, von seinem Amt zurückgetreten,
grollend und durch die Undankbarkeit bitter gekränkt, womit
man seine Verdienste und sein 43 jähriges Wirken um das f
Wohl der Stadt belohnte.«
Die Aufforderung zum Bleiben beachtete er nicht. «Den
Titel aber, fügte er bei, der mir vom König zuerkannt worden,
werde ich tragen.» Man beschuldigte nunmehr sowohl ihn wie
seinen Sohn, von der Stadtkasse zu ihrem Vorteil Gebrauch
gemacht zu haben. Besonders eine Aufnahme von 50000 Livres
aus dem Vermögen der Stadt suchte man ihnen ungünstig aus-
zulegen. In einer verbitterten Erwiderung rechtfertigte sich der
Vater, in einer stolzen der Sohn, aber beide voll Würde und voll
von Abscheu getragener Sicherheit. Der Kommissar wies die Ver-
leumdung zurück mit den Worten : «Ich kann Fehler und Irr-
tümer begehen ; aber Missbräuche dieser Art werden mich nie-
mals beschmutzen.»
Bei dem einen Vorwurf blieb es jedoch nicht. Man ta-
delte ihn, dass er die Wohnung des Prätors verschmäht, dafür
aber die mit vielen Kosten auszubessernden Gebäude des Mar-
stalls für sich beansprucht habe. Er wies es zurück, da er
nicht in Gerard's Wohnung habe ziehen wollen, so lange dieser
dem Namen nach noch Herr darin sei. Ausserdem habe er
wegen der bevorstehenden Munizipalitätsänderung, weshalb er
schon heute vielleicht zum letzten Male spreche, längst auf den
Marstall verzichtet. — Dietrich und sein Vater wurden glänzend
gerechtfertigt. Nicht nur befahl der Minister, das betreffende
Gebäude für den Kommissar einzurichten, sondern es sandte
auch die Gemeindevertretung eine Denkschrift 3 an die National-
versammlung, bestätigt von den ehemaligen Gliedern des Be-
1 Vgl. Schreiben der Schöffen an Schwendt vom 30. Dezember.
(Schöffenmemorial Fo. 469 fg.) Ein Protokoll der 40 ist ebensowenig
zu finden, wie die Denkschrift.
2 Vgl. die Verteidigungsschriften von Vater und Sohn im Schöf-
fenmemorial Fo. 235.
3 Vgl. Ben ss, l'Als., S. 307.
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120 -
ständigen Regiments u. a., worin die Grundlosigkeit aller der
«boshaften Missgeburten», wie der alte Dietrich es genannt,
dargethan wurde. Eine grössere Niederlage konnten die 40,
die damals schon zu einer Genossenschaft der Sechzehn herab-
geschmolzen waren, kaum erleiden.
Dennoch verläugneten sie die Hartnäckigkeit der Strass-
burger jener Periode nicht. Trotz aller Vorkehrungen weigerten
sie sich, die Originale der Protokolle und der Denkschrift
vorzulegen. Der Magistrat erklärte den Finanzausschuss
für aufgehoben, aber die Einsicht in das Protokoll verhinderten
die Vierzig dennoch mit den geschicktesten Winkelzügen,
bis das Jahr zu Grabe getragen ward, und mit ihm der Wider-
sland der alten Reichsstadt gegen die Neuordnung der Dinge.
Die Beschäftigung Strassburgs mit den Schlüssen der
Nationalversammlung haben wir nunmehr zu betrachten.
'VIII.
Der vergebliche Widerstand Strassburgs gegen
die Beschlüsse vom 4. August.
Als der schwäbische Dichter Schubart in seiner Vaterlands-
chronik von den Beschlüssen des 4. August im Hinblick auf
Strassburg sprach, rief er aus :* «So französisch werden ist.
eine grössere Wohlthat, als jeder Deutsche begreifen mag, der
sich frei träumt, wenn hinter ihm die Geissei des Despoten
klatscht.» Fast wie eine Antwort hierauf klingt die Frage eines
Strassburgers :* «Was will der Ausdruck sagen: Wir werden
nun französisch ? Man kann sich nichts vernünftiges dabei
denken, denn wir sind seit mehr als hundert Jahren franzö-
sische Unterthanen, und also auch französich.» —
Er hatte vollkommen recht ; französich waren alle Strass-
burger seit 1681. Aber sie waren nicht alle Franzosen. Erst
die völlige Durchdringung mit dem Geiste eines Volkes verleiht
dem Bürger die Staatsangehörigkeit in dem begehrenswertesten,
dem vollkommensten Sinne, wenn er auch ohne eine solche
1 S. 558.
2 «Fragen und Antworten», den 17. August 1789. S. 4.
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— 121 —
natürliche oder zur Natur gewordene Verschmelzung sich mit
einem Volke eng verbunden fühlen mag. Man darf nicht über-
gehen, dass die in jenem vollkommensten Sinn als Franzosen zu
betrachtenden Strassburger es in dieser Hinsicht zum grössten
Teil schon vor dem 4. August gewesen, dass es die Eingewan-
derten waren, die vielfach jenseits der Vogesen geboren, und
in französischem Geiste aufgewachsen waren, während die am
meisten hervortretenden Bürger, bzw. Magistratsmitglieder,
von dem alles opfernden Patriotengeist nur eben berührt, aber
keineswegs durchdrungen waren. «Es gab dort, sagtReuss,* keine
politische Abneigung gegen Frankreich, noch weniger Zuneigung
für Deutschland, sondern ein ganz natürliches Gefühl des Wider-
strebens, eine fast vier Jahrhunderte alte Verfassung aufzugeben,
die wenigstens den Schein republikanischer Einrichtungen trug».
Es war wohl noch mehr. Es war der als elsässisch-strassburgisch
zu bezeichnende Geist. Es war keine Abneigung gegen Frank-
reich, die auch den frei gewählten Magistrat und die wahren
Repräsentanten der Bürgerschaft, die Schöffen, auf der Erhaltung
nicht nur ihrer Verfassung sondern auch ihrer Vorrechte zu
bestehen trieb ; aber es war, neben dem Wunsch, sich das
Alte zu erhalten, eine Abneigung gegen das französische Wesen,
gegen die französischen Einrichtungen, die nicht nur unbekannt,
sondern auch innerlich fremd waren.
Beachtenswert ist es allerdings, dass die Metzger die Ein-
setzung eines Maire anstatt des bei der Liebe der Bürger zum
König überflüssigen «Wächters» über dessen Interesse, des
Prätors, verlangten. Es war das Beispiel der Hauptstadt, das
sich hier geltend machte, und wie die Pariser Bai 1 1 y , so wollten
diese Strassburger den Kommissar Dietrich dazu ernannt wissen ;
«einen Mann», wie sie sagten, «den wir alle schätzen, weil
wir die edlen Grundsätze des Mannes in ihm lieben, der als
Vater uns bisher geführt hat.» — Da Justiz und Verwaltung
getrennt waren, und diese unter dem Ammeister stand, so
schien die Forderung, auch der ersteren einen Vorstand zu
geben, einleuchtend. Ein freigewählter Maire konnte der Ver-
waltung nur nützlich sein,2 und eine Annäherung an die Ge-
» L'Als , S. 182 Anm. 1.
8 Vgl. Protokoll des Ges. Rats vom 21. August und 2. Sep-
tember, sowie Reuss, TAls. S. 153.
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— 122 -
mein den Frankreichs erforderte die Klugheit. Der Magistrat
beschloss daher, die Würde eines auf sechs Jahre zu erwäh-
lenden Maire zu schaffen. Dietrich, der sich auch von diesen
Verhandlungen fern gehalten,1 schrieb jedoch an die Schöffen
die ihm, wie sein nicht ausgeführter Rücktritt, vielfach sehr
übel ausgelegten Worte : «Ich hoffe von Ihrer Klugheit
und Ihrer Liebe zum König annehmen zu dürfen, dass Sie
nicht auf dem Beschluss bestehen werden.» — «War dies,
fragt Reuss,2 aufrichtige Bescheidenheit, war es ein Gefühl der
Klugheit, das ihm nicht erlaubte, sich für die Mairie aufstellen
zu lassen, während er noch den Titel eines kgl. Kommissars
trug? Es ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls schadete dieser
Schritt seinen Aussichten auf Erfolg nicht.» —
Doch blieb die ganze Sache zunächst auf sich beruhen,
und man richtete sein Augenmerk lebhaft auf Dinge von
augenblicklich grösserer Wichtigkeit, welche die ganze Kraft
des Magistrats erforderten : auf die Schlüsse der National-
versammlung. Die Verteidiger der Rechte Strassburgs hatten da-
selbst vergebens gesprochen. Bei ihren Mitbürgern galten Türck-
heim und Schvvendt als hervorragende Geister und es mochte
der eine von ihnen später bei einem deutschen Kleinfürsten in
hohem Ansehen stehen. Gegenüber denen aber, die mit dem
Flug ihrer Gedanken und mit der Macht ihrer Rede ganz
Frankreich begeisterten und verwandelten, standen sie ebenso
unbedeutend da, wie ihre Vaterstadt in diesem Augenblicke,
verglichen mit dem grossen Reich, dem sie sich nicht fügen
wollte.
Magistrat und Schöffenrat von Strassburg dürfen, nach
ihrer Erneuerung im August als «wahre Repräsentanten der
Bürgerschaft», auch als wahre Vertreter ihrer Gesinnung gelten.
Sie aber bezeichneten die Beschlüsse von Versailles von Anfang
an als schädlich.»
Vor allem waren indes auch die Zünfte in Besorgnis we-
gen der drohenden Aufhebung der Genossenschaften der Hand-
werker ,und Gewerbe. Ihre bisherige Einrichtung hatte den
i Vgl. Reuss, l'Als. S. 169 und Spach, Fred, de Dietrich a.
a. 0. S. 505.
a L'Als. S. 169, Anm. 1.
3 Vgl. Reuss, l'Als. S. 148. «Extrait» etc., und Anhang Nr. 17.
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- 123 —
regen Verkehr mit den rechtsrheinischen Zünften vermittelt,
der zwischen Strassburg und Deutschland herrschte, und
ein der Stadt unentbehrliches Material von deutschen Hand-
werkern zugeführt hatte, i Da ausserdem das andere, mit dem
Reich und der Schweiz eng verbindende Vorrecht der Zollfrei-
heit durch die Verschiebung der Schranken an den Rhein ver-
nichtet werden sollte, so waren Gewerbs- und Handelsleute in
Strassburg schwer bedroht.
Magistrat und Schürten sahen sich deshalb veranlasst, thä-
tig für die angefochtenen Interessen einzutreten. Doch war die
Unsicherheit, wieweit man darin gehen dürfe, so gross, dass
zwei Erklärungen» zur Auswahl der geeigneteren an die
Deputierten gesandt wurden. Beide begannen mit der feierlichen
Formel : «Die Gemeinde der Stadt Strassburg, aus freiem Wil-
len mit der Krone Frankreich kraft eines besonderen Vertrags
vereinigt, . . . ^ u. s. w. In beiden verzichtete Strassburg auf
alle Privilegien betreffs der Auflagen, sowie auf alle, die den
Interessen der Nation zuwider seien. In der ersten aber for-
derte die Vertretung der Bürgerschaft den Schutz der Regie-
rung für die gefährdeten Vorteile, und behielt sich die volle
Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit vor. In der zweiten wies der Ma-
gistrat auf seine Erneuerung hin und hob die damit zu erreichende
Angleichung an die französischen Einrichtungen hervor. Das
Opfer der Gleichstellung in Hinsicht auf die Steuern war be-
kanntlich sein eigener Wunsch gewesen, da die Stadt im Ver-
gleich zur Provinz benachteiligt gewesen war. Und die nach
seiner Ansicht mit der Neuordnung unvereinbaren alten Rechte
nannte er zwar der Nationalversammlung nicht mit Namen,
aber er gestand sie in einer Note ein,» die den Abgeordnelen
Anweisungen über das von ihnen erwartete Verhalten gab.
Diese waren uneinig darüber, welche von beiden Erklä-
1 Vgl. den Aaszug aus der Adresse vom 28. Februar 1791 an
die Nationalversammlung, bei Heitz a. a. 0. (S. 176 fg.), S. 178:
«Daher sind auch beynahe alle Handwerksgesellen in Strassburg Aus-
länder [= Nichtfranzosen] deren Entfernung den unersetzlichsten
Schaden nach sich ziehen wurde. — Unter den Professionisten zu
Strassburg sind ungefähr zwölfhundert in Deutschland geborne
Bürger». Vgl. auch Anhang Nr. 17.
* Vgl. die Erklärung der Schöffenkollegien (im Memorial Fo. 59 fg.)
3 Vgl. Schöffenmemorial Fo. 64 fg.
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- 124 —
rungen zu wählen sei» i und baten den Magistrat selbst zu ent-
scheiden. Indes war bereits ein Monat verflossen, als der Ma-
gistrat ihnen antwortete : 8 Nach der als Verzicht aufgefassten
Erklärung der Deputierten vom 5. August habe er sich nur ganz
unbestimmt ausdrücken können. Indessen aber habe die Natio-
nalversammlung erkannt, dass die Verfugungen des 4. noch
einer letzten Erörterung bedürfen, und es scheine daher, dass
noch ein Weg offen bleibe, triftige Gründe geltend zu machen,
um Ausnahmen zu Gunsten der Provinz Elsass zu bewirken.
«Auch sind wir davon unterrichtet, schreiben sie, dass die
grossen Grundbesitzer dieser Provinz auf ihrem Einspruch be-
stehen, gegen die Ausdehnung des Beschlusses, der den Weg-
fall der Privilegien zeitigt, indem man das Eigentum mit ein-
fachen Uebertragungen vermengen möchte, und die Ausflüsse
der Landeshoheit mit den Feudalrechten Frankreichs. Eben-
solche Rechte hat Strassburg geltend zu machen.» — In Be-
ziehung auf die Zehnten sagen sie: «Man ruft in dieser Hin-
sicht die Grundsätze der Nationalversammlung selbst an, die
jedes Eigentumsrecht für unverletzbar erklärt hat.» Das war
mehr als der Wunsch, die Verfassung beizubehalten; man
kehrte auf den Standpunkt zurück, von wo aus man die Kapi-
tulation verteidigte. 3
Mit dieser Entwickelung geht auch eine wachsende Sicher-
heit der Deputierten parallel. Zuerst schreiben sie*: «Wir
wägen in der Ruhe der Ueberlegung Ihre wahren Interessen
ab, und wir halten uns zu der Partei, wo es uns am vorteil-
haftesten zu sein scheint.» Am 13., September sagen sie be-
stimmter: 5 «Wir werden uns nichts entgehen lassen, was uns
geeignet erscheint, Ihrer gegenwärtigen Einrichtung Geltung zu
verschaffen.» Am 18., als einige elsässische Stände gegen die
1 Vgl. Reuss, l'Als. S. 160.
2 Am 19. September. Vgl. Reuss, l'Als. S. 177 fg.
3 Für die Selbsttäuschung, der man sich in Strassburg mit
schönen Worten hingab, ist die Rede Fischers vom 7. August (Schöffen-
memorial das.) bezeichnend. Da wird geleugnet, dass Strassburg «ein
Geist der Anhänglichkeit zu alten Formen und Gebräuchen beherrsche»,
es wird hingewiesen auf den «Diensteifer», den Strassburg durch die
hohen «freiwilligen«(!) Abgaben bewiesen habe u. dgl.
* Am 24. August. St.-A. AA. 2003.
& Vgl. Reuss, l'Als. S. 171.
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— 125 -
Aufhebung ihrer Privilegien sich verwahrt hatten, fragten sie 1
ob sie sich den Deputierten des Adels und der Geistlichkeit
und deren Denkschriften anschliessen sollten,8 falls diese sich
den Beschlüssen vom 4. August widersetzten. Zugleich teilten
sie mit, dass sie gestützt auf die Bewilligung des Steuerrechts
für 4789, zu den einzelnen Ministern gegangen waren, um sie
zu bitten, die Stadt und ihre Privilegien unter ihren Schutz zu
nehmen. Sie hatten von allen die liebenswürdigsten Versprech-
ungen erhalten. Necker hatte sogar die Verlegung der Zoll-
schranken als unvereinbar mit den elsässischen Handelsinteressen
erklärt. Der Grosssiegelbewahrer Champion de Cic6 machte
sich anheischig, die Erhaltung der selbständigen Verwaltung
Strassburgs beim König zu befürworten, da er die Wichtigkeit
derselben einsehe, und «da die Beschlüsse des 4. August für
das Elsass notwendiger Weise Aenderungen unterworfen sein
müssen.» Auch der Kriegsminister, dem einige Wochen später
aus dem Schoss der Bürgerschaft vorgeworfen wurde,s er habe
sie «in einer schimpflichen Unterwürfigkeit zurückgehalten,»
versprach seine Verwendung beim Staatsrat.
Am schärfsten aber tritt die eigentliche Gesinnung der
Deputierten und der Strassburger Obrigkeit hervor in der schon
öfters erwähnten Schrift Türckheim's* über das Staats-
recht der Stadt Strassburg und des Elsass, die, vollendet in
eben diesen Tagen,, und nachdem sie vom Verfasser selbst im
Rat verlesen worden (Nov.), dem Druck übergeben ward.
Neben einer allgemeinen Darlegung des staatsrechtlichen
Verhältnisses enthält sie «Einzelheiten über die verschiedenen
Beschlüsse, soweit dieselben die Interessen der Stadt und der
Gemeinde verletzten». Doch bewegt sie sich keineswegs auf
dem Boden der strassburgischen Ansprüche allein ; die ähnlichen
Rechte der im Elsass begüterten deutschen Fürsten fanden,
sobald das Schriftchen gehörigen Orts berücksichtigt ward,
daran den stärksten und unanfechtbarsten Rückhalt.
1 Vgl. Reu äs, l'Als. S. 175.
2 Dies war ganz nach dem Sinn des Magistrats. Vgl. Reuss,
l'Als. S. 177 nnd den Auszug ans dem Brief des Magistrats an die
Deputierten vom 24. September, Anhang Nr. 19.
3 Vgl. Antrag der Zunft zum Spiegel vom 8. Oktober, St.-A.,
Acta der allg. Schöffenversammlung 1789. 1790.
* Vgl. S. 1. Anm, 1.
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Soweit die Versailler Beschlüsse diese Vorrechte beeinträch-
tigten, wird die Unverletzbarkeit der sie gewährleistenden
Verträge aufs nachdrücklichste verfochten, und zwar zum teil
an der Hand der eigensten Grundsätze der Nationalversammlung.
In Beziehung auf die Eigentumsrechte auf liegende Güter,»
besonders die Gebühren der Toten Hand, heisst es ; «In dieser
Provinz sind nicht alle Länder Lehen, viele sind auch Allodial-
güter welche überlässlich sind . . . Das Wort Lehen bedeutet bei
uns irgend ein Eigentum, das zwischen dem Grund- und Ober-
eigentümer und dem Vasallen oder Nutz-Eigentümer, der bei
jeder Veränderung dem ersten huldigt, geteilt ist . . . Die
meisten sind (in der Zwischenregierung . . . aus Andächtelei . .)
den Klöstern verlobt, und als solche angesehen; folglich ent-
standen sie nicht aus der Freigebigkeit eines gemeinschaftlichen
Souveräns, mit Andingung des Kriegsdienstes, wie in Frankreich.»*
Es wird betont, «dass es ein Angriff auf das Eigentum wäre,
. . . wenn man einige Jahrhunderte nachher — nachdem ein
herrschaftliches Gut . . . nicht unentgeldlich von einem Be-
sitzer auf den anderen gekommen ist, dieses Recht als ein der
natürlichen Freiheit widriges erklären und ohne Schadloshaltung
unterdrücken wollte . . . Das bürgerliche Gesetz kann in
Zukunft diese Verträge verdammen, aber an sich selbst kränken
sie die Würde des Menschen nicht, folglich kann man auch dem
Gesetz keine zurückwirkende Kraft geben . . . Der Bediente
erhält Lohn und Nahrung; . . . keine Nation hat noch einer
solchen Bedingung den Namen einer verhassten Knecht-
schaft gegeben : hüten wir uns wohl, einen ursprünglich wahren
Grundsatz nicht zu missbrauchen . . . Dieser Satz ist stärker,
wenn die Elsässische Herrschaft mit dem Titel eines Grund-
herrn und ursprünglichen Eigentümers noch den Titel eines
Souveräns verbindet, der ... für seinen öffentlichen Schutz
Geldsteuern, Frohnden oder Tagarbeiten fordern konnte . . .
Wenn die Nation sie jetzt abschaffen und freiheits widrig er-
klären will, so haben die Elsässischen unmittelbaren Stände
zum Pfand der Sicherheit die Domäne des Königs, mit dem
allein sie einen Vertrag eingegangen.»
1 S. 27 u. 37 fg.
2 Spach, F. de Dietrich a. a. 0. S. 530: nennt eine derartige
Unterscheidung «nn peu subtile >.
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— 127 —
Es ist «nichts gerechter, als dass die Nation die Elsässischen
Herrschaften mit derselben entschädige . . . Wenn man die
Elsassischen Frohnen für Lehenspflichten erklärt, die zur per-
sönlichen Dienstbarkeit gehören, und ohne Entschädigung ab-
geschafft werden sollten, so würde man eine schreiende Unge-
rechtigkeit . . . begehen. Die Stadt Strassburg verlöre mehr
als 30000 Livres Zinsen,» die sie als ein wahres Eigentum um
einen «ehr hohen Preis gekauft hat . . . Wir würden eine
biedere und gerechte Nation beleidigen, wenn wir glauben
wollten, dass sie nach obigen Erläuterungen, die ihr wahr-
scheinlich unbekannt waren, so wenig das Eigentum ehre, dass
sie die Elsässischen Frohnen mit dem französischen Lehensystem
in eine Klasse setze.»
Die Benennung zwar sei gleich, der Sinn aber himmelhoch
verschieden.' Wenn man behaupten wolle alle Zinse und
Vorrechte der Souveränität seien durch missbrauchte Gewalt
entstanden, «so würde man in dieser Quelle den Ursprung aller
Monarchen finden . . . Ist's in allem Emsts das Wohlsein des
Volkes, oder ist's nicht vielmehr der Feuereifer eines Systems,
der mit Wut den geringsten Unterschied auslöschen will, dass
alle Folgen und Aehnlichkeiten des Lehenswesens abgeschafft
wurden? . . . Bei dieser Veränderung wird die öffentliche
Glückseligkeit gewiss nichts gewinnen.»
Ueber die Abschaltung der herrschaftlichen Gerichtsbar-
keiten ohne Entschädigung lässt Türckheim sich folgendermas-
sen aus : «Die Stadt Strassburg hat niemals finanzierte Stellen
gekannt... Dadurch, dass der königliche Hohe Rat in Colmar nicht
zu den verkäuflichen Stellen gehörte, entstand der Provinz eine
jahrliche Beschwerde von 60 000 Livres.» Wenn daher «der
Plan der Rückbezahlung der Gerichtsstellen im Königreich
ausgeführt werden soll, so erfordert die Gerechtigkeit, dass die
Million, welche die Provinz schon dafür ausbezahlt hat, ihr
wieder zurückgestellt . . . werde, oder dass das Elsass . . .
von allen weiteren Beiträgen zu diesem Gegenstand befreit
werde».
» S. 41.
2 S. 27. — Vgl. auch den Schlusssatz des Briefes an den Kriega-
minister, vom 24. September ; Anhang Nr. 20.
» S. 43.
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— 428 —
Den Nachteil der Stadt Strassburg in bez. auf ihre Gerichts-
barkeit könne man unter zwei Gesichtspunkten betrachten :
«insofern sie die Ausübung ihrer Regalien in ihren Gütern und
Domänen» und insofern sie die Gerichtsverfassung in der Com-
mune selbst kränkte ... Die Stadt Strassburg kommt mit der
Nationalversammlung darin überein, dass diese Rechte der
Ausfluss der höchsten gerichtlichen Gewalt seien, für deren
einzigen Verwalter sie bisher den König erkannt hat ...»
Ueber die Abschaffung der Zehnten heisst es : Für Strass-
burg seien es dreierlei : «1) Weltliche und Lehenszehnten, die
sie mit Geld erworben hat . . . Man erlaubt sich die Vermu-
tung, dass die Nationalversammlung eine billige Entschädigung
festsetzen wird .... 2) Die Neubruchszehnten , auf Grund des
Normaljahrs 1624, welche von den Landesherren, die der Augs-
burgischen Konfession zugethan sind, . . . eingezogen», und
als ein «wahres Kennzeichen der Landeshoheit angesehen
werden.» 3) Die geistlichen Zehnten, welche zu den durch die Ver-
träge gesicherten Kirchengütern gerechnet werden. Die Ein-
künfte der protestantischen Körperschaften «würden überdies
nicht einmal zum Unterhalt der Kirchen und ihrer Diener zu-
reichen, wenn die Freigebigkeit ihrer Gläubiger sie nicht er-
setzte.»
«Ist's in allem Ernst das Wohl des Volkes, welches den
zerstörerischen Verrichtungen dieser Nacht zum
Beweggrund und Vorwand diente, um die Zehnten abzuschaf-
fen ? . . . Welch eine traurige Zerrüttung der Begriffe von
Vaterlandsliebe hat alle Klassen der Nation gegen einander ge-
waffnet, um sich gegenseitig allmählich aufzureiben? . . . Wie
schrecklich wird das Erwachen aus diesem gekünstelten Enthu-
siasmus (vgl. o. S. 101 fg) sein, wenn man statt der politischen
Corps, welche die Nation belebten, nur Opfer und zerschlagene
Gerippe auf dem Schlacht felde antrifft !»
Diese prophetische Warnung geht schliesslich in trotziges
Drohen über. Man wird sich «leicht überzeugen, dass der El-
sässischen Geistlichkeit noch kräftigere Rechtsmittel übrig blei-
ben, um . . . auch alsdann noch zu widerstehen, wenn die
Geistlichkeit des Königreichs dem harten Gesetz sich unterzieht,
das man ihr auflegen will.» Niemals, sagt Türckheim, könne
das Elsass und Strassburg in die Vernichtung derselben ein-
willigen.
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— - 129 -
Die Schrift wendet sich zu den Privilegien, deren
mehrere mit dem Wohlsein der Provinz unzertrennlich verbun-
den seien. «Die Strassburgische Bürgerschaft . . . ist auf die
Erhaltung ihrer Form, die sanft und väterlich ist, eifersüchti-
ger, als auf die Verbesserung der Interessen ihres Beutels ge-
wesen.» Wenn man sie in ihren Rechten erhalte und sie nicht
mit Militärdienst und der Ferme belaste, werde sie willig
900 000 Livres jährlich bezahlen.
Dieser Versicherung wohnt viel Wahrscheinlichkeit inne.
Wir sehen, wie sich in der Aufopferung des Eigentums
für den Staat sowie in dem Stolz, womit sich die Bürgerwache
dem Dienst unterzog, die gegen Ende 1789 stärker werdende
Regung eines Gemeinsamkeitsgefühls der Strassburger mit den
französischen Bürgern als den Angehörigen desselben Staats-
wesens zeigte ohne damit doch die Rechte der Stadt anzu-
fechten, i
Der Magistrat beharrte auf seinem Standpunkt, wie ihn
Türckheims Schrift darlegt. Wie gerechtfertigt seine Bemer-
kungen waren, und wie bedeutungsvoll sie den passiv damit
verknüpften Zeitgenossen erscheinen mussten, kann man bei
der Betrachtung ermessen, dass eben die von Türckheim so
scharf hervorgehobene Entschädigungsfrage der Reichsfürsien es
war, die den Reichstag zu Regensburg zwei Jahre später aus
seiner Lethargie erweckte.
Aber auch noch in anderer Hinsicht sind seine Ausfüh-
rungen bemerkenswert. Die Gleichberechtigung der Protestan-
ten war für die grössere Hälfte der Bewohner Strassburgs, für
ein Drittel der Elsässer überhaupt eine Lebensfrage. Türckheim
wendet sich denn auch eifrig gegen die Beeinträchtigungen die-
ser Konfession und die ihr drohende Gefahr der Unterdrückung.
«Nach dem Staatsrecht des deutschen Reiches», heisstes(S. 80),
wovon das Elsass ein abgerissener Teil ist, geniessen die drei
Religionen völlig gleiche Rechte . . . Der 3. Artikel der Kapi-
tulation befiehlt ausdrücklich und namentlich die Erhaltung
des freien Gottesdienstes . . . Das Elsass begehrt keine Er-
1 Es ist immerhin beachtenswert, dass die Munizipalität im Jahre
1790 öffentlich eingestand, «dass vor der Revolution die Strassburger,
ungeachtet ihrer Unterwerfung unter die Krone Frankreichs, noch
immer im Stillen den Verlust ihrer alten reichsstädtischen Selbstän-
digkeit bedauerten». Vgl. Strobel V. S. 411.
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Weiterung seiner alten Rechte, aber es fordert laut deren Er-
haltung. Die Nationalversammlung wird nicht wollen, dass die
Elsässischen Protestanten . . . die traurige Herabsetzung einer
weniger privilegierten Sekte in derjenigen wichtigen Epoche
erhalten, wo sie dem staunenden Europa angekündigt hat, dass
der Franzos frei ist ! . . .
«Sie glauben sich daher berechtigt zu fordern, . . . dass
man in dem Artikel der Verfassung des Staats, welcher von
der Religion in Frankreich handeln wird, von keiner herrschen-
den Religion rede ...»
Auch für den Elsässischen Handel ergriff Türckheim das
"Wort. Der «schaudernde Augenblick» war da, wo in dem
Strudel, den «das Zauberwerk eines Patriotismus» erregt hatte,
der jeder Ueberlegung ermangelte, auch seine Vergünstigungen
fallen sollten. Türckheim führt die einzelnen Zweige, besonders
den Tabak * an, und zeigt den von den Neuerungen zu er-
wartenden Schaden. «Die Erweiterung der Barrieres würde dem
Elsassischen Handel einen tödlichen Streich versetzen . . . Um
das Elsass in die grundlosesten Tiefen zu stürzen,
dürfte man ausser der Erweiterung der Grenzen an den Rhein,
nur noch eine einförmige Auflage errichten, um das Leere der
abgeschafften Salz- und Nahrungssteuer aus dem Inneren
Frankreichs auszufüllen . . .
«Da uns nichts hindert einmal aus freien Stücken diese
neuen Einrichtungen ... zu fordern ; warum wollen wir mit
übereilter Eile die Art zu leben und zu weben, die uns bisher
Wohlsein und behagliches Wesen die Fülle zusicherte, zerstö-
ren, ehe die neue Verfassung, die in Frankreich aufkeimen
soll, berechnet, berichtigt, bestimmt und durch das Gesetz ver-
ordnet ist ?» — Die vorstehenden für das Verhalten des Ma-
gistrats so bezeichnenden und dasselbe vielfach rechtfertigendem
Worte umfassen das Wohl und Wehe der ganzen Provinz. In
einen viel engeren Gesichtskreis tritt Türckheim mit dem Be-
gehren nach Erhaltung der hergebrachten strassburger Obrig-
keit zurück. Sie bewegt sich in den bekannten Gedanken und
Begründungen ; aber auch hier ist die Sprache sehr selbstbe-
wusst. (S. 104 fg.):
1 Den hieran zu erwartenden Verlust berechnet er auf 1 600 000
Livres; vgl. S. 96.
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— 131
«Wenn man darauf beharrte, ihre Verfassung umändern
zu wollen, ... so könnten ihre Deputierten niemals ihre Ein-
willigung dazu geben».
Endlich heisst es (S. 135) :
«Wenn man noch einen letzten Blick auf das Elsass und
vorzüglich auf das untere wirft, so wird man sich leicht über-
zeugen, dass es nicht als eine eroberte oder in das Ganze der
französischen Nation eingekörperte Provinz, sondern als ver-
schiedene, ehemals souveräne Staaten anzusehen sei, die frei-
willig die oberste Gewalt Frankreichs anerkannt . . . haben ; und
nur als solche erscheint die Provinz Elsass vor der ehrwürdigen
Versammlung der französischen Nation. . . . Das Volk, das
erwacht von seinem Freiheitsrausch, seine Beschwerden lästiger,
seine Auflagen grösser fühlen wird — schrecklich wird das
Erwachen sein, wenn es seine Stützen auf immer geraubt
sieht . . . ; wenn vielleicht der Feind in den Schoss seines El-
sässischen Vaterlandes dringt . . . Dann erst wird dem Elsässer
das zaubernde Blendwerk vor den Augen verschwinden h —
Aber fruchtlos war Türckheirns Schrift, vergebens sein
persönliches Eingreifen. Vor allem hatte er gegen den Abge-
ordneten von Colmar zu streiten, der «für alle radikalen
Massregeln, und der eifrigste Gegner der deutschen Fürsten»
war,1 und, wie wir gesehen, schon am 5. August ohne Pietät
und ohne Erbarmen» den Beschlüssen der National-
versammlung zugestimmt hatte. Am 8. war dann Türckheim
aufgetreten2 und hatte Ausnahmen, oder wenigstens Ent-
schädigung für die angegriffenen Rechte, die er ausführlich
darlegte, verlangt. Am 18. September aber war die Zustimmung
zu den Beschlüssen seitens des Königs verlesen worden^ und
Reubel ereiferte sich bei dieser Gelegenheit wiederum gegen
den Adel. Er sagle : «Meine Mitbürger sind so sehr verwachsen
mit diesem Beschluss vom 4. August, dass sie ihm durch nichts
mehr entwachsen können.» Einer der beiden Strassburger,
wohl zweifellos Türckheim,* erwiderte ihm um vor Uebereilung
1 Rathgeber a. a. 0. S. 217 fg.
8 Vgl. Moniteur. I. S. S92 u. 311; n. Pfannenschmid,
a. a. S.O. 197.
3 Vgl. Ai ch. pari. IX. S. 28. fg.— Renss, l'Als. S. 183 fg.
4 In den Archives pari. IX. S. 35 ist nach «Rewbell's» Rede
die Entgegnung eines M*** angeführt ; dies dürfte wohl Türckheirns
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zu mahnen. Trotzdem war die Veröffentlichung der königlichen
Zustimmung beschlossen worden.
Daraufhin verlangten die Deputierten eine formliche Er-
klärung über die endgiltigen Ansichten des Magistrats. Derselbe
schritt daher zu einer letzten Erklärung,» die, aus 7 Artikeln
bestehend, am 10. Oktober der Nationalversammlung wirklich
vorgelegt ward. Die Verhandlungen, die darüber in Strassburg
gepflogen wurden,* sind von besonderem Interesse, weil sie
zeigen, wie teilweise in die Bürgerschaft das Gefühl einge-
drungen war, dass man «die Verfassung selbst verworfen und
wider Pflicht und Eide gehandelt» habe, indem man der Ab-
gabenfreiheit entsagte und auch durch die Magistratsänderung
von der Kapitulation abgewichen war.
Die Erklärung selbst «huldigte dem Patriotismus der National-
versammlung, der sie bei ihren Beschlüssen vom 4. August ge-
leitet hatte», gab aber zu förmlichem Vorbehalt die wichtigsten
der von Türckheim behandelten Rechte an. «In der Meinung
wahrscheinlich, sagt Engelhardt, 8 dass wenn sie viel begehrten,
man ihnen doch etwas zugeben würde.» Merkwürdig, bis zu
welchen Mitteln man schliesslich griff 1 «Wenn die Stadt auch
vergessen wollte», so heisst es u. a., «dass der Staatsverfassung
des deutschen Reiches an der Erhaltung der von fremden
Mächten garantierten Traktaten höchlich gelegen sei, so würde
dennoch die Commune auf diesen vorbehaltenen Gerechtsamen
und ihrer Gewährung bestehen», u. s. f. In Versailles nahm
man die Erklärung sehr übel auf. «Ich möchte ihnen nicht
verheimlichen», schreibt Schwendt,* «dass die Ausdehnung
ihrer Vorbehalte ... zu einigem Murren veranlasst hat; in-
dessen ist keine Bemerkung laut geworden, die mich ge-
zwungen hätte, sie zu verteidigen». Darin, dass am 20. Sep-
Antwort sein, von der die Deputierten (vgl. Rens 8, l'Als., S. 183)
sagen : «L'un de nous se proposait de lui [Reubel] repliquer». Der
Schluss derselben entspricht ganz dem Geist der Türckheim' sehen
Schrift: «aurait-on fait trop de bien ä la fois, et pourra-t-on le re-
aliter sans prodoire an grand bouleversement?>
1 Vgl. Arch. pari. IX. S. 404. — Renas, l'Als. S. 197 fg. und
«Obser vatio n 8 pour la ville de Strasbourg sur l'objet de l'organi-
Bation des municipalites da Royaame», 1789, von Schwendt
2 Vgl- Schöffenmemorial vom 1. Okt.
s Bei Strobel, V S. 368.
* Vgl. Reu s s, l'Als. S. 214.
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133 -
tember die Nationalversammlung die Eintragung ihrer Beschlüsse
verordnet hatte, lag für Strassburg noch kein Grund nachzu-
geben. «Wir sehen voraus, schrieb die SchöfFenversammlung
am 24. Oktober,1 dass nach diesem allgemeinen Beschluss auch
wir jene Mitteilung erhalten werden ; aber da die Erklärung
. . . die Aenderungen enthält, die wir für unsere Verhältnisse
für nötig halten, werden wir uns in Verlegenheit hinsichtlich
der Eintragung befinden ... Es hiesse die Wirkung, die wir
von der Erklärung erwarten, vernichten, wenn wir die be-
treffenden Beschlüsse ohne Aenderung eintragen würden».
Während sich so der Magistrat, unter fortgesetzten schrift-
lichen Ergebenheitsbezeugungen gegen den König und die Nation
im Kampfe mit beiden befand, hatte Türckheim auf dessen
Weiterführung verzichtet. Nachdem er schon am 4. August
über eine schwere Erkrankung geklagt, und am 22. September
seine Rückkehr wenigstens auf einige Zeit in Aussicht gestellt
hatte, sprach er am 24. schon von seinem Nachfolger2 in der
ehren- aber schreckenvollen Stellung, und bat um seine Rück-
berufung. «Ein mächtiger König,» sagt er, «würdig bewundert
zu werden von seinen Völkern, hat uns zusammen berufen, . .
heute hält die Nation die Zügel der Regierung in der Hand ;
ich habe nicht gegen ihre Macht gekämpft, ich konnte, ich
durfte es nicht. Bei Ihnen steht es, in Ihrer Weisheit abzu-
wägen, ob Sie Ihrem Wunsch Ihre Privilegien und Ihre Ver-
fassung opfern wollen.» Der Grosssiegelbewahrer forderte den
Magistrat zur Neuberufung der Repräsentanten auf, um den
Ersatzman für Türckheim zu wählen. Aber weil dieser seine
Absicht noch nicht klar ausgesprochen hatte, gab man ihm die
Erlaubnis der Nationalversammlung so lange fern zu bleiben,
als seine Gesundheit es erfordere. Nach dem «schreckenvollen
Tag» des 5. Oktober 3 und der «ihm folgenden noch grausameren
Nacht, in der nichts mehr heilig war,» vermochten ihn weder
die Aufträge seiner Mitbürger noch die Stimme des Gewissens,
1 Vgl. den Brief des Magistrats an Schwendt vom 24. Oktober
(Ges. Raths Prot. Fol. 239 fg )
2 Vgl. Reu ss, l'Alsace S. 186, 188, 193.
8 Vgl. Türckheim's «Bericht an die Gemeine von Strassburg
über die Lage der Nationalversammlung im Monat Oktober dieses
Jahres, als ioh dieselbe verliess.» 1789, Strassburg In französischer
Uebersetznng bei R e u s s, l'Als. S. 249 fg.
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- 134 -
«durch seine Gegenwart diese traurigen Auftritte stillschweigend
zu billigen,» und er benützte «den ersten Augenblick» zur Abreise
(9. Oktober), noch ehe die Gärung sie verhindern konnte. Er
überliess es Schwendt,1 die Fahne des alten Freistaats gegen
die neue Trikolore aufrecht zu halten, kehrte nach Sirassburg
zurück und nahm seinen Platz im Justizkollegium ein. Mehr-
fache Verdächtigungen aber trieben ihn dazu, sein Amt als
Deputierter sowohl wie als Ratsherr am 23. November ganz
niederzulegen,2 «in der traurigen Ueberzeugung, dass seine An-
strengungen fruchtlos gewesen». In seiner Rechtfertigungs-
schrift, worin er über die Thätigkeit der Strassburger Abgeord-
neten und die Lage der Nationalversammlung am 5. Oktober
berichtete, und die Gründe auseinandersetzte, die ihn neben
seiner Krankheit, deren Wahrhaftigkeit er beteuerte, zum Rück-
tritt bewogen hatten, legte er der Bürgerschaft sein Verhalten
zur Beurteilung dar. Der ganze Unmut eines Mannes, der das
Beste gewollt und nichts erreicht hat, als missverstanden und
angegriffen zu werden, spricht aus dieser Schrift. Daneben
zeigt sie, was die Versammlung hätte ausführen können, wenn
neben glänzenden und weitblickenden Rednern nicht eine
Menge von begeisterungswilden Radikalen und umsturzlustigen
Advokaten, sondern eine Schar wohlmeinender, ernst denkender
und nüchtern erwägender Männer, nach Türckheims Art, als
Volksvertreter verhandelt und gewirkt hätten.
Er schreibt unter anderem:
Strassburgs Abgeordnete glaubten, «dass sie zwar gute
Grundsätze immer eifrig behaupten helfen, aber eben nicht mit
besonderer Heftigkeit die bisherige Regierungsform, sondern
nur die Verwaltungsmissbräuche mutig angreifen, auch auf
Revolutionen, nach welchen der Nationalgeist so sehr dürstete,
eben nicht besonders dringen sollten. Dies war Ursache . . .
warum wir anfänglich . . . nicht ohne Not reden wollten, und
bei dem gänzlichen Mangel an Freiheit, die seit der Einführung
einer zügellosen Menge in unseren Saal ... es nicht mehr
ohne Gefahr konnten, und doch die trauüge Ueberzeugung hatten,
dass die Stimme der Mässigung fruchtlos sein werde . . .
1 Vgl. Reusa, l'Als. S. 210 u. 212.
» Vgl. Reuss, l'Als. S. 247 und Rathsprotokoll vom 23. No-
vember.
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n - - — -
- 135 —
Ich für mein Teil habe wohl 10 oder 12 mal das Wort
geführt . . . Unsere Eigenliebe war übrigens bei der gänz-
lichen Dunkelheit, worin man uns liess, gänzlich beruhigt . . .
Es war eine kleine Anzahl einverstandener Menschen, die, un-
bekümmert um ihre Aufträge und derselben nur spottend, in
wildem Sturmlauf alles niederrissen . . .»
Nach einer innigen Schilderung der «zum Erbarmen kraft-
losen» Lage des «stillleidenden» Königs und der gehässigen
Angriffe gegen alles, was unter den Begriff Aristokrat zu bringen
war, fährt Türckheim fort : «Diesen verhassten Namen hab'
auch ich öfters tragen müssen . . . Wie viel gegenwärtige
Zerrüttung und künftige Besorgnisse haben leider die allzu-
raschen Schlüsse unserer Nationalversammlung . . . erzeugt?
Ich will nur drei Hauptzüge berühren, die meine Abneigung
von den angenommenen Grundsätzen der Versammlung, sowie
meine Unthätigkeit seit etlichen Monaten rechtfertigen.» — Es
sind dies :
1. Die Versuche die Gewalt des Königs durch das suspen-
sive Veto zu beschränken. «Dies war gewiss nicht der Sinn
der Beschwerdenhefte, dass man dem König die Eigenschaft
eines ergänzenden Teiles der gesetzgebenden Gewalt absprechen
wollte.»
2. Die Verletzung des Eigentumsrechts. «Die unmittelbare
Folge der Annahme dieses Grundsatzes war, dass die Kapi-
talisten der Hauptstadt . . . gewonnenes Spiel hatten, um die
allzu zahlreiche Menge von Advokaten auf ihre Seite zu ziehen.
. . . Man wollte dies grosse Reich in volle Flammen bringen.
. . . Und war das alles nötig, um uns zur Freiheit zu führen?»
3. Die Abschaffung der Privilegien. Türckheim bemerkt
dazu : «Ich rüstete mich, um Gerechtsamen unserer Stadt,
sowie die besonderen Kenntnisse und ganz unbekannte Lage
unserer Provinz umständlich aufzuklären, und auf feierliche
Traktate und Friedensschlüsse zu berufen. Allein oft könnt'
ich aller Vorbereitungen und Anfragen ungeachtet nicht zum
Wort kommen ; und als ich endlich einmal die Kanzel bestieg,
um meiner Herren Rechte zu verteidigen,1 so wurd' ich so un-
günstig empfangen, so wenig angehört und von einigen Depu-
» Vgl o. S. 131. Anm 4.
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-136-
tierten der Provinz so unanständig unterbrochen, dass ich mich
selten mehr wagte, in dieser rauschenden Versammlung das
Wort zu führen. . . . Mein Name war nun verhasst, und ich
ward aus dem Grund unlhätig, weil man nicht begreifen konnte,
dass die Gemeine von Strassburg ... ein anderes Interesse
als die Sundgauer Bauern und ihre heftigen Stellvertreter
haben . . . Diese drei Punkte ... die meiner Ueberzeugung
schnurstracks zuwider liefen . . . hatten mein Herz tief ver-
wundet und meine Gesundheit geschwächt . . . Mein Entschluss
war, zu. Ende Oktober hierher zu kommen . . . Allein ein
neuer Zufall zerriss mein Herz, und nötigte mich, diesen Ent-
schluss früher zu bewerkstelligen.» Es waren die Ereignisse
vom 5. und 6. Oktober, die ihn aus Paris vertrieben. «Mein
Vorsatz, fährt er fort, war, Ihnen pflichtmässig zu sagen, dass
1. weder die Versammlung noch Ihr König mehr frei seien, . . .
2. dass die Regierungsform in Frankreich völlig geändert ist,
und also meine eidliche Verpflichtung, die mich kraft meines
Heftes zur Handhabung der monarchischen Konstitution bevoll-
mächtigt, aufhöre ... 3. dass Ihre Privilegien u. s. w. be-
droht und untergraben sind. . . .
Dies ist die traurige Lage, in der ich Versailles, das ehe-
dem stolze, nun tiefgebeugte Residenzschloss unserer Könige
verlassen habe.»
Trotz seines nicht eben rühmlichen Rückzuges, versuchte
der Magistrat ihn sich zu erhalten. Er aber war es über-
drüssig geworden, hinfällige Rechte länger zu verteidigen ; und
einer vollen Absage kam seine Erklärung gleich, er könne es
in's Auge fassen, im Dienst der Stadt von vorne wieder anzu-
fangen, — wenn Strassburg von den allgemeinen Gesetzen
ausgenommen werde. Aber eben dies hielt er für ausgeschlossen,
und legte am 2. Dezember seine sämtlichen Aemter nieder.
Eine so ernsthafte Spaltung trennte damals die Parteien
der Stadt,1 dass Türckheim es nicht wagte, seine Gründe münd-
lich darzuthun, sondern sie gedruckt verteilte, um durch seine
«in warmem Tone geäusserte Meinung» nicht einen Ausbruch
der Misstimmung unter den Bürgern hervorzurufen.
Neben dem beginnenden Zwist über die Annehmbarkeit
der Beschlüsse vom 4. August kam die Unzufriedenheit eines
i Vgl. Reusa, l'Als. S. 182. Anm. 1. undStrobel V. S. 371.
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— 437 —
Teiles der Burger mit dem neuen Magistrat zum Ausdruck.
Schon der «Zundelpatscher» hatte im März gewarnt : «Setzt
die einen ab, wählt die anderen, so könnt ihr sicher glauben,
. . . dass diesen ihr neuer Stand in kurzer Zeit ebensoviele
Fehler, euch ebensoviele Veranlassungen zu Beschuldigungen und
Vorwürfen geben wird, als wie bei jenen.» Das war nun thatsäch-
lichder Fall, aber «das feste und kluge Benehmen des königlichen
Kommissärs, sowie der . . . gemässigte Geist der grossen
Mehrzahl der Bürgerschaft trugen viel dazu bei, heftigere Aus-
brüche der gereizten Leidenschaften zu hindern.»1
Auch die Verkündigung des Martial-Gesetzes, die nach dem
Vorbild der Hauptstadt mit grossem Gepränge vor sich ging,
konnte ihre Wirkung nicht verfehlen.« Am 27. November
durchmass der düstere Zug die Stadt.
Das Martialische Gesetz und die übrigen Schlüsse der
Nationalversammlung wurden dem Magistrat stets amtlich durch
den Kriegsminister oder durch Necker zur Eintragung über-
sanit. Denjenigen des August versuchte der Magistrat, wie
wir sehen, zu widerstreben. Aber Schwendt hielt für gut, sie
doch in die Rollen aufzunehmen,** da er selbst keinen Ausweg
mehr sah, die Vorrechte zu wahren. Dennoch hielt er aus,
und versprach allen Vorschriften des Magistrats genau zu
folgen, wenn er sie auch als verfehlt ansah.* Er that sein
Möglichstes, und legte am 40. November eine Note* bei dem
für die Feudalrechte ernannten Ausschuss nieder, zugleich mit
der schon früher abgegebenen Erklärung der Stadt. Er bean-
spruchte darin völlige Gleichberechtigung Strassburgs vor allem
mit dem Bischof, was man ihm im Magistrat sehr übel nahm, 6
1 Strobel V. S. 372 fg., und die Verordnung, die zur Anzeige von
Friedensstörern auffordert (30. Oktober), bei Renss, l'Als. S. 230 fg.
2 Vgl. Gesamten Raths Protokoll vom 27. November. — Renss,
l'Als. S. 221. 226. — Auch Schnbart, a. a. 0. S. 841 u. 842. —
Strobel V. S. 391 fg.
3 Vgl. den Brief vom 1. November bei Reuss, l'Als. S. 234 n. fg.
4 Spach, F. de Dietrich etc. a. a. 0. S. 532 sagt : «M. de
Schwendt etait nn esprit chagrin, dispose ä ne voir que le manvais
cöte de choses, et ne risquant gueres de se tromper en face de la
desorganisation generale. II avait et6 au point de jeter le froc aus
orties, et de partir pour l'Amerique avec M. de Lezay-Marnesia».
* Vgl. Reuss, l'Als. S. 239 u. 242.
6 Vgl. Ges. Raths Prot, vom 17. Nov. Reuss, l'Als. S. 212,
235, 236, 237. Anhang Nr. 21.
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— 138 -
besonders, da es in dem ungünstigen Augenblick geschehen
war, wo die geistlichen Güter zum Eigentum der Nation er-
klärt wurden. Zwar ward in demselben Briefe Schwendt's auf
die Einteilung des ganzen Reichs in Departements sowie den
sofortigen Beginn der Verhandlungen über die Munizipalitäten
hingewiesen, und der Magistrat halte sich sagen können, dass
nunmehr alles vergebens war. Aber noch sah ein grosser Teil
desselben mit bangen Hoffnungen auf Schwendt.
Als dieser am 25. November die Versammlung betrat, fand
er sie bereits eröffnet. Er bestieg die Rednerbühne,1 und ver-
langte die Erhaltung des Magistrats. Die Abgeordneten des
Elsass bekämpften ihn, und Lavie erwiderte ihm, «alle Ein-
wohner Strassburgs wünschen im Gegenteil die Unterdrückung
einer so fehlerhaften Obrigkeit». Schwendt beruhigte sich dabei
nicht. Er verlangte, dass über Strassburg zunächst nichts be-
schlossen werde, und dass er dem Ausschuss die Verfassungs-
verhältnisse der Stadt vorlegen dürfe; auch verwahrte er sich
gegen die FJinmischung der elsässischen Abgeordneten in strass-
burger Angelegenheiten. In ähnlicher Weise verwandte sich
der Abbe d'Eymar, dem Reubel widersprach, für Colmar. Schliess-
lich ging die Versammlung zur Besprechung der einzelnen
Artikel über. Dennoch wandte sich Schwendt noch an die für
die einzelnen Privilegien zuständigen Ausschüsse.
In Strassburg schmeichelte man sich, noch einiges durch
die Absendung eines zweiten Abgeordneten zu erreichen. Die
meisten Repräsentanten hielten sich jedoch nicht mehr für
wahlberechtigt und wollten die Entscheidung in Versailles ab-
warten. In der Bürgerschaft begann man also diese Autorität
anzuerkennen. Der Magistrat aber stand solchen Ansichten
noch schroff gegenüber. Wir erkennen es aus dem Protokoll
eines s. Z. zur Abfassung der Erklärung eingesetzten, noch zu
Anfang Dezember bestehenden Ausschusses.2 Da will einer
«steif» auf der Verfassung bestehen; andere nennen die Gleich-
» Vgl. Aich. pari. X. 253. — Einleitung zu Schwendt's Ob-
servations. — Anhang Nr. 22. Schwendt legt die in den Archives
Lavie zugeschriebene Erwiderung Reubel in den Mund. Vgl. An-
hang Nr. 22. — Spach, F. de Dietrich etc. a. a. O. S. 530 verlegt
es irrig auf den 20. Dezember.
2 Vgl. Acta der allg. Schöffenversaramlung 1789. 1790.
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— 139 —
Stellung aller Gemeinden Frankreichs «einen grossen und er-
habenen Gedanken,» trotz dessen sich aber Schwendl an seine
Erklärung zu halten habe. «Wir sollen, rief Metzler aus, Sitten,
Charakter, Sprache, lauter Vorteile aufopfern, uns ganz ver-
läugnen, und den Inwohnern des inneren Frankreichs ganz
gleichstellen?» Und trotzdem die neue Richtung so manchen
offenen Anhänger hatte, schlug M. Zäpffel vor, die ganze Ge-
meinde zu vernehmen, und sich an den König zu wenden, um
«flehentlich» die Erhaltung zu erbitten. Man müsse auf der
Kapitulation bestehen (1. Dezember).
Aber am folgenden Tag ward in einem Briefe Schwendt's
verlesen, dass das neue Gesetz über die Munizipalitäten sich
einförmig auf alle Städte ohne Ausnahme erstrecke, und es
kein Mittel gebe, sich dem zu entziehen.1 Fischer wollte noch
Beständigkeit für die Verwaltungsglieder erbitten; für die Richter
verlangte er sie nicht mehr.
Nun erhob sich Dietrich, und hielt eine längere Rede,2 die
ein gewisser sieghafter, aber auch ein mitleidig verächtlicher
und gänzlich neuer Ton durchzieht. Es ist, als habe der
Kommissar nur auf diesen längst vorhergesehenen Augenblick
ratloser Nachgiebigkeit des Magistrats gewartet, um durch sein
Wort Strassburg in die Arme der französischen Nation zu
führen.
«Werden Sie sich,» so rief er, «an den König und an die
Nationalversammlung wenden, oder werden Sie sich endlich
darauf beschränken mit Ergebung die Beschlüsse der National-
versammlung anzunehmen? . . . Konnten Sie sich ernstlich
schmeicheln, dass [Ihre Vorrechte] davon ausgenommen würden?
Die Aufträge, Sie können es nicht läugnen, haben Ihre Depu-
tierten zu Vertretern der Nation gemacht. Sie erlaubten Ihnen
nicht mehr, sich zu isolieren.»
Er stellte vor, Strassburg als Departementshauptstadt werde
der Sitz eines Hohen Gerichts werden, und wies die Befürch-
tungen wegen der Beeinträchtigung der Protestanten unter
Namhaftmachung des protestantischen Necker u. a. zurück.
1 Vgl. Schwendt's Brief an den Magistrat vom 27. November.
Original im Ratsprotokoll, 2. Dezember.
2 Im Druck trägt sie das falsche Datum des 1. Dezember. Es
fand aber nur am 2. eine Schöffenversammlung statt.
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140
«Man hat einen ausserordentlich beleidigenden Gedanken gefasst,
indem man die Möglichkeit anzunehmen wagte, dass Katholiken
oder Protestanten sich zusammenthun würden, um von den
öffentlichen Aemtern die Mitglieder der einen oder anderen
Religion auszuschliessen . . . Ich werde mich über einen so
empörenden Gedanken nicht weiter auslassen.»» Ueber die
Ständigkeil der Verwaltungsbeamten und die Zukunft der Zünfte
tröstete er die geängstigte Obrigkeit, der er versicherte, sie
habe eigentlich gar keine wirklichen Verluste zu besorgen. Der
Magistrat schwieg sich aus. An Schwendt schrieb er,* wie
sonderbar es doch sei, dass trotz der durch die Menschenrechte
errungenen Freiheit der Bürger, die Strassburger sie nicht ge-
messen sollen.
Schwendt konnte nur noch der Hoffnung Ausdruck geben,
dass die gefürchtete Rheingrenze nicht werde hergestellt werden.
Alles andere war verloren. 3
Die Beschlüsse vom 25. Dezember über die Anerkennung
aller Konfessionen gaben Dietrich recht. Dass die Elsässischen
Abgeordneten, darunter Schwendt, gegen die Gleichberechtigung
der Juden Einspruch erhoben, beachtete man nicht. Darauf
folgte die Festsetzung der Departementsgrenzen. Der Magistrat
schickte sich darein.
Der letzte Seufzer der hinsterbenden reichsstädtischen Eigenart
Strassburgs klang aus in dem Wunsch, die deutsche Mutter-
sprache als Amtssprache zu behalten.*
Die unanfechtbare Entscheidung brachte aber erst am
2. Januar eine weitere Rede Dietrichs,5 worin er das Verlangen
der Zunft «zur Lucern», das sich gegen die sofortige Eintragung
1 Dass die Konfession eines der Haupthindernisse für den poli-
schen Anschluss der Protestanten Strassbnr gs an Frankreich w ar,
geht besonders dent lieh aas dem «Patriotischen Wochen-
blatt > (Beil. zum 2. Stück, 15. Dez.) hervor.
2 Am 5. Dezember (vgl. Protokoll) ; z. Tl. abgedruckt im Anhang,
Nr. 23.
3 Vgl. Reu ss, l'Als. S. 279 u. 278. Schwendt war der Einzige
von allen Deputierten gewesen, der gegen das Munizipalgesetz Ein-
sprach erhoben hatte.
* Vgl. Ges. Raths Prot, vom 28. Dez. Anders das Schöffen-
kollegium. Hier war noch am 2. Januar 1790 aus Fischers Mund
der Protest zu hören, dass die Stadt nicht auf ihre Vorrechte ver-
zichtet habe!
» Vgl. Anhang Nr. 24.
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— 141 -
der Beschlüsse über die Munizipalitäten wendet, geradezu als
gefährlich bezeichnet, jeden weiteren Zweifel als ein Verbrechen
brandmarkt. Das bisherige Verhalten Strassburgs gegenüber
den Beschlüssen der Nationalversammlung sei nicht danach an-
gethan, sich ihnen jetzt nicht fügen zu wollen.
«Verbreiten Sie, so rief er aus, mit Verschwendung die
heilsamen Gesetze, die sich Schlag auf Schlag folgen ; möchten
alle unsere Einwohner davon durchdrungen werden. Klaren
Sie sie auf. Das ist die Mitteilung, die Sie ihnen schulden !»
So redete derselbe Mann, der am 11. Juli versprochen
hatte, die alte Verfassung seiner Vaterstadt zu schützen. Am
18. März 1790, an dem «Totenfest einer glänz- und ruhmvollen
deutschen Vergangenheit» war er Maire von Sirassburg. i
Er, der äusserlich bescheidene und stets zum Rücktritt be-
reite Diener seines Königs, der kluge Berater des Magistrats
und der würdevolle Freund der Bürger, zwischen Beiden der
nirgends anstossende Vermittler, ward mit dem Posten betraut,
den er, wo nicht von Anfang an erstrebt, jedenfalls nicht un-
gern angetreten, aber auch mit dem Leben bezahlt hat. Die in
den früher gekennzeichneten Pamphleten« gegen ihn ge-
schleuderten Verdächtigungen ermangeln allerdings des Be-
weises. Dennoch würde die moralische Würdigung Dietrichs
nicht eben zu seinen Gunsten ausfallen, wollte man sein wider-
spruchsvolles Auftreten, und das Bekennen seiner wahren Ueber-
zeugung erst im gefahrlosen Augenblick, an sich beurteilen.
Auf jeden Fall wird man in Betracht ziehen müssen, wie die
Verhältnisse und Vorgänge der Zeit auch auf diesen hoch-
und vielseitig gebildeten Mann gewirkt haben mögen. Es ist
nicht ausser acht zu lassen, dass er durch seinen langen Auf-
enthalt in Paris und den Verkehr in der dortigen vornehmen
Gesellschaft, man möchte sagen, mehr französisch geworden,
als so viele seiner Mitbürger es waren. Daher konnte er auch
der ganzen Bewegung von höherem Gesichtspunkte aus folgen,
als diese, und begreiflicherweise mit besserem Verständnis für
das Wesen der Nation und ihre Wünsche durchschauen, dass
es für sie kein Aufhalten, für Strassburg kein Widerstreben
mehr gab. Wie den Adel nach dem 4. August, mag auch ihn
i Vgl. Strobel V. 408 fg.
s Gräuel der Verwüstung und Räuberbande.
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- 142 -
der Drang der Anpassung an das Ganze erfasst haben, was
ihn dann in Widerspruch mit seiner zuvor geäusserten Absicht
setzte, und ihn dazu brachte, nicht ohne Spitzfindigkeiten,
seine Mitbürger an der Berechtigung ihres Widerstandes irre
zu machen. Es Hess ihn vergessen, dass die Kapitulation ein
völkerrechtlicher Vertrag war, dessen Bestimmungen durch die
Gesetze der Nationalversammlung nicht berührt werden konnten,
und deren Kontrahenten sich diesen Gesetzen keineswegs fügen
mussten, der französische König ebensowenig wie seine freie
Stadt Strassbarg. So aber verliess Dietrich den Standpunkt,
dem er ursprünglich entwachsen war und wo seine einfluss-
reichsten Mitbürger, wohl auch sein Vater noch standen, nämlich
den der Verteidigung der Rechte der Stadt bei Aufrechthaltung
loyaler Gesinnungen gegen den französischen König.
Noch mehr der Feinde als vordem musste ihm sein
späteres Vorgehen erwecken. Und die Treue, womit er an der
von ihm verteidigten neuen Konstitution hielt, sowie der Um-
stand, dass er dies auch in seiner Stellung als Oberster in der
Gemeinde äusserlich durch seinen Beitritt zum Club der Kon-
stitutionsfreunde kundthat, gab ihnen Gelegenheit, sich an ihm
zu rächen : er starb auf dem Schaffot.
So blieb er seinem Enthusiasmus für das Neugeschaffene,
wie so viele Franzosen und auch so mancher bedeutende
Deutsche im Innersten davon ergriffen, treu, wenn man auch
nicht .sagen kann, dass er seiner Vaterstadt in jeder Hinsicht
einen Dienst mit seinem Vorgehen geleistet hat.
Wir haben gesehen, dass die alten Zustände in Strassburg
auch Schäden aufwiesen, welche die heftigen Auftritte und die
schwache Widerstandsfähigkeit gegen das herandringende Neue
begreiflich machen. Deutlicher aber als zu irgend einer Zeit seit
der Vereinigung mit Frankreich trat der Hang zur Selbständig-
keit in dem Jahre, dessen Verlauf wir hier gefolgt sind, hervor.
Schärfer als Türckheim es öffentlich in seinem «Staatsrecht»
gethan, konnte der Wunsch nach Bewahrung der verbrieften
Rechte nicht geäussert werden, und doch wurde diese Schrift
auf Kosten des Magistrats gedruckt. Und dass die darin aus-
gesprochenen Befürchtungen nicht ungerechtfertigt waren, be-
weist die Reue, die den seine Vaterstadt liebenden Strassburger
alsbald ergriff, als die veränderten Verhältnisse in ihren Wir-
kungen fühlbar wurden.
Google.
- 143 -
Dass Vieles davon unzweifelhaft praktischen Wert für
Strassburg hatte, ist nicht zu bestreiten. Die Aufgabe der her-
gebrachten eigentümlichen Verwaltung und Rechtsprechung,
sowie der «Steuerfreiheit» zu befürworten, mochte man immer-
hin zum Lobe Dietrichs als Triumph des bon sens rühmen.1
Die Uebertragung der Departementseinteilung jedoch, d. h.
die Einbeziehung der bisher selbständigen Verwaltung der Stadt
in die des ganzen Königreichs, und vor allem das Bestreben,
die ihren Handel und Gewerbe berührenden Veränderungen
zu verteidigen, war einseitig, und man wird es nicht als
kräftige Befürwortung der städtischen Interessen bezeichnen
dürfen. Auch trat in den beteiligten Kreisen in der That rasch
genug die Ernüchterung ein. Wir erkennen dies aus einem
Schriftchen jenes Th. Fr. Ehrmann aus dem folgenden Jahre
1790,2 das besonders Strassburgs materielle Lage unter den
neuen Verhältnissen bespricht. Der Verfasser sagt u. a. :
«Strassburg war vor der Revolution ein blühender Handels-
ort .. . Was sollte man nicht hoffen dürfen jetzt, da aller
Zwang bürgerlicher Nahrung aufhört und jeder treiben darf
und treibt, was er will? ... Ich fange aber beinahe an, alle
meine grossen Hoffnungen und die zuversichtliche Meinung,
die ich von dem dermaligen Glück hatte , aufzugeben. — Der
Handel leidet hier im allgemeinen Stockung ... das baare
Geld ist verschwunden . . . der Kredit der besten Häuser
wankt; der Kaufmann findet für seine Waaren keinen Absatz.»
— «Nur der Patriotismus verhindert augenblicklich das Einsehen
des grossen Schadens.» — «Nicht der Handel allein aber hat
den schrecklichen Stoss erlitten. Alle anderen bürgerlichen
Geschäfte fühlen ihn mit . . . Mit einem Wort, alles bürger-
liche Gewerbe liegt dermalen hier in den letzten Zügen.» —
Dies könnte man ja wohl auf die allgemeine finanzielle Not
zurückführen. Aber es folgen die, des Magistrats Besorgnisse
glänzend rechtfertigenden Worte: «Der Handel ins Ausland ist
gehemmt und der Speditionshandel rnuss ganz vernichtet werden.»
Das war die Folge der Aufhebung der Privilegien, der Kapi-
tulation : «Strassburg war doch unter der vorigen Konstitution
1 Spach, F. de Dietrich a a. 0. S. 531.
2 Briefe eines reisenden Deutschen über das Elsass. 1790.
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reich und blühend, und wird sich bei der neuen schwerlich im
gleichen Zustand erhalten./) —
Die schwierigen und wichtigen Fragen, die sich hier auf-
drängen, sind nicht durch die Betrachtung der Geschieh te des
Jahres 1789 allein zu beantworten. Aber einen Beitrag- dazu
liefert wohl das Studium der Quellen, die hier auszugsweise
mitgeteilt worden sind, und von denen besonders wichtige, die
noch nicht veröffentlicht waren, im Anhang wörtlich wieder-
gegeben werden.
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Anhang.
Schriftstücke und Auszüge aus solchen, dem
Strassburger Stadt-Archiv entnommen.
(Die Rechtschreibung ist besonders bei den in den Protokollen ent-
haltenen Abschriften der Originale, vor allem in bez. anf die Ac-
cente, sehr mangelhaft. Ich habe mich bemüht diese Unebenheiten
auszugleichen, besonders Bezeichnendes aber buchstäblich mit
übernommen).
I.
Brief Dietrichs an den Magistrat.
Paris, le 23. fevrier 1789.
Messieurs.
J'avais engage mon pere ä vous rassurer sur les inquiätudes
que vous paroissies avoir au sujet de la representation de la ville
aux etats-generaux : je lui avois marquö, Messieurs, que s'il y avoit
la plus legere apparence de changement aux dispositions qui avoient
ete faites en ma pr6sence, je veillerois ä ce que vous fussies aver-
tis ä temps. Je pense, Messieurs, ne pouvoir mieux faire, que de
voua adresser un exemplair (sie) du reglement qui vient de paroitre ;
c'est en ma presence qu'a ete fermee et remise du courrier la lettre
que le Roi vous 6crit en cons6quenoe de ce reglement : eile a 6te
envoyee hier apres mid* ä M. le Marechal de Stainville pour vous
10
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- 146 —
la faire passer. Je n'ai pas voalu quitter Versailles sans avoir ete
temoin de l'expedition de cette lettre, afin de pouvoir vous tran-
quilliser complettement.
J'ai l'honneur d'etre avec respect et an entier devouement,
Messieurs,
votre tres humble et obeissant serviteur
le Bon de Dietrich.
II.
Der Hagistrat an Puysegur.
(Nach dem Entwurf.)
Paris, le 12. mars 1789.
Monseigueur.
La distinction d une deputation directe aux Etats-generaux
accordee au Tiers Etat de cette ville, lui präsent a la verite la voie
du scrutin pour l'61ection de ses deputes; mais cette circonstance
paralt d'autant moins un motif d exception sur l'objet du suffrage
conservS aux officiers mnnicipaux, qu'elle assure d'avantage par la
nation m£me la libert^ de cette 61ection et que d'ailleurs la faveur
obtenue par la Tille de Strasbourg de l'envoy direct de deux depa-
tes se trouve compensee pour les autres villes du Royaume par le
plus grand nombre de leurs deputes aux assemblees des Bail-
lages.
Le nombre des assesseurs du Tiers Etat en nos assemblees or-
dinales etant de 42, il nous a paru trop considerable en proportion
de 140 ou löO deputes qui par apercu nous viendront de la part
des assemblees partielles indiquees, et nous avons cru devoir donner
Texemple de renoncer ä tonte distinction ä cet egard et pouvoir
espoir de la confiance de nos citoyens l'occasion de concourir a ce
que l'interet de la chose publique pourra exiger.
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— 147 -
III.
Der Magistrat an Gerard.
(Nach dem Entwurf.)
Strasbourg le 25. mars 1789.
Monsieur.
Induit en erreur et excitä par plnsieurs Berits et imprimäs ano-
nimes repandus sourdement, le gros de la Bourgeoisie s'est livre ä
un premier mouvement de mäfiance et d'insurrection, qui a presque
g6neralement opere l'exclusion des Magistrats des Echevins et de
tont ce qui n'appartenait pas aux corps de metiers. Le eboix n'a pas
repondu dans toutes les assemblees ä la confiance que nous avions
cru pouvoir leur temoigner, ni m&me aux bons avis anxquels nous
nous etions bornes sur l'objet de l'alternative, et nous ne sommes
pas sans inquietude sur les intentions personnelles peut-etre peu pa-
triotiques de Tun ou l'autre des däputes 61us ....
Vous serez sans donte 6tonn6s, comme nous l'avons 6te nous
memes, de voir a la tete des deput6s de la manance M- le Baron
de Klinglin, Lieutnant du Roi ; non seulement il a aeeeptä la depu-
tation, mais il se trouve aussi aux membres des commissaires pour
la redaction du cahier general, et parait donner la plus grand at-
tention ä cette mission ainsi qu'ä tout ce qui pourrait lui concilier
les suffrages lors de l'election definitive. Nous devons nous abstenir
de tonte räflexion ä ce sujet.
Les 126 deputßs du tiers tous presque ä Passemblee, ont pr6t6
le serment nöcessaire de proceder fidelement tant ä la redaction du
cahier que en suite ä l'election definitive des deputes aux etats-g6n6-
raux comformement aux reglements.
Quant aux Commissaires nommee pour preparer cette redaction,
il en a et6 deliberä, et au lieu de les choisir par des elections ge-
nerales sur la totalite de l'assemblee, la majorite des opinions s'est
reuoie a laisser aux deputes de chaque tribu ou assemblee parti-
culiere de nommer un d'entr'enx pour assister ä lad. redaction pr6-
liminaire et denx deputes pour les tribus qui en raison de leur plus
grand nombre de tributaires se trouvaient avoir six representants ou
au dela.
11 en a r6sult£ une commission de 32 persönnes dont vous trou-
verez egalement la liste ci jointe.
Ce sont encore les deputes tires des corps de metiers qui ont
fait la loi ä cet egard contre le voeu des plus eclaires qui auroient
preferä une election commune et libre de commissaires pour lad.
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— 148 —
rSdaction Le meme esprit de mäfiance paroit donc avoir gnide" sur
le choix de cette commission.
IV.
Die Deputierten an die Kammer der XHIer.
Versailles le 9. May 1789.
Messieurs,
Nous nous sommes rendus ä Versailles le 26. pour faire notre
cour aux Ministies et prendre possession du quartier que nous y oc-
cupons. Nons y apprimes qne l'onvertnre des Etats-gäneraux etait
retardee de hnit jours, et qne le costnme assigne anx trois ordre«
annon^ait ponr le tiers-ätat nne distinction entre les gens de robe
et les antres dSputes, en conservant aux premiers )a robe Nous
crümes devoir repi6senter ä M. le Marquis ds Breze, grand maitie
des ceiämonies, qne les Magistrats de la Ville de Strasbourg, juges
des habitans tant au civil qu'au criminel, et formant a raison de
leur capitnlation nne mnnicipalite uniqne daus le Royaume, avaient
un costnme particulier et desiraient le conserver, puisqu'ils ne por-
taient pas de robe, quoiqu'appartenant ala Magistratnre. Cette recla-
mation jointe k celle de la ville de Lyon et ä quelques antres parait
avoir influ6 sur le changement publie par l'ordonnance dn Roi da 1 ...
par laquelle Sa Majeste a annonce, que däsirant connaitre les depu-
tes aux Etats-gen6raux, ils devaient se faire inscrire chez M. de
Breze1, et qne le costnme dn tiers-6tat serait uniforme pour tous
ses döputes, habit complet noir, mantean court de soie ou voile, cra-
vate de mousseline et cbapeau retrousee (sie) des trois cötes sans
gauce (sie) et bouton.
La Präsentation eut lieu le samedy 2. May. Par erreur la ville
de Strasbourg avait 6te oubliöe sur la liste et nous avons appris
depnis que cette erreur est provenue de ce que le Roi, ayant decidä
qne Tordre des provinces nouvelles serait observä d'apres la datte
(sie) des r£unions : on avait class6 Strasbourg en 1681, apres la
Flandre et Franche-Comte* et que sur les observations des bureaux,
que cette ville appartenait ä TAlsace, on l'avait ränge sans rera-
placement.
1 27. April. Vgl. Moniteur, Introduction S. 616.
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— 149 —
Comme on voulut nous ranger apres les dix villes de la pre-
fecture dejä precedees par les deputes du plat pays ; nous suivtmes
sans le savoir la premiere determination, et pour ne pas porter pre-
judice au rang, qui nous semblait dü ä la capitale, nous laissämes
passer les provinces reunies par la paix des Pyrenees et de Nimvegue
et marchämes immedial ement avant la Lorraine.
Nous crumes au retour devoir protester entre les mains de M.
de Breze, et demander qu'on reglät notre rang, et nous remimes le
lendemain ä M. le Comte de Puysegur en main propre la note, dont
nous joignons copie. Le Ministre nous promlt d'y faire attention:
Tan de nous en parla longtemps ä M. de Campi, que nous trouvämes
en general dispose ou ne pas plus favorablement, pour la ville, et
eut occasion de conferer le soir avec M. Lessart Charge du rapport
au bureau des Etats-generaux, qui nous opposa le principe adopte
par le Roi, et la datte posterieure de notre reunion
Le lundy se fit la procession avec toutes les solemnitea: la
nation fut entonree ce jour et le lendemain de tont l'eclat du tröne.
11 est inutile de vous en marquer les details, que vous aurez deja
vu consignes dans les papiers publics: mais nous esperons pouvoir
joindre a cette lettre les discours prononces le 1er jour par Monsieur
l'Eveque de Nancy, et le second jour par le Roi et les deux Ministies.
Celui du Roi fut debit6 avec autant de noblesse que de bonte: on
n'en perdit pas un mot dans tous les coins de la salle qui contenait
de cinq mil ämes.
A la procession le tiers-etat n'eut point de rang et demanda ä
y aller sans appel, comme citoyens d'nne raerae famille, mais le
lendemain le heraut d'armes appela encore les villes cy-devant im-
periales apres les baillages Nous avions prepare de la veille une
protestation nouvelle, dont nous joignons egalement copie. Nous
n'avons pu en faire usage, vu la Separation des ordres et l'inaction
de celui du tiers, qui ne cessera gueres que la semaine prochaine,
si le genie tut^laire de la France et celui de la concorde nous
rallient.
Nous serions bien aises, Messieurs, de seavoir ce que vous pensez
du principe que nous y avons depose. apres une conf6rence de la
veille avec une personne de ce pays le plus instruite en matiere de
droit public de l'empire en general. et de notre province en par-
ticulier.
Ces prineipes tendent k etablir, que la Suprematie ou le supreme
domaine de TAlsace entiere avait ete cedee au Roy par la clause
ita tarnen de la paix de Vestpbalie, que la superiorite territoriale
seule avait rest6e entre les mains des princes seigneurs et villes de
l'Alsace a l'exception patrimoniale de la maison d'Autriche, cädees
par la raerae paix a la France comme propri6te: que les arrfcts des
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chambres de reunion ainsi que les capitulations particulieres,
notamment Celles de Strasbourg, n'avaient ea poar bat et objet,
que de revendiqaer de la superiorite territoriale, que le Roi avait
jug6 incompatible avec la sou verainet6.
Si cette distinction, Messieurs, paralt senle propre d'un cöte ä
justifier les reunions subsequentes qui sans eile porteraient le carac-
tere de la violence et de l'injustice: d'un autre notre ville poarrait
y gagner un Palladium plus assure de ses franchises et libertes,
puisque la capitulation a ete si souvent attaquee par les intendants
et chefs de la Cour souveraine comme une capitulation bourgeoise
semblable & celle de Lille, qui a ete tant enfreinte; et meme comme
un titre affaibli par la paix de Rysvick, qui a prononce la renon-
ciation finale de l'Empire sur Strasbourg, et que moyennant cette
distinction, qui de fait existe encore de nos jours pour les etats
d'empire relativement a lenr liaison envers le corps germanique et
son chef, la Suprematie ou souverainete sur les deux Landgraviats,
par lesquels les negociateurs de la France, lors de la paix de
Vestphalie ont certes entendu l'universalit6 des etats mediats et
immediats de la province, qui se trouvent dans son enclave, appar-
tenait ä la France par les § 73 et 74 et la clause ita tarnen du
§ 87; mais que celle-cy s'est formellement engagee par l'article
teneatur du meme traite, dans lequcl eile est partie contractante,
de conserver Timmediatete et le plein exercice de la superiorite
territoriale aux etats cy-devant d'Empire en Alsace, notamment a
Strasbourg: qu ainsy les droits et Privileges de cette derniere Ville
reposent suivant cette doctrine sur une double base: sur la paix de
Vestphalie, qui est un traite de pacification du droit des gens et sur
la capitulation, qui doit l'etre consideree comme loi publique et con-
stitutionelle d'Alsace.
C'est d'apres ces principes, Messieurs, que nous comptons d^fendre
avec energie et courage les droits et interets de la ville, si comme
il est ä craindre, on venait ä les attaquer, et reclamer toujours en
derniere analyse Intervention du Ministere, seul competent pour
interpreter les traites de paix, qui ne sont pas des Conventions
nationales mais des contrats bilateraux, qui lient le souverain möme.
II serait sans doute a desirer, que tous les etats privilegies de
r Alsace, connaissant mieux leurs vrais interSts, s'unissent, pour la
defense commune de notre Constitution privilögiee, au lieu de s'isoler
et d'affaiblir leur propre cause . . .
Nous avons Thonneur etc.
Türckheim. Schwendt.
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— 151
V.
Copie dn Memoire envoye ä M. le Comte de Puysegnr, secretaire
d'Etat an departement de la guerre, le 3. may 1789, avec iine
lettre d'accompagnement du d. 3. may,
(von den Deputierten der Stadt Strassburg,
Abschrift im Xlller Protokoll).
Les d6putes de la Ville de Strasbourg ayant ete oublies lors de
l'appel des deputations dn tiers-etat fait ponr lenr presentation au
Roi, quoiqu'ils avaient envoye, conformement aux ordres dn Roi, des
le 28e lenr8 noros et qualites ä M. le Marquis de Breze se sont vu
frnstres dn rang qu'ils croyent devoir reclamer dans l'assemblee dn
tiers-etat de la province d'Alsace comrae representants de la Ca-
pitale.
Les baillages fictifs de Hagnenan, Colmar et Beifort, qni ne
peuvent etre assimilies anx Sieges royaux, parce qu'ils n'ont ete eta-
blis, ainsi qne le porte le reglement de convocation, que ponr cette
circonstance seulement, ayant des lors pris de fait le pas snr les
depntes de Strasbourg et des dix villes de la prefecture, et soutenu
qne cette precedance lenr etait due, comme reunis ä la couronne
anterieurement a la Capitale: les depntes de celle-ci seront classes
provisoirement et sons le principe avance par les depntes du plat
pays. apres la Flandre et la Franche Comte, et avant la Lorraine.
Mais pourque la meme incertitude ne s'61eve une seconde fois
lors de la procession pnblique, et n'occasionne des discnssions con-
traireß ä Tnnion si desirable entre representants d'une meme pro-
vince : les Deputös de la Ville de Strasbourg ont l'honneur de re-
presenter ä Mgr. le Comte de Puysegnr:
1. que cette ville a ete avant le moment de son henreuse reu-
nion ä la France, 6tat immediat de TEmpire, jonissant de tous les
effets de la superiorite territoriale, et traitant snr le pied de repu-
blique avec des sonverains; qu elle s'est soumise librement ä la
France en 1681, en vertu d une Capitnlation, qni lui conserve tous
ses droits et privileges ; que le tiers-etat de la campagne ne pent
raisonnablement pretendre preseance snr eile, ainsi que snr les dix
villes, tandis qne par l'ancienne Constitution de la province le tiers-
etat soumis anx Seigneure n'avait aucun titre ni rang, et qu'il ne
forme ordre dans Torganisation de la province qne depnis la cr6a-
tion de Tassemblee provinciale.
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- 152 -
2. qn'en faisant abstrahir de cette Constitution privilegiee, et en
n'invoqnant que le droit common, la capitale d'une province qui
forme an veritable baillage avec pleine attribation des cas royaux,
raeme du droit de juger ä vie et mort sans appel, qui lui a ete con-
serv6 jusqu'ä ce jour par sa Capitulation, doit avoir le pas aar le
plat pays, surtout lorsque celui-ci n'est pas reuni en baillages, qui
pourraient alleguer en leur faveur un titre d'6tablissement an-
terieur.
3. que la ville de Strasbourg serait fondee ä se garder comme
une petite province ou generalite distincte de l'Alsace puisqu'elle a
son territoire et ses formes particulieres : quelle est r6gie par une
administration s6paree de celle de la province, placee nuement sous
la protection du Ministere de la guerre : mais que ne voulant pas
se separer de la province, et diviser des efforts, qui doivent etre
reunis pour le bien gen6ral: eile ne peut au moins consentir ä
perdre le rang, que son etat ancien d'immediatete et sa qualite de
capitale doivent lui assurer.
4. qu'on ne peut enfin envisager la ville de Strasbourg que
sous deux rapports, comme partie integrante de l'Alsace, ou bien
comme une petite province separee; dans le dernier cas, eile ne ce-
dera non seulement le pas ä la province d'Alsace. mais aussi ä
celle de Franche Comte et de Flandres reunies avant eile a la
couronne; eile ne verra cependant cette Separation, qu'avec douleur.
Dans le premier cas, et Sa Majestä parait avoir considere la Capi-
tale sous- ce point de vue en lui accordant une deputation directe
pour son tiers-6tat, mais en comptant ses deux deput6s parmis les
douze qui doivent former Tordre du tiers en Alsace, il est indubi-
table, que le baillage de la Capitale tout forme, doit obtenir la pro-
seance sur les trois baillages du plat pays, crees momentanement
et pour cette Operation seule; et c'est sur quoique les Deputes de
la ville de Strasbourg supplient Mr. le Comte de Puysegur qui est
le protecteur de sa capitulation et de sa Constitution privilegi6e, de
prendre les ordres de Sa Majeste et leur faire assigner ä la proces-
sion du lundy et ouverture des Etats-g6neraux, qui s'en suivra, le
rang dü ä la Capitale de la Province, qui s'est toujours distinguee
par sa fidelite et ses sacrifices patriotiques.
VI.
Der von den Deputierten vorbereitete Protest.
Les Deputes de la ville de Strasbourg, ä laquelle seule Sa
Majeste a d'abord accorde a l instar de la ville de Paris une deputat'on
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- 153 —
directe aux Etats-generaux, distinction qu'elle a depuis etendu ä
quelques autres villes du Royaume, se voient forces de protester par
devant les Etats-generaux contre l'appel fait avant eux des baillages
de Haguenau, Colmar et Beifort, et de reclamer la preseance et un
rang qui ne lui a jaraais ete conteste jusqu'a ce jour.
La reunion de la province d'Alsace ainsi que de sa capitulation
date de l'annee 1648 . epoque de la paix de Vestphalie qui en regle
le droit public. L'Empereur et l'Empire y ont transmis ä la France
par le § 73 et 74 et la clause i t a t en e at u r du § 87, le supreme
domaine sur les deux Landgraviats tel que l'empire l'avait exerce
jusqae lä. Cette Suprematie etait essentiellement distincte de la su-
periorite territoriale, laquelle comprend l'ensemble des droits regaliens,
et n'a ete cedee k la France par ce traite, que sur les terres possodees
par la maison d'Autriche. Les autres prelats, seigneurs et villes
immediates nommement Strasbourg ont continue d'en jouir. Et par
les arr&ts de la chambre de röunion, ainsi que par la capitulation
de Strasbourg en 1681, Sa Majest6 n'a revendique qae ceux de ses
droits, qu'elle a juge incompatibles avec la souverainete. Tel est le
langage uniforme et constant des Ministres du Roi lors des negotia-
tions subsequentes ; et s'il pourrait exister le moindre donte sur la
verite de cette assertion, on reclamerait avec confiance le temoignage
du departement des affaires etrangeres, qui est le depositaire des
traites de paix, et qui mieux que personne peut determiner le sens
qu'ils renferment.
S'il est indubitable, qae la reunion de l'Alsace entiere ä la
couronne quant ä la Suprematie a ete prononcee en 1648: tant de
motifs militent pour reconnaftre ä la deputation directe, que le Roy
a accorde ä sa Capitale, la preseance sur Celles du plat pays, que les
£tats-generaux ne peuvent qu'accenillir favorablement la reclamation
des deputes de cette ville.
Cette Capitale ainsi que les dix villes de la Prefectrre sont les
seules parties du tiers-6tat de l'Alsace, qui aient joui de rimm6dia-
tete et superiorite territoriale sous le regime germanique.
Le reste du tiers soumis aux seigneurs territoriaux n'avait aucnn
rang dans la Constitution politique de cette province. comme en effet
il ne forme un ordre a part dans Torganisation de la province, que
depuis la creation de l'assemblee provinciale. Dans les anciennes
Dietes ou assemblees confedöratives de la province, on ne connoissait
que les princes et seigneurs laics (sie!) et ecclesiastiques, la Ville de
Strasbourg, les dix villes de la Prefecture. Le Tiers-6tat. des trois bail-
lages, qu'on n'a renni que par la circonstance seule de l'election des de-
putes. ne peut donc alleguer aueun titre d'anciennele, qui Tautorise
a disputer le pas ä la ville de Strasbourg Celle-cy possede d'ailleurs
quatre baillages on terres sei^nenriales considerables dans la province
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— 154 -
qui ont concourru ä la formation des baillages fictifs da plat pays:
ce ßerait donc en partie les representants de ses justiciables, qui
röclameraient la preseance sur eile.
Sous le regime de l'empire eile a contractu corarae republique
libre avec des souverains, meme avec ceux, dont eile a eu le bonheur
de reconnaitre les successeurs pour ses maltres. Par sa Capitulation
particuliere, qui tient un des premiers rangs parmi les loix constitu-
tives de l'Alsace, eile a conservee (sie!) l'exercice de la justice
criminelle, et une comp&ence civile en dernier ressort et l'instänce
intermödiaire d'appel de ses jastices seigneuriales. Elle forme donc
un veritable baillage avec attribution de cas royaux et ressort nu
pour le civil de la cour souveraine de la province. Ces prevogatives
sup§rieurs (sie!) m&me ä Celles des pairies ont ete constamment re-
connues par le gouvernement, et ont engage Sa Majeste ä lui aecorder
une deputation directe.
La ville de Strasbourg eut pu par ces considerations s'isoler de
la province, et en s'ecartant de l'6poque de la paix de Vestphalie, qui
a transföre an Roi le supreme domaine de toute TAlsace, adopter
Celle de 1681, ou par sa Capitulation eile a abandonnä quelques-
uns de ses droits de superiorite, qui lui avaient ete reserväs,
ainsi q'aux autres etats immediats d'Alsace par l'Article 87 teneatur
de la susdite paix.
La suite de cet abandon l'eüt class6 apres la Flandre et la
Franche Comt6, mais eile est trop jalouse de ne pas separer ses
intörßts de ceux de la province, et de diriger ses formes reunies vers
un ra^me but, pour sattacher ä une distinetion sterile et qui pourrait
etre opposee aux prineipes avou^s par le Ministere. Elle attache un
prix infini a sa qualitö de partie intögrante et capitale d'Alsace, et
attend de la justice des Etats-gen6raux, que par les motifs exposes
cy-dessus et vu que la Suprematie du Roi sur l'Alsace entiere datte
(sie /) incontestableinent de 1648, ils voudront bien reintegrer les de-
putes de la ville de Strasbourg dans le rang de premiere deputation
du tiers de la province d'Alsace, qui ne lui a jamis ete conteste dans
les asseinbifees des differentes ordres de la province.
Türckheim, depute de la Ville de Strasbourg.
Scbwendt, dep : de la Ville de Strasbourg.
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— 155
V1L
Die Kammer der XUIer an die Deputierten.
16. Mai 1789.
Messieurs
Nous pensons comme vous, Messieurs, qoe vous avez des droits
ä la preseance sur les deputes du tiers-etat des autres parties de la
province, et nons ne pouvons qu'applaudir ä l'attention que vous
avez donne (sie) aux incidens qu'ont fait naltre quelque incertitude
ä ce sujet, et ä Tempressement avec lequel vous avez cherche ä mettre
ä couvert les interets de notre ville a cet egard. Recevez en nos re-
mereiments. Nous croyons donc devoir adherer »ans difficulte ä la
demande etablie par la note remise ä cette occasion u Mgr. le Comte
de Puysegur le 3. may et nous en appuyerons Tobjet si les circons-
tanceH viennent a 1'exiger.
Quant au principe depose dans la seconde protestation dont vous
proposiez de faire nsage, principe qui a pour objet de lever l'ob-
jection de priorite de datte (sie/ que M. de Lessart oppose a votre
revendication, l'attention que vous voulez bien avoir, Messieurs, de
nous exposer les differentes considerations qui y ont rapport, et de
nous demander ce que nous pensons de cet argumenta nous fait un
devoir de nous en expliquer avec la meme confiance, et de nous
avouer que d apres l'examen qu'il nous a ete possible de faire a la
bäte de ce principe nous n'avons pu reconnaltre qu'il puisse etre
necessaire, ni utile, ni meme prudent de s'en etayer.
Sans s'arreter ä vouloir traiter la question epineuse de Tetendue
de la cession de la province d'Alsace par les trait6s de Vestpbalie,
il suffit de remarquer d'apres de faits certains et notoires : que les
ambassadeurs de France n'ont jamais songe ä comprendre dans cette
cession la ville de Strasbourg alli6e de la France et de la Suede
pendant la guerre de 80. ans, que dans la guerre qui a precede la
paix de Nimegue les g6neraux francais ont traite la dite ville tantöt
en neutre, tantöt en ennemie, que lors des reunions l'avocat general
du Conseil d'Alsace n'avait pas ordre de prendre ,'des conclusions
contre le corps de la ville de Strasbourg et sa banlieue, qui cepen-
dant seuls ont concourrn ä la nomination de deux deputes parti-
culiers de cette ville aux etats-generaux en la presente occasion,
pour les obliger a. reconnaltre la 'souverainet6 de la France, tandis
qu'il en avait prise contre tous les princes et etats d'Empire poss6-
dants des terres immediates en Alsace, que le motif de Tassignation
donnee a la ville relativement ä ses baillages portait sur les rela-
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— 15(i —
tions que ses derniers paraissent avoir avec la prefecture d'Haguenau
et non sur aucun principe de Suprematie acquise sur la ville, comme
on peut le voir dans l'assignation meme et lea defenses foumies par
le Magistrat dont nous joignons copie, qu'eqfin par la capitalation
Lotiis XIV. a recu la ville de Strasbourg et ses dependances en sa
royale protection ; si eile avait et6 pr6c6demment sous sa Suprematie
le Roi ne ce serait pas servi du terrae de protection.
Cette Suprematie n'a jamais existee (sie) ni 6t6 pretendue avant
cette 6poque; le3 magistrats de lad. ville n'ayant jamais variä d'o-
pinion sur ce point, il ce trouveraient en contradiction avec eux
memes, s'ils voulaient changer de langage et avancer aujourd'hui
que la ville de Strasbourg a et6 comprise dans la cession a la France
de la Suprematie sur l'Alsace.
Cette assertion dont les consequences pourraient devenir preju-
diciables sous plusieurs rapports, ne parait sous aucun autre pou-
voir ajouter ä la sürete des libertes et franchises de notre ville.
Celles-cy sur la capitulation, traite solemnel qui malgre la ces-
sion postdneure du droit de Suprematie de la part de l'Empire par
le traite de Risvick n'en demeure pas moins un contrat bilateral et
du droit des gens, contrat qui ne pourroit qu'en paraitre affoible si
jamais il pouvait ötre considere comme une Convention de gräce
entre le souverain et des sujets sur lesquels il aurait dejä eu ante-
tieurement des droits de Suprematie
Ce moyen ne parait aueuneraent essentiel pour ajsurer aux de-
putes particnliers de Strasbourg le preraier rang parmi les deputes
de la province da meme ordre. Pour parvenir au mSrne bnt il semble
suffiser d'observer que la ville de Strasbourg en tant que depuis sa
reunion ä la France eile fait partie de la province d'Alsace. est la
capitale de cette province, qu'ayant toujoars occupe une place dis-
tingu6e tant dans le College des'villes imperiales au dietes de l'Em-
pire, que dans l'assembiee des etats d'Alsace. oü eile avait la pr6-
s6ance sur la noblesse immediate. saus que le tiers du plat pays y
fut jamais admis, eile ne devait pas s'attendre qu'on voulut la priver
d'une distinetion reclamee ä tant de titres et pr6fcrer a ses deputes
aux Etats-generaux ceux des dix villes et encore moins ceux du
plat pays, sous le pretexte d'nn ordre du Roi qui regle le rang des
deput6s pour les provinces reunies a la couronne deptvs 1614, selon
la date des rennions.
Cette regle adoptee par Sa Majeste les dites provinces ä defaut
d'une possession deja contractee par les assemblees nationales ant6-
rieures a ladite epoque ne parait applicable qu'aux deputations des
differentes provinces entre elles, et non anx deputes d'une meme
province qui fondes en possession peuvent et doivent conserver entre
eux le rang qui lenr est attribu6 de toute anciennete.
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- 157 -
L'ordre des reunions, s'il devait etre observS ä la rigueur meme
pour les parties individuelles d'une m&ine province donnerait lieux
aux plus grands embarras; il faudrait classer les deputes selon la
date de la reconnaissance de la souverainete du Roi par les differents
etats et princes de l'Empire, et il y en a plusieurs en raison des-
qaels la daUe de cette ■ reconnaissance est poetärieure ä celle de la
ville de Strasbourg. Tele sont le duc de Deux-Ponts et l'eveque de
Spire, dont les justiciables ont cependant contribuä le plus a l'elec-
tion des deux deputes da tiers-etat da district-baillage de Hagaenaa.
L'antäriorite de la r£union ne donnerait an avantage decid6 aux
deputee da plat pays sar ceox de la ville de Strasbourg qn'autant
que dans 1' Intervalle de la räunion de l'Alsace ä la France et de la
commission de la dite ville ä la raeme couronne, il y anrait eu une
assemblöe d'6tats-generaux. a laquelle les deputes des dix villes et
du plat pays eassent ete admis; mais dans cet Intervalle il n'y a pas
eu d'assemblee d'etats-gene>aux; ils ne pouvaient par consequant se
prevaloir ni d'un droit acquis ni de la moindre possession , dans cet
6t at des choses tout a demeure et devait rentier dans son ordre na-
turel ; la commission volontaire de la ville de Strasbourg ä la do-
mination de la France ne doit et ne peut la priver envers les autres
parties de l'Alsace d'une prerogativc de rang qai ne lai a jamais 6te
conteste" ni aux dietes generales de l'empire ni dans les assemblees
ou dietes particulieres de l'Alsace.
Les deux d6putea de la ville faisant partie des douze accordäes
au tiers-etat de la province prise collectivement, ces douze deputes»
doivent naturellement demeurer reunis, raais dans cette reunion
les considerations cy-dessus doivent assurer le premier rang aux
deputes de Strasbourg tant au titre de capitale qu'en raison des pree-
minences dont eile est en possession de jouir.
Cependant si contre tonte attente et malgre tontes les raisons
allegu6es on voulait persister dans l'objection qai la date des re-
unions partielles doit d6c6der du rang des däputes, il vaudrait
mienx sans doute donner ä ce principe toute l'&endue dont il est
sasceptible sar l'ensemble des pays reunis, et se contenter de la
place assignee aux deputes de la ville entre la Franche Comte et
la Lorraine, plutöt que de se laisser classer ä la suite des deputes
du tiers-6tat de l'Alsace, ou de revendiquer la premiere place
parmi ces derniers par un aveu contraire ä nos principes, aux trait6s
de paix, ä la teneur de la capitulation et ä tous les actes qni ont
precedö, accompagne et suivi ces epoques.
Comme cependant il peut se präsenter des occasions ou la re-
union des deputes de la ville ä ceux de la province peut devenir
indispensable et d'un interet commun majeur, on ne croit pas que
des difficultes de rang doivent empecher ces deliberations com-
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— Im-
munes, sauf ä prevenir par des reserves les consequences que Ton
pouriait vouloir tirer contre la Tille en occasions de la condescendence
que Messieurs le deputes jugeraient devoir avoir en faveur des cir-
constances et de l'union.
Tel est. Messieurs, le r6sultat de nos observations et de notre
avis sur l'objet de la difficult6 elevee, et de l'expedient propose poar
y obvier. Nous nous hätons selon tos desirs de tous les faire par-
Tenir, persuades qu'elles contribueront ä tous determiner ä faire
abstraction dans les demarches que tous pourriez etre dans le cas
de renouveller ä Tappuy de Totre demande de preseance du principe
de l'identite de date de reunion, qui, s il est celui des bureaax, ne
saurait cependant deTenir le nötre apres plus d'un siecle de con-
victions contraires; . . . nous rendons trop de justice ä Totre dis-
cernement, Messieurs, et ä Totre zele pour les Tferitables interets de
cette Tille et de ses citoyens pour ne pas nous tenir assures qu'en
sollicitant la reanion aux d6put6s de la proTince tous saorez e Titer
tont ce qui pourrait au delä des mesares convenables confondre les
dits interßts et le regime distinct de notre Tille avcc ceux de l'Alsace
en g6neral
VIII
Die Deputierten bei den Reichsständen an den Magistrat.
(Original).
Versailles, ce 13. Mai.
Messieurs
Plus nous reflechissons, Messieurs, sur la nature des attaques
que la proTince nous prepare: plus nous nous convainqaons que la
Tille de Strasbourg n'a obtenu qa'imparfaitement, par le reglement
particulier de l'Alsace, le bienfait d une depntation directe, que Sa
Majeste lui destinoit.
Elle auroit du reclamer une deputation complete, et obtenir que
le Clerge et la noblesse ne se separassent pas d'elle pour aller au
baillage deHaguenan: ou bien. que ces deux ordres se fussent reunis
au Tiers eu commune, d'apres le tcgu manifest6 par la Tille de
Paris, pour elire conjointement les representants de la commune.
On nous oppose d'etre une deputation irreguliere, representant le
Tiers seul et formant partie integrante du baillage de Haguenau, oü
les deux ordres superieurs sont representes, et qaoiqoe nous repoas-
serons avec fermete les inductions qu'on voudroit se permettre d'en
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— 159 —
tirer, noas ne pouvons nous dissimuler que les droits et interets de
)a ville ont ete foiblement d6fendus, et que la ville ait pu reclamer
fructneusement, ainsi que Tont fait d'autres villes, contre an re-
gle raent, qui ätoit evidemment Touvrage de personnes peu au fait de
la Constitution de la province ou peu amies de celle particuliere de
notre ville.
Nous avons l'honneur d'&tre avec respect Messieurs !
Vos tres - humbles et tr&s - oböissants serviteurs
Schwendt. Türckheim.
IX.
i
Die Deputierten an den Magistrat.
(Abschrift im Protokoll.)
Versailles, le 8. Juin 1789.
Messieurs ....
II est constant raalgrö les foibles moyens etablis dans Tassig-
nation donnee aus seigneurs d'Alsace par le Conseil de Brisac,
moyens qu'on a abandonnes depuis longtemps, que si les arrets de
reunion n'avoient dü reposer que sur les droits dela pr6fecture,
l'Evöque de Strasbourg, les Comtes de Hanau, Linange et Flecken-
stein devoient ötre aussi bien ä l'abri de cette revendication que la
ville de Strasbourg, puis qu'ils sont compris egalement dans l'article
Teneatur et que le pr6ambule de la Capitulation met ä cet egard
leur position au pair. . . .
X.
Der Magistrat an den Kriegsminister Grafen von Puysegur,
verlesen im Magistrat am 25. Juni 1789.
(Abschrift im Protokoll.)
Monseigneur.
Quoique par les circonstances nous nous trouvions saus apuy
(sie) pres de vous, et que nous ayons tres bien vu, que nous ne
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— 100 —
devions pas nous en promettre de la part des depntes 61us par le
Tiers-Etat de cette ville, dans les debats que celuici a provoques ;
nous avons cm cependant qn'il n'etoit ni de la delicatesse que le
Magistrat doit mettre dans ses procedes ni de la confiance que doivent
nous inspirer les droits que nous avons a la conservation de notre
Constitution de vous importuner par aucune d6marche, a van t que de
nous etre convaincus, que malgrö nos däsirs, il n'y a plus rien ä
6sperer des voyes amiables accept6es et convenues avec la bour-
geoisie, sur tout ce qui peut en §tre susceptible.
La meme reserve etoit formellement presciite aux depntes da
Tiers de cette ville par leur Instruction a la suite du dernier article
du cahier des doleances particulieres de la bourgeoisie envers le
Magistrat. D'apres cela Mgr., nous ne devions presumer aucune
tentative contraire de leur part, tant que les Conferences conciliatoires
subsisteroient entre nos d6put6s et le comite du Tiers. Rien n'en
a trouble la bonne intelligence jusqu'ici. Ce comite nous en ä meme
t6raoign6 sa satisfaction. L'importance de quelques demandes qui
iotroduiroient probablement la confusion democratique dans l'ancienne
forme de notre Constitution, et qui par la meme interessent le gou-
vernement qui en est le gardien et ne pourroient recevoir que par
lui leur decision, nous ayant paru avec raison meriter le plus mur
examen et exiger le tems de desabuser les personnes prävenues de ces
principes, l'importance de ces objets nous a engagä ä faire deposer
pendant le mois au greife du Magistrat, pour en faciliter la connais-
sance a. cbacun des membres, la premiere ^bauche de ces Conferences.
Nous sommes dans l'usage de le faire pour des sujets bien moins
interessants, et le comite bourgeois n'y a rien trouve ä dire. Cepen-
dant, Mgr., c'est dans ce delais (sie) au milieu de cette securitä au
moins apparente que nous avons re^u une lettre des d6put6s de cette
ville, du 8. de ce mois, qui nous mendent (sie) tque quoique le nouvean
d61ais d'un mois (il n'y en avoit point encore eu jusque-la) qn'on
a demande aux Representans laisser encore un peu de marge (marche).
ils ont cependant cru de leur devoir de vous prevenir, MgrM que
les suites de ces debats pourroient causer une effervescence d6sa-
gr6able, que la presence d'un Commissaire de Sa Majeste parait
necessaire plus que jamais dans cette occurrence pour y exercer des
fonetions conciliatoires, et que le mauvais succes des voyes amiables
consenties par la commune, les mettruit en derniere analyse dans la
triste et imp&rieuse n6cessit6 de döferer ses doleances ä TAssemblee
des Etats-generaux. Qu'il vous ont ajoute que cette extrömite leur
paroissoit fächeuse ä tous egards pour les interöts de la ville de
Strasbourg, et que cette discussion etoit plutöt de nature ä §tre
accueillie ministeriellement que traduite dans l'assembUe nationale,
par un fait des faveurs et prerogatives particulieres de notre ville;
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— 161 —
que vous avies, Mgr., ecoute cette ouverture avec interet et von«
occupies de mesures dignes de votre sagesse, pour faire continuer
les Conferences sous les auspices d'une personne impartiale, qui
pnisse vous rendre nn compte exact de lenr r&saltat, et ponr etouffer
ainsi dans son principe tont germe de division et de mesintelligenoe . . .
qn'ils aiment ä croire qu'on ne rangera pas dans les articles, sor
lesqnels commisssaires de la commune se sont rel&chea, une regenc-
ration plns elementaire et plns constitntionelle dn corps des Echevins
et les modifications proposees ponr ramener la chambre des XV a
des formes plns popnlaires et anz principes de son Institution.»
Voilä donc, Mgr., les impressions qne ces depntes nons apprennent
qn'ils ont chercher (sie !) a vons donner : et Tun de cenx qni nons ecrit
de ce style et dans des maximes si pen mesurees, est nn des membres
de notre corps, qni a renouvelle avec nons tons les ans nn serment
de fidelite ä nos reglements constitutionnels et qui comme Ammeistre
on Consnl, s'est oblige plns particulierement encore ä veiller et con-
tribner a lenr conseryation.
Le comite de la bonrgeoisie qni a et£ interpelle avec confiance
a ce sujet, n'a pas jnge ä propos de se declarer s'il avouoit on desa-
vonoit ce proceder (sie) de ses depntes, mais il est certain qne le
premier Devoir de cenz-ci devoit etre de ne point s'ecarter de lenr
Instruction, dont on etoit convenu sous nos yenz et qni lenr pre-
scrivirent de ne faire la demarche qn'ils ont faite, qu'au cas que
le concours des bonnes inten tions pour un reseingnement
amiable ne s'operät pas pendant la duree des seances
des Etats-gen §r anz. Iis ne devoient point, dans les termes ou nons
nons trouvions nons menacer avec nne sorte de contradiction, d*abord
des Etats-generaux et puis d'nn Commissaire, qne vous nons enver-
ries ponr etonffer (comme ils s'expriment) nne division, qne jusqn'ä
cette heure n'a point eziste, ou ä laquelle au moins le Magistrat
n'auroit contribue en rien, ils devoient s'abstenir beaueoup plus
encore de vous insinuer. Mgr., que nous ponvions avoir qnelque part
ä nne effervescence qne le vertige dn siecle a trop malbeureusement
enfantee; mais qne nous avons cherche a calmer par toutes lescon-
descendances et des sacrifices meme, anxqnels nons avons pft nons
preter, et qui cesseroit peut etre si eile n'etoit entretenue par des
esprits exaltes ou inte>esses anz nouveantes.
Par ce simple recit vous aves sous vos yeuz la preuve des dis-
positions de BIM. les depntes ä notre 6gard, vons ne pouves douter,
Mgr., qu'elles ne sont pas pour nous, et que si nons avons' des
interets ä deffendre (sie) ils ne peuvent Tetre par des personnes qni
se declarent avec tant de partialite contre nous, et qui se sont per-
mises dans lenr lettre de nons traiter avec si peu d'egards. Nous en
avons de bien chers; c'est notre Constitution, dont vous etes le
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protecteur, qui a ete ötablie il y a an dela de 3 siecles, sur des
bases bien röflechies et avec le concours ananime de tous les ordres
de cette ville que la capitulation et des confirmations reiterees de
nos Rois ont sanctionnee depuis, et qui a fait le bonheur oü ces
troubles nous ont ete suscites. Vous etes trop juste, Mgr., poar noas
interdire les moyens de la defendre et de nous garantir nous memes
des insinuations sinistres qu'on pai'oit s'etre plu a donner de ces
dispositions. Peu prepar&s a cet ävenement nous ne pouvions dans
ce moment vous envoyer qu'un apercu imparfait (qui etoit pas destine
pour cela) de nos remarques sur les doleances de la bourgeoisie.
Nous allons nous occuper d'un döveloppement plus complet et plus
propre a satisfaire aux doutes que vous pouves avoir pris.
Mais, Mgr., le plus instant est d'avoir incessamment sur les lieux
qtielqu'un qui puisse et veuille vous defendre des impressions qu'on
peut avoir donnees ou donner encore sur notre regime et sur notre
maniere de penser. La maladie de Mr le Preteur royal qui dans des
circonstances aussi critiqnes devoit 6tre notre apuy nous laisse
absolument isoles a cent. lieues du Tröne et des Ministres de Sa
Majeste. Nous ne devons donc pomt hesiter de vous demander avec
la plus grande confiance et les instances les plus vives la permission
d'envoyer ä Versailles deux membres du Magistrat, un noble et un
plebeien, puisque notre Constitution reunit ces deux ordres; pour
peu que vous metties quelqu'interet ä notre Situation c'est une neces-
site dont vous seres vous meme convaincu et une justice que vous
ne pouves nous refuser. Vous connoitrös de plus pres par lk et
dans toute leur vöritö nos sentimens pour notre bourgeoisie, et vous
verres dans les ecrits que nous avions prepares lorsque nous etions
dans le cas de la ville de Strasbourg, quel est notre dävonement pour le
Roi, notre respect pour ses Ministres et notre attachement aux vrais
principes de la Monarchie. Avec ees sentimens, Mgr , nous ne pouvons
douter que vous daignies accueillir une supplique aussi legitime
qu'urgente.
Nous sommes etc.
XI.
Puysegur an den Magistrat.
(Abschrift im Protokoll.)
Versailles, le 30. Juin 1789.
Le Roi a cru necessaire de prendre des mesures pour que la
maladie de M. Qerard ne püt pr6judicier aux interets de la ville de
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Strasbourg. En consequence il a regle par an Brevet qai vous sera
incessamment presente que, pendant la dnree de cette maladie, M. le
Haron de Dietrich fils s'occnpera, en qualite de Commissaire de Sa
Majeste, de toutes les affaires relatives a l'administration de cette
ville, et correspondra avec les Ministres touchant ces meines affaires.
Sa Majeste s'est portee d'autant plus volontiere ä lui confier une
pareille mission, qn'etant raembre de votre corps, il en connait par-
faitement la Constitution, et qoe dailleurs eile a vn par des lettres
que vous avez ci-devant ecrites, que ce choix ne pourrait que vous
etre infiniment agreable. J'ai l'honneur d'etre etc.
Puysegur.
Puys^gur an Oerard
(Copie St.-A. AA 2526).
a Versailles le 30. Juin 1789.
L'etat de votre sante ne vous permettant pas, M., de remplir
vos fonctions avec la raeme activite que ci-devant. le Roi a juge
qu'il etait necessaire que. jusqn'ä ce qu'elle füt retablie, vous fus-
siez sapplee par une personne en qui il retrouvät les meines lu-
mieres et le meme zele pour le bien public.
C'est a M. le B°" de Dietrich, fils, qu'il a cru devoir confier
cette mission. En consequence il vient de lui etre expedie un brevet
portant que, pendant la duree de votre maladie, il s'occnpera, en
qualite de Commissaire de Sa Majeste, de toutes les affaires rela-
tives ä l'administration de Strasbourg et correspondra avec les Mi-
nistres touchant ces memes affaires
Le Roi m'ordonne de vous in form er de cet arrangement qui
vous laissera tout le repos et tont le tems dont vous avez besoin
pour retablir votre sante et qui d'ailleurs ne prejudiciera en rien ä
vos interets puisque, malgre votre absence, vous continuerez de
toucher en entier le traitement attache ä votre place.
J'ai l honneur d'etre etc.
pour copie
(Gez.) Puysegur.
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- 104 —
XIII.
Die Deputierten an den Magistrat, verlesen am Montag den
20. Jnli 1789.
(Original).
Versailles, ce 15. Juillet 1789
Messieurs.
Nous nous hätons de vous faire part des ev6nements heureox
de cette matinee. Paris 6tait entour6 de troupes; Monsieur Necker
a 6t6 renvoyee le 11. Messieurs de Puysegur, de la Luzerne et de
Montmorin ont donn6 leurs d6missions ; et ils ont et6 remplaces par
Mr de Breteuil, nomme chef du conseil royal des finances. Mr le
Marecbal de Broglie ministre de la guerre, ayant sous lui Mr Fon-
lon pour les finances et le contentieux, (ce dernier a eu hier une
apoplexie). Mr de la Porte ä la marine, et M. de la Vauguyon potir
les affaires 6trangeres.
Ce cbangement dyns le ministere et surtout le depait de
Mr Necker occasionna une fermentation excessive dans da capitale.
Des le 12. le peuple s'attroupa, brula des barrieres et s'assembla en
si grand nombre. qu'on crut devoir employer des forces militaires
pour le dissiper; le lendemain il ne fut que plus ecbaufft et fut
joint par des soldats de divers rögiments ; il a jug6 notre libertä et
la sienne en danger, et il nous fit porter son voeu pour l'61oi-
gnement des troupes et la fonnation d'une milice bonrgeoise
pour la garde de la capitale. Nombre de troupes et presque toutes
etrangeres ayant une artillerie nombreuse entourant Paris, le pont
de Seve (sie), garde par des hussards, et des Suisses avec deux
pieces de canon, le rägiment de Bouillon, celni de Nassau, des hus-
sards et de l'artillerie plac6e ä Versailles ont dü nous allarmer {sie)
egalement, et prävoyant les suites funestes de ce d6veloppement de
Tautorit6 militaire, TAssemblee Nationale a d6put6 vers le Roi, pour
le supplier d'61oigner les troupes et de confier la garde de Paris ä
une milice bourgeoise. Nous recümes une röponse seche, froide et
negative. La fermentation augmenta ä Paris ; on s'arma en s'emna
rant de tont ce qu'on trouva chez les armuriers, des armes depo-
s6es & Thötel de ville, et ä l'hötel des invalides dont on se rendit
maitre ainsi que des canons; et il se trouva en tres peu de temps
pr6s de deux cent mille hommes prets ^ ce dövouer. On fit en
meme temps les dispositions dans Paris pour sa garde. On enregi-
menta par quartier ; l'ordre sortit du desordre, et on se tint en pre-
sence du camp des troupes regl6es. Sur ces nouvelles alarmantes
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— 165 —
rassemblee nationale arr&ta, qu'il seroit vote des remerciments ä
M. Necker et aux aatres ministres demis, declara qae les nouveaux
n'avoient pas la confiance de la nation, persista dans les arretesdes
17. 20. et 23. juin, et deputa vers le Roi pour demander de nouveau
l'eloignement des troupes et d'etre autorisä {sie) a deputer vers Pa-
ris pour y porter le calme. Nouveau refas da Roi. Deputation de
Paris annoncant les alarmes les plus fondees; la prise de la b astille,
le commandant et le major mis ä mort, pour avoir tire sur un
nombre d'envoyes qui arrivoient l'olivier en mains. Mr de Flesselles
prevöt des Marchands immol6 sur l'escalier de l'hötel de ville a la
patrie, qu'il fut accuse d'avoir trahi. Les depeches de Mr de Boesen-
wald (Bezenval) commandant dans 1 Interieur, adressees au com-
mandant de la bastille, portant ordre de tenir jusqu'ä l'extremite,
ont ete surprises, ainsi que Celles adressees ä l'intendant. Enfin le
peuple pret ä en venir aux mains avec ce qui restoit de tronpes
qui n'avoient pas passe de son cöte; l'assemblee nationale döputa
encore vers le Roi pour lui faire connottre, la v6rit6 et renouveller
(sie) des de man des. 11 lui fut räpondu qu'il seroit donne de nouveaux
ordres aux troupes; les canonniers se declarerent ne vouloir servir
contre la nation; le matin en effet les troupes furent repliees, mais
de raaniere a intereepter tonte communication entre Paris et Ver-
sailles, et on arreta meme des chariots de grains ; il sembloit qu'on
vouloit l'affamer. L'assemblee alloit deputer de nouveau au Roi,
lorsque Mr de Breze arriva et vint annoncer, que Sa Majeste alloit
se rendre ä rassemblee, et s'y 6toit decide de son propre mouve-
ment. II arriva sans cortege aecompagne de ses freres et de son ca-
pitaine des gardes. II prononca le discours suivant. Les applau-
dissements, l'enthousiasme, tout le fanatisme du patriotisme se
demontra Le Roi fut b6ni, il se retour na ä pied, et fut reconduit
par tonte l'assemblee se tenant par les mains, aux cris repetes de
Vive le Roi et 1 Assemblee nationale.
La joie, les larmes d'attendrissement prouverent l'affection des
Francois pour leur souverain, dont les larmes coulerent L'assem-
blee deputa soixante raembres ä Paris pour en porter la nouvelle,
affermir Vordre et pröcher le calme.
On chanta le Te Deum. Ce soir on illnminera la ville, et
nous avons lien d'esperer qu'apres avoir dejouö par une fermete
sage les derniers efforts d'un parti mourant, l'Assemblee Nationale
marchera dorenavant sans obstacle vers le grand but de sa convo-
cation.
L'allegresse que repand cette grande nonvelle dans tous les
coeurs est trop vive, Messieurs! pour que nous nous permettions
d'en alterer les sentiments en repondant aux details que contient
votre lettre du 3. juillet relativement ä nos demarches vis-a-visde M. le
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— 166 —
Comte de Puysegur. Noas avons l'honneur de vous observer, Messieurs,
que Mr Maujan chef de la municipalite de Metz a ete rejete la se-
in aine passee et. son election declaree nulle, principalement parceqae
les officiers municipaux ont pretendu concourir ä l'61ection du de-
put6 direct de cette ville, et que Sa Majeste eile meme a consacre
la justice de ce principe dans le reglement particulier qui accorde
deux deputes divers ä la ville d' Arles et ne donne <voix au maire
«et consuls que dans les assembläe pr6liminaires. en la leur refu-
«sant expressement dans Tassemblö des electeurs ämoins qu'ils
«n'aient et6 nommes pour en faire partie.»
Nous avons conformement ä vos offres obligeans (sie) touch6 il
y a un mois cent Louis dont nous avons fourni le reeepisse ä Mon-
sieur de Crolbois. que nous n'avons pas Thonneur de voir souvent,
quoique nous ne le perdions pas de vue.
Nous Bommes avec respect etc.
Les deputes de la Commune de la Ville de Strassburg.
Tiirckheim, Schwendt.
Je vous demande excuse d'avoir charge cette lettre de Tincluse
ä cause de l'infidelite des postes.
XIV.
■
Genehmigung des Beschwerdenhefts durch den Magistrat.
Auf die anheute in der Versammlung Gnädiger Herren Rath und
XXI von Seiten des Herrn Königlichen Commissarii hinterbrachte
Nachricht von den Dispositionen der hiesigen Commune, wovon Er in
der Versammlung der Herren Repräsentanten durch ihre mündliche
Anträge sich zu versichern Gelegenheit gehabt, ist, nach angestellte r
Beratschlagung auf die Vernehmung des anwesenden Stadtadvokats
und Consulents und gehaltener Umfrag, von den gegenwärtigen Ma-
gistratsmitgliedern Erkannt worden : dass zu Wiederherstellung und
künftiger Beibehaltung des guten Vernehmens, Einigkeit and Frieden
zwischen löblichem Magistrat und Einer Ehrsamen Commune alle und
jede in dem Beschwerdenheft gedachter Commune enthaltene Artikel
und Punkten, ohne Ausnahme noch Einschränkung, zu bewilligen
und zu genehmigen, mit dem Anhang, dass auf morgenden Tag der
gesammte Magistrat neuerdingen ausserordentlich versammlet werde
damit obiger Schluss durch die anheute abwesende und gleichfalls
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zu berufende Glieder mit unterschrieben und nochmalen ratificirt
werde. Decretnm den 20. Julii 1789. Abends um sechs Uhr
Freyherr Zorn von Bulach
regierender Stättmeister.
Z ä p f f e 1 , regierender Ammeister.
Freyherr von Neuenstein, Stättmeister.
Frh. Haffner von Wasslenheim, Stättmeister.
P o i r o t , Ammeister, Ludwig Zäpffel, Ammeister.
Mogg XV. Hennenberg XIII. B. Joseph De We ittersh e im.
Wächter XXI. DorsnerXV. J.D.Weiler.
Ottmann XXI. Debiez. Schweitzer.
Trombert, Secr.
XV.
Die Deputierten an die Kommissare der Repräsentanten.
(Original).
Versailles, ce 5. Aout 1789.
Messieurs.
L'assembläe nationale vivement affect£e des malheuvs, qui affligent
le Royaume et des exces dont eile a recu des d&ails journaliers et
accablants s'occupoit de faire une declaratioo qui püt en arreter le
cours, lorsque le patriotisme le plns noble et le plus louable a d6-
termine tous les ordres, toutes les provinces, toutes les villes et
tous les individus, a faire en favenr du peuple, la renonciation ä jamais,
ä tous les droits qui lui sont onereux, et ä leurs privileges parti-
culiers en en faisant hommage ä la nation, et se soumettant au
regime commun que Tasseroblee jugera utile d'ätablir. L'epoque
heureuse de cet enthousiasme patriotique sera consignee dans la
Chapelle du Roi auquel il sera invitä d'assister; et Ton en chantera
dans toutes les provinces.
Cette soiräe m6morable s'est terminäe ä pres de deux heures du
matin par proclamer le Roi le Restaurateur de la libertö
francoise. Vos deputes, Messieurs, en partageant tous les senti-
mens des membres de l'assemblee, ont regrettö de n'avoir ä präsenter
ä la nation aucun hommage de votie part, mais fideles a leur mission
et au cabier dont ils sont porteurs, ils se sont bornes k faire ä l'as-
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semblee la declaration dont vous trouverez ci-joint copie. Elle devenoit
indispensable dans la circonstance ; ils Tont fait a la suite d'une
pareille fait« par les autres deputes de la province; l'Alsace senle ne
pouvoit garder le silence, et nons croyons avoir adopter (sie!) une
forme, qui ne compromet pas votre opinion, et votre volonte.
Nous devons neanmoins, Messieurs, vons faire connoitre, qne
d 'apres les renonciations unanimes, qni ont et6 faites, il deviendra
bien difficile, si ce n'est impossible, ä la ville de Strasbourg et ä la
province, de resister senle ä l'adoption d'un regime, qui va devenir
uniforme pour tont le royaume, et de conserver des Privileges ou
une existence qni le contrariät.
Nous croyons important, Messieurs, que vous vons concertiez
avec Messieurs les Magistrats, auxquels nous en ecrirons par le meme
courrier, pour convenir du genre de declaration que vous pourriez
nous charger de faire relativement aux droits, privileges et ad mir i-
stration de la ville.
Aussitöt que le proces-verbal de la seance d'hier sera imprime il
vous sera adresse. Nous vons prions de nous faire connottre vos in-
tentions le plutöt qu'ii sera possible, sans quoi votre demarche ne
soit d'aucun effet.
Nous avons l'honneur d'etre etc.
Les deput§s de la Commune de Strasbourg ä Tassemblee nationale
Turckheim. Schwendt.
XVI.
Die Deputierten an den Magistrat.
(Orignial).
Versailles, le 5. aoftt 1789.
MM.
Nous avons l'honneur de vous rendre compte d'un evenement
aussi inattendu que serieux, qui reclarae votre attention et qui ne
nous a pas peu embarasse.
Le comite des rapports avoit propose lundi un arrete ponr
sister le cours des horreurs, qui desoleöt nos provinces et dont nous
recevons tous les jours les plus affligeantes nouvelles et pour ramener
surtout les peuples ä l'acquittement exaet, non seulement des revenus
seigneriaux, mais aussi des irapositions loyales, refuse (sie) partout. La
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proposition agreee, le comite de redaction avoit propose hier matin
l'arrete en consequence: le soir a huit heares l'assemblee 6toit
indiquee pour ecouter quelques rapports ; M. le Vicomte de NoaillM
fit la motion que c'etoit en vain qu'on invitoit les peuples a rentrer
dang Vordre et lob&ssance, si on n'apportoit le remede au mal, qui
avoit cause leur insurrection ; que c'etoit les tristes restes du droit
feoda), qu'il falloit abolir : qoe toutes les perceptions qui derivoient
de la servitude personnellc etant injustes et fondees sur la force seule,
devoient Stre declarees oppressives et eteintes sans indemnite ; que
les infeodations reelles devoient etre declarees remboursable (sie)
au deuier trente. Cette motion faiblement combattue par la terreur et
le 8ilence que le parti dominant de l'assemblee a su imprimer fut
bientöt soutenu par le Duc d'Aiguillon et successivement on vit dans
cette nuit le spectacle le plus extraordinaire, dont la nation fran-
coise etoit peut-etre seul susceptible. La noblesse s'abandonna a la
renonciation de ses privileges et de ses proprietes avec une ivresse et
nne Emulation inconcevable Chacun rencherissoit sur l'autre, et a
moins de trois heures on proposa l'abolition de tous les droits infeo-
des, des justices seigneuriales, des droits de chasse, de la bannalite
{sie), du droit de colombier, des garennes, de tous privileges pecuniai-
res quelconques, des restes de la servitude et mainraortage, des cham-
pards j le rachat des dignes et des rentes foncieres, la proscription de
toute nouvelle Constitution, des redevances foncieres ; la cessation de
la venalite des offices et le voeu d'une administration de la justice
absolument gratuite.
Le Clerge m&la k ces sacrifices inconcevables les siens et les
eures offrirent celui de tout casuel et la dispensation gratuite des
sacrements, et rassemblee en applaudissant ä ces mouvements patrio-
tiques prononca le voeu de l'augmentation des portions congrues. On
proscrivit la venalite et la plnralite des benefices curaules sur une
seule tete. Plusieurs membres coururent chez des notaires rösigner
les leurs. On abolit les annales.
Les Commnnes voterent la suppression des maitrises et jarandes.
rivreßse s'aeerüt a un tel point au railieu des applaudissements publics,
que ceux qui avaient pu conserver la froideur de la raison dars
cette söance unique crurent 6couter un beau reve enfant6 par Tamonr
d'un bien purement possible, dont l'illusion allait 6tre detruite le
lendemain par le flambeau de la reflexion.
Mais ces renonciations successives emises dans le d61ire de
patriotisme ne furent que les precurseurs d'abandons plus inconce-
vables encore. Le Dauphine commen^a a renouveller a Tasserablee
nationale Thommage de tous les privileges de sa province. Les
deputes de la Bretagne du nombre de 66 suivirent cette impulsion,
et ceux de Rennes declarerent qne quoique gSnes par un raandat
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imperatif qni soumettoit les decisions de Vassemblee nationale ä
l'examen de leurs etats particuliers, ils se faisoient fort du consente-
raent de leur province a l'abandon entier de leurs privileges, dont la
nation Bretonne avoit ete si jalouse jusqu'ä ce jour. Des lors le delire
de l'enthousiasme ne connnt plus debornes. Toutes les provinces depo-
serent ä l'envi et avec un empressement dont on ne peut peindre
l'ardence snr l'autel de la patrie commune toutes leurs franchises et
Prärogatives. Le Languedoc, la Bourgogne et l'Artois renoncerent ä
leurs Etats. Les Ducs de Castrie, de la Tour Maubourg, le Comte
d'Egmont et autres deposerent les pierogatives de leurs baronies et
leurs influences sur l'administration de leur province. Toutes les pro-
vinces, toutes les villes se depouillerentä l'envi. La Lorraine abandonna
ses droits fondes sur les traites, Marseille renonca (sie) ä son regime di-
stinet et aux franchises de son port, Bordeaux a ses droits considerables
mais oppressifs sur les vins du Quercy et de la Rovergne ; quelques de-
putes en petit nombre y unirent des restrictions. On appella (sie) l'Al-
sace: l'embarras de nos deputes fut extreme. La Franche Comt6
avait dejä abjure ses franchises, et s'etoit soumise a la legislation
commune. Les deputes de la province s'avancerent vers le bureaa :
nous les suivlmes: et nous remimes au g reffe la note cy-jointe, MM.,
par la quelle vous verrez que dans le fait nous n'avons rien aban-
donne que sous la reserve de la ratification de notre ville et com-
mune- Vous jugerez notre Situation infiniment critique, et notre
conduite. Deja plus d'une fois l'exaltation des Bretons et de l'opinion
dominante avoit accuse notre lenteur et nos reserves. Nous savons
meme. a ne pas en douter, que la moderation de nos prineipes a
ete denoncee a ces glonbs (clubs !) inquisitoires qui entretiennent les
convulsions du patriotisme, et influent malheureusement sur les deter-
minations de l'assemblee nationale. L'assemblee ä la fin lasse de tant
de sacrifices de tant de mouvements patriotiques, dont l'Europe revo-
quera en doute la possibilite, respira un raoment, M. le Duc de Lian-
court proposa de faire une medaille ä Thonneur de cette journee si
celebre pour la France, si desastreuse peut-etre pour votre province.
M. l'Archeveque de Paris proposa de chanter un Te Deum dans la
. chapelle du Roi en presence du Souverain et des representants de sa
grande famille, et l'ivresse du sentiment et de la reconnoissance pu-
blique etant aecrue ii son plus haut degrö, Louis XVI. fut proclame
solennellement le Restaurateur de la liberte franeoise. La
salle retentit des cris redoubles de Vive le Roi, et Tassemblee se
retira vers les deux heures du matin.
Mille reflexions qui se contrarient s'elevent dans notre esprit
depuis cette journee memorable : elles se r6unissent toutes en der-
niere analyse a considerer, que si d'un cöte la ville de Strasbourg a
peut-etre plus de sacrifices ä faire qu'aucune autre du Royaume, et
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dont plusieurs lai seront douloureux et funestes : eile ne pourra
d'un autre c6t6 se soustraire qu'avec une peine infinie du voea
national, ä la loi commune, au parti qui parolt pris d'6tablir des
bases d'administration uniformes pour renforcer par une Organisation
pareille le' nerf des diiferentes parties qui composent cette formidable
monarcbie.
Nous attendons, MM., le resultat de votre opinion eclairee par
toutes les considerations possibles, propres a la fixer. Si dun cöte
nous sentons qu'une determination qui influera d'une maniere aussi
decisive sur la prosperite de notre pati-ie ne peut etre prise precipi-
temment; nous vous supplions d'un autre c6t6 de "ne pas trop la
retai'der, puisque sans cela le merite de votre declaration et de vos
sacririces diminueroit infiniment.
Vous vous arreterez probablement au parti de r£clamer aupres
du Ministre protecteur de notre ville la confirmation de Dotre capi-
tulation, qui semble vous donnei des droits ä son intervention : mais
daignez considörer, Messieurs, combien le pouvoir executif est faible
et. ses ressorts rel&ches ; il n'ose rien entreprendre crainte de se
compromettre, et, nous le disons avec douleur, la France jusqu'au
moment que sa Constitution seta fixee et sanctionnee invoquera en
vain les tribunaux et les agents du pouvoir, pour remedier anx des-
ordres qui la dechirent, et maintenier des Privileges dont on demande
le sacrifice.
Nous en avons ecrit pareillement aux representants de la com-
mune avec lesquells nons vous supplions de confferer sur une des
positions les plus delicates oü notre bonne ville si cruellement affligee
cette annee se soit trouvee depuis sa reunion ä la France.
Nous sommes etc. Turckheim. Schwendt
XVII.
Die Commission der Bürgerschaft an die Deputierten.
(Nach dem Entwurf.)
le 11. Aoüt 1789.
Messieurs,
A la r6ception de la lettre que vous nous avez fait Thonnem*
de nous 6crire le 5. de ce mois nous avons sur le champ fait assem-
uiginzea uy Vjüu
— 172 -
bler MM. le reprewntans pour la leur communiquer avec la decla-
ratio n qai y etoit jointe.1
Larrete de l'Assemblee Nationale, MM. dont il s'etoit rependu
la veille des exemplaires ici et qtü avoit rependu d'abord beaucoup
de joie ne laissa pas d'exciter de grandes inquietudes dans la
partie des artisans qai ne pouvant exercer lenr mutier qu'avec com-
pagnons allemands se trouveroient exposes a manqaer de ce seconrs
et ä voir tenir an« des soarces de lern* prosperitä et sabsistence,
oatre qae lenrs enfans eleves dans le meme etat ne pourroient
voyager en Allemagne pour y acquerir les connoissances qae la
France oa ne lear offre pas du tout ou pas dans- le meme genre.
Votre lettre, MM., et sartout la Declaration qae voas avez remise
provisoirement ä l'Assembläe Nationale, en laissant snbsister Vobjet
de ces apprehensions, ne nous a pas raoins remplis d'admiration de
renthoasiasrae patriotique. avec leqael les depates des differents
ordres de toates les provinces et de toates les villes se sont signales
ä l'envi par des sacrifices et de renonciations, dont il n'etoit pas aise
de prevoir la raultiplicite et l'importance. Cette consideration, MM.,
jointe ä uue antre que noas rapporterons ci apres est peut-Stre propre
ä adoacir vos regrets de n'avoir pas eu ä presenter de notre part
an hommage semblable, mais voas ne serez pas longtems sans voas
voir ä meme de porter l'offrande de la commune de Strasbourg.
Nous l'aurions fait des aujourd'hoi, si un sacrifice non moins noble
quoique d'un genre different n'alloit probablement nous en enlever
la gloire.
Le jour meme de l'arriv6e de notre depeche le corps de la Ma-
gistrai ure perp&uelle de cette ville, avec qui entre autres. nous devions,
suivant votre lettre, concerter la declaration a vous envoyer (sie)
relativement aux droits, privileges et administration de cette ville,
pour Scarter tout ce qui aoroit pu s'opposer davantage au Etablisse-
ment de la tranquillite et de l'union si desirable entre le raagistrat
et la bourgeoisie s'est demis de plein gre de ses dignitäs et Offices
avec la resolution de porter les conseillers de ville ä adopter le
meme parti et d\v engager pareillement les Colleges des Echevins des
20 tribus pour pouvoir reraonter graduellement toute l'administration
conformement au plan pr6scrit par le cahier de la Commune et ce
que nous ne devons pas vous laiaser ignorer, c'est que M. le Commis-
saire du Roi, qui dans ces difficiles a fait preuves de ses lumieres
et de sa prudence lattant de generosit£ avec le Magistrat et secoodant
ses efforts, a offert de meme au Roi la deraission de sa place comme
paroissant &tre sans objet pendant la vacance de la Magistrature
Ce changement, MM., devant s'operer entre cejour d'hui et demain,
» Vgl. Strobel V., S. 352.
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t
— M73 —
nous avons dü laisser an nouveau magistrat et aux 300 echevins ä
elire, comme representant legalement la Commune, le soin de con-
8omraer l'ouvrage ....
XVIII.
Der Magistrat an die Deputierten.
(Nach dem Entwurf.)
Strasbourg, ce 31. Aout 1789.
Messieuers.
Nous croyons devoir vous instuire aussitöt du nouvean pas que
nous venons de faire pour parvenir successivement a la regeneration
entiere de notre Constitution locale, et la rapprocher autant qu'il peut
§tre possible dans les circonstances donnees des principes qui parois-
sent devoir servir de base a Torganisation municipale des communes
des villes du royaume. La regeneration du College des Echevins et
celle du Grand Senat sembloit pouvoir etre suivie aussitöt de celle
des chambres d'administration, et de l'ensemble du magistrat, cepen-
dant avant de proceder a la nomination des places devenues va-
cantes par la demission generale de Tancien magistrat, la Commune
a desire connoitre les modifications auxquelles ce pourroit etre con-
venable de s'arrlter pour dans cette formation nouvelle concilier
les voeux deja ezprimes des citoyens et ceux que les circonstances
devellopoient (sie) avec ce que Ton 6toit intentionne de conserver
de Torganisation pr6c6dente. La brievete) du tems et l'importance
dont il 6toit pour le retour et le maintien du bon ordre de mettre
en activitö sans retard les döpartement de justice, de police et d'ad-
ministration n'ont pas permiß au [comite charge de ce travail d'at-
tendre qu'il put nous proposer un projet d'arrangement achev6 dans
tous les details; ce comit6 s'est h&te de nous rendre compte des
donnees principales dont il pensoit que Ton pourroit partir dans
la formation et distribution nouvelle des departements, et cet ap-
percu accueilli avec satisfaction par la bourgeoisie nous a paiu süf-
fisant pour nous däterminer a pourvoir aussitöt a la nomination des
personnes entre lesquelles doit etre partage le soin de Tadminis-
tration. Nous avons termin6 vendredi soir1 Telection des magistrats
i 28. August.
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«
- 174 —
permanents. M. de Tarckheim a ete le premier porte an scrutin eutre
los membres choisis de la confession d'Augsbourg. Nous avons une
satisfaction particuliere a lui annoncer cette election. Elle est un
hommage rendn a son patriotisme, a ses talents et an devouement qa'il
a raontre jusqu'ä präsent pour les interöt de la Commune
Ladministration de notre ville n'est point de nature a pouvoir
etre confiee ä des administratenrs pnreraent amovibles et precaires.
Elle exige des hommes livres tont entier a cette tacbe publique.
Rendre lenr etat trop incertain seroit eloigner l'homme ntile, il en
räsulteroit bientöt le despotiame d'un petit nombre de riches et
le danger d'nne aristocratie plus oppressive qne celle qne Von
reproche a Tancienne Constitution. Vous appreciez sans donte
avec nous, Messieurs, les inconvenients d'une mobilite absolue de
principes et de personnes; sans trop nous ecarter des bases de
la construction ancienne qui merite ä tant d'egards nos respects,
nous croyons avoir saisi un juste milieu en portant dans chaque
partie d'administration publique un nombre de reprtaentants legiti-
mes, de membres amovibles toujours sup^rieurs ä celui des mem-
bres permanents affectes par etat anx details de ces d6partements
Vous reconnoitres . . . . que les nouveanx magistrats permanents sont les
conseils, et ne peuvent jamais Stre les tirans de la commune ; que
celle-ci aura une administration aussi libre qu'elle puisse etre dans
aucune (sie) autre sisteme, sans cependant sacrifier les avantages qui
naissent de Vexperience d'nne partie des administrateurs vou6 (sie)
par 6tat aux interets qui leur sont commis.
Nous esperons que ces differentes considerations jointes a Celles
qne Ton pent tirer de la position locale de notre ville, de ses re-
lations avec TAllemagne, du genie de ses habitans, et de leurs ha-
bitudes, feront dans les tems trouver gräce aux yenx de la nation ä
la determination que nous avons prise de reconstituer des magistrats
permanents et inamovibles, et quelque soit (sie) d'ailleurs les modi-
fications accessoires que la revolution generale viendroit k rendre
indispensables, il n'en est aucune qui ne paroisse pouvoir Stre con-
ciliee avec les bases adopt6es pour notre regeneration. Les fonetions
de justice se tronvant distinetes de celles d'administration, les unes
et les autres seront susceptibles d'etre adoptes (sie) en ce qu'il y
auroit d'essentiel au sisteme national. Nous sommes disposes a tous
les sacrifices que Tint^ret de la nation pourroit exiger ; nous vous
avons prie, Messieurs, d'en faire agteer l'assurance a Tassembläe
nationale ; raais nous nous croyons en droit d esperer que l'on n'exi-
gera aucune chose qui sans objet pour le bien genäral, pourroit de-
venir un obstacle ä notre bien ätre partieuuer, * et c'est dans cette
confiance que nous croyons pouvoir nous occuper du soin de nous
donner nne Organisation adoptee aux circonstances locales sans ce-
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- 175 -
pendant perdre de vue les considerations qui derivent du lieu de
notre union avec les autres parties da Royaume ....
Nous sorames etc.
Le Preteurs, Consul, Senat et Echevins
de la ville de Strasbourg.
XIX.
Schreiben au die Deputierten,
beschlossen in der
allgemeinen Schöffenversaramlung vom 24. September 1789
(Abschrift im Protokoll).
.... Comme vous jugez avoir besoin d'instructions formelles bui*
la question: «St vous devez vous joindre aux deputes de la Noblesse
et du Clerge*dans le cas oü ceux-ci feroient des demontrances pour
sopposer ou protester contre les arretes du 4. aoüt et s'ils doivent
appuyer les memoires des Princes d Empire possessionis en Alsace
et opposants aux memes arretes?» La commune assemblee pour y
deliberer . . a arrete, que vous devez vous joindre aux deputes
de la Noblesse et du Clerge ä 1 effet ci-dessous et pour le maintien
des droits de la ville tels qu'ils sont sans qu'il puisse etre question
de rachat, ni d indemnite . . .
XX.
Der Magistrat an den Kriegsminister Latour du Pin.
(Abschrift im Protokoll, 24. Sept.)
Monsieur le Comte.
.... Nous profitons des circonstances pour avoir l honneur de
mettre sous vos yeux copie des instruetions que la Commune fait
parvenir a ses döputes ä 1 Assemblee Nationale relativement a l arretö
de cette assemblee du 4. aoüt dernier concernant l'abolition des pri-
leges ....
Louis XIV. en recevant par une capitulation solenneile la ville
I
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- 176 —
de Strasbourg sous sa royale protection a promis en foi et parole de
Roi de conserver la Commune dans l'excercice des dits droits, et la
Nation, au nom de laquelle cet engagement a 6t6 contractu, etant
tenue de le remplir en ce qui la regarde, nous osons vous supplier,
Monsieur le Comte, de nous accorder votre puissante protection a
cet effet.
Nous sommes avec etc.
XXI.
Der Magistrat an Schwendt.
(Abschrift im Protokoll).
Strasbourg, le 21. Novembre 1789.
Monsieur.
.... Vous ne doutez pas, Monsieur, que nous ne soyons sensibles
a l'attention, que vous avez eu d'assurer les droits dont la ville jouit
dans ses possessions territoriales par la declaration que vous avez
remise au bureau des droits feodaux, nous croyons cependant devoir
vour faire une Observation sur une partie a son enonce. Vous r e-
clamez pour soutenir ses droits lesm&mesmotifs qui
ont 6te invoques par M. le Card, de Rohan et la n o-
b les se dÄlsace en respectant la legitimite des titres de Tun et
de lautre; nous croyons
1° que dans un moment oü l assemblee nationale vient de d6-
clarer les biens du clerge la proprietes de la nation, il n'est pas Bans
danger de ranger nos proprietes dans la meme classe que Celles dont
le possesseur est ecclesiastique et qu'il eut fallut (sie) du moins en
rapprochant nos droits de ceux de M. le Cardinal faire mention de
sa qualitö de ci-dessus Prince d'Empire.
2° la noblesse imm6diate d'Alsace jouit ä la vörite" dans ses im-
matricules, seigneuries des memes droits territoriaux qui appartiennent
ä la \ille, mais cet avantage marqu6e (sie) pour cette derniere o est
d'avoir ete 6tat d'Empire et sous ce rapport, c'est au Princes posses-
sories en Alsace seuls qu'elle peut etre comparee dans ses droits ;
nous aurions desirö d'apres ses considerations, Mr., qu'au lieu de
rapporter aux moyens de defense ref6rer de M. l'Eveque de Stras-
bourg et de la noblesse immediate de la Basse-Alsace les droits de
la ville de Strasbourg, sur cet objet vous eussiez invoque directement
les titres respectables sur lesquels ils sont fond§s.
Nous avons l'honneur etc.
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— 177 —
XXII.
Schwendt an den Magistrat.
(Original)
Paris, le 25. Novembre 1789.
Messieurs
J'ai ä vou8 rendre compte d'une decision dont magre tous mes
cfforts il n'a pas 6t6 en mon pouvoir de vous garantir.
Le comite de Constitution avoit annoncee (sie) pour jeudy son
rapport snr l organisation des municipalites ; je me depechai de mi-
nnter des observations snr votre Constitution et je livrai ä rimprimeur
ponr les distribuer jeudy1 avant l'assemblee ainsi que je vous Tai
mande, par ma lettre d'hier. J'arrive ce matin a l'assemblöe et suis
fort 6tonn6 d'entendre la lecture dn rapport du comite, je monte
apres lui ä Ia tribune et fais les reclamations dont vous trouveres
le detail cy-joint. J'ai 6te combattu par les deputGs des commnnes
de la province ; le voeu pour l uniformite de l'organisation de toutes
les municipalites se manifestait trop evidemment ponr que je pus
(sie) esp6rer du succes ; je demandai alors qu'on suspendlt tont juge-
ment au regard de votre ville et qu'on me donna8 (sie) le tems et
la liberte de presenter au comite de Constitution le tableau de l'or-
ganisation, administration et reg6neration de votre Magistrature
raunicipale pour conferer avec lui sur les moyens d'allier les interdts
de la localite avec l'uniformite qu'on cherchoit ä etablir. M. Reibel
a de nouveau reprösente que la Commune avoit si bien sentie (sie)
le vice de son ancienne Constitution qu'elle l'avoit eile meme refor-
m6e. Je repondis qu'elle n'avoit fait au contraire que Tadopter aux
dispositions memes de rassemblee ; mais comme je voyois ä n'en
pas douter que c'ötoit en vain que je demandois une exception, j'in-
sistois pour que ma reclamation tut mentionnee, dans le proces-verbal
pour ma justification, et je m'61evai contre le döfaut de qualitö des
commnnes d'Alsace avec qni Strasbourg n'avait jamais eu aueun
rapport, et en annoncant que j'6tois seul porteur du voeu et du
cahier de la commune. Apres d'autres debats la question prealable
fut proposee et il a 6t6 arret§ qu'il n'y avoit pas bien ä delib6rer
sur ma demande et l'on arrlta les onze premiers articles du plan du
comite dont j'ai l'honneur de vous adresser un exemplaire ....
1 26. November.
« Reubel, der Abgeordnete für Colmar.
12
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- 178 —
XXIII.
Der Magistrat an Schwendt.
Verlesen am 5. Dezember.
(Abschrift im Protokoll.)
Monsieur
. ... En insistant sur les reformes partielles, la Commune n'a eu en
vue que de voir corriger les abus, qui deparoient la Constitution et
en rendoient les avantages moins sensibles et moins efficaces, mais
qui loin d'etre essentiellement lies et inberents ä la Constitution
meme ne sont en partie que Teffet de tems qui degrade tout et en
partie que l'ouvrage (des) hommes ambitieux comme il y en aura
toujours.
C'est donc une fausse assertion d'un des deputes de la haute
Alsace que de dire que la Constitution des villes de cette province
soit reconnue radicalement vicieux (sie), et si M. Reubel en par-
ticulier pour appuyer cette assertion a prötendu que la commune de
Strasbourg ayant reforme sa Constitution en a par la meme reconnu
le vice, ce depute ne dit qu'un sophisme, car reform er des abus
d'une Constitution n'est pas condamner la Constitution , si la räforme
emportoit necessairement la destruetion il n'est pas d'administration
dans l'univers, pas meme d'Empire, grand ou petit, monarchique ou
republicain, qui n'eut besoin d'ßtre refondu (sie) a des certaines
epoques plus ou moins rapprochees, et certaraement la nouvelle
Constitution n'en demeureroit pas ezempte ....
Nous concevons tres bien que tout corps administratif particulier
est et doit ötre sous la loi de l'administration generale, mais il ne
nous est pas aussi facile d'apercevoir la necessitö que ces administra-
tions particulieres subsistent pour cela une loi commune de rapport
et de ressemblance parfaite. L'intention de la Commune en provoquant.
et agr6ant cette ebauchö de nouvelle forme, a 6te d'une part de faire
cesser le dfesordre resultant de l'interruption du cours de la justice
et de tont administration et de Tautre d'adopter les prineipes ^Or-
ganisation annoncös ä la Constitution subsistante.
On a lieu de croire que le comite Charge de ce travail auroit eu ä
se feliciter du succes de ses soins sous 1 inflexible et impetueux (sie)
tendance de plusieurs membres de la commune vers le Systeme tant
voütä de l'uniformite de toutes les administrations du Royaume, comme
si cette uniformite 6toit l'unique mesure de la felicite d un peuple
dont le langage, les moeurs et les habitudes sont si differents. Nous
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— 179 —
ne pouvons pas dissimuler combien il paroit singulier que la liberte
etant de tous les droits de l'homme le premier, des citoyens paisibles
qui depuis trois siecles se sont bien trouves de leur Constitution et
8e tronveroient encore Contents et henrenx den conserver le fonds,
ne doivent pas en avoir la libert6, tandis qn'il doit etre libre de
changement total dune Constitution fondee sur la foi des traites qui
doit etre effectue au mepris du voeu de la Commune, blesse les regles
de la justice, ni du cöte de Tinteret, puisque sous tous les rapports
essentiels d'impositions, commerce et autres, la Constitution stras-
bourgeoise ne peut pas dorenavant etre plus en Opposition avec
l'interet general de la nation que ne le sera la Constitution Parisienne
et qu'en laissant subsister quelques legeres nuances de forme il est
suffisamment de moyens pour le concilier avec le Systeme general
(d')administration
II est bien a desirer que l'iraportance dont il est pour l etat
common, pour le commerce et la communaute des bäteliers de cette
ville, de conserver la navigation sur le Rhin et d'en faire observer
les traites, qui subsistent entre le Roy et les Cours electorales de
Mayence et de Mannheim, n echappe pas ä la penetration de l'As-
8emblee Nationale
XXIV.
Discours
prononce le 2. Janvier
ä 1 'Assembler
de M. M. les E c h e v i n s.
Represe n ta ns de la Bourgeoisie de Strasbourg
par
M. le Baron de Dietrich
Commissaire du Roi, faisant les fonetions du Preteur.
(Im Druck erschienen).
Messieurs !
. . . . On vient de vous faire lecture de votre arrete du 2. decembre
M. l'avocat general Fischer vous a dejä observe, Messieurs que ce
decret ne renformoit aneune renonciation aux droits de vos conci-
toyens et que le 11. vous n'aviez pas pris d'arrete a ce sujet. En effet
vous ne trouvez pas meme de trace, dans le premier, de Tapprobation
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— 180 -
que vous avez bien voulu donner ä mes conclusions, le jour oü il
fut rendu ä la verite vous vous apercütes de cette Omission ä la
lecture qui vous fut faite, le 11. decembre, de votre deoret du 2 Mai
quoique je vous aie pri6 formellement d'ordonner que la redaction
fut corrigee, vous laissätes tomber ma demande et je le repete, vous
ne prltes point oe jour lä d'arrete d'oü I on puisse arguer aucune
renonciatioü.
Mais quand meme vos arretes contiendront une adhesion for-
melle aux d6crets de l'Assemblee Nationale sanctionnes ou acceptes
par le Roi, et qui vous sont aujourd'hui officio Herne nt notifies, pour-
riez vous penser que vos commettans aient le droit de mettre en
question, s'ils accepteront ou s'ils rejetteront ces decrets? Le doute
seul seroit un crime de leze-nation (sie).
Lorsqu'en 1681 votre ville etoit une republique libre et tellement
iudependante que le chef de l'empire l'avoit meme absolument
abandonnee, vous avez pu comme souverains, traiter avec un autre
Souverain et vos predecesseurs ne durent pas se soummettie sans
demander Taveu de la tbourgeoisie; il dependoit d'elle de resister ä
Varm6e de L o u v o i s ou de capituler.
Si la Commune de Strasbourg eut pense que les lois qui emanoient
de ceux que la nation reconnoitroit pour legislateurs, ne deviendroient
pas obligatoires pour elles; si eile eut cru que ces legislateurs ne
pourraient toucher en rien ä ses corps judiciaires et administratifs,
ni aux autres droits qui lui etoient reserves par son traite avec
Louis XIV., la commune des sa premiere convocation auroit declare
Qu'elle s'etoit volont airement soumise ä la France
sous des certaines c o nditi o n s, q u ' eile demandoit
qu' elles fussent toutes execut6es, etqu'en cas de
refus,elle croyoit pouvoir rentrer dans ces droits
de souverainete.
Elle se seroit bornee ä cette declaration et se seroit isolee du
reste de la nation ; eile n'auroit pas pretendu partieiper ä la gloire
de faire partie, par ces representants, des legislateurs de ce süperbe
empire ; loin de solliciter, comme eile Ta fait, la faveur d'une d6pu-
tation directe, eile auroit formellement refusS d'envoyer de ses raem-
bres aux Etats-g6neiaux.
Alors la Commune seroit rentree dans tous les droits et eile eut
eu celui d'admettre ou rejeter des loix contraires aux titres en vertu
desquels nos ancetres ont ete incorpores ä la France.
Loin de la, anim§s de la noble ambition de contribuer ä la re-
g^neration du Royaume, nos habitans, en nomment deux deputös aux
Etats-gen6raux, ont forme un cahier de doleances pour soumettre
leurs voeux k la d6cision de ses legislateurs, au nombre desquels
ils envoyoient leurs representans.
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— 181 -
Ainsi que vos deputes ceux des provinces et des villes les plus
privilegiees da Royaume, ceux [de la Bretagne, du B6arn, de Mar-
seilles et taut d'autres se sont pr£sent6es anx Etats-generaux avec
des mandats imperatifs ; mais vous n'ignorez pas que les premiers
decrets de l'Assemblee Nationale les ont condamnes, parce qu'il
eut 6te absurde que chaque individu prescrivit des loix aux legisla-
tenr (st«) lui-meme et parceque la regeneration eut ete impossible.
La Bretagne et le Dauphine, le Bearn, les villes de Bordeaux,
de Marseilles meme, dont les Privileges etoient tres considerables, se
sont soumis ä ces decrets de l'Assemblöe, dont ils ont senti toute
la justice. Vous avez reconnu vous meme son autorit6 Messieurs au
moment de la revolution, que vous avez 6prouv6e, en soumettant ä
sa ratification et ä celle du Roi les changemens que vous avez in-
troduits dans vos corps d'adrainistration et de judicature, et que tous
vos bourgeois n'ont admis que provisoirement.
L'assemblee Nationale n'a pu admettre aucune resistance et eile a
du ordonner que tout jnge, toute assemblee administrative, toute
municipalit6, seroient tenus d'enregistrer ses decrets dans trois jours
sous peine de forfaiture ; vos magistrats n'auroient pu räsister ä ces
ordres supremes; ils ont ob6i. Iis vous ont fait part de ces actes de
soumission ; il en a 6te fait mention sur vos registres.
Vous aviez cependant fait auparavant, Messieurs, une d6claration
formelle, par laquelle vous aviez conform6ment au cahier de dole-
ances, persiste dans le maintien de vos droits et de vos prerogatives ;
vous y avez ajoute cette clause unique, dont on ne trouve d'exeinple
dans d'aucune des protestations qui out paru ä l'assemblee Nationale ;
que l'offre du rachat ou d'une indemnit6 quelconque ne vous deler-
mineroit ,pas a abandonner vos droits et prerogatives. Vous avez
fait plus ; Messieurs, vous avez ordonne rimpression du memoire de
Mr. de Türckheim qui mettoit vos titres dans tout leur jour ; votre
capitulation a 6te produite, votre döclaration a et6 distribuäe aux raem-
bres de V Assembler Nationale ; enfin votre deputä est mont£ ä la
tribune ; il y a ete ecoute\ quoiqu'avec impatience. C'est apres que
vous aviez employe" ;tous ces moyens, c'est apres avoir parfaitement
instruit les legislateurs, qu'ils n'ont pas cru devoir faire une excep-
tion en votre faveur
Lorsque vous en apprites la nouvelle, Messieurs, j'eus Thonneur
de vous adresser le discours qui m6rita pour lors vos suffrages ; apres
avoir präsente les differens motifs qui dovoient vous nanquiliser sur
les suites de l'execution des decrets de l'Assembl§e Nationale touchant
les municipalites, je vous observai que TAdresse au Roi pour le
maintien de vos privileges pvoposGe par Mr. Schwendt, et une nou-
velle declaration conservatoire ä l'appui de l'ancienne, seroient su-
perflues, qu'elles n'auroient aucun succes ; et que vous ne pouviez
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— 182 -
prendre de parti plus convenable que d'adberer an decret de
l'AssembUe Nationale sauf ä envoyer a Mr. Schwendt des dötails
sur vos localites, afin d'obtenir quelques modifications qui pourroient
yous etre avantageuses ....
Mais, Messieurs, comment vos commettans pourroient-ils vous
reprocher d'avoir ontrepassä vos pouvoirs, puisque, malgre votre ad-
hesion ä nies conclusions la coramission que vous avez nommee pour
rediger les observations ä faire sur les localites, s est encore efforcee
de se conformer au voeu de votre cahier de doleances, en faisant
connottre les avantages de votre Constitution provisoire et ses rapports
avec celle que vos magistrats ont enregi6tr6 ce matin; puisqu'enfin
il a ete ecrit dans cet esprit ä M. Schwendt, en l'invitant ä s'6carter
le moins possible de la däclaration qu'il a pr6sent6e de votre part
le HJ. octobre. Si vous voulez juger de Tenet qu'auroient produit de
nouvelles rämontrances, ecoutez, je vous prie, ce que dans l amertume
de son coeur, ce d6pute m 6crit au sujet de cette lettre:
Considerez ma position, me disoit-il, j'ai ete le seul
reclamant, ouileseulduRoyaume entier, conti- e
les mun icipal ites. J'ai ete ecoute; je n'ai rien obtenu.
Comment veut on que je fasse de nouvelles reclama-
tions quand un d£cret formel a determine la loi apres
m'avoir entendu. Comment veut-on que je propose
des administrateurs inamovibles et n'etantjamais
r e g 6 n 6 r e 8, tandis que par les principes adoptes on
rapproche les 6 p o q u e 8 de rägeneration de maniere
qu'aucun individu ne soit jamais permanent dans
l'admin istration. Je suis tres att ache, ajoutoit-il, ä l'obli-
gation de ne rien negl ige r po u r 6tab Ii r et faire conn oitre
les differens objets de ma mission: mais il n est pas
possible d'en snivre les premiers errements, les ev6ne-
mens passes etleursuiteont denatur^ les choses.
Yous avez donc 6puis6 tous les moyens de remplir les premiereo
vues de vos commettans, avant que la loi supvöme füt portöe! Sans
doute si vous les rassembliez, ils se soumettroient aux decrets de
l'Assemblee ! . . . . je ne leur ferai pas l'insulte de lern* supposer seule-
raent l'idee de ne recevoir que par force l empire de la liberte, apres
qu'ils ont fait tout pour briser leurs chaines.
Vous n avez point abandonne les droits de vos commettans, vous
n'avez fait aucun acte qui constatät une adhesion formelle, vous
avez appris sans murmures que vos magistrats avoient ob6i ; vous
avez resolu d'executer ce que vous n auriez jamais pu refuser a
Tautorit6 legitime de la nation ; vous vous etes soumis ä la loi, vous
en aviez prete le serment ....
Si cbaque commune pouvait, en vertu d'anciens Privileges, ad-
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raettre ou rejeter ä volonte les loix de ceux en qui elles ont reconnu
le poavoir legislatif, autant voudroit-il dissoudre TAsseuiblee Na-
tionale, car chaque Commune s erigeroit elle-meme en legislateur ....
Je le repete, ' Messieurs, je ne doute pas du voeu de la majori te
de V08 bourgeois ; mais ne vous exposeriez vous pas aux suites ies
plus funestes, si, dans une affaire dune si haute importance, quelques
tribus formoient un voeu oppose ä celui de la pluralite ; si, dans
une m&me Corporation, il y avoit denx avis: Les minorites ne seioient-
elles pas en butte aux reproches les plus sanglans, et ne s'attireroient-
elles pas toute l'animadversion d'un grand nombre de vos habitans
ä un nouvel etat de ohoses ? Ne seroit-ce pas vous exposer ä donner
ä la garnison de la defiance sur vos sentimens de fidelite et d'atta-
chement ä la nation du Roi? Enfin ne courreriez-vous pas le risque
de voir renaitre ces scenes d'horreur qui ne vous ont qne trop jus-
teraent allarmes, qui ont coüt6 des sommes immenses au tresor de
la ville et qui, si elles etoient repetees, ne se dissiperoient vraisem-
blablement pas sans effusion de sang. Je fr6mis ä cette id6e et je
m'arröte. . . . . Rependez avec profusion les loix salutaires qui se suc-
cedent rapidement; que tous nos habitans s'en penetrent , instruisez-les.
Voilä, Messieurs, la communication que vous leur devez. Voila le
moyen d'accomplir le voeu si bien exprime dans la lettre du premier
ministre, lorsqu il dit: «Que l Assemblee Nationale et le Roi desirent
le concours de tous les bons citoyens ä l'etablissement paisible des
municipalites.»
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BEITRAGE
ZUR
LANDES- UND VOLKESKUNDE
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
XXIV. HEFT.
DIE BEZIEHUNGEN
KÖNIG RUDOLFS VON II ABS BURG
ZUM ELSASS.
VON
C. GÖSSG
31,
RECEIVED
FEB 26 1970
UNIV. WIS. LIBRARY
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
1899.
Digitized by
BEITRAGE ZUR LANDES- UNO VOLKESKUNDE
von Elsass-Lothringen.
Band 1.
Heft I : Die deutsoh-framöslsohe Sprachgrenze In Loth-
ringen von Const. This. 34 S. mit einer Karte (1:300.000).
1 50
Heft II: Ein andeohtig geistliche Badenfahrt des hochge-
lehrten Herren Thomas Murner. 56 S. Neudruck
mit Erläuteren., insbesond. über das altdeutsche Badewesen,
v. Prof. Dr. E. Martin. Mit 6 Zinkätzungen nach dem Ori-
S'nal. 2 —
le Alamannensohlaoht vor Strassburg 3Ö7. n.
Chr. von Archivdirektor Dr. W. Wienand. 46 S. mit einer
Karte und einer Wegskizze. 1 —
Heft IV: Lenz, Goethe und Cleophe Flbioh von Strassburg.
Ein urkundlicher Kommentar zu Goethes Dichtung und Wahr-
heit mit einem Porträt Araminta's in farbigem Lichtdruck
und ihrem Facsimüe aus dem Lenz-Stammbuch von Dr. J o h.
Froitzheim. % S. 2 50
Heft V: Die deutaoh-französlsohe Sprachgrenze Im Elsass
von Dr. Const. This. 48 S. mit Tabelle, Karte und acht
Zinkätzungen. 1 50
Band II.
Heft VI: Strassburg Im französischen Kriege 1SS2 von Dr.
A. Ho IIa ender. 68 S. 1 50
Heft VII: Zu Strassburgs Sturm- und Drangperlode 1770
Durgs
bis 76. von Dr. J oh. Froitzheim. 88 S. 2 —
Heft VIII: Geschichte des heiligen Forstes bei Hagenau im
E. N e y ,
Nach den Quellen bearbeitet von C.
Oberförster. I. Teil von 1065-164«. 2 -
Heft IX : Rechts- und Wirtschafts-Verfassung des Abtei-
gebietes Maursmünster während des Mittelalters
von Dr. Aug. Hertzog. 114 S. 2 —
Heft X: Goethe und Heinrich Leopold Wagner. Ein Wort
der Kritik an unsere Goetheforscher von Dr. Joh. Froitz-
heim. 68 S. 1 50
Band III
Heft XI: Die Armagnaken im Elsas s. Von Dr. H. Witte.
158 S. 2 50
Heft XII : Geschichte des heiligen Forstes bei Hagenau im
Elsass. Nach den Quellen bearbeitet von C. E. Ney, Kais.
Oberförster. II. Teil von 1648-1791. 2 50
Heft XIII: General Kleber. Ein Lebensbild von Friedrich Tei-
c her, Königl. bavr. Hauptmann. 48 S. 1 20
Heft XIV: Das Staatsrechtliche Verhältnis des Herzogtums
Lothringen zum Deutschen Reiche seit dem Jahre
1542 von Dr. Siegfried Fitte. Mit Karte. 103 S. 2 50
Heft XV: Deutsehe und Keltoromanen in Lothringen nach
der Völkerwanderung. Die Entstehung des Deutschen
Sprachgebietes von Dr. Hans N. Witte. Mit Karten. 100 S. 2 50
Band IV.
Heft XVI : Der letzte Puller von Hohenburg. Ein Beitrag zur
politischen und Sittengeschichte des Elsasses und der Schweiz
im 15. Jahrhundert sowie zur Genealogie des Geschlechts der
Puller von Dr. E. Witte. IV u. 143 S. 2 50
Heft XVII: Sine Strassburger Legende. Ein Beitrag zu den Be-
ziehungen Strassburg's zu Frankreich im 16. Jahrhundert von
Dr. A. Hollaender. 28 S. 1 —
Heft XVIII : Der lateinische Dichter Johannes Fabrloius Mon-
tanas (aus Bergheim im Elsass) 1527—1566. Selbstbiographie
in Prosa und Versen nebst einigen Gedichten von ihm, ver-
deutscht von Theodor Vulpinus. 30 S. —80
Heft XIX: Forstgesohiohtliohe Skizzen aus den Staats- und Ge-
meindewaldungen von Rappoltsweiler und Reichenweier aus
der Zeit vom Ausgange des Mittelalters bis zu Anfang des
XIX. Jahrhunderts von Dr. Aug. Kahl, Kaiserl. Oberförster.
Mit einer Ucbcrsichtskarte. IV u. 78 S. 2 —
Heft XX: Die Festung Bits oh von Hermann Irle. Zweite ver-
mehrte Auflage. Mit 2 Ansichten und Plan von Bitsch. 40 S. 1 —
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DIE BEZIEHUNGEN
KÖNIG RUDOLFS VON HABSBURG
ZUM ELSASS.
VON
C. GÖSSGEN.
STRASSBÜRG
J. H. ED. HEITZ (H EITZ Sc MÜNDEL)
1899.
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Nach dem Untergange des hohenslaufischen Kaisertums
schritt der Verfall der obersten Reichsgewalt, der schon unter
den Staufern selbst begonnen hatte, immer weiter vorwärts
und führte schliesslich zur Auflösung des Reichsverbandes.
Diesem allmählichen Verfall läuft parallel die Entwickelung
der dem Kaiser früher untergeordneten Gewalten zu immer
grösserer Selbständigkeit und Abschliessung. Das eigentüm-
liche Kennzeichen des den Staufern folgenden Zeitalters ist die
Ausbildung städtischer Republiken und territorialer Fürsten-
tümer, — zwei Gewalten, die um die Mitte des 13. Jahrhun-
derts die Hauptrolle spielten. Ihnen gegenüber traten zurück
die Vasallen, die entweder unter der erblichen Lehnsherrlich-
keit der welllichen oder der geistlichen Fürsten oder des Kö-
nigs standen, und die reichsunmittelbareu Geschlechter, die
nach dem Sturze der Staufer auf sich selbst gestellt waren.
Fürsten und Städte waren auch im Elsass um die Milte des
13. Jahrhunderts diejenigen Faktoren, mit denen die Reichspo-
litik am meisten zu rechnen hatte.
Das Bild einer politischen Karte des Elsasses jener Zeit bietet ein
seltsam buntes Aussehen dar, indem sichdieEntwickelung früherer
Jahrhunderte wiederspiegelt. Das Elsass dieser Zeit ist kein einheit-
liches politisches Gebilde mehr, das nur durch die Grafschafts-
grenze des Nord- und Sundgaues in zwei Gerichts- und Verwal-
tungsbezirke zerlegt wäre. Zwar besteht diese Grenze noch, auf
dem Vogesenkamm bei der Quelle der Leberau beginnend, erst ost-
wärts bis zur III, dann südlich dieser entlang und hierauf wie-
der ostwärts verlaufend, um unterhalb Breisach den Rhein zu
erreichen ; aber nördlich und südlich dieser Grafschaftsgrenze
oder jetzt Landgrafschaftsgrenze waltet nicht mehr der alte
Gaugraf als Vertreter der kaiserlichen Gewalt in der früheren
I
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I
— 4 —
Macht fülle und dem ehemaligen Umfange. Seine richterlichen
Befugnisse sind eben durch das allmähliche Anwachsen terri-
torialer und autonomer Gewalten, die die Gerichtsbarkeit in
grösserem oder kleinerem Umfange zu erlangen wussten, be-
deutend eingeschränkt worden, — eine Einschränkung, die das
Zurückweichen der Reichsgewalt anzeigt. Diese Süd- und
Nordgau, Landgrafochaft Ober- und Unterelsass von einander
scheidende Grenze war zugleich die Marke zwischen den Bis-
tümern Strassburg und Basel. Die Grenzen der beiden Graf-
schaften entsprachen ungefähr denen der heutigen Bezirke
Ober- und Unterelsass, nur dass die mittelalterliche Grenze
des Sundgaues nach S. W. bis gegen Beifort, des Nordgaues nur
bis zum Selzbach und nicht wie heute bis zur Lauter reichten .
Auch deckt sich nicht genau die Westgrenze des alten Nord-
gaues mit der heutigen Staatsgrenze gegen Lothringen.1
Der Grund und Boden des mittelalterlichen Elsasses im
13. Jahrhundert war unter drei Gruppen von Besitzern verteilt.
Ein Teil des Elsasses war Reichsgut mit den Städten, Reichs-
dörfern und Burgen der Ministerialen, ein anderer gehörte der
Kirche, der dritte weltlichen Fürsten und Herren. Unter den
geistlichen Territorialherren ragten durch ausgedehnten Besitz
hervor der Bischof von Strassburg im Nord- und Sundgau, der
Bischof von Basel im Oberelsass ; dazu kamen reichsunmittel-
bare Klöster wie Lützel, Pairis, Neuburg, Baumgarten, Andlau,
Hohenburg, Königsbrück ; Reichsklöster wie Murbach, St. Gre-
gor, Erstein, Selz, Weissenburg, St. Walburg. Von weltlichen
Herren waren im Oberelsass begütert vornehmlich die Grafen
von Pfirt, die Herren von Rappoltstein, die Grafen von Horburg ;
im Unterelsass hatten ansehnliches Besitztum der Herzog von
Lothringen, die Familie Lichtenberg, Fleckenstein und andere.
Ueber den weitaus grössten Besitz aber verfügten unter den
weltlichen Herren die Habsburger. Diesen gehörte2 vor der
Regierung Rudolfs um 1250 das habsburgische Stammgut (siehe
unten), das vom Kloster Murbach Erworbene (Vogtei), die Vogtei
des St. Amarinthales (murbachisch), das vom Bistum Strass-
burg Erworbene (Vogtei), die Vogtei der oberen Mundat Ru-
1 Vgl. die Karte bei Fritz, Das Territorium des Bistums Strassburg.
2 cf. die Karte bei Schulte, Geschichte der Habsburger in den
ersten drei Jahrhunderten. Innsbruck 1887.
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- 5 —
fach. Dazu kam das Rudolf von Kaiser Konrad IV. verpfändete
Gut wie Breisach und Kaisersberg; doch blieben diese Orte nicht
dauernd vor Rudolfs Wahl in dessen Besitz. Noch einen gros-
sen Erwerb machte der Graf Rudolf durch seine Vermählung
mit Gertrud von Hohenberg; dadurch gewann er als Heirats-
gut das Albrechtsthal im Unterel sass.
Die Herrschaft über diese Besitzungen allein schon gab den
Habsburgern im Elsass eine hervorragende Stellung. Sie wurde
noch dadurch verstärkt, dass dieses Geschlecht sich im erbli-
chen Besitze der Landgrafschaft im Oberelsass befand. Somit
Inhaber einer öffentlich rechtlichen vom Reiche kommenden
Gewalt standen die Habsburger in engen Beziehungen zum
Kaiser, zumal den Staufern, mit welchen sie überdies durch
verwandtschaftliche Bande verknüpft waren. So befand sich
auch der nachmalige König Rudolf, der am 1. Mai 1218 gebo-
rene Sohn Albrechts und der Gräfin Hedwige von Kiburg, auf
der Seite des grossen Staufers Friedrichs II., dessen Pathen-
kind er war. In die Zeiten des erbitterten Kampfes zwischen
Kaisertum und Papsttum, welcher mit der Bannung Friedrichs
durch Papst Gregor IX. im Jahre 1239 begann und nach der
Absetzung dos Kaisers durch das Konzil von Lyon im Jahre
1245 Deutschland in zwei Lager teilte, fallen die Anfange des
Grafen Rudolf ; er hielt die Fahne der Staufer. Seine Partei-
nahme für den Kaiser brachte ihn in Verbindung mit den
Städten, welche fast ausnahmslos die staufische Sache mit un-
erschütterlicher Treue verfochten, trotzdem Friedrich II. früher
so scharfe Edikte gegen die Slädte erlassen hatte, Edikte, die
das Reich auf den alten Grundlagen erhalten und die Bestreb-
ungen der Städte nach Selbständigkeit ersticken sollten. Diese
treue Anhänglichkeit der letzteren an den Kaiser erklärt sich
daraus, dass eben jene Edikte im Elsass nicht recht lebens-
kräftig geworden waren und dass der Kaiser mit der städte-
feindlichen Politik brechend den elsässischen Städten manch
schönes Privileg erteilt hatte. Als Freund des Kaisers suchte
auch Rudolf mit den Städten enge Beziehungen aufrecht zu er-
halten und zu pflegen, besonders mit Strassburg, dessen Banner-
träger sein Vater gewesen war. In dem Kriege der Stadt mit
ihrem Bischof Walther von Geroldseck zog Rudolf,* da er als
1 cf. Wiegand, Bellum Waltherianom.
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- 6 -
Vogt der Mundat von Rufach des Bischofs Vasall war, zuerst
diesem zu Hilfe, machte dann aber — aus welchen Gründen,
lässt sich nicht sicher erweisen — die bedeutungsvolle Schwen-
kung zu Gunsten der Stadt. Sicherlich haben ihn dazu, da er
eine nüchtern denkende, realistisch gesinnte Natur war, Rück-
sichten auf zu erreichende Vorteile bestimmt. Am 18. September
1261 schloss er mit seinem Vetter, dem Grafen Gottfried von
Habsburg-Laufenburg, und noch anderen ein Schutz- und Trutz-
bündnis mit der Stadt.» Waren seine Ansprüche auf die Ki-
burgische Erbschaft nicht der Grund seines Partei wechseis, so
können die Aussichten auf Befestigung seiner Stellung im
Oberelsass ihn zu der Schwenkung gegen den Bischof bestimmt
haben. Jedenfalls hat er alsbald dort grosse Vorteile erlangt;
denn er nahm von seinem Vetter unterstützt die Städte Kolaiar,
Kaisersberg und Mülhausen a ein, die bisher auf Seite Wal-
thers gestanden hatten. In Kolmar* fand er Unterstützung an
dem Feinde der bischöflichen Partei Johannes Rösselmann, der
als Schultheiss an der Spitze der Stadt stand und das Bündnis
mit der Stadt Strassburg abschloss. In demselben Jahre noch,
so wird im Ghron. Sen. und im bellum berichtet, nämlich 1261,
wurde auch Mülhausen genommen, dessen Bürgerschaft sich
sogleich beim ersten Angriff dem Grafen Rudolf ergab, wäh-
rend die von den Bischöflichen besetzte Burg sich noch 12
Wochen lang hielt. Als dann im März 1262 die Entscheidung
bei Hausbergen zu Gunsten der Stadt gefallen war, wurde bald
darauf ein Waffenstillstand mit dem Bischof abgeschlossen,8 bei
welchem der Graf Rudolf die Stadt Kol mar als mit zur krieg-
führenden Partei gehörig vertrat. Bei dem Vorfrieden von St.
Arbogast, welcher den nach jenem Waffenstillstand ausge-
brochenen Feindseligkeiten ein Ende machte, war der Habs-
burger ebenfalls 'beteiligt. Seine Teilnahme beschränkte sich
nicht bloss auf Verhandlungen, sondern auf Geltendmachung
sehr realer persönlicher Interessen : denn er erhielt in dem
Vertrage alle seine Vogleirechte in der Rufacher Mundat von
dem Bischöfe und Kapitel von Strassburg, sowie Ersatz des er-
littenen Kriegsschadens bestätigt. Erst der Schlussfriede vom
» Als. dipl. I, 436 u. 432.
2 Quellen : Chronic. Cohn. Richer, Chron. Sen., Bellum Waith.
8 Wiegand, a. a. 0.
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- 7 —
Jahre 1266 machte diesem Kriege, in welchem Rudolf auf Sei-
ten der Stadt gestanden hatte, ein Ende.
Das Verhältnis Rudolfs war nach Walthers Tode zu dessen
Nachfolger Heinrich ein freundliches. Aber bald wurde das
gute Einvernehmen zwischen beiden gestört ; denn der Strass-
burger Bischof wurde in den zwischen Rudolf und dem Baseler
Bistum ausbrechenden Krieg verwickelt. In diesem Streite
handelte es sich, wie in der Kolmarer Chronik erzählt wird,
zunächst um den Besitz der Stadt Breisach, die nach mehr-
fachem Besitzwechsel schliesslich durch Kauf in die Hände des
Baseler Bischofs kam. Da Rudolf trotz der von letzterem er-
legten Kaufsumme immer mehr Geldforderungen erhob, endlich
aber vom Bischof abgewiesen wurde, so begann er jenen greuel-
vollen Krieg, der mit wechselndem Erfolge im Elsass, dem
Breisgau und der Schweiz geführt und erst durch die Wahl
Rudolfs zum Könige beendigt wurde. An diesem Kriege nahm
auch der Strassburger Bischof teil, weil er Mülhausen wieder
in seine Gewalt bringen wollte. Alle von den beiden Bischöfen
gemachten Versuche zur Wiedergewinnung der Stadt schlugen
aber fehl. Im letzten Teile des Krieges errang Rudolf mehrere
Erfolge, so dass er schliesslich an die Belagerung Basels gehen
konnte. Bald war in der Stadt so grosse Not, dass auf Drängen
der Bürger vom Bischof .Friedensverhandlungen eingeleitet
wurden. Während dieser traf die Nachricht von der Wahl
des Grafen Rudolf zum deutschen König ein.
Durch diese Wahl nun wurde die Stellung Rudolfs in den
oberen Landen, wo er als Graf eifrig und mit grossem Erfolge
bemüht war, seine Herrschaft zu vergrössern und zu einem in
sich geschlossenen Fürstentum zu machen, von Grund aus ver-
ändert. Die nächste Folge, die er aus der neuen Lage zog,
war die, dass er mit den Feinden, die er als ländergieriger
Graf bekämpfte, Frieden machte. Die kaiserlose Zeit des Inter-
regnums, in welcher bei der Abwesenheit einer starken Re-
gierung und der Fülle widerstreitender Interessen der Fürsten,
Städte und des Reichsadels die Bande der staatlichen Ordnung
gelöst waren, sollte ja jetzt vorüber sein. Es war gewiss keine
leichte Aufgabe, die kaiserliche Gewalt in dem Kampfe gegen
einander strebender Kräfte aufzurichten und zu befestigen. Die
Fürsten, deren Streben auf Erhaltung ihrer sehr starken Stellung
gerichtet war, fanden sich im Besitz der Landesherrlichkeit ;
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die Politik der Städle erstrebte die möglichste Befreiung von
jeder Art der fürstlichen Herrschaft. Das Bürgertum der bi-
schöflichen Städte — dafür liefert Sirassburg ein klassisches
Beispiel — kämpfte um Selbstregierung und Selbstverwaltung
gegenüber dem Bischof, die königlichen Städte ebenso um Er-
haltung und Vermehrung ihrer Gerechtsame gegenüber dem
König. Das Reichsgut, zu dem auch diese Städte gehörten, war
— das gilt besonders von den ländlichen — schon vor dem
Interregnum und erst recht während desselben zum grossen
Teil abhanden gekommen.
Die festeste Grundlage des Königs war sein eigener Besitz,
den er und seine Vorfahren in den Landen um den Oberrhein
zusammen gebracht halle ; ein kleinerer Bestandteil seiner Macht
war die Landgrafschaft über das obere Elsass. Seine landes-
herrliche und landgräfliche Stellung war nun wohl eine Ach-'
tung gebietende, aber ihr gegenüber standen im Reiche ebenso
starke und noch stärkere Fürsten, welche den König in Ab-
hängigkeit von sich zu bringen vermochten. Im Südosten des
Reiches erhob sich zu gefahrdrohender Stellung der glänzende
und mächtige Ottokar von Böhmen, mit dem es zum Kampfe
kommen musste. Eine weitere Gefahr für das Königtum war
die kurfürstliche Oligarchie, welche die Reichsleitung stark be-
einflusste. Also das Bild der Reichslage bei dem Regierungs-
antritte Rudolfs zeigte Kämpfe im Innern, die Aussicht auf
einen gefährlichen Krieg mit Ottokar und Mangel an finan-
ziellen Mitteln, die während des Interregnums den Fürsten und
Städten überliefert waren. Somit musste die Hauptfrage für
den König sein, wie er das Königtum wieder stärken könne,
um der widerstrebenden Kräfte Herr zu werden und dem Reiche
den Landfrieden zu bringen. Rudolf hat zur Erreichung dieser
Ziele im wesentlichen zwei Mittel gebraucht : Sicherung eines
ausgedehnten Hausbesitzes einerseits, Wiederherstellung und Or-
ganisation des Reichsbesitzes und der damit verbundenen Rechte
andererseits. Die Richtigkeit dieser Behauptung beweist auch
seine Thätigkeil im Elsass, zu dem er als König in noch engere
und mannigfachere Beziehungen trat, wie er als Graf bereits
gestanden hatte.
Schon die obige Beleuchtung seiner Stellung inmitten der
verschiedenen elsässischen Gewalten zeigte, wie verschieden-
artig die Natur seiner Herrschaft im Elsass war. Der Graf Rudolf
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- 9 -
ist uns bereits bekannt geworden als Territorial herr ausge-
dehnter Ländereien im Nord- und Sundgau, als Vogt und Va-
sall des Strassburger Bistums, als Inhaber der öffentlich recht-
lichen Grafengewalt, ganz abgesehen von seinen durch Ruck-
sichten auf den eigenen Vorteil bestimmten und wechselnden
Beziehungen zu Bischöfen und Städten. Diese mannigfachen
Verbindungen mit dem Elsass wurden durch seine Erhebung
zum König noch erweitert. Denn durch die Erlangung dieser
Würde wurde einmal seine Stellung überhaupt verstärkt, dann
kam er zu den Gewalten des Elsasses eben durch das König-
tum in ein neues Verhältnis, endlich übernahm er die Erb-
schaft des im Elsass vorhandenen Reichsbesitzes. — Da er als
König im ganzen das bleibt, was er als Graf schon war, zu-
gleich aber neue Positionen gewinnt, so sind die Beziehungen
des Königs Rudolf zum Elsass von zwei Hauptgesichtspunkten
aus zu betrachten, nämlich von denen eines Territorial herrn zu
seinen elsässischen Besitzungen und den damit verbundenen
Rechten, sodann von denen des Königs zum ausserhabsburgischen
Elsass.
I. Der König Rudolf als Territorialherr.1
Zum Begriff der Territorialherrschaft gehören drei wesent-
liche Elemente: die Grundherrlichkeit, die Gerichtsherrlichkeit
und die Schutzherrlichkeit. In welchem Umfange Rudolf diese
Gewalten in seinen Besitzungen ausgeübt hat, ist die nächste
Aufgabe der folgenden Betrachtung. Die Lösung derselben er-
fordert in erster Linie die Feststellung des Umfanges und der
Art seiner Besitzungen.
1. Der Umfang und die Art seines Besitzes;
die Landgrafschaft.
Der älteste Besitz der Habsburger im Elsass ist das von
ihnen gegründete Kloster Ottmarsheim, dessen Besitz Heinrich IV.
1 Für diesen Abschnitt muss auf die übersichtliche Karte bei
<Schnlte, Geschichte der Habsbürger» hingewiesen werden.
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-lü-
den Habsburgern bestätigte.1 Die Hauptmasse der in der oberen
Grafschaft diesem Kloster geschenkten Güter lag rings um den
grossen Hardtwald zwischen III und Rhein. Derselbe wurde
seit etwa 1239 als habsburgisches Allod angesehen und
behandelt,« wie der Teilungsvertrag » zwischen Graf Albrecht
von Habsburg und Graf Rudolf von Habsburg-Laufenburg
beweist.
Zu dem Kloster gehörte auch das im Gebiet der Fecht ge-
legene Ammerschweier ; das Gleiche gilt von dem nördlich von
Schlettstadt gelegenen Scherweiler.* Unter den im Urbarbuch
genannten Besitzungen sind nun mehrere, deren Ursprung sich
nicht erweisen lässt. Gegen die Annahme Schultes, diese Orte
als habsburgisches Stammgut zu betrachten, wenn sich in ihnen
schon in ältester Zeit habsburgischer Besitz nachweisen lässt,
dürfte nichts einzuwenden sein. Das Stammgut lag demnach
um Ottmarsheim, Habsheim, Blodelsheim, Sepl, Ammerschweier
und Scherweiler. Dazu kaufte der Graf Rudolf 1269 die um
die Burg Landser liegenden Besitzungen der Herren von Buden-
heim, die sie von Rudolf zu Lehen nahmen. 5
Nächst dem Stammgut ist der wichtigste Besitz der Habs-
burger das vom Kloster Murbach Erworbene. Früher hatten
dieselben die Vogtei über das Kloster Murbach und das dazu
gehörige Amarinthal gehabt, die über das Thal hatte Rudolf
aber im Jahre 1259 aufgegeben, weil er von dem Kloster eine
grössere Geldsumme erhalten hatte.6 Bei dieser Verzichtleistung
übergaben die Grafen Rudolf und Gottfried ein Verzeichnis ihrer
murbachischen Lehen. ? Ein Vergleich mit dem Urbar» zeigt,
dass von den im Verzeichnis aufgeführten Orten nicht mehr
1 ürk. bei Redlich, Mitteil, des Instituts für österreichische Ge-
schichtsforschung V, 405. — ürk. vom Jahre 1063 (Als. dipl. I, 216).
— ürk. vom Jahre 1153 (Als. dipl. I, 884).
2 Schulte, Gesch. d. Habsb. S. 17.
9 Trouillat, Mon. de l'histoire de Bäle I, 549.
4 Es werden hier nur die Orte der Bestätigungsurknnde aufgeführt,
die anch später nach dem Urbarbuch habsbnrgisch sind. Andere
Orte der Urkunde waren später wieder abgegangen.
5 Math v. Neuenburg (ed. Studer) S. 14.
6 Murb. Annal. Anz. f. Schweiz. Gesch. IV, 169.
7 Als. dipl. I, 427.
8 Habsburger Urbarbuch, herausgegeben von Pfeiffer.
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- 11 -
habsburgisch sind die dem Kloster zunächst gelegenen Orte.
Das vom Kloster Erworbene lag in einem von Isenheim, Ost-
heim, Rädersheim ostwärts bis zum Rhein ziehenden Streifen,
über welchen der König Rudolf die Vogtei als murbachisches
Lehen besass. In dem Verzeichnis ist auch Hirsingen als mur-
bachisches Lehen aufgeführt, während in dem Urbarbuch dessen
Ursprung von Murbach nicht verzeichnet steht. Der murb ach-
ische Besitz um Dattenried kam nach 1274 durch Kauf unter
habsburgische Herrschaft. i
Zu dem Bistum Strassburg standen die Habsburger schon
seit längerer Zeit in näheren Beziehungen. Das beweist der
zwischen dem Bischof und dem Grafen von Habsburg 1201 ab-
geschlossene Vogteivertrag,* welcher die Rechte des Vogtes in
der oberen Mundat Rufach näher bestimmte. Von dieser habs-
burgischen Vogtei wurde die Mundat im Jahre 1269 befreit,
indem der Bischof Heinrich von Geroldseck dem nachmaligen
König Rudolf, dem an der Abrundung seiner Herrschati im Al-
brechtsthal viel lag, eine Reihe dort gelegener bischöflicher
Orte und ausserdem noch einige Besitzungen bei Kol mar ab-
träte Dem Habsburger blieb nur noch a*as Appellationsrecht
im Mundatgebiet. Die althabsburgischen Besitzungen in Nord-
hausen waren schon früher gegen Ueberlassung der Einkünfte
der Kirche zu Scherweiler von Seiten des Bistums an das
Kloster Hugshofen im Albrechtsthal dem Bischof von dem
Grafen Rudolf abgetreten worden;* doch erhielt derselbe dann
diese Besitzungen als Lehen von der Strassburger Kirche zu-
rück. Die Entstehung der Lehnsherrlichkeit dieser Kirche,
wovon das Urbarbuch berichtet, über den Hauptsitz der habs-
burgischen Verwaltung Ensisheim steht nicht fest.
Die Vogtei oder vogteiliche Rechte übten die Habsburger aus
über das oberelsässische Kloster Lützel, bei welchem es sich
nur um eine Unlervogtei handeln kann, weil dasselbe unmittel-
bar unter dem Schutze des Reiches stand. Ueber das schon
erwähnte Kloster Hugshofen üble der König Rudolf die Kast-
vogtei aus, d. h. er hatte über das Kloster mit all seinen Gü-
1 Schulte S. 90.
2 Strassb. ürk. B. I, nr. 139.
5 Als. dipl. I, 463.
* Strassb. ürk. B. I, S. 328.
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— 12 —
tern die Verwaltung. Von einigen anderen Klöstern wie Pairis,
Blotzheim, Münster und ßaumgarten hatten die Habsburger
die Schirmvogtei über einzelne Besitzungen. 1 lieber die Vogtei
des Klosters Kaltenbrunn war sich die habsburgische Verwaltung
selbst nicht klar. 2 Durch seine Verheiratung mit Gertrud von
Hohenberg erlangte Rudolf um das Jahr 1258 das Albrechtsthal,»
in welchem das althabsburgische Scherweiler und der schon
oben erwähnte Erwerb von der Strassburger Kirche lagen.
Stand nun schon Rudolf durch den Besitz grosser Ländereien
und Gerechtsamen in engen Beziehungen zum Elsass, so wurden
diese noch befestigt und vermehrt durch verwandtschaftliche
Verbindungen* mit den Geschlechtern der Hüneburg, der
Grafen von Ortenberg, Mömpelgard und Pfirt. Auch mit der
Familie der Horburg war Rudolf verwandt.»
Aus dem Vorstehenden ergab sich, dass ein Teil des habs-
burgischen Besitzes sich lange vor König Rudolf im Besitze
seines Hauses fand. Die Grafschaftswürde besassen die Habs-
burger 6 schon um das Jahr 1135. Die Frage nun, ob die
Uebertragung der Landgrafschaft den Habsburgern viel Besitz
eingetragen habe oder ob diese die Landgrafschaft wegen ihres
grossen Besitzes im Oberelsass erhalten haben, lässt sich nicht
entschieden beantworten. Auch die Angabe des Urbarbuches,
nach welchem Dammerkirch, vielleicht auch Sept, kaum wohl
Hirsingen i Grafschaftsgut gewesen ist, liefert für Entscheidung
jener Frage kein Krilerium, weil nach der Zeit von 1135 bis
1303 die Geschichte der habsburgischen Besitzungen nicht mehr
ganz klar sein dürfte. So viel wird man aber wohl behaupten
können, dass durch die Verleihung der landgraflichen Ge-
richtsbarkeit das Haus Habsburg einen bedeutenden Macht-
zuwachs erhalten hat und deshalb auch die Ausdehnung seines
Herrschaftsgebietes leichter erreichen konnte.
Die Grafenrechle übten die Habsburger zu Rudolfs Zeit im
1 Urbarbuch S. 11, 12 u. 18.
2 Schulte S. 96.
s Math. v. Neuenburg (ed. Studer) S. 183.
4 Schulte S. 130 u. 181.
5 Als dipl. I, 426.
6 Schulte S. 79.
7 Siehe das früher Gesagte.
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- 43 -
oberen Elsass ziemlich ungeschmälert aus, wenngleich die grossen
Güter der Bistümer Strassburg, Basel, der Abtei Murbach, fer-
ner Klöster wie Lülzel, Masmünster, von der landgräflichen
Gerichtsbarkeit eximiert waren. Zudem ist zu beachten, dass
die Landgrafschaft jener Zeit meist nur die hohe Gerichtsbarkeit
bedeutete, dass die niedere Gerichtsbarkeit sich nicht mehr
durchweg in den Händen der vom Grafen bestellten Unterrichter
befand, sondern auch von den Gebietsherren ausgeübt wurde.
Weltliche Herren suchten sich öfters, so auch im Oberelsass, der
landgräflichen Jurisdiklion zu entziehen, oder strebten, wenn
dies nicht gelang, darnach, von dem Landgrafen für ihr Ge-
biet ein Landgericht als Afterlehen zu erhalten. Beispiele dafür
lieferten die Familien Pfirt und Horburg. So stand der Graf
Theobald von Pfirt 4278 zu Altkirch einem Landgerichte vor;1
im Jahr 4300 verzichtete die Gemahlin des Ulrich von Regens-
burg zu Gunsten ihres Bruders, des Grafen Theobald von Pfirt,
vor dem Landrichter Peter von Bollweiler und dem Landgericht
zu Thann ; 2 im selben Jahre wurde von einer Gräfin von Pfirt
die Aufnahme ihres Gemahls in die Gemeinschaft der Graf-
schaft Pfirt vor dem kaiserlichen Landgericht des Landgrafen
vollzogen. s Die beiden letzteren Fälle beweisen die Zugehörig-
keit der Grafschaft Pfirt zur Landgrafschaft, wiewohl der oben
genannte Theobald selbst 4278 gräfliche Funktionen ausgeübt
hatte. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich aus der
Afterlehn sschaft der Pfirter Landgerichte. Ein Gleiches gilt von
der landgerichtlichen Gewalt der Horburger Herren. Andere
oberelsässische Herrengeschlechter haben nicht einmal ein Land-
gericht als Aflerlehen erhalten, sondern sie blieben unmittelbar
unter der Jurisdiktion der habsburgischen Landgrafschaft. Für
die Rappoltsteiner beweisen das mehrere Urkunden,* welche
die Rechte derselben aufzählen, aber von Grafenrechten nichts
berichten. Wie aus dem Obigen hervorging, übten die Land-
grafen keineswegs immer persönlich die Gerichtsbarkeit an ihren
Gerichten aus, sondern übertrugen sie anderen, z. B. den Herren
von Bollweiler. Auch die Rappoltsteiner wurden öfters als Land-
1 Herrgott, Gen. habsb. nr. 577.
2 Herrgott, a. a. 0. 691.
* Herrgott, a. a. 0. 692.
4 Als. dipl. m\ 808, 880, 883.
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— 17 -
auf die privatrechtliche Natur dieses Eigengutes zum Grund-
herrn. Welche indirekten Einkünfte Rudolf aus etwa ausge-
gebenem Lehnsgut bezog, lässt sich hei dem Fehlen eines Lehns-
verzeichnisses nicht bestimmen. Einkünfte von Eigengut bezog
der König aus der Stadt Landser und dem Dorfe Didenheim,
besonders aus dem Amte Ensisheim, dem an der Schweizer
Grenze gelegenen Biederthal, aus Hirsungen, dem Meiertum
Sept, aus dem Allodialgut des Albrechtsthales. Dazu kamen
Einkünfte vom Klostergut als Entschädigung für die Vogtei,
von Zöllen. Eine weitere Einnahmequelle bildeten die Steuern,
die Jahr für Jahr nach dem Bedarfe vom Vogte möglichst ohne
zu grosse Belastung der Unterthanen bestimmt und erhoben
wurden. In fast allen Orten des Amtes Ensisheim wurde die
Herbergsteuer, im grösserem Teile des Amtes Landser neben
einem Hühnerzins nur diese Herbergsteuer entrichtet, welche
eine Ablösung der in früherer Zeit durch Einquartierung und
Verpflegung erwachsenen Lasten bedeutet. Eine weitere Ver-
mehrung der Einnahmen brachten die nicht regelmässig auf-
gebrachten Abgaben, deren Höhe wegen ihrer Natur nicht
jährlich festgesetzt werden konnte, so das auf Grund des Erb-
rechtes vom Kolonen geforderte Besthaupt, der vom Erwerber
eines Gutes an den Grundherrn zu zahlende Ehrschatz, ferner
die Gerichtsbussen, Strafgelder und andere Gebühren. Schliess-
lich sind noch zwei Steuern zu erwähnen, welche ebenfalls in
den habsburgischen Landen gezahlt wurden, nämlich das Vogt-
recht und die Vogtsteuer. Ersteres zahlten die Dammerkircher
als freie Leute ihrem Landgrafen, doch nicht als eine hinsicht-
lich des Ertrages festgesetzte Abgabe. Vogtsteuer als eine nicht
fixierte Geldleistung wurde in einigen Orten des Amtes En-
sisheim erhoben.
Nächst der Verwaltung und Sleuerverfassung erfordert die
von Rudolf mit Anlehnung an staufische Einrichtungen geschaf-
fene Militärverfassung eine kurze Betrachtung, zumal die mili-
tärische Organisation in den habsburgischen Landen mit den
sonstigen Plänen Rudolfs für die Landesverteidigung überhaupt
zusammenhängt. Seine Einrichtung der Burglehen war dem
politischen Gedanken entsprungen, der Ministerialität, welche
zur Zeit der staufischen Burgenverwaltung mit eine der Haupt-
stützen der damaligen Reichsregierung gewesen war, dann aber
mit dem Untergange der Hohenstaufen ihren Halt am König
2
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- 18 -
und dem Reiche verloren hatte, neues Leben einzuhauchen und
die kleineren freien elsässischen Adelsgeschlechter an sich zu
fesseln. Der Mittelpunkt seiner Verwaltung Ensisheim wurde
durch Rudolf auch in militärischer Hinsicht der Hauptort seiner
Besitzungen. Während seiner Regierung sind, wie aus dem
Urbarbuch ersichtlich ist, in Ensisheim 6 Burgleben einge-
richtet worden, vielleicht noch mehr, da 1291 für Ensisheim
noch mehrere ausgegeben wurden. Aber es ist auch möglich,
dass dies schon nach Rudolfs Tode geschah. Von weiteren
vier Ensisheimer Burglehen und zwei anderen, dem Orlenber-
ger und Bilsteiner im Albrechtsthal, ist die Zeit der Errich-
tung im Urbarbuch nicht genannt. Im Jahre 1287, in wel-
chem Rappoltstein 1 belagert wurde, ist eine Burg Gemar für
Landsburg eingerichtet worden. In einem Burglehensbriefe»
vom Jahre 1289 wurden von dem Sohne des Königs Rudolf
zwei Brüdern als Burglehen zu Landsburg die Güter in Obern-
heringheim gegeben. Durch diese Burglehensvergabung, wel-
che hauptsächlich für Ensisheim und Landsburg erfolgte, suchte
Rudolf einerseits für Friedenszeiten eine ausreichende Sicherung
seiner Besitzungen zu erreichen, andererseits für den Kriegsfall
die Burgmänner schnell kampfbereit zur Hand zu haben.
Die bisherige Betrachtung des Umfanges und der Art des
habsburgischen Besitzes, der Verwaltungsorganisation, der
Steuer- und Militärverfassung und der Ausdehnung seiner
Landgrafschaft geben uns ein Bild seiner mächtigen Stellung
im Südwesten des Reiches. Nicht gleich bei der Wahl erschien
Rudolf in dieser Machtfülle, da einzelne Besitzungen erst wäh-
rend seiner Regierung erworben und erst unter derselben
manche administrative und militärische Einrichtungen geschaffen
wurden, aber ungefähr in dieser Position stellt er sich uns
schon als Graf dar. Es war daher nicht zu verwundern, dass
auf ihn als zukünftigen König die Blicke sich richteten. Nächst
den Kurfürsten und Ottokar von Böhmen war er der mächtigste
Mann im Reich.
Die Grundziele seiner Politik, Stärkung des in seinen Grund-
festen erschütterten Königtums, Unterwerfung Ottokars und
Sicherung des Landfriedens suchte er im Wesentlichen durch
1 Chron. Colm.
* Als. dipl. II, 42.
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Festigung seiner Hausmacht, sowie durch Revindikation des
Reicbsgutes und durch Ausübung seiner auf das Reichsgut sich
erstreckenden landesherrlichen Rechte zu erreichen. Unsere Blicke
müssen wir daher jetzt auf seine Thätigkeit im ausserhabsbur-
gischen Elsass lenken.
II Die Beziehungen des Königs Rudolf
zum ausserhabsburgischen Elsass.
Der Teil des Elsasses, zu dem Rudolf als König in nächste
Berührung trat, war das Reichsgut, d. h. dasjenige Gut, wel-
ches unmittelbar der Reichsgewalt unterworfen war. Man kann
nicht grade sagen, dass nach dem Untergänge der Hohenstau-
fen der Umfang des liegenden Gutes im Elsass so sehr einge-
schränkt worden sei. Aber innerhalb des Reichsgutgebietes
haben sich die königlichen Städte, wie überall wenigstens ver-
sucht worden, zu grösserer Selbstständigkeit erhoben, so dass
in dieser auf möglichst grosser Unabhängigkeit vom Könige ab-
zielenden Entwickelung eine Gefahr für das Reich in finanzieller
Beziehung bestand. Denn mit dem Wachsen der Autonomie
jener drohte das landesherrliche Recht der Besteuerung selbst
in Verfall zu geraten. In früherer Zeit hatte das Reich ausser
von dem reichseigenen Besitz an Pfalzen, Reichsdörfern, Höfen
und Waldungen noch mehr Einkünfte gehabt . Die einen Nutzen
abwerfenden Hoheitsrechte der Krone waren aber zum grossen
Teile an die zur Landesherrlichkeit vordringenden Fürsten all-
mählich verloren gegangen, und die Verpflichtungen des Kir-
chengutes gegenüber dem Reiche hatten sich ebenfalls geändert.
So war Rudolf bei seiner Thronbesteigung wegen der Unsicher-
heit der Reichsfinanzen in einer üblen Lage. Im Elsass war
er hauptsächlich auf die Einkünfte aus dem dem Reiche direkt
unterstehenden Gebiete mit seinen Städten, Dörfern, Höfen
und Waldungen angewiesen. Von den Reichsdomänen nun
waren viele zur Deckung von Schulden verpfändet. Ausserdem
ist zu bedenken, dass die ländlichen Reichsbesitzungen nicht
so viel Ertrag lieferten, weil der Schwerpunkt des wirtschaft-
lichen Lebens mit dem grossen Aufschwung von Handel und
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Verkehr in die Städte verlegt war. Das Land war finanziell
nicht so leistungsfähig als die Städte. Die Hauptquellen waren
daher diese, und sie wurden darum auch unter Rudolf durch
die Besteuerung nach Möglichkeit finanziell nutzhar gemacht.
Vor seiner Steuerpolitik aber, die schon die Ausnutzung des
Reichsgutes bedeutet, sind zunächst seine auf Wiederherstellung
und Abgrenzung desselben gerichteten Bestrebungen zu be-
trachten.
1. Der König als Reichsgrundherr und Schirm-
herr vornehmlich des Reichsgutes.
Ueber das Reichsgutgebiet übt der König die Landesherrlich-
keit aus. Er ist in Beziehung zu diesem Reichsgrundherr,
obersler Gerichtsherr und Schirmherr.
A. Die Wiederherstellung
und Verwaltung des Reichsgutes.
et. Die Revindikation.
Zur Stauferzeit gab es im Elsass Reste alten Reichsbesitzes
um Hochfelden, Schweighausen, Merzweiler, Marlenheim,
Wasselnheim, Illwickersheim, Geudertheim. Dazu kamen Reichs-
abteien, deren Grund und Boden Reichsbesitz war, und andere,
über welche der Kaiser die Schirmvogtei ausübte. Abteien
solcher Art waren Lützel, Pairis, Neuburg, Baumgarten und
Königsbrück. Eigentliche Reichsklöster waren Murbach, St.
Gregor, Erstein, Selz, Weissenburg und St. Walburg. Die
Klöster Masmünster und Maursmünster waren schon früher dem
Reiche verloren gegangen. Viel bedeutender als dieser alte
Reichsbesitz war das staufische Privatgut. Da kommt zuerst
Schlettstadt in Betracht, welches durch Wölflin ummauert
wurde. Den Privatbesitz dort gaben die Hohenstaufen auf,
sicherten sich aber gewisse Einkünfte und Einfluss auf die
Verwaltung der Stadt. Ferner hatten sich die Hohenstaufen
auf dem Odilienberg, in Rosheim und Elienheim festgesetzt,
welch letzteres um 1240 eine Stadt wurde. Zum Besitz der
Staufer gehörte ferner der heilige Wald, der nach dem Inter-
regnum dem Reiche gehört und Reichswald heisst. In diesem
lag das wichtige Hagenau, das durch die Staufer nächst Strass-
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bürg die erste Stadt des Elsasses wurde, ferner das von den
Staufern reich begabte Kloster Neuburg, das ebenso wie St.
Walburg Nutzungsrechte am heiligen Walde hatte. Eine Gründung
der Staufer war das begüterte Kloster Königsbrück. Eine andere
Gegend, in welcher sich unter den Staufern ein Komplex von
Reichsgut entwickelte, war das St. Gregorienthai und das Gebiet
von Kolmar. Auf dem Grunde des ersteren entwickelten sich
später die Reichsstädte Münster und Türkheim, in der Ebene
vor dem Gregorienthaie blühte Kolmar auf, das ebenso wie
Schleltstadt von Wölflin ummauert wurde und schon 1226 als
Stadt erscheint. Von demselben Wölflin wurde die Burg
Kaisersberg angelegt, deren Grund und Boden die Staufer
kauften. Von sonstigen Besitzungen seien noch die Komitats-
dörfer erwähnt, die gemeinsam dem Kaiser und dem Bischof
gehörten. Zu dem Reichs- und Familiengut tritt endlich noch
eine dritte Gruppe von Besitztümern : das sind die kirchlichen
Lehen. Davon mögen hier hervorgehoben werden die Orte
Molsheim, Mutzig und Mülhausen, um die nebst anderen sich
ein Streit zwischen Kaiser und Bischof von Sirassburg erhob, der
1236 zum Abschluss kam.
Das etwa waren die Besitzungen der Staufer, von denen sie
Einkünfte bezogen. Die Aufzählung macht auf Vollständigkeit
keinen Anspruch, sie bezweckt nur allgemeine Orientierung üher
das Gebiet, auf welche die Revindikation der Güter und die
Steuerorganisation der Reichsgutverwaltung sich erstreckte.
Während des Interregnums war von allen Seiten Bereicherung
durch Reichsgut angestrebt worden ; gleichwohl sind die Ver-
luste des elsässischen Reichsgutes nicht so sehr gross gewesen,
und der Besitzstand war zur Zeit der Thronbesteigung durch
Rudolf ungefähr der gleiche wie zur Zeit der Staufer.
Alles nun, was etwa vorn Reichsgut während des Interregnums
und von der Zeit von 1245 an verloren gegangen war, sollte
nach einer schon vor der Wahl Rudolfs von Seiten der Kur-
fürsten ergangenen Erklärung aufgesucht und wiederhergestellt
werden. Wann und wo die Verordnung für Revindikation von
Rudolf erging, lässt sich nicht mit Bestimmtheit angeben, wahr-
scheinlich in Hagenau während des Februar 1274. Im Herbst
desselben Jahres erlangte» Rudolf die Zustimmung zum Ein-
i M 0. LL. II, p. 400.
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schreiten gegen alle, welche sich seit der Absetzung Friedrichs IL
in den Besitz von Reichsgütern gesetzt hatten. Später am 9.
August 1281 1 wurde noch ein Gesetz erlassen, durch welches
alle seit 1245 bis zum Regierungsantritte Rudolfs getroffenen
Entscheidungen über Reichsgut für rechtlich ungültig erklärt
wurden. Die Ausführung der befohlenen Einziehung des ent-
wendeten Gutes sollte an Beamte übertragen werden, jedoch
mit der Einschränkung, dass die Entscheidung über streitige
Fälle dem Kaiser zustehen solle. Somit war ein gesetzlicher
Boden geschaffen, auf dem fussend Rudolf mit der Einziehung
beginnen konnte. Aber der Erfolg war kein grosser : denn
die Möglichkeit, sich durch ein königliches Privileg gegen die
Revindikation zu schützen, die nach Lehnsreoht bestehende
Verpflichtung zur Wiederausteilung restituierter Reichslehen und
die aus der schlechten Finanzlage des Reiches sich ergebende
Notwendigkeit von Verpfändungen verhinderten, dass sich für
die Krone ein grosserer Nutzen ergab.
Wie stand es nun mit den ländlichen Reichsgütern im Elsass
während der Regierung Rudolfs? Das Reichsdorf Hochfelden
mit Zubehör war verpfändet. 2 Die Dörfer Marley, Kirchheim
und Nordheim verpfändete Rudolf dem Heinrich von Veldentz,
Landvogt im Speiergau, und gestattete 1287 dem Otto von
Ochsenstein, die Dörfer von der Pfandschaft loszukaufen, damit er
sie selber als Pfand behalte, s Ebenso ist Rumolsweiler, Dann,
Kosweiler am 1. Mai 1287 aus der Pfandschaft Simons und
Walrams von Geroldseck in die Pfandschaft Otto's von Ochsen-
stein übergegangen.* Barr, altes Reichsgut, war seit Rudolfs
Zeit verpfändet ; die Stadt Reichshofen wurde 1286 von Rudolf
Otto von Ochsenstein übergeben. 5 Die Reichs Weinberge bei
Balburn sind von Rudolf an Friedrich von Leiningen, 8 das Dorf
Gressweiler (bei Molsheim) an Hugo von Lupfenstein,' einige
i M. G. Leges 435.
« Reg. Rud. 1179.
3 Meister. Die Hohenstaufen im Elsass, Beil. IV, 2.
* Als. dipl. II, 37.
5 Statistische Mitteil. 27, S. 102 (ürk. Beleg nicht angegeben).
« Als. dipl. II, 33.
" Meister, Beil. IV, 3.
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— t>3 —
Einkünfte in Geudertheim 1 an Friedrich von Wasichensteih
verpfändet worden. Einige Güter in Wassel nheim, die dem
Reiche hier noch verblieben, sind den Herren von Wangen als
Burglehen * übertragen.8 Ulwickersheim* ist an Nikolaus Zorn,
Schultheiss von Strassburg, verpfändet. Eine Verpfandung von
Reichsgütern an Herrn von Leiningen findet sich auch für
Weissenburg.5 Im März 1284 gestattete der König, welcher
sich damals in Breisach aufhielt, den Augustinern von Hagenau,
sich auf dem von dem dortigen alten Marschallamte abhängigen
Rosshofe ein Kloster zu erbauen.« Im Mai 4287 weilte Rudolf
. in Strassburg ; da kamen aus Hagenau der Leutpriester von
St. Georgen und Vertreter der Stadt mit der Bitte, das Patronat
vom heiligen Forste mit Einkünften ihnen zu überlassen.' Die
Bitte wurde vom König erfüllt und somit herrschaftliches Eigen-
tum verschenkt. Im Jahre 1288 verpfändete Rudolf die Burg-
mühle s zu Hagenau und einen Teil des Ertrages vom Weiters-
heimer Königsgut an Gödelmann von Dorswiller gegen 80 Mark
Silber. Das Reichsdorf ßalgau bei Neubreisach befindet sich
in Pfandschaft eines Herrn Johann von Laubegazzen . 9 Der
kaiserliche Besitz Iiikirch wurde 1291 von Rudolf verpfändet.^
Das Reichsdorf Heiligenstein war in Pfandschaft des Herrn
Eberhard von Landsberg,!1 das Dorf Bernhardsweiler in Pfand-
schaft des Herrn Walther von Girbaden. Ein Teil der Steuern
in Oberehnheim war 1275 an die Herren Zorn vergabt.« Wie
Rudolf sich betreffs der staufischen Lehen Molsheim, Mutzig,
Bischofsheim nebst zugehörigen Dörfern und mancher Güter
in und bei denselben mit dem Bischof Konrad von Lichtenberg
1 Böhmer, Act. sei. p. 332.
2 Die Barglehen sind hier mit aufgeführt, weil ihre Verausgabung
ja auch die Einkünfte schmälerte.
3 Als. dipl. II, 19.
* Als. dipl. II, 39.
5 Böhmer, Act. sei. p. 355.
6 Batt, Das Eigentum zu Hagenau I, 218.
7 Als. dipl. II, 37.
8 Batt n, 620.
9 Reg. Rud. 965 u. Böhmer, Act. sei. 360.
w Stat. Mitteil, für Elsass-Lothringen 27, S. 116 (?)
ii Als. dipl. n, 15 nr. 711.
i* Als. ill. Art. Zorn § 597.
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verständigt hat, darüber lässt sich bei dem Fehlen bestimmter
Nachrichten nichts Sicheres sagen. Einige Urkunden 1 beweisen
uns aber» dass sich Rudolf wieder in Besitz von kaiserlichen
und staufischen Gütern befand, welche früher wahrscheinlich
vom Strassburger Bistum besetzt waren. Solche Güter sind die
schon oben erwähnten Baibrunn, Gressweiler, Wietersheim,
Wasselnheim, Ehnheim. Auch das ergiebt sich aus den Ur-
kunden, dass das staufische Lehen Mülhausen, dessen Schicksale
in den Streit * zwischen Bistum und König verflochten und mit
den Schicksalen der Molsheimer Besitzungen eng verbunden
waren, wieder in Rudolfs Sitz gelangt war.» Wie im ein-
zelnen der Streit zwischen den beiden Gewalten ausgetragen
worden ist, darüber herrscht Dunkel. Aber eine Verständigung
hat stattgefunden; denn das Verhältnis Rudolfs zum Bischof ist
wenigstens während der letzten Jahre seiner Regierung ein
freundliches gewesen. Im Jahre 1293 ist ja dann auch zwischen
Adolf und dem Bischof ein Vertrag* abgeschlossen worden, dem
nach einer Mitteilung bei Grandidier« Bestimmungen eines Ver-
trages vom Jahre 1274 zu Grunde liegen sollen. Wenn diese
Mitteilung richtig ist, so wäre die Regelung des Besitzstandes,
wie sie 1293 vertragsmässig festgesetzt wurde, schon 1274 erfolgt.
Darnach hätte damals Rudolf Mülhausen, i|8 Wasselnheim, ge-
meinsamen Besitz in den Orten Sultze, Dankratesheim und den
Grafschaftsdörfern, ausserdem if2 Wasselnheim bei Kronen-
burg gehabt, während der Bischof den alleinigen Besitz in
Molsheim, Mulzig, Wege und Hermoltzheim erlangt hätte. «
Mehr als Wahrscheinlichkeit einer derartigen Besitzregelung zu
Rudolfs Zeit lässt sich unter diesen Umständen nicht behaupten.
Aus den bisher beigebrachten dürftigen Belegen für Reichs-
gutsbesitzverhältnisse geht zweierlei hervor : Einmal ist der
ländliche Reichsbesitz zum grossen Teil verpfändet, so dass von
ihm das Reich keinen direkten finanziellen Nutzen hatte,
1 Als. dipl. II, 33, 29, 39 u. a.
2 üeber diesen Streit vergl. Fritz, das Territorium des Bistums
Strassburg.
3 Als. dipl. II, 9.
* Als. dipl. II, 58, 59.
5 Oeuvres hist. inedites VI, 427.
c Fritz, a. a. 0.
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zweitens lässt sich bei dem Mangel urkundlichen Materiales
nicht genau der Umfang des Reichsgutsbesitzes unter König
Rudolf feststellen. Da nun für die Zeit der letzten Staufer die
Festlegung der Besitzverhältnisse ebenfalls nicht recht gelingt,
so ist auch kein genauer Nachweis zu erbringen, mit welchem
Erfolge die von Rudolf in Angriff genommene Revindikation
gearbeitet hat. Und was nützte alle Wiederbringung des Gutes,
da doch wieder verpfändet wurde 1 Hier, wo es gilt, die Be-
ziehungen Rudolfs zum Elsass klar zu legen, dürfte der Hin-
weis genügen, dass er auch im Elsass als Revindikator thätig
gewesen ist. Nunmehr ist die Frage zu beantworten, wie er
die Verwaltung des Reichsgutes organisiert und wie er dasselbe
für die Krone nutzbar gemacht hat.
3. Die Einrichtung der Landvogtei und die Befugnisse des
Landvogtes.
Schon vor der Zeit Rudolfs kamen im Elsass Landvögte vor ;
doch ist über die Abgrenzung ihrer amtlichen Thätigkeit wenig
bekannt. Genauere Nachrichten über ihre Befugnisse besitzen
wir erst aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Als Name
des ersten Landvogtes Rudolfs wird uns der des Konrad Wern-
her von Hattstadt, als zweiter mit diesem zusammen Kuno
von Bergheim 1 genannt. Letzterer war jedenfalls Landvogt des
Niederelsasses,* ersterer des Oberelsasses. Ende 1280 wurden die
beiden Landvogteien durch Rudolf zu einer einzigen elsässischen
zusammengezogen, und mit dieser wurde Otto von Ochtenstein
betraut.8 Neben diesem Ochsenstein wird in den Kolmarer An-
nalen an drei Stellen ein Herr von Hohenstein als Vogt des
Elsasses aufgeführt. Was es mit diesem auf sich hat, ist nicht
mit Sicherheit zu ermitteln. Gegen die Konjektur Kopps,4 dass
für Hohenstein Ochsenstein zu setzen sei, spricht doch das
dreimalige Vorkommen des Namens Hohenstein neben Ochsen-
stein in den Kolmarer Annalen. Andererseits befriedigt auch
1 Als. ill. II, p. 560.
2 Als. dipl. II, 11 u. 15.
3 Zeitschr. f. G. d. 0., XI.
4 Kopp, Geschichte d. eidgenössischen Bünde, 2. Buch 731 Anra. 2.
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— 26 —
die von Teusch1 gegebene Erklärung, wonach der Hohenstein
der Untervogt sei, nicht völlig. Der Landvogt Baldeck wurde
schon oben als habsburgischer Vogt gekennzeichnet. Somit sind
Konrad Wernher von Hattstatt, Kuno von Bergheim, Otto von
Ochsenstein als die Rudolfinischen Landvögte des Elsasses an-
zusehen. Was hatten die Vögte nun für Befugnisse?
Rudolf war als König für die gesamte Reichsgutverwaltung
verantwortlich. Dass er dem Reichsgut mit Zustimmung der
Fürsten seine ernste Sorge zuwandte, zeigte schon die durch
ihn in Angriff genommene Re Vindikation. Oben war schon be-
merkt, dass die Ausführung derselben nach dem Gesetz Beam-
ten übertragen werden sollte. Die Landvogteieinrichtung stand
daher offenbar mit der Revindikation in Zusammenhang.
Nach der Einsetzungsurkunde * des Landvogtes Otto von
Ochsenstein vom Jahre 1280 erscheint dieser in erster Linie
als ein auf Zeit angestellter und daher auch wieder absetzbarer
oberster Verwaltungsbeamter, dessen Gewalt das reichsun-
mittelbare Gebiet unterworfen ist, als Inhaber des Besetzungs-
rechtes für die königlichen Aemter der Untervögte, Schult-
heissen, Meier u. s. w., die ihm den Treueid leisten
mussten und im Falle schlechter Amtsführung von ihm ab-
gesetzt werden konnten. So setzte z. B. Otto den Schult-
heissen Siegfried von Kolmar 1281 ab.s In zweiter Linie war
er oberster Finanzbeamter, der die Einkünfte für die Land-
vogteikasse in Empfang nahm und, was damit zusammenhing,
die Aufsicht über das dem Reiche durch Verpfandung entzogene
Reichsgut führte. Seine Wirksamkeit erstreckte sich auch auf
die Erhebung von Beden und Steuern. So werden die beiden
elsässischen Land vögte in einer Urkunde vom 26. Februar 1277*
angewiesen, von den im Elsass gelegenen Gütern Strassburger
Börger gegen ihre Privilegien keine Steuern zu erheben und
die etwa schon erhobenen zurückzuerstatten. Ferner hatte er
wohl bei der Einziehung der regelmässigen Jahressteuern und
auch der ausserordentlichen Steuern der königlichen Städte
mitzuwirken. Neben der Führung und Beaufsichtigung der
1 Teusch, Die Landvogteien.
* Mone, Ztschr. G. 0. XI.
3 Colm. ann. mai. anno 1281.
* Als. dipl. II, p. 4 nr. 692.
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— 27 —
Finanzverwaltung hatte der Landvogt auch militärische Oblie-
genheiten. Konrad von Hadstatt bot z. B. Truppen für den
Feldzug gegen Ottokar auf und sammelte sie in Basel.1 Auch
zur Vollstreckung königlicher Rechtssprüche oder zum Schutze
des Landfriedens wurde der Vogt mit militärischem Kommando
betraut, z. B. bei dem Einschreiten gegen Anselm von Rappolt-
stein. In Sachen des Landfriedens scheint der Landvogt gele-
gentlich auch richterliche Funktionen ausgeübt zu haben. Sonst
aber hat die Rechtsprechung nicht zur Kompetenz der elsäs-
sischen Landvögte gehört.
Die Einrichtung der Landvogtei für das Reichsgut erinnert
an die Verwaltungsorganisation der habsburgischen Lande;
denn die Aehnlichkeit ist offenbar. Diese zur Zeit Rudolfs be-
stehende Verwaltung von Hausgut und Reichsgut im Elsass
war nun aber nicht, eine originelle Schöpfung des Königs Ru-
dolf: denn er hat auch für die Landvogtei an schon früher
Bestehendes angeknüpft, dieses aber weiter ausgebildet und in
festere Formen gebracht. Und dieses war notwendig, wenn an-
ders er die Ziele der Revindikation und Erschliessung der auf
dem Reichsgut liegenden Geldquellen erreichen wollte. Letzteres
war der Zweck seiner Steuerpolitik.
f. Die Steuerpolitik.
Als Rudolf die Reichsleitung übernahm, war seine Stellung
in finanzieller Hinsicht nicht stark ; denn ein grosser Teil des
ländlichen Reichsgutes war auch im Elsass verpfändet, und er
musste zur Bestreitung der bei der Revindikation erwachsenden
Kosten oder zur Deckung sonstiger Schulden selbst von dem
Mittel der Verpfandung Gebrauch machen. Da nun das Land
finanziell auch nicht so ergiebig war wie die im Aufschwung
begriffenen Städte, so musste Rudolf zur Beschaffung der zur
Reichsleitung und Hofhaltung notwendigen Geldmittel neue
Wege finden. Als einen solchen erkannte er die Ausnützung
seines landesherrlichen Rechtes der Besteuerung der Städte.
Früher war das Reich im Genüsse von ordentlichen öffent-
lichen Abgaben der dem Könige direkt unterstehenden Städte,
von ordentlichen direkten Steuern auch einzelner Bischofs-
» M. G. Scr. XVII, p. 250.
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- 28 -
städte gewesen ; dazu kamen noch ausserordentliche Leistungen.
Die eigentlichen städtischen Reichssteuern waren die Hof- und
Heersteuern, welche vornehmlich auf den Bischofsslädten ruhten.
In den Zeiten des Interregnums aber hatten die Städte mög-
lichste Befreiung von Leistungen an das Reich erstrebt. Die
unter bischöflicher Herrschaft stehenden Kommunen suchten
diese abzuwerfen und damit von der Zahlung der Abgaben an
den Bischof frei zu kommen. Dieses Streben zeigte sich im
Elsass schon früh bei Strassburg, welches bereits im Jahre 1236
von Friedrich II. die Bestätigung des Privilegs erhielt, wonach
die Stadt nur zu Leistungen an das Reich verpflichtet war. —
Unter König Wilhelm benutzte Hagenau die Gelegenheit, um
sich ein Privileg 1 zu verschaffen, wonach die Stadl gegen jähr-
liche Erlegung einer feststehenden Summe von allen andern
Leistungen befreit wurde. Unter Richard liess sich dieselbe
Stadt das Recht» pri vi legieren, die Steuer auf alle in der Stadt
liegenden Güter ohne Unterschied auszudehnen. Derselbe König
bestätigte dann noch die Befreiung der ausserhalb gelegenen
Bürgergüter von auswärtigen Steuern. Man. ersieht aus diesen
Beispielen das deutliche Streben der Städte nach Einschränkung
des königlichen Besteuerungsrechtes und nach autonomer Fi-
nanzverwaltung. — Trotz alledem waren die königlichen Städte
zur Zeit Rudolfs die ergiebigsten Geldquellen. Darum hat der
König versucht, sich die Steuerkräfle aller und besonders der
königlichen Städte im Elsass dienstbar zu machen.
Den besten Einblick in seine Steuerpolitik eröffnet uns die
Kolmarer Chronik. Aus dieser erfahren wir zunächst, dass die
Kolmarer dem Könige 1273 freiwillig eine bestimmte Menge
Wein statt Kleinodien darbrachten. Aus der Stuttgarter Hand-
schrift, wo es heissl, dass Dörfer und ummauerte Ortschaften
ihrem Herrn jährlich eine bestimmte Summe zu zahlen pflegten,
geht hervor, dass die Zahlung einer gewissen jährlichen Abgabe
seitens der Stadt an den Herrn noch die Regel war. Die ge-
wöhnlichen Steuern nun hat Rudolf zunächst unverändert wei-
ter erhoben. Das beweist auch der Ausdruck der Chronik, dass
Rudolf eine neue Auflage erfand. Die von ihm 1274 auf das
Vermögen der einzelnen ausgeschriebene 3o/0 Steuer war eine
1 Gaupp I, 102.
2 Gaupp I, 104.
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ausserordentliche. Der Ertrag der gewöhnlichen Sleuern ge-
nügte aber nicht, daher musste der König zu neuen greifen.
Der Grund, der ihn zur Einführung dieser Extrasteuer be-
stimmte, war, da sich die Einfuhrung der Hofsteuer für die
königlichen Städte nachweisen » lässt, jedenfalls auch für die
Kolmarer Steuer der Wunsch, die Mittel für den Hoftag in
Nürnberg (1274) zu gewinnen. Darnach hatte also Rudolf,
da das Reichskirchengut, Bistümer und Abteien, besonders an
der Aufbringung der Kosten für Hofhaltung und Heerdienst be-
teiligt war, von bischöflichen und königlichen Städten Hof- und
Heersteuern d. h. ausserordentliche direkte Leistungen gefor-
dert. — Die bekannteste Steuer, die der König auch von den
königlichen Städten des Elsasses forderte, ist der dreissigste
Pfennig, über den die grossen Kolmarer Annalen am genau-
esten berichten. Diese Steuer ist ebenfalls eine Vermögenssteuer,
welche die einzelne Steuerkraft nutzbar machen sollte. Die Er-
hebung derselben stiess auf entschiedenen Widerstand, beson-
ders bei den reichen und einflussreichen Bürgern, deren Ka-
pital am meisten belastet wurde. Von der Steuer des Jahres
1274 heisst es, sie habe dem armen Volke behagt. Natürlich,
denn die Steuer konnte damals ebenso wenig wie die vom
Jahre 1284 von den Reichen auf die Armen abgewälzt werden,
weil jedermann nach seinem Vermögen zahlen sollte. Und
dieses konnte jetzt bei Erhebung des 30. Pfennigs um so
sicherer getroffen werden, weil die eidliche Selbsteinschätzung *
in Anwendung kam. Aber nicht bloss die Aussicht, nun nach
dem wirklichen Vermögen steuern zu müssen, erregte die Kol-
marer Bürgerschaft, sondern auch der Eingriff in die Stadtver-
waltung, welcher in der Durchbrechung des städtischen Rech-
tes der Gesamtbesteuerung lag. — So kam es denn im Mai
1285 zu offener Feindseligkeit,« nachdem schon Ende des vor-
hergehenden Jahres die Bürger die Bezahlung der Steuer ver-
weigert hatten. Im Mai 1285 standen auch andere deutsche
Städte, vor allem Hagenau, dessen Bürger den Landvogt ver-
jagten, gegen den König in Waffen. Diese Unruhen sind offen-
> Ficker, S. B. d. W. Ak. 77.
* Kopp, Eidg. B. I, 745.
3 M. G. Scr. XVII, p. 212.
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bar die Folge jener Steuerforderung, und die Missstimmung
darüber wurde dann von dem falschen Friedrich, dem Betröger
Tilc Kolup, geschickt ausgenutzt. Bei dem entschiedenen Wider-
stande der Kolmarer — der Schultheiss Walter Rösselmann,
den Rudolf eingesetzt hatte, liess die Thore schliessen — kam
es zur Belagerung der Stadt durch Rudolf. Dieselbe endigte mit
einem Vertrage, wonach die Stadt sich 2200 M. auflegte. «Die
Kolmarer legten sich die Steuer auf» (super se posuerunt), so
heisst es in den Annalen. Nach diesem Ausdruck zu urteilen,
hätten die Kolmarer den Angriff auf das städtische Recht der
Gesamtbesteuerung abgeschlagen, so dass Rudolf genötigt war,
die Selbständigkeit der städtischen Finanzverwaltung anzuer-
kennen.! Da nun £200, selbst 4000 M., wie Ellenhard angiebt,
nicht der Ertrag des 30. Pfennigs zu sein scheint, so wäre
Rudolf auch nicht in den Besitz der von ihm gewünschten
Summe gelangt. Die Zahlung von 30000 Pf., welche die An-
nalen für das Jahr 1284 melden, wird wohl auf eine Anleihe
zu beziehen sein. Die letzte grosse Städtesleuer Rudolfs war die
vom Jahre 1290, wo sich Vertreter der Städte zur Beratung
und Bewilligung in Nürnberg versammelten. Kolmar gab nach
den Annalen 500 M. Jetzt wird von keinen Unruhen in den
Städten berichtet. Es entstanden offenbar jetzt solche nicht,
weil von den Städten nur Gesamtleistungen mit Wahrung ihres
Bewilligungsrechtes gefordert wurden. Die Steuern, die Rudolf
demnach von den Städten verlangte, waren die alten jährlichen
Prekaria in den königlichen Städten, ausserordentliche Leis-
tungen auch der Reichs- und Freistädte für Reichszwecke, d. h.
für Hof tage und Heersteuern zum Römerzug. Dazu kamen noch
sogenannte Land frieden ssteuern, die mit dem Hinweis auf die
salus publica begründet wurden. Feste Jahressteuern in den
alten grossen Bischofsstädten, hier also in Strassburg, sind nicht
zu erkennen. Ihre eigentümliche Stellung zwischen Bischof und
König mag bewirkt haben, dass sie in der Regel nach keiner
Seite hin so fest gebunden waren wie die königlichen Städte.
Ihre Steuerkraft wurde nur für besondere Leistungen an das
Reich, für die Romfahrt und den Reichskrieg wider die Feinde
des Christentums, in Anspruch genommen. Das sind die Grund-
1 Zeumer, Städtesteuern.
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züge der Rudolfinischen auch auf das Elsass bezüglichen Steuer-
politik. Sie beweist uns, wie energisch sein Bemühen war,
durch Aüsnützung seines landesherrlichen Besteuerungsrechtes
sich die Geldkräfte der auf elsassischem Reichsgut stehenden
Städte nutzbar zu machen. Und dazu hatte er als König nicht
bloss das Recht, sondern auch die Pflicht, weil er die immer
grösser werdende Schmälerung der Reichseinkünfte nach Mög-
lichkeit verhindern musste. Es war bereits erwähnt, dass er
den teil weisen Ertrag der Steuern auch für Landfriedens-
zwecke verwendet und seinen obersten Verwaltungsbeamten
mit der Ausführung der Landfriedensgesetzgebung betraut hat.
Den Frieden dem Reiche zu bringen, den er als Graf früher
selbst in arger Weise gestört hatte, war ja mit ein Hauptziel
seiner königlichen Politik. Als König war er zum Schutz des
Reiches gegen innere Empörung und äussere Angriffe verpflich-
tet. Auch im Elsass tritt uns Rudolf als Schirmherr des Friedens
entgegen.
B. Die Sicherung des Landfriedens.
In mehrerer Hinsicht knüpft die Thätigkeit Rudolfs an die
von den Staufern geschaffenen Einrichtungen an, so auch in
den Landfriedensbestrebungen. Das bekannteste Landfriedens-
gesetz ist das von Friedrich II. in Mainz 1235 erlassene. Die
unter König Rudolf auf das ganze Reich sich erstreckenden
Friedensgesetze sind Erneuerungen jenes grossen Mainzer Ge-
setzes und enthalten Bestimmungen über Selbsthilfe, Pfändung,
Geleit, Zölle, Münzwesen, Hehlerei, Schutz der Kirche u. s. w.
Das eine Gesetz1 wurde auf dem Würzburger Reichstage am
24. März 1287, das andere« auf dem Reichstage zu Speier am
8. April 1291 erlassen. Zur Durchführung des Landfriedens gab
es besondere Landfriedensgerichte, die in der Regel aus einem
Landfriedenshauptmann und 11 oder 12 Landfriedenspflegern
zusammen gesetzt waren und in Landfriedenssachen auch rich-
terliche Funktionen ausübten, aber namentlich die Exekution
gegen die Friedensbrecher in Ausführung brachten. Ein solches
Friedensgericht bestand unter Rudolf auch im Elsass, wie eine
1 M. G. LL. II, S. 448
2 M. G. LL. II, S. 456.
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32 —
Notiz bei Schöpflin > angiebt : Anno 1289 Otto advocatus provin-
cialis cum undecim assessoribus de causa violatae pacis pub-
licae cognovit. Die erste zur Sicherung des Landfriedens getrof-
fene Massregel fallt in das Jahr 1278, wo in Hagenau am 24.
Juni eine Landfriedensvereinigung zustande kam, an der auch
die Städte8 Strassburg, Basel, Kolmar, Schlettstadt, Hagenau
und Weissenburg teilnahmen. Man gelobte sich dort besonders
Sicherung gegen ungebührlich auf dem Rheinstrom erhobene
Zölle, Sicherheit der Fahrt auf dem Rheine und eine gemein-
same Beisleuer zur Aufrechterhaltung des Friedens. Zu dieser
Einigung hat Rudolf mitgewirkt ; denn der Graf Friedrich von
Leiningen, der von Rudolf gesetzte Landrichter, bat im August
1277 die Stadt Strassburg, ihre Boten mit Vollmacht nach
Mainz zu den Landfriedensverhandlungen zu senden.* Ein or-
dentliches Landfliedensgesetz* für die rheinischen Gegenden
wurde im Jahre 1281 erlassen, welches auch für das Elsass
Geltung gehabt zu haben scheint. Denn im selben Jahre liess
Rudolf den Landfrieden in Konstanz, SchalFhausen, Strassburg
u. s. w. beschwören. 5 Und vom Jahre 1288 berichten die Kol-
marer Annalen, dass am 1. April der König Rudolf, die Ad-
ligen und Vertreter der Strassburger Bürgerschaft einen Land-
frieden beschworen. ß Der König sorgte bei Friedensstörungen
aber auch für eine kräftige Exekution, bei welcher, wie schon
oben erwähnt, der Landvogt beteiligt sein konnte. Von einem
allgemeinen Aufgebot gegen einen Landfriedensbrecher berichtet
die Kolmarer Chronik.' Heinrich von Rappoltstein hatte sich
vor Rudolf beklagt, dass sein Bruder Anselm ihm und den
beiden Söhnen seines verstorbenen Bruders Ulrich das väter-
liche Erbe vorenthalte. Auf eine vom König an Anselm er-
gangene Aufforderung zur Herausgabe des Erbteils weigerte sich
dieser. Da erging vom König ein Aufgebot gegen den trotzigen
Rappoltsteiner, und Hartmann von Baldeck wurde mit der
1 Als. III. II, p. 561.
2 Strassb. ürk. ß. II, Nr. 68.
» Strassb. Urk. B. II, Nr. 58.
* M. Cr. LL. H, 436.
* Chronik, deutsch. Städte VIII, S. 44.
6 M. G. Scr. XVII, p. 215.
7 M. G. Scr. XTO, p. 255.
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33 -
Exekution betraut. Da dieser keinen Erfolg bei der Belagerung
hatte, kam Rudolf selbst und schloss Rappoltstein ein. Aber
ein Anschlag gegen sein Leben bewog ihn, die Belagerung
aufzugeben und abzuziehen. Vorher traf er Anordnungen für
eine energische Blockade und beauftragte den Landvogt, für die
Durchführung derselben in Gemar eine Burg aufzuführen.
Diese bald vollendete Burg erhielt dann eine Besatzung. — So
sehen wir Rudolf bemüht, seinen schiedsrichterlichen Ent-
scheidungen zur Verhütung gewaltsamer Landfriedensbrüche
gehörigen Nachdruck zu verleihen. — Einen anderen Fall vom
Jahre 1289 melden die Kolmarer Annalen.4 Die Herren von
Girsberg hatten Siegfrid von Gundolzheim hinterlistig ermordet
und wurden deshalb von Rudolf geächtet. Ihre Burg wurde
vom Landvogt belagert, und die Herren von Girsberg mussten
sich im Februar des folgenden Jahres dem Belagerer auf
Gnade und Ungnade ergeben. Die Burg wurde dann 1291 gänz-
lich zerstört und deren Herren bis dahin in strenger Haft ge-
halten.
So erweist sich hier Rudolf als thalkräftiger Landfriedens-
schützer. In seinen Eigenbesitzungen trat er uns mit seiner
Einrichtung der Burglehen als militärischer Organisator ent-
gegen. Auch für das Reich hat Rudolf durch seine Reichsburg-
lehenvergebung in gleicher Richtung gearbeitet. Auf diesem Ge-
biete sehen wir ihn wieder in die Fussstapfen der Staufer treten,
die an der im Elsass durchgeführten Reichsburgenverfassung mit
eine der Grundlagen ihrer Machtgehabt hatten. In Erkenntnis dessen
hat auch Rudolf eine Regenerierung dieser erschütterten Ver-
fassung angestrebt : denn uns ist eine Reichsburglehenvergebung
an Härtung von Wangen aus dem Jahre 1280 bekannt. Diese
betrifft Ehenheim.* Die Zahl dieser Vergabungen wird aber
jedenfalls eine grössere gewesen sein, da nur wenige solcher
im ganzen schlecht aufbewahrten Burglehensverträge uns er-
halten sind. Das Wenige, was uns überliefert ist, beweist
jedenfalls, dass Rudolf die Burglehensvertassung im Elsass
durchzuführen versucht hat, um mit ihrer Hülfe den elsässischen
kleineren Adel an sich zu fesseln und so eine Stütze seiner
1 M. G. Scr. XVII, 216.
2 Als. dipl. H, 19.
3
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— 34 -
Herrschaft zu sichern. Mag auch sein Streben von keinem Er-
folg begleitet gewesen sein, weil bald nach ihm die Reichsburg-
lehen dahin gegeben wurden ; er hat doch daran gearbeitet,
den Verfall der glänzenden staufischen Burgenschöpfung aufzu-
halten.
2. Der König als Re ich soberhaupt im Verhältnis
zu den Städten und Territorien.
Die Betrachtung des Verhältnisses Rudolfs zu dem Reichsgut
und seiner Bestrebungen für die Sicherung des Landfriedens
zeigten uns den König in Ausübung seiner Gewalt, welche ihm
als Reichsgrundherrn und Schirmherrn des Friedens zustand.
Neben dem Reichsgut, welches der landvogteilichen Verwaltung
unterworfen wurde, gab es aber auf dem Grunde des elsässi-
schen Reichsgutes selbst und ausserhalb dieses Gewalten, wel-
che sich der Reichsgewalt immer mehr zu entziehen bestrebt
waren oder dieses Ziel fast ganz erreicht hatten. Das sind die
Städte und vornehmlich die Freistadt und das Bistum Strass-
burg. Wie stark die- Städte zu Rudolfs Zeit bereits waren,
welche Selbständigkeit der Verwaltung sie schon erlangt hat-
ten, musste Rudolf bei der von ihm geplanten Durchführung
der Besteuerung erfahren. Die Kolmarer Bürgerschaft hatte den
Eingriff des Königs in die Verwaltung ihrer Stadt energisch
zurückgewiesen. In den anderen bedeutenderen städtischen Ge-
meinwesen des damaligen Elsasses stand es für den König nicht
besser, der wohl de iure noch als Herr der Städte erschien,
de facto es aber nicht mehr war. Die denselben früher erteil-
ten Privilegien musste er ebenfalls anerkennen oder gar noch
neue dazu verleihen, so z. B. das mandatum de immunitate
civitatum imperialium, worin es heisst, ut nullus extra huius-
modi civitates super quacunque causa in iudicium evocetur.
In welchen Beziehungen stand nun Rudolf zunächst zu den
Städten ?
A. Der König und die Reichsstädte.
Reichsstädte sind solche, welche zum Reichsgut gehören und
von königlichen Beamten verwaltet werden. Zu den Reichs-
städten wird gewöhnlich auch Strassburg gerechnet ; doch sei
dieses hier vorläufig ausgeschieden, da es eine Ausnahmestel-
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- 35 —
lung einnimmt und daher eine besondere Betrachtung verdient.
Als Reichsstädte gelten im Elsass zu Rudolfs Zeit oder bald
nach ihm Oberehnheim, Rosheim, Schlettstadt, Kaisersberg,
Mülhausen, Munster, Kolmar, Hagenau, Türkheim und Weis-
senburg. Zu mehreren von diesen ist Rudolf in ein näheres
Verhältnis getreten. %
Oberehnheim.
Die Geschichte dieses Ortes, der um 1240 zur Stadt wurde,
ist verflochten in die Schicksale der Reichsabtei Hohenburg,
über welche die Habsburger die Schirmvogtei hatten. Der
Aebtissin dieses Klosters, das in Oberehnheim und Umgegend
begütert war, schickte König Rudolf am 25. Dezember 4273,
wo er in Hagenau weilte, den Investiturbrief,» durch welchen
er ihr die Regalien ihres Prinzipats verlieh. Und im Jahre 4276
entschied Kuno von Bergheim an Stelle des Königs, dessen Ur-
teil die Aebtissin angerufen hatte, in Oberehnheim zu Gunsten des
Klosters, dass nämlich die Höfe desselben in Rosheim, Bläs-
heim, Ingmarsheim, Niederehnheim und Sundhausen von der
Herbergsverpflichtun^ und Herbergsteuer, dass ferner die Leute
dieser Höfe von Leistungen und Forderungen aller Art frei sein
sollen.8 Im Jahre 4283 war der König selbst in Oberehnheim
und sass einer Gerichtssitzung vor, in welcher er die ledig ge-
wordene Herrschaft Bar an Heinrich von Fürstenberg verlieh.*
Ausser den schon früher erwähnten Verpfändungen eines Teiles
der Steuern an die Herren von Zorn (4276) und des Dorfes
Bernhardsweiler an Walther von Girbaden (4275), sowie der
Burglehensvergabung (4280), ist noch seine Mitwirkung bei der
Schlichtung des Streites zwischen der Bürgerschaft einer-, den
Herren der Schlösser Kagenfels und Birkenfels andererseits zu
erwähnen. Diese beiden Burgen waren wohl nach dem Kriege
Walthers von Geroldseck 4262 von bischöflich-strassburgischen
Ministerialen im Ehenheimer Walde angelegt worden. Beide
Schlösser wurden mit Zustimmung Rudolfs von der Bürger-
schaft, ersteres 4285 an Albrecht von Kagen, letzteres 4289
mit Willen der Bürger an den Ritter Burkart Beyer verlehnt.*
i Als. dipl. II, 3.
« Gyss, Histoire d'Obernay, S. 100 u. 101.
3 Als. dipl. nr. 732.
4 Als. dipl. nr. 747.
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- 36 -
Scblettstadt.
Diese Stadt mit nächster Umgebung ist uraltes Königsgut.
Auch die Hohenstaufen hatten schon in früher Zeit Privatbe-
sitzungen im Schlettstadter Bann. Diese dienten meist zur
Dotierung von Stiftern, namentlich des St. Fidesklosters, dessen
Propst sich allmählich die Gerichtsbarkeit über ganz Schlettstadt
angeeignet zu haben scheint. Durch die Hohenstaufen wurde die
Macht des Propstes eingeschränkt. Friedrich IL, dem Schlettstadt
die Erhebung zur civitas zu danken hatte, überliess dem Propste
alles Privateigentum, sicherte sich aber mehrere Einkünfte, den
. Vorsitz und die Einnahmen des Gerichtes, sowie das Recht der
Aechtung. Sodann erlangte er von dem Propste das Zugeständnis,
mit diesem gemeinsam den Schultheissen und Zöllner zu er-
nennen. König Rudolf verdrängte 1281 den Abt ganz aus
seinen Rechten über die Stadt, die sich zu immer grösserer
Unabhängigkeit entwickelte, so dass sie bereits 1291 im Kriege
zwischen Adolf von Nassau und Albrecht von Habsburg mit
anderen elsässischen Städten Frieden schliessen konnte.
Kaisersberg.
Diese Stadt hat sich aus einer Burg entwickelt, die der
Hagenauer Schultheiss Wölflin 1227 als ein Bollwerk gegen
den Herzog von Lothringen zum Schutze der damals noch wenig
bedeutenden Orte Münster und Türkheim anlegte. Die Burg,
welche Friedrich IL in dem Kriege gegen Bischof Heinrich
von Stahleck gute Diensle geleistet hatte, kam später in die
Hand Walthers von Geroldseck. Als dieser dann mit Strass-
burg in Kampf geriet, eroberte im Dienste dieser Stadt der
Graf Rudolf Kaisersberg und gab sie dem Reiche zurück. Die
militärische Bedeutung des Ortes erkennend, richtete dann der
König Rudolf dort die Burgverfassung ein. Er nahm zur
Sicherung derselben 1280 die Brüder Ulrich, Hermann und
Anselm von Rappoltstein, zu Reichsburgmannen an und ver- .
sprach ihnen 200 M. Silbers, für die sie nach geschehener An-
weisung Güter als Burglehen in Kaisersberg kaufen sollen.1
Kaisersberg muss sich zu Rudolfs Zeit rasch entwickelt haben ;
denn schon 1293 erhielt dieser Ort durch Adolf von Nassau»
Kolmarer Stadtrecht.
I Kapp. ürk. B. 139.
* Als. dipl. II, 59.
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— 37 —
Mülhausen.
Nach Beendigung des Streites zwischen dem Strassburger
Bistum und Kaiser Friedrich war 4236 diesem der Ort über-
lassen worden. Nach dem Untergange der Staufer benutzte
ihr Gegner, Bischof Heinrich von Stahleck, die unruhigen
Zeiten des Interregnums, den Ort wieder in seine Gewalt zu
bringen. Aber unter seinem Nachfolger Walther befreiten sich
die Einwohner von der Herrschaft des Bistums und begaben
sich unter den Schutz des Grafen Rudolf von Habsburg, der
es als König während seiner Regierung behalten zu haben
scheint. Am 5. August 42751 gestand Rudolf der Stadt Lebens-
fähigkeit und ausschliesslichen Gerichtsstand in der Stadt zu.
Im Jahre 4290 befreite * er die Bürger der Stadt von einer
Schuld an einen Neuenburger Juden. Bald nach Rudolfs Tode
erhielt dann die Stadt durch Adolf ein Stadlrecht, für das
Kolmarer Stadtrecht benutzt wurde.
Kolmar.
Sein Stadtrecht erhielt dieser Ort ebenfalls durch Adolf von
Nassau. Dasselbe stützt sich aber durchaus auf einen der Stadt
Kolmar schon 1278 durch Rudolf ausgestellten Freiheitsbrief, *
mit welchem jenes hfc auf wenige Abweichungen übereinstimmt.
Diesen Brief gab der König Rudolf den Kolmarer Bürgern als
eine Handfeste über ihre gesamten von ihm bestätigten Rechte,
wahrscheinlich auf Vorstellung des Schultheissen Sigfrid von
Gundolzheim ; denn in den Kolmarer Annalen wird berichtet
(unter dem Jahre 4279), dass dieser in Wien, wo die Hand-
feste auch ausgestellt wurde, gewesen und von dort zurückge-
kehrt sei, Glück und Heil (prospera cum fortuna) berichtend.
Der Inhalt der Handfeste erstreckt sich auf fast alle Rechtsge-
biete. Als städtische Obrigkeiten werden nur erwähnt der Schult-
heiss, der jedenfalls mit dem an mehreren Stellen genannten
Richter identisch ist, und der Rat. Das Besetzungsrecht für
die Schultheissen- Stelle hat der König (bezw. der Landvogt),
doch muss der Schultheiss ein am Ort angesessener Bürger
sein. Alle Abmachungen, die vor Schultheiss und Rat ge-
1 Mossmann, Cartulaire de Mulhouso Nr. 107.
2 Ebenda Nr. 118.
3 Abgedruckt bei Gfrörer, Entstehung der Reichsstädte.
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— 38 -
schlössen sind, sollen rechtskräftig sein. Die Bürger haben
ausschliesslichen Gerichtsstand in Kolmar; sie erhalten das
Recht, zum Nutzen der Stadt Satzungen zu geben. Es wird
ihnen des Königs Schutz durch das ganze Reich zugesichert.
Die edlen Leute, die nach edler Leute Art dienen, sind frei
von der Steuer. Ferner erhalten die Bürger die Lehnsfahigkeit.
— Diese wichtigsten Bestimmungen der Handfeste zeigen, dass,
obwohl der König rechtlich noch Herr der Stadt war, doch
thatsächlich die Verwaltung und auch die Rechtsprechung in
den Händen der Bürgerschaft lag. Der Schultheiss soll richten,
heisst es in § 1, nach der Bürger Urteil. Damit war auf jeden
Fall wenigstens die Mitwirkung der Bürgerschaft an der Recht-
sprechung gesichert. Zudem war der Schultheiss doch völlig
von der Bürgerschaft abhängig, ja er vertrat sogar die Inter-
essen derselben gegen seinen Herrn, den König. Das beweist
doch auf das eklatanteste das Auftreten des von Rudolf gesetzten
Schultheissen Walther Rösselmann, der vor dem König die
Thore schliessen Hess. Und welche Macht der Stadt verrät es,
wenn der nach der Absetzung Rösselmanns vom König einge-
setzte Stammheim wegen der über diesen entstehenden Erreg-
ung die Stadt verlassen muss. Wer unter diesen Verhältnissen
der faktische Herrscher in der Stadt war, ist klar. — Das
Amt der Urteilsfinder war jedenfalls mit dem der Ratsherren
oder einiger von ihnen verbunden. Von Schöffen wird in dem
Freiheitsbriefe noch nichts berichtet, wohl aber in einer Ur-
kunde * vom 29. Juli 1286, in welcher Schultheiss, Rat, Scheffel
und Meisterleute den König um Bestätigung einer von ihnen
angefertigten Satzung bitten.
Im Jahre 1281 stellte König Rudolf das Kapitel des St. Martin-
Münsters in Kolmar unter seinen besonderen Schutz» und er-
teilte ihm dieselben Ehren und Vorteile wie den Bürgern von
Kolmar. 1288 beschenkte er das Kolmarer Hospital» mit den
Rechten des Strassburger Spitals. Endlich gestattete er 1291
den Bürgern die Verteilung des zur Stadt gehörigen Rieds
unter sich.
1 Abgedruckt bei Ofrörer.
2 Gengier, Cod. mun. s. Colmar 1281.
3 Als. dipl. II, 39.
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- 39 —
Hagenau.
Nächst dem Kolmarer hatte das Hagenauer Stadtrecht grosses
Ansehen. Dasselbe gründete sich auf die der Stadt von Fried-
rich II., Wilhelm von Holland und Richard verliehenen Pri-
vilegien. Die Leitung der Stadt ruhte auch hier in den Händen
des Rates, an dessen Spitze ein vom König zu bestellender
Schultheiss stand. Wilhelm von Holland hatte der Bürgerschaft
neben der Lehnsfähigkeit auch rechtlichen Anspruch auf eidliche
Verpflichtung des Schultheissen zur Anerkennung der ver-
liehenen Privilegien — sonst brauchte ihn die Stadt nicht auf-
zunehmen — zugesichert, und Richard bestimmte, dass der
Schultheiss die Entscheidungen der Ratsmitglieder auszuführen
habe. Auch gestand er den Bürgern das Recht der Teilnahme
an der Rechtsprechung wie den Ministerialen und Burgmännern
zu. Darnach scheint also der Rat entstanden zu sein aus der
Vereinigung von Bürgern und Burgmannen, welche dann ge-
meinsam die Verwaltung der Stadt handhabten. Die erstarkende
Bürgerschaft hat offenbar die Burgmannen und den Burggrafen,
die früher Verwaltung, Gericht und Militärgewalt in der Hand
hatten, mehr und mehr zurückgedrängt und sich neben diesen
eine einflussreiche Stellung erobert. Das Burggericht, welches
auch später noch für die Adligen weiter bestand, nachdem sich
der Rat von dem Schultheissen ganz frei gemacht hatte, wurde
in den Hintergrund zurückgedrängt, wie überhaupt die Burg
gegenüber der sich mächtig entwickelnden Stadt zurücktrat. Der
König Rudolf bestätigte am 2. Mai 1274 den Hagenauern den
Freiheitsbrief vom Jahre 1164 ; am 9. Dezember 1275 unter-
zeichnete er in Hagenau eine Urkunde für Gengenbach, am 19.
Dezember stellte er einen Lehensbrief für Gugenheim aus,* und
am 22. Dezember wurde in Anwesenheit des Königs anerkannt,
dass die Hagenauer sich aller der von Kaiser Friedrich II. ver-
liehenen Freiheiten und Rechte an Leib und Gut, in der Graf-
schaft (nämlich der Burggrafschaft) und ausserhalb, d. h. soweit
sich die Gerichtsbarkeit der Stadt und der Burg erstreckte, er-
freuen sollten.8 Sein Einfluss auf die Verwaltung der Stadt
kann daher nur gering gewesen sein : Er ernannte bezw. der
1 Batt, Das Eigentum zu Hagenau im ElsasB I, S. 215.
* Als. dipl. II, 11.
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— 40 —
Landvogl den Schultheissen, den die Bürgerschaft unter den
obengenannten Bedingungen annahm, und hatte Anspruch auf
jahrliche Zahlung einer dem Betrage nach festgesetzten Gesamt-
leistung. Dass er sich sonst keinen Eingriff in die Autonomie
der Stadt erlauben konnte, beweist am besten der Widerstand
der Stadt vom Jahre 1285, wo dieselbe sogar den in Hagenau
weilenden Landvogt verjagte. Eine derartige Gewaltthat gegen
den höchsten Verwaltungsbeamten des Königs kennzeichnet zur
Genüge die Grösse des Macht- und Freiheitsbewusstseins der
Stadt. Des Landvogtes, der in Hagenau seinen Sitz hatte, ist
schon gedacht worden. Dieser verwaltete von hier aus das
Reichsgut und besonders das um Hagenau, in dessen Umgebung
ja der seit Rudolfs Zeit sogenannte Reichswald und eine ganze
Reihe von Reichsdörfern lag.
Im November 1281, wo Rudolf wieder in Hagenau weilte,
stellte er eine Urkunde für das Schletlstadter St. Fideskloster
aus, im Dezember 1282 erklärte er, dass die Freiheiten, die er
den Städten verleiht, den Kirchen nicht schaden sollen, endlich
am 7. Dezember desselben Jahres übergab er seinem Neffen
Otto von Ochsenstein die Burg Löwenstein und all das Lehen,
welches ihm Wolfram von Fleckenstein freiwillig abgetreten
hatte.1 Das Hagenauer Recht ist am 6. Mai 1283 von dem König der
Stadt Selz« und am 13. Juni 1286 dem Städtchen Reichshofen»
verliehen worden. Im Jahre 1275 verbriefte* Rudolf den Bür-
gern der Stadt Breisach eine Reihe von Satzungen vornehmlich
strafrechtlichen Inhalts, daneben die Ratswahl, den freien Weg-
zug, die Lehnsfähigkeit der Bürger, die Gerechtsame des Stapels,
der Zollfreiheit, des königlichen Geleits und der Grundruhr am
Rhein.
Weissenborn
In nähere Beziehungen trat Rudolf auch zu der Abtei und
Stadt Weissenburg. Dieser Ort war seit den ältesten Zeiten
Sitz der reichen mit dem unteren Mundatgebiet ausgestatteten
Abtei, deren Abt zugleich Herr der Stadt war. Die Schirm-
1 Batt I, S. 216.
2 Als. dipl. II, 26.
3 Als. dipl. n, 36.
* Rapp. ürk. B. nr. 124.
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— 41 —
herrlichkeit über die ganze Abtei übten die staufischen Kaiser
aus. Auf diese und die Bestrebungen der Städte nach Selb-
ständigkeit — Weissenburg schloss sich 14247 dem Städtebund
an — ist wohl die allmähliche Loslösung der Stadt von der
Abtei zurückzuführen. Nach vielen Streitigkeiten zwischen
Stadt und Abt gestattete i König Rudolf 4275 ersterer die freie
Wahl ihrer Magistrate in Gegenwart des Abtes, der wenigstens
zum Erscheinen bei der Wahl aufgefordert werden sollte. Die
schiedsrichterliche Entscheidung erstreckte sich ferner auf Be-
freiung des Klosters von dem Ungeld (das ist eine Art von
Verbrauchs- und Verkehrssteuer), auf Erbrechtsfragen, auf die
Nutzung der Allmende und die dafür an den Abt zu zahlenden
Abgaben. Dass Rudolf hier als Schiedsrichter in dem Streite
zwischen Abtei und der Stadt erscheint, hat wohl seinen Grund
in den engen Beziehungen, die zwischen den Abteien und dem
Reiche wegen der früheren Dotierung jener mit Reichsgut be-
standen. Wenn auch die Abteien längst im festen Besitze ihres
Gutes waren, so befanden sie sich doch in einem gewissen
Abhängigkeitsverhältnis von dem Schutz und Schirm verleihenden
Reichsoberhaupt.
Werfen wir nun im Ganzen einen Rückblick auf die Stellung
des Königs zu den Städten, so lässt sich wohl sagen, dass ihre
Beziehungen zum König ziemlich lose waren. Dieser erscheint
wohl nach den Stadtrechten noch als Herr der Stadt und kann
als solcher bezw. sein Landvogt den Schultheissen setzen, der
in Gemeinschaft mit dem Rat und mit einem besonderen
Schöffen kol leg Verwaltung und Rechtsprechung handhabte.
Aber von einer wirklichen Herrschaft des Königs kann nicht
mehr die Rede sein. Das beweist schon die in mehreren Stadt-
rechten sich findende Bestimmung, dass der Schultheiss ein
angesessener Bürger sein muss, oder jene Zusicherung, dass
die Bürgerschaft den Schultheiss unter gewissen Bedingungen
ablehnen kann. An den einmal verliehenen Privilegien hielten
die Städte fest und liessen sie nicht mehr verkürzen. Der
König hatte, was den Schultheissen anbetrifft, mehr ein for-
males Bestätigungs- denn ein wirkliches Besetzungsrechf . Jeden-
falls kommt man zu diesem Ergebnis, wenn man mehr den
i Zeuss, Traditiones S. 330.
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faktischen als den rechtlichen Zustand ins Auge fasst. Die
Thatsachen von Kolmar und Hagenau drängen zu dieser Ueber-
zeugung. Die Städte fühlten sich eben im Besitze der Macht
und der Freiheit, und dieser thatsächliche Zustand fand seinen
plastischen Ausdruck in der Zuerkennung der Reichsstandschaft,
die zu Rudolfs Zeit zum Durchbruch gelangte.
B) Das Bistum und die Stadt Strassburg.
Die sogenannte Dekapolis der 10 elsässischen Reichsstädte,
die sich erst im 14. Jahrhundert zu einem Bunde zusammen-
schloss, war nicht vollständig frei ; denn sie stand unter dem
Landvogt als dem Stellvertreter des Königs. Strassburg aber blieb
unabhängig von dieser Vogtei und im Besitz seiner erkämpften
Freiheit. Diese hatte sie sich in dem Kampfe gegen den Bischof,
der der Herr der Stadt gewesen war, errungen. Der Kampf
derselben mit dem Bistum hatte mit Abschluss des Grundver-
trages1 vom 21. April 1263 sein Ende erreicht. Die vier städt-
ischen Aemter des Schultheissen, der zwei Richter bestellt, des
Burggrafen als eines Vorgesetzten einzelner Handwerke, des
Zöllners und des Münzmeisters blieben bischöfliche Lehen. Da
der Schultheiss ein Ministeriale oder ein Bürger sein konnte,
die von diesem zu setzenden Richter aber Bürger sein mussten
ebenso wie der Zöllner und Münzmeister, so bedeuteten diese
Satzungen des Vertrages einen grossen Sieg der Bürgerschaft.
Dagegen wollte es wenig heissen, dass der Burggraf, dessen
Amt als eines Vorgesetzten der Handwerker gegen früher durch-
aus verändert war und an Bedeutung so sehr verloren hatte,
ein Ministeriale sein musste. Der Stadt wurde ferner vom
Bischof freie Verfügung über die Allmende, das Recht, Einungen
und Satzungen zu machen, Anerkennung des städtischen Ge-
richtes als eines Oberhofes für Städte und Dörfer des Bistums,
die Verwaltung des Spitales und die Bestätigung der vom
Reiche erlangten Privilegien zugestanden. — Den Verfall der
kaiserlichen Macht zeigt am besten die Herabminderung der
Gewalt des Burggrafen, der doch offenbar [in Strassburg wie
auch in andern Orten den Königsbann über die Altfreien, die
Anführung im Krieg, die Aufsicht über die Festungswerke und
i Gaupp I, S. 90.
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- 43 -
die Verwaltung der nutzbaren Regale gehabt hatte. Alle diese
Rechte aber waren nach und nach an den Bischof und von
diesem an die Stadt übergegangen. Und so kann man wohl
sagen, dass Strassburg bezw. der Rat der Stadt, an dessen
Spitze wohl schon seit 1262 vier Bürgermeister standen, * nach
Erlangung der hohen und niederen Gerichtsbarkeit, des Zoll-
und Münzrechtes, des Verfügungsrechtes über die Allmende,
des Rechtes, Satzungen und Einungen zu schliessen, nicht bloss
eine städtische Obrigkeit, sondern eine unabhängige Territorial-
gewalt mit allen Rechten eines Landesherrn geworden war.
Strassburg war eine freie Reichsstadt mit dem Rechte der
Reichsstandschaft. So war die Stellung dieser stolzen Stadt
schon, als Rudolf zur Regierung kam. Dieser hat denn auch
die freie Stellung der Stadt anerkannt. In Hagenau nahm er
am 8. Dezember 1275 * Strassburg in seinen besonderen Schutz
und bestätigte ihr alle früher bewilligten Freiheiten und Privi-
legien : Er verbot alle Auflagen auf das Eigentum und die Be-
sitzungen Strassburger Bürger innerhalb und ausserhalb der
Stadt ; er bestätigte das schon von Philipp erhaltene Recht,
wonach kein Bürger vor ein ausserstädtisches Gericht gezogen
werden konnte, und hob das Grundruhrrecht zu Gunsten der
Strassburger Kaufleute auf. Allerdings teilte Rudolf den Strass-
burgern auch einen Rechtsspruch der Fürsten vom 22. Februar
1277 mit, dass einer, der sich zu einer Schuldzahlung in be-
stimmter Form verpflichtet hat und dieser nicht nachkommt,
überall gerichtlich belangt werden kann. Am 26. Februar des-
selben Jahres verbot Rudolf seinen Amtleuten im Elsass, von den
in ihrem Amtsbezirk gelegenen Gütern der Strassburger Abgaben
zu erheben. > Am 15. März 1280 wies der König die Zöllner zu Frank-
furt an, die Zollfreiheit der Strassburger zu beachten.* 1281 er-
hielt das Hospital sein vom König Konrad III. erlangtes Privileg
bestätigt .5 1284 schrieb Rudolf dem Landgrafen des Nieder-
elsasses, dass er nicht befugt sei, die Bürger von Strassburg
gerichtlich zu belangen. Aus diesen Privilegienverleihungen
1 Wiegand, Bell. Waith.
2 Strassb. Drk. B. II, nr. 47.
8 Strassb. Urk. B. H, 53.
4 Ebenda nr. 74.
5 Ebenda nr. 84 u. Rapp. Urk. B, 144.
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— 44 —
und Bestätigungen geht hervor, dass das Verhältnis zwischen
Stadt und König ein freundliches gewesen ist. Es ist nun aber
noch die Frage zu beantworten, wozu die freie Reichsstadt dem
Könige als Reichsoberhaupt verpflichtet war. Völlig sind die
Beziehungen zwischen König und Stadt nicht gelöst. In dem
Privileg vom Jahre 1275 steht, dass der König die Stadt ad
speciale obsequium imperii reserviere. Das bezieht sich auf
Geldleistungen und andere Hülfe. Eine jährliche Steuer be-
zahlte Strassburg als freie Reichsstadt dem Könige nicht, wie
es die Reichsstädte thun mussten. Zu grösseren Heerfahrten
war sie ebenfalls nicht verpflichtet. Die einzige auf ihr ruhende
Verpflichtung dem Reiche gegenüber erstreckte sich auf Leis-
tungen für den Dienst über Berg bei der Kaiserkrönung und
beim Kriege wider die Ungläubigen.
Ueber das Verhältnis des Königs zum Bistum ist nicht viel
zu bemerken. Rudolf stand zu dem Strassburger Bischof Konrad
von Lichtenberg im gan2en in freundlichen Beziehungen. Dieser
hat den König mehrere Male bei kriegerischen Unternehmungen
z. B. 1283 bei dem Kriege gegen den Grafen von Mömpelgard
oder 1289 bei dem Heereszuge gegen Besancon 1 unterstützt.
Wichtigere Gründe zu Streitigkeiten zwischen Krone und Bis-
tum lagen ja eigentlich nicht vor, da sich im Laufe der Ent-
wickelung ein festes rechtliches Verhältnis zwischen Reich und
Bistümern auf der Grundlage der Territorialität herausgebildet
hatte.- Bei etwa entstehenden Zwisten konnte es sich im all-
gemeinen nur um Regelung von Besitzverhältnissen und Be-
grenzung der gegenseitigen Rechte in Gebieten handeln, wo
Reichsgut und königlicher Privatbesitz mit bischöflichem durch-
einander lag. Der Bischof war bereits zu König Rudolfs Zeit
im Besitz der landesherrlichen Rechte. Derselbe war dem
König als Reichsoberhaupt nur zu ausserordentlichen Leistungen
für den Reichsdienst, d. h. für die Heerfahrt beim Reichskrieg
und für die Romfahrt verpflichtet. Zur Ausbildung der Hof-
steuer, deren Durchführung Rudolf gleich zu Anfang seiner Re-
gierung zur Abwälzung der Kosten des königlichen Hofhaltes
und namentlich des Hoftages auf Bischöfe und ihre Städte an-
gestrebt hat, ist es nicht gekommen. Eben weil die Durch-
i Als. dipl. II, 35.
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— 45 —
führung dieser Steuer nicht gelang, musste Rudolf um so mehr
die Steuerkraft der königlichen Städte anspannen. Der Er-
wähnung kaum wert ist die Meldung der Kolmarer Annalen
zum Jahre 1283> dass der König von den Herren von Lichten-
berg die Vogtei kaufte, was übrigens bestehenden Satzungen
widersprach. Er hat sie wohl nur kurze Zeit besessen, und
das hatte keine Bedeutung ; denn Schöpflin 1 bemerkt dazu : res
caruit effeclu.
Neben Bistum und Stadt Strassburg, den Abteien, dem
Reichsgut mit Städten und Dörfern, den Landgrafschaften,
gab es im Elsass noch Grafschäften und Herrschaften des kleineren
Adels, die auf altem Reichsgut oder auf Lehengütern des Reiches
und anderer Territorien sich gründeten. Zwischen den Herr-
schaften des Ober- und Unterelsasses ist nun der bemerkenswerte
Unterschied, dass jene von dem Hause Habsburg, in dessen
Besitze sich ja die höhere Grafengerichtsbarkeit befand, abhängig
waren und daher nicht die Reichsunmittelbarkeit erlangt haben,
während ein grosser Teil der Herren des Unterelsasses allein
vom Reiche abhing und keine andere Oberhoheit anerkannte
als die des Königs, unter dessen Schutz sie standen. Die mäch-
tigen Rappollsteiner Herren, zu denen König Rudolf in freund-
lichen und feindlichen Beziehungen gestanden hat, konnten z.
B. nicht reichsunmittelbare Fürsten werden, weil sie Lehens-
leute des Baseler Bistums und nicht im Besitze des Königs-
bannes waren.
Gar mannigfach hatten sich die Beziehungen rechtlicher und
allgemein politischer Natur gestaltet, in denen wir auf dem
Wege unserer Untersuchung den König Rudolf zum Elsass ge-
funden haben. In Rücksicht auf die Besitzungen seines Hauses
war er Landesherr wie der Strassburger Bischof in seinem
Territorium und im Besitze der landgräflichen hohen Gerichts-
barkeit, welche sich auf den nicht von Bistümern abhängigen
Teil des Oberelsasses erstreckte. Als König war Rudolf Landes-
herr des Reichsgutes, soweit nicht bereits seine Grund- und
i Als. ill. II, 829.
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Gerichtsherrlichkeit durch die freiheitliche Entwickelung der
Städte zertrümmert war, sowie Reichsoberhaupt und Schirmherr
des ganzen Elsasses, infolge dessen er auch die Kräfte aller zu
besonderen Leistungen im Interesse des Reiches, vornehmlich
seiner Sicherheit nach aussen in Anspruch nehmen konnte.
Dem Landgrafen des Unterelsasses stand der König als oberster
Lehnsherr gegenüber, weil jener die Grafschaft als Reichslehen
trug. Eine feste Grundlage für die Stellung des Königs in-
mitten der grossen zum Teil ganz selbständigen Gewalten mit
landesherrlichen Rechten bildeten eigentlich nur die habsbur-
gischen Besitzungen, also die Hausmacht, daher denn auch Ru-
dolf einerseits für Abrund ung und Befestigung seiner elsäs-
sischen Besitzungen, andererseits für Erweiterung seiner Haus-
macht thätig gewesen ist. Auf die Reichsstädte konnte er sich
nicht recht verlassen, da diese mehr selbstsüchtige städtische
Interessenpolitik als gemeinnützige Reichspolitik trieben. Die
Einkünfte aus dem Reichsgut, das teilweise verpfändet war, und
alle feststehenden Steuern der Reichsstädte erwiesen sich nicht
als ausreichend, so dass Rudolf öfter ausserordentliche Leistungen
beanspruchen, ja die das Kapital am meisten treffende Ver-
mögenssteuern fordern musste; bei einzelnen Städten scheint
er sogar Anleihen gemacht zu haben. Ueber diese finanzielle
Misere half weder die Revindikation noch die Neuordnung der
Reichsguts Verwaltung hinweg. Und doch sind die Zeiten Ru-
dolfs, der durch alle seine Einrichtungen für Verwaltung und
durch Sicherung des Friedens die Stellung des Königtums zu
sichern und zu kräftigen suchte, noch glänzende zu nennen
gegen die einzelner Nachfolger, unter denen die Reichtsgutver-
schleuderung erst recht begann. Das Hauptziel, innere Konsoli-
dierung des Reiches, hat auch Rudolf nicht erreicht. Schmoller
hatte gewiss recht, als er in seiner Rede «Strassburgs Blüte»
sagte : «In der grossen sturmbewegten Zeit des 13. Jahrhunderts,
in dem Uebergang von der Natural- zur Geldwirtschaft war es
dem deutschen Reiche nicht beschieden, den Mann zu finden,
der alle die kleinen autonomen Kreise und Städte wieder zu
einer einheitlichen Staatsorganisation verknüpfte». — Es war die
Selbstherrlichkeit der Fürsten und Städte diesen selbst aber
ebenso gefährlich als dem Reiche, weil die Entwickelung der
kleinen staatlichen Gebilde zu politischer Macht die Schwächung
und Zertrümmerung der Reichsgewalt zur Folge haben musste:
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47 —
der Niedergang wieder der die Reichsherrlichkeit darstellenden
kaiserlichen Macht wirkte schliesslich in verderblicher Weise
auf die kleineren Gewalten zurück. Das haben die Städte des
Elsasses, besonders Strassburg, wo der Reichsgedanke auch in
späterer Zeit so kräftig war, zu ihrem Schaden erfahren müssen.
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Inhaltsübersicht.
Seite.
Einleitung.
Gegensätze der Stände am die Mitte des 13. Jahrhunderts,
üebersicht über die territorialen Verhältnisse des Elsasses. Die
Stellang des Grafen Rudolf von Habsbnrg im Elsass. Die Ver-
änderung seiner Stellang darch die Königswahl. Die Ziele
seiner Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . , 3
A usfü hrnn g.
I. Der König Rudolf als Territorialherr 9
1. Der Umfang und die Art seines Besitzes; die Landgraf -
echaft 9
2. Die Organisation der Verwaltung, die Finanzen and die
Militärverfassang in den habBburgischen Besitzungen . 15
II. Die Beziehnngen des Königs Rudolf zu dem aasserhabs-
bnrgischen Elsass 19
1. Der König als Reichsgrandherr and Schirmherr vor«
nehmlich des Reichsgutes 20
a) Die Wiederherstellung und Verwaltang des Reichs-
gutes « 20
b) Sicherang des Landfriedens 31
2. Der König als Reichsoberhaapt im Verhältnis zu den
Städten and Territorien 34
a) Der König und die Reichsstädte 34
b) Das Bistum and die Stadt StrasBbnrg 42
S c h 1 n s s.
Rückblick auf Rudolfs Stellang- Das Ergebnis seiner Ein-
richtangen. Ausblick in die Zukunft 45
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