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Full text of "Beiträge zur Landes- und Volkeskunde von Elsass-Lothringen"

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BEITRAGE 


ZUR 


LANDES- UND  VOLKESKUNDE 


VON 


ELSASS-LOTHR1NGEN 


HEFT  XIX. 


FORSTGESCnrCIITLICIIE  SKIZZEN 

AUS  DEN 

STAATS-  UND  GEMEINDEWALDUNGEN 
i     VON  RAPPOLTSWEI LER  UND  REICHENWEIER 

AUS  DER  ZEIT 

VOM  AUSGANGE  DES  MITTELALTERS 
BIS  ZU  ANFANG  DES  XIX.  JAHRHUNDERTS. 


VON 


Dr.  AUGUST  KAHL 
Kaiserl.  Oberförster  in  Rappertsweiler. 


Mit  einer  Uebersiclitskarte. 


STRASSBURG  ■ 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel). 

1894. 


Verlag  von 

J.  H.  ED.  11HTZ  (HE1TZ  &  WIM)  11)  Schlauchgasse  5. 

BEITRÄGE  ZUR  LANDES-  UND  VOLKESKUNDE 

von  Elsass-Lothringen. 

Band  I. 

Heft      1 :  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  in  Lothringen 

ton  C o n  st.  T  h  i  s.  8. 34 S.  mit  einer  Karte  (1 : 300.000).  1  50 

Heft  II :  Ein  andechtig  geistliche  Badenfahrt  des  hochgelehrten 
Herren  Thomas  Murner.  8.  66  S.  Neudruck  mit  Er- 
läutcrgu.,  insbesond.  über  das  alldeutsche  Badewesen,  v.  Prof.  Dr. 
E.  Martin.  Mit  6  Zinkätzungen  nach  dem  Original.        2  — 

Heft     III:  Die  Alamannenschlacht  vor  Strassburg  357  n.  Chr. 

von  Archivdircctor  Dr.  W.  Wieg  and.  8.  46  S.  mit  einer 
Karte  und  einer  Wegskizze.  1  — 

Heft     IV:  Leu,  Goethe  und  Cleophe  Fibica  von  Strassburg. 

Ein  urkundlicher  Kommentar  zu  Goethes  Dichtung  und 
Wahrheit  mit  einem  Fortritt  ^rarainta'*  in  farbigem  Lichtdruck 
uud  ihrem  Facsimile  aus  dem  Lenz-Stammbuch- von  Dr.  Joh. 
Froitzheim.  8.  96  S.  2  50 

Heft  V :  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  im  Elsass  von 
Dr.  Const.  This.  8.  48  S.  mit  Tabelle,  Karte  und  echt 
Zinkätzungen.  1  50 

Band  I\. 

Heft     VI:  Strassburg  im  französischen  Kriege  1552  von  Dr.  A. 

Hollaender.  8.  68  S.  1  50 

Heft    VII:  Zu  Strassburgs  Sturm-  und  Drangperiode  1770—76. 

von  Dr.  Joh.  Froitzheim.  8.  88  S.  2  — 

Heft    VIII :  Geschichte   des    ^eiligen  Forstes  bei   Hagenau  im 

Elsass.  Nach  den  Quelleu  bearbeitet  vou  C.  E.  Ney,  Kais. 

Oberförster.  I.  Teil  von  I06ö— 1648.  2  — 

Heft     IX :  Rechts-  nnd  Wirtschafts- Verfassung  des  Abteigebietea 

Maursmünster  während  des  Mittelalters  von  Dr.  Aug. 

Hertzog.  8.  114  S.  2  — 

Heft      X :  Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner.   Ein  Wort  der 

Kritik  an  unsere  Goetheforscher  von  Dr.  Joh.  Froitzheim. 

8.  68  S.  1  50 

Band  III. 

Heft  XI :  Die  Armagnaken  im  Elsass  v. Dr. H.  Witt e.  8.  158  S.  2  60 
Heft   XII :  Geschichte  d>s  heijigen  Forstes  bei  Hagenau  im  Elsass. 

Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  G.  N.  Ney,  Kais.  Ober- 
förster. II.  Teil  von  1648-1791.  2  50 

Heft  XIII:  General  Kleber.  Ein  Lebensbild  von  Friedrich  Tei- 
ch e  r»  KOngl.  bayr.  Hauptmann.  1  20 

Heft  XIV :  Das  Staatsrechtliche  Verhältnis  des  Herzogtums  Lo- 
thringen zum  Deutschen  Reiche  seit  dem  Jahre  1542 
von  Dr.  Siegfried  Fit te.  Mit  Karte.  2  50 

Heft  XV:  Deutsche  und  Keltoromaneu  in  Lothringen  nach  der 
Völkerwanderung.  Die  Entstehung  des  Deutschen  Sprach- 
gebietes vou  Dr.  Hans  N.  Witte.  Mit  Karten.  2  60 

Fortsetzung  siehe  3.  Seite  des  Umschlags. 


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FORSTGESCHICHTLICHE  SKIZZEN 


AUS  DEN 

STAATS-  UND  GEMEINDEWALDUNGEN 

VON 

RAPPOLTSWEILER  UND  REICHEN  WEIER 


AUS  DER  ZEIT  VOM  AUSGANGE  DES  MITTELALTERS  BIS  ZU 
ANFANG  DES  XIX.  JAHRHUNDERTS 

VON 

Dr.  A.  KAHL 

Kaiser].  Oberförster  in  Rappertsweiler. 


Mit  einer  Uebersichtskarte. 


STRASSBURÜ 
J.  H.  ED.   HEITZ    (HE ITZ   &  MÜNDEL) 

1894. 


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DEM  VOGESENCLUB 
INSBESONDERE  DER  SECTIOS  RAPPOLTSttEILER 


FREUNDLICHST  GEWIDMET. 


Vorwort. 


Fluchtige  Skizzoi  sind  es  nur  geworden  und  konnten  es 
blos  werden,  welche  der  Verfasser  auf  Grund  seiner  Forsch- 
ungen in  den  Archiven  des  Bezirks  Oberelsass  (citirt:  Colmar 
B.A.),  sowie  der  Städte  Rappoltsweiler  u.  Heichenweier  und 
nach  Benutzung  anderweitiger  Quellenwerke,  namentlich  des 
Rappollsteinischen  Urkundenbuchs  von  Professor  Dr.  Albrecht 
hiermit  veröffentlicht.  Einmal  fehlt  es  dem  verwaltenden 
Beamten  an  der  nötigen  Muse,  solche  Studien,  zumal  aus- 
wärts eingehend  zu  betreiben.  Sodann  war  das  vorgefundene 
Material  überhaupt  zu  lückenhaft  u.  dürftig,  um  die  Forst- 
geschichte der  vorbezeichneten  Waldungen  einigermassen  er- 
schöpfend darzustellen.  Nachforschungen  in  anderen  Archiven 
hätten  weitere  Ausbeute  ergeben,  indes  musste  eine  solche 
Heranziehung  aus  dem  angedeuteten  Grunde  unterbleiben. 

Hoffentlich  finden  auch  diese  kurzen  Schilderungen  bei 
den  zahlreichen  Freunden  unserer  schönen  u.  geschichtlich 
berühmten  Gebirgswaldungeny  namentlich  auch  bei  den 
Fachgenossen  von  der  grünen  Farbe  einiges  Interesse  und 
wohlwollende  Aufnahme. 

Der  Verfasser  will  dieses  Vorwort  nicht  abschlössen, 
ohne  den  Archiv-  und  Gemeindebeamten,  insbesondere  Herrn 
Archivrath  Dr.  Pfannenschmid  für  die  jederzeit  gern  gewährte 
Förderung  u.  Erleichterung  seiner  Studien  besten  Dank  aus- 
zusprechen. 

Rappoltsweiler  im  Weinmonat  1803. 

DER  VERFASSER. 


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KAPITEL  I. 

Allgemeingeschichtliches  aus  den  Herrschaften 
Rappoltstein  und  Reichenweier. 

Die  Grenze,  welche  das  in  der  Ueberschrift  dieses  Hefts 
bezeichnete  Waldgebiet  umfasst,  verlauft  gegenwärtig  von  dem 
Reinoltstein  (auch  Ram meistein)  östlich  dem  Tännchelgrat  entlang 
nach  dem  Deutschen  Hochfslsen,  auf  dieser  Strecke  zusammen- 
fallend mit  der  alten  Scheide  zwischen  den  Bistumern  Strassburg 
und  Basel,  von  jenem  der  sogenannten  Heidenmauer  nachgehend 
auf  den  Vordertännchel.  Von  diesem  fallt  sie  über  die  Langtann 
und  den  Schwarzen  Kirschbaum  auf  den  Lützelbachweg,  folgt 
diesem  bis  zur  Renck  und  läuft  ins  Lützelbachlhal  hinab. 
Zwischen  diesem  und  dem  Strengbachthal  lässt  der  Wald  ein 
Dreieck  Rebgelände  und  Privatwaldungen  übrig.  Südlich  vom 
Strengbach  liegen  die  uns  interessirenden  Waldungen  oberhalb 
der  Rebberge,  einiger  privaten  Kastanienhorste  und  des  Ge- 
meindewaldes Hunaweier.  Westlich  Reichenweier  wird  der 
gleichnamige  Stadt-  und  Staatswald  begrenzt  von  dem  Kaysers- 
berger  Wege  und  dessen  Fortsetzung  über  Brudermatt,  Alexis- 
hof, Ursprung.  Von  der  Ursprungquelle  steigt  die  Grenze  auf  den 
Sattel  zwischen  Seelburg  und  Kalhlin,  folgt  dem  Kamme  dieses 
Forstortes  ins  Müsbachthal  hinab,  überfallt  den  südwestlichen 
Ausläufer  des  Müsberges,  erreicht  über  den  Schwarzenberg  und 
den  Steinweg  die  Markircherhöhe  und  von  da  nördlich  auf- 
wärts steigend  den  obengenannten  Eckpunkt  Reinoltstein.  Der 
Besitzstand  innerhalb  dieser  Hauptgrenzen  und  in  den  anliegen- 
den Waldungen  zur  Zeit  des  Ausbruches  der  französischen  Re- 
volution ist  in  der  beigefügten  Uebersichtskarte  dargestellt  ;  die 
Grenze  zwischen  den  Herrschaften  Rappoltstein  und  Reichen- 
weier, zu  welchen  die  in  der  Ueberschrift  bezeichneten  Wal- 
dungen gehörten,  ist  deutlich  ausgezogen. 


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Beide  Herrschaften   erfreuen   sich  einer  berühmten  ge- 
schichtlichen Vergangenheit ;  jedoch  würde  uns  eine  einiger- 
massen  eingehende  Schilderung  derselben  zu  weit  vom  Ziele 
abführen.    Wir  wollen  uns  daher  betreffs  der  Herrschaft  Rap- 
poltstein  mit  den  Mittheilungen  begnügen,  welche  Dr.  Albrecht 
in  der  Einleitung  seines  Urkundenbuchs  niedergelegt  hat.  Die 
Herrschaft,   deren  erste  Anfange  wahrscheinlich  in  die  Mero- 
vingerzeit  zurückreichen  —  (der  Name  Rappoltsweiler  wird  in 
der  Form  Ratbaldouilare  schon  759  als  Besitzung  Altmanns  ge- 
nannt) gehörte  ursprünglich  den  Grafen  von  Egisheim.  Mut- 
masslich  durch  Adelheid  von  Egisheim,  Mutter  des  Kaisers 
Konrad   II,  kam  jene  in  den  Besitz  der  fränkischen  Herzöge, 
der  nachmaligen  salischen  Kaiser.  Heinrich  IV.   schenkte  sie 
dem  Bischof  Burkard  von  Basel,  welcher  diesem  Könige  gegen- 
über eine  besondere  Zuneigung  und  Opferwilligkeit  bekundet 
hatte.  Heinrich  V.  nahm  indes  die  Herrschaft  Uli  wieder  an 
sich,  trotzdem  sich  die  Bischöfe  von  Basel  nicht  in  den  Besitz 
der  Gegengabe,  der  Abtei  Pfäfers,  zu  setzen  vermochten.  Erst 
Friedrich  Rothbart  gab  sie  1162  als  Castrum  Rappoltstein  cum 
medietate  (Hälfte)   subjacentis  ville  Rapolswilre  dem  Bistum 
zurück.    Wie  Dr.  Albrecht  annimmt,   übten  die  Herren  von 
Rappoltstein   das   dominium  utile,  also  die  Nutzniessung  des 
Lehens,  bereits  seit  alter  Zeit  aus.  Der  Ursprung  dieser  Familie 
ist  nicht  völlig  aufgeklärt.   Wahrscheinlich  ist  die  ältere  Linie 
derselben  1157   mit  dem  Tode  des  Strassburgcr  Dompropstes 
Reinhard    ausgestorben.    Eine  Nichte  desselben,    Emma  von 
Rappoltstein,  soll  mit  Egenolf  von  Urslingen  vermählt  gewesen 
sein,  welcher  somit  Stammhalter  der  jüngeren  Linie  wurde. 
Vermuthlich  besassen  die  Rappoltsteiner  anfangs  bereits  eine 
Hälfte  von  Rappoltsweiler  als  Allodium  nebst  einer  Anzahl  be- 
nachbarter Dörfer;   auch  die  Herrschaft  Hobenack  bei  Urbeis 
im  Kaysersberger  Thale  gelangte  im  XII.  oder  XIII.  Jahrh.  in 
ihren  Besitz.    «Sie  waren»  wie  Dr.  Albrecht  ausgeführt  «mit 
den  Herzögen  von  Lothringen  und  den  angesehensten  Grafen 
und  Herrn  diesseit  wie  jenseit  des  Rheines  verwandt  und  ver- 
schwägert.   Lehen  trugen  sie  vom  Reiche,   von  den  lothringi- 
schen und  östreichischcn  Herzögen,  den  Bischöfen  von  Basel, 
Bamberg,   Metz  und  Sirassburg,   den  Grafen  von  Luxemburg 
und  Württemberg,   dem  Abt  von  Murbacb  und  hatten  selbst 
eine  stattliche  Mannenschaar.    Oefters  waren  sie  im  Geleile 


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—   3  — 

der  Kaiser,  sei  es  auf  friedlicher  Rom  fahrt,  sei  es  gegen 
des  Reiches  Feinde:  mehrere  Glieder  ihres  Geschlechts  fanden 
ihr  Grab  in  fremder  Erde.  Fehdefroh  zogen  sie  gegen  ihre 
Widersacher  oder  boten  wohl  gar  den  Kaisern  Trotz. 

«Mit  den  freien  Städten  Strassburg  und  Basel,  mit  den 
elsässischen  Reichsstädten,  namentlich  Colmar,  mit  den  rhei- 
nischen Pfalzgrafen,  den  Markgrafen  von  Buden,  den  Grafen 
von  Württemberg  u.  a.  standen  sie  in  engen,  meist  freund- 
schaftlichen Beziehungen;  aber  auch  im  Rathe  der  burgundi- 
schen, lothringischen  und  östreichischen  Herzoge  wussten  sie 
sich  Geltung  und  Ansehen  zu  erwerben.  Ihrer  Unterthanen 
nahmen  sie  sich  mit  unermüdlicher  Fürsorge  an.» 

Zwischen  den  Mitgliedern  des  Hauses  Rappoltstein  fanden 
wiederholt  Teilungen  statt,  so  im  Jahre  1298  zwischen  Anselm, 
Heinrich,  und  Heinrich,  Sohn  von  Ulrich.  Der  erste  Teil  umfasste 
cRappolzstein  I Ulrichsburg)  und  den  Stdn  (Giersberg)  und  die 
nuwe  Stat  und  das  obere  Dorf»,  der  zweite  «Altenkasten  (Hoh- 
rappoltstein  ?)  (vergl.  Seite  31)  und  die  alte  Stat»  und  einige  Be- 
sitzungen in  der  Umgegend,  der  dritte  die  Herrschaft  Hohen- 
ack.  Im  Teilungsvertrage  heisst  es  bezüglich  der  beiden  ers- 
ten Lose  :  «Man  sol  wissen  daz  die  zwo  Stette,  die  alte  und 
nuwe  sollent  wunne  und  weyde  gemein  haben  und  niessen  an 
holtze,  an  gebirge  und  velde.  Und  der  walt,  der  der  Herrschafte 
ist  gelegen  hinder  Rapoltsten  und  Alten  kästen,  den  man  sprichet 
dez  banholtz,  den  soll  man  teilen  under  die  zwei  huser  Ra- 
poltzsten  und  Altenkasten  halp  und  halpgelich.»  (Albrecht  Ur- 
kundenb.  I.  161.) 

Einen  ähnlichen  Wortlaut  hatte  der  Teilungsvertrag  zwi- 
schen den  Brüdern  Bruno  und  Ulrich  im  Jahre  1373  (ebenda- 
selbst II  88  ff.).  Mit  dem  Grafen  Johann  Jacob  starb  im  Jahre 
1673  der  Mannesstamm  der  Rappoltsteiner  aus  ;  seine  Tochter 
war  mit  dem  Pfalzgrafen  Christian  II.  von  Birkenfeld  verhei- 
rathet,  sodass  die  Herrschaft  auf  dieses  Haus,  später  auf  die 
Linie  Birkenfeld  —  Zweibrücken  überging.  Als  den  letzten  Ver 
treter  derselben  zur  Zeit  der  französischen  Revolution  werden 
wir  Max  Joseph,  den  nachmaligen  König  Maximilian  I.  von 
Bayern  kennen  lernen. 

An  einzelnen  denkwürdigen  Thatsachen  aus  der  Herrschaft 
Rappoltstein  wollen  wir  u.  a.  noch  kurz  erwähnen,  dass  Rap- 
poltsweiler  gegen  Ende  des  XIII.  Jahrb.,  wie  es  scheint  durch 


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die  besondere  Huld  Rudolphs  von  Habsburg,  zur  Stadt  erhoben 
wurde.  An  der  durch  die  Bauernkriege  hervorgerufenen  Bewe- 
gung nahmen  die  Bürger  nur  zu  lebhaften  An! heil,  und  es 
kam  in  der  Stadt  zu  recht  ärgerlichen  Auflritten  und  Plünde- 
rungen. Trotz  der  feierlichen  Warnung  Ulrich's  von  Rappolt- 
stein  schlössen  sich  zahlreiche  Bürger  dem  wahnwitzigen  Heeres- 
haufen an,  der  4525  vom  Herzog  von  Lothringen  bei  Scherwei- 
ler unweit  Schlettstadt  nahezu  aufgerieben  wurde.  1550  erhielt 
Rappoltsweiler  nach  Feststellung  seiner  Verfassung,  Rechte 
und  Pflichten  sein  «Stattbuch».  Wahrend  des  d reissigjährigen 
Krieges  hatte  die  Stadt  manche  Unbill  von  den  Schweden  und 
andern  Kriegsvölkern  zu  erdulden  und  fast  unerschwing- 
liche Lasten  zu  tragen.  Teurung,  Hungersnot  und  Krankheiten 
rafften  einen  grossen  Teil  der  Bevölkerung  hinweg.  Kein  Wun- 
der, dass  diese  nach  Beendigung  des  unseligen  Krieges  auf- 
atmete und  die  Unterstellung  des  Herrschaftsgebietes  unter  die 
Souveränität  des  damals  mächtigen  französischen  Königs  ruhig 
hinnahm.  Auch  den  Pfalzgrafen  als  Nachfolgern  der  Herrn  von 
Rappoltstein  blieb  nichts  übrig,  als  jene  anzuerkennen.  Die 
wiederholten  Beschwerden  der  Baseler  Bischöfe  gegen  die  Ein- 
verleibung ihres  Lehens  unter  französischer  Oberherrlichkeit 
blieben  erfolglos. 

Im  Jahre  1G88  wurde  zwischen  dem  obengenannten  Pfalz- 
grafen Christian  II.  und  der  Stadt  eine  Feststellung  der  bei- 
derseitigen Rechte  vorgenommen.  Im  Januar  1712  verlieh  Lud- 
wig XIV.  dessen  Sohne  Christian  III.,  Generallieutenant  der 
französischen  Armee  und  Oberst  des  «Regiment  d'Alsace »  in 
Anerkennung  seiner  Ergebenheit  neue  Feudalrechte,  u.  a.  Er- 
höhung der  Frohndienste,  Mutationsgebuhren  und  Steuein,  so- 
dass Rappoltsweiler  von  neuem  eine  bedeutende  Belastung  er- 
fuhr. Die  Unzufriedenheit  der  Bürger  wuchs  mehr  und  mehr 
und  machte  sich  schon  durch  eine  Reihe  von  Beschwerden  10 
Jahre  vor  Ausbruch  der  Revolution  Luft.  Dieses  welterschüt- 
ternde Ereigniss  wurde  daher  auch  in  Rappoltsweiler  mit  Be- 
geisterung aufgenommen;  ward  doch  mit  einem  Schlage 
drückenden  Lasten  ein  Ende  gemacht.  Welche  weiteren  Folgen 
die  eintretende  staatliche  Einziehung  der  herrschaftlichen  Güter 
hatte,  werden  wir  weiter  unten  darlegen. 

Erwähnen  wir  schliesslich  noch,  da«ss  die  Herrschaft  Rap- 
poltstein im  Oberelsass  bis  zur  frz.  Revolution  8  Aemter  umfasste : 


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1.  die  rechte  Seite  des  Leberthaies  mit  dem  Sitz  in  Markirch,  (die 
linke  war  lothringisch)  2.  Hohenack  im  Kaysersberger  Thal,  mit 
den  Seitenthälern  Urbeis,  Schnierlach,  Urbach,  3.  Weier  im 
Gregorienthai,  4.  Rappoltsweiler  einschliesslich  Thannenkirch, 
5.  Bergheim,  6.  Zellenberg,  7.  Gemar,  8.  Heiteren.  (Stoffel,  To- 
pograph. Wörterbch.  Ob.  Eis.  1876  S.  435.) 

Die  mit  der  Grafschaft  Horburg  verbundene  Herrschaft 
Reichenweier  war  mutmasslich  im  XI.  Jahrh.  Erbgut  der  Her- 
zoge von  Lothringen,  welche  diesen  Besitz  von  den  mächtigen 
vorgenannten  Grafen  von  Egisheim  erhalten  zu  haben  scheinen. 
Jener  ging  im  Laufe  des  XII.  Jahrh.  an  die  Grafen  von  Hor- 
burg über,  und  diese,  nämlich  Burchard  II.,  der  Reichenweier 
1291  befestigte,  und  sein  Bruder  Walther  verkauften  im  Jahre 
1324  Reichenweier  und  Horburg  sowie  sonstige  elsässische  Be- 
sitzungen für  4400  Mark  Silber  an  den  Grafen  Ulrich  von 
Württemberg  (Colmar  B.  A.  Liasse  E.  Nr.  1 ;  Vergl.  auch  Dr. 
Albrecht  :  Rapp.  Urkundenb.  Bd.  I.  Seite  277).  In  dem  Kauf- 
akt wird  u.  a.  die  noch  zu  nennende  cBurg  ßihlstein,  Richen- 
wilre  die  stat,  Zellenberg  bürge  und  stat»  aufgeführt.  Zellen- 
berg ging  jedoch  bald  darauf  nebst  Bennweier  in  den  Besitz 
der  Bischöfe  von  Strassburg  über,  welche  diese  Orte  später 
dem  Herrn  von  Rappoltstein  als  Lehen  übertrugen.  Die  Herr- 
schaft Reichenweier  umfasste  hiernach  die  Ortschaften  Reichen- 
weier, Hunaweier,  Bebeinheim,  Mittelweier,  Ostheim  und 
Altweier,  während  die  Grafschaft  Horburg  11  nach  dem  Rheine 
zu  gelegene  Dörfer  in  sich  begriff  und  mit  diesen  bis  an  diesen 
Strom  sich  erstreckte. 

Die  Grafen  von  Württemberg,  Ende  des  XV.  Jahrh.  in 
den  Herzogstand  erhoben,  besassen  beide  Herrschaften  als  volles 
Eigentum  unter  dem  direkten  Schutze  des  Reichs;  die  Kaiser 
bewilligten  ihnen  zahlreiche  Privilegien.  Die  Nutzniessung  der 
beiden  ersteren  hatten  bald  die  regierenden  Fürsten  selbst, 
bald  wurde  jene  deren  Witwen  und  Nachgeborenen  vorüber- 
gehend zur  Apanage  überwiesen. 

Im  Jahre  1397  fiel  Eberhard  dem  Jungen  durch  Heirat 
die  Grafschaft  Mömpelgard  zu,  von  da  ab  Residenz  der  würl- 
tembergischen  Besitzungen  im  Elsass  und  in  der  Franche- 
Comte.  Im  Jahre  1617  wurden  all  diese  linksrheinischen  Be- 
sitzungen vom  Herzogthum  Württemberg  förmlich  abgezweigt 
und  damit  in  geringerem  Grade  abhängig  von  der  Stuttgarter 


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Regierung.  Nachdem  die  Herrschaft  Reichenweier  bereits 
während  der  Bauernkriege  unsägliche  Greuel  erlitten  hatte, 
schlug  ihr  der  dreissigjährige  Krieg  neue  tiefe  Wunden  ;  1635 
wurde  die  Stadt  von  den  Lothringern  belagert,  eingenommen 
und  geplündert ;  im  folgenden  Jahre  ward  Bilsteinschloss  von 
den  Schweden  überrumpelt  und  zerstört. 

Der  Friedensvertrag  von  Osnabrück  setzte  allerdings  die 
Herzoge  von  Württemberg,  Linie  Mömpelgard  in  ihre  elsässi- 
schen  Besitzungen  wieder  ein,  und  zwar  unter  direkter  Ab- 
hängigkeit vom  Deutschen  Reich,  indes  bald  erfuhren  jene 
die  Gefährlichkeit  ihres  mächtigen  und  gewalthätigen  Nachbarn, 
Ludwigs  XIV.,  welcher  sich  mehr  und  mehr  im  Oberelsass 
einnistete  und  namentlich  durch  Erbauung  der  Festung  Neu- 
breisach in  die  Grafschaft  Horburg  einen  lästigen  Keil  trieb. 
Am  30.  September  1680  ward  die  Stadt  Reichenweier  von  den 
Franzosen  besetzt,  und  die  Herzoge  von  Württemberg  mussten 
die  Souveränität  des  Königs  von  Frankreich  wohl  oder  übel 
anerkennen.  Der  König  versuchte  alsbald  die  herrschaftlichen 
Renten  an  sich  zu  ziehen  und  Steuern  aufzuerlegen  ;  von 
1723 — 1748  Hess  er  die  Herrschaft  infolge  ausgebrochener 
Erbstreitigkeiten  sequestriren  und  durch  seinen  Intendanten 
verwalten.  1748  übernahm  Herzog  Karl  Eugen,  ein  gestrenger, 
zielbewusster  Herrscher  die  Regierung,  vermochte  aber  die 
Aufhebung  des  Sequesters  über  Altweier  und  Ostheim  erst  11 
Jahre  später  durchzusetzen.  Dagegen  erlangte  er  infolge  unab- 
lässigen Drängens  von  Ludwig  XV.  1768  sehr  günstige  cLettres 
patentes»,  welche  ihn  in  seinem  Besitzstand  und  seinen 
Rechten  von  neuem  bestätigten  und  stärkten.  (Vergl.  Pfister 
Le  comte  de  Horbourg  et  la  seigneurie  de  Riquewihr  Paris  1889.) 

Indes  die  längst  vorbereitete  Revolution  nahte  und  führte 
im  Februar  1793  zur  Aufhebung  der  württembergischen  Herr- 
schaft im  Elsass.  Die  herzoglichen  Güter  wurden  erst  seque- 
striert, alsdann  grösstenteils,  darunter  auch  die  Waldungen 
für  Nationalgut  erklärt.  Diese  gewaltsame  Umwälzung  ward 
1802  durch  den  Lüneviller  Frieden  bestätigt  und  Herzog  Fried- 
rich II.,  der  1806  die  Königs  würde  annehmen  durfte,  für  den 
Verlust  der  linksrheinischen  Besitzungen  durch  drei  säculäri- 
sirte  Klostergüter  und  neun  ehemalige  Reichsstädte  zur  Abrun- 
dung  seiner  süddeutschen  Lande  entschädigt. 


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—   7  — 
KAPITEL  II. 

EntWickelung  der  Waldeigentums-Forsthoheits- 
und  Berechtigungsverhältnisse. 

Nach  den  Forschungen  von  Schwappach  (Grundriss  der 
Forst-  und  Jagdgeschichte  Deutschlands)  waren  um  das  Jahr 
600  Allmendwald  und  Königlicher  Bannforst  die  einzigen  Formen 
des  Waldbesitzes.  So  bezeichnete  Gregor  von  Tours  590  die 
Vogesen  als  silva  regalis.  Unter  Allmenden  haben  wir  die  in 
der  Nähe  der  Ansiedelungen  belegenen  Waldungen  und  Weid- 
gänge zu  verstehen,  in  welchen  die  vollberechtigten  Gemeinde- 
angehörigen Holz-  und  Weidenutzung,  Jagd,  Fischerei  und 
andere  Nebennutzungen  als  Markgenossen  gemeinsam  ausübten. 

Mit  der  Ausbildung  von  Grossgrund herrschaflen  vom  VII. 
Jahrh.  ab  fiel  ein  beträchtlicher  Teil  der  Königsgüter  durch 
Verleihung  an  weltliche  und  geistliche  Grosse,  auch  an  Klöster. 
Infolgedessen,  und  da  jene  oft  Allmendgut  an  sich  zu  reissen 
wussten,  entwickelte  sich  als  dritte,  im  weiteren  Verlaufe  häufig 
werdende  Form  das  Waldeigenlum  der  Grossgrundherrn, 
während  der  bauerliche  Privatwaldbesitz  im  frühesten  Mittel- 
alter kaum  in  Betracht  kam. 

In  den  herrschaftlichen  Waldungen,  besonders  in  den  ur- 
sprünglich freien  Markgenossenschaften  wurden  den  Hintersassen 
schon  zeitig  umfangreiche  Nutzungsrechte  zu  Teil.  Ebenso 
standen  den  Grossgrundherrn  häufig  als  Mitmärkern  solche, 
sogar  Eigentumsrechte,  an  den  gemeinen  Marken  zu ;  dadurch 
dass  sie  deren  Verwaltung  und  Bewirtschaftung  mit  versehen 
Hessen,  gewannen  sie  mehr  und  mehr  Einfluss  und  Rechte  in 
den  Waldungen. 

Im  Gebiete  der  hiesigen  Waldungen  können  wir  die  ur- 
sprünglichen Eigentumsformen  königlicher  oder  herrschaft- 
licher ßannforst  und  Allmendwald  mit  ziemlicher  Sicherheit 
nachweisen.  In  den  1888er  Mitteilungen  der  Vogesen  kl  ubsektion 
Kaysersberg  (Eine  Markgenossenschaft  im  Kaysersberger  Thale) 
sind  Beschreibungen  der  Rechte  von  Kienzheim  und  des  oberen 
Dinghofes  von  Sigolsheim  aus  dem  XIV.  Jahrh.  abgedruckt. 
Jenen  zufolge  hat  noch  damals  zwischen  dem  Strengbach,  ehe- 
dem Mulebach,  und  dem  Kaysersberger  Thale  eine  agemeine 
merke*  oder  «waltmarcke»  bestanden,  in  welcher  u.  a.  sieben 


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anliegende  Dinghöfe  berechtigt  waren.  Diese,  auch  Herren- 
oder Fronhöfe  genannt,  waren  grundherrliche  Niederlassungen 
mit  Wohn-  und  Wirtschaftsgebäuden,  von  denen  aus  die  Ver- 
waltung der  zum  Hofe  gehörigen  Güter  durch  die  Beamten  und 
die  Dienerschaft  besorgt  wurde.  Aus  jenen  entwickelten  sich 
vom  X.  Jahrh.  ab  die  befestigten  Burgen.  Die  ebengenannte 
Quelle  besagt  Folgendes  : 

«Man  sol  och  wissen  daz  in  dirre  gemeinen  merke  ligent 
siben  dinghöfe,  der  jit  einer  in  dem  oberen  dort  ze  gerner. 
Einre  ze  mittel wilre.  Einer  ze  sygolzhein.  Einer  ze  Könshein. 
Einre  ze  Minrewilre.  Einer  ze  Ongershein.  vnd  einre  ze  Tvren- 
kein.  vssir  disen  siben  hofen  sollent  gan  siben  vorster e. 
vnd  sollent  sich  die  sammenen  bi  dem  mvlbach  (Strengbach) 
ze  rapolzwilre.  vnd  sollent  den  mvlbach  vf  gan  vnd  vindent 
sv  ieman  do  vischen  der  sinen  berren  schvttet  dise  sit  des 
bachez,  den  sollent  sv  pfenden  für  fvnf  Schillinge,  vnd  sollent 
haben  einen  crapfen  einer  eilen  lang  do  mitte  sv  in  harvs 
ziehen,  vnd  entrinnet  er  gyne  sid  vz  so  sollent  sv  in  lan  lofen. 
Dannan  sollent  sv  für  sich  in  gan  vffen  die  hohe  virst  vnd 
vindent  sv  do  ieman  kol  machen  von  Standern  holze  dem  sollent 
sv  den  tvmen  vffen  dem  stvnpfe  abe  slahen,  vnd  git  er  in  ein 
pfunt  pfenninge  so  sollent  sv  in  lan  gan.  vindent  sv  och  ieman 
howen  nach  der  snvre  der  sol  in  geben  ein  unze  pfenninge. 
ein  holzacktz  git  einen  Schilling,  vnd  ein  sehselin  (kleines  Beil) 
sehs  pfenninge.  vnd  sollent  pfenden  als  der  sne  smilzet.  vnd 
der  bach  har  nider  rvnnet  vnd  nvme  furbas  sollent  sv  pfenden». 

Von  der  First  d.  h.  vom  Vogesenkamme,  sollen  die  sieben 
Förster  abwärts  steigen  zur  Abtei  Pairis,  von  da  zum  Abt  von 
Münster,  von  hier  zu  den  Herrn  von  Gyrsberg  zu  Weiher  im 
Gregorienthai  und  schliesslich  in  den  Frohnhof  zu  Türkheim. 
Die  im  Markwalde  berechtigten  Höfe  hatten  den  Förstern 
Trinkbecher,  Schüsseln,  Kleidungsstücke,  Getüch,  Wein  und 
Imbis  zu  verabreichen.  Der  rote  Türkheimer  wird  hierbei 
schon  dazumal  erwähnt. 

Die  Grenzen  der  Waldmark  werden  nur  ungefähr  ange- 
deutet. Inwieweit  die  zwischen  den  Dinghöfen  ansässigen  freien 
Dorfleute  in  jener  eigentums-  und  nutzungsberechtigt  waren, 
ist  nicht  genau  festzustellen.  Jedenfalls  waren  die  uns  besonders 
interessirenden  Gemeinden  Reichenweier,  Bennweier,  Mittel- 
weier, Bebeinheim,  Zellenberg,  Hunaweier  nach  Zerfall  der 


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9  — 


» 


grossen  Waldmark  bereits  im  XV.  Jahrh.  im  Besitz  gesonderter 
«burger weide».  Die  noch  zu  erwähnenden  abgelegenen  drei 
Forstorte  Walburg,  Griechbühl  und  Blütling  blieben  für  die 
ebengenannten  Gemeinden  und  Rappoltsweiler  als  ungeteilter 
Allmend wald  übrig. 

Der  oberhalb  und  zwischen  der  Waldmark  belegene  Forst 
der  Herrschaft  Reichenweier  ist  wol  ursprünglich  Königsgut 
gewesen.  Der  Hauptstock  dieses  Waldes  liegt  in  der  Seelburg 
mit  dem  Königsstuhlfelsen ;  in  jenem  Namen  haben  wir  mut- 
masslich einen  Anklang  an  das  Salgut  (terra  salica)  der  frän- 
kischen Könige  zu  suchen.  Später  ist  dieser  Forst  wahrschein- 
lich durch  Verleihung  an  einen  Grossgrundherrn  übergegangen. 
In  dem  schon  erwähnten  1324er  Kaufakt  zwischen  den  Grafen 
von  Horburg  und  denen  von  Württemberg  ist  der  Wald  als 
Zubehör  der  Herrschaft  ausdrücklich  genannt. 

Die  Bürger  von  Rappoltsweiler  und  die  des  ehedem  zwischen 
der  Stadt  und  Hunaweier  gelegenen  Dorfes  Ellenweiler  (unter- 
gegangen gegen  Ende  des  XVI.  Jahrh.)  haben  anscheinend  wie 
<Jie  anderen  sechs  Gemeinden  einen  eigenen  Bürgerwald  aus- 
geschieden erhalten,  und  zwar  wohl  in  dem  noch  heute  soge- 
nannten Allmendwald  südlich  vom  Strengbach.  Für  diese  An- 
nahme spricht  die  Thatsache,  dass  in  den  Rappoltsteinischen 
Porstordnungen  von  1429  und  1432  (Rapp.  Stadl  Arch.  DD.) 
vom  Forstort  «almende»  und  von  den  «burgerwelden»  die 
Rede  ist.  Jedoch  scheinen  die  mächtigen  Herren  schon  damals 
-die  Hände  nach  dem  Allmendwalde  ausgestreckt  zu  haben,  und 
1483  heisst  es  in  einer  weiteren  Forstordnung  kurz  und  bündig: 
«item  alle  weide  sein  der  herrschaft.»  Gleich  wol  ist  in  Rappolts- 
weiler die  Erinnerung  an  frühere  Waldeigentumsrechte  wach 
geblieben,  denn  noch  kurz  vor  Ausbruch  der  französischen  Re- 
volution nahm  die  Stadtvertretung  den  Allmendwald  (Golmar 
B.  A.  Liasse  E  1706)  in  Anspruch,  wie  im  Schlusskapitel  dar- 
gelegt werden  wird.  Abgesehen  von  diesem  Walde  und  den- 
jenigen der  Klöster  Sylo  und  St.  Nicolaus,  welch  letztere  1510 
von  der  Herrschaft  käuflich  erworben  wurden,  mag  der  Rap- 
poltsteinische  Wald  bis  zur  Schenkung  an  das  Bistum  Basel  in 
•der  Hauptsache  königlicher  Bannforst  gewesen  sein.  In  den 
betreffenden  Urkunden  findet  sich  indes  ebensowenig  wie  in 
den  Teilungsverträgen  von  1298  und  1373  eine  genauere  An- 
gabe über  die  örtliche  Liegenschaft  und  Begrenzung ;  nur  das 


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um  die  Schlösser  gelegene  Bannholz  wird  als  Forstort  erwähnt. 
Jedenfalls  waren  zu  Beginn  des  XIV.  Jahrhunderls  die  Eigen- 
tumsgrenzen gegenüber  dem  Besitze  der  Stadt  Bergheim  strittig. 
Um  das  Jahr  1303  klagt  diese  (Albrecht  Urkundenbuch  I  184) 
über  Gebietsanmassungen  seitens  der  Rappoltsteiner ;  diese 
hätten  die  Allmendgüter  «Schetteleite»,  «Hagenach»,  «Wise», 
«Sultze»  sich  widerrechtlich  angeeignet  und  sowohl  den  Leuten 
von  Bergheim,  als  denen  von  Rappoltsweiler  die  Holznutzung 
im  gemeinsamen  Hochwalde  entzogen  (in  qua  silva  dicta  com- 
munitas  particeps  est  sicut  et  ipsi  de  Rapoltzwilre.)  Infolge  dieses 
Streites  wurden  von  beiden  Parteien  die  sog.  ältesten  Leute  1357 
vernommen.  Die  betreffenden  «Kundschaften  sind  in  der  Liasse 
E  2671  des  Colmarer  B.-A.  enthalten  ;  sie  sind  für  die  damalige 
Art  der  Waldbenutzung  teilweise  recht  bezeichnend,  sodass 
einige  auszugsweise  hier  folgen  sollen  ;  die  gleichgültigen  Namen 
sind  durch  N.  N.  ersetzt. 

«I.  Diez  ist  der  von  Rappoltstein  Kundtschaft  umb  die  oberen 
gütter  und  weide: 

N.  N.  von  Callenberg  hant  gesait  daz  si  gedenkend  40  jar 
und  medaz  die  von  Rappoltstein  dies  ultze  und  daz  jungholtz  (öst- 
lich Schlüsselstein)  habend  gehebt  in  gewaltund  nutzlicher  gewere. 

N.  N.  hant  gesait  umb  die  weide  schettelite  und  vor- 
derybach  und  alfterybach,  Eberlinsmatt,  Swarzenberg,  die  ebenin 
obent  uff  dem  tennchen  untze  an  daz  eigin  von  Razenhusen 
(Rathsamhausen)  daz  si  gedenkend  wol  40  jar  daz  die  von 
Rappoltstein  dieselbe  weide  inne  und  har  hant  braht  in  nutzlicher 
gewere  und  och  befoerstet  und  gehoertend  och  me  gesagen  daz  die 
von  Berckheim  ie  deheinen  (keine)  anspräche  dar  an  gehattent. 

N.  N.  hat  och  gesait  umb  die  vorigen  weide  daz  si  daruf 
gevarn  und  dar  inne  gepfendet  von  den  von  Rappoltstein 
foerstern  und  ruogete  (rügte)  och  niemand  anders  denne  die 
von  Rappoltstein  foerster. 

Der  lutpriester  von  Thannenkilch  hat  gesait  daz  die  von 
Rappoltstein  den  von  Thannenkilch  holtz  gapen  zu  irer  Küchen 
und  daz  si  nie  gehörten  gesagen  von  den  von  Berckheim 
foerstern  daz  si  uf  den  weiden  ie  gehnetent. 

N.  N.  hant  gesait  daz  si  muesstent.  stumpfloess  (Abgabe  für 
einen  Baumstumpf  als  Strafe)  geben  den  von  Rappoltstein  foerstern. 

N.  N.  hat  gesait  daz  er  gedenket  20  jar  und  me  da  er 
uff  Bilstein  waz  daz  er  nie  anders  gehörte  sagen  denne  daz  die 


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—  11  — 


weide  ginsit  (sudlich)  des  Mulebaclis  (Strengbach)  waerent  denen 
von  Horburg  und  die  weide  dissit  des  baches  denen  von  Rappoltstein. 

N.  N.  hant  gesait  daz  die  von  Rappoltstein  fürenl  eine 
hofstatt  in  Eberlinsmatt  (1347  Benediktinerniederlassung)  und 
daz  er  dicke  (oft)  die  von  Rappoltsweiler  voerster  do  habe  ge- 
sehen aber  ob  die  voerster  von  Berckheim  do  waren  daz  weisser  nit.» 

Fünfzig  Leute  aus  Rappoltsweiler  und  der  Propst  von  St. 
Morandus  bezeugen  dasselbe  und  sagen  weiter  aus  «daz  die 
von  Rappoltstein  die  weide  zu  lehen  haben  vom  Stift  ze  Basel. » 

«N.  N.  hat  gesait  daz  er  und  ouch  sine  lute  uf  dem  walde 
in  Eberlinsmatt  hinter  dem  taennchel  eichein  losent  und  daz 
die  voerster  von  Rappoltstein  si  pfiindent. 

II.  Diez  ist  der  von  Berckheim  Kundtschaft  gegen  die  von 
Rappoltstein  von  der  oberen  weide  und  gütter  wegen  und  sine  uslute  : 

N.  N.  hat  gesait  umb  die  Sultze  ....  daz  daz  alles  der 
von  Berckheim  almende  ist  und  der  sie  zü  der  mark  gehörent. 

N.  N.  hat  gesait  daz  er  holtz  habe  gehowen  in  den  weiden 
und  daz  er  forchte  (fürchtete)  die  voerster  von  Rappoltzwilre 
und  die  voerster  von  Berckheim  die  in  den  weiden  hüettent 
ze  beiden  siten. 

N.  N.  hant  och  gesait  umb  die  weide  daz  ist  schettelite 
(u.  s.  w.  wie  vor)  daz  daz  den  von  Berckheim  und  den  von 
Rappoltzwilre  (im  Gegensatz  zur  Herrschaft  Rappoltstein)  und 
daz  die  zü  der  mark  gehoerent  gemein  sellent  sin. 

III.  Daz  sint  die  zü  der  mark  gehoerent  : 

N.  N.  von  sant  pult  hat  gesait  daz  er  gesehen  hat  die  von 
Berckheim  in  Eberlinsmatt  faren  überrücke  mit  pferden  nach  holtze. 

N.  N.  von  sant  pult  hant  och  gesait  daz  si  haben  gehört 
sagen  daz  die  von  Berckheim  die  von  sant  pult,  von  orswilr 
und  die  von  Rappoltzwilr  gemein  sellent  han  an  Eberlinsmatten. 

fuenf  und  fuenfzig  von  Berckheim  hant  och  gesprochen 
umb  die  weide  schettelite  (u.  s.  w.  wie  vor)  indewendig  des 
Mulbachs  daz  sie  wissent  daz  die  der  von  Berckheim  und  die 
von  Rappoltzwilr  die  indewendig  des  baches  sint  gesessen  der 
von  sant  pult  von  Rodern  und  von  Rosswilr  (Rohrschweier) 
gemein  almende  sint  und  sprochent  daz  sie  selbe  weide  in 
gewalt  und  in  gewere  habent  gehebt. 

N.  N.  hat  gesait  daz  er  gedenket  50  jar  do  er  ze  sant  pült 
diende  daz  er  fure  hinder  Eberlinsmatt  und  hinder  dem  taenn- 
chel und  hiewe  do  reifle  und  bandsteck  dez  sin  meister  bedorfte 


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-    12  — 


und  werte  ime  daz  nieman  und  horte  och  von  einem  erbaren 
mann  do  mit  im  für  der  waz  wol  40  jar  daz  der  sprach  :  kinder 
diese  weide  sind  alle  unser  almende  und  weiss  wol  daz  man 
si  inen  mit  gewalt  neme  und  genommen  habe. 

N.  N.  hat  gesait  daz  er  vor  20  jaren  habe  gehört  sagen 
daz  die  von  Berckheim  reht  haben  in  den  weiden  im  äfftern 
und  vordem  ybach  daz  er  selber  si  gefaren  in  Eberlinsmatt  und 
Eichenholtz  drinne  gehowen  und  gen  Berckheim  gefürt  und 
werte  im  daz  nieman  und  sient  dez  entwert  (enteignet)  mit 
gewalt  und  ane  reht.» 

So  verworren  und  sich  widersprechend  diese  Kundschaften 
auch  lauten,  so  geht  doch  aus  denselben  hervor,  dass  zwischen 
Tännchel,  Hohkönigsburg  und  {den  Vorbergen  eine  andere 
Waldmark  bestanden  hat,  als  deren  Teilhaber  die  Leute  von 
Bergheim,  Rodern,  Rohrschweier^Sankt  Pill,  Orschweiler,  auch 
die  von  Rappoltsweiler  nacheinander  genannt  werden.  Diese 
Annahme  wird  bestätigt  durch  zwei  Verleihungsurkunden  Karls 
des  Grossen  an  die  Abtei  Leberau  aus  den  Jahren  774  und 
£01 ;  von  diesen  soll  allerdings  die  letztere  unecht  sein  ;  da 
sie  indes  im  XIV.  Jahrhundert  durch  Kaiser  Karl  IV.  anerkannt 
worden  ist,  so  legt  sie  jedenfalls  von  den  damaligen  Anschau- 
ungen Zeugnis  ab.  Beide  Urkunden  sind  enthalten  in  den  Re- 
gesten  der  Karolinger  herausgegeben  von  Böhmer-Mühlbacher 
(Innsbruck  1889)  Bd.  I,  Seite  69  Nr.  167  und  Seite  153  Nr. 
372  a.  In  der  774er  Urkunde  schenkt  Karl  der  Grosse  dem 
Abt  Fulrad  einen  Klosterwald  oberhalb  Leberau  «in  pago  Ali- 
sacense,  ex  marca  fisco  nostro  Quuningishaim»,  und  in  der 
zweiten  Urkunde  heisst  es,  dass  der  geschenkte  Wald  reicht 
bis  an  die  «Marg  dess  grossen  und  hohen  Berges  im  Voge  ge- 
nannt» (spätere  deutsche  Uebersetzung).  Nach  Ansicht  des 
Verfassers  ist  unter  der  ersteren  «marca»  das  Kintzheimer 
Königsgut,  unter  der  letzleren  «marg»  die  ebenerwähnte  gemeine 
Wraldmark  der  genannten  Ortschaften  zu  verstehen. 

Wahrscheinlich  sind  die  den  Rappoltsteinern  zugefallenen 
Bannforsten  am  Tännchel  mit  den  Grenzen  jener  Waldmark 
zusammengestossen,  und  mutmasslich  haben  diese  Herrn  der 
Jagdgründe  wegen  schon  frühzeitig  ihre  Forsten  durch  Ueber- 
greifen  in  den  angrenzenden  Markwald  willkürlich  abgerundet. 
Bei  der  sehr  extensiven  Waldbenutzung  mögen  selbst  noch  im 
XIII.  Jahrhundert  die  Eigentumsgrenzen  gerade  im  Gebirge 


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keine  festen  gewesen  sein.  War  auch  in  der  Mitte  des  XIV. 
Jahrhunderts  die  Erinnerung  an  eine  frühere  grössere  Aus- 
dehnung der  Waldmark  gegenüber  dem  herrschaftlichen  Forst 
noch  rege,  so  war  jene  wohl  nicht  mehr,  als  eine  dunkle  Ahnung. 
Anno  1357  schlichteten  Ulrich  vom  Huse,  Johannes  von  Eckerich 
und  Gosse  Sturm  der  Aeltere,  Burggraf  von  Strassburg  den 
Waldstreit  zu  Gunsten  der  Kappoltsteiner.  (Albrecht  Urkundenb. 
I  547).  Dieser  wurde  aber  wiederholt  wieder  angefacht  und 
erst  4583  durch  das  Setzen  von  Grenzsteinen  am  Tännchel 
enlgfiltig  erledigt.  (Colmar  B.-A.  Liasse  E  Nr.  1679.) 

Thatsächlich  unterscheidet  sich  somit  die  Entwickelung 
des  Waldeigentums  in  beiden  Herrschaften  insofern,  als  die 
Stadt  Reichenweier  an  Stelle  ihrer  ursprünglichen  Nutzungs- 
rechte an  der  Waldmark  einen  Teil  derselben  als  Bürgerwald 
erhielt,  wogegen  der  starke  Wille  der  Kappoltsteiner  die  Bildung 
eines  solchen  zu  verhindern  wusste.  Nachdem  diese  Herren  im 
Jahre  1470  die  Waldungen  der  Herrn  von  Rathsamhausen 
oberhalb  Thannenkirch  (Colmar,  B.-A.  Liasse  E  Nr.  678)  und 
1510  die  vorgenannten  Klosterwaldungen  gekauft  hatten  (eben- 
daselbst E  Nr.  2401),  war  der  Besitzstand  hüben  und  drüben 
zum  Abschluss  gelangt  und  verblieb  so  bis  zur  französischen 
Revolution.  Die  ungeteilten  Waldungen  der  sieben  Gemeinden 
blieben  als  Zankapfel  zwischen  beiden  Forsten  liegen.  Ein  1535 
angerufenes  Schiedsgericht  (Colmar,  B.-A.  Liasse  E  Nr.  65) 
stellte  schliesslich  fest,  dass  «im  Wahlberg,  der  sonst  der  ße- 
holtzung  halber  almend  und  gemein  ist»  das  Hegen  und  Jagen 
beiden  Herrschaften  gemeinschaftlich  sein  soll. 

Die  Waldabgrenzung  war  in  den  vorigen  Jahrhunderten 
eine  sehr  primitive.  Wie  in  anderen  Waldgauen  lehnte  sich 
diese  zuvörderst  an  Kammlinien,  Thäler,  Mulden,  Holzschleifen, 
Wasserläufe  und  Wege  an.  Ein  uralter  Spruch  beschreibt  das 
Verlaufen  der  Grenzen  mit  den  Worten:  c Wie  Kugel  rollt  und 
Wasser  fliesst».  Jedenfalls  passen  sich  die  ältesten  Grenzen 
weit  natürlicher  dem  Gelände  an  als  die  in  den  beiden  letzten 
Jahrhunderten  durchgeführten.  Diese  mögen  wol  manchmal 
apres  le  bon  diner  im  Zimmer  mit  dem  Lineal  auf  der  Karle 
gezogen  worden  sein.  Wo  ehedem  scharf  ausgeprägte  natür- 
liche Grenzen  nicht  vorhanden  waren,  bediente  man  sirh  an- 
fangs besonderer  Grenzzeichen,  wie  Felsen,  zusammengeschütteter 
Steinhaufen,  vor  allem  der  sog.  Lochbäume,  d.  h.  ausgezeich- 


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neter  Stämme,  welche  mit  irgend  einem  Grenzmal  versehen 
wurden.  Solche  waren  gerade  in  hiesiger  Gegend  sehr  üblich. 
Das  Setzen  behauener  Grenzsteine  wird  erst  im  XVI.  Jahrh. 
erwähnt,  und  zwar  unseres  Wissens  am  frühesten  bezüglich 
der  im  Adelsbach  und  am  Tännchel  gesetzten. 

Bei  der  damaligen  mangelhaften  Begrenzung,  Vermessung 
und  Kartierung  herrschte,  wie  leicht  erklärlich,  grosse  Grenzun- 
sicherheit. Häufig  entstanden  in  den  hiesigen  Waldungen  Zwiste 
dadurch,  dass  abständige  Lochbäume  umgefallen  waren.  In  beiden 
Herrschaften  wissen  dicke  Aktenhefte  von  zahlreichen  «Spännen 
und  Stössen»  zu  erzählen;  doch  würde  eine  vollständige  Wieder- 
gabe derselben  kaum  von  Interesse  sein.  Abgesehen  von  dem 
eingehender  behandelten  Bergheimer  Grenzstreit  war  nament- 
lich die  Strecke  zwischen  dem  Reinoltstein  und  der  Markircher 
Höhe  an  der  lothringischen  Grenze  strittig,  sodass  die  herr- 
schaftlichen Holzknechte  das  dort  gehauene  Holz  tagtäglich  ent- 
fernen mussten,  damit  die  Welschen  es  nicht  holen  sollten. 
Die  beiden  Herrschaften  Rappoltstein  und  Reichenweier  lagen 
sich  fast  beständig  wegen  irgend  eines  Uebergriffes  in  den 
Haaren.  1535  z.  B.  wurde  gelegentlich  des  vorerwähnten 
Schiedsspruches  wegen  des  Walburgs  festgestellt,  wo  die 
Grenze  im  Heihocken  bei  Hunaweier  verlaufen  solle,  ferner  dass 
«die  Strasse  von  dem  Limpachbrücklin  (am  Ausgange  des 
Bilsteinthals)  an  bis  zum  eichenen  Steg  (bei  Sägemühle  Haas) 
und  bis  auf  den  Isenrain  (auch  Eysereinen  reyn,  wohl  wegen 
früherer  Eisenerzgruben  so  genannt)  eine  gemeine  offene 
Keyserliche  Strasse  wie  sie  denn  ist  hinfüro  bleiben  soll,  dass 
auch  unser  gnädiger  Herr  von  Rappoltstein  bei  der  Entpfahung 
Zolls  und  Frevel  und  Bussen  auch  Geleitgebung  und  andere 
Dienstbarkeiten  auf  solcher  Strasse  fürhin  zu  lassen  und  bleiben 
solle-).  König  Wenzel  hatte  nämlich  1392  Bruno  von  Rappolt- 
stein mit  einem  einkömmlichen  Zolle  von  Schloss  Limburg  am 
Rhein  bis  nach  Rappol Isweiler  und  von  da  über  den  Isenrain 
nach  Markirch  belehnt.    (Albrecht  Urkundenb.  II  283). 

Auch  die  Ausübung  der  Fischerei  im  Müsbach  und  Streng- 
bach bildete  lange  Zeit  Anlass  zu  Misshelligkeiten  zwischen 
beiden  Häusern,  ein  Beweis,  dass  die  Forellen  schon  damals 
ein  beliebtes  Gericht  waren. 

1554  kam  es  zu  einem  Vergleich  zwischen  Georg  von 
Württemberg  und  Egenolf  von  Rappoltstein,  demzufolge  jener 


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in  dem  Sylwalde  jagen  und  jährlich  10-30  Stück  Bauholz  hauen 
durfte.  (Colmar  B.  A.  Liasse  E  N*  1706). 

Bei  der  Darstellung  der  Entwickelung  der  Waldeigentums- 
verhältnisse darf  die  Frage  nicht  unerörtert  bleiben,  in  welcher 
"Weise  die  Grossgrundherren  in  den  letzten  Jahrhunderten  ihre 
Hoheitsrechte  bestätigten.  Es  kann  nicht  Wunder  nehmen,  d;;ss 
die  Auffassung  jener  sich  im  Einklang  befand  mil  dem  Er- 
starken der  zahlreichen  Landesfürsten,  deren  die  schwachen 
Kaiser  in  den  beständigen  Kriegslasten  dringend  bedurften. 
Diese  mussten  sich  daher  '.die  Grundherren  durch  Begünstigungen 
aller  Art  gefügig  machen  und  unterstützten  auch  deren  Be- 
strebungen, die  Forst-  und  Jagdhoheit  in  den  eigenen  wie  in 
den  übrigen  Waldungen  ihrer  Gebiete  mehr  und  mehr  auszu- 
bilden. Die  Juristen  der  römisch-rechtlichen  Schule  definierten 
diese  Hoheit  «als  eine  öffentliche  Macht  und  Gewalt,  in  Bezug 
auf  Jagd,  Forst  und  Wald  Etwas  zu  gebieten  und  zu  verbieten, 
über  die  Forst-  und  Jagdstreitigkeiten  zu  erkennen,  die  Ueber- 
treter  zu  bestrafen  und  allen  Nutzen  zu  gemessen  ».  (Bernhardt. 
Geschichte  des  Waldeigentums).  Dementsprechend  entschied 
zu  Anfang  des  vorigen  Jahrh.  das  Rappol Isweiler  Ratskolle- 
gium, das  Forstwesen  äussere  sich  in  drei  Aktionen,  in  der 
defensio  jurium,  der  perceptio  redituum  und  der  conservatio 
silvarum.  (Colmar  B.  A.  Liasse  E  N°  676). 

Diese  drei  Rechte  hat  die  Herrschaft  in  den  Waldungen 
des  Amtes  Rappoltsweiler  unumschränkt  ausgeübt;  wenn  über 
die  Beeinflussung  der  nicht  herrschaftlichen  Wildungen  Nichts 
verlautet,  so  liegt  dies  eben  daran,  dass  erst  im  vorigen  Jahrh. 
einige  Privatwäldchen  entstanden.  Gelegentlich  der  1688,  also 
bereits  unter  französischer  Obelherrlichkeit  vorgenommenen 
Erneuerung  der  herrschaftlichen  Rechte  (Colmar  B.  A.  E  N° 
1602j  wurde  namentlich  angeführt : 

Das  Eigentumsrecht  an  allen  Waldungen  des  Bannes  ab- 
gesehen von  den  Dürrholzrechten  der  Bürger,  sodann  das  aus- 
schliessliche Jagd-  und  Fischereirecht  im  ganzen  Bann. 

In  der  Herrschaft  Reichenweier  sind  die  Forsthoheitsrechte 
namentlich  im  vorigen  Jahrh.  lebhafter  erörtert  worden.  Her- 
zog Karl  Eugen  Hess  1760  durch  den  Rechtsgelehrten  Treitt- 
linger  hierüber  ein  Gutachten  ausarbeiten  (Colmar  B.  A  E  184), 
worin  beansprucht  wurde:  1.  Genuss,  Polizei  und  Verwaltung 
in  allen  herrschaftlichen  Waldungen,  2.  Ausübung  der  polizei- 


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liehen  Aufsicht  in  allen  Gemeinde-  und  Privatwaldungen, 
3.  Jagd-  Weide-  und  Eckergerechtigkeit  in  sämtlichen  Wal- 
dungen, 4.  Eigentum  an  allen  hochstämmigen  Bäumen,  dem 
sog.  Oberholz  in  den  Mittelwaldungen,  es  mögen  selbige  in 
den  herrschaftlichen  Wildungen  liegen  oder  auf  den  Feld- 
äckern, Matten,  Allmenden».  Im  Anschluss  daran  heisst  es: 
«Alle  Inhaber  von  Hursten,  die  glauben  obgemelten  Rechten 
nicht  unterworfen  zu  sein,  sollen  sich  mit  Beweismaterial 
melden».  Von  diesen  weitgehenden  Forderungen  wurden  die 
drei  ersten  2  Jahre  später  durch  Ludwig  XV  anstandslos  be- 
willigt. Die  herrschaftlichen  Forstbeamten  zeichneten  daher 
auch  in  den  Gemeinde-  und  Privatwaldungen  die  Holzschläge 
aus  und  leiteten  den  Holzverkauf;  sie  stellten  die  Anzahl  des 
Weideviehs  alljährlich  fest  und  sorgten  wohlweislich  dafür, 
dass  das  Wild  mit  seiner  Aesung  nicht  zu  kurz  kam.  Nur 
die  vierte  Forderung  wurde  von  der  Königlichen  Regierung 
teilweise  abgelehnt,  insofern  die  Nutzung  der  Oberhölzer  ledig- 
lich an  die  Einhaltung  der  Forstordnung  geknüpft  ward. 
Die  Besitzer  von  Privatwaldungen  sollten  überdies  ihre  Eigen- 
tumsrechte beweisen  und  ihren  Waldbesitz  in  ein  Lagerbuch 
(livre  terrier)  eintragen  lassen.  Einige  Jahre  später  legte  der 
als  oberste  Justizbehörde  fungierende  elsässische  hohe  Rat  zu 
Colmar  diesen  Besitzern  unverblümt  die  Verpflichtung  auf,  so- 
viel fruchttragende  Bäume  belassen  zu  müssen,  als  zur  Erhal- 
tung des  Wildstandes  nötig  sei. 

Als  besonderen  Ausfluss  der  Forsthoheit  betrachteten  die 
Dynasten  etwa  von  XV.  Jahrh.  ab  die  Befugnis  zum  Erlass 
von  Forstordnungen.  Diese  entsprangen  teils  der  landesväter- 
lichen Fürsorge  bei  mehr  und  mehr  überhandnehmender  Furcht 
vor  Holzmangel,  teils  den  Rücksichten  auf  Erhaltung  der  Wild- 
bahnen, hatten  aber  wohl  auch  den  Zweck,  die  Autorität  der 
Herrscher  ins  gebührende  Licht  zu  stellen.  Auf  den  sachlichen 
Inhalt  dieser  Kundgebungen,  deren  aus  beiden  Herrschaften 
eine  grössere  Anzahl  überliefert  ist,  werden  wir  noch  öfters 
zurückkommen.  Es  möge  an  dieser  Stelle  die  Rappoltsleinische 
Waldordnung  aus  dem  Jahre  1543  abgedruckt  (Original  in  den 
Akten  des  Kais.  Amtsgerichts  Rappoltsweiler)  werden,  um  dem 
Leser  von  Inhalt  und  Form  solcher  Verordnungen  ein  Beispiel 
zu  geben : 


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t  Waldordnung. 

Der  Wolgeborn  herr,  herr  Wilhelm  zu  Rappoltzslein,  zu 
Hohennack  und  Geroltzeck  am  WTassichin,  unser  gnädiger  und 
regierender  herr  lat  ouch  befelhen  und  gepieten  daz  ir  nun 
fürterhin  nit  mer  in  den  waldt  Forderybach  genannt  faren  und 
alda  holtz  nemen  sollen  weder  grien  noch  dhürr,  es  sey  eichin 
oder  Ihennin,  liegendts  oder  standts,  ohn  Ihrer  Gnaden  wissen 
und  willen  und  erlaupung,  er  sey  welchen  stants  er  welle, 
edelleut,  diener  oder  von  burgern,  heimsch  oder  frembdt,  nie- 
mandts  ausgenommen,  dann  sein  Gnad  würd  sonderlich  darauf 
acht  haben  lassen  und  welcher  daz  verbricht  umb  drythalb 
Pfundt  Pfennig  ohnnachlesslich  strafen.  Dann  sein  Gnad  selbs 
ire  hoffkarcher  annderst  nit  mer  dahin  faren  lassen  würt,  denn 
allein  die  wählt  zu  säubern.  Es  verböut  ouch  sein  Gnad  alle 
wäldt  bis  ganntz  herfür  gegen  der  statt  als  nämblichen  der 
Aflerybach,  Kaibsrhein,  Schelmenkopf,  Bannscheidt,  Taussem- 
bach, Wäldt  am  Küenberg,  alle  Sankt  Nikiaus  wäldt,  die  Alle- 
mendt und  Lymbach  zu  gleicher  gestalt  wie  oben  im  Fordery- 
bach ouch  gemelt.  Bedenckth  sein  Gnad  wie  die  fordern  wäldt 
so  gar  abkommen,  sollt  etwan,  da  Gott  vor  sey,  feurige  Not 
und  anderes  zufallen,  daz  sollichs  an  holtz  ein  grosser  Mangel 
bringen  würde,  aber  dagegen  will  sein  Gnad  erlouben  daz  man 
möge  zu  nothdurflt  holtz  nemen  am  Schwarzenberg,  Adelsbach 
und  Mossberg,  doch  waz  von  bauwholtz,  Sägebomen  und  jung 
Erdtkhymen  so  mit  der  zeit  aufwachsen  möchte  es  sey  liegendes 
oder  standts,  eichin  oder  thennin  bey  vorigem  gepot  ver- 
schonen, und  so  sy  wie  vorstat  daz  erloupt  holtz  nemen  sollen 
sy  die  afterslag  darvon  ouch  hinweg  füren  damit  die  weldt  nit 
verwüst  und  jung  hollz  wider  an  die  statt  wachsen  mög.  Dez 
wisse  sich  männigl icher  vor  schaden  zu  hüeten. 

Datum  den  fünflf  und  zwinzigsten  Tag  Augusti  anno  1543». 

Die  Feudalherrn  leiteten  aus  ihren  grund herrlichen  Rechten 
weitgehende  Befugnisse  über  die  Heranziehung  ihrer  Unler- 
thanen  zu  Leistungen  und  Abgaben  aller  Art  her;  sie  dehnten 
oft  die  Forsthoheit,  insbesondere  denjWildbann  ins  Ungeheuer- 
liche und  Unerträgliche  aus.  Auf  der  anderen  Seite  brachte  es 
das  patriarchalische  Verhältnis  zu  den  Hintersassen  mit  sich, 
dass  die  Herrn  diesen  in  den  ursprünglich  herrschaftlichen  und 

in  den  usurpierten  Waldungen  Nutzungsrechte  einräumten.  In 

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der  Herrschaft  Rappoltslein  lag  die  Notwendigkeit  der  «Be- 
holzung»  der  Bürger  um  so  mehr  vor,  als  der  Stadt  ausser 
ihrem  Siebentel  am  Walburg  und  der  Gemeinmark  im  Ried 
kein  eigener  Wald  verblieben  war.  In  den  vorerwähnten  Tei- 
lungsvertragen von  1298  und  1373  (s.  oben  Seite  3)  ist  denn 
auch  den  Bürgern  die  Mitbenutzung  der  Waldungen  zuge- 
sprochen worden.  Jene  erfuhr  aus  waldpfleglichen  Rück- 
sichten nachträglich  mancherlei  Beschränkungen.  Es  erfolgte 
wiederholt  das  Verbot  der  Schaf-  und  Ziegen  weide,  Verjün- 
gungen wurden  in  Schonung  gelebt,  zu  Wiesen  geeignete 
Mulden  und  Thäler  den  Waldgütern  zugeteilt.  Auch  die  Ein- 
wohner von  Thaunenkirch,  Altweier,  St.  Blasien  und  Fortel- 
bach wussten  sich  'in  den  Genuss  von  Weiderechten  in  den 
beiderseitigen  Waldungen  zu  setzen  und  behaupteten  diese  hart- 
näckig. Ueber  den  Umfang  der  eingeräumten  Holznutzungen 
geben  die  Forstordnungen  Auskunft.  Jene  bezogen  sich  in  der 
Herrschaft  Rappoltstein  anfänglich  auf  das  stehende  und  liegende 
Dürrholz,  den  sog.  Afterschlag,  d.  h.  dasjenige  Abfallholz, 
welches  nach  dem  Zurichten  der  Stämme  im  Walde  zurück- 
blieb und  auf  die  sämtlichen  Wmdfälle.  So  heisst  es  in  der 
schon  erwähnten  Rappoltst.  F.  0.  1432:  «item  man  mag  afler- 
slagen  und  windwerffen  uffhouwen  und  daz  ni  essen  ane  ir- 
runge  der  vörster».  Die  Waldorte,  in  denen  diese  Nutzungen 
gestattet  sein  sollten,  wurden  öffentlich  bekannt  gegeben  und 
meist  örtlich  «ussgelocht»,  also  durch  Lochbäume  begrenzt.  So 
räumt  die  Rappoltst.  F.  0.  1429  das  Holzholen  ein  «in  dem 
äftern  ybach  als  wyt  und  breit  der  uffgetan  ist ». 

Ferner  wurde  den  hiesigen  Bürgern  Bauholz  gegen  ein 
Stumpfgeld  von  etwa  9  Batzen  und  einen  jährlichen  Hauszins 
für  den  Förster  nach  Prüfung  des  Voranschlages  durch  den 
«Erlaubmeister»  verabfolgt.  Auch  für  die  zahlreichen  Gemeinde- 
bauzwecke gab  die  Herrschaft  die  Hölzer  unentgeltlich  ab.  Da 
.die  Herrn  zu  ihren  umfangreichen  eigenen  Bauten  und  zu  der 
Hofhaltung  oft  der  Fuhrleute  bedurften  und  diesen  jährlich 
mehrere  Frohndetage  auferlegten,  so  wussten  die  Fuhrleute  und 
Karrcher  besondere  Begünstigungen  sich  zu  erwirken.  So 
wurden  155G  (Rappoltst.  Stadt.  Aren.  DD.)  jedem,  der  «Ross, 
Schiff  und  Geschirr»,  also  Fuhrwesen  besitzt,  wöchentlich  nach 
altem  Brauch  drei  Holztage:  Montag,  Mittwoch,  Freitag  zuge- 
standen, an  welchen  sie  je  einen  Baum  abfahren  durften.  An 


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den  übrigen  Tagen  sollten  sie  ihren  Mitbürgern  «um  gebührliche 
Belohnung»  Holz  fahren.  Den  armen  Leuten,  die  das  Holz, 
«zu  lyp»  tragen  mussten,  wurden  bestimmte  naheliegende 
Forstorte  angewiesen. 

Von  jeher  erhielten  die  Bäcker,  Metzger,  Müller,  Ziegler, 
Wirte  zur  Ermöglichung  ihrer  Gewerbe  grössere  Holzmengen 
zu  ermässigten  Taxen. 

Ganz  besonderer  Gerechtsame  erfreuten  sich  die  1671  im 
vorderen  und  hinteren  Ibachthale  angesiedelten  Glaser,  worüber 
wir  im  IV.  Kapitel  Weiteres  mitteilen  werden. 

Je  naher  man  das  Gespenst  der  Holznot  heranrücken  wähnte, 
desto  mehr  suchten  die  Herrn  von  Rappoltstein  diese  Nutzungs- 
rechte einzuschränken.  So  wurde  1648  den  Fuhrleuten  wöchent- 
lich nur  noch  ein  grüner  Montagsbaum  und  zwar  im  entlegenen 
Schwarzenberg  zugestanden,  von  dem  sie  Freitags  den  After- 
schlag holen  durften.  1666  wird  in  einer  Forstordnung  darauf 
aufmerksam  gemacht,  dass  nur  die  mit  dem  Waldhammer  an- 
geschlagenen Karrchbäume  geholt  werden  dürfen.  1708  erging 
sogar  eine  Entscheidung,  dass  die  Fuhrleute  diese  Nutzung 
nicht  als  ein  Recht,  sondern  als  « speciale  Gnad »  anzusehen 
hätten.  Dassell>e  wurde  betreffs  des  Bauholzes  erklärt;  solches 
solle  nur  denjenigen  zukommen,  «welche  sich  durch  gute  Auf- 
führung und  Conduile  gegen  gnädige  Herrschaft  verdient  ge- 
macht haben».  (Akten  des  Amtsg.  Rappoltsw.)  Schon  1648 
verweigerte  diese  den  Bürgern  die  noch  grünen  Windfalle. 

Um  diese  Zeit  führte  sie  auch  die  Veräusserung  aufge- 
klafterten Brennholzes  ein,  sowie  die  Zahlung  einer  Taxe  von 
2  Batzen  für  einen  Karren  Dürrholz.  Die  Versuche  der  Rap- 
poltsweiler,  sich  die  beim  Bewaldrechten  des  Bauholzes  ab- 
fallenden Späne  und  Brocken  anzueignen,  wurden  zurückge- 
wiesen ;  dagegen  erhielten  jene  den  beim  Aufarbeiten  des  herr- 
schaftlichen Klafterholzes  übrigbleibenden  Schlagabraum.  Bau- 
holzabgaben wurden  von  Mitte  des  vorigen  Jahrh.  ab  immer 
sparsamer  und  nur  «  ohne  Consequenz  auf  dem  Gnadenwege  » 
genehmigt.  Je  zurückhaltender  die  Herrschaft  gegenüber  den 
Waldiiutzungsrechten  wurde,  um  so  lebhafter  wurde,  wie  wir 
im  Schlusskapitel  darstellen  werden,  der  Ansturm  der  er- 
regten Bevölkerung  auf  den  Wald. 

Wie  schon  angedeutet,  war  in  Reichen weier  das  Bedürfnis 
nach  Nutzungsrechten  im  dortigen  Herrschaftswalde  kein  so 


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dringendes,  da  den  unterhalb  desselben  liegenden  Ortschaften 
Gemeindewaldungen  zugefallen  waren.  Von  grösserer  Bedeutung 
wurde  das  Weiderecht  des  Dorfes  Altweier  in  den  Forstorten 
Kalblin  und  Müsberg.  Die  Forstordnung  aus  dem  Jahre  1581, 
ergänzt  1596,  welchewir  als  Reichenw.  F.  0.  4581/1)6  anführen 
wollen,  (Colmar  B.  A.  E  184)  verfügt  zwar  im  Art.  2,  dass  auch 
in  den  gebannten  Hölzern  verdorrte  Baume  und  Windlalle  da 
«wo  dies  unserem  Jagen,  Hegen  und  Heyung  am  unschädlichsten 
sey»  an  die  Unterthanen  abgegeben  werden  dürfen;  dagegen 
befiehlt  Art.  29  «dass  solch  gefallen  Holtz  in  unsern  eigenen 
Höltzern  unsere  Förster,  .  .  .  ehe  sie  noch  stehenden  und  uf- 
rechten Baum  hauen,  zuvor  das  gefallen  Holtz  verkaufen  oder 
aber  nach  unserer  Hofhaltung  führen  »  sollen.  Auch  in  Reichen- 
weier erhielten  die  Handwerker  und  Wirte  Brennholz  <c  gegen 
leidentliche  Bezahlung » ;  nachdem  sich  indes  herausgestellt 
hatte,  dass  jene  das  Holz  teils  weiterverkauften,  teils  zu  Reb- 
stecken verarbeiteten,  wurde  ihnen  dieser  Missbrauch  ernstlich 
verwiesen.  Art.  34  besagter  Forst  Ordnung  erinnert  daran,  dass 
diejenigen  Unterthanen,  welche  in  den  Bilsteinwäldern  das 
.Abholz,  Afterschlag,  Dürr-  und  Reisholz,  auch  Windfäll,  so 
durch  unsern  Burgvogt  oder  Förstern  uf  Biehlstein  nicht  ge- 
zeichnet, (d.  h.  nicht  für  die  Herrschaft  vorbehalten)  aus 
Gnaden  zu  holen  zugelassen»  bei  Strafe  von  2  Pfund  den 
hierfür  falligen  Weinzins  zu  entrichten  haben.  Dieser  betrug 
seitens  der  Fuhrbesitzer  für  ein  Pferd  >js  Ohmen,  für  einen 
Esel  8  Maas,  wogegen  die  armen  Leute,  die  das  Raffholz  auf  dem 
Kücken  heimtrugen,  4  Maas  an  den  Burgvogl  abzuliefern  hatten. 

Allmählich  bewirkte  auch  die  Herrschaft  Reichenweier 
Einschränkungen  der  Waldnutzungsrechte.  Die  Bauholzabgaben 
wurden  fast  ausschliesslich  aus  den  Gemeindewaldungen  be- 
friedigt. Alles  im  herrschaftlichen  Walde  abkömmliche  Holz 
sollte,  soweit  nicht  zur  Hofhaltung  erforderlich,  veräussert 
werden,  zumal  in  der  fürstlichen  Kasse  gar  häufig  tiefe  Ebbe 
herrschte  und  trotzdem  der  Geldbedarf  der  Herrn  ein  grosser 
war.  1755  weigerte  sich  die  Stadt  Reichen weier,  den  durch 
den  Herrenwald  nach  Altweier  führenden  Weg  mit  zu  unter- 
halten, da  man  den  Bürgern  das  Recht  auf  Dürr-  und  Wind- 
tallholz  verkürzt  habe.  (Reichenw.  Stadt.  Aich.  DD2). 


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KAPITEL  III. 

Forst- Verwaltung  und  Gerichtsbarkeit. 

Die  Herren  von  Rappoltstein  verliessen  bereits  im  Laufe 
des  XVI.  Jahrhunderts  die  zuletzt  bewohnte  Ulrichsburg,  um  in 
dem  1525  zum  ersten  Male  erwähnten  Schlosse  in  der  Ober- 
stadl (jetzt  Realschule)  ihre  Residenz  aufzuschlagen.  Von  einer 
Forst  Verwaltung  im  heutigen  Sinne  war  damals  noch  nicht  die 
Rede.  Die  Waldordnungen  des  XV.  und  XVI.  Jahrhunderts 
sprechen  von  Förstern  als  denjenigen  Beamten,  welche  die  Holz- 
abgaben Namens  der  Herrschaft  bewirkten  und  von  Forstknech- 
ten, die  das  Holzhauen,  Grenzsteinsetzen  und  dergleichen  Ar- 
beiten besorgten.  Jenen  wurden  bei  den  Grenzbegängen  und 
Waldbesichtigungen  behufs  Feststellung  der  Hiebsorte  zuweilen 
Bürger  beigegeben,  bei  Bauholzanweisungen  war  der  städtische 
Baumeister  zugegen.  Ueber  die  Dienstführung  der  Förster  giebt 
uns  das  von  der  Herrschaft  genehmigte  Rappoitsweiler  Stadt- 
buch (Rapp.  Stadt  Arch.  DD.)  aus  dem  Jahre  1550  folgenden 
Aufschluss  ; 

cWaldförster  und  Bann  warten  evdt : 

Alle  drei  Waldförster  sollen  geloben  und  schweren  unser 
gnädigen  Herrschaft  Weide  getreulichen  zu  verhüten 
solcher  Gestalt,  dass  jederzeit  von  inen  uff  denWaldt  gangen 
werde  und  was  sie  Schaden  finden  an  Hollz  oder  anderen  ge- 
treulich anbringen  und  rügen  und  niemandtzu  verschonen,  weder 
durch  Schenkung  oder  Gab,    Freundschaft   oder  Feindschaft. 

Sy  sollen  auch  kein  Holtz  verkauften  der  niemandt  ver- 
gönnen zu  hauwen  ohne  Verwilligung  der  Oberkeit  und  nie- 
mandt mit  Stumpfrechten  weiter  beschweren  dann  von  Alter 
herkommen  und  gewonlich  ist.» 

Die  erste  Kunde  von  der  Thätigkeit  eines  unseren  heuti- 
gen Revierverwaltern  gleichstehenden  Beamten  datiert  aus  dem 
Anfange  des  XVII.  Jahrhunderts ;  1625  starb  zu  Rappoitsweiler 
ein  «Forstmeister»  Bessler ;  am  1.  Januar  1674  wird  ein 
«Meislerjäger»  Anthoni  angestellt,  dessen  Hauptobliegenheit  die 
Besorgung  des  Jagdwesens  war,  der  aber  auch  durch  häufige 
Grenzbegänge  den  Besitzstand  und  die  Wahrnehmung  des 
Forstschutzes  seitens  der  Förster  beaufsichtigen  und  die  Holz- 
abgaben leiten  sollte 


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1699  erhalt  der  bereits  1680  als  «gentil  homme  de  la  chambre, 
gruyer,  capitaine  de  chasse,  inspecleur  general  des  forets» 
bezeichnete  Moritz  Georg  von  Heringen  das  Amt  als  «Ober- 
jäger- und  Forstmeister ;  »  unter  ihm  stand  Oberförster  Kühl- 
wein. (Colmar  B.  A.  Die  Liassen  E.  688,  689,  690  enthalten 
diese  und  die  nachfolgenden  Personalnotizen.)  1701  wird  ein 
Herr  von  Wimpfen,  bis  dahin  Rath  und  Stallmeister,  im  be- 
sonderen Oberforstmeister,  von  Heringen  dagegen  Oberjäger- 
meister. Dieser  starb  1708.  An  seine  Stelle  trat  Wolf  Sigis- 
mund von  Landsberg  ans  Niederehnheim,  welcher  jedoch  nur 
selten  in  der  Herrschaft  Happoltstein  anwesend  war.  1714  wird 
Wolf  Böcklin  von  Böcklinsau  als  Ober-Jager-  und  Forstmeister 
erwähnt;  in  seiner  Abwesenheit  soll  ihn  der  Rentmeister  in 
Forstsachen  vertreten.  Von  1724  ab  amtiert  ein  Herr  von  Stein- 
callenfels  als  Oberforstmeister  für  die  Rappoltsteinischen  Besit- 
zungen im  Ober-Elsass  und  in  der  Gegend  von  Lülzelstein  ;  zur 
Bearbeitung  der  hiesigen  und  der  Sponheim'schen  Forstsachen 
ward  ihm  1742  Franz  Carl  Freiherr  von  Wrede  beigegeben,  später 
Mitglied  des  Oberforstamts  Zweibrücken.  1734  ist  auch  Ludwig 
Zorn  von  Bulach  als  Oberforstmeister  genannt,  der  1737  das 
Zeitliche  segnete.  Damals  sehen  wir  als  sonstige  Forstbeamte 
aufgezeichnet :  Forstsecretair  Birkel,  Jäger  Kühl  wein  Karl, 
Kühlwein  Georg  und  Förster  Diebold  und  Heyberger,  einen 
Forstboten  und  zwei  Anbinder. 

Uebrigens  nahm  man  in  Rappoltstein  schon  in  frühester 
Zeit  noch  andere  Personen  aushilfsweise  zur  Wahrnehmung* 
des  Fortsschutzes  an.  So  heisst  es  bereits  in  der  F.  0.  Rappolt- 
stein 1483:  «Die  sollen  rügen  drey  Waldtförster,  drey  Vögt 
und  ihr  Knecht,  die  Priester  und  Brüder  zu  St.  Claus  und  St. 
Benedikt  zu  Eberlinsmatt. » 

Später  wurden  die  Pächter  auf  der  Schluck  bei  Altweier, 
am  Buckel  und  auf  der  Clausmatt  zur  Verstärkung  des  Schutzes 
gegen  geringes  Entgelt  bestellt.  Um  die  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderls  räumte  man  einem  gewissen  Vogler  im  Bilstein- 
thal auf  Rappoltsteinischem  Boden  eine  Baustelle  ein,  damit 
dieser  den  angrenzenden  Allmendwald  vor  den  Holz-  und 
Weidefreveln  der  wurttembergischen  Unterthanen  schützen  solle  ; 
das  betreffende  Häuschen  steht  heule  noch  als  das  einzige, 
welches  nicht  auf  Reichenweier  Bann  liegt. 

Die  Entscheidungen  über  die  forstlichen  Angelegenheiten 


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der  Herrschaft  Rappollstein  finden  wir  in  den  von  1673  ab 
vorhandenen  Sitzungsberichten,  welche  bis  1724  in  den  Allge- 
meinen Kanzlei  protocollen,  von  da  ah  bis  zur  Revolutionszeit 
in  denen  der  besonderen  Forstkammer  enthalten  sind.  (Colmar 
B.  A.  Liassen  E.  No.  971—1006). 

1743  wurde  das  Zvveibrficken'sche  Ober-Forstamt  für  das 
Rappoltsteinische  Forstwesen  bestellt ;  die  örtlichen  Geschäfte 
sollte  das  hiesige  Rathscollegium  erledigen.  (Colmar  B.  A. 
Liasse  E.  No.  676)  Da  diese  Neuerung  indes  bei  dem  infolge 
mangelhafter  Verkehrsmittel  langsamen  Schriftverkehr  zu  Unzu- 
träglichkeiten führte,  wurde  1756  Landjägermeisler  von  Wrede 
dieser  Oberaufsicht  enthoben  und  bei  dem  ebengenannten  Kol- 
legium ein  Oberjäger  zur  Begutachtung  der  Forstsachen  ange- 
stellt ;  in  dessen  Abwesenheit  durfte  über  solche  nicht  ver- 
handelt werden.  Alle  Freitage  sollte  Forstsitzung  stattfinden. 
1782  musste  der  seit  1756  vom  Oberjäjier  zum  Forstmeister 
avancirte  Weber,  welcher  auch  die  Forstgeldrechnungen  zu 
legen  hatte,  nach  Aufdeckung  eines  auf  60000  francs  geschätz- 
ten Deficite  den  Rappoltsteinischen  Dienst  verlassen  ;  an  seiner 
Stelle  wurde  Oberförster  Bachmann  Forstverwaller  ;  derselbe 
wohnte  auf  Forsthaus  Jberg,  woselbst  er  sich  einen  hübschen 
Garten  anlegte  {Colmar  B.  A.  Liasse  E.  No.  686).  1785  erhielt 
Herr  von  Papelier,  Hauptmann  vom  regiment  royal  d'Alsace, 
eine  Ernennung  zum  Oberforstmeister,  von  seiner  Amtsthälig- 
keil  verlautet  nichts  Näheres. 

Die  Dienstinstructionen  wurden  den  Rappoltsteinischen  Forst- 
beamten in  der  Regel  in  ihrer  Bestallungsurkunde  mitgeteilt. 
Sehr  ausführlich  ist  z.  B.  die  eben  angedeutete  des  Herrn  von 
Heringen  aus  dem  Jahre  1699.  (Colmar  B.  A.  Liasse  E.  No. 
688).  Dieser  wurde,  wie  es  damals  üblich  war,  auf  je  ein  Jahr 
angestellt  bei  vierteljährlicher  Kündigung.  Als  seine  Obliegen- 
heiten werden  angeführt,  er  dürfe  die  Unterthanen  nicht  be- 
schweren, müsse  streng  auf's  Jagdzeug  Acht  geben  und  dies 
zur  Zeil  der  Hirschbrunft  und  Schweinshatz  abzählen,  gut  trock- 
nen und  ausbessern  Usscn  ;  er  solle  die  Versuche  durch  die 
Leithunde,  auch  das  Führen  derselben  beaufsichtigen  und  beim 
Uebernaehten  auf  Massigkeit  im  Essen  und  Trinken  halten, 
auch  selbst  massig  sein.  Herr  von  Heringen  erhält  die 
Oberaufsicht  über  das  gesamte  Jagd-  und  Forstwesen  ;  er 
soll   die  Unterförster  und  Forstknechte  überwachen,  dass  sie 


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ohne  sein  Vorwissen  kein  Holz  abgeben,  die  Salzlecken  nicht 
durch's  Vieh  verderben  lassen,  das  Mitnehmen  von  Hunden  in 
den  Wald,  das  Ausnehmen  von  Vogelnestern,  das  Verstören 
des  Wildes  durch  Beerensammler  zu  verhüten  wissen.  Weiter 
enthält  die  Urkunde  eingehende  Bestimmungen  über  den  inner- 
halb dreier  Jahre  zu  vollziehenden  Grenzumritt,  die  Erneue- 
rung der  Grenzsteine  und  Lochbäume,  schliesslich  über  Einschlag 
und  Ausgabe  des  Holzes,  Benutzung  des  Eckerichs  und  dergleichen. 

Einige  Jägerinstructionen  des  vorigen  Jahrhunderts  ent- 
halten Vorschriften,  wie  sie  noch  heute  gang  und  gäbe  sind  ; 
nur  geht  aus  jenen  hervor,  dass  das  jagdliche  Interesse  dem 
forstlichen  vorging. 

Nicht  uninteressant  sind  die  Nachrichten  über  Besoldungs- 
verhältnisse. Anfanglich  erhielten  die  Forst beamten  wie  über- 
all, so  auch  in  hiesiger  Gegend,  wenig  festes  Baargehalt;  die 
betreffenden  Gulden  wurden  gemeiniglich  vierteljährlich  an  den 
Frohn fasten  verabfolgt. 

Schon  in  der  im  Rappol Isweiler  Stadtarchiv  vorgefundenen 
ältesten  F.  0.  Rappoltstein  1429  werden  den  Förstern  für  ge- 
rügte Frevel  Denunciantenanteile  versprochen  —  dem  vörs- 
ter  fünf  Batzen,  so  dick  daz  beschicht  — .  In  der  F.  0.  Rap- 
poltstein 1432  werden  ihnen  bestimmte  Abgaben  von  den 
Hausbesitzern  und  Steckenmachern  zugebilligt :  «Und  ist  diez 
der  Förster  usswiesunge  von  der  Walde  wegen  primo  git  je- 
des Hus  den  vörslern  2  Schilling  und  wo  Pferde  sint  git  des 
Hus  4  Schilling.  Item  wer  auch  ein  Hus  bauwen  will  und 
Holtz  dazu  hauwet,  der  git  den  Vörstern  9  Batzen  zu  Stumpf- 
schlägen .  .  .  item  wem  Stecken  erlaubet  werden  zu  hauwen, 
der  git  den  Vörstern  4  Schilling  zu  Stumpfschlägen.»  Eine 
Aufzählung  der  Bezüge  der  Rappoltsteinischen  Förster  aus  dem 
XVI.  Jahrhundert  lautet :  (Colmar  B.  A.  E.  Nr.  1707). 

1.  von  jedem  Burgerhaus,  so  ein  Trott  hat,  4  Pf,  so  aber 
keine  Trott  hat  2  Pf.  (Dieses  Häusergeld  trug  jährlich  7  Gul- 
den ein  ;  die  Adelhäuser  und  Freihöfe  zahlten  nichts.) 

2.  von  jedem  Tagwerk  Matten  4  Pf.  (dies  ergab  ebenfalls 
ein  jährliches  Einkommen  von  7  Gulden.) 

3.  im  Herbst  von  jedem  Acker  in  der  Ellenweyer  Bann- 
huben 8  Maass  Wein ;  (von  diesem  Wein  hatten  die  Förster 
23  Ohm  der  Herrschaft  abzuliefern,  sodass  ihnen  noch  28  Ohm 
verblieben). 


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-   25  - 

4.  4  Viertel  Frucht  Korn  von  der  Herrschaft, 

5.  im  Ellenweyrer  Bann  und  im  Rothenberg  von  jedem 
Acker  16  Sester, 

6.  die  Ahngebühr  von  der  sog.  Waldeinung,  jährlich  et- 
wa 6  Gulden ; 

7.  das  Stumpfgeld  von  Bauholz  ; 

8.  waren  die  Förster  von  allen  Beschwerden  mit  Ausnahme 
der  Frohnden  frei. 

Dass  die  Förster  auch  landwirtschaftliche  Fruchte  und 
Wein  erhielten,  hing  damit  zusammen,  dass  sie  zeitweise  den 
Feldbann  und  die  Reben  mit  zu  schätzen  hatten. 

Die  Aufzeichnungen  der  Förstergehälter  aus  dem  Jahre 
1647  waren  ungefähr  gleichlautend.  1674  erhielt  der  Meister- 
jäger Anthoni  ein  Jahresgehalt  von  60  Gulden  bar  und  Natura- 
lien, sein  Sohn  als  Forstgehilfe  die  Hälfte 

Herr  von  Heringen  bekam  169!)  180  Gulden,  das  Jäger- 
recht am  erlegten  Wildpret,  das  Pelzwerk  «ausgenommen 
Bären,  Biber,  Otter,  Marder,  so  wir  uns  um  das  Halbe  wollen 
vorbehalten  haben,»  ausserdem  Korn,  Heu,  Holz,  Hafer,  Stroh, 
das  Eckerrecht  für  6  Schweine,  und  im  Falle  auswärtiger 
Termine  Reisediäten. 

1756  erhielt  Oberjäger  Weber  als  Forst  Verwalter  500  francs 
in  Geld  und  verschiedene  Naturalien  ;  1706  stieg  das  ßarge- 
halt  auf  680  francs,  und  1778  wurde  sein  Gesamteinkommen 
auf  1854  francs  geschätzt. 

Die  Nachrichten  über  die  Forstverwaltung  in  der  Herr- 
schaft Reichenweier  sind  dürftiger,  da  deren  Acten  anlässlich 
der  schon  1397  erfolgten  Unterstellung  jener  unter  die  Regie- 
rung zu  Montbeliard  meistens  dort  geführt  und  im  Jahre  1839 
von  dort  grösstenteils  ins  Nationalarchiv  zu  Paris  verbracht 
worden  sind.  DieF.O.  Reichenweier  1581—96  unterscheidet  den 
Forstmeister,  auch  Genera Iforstmeister,  die  Förster  und  die  Forst- 
knechte. Jener  erste  war  nicht  allein  für  den  herrschaftlichen 
Wald  angestellt,  sondern  sollte  auch  die  Gemeinde-  und  Privat- 
Waldungen  beaufsichtigen,  alle  dieselben  «aufs  wenigst  durch's 
Jahr  viermahl  bereiten  und  sich  des  Wüstens  und  Verderbens, 
auch  anderer  Missbrauch  und  Schaden  erkundigen.» 

Die  Förster  werden  angehalten,  nichts  ohne  Vorwissen  ihres 
Vorgesetzten  in  Notfallen  des  Statthalters,  Kanzlers  oder  Rats 
zu  thun.  Anfangs  Herbst  sollen  sie  einen  Ueberschlag  machen, 


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wieviel  und  welcherlei  Brennholz  in  allen  Waldungen  zum 
Verkauf  gelangen  kann. 

Im  Gemeindewald  Reichenweier  sehen  wir  ausserdem  vom 
XVI.  Jahrhundert  an  einen  Waldmeister,  (Reichenw.  Stadt 
Aren.  DD.  2),  welcher  vor  allem  die  Auswahl  der  jähr- 
lichen Schläge  zu  treffen ,  auch  die  Holzverausgabung  zu 
leiten  hatle.  Das  aus  dem  Anfange  genannten  Jahrhunderts 
stammende  Reichenweierer  Stadtbuch,  wegen  seines  Einbandes 
das  «Rothe  Buch»  genannt,  bestimmt  in  der  «Ordnung  des 
Bauholtz»,  dass  bei  solchen  Anweisungen  der  Waldmeister 
als  Vertreter  der  Stadt  mitzuwirken  hat,  und  eine  aus  dem 
Jahre  1607  datirte  Waldordnung  besagt :  «Erstlich  wie  bis- 
hero  gebräuchlich  gewest,  es  noch  hinfüro  gehalten,  dass 
eine  Person  auf  das  Rathsmittel,  Alter  und  Leibes  complexion 
halb  dazu  tüchtig  und  qualificirt  zu  einem  Waldmeister,  der 
insonderheit  seine  gute  Inspection  und  Aufsehen  Ober  gemeine 
Statt-  oder  Burger  W'elder  haben  und  halten  thue,  erkiest 
worden  soll.» 

In  den  folgenden  Artikeln  werden  die  Befugnisse  und  Ver- 
gütungen des  Waldmeisters  festgestellt.  Wenn  Jemand  ein 
neues  Haus  baut,  erhält  jener  fünf  Schilling  «und  weil  der 
Bauherr  ohnedies  dem  Zimmermann  einen  Trunk  oder  Imbs 
nach  verrichteter  Arbeit  giett,  soll  es  dem  Waldmeister  frei- 
stehen, sich  bei  solchem  Imbs  auch  einzustellen  oder  nicht.» 

Der  Burgvogt  auf  Bilstein  und  seine  Knechte  waren  zu- 
gleich Forstschutzbeamte  für  den  anliegenden  Herrschaftswald 
und  hatte  in  dieser  Eigenschaft  einen  Eid  zu  leisten,  der 
im  «Rothen  Buch»  verzeichnet  steht  und  im  1889  er  Jahrbuch 
des  Vogesenclubs  abgedruckt  ist.  Wie  schon  bemerkt,  nahm  der 
Vogt  den  W'einzins  seitens  der  Raff-  und  Leseholzsammler  ein 
und  schimpfte  sehr,   wenn  die  fälligen  Krüge  nicht  eingingen. 

Auch  in  der  Herrschaft  Reichen weier  waren  die  Förster 
auf  Denunciantenantheile,  Stumpfgelder  und  dergl.  Nebenein- 
nahmen angewiesen  ;  der  Forstmeister  gehörte  zu  den  höheren 
Beamten  der  Stadt  und  bezog  im  vorigen  Jahrhundert  1000 
francs  Gehalt,  Dienstwohnung  und  verschiedene  Naturalien. 

Die  forstliche  Gerichtsbarkeit  übten  beide  Herrschaften  ur- 
sprünglich durchaus  selbstständig  aus,  wie  sie  denn  überhaupt 
auf  dem  Gebiete  der  Rechtsprechung,  dank  verschiedener 
Kaiserlicher  Privilegien,  anfänglich  sehr  autonom  waren. 


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Der  zugleich  mit  Verwaltungsangelegenheiten  betraute 
Vogt  (spater  bailli)  sprach  Namens  der  Herrschaft  Recht  ;  er 
entschied  in  Forststrafsachen  in  der  Regel  allein.  Eine  Aende- 
rung  im  gesamten  Gerichtswesen  führte  die  französische 
Souveränität  herbei,  insofern  bei  Geldstrafen  oder  Civilslreit- 
sachen  von  über  50  francs  Berufung  an  den  Conseil  souverain 
d'Alsace  zu  Neubreisach  bezw.  Colmar  statthaft  erklärt  wurde. 
Die  als  Appellinslanz  1679  für  Forstsachen  errichtete  table  de 
marbre  am  Parlament  zu  Metz  versuchte  jenem  diese  Befug- 
nis streitig  zu  machen  und  mischte  sich  überhaupt  in  elsässi- 
sche  Angelegenheilen  ein,  stiess  aber  hierbei  auf  lebhaften 
Widerstand. 

Seit  der  französischen  Oberherrlichkeit  durften  die  Herren 
nicht  mehr  in  eigener  Person  Recht  sprechen,  sondern  nur 
durch  ihre  Beamten. 

Die  Herren  von  Rappoltstein  wurden  1698  durch  Entschei- 
dung desKönigl.  Forstamts  (Maitrise)  zu  Ensisheim  (Colmar  B.  A. 
Massen  678,679)  in  ihrem  Waldbesitz  bestätigt  und  für  berech- 
tigt erklärt,  einen  besonderen  Forstrichter,  einen  sogenannten 
cGruyer»  anzustellen,  «pour  connaitre  de  la  matiere  des  eaux  et 
forets  ä  la  charge  de  se  conformer  dans  ses  jugements  ä  l'or- 
donnance  du  roi  de  1669.»  Das  Amt  des  Gruyer  versah  der 
jeweilige  Oberforstmeister. 

In  Reichen weier  soll  das  Amt  des  Vogts  für  hohe  Sum- 
men käuflich  gewesen  sein  ;  Pfister  berichtet  in  seiner  oben- 
erwähnten Geschichte  der  Grafschaft  Horburg,  dass  es  um  die 
Milte  des  vorigen  Jahrhunderts  18  000  francs  gegolten  habe. 

Dafür  fiel  jenem  ein  Teil  der  Geldstrafen  zu.  Die  Folge 
davon  war,  dass  die  Unterlhanen  über  die  ebenso  parteiische 
als  teure  Gerichtsbarkeit  lebhafte  Klagen  führten.  Die  Geld- 
strafen bildeten  überhaupt  in  beiden  Herrschaften  von  jeher 
eine  ergiebige  Einnahmequelle.  Es  erhob  sich  daher  ein  gemein- 
samer Widerstand  von  Seiten  der  zahlreichen  elsässischen 
Grundherrn,  als  gegen  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  der  In- 
tendant d'Alsace  dem  Conseil  souverain  zu  Colmar  die  Gerichts- 
barkeit in  den  Herrschafts-  und  Gemeindewaldungen  zu  ent- 
reissen  und  damit  die  Geldstrafen  an  sich  zu  ziehen  versuchte. 
Hiermit  drang  er  jedoch  nicht  durch.  (Vergl.  Boug  Recueil  des 
Edits  de  la  Province  d'Alsace  II  Bd.  263  IT.)  Auch  in  sonstiger 
Beziehung  mischte  sich  der  Intendant  viel  in  Waldangelegenheiten. 


28  — 


Die  forsl polizeilichen  Bestimmungen  und  Strafandrohungen 
finden  wir  in  den  vielfachen  Forstordnungen  zerstreut.  Die 
altdeutsche  Auffassung,  dass  Holz  und  andere  Walderzeugnisse 
Gemeindegut  Aller  seien,  und  dass  infolgedessen  die  Entnahme 
solcher  als  Diebstahl  im  strengeren  Sinne  des  Wortes  nicht  gelte, 
dass  indes  «  gehawen  Holtz  genommen»  eine  «Dieberey»  sei, 
hat  sich  bekanntlich,  wenn  auch  abgeschwächt,  bis  in  unsere 
Tage  lebendig  erhalten. 

Als  Strafmittel  kamen  in  erster  Linie  Geld,  bei  schweren 
Freveln  und  im  Unvermögensfalle  körperliche  Strafen  in  An- 
wendung. Im  Sachsenspiegel  steht  beispielsweise  auf  nächtliche 
Entwendung  gefällten  Holzes  sogar  Todesstrafe:  cdaz  soll  man 
richten  mit  der  Wid». 

Für  die  uns  interessirenden  Waldgebiete  finden  wir  die 
ersten  forstpolizeilichen  Bestimmungen  vornehmlich  in  den 
Forstordnungen  des  XV.  und  der  folgenden  Jahrhunderte,  auch 
in  den  Stadtbüchern. 

Die  Rappoltsteiner  F.O.  1429  und  1432  verbieten  das 
Holzhauen  in  geschlossenen  Waldungen  bei  1  Pfund  Strafe 
und  5  Batzen  Denunciantenanteil  für  den  Förster,  das  unerlaubte 
Hauen  von  Eichenholz  und  sonstigen  Rebstecken  bei  5  Schilling 
und  2  Batzen  für  den  Förster.  Wersein  Bauholz  nicht  binnen  Jahres- 
frist verwendete,  wurde  mit  5  bezw.  1  Pfund  Strafe  belegt. 

Ueber  die  Umwandlung  von  Geldstrafen  in  körperliche 
bestimmt  die  Rappoltsteiner  F.O.  1483,  dass  ein  Maulstreich 
gleich  gilt  5  Schilling,  das  Zwicken  15  Schilling,  Wundschlagen  30 
Schilling,  Beinschrötigmachen3Pfund,  zu  Boden  schlagen  5  Pfund. 

Das  Kienzheimer  Dorfrecht  bedroht,  wie  eingangs  des  2.  Ka- 
pitels angeführt,  Köhler,  welche  stehendes  Holz  verwendeten,  mit 
dem  Abhauen  des  Daumens,  verwandelt  aber  zugleich  diese  wohl 
mehr  der  Abschreckung  halber  gewählte  Strafe  in  ein  Pfund 
Pfennige. 

Die  1505  niedergeschriebene,  aber  anscheinend  schon  lange 
vorher  wirksame  Forststrafordnung  «Rügen  und  Waldeinung» 
des  Reichen weirer  «Rothen  Buchs»  setzt  für  jeden  Frevelstock 
von  Eiche,  Erle,  Tanne  und  Wildobst,  nachträglich  auch  für 
Kastanie  und  Rüster  13  Batzen  als  sogenannte  c  Einung»  fest, 
für  die  übrigen  Holzarten  die  halbe  Einung  und  bestimmt 
weiter :  «Geschieht  ouch  daz  die  Vörster  Nachts  oder  an  einem 
rechten  Fyrtag  und  Sonntag  vyndent  Holz  howen  in  den  Wel- 


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den,  der  bessert  5  Pfund  oder  eine  Hand  von  jedem  Stumpf, 
es  geschieht  in  myns  gnädigen  Herrn  oder  den  Burgerwelden.» 

Am  20.  Januar  1544  schlössen  der  Herzog  von  Württem- 
berg, sowie  Reichenweier,  Kaysersberg,  Kienzheim  und  Sigols- 
heim  einen  1590  erneuerten  Wald  schutzvertrag  miteinander  ab, 
demzufolge  die  Forstbeamten  der  Parteien  sich  gegenseitig  un- 
terstutzen und  bei  ihren  Begangen  auch  in  den  Nachbarwald- 
ungen zu  rügen  berechtigt  sein  sollten  (Colmar  B.  A.  E.  184).  Die 
Waldeinung  wurde  für  den  württembergischen  Wald  und  den 
Gerneindewald  Reichen weier  festgesetzt  auf  1  Pfund  nebst  5 
Schilling  für  den  Förster,  in  den  übrigen  Waldungen  auf  10 
Schilling  nebst  2»|8  Scb.  für  den  Förster.  Für  Entwendung 
von  Eichenholz  wurde  die  doppelte  Einung  angedioht. 

In  den  Rappoltsteiner  Forstordnungen  des  XVI.  Jahrhun- 
derts werden  die  obengenannten  Strafen  aufgefrischt  und  neue 
Androhungen  beigefügt.  In  den  zahlreichen  Forst bussregistern 
finden  wir  z.  B.  folgende  Angaben  : 

A.  hat  einen  Kestenbaum  gehauen,  bessert  4  Pfund, 

B.  hat  verbotenerweis  Kesten  aufgelesen,  bessert  3  Pfund, 

C.  hat  unerlaubt  Eichenstecken  gehauen,  bessert  1  Pfund 
20  Batzen,  u.  s.  f. 

Die  Förster  erhielten  etwa  i|6  der  Geldstrafen. 

Sehr  ausfürlich  waren  die  forstpolizeilichen  Bestimmungen 
der  F.O.  Reichenweier  1581/96,  welche  die  Rücksicht  auf 
Erhaltung  der  Wildbahn  fortlaufend  im  Auge  behält.  Die 
Einung  beträgt  4  Gulden  für  eine  Eiche,  die  Hälfte  für  eine 
Tanne.  Wer  einen  fruchtbaren  Baum  haut,  stümmelt  oder 
durch  Feuer  beschädigt  zahlt  3 — 6  Pfund;  wer  Stämme  der 
Rinde  beraubt,  ein  Frevel  der  häufig  vorgekommen  zu  sein 
scheint,  oder  wer  junge  Bäume  ausreissl,  oder  Eicheln  ab- 
schlägt, bessert  5—6  Pfund,  wer  die  vorgeschriebene  Hiebs- 
folge in  seinen  Waldungen  nicht  innehält,  wer  Bauholz  ver- 
kauft, zahlt  6  Pfund  und  zwar  in  letzterem  Fall  für  jeden 
Stamm ;  wer  in  den  aufgethanen  Schlägen  unordentlich  haut, 
Fällungsschaden  anrichtet,  den  Schlag  nicht  säubert, 
bei  bösem  Wetter  Holz  haut,  verfallt  bis  zu  5  Pfund 
Strafe  ;  wer  unerlaubt  neue  Wege  anlegt  oder  unbefugt  Binde- 
wieden schneidet,  zahlt  3  Pfund  ;  wer  nach  Bauholzabgaben  an 
Stelle  der  gehauenen  Eichenstämme  keine  jungen  setzt,  bessert 
für  das  fehlende  Stück  30  Plappert ;  wer  unbefugt  mit  Pferden 


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in  dem  Wald  weidet,  oder  wer  dem  Bilsteinvo^t  den  für  das 
Raffholz  lallten  Wein  nicht  abliefert,  hat  2  Gulden  zu  zahlen; 
Köhler,  welche  an  Auswärtige  Kohlen  verkaufen,  werden  mit 
der  hohen  Strafe  von  10  Pfund  belegt  u.  s.  w. 

1615  setzt  ein  Rappoltsteiner  F.  0.  folgende  Einheitsstrafen 
fest  :  für  1  junge  Eiche     6  Gulden, 

»  1  Tanne  2  » 

»  1  Eichenwindfall  12  » 
1048  wird  der  Holzhandel  mit  den  Glasern,  welche  das  Holz 
nur  für  den  eigenen  Bedarf  erhielten,  aber  anscheinend  solches 
häufig  veräusserten,  mit  0  Pfund  bedroht,  ebenso  die  Holzent- 
wendungen in  den  Wildhegerevieren  ;  die  Entwendung  grünen 
Holzes  in  erlaubten  Forstorten  zog  nur  die  halbe  Strafe  nach 
sich.  Zieht  man  in  Erwägung,  dass  nach  den  Berechnungen 
des  Abbe  Hanauer  zu  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts  das  Pfund= 
20  Schilling  damals  ungefähr  9  M.  heuliger  Münze  wert  war, 
und  dass  das  Geld  zu  jener  Zeit  etwa  den  4  1  fachen  Wert 
hatte,  als  heule,  so  erscheinen  all*  diese  Strafen  von  vornherein 
empfindlich.  Dieselben  sollten  abschreckend  wirken  und  kamen 
selten  in  voller  Höhe  zur  Anwendung.  Die  Urkunden  wimmeln  von 
Verhandlungen  über  Strafermässigungen  und  gänzlichen  Nachlass. 

Je  mehr  der  Wert  des  Holzes  späterhin  sich  erhöhte,  desto 
höher  wurde  bei  meist  sich  gleich  bleibenden  Strafsätzen  der 
Anreiz  zu  Forstdiebstählen ;  namentlich  im  XVII.  und  XVIII. 
Jahrhundert  wird  häufig  über  den  schreckenerregenden  Umfang 
solcher  bittere  Klagen  geführt.  Während  der  fast  beständigen 
Unruhen  und  Kriegsläufte  waren  die  Waldungen  der  Willkür 
der  Bevölkerung  geradezu  preisgegeben.  Da  nach  der  1636  er- 
folgten Zerstörung  des  Bilstein-Schlosses  die  umliegenden 
Waldungen  nicht  mehr  durch  den  Burgvogt  beaufsichtigt 
wurden,  fielen  die  Einwohner  von  Rappoltsweiler  scharenweise 
in  den  Elendswald  ein  ;  anderseits  verwüsteten  die  württem- 
bergischen Bilsteinthäler  die  östlich  vom  Dorfe  belegenen  Rap- 
poltsteiner Waldungen.  Dass  während  der  französischen  Re- 
volution die  Begehrlichkeit  nach  dem  Walde  nach  Aufhebung 
der  Feudal  rechte  noch  mehr  stieg  und  dass  der  Wald  zeitweise 
schutzlos  alle  Unbill  über  sich  ergehen  lassen  musste,  werden 
wir  im  Schlusskapitel  näher  besprechen. 


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—  31 


KAPITEL  IV. 

Waldrodungen  und  Ansiedelungen. 

Wer  von  den  luftigen  Höhen  des  Königsstuhls,  des  Tännchels 
oder  von  den  Türmen  des  Bilsteinschlosses,  des  Hohrappolt- 
steins  die  zu  den  Füssen  liegenden  Gebirgswaldungen  überschaut, 
der  sieht  diese  hier  und  da  durchbrochen  von  Weilern  und 
Einzelgehöften,  von  Matten  und  Feldern.  Diese  Ansiedelungen 
sind  im  Laufe  der  Jahrhunderte  zu  verschiedenen  Zeiten  ent- 
standen. 

Unsere  Bergschlösser  sind  uralt ;  die  Ulrichsburg  hat  be- 
reits im  XI.  Jahrhundert  bestanden.  Nach  der  Ansicht  des 
Herrn  Baurats  Winkler  hiessen  die  ältesten  Teile  dieser  all- 
mählich zum  nachmaligen  Umlange  erbauten  Burg  Rappoltstein 
und  Altenkastel,  wogegen  dieser  glaubwürdige  Erforscher  der 
Architektonik  unsrer  Burgen  den  Bau  des  zu  höchst  gelegenen 
Hohrappoltstein's  erst  ins  XIV.  Jahrhundert  verlegt. 

Heichenstein  ist  schon  gegen  Ende  des  XIII.  Jahrhunderts 
in  den  Kämpfen  Rudolfs  von  Habsburg  wider  die  Raubritter 
zerstört  worden ;  Bilsleinschloss  wird  1324  im  Kaufbriefe  der 
württembergischen  Grafen  aufgeführt.  Auch  die  Klöster  Sylo 
und  St.  Morandus  oberhalb  der  Stadt  am  Strengbach,  sowie  die 
Dusenbachkapelle  bestanden  bereits  zu  Anfang  des  XIII.  Jahr- 
hunderts. Gegen  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  wurde  die  Bene- 
diktinerniederlassung auf  Eberlinsmatt  am  sogenannten  Radslubl 
eingeweiht. 

Die  übrigen  Ansiedelungen  inmitten  der  Waldungen  ver- 
danken wohl  erst  späteren  Rodungen  ihren  Ursprung. 

Bald  nach  Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts  hören  wir  zuerst 
von  den  unterhalb  des  Tännchels  und  Schelmenkopfs  ansässigen 
Glasern ;  1672  haben  bereits  14  Häuser  dort  gestanden.  (Colmar 
B.-A.  Liasse  E.  1657  u.  1699).  Der  erste  Glasermeister  soll  ein 
1671  eingewanderter  venetianischer  Edelmann  Namens  Fingano 
gewesen  sein.  Aus  dem  Jahre  1674  ist  uns  ein  Vertrag  zwischen 
den  Glasermeistern  und  den  Holzhauern  wegen  Anlieferung  des 
erforderlichen  Klafterholzes  für  die  Hütten  überkommen,  aus 
demselben  Jahre  ferner  die  Kunde  von  frechen  Wilddiebereien 
der  Glaser,  welche  damals  unter  anderem  einen  Hirsch  ge- 
schossen hatten. 


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—   32  — 

Nach  Eingehen  der  eben  genannten  Benediktinernieder- 
lassung  bestand  zur  selben  Zeit  auf  Eberlinsmatt  oberhalb  der 
Vorderen  Glashütte  eine  herrschaftliche  Meierei ;  zeitweise 
wohnte  daselbst  ein  Jäger. 

In  den  Jahren  1687—1707  schloss  die  Herrschaft  mit 
mehreren  Glasern  aus  Savoyen  (Fischer),  aus  der  Schweiz  (Roth), 
aus  dem  Schwarzwald  (Greiner  und  Matthis)  und  aus  dem  Salz- 
burgischen (Gretzeren  und  Magiin)  Erbpachtsvertrage  ab ; 
(Rapp.  Stadt-Arch.  N.  No.  47)  diese  sollten  so  lange  dauern, 
als  Holz  genug  vorhanden  sein  wurde;  die  Bauplätze,  Aecker, 
Wiesen  und  das  Tannenbauholz  wurden  den  Erbpächtern  frei 
überwiesen,  wogegen  diese  sämtliche  Gebäude  einschliesslich 
der  Glashütten  auf  ihre  Kosten  zu  errichten  hatten.  Jene  mussten 
der  Herrschaft  das  Eichen-  und  Kiefernholz  bezahlen  und  beim 
Verziehen  sollten  die  Gebäulichkeiten  an  die  Herrschaft  zurück- 
fallen. Für  die  Beholzung  wurde  den  Glasern  allmählich  der 
auf  der  Karte  bezeichnete  Forstort  abgesteckt,  auf  welchem  sie 
auch  die  Weide  ausüben  durften.  Im  übrigen  war  es  ihnen 
streng  verholen,  Holz  zu  verkaufen,  zu  jagen,  zu  tischen  und 
zu  schiessen.  Sie  sollten,  wie  es  in  der  1687er  Urkunde  heisst, 
dem  Hofstab  unterwürfig  sein,  nicht  der  Stadt,  oder  wie  der 
Ausdruck  1707  lautete  «als  herrschaftliche  Domestiques  consi- 
derirt»  werden.  Die  Jahrespacht  betrug  anfanglich  80  Reichs- 
thaler. 

Im  Jahre  1707  fand  nach  Hinzukommen  anderer  Glasmacher 
eine  Vertragserneuerung  statt,  Wolf  Matthis  wurde  Schultheiss. 
Es  wurde  angeordnet,  dass  das  Forstamt  das  Holz  förmlich  an- 
zuweisen habe,  auch  das  Feueranmachen  seitens  der  Hirten 
in  Anbetracht  mehrerer  Waldbrände  streng  verboten;  zunächst 
sollten  die  Glaser  das  bei  diesen  Bränden  beschädigte  Holz  be- 
kommen. Der  Pachtbetrag  stieg  auf  200  Gulden.  1707  wurde 
bestimmt,  dass  nach  eingetretenem  Holzmangel  der  Glashütten- 
betrieb in  das  hintere  Thal  verlegt  werden  solle.  Die  Pachtbe- 
träge erfuhren  abermals  eine  Erhöhung,  auch  wurden  den 
Hintersassen  verschiedene  Abgaben,  wie  Umgeld  für  das  Wirt- 
schaften, Erbschaftssteuern  und  Mutationsgebühren  auferlegt. 
Das  Halten  von  Geisen  wurde  beschränkt,  das  Aschenbrennen 
zum  Verkauf  untersagt.  Wir  sehen  also,  dass  die  Herrschaft 
sich  für  die  freie  Beholzung  und  Anweisung  von  Hofstätten 
und  Ländereien  durch  all*  diese  Geldeinkünfte  schadlos  zu 


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—   33  — 


halten  wusste;  jedenfalls  halte  damals  eine  anderweitige  Ver- 
wertung des  Waldbodens  und  der  Walderzeugnisse  kaum  einen 
höheren  Erlrag  eingebracht.  Auch  in  anderen  elsässischen  und 
lothringischen  Waldungen  entstanden  zu  jener  Zeit  Glashütten, 
so  ist  z.  B.  1699  in  denjenigen  der  Abtei  Murbach  der  Ort 
Wildenstein  als  Glaserniederlassung  gegründet  worden. 

Wie  lange  im  Verlaufe  des  XVIII.  Jahrhunderts  noch  Glas 
gemacht  worden  ist,  geht  aus  den  dem  Verfasser  zur  Kenntnis 
gelangten  Urkunden  nicht  deutlich  hervor:  die  im  Walde  ab 
und  zu  noch  gefundenen  Scherben  und  Schlacken  können  ja 
recht  alt  sein.  Jedenfalls  hat  der  Hüttenbetrieb  schon  lange  vor 
der  französischen  Revolution  aufgehört.  Gleichwohl  bezogen  die 
Einwohner  der  beiden  Glashütten,  welche  sich  allmählich  mebr 
der  Landwirtschaft  zuwandten,  nach  wie  vor  gegen  Erstattung 
der  bestimmten  Abgaben  Bau-  und  Brennholz. 

Die  Herrschaft  hat  den  Erbpächtern  gegenüber  das  vorbe- 
haltene Vorkaufsrecht  wiederholt  ausgeübt  und  sich  so  in  den 
Besitz  von  Meiereien  gesetzt,  welche  sie  wieder  in  Zeitpacht 
gab.  Daneben  blieben  mehrere  Erbbeständer  übrig.  In  welcher 
Weise  diese  nach  der  französischen  Revolution  abgelöst  wurden, 
werden  wir  im  Schlusskapitel  sehen. 

Abgesehen  von  den  Glashütten  entstanden  innerhalb  der 
Rappoltsteiner  Waldungen  im  Laufe  des  XVIII.  Jahrhunderts 
durch  Waldrodungen  noch  mehrere  Ansiedelungen.  (Colmar 
B.-A.  E  No.  971, 1658—1061).  Im  Jahre  1709  erhielt  ein  Wieder- 
täufer Namens  Peter  Eymann  ein  Grundstück  im  oberen  Müs- 
bachthal ;  1726  wurde  der  Erbpachtsvertrag  mit  dessen  Söhnen 
erneuert  und  hierbei  16  Gulden  Erbpacht  ausbedungen  ;  das 
WTeiden  in  jungen  Schlägen,  das  Geisenhalten,  sowie  das  Jagen 
und  Fischen  war  strengstens  verboten. 

1715  erhielt  Jacob  Rödelsperger  als  herrschaftlicher  Meyer 
ein  Erblehen  auf  der  Schluck  bei  Altweier;  daselbst  entstanden 
auf  dem  damals  noch  herrschaftlichen  Boden  noch  2  weitere 
Meiereien,  desgl.  weiter  abwärts  das  sogenannte  Kohlhaus  und 
2  Sägemühlen.  1770  wurde  die  Meierei  Saxermatt  für  160  francs 
verpachtet,  1774  der  damals  noch  öde  Kalbsplatz,  1776  die 
Ferme  Adelsbach,  die  Gehöfte  Acker  und  Baracke  mögen  um 
dieselbe  Zeit  angelegt  worden  sein.  1763  wurde  Forsthaus 
Mittelberg  gebaut   und  mit    Wiesen  ausgestattet,  im  selben 

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—   34  — 


Jahre  auch  im  kleinen  Steinthal  eine  einem  gewissen  Rodels- 
perger  verpachtete  Melkerhütte  angelegt. 

Im  Jahre  1781  wurde  die  damals  schon  vorhandene  herr- 
schaftliche Meierei  auf  dem  Mösherg  für  18  Jahre  weiter  ver- 
lehnt unter  Zugrundelegung  von '26  haarklein  niedergeschriebenen 
Bedingungen.  Der  Pächter  muss  die  Gebäude  gut  unterhalten, 
die  Wiesen  säubern  und  durch  Steinmauern  zum  Schutz  gegen 
das  Altweirer  Weidevieh  einfriedigen,  jährlich  4  neue  Obst- 
bäume setzen ;  die  Beholzung  und  Waldweide  wird  eingehend 
geregelt.  Die  Pachtsumme  für  das  ca.  4  Ha.  grosse  Anwesen 
betrug  300  francs.  Das  1510  in  herrschaftlichen  Besitz  gelangte 
Grundstück  auf  der  Glausmatt  wurde  von  Zeit  zu  Zeit  ver- 
pachtet. 

In  ähnlicher  Weise  entstanden  im  Waldgebiete  von  Reichen- 
weier zu  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderls  die  ff.  Niederlassungen  : 
1703  Bilsteinthal,  genannt  Neudörfel,  1709  Bärenhütle,  1717 
Buckel,  1720  Ursprung,  1721  Forsthaus  Seelburg.  Abgesehen 
von  dem  letzteren  und  von  der  Meierei  Bärenhütte  handelte  es 
sich  bei  den  übrigen  Ansiedelungen  wiederum  um  Erbpacht- 
güter. (Colmar  B.-A.  Liasse  K  43). 

Zufolge  einer  in  Bikteinthal  vorfindlichen  Urkunde  vom  3. 
September  1703  wurde  vier  von  den  Glashütten  kommenden 
Glasern  gestattet,  sich  binnen  6  Jahren  im  Bilsteinwald  als 
Holzhauer  und  Köhler  anzubauen  gegen  Zahlung  von  etwa  33i/j 
francs  Erbpacht,  welche  ihnen  nötigenfalls  am  Holzmacherlohn 
abgezogen  werden  sollte;  sie  erhielten  Waldweide  für's  eigene 
Vieh  und  einige  Wiesen  ;  die  Jagd  sollten  sie  «absolute  meiden». 
In  den  Jahren  1709  und  1746  wurde  der  Vertrag  erneuert,  die 
Pacht  auf  64  bezw.  170  francs  erhöht;  die  Hintersassen  mussten 
ausserdem  die  üblichen  Gefalle  entrichten.  Bald  nach  ihrer  An- 
siedelung fingen  die  Bilsteinthäler  an,  sich  herrschaftlichen 
Waidgrund  anzueignen,  was  ihnen  namentlich  zur  Zeit  des 
Sequesters  erfolgreich  gelang.  Kein  Wunder  daher,  dass  dort 
noch  heute  die  Abgrenzung  zwischen  Wald  und  den  Privat- 
ländereien  in  unregelmässigen  Zickzacklinien  verläuft.  1783 
bestanden  im  Bilsteinthal  10  Haushaltungen  auf  Reichenweier 
und  1  auf  Rappoltsweiler  Gebiet. 

Aehnlich  war  der  Verlauf  der  Rodung  und  Ansiedelung 
auf  dem  kleineren  Weiler  Buckel  oberhalb  Forsthaus  Baum- 
schule, sowie  auf  dem  sogenannten  Ursprung. 


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—   35  — 


Bärenhütte  gehörte  als  Bestandteil  des  Elendswaldes  zum 
Apanagengut  der  Herzogin  Anna  von  Württemberg;  diese 
bestimmte  1709  15  Acker  «an  den  Brunnen»  zur  zeitlichen 
Verpachtung  unter  ähnlichen  Bedingungen;  die  Pächter  erhielten 
Bau-  und  Brennholz  und  sollten  gute  Obsicht  auf  die  Waldungen 
haben,  begannen  diese  aber  bald  durch  unerhörte  Weidefrevel 
in  weitem  Umkreis  zu  verwüsten.  Die  Pacht  stieg  von  1709 
bis  1784  allmählich  von  12  Reichsthalern  auf  150  francs. 
(Colmar  B.-A.  Liasse  E  No.  72). 

Im  Schlusskapitel  wollen  wir  auch  des  Schicksals  der 
Reichenweierer  Enclaven  nach  der  französischen  Revolution  in 
Kürze  gedenken. 


KAPITEL  V. 
Regelung  der  Holznutzung. 

«Die  karolingische  Zeit»,  schreibt  Bernhardt  in  seiner  Ge- 
schichte des  Waldeigentums  und  der  Waldwirtschaft,  «kann 
inbezug  auf  das  Verhältnis  der  Landesbewohner  zum  Walde 
kurz  charakterisiert  werden  als  die  Zeit  des  unbedingten  Kampfes 
gegen  den  Wald.  Derselbe  ist  überall  Kulturhindernis,  seine 
wirtschaftliche  Bedeutung  überaus  gering,  der  Wert  seines 
Hauptproduktes  gleich  Null.  Die  spärlichen  Aufzeichnungen 
über  die  Bedeutung  der  ausgedehnten  Waldstriche,  welche 
Deutschland  bedeckten,  aus  dem  X.  und  XI.  Jahrhundert  er- 
achteten es  kaum  der  Mühe  wert  von  anderen  Waldnutzungen 
zu  reden,  als  von  Weide,  Mast,  Bienenzucht,  der  Jagd  und 
Fischerei.» 

Hiermit  steht  der  Wortlaut  der  obenerwähnten  Waldver- 
leihungsurkunde  Karls  des  Grossen  zu  Gunsten  der  Abtei  Leberau 
aus  dem  Jahre  774  im  Einklang.  Jene  zählt  als  Nutzungen  in  den 
betreffenden  Waldungen  auf  dem  unteren  Nordabhange  des 
Tännchels  die  Fischerei,  den  Vogelfang  und  die  Weide  besonders 
auf  und  thut  der  Holznutzung  gar  keine  Erwähnung.  Erst 
gegen  Ende  des  Mittelalters  gewinnt  wie  überall,  so  auch  in 
den  hiesigen  Waldungen  jene  an  Bedeutung.  Aber  noch  lange 
Zeit  bemächtigten  sich  die  Eingeforsteten  der  Walderzeugnisse 


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nach  Belieben  und  nach  Art  der  freien  Güter.  Von  einer  plan- 
massigen  Waldwirtschaft  war  keine  Rede.  Den  schon  irn  XII. 
und  XIII.  Jahrhunderl  erlassenen  Rodungsverboten  lag  meistens 
das  einseitige  Interesse  des  Jagdherrn  zu  Grunde,  kaum  die 
Ueberzeugung  von  der  dereinstigen  Bedeutung  des  Waldes  und 
die  Furcht  vor  Holzmangel.  Diese  Gesichtspunkte  kamen  erst 
mit  dem  allmählichen  Anwachsen  der  Bevölkerung  und  Besie- 
delung  zum  Bewusstsein  und  zur  Geltung.  Im  XIV.  Jahrhundert 
erst  erfahren  wir  von  mannigfachen  Regelungen  der  Waldbe- 
nutzung  sowohl  in  den  gemeinschaftlichen  Markwaldungen,  als 
in  den  herrschaftlichen  Forsten.  Wir  vernehmen  u.  a.,  dass 
in  der,  zwischen  dem  Rappoltsweiler  und  Kaysersberger  Thale 
belegenen  grossen  Waldmark  7  von  den  Dinghöfen  ausgehende 
Förster  auf  Ordnung  halten  und  rügen.  Wir  hören  auch,  dass 
die  Rappoltsteinischen  und  Bergheimer  Förster  am  Tännchel 
Holzdiebe  pfänden.  In  den  nachfolgenden  Jahrhunderten  werden 
die  vornehmlich  in  den  Forstordnungen  getroffenen  Waldschutz- 
massregeln  immer  strenger,  wie  sich  z.  B.  aus  der  abgedruckten 
1543er  genugsam  ersehen  lässt. 

Abgesehen  von  der  Schonung  der  Walder  selbst  durch 
Verhegung  der  jungen  Schläge,  Verhol  des  Mähens  in  den- 
selben, Nachzucht  junger  Eichen,  Vorsicht  beim  Fällen  und 
Rücken,  Verbot  des  Aushauens  von  Bindewieden  sollte  auf 
grösstmögliche  Ersparnis  beim  Holzverbrauch  eingewirkt  werden. 
Die  'Bauholzabgaben  wurden  scharf  beaufsichtigt ;  zu  Brenn- 
holz und  namentlich  zum  Kohlen  durfte  nur  geringwertiges 
Holz  verwendet,  von  den  Windfallstämmen  sollten  die  zu  Bau- 
oder Arbeiterholz  tauglichen  Abschnitte  bei  Strafe  nicht  als 
Brennholz  abgegeben  werden.  Die  Anwendung  hölzerner  Zäune 
wurde  verboten,  vielmehr  Anpflanzung  lehendiger  Hecken  an- 
befohlen, die  Anzahl  der  bei  weltlichen  und  geistlichen  Fest- 
lichkeiten, sogar  zur  Bezeichnung  der  Gastwirtschaften  zu  ver- 
wendenden Maien  wiederholt  beschränkt.  Holzverschwendung 
durch  Aschenbrennen  sollte  nicht  geduldet  werden.  Zur  Ver- 
hütung von  Ueberschreitungen  bei  den  Holzabgaben  wurden 
auch  hierzulande  bereits  im  XV.  oder  XVI.  Jahrhundert  WTald- 
hämmer  zum  Anschlagen  der  Stämme  eingeführt.  Die  franzö- 
sische Forstordnung  von  1609  blieb  auf  die  Bewirtschaftung  der 
hiesigen  Waldungen  nicht  ohne  wohlthätigen  Einfluss,  insofern 
sie  eine  Reihe  waldpfleglicher  Bestimmungen  mit  peinlicher 


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Sorgfalt,  allerdings  vorwiegend  nach  dem  Schema  des  fran- 
zösischen Mittelwaldes  vorschrieb. 

Wie  überall  in  Deutschland  war  die  Aufarbeitung  des 
Holzes  auch  hierselbst  ursprünglich  Sache  des  Empfangers.  Die 
zur  Gewinnung  des  Brennholzes  bestimmten  Forstorle,  in  denen 
das  Dürr-  und  Windfallholz  und  das  «smalholtz»  —  wol  zurück- 
gebliebene und  unterständige  schwache  Stämme  —  gemacht 
werden  durfte,  wurden  den  Einwohnern  in  sogenannten  Kan- 
tonen losweise  zum  Selbsthieb  überwiesen.  Die  Rappoltsweiler 
Fuhrleute  hieben  ihre  Karrchbäume  im  Schwarzenberg  selbst 
ab.  Eine  Ausnahme  fand  von  jeher  statt  beim  Einschlage  der 
Bauhölzer,  wobei  in  der  Regel  ständige  Forstknechte  zuge- 
zogen wurden.  Diese  erhielten  ein  Stammgeld,  auch  Zehrung 
und  den  unvermeidlichen  Trinkwein.  In  den  Rappoltsteinischen 
Waldungen  bei  Markirch,  in  welchem  Amte  bereits  im  XIII. 
Jahrhundert,  vielleicht  schon  früher,  seitens  der  Herrschaft  der 
Bergbau  lebhaft  betrieben  wurde,  erfahren  wir  demgemäss 
zuerst  von  berufsmässigen  Holzhauern.  Diese  hatten  bedeutende 
Mengen  von  Minenhölzern  herzurichten;  sie  wohnten  grossen- 
teils  in  Fortelbach  (Fertru).  Eine  ähnliche  Zunft  bildeten  im 
diesseitigen  Thale  die  Rebsteckenmacher,  welche  nicht  nur  für 
den  eigenen  Bedarf,  sondern  auch  zum  Verkaufe  arbeiteten. 
Die  Rebstecken  mögen  auf  den  bereits  1302  erwähnten  «Holz- 
merket» in  der  Stadt  verkauft  worden  sein.  (Albrecht,  Ur- 
kundenb.  II,  177.) 

Gegen  Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts  hören  wir  zuerst  vom 
Aufklaftern  des  Brennholzes,  welches  früher  wagen-  und  karren- 
weise abgefahren  worden  war  und  zwar  für  den  Bedarf  der 
Glashütten  wie  der  herrschaftlichen  Hofhaltungen,  auch  für  die 
Brennholz  konsumierenden  Gewerbe.  Der  Lohn  für  die  Klafter 
—  bei  3»|«  Schuh  Scheitlänge,  6  Schuh  Höhe  und  Breite  etwa 
3  3/4  Rmtr.  —  betrug  1648  12  Batzen  und  1—2  Mass  Trinkwein, 
1735  40—50  Sous  und  Wein,  1750  wurde  für  Aufarbeitung 
eines  Sägeklotzes  8—12  Sous  bezahlt.  Ueber  die  Holzhauer 
gingen  mehrfach  Klagen  wegen  Unredlichkeit  ein,  namentlich 
darüber,  dass  sie  sich  die  Klafter  doppelt  bezahlen  liessen. 
(Colmar,  B.  A.  E  No.  676.) 

Ueber  den  Brennholzeinschlag  besagt  die  F.O.  Reichen- 
weier 1581 196  folgendes  :  Jenes  soll  entweder  im  Herbst  bis 
Skt.  Gallen  (16.  Oktober)  gehauen  und  vor  März  aus  den  Hagen 


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geführt  und  geräumt  oder  im  Frühling  geschlagen  und  bis 
Michaelis, 29.  September,  ausgeräumt  werden.  Brennholz,  welches 
nicht  rechtzeitig  abgehauen  worden  ist,  soll  bis  zum  nächsten 
Hau  stehen  bleiben  ;  solches,  welches  nicht  zu  obigen  Terminen 
abgefahren  ist,  falls  nicht  mildernde  Umstände  vorliegen,  der 
'Herrschaft  trotz  Einziehung  des  Kaufgeldes  anheimfallen,  lieber 
«Zeit,  Weiss  und  Manier  Bauholz  zu  hauen»,  lässt  sich  Artikel 
25  in  einer  für  die  damaligen  Ansichten  recht  bezeichnenden 
Weise  folgendermassen  aus :  «Und  so  unsere  Waldvögt  und 
Förster  Befelch  haben,  als  obsteht,  jemanden  Bauholz  zu  geben 
oder  obgedachter  unserer  Unterthanen  zu  Reichweyler,  Beblen 
aus  ihren  Bürgen-  und  Gemeinden  Wäldern,  es  sey  aus  Gnaden, 
Gerechtigkeit  oder  anders  wegen,  oder  zu  unsern  Gebäuen 
hauen  lassen  würden,  wie  sich  das  fügte,  so  sollen  sie  bey 
ihren  Pflichten  daran  seyn,  dass  es  all  wegen  zu  rechter  Zeit 
und  so  der  Hau  gut  ist  nehmlich  nach  gemeiner  Regel  2  oder 
3  Tag  vor  oder  nach  dem  neuen  bey  kleinem  Mond,  und  in- 
sonderheit trockenem  Wetter  gehauen  und  gefällt  werden. 

«Item  das  eichene  Bauholtz  soll  von  Jacobi  oder  mittlen 
Julio  an  biss  in  den  Hornung  bey  neuem  Mond  gefallt  werden, 
so  lang  der  Saft  nicht  darein  gestossen,  oder  der  Teil  darinnen 
erstorben  ist,  aber  jedoch  bey  schönem  guten  Wetter,  dann  bey 
Regenwetter  oder  wann  der  Stamm  sonst  nass  ist,  so  giebt  es 
von  Stund  an  Wurmstich,  dass  man  die  sehen  kann,  ehe  es 
gezimmert  wird. 

«Item  soll  auch  kein  Bauholtz  gefallt  werden,  es  sey  eichen 
oder  anders,  wenn  das  Holtz  gefroren  ist,  denn  es  entreckt  und 
erspalt  sich  im  Fallen,  dass  es  nicht  langwährig  sein  kann. 

«Item  so  man  etwan  nothalben  Bauholz  im  Saft  haben  oder 
hauen  müsste,  so  soll  es  gleichfalls  uf  dem  neuen  Mond  und 
schönen  Wetter  geschehn,  aber  die  Wipfel  nicht  abtrommern, 
sondern  3,  4  Tag  liegen  lassen,  biss  das  Laub  daran  anfangt 
dörren  oder  der  Saft  vom  Stammen  hinter  sich  lauft  und  der 
Stamm  vom  Saft  trocken  wird,  alsdann  soll  es  abtrommt  und 
gezimmert  werden.  Welche  aber  so  fahrlässig  wären,  dass  sie 
das  Holtz  in  obermeldter  Zeit  nit  gehauen,  so  soll  ihnen  nit 
gestattet  werden,  ausserhalb  ermeldter  Zeit  mehr  zu  hauen. 

«Ob  es  aber  Jemandt  thäte  und  Holtz  im  bösen  Wetter 
hauen  würde,  der  soll,  so  oft  er  ergriffen  und  von  einem  jeden 
Stamm  60  Plappert  bezahlen.  Es  möcht  aber  einer  so  gefahrlich 


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gehauen  und  gewüst  haben,  so  soll  es  bey  solchem  nicht  bleiben, 
sondern  dem  Verschulden  und  Schaden  nach  gestraft  werden.» 

Dieselben  Bestimmungen  sind  in  das  Reichenweier  Rote 
Buch  übergegangen. 

Ueber  den  Einfluss  des  Mondes  auf  die  Dauer  des  Holzes 
und  die  betreffende  beste  Fällungszeit  sprechen  die  meisten 
Forstordnungen  sowie  Wirtschafts-  und  Wetterregeln  jener  Zeit. 
In  einem  alten  Slrassburger  Kalender  heisst  es  :  ces  ist  gut  holz 
anheben  zu  hauen  mit  des  mondes  wedel»  ;  daher  auch  «Wadel» 
gleichbedeutend  mit  Fällungszeit  ist.  Ueberhaupt  sollten  nach 
den  früheren  Begriffen  bei  abnehmendem  Monde  diejenigen 
Geschäfte  vorgenommen  werden,  die  ein  Trennen  oder  Auf- 
lösen bezwecken ;  bei  zunehmendem  dagegen  jene,  die  auf  ein 
Wachsen  und  Gedeihen  gerichtet  sind,  daher  auch  Niederwald- 
schläge, weil  die  Stöcke  wieder  ausschlagen  sollten. 

Der  Holztransport  mag  bei  der  früheren  Unwegsamkeit  in 
den  Gebirgs Waldungen  recht  schwierig  gewesen  sein  :  man  fuhr 
jäh  den  Berg  hinab,  wo  es  gerade  am  besten  ging,  um  die 
wenigen  etwas  besseren  Hauptwege  zu  erreichen.  So  kam  es, 
dass  im  Waldinnern  eine  grosse  Anzahl  von  Notwegen  entstand, 
welche  sich  nach  Gewitterregen  aushöhlten,  und  in  denen  die 
Feinerde  bergabrieselte. 

Die  F.  0.  Reichen weier  1581/96  bedrohte  daher  das  Machen 
neuer  Wege  mit  «3  Pfund  Frevel».  Zu  dem  auf  den  steilen 
Wegen  sehr  schwierigen  Hemmen  bedienten  sich  die  Fuhrleute 
sog.  Kötschen,  Sperrbündel,  welche  hinler  dem  Wagen  nach- 
schleiften. Hierzu  nahm  man  die  längs  der  Wege  wachsenden 
Sträucher,  welche  daher  öffentlich  meislbietend  versteigert 
wurden.  Die  Rappoltsteinische  F.  0.  1556  (Rapp.  St.  A.  D.  D.) 
bestimmte,  dass  die  Fuhrbesilzer  ihren  Mitbürgern  Holz  fahren 
mussten.  Der  Fuhrlohn  wurde  obrigkeitlich  festgesetzt  und  be- 
trug damals:  für  1  Steckenbaum  mit 

3  Ross  zu  fahren        15  Schilling 
d  1  Fahrt  Sägetrummen  13  » 
»  1  Fahrt  Sparren         10  » 
»  1  Brennbaum  10  » 

Um  das  Brennholz  besser  an  die  Strengbachthalstrasse  zu 
verbringen,  wurden  im  Adelsbach,  Ibach  und  Steinbach  noch 
in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  Wassertriften 
angelegt ;  später  hört  man  nichts  mehr  von  solchen. 


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Die  Bilsteinthäler  Holzhauer  waren  zu  Anfang  des  XVIII. 
Jahrhunderts  verpflichtet,  das  Klafterholz  aus  den  württem- 
bergischen Waldungen  für1/«  Gulden  ins  Strengbachthal  zu  liefern. 

Ueber  die  ausgangs  des  Mittelalters  übliche  Art  der  Holz- 
verwertung haben  wir  bereits  im  II.  Kapitel  bei  Schilderung 
der  Berechtigungsverhältnisse  berichtet.  Wir  sahen,  dass  die 
Herren  von  Rappoltstein,  nachdem  sie  den  gesamten  Wald- 
besitz an  sich  gezogen,  die  «Beholzung»  ihrer  Unterthanen  als 
Ausfluss  ihrer  landesväterlichen  Pflicht  betrachteten.  Wie  in 
Rappoltstein  wurden  auch  in  den  herrschaftlichen  und  Ge- 
meindewaldungen bei  Reichenweier  die  aufgethanen  Forslorte 
ausgegeben  (Reichenw.  St.  A.  D.D.  2);  in  diesen  letzteren  er- 
folgte die  Verlosung  an  10  bis  16  einzelne  Rotten,  in  welche 
die  Bürger  dieser  Stadt  jährlich  eingeteilt  wurden.  An  der 
Spitze  jeder  Rotte  stand;  ein  Roltenmeister,  welcher  in  dem 
betreffenden  Los,  Juchert  oder  Juchart  genannt,  auf  Ordnung 
beim  Einschlag  und  bei  der  Verteilung  der  angeschlagenen 
Stämme  zu  halten  hatte.  Die  Holzausgabebedingungen  waren 
auf  den  Bannholz-  oder  Rottenzeüeln  vermerkt.  1617  heisst  es 
z.  B.  :  cWeil  viel  dürren  Dannebaum  in  den  Stadtwäldten,  hat 
man  vor  gut  angesehen,  solche  auszuzeichnen  und  unter  ge- 
meine Burgerschaft  auszuteilen.  Sind  auch  10  Juchert  gemacht 
und  ausgelocht  zu  je  150  Stück  und  ist  jeder  Baum  mit  der 
Slattaxt  und  dem  Zeichen  gezeichnet». 

Die  Anzahl  der  Ueberhälter  war  unter  Angabe  der  Holzart 
in  den  Bedingungen  genau  vorgeschrieben,  seit  Eintritt  der 
franz.  Oberherrlichkeit  unter  Berufung  auf  die  1669er  Ordo- 
nanz.  Nichtbefolgung  der  obigen  Bestimmungen  konnte  Verlust 
des  Holzloses  nach  sich  ziehen. 

Das  erforderliche  Bauholz  bezogen  die  Bürger  von  Reichen- 
weier in  der  Regel  ebenfalls  aus  ihrem  Stadtwald,  unter  eben 
bereits  genannten  Bedingungen. 

Da  der  Weinbau  hierzulande  schon  von  alters  her  einen 
grossen  Bedarf  an  Rebstecken  erforderte,  so  finden  wir 
schon  in  den  ältesten  Forstordnungen  genaue  Vorschriften  über 
die  freihändige  Abgabe  von  Steckholz.  Zu  diesem  wurden  an- 
fänglich spaltbare  Tannen  und  Eichen  zu  einer  Stammtaxe 
angewiesen,  auch  unterdrückte  Tannenstangen,  sog.  Erdkiemen, 
welche  sehr  engringig,  harzig  und  dauerhaft  sind,  später,  etwa 
von  der  Mitte  des  XVI.  Jahrh.  ab,  Kastanien. 


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—   41  — 


Die  Reichenw.  F.O.  1581 196  bestimmt,  dass  das  Steck- 
holz nicht  mehr  in  den  vorderen  herrschaftlichen  Waldungen 
abgegeben  werden  dürfe,  vielmehr  an  «weiten  unschädlichen 
Orten».  Auch  in  den  Kappoltsteinischen  F.O.  werden  für  diese 
Nutzung  nur  gewisse  Forstorte  geöffnet.  Mit  dem  Aushieb  von 
Tannenerdkiemen  scheint  schon  früh  Unfug  getrieben  worden 
zu  sein,  sodass  deren  Entnahme  in  jungen  Waldungen  oft 
verboten  werden  musste.  Auch  wurde  im  vorigen  Jahrh.  seitens 
der  hiesigen  Herrschaft  Klage  darüber  geführt,  dass  die  Ein- 
wohner von  Rappolts weiler  nur  deshalb  soviel  Tannenmaien 
zum  Frohnleichnamsfest  hauen  wollten,  um  nachher  Rebstecken 
daraus  zu  machen. 

Die  freihändige  Ausgabe  eines  Stücks  «Kostebaum»  aus 
<lem  Reichenweier  Stadtwalde  an  die  Bürger  wird  zum  ersten 
Male  1667  erwähnt  (Reichenw.  Stadt  Arch.  DD2).  Diese  süd- 
ländische Holzart  war  jedoch  im  benachbarten  Walde  von 
Ammerschweier  bereits  Mitte  des  XVI.  Jahrh.  heimisch  ;  schon 
damals  wird  im  Stadtbuche  das  eigenmächtige  Abschlagen  von 
Kastanien  bei  Strafe  verboten. 

Sonstiges  Arbeiterholz,  wie  Wagner-  Dauben-  Reifholz, 
■Sägeblöche,  Schindel-  und  Lattenholz,  sowie  Weinbäume  und 
Trottstangen  gelangten  in  beiden  Herrschaften  in  der  Regel 
freihändig  zur  Abgabe  gegen  eine  von  der  Forstverwaltung  be- 
stimmte Taxe. 

Andere  Gemeinden  und  Auswärtige  erhielten  öfters  Bauholz 
zur  vollen,  zuweilen  zu  einer  ermässigten  Taxe.  1741  wurden 
solche  Abgaben  wegen  «starker  Konsumtion  des  Bauholtzes»  in 
Rappoltstein  eingeschränkt. 

Zu  Anfang  des  vorigen  Jahrh.  fanden  auch  wiederholt  aus 
■den,  nach  der  Markircher  Höhe  zu  gelegenen  Waldungen  für 
die  Bergwerke  im  Leberthal  Grubenholzabgaben  statt.  (Colmar 
B.  A.  Liasse  E  1701). 

Die  eigenen  Hofhaltungen  verschlangen  hüben  und  drüben 
ansehnliche  Brennholzquantitäten  ;  freilich  wurde  den  Beamten 
auweilen  nachgesagt,  dass  sie  das  schöne  Klafterholz  zum 
Aschenbrennen  und  Düngen  ihrer  Ländereien  verschwendeten. 

Den  städtischen  Gebäulichkeiten,  Spitälern,  Thorwächtern 
und  dgl.  wurde  der  Brennholzbedarf  aus  den  herrschaftlichen 
Waldungen  geliefert  ;  doch  legte  die  rappoltst.  Verwaltung  im 
vorigen  Jahrh.  Wert  darauf,  dass  solche  Zuwendungen  nur  als 


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Gnadengeschenk  anzusehen  seien.  Jene  Hess  auch  dem  ehe- 
maligen Augustinerkloster  zu  Rappertsweiler  und  dem  Wald- 
bruder der  Dusenbachkapellen  Brennholz  zukommen  ;  zu  deren 
Instandhaltung  wurde  auch  öfters  Bauholz  verabfolgt. 

In  demselben  Masse,  als  namentlich  die  hiesige  Herrschaft 
die  Holzberechtigungsbezüge  der  Einwohner  zu  beschränken 
bestrebt  war,  gab  sie  ihren  Forstbeamten  Anweisung,  das  Holz 
vor  dem  Dürrwerien,  also  vor  dem  Anheimfallen  an  jene,  noch 
rechtzeitig  zum  Besten  der  Forstkasse  zu  veräussern.  Es  geschah 
dies  dadurch,  dass  die  Förster  den  Eingeforsteten  hiebsreife 
Stämme  anwiesen  und  hierüber  ein  Solleinnahraebuch  führten. 
Die  Holztaxen,  welche  auch  in  Wein  entrichtet  werden  durften, 
sollten  von  den  Rentmeistern  eingezogen  werden ;  den  Förstern 
wurden  Geldgeschäfte  untersagt,  und  zwar  so  oft  und  so  ein- 
dringlich, dass  dringende  Notwendigkeit  zu  solchen  Verboten 
vorgelegen  haben  muss.  Noch  zu  Ende  des  vorigen  Jahrh.  war 
es  zulässig,  dass  die  Bürger  ihr  Brennholz  selbst  aufarbeiten 
durften,  sonst  wurde  das  Hauen,  Rücken  und  Aufklaftern  von 
der  Revierverwaltung  verdungen. 

Die  Holzverwertung  auf  dem  Wege  des  öffentlichen  meist- 
bietenden  Verkaufs  war  jedenfalls  neben  den  häufigem  frei- 
händigen Abgaben  in  hiesiger  Gegend  bereits  im  XVI.  Jahrh. 
gebräuchlich.  Die  erste  Erwähnung  über  Holzversteigerungen, 
welche  z.  B.  in  Preussen  erst  1713  eingeführt  worden  sind, 
finden  wir  im  Stadtbuch  von  Ammerschweier  aus  dem  Jahre 
1561.  Die  Versteigerungen  fanden  auf  der  Ratsstube  statt  ; 
morgens  gab  man  den  Kaufliebhabern  eine  Suppe;  die  Holz- 
lose wurden  vorher  von  dem  Amtsstattmeister,  den  Leiterern, 
(Leute,  welche  den  Wein  massen  und  zutrugen)  und  den 
Förstern  gegen  ein  Entgelt  ausgemessen ;  die  Bieter  mussten 
bar  zahlen. 

Die  Bedingungen  über  Einschlag  und  Abfuhr  wurden  ver- 
lesen. Abends  teilte  man  nochmals  mit  «was  ein  jeder  kauft 
hat,  welches  furth,  auch  wie  teuer»  ;  «alle  so  waldt  kauft 
handt»,  bekommen  abends  wieder  eine  Suppe,  «aber  khein 
essen  gibt  niemandt  nicht». 

In  den  uns  besonders  interessierenden  Waldungen  haben 
nachweislich  öffentliche  Holzversteigerungen  erst  viel  später, 
nämlich  zu  Anfang  des  XVIII.  Jahrh.  stattgefunden .  Anfänglich 
handelte  es  sich  nur  um  den  Verkauf  geringer  Windfallholz- 


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massen,  dann  auch  um  grössere  Lose  stehender  Hölzer.  Die 
mit  dem  Waldhammer  angeschlagenen  Stämme  wurden  los- 
weise  auf  dem  Stock  ausgeboten.  Der  Käufer  unterwarf  sich 
den  Bedingungen,  die  Stöcke  sauber  zu  hauen,  die  Schlag- 
räumung rechtzeitig  zu  bewirken,  nicht  bei  der  Nacht  zu  arbeiten, 
das  Holz  nicht  andern  abzutreten,  nicht  Holz  in  die  Nach- 
barlose hineinzuwerfen,  die  Ueberhälter  zu  schonen  und  dergl. 
mehr  (Colmar  B.  A.  Liasse  E  1646). 

Mit  steigenden  Geldbedürfnissen  der  Landesherrn  wuchsen 
die  Ansprüche  an  die  Waldreineinträge.  So  gab  1763  die  Re- 
gentschaft von  Mömpelgart  dem  Forstmeister  Bregenzer  zu  Rei- 
chenweier den  Befehl,  sofort  10000  frcs.  zu  schaffen  und  hierzu 
in  erster  Linie  400  Klafter,  also  ca.  1500  Rmtr  abgängiges  Tannen- 
holz im  Elendswald  hauen  zu  lassen  (Colmar  B.  A.  Liasse  E  No.183). 
Fünf  Jahre  darauf  erhielt  derselbe  Beamte  Anweisung,  alljährlich 
im  herrschaftlichen  Walde  300  zu  Sägewaren  geeignete  Tannen 
von  20—30  Zoll  Durchmesser  einzuschlagen,  diese  auf  der  noch 
zu  erwähnenden  Sägemühle  zu  Dielen  schneiden  zu  lassen  und 
alsdann  zu  verkaufen ;  ferner  sollten  jährlich  1200  Stück  Tan- 
nenbauholz, auf  8—15  Zoll  vierkantig  beschlagen,  veräussert 
werden.  Schliesslich  wurde  bestimmt,  dass  das  Abholz  von  den 
Nutzstämmen  und  das  zu  Nutzholz  untaugliche  Holz  zum  Vorteile 
der  Herrschaft  als  Brennholz  verkauft  werden  sollte,  und  zwar 
«par  preference  aux  sujets»,  wie  denn  überhaupt  beide  Herr- 
schaften den  Holzverkauf  an  «Ausländer»  bei  jeder  Gelegenheit 
zu  verhindern  trachteten. 

In  den  Gemeindewaldungen  bekümmerte  sich  der  königliche 
Intendant  im  vorigen  Jahrh.  eingehend  um  die  Holzverwertung; 
Anträge  auf  Bürgerholzschläge  unterlagen  seiner  Genehmigung. 
1789  erlangte  Reichenweier  einen  solchen  Schlag  aus  ihrem 
Stadtwalde  nur  unter  der  Bedingung,  dass  sie  sich  zu  einem 
don  patriotique  von  2000  frcs.  an  die  Regierung  verstand. 
(Reichenw.  Stadt  Arch.  DD 2). 

Zur  besseren  Verwertung  der  Hölzer  befassten  sich  die 
beiderseitigen  Verwaltungen  mit  der  Errichtung,  von  Säge- 
mühlen. In  denRappoltsweilerThälern  (Colmar  B.A.  ENo.  1658) 
entstanden  deren  vom  XVII.  Jahrh.  ab  allmählich  fünf,  wovon 
2  ausserhalb  Altweier  im  Thal  zwischen  dem  Müsberg  und  dem 
Schwarzenberg  und  3  im  Strengbachthal  lagen.  Die  oberste 
Sägemühle  wurde  1687  dem  schon  im  IV.  Kapitel  genannten 


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-  u  — 


Schluckmeyer  Jacob  Rödelsberger  als  Erblehn  derart  konzessio- 
niert, dass  die  Baukosten  zu  seinen  Lasten  seien,  dass  er 
herrschaftliche  Steuern  nicht  zu  entrichten,  dagegen  als  jähr- 
liche Rente  abzuführen  habe : 

1  Gulden  Wasserfallzins, 

4  Fuder  Dielen, 

100  Latten, 

1  Huhn  als  Zins  für  den  Garten. 

Dem  Rödelsberger  wird  ein  Tannenstamm  für  5  Batzen 
überlassen,  Eichen- und  Kiefernholz  jedoch  versagt.  Der  Mühlen- 
inhaber darf  keine  Rebstecken  machen,  weder  jagen  noch  fischen, 
keine  verdächtige  Leute  beherbergen  ;  er  erhält  Waldwiesen  und 
Waldweide;  der  Herrschaft  räumt  er  das  Vorkaufsrecht  für 
alle  Zeiten  ein. 

Die  Strengbachsägemühlen  standen  unter  herrschaftlicher 
Selbstverwaltung.  Die  Sägemüller  führten  über  die  geschnittenen 
Hölzer  Register  und  die  beaufsichtigenden  Forstbeamten  be- 
rechneten vierteljährlich  auf  Grund  der  festen  Einheitssätze  die 
Schneidetaxen.  Die  Hölzer  aus  den  herrschaftlichen  Waldungen 
hatten  den  Vorzug  beim  Schneiden ;  für  andere  Hölzer  wurde 
ein  Zuschlag  erhoben.  Die  fertige  Säge  wäre  durfte  nur  1 
Monat  bei  den  Mühlen  aufgestapelt  bleiben. 

Wie  aus  den  herrschaftlichen  Forstgeldrechnungen  hervor- 
geht, ergaben  die  Sägemühlen  ansehnliche  Einnahmen.  Mit 
der  untersten  Sägemühle,  ungefähr  da,  wo  jetzt  die  städtische 
Sägemühle  Allmend  steht,  war  eine  Lohmühle  verbunden,, 
weiche  jährlich  5400  Ctr.  Eichenrinde  zu  mahlen  vermochte. 

In  Reichenweier  erreichte  Forstmeister  Bregenzer  nach 
längeren  Verhandlungen  1763  den  Bau  einer  Sägemühle  am 
Bache  unterhalb  Schloss  Reichenstein  auf  Gemeindegrund. 
(Colmar  B.  A.  Liasse  E  No.  183).  In  den  Beweggründen  war 
ausgeführt,  dass  in  den  herrschaftlichen  Waldungen  viel  über- 
ständiges Tannenholz  vorhanden  sei,  aus  welchem  mehr  erlöst 
werden  könne,  wenn  es  nicht  zum  «blossen  Scheiterholz  er- 
bauen würde,  wann  davon  die  abfallenden  Sägeblöcker  zu 
Thielen,  Latten,  Bretter  und  dergl.  employiert  und  des  Endes 
eine  Sägemühle  erbaut  würde».  Bregenzer  hoffte  die  Holzpreise 
durch  Anlage  derselben  mindestens  aufs  Doppelte  zu  steigern. 
Die  Stadt  Reichen weier  räumte  den  Platz  ein,  behielt  sich  aber 
das  Benutzungsrecht  für  die  Hölzer  aus  ihrem  Wald  und  zum 


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sonstigen  eigenen  Schneidegebrauch  vor.  Die  fünfte  und 
letzle  Bedingung  des  am  15.  August  1761)  aufgenommenen 
Vertrages  lautete :  «En  cinquieme  et  dernier  lieu  sera  Ja  seig- 
neurie  tenue,  de  faire  assembler  ä  ses  frais  les  4  sources,  qui 
se  trouvent  dans  la  foret  appelee  Seelburg,  dans  un  reservoir 
et  conduire  les  eaux  jusque  sur  le  lieu  appelle  Brudermatt». 

Thatsächlich  sind  die  Quellen  bald  darauf  gefasst  worden ; 
eine  Brunnenstube  oberhalb  Alexishof  tragt  die  Jahreszahl  1771. 

Jedenfalls  geht  hieraus  hervor,  dass  die  Wasserfrage  in 
Reichenweier  schon  damals  eine  grosse  Rolle  spielte. 

Der  1764  ausgeführte  Neubau  der  Sagemühle  kostete  fast 
3800  frcs.  Im  März  1705  wurde  der  Sager  Michael  Ludwig 
mit  30  frcs.  Jahresgehalt,  Deputatholz  und  Gartennutzung  an- 
gestellt. 1791  veräusserte  Forstmeister  Ziegler  im  Auftrage  des 
Herzogs  die  Mühle  noch  rechtzeitig  vor  der  allgemeinen  Säku- 
larisation für  950  frcs.  an  Malhias  Ritzenthaler  zu  Horburg. 
Leider  Hess  dieser  die  Mühle  bald  darauf  verfallen. 


KAPITEL  VI. 
Handhabung  der  Forstnebennutzungen. 

Wir  haben  im  vorigen  Kapitel  angedeutet,  dass  die  Holz- 
nutzung im  Mittelalter  gar  oft  an  Wert  gegen  die  anderen 
Forstnebennutzungen  zurücktrat.  Abgesehen  von  der  Jagd, 
welcher  wir  ein  eigenes  Kapitel  widmen  werden,  waren  wie 
überall,  so  auch  hier,  Waldweide  und  Mast  von  hoher  Bedeutung. 

Der  Weinbau,  welcher  zur  Zeit  in  der  Gemarkung  Rappolts- 
weiler  etwa  12  o/0  der  Gesamtfläche  beschlagnahmt  (in  ganz 
Elsass-Lothringen  2i/4oj0>  im  Deutschen  Reich  knapp  J|4°io)  und 
bereits  vor  einigen  Jahrhunderten  im  wesentlichen  das  heute  mit 
Reben  bestockte  Gelände  einnahm,  gab  zur  Heranziehung  des 
Waldes  für  die  Viehernährung  von  alters  her  unmittelbar  Ver- 
anlassung. Diese  Inanspruchnahme  steigerte  sich  mit  wachsender 
Bevölkerung  mehr  und  mehr,  zumal  auch  die  Ansiedelungen 
inmitten  der  Waldungen  zunahmen.  Kein  Wunder  daher,  dass 
der  Waldweide  in  den  Urkunden  so  häufig  Erwähnung  gethan 
wird,  und  dass  öfters  über  deren  Ausübung  in  gemeinschaftlich 


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oder  besessenen  genutzten  Waldungen  «Missehelle,  Stösse  und 
Spänne»  entstanden  und  durch  Schiedssprüche  geschlichtet 
werden  mussten.  Die  Rappoltsteinischen  Waldgänge  werden  in 
der  1084er  Verleihungsurkunde  ausdrücklich  als  Zubehör  der 
Herrschaft  genannt.  Bei  den  im  XIII.  und  XIV.  Jahrhundert 
vorgekommenen  Teilungen  der  Rappoltsteiner  wird  jedesmal  aus- 
bedungen, dass  die  Bürger  «wunne  und  weide»  weiter  gemeinsam 
nutzen  und  niessen  dürfen.  Der  im  XIV.  Jahrhundert  ausge- 
brochene und  200  Jahre  andauernde  Grenzstreit  zwischen  jenen 
Herren  und  den  Bergheimern  ward  nicht  zum  wenigsten  der 
Weidgänge  wegen  so  hartnäckig  geführt.  Noch  4543  verweigert 
die  Herrschaft  denjenigen  Leuten  aus  Thannenkirch  die  Wald- 
weide am  Tännchel,  welche  Unterthanen  der  Herren  von  Wal- 
bach waren.  (Colmar  B.  A.  E.  No.  1678.) 

Zur  selben  Zeit  suchten  die  Herren  auch  die  Weide  der 
hiesigen  Bürger  zu  beschränken ;  diese  durften  nur  noch  die 
Hälfte  ihres  Viehs,  und  erst  von  Georgentag  (23.  April)  an  in 
die  Waldungen  treiben.  Gewisse  Forstorte,  namentlich  der  Vordery- 
bach,  von  jeher  ein  beliebtes  Wildschonrevier,  wurden  schon 
damals  von  den  Jägern  «verwehrt».  (Colmar  B.  A.  E.  No.  1676.) 

Art.  5.  der  Reichenw.  F.  0.  1581 196  trägt  die  Ueberschrift  : 
«Hegung  der  Häuw  und  jungen  Gewächse ;  die  sollen  nicht 
ausgereutet,  weggerissen  oder  durch  Vieh,  insonderheit  Schaaf 
oder  Geisen  verderbt  werden  bey  straf  5  Pfund  neben  dem  ge- 
bührenden Abtrag  des  Schadens»  und  bestimmt,  dass  das  Vieh 
nicht  eher  in  die  jungen  Schläge  getrieben  werden  darf,  bis 
sie  dem  Maul  desselben  entwachsen  sind.  Das  Mähen  in  jenen 
soll  abgesehen  von  der  Schonung  der  jungen  Pflanzen  auch  aus  dem 
Grunde  unterbleiben,  damit  «seiner  Zeit,  die  ordentliche  Weydt  für 
unserer  Unterthanen  Vieh  desto  reichlicher  und  besser  seyn  möge.» 

Art.  32  obiger  F.  0.  rügt  das  Weiden  der  kleinen  Gebirgs- 
pferde,  welche  damals  täglich  überall  in  den  Wäldern  herum- 
gelegen und  diese  arg  beschädigt  haben  sollen ;  jene  seien  über- 
dies zu  Frohnfuhren  zu  schwach  und  daher  für  die  Herrschaft 
onne  Nutzen.  Diese  Pferdchen  sollen  nur  an  3  Wochentagen 
und  zwar  zu  Zeiten,  da  die  Waldweide  erlaubt,  in  den  WTald 
«fahren  bei  2  Gulden  Strafe  für  jeden  Uebertretungsfall».  Im 
XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert  nahm  die  Waldweide  allmählich 
eine  solche-  Ausdehnung,  dass  sie  die  schwersten  Schädigungen 
des  Holzwuchses  zur  Folge  hatte,  zumal  die  Herden  gewöhnlich 


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auch  nachts  draussen  lagen.  In  den  Urkunden  wimmelt  es 
geradezu  von  Klagen  über  die  greulichsten  Waldverwüstungen 
durch  die  zahlreichen  Rindvieh herden,  sowie  durch  gefrässige 
Ziegen  und  Schafe.  Wie  im  IV.  Kapitel  angedeutet,  finden  wir 
in  den  Ansiedelungsverträgen  zu  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderl 
besondere  Bestimmungen  über  die  zur  Waldweide  aufgegebenen 
Oile;  zuweilen  war  auch  die  höchst  zulässige  Viehzahl  fest- 
gesetzt. Es  ist  jedoch  fraglich,  ob  diese  eingehalten  wurde.  In 
den  Weilern,  Ursprung,  Bärenhütte,  Bilsteinthal,  Buckel  w irden 
gegen  Mitte  des  vorigen  Jahrhundert  in  22  Haushaltungen  fol- 
gende Stücke  Vieh  gezählt :  7  Pferde, 

5  Ochsen, 

39  Kühe, 

21  Kälber, 

30  Schweine, 

36  Ziegen. 

Der  Viehstand  war  also  im  Verhältnis  zu  den  dortigen 
Ländereien  und  Wiesen  recht  ansehnlich.  In  dem  benachbarten 
ungeteilten  Walburg  hat  es  demnach  besonders  traurig  aus- 
gesehen; derselbe  ward  1739  auf  10  Jahre  gegen  Weidevieh 
und  jeden  Axthieb  in  Hege  gelegt.  (Rapp.  Stadt-Arch.  DD  1.) 
Dem  Drängen  der  Viehzüchter  Altweier  nachgebend,  verpachtete 
die  Herrschaft  benachbarte  Weidgänge  in  den  Waldungen.  Hier- 
gegen zog  sie  sich  indes  bereits  im  Jahre  1003  lebhaften  Wider- 
spruch der  Heimburgen  (Bürgermeister)  der  4  Gemeinden,  Mar- 
kirch,  Eckkirch,  Fortelbach  und  St.  Blasien  zu.  Diese  behaup- 
teten, an  jenen  von  alters  her  Anrechte  zu  haben  und  hielten 
ihre  Forderungen  nach  besonderer  Erneuerung  in  den  Jahren 
1762  und  1763  bis  zur  franz.  Revolution  aufrecht.  Während 
dieser  erreichten  die  Weidefrevel  ihren  Höhepunkt ;  mit  der 
grössten  Frechheit  wurde  das  Vieh  in  die  Schonungen  getrieben  ; 
die  vorläufig  noch  im  Amt  gebliebenen  Förster  mussten  solch* 
gewaltthätigem  Auftreten  der  Bevölkerung  hilflos  zusehen.  Um 
eines  recht  bezeichnenden,  des  Humors  nicht  entbehrenden  Vor- 
falles aus  jener  Zeit  zu  gedenken,  sei  aus  den  Reichenweirer 
Gemeindeakten  berichtet,  dass  1790  22  Mann  von  dem  Corps 
de  la  garde  nationale  bei  einer  Patrouille  im  Walburg  etwa 
10  Stück  Rindvieh  der  beiden  Bärenhütter  Pächter  Gammen- 
thaler beim  Weiden  in  einem  jungen  Schlage  abfassten  und  als 
«corpora  delicti»  im  Triumpf  nach  Reichenweier  zerrten.  Das 


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Urleil  des  dortigen  Amtmann  ging  davon  aus,  dass  man  ein 
warnendes  Exempcl  statuieren  müsse,  um  andere  abzuschrecken, 
«die  Waldungen  auf  alle  Arten  zu  verheeren».  Die  Gebrüder 
Gammenthaler  wurden  trotz  Intervention  der  franz.  Regierung 
zu  150  francs  Geldstrafe  verurteilt  und  mussten  obendrein 
die  Zeche  für  Imhs  und  Trank,  welche  die  22  Tapferen  nach 
vollbrachter  That  beim  Sternenwirt  gemacht  hatten,  mit  90  francs 
berichtigen.  (Reichenw.  Stadt-Arch.  DD  2.) 

Der  Walburgwald  lässt  aber  in  seinen  über  100jährigen 
Tannenbeständen  noch  heute  die  Spuren  jener  Beschädigungen 
insofern  erkennen,  als  jene  sehr  ungleichaltrig  erwachsen  und 
teilweise  lückig  sind. 

Die  Eichelmast,  welche  in  den  Urkunden  wiederholt  als 
besondere  Gnade  Gottes  bezeichnet  wird,  spielte  namentlich  in 
den  in  der  Rheinebene  gelegenen  Waldungen  der  Herrschaft 
Reichen weier  eine  wichtige  Rolle,  weshalb  in  der  F.O.  1581/96 
die  Eckerichnutzung  genaue  Regelung  erfuhr.  Das  Eintreiben 
von  «ausländischen  fremden»  Schweinen  wurde  verboten,  der 
Eintrieb  im  allgemeinen  bis  Thomastag  (21.  Dez.)  und  nur  bei 
Vollmast  ein  Nacheckerich  gestattet. 

Das  Abschlagen  und  Auflesen  von  Eicheln  war  mit  Rück- 
sicht auf  den  Wildstand  mit  empfindlichen  Strafen  bedroht. 

In  den  Gebirgswaldungen  wurden  die  spärlichen  Eichel- 
masten meistbietend  versteigert. 

Das  Kohlenbrennen  wurde  schon  frühzeitig  ausgeübt.  Die 
Reichenweier  F.O.  1581  j9ü  bestimmt,  dass  die  Förster  das  Kohl- 
holz in  «verlegenen  und  unschädlichen  Orten»  anweisen  sollen, 
und  zwar  nicht  nach  dem  Augenrnass,  sondern  nach  Klaftern 
abgemessen.  Holz,  welches  zu  Nutzholz  tauglich,  soll  nicht  ver- 
kohlt werden,  vielmehr  solches,  das  sonst  verfaulen  würde. 

Die  Kohlen  sollen  bei  hoher  Strafe  nicht  an  «Ausländer» 
verkauft  werden. 

Im  besonderen  wird  den  Schlossern  und  Schmieden  ver- 
boten, in  den  Wäldern  um  das  Bilsteinschloss  zu  kohlen  ;  jene 
sollten  in  den  Walburg  oder  in  die  Altweirer  Waldungen  gehen. 

Die  Bilsteinthäler  wurden  in  dem  Ansiedelungsvertrage  von 
1703  besonders  zum  Kohlenbrennen  verpflichtet. 

Wiederholt  erfolgte  das  Verbot  des  Aschenbrennens,  Basl- 
und  Rindeschälens ;  diese  Unarten  scheinen  aber  zeitweise  in 
ungebührlicher  Weise  betrieben  worden  zu  sein. 


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—   49  — 

Dass  Eichenlohnutzung  in  regelmässigem  Betriebe  statt- 
fand, geht  wohl  daraus  hervor,  dass  schon  im  Mittelalter  Gerbe- 
reien in  Rappertsweiler  bestanden.  Damals  hatte  Oberhaupt 
die  Eiche  eine  weit  grössere  Waldfläche  inne.  Der  Lohmühle 
haben  wir  bereits  Erwähnung  gethan. 

Auch  die  Theerschwelerei  ist  in  den  hiesigen  Waldungen 
früher  gehandhabt  worden.  Noch  heute  Anden  wir  im  Staats- 
walddistrikt Kalblin  an  der  Grenze  des  Gemeindewaldes  Alt- 
weier die  Ueberreste  eines  alten  Harzofens,  und  diese  Stelle 
trägt  im  Volksmunde  noch  jetzt  diesen  Namen. 

Eine  von  jeher  nicht  unwichtige  Nebennutzung  war  ferner 
die  Gewinnung  von  Hau-  und  Bruchsteinen,  welche  namentlich 
am  Seelburg  ausgeübt  wurde.  Die  Taxe  für  den  Wagen  Bruch- 
steine betrug  im  vorigen  Jahrhundert  10  Sous. 

Schliesslich  möge  an  dieser  Stelle  die  Forellenfischerei  in 
unseren  Gebirgsbächen  erwähnt  werden  ;  die  nahegelegenen  lie- 
ferten den  Bedarf  für  die  herrschaftlichen  Hofhaltungen  die 
entfernteren  wurden  zu  recht  ansehnlichen  Preisen  verpachtet. 
Aus  dem  Umstände,  dass  anfangs  des  vorigen  Jahrhunderts  im 
Adelsbach,  Ibach  und  Steinbach  die  Flösserei  möglich  war, 
und  dass  sowohl  unterhalb  Reichenstein,  als  der  Altweirer 
Schluck  früher  Sägemühlen  in  Betrieb  waren,  kann  man  wohl 
schliessen,  dass  unsere  Bäche  ehedem  einen  grösseren  Wasser- 
reichtum hatten.  Jedenfalls  waren  dieselben  den  uns  über- 
lieferten Nachrichten  zufolge  forellenreicher  als  heutzutage. 


KAPITEL  VII. 
Waldpflege  und  Betriebsregelung. 

Das  Leitmotiv  für  die  Waldbewirtschaftung  in  den  früheren 
Jahrh.  war  die  Bedarfsbefriedigung;  man  führte  nicht  wie  heut- 
zutage gleichmässige,  auf  Bestandespflege  und  Neuverjüngung 
gerichtete  Schläge,  um  die  dabei  anfallenden  Ergebnisse  je 
nach  ihrer  Brauchbarkeit  zu  verwerten;  man  hielt  vielmehr 
im  Walde  Umschau  danach,  an  welchen  Orten  man  «am  un- 
schädlichsten »  die  gewünschten  Holzsortimente  beziehen  konnte. 

4 


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Bei  der  vormaligen  Art  der  unmittelbaren  Beholzung  der  Unter- 
thanen  konnte  sich  ja  ein  Holzhandel,  der  für  die  verschiedenen 
Hölzer  Absatz  suchle,  um  so  weniger  entwickeln,  als  der  Holz- 
verkauf an  «Ausländer»  verpönt  war. 

Bei  der  Auswahl  der  Hiebsorte,  wozu  die  Nutzungsberech- 
tigten bisweilen  zugezogen  wurden,  war  die  Besorgnis  für  die 
Ruhe  des  Wildprets  oft  ausschlaggebend.  Wenn  die  aus  Mitte 
und  Ende  des  vorigen  Jahrh.  überkommenen,  jetzt  haubaren 
Hochwaldbestände  trotz  mancher  widriger  Umstände  noch  leid- 
lich aussehen,  so  haben  wir  dies  ausser  schätzenswerten  Eigen- 
schaften der  Weisstanne  vornehmlich  der  Schliessung  und 
Hegung  der  Junghölzer  im  jagdlichen  Interesse  zuzuschreiben. 

Nach  alledem  dürfen  wir  uns  auch  nicht  wundern,  dass 
die  älteren  Forstordnungen  im  grossen  und  ganzen  über  Wirt- 
schaftsregeln sich  ausschweigen.  Die  Rappoltsteinischen  F.  0. 
des  XV— XVII.  Jahrh.  sind  vorwiegend  polizeilicher  Natur, 
sie  verbieten  Uebergrifle  und  regeln  die  Holzabgabe.  Auch  die 
Reichenw.  F.  0.  1581/96  enthält  nur  vereinzelte  forstwirt- 
schaftliche Bestimmungen  im  engeren  Sinne,  als  wichtigste 
wohl  die  Festsetzung  der  Umtriebszeit  für  Niederwald ungcn. 
Diese  sollte  auf  guten  Standorten  eine  8  jährige,  auf  schlechten 
eine  doppelt  so  lange  sein.  Einige  andere  Anordnungen,  wie 
Schlagsäuberung,  Verbot  des  Mähens  und  Weidens  in  Ver- 
jüngungen, Ergänzung  eingeschlagener  Eichen  durch  junge, 
begreifen  alles,  was  über  Bestand  pflege  gesagt  ist.  Wenn  hier- 
zulande die  Forstwirtschaft  im  Gegensatz  zu  anderen  deutschen 
"Waldgauen  auch  im  XVII.  Jahrh.  keine  sichtbaren  Forlschritte 
machte,  so  erscheint  dies  von  vorneherein  glaubhaft,  denn 
kaum  ein  Landesteil  wurde  durch  die  langjährigen  Kriegsläufte 
so  hart  mitgenommen  als  das  Elsass. 

Vergessen  wir  auch  nicht,  dass  die  herrschaftlichen  Ver- 
waltungen, namentlich  die  Rappoltsteinische,  von  jeher  dem 
"Weinbau  und  im  Markircher  Thale  dem  Bergbau  als  einträg- 
licheren Gelderwerbsquellen  ein  regeres  Interesse  zuzuwenden 
Veranlassung  hatten,  als  dem  damals  minder  ergiebigen  Waldbau. 

Trotz  der  vom  Intendanten  des  Elsass  energisch  versuchten 
Durchführung  der  waldpfleglichen  franz.  1669er  Ordonanz  war 
daher  der  Waldzustand  im  XVIII.  Jahrh.  ein  höchst  unordent- 
licher. In  den  meisten  uns  erhaltenen  Waldbesichtigungspro- 
tokollen wird  über  schreckenerregenden  Unfug  der  Holz-  und 


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Weidefrevel  geklagt,  denen  gewissenlose  Forstbeamte  oft  noch 
Vorschub  geleistet  zu  haben  scheinen.  Waldbrände  waren  in- 
folge Unvorsichtigkeit  der  Hirten,  ja  wegen  absichtlicher  Er- 
zeugung von  Weideflachen  an  der  Tagesordnung. 

Am  traurigsten  lauten  die  betreffenden  Nachrichten  aus 
der  Herrschaft  Reichenweier,  deren  Waldungen  während  des 
von  1723-1748  bezw.  1759  andauernden  Sequesters  arg  heim- 
gesucht wurden  ;  insbesondere  erlaubten  sich  auch  die  Einge- 
forsteten, wie  schon  angedeutet,  zahlreiche  Grenzüberschrei- 
tungen und  Landaneignungen. 

Nicht  viel  erfreulicher  sind  die  Schilderungen  der  Rappolt- 
steinischen  Waldbesichtigungsprotokolle.  (Rapp.  Stadt -Arch. 
DD  1,2).  Bei  der  im  vorstehenden  gerügten  Sorglosigkeit  war  an 
eine  zielbewusste  Ausbildung  forstlicher  Betriebsarten  nicht  zu 
denken.  Diese  ergaben  sich  vielmehr  als  Resultat  der  Wald- 
ausnutzung. 

Als  einer  seit  Jahrhunderten  verbreiteten  Wirtschaftsform 
haben  wir  zunächst  des  Eichenniederwaldes  zu  gedenken.  Die 
Eiche  hat  in  unserm  Waldgebiet  ehedem  eine  weit  grössere 
Flächenverbreilung  gehabt.  Das  im  II.  Kapitel  erwähnte  Zeu- 
genverhör im  Grenzstreit  mit  Bergheim  aus  dem  XIV.  Jahrb. 
bekundet,  dass  in  der  Nähe  der  Eberlinsmatt  oberhalb  der 
Vorderen  Glashütte,  also  auf  etwa  750  m  Meereshöhe  wieder- 
holt Eicheln  sackweise  aufgelesen  worden  sind ;  in  späteren 
Jahrhunderten  wird  ihr  häufiges  Auftreten  da  beschrieben,  wo 
sie  jetzt  der  Tanne  gänzlich  Platz  gemacht  hat.  Noch  die  1779er 
Waldbesichtigung  der  Rappoltsteinischen  Forsten,  ausschliess- 
lich der  Glashütten  Waldungen,  ergab  fast  zu  gleichen  Teilen 
Eichenniederwald  mit  vereinzeltem  Ueberhalt  älterer  Stämme 
und  Tannenhochwald,  ein  Verhältnis,  das  sich  im  Laufe  der 
darauffolgenden  Jahrzehnte  zu  Gunsten  der  Tanne  weiter  ver- 
schoben hat. 

Als  fruchttragender  Baum  erfreute  sich  die  Eiche  von  allers 
her  grosser  Beliebtheit ;  auch  ihren  hohen  Nutzwert  schätzte 
man  frühzeitig.  Sie  wurde  daher,  wie  schon  berichtet,  in  den 
Forst  Ordnungen  unter  besonderen  Schutz  gestellt  und  ihre  Nach- 
zucht obrigkeitlich  angeordnet. 

In  unserem  Waldgebiete  haben  daher  spätestens  im 
XVI.  Jahrh.  Eichel-Saaten  und  Heisterpflanzungen  stattge- 
funden. 


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Die  nutzbaren  Eichenstämme  wurden  von  jeher  geschont; 
in  den  Ansiedelungsverträgen  verbaten  sich  meist  die  Herr- 
schaften seitens  der  Hintersassen  den  Einschlag  von  Eichen, 
auch  den  von  Kiefern. 

Infolgedessen  wuchsen  auf  gunstigen  Standorten  ansehn- 
liche Starkhölzer  heran,  Stämme,  wie  sie  ganz  vereinzelt  noch 
jüngst  der  Axt  anheimgefallen  sind. 

In  den  meist  flachgründigen,  auf  Granit  stockenden  Vor- 
bergen hat  sich  die  Eiche  am  längsten,  teilweise  bis  heute 
noch  im  reinen  Stande  erhalten  und  ist  .hier  schon  seit  Jahr- 
hunderten in  kurzen  bis  50jährigen  Umtrieben  mit  Ueberhalt 
von  35—50  Lassreideln  pro  ha  bewirtschaftet  worden.  Das 
1779er  Waldbesichtigungsprotokoll  beklagt,  dass  seither  eine 
regelmässige  Schlagfolge  nicht  innegehalten  worden  sei.  Trotz- 
dem man  1756  unter  Zugrundelegung  einer  40jährigen  Ura- 
triebszeit  eine  Schlagnutzungstabelle  mit  einer  jährlichen  Hiebs- 
fläche von  ca.  20  ha  aufgestellt  habe,  seien  durchschnittlich 
jährlich  knapp  9  ha,  also  nicht  einmal  die  Hälfte  der  normalen 
Fläche  gehauen  worden.  Es  wird  festgestellt,  dass  das  Wachs- 
tum der  Eiche  mit  Ausnahme  in  den  tiefgründigen  Mulden 
ein  mittelmässiges  sei  und  im  40.  Jahre  mit  eintretender 
Gipfeldürre  bedenklich  nachlasse.  Die  bösen  Buben  würden 
solche  Eichenstangen  erklettern  und  die  dürren  Aeste  abhauen. 
Der  Lassreidelüberhalt  wird  als  unzweckmässig  bezeichnet,  da 
ihr  Wuchs  nur  in  den  Mulden  befriedige  und  durch  Schnee- 
bruch und  Wind  beeinträchtigt  würde.  Häufig  fielen  die  Eichen- 
stangen wegen  zu  schlanken  Wuchses  um.  Der  Bestand esschluss 
war  fast  durchweg  ein  so  unvollkommener,  dass  an  vielen 
Stellen  Weichhölzer,  wie  Aspe,  Salweide,  Birke  anflogen  und 
schliesslich  zum  Nachteil  der  Eiche  vorherrschend  wurden. 
Dem  Weichholzaushieb  wird  daher  öfters  das  Wort  geredet, 
indes  empfohlen,  diese  Massregel  nicht  zur  Unzeit  vorzunehmen, 
ehe  die  jungen  Eichen  für  den  Freistand  genügend  erstarkt 
sind,  auch  .ehe  jene  verwertbares  Brennholz  liefern  ;  in  ent- 
legenen Waldungen  sei  zu  warten,  bis  die  Weichhölzer 
Scheitholz  liefern.  Zur  Ausfüllung  der  Lücken  wird  Eichelsaat, 
auf  gründigen  Stellen  Kastanien pflanzung  angeraten.  Sogar 
Mengsaaten*  von  Eicheln  oder  Buchein  mit  Tannensamen 
werden  empfohlen  mit  der  Begründung,  dass  die  Tanne  das 
Laubholz  schützen  werde.    Die  Eichenschläge  ergaben  je  nach 


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dem  Nutzungsalter  Reisig,  Knüppelholz,  schliesslich  auch  Nutz- 
stämme, namentlich  Steckholz. 

Ueber  die  Massenerträge  jener,  auch  über  Eicbenholzpreise 
enthält  das  Schlusskapitel  einige  Angaben.  Der  Lohrindenutz- 
ung ward  bereits  im  vorigen  Kapitel  gedacht. 

Die  Kastanie,  welche  wie  oben  erwähnt  im  Walde  von 
Ammersch weier  bereits  um  die  Mitte  des  XVI.  Jahrh.  vorkam, 
und  über  welche  im  Reichen  weierer  roten  Buch  in  ebendem- 
selben ein  Zusatz  betreffs  der  auf  ihre  Entwendung  gesetzten 
Einung  gemacht  worden  ist,  ist  im  Gemeindewald  Reichen- 
weier schon  zu  Anfang  des  XVII.  Jahrh.  niederwaldartig  be- 
wirtschaftet worden.  Der  1633er  Rottenzettel  (Reichenw.  Stadt- 
Arch.  DD  2)  besagt  über  die  Schlagpflege  im  ausgegebenen  Wald- 
teil :  «Die  Erdküm  (Tannen)  und  Birkholz  daraus  zu  hauen,  die 
Käslebäum  zur  besseren  Uflwachsuug  darinnen  stehen  lassen  ». 
In  späteren  Rottenzetteln  wird  Ueberhalt  von  solchen  angeordnet. 

In  den  Rappoltsteinischen  Waldungen,  in  denen  zuerst 
1688  die,  «der  Herrschaft  eigentümlichen  Kestenwäldl»  in  der 
Allmend  (Colmar  B.  A.  E.  No.  1708»  erwähnt  werden,  ent- 
brannte bald  nach  der  Mitte  des  vorigen  Jahrh.  eine  wahre 
Kaslanienmanie.  In  9  Baumschulen  wurden  massenhaft  Pflanzen 
gezogen,  welche  zum  Preise  von  30  frcs  das  1000  auch  an 
Private  abgegeben  wurden  und  somit  zur  Aufforstung  von  zahl- 
reichen  kleinen  Kastanienhorsten  in  den  Vorbergen  dienten. 

Die  Kastanien  im  sog.  Hohlweg  zwischen  dem  Hohrappolt- 
stein  und  dem  hinteren  Lützelbachthale,  6,64  ha  sind  1769  an- 
gepflanzt worden  (Colmar  B.  A.  E.  No.  684),  1773  sogar  1  ha 
am  Tännchel  auf  fast  900  m  Meereshöhe.  Diese  von  wenig 
Verständnis  von  der  Eigenart  der  Kastanie  zeugende  Kultur  ist 
selbstverständlich  bis  auf  kümmerliche  Reste  verschwunden. 
Die  Kastanien  im  Druckenthal  oberhalb  Dusenbach  und  die  im 
Kalbsrain  beim  Acker  sind  zur  selben  Zeit  entstanden,  auch 
wohl  die  oberhalb  Bilsteinthal.  Eine  damals  in  den  Akten  der 
Forstkammer  niedergeschriebene  Anweisung  zur  Kaslanienzucht 
lehrt  bereils  ganz  richtig  die  Wichtigkeit  intensiver  Bodenbe- 
arbeitung in  den  jungen  Schlägen  durch  Hacken,  sowie  die 
Notwendigkeit  des  Autschneideins  zur  Erzeugung  langschäf- 
tiger  Stangen  und  kennt  auch  die  Fortpflanzung  der  Kastanie 
durch  seitliche  Bodensenker.  Der  in  dieser  Anweisung  erteilte 
Rat,  die  zarte  Kastanie  nicht  in  kalten  Lagen  und  auf  zu 


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trockenen  Böden  anzupflanzen,  war  sehr  zeitgernäss.  1788  er- 
froren die  Kastanien  laut  mehrfachen  Nachrichten  fast  sämt- 
lich; das  mag  der  erste  Denkzettel  gewesen  sein.  (Reichenw. 
Stadt-Arch.  DD  2).  Auch  über  die  früheren  Kastanienerträge 
enthält  das  Schlusskapitel  einige  Angaben. 

In  den  höheren  Gebirgswaldungen  ist  die  Tanne  im  Laufe 
der  letzten  Jahrh.  zur  bestandsbildenden  Hauptholzart  geworden  ; 
sie  hat,  wie  wir  gesehen,  der  Eiche  mehr  und  mehr  Terrain 
abgewonnen.  Auf  frischem,  einigermassen  kräftigem  Standort  hat 
sich  zwischen  der  Tanne  die  Buche  behauptet  und  zwar  vor 
allem  im  Forstort  Schwarzenberg.  Auf  trockenem  Boden  streitet 
sich  schon  seit  langer  Zeit  die  Tanne  mit  der  genügsameren 
Kiefer,  welche  in  manchen  Lagen  und  zwar  bis  zu  900  m 
Meereshöhe  die  Oberhand  bekommen  hat.  Dies  ist  namentlich 
der  Fall  auf  den  südlichen  Expositionen  der  Forstorte  Tännchel 
und  Schölmenkopf,  Isenrain,  Müsberg  und  des  Hanges  unter- 
halb der  Altweirer  Schluck,  sodann  im  Kalblin  und  oberhalb 
Ursprung  bis  zur  Seelburghöhe.  Allerdings  ist  sie  in  solchen 
Lagen  zweifelsohne  schon  seit  100  Jahren  durch  Saaten  künst- 
lich eingebracht  worden.  Unter  der  Kiefer  ist  die  leichtbeflügelte 
Tanne  fast  überall  angellogen  und  hat  einen  wohlthätigen  Un- 
terstand erzeugt. 

Die  Fichte  kannte  man  hier  vor  100  Jahren  noch  gar  nicht. 
Alle  andern  Holzarten  haben  im  Hochwaldbetriebe  keine  wesent- 
liche Rolle  gespielt,  es  sei  denn,  dass  sich  die  rasch  anfliegen- 
den Weichhölzer  auf  Brandstellen  und  sonstigen  Bestand lücken 
vorübergehend  breit  machten. 

In  den  Tannenhochwald ungen  hat  man  erst  seit  Mitte  des 
vorigen  Jahrh.  die  Notwendigkeit  planmässiger  Verjüngungs- 
schläge erkannt  und  hierüber  nachgedacht.  Bis  dahin  waren 
Schonung  vor  Axt  und  Vieh  die  einzigen  negativen  Wohlthaten, 
die  man  ihr  angedeihen  Hess.  Eine  Instruction  an  den  Forstmeister 
von  Reichenweier  vom  Jahre  1768  (Colmar  B.  A.  E.  No.  186)  ver- 
bietet demselben  die  weitere  Führung  von  Kahlschlagen  und 
schreibt  vor,  dass  die  Tannenbeslände  durchhauen  werden  sollen 
«en  jardinant  de  cantons  en  cantons,  en  commencant  par  les  plus 
äges  en  evitant  au  possible  que  les  jeunes  revenues  ne  soient 
endommagees  par  la  chute  des  arbres».  Damit  ist  der  soge- 
nannte Femelschlagbetrieb  angedeutet.  Ein  Rappoltsteinisches 
Waldbesichtigungsprotokoll  vom  1779  ordnet  an,    dass  Eiche 


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und  Buche  zwischen  den  Tannenjungwüchsen  geschont  und 
künstlich  durch  Saat  eingebracht  werden  sollen.  Ueber  die 
Tannenverjüngung  selbst  besagt  jenes,  dass  diese  recht  leicht 
sei,  wenn  in  den  haubaren  Beständen  bereits  Anflughorste  vor- 
handen seien  ;  (allerdings  !)  man  brauche  dann  nur  die]  vielen 
abgängigen  Tannen  und  zwar  jedesmal  1|3  sämtlicher  Stämme 
herauszunehmen.  Noch  nicht  vorverjüngte  Altbestände  habe  man 
in  letzter  Zeit  «par  bandes»  exploitiert,  d.  h.  man  hat  Kulissen- 
schläge mit  Seitenbeschattung  gestellt.  Diese  Verjüngungs- 
methode ist  damals  auch  in  andern  Waldgebieten  Deutschlands 
angeordnet  worden.  In  den  hiesigen  Waldungen  ist  man  indes 
von  solchen  Schlägen  der  erheblichen  Sturmschäden  wegen  bald 
wieder  abgekommen.  Man  hat  vielmehr  über  die  ganze  Fläche 
sich  erstreckende  Nachlichtungen  mit  anfanglich  5—10  Schritt 
Stammabstand  der  verbleibenden  Samenbäume  vorgezogen  ;  jene 
sollten  alle  fünf  Jahre  wiederholt  werden  unter  Bezug  von  je- 
weils 1/3  der  Stämme.  Es  ist  auch  künstliche  Ergänzung 
durch  Tannensaat  versucht  worden,  indes  besagt  das  1779er 
Protokoll  von  dieser  «un  semis  tres-couteux  et  tres-incertain.  .  . 
on  risque  de  se  voir  contraint  ä  repeter  plusieurs  fois  la  meine 
Operation  et  ä  faire  piocher  (hacken)  le  terrain  autant  de  fois 
que  Ton  y  seme,  le  sol  etant  endurcis.»  Man  hat  also  schon  vor 
über  100  Jahren  die  Schwierigkeiten  solcher  Saaten  auf  un- 
zersetzfem  Boden  gekannt.  Trotzdem  finden  wir  Lückenaus- 
pflanzungen nirgends  vorgeschrieben,  auch  nicht  die  Heran- 
zucht von  Tannenpflanzen  in  Kämpen.  Man  hat  eben  in  den 
einzelnen  Forstorten  solange  zugewartet,  bis  sich  schiesslich  die 
Naturbesamung  doch  leidlich  schloss.  Freilich  war  die  Folge 
davon,  dass  höchst  ungleichwüchsige  und  ungleichalte  Ver- 
jüngungen mit  sperrigen  Vorwuchsgruppen  entstanden. 

Ueber  die  Wahl  der  Umtriebszeit  im  Tannen  hoch  wald  sind 
uns  genaue  Bestimmungen  nicht  übe. kommen  ;  wenn  es  im 
vorgenannten  Protokoll  heisst,  dass  die  Tannendickungen  inner- 
halb 50  Jahren  genutzt  werden  sollen,  so  lässt  dies  bei  der 
früheren  sehr  langsamen  Verjüngung  auf  eine  etwa  100  jährige 
Umtriebszeit  schliessen.  Jedoch  ist  das  thatsächliche  Abtriebs  - 
alter  wahrscheinlich  ein  höheres  gewesen. 

Das  178i  er  Rappoltsteinische  Besichtigungsprotokoll  (Rapp. 
Stadt-Arch.  DD.  2)  wiederholt  die  vorstehenden  Bestimmungen 
fast  wörtlich.  Nicht  uninteressant  ist  die  Bemerkung,  über  die 


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Tannenwirtschaft,  herrsche  unter  den  Forstleuten  «une  di- 
versite  d'avis  qui  devrait  jeter  dans  l'incertitude  tout  homme 
dont  le  sentiment  n'est  fixe  par  la  longueur  d'une  experience 
reftechie.»  Es  scheinen  also  schon  damals  die  Meinungsäusse- 
rungen über  dieses  noch  heutzutage  nicht  abgeschlossene 
Thema  heftig  aneinandergeplatzt  zu  sein.  Die  Samenschlagsie! - 
lung  wird  1784  von  neuem  empfohlen,  und  zwar  dürfe  diese 
nicht  dunkel  sein.  Bei  Nachlichtungen  sollen  zuvörderst  ab- 
gängige und  mit  dem  Krebs  behaftete  Stämme  genutzt  werden. 

Ueber  den  Durch forstungsbet rieb  finden  wir  keine  bestimmten 
Vorschriften.  Wenn  es  in  den  Anweisungen  an  die  Forstbeamten 
zuweilen  heisst,  man  solle  im  Schwarzenberg  oder  sonst  wo  einige 
Hundert  Stück  Bauholz  hauen,  ehe  das  Holz  absteht,  so  deutet 
dies  wohl  auf  massig  eingreifende  Durchforstungen  hin,  welche 
nur  das  der  Unterdrückung  anheimfallende  Material  nutzten. 

Wir  wollen  schliesslich  eines  eigenartigen  Waldbildes  Er- 
wähnung thun,  dessen  einzelne  Entwickelungsstufen  an  manchen 
Orten  noch  heute  vorhanden  sind,  nämlich  der  räumlich  mit 
Kiefern  und  Tannen  bestandenen,  haidewüchsigen  Weidttächen. 
Solche  waren  im  vorigen  Jahrhundert  auch  in  den  mittleren 
Gebirgslagen  sehr  umfangreich.  Verschiedene  Waldbeschrei- 
bungen und  die  bald  nach  1760  auf  königlichen  Befehl  aufge- 
nommenen Gemarkungskarten  legen  Beweis  davon  ab,  dass 
u.  a.  damals  nur  ganz  unvollkommen  bestockt  waren :  die 
Forstorte  Kalblin  und  Müsberg  unterhalb  Altweier,  die  Ebene 
auf  der  Seelburg,  die  Hänge  Schluck  und  Holy  nördlich  Alt- 
weier, der  grösste  Teil  der  südwestlichen,  südlichen  und  südöst- 
lichen Abhänge  des  Tännchels  und  Schul menkopfs,  auch  der 
Nordostabhang  des  ersteren,  der  jetzige  Gemeindewald  Thannen- 
kirch. Auf  all  diesen  Flächen  sind  nach  Einschränkung  der 
Waldweide  den  anfänglich  vereinzelten  Vorposten  auf  dem 
Wege  der  Nalurbesamung  Trupps  von  jungen  Tannen  und 
Kiefern  nachgefolgt,  bis  sich  allmählich  lockerer  Bestandschluss 
herstellte.  Kiefernsaaten  mögen  später  hier  da  nach  geholfen 
haben  ;  vornehmlich  aber  hat  die  schattenertragende  Tanne  auch 
die  kleineren  Lücken  auszufüllen  vermocht.  Auf  diese  Weise 
sind  in  den  genannten  Forstorten  noch  leidlich  geschlossene 
Bestände  erwachsen,  deren  Vorgeschichte  indes  das  kundige 
Auge  des  Forstmannes  unschwer  errät. 


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—   57  — 


KAPITEL  VIII. 

Jagdwesen. 

Seit  dem  XVI.  Jahrhundert  entwickelte  sich  in  ganz  Deutsch- 
land das  ursprunglich  dem  Landesherrn  in  den  Bannforsten 
zustehende  Jagdrecht  zu  einem  Regal.  Jene  suchten  die  ihnen 
für  diese  Forsten  verliehenen  Rechte  über  die  angrenzenden 
Waldungen  und  schliesslich  über  das  ganze  Land  auszudehnen. 
Dieses  Streben  wurde  durch  die  Entwicklung  der  Landeshoheit 
im  allgemeinen  begünstigt  und  seitens  der  im  Solde  der  Grossen 
stehenden  Juristen  der  römisch-rechtlichen  Schule  mittels  allerlei 
Spitzfindigkeiten  gerecht fert igt. 

Nach  den  Forschungen  von  Schwappach  (vergl.  dessen 
Grundriss  Seite  94)  fasste  man  im  XVIII.  Jahrhundert  das 
Jagdregal  auf  als  das  Recht,  den  Fang  aller  in  den  Wäldern 
und  sonst  im  Lande  vorkommenden  wilden  Tiere  zu  leiten, 
die  Gerichtsbarkeit  in  allen  diesbezüglichen  Angelegenheiten 
auszuüben,  sowie  die  Jagd  überall  da  zum  eigenen  Nutzen 
auszuüben,  wo  nicht  Privatpersonen  Jagdgerechtsame  durch 
landesherrliche  oder  kaiserliche  Beleihung  oder  infolge  uralten 
Herkommens  zustehen.  Das  Regal  schloss  daher  in  sich :  1.  das 
Hoheitsrecht  des  Wildbannes  (jus  banni  ferini),  vermöge  dessen 
der  Regent  alles  das  zu  besorgen  hatte,  was  das  Wohl  des 
Staates  in  Ansehung  der  wilden  Tiere  und  Jagden  erforderte ; 
2.  das  Jagdrecht  (jus  venandi),  also  das  Recht,  selbst  zu  jagen 
einschliesslich  des  Rechts  auf  Jagddienstleistungen  seitens  des 
Unterthanen. 

Abgesehen  von  dem  Wildbann  in  ihren  eigenen  Lehnsgütern 
und  Besitzungen,  hatten  die  Herrn  von  Rappoltstein  bereits  1481 
von  Kaiser  Friedrich  III.  das  Jagdrecht  im  ganzen  Elsass  von 
Hagenau  bis  zum  Hauenstein  verliehen  erhalten.  (Colmar  B.  A. 
Liasse  E  No.  678.)  Sie  übten  in  ihren  eigenen  Gebieten  die 
Jagd  meist  selbst  aus,  traten  diese  zuweilen  in  entlegenen 
Waldungen  an  ihre  Lehnsleute  ab.  So  besagt  ein  Regest  aus 
dem  Jahre  1343 :  (Albrecht  Urkundenb.  I  417.) 

c Heinrich  von  Rappoltstein,  herr  zu  Holfenackh  belehnt 
Joann  Pfaffen  von  Rappoltzwilre  ein  edelknecht  zu  niessen  die 
wildtbenn,  zu  vischen,  hagen  und  jagen  in  der  herrschaft 
Hohenackh.» 


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—   58  — 


Ebenso  haben  die  Herrn  von  Horburg-Reichenweier  das 
Jagdregal  ausgeübt  und  sich  jedwede  Jagdausübung  durch 
andere  streng  verboten  «es  sey  denn  dass  ein  Adelsperson  im 
Durchreiten  strack  ungefähr  einen  Hasen  rnöcht  antreffen  und 
hetzen  würde,  dass  ihm  solches  unabgestrilten  sein  soll,  doch 
dass  er  auf  einmal  oder  in  einem  Durchzug  nicht  mehr  als 
einen  Hasen  zu  hetzen». 

Hüben  und  drüben  war  die  Waldwirtschaft  in  hohem 
Masse  von  jagdlichen  Rücksichten  abhangig.  Daher  auch  die 
schweren  Strafen  auf  Beschädigung  fruchttragender  Bäume  und 
das  Auflesen  von  Eicheln  und  Kastanien,  daher  die  Beschränk- 
ungen bei  Benutzung  der  Eichelmast,  daher  das  Bannen  und 
Hegen  ganzer  Forstorte,  um  das  Wild  nicht  zu  beunruhigen, 
und  dies  namentlich  zur  Zeit  der  Hirschbninft  und  Schweins- 
halz.  Streng  waren  alle  übrigen  jagdpolizeilichen  Bestimmungen 
und  dabei  so  dehnbar,  dass  die  Beslrafung  in  das  Belieben  der 
von  der  Herrschaft  abhängigen  Richter  gestellt  war.  So  wurden 
1763  vier  Roderner,  welche  im  Lützelbach  einen  Reh  bock  und 
eine  Geis  gewildert  hatten,  zu  1000  francs  Schadenersatz  und 
Strafe  verurteilt.  Bei  Rückfällen  behielten  sich  die  Herren  be- 
sondere Verschärfung  vor. 

An  einzelnen  Verboten  der  Reichen weirer  F.O.  1581/96 
seien  z.  B.  erwähnt,  dass  «Keiner  keine  geladenen  Büchsen 
ausserhalb  der  gemeinen  Landstrass  tragen»  dürfe  bei  Verlust 
derselben  und  10  Pfund  Strafe ;  dass  sich  niemand  unterstehen 
solle,  Vogelnester,  z.  B.  von  Fasan,  Reiher,  Auerwild  und 
dergl.  zu  zerstoeren  oder  solche  Vögel  zu  fangen  oder  zu 
schiessen  bei  5 — 10  Pfund  Strafe;  dass  gefundenes  Wildpret, 
auch  Fuchs-,  Marder-,  Luchs  und  Wolfsbälge  abzuliefern  seien. 
Den  Bauernrüden  mussten  in  der  Jagdhegezeit  Knüppel  ange- 
hängt werden  ;  Holzfuhrleute  durften  keine  Hunde  in  den  Wald 
mitnehmen. 

Es  wurde  den  beiderseitigen  herrschaftlichen  Beamten  ge- 
stattet, sogar  befohlen,  wildernde  Hunde  und  Katzen  zu  vertilgen; 
sie  bekamen  hierfür  Schussprämien.  Als  einst  ein  Rappoltsteini- 
scher  Förster  den  Hund  eines  Herrn  von  Truchsess  im  Walde  er- 
schoss  und  dieser  sich  bei  der  Forstkainmer  beschwerte,  erwiderte 
der  Beamte  lediglich,  wenn  er  gewusst  hätte,  dass  der  Hund 
dem  Herrn  von  Truchsess  gehörte,  würde  er  ihn  haben  laufen 
lassen.  (Colmar  B.  A.  E  No.  981.) 


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—   59  — 

Trotz  aller  jagdpoüzeilichen  Verbote  und  strengen  Aufsicht 
scheint  doch  die  Wilddieberei  zu  allen  Zeiten  betrieben  worden 
zu  sein.  Die  Reichenweirer  F.O.  1581 J96  spricht  mit  Entrüstung 
von  den  < Wildpretschützen,  Hasenläufern  und  argwöhnischen 
Personen».  Namentlich  verlautet  von  mannichfachen  Wildfreveln 
der  Glaser,  Köhler  und  Melker,  obgleich  gerade  diesen  Personen 
das  Jagen  und  Fischen  in  allen  Pachtverträgen  bei  hoher  Strafe 
untersagt  wurde.  Die  Gelegenheit  machte  Diebe  ! 

Seitdem  französische  Truppen  im  Elsass  in  Garnison  lagen, 
hörte  man  häufig  von  Jagdvergehen  der  Offiziere  und  Soldaten, 
sodass  die  Fürsten  ihre  Jagdgebiete  unter  königlichen  Schutz 
stellen  liessen  und  Jagdverbote  des  Generallieutenants  der  fran- 
zösischen Armeen  erwirkten.  (Reichenw.  St.  A.  DD.) 

Die  den  Landleuten  auferlegten  Jagddienste  erwiesen  sich 
auch  in  hiesiger  Gegend  manchmal  als  drückend;  jene  mussten 
das  umfangreiche  Jagdzeug  an-  und  abfahren,  die  herrschaftlichen 
Hunde  füttern  und  führen,  zu  den  Hauptjagdzeilen  bei  Wind 
und  Wetter,  auch  während  dringender  Feldarbeiten  Treiber- 
dienste leisten,  Wild  heimfahren  und  wer  weiss  was  sonst 
alles  verrichten.  Immerhin  scheinen  die  Unterthanen  unserer 
beiden  Herrschaften  nicht  in  so  hohem  Masse  zu  Jagdzwecken 
missbraucht  worden  zu  sein,  als  anderswo.  In  der  Bestallungs- 
urkunde für  den  Oberjägermeister  von  Heringen  vom  Jahre  101)9 
wird  z.  B.  ausdrücklich  verboten,  die  Treiber  zu  schimpfen 
und  zu  schlagen ;  freilich  kann  man  sagen,  dass  dieses  Verbot 
nicht  erlassen  worden  wäre,  wenn  die  Notwendigkeit  nicht 
vorgelegen  hätte. 

Ueber  die  Verbreitung  der  Wildarten  in  den  vorigen  Jahr- 
hunderten finden  wir  ausser  in  den  die  hiesigen  Waldungen 
betreffenden  Urkunden  in  «Ch.  Gerard.  Essai  d'une  faune 
historique  de  PAlsace»  Paris  1871  verschiedene  Anhaltspunkte. 
Gerard  nimmt  Bezug  auf  die  im  Colmar  B.  A.  in  Liassc  E 
No.  1504  enthaltenen  Goutumes  et  Statuts  du  val  d'Orbey  aus 
dem  Jahre  15(34.  In  Art.  '22  derselben  gestatten  die  Herren  von 
Rappoltstein-Hohenack  ihren  Unterthanen  die  Jagd  auf  Luchse 
und  Bären  unter  der  Bedingung  der  Ablieferung  der  Luchs- 
bälge und  Bärenklauen ;  immerhin  scheinen  diese  Raubtiere 
schon  damals  selten  gewesen  zu  sein.  Ob  und  event.  bis  wann 
bei  Bärenhütte  auf  dieses  letztere  Raubtier  gejagt  worden 
ist,  hat  der  Verfasser  nicht  feststellen  können.  Der  letzte  Luchs 


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—   60  — 

wurde  im  Elsass  nach  Gerard  1640  in  der  Gegend  zwischen 
Mülhausen  und  Mömpelgart,  der  letzte  Bär  um  die  Mitte  des 
vorigen  Jahrhunderts  im  Münsterthale  erlegt,  vorher  zwei  andere 
1675  und  1695  im  Hohwald  bei  Barr.  In  den  Kaufhausrech- 
nungen der  Stadt  Colmar  vom  Jahre  1514  ist  von  einer  Jagd- 
kostenrechnung die  Rede,  worin  es  heisst  «als  man  die  Woelff 
und  Behre  in  Neuland  gefangen  hat.»  Gerard  berichtet  noch 
von  einer  Bärenjagd  bei  Thann  im  Jahre  1621.  Die  Wölfe  sind 
im  Oberelsass  in  den  früheren  Jahrhunderten  sehr  zahlreich 
gewesen ;  nach  Gerards  Angaben  hat  Graf  Ludwig  Friedrich 
von  Württemberg  in  der  Zeit  von  1617—1624  eigenhändig  108 
Stück  zur  Strecke  gebracht,  und  während  des  kalten  Winters 
1664/65  sollen  in  den  Vogesen  315  Wölfe  erlegt  worden  sein. 
Noch  zu  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  machten  ganze  Rudel 
die  Gegend  zwischen  Colmar   und  Gebweiler  unsicher  und 
zerrissen  ab  und  zu  auch  einsame  Wanderer.    In  den  Jahren 
1698 — 1718  wurden  in  der  Gegend  von  Rappoltsweiler  (Colmar 
B.  A.  E  No.  674)  28  Stück  der  Garaus  gemacht.  Die  Reichen  - 
weirer  F.O.  1581/96  spricht  von  der  Ablieferung  der  Wolf- und 
Luchsbälge,  und  1699  noch  bedingt  sich  Pfalzgraf  Christian  bei 
der  Anstellung  des  schon  genannten  Oberjägermeisters  von 
Heringen  das  Pelzwerk  von  Bären,  Bibern  (diese  kamen  bis 
zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  auf  den  Rheininseln  vor),  Ottern, 
Mardern  zur  Hälfte  aus.   Beiläufig  sei  bemerkt,  dass  derselbe 
Graf  Friedrich,  welcher  die  vorgenannte  Reichenweirer  F.O. 
zuerst  im  September  1581  erlassen,  zwei  Monate  darauf  bei 
Mömpelgart   von   einer   wütenden,  ihre  Jungen  nährenden 
Bärin  angefallen  wurde  und  mit  Not  dem  Tode  entrann,  indem 
er  sie  noch  rechtzeitig  niederstreckte.    Wildkatzen  und  Sauen 
sind  seit  undenklicher  Zeit  in  dem  Oberelsass  heimisch  gewesen. 
Nach  Gerard  sind  1627   im  Hartwalde  bei   einer  Jagd  600 
Stück  Schwarzwild  erlegt  worden.  Die  uns  angehenden  Urkunden 
erwähnen,  dass  am  Tännchel  häufig  erfolgreich  auf  Sauen  gejagt 
worden  ist.    Das  Rotwild  ist  in  den  vorigen  Jahrhunderten 
hier  zahlreicher  gewesen  als  jetzt;  Gerard  behauptet  wohl  mit 
Recht,  dass  diesem  edlem,  Waldesruhe  verlangenden  Wilde 
in  unsicheren  Zeiten,  zuletzt  namentlich  während  der  französ. 
Revolution  durch  Wilderer  stark  nachgestellt  worden  ist,  sodass 
es  1870  in  den  Vogesen  fast  verschwunden  war.    Auch  dem 
Rehwild  und   den  Hasen  ist  in  solchen  Zeiten  allgemeiner 


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-   61  — 


Willkör  sehr  Abbruch  gelhan  worden.   Das  Damwild  soll  im 

XVI.  Jahrhundert  im  Elsass  vertreten  gewesen  und  dann  ein- 
gegangen sein ;  in  den  beiden  letzten  Jahrhunderten  haben 
wiederholte  Versuche  künstlicher  Wiedereinführung  Erfolg 
gehabt.  Auer-  und  Hasel  wild,  auch  Fasanen  werden  bereits  in 
der  1581er  Reichenweirer  F.O.  erwähnt.  Wenn  Gerard  in  seiner 
Fauna  weiter  berichtet,  dass  einstmals  in  den  Vogesen  Renn- 
tiere,  Gemsen,  wilde  Pferde,  Elche,  Steinböcke,  Auerochsen 
vorgekommen  sind,  so  beziehen  sich  wol  seine  Vermutungen 
auf  das  vorige  Jahrtausend. 

Für  die  Gestaltung  des  Jagdbetriebes  was  die  Verbesserung 
der  Schussgewehre  seit  Ende  des  Mittelalters  von  grossem  Ein- 
fluss  ;  allgemein  wurde  der  Gebrauch  solcher  indes  erst  nach 
Erfindung  des  Feuersteinschlosses  im  Jahre  1630.  Vorher  war 
die  Fangjagd  die  am  meisten  ausgeübte  Methode.  Hierbei  be- 
diente man  sich  in  älterer  Zeit  auch  in  hiesiger  Gegend  der 
sog.  Hage  oder  Haye  ;  man  legte  an  geeigneten  Stellen  blei- 
bende Hecken  oder  Holzzaune  an,  welche  in  gewissen  Abstän- 
den OefTnungen  hatten.  Durch  diese  nahm  das  von  den  Hunden 
gehetzte  Wild  seinen  Lauf  und  wurde  hierbei  in  Schlingen 
oder  Netzen  gefangen,  auch  von  dort  aufgestellten  Jägern  nie- 
dergestreckt. Art.  26  der  Reichenweirer  F.O.  1581/96  besagt, 
dass  zu  beiden  Seiten  der  Haye  auf  15  Schritt  Breite  kein 
Holz  gehauen  werden  darf,  und  dass  die  Thüren  von  Astwerk 
zu  fertigen  sind.  Die  Forstbeamten  sollen  streng  darauf  sehen, 
«dass  die  Hay  nit  zerrissen,  hinweggefüret  oder  vertragen  wer- 
den». Später  traten  an  Stelle  dieser  Haye  künstliche  Wände 
von  Tüchern,  Netzen,  Seilen.  Hieraus  haben  sich  die  noch 
heutezutage  betriebenen  eingestellten  Jagen  entwickelt.  In  den 
Rappoltsteinischen     Verzeichnissen   werden   zu    Anfang  des 

XVII.  Jahrh.  über  700  Stück  verschiedene  Jagdzeuge  an  Gar- 
nen und  Seilen  aufgeführt,  deren  gute  Aufbewahrung  und  Un- 
terhaltung eine  wichtige  Obliegenheit  der  J..gdbeamten  war. 
Das  gefangene  oder  gestellte  Wild  wurde  ehedem  mit  Schweins- 
federn, Hirschlanzen,  Hirschfängern  erlegt. 

Zum  Gebrauch  bei  den  Jagden  dienten  zahlreiche  Hunde, 
welche  nicht  allein  von  den  herrschaftlichen  Beamten,  sondern 
auch  von  den  Bauersleuten  gehalten  werden  mussten. 

Als  die  Jagdgewehre  mehr  in  Aufnahme  kamen,  wurde 
neben  grösserem  Wild  als  Jagdsport  auch  allerlei  kleines  Ge- 


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-  m  — 


vögel  massenhaft  geschossen,  welches  seither  in  Netzen  gefan- 
gen worden  war.  Jedoch  wurde  auch  der  Vogelfang,  welcher 
oft  forstortsweise  verpachtet  war,  fortgesetzt.  Ein  herrschaft- 
licher Jäger  lieferte  z.  B.  in  einem  Jahre  1600  Lerchen  ab. 
Der  im  Ried  bei  Gemar  betriebene  Entenfang  war  im  vorigen 
Jahrhundert  sehr  ergiebig;  1733  wurden  fast  2000  Enten  ge- 
fangen und  zwar  meist  grosse,  sog.  Stockenten.  Die  Vertilgung 
des  dem  edlen  Wilde  schädlichen  Raubzeuges  wurde  den  Forst- 
und  Jagdbeamten  von  jeher  zur  Pflicht  gemacht.  Oberhalb 
Rappoltsweiler  bestand  am  Strengbach  ein  Fanggarten,  von  dem 
es  noch  1731  heisst  «worauf  zur  Winlerszeit  die  Wölfe  und 
Füchse  geschossen  wurden.»  (Colmar  B.-A.  E  No.  971.) 

Die  Jagdbeaufsichtigung  erforderte  ein  zahlreiches  Personal, 
wir  sehen  daher  neben  den  eigentlichen  Förstern  von  jeher 
eine  Anzahl  von  Jägern  und  Jägerknechten.  Als  1762  der 
Bischof  von  Basel— Pruntrut  Rappoltsweiler  mit  seiner  An- 
wesenheit beehrte,  schenkte  er  dem  Jägerkorps  zwölf  Duka- 
ten, in  welche  sich  der  Oberjäger,  10  Jäger  und  2  Jägerknechte 
teilten.  (Colmar  B.-A.  E  No.  1704). 

Den  Jagdbeamten  war  die  Unterhaltung  der  Salzlecken 
in  der  Nähe  von  Quellen  und  Bächen  zur  besonderen  Pflicht 
gemacht.  Sie  hatten  den  Abschuss  für  die  herrschaftliche 
Köche  zu  besorgen  und  erhielten  für  jedes  erlegte  oder  ge- 
fangene Stück  Wild  Schussgeld. 

Dieses  betrug  im  vorigen  Jahrhundert  in  Reichenweier : 
für  einen  Hirsch  oder  eine  Sau  2  Frcs.  10  Sous, 
für  ein  Reh  oder  einen  Frischling  1  Frc.  5  Sous, 
für  eine  Wildgans  10  Sous, 

für  eine  Ente,   Schnepfe,  einen  Hasen,  ein  Reb-  oder 

Haselhuhn  5  Sous, 
für  eine  J^erche,  Taube,  Drossel,  Becassine  4  Sous. 

Vom  gewöhnlichen  Raubzeug  bekam  der  Erleger  den  Balg, 
für  Wölfe  zahlten  die  Gemeinden  Zusatzprämien.  Soweit  das  Wild- 
pret  nicht  von  der  Hofhaltung  selbst  gebraucht  wurde,  verkaufte 
man  dasselbe  zu  einer  festen  Taxe.  Die  fürstlichen  Räte  wur- 
den hierbei  zuerst  bedacht.  Gegen  Mitte  des  vorigen  Jahrhun- 
derts kostete:  (Colmar  B.-A.  E  No.  691,692) 

1  Pfund  Rot-  oder  Schwarzwild      3—4  Sous, 
1  Pfund  Rehwild  5  » 


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—   63  - 


1  Hase  24  -30  Sous 

1  Wildente  20  » 

1  Feldhuhn,  Schnepfe,  Wildgans  15  » 
Ein  Teil  des  Wildpreis  fand  zu  Geschenken  an  hohe  Per- 
sönlichkeiten Verwendung  und  dies  namentlich  nach  Eintreten 
der  französischen  Verwaltung  im  Elsass.  In  den  Beschussrech- 
nungen  ist  wiederholt  von  Auerhahnen  die  Rede,  welche  dem 
oder  jenem  einflussreichen  Herrn  verehrt  worden  sind,  sowie 
von  dem  Zurücklegen  des  «bei  den  Besuchungen  von  Colmar 
und  anderen  Orten  nötig  habenden  Wildprets.» 

Schliesslich  möge  noch  kurz  erwähnt  werden,  dass  wah- 
rend der  Unruhen  der  französischen  Revolution  das  Wild  ebenso 
zu  leiden  hatte,  als  der  Wald  überhaupt. 


KAPITEL  IX. 

Eigentumsveränderungen 
infolge  der  französischen  Revolution. 

Schon  lange  vor  dem  Ausbruch  der  französischen  Revo- 
lution herrschten  gespannte  Verhältnisse  zwischen  den  Vertretern 
der  feudalen  Regenten  uud  der  Bürgerschaft ;  auch  hierzulande 
brodelte  es  bereits  geraume  Zeit  vorher.  Bei  den  Aeusserungen 
der  Unzufriedenheit  spielten  die  Ansprüche  der  Bevölkerung 
an  den  Wald,  wie  einst  bei  den  Bauernkriegunruhen,  eine 
grosse  Rolle.  Die  hiesige  Bürgerschaft  stellte  am  17.  August 
1782  (Vergl.  Rapp.  Stadt.  Arch.  N.  No.  28—32  betreffs  des  Nach- 
folgenden !)  diesbezügliche  bestimmte  Forderungen  u.  a.  die 
Berechtigung  :  1.  den  von  den  verkauften  Stämmen  und  in 
den  Bauholzschlägen  übrig  bleibenden  Abraum,  den  sogenannten 
Afterschlag  zu  holen,  2.  das  liegende,  stehende  und  vom  Winde 
gebrochene  Dürrholz  zu  nutzen,  3.  Sand  und  Kies  im  Walde 
graben,  4.  auf  dem  ganzen  Bann  weiden  zu  dürfen,  5. 
Klafter-Brennholz  zu  einer  mässigen  festen  Taxe  freihändig  zu 
kaufen.  Diese  Forderungen  wurden  nur  zu  einem  geringen  Teile 
befriedigt,  sodass  Unzufriedenheit  und  Ungestüm  der  Bürger 
wuchsen.  Sieben  Jahre  später,  bald  nach  der  Erstürmung 
der  Bastille,  im  Juli  1789  kam  Prinz  Max,  der  damals  in 


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—  64 


Strassburg  im  Finkweiler-Hofe  residierte  und  das  Regiment 
d'Alsace  befehligte,  auf  jene  selbst  zurück.  Er  bat  den  Baron 
von  Berckheim,  Procurator  syndicus  des  Distrikts  Colmar,  für 
die  Aufrechterhaltung  der  Ruhe  in  Rappoltsweiler  zu  sorgen 
und  zwischen  der  erregten  Bürgerschaft  und  seinen  Hofräten 
zu  vermitteln.  Auf  die  den  Wald  bot  reffenden  Klagepunkte  der 
Stadt  erwiderten  die  Bevollmächtigten  des  Prinzen  augenschein- 
lich unter  dem  Druck  der  sich  immer  ernster  gestaltenden 
Lage  Folgendes :  «Gnädigste  Herrschaft  versprechen  ihre  treuen 
Burger  und  Inn  wohner  bei  ihren  alten  Rechten  des  Abholzes, 
Windfälle,  dürren  stehenden  und  1  i egenden  Holzes 
ruhig  zu  erhalten  und  verbietet  keinen  dürren  Baum  zu 
zeichnen  (d.  h.  behufs  Verkaufs  durch  die  Forstverwaltung). 
Sie  sollen  das  nötige  Bauholz  wie  bisher  erhalten  und  es 
werden  von  Seiten  gnädiger  Herrschaft  und  der  Munizipalität 
Zimmerleute  beeidigt,  welche  Bauetats  aufsetzen,  nach  denen 
das  Holz  angewiesen  werden  wird.  Es  wollen  Ihro  hochfürst- 
liche Durchlaucht  den  Bürgern  das  notwendige  Brennholz  an- 
weisen, doch  kann  die  grösste  Portion  nicht  über  4  Klaftern 
jährlich  gefordert  werden.  Der  Altweier  Weg  und  Hirzensprung 
sollen  die  vordere  und  hintere  Wälde  scheiden,  in  jenen  40, 
in  diesen  20  sous  auf  den  Stumpf  bezahlt  werden  ohne  An- 
weisegeld. Es  soll  auch  eine  treue  Burgerschaft  ihr  übriges 
Brenn-  und  Geschirrholz  vorzüglich  vor  Fremden  zu  erhalten 
haben.  Es  wird  aber  bei  Verlust  dieser  Gnad  jedem  Burger 
und  Burgers  Wittib  verboten,  das  Holz  ausser  der  Stadt  zu 
verkaufen.  Endlich  werden  gnädige  Herrschaft  dero  Forst- 
kammer anbefehlen,  dass  alle  Gouppen  sogleich  zugehängt 
werden,  um  dem  frischen  Anflug  aufzuhelfen.  Es  sollen  auch 
keine  neuen  Wiesen  noch  Melkereien  in  den  Waldungen  an- 
gelegt werden. 

«Es  soll  der  Gemeinde  vorbehalten  sein  im  fall  sie  titres  für 
Waldungen  und  Anderes  vorfinden  sollte,  alle  ihre  Rechte  und 
Aktionen  valiren  machen  zu  können  diesem  cahier  unbeschadet. 

«Der  Waidgang  in  dem  Wald  soll  den  Innwohnern  der  Stadt 
bis  auf  die  Höhe  (Markircher)  gestattet  sein,  wovon  die  Gärten 
so  Oberförster  Bachman  um  sein  Haus  hat,  (Forsthaus  Iberg) 
befreyet  bleiben  sollen.  Gnädigste  Herrschaft  überlässt  der  ge- 
meinen Burgerschaft  den  Rennplatz  zu  einem  öffentlichen 
Spaziergang».  Unter  anderm  wurde  noch  zugestanden,  dass  die 


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Gerber  der  Stadt  den  Zentner  Lohe,  aus  hiesigen  und  anderen 
Waldungen  stammend,  auf  den  herrschaftlichen  Mühlen'  für 
4  sous  mahlen  lassen  können. 

Prinz  Max  bewies  also  ein  verhältnismässig  weitgehendes 
Entgegenkommen,  räumte  sogar  den  Bürgern  die  umstrittenen 
Windfalle  wieder  ein.  Die  Revolution  nahm  indes  ihren 
Verlauf,  allein  sie  vermochte  nicht  mit  einem  Schlage  mit  den 
alten  Zuständen  und  Gewohnheiten  aufzuräumen.  Es  gingen 
auch  bei  weitem  nicht  alle  Wünsche  des  dritten  Standes 
in  Erfüllung,  so  auch  nicht  die  der  Rappoltsweiler  Bürgerschaft 
in  Bezug  auf  den  herrschaftlichen  Wald.  Die  Stadtvertretuns 
beanspruchte  anfänglich  nichts  Geringeres,  als  das  Eigentum 
am  gesamten  Walde,  oder  doch  zu  zwei  Dritteln.  Um  die 
Hechte  der  Gemeinde  offenbar  an  den  Tag  zu  legen,  nahm 
jene  alsbald  mehrfach  Handlungen  vor,  welche  als  Austluss 
ihres  Besitztums  angesehen  werden  sollten.  Max  legte  im 
Dezember  1790  ausdrücklich  Verwahrung  dagegen  ein,  dass  die 
Gemeinde  sich  die  Verwaltung  über  den  Wald  aumasse  und 
ihre  Holzrechte  überschreite.  Seine  Waldungen  seien  freilich 
unterstellt  «sous  la  sauvegarde  de  la  nation,  de  la  loi,  du  roi 
et  sous  celle  des  tribunaux,  assemblees  administratives,  muni- 
cipalites,  communes  et  gardes  nationales,  mais  c'est  pour  ne 
pas  y  commettre  des  delits,  pour  en  arreter  le  cours,  pour 
emprisonner  les  delinquanls  et  non  pas  pour  tieferer  ä  tous 
ces  corps  l'administration  et  les  constituer  les  arbitres  du  droit 
et  des  dispositions  des  proprietaires  comme  la  municipatite  de 
Ribauviller  cherche  ä  se  persuader». 

Insbesondere  verweigerte  der  Prinz  entgegen  der  Trans- 
aktion vom  Juli  1789  die  Windfalle,  wogegen  er  zusagte,  die 
der  rechtmässigen  Nutzniessung  des  Waldes  entsprechenden 
Holzschläge  ausführen  zu  lassen.  Gegen  die  erfolgte  Neuver- 
eidigung seiner  Forstbeamten  durch  die  Stadtvertretung  erhob 
er  Einspruch.  Im  Januar  1791  erliess  er  eine  neue  energische 
Kundgebung  zur  Wahrung  seines  Standpunkts,  in  welcher  es 
unter  anderm  heisst  :  Die  Waldungen  sind  Eigentum  der 
Herrschaft ;  die  Bürger  haben  darin  nur  einige  Nutzungsrechte 
wie  das  Bauholzrecht,  das  Dürrholzrecht  und  das  Recht  der 
Fuhrleute  auf  das  «Montagsbäumel*  im  Schwarzenberg,  sowie 
auf  die  Aeste  desselben,  welche  jene  am  Freitag  holen  ;  die 

5 


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—  Gü 


Einwohner  dürfen  ferner  den  Aflerschlag  und  das  Abholz  holen, 
nicht  aber  die  Windfälle,  welche  ihm  als  Waldbesitzer  allein 
zustanden. 

Infolge  dieser  geharnischten  Erklärung  erhob  sich  ein 
längerer  lebhafter  Streit ;  dieser  nahm  eine  neue  Wendung, 
als  das  Direktorium  des  Bezirks  Colmar  den  Wald  als  Natio- 
nalgut beanspruchte  und  gegen  die  Gemeinde  zu  beanspruchen 
begann.  Diese  fasste  im  November  1792  folgende  Beschlüsse  : 
es  dürfe  ohne  Genehmigung  der  Munizipalität  kein  Holz  mehr 
gehauen,  das  gefällte  nicht  an  Fremde  verkauft  und  ohne  deren 
Erlaubnis  überhaupt  nicht  abgefahren  werden,  die  holzbedürf- 
tigen Bürger  sollten  ihren  Bedarf  anmelden.  Sie  ernannte  auch 
eine  Waldbesichtigungskommission,  welche  den  Wald  in  einem 
völlig  verhauenen  und  durch  die  Weide  heruntergekommenen  . 
Zustande  schilderte.  Anfangs  1793  wählte  sie  vier  Bürger  zu 
Waldförstern  mit  40  frcs.  Monatsgehalt,  zahlbar  in  Assignaten. 

Vom  Direktorium  anlässlich  der  wiederholten  lebhaften 
Klagen  der  herrschaftlichen  Bäte  zum  Bericht  aufgefordert,  er- 
widerte die  Stadtvertretung,  schon  60  Jahre  liege  sie  mit  der 
Herrschaft  in  Prozess  wegen  der  Allmendgüter  und  Waldungen, 
dieser  sei  jedoch  von  jener  absichtlich  verschleppt  worden. 
Prinz  Max  habe  die  Transaktion  vom  Juli  1789  nicht  innege- 
halten ;  inzwischen  verschlechtere  sich  der  Wald  infolge  Aus- 
beutung seitens  der  Herrschaft  zusehends.  Zur  Eernhaltung  der 
Holznot  sei  die  Ueberweisung  eines  der  Einwohnerzahl  der 
Stadt  entsprechenden  Waldteiles  zu  deren  ausschliesslichem 
Gebrauch  durch  das  sogenannte  Cantonnementsverfahren  das 
einzig  sichere  Mittel. 

Inmitten  dieser  Verhandlungen  kam  am  31.  Januar  1793 
der  förmliche  Befehl,  sämtliche  Güter  des  Prinzen  zu  sequest- 
rieren ;  regierungsseitig  wurde  zu  diesem  Behufe  ein  besonderer 
Kommissar  ernannt.  Ueber  die  Anstrengungen  des  Hauses 
Zweibrücken,  für  seine  bedeutenden  Verluste  an  den  oberel- 
sässischen  Besitzungen  anderweitige  Entschädigungen  zu  erlangen, 
werden  in  «Gottlieb  Konrad  PfefTels  Fremdenbuch»  von  Dr. 
H.  Pfannenschmid  (Colmar  1892  Selbstverlag)  in  der  Biographie 
des  Diplomaten  Christian  Friedrich  PfefTel,  Seite  53  flf.,  insbesondere 
auf  Seite  97  IT.  interessante  Mitteilungen  veröffentlicht. 

Wir  wollen  in  unsern  forstgeschichtlichen  Skizzen  nur  den 
Verlauf  der  Auseinandersetzung  zwischen  der  französischen 


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—   (57  - 


Regierung  und  der  Stadt  über  den  früher  herrschaftlichen 
Wald  genauer  verfolgen. 

Es  hegannen  alsbald  hierüber  erneute  Verhandlungen 
zwischen  dem  Generalprocurator  und  der  Stadt ;  jene  zogen 
sich  sehr  in  die  Länge.  Während  dessen  scheint  Rappoltsweiler 
nach  Ansicht  der  Regierung  weitere  Uebergriflfe  im  Walde 
sich  erlaubt  zu  haben,  denn  im  Mai  1795  erliess  das  Colmarer 
Direktorium  folgende  Verfügungen  : 

1  Es  soll  ein  Commissar  den  Wald  besichtigen,  nament- 
lich die  von  der  Municipalität  angeordneten  Schläge. 

2.  Der  Receveur  des  bois  et  finances  soll  über  den  Stand 
der  Geldeinnahmen  aus  dem  Walde  berichten. 

3.  Die  Vermietung  eines  Forsthauses  seitens  der  Stadt 
wird  für  nichtig  erklärt. 

4.  Die  Jagd  soll  zum  Resten  der  Nation  verpachtet  werden. 

5.  Die  von  der  Municipalität  ernannten  Waldförster  wer- 
den abgesetzt  und  die  früheren  herrschaftlichen  Förster  wieder 
eingesetzt. 

6.  Die  herrschaftlichen  Waldungen  werden  wie  die  anderen 
forets  nationales  administriert. 

7.  Die  Municipalität  soll  sich  in  die  Verwaltung  nicht  ein- 
mischen. 

Als  zur  selben  Zeit  die  Gemeinde  das  Direktorium  um 
Ueberweisung  des  nötigen  Rrennholzes  bat,  wurde  jener  erst 
nach  langen  Weiterungen  durch  Förster  Göpp  ein  geeigneter 
Schlag  ausgezeichnet.  Es  sollten  Lose  von  je  3  Klaftern  auf  dem 
Stock  zum  Selbsthieb  versteigert  werden ;  die  Steigpreise  waren 
an  den  Receveur  abzuführen  nebst  10<>|o  Aufschlag  zur  Deckung 
der  Enregistrementskosten. 

In  dem  Prozesse  zwischen  Fiscus  und  Stadt  stellte  sich  diese 
auf  den  Standpunkt,  dass  sie  eigentlich  als  rechtmässige  Eigen- 
tümerin des  Waldes  anzusehen  sei ;  allenfalls  könne  der  Staat 
als  Rechtsnachfolger  der  Grafen  ein  Drittel  von  jenem  bean- 
spruchen. Ein  Gutachten  des  Advocaten  Rapinat  beleuchtete 
diese  Forderung  eingehend.  Eine  andere  Darlegung  des  Sach- 
verhalts von  Ortlieb  dem  Aelteren,  vermutlich  Mitglied  des  Ge- 
meinderats, klagte  zuvörderst  sehr  über  die  Revormundung 
der  Gemeinde  durch  die  neue  Regierung  und  äusserte  sich  so- 
gar dahin  «ce  joug  etant  et  pesant  plus  lourdement  sur  nos 
epaules  que  celui  de  la  puissance  feodale  notre  commune  le 


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sent  insupportable. »  Ortlieb  macht  für  das  Eigentumsrecht  der 
Stadt  über  ein  Dutzend  einzelne  Gründe  geltend  :  z.  B.  die  viel- 
fachen Waldbesichtigungen  des  Magistrats  zu  allen  Zeiten,  dessen 
Beteiligung  beim  Setzen  von  Banngrenzsteinen  am  Walde,  beim 
Auslochen  von  Schlägen,  bei  allerlei  Bauholzanweisungen,  die 
nur  gegen  ein  Stumpfgeld  erfolgten  Abgaben  letztgenannter 
Hölzer  und  dergl.  mehr.  Gemäss  dem  Grundsatze  «accessorium 
sequitur  principale»  nimmt  er  auch  die  innerhalb  des  Waldes 
belegenen  Gehöfte  und  Ländereien,  Sägemühlen  und  Forsthäuser 
für  die  Stadt  in  Anspruch. 

Am  14.  frimaire  des  Jahres  VI.  (4.  Dezember  1797)  wurde 
die  Sache  vor  dem  Civiltribunal  zu  Colmar  in  erster  Instanz  ver- 
handelt. Die  Gemeinde  verlangte  das  Gantonnement  mit  dem 
Ersuchen,  ihr  soviel  Wald  als  Eigentum  zu  überweisen,  um 
die  in  der  1789er  Transaktion  zugestandenen  Holzrechte  aus- 
üben zu  können,  indes  unter  Würdigung  des  Zustandes  und 
der  Leistungsfähigkeit  des  Waldes  wie  der  Bevölkerungszahl. 
Der  Commissar  des  Direktoriums  beantragte  die  Klage  kostentäl- 
lig  abzuweisen.  Die  erste  Entscheidung  fiel  in  obigem  Sinne  zu 
Gunsten  der  Stadt  aus.  Nachdem  der  Fiscus  hiergegen  Berufung 
eingelegt,  erging  am  6.  praireal  des  Jahres  VI.  (25.  Mai  1798) 
seitens  des  Appellhofes  zu  Epinal  ein  ungefähr  gleichlautendes, 
rechtskräftig  gewordenes  Urteil.  In  diesem  heisst  es  u.  a. 
c  ordonne  que  par  experts.  .  .  il  sera  proc£de  au  cantonnement 
des  forets  siluees  au  ban  de  Ribeauville  dans  lesquelles  1* 
commune  demanderesse  est  usagere  et  qu'il  sera  attribue  ä  la 
dite  commune  en  toute  propriete  des  portions  des  dites  fordts 
en  Süffisance  pour  remplir  les  droits  d'usage  qui  lui  competent 
au  conlenu  de  la  transaction  de  29  juillet  1789  en  egard  tant 
ä  Petat  et  la  possibilite  des  dites  forets  qu'  ä  la  population  de 
la  commune»  .  .  . 

Zu  Experten  wurden  ernannt  seitens  der  Stadt  Joh.  Bapt. 
Munschina  zu  Ensisheirn  und  seitens  des  Fiscus  Johann  Conrad 
Tschann  zu  Colmar.  Diese  nahmen  Mitte  August  1798  in  Be- 
gleitung des  Bürgermeisters  Kress  und  des  Beigeordneten  Ek- 
kenberger,  sowie  des  Försters  Göpp  eine  Waldbesichligung  vor, 
stellten  jedoch  alsbald  fest,  dass  das  vorhandene  Kartenmate- 
rial zu  fehlerhaft  sei,  um  einer  so  wichtigen  Operation  zu 
Grunde  gelegt  werden  zu  können.  Ferner  überzeugten  sie  sich 
örtlich  davon,  dass  sowohl  oberhalb  der  beiden  Glashütten,  als 


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—   60  — 


zwischen  der  Markircher  Höhe  und  Altweier  die  Eigentums- 
verhältnisse unklar  waren  und  beschlossen  daher,  erst  eine  ge- 
naue geometrische  Aufnahme  und  Kartierung  vornehmen  zu 
lassen.  Zur  Befriedigung  des  augenblicklichen  Holzbedarfs  zeich- 
neten die  Experlen  zwei  Holzschlage  aus  ;  jede  Haushaltung  sollte 
2  Klaftern  Brennholz  bekommen,  auch  wurde  das  erforderliche 
Bauholz  angewiesen. 

Die  ursprünglichen  Experten  wechselten  infolge  Todesfalls 
oder  anderweitiger  Beschäftigung  mehrfach,  ebenso  die  Forst- 
geometer.  Das  Verfahren  zog  sich  ungebührlich  in  die  Länge, 
sodass  die  Stadt  hierüber  lebhafte  Klage  führte.  Im  Jahre  1809 
endlich,  also  etwa  11  Jahre  später,  traten  Forstinspector  Piquet 
als  Vertreter  der  Forstverwaltung,  Bürgermeister  Weber  aus 
Rodern  und  der  ehem.  Oberförster  Collin  aus  Weiler  bei  St. 
Amarin  als  Vertreter  des  Staats  und  der  Stadt  nebst  Forstgeo- 
meter  Pfeffer  zusammen.  Am  5.  Juli  1811  war  der  erste  wich- 
tige Termin ;  am  20.  April  1812  gelangten  die  wahrlich  nicht 
überstürzten  Verhandlungen  zum  Abschluss.  Inzwischen  war 
Geometer  Kolb  junior,  Sohn  des  ursprünglichen  Forstgeometers, 
der  Commission  beigetreten.  Am  29.  Mai  1812  erteilte  der  Präfekt 
zum  Kantonnement  seine  Zustimmung  und  durch  Urteil  vom 
9.  Juni  desselben  Jahres  erkannte  das  Civiltribunal  zu  Colmar 
jenes  endgültig  an.  Zugleich  wurde  der  nunmehrige  Staatswald 
Rappoltsweiler  abgesehen  vom  Glashüttenwald  von  allen  Holz- 
und  Weideberechtigungen  frei  erklärt.  Der  Staat  erhielt  die 
Forstorte  Renckwald,  Hohlenweg,  Schlosswald,  Wuimthal, 
Kaikofen,  Dusenbach,  Oelberg,  Biforst,  Tännchel,  Mittelberg  und 
den  Osthang  des  Ibergs  mit  759,1  ha,  die  Stadt  den  West- 
hang des  Ibergs,  Kalbsrain,  Isenrain,  Stein  weg,  Schwarzenberg, 
Müsberg,  Allmend,  Stübel,  Mühlköpfel,  Clauswald  mit  883,2  ha. 

Vor  Zumessung  dieser  Flächen  hatten  die  Experten  die 
WTerte  der  geometrisch  ausgeschiedenen  Holzbestandesabtei- 
lungen im  einzelnen  berechnet.  Den  Holzwert  stellten  sie  nach 
der  sog.  Cameraltaxe  fest  als  Produkt  von  Fläche  X  Alter  X 
Haubarkeitsdurchschnittszuwachs  X  Nettowert  der  Holzmassen- 
einheiten. Hierbei  wurde  für  den  gemischten  Tannenhochwald 
eine  100  jährige,  für  den  Eichenniederwald  eine  30jährige,  für 
den  Kastanienniederwald  eine  15jährige  Umtriebszeit  ange- 
nommen. Den  Durchschnittszuwachs  für  dieselben  bezifferten  die 
Experten  für  den  Hochwald  auf  4—7,3  Raummeter  Derbholz 


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70  - 


und  20—25  Wellen,  für  den  Eichenniederwald  auf  3—7  Raum- 
meter Derbholz  und  35 — 50  Wellen,  für  den  Kastaniennieder- 
wald auf  3»[s— 5ifs  Hundert  Stangen.  Die  Nettowerte  ermittelten 
sie  je  nach  der  Absatzlage  abzüglich  Werbungs-  Transport-  und 
sonstiger  Nebenkosten : 

für  den  Raummeter  Tannenholz  auf  3—4  francs 
»     »  »         Buchenholz  »    5—6  » 

»     »  »         Eichenholz    »    6 — 8  » 

»    ein    Hunderl  Wellen  »    5 — 8  » 

»     »  »       Kastanienstangen  auf  22 — 24  francs. 

Letztere  hatten  also  schon  damals  einen  hohen  Wert. 

Der  Bodenwert  sollte  auf  Grund  seiner  Ertragfähigkeit 
bemessen  werden  und  schwankte  abgesehen  von  den  wertlosen 
Felswänden  zwischen  300 — 800  francs  für  den  Hektar.  Den 
forstlich  bewanderten  Leser  dürften  drei  Beispiele  von  Wald- 
wertsermittelungen  interessieren. 

I.  Byforst  (auch  Beyforst,  d.  h.  Wald  bei  dem    um  die 
Schlösser  ausgeschiedenen  Bann- Forst.) 

25jährige  Tannendickung  von  15,39  Ha. 

Haubarkeitsdurchsehnittszuwachs  /  iRrntr.  Derbh.Tannezu4  frcs. 

»  2    *    Laubholz       »  6  » 

»  1 0,225  Hdt.  Wellen    »  8  > 

Holzwert :  15,39  X  25  [(4  X  4.00)  +  (2  X  5.00) 
+  (0,225  X  8,00)]  =  10098.55 

Bodenwert:  15,39  X  500   =  7695.00 

Summa    .    .    frcs.  18393.55 

II.  Renckwald. 

25 jähriger  Eichenniederwald  von  21,04  Ha. 
Haubarkeitsdurchschnittszuwachs  |  6  Rmtr.  Derbh. Eiche  zu  8  frcs. 

»                      10,40  Hdt.  Wellen     »  8  » 
Holzwert:  21,04  X  25  X  -(6  +  0,40)  X  8.00    =  26931.00 
Bodenwert:  21,04  X  500   =  10520.00 

Summa    .    .    frcs.  37451.00 

III.  Hohlweg  (im  hinteren  Lützelbachthal) 
9jährige  Kastanien  von  6,64  Ha. 

Haubarkeitsdurchschnittszuwachs  J  5>|3  Hdt.  Standen  zu  24  frcs. 

»  1 1 ,00    »    Wellen    »    5  » 


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Holz  wert:  6,64  X  *>  X  [(5»Js  X  24)  +  (1,00 

X  5.00)]   

Boden  wert:  6,64  X  800  


=  7948.00 
=  5312.00 


Summa   .    .  frcs.  13260.00 
Die  Schlusssumme  belief  sich  für  1642,3  Ha.  auf  2226571 
francs  Holzwert  und  676834  francs  Bodenwert,  zusammen  auf 
2903405  francs.  Ein  Hektar  stellte  sich  somit  durchschnittlich 
auf  1356  +  412  =  1768  francs. 

Die  Experlen  brachten  irgend  welche  Werte  für  Einnahmen 
aus  Jagd-  und  Nebennutzungen  nicht  in  Aufrechnung,  anderseits 
auch  keine  besonderen  Kosten  in  Abzug.  Sie  schätzten  alsdann 
den  Wert  der  der  Stadt  Rappoltsweiler  durch  die  1789er 
Transaktion  verbrieften  Holzrechte  ein  u.  gelangten  zu  folgenden 
Ergebnissen. 

1.  der  Wert  des  Raff-  und  Leseholzes  wurde  bei 
der  Annahme,  dass  200  Sammler  wöchentlich  für  1  franc  Holz 
holen,  und   bei  der  Unterstellung  eines  Zinsfusses  von   1  :  20 


.»ler  5of0  beziffert  auf:  200  X  X  52  X  20  =  208000 


2.  Der  Wert  der  der  Gemeinde  1789  zugesprochenen 
Wind  fälle  berechnete  sich  bei  Annahme  von  jährlich  400 
Kmtr.  ä  3>/2  francs  =  1400  francs  auf  1400  X  20  =  28000 
francs  Kapital  wert  h. 

3.  Der  Wert  des  Bauholzes  wurde  mangels  einer  betref- 
fenden Abgabestatislik  summarisch  dadurch  in  Anrechnung 
gebracht,  dass  jene  für  sämtliche  1216  Haushaltungen  das 
höchst  zulässige  Brennholzquantum  von  4  Klaftern  einsetzte ; 
dies  ergab  somit  19456  Rmtr.  und  damit  mehr,  als  den  ge- 
samten auf  1642,3  Ha.  anfallenden  jährlichen  Holzzuwachs. 
Auch  ist  der  Nettowert  dieses  Quantums  mit  5  francs  für 
damalige  Zeit  entschieden  zu  hoch  veranschlagt.  Der  jährliche 
Wert  der  Bau-  und  Brennholzberechtigung  berechnete  sich 
daher  auf  97280  francs  abzüglich  7tl96  francs  Berechtigungs- 
taxe, also  auf  89984  francs ;  diese  Summe  mit  dem  Zinsfuss, 
1  :  20  kapitalisiert  ergiebt  1799680  francs  ! 

Der  Gesamtkapitalwert  der  Berechtigungen  von  2035680 
francs  entsprach  somit  über  zwei  Dritteln  des  ganzen  Waldwerts. 
Mit  einem  kurzen  Hinweis  auf  die  geringere  Leistungsfähigkeit 
des  Waldes  ermässigten  die  Exporten  den  der  Gemeinde  an- 


francs. 


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zurechnende«  Tauschwert  ohne  sonstige  Begründung  auf 
1347435  francs  uni  sprachen  ihr  damit  die  vorgenannten  883,2 
Ha.  zu.  Die  Kosten  des  14  Jahre  lang  hingezogenen  Cantonne- 
mentsverfahrens  waren  hoch  ;  allein  diejenigen  des  Experten- 
Gutachtens  einschl.  der  geometrischen  Arbeiten  beliefen  sich 
auf  14000  francs. 

Wie  bereits  angedeutet,  wurden  der  Glashuttenwald,  sowie 
die  von  den  Gemeinden  Altweier,  St.  Blaise  und  Forlelbach 
beanspruchten  Ablösungsflächen  bei  dem  eben  geschilderten 
Cantonnement  ausser  acht  gelassen,  auch  der  auf  Bergheimer 
Bann  gelegene  nachmalige  Gemeindewald  Thannenkirch,  damals 
noch  herrschaftlicher  Wald,  hierbei  nicht  einbezogen. 

Da  der  zuerst  genannte  Wald  zum  grossen  Teil  nach- 
träglich in  staatlichen  Besitz  übergegangen  ist,  so  soll  die  be- 
treffende Entwickelung  in  Kürze  verfolgt  werden.  Während 
der  französischen  Bevolution  hatten  die  Bewohner  der  Glas- 
hütten in  den  oberhalb  ihrer  Ansiedelungen  gelegenen  WaJd- 
ungen  arg  gehaust  und  nach  Belieben  darin  Holz  gehauen. 
Der  Bappoltsweiler  Oberförster  hatte  hierauf  aufmerksam 
gemacht  und  die  Meinung  vertreten,  dass  die  Nachkommen  der 
früheren  Glaser  auf  Fortbezug  der  Brennhölzer  um  so  weniger 
Anrecht  hätten,  als  der  Glashüttenbelrieb  längst  aufgehört  habe 
und  sie  mit  den  Pachtbeträgen  noch  im  Bückstande  seien.  Der 
Präfekt  des  Oberrheins  teijte  diesen  Standpunkt  nicht,  entschied 
vielmehr  am  1.  August  1809  dahin,  dass  jenen  Bewohnern 
vorbehaltlich  Zahlung  des  Pachtschillings  Brennholz  zum  eigenen 
Gebrauch  und  das  Waldweiderecht  fernerhin  zustehen  sollte. 
(Rapp.  Stadt-Arch.  N  Nr.  47).  Da  die  Streitigkeiten  zwischen 
der  Forstbehörde  und  den  Glashüttern  fortdauerten,  da  diese 
namentlich  gegen  fiskalische  Holzverkäufe  aus  dem  Walde  ober- 
halb der  beiden  Weiler  opponierten,  wurde  im  Jahre  1824  ge- 
richtliche Entscheidung  angerufen.  Diese  erging  dahin,  dass 
die  Bewohner  wohl  als  Eigentümer  des  mit  Zustimmung  der 
Herrschaft  abgetriebenen  Geländes,  hingegen  dem  Walde  gegen- 
über lediglich  als  Nutzungsberechtigte  anzusehen  seien.  Die 
Forstverwaltung  habe  daher  das  sog.  Provocationsrecht  auf  Ab- 
lösung der  fraglichen  Holz-  und  Weidegerechtsame  durch 
Flächencantonnement.  Der  betreffende  Antrag  wurde  alsbald 
gestellt.  Indes  erst  im  April  1830  legten  die  Experten  ein 
Projekt  vor;  diese  stellten  fest,  dass  die  vormalige  herrschaft- 


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-  7H 


liehe  Verwaltung  einen  Teil  der  im  XVII.  und  XVIII.  Jahr- 
hundert eingeräumten  Erbpachtgüter  zurückgekauft  habe;  es  sei 
daher  auch  dem  französischen  Staat  als  Rechtsnachfolger  der 
entsprechende  Wert  der  Berechtigung  wieder  zugefallen.  Es 
wurde  angenommen,  dass  die  belastete  Fläche  165,87  Ha.  be- 
trage und  einschliesslich  der  vereinzelt  aufstehenden  Hölzer 
44541,60  francs  wert  sei.  Der  Gesamtwert  eines  Hektar  bezifferte 
sich  somit  auf  nur  268  francs  gegenüber  1768  francs  im  übrigen 
Rappoltsteinischen  Walde.  Die  Fläche  wurde  in  zwei  dem  Werte 
nach  gleiche  Teile  zerlegt.  Der  staatliche  höher  gelegene  und 
daher  minderwertige  Anteil  umfasste  100,45  Ha.  wovon  57,32  Ha. 
Weidgang  und  43,13  Ha.  Wald  ;  derjenige  der  Berechtigten 
unmittelbar  oberhalb  ihrer  W'eiler  65,42  Ha  wovon  53,09  Ha. 
Weidgang  und  12,33  Ha.  Wald.  Auch  die  als  Wald  bezeich- 
neten Flächen  waren  damals  nur  räumdig  bestockt.  Hier  und 
da  stand  in  den  unteren  Hängen  eine  sperrige  Kiefer,  wie  wir 
sie  jetzt  noch  über  nachträglichen  Kiefernsaaten  die  Aeste  nach 
allen  Seiten  ausbreiten  sehen.  Weiter  oben  zwängten  krüppelige 
Buchen-  und  Vogel  beerbäume  ihr  Gewürzel  zwischen  die  Sand- 
steinfelsen ;  oben  auf  dem  Grat  hatte  in  geschützteren  Lagen 
die  Tanne  bereits  Fuss  gefasst. 

Das  1830er  Ablösungsprojekt  scheint  lange  geruht  zu 
haben  ;  am  15.  November  1841  erfolgte  eine  Bestätigung  durch 
das  Civiltribunal  von  Colmar,  aber  erst  anfangs  der  fünfziger 
Jahre  gelangte  das  Gantonnement  zur  Durchführung,  nicht 
ohne  lebhaften  Widerstand  der  Glashütter.  Die  Auseinander- 
setzung der  einzelnen  berechtigten  Familien  hinsichtlich  der 
Ablösungsflächen  hat  sich  bis  in  die  letzte  Zeit  hingezogen. 

Die  Bewohner  des  800  m  hoch  gelegenen  Gebirgsdorfes 
Altweier,  welche  von  jehir  die  Viehzucht  als  Haupterwerbs- 
zweig betrachtet  und  daher  auf  die  Weide  in  den  benachbar- 
Waldungen  und  Räumden  grosses  Gewicht  gelegt  halten,  be- 
haupteten nach  Beginn  der  französischen  Revolution,  sie  seien 
durch  die  beiderseitigen  Herrschaften  ihres  ursprünglichen 
Eigentums  an  jenen  beraubt  worden.  Sie  forderten  insbesondere 
von  dem  Rappoltsteinischen  Besitz  den  oberhalb  der  drei  ehe- 
maligen herrschaftlichen  Schluckgüter  gelegenen  Wald  und 
den  Forstort  Holy  ;  bezüglich  dieser  Weidgänge  haben  anscheinend 
schon  in  den  1760er  Jahren  Streitigkeiten  stattgefunden.  Durch 
schiedsrichterliches  Urteil  vom  2.  pluviose  II  (21.  Januar  1794) 


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-    74  - 

wurden  ihr  die  beanspruchten  Flachen  zu  teil ;  eine  Waldpa  reelle 
unmittelbar  um  die  Schluckgüter  erwarb  die  Gemeinde  erst 
neuerdings.  (Altw.  Gem.  Arch.) 

Mit  gleich  günstigem  Erfolge  setzten  die  Gemeinden  St. 
Blasien  und  Fortelbach,  Annexen  von  Markirch  und  Thannen- 
kirch, ehedem  Annexe  von  Bergheim,  ihre  Forderungen 
bezüglich  der  auf  der  Uebersichtskarte  bezeichnenden  Weide- 
ablösungsflächen durch.  So  entstand  der  jetzige  Gemeinde- 
wald Thannenkirch,  welcher  nach  dem  Zeugnis  des 
ältesten  Bewohners  damals  nicht  viel  mehr  als  eine  Oedfläche 
war.  Diese  Thatsache  scheint  seiner  Zeit  der  französischen 
Regierung  den  Verzicht  auf  diese  und  andere  Flächen  erleichtert 
zu  haben. 

Das  Schicksal  des  herrschaftlichen  Waldes  von  Reichen  - 
weier  wurde  formell  am  4.  Februar  1793  besiegelt,  an  welchem 
Tage  die  Colmarer  Regierung  über  das  Mobiliar-  und  Immobi- 
liarvermögen des  württembergischen  Herzogs  im  Oberelsa ss 
das  Sequester  verhängte.  Am  15.  April  1796  verzichtete  dieser 
endgültig.  Am  19.  Juli  desselben  Jahres  wurde  der  etwa  7  l.a 
grosse,  mit  Kastanien  bestockte  Herren  wähl  mit  der  Ruine 
Reichenstein  für  13  970  fres.  an  Sattler  Andreas  zu  Reichen- 
weier zugeschlagen,  (Colmar  B.-A.  Vente  des  domaines  Serie 
L.)  und  der  gesamte  übrige  Herrschaflswald  zum  foret  nationale 
erklärt,  er  blieb  von  da  ab  Staatswald.  Die  Stadt  Reichenweier 
behielt  ihren  Gemeindewald  und  machte  ebenso  wie  die  Nach- 
barsdörfer keinerlei  Versuche,  auf  Grund  der  geringfügigen 
Nutzungsrechte  am  herrschaftlichen  Walde  sich  einen  Teil  des- 
selben zu  erkämpfen.  Dagegen  erhob  Altweier  ebenfalls  An- 
spruch auf  einige  bisher  zu  diesem  gehörige  Flächen.  Durch 
das  vorerwähnte  Urteil  vom  21.  Januar  1794  wurden  ihr  die 
auf  den  Karten  bezeichneten  Teile  der  Forstorte  Kalblin  und 
Müsberg  als  Ersatz  für  die  Waldweiderechte  eigentümlich  zu- 
erkannt, jedoch  erst  am  3t.  März  1842  leistete  der  Präfekt  des 
Oberrheins  endgültig  auf  die  Flächen  Verzicht.  Die  Bewohner 
des  Weilers  Ursprung  behielten  ihr  Recht  auf  Weide  im 
Staatswald  Seelburg. 

Und  was  wurde  aus  den  verschiedenen  Weilern,  Gehöften, 
Sägemühlen  und  Forsthäusern  inmitten  der  beiderseitigen  Wald- 
ungen? Eine  eingehende  Behandlung  dieser  Frage  würde  uns  zu 
weit  führen.  Schon  muss  ich  befürchten,  dass  der  gütige  Leser 


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-    75  - 

ungeduldig  geworden  ist.  Daher  nur  einige  kurze  Mitteilungen 
hierüber  ! 

Das  Schicksal  all  dieser  Grundstücke  war  ein  verschie- 
denes, je  nachdem  diese  als  Erb-  oder  als  Zeitpachtgüter  ge- 
gründet oder  nachtraglich  aus  ersteren  in  letztere  umgewandelt 
worden  waren.  Jene  wurden  mit  Aufhebung  der  Feudalität 
Eigentum  der  Inhaber,  jedoch  mit  der  Verpflichtung,  den  Grund- 
zins weiter  zahlen  zu  müssen.  Der  Erbpächter  konnte  diesen 
nach  dem  Zinsfuss  4  :  20  (au  denier  vingt)  durch  Kapitalzahlung 
ablösen,  wogegen  der  Grundherr  dieses  Provokationsrecht  nicht 
hatte.  Diese  Verhandlungen  haben  sich  bis  in  die  letzten  Jahre 
hingezogen.  Sämtliche  herrschaftlichen  Zeitpachtgüter,  also  auch 
die  zurückgekauften  Erbpachtgüter,  wurden  in  der  Regel  öffent- 
lich pro  fisco  verkauft.  Diese  Veräusserungen  (Colmar  B.-A, 
Vente  des  domaines  Serie  L)  zogen  sich  in  hiesiger  Gegend 
mindestens  bis  1806  hin ;  die  meisten  fanden  in  den  Jahren 
1795,  1796  statt.  Als  einzelne  Erlöse  mögen  erwähnt  werden  : 
Bärenhütte  4012  francs,  das  7  arpents,  also  etwas  über  3  ha 
grosse  «Zieläckerle»  oberhalb  Bilsteinthal  2046  frcs.  (Anschlag 
22  X  jährlicher  Pachtwert  von  03  frcs.)  Glausmatt  6308  frcs., 
Sachsermatt  3180  frcs.,  Schölmenkopf-ferme  4608  frcs.,  Kohl- 
haus 3168  frcs.,  Kalbsplatz  3728  frcs.  Die  herrschaftlichen 
Sagemühlen  wurden  gleichfalls  versteigert,  wogegen  man  die 
Forsthäuser  Iberg  und  Mittelberg  als  Zubehör  des  Waldes  ansah. 

Zum  Schluss  noch  eine  kurze  Andeutung  über  die  weitere 
Entwicklung  des  Waldbesitzstandes  der  Stadt  Happoltsweiler ! 
Wir  sahen  bereits,  dass  dieselbe  von  jeher  mit  je  einem  Siebentel 
an  den  drei  ungeteilten  Forstorten  Walburg,  Griechbühl, 
Blütling,  sowie  an  der  Gemeinmark  im  Ried  beteiligt  war. 
Auf  Grund  einer  Provokation  der  Stadt  wurde  in  den  Jahren 
1821—1829  bezüglich  der  ersteren  Waldungen  eine  Eigentums- 
auseinandersetzung vorgenommen  (Rapp.  St.-Arch.  N  Nu.  33) 
bei  der  Rappoltsweiler  wegen  Annahme  der  Feuerstellen  als 
Verteilungsmassstab  von  rund  251  ha,  fast  ein  Drittel,  nämlich 
79,20  ha  erhielt;  es  sind  dies  die  jetzigen  Distrikte  Walburg 
63 — 67  und  eine  in  den  Allmendwald  vom  Griechbühl  hinein- 
ragende Zunge,  (vrgl.  Karte)  welche  den  Stadtwald  vorteilhaft 
abrundete.  Hunaweier  bekam  damals  im  Anschluss  an  seinen 
Gemeindewald  den  Hauptteil  vom  Griechbühl  und  die  etwa 
41  ha  grosse  Parzelle  Blütling,  zusammen  38,6  ha.   Die  übrigen 


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—    70  — 

rund  133  ha  im  Walburg  fielen  den  fünf  Gemeinden  Reichen- 
weier mit  31,7  ha,  Zellenberg  mit  13,3  ha,  Beblenheim  mit 
46,0  ha,  Mittetweier  mit  20,3  ha,  Bennweier  mit  21,8  ha 
gleichzeitig  zu.  Bei  der  erst  in  den  fünfziger  Jahren  endgültig 
gewordenen  Teilung  der  Gemeinmark  im  Ried  erhielt  Rapperts- 
weiler in  den  sog.  Ehrlen  13,83  ha. 

Der  40  ha  grosse  Kastanienwald  im  sog.  Altenholz  war 
ein  Teil  der  hiesigen  Allmend.  Von  dieser  Fläche  waren  im 
Jahre  1831  nur  etwa  7  ha  mit  jungen  Kastanien  bestockt,  der 
Rest  wurde  mit  Hackfrüchten  bebaut  oder  lag  als  Weidgang 
öde  da,  hier  und  da  mit  Dornen  und  Weichhölzern  bewachsen. 
(Rapp.  St.-A.  N  No.  40.)  Ein  anfangs  der  dreissiger  Jahre  auf- 
gestellter Kulturplan  schreibt  für  die  33  ha  vor : 

1.  Ankauf  von  33  X  6000  =  *9800  Kasta- 
nienpflanzen, das  1000  zn  40  frcs.   .  .  .  =  7920  frcs. 

2.  Pflanzenderselbenl9800,dasl000zul0frcs.  =  1980  » 

3.  Vorheriges  Roden,  Ebnen  und  Behacken 

des  Bodens  33  X  120  frcs  =  3960  » 

Summa  .  .  .     13860  frcs. 

dies  macht  also  auf  den  Hektar  die  ansehnliche  Summe  von 
420  frcs.  Bis  1842  gelangte  der  Plan  nicht  zur  Ausführung, 
es  fanden  nur  einzelne  Versuche  statl ;  damals  wurde  sogar  von 
den  Herrn  G.  Schillmann,  Faller  und  Bott  vorgeschlagen,  die 
Stadt  möge  das  Altenholz  in  kleinen  Losen  von  10 — 40  ares 
veräussern  oder  verpachten,  damit  sich  jeder  Rebbesilzer  seine 
Kastanienpfähle  selbst  ziehen  könne.  Dieser  Vorschlag  fand 
jedoch  nicht  die  Billigung  des  Gemeinderates,  und  man  kann 
wohl  sagen  glücklicherweise,  denn  die  Knufgelder  wären  vielleicht 
zu  irgend  welchen  laufenden  Ausgaben  verwendet  worden, 
während  in  letzter  Zeit  die  Stadt  aus  dem  Walde  eine  durch- 
schnittliche jährliche  Reineinnahme  von  etwa  3500  Mark  gehabt 
hat.  Die  Aufforstung  der  vorgenannten  33  ha  ging  infolge  ver- 
schiedener Schwierigkeiten  langsam  vor  sich  und  beschäftigte 
noch  anfangs  der  siebziger  Jahre  die  Forstverwaltung. 


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Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

Kapitel  I.  Allgemeingeschichtliches  aas  den  Herr- 
schaften Bappoltstein  und  Reichenweier  l 

»  II.  Entwickelang  der  Waldeigentums-,  Forst- 
hoheit s-  und  Berechtigungsverhältnisse  .  7 

»      III.  Forst- Verwaltung  und  Gericht sbaikeit  .  .  2  t 

>  IV.  Wahlordnungen  und  Ansiedelungen   ...  31 

>  V.  Regelang  der  Holznutzung   35 

»      VI.  Handhabung  der  Forstnebennutzungen  .  .  45 

>  VII.  Waldpflege  nnd  Belriebsregelung   49 

>  VIII.  Jagdwesen   57 

»  IX.  Eigentumsveränderangen  infolge  der  fran- 
zösischen Revolution   63 


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Höh  konigsburg 


vom  Waldbv/ 

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und 

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Entworfen  von 

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BEITRAGE 

ZUR 

!  .:.  •  3  ES-  :JND  YOLKE5ICUNDE 

VON 

ELSASS-LOTHRINGEN 

XX.  HEFT. 
DIE 

-     .  .....    X         i   -  I  .l.Jwj.  ^ 

VON 

HERMANN  IRLE. 


Mti  veraehrte  Alflage. 


A/t7  {»w  Ansichten  und  Plan  von  Bitsch  nebst  Karte 

der  Umgegend, 


STRASSBURG 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel) 

1902. 


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BEITRÄGE  ZUR  LANDES-  UND  VOLKESKUNDE 

von  Elsass-Lothringen. 

Band  I. 

1.  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  In  Lothringen  von 

C  o n s t.  This.  31  S.  mit  1  Karte  ( 1  :  300.000).  1  50 

2.  Ein  andeohtig  geistliche  Badenfahrt  de»  hochgelehrten 

Herren  Thomas  Murner.  66  S.  Neudruck  mit  Erläuteren.,  insbe- 
sond.  Uber  das  altdeutsche  Badewesen  v.  Prof.  Dr.  E.  Martin.  Mit  6 
Zinkätzungen  nach  dem  Original.  2  — 

3.  Die   Ala manne nschlaoht   vor   Strasbourg    357  n.  Chr.  von 

Archivdirektor  Dr.  W.  Wicgand.  46  S.  mit  einer  Karte  und  einer  Weg- 
skizze. 1  — 

4.  Lenz,  Goethe  und  Cleophe  Flbloh  von  Strassburg.  Ein  urkund- 

licher Kommentar  zu  Goethes  Dichtung  und  Wahrheit  mit  einem  Porträt 
Araminta's  In  farbigem  Lichtdruck  und  ihrem  Facsimile  aus  dem  Lenz- 
Stammbuch  von  Dr  J  o  h.  Fro  it  z  hei  m.  96  S.  2  50 

5.  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  Im  Elsass  von  Dr. 

Const.  This.  43  S.  mit  Tabelle,  Karte  und  acht  Zinkätzungen.       1  50 

Band  II. 

6.  Strassburg  im  französischen  Kriege  1552  von   Dr.  A.  Hol- 

1  a  e  n  d  e  r.  68  S.  1  50 

7.  Zu  Strassburgs  Sturm-  und  Drangperlode   1770   bis  76. 

Von  Dr.  Foh.  Froitzheim.  SSS.  2  — 

6.  Geschichte  des  helligen  Forstes  bei   Hagenau  im  Elsass. 

Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  C.  E.  Ney,  Kais.  Oberförster.  I.  Teil 
von  1065-1643.  114  S.  2  — 

9.  Rechts-  und  Wlrtsohafts-Verfassung  des  Abteigebietes 
M aursmünster  während  des  Mittelalters  von  Dr.  Aug. 
Her  t  zog.  114  S.  2  — 

10.  Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner.  Ein  Wort  der  Kritik 

an  unsere  Goetheforscher  von  Dr.  Joh.  Froitzheim.  63  S.  150 

Band  III. 

11.  Die  Armagnaken  im  Elsass.  Von  Dr.  H.  Witte.  158  S.  2  50 

12.  Geschichte  des  heiligen  Forstes  bei  Hagenau  im  Elsass. 

Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  C.  E.  Ney,  Kais.  Oberförster.  II.  Teil 
von  1643—1791.  158  S.  2  50 

13  General  Kleber.  Ein  Lebensbild  von  Friedrich  Teicher,  König!, 
bavr.  Hauptmann.  4S  S.  1  20 

14.  Das'  Staatsrechtliche  Verhältnis  des  Herzogtums  Loth- 

ringen zum  Deutschen  Reiche  seit  dem  Jahre  1542  von 
Dr.  Siegfried  Fitte.  Mit  Karte.  103  S.  2  50 

15.  Deutsohe  und  Keltoromanen  in  Lothringen  nach  der  Völ- 

kerwanderung. Die  Entstehung  des  Deutschen  Sprachgebietes  von 
Dr.  Hans  N.  Witte.  100  S.  Mit  1  Karte.  2  50 

Band  IV. 

16.  Der  letzte  Puller  von  Hohenburg.  Ein  Beitrag  zur  politischen 

und  Sittengeschichte  des  Elsasses  und  der  Schweiz  im  15.  Jahrhundert 
sowie  zur  Genealogie  des  Geschlechts  der  Püller  von  Dr.  H.  Witte. 
IV  u.  143  S.  2  50 

17.  Eine   Strassburger  Legende.    Ein  Beitrag  zu  den  Beziehungen 

Strassburg  s  zu  Frankreich  im  16.  I.ihrhundert  von  Dr.  A.  Hollaender. 
23  S.  1  — 

13.  Der  lateinische  Dichter  Johannes  Fabrlolus  Montanus  (aus 

Bergheim  im  Elsass  Selbstbiographie    rn  Prosa  und  Versen 

nebst  einigen  Gedichten  von  ihm,  verdeutscht  von  Theodor  Vul- 
pinus.  30  S.  —  80 

19.  Forstgesohlohtliohe  Skizzen  aus  den  Staats-  und  Gemcindewald- 

ungen  von  Rappoltsweiler  und  Reichenweier  aus  der  Zeit  vom  Aus- 
gange des  Mittelalters  bis  zu  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts  von  Dr. 
Aug.  Kahl,  Kaiserl.  Oberförster.  Mit  Ucbcrsichtskarte.  IV  u.  78  S.    2  — 

20.  Die  Festung  Bitsch  von  Hermann  Irlc.  Dritte  vermehrte  Aullage 

mit  einem  Anhange  enthaltend  die  Umgebung  von  Bitsch.  Mit  2  Ansichten 
und  Plan  von  Bitsch,  nebst  Karte  der  Umgegend.  52  S.  1  50 

Band  V. 

21.  Ritter  Friedrich  Kappler.  Ein   elsässischer  Feldhauptraanh  aus 

dem  15.  Jahrhundert  von  Theodor  Vulpinus.  VIII  u.  112  S.        3  — 

22.  Die  Annexion  des  Elsass  durch  Frankreich  und  Rückblicke 

auf  die  Verwaltung  des  Landes  vom  westphälischen  Frieden  bis  zum 
Ryswickcr  Frieden  (1648— 1697)  von  Hermann  Freiherr  von  Mül- 
lenheim u.  von  Rechberg.  74  S.  250 


DIE 

f 

FESTUNG  BITSCH 


VON 


HERMANN  IRLE. 


Dritte  vermehrte  Auflage. 


Mit  -wei  Ansichten  und  Plan  von  Bitsch  nebst  Karte 

der  Umgegend. 


STRASSBURG 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz    &  Mündel) 

1902. 


m 


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Als  am  6.  August  1870  überall  in  deutschen  Landen  die 
nachfolgende  Depesche  des  preussischen  Kronprinzen  :  «Sieg- 
reiche Schlacht  bei  Wörth,  Mac  Mahon  mit  dem  grössten  Teile 
seiner  Armee  geschlagen  und  auf  Bitsch  zurückgeworfen»,  be- 
kannt wurde,  hatten  wohl  die  wenigsten  unserer  Landsleute  je 
den  Namen  Bitsch  gehört;  seit  dieser  Zeit  ist  es  oft  genannt 
worden  und  zu  einer  gewissen  Berühmtheit  gelangt  wegen  der 
hartnäckigen  Verteidigung,  mit  der  es  allein  während  des  ganzen 
Feldzuges  von  1870/71,  nachdem  ringsum  alles  Land  von  den 
Deutschen  besetzt  und  selbst  die  grössten  Festungen  genommen 
waren,  jeder  Uebergabe  trotzte.  Dieses  Verhalten  hat  Bitsch  den 
Ruf  der  Uneinnehmbarkeit  erworben  und  zu  mehreren  Beschrei- 
bungen seiner  Belagerung  Veranlassung  gegeben.»  Da  dieselben 
sich  mit  der  früheren  Geschichte  der  nun  interessant  gewor- 
denen Feste  gar  nicht  beschäftigen,  und  auch  die  neueste  teil- 
weise ungenau  oder  unvollständig  wiedergeben,  dürfte  die  Ver- 
öffentlichung nachfolgender  Zeilen  gerechtfertigt  erscheinen. 

Zwischen  Hagenau  und  Saargemünd,  ungefähr  gleich  weit 
von  beiden  entfernt,  zeigt  sich  dem  von  Niederbronn  aus  mit 
der  1869  eröffneten  Eisenbahn  fahrenden  Reisenden  nach  etwa 
»'<  stündiger  Fahrt  durch  herrlichen  Wald  plötzlich  eine  grössere 
wald freie  Fläche  von  eigentümlicher  Formation,  in  deren  Mitte  . 
sich  ein  isolierter  Bergkegel  erhebt  mit  weithin  leuchtenden 
Ziegeldächern:  es  ist  dies  die  «jungfräuliche»  Bergfeste  Bitsch,  . 
erbaut  auf  einer  366  m  hohen  Kuppe  von  30—60  m  Breite  und 
300  m  Länge.    Die  Kuppe  besteht  aus  mächtigen  Sandstein- 


1  1)  Gefangen  und  belagert  von  Max  v,  Schlägel ;  2)  In  Bitsch 
«refangen,  von  Oskar  v.  Marschal;  3)  Le  siege  de  Bitche  par  Dalsörae, 
Xe  edition;  4)  Pradal:  Relation  historique  du  siege  de  Bitche.  5) 
La  \6rite  sur  le  si6ge  de  Bitche  par  Mondelli.  C>)  Bitche  et  ses  de- 
fensenrs  par  E.  Guesquin. 


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blocken  und  uberragt  die  nächste  Umgebung,  insbesondere  die 
Stadt 'Büsch  um  80  m,  mit  der  oberen  Hälfte  (also  etwa  40  m 
hohe)  senkrecht  abfallende  Felswände  bildend. 

Die  Oberfläche  der  Kuppe  zerfällt,  wie  wir  dies  bei  so 
vielen  Burgen  in  den  Nordvogesen  finden  (Waldeck,  Falken- 
stein, Ramstein  u.  a.),  in  drei  Teile,  einen  mittleren  grösseren 
und  durch  Schluchten  davon  getrennt  einen  kleineren  nörd- 
lichen —  der  grosse  —  und  südlichen  —  der  kleine  Kopf  ge- 
nannt. Ueber  der  Oberfläche  befinden  sich  auf  dem  Mittelkörper 
zwei  Kasernen  und  eine  jetzt  als  Magazin  benutzte  Kapelle  ;i 
die  Hauptstärke  der  Festung  liegt  in  den  unterirdischen,  in  den 
Fels  gehauenen,  bombensicheren  Souterrains,  weiche  Unterkunft 
für  die  Besatzung  und  genügenden  Raum  zur  Unterbringung 
alles  sonst  Erforderlichen  gewähren.  Der  Besuch  der  unter- 
irdischen Räume  ist  nicht  erlaubt,  wohl  aber  die  Besichtigung 
der  oberen  Festung  gegen  Lösen  einer  Karte  auf  der  Komman- 
dantur; auch  diese  ist  schon  interessant  genug,  um  sie  allen 
denen  zu  empfehlen,  die  ihr  Weg  in  die  Nähe  von  Bitsch  führt; 
ganz  eigenartig  ist  auch  der  Blick  von  der  Höhe  der  Festung 
in  die  weiten,  verschieden  gefärbten  Forsten  der  kuppenreichen 
Nordvogesen  :  so  weit  das  Auge  reicht,  nichts  als  Wald,  nir- 
gends eine  Spur  menschlicher  Niederlassung:  «Bitche,  laissee 
ä  elle-meme,  c'est  la  solitude,  fisolement,  l'abandon  le  plus 
absolu»,  sagt  Dalseme. 

Von  der  Tiefe  und  Grösse  der  unterirdischen  Anlagen 
erhält  man  einen  Begriff,  wenn  man  das  grossartige,  weithin 
schallende  Echo  in  der  unter  dem  Kapelleneingang  befindlichen 
Zisterne  ertönen  lässt.  Die  Kapelle  ist  überhaupt  das  inter- 
essanteste oberirdische  Gebäude,  weil  sie  das  einzige  aus  der 
alten  Zeit  übrig  gebliebene  ist  ;  aus  der  ältesten  Zeit  stammt 
sie  freilich  auch  nicht,  denn  die  ersten  Anlagen  unserer  Feste 
führen  mindestens  in  das  XII.  Jahrhundert  zurück.^ 

Bereits  im  Jahre  117*2  finden  wir  ein  «Castrum  Bytis*  er- 
wähnt, und  zwar  als  Familiengut  der  Herzöge  von  Lothringen. 

Wie  die  Verehrung  der  Geistlichkeit  im  Jahre  1135  die 
Gründung  des  Klosters  Stürzelbronn  veranlasste,  so  gab  die 


i  Das  auf  dem  «grossen  Kopf»  befindliche  Gefängnis  für  Zivil- 
festungsgefangene wurde  189*2  abgebrochen. 


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5  - 


Liebe  zur  Jagd  Anlass  zum  Bau  des  Schlosses  Bitsch  :  für  klöster- 
liche Einsamkeit  sowohl,  wie  für  Ausübung  der  Jagd  war  der 
damalige  Zustand  der  Herrschaft  Bitsch  wie  geschaffen,  denn 
dieselbe  bestand  meist  aus  dichtem  Wald,  nur  12  Orte  werden 
in  einer  Greuzbeschreibung  vom  Jahre  1150  erwähnt,  während 
später  auf  demselben  Gebiete  etwa  70  vorkommen.  Das  1172 
erwähnte  und  von  Herzog  Mathias  I.,  einem  grossen  Nimrode, 
erbaute  Castrum  Bytis  war  ursprünglich  lediglich  'ein  Jagd- 
schloss  und  lag  vermutlich  nicht  an  Stelle  unserer  heutigen 
Festung,  sondern  nordwestlich  von  Lemberg  auf  dem  sogen, 
t Schlossberg wo  heute  noch  wenige  Trümmer  sichtbar  sind, 
die  früher  des  öfteren  als  «Alt  Bitsch»  erwähnt  werden. 

Die  eigentliche  Entwicklung  von  Bitsch  beginnt  mit  dem 
Uebergang  der  Herrschaft  an  die  Grafen  von  Zweibrücken  ; 
1297  wurde  nämlich  zwischen  Herzog  Friedrich  von  Lothringen 
und  Graf  Eberhard  von  Zweibrücken  ein  Tauschvertrag  abge- 
schlossen, wonach  letzterer  an  Lothringen  abtrat:  Scbloss  Saar- 
gemünd und  Marimont  mit  Zubehör  und  die  Salinen  von  Lindre, 
und  dafür  erhielt  Schloss  und  Herrschaft  Bitsch. 

Graf  Eberhard  war  es  nun  höchstwahrscheinlich,  der  das 
Schloss  Bitsch  an  der  heutigen  Stelle  aufbaute,  jedenfalls  das- 
selbe von  einem  einfachen  Jagdschloss  zu  einem  den  Ansprüchen 
der  damaligen  Zeit  entsprechenden  festen  Herrschaftshaus  erhob, 
denn  während  es  zu  lothringischen  Zeiten  den  Herzögen  nur 
zu  vorübergehendem  Aufenthalt  oder  den  jüngeren  Familien- 
gliedern gewissermassen  als  Apanarge  gedient  hatte,  wurde  es, 
vom  Grafen  Eberhard  zum  Sitz  der  jetzt  verbundenen  Herr- 
schaften Zweibrücken  und  Bitsch  erhoben,  und  Eberhard  nennt 
sich  nun:  «comes  Gemini  Pontis  et  dominus  in  Bitsch».  Bereits 
in  einer  Urkunde  von  1302,  durch  welche  Eberhanl  dem  Herzog 
von  Lothringen  eine  «Oeflfhung»  verschrieb,  wird  eine  Vorburg 
und  ein  grosser  Thurm  in  der  Burg  Bitsch  erwähnt.  Durch 
die  Verschreibung  dieser  Oeffnung  erhielt  der  Herzog  von  Loth- 
ringen das  Becht,  sich  jederzeit  in  der  Burg  mit  Ausnahme 
des  grossen  Thurmes  aufzuhalten,  versprach  aber  eidlich,  von 
diesem  Rechte  nur  in  äussersten  Notfallen  und  nicht  zum  Schaden 
des  Burgherrn  Gebrauch  zu  machen. 

Es  geht  hieraus  hervor,  dass  schon  zu  Anfang  des  XIV. 
Jahrhunderts  unsere  Festung  ein  sehr  fester  Punkt  war,  der 
sogar  von  einem  Herzog  als  sicherer  Zufluchtsort  gesucht  wurde. 


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Dass  Bitsch  bereits  im  XIV.  Jahrhundert  sehr  fest  und  von 
tapferen  Männern  verteidigt,  ein  schwer  zu  nehmender  Platz 
war,  ersehen  wir  auch  daraus,  dass  im  Jahre  1366  sich  Kur- 
fürst Ruprecht  mit  einer  ganzen  Menge  von  Fürsten,  Grafen, 
Herren  und  Städten  verband,  um  die  Grafen  Simon  und  Hane- 
mann  «nebst  deren  Gemeiner  in  der  Burg  zu  Bitsch»,  welche 
sich  durch  ausserordentliche  Gewaltthätigkeiten  und  Räubereien 
vor  ihren  anderen  Standesgenossen  auszeichneten,  unschädlich 
zu  machen ;  wer  der  klügere  war  und  nachgegeben  hat,  ist 
nicht  bekannt,  jedenfalls  kam  es  nicht  zu  einem  Kampf. 

Trotz  seiner  Gewalttätigkeit,  oder  vielleicht  gerade  deshalb 
war  Graf  Simon  auch  um  das  Seelenheil  der  Schlossbewohner 
besorgt  und  bestimmte  1360,  dass  da3  Kloster  Stürzelbronn 
jährlich  ein  feierliches  Amt  auf  dem  Schloss  abhielt ;  ein  be- 
sonderes Gotteshaus  scheint  damals  auf  der  Festung  noch  nicht 
bestanden  zu  haben,  wenigstens  wurde  1398  für  eben  diesen 
Grafen  Simon  von  16  Pfarrern  aus  der  Herrschaft  Bitsch  eine 
jährliche  Totenfeier  an  jedem  ersten  Dienstag  im  Oktober  in 
der  Katharinenkapelle  zu  Kaltenhausen  unter  Bitsch  (und  nicht 
auf  dem  Schlosse)  eingerichtet. 

50  Jahre  später  fand  der  erste  uns  überlieferte  Sturm  auf 
Bitsch  statt. 

In  der  Nacht  vom  19.J20.  März  14i7  wurde  Bitsch,  auf 
dem  damals  Graf  Friedrich  residierte,  plötzlich  ohne  vorherige 
Ankündigung  der  Fehde  durch  die  Grafen  Jakob  und  Wilhelm 
von  Lützelstein  überfallen  ;  die  Lützelsteiner  überstiegen  mit  Hilfe 
von  Strickleitern  die  Mauern,  machten  die  überraschten  Mann- 
schaften des  Grafen  meist  im  Schlafe  nieder  und  verbreiteten 
sich  im  ganzen  Schloss,  um  den  Grafen  tot  oder  lebendig  in 
ihre  Hände  zu  bekommen ;  dieser  war  von  einem  Diener  ge- 
weckt worden  und  entkam  nur  mit  dem  Hemde  bekleidet  auf 
den  von  den  Feinden  angehängten  Strickleitern  ;  seine  beiden 
Söhne  fielen  in  die  Gewalt  der  Lützelsteiner. 

Dieser  gegen  alles  Recht  und  Gewohnheit  ausgeführte 
Ueberfall  hatte  allerseits  grossen  Unwillen  erregt  und  Graf 
Friedrich  gelang  es  leicht,  eine  Menge  Verbündeter  zur  Wie- 
dereroberung seines  Schlosses  zu  finden.  Bereits  acht  Tage 
später  war  eine  grosse  Masse  Bewaffneter  bei  Schorbach  ver- 
sammelt und  Bitsch  wurde  eingeschlossen.  Die  Lützelsteiner 
brannten  am  4.  Mai  das  unter  der  Festung  gelegene  Dörfchen 


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-    7  - 


Kaltenhausen,  in  welchem  sich  die  Belagerer  festgesetzt  hatten, 
nieder,  wurden  aber,  nachdem  die  beiden  Grafen  bereits  vor- 
her aus  der  Festung  geflüchtet  waren,  am  12.  Mai  zur  Ueber- 
gabe  gezwungen  unter  Bewilligung  freien  Abzuges;  nachdem 
sie  die  Burg  verlassen,  wurden  sie  von  den  erbitterten  Bürgern 
Kaltenhausens  überfallen  und  teilweise  niedergemacht. 

Von  den  Festungswerken  war  bei  diesen  kurz  aufeinander- 
folgenden Einnahmen  nichts  zerstört  worden,  wohl  aber  muss 
dies  bei  den  Anfang  des  folgenden  Jahrhunderts  ausgebrochenen 
Bauernkriegen  der  Fall  gewesen  sein,  da  Graf  Reinhard  vor 
den  Bauern  sich  nach  Vic  tlüchten  musste :  von  seinen  (5000 
Unterthanen  gehorchten  ihm,  wie  er  selbst  sagte,  kaum  noch  6. 

Nähere  Angaben  fehlen  ;  jedenfalls  waren  die  Zerstörungen 
nicht  gross  und  bald  wieder  hergestellt,  sonst  würde  der  Her- 
zog von  Lothringen  kein  so  grosses  Gewicht  auf  den  Besitz  von 
Bilsen  gelegt  und  bei  der  Eröffnung  der  sog.  Bitscher  Erbschaft 
im  Jahre  1570  kein  so  gemein-hinterlistiges  Spiel  getrieben 
haben.  Er  kaufte  schliesslich  Büsch  dem  Grafen  von  Leiningen 
um  50,000  fl.  ä  24  Batzen  ab,  obwohl  er  den  Grafen  von 
Hanau  damit  belehnt  hatte,  und  am  21.  Juli  1572  «hat  Graf 
Johann  Salm  —  wie  der  zeitgenössische  Chronist  Herzog  sich 
ausdrückt  —  von  wegen  Herzog  Carolen  zu  Lothringen  das 
Haus  Büsch  mit  Gewalt  Landfriedensbrüchigerweis  und  mit 
Verräterei  eingenommen».  Graf  Philipp  von  Hanau  strengte 
wegen  der  gewaltsamen  Einnahme  von  Bitsch  gegen  den  Her- 
zog von  Lothringen  einen  Prozess  am  Reichskammergericht  an, 
der  aber  wie  die  meisten,  bei  diesen»  allzu  gründlichen  Gericht 
kein  Ende  fand  und  schliesslich  im  Jahre  400G  durch  einen 
Vergleich  beigelegt  wurde  ;  auch  bei  dieser  Gelegenheit  lernen 
wir  wieder  die  Bedeutung  von  Bitsch  kennen,  denn  der  Her- 
zog von  Lothringen  zahlte  an  den  Grafen  von  Hanau  für  den 
Verzicht  auf  Bitsch  u.  A.  60,000  tl.  heraus.« 

Die  lothringische  Herrschaft  war  von  kurzer  Dauer  :  wie 
Lothringen  vorher  bestrebt  gewesen,  sich  in  den  Besitz  von 
Bitsch  zu  setzen,  so  war  es  nunmehr  Frankreich  bezüglich 
Lothringens,  und  fast  das  ganze  XVII.  Jahrhundert  hindurch 


1  Von  lfiW — 1;V.)4  war  Bitsch  durch  den  Herzog  von  Lothringen 
an  den  Markgrafen  von  Baden,  von  1;>!*4 — 1  an  den  Graten  Karl 
von  Hohenzollern-Sigmaringen  um  142.SSO  fl.  verpfändet. 


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I 


-    8  - 

war  infolgedessen  Lothringen  und  insbesondere  die  Gegend 
von  Bitsch  der  Schauplatz  blutiger  Kämpfe. 

Im  Frühjahr  1633  drangen  auf  Veranlassung  Frankreichs 
die  Schweden  in  Lothringen  ein  und  breiteten  sich  sengend 
und  brennend  in  demselben  aus ;  im  Sommer  kamen  sie  in 
die  Herrschaft  Bitsch  und  am  6.  September  verbrannten  sie  die 
beiden  am  Fusse  der  Festung  gelegenen  Dörfer  Kaltenhausen 
und  Rohr,  nur  wenige  Einwohner  konnten  sich  auf  die  Festung 
flüchten,  die,  obwohl  nur  schwach  besetzt,  von  den  Schweden 
nicht  genommen  worden  konnte.  Im  nächsten  Jahre  rückten 
die  Franzosen  in  Lothringen  ein,  und  auch  Bitsch,  das  sich 
mit  der  im  heutigen  Departement  Vosges  gelegenen  Festung 
La  Mothe  am  längsten  gehalten  hatte,  musste  sich  nach  12 
tägiger  Belagerung  den  Franzosen  unter  Führung  des  Marschalls 
d'Humier  ergeben.  (Jeher  die  damaligen  Zustände  und  insbe- 
sondere die  Belagerung  schreibt  der  Bitscher  Rentamtmann  in 
einem  Bericht  1639:  «Dass  die  arme  Unterthanen  7  oder  8 
Jahre  nacheinander  ruinirt  und  wegen  der  Truppen,  so  täglich 
in  den  Dörfern  dieser  Grafschaft  auf-  und  abgezogen,  in's 
äusserste  Verderben  geraten,  also  dass  sie  schwerlich  mehr 
aufkommen  haben  können,  nach  ausgestandenem  grossem  Elend, 
und  Armut,  das  Schloss  Bitsch  von  der  königlich  durch  Mar- 
schall d'Humier  kommandirte  Armee  auch  noch  belagert  worden, 
welche  die  gedachte  arme  Unterthanen  wieder  utFs  neu  übel 
traktiret,  betrübet,  requiriret,  auch  alles,  was  sie  zu  Ihrem 
Unterhalt  gehabt,  weggenommen,  also  dass  mehrentheils  ihrer 
in  fremde  Länder  zu  gehen  und  ihr  Brod  zu  suchen  genöthigt 
worden.»  Die  Franzosen  mussten  Bitsch  bald  wieder  verlassen, 
und  die  Besatzung  wechselte  nun  mit  dem  Kriegsglück  :  bald 
waren  es  Franzosen,  bald  Lothringer,  bald  Schweden,  bald 
Kaiserliche ;  aber  auch  mit  Beendigung  des  dreissigjährigen 
Krieges  dauerte  für  das  arme  Land  das  Unglück  fort.  Franzosen 
und  Lothringer  stritten  sich  weiter  um  die  Herrschaft.  1658 
und  1659  finden  wir  Lothringer  Truppen  auf  dem  Schlosse, 
doch  müssen  sie  .sich  der  Bürgerschaft  gegenüber  sehr  feind- 
selig  benommen  haben,  denn  am  12.  August  1658  erlässt  der 
Prinzregent  (Le  duc  regen t)  Nicole  Francois  ein  Rescript,  wo- 
durch den  Offizieren  und  Soldaten  anbefohlen  wird,  die  Bitscher 
Bürger  in  Ruhe  ihr  Vermögen  gemessen  zu  lassen  und  ihnen 
nur  die  Güter  der  Abwesenden  freigegeben  werden.  1670  wird 


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-    9  - 

Bitsch  wieder  von  den  Franzosen  besetzt  und  schliesslich  1680 
durch  Besehluss  der  in  Metz  eingesetzten  Reunionskammern 
definitiv  mit  Frankreich  vereinigt.  Nun  wurde  der  von  Turenne 
schon  längst  gefasste  Plan  der  Neubefestigung  von  Bitsch  aus- 
geführt und  der  Vater  der  modernen  Befestigungskunst,  Vauban 
mit  der  Durchführung  beauftragt. 

Die  Festung  erhielt  im  Grossen  und  Ganzen  bereits  die 
Gestalt  die  sie  noch  heute  hat ;  die  teilweise  zerfallenen  turm- 
artigen Mauerbauten  des  alten  Burgsystems  wurden  entfernt, 
von  Hochbauten  nur  eine  einfache  Kaserne  für  1  Bataillon  und 
Wohnräume  für  die  verschiedenen  höheren  Offiziere  errichtet, 
im  Uebrigen  aber  das  Hauptgewicht  auf  die  Durchführung  des 
Bastionärsystems  gelegt.    Die  Arbeiten  wurden  mit  grossem 
Eifer  betrieben,  eine  Menge  Arbeiter  aus  aller  Herren  Länder 
strömten  zusammen  und  bevölkerten  die  fast  vollständig  ver- 
lassene Gegend  insbesondere  die  Stadt  Bitsch  selbst  wieder. 
Der  neuerworbenen  und  neu  angelegten  Festung  wurde  über- 
haupt eine  grosse  Bedeutung  beigemessen.    Marquis  von  Mor- 
ton  und  dann  Graf  du  Ripaire  wurde  zum  Gouverneur  von 
Bitsch   und    Kommandant  der   Vogesenverteidigung  bis  ein- 
schliesslich Lützelstein  ernannt  und  ihm  ein  Leutnant  de  roi 
(de  Ja  Guerle),  ein  Major  (M.  d'Angisse)  und  ein  Aide-Major 
(M.  de  Marton)  beigegeben.  Die  französische  Herrschaft  dauerte 
aber  nicht  lange.    Die  Befestigungswerke  waren  kaum  been- 
det, als  Bitsch  in  Folge  des  Friedensschlusses  von  Ryswick  1697 
wieder  herausgegeben  werden  musste ;  Art.  30  des  genannten 
Friedensvertrages  bestimmte  nämlich  :   «Seine  allerchristlichste 
König!.  Majestät  (von  Frankreich)  wird  auch  die  Festung' Bitsch 
mit  deren   völligen  Zugehör  wie  auch  die  Festung  Hornburg, 
wenn  vorher   die  Werker  mit  dem  Beding  demolirt  worden, 
dass  selbe  nicht  wieder  aufgeführt  werden  sollen,  ausräumen, 
doch  soll  bei  der  Demolirung  der  Festung  den  angehangen 
Städten  kein  Schade  geschehen,  sondern  selbe  unverletzt  erhalten 
werden.»  Die  Zerstörung  der  Festungswerke  wurde  1698  durch 
ein  flandrisches  Regiment  vorgenommen  und  Bitsch  nur  mit  einer 
kleinen  lothringischen  Besatzung  belegt,  die  mit  Ausbruch  des 
spanischen  Erbfolgekriegs  1701  wieder  durch  französische  ersetzt 
wurde.  M.  de  Chenevieres  vom  Regiment  de  Champagne  wurde 
Kommandant  von  Bitsch  mit  einem  Bataillon  Infanterie  und  2 
Schwadronen  Dragoner  ;  er  liess  auf  der  Festung  wieder  Eide 


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—    10  - 

und  Palissadenbefestigungen  anlegen,  musste  aber  171i  in 
Folge  Bestimmung  des  Friedensvertrags  von  Rastatt  die  Festung 
nach  Demolierung  der  wiederangelegten  Befestigung  verlassen. 

Nachdem  Lothringen  1737  durch  Tausch  gegen  Toscana 
an  den  Schwiegervater  Ludwig  XV.,  den  Exkönig  von  Polen, 
Stanislaus  Lescinsky,  und  dadurch  thatsächlich  bereits  unter 
französische  Herrschaft  gekommen  war,  wurde  auch  Bitsch  wieder 
mit  französischer  Besatzung  belegt,  und  Debournais  und  nach 
dessen  1740  erfolgten  Tode  Comte  de  Bombelles  zum  Komman- 
danten ernannt. 

Die  französische  Regierung,  an  welche  Lothringen  nach 
Stanislaus'  Tod  vertragsmässig  fallen  sollte,  hatte  bei  den  mehr- 
fachen Besetzungen  des  Landes  im  vorigen  Jahrhundert  und 
auch  jetzt  bei  dem  Abgang  von  Herzog  Franz,  so  häufig  Ge- 
legenheit gehabt,  die  Abneigung  der  Lothringer  gegen  Frank- 
reich kennen  zu  lernen,  dass  sie  es  für  gut  fand,  zu  ihrer 
Stütze  die  wichtigeren  Plätze  zu  befestigen,  beziehungsweise  die 
vorhandenen  alten  Befestigungen  entsprechend  den  Forderungen 
der  neueren  Kriegskunst  auf-  und  umzubauen. 

So  wurde  auch  Bitsch  als  Knotenpunkt  von  sechs  Strassen, 
nämlich  der  von  Strassburg,  Palzburg,  Saargemünd,  Zwei- 
brücken,  Landau  und  Weissenburg,  von  dem  Mililärkommissr.r 
für  Lothringen  und  Bar  dem  Marschall  Belle  Isle  für  so  wich- 
tig gehalten,  dass  dessen  Neu  befestig  ung  im  grossen  Stile  be- 
schlossen ward;  um  das  dazu  erforderliche  Geld  zu  erhalten, 
wurde,  da  bei  den  verschwenderischen  Hofhaltungen  von  Franz  III. 
und  Stanislaus,  andere  Gelder  nicht  flüssig  waren,  eine  beson- 
dere Steuer  in  Lothringen  ausgeschrieben. 

1738  wurde  mit  den  Arbeiten  begonnen  und  zunächst  ein 
fahrbarer  Weg  bis  auf  das  Glacis  hergestellt  ;  sodann  wurde 
im  nächsten  Jahre  nach  einer  Instruktion  des  Ingenieurchef 
Desboz  auf  dem  oberen  Felsplateau  der  Schutt  der  früheren 
Bauten  weggeräumt,  das  Plateau  durch  Steinabsprengungen 
planiert  und  der  Grundriss  der  Vauban'schen  Befestigungen 
aufgesucht ;  nach  Beendigung  dieser  Arbeiten,  die  einen  Kosten- 
aufwand von  81,273  Fr.  beanspruchten,  wurden  für  das  nun 
gewonnene  ebene  Terrain  ausführliche  Pläne  aufgestellt,  welche 
am  7.  September  1741  genehmigt  wurden;  noch  in  demselben 
Jahre  wurde  der  Grundstein  zu  der  Bastion  St.  Jacques,  der 
heutigen   Bastion  1,  an  dem  Nordwestende  des  Mittelkörpers 


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-  11 


gelegt;  im  nächsten  Jahre  wurde  dieselbe  mit  einem  Aufwand 
von  54,130  Fr.  vollendet,  ebenso  die  Bastion  St.  Andre  — 
jetzige  Bastion  4  am  Südostende  des  Mittelbaues  —  sowie  die 
grosse  Rampe  mit  Zugbrücke  und  Poterne,  letztere  mit  einem 
Kostenaufwand  von  49,539  Fr. 

Inzwischen  war  der  österreichische  Erbfolgekrieg  ausge- 
brochen und  die  Oesterreicher,  insbesondere  Oberst  Mentzel 
mit  grösseren  Kavallerieabteilungen,  näherten  sich  der  Grenze ; 
Bombelles  sah  sich  deshalb  genötigt,  vor  allem  rasch  herzu- 
stellende provisorische  Befestigungen  anzulegen,  um  die  noch 
unfertige  Festung  vor  einem  Ueberfall  zu  schützen:  es  wurden 
an  Stadt  und  Festung  Erd-  und  Palissadenwerke  aufgeführt  und 
an  den  Hauptstrassen  kleinere  Redouten  (Sperrforts)  erbaut,  so 
eine  am  grossen  Kindelberg  gegenüber  dem  —  damals  noch 
nicht  existierenden  —  Gaisbronnerhof,  eine  an  der  alten  Lan- 
dauer Strasse,  wo  diese  über  den  westlich  von  Haspelscheidt 
gelegenen  Weiher  ging,  eine  an  der  Zweibrü£ker  Strasse  —  in 
der  Nähe  des  1846  erbauten  Simster  Hofes  —  und  eine  an  der 
Saargemünder  Strasse,  südlich  von  Klein- Rederchingen. 

Die  Anlagen  zeigten  sich  von  grossem  Nutzen,  und  nur 
durch  sie  war  es  Bombelles  möglich,  mit  seinem  in  Bitsch  lie- 
genden Milizbataillon  die  zahlreichen  feindlichen  Streifzüge  von 
der  im  Aufbau  begriffenen  Festung  abzuhalten  ;  so  wurde  am 
13.  Juli  1744  eine  stärkere  Abteilung  Panduren  und  Husaren 
an  der  Kindelbergredoute  aufgehalten  und  zurückgeschlagen, 
auf  drei  verschiedenen  anderen  Strassen  wurde  mit  Hilfe  der 
Strassenbefestigungen  das  Vorrücken  feindlicher  Abteilungen 
verhindert  und  die  Vorbefestigungen  durch  Anlage  grosser  Ver- 
haue an  der  Weissenburger  Strasse,  in  der  Nähe  von  Stürzel- 
bronn,  am  5.  August  verstärkt.  Am  4.  September  sandte  König 
Ludwig  XV.  unter  Erhöhung  der  Garnison  auf  1500  Mann  drei 
Feldschlangen,  welche  die  Franzosen  in  Konstanz  erobert  hatten  ; 
sie  wurden  auf  dem  tgrossen  Kopf»  so  aufgestellt,  dass  sie  ins- 
besondere die  Weissenburger  und  Landauer  Strasse  —  die 
Breitenbach-Zweibrücker  existierte  damals  noch  nicht  und  wurde 
erst  1846  erbaut  —  bestreichen  konnten.  Die  grösste  war  15  Fuss 
lang  und  die  von  ihr  geschossene  Kugel  wog  9  Pfd.,  die  beiden 
anderen  waren  13  Fuss  lang  und  schössen  3  pfundige  Kugeln. 

Mit  Ausgang  des  Jahres  1744  zog  sich  der  Krieg  mehr  in 
die  Ferne,  und  der  Festungsbau  wurde  nun  mit  grösstem  Eifer 


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betrieben.  Ende  1750  waren  die  Arbeiten  auf  dem  Mittelkörper 
beendet  und  daselbst  folgende  Hochbauten  mit  entsprechenden 
Souterrains  fertiggestellt  :  eine  dreistöckige  Kaserne  mit  36  Zim- 
mern, ein  Wohngebäude  für  Genieoffiziere  mit  10  Zimmern  und  6 
Kabinetten,  ein  Gouvernementsgebäude,  ein  Artilleriezeughaus  mit 
Waffenschmiede  und  Waffensaal  für  8000  Gewehre,  eine  Haupt- 
wache mit  grossen  Souterrains,  ein  Offizierpavillon  mit  24  Zim- 
mern, eine  Bäckerei  mit  Lagerräumen  und  Souterrains  für  Kriegs- 
bäckerei, ein  Pulvermagazin  und  verschiedene  andere  Magazine; 
im  Ganzen  wurden  für  den  Mittelbau  283,000  Fr.  verwandt. 

Noch  in  demselben  Jahre  (1750)  waren  auch  die  Befesti- 
gungen am  ((grossen  und  kleinen  Kopf»  beendet,  erstere  mit 
Wacht-  und  Arresthaus  und  entsprechenden  Souterrains  kosteten 
103,315  Fr.,  letztere  mit  Wachthaus  und  bedeutenden  Souter- 
rains 122,903  Fr. 

Zur  Wasserversorgung  diente  der  bereits  unter  Vauban 
angelegte  75  m  tiefe  Brunnen,  der  pro  Tag  40  hl  Wasser  zu 
liefern  vermag  ;  für  denselben  wurde  mit  einem  Kostenaufwand 
von  10,591  Fr.  ein  Reservoir  erbaut,  ausserdem  wurden  noch 
vier  Zisternen  um  18,000  Fr.  angelegt,  wovon  die  unter  der 
Kapelle  mit  dem  herrlichen  Echo  allein  12,711  Fr.  kostete. 

Die  Kapelle  selbst  wurde  so,  wie  sie  noch  heute  besteht, 
auf  den  Grundmauern  der  früheren  wieder  aufgebaut ;  sie  wird 
bereits  1020  erwähnt  und  am  18.  Mai  1680  zelebrierte  der  Bi- 
schof von  Metz  bei  einer  Bereisung  Lothringens  darin  für  die 
Garnison,  von  der  er  in  Paradeaufstellung  empfangen  worden 
war,  die  heilige  Messe. 

Nachdem  noch  in  vierjähriger  Arbeit  für  die  Befestigungsan- 
lagen am  Fusse  der  Felshänge  und  auf  dem  Glacis  die  Summe  von 
500,000  Fr.  verarbeitet  worden,  warder  Festungsbau  1754 beendet 
und  die  Festung  unter  Benützung  der  alten  Vauban'schen  Anla- 
gen mit  einem  Kostenaufwand  von  1,688,262  Fr.  im  Wesentlichen 
so  hergestellt,  wie  wir  sie  noch  heute  finden  :  «tres  beau,  trfcs  solide 
et  presque  inexpugnable»,  sagt  ein  zeitgenössischer  Schriftsteller. 

Ludwig  XV.  liess  nun  in  lateinischer  Sprache  folgende  In- 
schrift an  dem  Hauptlhore  anbringen:  Ludwig  XV.,  König  von 
Frankreich  etc.,  hat  diese  Festung  von  Grund  aus  wieder  auf- 
gebaut zum  Walle  gegen  feindliche  Einfälle  in  die  Vogesen  und 
Lothringen,  als  Grenzburg  für  Elsass  und  als  festen  Schutz  für 
das  französische  Heer,  1754. 


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-    13  - 


In  den  folgenden  Jahren  wurden  noch  einige  Erweiterungen 
uod  Verbesserungen  vorgenommen  :  so  wurde  1755 — 1760  das 
Vorwerk,  der  sog.  «Schwalbenschwanz»  um  137,000  Fr.  erbaut, 
1763 — 1764  das  Glacis  eingeebnet,  mit  Böschungen  versehen 
und  angepflanzt  um  70,000  Fr.  und  1765  die  Esplanade  am 
Fusse  des  Glacis  angelegt  und  mit  Lindenbäumen  bepflanzt 
um  (3872  Fr. 

Die  zahlreichen  zum  Festungsbau  notwendigen  Randsteine 
wurden  aus  eigens  dazu  angelegten  Brüchen  am  Schimberg  über 
dem  damals  schon  bestehenden  Stadtbrunnen  und  am  kleinen 
Lernberg  rechts  von  der  Hagenauer  Strasse  entnommen.  Bald 
nach  Fertigstellung  der  Neubauten  wurde  Bitsch  von  zwei  berühm- 
ten Reisenden  besucht,  die  in  ihren  Schriften  davon  erwähnens- 
werte Berichte  geben  ;  dieselben  seien  deshalb  hier  eingeschaltet : 

Im  Juni  1771  stattete  Goethe  mit  seinen  Freunden  Engel- 
bach und  Weyland,  von  Zweibrücken  kommend,  Bitsch  einen 
Besuch  ab  und  schreibt  darüber  in  seiner  Selbstbiographie  : 

«Dem  Hornbach  zur  Seite  stiegen  wir  nach  Bitsch,  das  an 
dem  bedeutenden  Platze  liegt,  wo  die  Gewässer  sich  scheiden 
und  ein  Teil  in  die  Saar,  ein  Teil  dem  Rheine  zufällt ;  diese 
letzteren  sollten  uns  bald  nach  sich  ziehen.  Doch  konnten  wir 
dem  Städtchen  Bitsch,  das  sich  sehr  malerisch  um  einen  Berg 
herumschlingt,  und  der  oben  liegenden  Festung  unsere  Auf- 
merksamkeit nicht  versagen.  Diese  ist  teils  auf  Felsen  gebaut, 
teils  in  Felsen  gehauen.  Die  unterirdischen  Räume  sind  be- 
sonders merkwürdig ;  hier  ist  nicht  allein  hinreichender  Platz 
zum  Aufenthalt  einer  Menge  Menschen  und  Vieh,  sondern  man 
trifft  sogar  grosse  Gewölbe  zum  Exerzieren,  eine  Mühle,  eine 
Kapelle  und  was  man  unter  der  Erde  sonst  fordern  könnte, 
wenn  die  Oberfläche  beunruhigt  würde.» 

Einige  Jahre  später  (1777)  kam  der  berühmte  Jesuitenpater 
Feller,  der  ganz  Europa  bereiste,  nach  Bitsch  und  schreibt  darüber : 
*  «Bitsch  ist  eine  sehr  bemerkenswerte  Festung,  erbaut  auf 
einem  aus  reinem  Fels  bestehenden,  gänzlich  isolierten  und  die 
Umgegend  beherrschenden  Berge ;  eine  ähnliche  Lage  habe 
ich  nur  bei  Betzko  zwischen  Tirnau  und  Frenschin  in  Ober- 
Ungarn  gesehen  ;  nur  ist  das  Bitscher  Gestein  weniger  hart 
und  verwittert  unter  dem  Einfluss  der  Sonne  und  des  Regens.» 

Der  Hauptförderer  des  Festungsbaues,  Graf  Bombelles,  sollte 
das  Ende  desselben  nicht  mehr  erleben  ;  er  starb  im  Juli  1760 


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und  wurde  in  Büsch  mit  grossem  Pompe  beerdigt ;  er  war  sehr 
beliebt  bei  der  Bevölkerung  gewesen  und  erhielt  im  Jahre  1784 
als  «protecteur  de  la  ville,  pere  du  peuple,  surtout  des  mal- 
heureux»  in  der  1776  neu  eingeweihten  Kirche  von  der  Stadt- 
gemeinde ein  Marmordenkmal,  welches  für  2400  Fr.  in  Pari» 
angefertigt  worden,  errichtet. 

Als  Nachfolger  Bombelies  wurde  Graf  Tressan  zum  Gou- 
verneur der  Grafschaft  Bitsch  ernannt;  die  Festung  hatte  einen 
besonderen  Stab,  bestehend  aus  Kommandant,  Major,  Aide-Major 
Artillerie-Offizier  vom  Platz,  zwei  Ingenieur-  und  einem  Genie- 
offizier, drei  Aerzten  und  einem  Spitaldirektor. 

Der  Kommandant  hatte  einen  Gehalt  von  3000  Fr.,  der 
Major  von  2000  und  der  Aide-Major  von  900  Fr. ;  ausserdem  er- 
hielten sämmtliche  Offiziere  Wohnungsgeld  und  Servis,  welches 
die  Stadt  bezahlen  musste,  und  zwar  für  den  Kommandanten 
500  Fr.,  für  den  Major  300  Fr.,  für  den  Aide-Major  200  Fr. 

Da  die  meisten  Offiziere  vom  Festungsstabe  und  alle  von 
der  zwei  Bataillon  starken  Garnison  —  es  waren  deren  37  — 
in  Militärgebäuden  freie  Wohnungen  hatten,  beschwerte  sich  die 
Stadt  wegen  des  von  ihr  dennoch  zu  zahlenden  Wohnungs- 
geldes in  ziemlich  beträchtlicher  Höhe.  Die  Folge  davon  war, 
dass  1777  die  aktive  Garnison  durch  drei  Invaliden-Kompagnien 
mit  einer  Gesammtstärke  von  120  Mann  ersetzt  wurde  ;  der 
Festungsstab  blieb ;  für  diesen  musste  die  Stadt  2300  Fr. 
Wohnungsgeld  zahlen,  hatte  aber  wegen  Verminderung  der 
Garnison  um  1000  Mann  einen  bedeutenden  Ausfall  im  Oktroi, 
der  Haupteinnahmequelle  der  Stadt. 

Nach  mehrfachen  Gesuchen  wurde  Ende  1783  wieder  eine 
aktive  Garnison  nach  Bitsch  zurückverlegt  und  zwar  ein  gan- 
zes Regiment:  das  Regiment  de  Neustrie.  Da  in  die  beiden 
Kasernen  —  die  Schlosskaserne  mit  30  und  die  Stadtkaserne 
mit  19  belegungsfähigen  Zimmern  —  nur  1100  Mann  unterge- 
bracht werden  konnten,  das  Regiment  aber  1600  Mann  stark 
war,  musste  die  Stadt  ihrem  Versprechen  gemäss  für  die 
übrigen  500  Quartier  schaflen  :  sie  mietete  zu  diesem  Zwecke 
zwei  Quartierhäuser,  eines  für  150  Fr.  und  eines  für  120  Fr. 
jährlichen  Mietzins,  ausserdem  musste  sie  noch  eine  Schnei- 
derwerkstätte für  20  Schneider  stellen. 

Diese  1600  Mann  starke  Garnison  blieb  jedoch  nicht  lange : 
1789  wurde  das  Regiment  de  Castella,  welches  das  de  Neustrie 


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—    15  - 


abgelöst  hatte,  durch  ein  Bataillon  des  Chasseurs  de  Cevennes 
ersetzt  und  auch  in  dem  einige  Jahre  später  ausgebrochener. 
Kriege  war  die  Besatzung  nur  ein  Bataillon  stark. 

In  diesem  Kriege  spielte  Bitsch  eine  gewisse  Rolle  und 
besonders  im  Jahre  1793  ereignete  sich  ein  Vorfall,  der  zu 
mancherlei  Legenden  Veranlassung  gab :  es  ist  dies  der  in  der 
Nacht  vom  17.  November  1793  von  den  Preussen  versuchte 
Sturm  der  Festung. 

Zum  besseren  Verständnis  mag  es  gestattet  sein  vorher 
kurz  die  damalige  Kriegslage  zu  erwähnen. 

In  dem  zwischen  Preussen,  Oesterreich,  England,  Holland 
und  den  verschiedenen  deutschen  Reichsfürsten  einerseits  und 
der  französischen  Revolutionsregierung  anderseits  1792  ausge- 
brochenen Kriege,  wurden  die  Verbündeten  nach  anfanglich 
leicht  errungenen  Vorteilen  zum  Rückzüge  gezwungen,  und 
von  der  Revolutionsarmee  die  Pfalz  und  Rheinhessen  mit  Mainz, 
das  sich  am  21.  November  ergeben  musste,  besetzt. 

Die,  Anfang  des  Jahres  1793,  erfolgte  Hinrichtung  Ludwig 
XVI.  und  die  Schreckensherrschaft  der  Revolution  feuerte  die 
Verbündeten,  in  deren  Reihen  zahlreiche  französische  Emigranten 
dienten,  zu  energischerem  Vorgehen  an :  Mainz  wurde  am  22. 
Juli  wieder  eingenommen  und  die  Revolutionsarmee  langsam, 
aber  stetig  nach  der  Grenze  zurückgedrängt,  Landau  allein  konnte 
nicht  erobert  werden,  dagegen  wurden  die  Franzosen  am  13. 
August  bei  Limbach  und  am  14.  September  bei  Pirmasenz  ge- 
schlagen (wo  sie  4000  Mann  und  20  Kanonen  verloren),  am 
selben  Tage  dagegen  die  Oesterreicher  bei  Bundenthal  in  der 
Nähe  von  Weissenburg  zurückgeworfen.  Mitte  Oktober  wurden 
endlich  die  Weissenburger  Linien  erobert,  und  so  für  den  öster- 
reichischen General  Wurmser  der  längst  erstrebte  Weg  nach 
dem  Elsass  eröffnet.  Das  preussische  Heer  hatte  unterdessen 
die  feindlichen  Stellungen  bei  Hornbach  und  Ketterich  genommen, 
und  am  28.  September  verlegte  der  König  sein  Hauptquartier 
nach  Eschweiler- Wolmünster,  wo  der  Herzog  von  Braunschweig 
ein  festes  Lager  bezogen  hatte;  von  hier  aus  wurden  dann  zur 
Unterstützung  des  österreichischen  Angrifles  auf  die  Weissen- 
burger Linien  verschiedene  Detachements  zur  Beschäftigung  des 
linken  Flügels  der  französischen  Stellung  entsandt  ;  so  mar- 
schierte der  Erbprinz  von  Hohenlohe  am  12.  Oktober  mit  5  Ba- 
taillonen und  6  Eskadrons  an  Bitsch  vorbei  nach  Egelshardt, 


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—  10  - 

griff  von  hier  aus  am  nächsten  Morgen  den  verschanzten  Posten 
bei  Herzogshand  am  Moosbacher  Strässehen  an  und  zwang  das 
denselben  haltende  Bataillon  vom  102.  Regiment  zum  Rückzug 
nach  Dambach  ;  er  selbst  zog  sich  am  14.  über  Haspelscheidt- 
Bussweiler-Breitenbach  wieder  in  das  Eschweiler  Lager  zurück, 
während  zur  Verdeckung  des  Rückzuges  General  von  Schladen 
von  Ormers weiter  her  Demonstrationen  gegen  Bilsen  inachte. 

Von  nun  ab  blieben  die  Verbündeten  ziemlich  unthätig;  sie 
hatten,  75—80,000  Mann  stark,  feste  Stellung  von  Saarbrücken 
bis  Wanzenau  a. /Rhein  in  einer  Ausdehnung  von  30  Stunden 
bezogen :  auf  dem  rechten  Flügel  stand  bei  Zweibrucken  General 
Knobelsdorf,  an  der  Saargemünd-Zweibrückener  Strasse  zwischen 
Blieskastel  und  Saargemünd  General  Kalkreuth,  das  Zentrum 
bildete  von  Wolmünster  bis  Schweyener  Wald  an  der  Bitsch- 
Zweibrückener  Strasse  Herzog  v.  Braunschweig  und  Prinz  von 
Hohenlohe  mit  15  Bataillonen,  bei  Steinbach  stand  General  v. 
Kleist  und  auf  dem  linken  Flügel  General  von  Wurmser  mit 
den  österreichischen  Truppen  bei  Reichshofen-Brumath  und 
Wanzenau.  Mit  Rücksicht  auf  den  herannahenden  Winter  und 
die  mangelhaften  Verpflegungsverhaltnisse  der  Truppen,  sowie  die 
erheblichen  Verstärkungen  die  von  den  Franzosen  herbeigezogen 
wurden,  beschloss  Herzog  v.  Braunschweig  Mitte  November  zurück- 
zugehen und  Winterquartiere  bei   Kaiserslautern  zu  beziehen. 

Um  für  die  Operation  des  nächsten  Jahres  einen  festen 
Stützpunkt  zu  haben  und  die  Verbindung  mit  der  im  Elsass 
verbleibenden  österreichischen  Armee  nicht  ganz  zu  verlieren, 
sollte  versucht  werden,  vorher  die  Festung  Bitsch,  die  man  — 
einmal  in  der  Gewalt  —  für  uneinnehmbar  hielt,  mit  Hilfe 
eines  emigrierten  Ingenieurs  durch  Handstreich  zu  nehmen. 

Die  Festung  war  mit  075  Mann  des  2.  Bataillon  du  Clier 
unter  dem  Kommandant  Augier  undOiKanonieren  des  I.  Artillerie- 
Regiments  zu  Fuss,  und  00  Mann  Miliztruppen  besetzt. 

Am  Abend  des  16.  November  —  irrtümlicher  Weise  wird  der 
Sturm  vielfach  auf  den  14.  Oktober  verlegt,  was  wohl  auf  eine 
Verwechslung  mit  den  vorher  erwähnten,  an  diesem  Tage  erfolgten 
Operationen  des  Generals  v.  Schladen  zurückzuführen  ist,  —  als 
man  bereits  von  Aufbruch  und  Rückzug  sprach,  Hess  der  Herzog 
von  Braunschweig  aus  sämmtliclien  15  Bataillonen  1700  Mann  aus- 
wählen, von  denen  nach  französischen  Quellen  jeder  3  Fr.  er- 
hielt, suchte  selbst  eine  Anzahl  Unteroffiziere  und  Offiziere  — 


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—   17  — 

auf  Ersuchen  des  österreichischen  Feldmarschalls  Grafen  v.  War- 
tensleben auch  dessen  18  jährigen  Sohn,  edamit  auch  Oesterreich 
etwas  zur  Expedition  gäbe»  —  aus  und  befahl  die  Mitnahme 
von  Beilen,  Brecheisen  und  Lochsagen,  sowie  die  Umlegung 
eines  weissen  Tuches  um  den  Arm  als  Erkennungszeichen. 

Um  7  Uhr  Abends  rückte  das  Kommando  in  aller  Stille 
aus  dem  Lager  und  versammelte  sich  bei  Nussweiler,  ohne  be- 
stimmt zu  wissen,  um  was  es  sich  handelte;  hier  erst  wurde 
es  mitgeteilt  und  folgender  Befehl  ausgegeben  : 

«Sämmtliche  Kommandierte  lassen  Tornister,  Patronentaschen 
und  Säbel  zurück.  Säbelkuppeln  werden  ohne  Säbel  über  den 
Rock  geschnallt.  30  Patronen  werden  in  die  Rocktasche  ge- 
steckt, wovon  20  eingewickelt;  die  Unteroffiziere  lassen  ihre 
Kurzgewehre  nebst  Tornister  ebenfalls  zurück  und  nehmen  da- 
für ein  Schützengewehr  und  20  Patronen. 

Eine  Abteilung  unter  Oberstleutnant  v.  Hirschfeld  geht 
irn  Graben  «vom  kleinen  Kopf»  die  Treppe  hinauf,  wo  man  oben 
im  Schlosse  bei  des  Kommandanten  Wohnung  herauskommt, 
30  ausgesuchte  Leute  werden  bestimmt  in  des  Kommandanten 
Wohnung  einzudringen  und  sich  seiner  Person  tot  oder  lebendig 
zu  bemeistern;  24  Bewaffnete  ersteigen  zuerst  die  Leitern, 
wovon  12  Mann  12  Schritte  links,  die  andern  ebensoweit  rechts 
laufen  und  die  Flanken  der  Abteilung  decken,  bis  selbige 
ebenfalls  die  Leitern  erstiegen  haben  und  sie  dann  der  Abtei- 
lung folgen.  Auf  diese  24  Bewaffnete  folgen  die  Arbeiter :  4 
Mann  mit  Hebeeisen,  2  mit  Hämmern  und  Brecheisen  und 
2  mit  Aexten,  Beilen  und  stählernen  Keilen,  die  sie  in  der 
Tasche  mittragen  ;  auf  die  Arbeiter  folgt  der  Rest  der  Abteilung. 
Die  ersten  40  Mann  greifen  die  zur  rechten  stehenden  Wache 
bei  ihrem  Debouehö  im  Schlosse  an;  unterdessen  sprengen 
die  Arbeiter  die  Thüre  des  Gewölbes,  welche  in  den  kleinen 
Kopf  führt,  und  durch  das  Gewölbe  linker  Hand  bei  des 
Kommandanten  Haus  herauskommt. 

Diese  Abteilung  lässt  am  Eingang  des  Gewölbes  1  Unter- 
offizier und  6  Mann  stehen,  wovon  2  beständig  das  Gewölbe 
patrouillieren,  die  andern  aber  zum  Rapportieren  gebraucht 
werden. 

Führer  ist  Kapitän  Tutelin  mit  einem  Manne  aus  der  Ge- 
gend. Die  Wagen  zur  Fortbringung  der  Blessierten  stehen  bei 
Rochatshofe.» 


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-    18  - 


Aus  diesem  Befehl  geht  hervor,  dass  die  Verbündeten  ge- 
nau mit  den  Oertlichkeiten  bekannt  waren  ;  es  kam  dies  da- 
her, weil  mehrere  französische  emigrierte  Offiziere  unter  den 
preussischen  Truppen  waren,  die  früher  in  Bitsch  gestanden 
hatten  ;  insbesondere  war  der  in  obigem  Befehl  erwähnte  Tu- 
telin bis  vor  kurzem  Ingenieuroffizier  in  Bitsch  gewesen. 

Das  Kommando  brach  in  2  Kolonnen  unter  Führung  des 
Obersien  Grafen  v.  Wartensleben  (vom  Regiment  Prinz  Heinrich) 
und  Oberstleutnants  v.  Hirschfeld  (Generaladjutanten  des  Herzogs 
von  Braunschweig)  mit  51)  Offizieren  und  100  Unteroffizieren  auf; 
die  Kolonnen  waren  in  je  5  Abteilungen  geteilt,  von  denen 
jede  einen  besonderen  Auftrag  hatte ;  nach  Erfüllung  desselben 
sollten  sie  die  Garnison  ohne  zu  schiessen  entwaffnen  oder 
niedermachen  und  sich  dann  auf  dem  Paradeplatz  sammeln. 

Die  Avantgarde  bildete  Leutnant  von  Oppeln  mit  3  Unter- 
offizieren und  30  Mann;  diesen  folgten  4  Mann  mit  Hebeeisen, 
je  2  Mann  mit  Hämmern,  Brecheisen,  Beilen  und  Lochsägen. 

Die  Kolonnen  marschierten  in  der  Reihenfolge  der  Abtei- 
lungen bis  zur  Hottweiler  Ziegelhütte  auf  der  Zweibrücker 
Strasse,  von  da  links  die  Schlucht  hinunter  nach  Schorbach, 
die  Schorbacher  Strasse  lang,  über  die  Hanweiler-Pirmasenzer 
Strasse  an  der  (1739  erbauten)  Ochsenmühle  vorbei,  den  Wald- 
weg längs  des  Wustweilerberges  über  die  Hardt,  Haspelscheidt- 
Landauer-Strasse  rechts  am  Rochalshofe,  an  welchem  die  Fahr- 
zeuge gelassen  wurden,  vorbei  über  die  Weissenburger  Strasse 
und  den  Kindelberg  zur  Slrassburger  Chaussee ;  auf  dieser, 
von  welcher,  da  der  feindlichen  Stellung  entgegengesetzt,  ein 
Angriff  am  wenigsten  vermutet  wurde,  marschierten  sie  fort,  bis 
dahin,  wo  der  Weg  zur  Festung  rechts  heraufführt.  Hier  gegen 
Mitternacht  unbemerkt  angekommen,  trennten  sich  die  einzelnen 
Abteilungen,  um  ihre  verschiedenen  Aufträge  auszuführen. 

Die  Hauptmasse  unter  Führung  des  mit  den  Festungswerken 
genau  bekannten  Kapitäns  Tutelin  rückte  lautlos  in  einer 
Senkung  des  Berges  nach  dem  bedeckten  Weg  herauf,  die  auf 
dem  Glacis  befindlichen  Palissaden  werden  durchbrochen  und 
2  Schild  wachen  niedergestossen.  Während  nun  Oberstleutnant  von 
Hirschfeld  mit  seiner  Abteilung  nach  der  kleinen  Rampe  eilt,  um 
sich  der  Thore  und  damit  des  Haupteinganges  zu  bemächtigen, 
steigen  die  andern  Abteilungen  mit  Hilfe  der  mitgebrachten 
Leitern  in  die  Gräben  und  versuchen  die  Mauern  zu  erklimmen. 


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Inzwischen  hat  sich  Major  von  Kalkreuth  unter  Gefangen- 
nahme von  3  Offizieren  und  60  Mann  der  Stadt  bemächtigt. 
Durch  den  Lärm  in  der  Stadt,  sowie  das  Geräusch,  welches 
die  Abteilung  des  Oberstleutnants  von  Hirschfeld  beim  Ein- 
schlagen der  Thore  verursachte,  wurde  die  Besatzung  alarmiert 
und  eilte  teilweise  unbekleidet  auf  die  Wälle.  Trotzdem  drang 
Oberstleutnant  von  Hirschfeld  bis  zum  dritten :  dem  Haupt- 
thore  vor  und  versuchte  auch  dieses,  wie  die  beiden  andern  zu 
sprengen ;  ein  mörderisches  Feuer  empting  die  Vordringenden 
und  bald  war  der  Platz  vor  dem  Thore  mit  Toten  und  Verwun- 
deten bedeckt,  unter  denen  die  mitgebrachten  Brech Werkzeuge 
lagen ;  man  versuchte  mit  Kolbenstoßen  das  Thor  zu  zertrümmern, 
aber  vergeblich  :  vier  Stunden  lang  währte  hier  und  vor  dem 
Thore  an  der  grossen  Rampe,  sowie  in  den  Gräben  der  Kampf, 
in  welchem  die  Preussen  ohne  Schutz  und  ohne  eigentlich  selbst 
thatig  werden  zu  können  dem  unablässig  von  oben  herab  er- 
folgenden Hagel  von  Steinen  und  Geschossen  ausgesetzt  waren. 

Als  der  Tag  graute  wurde  zum  Rückzug  geblasen,  den 
aber  viele  nicht  mehr  antreten  konnten  :  eine  grosse  Anzahl 
war  tot,  eine  noch  grössere  verwundet,  viele  konnten  nicht 
mehr  aus  den  Gräben  herauskommen  und  wurden  gefangen 
genommen,  darunter  auch  Kapitän  Tutelin,  der  erkannt  und 
am  Morgen  in  dem  Festungsgraben  erschossen  wurde. 

Von  1800  Mann  und  50  Offizieren  kehrten  nur  1280  Mann 
und  H5  Offiziere  unversehrt  zurück.  24  Offiziere  und  520  Mann 
waren  teils  tot,  teils  schwer  verwundet  oder  gefangen.  Das 
Regiment  Braunschweig  hatte  zwei  Drittel  der  ausgesandten 
Mannschaft  verloren,  Graf  von  Wartensleben  war  leicht  an  der 
Brust,  Oberstleutnant  von  Hirschfeld  durch  einen  Steinwurf 
schwer  am  Kopfe  verwundet. 

Die  Namen  der  beteiligten  Offiziere  sind  in  einer  1795  zu 
Frankfurt  a.  M.  erschienenen  Abhandlung  aufgeführt;  es  sind 
auser  den  erwähnten  die  Hauptleute  :  von  Below,  von  Ebra, 
von  Schmettau,  von  Hahn,  d'Chanel,  von  Sack,  Blumenstein, 
von  Sommerfeldt,  von  Welzin,  Texier,  Olivien,  von  Goltz,  von 
Puttlitz,  Rochelle,  von  Haas  und  von  Herwart  ;  die  Leutnants: 
von  Schade,  von  Mellersky,  von  Dolffs,  von  Witzleben,  von 
Oppeln,  von  Wedel),  von  Tettau,  von  Killinger,  von  Dornis, 
Graf  von  Wittgenstein,  von  Grumkow,  von  Römer,  von  Tes- 
mann,  von  Sacken,  von  Brandenstein,  von  Nettelhorst,  von  Lebbin, 


-   20  - 


von  Balby,  von  Arnim,  von  Hagen,  von  Rhein,  von  Noss, 
Stwolinsky  II,  von  Ledebur  II,  von  Rabenau,  von  Bisten,  von 
Grävenitz,  von  Sacken,  von  Rechenberg,  Guterzenka,  Glischinsky, 
von  Hauteville  und  von  Werder. 

120  Preussen  sollen  am  nächsten  Tage  in  der  Nähe  des 
grossen  Otterbuehls  an  dem  davon  benannten  Preussenhübel 
beerdigt  worden  sein. 

Ihnen  wurde  am  17.  Nov.  1893  —  dem  100jährigen  Gedenk- 
tage des  Sturmes  —  von  der  Vogesenclubsection  Bitsch  auf  der 
mutmasslichen  Grabstätte  zehn  Minuten  nordöstlich  von  Bitsch 
ein  Gedenkstein  errichtet.  Der  3  m  hohe  Obelisk  von  weissem 
Sandsteine  trägt  auf  dem  Sockel  eine  gusseiserne  Tafel  mit 
folgender  Inschrift :  Dem  Andenken  der  am  17.  November  1793 
beim  Sturm  auf  die  Veste  Bitsch  gefallenen  Preuss.  Krieger 
gewidmet  von  der  V.  C.  Section  Bitsch  am  17.  November  1893. 

Dieses  Unternehmen,  von  dem  der  damalige  Befehlshaber 
der  französischen  Vortruppen  General  Saint-Cyr  sagte,  man 
wisse  nicht,  was  man  mehr  bewundern  solle,  die  Kühnheit  der  An- 
greifer oder  die  Nachlässigkeit  des  Festungskommandanten,  erregte 
begreifliches  Aufsehen  und  gab  Stoff  zu  mancherlei  Erdichtungen. 
So  verdankt  nach  der  einen  Erzählung  die  Festung  ihre  Rettung  le- 
diglich dem  Ochsenhirten  Billet,  der  von  den  Schlägen  an  das  Haupt- 
thor der  grossen  Rampe,  deren  Spuren  noch  heute  an  dem  früheren 
Holzthor  sichtbar  sind,  geweckt  (der  sog.  Kuhstall,  das  heisst  das 
für  das  Vieh  bestimmte  Souterrain,  beginnt  unmittelbar  hinler 
dem  Thore),  die  Besatzung  zu  den  Waffen  rief;  nach  einer  an- 
deren Erzählung  war  die  Errettung  hauptsächlich  dem  Opfermute 
eines  armen  Bitscher  Bürgers  zu  danken,  indem  derselbe  sein 
an  dem  Glacis  gelegenes  Haus  anzündete  und  so  die  Aufmerk- 
samkeit der  Schildwachen  erregte,  der  alarmierten  Garnison  den 
Standort  der  Eindringlinge  zeigte  und  auf  diese  Weise  bei  der 
herrschenden  Dunkelheit  das  Zielen  ermöglichte.  Zu  letzterem 
Zwecke  waren  von  der  Festung  Leuchtkugeln  geworfen  worden, 
wodurch  in  der  That  eine  Feuersbrunst  in  der  Stadt  entstand, 
durch  welche  drei  Häuser  eingeäschert  wurden ;  auch  Pech- 
kränze hatte  man  zur  Beleuchtung  der  Gegend  auf  den  Wällen 
angezündet,  und  man  soll  noch  lange  Zeit  nachher  an  dem 
üppigeren  Stand  der  Pflanzen  diese  Stellen  erkannt  haben. 

Vielfach  —  und  dies  findet  sich  in  sonst  sehr  genauen  Ge- 
schichtswerken —  wird  auch  der  L'eberfall  zu  einer  grossen 


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-    21  — 


Schlacht  ausgeschmückt,  hei  der  10,000  Preussen  und  Oester- 
reicher,  unter  welchen  sich  auch  der  Bischof  Ronan  von  Strassburg 
befand,  von  den  675  Freiwilligen  der  Festung  geschlafen  wurden. 

Eine  derartige  Schlacht  fand  weder  früher  noch  später  hier 
statt:  nach  der  mit  1800  Mann  versuchten  Ueberrumpelung  zog 
sich  das  preussische  Heer  nach  der  Pfalz  zurück  und  in  dem 
weiteren  Verlauf  des  Coalisationskrieges  wird  von  Bitsch  nichts 
Erwähnenswertes  mehr  überliefert ;  auch  in  den  Napoleon'schen 
Kriegen  scheint  es  ohne  Bedeutung  gewesen  zu  sein. 

1809  diente  es  einer  Anzahl  englischer  kriegsgefangener 
Offiziere  als  Aufenthalt,  von  welchen  sich  noch  vielfache  In- 
schriften auf  dem  Gestein  vorfinden.  Die  Garnison  war  damals 
400  Mann  und  50  Offiziere  stark,  ausserdem  befanden  sich  in 
dem  Militärhospital  30  pensionierte  Offiziere. 

1813  wurde  es,  wie  Lützelstein  und  Lichtenberg,  nur 
beobachtet. 

1814  erkannte  der  Kommandant  Maisonneuf,  nachdem  ein 
Ausfall  mit  Verlust  von  7  Toten  und  11  Gefangenen  abgeschlagen 
worden  war,  Ludwig  den  XVIII.  an,  und  die  Feindseligkeiten 
wurden  am  20.  April  eingestellt.  Im  Jahre  1815  war  General 
von  Kreutzer  Festungskommandant,  der  sich  nach  kurzer 
ßlokade  vom  11.  bis  30.  August  durch  ein  Detachement  vom 
20.  Regiment  der  Garnison  Mainz  unter  General  von  Krauseneck 
für  Ludwig  XVIII.  erklärte. 

In  Folge  Convention  vom  20.  November  1815  wurde  die 
Festung  von  Bayern  besetzt,  welche  bis  zum  15.  November  1818 
darin  verblieben. 

Die  Erhebung  der  Festung  zu  einer  solchen  ersten  Hanges  ge- 
schah durch  Dekret  vom  28.  Februar.  1850  nach  Herstellung  der 
Stadtbefestigung;  diese  ist  nämlich  neueren  Datums;  kleinere  An- 
lagen bestanden  zwar  schon  früher,  dieselben  wurden  aber  gemäss 
dem  Ryswicker  Friedensvertrag  geschleift  und  später  durch  eine 
einfache  aus  6822  Stück  bestehende  Palissadenumzäunung  ersetzt ; 
an  deren  Stelle  trat  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  eine  Mauer 
in  Folge  kriegsministerieller  Verfügung  vom  Okiober  1788.  Diese 
Mauer  sollte  mehr  zur  Abschliessung,  um  die  Entweichung  von 
Gefangenen  und  Soldaten  zu  verhindern,  als  zu  Verteidigungs- 
zwecken dienen,  sie  wurde  1795  mit  einem  Kostenaufwand  von 
57,202  Fr.  beendet  und  zog  sich  vom  Glacis  der  Festung  direkt  hinter 
den  Häusern  her  bis  zu  dem— 1820  trocken  gelegten  —  Stadt weiher. 


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—    22  — 

Stadtthore  werden  zum  erstenmale  1662  —  die  Stadt  Bitsch 
entstand  überhaupt  erst  nach  dein  30jähri£en  Kriege  aus  den 
Dörfern  Kaltenhausen  und  Rohr  —  erwähnt  und  zwar  «ein 
Hinter-»,  «Vorder-»,  «Ober-»  und  «Unterthor».  Zur  Bewachung 
dieser  Thore  war  ein  «Wachtmeister»  (später  mehrere)  bestellt, 
von  dem  es  1662  heisst:  «dass  er  von  ehrsamer  Burgerschaft  an- 
genommen wurde,  damit  er  uff  die  Thore  fleissig  acht  soll  geben, 
Abends  und  Morgens  dieselbe  auf-  und  zusperren  und  zu  Nacht 
ohne  Herrn  Rentmeisters  fürwissen  nicht  eröffnen ;  für  seine 
Belohnung  solle  ihm  ein  jeder  Börger  für  ein  Jahr  lang  ein  Sester 
Korn  liefern,  wie  auch  jeder  Wagen  oder  Karch  so  Holz  zu  seinem 
Hause  füret  soll  ihm  eine  Portstang  geben,  wie  auch  in  der 
Heuerndt  soll  er  Macht  haben,  in  ein  jeden  Wagen  mit  Heu 
dreimal  und  ein  Karch  zweimal  heraus  zu  ropfen,  wie  auch  ist 
ihm  versprochen  worden  zwei  Stück  Rindvieh,  wie  auch  zwei 
Sauen  von  dem  Hiltenlohn  frei  zu  halten.» 

1787  wurden  an  den  vier  Thoren  von  der  Stadt  auf  Ver- 
anlassung der  Regierung  und  mit  einer  Beihilfe  derselben  von 
6920  Fr.  Hauptwachen  erbaut ;  ausser  diesen  bestanden  eigent- 
liche Befestigungswerke  in  der  Stadt  nicht,  wie  aus  einer  Schrift 
vom  Jahre  1772  hervorgeht,  in  welcher  es  heisst:  « —  il  n'y  a 
pas  d'autres  fortifications  que  Celles  du  chäteau,  la  ville  n'ayant 
pas  un  seul  mur  d'enceinte.» 

Erst  1844  gelang  es  den  Bemühungen  des  im  Kriegsmini- 
sterium beschäftigten  Generals  Schneider  —  ein  Bitscher  Kind  — 
die  Stadtbefestigung  im  grossen  Umfange  durchzusetzen,  nach- 
dem auch  die  Stadt  ;durch  Anlage  eines  Verptlegungsmagazins 
für  eine  30,000  Mann  starke  Armee,  zu  welchem  Zwecke  ein 
grosser  Speicher  um  280,0(0  Fr.  hergestellt  worden  war  (jetzige 
Speicherkaserne),  eine  gewisse  Bedeutung  erlangt  hatte. 

Durch  kriegsministeriellle  Verfügung  vom  28.  Juni  1844 
wurden  die  Befestigungsarbeiten  verordnet  und  1852  vollendet ; 
für  die  Stadtumwallung,  wie  sie  noch  heute  teilweise  besteht, 
wurden  873,098  Fr.,  für  die  drei  Hohltraversen  auf  derselben 
25,500  Fr.  und  ausserdem  in  den  Jahren  1852 — 1857  für  Er- 
weiterungs-  und  Verbesserungsbauten  37,100  Fr.  verwandt. 

Durch  s  ki  iegsministerielle  Verfügung  vom  19.  Juli  1846 
wurde  ferner  der  Bau  eines  Forts  auf  dem  «Roche-percee»  : 
Fort  Sebastian,  von  der  in  der  Nähe  gelegenen  St.  Sebastians- 
Kapelle  genannt,  angeordnet.  Die  Abtragung  des  spitzen  Gipfels 


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—   23  — 


und  Herstellung  eines  Plateaus  kostete  allein  40,000  Fr.,  der 
Bau  der  Kaserne  mit  Belegungsraum  für  1  Offizier  und  81  Mann 
54,000  Fr.,  die  Herstellung  des  Pulvermagazins  44,000  Fr., 
das  ganze  Fort  überhaupt  283,526  Fr.  1848—1849  erfolgte 
ausserdem  die  Anlage  eines  Paradeplatzes  vor  dem  Fort,  mit 
einem  Kostenaufwand  von  40,500  Fr.,  so  dass  in  den  Jahren 
1844—1857  für  Anlage  der  nunmehr  vollständig  aufgegebenen 
Befestigungen  1,259,724  Fr.  verausgabt  wurden:  sie  geschah 
mehr  für  die  Armen  als  für  die  Armee  und  mehr  zur  Beschäf- 
tigung der  Bewohner  als  zur  Befestigung  der  Wohnstätten  ;  denn 
dieselbe  ist  ohne  jegliche  Bedeutung  und  war  deshalb  auch  im 
Kriejre  1870)71  nicht  armiert.  Anfangs  des  Jahres  1870  befanden 
sich  in  der  Festung,  nach  einem  Armierun^sbericht  vom  I.Ja- 
nuar 1870,  53  Geschütze,  nämlich  12  gezogene  und  10  glatte 
Bronzekanonen,  18  Bronzehaubilzen  und  13  Bronzemörser,  davon 
waren  aber  nur  19  in  Schussbereitschaft;  Infanteriegewehre  be- 
fanden sich  4602  Stück  mit  1,399,416  Patronen  auf  der  Festung, 
ausserdem  120,400  Kilo  Pulver  und  26,12*8  Geschosse  für  die  ver- 
schiedenen Geschütze.  Bei  Ausbruch  des  Krieges  fand  eine  beson- 
dere Armierung  und  Verproviantierung  nicht  statt ;  der  einige  Tage 
vorher  eingetroffene  Platzkommandant  Theissier  wohnte  bis  zur 
Annäherung  der  deutschen  Truppen  im  Rathause,  und  die  Auf- 
stellung der  Geschütze  geschah  erst  nach  der  Schlacht  von  Wörth 
durch  einen  retraitierten  Artilleriehauptmann,  Namens  Rossin. 

Bitsch  war  der  Sammelplatz  des  V.  Korps  unter  General 
de  Failly  und  bereits  am  18.  Juli  —  also  ein  Tag  vor  der  offi- 
ziellen  Kriegserklärung  —  waren  daselbst  17  Infanteriebataillone 
und  2  Kavallerieregimenter  zusammengezogen  ;  am  23.  Juli  ver- 
legte Failly  das  Hauptquartier  nach  Saargemünd  und  die  3. 
Division,  bestehend  aus  dem  17.,  27.,  30.  und  68.  Infanterie- 
regiment, dem  19.  Jägerbataillon  und  3  Batterien  des  II.  Artil- 
ierieregiments  unter  General  Guyot  de  Lespart,  rückte  nach 
Bitsch.  Nachdem  bereits  am  24.  Juli  die  Bahnlinie  Saargemünd- 
Bitsch  bei  Bliesbrücken  durch  eine  Abteilung  7.  Ulanen  unter 
Lieutenant  von  Voigt  zerstört  worden  war,1  fand  am  29.  ein  Zu- 
sammensloss  zwischen  einer  stärkeren  Rekognoszierungspatrouille 
vorn  5.  Dragonerregiment  und  französischen  Vorposten  aller 
Waffengattungen  bei  Breitenbach  statt,  infolgedessen  die  fran- 
zösische Avantgarde  am  31.  Juli  Befestigungen  auf  den  Höhen 
bei  Hanweiler  (7  Kilometer  nördlich  von  Bitsch)  anlegte. 


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» 


-   24  - 

Am  1.  August  unternahmen  bayrische  Chevaulegers  unter 
Major  von  EglofFstein  und  12.  preussische  Husaren  unter  Major 
von  Parry  in  einer  Stärke  von  50  Mann  eine  Rekognoszierung 
nach  der  Bitsch-  Weissen  burger  Strasse  von  Eppenbronn  aus  ;  sie 
erhielten  bei  Stürzelbronn  lebhaftes  Feuer  von  starken  Infanterie- 
abteilungen und  zogen  sich  auf  Waldwegen  über  den  Mühlenbacher 
Hof  nach  Ludwigswinkel  zurück  ;  mehrere  Pferde  waren  verwundet 
worden,  und  auf  dem  Mühlenbacher  Hof  wurde  ein  Husar,  der 
sich  mit  seinem  verwundeten  Pferde  beschäftigte,  gefangen. 

Nach  Bekanntwerden  der  Einnahme  von  Weissenburg  und 
dem  olfensiven  Vorgehen  der  III.  deutschen  Armee  erhielt  Ge- 
neral Failly  Befehl,  sein  ganzes  Korps  bei  Bitsch  zu  sammeln. 
Die  Division  Lespart,  welche  am  2.  August  in  der  Richtung  auf 
Pirmasens  vorgerückt  war,  zog  sich  wieder  nach  Bitsch  zurück 
und  Failly  selbst  traf  mit  dem  Rest  des  Korps  am  Abend  des  5.  in 
Büsch  ein.  Am  Morgen  des  6.  kam  der  Befehl  von  Mac-Mahon, 
eine  Division  soforl  nach  Philippsburg,  17  Kilometer  südöstlich 
von  Bitsch,  zu  senden  und  mit  dem  übrigen  Korps  am  7.  August 
in  der  Richtung  nach  Weissenburg  vorzugehen. 

Die  Division  Lespart  rückte  demgemäss  am  6.  morgens  nach 
Philippsburg  ab  und  nahm  auf  die  Kunde  von  der  Schlacht  bei 
Wörth,  7  Kilometer  weiter  südöstlich  an  dem  Thalausgang  auf 
den  Höhen  links  und  rechts  von  Nie,derbronn  Aufnahmestellung, 
aus  welcher  sie  jedoch  durch  die  unaufhaltsam  flüchtenden 
Trümmer  der  Mac  Mahon'schen  Armee  mit  in  den  allgemeinen 
Rückzug  gerissen  wurde:  die  Brigade  Fontanges  südwestlich  nach 
Zubern,  die  Brigade  Abbatucci  mit  einigen  Tausend  Verspreng- 
ten des  I.  Korps  nach  Bitsch.  Hier  hatte  unterdessen  Failly, 
von  Nordwesten  (Spichern)  und  Südosten  (Wörth)  heftigen 
Kanonendonner  hörend,  vergeblich  auf  Befehle  geharrt,  und 
wusste  nicht,  wohin  ersieh  wenden  sollte  ;  erst  am  Abend  ver- 
nahm er  die  beiderseitigen  Niederlagen  und  marschierte  dann 
nach  Beschluss  des  rasch  zusammengerufenen  Kriegsrats  des 
Abends  um  9  Uhr  in  fluchtähnlicher  Weise  mit  seinen  beiden 
Divisionen,  die  Train«  zurücklassend,  nach  Lützelstein  ab.  Da 
deutscherseits  angenommen  wurde,  dass  sich  Mac  Mahon  nach 
Bitsch  zurückgezogen  und  sich  dort  sammeln  würde,  erhielt  die 
XII.  Division,  die  seither  in  der  Gegend  von  Pirmasens  ge- 
standen, den  Befehl,  auf  Bitsch  vorzurücken  ;  dieselbe  erreichte 
am  7.  Stfirzelbronn,  Vorposten  bis  Herzogshand  vorschiebend, 


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-    25  - 

und  hei  Haspelseheidt  (7  Kilometer  nordöstlich  von  Ritsch)  Füh- 
lung mit  dem  5.  Dragonerregiment  gewinnend.  Durch  Patrouil- 
len wurde  festgestellt,  dass  während  der  Nacht  zahlreiche  Flücht- 
linge durch  Egelshard  gezogen,  dass  am  Ahend  Truppen  bei 
Bitsch  biwakiert,  in  der  Nacht  aber  nach  Süden  abgerückt, 
und  in  der  nächsten  Umgebung  der  Festung  keine  Truppen 
mehr  sichtbar  wären  ;  doch  erhielt  die  4.  Schwadron  des  5. 
Dragonerregiments,  als  sie  sich  der  Festung  näherte,  von  den 
Wällen  Feuer  und  musste  sich  mit  einem  Verluste  von  4  Toten 
(die  in  Haspelscheidt  begraben  sind)  und  5  Verwundeten  zu- 
rückziehen ;  auch  eine  Brigade  vom  II.  bayrischen  Korps,  welches 
bei  Egelshard  biwakierte,  wurde  am  8.  August  beim  Vormarsch 
von  der  Festung  aus  beschossen,  die  1.  reitende  Batterie  La 
Roche  vom  '2.  bayrischen  Arlillei  ierogiment  fuhr  am  Kindelberg 
auf  und  warf  einige  wirkungslose  Schübe  in  die  Festung,  wurde 
aber  bald  mit  Verlust  von  1  Toten  und  4  Verwundeten,  sowie 
einer  zertrümmerten  Lafette,  zum  Abfahren  gezwungen. 

Durch  diese  Sperrung  der  Hauptstrasse  sahen  sich  die  vor- 
rückenden Truppen  zu  einem  Umweg  gezwungen  :  das  II.  bay- 
rische Korps  marschierte  am  9.  August  auf  Waldwegen  über 
den  Hochkopf  nach  Lemberg,  zur  Beobachtung  ein  Bataillon 
Infanterie  und  eine  Schwadron  Chevaulegers  zurücklassend,  die 
XII.  Division  ging  an  demselben  Tage  über  die  Höhen  bei  Han- 
weiler nach  Schorbach  und  Lengelsheim  und  am  nächsten  Tage 
nach  Klein-Rederchingen.  Hier  war  Tags  vorher  Prinz  Fried- 
rich Karl  von  Wolmünster  her  mit  dem  IV.  Korps  eingetroffen, 
um  Mac  Mahon,  von  dem  man  ja  angenommen,  dass  er  sich 
bei  Bitsch  sammeln  würde,  den  Rückzug  zu  verlegen. 

Die  vor  Bitsch  zurückgelassenen  Truppen  wurden  am  11. 
August  durch  das  1.  Bataillon  7.  bayrischen  Infanterieregiments 
abgelöst,  welches  mit  je  zwei  Kompagnien  die  Lazarette  in 
Reichshofen  und  Niederbronn  schützte  und  durch  vorgeschobene 
Streifpatrouillen  die  Festung  beobachtete.  In  dieser  war  nach 
dem  Abzug  des  Failly'schen  Korps  nur  ein  Bataillon  vom  86. 
Infanterieregiment  (750  Mann  stark)  nebst  250  Artilleristen  zu- 
rückgeblieben, dazu  kamen  noch  etwa  200  in  der  Unigegend 
postiert  gewesene  Douaniers,  und  ungefähr  1400  Versprengte 
von  Wörth  und  000  von  Spichern.  Diese  Flüchtlinge  kamen 
in  einem  schrecklich  abgerissenen  und  verzweifelten  Zustande 
an,  sie  verbreiteten  so  schlimme  Nachrichten   von  der  furcht- 


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—    26  — 


baren  Niederlage  der  französischen  Armee,  dass  sie  der  IPlatz- 
kommandant,  um  nichl  die  Besatzung  zu  sehr  zu  entmutigen, 
isolieren  Hess:  sie  wurden  in  den  drei  auf  der  Stadtumwallung 
befindlichen  Hohltraversen,  dem  Fort  Sebastian  und  dem  davor 
liegenden  «camp  retranche»  untergebracht  und  jeder  Verkehr 
mit  der  Besatzung  verboten.  Da  die  Festung  nach  dem  am  8. 
August  erfolgten  Abmarsch  der  Bayern  längere  Zeit  unbehelligt 
blieb,  schöpfte  die  Besatzung  wieder  Mut  und  gab  sich  den 
besten  Hoffnungen  auf  die  baldige  Rückkehr  der  französischen 
Truppen  bin  ;  der  Platzkommandant  erliess  am  16.  August 
einen  Tagesbefehl,  in  welchem  er  auf  die  günstige  Lage  von 
Bitsch  für  den  Fall  des  erwarteten  Rückzugs  der  deutschen 
Armee  hinwies  und  die  Truppen  im  «camp  retranche»  auffor- 
derte, sich  genaue  Kenntnis  von  der  Umgegend  und  allen  Wegen 
zu  verschaffen,  um  dieselben  nötigenfalls  unpassierbar  zu  machen 
und  den  deutschen  Truppen  den  Rückzug  abzuschneiden.  Die  Situa- 
tion sollte  sich  bald  ändern:  da  Gefahr  bestand,  dass  die  geringen 
zur  Beobachtung  von  Bitsch  zurückgelassenen  Truppen  die  durch 
die  Versprengten  auf  etwa  300Ö  Mann  angewachsene  Besatzung- 
macht im  Schach  halten  könnten,  und  somit  die  Lazarette  in  Nieder- 
broun  und  Reichshofen,  sowie  die  rückwärtige  Verbindung  gefähr- 
det erschienen,  wurde  zur  Operation  gegen  Bitsch  in  Germersheini 
ein  besonderes  Detachement  gebildet,  bestehend  aus  dem  2.  Ba- 
taillon 4.  bayrischen  Infanterieregiments,  dem  29.  Landwehrba- 
taillon,  1  Offizier  und  8  Reitern  der  Besatzungskavallerie  und  4 
gezogenen  12-Pfündern  ä44Schuss  und  Brandgranaten,  im  Ganzen  : 
1850  Mann,  112  Pferde,  4  Geschütze  und  13  Fahrzeuge  unter  dem 
Kommando  des  Obersten  Kohlermann.  Das  Detachement  traf  am 
22.  August  in  Niederbronn  ein,  und  wurde  in  der  Nacht  be- 
reits, nachdem  die  Festung  vergeblich  zur  üebergabe  aufgefor- 
dert worden,  bis  dicht  vor  Bitsch  vorgeschoben.  Die  Batterie  — 
es  war  die  4.  Ausfallbatterie  2.  bayrischen  Arlillerieregiments 
Brodesser  —  wurde  in  der  Nacht  mit  grossen  Schwierigkeiten 
auf  den  1100  m  in  gleicher  Höhe  (306  m  hoch)  nördlich  der  Zita- 
delle gelegenen  grossen  Otterbühel  geschafft,  und  morgens  um  5 
Uhr  das  Feuer  gegen  die  Festung  eröffnet.  Der  3.  Schuss  schlug 
in  das  auf  dem  grossen  Kopf  befindliche  Arresthaus,  in  dem  ver- 
schiedene deutsche  Gefangene  waren,  von  denen  einer  leicht  ver- 
wundet wurde;  das  Feuer  wurde  zwei  Stunden  fortgesetzt  und 
52  Granaten  mit  Spreng-  und  25  mit  Brandladung  in  die  Festung- 

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—   27  — 

geworfen;  da  ein  wesentlicher  Erfolg  mit  den  leichten  Geschützen 
nicht  erzielt  wurde,  die  Batterie  auch  stark  dem  Feuer  der  grö- 
beren Festungsgeschütze  ausgesetzt  war,  Hess  Oberst  Kohlermann 
um  7  Uhr  das  Feuer  einstellen,  durch  einen  Parlamentär  die 
Festung  nochmals  zur  Uebergabe  auffordern  und  die  Batterie, 
von  der  ein  Offizier  und  zwei  Mann  verwundet  waren,  abfahren. 

Die  Uebergabe  wurde  abgelehnt,  und  Oberst  Kohlermann, 
einsehend,  dass  er  ohne  bedeutendes  Geschützmaterial  die  Fes- 
tung nicht  bezwingen  könne,  zog  sich,  um  dieses  abzuwarten, 
zurück  in  ein  Biwak  zwischen  Langelsheim  und  Hanweiler  und 
am  26.  August  nach  Wolmünster. 

Das  29.  Landwehrbatnilion  wurde  zum  Etappendienst  nach 
Weissenburg  beordert,  während  die  Batterie  unter  Deckung  des 
2.  Bataillons  4.  Infanterie- Regiments  arn  27.  August  eine  Be- 
obachtungsstellung auf  dem  nordwestlichen  Höhenzug  zwischen 
Schorbach  und  dem  Freudenbergerhöf  einnahm  ;  bis  zum  Ein- 
treffen weiterer  Truppen  suchte  das  Bataillon  durch  zahlreiche 
Posten  und  Patrouillen  seine  Schwäche  zu  maskieren,  wobei  es 
durch  2  von  Lemberg  nach  Reyersweiler  herangezogene  Etappen- 
kompagnien des  5.  und  27.  Lanuwhi  bataillons  unterstützt 
wurde.  Am  31.  August  ging  der  Befehl  der  vollständigen  Ein- 
Schliessung und  gewaltsamen  Einnahme  der  Festung  ein,  zu- 
gleich mit  der  Benachrichtigung  von  der  abgesandten  Verstär- 
kung. Die  Belagerten  erhielten  hiervon  Kenntnis  und  versuchten 
vor  Eintreffen  der  neuen  Truppen  das  Detachement  Kohlermann 
zu  vertreiben.  Es  wurde  am  1.  September  Nachmittags  41/2  Uhr 
ein  kleiner  Ausfall  nach  der  Saargemünder  Strasse  und  am  4. 
September  ein  grösserer  von  800  Mann  (aus  dem  camp  retran- 
che)  gegen  die  Stellung  zwischen  Lemberger  und  Saargemün- 
der Strasse  unternommen ;  derselbe  wurde  mit  Hilfe  des  Tags 
vorher  eingetroffenen  1.  Bataillons  8.  Infanterie-Regiments  zu- 
rückgewiesen; die  bayrischen  Verluste  beliefen  sich  auf  9  Mann 
tot,  2  Offiziere  und  29  Mann  verwundet,  die  französischen  lassen 
sich  nicht  genau  angeben,  jedenfalls  blieben  3  Tote  auf  dem 
Kampfplatze  —  der  Milchenbach  links  der  Saargemünder  Strasse 
—  liegen  und  wurden  nachher  von  Bitscher  Bürgern  hereinge- 
holt, 6  starben  in  den  nächsten  Tagen  an  den  erhaltenen  Wunden, 
die  Zahl  der  leichter  Verwundeten  soll  sich  auf  CO  belaufen 
haben,  ausserdem  wurden  etwa  30  Gefangene  verloren. 

Nach  zwei  angeblich  noch  rechts  der  Saargemünder  Strasse 


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am  Krähenfelsen  liegen  gebliebenen  Schwerverwundeten  wurde 
gegen  Abend  von  dem  um  die  Krankenpflege  während  der  Be- 
lagerung sehr  verdienten  Dr.  W.  mit  einigen  Bitscher  Bürgern 
gesucht ;  es  war  vergeblich,  dieselben  waren  bereits  von  den 
bayrischen  Krankenträgern  aufgenommen  worden.  Dr.  W.  und 
einer  seiner  Begleiter,  die  sich  bis  in  die  bayrische  Postenkette 
gewagt  hatten,  wurden  festgehalten  und  zu  dem  am  Frexiden- 
bergerhof  befindlichen  bayrischen  Hauptquartier  geführt,  hier 
freundlichst  bewirtet,  mit  der  soeben  eingetroffenen  Depesche 
über  die  Ereignisse  bei  Sedan  bekannt  gemacht  und  dann  ent- 
lassen ;  sie  kamen  erst  gegen  10  Uhr  wieder  in  Bitsch  an  und 
fanden  mit  ihrer  Erzählung  der  Niederlage  von  Sedan  eine 
schlechte  Aufnahme,  ja  wären  beinahe  von  den  aufgeregten  Offizie- 
ren misshandelt  und  als  Verräter  verhaftet  worden  ;  es  erschien 
diese  Nachricht  um  so  unglaublicher,  als  einige  Tage  vorher  (am 
27.  August)  folgende  Depesche  offiziell  bekannt  gegeben  wurde  : 

«Prinz  Karl  tot  und  in  Metz  begraben,  General  Steinmetz 
und  14  preussische  Generale  gefangen.  70,000  Verwundete  und 
Gefangene;  in  der  Nordsee  6  preussische  Schiffe  mit  Goldbar- 
ren genommen !» 

Am  5.  September  trafen  bei  den  Belagerern  noch  10  gezo- 
gene Zwölfpfünder  und  4  sechzigpfündige  Mörser  mit  200  Schuss 
pro  Geschütz  und  am  <>.  die  3ten  Bataillone  des  4.  und  8.  Inf.- 
Reg.  und  eine  Festungs-Genie-Kompagnie  ein  :  sodass  nun  die 
Belagerungstruppen  aus  6760  Mann  Infanterie,  28  Heitern  und 
24  Geschützen  mit  Bedienungsmannschaften  vom  II.,  III.,  IV. 
bayrischen  Festungs-Art. -Reg.  bestanden,  wozu  am  13.  Septemb. 
noch  4  sechspfündige  Feldgeschütze  kamen. 

Die  Truppen  nahmen  vom  6.  September  ab  folgende  SteK 
hing  ein  :  das  I.  Bat.  8.  bayr.  Inf.-Reg.  hatte  den  rechten 
Flügelabschnitt  zwischen  Lemberger  und  Reyersweiler  Strasse 
mit  Allarmhäuser  in  Reyersweiler,  die  5.,  7.  und  8.  Komp.  4. 
Inf.-Reg.  das  Zentrum  an  der  Saargemünder  Strasse  mit  Al- 
larmhäuser  in  Legeiethof  und  das  3.  Bat.  4.  Inf.-Reg.  halte 
den  linken  Flügelabschnitt  mit  Allarmhüuser  am  Suselhof;  das 
3.  Bat.  8.  bayr.  Inf.-Reg.  stand  in  Reserve  auf  dem  Simster- 
hof,  während  die  0.  Kompagnie  4.  Inf.-Reg.  mit  8  Reitern 
eine  fliegende  Kolonne  zur  Beobachtung  der  Strassen  nach  Zwei- 
brücken, Weissenburg  und  Hagenau  bildete  ;  Artillerie-  und  Inge- 
nieurpark nebst  Munitionsdepots  mit  je  300  Reserveschuss  pro 


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-   29  - 

Geschütz  befand  sich  bei  der  Hottweiler  Ziegelei.  L'nler  dem 
Schutze  dieser  Stellung  wurden  bis  zum  11.  .September  0  Batterien 
hergestellt  und  mit  je  300  Schuss  ausgestattet :  Batterie  1  mit 
4  zwölfem.  Kanonen  nordöstlich  von  Beyerswoiler,  am  Nord- 
ostrande des  bewaldeten  Sehimberges,  1700  m  vom  Südwest- 
Ende  der  Festung,  die  II.  Batterie  mit  4  glatten  sechzigpfün- 
digen  Mörsern  an  dem  von  Bitscb  nach  Beyers weiler  führenden 
Wege,  1800  m  von  Bastion  I  entfernt  ;  III.,  IV.  und  V.  Batterie 
mit  je  4  zwölfem.  Kanonen  auf  der  Höbe  (Boss»1!)  zwischen 
dem  Reyersweiler  Weg  und  der  Saargemünder  Strasse,  etwa 
2000  m  von  der  Festung,  VI.  Batterie  auch  mit  4  zwölfem. 
Kanonen  etwa  500  m  nördlich  der  Saargemünder  Strasse  am 
Waldrande  von  Schiesseck. 

Nach  Fertigstellung  der  Batterien,  die  alle  etwa  HO  m  hö- 
her als  die  Zitadelle  lagen,  liess  Oberst  Kohlermann  das  bevor- 
stehende Bombardement  der  Festung  und  Stadt  dem  Komman- 
danten anzeigen,  mit  der  Gewährung  freien  Abzugs  für  die 
Bürgerschaft.  Oberst  Theissier  liess  aber  die  von  fielen  beab- 
sichtigte Auswanderung  nicht  zu. 

Am  11.  September,  Morgens  10  Uhr,  begann  das  Bombar- 
dement der  Festung  aus  sämtlichen  24  Geschützen,  das,  von 
hellem  Wetter  begünstigt,  den  besten  Erfolg  hatte  ;  bald  ent- 
stand Feuer  in  der  Festung,  und  die  Festungsgeschütze,  die  an- 
fänglich, 14  an  der  Zahl,  kräftig  antworteten,  stellten,  nachdem 
sie  etwa  800  Schuss  abgegeben  und  1  Geschütz  der  Batterie 
VI  mit  einem  Verlust  von  1  Mann  tot  und  fünf  verwundet  de- 
montiert hatten,  gegen  Mittag  das  Feuer  ein,  die  Belagerungs- 
geschütze schwiegen  erst  um  11  Uhr  Nachts. 

Am  12.  übernahm  Major  Zeller  da<  Kommando  über  die 
Belagerungsartillerie  und  liess  das  Feuer  mit  allen  Kräften  fort- 
setzen ;  dasselbe  wurde  nur  bis  (J  L'hr  Morgens  erwidert  :  von 
da  ab  blieb  es  still  auf  der  Festung,  woraus  mau  schloss,  dass 
die  Besatzung  sich  in  die  Souterrains  zurückgezogen  habe ;  es 
wurde  deshalb  hauptsächlich  das  Lager  hinter  dem  Fort  Sebastian 
und  von  6  Uhr  Abends  ab  auch  die  Stadt  beschossen.  Letztere 
geriet  bald  in  Brand,  der  die  ganze  Nacht  währte  und  unge- 
fähr 70  Häuser  (darunter  auch  das  Raihaus)  einäscherte. 

Die  Folge  davon  war,  dass  am  nächsten  Morgen  die  Bürger- 
schaft um  freien  Abzug  nachsuchte  ;  derselbe  wurde  zwar  offi- 
ziell versagt,  trotzdem  aber  unter  stillschweigender  Duldung  der 


-    30  - 

Belagerer  von  einer  grossen  Anzahl  Bürgern  ausgeführt ;  etwa 
die  Hälfte  der  2700  Seelen  zählenden  Zivilbevölkerung,  darunter 
gerade  die  angesehensten  und  reichsten,  verliessen  die  Stadt. 
Die  Beschiessung  wurde  fortgesetzt  ;  am  16.  wurden  grosse 
Fourragevorräte,  die  im  Zangenwerke  I— V  auf  der  grossen 
Rampe  lagerten,  in  Brand  geschossen,  verschiedene  Brände  in 
der  Stadt  verursacht  und  am  Abend  das  Zeughaus  und  Gou- 
vernement auf  der  Festung  zerstört.  Am  16.  und  17.  traten  auch 
die  vier  am  13.  September  eingetroffenen  Feldgeschütze  in  Thä- 
tigkeit,  die  von  dem  nördlich  des  Hoten-Stiegs  gelegenen  Wald- 
saum 80  Granaten  und  dann  von  dem  Terrain  zwischen  kleinen 
und  grossen  Otterbühel  40  Granaten  in  die  von  den  Stellungen 
etwa  1500  m  entfernte  Stadt  schössen.  Das  Feuer  wurde  vorn 
18.  ab  vermindert  und  am  21.  September  ganz  eingestellt.  Die 
Batterien  wurden,  nachdem  die  20  gezogenen  bronzenen  Zwölf- 
pfünder  und  die  4  sechzigpfündigen  Mörser  auf  etwa  1800  m  Ent- 
fernung innerhalb  zehn  Tagen  6000  Granaten  und  1100  Bomben 
in  die  Sladt  und  Festung  geworfen,  desarmiert  und  die  Ge- 
schütze abgefahren  ;  am  25.  September  wurde  auch,  da  eine 
weitere  förmliche  Belagerung  zu  viel  Material  und  Truppen  in 
Anspruch  genommen  hätte,  die  Zernierung  auf  Befehl  des 
Generalgouverneurs  von  Elsass,  Grafen  von  Bismarck-Bohlen, 
eingestellt  ;  Oberst  Kohlermann  rückte  mit  2  Bataillonen  und 
der  Feldartillerie  ab,  der  Rest  des  Detachements  (1.  und  3.  Ba- 
taillon 8.  Infanterieregiments)  blieb  unter  Befehl  des  Obersten 
Schrot  zur  Beobachtung  zurück,  um  Beunruhigungen  von  Pro- 
viant- und  Munitionstransporten  seitens  der  Besatzung  zu  ver- 
hindern;  die  Strassen  von  Niederbronn  und  Lernberg  wurden 
gesperrt,  indem  je  1  Bataillon  Barackenlager  hinter  dem  Pfaffen- 
berg und  in  Schwangerbach  bezog,  auf  der  Nord-  und  Westseite 
wurde  durch  Patrouillen  der  Verkehr  möglichst  eingeschränkt. 
Nach  der  vom  Feinde  bemerkten  Verminderung  der  Zernier- 
ungstruppen  erfolgten  mehrere  kleine  Ausfälle  :  am  29.  nach- 
mittags nach  dem  Freudenberger  Hof,  der  erst  nach  4  stündigem 
Kampf  zurückgeworfen  und  am  nächsten  Tage  wiederholt 
wurde ;  das  8.  bayrische  Infanterieregiment  erlitt  dabei  einen 
Verlust  von  5  Mann  tot  und  6  verwundet,  von  der  Kavallerie- 
abteilung (5.  Chevaulegersregiment)  wurde  1  Mann  getötet. 
Nach  mehrfachen  kleineren  Plänkeleien  wurden  vom  10.  Oktober 
ab  die  Feindseligkeiten  beiderseits  fast  gänzlich  eingestellt. 


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Durch  «las  Bombardement  waren  auf  der  Festung  ;<"e  ober- 
irdischen Gebäude,  mit  Aufnahme  der  Kapelle,  gänzlich  ver- 
nichtet, in  der  Stadt  121  Häuser  ganz,  184  teilweise  zerstört 
worden,  135  Haushaltungen  waren  obdachlos,  Pfarrei,  Bürger- 
meister und  sonstige  Behörden  hatten  die  Stadt  verlassen.  Die 
Not  und  Verwirrung  war  gross,  am  23.  September  wurde  durch 
den  Kommandanten  ein  provisorischer  Gemeinderat,  bestehend 
aus  einem  Präsidenten,  Stellvertreter  und  1 V  Beisitzern,  er- 
nannt;  es  wurde  ein  Hilfskomite  konstituiert,  das  an  die  nächst 
gelegenen  Orte  Aufrufe  zur  Unterstützung  mit  Kleidungsstücken, 
Betten  und  Nahrungsmittel  ergehen  liess.  Da  dir  Absperrung 
vom  Oktober  ab  nur  eine  sehr  geringe  war,  und  den  Verkehr1 
nach  aussen  fast  ungehindert  zuliess.  gingen  denn  auch  bald 
von  allen  Seiten,  insbesondere  von  einem  Xiederbronner  und  Saar- 
gemunder  Hilfskomite,  zahlreiche  Filterst  fitzungen  ein.  so  dass 
an  103  Personen  Kleider,  an  303  Bettzeug  und  Lebensmittel,  an 
107  Saatfrucht  und  täglich  für  30  Fr.  Brot  verteilt  werden  konnte. 

Die  Thore  wurden  auf  Ansuchen  der  Bürgerschaft  von  7 
Uhr  morgens  bis  5  Uhr  nachmittags  geölfnet  und  vorn  1.  Ja- 
nuar ab  wurden  sogar  die  Wochenmäi  kte  wie  früher  2  mal 
abgehalten  ;  eine  aus  2  Kompagnien  von  je  80  Mann  gebildete 
Mobilgarde  half  die  Ordnung  in  der  Stadt  aufrecht  halten  und 
die  Thore  bewachen.  Die  Handhabung  der  Sti  algei  u  hlsbarkeit 
wurde,  da  die  Gerichtsbehörden  die  Stadl  verlassen  hatten, 
durch  Erlass  des  Festungskommandanten  vom  "2*2.  Oktober  1*70 
dem  Gendarmei  iekapitän  Mathieu,  der  regelmässig  Freitags 
Sitzungen  abzuhalten  hatte,  übertragen. 

Die  teilweise  in  Eisenbahnwagen  untergebrachte  Besatzung 
des  «camp  retranche»  war  den  Unbilden  des  strengen  Winters 
sehr  ausgesetzt,  und  das  zum  Militärhospital  eingerichtete  frühere 
Augustinerkloster  (College)  konnte  die  Menge  der  Kr  anken,  ins- 
besondere Typhus-  und  Blatternkranken,  kaum  fassen  :  für  die 
zahlreichen  Blatternkranken  wurden  später  Isolierräume  in  der 
Speicherkaserne  eingerichtet.  Die  Zivilbevölkerung,  welche  sich 
am  1.  Dezember  1870  auf  1347  Seelen  belief,  hatle  Dank  der 
umsichtigen  Leitung  ihrer  Vertretung  und  der  reichlich  von 
allen  Seiten  zufliessenden  Unterstützungen  verhältnismässig  wenig 
zu  leiden;  nach  einer  am  1.  Dezember  vorgenommenen  Auf- 
stellung waren  in  der  Stadt  noch  vorhanden  : 

924  Hektoliter  Korn,  213  Säcke  Mehl,  1-4,7;«»  Hektoliter 


—   32  — 

Kartoffeln,  20  Ochsen,  158  Kühe,  0  Kälber,  7  Hämmel  und  8 
Schweine;  die  Weiterverproviantierung  war  bei  der  unbehinderten 
Verbindung  nach  aussen  und  den  erheblichen  Unterstützungen 
an  Geld  —  es  gingen  vom  7.  Oktober  bis  17.  April  8106  Fr. 
an  Baargeld  ein  —  ohne  Schwierigkeiten  vorzunehmen. 

Bei  dem  Militär  trat  bald  Geldmangel  ein,  der  Sold  konnte 
an  die  zahlreichen  Truppen  nicht  mehr  bezahlt  werden,  und 
wurde  deshalb  anfangs  November  der  Adjutant  Mondelli  nach 
Tours  gesandt,  um  Geld  zu  holen.  Dies  war  inzwischen  durch 
den  französischen  Konsul  in  Neuchatel,  auf  einen  Brief  Theis- 
sier's  hin,  besorgt  worden ;  derselbe  traf  am  7.  November,  kurz 
nach  der  Abreise  Mondelli's,  mit  50,000  Fr.  in  Bitsch  ein. 

Mondelli  erhielt  in  Tours  eine  Menge  Auszeichnungen  für  die 
Besatzung  von  Bitsch ;  fast  sämtliche  Offiziere  wurden  um  einen 
Grad  erhöht,  viele  erhalten  Orden  und  Ehrenzeichen ;  es  wird  die 
Errichtung  eines  neuen  Regiments  aus  dem  Besatzungsbataillon 
und  den  Flüchtlingen  der  verschiedenen  Regimenter  beschlossen, 
und  der  seitherige  Bataillonskommandant  Bousquet  vom  86,  In- 
fanterieregiment zum  Oberst  des  neugebildeten  Marsch regiments 
Nr.  54  ernannt.  Mondelli  traf  am  48.  November  wieder  in  Bitsch 
ein,  und  es  wurde  sofort  die  Verteilung  der  Avancements  und 
Dekorationen,  sowie  die  Formation  des  neuen  Regiments  vorge- 
nommen. Dasselbe  bestand  aus  10  Kompagnien  zu  je  160  Mann 
mit  der  verschiedenartigsten  Bekleidung;  aus  den  zahlreichen 
Musikern  der  verschiedenen  Regimenter  wurde  eine  freilich  nicht 
gerade  vorzügliche  Regimentskapelle  gebildet.  Ende  November 
werden  abermals  50,000  Fr.  gesandt,  zugleich  mit  der  Aufforderung, 
dass  alle  entbehrlichen  Offiziere  sich  einer  der  Armeen  im  Innern 
Frankreichs  anschliessen  sollten.  Daraufhin  verliessen  etwa  25 
Offiziere  die  Festung.  Nach  dem  Abgang  der  Offiziere  und  Mann- 
schaften befanden  sieh  Anfang  Dezember  noch  in  Bitsch: 

79  Offiziere  und  Militärbearnte,  2800  Mann  Soldaten  incl. 
Train  (Fuhrleute,  Marketender  etc.),  ausserdem  2  Offiziere  und 
106  Mann  in  den  Spitälern. 

Am  1.  Februar  wird  der  Festung  der  Abschluss  des  Waffen- 
stillstandes mitgeteilt;  sie  verweigert  die  Anerkennung  desselben, 
da  sie  von  ihrer  vorgesetzten  Behörde  keine  Nachricht  über 
denselben  erhalten  und  sie  in  der  ihr  durch  deutsche  Parlamen- 
täre überbrachten  französischen  Abschrift  des  Vertrages  nicht 
aufgeführt  ist. 


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—  33  — 


Der  Festungskommandant  bittet  um  einen  Geleitschein  für 
den  Hauptmann  Mondelli,  der  sich  bereit  erklärt  hat,  in  Bor- 
deaux Instruktionen  zu  holen.  Oberst  Kohlermann  setzt  sich 
dieserhalb  mit  dem  Gouverneur  von  Strassburg  in  Verbindung ; 
da  die  Antwort  lange  auf  sich  warten  lüsst,  reist  Mondelli  am 
11.  Februar  ohne  Geleitschein  ab  und  kommt  arn  17.  Februar 
wohlbehalten  in  Bordeaux  an,  am  6.  März  kehrt  er  nach  mehr- 
fachen Verhandlungen  in  Bordeaux  und  Paris  nach  Büsch  zurück 
mit  folgendem  Brief  des  damaligen  Kriegsministers,  des  neuer- 
dings durch  seine  seltsamen  «Enthüllungen»  aus  dem  Jahre 
1875  vielfach  genannten  Generals  Leflo : 

«Bordeaux,  19.  Februar  1871.  Jules  Favre  hat  zu  meinem 
grössten  Bedauern  die  durch  Ihre  tapfere  Verteidigung  doch 
gewiss  erwähnenswerte  Festung  Büsch  nicht  in  den  WafTen- 
stillstandsvertrag  aufgenommen  ;  ich  habe  heute  an  Thiers  ge- 
schrieben, dass  Bitsch  bei  der  nächsten  Verhandlung  nachträglich 
möge  aufgenommen  werden.  Ich  ermächtige  Sie  aber,  schon 
jetzt  die  Feindseligkeiten,  die,  mit  Rücksicht  auf  Ihre  verlassene 
Lage,  doch  zwecklos  sind,  einzustellen.  Ich  hülfe  nicht,  dass 
Sie  bei  dem  Friedensschluss  die  Festung  werden  verlassen 
müssen,  sollte  es  doch  sein,  so  werden  Sie  baldigst  nähere 
Anweisungen  erhalten.  Empfangen  Sie  meine  Glückwünsche  für 
die  energische  Verteidigung  ;  beglückwünschen  Sie  Ihre  tapferen 
Truppen  für  ihren  Mut  und  ihre  Ausdauer  in  so  gelährlicher 
Bedrängnis,  beglückwünschen  Sie  auch  die  tapfere  Zivilbevöl- 
kerung, welche  so  recht  gezeigt  hat,  dass  sie  französisch  ist  und 
bleiben  will.  Ich  ersuche  Sie,  mir  eine  Liste  besonders  Wür- 
diger für  Auszeichnungen  einzureichen.» 

Mondelli  brachte  zu  gleicher  Zeit,  jedoch  nicht  offiziell, 
auch  die  Nachricht  von  dem  inzwischen  erfolgten  Friedensschluss 
mit,  und  Theissier  erliess  nun  am  7.  März  folgenden  Tagesbefehl : 

«Hauptmann  Mondelli  ist  zurückgekehrt  und  hat  einen 
Brief  des  Kriegsministers  überbracht,  durch  welchen  derselbe 
mich  beauftragt,  die  Garnison  in  seinem  Namen  zu  beglück- 
wünschen für  ihren  Mut,  ihre  Ausdauer  und  Ergebenheit. 

«Die  Friedenspräliminarien  sind  von  der  Nationalversamm- 
lung angenommen  worden,  nach  welchen  der  von  uns  besetzte 
Platz  abgetreten  ist,  die  Uebergabe  steht  demnach  in  nächster 
Zeit  zu  erwarten.  Bald  werden  wir  uns  inmitten  unserer  Waf- 
fengenossen im  Innern  befinden  und  wir  können  uns  stolz 

3 


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—   34  — 


zeigen,  uns  hei  dem  allgemeinen  Unglück  des  Vaterlandes  bis 
zum  Ende  des  Krieges  gut  gehalten  zu  haben,  ohne  uns  durch 
den  Fall  so  vieler  Festungen  entmutigen  zu  lassen.  Die  eigent- 
lichen Verteidigungsarbeiten  werden  von  heute  ab  aufhören  und 
es  werden  nur  noch  zu  den  dringendsten  Unterhaltungsarbeiten 
Arbeiter  kommandiert  werden.  Von  jetzt  ab  wird  die  Portion  Reis 
von  40  auf  00  Gramm  und  die  Ration  Heu  auf  2  Kilo  erhöht.» 

Am  0.  März  liess  der  Oberst  Kohlermann  dem  Komman- 
danten folgendes  von  dem  Gouverneur  in  Strassburg,  Grafen 
von  Rismarck-Bohlen,  eingegangene  Telegramm  mitteilen  : 

«Nachdem  Bitsch,  gemäss  Art.  1  des  Friedensvertrags,  an 
Deutschland  abgetreten  wurde,  ist  der  Platzkommandant  auf 
Refehl  des  Grafen  Moltke  sofort  aufzufordern,  es  zu  räumen 
und  auf  dem  kürzesten  Wege  mit  seinen  Truppen  das  deutsche 
Gebiet  zu  verlassen;  der  Train  kann  später  verladen  werden. 
Die  Ausführung  kann  nicht  aus  Mangel  an  Waggons  durch  den 
Kommandanten  verzögert  werden.» 

Der  Platzkommandant  antwortete  hierauf,  dass  er  ohne 
offizielle  Mitteilung  des  Friedensschlusses  und  direkter  Anwei- 
sung seiner  Regierung  die  Festung  nicht  verlassen  könne  und 
bat  zugleich  um  Vermittlung  zweier  Depeschen  an  den  Kriegs- 
minister in  Bordeaux  und  Paris,  durch  welche  er  um  Vor- 
Schriften  ersuchte. 

Unterdessen  wurde  alles  zum  Abmarsch  vorbereite!,  die 
Geschütze  wurden  zum  Bahnhof  geschafft,  die  nicht  brauchbaren 
Waffen  und  Lebensmittel  verkauft,  die  Verteidigungswerke  und 
Gebäudetrümmer  auf  der  Festung  zerstört  und  von  der  Zivil- 
bevölkerung Abschied  genommen. 

Dieser  erhielt  eine  besondere  Weihe  durch  Uebergabe  einer 
Fahne :  am  9.  März  hatte  der  Gemeinderat  einstimmig  beschlossen, 
der  Garnison  eine  Fahne  mit  der  Aufschrift :  «La  ville  de  Bitche 
ä  ses  defenseurs,  8  Aoüt  1870—12  Mars  1871»  zu  stiften;  es 
wurden  zu  diesem  Zwecke  50  Fr.  bewilligt  und  die  sofortige 
Anfertigung  verfügt,  «da  der  Abmarsch  stündlich  zu  erwarten  ist». 
Am  15.  wurde  die  Fahne  von  Delegierten  der  Stadt  auf  dem 
«camp  retranche»  dem  Kommandanten  überreicht;  alle  Truppen 
wohnen  dem  feierlichen  Akt  in  Paradeaufstellung  bei  und  defi- 
lieren nachher  vor  den  Vertretern  der  Stadt  in  folgender  Reihe- 
folge:  Artillerie,  Gendarmerie,  54.  Infanterieregiment,  Tirailleurs, 
lnfirmiers,  Douaniers,  Kavallerie,  Train  des  equipages. 


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--  :r»  - 


An  demselben  Tage  wir«!  dem  Kommandanten  vnn  einem 
Damenkomite  ans  Niederbrenn  cm  Lorbeerkranz  üherbracht. 

Da   die  von   «Inn  K rir^rsnii nisi«;.T  erwarteten  Befehle  ;ms- 
hleiben,  reist  Hauptmann  Moudelh  am  IS.  Marz  abermals  nach 
Paris,   das   er   aber   bereits  von  der  Kommune  besetzt  hndet. 
Am  22.  März  war  die  Festung  trotz  w  'iedei  hoher  Aullordenm-. 
noch  nicht  geräumt,  und  als  der  Kommandant  selbst  dann  noch 
2ögerte,  als  ihm  eröllnet  wurde,   lautere  Weigerung  würde  als 
Besitzergreifun-   deutschen  Gebietes    betrachlet  werden,  rüstete 
man  sich,  unter  Heranziehung   von  Yei-tarknn  j    aus  Hagenau, 
zu  einer  neuen  He.M-hie— un- 
Angesichts   der  Verstärkungen    und    Vorbereitungen  eine- 
neuen  Bombardement   eutschlo»  >ii-b   I  hei-aei ,   um  weitere 
unnütze  Zerstörung  und  Mlutvei-io-seu  zu  \ei  hüten,  zur  l.'eber- 
gäbe,   und   nach    längeren  \  ei 'hanuluugen    kam  am  Abend  des 
23.    März    zwi-chen    Oberst    Koblei  mann     und     Komtn.md  int 
Theissier  folgende  Konvention  zustande: 

1.  Die  Garnison  ru<  kt  mit  .dien  Kne-selit'en.  Walleu  und 
Fahnen,  die  Artillerie  mit  allen  Foldge-ehuizen  ab. 

2.  Ueber  lMag.erungsmatenal  und  Krieg-munitiun  wird 
ein  doppeltes  Inventai mm  gefertigt, 

3.  Ebenso  wird  ein  ln\entar  über  das  Yei  wall  ungsuiatej  aal 
aufgenommen. 

4.  Das  in  Art.  -  und  erwähnte  Material  wir« l  dem  Kom- 
mandanten der  deutschen  Truppen  übergehen. 

5.  Die  Festuugsarebive.  mit  Au>nahme  der  ej-enen  Re- 
gister des  Kommandanten,  werden  zune  k_ei issen . 

6.  Die  Douaniei-s  werden  entwatlue!  und  frei  u,  ihre  Hei  mal 
entlassen. 

7.  Die  Kantmier-,  die  aut  gewöhuln  hem  Wi-v  abnagen 
wollen,  erhalten  vom  IMatzkommandanten  einen  Geleit,  [|lM1] 
visiert  durch  die  doiits.  he  Oherhehürde. 

8.  Der  Plalzkomman  lau!  bleib«  naeli  dem  Abmarsch  der 
Truppen  zur  Yertüguug  der  deutschen  ( »her  heim  nie  hi>  zur 
definitiven  Auseinandersetzung;  er  \  ei -prlmbte!  sj.-h  ,oj[  Khren- 
wort,  die  Festung  ebne  KHauhn:-  nicht  zu  \ erh -n . 

9.  Die  Truppen  werden  mit  inien  Pferden  und  duvm  Go- 
päck  durch  die  Eisenbahn  bei. >rd-rt . 

40.  Das  in  Putsch  zui ückgolas-eue  Gep.'h  w  der  <  illi/en  e  de- 
I.  und  V.  Korp.-  wird  sp.'iter    nach  einen,    m-i  1)  anzugehenden 


-  36 


Orte  Frankreichs  gesandt  werden,  2  Unteroffiziere  bleiben  zu 
seiner  Bewachung  und  späteren  Versendung  unter  ihrer  Verant- 
wortlichkeit zurück. 

11.  Die  Ambulanzwagen  gehen  mit  den  Truppen. 

Tags  darauf  erliess  der  Kommandant  einen  Tagesbefehl,  in 
welchem  er  den  Abmarsch  für  den  nächsten  Tag  anordnet  und 
Abschied  nimmt  von  den  Truppen;  derselbe  endet  mit  den 
Worten:  «Später  wird  jeder  von  uns  stolz  sein,  sagen  zu  können: 
«ich  gehörte  zu  der  Garnison  von  Bitsch».  Die  uns  von  den 
Einwohnern  Bitschs  geschenkte  Fahne  fasst  diesen  Gedanken 
zusammen  und  ich  wünsche  jedes  Korps  könne  eine  solche  tragen. 
Tapfere  Kameraden  :  Ich  drücke  jedem  von  Euch  die  Hand 
und  sage  «Auf  Wiedersehen». 

Am  25.  März  marschierte  die  Garnison  noch  etwa  2500 
Mann  stark  mit  klingendem  *  Spiel  und  wehenden  Fahnen, 
unter  Begleitung  der  Bitscher  Garde  nationale  und  Garde  mo- 
bile durch  das  Strassburgerthor  nach  dem  Bahnhof,  wo  sie  ein- 
geladen und  auf  der  am  23.  wiederhergestellten  Bahnstrecke 
Bannstein-Lemberg  weiter  befördert  wurde. 

Am  20.  erfolgte,  nachdem  die  letzten  französischen  Solda- 
ten die  Festung  verlassen,  durch  das  Pfalzburger  Thor  der 
Einzug  der  bayr.  Zemierungstruppen ;  der  Bürgermeistereiver- 
walter Lamberton  und  ein  Geistlicher  gingen  denselben  bis  zum 
Rotenstieg  (etwa  2  Kilometer  von  Bitsch)  entgegen,  während 
am  Thore  der  Festungskommandant  an  Oberst  Kohlermann  die 
Schlüssel  der  Festung  übergab. 

Tags  vorher  hatte  der  Bürgermeisterei  Verwalter  folgenden 
Brief  an  den  Obersten  Kohlermann  gerichtet :  «Angeschlossen 
beehre  ich  mich,  eine  in  der  Stadt  veröffentliche  Polizei  Verord- 
nung zu  übersenden.  Sollten  unglücklicherweise  doch  verein- 
zelte Feindseligkeiten  vorkommen,  so  gebe  ich  mich  der  Hoff- 
nung hin,  dass  Ihr  Gerechtigkeitssinn  dieselben  nicht  der 
Stadt  oder  deren  Verwaltung  anrechnet,  welche  augenblicklich 
ohne  Machtmittel  ist.  Wenn  Sie  zur  Verhütung  jeglicher  Unord- 
nung Massregeln  für  notwendig  erachten,  können  Sie  auf  die 
Unterstützung  der  Ortsbehörde  rechnen.  Sie  würden  mich  sehr 
verbinden,  wenn  Sie  die  Güte  haben  wollten,  mir  die  Anzahl 
der  notwendigen  Offiziersijuartiere  mitzuteilen.» 

Die  angeführte  Polizeiverordnung  lautete  : 

«Die  Einwohner  werden  benachrichtigt,  dass  die  deutschen 


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—  37  — 


Truppen  binnem  Kurzem  in  unsere  Stadt  einziehen  werden, 
einige  Offiziere  zur  Abwickelung  von  Geschäften  sogar  heute 
noch.  Die  Stadtbehörde  fordert  die  Einwohner  auf,  keinerlei 
feindliche  Demonstrationen  zu  machen,  die  Kinder  in  den  Häu- 
sern zu  halten  und  den  Jungens  zu  verbieten,  irgend  welche 
Rufe  auszustossen,  welche  von  den  deutschen  Truppen  übel  auf- 
genommen werden  könnten.  Uebertretungen  werden  streng  be- 
straft, und  sind  die  Eltern  für  ihre  Kinder  verantwortlich.» 

Dank  dieser  Massnahmen  erfolgte  der  Einzug  ohne  jeden 
Zwischenfall  und  Bitsch  war  nunmehr,  nachdem  es  etwas  über 
100  Jahre  (seit  1766)  französisch  gewesen,  wieder  dem  deutschen 
Reiche  einverleibt. 

Tbeissier  verliess  am  31.  März  Bitsch  und  am  2.  April 
wurde  die  bayrische  Besatzung  durch  ein  Bataillon  vom  7.  bran- 
denburgischen Infanterie-Regiment  Nr.  60  abgelöst,  das  mit  kurzer 
Unterbrechung,  während  welcher  einem  Wachtkommando  der 
Schutz  der  Festung  anvertraut  war,  bis  zum  1.  April  1897  in 
Bitsch  verblieb  und  durch  das  neugebildete  Inf.- Reg.  171  ersetzt 
wurde;  letzteres  tauschte  am  1.  April  1901  die  Garnison  Colmar 
mit  den  Jägerbataillonen  IV  und  X. 

Die  Belagerung  hatte  für  die  bayrischen  Zernierungslrup- 
pen  einen  Verlust  von  19  Mann  tot  (beerdigt  auf  den  Kirch- 
höfen von  Reyersweiler  und  Schorbach  und  in  einem  Massen- 
grab auf  der  Schorbacher  Höhe),  3  Offizieren  und  59  Mann 
verwundet,  zu  Folge;  ausserdem  verlor  das  5.  preuss.  Drago- 
nerregiment bei  einer  Rekognoszierung  4  Mann  (beerdigt  auf 
dem  Kirchhof  zu  Haspelscheidt).  Die  Verluste  der  Besatzung 
lassen  sich  nicht  genau  bestimmen :  in  der  Stadt  verstarben  93 
Soldaten  —  dieselben  sind  mit  Ausnahme  von  6  bei  dem  Aus- 
fall am  4.  September  Gefallenen  an  der  Weiherkapelle  und  in 
dem  Garten  des  früheren  Hospiz  St.  Joseph,  jetzt  Stumm'schen 
Hauses  in  der  Vorstadt  beerdigt,  — die  auf  der  Festung  Gefal- 
lenen wurden  auch  auf  der  Festung  registriert  und  begraben, 
so  dass  man  deren  Zahl  in  der  Stadt  nicht  erfuhr.  Von  dem 
auf  der  Festung  garnisonierenden  86.  Infanterie-Regiment  ver- 
starben in  den  Spitälern  21,  die  anderen  72  gehörten  den  ver- 
schiedensten Regimentern  an:  dem  17.,  27.,  30.,  46.,  68.,  84., 
SS.  und  96.  Infanterieregiment,  dem  4.,  9.  und  16.  Jäger-Ba- 
taillon, dem  1.  algerischen  Tirailleurregiment,  dem  2.  Zuaven- 
P%egiment,  1.  Genie-Regiment,  2.,  10.,  14.  und  20.  Artillerie- 


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—   38  — 


Regiment,  3.  und  5.  Husaren-Regiment  und  dem  Douanier- 
korps.  Von  der  Zivilbevölkerung  waren  während  des  Bombar- 
dements G  getötet  worden;  an  Material  war  durch  die  Be- 
schiessung  zerstört  worden,  beziehungsweise  an  Entschädigung 
wurde  bezahlt  :  für  124  vollständig  zerstörte  Gebäude  4,308,246 
Fr.,  für  184  teilweise  zerstörte  Gebäude  78,860  Fr.,  für  Mobi- 
liarschäd«n  4,279,245  Fr.,  im  Ganzen  2,666,324  Fr.  Zur  Lin- 
derung der  Not  erschien  am  44.  April  4874  ein  Not-Ruf,  der 
allseitig  Gehör  fand  und  rasch  grosse  Summen  zusammenbrachte. 
Da  die  Entschädigungen  reichlich  aus  Staatsmitteln  bezahlt 
wurden,  fanden  die  Gelder  keine  Verwendung :  sie  werden 
heule,  in  Höhe  von  etwa  60,000  Mk.,  durch  die  Kreisdirektion 
in  Saargemünd  als  Bitscher  Fonds  verwaltet  und  zum  Besten 
der  Landwirte  des  Kreises  verwandt. 

Mit  den  Aufräumungsarbeiten  an  den  Festungswerken  wurde 
bereits  am  22.  Mai  begonnen,  und  dafür  in  kurzer  Zeit  die 
Summe  von  25,158  Mk.  verausgabt;  aber  erst  am  25.  Februar 
4872  wurde  durch  kriegsministerielle  Verfügung  unter  Aufgabe 
der  Stadtbefestigung  und  Airtreten  derselben  an  die  Stadtver- 
waltung um  44,370  Mk.  die  Erhaltung  resp.  Wiederherstellung 
der  Schlossbefestigung  als  Sperrfort  er  Eisenbahn  Hagenau- 
Saargemünd  verfügt. 

Seit  dieser  Zeit  wurden  viele  bauliche  Veränderungen  vor- 
genommen und  die  Festungswerke  den  Anforderungen  der  Neu- 
zeit angepasst.  Möge  denselben  in  die  weite  Zukunft  versagt 
sein,  ihre  Tüchtigkeit  im  Ernstfalle  zu  erproben  • 


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Anhang:  Die  l  iiigehuiig. 


(R:  auch  schöne  k'.wll.  Uivn  :  .lif  ^..-|--  i  i*        !i  •.:.-.;>.     i  irt,      -  1  i •-    i.  ni  .1 1 1 ■  I:  •  - 

1 .  Naclimitta^sausllii^c. 

1.  F  r  i  e  d  r  i  c  Ii  s  h  a  i  11  J<>  M min  01t  westl. 

2.  Schimberir       Stil.  si'uiwe-t 

3.  Schöne  Aussicht  —  Ji  a  i  »•  r  n  <l  0  u  k  in  ,1  1  l-'rew<l-a;iiTurer- 
hof  (Wirtschaft;  -  IÜt>oh  lJ',  Si-I.  imnlw^tl. 

4.  Rothlaniluielithal      -    W'm  1 1  -  s  r  j ,  1 11  <•  1 1 T    -  [kuennieuknial 

Freudenberg-erhct  —  Uitsch  2  x  st.J. 

R.  5.  Forst  hau>  OcliTiiinüblr  <  Wirtschaft!  1     >l<l  innall. 

6.  Forsthau>    <  »chsenmuhle  -  •  >  <■  !i  ,.>  r  La  eh  -        !i •". r: Au-^ichf 

—  Bitsch  2.V*  Si.l. 

7.  Forsthans  Neubai:  h  -  Wassert':!  II  —  Wul.aclit  lial  —  Ii  w in-'- 
mühle  —  Forsthaus  *  »<-hson m üli lo  -    llii^-li  ■_>  :  ,  Sr.l 

8.  —  Pr  e  u  >  s  e  !t  -  r.    i  ii  jn  Minuiin  n .. r.l.'.^t  I . 

9.  Ochsenniiihle      Hun-]>k:...pf  -    lYeiis-eitH -1:1  •    Fit-ch  l >til. 

10.  Preussrustein  II  1 1 1 1 1 1  >  U  -  ^  >  f  1  ]  I  u  1  r  Li  im  1  Ii  ■  >  Ii  I  ■  —  A  I  t  e - 
SchloRS  —  Haspolseheidi  —   Iüim'Ii  > t ■  I . 

R.  11.  Hei-/.  0  1;' >  k  ü  r  p  (>  r  i'  Stil    w  <  ■  m  1 

12.  He  r  z  0  u  s  b  1  i  c  k  2]  U  Si :[ 

13.  Schönblick  _>'/;  Si.l.    rot.^  fi  u  o>il. 

14.  Bahnfahl  1  Bannst  i  a  1  I  Minuten  .  W-i-rhat'  .  a  W  a  1  .1- 
eck  s/4  Stil.  (uTÜnes  rj  ;  b.  Ha  na  n  <•  r  W  e  i  Ii  e  r  s  s  >hl.  il-lnu.- 
f)i  C.  Mutter  ha  usen  :\';  >t«l. :  .1.  Hanau. t  W. •iiier  -     Fall,"!,  stein 

—  Philippsbm    l>i;l-  Stil. 

15.  Bahnfahrt:  P  Ii  i  1  i  p  p  -  I.  u  r  i:  l'l'  Minuten,  a.  Falken- 
Stein  1  Stil.  ;    b.   Amslier-;  P;  mL  aMirr  >nvli   ^    e.  Faren- 

t  ha  1-R  a  m  st  ei  n  I  St.l.  (wei-ser  strich;, 

16.  Xiedeilu  uiiii  :;i  Minuten  Pahntalirt  ...Villa  Matliiv. 

17.  Hasselfurt fi  Weiher  J  ,  Snl.  -ai!l. 

18.  Hasselfuncr  Weihe,-  H . - c* m k ■  •  | -. i"  -  >i l-r. .nn  ■-  Fii-eh 
2i/s  Std. 


—    40  — 

19.  Hochkopf  -  Bollig fe  Isen  —  Bannstein  2»/»  Std. 

20.  Hasselfurter  Weiher  -  Grünholz  —  Hochkopf  -  Bitsch 
2»|,  Std. 

21.  Hochkopf  —  Dürrberg  —  Lindel  —  Bannstein  3  Std. 

R.  22.  Wolfsgarten  —  Peterphilippsgarten  —  Bitscherthal  — 
Mntter hausen  —  Lindel  —  Bannstein  3  Std. 

23.  Hubertus  quelle  ll/s  Std.  (weisses  f)  südwestl. 

24.  Bahnfahrt:  Lemberg  13  Minuten  a.  Hubertusquelle  */*  Std.; 
b.  Götzenbrück  1Ji  Std.;  c.  Münzthal  '/2  St.;  d.  Meisen- 
thal VU  Std. ;  e.  Breitenstein  1  Std.;  f.  Mutterhausen  l^s  Std. 

R.  25.  Hanweiler  —  Bussweiler  —  Eber bachmti hie  — ,  Haspel- 
scheidt —  Bitsch  4  Std. 

26.  Hagenauer  Strasse  —  Dambachersträsschen  —  Waldbahnhof 
(Wirtschaft;  —  Stürzelbronnerstrasse  —  Barackenlager  —  Bitsch  2  Std. 

II.  Tagestouren. 

R.  1.  Hauweiler  —  Bussweiler  —  Waldhausen  —  Waise  li- 
fo r  o  n  n  —  Breidenbach  —  Neubach  —  Bitsch  5  Std. 

2.  Haspelscheidt  —  E  pp  e  n  b ro  n  n  e  rf  el sen  s chlo  s  s  — 
Eppenbronn  —  Stüdenbach  —  Herzogsblick  —  Bitsch  7  Std. 

3.  Herzogsblick  —  Erlenmuss  —  Stürzeibronn  —  Erbsenthal 

—  Glasbronn  —  Schönblick  —  Bitsch  61/*  Std. 

R.  4.  Stürzelbronn  —  Lützelhardt  —  Obersteinbach  —  Jäger- 
thal —  Niederbronn  —  Bitsch  8  Std.  i/a  Std.  Bahnfahrt. 

R.  5.  Stürzelbronn  —  Lützelhardt  —  Schöneck  —  Dambach  — 
Neunhofen  —  Stürzelbronn  —  Bitsch  8»/«  Std. 

6.  Stürzeibronn  —  Steinbach  —  Frönsburgerhof  (Wagen)  — 
Fleckenstein  —  Hohenburg  —  Wegeinburg  —  Schönau  —  Wasigen- 
stein  —  Obersteinbach  (von  hier  Wagen)  —  Stürzeibronn  —  Bitsch 
5  Std.  Wagenfahrt,  3'/s  Std.  Fassmarsch. 

7.  Bannstein  —  Waldeck  —  Sohönblick  —  Herzogskörper  — 
Herzogsblick  —  Bitsch  (rotes  Kreuz)  14  Min.  Bahnfahrt,  5»/*  Std. 
Marsch. 

8.  Bannstein  —  Mutterhausen  (Bahnfahrt)  —  Melch  —  Reiperts- 
weiler  —  Lichtenberg  —  Reipertsweiler  —  Kundschaft  (Wirtschaft) 

—  Bannstein  3/4  Std.  Bahnfahrt,  6  Std.  Marsch. 

9.  Philippsburg  —  Raine  Arnsberg  —  Unter-Mühlthal  —  Bären- 
thal —  Philippsburg  —  Bitsch  ty4  Std.  Bahnfahrt,  3*/*  Std.  Marsch. 

10.  Philippsburg  —  Ruine  Hohenfels  —  Dambach  —  Ruine 
Schöneck  —  Neunhofen  -  Philippsburg  —  Bitsch  »/4  Std.  Bahn- 
fahrt, 4>/*  Std.  Marsch. 

11.  Philippsburg  —  Hohwintcrsberg  —  Keltisches  Lager  — 
Niederbronn  -  Bitsch  1  Std.  Bahnfahrt,  3»/,  Std.  Marsch. 


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—   41  — 


12.  Philippsburg*  —  Ruine  Arnsberg  —  Holdereck  —  Wasen- 
köpfel  —  Wasenburg  -  Niederbronn  -  Bitsch  1  Std.  Bahnfahrt, 
4'|a  Std.  Marsch. 

13.  Lemberg  —  Münzthal  —  Meisenthal  —  Götzenbrück  — 
Lemberg  —  Bitsch  Vi  Std.  Bahnfahrt,  3  Std.  Marsch. 

14.  Lemberg  —  Götzenbrück  —  Saareinsberg  —  Althorn  — 
Habelthal  —  Mutterhausen  —  Bannstein  s/4  Std.  Bahnfahrt,  3  Std. 
Marsch. 

Arnsberg.  Ruine  Gross-Arnsberg  1  Std.  südl.  v.  Philippsburg 
in  tiefster  Waldeseinsamkeit  versteckt.  Im  XII.  Jahrhdrt.  als  Reichs- 
veste  zum  Schutz  der  aus  dem  Elsass  nach  Lothringen  führenden 
Strasse  durch  die  Landvögte  des  Elsass  erbaut;  von  1332  ab  den 
Herren  v.  Lichtenberg  gehörig,  später  als  Lehen  den  Herren  Fessler 
v.  Arnsburg  überlassen,  im  Bauernkrieg  zerstört.  Jetzt  nur  noch 
geringe  Trümmer  erhalten,  die  am  Südende  zugänglich. 

Baierndenkmal.  40  Minuten  nordwestl.  Sammelgrabstätte  der 
bei  der  Belagerung  gefallenen  Baiern,  19  an  der  Zahl,  geschmückt 
mit  einfachem,  am  5.  IX.  1886  eingeweihten  Kreuz;  steiler,  aber 
anssichtsreicher  Weg  über  «schöne  Aussicht»,  oder  bequemer,  aber 
weiter  (5|4  Std.)  durch  das  Rotlambachthal. 

Bärenthal.  Dorf.  1036  E.  1  Std.  südl.  der  Stationen  Bannstein  und 
Philippsburg  in  lieblichem  Waldthal  gelegen;  gute  Verpflegung 
<Fische!)  im  Gasthaus  zur  Linde. 

An  dem  fischreichen,  grossen  Weiher  ein  Stahl-  und  Eisenwerk 
gegründet  um  1700,  seit  1818  der  Firma  Coulaux  &  Cic.  gehörig; 
1896  mit  einem  Siemensofen  neuester  Konstruktion  für  Tiegelguss- 
stahl ausgestattet,  60  Arbeiter.  Früher  Treff-  und  Rastort  der 
Zigeuner  («Heiden»).  Vi  Std.  nördl. :  Ruine  Ramstein  (Rabenstein), 
wenige  Reste  eines  Ende  des  XIII.  Jahrhunderts  erbauten  und  be- 
reits 1335  durch  den  Landvogt  von  Elsass  zerstörten  Raubschlosses; 
von  dem  durch  den  V.-C.  zugänglich  gemachten  Fels-Plateau  schöner 
Blick  auf  Bärenthal  und  das  Zinselthai. 

Bannstein.  8  Kil.  südustl.  von  Bitsch.  Haltestelle  und  Einmünd- 
ung der  von  Dietrich'schen  Privatbahn  in  die  Reichseisenbahnlinie. 
Wirtschaft.  Ausgangspunkt  einer  Reihe  schöner  Waldtouren.  Be- 
nannt von  den  in  der  Nähe  befindlichen  Grenzsteinen,  welche  1605 
zur  Abgrenzung  lothringischer  und  hanauischer  Besitzungen  errichtet 
wurden.  2  Kil.  westl  Bolligfelsen,  genannt  nach  dem  um  die  Auf- 
schliessung der  Naturschönheiten  der  Bitscher  WTälder  hochver- 
dienten Forstrat  Bollig.  Clubhütte  ties  V.-C.  mit  prächtigem  Rund- 
blick auf  die  herrlichen  Waldungen. 

Bitsch,  (zu  den  Büschen?)  die  Stadt,  286  m,  also  80  m  unter- 
halb der  Festung  gelegen.  3640  Einwohner,  einschliesslich  1300 
Mann  Militär. 


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Sitz  eines  Amtsgerichts  mit  Gefängnis  (Neubau),  Notar,  Poli- 
zeikommisssir, :i  Oberförstereien  (Bitsch-Süd,  Bitsch-Nord.  Lemberg), 
Verkehrssteueramt,  Stcuerkasse,  Steaereinnehmerei,  Apotheke,  vier 
Aerzte,  Spital  St.  Joseph  mit  27  Betten,  katholische  and  evangelische 
Pfarrei  mit  je  einer  Kirche,  bischöfl.  Gymnasium  (College),  höhere 
Töchterschule  der  Schwestern  der  heiligen  Christiana  in  Metz, 
Garnisonverwaltung,  Fortifikation,  Filial-Artilleriedepot,  Komman- 
dantur, Garnison  des  IV.  und  X.  Jägerbataillons,  sowie  der  Ma- 
schinengewehrabteilung II.  und  III  ,  Meldeamt,  Postamt  II  {Um- 
wandlung in  I  bevorstehend).  Hotel  zur  Stadt  Metz  und  Hotel 
Bournique-Aust,  beide  verbunden  mit  guten  Bierrestaurationen,  in 
letzterem  Clubzimmer  der  V.-C.  Sektion. 

Das  älteste  Gebäude  ist  die  bereits  l.'MS  als  Katharinenkapelle 
erwähnte  «Weiherkapelle»  am  Lemberger  Thor  mit  alten  Stein- 
skulpturen und  den  Inschriften  lölö  und  10*>.X.  Katholische  Kirche 
1774  (Turm  1W»S),  evangelische  1NS1  erbaut.1  Die  um  lSöO  angelegte 
Stadtbefestigung  wurde  1*72  aufgegeben;  die  Thore  wurden:  Saar- 
gemünderl Lemberger  Landauer  1*100  abgerissen,  die  Wälle 
teilweise  niedergelegt.  Im  Ramsteiner  Wäldchen  am  aufgegebenen 
Fort  Sebastian  schöne  Spaziergänge.  In  der  Nähe  der  katholischen 
Kirche  auf  dem  Platz,  wo  das  alte,  1870  zerstörte  Rathaus  stand, 
Büste  Kaiser  Wilhelm  I,  die  bereits  im  Herbst  1WS  als  erstes  Denk- 
mal des  grossen  Kaisers  eingeweiht  wurde. 

Die  Stadt  Bitsch  entstand  aus  den  beiden  Orten  Kaltenhausen 
und  Rohr.  Kaltenhausen  wird  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  zum 
ersten  mal  erwähnt,  hatte  1442  bereits  Marktrechte  und  heisst 
lf>()4  une  villette,  «une  espece  de  \ille». 

16M  wird  es  von  den  Schweden  verbrannt,  erst  1002  allmählich 
wieder  aufgebaut  und  nun  auch  Bitsch  genannt  und  selbständige 
Mairie,  während  es  früher  von  der  Maine  Schorbach  abhängig  war. 
Es  gehörte,  wie  die  Festung,  den  Grafen  von  Zweibrücken-Bitsch 
und  kam  nach  deren  Aussterben  1Ö70  an  den  Herzog  von  Loth- 
ringen, lös'.»— 1000  war  es  au  Markgraf  Jakob  von  Baden  bezie- 
hungsweise Graf  Karl  von  Hohenzollern  verpfändet  und  letzterer 
war  häutig  mit  seiner  Familie  hier  und  Umgegend  um  «der  Sau- 
hatz und  Hochwildjagd»  obzuliegen.  Er  erliess  l.VJS  verschiedene 
Zunftordnungen,  1000  eine  Marktordnung  und  1G01  eine  Stadtordnung. 

10O0  fiel  B.  an  Lothringen  zurück,  wurde  10.U-109S  von  den 
Franzosen  besetzt  und  l'CM  respektive  1700  mit  Lothringen  an 
Frankreich  abgetreten.    Kaltenhausen  «das  Städtchen»  bildete  mit 

1  In  der  kathol.  Kirche  ein  Marmor-Denkmal  des  Grafen  vo« 
Bombelles.  1740-1700  Gouverneur  der  Grafschaft  Bitsch  später 
provinciae»).  Siehe  oben  p.  !.">. 


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—    13  — 

Rohr  «der  Vorstadt»,  Schorbach,  Lengisheim,  Hanweiler  und  Reg- 
gisweiler  die  Mairie  Schorbach  bis  1611.  1611  prevote  Kaltenhausen. 
1751  Bailliage  ßitsch  55  Orte  mit  55.585  Einwohnern.  1790  Dist- 
riktshauptort mit  6  Kantonen:  Bitsch,  Saarunion,  Breidenbach,  Lem- 
berg, Rohrbach  und  Wolmünster.  1801  Friedensgericht.  Das  städti- 
sche Budget  betrug  1595:  85  fl.  8  Batzen  (bei  198  Einwohnern), 
1626:  293  fl.  (400  Einwohner;,  1662:  53  fl.,  1770:  6910  Frk.  (2200 
Einwohner),  1850:  9703  Frk.  (3411  Einwohner),  1894  :  50.000  Mark. 
2846  Einwohner),  1902  :  70.000  Mk.  (3640  Einwohner). 

Die  Haupteinnahmequelle  bildet  das  1741  eingeführte  Oktroi, 
das  anfänglich  5500  Frk.  einbrachte  (1850:  7270  Frk.),  jetzt  25— 
30.000  Mark. 

1629  wurden  von  den  Kircheneinkünften  1500  Frk.  den  in 
Kaltenhausen  lebenden  Kapuzinermönchen  überwiesen  zum  Ankauf 
eines  Hauses ;  das  Kloster  —  heutige  College  —  wurde  erst  1651 
zwischen  Kaltenhausen  und  Rohr  erbaut,  1725  in  Augustinerkloster 
umgewandelt  und  1789  aufgehoben  bei  einem  Bestand  von  9  geist- 
lichen und  4  weltlichen  Insassen.  Die  Gebäulichkeiten  erhielt  die  • 
Stadt,  welche  dieselben  dem  Bischof  von  Metz  182s  zur  Unter- 
bringung eines  Gymnasiums  überliess,  die  Stadt  zahlt  ausserdem 
640  Mk.  für  einen  Lehrer  und  hat  dafür  das  Recht  8  Freistellen  zu 
besetzen.  Die  Anstalt  hat  jetzt  17  Lehrer  und  300  Schüler. 

1691  wurde  das  Wasser  einer  2  Kil.  südwestl.  am  Schimberghang 
befindlichen  Quelle  in  den  Stadtbrunnen  geleitet.  Diese  Leitung  wurde 
1889  mit  einem  Kostenaufwand  von  32000  Mk.  weiter  ausgedehnt. 

1900  wurde  elektrische  Beleuchtung  eingeführt  und  dafür  der 
Betrag  von  70000  Mk.  ausgegeben. 

Die  Stadt  besitzt  260  Hektar  Wald,  vom  Staat  zur  Ablösung 
verschiedener  Berechtigungen  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  über- 
wiesen, mit  einem  Reinertrag  von  etwa  3  000  Mk. 

Dienstag  und  Freitag  finden  Wochenmärkte  (Marktordnung  von 
1600),  ausserdem  4  Krammärkte  seit  1443  resp.  1721  statt. 

Die  Garnison  ist  teils  in  den  1872  wieder  aufgebauten  Kasernen 
der  Festung  (2  Kompagnien),  teils  in  der  1894  neuerbauten  Kaserne 
am  Ostansgang  der  Stadt  (2  Kompagnien),  teils  in  der  1898  erbauten 
und  nach  dem  1899  f  General  von  Falkenstein  benannten,  am 
Nordausgang  gelegenen  Kaserne  (1  Bat.)  untergebracht;  in  der 
Nähe  der  letzteren  befindet  sich  auch  das  1898  eröffnete  Offizierkasino. 

Das  Stadtwappen  zeigt  zwei  nach  rechts  und  links  gedrehte 
Schlangenköpfe  auf  Silber  mit  den  auf  die  Unbezwinglichkeit  der 
Feste  hindeutenden  Devisen:  qui  s'y  frotte.  s'y  pique  und  je  mords 
derriere,  comrae  devant. 

Von  B.  gehen  Fahrposten   nach  Stürzelbronn,  Haspelscheidt, 
Walschbronn,  Breidenbach  und  Wolmünster. 


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—    44  — 


Bitsch.  Uebungs platz  bei  Bitsch,  1  Eil.  östlich  der  Stadt  begin- 
nend, umfasst  rund  3285  Hektar,  die  in  den  Jahren  1900  und  1901 
teils  durch  freiwillige  Käufe,  teils  durch  Enteignung  seitens  der 
Militärverwaltung  um  7  215  000  Mk.  erworben  wurden  und  zwar 
490  Hektar  Privatländereien  auf  dem  Banne  von  Bitsch  für  1  100000 
Mk.,  295  Hektar  auf  dem  Banne  von  Haspelscheidt  für  (515  000  Mk. 
und  2500  Hektar  Staatswald  auf  verschiedenen  Bannen  für  51/* 
Millionen  Mark. 

Die  grösste  Ausdehnung  beträgt  von  Süd-West  nach  Nord-West 
9  Kil.,  von  West  nach  Ost  8  Kil.  Der  Staatswald  soll  bis  zum  Jahre 
1911  abgeholzt  werden;  zur  besseren  Abführung  des  Holzes  ist 
vom  Bahnwärterhaus  No.  lti  der  Reichseisenbahn  Bitsch-Niederbronn 
eine  Waldbahn  gebaut,  die  bis  jetzt  18  Kil.  Länge  umfasst. 

Für  die  Unterkunft  der  Truppen  sind  vorläufig  in  nächster 
Nähe  der  Stadt,  südöstl.,  Wellblechbaracken  mit  einer  Belegung*  - 
fähigkeit  von  3500  Mann  und  100  Offizieren  gebaut,  die  in  den 
nächsten  Jahre  auf  den  Uebungsplatz  3  Kil.  östl.  von  Bitsch  an  die 
Stürzclbronner  Strasse  verlegt  werden. 

Am  westl.  Ende  des  Uebungsplatzes  wurden  im  Winter  1901 
3  Magnesit-  und  2  Asbestbaracken  für  Offiziere  gebaut  und  bereits 
am  1.  April  bezogen;  dieselben  kosteten  rund  100000  Mk.  und  haben 
sich  bis  jetzt  sehr  gut  bewährt.  In  der  Nähe  dieser  Baracken : 

Preussenstein,  ein  im  Jahre  1893  von  der  V.-C.-Sektion  Bitsch 
den  beim  Sturme  auf  Bitsch  am  17.  XI.  1793  gefallenen  und  hier 
beerdigten  Preussen  errichteter  Gedenkstein.  Siehe  oben  p.  20. 

Eppenbronner  Felsenschloss.  1  Std.  nordöstl.  von  Haspelscheidt, 
Ms  Std.  südlich  von  Eppenbronn.  Riesige  Felsengrnppe  aus  buntem 
Sandstein  inmitten  herrlichsten  Buchenhochwaldes  nahe  der  Pfälzer- 
lothring.  Grenze.  20—25  Meter  hoch,  mit  vielen  tropf steinartigeu 
Gebilden,  teilweise  durch  Leitern  zugänglich. 

Ueberreste  von  Mauerwerk  machen  die  Verwendung  des  natür- 
lichen Bollwerks  zu  einer  Befestigung  behufs  Schutz  der  nahe  vor- 
beiführenden «Römerstrasse»  wahrscheinlich. 

An  dieser  Strasse  sollen  sich  einige  Minuten  nördlich  des 
Schlosses  in  eine  Felsenwand  eingehauen  drei  Figuren  in  römischer 
Gewandung  befinden. 

Falkenstein,  Ruine.  350  m  hoch,  *'4  Std.  nordwestl.  der  Station 
Philippsburg.  In  Philippsburg:  Wirtschaft  Schreiber.  Am  Fuss  des 
Falkenstein:  gute  Wirtschaft  im  Forsthaus  Schlossberg. 

Die  Burg  war  teils  in,  teils  auf  einem  117  Meter  langen,  22 
Meter  hohen  und  2 — 10  breiten  Sandsteinfels  gebaut;  sie  ist  überall 
zugänglich  und  bietet  von  der  höchsten  Spitze  einen  grossartigen 
Rundblick  auf  die  Waldkuppen  der  Nordvogesen  und  die  pfälzischen 
Berge.  Aufstellung  einer  Orientierungstafel  ist  im  Werke. 


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—   45  - 

Der  Fuss  des  Felsens  zeigt  auf  der  Südseite  merkwürdige 
Formen,  über  dem  Eingang  zum  Keller  (mit  einiger  Phantasie)  den 
deutschen  Reichsadler.  F.  wurde  im  XII.  Jahrhundert  von  den  Grafen 
von  Lützelburg  erbaut  und  dann  von  den  in  der  elsässischen  und 
pfälzischen  Geschichte  vielfach  genannten  Herren  von  Falkenstein 
bewohnt.  1564  wurde  es  nebst  allen  Gerechtsamen  an  den  Grafen 
Philipp  IV.  von  Hanau-Lichtenberg  verkauft;  die  Burg  selbst  war 
damals  schon  durch  Blitz  zerstört  und  Graf  Philipp  baute  ein  neues 
Jagdschloss  im  Thal:  Philippsburg  genannt.  F.  wurde  zur  Förster- 
wohnung eingerichtet,  aber  1623  durch  Mannsfeld  und  1677  durch 
Montclar  gründlich  verwüstet. 

F.  kam  mit  dem  Amt  Lemberg  (Pfalz)  ebenso  wie  Philippsburg 
und  Bärenthal  1736  an  Hessen-Darmstadt  und  erst  1793  an  Frankreich. 

Friedrichshain,  20  Minuten  westlich  von  Bitsch;  durch  den 
V.-C.  hergerichteter  Aussichtspunkt  auf  dem  Galgenberg,  der  alten 
Gerichtsstätte  des  Amtes  Bitsch,  mit  schönem  Blick  auf  Stadt  und 
Festung.  Das  felsige  Plateau  ist  im  Frühjahr  von  blauen  Anemonen 
bedeckt. 

Das  südliche  Thal  («Milchenbach»)  war  am  4.  IX.  1870  der 
Kampfplatz  eines  vergeblich  versuchten  Ausfalles. 

Freudenberger  Hof,  40  Minuten  westlich  von  Bitsch;  grosser 
Oekonomiehof  mit  im  Sommer  viel  besuchter  Gartenwirtschaft.  1755 
zum  ersten  mal  als  cense  de  Roshcell  dite  Freydenberg  erwähnt. 

Anfangs  September  1870  Hauptquartier  der  Belagerungstruppen 
mit  Schiessscharten  zur  Verteidigung  eingerichtet.  Nach  Aufgabe 
der  eigentlichen  Belagerung  wurde  es  am  2.  X.  1870  von  Bitscher 
Aasfalltruppen  in  Brand  gesteckt.  10  Minuten  nördlich  davon 
Baiern  grab. 

Gbtzenbrück,  »ff  Std.  südlich  von  Lemberg.  883  Einwohner. 
Von  der  Strasse  Lemberg-Götzenbrück  links  prächtiger  Blick  auf 
das  Zinselthai.  1721  als  Glashütte  an  der  Gatter-  (Holzgeflechl-) 
brücke  gegründet,  jetzt  eine  der  grössten  Brillenglasschleifereien 
mit  Niederlagen  in  New-York,  Paris,  London,  Genf  und  Chaux-de- 
Fonds,  beschäftigt  1000  Arbeiter  und  fertigt  jährlich  etwa  100  000 
Gross  ührengläser  und  360  000  Dutzend  Paare  Brillengläser ;  es 
liefert  jährlich  für  100000  Mk.  Brillengläser  nach  Rathenow,  die 
dort  gefasst  und  als  die  berühmten  Rathenower  Gläser  in  die  Welt 
gehen. 

Mit  G.  zusammengebaut,  aber  eine  besondere  Gemeinde  bildend 
von  1503  Einwohner. 

Saareinsberg.  Wirtschaft  Lausecker  (guter  Wein).  1746  als 
Montroyal  gegründet,  wurde  es  in  der  Revolutionszeit  in  Saar- 
Rheinsberg  (Wasserscheide  von  Saar  und  Rhein)  umgetauft,  wird 
aber  von  der  Landbevölkerung  heute  noch  allgemein  Königsberg 


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-  4(3 


genannt.  Vs  Std.  weiter  südlich  an  der  elsässischen  Greuze  Zwölf 
Apostelstein,  früher  Breitenstein  genannt :  ein  3>  /*  m  hoher 
Steinpfeiler  von  über  4  m  Umfang;  er  wird  bereits  71.'$  als  lata 
petra  erwähnt  und  auch  in  der  Grenzbeschreibung  der  Herrschaft 
Bitseh  von  1170  genannt.  Wahrscheinlich  keltischer  Opferstein. 
Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  mit  den  Bildern  der  12  Apostel  ge- 
schmückt und  seit  dieser  Zeit  12  Apostelstein  benannt.  10  Minuten 
vorher  an  Forsthaus  Colonne  der  Spitzenstein,  etwa  3  m 
hoch  und  0,30  breit,  wahrscheinlich  auch  ein  alter  Opferstein.  10 
Minuten  südwestl.  Drei  Peter  Steine,  wo  früher  die  Gebiete  von 
Bitsch,  Lichtenberg  und  Lützelstein  zusammenstiessen. 

Hanauer  Weiher,  »/s  Std.  nordöstlich  von  der  Station  Bann- 
stein (blaues  f),  wenige  Schritte  östlich  der  Hananerstrasse,  so 
genannt  von  der  lt>0">  hier  gezogenen  Grenze  zwischen  Lothringen 
und  Hanau-Lichtenberg.  SU  m  hohe  Grenzsteine  (Bannsteine,  davon 
der  Name  der  Station  mit  dem  Lothringer  Doppelkreuz  und  den 
hanauischen  3  Sparren. 

Vom  südlichen  Ende  des  IS  Hektar  grossen  Weihers,  wo  Tische 
und  Bänke,  prächtiger  Blick  auf  Waldeck  und  die  eigentümlich  ge- 
formten, turmähulichen  Kautel-  und  Erbsenfelsen :  ein  herrliches 
Waldidyll !  Einige  Meter  südlich  wurde  neuerdings  vom  V.-C  eine 
gute  Quelle  gefasst  Nach  Kuine  Falkenstein  (blaues  f)  1  Std. 

Haspelscheidt,  Dorf.  612  Einwohner  7  Kil.  nordöstlich  von 
Bitsch  innerhalb  des  Uebungsplatzes  gelegen.  Ankauf  und  Abbruch 
deshalb  bevorstehend.  Wirtschaft  Osterberger. 

l'ls  Kil.  südwestlich  auf  dem  schönbewaldeten  300  m  hohen 
Schlossberg  das  sog.  «Alt-Schloss>,  alter  Steinwall  in  Form  einer 
Ellipse  etwa  300  m  lang  und  1»>0  m  breit,  aus  unbearbeiteten  Steinen 
ohne  Verband  aufgerichtet,  am  Fuss  etwa  l.'i  m  breit  und  T>  m  hoch; 
im  Osten  und  Westen  befindet  sich  eine  Oeffnung,  im  Westen  auch 
eine  Quelle ;  an  der  von  der  Natur  weniger  geschützten  Nordseite 
ist  ein  zweiter  Wall  im  Halbkreise  sichtbar,  im  Inneren  Reste  ver- 
schiedener Steinkonstruktionen. 

Schutzwall  der  Mediematriker  gegen  die  von  Osten  vordring- 
enden Triboker,  oder  der  Römer  unter  Valentian  (369-74  n.  Chr.) 
gegen  die  Alemannen.  Am  Fusse  zieht  die  «alte  Haspelscheidter 
Strasse>  her,  uralte  Verkehrsstrasse,  die  nordöstlich  von  Haspel- 
scheidt in  der  Nähe  der  Pfälzer  Grenze  «Römerstrasse»  genannt 
und  durch  das  Eppenbronner  Felsenschloss  (siehe  dieses)  geschützt 
wird;  wo  sie  südlich  H.  über  den  alten,  2">  Hektar  grossen  Weiher 
zog,  wurde  17f>6  eine  Redoute  errichtet. 

Herzogskörper,  2  Std.  östlich  von  Bitsch,  1  Kil.  nördlich  der 
Weissenburger  Strasse  (rotes  f ).  Kleine  umfriedete  Parkanlage,  in 
welcher  sich  ein  1,50  m  langer,  und  0,63  m  breiter  Sandstein  mit 


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-   47  — 

• 

unleserlichen  Spuren  einer  Inschrift  und  undeutlichen  Umrissen 
einer  menschlichen  Gestalt  befindet ;  der  Sage  nach  soll  dieser 
Stein  die  Grabstätte  eines  Lothringer  Herzogs  decken,  der  2  Kil. 
westlich,  bei  Herzogshand,  verwundet,  hier  starb  und  begraben  wurde. 

Vielleicht  ist  es  ein  gallo-römischer  Merkurstein,  am  wahr- 
scheinlichsten aber  ein  aus  dem  Kloster  Stürzelbronn  herrührender 
Grabstein. 

Nördlich  in  10  Minuten  auf  bequemem  Pfad  erreichbar: 
H  e  r  z  o  g  s  b  1  i  c  k,  eine  von  der  V.-C.-Sektion  Bitsch  errichtete 
0  m  hohe  Aussichtskanzel  mit  grossartigem  Rundblick  auf  das  uner- 
messliche  Wäldermeer  der  Vogesen  und  Pfalz.  Fundort  von  Lilium 
martagon.  2  Kil.  westlich  an  der  Bitscher  Strasse:  Herzogshand, 
Ort,  wo  der  Sage  nach  Herzog  Ferry  von  Lothringen  1203  im 
Kampfe  mit  Graf  Eberhard  von  Zweibrücken  die  Hand  verlor,  oder 
nach  anderer  Deutung,  die  Stätte,  wx>  nach  dem  Waltarilied  Walther 
von  Gunther  uud  Hagen  eingeholt  wird  und  im  Kampfe  mit  diesen 
seine  Hand  verliert;.  An  der  vor  einigen  Jahren  hier  abgebrochenen 
französischen  Douanierkaserne  befand  sich  ein  Stein  mit  einer  aus- 
gehauenen  Hand  und  der  Iuschrift:  «main  du  prince>  1Ö47. 

Unterhalb  Herzogshand  kreuzt  die  Strasse  den  €prinzenweg> : 
die  Verbindung  zwischen  den  beiden  hessisch-hanauischen  Resi- 
denzen Buchsweiler  und  Pirmasenz. 

1  Kil.  westlich :  Ziegelscbeuer,  Wirtschaft  bei  Letzeiter. 

Bei  Kil.  i>,4  nördlich  der  Strasse,  Fundort  von  Daphne  cneorura, 
eine  in  Deutschland  höchst  selten  vorkommende  Alpenpflanze. 

Hubertusquelle  >/2  Std.  nördlich  von  Lemberg,  D,2  Std.  süd- 
westlich von  B.,  inmitten  üppigen  Hochwaldes  auf  dem  Schlossberg, 
dem  Berg,  auf  dem  Alt-Bitsch.  d.  h.  das  erste  Jagdschloss  der 
Herzöge  von  Lothringen  gestanden  haben  soll.  Auch  «Pompöser» 
oder  wie  eine  Beschreibung  von  17")ö  sagt.  «Pumphosen»  Brunnen 
genannt,  weil  auf  dem  Felsblock,  an  dem  die  Quelle  zu  Tage  tritt, 
zwei  Figuren  mit  «Pumphosen»  eingehauen  sind.  Nach  einer  vom 
V.-C.  neuerdings  vorgenommenen  gründlichen  Reinigung  des  Felsens 
ist  ein  grossartiges  Bildwerk  zu  Tage  getreten,  das  Professor 
3Iichaelis  «zu  den  ältesten  und  besten  Denkmälern  klassischer 
Kunst  in  unserer  Gegend»  rechnet,  dessen  Ursprung  in  das  1. 
Jahrhundert  n.  Chr.  zurückreicht.  Die  obere  ^älfte  des  Steines  ist 
abgebrochen,  so  dass  die  zwei  menschlichen  Haupttiguren  nur  bis 
zum  Gürtel  erhalten  sind ;  Michaelis  findet  darin  links  Diana  mit 
Bogen ,  rechts  Silvanus  mit  Schlägel.  Ferner  sind  deutlieh  zu  er- 
kennen: vier  Hnnde,  ein  Wildschwein,  zwei  kämpfende  Hirsche  und 
auf  besonderem  Reliefbildchen  die  Brunnennymphe  mit  Amor,  ausser- 
dem noch  unklar  ein  grösseres  Thier,  vielleicht  Auerochse. 

Lemberg.  7  Kil.  südwestlich  von  B.,  i:J  Minuten  Bahnfahrt. 


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1665  Einwohner.  Wirtschaft  Heitzmann  am  Bahnhof  mit  Münche 
Bier.  Ausgangspunkt  für  Touren  nach  •Hubertusquelle  (weisses 
Vi  Std. ;  Götzenbruck  »/s  Std.;  Breitenstein  1  Std.;  Meisenthal  l1 
Münzthal  V«  Std.  Von  der  «Hochfürst»  schöne  Aussicht. 

Münzthal.  */s  Std.  südwestlich  von  Lemberg  in  anmutigem  TA 
gelegen.  Endstation  der  Strecke  Münzthal-Wingen.  806  Einwohne 
1769  an  Stelle  einer  alten,  im  30jährigen  Kriege  verschwunden* 
Glashütte  gegründet  und  178«  zur  Fabrikation  von  Krystallgläsei 
eingerichtet,  mit  einem  jährlichen  Verbrauch  von  24000  Ster  Hol 
und  einem  Umsatz  von  240000  Frk. 

Es  beschäftigt  jetzt  2500  Personen,  ist  eine  der  bedeutendste^ 
Krystallfabriken  Europas  mit  einer  jährlichen  Produktion  von  2*j| 
Millionen  Kilogramm  Krystall  und  efnem  jährlichen  Umsatz  von  3»/i 
Millionen  Mark. 

Der  Mustersaal,  angefüllt  mit  Fabrikaten  aller  Art,  ist  einet 
Sehenswürdigkeit  ersten  Ranges  und  enthält  Mahre  Kunstwerke 
der  Gravierarbeit. 

Meisenthal.  I1/«  Std.  südlich  von  Lemberg,  Station  der  Strecke 
Münzthal-Wingen.  926  Einwohner.  Wirtschaft  Lukas. 

1702  als  Filiale  der  Glashütte  von  Sucht  auf  Pachtgut  des 
Staates  gegründet,  erst  1792  den  Fabrikanten  als  Eigentum  über- 
lassen;  beschäftigte  1785  etwa  50  Arbeiter  mit  Herstellung  gewöhn- 
lichen Kelch-  und  Fensterglases,  hat  jetzt  600  Arbeiter  und  einen 
Jahresumsatz  von  etwa  600000  Mk. 


Neben  gewöhnlichen  Glaswaaren  aller  Art,  stellt  die  Fabrik 
jetzt  farbige  Luxusgläser  her.  die  einzig  in  ihrer  Art  sind  und  auf 
verschiedenen  Ausstellungen  allgemein  »Bewunderung  erregten. 


Matterhansen.  821  Einwohner.  l»/s  Std.  südlich  von  B.;  auch 
von  Station  Bannstein  mit  der  unentgeltlich  zur  Verfügung  ste- 
henden Privatbahn  zu  erreichen ;  schön  gelegen,  inmitten  fisch- 
reicher Weiher ;  gute  Verpflegung  in  der  Fabrikkantine.  Walzeisen- 
und  Stahlwerk  mit  350  Arbeitern  der  Firma  von  Dietrich.  Forellcn- 
brutanstalt. 

Das  Eisenwerk  bestand  bereits  vor  dem  30jährigen  Krieg, 
wurde  darin,  wie  die  ganze  Gegend,  verwüstet  und  1717  wieder  er- 
öffnet; die  1792  begonnene  Umwandlung  in  eine  Glasfabrik  unterblieb. 

Alte,  1505  von  Graf  Reinhardt  von  Bitsch-Zweibrücken  er- 
baute Kapelle  und  Trümmer  eines  1550  von  Graf  Jakob  inmitten 
eines  Forellenteiches  «erbauten  Lusthauses>  (Alix).  Graf  Karl  von 
Hohenzollern  Hess  dasselbe  159b  für  seinen  Jagdaufenthalt  iin 
Bitscherlandc  wohnlich  einrichten.  Südlich  das  4'/a  Kil.  lange,  lieb- 
liche Haselthal,  das  wegen  seiner  Abgeschiedenheit  im  30jährigen 
Krieg  der  ganzen  Umgegend  als  Zufluchtsstätte  diente. 

Auf  dem  »/*  Std.  nördlich  gelegenen  Grünberg  befand  sich  ein 


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Jagdschloss,  von  dem  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  noch  vier 
Türme  sichtbar  waren ;  auf  dem  20  *31inuten  östlich  gelegenen 
Dürrberg  wird  eine  12  m  hohe  Aussichtskanzel  errichtet,  die  einen 
herrlichen  Blick  auf  das  Wäldermeer  gewährt  und  am  besten  von 
Lindel  (Station  der  Privatbahn)  zu  erreichen  ist. 

Schorbach.  1  Std.  nördlich  von  B.  875  Einwohner.  Wirtschaft 
Würtz;  früher  Sitz  der  Pfarrei  und  Mairie  von  Bitsch. 

Die  Kirche  wurde  bereits  im  XII.  Jahrhundert  erwähnt;  von 
dieser  alten,  dem  Kloster  Stürzelbronn  gehörigen  Kirche,  ist  noch 
der  Turm  mit  kleinen  romanischen  Fensterchen  erhalten.  An  der 
Südseite  des  im  XVIII.  Jahrhundert  erbauten  Schiffes  ist  eine  alte 
Inschrift  eingemauert,  inhaltlich  deren  die  Kirche  1143  durch  den 
apostolischen  Legaten  Theotwin  geweiht  wurde. 

Südwestlich  der  Kirche  das  aus  der  Mitte  des  XII.  Jahrhunderts 
stammende  Beinhaus,  «der  einzig  romanische  Bau  dieser  Art  in 
Südwestdeutschland  und  eines  der  interessantesten  Exemplare  von 
Ossuarien>  (Kraus);  die  zahlreichen  Schädel  und  Knochenreste,  die 
es  birgt,  sind  neuerdings  geordnet,  der  Bau  selbst  ist  restauriert 
und  unter  die  klassierten  Baudenkmäler  des  Bezirks  aufgenommen 
worden.  Im  Dorfe  mehrere  alte  Häuser  mit  Inschriften. 

Stürzelbionn.  295  Einwohner.  13  Kil.  östlich  von  B.,  an  der 
grossen  Strasse  nach  Weissenburg;  unterwegs  zahlreiche  «Frohnd- 
steine»,  die  in  Toisen  (=  Ufo  in)  angeben,  welche  Strassenstrecke 
die  einzelnen  dem  Kloster  frohndpflichtigen  Orte  zu  unterhalten 
hatten.  Wirtschaft  zum  Kreuzberg,  (gut)  Forellen. 

In  idyllischem  Wiesenthal  gelegen,  umgeben  von  prächtigen 
Waldbergen,  zu  längerem  Aufenthalt  sehr  geeignet;  früher  Sitz 
einer  Cisterzienser-Abtei,  von  der  nur  noch  wenige  Ueberbleibsel : 
Eingangsthor  zum  Kloster,  links  davon  Prangerstein,  von  der 
Klosterkirche  nur  noch  die  Kapitale  des  Eingangs  sichtbar,  links 
davon  in  der  Felswand  Klosterkeller;  in  der  neuen,  überladen  ge- 
schmückten Kirche  Kalenderstein  aus  dem  XII.  Jahrhundert  zur  Be- 
rechnung der  beweglichen  Feste,  der  Kirche  gegenüber  Gedenktafel 
aus  dem  Jahre  18H5.  . 

Das  Kloster  wurde  1135  durch  Herzog  Simon  I.  von  Loth- 
ringen als  Kloster  Marienthal  gegründet  und  von  seinen  Nach- 
folgern, sowie  den  adeligen  Herren  der  Umgegend  reich  'beschenkt; 
es  besass  12  Höfe,  das  Patronat  über  zahlreiche  Kirchen  der  Uni- 
gegend mit  über  50  Dörfern  (auch  Bitsch)  und  jährliche  Einkünfte 
von  etwa  30  000  Frk.  in  Geld,  über  6000  Morgen  Wald  —  der 
1737  und  57  abgegrenzt  und  mit  grossen  Steinen  versehen  wurde 
—  mit  reichem  Wildstand  an  Hirschen,  Sauen,  Fasanen  und  (in 
frühester  Zeit)  wilden  Pferden  (?);  zahlreiche  Fischweiher,  Mühlen, 
Eisen-  und  Glockengiesserei,  auch  zwei  Mineralquellen,  wovon  noch 

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heute  *(*  Eil.  westlich  das  «Laxierbrünnel>  bekannt  ist.  Dem  Kloster 
stand  die  Blutgerichtsbarkeit  zu,  der  Galgen  befand  sich  Vfo  Kil. 
östlich  an  der  Weissenburger  Strasse  auf  dem  tGalgenköpfel».  Das 
Kloster  wurde  1525  im  Bauernkrieg  von  dem  Kolbenhaufen,  dann 
l(i33  von  den  Schweden  zerstört,  1734  in  geringem  Umfang  wieder 
hergestellt  und  1789  durch  die  Revolution  endgültig  aufgehoben: 


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die  Mönche  (9)  wurden  vertrieben  und  das  Grundvermögen  als 
Nationalgut  eingezogen;  die  Kirche  wurde  1<S07  auf  Abbruch  ver- 
kauft, ihr  Inhalt  in  die  benachbarten  Kirchen  zerstreut;  so  erhielt 
Hottweiler  den  hölzernen  Glockenturm  (der  ein  Glockenspiel  von 
24  Glocken  trug),  Roppweiler  eine  Kanzel,  Breidenbach  einen  grossen 
Beichtstuhl,  Bitsch  die  Uhr  und  eine  Glocke,  Haspelscheidt  und 
Wolmünster  eine  Glocke,  Walschbronn  einen  Kelch,  Saar-Louis  die 
Orgel,  Stürzelbronn  selbst  hat  noch  eine  Glocke  mit  der  Jahrzahl 
11576  und  einen  emaillierten  Kelch  mit  dem  Wappen  der  Abtei. 


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-    51  — 


Die  zahlreichen  Grabsteine,  deren  Inschriften  zum  Teil  über- 
liefert werden,  sind  spurlos  verschwunden,  ob  darunter  wirklich 
welche  Lothringischer  Herzöge,  ausser  Theobold  I.  f  1220,  ist 
zweifelhaft;  jedenfalls  ist  der  letzte  Graf  von  Bitsch  Jakob  1570 
zu  Stürzelbronn  gestorben  und  ebenso  wie  seine  in  demselben  Jahre 
verstorbene  Gemahlin  hier  begraben  worden. 

Ausflüge  von  Stürzelbronn: 

Kreuzberg  »/*  Std.  Kreuz  1737  bei  der  Abgrenzung  des  Kloster- 
waldes errichtet,  neu  hergestellt  1895  von  V.-C.-Sektion  Bitsch. 

Hermannstein  3/t  Std.  Felsblock  mit  Aussichtskanzel. 

Luxfelsen  Std.  Mächtiger  Felsblock  mit  winziger  Grund- 
lage und  eigentümlicher  Formation. 

Hoher  Reissen  l1/«  Std.  (grünes  f),  mit  prächtiger  Aussicht 
auf  die  Pfälzer  Berge. 

Herzogsblick  1  Std.  (grünes  f),  9  m  hohe  Aussichtskanzel. 

Waldeck.  Weiler  zur  Gemeinde  Egelshardt  gehörig,  J|s  Std.  nörd- 
lich der  Station  Bannstein  (grünes  f).  Wirtschaft  Mischler.  ^4  west- 
lich davon  Ruine  Waldeck  320  m  hoch. 

Wenig  erhaltene  Ueberreste  eines  unter  Benutzung  der  ge- 
wachsenen Felsen  a*us  Buckelquadern  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts 
erbauten  Schlosses;  bereits  1594  als  «chateau  ruin£>  erwähnt.  1756 
standen  noch  2  wohl  erhaltene  Türme  von  80'  Höhe  und  18' 
Breite,  jetzt  nur  noch  der  südliche,  der  auch  sehr  baufällig,  nach- 
dem vor  mehreren  Jahren  der  Blitz  hineingeschlagen,  und  nicht 
zugänglich ;  ein  Teil  der  Ruine  ist  durch  den  V.-C.  zugänglich  ge- 
macht. Von  der  südlichen  Spitze  beschränkte,  aber  liebliche  Aus- 
sicht, die  durch  die  beiden  grossen  Weiher,  den  Hanauer  im  Süden 
und  den  Waldecker  im  Norden,  einen  besonderen  Reiz  erhält. 

Schloss  W.  ist  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  durch  die  Grafen  von 
Lichtenberg  zum  Schutze  ihrer  in  der  Umgegend  gelegenen  Besitzun- 
gen erbaut  und  den  Herren  von  Kirkel  aus  dem  Hause  Saarwerden 
zu  Lehen  gegeben.  1387  starben  die  Herren  von  Kirkel  aus  und  W. 
kam  an  die  Grafen  von  Bitsch. 'Graf  Hahnemann  von  Bitsch  gab  1399, 
als  er  mit  seinem  Herrn  dem  Herzog  von  Lothringen  «gen  Prüssen» 
reiten  wollte,  sein  Haus  und  Veste  Waldeck  in  Verwaltung  seines  Vet- 
ters Jon.  von  Lichtenberg.  1445  wurde  es  von  Friedrich  von  Bitsch 
um  1200  fl.  an  Heinrich  von  Steinhausen  verpfändet  und  erst  1479  für 
ÜKX)  fl.  wieder  eingelöst.  Wahrscheinlich  wurde  es  1525  im  Bauern- 
kriege zerstört.  1570  kam  es  an  Lothringen  und  17(i<>  an  Frankreich. 

Der  aus  dem  Wäldermeer  emporragende  Waldecker  Schlossturni 
wurde  «un  Signal  de  la  carte  de  France»  genannt. 

Walschbronn  12  Kil.  nördlich  von  Bitsch  über  Hanweiler- 
Bussweiler- Waldhausen  auf  bequemem  und  schönem  Weg  durch 
das  Hornbachthal.  741  Einwohner.  Wirtschaft  Wack. 


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1170  Walsburn,  früher  Sitz  einer  aus  11  Orten  bestehent 
Mairie  und  einer  aus  19  Orten  gebildeten  Pfarrei  zur  Abtei  Stürz 
bronn  gehörig.  In  der  Kirche  Taufstein  und  Kelch  aus  dem  Klosl 
Stürzelbronn. 

Bereits  zur  Römerzeit  bewohnt,  wie  ein  hier  gefundener  Voti 
stein  und  zahlreiche  römische  Münzen  beweisen.  t 

Bis  zum  XVII.  Jahrhundert  ein  von  Gelähmten  und  Gicht  3 
kranken  vielbesuchtes  Bad  von  petrole  blanc,  cdas  der  grössten  Kält«<-^" 
widersteht,  sich  rasch  entzündet  und  so  rein  und  flüchtig  ist,  dasgy- 
es  auf  einem  damit  getränkten  Papier  keine  Flecken  hinterlässt». V 
Die  Quelle   ist  —    wahrscheinlich    bei    den   Verwüstungen    des  I 


30  jährigen  Krieges  —  verschüttet  und  trotz  mehrfachen  Nachgrab-  * 
nngen  Mitte  des  XVIII.  und  XIX.  Jahrhunderts  nicht  mehr  aufgefunden. 

Das  Bad  gehörte  den  Grafen  von  Bitsch;  1598  war  es  von  dem 
Grafen  Karl  von  Hohenzollern,  dem  damaligen  Pfandinhaber  der 
Grafschaft  Bitsch,  um  jährlich  10  fl.  verpachtet,  derselbe  gab  1599 
100  fl.  zur  Vergrösserung  des  Bades.  Er  weilte  in  diesen  Jahren 
längere  Zeit  auf  der  Weckersburg,  an  deren  Fuss  die  Quelle  her- 
austrat, um  der  «Hasenjagd  obzuliegen». 

Die  Weckersburg  wurde  1490  durch  Graf  Simon  Wecker  IV. 
von  Bitsch  erbaut  und  diente  lediglich  als  Jagdschloss ;  Graf  Jakob 
von  Bitsch  Hess  sie  verfallen,  und  nach  dessen  1570  erfolgten  Tode 
wurde  sie  auf  Abbruch  verkauft,  sodass  jetzt  nur  noch  wenige 
Trümmer  östlich  des  Dorfes  sichtbar  sind. 

Von  Walschbronn  in  14  Kil.  über  Kröppen  Vinningen-Sinten 
nach  Pirmasenz,  der  alten  Residenz  des  Landgrafen  von  Hessen, 
jetzt  blühende  Industriestadt  mit  30  000  Einwohnern. 


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BEITRÄGE 

LANDES-  UND  VOLKESKUNDE 

VON 

ELSASS-LOTHRINGEN 

XXI.  HEFT. 

RITTER 

FRIEDRICH  KAPPLER. 

EIN  ELSÄSSISCHER  FELDHAUPTMANN 

•  AUS  DEM  l5.  JAHRHUNDERT 

VON 

THEODOR  VÜLPINUS. 


STRASSBURG 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel) 

1896. 


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Verlag  von 

J.  H.  ED.  HOTZ  (HE1TZ  &  MÜNDEL)  Schiaachgasse  5. 

BEITRÄGE  ZUR  LANDES-  UND  VOLKESKUNDE 

von  Elsass-Lothringen. 

Band  I. 

Heft      I :  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  in  Lothringen 

von  C o n  st.  T  h  i  s.  8. 34  S.  mit  ciuer  Karte  (1  :  30O.0OU).  1  50 

Heft  II :  Ein  andethtig  geistliche  Badenfahrt  des  hochgelehrten 
Herren  Thomas  Murner.  8.  56  S.  Neudruck  mit  Br- 
läutergn.,  insbesond.  über  das  altdeutsche  Badewesen,  v.  Prof.  Dr. 
E.  Martin.  Mit  6  Zinkätzungen  nach  dem  Original.        2  — 

Heft     III:  Die  Alaniannenschlacht  vor  Strassburg  857  n.  Chr. 

von  Arcbivdireclor  Dr.  W.  Wieg  and.  8.  46  S.  mit  einer 
Karte  und  einer  Wegskizze.  1  — 

Heft     IV :  Lenz,   Goethe  und  Cleophe  Fibich  von  Strassburg. 

Ein  urkundlicher  Kommentar  zu  Ooclbes  Dichtung  und 
Wahrheit  mit  einem  Forträt  Araminta's  in  farbigem  Lichtdruck 
und  ihrem  Facsimile  aus  dem  Lenz-Stammbuch  von  Dr.  Joh. 
Froitzheim.  8.  96  S.  2  50 

Heft  V  :  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  im  Elsass  von 
Dr.  Co n st.  This.  8.  48  S.  mit  Tabelle,  Karte  und  acht 
Zinkätzungen.  1  50 

Band  II. 

Heft     VI :  Strassburg  im  französischen  Kriege  1552  von  Dr.  A* 

Hollaender.  8.  68  S.  1  50 

Heft    VII:  Zu  Strassburg»  Sturm-  und  Drangperiode  1770—76. 

von  Dr.  Joh.  Froitzheim.  8.  88  S.  2  — 

Heft   VIII :  Geschichte  des   heiligen  Forstes  bei  Hagenau  im 

Elsass.  Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  C.  E.  Ney  Kais. 

Oberförster.  I.  Teil  von  1065—1648.  2  — 

Heft    IX :  Rechts-  und  Wirtschafts-Verfassung  des  Abteigebietes 

Maursmünster  während  des  Mittelalters  von  Dr.  Aug. 

Hertzog.  8.  114  S.  2  — 

Heft     X:  Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner.  Ein  Wort  der 

Kritik  an  unsere  Goetheforscher  von  Dr.  Joh.  Froitzheim. 

8.  68  S.  1  50 

Band  III. 

Heft     XI :  Die  Armagnaken  im  Elsass  v.  Dr.  Ii.  W  i  1 1  e.  8.  158  S.  2  50 

Heft   XII :  Geschichte  des  heiligen  Forstes  bei  Hagenau  im  Elsass. 

Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  C.  N.  Ney,  Kais.  Ober- 
förster. II.  Teil  von  1648-1791.  2  50 

Heft  XUI :  General  Kleber.  Ein  Lebensbild  von  Friedrich  Tei- 
cher, Köngl.  bayr.  Hauptmann.  1  20 

Heft  XIV :  Das  Staatsrechtliche  Verhältnis  des  Herzogtums  Loth- 
ringen zum  Deutschen  Reiche  seit  dem  Jahre  1542 
von  Dr.  Siegfried  Fitte.  Mit  Karte.  2  50 

Heft  XV:  Deutsche  und  Keltoromanen  in  Lothringen  nach  der 
Völkerwanderung.  Die  Entstehung  des  Deutschen  Sprach» 
gebietes  von  Dr.  Hans  N.  Witte.  Mit  Karten.  2  50 

Fortsetzung  siehe  3.  Seite  des  Umschlags. 


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BEITRÄGE 

ZUR 

LANDES-  l-xd  VOLKESKUNDE 

VON 

ELSASS-LOTHRINGEN. 

VIERTER  BAND. 

(Heft  XVI- XX). 


STRASSBÜRG 

J.  H.  ED.  HEITZ  (H  EITZ  Sc  MÜNDEL). 

1895. 


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Strassburg,  J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel). 


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Inhalt. 


Heft  XVI.   Witte,  H.  Der  letzte  Puller  von  Hohenburg  IV  u.  143  S. 

Heft  XVII.  Holländer,  A.  Eine  Strassburger  Legende.  Ein  Beitrag 
211  den  Beziehungen  Strassburgs  zu  Frankreich  im 
XVI.  Jahrhundert.  28  S. 

Heft  XVIII.  Yulpinus,  Theodor.  Der  lateinische  Dichter  Johannes 
Fabricius  Montanus  (aus  Bergheim  im  Elsass).  1527  — 
1566.  Selbstbiographie  in  Prosa  und  Versen  nebst  eini- 
gen Gedichten  von  ihm.  Verdeutscht.  27  S. 

Heft  XIX.  Kahl.  Aug.  Forstgeschichtliche  Skizzen  aus  den  Staats- 
u.  Gemeindewaldungen  von  Rappoltsweiler  und  Reichen- 
weier aus  der  Zeit  vom  Ausgange  des  Mittelalters  bis 
zu  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts  Mit  einer  Ueber- 
sichtskarte.  IV  u.  77  S. 

Hoft  XX.  Irle.  Hermann.  Die  Festung  Bitsch.  Zweite  vermehrte 
Auflage    Mit  2  Ansichten  und  Plan  von  Bitsch  39  S 


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RITTER 

FRIEDRICH  KAPPLER 


EIN  ELSÄSSISCHRK  FELDHAUPTMANN 


AUS    DEM    15.  JAHRHUNDERT 


VON 

THEODOR  VÜLPINUS. 


«Herrn  Friedrich  Kapler  gibt 
das  züjrniss  all  tutsch  art,  dass 
er  sich  allzit  in  ritters  ehr 
Reinigen.  Sein  Sinn  und  Ver- 
nunft allein  mag  eim  Ranzen 
heer  widerstand  Reben.» 

Seb.  Brant. 


STRASSBURG 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel) 

1896. 


Inhalts  verzeichniss 


Seite 


I.  Das  Geschlecht  Kappler   1 

II.  Eapplerische  Denkmale   14 

III.  Kindheit  und  jüngere  Jahre  1485  bis  1469    16 

IV.  a)  Unter  burgnndischer  Herrschaft  1469  bis  1474  ....  20 
b)  Der  Aufstand  in  Breisach  1474    24 

V.  a)  Friedrich  Kappler  in  der  Reimchronik   29 

b)  Sein  Bericht  an  Wilhelm  von  Rappoltstein  über  die  Brei- 
sacher  Ereignisse    43 

VI.  Beutefahrt  nach  Blamont  und  Raohezug  Stephans  von  Ha- 

genbach 1474    48 

VII.  Vor  und  in  Hericourt  1474—1476   51 


VIII.  Die  Schlachten  bei  Murten  und  Nanzig  1476  und  1477 

(Friedr.  Kappler  wird  zum  Ritter  geschlagen)  ...  56 

IX.  Gegen  Venedig  1487  (Friedr.  Kapplers  Sieg  bei  Calliano) .  61 

X.  Unter  Maximilian  gegen  Frankreich  149H  (Friedr.  Kapplers 

Sieg  bei  Dournon  und  Seb.  Brants  Lied  von  dieser 
Schlacht)  69 

XI.  a)  Auf  dem  Reichstage  in  Worms  1495    76 

b)  Unter  Maximilian  in  Italien  1495  (Kappler  bei  der  Bela- 
gerung von  Novara)    78 

XII.  Gegen  die  Schweizer  im  Schwabenkrieg  1499    83 

XIII.  Landvogt  in  Mömpelgard  1499  bis  1506  (Kappler  bei  der 

Belagerung  von  Besigheim)  96 

XIV.  Nachlese  zur  Familiengeschichte  der  Brüder  Kappler  .  .103 


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Verzeichnis  s 


der  in  den  Anmerkungen  öfters  vorkommenden  Bücher  mit  den  dabei 

gebrauchten  Abkürzungen. 


Basler  Chroniken   Baal.  Chr. 

Birken,  Spiegel  der  Ehren  des  Erzhauses  Oesterreich 

(Fugger)  1M8   .    Birken 

Brandis,  Gesch.  der  Landeshauptleute  Tirols  ....  Brandis 

Cart.  Mulh.  von  Mossmann   Cart.  M. 

Duvernoy  Ephem.  de  Montbeliard   Duvernoy. 

Edlibach,  Chron.  ed.  üsteri  (Mitth.  der  ant.  Oes.  in 

Zürich  III.)   Edlib. 

Fürstenbergisches  ürknndenbuch   Fürst,  ü.  B. 

Graf,  Gesch.  der  Stadt  Mülhausen   Graf. 

Heyd,  Dlrich.  Herzog  zu  Württemberg   Heyd. 

Jäger,  Gesch.  der  landständ.  Verf.  Tirols   Jäger. 

Kindler,  Der  alte  Adel  im  Oberelsass   Rindler. 

Kraus,  Kunst  und  Alterthum  in  Els.-Lothr   Kraus. 

Liliencron,  Die  hist.  Volkslieder  der  Deutschen    .    .    .  Liliencr. 

Mone,  Qaellensammlung  znr  badischen  Geschichte  .    .  Mone. 

Mone,  Zeitschr.  für  Gesch  des  Oberrh   Mone  Ztsch. 

Neriinger,  Pierre  de  Bagenbach   Neriinger. 

Ochs,  Gesch.  der  Landschaft  Basel   Ochs. 

Petri,  Der  Stadt  Mülhausen  Gesch   Petri. 

Rappoltsteinisches  Urkundenbach  von  Albrecht  .    .    .  Rapp.  U.  B. 

Stälin.  Württemb.  Geschichte   .  Stalin. 

Stoffel,  topogr.  Wörterbuch  des  Oberelsass    ....  Stoffel. 

Trouillat,  Monum.  de  l'hist  de  l'anc.  ev.  de  Bale   .   .  Tronillat. 

Tuefferd,  hist.  de  comt.  souv.  de  Montbeliard.    .    .    .  Tuefferd. 

Ulmann,  Kaiser  Maximilian    Ulmann 

Würdinger,  Kriegsgesch.  von  Baiern,  Franken,  u.  s.  w.  Würdinger. 

Zeitschrift  für  Gesch.  des  Oberrh.  (Neue  Folge).    .    .  Ztschr.  N.  F. 

Bez. -Archiv  Colmar   .  Bez.  A. 


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Vorwort. 


Friedrich  Kappler  war  seiner  Zeit  ein  weilberühmter 
Mann.  Sebastian  Brant  versichert,  die  ganze  deutsche 
Nation  gebe  ihm  das  ehrenvollste  Zeugniss,  und  in  der 
Zimmerischen  Chronik  (II  486),  die  60  Jahre  nach  Kapp- 
lers Tod  ausgearbeitet  wurde,  lesen  wir :  «Fridrich  Gap- 
ler ..  .  ist  bei  seinen  lebzeiten  ein  herzhafter  und  uner- 
schrockener Mann  gewesen.  Er  hat  vil  trefflicher  thaten 
mit  eigner  handt  mehrmals  verpracht  und  sich  so  ge- 
treulich und  wol  bei  seinem  herrn  gehalten,  dass  ihm 
seine  gesta  billichen  bei  ewiger  gedechtnus  sollten  er- 
halten werden».  —  Auch  das  Ausland  stimmt  in  dieses 
Lob  ein.  Der  französische  Diplomat  Gommines,  der  im 
Felde  ihm  gegenüberstand,  nennt  ihn  «Messire  Federic 
Gapelare  de  la  conte*  de  Ferette,  vaillaut  Chevalier  et  bien 
experimente*  tanl  en  France,  que  en  Italie»  (Mem.  de 
Phil,  de  Commynes,  publ.  par  Mlle.  Dupont  II  506 
u.  A.) 

Bald  aber  verschwand  sein  Gedächtniss  selbst  in  der 
Heimath  ;  das  fünfzehnte  Jahrhundert  wurde  verdunkelt 
durch  das  sechzehnte.  Sogar  Schöpflin  (Als.  ill.  II  640) 
weiss  nichts  von  ihm  als  den  Namen  :  «Fridericus  Kap- 
peler», und  die  Bemerkung  seines  Uebersetzers  Ravenez 
(V  662) :  «Fr^deric  Cappeler.  Tun  des  plus  grands  capi- 
laines  de  son  temps,  commanda  les  armees  de  Maxirni- 
lien  I  pendant  les  guerres  d' Italic  et  de  Suisse  en  1495 
et  1499»,  ist  im  Grunde  doch  auch  nur  eine  etwas  längere 
—  Grabschrift. 


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-      VIII  — 


Bei  dem  Versuche,  die  Urnrisse  dieses  vergessenen 
Lebens  wieder  herzustellen ,  haben  mich  gelegentlich 
liebenswürdig  gefordert  die  Herren  Prof.  Dr.  Albrechl  in 
Colmar,  Garn.  Freiherr  v.  Althaus,  k.  k.  Oberstleutnant 
a.  D.  in  Freiburg  i.  B.,  Prof.  Damian  in  Trient,  Archiv- 
ralh  Dr.  Pfannenschmid  in  Colmar,  Prof.  Dr.  Post  in 
Mülhausen,  Kanonikus  Dr.  Schrauf,  Seklionsrath  im  k. 
k.  Haus-  Hof-  und  Staatsarchiv  zu  Wien,  Stadtbiblio- 
thekar Wallz  in  Colmar  und  Staatsarchivar  Dr.  Wacker- 
nagel in  Basel.  Besonders  verpflichtet  bin  ich  aber  Herrn 
Archivar  und  Privatdoceuten  Dr.  Mich.  Mayr  in  Innsbruck 
und  Herrn  Hauptlehrer  Doniat  in  Kirchberg  hei  Masmünster. 
Jener  hat  mit  acht  österreichischer  Liebenswürdigkeit 
eigenhändig  dem  Unbekannten  eine  Reihe  von  Auszügen 
aus  den  Schätzen  des  Slatthaltereiarchivs*  gefertigt,  und 
dieser  gewährte  mir  bereitwilligst  Einblick  in  den  manig- 
faltigen  Stoff,  den  er  für  eine  Geschichte  seines  Heimalh- 
thales  zu  sammeln  fortfährt.  Th.  V. 

*  Vgl.  das  k.  k.  Stattbalterei-Arch.  zu  Innsbruck  von  Dr.  M. 
Mayr  in  den  Mitth.  der  dritten  (Archiv)  Sektion  der  k.  k.  Corara. 
zur  Erf.  u.  Erhaltung  der  Kunst-  und  hist.  Denkmale,  heransgeg.  v. 
Dr.  v.  Helfert  II.  Bd.  (Wien  bei  W.  Braunmller  I  Graben  21). 


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I. 


Das  Gesohleoht  Kappler. 

Der  Name  Kappler  war  sehr  verbreitet  ;  edle  Ge- 
schlechter dieses  Namens  gab  es  im  Elsass,  in  der 
Schweiz,  in  Schwaben,  Baiern,  Oeslerreich,  ja  in  der 
ganzen  abendländischen  Christenheit.  Ueberall  wird  er 
auf  einen  Ort  zurückzuführen  sein,  dessen  Name  mit 
«Kapelle»  zusammenhängt. 

Woher  stammen  nun  die  elsässischen  Kappler  ? 
Mone 1  meint,  aus  Hochburgund,  Kindler  aus  La  Gha- 
pelle2  (Welschkappeln),  südlich  von  Masmünster.  Meines 
Erachlens  spricht  Alles  dafür,  dass  sie  von  Kappeln,3 
südlich  von  Mülhausen,  stammen  und  später  als  Mül- 
hauser  Bürger  «die  Kappler»  genannt  wurden. 

Der  Name  dieses  Dorfes  Kappeln  kommt  schon  1144 
vor.  Die  Abtei  Obermichelbach  hatte  damals  u.  A.  auch 
Besitzungen  in  öhapellon  (=  unserem  Kappeln),  die 
Papst  Lucius  II.  für  zehntenfrei  erklärte. 4 


>  Mone  III  215. 

*  Chapelle-sous-Rougemont.  —  Joh.  de  Capella  1214  Als.  dipl.  I 
327  (Stoffel). 

3  Kappelen,  Kanton  Landser;  Reinherns  de  Chapilla. .  .  Mehtilt 
de  capilla  1289;  Waldemar  von  Kappellen  1380.  —  Die  Mutterkirche 
war  früher  die  Kapelle  St.  Wolfgang  zwischen  Kappelen  n.  Stetten. 
(Stoffel).  «Kappeln,  Capella,  Kapellen,  Kappele,  Chapellon  im  Elsass 
8üdöstl.  Landsev  >  (ürkundenbuch  der  Stadt  Basel.)  —  Capella.  Capelle, 
Kappten  (Rapp.  Urkb.) 

4  Trouillat  I  286. 

1 


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1210  erscheint  ein  Gotefridus  de  Capeila  unter  den 
Laienzeugeu  einer  Urkunde  des  Bischofs  von  Basel. 1 

Um  1221  bestätigt  Friedrich  II,  Graf  von  Pfirt,  der 
Abtei  Lützel  eine  Schenkung;  unter  den  Laienzeugen  ist: 
dominus  Chonon  de  Capella. 2 

1226  sitzt  ein  Waltherus  de  Capella  im  Rath  von 
Colmar. 3 

1248  erscheint  der  Name  zum  ersten  Mal  deutsch  : 
Johannes,  miles  diclus  Cappeler  beurkundet,  dass  er  Be- 
sitzungen in  Largilzen,  die  einst  von  der  Tochter  des 
Ritters  Werner  von  Ranspach  der  Abtei  Lützel  geschenkt 
worden,  auf  Lebenszeil  gegen  jährlich  1  Pfund  Wachs 
erhalten  habe.  Die  Güter  beslanden  in  Aeckern,  Wiesen 
und  Gehölz.  Seinen  Herrn  nennt  er  den  Grafen  von 
HaMurg.* 

Im  Mai  1254  beurkunden  Propst  und  Konvent  von 
Sl.  Leonhard  in  Basel,  dass  sie  an  Werner  von  Beltlach 
und  seine  Frau  drei  Juchert  apud  villam  CMpellon  ge- 
liehen haben.  Zwei  Juchert  lägen  an  dem  Platz,  der 
«Cherlinges  Bongarta»  heisse,  das  dritte  «in  dem  Worn- 
bach, 5  und  alle  drei  seien  von  Reinherus  de  Chapellon 
an  St.  Leonhard  gegeben  worden,  ut  de  ipsis  in  anni- 
versario  suo,  quod  est  in  f'esto  sancti  Marcelli  papae, 
solidus  nobis  singulis  annis  darelur.  Dadurch  ist  das 
Vorhandensein  eines  von  diesem  Kappeln  stammenden  Ge- 
schlechtes de  Gapella  nachgewiesen. 6 


i  Trouillat  I  451  ff. 
*  Trouillat  I  484. 

3  Mossraann  «Rech,  sur  la  constit.  de  la  corara.  ä  Colmar  S.  6. 
Anm.  2. 

4  Trouillat  II  66.  « In  cujus  rei  testimonium  praesentem  pagi- 
nam  sigillo  mei  domini  R.  comitis  de  Habsburc.  landgravii  Alsatiae 
atque  meo.  .  .  tratidi  sigillatam. 

5  Der  Wurmbach  entspringt  im  Banne  von  Kappeln,  durch* 
fliegst  den  von  Brinkheim  u.  vereinigt  sich  im  Banne  von  Bartenheim 
mit  dem  Altenbach  (Stoffel).  —  Bonacker  ist  ein  in  der  Gegend  häu- 
figer Gewannname;  desgleichen  Böngarten  —  Baum.ga.rten  (Ebenda). 

6  ürkundenbuch  der  Stadt  Basel  I  199. 


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—   3  - 


1256  wurde  (nach  Kindler)  ein  Johannes  de  Capella 
von  den  Herren  von  Horburg  mit  einem  Theil  an  der 
Vogtei  über  das  St.  Amarinthal  belehnt. 

1267  (24.  April)  entscheidet  der  von  den  Brüdern 
Johannes  und  Otto  Kapeller  als  Schiedsrichter  gewählte 
Baseler  Ritter  Heinr.  Steinlin,  dass  die  vorgenannten 
milites  dicti  Kappeller  erst  zu  beweisen  hätten,  mit 
welchem  Rechte  sie  auf  Güter  in  Knöringen  gegen  das 
Kloster  Klingenthal  Ansprüche  machen.  Zu  diesem  Be- 
hufe  hallen  sie  als  Gewährsmann  Thüriug  von  Ramslein 
vorzuführen,  von  dem  sie  mit  jenen  Gütern  belehnt  zu 
sein  angeben.1 

Am  15.  Januar  1271  verkauft  Graf  Ulrich  von  Pfirl 
an  den  Bischof  von  Basel  Stadt  und  Schloss  Pfirt  u.  a. 
um  850  Mark  Silber  und  empfängt  die  verkauften  Güter 
als  bischöfliches  Lehen.  Unter  den  adeligen  Zeugen  der 
Urkunde  ist  ein  Otto  Cappelarius  * 

Die  Brüder  Johannes  und  Otto  Kappeler  erscheinen 
noch  einmal  in  einer  Urkunde  vom  30.  Sept.  1276  («am 
Senkelstein  bei  Hundsbach»),3  worin  Ulrich  der  Aeltere 
von  Rappoltstein  und  Buchard  Stammheim,  Vogt  in  En- 
sisheim,  als  Vorsitzende  des  Landgerichtes  an  Stelle  des 
elsässischen  Landgrafen  bezeugen ,  dass  Wallher  von 
Steinbrunn  einen  Hof  in  Sleinbrunn  dem  Kloster  Lützel 
übertragen  habe.  Zeugen  :  .  .  .  Johannes  et  Otto  fratres 
dicti  Kappeller  und  .  .  .  Baldemarus  et  Johannes  fratres 
dicti  de  Capella, 

Hier  sind  zum  ersten  Mal  die  Kappeller  und  die  de 
Capella  (von  Kappeleft)  unterschieden.  Da  aber,  wie 
später  erhelll,  beide  das  gleiche  Wappen  haben,  sind  es 
nur  zwei  Linien  derselben  Familie. 

Die  zwei  Brüder  de  Gapella  begegnen  uns  und  zwar 


i  Ebenda  I  346  ff. 
*  Trouillat  II  205. 
3  Rapp  ü.  I  110,16. 


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mit  deutschem  Namen  noch  einmal  in  einer  1277  (Ja- 
nuar 28.)  aufgenommenen  Urkunde:  «Und  waren  hiebey 
herr  ....  Johaus  von  Kapellen,  herr  Baldemar  von 
Kapellen». 1 

1280  (4.  Sept.)  verkauft  der  Mülhauser  Bürger  Nib- 
lung  an  die  Abtei  Lützel  alle  seine  Güter  in  Bisel  »prae- 
sentibus  .  .  .  Joanne  de  Oapella,  Brunotie  de  Capella.»2 

1284  (20.  Januar)  erklärt  Otto  miles  diclus  Cappeler, 
dass  er  zum  Heile  seiner  Seele  das  ihm  durch  väterliche 
Erbschaft  und  Schenkung  seines  Bruders  Johannes  über- 
kommene Patronatsrecht  in  der  Kirche  zu  Friesen  mit 
allen  Einkünften  den  Johannitern  in  Mülhausen  (fratri- 
bus  sacrae  domus  hospitalis  Jerosolymitani)  geschenkt 
habe.8  Die  Schenkung  war  schon  früher  in  Basel  ge- 
macht 4  und  wird  jetzt  in  Mülhausen  erneuert  in  Gegen- 
wart des  Schultheissen  und  der  Bürger:  Heinrich  von  III— 
zach,  «domino  Johanne  dicto  Capeler  (militibus),  Hugo  von 
Dornach  u.  a.  Auf  die  Bitte  des  vorgenannten  Cappelarij 
siegelt  neben  ihm  auch  die  Stadt  Mülhausen ;  das  Siegel 
Otto  Cappelers  ist  noch  erhallen  ;  es  zeigt  eine  zuneh- 
mende nach  rechts  gekehrte  Mondsichel.  Die  Urnschrift 
ist  unleserlich.5 

Diese  (lalcinische)  Urkunde  beweist,  dass  die  beiden 
(schon  oben,  1267  und  1276,  vorgekommenen)  Brüder 
Johannes  und  Otto  Kappeler  Mülhauser  Bürger  waren, 
und  dass  dieser  Zweig  des  Geschlechtes  in  Mülhausen 
sich  Kappler  nannte  und  nicht  mehr  de  Capeila  oder 
von  Kappeln. 


»  Rapp.  U  I  111,38.  - 

2  Trouillat  II  328.  —  In  der  Gemeinde  Bisel  gibt  es  noch  heute- 
eine  «  Kaplärematten  >  (Stoffel). 
»  Cart.  M.  IN  114. 

*  in  Gegenwart  der  mit  ihm  verwandten  (cognatornm  meorum) 
Johann  n.  Erkenfried  von  Biederthan  u.  a. 

5  die  Urkunde  liegt  im  Bez.  A.  ( Ordre  de  Malte,  comm.  de 
Mulh.)  —  3lossmann  gibt  irrtümlich  an  :  «  un  croissant  tourne  ä 
gauche>. 


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—  o 


Die  oben  (1280)  erwähnten  Johannes  und  Bruno  de 
Gapella  kommen  in  deutscher  Schreibung  als  «von  Kap- 
pel»» vor  in  einer  Urkunde  vom  4.  Juli  1286:  «Wir 
Bruno  ton  Kappeion*  (und  Agnes,  seine  Frau)  bezeugen, 
«dass  wir  aller  der  anspräche»  ...  an  die  Krauen  von 
St.  Klara  wegen  streitiger  Kornzinse»  entsagen.  Neben 
«Johans  ze  Rine  von  Hesingen»  siegelt  «her  Johans  von 
Kappelion,  min  bruder».  (Urk.-Buch  der  Stadt  Basel 
III  303.)  Das  Siegel  Johanns  von  Kappeln  ist  im  Anhange 
des  Urkundenbuches  unter  Nr.  170  abgebildet:  ein  deutsches 
Schild  mit  rechts  gekehrter  Mondsichel,  also  dem  oben 
(zu  1284)  mitgetheilten  Siegel  des  Otto  Kappler  gleich. 1 

Im  Jahre  1312  stritt  die  Abtei  Lützel  mit  den  Münch 
in  Basel  um  «den  Wald,  dem  man  spricht  der  Forst  ze 
Lutterbach».  Graf  Ulrich  von  Pfirt  entscheidet  (21.  April) 
als  Schiedsrichter  zu  Gunsten  Lülzcls.  Unter  den  «Rat- 
lüten»  der  Abtei  befindet  sich  Johansen  von  Cappelen. 8 

Am  21.  Juni  1312  bekennt  Heinrich  von  Sleinbrunn 
vor  demselben  Grafen  Ulrich  (in  Sennheim),  dass  er  kein 
Recht  auf  den  Dinghof  (Adelheidshof)  in  Sleinbrunn  habe. 
Unter  den  Zeugen  wieder:  tHcr  Johans  ton  Capelle, 
Ritler».  3 

Derselbe  « her  Johannes  ton  Capelle*  ist  Zeuge 
(25.  März  1313),  als  die  hinterlassenen  Kinder  Heinrichs 
von  Rappoltstein  beurkunden,  dass  sie  von  Herzog  Leo- 
pold von  Oestreich  die  zwischen  ihrem  Vater  und  dem 
+  König  Albrecht  vereinbarte  Kaufsumme  von  800  bzw. 
1150  Mark  Silber  für  Bergheim  mit  Rodern  und  Rohr- 
schweier  erhalten  haben. 4 

Ein    «Her   Ulrich  de  Kappella*    erscheint  1331 


1  Kindler:  «Wappen:  Ir  w.  ein  r.  Halbmond;  H.:  liegender  r. 
Halbmond,  mit  je  einem  Pfauenschweif  an  den  Hörnern.  Hd. :  rw 
(s.  Bühler  fol.  52).  > 

2  Trouillat  III  177. 

3  Gart  M.  I  N.  146. 
*  Rapp.  0.  I  218,39. 


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—   6  - 


(15.  Nov.)  als  Zeuge  im  Urknndenbuche  der  Laudschafl 
Basel  (Boos)  I  236.  Er  ist  vielleicht  aus  «Kappel  su- 
perior» doch  kann  er  auch  dem  Grafen  von  Pfirt  zu 
Ehren  Ulrich  heissen  und  den  elsässischen  Kapplern 
angehören. 

Um  1343  wurde  «der  Flecken  Thann  in  verschiedene 
Gassen  getheilt,  die  Vorstadt  Catlenbach  sehr  bevölkert, 
auch  St.  Jakobs  Vorstatt  angesetzt  und  mit  Burgern  und 
Edeln  versehen;  darin  bauten  die  von  Heinach,  Lauden- 
berg, Waltwiller  ....  Capler»* 

1356  erhält  (nach  Schöpflin  Als.  ill.  II  640)  ein 
Heinricus  Cappeler  das  Burglehen  in  Thann.3 

1371  soll  (nach  Mone  III,  215)  ein  Friedrich  Kappler 
Landvogt  im  Oberelsass  gewesen  sein. 

In  Mones  Zeitschrift  11  S.  333  steht  (28.  Juni  1375) 
eine  französische  Urkunde:4  *Je  Hezeman  Capeller  de 
Giltwilr»  (verkauft  um  135  Goldgulden  ein  Gut  zu  Hiri- 
court  an  Willi,  von  Roppe).5  Bruchstück  eines  kleinen 
runden  Siegels  in  dunkelgrünem  Wachs ;  im  Wappen  ein 
rechtsgekehrter  Halbmond.  Umschrift  :  ....  Enrici  .  .  . 
Kappe .  .  . 

Die  Kappler  besassen  also  schon  1375  Gildtveiler 
und  zwar  die  in  Mülhausen  ansässigen  ;  wenigstens  ge- 
hörte das  Dorf  noch  1465  den  1445  mit  dem  übrigen 
Sladladel  aus  Mülhausen  vertriebenen  «Cappleren».6 

Desgleichen  erscheint  in  einer  französischen  Urkunde 


1  im  Buchsgau  vgl.  Trouillat  IV  132  u.  262. 

2  T8chara8er,  Annalen  der  Barf.  in  Thann  zu  1343.  — 

3  nach  Mone  (IH  215)  erst  1361.  Nach  einer  von  Doniat  ver- 
zeichneten Urkunde  erhielt  das  Burggesäss  in  Thann  ein  Friedrich 
Kappler  schon  1326.  —  In  einem  Thanner  Urbarium  von  1350 :  so 
seind  dis  die  Zinse,  so  Järlichen  gont  von  dem  ambt  zu  Thann:  .  .  .  item 
Heinrich  Capler  VIII  U  gelts  uff  dem  Zoll  (Bez.  A.  C  854).  Dies  Zoll- 
lehen scheint  immer  in  der  Familie  geblieben  zu  sein.  Dnser  Fried- 
rich hatte  es  1478  (vgl.  S  59  Anm.  2  u.  S.  106  Anm.  2  u  S.  107  Anm.  1) 

*  Die  Urkunde  liegt  in  Karlsruhe. 

5  vgl.  Als.  ill.  II  56. 

6  Petri  157  «  Giltweiler  den  Cappleren  >.  — 


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-   7  - 


(Luxueil  20.  Januar  1381)  ein  Messire  Cappelnire  als 
Zeuge  (Vollmacht  für  Bruno  von  Rappoltstein).1 

1386  sagt  ein  Friedrick  Kappler  den  Eidgenossen  ab.2 

Am  5.  Sept.  1393  stand  «am  lanlage  ze  Blenne** 
Namens  der  österreichischen  Herrschaft  der  Statthalter 
der  Landvogtei  in  Sundgau  und  Elsass  «Klaus  vom  Huse» 
in  Gericht  vor  «Mathis  Herrn  von  Sygenow,  lantrichler 
in  obern  Elsass»  und  ermahnte,  bei  den  ehrbaren  Leuten 
und  den  ältesten  um  «Blenne  und  in  dem  gerichte  ze 
Pfirt»  Ansässigen  zu  erfragen,  ob  Oesterreich  oder  das 
Bisthum  Basel  die  Gerichtsholieil  in  Pleignc  ausübe  und 
wem  von  beiden  ein  strittiger  Wald  bei  Lützel  gehöre. 
Eine  Reihe  alter  Männer  aus  Winkel,  Largitzen,  Benn- 
dorf, Pfetterhausen,  Sept  u.  s.  w.  wurde  vernommen,  und 
alle  sagten  zu  Gunsten  der  östr.  Herrschaft  aus.  Nun 
verlangte  der  «vom  Huse  Briefe  harüber»,  und  die  Bitter, 
«die  in  dem  lantgerichl  ze  Blenne  warent  und  urteil 
gebenU,  erklärten  dieses  Verlangen  für  berechtigt.  Unter 
jenen  «frommen  notvesten»  Hitlern  steht  auch  der  Name: 
Heinrich  Kappeler.  * 

Dieser  Heinrich  ist  wohl  der  oben  (1356  und  1375) 
vorgekommene  Heinricus  (Hezeman). 

Auch  der  Vater  unseres  Friedrichs  hiess  Heinrich. 
Ueber  ihn  fliessen  die  Quellen  reichlicher. 

1411  (Rufach,  11.  März)  belehnt  Bischof  Wilhelm 
von  Strassburg  gegen  empfangene  1200  rhein.  Goldgulden 
die  frommen  und  vesten  Hermann  Waldner,  Rud.  von 
Neuenslein,  Tenyn  (=  Anton)  von  Ilattstalt,  Klaus  von 
Hus,  Hans  Bernh.  zu  Ryn  und  Heinrich  Kappeler  mit 
Schloss  und  Städtlein  Jungholz  und  dem  Dorfe  Rimbach, 
wie  vorher  die  von  Rädersdorf  und  nachher  die  von 


1  Rapp.  U.  II,  175  (Bez.  A.  E.  2464). 

2  Kindler  20. 

8  Pleigne  (Pleen)  südlich  von  Lützel. 
*  Tronillat  IV  563ff.  (568;. 


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Lützelstein  solches  besassen  (Coli.  Haid,  im  erzbisch. 
Archiv  zu  Freiburg  i.  B.  Eis.  und  Lothr.  Urkunden).1 

1422  finden  wir  «Heinrich  Kappeler»  unter  den 
Rathen  des  Landvogts  Hans  von  Thierslein  in  Emisheim 
(Mone  Ztsch.  6,  ,475). 

1427  (Mai  4  bis  10)  steht  sein  Name  («Heinrich 
Kappeler»)  unter  den  Wochenein  trägen  des  Colmarer 
Kaufhausbuches  (Rapp.  U.  B.  III  261). 

Seil  mindestens   1430  ist  er  Vogt  zu  Masmünster. 2 

1436  ("am  29.  Juni)  schreihen  die  Brüder  Thenj  und 
Hans  Ulrich  von  Hatlstatl  au  Herzog  Friedrich  den  Ael- 
tern  von  Oesterreich,  dass  am  Donnerstag  Früh  nach  St. 
Barnabastag  die  jungen  Herrn  von  Neuenburg  mit  Hilfe 
eines  Herrn  Job.  Loy  und  vieler  anderer  Welschen 
(«Walch»)  mit  700  Pferden  ohne  Absage  vier  Dörfer 
zwischen  Heiligkreuz  und  Ensisheim  gebrandschatzt 
hätten.  Ein  Diener  des  Landvogts,  Peter  Husspfennig, 
habe  den  Feinden  den  Weg  gezeigt ,  ja  sogar  «Heinrich 
Capeller»,  des  Herzogs  «diener,  rat,  man,  undersechs 
und  ampman»  sei  nehst  vielen  andern  Edeln  und  Un- 
edeln  dnbei  gewesen  als  «kundschafter»  !  Kurz  vor  der 
That  habe  er  sich  ausserhalb  seines  Amtes  und  der 
Stadt  Masmünsler  aufgehalten  und  nach  der  That  sei  er 
«für  sich»  wieder  dorthin  zurückgeritten.  Der  Landvogt 
(Smasmann   von  RappoUstein)   habe  den  Neuenburgern . 


1  Gütige  Mitth.  des  H.  Oberstleutnants  Freiherrn  von  Althaus 
in  Freiburg.  Aus  seinen  Sammlungen  entnehme  ich  auch,  dass  der 
Bischof  schon  1426  Jungholz  wieder  einzog,  weil  der  Landvogt  Hans 
Erhalt  Bock  von  Staufenberg  sich  mit  den  Bürgern  von  Ensisheim, 
Thann.  Altkirch,  Masraünster  u.  a.  vor  das  Schloss  gelagert  hatte, 
wegen  des  Schadens,  der  den  Städten  von  dort  aus  zugefügt  worden 
sei,  u.  der  Gefangcnhaltung  etlicher  Ritter  (Mone  Ztsch.  XI.  337).  Da 
Heinrich  Kappler  schon  1422  unter  den  Räthen  des  Landvogts  er- 
scheint, wird  er  an  diesen  Thaten  der  Ganerben  von  Jungholz  nicht 
betheiligt  gewesen  sein 

8  In  der  Landvogteirechnung  1430  (Katharinentag)  kommt  Hein- 
rich Kappeler  als  Vogt  von  M.  vor  Desgleichen  nennt  ihn  sein  Un- 
tervogt in  einem  Urtheil  vom  3.  März  1430 :  <  Jungher  Heinrich  Cap- 
pelars Vogt  zu  M.»  (Stadtarchiv  Masmünster:  Doniat). 


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-  9 


und  allen  den  Edeln  gestatlet  gehabt,  überall  in  des 
Herzogs  Land  «ihre  Feinde  zu  suchen»  !  (Rapp.  U.  B. 
III  423). 

1437  (am  20.  Mai)  beurkundet  dann  Heinrich  Cap- 
peler, dass  er  des  edlen  wolgebornen  Herrn  Junkers 
Smasmanns  Herrn  zu  Rappoltstein,  des  Landvogls,  »Diener» 
geworden  sei.  Ueberall,  wo  er  das  mit  Ehren  thun  könne 
(ausgenommen  «wider  meinen  gnädigen  Herrn  von 
bestreich»)  wolle  er  ihm  mit  vier  Pferden  gewärtig 
sein.  Dafür  solle  er  ein  Lehen  im  Werth  von  300  Gulden 
erhalten,  «das  nächste,  so  ihm  ledig  wird»,  und  einst- 
weilen 50  rhein.  Gulden  jährlich.  (Rapp.  U.  B.  III  452).  — 

Die  beiden  obengenannten  Hatlstalt  waren  auch 
Lehnsleute  des  Rappoltsleiners ;  das  hielt  sie  aber  nicht 
ab  (oder  vielleicht  wussten  sie  es  noch  nicht),  im  Juli 
1437  «.Heinrich  Kaplern*  abzusagen :  «dass  ich  euer, 
eurer  Helfer,  Helfershelfer  und  aller  der  Euern  Feind 
sein  will  von  wegen  des  edeln  Junkers  Smasmans  zu 
Rapoltstein  und  Hohenack,  meines  gnädigen  Junkers». 
(Rapp.  U.  B.  III  457.)  — 

1441  ist  ^Heinrich  Kapier*  im  Besitz  eines  Rappolt- 
sleinischen  Lehens  und  zwar  des  Dinghofes  in  Egisheim.1 
Am  17.  März  beurkundet  er  (Rapp.  U.  III  531),  dass  er 
deshalb  Herrn  Smasmann  gehuldet  habe. 

1442  scheint  er  sich  längere  Zeit  in  Egisheim  auf- 
gehalten zu  haben  ;  denn  am  20.  Juli  schreiben  Meister 
und  Rath  in  Colmar  an  ihren  «guten  Freund»  Kaspar 
Sachse,  dass  sie  bereit  seien,  in  einer  Streitfrage  mit 


1  Die  Rappoltsteiner  hatten  in  Egisheim  zwei  Dinghöfe  :  a)  den 
Girsbergdinghof  b)  den  Kaiserdinghof.  In  diesen  wurden  die  Appel- 
lationen der  4  andern  Egisheimer  Dinghöfe  gezogen  (Stoffel  116). 
Im  Rapp.  U.  III.  Nr.  91  und  106  sind  die  Einkünfte  des  Dinghofs  aus 
Wein,  Feld,  Holz  u.  s.  w.  angegeben  Auch  ein  Haus  gehörte  dazu. 
—  Vgl.  auch  Bez.  A.  E  2365,  wo  sich  u.  A.  ein  Bericht  über  den 
Dinghof  aus  dem  Jahr  1753  von  dem  rappoltst.  Registrator  Steinheil 
befindet. 


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—  10 


ihm  Herrn  Smasman  als  Schiedsrichter  anzunehmen,  oder 
Thenigen  von  Hattstatt  oder  den  «vesten  Heinrick  Cap- 
peler». (Rapp.  U.  III  546.) 

1442  kam  Kaiser  Friedrich  von  der  Krönung  in 
Aachen  den  Rhein  herauf.  In  Mülhausen  wurde  ihm  ge- 
huldigt, nachdem  er  schon  im  Mai  1441  von  Neustadt 
aus  die  alten  Rechte  der  Stadt  bestätigt  hatte.1  Die  Edel- 
leute  der  Umgegend  verklagten  die  Bürger,  dass  sie 
Hasen  und  anderes  Wildpret  in  Löchern  fingen.  Aber  die 
Stadt  machte  geltend,  dies  geschehe  nur  auf  städtischem 
Gebiet,  und  der  Kaiser  gab  ihr  Recht.  Da  bot  sich  gegen 
Ende  des  Jahres  den  Edelleuten  eine  andere  Gelegenheil, 
mit  Mülhausen  anzubinden.  Ein  Schneider,  Namens 
Hummel,  war  in  den  Rath  gewählt  worden,  aber  Graf 
Ludwig  von  Helfenstein  schrieb  an  die  Stadt  (3.  Dec), 
Hummel  sei  sein  Leibeigner  und  habe  sich  auf  Anfordern 
nicht  gestellt.  Es  entspann  sich  ein  längerer  Briefwechsel,2 
und  schliesslich  sagte  der  Graf  mit  Hans  von  Rechberg 
und  Heinrich  Capler  der  Stadt  ab.  Ein  Bürger  wurde 
zum  Verräther,  spiegelte  vor,  er  wisse  Gelegenheit,  den 
Rechberg  abzufangen  und  erhielt  50  Mann  unter  dem 
kleinen  Stadtbanner.  Als  aber  die  Schaar  am  2.  Februar 
1443  gegen  Sennheim  kam,  wurde  sie  von  Rechberg  und 
Kappler  überfallen  und  in  Masmiinsler  gefangen  gelegt.3 
Die  Gefangenschaft  dauerte  —  drei  Jahre !  Nach  einem 
Jahre  kam  es  zwar  durch  Vermittlung  des  Landvogts 
Reinharl  von  Neipperg  zu  einem  Waffenstillstände 4  «von 
der  geschieht  wegen  zwischen  Heinrich  Cappeller,  vogt 
zu  Maszmünster  und  denen,  die  dabei  gewesen,  einerseits, 
und  uns  und  den  Unsern,  so  sie  uns  niedergeworfen 
haben  andrerseits»,   aber  die  weiteren  Verhandlungen 


i  Cart.  M.  II  N  580 

*  Cart.  M.  II  N  596  ff. 

»  Petri  116.  Graf  I  169. 

*  Cart.  M.  II,  N  611 


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-  11  - 


zogen  sich  in  die  Länge,  so  dass  zuletzt  der  Kaiser  ein- 
schritt und  folgenden  Brief  schrieb : 1 

«Heinrichen   Caplern,   Vogl   zu   Massmünster.  — 
Friedrich, 

«Lieber  Getreuer,  Uns  hat  der  hochgeborne  Ludwig, 
Pfalzgraf  bei  Rhein,  des  heiligen  römischen  Reiches  Erz- 
truchsess  und  Herzog  in  Baiern,  Unser  lieber  Oheim  und 
Kurfürst,  vorbringen  lassen,  wie  etliche  Bürger  von 
Mülhausen  und  die  Ihren  von  Dir  und  andern  der  Un- 
sern  gefangen  worden  sind,  wiewohl  sie  Unsern  Landen 
und  Leuten  nicht  Willen  gehabt  einigen  Schaden  zu 
thun,  sondern  ihren  Feinden  nachzustellen,  und  hat  Uns 
gebeten,  die  ledig  zu  schaffen.  Da  nun  die  genannten  von 
Mülhausen  Uns  und  dem  Reich  zugehören,  ...  so  ist 
Unsre  Meinung  und  befehlen  Dir  auch  gebietend  ernstlich 
und  festiglich  mit  diesem  Brief,  dass  Du  die  Genannten 
zur  Stund  und  angesichts  dieses  Briefes,  ihres  Gefäng- 
nisses ungeschätzt  und  ohne  ihren  Schaden  ledig  sagest 
und  darin  keine  Ausrede  habest,  und  nehmest  von  ihnen 
eine  alte  gewöhnliche  Urfehde.  Und  thu  in  den  Sachen 
nicht  anders ;  das  ist  unsere  ernstliche  Meinung.  Hat 
dann  Hans  von  Rechberg  oder  sonst  Jemand  von  denen 
von  Mülhausen  etwas  zu  beanspruchen,  so  sollen  sie 
ihnen  rechtens  willig  und  gefolgig  sein  vor  dem  ehge- 
nannten  Unserm  lieben  Oheim,  dem  Pfalzgrafen,  oder  Uns 
als  einem  römischen  Könige,  das  uns  genüglich  bedünkt.» 

Dieses  kaiserliche  Schreiben  hatte  denn  doch  Erfolg. 
Am  30.  Mai  1446  kann  Pfalzgraf  Ludwig  aus  Konstanz 
mittheilen,  sein  Oheim  Herzog  Albrecht  von  Oesterreich, 
habe  ihm  versichert,  dass  er  ihm  zu  Lieb  und  Willen 
die  Mülhauser,  die   ^Heinrich  Öappler,  der  Amtmann 


»  Cart  M  II,  N.  700  im  Jahr  1446  ohne  Tag.  (Ich  habe  die 
Sprache  etwas  gefeilt). 


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-   12  - 


von  Morsemünster»  gefangen  gehabt,  auf  eine  gewöhnliche 
schlichte  Urfehde  ledig  gesagt  habe.  Und  am  26.  Sept. 
beurkunden  Meister  und  Rath  von  Mülhausen,  dass  «die 
Unsern,  im  dritten  Jahre  ...  zu  Massmünster  von  dem 
vesten  Heinrich  Cappeler,  Vogt  daselbst»  niedergeworfen 
und  gefangen,  auf  in  Konstanz  beschlossene  Urfehde  frei 
geworden  seien,  und  dass  sich  die  Stadt  weder  jetzt  noch 
zu  künftig  in  keiner  Weise  rächen  wolle. 1 

Während  dieser  Fehde  waren  die  armen  Gecken  ins 
Land  gefallen  (26.  Aug.  1444  Schlacht  bei  St.  Jakob). 
Was  Wunder,  dass  die  geplagten  Bürger  und  Bauern 
sagten,  der  Adel  habe  die  Schinder  gerufen  und  mitge- 
holfen. In  Basel  und  Mülhausen  kam  es  zu  Unruhen, 
die  mit  der  Verlreibung  des  Adels  endigten.  Aus  Mül- 
hausen wurden  die  Edelleuteund  Achtbürger  1445 sämmllich 
«mit  Hurst  und  Nest»  ausgewiesen,  darunter  Hans  von 
Rechberg  und  Heinrich  Cappler,*  der  also  in  Mülhausen 
ein  «Nest»  gehabt  haben'  muss.  3 

In  dieser  Zeit  begegnet  uns  der  Name  Heinrich 
Kapplers  noch  einmal  urkundlich.  Im  Carl.  Mülh.  II 
S.  204  steht  (2.  Sept.  1445)  ein  «Anschlag  von  Herren 
und  Städten  der  Vereinung  wider  die  Schindern  über 
die  Zahl  von  Berittenen,  die  von  den  einzelnen  Mitgliedern 
zu  stellen  seien.  Es  sind  jämmerliche  Zahlen : 4  der  Rap- 
poltsteiner  z.  B.  hat  6,  der  Vogt  von  Reichenweier  3, 
die  Sladt  Colmar  8  Reiter  zu  liefern!  Es  wurde  ein  ge- 


1  Cart.  M.  II  N.  701  u.  711. 

2  Petri  124.  Graf  1  178. 

3  «Wer  Bürger  werden  will,  der  gibt  den  Bürgern  ein  Pfund 
und  soll  ein  Haus  kaufen  zum  mindestens  um  fünf  Pfund>  heisst  es 
in  allen  kaiserlichen  Freiheitsbriefen  der  Stadt  (Cart.  M.  I  S.  10O 
u.  a.)  —  «Die  Kappler  scheinen  in  der  Oberstadt  (Schulgasse)  ge- 
wohnt zu  haben  ;  wenigstens  wird  ein  Conrat  Kapeller  im  Gewerf- 
register  von  1432  und  38  dort  aufgeführte  (Gütige  Mitth.  des  Herrn 
Prof.  Dr  Post  in  Mülhausen,  der  ausser  den  Urkunden  im  Cart.  im 
Mülh.  Archiv  sonst  nichts  über  die  Kappler  gefunden  hat.)  —  Dieser 
Konrad  war  vielleicht  der  Vater  Heinrichs. 

4  Die  Zahl  der  Armagnaken  wird  eben  auch  übertrieben  sein. 


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—    13  — 


meinsamer  Zug  nach  Mömpelgart  geplant  und  ein  Tag 
dafür  festgeselzt,  nachdem  man  sich  zuvor  noch  mit 
Hans  von  Thierstein  und  Heinrich  Capeller  «als  von 
unserer  gnädigen  Herrschaft  von  Oestreich,  was  ihr 
Wille  darin  sei»,  verständigt  nahen  werde. 

In  der  Zeit,  als  «das  fremde  französisch  Volk,  ge- 
nannt die  Schinder»,  im  Lande  waren,  haben  sie  auch 
den  Mülhausen]  «Tag  und  Nacht  allenthalben  Schaden 
zugefügt,  besonders  aus  dem  Schloss  und  Dorf  Zillisheim». 
Da  zogen  die  Bürger  aus  und  steckten  die  Mühle  dort- 
selbst  in  Braud,  damit  sie  die  Feinde  nicht  mehr  brauchen 
könnten.  Aber  unglücklicher  Weise  brannte  bei  dieser 
Gelegenheit  das  ganze  Dorf  ab,  und  die  Aeblissin  von 
Masmünsler,  der  die  Mühle  gehörte,  sowie  der  Ritter 
Albrecht  Hatmannsdörfer  als  Herr  des  Dorfes  forderten 
Schadenersatz.  Als  dieser  verweigert,  wurde,  kam  es  zur 
Fehde,  und  erst  am  20.  April  1452  legte  Graf  Hans  von 
Thier  stein  den  Handel  gerichtlich  in  Ensisheim  bei. 
Unter  den  «Räthen,  so  hierbei  gewesen  sind  und  mit  uns 
gesprochen  hant»   erscheint  auch  Heinrich  Cappeller.  1 

Bereits  1422  haben  wir  ihn  unter  den  Ensisheimer 
Rathen  gefunden.  Wenn  er  damals  nicht  schon  Vogt  in 
Masmünster  war,  so  wird  er  es  doch  1452  noch  gewesen 
und  als  solcher  zu  dieser  Sitzung  nacli  Ensisheim  be- 
rufen worden  sein.2 

In  den  fünfziger  Jahren  scheint  er  gestorben  zu  sein. 
Seine  Frau  war  eine  Edle  von  Pfirt  und  Ines  Clarelse.3 


1  Cart.  M.  II  N.  768. 

2  Deber  das  Ensisheimer  Reg.  vgl.  Als.  i  11 .  II  23. 

9  Die  Edlen  von  Pfirt  kommen  schon  1135  vor,  gehörten  zu 
den  bedeutendsten  Ministerialen  der  1234  ansgestorbenen  Grafen 
von  Pfirt  und  erloschen  erst  1848  zu  Freiburg  i.  B.  (Kindler  67). 
Sie  waren  auch    Bürger  von  Mülhausen  war  ein  Heinrich 

von  Pfirt  Bürgermeister,  der  Vater  der  Clarelse  ?  und  1498—1502 
Hans  Ulrich  v.  Pf.  vgl.  Graf  I  273). 


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-    14  — 


II. 

Kapplerisohe  Denkmale. 

«Im  Innern  der  Kirche  zu  Gildweiler  ist  eine  späl- 
gothische  Grabplatte  erhalten  mit  der  lückenhaft  ge- 
wordenen Aufschrift :  «Anno  dmi  MGGGGL. . . 1  ....  ricus 
Cappeler,  armiger.»  Kraus  (Kunst  u.  Alterth.  II  123) 
meint,  das  sei  vielleicht  der  von  Schöpflin  *  angeführte 
Fridericus  Kappeler.  Es  wird  aber  der  Vogt  Heinrich 
(Henricus)  sein,  dessen  Witlwe  um  1466  in  Gildweiler 
wohnte.  Der  Fridericus  Schöpflins  (1471;  ist  Heinrichs 
Sohn,  unser  Friedrich.  — «Diezweile  Nische  der  Sebastian- 
kirche in  Sulzmatt  hat,  etwa  in  der  Mille  des  Schiffes 
angebracht,  eine  sehr  schöne  Verkündigung  in  Hochrelief, 
Sleinsculptur,  dazu  die  knieeuden  Bilder  der  Stifter,  eines 
Ritters  und  seiner  Dame  .  .  .  Ueber  dem  Relief  die 
Inschrift:  Anno  dmi  MGGGGLXXXXV  hat  junkher 
Wilhelm  Capler  dis  begrebnis  losn  machen».3 

Dieser  Wilhelm  ist  der  Bruder  unseres  Friedrichs. 
Seine  Frau  hiess  «Adelheil  Begerin»4  (Beger  von  Geis- 
polsheim). Am  Schlusssteine  des  Gewölbes  sind  die 
Wappen  des  Paares  erhalten. 


1  1885  konnte  Doniat  noch  lesen:  MCCCCLII.  Die  heutige 
Kirche  steht  an  der  Stelle  der  um  1469  erbauten ;  die  älteste  war 
1376  von  den  Engländern  zerstört  worden.  (Kraus).  Jetzt  ist  der 
Grabstein  leider  nicht  mehr  im  Innern  der  Kirche»,  sondern  als 
Schwelle  vor  die  Kirchthür  gelegt!  Wenn  er  da  bleibt,  wird  die 
Inschrift  bald  ganz  weggetreten  sein !  Ich  konnte,  im  Mai  d.  J.,  nur 
noch  lesen :  «Anno  domini  (auf  der  einen  Schma'seite),  «...  Her» 
(auf  der  Langseite)  und  «armiger»  (auf  der  andern  Schmalseite); 
also  gerade  der  Namen  ist  schon  fast  ganz  verschwunden ! 

*  Als.  ill.  11  640 :  «Fridericus  Kappeler  armiger  anno  1471 
En8i8hemio  praefectus  erat». 

s  Kraus  II,  625.  Rothmüller  (Musee  S.  162)  gibt  eine  Ab- 
bildung. 

4  Brnderschaftsbuch  von  Ammerzweiler  (Doniat). 


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In  Gildweiler  erinnert  nur  noch  ein  Flurname 
«Kappler»  1  an  das  alte  Geschlecht.  Das  Schloss  ist  spurlos 
verschwunden.  Ein  achtzigjähriger  Ackerer  in  Hecken  2 
hat  dem  Lehrer  Herrn  Fashauer  in  Falkweiler  im  Januar 
1895  mitgetheilt,  was  ihm  seine  Ellern  und  Grossellern 
darüber  erzählt  haben  : 

«Zur  Zeit,  als  sein  Ur-  und  Ururgrossvater  lebte, 
zu  Ende  des  17.  und  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  standen 
in  der  Flur  iLinden*  in  der  Gemarkung  Falkweiler,  rechts 
an  der  Strasse  von  Falkweiler  nach  Hecken,3  Ruinen 
eines  grossen  Hauses,  aus  dessen  Fensteröffnungen 
Brennesseln  und  anderes  Unkraut  hervorwuchsen.  Das 
war  das  Kapplerische  Schloss.  Sein  Vater  sah  noch  zwei 
Brunnen  (Cisternen)  an  der  Stelle,  die  wohl  erst  zu 
Anfang  unseres  Jahrhunderts  völlig  verschüttet  worden 
sind.  —  Zu  den  Besitzungen  der  Kappler  gehörte  auch 
der  sogenannte  «Dreissig  Schuh  weg».  Er  führte  von  Ober- 
traubach bis  zur  Kirche  auf  dem  Berge  zu  Gildweiler 
und  ist  noch  jetzt  theil weise  erhalten.  In  der  Gemarkung 
von  Gildweiler  stehen  mehrere  Grenzsteine  mit  der  Zahl 
1717  (auch  am  Dreissig-Schuhweg  steht  einer),  die  an- 
geblich die  Kappierischen  Liegenschaften  begrenzt  haben».4 

Von  einer  Abbildung  (?)  Friedrich  Kapplers  in  der 
Breisacher  Reimchronik,  von  der  Ehrentafel  zu  Trient 
und  seinem  leider  nicht  mehr  vorhandenen  Bild  im  Amis- 
hause zu  Bozen  werden  wir  später  hören. 


1  Am  obern  Eappler  1526,  jm  Capler  1555,  an  dem  Kappler 
1629  (Stoffel  285) ;  —  Aach  eine  Flurabtheilung  des  Bannes  Balsch- 
weiler  an  der  Grenze  des  Gildweiler  Bannes  heisst  jetzt  noch:  Kappler. 

*  */*  Stunde  von  Gildweiler. 

»  Vgl  dazu  Krauss  11  123 :  Zwischen  Gildweiler  und  Falkweiler 
stand  bis  zum  18.  Jahrb.  ein  altes  Schloss,  genannt  Wasserhaus 
neben  der  jetzt  auch  verschwundenen  Linde.  «Ohne  Zweifel  ist  dies 
Wasserhaus  identisch  mit  der  Behausung  des  edlen  vesten  Friede- 
rich Kappeler  von  Falk  weiter»  1608  (Bez.  A.  Fonds  Maz.  Lettres 
de  creanc.  du  G.  d'Ortenb.) 

*  Gütige  Mitth.  des  H.  Fashauer. 


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-    16  - 


III. 

Kindheit  und  jüngere  Jahre. 

Der  «Kapplerhof»  in  Masmünster  lag  bei  der  Stifts- 
mühle  auf  dem  ummauerten  Platze,  der  heute  noch 
Schlosshof  heisst.  Doniat  hat  zwei  Urkunden  abgeschrieben 
(v.  23.  August  1485  u.  17.  Dec.  1496),  nach  denen  sich 
die  Lage  des  Hauses  bestimmen  lässt.  Die  Urkunde  von 
1496  handelt  von  einem  Streite  zwischen  der  Aebtissin 
und  der  Stadt  über  die  Baulast  eines  Brückleins  : 
«Luthold  von  Berenfeis,  Fridrich  Kappler,  Obervogt  zu 
M.,  Ritter,  und  Diebolt  von  Pfirt,  der  R.  K.  M.  Räthe 
tun  kunt  mit  diesem  brief  .  .  .  eines  brückleins  halben 
zwischen  zweien  Mühlen  undt  gegen  Herrn  Friderich 
Kaplers  hof»  ;  und  in  der  andern  Urkunde  steht  : 
^zwischen  dem  Edlen  und  Strengen  Herrn  Friderich 
Capeler,  Obervogt  zu  M.  und  meiner  gnädigen  Frauen 
Mühlen.* 

Das  Gebäude,  welches  heute  an  der  Stelle  steht,  trägt  in 
eisernen  ZifFern  die  Jahreszahl  1697.  Es  ist  1685  von 
einem  Grafen  Rothenburg  zu  bauen  begonnen  worden. 
Thüre  (1685)  und  Treppe  zeugen  noch  von  ehe- 
maligem Reichtum.  Jetzt  gehört  das  Haus  der  Frau 
Ilerpierre,  geb.  Maria  Doniat,  und  wird  von  kleinen 
Leuten  bewohnt.  1 


1  1559  bis  1617  war  der  Kapplerhof  im  Winter  von  den  Herren 
von  Bollweiler  (den  Pfandherrn  von  Masra.)  bewohnt,  1617 — 1632 
von  Joh.  Ernst  v.  Kirchberg  und  Weissenborn  (=Fugger).  Dann, 
weil  die  Fugger  franz.  Lehnspflicht  verweigerten,  zog  ein  Claude 
Millot  Sieur  de  la  Perriere  ein  (1661)  :  Le  fief  consiste  en  une 
Maison  scise  dans  la  petite  ville  au  dit  Masmunster».  1684  trat 
Konrad  von  Rosen  nach  kurzem  Besitze  das  Haus  an  seinen  Schwager, 
den  Grafen  von  Rothenburg  ab,  der  es  einriss  und  den  Neubau 
anfing  Die  Rothenburg  und  ihre  Verwandten,  die  Broglie,  besassen 
das  Gebäude  bis  1862,  wo  es  Konrad  Doniat  ersteigerte,  der  Vater 
der  jetzigen  Eigenthüraerin.  (Doniat). 


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—   17  - 


Ein  Mauerrest  und  ein  Pfeiler  in  dem  Gässchen 
rechts  beim  Eingange  in  den  Schlosshof  sind  die  einzigen 
Ueberbleibsel  des  alten  Gebäudes. 

Hier  hat  der  Vogt  Heinrich  Kappler  gewohnt  und 
hier  wird  —  um  1435  auch  sein  Sohn  Friedrich  geboren 
worden  sein.  Auf  diesem  Hofe  haben  die  Brüder  Friedrich 
und  Wilhelm  1  gespielt  und  den  Vater  aus-  und  eiureiten 
sehen. 

Die  Mutler  Frau  Glarelse  scheint  an  den  Jungen 
die  Ruthe  nicht  gespart  zu  haben.  Wenigstens  schrieb 
sie  später,  als  Wittwe,  von  Gildweiler  aus  an  die  Mül- 
hauser,  die  zwei  Söhne  seien  aus  ihrer  «Ruthen  und 
Straf  gewachsen.»  2  Vielleicht  hat  sie  die  beiden  auch 
selbst  unterrichtet.  Von  Friedrich  steht  fest,  dass  er 
lesen  und  schreiben  konnte. 

Besonders  edler  Art  wird  die  Luft  des  Elternhauses 
schwerlich  gewesen  sein.  Thal  doch  Herr  Heinrich  mitunter 
einen  Ritt, der  ihm  alsVogt,  selbst  nach  damaligen  Begriffen, 
übel  anstand.3  Auf  die  Städter,  namentlich  die  Mülhauser, 
und  auf  flie  Schweizer  war  er  gewiss  schlecht  zu  sprechen, 
und  seine  zwei  Knaben  werden  diese  Abneigung  geerbt 
haben. 

Als  der  Vater  starb,  zählte  Friedrich  4  etwa  20  Jahre  ; 
die  Mutler  zog  nach  Gildweiler.  Das  Vermögen  war  un- 
bedeutend.    Gildweiler  mit  seinen    Einkünften  wurde 


1  Sie  heissen  in  den  gleichzeitigen  Urkunden  gewöhnlich  nur 
«die  Kappler»  und  waren  also  wohl  die  einzigen  oder  doch  die 
allein  bedeutenden  Vertreter  des  Geschlechtes. 

2  Cart.  M.  II  N.  747. 

s  Vgl.  Bapp  ü.  B.  III  423  bezw.  oben  S  5. 

*  Ein  älterer  Friedrich  Cappeler  erscheint  1419  iRapp  ü.  B.  III 
44)  als  Zeuge,  als  Wilh.  von  Qirsperg  Güter  an  Smasmann  von 
Rappoltstein  verpfändete.  Das  war  vielleicht  sein  Oheim  und  Pathe. 
Im  Ammertzweiler  Bruderschaftsbuch  (Doniat)  steht :  Junkherr 
Friedrich  Cappler;  fraw  Anna  von  Giersperg,  sein  Gemahel».  Im 
Schatzarch.  (Innsbruck)  III  1270:  «Urfehden  und  Stellbrief  auf  Herzoz 
Fridrichen  von  Fridrkhen  Capeller  und  Jakoben  von  Hagenbach 
irer  Vänkhnus  halben  zu  Altkirch»  1414. 

2 


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-    18  — 


Willwensilz  der  Frau  Clarelse.  Das  väterliche  Erbe  der 
Söhne  bestand  «in  fünfzig  und  sechs  Viertheil  Korngelds, 
hall)  Roggen  und  halb  Gersten,  von  Bart  von  Wünnen- 
berg und  dem  Fulweissen  von  Colmar»  und  in  «sechs 
Gulden  Gelds  von  Theugens  von  Pfirt  seliger  Hausfrau». 
Das  Alles  war  den  Genannten  für  360  Gulden  versetzt 
gewesen  und  auf  der  Söhne  Bitte  von  der  Mutter  mit 
«eigenem  Geld»  gegen  die  Nutzniessung  Gildweilers  («das 
hus  mit  aller  zugehörde,  lulen,  gülten,  zinsen  und  an- 
derem») ausgelöst  worden.1 

Der  Vater  war  dem  Rappoltsteiner  mit  vier  Pferden 
gewärtig  gewesen ;  sein  Sohn  Wilhelm  sagte  im  Plappert- 
krieg  (1465)  den  Mnhlhausern  mit  nur  einem  Knechte  ab. 
Und  auch  diesen  —  er  hiess  Hans  Darm  —  hat  er  an- 
scheinend nicht  lange  bezahlen  können.8 

An  diesem  «Kriege»3,  auf  dessen  Einzelheiten  wir 
hier  nicht  eingeheu  können,  betheiligte  sich,  später  als 
sein  Bruder,  auch  Friedrich.  Galt  es  doch  den  von 
Kind  auf  gehasslen  Mülhausen! !  — 

Diese  streiften  einmal  im  Wiedervergeltungsrecht  für 
«Nehmen,  Brand  und  Todschlag»4  auf  die  Ritlerdörfer 
der  Umgegend  z.  B.  Niedersteinbrunn,  Hagenbach  und 
Gildweiler.  Das  war  Frau  Glarelsen  unlieb,  und  sie 
sehrieb  deshalb  in  dem  schon  erwähnten  Brief  an  Meister 
und  Rath,  sie  habe  gehört,  dass  die  Stadt  «von  etwas 
Unwillens  wegen  gegen  ihre  Söhne»,  sie  die  Mutter  und 
Wittwe,  an  ihrem  «Haus  Gild weilerund  seiner  Zubehörde» 


1  Aus  dem  Brief  der  Frau  «Clareilsin  von  Pfirt,  Heinrichs  Cap- 
pelers seligen  Wittwe»  an  Mülhausen  1466  (Cart.  M.  III  N.  1020). 
Die  Wunneberg  waren  Mülh.  Adelige  (Wonneburggasse:  Kindler  S.  113). 
Hans  Fulweißs,  ein  Colmarer  1460  (Cart.  M.  II  747).  «Meister  Fulweis», 
reitender  Bote  der  Stadt  Colmar  (ßapp.  U.  B.)  —  Thenie  und  Pentelin 
Pfirt  Gebrüder  1424  (Kindler  68) 

2  Cart.  M.  II  N.  919  (918). 

3  Vgl.  Mossmann  «La  guerre  de  six  deniers,  Paris  68;  Graf  I 
202  ff.  Petri  155  ff. 

«  Cart.  M  N.  898. 


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-   19  - 

schädigen  wolle.  Die  Söhne,  Friedrich  und  Wilhelm, 
hätten  aber  ihr  väterliches  Erbe  von  ihr  erhallen  und 
«sind  aus  meiner  Ruthen  und  Straf  gewachsen».  Es  sei 
ihr  leid,  wenn  dieselben  etwas  gegen  die  Stadt  gethan, 
dafür  dürfe  man  jedoch  die  Mutter  nicht  strafen;  sie 
stehe  unter  dem  Herrn  von  Oesterreich  und  «in  siner 
Gnaden  Schirm». 

Mitten  in  diesen  «Krieg»  mit  den  Mülhausern  fiel 
übrigens  (1465)  eine  ritterliche  Fehde.  Ritter  Wersich 
Bock  von  Stauffenburg  1  auf  Schloss  Jungholz  hatte  eine 
«uffrechte  Ansprach  an  etliche  Edellüt  in  Lothringen* 
und  wandte  sich,  als  er  bei  Fürsten  und  Herren  nicht 
zu  seinem  Rechte  kam,  an  den  *tütschen  Adel».  Die 
Herren  zogen,  600  Mann  zu  Fuss  und  zu  Ross  (darunter 
auch  «300  Switzer»),  über  Thann,  Krüth  und  den  Col  du 
Ventron  ins  «Wackenthai»*,  plünderten  dort  Dörfer  der 
feindlichen  Edelleute  und  kehrten,  weil  «die  von  Tanne  sie  nit 
über  die  Steige  Ion  wollend,  miteimrob,  500  stug»,  durch 
das  Münsterthal  heim.  Auch  hier  wollten  die  Thalleute  den 
Durchmarsch  verwehren,  verloren  aber  dabei  38  Mann  an 
Todten  und  Verwundeten  sammt  ihrem  Banner,  das  Wer- 
sich triumphirend  in  Herlisheim  aufhing.  In  diesem 
Scharmützel  waren  u.  A.  dabei  die  Hattstatt,  die  Regis- 
heim  und  «die  Capler»* . 

1468  finden  sich  die  Namen  der  Brüder  Kappler  im 
Verzeichnisse  der  vorderöstreichischen  Stände  beider  Ge- 
stade, dem  sogenannten  «Landleutzettet»4,  und  1469  sind 


1  Er  stand  in  Diensten  des  Markgrafen  Jakob  von  Baden 
(Schöpflin  hist.  Zar.  Bad.  II  149). 

*  Veralteter  deutscher  Name  für  das  Thal  der  Moselotte  (nach 
dem  Ort  Vagney)  oder  für  das  vall6e  des  Roches  bei  Plombieres 
(Piaraserbad)? 

3  Mat.  Berler  Chr.  nnd  Basl.  Chr.  IV  345. 

4  Mone  Ztschr.  12,  469  ff.  Auch  Hans  von  Hagenbach,  ein  (?) 
Bruder  des  späteren  Landvogts  (Mone  III  187)  und  die  Rappoltsteiner 
Smasmann  und  Wilhelm  stehen  auf  dem  «Landleutzettel>.  Vgl  auch 
Huggle,  Gesch.  von  Neuenburg  153  und  155. 


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—    *)  - 

zu  dem  Landtag  in  Neuenbürg  am  14.  März  u.  A.  auch 
geladen  worden  :  «Wilhelm,  Fridrich  Kappler,  Gebrüder» 
Es  handelte  sich  um  Aufbringung  von  Geld  zur  Abwehr 
der  Schweizer.  Im  Verzeichnisse  der  Sländemitglieder, 
die  der  Vorlage  zustimmten,  steht  nur  Wilhelm. 

Es  ist  anzunehmen,  dass  die  Müller  kurz  vorher 
gestorben  war,  und  die  Brüder  nun  das  volle  Erbe  über- 
kommen hatten.  Wir  denken  uns  Friedrich  als  den 
Aelteren  jetzt  in  Gildweiler  sesshaft. 


IV. 
A. 

Unter  burgundischer  Herrsohaft. 

Die  Geschichte  der  Verpfändung  der  Vorlande  durch 
Herzog  Sigismund  (Vertrag  von  St.  Omer:  9.  Mai  1469) 
und  was  ihr  vorherging,  muss  als  bekannt  vorausgesetzt 
werden. 1 

Peter  von  Hagenbacli,  Karls  des  Kühnen  Landvogt 
in  den  Pfandlanden,  halb  Burgunder,  halb  Sundgauer, 
war  der  Ritterschaft  nicht  unwillkommen.  Er  ernannte 
sogleich  einen  Einheimischen,  Bernhard  von  Gilgenberg- 
Ramslein,  zu  seinem  Stellvertreter  und  zum  Präsidenten 
der  Regierung  in  Ensisheim,  die,  ganz  wie  zuvor,  aus 
dem  landsässigen  Adel  zusammengesetzt  war. 

Die  Kappler  kannte  der  Landvogt  jedenfalls  persön- 
lich ;  denn  Hagenbach  liegt  nicht  weit  von  Gildweiler. 


1  Näheres  und  Neustes  bei  Jäger  II  21  ff.,  Witte  «Zur  Gesch. 
der  bürg.  Herrsch.».  Ztschr.  N.  F.  I  S.  129 ff.  und  Neriinger  S.  4 ff. 


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21 


Vermuthlich  war  Friedrich 1  schon  in  der  ersten  Zeit 
unter  den  Rathen  in  Ensisheim.  Schöpflin  nennt,  wie 
wir  schon  wissen,  einen  Friedrich  Kappler  1471  sogar: 
«praefectus  Ensishemio»  und  rauss  dafür  doch  eine  Quelle 
gehabt  haben.  Demnach  wäre  Friedrich  der  Nachfolger 
Gilgenbergs  als  Vorsitzender  der  Regierung  gewesen,  * 
oder  der  Daliv  :  Ensishemio  bedeutet,  dass  er  Bürger- 
meister (u.  Schultheiss  ?)  der  Stadt  war.3 

Urkundlich  finden  wir  ihn  in  der  Thal  schon  1470  in 
Hagenbachs  Dienst.  Der  Landvogt  hatte,  zu  des  Adels 
Entzücken,  angefangen,  sich  an  Mülhausen  zu  reiben. 

Am  6.  Mai  1470 4  müssen  sich  die  Bürger  ver- 
pflichten, einen  Gefangenen  «mit  Namen  Specklin»,  der 
Herrn  Wilhelm  von  Rappoltstein  zugehörle,  « unverzüglich 
und  ohne  Schätzung»  ledig  zu  lassen,  und  am  25.  Mai 
geht  der  Landvogt  selbst  in  die  Stadt  und  fordert  sie 
auf,  sich  in  burgundischen  Schutz  zu  begeben  und  «aus 
einem  Kuhstall  ein  Rosengarten»  zu  werden.5 

Die  kleine,  überdiess  verschuldete  Reichsstadt  war 
übel  daran  und  musste  sich  schlechte  Behandlung  ge- 
fallen lassen. 

Die  Bürger  halten  ein  Pferd  Friedrich  Kapplers 
erschossen  ;  wo  und  wie  das  geschehen,  wird  nicht  gesagt. 

Da  schrieb  der  Landvogt  (am  17.  Sepl.  1470)  einen 
zunächst  «gütlichen»  Brief  an  die  Stadl/' 

«Liebe  Freund,  mir  ist  zukommen,  dass  ihr  Fridrich 
Cappelern,  der  meines  gnädigsten  Herrn  ton  Burgund 


1  Neben    des  Landvogts  jüngerem    Bruder,   Stephan  von  H. 

2  Schöpflin  (Als.  il).  II  S.  23)  führt  Gilgenberg  1469  als  «praeses» 
an.  Vgl.  Witte  (b.  S.  20  Anm.  1)  S.  141  Anm. 

3  Das  kann  praefectns  (nach  Du  Cange)  auch  heissen.  Mone 
(III  338)  vermuthet,  dass  Fr.  Kappler  später  in  Breisach  von  Hagen- 
bach zum  adeligen  Bürgermeister  (neben  dem  bürgerlichen)  ernannt 
worden  sei.  Diese  Annahme  gewänne  dadurch  eine  Stütze. 

*  Urk.  Buch  der  Landschaft  Basel  II  1037. 

5  Graf  1  248  ff.  Petri  180  fif. 

6  Cart.  M.  III  N.  1527  ohne  Ortsangabe,  aber  wahrscheinlich 
aus  Ensisheim 


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—   22  — 

Diener  ist,  ein  Pferd,  das  hundert  Gulden  werth  oder 
besser  gewesen  ist,  erschossen  habt,  ohne  dass  er  gegen 
euch  oder  der  Euern  Nutz  gehandelt  oder  etwas  vorge- 
nommen hat,  weswegen  ihr  ihm  solchen  Schaden  mit 
einiger  Billigkeit  hallet  zufügen  mögen.  Darum,  im 
Namen  und  an  Statt  meines  gnädigsten  Herrn  von  Bur- 
gund, forder1  und  begehr  ich  an  euch,  ihr  wollet  dem 
genannten  Friedrich  Cappeler  als  meines  gnädigsten 
Herrn  Diener  solch  Pferd  von  Stund  an  bezahlen». 

Als  die  Stadt  nicht  sofort  antwortete,  folgte  (und 
zwar  schon  am  19.  Sept.  !)  ein  zweites  Schreiben  Hagen- 
bachs aus  Ensisheim,  worin  die  Entschädigung  Kapplers 
und  Anderer  verlangt  und  mit  Vergellungsmassregeln 
gedroht  wird.1 

Für  den  November  war  ein  Slädletag  zu  Colmar 
angesetzt,  wo  über  die  Lage  des  verschuldeten  Mülhausen 
berathen  werden  sollte.  Da  erneute  der  Landvogl  sein 
Begehren,  die  Stadt  möge  sich  in  burgundischen  Schutz 
begeben,  und  unter  den  neun  Forderungen  an  sie  in 
seiner  «Anmuthung  auf  den  Tag  zu  Colmar»  vom  11. 
Nov.2  lautet  die  fünfte  : 

«Item  und  vor  allen  Dingen  sollen  die  von  Mül- 
hausen Fridrich  Cappeler  sein  Pferd  bezahlen.» 

Da  diese  drei  Briefe  aus  Ensisheim  sind,  wird 
auch  Kappler  dort  gewesen  sein  ;  jedenfalls  ersehen  wir 
daraus,  dass  er  dem  Landvogt  sehr  nahe  stand. 

Am  12.  Nov.  war  in  Ensisheim  grosser  Truppe n- 
zusammenzug.  Es  handelte  sich  um  die  Eroberung  der 
Orlenburg,  deren  Besitz  dem  Landvogt  wegen  der  Ver- 
bindung mit  Lothringen   durch  das  Weilerlhal  wichtig 


»  Ebenda  N.  1529. 

2  Cart.  M.  III  N.  1542  ohne  Ortsangabe,  aber  gewiss  auch  aus 
Ensisheim,  wo  schon  Tags  daranf  der  Truppenzusamraenzug  <  gegen 
Ottenburg)  stattfand.  Zudem  lautet  die  neunte  Forderung  :  «Item  die 
von  Mülh  sollen  in  Ensisheim  erscheinen  als  zu  einem  andern 
gütlichen  Tag  (auf  den  4.  Dec.) 


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23  — 


war.  Friedrich  Kappler  befand  sich  nicht  unter  den 
Aufgebotenen.1  Er  musste  eben  zu  dem  «gütlichen  Tag» 
mit  den  Mülhausern  (S.  22  Anm.2)  in  Ensisheim  bleiben.2 

Am  10.  Mai  verlangte  Karl  der  Kühne  die  Hilfe  der 
Pfandlande  gegen  Frankreich  :  «Alle  seine  Mannen  in  der 
Herrschaft  Pfirt  sollten  sich  zu  Ross  rüsten  auf  seinen 
Sold».  Der  Zuzug  war  schwach  ;  bei  der  Musterung  in 
Dammerkirch  erschienen  nur  99  Berittene,  im  Ganzen 
767  Mann.  Unter  den  elsässischen  Edlen,  die  Neriinger 
(S  66  ff.)  aufzählt,  fehlen  die  Kappler.  Auch  das  lässt 
vermuthen,  dass  Friedrich  vom  Landvogt  in  amtlicher 
Stellung  (in  Ensisheim)  zurückgelassen  wurde. 

Im  Herbst  schlössen  Burgund  und  Frankreich  einen 
Waffenstillstand  (zu  Senlis),  und  Hagenbach  kehrte  an 
den  Rhein  zurück. 

Alsbald  bot  er  (Januar  1473)  den  Mülhausen!  wieder 
die  burgundische  Schutzherrschaft  an.3  Die  Sladt  sei 
«ein  Unkraut  in  einem  Rosengarten,  das  man  ausreuten 
müsse.  Würde  das  aber  in  ein  Wesen  gebracht,  so 
könnte  die  Stadt  die  schönste  Zierde  des  Rosengartens 
«Elsass,  Sundgau  und  Breisgau»  sein,  und  «er  wüsste 
dann  nicht,  wo  er  lieber  wohnen  möchte». 

Den  anderen  elsässischen  Reichsstädten  wurde  es 
bange,  und  man  vereinbarte 4  (am  18.  März)  in  Basel 
ein  Schutzbündniss  gegen  Burgund  mit  den  Eidgenossen 


1  46  Geschlechter  sind  namentlich  aufgeführt.  (Witte,  Ztschr. 
N.  F.  VIII  ö51  ff.  u  I  151  ff.)  Vgl.  auch  Mone  201,  423,  42tf,  Nev- 
linger  35  ff. 

2  Dagegen  theilte  Wilhelm  K.  die  Gefangensetzung  des  Land- 
vogts bei  Ottenburg  durch  Reinhard  von  Schauenburg  auf  der 
Heimreise  aus  Flandern  und  verbürgte  sich  (mit  Friedrich)  für  die 
Zahlung  des  Lösegelds.  (Schauenburg  war  Mitbesitzer  der  von  Hagen- 
bach eingenommenen  Ortenburg  gewesen.)  Witte  ebenda  (I  lo4  ff.) 
and  im  Jahrbach  für  Schweizer  Gesch.  1885.  (Auch  Beiträge  zur 
vaterl.  Gesch.  von  der  hist.  Ges.  in  Basel  XIII  S.  363)  Also  auch 
hier  ein  Kappler  in  der  unmittelbaren  Umgebung  Hagenbachs. 

s  Cart.  M.  IV.  N,  1660. 
*  Cart.  M.  N.  1665. 


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—   24  — 


und  die  Auslösung  der  Pfandlande  durch  gemeinsame 
Vorschüsse. 

Am  28.  März  führte  nun  Hagenback,  wider  alles 
Herkommen  ohne  Befragung  der  Stände,  den  «bösen 
Pfennig»  ein,1  was  grosse  Unzufriedenheit  und  selbst 
Unruhen  hervorrief.  Auch  Breisach  weigerte  sich,  die 
Steuer  zu  zahlen  und  schickte  Gesandte  an  Herzog  Karl, 
der  dann  bestimmte,  die  Sache  solle  in  der  Schwebe 
bleiben,  bis  er  selbst  komme. 

Die  Gährung  im  Lande  muss  schon  damals  sehr 
gross  gewesen  sein.  * 


B. 

Der  Aufstand  in  Breisach. 

Im  October  1743  war  Hagenbach  bei  seinem  Herrn  in 
Trier.  Kaiser  Friedrich  III.  schien  um  der  burgundi- 
schen Heirath  willen  gegen  die  Baseler  Verbündelen  Partei 
ergreifen  zu  wollen.  Schon  im  Juli  hatte  er  dem  Land- 
vogt das  Recht  zugestanden,  das  Stadtschultheissenamt 
in  Mülhausen  zu  kaufen,3  und  nun  ergingen  von  Trier 
aus  neue  drohende  Aufforderungen  au  die  Stadt,  sich  der 
burguudischen    Oberhoheit  zu    unterwerfen.    Aber  die 


1  Eine  hohe  Weinsteuer.  Witte,  Zusammenbrach,  Ztschr.  N.  F. 
II  4  ff.  —  Neriinger  69  ff  —  Chmel,  Mon.  Habsb.  I  116  ff. 

8  Der  Elsässer  Graf  schreibt  1819  in  seiner  Gesch  von  Mülh. 
(I  247)  :  cAller  Groll  fiel  auf  Hagenbach  Der  Schweiz.  Chronist 
Schilling  bringt  nach  allen  «schentlichen  Sachen >,  die  er  nicht  nennt, 
als  Hauptverbrechen  gegen  ihn  vor,  dass  er  «gemein  Tutschland 
welscher  Zun?  wollt  unterthänig  machen».  Die  deutschen  Namen 
wurden  erbärmlich  verdreht,  wie  aus  ff.  Beispielen  erhellt :  Landgraf- 
schaft Oberelsass  =  Vicomte  d'Auxois.  auch  Aussois.  Aussay ; 
Ensisheim  =  Anguessel,  Mülhausen  =  Melehouse». 

3  Dem  kamen  aber  die  verbündeten  eis.  Städte  zuvor.  (Ner- 
iinger 91  Anm  1.) 


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25 


Verhandlungen  zwischen  Kaiser  und  Herzog  zerschlugen 
sich;  Friedrich  reiste  plötzlich  von  Trier  ab,  und  Karl 
zog  zornig  mit  grosser  Macht  durchs  Weilerthal  das  Land 
herauf.  Colmar  schloss  ihm  die  Thore.  Da  übernachtete  er 
(am  23.  Dez.)  im  Schlosse  von  Kienzheim  beim  Grafen 
von  Lupfen  und  Hess  sich  am  folgenden  Tage  in  Breisach 
huldigen. 1 

Dort  stand  jetzt  Friedrich  Kappler  als  oberster  Haupt- 
mann der  deutschen  Fussknechte,  nicht  ahnend,  was  ihm 
die  nächste  Zeit  bringen  sollte. 

Breisach  war  mit  burgundischer  Einquartierung 
überfüllt,  und  schon  während  der  Anwesenheit  des  Herzogs 
kam  es  zu  Ausbreitungen : 

„Man  brauchte  nicht  Heiberg  zu  geben: 
Jeglicher  nahm,  was  ihm  war  eben, 
Und  ich  sage  Euch  für  wohr, 
Sich  erhob  ein  wild  Rumor." 2 

Am  31.  Dez.  zog  Karl  nach  Ensisheim  weiter;  aber 
Ilagenbach  hatte  zum  Ersatz  800  Pikarden,  die  in  der 
Umgegend  einquartiert  gewesen,  am  Morgen  in  die  Stadt 
einrücken  lassen  zum  Schrecken  der  Bürgerschaft  und  zum 
Verdniss  der  deutschen  Söldner,  die  darin  ein  Zeichen  von 
Misstrauen  erblickten. 

Während  Karl  in  Ensisheim  war,  dort,  um  die 
Schweizer  nicht  vorzeitig  zu  reizen,  mit  Mülhausen  glimpf- 
lich verhandelte  und  endlich  (am  8.  Januar)  über  Thann 
und  Mömpelgard  nach  Besancon  ging,  hatte  die  welsche 
Besatzung  in  Breisach  8  allerhand  Rohheil  getrieben  und 
Hagenbach  selbst  angefangen,  die  beschworenen  Freiheiten 
der  Stadt  mit  Füssen  zu  treten.  Das  oberste  Richteramt 
wurde  in  die  Hände  eines  ganz  burgundisch  gesinnten 
Ritters,    Werner  von  Pforr,  gelegt.    Neben  ihn,  den 


1  Näheres  bei  Witte  (Zusammenbruch)  Ztschr.  N  F.  II  18  ff. 
*  Reimchronik  (Mone  III  304). 
3  Reimchronik  (Mone  III  313). 


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-  26 


Schultheiss,  trat  als  Obervogt  Stephau  von  Ilagenbach, 
des  Landvogts  Bruder.  Die  Zünfte  wurden  aufgelöst, 
mussten  Fahnen  und  Waffen  abliefern  und  durflen  sogar 
ihre  «Trinkstuben»  nicht  mehr  besuchen.  Die  Befreiung 
vom  «bösen  Pfennig»  hatte  der  Herzog  den  Breisachern 
schon  persönlich  abgeschlagen,  und  es  ist  anzunehmen, 
dass  Hagenbach  in  all  seinen  Massregeln  ganz  im  Sinne 
seines  Herren  handelte. 

Ende  Februar  sprengte  er  den  Stadtrath,  in  Begleitung 
eiuiger  herzoglicher  Rälhe  persönlich  die  bürgerlichen 
Mitglieder  aus  der  Sitzung  weisend.  Die  adeligen  Mit- 
glieder blieben,  und  unter  ihrer  Zustimmung  wurde  ein 
neuer  Rath  eingesetzt  mit  zwei  neuen  Bürgermeistern 
an  der  Spitze,  einem  adeligen  und  einem  bürgerlichen. 

Mittlerweile  hatte  Hagenbach  (am  24.  Januar)  in 
Thann  Hochzeit  gehalten  und  war  mit  seiner  jungen  Frau, 
einer  Gräfin  von  Thengen,  in  Breisach  eingezogen,  um 
in  der  geknechteten  Stadt  jene  berüchtigte  tolle  Fastnacht 
zu  feiern,  recht  eigentlich  «auf  einem  Vulkan  tanzend».1 

Der  neue  adelige  Bürgermeister  war  nach  Mones 
Vermutung  (III.  241  u.  a.)  Friedrick  Kappler.  Dabei 
hat  er  nur  das  Bedenken,  dass  es  in  der  Reimchronik  2 
(III  332,  55  ff)  heisst: 

«Der  Bürgermeister  ward  gesatt, 
 Mit  ihm  ein  Edeler  der  Stadt ;  > 

1  Ebenda  322  ff 

2  Die  Reimchronik  stammt  ans  dem  Jahr  1480,  und  ihr  Ver- 
fasser ist,  wie  Mone  glanbt  (III  254  ff),  der  abgesetzte  bürgerliche  Bür- 
germeister Stehelin,  weil  dessen  Namen  darin  nie  genannt  wird.  Auch 
der  Name  des  von  Hagenbach  eingesetzten  adeligen  Bürgermeisters 
wird  nicht  mitgetheilt,  sondern  nur  gesagt,  dass  er  des  Landvogts 
Hauptmann  war.  Als  solcher  erscheint  aber  Friedrich  Kappler  an 
erster  Stelle,  und  die  Verschweigung  seines  Namens  in  der  später  ja 
nicht  sehr  rühmlich  erscheinenden  Würde  eines  burgundischen  Bür- 
germeisters kann  als  eine  Schonung  Kapplers  durch  den  Chronisten 
gelten.  Neben  Kappler  war  freilich  auch  ein  geborner  Breisacher  von 
Adel.  Friderich  Vögelin,  Hauptmann;  aber  es  ist  unwahrscheinlich, 
dass  Hagenbach  einen  Einheimischen  als  Bürgermeister  eingesetzt 
hat,  und  Kappler  ist  nach  der  Reirachronik  offenbar  der  oberste 


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—   27  — 

denn  KappJer  sei  ja  nicht  aus  der  Stadt,  kein  Breisacher 
Edler  gewesen.  Aber  die  Worte  «der  Stadt»  können 
auch  der  Dativ  sein,  und  überdies  lautet  die  Lesart  der 
zweiten  Handschrift  der  Reimchronik  an  dieser  Stelle: 

«Der  Bürgermeister  ward  erweit, 
Ein  Edlen  anch  er  zn  ihm  stelt  » 

Es  ist  also  nicht  ausgeschlossen,  dass  der  frühere 
Präfectus  Ensishemio  und  jetzige  Hauptmann  Hagen- 
bachs dieser  Edle  war.  Dazu  stimmt  auch  das  schwankende 
Verhalten,  das  die  Reimchronik,  wie  die  spätere  Rolle 
Kapplers  vorbereitend,  den  adeligen  Bürgermeister  ein- 
nehmen lässl.  Das  schnöde  Auftreten  des  Landvogts  ist 
ihm  oft  in  der  Seele  zuwider  (III.  338,  45  ff.): 

«Wie  ich  vernahm, 

Der  Burger meister  kam, 

Der  Hageiibachs  Hauptmann  was, 

Und  sagt  dem  andern  Meister,  dass 

Er  beginne  sich  bekennen 

Des  Hagenbachs  Fürnemen, 

Dass  sein  Gewalt  wär  zu  viel, 

Die  er  treibe  mit  Yl 

Auf  die  arme  Stadt.» 

Aber  die  Bürgerschaft  weiss  von  dieser  inneren  Ge- 
sinnung nichts,  sondern  urtheilt  noch  hart  über  ihn 
(III.  338,  80  ff.) : 

«Ein  Bürgermeister  war  ein  Ritter, 

Der  ander  ein  Burger. 

Der  Ritter  war  Hagenbachs  Hauptmann; 

Was  Hagenbach  wollt  fahen  an, 

Das  schuf  auch  der  Ritter; 

Das  war  der  Gemeinde  bitter.  — 


Hauptmann:  Vgl.  die  Kap.  120,  121  und  126.  Kap.  100  (III  342) 
heisst  es: 

«Hagenbachs  oberster  Hauptmann 
Zu  dem  anderen  Bürgermeister  kam.» 

Kappler  wäre  sonach  etwa  gewesen,  was  wir  heute  «Stadtkomman- 
dant» nennen  und  als  solcher  vielleicht  zugleich  der  «adelige  Bür- 
germeister». 


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—    28  — 

Auch  Wilhelm  Kappler  war  damals  in  Breisach,  und 
die  Brüder  galten  draussen  als  gut  burgundisch.  Zu  An- 
fang des  Jahres  1474  war  Klaus  Hafner,  der  Leutpriester 
von  Gundersheim  bei  Rufach,  in  Breisach  gewesen  und  hatte 
dort  die  Kappler  gesprochen.  Im  März  kam  er  nach 
Basel  und  erzählte  seinem  Gastfreunde,  Heinrich  Rieher, 
von  diesem  Gespräch.  Die  Kappler  hätten  gesagt,  Strass- 
burg  und  Basel  hegten  im  Bunde  mit  Freiburg  böse  Ab- 
sichten auf  Breisach,  «daran  uns  (Baslern)  doch  ungütlich 
(Unrecht)  geschieht.»  1 

In  der  That  war  auch  Basel  an  dem  übrigens  miss- 
glückten Anschlag  Freiburgs  (s.  u.  S.  32)  unbetheiligt. 

Inzwischen  hatten,  von  Frankreich  beeinflusst,  die 
Eidgenossen  mit  Sigismund  weiter  verhandelt.  Am 
30.  März  kam  es  in  Konstanz  zur  «ewigen  Richtung» 
zwischen  ihm  und  den  Schweizern ;  Tags  darauf  schlössen 
die  Städte  der  «Niedern  Vereinigung»  (Colmar,  Schlett- 
stadt,  sowie  Basel  und  Strassburg,  einschliesslich  der 
Bischöfe)  ein  ßündniss  auf  10  Jahre  mit  den  Eidgenossen, 
und  Herzog  Sigismund  trat  der  «Niedern  Vereinigung» 
bei.  —  Der  «Pfandschilling»  wurde  zusammengeschossen 
und  in  Basel  hinterlegt.  Eine  Gesandlschaft  sollte  dem 
Herzog  von  Burgund  dies  und  damit  das  Ende  seiner 
Herrschaft  am  Oberrhein  anzeigen. 

Am  2.  April  läutete  man  in  Basel  mit  allen  Glocken, 
um  der  Freude  über  die  Wendung  Ausdruck  zu  geben, 
und  überall  in  den  Pfandlanden  wussle  man  nun,  dass 
die  Stunde  der  Befreiung  geschlagen  habe. 

Auf  dem  Felsen  von  Breisach  aber  sass  noch  der  Land- 
vogt, mehr  und  mehr  umflutet  von  Aufruhr  und  vergeblich 
auf  Entsatz  hoffend. 

Die  letzten  Tage  seiner  Herrschaft  und  die  Rolle 
Kapplers  in  dieser  Zeit  schildern  wir  nun,  soweit  das  nicht 
bereits  geschehen,  nach  der  Reimchronik. 

i  Baal.  Chr.  III  379  u.  Änm.  3. 


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—   29  - 

V. 
A. 

Friedrioh  Kappler  in  der  Reimchronik. 

Die  Nachricht  von  den  Abmachungen  in  Conslanz 
erhielt  Hagenbach  durch  einen  reitenden  Boten.  1 

«Da  der  Band  am  Bodensee 

War  mit  dem  Fürsten  (Sigism.)  beschlossen, 

Den  Hagenbach  hat  es  verdrossen.» 

Er  bot  den  Eidgenossen  die  vier  Waldstädte  an, 
falls  sie  auf  burgundische  Seite  träten,  fand  aber  keine 
Gegenliebe. 

«Aach  die  Bürger  erfahren  die  Mär, 
Wie  der  Band  beschlossen  war», 

und  dass  Sigismund  die  von  Hagenbach  besetzte  Stadt 
«in  kurzer  Stund»  wieder  einlösen  wolle.  Der  Landvogt 
hatte  aber  früher  geprahlt,  weder  der  Kaiser,  noch  Sigis- 
mund, noch  call  teutsche  Land»  würden  Breisach  lösen 
können.  Um  50  000  Gulden  seien  die  Lande  versezt, 
aber  für  Breisach  allein  nehme  der  Herzog  von  Burgund 
nicht  200000  Gulden; 

«Er  wolle  fürwahr  ein  Herr  sein 
zu  Brysach  auf  dem  Rhein,» 

Und  «habe  auch  Guts  genug». 

Jetzt  schickte  die  Bürgerschaft  eine  Abordnung  an 
den  Landvogt  mit  der  Frage,  wie  er  sich  in  den  gegen- 
wärtigen Umständen  verhallen  wolle.  Die  Antwort  lautete 
noch  ebenso  stolz :  «Kann  ich  auch  das  Land  und  die 
andern  Städte  nicht  halten,» 

«So  will  ich  doch  behalten  Brisach.» 

«Das  von  Gotts  Gnaden  nit  beschach»,  setzt  der 
Chronist  hinzu. 


«  Cap.  99  (Mone  III  340). 


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I 


—   30  - 

Auch  unter  den  deutschen  Söldnern  gährte  es  bereits. 
Sie  waren  bei  den  Bürgern  nur  auf  Dach  und  Fach  ein- 
quartiert und  konnten  ihnen,  da  sie  lange  keine  Löhnung 
erhalten,  die  aufgewachsenen  Verpflegungskosten  nicht 
zahlen.  Als  eines  Tages  der  Landvogt  «die  Söldner  alle 
beieinander  halte»  und  diese  ihn  um  Geld  baten,  gab  er 
ihnen  im  Zorne  den  Bescheid:  «Schlag*  Jeglicher  seinen 
Wirth  zu  todt!»    Da  «antwurl  Friedrich  Kappler:»1 

«0  Herr,  das  ist  zu  schwer! 

Sollten  wir  ohn'  alle  Noth 

Schlagen  unsre  Wirth'  zu  todt? 

Sie  haben  uns  anch  gethan  nüt  (nichts); 

Es  sind  anch  fromme  Lüt. 

Sie  mögen  es  nicht  mehr  erzügen, 

Wie  wir  es  auch  fügen, 

Dass  man  mit  den  Lüten  redte, 

Dass  sie  Geduld  hätten! 

Denn  mit  solchen  Sachen 

Möcht  sich  nichts  Guts  machen, 

Und  ob  ich  das  wolt  thun, 

So  will  ich  ehe  Urlaub  hon!» 

Auch  «die  andere  All»  sprachen  in  diesem  Sinn;  aber 
der  Landvogt  war  über  den  Einspruch  Kapplers  in  Wuth 
gerathen, 

«wollt'  ihn  nit  entlassen, 

Sprach :    «Ein  Dreck  auf  Din  Nasen  !> 

Mir  ist  es  nit  zu  vil, 

Ihr  müssen  thun,  das  ich  wil» 

So  schieden  sie  von  einander  und  hatten  «ein  gross  Ver- 
wunder». 

Die  heimkommenden  Söldner  erzählten  ihren  Wirthen 
den  Auftritt,  und  beiderseits  kam  man  überein : 

«dass  wir  nit  ohn  Noth 
Einander  schlagen  todt.» 

Der  «oberste  Hauptmann»  aber,  Friedrich  Kappler 


i  Cap.  100  (Mone  III  342). 


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—  Si- 
eben, begab  sich  (so  ging  das  Gerücht)  zu  «dem  andern 
Bürgermeister» 

«und  sagt1  ihm  die  Mären, 

dass  sie  all  verrathen  wären.»  — 

Um  die  Zeit  legte  ein  grosses  Schiff  bei  Breisach  an. 
Alsbald  hiess  es  in  der  misstrauischen  Bürgerschaft,  das 
habe  der  Landvogt  bestellt,  um  für  den  Fall  einer  Be- 
lagerung die  Frauen  aus  der  Stadt  zu  bringen  und  weiter 
unten  im  Rhein  zu  ertränken !  Und  weil  Hagenbach  über- 
haupt nicht  abliess,  den  Bürgern  «allermeist  Ungemach 
zu  schaffen»,  so  liefen  ihrer  viele  zu  dem  Bürgermeister 
und  klagten  ihm  ihre  Noth  : 

«Helfen  Ihr  uns  nit,  so  sind  wir  todt; 

Wir  mögen  nit  mehr  bleiben. 

Wenn  Ihr  uns  so  schändlich  lasst  vertreiben. 

Denn  des  Hagenbachs  mutwill 

Ist  uns  worden  zu  viel !»  1 

Dieser  Bürgermeister  wird  wohl  der  adelige,  der 
«oberste  Hauptmann»  gewesen  sein ;  denn  was  hätte  den 
Leuten  der  bürgerliche  helfen  können? 

Nun  tritt  in  der  Reimchronik  ein  anderer  Hauptmann 
auf  (Vögelin) : 

«Auch  ein  Edler,  Hagenbachs  Hauptmann. 
Zu  den  Bürgern  bald  kam» 

und  warnte  sie  vor  des  Landvogts  «Anschlag»  ;  mancher 
werde  gefangen  gesetzt  und  um  einen  Kopf  kürzer  ge- 
macht werden.  Da  baten  ihn  die  Bürger  um  seinen  Rath: 

€  Hauptmann,  gebet  dazu  Rath ; 

Ihr  seid  ein  Burger  in  dieser  Stadt!»2 

und  er  räth  ihnen,  «die  Nachbarn  zur  Hilf  zu  nehmen» 
und  den  Herzog  Sigismund  von  ihrer  Lage  zu  benach- 
richtigen. Die  Bürger  meinen  aber,  der  Herzog  «sei  noch 


i  Cap.  101  (Mone  III  843). 

*  Dieser  Hauptmann  war  also  der  aus  Breisach  gebürtige  Fried- 
rich Vögelin.  «Auch  ein  Edler»  =  Noch  ein  Edler  oder:  ein  an- 
derer Edler,  als  der  vorher  genannte  «oberste  Hauptmann». 


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—    32  — 


zu  fern  zur  Stund'»,  und  beschliessen,  sich  an  Freiburg 
und  den  östr.  Statthalter  im  Breisgau,  Dietrich  von  Rum- 
lang, zu  wenden.  Gleichzeitig  solle  aber  auch  der  Herzog 
von  Burgund  von  «seines  Landvogls  bösen  Geschichten» 
Kunde  erhalten. 

Ein  nächtlicher  Zug  der  Freiburger  zur  Ueberrurape- 
lung  Breisachs  misslang: 

«Es  führten  sie  ihr  Haaptleut 

Fast  um  im  Feld  zu  weit  

Sie  zogen  zu  Friburg  wieder  ein 
Und  liessen  Breisach  in  der  Pein.» 

Einige  Bürger,  die  sich  besonders  schuldig  fühlten, 
entwichen  aus  der  Stadt,  die  Hagenbach  jetzt  nur  noch 
härter  drückte. 

Persönlich  lief  er  «von  Thor  zu  Thor»  und  hängte  die 
Schlüssel  an  sich;  neue  Bollwerke  wurden  aufgeworfen, 
neue  Gräben  gezogen  : 

«Das  mnssten  bezahlen  die  armen  Barger ; 
Das  war  der  Stadt  zu  schwer.» 

Dazu  kam  noch  die  Löhnung  der  Söldner  «aus  dem 
Geld  der  Bürger».1 

Die  Anrufuug  Freiburgs  war  nicht  vom  Stadtrath 
als  solchem  ausgegangen,  sondern  von  den  Bürgern,  zu 
denen  Vögelin  gekommen  war.  Drei  gefangene  Knechte 
aber,  denen  der  Landvogt  «grosse  Pein  anthat»  (Folter?), 
gaben  auf  die  Frage,  wer  es  mit  den  Freiburgern  gehabt 
habe,  verworrene  Antworten  : 

«Es  sind  etlich  vom  Rath  

Unsre  Bürgermeister 

Haben  gesagt  der  Stadt  Beschwer  

Sie  rief  an  die  Gemein  .... 

Er  (wer?)  uns  gemahnt  hat. 

Er  hats  nit  geton  ohn'  (den)  Rat  .... 

So  sind  wir  gehorsam  gewesen.» 2 


»  Cap.  102;  104;  107. 

2  Die  drei  Knechte  scheinen  die  Botschaft  nach  Freiburg  ge- 
bracht zu  haben. 


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—   33  — 

Die  Sache  wurde  vor  das  Gericht  des  Stadtrathes 
gebracht;  denu  der  Landvogt  zählte  auf  seine  Anhäuger 
in  demselben ;  aber  der  Stadtrath  fällte  kein  Urtheil,  und 
auch  der  Schultheiss,  zu  dem  nun  Hagenbach  «lief» ,  fand 
es  zweckmässig,  mit  einem  Schuldig  zurückzuhalten.  So 
Hess  Hagenbach  die  Knechte  laufen ;  aber,  da  offenbar 
Mitglieder  des  Raths  die  Hand  mit  im  Spiel  gehabt  hatten, 
traute  er  dieser  Körperschaft  nicht  mehr  und  *  setzte  wieder 
einen  neuen  Rath*  ein.1  Ob  dabei  auch  die  beiden  Bür- 
germeister wechselten,  ist  nicht  gesagt,  aber  wahrschein- 
lich. Der  Spielraum  des  Rathes  wurde  ohnehin  täglich 
kleiner,  je  mehr  sich  die  Dinge  zuspitzten.  In  der  Reim- 
chronik ist  gar  nicht  mehr  die  Rede  von  ihm  ;  man  stand 
thatsächlich  unter  dem  Kriegsrecht. 

Reitende  Wachen  durchzogen  die  Strassen ;  auf  dem 
Berg  neben  dem  Chore  des  Münsters  wurden  drei  «Haupt- 
büchsen» aufgestellt  und  erprobt ;  dabei  zersprangen  die 
Fenster  des  Gotteshauses : 

«Fromme  Leute  sprachen  : 

Das  ist  ein  Mathwill  gross. 

Die  Edlen  und  Söldner  es  (auch)  verdrösse 

Um  diese  in  guter  Stimmung  zu  erhalten,  schlug 
ihnen  der  Landvogt  «eine  Küche»  auf  im  «Haus  zum 
Juden  auf  der  Herrensluben».  Da  «sass  nun  zu  Tisch 
mancher  Ritter  und  Knecht  frisch»,  und  wenn  die  Mahl- 
zeiten begannen,  musste  die  —  Rathsglocke  geläutet 
werden.2  Auch  am  persönlichen  Eigenthum  vergriff  sich 
Hagenbach;  er  Hess  Häuser  aufbrechen  (wohl  solche  von 
flüchtig  gewordenen  Einwohnern) 

«und  was  er  darin  fand, 

Führt  er  von  der  Stadt  zu  Hand.> 

Seine  Hauptleute  widerriethen  ihm  das ;  aber  er  ach- 


1  Cap.  112. 

2  Cap.  113  u.  114. 

3 


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—   34  — 


tele  nicht  auf  sie,  so  dass  auch  unter  ihnen  mehr  und 
mehr  die  Meinung  Fuss  fasste, 

«Dess  Hagenbachs  Regiment 
Nimmt  nimmer  ein  gut  End'.» 

* 

Dabei  Hess  er  an  der  Befestigung  der  Stadt  weiter- 
arbeiten und  schickte,  weil  er  «den  Teutschen  nicht  mehr 
getrauen  wollt,  in  welsche  Land  nach  den  Pickarden* 
die  im  December  73  mit  Herzog  Karl  in  ßreisach  gelegen 
hatten.1  Bis  Thann  ritt  er  diesen  Hilfstruppen  entgegen, 
hatte  aber  Mühe  eingelassen  zu  werden :  «die  Burger 
trugen  Harnisch  an».  Und  als  er  hierauf  mit  den  Pikarden 
auf  dem  Weg  nach  Breisach  in  Eimsheim  Einlass  be- 
gehrte, wurde  er  abgewiesen.  Der  Thorwächter  sagte: 

«Die  Welschen  wellen  wir  hier  entbehrn !» 

Am  6.  April  kam  er  mit  ihnen  vor  Breisach  an  und 
fürchtete, 

«dass  ihm  auch  (hier)  würde  beschehen 
Was  er  zu  Thann  und  Enssin  hat  gesehen;» 

aber  die  Stadt  war  ja  «mit  Gewalt  bezwungen»,  und 
«die  Zoller»  öffneten  das  Thor.  Dabei  hörlen  sie  ihn,  als 
er  «den  Welschen  vorritt»,  ganz  deutlich  sagen: 

«Hier  bring'  ich  eitel  Mörder  und  Böswicht; 
Die  fähr  ich  mit  mir  herein. 
Den  Bnrgern  zu  fügen  Pein.»  2 

Nun  galt  es  die  welschen  Ankömmlinge  einzuquar- 
tieren. Hagenbach  befahl  den  deutschen  Söldnern,  den 
Pikarden  ungesäumt  in  den  Bürgerwohnungen  Platz  zu 
machen : 

«Das  war  den  teutschen  Söldnern  nit  eben, 
Da  hub  sich  ein  wildes  Leben.» 

Hagenbach  schickte  «nach  dem  Hauptmann,3  Frid- 


1  Cap.  115. 

2  Cap.  116  bis  118. 

8  Auch  hier   erscheint  K.  zweifellos  als  der  oberste  Haupt- 
mann. —  Die  wesentliche  Richtigkeit  der  Darstellung  des  Sachver- 


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—   35  - 

rieh  Capler  war  sein  Nam' ;»  aber  eine  Abordnung  «der 
Ritler  und  Knecht»  war  schon  auf  dem  Wege  zu  ihm. 
Kappler  und  die  «Edlen»  wurden  vorgelassen  und  übel 
empfangen  : 

«Ihr  hant  nit  recht  gethan, 

Dass  ihr  die  Welschen  nit  hant  eingelan; 

Fürwahr,  sag  ich  euch: 

Welcher  den  Welschen  nit  weicht, 

Dem  will  ich  bei  meinem  Leben 

Keinen  Sold  mehr  geben. 

Das  sag  ich  Jedermann; 

Wem  es  nicht  fugt,  der  mag  Urlaub  han!> 

Da  antwortete  *der  Capler*  : 

«Landvogt,  sind  wir  Euch  so  unehr, 
Dass  wir  unser  Herberg  sollten  rumen 
Und  die  Welschen  darin  lassen  kumec  ? 
Es  ist  (das)  nit  gross  noth 
Und  war'  uns  allen  ein  Spott!» 

Der  Landvogt  erwiederte :  «Seid  ihr  meine  Herrn  ?» 
Wollt  ihrs  nicht  thun,  so  sollt  ihr  sofort  alle  «Urlaub 


halte  in  der  Reimchronik  wird  bestätigt  durch  ein  gleichzeitiges 
Schreiben  Strassburgs  an  Freiburg.  (Schreibers  Urkundenbuch  der 
Stadt  Freiburg  II  540.)  Strassburg  hatte  «zwei  Diener  um  Erfahrung» 
aasgeschickt,  und  «Philipp  von  Mülheim,  der  Meister  und  der 
Rath»  melden  nun  den  Freiburgera,  was  diese  Boten  berichtet:  .  .  . 
«Auch  ist  mir  geseit  (am  Gründonnerstag  in  Colmar),  als  die  Pickart 
an  der  mittwoch  in  Brisach  kommen  sint,  do  habent  sie  glich  an 
Donnerstag  unterstanden,  den  lüten  ire  türen  uffzubrechen  und  iren 
hochmut  mit  ihnen  zu  beginnen.  Do  hobent  die  Tütsehen,  so  vor  da- 
rinnen gewesen  sint,  Cappeler  und  andre,  sollichs  nit  wöllen  gestatten 
und  sind  also  fast  uneins  miteinander  worden.  Da  sei  der  Hagenbach 
zuokommen ;  do  habent  die  tütschen  im  kurtz  geseit,  sie  wöllen  sol- 
lichs nit  liden;  ouch  so  wölten  sie  iren  sold  haben,  den  man  inen 
schuldig  sei.  Do  habe  der  Hagenbach  zuo  inen  geredt,  sie  darumb  uf- 
zerichten,  und  hot  sie  damit  ledig  geseit  ir  gelübde  und  irs  dienst  es.» 
—  Diese  und  andere  Scenen  wurden  natürlich  mannigfach  im  Munde 
<ier  Leute  ausgeschmückt  und  entstellt.  So  weiss  Edlibach  (S.  141) 
von  einem  Bruder  des  «Hauptmanns»  zu  erzählen,  der  den  Harnisch 
nicht  habe  ablegen  wollen  und  deshalb  vom  Landvogt  eingekerkert 
worden  sei.  Der  Hauptmann  begehrte  die  Befreiung,  aber  Hagenbach 
wollte  ihn  nicht  ledig  lassen,  sondern  «im  sin  Augen  ausstechen». 
Da  sei  der  Hauptmann  vom  Zorn  übermannt  worden  und  «wollt  ihn 
erstochen  haben»  u.  s.  w. 


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-   36  - 


han  !»  Da  gaben  der  Hauptmann  und  «die  Edlen»  ihre 
Entlassung,  worauf  sie  Hagenbach  zornentbrannt  anschrie : 
«So  halt'  ich  Euch  alle  für  Narren!» 

«Antwort  ihm  der  Hauptmann: 
So  hant  Ihr  thöricht  gethan, 
Dass  Ihr  nähmet  Hauptlit, 
Die  Euch  können  rathen  nit !» 

und  wiederholte  seine  Bitte  um  Eullassung. 

Nun  wurde  die  Sache  dem  Landvogte  doch  bedenk- 
lich ;  denn  wie  sollte  er  ohne  die  Hauptleute  mit  den 
aufsälzigen  Söldnern  fertig  werden?  Darum  bat  er  «den 
Capler», 

<Das8  er  sein  Diener  bliebe 
Und  sich  nit  also  von  ihm  schiebe.» 
«Aber  der  Cappler  gab  Antwort  gedrot, 
Er  war  seiner  nit  zum  Herren  not.» 

Das  121.  Kap.  trägt  die  Ueberschrifl  :  «Wie  sich 
Herr  Fridrich  Capler  und  die  andern  Edeln  zusammen- 
hielten und  wahrnahmen  uf  die  Welschen»  und  erzählt 
kurz,  dass  «Kappler  und  die  Edlen»  in  einem  Hause 
«zusammengehalten»  und  beschlossen  hätten,  sich  «zur 
Wehr  zu  setzen»,  wenn  Hagen bach  etwas  «fürnähme 
mit  dem  welschen  Heer.»  —  Unter  der  Bürgerschaft 
war  es  bekannt  geworden,  dass  die  Edlen  Urlaub  ge- 
nommen hätten  und  die  Stadt  verlassen  wollten.  Das- 
war  eine  schlechte  Bolschaft  ;  denn  den  Führern  wären 
wohl  die  Söldner  gefolgt,  und  dann  halten  die  Bürger 
allein  mit  den  Pickarden  fertig  werden  müssen.  Darum 
baten  sie  die  Edlen,  «als  frome  Landsleut»  sie  nicht  zu 
verlassen,  und  fanden  Gewährung  : 

«Die  Edlen  bei  ihnen  blieben.» 

So  waren  also  die  deutschen  Söldner  eigentlich  ohne 
Officiere,  da  die  «Edlen»  dem  Landvogt  ihre  Entlassung 
gegeben  hatten  ;  aber  die  bisherigen  Führer  befanden 
sich  doch  noch  am  Ort  und  konnten  ihren  mässigenden 
Eintluss  auf  Mannschaft  und  Bürger  geltend  machen. 


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-   37  - 


Wahrscheinlich  um  die  Söldner  zu  beschäftigen, 
befahl  ihnen  nun  der  Landvogt,  vor  der  Stadt  einen 
Graben  zu  ziehen  ;  auch  die  Bürger  sollten  mitarbeiten. 
Da  verbreitete  sich  die  Rede,  Hagenbach  wolle  auf  diese 
Weise  die  Söldner  und  die  wehrhaften  Bürger  aus  der 
Stadt  schaffen.  Deshalb  weigerten  sich  «die  Teutschen» 
wie  ein  Mann,  vor  das  Thor  zu  gehen,  es  sei  denn,  der 
Landvogt  gebe  jedem  Deutschen  auch  einen  Welschen 
zur  Arbeit  mit.  Und  ohne  eigentliche  Verabredung,  waren 
die  Söldner  und  «etliche  der  Gemein»  auf  den  Gedanken 
gekommen,  wenn  der  Landvogt  trotzdem  die  «Teutschen» 
allein  zur  Arbeit  vor  dem  Thor  «auftrommeln»  lasse, 
ihn  «zu  strafen»  und  «die  Welschen  von  der  Stadt  zu 
weisen.» 

«Es  war  ein  grosses  Wunder. 
Da88  jeglicher  besunder 
Des  andern  Meinung  wisst 
So  gar  in  kurzer  Frist.»1 

Das  Alles  trug  sich  am  Ostermontag  zu  (10.  April). 
Hagenbach  war  in  das  Haus  zum  Juden  gegangen,  wo 
er  den  Söldnern  ihre  «Küche  aufgeschlagen»  hatte.  Er 
hoffte  wohl,  dort  die  Leute  zum  Gehorsam  zu  bringen. 
Aber  einer  der  ehemaligen  Hauptieute,  der  Breisacher 
Vögelm,  sass  unter  den  Knechteu  und  führte  das  Wort 
gegen  den  Landvogt,  als  dieser  den  Söldnern  befahl,  die 
Harnische  abzulegen.  Hat  Hagenbach  das  überhaupt 
befohlen,  so  wird  es  wohl  nur  für  die  Zeit  der  Arbeit 
am  Graben  gemeint  gewesen  sein.  Aber  Vögelin  erwiderte  : 

«Herr,  wir  wollen  das  nit  thun!> 

Nur  wenn  die  Welschen  auch  die  Harnische  abzögen 
und  mitgraben  müssten,  werde  man  gehorchen.  Da  schrie 
der  Landvogt:  «Ihr  seid  Schälk  und  Buben».  «Einer 
lugte  den  Andern  au»,  und  Hagen bach  «wich  in  sein 
Haus».2 


*  Cap.  128.  -  2  Cap.  124. 


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—   38  - 


Nun  Hess  Vögelin  die  Trommeln  rühren.  Söldner 
und  Bürger  liefen  «in  Harnisch»  zusammen,  Schwerter 
und  Spiesse  blitzlen  und 

«Alle  schrien  einander  an  : 

Rett,  rett  from  deutscher  Mann  ! 

Etlich  :  rett  römisch  Reich  ! 

Die  andern :  Das  Hans  von  Oesterreich  !  > 

Die  Pikarden  flüchteten  von  den  Gassen  in  die 
Häuser,  die  Bürger  besetzten  die  Thore,  aber1 

«nit  mehr,  als  ein  Mensch  ward  wund». 

Da  schickte  der  Landvogt  in  seiner  Angst  *nach 
dem  Cappler*  : 

«0  Hauptmann,  min  lieber  Herr, 
Wendet  noch  heut  diese  grosse  Noth, 
Dass  wir  nit  alle  liegen  tot  !» 
Cappler  hat  sin  Harnisch  an 
Und  lief  da  als  ein  Biedermann 
Mit  andern  frommen  Edelleut 
Die  da  lagen  zu  der  Zeit. 
Cappler  schrie  uf  der  ban, 
Dass  der  Schweiss  im  über  die  Backen  abran  : 
«Losen  zu  (hört  zu),  ihr  frommen  burger, 
Lasst  euch  die  Sach  nit  liegen  also  schwer 
Und  lasst  mich  mit  euch  reden  ! 
Ich  will  schaffen,  dass  Euch  zu  bedeu 
Syten  wird  gut  Rot  ! 
Bringen  Euch  selbs  nit  in  grosse  Not!» 

Auch  der  Landvogt  gab  die  besten  Worte  ;  (die 
Menge  hatte  sich  inzwischen  auf  dem  Platz  vor  seinem 
Hause  gesammelt)  und  versprach  sogar,  die  «Welschen» 
morgen  abziehen  zu  heissen.  Aber  man  glaubte  ihm 
nicht ;  es  sollte  sofort  geschehen  ; 

«Hagenbach,  die  Welschen  müssen  hinaus, 
Oder  sie  müssen  alle  sterben, 
Und  sollten  wir  verderben  !» 


i  Cap.  125. 


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—   39  - 


Da  ergriff  Kappler  das  Wort : 

«Landvogt,  was  wollen  Ihr  nun  thun  ? 

Bedenkt  Euch  kurz  und  bald  ! 

Käme  auf  uns  der  gross  Unfall 

Und  fingen  all  an,  zu  schlahen, 

Sie  würden  keinen  fahen  ; 

So  kämen  wir  erst  in  Noth 

Und  würden  alle  geschlagen  zu  todt!» 

Nun  gab  der  Landvogt  nach  : 

«Wollt  Ihr  meines  Herrn  bliben, 

So  will  ich  die  Bicharden  usstriben  !» 

Die  «Gemeinde»  antwortete  : 

Was  wir  schuldig  sind 
Dem  von  Burgünd, 
Dabei  lassen  wirs  bliben. 
Was  uns  der  Fürst  hat  verschriben 
Und  Ihr  als  ein  Landvogt 
Geschworen  habt  und  gelobt, 
Dem  wollen  wir  nachleben 
Oder  all  darum  sterben  !» 

Da  gebot  der  Landvogt  den  Pikarden  auszuziehen, 
und  diese  waren  froh,  aus  der  Stadt  zu  kommen.1 

Söldner  und  Bürger,  letztere  mit  dem  Banner  von 
Oestreich  und  dem  Stadtbanner,  bildeten  eine  Gasse, 
durch  die  die  Welschen  gehen  inussten.  Aber  mit  dem  Er- 
folge wuchs  der  Mulh  der  Bürgerschaft ;  man  blieb  die 
ganze  Nacht  unter  den  Waffen  ;  Wein  und  Brot  wurde 
aufgetragen  ;  die  Köpfe  erhitzten  sich,  je  mehr  man  über 
die  Erlebnisse  der  letzten  Stunden  und  Ilagenbachs 
Bedrückungen  redete,  und  plötzlich  «sprach  jeglicher  aus 
einem  Mund»  : 

«Hagenbach  hat  übel  an  uns  gefahren  ; 
Wir  wollen  ihn  nit  länger  sparen ! 
Der  uns  hat  bracht  in  disse  Noth, 
Der  muss  vor  uns  liegen  todt  !» 


»  Cap.  126. 


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—    40  — 

Und  sie  liefen  «ihm  für  sein  Haus  und  wollten  ihn  neh- 
men heraus». 

Aber  gleichzeitig  kam  auch  *der  alt 1  Hauptmann 

getreulich  zu  Hagenbach»  gelaufen  und  mit  ihm  andere 

Edle    «als    Schiedsleute».    Wiederholt    «schrie   er  die 

Burger  an»  ; 

«Lieben  Freund,  was  wend  ihr  than  ! 
Ich  will  euch  rathen  und  sagen, 
Ihr  sollen  Friden  halten  !> 

Aber  die  Bürger  Hessen  sich  nicht  beruhigen ;  «sie 
wollten  Ilagenbach  han». 

«Der  Capler  mil  seiner  Mannheit 

Den  Burgern  widerstreit, 

Und  schrie  sie  fast  an, 

Dass  ihm  das  Blut  zum  Mund  ussrann. 

Dabei  merkt  man  sein  Frommekeit, 

Die  er  an  beide  Theil  hat  geleiU 

Dass  Niemand  weder  schlüg  noch  stech', 

Und  kein  Theil  an  den  andern  brech', 

Und  ansehen  beide  Theil  ihr  Eid, 

Den  jeglicher  Theil  mit  Unterscheid 

Dem  anderen  geschworen  hat>. 

Die  Menge  aber  schrie  dagegen  : 

«Hagenbach  hält  weder  brief  noch  Sigel . . . 

Darum  muss  er  sterben. 

Und  tollten  wir  all  darumb  verderben  !> 

Dem  «frommen  Fridrich  Capler»  wurde  die  Ver- 
mittlung immer  schwerer,  und,  um  nur  den  Landvogt 
vor  dem  wüthenden  Volke  zu  reiten,  rief  er  zuletzt: 

«Wend  ihr  nit  anders  überein, 

So  sollen  ihr  ihn  gefangen  nehmen  ; 

Das  wurd  euch  bass  gezemen, 

Und  füget  ihm  nichts  zu.  als  mit  Recht. 

Sonst  wird  euer  Sach  bass  schlecht ! 

Und  ich  sag  euch  by  meinem  eid  : 

Thut  ihrs  nit,  es  wird  euch  leid  !» 

1  Der  alt  Hauptmann  =  der  Althauptmann  =  der  frühere  (ober- 
ste) Hauptmann;  vgl.  Altammeister  u.  s.w. 


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—   41  - 


Da  gehorchten  die  Bürger  «dem  guten  Mann».  Sie 
ergriffen  den  Landvogt  und  führten  ihn,  ohne  weiter 
handgreiflich  zu  werden,  «auf  der  Herren  Stuben  in  das 
Haus  zum  Juden».  Die  Menge  folgte  «vor  und  nach» 
und  blieb  vor  dem  Hause  versammelt.  Hagenbach  redete 
noch  beschwichtigende  Worte  durchs  Fenster  : 

«Ist  es  euch  nicht  eben, 
Den  bösen  Pfennig  zu  geben,  — 
Nun,  Alles,  das  ich  euch  uf  gesatt. 
Sei  ab  (geschafft)  uf  diesen  Tag  !» 

Aber  die  Antwort  scholl  hinauf :  «Hagenbach,  dir 
ist  nit  zu  trauen»  !  — 

«Der  Hauptmann*,  der  den  gefangenen  Landvogt 
begleitet  hatte,  sagte  zu  ihm  : 

< Hagen bach,  wie  wend  Ihr  nun  than  ? 
Die  Gemein  ist  erzürnet  gar !» 

Hagenbach  antwortete  : 

«Rat  an,  lieber  Capj)ler ; 

Die  Sach  liegt  mir  zu  schwer». 

Und  Kappler  erwiderte  (was  blieb  ihm  auch  anderes 
übrig  ?)  : 

«So  rath  ich  Euch  eben, 

Ihr  sollen  Euch  (ruhig)  gefangen  geben>.* 

Vier  Edle,  acht  Bürger  und  vier  Söldner  wurden 
mit  der  Hut  des  Gefangenen  beauftragt.  — 

Alsbald  trat  auch  der  von  dem  Landvogt  aufgelöste 
Stadtrath  wieder  zusammen  und  schickte  an  den  Herzog 
von  Burgund  als  den  Pfandherrn  eine  «Geschrift»  über 
das  Geschehene,  übernahm  aber  zugleich  (denn  «die 
von  Brysach  waren  wise  im  Rot»)  die  bisherigen  Söldner 
Hagenbachs  in  den  städtischen  Dienst. 2 

Aber  schon  nach  wenigen  Tagen  erschienen  die 


1  Cap.  127  u.  128. 

2  Cap.  130.  —   Der  Hauptmann  Vögelin  trat  bald  in  Strass- 
burgische  Dienste  (vgl.  Mone  III  434). 


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—   45  — 


wir  in  wider 1  von  den  knechten  in  sin  herberg.  Do  was 
von  stund  an  die  ganz  gemeind  gerüst  mit  gewerter 
handt  uff  dem  platz  und  zögent  do  zesammen.  Do  wüsten 
wir  nit,  wie  wir  uns  in  den  Dingen  hallen  sollent ;  dann 
es  gieng  so  kurtz2  zu,  das  wir  nit  enwüsten,  wen  es 
berürte,  biss  das  sy  alle  gemeinicklich  schrüwent  über 
die  Wallen.  Do  wir  nu  das  hörten,  do  mochten  wir  nit 
ze  ziten  in  unsern  harnasch  kommen,  und  uns  wart  nit 
anders,  dann  das  wir  uns  do  zwuscben  leitent  und  het- 
lent  gern  gescheidn  und  die  dingk  abgeleitt.  Das  vieng 
an  um  die  6  uren  am  ostertag  ze  obeud  und  werte  die 
gantze  nacht  nutz  mornens  schier  ze  mittag?  und  wir 
alle  nit  kondent  dovor 4  sin  ;  dann  sy  woltent  das  volck 
hiuuss  haben.  Do  wir  sohend,  das  nit  anders  darann  was, 
do  traffen  wir  einen  tedingk  5  mit  inen,  das  sy  noch  by 
derselben  nacht  zu  füss  hinuss  komment  on  harnasch, 
und  werent  wir  nit  gewesen,  so  weren  ir  keiner  dovon 
kommen.  Und  mornens  früge  schicklenl  wir  inen  ir  habe, 
pferd  und  harnasch;  domit  demselben"  verlürent  sy  ett- 
was  geltz,  das  nit  eine  kleine  summ  was,  und  ein  leill 
irs  harnasch.  Dornach,  do  das  beschach,  do  icas  dennocht 
die  gantze  gemeind  mit  irem  bannr  uff  dem  blatz  und  die 
füssknechte  mit  inen.  Do  würdent  die  gemeind  ze  ratt, 
das  sy  wollen  tu  dem  landtcogt  griffen.  Do  die  rete1  und 
wir  das  vernomen,  do  besandten  wir  die  gemeind  :  hettent 
sy  ytzit  anvorderung  an  den  landtvo&t,  so  möchten  sy 
uns  ze  verston  geben,  so  wolten  wir  gütlich  in  den  dingen 


1  vom  Platz  vor  dem  Hanse. 

2  —  schnell. 

8  Vom  10.  anf  den  11.  April  (Ostermontag). 

*  Mona  hat  falsch  :  davon. 

6  Ein  Abkommen. 

*  =  dabei. 

7  die  burgnndiscben  Räthe.  —  Die  Bürger  hatten,  wie  ans  dem 
Folgenden  erhellt,  am  11.  April  in  aller  Frühe  den  alten  Stadtrath 
wiedereingesetzt. 


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—   49  — 

nicht  ausbezahlt  worden  sei,  sammelten  sie  ein  Heer 
(exercitum),  fielen  in  die  Herrschaft  Blamont1  ein  und 
erbeuteten  Vieh,  Pferde  und  Schafe.  Der  Raub  wurde 
unter  den  Rittern  getheilt,  und  der  Heimweg  über  Alt Airck 
genommen,  wo  man  ausruhen  wollte  (volentes  post  laborem 
habere  quietem).  Dort  sass  der  veste  Ritler  Lazarus 
von  Andlau  als  österreichischer  Pfandherr.  Er  liess  sie 
ein,  schloss  dann  aber  die  Thore  und  zwang  die  Beute- 
frohen, ihm  zu  schwören,  dass  sie  sich  in  eigner  Person 
zur  Rechtfertigung  für  ihre  Thal  stellen  wollten,  wann 
und  wohin  sie  durch  den  erlauchten  Herzog  Sigismund 
von  Oesterreich  oder  durch  dessen  Statthalter 2  oder  seine 
Verbündeten  geladeu  würden». 

Man  war  eben  am  Oberrhein  noch  nicht  im  offenen 
Krieg  mit  Burgund  und  rechnete  vielleicht  auf  die  Neutra- 
lität des  Herrn  von  Blamonl.  — 

Nun  aber  fielen  im  August  1474  die  Burgunder,  ge- 
führt von  Stephan  von  Hagenbach,  ins  Sundgau  ein  und 
verübten  die  entsetzlichsten  Greuel. 

Der  Landvogt  Herman  von  Eptingen  berichtet  dar- 
über an  den  Kaiser  u.  A.  : 3 

«Sy  hant  die  Kirchen  enteret,  ...  das  heilig  wir- 
dig  Sakrament  schnödlich  geschüttet  .  .  .  Monstrancien 
und  andere  kleinoten  hinweggefürt  .  .  .  frauen  und 
mann  aus  den  türmen  der  kilchen  harabgeworfen  .  .  .  . 
Vil  junger  frauen  und  Dochtern  geschendet  .  .  .  Knaben 
ertrenkt  .  .  .  unnatürlich  lästerlich  Sünden  in  den  kirchen 


1  Herr  von  Blamont  war  damals  Heinrich  von  Neuenbürg  (Neuf- 
chätel)  Neufchätel  u.  Blamont  liegen  südlich  von  Mümpelgart,  jenes 
westlich,  dieses  östlich  vom  Doubs.  (vgl.  Witte,  ebenda  45.) 

*  Hermann  von  Eptingen.  —  Wilh.  Kappler  stand  (s.  S.  43) 
vor  ihm  im  Hofgericht.  Bei  dieser  Gelegenheit  war  von  der  eigenmäch- 
tigen Solderhebung  in  der  Herrschaft  Blamont  nicht  die  Rede.  — 
Uebrigens  kam  es  zuweilen  vor,  dass  von  vornherein  vertrags- 
massig die  gewaltsame  Beschaffung  des  Guthabens  zugestanden 
wurde,  falls  die  Gläubiger  «sonst  nicht  dazu  kämen.»  (Würdinger 
II  300). 

3  Am  13.  Sept  —  Basl.  Chr.  III  394  ff 

4 


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—   50  - 


in  dem  Gerner  (ßeinhaus)  by  den  lodenbeinen  gewal- 
liklich  begangen,  deshalb  ein  ganlz  land  undergan 
möcht !  .  .  .»  u.  s.  w. 

In  einer  dem  Bericht  beigelegten  besonderen  Dar- 
stellung werden  die  Greuel  Ort  für  Ort  einzeln  aufgeführt. 
Von  Gildweiler  heisst  es :  «Ilem  im  Dorf  zu  Giltweiler 
hand  sy  die  kilchen  und  die  sacrisly  ufFgebrochen,  die 
kisten  und  trog  zerschlagen  und  ob  hundert  pfunt  pfennig, 
die  an  unser  lieben  frowen  buwe  dasei bs  gehörten,  ge- 
nommen milsampt  dem  kilchenschalz,  mcssgewanden  und 
andern  gezierdeu ,  das  heilig  wirdig  sacrament  ussgeschütlet, 
die  monstrancien  zerschlagen  und  das  alles  hinweggefürt. 
Item  zu  GiUweiler  hani  sy  Herr  Andres,  capplan  daselbst 
geschlagen  und  hinweggefürt».1  — 

Wuthentbrannt  fielen  darauf  (Eude  August)  400  Baumi 
aus  dein  Pfirtischen  in  die  Herrschaft  Blamonl  ein.  Diese 
Unbesonnenheit  (es  war  heftiges  Regenwetter  und  ihr 
Pulver  ganz  durchnässt)  büssten  sie  mit  dem  Verlust  von 
89  Todteu  und  100  Gefangenen.  «Das  widerfuhr  ihnen, 
weil  sie  nicht  auf  die  Anderen  warten  wollten.»  2 

Die  Basler  sammelten  sich  schon  bei  Taüenried  (Delle) 
und  Pruntrut.  Denn  der  Raubzug  Stephans  hatte  die  Ver- 
bündeten in  Harnisch  gebracht,  und,  während  am  Nieder- 
rhein um  Neuss  gerungen  wurde,  sammelte  sich  am 
Oberrhein  die  gesammte  alemannische  Volkskraft,  inneren 
Haders  vergessend,  zu  gemeinsamem  Kampf  gegen  die 
Welschen,  »dem  heiligen  rych  zu  ehren,  tütscher  Nation 
zu  gut». 3 


1  Es  sind  noch  folgende  oberels.  Orte  genannt,  wo  Aehnliches 
geschah :  Dararaerkirch,  St.  Leodegar  bei  Manspach,  St.  Ulrich.  As- 
pach, Merzen,  Altenach,  Batschweiler,  Ballersdorf,  Batweiler, 
Barnhaupt,  Tiefmatten  u.  Kloster  Oelenberg.  Selbst  Hagenbach 
wurde  nicht  verschont.  All  diese  Verwüstung  geschah  in  vier  Tagen  ! 

2  Basl.  Chr.  II  108  u.  Edlibach  143  ff. 

8  Nik.  Rusch.  (Basl.  Chr.  III  303  ff)  Vgl  auch  Chmel  I  209. 


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-   51  - 


VII. 

Vor  und  in  Hörioourt. 

Friedrich  Kappler  stand  im  Bundesheer  bei  Biel;1 
die  Hauptmacht  sammelte  sich  um  Basel ;  den  Oberbefehl 
führte  der  österreichische  Feldhauptmann  Wilh.  Herter. 
Man  beschloss,  vor  Allem  Hericourt*  zu  belagern,  wohin 
sich  Stephan  v.  Hagenbach  zurückgezogen  hatte. 

Bin  Zug  ist  zsamenkehret 

Im  Sungow  überall, 

Der  traf  hat  sich  genieret 

Vor  Erikort  im  Tal, 

Vil  mehr  dann  aohtzehntnsend  man, 

Yil  karren  und  vil  wägen, 

Dass  ichs  nit  zelcn  kann. 

Der  edel  bischof  käme 

Mit  Strassburg  also  gut, 

Schlettstadt  er  mit  ihm  name, 

Die  waren  all  gemut, 

Sie  hatten  all  rot  angeleit; 

Die  von  Colmar  kamen  gezogen 

In  rot  und  blau  bekleit.  3 

Am  8.  November  eröffneten  die  Strassburger  die  Be- 
schiessung.  Am  13.  kam  es  bei  Ghenebier4  zu  einem 
siegreichen  Gefechte  gegen  ein  burgundisches  Entsatzungs- 
heer. Der  Feind  wurde  «uff  zwo  mil»  verfolgt  und  hatte 
500  Todte;  «zwei  burgundisch  venlin,  2  steinbuchsen», 
viel  Pulver  und  Wagen,  «so  vil,  dass  wir  der  eigent- 
lichen nit  wissen»  und  zahlreiche  Gefangene  fielen  in  die 


»  Mone  III  216. 

2  8üdw.  v.  Beifort ;  deutsch  damals :  Ellekort,  Ellicordt,  Erikort, 
Ellengurt. 

s  Veit  Weber  (Lilienkr.  II  89). 
*  nordw.  v.  Hencourt. 


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-   52  - 

Hände  des  Siegers. 1  —  Drei  Tage  später  fiel  die  Festung, 
und  Friedrich  Kappler  wurde  ihr  Plalzhauplmann. 2 
Ein  verlassener  Posten  !  Denn  das  übrige  Heer  zog  (nach 
solchem  Sieg!)  der  —  Kälte  wegen  heim!3  Erst  im 
Frühling  1475  hob  der  Krieg  wieder  an. 

Die  Mannschaft  Kapplers  in  He>icourt  bestand  aus 
200  Reitern  und  ebensovielen  Fussknechten. 4  Die  starke 
Belegung  mit  Reiterei  hatte  ihren  guten  Zweck.  Kappler 
sollte  die  Umgebung  beunruhigen  und  burgundischen 
Streifzügen  entgegentreten.  Dazu  bot  sich  bald  und  oft 
Gelegenheit. 

Schon  um  den  6.  Dezember  —  es  war  ein  sehr  strenger 
Winter  —  erschienen  300  Burgunder  in  der  Nachbarschaft, 
um  Beute  zu  machen  und  über  die  Lage  der  Dinge  in 
Hericourt  Kunde  zu  erhalten.  Die  Besatzung  verjagte 
sie  aber  und  brachte  10  Gefangene  zurück.  —  Aehn- 
liches  wiederholte  sich  Ende  März  1475.  Aus  Orange 5 
kamen  Pikarden  und  Lombarden  ;  sie  wurden  von  Kapplers 
Reitern  mit  einem  Verlust  von  25  Todten  und  40  Ge- 
fangenen zurückgetrieben. 6  Dagegen  gelang  es  den  Bur- 
gundern am  6.  April,  aus  dem  Elsass  kommende  Zufuhr 
von  Wein,  Mehl  u.  s.  w.  abzuschneiden  und  die  Fuhr- 
leute gefangen  zu  nehmen.  7 

Bald  darauf  (Ende  April)  vereinigten  sich  die  Be- 


1  Basl.  Chr.  II  125  (Bericht  des  Bürgerm.  v.  Bärenfels)  u.  Nähe- 
res bei  Witte  (Zeitschr.  N.  F.  VI  377ff.  —  Die  Gegend  ist  durch  die 
Kämpfe  Werders  gegen  Bourbaki  im  Januar  1871  bekannt.  — 
Auch  Wilh.  von  Rappoltstein  lag  vor  Hericourt  (Hone  III  262>. 

2  3Ione  m  216.  —  Basl.  Chr  II  236,12,  Ochs  IV  277.  Er  blieb 
es  bis  ins  Frühjahr  1476,  wo  ein  Hauptmann  Bamont  an  seine  Stelle 
trat.  (Basl.  Chr.  II  389). 

3  Nur  noch  einige  feste  Plätze,  bes.  Beifort  u.  Mümpelgard  blie- 
ben besetzt. 

4  Basl.  Chronik  II  127,  35. 

5  nordw.  von  Mömpelgart. 

6  Basl  Chr.  II  200,  27. 

7  Basl.  Chr.  II  204,  3.  —  Bei  dieser  Gelegenheit  schilt  Knebel 
gehörig  über  die  Elsässer  (homines  illius  patriae  sine  cura  vivunt)  u. 
den  eis   Adel  (maledicta  radix  etc.) 


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—   53  - 


Satzungen  von  üericourt,  Mömpelgart,  Pruntrut  und 
Tattenried  zu  einem  gemeinsamen  Streifzug  ins  Burgun- 
dische, wobei  14  Dörfer  und  ein  Schloss  verbrannt  wurden. 
Ein  anderes  Schloss  besetzte  man. 1 

Ein  Ehrentag  für  Friedrich  Kappler  wurde  der 
17.  Mai.  Knebel8  berichtet  darüber,  wie  folgt:  «Am 
Freitag  vor  Trinitatis  erzählte  mir  der  Basler  Domherr 
Hartmann  vor  Hallweiler,  der  Hauptmann  des  Herzogs 
Sigismund  in  Mömpelgart,  ein  Herr  Heinrich  von  Watt- 
weiler, habe  ihm  gesagt,  dass  sich  am  letzten  Dienstag 
120  burgundische  Reiter  aus  Blamont  und  der  Umgegend 
bei  ffSricourl  auf  die  Lauer  gelegt  hätten.  Aber  tFridericns 
Cappeler*,  der  dort  Hauptmann  war,  halte  von  ihrer 
Ankunft  Nachricht  erhalten  und  Heinrich  von  Wallweiler, 
sowie  andere  (aus  Tattenried),  im  ganzen  70  Reiter,  her- 
beigerufen. •  Cappeler»  streifte  mit  30  Mann  durch 
Wälder  und  Felder,  sah  die  Burgunder  von  Weitem  und 
merkte,  dass  sie  ihm  und  seiner  Begleitung  an  Zahl  über- 
legen seien.  Alsbald  sandle  er  einen  Bolen  zurück,  die 
übrigen  40  sollten  ihm  schleunigst  folgen;  denn  er  wolle 
selbst  sogleich  gegen  die  Feinde  losbrechen.  So  geschah 
es  auch.  Tapfer  brach  er  los  und  stach  persönlich 
mehrere  Reiter  von  den  Rossen.  Die  Anderen  eilten 
herbei,  und  als  die  Burgunder  das  Schmettern  der  Trom- 
peten hörten,  flohen  sie  alle  und  wurden  so  kräftig  ver- 
folgt, dass  noch  40  fielen  und  20  in  Gefangenschaft 
geriethen.  Andere  stürzten  sich  in  toller  Furcht  ins 
Wasser  (den  Doubs?)  und  ertranken;  die  Uebrigen  ent- 
kamen mit  genauer  Nolh.    Laus  deo!» 

Darnach  «zogen  die  tütschen  wieder  heim,  dass  ihrer 
keinem  nichts  geschah,  und  sind  selten  8  tag  verloffen, 
$y  haben  dergleichen  Sachen  getan» .3  — 


i  Baal.  Chr.  II  216,  22. 
a  Baal.  Chr.  II  236,  5. 
»  Edlibach  149. 


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-    54  - 


Die  Burgunder  in  Blamont  machten  freilich  die  er- 
littene Schlappe  durch  einen  Raubzug  quitt,  auf  dem  sie 
(Ende  Mai)  sengend  bis  Hirsingen  vordrangen,  wofür 
sich  die  Fussknechte  von  hiricourt  durch  die  Eroberung 
eines  Weiherschlosses  und  Niedermachung  der  Besatzung 
rächten.  1  — 

Inzwischen  war  auf  einem  Tage  zu  Colmar  (18.  April) 
Herzog  Renatus  von  Lothringen  der  niederen  Vereinigung 
beigetreten,  was  den  heftigsten  Zorn  Karls  des  Kühnen 
erregte,  der  noch  immer  vor  Neuss  lag.  Und  in  Bern 
(21.  Mai)  beschloss  man  ein  neues  Aufgebot. 

Am  10.  Juni  eroberten  Fussvolk  und  Reiter  aus 
Hericourt,  Mömpelgart  und  Tattenried  das  Schloss  Lomont 
bei  Luders,  wohin  die  umwohnende  Bevölkerung  ihre 
Habe  geflüchtet  hatte;  so  gab  es  besonders  fette  Beute!2 
Ohne  Widerstand  drang  man  noch  bis  Gourchaton  und 
Villechevreux  vor. 

Bald  nach  der  Wiederaufnahme  des  eigentlichen 
Krieges  (am  9.  August)  hei  Blamont  in  die  Hände  der 
Verbündelen.  Hunger,  Durst,  Krankheit  und  die  Strass- 
burger  Geschütze  machten  die  Besatzung  mürbe  ;  gegen 
freien  Abzug  ötfnete  sie  die  Thore. 3  Aber,  wie  im  Jahre 
vorher  nach  der  Eroberung  Hericourts,  zog  auch  jetzt 
das  Bundesheer  wieder  auf  Basel  zurück,  nachdem  man 
Blamont  geschleift  hatte,  und  löste  sich  auf! 

Zum  Glücke  war  Herzog  Karl,  der  endlich  von  Neuss 
abgelassen  und  mit  dem  «Reich»  Frieden  geschlossen 
hatte,  jetzt  in  Lothringen  beschäftigt  (Belagerung  von 
Nänziff).  —  Das  ermöglichte  auch  der  Besatzung  von 
Hericonrt  (im  Oktober)  einen  besonders  weiten  Streifzug 
nach  Hochburgund.    «80  Mann»  rückten  aus,  gewannen 


1  Baal.  Chr.  II  228,  18. 

2  Ebenda  II  256,  3  und  Witte  «Zar  Gesch.»  Ztschr.  N.  F. 
VI  212. 

3  Duvernoy  281  und  Witte  «Zur  Gesch.»  237  ff.  —  Liliencron 
II  65  ff. 


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—   55  — 


ein  Schloss,  fingen  einen  Edelmann,  30  Bauern  und  viele 
Pferde  und  Kühe. 1 

Ehe  die  Verbündeten  mit  ihren  Berathungen  über 
die  Entsetzung  von  Nanzig  fertig  wurden,  musste  sich 
(am  26  Nov.)  die  Stadt  ergeben. 

Um  dieselbe  Zeil  rückte  der  tapfere  Platzhauptmann 
von  Hericourt  aus  und  eroberte  Stadt  und  Festung 
Ltixeuil,  was  der  neue  Landvogt  Oswald  von  Thierstein 
früher  mit  grossen  Verlusten  vergeblich  versucht  hatte *. 

Bald  darauf  willigte  Karl  in  den  Abschluss  eines 
Waffenstillstandes  bis  Neujahr.  Die  Verbündeten  hatten 
inzwischen  die  Hilfe  des  Reiches  angerufen,  und  die 
burgundische  Diplomatie  bemühte  sich  während  der  Zeit, 
die  Schweizer  zum  Abfall  von  den  Bundesgenossen  zu 
bewegen. 

Aber  nach  Neujahr  begannen  die  Feindseligkeiten 
aufs  Neue,  und  auch  Friedrich  Kappler  Hess  bald  wieder 
von  sich  hören.  Anfangs  Februar  1476  zog  er  mit  einer 
auserlesenen  Reiterschaar  in  das  ihm  wohlbekannte  Thal 
von  Rotenberg  (Rougemoni),  wo  englische  Söldner  lagen. 
Der  Ueberfall  glückte  vollständig :  30  Feinde  wurden  ge- 
tödtet,  ihr  Anführer  und  30  Mann  gefangen  und  nebst 
60  erbeuteten  Pferden  nach  IIe>icourt  gebracht. 3 

Am  2.  März  erlitt  Karl 1  die  Niederlage  bei  Granson, 
und  Tags  darauf,  ehe  man  natürlich  in  Hericourt  Kunde 
von  dem  grossen  Siege  haben  konnte,  machten  «die  von 
Ellekort»5  wieder  einen  erfolgreichen  Streifzug:  nach 
Montbozon  an  der  Oignon.  Es  ist  ihnen  (auch  38  Basler 
und  einige  Strassburger  von  der  Mömpelgarter  Besatzung 
waren  dabei)  «von  den  guoden  Gottes  Alles  wohl  gelungen». 


1  Basl.  Chr.  II  305,  20. 

2  Ebenda  II  321,  33. 

3  Ebenda  II  342.  5. 

*  «Der  ganzen  Nation  der  tatschen  Lande  zur  Freude»  (Bericht 
Solothurns  an  Basel,  ebenda  II  354,  *8). 

5  Ebenda  II  355,  21.  (Bericht  des  Basler  Hauptmanns  H.  Stem- 
pffer  in  Mömpelgart  an  den  Oberstzunftmeister). 


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—  56  — 


«Sie  hand  ylends  zu  dem  Schloss  da  gestürmt,  ob  150 
gefangen  und  viel  wagen  geladen  mit  gut  und  anderen 
dingen,  und  sind  kommen  bis  gen  Grammoni  (östlich  von 
Rougemont).  Da  ist  junkher  Stephan  von  Hagenbach  ge- 
halten mit  reisigen  und  Fussknecht  ob  70».  Er  soll  auch 
«60  Wiber»  in  seinen  Reihen  gehabt  haben  und  griff  an, 
ehe  die  Heranziehenden  «in  der  Ordnung»  gewesen  sind. 
Trotzdem  wurden  ihm  26  knechte  erstochen,  während 
auf  der  anderen  Seite  nur  ein  Mann  schwer  verwundet 
ward  und  einer  todt  blieb,  «genannt  Caspar  der  Schneider, 
derdo  ist  gesin  ein  kuchenkuecht  des  gnädigen  Herrn  von 
Oesterreich.  — » 

Das  wird  der  letzte  Zug  gewesen  sein,  an  dem 
Friedrich  Kappler  von  Hericourt  aus  theilnahm ;  die 
Rittersporen  sollte  er  sich  anderswo  verdienen. 


VIII. 

Die  Sohlaohten  bei  Murten  und  Nanzig. 

Karl  der  Kühne  dürstete  nach  Rache  für  Granson. 

«Zu  Ellekurt  schlug  man  manchen  Mann 

Zu  Granson  man  gross  got  gewann; 

Das  that  er  alls  verachten. 

Er  sprach:    Den  grossen  bund  genannt 

Den  will  ich  strafen  allensamrat, 

Min  schand  von  Granson  rächen!»  1 

Schon  Ende  Marz  1476  stand  er  wieder  bei  Lausanne. 
Die  Eidgenossen  besetzten  Freiburg  ;  Bern  legte  500  Mann 


i  Liliencron  II  99. 


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—   57  — 

in  das  feste  Mutten.  Auch  am  Oberrhein  regte  man  sich. 
Am  18.  Juni  war  Knebel  in  Sirassburg1  und  sah  dort 
den  Herzog  Renatus  von  Lothringen  mit  300  Reitern  gen 
Süden  ziehen.  Auch  der  Landvogt  Oswald  von  Thierstein 
war  um  diese  Zeil  in  Strassburg  und  erhielt  dort  (12.  Juni) 
einen  «Mahnbrief»  Berns.  Sofort  beauftragte  er  den 
«Landschreiber  zu  Ensisheim»,  das  Aufgebot  ergehen 
zulassen.    «Du  solt  allen  Edeln  schriben,  im  Sunlgow 

und  Elsass  geboren,   dass  sie  mit  dem  reisigen 

Zug  auf  Donnerstag  nächst  vor  Sant  Johannstag  (20.  Juni) 
zu  Habsheim  und  darumb  itn  Lager  seien.»'  Denn  der 
gnädige  Herr  von  Oesterreich  habe  den  Eidgenossen  ver- 
sprochen, dass  wir  ihnen  «zu  rettung  und  utfenlhall  der 
gantzen  Tutschen  nation  ohn  alles  verziehen  mit  ganzer 
macht,  so  slarkisch  wir  immer  mögen,  getreulich  zu- 
ziehen wellend.»  —  Das  Fussvolk  sollte  sich  den  folgenden 
Tag  zwischen  Basel  und  Liestal  sammeln. 

Karl  der  Kühne  lag  seit  dem  10.  Juni  vor  Murten, 
das  nun  baldiger  Hilfe  bedurfte.  Schon  am  22.  waren 
die  Schaaren  der  niederen  Vereinigung  zu  den  Eidgenossen 
gestossen. 

Des  Fürsten  Zug  von  Oesterrich. 
Strassburg.  Basel  des  gelich, 
Und  ander  bundgenossen 
Die  kamen  in  einer  grossen  schar 
Wol  zu  den  Eidgenossen  dar, 
In  not  wollten  si's  nit  lossen  * 

In  der  Nacht  hatte  es  heftig  geregnet ;  am  Morgen 
des  22.  leuchtete  die  Sonne,  die  Siegessonne  des  Tages 
von  Murten.  Vor  dem  Beginne  der  Schlacht,  am  Bann- 
walde von  Murten,  ertheilte  Oswald  von  Thiersteiu  über 
hundert  Edlen  den  Ritterschlag ;  darunter  befanden  sich 
der  Herzog  von  Lothringen,  Graf  Wecker  von  Bitsch, 


»  Basl.  Chr.  III  10. 

*  Ebenda  III  5  ff. 

s  Liliencron  II  92  (Veit  Weber). 


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—    61  — 


wis  Das  ich  alls  hie  bin  der  Sachen  halb  as  ich  |  ver- 
stand der  du  vnderricht  Syst;  den  ich  nun  ze  mal  zü 
Dir  gen  Engen  |  nit  kernen  kan  wol  wot  ich  Das  mier 
by  anander  werit  wns  zü  wnderreden  |  geben  vff  mentag 
nenst  vergangen  in  die  triten  stund  nach  mittag  |  geben 
zu  vilingen. 

'Friderich  Kappler  ritt. 

1485  erscheint  Frid.  Capellen*  (und  andere 
«Rittersleute»)  unter  den  Beisitzern  des  Hofgerichles  in 
Ensisheim.1 

1486  steht  im  Inusbrucker  Schatzarchiv  III.  995  unter 
«Erbgerechtigkeiten»  der  Eintrag: '«von  Fridrichen  und 
Wilhelmen  den  Capellem,  dass  das  dorf  Gildwier  nach 
irem  tod  wider  an  das  haus  Oesterreich  feit.» 


IX. 

Gegen  Venedig.2 

(Kapplers  Sieg  bei  Galliano.) 

Seit  langem  hatte  Venedig  seine  Herrschaft  oder  doch 
seinen  Einfluss  über  einen  Theil  des  Tridentinischen  Ge- 
bietes ausgebreitet.  Dazu  kamen  Zollbelästigungen,  die 
trotz  vieler  Beschwerden  nicht  aufhörten.  Der  kriegslus- 


1  Ztschr.  IV  Anhang  n.  25. 

8  Vgl.  Jäger  II  S.  323  ff  ;  Brandis  Gesch.  der  Landeshanptl. 
v.  Tirol,  K.  Wengers  (Domherr  in  Brixen)  «De  hello  inter  Venetos 
etc.»  bei  Freherus  <Rernm  Germ,  scriptores»  (Strassb.  1717)  II  449  ff. 
und  besonders  Wotschitzky  («Znr  Gesch.  des  Kriegs  mit  Venedig» ; 
Programm  des  Obergymn.  in  Bielitz  1890),  der  auf  Grand  des  Rait- 
buches  t.  1487  im  Innsbrucker  Statthalterei-Archiv  u.  a.  Akten  viel 
Neues  bringt. 


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65  — 


Inzwischen  waren  staubbedeckt  die  Trienter  heran- 
gekommen ;  auf  den  Bergen  lag,  des  Eingreifens  harrend, 
das  Landvolk.  Die  Schlacht  wogte.  Endlich,  nach  6  Uhr, 
geräth  der  Feind  in  Verwirrung,  «weicht  allgemach  zu- 
rück» und  will  über  die  Schiffbrücke.  Diese  aber  ist  «gar 
schlecht  angehängt  gewesen»  1  und  zerbrach.  Tausende 
stürzten  deshalb  auf  der  Flucht  in  die  Etsch  ;  zwei  Drittel 
der  Todten  sind  Ertrunkene,  wogegen  «auf  der  Tirolischen 
Seiten  nit  mehr  als  500  Mann  umkamen».  Das  war  der 
Sieg  Kapplers  bei  Calliano  am  10.  August  1487,  einem 
Freitag.  —  . 

«Am  Abend,  als  die  Knecht  über  die  Massen  müd 
gewesen,  ist  der  Hauptmann  Fridrich  noch  desselben 
Tags  in  die  Stadt  Trient,  so  zwo  Meilen  Wegs  von  Ca- 
liano,  mit  Triumph  gezogen  und  hat  die  Nacht  daselbst 
wohl  geschlafen.»  Am  andern  Morgen  begab  er  sich 
wieder  auf  das  Schlachtfeld,  Hess  «den  Platz  räumen  und 
die  von  dem  Feind  hinteriassene  eroberte  Beut,  darunter 
9200  Wagen  und  Feuerross  gewesen,  in  die  Stadt  bringen».2 
Auch  der  feindliche  Feldherr  Sanseverino  war  im  Fluss 
ertrunken.  Kappler  befahl,  nach  dem  Leichnam  zu  suchen, 
und  als  dieser  endlich  »zunächst  bei  dem  Schloss  Stein 
in  der  Etsch  in  einem  Sumpf»  gefunden  wordeu,  «hat  er 
ihn  nach  Trient  führen  und  daselbst  in  der  Domkirche 
gar  stattlich  begraben  lassen,  wie  dann  noch  heutig  Tags 
sein  Epitaphium  vorhanden,  darin  sein  Bildnis  in  einen 
schwarzen  Marmelstein  gehauen.»3 

Die  Wappen  und  Namen  der  vornehmsten  deutschen 
Kämpfer  von  Calliano  wurden  dagegen  in  der  «deutschen 


1  Nach  Wenger  hat  Kappler  die  Brücke  während  der  Schlacht 
lockern  lassen  (pontem  longe  ante  dux  belli  Germanns  non  impro- 
vide  solvit.) 

8  Quo  facto  cum  milite  victorioso  Tridentum  redit  Porape- 
janis  dignus  victo  Oriente  triumphis,  exultans,  tanta  a  Deo  prae- 
stita  victoria  (Wenger  455). 

»  Von  Maximilian  I  1493  errichtet  Wotschitzky  40.) 

5 


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—   06  - 


Pfarrkirche  Sankt  Petri  zu  Trient»  auf  einer  langen  höl- 
zernen Tafel,  die  jetzt  « Altershalber  gar  unerkenntlich»,1 
verewigt.  Zu  oberst  stand  das  Wappen  des  Herzogs  Si- 
gismund neben  dem  Bilde  des  h.  Laurentius;2  dann 
«Fridrich  von  C/iappl,  Veldhauptmann»  und  unter  38 
weiteren  Namen  noch  folgende  aus  dem  Elsass  :  «Chri- 
stoff  von  Hatstatl,  Ritter,  Ludwig  von  Reinach,  Ritler, 
Marlin  Stor,  Ritler,  Caspar  Pöckhlin,  Fridrich  von  Knö- 
ringen, Heinrich  von  Andlau,  Simon  von  Pfirdtt  und 
Herrnan  Waldner». 

Und  «in  dem  fürstlichen  Ambthaus  zu  Bozen  ist  auf 
dem  obern  Saal  unter  vielen  fürnehmsten  Kriegshelden 
auch  Fridrich  Kapeller  mit  nebenstehenden  Versen  ab- 
gemahlt».3  —  Auch  unter  den  Marmorreliefs  am  Mausoleum 
Maximilians  I.  in  Innsbruck  ist  auf  einer  kleinen  Tafel 


1  Also  schon  zu  Brandis  Zeiten  (1610— 2b).  —  Wotsch.  sagt: 
«Die  Namen  etc.  finden  sich  auf  einer  Gedenktafel  im  deutschen 
Hospiz  zu  Trient.»  Beide  Angaben  sind  ungenau.  Herr  Prof.  Damian 
in  Trient  theilte  mir  «nach  eingezogener  Information  und  eigener 
Ansicht  der  Tafeln»  gütigst  mit,  was  folgt:  Im  Museum  der  Stadt 
sind  zwei  Tafeln  mit  Wappen  und  Namen  der  Kämpfer;  die  eine, 
kleinere  enthält  i4  Wappen  mit  den  betr.  Namen  darunter.  Auf 
dieser  steht  auch  der  Name  des  Friedr.  Kappler ;  sie  ist  sehr  gut  er- 
halten. Die  andere  (sie  befindet  sich  in  einem  anderen  Lokale)  trägt 
24  Wappen,  ist  aber  lange  nicht  so  gut  erhalten.  Der  untere  Theil, 
wo  die  Namen  angebracht  sind,  hat  am  meisten  gelitten ;  jedoch  kann 
man.  obgleich  die  Tafel  hoch  hängt  und  schlechte  Beleuchtung  bat, 
die  Wappen  gut  wahrnehmen  und  einzelne  Namen  lesen.  Es  ist  mög- 
lich, dass  beide  Tafeln  einmal  vereint  waren.  —  Eine  «deutsche 
Pfarrkirche»  besteht  in  Trient  nicht  (mehr?),  ebenso  wenig  ein 
«deutsches  Hospiz»  Die  Tafeln  waren  früher  in  der  St.  Peterskirche. 
Von  dieser  mögen  sie  in  das  vor  Zeiten  in  der  Nähe  dieser  Kirche 
bestehende  «deutsche  Hospiz»  gekommen  sein.  Nach  der  Aussage  des 
sehr  verlässlichen  und  alten  Dieners  des  Museums  sind  die  Tafeln 
schon  über  20  Jahre  im  Museum,  wo  sie  freilich  öfters  den  Platz 
wechselten». 

2  Der  10.  August  ist  der  Laurentiustag. 

8  Der  Herausgeber  von  Brandis  (Innsbruck  1850)  bemerkt  hierzu  : 
«Dieses  Bild  ist  nicht  mehr  aufzufinden  und  von  den  gegenwärtig 
Lebenden  hat  Niemand  eine  Erinnerung  daran  An  der  Stelle  des 
alten  Amthauses  steht  jetzt  die  Hauptschule».  Sic  transit  gloria 
mundi! 


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-    67  - 


(der  fünften)  die  Schlacht  bei  Galliano  dargestellt.1  Leider 
steht  sie  in  schlechtem  Licht;  nur  Maximilian  selbst  ist 
darauf  deutlich  zu  erkennen. 

Venedig  warb  nach  der  Niederlage  «widerum  viel  fremdes 
Volk»  und  setzte  den  Krieg  durch  Einfälle  in  Tirol  fort,  aber 
stets  erfolglos.  «Dergestalt  sein  die  Venediger  sechsmal 
in  Tirol  empfangen  worden». 

Nach  sieben  Kriegsmonaten  gelang  dem  Papste  In- 
nocenz  VIII.  die  Vermittlung  des  Friedens.2  Auch  die 
tirolischen  Landstande,  die  schon  lange  mit  Sigismund 
und  seinen  Rathen  unzufrieden  waren,  drangen  darauf. 

Der  Herzog  musste  dem  Landtage  (Nov.  1487  in 
Meran3)  eine  neue  «Hof-  und  Landesordnung»  bewilligen. 
Trotzdem  hörten  die  Reibungen  nicht  auf,  bis  1490  auf 
dem  Landtage  in  Innsbruck  Tirol  (die  Abtretung  der  Vor- 
lande geschah  am  IG.  März)  an  den  römischen  König 
Maximilian  abgetreten  wurde. 

Wann  Friedrich  Kappler  heimkehrte,  lässt  sich  nicht 
genau  bestimmen.  Am  27.  Dec.  steht  er  noch  in  Tirol; 
denn  im  Innsbrucker  Raitbnch  von  1487  ist  zu  lesen: 
«Dem  Friedrich  K.,  Ritter  und  Knechten,  die  unter  ihm 
im  Felde  sind  27.  Dec.  1500  Gldn.  und  Friedr.  K.  neuer- 
dings am  24.  Dec.  100,  am  27.  Dec.  21  Gldn.  4  Pf.  B. 
und  am  24.  Dec.  seinem  Schreiber  12  Gulden.4 

Ebenda  steht  auch  (fol.  691),  dass  Friedr.  Kappler  ein 
Gnadengeld  von  1500  fl.,  und  im  Gopialbuch  II.  Serie  1487 


1  Wotschitsky  41. 

2  Am  13.  Nov.  1487.  —  Die  Friedensbedingungen  bei  Brandis 
309  ff. 

3  Vgl.  Huggle,  Gesch.  v.  Neuenburg  172  (und  173). 

4  Wotschitzky  31  Anm.  3.  und  15.  Anm.  5.  Ebenda  36  Anm.  3: 
am  11.  Sept.  1000  fl.  «dem  Frid.  v.  Kappt  durch  C.  Böckly>. 
Ebenda  29:  Haus  Reymolt  von  Thann  und  Jak.  Müllner  von  Ensis- 
heim  bekennen  als  Hanptleute  und  Rottmeister  elsässischer  Städte 
mit  275  Knechten  gegen  die  Venediger  gedient  nnd  an  Gnadengeld 
für  gemachte  Gefangene,  Zehrung  und  Schadenersatz  1100  Gld.  rh. 
erhalten  zu  haben. 


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—  68 


fol.  140,  dass  er  die  Vogtei  über  Masmünster  und  das  Dorf 
Gildweile?'  erhalten  habe.1  Sonach  wird  er  Anfang  1488 
zur  Uebernahme  (oder  Wiederübernahme)  dieses  Amtes  in 
die  Heimath  zurückgekehrt  sein.2 

Dass  er  mit  dem  Ergebnisse  des  Krieges  unzufrieden 
war,  geht  aus  der  merkwürdigen  Aeusserung  eines  Zeit- 
genossen hervor,  der  ihn  persönlich  gekannt  zu  haben 
scheint : 

«Het  herzog  Sigmund  mit  den  Sungowern  und  Bris- 
gowern  furtruckt,  als  her  Friderich  Cappler  begert,  so 
was  Venedig  gewunnen,  wan  sie  hant  sich  in  der  stat 
Venedig  in  die  Flucht  bereit.» 

Kappler  halte  also  auf  kräftige  Ausnützung  des  Sieges 
gedrungen,  und  in  Venedig  fürchtete  man  schon  das  An- 
rücken des  Feindes,  bis  man  «die  Unwissenheit  der  Tut- 
schen  vernommen»  und  wieder  zum  Angriffe  vorging, 
nachdem  der  erste  Schrecken  vorüber  war.3 

In  Oeslerreich  ist  das  Andenken  an  den  Sieger  von 
Calliano  übrigens  noch  nicht  erloschen.  Das  beweist  ein 
gut  gemeintes  Gedicht  von  Rudolf  Schneider  (geb.  1858 
in  Salzburg)  im  «Vaterländischen  Ehrenbuch»  {v.  Albin 
Teuffenbach,  Salzburg  1879;  mit  der  üeberschrift :  «Die 
Schlacht  bei  Calliano.»  Es  ist  in  Fr.  Brümmers  «Deutsch- 
lands Helden  in  der  deutschen  Dichtung»  (Stuttgart  bei 


1  Dr  Mich.  Mayr  in  Innsbruck. 

2  Dort  scheint  unter  der  Ritterschaft  damals  wegen  der  Abbe- 
rufung des  Landvogts  Oswald  von  Thierstein  einige  Aufregung  ge- 
herrscht zu  haben.  Denn  1488  schreibt  Erzherzog  Sigmund  an  den 
Vogt,  Amman  und  Rath  zu  Thann,  Vogt  Schultheiss,  Geschworene  des 
Amts  zu  Lannser,  Herrn  Fridrich  Kapler,  Vogt  und  den  Rat  zu  Mas- 
münster, an  Martin  Ster,  an  Wilhelm  Kapler,  dass  sie  sich  von  Graf 
Oswald  von  Tierstein,  dem  er  nicht  ohne  Grund  die  Landvogtei  (im 
Elsass)  und  die  Hauptmannschaft  entzogen  habe,  nicht  gegen  ihn 
verhetzen  lassen,  sondern  sich  als  getreue  Unterthanen  verhalten». 
(Innsbruck:  Copialbücher  II.  Serie  1488  fol.  11  ff.  Dr.  M.  Mayr). 

8  Miscellanhandschrift  der  Colmarer  Stadtbibliothek  Nr.  50  fol. 
74.  b.  —  Vgl.  H.  Haupt.  «Ein  oberrhein  Revolutionär  aus  dem  Zeit- 
alter Kaiser  Maximilians»  (Westdeutsche  Zeitschrift  für  Gesch.  und 
Kunst,  Ergänzungsheft  VIII  1893  ) 


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cd 


Greiner  u.  Pfeiffer)  abgedruckt  (S.  207)  und  erwähnt  Kapp 

ler,  wie  folgt : 

Und  am  Sigismund  sich  schaaren 
Mannen  stark  and  wohlbewehrt; 
Das  Kommando  führt  Kapeiter, 

Ein  Elsüsser,  hochgeehrt  

Längst  schon  hat  der  Kampf  begonnen 
Und  der  Boden  raucht  von  Blut, 
Schon  die  deutschen  Heere  weichen, 
Fast  erloschen  ist  ihr  Math. 
Da  mit  markgen  Feuerworten 
Spricht  Kapeller,  hingewandt 
Zu  den  Treuen,  hoch  das  Banner 
Schwingend  in  der  starken  Hand: 
€  Brüder,  nicht  die  Welschen  zählet, 
Schlagt  sie  nieder  ohne  Gnad!» 
Und  das  Heer  begeistert  stürmte 

Zu  der  blutgen  Waffenthat  

Also  ward  bei  Calliano 
Oesterreich  des  Sieges  Preis, 
Und  die  Treu  der  Unterthanen 
Pflückte  ihm  dies  Lorbeerreis. 


X, 

Unter  Maximilian  gegen  Frankreich. 

(Kappler  siegt  bei  Dournon). 

Maximilian  war  durch  die  Vermählung  mit  Maria,1 
der  Tochter  Karls  des  Kühnen,  in  den  Besitz  der  Nieder- 
lande gekommen.  Schon  1482  starb  die  Gemahlin;  Max 
regierte  als  Vormund  seines  Sohnes  Philipp;  sein  Töch- 


1  «Ich  hab  ein  schöns  froras  tugenhafftigs  weib,  dassich  mich  be- 
nügen  lass.  Sie  ist  schneeweiss,  ein  praunes  Haar,  ein  kleins  nasl, 
ein  kleins  häuptel  und  antlitz,  praun  und  graue  äugen  gemischt, 
schön  und  lauter.  Das  unter  häntel  an  äugen  ist  etwas  herdann  gesenkt, 
gleich  als  (ob)  sie  geschlaffen  hätt ;  doch  es  ist  nit  wol  zu  merken  :  der 
mund  ist  etwas  hoch,  doch  rein  und  rot.»  (Brief  vom  8.  Dez.  1477 
bei  Kraus  «Maxim.  I.  vertraulicher  Briefwechsel  S.  28.) 


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terlein  Margaretha  wurde  mit  der  Grafschaft  Burgund, 
Artois  und  der  Picardie  (Friede  zu  Arras  1482)  dem  fran- 
zösischen Dauphin  Karl  zugesagt  und  alshald  an  den  fran- 
zösischen Hof  gebracht.  1488  gerieth  Max  in  die  Gefangen- 
schaft der  aufständischen  Bürger  in  Brügge,  aus  der  er 
sich  aber  durch  gütliche  Zusagen  bald  befreite.  Inzwischen 
war  sein  Vater,  Kaiser  Friedrich,  mit  grosser  Macht 
herangekommen.1  Als  Statthalter  blieb  Herzog  Albrecht 
von  Sachsen  im  Lande  und  stellte  überall  Ruhe  her.2 

Im  März  1490,  um  diesselbe  Zeit  also,  wo  ihm  Si- 
gismund Tirol  und  die  Vorlande  abtrat,3  unterzeichnete 
Maximilian  (tu  felix  Austria,  nube !)  in  Innsbruck  einen 
Ehevertragsentwurf  mit  der  14jährigen  Herzogin  Anna 
von  Bretagne.  Die  vielumfreite  Erbin,  die  gerne  Kaiserin 
geworden  wäre,  willigte  ein,  und  der  Gesandte  Maximi- 
lians bestieg  «in  Gegenwart  ihres  Hofes  das  festlich  ge- 
schmückte Hochzeitsluger,  um  symbolisch  die  rechtlich- 
erforderliche Gonsummation  der  Ehe  anzudeuten. i  4 

Selbstverständlich  war  Frankreich  von  dieser  Ehe 
nicht  erbaut.  Dort  herrschte  (seit  1483)  Maximilians 
«Schwiegersohn»  als  Karl  VIII.  Er  war  13  Jahre  alt, 
als  er  den  Thron  bestieg,  «ein  blasser  Knabe,  klein  und 
etwas  bucklichl.»  Papst  Innocenz  VIII.  wurde  in  aller 
Stille  um  Dispens  zur  Auflösung  des  Eheverlöbnisses  mit 
Margaretha  von  Burgund  angegangen  und  willigte  ein.  Maxi- 
milian war  durch  Krieg  in  Ungarn  und  Geschäfte  im 
Reich  ferngehalten;  seine  «Frau»,  die  er  noch  gar  nicht 


1  Seit  16.  Febr.  1486  war  Maximilian  römischer  König. 

*  1494  trat  Philipp  (der  Schöne),  16  Jahre  alt,  selbst  die  Regie- 
rung an. 

8  1491  Pfleg-  und  Amt  Revers  auf  Kanig  Maximilian  von  Herrn 
Fridrichen  Cappeler  umb  die  Vogtei  der  Stadt  Masmünster  sein  le- 
henlang mit  den  gülten,  so  zu  ainzigen  (Enschingen?  vgl.  Stoffel 
141)  ledig  werden,  sover  er  die  nit  selbs  lost,  das  im  umb  zway- 
tausend  gülden  zu  thun  vergunt  ist.»  (Innsbr.  Schatwch.  II  63o  Dr. 
M.  Mayr)  Vgl.  S.  68. 

*  Ulmann  I,  121. 


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71  - 


kannte,  wurde  inzwischen  von  den  Franzosen  in  Rennes 
belagert  und  ergab  sieb  am  15.  Nov.  1491  gegen  freies 
Geleite  nach  Deutschland.  Aber  schon  am  19.  Nov.  ver- 
lobte sie  sich  mit  König  Karl,  der  mit  dem  päpstlichen 
Dispense  nach  Rennes  gekommen  war.  Am  6.  Dec.  folgte 
die  Hochzeit  (zu  Langeais  in  Touraine).  — 

«Der  geprellte  Procurator»1  Maximilians,  der  seit 
seiner  symbolischen  Bettbesteigung  in  Rennes  geblieben 
war,  reiste  nun  traurig  nach  Mecheln  zu  Philipp,  dem 
Bruder  der  schnöde  verlassenen  Margaretha,  und  von  dort 
nach  Innsbruck  zu  ihrem  gleichfalls  «geprellten»  Vater. 

Die  öffentliche  Meinung  in  Deutschland 2  war  ent- 
rüstet über  diesen  «Brautraub»,  und  Maximilian  selbst 
musste  sich  aufs  Tiefste  gekränkt  fühlen,  zumal  da  ihm 
auch  sein  Töchterlein  aus  Frankreich  schrieb,  sie  wolle 
zu  ihrem  Vater  zurück  und  «sollte  sie  im  blossen  Hemd 
herausgehen.» 

Es  galt  aber  auch,  die  Mitgift  Margarethas  wieder 
an  sich  zu  bringen;  denn  Karl  halte  zwar  die  Braut  auf- 
gegeben, aber  nicht  die  Grafschaft  Burgund  u.  s.  w., 
und  die  ehemalige  Braut  als  «Geisel»  festgehalten. 

In  den  Niederlanden  stand  noch  der  treue  Herzog 
Albrecht  von  Sachsen;  darum  entscliloss  sich  Maximilian, 
den  Feind  von  Westen  zu  fassen.  Im  November  1492 
finden  wir  ihn  urkundlich  in  Metz,  Bockenheim  (Saar- 
union), Zabern,  Schlettstadt 3  und  Ensisheim. 4 


1  Ebenda  147. 

2  Als  ihr  literarischer  Fahrer  erscheint  der  Elsässer  Jakob 
Wimpheling  gegen  den  französischen  Gelehrten  Robert  Gaguin. 
(Ulraann  1  183  ff.  n.  Schmidt  hist.  lit.  de  l'Alsace  I,  18)  -  «Kunig 
Karl  nam  die  Tochter  von  Britanien  (Bretagne),  so  vermahlt  was  eira 
Romischen  knnig  und  schickt  im  sin  Dochter,  so  im  eelichen  ver- 
mahelt  was,  frow  Margarethen,  wider,  das  noch  nit  gestroffet  ist. 
Do  gab  ieh  ein  1er,  wie  man  das  strofen  solt,  and  alle  weit  was 
willig  in  dem  Elsas,  das  übel  zu  stroffen»  (Miscellanhandschrifl 
N.  50  in  der  Colmarer  Stadtbibl.  fol.  43  b.) 

3  Ulmann  I  166,  4 

*  Merkten  hist  d'Ensisheim  183  ff.  u.  210  Anm. 


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-   72  - 


In  den  ersten  Tagen  des  Decembers  steht  er  mit 
seinen  Truppen  bei  Lure,  am  21.  Dec.  zieht  er  in  Be- 
sancon  ein  und  lässt,  weil  er  nach  Frankfurt  zum  Reichs- 
tag will,1  eine  Besatzung  in  Satins  zurück,  der  aus  der 
Grafschaft  Pfirt  Geschütze  und  Verstärkungen  zugeführt 
wurden. 

Aber  er  kam  nicht  bis  Frankfurt,  sondern  berief  — 
freilich  vergeblich  —  die  dort  erschienenen  Stände  nach 
Kronenburg  (bei  Strassburg)  und  dann  nach  Colmar.  — 
Mittlerweile  war  jedoch  das  Glück  seinen  Waffen  günstig 
gewesen.  Nur  die  Burg  Brown  (südlich  von  Salins)  hielt 
sich  noch  gegen  die  Deutschen. 

Aus  dem  Sundgau  und  dem  Breisgau,  wo  die  «öster- 
reichische Gesinnung  der  Bewohner  wirkte,  was  anderswo 
der  Reichspatriotismus  nicht  zu  Wege  brachte,»  2  zogen 
die  Belagerungsgeschütze  von  Ensisheim  und  ein  statt- 
liches Aufgebot  aus.  «An  der  Spitze  stand  der  Ritter 
Friedrich  Kappler*  ein  viel  erprobter  Kriegsmann.»  Der 
französische  Befehlshaber  de  Baudricourt  in  Poliguy  wollte 
ihn  mit  5000  Reisigen  und  einer  Anzahl  Schützen  über- 
fallen. Aber  Kappler  wurde  gewarnt : 

«Wie  er  seine  feindt  angreifen  wellen  und  darauf  sein 
Ordnung  gemacht,  sein  ihm  durch  kuulschafter  Zeitungen 
zukommen,  die  feindt  seien  schon  in  aller  nähe  und  wohl- 
gerüst  vorhanden,  ziehen  mit  Macht  stark  daher.  Ist  er 
vor  der  Ordnung  in  seiner  allen  hundskappen  (also  hat 
man  solchen  harnasch  damals  genannt)  gehalten  und 
lecherlich,  mit  höchster  modestia,  ohne  ainiche  anzaig 
einer  forcht  oder  beweglichkeit  des  gemiets  gesprochen  : 
«Kommen  sie?  kommen  sie?  Das  ist  recht;  wolauf  im 


1  Am  4.  Januar  1493  ist  er  in  Prnntrut,  am  15.  in  Mümpelgart, 
am  23.  in  Altkirch  (Ulmann  I  168.  n.  Duvernoy  21  vgl.  243).  Ans 
Pruntrut  schreibt  er  (3.  Januar)  an  Herzog  Sigismund  :  «wir  hoffen 
der  gnaden  Gots,  dass  wir  in  kurz  hie  mit  sig  und  lob  diesen 
unseren  krieg  vollenden  wellen»  (Kraus  Briefwechsel  82). 

2  Ulmann  I  169  ff. 


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-  73 


Namen  Gottes,  siesollen  uns  finden!»  Hierauf  die  feindt 
grossmiithiglichen  angegriffen  und  angeschlagen.»1 

Nicht  weit  von  Salins,  «zwischen  den  Dörfern  Dour- 
non,  St.-Anna  und  Villeaeuve,»  gerieth  man  aneinander: 
am  19.  Januar  1493.  Aus  Salins  war  der  Platzhauplmann 
«zur  Aufnahme  Kapplers*  mit  einer  Abtheilung  Schulzen 
glücklich  zu  ihm  gestossen.  Trotzdem  halten  die  Feinde 
die  Uebermacht.  « Kappler  stellte  seine  Geschütze  in  einem 
langen  Hohlweg  auf,  den  die  Franzosen  passieren  muss- 
ten;  auf  den  mit  dichtem  Gestrüpp  bewachsenen  Rändern 
desselben  verbarg  er  seine  Schützen.  Ohne  jede  Vorsicht 
brausten  die  französischen  Geschwader  heran  :  ein  Augen- 
blick, und  der  ganze  Weg  war  bedeckt  von  todten  Män- 
nern und  Pferden.»  Aber  der  Kampf  dauerte  noch  fort 
und  endete  erst  in  der  Nacht  mit  dem  Rückzug  der 
Franzosen,  die  noch  weit  verfolgt  wurden. 

«Das  ist  der  Tag  von  Dournon,  dessen  Ruhm  in 
allen  deutschen  Landen  wiederscholl  und  in  einem  Se- 
bastian Brant  seinen  Sänger  fand.»2 

Die  Frucht  dieses  Sieges  war  der  Frieden  von  Senlis 
(23.  Mai  1493),  der  die  Freigrafschaft  Burgund  und  die 
Grafschaft  Arlois,  also  das  Hauplstück  der  Mitgift  Mar- 
garethas, wieder  an  Maximilian  brachte  und  diese  selbst 
aus  der  französischen  Umarmung  befreite.3  Am  3.  Juni 
durfte  sie  aus  Meaux,  wo  man  sie  hatte  wohnen  lassen, 
aufbrechen,  um  nach  zehnjähriger  Abwesenheit  an  der 


1  Zimm.  Chr.  II.  468  ohne  Ortsangabe,  aber  hier  in  die  Sach- 
lage passend. 

2  Ulmann  I  170  «nach  dem  ans  alten  Memoiren  geschöpften 
Berichte  des  ortskundigen  Gollut».  (Gollut,  Mem.  bist,  de  la  republique 
Sequanoise. . .  ed.  Davernoy,  Arbois  1846).  —  «Ich  hab  gesellen  und 
gehord  wie  her  Friderieh  Cappler  zwo  grosse  tat  mit  kleinem  volk 
begangen  hat.  als  ein  wider  die  venediger,  die  ander  zn  salin  wider 
die  franzosen,  da  10  man  an  ein  man  war  ;  dannocht  behelt  er  das 
feldt».  (Miscellanhandschrift  der  Colmarer  Stadtbibliothek  N.  50  fol. 
53  b). 

3  Näheres  bei  Uhnann  I  173  ff. 


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-  77 


gefahr  und  die  Eroberungsgelüste  Frankreichs  in  Italien. 
Auch  wurde  auf  diesem  Reichslage  Württemberg  zum  Her- 
zogthum erhoben.1  Graf  Eberhard  im  Bart  war  mit  statt- 
lichem Gefolge  in  Worms  eingeritten.  Unter  den  Herren 
desselben  werden  ausser  schwäbischen  Rittern  genannt : 
Simon  Wecker,  Graf  von  Bitsch,  Wilhelm  von  Rap- 
poltstein,  ein  junger  Graf  von  Bitsch  und  «Herr 
Friedrich  Kappler.»2  Der  Rappoltsteiner  hatte 
Württembergische  Lehen  und  wird  Kappler,  falls  nicht 
auch  dieser  solche  hatte,  als  seinen  Begleiter  nach  Stutt- 
gart und  von  dort  nach  Worms  mitgenommen  haben.3 

Nach  langen  knauserigen  Verhandlungen  wurden  dem 
Kaiser,  als  die  Nachrichten  aus  Italien  immer  bedenklicher 
lauteten,  endlich  —  am  29.  April  —  ganze  3000  Mann 
auf  drei  Monate  «  zur  Rettung  des  Papstes  »  bewilligt 
und  dann  zur  Berathung  der  vom  Kaiser  vorgeschlagenen 
neuen  «Reichsordnung  geschritten.»4 


>  Stalin  III  638  ff  —  643,  Anm.  1  :  *Wimpfeling  hat  ein  Lob- 
gedicht anf  den  neuen  Herzog  verfasst.  100  Hexameter  (Strass- 
burg  1495). 

2  Crusins  Schwäb  Chronik  (deutsch  von  Moser)  II  142. 

3  Eberhard  im  Bart  stand  auch  dem  Herzog  Sigismund  nahe. 
1434  war  er  auf  der  Hochzeit  desselben  in  Innsbruck  (Stalin  III  636) 
u.  1435  (Dienstag  nach  St.  Joh.  Bapt.)  schloss  er  mit  ihm  ein  Schutz 
u  Trutzbündniss  auf  10  Jahre.  (Bez.  A.  E.  9.)  und  1492  (Staatsarch. 
Stuttg.  nach  Doniat)  finden  sich  in  einem  «Reissbuch  u.  Register 
Graf  Ebern,  des  Aeltern»  in  der  Liste  der  auf  Samstag  vor  Oculi 
zu  einem  Zug  ins  Lechfeld  Beschiedenen  auch  :  Friedrich  u.  Wilhelm 
Käppier*.  —  Ueber  diesen  Zug  (Reichsexekution  des  schwäb.  Bundes 
gegen  Albrecht  von  Bayern)  vgl.  Würdinger  II  160 ff.  Stalin  III,  634, 
Klüpfel  126  ff. 

*  Vgl.  auch  den  Bericht  des  schwäb.  Bundeshauptmanns 
Besserer  von  Worms  (2.  Juli)  an  die  Städte  bei  Klüpfel  Urk.  zur 
Gesch. des  schwäb.  Bds.  171  ff.:  «Dagegen  haben  sich  die  edelleut  mit 
saufen  auf  diesem  reichstag  ziemlich  säuisch  gehalten...  item  einen 
abend  legten  sie  eine  gesellschaft  auf  das  neuhaus  u.  Hessen  auf  34  tisch 
zurichten ;  sie  lebten  wohl,  trunken  und  verwüsteten  wein,  dass  man  hätt 
drin  mögen  waten  ;  der  imbiss  kost  ob  200  fl;  zerworfen  wohl  bei  100 
gläser».  (Wormser  Chron  v.  Fr.  Zorn).  —  Auch  der  unbekannte 
Verfasser  der  Reformschi  ift  (Miscellanhandschrift  der  Colmarer 
Stadtbibl.  N.  50),  ein  Verehrer  Kapplers,  war  damals  in  Worms.  Vgl 
Haupt.  Westdeutsche  Zeitschr..  Ergänzungsheft  VIII  1893  S.  99  u. 


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—   81  — 


• 

4.  August  hatte  ein  Zuzug  von  6000  Fussknechten1  in 
Mailand  Musterung,  und  den  Oberbefehl  über  die  Deut- 
schen vor  Novara  führte  nun,  da  der  ursprünglich  dafür 
ausersehene  Welsperg  unterwegs  in  Trient  erkrankt  war, 
«der  wohlbekannte  Friedrich  von  Kappeler».2 

Commines  vergleicht  die  Belagerung  von  Novara  mit 
der  von  Jerusalem,  so  gross  sei  die  Noth  in  der  Stadt 
gewesen.  2000  Mann  der  Besatzung  starben  an  Hunger  und 
Krankheiten,  und  der  Rest  (es  lagen  7500  Mann  darin)  war 
«so  abgemagert,  dass  sie  mehr  Todten  glichen,  als  Lebendi- 
gen.» Der  König,  der  mit  seinem  Heere  noch  bei  Asti  lag, 
wagte  nicht,  die  Stadt  zu  entsetzen ;  doch  gelang  es  ihm, 
durch  Verhandlungen3  mit  Lodovico  Moro,  dem  an  dem 
Besitze  Novaras  alles  gelegen  war,  dem  Herzog  von  Or- 
leans mit  kleiner  Begleitung  freien  Abzug  zu  erwirken.  Drei 
Tage  später  durfte  die  ganze  Besatzung  folgen.  Es  war 
ein  trauriger  Auszug:  kaum  ein  Pferd  mehr  dabei  (denn 
man  hatte  die  Rosse  verzehrt)  und  nicht  600  Mann,  die 
sich  noch  halten  vertheidigen  können  ;  viele  sanken  er- 
schöpft auf  die  Strasse  ;  aber  die  Feinde  nahmen  sich 
ihrer  an.*  Noch  in  Vercelli,  wohin  die  Abziehenden  unter 
italienischer  Bedeckung  gebracht  wurden,  starben  über 
300  Mann,  darunter  viele  auf  —  Misthaufen  !5 

Die  Feindseligkeiten  schienen  wieder  beginnen  zu 
sollen,  weil  20,000  geworbene  Schweizer  bei  den  Fran- 
zosen angekommen  waren.  Aber  der  König  gab  dem  Drän- 
gen des  Herzogs  von  Orleans  nicht  nach  ;  seine  Ritter 
sehnten  sich  nach  der  Heimath  und  die  Feinde  waren  sehr 
stark,  in  guter  Stellung  und  unter  vortrefflicher  Führung.6 


1  üllmann  I  290,  2. 

2  üllmann  I  290. 

3  Diese  Verhandlungen  leitete  Commines  ein  (II  518  ff.)  — 
Leo  V  103. 

*  «ä  qni  les  ennemys  propres  faisoient  de  l'ayde». 

5  cet  largement  snr  les  fnmiers  de  la  ville». 

6  Leo  V  103  ff.  —  Commines  II  524  ff  menez  de  bons  chiefz, 
comme  ce  messire  Federte  Capelare». 

6 


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—   82  — 


Darinn  schloss  er  am  10.  Oktober  Frieden  mit  Mailand 
(dem  er  Novara  iiberliess),  setzte  dann  seinen  Heimzug 
fort  und  kam  am  27.  Okt.  in  Grenoble  an.  Der  in  Nea- 
pel zurückgebliebene  Graf  Montpensier  erlag  mit  einem 
grossen  Theile  seines  Heeres  einer  Seuche;  der  vertriebene 
König  Ferdinand  war  schon  am  7.  Juli  bei  Neapel  gelan- 
det und  rasch  wieder  in  den  Besitz  seines  Reiches  ge- 
langt. Nur  Gaeta  und  Tarent  blieben  zunächst  noch  in 
den  Händen  der  Franzosen.1 

Die  deutsehen  Truppen  unter  Kappler  zogen  nach 
Tirol  zurück  und  werden  sich  dort  aufgelöst  haben.  Viel 
Glück  hatten  sie  in  der  Bundesgenossenschaft  mit  den 
Italienern  nicht  gehabt;  Lodovico  Moro  war  überdiess 
froh,  sie  los  zu  sein,  und  die  Venetianer  rühmten  sich, 
bei  Fornovo  allein  gesiegt  zu  haben. 

An  dem  wenig  rühmlichen  Zuge  Maximilians  nach 
Italien  im  folgenden  Jahre  2  hat  Friedrich  Kappler  nicht 
theilgenommen.  Er  scheint  die  folgenden  Jahre  in  Mas- 
münster geblieben  zu  sein.3 

1496  «Fritag  nach  Reminiscere»,  starb  in  Innsbruck 
sein  früherer  Landesherr,  Erzherzog  Sigismund.  Bei  der 
Leichenfeier  waren  die  Vorlande  nicht  vertreten.4 

1498  am  7.  April  starb  Karl  VIII.  von  Frankreich 
kinderlos.  Sein  Nachfolger  wurde  der  Herzog  von  Orleans 
als  Ludwig  XII.  Er  heirathete  schon  nach  4  Wochen  die 


1  Leo  V  105  ff. 

2  ülmann  I  404  ff.  -  Leo  V  114  ff. 

3  Kindier  :  <1595  Friedrich  K.  Vogt  in  M».  —  In  einem  Kirchen- 
buche  von  Sewen,  das  ich  bei  H.  Doniat  einsah,  steht  ein  Indulgenz- 
brief  des  Papstes  Alexander  VI.  zn  Gunsten  der  dortigen  Wallfahrt 
dat.  Rom  1497  quarto  Idns  Junii  u.  darin  die  Stelle :  «Nos  cupientes, 
nt  ecclesia  ipsa  ad  quam,  sicut  etiam  aeeepimus,  dilecti  filii  nobilis 
vir  Fridericus  Cappler  miles  et  Joannes  Berckmann  de  Olpe,  ipsius 
ecclesiae  Rector>  etc.  —  Stoffel :  «Sewen  gehörte  zum  Amt  Masm.  — 
Wallfahrtskirche  zu  Maria  Himmelfahrt».  —  Der  Rector  Olpe  druckte 
in  Basel  die  Werke  Seb.  Brants  1496.  —  Ueber  die  Wallfahrt  vgl. 
Stöber  Sagen  des  Elsasses  (Mündel)  I  S.  41. 

i  Brandis  334  ff. 


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-   83  — 


königliche  Wittwe  Anna  und  brachte  dadurch  die  Bre- 
tagne endgiltig  an  die  französische  Krone.  Auch  nahm  er 
ohne  Weiteres  den  Titel  eines  Herzogs  von  Mailand  an. 

Maximilian  forderte  von  dem  neuen  Könige  die  Heraus- 
gabe des  Herzogthums  Burgund,  worauf  keine  Antwort 
erfolgte.  Im  Juni  wurden  bei  Ensisheim  6000  Mann  zu 
Fuss  und  1000  Reiter  gemustert,  unter  letzteren  auch 
der  junge  Götz  von  ßerlichingen  als  «Reiterbub».  Dieses 
Fleer  machte  im  Juli  einen  Vorstoss  bis  Langres,  zog  sich 
aber  schon  im  August  nach  dem  Sundgau  zurück,  weil 
des  Kaisers  Sohn  Philipp,  der  am  28.  Juni  grossjährig 
geworden  war,  in  Brüssel  ein  Abkommen  mit  Frankreich 
schloss,  das  den  Frieden  von  Senlis  aufs  Neue  verbürgte. 

Aber  die  Franzosen  machten  nun  ihrerseits  im  Sep- 
tember einen  Vorstoss  in  die  Freigrafschaft,  zu  dessen 
Abwehr  Maximilian  selbst  von  Freiburg  aus,  wo  der 
Reichstag  beisammen  war,  über  Ensisheim  1  und  Möm- 
pelgard  in  die  Haute-Saöne  einrückte.  Die  Franzosen 
zogen  sich  zurück,  und  Maximilian  wendete  sich,  mit 
einem  Theile  des  Heeres  gen  Norden  nach  Metz,  wo  es 
zu  Verhandlungen  kam.2  Ob  Kappler  diese  Züge  mit- 
machte? Es  ist  wahrscheinlich;  ich  kann  es  aber  nicht 
nachweisen.  Erst  im  folgenden  Jahre  (1499)  taucht  er 
wieder  auf  in  dem  unseligen  «Schwabenkrieg*,  durch  den 
das  deutsche  Reich  um  die  Schweiz  kam. 


XII. 

Gegen  die  Sohweizer  im  Sohwabenkriege. 

Die  Waffenbrüderschaft  des  alemannischen  Gesammt- 
stammes  im  Burgunderkriege  war  wieder  dem  alten  Hader 

»  Merklen  hist.  d'Ensisheira  184. 
a  Ulmann  I  583  ff.  Tuefferd  Ü8ö. 


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-    84  — 

gewichen.  Die  Eidgenossen  kamen  mehr  und  mehr  unter 
französischen  Einfluss  und  trachteten,  das  lose  Band,  das 
sie  noch  an  das  Reich  knüpfte,  ganz  zu  durchschneiden. 
Maximilian  selbst  bemühte  sich,  die  seiner  Zeit  von  Si- 
gismund geschlossene  «ewige  Richtung»  mit  ihnen  zu 
erneuen,  und  war  bis  zuletzt  in  seinem  ganzen  Verhalten 
massvoller,  als  viele  Fürsten  und  als  die  Ritterschaft  der 
Vorlande,  des  «schwäbischen  Bundes»  und  Tirols.  Auch 
der  Klerus  war  den  Schweizern  meist  feindlich  gesinnt : 
«wider  die  Eidgenossen  sei  nicht  anders  dann  wider  die 
Türken  zu  kriegen.»1  — 

Händel  der  Innsbrucker  Regierung  mit  Graubündten 
fachten  das  alte  Misstrauen  der  Urkantone  gegen  die 
Habsburger  aufs  Neue  an.  Man  wollte  nicht  auch  im 
Osten  die  Oesterreicher  als  Grenznachbarn  erhalten.  So 
kam  es  schliesslich,  während  Maximilian  im  Norden  mit 
dem  Herzoge  von  Geldern  zu  thun  hatte,  zum  Kriege 
gegen  die  Eidgenossen,  der  in  den  ersten  Monaten  des 
Jahres  1499  hauptsächlich  in  der  heutigen  Ostschweiz 
geführt  wurde  und  dem  zusammengewürfelten,  schlecht 
geleiteten  und  mangelhaft  besoldeten  Reichsheere  keine 
Lorbeern  brachte.2 

Der  Zuzug  aus  dem  Elsass  sammelte  sich  in  und 
um  Altkirch,  zunächst  unter  dem  Landvogte  Kaspar  von 
Mörsperg  als  oberstem  Hauptmanne.  Maximilians  Gemah- 
lin, Bianca  Maria,  wohnte  damals  in  Breisach  und  be- 
mühte sich  von  dort  aus,  auch  die  Baseler  «mit  Büchsen 
und  Gezeug,  wie  das  in  ein  Feld  gehört,  zu  den  Ihrigen 
in  das  Lager  gen  Altkirch»  zu  bekommen.3  Die  übrigen 
Verbündeten  der  alten  «niederen  Vereinigung»  entschlossen 


»  Heyd  I,  57. 

a  Ulmann  I  649  ff.  —  Ochs  IV  463  ff.  und  Klüpfel  S.  218  «e& 
sei  kein  Geld  n.  Lieferung  da  S.  291.  Unser  Ding  ist  nit  wol  ver- 
sehen in  vil  weg»  S.  321  «an  Pulver  u.  Blei  sei  Mangel»  u.  s.  w. 

3  Ochs  IV.  495.  —  Briefe  von  ihr  liegen  im  Basler  Staatsarchiv. 


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—   85  — 

sich  auf  einem  Tage  in  Colmar  (am  25.  März)  zur  Mit- 
hilfe ;  Basel  dagegen  wollte  neutral  bleiben  und  blieb  es. 

In  Altkirch  lag  Friedrich  Kappler  als  Hauptmann.  — 
Mehr  und  mehr  breitete  sich  die  Kriegsflamme  nach 
Westen  aus.  Slreifzüge  und  Brandschatzung  hinüber  und 
herüber  bildeten,  wie  gebräuchlich,  den  Anfang! 

In  der  Nacht  vom  21.  zum  22.  März  hatten  sich 
beide  Theile,  ohne  von  einander  zu  wissen,  zu  einem 
Einfall  ins  feindliche  Gebiet  gerüstet. 1  Friedrich  Cappler 
rückte  noch  iu  der  Nacht  mit  2100  Landsknechten  und 
einer  Reiterschaar  in  Altkirch  aus  und  brach  bis  über 
Dorneck  an  der  Birs  ins  Sololhurnische  ein.  Die  Solo- 
thurner  waren  aber  nicht  daheim,  sondern  mit  Bernern 
und  Luzernern  plündernd  bis  Häsingen  und  Blotzheim  ge- 
zogen. Als  sie  heimkehrten,  stiessen  sie,  angeblich  nur 
1500  Mann  stark,  um  10  Uhr  Vormittags  am  Bruder  holz 
auf  die  durch  das  Leimenthal  2  nach  Altkirch  zurück- 
marschirenden  Feinde.  Die  Berichte  über  dieses  Gefecht 
sind  unklar.  Bedeutend  war  es  jedenfalls  nicht,  da  die 
Schweizer  selbst  den  Verlust  der  Kaiserlichen  nur  auf  etwa 
80  Mann  berechneten.3  Pirkheimer*  erzählt,  die  Eidge- 
nossen hätten  vor  der  feindlichen  Uebermacht  in  guter 
Ordnung  sich  zurückzuziehen  begonnen,  und  die  Kaiser- 
lichen seien,  als  sie  das  merkten,  desto  ungestümer  auf 
sie  losgegangen.  Da  habe  der  Anführer  der  Schweizer 
den  Rückzug  nach  einer  nahen  Anhöhe  gelenkt.  Um 
nicht  aus  der  Ordnung  zu  kommen,  hätten  sich  die 
Eidgenossen  dabei  einander  an  den  Armen  festgehalten  5 
und   seien    dann    in    geschlossenen    Reihen    von  der 


1  Ulmann  I  734. 

*  Thal  der  Birsig,  die  südw.  von  Leimen  entspringt  u.  bei  Basel 
mundet. 

3  Ochs  IV  542. 

4  Bell.  Helvet  II  69  (bei  Freherus  III). 

5  Dux  fugere  jussit,  ita  tarnen,  nt  connexis  brachiis  ordines 
neqnaqnam  dissolverent 


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—   86  - 


Höhe  auf  die  überraschten  und  aus  der  Ordnung 
gerathenen  Feinde  herabgestürzt.  Auf  diese  Weise  er- 
zwangen sie  den  Durchzug.  — Mehrere  Quellen  berichten, 
die  Reiter  Kapplers  hätten  tapfer  gekämpft  ;  aber  das 
Fussvolk  habe  «nicht  hernach  gewollt» ;  das  Fähnlein 
von  Pfirt  sei  zuerst  ins  Wanken  gekommen  und  bald 
hernach  Alles  gewichen.  —  Jedenfalls  war  es  ein  un- 
glücklicher Tag  für  Kappler,  ganz  abgesehen  davon,  dass 
er  selbst  verwundet  wurde  1 

Die  Verwundung  muss  übrigens  ganz  unbedeutend 
gewesen  sein. 

Denn  schon  am  27.  März  erhielt  der  Landvogt  und 
damalige  oberste  Hauptmann,  Kaspar  von  Mörsperg,  in 
Basel  einen  Brief  Kapplers  und  berichtet  darüber  am  28. 
März  von  Waldshut  aus  «an  Herrn  N.  herr  zu  Firmian, 
der  Rö-  kn.  hofrnaister»,  was  folgt  : 

«In  dem  so  kumpt  mir  ain  brief,  so  Ich  gerad  auf 
sitzen  will,  von  herr  Fridrich  Cappler  dem  vellhaupt- 
man,  der  schreibt  mir,  dieweyluud  man  die  LyfFerung 
zu  AlUkirch  den  Edln  abkundt  hab,  so  seyeud  sy  alle 
gar  zerritten  vnd  sich  auss  der  statt  vnd  von  den  Lanndl- 
schafften  gethan,  vnd  dieweil  man  nyeman  Lyferung 
geben  well  vom  Adl,  so  sey  es  nit  in  Irem  vermügen, 
sich  auf  sich  selber  also  zu  enthalten.  Deshalben  Er  Im 
nit  zu  tun  wyss  vnd  Begert  darauf  an  mich,  Im  die 
veldhauptmannschaft  (als)  Landtvogt  vnd  Obrister  haupt- 
man  abzunemen.  Hab  Ich  Im  geantwurt,  ich  hab  sein 
nit  gewalt».2 


1  Birken  S.  1112  (Brich.  6  Kap.  11):  «Der  Oberste  Friedrich 
Cappler  ward  übel  verwundet  u.  nit  wol  davon  gebracht».  —  So 
auch  Wurstisen  in  seiner  Basl.  Chronik. 

8  Haus-  Hof-  u.  Staatsarchiv  Wien,  Maxirailiana  5a.  Der  Brief, 
dessen  Abschrift  ich  der  Güte  des  Hr.  Sektionsrathes  Kanonikus  Dr. 
Schrauf  in  Wien  verdanke,  ist  «eine  gleichzeitige  Copie  des  (dort) 
nicht  mehr  vorhandenen  Originals».  Zu  Anfang  erzählt  Kaspar  von 
Mörsperg,  dass  er  vergebens  in  Basel  Geld  aufzunehmen  versucht 
habe.   Und   «nun  ist  die  nott  mit  den  bezalungen  so  gross»  u.  so 


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—   87  - 


Wenige  Tage  nach  dein  Gefechte  im  Bruderholz 
begann  also  der  Adel  aus  dem  Altkircher  Lager  heimzu- 
reiten, da  die  Lieferungen  ausblieben,  und  Kappler 
begehrte,  den  schlechten  Ausgang  des  Krieges  voraus- 
sehend, unmuthig  seine  Entlassung. 

Die  Mahnung  des  Landvogtes  an  den  königlichen 
Hofmeister,  um  jeden  Preis  «den  Adel  mit  Lyferung 
wider  gen  Altkirch  zu  bringen»,  1  hatte  aber  Erfolg, 
und  Kappler  blieb  im  Dienste. 

Ende  April  erscheint  als  oberster  Hauptmann  in  den 
Vorlanden  Maximilians  Ilofmarschall,  Graf  Heinrich  von 
Filrstenbergy  dessen  «Ansprüche  auf  diese  Stellung  völlig 
im  Dunkeln  liegen»  2  Er  war  der  Bruder  Wolfgangs  von 

gewaltig  vor  Augen,  dass  die  Städte  n.  das  Land  darüber  verloren 
werden  könnten.  <Nun  schreib  ich  nit  gern  sollich  heisse  mer.  Aber 
auss  solichem  grossen  Verlust,  dem  zuvor  ze  sein,  muss  ich  solich 
geschrifften  aussgeen  lassen>.  Und  am  Schlüsse  sagt  er,  er  persönlich 
könne  nicht  mehr  helfen  ;  er  sei,  wie  allbekannt,  in  grosse  Schulden 
«von  Kü.  Mt.  wegen  kumen,  dass  darauf  stat.  Ich  vnd  meine  kind 
dess  in  gantz  verderben  kumen  werden  Dann  ich  hie  zu  Waldszhut 
ob  den  Vlc  guldin  meines  aigen  gelts  hab  aussgeben».  —  Hierdurch 
berichtigt  sich  die  Angabe  Ulmanns  (l  735)  dass  Kappler  diesen 
Brief  mit  der  «heissen  Mär»  geschrieben  u  aus  eigenen  M.tteln  in 
Waldshnt  600  fl.  hergegeben  habe. 

1  «Dieweil  nu  der  Adl  auss  Altkirch  ist  vnd  die  Aidgenossen 
mit  macht  für  Mympelgart,  Hefort  vnd  Tatenriedt  vernomen  zu 
ziehen,  wie  mir  das  mein  herr  von  Basel  (der  Bischof)  auf  gestern 
mit  mand  gesagt  hat,  das  sy  den  Freyenberg  eingenommen  vnd  am 
zng  sind,  an  die  Ennd  zu  ziehen,  so  erfordert,  das  man  eylends 
gedenken  hab,  dormit  man  den  Adel  wider  vnd  in  Altkirch  kumm. 
So  sind  sy  denen  Slössern  allen  wol  gelegen  vnd  wo  die  Leut  in 
das  Lannd  oder  für  die  Sloss  wellen,  so  mögen  allweg  von  Einem 
oder  dem  andren  zu  hilff  kumen,  vnd  ist  Alltkirch  versorgt,  dess- 
gleichen  die  Anndere  Sloss,  vnd  wurt  der  gemain  man  dardurch 
widerumb  erkigkgt  vnd  getrost.  Darumb  so  ist  not  u.  wurt  not  ein, 
das  man  weg  find,  wie  man  den  finden  kann  oder  mag,  domit  man 
die  leut  mit  lifferung  widerstand  wiederumb  gen  Alltkirch  zu  bringen. 
Sy  haben  bissher  hinder  mir  vnd  on  raein  wissen  sich  auf  mich 
mit  der  lyffernng  auffenthalten,  das  nit  in  meinem  vermögen  ist, 
füerohin  zu  erleiden»  . . .  Der  brief  schliesst :  «datum  in  Eyl  auf  den 
hohen  Dornstag  vor  Ostern  anno  domini  etc.  99.  mein  aygne  Handt- 

*  üimann  I  S.  754.  -  Im  Fürst,  ü.  B.  IV  S.  251  steht  (Freib. 
24.  April)  seine  Ernennung  «zum  obristen  Veldhauptmann  in  diesen 
unsern  vordem  landen». 


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—    88  — 


Fürstenberg,  des  gleichzeitigen  Heerführers  des  schwäbi- 
schen Bundes,  und  hatte  etwa  4000  Mann  (darunter  die 
Hilfstruppen  der  niederen  Vereinigung)  unter  sich.  «Geld 
und  immer  Geld»  ist  das  dritte  Wort  auch  seiner  Berichte 
aus  dieser  Zeit.  Neben  Friedrich  Kappler  stand  diesseits 
des  Rheines  noch  Ludwig  von  Masmünster  als  Feld- 
hauptmann unter  seinem  Oberbefehl.  1 

Wer  weiss,  ob  nicht  Alles  anders  gekommen  wäre, 
wenn  man  Kapplern  statt  des  «Hofmarschalls»  die  oberste 
Hauptmannschafl  übertragen  hätte  ?  Der  einfache  Ritter, 
der  zudem  kurz  vorher  im  Bruderholz  eine  Schlappe 
erlitten  und  sich  durch  seinen  Brief  an  den  Landvogt 
auch  nicht  gerade  empfohlen  hatte,  mussle  aber  hinter 
dem  hohen  erst  35  jährigen2  Herrn  zurückstehen. 

Einige  Wochen  nach  dem  Gefecht  im  Bruderholze 
kam  es  in  derselben  Gegend  (am  6.  Mai)  zu  einem 
zweiten,  kleineren  Scharmützel.  Bei  «Brüglingen,  einer 
Mühle  an  der  Birs  oberhalb  St.  Jakob»  3  stiessen  60 
Reiter  aus  dem  Altkircher  Lager  auf  eine  Schaar 
Schweizer,  die  in  den  Sundgau  einfallen  wollte.  «Beider- 
seits blieben  10  Mann»,  darunter  ein  Graf  Hans  von 
Ortenburg,  der  dann  in  Basel  im  Chore  der  Barfüsser- 
kirche  beigesetzt  wurde.  Birken4  erzählt  :  «Vorgedachter 
Fridrich  von  Cappel  ward  hart  verwundet  und  in  einem 
Graben  vertuscht  und  in  der  Nacht  davon  gebracht». 
Ochs  weiss  aber  hiervon  nichts  ;  es  liegt  augenscheinlich 
eine  Verwechslung  mit  der  Verwundung  Kapplers  im 
Bruderholze  vor,  die  jedoch,  wie  wir  sahen,  ganz  unbe- 
deutend war.  Schon  am  14.  Mai  quitlirt  Kappler  eigen- 


1  Ochs  IV  582.  Im  Breisgau  war  Graf  Mathias  Castelwalt  sein 
Hauptmann.  —  Ludw.  v.  Masm.  war  1489  «Statthalter  im  Elsass»  ge- 
wesen Ztschr.  V.  Anhang  III  117. 
Zimm.  Chr.  II  217. 

3  Ochs  IV  585. 

*  s.  S.  86  Anm.  1. 


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—   89  — 

händig  in  Knsisheim  über  erhaltnen  Sold  1  und  erscheint 
überhaupt  gerade  um  diese  Zeit  fortwährend  in  Thätigkeit, 
und  zwar  merkwürdiger  Weise,  eine  Zeit  lang  als  «oberster 
Feldhauplmann»  neben  Fürstenberg. 

In  der  «rayttung»  (s.  unten  Anm.  1)  heisst  er  am 
24.  Mai  2  einfach  «Hauptmann»  ;  aber  am  13.  Juni  fordern 
«Wir  Heinrich,  graff  zu  Furslemberg  hoffmarscbalk  vnd 
ich  Fridrich  Cappler,  bed  röm.  königl.  Majestät  oberst 


1  Fürst.  U.  B.  IV.  S.  242  (aus  dem  Staatsarchiv  in  Luzern) 
«Graf  Heinrichs  von  Fürste  n  berg  rayttung  anno  99: 
Sonntag  den  12  tag  May  zu  Ensshaim,  Montag  den  13  tag  May  zu 
Ennshaim :  Herr  Fr  id  riehen  Capler  auf  seinen  soldt  50  fl  r.  » 
Die  Quittung  lautet:  «Ich  Friderich  Cappler,  Ritter,  Bekenn, 
das  ich  von  Graff  Hainrichen  von  F  empfangen  hab  fünffzig  guldin 
zu  Enschaym  vff  Zinstag  nach  der  Crützwochen  (=.  Himmelfahrts- 
woche) a°  Im  Nun  vnd  neuntzigsten  Jare  etc  zu  vrkundt  hab  ich 
min  aygen  Insigel  by  end  der  geschrifft  gedrugkt  In  disen  biieff  « 
Das  Siegel  ist  aufgedrückt  (Luzern,  Abschrift  Doniat.)  —  Himmel- 
fahrt war  am  9  Mai ;  die  Quittung  datirt  also  vom  14.  Mai 

2  Ebenda  S.  243:  «  Frey  tag  den  24tag  May  zu  A  1 1.  k  i  r  c  h  :  Herr 
Fridrichen  Kapler,  huptman  auff  die  ritterschaft  und  goraisi- 
gen  aus  dem  Land  Sunckaw  geben  310  fl  r.  >  Die  Quittung  lautet 
(Luzern.  Abschrift  Doniat):  «Ich  Friderich  Kappler,  Ritter, 
Hopptman  Bekenn  mich  mit  dieser  quitung.  das  mir  der  wolgeborcne 
Herr,  her  Heinrich  grave  zu  Fürstenberg,  lantgraf  ze  Bar,  Hoffmar- 
schalk vnd  oberster  velthoppttman,  min  gnediger  Herr,  geben  vnd 
vberantwurt  hatt  In  dem  leger  zu  Altkirch  die  Hern  Ritter  vnd 
knecht  für  vierzehn  tag.  So  sich  geendet  haben,  uff  yettlich  pfert 
zwen  gülden,  benantlichen  dreyhundert  vnd  zehn  Rutscher  gülden,  die 
ich  also  von  stund  an  den  selben  Hern  Rittern  vnd  knechten  zur  be- 
zallung  überantwurt  vnd  geben  hab.  Hiervff  sagen  ich  gemelten  min 
gnedigen  Hern  oder  wer  von  siner  gnaden  wegen  quitirens  hierumb 
bedarf,  gemelter  dreyhundert  vnd  zehen  Rinscher  gülden  quitt,  lidig 
vnd  loss,  zu  vrkund  mit  meinem  Ingedrnckten  Ingesigel  versigelt  vnd 
geben  vff  dem  nechsten  frytag  nach  dem  Heiligen  pfingstag  anno  etc 
1499.  >  (Das  Siegel  ist  aufgedrückt).  -  Am  2.  Juni  (Fürst.  U.  B.  IV 
245)  erhält  ein  Hans  Rumely  in  Rheinfelden  65  fl.  «  für  ain  p  f  e  r  d  , 
so  Her  Fridrichen  Kapler  in  abschlag  seines  solds  geben  ist.» 
—  Gleichfalls  in  Luzern  liegt  folgende  Quittung  (Doniat)  vom  7.  Juni 
«Ich  Friderich  Kappler,  Ritter.  Bekenn,  das  ich  von  dem  wol- 
gebornen  Herren  Heinrichen  Graven  zu  Fürstenberg  etc.  oberister  velt- 
hopptmann  etc.  empfangen  hab  Hundert  vnd  Sibenzig  Rinscher  gül- 
den vnd  die  Sibenzig  vff  meinss  bruder  Wilhelm  Kappllers  sold. 
Hier  vff  So  Sagen  ich  (etc.  wie  bei  der  obigen  Quittung).  .  .  vff  fryt- 
tag  vor  Sant  Margrethentag  anno  etc.  (ohne  Ortsangabe  ;  das  Siegel 
ist  aufgedrückt.) 


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—   90  - 


velthopptman»  die  Unterthanen  der  Herrschaften  Pfirl, 
Thierstein  u.  s.  w.  zum  Gehorsam  auf.  Diese  hätten  sich 
zu  den  Eidgenossen  «geschlagen»  und  müssten  darum 
auch  unter  die  Reichsacht  fallen,  sofern  sie  nicht  «uf  den 
achten  tag  nach  Datum  dieses  briefs  vor  uns  hier  (in 
Altkirch)  oder  wo  wir  dann  im  veldtlager  sin,  erschinen».1 

Und  am  21.  Juni  zeigen  Fürstenberg  und  «.Friedrich 
Cappler,  ritter,  beid  obrist  veldhauptleut»  von  Altkirch 
aus  der  Stadt  Basel  an, a  dass  sie  «an  all  ungehorsame 
underthanen  ernstlich  gepolsbrief»  haben  ausgehen  lassen. 
«Derselben  Mandat  eins»  möge  die  Stadt  am  Gerichts- 
hause anschlagen.  Auch  solle  sie  dem  Grafen  Wecker 
von  Bitsch,  der  «von  Reichs  wegen»  mit  50  Pferden,  26 
zu  Fuss  und  zwei  W  agen  heraufziehe,  den  Durchmarsch 
gestalten.  —  «Statthalter  des  Bürgermeisterthumbs  und 
Rath  der  Stadt  Basel»  ertheilen  hierauf  umgehend  (am 
22.  Juni)  Fürstenberg  und  «herrn  Fridrichen  Cappler, 
Ritler,  röm.  kön.  Maj.  oberste  feldhauptleut  sampt  und 
sonders»  ihre  Zusage  ;  nur  möge  der  Bitscher  ein  oder 
zwei  Stunden  vorher  seine  Ankunft  melden.3 

Diese,  an  sich  schon  unklare  Stellung  Kapplers  neben 
Fürstenberg  war  aber  ganz  vorübergehend 4  und  halte 
vielleicht  nur  den  Zweck,  auf  ungehorsame  Unterthanen 
und  saumselige  Ritter,  denen  Fürslenberg  landfremd  war, 
grösseren  Eindruck  zu  machen. 

Am  29.  Juni 5  findeu  wir  Fürstenberg  und  Kappler 


1  Ebenda  S.  261. 

2  Ochs  IV.  600. 

3  Fürst,  ü.  B.  IV  268  u.  265  g.  Vgl.  auch  Ochs  IV  615 

4  Fürst.  U.  B.  IV  S.  24b  heisst  es  in  der  «  raytung  »  schon  am 
29.  Juni  (Altkirch)  nur :  Her  Fridrich  Kapler  in  abschlag  seines  soldts 
aa  tuch  geben  25  fl.  48  Kr.  (Wilhelm  Kapler  erhält  am  30.  Juni 
desgleichen  an  Tuch  30  fl.  18  Kr.)  und  (S.  250)  vom  12.  Juli  (Alt- 
kirch) datiren  die  Quittungen  des  «Fridrich  Kappler.  ritters>  über 
170  fl  —  Ueber  die  Stellung  des  obersten  Hauptmanns  und  der 
Hauptleute  vgl.  Würdiuger  II  832  ff. 

5  die  Quittung  vom  29.  Juni  in  Altkirch  (s.  die  vorst.  Anm.)  ist 
nach  Fürst.  U  B.  248,  6  nicht  von  Kappler  selbst  ausgestellt,  sondern 


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-  91 


in  Ensisheim  der  Geldnoth  wegen.  Fürstenberg  und 
tFridrich  Capler  Ritler»,  sowie  der  Statthalter  und  die 
Rälhe  zu  Ensisheim  schreiben  an  Jakob  von  Eptingen,1 
er  habe  «uff  Fritag  zu  nacht  nechstkünftig  hie  zu  En- 
sissheim  an  der  herberg»  zu  sein  «aller  mängel  halb 
helfen  beschliessen  und  Ordnung  raachen».2 

Am  19.  Juli  lag  das  Hauptquartier  des  Hofmarschalls 
im  Kloster  St.  Apollinaris. 3  Man  steht  vor  einem  ent- 
scheidenden Schlag,  und  nun  erscheint  Friedrich  Kappler 
in  einem  Schreiben  Fürstenbergs  von  St.  Apollinaris  aus 
an  die  Stadt  Basel  nicht  mehr  neben  dem  obersten  Feld- 
hauptmann, sondern  in  dritter  Stelle  als  «Feldhauplmann» 
hinter  dem  in  gleicher  Eigenschaft  bezeichneten  Landvogt. 
Fürstenberg  will  jetzt  allein  Oberbefehlshaber  sein  und 
heissen. 4 


für  Rodique,  sonlitenant  general  de  la  garde  da  roi  von  einem  Je- 
hann  de  Fontainea  >  (?  Am  28.  Jnni  :  «  Rodigo,  haubtman  der  weli- 
schen  gard  auf  sein  volk  in  abslag  ihres  solds  tuech.  für  612  fl.  45 
Kr.,  am  8  Juni:  derselbe  Rogdighe  de  la  Lanng  1000  fl  vgl.  auch 
zum  15.  Mai  >)  Die  Quittung  Kapplers  liegt  aber  in  Luzern  u.  lautet 
(Abschrift  Doniat):  «Ich  Friderich  Kap  pl  ler.  Ritl  er,  Bekenn 
mich,  das  ich  empfangen  hab  von  etc.  zu  abschlag  Mins  soldes  vier 
vnd  zwenzig  Elen  duclis  für  vier  und  zwanzig  Rinscher  guldin  vnd 
zwelf  ein  fntterduch,  die  ein  für  nunt  Crüzer,  tutt  Ein  gülden  vnd 
acht  vnd  vierzig  Crüzer.  Solicher  obgemelter  Sum  sag  ich  obgemel- 
ten  Min  gnedigen  Hern  vnd  wer  darumb  quitirens  bedarf  quitt,  lidig 
v.  los  zu  vrkund  mit  minem  Ingedruckten  Ingesigel.  Geben  zu  Alt- 
kirch vff  Sant  Petter  vnd  Panlstag  apostol.  anno  etc.  >  (=29  Juni.) 
Auch  die  Quittung  Wilhelm  Kapplers  (vom  Sonntag  nach  Peter  u. 
Paul)  liegt  in  Luzern.  —  Friedrich  ist  also  erst  nach  Ausstellung  die- 
ser Quittung  am  29.  Juni  nach  Ensisheim  geritten. 

1  Fürst.  U.  B.  IV  268.  —  Jak.  von  Eptingen  war  ein  Basler 
Edelmann.  (Ochs  IV  603  u.  626). 

2  Am  30.  Juli  ladet  Fürstenberg  etc  von  Altkirch  aus  auch  Probst 
u.  Kapitel  von  St.  Peter  in  Basel  nach  Ensisheim  <  Gelds  halber ». 
Sie  leihen  200  fl.  (Ebenda  S.  271  Anm.  I  u.  272) 

3  bei  Volkensberg,  Cistercienser-Kloster,  zur  Abtei  Lützel  ge- 
hörig. 

4  Fürst,  ü.  B.  IV  267,  n:  Fürstenberg  u  «Caspar  Freiherr  zu 
Mörsperg,  Landvogt,  Fridrich  Cappeler  Ritter,  Feldhauptleute 
u.  andere  kön.  Maj.  Räthe,  jetzt  zu  St  Apolinaris  versammelt  >  schrei- 
ben, dass  nächstens  Ludwig  von  Reinach  mit  einem  Auftrage  «  von 
wegen  kön.  Majestät  >  nach  Basel  kommen  werde.  —  Vgl.  Ochs  IV 


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—  92 


Und  doch  hülle  Kappler  etwa  4  Wochen  vorher  die 
Scharte  vom  22.  März  glänzend  ausgewetzt.  Am  15.  Juni 
meldet  der  Nördlinger  Ulrich  Strauss  nach  Hause,  «die 
beiden  Fürstenberg»  hatten  geschrieben,  dass  «Herr  Frid- 
rich  Cappeller  bei  Lauf,  dem  Bischof  von  Basel  gehörig, 
ob  600  Eidgenossen  erstochen.*  1  — 

Maximilian ,  der  schon  seit  April  in  Oberdeutschland 
war,  lag  vcm  9.  Juli  an  in  Lindau  ;  das  Genirum  des 
Heeres  sland  bei  Conslanz.  Man  hatte  von  Tirol  und  vom 
Norden  her  nichts  ausgerichtet.  Nun  sollten  die  Schweizer, 
deren  Hauptmacht  auf  und  um  den  Gaisberg  herum  im 
Thurgau  lag  (im  «Schwaderloch»),  dort  von  Couslanz  aus 
festgehalten  uud  von  Lindau  und  dem  Sundgaue  aus  um- 
fasst  werden.  So  erhielt  der  Hofmarschall  den  Befehl,  in 
die  Wcslschweiz  einzurücken.  Bereits  am  21.  Juli  sland 
er  mit  14  000  Mann  zu  Fuss  und  2000  Reitern  vor  dem 
festen  Schlosse  Dornach  an  der  Birs  in  Solothurn. 

*Strassburg.  Schlettstadt,  Colmar  mit  gewalt 

Kamen  gezogen  jung  und  alt 

Und  ander  Stadt  im  Elsass  gelegen. 

Sie  wollten  Dornegg  zerstöret  han. 

Dess  heten  sie  sich  verwegen. 

Friburg  in  Brisgow  und  Ensesheim 

Die  acht  geschlecht  (?)  und  Eapelstein. 

Darzu  vil  grafen,  ritter  und  knechte 

Mit  grossem  geschütz  kamen  für  Dornagg  das  sc  bloss 

Und  heten  ein  gross  geprechte.»  - 

Obgleich  die  Baseler  durch  Abgesandte  des  Raths 
dem  Oberbefehlshaber  riethen,  auf  seiner   Hut  zu  sein, 


629.  —  In  ähnlicher  Weise  hatte  auch  der  württemb.  Landhofmeister 
Wolfgang  v.  F .  des  Hofmarschalls  Bruder,  der  Oberbefehlshaber  des 
schwäbischen  Bundes,  einen  erprobten  Kriegsmann  neben  bzw.  unter 
sich,  den  Ritter  Diepold  Spät.  ;Heyd  I  61). 

1  Ebenda  S.  262  Anm.  2  u.  Ulmann  I  772  An  in.  3.  —  Laufen, 
an  der  Birs,  4  Stunden  oberhalb  Basels. 

2  Ulmann  I  778  ff  —  Ochs  IV  631  ff.  -  Bnrkhardt  Bilder  aus 
der  Gesch.  Basels.  Heft  3.  —  Pirkheimer  83.  —  Liliencron  II  398  — 
Münch,  Fürstenberg  I  437  ff. 


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-   93  - 


liess  er,  nachdem  die  Geschütze  vor  dem  Schloss  aufge- 
pflanzt waren,  das  Heer  in  dem  weilen  Thale  bis  Arles- 
heim hin  sich  lagern,  ohne  auch  nur  Wachen  aufzustellen ! 
«Laubhütten  wurden  errichtet.  Das  benachbarte  Elsass 
führte  Wein  und  Speise  im  Ueberflusse  herbei ;  die  Baseler 
Domherrn  sandten  Silbergeschirr  und  Kleider».  Denn  es 
war  Maria  Magdalenentag,  und  der  sollte  fröhlich  gefeiert 
werden.  —  Die  Reiterei1  hatte  einen  Mann,  der  nach 
Basel  wollte,  aufgegriffen.  Von  ihm  erfuhr  man,  dass  die 
Schweizer  in  der  vorigen  Nacht  schon  in  Liestal  gewesen 
seien.  Die  Reilerobersten  warnten  Fürslenberg,  aber  er 
schickte  sie  in  ihre  entlegenen  Dörfer  zurück  und  liess 
den  aufgegriffenen  Mann  als  Kundschafter  aufhängen ! 
Da  begaben  sich  die  Hauptleute  zu  ihm  und  baten,  er 
möge  nun  doch  wenigstens  das  Fussvolk  zusammenhalten 
und  Posten  aufstellen;  sie  seien  bereit,  aufs  Sorgfältigste 
den  Wachtdienst  zu  handhaben.  Aber  er  schall :  «Ich 
habe  zu  befehlen,  nicht  ihr;  ich  weiss  selbst,  was  zu  thun 
und  zu  lassen  ist»  ! 2  Und  zu  Wecker  von  Bilsen  3  sagte 
er:  «Lieber  Graf,  meinst  Du,  dass  es  Schweizer  regne 
oder  schneie?  Ihrer  ist  nit  so  viel,  so  habend  sie  an 
andern  Orten  auch  zu  schaffen.  Wer  sich  förchtet,  der 
leg  ein  Panzer  an  ! »  — 

Der  gehängte  Bauer  hatte  die  Wahrheit  gesagt.  Die 
Solothurner  waren  in  Liestal  gewesen,  und  Eilboten  um 
Zuzug  nach  Bern,  Zürich  und  Luzern  geritten.  Ja,  am 
Nachmittag  des  22.  Juli,  standen  Solothurner,  Berner  und 
Züricher  bereits  auf  der  Schartenfluh,  und  sahen  das 
feindliche  Heer  drunten  in  sorgloser  Zerstreuung  lagern. 
Die  Einen  badeten  in  der  Birs,  andere  tanzten,  würfelten, 


1  Es  waren  auch  400  Bargander  dabei,  «  die  welsche  Garde  >, 
von  Philipp,  dem  Sohne  Maximilians,  gesandt,  s.  S.  90  Anm.  5. 

2  Comes  non  sine  verborum  contamelia  abire  jnssit  asserens,  se, 
non  illos  imperare,  et  recte  qaid  agendum,  quidve  omittendnm  nosse. 
(Pirkheim  er). 

3  Brandis  374. 


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—   94  - 

zechten,  alles  wie  im  tiefsten  Frieden !  Da  nähten  sich 
die  Solothurner,  die  die  Vorhut  bildeten,  das  österreichi- 
sche Kriegszeichen,  rolhe  Kreuze,1  auf  die  Brust  und 
stürtzten  gegen  4  Uhr  unter  die  Feinde.  Fürstenberg 
hörte  das  Geschrei,  eilte  herbei,  und  meinte,  durch  die 
Kriegslist  der  Schweizer  getäuscht,  es  handle  sich  nur 
um  eine  Lagerschlägerei.  Da  hieb  ihn  ein  Eidgenosse 
«bei  den  puchsen»  zu  Boden,  und  das  Heer  war  führer- 
los. Zwar  sammelte  man  sich,  so  gut  es  ging,  und  bald 
kamen  die  Solothurner  selbst  in  Noth.  Aber  nun  rückten 
die  übrigen  Schweizer  heran,  die  eigentliche  Schlacht 
entbrannte,  viele  Edle  fanden  den  Tod,  darunter  Wecker 
von  Bitsch,  Mathias  von  Kastelwart,  der  letzte  seines  Ge- 
schlechtes, der  die  Breisgauer  führte,  und  Arbogast  von 
Kageneck,  der  Fähndrich  Strassburgs,  gegen  Heinrich 
Bahn  von  Zürich,  der  das  Strassburger  Banner  eroberte. 
Doch  ist  noch  nichts  entschieden ;  ja  die  Schweizer  schei- 
nen zu  ermüden  ;  einige  fliehen  schon.  Da  naht  ihnen  Hilfe  : 
Zuger  und  Luzerner,  frische  Mannschaft,  greifen  um  6 
Uhr  ein,  überrennen  die  Ensisheimer ,  Freiburger, 
Strassburger,  und  Alles  ist  verloren !  Doch  geschah  der 
Rückzug  mit  «wehrender  Hand»,  und  der  Sieger  verfolgte 
den  Feind  nicht  weil.  «Nacht,  Ermüdung  und  Besorgniss 
vor  einem  Hinterhall  hinderten  ihn.»2 

Aber  der  Verlust  an  Menschen  und  Kriegszeug  war 
sehr  gross.  Alles  Geschütz  vor  Dornach  fiel  in  des  Feindes 
Hand,  auch  der  «Strauss»  von  Strassburg  und  das  «Kät- 
terli3»  von  Ensisheim,  dieses  55,  jener  40  Geniner  schwer. 
Die  erbeutete  Strassburger  Fahne  wurde  in  die  Wasser- 
kirche zu  Zürich,  die  Banner  von  Ensisheim  und  Frei- 


1  Liliencron  II  419  «Französische  Stück  han  sie  gelert,  dass  ihr 
weiss  Kreuz  sie  han  verkehrt.  >  (Das  weisse,  eidgenössische  Kreuz 
trugen  sie  auf  dem  Rücken.) 

*  Ochs  IV  643. 

8  Bei  Liliencron  II  41 6  heisst  die  «büchsen  von  Ensen»:  «das 
Rerailli.»  (?) 


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-    95  — 

bürg  nach  Solothurn  gebracht.1  Die  Leichen  Fürstenbergs, 
Weckers  von  Bitsch  und  Gastelwarts  bestattete  man  in 
der  Kirche  zu  Dornach  «nächst  bei  dem  Sakramentshaus.»2 
Brandis  nennt  unter  den  gefallenen  Rittern  noch  die 
Elsässer  Christoph  von  Hattsladt,  Martin  Slör  und  — 
aherr  Fridrich  Capeller*.  Aber  Kappler  hat  jene  zwei 
Waffenge  fährten  seines  Silges  bei  Galliano 3  überlebt ; 
er  kam  glücklich  aus  der  Niederlage  ins  Elsass  zurück.1 
Von  seinen  Erlebnissen  an  dem  Unglückstage  verlautet 
nichts ;  aber  7  Monate  hernach  taucht  sein  Name  wieder 
auf.  lier  Schwabenkrieg  war  durch  den  Frieden  von  Basel 
am  22.  Sept.  1499  beigelegt. 

Schon  vorher  (wenige  Tage  nach  der  Schlacht  bei 
Dorn  ach)  halten  Wilhelm  von  Rappoltstein  und  die  Räthe 
in  Ensisheim  (darunter  wohl  auch  Kappler  als  Vogt  von 
Masmünsler)  an  die  Stadt  Basel  geschrieben  :  «Uns  langt 
in  Landmannsweise  an,»  dass  eidgenössische  Boten  «Euch 
von  dem  heil.  Reich  und  der  1.  Niedern  Verein  unter- 
stehen abzusondern.»  Darum  ist  «unsere  Ermahnung,  Be- 
gehren und  Bitte,  Ihr  wollet  euch  in  keinem  Weg  von 
dem  h.  Reich  und  den  Verwandten  der  bemeldten  Verein 
weisen  lassen.»  Und  wenn  «Euch  je  gewalliger  Gelrang 
unsers  Widertheils,  der  Schweizer,  zustehen  wollte,»  so 
werdet  ihr  omit  nichten  verlassen»  werden  !  5 

Basel  stand  eben  —  wie  die  Zukunft  lehrte,  mit 
Recht  —  im  Verdachte,  abfallen  zu  wollen,  und  das  führte 
zu  Spannungen  mit  den  Nachbarn,  obgleich  die  Stadt 


1  Liliencron  II  405. 

2  Ochs  IV  645. 

3  s.  Abschn.  IX  S.  66. 

4  Auch  Christoph  v.  Hattstatt  scheint  nicht  gefallen  zu  sein,  wenn 
er  derselbe  ist,  der  bei  Ochs  IV  711  als  c  Vogt  von  Landser»  er- 
wähnt wird. 

5  Ochs  IV  659  «Datum  auf  Freitag  nach  Jacobi  Fast  eilends, 
um  3  Uhr  Nachmittag  anno  99.»  —  Landvogt  war  noch  (vgl.  Ulmann 
782,  1)  Konrad  von  Mörspurg ;  der  Rappoltsteiner  wird  also  in  Beinern 
Auftrag  (als  Altlandvogt)  geschrieben  haben. 


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_  96  — 


noch  am  25.  August  einen  Tag  der  niederen  Vereinigung 
zu  Strassburg  beschickte.  Der  Rath  verhandelte  wegen 
einzelner  Vorfälle  «in  Güte»  mit  den  Beamten  der  Vor- 
lande, unter  denen  auch  Kappler  genannt  wird,1  und 
verbot  den  Druckern  bei  Geldstrafe,  «Schreiben,  Gedichte, 
Lieder  und  Anderes  zu  drucken»,  was  die  Schweizer  oder 
die  «Oesterreicher»  übel  nehmen  könnten.  Aber  man 
traute  den  Baslern  nicht  mehr,  und  in  der  That  trat  die 
Stadt  bereits  1501  der  Eidgenossenschaft  bei. 


XIII. 

Landvogt  in  Mömpelgard 

(Kappler  bei  der  Belagerung  von  Besigheim). 

Wenige  Tage  nach  seinem  Briefwechsel  mit  Basel 
(siehe  die  Anm.  hier  unten)  finden  wir  (am  30  Sept.)  den 


i  und  zwar  mit  dem  Titel:  Cappler,  Ritter,  Landvogt  von 
Mömpelgard  und  Obervogt  zu  Masmünster  (Ochs  IV  711.) 
S.  714  erzählt  Ochs:  < Sonderbare  Anmassungen  geschahen  auch.  Ein 
Elsässer  war  zur  Zeit  der  Dornacher  Schlacht  anf  seiner  Fluchi  zu 
einem  Solothurner  gestossen,  der  ihn  als  Feind  tödten  wollte,  als 
2  Basler  von  Mattenz  ihn  noch  zu  rechter  Zeit  davon  abmahnten.  Der 
Solothurner  liess  sich  mit  den  Hosen,  worin  7  gülden  waren,  u.  dem 
Wammisch  des  Elsässers  befriedigen.  Sieben  Monate  nachher  begehrte 
der  Ritter  Cappler,  Vogt  zu  Massmünster,  dass  unser  Rath  die  2 
Retter  dieses  Elsässers  anhalten  sollte,  ihn  für  seinen  erlittenen  Ver- 
lust zu  entschädigen.  >  —  Dieser  Elsässer  hiess  Hans  Bintz  u.  war  aus 
Masmünster.  Nach  einem  Briefe  Kapp ler 8  €  Ritters  u.  Obervogts  zu 
M.  >,  an  die  Stadt  Basel  (uf  unser  lieben  Frauen  tag  assumtionis  anno 
dorn.  1499  >  war  Bintz  «  uf  königlich  freyer  stross  »  von  den  Mut- 
tenzern beraubt  worden  (Staatsarchiv  Basel  L  145  N  1-2).  Ein 
zweites  Schreiben  (Freytag  vor  Maria  Geburt  =  6.  Sept.)  erinnert  den 
Rath  noch  einmal  an  die  Zurückgabe  des  geraubten  Gutes  u.  ersucht 
um  Antwort  «  mit  dem  boten.  >  Im  Missivbuch  (29  Juni  1499  bis  7. 
Juli  1502)  stehen  fol.  95  u.  167  die  ausweichenden  Antworten  der 
Stadt. 


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97  - 


bisherigen  Obervogt  von  Masmünster  in  würtlembergischen 
Diensten  als  Landvogt  von  Mömpelgard.1  Schon  vor  der 
Dornacher  Schlacht  hatte  er  seine  Entlassung  nehmen 
wollen.  Jelzl  wird  ihn  der  Aerger  über  das  erlebte  Miss- 
geschick zu  dem  Wechsel  mitveranlasst  haben. 

Herzog  Ulrich  von  Württemberg  war  damals  erst 
12  Jahre  alt  und  stand  unter  Vormundschaft.  Das  Iler- 
zogthum  wurde  auf  kaiserlichen  Befehl  von  einer  Regie- 
rungskomraission  unter  dem  Landhofmeister,  Grafen  Wolf- 
gang von  Fürstenberg  verwaltet,2  dem  Bruder  des  bei 
Dornach  gefallenen  Heinrich.  Ohne  Zweifel  hat  also  der 
Landhofmeister  die  Berufung  Kapplers  herbeigeführt. 

Im  k.  würltbg.  Haus-  und  Staatsarchiv  rubr.  Be- 
stallungen Beschl.  2a  liegt  folgende  P er ganientur Kunde z 
mit  dem  Siegel  des  Ausstellers  (1499,  Sept.  30): 

«Ich  Fridrich  Cappler,  ritter,  bekenn  vnd  tun  kunt 
offernbar  mit  disem  brieve,  das  der  durchluchtig  hoohge- 
bornn  fürst  vnd  herre  herre  Virich  hertzog  zu  Wirtemberg  vnd 
zu  Teckh  grave  zu  Mumpelgart  mit  geordnetem  regiment.4 
etc.  min  gnediger  herre,  mich  zu  siner  gnaden  vnd  dero 
erben  lanndvogt  gen  Mumpelgart  off  hutt  dato  angenomen 
vnd  bestelt  hat  siben  jar  die  nechslen  nachainander  vol- 
gende,  mit  sechs  gerusten  pferiden,  soverr  ich  das  mins 
lybs  vermuglichait  halben  die  zyt  tun  mag,  sinen  gna- 
den vnd  siner  gnaden  erben  damit  zu  warten  vnd  zu 
dienen  wider  allennenglic/t.5  Vnnd  vmb  solichen  minen 


1  Sein  Vorgänger  war  Hans  von  Reischach  (Heyd  I  61). 

*  Stalin  4,  18.  —  Fürst,  ü.  B.  IV  N.  230  u.  234.  Wolfgang  war 
auch  1495  mit  Kappler  im  Gefolge  des  Grafen  Eberhard  im  Bart  anf 
dem  Reichstag  in  Worms  gewesen.  (N.  183,  1.) 

8  Abschrift  Doniat.  (Satzzeichen  sind  eingesetzt). 
4  Der  Vorsitzende  dieses  «  geordneten  Regiments  >  war  eben  der 
Landhofmeister. 

*  Natürlich  den  Kaiser  ausgenommen.  Kappler  scheint  sogar 
gleichzeitig  Vogt  in  Masmünster  geblieben  zu  sein,  wo  dann  eben,  wie 
schon  früher  während  seiner  Kriegsfahrten,  ein  Untervogt  die  Verwalt- 
ung geführt  haben  wird.  Ochs  (IV  7 11,  s.  Äbschn.  XII,  S.96  Anm.  1)  nennt 
ihn  «Landvogt  von  Mömpelgard  u.  Obervogt  zu  Masmünster»  und 

7 


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dienst  sollen  sin  gnad  vnd  dero  erben  mir  die  vorgemel- 
ten  zit  vss,  jedes  jars  besonder,  geben  druwbundert  guldin 
reinischer,  zwaintzig  bitscbit  waissen,  zwaintzig  bitschit 
baberns,  zwai  hundert  hiinr,    hew  vnd  strow  zu  minen 
sechs  pferden,  behollzung  oder  achtzig  francken  darfur. 
Weders  ich  wil  vnd  ich  soll  vnd  mag  aucli  den  hussral 
im  sloss  ze  Mumpelgart  zimlich  vnd  one  abgengisch  vnd 
vngevarlich  bruchen  vnd  wie  ich  den  find  also  widerumb 
zu  antwurten.  Und  wann  ich  in  siner  gnaden  oder  siner 
gnaden  dienst  zu  rydten  ervordert  wurde,  so  sol  ich  von 
sinen  gnaden  vnd  dero  erben  mit  schaden  vnd  anderm 
gehalten  werden  wie  ander  siner  gnaden  vnd  dero  erben 
diener.  vnd  ob  desshalb  spenn  zwüschent  vnnser  ent- 
stünden, des  soll  ich  plyben  vngewagert  an  vsslrag  rechts 
vor  siner  gnaden  vnd  siner  gnaden  hoflmaistcr  vnd  retten. 
Und   ob  sin  gnad  oder  siner  gnaden  erben  sin  grave- 
schafft  Mumpelgart  vertuschen.  verkoutTen  oder  susl  in 
ander  band  vber  kvrlz  oder  lang  wenden  wurden,  so  sol 
alssdann  vorgemelt  beslalung  ab  sein,  vnd  sin  gnad  vnd 
siner  gnaden  erben  mir  furterhin  die  zyt  der  siben  jar 
jedes  jars  besonder  zu  sohl  geben  vnd  antwurten  zway- 
hundert  guldin,  darumb  ich  sinen  gnaden  vnd  siner  gnaden 
erben  von  hussvss  mit  sechs  pferden  zu  dienen  gewertig 
vnd  verbunden  sin  soll  in  aller  mass  wie  vorgeschoben 
stet.  Ob  auch  der  vorgenant  min  gnediger  herr  hertzog 
Ulrich  selbs  personlich  gen  Mumpelgart  komen  vnd  aiu 
zitlang  daselbs  sein  vnnd  dess  halben  oder  sunst  costen 


«in  einem  schwäbischen  Bundesbuch  (Staatsarch  Stuttgart),  wonach 
Kaiser  Max  am  27.  Dec.  1501  wie  einer  Reihe  anderer  Adeligen,  so 
auch  dem  «Fridrich  Capller»  mit  12  Mann  bereit  zu  sein  gebot, 
falls  für  Zwecke  des  wiederaufgerichteten  schwäbischen  Bundes  ihm 
eine  Weisung  zugehen  sollte,  findet  sich  in  dem  allgemeinen  Aus- 
schreiben, dem  die  Liste  der  einzelnen  Namen  folgt,  die  Bestimmung: 
«  und  du  uns  in  Kraft  deiner  Bestallung  zu  dienen  schuldig  bist.  > 
(I)oniat).  Und  im  Innsbr.  Raitbuche  (1504  fol.  97)  steht  folgender  Ein- 
trag :  <  1504,  Dec.  20.  Provision,  sold  und  dinstgelt  Her  Fridrichen 
Käpaler  ritter  an  seiner  schuld  verraiten  dinstgelt  durch  Oswoldn 
Streidfelder  am  XX  tag  decembris  auf  sein  Quittung  VI  Guld.  * 


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—   99  — 


haben  würde,  so  dann  sin  gnad  mich  mit  minem  gesiind 
in  siner  gnaden  costen  auch  nemen,  so  soll  mir  sin  gnad 
alsdann  jars  nit  mer  dann  zwayhunderl  guldin  zu  gehen 
schuldig  sein  vnd  alssdann  mit  mir  nach  antzal  der  zyt 
auch  abgerechet  vnd  mir  min  gepurender  tail  verdients 
solds  ussgericht  und  bezall  werden.  Doch  so  ich  also  in 
siner  gnaden  costen  were,  sol  ich  auch  von  sinen  gnaden 
mit  beschlach  vnd  salelgelt,  auch  anderm,  wie  ander 
siner  gnaden  diener  gehalten  werden.  Vnnd  ich  sol  auch 
das  gejagt  die  zyt  mines  diensts  zu  der  graveschafft 
Mumpelgart  bejagen  vnd  sinen  gnaden  daselb  auch  zum 
besten  handhaben  alles  one  siuer  gnaden  schaden.  Vnnd 
hieruff  so  hab  ich  vorgnanter  Fridrich  geloupt  vnd  ainen 
ayd  zu  got  vnd  den  hailigen  gesworn,  siner  gnaden  nutz 
vnd  fromen  zu  schalen  vnd  dero  schaden  zu  warnen  vnd 
zu  wenden  nach  minem  besten  vermögen  vnd  die  landt- 
vogty  vsszurichlen  vnd  zu  uersehen  mit  in  nemen,  vss- 
geben  vnd  anderm  zu  nutz  der  graveschafTl,  wie  sich 
gepuret,  vnd  ain  glicher  amptman  vnd  Hehler  zu  seind 
dem  armen  als  dem  reichen  vnd  dem  reichen  als  dem 
armen  vnd  das  nit  zu  lassen  weder  vmb  lieb  noch  laid, 
fruntschafft,  vintschafn,  miet,  noch  gäbe,  noch  kain  an- 
der sach,  vnd  dhaiu  schenckiu  nemen  anders  dann,  wie 
andern  siner  gnaden  amptlulen  in  siner  gnadn  furslen- 
thumb  zugelassen  sint,  auch  sinen  gnaden  vnd  siner 
gnaden  erben,  so  ich  an  siner  gnaden  rat  erfordert  oder 
darinn-  sein  wurde,  gelrulich  nach  miner  besten  verstent- 
uus  zu  raten,  vnd  was  in  rat  vnd  gehaym  gehandelt 
wirdet,  dasselb  zu  verswygen  bis  in  minen  tod,  vnd  sust 
auch  allem  dem,  so  obgeschriben  stet,  vfrecht  vnd  erberg- 
lich  nach  zu  komen,  alles  getrulich  vnnd  vngevarlich. 
Unnd  des  ze  warem  vrkund  so  hab  ich  min  aigen  inn- 
sigel  ofTenlich  gehennckl  an  diesen  brieff,  der  geben  ist 
an  montag  nach  sant  Michels  des  hailigen  erlzengels  tag 
nach  cristi  gepurt  vierlzehenhundert  nunlzig  vnd  nun 
jare.»  — 


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—    100  - 

So  ritt  denn  der  alte  Friedrich  Kappler  zu  Anfang 
Oktober  in  Masmünster  aus  und  wird  über  Beifort  und 
Hericourt,  die  Gegend  seiner  ersten  Lorbeern,  nach 
Mömpelgart  gelangt  sein. 

Von  seiner  Verwaltungsthätigkeit  in  der  neuen 
Stellung  ist  mir  nichts  bekannt  geworden.  Dagegen 
taucht  er  einige  Jahre  später  (1504)  wieder  als  Kriegs- 
mann auf  und  zwar  im  bairischen  Erbfolgekrieg. 

Georg  von  Baiern-Landshut  (f  1503)  hatte  seinen 
Neffen  und  Schwiegersohn,  den  Pfalzgrafen  Ruprecht, 
zum  Nachfolger  eingesetzt.  Dagegen  erhoben  die  Herzöge 
Albrecht  und  Wolfgang  von  Baiern-München  unter  Zu- 
stimmung des  Kaisers  und  des  schwäbischen  Bundes 
Einspruch.  Ulrich  von  Württemberg  schloss  einen  Vertrag 
mit  Herzog  Albrecht,  dass  er  ihm  mit  aller  Macht 
zuziehen  wolle,  falls  der  Kurfürst  Philipp  seinem  Sohne, 
dem  Pfalzgrafen ,  beistände.  Dies  trat  ein,  und  der 
Krieg  brach  aus.  Er  spielte  in  Baiern,  der  Oberpfalz, 
Franken  und  (gegen  die  Kurpfalz)  in  der  Neckargegend 
Auf  diesem  Theile  des  Kriegsschauplatzes  linden  wir 
Kappler. 1 

Am  12.  Mai  1504  schrieb  Herzog  Ulrich  an  Wolf- 
gang von  Fürstenberg,  er  möge  sich  schleunigst  gerüstet 
in  Stuttgart  einfinden,  und  in  dem  Verzeichniss  seiner 
«Helfer»  gegen  die  Pfalz  steht  auch  :  «Friderich  Kappler , 
Ritter,  lantvogt  zwMumpelgart,  obrister  veldthauptmann».* 

Das  württembergische  Heer  (über  15000  Mann) 
sammelte  sich  Mitte  Mai  bei  Vaihingen  und  Groningen  ; 
Kappler  befehligte  die  Reilerei.  Die  Hauptwaffenlhat  des 
Feldzugs  war  die  Belagerung  der  Stadt  Besigheim. 


»  Würdinger  II,  174  ff.  -  Heyd  I.  95  ff.  —  Stalin  4,  58  ff. 

*  Fürst  ü.  B.  IV  No.  H6I  u.  Weech  in  Ztschr.  XXVI,  257:  Die  Ab- 
sage (im  «Reissbuch» )  scbliesst  mit  den  Worten:  und  (hab  auch)  ich  Fr  i- 
derich  Cappler,  ritter.  für  mich  selbs  minaigen  insigel  zu  ende  diser 
verwarung  getruckt.  »  (1504  <  d  ins  tag  nach  dem  heil,  pfingstag  >  = 
28  Mai.)  —  Auf  der  pfälz.  Seite  standen  übrigens  viele  eis.  Ritter» 
auch  Wilh.  von  Rappoltstein  (ebenda  S.  219  ff.) 


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-    101  - 


«Als  nun  von  der  Pfalz  kein  Rettung  kam,  und 
man  mil  hauptleuten,  büchsenmeislern,  volk  und  knechten, 
bley  und  anders,  zu  solchem  schimpf  gehörig,  ubel 
versehen  war,  versammelte  sich  ein  gantze  gemein  auf 
freytag  (27  Juli)  nach  Maria  Magdalenentag  in  der 
kirchen  und  durch  underhandlung  graflf  WolfTen  von 
Fürstenberg,  her  Friderich  Kaplers . . .  ergaben  sie  sich 
in  gnaden  des  morgens  am  sambstag»1 

Im  August  wurde  dann  Weinsberg  belagert  und 
eingenommen.  Pfalzgraf  Ruprecht  war  am  20.  August 
gestorben  ;  der  Krieg  neigte  sich  seinem  Ende  zu  ;  am 
10.  Sept.  schloss  man  einen  Waffenstillstand,  und  Ulrich 
entliess  einen  Tlieil  des  Heeres.  Da  um  diese  Zeit  das 
Gerücht  ging,  die  Eidgenossen  zögen  bin I er  Mümpelgard 
her  der  Pfalz  zu  Hilfe  *  so  wird  auch  Kappler  damals 
auf  seinen  Posten  zurückgekehrt  sein.3 

Württemberg  gewann  im  Frieden  (endgillig  erst 
1507  auf  dem  Reichstage  zu  Constanz)  bedeutenden  Land- 
zuwachs. — 

Wolf  gang  von  Fürstenberg,  der  bereits  1502  vom 
Kaiser  zum  Landvogte  der  Vorlande  ernannt  worden  war,4 
gerieth  in  dieser  Stellung  (im  Okt.  1505)  in  Zwiespalt 
mit  Herzog  Ulrich. 

Am  10.  Okt.  kam  er,  vom  Kaiser  «merklicher  Ur- 
sachen halb  auf  seine  Amtsverwesung  der  Landvogtei 
im  obern  Elsass  gesandt»,  in  Ensisheim  an  und  hörte 
dort,  dass  «des  Herzogs  Landvogt  zu  Mumpelgart  mit 
den  Unterthanen  allda,  auch  etlichen  aus  der  Herrschaft 
Richenwyler»,  die  zu  Ross  und  zu  Fuss  gerüstet  durch 
das   österreichische    Gebiet    heraufgezogen    seien,  die 


1  Crusius  (Moser)  II,  162  u. Fürst,  ü.  B.IVN  364.  Die  Ausrüstung 
Besigheims  bei  Weech  im  <  Reissbuch  >  (vgl.  S.  100  Anm.  2)  S.  186. 

2  Heyd  I  113. 

3  Der  Feldzug  hatte  viel  Geld  gekostet.   Der  Adel  aus  dem 
Sundgau  erhielt  an  Pferdeschaden  7302  fl.  (Heyd  I  119.) 

<  Fürst,  ü.  B.  IV  Nr.  325  und  326. 


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—    102  - 


Herrschaft  Blamont  eingenommen  habe,  die  jährlich  «ob 
1000  fl.  ertrage».  1 

Es  war  das  nicht  eine  Beutefahrt  wie  zur  Burgunder- 
zeit vor  31  Jahren,-  sondern  Friedrick  Kappler  hatte 
auf  ausdrücklichen  Befehl  seines  Herzogs  gehandelt. 
Das  Maus  Neuenbürg  (Neu-Chalel),  dem  Blamont  gehörte, 
war  im  Mannsstamm  erloschen,  und  Ulrich  erhob  Erb- 
ansprüche auf  die  Herrschaft  gegen  die  zwei  Schwieger- 
söhne des  letzten  Neuenburgers,  deren  einer  Graf  Wilhelm 
ton  Fürstenberg  war,  der  Sohn  des  Landvogtes  Wolfgang. 3 

Dieser  begab  sich  denn  auch  sofort  von  Eusisheim 
nach  Mömpelgard,  um  mit  Kappler  in  der  Sache  persön- 
lich «in  Güte»  zu  verhandeln. 

Schon  am  18.  Okt.  schreibt  er  von  Beifort  aus  an 
Ulrich,  dass  er  ohne  Erfolg  aus  Mömpelgart  abgeschieden 
sei,1  und  erhält  darauf  die  Antwort,  Blamont  gehe  den 
Landvogt  der  Vorlande  gar  nichts  an,  der  Herzog  sei  im 
Recht  und  werde  seine  Sache  dem  Kaiser  gegenüber  zu 
verantworten  wissen. 5 

Graf  Wolfgang  nahm  diese  Antwort  sehr  übel.  In 
einem  Schreiben  an  Ulrich  (am  30.  Okt.  aus  Sirassburg) 
beklagt  er  sich,  dass  er  dadurch  «hoch  verunglimpft» 
sei  ;  er  habe  in  der  Sache  aus  Rücksicht  auf  den  Herzog 
«gar  vil  minder  gethan»,  als  er  vor  dem  Kaiser  verant- 
worten könne,  und  er  müsse  darum  jetzt  dem  Herzoge 
Pflicht  und  Dienst  aufsagen.6  — 

Mitten  in  diesen  Handeln,  die  noch  unter  seinem 


1  Ebenda  Nr.  402  a. 

2  Siehe  oben  Abschnitt  VI. 

3  Stalin  IV  71.  Duvernoy  10.  Tuefferd  286  ff.  —  Fürstenberg 
nannte  sich  seigneur  d'Hericourt,  Clemont  et  Chatelot  (Tuefferd  292); 
Graf  Wilhelm  v.  F.  hat  callda  sein  eigen  Gut  u.  Verwaltung». 
(Fürst,  ü.  B.  IV  S.  366.)  Ulrich  hatte  ihn  in  Hericourt  unbehelligt 
gelassen  (Heyd  II  108)  —  Erst  1561  wurde  auch  Hericourt  württem- 
bergisch (Tuefferd  288). 

Fürst.  U.  B.  IV  Nr.  402  b. 
*  Heyd  II  109. 
6  Fürst,  ü.  B  IV  Nr.  402  c. 


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—    103  - 


Nachfolger  Joh.  Kaspar  von  Bubenhofen1  fortspielten, 
ist  Friedrich  Kappler  (Januar  1506;  gestorben  und  zu 
Masmünster  begraben  worden.  2 

Uf  sein  grabstein  hat  er  ihm  in  seinem  absterben 
bevolcheu,  sein  Wappen,  schild  und  heim  zu  hauen  und 
darüber  ein  gaisel  mit  dem  rimen  :  «Treihs,  so  gets!».% 


XIV. 
Nachlese. 

(Zur    Familiengeschichte    der  Brüder 

K  a  p  p  1  e  r.) 

Friedrich  Kappler  slarb  ohne  männliche  Nachkommen. 

Ravencz  (üebers.  der  Als.  ill.  S.  6G2)  schreibt:  «II 
avait  pour  femme  Veroniqne  de  Waldner,  dont  il  n'eut 
qu'une  fille  unique,  Claude- A nney  mariee  ä  Simon  de  Fe- 
relte.»  —  Die  Zimmer'sche  Chronik  (II  468)  dagegen  sngt : 
«  Uber  etliche  Jar  nach  Absterben  der  Spelin  hat  Wolf 

1  Stalin  (4.  70),  Heyd  (II  108)  u.  Tuefferd  (287)  erzählen,  Buben- 
hofen habe  (als  Landvogt  von  M.)  Blamont  eingenommen;  nach  dem 
Briefe  Wolfgangs  v.  Fürstenberg  an  Herzog  Ulrich  v.  16.  Okt.  1505 
war  es  aber  Kappler  («herr  Fridrich»). 

2  Im  «Jahrzeitbuch  der  wohladentlichen  1.  Leodegari  Stifft  u. 
Gottshaus  zne  Massmünster»  (angelegt  1674  auf  Befehl  der  Aebtissin 
Maria  Magdalena  v.  Falkenstein  ;  im  Bez.-Arch.)  steht  unter  dem 
«Verzeichnuss  der  Namen  der  gemeinen  Jahrzeiten,  so  jährlich  sollen 
verkündet  werden  (S.  11)  unter  «Januarius  1505»  :  «Herr  Fridrich 
Capler  Ritter  2  U  10  3»-  —  Statt  1505  ist  zu  lesen  1506;  der  Monat 
mag  stimmen.  Das  Grabmal  stand  hiernach  in  der  Stiftskirche  St 
Leodegar,  dio  am  Vormittage  des  11.  August  1859  abgebrannt  ist. 
Nur  der  Chor  steht  noch;  in  ihm  ist  heute  das  Amtsgericht  unter- 
gebracht —  In  dem  Jahrzeitbuch  ist  unter  «Aprilis»  ohne  Jahreszahl 
auch  eingetragen  eine  «Elissabetha  Capierin  1  ff  9  3  6  ^J». 

3  Zimra.  Chr.  11  468. 


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—   104  - 

von  Bubenhofeu  sich  wiederum  verheirathet  und  des  theu« 
ren  weit  bekannten  ritlers,  herr  Friedrich  Gaplers,  nach- 
gelassene witib  genommen.  Sie  war  aine  von  Radstadt , 
ein  erliche  liebe  Frau,  aber  sie  hat  bei  im  auch  kein  Kindt 
bekommen,  zugleich  wie  bei  ihrem  vorigen  mann,  herr 
FHdrich  Caplarn.*1 

Die  Mittheilung  von  Ravenez  ist  wohl  fast  ganz  irrig, 
wie  aus  dem  Folgenden  erhellt.2 

In  einem  alten  Bruderschaflsbuche3  (Ammerzweiler) 
stehen  die  Namen  : 

«Junckher  Heinrich  Gappier,  fraw  Clara  v.  Pfirdt, 
sein  Gemahel. » 

«Junckher  Friedrich  Gappier,  fraw  Anna  von  Giers- 
perg,  sein  Gemahel  und  noch  einmal: 

«Junckher  Heinrich  Gappier  und  sein  gemahl.» 

«Junckher  Frtdrich  Cappler  und  sein  Gemahl  von 
Hattstadt. » 

Der  erste  Heinrich  ist  zweifellos  der  Vater  unseres 
Friedrichs  und  der  zweite  Heinrich  wird  derselbe  sein,  da 
«sein  Gemahel»,  als  eben  schon  einmal  eingetragen,  nicht 
noch  einmal  mit  Namen  bezeichnet  ist.  Der  erste  Fried' 
rieh  ist  vielleicht  (vgl.  oben  Abschnitt  III  S.  17  Anm.  4) 
der  Bruder  Heinrichs,  der  zweite  dagegen  offenbar  Hein- 
richs Sohn,  also  unser  Friedrich,  und  die  Zimmer'sche 
Chronik  hat  Hecht,  wenn  sie  seine  Frau  eine  Rattstatt 
nennt.  Sie  hiess,  wie  sich  weiter  ergeben  wird,  Ursula. 
Wenn  die  Zimmer'sche  Chronik  sagt,  sie  habe  «kein  kindt» 


1  Und  weiter:  «Derselbig  ntter  war  bei  seinen  Lebzeiten  von 
Kaiser  Maximiliano  viel  gepraucht  worden  u.  hat  vil  ritterlicher 
namhafter  thaten  begannen,  war  bei  kurzen  Jahren  davor  gestorben 
u  zu  Massmünster  begraben  worden».  —  Wolf  v.  Bnbenhofen  war 
der  Bruder  Joh.  Kaspars  v.  B.,  des  Nachfolgers  Kapplers  in  Mömpel- 
gatd.  (Ebenda  II  453) 

2  Vgl.  S.  107  Anm  1. 

8  Aus  dem  16.  Jahrhundert,  anscheinend  auf  Grund  eines  älteren 
angelegt.  Jahreszahlen  sind  bei  den  verschiedenen  Namensgruppon 
nicht  angegeben.  (Doniat). 


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-   105  — 

gehabt,  so  ist  das  falsch.  Sie  hatte  nur  keinen  Sohn,  wohl 
aber  eine  Tochter,  die  Clarelse  hiess  wie  die  Grossmutter, 
und  als  der  Vater  starb,  noch  sehr  jung  gewesen  sein 
muss.  Auch  die  weitere  Miltheilung,  dass  sie  wenig  Jahre 
nach  ihres  Mannes  Tod  sich  wiederverheiralhet  habe,  wird 
nicht  richtig  sein.  Denn  35  Jahre  später,  1541,  erscheinen 
Hans  Heinrich  Reich  von  Reichensteins  Frau  «mit 
Namen  Frouw  Clore  Else,  eine  geborene  Caplerin,  und  der- 
selben Mutter,  Frouw  Ursel  Caplerin,  geborne  von  Halt- 
statt» in  dem  Wallfahrtsorte  Maria  Stein1  (im  Sololhur- 
nischen,  nahe  der  elsässischen  Grenze.) 

Frau  Ursula  war  also  viel  jünger  als  ihr  Mann  und 
wahrscheinlich  seine  zweite  Gemahlin.  Denn  er  hatte  noch 
eine  Tochter  Namens  Magdalena,  die  mit  seinem  Nach- 
folger in  der  Vogtei,  Herrn  Jakob  von  Masmünster2  ver- 


1  «Bewährter  Eck-  u.  Gnadenstein  Maria  zu  finden  in  dem 
Gotts-Haoss  Maria  Stein  1751  >  S.  39  «aus  einem  alt  authentischen 
pergamentnen  Instrument,  welches  ein  geschworner  Stadtschreiber  zu 
Pfirdt  (Lienhart  Brunner)  aufgerichtet».  —  Frau  Ursula  war  mit 
ihrer  Tochter  u.  anderen  Verwandten  zu  Besuche  bei  Hans  Thüring 
Reich  von  Reichenstein,  der  sich  «im  Sterben  derselben  Zyt  zu 
Dnser  Frauen  in  den  Stein  in  das  Bruderhaus»  begeben  hatte.  Auf 
einem  Spaziergange  (am  12.  Dezember)  mit  den  Gästen  ist  er  «über 
den  Felsen  ab,  fier  und  zwantzig  Kloffter  hoch  in  das  tiefte  Thall 
gefallen»,  aber  «durch  din  Fürbitt  nit  gestorben».  —  Er  lebte  her- 
nach noch  8,  nach  anderen  noch  20  Jahre  ;  der  damalige  Pfarrer 
hat  das  «Mirakel  am  Rucken  des  Altai  blats  in  der  oberen  jetzt 
Reichensteinischen  Capell»  malen  lassen.  —  Der  hier  nicht  erwähnte 
Mann  Clarelsens  war  der  Oheim  dieses  Hans  Thüring.  —  Schloss 
Landskron  (in  der  Nähe  von  Maria  Stein)  war  damals  «den  Edlen 
Reichen  von  Reichenstein  zuständig»  (S.  36).  —  Die  weitaus  meisten 
der  berichteten  Wunderheilungen  sind  an  Pilgern  aus  dem  Sundgau 
geschehen.  —  Vgl.  auch  «Kurze  Gesch.  des  Klosters  Maria  Stein»  von 
Boell,  Einsiedeln  1871  S.  34  ff  u.  140  ff.  --  Das  Bild  (von  Christian 
Holbein,  dem  Sohne  von  Hans  H.)  befindet  sich  jetzt  im  Speisesaale 
der  Abtei. 

2  Aus  dem  Archive  in  Masm.  hat  Doniat  einen  Lehnsrevers 
vom  25.  Sept.  1506  abgeschrieben  :  «Wir  Ludwig  vnd  Melchior, 
Bittere  u.  Jakob  von  Massmünster,  beide  des  j  etzt  bemelten  Herrn 
Ludwigs  Süne  bekennen  vns  als  vns  dann  die  Römisch  königlich 
majstat  etc.  die  Stadt  u.  ambt  Massmunster  mit  aller  zugehoerung, 
wie  dann  solchs  wyland  der  Edel  Streng  Herr  Friderich  Capler, 
Ritter  unser  lieber  Sweher  seliger  von  Irer  majestat  Pfandwyse  inne- 


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-    106  — 


mählt  war  und  früh  gestorben  zu  sein  scheint,  da  hernach 
von  ihr  gar  nicht  mehr  die  Rede  ist,  sondern  nur  von 
Glarelse.  Ihre  Mutter,  also  Friedrichs  erste  Frau,  war  dann 
vielleicht  jene  Veronika  Waldner,  die  Ravcnez  nennt,  oder 
die  Anna  von  Giersberg  des  Ammerzweiler  Bruderbuchs. 

Dass  Glarelse  mit  Heinrich  Reich  v.  Reichenslein  ver- 
mählt war,  geht  auch  aus  der  « Successio  der  Kapler » 
(s.  S.  109;  hervor. 

Nach  dessen  Tod  (f  um  1540)  verheirathete  sie  sich 
mit  Hans  Heinrich  von  Landeck.1 

Nach  dem  Tode  des  Vaters  waren  ihr  die  östreichi- 
schen  Lehen  desselben  «umb  ihres  vaters  verdienst  willen»2 


gehabt  bat>.  Dazu  stimmt  der  Eintrag  im  Innsbr.  Schatzarch.  II 
131  f.  :  «1507  Pfandbrief  von  Kaiser  Maximilian  auf  Ludwigen  von 
Masmünster,  stathalter  des  regiments  zu  Ennsishaym,  Mclchiorn* 
rat  truchsäss  und  haubtman  zu  der  Newenstat  in  Osterreich  und 
Jakoben,  gebriideren  von  Masmünster,  des  gedachten  Ludwigs  süne 
umb  die  statt  Masmünster  und  das  ambt  daselbst,  vogtey-  und 
pfandweise  bis  auf  widerrufen  innenzehaben  umb  3000  guldin 
reinisch  pfandschillings,  damit  sy  weylend  Friderichs  Cappelers  erben 
abgelöst  haben».  —  Und  im  Ammerzweiler  Bruderschaftsbuche  steht: 
Jakob  von  Massmünster  u.  Magdalena  Capplerin,  sein  Gemahel. 

1  Die  Landeck  hatten  Rappoltst.  Lehen  (Kindler). 

8  So  steht  in  einem  die  ganze  folgende  Streitfrage  zusammen- 
fassenden Berichte  der  Regierung  in  Ensisheim  vom  6.  März  1572. 
Bez.  A.  E.  L.  1 — 4,  dem  auch  das  Weitere  entnommen  ist.  Auch 
ein  Verzeichniss  der  Kapplerischen  Lehen  ist  dort  zu  finden.  —  Im 
Innsbr.  Schatzarch.  1  1003  finden  sich  dieselben  aufgeführt  wie  folgt. 
«1500  Vorderlendisch  Lehen  Revers  auf  die  Herrschaft  von  herrn 
Fridrichen  Kappeler  landvogt  zu  Mumpelgart  etc.  umb.  VIII  U  gelts 
ab  dem  klainen  zoll  zu  Tann,  mag  mit  XXX  m.  Silbers  vom  herrn 
abgelöst  und  sol  der  pfandschilling  wider  an  lehen  angelegt  werden. 
Item  die  vischenz  von  Tagolthaim  um  gen  Illefurt  und  die  vier  tail 
des  holzs  zu  Galfingen  des  Lümpergs  (Limberg,  Gem.  Bernweiler  u. 
Heirasbrunn  ;  limberc  in  bannis  villarum  uzwiler  et  Galvingen  1283; 
Stoffel  332)  Item  ain  sesslehen  in  AUkircher  ban  und  dabey  des  sich 
gebürt,  20  viertel  korngelts  und  vier  flf  dl  gelts.  Item  die  tail  der 
zehenden,  so  Eis  von  Brunkirch  (Burnkirch,  alte  Kirche  u.  Gottes- 
acker bei  Illfurt,  Stoffel  85;  vgl.  S.  107  Anm.  1  u.  S.  109  Anm.  5)  gehabt 
hat  in  den  Dörfern  zu  Sefferann  (Severan,  Gem.  Oberlang  ;  Stoffal  öl4) 
und  zu  TreBtendan  (Tretudans.  Cant.  Beifort  Stoffel  557).  Item  ain 
tail  an  der  vesten  Münichenstein  (bei  Basel)  und  ain  zehenden  (zu) 
Plozheim,  das  guet  zu  Galfingen,  die  Leut  und  den  gezog  zu  Hirsbach, 
herrührend  von  Hansen  Ilzich  (  =  Illzach.)  Item  die  leut  zu  Waldpach 
(Walbach,  Canton  Landser)  und  anderswo,  so  dann  von  dem  Zielempen 


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—   107  — 


verliehen  worden.  Ihr  erster  Mann  scheint  sieh  aber  nicht 
viel  darum  bekümmert  zu  haben;  denn  am  10.  März  1558 
schreibt  Hans  Heinrich  von  Landeck  an  den  Landvogt 
Hans  von  Andlau  in  Ensisheim  auf  dessen  wiederholte 
Aufforderung,  vor  ihm  zu  erscheinen,  um  «von  wegen 
seiner  huss  frowen  Lehen  Lehnspflicht  zu  erstatten»  und 
den  neuen  «Lehnsbrief  gegen  die  Tax  hinusszuuemen», 
das  könne  er  nicht  ohne  rechtlichen  Beistand ;  denn  die 
Lehen  seien  zum  grossen  Theii  verloren  gegangen. 

Und  am  18.  Sept.  1564  —  nach  dem  Tode  seiner 
Frau  —  richtet  er  ein  Bittgesuch  an  den  Landesherrn, 
Erzherzog  Ferdinand :  «So  hat  denn  mein  liehe  Hausfrau 
selige,  die  eine  geboren  Caplerin  gewesen»  auch  etliche 
Lehnstücke  «vermöge  besonderer  Begnadigung  nach  ab- 
sterben ihres  vaters,  Hern  Fridrichs  Caplers  selig,  so 
der  letst  des  geschlechts  gewesen,  als  ein  Erb-  und  Pfand- 
lehen gehabt.»  Sie  habe  ihn  zum  Erben  eingesetzt,  sei 
nun  «auch  mit  Tod  abgangen»,  und  so  bitte  er  denn, 
«derer  von  Landegg  und  der  Giipler  redlich  getreuen 
Dienste  eingedenk  zu  sein»  und  diese  Lehen  (vollständig) 
ihm  zu  verleihen. 

Darauf  folgte  am  5.  Mai  1565  von  der  Innsbrucker 
Regieruug  ein  Schreiben  an  den  Landvogt  in  Ensisheim, 
weil  Landeck  den  Erzherzog  «umb  Verleihung  der  Caple- 
rischen  Lehen,  so  von  seinem  Eheweib  an  ihn  gefallen 
sein  sollen»,  gebeten  habe,  so  sei  in  der  Innsbrucker 
Lehensregislratur  nach  diesen  Lehen  gesucht  und  gefun- 
den worden,   dass  «Herr  Symon  von  P/irdt1  als  Lehen- 


(«Zielempengut  Gem.  Walbach»  Stoffel  607)  herrüren  und  mit  Damen 
das  Gesiecht  genannt  die  Eumel  (?)> 

1  Daher  rührt  wohl  der  Irrthum  bei  Ravenez,  Simon  v.  Pf. 
sei  der  Gemahl  Clarelsens  gewesen.  —  Innsbr.  Raitbuch  (1506  fol. 
107):  €  Schuld.  —  Herrn  Fridrichen  Cäpelers  gelassen  erbn  geben  am 
XXVIII  tag  julij  (1506)  in  abslag  irer  verraiten  schuld  zu  handen 
Symon  von  Phierds  laut  desselben  quittung  l  Cguld.»  Und  im  Innsbr. 
«Lehenbuch  Vorland  295»  :  »1520  Dec.  4.  Ensisheim.  Belehnung  des 
Herrn  Simon  von  Pfirdt  als  Lehenträger  der  Clarelsa,  Tochter  weiland 
Fridrich  Capellers  mit  8  U  Gült  vom  kleinen  zoll  zu  Thann,  welche 


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—   408  — 

trager  der  Clarelsa,  weiland  Friedricken  Cappellers  ge- 
lassene Tochler»  und  deren  männlichen  Nachkommen  «ver- 
möge hierbei  verwahrten  abschrift  mit  B  anno  1520  et- 
liche Slück  und  Güter»  verliehen  habe.  Man  möge  nun 
berichten,  wann  Simon  von  Pfirt  und  cgedachte  Caple- 
rin»  gestorben  seien,  welche  «Gerechtigkeit»  die  letztere 
von  diesen  Lehen  gehabt  habe,  die  jetzt  «ihr  Hauswirt 
zu  haben  vermaint»  und  ob  dieselben  nicht  vielmehr  als 
«aufgelhan  und  der  fürstlichen  Durchlaucht  heimgefallen» 
zu  betrachten  seien. 

«Damit  man  einsmal  disser  Sachen  ab»,  werden  dann 
(Juli  1565)  von  Innsbruck  aus  der  Generaleinnehmer  in 
Oberelsass  und  der  Einnehmer  in  Thann  beauftragt,  dem 
Landeck  die  Lehen  um  3  bis  4000  Gulden  anzubieten, 
aber  unter  3000  nicht  herabzugehen.  Damit  könne  der 
Landeck  zufrieden  sein. 

Aber  er  war  es  nicht ;  es  gab  noch  viel  Hin-  und 
Herschreibens.  Am  19.  März  1566  wendet  er  sich  in  einer 
langen  Vorstellung  an  die  Regierung  in  Ensisheim,  die 
Lehen  seien  viel  zu  hoch  eingeschätzt ;  man  möge  sie 
doch  von  fremden  Leuten  abschätzen  lassen,  damit  man 
nicht  sagen  könne,  er  schätze  sie  zu  nieder.  Es  sei  —  und 
das  ist  die  letzte  Karte,  die  er  ärgerlich  ausspielt  —  über- 
haupt u höchlich  zu  verwundern,  dass  Herr  Friedrick 
Kappler,  der  von  seiner  Herren,  der  Fürsten  von  Oeslreich, 
damals  Feinden,  als  Frankreick  und  Venedig,  in  ihren 
eignen  Geschichtsschreibern  zum  höchsten  seiner  redlichen 
getreuen  Dienste  und  Thaten  gerühmt  wird,  also  mit 
gar  unachtbaren  Gaben  .  .  .  (sich)  abwysen  lassen,  und 
aber  daneben  sein  tochler,  mein  Hausfrau  selig,  über  die 
4000  Gulden  nach  seinem  Absterben  Schulden,  die  er  in 
seinen  Diensten  gemacht,  bezahlen  müssen,  daran  sie  bis 
an  ihr  Ende  noch  nicht  gar  bezahlt  worden».  — 

Herzog  Albrefcht  der  Aeltere  ihren  Vorfahren  für  30  mark  Basler 
Gewicht  gegeben,  und  die  Lehen,  welche  von  weiland  Conrad  von 
Brunkirchen  dem  Capeller  zugestellt  worden.  Diese  Lehen  hat  Fridrich 
Capeller  für  sich  selbst  u.  anstatt  seines  bruders  Wilhelm  innegehabt». 


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—   109  — 

Landeck  beruhigte  sich  erst,  als  er  zur  ewigen  Ruhe 
ging:  1576. 

Die  Lehen  der  Frau  Clarelse  1  waren  eingezogen  und 
an  «Christoph  Klöckler,  der  Rechte  Doktor»,  Rath  und 
tirol.  Kanzler  in  Innsbruck  verliehen  worden. 

Im  Archive  zu  Masmünster  liegt  «nach  einem  Gon- 
cept  alter  Hand,  16.  Jahrh.»  (Dcmial)  folgende 


«Successio  der  Kapler.» 


„Her  Fridrich  Kapier, 
starb  ohne  Mannes- 
erben, hat  hinterlassen 

Wilhelm  Kapler  zu 
Sulzmatt  hat  erzeugt 
neben  sein  eheweib» 

auss  der  Magt* 
Ist  nit  belehnet  worden, 
Sonder  vor  abgang  teim 
brueder*  des  lehenlrä- 
ger»  todts  verschieden. 


Clarelten,  verheirath  an  Hans  Heinrich  Reich  etc., 
ist  belehnt  worden  durch  Äbtissin  Reischach, 
jedoch  kein  Lehen  Pflichten  thuen  wellen.8 


Wilhelm  Kapler,» 
auch  zu  Sulzmatt. 
Ist  nit  belehent 
worden,  hatt  er- 
zeugt von  Magda- 
lena Marschalkin 


Jetziger  Lehenträger 
Fridrich  Kapler,  or- 
temburgischer  Ampt- 
mann  zu  Liel  etc.  * 
N.  Kapier,  Hoffmeister 

zu  Heimersheim 
Fr.  Martha  Schütziu, 
Fr.  Anna  Kiepein  zu 
AM  (Altkirch?),  Elisa- 
beth  Kempfin,  vid.  den 
Processzu  Altkirch."  - 


1  In  der  langen  Schreiberei  ist  sogar  ihr  Name  ins  Schwanken 
gekommen;  mitunter  wird  sie  Claranna  genannt.  —  Der  Verehrer 
Kapplers  in  der  schon  mehrfach  angeführten  Miscellanhandschr.  der 
Colm.  Stadtbibliothek  sagt  (fol.  53,  b):  «Ich  han  nit  viel  Vorteils  ver- 
nommen, den  man  im  bewisen  het;  die  schmorotzer,  so  nechst  bim 
bret  sindt,  den  git  man  die  lehen,  wan  einer  im  feld  verlipe  on  libes 
erben;  der  ritterlich  by  im  stot,  dem  wirt  nüt  (nichts)» ;  und  fol.  195 a: 
«so  ist  der  bruch  des  kaiserlichen  hoffs :  wen  ein  lehen  ledig  wirt, 
man  gipts  dem  schriber;  man  sieht  nit  an  sin  alt  herkummen,  ob 
sin  eitern  das  verdient  hant». 

2  Es  handelt  sich  um  das  «Vogtlehen»  der  Abtei ;  1538  erklärt 
H.  H.  v.  Reichenstein  der  Aebtissin,  es  wegen  vieler  Geschäfte  nicht 
übernehmen  zu  können.  (Doniat). 

8  Adelheit  Begerin  (s.  Absch.  IL). 

4  Dergleichen  kam  (vgl.  Abraham-Hagar)  zuweilen  vor,  um  das 
Aussterben  der  Familie  zu  verhüten.  Auch  der  letzte  Hattstatt  zeugte 
auf  diesem  Wege  3  Söhne,  die  K.  Ferdinand  I  1561  legitimirte. 
(Kindler  35.) 

5  Besass  1539  Lehen  von  Junker  Konrad  von  Burnkirch  (bei 
Illfurt)  herrührend  (Bez.  A.  E  Liasse  I  Nr.  4),  die  schon  1479  Wilh. 
v  Rappoltstein  an  die  Brüder  Kappler  cedirt  hatte.  (Bez.  A.  Fam. 
v.  Klöckler).  K.  von  Burnkirch,  mit  dementia  v.  Mörsperg  vermählt, 
starb  kinderlos  u.  vermachte  (5.  Mai  1479)  sein  Vermögen  seinen 
«Vettern»  Friedr.  u.  Wilh.  Kappler.  (Doniat ) 

6  Bez.  A.  C  475. 


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—  110 


Sonach  sind  die  Kappler  eigentlich  mit  unserm  Fried- 
rich Kappler  ausgestorben,  und  sein  Schwiegersohn  Landeck 
hat  Recht,  wenn  er  ihn,  die  Nachkommen  aus  der  Magd 
Wilhelms  nicht  anerkennend,  den  letzten  des  Geschlechtes 
nennt.  — 

Eine  Schwester  Friedrichs,  des  Enkels  von  Wilhelm, 
war  Ckorfrau  in  St.  Leodegar  ;  die  im  Stammbaume  ge- 
nannte andere  Schwester  Martha  lebte  um  1575  als 
Wittwe  von  Schütz  von  Traubach  (vgl.  Stoffel  556j  gleich- 
falls in  Masmünster  und  verlor  dort  ihren  zehnjährigen 
Knaben  Wilhelm.  Die  Chorfrau  will  die  trauernde  Schwester, 
die  selbst  schwer  erkrankt  ist,  besuchen,  erhält  aber  von 
der  Aebtissin  nicht  die  Erlaubniss,  aus  dem  Kloster  zu 
gehen.1 

Dieser  Friedrich  Kappler  verkaufte  am  2.  Mai  1567 
an  Hans  Heinr.  v.  Landeck  das  Giltgut  zu  Horburg,  das 
1532  sein  Vater  Wilhelm  von  Hans  Heinrich  von  Reichen- 
stein erworben  hatte.2 

Im  Juli  1601  war  ein  Nicolaus  Cappler  Ostreich. 
Hauptmann  der  Besatzung  von  Luders.3  Er  ist  vielleicht 
ein  Sohn  des  im  Stammbaum  genannten  Hofmeisters  in 
Pleitersheim 4  oder  des  Friedrich  Kappler  von  Falk- 
weiler.5 

Der  letzte  Sprössling  der  Familie  Kappler  soll  eine 
Tochter  gewesen  sein,  die  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts 


1  Bez.  A.  (Reg  v.  Ensish.)  II  Nr.  1  (Pieces  rel.  ä  une  Infor- 
mation snr  la  prodigalite"  et  manvaise  admin.  d'une  Abesse).  Die 
Aebtissin  hiess  Scholastica  von  Falkenstein  (Ztschr.  N.  F.  X,  501  ff.) 
Ein  Hans  Ulrich  Schütz  von  Traubach  war  1573  Regierungsrath  in 
Ensisheim.  (Ebenda  492.) 

2  Gräfl.  Andlauisches  Archiv  in  Freiburg  unter  «Pfirt».  (Gütige 
Mitth.  des  H.  Cam.  Freih  v.  Althaus.) 

8  Bez.  A.  C  474.  Die  Reg.  in  Ensish.  beauftragt  den  Einnehmer 
in  Beifort,  ihm  und  seinen  Leuten  den  am  16.  Juli  fälligen  Sold  zu 
zahlen  und  benachrichtigt  ihn  hiervon. 

*  In  Baden.  (Bez.  Amt  Staufen.) 

5  Kraus  II  123  (vgl.  S.  15  Anm.  3). 


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—  111  - 


nach  Ensisheim  in  ein  Kloster  1  ging  und  demselben  ihr 
ganzes  Besitztum  schenkte.  Sie  besass  u.  A.  einen 
grossen  Weiher,  für  den  der  Pächter  dem  Ensisheimer 
Stifte  jährlich  drei  Cenlner  Fische  liefern  musste.2 

Noch  1756  ist  urkundlich  die  Rede  von  einem  Erb- 
lehen, genannt  Käppierichen  zu  Gildweiler.3 


1  Klosterfrauen  des  3.  Ordens  des  h.  Franziskas  (Stoffel  142). 

2  Nach  der  Mittheilung  des  H.  Fashauer  (s.  S.  15  Anm.  4). 

3  Bez.  A.  (Reg.  v.  Ensish. :  Stift  Masm.)  XII  6. , 


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BEITRÄGE 

ZUR 

LANDES-  UND  VOLKESKUNDE 

VON 

ELSASS-LOTHRINGEN 

XXII.  HEFT. 
DIE 

ANNEXION  DES  ELSASS  DUUII  FMNkliLHlI 

UND 

RÜCKBLICKE  AUF  DIE  VERWALTUNG  DES  LANDES 
VOM  WESTPHÄLISCHEN  FRIEDEN  BIS  ZUM  RYSWICKER  FRIEDEN 

(1648—1697) 

VON 

HERMANN  FREIHERR  7.  MÜLLENHEIM  u.  v.  RECHBERG. 

ZWEITE  AUFLAGE. 

■ 

 ^*+~«»  

STRASSBURG 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel) 

1896. 


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Verlag  von 

J.  11.  ED.  HU  FZ  (HEITZ  k  ■ÜWPEL)  Schlaucligasse  S. 

BEITRÄGE  ZUR  LANDES-  UND  VOLKESKUNDE 

von  Elsass-Lothringen. 

Band  I. 

Heft      I :  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  in  Lothringen 

von  C  o  D  st.  T  b  i  s.  8. 34  S.  mit  einer  Karte  (1  :  300.00U).  1  50 

Heft  II :  Ein  andechtig  geistliche  Badenfahrt  des  hochgelehrten 
Herren  Thomas  Murner.  8.  56  S.  Neudruck  mit  Er- 
läutergu.,  insbesond.  Uber  das  altdeutsche  Badewesen,  v.  Prof.  Dr. 
E.  Martin.  Mit  6  Zinkätzungen  nach  dem  Original.        2  — 

Heft     III:  Die  Alamannenschlacht  vor  Strassburg  857  n.  Chr. 

von  Archivdirector  Dr.  W.  Wicgand.  8.  46  S.  mit  einer 
Karte  und  einer  Wegskizze.  1  — 

Heft     IV :  Lenz,   Goethe  und  Cleophe  Fibich  von  Strassburg. 

Ein  urkundlicher  Kommentar  zu  Goethes  Dichtung  und 
Wahrheit  mit  einem  Porträt  Araniinta's  in  farbigem  Lichtdruck 
und  ihrem  Facsimile  aus  dem  Lenz-Stammbuch  von  Dr.  Joh. 
.Froitzheim.  8." 96  S.  2  50 

Heft  V  :  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  im  Elsass  von 
Dr.  Cm  ist  Tbis.  8.  48  S.  mit  Tabelle,  Karte  und  acht 
Zinkätzungen.  1  50 

Band  II. 

Heft     VI :  Strassburg  im  französischen  Kriege  1552  von  Dr.  A* 

Hollaender.  8.  68  S.  1  50 

Heft    VII:  Zu  Strassburgs  Sturm-  und  Drangperiode  1770—76. 

von  Dr.  Joh.  Froitzheim.  8.  88  S.  2  — 

Heft   VIII :  Geschichte  des   heiligen  Forstes  bei  Hagenau  im 

Elsass.  Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  G.  E.  Ney  Kais. 

Oberförster.  L  Teil  von  1065—1648.  2  — 

Heft    IX :  Rechts-  und  Wirtschafts- Verfassung  des  Abteigebietes 

Maursmünster  während  des  Mittelalters  von  Dr.  Aug. 

Hertzog.  8.  114  S.  2  — 

Heft     X:  Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner.   Ein  Wort  der 

Kritik  an  unsere  Goctheforscber  von  Dr.  Joh.  Froitzheim. 

8.  68  S.  1  50 

Band  III. 

Heft     XI :  Die  Armagnaken  im  Elsass  v.  Dr.  H.  Witte.  8.  158  S.  2  50 

Heft   XII :  Geschichte  des  heiligen  Forstes  bei  Hagenau  im  Elsass. 

Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  G.  N.  Ney,  Kais.  Ober- 
förster. II.  Teil  von  1648-1791.  2  50 

Heft  XIII:  General  Kleber.  Ein  Lebensbild  von  Friedrich  Tei- 
cher, Köngl.  bayr.  Hauptmann.  1  20 

Heft  XIV :  Das  Staatsrechtliche  Verhältnis  des  Herzogtums  Loth- 
ringen zum  Deutschen  Reiche  seit  dem  Jahre  1542 
von  Dr.  Siegfried  Fitte.  Mit  Karte.  2  50 

Heft  XV:  Deutsche  und  Keltoromanen  in  Lothringen  nach  der 
Völkerwanderung.  Die  Entstehung  des  Deutschen  Sprach- 
gebietes von  Dr.  Hans  N.  Witte.  Mit  Karten.  2  50 


Fortsetzung  siehe  3.  Seite  des  Umschlags. 


DIE 


ANNEXION  DES  ELSASS 

DURCH  FRANKREICH 

UND 

RÜCKBLICKE  AUF  DIE  VERWALTUNG  DES  LANDES 
VOM  WKSTPHÄ  LISCHEN  FRIEDEN  BIS  ZUM  RYSWICKER  FRIEDEN 

(1648-1697). 

VON 

HEB  MANN  FREIHERR  v.  MÜLLENHEIM  u.  v.  RECHBERG. 


Zweite  Auflage. 


STRASSBURG 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  iMündel) 

1896. 


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Durch  den  Westphälischen  Frieden  überliess  das  Haus 
Habsburg  der  Krone  Frankreich  seine  Besitzungen  und  Rechte 
im  Elsass.  Dieselben  bestanden  in  der  Landgrafschaft  Ober- 
und  Unter-Elsass  mit  den  dazugehörigen  einzelnen  Territorien ; 
dem  Besitz  im  Sundgau  und  in  der  kaiserlichen  Landvogtei 
Hagenau. 

Durch  eigenmächtige  Auslegung  der  Artikel  des  West- 
phälischen Friedens  und  durch  kriegerische  Gewaltmittel  wie 
juristische  Machtsprüche  wussle  Ludwig  XIV.  indess  seine 
Souveränität  über  das  ganze  Elsass  zur  Geltung  zu  bringen. 

Kaiser  und  Reich  mussten  im  Ryswicker  Frieden  die 
Reunion  eines  deutschen  Landes  mit  der  unmittelbaren  freien 
Reichsstadt  Strassburg  an  Frankreich  völkerrechtlich  anerkennen. 

Die  Geschichte  darüber  ist  eine  höchst  lehrreiche.  Sie  zeigt 
uns  die  damalige  Ohnmacht  des  deutschen  Reichs;  die  poli- 
tischen wie  specifisch  katholischen  Momente  für  die  Eroberung 
des  Landes;  den  Keim  aller  späteren  wie  zukünftigen  Kriege 
zwischen  Frankreich  und  Deutschland  !  Ich  erinnere  an  Leopold 
Ranke's  Ausspruch  von  1870  Herrn  Thiers  gegenüber  .  «Wir 
führen  den  Krieg  nicht  mit  Frankreich  sonder  mit  Ludwig  XIV.» 

Neue  Momente  zur  Ausführung  meines  Themas  werde  ich 
kaum  Jemanden  bringen.  Immerhin  erscheint  es  nützlich,  für 
uns  hier  im  Lande  sogar  vorteilhaft,  dieselben  einmal  wieder 
in's  Gedächtniss  zurückzurufen.    Jeder  kann  sich  dann  sein 


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Urtheil  über  die  damaligen  Verhältnisse  und  die  jüngste  Ver- 
gangenheit selbst  bilden !  —  Die  Vergangenheit  dient  der  Klug- 
heit als  Leitstern.  Wir  schöpfen  sie  entweder  aus  der  Er- 
fahrung oder  aus  der  Geschichte. 

Die  allgemeine,  besonders  französischerseits  verbreitete  Auf- 
fassung, das  ganze  Elsass  mit  Ausnahme  der  freien  Reichsstadt. 
Strassburg  sei  1648  durch  den  Westphälischen  Frieden  von 
Kaiser  und  Reich  an  die  Krone  Frankreichs  abgetreten  worden, 
ist  eine  durchaus  irrthümliche. 

Als  4645  in  Münster  und  Osnabrück  die  Friedensverhand- 
lungen begannen,  erhoben  die  Schweden  von  vornherein  An- 
sprüche auf  bedeutende  Gebietsabtretungen  im  Norden  Deutsch- 
lands. Der  streng  katholische  Kurfürst  Maximilian  von  Bayern 
erblickte  darin  nicht  nur  ein  bedenkliches  Wachsthum  der 
protestantischen  Macht  im  deutschen  Reich,  sondern  auch  eine 
Gefahr  für  sich  und  das  Haus  Wittelsbach.  Auf  Grund  dessen 
suchte  er  Anlehnung  an  Frankreich  und  erklärte  sich  bereit, 
falls  dasselbe  ihn  in  seinen  Rechten  schützen  würde,  demselben 
in  Anerkennung  dafür  Gebietsentschädigungen  im  Elsass  zu 
verschaffen.  Das  Anerbieten  wurde  bereitwilligst  angenommen 
und  hatten  die  Franzosen  somit  einen  Bundesgenossen  im  Reich, 
als  auch  sie  mit  ihren  Forderungen  auftraten.  Der  kaiserliche 
Bevollmächtigte  von  Trautmannsdorf  bot  den  französischen  Ge- 
sandten die  drei  lothringischen  Bisthümer  Metz,  Toul  und  Verdun 
mit  den  Rechten  voller  Souveränität  an.  Der  Herzog  von 
Longueville  erklärte  dagegen,  von  längst  erworbenen  franzö- 
sischen Besitzungen  könne  keine  Rede  sein  ;  Frankreich  verlange 
als  Kompensation  für  die  Abtretung  der  eroberten  Gebiete  am 
Rhein  das  österreichische  Elsass.  i 

Die  Kaiserlichen  Gesandten  wiesen  die  Forderungen  der 
Franzosen  zurück,  doch  der  Kurfürst  von  Bayern  verwandte 
sich  dafür  und  drohte  sogar  den  Kaiser  zu  verlassen,  falls 


1  Betreffs  der  französischen  Forderangen  fahre  ich  stets  nar  die 
auf  das  Elsass  Bezug  habenden  an. 


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—   5  — 

seinem  Rathe  nicht  entsprochen  wurde.  Durch  den  Ernst  der 
Lage  gezwungen,  ging  man  im  Mai  1646  auf  die  französischen 
Forderungen  ein  und  schon  am  17.  September  benachrichtigten 
die  französischen  Bevollmächtigten  die  Königin-Regentin,  dass 
ihr  das  Ober-  und  Unter-Elsass  mit  dem  Sundgau  zugefallen 
sei.  Sie  priesen  die  Königin  glücklich,  dass  unter  ihrer  Regent- 
schaft die  Grenzen  Frankreichs  eine  grössere  Ausdehnung  ge- 
nommen hätten,  als  jemals  unter  einem  ihrer  Vorgänger. 

In  dem  Bericht  der  Kaiserlichen  Gesandten  zu  Münster, 
Mai  1646  (Meiern,  Acta  pacis  III,  24 — 26),  «Bedenken  von  der 
Wichtigkeit  des  Elsass,  dass  solches  an  Frankreich  nicht  über- 
lassen werde»,  heisst  es  zum  Schluss : 

«Von  dieses  Landes  Glückseligkeit  wegen  gesunder  Luft 
und  guter  Temperatur,  Jagdbarkeiten,  Eichwälder,  Mineralien, 
warme  Bäder  und  Sauerbrunnen,  zum  fördersten  aber  heiligen 
Orten,  item  an  Ueberfluss  und  Fruchtbarkeiten  aller  Sachen, 
ist  unnöthig  Spezial-Meldung  zu  machen,  weil  bekannt  ist,  dass 
keine  Provinz  in  Deutschland  dieser  gleich,  noch  eine  andere 
in  Europa  solche  übertreffen  mag.  Und  was  an  fremden  Ge- 
wächsen, Seidenwürmern  und  anderen  nutzbaren  Mitteln  in 
diesem  Lande  nicht  in  Uebung  ist,  das  kommt  nicht  aus  Mangel 
der  Landesqualität,  sondern  der  Leute  Willen,  welche  in 
abundantia  rerum  erzogen  und  weiter  nichts  begehret  haben.» 

Die  Grenzen  des  Elsass  im  Jahre  1648  waren  fast  dieselben 
wie  heute.  Im  Westen  reichten  das  Amt  Schirmeck  und  die 
Herrschaft  Albertina  im  Albrechtsthal  oder  Weilerthal  und  die 
Herrschaft  Rappoltstein  nach  Lothringen  hinein ;  sonst  bildete 
der  Kamm  des  Wasgenwaldes  die  Grenze.  Im  Nordwesten  ist 
1790  eine  Grenzverschiebung  weiter  nach  Westen  hin  eingetreten, 
indem  die  lothringische  Grafschaft  Nassau-Saarwerden, 1  welche 
1648  dem  Grafen  von  Nassau-Saarburg  gehörte,  dem  Elsass 
hinzugefügt  wurde.  Die  Grenze  im  Norden  war  die  Lauter. 
Gegen  Specklin  (1576)  und  Mercator  (1580)  eine  kleine  Ver- 

1  Heute  Kanton  Saar-Union.  Bezirk  Unter-Elsass. 


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Schiebung,  indem  diese  den  Selzbach  als  Nordgrenze  angeben. 
Derselbe  entspringt  3  Kilometer  N.  N.  0.  von  Wörth  a.  d.  Sauer 
und  ergiessl  sich  61/2  Kilometer  südlich  von  der  Lauter  in  den 
Rhein.  Zugleich  bildete  der  Selzbach  die  Grenze  zwischen  den 
Bisthümern  Strassburg  und  Speier. 

Landau  wurde  1648  als  eine  der  Kaiserlichen  zehn  Städte 
dem  Elsass  zugerechnet,  aber  keineswegs  gehörte  das  Land 
zwischen  Lauter  und  Quaich  zum  Elsass.  Landau  war  eine  Enclave 
des  Elsass  in  der  Kurpfalz. 

Die  alte  Südgrenze  war  etwas  südlicher  als  die  heutige ; 
nämlich  die  Birs,  welche  bei  Basel  mündet.  Die  Herrschaft  Bei- 
fort wurde  1871,  mit  Ausnahme  von  zehn  Ortschaften,  wieder 
an  Frankreich  abgetreten. 

Das  Elsass  wurde  eingetheilt  in  den  Sundgau,  in  Ober- 
Elsass  und  Nieder-Elsass.  Die  Nordgrenze  vom  Sundgau  war 
die  Thür. 

Der  Sundgau  umfasste  die  Grafschaft  Pfirt  mit  den  Herr- 
schaften Pfirt,  Altkirch,  Thann,  Beifort  und  Rothenburg;  die 
Herrschaft  Landser,  den  Besitz  des  Bisthums  Basel  mit  den 
Ortschaften  Hegenheim  und  Burgfelden,  das  österreichische  und 
badische  Territorium  Landskron  und  die  Herrschaft  Masmünster. 
Ausserdem  lag  im  Sundgau  das  Territorium  Mülhausen  mit 
Illzach  und  Modenheim.  Mülhausen  gehörte  von  1515 — 1798 
zur  Eidgenossenschaft. 

Das  Ober-Elsass  reichte  im  Norden  bis  zum  Eckenbach  und 
dem  Landgraben  oder  der  Landwehr.  Der  Eckenbach  fliesst 
etwas  südlich  von  Schlettstadt  und  bildete  zugleich  die  Grenze 
zwischen  den  Bisthümern  Strassburg  und  Basel.  Markolsheim 
lag  an  der  uralten  Grenzscheide  ;  es  gehörte  zu  Nieder-Elsass. 

Der  übrige  Theil  des  Landes  bildete  das  Nieder-Elsass.  In 
demselben  lag  die  autonome  freie  unmittelbare  Reichsstadt 
Strassburg. 

Das  Ober-Elsass  umfasste  die  Vogteien  Sennheim  und  Ensis- 
heim ;  die  Herrschaft  Isenheim  ;  den  Besitz  des  deutschen  Ordens 
mit  der  Ortschaft  Fessenheim ;  die  Württembergische  Graf- 


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—    7  — 


schaft  Horburg  mit  der  Herrschaft  Reichenweier ;  das  Mundat 
Rufach  mit  den  Vogteien  Rufach,  Sulz  und  Egisheim ;  das 
Territorium  der  Abtei  Murbach,  die  Herrschaften  Bollweiter, 
Landsberg  und  Rappoltstein ;  den  Lothringischen  Besitz  im 
Leberthal  ;  die  Territorien  der  Kaiserlichen  Städte  Colmar, 
Türckheim,  Kaysersberg  und  Münster  im  Georgenthal  und  die 
zum  Oesterreichischen  Breisgau  gehörige  Ortschaft  Biesheim. 

Das  Nieder-Elsass  enthielt  das  Territorium  des  Bisthums 
Strassburg  mit  den  Aemtern  Zabern,  Kochersberg  Schirmeck, 
Dachstein,  Benfeld,  Markolsheim  und  Wanzenau,  «Burg  und 
Stadt»  Reichshofen  ;  das  Territorium  der  Reichsritterschaft  mit 
98  Ortschaften,  das  Territorium  des  Kapitels  von  Strassburg  mit 
den  Aemtern  Borsch  und  Erstein  und  dem  Grafen-Bann  (Pfleg- 
Frankenburg)  im  unteren  Weilerthal ;  das  Territorium  der  freien 
Reichsstadt  Strassburg  mit  den  zum  Gemeindebezirk  gehörigen 
Dörfern  Königshofen,  Kronenburg,  Neuhof,  Neudorf  und  Ru- 
prechtsau, ferner  mit  dem  Amt  Iiikirch  und  den  Herrschaften 
Barr,  Marlenheim,  Wasselnheim  und  Herrenstein ; 1  die  Kaiser- 
lichen Städte  Schlettstadt,  Rosheim,  Oberehnheim,  Hagenau, 


1  Zum  Amt  Iiikirch  gehörten:  Illkirch-Grafenstaden,  III- 
wickers  heim  (ursprünglich  Wickersheim,  dann  St.  Oswald,  heut  Ost- 
wald genannt)  zum  Theil ;  Niederhausbergen,  Schiltigheim,  Dorlis- 
hoim,  Handschahheim  und  Ittenheim. 

Zur  Herrschaft  Barr  gehörten:  Barr, Burgheim,  Gertweiler 
Goxweiler,  Heiligenstein  und  Mittelbergheim  zum  Theil. 

Zur  Herrschaft  Marlenheim  gehörten:  Marlenheim, 
Ruine  Cronenberg,  Kirchheim,  Kossweiler,  Nordheim  und  Romans- 
weiler mit  Schloss  Erlenburg.  Letzteres  mit  Romansweiler  und  Koss- 
weiler 1^59  an  die  Händel  von  ßreitenbiück  verkauft 

Zur  Herrschaft.  Wasselnheim  gehörten:  Wasselnheim 
(Burg  und  Dorf)i  Brechlingen,  Flexburg  zum  Theil,  Friedolsheira  zur 
Hälfte,  Ittlenheim  zur  Hälfte  und  Zehnacker. 

Zur  Herrschaft  Herren  stein  gehörten:  Burg  Herren- 
stein, Dettweiler  mit  Rosenweiler,  Dossenheim  mit  Weiler  Kugelberg 
zum  Theil  und  Neuweiler  zum  Theil. 

Schliesslich  befand  sich  Strassburg  im  Theilbesitz  von  Bliensch  weiler 
und  Nothalten,  wo  es  auch  die  niedere  Gerichtsbarkeit  inne  hatte.  — 


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Weissenburg  und  Landau;  das  Territorium  der  Herrschaft 
Albertina  im  Albrechts-  oder  Weilerthal ;  die  Herrschaft  Königs- 
burg ;  die  Herrschaft  im  Steinthal ;  die  40  Reichsdörfer  in  der 
Landvogtei  Hagenau  ;  die  Abtei  Andlau ;  die  Grafschaft  Hanau- 
Lichtenberg  mit  den  Aemtern  Westhofen,  Wolfisheim,  Brumath, 
Ollendorf,  Buchsweiler,  Ingweiler,  Pfaffenhofen,  Wörth,  Hattgau 
und  Niederbronn ;  die  Grafschaft  Dagsburg ;  die  Abtei  Mauers- 
münster; die  Herrschaft  Fleckenstein  mit  den  Aemtern  Flecken- 
stein, Kutzenhausen  und  Sulz  unterm  Wald,  die  Kellerei  Rödern, 
den  Riedgau  und  das  Schulzenthum  Weitersweiler ;  die  Herr- 
schaft Beinheim  ;  die  Herrschaft  Schöneck  ;  die  Herrschaft  Ober- 
bronn mit  den  Aemtern  Oberbronn  und  Niederbronn  ;  die  Herr- 
schaft Hohenburg;  die  Grafschaft  Lützelstein ;  den  Besitz  von  Pfalz- 
Zweibrücken  mit  den  Aemtern  Kleeburg  und  Bischweiler ;  den 
Besitz  von  Kur-Pfalz  mit  Amt  Selz ;  das  Mundat  Weissenburg  mit 
dem  Amt  Altenstadt;  den  Besitz  des  Bisthums  Speier  mit  dem 
Amt  Laulerburg;  die  Abteien  Neuburg,  Walburg  und  Biblis- 
heim ;  den  Besitz  des  Erzbisthum  Trier ;  den  Besitz  des  Erz- 
bisthum Cöln  und  den  des  Üeutsch-Herren-Ordens. 

In  diesen  verschiedenen  Territorien  des  Elsass  betrug 
1648  die  Gesammtzahl  aller  Ortschaften  1110»/2.  Davon  ge- 
hörten 22  Ortschaften  zu  zwei  und  ein  Ort  (Nothalten  im  Unter- 
Elsass)  zu  drei  Herrschaften. 

Die  Einwohnerzahl  in  den  Elsässiscben  Orten  im  Jahre 
1648  ist  nicht  genau  bekannt.  Nach  Herrn  von  Ichtersheim, 
Topographie  des  Elsass,  Regensburg  1710,  betrug  dieselbe  nach 
dem  d reissigjährigen  Krieg  nur  245,000  Seelen. 

Nach  damaliger  Sitte  pflegten  meist  nur  die  Feuerstellen 
gezählt  zu  werden. 

Der  Intendant  Lagrange  giebt  die  Zahl  der  Einwohner  auf 
257,000  Seelen  an  und  zwar  171,000  Katholiken,  69,000  Luther- 
aner, 12,000  Galvinisten  und  3600  Juden. 

Der  katholische  Cultus  hing  von  sieben  verschiedenen  Diöcesen 
ab.  Strassburg,  Speyer,  Metz,  Basel,  Besancon,  Trier  und  Cöln. 
Nur  der  Bischof  von  Strassburg  hatte  sein  ganzes  Territorium  im 


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Lande.  Der  grösste  Theil  des  Elsass  stand  unter  der  geist- 
lichen Jurisdiction  fremder  Prälaten. 

Behufs  Beurtheilung  des  Westphäli sehen  Friedensschlusses 
ist  es  erforderlich,  auch  auf  die  frühere  Verwaltung  des  Elsass 
kurz  zurückzukommen. 

Ursprünglich  bildete  das  Elsass  ein  Herzogthum  und  wurde 
durch  Grafen  verwaltet.  Durch  Heinrich  I.  (9*25)  wurde  das 
Land  mit  dem  deutschen  Reich  enger  vereinigt  und  unter  die 
Hoheit  der  alemannischen  Herzöge  gestellt ;  doch  blieben  gleich- 
zeitig, wie  von  alters  her,  Grafen  als  Königliche  Beamten  im 
Elsass.  Die  Grafschaft  dieser  Grafen  war  lediglich  ein  Amt. 
Der  Graf  war  der  Vertreter  des  Königs  im  Gericht  und  im 
Heer  innerhalb  eines  Gaues  ;  er  hatte  die  Jurisdiction.  Der  Graf 
war  Vasall  des  Königs  und  wurde  mit  der  Grafschaft  belehnt. 
Das  Reichsgut,  welches  mit  der  Grafschaft  verbunden  war, 
trug  er  zu  Lehen.  Der  Ertrag  der  Reichslehen  sowie  ein  Theil 
der  Bussen  waren  das  Einkommen  der  Grafschaft.  Der  Graf  hielt 
mit  seinen  Schönen  das  öffentliche  Gericht,  «das  echte  Ding»,  zu 
bestimmten  Zeiten  ab  und  urtheilte  in  Civilsachen  über  Freiheit 
der  Personen  und  «echtes  Eigenthum» ;  in  Criminalsachen  über 
Leib  und  Leben.    Es  war  dies  die  hohe  Gerichtsbarkeit ! 

Die  Unterbeamten,  welche  der  Graf  gesetzt  hatte,  die  Cent- 
grafen, besassen  die  niedere  Gerichtsbarkeit.  Sie  urtheilten  über 
Frevel,  deren  Strafen  bis  an's  Blut  reichten  und  Streitigkeiten 
über  geringe  Schuldbetrage,  sowie  über  das  Erbe  unfreier  Leute. 

Im  Elsass  gab  es  im  11.  Jahrhundert  nur  zwei  reichslehn- 
bare  Grafschaften,  je  eine  im  Nordgau  und  Südgau. 

Grafen,  die  in  dieser  Zeit  noch  ausser  diesen  beiden  Gau- 
grafen genannt  werden,  sind  entweder  Gentgrafen  oder  Schirm- 
vögte im  Gebiete  der  Bisthümer  und  geistlichen  Stifte. 

Schon  in  der  Zeit  der  Ottone  waren  nämlich  viele  Bischöfe 
und  Aebte  von  der  Jurisdiction  der  Grafen  exempt  geworden, 
später  erhielten  immer  mehr  geistliche  Herren  Immunitäten  und 
wurden  eximirt. 

Diese   höheren   Geistlichen   übergaben  dann   Rittern  die 


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—    10  — 


Schirmvogtei  zu  Lehen  und  diese  Schirmvögte  hatten  darauf  in 
den  kirchlichen,  nicht  aber  in  ihren  eigenen  Besitzungen  die 
Jurisdiction  cum  banno  comitis.  Dieser  Grafenbann  unterschied 
sich,  was  die  Berechtigung  der  Strafvollstreckung  anbetraf,  nicht 
von  dem  Königsbann  der  Gaugrafen. 

Diese  Schirmvögte  nannten  sich  schliesslich  auch  Grafen, 
doch  Gaugrafen  gab  es  nur  zwei  im  Elsass. 

Durch  die  vielen  Exemptionen  wurde  die  alte  Gauverfassung 
des  deutschen  Reichs  fast  labm  gelegt.  Im  12.  Jahrhundert  löste 
sie  sich  auf  und  es  traten  an  die  Stelle  der  alten  Gaugrafen  — 
Landgrafen . 

1138  wird  als  erster  Landgraf  im  Unter-Elsass  Theodrich 
genannt.  Etwas  später,  1168,  tritt  Wernher  von  Habsburg  als 
Landgraf  im  Ober-Elsass  auf.  Die  Landgrafen  wurden,  wie  die 
alten  Gaugrafen,  vom  König  bestellt.  Auch  die  Landgrafschaft 
war  kein  Territorium,  sondern  lediglich  ein  Amt  in  einem  aus 
vielen  Herrschaften  zusammengesetzten  Bezirk. 

Die  Landgrafen  hatten  die  hohe  Gerichtsbarkeit  über  alle 
Eingessesenen  ihres  Districts  soweit  sie  nicht  schon  exempt 
geworden  waren,  während  die  Territorialherren  die  niedere 
Gerichtsbarkeit  belassen . 

Das  Gericht  des  Landgrafen,  das  Landgericht,  kam  gewöhn- 
lich nur  dreimal  im  Jahre  an  bestimmten  Malstätten  zusammen. 

Bei  dem  wachsenden  Sländebewusstsein  wurde  es  immer 
schwerer,  anerkannte  Sehöftenbare  als  Gerichtsbeisitzer  zu  finden 
und  der  Herren-  und  Ritterstand  zog  es  daher  vor,  seine  Streitig- 
keiten durch  Schiedsgerichte  entscheiden  zu  lassen.  Ausserdem 
eiferten  auch  die  weltlichen  Territorialhei  ren  den  Bischöfen  und 
Aebten  nach,  sich  von  der  Jurisdiction  der  Landgrafen  exempt 
zu  machen.  Dies  gelang  ihnen  auch  allmählig  und  zwar  zuerst 
den  Schirmvögten  der  Bisthümer  und  geistlichen  Stifte  und 
dann  auch  den  andern  grösseren  Gebietsherren.  Endlich  ent- 
wuchs auch  die  Ritterschaft  der  Gewalt  der  Landgrafen  und 
ordnete  ihre  Angelegenheiten  ganz  selbstständig  durch  ein  von 
ihr  gewähltes  Directorium.    So   hatten   die   Landgrafen  im 


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-  -II  — 

14.  Jahrhundert  nur  noch  die  Jurisdiction  in  ihren  Besitzungen,  in 
ihren  Allodien  und  den  wenigen  Reichslehen,  die  noch  zur  Land- 
grafschaft gehörten.  Das  Wort  Grafschaft  hatte  im  12.  Jahrhundert 
den  Begriff  von  einem  Complex  Land  angenommen  und  so  war 
Allodialgrafschaft  und  Landgrafschaft  von  einander  verschieden:  das 
erstere  bedeutete  ein  Land ;  das  letztere  ein  Amt.  Im  14.  Jahr- 
hundert nimmt  das  Wort  Landgrafschaft  jedoch  ebenfalls  den  Be- 
griff von  einem  grösseren  Complex  Land  an  und  der  Landgraf  ist 
jetzt  der  Herr  dieses  Territoriums.  Die  Landgrafschaft  ist  nun 
ein  grosses  Allodium  geworden.  Das  Reichsgut  war  fast  alles  Haus- 
gut geworden.  Der  Titel  Landgraf  galt  jetzt  höher  als  der  Titel  Graf. 

Im  Ober-Elsass  waren  von  1168 — 1648  die  Habsburger 
Landgrafen  gewesen.  Reichsgut  war  gar  nichts  geblieben.  Es 
war  ihnen  gelungen,  den  Unterschied  von  Reichsgut  und  Haus- 
gut völlig  zu  verwischen.  Sie  hatten  Reichsgut,  Rittergut  und 
Kirchengut  an  sich  gebracht  und  rechneten  den  ganzen  Sund- 
gau mit  Ausnahme  von  Mülhausen  und  einen  grossen  Theil  des 
Ober-Elsass  sich  als  Hausgut  an. 

Von  den  1110  >|2  Ortschaft  des  Elsass  besassen  die  Habsburger 
1648  die  Grafschaft  Pfirt  mit  266  Ortschaften,  die  Herrschaft 
Landser  mit  45,  Landes  krön  zur  Hälfte,  die  Herrschaft  Mass- 
münster mit  16,  die  Vogtei  Sennheim  mit  2,  die  Vogtei  Ensisheim 
mit  I81J2,  die  Herrschaft  Isenheim  mit  3,  die  Lehensherr- 
schaften Bollweiler  mit  6  ^2,  Landsberg  mit  7  1/2,  die  Albertina 
im  Weiler-  oder  Albrechtsthale  mit  221/2  und  die  Herrschaft 
Königsburg  mit  einer  Ortschaft ;  ausserdem  die  Ortschaft  Biesheim 
und  die  40  Reichsdörfer ;  in  Summa  429  Ortschaften  sowie  die 
Hälfte  des  Hagenauer  Forst.  Schliesslich  hatten  die  Habsburger 
die  Landvogtei  über  die  zehn  Kaiserlichen  Städte  inne. 

Reichsritter  gab  es  im  Ober-Elsass  nicht  mehr ;  sie  waren 
bezwungen  und  trugen  ihre  Güter  zu  Lehen  von  Oesterreich. 
Im  Jahr  1478  fand  das  letzte  Landgericht  in  Ensisheim  statt. 
Darauf  wurde  daselbst  die  österreichische  Regierung  eingerichtet. 
Die  Richter  urtheilten  im  Namen  des  Erzherzogs  zu  Innsbruck. 
Man  appellirte  von  Ensisheim  nach  Innsbruck. 


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So  war  aus  der  alten  reichslehnbaren  Landgrafschaft  Ober- 
Elsass  —  dem  alten  Richteramt  mit  Königsbann  —  öster- 
reichisches Hausgut  geworden. 

Im  Unter-Elsass  waren  von  1197 — 1350  die  Grafen  von 
Werde  Landgrafen.  Die  Landgerichte  wurden  zu  Erstein,  zu 
Röschwoog  im  UflVied  und  in  Hagenau  abgehalten.  1350  wurde 
Friedrich  von  Oettingen,  Schwiegersohn  des  letzten  Grafen  von 
Werde,  Landgraf  im  Unler-Elsass.  Sein  Sohn  Ludwig  verkaufte 
1359  mit  Zustimmung  des  Kaisers  Karl  IV.  die  Reichslehen  der 
Landgrafschaft.  Den  grössten  Theil  erwarb  der  Herr  von  Lichten- 
berg, der  schon  das  Landgericht  zu  Röschwoog  als  Afterlehen 
besass.  Der  Bischof  von  Strassburg  kaufte  die  Burg  Werde  und 
Erstein,  den  andern  Sitz  des  Landgerichts,  und  Kaiser  Wenzel 
belehnte  darauf  1384  den  Bischof  von  Strassburg  Friedrich  von 
Blankenheim  mit  der  Landgrafschaft  im  Nieder- Elsass.  Dieselbe 
bestand  also  damals  nur  aus  der  Burg  Werde1  und  dem  Städtchen 
Erstein.  Das  war  von  allen  Gütern  der  allen  reichslehnbaren 
Grafschaft  Nieder-Elsass  geblieben  !  Eine  Jurisdiction  auf  «frem- 
den Boden»  war  seit  1384  Oberhaupt  nicht  mehr  vorhanden. 

Die  Bischöfe  von  Strassburg  führten  von  1384 — 1648  den 
Titel  Landgrafen  von  Nieder-Elsass. 

Im  Unter-Elsass  nahm  Oesterreich  als  Eigenthum  für  sich 
in  Anspruch  die  Herrschaften  Königsburg  und  im  Weilerthal  * 
23J|2  Ortschaft.  Beide  Herrschaften  waren  im  Jahre  1648 
verpfändet. 

Reichslehen  gab  es  im  Unter-Elsass  1648  nicht  mehr,  nur 
reichsunmittelbare  Stände,  40  Reichsdörfer  und  einen  Reichs- 
wald bei  Hagenau. 

Die  10  Kaiserlichen  Städte  im  Elsass,  die  Deca- 
pole  genannt,  welche  sich  zu  einem  Schutz-  und  Trutzbündniss 

1  Werde  wird  1651  in  der  Reichsritterschaft-Matrikel  als  Reichs- 
rittergut aufgeführt. 

Die  Herrschaft  im  Weilerthal,  221|<  Ortschaft,  von  1314  bis  An- 
fangs des  XVI.  Jahrhundert  von  Oesterreich  den  Heuen  v.  Müllenheim 
verpfändet. 


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—  13 


unter  kaiserlichem  Schutz  verbunden  hatten  und  die  Landvogtei 
Hagenau  anerkannten,  waren  nicht  immer  dieselben.  1353 
waren  es  Mülhausen,  Munster  im  Georgenthal,  Colmar,  Türk- 
heim, Kaysersberg,  Schleltstadt,  Oberehnheim,  Rosheim,  Hage- 
nau und  Weissen  bürg. 

Von  1358 — 1409  war  auch  Selz  Kaiserliche  Stadt  gewesen, 
war  aber  an  Kurpfalz  verpfändet  worden,  hatte  die  Pfand- 
summe nicht  eingelöst  und  so  seine  Rechte  wieder  verloren. 
1511  trat  Landau  der  Decapole  bei  und  1515  trat  Mülhausen  aus. 

Kaysersberg,  Türkheim  und  Münster  bildeten  die  Reiehs- 
vogtei  Kaysersberg;  sie  war  der  Landvogtei  Hagenau  unterlhan. 

Der  Vogt  zu  Kaysersberg  war  der  Stellvertreter  des  Land- 
vogts zu  Hagenau.  Die  Städte  wurden  Kaiserliche  genannt  im 
Gegensatz  zu  den  Landstädten,  provineiales  urbes,  in  denen  der 
Gebietsherr  als  Landesherr  die  jura  regalia  halte.  Die  Land- 
vogtei  war  ein  Amt  wie  die  Landgrafschaft  es  auch  war. 
Der  Landvogt  war  Schutz-  und  Schirmherr  der  Kaiserlichen 
Städte. 

In  dem  von  den  Städten  am  20.  September  1646  zu  Osna- 
brück über  die  Landvogtei  Hagenau  überreichten  Bericht  heisst 
es:  «Nachdem  des  heiligen  Reichs  Städte  im  Ober-  und  Untcr- 
Elsass  als  Hagenau,  Colmar  u.  s.  f.  durch  unterschiedliche 
Einfälle  und  Beraubungen  der  benachbarten  Westreicher  und 
Lothringer  hiebevor  mehrmalen  gewaltthatig  angefochten  und 
beschädigt  worden,  haben  diese  zu  ihrem  Schutz  und  gemeiner 
Landeserretlung  unter  sich  vor  300  und  mehr  Jahren  eine  Ver- 
einigung und  Bündniss  aufgerichtet  und  den  Kaiser  gebeten, 
einen  von  den  nächstgesessenen  Fürsten  des  Reiches,  der  auf 
den  Nothfall  mit  Rath  und  That  ihnen  beispringen  könnte,  zu 
ihrem  Schutzherrn  zu  ernennen,  angesuchet ;  auch  selbiger 
Zeit  die  Herzöge  von  Lützelburg  und  nachgehends  das  kurfürst- 
liche Haus  Pfalz  zu  Schutz-  und  Schirmherrn  erhalten.  Im 
Jahre  1542  habe  Karl  V.  die  Landvogtei  vom  Hause  Pfalz  ab- 
und  auf  sich  gebracht,  und  ob  nun  schon  das  erzherzogliche 
Haus  Oesterreich  oftmals  Neuerungen  anzufangen  unterstanden, 


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-    14  - 


haben  sich  doch  die  Landstädte  dergestalt  widersetzt,  dass  sie 
es  bei  dem  alten  Herbringen  lassen  und  bekennen  müssen,  dass 
diese  tragende  Landvogtei  anders  nicht  als  «zu  Schutz  und 
Schirm  des  Reiches,  be vorab  dieser  entlegenen  Fronlirstädte, 
angesehen  sei.» 

Der  Landvogt  wurde  vom  Kaiser  präsentirt  und,  wenn  die 
Städte  keine  Bedenken  hatten,  angenommen.  Darauf  leistete 
er  den  Eid,  die  Rechte  der  Städte  zu  wahren  und  keine  Neue- 
rung einführen  zu  wollen  und  stellte  darüber  einen  Revers  aus. 
Darnach  erst  war  er  Reichsvogt  und  die  Bürger  schwuren  ihm 
Treue  und  Gehorsam. 

Der  Landvogt  setzte  einen  Untervogt  ein,  der  statt  seiner 
nach  der  üblichen  Eidesleistung  das  Amt  verwaltete.  Der 
Untervogt  war  Procurator  und  Administrator  der  Kammer-  und 
Reichsgüter,  aber  nicht  Richter.  Zu  seinen  Rechten  gehörte 
auch,  dass  er  bei  den  Rathswahlen  zugegen  sein  durfte,  um 
sich  zu  überzeugen,  ob  Alles  in  Ordnung  zuginge,  doch  hatte 
er  nicht  die  Bestätigung  der  Gewählten.  Seine  Hauptwirksam- 
keit hatte  er  wohl  in  den  in  der  Nähe  von  Hagenau  gelegenen 
40  Reichsdörfern. 

Der  Untervogt  war  immer  ein  Adeliger  und  wohnte  in  der 
Kaiserlichen  Burg  zu  Hagenau. 

Wenn  der  Kaiser  starb,  so  gab  es  keinen  Vogt  mehr, 
weder  Landvogt  noch  Unter vogt,  sondern  der  Vogt  musste  von 
dem  neuen  Kaiser  wieder  präsentirt  und  von  den  Städten  an- 
genommen werden.  Ebenso  wenn  der  Ober-Landvogt  starb,  so 
gab  es  keinen  Unter-Landvogt  mehr.  Doch  blieb  in  solchem 
Falle  der  Unterlandvogt  in  Hagenau  in  Administration  der 
Landvogtei ,  Pfandgüter  und  Unterthanen ,  ohne  jedoch  den 
Titel  Vogt  zu  führen.  Das  Amt  des  Vogtes  war  ein  jus  personale. 

Zu  Hagenau  gab  es,  wie  in  den  andern  kaiserlichen  Städten 
mit  Ausnahme  von  Colmar,  ein  kaiserliches  Gericht.  In  Hage- 
nau hiess  es  Landgericht  oder  Schultheissengericht ,  auch 
Lauben-  oder  Reichslaubengericht.  Es  fand  zweimal  in  der 
Woche  statt  in  der  Laube,  der  Vorhalle  der  kaiserlichen  Burg. 


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—    15  - 


Den  Vorsitz  führte  der  kaiserliche  Schultheiss  ;  derselbe  hatte 
aber  keine  Stimme  bei  der  Urfheilsfällung.  Die  Schöffen 
uiiheilten,  der  Schultheiss  ordnete  die  Vollstreckung  des  Ur- 
theils  an. 

Vor  das  Forum  dieses  kaiserlichen  Landgerichts  gehörten 
die  Fälle  der  hohen  Gerichtsbarkeit  über  die  Bürger  von  Hage- 
nau, über  die  Bewohner  der  Reichsdörfer  und  über  die  Adeligen, 
welche  ihre  Besitzungen  in  der  Nachbarschaft  als  Enclaven  im 
Reichsgebiet  hatten. 

Die  Schültheissen  ernannte  meistens  der  Kaiser.  Schöffen 
waren  ursprünglich  nur  Adelige,  später  auch  Handwerker.  Ihr 
Amt  war  erblich. 

Die  Rechte  der  Städle  waren  sehr  verschieden,  z.  B.  durften 
Colmar  und  Hagenau  Geld  schlagen.  Colmar  und  Schlettstadt 
erwählten  sich  die  Schültheissen  selbst.  Colmar  hatte  sogar  den 
Blutbann,  während  in  Schlettstadt  die  hohe  Gerichtsbarkeit 
kaiserlich  blieb. 

Der  Kaiser  Sigismund  hatte  für  die  Decapole  als  jährliche 
Steuer  (Stadtgeld)  4000  Goldgulden,  am  Martinstage  fällig,  fest- 
geselzt.  Ausserdem  hatte  jede  der  zehn  Städte  zur  Erhaltung 
des  Reichskammergerichts  einen  jährlichen  Beitrag  zu  zahlen. 
Ausserordentliche  Steuern  waren  die  sogenannten  Geschenke 
bei  dem  Besuche  der  Kaiser.  Auch  Kriegssteuern  waren  als 
ausserordentliche  Lasten  zuweilen  zu  zahlen.  Z.  B.  zog  Karl  V. 
nach  der  Schlacht  bei  Mühlberg  von  Hagenau  2000  Gulden, 
von  Türckheim  100  Gulden.  Zu  den  Reichs- Kriegen  hatten 
die  Städte  auch  Truppen  zu  stellen  ;  so  z.  B.  für  die  Türken- 
kriege Colmar  6  Mann  zu  Pferd  und  12  Mann  zu  Fuss. 

Kaiser  Karl  IV.  hatte  den  Städten  das  Privilegium  gegeben, 
nicht  verpfändet  werden  zu  dürfen  und  Sigismund  dehnte  dies 
Recht  1414  auch  auf  die  Voglei  und  das  Schult heissenamt  aus. 
Dafür  gelobten  die  Städle  dem  Kaiser  und  Reich  ewige  Treue. 
Ihre  Verwaltung  und  Regierung  hatten  die  Städte  ganz  selb- 
ständig in  der  Hand. 

Zu  den  gemeinsamen  Ausgaben  der  Decapole  hatte  nach 


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—    16  — 


einer  Bestimmung  von  1608  Hagenau  und  Colmar  zusammen 
die  Hälfte,  Schlettstadt  und  Weissenburg  zusammen  Landau 
und  Oberehnheim  zusammen  1js,  Kaysersberg  und  Türckheim 
sowie  Münster  und  Rosheim  zusammen  je  i/iß  beizusteuern.  Da 
diese  Bestimmung  von  den  Studien  selbst  ausging,  giebt  sie  zu- 
gleich einen  ungefähren  Massstab  von  der  Wohlhabenheit  der 
einzelnen  Vereinsstädte.  Colmar  galt  als  die  reichste,  Türck- 
heim als  die  ärmste  Stadt. 

Nachdem  wir  uns  die  Grenzen  des  Elsass  von  1648  und 
die  Geschichte  desselben,  soweit  für  unser  Thema  nöthig,  in's 
Gedächtniss  zurückgerufen  haben,  kehre  ich  zu  den  Verhand- 
lungen des  Westphälischen  Friedens  zurück. 

Die  deutschen  Zugeständnisse  fanden  hauptsächlich  in  den 
§§  73,  74,  87  und  88  des  Westphälischen  Friedens-Tractats, 
wie  folgt  Aufnahme  : 

§  73.  Der  Kaiser  für  sich  und  das  ganze  Haus  Oesterreich 
und  das  Reich  begeben  sich  aller  Rechte,  Eigenthumsrechte, 
Herrschaften,  Besitzungen  und  Gerichtsbarkeiten,  welche  bis 
jetzt  ihm,  dem  Reich  und  der  österreichischen  Familie  zu- 
standen, auf  die  Stadt  Breisach,  die  Landgrafschaft  des  obern 
und  des  untern  Elsass,  auf  den  Sundgau  und  die  Landvogtei 
der  10  im  Elsass  gelegenen  kaiserlichen  Städte ;  nämlich  Hage- 
nau, Colmar,  Schlettstadt  u.  s.  w.;  und  auf  alle  Dörfer  und 
jegliche  andere  Rechte,  welche  von  der  genannten  Vogtei  ab- 
hängen und  übertragen  dies  alles  und  jedes  einzelne  auf  den 
allerchristlichen  König  und  das  französische  Reich. 

§  74.  So  sollen  die  genannte  Landgrafschaft  von  beiden 
Elsass  und  vom  Sundgau,  dann  auch  die  Landvogtei  über  die 
10  genannten  Städte  und  die  abhängigen  Orte  und  ebenso  alle 
Vasallen,  Landsassen,  Unterthanen,  Leibeigene,  Städte,  Burgen, 
Dörfer,  Schlösser,  Wälder,  Forste,  Gold-,  Silber-  und  andere 
Mineralgruben,  Flüsse,  Bäche,  Waiden  und  alle  Rechte,  die 
Regalien  und  Zubehörungen  ohne  jeden  Vorbehalt  mit  aller 
Gerichtsbarkeit  und  Oberhoheit  von  jetzt  ab  auf  immer  dem 
allerchristlichsten  König  und  der  Krone  Frankreich  gehören 


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—    17  — 


und  der  genannten  Krone  als  incorporirt  angesehen  werden 
ohne  Einsprache  des  Kaisers  und  des  Reichs  und  des  Hauses 
Oesterreich  oder  irgend  eines  andern,  so  dass  überhaupt  kein 
Kaiser  oder  Prinz  des  österreichischen  Hauses  irgend  ein  Recht 
oder  eine  gesetzliche  Gewalt  in  den  vorher  erwähnten  diesseits 
und  jenseits  des  Rheines  gelegenen  Landestheilen  zu  irgend  einer 
Zeit  jemals  beanspruchen  oder  sich  aneignen  könne  oder  dürfe. 

§  87.  Es  soll  der  allerchristlichste  König  gehalten  sein, 
nicht  nur  die  Bischöfe  von  Strassburg  und  Basel  nebst  der 
Stadt  Sirassburg,  sondern  auch  die  übrigen  durch  beide  Elsass 
dem  römischen  Reich  unmittelbar  unterworfenen  Stände,  die 
Aebte  von  Murbach  und  Lure,  die  Äebtissin  von  Andlau,  das 
Benedictiner- Kloster  in  St.  Georgenthal,  die  Pfalzgrafen  von 
Lützelstein,  die  Grafen  und  Barone  von  Hanau,  Fleckenstein 
und  Oberstein  und  die  Ritterschaft  des  ganzen  Unter-Elsass 
und  ebenfalls  die  10  Kaiserlichen  Städte,  welche  die  Vogtei 
Hagenau  anerkennen,  in  derselben  Freiheit  und  in 
demselben  Besitz  der  Unmittelbarkeit  gegen 
das  Römische  Reich,  dessen  sie  sich  bis  dahin 
erfreut  haben,  zu  belassen,  so  dass  er  keine  König- 
liche Ober-Hoheit  darüber  hinaus  über  sie  beanspruchen  könne, 
sondern  mit  den  Rechten  zufrieden  bleibe,  welche  immer  dem 
Hause  Oesterreich  zustanden  und  auf  Grund  dieses  Friedens- 
tractats  der  Krone  Frankreich  abgetreten  werden,  so  dennoch 
(ita  tarnen),  dass  durch  diese  gegenwärtige  Erklärung  von  dem 
oben  zugestandenen  Herrenrechte  nichts  entzogen  werde. 

Und  endlich  §  88.  Ebenfalls  wird  der  allerchristlichste 
König  als  Entschädigung  für  die  ihm  abgetretenen  Landestheile 
an  den  Herrn  Erzherzog  Ferdinand  Karl  3  Millionen  Tours'er 
Livres  in  den  nächstfolgenden  Jahren  zahlen.  (Der  Schluss  des 
§  setzt  die  Zahltermine  fest.) 

Nach  diesen  §§  steht  fest : 

1)  Dass  für  eine  Entschädigung  von  drei  Millionen  Livres 
die  oben  angegebenen  österreichischen  Besitzungen  und  Rechte 
im  Elsass  von  Oesterreich  an  Frankreich  abgetreten  worden  sind. 

2 


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—    18  - 


Im  Friedensvertrag  werden  diese  österreichischen  Be- 
sitzungen die  Landgraf  schalt  Oher-  und  Unter-Elsass  und  Sund- 
gau genannt. 

2)  steht  fest,  dass  die  Landvogtei  in  den  10  Kaiserlichen 
Städten  und  die  40  Reichsdörfer,  welche  zur  Landvogtei  ge- 
hörten und  von  dem  Hagenauer  Forst  die  Hälfte,  welcher 
Reichsbesitz  war,  abgetreten  wurde. 

Was  sollte  aber  mit  den  übrigen  Territorien  im  Ober-  und 
Unter-Elsass  geschehen  ? 

Im  angeführten  §  87,  werden  eine  Reihe  von  Herren  ge- 
nannt, welche  Besitzungen  im  Elsass  hatten  und  denen  ihre 
Reichsunmittelbarkeit  und  Freiheit  zugesichert  wird;  aber  es 
werden  nicht  alle  reichsunmittelbaren  Stände  aufgeführt  und 
dann  scheint  der  Schluss  des  £  87  «so  dennoch,  dass  durch 
diese  gegenwärtige  Erklärung  von  dem  oben  zugestandenen 
Herrenrechte  nichts  entzogen  werde;-,  das  wieder  aufzuheben, 
was  der  Anfang  zugesichert  hat. 

Der  erste  Punkt  erledigt  sich  durch  §  5  des  Friedens- 
Tractats,  wonach  bestimmt  wird,  dass  eine  vollständige  Wieder- 
einsetzung a  1  le  r  Reichsstände  in  den  Zustand  wie  vor  dem 
Krieg  erfolgen  solle  und  §  7  erklärt,  falls  einzelne  Stände  im 
Tractat  nicht  namentlich  aufgeführt  seien,  diese  nicht  für 
ausgeschlossen  erachtet  werden  sollen. 

Schwieriger  ist  der  zweite  Punkt,  der  Schlusssatz  des  §  87 
zu  erklären.  Bezieht  sich  derselbe  auf  alle  vorauf  genannten 
reichsunmittelbaren  Stände  oder  nur  auf  die  Landvogtei  und 
bestimmt :  dass,  wenn  auch  den  10  Kaiserlichen  Städten  ihre 
Reichsunmittelbarkeit  voll  zugesichert  wird,  dennoch  das  Land- 
vogteirecht  in  denselben  auf  Frankreich  übergeht  und  zwar  als 
ein  Ausfluss  seines  Souveränitätsrechts  und  nicht  etwa  als  ein 
Lehen  vom  deutschen  Reich.  Letztere  Auslegung  ist  trotz  der 
entgegengesetzten  Ansicht  der  Franzosen  nach  den  Münster'- 
schen  Friedensverhandlungen  die  allein  richtige. 

Es  wäre  widersinnig  anzunehmen,  dass  in  demselben  § 


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den  Ständen  ihre  Freiheit  und  Reichsunmittelbarkeit  zugesichert 
und  doch  auch  wieder  abgesprochen  wird. 

Im  dritten  Band  des  von  Meiern'schen  Werkes  Acta  pacis 
Westphalicae  Buch  19—24,  findet  man  die  weitläufigen  Ver- 
handlungen über  die  Entschädigungen  und  Abtretungen  an 
Frankreich.  Da  heisst  es,  nachdem  im  Monat  März  die  Friedens- 
verhandlungen stattgefunden  und  schliesslich  ohne  Ergebniss 
abgebrochen  worden  waren,  hätten  die  bayrischen  Gesandten 
als  Vermittler  am  7.  April  1646  den  Kaiserlichen  Gesandten 
mitgetheilt,  dass  die  Instruction  der  Franzosen  dahin  ginge : 
«dass  sie  auf  die  Zurückhaltung  des  Ober-  und  Unter-Elsass 
und  des  Sundgau  beharren  sollten.»  Den  9.  April  verlangen 
die  französischen  Gesandten  Unter-Elsass,  Ober-Elsass  mit  dem 
Sundgau.  Ausserdem  wollen  sie  Benfeld  und  Zabern  inne- 
behalten,  wobei  sie  sich  indess  vermerken  lassen,  dass  sie  dar- 
über wohl  einige  Handlung  admittiren  wollten. 

Aus  der  Forderung  von  Benfeld  und  Zabern  sehen  wir,  dass 
von  den  Gesandten  mit  der  Landgrafschaft  Unter-Elsass  nicht 
der  Bezirk  Unter-Elsass  vom  Eckenbach  bis  zur  Lauter  gemeint 
ist  ;  denn  sonst  verstand  sich  die  Abtretung  von  Zabern  und 
Benfeld  von  selbst. 

Die  Kaiserlichen  Gesandten  antworteten  darauf  unterm 
14.  April : 

1.  Alle  Stände,  welche  im  oberen  und  unteren  Elsass  vor 
dem  Kriege  unmittelbar  gewesen  seien,  sollen  in  ihren  früheren 
Zustand  wieder  hergestellt  und  in  ihrer  Freiheit  und  Reichs- 
unmittelbarkeit gegen  Kaiser  und  Reich  belassen  werden. 

2.  Was  Benteld  und  Zabern  beträfe,  so  sei  es  billig,  dass 
sie  zu  ihrem  früheren  Herrn  (Bischof  von  Strassburg)  zurück- 
kehrten. 

3.  Mit  solcher  Beschränkung  und  Festsetzung  stimmen  die 
Gesandten  im  Namen  des  Kaisers  zu,  dass  Ober-  und  Unter- 
Elsass  mit  dem  Sundgau  unter  dem  Titel  Landgrafschaft  Elsass 
mit  dem  Rechte,  welches  bisher  Oesterreich  besessen,  an  Lud- 
wig XIV.  abgetreten  werde. 


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—   20  — 


4.  Fordern  sie,  dass  dem  gegenwärtigen  Besitzer  der  öster- 
reichischen Territorien  im  Elsass  eine  Entschädigung  von  5  Mil- 
lionen Thalern  gezahlt  werde. 

Die  französischen  Gesandten  waren  damit  nicht  zufrieden. 
Als  sie  darauf  gefragt  wurden,  was  sie  denn  eigentlich  präten- 
dirten,  deuteten  sie  auf  die  Souveränität  über  die  Kaiserlichen 
Städte  im  Elsass  hin,  dass  ihnen  selbige  überlassen  werden 
möchte. 

Wir  sehen  hier,  dass  die  Benennung  «Kaiserliche  Städte» 
die  französischen  Gesandten  zu  dem  Glauben  brachte,  die  Städte 
seien  im  Besitze  des  Kaisers. 

Darauf  gaben  die  Kaiserlichen  Gesandten  am  29.  Mai  4646 
ihre  letzte  declaratio  in  puncto  satisfactionis  Gallicae. 

«Der  Kaiser  will  darnach  für  sich  und  sein  Haus  den  Sund- 
gau, die  Landgrafschaft  des  oberen  Elsass  und  die  Landvogtei 
im  unteren  Elsass  abtreten  mit  allen  Rechten,  die  bisher  dem 
Hause  Oesterreich  zukamen.  Alle  reichsunmittelbaren  Stände 
im  Elsass  sollen  in  ihrer  Freiheit  und  Reichsunmittelbarkeit 
bleiben  und  Benfeld  und  Zabern  geräumt  werden.» 

Die  französischen  Gesandten  acceptirten  unterm  3.  Juni, 
dass  die  cedirten  Lande  der  Krone  Frankreich  cum  omni  supe- 
rioritate  in  perpeluum  sollten  incorporirt  werden ;  doch  ver- 
langten sie  auch  die  kaiserliche  und  Reichsoberherrlichkeit  über 
alle  ungemittelte  Reichsstände  im  Elsass,  ausgenommen  die 
Bisthümer  Strassburg  und  Basel. 

Die  Kaiserlichen  Gesandten  erklärten  den  bayrischen  Ver- 
mittlern unterm  9.  Juni  1646  darauf:  Was  die  Souveränität  des 
römischen  Reiches  über  die  Elsässischen  Reichsstände  anlange, 
so  könnte  der  Kaiser  weder  direct  noch  indirect  darein  willigen, 
weil  solches  der  Kaiserlichen  Wahlcapitulation  entgegen  stehe ; 
es  sollte  dies  jedoch  den  Reichsständen  proponirt  werden.  Die 
Verhandlungen  dauerten  fort ;  doch  die  Frage  wurde  den  Reichs- 
ständen nicht  vorgelegt.  Unterm  22.  August  1646  kam  es  zu 
folgenden  Abmachungen :  Der  Kaiser  tritt  für  sich  und  das 
ganze  Haus  Oesterreich  ab  alle  Rechte,  welche  sie  auf  die  Land- 


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—    21  — 


Grafschaft  Ober-  und  Unter-Elsass,  auf  den  Sundgau  und  auf 
die  Landvogtei  der  zehn  Kaiserlichen  Städte  haben.  Die  reichs- 
unmittelbaren Stände  im  Elsass  bleiben  in  ihrer  Freiheit  und 
Reichsunmittelbarkeit.  Der  Erzherzog  Karl  zu  Innsbruck  er- 
hält drei  Millionen  Livres  Entschädigung. 

Am  13.  September  1646  wurde  das  scriptum  conventionis 
zu  Münster  vollzogen.  In  diesem  lauten  die  betreffenden  Ar- 
tikel über  die  Abtretungen  ebenso  wie  im  Friedenstractat  vom 
24.  Oktober  1648.  Die  Stadt  Strassburg  wurde  auf  Drängen 
ihrer  Gesandten  später  noch  zum  §  87  hinzugefügt. 

Die  Verhandlungen  zeigen  ganz  klar,  dass  alle  Reichs- 
unmittelbaren im  Elsass  in  ihrer  Freiheit  und  Unmittelbarkeit 
zum  Kaiser  und  Reich  bleiben  sollten  ;  dass  der  Kaiser  weder 
direct  noch  indirect,  ohne  die  Stände  zu  fragen,  einwilligen 
konnte,  dass  ihr  Gebiet  an  Frankreich  übertragen  wurde.  Der 
Kaiser  fragte  die  Stände  nicht ;  die  französischen  Gesandten 
standen  von  ihrer  Forderung  ab  und  sie  erlangten  demnach  nur 
die  Abtretung  der  österreichischen  Territorien  und  des  Vogtei- 
rechts  in  den  zehn  Reichs-Städten. 

Der  Schlusssatz  des  §  87  des  Frieden  st  ractats  kann  sich 
demnach  nur  auf  dies  Vogteirecht  beziehen.  Die  Städte  blieben 
deutsch  und  unmittelbar;  doch  das  Vogteirecht  in  denselben 
erhielt  Frankreich. 

Frankreich  nahm  1648  auch  nur  die  früheren  österreichi- 
schen Territorien  in  Besitz.  Allerdings  behielt  es  auch  die 
lothringischen  Besitzungen  besetzt ;  doch  nicht  auf  Grund  des 
Friedensschlusses ,  sondern  weil  es  mit  dem  Herzog  von 
Lothringen  noch  Krieg  führte. 

Im  ersten  Jahr  nach  dem  westphälischen  Frieden  begnügte 
sich  Frankreich  an  Stelle  der  früheren  österreichischen  Re- 
gierung zu  Ensisheim  einen  königlichen  Gerichtshof  in  Breisach 
einzurichten.  Die  Thäligkeit  desselben  erstreckte  sich  über  das 
Gerichtswesen,  über  die  Untersuchung  der  Rechte  und  An- 
sprüche des  Königs  von  Frankreich  im  Elsass  und  über  das 
Rechnungswesen.    Der  Gerichtshof  wurde  dem  Grafen  Harcourt 


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—   22  — 


unterstellt,  der  am  26.  April  1649  zum  französischen  Statt- 
halter im  Elsass  und  zum  Ober-Landvogt  der  zehn  elsässischen 
Vereinsstädte  der  Landvogtei  Hagenau  ernannt  worden  war. 

Gegen  Ende  August  1652  kam  der  Landvogt  in's  Elsass 
und  war  seine  erste  Handlung,  dass  er  von  den  zehn  Reichs- 
städten den  Eid  der  Treue  und  des  Gehorsams  gegen  den 
König  von  Frankreich  forderte.  Die  Städte  verlangten  von  ihm 
zuvor  nach  altem  Recht  und  Herkommen  die  Zusicherung  ihrer 
Rechte  und  Privilegien,  wie  es  von  den  Erzherzögen  jedesmal 
vor  dem  Eidschwur  auch  geschehen  wäre. 

Besonders  der  Rath  von  Colmar  erhob  seine  Stimme  ganz 
energisch  gegen  die  Eidesleistung. 

Graf  Harcourt  gab  nach.  Am  11.  Juli  1653  erlheilte  er 
den  zehn  Städten  der  Landvogtei  die  schriftliche  Zusicherung-, 
sie  bei  all  ihren  Privilegien,  Besitzungen,  Freiheiten  sowie  in 
ihrer  unmittelbaren  Stellung  zum  deutschen  Reich  zu  belassen. 

Sofort  erklärte  der  König  durch  besonderen  Erlass,  dass 
der  Graf  Harcourt  seine  Vollmacht  überschritten  habe.  Die 
Städte  waren  aber  über  ihren  Erfolg  so  erfreut,  dass  sie  sich 
dem  Wahne  hingaben,  es  würde  ihre  Stellung  zum  deutschen 
Reich  unverändert  bleiben.  Die  Magistrate  der  elsässischen 
Reichsstädte  fuhren  fort,  die  deutschen  Reichstage  zu  beschicken 
und  die  Reichstagsabschiede  zu  unterschreiben.  Auch  bezahlten 
sie  ihren  Antheil  an  der  Kriegsentschädigung  von  5  Millionen 
Thalern  an  die  Schweden,  nachdem  die  Reparation  auf  die  10 
Kreise  des  Reichs  1650  zu  Nürnberg  festgestellt  worden  war. 

Noch  1653  schwuren  die  Städte  dem  Kaiser  Leopold  Treue. 
Ferner  erhielten  sie  1655  auf  dem  Reichstag  zu  Worms  ihren 
Antheil  an  der  dem  Reich  zu  stellenden  Mannschaft.  Endlich 
erklärte  Kaiser  Leopold  bei  der  Wahl-Kapitulation  zu  Frank- 
furt a/M.  1658,  dass  die  zehn  elsässischen  Reichsstädte  ebenso 
wie  die  andern  Reichsstände,  das  Landvogteirecht  ausgenommen, 
mit  dem  Reich  unmittelbar  verbunden  seien  und  dies  auch 
bleiben  sollten. 

Die  Macht  der  Verhältnisse  erwies  sich  indess  stärker  1 


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—    23  — 


Frankreich  war  entschlossen,  den  Widerstand  der  Reichsstädte 
zu  brechen,  und  wartete  nur  auf  eine  günstige  Gelegenheit. 

Auf  Anrathen  des  Kardinal  Mazarin,  welcher  dem  Grafen 
Harcourt  in  der  Würde  des  elsässischen  Ober-Landvogts  ge- 
folgt war,  hatte  Ludwig  XIV.  schon  1657  den  königlichen  Ge- 
richtshof zu  einem  conseil  souverain  d'Alsace  erweitert  und  den 
Sitz  desselben  nach  Ensisheim  verlegt. 

Das  Conseil  sollte  nicht  nur  Recht  sprechen,  sondern  auch 
die  religiösen  Angelegenheiten,  besonders  die  der  katholischen 
Kirche  regeln,  über  die  Erhaltung  der  Domänen  wachen  und 
auch  die  politischen  Verhältnisse  der  Provinz  iu's  Auge 
fassen,  um  so  mehr  als  der  Landvogt  nach  französischem  Be- 
griff nur  Statthalter  des  Königs  war  und  keinen  richterlichen 
Charakter  besass.  Die  Amtsstellen  des  Conseil  besetzte  Mazarin 
mit  Persönlichkeiten,  deren  Namen  in  Frankreich  nach  jeder 
Richtung  hin  den  besten  Klang  hatten. 

Am  24.  November  1658  fand  die  erste  öffentliche  Sitzung 
dieser  Körperschaft  in  feierlichster  Weise  statt.  Die  Vertreter 
der  elsässischen  Reichsstädte  waren  dazu  eingeladen  worden 
und  auch  erschienen.  Als  Letzteren  der  Zweck  des  Conseil 
souverain  milgetheilt  wurde,  betonten  sie  ihre  Reichsunmiltel- 
barkeit  und  setzten  eine  Protestation  auf,  in  welcher  sie  der 
neuen  Körperschaft  das  Recht  absprachen,  in  politischen  An- 
gelegenheiten wie  in  gerichtlichen  Fällen  die  oberste  Instanz 
des  Landes  zu  bilden  ;  auch  verwahrten  sie  sich  entschieden 
gegen  jede  Neuerung.  Der  Präsident  Colbert  nahm  zwar  ihr 
Schreiben  nicht  an,  versicherte  indess  mündlich,  es  sollten  keine 
Neuerungen  eingeführt  werden,  worauf  sich  die  Abgeordneten 
beruhigten. 

Der  Ober- Land vogt  Kardinal  Mazarin  war  indess  anderer 
Meinung.  1656  Hess  er  eine  Untersuchung  über  die  Rechte  der 
Städte  dem  Ober-Landvogt  gegenüber  anstellen.  Das  Ergebniss 
dieser  Untersuchung  war,  dass  die  Städte  in  Folge  des  Schirm- 
rechts eine  mässige  Besatzung  innerhalb  ihrer  Mauern  aufzu- 
nehmen hätten,  dass  sie  ihre  Magazine  öffnen  und  untersuchen 


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-   24  - 

lassen  müssten,  ob  Alles  im  guten  und  ausreichenden  Zustand 
vorhanden  sei,  dass  dem  Landvogt  als  Vertreter  des  Königs  die 
Gerichtsbarkeit  über  die  Städte  zustände,  dass  bei  den  Wahlen 
zu  Rathen  und  Schöffen  der  Vogt  die  Beaufsichtigung  und  Be- 
stätigung der  Wahlen  hätte  und  derselbe  schliesslich  auch  das 
Aufsich  tsrecht  über  ihre  innere  Verwaltung  besässe. 

Auf  Grund  dieses  Gutachtens  wäre  der  Kardinal  sicherlich 
gegen  die  Städte  eingeschritten,  hätte  ihn  nicht  am  9.  März  1661 
der  Tod  ereilt. 

Der  Nachfolger,  sein  Neffe  Armand  La  Meillery,  duc  de 
Mazarin,  wirkte  indess  in  seinem  Geist  fort  und  forderte  die 
Städte  auf,  die  französische  Oberhoheit  in  der  Rechtspflege,  im 
Militärwesen  und  in  kirchlichen  Angelegenheiten  anzuerkennen. 
Als  sich  die  Städte  dagegen  auflehnten,  versuchte  er  mit  Ge- 
walt durchzudringen. 

Auf  die  darauf  erfolgenden  Vorstellungen  des  Kaisers  und 
der  deutschen  Reichsstände  wurde  vom  König  von  Frankreich, 
wenn  auch  ungern,  ein  Schiedsgericht  behufs  Schlichtung  der 
streitigen  Punkte  zugestanden.  Besonders  die  Forderung  der 
französischen  Krone,  dass  ihr  die  elsässischen  Reichsstädte  den 
Eid  der  Treue  schuldig  seien,  wurde  einer  grundlichen  Prüfung 
unterzogen  und  vom  Schiedsgericht,  wie  die  meisten  der  übrigen 
französischen  Forderungen,  abgelehnt. 

So  wahrten  für  dieses  Mal  die  Städte  noch  ihr  Recht ! 
Allein  die  Zeit  sollte  bald  kommen,  wo  die  endgültige  Lösung 
der  Fragen  selon  le  hon  plaisir  du  roi  stattfand. 

Im  Jahre  1663  wandten  sich  die  Städte  Colmar,  Munster 
und  Türckheim  in  einer  Streitsache  mit  dem  Abt  von  Münster 
bona  fide  an  das  Reichs- Kammergericht  in  Speyer,  ihre  frühere 
Instanz.  Der  duc  de  Mazarin  erklärte  diesen  Schritt  als  eine 
Missachtung  der  Souveränitätsrechte  seines  Königs  und  verbot 
den  Reichsstädten  der  Landvogtei  bei  2000  Livres  Strafe  sich 
künftighin  an  das  Kammergericht  von  Speyer  zu  wenden,  indem 
sich  der  König  die  Entscheidung  in  kirchlichen  Angelegen- 
heiten vorbehalten  habe.    Als  Colmar,  Landau,  Weissenburg 


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25  — 


und  Münster  dagegen  protestirten,  machte  der  duc  de  Mazarin 
ihnen  ein  Edikt  des  Königs  bekannt,  nach  welchem  dem  Con- 
seil  souverain  d'Alsace  dieselbe  Gerichtsbarkeit  über  die  Städte 
eingeräumt  worden  war,  wie  sie  das  Reichs-Kammergericht  zu 
Speyer  ausübte ;  ferner  der  König  das  Recht  beanspruchte, 
durch  die  Städte  der  Landvogtei  in  Begleitung  von  Truppen  zu 
ziehen,  in  dieselben  Garnisonen  zu  legen  und  endlich  die  Auf- 
sicht über  die  Zeughäuser  und  Festungswerke  auszuüben. 
Schliesslich  sei  der  Oberland vogt  im  Namen  des  Königs  befugt, 
bei  der  Wahl  des  Raths  den  Vorsitz  zu  führen. 

Die  Reichsstädte  brachten  1665  diese  Streitsache  vor  den 
Reichstag  zu  Regensburg  und  verlangten  abermals  ein  Schieds- 
gericht. Doch  Frankreich  wusste  die  Angelegenheit  in  die 
Länge  zu  ziehen,  bis  der  Krieg  darüber  ausbrach  und  Ludwig 
XIV.  den  gordischen  Knoten  mit  dem  Schwert  durchhieb. 

Colmar  Hess  sich  durch  das  Vorgehen  Frankreichs  so  wenig 
einschüchtern,  dass  es  noch  1666  Münzen  mit  des  Kaisers 
Wappen  und  mit  der  Inschrift  «Eine  freye  Kaiserliche  Stadt» 
prägen  liess. 

Ein  letzter  ohnmächtiger  Protest  des  Rechts  gegen  die  Ge- 
walt, welchen  Ludwig  XIV.  sieben  Jahre  später  schwer  ahnden 
sollte. 

Den  5.  April  1672  hatte  Ludwig  XIV.  der  Republik  Hol- 
land den  Krieg  erklärt.  Er  hatte  England  und  im  deutschen 
Reich  den  Bischof  von  Münster  und  den  Erzbischof  von  Köln 
zu  Verbündeten.  Unter  allen  Fürsten  des  deutschen  Reichs  er- 
kannte nur  der  grosse  Kurfürst  Friedrich  Wilhelm  von  Branden- 
burg die  Gefahr,  welche  dem  deutschen  Reich  drohte.  Bereits 
am  6.  Mai  schloss  er  ein  Bündniss  mit  Holland  und  veranlasste 
den  Herzog  von  Braunschweig  und  den  Landgrafen  von  Hessen 
und  schliesslich  auch  den  Kaiser  dem  Bündniss  beizutreten  und 
Truppen  an  den  Rhein  zu  werfen. 

Ludwig  fürchtete  den  grossen  Kurfürst  mehr  als  den  Kaiser! 
Und  da  er  namentlich  für  den  Besitz  des  Elsass  besorgt  war, 
beschloss  er  die  volle  Unterwerfung  der  elsässischen  Reichs- 


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-  2Ü  - 


Städte  an  Frankreich  so  schnell  wie  möglich  herbeizuführen 
und  auch  der  Stadl  Strassburg  seine  Macht  vor  Augen  zu 
führen.  Den  ersten  Schlag  führte  er  sogar  gegen  Strassburg 
selbst,  indem  er  den  Befehl  gab,  die  der  Stadt  gehörige  Rhein- 
brücke bei  Kehl  zu  zerstören. 

Am  15.  November  morgens  2  Uhr  kamen  von  Breisach 
aus  acht  Schiffe  mit  90  Mann  Besatzung  unter  Befehl  des 
Kommandanten  Vicomte  de  Lescouet  den  Rhein  herab.  In 
aller  Stille  landeten  die  Franzosen  an  der  Rheinbrücke,  setzten 
dieselbe  an  drei  Stellen  in  Brand  und  vernichteten  so  den 
Rheinübergang  binnen  kürzester  Zeit.  Nach  Ausführung  ihres 
Auftrages  fuhren  sie  nach  der  Wanzenau,  stiegen  dort  unter 
Trommelschall  ans  Land,  zechten  bis  zum  Mittag  und  mar- 
schirten  dann  unbehelligt  nach  Breisach  zurück. 

In  Kehl  und  Strassburg  ertönten  die  Sturmglocken,  die 
Bürger  traten  sofort  unler  die  Gewehre  und  besetzten  die  Wälle  ; 
doch  der  Rath  verbot  Strassburgs  Neutralitäts-Erklärung  zu  Folge 
jeglichen  Angriff. 

Der  Ralh  beschwerte  sich  bei  Ludwig  XIV.  über  die  Ge- 
walttat. Am  22.  Dezember  erfolgte  darauf  ein  Schreiben  aus 
Versailles,  worin  der  König  die  Stadt  seiner  Huld  und  Gnade 
versicherte  und  ihr  kund  that,  die  Zerstörung  der  Rheinbrücke 
sei  ohne  sein  Wissen,  auf  Befehl  des  Prinzen  von  Conde  er- 
folgt, um  einen  Einfall  der  Kaiserlichen  und  Brandenburgischen 
Truppen  in's  Elsass  zu  verhindern.  Nach  dem  Kriege  wolle  er 
zum  Wiederaufbau  der  Brücke  das  Seinige  gern  beitragen.  Als 
der  Rath  die  Brücke  jedoch  sofort  wieder  herstellen  lassen 
wollte,  wurde  dies  französischerseits  nicht  geduldet. 

So  behandelte  schon  damals  Ludwig  XIV.  die  unmittelbar 
freie  deutsche  Reichsstadt  Strassburg,  auf  die  er  keinen  Schim- 
mer von  Recht  hatte,  deren  Hülflosigkeit  er  aber  genau  kannte. 

Die  Zerstörung  der  Brücke  machte  in  Wien  den  peinlichsten 
Eindruck.  Der  dortige  französische  Gesandte  Herr  von  Gremon- 
ville  erklärte  indess  einfach,  die  Brücke  wäre  zerstört  worden, 
weil  man  vernommen,  dass  Colmar  und  Sehlettstadt  mit  dem 


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—   27  — 

Kurfürsten  von  Brandenburg  verhandelt  und  sich  bereit  erklärt 
halten,  Brandenburgische  Garnisonen  aufzunehmen. 

Durch  derartige  Vorgänge  wurden  die  Franzosen  im  ganzen 
Elsass  von  Tag  zu  Tag  verhasster.  Eine  unheimliche  Schwüle 
laslete  auf  allen  Gernüthern !  Allgemein  fühlte  man,  dass  man 
am  Vorabend  wichtiger  Ereignisse  stehe.  Die  Aufregung  steigerte 
sich,  als  man  vernahm,  Ludwig  XIV.  beabsichtige  persönlich 
nach  dem  Elsass  zu  kommen.  Von  diesem  königlichen  Besuch 
erwartete  man  nichts  Gutes  !  Als  der  französische  Landvogt  duc 
de  Mazarin  im  Dezember  1672  in  Hagenau  übernachten  wollte, 
erhob  sich  unter  der  Bürgerschaft  ein  solcher  Tumult,  dass 
man  ihm  den  Eingang  verwehrte  und  die  Thore  schloss.  In 
einer  Hütte  vor  der  Stadt  musste  er  die  Nacht  zubringen.  Aehn- 
liches  passirte  ihm  vor  Münster ! 

Diese  Vorgänge  kamen  auf  dem  Reichstage  zu  Regensburg 
zwischen  den  Abgeordneten  der  elsässischen  Reichsstädte  und 
dem  französischen  Gesandten  Abbe  de  Gravelle  zur  Sprache. 
Der  Colmarer  Abgeordnete  Antonius  Schott  schreibt  darüber  : 
M.  de  Gravelle  sagte:  «Es  sey  dem  König  um  diese  Städte  gar 
nicht  zu  thun  und  seien  sie  zu  geringschätzig,  dass  der  König 
seinen  Ruhm  dadurch  sollte  verringern  oder  sich  nachreden  lassen, 
dass  er  sie  ohne  ursach  surpreniren  wolle,  und  wolle  er  infam 
sein,  wenn  der  König  das  geringsle  an  dergleichen  denke,  auch 
sogar,  dass  er  gewiss  versichern  könne,  wenn  die  Städte  auch 
von  selbsten  sich  dem  Könige  übergeben  und  sich  deswegen 
bei  ihm  anmelden  wollten,  dass  er  es  nicht  acceptiren  würde. 
Der  König  habe  drei  fines  seiner  Regierung:  La  gloire,  la 
justice  et  Pinteret  de  son  royaume,  deren  keins  zulasse,  dass 
der  König  dieser  Zeit  an  diesen  Städten  einige  Gewaltthätigkeit 
vornehmen  sollte!» 

Diese  doppelzüngige  Rede  beruhigte  die  leichtgläubigen 
elsässischen  Abgeordneten.  Allein  schon  die  nächste  Zukunft 
sollte  die  Städte  belehren,  dass  wenn  l'interet  de  son  royaume 
bei  Ludwig  XIV.  im  Spiel  war,  la  gloire  et  la  justice  ihr  Haupt 
verhüllen  und  verstummen  mussten.  Seit  Mitte  November  1672 


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—   28  - 


hatte  der  Prinz  Conde  sein  Hauptquartier  in  Breisach.  Mit 
richtigem  Blick  heurt heilte  er  die  Zustände  im  Eisass  und  ent- 
warf davon  in  einem  Schreiben  an  Louvois  folgendes  für  die 
französische  Herrschaft  wenig  tröstliches  aber  wahrheitsge- 
treues Bild  : 

«Je  ne  puis  m'empecher  Monseigneur  de  dire  que  Pautorite 
du  Roy  se  va  perdant,  absolument  dans  l'Alsace.  Les  dix  villes 
imperiales,  hien  loing  d'etre  soumises  au  Roy,  com me  elles  les 
devroient  estre  par  la  protection  que  le  Roy  a  sur  elles  par  le 
traite  ä  Münster,  sont  presque  emnemis. 

La  Noblesse  de  la  Basse- Alsace  va  presque  le  meme  chemin. 
Haguenau  a  ferme  insolemment  la  porte  au  nez  de  M.  de  Mazarin 
et  la  petite  ville  de  Munster  l'a  chasse  honteusement  il  y  a 
quelque  temps ;  il  a  souflert  ces  deux  affronts  avec  beaucoup 
de  patience ;  cependant  c'est  un  pied  qui  se  prend ;  je  croy 
que  le  roy  devroit  prendre  le  temps  qu'il  jugeroit  ä  propos  pour 
mettre  Colmar  et  Haguenau  ä  la  raison,  ce  serait  une  chose 
bien  facile,  les  autres  suivraient  sans  contredit  leur  exemple, 
c'est  ä  sa  Majeste  ä  juger  quand  le  temps  sera  propice.» 

Colmar,  Hagenau  und  Schlettstadt  waren  die  mächtigsten 
der  zehn  Reichsstädte.  Waren  dieselben  niedergeworfen,  so 
war  auch  der  Widerstand  der  übrigen  gebrochen  !  Der  Prinz 
Conde  schlug  daher  Louvois  vor,  sich  dieser  Städte  zu  be- 
mächtigen und  deren  Befestigungen  zu  zerstören,  damit  eine 
feindliche  Armee  im  Eisass  nicht  festen  Fuss  fassen  könnte. 

Der  König  und  Louvois  gaben  dem  Plan  ihre  volle  Zustim- 
mung und  brachte  ihn  der  König  nach  seiner  Staatsmaxime 
«La  force  prime  le  droit»  zur  Ausführung.  Mit  Colmar  und 
Schlettstadt  wurde  begonnen  und  an  ihnen  ein  Exempel  der 
Strenge  slatuirt,  welches  den  übrigen  Landvogtei-Städten  allen 
Muth  benahm  und  ihre  bisherige  Opposition  völlig  brach. 

Ueber  den  Fall  von  Colmar  berichtet  die  Chronik: 

Am  4.  August  1673  reiste  der  Marquis  de  Louvois  bei 
Colmar  vorbei.  Er  wurde  gleich  einer  fürstlichen  Person  vom 
Rath  begrüsst  und  versicherte  er  die  Herren  vom  Rath  der  könig- 


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—   i*J  — 


liehen  Gnade  «insofern  sie  sich  derselben  würdig  zeigen  wür- 
den.» Am  7.  August  wollten  die  Abgeordneten  von  Colmar 
den  König  in  Nancy  bewillkommnen.  Sie  wurden  mit  dem  Be- 
scheid abgewiesen,  sie  möchten  in  Begleitung  ihres  Landvogts 
erscheinen.  Am  10.  August  trafen  700  Mann  Kavallerie  unter 
Befehl  des  Oberst  Coulange  vor  Colmar  ein.  Als  am  15.  August 
dem  sogenannten  «Meistertag»,  die  Erneuerungswahl  des  Raths 
nach  alter  Art  und  Weise  stattfinden  sollte,  befahl  der  fran- 
zösische Oberst  die  Kanonen  von  den  Wällen  zu  entfernen. 
Dieser  Befehl  wurde  ohne  Widerspruch  ausgeführt.  Als  am 
18.  August  Louvois  abermals  in  die  Nähe  von  Colmar  kam, 
erschienen  die  Abgeordneten  der  Landvogteistädte  unter  dem 
Untervogt  Marquis  de  Ruze.  Louvois  theilte  ihnen  die  Ankunft 
des  Königs  mit  und  gab  ihnen  die  Zusicherung,  dass  der  König 
den  Städten  nichts  von  ihren  Hechten  nehmen  wolle ,  doch 
werde  er  in  keine  elsässische  Stadt  einziehen,  die  nicht  von 
seiner  Garde  bewacht  sei.  In  Folge  dessen  möchten  die  Bürger 
ihre  Posten  für  die  Zeit,  während  welcher  der  König  in  der 
Stadt  weilen  werde,  an  die  französischen  Soldaten  abtreten. 
Auch  diese  Forderung  wurde  zugestanden.  Am  nämlichen 
Tage,  dem  18.  August,  rückte  der  Oberst  de  Coulange  mit 
seinen  700  Reitern  in  Colmar  ein  und  übernahm  die  Bewachung 
der  Stadt.  Tags  darauf  kam  die  Garde  in  die  Stadt.  Die 
Bürger  mussten  ihre  Gewehre  abliefern  und  sogar  die  Mit- 
glieder des  Stadtraths  ihre  Degen  ablegen.  Auch  des  Zeug- 
hauses bemächtigten  sich  die  Franzosen.  Ohne  auch  nur  den 
Rath  zu  fragen,  führte  man  die  vorgefundenen  Geschütze  und 
Waffen,  die  Munition  und  Ausrüstungsgegenstände  nach  der 
Festung  Breisach.  Die  Franzosen  staunten  über  den  Reichthum 
des  Zeughauses  und  bekannten  offen,  dass  keine  der  von  ihnen 
in  Holland  eingenommenen  Städte  solchen  Waffenvorrath  be- 
sessen hätte. 

Am  20.  August  erschienen  6000  Mann :  Soldaten,  Bauern 
aus  dem  Sundgau  und  Bergknappen  aus  Markirch,  um  die 
Wälle,  Thürme  und  Mauern  niederzureissen. 


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—    30  - 


Am  nämlichen  Tage  reiste  der  König  bei  Colmar  vorbei 
nach  Breisach.  Der  Rath  von  Colmar  kam  ihm  entgegen ; 
doch  der  König  würdigte  weder  die  Rathsherren  noch  die  Geist- 
lichkeit eines  Blickes,  sondern  ritt  im  Galopp  davon. 

So  verlor  die  ehrwürdige  Reichsstadt  Colmar  ihren  alten 
Ruhm  und  ihr  Ansehen  ! 

Nach  Colmar  kam  Schlettstadt  an  die  Reihe!  Gegen  diese 
Stadt  war  Ludwig  XIV.  besonders  eingenommen,  weil  noch 
1071  auf  ihre  Bitte  ein  kaiserlicher  Kommissar,  Herr  von 
Gollern,  dort  erschienen  war,  um  Streitigkeiten  zwischen  Rath 
und  Bürgern  zu  schlichten. 

Am  28.  August  1673  zogen  1700  Mann  französische  Trup- 
pen in  Schlettstadt  ein.  Bald  darauf  erschien  auch  Louvois. 
Die  Deputirten  der  zehn  Reichsstädle  befanden  sich  auch  ge- 
rade in  Schlettstadt.  Sie  versuchten  bei  Louvois  das  Aeusserste 
von  der  Stadt  abzuwenden  und  versprachen,  sich  den  könig- 
lichen Anordnungen  zu  unterwerfen.  Louvois  wies  sie  kurz 
ab :  es  sei  des  Königs  Wille,  dass  so  verfahren  würde.  Er  ver- 
bot jede  Getreideausfuhr  aus  der  Sladt  —  Getreide  war  der 
Haupt-Handelsartikel  von  Schlettstadt  —  und  befahl  die  Wälle 
und  Thore  niederzureissen.  Bürger  und  Landleute  der  Um- 
gegend mussten  selbst  mit  Hand  anlegen. 

Hagenau ,  Weissenburg  und  Münster  theilten  dasselbe 
Schicksal  wie  Colmar  und  Schletlstadt  I  Die  Stadtmauern  von 
Weissenburg  waren  jedoch  so  fest,  dass  ein  grosser  Theil  der- 
selben stehen  blieb. 

Ein  Schrei  der  Entrüstung  erhob  sich  in  Deutschland,  als 
man  das  Schicksal  der  Städte  erfuhr! 

Die  französischen  Gesandten  auf  dem  Reichstag  zu  Regens- 
burg erklärten  indess  kurz  und  bündig,  der  König  sei  durch 
die  Feindseligkeit  der  Städte  und  die  Befürchtigung,  dass  die 
heranziehenden  kaiserlichen  und  brandenburgischen  Truppen 
in  denselben  Aufnahme  finden  könnten,  zu  diesen  Massnahmen 
gezwungen  worden  ;  die  Städte  sollten  auch  in  ihrer  jetzigen 
Verfassung  nichts  von  ihren  Freiheiten  einbüssen. 


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—   31  - 


Somit  hatte  Ludwig  XIV.  sein  nächstes  Ziel  erreicht.  Die 
Widerstandsfähigkeit  der  elsässischen  Reichsstädte  war  ge- 
brochen ! 

Doch  in  den  Elsässern  lebte  noch  der  deutsche  Geist ;  sie 
Hessen  den  Muth  noch  nicht  sinken  und  setzten  ihre  Hoffnungen 
auf  die  Erfolge  der  heranrückenden  Kaiserlichen  und  Branden- 
burgischen Truppen  ! 

Anfangs  Mai  1674  kam  die  kaiserliche  Armee  unter  dem 
Herzog  von  Bournonville  in  das  Elsass.  Marschall  Turenne 
hatte  sich  in  Zabern  verschanzt.  Allgemein  erwartete  man  im 
Elsass  eine  Schlacht,  doch  kam  es  vorläufig  noch  nicht  dazu. 
Die  Kaiserliche  Armee  verliess  das  Elsass  wieder  und  zog  nach 
der  Pfalz,  wohin  ihr  der  französische  Feldmarschall  Turenne 
folgte. 

Am  27.  September  war  die  Kaiserliche  Armee,  gegen 
30,000  Mann  stark,  wieder  in  das  Elsass  zurückgekehrt  und 
hatte  bei  Grafenstaden  und  Iiikirch  ein  Lager  bezogen,  um 
dort    die    Ankunft   der    Brandenburger    abzuwarten.  Doch 
Turenne,  der  mit  seinem  nur  22,000  Mann  starken  Heer  in 
der  Wanzenau  stand,  entschloss  sich  zum  sofortigen  Angriff 
und   begann  seinen  Vormarsch.    In  Folge  dessen  nahm  die 
Kaiserliche  Armee  Stellung  bei  Enzheim  nnd  besetzte  Düppig- 
heim  und  Düttlenheim.    Am  4.  Oktober  morgens  erhielt  der 
Herzog  von  Bournonville  die  Nachricht  von  dem  Anrucken  des 
Feindes.    Sofort  stellte  er  seine  Truppen  in  Schlachtordnung 
auf.    Bei  Enzheim  kam  es  zum  erbitterten  Kampf.  Derselbe 
blieb  indess  unentschieden.  Beide  Gegner  räumten  das  Schlacht- 
feld.   Die  Kaiserliche  Armee  zog  sich  unter  die  Mauern  von 
Strassburg  zurück  ;  die  Franzosen  nahmen  beobachtende  Stel- 
lung bei  Achenheim. 

Am  43.  Oktober  überschritt  der  Kurfürst  von  Brandenburg 
mit  seinen  Truppen,  11,000  Mann  Infanterie,  7500  Reitern,  2 
Regimenter  Dragonern  und  42  Feldstücken,  den  Rhein  bei  Kehl 
und  nahm  sein  Hauptquartier  in  der  Schachenmühle  bei 
Strassburg. 


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-  :vi  _ 


Seine  Gemahlin  Dorothea  und  sein  ältesler  Sohn,  der  Kur- 
prinz Carl- Emil,  die  ihn  begleiteten,  nahmen  die  Gastfreund- 
schaft Strassburgs  an.  Am  14.  Oktober  veranstaltete  der  Rath 
von  Strassburg  ein  grosses  Festmahl  zu  Ehren  des  Kurfürsten 
in  der  Schachenmühle.  Am  15.  Oktober  hielt  der  Kurfürst 
auf  der  Metzgerau  eine  grosse  Heerschau  ab.  Das  Fussvolk 
mit  seiner  strammen  Haltung  erregte  allgemeine  Bewunderung. 
Nach  der  Heerschau  marschirten  die  Brandenburger  direct  nach 
Bläsheim,  wo  die  kaiserliche  Armee  lagerte. 

Die  Lage  Turenne's  war  eine  kritische  geworden.  Der 
Macht  der  Verbündeten  war  er  nicht  gewachsen.  Die  Fran- 
zosen, bedeutend  schwächer  an  Zahl,  waren  ausserdem  durch 
die  langen  Märsche  und  durch  die  Kämpfe  bei  Enzheim  ganz 
entkräftet.  Mit  zunehmender  Sorge  erwartete  Turenne  die  An- 
kunft der  ihm  versprochenen  Hilfstruppen. 

Die  Lage  der  Verbündeten  war  demnach  eine  höchst  vor- 
theilhafte  und  wollte  der  grosse  Kurfürst  dieselbe  auch  durch 
einen  sofortigen  Angriff  auf  Turenne,  welcher  sich  unterdess 
bei  Marlenheim  festgesetzt  hatte,  ausbeuten.  Seiner  Ansicht 
nach  beabsichtigte  Turenne  entweder  am  Fuss  der  Vogesen 
nach  dem  Ober-Elsass  zu  entkommen,  um  dort  geeignete 
Winterquartiere  zu  beziehen  oder  sich  nach  Lothringen  zurück- 
zuziehen, um  sich  dort  für  einen  neuen  Einfall  in's  Elsass  zu 
verstärken.  «Um  die  eine  oder  die  andere  Eventualität  zu  ver- 
hindern, sei  Turenne  von  der  ganzen  verbündeten  Armee  sofort 
anzugreifen. j>  Dieser  Plan  wurde  im  Kriegsrath  am  14.  Oktober 
allseitig  angenommen.  War  derselbe  gewiss  auch  der  allein 
richtige,  so  fehlte  doch  die  sachgemässe  Ausführung !  Schon 
bei  Beginn  der  Operation  musste  der  Kurfürst  die  alte  traurige 
Erfahrung  machen,  dass  Uneinigkeit,  Eifersucht  und  Unfähig- 
keit seitens  der  übrigen  Befehlshaber  seine  wohlangelegten 
Unternehmungen  scheitern  Hessen. 

Die  Hauptschuld  an  dieser  verhängnissvollen  Uneinigkeit 
lag  in  dem  Auftreten  des  kaiserlichen  Heerführers,  der  dem 
Kurfürsten  fast  in  den  meisten  Plänen  entgegentrat;  trotzdem 


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—   33  — 

er  von  Wien  die  Ordre  erhalten,  «dass  er  seiner  kurfürst- 
lichen Durchlaucht  den  gebührenden  Respect  leisten,  die  Parole 
von  ihr  nehmen  und  was  die  Majora  beschliessen  würde,  execu- 
tiren  solle.» 

In  Folge  dieser  Zerwürfnisse  im  eigenen  Hauptquartier 
und  der  Langsamkeit  in  der  Aufstellung  und  Führung  der 
Truppen  schlug  das  erste  Unternehmen,  Turenne  bei  Marlen- 
heim den  48.  Oktober  zu  einer  Schlacht  zu  zwingen,  fehl  ! 

In  vollständiger  Ordnung  konnte  sich  Turenne  durch  das 
schwierige  Terrain  auf  Dettweiler  und  Hochfelden  zurückziehen, 
wo  er  durch  die  Zorn  gesichert,  sein  Lager  aufschlug  und  die 
Verbindung  mit  seinen  Magazinen  in  Zabern  nnd  Hagenau  her- 
stellte. Seinem  Rückzug  nach  Lothringen  hinein  stand  nichts 
mehr  im  Wege ! 

Der  Grosse  Kurfürst  erging  sich  über  das  untreue  Be- 
nehmen des  Herzogs  von  ßournonville  in  den  heftigsten  Aus- 
drücken. Einer  zu  ihm  entsendeten  Deputation  des  Strassburger 
Magistrats  gegenüber  äusserte  er  mit  aufgehobener  Hand  nach 
der  Stellung  Turenne's  hinweisend :  «Da  stehet  der  Hund  in 
seinem  auserlesenen  Vortheil  und  wir  sind  hier  und  müssen 
crepiren,  können  ihm  auch  nichts  thun,  da  wir  ihn  doch  in 
unserer  Gewalt  gehabt  und  vertilgt  hätten,  wo  nicht  der  Bour- 
nonville,  dieser  Schurke,  es  verhindert  hätte.»  —  Auffallend  ist 
es,  dass  der  Kurfürst  noch  länger  an  Bournonville's  Seite  blieb. 
Nur  der  Patriotismus  seines  echt  deutschen  ritterlichen  Herzens 
und  die  deutsche  Ehre  selbst  unter  den  schwierigsten  Verhält- 
nissen zu  verfechten,  mögen  ihn  dazu  bewogen  haben.  Auch 
fühlte  er  wohl,  dass  sein  Name  schliesslich  allein  für  das  Miss- 
geschick verantwortlich  gemacht  werden  würde. 

Mit  Marlenheim  war  es  um  das  Ansehen  der  Verbündeten, 
besonders  der  kaiserlichen  Armee,  geschehen.  Die  Stimmung 
schlug  völlig  um.  Im  Protokoll  der  Dreizehner  in  Strass- 
burg  heisst  es  :  «Man  solle  den  Kaiserlichen  nicht  zu  wohl 
trauen  ;  gegen  die  Brandenburger  aber  und  die  übrigen,  die 
es  treu  meinten,  solle  man  zu  unterstützen  fortfahren.» 

3 


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—   34  - 


Die  Verbündeten  lagerten  am  Fuss  des  Kochersberg  und 
blieben  unthätig,  während  sich  Turenne  durch  Zuzug  aus  dem 
Conde'schen  Corps  bis  auf  20,000  Mann  Infanterie  und  13,000 
Reiter  verstärkte.  Trotzdem  hielt  er  sich  noch  für  zu  schwach, 
um  die  Verbündeten  anzugreifen,  und  zog  sich  am  29.  Novem- 
ber 1674  durch  den  Pass  von  Lützelstein  und  über  die  Zaber- 
ner Steige  nach  Lothringen  zurück,  während  die  Verbündeten 
Winterquartiere  im  Ober-Elsass  bezogen. 

In  Lothringen  fasste  Turenne  den  Entschluss  über  Epinal 
und  Remiremont  in  das  Ober-Elsass  einzufallen,  um  die  Ver- 
bündelen in  ihren  Winterquartieren  in  der  Gegend  von  Mül- 
hausen, Thann,  Ensisheim  und  Colmar  zu  überraschen  und  sie 
einzeln  zu  schlagen. 

Der  Grosse  Kurfürst  hatte  mit  seiner  Gemahlin  in  Colmar 
im  Wagkeller,  dem  Rathhaus,  Quartier  genommen  und  lag  an 
der  Gicht  krank.  Hier  hatte  er  auch  den  Schmerz,  seinen  Sohn, 
den  Kurprinzen  Karl-Emil,  den  er  schwer  krank  in  Strassburg 
zurückgelassen  hatte,  durch  den  Tod  zu  verlieren.  Derselbe 
starb  den  7.  Dezember  1674  im  Dettlinger-Hof  in  der  Brant- 
gasse,  heut  Nr.  15,  in  Folge  eines  Fiebers. 

Den  23.  Dezember  brach  Turenne  mit  seiner  kampfbereiten 
Armee  auf,  überraschte  die  Kaiserliche  Armee  völlig  und  zwang 
sie  durch  siegreiche  Gefechte  zum  Rückzug  bis  in  die  Gegend 
von  Colmar.  Hier  beschlossen  die  Verbündeten  den  Kampf  mit 
Turenne  aufzunehmen.  Am  5.  Januar  kam  es  zur  Schlacht, 
die  bis  in  die  Nacht  dauerte  und  wiederum  zum  Nachtheil  der 
Verbündeten  ausfiel.  Vor  wie  während  des  Kampfes  war  die 
Uneinigkeit  und  die  Eifersucht  unter  den  verschiedenen  Heer- 
führern erneut  zum  Ausbruch  gekommen  und  wurde  dadurch 
besonders  die  Niederlage  verursacht.  Selbst  bei  dem  Rückzug 
noch  zeigte  Bournonville  seinen  schlechten  Willen  gegen  den 
Kurfürsten.  Ohne  einen  besonderen  Refehl  desselben  abzu- 
warten oder  ihn  auch  nur  zu  benachrichtigen,  zog  er  sich  noch 
in  derselben  Nacht  auf  Schlettstadt  zurück.  Die  Brandenburger 
blieben  den  Franzosen  allein  gegenüber.    Doch  Turenne  war 


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—  35 


nicht  in  der  Lage  den  Feind  zu  verfolgen  und  war  froh,  dass 
ihm  die  Verbündeten  das  Schlachtfeld  überlassen  hatten. 

Durch  den  von  Ludwig  XIV.  veranlassten  plötzlichen  Ein- 
fall der  Schweden  in  sein  Land,  wurde  der  grosse  Kurfürst 
gezwungen,  schleunigst  dahin  zurückzukehren.  Ende  Januar 
1675  hatten  auch  die  Kaiserlichen  das  Elsass  geräumt.  Der 
Krieg  zog  sich  jedoch  noch  mehrere  Jahre  in  die  Lange. 

Für  die  Bevölkerung  des  Elsass  Irat  eine  neue  Zeit  der 
Schrecken  und  Drangsalen  ein.  Die  Franzosen  behandelten  die  Ein- 
wohner ohne  Schonung  und  Harmherzigkeit.  In  einer  unge- 
druckten Chronik  der  Stadt  Colmar  von  Billing  finden  wir  aus  dem 
Jahr  1675  unter  März  folgende  Notiz:  «Auch  wurden  von  den 
Soldaten  geschändete  Weibspersonen  morgens  todt  auf  der  Gasse 
gefunden.  Je  mehr  man  über  den  Unfug  klagte,  je  mehr  wur- 
den die  Officiers  irritirt.  Die  capitaines  der  zwei  in  Colmar  in 
Besatzung  liegenden  Regimenter  Bouillon  und  Turenne  taxirten 
ihre  Wirthe  über  die  6  Rationen  Fourage  noch  an  Geld  und 
erpressten  von  Jedem  täglich  2,  3 — 4  Thaler,  deren  Exempel 
die  Obern  und  Lieutenants  nachfolgten.  Die  Bürgerschaft 
nimmt  täglich  ab  durch  Sterben  und  Davonziehen  ;  die  Unver- 
möglichsten  crepiren  uuler  der  Last ;  der  gänzliche  Untergang 
steht  uns  vor  Augen.» 

Das  Jahr  1677  war  wieder  ganz  besonders  verhängnissvoll 
für  das  Elsass.  Anfangs  Januar  kam  von  Versailles  der  Befehl, 
auch  die  noch  stehen  gebliebenen  Reste  der  Befestigungswerke 
der  Reichsstädte  vollständig  zu  schleifen  und  auch  andere  wich- 
tige befestigte  Punkte  im  Lande  zu  zerstören. 

Schon  am  7.  Januar  begann  man  mit  Hagenau.  Dabei 
wurde  die  stattliche  Hohenstaufenburg,  das  Sinnbild  ehemaliger 
deutscher  Macht  und  Herrlichkeit,  bis  auf  den  Grund  zerstört. 
Der  Parteigänger  La  Brosse,  von  den  Elsässerh  der  Mordbrenner 
genannt,  kam  nach  Hagenau  und  Hess  über  200  Häuser  an- 
zünden. Er  wollte  die  ganze  Stadt  der  Erde  gleich  machen, 
doch  der  General  von  Montclar  hinderte  ihn  daran.  Dann  kam 
Weissenburg,  das  der  ersten  Zerstörungswut!!  grösstenteils 


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widerstanden  halte,  an  die  Reihe.  Den  24.  Januar  rückte  La 
Brosse  dort  ein,  Hess  die  Stadt  ausplündern  und  Tags  darauf 
an  allen  Enden  anzünden.  Ueber  70  Häuser  gingen  in  Flam- 
men auf.  Auch  das  alte  Rathhaus  mit  dem  reichen  Stadt- 
archiv wurde  vernichtet.  Erst  nach  dem  Abzüge  von  La  Brosse 
durften  die  Bürger  das  Feuer  löschen. 

Die  bischöfliche  Stadt  und  Festung  Zabern  wurde  auch 
nicht  verschont.  Am  12.  Mai  1677  erhielt  der  französische 
Kommandant  La  Chedardie  von  Louvois  den  Befehl,  die  uralten 
Mauern  der  Stadt  abzubrechen.  Die  Einwohner  baten  wenigstens 
den  Thurm  des  Oberlhores  als  Zierde  der  Stadt  stehen  zu 
lassen.  Der  Kommandant  hätte  gern  ihre  Bitte  genehmigt, 
doch  dem  Befehl  Louvois'  gegenüber  durfte  er  es  nicht  wagen. 
Auch  die  Mauern  von  Buchsweiler,  der  Hanau-Lichtenberg'schen 
Residenzstadt,  mussten  abgebrochen  werden.  Dem  Grafen  von 
Hanau  wurde  dazu  eine  Frist  von  vier  Wochen  bewilligt.  Des- 
gleichen wurden  viele  feste  Schlösser  und  Burgen,  wie  Dags- 
burg,  Fleckenstein,  Alt-  und  Neuwindstein  und  viele  andere,, 
welche  die  Gipfe!  der  Vogesen  krönten,  zerstörl.  Im  Jahr  1678 
im  November  wurde  Barr  völlig  eingeäschert.  Der  Brand 
dauerte  vier  Tage  und  blieben  nur  einige  Häuser  im  Kirneck- 
thal stehen. 

Der  Krieg  vernichtete  auf  Jahre  hinaus  den  Wohlstand  des 
Elsass.  Noth  und  Elend  nahmen  bei  dem  Landmann,  dessen 
Felder  vernichtet,  wie  bei  dem  Städter,  der  unter  der  uner- 
schwinglichen Last  der  Einquartirung  seufzte,  überhand.  Dass 
die  Elsässer  unter  solchen  Drangsalen  nach  Frieden  seufzten, 
war  natürlich.  Endlich  am  5.  Februar  1679  kam  derselbe  zu 
Nim  wegen  zwischen  Kaiser  Leopold  I.  und  Ludwig  XIV.  zu 
Stande. 

Bei  der  Ratificirung  des  Friedens  wurden  die  Rechte  der 
elsässischen  Reichsstädte  mit  keiner  Silbe  erwähnt.  Bei  den 
vorhergehenden  Verhandlungen  beantragten  die  kaiserlichen 
Gesandten  die  Rückgabe  einzelner  dieser  Städte.  Die  Franzosen 
antworteten  darauf,  dies  sei  ebenso,  als  wenn  man  ihnen  eine 


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—   37  - 

Stadt  mitten  in  Frankreich  entreissen  wolle.  Auf  das  weitere 
Verlangen  auf  Einsetzung  eines  Schiedsgerichts  zur  Interpre- 
tirung  des  weslphälischen  Friedensvertrages,  erklärten  die  Fran- 
zosen, daran  nicht  mehr  gebunden  zu  sein. 

Unter  diesen  Verhältnissen  wünschte  der  Grosse  Kurfürst 
die  Fortsetzung  des  Krieges ;  der  Kaiser  wollte  aber  Frieden 
um  jeden  Preis.  Er  begnügte  sich  mit  dem  Versprechen, 
Kaiser  und  Reich  würden  sich  der  Rechte  und  Freiheiten  der 
bedrohten  elsässischen  Reichsstädte  annehmen  und  ihre  Reichs- 
freiheit schützen.  Die  Franzosen  antworteten  darauf:  «Dies 
seien  Acte  der  innern  deutschen  Politik,  um  welche  sich  Dritte 
nichts  zu  kümmern  hätten.» 

Ludwig  XIV.  war  der  erste  Theil  seines  Vorhabens,  die 
Unterwerfung  der  elsässischen  Reichsstädte,  gelungen.  Nur 
noch  eine  Reichsstadt  gab  es  im  Elsass,  dies  war  Strassburg ! 
Doch  war  für  jeden  Einsichtigen  der  Verlust  auch  dieser  Stadt 
an  Frankreich  nur  eine  Frage  der  Zeit.  Im  Verlauf  des  letzten 
Krieges  hatte  sich  dies  bereits  zur  Genüge  herausgestellt. 

Als  1678  Ende  Juli  Marschall  Crequi  vom  Rath  der  Stadt 
dans  Pinteret  du  Service  du  Roy  die  Freigabe  des  Rheinüber- 
gangs bei  Kehl  forderte  und  ihm  dieser  unter  Berutung  auf 
die  Neutralität  der  Stadt  nicht  bewilligt  wurde,  gab  er  sofort 
Befehl  gegen  die  Kehler  Schanzen  vorzurücken.  Nach  zwei- 
tägiger Beschiessung  derselben  musste  die  Strassburger  Be- 
satzung der  Uebermacht  weichen.  Von  800  Mann,  welche  die 
Schanze  vertheidigten,  blieben  250  Mann  auf  dem  Felde  der 
Ehre.  Crequi  liess  darauf  das  der  Stadt  Strassburg  gehörige 
Kehl  und  die  Rheinbrücke  in  Flammen  setzen.  Als  Strassburg 
darauf  Truppen  anwarb,  behandelte  er  das  ganze  Strassburger 
Stadtgebiet  als  Feindesland  und  liess  die  Dörfer  Lampertheim, 
Mundolsheim,  Vendenheim  und  Reichstedt,  obgleich  der  reichs- 
unmittelbaren freien  Ritterschaft  gehörig,  ohne  Weiteres  ein- 
äschern, weil  sie  mit  Strassburg  Verkehr  unterhielten. 

Am  25.  August  veröflentlichte  er  von  seinem  Hauptquartier 
Obermodern  bei  Buchsweiler  ein  Manifest  gegen  die  Strass- 


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-  38 


burger,  worin  er  die  Stadt  des  Treubruchs  beschuldigte  und 
sämmtlichen  Ortschaften  im  Elsass  bei  Einäscherung  verbot 
irgendwelchen  Verkehr  mit  Strassburg  zu  unterhalten. 

Der  Strassburger  Rath  erliess  sofort  eine  Rechtfertigungs- 
schrift. Die  Franzosen  seien  es,  die  durch  die  Erstürmung  der 
Kehler  Schanze  und  die  Zerstörung  der  Rheinbrücke  die  Neu- 
tralität von  Strassburg  verletzt  hätten.  Erst  darnach  habe  die 
Stadt  Hilfsiruppen  aufgenommen ,  um  sich  vertheidigen  zu 
können.  Zugleich  wandte  sich  der  Rath  an  Ludwig  XIV.,  er- 
hielt aber  keine  Antwort  ! 

Alle  diese  Vorfälle  mussten  Strassburg  belehren,  dass  die 
Tage  seiner  Unabhängigkeit  gezählt  seien ;  dass  es  zu  ohn- 
mächtig sei,  dem  allmächtigen  ländergierigen  König  von  Frank- 
reich, dem  alle  Mittel  gut  waren,  um  zu  seinem  Zweck  zu  ge- 
langen, auf  die  Dauer  zu  widerstehen,  und  dass  das  deutsche 
Reich,  an  welches  beinahe  1000  jährige  Bande  glorreicher  Er- 
innerungen und  gemeinsam  vollführter  Waffenthaten  die  Stadt 
knüpften,  ausser  Stande  sei,  die  Westmark  und  deren  mächtiges 
Bollwerk,  die  Vormauer  und  den  Schlüssel  des  Reichs,  gegen 
Frankreich  zu  schützen. 

Das  gewaltsame  Vorgehen  der  Reunionskammern  bestätigte 
bald  im  vollen  Masse  diese  trüben  Ahnungen. 

Rechtlich  galten  noch  immer  für  das  Elsass  die  Bestim- 
mungen des  Westphälischen  Friedensschlusses.  Dieselben  waren 
durch  den  Frieden  von  Nimwegen  von  Rechtswegen  nicht  aufge- 
hoben und  bemühte  sieh  das  elsässer  Volk  seine  Rechte  auch 
bei  jeder  Gelegenheit,  selbst  mit  den  Waffen  in  der  Hand  gel- 
tend zu  machen.  Doch  Ludwig  wusste  sich  auch  hier  zu 
helfen,  um  unter  dem  Schein  des  Rechtes  mit  Hülfe  französi- 
scher Juristen  seine  Souveränität  über  das  ganze  Elsass  auszu- 
dehnen. 

Auf  Anrathen  des  Parlamentsraths  Roland  de  Raveaux  in 
Metz  rief  er  behufs  dessen  1680  die  berüchtigte  Reunionskammer 
zu  Alt-Breisach  in's  Leben. 

Das  Provinzialgericht  in  Breisach  wurde  vom  1.  Januar 


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39  — 


1680  ab  zu  einem  obersten  Gerichtshof  —  Conseil  superieur 
und  souverain  d'Alsace  —  erhoben  Seine  Hauptaufgabe  be- 
stand darin,  gemeinschaftlich  mit  dem  Intendanten  die  Reunion 
(Wiedervereinigung)  des  ganzen  Elsass  mit  der  Krone  Frankreich 
und  deren  Oberherrlichkeit  im  vollsten  Umfang,  im  Gegensatz 
zur  deutschen  Souveränität,  zu  Stande  zu  bringen. 

Die  Reunionskammer  von  Breisach  ging  nicht  säumig  zu 
Werke.  Schon  am  22.  März  1680  wurde  ein  grosser  Theil  der 
zur  Landvogtei  Hagenau  gehörigen  Äemter,  Dörfer  und  Schlösser 
und  das  Mundat  Weissenburg  ohne  alle  Rücksicht  auf  die 
Rechte  Dritter  in  willkürlicher  Interpretirung  des  §  87  des 
Westphälischen  Friedens,  der  französischen  Krone  einverleibt. 
Betreffs  des  Mundats  Weissenburg  behauptete  der  General- 
Anwalt  Favier,  dass  dasselbe  der  kaiserlichen  Sladt  Weissen- 
burg gehöre,  welche  im  Friedensvertrag  von  Münsler  ausdrück- 
lich abgetreten  sei.  Dies  war  durchaus  nicht  der  Fall !  Nur 
die  Vogtei  in  der  Decapole,  wozu  Weissenburg  gehörte,  war 
abgetreten  worden,  nicht  das  Mundat  Weissenburg.  Dies  ge- 
hörte 1648  zum  Bisthum  Speyer.  Durch  weiteres  Edict  der 
Reunionskammer  vom  9.  August  wurde  das  Veizeichniss  dieser 
Ortschaften  um  eine  namhafte  Zahl  vermehrt.  Doch  damit 
nicht  genug  !  Um  weiter  zum  Ziel  zu  kommen,  stellte  der  Ge- 
richtshof in  Breisach  ganz  einfach  den  Grundsatz  auf:  Durch 
die  letzten  Friedensschlüsse  sei  dem  König  von  Frankreich  die 
Oberherrschaft  über  das  ganze  Elsass  vom  deutschen  Kaiser 
überlassen  worden  und  erklärte  der  General-Anwalt  Favier  dies 
auch  kurz  und  bündig  den  Vertretern  von  Horburg,  Rufach, 
Hanau-Lichtenberg,  Oberbronn,  Dagsburg,  Lützelstein,  Mauers- 
münster etc.,  als  sie  auf  Grund  des  §  87  des  Westphälischen 
Friedenstraclats  für  die  Reichsunmittelbarkeit  und  Freiheit  ihrer 
dienten  plädirten.  Als  sich  die  Vertreter  mit  diesem  will- 
kürlichen Bescheid  indess  nicht  beruhigten,  und  einen  Prozess- 
anstrengten,  suchte  Favier  einen  positiven  Grund  vorzubringen. 
Er  berichtete,  dass  laut  der  Protokolle  der  Stadt  Schlettstadt 
der  Erzherzog  Leopold,  Bischof  von  Strassburg,  am  20.  Mai 


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—  40 


1625  die  unterelsässischen  Stände  zu  einer  Versammlung  nach 
Schlettstadt  geladen  habe,  um  sich  über  die  Angelegenheiten 
zu  beratben,  die  das  Beste  der  Provinz  beträfen  :  dazu  seien 
die  meisten  in  Person  oder  durch  Vertreter  erschienen.  Aus 
dieser  Zusammenkunft,  welche  als  die  einzige  in  dieser  Form 
in  allen  Zeiten  nachzuweisen  war,  schloss  Kavier  nicht  etwa, 
dass  ein  angesehener  Mann  seine  Standesgenossen  einlud,  um 
sich  zu  beratben,  sondern,  dass  er  als  vorgesetzter  Landgraf 
die  ihm  untergebenen  Herren  zu  einer  Provinzial-Versammlung 
aufgefordert  habe. 

In  Verfolg  dessen  forderte  der  als  Reunionskammer  auf- 
tretende Gerichtshof  durch  seinen  Erlass  vom  9.  August  1680 
sämmtliche  Herrschaften  des  Elsass  auf,  dem  Könige  von  Frank- 
reich den  Eid  der  Treue  zu  leisten,  das  französische  Wappen 
an  die  Stadtthore  und  Portale  der  öffentlichen  Gebäude  anzu- 
schlagen und  im  Gerichtsgange  die  letzte  Entscheidung  dem 
Gerichtshof  zu  Breisach  anheimzustellen.  Auch  verlangte  die 
Breisacher  Reunionskammer,  dass  das  ganze  weltliche  und 
geistliche  Vermögen  des  Landes  unter  die  Königliche  Ober- 
gewalt gestellt  würde. 

Vor  der  rohen  Gewalt  ohne  Aussicht  auf  irgend  welche 
Hilfe,  beugten  sich,  wenn  auch  mit  schwerem  Herzen  und 
ohne  Zustimmung  von  Kaiser  und  Reich,1  die  meisten  Herren 
des  Elsass.  Die  Grafen  von  Hanau-Lichtenberg,  die  Herren  von 
Fleckenstein,  die  Grafen  von  Leiningen-Dagsburg  und  viele 
andere  Herren  und  Ritter  erschienen  im  Verzeichniss  der 
französischen  Vasallen. 

Auch  der  Graf  Georg  von  Württemberg,  Herr  der  Graf- 
schaft Horburg  und  Reichenweier,  die  Markgrafen  von  Baden 


1  AU  in  der  Nachtsitzung  vom  4./5.  August  1789  die  französische 
Nationalversammlung  durch  Majoritätsbeschluss  alle  Feudalrechte  in 
Frankreich  abschaffte,  erhielt  dieser  Vorgang,  der  vom  Reich  still- 
schweigend hingenommen  und  nicht  beanstandet  worden  war, 
hinsichtlich  der  Entschädigungsansprücne  der  depossedirten  elsäs- 
8ischen  Territorialherren  eine  durchschlagende  Bedeutung. 


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-    41  — 

sowie  die  Grafen  von  Rappoltstetn,  mussten  dem  König  von 
Frankreich  huldigen.  Freiwillig  und  wenig  rühmlich  beugte 
sich  von  vornherein  nur  der  Bischof  von  Strassburg  Carl 
Egon  von  Fürstenberg. 

Die  Ritterschaft  des  Unter-EIsass  war  von  jeher  reichs- 
unmittelbar und  ihre  Mitglieder  waren  freie  Herren.  Der  Be- 
stand ihrer  Privilegien  war  ihr  durch  den  westphälischen  Frieden 
zugesichert  worden.  Ludwig  XIV.  that  alles  Mögliche,  um 
scheinbar  die  Rechte  der  Ritterschaft  nicht  anzutasten.  Noch 
1681,  als  die  Rillerschaft  eine  Deputation  nach  Versailles  sandte, 
empfing  sie  der  König  äusserst  huldvoll  und  sicherte  der  Ritter- 
schaft die  Erhaltung  sämmtlicher  unter  Kaiser  und  Reich  her- 
gebrachten Privilegien  zu.  Dies  hielt  ihn  jedoch  nicht  ab,  den 
Sitz  der  Ritterschaft  von  Strassburg,  das  noch  dem  deutschen 
Reiche  gehörte,  nach  Niederehnheim  zu  verlegen.  Die  Herren 
protestirten,  ihr  schönes  Ritterhaus  auf  dem  Stephansplan  zu 
verlassen  ;  aber  was  half  es  ihnen.  Am  2.  Mai  1681  wurden 
sie  gezwungen,  dem  König  von  Frankreich  in  Niederehnheim  den 
Eid  der  Treue  zu  leisten.  Der  Ammeister  Reisseisen  bemerkt 
dazu  in  seinem  Memorial  :  «Sic  itur  ad  astra ;  aut  verius  de 
übertäte  in  servitutem.» 

Einzelne  mächtige  Stände  widersei zten  sich  diesen  Ueber- 
griffen  der  Königlichen  Gewalt,  welche  so  tief  einschneidende 
Veränderungen  in  die  Verfassung  des  ganzen  Landes  brachte. 
Was  nützte  aber  ihre  Protestation  !  Wehe  denen,  die  im  Be- 
wusstsein  ihres  guten  Rechts  es  wagten,  sich  den  Aussprüchen 
der  Reunionskammer  zu  widersetzen.  Ihre  Beamten  wurden 
fortgejagt,  ihre  Archive  geschlossen  und  weggenommen,  ihre 
Renten  mit  Beschlag  belegt,  ihre  Güter  eingezogen!  Wandten 
sie  sich  an  den  König,  so  wurden  sie  einfach  von  dem  Minister 
an  den  Gerichtshof  von  Breisach  verwiesen.  Und  was  thaten 
Kaiser  und  Reich,  welche  im  Frieden  zu  Nim  wegen  das  Elsass 
zu  schützen  versprochen  hatten ,  für  die  hart  bedrängten 
Stände  ? 

Der  Reichstag  zu  Regensburg   hielt  lange  Sitzungen  und 


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-    45  - 


Louvois  hatte  Alles  bis  in's  Detail  vorbereitet.  35,000  Mann 
standen  für  den  Zug  gegen  Strassburg  wohl  ausgerüstet  bereit. 

Arn  Sonnabend,  den  27.  September  1681,  hielt  General  von 
Montclar  bei  Breisach  über  die  Armee  grosse  Heerschau  ab  und 
begann  darnach  sofort  den  Vormarsch  gegen  Strassburg.  Oberst 
von  Asfeld  traf  um  Mitternacht  mit  2000  Dragonern  vor  der 
Rheinbrücke  ein.  Als  die  Franzosen  weiter  vorrückten,  gab 
die  nur  schwache  Besatzung  Feuer,  musste  sich  indess  vor  der 
Uebermacht  schleunigst  zurückziehen.  In  Strassburg  gerieth 
Alles  in  grösste  Bestürzung!  Reisseisen  schreibt  in  seinem 
Memoriale :  «Umb  2  Uhren  gegen  Tag  hat  man  angefangen 
die  Mordglocke  zu  leuthen,  dessen  die  Ursach  gewesen,  dass 
die  Franzosen  die  Zollschanzen  occupirt  und  eingenommen.» 

Alle  waffenfähigen  Bürger  eilten  auf  die  Sammelplätze,  die 
schweizerischen  Soldtruppen,  4 — 500  Mann,  besetzten  die  Wälle 
und  der  Rath  versammelte  sich  auf  der  Pfalz. 

Als  der  französische  Resident  Fritschmann  um  die  Ursache  des 
plötzlichen  Angriffs  befragt  wurde,  erwiderte  er:  er  wisse  von  nichts. 

Der  Rath  schickte  hierauf  den  Stadtschreiber  Güntzer  zu 
dem  Obersten  von  Asfeld.  Derselbe  gab  die  kurze  Antwort,  er 
habe  auf  höheren  Befehl  gehandelt.  General  von  Montclar 
habe  in  Erfahrung  gebracht ,  dass  kaiserliche  Truppen  den 
Rheinpass  besetzen  wollten.  Um  denselben  zuvor  zu  kommen, 
habe  er  sich  der  Zollschanze  bemächtigt  und  dadurch  der  Stadt 
einen  grossen  Dienst  geleistet.  Als  ihm  Güntzer  erwiderte 
30 — 40  Stunden  weit  sei  kein  kaiserlicher  Soldat  zu  sehen,  gab  er 
zur  Antwort,  er  könne  sich  mit  ihm  nicht  in  weitere  Erörterungen 
einlassen,  er  habe  seine  Befehle.  Das  Weitere  möge  der  Rath 
von  Strassburg  mit  dem  General  von  Montclar  verhandeln.  Der 
Rath  schickte  sofort  einen  Kourier  nach  Wien  zu  Kaiser  Leopold 
und  einen  zweiten  an  den  Reichstag  nach  Regensburg,  um 
dieselben  dringend  um  Hülfe  zu  bitten.  Beide  Kouriere  wurden 
jedoch  mit  ihren  Handschreiben  von  den  Franzosen  abgefangen. 

Nächsten  Tag  traf  auch  von  den  Strassburger  Aussen- 
Aemtern  die  Nachricht  ein,  dass  sie  von  den  Franzosen  besetzt 


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-  41) 


Am  Tage  der  Capilulation,  nachmittags  4  Uhr,  zog  der 
Marquis  de  Louvois  an  der  Spitze  von  zehn  Bataillonen  und 
einem  Regiment  Kürassiere  durch  das  Metzgerthor  in  Strass- 
burg  ein. 

Die  französischen  Soldaten  hesetzten  sofort  das  Zeughaus 
und  die  Wälle.  Die  Kürassiere  hivakirten  auf  dem  Barfüsser- 
platz.  i  Am  folgenden  Tage  erhielten  alle  Bürger  Einquartierung. 
Am  2.  Oktober  musste  jeder  Bürger  die  in  seinem  Besitze  be- 
findlichen Waffen  abliefern.  Am  4.  Oktober  leistete  der  Rath 
dem  General  von  Monlclar  und  dem  französischen  Gouverneur 
Marquis  de  Chamilly  den  Eid  der  Treue.  An  demselben  Tage 
tauschte  die  Stadt  ihre  frühere  Benennung  einer  kaiserlichen  und 
freien  Stadt  des  heiligen  römischen  Reichs  gegen  den  Namen 
einer  königlichen  freien  Stadt  ein. 

Den  12.  Oktober  wurde  das  Strassburger  Münster,  in 
welchem  mit  Ausnahme  der  Interimszeit  seit  der  Reformation 
evangelischer  Gottesdienst  gehalten  worden  war,  dem  Bischof 
zurückgegeben. 

Den  Protestanten  wurde  dafür  die  alte  Dominikaner-  oder 
Prediger-Kirche,  seitdem  Neue  Kirche  genannt,  zugewiesen. 
Diese  war  übel  zugerichtet  und  standen  Mühlen  darin,  die  von 
Pferden  getrieben  wurden.  Es  kostete  viel  Mühe,  sie  wieder 
herzurichten. 

Am  20.  Oktober  hielt  der  Bischof,  von  Zabern  kommend, 
in  grössler  Prachtentfaltung  seinen  feierlichen  Einzug  in  das 
Münster.  Von  den  französischen  Behörden  wurde  er  mit  den 
grössten  Ehren  empfangen. 

Ludwig  XIV.  hatte  in  Vitry-le-Francais  in  der  Champagne 
die  Einnahme  von  Strassburg  erwartet  und  bestätigte  daselbst 
am  3.  Oktober  auch  die  Kapitulation.  Noch  besonders  ver- 
sicherte er  auf  sein  königliches  Wort,  dass  dieselbe  buch- 
stäblich befolgt  werden  sollte. 

Alsbald  begab  er  sich  in  Begleitung  der  Königin,  des 


1  Heute  Kleberplatz. 

4 


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-    50  - 

Dauphins,  des  Herzogs  und  der  Herzogin  von  Orleans  nach 
dem  Elsass  und  hielt  am  23.  Oktober  seinen  feierlichen  Einzug 
in  Sirassburg,  reduite  maintenant  ä  l'obeissance  du  roy. 

Am  Thor  musslen  ihn  der  grosse  und  kleine  Rath,  die 
Collegien  der  Dreizehner,  Fünfzehner  und  Einundzwanzig  er- 
warten. Der  Dreizehner  Jakob  Spielmann ,  der  einzige  der 
Räthe,  welcher  der  französischen  Sprache  völlig  mächtig  war, 
hielt  schweren  Herzens  die  Begrüssungsrede.  Der  Gouver- 
neur de  Chamilly  überreichte  dem  König  die  Schlüssel  der 
unterworfenen  Stadt. 

Die  Bürgerschaft  betrug  sich  würdig  und  edel,  sie  verbarg 
ihre  inneren  Gefühle  nicht,  küssle  nicht  die  Sklavenketten,  be- 
sang nicht  die  Fesseln,  die  ihr  Frankreichs  Herrscher  soeben 
geschmiedet  hatte.  —  Kein  :  «Es  lebe  der  König»  hörte  man 
aus  ihrem  Munde !  Dagegegen  erfüllten  die  Franzosen  mit 
ihrem  «vive  le  roy»  die  Luft. 

Der  König  stieg  im  «Badischen  Hof»  i  ab,  damals  dem 
Markgrafen  von  Baden-Durlach  gehörig.  Am  nächsten  Morgen 
begab  sich  der  König  mit  dem  ganzen  Gefolge  in's  Münster, 
wo  ihn  der  Bischof  Franz  Egon  von  Fürstenberg  mit  den  be- 
kannten Worten  des  greisen  Simeon  empfing:  «Herr,  nun  lassest 
du  deinen  Diener  in  Frieden  fahren,  meine  Augen  haben  deinen 
Heiland  gesehen.»  Den  26.  Oktober  hielt  Ludwig  grosse  Heer- 
schau über  die  15,000  Mann  starke  Garnison  von  Strassburg 
ab.  Auf  der  Metzgerau ,  derselben  Stelle,  wo  sieben  Jahre  vor- 
her der  grosse  Kurfürst  unter  dem  Jubel  der  Strassburger  Be- 
völkerung seine  Brandenburger  musterte.  —  Jetzt  herrschte 
überall  düstere  Stimmung  ! 

Als  die  Kunde  der  Kapitulation  sich  in  Deutschland  ver- 
breitete, erhob  sich  ein  Schrei  der  Entrüstung.  Der  Unwille 
der  deutschen  Patrioten  wurde  täglich  grösser!  Der  Reichstag 
in  Regensburg  war  aber  machtlos  und  der  Kaiser  hatte  voll- 
auf an  der  Ostgrenze  mit  den  Ungarn  und  Türken  zu  thun. 


1  Heute  «Dracbenschule.> 


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-   51  — 


Sirassburg  blieb  sich  selbst  überlassen  !  Die  Stimmung  der 
Bürgerschaft  war  eine  trübe  und  still  erbitterte.  Das  Volk  beugte 
sich  ungern  unter  das  französische  Joch.  Einzelne  hervor- 
ragende Persönlichkeiten,  wie  der  Bischof  Franz  Egon  von 
Fürstenbersf  und  der  Direktor  des  Direktoriums  der  elsässischen 
Ritterschaft  Freiherr  von  Wangen-Geroldseck,  wie  auch  manche 
andere,  waren  zwar  französisch  gesinnt,  sie  hatten  indess  auf 
die  Masse  des  Volkes  gar  keinen  Einfluss.  Die  Bürger  sahen 
alle  diejenigen,  welche  die  Kapitulation  unterzeichnet  hatten, 
mit  misstrauischen  Augen  an  und  hielten  sie  für  Verräther. 
Doch  das  änderte  an  der  Sachlage  nichts  !  Seitdem  Ludwig  XIV. 
den  Hausschlüssel  des  Elsass  besass,  beanspruchte  er  auch  das 
volle  Hausrecht  in  demselben. 

Um  das  Elsass  gegen  alle  Gefahren  zu  sichern,  Hess  er  in 
erster  Linie  die  neue  Grenze  Frankreichs  gegen  Deutschland 
in  guten  Verteidigungszustand  setzen.  Bereits  am  4.  Oktober 
1681  langte  Vauban  in  Strassburg  an,  um  die  Citadelle  zu 
bauen.  Nicht  nur  zur  Verteidigung  gegen  äussere  Feinde,  als 
vielmehr  zur  Schulzwehr  der  Franzosen  gegen  die  Stadt  selbst ! 
Die  Arbeiten  wurden  mit  solchem  Eifer  betrieben,  dass  die 
Citadelle  bereits  den  26.  Mai  '1082  vollendet  war.  Ebenso  wurden 
die  Rheinschanze  bei  Kehl  und  der  Brückenkopf  daselbst  wieder 
hergestellt  und  stark  befestigt.  Um  die  Sladt  Strassburg,  welcher 
der  König  nicht  traute,  noch  besonders  im  Zaum  hallen  zu  können, 
wurden  bei  den  Kasernen  am  Steinthor  und  an  den  gedeckten 
Brücken  starke  Schanzen  aufgeworfen.  —  Zum  Bau  von  Kasernen 
musste  Strassburg  von  1682 — 1684  800,000  Livrcs  beitragen. 

Ausser  Strassburg  befestigte  Vauban  noch  Schlettstadt  und 
Hüningen.  Ferner  wurden  die  festen  Plätze  Fort- Louis  und 
Neubreisach  neu  erbaut. 

Nach  hinreichender  Sicherung  der  Grenze  liess  Ludwig  XIV. 
am  2.  Januar  1682  in  Frankfurt  afM.  den  kaiserlichen  Ge- 
sandten gegenüber  erklären:  um  allen  ferneren  Missverständ- 
nissen vorzubeugen,  wäre  er  bereit,  durch  die  Kaiserlichen  und 
seine  Gesandten  eine  Grenzscheidung  zwischen  den  deutschen 


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—   52  - 

und  französischen  Gebieten  vornehmen  zu  lassen,  damit  keine 
ferneren  Ansprüche  unter  irgend  einem  Scheine  des  Hechts  an 
eines  derselben  stattfinden  könne.  Erst  im  April  kam  dieser 
Gegenstand  auf  dem  Reichstag  zu  Regensburg  wieder  zur 
Sprache  und  erklärte  der  französische  Botschafter  Graf  Crecy, 
dass  seine  Regierung  seit  ihrer  Zusage  in  Frankfurt  alle 
Reunionsmassregeln  eingestellt  habe,  auch  keine  neuen  mehr 
ergreifen  wolle;  wenn  ihr  durch  rechtsgültige  Urkunde  der 
Besitz  aller  der  Gebiete,  Strassburg  einbegriffen,  zugesichert 
würde,  welche  die  Krone  Frankreichs  vor  der  Konferenz  in 
Frankfurt  in  Besitz  genommen  hätte.  Der  Kaiser  weigerte 
sich  in  die  Abtretung  von  Reichsgebieten  einzugehen.  Bald 
entspann  sich  jedoch  zwischen  dem  Oberhaupt  des  Reichs  und 
einigen  mächtigen  Fürsten  des  Landes,  welche  einem  neuen 
Kriege  entgegen  waren,  ein  grosser  Zwiespalt.  Die  Kurfürsten 
von  Köln,  Mainz,  Trier  und  der  Pfalz  fanden  die  Vorschläge 
Frankreichs  annehmbar.  Dagegen  suchte  der  Kaiser,  der 
die  Art  und  Weise  der  Einnahme  Strassburgs  für  eine  Be- 
leidigung seiner  Würde  ansah,  einige  Fürsten  und  Stände  zum 
Krieg  gegen  Frankreich  anzureizen  und  schloss  mit  ihnen  am 
10.  Juni  1682  ein  besonderes  Bündniss  zu  Luxemburg. 

Bei  der  Gegenstellung  der  meisten  Reichsstände,  die  dem 
Kaiser  nicht  das  Recht  einer  selbstständigen  Kriegsführung  ein- 
räumten, blieb  dieses  Bündniss  indess  gegenstandslos.  Die 
genannten  Kurfürsten  nahmen  die  von  Ludwig  XIV.  gemachten 
Vorschläge  erneut  in  Betracht  und  gelang  es  ihnen,  nachdem 
Ludwig  XIV.  auch  Luxemburg  erobert  hatte,  die  Angelegen- 
heit im  Collegium  der  Kurfürsten  durchzubringen  und  auch 
die  Annahme  der  Vorschläge  seitens  des  Kaisers  zu  erzielen. 

Am  15.  August  1684  kam  ein  20jähriger  Waffenstillstand  zu 
Stande,  welcher  dem  König  von  Frankreich  den  ruhigen  Besitz 
von  Strassburg  und  Kehl  und  der  dazwischen  liegenden  Schanzen 
bis  auf  Weiteres  zusprach ;  desgleichen  wurden  ihm  über  alle 
Herrschaften  und  Orte,  welche  ihm  durch  die  Reunionskammern 
bis  zum  1.  August  1681  zugesprochen  worden  waren,  sämmt- 


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—   53  — 

liehe  Hoheitsrechtc  vorläufig  bestätigt.  Im  Elsass  behielt  er 
indess  auch  alle  ihm  nach  dem  1.  August  1681  zugesprochenen 
Ortschaften  im  Besitz.  Dagegen  verpflichtete  sich  der  König, 
alle  diejenigen  Gebiete  zurückzugeben,  die  nicht  unter  diese 
Festsetzungen  fielen.  Zugleich  wurde  nocli  besonders  die  freie 
Ausübung  der  Religion  und  der  unverkümmerte  Besitz  der 
Kirchengüter,  sowohl  für  die  katholischen  als  für  die  beiden 
protestantischen  Kirchen,  ausdrücklich  zugesichert. 

Alle  diese  vorlaufigen  Verhandlungen  hatten  Ludwig  XIV. 
indess  nicht  gebindert  mit  der  Einführung  der  Verwaltung  im 
Elsass  nach  französischem  Muster  von  vornherein  vorzugehen. 
Die  alten  deutschen  Titel  des  Ober-  und  Unterlandvogts  der 
Landvogtei  Hagenau  verschwanden  auf  Nimmerwiedersehen.  An 
die  Spitze  der  Regierung  trat  als  Vertreter  des  Königs  der 
Intendant  de  la  province  d'Alsace.  Derselbe  hatte  sämmtliche 
Zweige  der  allgemeinen  und  lokalen  Verwaltung  unter  sich  ;  er 
leitete  die  Verwaltung  der  Städte  und  Dörfer,  die  Ausübung 
des  Rechts,  die  Privilegien  der  Geistlichkeit  und  des  Adels, 
die  Verlheilung  und  Eintreibung  der  Königlichen  Steuern,  die 
öffentlichen  Arbeiten,  die  Industrie,  den  Handel,  den  Acker- 
bau. Der  Sitz  desselben  wurde  1681  von  Breisach  nach  Strass- 
burg  verlegt.  Neben  dem  Intendanten  stand  der  General- 
Gouverneur  der  Provinz.  Derselbe,  wenn  auch  im  Range  höher, 
hatte  doch  nur  die  oberste  Mililärgewalt  inne  und  konnte  in 
die  Polizei  des  Landes  eingreifen. 

In  den  Lokal-  und  Gemeinde- Verhältnissen  Hess  die  fran- 
zösische Regierung  der  Stadt  Strassburg  noch  vorläufig  eine 
gewisse  Selbstständigkeit,  indem  sie  die  alten  Raths-Collegien 
und  städtischen  Einrichtungen  im  Grossen  und  Ganzen  fort- 
bestehen Hess.  Allein,  um  auch  in  diesen  Versammlungen 
ihren  "Willen  kund  zu  thun  und  ihren  Einfluss  geltend  zu 
machen  und  einen  genaueren  Zusammenhang  mit  der  Regierung 
zu  bewirken,  setzte  Ludwig  XIV.  im  März  1685  das  Amt  eines 
preleur  royal  ein. 

Der  Prätor  war  Regierungs-Kommissar,  der  mit  berathen- 


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—  54 


der  Stimme  das  Rechl  besass,  den  Sitzungen  des  Raths  beizu- 
wohnen, Einsprüche  gegen  die  Rathsbeschlüsse  zu  erheben, 
sobald  dieselben  den  Interessen  der  französischen  Krone  nach- 
theilig erschienen  und  die  Wünsche  und  Forderungen  der  Re- 
gierung vorzulegen.  Wie  in  Strassburg,  wurden  auch  in  den 
meisten  übrigen  Städten  des  Landes,  besonders  in  den  früheren 
Vereinsstädten,  Königliche  Prätoren  eingesetzt. 

So  verlor  das  Elsass  immer  mehr  seine  politische  Un- 
abhängigkeit. Man  liess  zwar  den  Elsässern  mit  einigen 
alten  Titeln  und  Namen  einen  Schatten  ihrer  früheren  Herr- 
lichkeit; in  Wahrheit  betonte  aber  die  französische  Regierung 
überall  im  Lande  die  Souveränität  des  Königs  und  wurden 
die  Capitulationen  von  1681  und  1084  trotz  gegebenen  könig- 
lichen Wortes  ihrem  Wortlaut  nach  ebensowenig  respectirt  als 
die  früheren  Bestimmungen  des  WTestphälischen  Friedens. 

Im  Januar  1685  erschien  eine  Königliche  Verordnung, 
nach  welcher  die  Gerichtssprache  fortan  die  französische  sein 
sollte.  Alle  Richter,  Mugistratspersonen,  Notare  und  Gerichls- 
schreiber  mussten  ihre  sämmtlichen  Acte  bei  Strafe  der  Nichtig- 
keitserklärung und  500  Livres  Geldbusse  in  französischer 
Sprache  abfassen.  —  Eine  Massregel,  um  das  Elsass  Frankreich 
näher  zu  bringen.  Dieselbe  Absicht  verfolgte  der  Intendant 
Lagrange,  als  er  am  25.  Juni  1685  seine  ordonnance  relative 
ä  rhabillemenl  suivant  la  mode  fran^aise  erliess.  Als  Haupt- 
grund, weshalb  die  Frauen  die  schwäbische  Tracht,  wie  es 
hiess,  ablegen  und  die  französische  Mode  annehmen  sollten, 
war  die  Sparsamkeit  angegeben,  weil  die  elsässisch-deutsche 
Tracht  prächtiger  und  kostspieliger  wäre,  als  die  französische. 

Diese  Verordnung  hatte  insofern  einen  Schein  von  Berech- 
tigung, als  in  früheren  Zeiten  die  Stadt rälhe  das  Recht  zum  Er- 
lass  von  Kleiderordnungen  hatten.  Lagrange  liess  den  elsässischen 
Frauen  eine  Frist  von  vier  Monaten,  um  die  deutsche  Tracht 
abzulegen.  Doch  die  Ordonnanz  blieb  meistens  ein  todter 
Buchstabe,  wie  auch  wohl  die  über  die  französische  Gerichts- 
sprache kaum  ausgeführt  worden  ist. 


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-  55 


März  '1689  wurde  in  Strassburg  die  Confiscation  aller 
Güter  derer  ausgeblasen,  welche  sich  in  das  Reich  zurück- 
gezogen hatten;  doch  wurde  denen  die  Hälfte  nachgelassen, 
welche  in  dänische  oder  hamburgische  Dienste  gingen. 

Sehr  energisch  wurde  in  den  Religionsangelegenheiten 
vorgegangen,  in  welchen  das  Conseil  souverain  d'Alsace, 
wenigstens  was  den  protestantischen  Cultus  anbetraf,  als  oberste 
Instanz  auftrat.  Dasselbe  erliess  nachstehende  Verordnungen, 
—  ich  führe  nur  die  hauptsächlichsten  an  —  die  alle  darauf 
hinausliefen,  der  evangelischen  Kirche  möglichsten  Abbruch  zu 
thun  und  dieselbe  schliesslich  zu  vernichten : 

1680.  Alle  gemischten  Ehen  werden  verboten,  weil 
solche  Verbindungen  den  Festsetzungen  der  katholischen  Kirche 
entgegen  stehen. 

Kinder  protestantischer  Eltern,  die  ihre  Kirchengemein- 
schaft verlassen  wollen,  wird  die  Wahl  gelassen  im  Hause 
ferner  zu  wohnen  oder  nicht,  damit  ihnen  von  ihren  Eltern 
bei  der  Ausübung  ihres  neuen  Kultus  kein  Hinderniss  in  den 
Weg  gelegt  werden  könne.  Wählen  sie  sich  einen  anderen 
Aufenthaltsort ,  so  sind  die  Eltern  verpflichtet  ihnen  einen 
Lebensunterhalt  zu  geben,  der  ihrem  Stande  angemessen  ist. 
Die  Befugniss  hierzu,  die  sich  ursprünglich  nur  auf  Knaben 
von  14  und  Mädchen  von  12  Jahren  erstreckte,  wurde  16«! 
selbst  auf  7jährige  Kinder  ausgedehnt. 

In  den  Stadträthen  und  Dorfgerichten,  die  ganz  von  Prote- 
stanten besetzt  sind,  muss  die  Hälfte  der  Mitglieder  mit  Katho- 
liken besetzt  werden.  Alle  Amtsleute,  Amts-  und  Gerichts- 
schreiber, Schultheissen  und  Fiseale,  mit  Ausnahme  derer  im 
Hanauischen  und  Zweibrückischen  Gebiete, müssen  katholisch  sein. 

1681.  Den  Evangelischen  wird  untersagt  ihre  Kinder 
auswärts  erziehen  zu  lassen,  weil  sie  Grundsätze  annehmen 
könnten,  die  dem  französischen  Staat  zuwider  wären. 

1682  Mai  27.  wird  in  Strassburg  wieder  zum  ersten  Mal 
das  Frohnleichnamsfest  mit  grosser  Prozession  geleiert. 


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-   56  — 


4682  wird  bestimmt,  dass  alle  unehelichen  Kinder  der 
Protestanten  katholisch  getauft  und  erzogen  werden  müssen. 

1683.  Kein  evangelischer  Pfarrer  darf  bei  Verlust  seiner 
Kirche  Proselyten  annehmen. 

Aendert  ein  Theil  protestantischer  Eltern  die  Religion,  so 
müssen  auch  die  Kinder,  wenn  sie  noch  nicht  communicirt 
haben,  katholisch  werden. 

«Den  Protestanten,  Galvinisten,  Juden,  oder  anderen»  wird 
dreijährige  Befreiung  von  Einquartierung  und  Abgaben  zuge- 
sagt, wenn  sie  «changiren»,  d.  h.  katholisch  werden.  Der 
König  setzt  ausdrücklich  hinzu,  dass  die  Gerichte  befugt  sind, 
alle  dieser  Ordonnance  widerstrebenden  Beschlüsse  umzustossen. 
Die  Ordonnance  wurde  von  der  Kanzel  verlesen  und  erhielten 
alle  «Magistrats,  Baillifs,  Maires,  Prevots  und  andere  Offiziere 
(Gemeindebeamte)  der  Städte,  Dörfer  und  Flecken»  Anweisung, 
streng  auf  die  Durchführung  des  königlichen  Willens  zu  sehen. 

1684.  Belinden  sich  in  einem  protestantischen  Ort  auf 
dem  Lande  auch  nur  sieben  katholische  Familien,  so  muss 
ihnen  das  Chor  der  Kirche  besonders  eingeräumt  werden,  die 
Kirche  sammt  den  Einkünften  aber  gemeinschaftlich  gehalten 
und  der  Bau  und  die  Unterhaltung  des  katholischen  Pfarr-  und 
Schulhauses  mit  den  Lasten  für  den  Schulmeister  von  der 
ganzen  Gemeinde  getragen  werden. 

Den  Reforrnirten  in  dem  Amte  Altstadt  werden  die  Kirchen 
weggenommen,  die  Pfarrer  ihres  Amtes  verlustig  erklärt  und, 
wer  nicht  freiwillig  zur  katholischen  Religion  übertritt,  wird 
durch  gewaltsame  Massregeln  dazu  gezwungen. 

1685.  Den  Protestanten,  welche  katholisch  werden,  wird 
dreijährige  Sicherheit  vor  jeder  Schuld forderung  ihrer  Gläu- 
biger zugesichert  u.  s.  f. 

Ferner  war  es  den  Protestanten  nicht  gestattet,  sich  in  ganz 
katholischen  Ortschaften  niederzulassen  ;  protestantische  Glau- 
bensschriften  in  französischer  Sprache  drucken  zu  lassen  oder 
gar  reformirte  Kirchen  zu  bauen,  wo  die  Gemeinden  nicht  schon 
vor  1624  bestanden. 


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-    57  - 


In  dem  ehemaligen  Amt  Germersheim  zogen  der  Intendant 
Lagrange,  der  bischöfliche  Generalvikar  de  Ratabon,  die  Jesuiten 
Lempereur  und  Dez  mit  Madame  de  Chamilly,  der  Gattin  des 
Gouverneurs  von  Strassburg,  von  Ort  zu  Ort  und  ermahnten 
die  Evangelischen  zum  Uebertritt  zur  katholischen  Kirche.  Wo 
man  sich  sträubte,  brauchte  man  Gewalt,  wie  in  Selz,  wo  die 
reformirten  Einwohner,  selbst  während  ihres  Gottesdienstes,  mit 
Hilfe  von  Dragonern  zum  Uebertritt  gezwungen  wurden.  In 
Düttlenheim,  über  welches  Dorf  der  Bischof  von  Strassburg  Ober- 
lehensherr war,  verfuhr  dessen  Amtsverweser  mit  rücksichts- 
loser Strenge.  Er  Hess  den  Pfarrer  einkerkern,  bis  sich  zuletzt 
die  Bewohner  theils  durch  Furcht,  theils  durch  Ueberredung 
zum  Uebertritt  bewegen  Hessen.  In  dem  zu  Strassburg  ge- 
hörigen Marlenheim  hob  der  Intendant,  ohne  auf  die  Einsprache 
des  Strassburger  Raths  auch  nur  die  leiseste  Rücksicht  zu 
nehmen,  die  protestantische  Schule  auf.  Zwei  Jahre  später 
unterdrückte  er  auch  den  protestantischen  Gottesdienst  daselbst 
gänzlich.  Den  protestantischen  Rheindörfern  erging  es  nicht 
besser. 

Durch  diese  und  ähnliche  Verordnungen  wie  Gewaltmass- 
rcgel n,  welche  überall  angewendet  wurden,  trat  von  1681  ab 
im  Elsass  eine  Gegenreformation  ein.  Ganze  ursprünglich 
protestantische  Gegenden  wurden  wieder  katholisch.  Die 
Jesuiten  und  Kapuziner  waren  die  eifrigsten  Missionare  des 
Bekehrungswerks.  Auch  der  grösste  Theil  der  unterelsässischen 
Ritterschaft  trat  wieder  zur  katholischen  Kirche  über.  Mit 
Ausnahme  der  Andlau,  Wangen,  Schauenburg  und  Reinach  waren 
ehemals  die  sämmtlichen  Mitglieder  derselben  protestantisch  ge- 
worden. Die  meisten  waren  gezwungen  aus  well  liehen  Dingen 
katholisch  zu  werden,  denn  seit  dem  Widerruf  des  Edikt  von 
Nantes  blieb  den  Protestanten  der  Weg  zu  den  höhern  Aerntern 
in  Frankreich,  mit  Ausnahme  der  Offizierstellen  in  den  deut- 
schen Regimentern,  verschlossen. 

Und  wie  verfuhr  die  französische  Regierung  in  Strassburg? 

Obgleich  es  im  Artikel  3  der  Kapitulations-Urkunde  heissf : 


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-   58  - 


«Sa  Majesle  laissera  le  libre  exercice  de  la  religion»,  wurden 
daselbst  die  Bekehrungsversuche  im  grossartigsten  Massstab  be- 
trieben und  setzten  sich  Ludwig  XIV.  wie  seine  Verwaltung 
willkürlich  über  die  klaren  Bestimmungen  der  Friedens-  und 
Kapitulations-Verlräge  hinweg. 

Die  religiösen  Interessen,  als  deren  erster  Vertheidiger  der 
König  auftrat,  drängten  sich  überall  in  den  Vordergrund; 
hinter  den  politischen  Momenten  brach  deutlich  auch  der 
katholische  Charakter  der  Eroberung  des  Elsass  hervor. 

Der  General-Gouverneur  de  Chamilly  stand  völlig  im  Dienste 
der  katholischen  Propaganda.  In  einem  Bericht  von  ihm  an 
Louvois  vom  5.  Dezember  1681,  den  beabsichtigten  Uebertritt 
einzelner  protestantischer  Familien  zur  katholischen  Religion 
betreffend,  heisst  es  zum  Schluss  :  «Nichts  ist  sicherer,  als 
dass,  wenn  eine  Familie  den  Anfang  gemacht  haben  wird, 
andere  diesem  Beispiele  folgen  werden  ;  Sie  werden  mit  der 
Zeit  sehen,  welche  Auszeichnungen  Sie  diesen  Familien  zu- 
kommen lassen  wollen,  und,  ob  der  König  Etwas  zu  ihren 
Gunsten  zu  thun  geneigt  wäre.» 

Die  Konversionsversuche  blieben  mit  Hülfe  der  herbei- 
gerufenen Jesuiten  nicht  erfolglos.  Viele  von  den  Bürgern 
schwuren  io  der  Stille  ihren  alten  Glaubeu  ab,  «changirten», 
um  versprochene  irdische  Vortheile ,  Geld  und  einträgliche 
Stellen  zu  erlangen. 

Der  ausgezeichnete  Rechtsprofessor  und  Rathsherr  Ulrich 
Obrecht,  Verfasser  des  «Alsaticarum  rerum  prodromus»,  war 
der  Erste  aus  den  angesehenen  Familien  der  Stadt,  der  «chan- 
girte».  Ihm  folgte  der  Stadt-Syndicus  Güntzer.  Beides  sehr 
ehrgeizige  Männer!  Als  ihre  Frauen  sich  nicht  beeilten,  auch 
die  Religion  zu  wechseln,  schrieb  Louvois  an  den  Intendanten  : 
«Da  die  Frauen  der  Herren  Obrecht  und  Güntzer  sich  nicht 
bekehren  und,  da  ihr  Beispiel  die  Bekehrung  mehrerer  Anderer 
verhindert,  ist  es  gut,  dass  Sic  ihren  Männern,  als  käme  es 
von  Ihnen,  zu  verstehen  geben,  dass,  wenn  sie  noch  einige 
Zeit  in  ihrer  Religion  verharrten,  sie  befürchten  müssten,  dass 


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-  59 


Se.  Majestät,  da  sie  Anlass  habe,  an  der  Aufrichtigkeit  ihrer 
Bekehrung  zu  zweifeln,  ihnen  die  bewilligten  Pensionen  nicht 
mehr  so  pünktlich  auszahlen  lassen  würde.  Rathen  Sie  ihnen 
ihre  Frauen  dazu  zu  bewegen  ohne  Verzug  das  zu  thun,  was 
der  König  von  ihnen  verlangt.  Ich  bitte  mir  zu  berichten, 
welchen  Eindruck  diese  Eröffnung  auf  sie  gemacht  hat.»  — 
Dagegen  schreibt  Louvois  an  den  Intendanten,  als  Herr  Kempfer, 
der  Syndicus  der  unterelsässischen  Ritterschaft,  zur  katholischen 
Religion  ubergetreten  war:  «Der  König  hat  mit  Freuden  er- 
fahren, dass  Herr  Kempfer  sich  endlich  entschlossen  hat,  die 
Religion  zu  wechseln.  Se.  Majestät  hat  ihm  in  Verfolg  dessen 
tausend  Thaler  als  Gratification  zugeschrieben  und  wünscht, 
dass  sie  den  elsässischen  Adel  bewegen,  sein  Gehalt  um  1500 
Livres  zu  erhöhen,  auf  dass  er  mit  der  Summe,  die  er  jetzt 
schon  erhält,  mit  der  Pension  Sr.  Majestät  zusammen  2000 
Thaler  erhalte.» 

Schon  1692,  elf  Jahre  nach  der  Kapitulation,  constatirt  der 
Ammeister  Reisseisen,  dass  nahezu  der  fünfte  Theil  der  Strass- 
burger  Bevölkerung  —  7000  auf  35,000  —  aus  Katholiken, 
eingewanderten  und  übergetretenen,  bestände. 

Zum  Anwachsen  der  katholischen  Bevölkerung  in  der 
Stadt  trug  ganz  besonders  die  willkürliche  Verfügung  des 
Königs  bei,  wonach  die  Abgaben,  welche  fremde  in  Strassburg 
sich  niederlassende  Familien  von  jeher  an  die  Stadt  zu  zahlen 
hatten,  um  ein  Drittel  herabgesetzt  worden  waren,  wobei 
Louvois  zugleich  gedroht  hatte,  wenn  der  Magistrat  nicht  ein- 
willige, würde  der  König  die  ganze  Steuer  aufheben.  In  Folge 
dieser  Steuerermässigung  kamen  viele  französische  und  auch 
italienische  Familien,  sämmtlich  katholisch,  in  die  Stadt. 

Dasselbe  war  in  den  übrigen  Städten  des  Elsass  und  auch 
auf  dem  platten  Lande  der  Fall. 

Die  französische  Regierung  war  sich  des  Vortheils,  den  sie 
durch  diese  Einwanderung  gewann,  wohl  bewusst  und  leistete 
derselben  den  weitgehendsten  Vorschub.  Bei  der  Vergebung 
von  Aemtern  und  Ländereien  und  sonstigen  Regierungsacten 


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I 


-    CO  — 

genossen  die  eingewanderten  Franzosen  die  grösstmöglichsten 
Bevorzugungen  und  Vergünstigungen  der  einheimischen  Be- 
völkerung gegenüber. 

Der  Jesuitenpater  Dez,  Verfasser  des  mit  «Approbation  et 
privilege  du  Roy»  gedruckten  Buches  :  La  Reunion  des  Prote- 
slants  de  Strasbourg  ä  l'Eglise  romaine,  egalement  necessaire 
pour  leur  salut,  et  facile  selon  leurs  principe*,  in  welchem  er 
die  Bekehrung  der  nichtrömischen  Gliristen  im  Elsass  und 
speciell  in  Strassburg  als  den  Haupt/weck,  den  man  im  Auge 
haben  müsse,  hinstellt,  sowie  der  Weihbischof  de  Ratabon, 
der  Intendant  Lagrange  und  Madame  de  Chamilly  mit  ihrem 
Galten  unterstützlen  die  Konversionspropoganda  mit  allen  Kräften. 
Der  König  Hess  an  mehreren  Orten  Kirchen  bauen,  die  ihm 
zu  Ehren  Eglises  St.  Louis  genannt  wurden.  Ferner  gründete 
er  viele  katholische  Pfarreien,  die  sogenannten  Königspfarren, 
besonders  an  Orlen,  wo  die  katholische  Bevölkerung  nur  gering 
war,  und  unterhielt  sie  auf  seine  Kosten.  Den  Kirchen  machte 
er  fürstliche  Geschenke.  So  verehrte  er  dem  Strassburger 
Münster  prachtvolle  Allarteppiche,  Messgewänder  und  zwei 
herrliche  Baldachine  für  die  Prozessionen  im  Werth  von  2  Mil- 
lionen 400,000  Livres. 

Allerheiligen,  das  Stift  und  ehemalige  Fidei-Kommiss  der 
Familie  v.  Müllenheim,  musste  den  Katholiken  auch  wieder 
ganzlich  zurückgegeben  werden.  In  Alt-  und  Jung  St.  Peter 
wurde  den  Katholiken  das  Chor  mit  allen  Gefällen  eingeräumt. 
Chor  und  Schiff  wurden,  wie  wir  es  noch  heute  sehen,  durch 
Mauern  getrennt. 

In  Strassburg  durfte  seit  der  Einführung  der  Reformation 
keine  Ralhsslelle  mit  einem  Katholiken  besetzt  werden.  Es  gab 
im  ganzen  Stadlgebiet  höchstens  30  katholische  Bürger.  Auch 
gegen  dieses  der  Stadt  garantirte  alte  Herkommen  wurde  vom 
Jahre  1087  in  rücksichtslosester  Weise  vorgegangen.  Im 
Memoriale  Reisseisen  lesen  wir  :  «ad  annum  1687,  den  Apri- 

lis  hat  allhiesiger  (Strassburger)  Magistrat  eine  lettre 

de  cachel  von  Ihro  Majestät  empfangen,  worinnen  befohlen 


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—    Gl  - 


worden,  dass  man  in  das  künftige  auch  katholische  nach  Pro- 
portion solle  in  das  Regiment  erwählen.  Den  15.  Mai  ist  Heu- 
Johann  Georg  Hecker,  der  Stallmeister,  der  vor  einem  Jahr  die 
Religion  ehangirl,  zu  einem  Herin  XIIIer  erwählet  worden. 
Also  der  erste  Katholik,  welcher  seit  der  Reformation  durch 
Wahl  meiner  Herren  in  das  Regiment  gezogen  worden.»  Reiss- 
eisen fahrt  fort  :  «Dies  Jahr  seint  4  katholische  Schöffen  hei 
den  ehrsamen  Zünften  erwählet  worden  und  hat  Mr.  de  Louvois 
geschrieben,  dass  weilen  die  Ordnung  hiebevor  mitgebracht, 
dass  einer  10  Jahre  hätte  müssen  Bürger  sein  eh  und  zuvor 
er  zu  einem  Schoflen  könne  gebracht  werden,  dass  solches  hin- 
für sollte  aufgehoben  sein ;  —  alles  den  Weg  desto  geschwinder 
den  Katholiken  zum  Regiment  zu  bahnen.» 
Alsdann  1(388  bemerkt  Reisseisen  : 

Eodem  mense  Januarii  wurde  auch  zu  eine.n  Städtemeister 
erwählt  Rudolf  Streitt  von  Emmendingen,  römisch-katholischer 
Religion  zugethan,  desgleichen  in  Rath  Herr  Jakob  Haffner 
Herr  Georg  Franz  Ludan  von  Kageneck,  catholiei.  u.  s.  f. 

Den  5.  April  befiehlt  Ludwig  XIV.,  dass  alle  Aemler  un.l 
Stellen  der  Stadt  von  Katholiken  und  Lutheranern  wechsel- 
weise besetzt  werden  sollten.  Nur  die  Universität,  die  sich 
ihre  Gerechtsame  laut  Art.  4  der  Kapitulation  zu  sichern 
wusste,  wurde  ausgenommen. 

1696  Februar  1.  wird  der  mit  26  Stimmen  von  dem 
Syndicat  der  unterelsässischen  Ritterschaft  eassirle  Nicolaus 
Kaempfer  vom  König  wieder  eingesetzt. 

Den  15.  August,  am  Tage  Himmelfahrt  Maria,  verlangte 
man  von  dem  Magistrat,  dass  derselbe  dem  Könige  zu  Ehren, 
der  feierlichen  Prozession  beiwohnen  sollte,  welche  er  selbst 
angeordnet  hatte.  Diese  Zumuthung  setzte  die  särnmtlichen 
Mitglieder  des  Raths  in  grosses  Erstaunen  ;  sie  merkten  wohl, 
dass  man  nicht  eher  ruhen  würde,  bis  der  ganze  Rath  katho- 
lisch gemacht  wäre.  Sie  erklärten  indess :  «Sie  seyen  dem 
König  in  aller  Ehrerbietung  und  zu  allem  Gehorsam  verpflichtet 
und  wären  bereit,  ihre  Treue  bei  allen  Gelegenheiten  ferner 


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—   62  — 


thätig  zu  beweisen,  da  aber  Ihre  Königliche  Majestät  der  Sladt 
völlige  Religions-  und  Gewissensfreiheit  zugesagt,  diese  Cere- 
monie  aber  eine  solche  religiöse  Handlung  sei,  deren  sie  ihren 
Religionsbegriffen  gemäss,  nicht,  beiwohnen  könnten,  so  bäten 
'sie.  dass  Ihre  Königliche  Majestät  ihre  Weigerung  nicht  in  Un- 
gnaden aufnehmen  möchten.» 

Ganz  besonders  war  man  sich  der  Wichtigkeit  der  Schule 
bewusst !  Wo  es  irgend  anging,  wurden  die  evangelischen 
Schulen  unterdrückt,  wo  dies  nicht  zulässig,  wurden,  wie  in 
Strassburg,  Colmar,  und  in  anderen  Orten,  neben  den  be- 
stehenden evangelischen  Schulen  katholische  Schulen  gegründet. 
Die  Ernennung  der  katholischen  Volks-Schullehrer  wurde 
meistens  von  der  Zustimmung  des  Ortspfarrers  abhängig  gemacht, 
in  dessen  Hände  ein  Religions-Eid  abgelegt  werden'  musste. 
Die  Oberaufsicht  führten  die  Bischöfe. 

Die  von  Ordensfrauen  geleiteten  Mädchen  -  Pensionate 
wurden  auch  specieller  geistlicher  Leitung  unterstellt.  Die  von  den 
Bischöfen  Erasmus  vom  Limburg  und  Johann  von  Manderscheid 
in  das  Elsass  gerufenen  deutschen  Jesuiten,  mussten  auswandern 
und  wurden  auf  Befehl  Ludwigs  durch  französische  Jesuiten  aus 
der  Champagne  ersetzt.  Diese  pflanzten  der  elsässischen  Jugend 
den  französischen  Geist  ein  und  suchten  systematisch  alle 
deutschen  Traditionen  des  Landes  abzuschwächen  und  zu  ver- 
nichten. 

Als  Gegengewicht  gegen  die  von  deutschem  Geist  getragene 
Strassburger  Hochschule,  wurde  die  1580  in  der  bischöflichen 
Stadt  Molsheim  von  Johann  von  Manderscheid  gegründete  katho- 
lische Academie  4682  nach  Strassburg  verlegt  und  zu  einer 
Universität  erhoben. 

Alle  diese  katholisch  -  französischen  Lehranstalten  waren 
geistige  Pflanzstädten  Roms  und  Frankreichs  zugleich.  Alles 
wurde  daran  gesetzt,  die  Söhne  des  Adels  und  der  hervor- 
ragenden Bürgerfamilien  zum  Besuch  gerade  dieser  Anstalten 
zu  veranlassen,  was  bei  den  gefälligen  französischen  Gesellschafts- 
formen der  Jesuiten  und  dem  Drang  dieser  Gesellschaftsklassen, 


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sich  die  feinere  französische  Sprache  baldigst  anzueignen,  auch 
iin  hohen  Masse  gelang. 

Die  Jesuiten  gewannen  dadurch  die  künftige  Generation 
ganz  für  die  französischen  Interessen.  So  entstand  mit  der  Zeit 
im  Elsass  ein  Geschlecht,  welches  die  deutsche  Geschichte  und 
die  Bande,  die  das  Land  früher  mit  dem  deutschen  Reich  ver- 
knüpften, kaum  mehr  kannte. 

Die  katholische  Geistlichkeit  empfing  ausschliesslich  ihre 
Erziehung  und  Ausbildung  im  Seminar  von  Strassburg,  welches 
1085  von  Ludwig  XIV.  und  dem  Fürstbischof  von  Strassburg, 
Kardinal  Egon  von  Fürstenberg,  gegründet  worden  war. 

Früher  schickte  das  Bisthum  die  jungen  Geistlichen  zum 
Sludiren  nach  Freiburg,  Ingolstadt  und  anderen  deutschen  Städten. 
Dies  hörte  jetzt  Alles  auf  und  jede  Fühlung  mit  Deutschland 
ging  dem  elsässischen  katholischen  Glems  dadurch  verloren. 

Mit  Ende  des  17.  Jahrhunderts  wurde  im  grossen  Seminar  die 
französische  Sprache  als  Lehr-  und  Umgangssprache  eingeführt 
und  hat  sich  dies  betrefls  der  Umgangssprache  bis  auf  den 
heutigen  Tag  erhalten.  Bis  vor  einigen  Jahren  wurde  auch  noch 
in  der  französischen  Sprache  unterrichtet. 

Daher  kommt  es  auch,  dass  noch  manchem  elsässischen 
katholischen  Geistlichen  die  Kenntniss  der  hochdeutschen  Sprache 
fehlt  und  aus  alP  den  angegebenen  Gründen,  dass  der  katho- 
lische Glems  des  Elsass  fast  ausnahmslos  französisch  gesinnt  ist. 

Front  gegen  diese  Gegenreformation  im  Elsass  und  die 
Einimpfung  französischen  Wesens  in  die  Jugend  des  Landes 
machten  die  evangelischen  Schulen,  die  Universität  und  der 
protestantische  Glems. 

Auf  dem  protestantischen  Gymnasium  wie  auf  der  Uni- 
versität zu  Strassburg  wirkten  die  Lehrer  und  Professoren  in 
deutscher  Sprache  und  deutschem  Geist.  Im  protestantischen 
Gymnasium  wurde  erst  1735  der  französische  Sprachunterricht 
mit  drei  Stunden  wöchentlich  eingeführt  und  1794  wird  die 
Universität  in  der  Gemeinderalhssitzung  vom  29.  Mai  (10.  Prai- 
rial  des  Jahres  II)  die  Hyder  des  Deutschthums  genannt. 


—    C4  - 


Viele  evangelische  Elsässer  studirten  auf  deutschen  Uni- 
versitäten. In  Tübingen  z.  B.  existirten  allein  12  Freistellen 
für  Ober-Elsässische  evangelische  Theologen,  welche  Graf  Georg 
von  Württemberg  als  Besitzer  der  Grafschaft  Horburg  und 
Herrschaft  Reichen weier  1555  gegründet  hatte.  Auch  in  Jena, 
Leipzig  und  Güttingen  studirten  junge  Elsässer.  Alle  diese 
brachten  deutsche  Anschauungen  in  das  Elsass  mit  zurück  und 
wussten  sie  durch  bleibenden  Verkehr  mit  dem  Mutterlande, 
von  dem  sie  ihre  geistige  Nahrung  erhielten,  im  Elsass  wach 
zu  erhallen.  —  — 

Die  französische  Regierung  erwarb  sich  um  das  Elsass 
indes»  auch  grosse  Verdienste  durch  Verbesserung  der  Rechts- 
pflege, der  Rechtsgleichheit  und  Rechtssicherheit ;  durch  die 
Regelung  der  Finanzen,  die  Begünstigung  des  Handels  und  des 
Ackerbaues  ! 

Der  bereits  angeführte  Herr  von  Ichtersheim,  einer  der 
glühendsten  Feinde  der  französischen  Annexion,  führt  in  seiner 
Topographie  des  Elsass  unter  der  besonderen  Ueberschrifl : 
«Virtus  etiam  in  hoste  laudanda»  an;  in  welchen  Stücken  der 
König  dieses  Land  gebessert  und  geziert  hat. 

Von  der  Justiz  rühmt  er  :  «Die  Justiz  hat  er  um  ein  merk- 
liches verbessert.  Da  er  das  Conseil  Provincial  zu  Breisach 
in  ein  Souveraines  excoliret,  für  welches  Herzog,  Bischof,  Fürst, 
Herr,  Adel,  Geistliche,  Weltliche,  Reich  und  Arm,  Christ  und 
Juden  in  gegebenen  Fällen  erscheinen,  Rede  und  Antwort 
geben,  auch  ürtheil  erwarten  muss  :  vor  dem  kann  ein  ünter- 
than,  Knecht  oder  Dienstbote  in  rechtmässigen  Begebenheiten 
seine  Herren  verklagen ;  es  werden  auch  die  grössten  Prozesse 
ultra  triennium  nicht  protrahiret.» 

Betreffs  der  Finanzverwaltung  wurde  von  Anfang  an  als 
oberstes  Verwaltungsprincip  hingestellt,  das  Elsass  mit  den 
ausserordentlichen  Auflagen  des  Königreichs  zu  verschonen,  «um 
der  Bevölkernng  mit  diesen  neuen  Dingen  nicht  vor  den  Kopf 
zu  stossen.» 

Die  Finanzverwaltung  des  Landes  hatte  früher  meist  in 


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den  Händen  der  Amtsleute  gelegen.  Dieselben  schickten  einer 
jeden  Gemeinde  den  Steuerzettel  mit  der  Bestimmung  der  Auf- 
lage; dazu  fugten  sie  auf  nichts  weiter,  als  auf  ihre  eigene 
Autorität  gestützt,  noch  andere  Auflagen  hinzu,  unter  dem  Titel 
ausserordentliche  Kosten  der  Aemter;  Wegeverbesserung,  Ab- 
sendung  von  Boten,  Gratificationen  für  sich  u.  s.  f.  Dadurch 
litten  die  Gemeinden  und  fielen  alle  Lasten  meist  auf  die 
Armen  und  Abhängigen.  Hierin  schaffte  die  französische 
Verwaltung  radikale  Abhilfe.  Als  das  Directorium  der  Reichs- 
ritterschaft des  Unter-Elsass,  dem  im  Dezember  1680  die  Befug- 
niss  gewährt  worden  war,  die  Auflagen  von  seinen  Unter- 
thanen  in  dem  Betrage  weiter  zu  erheben,  in  welchem  sie  ihm 
gestattet  werden  wurden ;  ohne  zu  fragen,  Beträge  für  die  Be- 
zahlung der  Beamten  des  Direktoriums  und  für  die  laufenden 
Kosten,  wie  für  die  Prozesse  in  Lehens-  und  Jurisdictionssachen 
erhoben  hatte,  sprach  sich  der  Intendant  in  schärfster  Weise 
gegen  dieses  eigenmächtige  Verfahren  aus,  durch  übertriebene 
und  ungerechte  Auflagen  die  Vasallen  des  Adels  zu  belasten, 
«welche  Unterthanen  des  Königs  seien.» 

Welche  Wirkungen  mussten  solche  Vorgänge,  als  sie  bekannt 
wurden,  auf  die  Landbevölkerung  des  Landes  machen !  Die 
französische  Verwaltung  hatte  selbstverständlich  keine  Ursache 
dergleichen  geheim  zu  halten. 

Als  die  Gewalthaber  in  Paris  anfangs  des  18.  Jahrhunderts 
von  der  bisherigen  obersten  Verwaltungsmaxime  abgehen  und 
auch  das  Elsass  mit  denselben  Steuern,  wie  die  übrigen  Pro- 
vinzen des  Königreichs  belasten  wollten,  protestirte  der  Inten- 
dant d'Angervilliers  ganz  energisch  dagegen  und  behielt  die 
Oberhand.  «Es  gibt  Zeiten»,  sagt  er,  «wo  das  Land  durch 
Lieferungen  und  Arbeitsleistungen  das  Hundertfache  mehr,  als 
andere  Provinzen  zu  leisten  hat.  Das  sind  die  Zeiten  des  Kriegs.» 

Elsass  war  befreit  von  der  Salzsteuer,  von  den  Steuern  auf 
Waaren  und  Lebensmittel  und  der  Taille,  an  deren  Stelle 
ursprünglich  nur  eine  Königliche  Gesammtsteuer  von  99,000 
Livres  bestand,  die  später  bis  zu  300,000  Livres  erhöht  wurde. 

6 


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-   66  — 

Im  Ganzen  zahlte  Elsass  an  gemeinschaftlichen  Steuern  und 
direkten  Abgaben  der  verschiedensten  Art  nach  elsassischen 
Berichten  nur  etwa  5  Millionen  an  den  König  mit  Errechnung 
aller  indirekten  Abgaben.  Vierzehn  Livres  auf  den  Kopf, 
während  sich  diese  Steuern  in  den  übrigen  französischen  Pro- 
vinzen auf  dreissig  Livres  auf  den  Kopf  beliefen. 

Von  1681  ab  fielen  fast  alle  Zollschranken  im  Lande.  Die 
königlichen  Zollämter  wurden  an  die  Grenze  verlegt.  Der  Ver- 
kehr zwischen  der  Rheinbrücke  und  der  Stadt  Strassburg  war 
frei  von  jeder  zollamtlichen  Untersuchung. 

Die  Schiflerzunft  von  Strassburg  hatte  das  ausschliessliche 
Recht  erhalten,  den  Rheinstrom  aufwärts  bis  Basel  zu  befahren 
und  den  Schiffen  die  nöthigen  Steuerleute  zu  liefern. 

In  Strassburg  selbst  fanden,  wie  in  früheren  Zeiten,  zwei 
grössere  Messen  statt ;  die  Johannis-  und  die  Weihnachtsmesse. 
Erstere  dauerte  14  Tage  und  war  ebenso  besucht  als  die  Frank- 
furter. Die  Waaren  zahlten  während  dieser  Zeit  nur  die  Hälfte 
Eingangszoll. 

Der  Minister  Golbert  gab  dem  elsässischen  Lande  dadurch 
einen  lebhaften  Aufschwung. 

Auch  für  die  Hebung  des  Ackerbaues  wurde  gesorgt. 
Während  des  dreissigjährigen  Krieges  waren  im  Elsass  136 
Dörfer  völlig  eingeäschert  worden.  Demzufolge  lagen  ganze 
Strecken  Landes  brach.  Den  13.  Dezember  1682  erliess  der 
König  an  alle  Besitzer  der  brachliegenden  Felder  den  Befehl, 
dieselben  innerhalb  dreier  Monate  beackern  und  ansäen  zu 
lassen.  Als  diese  Massregel  den  erwünschten  Erfolg  nicht 
hatte,  erschien  1687  ein  zweites  Edict,  nach  welchem  alle  Die- 
jenigen, welche  ein  Brachfeld  urbar  machten,  das  Eigenthums- 
recht an  dasselbe  erlangten  und  während  zwölf  Jahre  von 
allen  Abgaben  befreit  waren,  sobald  sie  dem  früheren  Besitzer 
nur  einen  leichten  von  der  Regierung  festgesetzten  jährlichen 
Zins  bezahlten. 

Diese  Verfügung  war  eine  sehr  heilsame.  Bald  wurde  das 
Land  wieder  bebaut  und  erhielt  seine  frühere  Fruchtbarkeit 


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-   67  - 

wieder.  Der  Rebbau  gelangte  ebenfalls  wieder  zur  Blüthe.  Die 
Strassburger  Gärtnerei  erhielt  wieder  ihren  alten  Ruf.  Der 
Tabaksbau,  den  Robert  Königsmann  4620  aus  England  mitge- 
bracht und  damit  zuerst  im  Bachwörth  angefangen  hatte, 
welches  darnach  den  Namen  «Englischer  Hof»  erhielt,  wurde 
für  den  Landmann  eine  Quelle  neuen  Wohlstandes.  Die  Re- 
gierung Hess  Waldungen  ausroden ,  Sumpfgegenden  trocken 
legen,  Strassen  erbauen  und  unterhalten.  Das  Postwesen  erhielt 
wieder  seinen  geregelten  Gang.  Nur  Briefe  nach  dem  Ausland 
wurden  an  der  Grenze  geöffnet,  um  jede  politische  Korrespon- 
denz mit  Deutschland  zu  verhindern. 

Die  für  den  Landmann  so  lästigen  und  meist  ganz  will- 
kürlich festgesetzten  Frohnen  wurden  herabgesetzt,  kamen  auch 
vielfach  in  Wegfall  und  wurden  durch  Geldentschädigungen  er- 
setzt. Einer  dienstbaren  Person  durften  das  Jahr  über  nicht 
mehr  als  zwölf  Frohntage  auferlegt  werden. 

Die  Einführung  besserer  Viehrassen  und  die  Anlegung  eines 
königlichen  Landgestüts  inStrassburg  wurden  ebenfalls  in'sWerk 
gesetzt  und  trugen  sichtlich  zur  Förderung  des  Ackerbaues  bei. 
Schon  der  Intendant  d'Angervilliers  rechnete  auf  das  Elsass 
40,000  Pferde,  «bereit  in  jedem  Nothfall  zu  marschiren.» 

Bei  all  diesen  neuen  Verwaltungsmassregeln  war  man  je- 
doch auch  wieder  darauf  bedacht,  das  Althergebrachte  soweit 
wie  irgend  thunlich  zu  berücksichtigen.  Es  galt  die  grossen 
und  kleinen  Vasallen  zu  schonen  und  herüberzuziehen,  die 
breiten  Schichten  des  Volkes  bei  Entgegenbringung  möglichst 
grosser  materieller  Vortheile  durch  eine  gute  Verwaltung  zu 
beherrschen  und  dabei  von  den  bisherigen  Verbindungen  mit 
dem  Reich  zu  trennen. 

Unter  allen  Verhältnissen  Hess  man  indess  niemals  den 
Hauptzweck  aus  den  Augen,  das  Land  als  Glacis  zu  conser- 
viren,  um  im  Falle  eines  Krieges  der  Rheinarmee  die  erforder- 
lichen Hilfsmittel  möglichst  bieten  zu  können,  zumal  das  Elsass 
damals  noch  durch  das  Herzogthum  Lothringen  und  das 
Württembergische  Mömpelgard  von  dem  Innern  Frankreichs 


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-   68  — 

getrennt  war  und  nur  durch  eine  Militärstrasse  über  Pfalzburg 
mit  demselben  in  Verbindung  stand. 

Die  guten  Verwaltungsmassregeln  mit  ihren  Wohlthaten 
bewirkten  denn  auch,  dass  sich  die  Bevölkerung  im  Vergleich 
zu  der  Vergangenheit  sehr  wohl  befand  und  schliesslich  ein 
Theil  der  städtischen  und  die  grosse  Masse  der  ländlichen  Be- 
völkerung selbst  bei  Wahrung  ihres  deutschen  Charakters  die 
französische  Herrschaft  nicht  blos  passiv  hinnahmen. 

Die  grosse  Masse  des  Volks  vergleicht  unwillkürlich  stets 
das  Neue  mit  dem  Alten.  Bei  diesem  Vergleiche  trug  das 
Neue  in  Folge  der  französischen  Verwaltungsmassregeln  den 
Sieg  davon ! 

Doch  Elsass  gehörte  noch  nicht  einmal  unwiderruflich  zu 
Frankreich.  Dasselbe  war  ihm  durch  den  Waffenstillstand 
von  Regensburg  vom  15.  August  1684  nur  in  vorläufigem 
Besitz  belassen  worden.  Durch  den  Regensburger  Waffenstill- 
stand war  der  Krieg  zwischen  Deutschland  und  Frankreich  nur 
verschoben,  nicht  beendigt;  indem  wohl  anzunehmen  war, 
dass  sich  die  Fürsten  Europu's  wohl  noch  zu  einem  kräfligen 
Widerstand  gegen  Ludwig  XIV.  ermannen  würden,  auf  der 
andern  Seite  aber  auch  Frankreich  wieder  nach  neuen  Erobe- 
rungen trachten  würde. 

Letzteres  trat  1685  durch  den  vom  Zaun  gebrochenen 
Pfalzischen  Krieg  ein.  Auf  diesen  näher  einzugehen,  liegt 
ausserhalb  des  Themas.  Ich  will  nur  an  die  vandalische  Zer- 
störungswut der  Franzosen  erinnern  !  Worms,  Speyer,  Franken- 
thal, Alzei,  Oppenheim,  Oberwesel  und  andere  blühende  Städte 
auf  dem  linken  Rheinufer  sanken  in  Asche.  In  Speyer  schonten 
die  Franzosen  nicht  einmal  die  alten  Kaisergräber !  Ebenso 
wütheten  sie  auf  dem  rechten  Rheinufer.  Heidelberg  mit 
seinem  prachtvollen  Schloss  ging  in  Flammen  auf.  Noch  heute 
erheben  sich  seine  Trümmer  als  beredte  Zeugen  jener  Zeit  der 
Verwüstung  und  wälschen  Uebermuths  !  Bruchsal,  Mannheim, 
Rastatt,  Baden,  Pforzheim  und  andere  Städte  wurden  einge- 
äschert.   Bis  tief  nach  Schwaben  hinein  hausten  die  franzö- 


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—  69  — 


sischen  Mordbrenner  und  führten  den  Krieg  in  deutschen  Landen 
auf  eine  bisher  noch  nie  dagewesene  unerhörte  Weise. 

Ein  Schrei  tiefster  Entrüstung  ging  hei  der  Kunde  dieser 
Gräuel  durch  das  ganze  gebildete  Europa! 

Zum  Glück  erlitt  die  französische  Flotte  hei  La  Hogue  1692 
eine  vollständige  Niederlage.  Frankreich  verlor  allmählig  sein 
prestige  und  ganz  Europa  verband  sich  gegen  dasselbe,  bis 
schliesslich  Ludwig  XIV.  mit  dem  Kaiser  und  deutschen  Reich 
den  30.  Oktober  1697  den  Frieden  von  Ryswick  schloss;  vom 
Volk  «Reiss-weg»  genannt. 

Durch  denselben  erkannte  das  deutsche  Reich  die  vollzogenen 
Thatsachen  mit  ihren  Konsequenzen  an  und  sanctionirte  durch 
Völkerverlrag  die  völlige  Abtretung  des  Elsass  an  Frankreich. 

Der  Artikel  4  des  Ryswicker  Friedens  übertrug  dem  König 
von  Frankreich  die  völlige  Souveränität  über  das  Elsass.  Laut 
Arlikel  16  wurde  die  Stadt  Strassburg  mit  sämmtlichen  Rechten, 
die  das  Reich  an  dieselbe  hatte,  der  Krone  Frankreich  abge- 
treten und  ihr  Name  aus  der  Reichs-Matrikel  gestrichen. 

Als  die  Strassburger  erfuhren,  dass  die  Uebergabe  der 
Sladt  an  Frankreich  eine  definitive  sei,  benutzten  viele  unter 
ihnen  das  Recht  auszuwandern,  das  ihnen  der  Friedensschluß 
gewährleistete.  Ueber  300  Familien  verliessen  die  Stadt,  um  sich 
in  Süd-Deutschland  niederzulassen.  Anfänglich  liess  die  franzö- 
sische Regierung  die  Auswanderung  ruhig  zu ;  als  sie  aber  merkte, 
dass  gerade  die  Wohlhabenden  auswanderten,  so  decretirte  sie, 
dass  man  den  Emigranten  den  10.  Pfennig  ihres  Vermögens 
zurückbehalten  sollte,  obgleich  dies  gegen  den  Buchstaben  des 
Friedensvertrages  war. 

In  Deutchland  erhoben  sich  gegen  die  Bestimmungen  des 
Ryswickschen  Friedens  die  schwersten  Bedenken.  Der  Kur- 
fürst Friedrich  III.  von  Brandenburg,  der  nachmalige  König 
Friedrich  I.  von  Preussen,  hatte  schon  bei  Beginn  der  Friedens- 
verhandlungen unterm  7.  August  1696  durch  ein  Special- 
scbreiben  an  Kaiser  Leopold  erneut  auf  die  Wichtigkeit  des 
Elsass  und  besonders  auf  die  der  Stadt  Strassburg  hingewiesen 


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—   70  — 


und  zum  mindesten  die  Rückgabe  von  Strassburg  an  das  Reich 
verlangt.  Alle  einsichtigen  Fürsten  und  Staatsmänner  Deutsch- 
lands waren  derselben  Meinung.  Allein  man  war  des  Krieges 
müde.    Ganz  Europa  seufzte  nach  Frieden  ! 

In  Folge  seines  Ehrgeizes  und  seiner  unersättlichen  Länder- 
gier hatte  Ludwig  XIV.  durch  die  Besitzergreifung  des  Elsass 
an  Deutschland  ein  schweres  Unrecht  begangen,  das  sich  über 
kurz  oder  lang  rächen  musste. 

«Auferstehen  soll  irgend  aus  meinen  Gebeinen  ein  Rächer» 
Virgil).  Diese  Worte,  in  welche  der  Kurfürst  Friedrich- 
Wilhelm,  als  er  am  29.  Juli  4679  den  mit  Frankreich 
abgeschlossenen  Frieden  zu  St.-Germain  unterzeichnen  musste, 
voll  Bitterkeit  ausbrach,  sind  glorreich  in  Erfüllung  gegangen. 

Kaiser  Wilhelm  hat  durchgeführt,  was  sein  grosser  Ahn- 
herr in  Folge  der  Wirren  seiner  Zeit  vergeblich  erstrebt.  Das 
Elsass  ist  heut  wieder  deutsches  Gebiet  und  wird  es,  so  Gott 
will,  im  neuen  Reich  auch  immer  bleiben  ! 

Die  Bevölkerung  wird  die  Trennung  von  Frankreich  über- 
winden ! 

Der  Zeitpunkt  dafür  wird  um  so  eher  eintreten,  je  mehr 
die  Regierung  sich  bemüht,  das  Land  , mit  andauernder  Geduld 
dem  Charakter  des  elsässischen  Volksstammes  entsprechend,  recht 
und  gerecht  ohne  Ansehen  der  Person  und  uneigennützig  zu 
regieren  und,  wenn  sie  sich  von  Germanisationskünsten 
jeglicher  Art  fern  hält. 

Erfolge  auf  letzterer  Basis  pflegen  erfahrungsgemäss  doch 
auch  nur  scheinbare  zu  sein  und  geben  meistens  zu  Ent- 
täuschungen und  Verstimmungen  Anlass ! 

Wer  mit  dem  katholischen  Glerus  pactirt,  zieht  stets  den 
Kürzeren!  Das  Goncordat  und  die  Organischen  Artikel  reichen 
völlig  aus,  denselben  in  seinen  Schranken  zu  halten! 

Dem  evangelischen  Glerus,  dem  das  Deutschtum  im 
Elsass  ja  so  viel  verdankt,  wird  es  bei  nur  einigem  Entgegen- 
kommen der  Regierung  nicht  schwer  fallen,  den  Einfluss  in 
der  Bevölkerung  sich  zu  bewahren,  durch  welchen  er  auch 


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—   74  — 

unter  der  französischen  Herrschaft  eine  hochgeachtete  Stellung 
eingenommen  hat.* 

Einer  zügellosen  Presse  rufe  man  ein  gehielrisches  Halt 
zu  und  scheue  sich  nicht  dieselbe  zu  unterdrücken  ;  sei  es,  um 
das  Ansehen  der  Regierung  nicht  beeinträchtigen  zu  lassen ; 
sei  es,  um  den  confessionellen  Frieden  zu  wahren  oder  das 
Land  vor  dem  Gift  des  Socialismus  zu  schützen.  Das  Wohl  der 
Bevölkerung  macht  dies  zur  Pflicht!  Um  Eingriffe  in  die 
Pressfreiheit  braucht  es  sich  dabei  garnicht  zu  handeln,  es 
können  auch  Fragen  des  Anstands  in  Betracht  kommen. 

Noch  niemals  ist  die  clerical-ultramontane  Presse  im  Elsass 
so  fanatisch  und  herausfordernd  gewesen,  als  wie  in  der 
jüngsten  Zeit. 

Ausserordentlich  bedauerlich  ist  es,  dass  eine  christlich 
sein  wollende  Presse  in  ihren  Auslassungen  sich  so  weit  von 
dem  christlichen  Standpunkt  entfernt.  Der  bessere  Einfluss 
ihrer  Oberen  muss  gleich  Null  sein. 

Aus  Haschen  nach  Popularität  oder  aus  Rücksicht  auf 
den  Landcsausschuss  die  neuen  Elsass-Lothringer  den  alten 
gegenüber  zurückzusetzen,  wäre  schon  vom  Standpunkt  des 
Nationalgefühls  aus  äusserst  bedenklich;  ganz  abgesehen  da- 
von, dass  die  neuen  Landesangehörigen  in  Begründung  ihrer 
Existenzen  auf  gesellschaftlichem  und  wirtschaftlichem  Gebiet 
gegen  die  Einheimischen  von  vornherein  schlechter  daran  sind. 

Pflicht  der  Regierung  ist  es  vielmehr  den  eingewanderten 
Alldeutschen,  soweit  wie  irgend  möglich  entgegenzukommen 
und  dieselben  nach  Kräften  zu  unterstützen. 


*  Es  wäre  äusserst  wichtig  einmal  statistisch  festzustellen 
welchen  Betrag  an  Stenern  im  Elsass  die  Katholiken  gegen  die 
Protestanten  zahlen.  Man  darf  annehmen,  dass  die  28+57!)  Protestanten 
verhältnissraässig  weit  mehr  Stenern  zahlen  als  die  777914  Katholiken. 
Volkszählung  im  Elsass  von  1890. 

Die  Volkszählung  von  1895  weisst  im  Elsass  eine  Bevölkerung  von 
1116028  Seelen  auf.  Die  Confessionen  derselben  sind  noch  nicht 
festgestellt 


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—   72  — 

Das  Schlagwort  «Elsass-Lothringen  den  Elsass-Lothringern» 
(den  Eingeborenen)  ist  lediglich  eine  politische  Phrase  ohne 
jegliche  rechtliche  Basis.  Wollte  man  demselben  eine  solche 
heimessen,  so  würde  dies  dem  klaren  Wortlaut  des  §  3  der 
Reichsverfassung  widersprechen.  Mit  dem  Augenblick,  wo  der 
Eingewanderte  die  reichslandische  Landesangehörigkeit  erwirbt, 
gelangt  er  auch  in  den  Besitz  ganz  derselben  Rechte,  wie  solche 
die  Eingeborenen  besitzen. 

Ihrer  Aufgabe,  das  Reichsland  deutsch  zu  machen,  kann 
die  Regierung  schliesslich  doch  nur  mit  Hülfe  der  eingewanderten 
Altdeutschen  gerecht  werden. 

Den  sogenannten  Notablen,  worunter  übrigens  durchaus 
nicht  Jeder  zu  verstehen  ist,  der  im  öffentlichen  Leben  in  die 
Erscheinung  tritt,  lege  man  keinen  Werth  bei,  am  allerwenigsten 
aber  den  im  Lande  wohnenden  Franzosen. 

Ihre  politische  Stellung  verdanken  diese  Notablen  lediglich 
doch  nur  der  Macht  der  Regierung,  wobei  dieselbe  leider  der 
Gefahr  der  Ueberschätzung  dieser  oder  jener  Persönlichkeit 
stets  ausgesetzt  ist. 

Bei  der  Regierung  geben  sie  sich  den  Anschein,  als  ob 
sie  Einfluss  bei  dem  Volke  hätten  und  bei  dem  Volk  erwecken 
sie  den  Glauben,  dass  sie  Einfluss  bei  der  Regierung  besässen. 

Ihr  Einfluss  ist  lediglich  ein  von  der  Regierung  erborgter! 
Trotzdem  liegt  die  ßefürchtigung  nahe,  dnss  die  Notablen  die 
Regierung  beeinflussen,  ja  schliesslich  beherrschen  könnten. 
Caveant  consules! 

Zur  Zeit  der  allerseits  als  hervorragend  und  erfolgreich 
anerkannten  Verwaltung  des  Oberpräsidenten  v.  Möller  wusste 
man  nichts  von  «Einflüssen  der  Notablen»  und  das  Deutschtum 
machte  bedeutende  Fortschritte ! 

Nicht  nur  die  Bevölkerung  sondern  auch  die  Beamten 
fühlten  sich  ausserordentlich  wohl  dabei! 


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Quellen : 


Dr.  Ulrich  Obrecht:  Prodromus  rernm  Alsaticarum. 

Friedrich   Schräg:    Nullitas    iniquitasquo    reunionis  Alsatiae. 

(Beides  Zeitgenossen  der  Ereignisse.) 
Wencker,  Künast,  Roehrich,  Chroniken  von  St  rassbarg. 
Bong:  Ordonnances  d'Alsace. 
Pillot:  Histoire  da  Conseil  Souverain  d'Alsace 
Billing,  Friese  and  Strobel:  Geschichten  and  Beschreibungen 

des  Elsass. 

.  A.  Schneegans:  Strassbnrg  nach  der  Uebergabe  an  Frankreich. 
Hall ez-Clappa rede:  Reunion  d'Alsace  ä  la  France. 
Baqaol-Ristelhaber:  L'Alsace  ancienne  et  moderne. 
Lafrange:  Memoires  sur  l'Alsace  1697. 
Legrelle:  Louis  XIV  et  Strasbourg. 

Reunion  de  Strasbourg  ä  la  France  par  M.  Coste.  Strasbourg  1841. 

Kirchner:  Elsass  im  Jahre  1648. 

Rathgeber:  Die  Kapitulation  von  Strassburg  1681. 

Rocholl:  Der  grosse  Kurfürst  im  Elsass. 

Freiherr  Max  du  Prel:  Die  deutsche  Verwaltung  in  Elsass- 
Lothringen  1870—1879.  Nur  die  erste  Lieferung  erschienen. 
Strassburg  1879. 

Sybel:  Der  Friede  von  1871. 

Dr.  Schricker:  Ein  Blick  in  die  französische  Verwaltung  des  Elsass 
in  den  Jahren  von  1714—1724  und:  Zur  Geschichte  der  Univer- 
sität Strassburg. 

Emil,  Kühn:   Briefe  aus  Elsass-Lothringen,  Leipzig  1892. 

Das  Deutschtum  in  Elsass-Lothringen  1870 — 95  von  einem  Deutsch- 
nationalen. Leipzig  Fr.  Wilh.  Grunow  1895. 

Die  alten  Territorien  des  Elsass  nach  dem  Stande  vom  1.  Janaar  1648. 
Herausgegeben  von  dem  statistischen  Bureau  des  Ministeriums 
für  Elsass-Lothringen  1896. 


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BEITRAGE 

ZUR 

LANDES-  UND  VOLKESKUNDE 

VON 

ELSASS-LOTHRINGEN 

XXIII.  HEFT. 
DIE 

POLITISCHEN  VERHÄLTNISSE  ENI)  BEWEGUNGEN 

IN 

STRASSBURG  IM  ELSASS 

IM  JAHRE  1789. 

VON 

Dr.  phil.  MANFRED  EIMER. 

GEKRÖNTE  PREISSCHRJFT 
MIT  ERLAUBNIS  DER  PHILOSOPHISCHEN  FAKULTÄT  IN  DEN  VERLAG  GEGEBEN. 


STRASSBURG 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel) 

1897. 


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Verlag  von 

J.  H.  ED.  11EITZ  (HEITZ  &  MÜNDEL)  Möllerstrasse  16. 

BEITRÄGE  ZUR  LANDES-  UND  VOLKESKUNDE 

von  Elsass-Lothringen. 

Band  I. 

Hcfl  I:  Die  deutsch-  französl  so  ho  Sprachgrenze  in  Loth- 

ringen von  Const.  This.  8.  34.  S.  mit  einer  Karte  (1 : 300.000). 

1  50 

Heft  II   Ein  andeohtig  geistliche  Badenfahrt  des  hochge- 

lehrten Herren  Thomas  Murner.  8.  56  S.  Neudruck 
mit  Erläuteren.,  insbesond.  Uber  das  altdeutsche  Badewesen, 
v.  Prof.  Dr.  E.  Martin.  Mit  6  Zinkätzungen  nach  dem  Ori- 
ginal. 2  - 

Heft         III:  Die  Alamannensohlacht  vor  Strassburg  857.  n. 

Chr.  von  Archivdirektor  Dr.  W.  Wiegand.  8.  46  S.  mit  einer 
Karte  und  einer  Wegskizze  1  — 

Heft         IV :  Lenz,  Goethe  und  Cleophe  Fibioh  von  Strassburg. 

Ein  urkundlicher  Kommentar  zu  Goethes  Dichtung  und  Wahr- 
heit mit  einem  Porträt  Araminta's  in  farbigem  Lichtdruck 
und  ihrem  Facsimile  aus  dem  Lenz-Stammbuch  von  Dr.  J  o  h. 
Froitzheim.  8.  96  S.  2  50 

Heft  V:  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  im  Elsass 

von  Dr.  Const.  This.  8.  48  S.  mit  Tabelle,  Karte  und  acht 
Zinkätzungen.  1  50 

Band  II. 

Heft         VI :  Strassburg  im  französischen  Kriege  1562  von  Dr. 

A.  H  o  1 1  a  e  n  d  c  r.  8.  68  S.  1  50 

Heft  VII:  Zu  Strassburgs  Sturm-  und  Drangperiode  1770 
bis  76.  von  Dr  J  oh.  Froitzheim.  8.  88  S.  2  — 

Heft  VIII:  Geschichte  des  heiligen  Forstes  bei  Hagenau  im 
Elsass.  Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  C.  E.  Ney,  Kais. 
Oberförster.  I.  Teil  von  1065— 1648.  2  — 

Heft  IX:  Rechts-  und  WIrtsohafts-Verfassung  des  Abtei- 
gebietes Maursmünster  während  des  Mittelalters 
von  Dr.  Au  g.  H  e  r  t  z  o  g.  8.  114  S.  2  — 

Heft  X :  Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner.  Ein  Wort 

der  Kritik  an  unsere  Goetheforscher  von  Dr.  Joh.  Froitz- 
heim. H.  68  S.  1  50 

Band  III. 

Heft         XI:  Die  Armagnaken  im  Elsass.  von  Dr.  H.  Witte.  8. 

158  S.  2  50 

Heft       XII :  Geschichte  des  heiligen  Forstes  bei  Hagenau  im 

Elsass.  Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  C.  N.  Nev,  Kais. 

Oberförster.  II.  Teil  von  1648-1791.  2  50 

Heft       XIII:  General  Kleber.  Ein  Lebensbild  von  Friedrich  Tei- 

chcr,  Königl.  bavr.  Hauptmann.  1  20 

Heft       XIV ;  Das  Staatsrechtliche  Verhältnis  des  Herzogtums 

Lothringen  zum  Deutschen  Reiche  seit  dem  Jahre 

1542  von  Dr.  Siegfried  Fitte.  Mit  Karte.  2  50 

Hcfl        XV:  Deutsohe  und  Keltoromanen  in  Lothringen  nach 

der  Völkerwanderung.  Die  Entstehung  des  Deutschen 

Sprachgebietes  von  Dr.  Hans  N.  Witte.  Mit  Karten.       2  50 

Fortzetzung  siehe  3.  Seite  des  Umschlags. 


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DIE 


POLITISCHEN  VERHALTNISSE 

UND 

BEWEGUNGEN 

IN 

STRASSBURG  IM  ELSASS 

IM  JAHRE  1789. 

VON 

■ 

Dr.  phil.  MANFRED  EIMER. 

GEKRÖNTE  PREISSCHRIFT 
MIT  ERLAUBNIS  DER  PHILOSOPHISCHEN  FAKULTÄT  IN  DEN  VERLAG  GEGEBEN. 


STRASSBURG 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel) 

1897. 


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MEINEN  ELTERN. 


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r 


Vorbemerkung. 

Das  Jahr  1789  war,  wie  für  Frankreich,  .so  auch  für  die  Stadt 
Strassburg  epochemachend.  Die  Verhältnisse  und  Vorgänge  da- 
selbst sind  jedoch  in  den  vorhandenen  zusammenhängenden  Dar- 
stellungen der  Revolutionszeit  teilweise  gar  nicht,  teilweise  nur 
(lüchtig  berührt  worden.  Die  einzige  ausführlichere  Schilderung 
findet  sich  in  der  von  Engelhardt  fortgesetzten  «Vaterländischen 
Geschichte  des  Elsasses»  von  Strobel,  im  fünften  Bande.  — 
Doch  hat  der  Verfasser  manche  vorhandene  Quelle  nicht  benützt, 
vor  allem  aber  die  Schatze  des  Stadtarchivs  keineswegs  genügend 
verwertet.  Ihnen  ist  dann  H.  Reuss  durch  die  Veröffentlichung 
der  Korrespondenz  zwischen  den  Strassburger  Abgeordneten 
und  den  Repräsentanten  der  Bürgerschaft  in  seinem  Buch 
«L'Alsace  pendant  la  revolution  franyaise,»  I.  Teil,  in  dankens- 
wertester Weise  gerecht  geworden.  Seine  Veröffentlichung 
forderte  zu  einer  neuen  Darstellung  der  Strassburger  Geschichte 
im  Jahre  1789  auf.  Ich  selbst  habe  dabei  neben  einigen  bei 
Reuss  nicht,  abgedruckten  Originalen  auch  die  im  Entwurf  oder 
in  den  Batsprotokollen  als  Abschrift  vorhandenen  Briefschaften, 
namentlich  die  Korrespondenz  der  Deputierten  mit  dem  Magi- 
strat, benützt  und  solche,  die  mir  charakteristisch  oder  inhalt- 
lich wichtig  erschienen,  im  Anhang  mitgeteilt. 

Es  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  gerade  das  genannte  Jahr  für 
die  Stadt  und  für  das  Unter-Elsass  von  besonderer  Wichtigkeit  ge- 
wesen ist,  da  durch  die  Revolution  die  bisher  noch  in  Kraft  stehende 
altreichsstädtische  Verfassung  Strassburgs  aufgelöst  wurde,  und 
die  Stadt,  den  übrigen  Gemeinwesen  Frankreichs  gleichgestellt, 


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- 


—    vi  — 

in  engerer  Verschmelzung,  innigeren  Anteil  an  den  Interessen 
und  Angelegenheiten  Frankreichs  nehmen  musste,  als  vordem. 
Wie  aber  so  oft  bei  gewaltsamen  Umsturzbewegungen,  fehlt  es 
auch  in  der  Geschichte  Strassburgs  in  diesem  Jahre  nicht  an 
undurchsichtigen  und  unaufgeklärten  Episoden.  Ich  hahe  mich 
bemüht,  Wahrscheinliches  und  Unwahrscheinliches  schärfer, 
als  es  schon  geschehen,  zu  kennzeichnen.  Es  ist  aber  nicht 
gelungen,  in  jeder  Hinsicht  ein  befriedigendes  Ergebnis  zu 
liefern. 

Diesen  Gegenstand  zu  meiner  Promotionsschrift  zu  wählen,1 
wurde  ich  dadurch  veranlasst,  dass  die  Philosophische  Fakultät 
der  Kaiser -Wilhelms-Universität  im  Mai  1895  eine  Preisaufgabe 
unter  dem  Titel  der  vorliegenden  Arbeit  stellte,  deren  Lösung 
für  mich  erfolgreich  war.  Bei  der  Benutzung  des  Stadt-Archivs 
wurde  ich  damals  wie  in  der  Folge  von  dem  Direktor  Herrn 
Dr.  Winckelmann  auf  das  freundlichste  unterstützt.  Bei  der 
Erweiterung  zur  Promotionsschrift  wurde  ich  bereitwilligst  be- 
raten und  unterstützt  durch  meine  hochverehrten  Lehrer,  die 
Herren  Professoren  Dr.  Varrentrapp  und  Dr.  Bresslau, 
sowie  durch  den  Vorstand  des  Bezirksarchivs,  Herrn  Professor 
Dr.  Wiegand,  die  ich  bitte,  auch  an  dieser  Stelle  meinen 
tiefgefühlten  und  hochachtungsvollen  Dank  entgegen  zu  nehmen. 
Ihre  liebenswürdigen  Bemühungen  einerseits,  das  Material  der 
Archive,  sowie  der  für  meine  Zwecke  lückenlose  Bestand  der 
Universität*-  und  Landesbibliothek  andererseits  haben  meine 
Arbeit  auf  das  angenehmste  gefördert.  Auch  die  Direktion  des 
Generallandesarchivs  zu  Karlsruhe  stellte  mir  daselbst  vorhan- 
dene Akten  bereitwilligst  zur  Verfügung,  auf  die  ich  durch  die 
Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Privatdozenten  Dr.  Th.  Ludwig 
aufmerksam  gemacht  wurde.  Auch  den  Letzteren  bin  ich  zu 
aufrichtigem  Dank  verpflichtet. 

1  Als  solche  sind  mit  Genehmigung  der  Fakultät  nur  die  Ein- 
leitung und  Kapitel  I— IV.  in  besonderem  Abzug  erschienen. 


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Inhalt. 

Seite 

Einleitung  .    .   1 

I.  Vorgänge  und  Stimmungen  in  Strassburg  bis  zur  Depu- 
tiertenwahl  23 

II.  Das  Beschwerdenheft  und  die  Verhandlungen  wegen  der 

inneren  Beschwerden  mit  der  Bürgerschaft  38 

III.  Die  Deputierten  bei  der  Eröffnung  der  Reichsstände.  Weitere 

Verhandlungen  über  das  Beschwerdenheft  und  über  die 
Einsetzung  eines  Kommissars.  Dietrich  und  Klinglin.    .  48 


IV.  Die  Unruhen  vom  18.— 21.  Juli  nebst  Quellen   58 

V.  Folgen  des  Aufruhrs.  Bürgergarde.  Der  Soldatenaufstand  87 

VI.  Dio  Verwaltungsänderung   101 

VII.  Die  Bürgerwache.  —  Die  Getreide-  und  Geldnot.  —  Der 

Au8schuss  der  Vierzig   113 

VIII.  Der  vergebliche  Widerstand  Strassburgs  gegen  die  Be- 
schlüsse vom  4.  August   120 

Anhang   145 


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Einleitung. 


Die  Darstellung  der  Neuwandelungen  in  den  Verhältnissen 
Strassburgs  im  Jahre  1789,  welche  die  Stadt  enger  mit  Frank- 
reich verbanden,  als  es  bis  dahin  der  Fall  gewesen,  hat  aus- 
zugehen von  der  Uebergabe  der  Reichsstadt  an  das  Königreich, 
am  30.  September  1681,  und  dem  Wortlaut  der  Kapitulation, 
die  Ludwig  XIV.  damals  der  Stadt  gewährte.  Dies  Ereignis, 
und  die  Aenderungen,  die  nicht  sowohl  infolge,  als  trotz  jener 
Urkunde  im  Laufe  des  bis  zur  Revolution  verflossenen  Jahr- 
hunderts durch  Massnahmen  der  französischen  Regierung  ein- 
traten, gaben  nicht  nur  der  deutschen  Nation,  sondern  auch 
den  Strassburgern  selbst  Anlass  zu  Klagen  und  Bedenken  genug. 
Und  es  war  nicht  ohne  Absicht,  wenn  auf  der  anderen  Seite 
unermüdlich  betont  wurde,  dass  der  Stadt  sämtliche  Rechte  und 
Privilegien,  die  sie  als  Reichsstand  besessen,  feierlich  gewähr- 
leistet worden  waren  (Artikel  II).*    Im  Sinne  des  Vertrags 


1  Die  Kapitulation  ist  im  Wortlaut  abgedruckt  in  den  Or- 
donnances  d'Alsace,  pnbl.  von  de  Bong,  Colmar  1776,  2  Bde. 
I.  S.  106.  Ferner  bei  Türckheim,  J.  v.,  Abhandlung  das  Staats- 
recht der  Stadt  Strassburg  und  des  Elsasses  überhaupt  betreffend. 
Aus  dem  Französischen  übersetzt.  Strassburg  1789,  S.  149  fg. 
—  Hermann,  Jean-Frederic,  Notices  historiques,  statistiques  et 
litteraires  sur  la  ville  de  Strasbourg,  2  Bde.,  Strassburg  1817,  und 
1819.  I.  S.  76  fg.  —  C  o  s  t  e,  Reunion  de  Strasbourg  a  la  France, 
Strasbourg  1841.  S.  108  fg.  —  F a c sim i  1  e  bei  Pi to n,  F.,  Stras- 
bourg illustre.  Bd.  II.  1855.  S.  58. 

1 


—   2  — 


wechselte  die  Stadt  nur  ihren  Herrn ;  ihr  Magistrat,  so  hiess 
es,  sollte  in  seinem  bisherigen  Zustand,  und  im  vollen  Gebrauch 
seiner  damaligen  Machtbefugnis  erhalten  werden.   (Artikel  IV). 

Die  freie  Ausübung  der  Religion,  in  Strassburg  damals 
der  protestantischen,  sollte  bestehen  bleiben,  nur  das  Münster 
der  katholischen  Kirche  zurückgegeben  werden  (Art.  III).  Auf- 
lagen für  den  Staat  sollten  von  der  Bürgerschaft  nicht  erhoben 
werden  (Art.  VI),  vielmehr  alle  Einnahmen,  Zölle  und  Gefalle 
in  die  Stadtkassen  fliessen,  wie  bisher  (Art.  V).  —  Der  Han- 
del sollte  keine  Veränderung  erleiden  (Art.  V):  als  erste 
Forderung  für  sein  Blühen  galt  mit  Recht  die  Anerkennung 
des  Elsass  als  einer  province  de  Vetranger  effectif.1 

Ein  eigentümliches  Verhältnis  bestimmte  und  erleichterte 
demgemäss  fortan  besonders  für  Sirassburg  den  Handelsverkehr 
nach  allen  Seiten,  vorzüglich  mit  dem  Reich  und  der  Schweiz. 
Die  Zollgrenze  war  nicht  an  den  Rhein  verschoben  worden, 
sondern  auf  den  Vogesen  geblieben. 

Diese  Handelsinteressen  waren  die  einzigen,  welche  die 
Stadt  mit  der  Provinz  enger  verbanden.  Denn  während  in 
letzterer  ein  Intendant  gebot,  war  Strassburg  dem  Kriegs- 
minister unmittelbar  untergeordnet.  Nur  in  rechtlicher  Be- 
ziehung hatte  die  Stadt,  in  gewissen  Fällen,  mit  der  Verwaltung 
des  Elsass  Gemeinsamkeit.  Als  französische  Stadt  zeigte  sie 
sich  nur,  wenn  es  ihren  Vorteil  galt.  Sonst  wollte  sie  ein 
Freistaat  mit  eigener  Verwaltung  bleiben.  Nicht  einmal  zum 
Dienst  im  Heer  des  Königs  Hessen  sich  die  Strassburger  herbei. 
Sie  blieben  frei  davon,  so  lange  sie  im  Elsass  wohnten.« 

Andererseits  gewann  die  Stadt  an  äusserem  Glanz  durch 


i  Vgl.  Krug -Basse,  M.  J.,  l'Alsace  avant  1789.  Paris  et  Col- 
mar. 1876.  S.  41. 

*  Seinguerlet,  E.5  Strasbourg  pendant  la  Evolution.  Paris 
1881.  S.  350  irrig:  «dans  tout  le  royaume».  Diese  Vergünstigung 
wurde  aufgehoben  durch  einen  Brief  Brienne's  an  den  Prätor  vom  6. 
September  1788.  (Stadt-Archiv,  Actes  constitutives  et  politiques 
de  la  commune.  Archives  du  preteur.  Serie  AA.  2435.)  Vgl.  auch 
Krug-Basse  a.  a.  0.  S.  71  und  das  B  e  s  ch  wer  d e nh  ef t  der 
Stadt,  abgedruckt  bei  Reuss.  Rod..  L'Alsace  pendant  la  revolution 
francaise.  I  Correspondence  des  d§put6s  de  Strasbourg  etc.  Paris 
1880.  S.  31  fg.  Freiwillig  befanden  sich  «beständig  mehr  als  200)0 
Elsässer  unter  den  Truppen  des  Königs».  (Türckheim,  a.  a.  0. 
S.  101.) 


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die  starke  Besatzung1  sowie  durch  die,  wenigstens  nominelle, 
Anwesenheit  der  hohen  Provinzialbeamten,  des  Domkapitels  und 
zahlreicher  Mitglieder  des  niederelsässischen  Adels,  dessen 
Direktorium  in  der  Stadt  seinen  Sitz  hatte ;  und  wäre  Strassburg 
auch  den  anderen  Städten  Frankreichs  gleichgestellt  worden,  so 
hätte  es  doch  im  französischen  Staatskörper  als  Hauptstadt  einer 
reichen  Provinz,  als  die  es  von  der  weitaus  grössten  Mehrzahl 
der  Franzosen  thatsächlich  betrachtet  wurde,  allemal  grösseres 
Ansehen  genossen,  denn  zuvor  als  Reichsstand. 

Naturgemäss  blieb  der  Gesichtspunkt  einer  Vorherrschaft 
über  das  Elsass  auch  in  der  Stadt  selbst  nicht  völlig  ausser 
Acht.  Es  kam  vor,  dass  der  Magistrat  ihn  selbst  geltend 
machte.  Aber  das  war  nur  in  der  Not,  wenn  es  galt,  den 
Rang  der  Stadt  und  damit  ihre  Stellung  zu  sichern.  —  Dass 
Strassburgs  Vorrechte  sonst  wenig  bekannt  waren,  oder  gering 
geachtet  wurden,  das  hätte  zwar  an  sich  der  Kapitulation  wenig 
Abbruch  gethan.  Aber  nach  und  nach  wurden,  wie  Reuss  es 
ausdrückt,2  durch  ein  jesuitisches  Auslegungssystem,  durch  Ab- 
machungen vor  allem  Ludwig's  XIV.  selbst,  fast  alle  Punkte  be- 
einträchtigt oder  umgangen.  Denn  so  zäh  und  ängstlich  Strass- 
burg an  seinen  verbrieften  Rechten  und  Freiheiten  festhielt,  so 
wenig  gelang  es  dem  Magistrat,  der  mannigfachen  Neuerungen 
und  Verordnungen  des  Königs,  bzw.  der  Minister  sich  zu  er- 
wehren. 

Es  dürfte  für  das  Verständnis  der  Bewegungen  des  Jahres 
1789  nötig  sein,  zunächst  die  Hauptmerkmale  der  Verfassung 


1  1789:  2  Bataillone  Royal  Infanterie.  2  Bat.  Alsace.  2  Bat. 
Royal  Hesse-Darmstadt.  Artillerieregiment  «Strassbnrg».  4  Eska- 
dronen Royal  Cavallerie.  4  Eskadronen  Artois.  Ein  Bataillon  war 
etwa  720  Mann  stark.  —  Das  Regiment  la  Fere,  das  nach  Engel- 
hardt (Strobel,  A.  W.,  Vaterländische  Geschichte  des  Elsasses  ;  fort- 
gesetzt von  1789—1815  von  Dr.  L.  H.  Engelhardt  2.  Ausgabe.  Strass- 
burg 1751.  V.  Teil;  i.  d.  F.  angeführt  als  «Strobel»)  S.  312, 
Anm.  1,  in  der  Zitadelle  lag,  stand  nach  dem  Almanach  d'Alsace 
ponr  l'annee  1789  (par  Oberlin),  S.  128,  in  Pfalzbnrg.  —  1789  .be- 
fanden sich  am  1.  Mai  nach  einer  im  XII Ier  Protokoll  Fol.  137  ein- 
getragenen und  Gombault  nnterschriebenen  Note  von  den  Kavallerie- 
regimentern nnr  noch  je  drei  Eskadronen  in  Strassbnrg ;  im  Ganzen 
«14  Bataillons  ou  Escadrons  > 

*  Lonis  XIV.  et  l'eglise  protestante  de  Strasbourg.  Paris  1887. 
S.  15. 


_-   4  - 


und  Verwaltung  der  Sladt  kurz  vor  Augen  zu  führen.1  Sie 
war  in  ihrer  Vielgestaltigkeit  den  Franzosen  fremdartig ;  was 
Erasmus  nicht  genug  als  musterhaft  hatte  loben  können,  schien 
Richelieu  nur  wegen  seiner  Absonderlichkeit  der  Beschreibung 
wert.» 

Noch  immer  von  besonderer  Wichtigkeit  war  die  Einteilung 
der  Burgerschaft  in  die  zwanzig  Zünfte,  worunter  die  der 
Metzger,  genannt  «zur  Blum»,  und  die  der  Handelsleute,  «zum 
Spiegel»,  im  Jahre  1789  am  meisten  hervortraten.  Diese  Zünfte 
umfassten  alle  eigentlichen  Bürger,  Handwerker,  Kaufleute, 
Gelehrten,  Künstler,  ohne  Rücksicht  auf  die  Benennung  der 
einzelnen  Zunft,  bzw.  die  Gattung  des  Erwerbszweiges  des 
Einzelnen,  waren  daher  von  denen  Frankreichs  grundver- 
schieden.' 

Die  Adeligen,  die  einen  angesehenen  Bestandteil  auch  des 
Magistrats  ausmachten,  waren  cives  honorarii,  und  trugen, 
dem  Namen  nach  wenigstens,*  zu  den  direkten  Steuerleistungen 
der  Stadt  bei.  Sie  hiessen  mit  einer  alten  und  etwas  dunklen 
Benennung  die  «Herren  Constoffler». 

Neben  diesen  und  den  eigentlichen  Bürgern  gab  es  eine 
betrachtliche  Anzahl  von  Schirmverwandten,  zumeist  fremden 
Handwerkern,  die  geringere  Rechte  besassen,  und  z.  B.  weder 
aktives  noch  passives  Wahlrecht  zum  Magistrat  hatten.  —  End- 
lich ist  die  Klasse  der  Privilegierten  zu  erwähnen,  d.  h.  die 
Beamten  des  Königs,  die  von  jeder  Abgabe  frei  waren. 

Aus  den  Zünften  nun  wurden  je  15  Schöffen  gewählt, 


1  Vgl.  besonders  Scböpflin,  Alsatia  lllustrata,  Band  II. 
Strassburg  1761.  S.  332  fg.  —  Hermann,  a.  a.  0.  II.  S.  6  u.  12 
fg.  —  Schutzenberger,  G.  F.  Esquisse  historique  de  la  Con- 
stitution de  Strasbourg.  Str.,  1843.  —  Piton.  a.  a.  0.  I  (1852). 
S.  156  fg.  —  Ludwig,  H.  (von  Jan),  Strassburg  vor  hundert  Jahren. 
Stuttgart  1S88.  S.  202  fg.,  u.  a. 

*  Vgl.  den  Brief  des  Erasmus  im  Anhang  seiner  Schrift:  De 
duplici  copia  verborum  et  rerum,  1514.  —  Die  Aeusserung  Richelieu's 
bei  K  r  u  g  -  B  a  s  s  e  a.  a.  0.  S.  63. 

s  Vgl.  Ludwig  a.  a.  0.  S.  328.  Anra.  101.  —  Heitz,  F.  C, 
das  Zunftwesen  in  Strassburg.  1856.  Dies  Buch  giebt  in  bez.  auf 
die  Aemter  den  Zustand  von  1681  wieder. 

4  Vgl.  Mathien,  J.,  Alsace  et  Strasbourg  1790.  S.  6.  Er  sagt 
zu  viel.  Die  Stättmeister  griffen  häufig  mit  Erfolg  in  die  Magistrats- 
verhandlnngen  ein,  wenn  schon  sie  einen  Teil  ihrer  früheren  Macht 
verloren  hatten. 


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—   5  — 


und  aus  diesen  300  gingen  die  Mitglieder  der  verschiedenen 
Ratskollegien  hervor.  Ohne  ihre  Genehmigung  durfte  früher 
der  Magistrat  nach  der  Verfassungsurkunde  der  Stadt,  dem 
Schwörbrief  von  1482,1  nichts  Wichtiges  beschliessen  oder  ver- 
ordnen. Seit  dem  Jahre  1612  jedoch  wurde  keine  allgemeine 
Schöffenversammlung  mehr  berufen,*  und  durch  die  Einzelbe- 
ratung eines  jeden  der  20  SchöfFenkollegien  zersplitterte  sich 
ihre  Gewalt.  Sie  ergänzten  sich  selbst,  was  der  ursprünglichen 
Bestimmung  der  freien  Wahl  des  Rats  durch  die  Bürgerschaft 
widersprach  und  allmählich  von  den  ausserhalb  stehenden, 
ämterlosen  Bürgern,  als  grosser  Uebelstand  empfunden  wurde;» 
zumal  da  das  Vertrauen  in  die  thatkräftige  Vertretung  der 
Bürgerinteressen  durch  die  Schöffen  nicht  gross  war,  und  man 
sie  und  besonders  die  Magistrate  der  Ueberhebung  anklagte. 
«Wer  dürft'  es  wagen,  den  beständigen  Magistratspersonen  zu- 
wider zu  handeln,  da  diese  Herren  alle  nur  mögliche  Gewalt 
in  sich  vereinigten?» 

Aus  dem  Widerstand  gegen  die  Adeligen  war  die  Macht 
der  Zünfte  und  der  Schölten  im  XIV.  Jahrhundert  hervorge- 
gangen; sie  wurde  durch  eine  neue  Aristokratie,  die  aus  ihr 
sich  erhob,  wiederum  beschränkt.* 

Besonders  bei  den  Adeligen  war  wegen  ihrer  geringen  An- 
zahl Nepotismus  nicht  zu  vermeiden ;  aber  auch  unter  den 
zünftigen  Ratsherren  traten  die  eigentlichen  Gewerbetreibenden 
vor  Juristen  und  anderen  Studierten  in  den  Hinlergrund,  wenn- 
gleich gerade  bei  der  obersten  richterlichen  Behörde  der  Stadt, 
dem  Grossen  Rat,  das  Gegenteil  von  den  Zeitgenossen  her- 
vorgehoben wurde,  und  den  Zornausbrüclien  über  die  unjuri- 

1  Vgl.  Elsässische  und  Strassburgische  Chronik  von  J  a  k  ob 
von  Königshoven,  hg.  von  Schi  Her  1698.,  S.  1092  fg.  — 
Hegel,  C,  Chroniken  der  oberrheinischen  Städte.  Band  II  Leipzig 
1871.  S.  946  fg.  —  Zu  Anfang  des  Jahres  1789  lautet  die  Eingangs- 
formel der  Verordnungen  des  Magistrats :  «Wir,  N.  N.,  der  Meister 
und  der  Rat  der  königlichen  freien  Stadt  Strassburg,  samt  unseren 
Freunden,  den  Einundzwanzigen,  thue  hiemit  kund  und  jedermann  ig  - 
lieh  zu  wissen  .  .> 

2  Vgl.  Hermann,  a.  a  0.  II.  S.  35. 

3  Vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  10  u.  11  in  der  Anmerkung,  u.  Lud- 
wig a.  a.  0.  S.  5  u.  6. 

4  Vgl.  Schmoller,  G.,  Die  Strassburger  Tucher-  und  We- 
berzunft. Strassburg  1879.  S.  551. 


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_   6  - 

* 

stischen  Stadtgerichte  anerkennende  Aeusserungen  des  Ministers 
über  das  Verfahren  gegenüberstehen. 1 

Der  Grosse  Rat  hatte  }in  der  Kriminaljustiz  nur  das  Be- 
gnadigungsrecht an  den  König  verloren ;  in  bürgerlichen  Fällen 
dagegen  war  seine  Macht  durch  die  Errichtung  des  Hohen 
Rats  in  Colmar  als  oberster  Berufungsinstanz  der  Provinz  von 
2000  Livres  ab  beschrankt  worden  (Art.  IV),  während  er  seinerseits 
dem  Klein  en  Rat  »egenüber  diese  Funktion  erfüllte,  wo  es  sich 
um  Fälle  unter  1000  Livres  handelte.« 

Ferner  unterstanden  dem  Grossen  Rat  einige  der  «unzäh- 
ligen» Nebenbehörden,  die  zur  Leitung  einzelner  Geschäftszweige 
abgeordnet  wurden.» 

Er  war  die  erste  Ratskörperschaft,  die  den  Schöffen  offenstand. 
Nach  zweijähriger  Thätigkeit  daselbst  konnten  sie  in  die  Ver- 
waltungsbehörde der  Stadt  eintreten. 

Diese  hiess  «das  beständige  Regiment»,  und 
setzte  sich  aus  zwei  Kammern,  den  «Gnädigen  Herren» 
Xlller  und  XVer,  sowie  einem  Kollegium  von  Ergänzung* 
raännern,  den  s.  g.  XXIer  zusammen.* 

Die  XVer  waren  die  bestgehassten  Ratsherren  der  Stadt. 
Ihnen  war  die  Aufrechterhaltung  der  alten  Verfassung  anver- 
traut, wobei  sie  selbst  unumschränkt  die  Gesetze  ändern  konnten. 
Diese  Gewalt  «zu  mehren  und  zu  mindern»,  das  Aufsichtsrecht, 

1  Vgl.  Hermann  a.  a.  0.  II.  S.  21. 

2  S  ch  ntz enb er  g  er  a.  a.  0.  S.  28,  and  nach  ihm  Heitz 
a.  a.  0.  S.  6  und  Strohe  1  III.  172.  geben  die  Mitgliederzahl  des 
Kleinen  Rats  irrtümlich  anf  18  an.  Derselbe  bestand  ans  23  Mit- 
gliedern- Vgl.  Alma  nach  1789  S.  212  und  219;  der  Stadt  Strass- 
burg  Regimentsverfassung  178y.  S.  64 fg.  Letztere  hat  amt- 
lichen Charakter.  —  Für  die  Einsetzung  eines  besonderen  Richters 
für  das  bischöfliche  Schloss  giebt  Mull  er,  a.  a.  0.  S.  19.  1704  an. 
Dieselbe  erfolgte  erst  1729.  Vgl.  Ordonnances  d'Alsace,  t.  II.  S.  42  fg. 

3  Es  waren  an  90  verschiedene,  mit  einem  entsprechenden 
Schwall  von  Unterbeamten.  Vgl.  Heitz,  a.  a.  0.  S.  8  fg.  Muller, 
a.  a.  0.  S.  11  fg. 

4  Der  Ursprung  der  letzteren  Bezeichnung  ist  dunkel.  Es  waren 
ihrer  gewöhnlich  nur  4  bis  5.  Man  spricht  in  der  Regel  von  den  drei 
Kammern,  obgleich  nur  die  XIII.  und  XV.  für  sich  und  auch  ohne 
Verbindung  mit  den  XXI.  zu  beraten  hatten,  letztere  dagegen  nur 
in  Vereinigung  mit  den  beiden  anderen  Kammern  zu  den  «Drei  ge- 
heimen Stuben>,  oder  mit  jenen  und  dem  grossen  Rat  zum  eigent- 
lichen Stadt magistrat  —  den  «Rath  und  XXI>  — ,  amtliche  Thätig- 
keit besassen,  und  daher  auch  die  «ledigen  Herren  XXI»  hiessen. 


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7 


das  sie  über  jedermann  vom  regierenden  Ammeister  bis  zum 
geringsten  Büttel  berab  besassen,  die  Abhängigkeit,  worin  die 
Zunftgerichte  von  ihnen  als  der  letzten  Instanz  in  Handwerks- 
sachen sich  befanden;  ferner  die  Einziehung  der  Steuern,  deren 
Festsetzung  ihnen  oblag  —  kurz,  ihre  Stellung  als  eigentliche 
Behörde  der  inneren  Verwaltung  versetzte  sie  in  die  Lage,  viele 
"Wünsche,  die  rege  waren,  nicht  befriedigen  und  Massnahmen 
nicht  vermeiden  zu  können,  die  hier  angenehm,  dort  aber  unlieb- 
sam berührten.  Es  blieb  daher  nicht  aus,  dass  sie  die  heftigsten 
Anfeindungen  zu  erdulden  hatten,  besonders  von  Seiten  der  über 
die  Accise  erbitterten  Metzger,  deren  Trotz  die  XVer  vor  kurzem 
in  einer  die  Abänderung  der  gebräuchlichen  Fleischwaagen 
bezweckenden,  langwierigen  und  erbitterten  Streitsache  mit 
Strenge  und  Gewalt  bekämpft  hatten.  Ausserdem  waren  sie 
eben  im  Jahre  1789  mit  ihnen  über  einen  Schadenersatz  von 
62000  Livres  für  den  Brand  des  städtischen  Unschlittmagazins 
in  einen  Prozess  geraten,  wobei  die  übrigen  Zünfte  mit  ihren 
Genossen  fühlten,  und  für  sich  selbst  fürchteten.  Das  Ver- 
hältnis zu  den  XVern  wurde  so  allmählich  ein  immer  uner- 
quicklicheres. Aber  abgesehen  von  dem  Waagenstreit,  wo 
Recht  und  Unrecht  auf  beiden  Seiten  war,  —  in  bez.  auf  den 
sonstigen  angeblichen  Missbrauch  der  Amtsgewalt  ist  doch  die 
Ueberzeugung  hervorzuheben,  die  man  aus  den  Verhandlungen 
der  Kammern  gewinnt :  dass  in  den  meisten  Fällen  die  grosse 
Menge  von  Klagen  und  Begehren  der  Zünfte  und  der  Einzelnen 
mit  Wohlwollen  und  Geduld  entgegengenommen  und  mit  ver- 
söhnlicher Nachgiebigkeit,  ja  mit  peinlicher  Erwägung  des  Für 
und  Wider,  behandelt  wurden.  Welche  Vorteile  sollten  sich 
die  Ratsherren  auch  davon  erwarten,  wenn  sie  die  Bürger  Um- 
trieben oder  knechteten?  Man  kann  sich  des  Eindrucks  nicht 
erwehren,  dass  die  Missliebigkeit  Einzelner  ein  schlechtes  Licht 
auf  ihre  Körperschaft  im  allgemeinen  warf,  und  dass  im  übrigen 
von  persönlichen  Feinden  eine  eifrige  Hetze  gegen  den  Magistrat 
betrieben  ward.  Natürlich  waren  auch  an  den  strassburgischen 
Einrichtungen,  wie  in  jeder  Verwaltung,  Uebelslände  zu  finden. 
Aber  man  musste  wohl  mehr  diese  Einrichtungen  selbst  tadeln, 
als  die,  welche  danach  handelten.8 


8  Vgl.  Friese,  Joh.,    Nene   vaterländische   Geschichte  der 


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—    8  — 

Am  grellsten  treten  die  Mängel  allerdings  eben  bei  den 
XVern  hervor.  Hier  vorzüglich  zeigt  sich  das  Ungesunde  der 
Entwickelung  der  strassburgischen  Stadt  Verfassung :  aus  den 
Beratern  waren  die  Bestimmenden,  aus  den  bescheidenen,  vom 
Rat  im  XV.  Jahrhundert  eingesetzten  Kommissionen  mächtige 
Behörden  geworden,  die  das  innere  Leben  der  Stadt  in  jeder 
Hinsicht  beeinflussten. 

Weit  weniger  war  es  bei  der  vornehmeren  Kammer  der 
Xiller  der  Fall,  die  mit  den  französischen  und  auswärtigen 
Regierungen,  besonders  mit  den  benachbarten  Reichsständen 
unmittelbar,  wie  vor  1681,  verkehrte  und  so  mit  den  Angelegen- 
heiten der  Bürgerschaft  wenig  zu  thun  hatte.  Ihre  Befugnis 
als  erste,  bis  zu  einer  gewissen  Summe  vom  Reichskammer- 
gericht unabhängige  Berufungsinstanz  der  SladU  hatte  ihr  die 
Kapitulation  (Art.  IV)  genommen.  Damit  büsste  sie  ein  gut 
Teil  ihrer  Wichtigkeit  ein,  und  «musste  sich  mit  der  beschei- 
denen Rolle,  die  einfache  Geschäftsträgerin  der  Stadt  bei  den 
französischen  Machthabern  zu  sein,  begnügen.  »2 

Unbeliebt  waren  aber  auch  die  Xiller,  bei  den  Schöffen 
und  den  beiden  Ratskollegien,  als  Bestandteil  der  drei  ge- 
heimen Stu.ben,  die  das  Finanzwesen  leiteten,  aber  nach 
und  nach  Einfluss  auf  alle  Vorgänge  und  Angelegenheiten  ge- 
wonnen hatten,  wogegen  sich  die  Bürgerschaft  erst  auflehnte, 
als  es  zu  spät  war. 3  — 

Die  oberste  Behörde  der  Stadt  endlich  stellten  die  «Rath 

Stadt  Strassburg  and  des  ehemaligen  Elsasses.  2.  Aufl.,  Strassburg 
1792.  4  Bände.  Bd.  IV.  S.  196  fg. 

1  Als  solche  war  sie  von  Maximilian  I.  1497  bis  za  einer 
Summe  von  o(>  fl.  eingesetzt  worden  (vgl.  die  Urkunde,  St.-A.,  AA. 
10.  6).  Unter  Maximilian  II.  (1ÖB6;  AA.  14.  2)  und  Rudolph  II.  (1582; 
AA.  14.  20)  war  dies  Privilegium  auf  600  fl.  ausgedehnt  worden 
(=  3000  Fr.).  Dahin  ist  die  Auffassung  He  r  mann' s,  a.  a.  0.  II. 
S.  22.  zu  berichtigen  Die  Xiller  Kammer  hiess  in  dieser  Eigenschaft 
noch  im  XVIII.  Jahrhundert  «einer  statt  Strassburg  privilegiert  und 
gefryet  Cammergericht»,  die  Xiller  selbst  «die  drytzehen  Keyserliche 
Delegierte  Cammerrichter  und  Commissarien.»  —  Vgl.  Ordnung  etc. 
in  «Getruckte  Ordnungen  und  Mandata  von  A.  D.  1711—1740; 
Tomus  XXXIV.  S.  53  fg.  (1727  oder  1728.) 

2  Seinguerlet,  a.  a.  0.  S.  2. 

3  Vgl.  Spach,  Louis,  Oeuvres  choisies,  Band  III.  Paris-Stras- 
bourg 1887.  S.  432.  Derselbe,  Histoire  de  la  Basse-Alsace  et  de 
la  ville  de  Strasbourg,  1858.  S.  278. 


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—    9  _ 


und  XXI»  dar,  der  Magistrat  in  seiner  ganzen  altertümlichen 
Grösse.  Diese  Versammlung  der  drei  Kammern  und  des 
Grossen  Rats  hatte  sich  mit  den  kirchlichen  Angelegenheiten 
zu  befassen,  sowie  mit  der  Aufnahme  in  das  Bürgerrecht,  der 
Wahl  der  lebenslänglichen  Mitglieder  des  Magistrats,»  und  der 
Rechenschaflsaufnahme  über  die  Finanzen.  Ihnen  stand  der 
regierende  Statt  meister  vor,  der,  wie  seine  drei  mit  ihm  ab- 
wechselnden Kollegen,  immer  ein  Constoffler  sein  musste.  Dem 
Namen  nach  war  er  der  höchste  Beamte  des  kleinen  Frei- 
staats. Thatsächlich  galt  als  solcher  der  A  m  m  e  i  s  ter,  der 
von  den  20  zünftigen  Ratsherren  erwählt,  mit  fünf  anderen  — 
bürgerlichen  —  Ammeistern  jährlich  in  der  Regierung  ab- 
wechselte. Stets  gehörte  er  zur  XIIIer-Kammer,  wo  er,  ebenso 
wie  bei  den  Verhandlungen  der  drei  geheimen  Stuben  und 
des  Grossen  Rats,  den  Vorsitz  führte.  Er  war  eine  Art 
Friedensrichter,«  und  hielt  täglich  Audienzen  ab,  darunter  zwei- 
mal wöchentlich  in  der  Neuen  Pfalz,  dem  Versammlungs- 
haus sämmtlicher  Ratskollegien,  das  aus  dem  Ende  des  XVI. 
Jahrhunderts  stammend,  noch  heute  eines  der  stattlichsten  Ge- 
bäude des  alten  Strassburg  ist.» 

«Ein  Ammeister»,  sagt  Fr.  Th.  Ehrmann,*   «ist  das,  was 


*  D  h.  der  XXI.,  XV  ,  XIII.  —  Die  Ratsherren  führten  ihr  Amt 
nur  während  zwei  Jahren.  —  Verkäufliche  Aemter  gab  es  nicht  Es 
fehlte  daher  eine  der  misslichsten  Beschwerden  des  übrigen  Frank- 
reich. Das  Gesetz  über  die  Verwaltung  der  Städte  v.  J.  1764  (vgl. 
Tocqneville,  Alexis  de,  L'ancien  regime  et  la  Involution.  Paris 
1866.  7.  Aufl.  S.  65  fg.)  kam  für  Strassburg  nicht  in  Betracht. 

*  Vgl.  Krug- Basse  a.  a.  0.  S.  115. 

3  Der  Name  Pfalz  kommt  daher,  dass  sich  der  Rat  ursprüng- 
lich in  einem  Raum  des  bischöflichen  Palastes  versammelte,  dessen 
Name  das  neue  Rathaus  überkam.  Die  bisher  allgemein  vertretene 
Ueberlieferung,  der  Baumeister  Specklin  habe  die  Neue  Pfalz  ge- 
baut, bewahrheitet  sich  nach  0.  Winckelmann,  «Der  Erbauer  des 
alten  strassburger  Rathauses»  (Ztschr.  für  Geschichte  des 
Oberrheins  1893.  S.  579  fg.)  nicht.  Vielmehr  ist  das  Gebäude 
«unter  dem  Werkmeister  Ambrosius  Müller  begonnen  und  durch 
dessen  Nachfolger  Jörg  Schmitt  und  den  Parlier  Paul  Maurer  wei- 
ter gebaut  und  vollendet  worden.  Die  Pläne  zu  dem  Bau  rühren 
entweder  von  Hans  Schoch  (einem  badischen  Baumeister)  oder  von 
Ambrosius  Müller  her». 

4  «Briefe  eines  reisenden  Deutschen  an  seinen  Bruder  in  H.» 
Leipzig  und  Frankfurt  1789.  Nach  Hamberger,  das  Gelehrte 
Teutschland,  fortgesetzt  von  Meusel  (II.  1796)  S.  170,  ist  Ehrmann, 


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—   10  — 


ein  Burgermeister  in  einer  Reichsstadt.»  Leicht  war  seine 
Stellung  keineswegs.  Mit  den  Ministern  und  Beamten  des 
Königs,  mit  dem  in  sich  durch  Eifersüchteleien  der  einzelnen 
Kollegien  gespaltenen  Magistrat,  mit  der  unzufriedenen  Bürger- 
schaft und  den  bei  dieser  verhassten  Oberherren  der  Zünfte, 
endlich  mit  den  Parteien  vor  den  als  «widersinnig»  ver- 
schrieenen Gerichten,  —  mit  all  diesen  Faktoren  des  inneren 
und  äusseren  Lebens  hatte  er  sich  abzufinden  und  in  einem 
erträglichen  Verhältnis  zu  erhalten. 

Zu  diesen  Schwierigkeiten  aber  kam  der  Verkehr  mit 
einem  dem  Magistrat  direkt  vorgesetzten  städtischen  Beamten 
des  Königs. 

Im  Jahre  1685  wurde  die  Stelle  eines  Prätors  als  des 
Stellvertreters  des  französischen  Herrschers  geschaffen.  Diese 
Massregel  hemmte  die  Bewegungen  des  Rats  und  seines  Vor- 
sitzenden empfindlich.  Sie  konnte  den  Magistrat  mit  einem 
Schlage  zu  einem  schattenhaften  und  ohnmächtigen  Körper 
herabdrücken.  Denn  der  Prätor  hatte  das  Recht,  allen  Ver- 
handlungen des  Magistrats  im  Namen  des  Königs  beizuwohnen 
und  darüber  zu  wachen,  dass  daselbst  nichts  gegen  dessen 
Dienst  unternommen  werde,  auch  im  Vereine  mit  den  Behörden 
in  allen  Angelegenheiten  zu  richten  und  zu  beschliessen .  Er 
war  stets  Vorstand  der  Oekonomiekammer  und  seit.  1752  Allein- 
herrscher daselbst,  da  ein  Beschluss  des  Staatsrats  die  bisherigen 
Beisitzer  aus  dem  Grossen  Rat  von  allen  Verhandlungen  bei  der 
Kammer  über  die  öffentliche  Verwaltung  ausschloss.  Wichtiger 
noch  war  es,  dass  ihm  ausdrüchlich  die  entscheidende  Stimme 
übertragen  worden  war,  und  dass  er  das  unbedingte  Veto  besass.i 

Ja,  eine  drohende  Instruktion  des  Königs2  verbietet  (1788) 
dem  Magistrat  geradezu  «irgend  ein  neues. Gesetz  zu  erlassen  oder 
.  .  .  aufzuheben  oder  zu  ändern,  ohne  rechtzeitig  den  königl. 


der  in  Strassburg  geborene  und  aufgewachsene  Gatte  der  Marianne 
Brentano  (vgl.  Allg.  deutsche  Biographie  III.  721),  der  Verfasser  die- 
ser Briefe.  Dieselben  sind  sicherlich  fingiert.  Der  gutunterrichtete 
Verfasser  wollte  damit  eine  Beschreibung  seiner  Vaterstadt  liefern. 
Der  angeredete  «Bruder  Karl>  (z.  B.  S.  426)  unterzeichnet  sich  in 
der  Vorrede  «T.  N  >.  — 

1  Vgl.  H.  Ludwig  a.  a.  0.  S.  8.  —  Coste  a.  a.  0.  S.  157 
fg.  —  Hermann  a.  a.  0.  I.  93.  sagt  nur  «voix  deliberative».  Ganz 
falsch  S  p  a  c  h,  oeuvres  choisies  III.  S.  430. 

2  Vgl.  Ludwig  a.  a.  0.  S.  210  fg. 


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-  11 


Prätor  davon  in  Kenntnis  gesetzt  zu  haben,  und  ohne  dass 
dieser  seine  Ansicht  kund  gegeben  hatte.» 

Ausserdem  aber  wurde  das,  dem  vierten  Artikel  der 
Kapitulation  genau  entgegengesetzte,  Verlangen  ausgesprochen, 
«dass  auf  keinen  Platz  im  Beständigen  Regiment,  noch  zu 
irgend  einem  anderen  wichtigen  Amt  jemand  könne  gewählt 
werden,  ohne  dass  der  königl.  Prätor  darum  wisse,  und  seine 
Stimme  persönlich  oder  schriftlich  dazu  gegeben  habe.» 

Dies  musste  nicht  nur  in  mancher  Hinsicht  die  freie 
Meinung  und  Haltung  der  Bürger  beeinträchtigen,»  sondern 
es  war  auch  die  freie  Wahl  des  Magistrats  und  die  Vollmacht 
Gesetze  zu  geben  oder  aufzuheben  damit  in  der  Theorie  ver- 
nichtet. Strassburg  «stand  unter  einer  Art  Diktatur»,  falls  der 
Prätor  ein  der  Stadt  übelwollender  war.  Sein  Willen  konnte  die 
Verfassung,  der  Kapitulation  (Art.  II)  zum  Trotz,  missachten. 
Und  thatsächlich,  «seit  der  Verordnung  vom  Jahre  1685  ist  es 
keinem  königlichen  Prätor  beigefallen,  sich  mit  jener  ange- 
wiesenen Gewalt  zu  begnügen  oder  sie  nicht  in  sensu  latiore 
zu  nehmen ».2 

Die  Ernennung  eines  Prätors  erhielt  in  der  protestantischen 
Stadt  aber  noch  eine  besondere  Bedeutung  dadurch,  dass  er 
stets  ein  Katholik  war.3 

Die  Begünstigung  der  Kotholiken  ward  trotz  der  Kapitula- 
tion (Art.  III)  in  Sirassburg  bald  sehr  fühlbar,  und  mit  aller- 
hand, die  materielle  Seite  des  Lebens  berührenden  Mitteln, 
wie  z.  B.  die  Ausschliessung  der  Protestanten  vom  Staatsdienst,* 
wusste  man  ihnen  das  Dasein  zu  verleiden,  und  sie  zum 
Uebertritt  zur  Staatskirche  zu  verlocken.  Die  Begünstigung 
der  Katholiken  im  französischen  Zeitraum  bis  auf  Ludwig  XVI. 
ist  nicht  zu  verkennen.  Mit  dem  Fortschreiten  der  Aufklärung 
allerdings  schwanden  die  schroffen  Gegensätze  unter  den  fried- 

1  Vgl.  auch  Reu  88,  l'Als.  S.  11,  in  der  Anmerkung. 

*  Ehr  mann,  a.  a.  0.  S.  312. 

s  Vgl.  Reuss,  Louis  XIV.  etc.  S.  41:  «Par  Vinstallation  de  ce 
nouveau  mandataire  royal  au  sein  du  magistrat  de  Strasbourg,  l'in- 
fluence  catholique  avait  fait  un  pas  considerable  en  avant>. 

*  Vgl.  das  Nähere  bei  Reuss,  Louis  XIV.  etc.,  u.  bei  Coste 
a.  a.  0.  S.  34  fg.  u.  169  fg.  Klagen  des  Magistrats  über  Konver- 
tierungen protestantischer  Kinder  im  Stadtarchiv,  AA.  2575  u» 
2186. 


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-Ir- 


lich nebeneinanderwohnenden  Bürgern  in  hohem  Grade.1  Aber 
das  System  Ludwig's  XIV.  war  im  Elsass  nicht  ohne  täglich 
fühlbare  Folgen  geblieben.    Während   noch  1788  die  kleine 
reformierte  Gemeinde  von  Strassburg  nur  mühsam   die  Er- 
laubnis erhielt,  ihren  Gottesdienst  in  der  Stadt  selbst  —  in 
einem  Hause  ohne  äussere  kirchliche  Abzeichen,  —  zu  halten, 
waren  unter  Ludwig  XIV.  mehrere  protestantische  Kirchen 
gewaltsam  oder  durch  Hochdruck  den  Katholiken  zurückgegeben, 
und  die  Orden  wieder  in  der  Stadt  ansässig  geworden.  An  die 
Seite  der  protestantisch-deutschen  Universität  wurde  1702«  die 
in  Molsheim  gegründete  katholisch-französische  nach  Strassburg 
verpflanzt.    Und  auch  der  Magistrat  blieb  von  der  Umgestaltung, 
die  sich  in  der  Stadt  vollzog,   nicht  unberührt.    Nicht  nur 
wurde  das  bischöfliche  Schloss  seiner  Gerichtsbarkeit  genommen 
und  die  katholischen,  d.  h.  zumeist  die  neu  einwandernden 
Burger  dem  bestehenden  Ehegericht  entzogen ;  es  ward  auch 
1687  eine  Ordonnance  erlassen,  wonach  fortan  im  Magistrat 
und  in  den  Zünften  bei  der  Aemterbesetzung  eine  «nach  dem 
Verhältnis  der  beiden  Religionen  in  der  Stadt»  zu  bemessende 
Alternative  zu  beobachten  war,  was  dann  zu  der  Gewohn- 
heit führte,  einfach  zwischen  Katholiken  und  Protestanten  ab- 
zuwechseln, ohne  mehr  jenes  Verhältnis,  zu  beachten,  wonach 
die  Protestanten  noch  beträchtlich  im  Uebergewicht  gewesen 
wären. 3    Und  dabei  stand  der  katholische  Prätor  an  der  Spitze. 


1  Vgl.  Ludwig  a.  a.  0.  Anm.  198.  (S.  267.)  Strobel  V.  S. 
263  fg.  Schriften  des  Vereins  für  Reformations geschiente  Nr. 
43/44.  1893.  «Die  Kirche  der  Wüste  von  1715— 1789»  von  Th.  Schott. 
S.  176  fg. 

2  Vgl.  Ordonnances  d'Alsace,  t.  I.  S.  331:  «an  mois  de 
fevrier,  1702>.  —  Seinguerlet  a.  a.  0.  S.  284  irrig:  1701. 

3  1789  waren  von  6858  Znnftmitgliedern  neben  4861  protestan- 
tischen erst  1997  katholische  eingetragen  (Krug- Basse  a.  a.  0. 
S.  68.)  Unter  den  nicht  ratsfähigen  Bewohnern,  den  Schirmern  und 
Privilegierten  mnss  aber  das  katholische  Element,  begreiflicherweise, 
vorgeherrscht  und  so  den  Gesamtprozentsatz  der  Einwohner  zu  gunsten 
des  römischen  Bekenntnisses  gewandt  haben.  Wenigstens  scheint 
folgende  in  den  Akten  der  «Intendance»  auf  dem  Bezirksarchiv 
(Serie  C.  394)  befindliche  Tabelle  (Etat  de  la  population  de  Stras- 
bourg pour  Tannee  1786)  dies  zu  bestätigen: 


Geburten. 
Rath.  924 
Augsb.  668 


Todesf  äl  1  e. 


896 
657 
21 


Ref.  10 


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-    13  — 


So  ward  nicht  nur  die  verheissene  Freiheit  der  Wahlen,  sondern 
auch  die  der  Religion  geschmälert.  Damit  aber  trat  das  innere 
Leben  der  Stadt  in  einen  weiteren  Abschnitt.  Mit  dem  religiösen 
Gegensatz  ging  ein  politischer  Hand  in  Hand,  der  geeignet  und 
auch  wirksam  war,  die  aufgeklärten  Ansichten  ü^er  die  Ver- 
schiedenheit der  Bekenntnisse  an  sich,  wieder  zu  trüben. 

Abgesehen  von  dem  in  der  Stadt  lebenden  und  im  Magistrat 
sitzenden  Adel,  der  sich  französisch  trug  und  nach  französischem 
Muster  lebte,  auch  französisch  sprach,  waren  unter  den  altein- 
gesessenen Bürgern,  im  Gegensatz  zu  den  eingewanderten 
Franzosen,  die  alten  Sitten  und  Bräuche,  die  alte  Tracht  und 
Sprache,  den  Verordnungen  des  Intendanten  zum  Trotz,  fast 
durchweg  festgehalten  worden,  vor  allern  auch  in  den  Kreisen 
der  Handwerker,  deren  Gesellen  zumeist  aus  Deutschland  her- 
über kamen,  und  im  Verein  mit  den  zwei  «deutschen»  Regi- 
mentern Hessen  und  Elsass  einen  starken  Untergrund  deutschen 
Wesens  bildeten,  während  andererseits  die  blühende  protestan- 
tische Universität  ein  Gipfelpunkt  deutschen  Geisteslebens  war, 
dessen  Wirksamkeil  die  Nebenbuhlerin  weit  überragte.» 


Reu  8  8,  Louis  XIV.  etc.  äussert  sich  S.  256  über  die  Alternative  fol- 
gendermassen :  «...  bien  qn'on  n'ait  qu'ä  lire  l'article  III  et  IV 
par  exemple,  ponr  constater  le  manque  flagrant  de  parole 
de  Louis  XIV>.  Dieses  Urteil  fällt  um  so  mehr  ins  Gewicht,  als  Beuss, 
wie  er  selbst  S.  11  hervorhebt,  als  Historiker  sich  verpflichtet  hielt, 
ernste  Rücksicht  zu  nehmen  auf  «toutes  les  circonstances  attennantes 
qu'on  peut  plaider  en  faveur  du  monarque>. 

1  Vgl.  über  diese  Verhältnisse  besonders:  Young,  A.,  Reisen 
1781-1790.  Aus  dem  Englischen.  I.  Berlin  1793.  S.  26b  fg.  —  Ehr- 
mann a.  a.  0.  —  Volkmann,  J.  J.,  Neueste  Beise  durch  Frank- 
reich. Leipzig  1783.  III  Band,  S.  128  fg.  Grimm,  J.  F.  K.  Be- 
merkungen eines  Reisenden  u.  s.  w.  Altenburg  1775. 1.  Teil.  —  Storch, 
Skizzen  u.  8.  w.  auf  einer  Reise  durch  Frankreich;  Heidelberg  1790. 
S.  12  fg.  (Besonders  zu  bemerken  die  Schilderung  S.  14).  — 
Grimm  hängt  von  Billing,  Gesch.  u.  Beschr.  des  Elsasses  u.  seiner 
Bewohner,  Basel  17^2,  dieser  von  Büschings  Geographie  ab.  Von 
Grimm  hat  Volkmann,  von  diesem  Storch  manches  entnommen.  Doch 
haben  sie  auch  selbständige  Nachrichten.  —  Vgl.  ferner  Schrift- 
tasche auf  einer  Reise  durch  Teutschland,  Frankreich  u.  s.  w., 
Frankfurt  u.  Leipzig  17fc0  (von  Fr.  Rud.  Saltzmann);  z.  Tl.  über- 
setzt in  Stoeber,  Curiosites  de  voyages  en  Alsace,  Colmar  1874, 
u.  in  der  Revue  d'Alsace.  T.  II  ser.  2.  1836.  S.  842  fg.  — 
G  0  et  h  e ,  Wahrheit  u.  Dichtung.  —  Elsässer  Schatzkastel, 
S.  320.  —  Stro  bei,  A.  G.,  Histoire  du  gymnase  Protestant  de  Stras- 
bourg. 1838,  S.  66  fg.  —  S  c  h  m  d  i  t,  E.,  Die  Sprache  des  Elsass  im 


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—    14  — 

Dazu  kam,  dass  die  eingesessenen  Bürger  Protestanten,  die 
neu  aufgenommenen  aber  Katholiken  waren.  So  wurde  katho- 
lisch zuletzt  geradezu  gleichbedeutend  mit  französisch,  protestan- 
tisch mit  deutsch,  oder  besser  gesagt,  altreichsstädtisch.  Auch 
für  die  Vorgänge  des  Jahres  1789  ist  dies  nicht  ausser  Acht 
x\x  lassen.  Strassburg,,  das  den  französischen  Bestrebungen 
durch  die  Haltung  seines  Magistrats  nach  aussen  geschlossen 
gegenüberstand,1  war  im  Innern  selbst  zvviegespalten.  Eben  in 
dem  hier  zu  betrachtenden  Zeitabschnitt  begann  so  eine  schärfere 
Sonderung  unter  den  deutschen  und  den  französischen  Bürgern. 


vorigen  Jahrhundert.  Im  Neuen  Reich  1874.  Nr.  27.  S.  1011  fg.  — 
Reuss,  Rod.,  Histoire  du  gymnase  Protestant  de  Strasbourg  pendant 
la  revolution  (1789— 1804).  Paris  1891.  —  Hermann  a.  a.  0.  II. 
—  Ludwig  a.  a.  0.  —  Schrick  er,  A.,  z.  Gesch.  der  Universität 
Strassburg.  Str.  1872.  —  Friese  a.  a.  0.  I.  127.  133.  -  Auf- 
schläger, J.  F.,  Neue  histor.-topogr.  Beschreibung  der  beiden 
Rheindepartements  I.  Strassburg  1825.  S.  250.  —  Strobel  (Engel- 
hardt) V.  252  fg.  u.  v.  a.  Die  deutsche  Sprache  überwog  durch- 
aus. Dies  ist  schon  daraus  zu  erklären,  dass  der  Magistrat  auch  die 
Volksschulen  unter  seiner  Aufsicht  behielt,  und  so  das  Französische 
wenig  Fortschritte  machen  konnte.  —  Das  Französisch  der  Strass- 
burger  war  aber  keineswegs  glänzend.  Eine  Probe  mag  hier  Platz 
finden  (aus  dem  St.-A.  AA.  20ul) ;  cExtrait  du  Livre  des  Reglemens 
et  articles  de  la  tribu  des  Vignierons  concernans  les  Meitres  perru- 
quier  de  cette  Ville  de  Strasbourg  en  datte  du  1er  septembre  1770, 
article  2siem  (2,ue).  —  Le  nombre  des  maitres  perruquier  seras  Reduit  et 
fixce  a  lavenire  a  soixcante  et  pour  paruenire  a  cette  fin,  on  ne  Re- 
ceura  poin  de  nouueau  maitre  a  moins  que  trois  Boutiques  ne  soit 
devenus  vacante  et  a  jusqua  ce  quil  seront  Redhuit  fixces  Ny  seront 
cepandant  point  conprit  les  fils  de  maitre  etc.  .  .  .  Traduit  de  1  a  1  e  - 
ment»  (l'allemand)!  Das  Französisch  des  Adels  war  im  Verhältnis 
nicht  besser.  Vgl.  den  Brief  des  Barons  von  Oberkirch,  St.-A.  AA. 
2526.  —  Die  in  Sprache  und  Tracht  französisierenden  Elsässer  hatten 
denn  auch  für  den  Spott  ihrer  französischen  Brüder  nicht  zu  sorgen. 
Vgl.  u.  a.  das  bei  Ludwig  a.  a.  0.  S.  323  abgedruckte  Gedicht 
und  Goethe7 s  Aeusserungen  über  das  Verhalten  der  Franzosen  in 
Strassburg.  —  Es  berührt  sehr  seltsam,  wenn  man  angesichts  dieser 
Litteratur  und  der  bekannten  Thatsachen  noch  heute  in  einer  fran- 
zösischen wissenschaftlichen  Zeitschrift  (Revue  historique.  Bd. 
56.  1894.  Miscellanea  alsatica  S.  217)  liest,  nur  als  Franzosen  hätten 
die  Elsässer  ihre  «Ursprünglichkeit»  bewahren  können ! 

1  Vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  18.  (Arretä  du  Magistrat  vom  10.  März 
1789),  Artikel  VIII :  «Nous  esp6rons  . .  .  que  ...  les  mouvements  de 
la  confiance  personnelle  ne  leur  feront  pas  perdre  entierement  de  vue 
les  prineipes  de  Talternative»  etc.  —  Auch  in  Frankreich  half  die  Dul- 
dung von  Oben  Anfechtungen  der  Protestanten  nicht  ab.  Vgl.  Sehr, 
d.  Vereins  f.  Ref.  Gesch.  a.  a.  0.  S.  198. 


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-    15  - 


Wenn  trotzdem  bis  dahin  in  Strassburg  keine  Neigung  zu  ver- 
spüren war,  sich  enger  an  die  französische  Nation  anzuschliessen, 
so  rührt  es  wohl  daher,  dass  im  Magistrat  die  Altreichsstädter, 
die  angefeindete  Familienoligarchie,  ihre  Sitze  durch  die  Unter- 
stützung der  Zunftgenossen  behaupteten.  Daher  die  ablehnende 
Haltung  gegen  jede  Neuerung  und  gegen  den  Gebrauch  der 
vorgeschriebenen  französischen  Amtssprache,  trotz  der  Ver- 
sicherung (4781),  dass  «die  Strassburger  nicht  nur  als  wirkliche, 
sondern  auch  als  uralte  Franzosen  erkannt  werden»  sollten. 
Nur  mit  dem  Prätor  und  andern  Beamten  des  Königs  verkehrte 
der  Rat  in  französischer  Sprache ;  und  nur  hier,  oder  wenn 
der  Name  Strassburgs  in  einem  Atemzug  mit  Frankreich  ge- 
nannt werden  musste,  erinnerte  man  sich,  dass  man  Franzose 
war.  Sonst  war  die  von  Frankreich  trennende  Kapitulation 
das  Palladium,  worauf  man  sich  bei  jeder  Gelegenheit,  schliess- 
lich schon  ganz  formelhaft,  berief.  Man  wollte  wenigstens  be- 
halten, was  noch  übrig  war. 

Um  dies  nach  Kräften  zu  ermöglichen,  ergriff  man  ein 
wirksames  Mittel.  Man  begann  Geldauflagen,  wovon  die  Stadt 
nach  der  Kapitulation  (Art.  VI)  befreit  war,  in  die  Staatskasse 
freiwillig  zu  bezahlen.  Allerdings,  aus  diesem  Entgegenkommen 
machte  der  Empfänger  alsbald  eine  Pflicht,  die  Gewohnheit 
ward  zu  einem  stehenden  Gebrauch,  das  don  gratuit  zu  einer 
Last. 

Dafür,  dass  die  Stadt  1689  ihrer  noch  ausstehenden  Ver- 
pflichtungen gegen  die  mit  Ludwig  XIV.  Krieg  führenden 
Reichsslände  ledig  erklärt  wurde,  versprach  sie  dem  König 
jährlich  90000  Livres  auszubezahlen.  Dann  aber  behauptete 
die  Regierung,  die  Verfügung  des  angeführten  Artikels  (VI  der 
Kapitulation)  betreffe  nur  die  alten  Auflagen  des  Königreichs, 
nicht  die  neu  eingeführten,1  und  königliche  Ordonnancen  unter- 
warfen unbedenklich  die  Stadt  den  seit  1733  in  Frankreich 
umgelegten  ausserordentlichen  Steuern.2 


i  Hermann,  a.  a.  0.  S.  202. 

8  Vgl.  Ordonnances,  II.  —  Diejenige  vom  2.  Juni  1734 
nimmt  Strasburg  mit  seinen  Amteien  (Barr,  Dorlisheim-Illkirch, 
Wasslenheim,  Marlenheim)  noch  von  der  Steuer  aas  (S.  111).  Das 
Arret  vom  17.  April  1736  aber  (S.  143)  unterwirft  die  Amteien  der 
Abgabe.  Später  z.  B.  im  Augast  1758  (S.  515)  heisst  es :  «Nous  .  .  . 
disons,  statuons  et  ordonnons,  voalons  et  nous  platt  .  .  .  que  .  .  .  il 


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—    10  — 


So  bezahlte  denn  die  Bürgerschaft  —  6000  Bürger  und  3000 
Schirmer  —  im  Jahre  1789  über  250000  Livres jährlich,  d.  h.  if8 
von  der  Steuersumme  des  ganzen  Elsass,  während  die  Stadtbevöl- 
kerung (50000)  etwa  «Jlf  bis  Mis  der  Gesamtbevölkerung  der 
Provinz  betrug.1 

Im  ganzen  entrichtete  die  Stadt  bis  1789  etwa  54  Millionen,  — 
eine  eigentümliche  Wahrung  der  Abgabenfreiheit.  Unmöglich 
konnten  derartige,  nach  heutigem  Münzwert  zu  verdoppelnde 
Summen  ohne  Anhäufung  von  Schulden  aufgebracht  werden  ; 
und  nachdem  das  Jahr  1789,  durch  die  Stockung  des  Handels, 
die  Teuerung  u.  a.,  eine  Verringerung  der  städtischen  Ein- 
nahmen um  300000  Livres  ergeben  hatte,  betrug  die  Schulden- 
last nach  einer  geflissentlich  milden  amtlichen  Berechnung« 
über  3*/2  Millionen.  Dieser  Zustand  war  die  Kehrseite  der  Me- 
daille, die  1781  zur  Jubelfeier  der  «glücklichen  Vereinigung» 
mit  Frankreich  geprägt  worden  war.  Und  kein  Ende  war  ab- 
zusehen. Die  Erschöpfung  der  Staatskassen  lag  klar  zu  Tage, 
aber  gerne  nahm  man  in  Paris  ein  Uebriges  an.  So  wurde 
auch  die  starke  Garnison  von  der  Stadt  unterhalten,  «um  zu 
den  Kosten  eines  Ihätigeren  Schutzes  beizutragen»,»  was  schliess- 
lich fast  100000  Livres  jährlich  ausmachte.  Dazu  kamen 
Lieferungen  von  Brennholz  an  die  Truppen  und  die  Offiziere, 
welch'  letztere  ausserdem  die  innere  Einrichtung  selbst  ihrer 
eleganten  Wohnräume  von  der  Stadt  erhielten,  und  überdies, 
falls  sie  in  den  Kasernen  kein  Unterkommen  fanden,  einen 
Wohnungszuschuss  aus  der  «Losamentscassa»  bezogen,  wozu  von 
jedem  Bürger  nach  Massgabe  seiner  verfügbaren  Zimmer  beige- 
steuert wurde.* 

Der  Bau  von  Kasernen  war  den  Slrassburgern  von  Lud- 


nous  soit  annuellement  paye  ä  titre  de  don  gratnit  extraordinaire 
par  les  Villes  .  .  .  savoir,  Strasbourg,  Fauboargs  et  dependences  la 
somme  de  100000  livres  .  .  .  >,  —  die  übrigen  elsässischen  Städte 
zusammen:  62  360  Livres. 

1  Vgl.  Türckheim  a.  a.  0.  S.  48-  —  Die  Last  des  Zwanzig- 
sten, diesmal  bis  1792  zu  entrichten,  war  in  der  Provinz  allmählich 
um  1(68,  in  Strassburg  aber  um  lfo  gestiegen  (St.  A.  AA  2349). 

2  Finanzzustand  der  Stadt  Strassburg  am  Ende  des 
Jahres  1789.  —  Abgedruckt  in  Reuss,  l'Als.  S.  316  fg. 

3  Vgl.  Türckheim  a.  a.  0.  S.  70. 

*  1789  wurde  dieser  Beitrag  in  Naturalleistungen  verwandelt, 
da  man  die  Geldzahlung  als  zu  drückend  empfand. 


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-   17  — 

wig  XIV.  «erlaubt»  worden.  Da  aber  selbstverständlich  das 
Unterbringen  von  6000  Mann  (Friedensstärke)  in  den  Bürger- 
häusern höchst  unbequem  sein  musste,  und  da  ferner  der  ehr- 
bare Strassburger  von  seinem  Hause  besonders  die  Offiziere  fern 
hielt,  der  Staat  aber  nicht  abhalf,  so  baute  Strassburg  selbst  wohl 
oder  übel  im  Lauf  der  Jahre  acht  Kasernen  für  fast  3200000 
Livres.  Solche  Unkosten  mutete  man  einer  Stadt  zu,  die  aus 
Geldnot  ihre  angeworbenen  Truppen  vor  der  Uebergabe  hatte 
verabschieden  müssen ! 

Die  bedenkliebe  Finanzlage  konnte  unter  diesen  Umständen 
durch  die  Belassung  der  Zollgrenze  auf  den  Vogesen,  und  die 
damit  verbundenen  Vorteile  für  den  Handel,  nicht  ausgeglichen 
werden.  Zwar  war  die  Lage  der  Stadt  als  der  «Thüre,  die 
ins  Königreich  führt»,  die  denkbar  günstigste,  und  wenn  auch 
«der  Speditionshandel,  insonderheit  seit  der  schönen  badischen 
Chaussee  nach  Basel»  sich  nicht  wieder  ganz  nach  Strassburg 
herüber  ziehen  liess,  so  konnte  der  Flusshandel  immerhin  noch 
als  blühend  bezeichnet  werden  :  die  Rheinschiffahrt,  woran  die 
Stadt  nach  alten  Rechten  besondere  Vorteile  bewahrt  hatte,  er- 
nährte die  weitberühmten  Schiffsleute,  deren  Zunft  «zum  Anker» 
amtlich  den  Ehrenplatz  als  erste  in  der  ganze  Reihe  inne  hatte, 
noch  in  weitem  Umfang ;  denn  ihnen  allein  stand  von  allen 
Uferbewohnern  von  Basel  bis  Mainz  die  Thalfahrt  zu,»  was  in 
Verbindung  mit  dem  ausschliesslichen  Besitz  der  Rheinbrücke 
einer  Alleinherrschaft  auf  dem  Strome  gleichkam. 

Auch  war  am  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  durch  das 
Wachsen  der  Industrie  und  die  Steigerung  der  Luxusbedürf- 
nisse vor  allem  der  französischen  vornehmen  Einwohner,  der 
auswärtige  Handel  noch  keineswegs  gelähmt. 2 


1  Die  badische  Regierung  griff  diese  Vorteile  heftig  an.  Vgl. 
Ludwig  a.  a.  0.  S.  238.  —  Erdmannsdorf f er  und  Obser, 
Korrespondenz  Karl  Friedrichs  von  Baden  I.  1888.  S.  241  fg.  — 
Obser,  Badische  Politik  in  den  Jahren  1782—1792  (Ztschr.  f.  Ge- 
schichte nnd  Politik,  hg.  von  Zwiedenick-Südenhorst,  1888,  Band  V. 
S.  818  nnd  901  fg.  —  Infolge  der  Bemühungen  der  Badener,  wo- 
nach von  den  Waaren,  die  stromaufwärts  fahrend  ausgeladen  wur- 
den, die  gleichen  Abgaben  erhoben  werden  durften,  wie  wenn  sie  in 
Strassburg  ausgeschifft  worden  wären  (Erlass  vom  9.  November  1773. 
Erwähnt  in  der  Enumeration  descriptive  des  privileges  etc.  de  la  ville 
de  Strasbourg.  St.-A.  AA  2528).  Vgl.  auch  Hermann  a.  a.  0.  II.  S.  132. 

2  Vgl.  Storch,  a.  a.  0.  S.  12.  —  Ehrmann  a.  a.  0.  S.  121. 

2 


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—   18  — 


Aber  Vieles  war  doch  vom  alten  glänzenden  Bestand  des 
Handels  und  Wohlstandes  verloren  gegangen.  Nur  langsam 
konnte  sich  die  Stadt  von  den  Nachwehen  des  30jährigen  und 
der  späteren  Kriege  erholen,1  und  dazu  kamen  direkte  Schädig- 
ungen durch  den  Magistrat  und  die  französische  Regierung. 
Ersterer  verschuldete  in  hartnäckigem  Festhalten  an  den  her- 
gebrachten Zollsätzen  trotz  der  allmählich  verschobenen  Ver- 
hältnisse, eine  Abnahme  '  des  auswärtigen  Verkehrs,  dessen 
wichtigster  Zweig  der,  in  der  erwähnten  Weise  beeinträchtigte, 
Waarenverkehr  nach  der  Schweiz  bildete.  Nächst  diesem  kam 
der  Tabak  in  Betracht,  dessen  Anbau  dem  Elsass  eine  ergiebige 
Quelle  des  Wohlstands  war.2  Hier  aber  griff  die  Regierung 
schädigend  ein,  indem  sie  zur  Hebung  des  Kolonialhandels  1749 
einen  hohen  Eingangszoll  auf  fremden  Tabak  legte,  wozu,  be- 
zeichnender Weise,  auch  der  elsässische  gerechnet  ward.  Erst 
nach  25jährigen  Bemühungen  von  seiten  des  Magistrats  wurde 
diese  verderbliche  Bestimmung  wieder  aufgehoben^ 

Auch  die  Ferme,  der  nach  der  Natur  ihres  Erwerbs  daran 
lag4  möglichst  alles  Einschlägige  in  ihr  Machtbereich  zu  ziehen, 
griff  die  Ausübung  des  guten,  durch  Artikel  V  der  Kapitulation 
verbürgten  Rechtes  der  Stadt  öfters  heftig  an,  wobei  Strassburg 
vom  Minister,  dem  wohl  solch  eine  Streitfrage  schliesslich  vor- 
gelegt ward,  keineswegs  geschützt  zu  werden  pflegte. 

In  ähnlicher  Weise  wurde  das  Misstrauen  des  Magistrats 
gegen  die  Regierung  in  juristischer  Beziehung  wachgehalten. 
Der  Hohe  Rat  in  Colmar  machte  als  höchste  Berufungsinstanz 
(o.  S.  6.)  dem  Magistrat  das  Leben  sauer,  da  er  dessen  Be- 
fugnis unaufhörlich  zu  beeinträchtigen  suchte,  was  die  hart- 
näckigsten Reibungen  hervorrief.^ 

Ueberhaupt  brachte  die  Einschränkung  seiner  richterlichen 


Ludwig  a.  a.  0.  S.  226.  Anm.  65.  —  Dagegen  Lehr  a.  a.  0.  S.  59. 

i  Vgl.  Lehr.  E.  Melanges  de  Litterature  et  d'Histoire  Alsa- 
tique.  Strasbourg  1870.  S.  40. 

*  Vgl.  u.  S.  130,  Anm.  1. 

8  Vgl.  Lehr  a.  a.  0.  S.  43.  —  Ree u  eil  des  Titres  concer- 
nant  les  droits  et  Privileges  de  la  ville  de  Strasbourg  relativement 
a  son  commerce.  A  (Strasbourg  1783.  (9.  Juli  1754).  —  Schrift- 
tasche u.  s  w.  S.  131,  fg. 

4  Der  Ueberschuss  der  Einnahmen  kam  den  Pächtern  zu  gut. 

5  Vgl.  Ludwig  a.  a.  0.  S.  10. 


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—    19  - 


Befugnisse  «dem  Verfassungsleben  der  Stadt  die  tötlichste 
Wunde».  Die  schnelle  Rechtssprechung  in  Colmar  veranlasste 
immer  zahlreichere  Umgehungen  der  städtischen  Behörden. 
Mit  aller  Kraft  suchte  sich  der  Magistrat  gegen  eine  that- 
sächliche  Unterwerfung  zu  wehren.  So  wurden  z.  B.  die 
sämtlichen  oifenen  Briefe  über  die  Schlüsse  der  National- 
versammlung im  Spätjahr  1789  von  Colmar  aus  unentwegt 
mit  der  Aufforderung  an  den  Magistrat  geschickt,  sie  zu  ver- 
öffentlichen und  einzutragen,  und  mit  derselben  Hartnäckigkeit 
wurde  der  Empfang  bestätigt,  mit  dem  Bemerken,  der  be- 
treffende Erlass  sei  dem  Magistrat  bereits  vom  Minister  selbst 
zugesandt  worden.»  — 

So  war  denn,  genau  betrachtet,  die  Kapitulation  im  Lauf 
des  Jahrhunderts  gerade  in  den  wesentlichsten  Punkten  miss- 
achtet worden,  und  bei  dem  offenbaren  Aerger  der  Minister 
über  die  komplizierte  Verwaltungsmaschine  der  Grenzstadt 
kann  es  wunder  nehmen,  dass  noch  im  Jahre  1781  ein  Mann 
zum  Prätor  ernannt  wurde,  der  die  Privilegien  und  Rechte  der 
Stadt  zu  schützen  sich  ausdrücklich  bereit  erklärte :  Alexander 
Conrad  de  Gerard,  ein  sehr  angesehener  und  vielfach  aus- 
gezeichneter Diplomat.8 

Er  hatte  zwar  durch  den  erwähnten  Streit  über  die  Ein- 
führung neuer  Fleisch waagen  an  Ansehen  bei  der  Burger- 
schaft verloren,  aber  seine  überall  eingreifende,  umsichtige 
und  wohlwollende  Thätigkeit,  wovon  man  bei  der  Durchsicht 
seiner  hinterlassenen  Schriftstucke  auf  dem  Stadt-Archiv  den 
erfreulichsten  Eindruck  erhält,  fehlte  dem  Magistrat  sehr,  als 
er  in  den  wichtigen  Verhandlungen,  womit  auch  für  Strassburg 
das  Jahr  1789  begann,  infolge  einer  Krankheit,  die  ihn  1790 
hinraffte,  in   Frankreich  abwesend  war.»   Daher  konnte  sich 


1  Diese  Art  der  Mitteilung  war  1774  durch  einen  Staatsratsbe- 
schlus8  eingeführt  worden.  Ausserdem  hatte  der  Hohe  Rat  über  die 
Streitigkeiten  in  bez.  anf  die  Patrimonialgüter  der  Stadt  nicht  zu 
entscheiden.  Diese  wurden  seit  1740  an  den  Staatsrat  evoziert.  Vgl. 
Artikel  XXI  des  ersten  Teils  des  Beschwerdenhefts,  bei  Reuss  S  35. 

*  Vgl.  über  seinen  Lebensgang  (wie  auch  über  den  der  einzelnen 
Stättmeister  und  Ammeister)  M u  11  er  a.  a.  0.  S.  58,  und  das  aus- 
führlichere Ernennungsdekret,  St.-A.  AA  2526  Ferner  Rathgeber 
in  der  «Strassburger  Post>  vom  30.  Juni  1889. 

3  Eine  Darstellung  in  cGräuel  der  Verwüstung  oder  Blicke 
in  die  französische  Revolution»,  von  S. .  .  . ,  Deutschland  1793,  be- 


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—   20  — 


der  Magistrat  nur  brieflich  mit  ihm  verständigen  und  sich  an 
ihn  wenden,  was  anfangs  auch  eindringlichst  geschah,  da  man 
annehmen  konnte,  er  werde  alles  in  Bewegung  setzen,  vermöge 
seines  Einflusses  bei  den  massgebenden  Stellen  die  Kapitulation 
zu  erhallen.  Denn  in  dem  Brief,  den  er  bei  seiner  Ernennung 
an  den  Magistrat  schrieb,  heisst  es:1 

«Die  vielfachen  Angriffe,  die  man  täglich  gegen  die  Ver- 
fassung der  Stadt  Strassburg  zu  richten  sucht,  scheinen  die 
ernsthafteste  Aufmerksamkeit  von  seiteu  derjenigen  zu  ver- 
dienen, in  deren  Händen  Verwaltung  und  Obmacht  liegen.  Oft 
kommt  es  vor,  dass  Unkenntnis  Ihrer  Formen  und  Rechte  die 
einzige  Ursache  der  Irrtümer  ist,  die  sie  verletzen,  aber  es 
giebt  auch  andere,  vorbedachte  und  systematische  Angriffe, 
sei  es  von  neuerungssüchtigen  Geistern,  die  von  Unruhe  und  Ein- 
bildung daran  gehindert  werden,  das  Gute  in  alle  dem  zu  sehen, 
was  seit  Jahrhunderten  besteht,  sei  es  von  Leuten,  die  sich  ihren 
Vorurteilen,  ihrer  Gewöhnung  und  vielleicht  einer  gewissen 
Lässigkeit  hingeben,  indem  sie  dem  Staat  eine  Einheitlichkeit 
wünschen,  die  zum  guten  Zusammenleben  seiner  einzelnen 
Teile  nicht  erforderlich  ist.  Die  grössten  Gefahren  ergeben 
sich  aus  den  Anstrengungen  solcher  Leute,  deren  eigene 
Interessen  sie  zu  Massregeln  verleiten,  und  solcher,  die 
ihren  Vorteil  im  Umsturz  jener  Rechte  und  Freiheiten  finden 
würden ;   endlich  solcher,   die   glauben,   die  Bürgschaft  des 


hauptet  (S.  29  fg.),  Gerard  sei  durch  seinen  Sekretär  völlig  beherrscht 
gewesen,  nnd  dieser  habe  die  Stellen  im  Magistrat  nach  seinem 
Willen  besetzt.  Das  stimmt  schlecht  zu  dem  Ansehen,  das  Gerard  in 
hohen  diplomatischen  Sendungen  zuvor  erworben  hatte.  Seine  Krank- 
heit, heisst  es  weiter,  sei  nur  eine  Folge  der  Angriffe  gewesen,  denen 
er  durch  den  Waagenstreit  ausgesetzt  war.  Der  Ausgang  der  Krank- 
heit, die  Gerard  in  Bourbonnes-les-Bains  zu  heilen  suchte,  zeigt  je- 
denfalls, dass  sie  kein  vorgeschützter  Grund  war.  Er  hätte  dann 
doch  wohl  auch  früher  für  einen  Stellvertreter  sorgen  müssen  als  es 
geschah.  —  Bei  der  Spaltung,  die  während  des  Streites,  mit  den 
Metzgern  im  Magistrat  selbst  herrschte,  dürfte  die  Rache  «einiger» 
Ratsmitglieder  (S.  30)  kaum  so  tief  gewirkt  haben,  um  Gerard  zu 
vertreiben.  —  Spach  (FredSric  de  Dietrich,  premier  Maire  de  Stras- 
bourg; Revue  d'Alsace  1856.  S.  500  fg.)  folgt  dieser  Schilderung. 
—  Vgl.  aber  über  den  Wert  der  «Giäuel>  u.  s.  w.  Strobel  V. 
S  326.  Anm.  ö.  Dennoch  giebt  Engelhardt  die  Schilderung  der 
«Gräuel»  S  297  wieder. 

i  Dat.:  4.  juin  1781.  St-A.  AA  2135. 


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—   21  — 


Staates  und  die  Versprechen  des  Königs  könnten  ein  Ende 
haben,  und  dass  der  hundertjährige  Genuss  ihrer  Vorrechte 
die  Stadt  Strassburg  für  ihre  Unterwerfung  unter  die  Krone 
genugsam  entschädigt  hat.» 

Solch  eine  Erklärung  war  nach  dem  Sinne  des  Magistrats. 
Denn  welchen  Wert  er  der  Kapitulation  trotz  ihrer  Ver- 
stümmelung beilegte,  das  zeigt  der  Kampf,  den  die  Bürger- 
schaft mit  ihm  vereint  gegen  die  von  Frankreich  drohenden 
Aenderungen  führte,  gegen  die  Nation  selbst,  der  man  dem 
Worte  nach  nichts  als  Ergebenheit  und  Opfer  darzubringen 
bereit  war.  Dies  Verhalten  ist  höchst  bezeichnend  für  die  Ge- 
sinnung, welche  die  ehemalige  Reichsstadt  beseelte. 

Einer  «altehrwürdigen  Matrone,  die  einen  neumodischen 
pariser  Kopfputz  hat,  einer  Mixtur,  deren  Bodensatz  alte 
deutsche  Reichsbügersitte  ist»,  wird  sie  von  einem  der  zeit- 
genössischen Reisenden  verglichen.* 

Eine  alte  Reichsstadt,  wo  es  noch  vor  zwei  Jahrzehnten 
Meistersänger  gegeben,  wo  noch  bei  mehr  als  40  Gewerken  die 
Meisterstückschau  festlich  begangen  wurde,  wo  noch  das 
Judenhorn  auf  dem  Münster  das  Schliessen  der  Thore  all- 
abendlich gebot,  und  die  nur  eine  Familie  jenes  Volks- 
stammes, und  dies  gezwungenermassen,  beherbergte,  —  eine 
solche  Stadt  war  Strassburg  äuseerlich  nicht  nur,  sondern  auch 
im  Innersten  geblieben,  obgleich  die  «beiden  Wasserläufe  in 
ein  Bett  eingezwängt,  begonnen  hatten,  sich  zu  vermischen.» 

Einen  anderen  Geist  und  auch  andere  Verhältnisse  brachte 
da«  Jahr  1789  von  der  Seine  herüber  an  den  Rhein. 


1  Vgl.  Briefe  eines  Reisenden  durchs  Elsass,  im  Deutschen 
Museum,  1781.  Leipzig,  I.  Band,  S.  422. 


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I 


Vorgänge  und  Stimmungen  in  Strassburg  bis 

zur  Deputiertenwahl. 


Ueber  die  sozialen  Verhältnisse  im  Elsass  vor  der  Revolu- 
tion ist  noch  keine  eingehendere  Arbeit  vorhanden,  die  zeigte, 
in  wie  weit  die  Lage  vor  allem  der  Landbevölkerung  des  alten 
deutschen  Gebietes  von  der  ihrer  französischen  Nachbarn  ver- 
schieden war.  Immerhin  ist  anzunehmen,  dass  die  Verhältnisse 
der  Provinz  denen  der  anderen  Teiledes  damaligen  Frankreich  nicht 
ohne  weiteres  an  die  Seite  gestellt  werden  dürfen.  Das  Elsass  war 
bei  weitem  nicht  so  streng  im  Griff  der  Zentralisation  der  fran- 
zösischen Regierung  ;  der  Intendant  hatte  hier  eine  weniger  ein- 
dringende Macht  als  seine  anderen  Amtsgenossen.  Das  Land 
zerfiel  noch  in  jenes  Gewirr  kleiner  Herrschaftsgebiete,  die 
nach  dem  dreissigjährigen  Kriege  in  ihrer  Gesamtheit  an 
Frankreich  angegliedert  und  im  Besitz  der  meisten  landesherr- 
lichen und  Patrimonialrechle,  vor  allem  begrenzter  Steuerge- 
rechtigkeit und  der  vollen,  durch  den  Hohen  Rat  in  Colmar 
allerdings  beschränkten  Gerichtsbarkeit,  belassen  worden  waren.1 

So  blieben  die  alten  Verhältnisse  und  die  engen  Beziehungen 
zwischen  Hoch  und  Gering,  zwischen  Adel  und  Bauernschaft, 


»  Vgl.  die  Schrift  Türckheim's.  —  Stupfel,  Consid6rations 
sur  les  droits  particuliers  et  le  veritable  interet  de  la  Province 
d'Alsace  etc.  Strasbourg  1789.  —  Krug -Basse  a.  a.  0.  S.  281  fg. 


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—   24  - 

Magistrat  und  Bürgern  bestehen.  Einen  nichtresidierenden  Adel  gab 
es  hier  in  gewissen  Gebieten  zwar  auch,  wie  in  den  württember- 
gischen, zweibrückischen  und  ehemals  österreichischen  Gebieten 
des  Sundgaus  ;  im  allgemeinen  aber  nur  in  so  fern,  als  fast  alle 
Familien  der  Ritterschaft,  die  besonders  im  Unterelsass  bunt 
durcheinandergewürfelt  ihre  Gebiete  besass,  ein  «Höteb  in 
Strassburg  hatten,1  wo  sie  einen  Teil  des  Jahres  zubrachten, 
was  aber  in  Beziehung  auf  ihre  Güter  und  Vasallen  bei  der 
geringen  Ausdehnung  der  Provinz  kaum  als  eine  Entfernung 
in  Betracht  kommt.  Am  Hof  zu  Versailles  zu  glänzen,  dazu 
fehlten  ihnen  zumeist  die  Mittel.  Viele  Adelige  des  Elsass 
dienten  zwar  im  Heere  oder  nahmen  eine  Stelle  an  einem 
deutschen  Hofe  ein;  doch  waren  dies  meist  die  jüngeren 
Söhne,  und  der  älteste  nur  bevor  er  das  Erbe  antrat,  oder  so- 
lange er  nicht  in  einen  Stadtmagist  rat  gewählt  worden  war. 

Was  Tocqueville*  von  den  deutschen  Gebieten  längs  des 
Rheins  sagt,  gilt  auch  vom  Elsass. 

Im  Grossen  und  Ganzen  hatte  die  Vereinigung  mit  Frank- 
reich die  Struktur  der  einzelnen  Herrschaften  doch  in  mancher 
Hinsicht  gar  nicht  oder  wenigstens  nicht  grundsätzlich  verändert. 
Der  Adelige  des  Elsass  war,  im  Gegensatz  zu  dem  des  alten 
Frankreich,  nicht  «nur  ein  vornehmerer  Einwohner»  der  Ge- 
meinde.» Er  kümmerte  sich  noch  um  die  Verwaltung,  wodurch 
seinen  Untergebenen  die  Lehensherrschaft  weniger  drückend 
erschien.  Dabei  waren  auch  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse 
anders  als  in  grossen  Teilen  von  Frankreich.  Nachteiliges 
Besilzrecht  gab  es  nicht,  dagegen  viele  wohlhabende  Grund- 
besitzer.* 

Der  Bauer  «lebte  ungestört  seiner  Arbeit  .  .  .  und  be- 
kümmerte sich  nicht  um  die  Sachen  der  Politik.»  Weinbau 
und  Tabakpflanzung  brachten  ihm  beträchtlichen  Verdienst. 
Und  wie  die  Landwirtschaft,  so  ernährte  auch  das  Gewerbe 


1  Vgl.  die  Genealogieen  der  Adelsgeschlechter  bei  Muller  a. 
a  0.  —  Pfalz-Zweibrücken  und  Hanau-Lichtenberg,  bzw.  Hessen- 
Darmstadt  verwalteten  die  elsässiscben  Gebiete  durch  Mitglieder  der 
betr.  Familie.  S.  u.  S.  75,  Anm.  1. 

2  Vgl.  Tocqueville,  a.  a.  0  S.  37  fg. 
8  Vgl.  daselbst  S.  40.  44.  45. 

*  Vgl.  Strobel.  V.  S.  265  fg.  und  das  Urteil  Younga,  bei 
Sybel,  Gesch.  des  Revolutionszeitalters,!.  Bd.  S.  20. 


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- 


-    25  - 

seinen  Herrn.  Zwar  druckten  die  immer  mehr  gesteigerten 
Abgaben  das  Land.  Doch  hatten  seine  Bewohner  in  dieser 
Beziehung  viel  weniger  zu  klagen,  als  die  des  alten  Frankreich. 
Fehlten  doch  die  drückenden  fünf  Grossen  Fermen  in  dieser 
«fremden»  Provinz. i 

Wenn  sich  daher  auch  im  Elsass  in  der  Folge  revolutionäre 
Bewegungen  z.  Tl.  mit  grosser  Heftigkeit  geltend  machten,  so 
wird  man  sie  nicht  sowohl  mit  den  Stimmungen  im  Innern 
Frankreichs  als  mit  denen  im  westlichen  Deutschland  zu  ver- 
gleichen haben. 2 

Es  war,  wie  Wenck  sagt,  mehr  die  «sinnliche  An- 
steckungskraft», die  das  Elsass  in  Aufruhr  brachte,  und  «kam 
in  einer  Neigung  zu  Unruhe  und  Gewaltsamkeiten  überhaupt 
zur  Erscheinung,  mochte  nun,  was  dabei  Bewegung  oder  Losung 
hergab,  oder  damit  durchgesetzt  werden  sollte,  den  Ideen  der 
französischen  Revolution  verwandt  oder  nicht  verwandt  .  .  . 
sein.» 

Vorbereitet  war  der  Ausbruch  allerdings  durch  einen  an- 
deren Umstand,  dem  auch  für  das  übrige  Frankreich  bekannt- 
lich grosse  Wichtigkeit  beigemessen  wird  :  3  durch  den  Anstoss 
zur  Klage  und  Beschwerde,  den  die  Provinzialversammlungen 
mit  der  unklugen  Offenheit  gaben,  womit  sie  die  Schäden  des 
bestehenden  Zustandes  um  so  furchtbarer  machten  ;  und  durch 
das  Vorgehen  der  neuernannten  Beamten,  die  sich  über  die 
der  adeligen  Herren  erhoben,  und  gegen  deren  Vorrechte  zu 
schüren  begannen.  Dazu  kam  dann  noch  der  geringe  Ernteer- 
trag des  verflossenen  Jahres  und  der  seit  acht  Jahrzehnten  in 
solcher  Strenge  im  Elsass  nicht  mehr  erlebte  Winter,  der  sieben 
Wochen  hindurch  furchtbar  herrschte  und  viel  Unheil  verur- 
sachte.* 


1  Dies  wird  bei  einer  noch  so  pessimistischen  Auffassung  der 
Zustände  im  Elsass  (vgl.  Treitschke,  Deutsche  Geschichte  I. 
S.  120)  stets  hervorzuheben  sein. 

1  Vgl  Wenck,  W.,  Deutschland  vor  hundert  Jahren  I.  Band. 
Leipzig  1887.  —  Anm.  198.  S.  253.  —  Das  folgende  Zitat  s.  I.  Bd. 
S.  207. 

3  Vgl.  Tocqueville  a.  a.  0.  S.  270.  272  fg.  Cherest 
Aime,  La  chute  de  l'ancien  regime  (1787—1789).  Paris  1884.  T.  1" 
S.  399,  4t  4  fg.  (besonders  420).  T.  2d.  S.  289  fg.  -  Für  das  Elsaas 
im  besonderen :  Stupfel  a.  a-  0. 

*  Vgl.  u.  a.  Strassburgische    Privilegierte  Zeitung 


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So  sah  man  schon  zu  Anfang  1789  auch  in  Strassburg  der 
Zukunft  mit  Besorgnis  entgegen.  Der  augenblicklichen  Not 
hatte  der  Magistrat  durch  Holz-  und  Fruchtverteilung  und  das 
Verbot,  feinere  Brotsorten  zu  backen,  abzuhelfen  versucht.  Denn 
es  kostete  ein  vierpfündiger  Laib,  dessen  Preis  im  September 
9  Sols  gewesen,  in  der  ersten  Hälfte  des  Februars  noch  15  Sols, 
d.  h.  nach  heutigem  Wert  etwa  1,30  Mk.  Daher  ging  es  be- 
greiflicherweise nicht  ohne  unwilliges  Murren  ab.  Man  ver- 
gass  gern  die  gute  Absicht,  die  den  Verordnungen  der  XVer 
zu  Grunde  lag,  und  fand  um  so  mehr  Stoff  zu  neuen  Anfeind- 
ungen darin.  Die  Wirte  und  Bäcker  beklagten  sich  über 
das  Wein-Umgeld,1  die  Metzger  über  die  längst  verhasste  Ac- 
cise.  Doch  kam  es  nicht  zu  Ausschreitungen,  und  noch  Ende 
Februar  konnte  man  die  Ruhe  der  Bürger  und  die  Klugheit 
rühmen,  womit  sie  die  Erleichterungen  versprechende  Entschei- 
dung aus  Paris  hatten  an  sich  herankommen  lassen.  Das  fand  seine 
Erklärung  darin,  dass  eben  der  gewöhnliche  strassburger  Bürger 
der  sozialen  Bewegung  jenseits  der  Vogesen  wenig  Verständnis 
und  thätiges  Interesse  entgegenbrachte,  ferner  darin,  dass  die 
Stadt  an  den  Provinzialversammlungen  nicht  beteiligt  war,  und 
endlich  darin,  dass  die  Einwohner  sich  auch  um  die  zu  beru- 
fenden Reichsstände  und  die  Vertretung  der  Stadt  daselbst 
vorläufig  nicht  kümmerten. 

Anders  der  Magistrat.  Von  dem  Arret  des  Königs,  vom 
5.  Juli  1788  an,  wodurch  die  Berufung  der  Generalstände  ver- 
ordnet wurde,  war  die  künftige  Stellung  Strassburgs  zweifelhaft 
und  schwierig  gewesen.  Da  sich  die  neue  Ständeversammlung 
möglichst  nach  dem  Muster  der  alten,  seit  1614  nicht  mehr 


1789.  3.-25.  Stück.  Friese,  a.  a.  0.  IV.  S.  169  fg.  -  Taine,  H., 
Les  origines  de  la  France  contemporaine.  La  r6volution,  I.Paris  1878 
S.  4. 

1  Die  zu  jener  Zeit  in  Strassburg  nnd  heute  noch  z.  B.  in 
Württemberg  allgemein  giltige  Form  dieses  Wortes.  Sie  dürfte  aus 
Analogie  zn  dem.  einen  Teil  des  alten  nngelt  bildenden,  Ohm- 
geld der  Bäcker  und  Wirte  entstanden  sein.  —  Die  eigentliche  Be- 
deutung des  Wortes  aber  zeigt  die  lateinische  Uebersetzung  dessel- 
ben:  indebitum.  Vgl.  Mone's  Ztschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins,  VI. 
Bd.  1855.  S.  16.  Anm.  3.;  und  Hdwb.  der  Staatswissenschaf- 
ten, VI.  S.  337:  «Die  Form  Umgeld,  (die  übrigens  schon  früh  vor- 
kommt), beruht  auf  Entstellung  ...  Im  wesentlichen  sind  üngelt  und 
Accise  dasselbe,  werden  sehr  oft  [wie  in  Strassburg]  synonym  ge- 
braucht » 


—   27  — 

berufenen,  richten  sollte,  konnte  man  aus  Strassburg  keine 
die  Wahlberechtigung  nachweisenden  Protokolle  vorzeigen. 
Ebensowenig  konnte  man  sich  auf  einen  Besitz,  auf  irgend  eine 
Verbindung  mit  dem  Königreich  zu  jener  Zeit  stützen,  wodurch 
die  Stadt  Anspruch  auf  eine  eigene  Vertretung  gehabt  hätle. 
So  fürchtete  man,  übergangen  zu  werden,  was  einer  wehrlosen 
Abhängigkeit  von  der  Versammlung,  unter  Umständen  von  vorn- 
herein einem  Verlust  der  Kapitulation  gleichkommen  konnte. 
Man  achtete  nicht  darauf,  dass  diese  nur  mit  dem  Könige, 
nicht  mit  der  Nation  abgeschlossen  worden  war. 

Als  aber  mehrere  Provinzen,  die  sich  in  ähnlicher  Lage 
befanden,  um  die  Herstellung  ihrer  ehemaligen  Stände  anhielten, 
und  der  gleiche  Wunsch  das  übrige  Elsass  bewegte,  so  wurde 
von  der  Kammer  der  Xlller  eine  Deputation  eingesetzt,»  um  aus 
den  Nachrichten  des  Stadtarchivs  den  Anteil  Strassburgs  an  den 
ehemaligen  elsässischen  Ständeversammlungen  nachzu- 
weisen, und  so  zu  bewirken,  dass  es  in  der  französischen  Ver- 
sammlung seinen  alten  angesehenen  Platz  als  Reichsstand  ein- 
nehmen könne,  vermöge  dessen  es  vor  allem  auch  den  zehn 
kaiserlichen  Städten  des  Elsass  als  einzelne,  abgesonderte  Stadt 
gegen  übertrat.  * 

Alsbald  nach  der  Wiedereinsetzung  Necker's  ward  an  diesen 
ausserdem  eine  Denkschrift  abgesandt,  worin  sich  der  Magistrat 
nun  auch  auf  das  frühere  Recht  der  Abordnung  zu  den  Reichs- 
und Kreislagen  berief,  und  besonders  auf  den  Vorzug  hinwies, 
dass  der  Hof  nicht  durch  die  Provinzialbehörden,  sondern  un- 
mittelbar mit  der  Stadt  verhandelte.  Man  sann  bereits  auf 
Wege,  die  Stellung  der  Stadt  mit  den  in  Versailles  zur  Geltung 
kommenden  Grundsätzen  möglichst  zu  vereinigen,  um  desto 
mehr  auf  ein  Entgegenkommen  in  der  Abordnungsfrage  hoffen 
zu  können.  Hingegen  riet  Gerard,  welcher  Mitglied  der  zum 
zweiten  Mal  berufenen  Notablenversammlung  war,  und  daselbst 
die  Privilegien  der  Stadt  stets  vertreten  hatte,  unumwunden 


1  Vgl.  Protokoll  der  Rath  u.  XXIer  vom  23.  Februar  1789. 

-  Dieser  Unterschied  sollte  auch  jetzt  noch  streng  gewahrt  werden. 
Die  10  kais.  Städte  wollten  geraeinsam  die  Herstellung  der  alten 
Stände  des  Elsass  bewirken.  Strassburg  lehnte  die  Einladung,  sich 
ihnen  dabei  anzuschliessen,  unter  dem  Hinweis  auf  seine  vereinzelte 
Stellung  ab. 


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zu  Massregeln,  um  dieselben  auch  jetzt  zu  wahren,  und  ver- 
wandte sich  dafür  eifrigst  persönlich  bei  den  Ministern. 

Doch  blieb  die  Frage  auch  nach  der  Ankündigung  der 
Etats-Generaux  noch  lange  offen,  und  der  Beginn  des  Jahres  1789 
war  eine  Zeit  peinlichster  Ungewissheit  für  den  Magistrat. 
Einerseits  sehnte  er  sich  nach  einer  .bestimmten  Aeusserung 
des  Hofes,  erklärte  aber,  da  diese  zunächst  ausblieb,  den  Ver- 
handlungen der  Stände  in  keinem  Fall  anders  als  «freiwillig 
und  aus  wahrer  Ueberzeugung  der  daraus  zu  hoffenden  über- 
wiegenden Vorteile»  beitreten  zu  wollen.  Brief  auf  Brief  ging 
nach  Paris  ab,  an  Gerard,  an  den  Sohn  des  Stättmeisters  von 
Dietrich,  an  de  Crolbois,  den  thätigen  und  wohlunterrichteten 
Agenten  der  Stadt;  alle  wurden  ersucht,  sich  für  diese  zu  ver- 
wenden. Die  Befürchtungen  stiegen  auf  das  Höchste,  als  die  all- 
gemeinen Berufungsschreiben  vom  24.  Januar  i  eintrafen,  welche 
die  auf  das  Elsass  nicht  anwendbare  Einteilung  der  Wahlbezirke 
in  Baillages  und  Senechaussees  verordnete,  und  in  deren  Ver- 
zeichnis wahlberechtigter  Städte  Strassburg  nicht  erwähnt  war. 

Erst  am  23.  Februar  erhielt  der  Altammeister  Johann  von 
Türckheim  durch  den  Intendanten  ein  Projekt  zugesandt, 
wonach  Strassburg  zwei  von  den  Bürgern  zu  wählende  Abge- 
ordnete gewährt  wurden.  Die  Verordnung  des  Königs  das  Elsass 
betreffend,8  die  es  bestätigte,  war  schon  am  7.  Februar  ergangen  ; 
aber  erst  arn  2.  März  erhielt  der  eben  regierende  Ammeister 
Mathias  Nicolaus  Zäpffel  sie  vom  Prevöl  der  Marechause  zu- 
geschickt. Das  Schreiben  ward  in  gehobener  Stimmung  feier- 
lich im  Rat,  und  sodann,  wie  es  bei  Gegenständen  von  grösserer 
Wichtigkeit  zu  geschehen  pflegte,  bei  offenen  Thüren  verlesen. 

Neben  den  allgemeinen  Bestimmungen  für  das  Elsass,  das 
wie  zu  den  Provinzialversammlungen  in  6  Distrikte  mit  insge- 
samt 24  Abgeordneten  eingeteilt  ward,  sah  sich  Strassburg  in 
der  wünschenswertesten  Weise  bevorzugt.  Denn  unter  besonderer 
Berücksichtigung  ihrer  Kapitulation,  ihres  Besitzes  an  eigenem 
Gebiet,  und  ihrer  eigenen  Verwaltung  war  der  Stadt  eine  von 
den  zehn  anderen  Städten  unabhängige  «direkte»  Abordnung 
zugestanden  worden. 


*  Vgl  Archives  pa  rle  ra  e  nt  ai  res  de  1787  ä  1860.  T.  1er 
Paris  1879.  S.  544.  fg.  u.  S.  617. 

2  Vgl.  Aich,  pari  I.  S.  632  fg  u.  Reuss,  l'Als.  S.  1.  fg 


—   29  — 

Zur  Wahl  derselben  sollten  alle  Bewohner  des  dritten 
Standes  der  Stadt  berufen  werden,  während  ihr  Adel  und  ihre 
Geistlichkeit  in  Hagenau  eigene  Abgeordnete  zu  wählen  hatten 
(Artikel  VII).  Die  Amteien  waren  ebenfalls  in  die  Distriktsein- 
teilung inbegriffen  (Art.  X). 

In  Strassburg  gab  man  sich  den  grösslen  Hoffnungen  hin ; 
die  Kapitulation  war  gerettet,  jeder  Wunsch  sollte  an  das  Ohr 
des  Königs  dringen;  was  dem  Vertrag  von  1681  im  Lauf  der 
Jahre  entgegengehandelt  worden,  konnte  wieder  beseitigt  werden y 
die  Zeit  der  alten  Unmittelbarkeit  schien  wieder  zu  erwachen. 

Ein  Ausschuss  ward  unverzüglich  eingesetzt,  um  sich  mit 
den  Wahlbestimmungen  zu  beschäftigen.  Bei  der  eigentüm- 
lichen Verfassung,  besonders  bei  der  strengen  Einteilung  der 
Zünfte,  die  ihren  Grundstock  bildete,  zeigte  sich  die  Notwendig- 
keit, nicht  unbedeutende  Abweichungen  von  den  in  der  Vorschrift 
vom  24.  Januar  befohlenen  Formen  der  Wahl  vorzunehmen.1 

Einmal  konnte  eine  Unterscheidung  der  einzelnen  Körper- 
schaften nach  der  Art  ihrer  Thätigkeit  in  Körperschaften  der 
Künste,  Handwerker,  und  sonstiger  gleichartiger  Berufszweige 
hier  nicht  Platz  greifen,  weil,  wie  erwähnt,  die  Zünfte,  mehr 
äusserlich,  die  verschiedenartigsten  Genossenschaften  in  sich 
zusammenfassten.  Daher  berief  man  sich  auf  das  Bestreben  des 
Königs  die  herkömmlichen  Gebräuche  bestehen  zu  lassen,  und 
wies  darauf  hin,  wie  zweckmässig  die  Einteilung  in  eine  feste 
Zahl  von  Körperschaften  für  den  glatten  Verlauf  der  Wahlen 
sein  musste.  Hielt  man  sich  aber  hieran,  so  war  auch  die 
einheitliche,  mit  der  Stärke  der  einzelnen  Genossenschaften 
steigende  Zahl  der  Wähler  der  Abgeordneten,  der  s.  g.  B  e  pr  ä  - 
sentanten,  nicht  anwendbar.  Deshalb  wurde  bestimmt, 
dass  zwar,  wie  in  den  anderen  Städten,  Teilversammlungen  zur 
Vorwahl  berufen  werden  sollten,  dass  aber  diese  Versammlungen 
nach  den  drei  in  Strassburg  in  betracht  kommenden  Klassen, 
—  Bürgern,  Schirmern  und  Privilegierten,  —  unter  Ausschluss 
jeder  weiteren  Unterabteilung,  zusammentreten  sollten.  Innerhalb 
dieser  Versammlungen  wurde  der  vorgeschriebene  Wahlmodus 
beobachtet.   Die  Zünfte  sollten  sich  auf  ihren  besonderen  Stuben > 


1  Sie  wurden  im  Entwarf  am  10.  März  veröffentlicht.  Vgl.  Reuse, 
l'Als.  S.  8  fg. 


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-   30  - 


womöglich  am  18.  März,  versammeln  und  je  zwei  Repräsen- 
tanten bis  zu  100,  vier  bis  zu  200  Anwesenden  u.  s.  w.  wählen. 

Auf  die  Schirmer  ward  die  Bestimmung  für  die  corpora- 
tions  d'arts  et  metiers  (Art.  XXVI)  angewandt,  so  dass 
weniger  als  100  Anwesende  einen,  unter  200  zwei  Repräsentanten 
zu  wählen  hatten  u.  s.  w.  —  Die  kleine  Klasse  der  Privilegierten 
verfuhr  in  derselben  Weise  wie  die  Bürger.  —  Die  Bewohner 
der  Bannmeile,  d.  h.  der  Ruprechtsau  und  des  Neuhofs,  er- 
hielten das  Recht,  sich  ihren  städtischen  Zünften  anzuschüessen, 
oder  aber  an  ihrem  Wohnort  selbst  zusammenzukommen. 

Eine  weitere  Schwierigkeit  entstand  aus  der  Verordnung, 
dass  die  «Munizipalbeamten»  die  «nicht  dem  dritten  Stande 
angehörten»,  in  der  von  ihnen  zu  leitenden  Versammlung  keine 
Stimme  haben  sollten,  aber  dennoch  das  Recht  gewählt  zu 
werden.  Hier  erhob  sich  bald  die  Frage,  ob  die  Magistrate  als 
Munizipalbeamte  in  jenem  Sinne  zu  betrachten  seien  oder  nicht? 
Die  Meinungen  waren  verschieden  und  ein  Teil  der  Ratsherren 
glaubte  nach  der  Stimmenthaltung  bei  den  Wahlen  praktische 
Folgen  für  die  Zukunft  befürchten  zu  müssen.  Nach  sehr  leb- 
haften Verhandlungen  fand  man  schliesslich  den  Ausweg,  sich 
an  Artikel  LI.  des  Reglements  zu  halten,  wonach  alle  Ver- 
ordnungen und  Entscheidungen  in  Bezug  auf  die  Berufungen, 
Wahlen  und  Versammlungen  nur  provisorisch  sein  sollten ; 
und  man  entschloss  sich,  die  Angelegenheit  vorläufig  durch 
Stimmenmehrheit  zu  entscheiden. 

Dabei  siegte  der  Vorschlag  Türckheims,  dass  in  den  Vor- 
versammlungen der  Zünfte  jeder  Ratsherr  abstimmen  und 
wahlfähig  sein  könne,  bei  der  Redaktion  des  zu  verfassenden 
Beschwerdenheftes  und  in  den  endgiltigen  Wahlversammlungen 
jedoch  nur  dann,  wenn  er  als  Repräsentant  aufgestellt  worden 
sei.1  Denn,  so  sagte  Türckheim,  —  mit  einer  Verzichtleistung 
auf  das  aktive  Wahlrecht  konnten  die  Magistrate  hoffen,  guten 
Eindruck  auf  die  Bürgerschaft  zu  machen ;  «wenn  jemals  ein 
Zeitpunkt  erfordert,   dass  dieselben  ihre  ganze  Würde  auf 


1  Türckheim  war  in  der  Stadt  Strassburg  wahlberechtigt,  da  er 
nicht  dem  unmittelbaren  Adel  angehörte  Ausserdem  enthielt  das 
Adelsdiploni  seines  Vaters  die  eigentümliche  Bestimmung,  dass  der 
Träger  des  Adels  denselben  stets  zeitweilig  ablegen  konnte.  In  diesem 
Falle  befand  sich  J.  v.  Türckheim  als  bürgerlicher  Ammeister. 


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-    31  - 


Bögerliebe  und  freies  Zutrauen  gründen,  so  ist  es  der 
gegenwärtige.» 

In  den  übrigen  Verordnungen  hielt  man  sich  streng  an 
die  Vorschrift,  unter  ausdrücklicher  Verwahrung  gegen  jede 
daraus  etwa  entstehende  Neuerung. 

Uebrigens  meldeten  sich,  trotz  der  Bestimmung,  keiner 
weiteren  Körperschaft  die  Wahl  eigener  Bepräsentanten  zu  ge- 
statten, alsbald  der  protestantische  Kirchenkonvent  und  das 
Kapitel  von  St.  Thomas  —  das  unter  16  Kanonikern  13 
Professoren  zählte,  —  sowie  die  protestantische  Universität  selbst, 
mit  dem  Ersuchen,  als  selbständige  Körperschaften  ihre  eigenen 
Bepräsentanten  abordnen  zu  dürfen.  Auch  dies  rief  grosse 
Bedenken  und  Meinungsverschiedenheiten  hervor.  Der  Stätt- 
meister Siegfried  von  Oberkirch  aber  trat  im  Verein  mit 
Türckheim  für  die  Gewährung  ein,  da  die  katholische  Geistlich- 
keit das  hier  beanspruchte  Becht  schon  besass,  und  ohne  das 
die  drei  protestantischen  Körperschaften,  verteilt  in  die  Zünfte, 
ihre  eigensten  Interessen  nicht  genügend  würden  wahren 
können.  Provisorisch  wurde  demnach  beschlossen,  dass  nach 
Artikel  X.  auch  das  Stift  und  der  Konvent  je  zwei  Bepräsen- 
tanten wählen  sollten,  die  Universität  aber,  da  nur  fünf 
Professoren  nicht  zugleich  auch  Kanoniker  waren,  nur  einen, 
«was  Conventus  professorius  nicht  ohne  einige  Verlegen- 
heit ersah.»» 

Während  dieser  Vorbereitungen  des  Magistrats  begann 
eine  erregte  Bewegung  in  der  Stadt  um  sich  zu  greifen.  Aber 
dieser  Anfang  des  Umsturzes  in  Strassburg  war  eine  Bevolution 
der  Bürger  nicht  gegen  die  Staatsregierung,  sondern  gegen  die 
Stadtobrigkeit. 2  Der  Boden  dazu  war  durch  die  erwähnten 
Missverhältnisse  zwischen  den  Bürgern  und  dem  Magistrat 
vorbereitet  worden.    Der  Unmut  über  die  amtlichen  Gewalt- 


1  Die  Minister  hatten  gegen  diese  Vergünstigung  ebensowenig  wie 
gegen  die  übrigen  Abweichungen  vom  Reglement  etwas  einzuwenden. 
—  Vgl.  den  Brief  des  Magistrats  an  Puysegur  vom  12.  März  (Ent- 
wurf St.-A.  AA.  1099);  teilweise  im  Anhang  (Nr.  2)  mitgeteilt  Diese 
vorbereitenden  Verbandlungen  machten  es  unmöglich,  die  Vorwahlen 
vorschriftmäs8ig  8  Tage  nach  dem  Eintreffen  des  Berufungsschreibens 
vorzunehmen.  Der  Gouverneur  der  Provinz,  Marschall  von  Stainville, 
gestattete  daher,  sie  bis  zum  23.  März  hinauszuschieben. 

*  Ganz  ähnlich  wie  z.  B.  später  im  Bistum  Speyer.  Vgl.  Wenck 
a.  a.  0.  1.  S.  212. 


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—  32 


thätigkeilen  sah  bald,  wie  gesagt,  in  allerhand  Massnahmen 
«persönliche  Beleidigungen  und  Eingriffe»,  in  verschiedenen 
Einrichtungen  der  Verfassung,  z.  B.  der  Art  der  Steuer- 
einziehung und  der  geheimen  Rechnungsablage,  unerträgliche 
und  anfechtbare  Zustände.  Dies  waren  Schäden,  wo  man  einen 
Hebel  mit  Erfolg  ansetzen  konnte,  der  dann  allmählich  stärker 
und  wirksamer  zu  arbeiten  begann.  Niemals  aber  wäre  es  zu 
einer  so  lauten  Gehässigkeit  gekommen,  wie  sie  durch  die 
Erlaubnis  geweckt  wurde,  jede  Klage  und  jeden  Wunsch  in 
den  Besch  werden  heften  dem  König  zu  Füssen  zu  legen.  Die 
Bürger  gerieten  in  freudige  und  gereizte  Stimmung  zugleich. 
Sie  wurden  zum  Nachdenken  über  ihre  Lage  aufgefordert,  und 
nun  entdeckten  sie  überall  neue  Uebel,  und  fanden  die  schon 
bekannten  um  so  unerträglicher,1  wenn  auch  nur  wenige  der- 
selben mit  den  Klagen  der  Altfranzosen  zusammenfielen.  Eine 
Anzahl  z.  tl.  bissiger  Druckschriften  verstärkte  noch  die  all- 
gemeine Bewegung,  indem  sie  teils  mit  geschmeidigen  und 
aufreizenden  Worten,  teils  mit  aufrichtigen  Ermahnungen  die 
Bürger  auf  das  hinwiesen,  was  sie  von  der  Nation,  bzw.  dem 
Könige,  zu  verlangen  hätten.8 

Dabei  führten  die  Gegner  des  Magistrats  das  grosse  Wort. 
«  Hütet  euch  vor  jenen,  hiess  es,  die  in  der  Stadt  Diensten  sind. 
Wählet  im  Gegenteil  bei  euren  Zünften  solche  Männer,  die  bei 
der  Stadt  nichts  suchen ! »  Der  Verfasser  der  «  Erinnerungen  »  rät 


1  Auch  im  übrigen  Elsass  zeigte  sich  eine  solche  Wirkung  der 
Massregeln  des  Königs.  Vgl.  Taine,  a.  a.  0.,  I.  S.  13.  n.  21.  und 
auch  Cherest  a  a.  0.  S  236  fg. 

2  Vgl.  Unmassgeblicher  Vorschlag  einiger  Deputirten  der 
Strassburgischen  Zünfte  zu  einem  Vereinigungspunkt  ihrer  Klagen ; 
geschrieben  Freitags  Morgens  den  20.  März  1789.  —  Gedanken 
denen  Strassburger  Burgern  und  insbesondere  denen  Repräsentanten 
ihrer  Zünfte  gewidmet.  Hievon  erschien  eine  «Zweite,  verbesserte 
Auflage  mit  Noten»,  welch  letztere  augenscheinlich  von  dem  zu  er- 
wähnenden Prof.  Ditterich  stammen.  —  Unmassgebliche  Ge- 
danken bei  dem  bevorstehenden  allgemeinen  Reichstag  von  Jon. 
Heinrich  Kress,  dem  Zundelpatscher.  1789.,  besonders  gegen 
Ditterich  sich  wendend,  von  einem  Professor  der  prot.  Universität 
verfa8st.  (Vgl.  Strobel,  V.  286.  Anm.  2).  Am  meisten  schürten  das 
Feuer  die  «Erinnerungen  an  die  Bürger  Strassburgs»,  die  «den 
Mangel  an  den  nötigen  Einsichten  vieler  .  .  .  Bürger»  missbrauchte, 
und  sich  zunächst  gegen  die  Wahl  eines  Magistratsmitgliedes  oder 
Schöffen  zum  Deputierten  wandte. 


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—   33  — 


geradezu  die  Abschaffung  aller  drei  Kammern  und  des  Grossen 
Rats  an,  und  verlangt,  dass  hauptsächlich  Rechtsgelehrte  in  die 
von  ihm  vorgeschlagenen  Behörden  gewählt  werden  sollten.  Es 
ergab  sich  denn  auch  alsbald  ein  solcher,  der  Lehrer  des  ka- 
nonischen Rechts  an  der  katholischen  Universität,  D  i  t  te  r  i  c  h , 
aus  Bamberg  gebürtig,  als  der  Verfasser.  Was  « ihm  so  viel 
Galle  gegen  die  Verfassung  verursachte»  war  der  Aerger  dar- 
über, dass  er  sich  umsonst  um  eine  Ratsstelle  beworben  hatte, 
während  er  nun  danach  strebte  Abgeordneter  zu  werden. * 

Diese  Flugschriften  zeigen  in  ihrem  Tone,  wie  scharf  sich 
die  Parteien  vor  und  nach  den  Wahlen  der  Repräsentanten 
trennten,  wie  sich  schon  hier  katholisch  und  protestantisch  ent- 
gegentrat, uud  wie  alles  dahin  drängte,  den  Magistrat  zu  be- 
schränken, und  die  Stellung  der  Bürgerschaft  weniger  abhängig 
zu  gestalten. 

Noch  deutlicher  aber  offenbarte  dies  der  Ausfall  der 
Wahlen  am  18.  März.  Die  Stimmenabgabe  geschah  in  jeder 
Zunft  nach  dem  Alter ;  doch  stimmte  der  Oberherr  an  letzter 
Stelle,  wie  verordnet  worden,  da  eres  schwache  Köpfe»  gab, 
die  ihnen  oft  ((nachbeteten».  Die  Zahl  der  Erwählten  schwankte 
je  nach  der  Stärke  der  Zünfte  zwischen  2  und  12.  Am  20. 
hatten  die  Privilegierten  und  die  protestantischen  Körperschaften, 
am  21.  die  Schirmer  ihre  Vertreter  gewählt.  Im  allgemeinen 
waren  die  Versammlungen  ruhig  verlaufen,  wenn  es  auch  bei 
einigen  Zünften  nicht  an  Lärm  und  Erregung  gefehlt  hatte,  was 
der  launige  «Zundelpatscher»  auf  die  kräftigen  Naturstimmen 
der  Schmiede,  Fischer  und  Gärtner  zurückführte. 

Das  Gesamtergebnis  waren  126  erwählte  Repräsentanten, 
worunter  zur  grössten  Bestürzung  des  Magistrats,  der  «vor 
Scham  und  Zorn  kaum  das  Herz  hatte,  die  Augen  aufzuheben»,* 


1  Vgl.  K  r  e  8  s ,  a.  a.  0.  Dieser  Vorhalt  scheint  nicht  grundlos 
gewesen  zu  sein,  da  Ditterich  es  bis  zum  Mitglied  des  32er  Aus- 
schusses brachte,  im  August  sogar  bis  zum  Ratsherrn.  Anch  in  der 
nenen  Munizipalität  war  er  notable  du  conseil  de  la  commune  und 
Mitglied  der  Departementsverwaltung.  Als  Geheimer  Rat  des  Fürst- 
bischofs von  Speyer  musste  er  nach  dessen  Einspruch  gegen  die 
Neuerungen  in  seinen  elsässischen  Herrschaften  1791  fliehen,  und 
ward  1792  zum  Emigrierten  erklärt.  Vgl.  Notes  biographiques  sur 
les  hommes  de  la  Revolution  ä  Strasbourg  et  les  environs,  von 
E.  Barth,  Revue  d'Alsace.  Tome  6me,  1877.  S.  257fg. 

2  Vgl.  Fri  ese,  a.  a.  0.  IV.  S.  209. 

3 


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—  34 


nur  6  Ratsmitglieder  und  44  Schöffen  sich  befanden,  z.  B.  der 
regierende  Ammeister  Zäpffel,  Türckheim  und  der  auch  sonst 
hervortretende  XUIer  Hennenberg.  Auch  Generaladvokat  Fischer 
und  Konsulent  Metzler,  sowie  Ditterich  waren  von  ihren  Zünften 
gewählt,  von  den  Privilegierten  der  Syndikus  des  Ritter- 
schaftsdirektoriums Schwendt,  vom  Kirchenkonvent  der  be- 
kannte Kanzelredner  Blessig.  Die  Schirmer  hatten  zum  Er- 
staunen und  Schrecken  des  Magistrats  neben  zehn  anderen  den 
Königslieutnant  Baron  von  K 1  i  n  g  1  i  n  ,  von  dem  noch  ferner 
die  Rede  sein  wird,  ernannt.  Dies  Gesamtergebnis  kam  einer 
Kundgebung  gleich.  Ein  siegesgewisser  Ton,  wie  ihn  der  bisher 
Unterdrückte  dem  überwundenen  Peiniger  gegenüber  anschlägt, 
machte  sich  bemerkbar.  Man  erklärte  offen,  dass  eine  Ver- 
schwörung mehrerer  Zünfte  bestanden  hatte,  keinen  ihrer  Ober- 
herrn, Schöffen  oder  Richter  zu  wählen.» 

Am  23.  fand  die  Versammlung  der  Repräsentanten  unter 
dem  Vorsitz  der  Ratsherren  statt.  Diese  begaben  sich  unter  dem 
Geleit  der  Stadtsöldner  und  Ratsboten,  angethan  mit  ihren 
Zeremonialkleidern,  von  der  Pfalz  in  die  nahegelegene  Zunft- 
stube zum  «Spiegel»,  wo  die  126  sie  erwarteten.  Nach  einigen 
Ansprachen  und  nochmaliger  Verlesung  der  königlichen  Briefe 
wurden  die  Protokolle  mitgeteilt.  Während  Khnglin  sich  be- 
mühte, Vertrauen  zu  erwecken,  erhob  sich  Ditterich  im  Verein 
mit  einigen  anderen  Repräsentanten  und  that  «vom  Ungeheuer 
der  Intoleranz  und  des  blinden  Religionseifers  belebt»,  heftig 
Einspruch  gegen  die  Ernennung  von  Repräsentanten  seitens  der 
protestantischen  Körperschaften.  Er  hatte  sich  jedoch  Tags  zu- 
vor 2  bei  einem  Essen  der  Repräsentanten  so  auffallend  feindlich 
gegen  den  Magistrat  ausgesprochen,  dass  er  den  Saal  hatte  ver- 
lassen müssen.  Dies  veranlasste  die  Anwesenden,  auch  nunmehr 
sich  seinen  Angriffen  gegenüber  auf  die  Seite  des  Magistrats  zu 
stellen.  Dieser  betonte  wiederum  die  provisorische  Giltigkeit 
seiner  Zustimmung.  Darauf  schritt  man  zur  Vereidigung  sämt- 
licher Repräsentanten  und  zur  Wahl  der  Kommissare,  die  das 
Besch werdenheft  fertigstellen  sollten.  Es  kam  ein  Aus- 
schuss  von  32  Mitgliedern  zu  stände. 3    Ditterich  befand  sich 


1  Unmassgeblicher  Vorschlag  S.  2. 

2  Kress,  a.  a.  0.  S.  24. 

s  Vgl.  die  Namen  bei  Reuss,  l'Als.  S.  31.  — -  Hermann, 


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-   35  - 


darunter,  —  ebenso  Klinglin,  der  sich  ebenfalls  zum  Deputierten 
anzubieten  schien.  —  Gern  hätte  der  Magistrat,  um  voreilige 
und  schädliche  Schritte  zu  verhüten,  eigene  Kommissare  für 
die  Beschwerden  ernannt;  aber  seine  Lage  gegenüber  den 
Zünlten  war  bereits  so  unsicher  geworden,  dass  er  nicht  einmal 
solch  einen  Vorshlag  zu  machen  wagte.  Er  gestand  ein,  dass 
er  seine  Grossmut  den  Bürgern  gegenüber  zu  bereuen  anfing.» 

Aber  auch  ausserhalb  seines  Kreises  sah  man  in  den  Um- 
trieben vor  der  Wahl  mit  Recht  das  Bestreben,  selbst  die  un- 
bedeutenderen Beschwerden  unter  Umgehung  des  Magistrats 
unmittelbar  an  den  König  zu  bringen,*  trotzdem  öfters  darauf 
hingewiesen  worden  war,  dass  sich  mit  solchen  «  kleinfügigen 
Dingen»  die  Reichsversammlung  nicht  abgeben  werde.  Man 
beklagte,  dass  das  Wohl  der  Stadt  nun  in  den  Händen  uner- 
fahrener Männer  lag,  die  auch  bald  selbst  z.  Tl.  merkten,  dass 
«Volksregierung  mehr  ist  als  blosses  Kannegiessern  ».  Andere 
aber  konnte  man  wichtig  einhergehen  und  Audienzen  erteilen 
sehen,  «  gerade  als  ob  sie  dazu  berufen  wären,  Magistrat  und 
Bürgerschaft  in  eine  ganz  neue  Schöpfung  zu  verwandeln.»  — 

Die  Arbeit  der  Kommission  dauerte  länger  als  man  er- 
wartete: bis  zum  8.  April.  Inzwischen  kamen  mancherlei  auf- 
regende Nachrichten  durch  die  Zeitungen  nach  Strassburg,  be- 
sonders über  die  Teuerung  und  die  dadurch  entstandene  Gärung, 
und  es  schien,  als  ob  auch  hier  die  Erregung  Herrin  werden 
wollte.  Aber  sie  liess  sich  durch  die  Hoffnung  auf  baldige 
Abstellung  der  Missbräuche  und  das  Bewusstsein,  die  Klagen 
aufgezeichnet  zu  haben,  wieder  dämpfen.3 

Eine  entschiedene  Wendung  zum  Besseren  bedeutete  es, 


a.  a  0.  I.  S.  106  und  193  spricht  irrtümlich  von  einer  <commission 
des  Quarante.» 

1  Vgl.  hierüber  und  über  die  Repräsentantenwahl  überhaupt  den 
Brief  des  Magistrats  an  Gerard  vom  25.  März  1789,  im  Entwurf 
St.-A,  AA.  1099,  teilweise  mitgeteilt  im  Anhang,  Nr.  8.  Bis  Ende  April 
korrespondierte  der  Magistrat  noch  eifrig  mit  Oerard,  von  da  an 
wandte  er  sich  mit  seinen  Berichten  an  die  Deputierten. 

2  Vgl.  Ge  danken  u.  s.  w.  S.  4.  u.  11.  Vermahn ung  zur  Vor- 
sicht bey  den  Wahlen  zum  Reichstage  von  der  Elsässischen  zwischen- 
Commission  an  die  Gemeinden  der  Provinz  gerichtet.  S.  3. 

5  Vgl.  den  Brief  des  Magistrats  an  den  Gross-Siegelbewahrer 
vom  15.  April  (Prot.  Rath  und  XXI),  und  die  Rede  Fischers  vom 
7.  April. 


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—   36  — 

als  am  6.  April  die  32  anzeigen  konnten,!  dass,  entgegen  den 
Wünschen  Ditterichs,  die  Beschwerden  der  Bürger  über  die  innere 
Verwaltung  zunächst  nicht  der  Nationalversammlung,  sondern  dem 
Magistrat  vorgelegt  werden  sollten,  und  zwar  von  einer  ausder  Mitte 
der  342  zu  ernennenden  Kommission,  die  gemeinsam  mit  einer 
Abordnung  des  Magistrats  über  diese  Beschwerden,  «zur  Aufrecht- 
erhaltung des  guten  Einvernehmens»,  verhandeln  sollte.  Dass 
dieser  geheime  Wunsch  des  Magistrats  nun  auf  Veranlassung 
der  Repräsentanten  in  Erfüllung  ging,  verdross  ihn  aber  so, 
dass  er  nur  mit  Rücksicht  auf  die  herrschende  Stimmung  ein- 
willigte. Immerhin  war  es  der  beste  Ausweg  den  Frieden  zu 
erhalten  und  die  Gelegenheit  günstig,  die  Bürger  amtlich  des 
Wohlwollens  des  Magistrats  eindringlich  zu  versichern,«  in 
Hinsicht  auf  die  am  8.  stattfindende  Wahl. 

Als  sich  an  diesem  Tage  die  Ratsherren  Morgens  sechs 
Uhr  sämtlich  auf  der  Zunftstube  zum  Spiegel  versammelt 
hatten,  und  der  feierliche  Kirchgang  beendet  war,  fand  die 
Vereinigung  mit  den  Repräsentanten  statt.  Zunächst  wurde  das 
umfangreiche  Beschwerdenheft  verlesen^  und  von  den  Letzteren 
genehmigt.  Der  Magistrat  schwieg,  höchst  unangenehm  be- 
troffen,* und  beschränkte  sich  darauf,  Gerard  sein  Leid  zu 
klagen  und  ihn  um  seine  Verwendung  in  Paris  zu  bitten. 
Dann  ernannten  die  Repräsentanten  sieben  Kommissarien,*  die 
den  Auftrag  erhielten,  ohne  selbständiges  Bescblussrecht  mit 
den  vom  Magistrat  zu  ernennenden  Deputierten  über  das  Be- 
schwerdenheft zu  verhandeln. 

Dann  schritt  man  zur  Wahl  der  Deputierten.  Zunächst 
wurden,  der  königlichen  Verordnung  zufolge,6  drei  Wahl- 
richter {scrutateurs)   durch  geheime  Abstimmung  bezeichnet, 


1  Vgl.  den  Briet'  an  Gerard  vom  11.  April  bei  Reuss,  l'Als. 

S.  66. 

»  Vgl.  Reuss  l'Als,  S.  24. 

3  Vgl.  Anm.  3.  Die  Begehren  der  Zünfte  mit  den  dazu  gehörigen 
Bemerkungen  der  Kommission  s.  bei  Heitz  a.  a.  0.  S.  163  fg. 

*  Vgl.  Xlller  Protokoll  vom  6.  April:  des  <cahiers  princi- 
pia>  seien  gegen  den  Magistrat  gerichtet. 

5  Es  waren  dies :  Fischer,  der  Notar  Lacombe,  Kaufmann  Schu- 
bart, Herv6,  der  Banquier  von  Türckheim  (des  Ammeisters  Bruder 
und  Gemahl  von  Goethe's  Lilli),  Gärtner  Wunderer  und  Lic.  Spiel- 
mann; als  Stellvertreter  Ditterich  und  Metzler. 

«  Vgl.  Proces  verbal  de  l'election  etc.  bei  Reuss,  l'Als.  S.  25. 


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—   37  — 

die  ihre  Stimmzettel  zuerst  abgaben.  Von  den  426  Stimmen 
fielen  beim  ersten  Wahlgang,  wo  es  sich  um  den  protestan- 
tischen Abgeordneten  handelte,  96  auf  den  Altammeister  von 
Türckheim.  Nach  dem  entmutigenden  Ausfall  der  Repräsentanten- 
wahl hatte  der  Magistrat  nun  doch  die  Genuglhuung  einen  der 
Seinen  nach  Versailles  entsenden  zu  dürfen.  Die  Wahl  des 
zweiten  Abgeordneten  machte  einige  Schwierigkeiten.  Beim 
ersten  Wahlgange  erhielt  niemand  die  absolute  Stimmen- 
mehrheit. Beim  zweiten  jedoch  ward  mit  87  Stimmen  der 
Syndikus  Schwendt  zum  Deputierten  ausgerufen.! 

Das  Wichtigste  an  diesem  Ergebnis  war,  dass  beide  Ab- 
geordneten juristisch  gebildete  und  im  praktischen  Recht  er- 
fahrene Männer  waren,  —  das  erste  Erfordernis  für  die  Ver- 
treter der  von  den  wenigsten  Burgern  völlig  beherrschten 
Staats-  und  verfassungsrechtlichen  Verhältnisse  Strassburgs. 

Türckheim*  wurde  diesem  Ansprüche  in  erster  Linie  ge- 
recht. Er  war  schon  seit  1778  Ammeister,  wenn  auch  noch  nicht 
40  Jahre  alt ;  auch  war  er  Abgeordneter  der  Provinzial Ver- 
sammlung und  Vorstand  des  Bureaus  der  öffentlichen  An- 
gelegenheilen daseibat  gewesen.  Im  Privatleben  war  er  Banquier 
und  besass  mehrere  Güter  im  Elsass  und  in  Baden.  Er  war 
«eine  der  bedeutendsten  politischen  Grössen  der  damaligen 
königlichen  Freyen  Reichsstadt.»  Im  häuslichen  Leben  war  er 
den  Sitten  der  Väter  treu  geblieben,  und  trotzdem  sein  Haus 
eines  der  besten  in  Strasburg  war,  widertsrebte  er  mit  seiner 
Familie  «dem  Strom  der  leichtsinnigen  Modesitte»,  und 
«wählte  mit  Patriarchensimplicität  häusliche  Ruhe,  .  .  .  genaue 
Ausübung  jeder  Pllicht,  Anbauung  der  Kenntnisse,  Würde  der 
Menschheit  zu  ihrem  Glücke. »3 


1  Vgl.  die  Bemerkung  von  Renss,  TAU.,  S.  30  Anm.  1. 
*  Vgl.  Muller  a.  a.  0.  S.  100.  —  Rathgeber,  Das  Elsass 
beim  Aasbrach  der  französischen  Revolution  (Jahrbuch  für  Gesch., 
Sprache  u.  Litt.  Els.-Lothr.  u.  s.  w.  V.  Jahrgang,  Strassbnrg  1889. 
S.  187.)  Revue  d'Alsace,  VII.  Band,  S.  127  fg.  Reuss,  l'Als.,  S. 
27.  —  Pf  annen  s  chmid,  G.  K.,  Pfeffel's  Fremdenbuch.  Colmar 
1892.  S.  77  u.  97  fg.  N  i  e  b  u  h  r  erwähnt  in  seinen  Vorlesungen  über 
die  Geschichte  des  Zeitalters  der  Revolution  (I.  S.  199  fg.)  den  ihm 
ersönlich  bekannten  T.,  cder  manche  administrative  Kenntnisse 
atte,  aber  nicht  bedeutend  war.» 

3  Vgl.  Journal  einer  Reise  nach  Frankreich  (von  S.  M. 


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—    38  - 

Auch  Schwendt  als  Syndikus  des  Direktoriums  der  un- 
mittelbaren Ritterschaft  war  mit  den  vielgestaltigen  Herrschafts- 
rechten des  Elsass  wohl  bekannt,  und  so  konnte  auch  ihn  der 
Magistrat  mit  Freuden  begrüssen.  Die  Abgeordneten  erhielten 
ihre  Vollmachten,  über  alles  was  den  Staat  angehe,  Vorschläge, 
und  Vorstellungen  zu  machen,  ihre  Meinung  zu  äussern  und 
ihre  Zustimmung  zu  geben.  Die  Repräsentanten  ihrerseits  ver- 
sprachen alles  zu  billigen  und  zu  genehmigen,  was  durch  sie 
geschehen  und  bestätigt  werden  würde.  Am  49.  April  reisten 
Türckheim  und  Schwendt,  nachdem  ihnen  in  einer  Huldigungs- 
adresse der  Repräsentanten  zu  ihrem  «segentriefenden  Gang» 
unter  Ueberreichung  von  Bürgerkronen  Glück  gewünscht 
worden  war,  nach  Paris  ab,  wo  ihnen  de  Crolbois  als  Berater 
und  als  finanzieller  Agent  und  Bevollmächtigter  des  Magistrats 
jederzeit  aufmerksam  zur  Seite  stand.» 


11. 

Das  Beschwerdenheft  und  die  Verhandlungen 
wegen  der  inneren  Beschwerden  mit  der 

Bürgerschaft. 

Thatsächlich  erlosch  mit  der  Wahl  der  Abgeordneten  die 
Thätigkeit  der  Repräsentanten,  und  es  blieb  noch  die  Kom- 
mission der  Sieben,  deren  Mitarbeiter  vom  Magistrat, 
fünf  an  der  Zahl,2  am  15.  April  durch  den  regierenden  Am- 
ineister  ernannt  wurden.    Als   sie  zu  gemeinsamer  Beratung 


Laroche)  Altenburg  1787.  S.  13  u.  Reuss,  l'Als.  S.  163  Anm.  1. 
Bei  Laroche  muss  die  Familie  des  Ammeisters  gemeint  sein. 

1  Vgl.  Re  uss,  TAls.,  S.  69.  Die  Huldigung  ist  in  dem  Brief  eines 
gew.  Krauss  an  den  badischen  Minister  von  Edelsheim  (vom  10.  März. 
Karlsruher  Archiv,  Frankreich.  Reichssache.  1789.  1790)  ge- 
schildert. In  der  Adresse  findet  sich  die  wenig  demokratisch  gefärbte 
Stelle:  «Ihr  zwar  beide  dnreh  die  Früchte  Eures  Fleißes,  Eurer  Ver- 
dienste und  Eurer  Geburt  über  der  Sphäre  derer  er- 
haben, die  Eurer  Hilfe  am  meisten  bedürfen  >  .  .  .  Das  Schriftstück 
schliesst  mit  einer  Apostrophe  an  Ludwig  XVI.,  «unsere  Wonne>. 

*  Der  Stättmeister  Chr.  von  Oberkircb,  der  Altammeiater  Poirot, 
Hennenberg,  der  XVer  Mogg  und  der  XXIer  von  Berstett.  —  Strobel 
V.  S.  292,  irrtümlich:  «sieben  von  jeder  Seite». 


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—   39  - 


zusammentraten,  war  das  Beschwerdenheft  für  die  Allgemein- 
heit noch  ein  Geheimnis.  Als  dann,  um  die  entstehende  Be- 
wegung zu  mildern,  auf  jeder  Zunftstube  eine  Abschrift  des 
Heftes  zur  Einsicht  niedergelegt  worden  war,  kam  es  zu 
lärmenden  Auftritten,  woraufhin  der  Druck  und  die  Führung 
eines  Protokolls  für  die  Beschwerden  jeder  Zunft  gestattet 
wurden.  Diese  Nötigung  des  Magistrats  zeigt  deutlich,  wie  man 
das  Beschwerden heft  in  den  Kleinbürgerkreisen  auffasste,  und 
wie  aller  Augen  nicht  sowohl  auf  die  Versammlung  der  1200 
als  auf  den  Ausschuss  der  12  und  auf  die  Beseitigung  der 
städtischen  und  noch  mehr  der  zünftigen  und  individuellen 
Beschwerden  gerichtet  waren. 

Dennoch  kamen  durch  die  günstige  Zusammensetzung  des 
Ausschusses  der  32  auch  teilweise  weitere  Gesichtspunkte  zur 
Geltung,  als  in  den  meisten  übrigen  Beschwere!  eheften 
des  Elsass,  deren  Verfasser  es  wagen,  von  der  Erfüllung 
eigenster  Wünsche  die  Bewilligung  weiterer  Steuern  abhängig 
zu  machen,  wie  z.  B.  die  Geistlichkeit  des  Distrikts  Colmar- 
Schlettstadt,»  während  die  Strassburger  nur  als  Bittende  auf- 
treten. Ihr  Heft  enthält  eine  einfache  Aufzählung  der  einzelnen 
Forderungen,  deren  Berechtigung  nicht  weiter  verteidigt  wird; 
hingegen  finden  sich  in  den  anderen  Heften  ausführliche  Be- 
gründungen der  Begehren.  Im  ganzen  macht  es  den  Eindruck, 
als  sei  durch  das  Zusammenwirken  mehrerer  an  Staats- 
geschäfte gewöhnter  Gewalten  in  den  beiden  Distrikten  des 
Elsass  die  Scheu  vor  der  Regierung  und  der  Nationalvertretung 
in  Versailles  minder  gross  gewesen,  als  in  dem  alleinstehenden 
Strassburg.  Doch  hat  das  Heft  dieser  Stadt  den  verdienstlichen 
Vorzug,  dass  es  grösser  und  übersichtlicher  angelegt  ist,  als 
die  übrigen,  die  sich  daneben  ziemlich  formlos  ausnehmen. 
Schon  die  Einteilung  in  fünf  Abschnitte  :  Beschwerden  in  bez. 
auf  das  ganze  Königreich  —  29.  Artikel ;  in  bez.  auf  die  Pro- 
vinz—  24;  in  bez.  auf  die  Stadt  in  Verbindung  mit  Frankreich 
—  26;  die  innere  Verfassung  der  Stadt  betreffend  —  32; 
besondere  Begehren  der  Zünfte  —  26  Artikel,  zeigt  praktische 
Erwägung  und  überlegenes  Geschick. 


1  S.  d.  Beachwerdenhefte  der  elsässischen  Wähler:  Archives 
parle  mentaircs  III.  S.  3.  9.  12,  416  fg.;  V.  »S.  784.  786  fg.  Das 
Beschwerdenheft  des  Conseil  Souverain  de  Colmar  ist  a.  a.  0.  V.  784 


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Dem  Inhalt  nach,  den  für  das  Strassburger  Engel hardt* 
ausführlich  wiedergegeben  hat,  ist  ein  Vergleich,  besonders  in 
Beziehung  auf  die  Frankreich  berührenden  Beschwerden  inte- 
ressant. Er  giebt  ein  Bild  nicht  nur  der  Gemeinsamkeit  der 
Wünsche  des  Elsass,  sondern  auch  des  Verhältnises  dieser  Be- 
schwerden zu  denen  Altfrankreichs. *  In  Beziehung  auf  das  König- 
reich lagen  die  Forderungen  Strassburgs  meist  auf 
finanziellem  Gebiete ;  z.  Tl.  aber  waren  sie  blosse  Formen  (wie 
die  Forderung  «die  wahre  Verfassung»  aufzusuchen),  so  lange  die 
Erhaltung  der  eigenen  Privilegien  verlangt  wurde.  Die  Wahrung 
aller  alten  Rechte  bildet  denn  auch  den  Hauptinhalt  des  zweiten 
Abschnitts,  neben  den  ins  Einzelne  gehenden  Beschwerden 
über  die  Wegfrohnen,  die  Ferme,  und  Fourragelieferungen, 
die  man  abgeschafft  und  durch  eine  Ausgleichssteuer  ersetzt 
haben  wollte.  Zwar  wurde  öffentlich  kein  Wort  von  Aufhebung 


fg.  fälschlich  unter  dem  Titel  «Cabier  de  la  Ville  de  Strasbourg»  ab- 
gedruckt 

1  Strohe  1  a.  a.  0.  V.  280  fg. 

2  Die  gemeinsamen  Forderangen  im  einzelnen  sind :  Gleiche  An- 
zahl der  Vertreter  des  3.  Standes  wie  die  der  beiden  anderen  zusam- 
mengenommen. Abschaffung  der  Lettres  de  cachet.  Pressfreiheit.  Be- 
willigung aller  Steuern  durch  die  Reichsstände.  Entrichtung  der 
Steuern  durch  jedermann,  ohne  Rücksicht  auf  Rang  und  Stand. 
Veröffentlichung  der  Schuldenlast  und  Erklärung  derselben  zur  Na- 
tionalschuld. Verminderung  der  finanziellen  Bedürfnisse  der  einzelnen 
Departements,  und  Veröffentlichung  ihrer  Rechnungen.  Authebung 
der  Pensionen,  der  Wohnungssteuer  und  Holzlieferungen  für  die  Be- 
amten und  Soldaten  des  Königs.  Periodische  Wiederkehr  der  Reichs- 
stände. Aufhebung  der  «das  Volk  ruinierenden»  (Stadt  Colmar  35.) 
Lotterien.  Verbesserung  der  Gerichtsbarkeit.  Abschaffung  der  Evo- 
kationen vor  fremde  Gerichtshöfe.  Errichtung  von  Provinzialständen. 
Aufhebung  der  Stelle  des  General-Einnehmers  der  Finanzen.  Zu- 
lassung des  3.  Standes  zu  den  Offiziersstellen.  Sodann:  Erhaltung 
der  alten  Privilegien  der  Städte  und  Gemeinden.  Abschaffung  der 
käuflichen  Stellen  Uebertragung  etwaiger  Steuerbefreiung  auf  das 
ganze  Königreich.  Eintragung  des  Grundbesitzes  in  Kataster.  Auf- 
hebung  verschiedener  Steuern,  besonders  auf  Amluug,  Leder,  Papier. 
Belassung  der  Zollgrenze  an  den  Vogesen.  Erhaltung 
des  Elsasses  in  seiner  Stellung  als  fremde  Provinz.  Verbot  des  Geld- 
verkehrs mit  Juden.  —  Näheres  über  das  Heft  von  Hagenau  vgl.  bei 
Kiele,  Hagenau  zur  Zeit  der  Revolution,  1885.  S.  18.  fg..  woraus 
deutlich  die  Aehnlichkeit  der  Bestrebungen  in  Hagenau  und  Strass- 
burg  hervorgeht.  —  S.  22  sagt  Klel6.  es  sei  die  Abschaffung  der 
Gabelle  verlangt  worden.  Thatsächlich  steht  in  dem  Heft  von  Ha- 
genau-Weissenburg  (a.  a.  0.  III,  416  fg.)  nichts  davon,  da  bekannt- 
lich die  Gabelle  im  Elsass  nicht  eingeführt  war. 


—   41  — 

oder  Erleichterung  der  Abgaben  des  Zwanzigsten  laut.  Dennoch 
stimmt  es  nicht  zu  den  fortgesetzten  amtlichen  Versicherungen 
der  Liebe  zum  König  und  Dankbarkeit  gegen  den  schützenden 
Staat,  dass  man  bei  der  schlimmen  Lage  Frankreichs  da,  wo 
Selbstlosigkeit  zu  beweisen  und  Opfer  zu  bringen  gewesen 
wären,  nur  um  Vorteile  besorgt  war.» 

Vor  allem  der  dritte  Abschnitt,  Beschwerden  der  Stadt  in 
Verbindung  mit  Frankreich  betreffend,  bietet  von  diesem  Ge- 
sichtspunkt aus  ein  sonderbares  Bild.  Man  glaubt  sich  unter 
die  Ratsherren  von  4681  versetzt,  in  dem  Augenblick,  wo  sie 
die  Kapitulation  zur  Wahrung  ihrer  alten  Herrlichkeit  aufsetzten. 
Nichts  als  Privilegien,  —  Erhaltung,  Wiederge Währung  und 
auch  Erweiterung  der  Privilegien,  und  Befreiung  von  Lasten  — , 
man  muss  vergessen,  dass  Strassburg  eine  kgl.  freie  Stadt  war, 
um  jenen  Begehren  in  Anbetracht  der  Kapitulation  gerecht  zu 
werden,  woran  niemals  hatte  gerüttelt  werden  sollend 

Aber  eben,  dass  hier  so  manchmal  auf  den  Verlust  alter 
Vorrechte  hingewiesen  und  das  ungünstige  Verhältnis  der  Stadl 
in  Beziehung  auf  die  Höhe  der  Geldleistungen  betont  werden 
musste,5  zeigt,  dass  unter  der  französischen  Herrschaft  in  Strass- 
burg die  Herzen  doch  nicht  bloss  leicht  und  freudig  schlugen,  und 
wie  auch  aus  dieser  Stimmung  heraus  dem  Magistrat  die  Ab- 
sendung  eigener  Deputierten  so  dringend  erwünscht  gewesen 
war.  Dennoch  möchte  man  versucht  sein,  die  Strassburger 
weniger  eigensüchtig  zu  nennen  als  die  übrigen  Elsässer,  wenn 
man  die  Rücksichten  ins  Auge  fasst,  die  jene  den  allgemeiner 
Verhältnissen  Frankreichs  angedeihen  lassen,  und  wenn  man 
die  Vorbehalte  der  übrigen  Distrikte  der  bedingungslosen 
Abgabenbewilligung  seitens  der  Strassburger  entgegenstellt. 
Ausser  dieser  Stadt  hat  nur  noch  Hagenau  die  Errichtung  einer 
Verfassung  für  das  Königreich  gefordert,  und  auf  den  Gedanken, 


1  Die  Fourragelieferung  für  die  Garnison,  (die,  wie  betont  wird, 
der  Provinz  zum  Nutzen  gereichte)  wollte  man  dennoch  zu  2/s  der 
Kriegskasse  aufgelegt  wissen. 

*  Spach.  F.  de  Dietrich  etc.  p.  495:  «en  un  mot,  on  repugnait 
ä  se  fondre  avec  le  reste  de  la  France,  tont  en  cherchant  a  profiter 
des  avantages  que  donnait  le  reunion  a  un  grand  royaume>.  Diese 
Arbeit  lässt  öfters  an  Genauigkeit  zu  wünschen  übrig.  So  lässt 
Spach  (1.  c.)  in  dem  Strassburger  Heft  die  Adeligen  die  Aufrechter- 
haltung ihrer  Herrschaftsrechte  verlangen,  während  sie  mit  dem 
Strassburger  Heft  gar  nichts  zu  thun  haben. 


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-   42  — 


die  Einkünfte  der  Krongüter  zur  allgemeinen  Tilgung  der 
Schulden  heranzuziehen,  ist  niemand  im  Elsass  gekommen  als 
unser  Magistrat.  Aber  widerum  darf  man  nicht  vergessen,  dass 
dieser  durch  Entgegenkommen  und  den  Beweis  des  Interesses 
an  den  Vorgängen  im  Königreich  eher  erhört  zu  werden  hoffte, 
als  durch  selbstbewusstes  Auftreten. 

Dem  formalen  Unterschied  steht  materielle  Gleichheit  gegen- 
über. Die  allgemeinen  auch  in  Frankreich  verhassten  Schäden 
des  Steuerwesens  und  der  Gesetzgebung,  die  drückenden  Ver- 
brauchssteuern vor  allem  und  die  Missstände  in  der  Handhabung 
der  Justiz,  bilden  den  gemeinsamen  Grundstock  der  Unzufrieden- 
heit, wenn  auch  naturgemäss  von  den  Frohnen  im  Elsass  viel 
weniger  als  in  Frankreich,  von  der  taille,  den  aides  und  der 
gabelle  überhaupt  nicht  die  Rede  war,  und  auch  verkäufliche 
Aemter  nicht  in  Betracht  kamen.  — Einem  gemeinsamen  Angst- 
schrei gleicht  die  überall  laut  werdende  Besorgnis  wegen  der 
Verschiebung  der  Zollgrenze  an  den  Rhein.  Diese  Massregel, 
das  empfand  jedermann,  bedeutete  die  Vernichtung  des  Handels 
der  Provinz.  Diese  selbst  sollte  nach  der  Absicht  der  übrigen 
Distrikte  künftig  ein  geschlosseneres  Ganzes  bilden,  als  bisher, 
was  aber  den  Wünschen  Strassburgs  nicht  entsprechen  konnte. 
Hier  verlangte  man  auch  fernerhin  eine  direkte  Deputation  zu 
den  Reichsständen,  und,  da  die  Stadt  ihre  eigenen  Auflagen 
beibehalte,  nur  unter  gewissen  Einschränkungen  eigene  frei  er- 
wählte Vertreter  bei  den  Provinzialversammlungen.  Die  anderen 
dagegen  wünschten,  dass  sowohl  bei  den  Provinzialversamm- 
lungen, wie  bei  den  künftigen  Generalständen  Strassburg  und 
die  zehn  Städte  sich  nur  dann  an  den  Wahlen  beteiligten,  wenn 
ihre  Bürger  sich  den  betreffenden  Distrikten  angeschlossen 
hätten.  Die  eigenen  Landsleute  tasteten  die  Ausnahmestellung 
ihrer  Gemeinwesen  an,  und  so  musste  es  für  den  Strassburger 
Magistrat  von  besonderer  Wichtigkeit  werden,  was  in  Versailles 
darüber  beschlossen  wurde. 

Im  Vordergrund  des  Interesses  der  Bürger  aber  standen 
nicht  die  staatsrechtlichen,  sondern  die  verfassungsrechtlichen 
Verhältnisse,  die  erwünschte  Umgestaltung  des  Magistrats  und 
die  Verbesserung  des  Finanzwesens  der  Stadt.  Wie  erwähnt, 
wurde  das  Selbstergänzungsrecht  des  SchöfTenkollegiums  als  ein 
grosser  Uebelstand  betrachtet.  Künftig  sollte  die  Wahl  der 
Schöffen  durch  30  jedesmal  eigens  hiezu  ernannte  zünftige 


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43 


Wähler  geschehen,  und  zwar,  wie  fortan  alle  Wahlen,  in  ge- 
heimer Abstimmung.  —  Neben  diesem  Artikel  erregte  ganz 
ungewöhnliches  Aufsehen  derjenige,  welcher  die  Untersuchung 
der  alten  XVer-Ordnung  verlangte,  damit  diese  auf  ihre 
frühere  Befugnis  zurückgeführt  werde,  wobei  man  ausserdem 
eine  Neuzusammensetzung  der  Kammer  und  Verminderung  der 
Vollmachten  der  Zunftgerichte  und  ihrer  Rechtssprechung 
forderte.»  Vor  allem  sollte  die  Hauptgewalt  der  XVer:  «zu 
mehren  und  zu  mindern»,  unterdrückt  werden,  ihnen  fortan 
nur  das  Vorschlagsrecht  bei  der  Aufstellung  neuer  Verordnungen, 
die  Bestätigung  aber  den  Rät  und  XXI  zustehen,  und  schliess- 
lich das,  übrigens  fragliche  Recht  der  XVer,  jemand  «eintürmen» 
zu  lassen2  an  den  Ammeister  und  den  Grossen  Rat  übergehen. 
—  Diese  Forderungen  des  5.  Artikels  beraubte  die  XVer  so 
ziemlich  alles  dessen,  worauf  sich  ihre  Machtstellung  gründete, 
und  es  ist  begreiflich,  dass  grösste  Aufregung  im  Magistrat 
darüber  herrschte.  Sogar  der  Generaladvokat  Mogg,  der 
zwei  Jahre  zuvor  während  des  Metzgerstreits  im  Rate  scharf 
und  bitter  gegen  die  XVer  gesprochen,  verstieg  sich  nun  zu 
der  Aeusserung,  Strasburg  sei  das  Muster  eines  wohleinge- 
richteten  Staats,  mit  dessen  Verfassung  jene  Umsturzartikel  un- 
möglich übereinstimmen. 

Auch  die  weiteren  Begehren  der  Bürger  waren  dem  Magi- 
strat wenig  genehm.  Der  jährlichen  Hauptrechnung  sollten 
Repräsentanten  der  Zünfte  beiwohnen,  wie  denn  überhaupt 
Öffentlichkeit  der  Rechnungen  und  die  Einsetzung  einer  Kom- 
mission von  40  Zünftigen  unter  dem  Vorsitz  von  3  Magistrats- 
mitgliedern zur  Aufstellung  der  Steuerrollen  verlangt  wurde. 
Letztere  sollten  ausserdem  von  jedermann  eingesehen  werden 
können.  Das  «Stallgeld»,  die  Vermögenssteuer  der  Stadt, 
sollte  durch  eine  gleichwertige  Stadtsteuer  von  90000  Livres» 
ersetzt  und  nach  dem  neu  zu  errichtenden  Fuss  des  Kopf- 


»  Artikel  IX.  XI.  XIV.  XVI.  XVII.  XXI.  XXIV.  XXVI. 

2  Dies  bezieht  sich  darauf,  dass  infolge  der  Weigerung  der  Metz- 
ger, die  neuen  Fleischwaagen  anzuwenden,  auf  ßefehl  der  XVer  die 
Zunftmeister  der  «Blum'»  eingekerkert  worden  waren.  Die  übrigen 
Zünfte,  aufgefordert  sich  über  die  Giltigkeit  dieses  Verfahrens  zu 
äussern,  kamen  zumeist  zu  keinem  Ergebnis. 

3  «80 ODO»  bei  Reuss,  l'Als.  S.  54  ist  ein  Druckfehler.  Vgl. 
das.  S.  95. 


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—   44  — 


geldes  verteilt  werden,  bis  die  Schulden  der  Stadt  gedeckt  sein 
würden. i 

Alle  Einkünfte  der  Stadt  sollten  ferner  durch  eine  zweite 
Kommission  von  40  untersucht  werden,  die  nach  deren  Ver- 
hältnis die  Höhe  der  künftigen  Auflagen  zu  bemessen  hatte. 
Diesen  40  sollte  der  Einblick  in  alle  Kassen-  und  Kanzleiur- 
kunden zustehen,  und  ausserdem  sollten  sie  zu  allen  Haupt- 
geschäften, die  auf  eine  Veränderung  der  Verfassung  abzielen 
möchten,  berufen  werden.  Es  ist  deutlich,  dass  diese  Artikel, 
denen  minder  radikale  und  für  das  allgemeine  weniger  bedeu- 
tende folgten,  von  dem  Bestreben  diktiert  wurden,  die  Befug- 
nisse der  Bügerschaft  auf  Kosten  der  Gewalt  des  Magistrats  zu 
heben.  Auch  die  sonst  wenig  bemerkenswertes  enthaltenden 
Beschwerden  in  bez.  auf  die  Zünfte  sind,  soweit  sie  nicht  eine 
Forderung  im  Interesse  eines  bestimmten  Handwerks,  z.  B.  die 
Verminderung  der  Accisen,  enthalten,  von  derselben  Stimmung 
getragen.  Selbst  der  Wunsch,  die  einzelnen  Vertreter  der  Zunft 
in  der  Amtsdauer  zu  beschränken,  und  stets  Mittel  in  der  Hand 
zu  haben,  sie  nach  Gefallen  zu  wählen,  tritt  hervor. 


1  Der  Name  Stallgeld  kommt  nach  der  im  vorigen  Jahrhundert 
überall  festgehaltenen  Ueberlieferung  (Schöpflin  a.  a.  0.  II.  304) 
daher,  dass  mit  dem  Gebäude,  wo  die  zu  den  Römerzügen  bereitge- 
haltenen Pferde  ernährt  wurden,  1505  das  Schatzhaus  verbunden 
ward.  Zuvor  bestand  eine  besondere  Vermögenssteuer,  aber  nun 
wurde  das  eigentliche,  von  den  Bürgern  nach  ihrem  Vermögen  für 
die  Pferde  zu  entrichtende  Stallgeld  ein  Zusatz  zum  Pferdezug  (da- 
her: Die  Herren  vom  Stallzusatz)  genannt,  die  Bürgersteuer  jedoch 
Stallgeld.  (Friese  a.  a.  0.  I,  250  Ig.)  Vgl.  auch  Consultation  even- 
tuelle  etc.  im  St.-A.  AA.  2150:  «Stallgeld,  etimologie  qui  derive  de 
son  institution,  de  meme  qu'on  appelle  mois  romain  les  sommes  que 
les  titats  de  l'Empire  payent  au  lieu  et  places  de  cavalerie  eto 
Der  Ausdruck  ist  infolge  dessen  für  versteuern  üblich.  Es  erscheint 
müssig,  bei  der  augenfälligen  Herkunft  des  Wortes  nach  anderem 
Ursprung  desselben  suchen  zu  wollen  (Mone,  Ztschr.  f.  Gesch.  des 
Oberrheins  Bd.  16,  1864.  S.  179.  Ludwig  a.  a.  0.  S.  251.  Ebensogut 
könnte  man  die  Ableitung  von  etalon,  der  Hengst,  bevorzugen). 

Die  Steuer  an  sich  war  nicht  drückend  (Hermann  a.  a.  0.  I. 
195),  aber  die  Selbsteinschätzung,  vermöge  deren  sie  zusammenkam, 
zu  unsicher.  «Wen  muss  nicht  Entsetzen  überfallen,  wenn  er  an  die 
Menge  der  Meineide  von  allerlei  Stand  und  Geschlecht  denket?  Man 
darf  nur  die  Stallbücher  durchlaufen,  so  wird  er  eine  recht  ärger- 
liche Ungleichheit  des  Ansatzes  finden.  Man  weiss,  dass  10,  20  und 
mehr  Tausend  Gulden  reiche  Personen  ...  oft  so  unverschämt  sind, 
und  nicht  mehr  als  der  ärmste  Bürger  geben.  >  (Memoire  a.  d.  J.  1775. 
St.-A.  AA.  2150). 


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—   45  — 

Dies  ist  überhaupt  das  Kennzeichen  des  Beginns  der  Revo- 
lution in  den  elsässischen  Städten.  Auch  in  den  Beschwerde- 
heften der  Städte  Colmar  und  Schlettstadt,  sowie  des  Distrikts 
Hagenau-Weissenburg,1  deren  ersteres  im  Namen  der  zehn 
alten  Reichsstädte  abgefasst  ist,  und  die  alle  den  Reichsständen 
unmittelbar  vorgelegt  wurden,  beklagen  sich  die  Bürger  über 
den  «Despotismus»  der  Magistrate  und  verlangen,  diese  fortan 
selbst  erwählen  zu  dürfen.  Da  derartige  Verhältnisse  kleiner 
Gemeinwesen  in  Versailles  keine  eingehende  Würdigung  zu  er- 
warten hatten,  befand  sich  Strassburg,  anscheinend  wenigstens, 
in  dem  Vorteil,  im  gegenseitigen  Entgegenkommen  von  Bürger- 
schaft und  Obrigkeit  einen  befriedigenden  Ausgleich  erlangen 
zu  können. 

Am  22.  April  begann  die  gemeinsame  Arbeit  der  Depu- 
tierten des  Rats  mit  den  Bürgerausschuss-Kommissaren.*  Die 
ersteren  standen  unter  dem  Eindruck  —  den  auch  Gerard  beim 
Lesen  des  Beschwerdenhefts  erhalten  hatte  — ,  dass  durchaus 
nicht  alle  Forderungen  sich  mit  der  Verfassung  vereinbaren 
liessen.s  Nicht  berechtigt,  selbständig  zu  entscheiden,  berieten 
sie  daher  nur,  Punkt  um  Punkt.  Gleich  die  Eingangsworte  des 
Verfassungs-Abschnittes  hatten  im  Magistrat  schwere  Bedenken 
hervorgerufen,  wo  es  hiess :  «Die  Deputierten  werden  die  Vor- 
stellung machen,  dass  ein  unwidersprechliches  Grundgesetz  sei, 
dass  die  Konstitution  der  Stadt  Strassburg  ein  Eigenthum  der 
Gemeinde  oder  der  Bürgerschaft  ist  unter  der  Autorität  des 
Königs  und  dem  Schutz  des  Staats».  Man  konnte  sich  über  die 
Bedeutung  des  Begriffs  Gemeinde  nicht  einigen.  Ferner 
widersprachen  die  Deputierten  selbstredend  dem  Artikel  (II) 
über  die  Schöffen  wählen.  Sie  wollten  eine  Aenderung  der 
Verfassungsformen  überhaupt  vermieden  wissen,  da  die  erste 
wohl  andere  nach  sich  ziehen  könnte.  «Allein,  sagen  sie  in 
ihrem  Bericht,  die  dermaligen  Umstände  und  die  in  dem 
ganzen   Königreich  von  der  Nation  und  von  der  Regierung 


1  Vgl.  Kleie  a.  a.  0.  S.  18. 

2  Vgl.  «Bericht  an  die  bürgerliche  Repräsentanten  von  den  7 
Kommissaren  erstattet,  den  2.  Junins  1789>,  französisch  bei  Reuss, 
l'Als.  S.  75  fg,  und  Protokoll  der  Räth  und  XXI.  und  der  XVer, 
1789.  Besonders  den  Bericht  der  Deputierten  des  Magistrats  Prot.  R. 
u.  XXI.  Fo.  326. 

3  Vgl.  den  Brief  St.-A.  AA.  2001.,  vom  19.  April. 


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-   46  - 

selbt  allgemein  anerkannten  Grundsätze  von  freier  Wahl  wahrer 
Repräsentanten  reden  dem  Begehren  der  hiesigen  Bürgerschaft 
so  nachdrücklich  das  Wort,  dass  der  mehrere  Teil  der  Deputierten 
bittet,  den  Bürgern  einigen  Anteil  an  der  Wahl  zu  geben.» 
Weniger  der  Grund  als  die  Begründung  dieses  Wunsches  der 
Bürgerschaft  erzeugte  einen  solchen  ersten  amtlichen  Hinweis 
auf  eine  Uebereinstimmung  der  Bestrebungen  Strasburgs  mit 
der  Nation,  unter  dem  Einfluss  der  Bewegung  jenseits  der 
Vogesen,  die  anfing  mit  leichten  Wellenschlägen  bis  an  den 
Rhein  herüberzudringen.  Es  waren  soeben*  die  Nachrichten 
von  dem  Aufruhr  in  der  Antonsvorstadt  eingetroffen,  zu  der- 
selben Zeit,  wo  sich  die  Abgeordneten  des  ganzen  Reichs  zum 
Zusammentritt  zu  ihrem  Werke  rüsteten.  So  flössen  die  beiden 
Bewegungen  in  einander. 

Für  die  Kommissare,  die  erklärten,  weder  die  XVer- 
Ordnung  noch  das  Stadtrechtbuch  anzuerkennen,  war  der 
Widerspruch,  worin  Artikel  II  vor  allem  zu  der  ersteren  stand, 
kein  Grund  zur  Nachgiebigkeit.  Dadurch  wurde  die 
schwierigste  Lage  geschaffen,  die  durch  weitere  Gegensätze 
noch  unerfreulicher  ward.  Die  Hinzuziehung  jener  40  zur 
Abänderung  von  Grundgesetzen  beim  ständigen  Regiment  er- 
klärten die  Deputierten  für  unstatthaft.  Artikel  V  wurde  der 
XVerkammer  selbst  zur  Beratung  überwiesen;  die  Forderung 
der  Metzger,  den  Fleischpreis  erhöhen  zu  dürfen,  abgelehnt, 
von  den  Sieben  aber  aufrecht  erhalten.  In  anderen  Fragen 
gaben  die  Deputierten  möglichst  weit  nach.  So  ward  z.  B.  ein 
Preis  auf  den  besten  Vorschlag  einer  verbesserten  Erhebung 
des  Stallgeldes  ausgesetzt  und  den  Schirmern  sollte  die 
Handwerksgerechtigkeit  zugestanden  werden.  «Wir  haben», 
so  schrieben  die  Repräsentanten  an  die  Deputierten  der  Stadt 
in  Versailles,2  Boden  gewonnen;  unsere  Verhandlungen  hatten 
eine  sehr  günstige  Wendung  bekommen.»  Am  25  Mai  legten 
die  fünf  Ratsdeputierten  das  Ergebnis  vor.  Sie  gaben  zu,  dass 
die  meisten  Punkte  «auf  das  Herkommen  bisher  gegründeter 
Anstalten  anzwecken».  Doch  «erfordern  einige  allerdings  eine 
weit  genauere  Erwägung,  ehe  über  dieselben  eine  bestimmte 


1  Vgl.  Strassburger  Priv.  Ztg.  46,  49,  51,  53.  Stück  und 
Bulletin  vom  4.  Mai  u.  s.  w. 

2  Vgl.  Reu  ss,  l'Als.  S.  73. 


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-  47 


Entscheidung  gemacht  werden  könne.»  Daher  schlug  der  Am- 
meister  vor,*  das  Ergebnis  der  Verhandlungen  während  eines 
Monats,  also  bis  zum  25.  Juni,  zu  jedes  Raisherrn  Einsicht 
aufzulegen,  und  erst  dann  in  der  Beratung  fortzufahren ;  die 
strittigen  Punkte  aber  vor  die  zuständigen  Stellen  zu  weisen, 
was  mit  den  Artikeln  II  und  V  alsbald  geschah.  Die  Sitzung 
vom  25.  Mai  war  nach  der  Aussage  der  Repräsentanten  so 
hitzig  und  lärmend  €wie  ein  polnischer  Reichstag»  gewesen,2 
so  dass  sie  hatte  abgebrochen  werden  müssen.  Ein  grosser 
Teil  des  Magistrats  hatte  den  unbefriedigenden  Aufschub  be- 
kämpft. Er  brachte,  wie  sie  sagten,  eine  höchst  gefahrdrohende 
Stimmung  hervor.  Aber  die  Mehrheit  blieb  dabei,  und  so  wurde 
der  Aufschub  verordnet.  Daraufhin  antworteten  die  Sieben  sehr 
bestimmt,  sie  haben  den  Bürgern  Hoffnung  gemacht,  dass  ihre 
Wünsche  angenommen  würden.  Nun  sei  wohl  die  Monatsfrist 
vorbehalten  worden,  um  desto  gewisser  nach  deren  Ablauf 
sämmtliche  Gegenstände  ihrer  Wünsche  auf  einmal  zu  er- 
ledigen.3 Auch  die  Repräsentanten,  fügten  sie  mit  einer  geschickten 
WTendung  hinzu,  die  mit  ihren  Folgen  die  ganze  Angelegenheit 
in  ein  neues  Stadium  leitete,  wollen  die  Frist  benutzen,  um 
den  Bericht  ihrer  Kommittenten  näher  zu  betrachten ;  auch 
haben  sie  von  Zeit  zu  Zeit  von  den  Deputierten  in  Versailles 
Nachricht  zu  empfangen,  deren  Mitteilung  an  die  126  wohl 
nur  in  einer  Versammlung  derselben  geschehen  könne,  deren 
Erlaubnis  sie  nun  vom  Magistrat  erbaten.  Dieser  kam 
in  grosse  Verlegenheit.  Eine  förmliche  Versammlung  der  ehe- 
maligen Repräsentanten  konnte  nicht  gestattet  werden.  Man 
wählte   daher,   mit  Widerstreben,  einen  Ausweg,  indem  man 


i  Strobel  V,  S.  292  verwirrend:  «Der  grosse  Rat»,  statt  Räth 
und  XXI. 

*  Im  Protokoll  der  Räth  und  XXI  steht  nur,  dass  die  Sitzung 
vertagt  wurde.  Die  Repräsentanten  (Reuss  a.  a.  0.  S.  74)  sagen  am 
28.  Mai :  «gestern»  seien  die  Verhandinngen  wieder  aufgenommen 
worden.  Auch  dies  scheint  der  Magistrat  der  Nachwelt,  auf  deren 
Einblick  in  die  Protokolle  mehrfach  hingewiesen  wird,  vorenthalten 
zu  haben.  Von  einer  Sitzung  am  27.  Mai  steht  nichts  im  Protokoll. 

3  Reuss,  l'Als.  S.  76.  Anm.  sagt:  «Le  28.  Mai,  malere  les  re- 
clamations  des  reprösentants  elles  furent  ajournees  au  25.  juin.»  Von 
diesen  reclamations  ist  in  den  Protokollen  nichts  zu  finden.  Vgl. 
auch  den  Brief  der  Repr.  vom  4.  Juni  (das.  S.  99):  «Les  sentimens 
se  sont  unanimement  reunis  etc.» 


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zur  Erleichterung  einer  Verständigung  der  Repräsentanten  mit 
dem  Siebener- Ausschuss  Unterredungen  in  Gestalt  von  Privat- 
versammlungen gestattete.    Ueber  den  Briefwechsel  aber  ward 
stillschweigend  weggegangen  und  derselbe  in  der  Folge  als 
Thatsache  hingenommen.* 

Damit  aber  war  der  Magistrat  mehr  oder  weniger  zur 
Rolle  des  Abwartenden  verurteilt.  Die  Abgeordneten  nahmen 
augenscheinlich  keinen  Anstoss  daran,  denn  sie  legten  ihren 
Kommittenten  auf  das  genaueste  Rechenschaft  über  ihre 
Thätigkeit  und  die  Vorkommnisse  besonders  in  Versailles  ab. 


III. 

< 

Die  Deputierten  bei  der  Eröffnung  der  Reichs- 
stände.  Weitere  Verhandlungen  über  das 
Beschwerdenheft  und  über  die  Einsetzung  eines 
Kommissars.  —  Dietrich  und  Klinglin. 

Am  26.  April  hatten  sich  Türckheim  und  Schwendt  von 
Paris  nach  Versailles  begeben,  wo  sie  erfuhren,  dass  die  Er- 
öffnung der  Reichsstände  um  acht  Tage  verschoben  worden 
war.  Zunächst  sannen  sie  darauf,  auch  äusserlich  die  besondere 
Stellung  Strassburgs  zu  bewahren  und  in  ihrer  heimatlichen 
Amtstracht  zu  erscheinen.  Doch  mussten  sie  sich  trotz  ihrer 
Vorstellungen2  der  Verordnung,  dass  alle  Abgeordneten  des 
dritten  Standes  dasselbe  Gewand  zu  tragen  haben,  fügen. 
Dieser  Abweisung  folgte  ein  Missgeschick,  das  wie  ein  kalter 
Wasserstrahl  auf  die  von  Liebe  zum  Vaterland,  d.  h.  zur 
Stadt  Strassburg,  glühenden  Abgeordneten  wirken  musste,  und 
das  belustigend  wäre,  hätte  es  nicht  eine  politische  Seite  ge- 
habt, durch  deren  Behandlung  die  ganze  Rechtsunsicherheil 
des  Vertrags  von  1681  und  damit  der  Stellung  der  Stadt  zu 
Frankreich  gekennzeichnet  wird. 


1  Der  erste  Brief  (vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  70  fg.)  ist  vom  18.  Mai. 
Bereits  am  28.  wurde  er  beantwortet.  Der  Briefwechsel  war  also,  als 
die  Repräsentanten  um  die  Erlaubnis  baten,  bereits  begonnen. 

2  Vgl.  den  Brief  der  Deputierten  vom  9.  Mai,  Prot  der  Xlller  Kam- 
mer, zum  grössten  Teile  abgedruckt  im  Anhang  Nr.  4. 


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-   49  - 

Es  war  verordnet  worden,  dass  die  Vertreter  des  dritten 
Standes  bei  der  feierlichen  Vorstellung  nach  der  Zeitfolge  des 
Anschlusses  ihrer  Provinzen  an  Frankreich  aufeinander  folgen 
sollten.  Anfangs  war  Strassburg  auf  Grund  seiner  Kapitulation 
(1681)  nach  Franche  Comte  und  Flandern  (1678)  eingereiht 
worden ;  das  Bureau  aber  ordnete  es  gemäss  dem  westfälischen 
Frieden  in  das  Jahr  1648.  Es  versäumte  jedoch  nicht  nur, 
Strassburg  an  dieser  Stelle  oder  überhaupt  auf  der  Liste  anzu- 
merken, sondern  auch  die  Abgeordneten  vor  der  Feier  von  der 
beabsichtigten  Aenderung  zu  benachrichtigen,  so  dass  sie  sich 
unerwartet  ohne  Platz  sahen.  Schnell  gefasst,  und  um  die  Haupt- 
stadt des  Elsass  nicht  hinter  den  anderen  Gemeinden  der  Provinz 
erscheinen  zu  lassen,  wo  man  sie  nunmehr  einreihen  wollte, 
liessen  sie  die  Abgeordneten  der  vor  1681  mit  Frankreich 
vereinigten  Landschaften  an  sich  vorüberziehen  und  traten  aus 
eigenem  Entschluss  an  die  ihnen  zu  anfang  angewiesene 
Stelle,  vor  Lothringen. 

Danach  beeilten  sie  sich,  am  Bureau  Einspruch  zu  erheben, 
was  ihnen  aber  nichts  half.  Sie  sandten  daher  den  Entwurf 
eines  ausführlichen  Protestes  an  den  Magistrat,1  worin  sie  die 
Stellung  Strassburgs  als  Provinzialhauptstadt  geltend  machten. 
Der  Magistrat  hielt  an  diesem  Vorrang  fest,  aber  das  Zugeständ- 
nis, das  die  Deputierten  zu  machen  bereit  waren,  dass  Strass- 
burg schon  1648  unter  die  Oberhoheit  Frankreichs  gekommen 
sei,  erkannte  er  nicht  an.  «Die  Meinung  des  Bureaus»  heisst 
es  in  dem  interessanten  Antwortschreiben,«  «braucht  nicht  die 
unsrige  zu  werden,  nachdem  wir  mehr  als  ein  Jahrhundert 
eine  entgegengesetzte  Ueberzeugung  gehabt  haben.»  Aber  in- 
folge der  Abstimmung  von  Adel  und  Geistlichkeit  der  Stadt  in 
Hagenau,  wurde  sie  als  ein  Teil  dieses  Distrikts  betrachtet,«  und 
auch  Gerard  hielt  für  gut,  dass  der  dritte  Stand  des  Elsass 
eine  geschlossene  Vereinigung  darstelle.*    Daher  drang  der 

1  Vgl.  Anhang  Nr.  4.  n.  6.  Der  Artikel  <teneatur>  bei  Du 
Mont,  J.,  Corps  Universel  Diplomatique.  Amsterdam,  1728.  Band 
VI.  Teil  1.  S.  457.  (Artikel  XII,  §  87)  und  bei  Stupfel,  a.  a.  0. 
S.  18.  Vgl.  auch  Häusser,  Deutsche  Geschichte  etc.  I.  275.  Anm.  2. 

2  Vgl.  Anhang  7  u.  9. 

3  Vgl.  den  Brief  der  Deputierten  vom  13.  Mai,  St.-A.  AA.  2003; 
teilweise  im  Anhang  Nr.  8. 

4  Vgl.  Prot,  der  R.  und  XXI.  vom  28.  Mai  und  vom  3.  .Juni. 

4 


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50  — 


Magistrat  in  dieser  «dornigen  Frage  über  die  Ausdehnung  des 
Elsass»  nicht  durch,  und  hatte  fortan  seine  Kapitulation  politisch 
nur  als  «zweite  Sicherheit»  nächst  den  Verträgen  von  Münster 
Frankreich  gegenüber  zu  betrachten,  und  wer  als  Knabe  im 
Jahre  1781  die  hundertjährige  Vereinigung  Strassburgs  mit 
Frankreich  gefeiert,  konnte  hoffen,  das  zweihundertjährige 
Jubelfest  als  fünfund siebzig-  oder  achtzigjähriger  Greis  im  Jahre 
1848  zu  begehen. 

Zu  dieser  Niederlage  kam  die  ungünstige  Stimmung  in  der 
Stadt  nach  dem  Entscheid  vom  25.  Mai.  Durch  die  lebhaften 
Berichte  der  Deputierten  war  ausserdem  die  Versailler  Ver- 
sammlung in  lebendigere  Nähe  gerückt,  was  nicht  nur  allge- 
meine Spannung  verursachte,  sondern  auch  das  Selbstbewusst- 
sein  der  Bürger  in  der  Hoffnung  hob,  durch  das  Wohlwollen 
der  Deputierten,  auch  ohne  den  Magistrat,  zu  den  ersehnten 
Zielen  zu  gelangen.  Ausserdem  aber  befürchtete  man,  der 
Aufschub  der  Verhandlungen  möchte  den  Anfang  des  gänzlichen 
Schlusses  derselben  bedeuten,  und  so  geschah  es,  dass  in  der 
Versammlung  der  Repräsentanten  am  2.  Juni,  wo  man  die  ver- 
langte Frist  in  halbunwilligem  Zugeständnis  über  sich  ergehen 
liess,  Stimmen  laut  wurden,  die  eine  Beschleunigung  durch 
Druck  von  höherer  Stelle  herbeizuführen  wünschten. 

Die  Repräsentanten  berichteten  darüber  an  die  Deputierten, 
ohne  selbst  die  Wirkung  ihres  Briefs  zu  ahnen.  Die  Depu- 
tierten waren  nämlich,*  sehr  bestürzt  über  die  Folgen  des 
Ausgangs  der  Verhandlungen,  zu  Puysegur  gegangen  und 
hatten  ihm  in  einer  Note2  die  schlimme  Lage  Strassburgs  dar- 
gethan.  Sie  stellten  ihm  die  Notwendigkeit  der  Absendung 
eines  königlichen  Kommissars  an  Stelle  des  erkrankten 
Prätors  vor,  und  der  Minister  versprach  dessen  Ernennung. 
So  beruhigend  dies  für  die  Bürger  war,  so  peinlich  und  be- 
denklich berührte  es  den  Magistrat.  In  den  schärfsten  Aus- 
drücken tadelte  er  das  selbständige  und  voreilige  Vorgehen 
Türckheim's  und  Schwendt's.  Auch  der  Ton  ihres  Schreibens 
hatte  den  Magistrat  höchst  empfindlich  berührt.    «Der  eine  von 


1  Vgl  Reusa,  l'Als.  S.  100,  und  Schreiben  der  Deputierten  vom 
8.  Juni.  Vgl.  Prot,  der  Rath  und  XXI.  Fo.  373  fg. 

2  Vgl.  Reusa  l'Als.  S.  103. 


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—   51  - 

ihnen,)»  rufen  sie  aus,*  tder  uns  in  diesem  Stil  nach  so  wenig 
gemässigten  Grundsätzen  schreibt,  ist  ein  Mitglied  unseres 
Staatskörpers,  der  mit  uns  jährlich  einen  Eid  der  Treue 
gegen  unsere  Verfassung  erneuert  hat!»  —  Geben  sie  hier  ihrer 
Entrüstung  Ausdruck,  so  macht  das  Schreiben  der  Ratsherren 
doch  auch  den  Eindruck  völliger  Hilflosigkeit.  In  einen 
wahren  Verzweiflungsschrei  klingt  es  aus  :  «Die  Krankheit  des 
königlichen  Prätors  .  .  .  lässt  uns  völlig  vereinsamt,  hundert 
Meilen  weit  vom  Thron  und  den  Ministem  Seiner  Majestät.» 
Der  Magistrat  wusste  nicht  einmal,  ob  die  gegnerische  Stellung 
der  Deputierten  auf  deren  eigener  Anschauung  oder  auf  einer 
Beeinflussung  von  Seiten  der  Repräsentanten  beruhte.  Denn 
auf  eine  Befragung,  erhielt  der  Magistrat  nur  die  Antwort,  das 
Vorgehen  der  Deputierten  sei  von  den  Repräsentanten  einstimmig 
«gebilligt»  worden.* 

Der  Magistrat  bat  daher  innigst  um  die  Erlaubnis,  zu 
mündlicher  Erklärung  der  Verhältnisse  ein  adeliges  und  ein 
bürgerliches  Ratsmitglied  an  den  Hof  absenden  zu  dürfen.3 

In  Beziehung  auf  die  Beschwerden  hatten  sich  die  Depu- 
tierten möglichster  Unparteilichkeit  befleissigt,  und  die  heiklen 
Artikel  dem  Entgegenkommen  des  Magistrats  empfohlen.  Am 
25.  Juni  unterbreiteten  die  XVer  diesem  einen  Bedacht,*  worin 
sie  erklärten,  dass  die  adeligen  Mitglieder  des  Magistrats  bei 
einer  Verfassungsänderung  hätten  befragt  werden  müssen,  und 
dass  die  Repräsentanten  überhaupt  zu  solcher  Forderung  gar 
nicht  befugt  seien.  In  diesem  Sinne  wurden  die  umstrittenen 
Artikel  abgelehnt.»  Nur  der  Zurückführung  ihrer  Gewalt  auf 
die  ursprüngliche  Ausdehnung  und  der  Verweisung  aller  die 

1  Vgl.  Anhang  Nr.  10. 

2  Thatsächlich  herrschte  unter  den  Repräsentanten  selbst  keine 
Uebereinstimmnng.  —  Vgl.  auch  Arröte  etc.  bei  Reuss,  TAI«. 
S.  109,  sowie  Protokoll  der  R.  u.  XXI.  vom  2.  Ju^i. 

3  Welchen  Aufruhr  die  Angelegenheit  verursachte,  geht  daraus 
hervor,  dass  der  Magistrat  ein  kurzes,  gleichlautendes  Schreiben  je 
an  Necker,  Barentin  und  Montmorin  sandte  (Prot,  der  Rath  und 
XXI.  Fo.  400  fg.),  damit  diese  sich  bei  Puys6gor  für  ihn  verwenden 
möchten.  —  Gerard  war  nicht  mehr  in  Paris  und  de  Crolbois  trat 
als  Vermittler  zwischen  der  Stadt  und  den  Ministern  ein. 

*  Vgl.  auch  XVer  Prot,  vom  22.  Juni. 

5  Am  3.  Juli  wurden  von  den  Rath  u.  XXI.  §§  4.  u.  7.  des 
Verfassungsabschnitts  verschoben,  §  2.  abgelehnt. 


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-   52  — 

Gesetzgebung  betreffenden  Gegenstände  vor  die  Rath  u.  XXIer 
stimmten  die  XVer  zu,  d.  h.  sie  begaben  sich  des  Rechts  «zu 
mehren  und  zu  mindern». 

Nach  einer  stürmischen  Versammlung  wurde  im  Rat  «erkannt, 
dass  die  in  dem  Bedacht  enthaltenen  Punkte  zur  endlichen  Ent- 
scheidung auszusetzen»  seien.  Die  übrigen  Dikasterien  hatten 
sich  noch  nicht  über  die  ihnen  zugewiesenen  Artikel  geäussert, 
und  so  war  thatsächlich  ein  delai  entstanden,  wovon  die  De- 
putierten seinerzeit  zur  Entrüstung  des  Magistrats  vorahnend 
gesprochen  hatten.  Wenn  dieser  sich  auch,  unter  dem  Druck  der 
öffentlichen  Meinung,  bemühte,  «womöglich,  seiner  Meinung 
nach,  die  zum  Wohl  der  Gemeinde  erforderliche  Erhaltung  der 
Vorrechte  des  Magistrats  mit  den  billigen  Wünschen  der  Bür- 
ger zu  vereinbaren,»»  so  ist  es  doch  nicht  eben  rühmenswert, 
dass  am  20.  Juli  die  Einzelberatungen  noch  nicht  abgeschlossen 
waren.2  Noch  am  18.  stritt  man  sich  über  «den  Herzenswunsch 
der  Bürger,»  die  Form  der  Schöffen  wähl  herum.  Alle  Vermit- 
telungsversuche  des  bürgerlich  gesinnten  Generaladvokaten 
Fischer  scheiterten.» 

Die  Verzögerung  ist  um  so  auffallender,  als  seit  dem  6.  der 
am  28.  Juni  thatsächlich  vom  Minister  ernannte  königliche 
Kommissar  an  den  Beratungen  teil  nahm.* 

Es  war  Philipp  Friedrich  von  Dietrich  (geboren  1748 
in  Strassburg),  der  Sohn  des  alten,  verehrten  Stättmeisters  ho- 
norarius  Johann  von  Dietrich. *  Der  Jubel  unter  den  Bürgern 
war  gross.  Goldene  Tage  schienen  gekommen.  Aus  Frankreich 
waren  die  Nachrichten  von  den  berühmten  Junisitzungen  ein- 
getroffen ;  das  Ende  der  Leiden  des  dritten  Standes  wurde  be- 

1  Strobel  V.  S.  297. 

2  Vgl.  darüber  das.  V.  S.  296. 

3  Man  nannte  ihn  damals  den  Necker  von  Strassburg. 

*  Vgl.  Reu  es,  l'Als.  etc.  S.  119  fg.  und  im  Anhang  Nr.  11. 

*  Vgl.  über  diesen  Mull  er  a.  a.  0.  S.  63.  Die  Bemerkung  «ä  la 
demande  du  rainistre  de  Choiseul,  Stettmeister  honorarius»  dürfte  nach 
der  «Genötigten  Erläuterung»  Dietrich's  (Schöffenmemorial  vom  15. 
Dezember,  Fo.  433)  irrig  sein.  Dennoch  war  er  nach  seiner  Erhebung 
in  den  Adelsstand,  was  ihn  vom  Ammeisterposten  ansschloss,  und  da 
schon  vier  Stättmeister  vorhanden  waren,  auf  Antrag  des  Magistrats, 
der  sich  seines  Rats  zu  erfreuen  wünschte,  zum  überzähligen  St.  h. 
ernannt  worden.  Ueber  Philipp  Friedrich  vgl.  vor  allem  Spach 
a.  a.  0.,  und  auch  Sybel,  a.  a.  0.,  LS.  338. 


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-    53  - 

grüsst.  «Niemals  kommt  ein  Glück  ohne  das  andere»,  hatten 
die  Deputierten  in  ihrem  begeisterten  Bericht  gesagt.1  Nun 
schien  in  Strasburg  die  Macht  der  Oligarchie  gebrochen. 

Aber  auch  im  Magistrat  mochte  es  Leute  geben,  die  gegen 
die  Wahl  des  jüngeren  Dietrich  nichts  einzuwenden  hatten.* 
Seine  Ernennung  war  von  mehr  als  augenblicklicher  Bedeu- 
tung. Er  hatte,  ehe  er  nach  Paris  übersiedelte,  bereits  dem 
grossen  Bat  angehört,  und  konnte  daher  von  vornherein  als 
Mitglied  des  Magistrats  gellen.  Hier  hatte  man  ihn  in  der 
Zwischenzeit  nicht  aus  den  Augen  verloren.  Er  war  schon 
längst  der  Kandidat  für  den  Posten  des  Prätors,  falls  Gerard, 
den  er  nun  zunächst  vertrat,  abdanken  sollte.8  Man  hatte  nicht 
nur  zur  Zeit  der  Deputiertenwahl  an  ihn  gedacht.  Schon  am 
24.  Februar  hatte  er  sich  genötigt  gesehen,*  dem  Magistrat  zu 
schreiben,  es  seien  grundlose  Gerüchte  verbreitet,  als  ob  er 
mit  Gerard  über  dessen  Stelle  verhandelte.  Das,  so  sagte  er, 
werde  er  nicht  thun,  ehe  ihm  nicht  die  Gewissheit  geworden, 
dass  der  Magistrat  diesen  Schritt  gern  sähe.  Dann  aber  werde 
er  alles  daran  setzen,  damit  kein  über  die  Einrichtungen  der 
Stadt  ungenügend  unterrichteter  Mann  an  Gerard's  Platz  komme. 
Der  Magistrat  antwortete:  wenn  jene  Gerüchte  wahr  wären, 
würde  es  in  dieser  kritischen  Zeit  zum  Trost  gereichen  ;  denn 
ihn  ziehen  sie  jedem  anderen  vor.  Diese  höfliche  Antwort  hat 
Dietrich  eilig  aufgegriffen.  Am  9.  März  schrieb  er  zurück,  er 
werde  Herrn  de  Reyneval,  Gerard's  Bruder,5  augenscheinlich 
seinen  Nebenbuhler,  in  Kenntnis  davon  setzen,  dass  er  zufolge 
der  Hochachtungsbezeugungen  des  Magistrats  auf  das  Feierlichste 
verpflichtet  worden  sei,  der  Nachfolger  Gerard's  zu  werden. 
Damals  schon  war  die  Berufung  Dietrichs  eine  abgemachte  Sache, 
Der  Gouverneur  Stainville,  der  Kommandant  Marschall  Con- 
tades  und  Necker  hatten  sich  für  ihn  beim  Kriegsminister  ver- 


1  An  die  Repräsentanten.  Vgl.  Renss,  l'Als.  S.  115 fg. 

*  Vgl.  Spachf  Ph.  F.  de  Dietrich  etc.  a.  a  0.  S.  497. 

3  Vgl.  Gräuel  u.  s.  w.  a.  a.  0.  31  fg.  In  diesem  Falle  hat  der 
Verfasser  sichere  Kunde  gehabt. 

*  Durch  Türckheim.  Vgl.  €  Gräuel»  S.  32.  Vgl.  ferner  die  Briefe 
St.-A.  AA.  2526.  —  Vgl.  auch  Dietrichs  eigentümliche  Geschäftigkeit 
der  Stadt  zu  gefallen,  Anhang  Nr.  1. 

»  Vgl.  Pf  annen  schmid  a.  a.  0.  S.  74. 


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54  — 


wandt.  Und  das  alles,  während  Gerard 1  noch  nicht  daran 
dachte,  seine  Entlassung  einzureichen !  Vielmehr  ersuchte  er 
in  einem  bedeutsamen  und  für  den  Magistrat  jedenfalls  sehr 
peinlichen  Schreiben  die  Zusicherung,  die  man  Dietrich  gewährt, 
als  nicht  gegeben  zu  betrachten,  und  rief  durch  einen  ähnlichen, 
scharfen  Brief  an  Dietrich  selbst  im  Staatsrat,  bis  wohin  die 
Sache  schon  gekommen  war,  das  grösste  Erstaunen  hervor,  so 
dass  die  Angelegenheit  zunächst  nicht  weiter  vorgeleitet  ward. 
Dennoch  scheinen  Ende  Juni  über  den  Kopf  des  verdienstvollen 
Mannes  hinweg  die  letzten  Verhandlungen  geführt  worden  zu 
sein.2  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  Türckheim  selbst  Diet- 
rich als  den  richtigen  Mann  vorgeschlagen  hat. 

Wir  haben  das  Vorspiel  zu  seiner  Ernennung  deshalb  ein- 
gehender verfolgt,  weil  es  weniger  zu  Gunsten  des  neuen  Kom- 
missars spricht,  der  eine  so  bedeutende  Person  in  der  Revolu- 
tion geworden  ist,  als  das  abstrakte  Lob,  das  ihm  vielfach, 
besonders  von  Spach  und  Scheube,3  als  einem  streng  rechtlichen, 
uneigennützigen  Mann  von  seltenem  Seelenadel  gespendet  wird. 
Es  sind  sehr  widersprechende  Urteile  über  ihn  gefallt  worden. 
Das  aber  steht  fest,  dass  sein  Ehrgeiz  keine  Schranken  kannte. 
Und  dass  zur  Befriedigung  desselben  ihm  nicht  nur  seine  Klug- 
heit diente,  sondern  dass  er  auch  bei  seinen  Mitteln  nicht  immer 
wählerisch  war,  beweist  sein  oben  geschildertes  Vorgehen,  das 
niemand  ehrlich  nennen  wird.  Er  verstand  sich  vorzüglich 
darauf,  jedermann  gerecht  zu  werden,  und  es  doch  mit  keinem 
zu  verderben.  Zu  dem  amtlichen  Vermittelungsauftrag  kamen 
für  ihn  persönliche  Momente,  die  ihn  aufforderten,  mit  diplo- 
matischer Vorsicht  seinen  Mitbürgern  gegenüber  aufzutreten. 

Genau  genommen  war  Dietrich  übrigens  nicht  als  Stell- 
vertreter des  Prätors  zu  betrachten,  da  er  wohl  die  Verwaltungs- 
behörden der  Stadt  und  die  protestantische  Universität  zu  be- 
aufsichtigen, nicht  aber  die  richterlichen  Befugnisse  des  Prätors 


1  Vgl.  seinen  Brief  an  den  Magistrat  vom  10.  März  1789.  St.-A. 
A\.  252Ü. 

2  Vgl.  den  Brief  Puysegurs  an  Gerard  vom  30.  Juni,  Anhang 
Nr.  12. 

8  Spach,  Fr6d.  do  Dietrich  etc.  a.  a.  0.  S.  531.  —  Scheube, 
G.,  deutsche  Art  und  deutscher  Geist  im  Elsass,  Berlin  1872.  S.  341 
fg.  Auch  P  fannens  c  hmid.  a.  a.  0.  S.  134  nennt  ihn  einen  «edlen» 
Mann. 


—    55  — 


zu  erfüllen  hatte.1  Fortan  wohnte  er  den  Versammlungen  über 
die  Beschwerden  stets  bei,  und  hatte  ausserdem  bald  nach  seiner 
feierlichen  Einführung  in  das  Amt*  Gelegenheit,  den  Magistrat 
von  einem  sehr  unklugen  Schritt  abzuhalten. 

Der  Rat  fühlte  sich  durch  die  Ernennung  eines  Kommissars 
im  Innersten  verletzt,  und  wollte  die  schon  früher  beabsich- 
tigte Abordnung  an  den  Hof  nunmehr  durchsetzen,  zur  Ver- 
teidigung seiner  guten  Absichten  gegen  die  «empfindlichen  Ver- 
läumdungen»,  die  man  gegen  ihn  ausgestreut,  trotzdem  Puy- 
segur  das  Recht  einer  solchen  Abordnung  bestritt.9  Dietrich 
aber  brachte  es  dahin,  dass  der  Magistrat  sein  Vorhaben  aufgab, 
das  den  Minister  notwendig  unliebsam  berühren  musste.  Zugleich 
ergriff  er  die  Gelegenheit  (11.  Juli),  feierlichst  zu  versichern, 
dass  er  die  Verfassung  mit  allen  Kräften  verteidigen  werde, 
falls  man  sie  angreife.* 

Zunächst  aber  hatte  er  genug  zu  thun,  seines  eigentlichen 
Amts  zu  walten,  und  einen  Ausbruch  der  Leidenschaften  zu 
verhüten.  In  wahrhaft  feindlicher  Stimmung  standen  die 
Repräsentanten  zu  jener  Zeit  dem  Magistrat  gegenüber.  Zu  der 
Erbitterung  über  seine  Langsamkeit  kamen  natürliche  Umstände, 
wodurch  die  Lage  sich  verschlimmerte.  Die  Teuerung  verstimmte 
immer  mehr  und  mehr  gegen  Octroi  und  Accise.  Nachdem  das 
Viertel  Weizen  im  Februar  bereits  auf  18  Livres  6  Sous  gestanden, 
betrug  der  Preis  jetzt  22  Livres.  Aber  der  Magistrat  weigerte 
sich,  den  Zuschlag  zu  verringern. 

Da  nahm  sich  ein  Mann  von  grossem  Einfluss  der  Bittenden 
an,  und  drang  in  den  Magistrat,  ihnen  zu  willfahren,  der 
Königslieutnant  Ludwig  von  Klinglin  (geboren  1740). 5  Seit 


'  Vgl.  sein  Ernennungsdekret  bei  Rens 8,  l'Als.  S.  119. 

2  Vgl.  das  Nähere  bei  Strobel.  V.  S.  297  fg. 

3  Vgl.  Strobel  V  S.  302.  fg. 

4  Dennoch  dürfte  Spach  das  richtige  getroffen  haben,  wenn  er 
(a.  a.  0.  S.  496)  sagt :  «M.  de  Dietrich  partait  de  Paris  avec  la  ferme 
intention  de  concilier  aatant  qu'il  le  ponrrait  ces  pretentions  oppo- 
sees  de  sauver,  pour  sa  ville  natale,  quelques  unes  de  ces  anciennes 
franchises  et  de  la  decider  ä  des  sacrifices  indispensables».  —  Noch 
weiter  geht  Scheube  a.  a.  0.  S.  344.  —  Nicht  zustimmen  kann  ich 
Spach  1.  c.  «Peut-etre  aussi  F.  de  Dietrich»  etc. 

5  Vgl.  Rath  geber,  Strassburger  Post  vom  21.  Juli  1889. 
Nr.  200.  —  Danach  ist  Friese's  Bemerkung  (a.  a.  0.  IV.  S.  125) 
Klinglin  sei  i.  J.  1753  ein  neunjähriger  Knabe  gewesen  unrichtig. 


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5ü  - 


dem  Tode  des  Marschalls  von  Stainville  am  2.  Juni  hatte  er 
den  Oberbefehl  in  der  Stadt,  bis  ihn  am  18.  Juli  der  aus  dem 
nordamerikanischen  Kriege  allgemein  bekannte,  74jährige  Grat' 
von  Rochambeau1  als  Kommandant  der  Provinz  ablöste.  Die 
Thatsache,  dass  Klinglin  sich  der  unzufriedenen  Handwerker 
annahm,  besonders  auch  der  Metzger,  deren  Prozess  wegen  des 
abgebrannten  Unschlittmagazins  noch  in  Paris  anhängig  war,* 
ist  wegen  des  Aufruhrs,  der  in  Strassburg  ausbrach,  ebenso  be- 
achtenswert, wie  der  Umstand,  dass  er  der  Enkel  des  berüch- 
tigten  Prätors  Franz  Joseph  von  Klinglin  war,»  der  in  den 
50er  Jahren  durch  grosse  Veruntreuungen  den  Magistrat  in 
nachhaltige  Verlegenheit  gebracht  und  einen  aufregenden  und 
langwierigen  Prozess  veranlasst  hatte,  worin  auch  sein  Sohn, 
des  Königlieutnanls  Vater  (gestorben  1756),  als  Mitschuldiger 
verwickelt  worden  war. 

Im  Jahre  1752  war  zunächst  ein  Mitglied  des  Parlaments 
zu  Besancon  in  Strassburg  erschienen,  um  dem  König  über 
den  Aufsehen  erregenden  Vorfall  Bericht  zu  erstatten.*  Im  Sommer 
desselben  Jahres  war  der  Prozess  sodann  dem  Parlament  zu 
Grenoble  übergeben  und  Klinglin's  Vater  dorthin  gebracht  worden.» 
Ks  ist  begreiflich,  dass  Ludwig  von  Klinglin,  dem  so  der  Vater 
entrissen  wurde,  und  der  im  Bewusstsein  aufwuchs,  dass  durch 
den  Prozess  der  Ruf  seiner  Familie  aufs  schwerste  geschädigt 
worden,  dem  Magistrat  nicht  wohlgeneigt  war.  Er  verbarg  es 
keineswegs,  und  liess  es  an  Anfeindungen  nicht  fehlen,  die  den 


1  Engelhardt  nennt  ihn  öfters  < Marschall».  Diesen  Titel  erhielt 
er  jedoch  erst  1792.  Vgl.  Sybel,  a.  a.  0.  I.  S.  339. 

2  Es  sei  hier  gestattet.  Reuss  zu  ergänzen  (l'Als.  S.  281).  Das 
in  Schwendt's  Brief  erwähnte  regleraent  de  1776,  das  Reuss  uner- 
klärt lässt,  findet  sich  im  Stadt-Archiv  AA.  2104  dem  Inhalt  nach 
erläutert. 

s  Auf  schlager,  a.  a.  0.  I.  S.  305  irrig:  «Der  Sohn>.  Wenig- 
stens muss  als  «der  berüchtigte»  Prätor  sein  Grossvater  gelten.  Auch 
Spach,  F.  de  Dietrich  etc.  a.  a.  0.  S.  500  sagt  verwirrend  «le  fils». 

4  Vgl.  Protokoll  der  3  Geheimen  Stuben  1751/52  Fo.  120, 
u.  R.  u.  XXI.  1752  Fo.  16  fg.  u.  a. 

5  Vgl.  die  Abschrift  der  diesbezüglichen  kgl  Verordnung  vom 
28.  Juni  1752  AA.  2539.  Hermann  a.  a.  0.  I.  110,  Spach  a.  a.  0. 
geben  richtig  Grenoble  an.  Friese,  a.  a.  0.  IV.  ist  in  bez.  auf  Be- 
sancon etwas  undeutlich.  Engelhardt  (bei  Strobel  a.  a.  0.  V.  S. 
323  Anm.  2)  sagt  unrichtig,  der  Prozess  sri  in  Besancon  anhängig 
gewesen   Ihm  folgt  Reuss,  Revue  d'Alsace,  6m«  annee  1877,  S.  44. 


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—    57  — 


Rat  bei  Hof  in  ein  schlechtes  Licht  stellen  mussten.  So  tobte 
Ende  1788  und  Anfang  1789  ein  förmlicher  Kampf  zwischen 
dem  Magistrat  und  dem  Königslieutnant,  welch  letzterer  sich 
ausserordentlich  anmassend  in  die  Befugnisse  der  Brandpolizei 
gemischt  hatte,  und  dem  Widerspruch  der  Ratsherren  zugleich 
in  höhnischem  und  herrischem  Ton  begegnet  war.i  Der  Gouver- 
neur von  Stainville  hatte  ungeachtet  einer  königlichen  Verordnung 
von  1691,  die  dem  Magistrat  volle  Ausübung  der  Polizeigewalt 
zusprach,  gegen  Gerard  und  den  Magistrat  Partei  genommen, 
und  man  wollte  sich  bereits  an  den  Minister,  ja  an  den  König 
wenden,  als  Klinglin  selbst  die  Beilegung  der  Sache  in  einer  per- 
sönlichen Unterredung  mit  dem  Ammeister  Lemp  herbeiführte,* 
allerdings  mit  dem  Ergebnis,  dass  der  Magistrat  Sieger  blieb.  Es 
wurde  sogar  amtlich  ausgesprochen,  dass  Klinglin  in  seinem  Eifer 
entschieden  zu  weit  gegangen  sei.  Dies  trug  natürlich  nicht  dazu 
bei,  seine  Abneigung  gegen  den  Magistrat  zu  mildern,  und  man 
braucht  Eifersucht  gegen  die  Beliebtheit  Dietrichs  gar  nicht 
anzunehmen,3  um  sich  zu  erklären,  warum  er  gerade  die  unzu- 
friedensten Elemente  der  Zünfte  beschützte.  Dass  er  als  Offizier 
sich  deren  Klagen  annahm  wäre  nicht  zu  auffallend,  da  auch 
schon  im  Juli,  wie  es  später  geschah,  die  Soldaten  selbst  einen 
nicht  unbedeutenden  Einfluss  auf  die  Bestimmung  der  Höhe 
der  Taxen  ausgeübt  haben  mochten,  käme  nicht  dazu  seine  Gunst 
bei  den  Schirmern,  die  ihn  als  Repräsentanten  gewählt  hatten.* 
Die  Zuneigung  der  unteren  Klassen  ist  um  so  merkwürdiger, 
wenn  man  seinen  Namen  und  seine  Herkunft  bedenkt,  die  unter 


1  Vgl.  St.-A.  AA.  2511  nnd  2608.  Klinglin  hatte  sich  auch  das 
Recht  angemasst,  das  an  die  Garnison  <freiwillig>  vom  Magistrat  ge- 
lieferte Holz  zu  messen. 

*  Vgl.  XHIer  Prot.  1789.  Fo.  62. 
s  Spach,  F.  dß  Dietrich  etc.  a.  a.  0.  S.  öOO. 
4  Auf  der  Kaiserlichen  Bibliothek  in  Strassburg  finden  sich 
(Barack's  Katalog  der  Handschriften  1896  Nr.  207;  £F.  Verse  auf 
Klinglin,  aus  dem  Frühjahr  : 

«Le  vom  d  un  peuple  entier  est  un  arret  suprSme 
D'une  voix  unanime,  il  te  nomine  Electeur. 
Mais  ce  seroit  helas  trop  peu  pour  son  bonheur  — 
Si  parmi  les  elus,  tu  n1es  ein  toi  meme. 
Au  cri  du  malheureux  tu  te  laisse  attendrir 
Toujours  hon,  toujours  juste  et  jamais  trop  severe. 
Le  Tiers  pour  son  appui  pouvoit-il  raieux  choisir  ? 
Le  recouis  des  enfans  est  au  sien  de  leur  pere  > 


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—   58  - 

gewöhnlichen  Verhältnissen  für  den  Durchschnittsbürger  gewiss 
eher  ein  Grund  gewesen  wären  ihn  zu  meiden,  als  ihm  sich 
anzuvertrauen.  Man  wird  daher  wohl  nicht  umhin  können, 
mit  Spach  zu  sagen,  dass  er  die  Leidenschaften  der  Bevölkerung- 
nährte. 

Fährte  er  Böses  gegen  den  Magistrat  im  Schilde,  so  war 
seine  Zeit  gekommen.    In  Strassburg  lernte  man  eben  die 
Forderungen  der  Menschenrechte  kennen,  die  Lafayette  am 
11.  Juli  aufgestellt  hatte,  und  an  demselben  Tage  war  Necker 
entlassen  worden ;  die  Bastille  war  gefallen,  aber  der  Sturm 
hatte  mit  Versöhnung  zwischen  König  und  Volk  geendet. 
50  000  Menschen,  so  berichteten  die  Deputierten,1  hatten  in 
Paris  gerufen  :  «Es  lebe  der  König  !»,  schluchzend  und  jubelnd 
zugleich.    In  der  Begeisterung,  so  erfuhr  man,  war  die  ganze 
Hauptstadt  illuminiert  worden.    Diese  Neuigkeiten  ergriffen  die 
Bürger  mächtig,  und  auch  Strassburg  entzog  sich  der  allge- 
meinen Freude  nicht;  nicht  minder  allerdings  wurde  so  der 
Trieb  unterstützt,  dessen  dunkle  Kräfte  sich  bereits  regten, 
auch  hier,  an  der  städtischen  Gewalt,  Rache  zu  üben.2 


IV.  Die  Unruhen  vom  18.— 21.  Juli. 

Es  ist  begreiflich,  dass  ein  Aufstand,  der  Eigentum  und 
Leben  der  Bürger  und  die  Sicherheit  einer  ganzen  Stadt  gefährdet, 
besonders  wenn  so  auflallende  Umstände  hinzutreten,  wie  es  in 
Strassburg  der  Fall  war,  von  Augenzeugen  als  ein  grosses 
Ereignis  in  ihrem  Leben  betrachtet  und  darzustellen  versucht 
wird.  Es  kann  dabei  aber  nicht  fehlen,  dass,  wenn  nicht 
geradezu  Widersprüche,  so  doch  allerhand  Ungenauigkeiten  mit 
unterlaufen,  die  z.  Tl.  aus  mangelhafter  Beobachtung  und  Un- 
kenntnis, z.  Tl.  aus  Parteilichkeit  entstehen.    Daher  erklärt  es 


1  Vgl.  den  Brief  der  Deputierten  an  die  Repräsentanten  bei 
Reusa,  l'Als.  S.  123  fg.,  und  Anhang  Nr.  13. 

2  Es  ist  hervorzuheben,  dass  schon  in  der  zweiten  Juliwoche 
der  Magistrat  von  den  Repräsentanten  ernstlich  auf  die  Misstimmung 
in  der  Bürgerschaft  aufmerksam  gemacht  worden  war.  Es  wurde  ihm 
mitgeteilt  «dass  bei  länger  ausbleibender  Abschliessung  (der  Beratungen 
über  die  Beschwerden!  unangenehme  Auftritte  zu  besorgen  sind».  — 
(St.-A.  AA.  2002.  Ohne  Datum,  aber  bald  nach  dem  5.  Juli). 


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—   59  — 

sich,  dass  selbst  die  Nachrichten  der  zumeist  Beteiligten  oft, 
wie  z.  B.  beim  Sturm  auf  die  Bastille,  fehlerhaft  sind.  Vor 
allem  aber  ist  über  die  Ursachen  solch  plötzlicher  Erhebungen 
in  der  Regel  wenig  zu  ermitteln.  Entweder  entstehen  sie  durch 
die  Treibereien  bezahlter  Kreaturen,  deren  geheimer  Anhang 
alsbald  so  rasch  wächst,  dass  ihre  persönliche  "Wirksamkeit 
sich  unauffällig  vervielfachend  einerseits  die  bei  solchen  Gescheh- 
nissen auftauchenden  unheimlichen,  fremden  Gesellen  gewinnt, 
andrerseits  gleich  einer  selbständigen  allgemeinen  Bewegung 
sich  durch  die  Masse  des  unzufriedenen  Volkes  fortpflanzt 
und  verbreitert,  so  dass  am  Ende  Keiner  als  der  Anstifter  zu 
gelten  hat,  wenn  die  wenigen,  Erkauften,  schweigen.  Oder  aber 
sie  entstehen  durch  falsche  Gerüchte,  die  in  der  erhitzten  Ein- 
bildungskraft, aus  Missverständnissen  oder  Befürchtungen  er- 
wachsen, zu  Thatsachen  werden,  und  deren  Gehalt,  —  durch 
die  Verbreitung  von  Mund  zu  Mund  oft  gänzlich  verändert,  — 
dann  einen  plötzlichen  Ausbruch  der  vielleicht  schon  wieder 
beruhigten  Volksleidenschaft  zur  Folge  hat.  Auch  die  Nach- 
richten über  die  Strassburger  Wirren  leiden  unter  diesen 
Schwierigkeiten.  Die  angestellten  weiteren  Nachforschungen 
haben  nur  eine  Erweiterung  des  Materials,  besonders  eine  Er- 
gänzung der  bisher  ausführlichsten  Darstellung,  derjenigen  Engel- 
hardts, geboten,  die  offenen  Fragen  aber  nicht  zu  beantworten 
vermocht,  und  die  bestehenden  Vermutungen  nur  teilweise  zur 
Gewissheit  gemacht. 

Ehe  wir  jedoch  die  Ereignisse  an  der  Hand  der  benützten 
Berichte  schildern,  möchte  es  zweckmässig  sein,  diese  selbst 
kurz  zu  besprechen,  um  desto  sicherer  Thatsachen  von  Gerüchten, 
das  Glar'würdige  vom  Unglaubwürdigen  zu  unterscheiden. 


Quellen. 
I.  Amtliche,  handschriftliche  Nachrichten. 

Es  sind  deren  sechs  vorhanden. 

1.  Der  Bericht  der  Repräsentanten  an  die  Depu 
tierten  in  Versailles  über  die  Ereignisse  vom  19.— 21.  Juli.1 


i  (Abschrift  St-A.  AA.  2003).  Er  war  Engelhardt  bekannt.  Er 
ist  französich  abgefasst,  und  zwar  vom  31.  Juli,  wie  Engelhardt  'a. 


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—    C>0  — 


Er  zeigt  basonders  deutlich,   wie  hartnäckig  der  Magistrat 
noch  angesichts  der  Drohungen  der  Bevölkerung  seine  altherge- 
brachten Rechte  verteidigte  und  giebt  eine  anschauliche  Schil- 
derung von  der  wachsenden  Erregung  der  Gemüter.  Doch 
verschweigt  er  das  für  die  Bürger  Nachteilige:   die  Demon- 
stration vor  der  Pfalz  am  Morgen  des  20.,  und  die  Drohungen 
der  Repräsentanten,  falls  das  Besch werdenheft  nicht  angenommen 
werde.    In  Beziehung  auf  die  Zuverlässigkeit  der  Wiedergabe 
der  Thatsachen  ist  zu  bemerken,  dass  leider  die  auch  sonst  un- 
sicheren Angaben  über  das  Schlagen  des  Genera Imarsches  am 
Nachmittag  des  21.   hier  gänzlich  verwirrt  erscheinen.  Die 
Repräsentanten  verlegen  es  auf  6  Uhr  Abends,  «kurz  nachdem» 
die  Truppen  vor  der  Pfalz  eingetroffen  waren  und  lassen  sich 
jene  darauf  zurückziehen,  während  dennoch  nachher  bei  der  weiter 
laufenden  Schilderung  beim  Sturm  auf  die  Pfalz,  der  schon 
etwa   um  drei   Uhr   Nachmittags  begann,    die  Soldaten,  der 
"Wahrheit  gemäss,  als  auf  dem  Gärtnersmarkt  (Gutenbergplatz) 
anwesend,  wiederholt  erwähnt  werden;  vgl.  u.  II.  2. 

2.  Der  im  Protokoll  der  R  ä  t  h  und  XXI  (Fo.  557) 
vorhandene  Entwurf  des  Sekretärs  Metz  über  den  20.  Juli.  Er 
stimmt  mit  dem  vorigen  ii  herein,  doch  verschweigt  er  umge- 
kehrt im  Einzelnen  die  Versuche  des  Magistrats,  die  verfassungs- 
widrigen Artikel  zu  retten.  Dagegen  enthält  er'im  Wortlaut  die 
Drohungen  der  Repräsentanten,  wodurch  der  Magistrat  schliesslich 
zum  Nachgeben  bewogen  ward,  und  die  in  I.  1.  fehlen.  Für  die 
Vorgänge  ausserhalb  der  Rats.stuben  kommt  er  wenig  in  Betracht. 

Dasselbe  gilt  von  den  beiden  folgenden  Berichten. 

3.  Die  hastig  und  in  abgerissenen  Sätzen,  .halb  deutsch, 
halb  französisch  geschriebenen  R  a  pi  a  ri  en  der  Sitzungen  der 


a.  0.  V.  325.  Anm.  2)  richtig  sagt.  Der  jener  Abschrift  vorangestellte 
Titel  lautet:  «Relation  faite  par  les  representans  aux  deputes  de  la 
ville  de  Strasbourg  a  l'assemblee  des  Etats-generaux  de  France  de 
ce  qui  s'est  passe  du  19.  au  21.  juitlet.  1789.»  Engelhardt  führt  ihn 
folgendermassen  au:  «Relation  faite  par  la  commission  des  repre- 
sentans  de  la  commune»  etc.  Nach  Reuss,  «Le  sac  de  l'hdtel  de 
ville  de  Strasbourg»  (Revue  d'Alsace,  6me  annee,  1877.  S-  43  fg.)  der 
diesen  Bericht,  mit  Anmerkungen  versehen,  hier  wiedergiebt,  ist 
es  ein  und  derselbe  Bericht.  —  Re  uss  hat  ihn  unter  der  Ueberschrift : 
«Lettre  des  representants  de  la  bourgeoisio  anx  deputes  de  Strasbourg, 
ä  Versailles,»  in  L'Alsace  etc.  S.  127  fg.  abermals  abgedruckt,  je- 
doch mit  dem  irrigen  Datum:  «28.  juillet.» 


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—    Ol  — 


Rath  und  XXI,  in  zwei  Niederschriften.  —  Besonders  von  den 
Sitzungen  am  Nachmittag  des  20.  und  am  Morgen  des  21. 
geben  sie  ein  anschauliches  Bild,  und  zeigen  die  Unsicherheit, 
die  schon  damals  bezüglich  der  Truppen  herrschte. 

4.  Ein  ebensolches,  kürzeres  Rapiarium  der  Xlller 
Kammer  vom  20.  Juli,  das  von  den  Beratungen  über  die 
Verteilung  grüner  Kokarden  und  einer  aufregenden  Zeitung 
(«Gazette  des  Herrn  Saltzmann»),  und  ebenfalls  von  der  Unsicher- 
heit bezüglich  der  Soldaten  spricht. 

5.  Ein  auf  dem  Karlsruher  Archiv  (Baden,  Po- 
lizeisache, 1789.  Pars.  I.)  befindliches,  am  26.  Juli  über 
einen  aus  Strassburg  entflohenen  und  in  Kehl  verhafteten  Teil- 
nehmer am  Pfalzsturm,  daselbst  aufgenommenes  Protokoll, 
das  Aeusserungen  über  die  Aufreizung  des  Verhafteten  zum 
Angriff  auf  den  Magistrat  enthalt. 

6.  Die  Schilderung  des  Philipp  Jakob  R  ü  h  1 ,  des  Sohnes 
eines  Predigers  im  Elsass,  der  in  fürstlich  leiningische  Dienste 
getreten  war,  und  von  Strassburg  aus,  wo  er  seit  1771  wieder 
seinen  Wohnsitz  hatte,  mit  dem  Titel  eines  Geheimrats  die 
Dagsburger  Herrschaft  verwaltete.  —  Er  ward  eine  nicht  unbe- 
deutende Persönlichkeit  der  Revolution.» 

In  unserem  Zeitabschnitt  tritt  er  noch  wenig  hervor.  Seine 
Nachrichten  entnehmen  wir  den  im  Strassburger  Bezirksarchiv 
aufbewahrten  Protokollen  über  die  Dagsburgischen  Regierungs- 
geschäfte, die  er  allwöchentlich  an  seinen  Fürsten  schickte.4 

»  Vgl.  über  ihn  E.  Barth,  a.  a.  0.  Revue  d'Alsace  1881 
S.  556  fg.  Irrtümlich  als  M.  Philippe  angeführt.  —  Vgl.  auch  Stro- 
bel  V.  S.  519  and  532,  Anm.  2.  Er  wurde  1789  procureur  fiscal 
beim  Grossen  Rat  in  Strassburg,  1790  Mitglied  der  Verwaltung  des 
Niederrheins,  1791  des  provisorischen  Direktoriums  daselbst  und  Ab- 
geordneter Strassburgs  bei  der  gesetzgebenden  Versammlung.  Er 
war  es,  der  die  Verbringung  Dietrichs  nach  Paris  (1792)  veranlasste. 
Dann  war  er  Abgeordneter  der  Stadt  beim  Convent  und  1793  des- 
sen Commissär  um  Rhein.  Als  solcher  löste  er  die  Munizipalität 
Strassburgs  auf.  Er  gehörte  zur  Bergpartei,  ward  jedoch  von  den 
Strassburger  Jakobinern  als  Royalist  lange  Zeit  angefeindet.  Er  en- 
dete nach  dem  Aufstand  vom  1.  Prairial  (20.  Mai)  1795,  nachdem  er 
verhaftet  worden,  am  30.  durch  Selbstmord  im  Gefängnis.  Vgl.  M  o- 
niteur,  Band  XXIV.  S.  563  und  583.  und  Taiue,  La  Revolution 
III.  S.  556.  —  (Er  tötete  sich  keineswegs,  wie  Barth  sagt,  ohne 
verhaftet  worden  zu  sein  in  der  üeberzeugung,  die  allgemeine  Frei- 
heit sei  dahin.) 

2  Herr  Prof.  Bresslau,  der  sich  mit  diesen  Akten  beschäftigte, 


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—   62  — 


Diese  Protokolle  sind  durch  ihren  harmlos  vertraulichen 
Ton  höchst  ergötzlich  zu  lesen,  gewinnen  aber  durch  die  Un- 
gezwungenheit, die  ihnen  nach  heutigen  Anschauungen  den 
Charakter  amtlicher  Mitteilungen  zu  nehmen  scheint.  Röhl 
überliefert  mehrere  Einzelheiten,  die  das  Ganze  erfrischend 
beleben. 

Wir  sehen  den  Geheimrat  nach  einer  wohl  verbrachten, 
durch  allerhand  Pillen  und  dgl.  wirksamer  gestalteten  Kur  aus 
Teinach  am  Dienstag,  den  21.  Juli,  nach  Strassburg  zurück- 
kehren und  mitten  in  den  Aufruhr  während  des  Pfalzsturms 
geraten,  und  zwar  nach  der  Beraubung  der  Archive.  Da  schildert 
er  nun,  des  Entsetzens  voll,  was  er  in  den  durchfahrenen 
Strassen,  sowie  auf  dem  Münsterplatz  gesehen,  ehe  er,  «nach 
Atem  schnappend»,  daheim  in  seine  bergere  sank.  Gerade  der- 
artige Strassenbilder  vom  Nachmittage  fehlten  in  allen  anderen 
Berichten.  Rühl  Ihat  die  ganze  Nacht  kein  Auge  zu  und  weiss 
daher  auch  über  den  Zustand  während  derselben  Einiges  zu  be- 
richten. Andere  Einzelheiten  erfuhr  er  durch  seinen  Diener 
und  anderweitige  Umfragen.  —  Auch  über  den  Soldatenauf- 
stand und  die  Vereidigung  der  Garnison  berichtete  er  seinem 
Herrn  ausführlich,  oft  in  äusserst  drastischer  Weise.3 


machte  mich  auf  die  hiehergehörigen  Abschnitte  freundlichst  zur 
Veröffentlichung  aufmerksam. 

3  Für  seine  Persönlichkeit  nicht  nur,  sondern  für  die  Macht 
des  Beispiels  überhaupt,  ist  es  interessant,  in  den  hier  in  Be- 
tracht kommenden  Berichten  zu  verfolgen,  wie  das  Herz  dieses  Ge- 
heimrats allmählich  von  der  revolutionären  Idee  erfasst  wurde.  Zu- 
gleich erheitert  die  Freimut,  womit  er  dies  seinem  Durchlauchtigsten 
Herrn  mitzuteilen  wagen  durfte.  —  Am  21.  Juli  beklagt  er  <den 
traurigen  Zustand»,  und  «dass  der  Geist  der  licence,  nicht  wahren 
Freyheit  geweckt  worden.»  —  Am  5.  August  berichtet  er  noch  iro- 
nisch: «Die  goldene  Aehre  der  Menschenfreiheit  sprosst  trefflich,  ha 
ha  ha!  ja  ja  ja  es  geht  sauber  zu  im  Elsass!»  —  Am  7.:  «O  heiliger 
Rousseau,  hl.  Voltaire,  hl.  d'Alambert,  hl.  Friderich  der  einzige!  Seht 
den  Triumph  eurer  Philosophie!  Das  heisst  die  Klassenfesseln  der 
Menschheit  abgenommen.  Dank  sey's  euch  ewig,  ihr  Volksbeglücker!» 
—  Am  21.  August,  bei  Gelegenheit  der  Truppen  Vereidigung,  «der  wür- 
digsten Begebenheit,  die  sich  seit  802  Jahren,  als  die  Kapetinger  den 
Thron  bestiegen»,  zugetragen:  «Nie  habe  ich  einen  heiligeren  und 
das  Herz  erhebenderen  Anblick  gehabt,  als  diesen,  da  auf  einen  Tag 
bey  30  Millionen  Menschen  in  Freiheit  gesetzt  wurden.  So  können 
auch  die  grössten  Könige  auf  ihre  ursprüngliche 
Erhöhung  zurückgebracht  werden,  wenn  sie  zu  Einnahme 


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-   63  — 


II.  Nichtamtliche  handschriftliche  Darstellungen  von  Angen- 
zengen : 

1.  Harth  mann,  die  Pfalzstürmung  und  die  Unruhen 
in  Strassburg  im  Sommer  4789.* 

Eine  eingehende  Schilderung  nicht  nur  der  Julitage, 
sondern  auch  des  Soldatenaufstands  am  5.  und  6.  August 
und  seinen  Folgen,  bis  zum  31.  August;;  im  Ganzen  dem  Be- 
richt der  Repräsentanten  entsprechend,  besonders  über  den  21. 
Er  ergänzt  ihn  noch  bedeutend.  Fälschlich  giebt  H.  als  Versamm- 
lungsort des  Magistrats  am  Nachmittag  des  20.  die  Zunft  zum 
Spiegel  an,  und  schiebt  daher  die  Steinwürfe  gegen  das  Rat- 
haus der  blossen  Zerstörungswut,  nicht  der  Rachlust  zu.  Die 
Bitte  der  Bürger,  sich  bewaffnen  zu  dürfen,  legt  er  auf  den 
21.  Mittags,  das  Blasen  des  General marsches  auf  4  Uhr.  Diese 
Ungenauigkeiten  beeinträchtigen  jedoch  die  sonstige  Brauch- 
barkeit der  von  ihm  entworfenen  Schilderung  keineswegs. 
Dieser  und  der  folgende  Bericht  waren  Engelhardt  unbekannt. 

2.  Ein  in  dem  erwähnten  Karlsruher  Faszikel  vorhandener 
orthographisch  sehr  mangelhafter,  aber  wertvoller  Bericht 
(«Wahre  und  authentische  Nachrichten  der  gegenwerdigen 
Epoche  in  Strasburg»)  eines  Augenzeugen,  an  den  Amtmann 
Hofrat  Strobel  in  Kehl  gerichtet.  Er  ist  sehr  ausführlich,  und 
betont  besonders  die  anfängliche  Harmlosigkeit  der  Zusammen- 
rottung am  Abend  des  19.  Juli.  Er  berichtet  überhaupt  mehr- 
fach Einzelheiten,  die  das  ganze  Bild  beleben.  Besonders  über 
die  Bewegungen  des  Militärs  am  Nachmittag  des  20.  giebt  der 
Verfasser  Aufschlüsse,  die  sonst  nirgends  geboten  werden.  Er 
berichtet  z.  B.,  dass  «die  ganze  Garnison  nach  5  Uhr  in's 
Gewehr»  getreten,  und  dass  gegen  6  Uhr  Klinglin  erschienen 
sei  mit  der  Nachricht,  der  Magistrat  habe  «die  Doleance  beant- 


nnd  Ausgabe  keine  proportion  setzen  und  leiden,  dass  sich  Vampire 
an  sie  hängen,  welche  sie  unverschämt  aussaugen ;  schröckliche  Lehre 
Tür  grosse  und  kleine  Fürsten. >  —  Am  29.  scheint  er  völlig  gewonnen, 
denn  er  ruft  aus:  «0  Freyheit.  unschätzbarer  als  Gold  und  alle 
Kostbarkeiten  der  Erde!  Dich  zu  beschützen,  und  dich  gegen  die 
Tyrannen,  so  dich  mit  Füssen  traten,  muthig  zu  vertheidigen  sind 
schon  40U0  unserer  bravsten  Bürger  bewaffnet  !> 

1  Kopie  vorhanden  auf  der  Kaiserlichen  Bibliothek,  Barack's 
Katalog  Nr.  458.  Im  Druck  veröffentlicht  z.  T.  von  A.  Schricker 
in  der  Wiener  «Presse>  Nr.  324,  vom  26.  November  1893. 


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—    64  — 

wortet»,  worauf  das  letzte  Regiment  den  Paradeplatz  verlassen- 
habe.    Dies  dürfte  dem  sonst  unverständlichen  Passus  im  Be- 
richt der  Repräsentanten  vom  21.  entsprechen  (s.  o.  I.  1.) 

3.  Ebenda,  «Frankreich,  Reichsstände» :  «Histo- 
rischer Bericht  von  den  in  Strassburg  entstandenen  inner- 
lichen Unruhen.»  Er  hat  mit  den  anderen  übereinstimmende 
gute  Nachrichten. 

III.  Gedruckte  Schilderungen  von  Augenzeugen. 

1.  Beschreibung  des  jammervollen  Aufruhrs 
in  Strassburg  1789»,  der  neben  I.  1.— 3.  Engelhardt  folgte. i 

Der  Verfasser  schreibt  offenbar  unter  dem  ersten  Eindruck 
der  Ereignisse,  und  weiss  demnach  Klinglin  nicht  genug  zu 
preisen.  Seine  Nachrichten  sind  wertvoll,  wenn  auch  nicht 
erschöpfend.  Den  Beginn  des  eigentlichen  Sturms  auf  die 
Pfalz  verlegt  er,  wie  Harthmann,  auf  4  Uhr. 

2.  Dampmartin,  A.  H.,  Memoire*  sur  divers  evenements 
de  la  Revolution  et.  de  l'Emigration  (Tome  II.  Paris  1825). 
Dampmartin  war  damals  Kompagnieführer  im  Regiment  Royal  Ca- 
vallerie.  Sein  Bericht,  dem  Taine*  gefolgt  ist,  bezieht  sich  haupt- 
sächlich auf  den  21.  Er  giebt  3  Uhr  als  die  Stunde  des  General- 
marsches an.  Merkwürdig  sind  seine  Aeusserungen  als  die  eines 
Offiziers  über  die  Vorahnung  eines  kommenden  Tumults.  Er 
spricht  direkt  von  einem  «projet  aussi  vaste  qu'important  d'armer 
le  peuple  .  .  .  dans  une  meme  circonstance».  Höchst  sonderbar 
aber  ist  sein  Bericht  von  einem  Gastmahl  (S.  43  fg.)  das  bei 
Klinglin  an  einem  jener  Juliabende  stattgefunden,  und  wobei 
eine  eigentümlich  vielwissende,  geheimnissvolle  Unterhaltung 
darauf  hindeutete,  dass  die  Truppen  «am  nächsten  Nachmittag 
um  3  Uhr  zu  den  Waffen  greifen  werden»,  um  eine  wichtige 
Unternehmung  auszuführen,  die  «den  guten  Franzosen  sehr 
angenehm  sein  werde».  Die  Gäste  zogen  sich  erst  spät  zurück, 
unter  dem  erbebenden  Bewusstsein,  einem  Ehrentage  entgegen 

1  Ausserdem  rauss  diesem  hiefür  wie  für  die  Schilderung  des 
Soldaten aufstandes  ein  Bericht  zu  gebot  gestanden  haben,  der  nicht 
mehr  vorbanden  ist.  Vielleicht  befand  er  sich  in  dem  von  Engelhardt 
öfters  erwähnten  «Recueü  de  pieces  relatives  ä  la  revolution»  etc.,  in 
der  1870  verbrannten  Bibliothek. 

*  A.  a.  0.  I.  S.  84,  8ö— 89. 


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—    65  — 


zu  gehen.  —  Die  Zahl  der  aufmarschierten  Truppen,  die  er 
auf  8000  angiebt,  ist  entschieden  zu  hoch;  die  Berichte 
schwanken  jedoch  hier  so  sehr,  dass  es  am  klügsten  wäre,  wie 
Engelhardt,  nur  von  einer  «grösseren  Militärabtheilung»  zu 
sprechen.  —  Die  Schilderung  Dampmartin's  durchweht  mili- 
tärische Frische.  Ueber  die  Verdächtigung  Klinglin's  ist  er  als 
Soldat  empört,  ebenso  aber  über  das  Verhalten  Rochambeau's, 
das  er  als  perplexite  puerile  bezeichnet.  Die  Anrede  des  Gene- 
rals schildert  er  als  ganz  kläglich.  —  Den  Prinzen  von  Hessen 
lässt  er  um  Erlaubnis  zum  Einschreiten  bitten.  Dies  kommt 
aber  dem  Prinzen  Max  von  Zweibrücken  zu. 

3.  Rochambeau,  Memoires  militaires,  historiques  et 
politiques  (Tome  premier,  Paris  1819).i 

Seine  Ausführungen  sind  sehr  kurz  gefasst.  Er  giebt 
ebenfalls  3  Uhr  als  Zeitpunkt  des  Generalmarsches  an.  Er 
schiebt  die  Unthätigkeit  der  Soldaten  ihrer  Unlust  zu.  Doch 
kann  auch  er  selbst  sich  eines  festen  Auftretens  nicht  rühmen ; 
seine  Anrede,  von  deren  gutem  Erfolg  er  schreibt,  klingt  zwar 
wesentlich  anders  als  bei  Dampmartin ;  aber  der  Inhalt  gleicht 
trotzdem  mehr  einer  Bitte  als  einem  Befehl.  Für  die  Auffassung 
des  Verhaltens  der  Truppen  ist  eben  dieser  Bericht  von  Wert. 

4.  Arthur  Young,  der  bekannte  englische  Reisende, 
der  am  20.  Juli  nach  Strassburg  kam,*  und  auch  den  21 .  dort 
verweilte.  Den  Pfalzsturm  betrachtete  er  aus  nächster  Nähe. 
Besonders  seine  Bemerkungen  über  das  Verhalten  der  Soldaten 
sind  interessant.  —  III,  2. — 4.  kannte  Engelhardt  nicht. 

5.  Friese's  Vaterländische  Geschichte,  das  Werk  eines 
Strassburgers,  ist  wegen  seiner  Ausführlichkeit  eine  der  Haupt- 
quellen für  die  ganze  Bewegung.  Der  Verfasser  ist  aber  ziem- 
lich revolutionär-fanatisch,  und  daher  auch  manchmal  unge- 
recht. —  Er  ist  überzeugt,  dass  alles  vorbereitet  worden,  und 
dass  Klinglin  der  Urheber  war.  Wenn  seine  Ansichten  nicht 
stets  auf  Wahrscheinlichkeit  Anspruch  erheben  können,  so 
ist  die  Darstellung  der  Vorgänge  den  anderweitig  berichteten 
Thatsachen  durchaus  entsprechend,  wenn  auch  nicht  in  allen 
Zeitangaben  richtig.    So  lässt  er  z.  B.  die  Magistrate  erst  um 


1  Der  hierhergehörige  Abschnitt  ist  veröffentlicht  von  Reuss, 
Le  sac  de  l'hötel  de  ville  etc.  a.  a.  0.  S.  56  fg. 

2  A.  a.  0.  S.  264.  Veröffentlicht  von  Reuss,  Le  sac  etc.  S.  55. 

5 


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-  w  — 


5  Uhr  vor  dem  Steinhagel  aus  der  Pfalz  entfliehen.1  Dagegen 
giebt  er  richtig  als  Zeit  der  Zusammenrottung  am  21.  drei  Uhr 
Nachmittags  an,  und  setzt  auch  um  diese  Stunde  den  General- 
marsch an. 

IV.  Nicht  ausdrücklich  von  einem  Augenzeugen,  aber  doch 
von  einem  Zeitgenossen  und  Strassburger  Bürger  sind  die  Nach- 
richten Hermann's.  Derselbe  hat  mehrere  z.  Tl.  interes- 
sante Einzelheiten,  wohl  auf  Berichten  aus  der  Bürgerschaft 
beruhend,  die  zu  verwerten  sind.  Teilweise  folgt  er  bereits 
Friese's  Darstellung.  Auch  er  schiebt  Klinglins  Verhalten  dessen 
Groll  gegen  den  Magistrat  zu. 

Es  ist  zu  bemerken,  dass  die  amtlichen  Berichte  über  den 
Urheber  des  Aufslands  gänzlich  schweigen,  von  den  nichtamt- 
lichen der  Verfasser  des  «jammervollen  Aufruhrs»  und  Damp- 
martin  nicht  bei  Klinglin  die  Schuld  suchen,  und  dass  dies  mit 
Nennung  des  Namens  nur  bei  Friese  und  Hermann  geschieht. 
Gegen  eine  ganz  andere  Seite  wenden  sich  zwei  andere  Schrif- 
ten, die  «R;iuberbande»2  und  die  erwähnten  «Gräuel  der  Ver- 
wüstung.» Sie  sehen  nämlich  den  Kommissar  Dietrich  als  den 
Schuldigen  an.  Wenn  sie  auch  beide  aus  einer  «giftigen  Feder» 
geflossen  sind,  so  dürfte  doch  hervorgehoben  werden,  dass  der 
Verfasser  der  letzteren  Schrift  jedenfalls  den  Geheimnissen  der 
Stadtleitung  nicht  ferne  stand. 3  — 

Nunmehr  können  wir,  indem  wir  besonders  für  den  21., 
auf  die  ausführliche  Darstellung  Engelhardts  verweisen,  zu  der 
Schilderung  der  Ereignisse  an  der  Hand  unserer  Quellen  über- 
gehen. 


1  Dies  hat  A  u  f  s  c  h  1  a  g  e  r  a.  a.  0.  I.  305  übernommen. 

2  Vgl.  deren  Charakteristik  bei  Strobel  V.  S.  326  Anm. 

3  Zwei  weitere  Berichte  enthalten  wenig  bemerkenswertes :  Re- 
volutions  d'Alsace,  1789,  die  von  Türckheira  selbst  als  unzuverlässig 
bezeichnet  wurden ;  und  die  Histoire  des  deux  amis  de  la  libert6, 
Tome  2.,  Paris  1790.  Sie  sind  bei  Strobel  V.  S.  325.  Anm.  be- 
sprochen. Der  daselbst  von  Engelhardt  sab  9)  aufgeführte  Bericht 
des  Moniteur,  Nr.  33  vom  4.  August,  bietet  auch  hier  nur  eine  Wie- 
dergabe der  Histoire  des  deux  amis,  wie  dies  schon  für  andere  Stellen 
R  an  k  e,  (S.  W.  XLV.  252  fg.)  nachgewiesen  hat.  Die  von  ihmS.  252  fg. 
hervorgehobenen  Abweichungen  des  Moniteur  von  dem  Bericht  der 
Deux  amis  finden  sich  schon  in  der  ihm  nicht  bekannt  gewordenen 
zweiten  Auflage  dieses  Werks. 


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—   (57  — 


Der  Beginn  der  eigentlichen  Bewegung  wird  stets  auf  den 
Augenblick  festgesetzt,  wo  mit  der  Erleuchtung  des  Gasthofs 
zum  «Rothen  Haus»  am  Paradeplatz  der  Freude  über  die  aus 
Paris  eingetroffenen  Nachrichten  Ausdruck  gegeben,  und  das 
Beispiel  der  Hauptstadt  durch  die,  von  Seiten  der  Gassenbuben 
z.  Tl.  erzwungene,  Illumination  der  Stadt  nachgeahmt  wurde. 
Dies  wird  von  allen  Berichterstattern,  auch  von  den  Repräsen- 
tanten, auf  den  19.  Juli  Abends  verlegt.  Nur  der  Verfasser 
des  «jammervollen  Aufruhrs»  weiss  von  einer  übermütigen  Kund- 
gebung schon  am  Samstag,  den  18.,  zu  erzählen,  und  lässt  sie 
am  19.  in  verstärktem  Masse  wiederkehren.  Ein  Kurier  von 
Paris  nach  Strassburg  brauchte  3  l\i  Tage  und  es  ist  daher 
wahrscheinlich,  dass  schon  am  18.  Abends  die  Nachricht  von 
der  Versöhnung  des  Volks  mit  dem  König  eintraf,  was  mit 
dem  Ruf:  «Es  lebe  der  König!»  gefeiert  ward.i 

Aber  sei  dem,  wie  ihm  wolle;  nicht  erst  am  Abend  des 
betreffenden  Tages  jedenfalls  gerieten  die  Strassburger  durch 
Pariser  Nachrichten  in  Aufregung.  Man  muss,  wenn  auch 
nicht  vom  Bastillesturm  selbst,  so  doch  von  den  vorhergehenden 
Bewegungen  vom  12.  und  13.  schon  am  Vormittag  des  18.  in 
Strassburg  Kunde  gehabt  haben.  Denn  in  dem  stenographischen 
Rapiariuin  der  XHIer  vom  18.  ist  davon  die  Rede,  dass  auf 
dem  Paradeplatz  gefährliche  Druckschriften  verbreitet  wurden, 
deren  eine  sich  über  die  Entlassung  Necker's  ausliess,  und 
dass  ein  Hutmacher  grüne  Kokarden  verteilte.  Beides  wurde 
verboten.  Denn,  abgesehen  davon,  dass  die  Lässigkeit  des  Ma- 
gistrats im  Beschluss  über  des  Besch  werden  lieft  die  Spannung 
auf  den  Höhepunkt  gebracht  hatte,  war  die  Stimmung  in  der  Stadt 
schon  seit  einigen  Tagen  aus  anderen  Gründen  unsicher.  Man 
hatte  finstere,  unbekannte  Gesellen  bemerkt,  die  sich  zwecklos 
umhertrieben,  und  sich  an  Freiwein,  der  merkwürdigerweise 
verteilt  ward,  gütlich  thaten.  Selbst  im  Offizierscorps  war  man 
auf  ein  Ereignis  gefasst.    Es  ist  daher  begreiflich,  dass  die 


1  Widersinnig  ist  es,  mit  Engelhardt  anzunehmen,  dass  die  Menge 
diesen  Ruf  gethan  habe,  wenn  am  18.  erst,  wie  er  sagt,  die  Nach- 
richt von  der  Erstürmung  der  Bastille  eingetroffen  war.  —  Her- 
rn ann's  Darstellung,  a.  a.  0.  I.  S.  108  ist  wahrscheinlicher.  Im 
historischen  Bericht»  heisst  es  ausdrücklich :  «Sonntag,  den 
19.  Julii,  da  die  Vereinigung  des  Königs  mit  der  Nationalversamm- 
lung bekannt  geworden». 


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—   (58  — 


Nachricht  von  den  Schritten  des  Königs  wie  eine  Erlösung 
wirkte.  Mit  Blitzesschnelle  verbreitete  sie  sich  durch  die  Stadt. 
«Die  Bürger  liefen  einander  entgegen  und  umarmten  sich  ent- 
zückt.» Man  verlangte  und  verteilte  abermals  grüne  Kokarden, 
und  alsbald  loderte  ein  Freudenfeuer  auf  dem  Paradeplatz. 
Jederman  musste  wenigstens  mit  einer  Laterne  illuminieren. 

Diese  Auftritte  waren  harmloser  Natur, i  und  ebenso  auch 
zunächst  am  folgenden  Tage,  als  alles  freudig  die  angeschlagene 
Rede  des  Königs  las.  Das  aber  konnte  nicht  hindern,  dass 
auch  die  vorhandenen  Gegensätze  um  so  schroffer  empfunden 
wurden.  Paris  war  befreit,  die  Burg  des  Despotismus  gefallen, 
die  Bürger  Herren  der  Stadt.  In  Strassburg  trotzte  der  Magi- 
strat noch  ihrem  Willen.  War  eine  Kundgebung  geplant  ge- 
wesen und  durch  den  gestrigen  Jubel  vereitelt  worden,  so  waren 
am  19.  die  Umstände  dem  Unternehmen  schon  günstiger. 
Ohnedies  ein  Sonntag,  wo  jedermann  Zeit  hatte,  aufreizende 
Reden  anzuhören,  und  länger  den  unentgeltlich  verschenkten 
Spirituosen  zuzusprechen,  war  es  der  erste  von  drei  Festtagen, 
die  aus  Anlass  der  väterlichen  Gesinnungsbezeugungen  des 
Königs  verordnet  worden  waren,  und  es  befand  sich,  wegen 
einer  abermaligen  Illumination  und  Feuerwerk  auf  dem  Parade- 
platz, eine  Menge  Leute  aus  allen  Schichten  auf  den  Strassen. 
Bis  11  Uhr  Abends  war  «alles  in  Freude,  nicht  die  geringste 
Unordnung  ging  vor».  Aber  allmählich  kamen  die  Gemüter  in 
Erregung ;  auch  Soldaten  nahmen  teil  an  der  Fröhlichkeit,  und 
besonders  eine  Schar  von  etwa  sechzig  jungen  Leuten  aus  an- 
gesehenen Familien,  nebst  ungefähr  ebensovielen  Metzgern, 
Stallknechten  u.  dgl.  «sämtlich  mit  guten,  tüchtigen  Hebeln  und 
Prügeln  versehen,»  machten  sich  bemerkbar.  Sie  wiederholten 
das  Treiben  vom  vorigen  Abend.  Die  Stimmung  aber  hatte 
einen  anderen  Anstrich  bekommen  :  «es  sollte  auch  hier  ein 
Launay  und  ein  Flesselles  geopfert  werden».  Der  unbeliebteste 
unter  den  Ratsherren  war  der  Ammeister  Lemp,  den  Anmassung 
und  hochfahrende  Reden  persönlich  verhasst  gemacht  hatten. 
Nun  wollte  man  ihn  in  der  Stadt  umherführen,  nach  einer 
Nachricht  in  seiner  Amtstracht  und  in  Holzschuhen,  nach  einer 


1  Deshalb  vielleicht  wurden  sie  in  den  meisten  Aufzeichnungen 
weggelassen. 


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-    69  - 


anderen  auf  einem  Esel,  und  ihn  dann  —  wie  von  verschiedenen 
Seilen  versichert  wird  —  mit  dem  Leben  büssen  lassen.  Er 
war  aber  durch  den  Platzmajor  de  Biquinville  rechtzeitig  be- 
nachrichtigt worden,  und  in  eiligst  umgeworfener  Verkleidung 
durch  einen  Dachraum  entkommen.' 

Als  man  eben  anfing,  in  sein  Haus  einzudringen,  woran 
kein  Fenster  mehr  heil  war,  erschien  Klinglin  zu  Pferde,  ge- 
folgt von  einem  Dutzend  Offiziere  und  einer  Abteilung  Reiter. 
«Er  benutzte  den  Einfluss,  den  er  besass,  um  das  Volk  zu  be- 
ruhigen,» und  redete  den  Aufrührern  begütigend  zu;  «Nur  kein 
Feuer,  meine  Freunde,  kein  Feuer!»* 

«Meine  Herren  !»  sagte  er  nach  dem  Bericht  Harthmann's, 
«ich  glaube,  es  wäre  jetzt  genug !  Gehen  Sie  nach  Haus  zu 
Ihren  Frauen  und  Maitressen,  die  nach  Ihnen  schmachten 
werden!?  Seine  Worte  wirkten  Wunder  :  man  gehorchte.  Laute 
Kufe :  «Es  lebe  die  Nation  !  Es  lebe  Necker !  der  Baron  von 
Klinglin!»  erschollen,  und  die  Menge  zerstreute  sich.8 

Interessant  ist,  was  Dampmartin  über  das  Verhalten  der 
Offiziere  sagt  :  «Die  Generäle  vergassen  (1)  in  ihrer  Bestürzung 
die  Garnison  zu  den  Waffen  zu  rufen,  trotz  des  Befehls  vom 
vorigen  Abend.* 

Eine  Veränderung,  die  kein  Vorwand  entschuldigte,  wurde 
dieQuelle  unbedachtsamer  Entschlüsse  und  bitterer  Bemerkungen. 
Die  Verdächtigungen,  bis  dorthin  unbestimmt,  gestalteten  sich 
zur  festen  Gewissheit,  dass  gefährliche  Pläne  im  Gange  seien. 
Rochambeau  verbarg  seine  Aufregung  weniger  als  irgend  je- 
mand .  .  .  Die  alten  Offiziere  erkannten  die  Stimme  nicht  wie- 
der, die  sie  ehemals  auf  dem  Weg  der  Ehre  geführt  hatte.»» 


1  Er  soll  sich  nach  Schlettstadt  geflüchtet  haben.  (Bericht  des 
Amtmanns  Strobel  an  die  badischc  Regierung  vom  27.  Juli). 

2  Vgl.  Hermann  a.  a.  0.  I.  108. 

5  Einen  köstlichen  Zug  erwähnt  Harthmann.  «Sie  wurden  be- 
sänftigt, sagt  er,  bis  auf  Einen,  welcher  voller  Vertrauen  Herrn  von 
Klinglins  Pferd  beim  Zaum  nahm  und  bat :  Mon  commandant,  encore 
une  pierre,  je  vous  en  prie,  und  denselben  mit  innigster  Zufriedenheit 
nach  dem  Fenster  warf.» 

4  Infolge  der  Auftritte  vom  18.? 

5  Zar  Milderung  dieses  herben  Urteils  muss  man  betonen,  dass 
Rochambeau  erst  am  vergangenen  Tage  in  Strassburg  angekommen, 
und  gänzlich  unbekannt  mit  allen  Verhältnissen  war.  Man  darf  nicht 
vergessen,  dass  er  in  dieser  Lage  auf  den  Rat  des  Platzkomman- 
danten Klinglin  das  grösste  Gewicht  legen  musste,  und  dass,  wenn 


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Von  ein  Uhr  ab  war  durch  umherstreifende  Patrouillen 
die  Ordnung  wieder  hergestellt.  — 

Am  nächsten  Morgen,  Montag,  den  20.,  versammelte  sich 
der  Magistrat  auf  der  Pfalz.» 

Die  Sitzung  wurde  aber  sogleich  durch  das  Zusammen- 
strömen einer  Menschenmenge  vor  dem  Rathause,  voran 
mehrere  Metzger,  gewaltsam  unterbrochen.  Die  Letzteren  ver- 
langten ungestüm  die  Erklärung  des  Magistrats  über  das  Be- 
schwerden lieft  und  Aufhebung  oder  Verminderung  der  Accise. 
Fischer  gab  ihnen  eine  befriedigende  Zusage,  und  sie  ent- 
fernten sich. 2 

Doch  murrten  sie,  dass  sie  den  Ratsherren  «in  die  Per- 
rücken fallen  würden,  wenn  sie  nicht  auf  der  Stelle  das  Ver- 
langte gestatten».  Fischer  versprach,  dass  Nachmittags  um 
fünf  Uhr  alles  gewährt  sein  werde.  «Die  Ratsherren  fanden  nun- 
mehr, dass  die  Forderungen  der  Bürger  von  einiger  Gewichtig- 
keit waren.»  Sie  berieten,  wie  dem  Rechnung  zu  tragen  sei, 
indes  das  Volk,  das  sich  nicht  zerstreut  hatte,  alle  Magistrats- 
personen die  sich  sehen  Hessen,  auspfiff,  und  sogar  einige 
mit  Steinen  und  Kot  bewarf,  so  dass  die  Zurückgebliebenen 
versuchen  mussten,  ihre  schwarze  Amtstracht  mit  Bürgerkleidern 
zu  vertauschen,  um  ungehindert  nach  Haus  zu  entkommen. 
Dies  wurde,  nachdem  sie  ihre  Kutschen  hatten  wegfahren 
lassen,  durch  eine  Hinterthür  bewerkstelligt.  Zu  einer  Einigung 
waren  sie  nicht  gekommen,  wenn  auch  das  Volk  die  unbe- 
dingte Annahme  des  Beschweidenheftes  laut  verlangte. 

Schliesslich  ritt  Klinglin,  in  seiner  Eigenschaft  als  Re- 
präsentant der  Schirmer,  von  einem  Schwärm  schreiender 
Knaben  umringt,  zum  Spiegel,  und  versicherte,  die  Taxen 
werden  ermüssigt  werden.  Er  fand  leicht  Gehör.  Aber  auch 
vor  dem  Spiegel  tobte  die  Menge.3 

Klinglin  trat  an's  Fenster,  um  sie  zu  beschwichtigen. 
«Kinder,  liebe  Kinder!»  rief  er,  «habt  Geduld,' seid  ruhig!  Es 

einen  der  beiden,  letzteren  die  Verantwortung  an  dem  eigentüm- 
lichen Verhalten  der  Truppen  in  hohem  Masse  trifft. 

1  Engelhardt  (a.  a.  0.  V.  311)  lässt  auch  die  Repräsentanten 
Morgens  Sitzung  halten.  Sie  kamen  erst  Nachmittags  zusammen. 

2  Spac  h,  Fr.  de  Dietrich,  a.  a.  0.  S.  499  giebt  die  Reihenfolge 
der  Ereignisse  am  20.  nicht  genau  wieder. 

3  «Tausend weise >  sagt  Harthmann. 


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-    71  - 

wird  gut  gehen !  Verlasst  Euch  auf  mich  !»  Diesmal  jedoch 
wurde  er  nicht  Herr  über  die  Erregung;  sie  schien  sich  auch 
der  Volksmenge  vor  der  Pfalz  wieder  mitgeteilt  zu  haben. 
Denn,  während  sich  die  Repräsentanten  in  der  Zunft  «zum 
Spiegel»  um  2  Uhr  Nachmittags  versammelten,  kamen  die  sieben 
Kommissare  und  die  fünf  Ratsdeputierten,  zur  selben  Zeit,  auf 
der  XHIerstube  der  Pfalz  zusammen,  um  die  letzte  Hand  an 
die  Ausgleichung  der  Beschwerden  zu  legen.  Aber  schon  nach 
einer  Viertelstunde  wurden  sie  durch  einen  Hagel  von  Steinen 
gezwungen,  die  Besprechung  aufzuheben  und  die  Pfalz  wieder 
zu  verlassen.  Sie  begaben  sich  unter  Reiterbedeckung  —  nur 
eine  unthätig  zuschauende  Wache  befand  sich  bis  dahin  auf 
dem  Platz,  —  zu  den  Repräsentanten,  um  dort  die  Erklärung 
des  Magistrats  abzugeben. 

Gegen  3  Uhr  zog  dann  ein  Regiment  Infanterie  auf  den 
Paradeplatz,  wo  sich  die  Generalität  einfand,  «und  sich  stellte, 
als  ob  sie  das  Regiment  musterte.»  «Und  so  kamen  alle  Re- 
gimenter auf  den  Platz,  und  lösten  einander  ab.»  Um  diese 
Zeit  muss  es  gewesen  sein,  als  Young  mit  der  Post  in  Strass- 
burg  ankam,  wobei  sein  Pferd  in  den  dichten  Menschenmassen, 
vor  den  Trompeten  und  dem  Lärm  scheuend,  den  Reisenden 
in  grosse  Verlegenheit  brachte. 

Nach  3  Uhr  kam  eine  Deputation  des  Magistrats,  und 
kurz  nachher  «Dietrich  selbst  in  Begleitung  des  Platzmajors  zu 
der  Generalität  ;  gleich  darauf  marschierte  ein  grosses  De- 
tachement»  vor  die  Pfalz,  und  teilte  die  Menge  auseinander. 
«Die  Generalität  erhielt  von  Zeit  zu  Zeit  durch  ihre  Adjutanten 
und  den  Platzmajor  Nachricht.» 

Da  der  Magistrat  seine  Entscheidung  auf  5  Uhr  in  Aus- 
sicht gestellt  hatte,  kam  die  Mehrzahl  seiner  Mitglieder  um 
diese  Zeit,  ebenfalls  unter  Soldatenbedeckung,  auf  die  Pfalz. 
Ein  neues  Bombardement  mit  Steinen  und  Kohlköpfen  ward 
eröffnet.  Alle  Vorstellungen  dagegen  waren  fruchtlos,  ja  ge- 
fährlich. Da  ging  Dietrich  zu  den  Repräsentanten  auf  den 
Spiegel,  um  ihnen  eine  nochmalige  Prüfung  der  beanstandeten 
Artikel  vorzuschlagen  —  eine  wirklich  bewundernswerte  Hart- 
näckigkeit des  Magistrats  !  Die  Repräsentanten  lehnten  sein  An- 
erbieten jedoch  ab.  Sie  erklärten  vielmehr  :  * 


1  Vgl.  Friese  a.  a.  0.  IV.  S.  253. 


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—  72 


cSie  wüssten  ganz  gewiss,  dass  das,  das  Rathaus  umge- 
bende Volk  verlange,  dass  das  ganze  Besch  werden  he  ft  ohne 
Ausnahme  angenommen  und  der  Accis  und  Octroi  heute  noch 
abgeschafft  werden  müsse,  widrigenfalls  das  Volk  bereit  sei, 
das  Rathaus  samt  dem  Magistrat,  ohne  auch  der  Repräsentanten 
zu  verschonen,  mit  Mord  und  Brand  zu  gründe  zu  richten. 
Und  dass  das  Volk  geäussert,  dass  die  Garnison  ihm  versprochen, 
nichts  gegen  das  Volk  zu  unternehmen»  u.  s.  w.,  eine  Drohung, 
die  an  Schroffheit  nichts  zu  wünschen  übrig  Hess,  und  die  Dietrich 
veranlasste,  dem  Magistrat  zu  empfehlen,  alles  zuzugestehen, 
unter  dem  Vorbehalt,  es  rückgängig  zu  machen,  wenn  der  Ma- 
gistrat wieder  selbständig  beschliessen  könne.  Aber  dieser  er- 
bat noch  einen  Aufschub  von  einigen  Tagen.  Nun  ward  er 
mit  seinem  Verlangen  an  das  Volk  gewiesen ;  damit  war  er 
machtlos.  Die  Schlüssel  des  Pfennigturmes  und  des  Rathauses 
musste  er  den  Repräsentanten  ausliefern,  die  dieses  besetzten, 
um  es  auf  einen  Wink  dem  Volk  preiszugeben.  Das  beweist 
auch  die  Aussage  des  in  Kehl  verhafteten  Aufrührers :  dass 
ein  Metzger  auf  dem  Spiegel  zum  «losstürmen»  aufgefordert 
habe,  falls  bis  um  6  Uhr  «die  Herren»  nicht  nachgeben  sollten. 

Und  sie  gaben  nach  :  schweren  Herzens  unterschrieben  sie 
das  Dekret,  das  alles  bewilligte.1 

Nunmehr  folgte  die  Menge  vor  dem  Spiegel  einer  aber- 
maligen Aufforderung  Klinglin's,  und  zerstreute  sich.  Der 
Kommandant  ritt  sodann  vor  die  Pfalz,  und  beschwichtigte  auch 
dort  die  Gemüter.  Die  letzten  Soldaten  verliessen  alsbald  den 
Platz,  und  die  Generalität  zeigte  sich  auf  den  Strassen  mit 
dem  Ruf:  «Es  lebe  der  Bürgerstand  1  Der  Friede  ist  geschlossen  !» 
Die  Bürger  richteten  eine  Dankadresse  an  den  Magistrat,  und 
der  Abend  sah  Strassburg  wieder  festlich  beleuchtet.  Ueber 
dem  Thore  von  Klinglin's  Wohnung  erstrahlte  ein  Transparent 
mit  den  Worten  :  «Patrem  te  dicunt  filii  dicentque  nepotes,» 
ein  bedenkliches  Lob. 

Der  ganze  Aufruhr  hatte  durch  die  Beteiligung  der  Hand- 
werksgesellen und  der  fremden  Individuen,  besonders  aber 
dadurch  etwas  unheimliches,  dass  er  von  unsichtbarer  Hand 
und  durch  unhörbare  Worte  geleitet  zu  werden  schien.  Trotz 


1  Vgl.  Anhang  Nr.  14. 


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—    73  - 

des  äusseren  Jubels  blieb  daher  Besorgnis  rege.  Rochambeau 
schlug  aber  die  Bitte  der  Bürger,  sich  bewaffnen  zu  dürfen,  ab, 
und  Hess  seinerseits  die  Patrouillen  verdoppeln.  Dies  scheint 
Hermann's  Bemerkung  zu  rechtfertigen,  der  sagt :  1  cEr  war 
alt  und  wohlwollend,  aber  schwach.  Es  scheint,  dass  man  ihm 
glauben  machte,  Unordnungen,  die  den  Sturz  des  Magistrats 
zur  Folge  haben  würden,  seien  der  Bürgerschaft  angenehm.» 

Trotz  der  Vorsichtsmassregeln  ging  es  ohne  Ruhestörungen 
nicht  ab.  Die  Macht  des  Magistrats  war  zwar  gebrochen,  und 
man  hatte  alles  erreicht,  was  man  seit  dem  18.  April  erhoffte. 
Dennoch  war  dieRache  an  den  Herren  XVern  noch  nicht  gekühlt, 
und  das  Militär  konnte  nicht  hindern,  dass  das  Haus  des  XVers 
Flach  gänzlich  ausgeplündert  wurde.  — 

Am  nächsten  Morgen,  den  21.,  kam  der  Magistrat  voll- 
zählig zusammen,  und  bestätigte  durch  neue  Unterschriften, 
allerdings  wiederum  nach  längeren  Verhandlungen,  sein  Dekret 
vom  verflossenen  Abend.  Doch  fühlte  man  sich  noch  nicht  so 
sicher,  dass  Rochambeau  nicht  jede  Art  von  Feuerwerk  u.  dgl. 
hätte  verbieten  lassen,  und  die  geplante  Illumination  auf  den 
Ludwigstag  verschoben  worden  wäre. 

Die  Aufhebung  von  Octroi  und  Accise  war  durch  öffent- 
lichen Anschlag  bekannt  gemacht  worden.  Da  geschah  das 
Unerwartete,  dass  gegen  Mittag  allgemein  verbreitet  ward,  der 
Magistrat  habe  sein  Wort  zurückgenommen.2  Alle  gegenteiligen 
Versicherungen  verschollen  unbeachtet.  Tobend  riss  man  den 
Repräsentanten  das  Dekret  aus  den  Händen,  und  schrie  durch- 
einander: die  Herabminderung  des  Fleisch-  und  Brotpreises  sei 
zu  gering.3  «In  Paris  habe  man  die  Einnahme-Bureaux  zer- 
stört; alles  werde  billiger,  wenn  man  dem  Magistrat  Furcht 
einjage»,  «und  dergleichen  Reden  mehr,  die  Misstrauen  und 
Zweifel,  beim  Pöbel  aber  Wut  erregten.»  Man  rottete  sich 
zusammen  ;  Männer,  Weiber,  kampflustige  Bursehen  feuerten 
sich  gegenseitig  an,    Handwerksgesellen  verliessen  ihre  Werk- 


i  a.  a.  0.  I.  197.  Vgl.  auch  Taine,  a.  a.  0.  I.  81  Anm.  1. 

8  «  Wahre  und  authentische  Nachrr.  >  (Karlsr.  Arch.):  cDie  Dole- 
ance  sei  nicht  von  allen  Ratsmitgliedern  unterschrieben,  der  Magi- 
strat also  nicht  gebunden.  Der  Magistrat  werde  sein  Versprechen  nicht 
halten». 

3  Die  Metzger  hatten  eine  Minderung  um  2  sous  =  8  deniers 
gefordert;  der  Magistrat  hatte  es  nur  um  6  d.  ermässigi. 


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-  74 


statten,  Tagelöhner  die  Arbeit,  und  nahmen  ihre  Werkzeuge 
mit  sich.  Auch  von  auswärts  kamen  Zimmer-  und  Maurer- 
gesellen herbei.  Alles  strömte  der  Pfalz  zu.  Offenbar  war  dies 
keinN  Zufall  :  sie  wussten  um  den  geplanten  Aufstand.  Man 
war  übereingekommen,  die  Pfalz  zu  stürmen. 

Es  war  gegen  drei  Uhr.  Abermals  wandten  sich  die  Bürger 
vergebens  an  Roehambeau,  diesmal  auch  an  Klinglin,  mit  der 
Bitte  sich  bewaffnen  zu  dürfen.  Es  ward  abgeschlagen,  da  die 
Stadt  Festung  und  Grenzplatz  sei.  «Wichtige  Gründe  bei  dringen- 
der Gefahr!»  bemerkt  hiezu  Harthmann. 

Klinglin,  der  stets  bei  den  Repräsentanten  war,  begab  sich 
mit  ihnen  vor  die  Pfalz.  Sie  war  bereits  mit  Militär  umstellt, 
der  Platz  vom  Pöbel,  sowie  von  waffenlosen  Soldaten  besetzt. 
Man  bat  Klinglin,  sie  in  die  Quartiere  zu  weisen.  Aufrühreri- 
sche Zettel  wurden  verteilt :  «Bürger  greift  an  !  Wir  wollen 
ebenso  billiges  Fleisch  essen  wie  Ihr!»  «Die  Zettel,  sagen  die 
Repräsentanten,  um  die  der  Königslieutnant  wusste,  brachten 
ihn  wahrscheinlich  dazu,  eine  Verstärkung  der  Truppen  vor 
dem  Rathause  autzustellen.»  Eine  Art  Feldgeschrei  durchlief, 
zu  neuer  Wut  aufreizend,  die  Haufen  :  «Keine  Steuern  !  Es  leben 
die  Generalstände!»  Um  drei  Uhr,  als  das  Rathaus  bereits 
von  einer  unzähligen  Menge  umringt  war,  Hess  Roehambeau 
Generalmarseh  schlagen.»  Die  Ordonnanzen  und  Adjutanten 
eilten  in  die  Kasernen  und  brachten  den  Befehl  sich  unver- 
züglich zu  bewaffnen.  Dampmartin  führte  die  erste  Eskadron 
Royal  Gavallerie  und  erhielt  Befehl,  vor  die  Pfalz  zu  reiten. 
Die  Strassen,  durch  die  er  kam,  waren  erfüllt  von  Frauen 
und  weinenden  Kindern,  die  ihn  und  die  Soldaten  zur  Eile  an- 
feuerten, das  Gesindel  zu  zerstreuen,  das  schon  überall  festen 
Fuss  gefasst  hatte.  Männer  traten  heran  und  baten,  den  Bürgern 
Waffen  zu  geben,  um  die  Soldaten  zu  unterstützen. 

Das  Regiment  Royal  kommt  auf  den  Platz.  Dampmartin 
mit  den  Seinen  erhält  Befehl,  die  Strasse  abzusperren.  Gegen- 
über ist  bereits  das  Regiment  Artois  aufgestellt.  Zwischen 
beiden  steht  das  Infanterie  -  Regiment  Elsass  gefechtsbereit. 
Roehambeau   selbst  hat  es  mit  seinem  Obersten  dem  Prinzen 


1  Memoires,  I.  353.  —  Engelhardts  Darstellung  (a.  a.  0.  V. 
319)  ist  hier  in  den  Zeitangaben  zu  berichtigen. 


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—    75  — 


Max  von  Zweibrücken,1  herangeführt.  Auch  Prinz  Ludwig 
Friedrich  von  Hessen  mit  seinem  Regiment  ist  ausgerückt. 
Auf  allen  Plätzen,  vor  den  Kirchen  und  öffentlichen  Gebäuden 
stehen  starke  Pikets.  Patrouillen  schweifen  überall  umher. 
Doch  ist  es,  als  wären  sie  taub  und  blind.  Keine  zerstreut, 
keine  hindert  das  wütende  Volk.  Rochambeau  findet  den 
Sturm  auf  die  Pfalz  bereits  in  vollem  Gange.  Der  Pöbel  hatte 
angefangen,  die  noch  unversehrten  Scheiben  einzuwerfen.  Die 
Soldaten  wehrten  nur  um  Verletzungen  zu  verhüten  die  zu 
nahe  Herandrängenden  zurück.  Die  Magistratspersonen  ent- 
flohen, beschimpft  und  misshandelt. 

Eine  Sturmleiter  lag  zum  Zweck  der  beabsichtigten  Illumi- 
nation bereit.  Sie  wird  an  die  Pfalz  gelegt,  und  als  man  wahr- 
nimmt, dass  von  den  benachbarten  Häusern  einige  Verwegene 
durch  die  Fenster  der  Pfalz  in  die  verhassten  Stuben  der  Rats- 
kollegien gestiegen  sind,  klettert  ein  neunzehnjähriger  Zimmer- 
gesell aus  Mainz*  hinauf,  ein  halbes  hundert  raublustiger  Kerle 
ihm  nach.  «Das  lächerlichste  und  schändlichste  Schauspiel 
beginnt.»  Ruhig  und  kerzengerade  sitzen  die  Reiter  zu  Pferde, 
als  sollten  sie  Spalier  bilden  bei  einem  feierlichen  Aufzuge.3 

«Durch  die  offenen  Fenster  siebt  man  eine  Schar  verlump- 
ter Menschen.  Vier  oder  fünf  Generäle  wandeln  unruhig  auf 
und  ab;  sie  gehen  von  einem  Regiment  zum  andern  ;  ihre 
Vorschläge,  ihre  Fragen  verraten  grösste  Bestürzung.»  Kling- 
lin  redet  zum  Volk,  aber  ohne  Erfolg.  «Hätte  man  einige, 
obgleich  blinde  Schüsse,  unter  das  Gesindel  gethan,  ...  so 
wäre  alles  vorbei  gewesen.»  Aber  es  geschieht  nichts.  Kling- 
lin  erscheint  in  der  Schlossergasse  und  ruft:  «Kinder,  macht 
was  ihr  wollt,  nur  sengt  und  brennt  nicht!»*  Das  ist  alles. 


1  Die  Anwesenheit  der  beiden  deutschen  Prinzen  von  Zweibrücken 
und  von  Hessen  als  französische  Obersten  in  Strassbnrg  ist  dadurch  zu 
erklären,  dass  ihre  Familien  die  Herrschaften  Rappoltstein  und  Hanau- 
Lichtenberg  im  Elsass  besassen,  wo  sie  den  Landesherrn  vertraten,  zu« 
gleich  aber  die  «deutschen»  Regimenter  «Elsass>  und  «Hessen»  führten. 

2  Der  Sohn  des  Hofkutschers  daselbst.  Vgl.  Strobel  V.  S. 
329,  Anm.  1.  ;  Spach,  Fr.  de  Dietrich  a.  a.  0.  S.  504,  macht  den 
Sohn  auch  zum  Hofkutscher. 

8  Vgl.  die  Wiedergabe  einer  gleichzeitigen  Abbildung  bei  Piton, 
a.  a.  0.  I.  191.  Ein  farbiges  Bild  von  Pfalzsturm  befindet  sich  im 
Besitz  des  Herrn  P.  Holl  in  Strassburg. 

4  Am  29.  kamen  drei  Leute  ans  Strassburg  nach  Kehl;  sie 


So  kommt  es,  dass  nichts  Bewegliches  in  den  Räumen  der 
Pfalz  an  seinem  Platze  bleibt.  Alles  wird  zertrümmert,  zerrissen 
und  zu  den  Fenstern  hinausgeworfen.  Rochambeau  wäre  bei- 
nahe von  einem  herabstürzenden  Ofen  erschlagen  worden.  In 
demselben  Augenblick,  als  zwei  Offiziere  seine  Zweifel  durch 
ermutigende  Schilderungen  über  die  Gesinnungen  der  Soldaten 
gehoben  und  ihn  zum  Vorgehen  bestimmt  haben,  fallt  ein 
Regen  von  Schriftstücken  und  Papierfetzen  aller  Art  aus  den 
Fenstern  der  Pfalz  nieder,  der  ihn  abermals  unsicher  macht. 
Es  wird  ein  schreckliches  Gericht  an  den  Akten,  Protokollen  und 
Urkunden  des  Archivs  und  der  Vormundschaftsstube  vollzogen. 
Sie  werden  zerstückelt  und  auf  den  durch  ein  Gewitter  aufge- 
weichten Platz  und  die  Strassen  hinabgeworfen.  Fusshoch 
watete  man  nach  übereinstimmenden  Berichten  darin  umher. 

Nichts  kann  die  Verwüstung  deutlicher  malen,  als  die 
Berichte,  die  verschiedene  Ratskommissionen  später  vom  Augen- 
schein, den  sie  genommen,  niederlegten. i  Im  Bureau  der 
Findlingslotterie  war  nichts  mehr  vorhanden,  als  «die  vier 
Mauern  und  der  runde  Stein,  worauf  der  Ofen  gesessen». 
In  der  Archiv kammer  des  Vogteigerichts  war  «die  grosse  mit 
Eisen  allenthalb  beschlagene  und  mit  vier  Schlössern  versehene 
Kiste»  erbrochen.  In  der  Schirmerstube  sind  keine  Thüren, 
keine  Fenstergestelle  mehr  vorhanden.  «Der  Schaft,  worin 
die  Protokolle  waren,  ist  das  einzige  Stück»  das  noch  von 
der  inneren  Einrichtung  vorhanden  ist.  Die  Kapitationsstube 
«enthielt  nichts  mehr  als  die  vier  Wände».  Gründlicher 
konnte  man  es  nicht  nehmen.  Und  dabei  wurden  die  Soldaten 
nicht  zur  Rettung  befohlen  !  Von  verschiedenen  Seiten  wird 
vielmehr  bezeugt,  dass  sie  die  Bürger  ungescheut  anreizten,  ja 
sogar  selbst  mitplünderten.2  Rochambeau  klagt  denn  auch  es 
sei  sehr  schwer  gewesen,  ihnen  zu  steuern.  Er  selbst  war 
völlig  in  Verwirrung,  misstraule  dan  Offizieren  und  fürchtete 


sagten  insgesammt:  «Wo  nicht  der  Ausruf  erschollen:  Leute,  macht 
was  ihr  wollt,  nur  kein  Fener !  so  würde  das  Ungemach  nicht  er- 
folgt sein>  (Bericht  des  Amtmann's  Strobel  vom  29.  Juli). 
1  Vgl.  Ges.  Raths  Acta  im  Stadt-Archiv. 

*  Nachgewiesenermassen  beteiligte  sich  auch  ein  Zögling  des 
protestantischen  Collegium  Wilhelmitanum  Namens  Roederer  am 
Sturm.  Vgl.  Erichson,  das  Theologische  Studienstift  Collegium 
Wilhelmitanum  1544-1894.    Strassburg,  1894. 


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sich  vor  seinen  Soldaten.  Ungestört  ging  der  Raub  an  den 
Kassen  der  Stadt  vor  sich. 

Um  diese  Zeit  muss  es  gewesen  sein,  als  der  leiningische 
Geheimrat  Rühl  von  seiner  Reise  nach  Strassburg  zurückkehrte. 
Lassen  wir  ihn  selbst  erzählen,  was  er  zu  seinem  Erstaunen  und 
Schrecken  bemerkte,  nachdem  er,  vor  das  verschlossene  Stadt- 
thor gelangt,  Einlass  durch  die  Citadelle  erhallen: 

«Kaum  war  ich  auf  der  Esplanade,  so  kamen  Weiber  ge- 
laufen und  jammerten,  dass  alles  drunter  und  drüber  ginge, 
und  kein  Mensch  abwehre.  Als  ich  bei  den  hangards  (Artille- 
rie-Schuppen) anlangte,  stund  das  ganze  Corps  royal  vor  den 
hangards  en  ordre  de  bataille.  In  gleicher  Stellung  fand  ich  die 
ouvriers  vor  ihrer  caserne.  Inzwischen  kam  ich  ohne  grossen 
Lärmen  zu  verspüren,  ausser  dass  alle  Boutiquen  und  Häuser 
verschlossen  waren,  glücklich  über  die  Brücke  bei  Sanct  Wil- 
helm. Als  ich  aber  in  die  Kalbsgasse  kam,  stiess  ich  auf  einen 
unzahligen  Pöbel,  der  mit  trophaeen  vom  Rathaus  dem  feinen 
quartier  von  Saint  Nicolas  zueilte.  Der  eine  schrie  wie  rasend 
und  trug  an  einer  Stange  einen  zerfetzten  grünen  Taflet-Fenster- 
Vorhang;  der  andere  hatte  Acten  und  pergamentene  Briefe 
aufgepackt,  und  trug  sie  weg.  Ein  Weib  schleppte  einen  grossen 
zerbrochenen  hameaux  [Netzwinde?]  fort ;  ein  anderes  Fenster- 
rahmen, noch  andere  zerbrochene  Gelasse  und  alle  lärmten  wie  toll 
und  rasend  ;  ich  fuhr  langsam ;  als  ich  vor  dem  Münster  auf  der 
Seite  des  Eveche  anlangte,  fand  ich  auf  diesem  Platz  das  Regi- 
ment royal  Cavaleriei  en  ordre  de  bataille,  und  nun  wurde  mir 
bedeutet,  ich  müsse  hinter  dem  Eveche  herumfahren,  weil  des 
Tumults  wegen  niemand  über  den  Münsterplatz  fahren  könne. 
.  .  .  Als  ich  an  der  grossen  Metzig  vorbei  unten  an  den  Fisch- 
markt bei  der  Schindbrücke  (Rabenbrücke)*  kam,  lief  Jan  Hagel 
wie  Schneeflocken  durcheinander,  hatte  alle  Hände  voll  geraub- 
ter Papiere  und  Tapeten  fetzen,  und  ich  hatte  ziemliche  Mühe 
längs  am  Kaufhaus  hin  das  Scbiffgässlein  .  .  .  und  meine  Be- 
hausung» zu  erreichen.» 


1  Wohl  nur  eine  Abteilung  derselben,  (vielleicht  diejenige  Damp- 
martins  ?)  die  zum  Absperren  der  auf  den  Gutenbergsplatz  führenden 
Strasse  kommandiert  war. 

*  Vgl.  Piton  a.  a.  0.  I.  143. 

3  In  der  Knoblochsgasse. 


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Auch  in  den  von  der  Pfalz  beträchtlich  entfernt  gelegenen 
Stadtteilen  ging  es  demnach  bunt  genug  her.    Aber  Einhalt 
ward  nicht  geboten,  und  wagte  es  einer  der  Magistrate  sich 
darum  zu  bemühen,   so  geriet  er  unzart   in's  Gedränge.  Ein 
solches  Erlebnis  des  Stättmeisters  Haffner  von  Wasslenheim  ist 
überliefert.  Der  Siebzigjährige  eilte  zur  Pfalz.  Auf  der  Treppe 
wurde    er    erkannt    und  misshandelt.    Einige  Wohlgesinnte 
nahmen  sich  seiner  an.    Mit  Mühe  erreichte  er,  unter  Zurück- 
lassung von  Stock  und  Hut  seine  Wohnung.  —  Die  Zerstörung 
blieb  in  vollem  Gange.  Rochambeau  kam  zu  keinem  Entschluss, 
und  wagte  es  nicht,  die  Soldaten  zu  kräftigem  Eingreifen  zu  ver- 
anlassen.   Bis  zum  Abend,  sagt  er,  haben  sie  nur  lax  Hand 
angelegt  ( agissaient  mollement ).  Es  war  hier  nicht  mehr  an- 
ders wir  im  übrigen  Frankreich,  wo  die  Truppen,  lauter  «Aben- 
teurer, weggejagte  Lehrlinge,  verstossene  Söhne,  Vagabunden 
und  Obdachlose»  waren,  «leicht  verlockbare,  hitzige  arme  Teufel, 
die  je  nach  den  Umständen  bald  Rebellen,  bald  Soldaten  werden.»1 

Da  war  es  aber  für  Strassburg  ein  Glück,  dass  nicht  alle 
Regimenter  aus  französischen  Soldaten  zusammengesetzt 
waren,  sondern  dass  die  beiden  «deutschen»  Regimenter  Hessen 
und  Elsass  daselbst  standen,  aus  Elsässern,  deutschsprechenden 
Lothringern  und  auch  Reichsdeutschen  gebildet.  Anstatt  zu  de- 
sertieren, womit  es  die  geworbenen  Ausländer  in  den  Heeren 
jener  Zeiten  im  Ernstfall  leicht  genug  nahmen,  wie  z.  B.  im 
preussischen  Heere  von  1806,  waren  gerade  sie  es,  die  sich  den 
Bürgern,  —  deren  kaum  Einer  unter  den  Plünderern  zu  be- 
merken war,  —  zu  Dank  verpflichteten.  Während  jeder  ein- 
steckte, was  er  mitnehmen  konnte,2  und  schliesslich  in  der 
Pfalz  nichts  mehr  zu  holen  war,  stürmte  das  Gesindel  die  da- 
mals noch  durch  einen  Bogen  über  die  Schlossergasse  mit  der 
Pfalz  verbundene  Kontraktstube,  und  begann  von  neuem.  Es 
ist  gegen  8  Uhr.  Da  führt  Prinz  Friedrich  von  Hessen,  der 
Sohn  des  Landgrafen  von  Darmstadt,  sein  Regiment  heran.  Er 
ist  anderen  Geistes,  als  die  französischen  Offiziere.  Wie  er 
sieht,  dass  die  Kontraktstube  in  Gefahr  ist,  geht  er,  unter  dem 


1  Vgl.  Taine,  L'ancien  regime,  S.  513. 

2  Feuer  wurde  glücklicherweise  nirgends  gelegt,  was  Taine, 
Revolution  I.  82.  irrtümlich  berichtet.  Er  verlegt  den  Pfalzsturm  auf 
den  19.,  Hermann  auf  den  22. 


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Beifallrufen  der  übrigen  Soldaten,  gegen  sie  vor.  Er  dringt 
durch  die  Hinterthür  ein. 

Rochambeau  in  seiner  «kindischen  Fassungslosigkeit» 
über  alle  die  Gerüchte,  die  von  verbreiteter  allgemeiner 
Empörung  und  von  bevorstehendem  Brand  der  Stadt,  ja 
vom  Aufenthalt  von  2000  Banditen  im  Keller  der  Pfalz 
umherschwirren,  ist  ratlos.  Er  wird  von  gutgesinnten  Burgern 
zum  Einschreiten  ermahnt.  Sie  hatten  sich  schon  an 
mehrere  Offiziere  gewandt,  aber  die  Antwort  erhalten  :  «Wir 
haben  den  Befehl,  nichts  zu  unternehmen  !»  Wie  sie  sich  nun 
an  Rochambeau  selbst  wenden,  zaudert  er  noch  ^eingreifen  zu 
lassen.»  Es  bedarf  des  Zuspruchs  des  Prinzen  Max,  später  als  Ma- 
ximilian I.  König  von  Bayern,  seit  1777  Oberst  des  Regiments 
«Elsass»,8  um  ihn  endlich  zu  einem  Befehl  zu  bringen.  «Freunde, 
meine  lieben  Freunde  !»  ruft  er  in  trübseligem  Ton.* 
«Seht,  was  da  vorgeht!  Wie  entsetzlich  !  Ach,  es  sind 
Eure  Papiere,  Eure  Rechtstitel,  —  die  Eurer  Eltern!»  Die 
Soldaten  bleiben  unbewegt.  Der  führende  Offizier  hat  den  Be- 
fehl nicht  verstanden,  und  es  bedarf  der  Aufklärung  eines 
anderen,  bis  sich  zwei  Abteilungen  des  Regiments  «Elsass» 
gegen  das  Rathaus  in  Bewegung  setzen. 

Indes  ist  ein  Teil  der  Menge  in  den  Ratskeller  einge- 
brochen, thut  sich  gütlich,  und  lässt  17  000  Mass  guten  Weines* 
zu  solcher  Höhe  auf  dem  Boden  umherlaufen,  dass  einige  Be- 
rauschte darin  ertrinken.  Aber  auch  den  Keller  säubert  Prinz 
Friedrich  von  den  Rasenden.  Dann  führt  er  seine  Hessen  in 
die  Pfalz.  Auf  dem  Bogen  über  der  Schlossergasse  treflen  die 
Mannschaften  der  deutschen  Prinzen  zusammen.  Denn  auch  die 
Pfalz  war  von  den  beiden  Abteilungen  «Elsass»  inzwischen  ge- 


i  Vgl.  Strobel  V.  S.  322. 

a  Vgl.  Du  Moulin-Eckart,  R.  Graf,  «Bayern  unter  dem  Mi- 
nisterium Montgelas»,  I.  München  1895.  S.  30.  —  Prinz  Max  war  ein 
sehr  leichtlebiger  Herr,  bei  den  Strassburgern  aber  ausserordentlich 
beliebt.  Vgl.  Memoires  de  la  baronne  d'Oberkirch,  1853.  I.  110. 
—  Dampmartin  verwechselt  ihn  hier  mit  dem  Prinzen  von  Hessen. 

3  So  Dampmartin.  Rochambeau  selbst  giebt  seine  Worte  folgen - 
dermassen  wieder:  «Mes  enfans.  ce  sont  vos  papiers,  qu'on  pille  et 
vos  contrats  qu'on  saccage.  Ne  souflfrez  pas  un  pareil  brigandage ; 
entrez  et  chassez  ä  coup  de  Crosse  tous  ces  malfaiteurs.» 

4  So  die  Repräsentanten  bei  Reuss  a.  a.  0.  S.  131.  Taine, 
la  Revol.  I.  82  sagt  «15,000». 


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säubert  worden.  Die  Menge  auf  dem  Platz  wurde  sodann  vom 
Prinzen  Friedrich  zerstreut,  und  gerettet,  was  noch  zu  retten 
war.  Leicht  und  rasch  wurde  die  Ruhe  wieder  hergestellt. 

Der  hessische  Prinz  war  auf  das  tiefste  entrüstet.  Der  Ver- 
fasser der  «Wahren  und  authentischen  Nachrichten»  sagt:  «Ich 
sprach  mit  diesem  Prinzen  ;  ...  er  sagte,  dass  ihm  das  Herz 
blutete,  da  er  Zeuge  von  allem  diesem  Unfug  sein  müsse,  und 
ihm  nicht  erlaubt  wäre,  weil  er  unter  eines  anderen  Kommando 
stehe,  demselben  Einhalt  zu  thun,  da  es  leicht  gewesen  wäre, 
mit  20  oder  30  Mann  Wache  den  rasenden  Pöbel  vom  Rathaus 
zu  vertreiben.» 

Die  Abwehr  raublusliger  Scharen  vom  Pfennigturm  durch 
das  Pikett  des  Barons  von  Ruttenberg  und  die  Vernichtung  der 
Stadtkutschen  im  Herrenstall  bildeten  den  unmittelbaren  Ab- 
schluss  des  Aufruhrs.  Die  Truppen  auf  dem  Paradeplatz  riefen 
der  VerÜbung  dieses  Unfugs  Beifall  und  klatschten  dazu.  —  Man 
befürchtete  am  Abend  und  noch  wochenlang  nachher,  Brand- 
stiftungen, und  so  blieben  während  der  Nacht  Truppenabteilungen 
auf  den  Plätzen  zurück  ;  andere  streiften  allerwärts  die  mit 
ausgehängten  Lampen  beleuchteten  Strassen  entlang.  Es  gab 
noch  Gelegenheit  genug,  einzugreifen,  i  teilweise  unter  der 
Leitung  der  Prinzen.  Erwähnt  sei  nur,  dass  schon  an  jenem 
Abend,  jeder  Zweifel  an  dem  ablehnenden  Verhalten  der  Bürger- 
schaft gegen  das  Treiben  des  Pöbels  schwand.  Es  war  nur  noch 
vielfach  betrunkenes  Gesindel,  «zumeist  Banditen  von  jenseits  des 
Rheins»,  mit  denen  man  es  zu  thun  hatte.  Sie  waren  auch  hier 
erschienen,  wie  eine  Woche  zuvor  in  Paris  und  bei  den  anderen 
Aufständen  jener  Zeit,  wo  sie,  «die  Leiter  und  Vollstrecker  der 
öffentlichen  und  privaten  Rachsucht»  waren.  Beides  scheint 
hier  zu  seinem  Recht  gekommen  zu  sein.  Wiederum  waren 
die  XVer  die  Bedrohten;  sie  flohen  samtlich  aus  der  Stadt. 
Nicht  zum  besten  erging  es  dem  XIII  er  Mogg,  dem  Sohn 
des  Generaladvokaten,  der  bei  der  Aufdeckung  der  Verun- 
treuungen des  Prätors  Klinglin  beteiligt  gewesen.  Sein  Haus 
wurde  gänzlich. demoliert,  und  er  selbst  floh  mit  seiner  Familie 
in  das  Kehler  Post  haus. 

Anfangs  hatten  die  Soldaten  noch  Vergnügen  daran  gehabt, 


1  Vgl.  das  Nähere  bei  Strohe  1  V.  S.  325,  und  das.  Anm.  1. 


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das  Gesindel  vor  sich  her  zu  jagen,  ohne  zu  verhaften,  was 
auch  die  Menschenmassen  erschwert  hatten.  Gegen  Mitternacht 
aber  ward  es  ruhiger,  und  schliesslich  hrachte  man  gegen  400 
Verdachtige  ein,  wovon  der  Magistrat  jedoch  nur  ein  Dutzend 
in  Gewahrsam  hielt. 

Ohne  Blulvergiessen  waren  diese  aufregenden  Tage  hinge- 
gangen.   Aber  eine  unberechenbare  moralische  Einbusse  hatte 
der  Magistrat  erlitten,  nicht  minder  freilich  das  Militär  und 
seine  obersten  Führer.    Es  war  jedermann  unfassüch,  dass  es 
nicht  eingegriffen  hatte,  und  bleibt  auch  heute  noch  unerklärt. 
Ursachen  sind,  wie  gesagt,  ohne  Zweifel  die  Kopflosigkeit  Ro- 
chambeau's,  die  beginnende  Auflösung  der  Mannszucht,  und 
die  erwachende  Parteinahme  für  die  Bürger,  die  wohl  auf  den 
Eintluss  der  ähnlichen  Pariser  Ereignisse  zurückzuführen  ist.1 
Es  kommen  aber  höchst  auffallende  Umstände  hinzu.  Ein- 
mal die  Behauptung  jenes  Offiziers,  er  habe  Befehl,  nichts  zu 
unternehmen.    Das  kann  allerdings  auf  Rochambeau's  Furcht 
zurückgeführt  werden.    Ferner  aber  die  Antwort  des  Verhaf- 
teten in  Kehl,   auf  die  Frage,   wer  ihn   zum  Einwerfen  der 
Fenster  in  der  Pfalz  veranlasst  habe  :   «Ein  Offizier  der  Kaval- 
lerie von  Royal  Alsace2  habe  es  ihn  und  alle  andern  geheissen». 
Endlich  die  Schilderung  Dampmartin's  über  jene  Abendgesell- 
schaft bei  Klinglin.    Zweifellos  sind  es  Zeichen,  die  gegen  eine 
völlige  Ueberraschung  und  völliges  Unbeteiligtsein  der  Offiziere, 
oder  wenigstens  eines  Teiles  derselben  sprechen.  Auch  unter 
ihnen,  nicht  nur  unterden  Soldaten,  war  die  Neigung  vorhanden, 
dem  Pöbel   nicht   zu  wehren.    Rochambeau,  —  das  ist  wohl 
sicher  —  hatte  die  Hand  nicht  im  Spiele,    wenn  ihm  auch 
ein  schwerer  Vorwurf  nicht  erspart  bleiben  kann.5 

Aber  welcher  Offizier  konnte  überhaupt  so  sehr  an  dem 


1  Dafür  spricht  die  Bemerkung  der  Repräsentanten  (1.  c.)  über 
die  Rene  der  Soldaten,  dass  die  eigentlichen  Bürger  bei  dem  «Kom- 
plott» nicht  beteiligt  gewesen. 

2  Ein  berittener  Offizie**  dieses  Infanterieregiments? 

3  Strobel  in  Kehl  berichtet  am  27.  Juli :  «Nach  der  Versiche- 
rung des  Herrn  von  Perglas,  bey  Sr.  Dorchlaucht  dem  Prinz  von 
Darmstadt  logiert,  soll  von  dem  Magistrat  eine  Deputation  mit  Be- 
schwerden über  die  Generalite  allda  nach  Versailles  abgesandt  wer- 
den. Hochgedachter  Prinz  soll  solcher  die  Schuld  von  den  Verhee- 
rungen öffentlich  beygelegt,  sich  seiner  Seits  aber  gegen  die  Stadt 
recht  cordial  gemacht  haben  » 

6 


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Slurz  des  Magistrats  interessiert  sein,  dass  er  einen  Aufstand 
heraufbeschwor,  wobei  er  eine  ganze  Stadt  gefährdete?  Daran, 
dass  die  Bewegung  seit  längerem  vorbereitet  war  und  von  ir- 
gend welcher  Seite  gelenkt  wurde,  kann  kein  Zweifel  bestehen. 
Das  Erstere  beweisen  in  allererster  Linie  die  Warnungen  vor 
«unangenehmen  Auftritten»,  welche  die  Repräsentanten  vorher- 
sahen (vgl.  S.  58  Anrn.  2),  und  welche  die  Anwesenheit  und  das 
plötzliche  Hervortreten  des  fremden  Gesindels,  woran  man  bis- 
her so  grossen  Anstoss  nahm,  sehr  einfach  zu  erklären  scheinen; 
ferner  die  Erwartung  einer  «expedition»  im  Offizierskorps  und 
das  Herbeiströmen  der  Handwerker  zu  einer  und  derselben 
Stunde,  endlich  die  aufreizenden  Zettel  und  das  besondere  Feld  - 
geschrei,  das  Young  und  andere  bemerkten.  Ehe  wir  aber 
weitere  Vermutungen  über  die  bedeutsame  Teilnahme  bestimmter 
Persönlichkeiten  anstellen,  wird  es  dienlich  sein,  sich  nochmals 
den  Grund  der  Erregung  und  möglicherweise  mitwirkende 
Faktoren  zu  vergegenwärtigen.  Den  Anlass  gab  unbestreitbar 
das  Verhalten  des  Magistrats  besonders  in  bez.  auf  die  For- 
derungen der  Metzger  und  der  Bäcker.  Es  ist  aber,  vor  allem 
vom  21.,  durchaus  nicht  überliefert,  dass  gerade  Metzger  und 
Bäcker  auf  die  Empörung  gedrungen  hätten.1  Ihre  Forder- 
ungen winden  gestützt  durch  das  Militär  (vgl.  u.  S.  92.)  und 
die  Schirmer.  Letztere  hatten  zwar  ihren  eigensten  Wunsch,  die 
Selbständigkeit  im  Handwerk,  vom  Magistrat  zugestanden  erhal- 
ten, aber  doch  besonders  unter  den  hohen  Taxen  zu  leiden.  Sie  er- 
zwangen daher  die  vermeintlich  widerrufene  Genehmigung  der 
Wünsche  der  beiden  Zünfte,  die  Handwerker  durch  Aufruhr, 
die  französischen  Soldaten  durch  völlige,  die  deutschen  durch 
anfängliche  l  Jnthätigkeit.  Es  ist  aber  nicht  unmöglich,  und  in 
den  Verhältnissen  wohl  begründet,  dass  die  Ursache  zu  der 
Bewegung  nicht  allein  in  materieller  Bedrückung  zu  suchen 
ist.  Sie  kann  tiefer  gelegen  haben,  als  bisher  angenommen 
worden  ist. 

In  der  Einleitung  wurde  bereits  darauf  hingewiesen,  dass 


i  Kehlcr  Protokoll:  <Seines  Hausherrn  Sohn  habe  ihm  erzählt, 
ein  Gastwirt  habe  am  verflossenen  Dienstag  (21.)  den  in  der  Gast- 
stube befindlichen  Personen  zugerufen :  ,Jetzt  wehrt  euch,  schlagt 
alles  zusammen!  Ich  will  euch  vor  heute  umsonst  zu  trinken 
geben  !'» 


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—  s:*  — 

ein,  durch  das  ausschliessende  Verhalten  der  alten  Zünfte  den 
neueingewanderten  katholischen  Franzosen  gegenüber  stets  wach- 
gehaltener politisch-religiöser   Gegensatz  bestand,   worauf  die 
Duldung  Ludwig  XVI.  ohne  grossen  Einfluss  bleiben  mussle, 
solange  die   alten  Einrichtungen,   insbesondere  das  Verhältnis 
der  Schirmer,  nicht  fielen.    Im  Magistrat   trat  dieser  konfes- 
sionelle Unterschied  allerdings  wegen  der  Alternative  nicht  her- 
vor ;   in  der  Bevölkerung  aber  war  es  anders.    Vielleicht  eben 
wegen  der  erwähnten  Gleichbedeutung,  die  sich  zwischen  deutsch 
und  protestantisch  einer-  und  französisch  und  katholisch  anderer- 
seits herausgebildet  hatte,  blieb  er  lebendig.    Wir  finden  denn 
auch  in  den  amtlichen  Berichten  aus  Kehl  verschiedene  Hin- 
weise auf  die  konfessionelle  Gärung,   die  in  Strassburg 
herrschte   und   in  den,   dem  Aufstand   folgenden  Wochen  zu 
ernsten  Besorgnissen   Anlass  gab.   (S.  u.  S.  105  Anm.  3). 
Strobel  hebt  auch  besonders  hervor,1  dass  es  eben  Protestanten 
gewesen,  die  am  meisten  persönlich  der  Gefahr  ausgesetzt  waren. 
Allerdings  darf  man  nicht  vergessen,   dass  Lemp  an  sich  ver- 
hasst  und  BrackenholTer  sein  Tochtermann  war,   und  die  üb- 
rigen Verfolgten  der  XVerkammer  angehörten.  Ausserdem  war 
Kleinmann,  einer  der  XVer,  von  der  «Lucern»  (Laterne)  zum 
Repräsentanten  gewählt   worden,   während   der  Oberherr  der 
Bäckerzunft,  der  XVer  Dorsner,  in  dieser  doppelten  Eigenschaft 
doppelt  hassenswert,  falls  die  Bewegung  sich  gegen  die  Gewalt 
an  sich  richtete,  nicht  angegriffen  ward.  Man  wird  also  nicht 
all  zu  viel  einseitiges  Gewicht  auf  eine  systematische  Verfolgung 
protestantischer  Ratsherren  legen  dürfen,  da  auch  der  im  Juli 
entdohene  XVer  Flach  bei  der  Neuwahl  des  Magistrais  im  Au- 
gust wieder  in  den  Rat  gewählt  wurde.  Aber  die  konfessionel- 
len Gegensätze,  die  das  Alte  und  das  Neue  verkörpern,  gänzlich 
ausser-  Beachtung  zu  lassen,    wird  nach  den  Aeusserungen  aus 


1  Bericht  des  Hofrats  Strobel  vom  26.  Juli:  «Besonders  ist  es, 
dass  der  meiste  Hass  auf  Evangelische  gefallen»  :  Lemp,  Treitlinger, 
Mogg,  Flach,  Kleinmann;  Professor  Brackenhoffer.  Der  letztere  wurde 
im  Juli  von  einem  Trupp  aus  der  Rupreuhtsau  in  seinem  Haus  au 
Schiltigheim  bedroht.  Es  entging  nur  durch  rechtzeitiges  Ein- 
greifen des  Militärs  der  Zerstörung.  (Bericht  Strobels  vom  27.)  Auch 
der  protestantische  Stättmeister  S.  von  Oberkirch  war  schon  am  20. 
in  Gefahr  gewesen  (vgl.  Histor.  Bericht). 


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der  Nachbarsladt  Kehl  und  ihrer  durch  »das  Verhalten  der  Geist- 
lichen an  Wert  gewinnenden  Wahrscheinlichkeit  nicht  statt- 
haft sein.  Es  ist  vielmehr  anzunehmen,  dass  die  neueingewan- 
derteii,  an  eine  deutsche  Magistratsverwaltung  nicht  gewöhnten 
Franzosen  in  letzter  Linie  im  Hintergrunde  des  Aufstandes  zu 
erblicken  sind,  was  mit  dem  Verhalten  der  Soldaten  und  der 
Schirmer  wiederum  übereinstimmt,  da  eben  unter  ihnen  sich 
die  meisten  Franzosen  befanden.  Wie  bei  dem  AYaagenstreit 
sah  sich  hier  die  Masse  der  Einwohnerschaft  durch  die  städtische 
Gewalt  selbst  bedroht,  und  so  wäre  denn  in  der  Organisation 
der  Verwaltungsbehörden,  besonders  der  XVer,  und  in  den 
drückenden  indirekten  Steuern,  in  der  Vereinigung  eines  poli- 
tischen und  eines  materiellen  Moments  die  Ursache,  in  dem 
Beispiel  der  Pariser  Vorgänge  der  zufällige,  letzte  Anlass  zu  den 
Unruhen  in  Strassburg  zu  erblicken.  Befriedigend  ist  diese  Er- 
klärung aber  noch  nicht.  Es  bleibt  der  eigentümliche  Umstand, 
der  einen  geheimnisvollen  und  unklaren  Schein  auf  den  ganzen 
Vorgang  wirft,  das  Benehmen  K  1  i  n  g  1  i  n  s.  Es  trübt  die 
willkommene  Auffassung  der  Unmittelbarkeit  des  Aufstandes, 
obwohl  1  (tatsächlich  für  die  beabsichtigte  Leitung  desselben  nur 
eben  Vermutungen  aufzustellen  sein  werden. 

Der  auffallendste  Punkt  in  dem  ganzen  Aufruhr  ist  der- 
jenige, wo  am  Vormittag  des  21.  das  Gerücht  entstand,  der 
Magistrat  werde  seine  Zugeständnisse  zurückziehen.  Lassen 
wir  hier  Taine  für  uns  reden :  * 

«Derlei  Gerüchte  genügen,  um  eine  leidende  Menge  zu  Ge- 
waltthaten  zu  reizen ;  und  es  genügt,  dass  sie  Jene  zu  Rat- 
gebern und  Führern  nehmen,  die  sie  in  derselben  Richtung, 
die  ihnen  ohnehin  am  besten  zusagt,  vorwärts  treiben ;  das 
Volk  kann  nicht  ohne  Führer  sein.»  Der  Führer  der  Schirmer 
aber  war  Klinglin,  ihr  Repräsentant,  und  die  Forderungen 
der  Metzger  und  Bäcker  vertrat  Klinglin,  sogar  vor  dem  Magi- 
strat. Im  Vergleich  zum  Königslieutnant  hatten  die  Ratsherren 
bei  der  niederen  Bevölkerung  ihre  Rolle  ausgespielt ;  denn 
schon  seit  den  Repräsentanten  wählen  hiess  jener  ihr  «Vater». 
Eben  deshalb  aber  ist  sein  Verhalten  um  so  auffallender. 
Konnte  er  nicht,  da  er  allem  nach  auch  eine  immerhin  beach- 


1  A.  a.  0.  I.  S.  338. 


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tenswerte  Gewalt  über  das  Militär  gehabt  zu  haben  scheint,  — 
trotz  der  angeblichen  Erklärung,  es  werde  ihm  nicht  mehr  ge- 
horchen,1 führte  er  seine  Pikets,  mit  denen  er  sich  hier  und 
dort  sehen  liess,  anstandslos  durch  die  aufgeregten  Massen,  — 
konnte  er  nicht  sein  Ansehen  anders  geltend  machen,  als  in 
beruhigenden  Worten,  die  alles,  ausser  Feuer,  erlaubten?  Dies 
Verhalten  eines  Offiziers,  und  dabei  die  Vertretung  der  Wünsche 
von  Gewerken  durch  einen  adeligen,  französischen  Offizier,  seine 
Verhimrnclung  durch  die  untersten  Schichten  des  dritten 
Standes  einer  ganzen  Stadt,  das  scheint  gänzlich  ungereimt. 

In  anderem  Lichte  freilich  zeigt  sich  das  Bild,  wenn  man 
bedenkt,  dass  dieser  Offizier  den  Namen  Klinglin  trug.  Da 
scheint  jenes  Verhalten  gewaltsam  mit  dem  natürlichen  Hass  des 
Mannes  gegen  den  Magistrat  zusammenzustreben.  Es  ist  ihm. 
denn  auch,  mehr  oder  weniger  verhüllt,  die  Schuld  am  Auf- 
stand beigemessen  worden,  und  seine  Stellung  in  Strassburg 
war  alsbald  so  unhaltbar,  dass  er  um  seine  Versetzung  einkam.2 

Er  hat  sich  gege  i  solche  Anschuldigungen  verteidigt  ;  vor 
allem  gegen  eine  Behauptung,  die  leicht  unglaubhaft  zu  machen 
ist.  Klinglin  sollte  den  Pl'alzslurm  eingeleitet  haben,  um  die 
Prozessakten  seines  Vaters,  bzw.  Grossvaters  zu  vernichten. 3 
Weitere  Erörterungen  hieran  zu  knüpfen,  scheint  müssig,  da 
im  Verlauf  des  Prozesses  vom  Magistrat  als  Antwort  auf  eine 
Klinglin'sche  Verteidigungsschrift  ein  Memorial  an  den  König 
gesandt  und  von  diesem  dem  Parlament  zu  Grenoble  über- 
wiesen ward,4  worin  eine  Menge  der  unlauteren  Geld- 
geschäfte des  älteren  Prälors  aufgezählt  wurden.  Mit  der 
Vernichtung  der  Strassburger  Archive  war  daher  ein  bedenk- 
liches Belastungszeugnis  gegen  Klinglin's  Grossvater  keineswegs 
aus  der  Welt  geschafft,  und  dass  er  von  dessen  Dasein  nichts 
gewusst  haben  sollte,  ist  höchst  unwahrscheinlich.  Ausserdem 
hätte  er  seinen  Zweck  bei  dem  Sturm  auf  die  Pfalz  gar  nicht 
vollkommen  erreicht.  Neben  vielen  Papieren,  besonders  der 
Korrespondenz  zwischen  dem  nach  Paris  gesandten  Advokaten» 


1  Man  bedenke  das  Verhalten  der  «deutschen >  Regimenter ! 

*  Strassb.  Post  vom  21.  Juli  1889. 
»  Vgl.  Strobel  S.  823  Anm.  2. 

*  Vgl.  Friese  a.  a.  0.  IV.  126fg. 

5  Dessen  Korrespondenz  mit  dem  Prätor  Regemorte  (z.  B.  St.-A. 


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und  dem  Magistrat,  sind  die  Protokolle  namentlich  der  drei 
geheimen  Sluhen  von  1751  fg.  erhalten  gehlieben.  Sie  tragen 
nicht  die  Spuren  besonderer  Zerstörungswut,  obgleich  darin 
manches  enthalten  ist,  was  auf  die  Unehrenhaftigkeit  jenes 
Prätors  und  den  daran  sich  knöpfenden  Prozess  Bezug  hat.1 
Man  kann  daher  nicht  sagen,  dass  alles  Aktenmaterial  sich 
in  Grenoble  befunden  habe  ;  aber  man  kann  sagen,  dass  die 
Vernichtung  des  Slrassburger  Archivs  ganz  zwecklos  war,  wenn 
Klinglin  nicht  auch  die  Akten  aus  Grenoble,  ja  aus  Besancon 
und  Paris  in  seine  Hände  bekam.  Daher  ist  diese  Begründung 
seines  Verhaltens  und  die  Glaubhaftigkeit  der  an  dieselbe 
sich  anknüpfenden  Erzählungen 2  zurückzuweisen.  War  doch 
der  Prozess  gegen  seinen  Vater  vom  Mai  1753  bis  zu  seinem 
.Ende  im  September  desselben  Jahres  in  Grenoble  gefühlt 
worden ! 

Aber  abgesehen  von  dieser  Frage,  —  dass  er  dem  Magistrat 
nichts  Gutes  wünschte,  geht  klar  aus  seinem  Benehmen  gegen 
denselben  im  Winter  1788)89  hervor. 3  Dies,  in  Verbindung  mit 
den  Thatsachen  des  Sommers  scheint  allerdings  unabweislich 
auf  seine  Führerschaft,  auf  die  Lahmlegung  der  militärischen 
Hilfskräfte  durch  seinen  Einfluss  hinzuführen.  Für  die  Un- 
thätigkeit  des  Militärs  trifft  ihn  jedenfalls  der  grösste  Vorwurf, 
und  damit  auch  die  Schuld  an  der  Ausdehnung,  die  der  Auf- 
ruhr gewann. 

Ganz  unbegründet  sind  dagegen  die  in  der  «Räuberbande» 
und  den  «Gräueln  der  Verwüstung»  gegen  Dietrich  ge- 
schleuderten   Anfeindungen.    Dass  er   den   Aufstand  hervor- 


AA  2551)  stammt  aus  den  Archives  des  Pretenrs,  die  Gerard  der 
Stadt  zur  Ersetzung  ihres  Verlustes  an  Aktenmaterial  überwies. 

1  Dass  die  Prozessakten  nach  Grenoble  geschickt  worden 
sind,  ist  wohl  nicht  zu  bezweifeln,  wenn  auch,  so  weit  ich  sehe,  in 
den  Protokollen  nichts  davon  erwähnt  ist.  Zum  Teil  befanden  sich 
aber  noch  andere  belastende  Originalschriftstücke  in  Strass- 
burg  (vgl.  Relevöe  des  documents  etc.  1752.  St.-A.  AA.  2536),  und 
der  Magistrat  gab,  als  die  Familie  den  Prozess  aufgenommen  hatte 
und  viele  in  ihrem  Sinne  entlastende  Schriftstücke  abforderte,  nur 
Auszüge,  bzw.  Abschriften  derselben  heraus.  Besonders  bemerkens- 
wert ist  das  erhaltene  «Conferenz  Protokoll»  über  ein  Verhör  betr. 
die  Klinglin'sche  Angelegenheit.  Vgl.  Friese,  a.  a.  0.  IV.  84  fg., 
bzw.  Protokoll  R.  u.  XXI.  1752,  am  Schluss. 

2  Vgl.  Friese,  a.  a.  0.  IV.  260.  Strohe  1  V.  S.  320.  Anm.  1. 

3  Vgl.  o.  S.  57. 


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-    87  - 


gerufen  haben  sollte,  ist  so  gut  wie  ausgeschlossen,  seihst  wenn 
man  zugiebt,  dass  Aussicht  vorhanden  war,  mit  einem  solchen 
Handstreich  die  Stadtverfassung  zu  stürzen,  was  vielleicht  nach 
seinem  Sinne  sein  mochte.  Aber  zu  solchen  Schritten  war  es 
noch  nicht  Zeit.  Die  Privilegien  bestanden  noch  in  Frankreich, 
und  es  konnte  sich  höchstens  um  einen  Personenwechsel  handeln, 
nicht  um  eine  Aenderung  des  Systems.  Erwähnenswert  ist 
allenfalls  sein  geringes  Hervortreten  gegenüber  dem  Volk  im 
Vergleich  mit  Klinglin.  Er  hielt  sich  durchaus  an  seine  Vor- 
schrift, an  sein  Amt  als  Vermittler.  Hätte  er  um  das  Bevor- 
stehende gewusst  und  es  begünstigt,  so  hätte  er  sich  durch 
den  Rat,  alle  Wünsche  der  Repräsentanten  anzunehmen,  selbst 
nur  die  Hände  gebunden,  oder  zum  mindesten  die  Ausführung 
seines  Planes  verzögert.  Er  schützte  vielmehr  die  alte  Ver- 
fassung durch  die  Erklärung,  dass  die  Beschlüsse,  in  der  Be- 
drängnis verfasst,  der  Rechtskraft  entbehren. 

V. 

Folgen  des  Aufruhrs.  Bürgergarde. 
Der  Soldatenaufstand. 

Am  frühen  Morgen  des  22.  Juli  versammelten  sich  die 
Zünfte,  und  kamen  überein,  nach  dem  Beispiel  der  Pariser  eine 
Bürgergarde  zu  errichten.  Diesmal  beschied  sie  Rochanibeau 
nicht  wieder  abschlägig,  erteilte  ihnen  vielmehr  den  Befehl 
zur  Bewaffnung,  und  Jiess  ihnen  500  Spiesse  und  1200  Säbel 
aushändigen.  An  12  000  Bürger  vereinigten  sich  begeistert  mit 
den  Soldaten  zu  Patrouillen.  Ein  ehemaliger  Oberst  führte  sie. 
Magistrate,  Professoren,  Geschäftsleute,  Prediger  griffen  .:u  den 
Waffen,  während  Frauen  und  Kinder  in  den  Häusern  gehalten 
wurden.  Blessig,  Rektor  der  protestantischen  Universität,  rief 
die  Studenten  zusammen,1  und  bildete  aus  ihnen  eine  bewaffnete 
Schar  zur  Bewachung  der  akademischen  und  humanistischen 
Anstalten.  Sie  trugen  nunmehr  die  weisse  Kokarde.  —  «Da 
war  es  eine  Freude,  zu  sehen,  wie  die  Bürger-Patrouillen  die 


1  Vgl.  Reass,  Histoire  du  gyranase  Protestant  etc.  S.  25. 


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—   88  - 


verführten  und  betrogenen  Leute  .  .  .  mit  den  entwendeten 
Sachen  unter  dem  Arm,  nach  einander  daherbrachten  .  .  . 
26000  Livres  an  Geld  und  viele  andere  Sachen  kamen  wieder 
zurück.»  Sie  wurden  mit  ihren  unrechtmässigen  Besitzern  in 
das  grosse  Stabsgebäude  am  Paradeplatz  gebracht,  wo  der  Ma- 
gistrat bis  zur  Fertigstellung  der  Pfalz    seine  Sitzungen  hielt. 

Ausser  den  in  der  Nacht  erfolgten  Verhaftungen  geschahen 
am  ersten  Morgen  deren  noch  gegen  200. *  Die  Festgenommenen 
wurden  summarisch  verhört,  um  die  Mitschuldigen  zu  er- 
fahren, und  dann  3 — i()0  Leute  in  die  düsteren  Gefängnisse, 
vier  der  hoben  Sladttürme,  die  heute  noch  stehen,  abgeführt, 
so  dass  diese  bald  überfüllt  waren.  Der  mainzer  Zimmergeselle 
wurde,  des  Diebstahls  überführt,  zum  Tode  durch  den  Strang 
verurteilt,  und  erlitt  seine  Strafe  am  23.  Juli  an  dem  auf  dem 
Platze  aufgeschlagenen  Galgen,  während  Militär  und  Bürger- 
wache die  Richtstatt  umstanden.  Dass  man  gerade  einen  Fremden, 
für  den  sich  niemand  verwandte,  zum  Büsser  genommen,  ver- 
stimmte so  sehr,  dass  Rochambeau  dem  Ammeister  riet,  «beim 
nächsten  ähnlichen  Fall  einen  Einheimischen  zugleich  mit  einem 
Fremden  zu  exequieren».2 

Am  27.  wurde  sodann  ein  Küfer  Namens  Gambs,  der  die 
Vormundschaftskasse  erbrochen  und  bestohlen   und  im  Keller 
Weinfässer  eingeschlagen    hatte,   nebst  drei  anderen  Hand- 
werkern, worunter  ein  Bierbrauer,  der  die  Magistratskutsehen 
zertrümmert  hatte,  zur  Galeere  verurteilt.   Ueher  Gambs  war 
bereits  der  Stab  gebrochen,  als  sich  seinetwegen  ein  Tumult 
erhob.  Es  halten  sich  Parteien  für  und  wider  die  Vollstreckung 
des    Urteils   ohne     Bestätigung    des    Königs   gebildet.  Die 
Zunftgenossen  der  Verurteilten  rüsteten  sich  und  bedrohten  die 
Stadl,  falls  ihre  Meister  es  geschehen  Hessen.  Dietrich  führte 
sie  zu  Fischer,  und  der  Rat,    bei   dem    Gnadengesuche  ein- 
liefen, schickte  die  Akten  nach  Versailles,  wo  sich  die  Depu- 
tierten für  die  Verurteilten  verwandten,  was  um  so  mehr  Er- 
folg hatte,  als  der  Minister  mit  dem  schroffen  Vorgehen  des 
Magistrats  unzufrieden  war.  Er  erwirkte  die  Begnadigung  durch 


1  Vgl.  den  Brief  der  Repräsentanten  bei  Reuss.  TAU.  S.  132. 

2  Rapiarium  E.  E  Grossen  Raths  vom  25.  Juli.  Auf  der  Kais. 
Bibliothek;  Barack's  Katalog  Nr.  460. 


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—    89  — 


den  Köni^r.1  Der  Galten  ward  noch  an  jenem  Tage  entfernt, 
da  sein  blosser  Anblick  das  Volk  beunruhigte.  Die  bedrohliche 
Stimmung  veranlasste  den  Magistrat,  im  Gefängnis  abermals 
ein  allgemeines  Verhör  anstellen  zu  lassen  und  die  schuldlos 
befundenen  Einheimischen  in  Freiheit  zu  setzen,  die  Fremden 
aber  an  die  Rheinbrücke  zu  verbringen.  Verschiedene  Ueber- 
führle  wurden  in's  Zuchthaus  geschickt. 2 

Andere,  zumeist  Landstreicher,  waren  schleunigst  entflohen, 
und  machten  die  Gegend  weithin  unsicher.  Teils  war  man 
froh,  wenn  sie  auf  Nimmerwiedersehen  verschwanden,  teils 
suchte  man  ihrer  wieder  habhaft  zu  werden,  um  sie  zu  richten. 
So  bat  der  Magistrat  die  badische  Regierung,  Fremde  anzuhalten 
und  Haussuchungen  in  Kehl  zu  veranstalten.  Man  glaubte,  es 
seien  dort  gestohlene  Gegenstände  aus  der  Pfalz  unterge- 
bracht. Baden  versagte  zwar  die  «nachbarliche  Hilfe»  nicht.3 
Die  Berichte  des  Kehler  Amtmanns  verursachten  aber  in 
Karlsruhe  einen  gewaltigen  Schrecken.  Besorgt  «für  des  teut- 
schen  Reiches  Sicherheit»,  befahl  die  Regierung,  jedesmal  nur 
eine  beschränkte  Anzahl  der  Verdächtigen  und  zwar  nur 
Deutsche  herüberzulassen,  und  sie  dann  mit  vorgeschriebenem 
Weg  an  die  nächste  Grenze  zu  senden.  Auch  verlegte  man  so- 
fort ein  Kommando  nach  Kehl,  und  empfahl  der  verdoppelten 
Rheinwache  und  allen  Förstern  der  Gegend  grösste  Auf- 
merksamkeit. Dies  hielt  die  Flüchtlinge  jedenfalls  ab,  den 
Rhein  zu  überschreiten.  Aber  dennoch  war  man  zuerst  sehr 
besorgt  und  bestimmte  schliesslich,  nur  wenn  die  Werber  an 
der  Brücke  sie  übernehmen,  solle  eine  grössere  Anzahl  auf 
einmal  herübergebracht  werden.  Doch  zeigten  nur  wenige 
Lust  dazu.* 

Tn  Strassburg  war  die  Unruhe  fortgesetzt  gross.    Der  Ma- 
gistrat   bereute   die   rasche  Hinrichtung,5  die    neue  Gärung 


1  Vgl.  Reusa,  l'Als  S.  134  u.  135. 

2  Bericht  Strobel's  vom  30.  Juli:  <Drei  Wagen  voll  Aufwieg- 
ler sind  heute  nach  Ensesheim  in's  Zuchthaus  geführt  worden>.  Auch 
drei  Artilleristen  brachte  man  in  das  Militärgefängnis.  Ein  Dutzend 
ihrer  Kameraden  kamen  mit  einem  Verweis  davon. 

3  Die  Haussuchung  verlief  ergebnislos. 

4  Nach  einem  Schreiben  des  3fagistrats  an  die  badische  Regie- 
rung vom  1.  August  war  überhaupt  nur  ein  Dutzend  Ausländer  der 
Stadt  verwiesen  worden. 

5  Bericht  Strobels  vom  29.  Juli. 


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-    00  - 


verursachte.  Die  Laternen  brannten  Nachts  so  lange  wie  im 
Winter,  um  die  Patrouillen  zu  unterstutzen,  die  noch  mancherlei 
zu  thun  fanden.  Den  Angrill  auf  Lemp's  Schwiegersohn,  den 
Professor  Brackenhotler,  haben  wir  erwähnt.1  Auch  das  Zoll- 
haus an  der  Rheinbrücke  musste  durch  Infanterie  geschützt 
werden.  Am  Holzmagazin  der  Stadt  ward  Brandstiftung  versucht. 
Erst  allmählich  wagten  sich  die  entflohenen  Ratsherren  wieder 
in  die  Stadt.  Die  Geistlichkeit,  besonders  die  protestantische, 
liess  es  sich  «angelegen  sein,  als  Vermittlerin»  aufzutreten.2 
Dem  Bepräsentarilenausschuss,  dem  die  Bürgerwache  zunächst 
untergeben  war,  wurde  auf  den  Vorschlag  des  Kommandanten 
ein  anderer  von  Magistrats  wegen  zur  Seite  gesetzt,  dessen 
Mitglieder  aber  von  den  Repräsentanten  bestimmt  wurden. 
Dietrich  verhinderte  zunächst,  das*  der  Magistrat  sich  gänzlich 
aullöste,  indem  er  die  Anregung  des  XVers  von  Weitersheim 
zur  Demission  der  XVer  Kammer  im  Verein  mit  Fischer  und 
dem  Consulenteu  Metzler  niederschlug.  Doch  bewirkte  er,  dass 
die  unbeliebtesten  der  Ratsherren  ans  «lern  Magistrat  austraten. 3 
Diesen  Bemühungen  Dietrich's,  die  Parteien  einander  wieder  zu 
nähern,  spendete  der  Magistrat  hohes  Lob.4 

Er  schien  seine  Niederlage  durch  Entgegenkommen  ver- 
gessen machen  zu  wollen.    Die  Herstellung  der  Pfalz  ward  mit 
ängstlicher  Sparsamkeit  unternommen.    Unersetzlich  allerdings 
waren  die  Verluste  an  Aktenmaterial,  dessen   Ueberreste  man 
noch  am  Abend  des  421.  wieder  gesammelt  hatte;  und  wie  nahe 

»  S.  o.  S.  82.  Anra.  1. 

a  Vgl.  Das  Nähere  bei  Strobel  V.  S.  331. 

s  Lemp  u.  Treitlinger.  —  Ersterer  war  durch  Berichte,  die  in 
Schu hartes  Vaterländischer  Chronik  1789  über  den  Strassburger 
Lärm  veröffentlicht  wurden,  (S.  494.  505  fg.  557  fg),  heftig  angegrif- 
fen und  «als  der  grösste  Bürgerfeind  gebrandmarkt>  worden,  während 
sie  den  «edlen  Baron  Klinglin»  nicht  genug  rühmen  können.  Lemp 
schrieb  deshalb  einen,  uns  verlorenen,  entrüsteten  Brief  an  Schubart, 
der  ihm  (S.  624)  nichts  weniger  als  höflich  in  seiner  Chronik  ant- 
wortete. —  Schubart  verfolgte  die  Strassburger  Vorgänge  mit  beson- 
derem Interesse.  Er  schreibt:  «Da  ich  diese  Stadt,  die  das  Schick- 
sal allgewaltig  von  meinem  Vaterlande  riess.  und  an  einen  anderen 
Slaatskörper  anreihte,  immer  um  ihrer  edlen  Bürger  willen  hoch 
schätzte,  so  brannte  mir  ihr  Missgeschick  heiss  auf  der  Seele.  Aus 
den  vielen  erhaltenen  [oft  übertriebenen]  Briefen,  die  die  Sache  bald 
so,  bald  anders  ansehen,  kann  ich  nur  diss  Resultat  abziehen  .  .  .  > 
1  Vgl.  die  Briefe  bei  lteuss,  FAls.  S.  137  u.  139. 


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—    91  — 


sie  den  davon  Betroffenen  gingen,  zeigt  das,  was  Bühl  sich  am 
Tage  nach  dem  Pfalzsturm  erzählen  liess  —  «dass  es  erbärm- 
lich anzusehen  sei,  wie  vor  der  Pfalz  und  in  der  Schlossergasse 
die  .  .  .  Schriften  zerstreut  lagen  und  dass  der  Professor  Oberlin1 
auf  diesem  Papierhügel  traurig  heaumgroble,  und  hier  und  da 
eine  Urkunde  zu  retten  suche.»  — 

Materielle  Einbussen  machten  nicht  minder  zu  schaffen. 
Der  Verlust  an  baarem  Geld  infolge  des  Pfalzsturms  betrug 
35  000  Livres.    Dazu  kamen  andere  Ausgaben. 

Fleisch-  und  Brottaxe  wurden  abermals  verringert,  und 
Metzger  und  Bäcker  aus  der  Stadtkasse  entschädigt.  Aber  schon 
am  1.  August  erkannte  man,  dass  so  die  Mittel  der  Stadt  als- 
bald erschöpft  sein  mussten,  und  man  setzte  dann  die  Taxe 
wieder  auf  den  Fuss  des  21.  Juli  fest. 2  Während  der  Bat  in 
Bezug  auf  die  öffentliche  Sicherheit  der  Stadt  allmählich  ruhiger 
um  sich  blicken  konnte,  begannen  neue  Sorten  für  ihn  in  den 
Amteien,  wo  der  Sturm  des  Aufruhrs  immer  bedenklichere 
Wogen  schlug.  Besonders  das  Gerücht,  der  König  habe  den 
Gemeinden  erlaubt,  Gewalt  zur  Erlangung  ihrer  Beeilte  und 
Freiheiten  auszuüben,  wirkte  verderblich.  Ueberall  erhob  man 
sich  wider  die  Obrigkeit,  und  besonders  in  Barr  nahm  die 
Bewegung  einen  sehr  bedrohlichen,  für  die  Abgeordnelen  des 
Bats  lebensgefährlichen  Charakter  an.3  Noch  bis  in  das  Jahr 
1790  hinein  hatte  sich  der  Magistrat  mit  diesen  Angelegenheiten 
zu  beschäftigen. 

Doch  auch  in  der  Stadt  herrschte  nur  vorübergehende  Buhe 
Ein  neuer  Schrecken   brach  aus.    Der  Magistrat  wollte  seine 
Zufriedenheit  mit  dem  Wachtdienst  der  Truppen  dadurch  Aus- 


1  Jeremias  Jakob  0  ,  der  Verf.  des  Alraanach,  der  es  dann 
übernahm,  das  Zerstreute  wieder  zu  ordnen.  Vgl.  über  ihn  Strobel, 
V.  S.  234.  Anm.  4.  Auch  AI  1  g.  Encyklopädie  (Ersch  und  Gru- 
ber), Serie  III.  Bd.  I.  S.  118  fg.  und  A.  D.  B.  XXIV.  S.  96  fg. 

2  Die  Entschädigung  an  die  Metzger  (19.  Ib.  8  s.  von  jedem 
Ochsen;  betrug  in  einer  Woche  2946  Livres,  an  die  Bäcker  12.000 
Livres  (2  lb.  für  jedes  Viertel  Mehl).  Die  Herstellung  der  Pfalz 
kostete  10  000  Livres. 

3  Vgl.  das  Nähere  bei  Strobel,  V.  S.  332  fg.  üeber  den  Ende 
August  im  Dorf  Kehl  (in  dessen  Herrschaft  sich  Strassburg  mit 
Baden,  Nassau  Usingen  und  den  Reicbsfreiherren  Böcklin  von  Böck- 
linsau  teilte)  entstandenen  Aufruhr  vgl.  auch  Acta  des  Ges.  Rats 
1789. 


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druck  geben,  dass  er  jedem  Mann  20  Sols,  jedem  Korporal  30, 
jedem  Sergeanten  40  Sols  austeilen  liess.  Rochambeaui  hatte 
zwar  jede  Verantwortung  von  sich  gewiesen,  und  zwei  Abord- 
nungen, die  sich  deshalb  an  ihn  wandten,  abschlägig  beschieden. 

Es  lag  dem  Magistrat  aber  viel  daran,  da  die  Bürgerschaft 
denselben  Zweck,  in  der  Form  ungeregelter  freiwilliger  Gaben, 
verfolgte.  Auch  zeigte  sich  unter  den  Soldaten  eine  Erregung, 
weil  sie  die  unvermeidliche  Erhöhung  der  Taxen  argwöhnten. 
So  begab  sich  eine  Abordnung  der  Repräsentanten  und  Magi- 
stratsdeputierten unter  Dietrichs  Fühlung  zu  Rochambeau,  der 
nun,  wenn  auch  ungern,  nachgab.  Klinglin  aber  drang  darauf, 
dass  das  Geld  nicht  auf  einmal  ausbezahlt  werde,  und  dass  man 
es  den  Soldaten  nur  in  den  Kasernen  auszugeben  gestatte. 
Rochambeau  seinerseits  bestimmte,  dass  nur  ein  Bataillon  zur 
Zeit  die  Belohnung  empfange,  und  der  Rest  des  betreffenden 
Regiments  auf  Wache  die  Verantwortung  für  dessen  Benehmen 
zu  tragen  habe. 

Am  5.  August  wurde  die  Hälfte  des  Geldes  ausbezahlt.« 
Die  Beschränkung  ihrer  Freiheit  aber  erweckte  die  Unzufrieden- 
heit der  Truppen.  Der  Trunk  that  das  Seine,  und  gegen  2  Uhr 
Nachmittags  rotteten  sich  die  Mannschaften  in  den  Kasernen- 
höfen  zusammen  und  begannen  zu  lärmen.  Der  General  de 
Vinee,  der  seit  einigen  Tagen  als  Inspektor  in  der  Stadt  weilte, 
und  eben  ein  Infanterie-Regiment  musterte^  sagte  zum  Obersten, 
«er  solle  seine  Leute  nicht  in  die  Kasernen  einschliessen.  Das 
hörten  die  Gemeinen,   und  hoben  ihn  vor  Freuden  mit  samt 


1  Vgl.  Memoires  I.  H58  fg. 

2  Ueber  diesen  Aufstand  sind  die  Hanptquellen :  Brief  der  Re- 
präsentanten an  die  Deputierten  (Reuss,  TAls.  S.  139  fg ).  Brief  des 
Magistrats  an  dieselben  (Reuss  S.  142  fg.).  Rochambeaui  und  Damp- 
martin's  Memoiren.  Harthmann  und  Rühl.  Engelhardt  kannte  nur 
die  ersteren,  die  sehr  kurz  gehalten  sind,  und  besonders  in  den 
Zeitangaben  zu  einer  ungenauen  Darstellung  veranlasst  haben.  Aus- 
serdem muss  ihm  auch  hier  eine  uns  unbekannte  Schilderung  vor- 
gelegen haben.  Taine  a.  a.  0.  I.  S.  8ö.  Anm.  1.  folgt  Damp- 
martin. 

:}  Aus  dem  Bericht  des  als  Regierungskommissar  nach  Kehl 
entsandten  Assessors  Eichrodt  vom  9.  August.  Seine  ausfuhrlichen 
Berichte  (Karlsruher  Archiv,  Baden,  Polizeisache  Pars  II)  sind  des- 
halb von  besonderem  Wert,  weil  er  während  seines  Aufenthalts  in 
Kehl  mit  den  Spitzen  der  Strassburger  Behörden  verkehrte. 


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—   93  — 


dem  Pferd  in  die  Höhe.  Dann  aberzwangen  sie  ihn  abzu- 
steigen, und  in  die  Kaserne  zu  gehen,  daselbst  ein  Menuett  mit 
ihnen  zu  tanzen.»  So  wurden  die  Thore  geöffnet  und  ein 
Strom  von  Soldaten  ergoss  sich  durch  die  Stadt.  Dampmartin 
berichtet,  er  sei  eben  bei  einem  Essen  gewesen,  als  man  durch 
lautes  Geschrei  und  Getümmel  aufgeschreckt  wurde,  infolgedessen 
alle  Offiziere,  die  sich  wegen  der  getroffenen  Massnahmen  der 
Sorglosigkeit  überlassen  hatten,  in  ihre  Quartiere  eilten. 

Rochambeau  ritt  von  Kaserne  zu  Kaserne,  um  die  Tobenden 
zur  Ordnung  zurückzuführen.  Aber  man  antwortete  ihm: 
«Es  lebe  der  dritte  Stand!  Jetzt  ist  das  Befehlen  an  uns!» 
Dampmarlin's  Heiter,  die  eben  durch  Abgesandte  der  aufrühreri- 
schen Regimenter  ins  Schwanken  gebracht  wurden,  suchte  er 
durch  rühmende  Anerkennung  ihrer  Tüchtigkeit  zu  gewinnen. 
Aber  bald  war  er  von  tausenden  von  Soldaten  umgeben,  die 
stürmisch  Freilassung  der  gefangenen  Kameraden  verlangten. 
Sie  fielen  seinem  Pferd  in  die  Zügel,  er  befreite  sich  von  ihnen, 
aber  war  rat-  und  fassungslos.  Er  gestattete  den  Reitern,  die 
Stallarbeit  zu  verlassen.  Sofort  eilten  sie  davon.  Er  seihst  sagt: 
«Es  blieb  mir  nichts  übrig,  als  mich  zu  begnügen,  die  Leute, 
die  ausser  Rand  und  Band  geraten,  zu  beobachten.»  Man  schlug 
vor,  die  ruhig  gebliebenen  Wachtposten  auszusenden,  um  die 
Strassen  und  Schenken  von  den  Ausgelassenen  zu  säubern. 
«Unter  Scheingründen  wurde  es  abgelehnt:  , Warum  zur  Ge- 
waltgreifen, wo  Geduld  genügt?  Müdigkeit,  Schlaf  und  Geldmangel 
werden  in  wenigen  Stunden  die  Ruhe  wieder  herstellen,  und  vor 
Tagesanbruch  werden  alle  in  den  Kasernen  zurück  sein.1»  Als 
aber  die  Rufe  nach  Befreiung  der  Gefangenen  immer  dringender 
wurden,  sandte  Rochambeau  Klinglin  zu  den  Gefangnissen,  wo 
die  Wachen  schon  verdoppelt  und  vier  Geschütze  aufgepflanzt 
worden  waren.  Einige  hundert  Kavalleristen  und  Artilleristen,1 
die  im  Wirtshaus  «zum  Schwanen»  gezecht  hatten,  waren  in 
der  Absicht,  die  Kameraden  an  ihrer  Fröhlichkeit  teilnehmen 
zu  lassen,  nach  dem  «französischen  Turm,»  dem  Militärgefängnis 
bei  den  Gedeckten  Brücken,  das  bis  1870  als  solches  dort  be- 
stand, gezogen. 

Ein  Teil  aber  machte  sich,  da  die  Freilassung  der  Gefangenen 


1  Bericht  Ruh  Ts  vom  5.  Aug. 


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—   94  - 


abgeschlagen  worden,  auf  den  Weg  zu  den  Kasernen,  um  sich 
zu  bewafFnen.  Sie  begegneten  unterwegs  Klinglin.  Er  versprach 
ihnen,  da  Widerstand  unmöglich  war,  zu  willfahren,  und  sie 
zogen  mit  ihm  an  den  Turm.  «Unterdessen  hatten  die  Zurück- 
gebliebenen die  Fenster  an  dem  Ofüziersgefängnis  eingeworfen, 
die  Mauern  erstiegen,  die  Thüren  eröffnet  und  alle  gefangenen 
Soldaten  befreit. »*  Die  Versuche,  die  übrigen  Gefängnisse  gleich- 
falls zu  stürmen,  wozu  die  mit  dem  Bürgertum  sympathisiren- 
den  Soldaten  sich  gedrangt  fühlten,  scheiterten  an  dem  festen 
Auttreten  des  jungen  Kommandanten  der  Geschütze,  d'Aubier, 
dem  es  gelang,  seine  Mannschaft  in  Ordnung  zu  halten.  Die 
Aufrührer  begaben  sich  nun  mit  den  Befreiten  «abermals  in  den 
, Schwan';  die  Biersiederswittib  konnte  sich  des  Lebens  nicht 
mehr  erwehren  und  musste  ihnen  alles  preislassen.  Die  Sol- 
daten brachten  alle  Arten  Geschirr  mit  Bier  angefüllt  nebst 
Käse,  Würsten  und  Brot,  auf  die  Strassen,  und  präsentierten 
es  jedermann  unter  lautem  Freudengeschrei:  ,Vive  la  nation! 
vive  la  bourgeoisie."  .  .  .  Niemand  durfte  sich  weigern  zu 
trinken.»  —  «Einige  begegneten  dem  Prinzen  Max,  boten 
ihm  ein  Glas  Wein  mit  den  Worten:  ,Trinken  Sie,  mein 
Prinz!'  welcher  antwortete:  ,Ja  meine  lieben  Kinder,  ich  will 
trinken!'  Als  er  das  Glas  ausgetrunken  hatte,  sagte  ein  Reiter 
zu  ihm:  ,Thun  Sie  Ihre  Schuldigkeif,  mein  Prinz,  und  werfen 
Sie  das  Glas  weg.'  Worauf  er  sich  aber  weigerte.  Darauf 
nahm  der  Reiler  das  Glas  und  warf  es  weit  weg.»2 

«Es  war  lustig  zu  sehen,  wie  hier  ein  zuckersüsses 
Stutzerchen,  ein  niedlicher  Abbe  gezwungen  wurden,  ihr  hoch- 
friesierles  Haupt  in  einen  Bierkühel  zu  stecken,  dort  eine 
spröde  Schöne  von  bewaffneten  Soldaten  geherzt,  geküsst  und 
zum  Essen  und  Trinken  angehalten  wurde.  Hier  wurde  ein 
Leichenzug  angehalten^  und  der  Geistliche  bis  auf  den  Fuhr- 
mann musston  der  Nation  und  der   Bürgerschaft  aus  Kannen 


1  Nach  Hühl  s  Bericht  vom  7.  hatten  sie  dagegen  «alle  ihnen 
als  weitere  Diebe  und  Mörder  bekannt  gemachten  sitzen  lassen»,  und 
nur  Gambs  und  andere  Pfalzstürmer  befreit. 

-  Bericht  Eichrodts  vom  9.  August.  Auch  Rühl  (8.  Aug.) 
berichtet,  dass  dem  Prinzen  in  «höchst  unanständiger  Weise»  begeg- 
net worden. 

s  Vgl.  Harthmann  a.  a.  CS.  11.  —  Bei  Strobel,  V. 
S.  337  ist  dieselbe  Nachricht,  aus  einer  anderen  Quelle. 


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D5  - 


und  Häfen  eines  zutrinken.  Dort  sah  man  einen  Juden  eine 
Wurst  mit  Furcht  und  Zittern  verzehren.  Dies  dauerte  die 
ganze  Nacht  hindurch,  kein  Soldat  ging  nach  Hause.  Sie  ver- 
sicherten der  Bürgerschaft,  dass  sie  weiter  keinen  Unfug  an- 
richten und  niemand  was  Leides  anthun  wurden,  sondern  nur 
verlangen,  dass,  da  ihnen  die  Bürgerschaft  Geld  gegeben,  und 
zur  Lustbarkeit  aufgefordert,  sie  auch  selbst  daran  teilnehmen 
möchte,  wobei  sie  zugleich  sagten,  dass  sie  von  ihren  Chefs 
Rechnung  über  die  Gelder,  die  zu  ihrem  Unterhalt  bestimmt 
sind,  verlangen,  indem  die  Bürger  seither  von  dem  Magistrat 
und  sie  von  ihren  Obersten  betrogen  wurden.»  Auch  «mischten 
sich  von  der  Arbeit  kommende  Handwerker  und  Leute  aus  dem 
Pöbel  unter  die  Soldaten  und  machten  sich  die  Verwirrung  zu 
nutze,  um  mit  denselben  die  Keller  zu  leeren». 

So  bedrohlich  dies  an  sich  war,  so  kam  es  doch  zu  keinen 
Thätlichkeiten.  Dagegen  erhob  sich  eine  aufgebrachte  Stimmung 
unter  den  Soldaten  gegen  ihre  deutschen  Kameraden  der  Re- 
gimenter «Elsass»  und  «Hessen»,  die  sich  in  Ordnung  von  dem 
tollen  Jubel  ferne  hielten.1  «Es  befinde  sich,  sagten  die  Fran- 
zosen, kein  ehrlicher  Mann  unter  ihnen,  weil  sie  sich  haben 
zwingen  lassen,  in  ihren  Kasernen  zu  bleiben.»  Am  Morgen 
des  (>.  begaben  sie  sich  dorthin,  um  die  übrigen  zu  veranlassen, 
ihnen  in  die  Stadt  zu  folgen.  Auch  begab  sich  ein  Haufe  zu 
Roehambeau  und  beklagte  sich  darüber,  dass  die  Deutschen 
von  den  Offizieren  wie  Gefangene  zurückgehalten  werden. 

Rochambeau  lies*  den  Oberstlieutenant  von  Aleneon  suchen, 
der  die  «Hessen»  befehligte,  da  Prinz  Friedrich  die  Stadt  ver- 
lassen hatte.2 


>  Vgl.  Sybel,  Rev.  III.  S.  238.  Z.  11  v.  u.  und  fg.  über  den 
Gegensatz  der  englischen  und  der  deutschen  Truppen  im  Sommer  1794. 

2  Er  war  zur  Unterdrückung  revolutionärer  Bewegungen  in  der 
Landgrafschaft  Hanau-Lichtenberg  nach  Buchsweiler  gereist.  Ebenso 
Prinz  Max  nach  Rappoltsweüer  iStrobel's  Bericht  vom  1.  August). 
Dieser  war  jedoch  am  6.  August  wieder  in  Strassburg.  Nachts  12 
Uhr  begleitete  er  seine  Familie,  da  ihm  mit  Thatlichkeiten  gedroht 
wurde,  zu  Fuss  von  seinem  Hotel  nach  Kehl  ,  er  flüchtete  sie  nach 
Heidelberg.  Auch  die  Generäle  sollten,  so  berichtet  Strobel  am 
7.  August,  mit  Massakrieren  bedroht  worden  sein.  Nach  der  Rück- 
kehr des  Prinzen  wurde  er  mit  Arrest  bestraft,  weil  er  sich  ohne 
Urlaub  entfernt  hatte.  Eine  Abordnung  von  Unteroffizieren,  die  für 
ihn  baten,  erlangten  jedoch  seine   Begnadigung.  —  (Dampmartin's 


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-    Ü(3  - 


Alencon  erhielt  Befehl,  die  Kasernenthore  zu  öffnen.  Vor 
Erstaunen  konnte  er  sich  nicht  enthalten,  zu  bemerken,  das 
Regiment  sei  zum  grössten  Teil  aus  Fahnenflüchtigen  zusammen- 
gesetzt, die  allein  durch  strenge  Mannszucht  zusammengehalten 
werden  können.  Kochambeau  bestand  jedoch  auf  seiner  Weisung. 
Alencon  gab  nun  alles  verloren,  befahl  die  Thore  zu  öffnen 
und  verliess  die  Stadt. 

Die  Deutschen  folgten  jetzt  ihren  Kameraden.  «Der  Spek- 
takel war  nun  noch  arger  .  .  .  Um  zehn  Uhr  morgens  war 
die  ganze  Garnison  betrunken». 

Der  Platzmajor  meldete,  als  die  Wache  aufziehen  sollte, 
dass  keine  Truppe  erscheine,  und  dass  die  Soldaten  nach  und  nach 
ihre  Posten  verlassen.  «Im  Bierhaus  zum  , Schwaig  war  kein  Bier 
mehr,  sie  besuchten  also  die  übrigen  Bierhäuser,  .  .  .  liefen 
mit  Kannen,  .  .  .  sogar  mit  Hüten  voll  Bier  durch  die 
Strassen,  hatten  Blätter  von  Kastanienbäumen,  die  ihnen  ihre 
Obersten  selbst  gaben,  auf  den  Hüten,»  und  trieben  allerhand 
lustigen  Spuk.  «Vor  den  Mädchen  fielen  sie  auf  die  Kniee  nieder 
und  fragten  sie,  ob  sie  zu  der  Nation  halten;»  man  sieht,  in 
jeder  Weise  gebärdelen  sie  sich  als  Vertreter  der  neuen  Ideen  : 
Freiheit,  Gleichheit,  Huldigung  an  die  Nation  als  Trägerinder 
Suveranität,  und  auch  der  Brüderlichkeit.  Denn,  bejahten  die 
Mädchen  ihre  Fragen,  «so  erscholl  ein  lautes:  ,Es  lebe  die 
Nation  !  Wir  sind  alle  Brüder  und  Schwestern  !'» 

War  das  Ganze  auch  ein  mehr  oder  weniger  übermütiges 
Treiben,  so  nahm  es  in  seinen  Folgen  doch  ein  bedenklicheres 
Antlitz  an.  Denn  die  Soldaten  verwandten  sich  nun  ernstlich 
für  die  bürgerlichen  Anstifter  des  Pfalzstunnes,  und  verlangten 
deren  und  aller  übrigen  Gefangenen  Entlassung.  Zunächst  wies 
die  Militärbehörde  dies  ab,  sah  dabei  aber  dem  Ganzen  recht 
unthätig  zu.  Kochambeau,  von  den  Generalen,  wie  er  berichtet,» 
gebeten,  sich  nicht  auf  die  Strasse  zu  begeben,  beauftragte 
einen  beim  Regiment  Royal  beliebten  Hauptmann,  sein  Bestes 

Memoiren).  Ausserdem  ward  er  von  den  Soldaten  um  Vergebung  ge- 
beten (R  ü  h  1 ,  8.  Aug.). 

1  Dampmartin  a.  a.  0.  S.  117  erzählt,  Kochambeau  habe 
sich  auf  den  Weg  zu  den  Gedeckten  Brücken  gemacht,  und  abermals 
geglaubt,  «que  son  devoir  lui  perscrivit  de  se  montrer  orateur,»  sei 
dann  aber  wieder  umgekehrt.  Auf  alle  Fälle  zeigte  sich  der  General 
auch  hier  nicht  als  tapferer  Soldat. 


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zu  versuchen.  Da  man  mit  Gewalt  nicht  vorgehen  wollte, 
führte  dieser  die  Reiter  unter  Voranlritt  von  Geigenspielern  auf 
die  Esplanade  in  der  Zitadelle.  Die  anderen  Soldaten  aber 
eilten  zu  den  Gedeckten  Brücken.  Klinglin  war  auf  dem  Platz 
und  benahm  sich  unerschrocken  ;  aber  er  hielt  es  für  Wahn- 
sinn, allein  in  dem  tosenden  Gewühl  um  ihn  her  etwas  er- 
zwingen zu  wollen.  Er  überliess  die  Gefängnisse  ihrem  Schicksal. 

Dietrich  hatte  sich  dorthin  begeben,  um  die  Verbrecher 
von  den  wegen  Sittenverderbnis  Eingetürmten  zu  trennen.  Er 
hörte,  wie  die  Soldaten  nach  Pick,  dem  gefangenen  Bierbrauer, 
riefen.  Er  musste  ihn  Nachmittags  entlassen,  worauf  der 
Befreite  auf  einer  Tragbahre  im  Triumph  nach  Hause  ge- 
tragen wurde.  Indess  vereinigten  die  Offiziere  der  «Hessen» 
ihre  Vorstellungen  mit  denen  der  Bürger  vor  dem  Zuchthaus, 
Raspelhaus  genannt,  wo  viele  Frauenspersonen  von  schlechtem 
Wandel  sich  in  Gewahrsarn  befanden.  Umsonst;  der  allgemeine 
Ruf:  «Die  Mädchen!»  ertönte.  Man  entliess  etwa  200  der- 
selben. Aber  damit  waren  die  Soldaten  noch  nicht  zufrieden. 
Sie  ölTneten,  da  man  ihnen  endlich  die  Schlüssel  auslieferte, 
die  Gefängnisse,  die  nun  all  ihr  Gesindel  auspieen.  Die  be- 
rauschte Masse  stürzte  sich  auf  das  Gebäude  und  befreite  die 
noch  darin  befindlichen  Dirnen.  Diese  «fielen  den  Soldaten  zu 
Füssen,  und  nannten  sie  ihre  Retter  .  .  .  Die  Soldaten  hoben 
sie  auf,  machten  ihnen  alle  möglichen  Höfllichkeiten  und  er- 
mahnten sie  zum  Essen  und  Trinken».  .  .  .  Mit  den  elsässischen 
Mädchen  am  Arm  durchzogen  sie  die  Strassen.  Die  Auswärtigen 
verliessen  durch  verschiedene  Thore  die  Stadt.1  Ihre  Befreier 
fingen  nun  an,  «sich  ganz  unsinnig  zu  betragen».  Sie  nahmen 
alle  Esswaaren  mit  Gewalt  an  sich,  verkauften  sie  wieder, 
schütteten  alle  möglichen  Getränke  durcheinander  «und  zwangen 
jedermann  zum  Trinken  oder  schütteten  es  ihnen  nach».  Auch 
der  Weihbischof  Dora  musste  ihnen  Bescheid  thun.  «Nicht 
maass-  sondern  kübelweis»  musste  man  ihnen  Wein  und  Bier 
hergeben,  sogar  im  College  und  im  Cardinalspalast.  «Niemand 
wusste,  wer  Koch  oder  Kellner  war.» 

Der  Magistrat  war  indes  in  grösster  Sorge  wegen  der  entlau- 
fenen Gefangenen.  Aber  auch  die  Offiziere  konnten  sich  nicht  mehr 


1  Rühl  schildert  es  in  seinem  Bericht  vom  7.  recht  humorvoll. 

7 


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sicher  fühlen.  Einigen  Soldaten  fiel  es  bei,  die  Vesper  zu  singen. 
Es  waren  nun  die  noch  widerstandsfähigen  «deutschen»  Truppen, 
die  am  meisten  Unruhe  machten.  «Kein  Offizier,  kein  Kom- 
mandant durfte  ein  Wort  sagen,  und  abscheulich  war,  so 
schreibt  Rühl,  das  Schauspiel  und  die  Greuel,  so  vorgingen  .  .  . 
alles  lief  durcheinander,  johlte,  fiel  zu  Boden  in  die  Gassen, 
wälzte  sich  im  Koth,  schlug  sich  zum  Teil,  blulete.»  Vielfach 
hörte  man  den  Ruf:  «d  la  lantemeh  Und  das  allgemeine  Ge- 
schrei der  Soldaten  war  :  Hout  soldat  bourgeois,  tout  bourgeois 
soldat  /»  «Es  lebe  der  dritte  Stand  !  Wir  wollen  frei  sein  wie 
er,  wir  wollen  nur  tapfere  Leute  zu  Befehlshabern!»  Eine 
ernste  Absicht  lag  solchen  Drohungen,  wie  sie  auch  dem  Prinzen 
Max  widerfuhren,  aber  jedenfalls  nicht  zu  gründe.  Das  geht 
auch  aus  einem  Erlebnis  Dampmartins  hervor.  Als  er  mit  einem 
Hauptmann  durch  ein  Festungsthor  ging,  wurde  Dampmartin 
durch  das  Geschrei  «d  la  lanterne»  aus  dem  Munde  von  etwa 
20  Soldaten  empfangen.  Auf  gut  Glück  gingen  sie  den  engen 
Weg  möglichst  ruhig  entlang,  als  die  Soldaten  Spalier  bildeten, 
achtungsvoll  grüssten,  und,  lauter  als  zuvor  schrieen  :  «d  la 
lanteme!*  Sogar  einen  rührenden  Zug  weiss  er  zu  berichten. 
Ein  andermal  war  er  ausgegangen,  obgleich  er  sich  sehr  un- 
wohl fühlte.  Sobald  die  Soldaten  sein  bleiches  Gesicht  ge- 
wahrten, zogen  sie  sich  von  ihm  zurück,  und  mehrere  füllten 
seine  Taschen  sogar  mit  Brot.  —  So  hatte  der  ganze  Lärm 
zunächst  ziemlich  harmlosen,  wenn  auch  begreiflicherweise  be- 
unruhigenden Charakter.  Er  hielt  die  ganze  Nacht  an. 

Wahrhaft  bedenklich  aber  wurde  die  Lage,  als  gegen  den 
Morgen  des  7.  ein  Streit  zwischen  den  «deutschen»  und  den 
«französischen»  Regimentern  ausbrach.  Die  ersteren  hatten  durch 
den  Gebrauch  der  Landessprache  manchenVorteil,  zum  Aerger  der 
anderen,  die  sie  darum  beneideten.  Sie  klagten  daher  die 
«Hessen»  einiger  tags  zuvor  geschehener  Diebereien,  nament- 
lich an  Silberzeug,  an.  Besonders  eifrig  geschah  es  von  Seiten 
der  Artilleristen.  Schon  sammelten  sich  die  französischen  Gre- 
nadiere, als  einige  Unteroffiziere  durch  den  Hinweis  auf  das 
Unrühmliche  eines  Zwiespalts  unter  den  Soldaten  die  Bewegung 
zum  Stocken  brachten.  Wiederholt  ward  Rochambeau  um  die 
Erlaubnis  gebeten,  Patrouillen  zur  Sammlung  und  Beruhigung 
der  Streitlustigen  bilden  zu  dürfen.  Ein  dekorierter  Veteran 
bat  um  Gnade  für  das  Geschehene,  und  schloss  seine  gewandte 


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Ansprache  mit  den  Worten  :  «Wenn  während  des  Aufruhrs 
ehrenrührige  Handlungen  vorgefallen,  sind,  so  ist  es  der  Wunsch 
aller,  die  Schuldigen  bestraft  zu  sehen.»  Rochambeau  erwiderte  : 
«Die  Hoffnung  auf  eine  segensreiche  Umkehr  ist  in  meiner 
Brust  niemals  verlöscht.  Nichts  hat  dies  wertvolle  und  tröst- 
liche Gefühl  mehr  aufrecht  erhalten,  als  Ihr  Vorschlag,  selbst 
die  der  Vergehen  angeklagten  Leute  in  den  Arrest  zu  führen.» 
Er  gestattete  die  Patrouillen,  und  befahl  ihnen,  100  Mann  von 
jedem  Regiment  auf  den  Paradeplatz  zu  führen,  an  deren 
Spitze  er  vollends  die  Ordnung  herzustellen  versprach. 

So  versammelten  sich  600  Mann  aller  Waffengattungen, 
welche  die  letzten  Betrunkenen  zur  Heimkehr  brachten  und  alle 
Wirtschaften  mit  Posten  besetzten.  Am  schwersten  wurden 
die  noch  verhältnismassig  frischen  «Hessen»  zur  Einsicht  ge- 
bracht. Aber  um  11  Uhr  Vormittags  waren  alle  Regimenter 
wieder  in  den  Kasernen  ;  die  Kaufläden  öffneten  sich,  die  Ruhe 
war  hergestellt. 

Der  Streit  zwischen  den  «Hessen»  und  den  Artilleristen 
hatte  jedoch  zur  Folge,  dass  jene  am  8.  August  die  Absicht 
kund  gaben,  ihre  Verläumder  anzugreifen.  Daraufhin  befahl 
Rochambeau,  dass  sie  die  Stadt  verlassen  und  sich  nach  Schlett- 
stadt  begeben  sollten.  Sie  zogen  mit  Sack  und  Pack  aus  den 
Wrällen,  stellten  sich  jedoch  auf  der  Metzgerau  südlich  der 
Stadt  kampfbereit  auf.  Die  Offiziere  redeten  die  Mannschaften 
an,  die  Anklagen  seien  zu  verletzend,  als  dass  man  sich  nicht 
davon  rein  waschen  sollte  ;  anderenfalls  werden  sie,  die  Offiziere, 
die  unbefleckten  Fahnen  sofort  verlassen.  Die  Soldaten  erklär- 
ten, sie  seien  unschuldig,  die  Offiziere  sollen  thun,  was  ihnen 
gut  dünke.  Eine  Abordnung  begab  sich  zu  Rochambeau  und 
verlangte  unerschrocken  völlige  Genugthuung.1  Der  General 
zeigte  sich  ärgerlich  und  erstaunt  zugleich.  Aber  der  Sprecher, 
ein  Hauptmann,  fuhr  fort :  «Im  Namen  meiner  Waffenbrüder 
und  ohne  Furcht,  Lügen  gestraft  zu  werden,  von  irgend  einem 
derjenigen,  die  unter  den  erhabenen  Fahnen  von  Hessen  stehen, 
schwöre  ich,  dass  wir  uns  lieber  bis  auf  den  letzten  Mann 
töten  lassen,  als  die  Stadt  aus  den  Augen  zu  verlieren.  Die 


1  Vgl.  Rochambeau  a.  a.  0.  S.  360.  Dampmartin  a  a.  0. 
S.  123  fg. 


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—  100 


Soldaten  haben  ihre  Tornister  geöffnet  und  den  Inhalt,  ausge- 
breitet. Die  Bürger  sind  aufgefordert  worden,  die  Gegenstände, 
die  man  ihnen  geraubt  hat,  darunter  zu  suchen ;  man  hat 
einen  Galgen  errichtet  und  ein  Spiessrutenlaufen  vorbereitet, 
um  je  nach  der  Natur  des  Verbrechens  zu  strafen,  vorausge- 
setzt, dass  welche  als  schuldig  erkannt  werden.»  Diesem 
festen  Auftreten  wich  Rochambeau ;  die  Stimmung  im  Regi- 
ment hatte  sich  bedenklich  gegen  ihn  gewandt.1 

Der  Aufforderung  der  «Hessen»  folgend,  strömten  die  Ein- 
wohner hinaus.  Niemand  entdeckte  einen  der  gestohlenen 
Gegenstände.  Am  Abend  wurde  ein  Lager  aufgeschlagen,  wo 
sich  die  «Hessen»  in  musterhafter  Ordnung  bis  zum  17.  Au- 
gust aufhielten.  Es  ward  ein  heiterer  Tanzplatz,  der  Versamm- 
lungsort der  lebenslustigen  Strassburger.  Nachdem  die  Verbann- 
ten durch  ihr  allgemein  bewundertes  tadelloses  Verhalten  einen 
Beweis  ihrer  Tüchtigkeit  abgelegt  hatten,  zogen  sie  unter  dem 
jubelnden  Zuruf  der  Einwohner  und  selbst  der  anderen  Soldaten, 
des  Morgens  unier  fliegenden  Fahnen  und  klingendem  Spiel 
wieder  in  die  Stadt. 

Die  Artilleristen  waren  inzwischen  durch  eine  anonyme 
Schrift  heftig  angegriffen  worden.  In  stolzem  Tone  wiesen  sie,  in 
einem  von  Puysegur  unterzeichneten  Schreiben,  alle  Anschul- 
digungen zurück. 

Die  Genugthuung  für  die  «Hessen»  aber  war  völlig, 
als  man  unter  den  anderen  Regimentern  der  Garnison  etwa 
30  Diebe  entdeckte.  Ausser  diesen  wurden  die  Hauptrebellen 
nach  einer  Prügelstrafe  mit  abgeschnittenen  Rockknöpfen  und 
Haaren  fortgejagt.  Am  13.  August  kamen  die  ersten  derselben 
in  Kehl  an,  wo  sie  zumeist  von  den  österreichischen  und 
preussischen  Werbern  aufgenommen  wurden. 

In  Kehl  war  die  Aufregung  ungeheuer.  Die  Besatzung 
war  sofort  nach  dem  Bekanntwerden  der  Oeffnung  der  Gefang- 
nisse bedeutend  verstärkt  worden.  Wegen  des  Gesindels  eben- 
so wie  wegen  des  Regiments  der  «Hessen»  war  man  in  grosser 
Besorgnis,  da  es  hiess,  es  werde  samt  und  sonders  über  den 
Rhein  herüber  kommen.    Man  hatte  schon  an  teilweisen  Ab- 


1  Es  war  alsbald  ein  Offizier  an  die  National-Versammlang  ab- 
gegangen, um  sich  zu  beschweren.  Als  er  unverrichteter  Dinge  zu- 
rückkehrte, begnadigte  ihn  Rochambeau. 


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bruch  der  Rheinbrücke  gedacht.  Die  starke  Wache  daselbst 
jedoch  und  die  übrigen  Massregeln  Badens1  verscheuchten  die 
Flüchtlinge.  Rochambeau  sprach  der  badischen  Regierung  seinen 
wärmsten  Dank  dafür  aus.  Der  Magistrat  aber  war  trotz  der  thät- 
igen  Bürgerwache  noch  lange  in  Unruhe.  Er  hatte  auch  in  anderer 
Hinsicht  an  den  Folgen  seiner  Freigebigkeit  zu  leiden,  da  er 
die  Kosten  für  den  von  den  Soldaten  angerichteten  Schaden  auf 
sich  zu  nehmen  hatte,*  doppelt  drückend  bei  dem  erschöpften 
Stand  der  Kassen. 

VI. 

Die  Verwaltungsänderung. 

Am  5.  August  sandte  der  Magistrat  nach  dem  Beispiel  der 
anderen  französischen  Städte  eine  Adresse  an  die  Nationalver- 
sammlung,8 um  sie  zu  ihrem  Erfolge  vom  15.  Juli  zu  beglück- 
wünschen; er  fuhr  fort,  seine  Sitzungen  zu  halten,  wahrend 
die  Repräsentanten  sich  mit  der  Wahl  der  zu  ernennenden 
Finanzkommission  der  40  beschäftigten,  was,  in  der  neu  einge- 
führten geheimen  Abstimmung,  auf  jeder  der  20  Zünfte  geschah. 
Da,  als  man  eben  davon  sprach,  die  Repräsentanten  förmlich  zu 
organisieren  und  ihnen  einen  Präsidenten  zu  erwählen,  erhielten 
sie  und  der  Magistrat  je  ein  Schreiben  der  Deputierten  vom 
5.  August,4  worin  die  Beschlüsse  der  «unsterblichen  Sitzung» 
vom  4.  zur  Kenntnis  der  Strassburger  gebracht  wurden. 

«Der  Adel,  berichteten  sie  dem  Magistrat,  gab  sich  dem 
Verzicht  seiner  Besitztümer  in  einem  unbegreiflichen  Rausche 
und  unbegreiflichen  Wetteifer  hin  .  .  .  ;  der  Klerus  vereinigte 
mit  diesen  unfasslichen  Opfern  die  seinigen  .  .  ,  die  Gemeinden 
stimmten  für  die  Abschaffung  der  Meisterschaften  und  Zünfte, 
der  Rausch  erreichte  in  dem  allgemeinen  Beifall   eine  solche 


1  Vgl  Ob 8er,  «Baden  und  die  revolutionäre  Bewegung  auf  dem 
rechten  Rheinufer  1789»,  in  der  Ztschr.  für  Gesch.  des  Oberrheins, 
neue  Folge,  Band  IV.  (143  der  ganzen  Reihe)  1889;  S.  215  fg. 

2  Nach  Touchemol  in,  «Le  Regiment  d'Alsace  dans  l'histoire 
franc^ise»,  Paris  1897.  S.  141.  betrug  der  Schaden  35400  Livres. 

3  Vgl.  ReusR,  l'Als.  S-  137,  Anra.  1. 
*  Vgl.  Anhang  Nr.  15  u.  16. 


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—    102  — 

Höhe,  dass  die,  welche  ihre  kalte  Verstandesruhe  in  dieser 
Sitzung  hatten  bewahren  können,  einen  schönen  Traum  zu  hören 
glaubten  .  .  .  Aber  diese  auf  einander  folgenden  Verzichtleist- 
ungen geschahen  im  Taumel  des  Patriotismus,  waren  nur  die 
Vorläufer  von  noch  unfasslicheren  .  .  .  Alle  Provinzen  legten 
um  die  Wette  und  mit  einem  Eifer,  dessen  Feuer  man  sich 
nicht  ausmalen  kann,  alle  ihre  Freiheiten  und  Vorrechte  wieder 
auf  den  Altar  des  gemeinsamen  Vaterlandes.» 

Alle  gaben  hin,  was  sie  konnten.  «Man  rief  das  Elsass 
auf  —  die  Verwirrung  unserer  Abgeordneten  war  unge- 
heuer ;  ...  sie  gingen  an  das  Bureau  —  wir  folgten  ihnen  und 
gaben  auf  der  Kanzlei  die  beigefügte  Note 1  ab,  woraus  Sie 
sehen,  dass  wir  thatsächlich  nichts  aufgegeben  haben,  sofern  es 
nicht  die  Genehmigung  unserer  Stadt  und  Gemeinde  findet.  .  . 
Tausend  Gedanken  kreuzen  sich  und  erstehen  in  unserer  Seele 
seit  diesem  denkwürdigen  Tage:  sie  vereinigen  sich  alle  im 
Grunde  in  der  Betrachtung,  dass,  wenn  Strassburg  einerseits 
vielleicht  mehr  Opfer  als  irgend  eine  andere  Stadt  des  König- 
reichs zu  bringen  hat,  .  .  .  es  sich  andererseits  nur  mit  unend- 
licher Mühe  dem  Wunsche  der  Nation,  dem  gemeinsamen 
Gesetz  entziehen  kann.» 

Den  Repräsentanten  aber  schrieben  sie  unter  anderem  : 
«Ihre  Deputierten,  meine  Herren,  teilen  alle  Gefühle  der  Mit- 
glieder der  Versammlung,  und  haben  bedauert,  der  Nation  von 
Ihrer  Seite  kein  Opfer  haben  anbieten  zu  können.  .  .  .  Das 
Elsass  allein  vermochte  nicht  still  zu  schweigen  .  .  .  Wir  müssen 
Ihnen  mitteilen,  dass  nach  dem  einmütigen  Verzicht,  der  ge- 
schehen ist,  es  sehr  schwer,  wo  nicht  unmöglich  für  Strassburg 
und  die  Provinz  sein  wird,  allein  der  Annahme  einer  Ordnung 
der  Dinge  zu  widerstehen,  die  einförmig  für  das  ganze  König- 
reich geschaffen  werden  wird,  und  Privilegien  oder  ein  Dasein 
zu  bewahren,  die  ihr  widersprechen.» 

Die  Schlussworte  der  Note  an  die  Nationalversammlung 
lauten  :  «Wir  zweifeln  nicht,  die  Stadt  werde  sich  bestreben, 
dem  gemeinschaftlichen  Vaterland,  von  dem  sie  seit  hundert 
Jahren  ihr  Glück  erhält,  alle  Aufopferungen  zu  machen,  die  in 
ihrer  Macht  sind,  und  werde  mit  allem  Zutrauen  ihr  teuerstes 
Interesse  ihm  überlassen.» 


i  Vgl.  Strobel  V.  S.  347. 


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—    103  — 


Im  Grunde  kommt  es  also  in  allen  drei  Schriftstücken 
darauf  hinaus,  dass  Strassburg  dem  Wunsche  der  Nation  sich 
fügen  werde.  Doch  ist  die  Begründung  eine  gar  verschiedene. 
Der  Nation  gegenüber  sprechen  die  Deputierten  von  Opfern  aus 
Dankbarkeit;  dem  engeren  Kreise  ihrer  Mitbürger  raten  sie 
solche  an,  da  eine  Umgehung  unendlich  mühevoll,  Widerstand 
unmöglich  sei.  Der  Nation  versprechen  sie  alle  Opfer,  die  in 
der  Macht  der  Strassburger  seien;  diesen  raten  sie  dazu,  indem 
sie  ihnen  ihre  Ohnmacht  der  Nation  gegenüber  vor  Augen  führen. 
Der  Nation  beteuern  sie  volles  Zutrauen  in  den  von  ihr  zu  er- 
wartenden Schutz  der  teuersten  Interessen,  dem  Magistrat 
gegenüber  nennen  sie  die  Opfer  teilweise  schmerzlich  und 
schädlich. 

Es  ist  klar,  und  die  Deputierten  deuten  es  den  Repräsen- 
tanten selbst  an,  dass  diese  Note  nur  ein  diplomatisches  Schrift- 
stück war,  womit  sie  den  Eindruck  abzuschwächen  suchten, 
den  ihr  vereinzeltes,  ablehnendes  Verhalten  in  der  allgemeinen 
Begeisterung  verursacht  hatte,  nachdem  einer  der  Elsässer, 
wahrscheinlich  der  radikale  Abgeordnete  von  Colmar  und  Schlett- 
stadt,  Reu  bei,  erklärt  hatte:»  «In  diesem  Augenblick  auf 
die  Vorrechte  seiner  Provinz  Verzicht  leisten,  hat  wenig  Wert, 
denn  es  heisst  sich  den  Franzosen  inniger  verschmelzen.  Dieser 
Name  ist  nun  der  schönste,  den  man  tragen  kann.»  Wie 
wenig  damit  Türckheim  übereinstimmte,  zeigt  die  Folge  genug- 
sam. Eigentümlich  aber  berührt  der  auffallende  Unterschied 
zwischen  den  beiden  Briefen  an  den  Magistrat  und  an  die  Re- 
präsentanten. Es  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  der  Letztere  nicht 
ohne  Vorsicht  abgefasst  ist,  die  sich  schon  kundgiebtin  der  Kürze 
und  in  der  Nüchternheit  der  Fassung  gegenüber  dem  alle  Ein- 
zelheiten enthaltenden  Schreiben  an  den  Magistrat,  in  seinem 
vertraulichen  und  rückhaltlos  die  Erregung  der  Absender  dar- 
legenden Ton.  Es  ist,  als  halten  sie,  völlig  im  klaren  über 
die  ablehnende  Gesinnung  des  Magistrats,  der  Wirkung  auf  die 
Masse  der  Bürger  nicht  recht  getraut,  und  befürchtet,  ihnen 
durch  eine  ungünstige  Kritik  der  Nationalbeschlüsse  zu  miss- 
fallen. Anders  kann  man  es  sich  kaum  erklären,  dass  sie  nur 
dem  Magistrat  von  der  möglicherweise  schädlichen  Wirkung 


1  Vgl.  Moniteur  Band  I.  Nr.  35.,  vom  5.  August,  und  Rath- 
geber  a.  a.  O.  S.  217  fg. 


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-   104  — 

der  Beschlüsse  für  die  Provinz  Erwähnung  thun,  den  Reprä- 
sentanten gegenüber  jedoch  den  4.  August  als  glücklichen  Zeit- 
punkt rühmen  ;  dass  sie  die  Opferfreudigkeit  dort  als  unfasslich, 
als  Rausch,  als  grenzenloses  patriotisches  Delirium,  hier  als  den 
edelsten  und  lobenswertesten  Patriotismus  schildern ;  dass  sie 
ihrem  eigenen  Gefühl,  dem  Magistrat  gegenüber  als  Bestürzung 
in  dem  hochkritischen  Augenblick  bezeichnet,  den  Repräsen- 
tanten als  Bedauern  über  ihr  eingeschränktes  Beschlussrecht 
schildern ;  dass  sie  dort  gestehen,  ihre  Zurückhaltung  möchte 
von  den  Clubs  übel  vermerkt  werden,  während  sie  den  Reprä- 
sentanten ihre  Beschämung  darüber  anzudeuten  scheinen  ;  dass 
sie  endlich  dem  Magistrat  klagen,  Frankreich  werde  auf  Privi- 
legien wohl  keine  Rücksicht  mehr  nehmen,  während  sie  den 
Repräsentanten  versichern,  sie  haben  alle  Gefühle  der  anderen 
Abgeordneten  geteilt. 

Wenn  die  Repräsentanten  nun  auch  nicht  in  die  grosse 
Heerstrasse  der  begeisterten  Patrioten  einlenkten,  so  nahmen 
sie  doch  im  Sinne  der  Bürgerschaft  einen  kräftigen  Anlauf  auf 
deren  eigenem  Wege,  wobei  das  nächste  Hindernis  die  XVer 
Kammer  war:  man  verlangte  dringend  ihre  Abschaffung.  — 
Was  half  dem  Magistrat  noch  reifliche  Ueberlegung,  wozu  die 
Deputierten  Helen?  Geleitet  und  bevormundet  durch  die  Re- 
präsentanten und  in  seinen  Handlungen  eingeschränkt  durch 
die  Vierzig,  hatle  er  die  letzten  Tage  hingebracht.  Als  er  am 
10.  August  zu  einer  ausserordentlichen  Versammlung  zusammen- 
trat, und  man  bemerkte,  dass  mehrere  Zünfte  auf  der  Ent- 
lassung der  XVer  Kammer  bestehen,  da  fassten  die  gnädig 
gebietenden  Herren  des  Beständigen  Regiments  «den  edlen  patri- 
otischen Entschluss,  sämtlich  ihre  Demission  freiwillig  zu 
geben»,  und  der  Gemeinde  einen  Magistrat  zu  verschaffen, 
dessen  Mitglieder  vor  allem  nach  den  Grundsätzen  der  National- 
versammlung frei  gewählt  seien. 

Dietrich  teille  es  noch  am  nämlichen  Abend  den  Repräsen- 
tanten mit,  die  es  «heftig  gerührt»  entgegennahmen,  und  so 
sehr  unter  dem  Eindruck  des  Ereignisses  standen,  dass  «an- 
fänglich eine  tiefe  Stille»  unter  ihnen  herrschte,  bis  sie  «in  ein 
lautes  Freudengeschrei  über  ein  so  edelmütiges  Betragen»  aus- 
brachen. Doch  schien  ihnen  bald  das  Opfer,  das  sie  entgegen- 
nahmen, noch  zu  gering.  Sie  verlangten  auch  noch  die  Ent- 
lassung der  Ratsherren  und  der  Schöffen.     Wohl  oder  übel 


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—    105  — 


sah  sich  nun  auch  Dietrich  veranlasst,  sein  Amt  niederzulegen. 
Doch  wurde  er  dringendst  ersucht,  davon  abzustehen,  und  in 
dieser  kritischen  Lage  die  Bürger  mit  seinem  Rat  zu  unter- 
stützen.1 Am  folgenden  Tage  legten  denn  auch  die  Ratsherren  ihre 
Aemter  nieder,  und  forderten  die  Schöffen  ebenfalls  dazu  auf. 
Als  die  einzelnen  Kollegien  es  vernommen,8  versammelten  sie  sich 
noch  Nachmittags  auf  dem  «Spiegel»,  nachdem,  wie  der  Bericht 
sagt,  die  traurige  Nachricht  vom  Verzicht  der  Deputierten  auf 
die  Privilegien  und  von  der  Entlassung  des  Magistrats  einge- 
troffen war. 

Von  300  waren  238  anwesend.  Als  man  aber  zur  Ab- 
stimmung schritt,  zeigte  es  sich,  dass  nur  ein  Teil  der  Schöffen 
von  dem  Hauch  der  neuen  Zeit  erfasst  worden  war ;  andere 
weigerten  sich  ihre  Entlassung  zu  nehmen,  wenn  nicht  der 
König  oder  die  Nationalversammlung  es  befehlen.3  Wieder 
andere  bestanden  auf  der  Gesetzlichkeit  ihrer  Wahl,  und  wollten 
nur  von  den  Zünften  selbst  entlassen  werden.  Diese  Ansicht 
gewann  die  Oberhand.  Der  einhellige  Wunsch  aller  Zünfte 
(12.  August)  ging  auf  Erneuerung  der  Scb offen kollegien.  Nur 
die  Schneider  wollten  die  Entscheidung  der  Nationalversammlung 
abwarten.* 

Damit  war  auch  die  letzte  Körperschaft  der  300jährigen 
Verfassung  gefallen,  an  demselben  Tage,  wo  in  Versailles  das 
Dekret  über  die  Abschaffung  der  Privilegien  verfasst  wurde. 
Die  Abdankung  «erregle  grosse  Freude  in  den  mittleren  und 
niederen  Regionen  der  Bevölkerung,  und  unter  den  französischen 


1  Man  legte  ihm  diese  angebotene  Aufgabe  seines  Amtes  viel- 
fach als  einen  diplomatischen  Kunstgriff  aus;  z.  B.  Ströbele  Bericht 
vom  13.  August:  «welches  vermutlich  zum  Schein  geschehen.» 

2  Vgl.  Schöffenmemoriale  vom  11.  Aug. 

3  Bemerkenswert  ist  die  Aeusserung  Eichrodts  im  Bericht  vom 
13.  August:  Die  Motion  der  Zunft  zum  Spiegel,  «wo  die  wenigsten 
evangelisch,  die  meisten  Franzosen  sind»,  halte  Dietrich  (den 
er  persönlich  gesprochen),  für  sehr  gefährlich,  und  hoffe,  dass  sie 
zurückgenommen  werde.  «Er  sagte  uns  ganz  offenherzig,  dass  er 
täglich  und  stündlich  noch  ärgere  und  unglücklichere  Auftritte  be- 
fürchtete, als  die  bisherigen  waren,  indem  die  neue  Verfassung  .  .  . 
schwer  Eingang  finde.»  «Ueberhaupt  wird  die  Religion  stark  in's 
Spiel  gezogen». 

4  Auch  das  Komite  der  Bürgerwache  legte  seine  Aemter  nieder, 
wurde  aber  aufgefordert,  vorderhand  noch  seine  Thätigkeit  fortzu- 
setzen. 


< 


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—    106  — 


Beamten  .  .  .  Allerdings  gab  es  manche  Leute  in  den  höheren 
Klassen  der  Bürgerschaft,  denen  jene  Entsagungen  ein  Aergernis 
waren,  und  die  sie  als  Vorboten  des  völligen  Sturzes  der  alten 
Verfassung  betrachteten.»1 

Am  13.  und  14.  gingen  die  ersten  Neuwahlen  vor  sich. 
In  jeder  Zunft  erwählten  45  Wahlmänner  15  Schöffen  nach 
dem  Grundsatz  der  Alternative,  die  Rechtsgelehrten  ausge- 
schlossen, in  geheimer  Abstimmung.  In  einer  allgemeinen 
Abendversammlung  unter  Dietrichs  Vorsitz  wurden  diese  Wahlen 
bestätigt.  Unter  den  Gewählten  befanden  sich  Ammeister 
Poirol,  Fischer,  Ditterieh,  Mathieu,  L.  Zäpffel,  Metzler.  An  sie 
gingen  nunmehr  die  Befugnisse  der  126  Repräsentanten  über. 

Ganz  vermochte  man  sich  übrigens  von  der  gewohnten 
Ordnung  nicht  loszureissen ;  man  beschloss,  die  Dreier  des 
Pfennigturms,  des  Stalls  u.  a.  durch  Zumänner  von  derselben 
Zunft  und  Konfession  zu  besetzen,  wie  zuvor. 

Die  erste  Frage,  welche  die  Schöffen  beschäftigte,  betraf 
die  Unruhen  in  den  Stadtwaldungen  und  auf  den  Rheininseln, 
die  nach  der  Abschaffung  der  Privilegien  von  den  Umwohnern 
als  ihr  Eigentum  betrachtet  wurden.«  Auf  den  einzelnen  Stuben 
schritt  man  dann  zur  Wahl  der  Mitglieder  des  Grossen 
Rats.  Jedes  Schöffen  kollegium  wählte  Einen ;  es  befanden 
sich  darunter  M.  N.  Zäpffel,  der  Advokat  Levrault,  der  ehe- 
malige XVer  Flach,  Professor  Brackenhoffer.  Sodann  wählten 
sie  20  Constoffler,  von  denen  10  Ratsherren  wurden.  Die 
sämtlichen  ehemaligen  Stättmeister  ausser  Siegfried  von  Ober- 
kirch waren  darunter.  Um  10  Uhr  Abends  ward  der  neue 
Rat  als  rechtskräftig  anerkannt  und  bestätigt.  Trotz  der  vor- 
gerückten Stunde  schritt  man  noch  zur  Wahl  des  neuen  Am- 
meisters.  Die  Mehrzahl  der  Stimmen  fiel  auf  den  sehr  belieb- 
ten bisherigen  Ammeister  und  Ratsherrn  Franz  Xaver  Po  i  rot, 
der  unter  dem  allgemeinen  Reifall  der  Versammlung  somit  das 
Haupt  der  neuen  Obrigkeit  war. 

Diese  versammelte  sich  am  17.  August  auf  Dietrichs  Ver- 
anlassung zum  ersten  Mal  mit  den  Schöffen.  Poirot3  hielt  eine 


»  Vgl.  Strohe  1  V.  S  355. 

-  Auch  die  Jagdfreiheit  ward  von  den  Strassburgern,  die  darüber 
tungemein  frohlockten,>  seit  dein  10.  August  benutzt.  (Strobels  Be- 
richt vom  11.) 

3  Reuss,  l'Als.  S.  148  fg.  schreibt  diese  Rede  Dietrich  zu  und 


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—    107  — 


Rede,  <lie  sich  hauptsachlich  an  Letztere  wandte,  und  worin  er 
auf  die  Hoffnungen,  die  ein  Zusammenhalten  der  Bürger  und 
ihrer  frei  gewühlten  Richter  erweckte,  hinwies.  «Dieser  Tag,» 
rief  er  aus,  «verdient  hei  der  Nachkommenschaft  gefeiert  zu 
werden,  und  ich  hahe  die  Ehre,  Ihnen  vorzuschlagen,  dass 
jedes  Jahr  an  jenem  Tage,  dem  14.  August,  alle  Schöffen  sich 
vereinigen,  um  sein  Gedächtnis  zu  feiern.  Empfangen  Sie,» 
so  schloss  er,  «das  Zeugnis  meiner  lehhaften  Dankbarkeit  für 
das  Zeichen  des  Vertrauens,  welches  mir  von  meinen  Mithürgern 
zu  Teil  gewoden  ist.  Dieser  Tag  wird  niemals  aus  meinem 
Gedächtnis  entschwinden ;  er  ist  der  schönste  meines  Lehens.» 

Die  Wenigsten  wohl  dachten   zu  jener  Zeil,   dass  es  zur 
Feier  des  Eintrachlsfestes  niemals  kommen  werde. 

Der  hesondere  Hinweis  auf  die  Einigkeit  der  Bürger  mochte 
einer  tieferen  Bedeutung  nicht  enthehren.  Aus  zwei  fremden 
Quellen  *  nämlich  erfahren  wir  von  einer  sehr  ernsthaften 
Verstimmung  zwischen  Protestanten  und  Katholiken,  die  in 
den  verflossenen  Tagen  geherrscht  hatte.  Danach  hatten  «die 
katholischen  Einwohner  eine  Menge  geschriehener  Kartenhillets 
ausgeteilt,  dass  man  die  evangelischen  hei  Kirchgang  am  Sonn- 
tag [1(5.  August]  erkennen  könnte.  Man  fürchtete  sich  vor 
einer  Pariser  Bluthochzeit  im  Kleinen.»  Der  Weihhischof  er- 
fuhr es  aber  hei  Zeiten,  und  veranlasste  den  Chef  des  evange- 
lischen Konsistoriums  zu  einer  gemeinsamen  Rundfahrt  durch 
die  Strassen,  was  «dem  Volk  anzudeuten  schien  :  All'  Fehd' 
hat  nun  ein  Ende.»  —  «Um  aher  den  unglücklichen  Streich 
mit  Sicherheit  abzuwenden,  brachten  die  neu  erwählten  evan- 
gelischen Ratsherren  das  Opfer,  der  am  15.  stattfindenden 
königlichen  Prozession  persönlich  anzuwohnen,»  was  noch  nie 
geschehen  war.  «Auch  sind  die  sturmschlagenden  Kontrovers- 
predigten, die  bisher  alle  Sonntag  im  Münster  gehalten  wurden, 
auf  immer  abgestellt  worden.» 


sagt  tS.  151.  Anm.),  Engelhardt  habe  sie  irriger  Weise  Poirot  in 
den  Mund  gelegt.  Engelhardt  hat  dennoch  Recht.  Nicht  nur  der  In- 
halt der  Rede  passt  nicht  für  Dietrich  ;  es  geht  auch  aus  mehreren 
Stellen  des  Schöffenmemorials  (19.  u.  21.  August),  sowie  aus  der 
<Frühpost>  vom  1*.  August,  3.  Blatt,  wo  diese  Rede  deutsch  ge- 
druckt ist,  hervor,  dass  der  Ammeister  sie  gehalten  hat. 

1  Sc  hu  hart  a.  a.  O.  S.  602  und  Eichrodts  Bericht  vom 
17.  August,  nach  persönlicher  Erkundigung  in  Strassburg  geschildert. 


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—    108  — 


Als  diese  Gefahr  vorüber  war  und  ehe  die  regelmässige 
Thätigkeit  der  Obrigkeit  wieder  begann,  beschäftigte  vor  allem  zwei- 
erlei dieVersammlung  der  Schöffen  und  des  Rats :  die  Stellung  der 
Stadt  zu  den  Beschlüssen  des  4.  August,  die  wir  weiter  unten 
im  Zusammenhang  betrachten  werden,  und  die  Herstellung  der 
obrigkeitlichen  Verwaltung  in  neuer  Form. 

Begreiilicherweise  machte  sich  nach  der  Entlassung  der 
drei  alten  Kammern  bald  ein  Stillstand  des  ganzen  öffentlichen 
Lebens  geltend,  der  zu  schleuniger  Abhilfe  drängte.  Aus  den 
Schöffen  wurde  daher  ein  Ausschuss  von  40  Mitgliedern 
zur  Neugestaltung  der  Verwaltungsform  eingesetzt,  der  am 
20.  August  Bericht  erstattete.  Dietrich  erschien  dabei  nicht, 
um  die  Freiheit  der  Beratungen  nicht  zu  stören,  was  sehr 
überflüssig,  ja  ungerechtfertigt  erscheint,  da  ihm  der  König 
befohlen  hatte,  sich  «mit  allen  die  Verwaltung  der  Stadt  Strass- 
burg  betreffenden  Angelegenheiten  zu  befassen».  Wenn  irgend 
einer,  so  verlangte  dieser  Zeitpunkt  seine  Anwesenheit.  So 
aber  verdarb  er  es  mit  niemand  und  brauchte  seine  eigene 
Ansicht  nicht  zu  äussern. 

Die  40  in  der  Verwaltungsfrage  Beratenden  meinten,  «dass 
nur  einige  den  französischen  Formen  sich  nähernden  Ab- 
änderungen anzubringen  sein  werden,  um  das  Wesentliche  der 
Verfassung  in  demselben  Geist  darzustellen,  der  die  National- 
versammlung bei  der  Abfassung  einer  allgemeinen  Konstitution 
beseelt».  —  Provisorisch  wurden  zunächst  mehrere  Behörden 
zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung,  auch  ein  neuer  Ausschuss 
für  die  Bürgerwache,  eingesetzt.  Fernerhin  aber  hemmte  die 
Ungewissheit  über  den  Umfang  der  von  der  Nationalversamm- 
lung beabsichtigten  Aenderungen  «fast  bei  jedem  Schritt». 

Doch  Hessen  die  Schöffen  sich  nicht  verblüffen.1  Am  26. 
legten  die  40  ihren  Plan  vor  und  hatten  die  Genugthuung,  ihn 
nach  warmer  Befürwortung  durch  die  Generaladvokaten  fast 
einstimmig  angenommen  zu  sehen,  wenn  auch  nicht  ohne  Ver- 
einfachungen und  wenn  man  auch  das  ganze  im  Hinblick  auf  die 
noch  unbestimmten  Wandlungen  in  Frankreich  nur  dem  Prinzip 
nach  als   feststehend,    in   der   Ausführung  als   vorläufig  be- 


1  Vgl.  Schreiben  der  Schöffen  an  die  Deputierten  (Schöffenmemo- 
riale  vom  20.  Augast)  sowie  das  des  Magistrats  (Entwurf  St.-A.  AA 
200 i)  vom  31.  August;  teilweise  mitgeteilt  in  Anhang  Nr.  18. 


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—    409  — 


trachtete.  Immerhin  schritt  man  zur  Wahl  der  neuen  Magistrate, 
nachdem  schon  am  20.  die  neuen  Stättmeister  gewählt  und 
Johann  von  Dietrich  unter  allgemeinem  Beifall  in  seiner  Würde 
als  Ehrenstättmeister  mit  Sitz  und  Stimme  in  allen  Kammern 
erneuert  worden  war.  Nur  der  Baron  von  Berstett,  als  Ersatz 
für  Siegfried  von  Oberkirch,  trat  neu  ein.  Er  war  der  349. 
und  letzte  Stättmeister  Strassburgs.  Unter  den  Konstofflern 
befanden  sich  zwei,  unter  den  Zünftigen  nicht  weniger  als 
neun  Mitglieder  des  früheren  Beständigen  Regiments,  wovon 
hervorzuheben  sind  der  ehemalige  XVer  und  Oberherr  der 
Bäckerzunft,  Dorsner,1  und  vor  allem  der  Abgeordnete  TOrck- 
heim,  dem  es  der  Magistrat  mit  besonderer  Genugthuung  mit- 
teilte.» 

«Ohne  uns,  schrieb  der  Magistrat  weiterhin,  von  den 
Grundlagen  des  alten  Gefüges  zu  entfernen,  das  in  so  vieler 
Hinsicht  unsere  Achtung  verdient,  glauben  wir  den  rich- 
tigen Mittelweg  eingeschlagen  zu  haben,  indem  wir  zu  jeder 
Abteilung  der  öffentlichen  Verwaltung  gesetzliche  Repräsentanten 
gefugt  haben,  absetzbare  Mitglieder,  immer  in  grösserer  An- 
zahl als  die  der  Beständigen,  vom  Staat  für  die  einzelnen  Ge- 
schäfte jener  Abtheilungen  bestimmten.» 

So  suchte  man  den  Eindruck  abzuschwächen,  den  das  (für  die 
Ordnung  in  der  Stadt  allerdings  gebotene)  eigenmächtige  Vor- 
gehen erwecken  konnte.  Zwar  war  es  durch  Artikel  IV  der 
Kapitulation  berechtigt,  aber  bei  der  opferbereiten  Stimmung 
in  Paris  und  Versailles  konnte  es  dennoch  die  Missbilligung 
der  Nationalversammlung  erregen.  Besonders  der  Antrag  vom 
17.  August,  den  Richtern  nur  die  Rechte  von  Friedensrichtern 


»  Vgl.  oben  S.  83. 

2  Vgl.  Anhang  Nr.  18.  —  Unter  den  Adeligen  war  ein  gewisser 
Baron  Eckbrecht  von  Dürckheim  zum  Ratsherrn  vorgeschlagen  wor- 
den, dankte  jedoch  in  einem  bei  Reuss  (l'Als.  S.  162)  abgedruckten 
Brief  aus  Rücksicht  auf  Familienangelegenheiten.  Reuss  bemerkt  dazu : 
«Nou8  ignorons  de  quel  personnage  politique  emane  cette  lettre  etc.» 
Vgl.  Schöffenmem.  vom  2.  Sept :  Dietrich  sagt  «dass,  (obwohl)  bis- 
hero  nicht  erforderlich  war,  dass  die  adeligen  Ratsglieder  allhier 
wohnhaft  und  gegenwärtig  sein  mussten. . .  »  .  —  Dürckheim  brauchte 
also  nicht  in  Strassbnrg  wohnhaft  gewesen  zu  sein,  und  sein  Hin- 
weis auf  frühere  Zugehörigkeit  zum  Magistrat  macht  es  zweifellos, 
dass  der  von  Muller  a.  a.  0.  S.  138.  erwähnte  «Chretien-Frederic» 
gemeint  war. 


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zu  belassen,  war  für  die  verfassungsmässige  Gerichtsbarkeit  der 
Stadt  gefahrdrohend.1 

Der  neue  Magistrat  nun  stellte  sich  folgendermassen  dar.2 
Wie  bisher  im  Grossen  Rat  war  das  Verhältnis  der  ade- 
ligen zu  den  börgerlichen   Mitgliedern  aller  neuen  Behörden 
wie  1  :  2.  Das  neue  Justizkollegium  war  in  zwei  Kammern  ge- 
schieden, wovon  in  der  ersten  der  regierende,  in  der  zweiten 
der  letztabgegangene  Ammeister  den  Vorsitz  hatte.  Diesmal 
war  Türckheim  zum  Leiter  der  zweiten  gewählt  worden.  «Jede 
von  den  20  Zünften,  sagt  er,  wird  im  Justizrat  durch  ihren 
Ratsherrn  vorgestellt.  Dies  ist  also  ein  wahres  Tribunal  von 
Pairs,  das  nach  den  allgemeinen  Grundsätzen  der  französischen 
Nation  eingerichtet  ist.»  Vier  Generaladvokaten  waren  als  Be- 
rater stets  bei  den  Verhandlungen  zugegen,  und  gaben  ihr  ge- 
wichtiges Gutachten  ab.  —  Die  erste  der  Justizkammern  behielt 
die  Hauptgeschäfte  des  bisherigen  Grossen  Rats.  Ihre  10  bürger- 
lichen Beisitzer  waren  meist  Rechtsgelehrte,  wie  denn  über- 
haupt eine  regelmässige  Verteilung  geübter  Rechtskundiger 
unter  die  einzelnen  Behörden  dem  allgemeinen  Wunsch  ent- 
sprach. — 

Der  zweiten  Kammer  wurden  alle  Befugnisse  des  Kleinen 
Rats  zugewiesen.  Ausserdem  war  sie  Berufungsinstanz  gegen  die 
Zunftgerichte,  anstatt  der  bisherigen  XVer  Kammer.  Bei  Todes- 
urteilen sollten  beide  Kammern  zusammentreten ;  denn  auch 
das  Recht  «des  höchsten  Urteils»  wollte  man  sich  wahren. 

«Das  Munizipal-Corps  der  Stadt»  sagt  Türckheim,  «welches 
die  Polizei  und  die  Finanzen  dieser  alten  Republik  verwaltet, 
besteht  aus  dreissig  beständigen  Verwaltern ;  aus  den 
zwanzig  zweijährigen  Zumännern,  ohne  deren  Mitwissen  über 
kein  wichtiges  Geschäft  beratschlagt  werden  kann».  Es  zerfiel 
in  3  Kammern,  deren  jede  wieder  ebensoviele  Unterabteilungen 
erhielt. 

Die  erste,  die  eigentliche  Verwaltungskammer,  erhielt  die 
Befugnisse  der  Xlller.    Als  besondere  Abteilungen  hatte  sie 


1  Antrag  Bergasse  Vgl.  Arch.  pari  VIII.  S.  440  fg  Moniteur 

I.  S  340fg. 

*  Vgl  Almanach  1789/90  a.  a.  0.  S.  22fg.  Der  Text  ist  ent- 
nommen aus  Türckheim,  a.  a.  0.  S.  109 fg.,  w.  s.  Ferner  vgl. 
Anhang  Nr.  18. 


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—    114  — 


unter  sich  die  Kanzlei,  das  Archiv,  die  Kontraktstube,  sowie  die 
Notare  und  die  Leitung  der  städtischen  Prozesse,  ferner  die 
Aufsicht  über  die  geistlichen   Stiftungen  und  die  Universität. 

Die  zweite  war  die  Polizeikammer,  die  sich  vom  Polizei- 
gericht unterschied,  das  nur  in  Streitsachen  zu  entscheiden 
hatte.  Ihr  unterstand  u.  a.  die  Beaufsichtigung  der  Lebens- 
mittelpreise und  der  öffentlichen  Sicherheit. 

Die  dritte  endlich  war  die  Finanzkammer,  die  auch  das 
Bau-  und  Forstwesen  besorgte. 

Von  den  18  bürgerlichen  Beisitzern  der  drei  Kammern 
waren  44  Gelehrte,  2  Kaufleute  und  4  Handwerker.  Sie  hiessen 
«beständige  Räte»,  und  wurden  nicht  mehr  als  «Gnädig  ge- 
bietende», sondern  als  «Meine  Herren»  angeredet.  Von  den 
Schöffen  gewählt,  wurden  sie  vom  Magistrat  den  verschiedenen 
Abteilungen  zugewiesen.  Rat  und  Kammern  vereinigt  bildeten 
den  Grossen  Rat,  wo  wichtigere  Geschäfte  verhandelt  und  be- 
stätigt wurden.»  —  Die  Schöffen  versammelten  sich  viertel- 
jährlich zur  Entgegennahme  der  Rechenschaftsablage  und  Prüfung 
des  Kassenbestands.  In  ausserordentlichen  Geschäften  von  be- 
sonderem Gewicht  sollten  die  300  Schöffen  jedoch  ebenfalls 
versammelt  werden,  um  mit  zu  entscheiden,  —  die  «Versamm- 
lung des  Rats  und  der  Schöffen».  —  Von  den  Schöffen  erhielt 
jede  Kommission  einige  Zumänner,  je  auf  2  Jahre  ernannt.  Dies 
war  der  Ausschuss  der  40,  den  das  Besch werdenheft  verlangte. 

Er  sollte  zugleich  ein  Ersatz  dafür  sein,  dass  man  sich  im 
übrigen  nicht  zu  der  in  Frankreich  geforderten  kurzen  Amts- 
dauer der  Beamten  verstand.  Dies  begründete  Türckheim  damit,2 
dass  eine  so  grosse  Stadt,  wie  Strassburg,  es  vermeiden  müsse, 
wohlhabende  Leute,  die  eine  vorübergehende  Aemterbekleidung 
für  standesgemäss  hielten,  in  die  Verwaltung  aufzunehmen ; 
dass  es  vielmehr  nötig  sei,  «dem  rechtschaffenen  Mann,  der  auf 
jeden  anderen  Stand  Verzicht  thut,  um  sich  ganz  der  öffent- 
lichen Verwaltung  zu  widmen,  eine  gewisse  Aussicht  zu  eröffnen, 
die  nicht  von  der  Volkslaune  abhängt.» 


»  Die  Eingangsforrael  der  Verordnungen  lautete  nunmehr:  «Wir 
der  Meister  und  der  gesamte  Rath  der  Stadt  Strassburg  nebst  Unse- 
ren Freunden,  den  bestandigen  Rathen,  Urkunden  hiemit ...» 

2  a.  a.  0.  S.  116  fg.  Teilweise  nahm  er  hier  wörtlich  den  Brief 
des  Magistrats  Anhang  Nr.  18  auf. 


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I 


-  na  — 

Was  der  französischen  Regierung  am  meisten  einleuchten 
musste,  war  die  Verringerung  der  Aemter.  Die  Dreier  des 
Pfennigturmes  u.  s.  w.  sowie  die  ganze  Unmenge  der  ständigen 
Kommissionen  und  Deputationen  war  nun  weggefallen.  Auch  die 
Vergütungen  an  Naturalien,  die  bis  dahin  jeder  Ratsherr  er- 
halten, wurden  abgeschafft  und  feste  Besoldung  eingeführt. 
Der  Herstellung  des  Cliquenwesens  suchte  man  durch  die 
Anordnung  zu  steuern,  dass  nahe  Verwandte  nicht  mehr  in  der- 
selben Zunft  Schöffen  sein  durften. i  Nicht  mehr  nach  der 
Herkunft,  sondern  nach  dem  Verdienst  sollte  belohnt  werden.  Wer 
10  Jahre  beständiger  Ratsherr  gewesen,  dem  wurde  das  Gehalt 
um  ein  Viertel  (d.  h.  um  500  Livres),  nach  20  Jahren  abermals 
um  ein  Viertel,  und  zwar  auf  Lebenszeit,  erhöht.* 

Im  Grunde  war  es  der  alte  Magistrat  geblieben,  ohne  die 
alten  Namen  der  Kammern.  Eine  Annäherung  war  eigentlich 
nur  in  der  freien  Wahl  der  Magistrate  zu  erblicken,  die  aber 
nicht  sowohl  auf  den  4.  August,  als  auf  das  ßeschwerdenheft,  bzw. 
die  Stadtverfassung  zurückging.  Fischer  liess  sich  in  einem 
Gutachten  folgendermassen  über  die  Neuerung  aus :  «Absonder- 
ung der  gesetzgebenden,  richterlichen  und  exekutorischen  Gewalt 
sichert  für  die  Zukunft  hinlänglich  die  durch  deren  Vereinigung 
bedrohte  bürgerliche  Freiheit.» 

Waren  es  auch  die  der  geforderten  Einförmigkeit  wider- 
sprechenden Privilegien,  worauf  die  Selbständigkeit  der  Ver- 
waltung nach  wie  vor  beruhen  sollle,  so  suchte  man  in  Strassburg 
diesen  verderblichen  Kern  mit  einer  Hülle  opferwilligen  Ent- 
gegenkommens zu  umgeben  ;  und  was  die  Bürgerschaft  von  sich 
aus  gewollt,  das  wurde  nun  als  Hingabe  an  den  Willen  der 
Nution  dargestellt.  Viel  fehlte,  dass  dies  der  Wahrheit  ent- 
sprochen hätte  :  aus  der  AngrifTsstellung  gegen  den  Magistrat, 
aus  der  Revolution,  die  in  Strassburg  seit  der  Vereidigung  des 


1  Bald  zeigte  es  sich  jedoch,  dass  die  Vereinfachung  bei  der 
Menge  der  Geschäfte  unzweckmässig  war.  Am  2.  November  war  da- 
her ein  Ausschuss  von  20  Schöffen  eingesetzt,  um  die  Anträge  für 
die  Versammlungen  mit  Unterstützung  von  Ratsherren  vorzube- 
reiten 

2  Schöffenmem.  vom  26.  August.  Den  nicht  wiedergewählten 
Mitgliedern  des  alten  Regiments  wurde  auf  Anregung  La  Tour  du 
Pin's  eine  Pension  bewilligt.  Vgl.  über  die  früheren  Bezüge  Muller, 
a.  a.  0.  S.  19  fg. 


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-   113  — 

neuen  Regiments  auf  die  Nation,  den  König  und  die  Gesetze 
eigentlich  gegenstandslos  geworden  war,  traten  die  Bürger  in 
die  Verteidigung  ein  gegen  die  Beschlüsse  der  Nationalver- 
sammlung. 


Die  Bürgerwache.  —  Die  Getreide-  und  Geldnot.  — 
Der  Ausschuss  der  Vierzig. 

Ehe  wir  den  Todeskampf  des  kaum  geborenen  Verwaltungs- 
körpers  verfolgen,  haben  wir  einige  innere  Vorgänge  der  Stadt 
zu  betrachten,  deren  Keim,  soweit  sie  nicht  wirtschaftlicher 
Natur  waren,  noch  in  den  Julitagen  wurzelte.  Sie  sind  zwar 
z.  Tl.  nicht  rein  politischen  Charakters,  dürften  aber  doch,  kurz- 
weg übergangen,  in  dieser  zusammenhängenden  Darstellung 
vermisst  werden. 

Am  20.  August  fand  auf  dem  Paradeplatz  die  feierliche 
Vereidigung  der  Truppen  und  Offiziere  statt.*  Ne- 
ben einer  unzähligen  Menge  wohnte  der  Magistrat,  mit  der 
Kokarde  geschmückt,  dem  Schauspiel  bei,  dessen  Farbenpracht 
die  adeligen  Ratsherren  in  ihren  weissen,  goldverbrämten  Mänteln 
und  bunten  Gewändern  vermehrten.  Drei  Stunden  dauerte  der 
Akt,  der  alle  Herzen  mit  dem  Gefühl  errungener  Freiheit  erfüllte. 
Es  herrschte  die  feierlichste  Stille,  während  nach  einer  kurzen 
Ansprache  Klinglin's  die  Fahnen  sich  beugten  und  von  den 
Truppen  die  vorgeschriebene  Eidesformel  nachgesprochen  wurde, 
von  den  Regimentern  «Hessen»  und  «Elsass»  in  deutscher  Sprache. 
«Wenn  man,  schrieb  dazu  die  Privilegierte  Zeitung,«  die  Truppen 
seither  als  die  Werkzeuge  des  Despotismus  angesehen  hat,  so 
ist  jetzt  jede  Furcht  verschwunden,  das  engste  Band  vereinigt 
nun  Bürger  und  Soldaten,  Stadt  und  Magistrat,  und  alle  ar- 
beiten nunmehr  mit  vereinten  Kräften  auf  denselben  Zweck  los : 
die  Ruhe  und  Sicherheit  aller  Einwohner.» 

Zur  Erreichung  dieses  Zieles  sah  sich  die  Obrigkeit  zu  um- 
fassenden Massregeln  genötigt.    Seit  der  Entleerung  der  Gefang- 


1  Ruh  Ts  Bericht  vom  21.  August.  Vgl.  auch  weiteres  bei 
Strohe  1.  V.  S.  360. 

s  100.  Stück  vom  21.  August. 

8 


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—   114  - 


nisse  bemerkte  man  mehr  Gesindel  in  der  Stadt,  als  angenehm 
war.  Daher  schlug  Fischer  eine  Haussuchung  im  grossen 
Masstab  vor.  Jede  Zunft  stellte  18  Mann,  die  Stadt  war  in 
10  Kantone  eingeteilt.  Das  Ergebnis  (31.  August)  war  aber 
ganz  unbedeutend.  —  Dauernde  Aufsicht  wurde  dann  durch 
die  Bürge  r'wa  che  geübt.  Schon  aber  bedurfte  sie  festeren 
Zusammenhalts  und  bestimmterer  Leitung,  denn  seit  Anfang 
September  war  der  erste  Eifer  für  den  beschwerlichen  und 
zeitraubenden  Dienst  merklich  erschlafft,»  und  die  Mannszucht 
begann  sich  zu  lockern.  Es  wurde  daher  ein  neuer  Plan  aus- 
gearbeitet, wonach  alle  Einwohner  der  Stadt,  auch  die  Schirmer 
und  Privilegierten,  im  Alter  von  18  bis  50  Jahren  nach  fest- 
gesetzter Reihenfolge  Wachtdienste  zu  thun  hatten. 2  Weitläufige 
Verhandlungen  hatte  die  Frage  der  Bewaffnung  im  Gefolge,  da 
man  in  Paris  Misstrauen  in  die  Bewehrung  der  Einwohner  einer 
Grenzfestung  setzte,  besonders  da  der  Minister  nicht  ohne  that- 
sächliche  Begründung  von  neuen  drohenden  Gefahren  daselbst 
benachrichtigt  worden  war.  Aber  auf  die  Verantwortung  der 
Offiziere  hin  ward  Rochambeau  schliesslich  ermächtigt,  zuver- 
lässigen Bürgern  Gewehre  zu  übergeben.  Am  26.  November 
fand  sodann  die  Vereidigung  der  Bürgergarde  in  die  Hand  des 
Stättmeisters  von  Neuenstein  statt. 

Indem  man  sich  so  bemühte,  die  Ruhe  äusserlich  zu  festigen, 
schien  alles  auf  völlige  Zerrüttung  der  Stadtfinanzen  hinzu- 
drängen. Von  vielen  Seiten  liefen  Forderungen  ein,  die  auf 
Kosten  der  Stadtkassen  bewilligt  werden  mussten.  Die  Schiffer- 
knechte drohten  mit  Auswanderung,  falls  die  verlangte  Erhöhung 
des  Lohnes  und  der  Frachtsätze  abgeschlagen  werde.  Die 
Metzger  benützen  die  Machtlosigkeit  des  Magistrats  und 
setzten  die  Vergütung  des  beim  Brand  des  Unschlittmagazins 
erlittenen  Schadens  durch,  noch  ehe  der  Prozess  zu  Ende  ge- 
bracht war. 


1  Vgl.  Gesamten  Raths  Protokoll  vom  9.  September. 

2  Aasführ  lieh  schildert  die  Neuordnung  Strobel  V.  S.  385  fg. 
Vgl.  auch  So  hoff  enmemoriale  vom  2.  Nov.  und  Reuss,  TAls. 
S.  216.  240. 

Vor  Jahresschluss  erst  traf  die  Entscheidung  aus  Paris  ein, 
die  der  Stadt  Recht  gab,  und  die  Metzger  anwies,  sich  mit  einer 
früher  angebotenen  Entschädigung  für  einen  Teil  des  Materials  za 

begnügen. 


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—    115  — 


Drückender  aber  war  der  andauernd  hohe  Preis  des  Ge- 
treides, der  den  Magistrat  unausgesetzt  auf  Mittel  sinnen  hiess, 
die  Backer  nicht  zu  entmutigen  oder  zu  erbittern.  Schon  am 
21.  August  betrug  der  mittlere  Preis  des  Viertels  Weizen  22  Livres, 
der  höchste  26  Livres,  obwohl  die  Stadt  600  Viertel  aus  ihren 
Speichern  zu  19  Livres  auf  den  Markt  gebracht  hatte.»  Am 
30.  Oktober  aber  war  der  mittlere  Preis  gar  auf  30  Livres 
12Sols  gestiegen.8  Für  jedes  Viertel,  das  die  Bäcker  zu  19  Livres 
kauften,  erhielten  sie  noch  eine  Entschädigung  von  40  Sols.  — 
Die  Verluste  aus  der  Aufgabe  von  Octroi  und  Accise  wurden 
schliesslich  auf  mehr  als  60  000  Livres  berechnet.  Wie  zu 
Anfang  des  Jahres,  ward  auch  jetzt  das  Backen  von  Milch-  u. 
Eierbrot  untersagt,  die  Bevölkerung  selbst  verlangte  es,  um  das 
Mehl  zu  sparen. 

Solche  Ausgaben  konnten  die  Kassen  naturlich  auf  die  Dauer 
nicht  ertragen,  und  dazu  kam  die  begreiflicherweise  erregte 
Stimmung  der  Einwohnerschaft,  die  sich  in  der  charakteristi- 
schen Anschuldigung  kund  that,  der  jüdische  Händler  Bär  habe 
dem  Magistrat  die  Lieferung  von  Getreide  zu  16  Livres  ange- 
boten und  es  stehe  nur  beim  guten  Willen  der  Obrigkeit,  das 
Brot  wohlfeiler  zu  machen.  Es  bedurfte  einer  schriftlichen  Er- 
klärung Bar's,  um  diese  Gerüchte  zu  zerstreuen.  Auch  die 
Garnison  murrte  über  zu  hohe  Preise ;  ferner  weigerten  sich 
die  Taglöhner  der  Gärtner,  Frucht  zu  dreschen,  und  die  Bauern 
brachten  wegen  der  Feldarbeit  nichts  zur  Stadt  und  weigerten 
sich  obendrein,  wegen  der  in  Aussicht  stehenden  Einziehung  der 
geistlichen  Güter,  den  Stiftern  in  der  Stadt  ihre  Gülten  zu 
entrichten.  Das  hatte  Lohnerhöhungen  und  Ankäufe  von  aus- 
wärts, der  hohe  Futterpreis  aber  wieder  eine  Steigerung  des 
Fleisch preises  zur  Folge.  Es  waren  schlimme  Wochen  für  den 
Magistrat,  und  erst  am  27.  November  war  das  Fallen  des  Preises 
für  den  Laib  um  einen  Sol  zu  verzeichnen. * 

»  Später  musste  der  Magistrat  seinen  Marktpreis  bis  auf  23  lb 
erhöhen. 

«  Protokoll  des  Gesamten  Rats  Fo.  257.  —  Reuss,  l'Als.,  S. 
157  fg. 

»  Die  Höhe  der  Lieferungen  aus  den  Speichern  betrag  15  900  lb 
Wegen  des  niederen  Preises,  wozu  der  Magistrat  das  Getreide  über- 
liess,  hatte  er  ausserdem  eine  Einbusse  von  10  000  lb  S.  d.  Nähere 
über  die  Finanzen  bei  Reuss,  l'Als.  S.  310  fg.;  sowie  bei  Strobel 
V.  S.  410. 


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-   116  — 


Sehr  bedenklich  war  auch  die  Aufkündigung  von  den  bei 
der  Stadt  angelegten  Kapitalien,  infolge  des  Schreckens,  den 
der  Pfalzsturm  hervorgerufen  hatte ;  am  24.  September  machte 
dies  schon  120000  Livres  aus,  die  durch  eine  Neuaufnahme 
zu  4o/o,  wozu  sich  einige  Privatleute  bereit  erklärten,  zum  Teil 
wieder  ersetzt  wurden. 

Alle  diese  Verluste  standen  dem  Rat  in  noch  unbemessenem 
Umfang  vor  Augen,  als  des  Barons  d'Harambure  Antrag  ein- 
traf, nach  dem  Beispiel  von  Tours,  anstatt  der  bisher  aufge- 
legten   Abgaben    für  das  Jahr  1790  sich  zu  einer  frei- 
willigen  Subskription  zu  verpflichten.   Hier  war  es 
wieder  Fischer,  der,  wie  so  oft,  mit  dem  Gewicht  seines  per- 
sönlichen Ansehens  in  der  Schölfenversammlung  (5.  September) 
den  Ausschlag  und  zugleich  den  Anstoss  zu  einem  bedeutsamen 
Vorgehen  in  der  Gemeinde  gab.  Er  wälzte  die  vorgeschlagene 
freiwillige  Beisteuer  auf  die  Stadt  ab,  so  dass  sie  sich  nur  durch 
die  Form  von  den  üblichen  königlichen  Steuern  unterschied. 
Er  schlug  dabei  vor,  den  «wahren  patriotischen  Gesinnungen, 
der  Zuneigung  gegen  den  König,   der  ächten  Vaterlandsliebe 
und  dem  warmen  Eifer  für  die  öffentliche  Sache»,  der  die  Ein- 
wohner Strassburgs  beseelte,  durch  die  Beschlussfassung  Ausdruck 
zu  geben,  den  noch  ausstehenden  Teil- der  Auflagen  des  laufenden 
Jahres  —  292  547  Livres  —  ungesäumt  in  die  königlichen 
Kassen  zu  liefern  ;  und  sein  Amtsgenosse  Mathieu  ging  noch 
weiter,  mit  dem  Vorschlag,  eine  gleiche  Summe  wie  1789 
auch  im  folgenden  Jahre  an  den  Staat  zu  steuern  ;  und  zwar 
solle  diese  Summe  vom  1 .  Januar  an  von  zwei  zu  zwei  Monaten 
im  Voraus  entrichtet  werden.  Beiden  Anträgen  stimmte  man 
zu,  wie  es  der  Ehre  der  Stadt  angemessen  erschien.  Den 
bessergestellten  Bürgern  sollte  es  freistehen,  sich  überdies  zu 
ausserordentlichen  Gaben  zusammenzuthun.» 

Alsbald  bildete  sich  eine  patriotische  Gesellschaft  in  diesem 
Sinne.  Die  Deputierten  wurden  beauftragt,  die  Nationalversamm- 
lung davon  in  Kenntnis  zu  setzen,  und  Necker  dankte  in 
v  einem  Schreiben  vom  19.  September*  für  die  ihm  sehr  will- 
kommene Opferwilligkeit  der  Strassburger,  die  gegen  Ende  des 
Jahres  entschieden  noch  im  Wachsen  war.  Die  patriotische  Ge- 


1  Vgl.  Reu ss,  l'Als.  S.  167  fg. 

2  Vgl.  Rens s,  l'Als.  S.  177. 


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—    117  — 


Seilschaft  brachte  in  vier  Tagen  18  000  Livres  zusammen,  und 
als  die  Nationalversammlung  den  Aufruf  zur  Entäusserung  alles 
Silberzeugs  erliess,1  beteiligte  sich  Sirassburg  und  besonders 
Dietrich  voll  Regsamkeit  daran.  Ebenso  opferwillig  zeigte  'sich 
der  Strasshurger,  als  der  Magistrat  am  7.  Dezember*  zu  der 
patriotischen  Beisteuer  aufrief,  die  am  6.  Oktober  in  der 
Nationalversammlung  beschlossen  worden  war.  Schirmer  und 
Privilegierte  zog  man  ebenfalls  heran,  um  sie  nicht  nur  an 
den  Bürgerrechten,  sondern  auch  an  deren  Pflichten  teilnehmen 
zu  lassen. 

Necker  wies  die  ihm  übersandten  Gelder  zur  Besoldung  der 
elsässischen  Truppen  an.  lieber  «die  selten  schmeichelhafte  und 
rührende  Sprache*  seines  Schreibens  waren  die  Bürger  ent- 
zückt, so  dass  sie  unverzüglich  an  die  Deputierten  schrieben, 
ihren  früheren  Auftrag,  —  nämlich  hervorzuheben,  dass  diese  Ab- 
gaben nur  die  regelmässigen  Steuern,  nicht  aber  eine  ausser- 
ordentliche Last  seien,  —  nicht  auszuführen.  Schon  am  10.  Ok- 
tober konnte  Necker  für  den  Empfang  der  ganzen  Summe 
danken.» 

Doch  fügte  er  im  selben  Atemzug  die  Aufforderung  hinzu, 
ebensolchen  Vorschuss  für  1790  zu  entrichten,  so  dass  aber- 
mals ein  Beirag  von  300000  Livres  aufgebracht  werden 
sollte.  Um  dies  zu  ermöglichen,  musste  zu  einer  Anleihe  von 
100  bis  150000  Livres  geschritten,  und  die  ganze  Summe 
auf  den  im  nächsten  Jahre  zu  erwartenden  Steuerertrag  über- 
geschrieben werden.  In  drei  monatlichen  Zahlungen  sollte  sie 
in  die  Staatskasse  geliefert  werden,  —  d.  h.  im  ganzen  in  sechs 
Monaten  600  000  Livres.  —  Angesichts  dieser  Erschöpfung  der 
Stadtkassen  ist  es  mehr  als  unwahrscheinlich,  dass,  wie 
der  amtliche  Bericht  sagt,  Verwaltung  und  Magistrat  ruhig  in 
die  Zukunft  blicken  mochten. 

Dieser  Bericht  gab,  wie  erwähnt,  die  Schuldenlast  der 
Stadt  auf  3>j2  Millionen  an.  Anders  die  Kommission  der 
Vierzig  zur  Untersuchung  der  Finanzen.    Sie  kamen  zu 
dem  Ergebnis,  dass  die  Stadt  5  Millionen  Schulden  habe,  und 
machten  sich  daran,  die  Ausgaben   möglichst  zu  beschränken. 


1  Vgl.  Arch.  pari.  IX.  S.  188,  u.  S.  352  Art.  21. 

2  Vgl.  Ren  ss,  l  Als.  S.  282. 

•  Vgl.  Reu  ss,  TAls.  S.  211  u.  212. 


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Sie  schlugen  die  Aufhebung  alier  Leistungen  für  die  Garnison 
vor.  Der  Magistrat  aber  verweigerte  es,  da  man  erst  den  Hof 
darüber  werde  befragen  müssen,  um  nicht  des  Vertragsbruchs 
angeklagt  zu  werden.  Ausserdem  aber,  so  tadelte  er,  sei  der 
Schritt  der  40  voreilig.  Sie  sollten  zunächst  nur  die  Einnahmen 
und  Ausgaben  der  Stadt  m  mit  etwaigen  Verbesserungen  auf- 
zeichnen, aber  nicht  wie  eine  beschliessende  Kammer  auftreten. 
Tief  gekränkt  sandten  die  40  nach  längerer  Pause  (24.  Nov.)  einen 
neuen  Bedacht  ein,  den  sie  «einen  schaudernden  Abriss  des  Zu- 
standes  der  Finanzen»  Strassburgs  nannten,  und  worin  sie  aufs  neue 
gegen  die  Lieferungen  an  die  Offiziere  eiferten.  Sie  wiesen  auf  die 
allgemeine  Erhebung  des  französischen  Volkes  hin.  «Wollen 
Sie,  so  fragen  sie,  die  Morgenröte,  die  ein  so  glücklicher  Zufall 
über  ihrem  Haupte  scheinen  lüsst,  ohne  Trost  vorbeistreichen 
lassen  ?»  Wiederum  erfuhren  sie  eine  scharfe  Zurückweisung 
seitens  der  Generaladvokalen,  worunter  sich  neuerdings  auch 
der  bisherige  Konsulent  Metzler  befand.  Man  warf  ihnen  An- 
massung  und  Ueberschreitung  ihrer  Befugnisse  vor,  indem  sie 
z.  B.  vor  kurzem  eine  Geldkiste  auf  dem  Pfennigturm  er- 
brochen hatten ;  dagegen  habe  der  Finanzmi nister  die  seit 
drei  Monaten  verlangten  Angaben  über  die  ungerechtfertigten 
Auflagen  der  Stadl  noch  heute  nicht  erhalten.  Auch  Dietrich 
hatte  sich  diesen  Vorwürfen  angeschlossen.  Es  wurde  zwar  ein 
Zwist  innerhalb  des  Ausschusses  selbst  offenbar,  indem  mehr 
und  mehr  Mitglieder  austraten  ;  aber  für  den  Kommissar  hatte 
das  Benehmen  der  40  und  dessen  Zurückweisung  sehr  pein- 
liche Folgen.  Während  er  von  allen  Seiten  nur  Gutes  über 
seine  taktvolle  und  sichere  Amtsführung  zu  hören  hatte,  die  er 
besonders  öfters  als  Wortführer  während  der  Verhandlungen 
über  den  Stand  des  Getreidepreises  bewiesen,  wurde  er  von 
den  40  auf  das  schärfste  angegriffen.  Sie  schickten  eine  Denk- 
schrift nach  Paris,  worin  Dietrich  und  sein  Vater,  gewisser- 
massen  amtlich,  verleumdet  wurden.  Sie  thaten  es  ohne  die 
Schöllen  davon  zu  benachrichtigen,  denen  sie  über  jeden  Schritt 
Rechenschaft  schuldeten.  Man  verlangte  daher,  um  ihre  bis 
dahin  ziemlich  geheimnisvolle  Arbeit  beaufsichtigen  zu  können, 
die  Herausgabe  ihres  Protokolls  und  der  Denkschrift,  welch 
letztere  keineswegs  von  allen  Mitgliedern  des  Ausschusses  gut 
geheissen  worden  war. 

Zum  Teil   waren  die  Unterschriften  sogar  durch  List  er- 


—   119  — 

langt  worden.  Daraufhin  traten  abermals  15  Mitglieder  aus. 
Vor  allem  aber  rief  das  Vorgehen  der  Kommission  in  der  Rais- 
versammlung einstimmige  Entrüstung  hervor. i 

Schon  im  September  war  der  Ehrenstättmeister  von  Dietrich 
infolge  von  Gerüchten,  dass  man  ihm  eigentlich  keine  Stimme 
habe  übertragen  wollen,  von  seinem  Amt  zurückgetreten, 
grollend  und  durch  die  Undankbarkeit  bitter  gekränkt,  womit 
man  seine  Verdienste  und  sein  43 jähriges  Wirken  um  das  f 
Wohl  der  Stadt  belohnte.« 

Die  Aufforderung  zum  Bleiben  beachtete  er  nicht.  «Den 
Titel  aber,  fügte  er  bei,  der  mir  vom  König  zuerkannt  worden, 
werde  ich  tragen.»  Man  beschuldigte  nunmehr  sowohl  ihn  wie 
seinen  Sohn,  von  der  Stadtkasse  zu  ihrem  Vorteil  Gebrauch 
gemacht  zu  haben.  Besonders  eine  Aufnahme  von  50000  Livres 
aus  dem  Vermögen  der  Stadt  suchte  man  ihnen  ungünstig  aus- 
zulegen. In  einer  verbitterten  Erwiderung  rechtfertigte  sich  der 
Vater,  in  einer  stolzen  der  Sohn,  aber  beide  voll  Würde  und  voll 
von  Abscheu  getragener  Sicherheit.  Der  Kommissar  wies  die  Ver- 
leumdung zurück  mit  den  Worten  :  «Ich  kann  Fehler  und  Irr- 
tümer begehen  ;  aber  Missbräuche  dieser  Art  werden  mich  nie- 
mals beschmutzen.» 

Bei  dem  einen  Vorwurf  blieb  es  jedoch  nicht.  Man  ta- 
delte ihn,  dass  er  die  Wohnung  des  Prätors  verschmäht,  dafür 
aber  die  mit  vielen  Kosten  auszubessernden  Gebäude  des  Mar- 
stalls  für  sich  beansprucht  habe.  Er  wies  es  zurück,  da  er 
nicht  in  Gerard's  Wohnung  habe  ziehen  wollen,  so  lange  dieser 
dem  Namen  nach  noch  Herr  darin  sei.  Ausserdem  habe  er 
wegen  der  bevorstehenden  Munizipalitätsänderung,  weshalb  er 
schon  heute  vielleicht  zum  letzten  Male  spreche,  längst  auf  den 
Marstall  verzichtet.  —  Dietrich  und  sein  Vater  wurden  glänzend 
gerechtfertigt.  Nicht  nur  befahl  der  Minister,  das  betreffende 
Gebäude  für  den  Kommissar  einzurichten,  sondern  es  sandte 
auch  die  Gemeindevertretung  eine  Denkschrift 3  an  die  National- 
versammlung,  bestätigt   von  den  ehemaligen  Gliedern  des  Be- 


1  Vgl.  Schreiben  der  Schöffen  an  Schwendt  vom  30.  Dezember. 
(Schöffenmemorial  Fo.  469  fg.)  Ein  Protokoll  der  40  ist  ebensowenig 
zu  finden,  wie  die  Denkschrift. 

2  Vgl.  die  Verteidigungsschriften  von  Vater  und  Sohn  im  Schöf- 
fenmemorial Fo.  235. 

3  Vgl.  Ben ss,  l'Als.,  S.  307. 


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120  - 


ständigen  Regiments  u.  a.,  worin  die  Grundlosigkeit  aller  der 
«boshaften  Missgeburten»,  wie  der  alte  Dietrich  es  genannt, 
dargethan  wurde.  Eine  grössere  Niederlage  konnten  die  40, 
die  damals  schon  zu  einer  Genossenschaft  der  Sechzehn  herab- 
geschmolzen waren,  kaum  erleiden. 

Dennoch  verläugneten  sie  die  Hartnäckigkeit  der  Strass- 
burger  jener  Periode  nicht.  Trotz  aller  Vorkehrungen  weigerten 
sie  sich,  die  Originale  der  Protokolle  und  der  Denkschrift 
vorzulegen.  Der  Magistrat  erklärte  den  Finanzausschuss 
für  aufgehoben,  aber  die  Einsicht  in  das  Protokoll  verhinderten 
die  Vierzig  dennoch  mit  den  geschicktesten  Winkelzügen, 
bis  das  Jahr  zu  Grabe  getragen  ward,  und  mit  ihm  der  Wider- 
sland der  alten  Reichsstadt  gegen  die  Neuordnung  der  Dinge. 

Die  Beschäftigung  Strassburgs  mit  den  Schlüssen  der 
Nationalversammlung  haben  wir  nunmehr  zu  betrachten. 


'VIII. 

Der  vergebliche  Widerstand  Strassburgs  gegen 
die  Beschlüsse  vom  4.  August. 

Als  der  schwäbische  Dichter  Schubart  in  seiner  Vaterlands- 
chronik von  den  Beschlüssen  des  4.  August  im  Hinblick  auf 
Strassburg  sprach,  rief  er  aus  :*  «So  französisch  werden  ist. 
eine  grössere  Wohlthat,  als  jeder  Deutsche  begreifen  mag,  der 
sich  frei  träumt,  wenn  hinter  ihm  die  Geissei  des  Despoten 
klatscht.»  Fast  wie  eine  Antwort  hierauf  klingt  die  Frage  eines 
Strassburgers  :*  «Was  will  der  Ausdruck  sagen:  Wir  werden 
nun  französisch  ?  Man  kann  sich  nichts  vernünftiges  dabei 
denken,  denn  wir  sind  seit  mehr  als  hundert  Jahren  franzö- 
sische Unterthanen,  und  also  auch  französich.»  — 

Er  hatte  vollkommen  recht ;  französich  waren  alle  Strass- 
burger  seit  1681.  Aber  sie  waren  nicht  alle  Franzosen.  Erst 
die  völlige  Durchdringung  mit  dem  Geiste  eines  Volkes  verleiht 
dem  Bürger  die  Staatsangehörigkeit  in  dem  begehrenswertesten, 
dem  vollkommensten  Sinne,  wenn  er  auch  ohne  eine  solche 


1  S.  558. 

2  «Fragen  und  Antworten»,  den  17.  August  1789.  S.  4. 


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—   121  — 

natürliche  oder  zur  Natur  gewordene  Verschmelzung  sich  mit 
einem  Volke  eng  verbunden  fühlen  mag.  Man  darf  nicht  über- 
gehen, dass  die  in  jenem  vollkommensten  Sinn  als  Franzosen  zu 
betrachtenden  Strassburger  es  in  dieser  Hinsicht  zum  grössten 
Teil  schon  vor  dem  4.  August  gewesen,  dass  es  die  Eingewan- 
derten waren,  die  vielfach  jenseits  der  Vogesen  geboren,  und 
in  französischem  Geiste  aufgewachsen  waren,  während  die  am 
meisten  hervortretenden  Bürger,  bzw.  Magistratsmitglieder, 
von  dem  alles  opfernden  Patriotengeist  nur  eben  berührt,  aber 
keineswegs  durchdrungen  waren.  «Es  gab  dort,  sagtReuss,*  keine 
politische  Abneigung  gegen  Frankreich,  noch  weniger  Zuneigung 
für  Deutschland,  sondern  ein  ganz  natürliches  Gefühl  des  Wider- 
strebens, eine  fast  vier  Jahrhunderte  alte  Verfassung  aufzugeben, 
die  wenigstens  den  Schein  republikanischer  Einrichtungen  trug». 
Es  war  wohl  noch  mehr.  Es  war  der  als  elsässisch-strassburgisch 
zu  bezeichnende  Geist.  Es  war  keine  Abneigung  gegen  Frank- 
reich, die  auch  den  frei  gewählten  Magistrat  und  die  wahren 
Repräsentanten  der  Bürgerschaft,  die  Schöffen,  auf  der  Erhaltung 
nicht  nur  ihrer  Verfassung  sondern  auch  ihrer  Vorrechte  zu 
bestehen  trieb ;  aber  es  war,  neben  dem  Wunsch,  sich  das 
Alte  zu  erhalten,  eine  Abneigung  gegen  das  französische  Wesen, 
gegen  die  französischen  Einrichtungen,  die  nicht  nur  unbekannt, 
sondern  auch  innerlich  fremd  waren. 

Beachtenswert  ist  es  allerdings,  dass  die  Metzger  die  Ein- 
setzung eines  Maire  anstatt  des  bei  der  Liebe  der  Bürger  zum 
König  überflüssigen  «Wächters»  über  dessen  Interesse,  des 
Prätors,  verlangten.  Es  war  das  Beispiel  der  Hauptstadt,  das 
sich  hier  geltend  machte,  und  wie  die  Pariser  Bai 1 1 y ,  so  wollten 
diese  Strassburger  den  Kommissar  Dietrich  dazu  ernannt  wissen ; 
«einen  Mann»,  wie  sie  sagten,  «den  wir  alle  schätzen,  weil 
wir  die  edlen  Grundsätze  des  Mannes  in  ihm  lieben,  der  als 
Vater  uns  bisher  geführt  hat.»  —  Da  Justiz  und  Verwaltung 
getrennt  waren,  und  diese  unter  dem  Ammeister  stand,  so 
schien  die  Forderung,  auch  der  ersteren  einen  Vorstand  zu 
geben,  einleuchtend.  Ein  freigewählter  Maire  konnte  der  Ver- 
waltung nur  nützlich  sein,2  und  eine  Annäherung  an  die  Ge- 


»  L'Als  ,  S.  182  Anm.  1. 

8  Vgl.  Protokoll  des  Ges.  Rats  vom  21.  August  und  2.  Sep- 
tember, sowie  Reuss,  TAls.  S.  153. 


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—   122  - 


mein  den  Frankreichs  erforderte  die  Klugheit.  Der  Magistrat 
beschloss  daher,  die  Würde  eines  auf  sechs  Jahre  zu  erwäh- 
lenden Maire  zu  schaffen.  Dietrich,  der  sich  auch  von  diesen 
Verhandlungen  fern  gehalten,1  schrieb  jedoch  an  die  Schöffen 
die  ihm,  wie  sein  nicht  ausgeführter  Rücktritt,  vielfach  sehr 
übel  ausgelegten  Worte :  «Ich  hoffe  von  Ihrer  Klugheit 
und  Ihrer  Liebe  zum  König  annehmen  zu  dürfen,  dass  Sie 
nicht  auf  dem  Beschluss  bestehen  werden.»  —  «War  dies, 
fragt  Reuss,2  aufrichtige  Bescheidenheit,  war  es  ein  Gefühl  der 
Klugheit,  das  ihm  nicht  erlaubte,  sich  für  die  Mairie  aufstellen 
zu  lassen,  während  er  noch  den  Titel  eines  kgl.  Kommissars 
trug?  Es  ist  schwer  zu  entscheiden.  Jedenfalls  schadete  dieser 
Schritt  seinen  Aussichten  auf  Erfolg  nicht.»  — 

Doch  blieb  die  ganze  Sache  zunächst  auf  sich  beruhen, 
und  man  richtete  sein  Augenmerk  lebhaft  auf  Dinge  von 
augenblicklich  grösserer  Wichtigkeit,  welche  die  ganze  Kraft 
des  Magistrats  erforderten :  auf  die  Schlüsse  der  National- 
versammlung. Die  Verteidiger  der  Rechte  Strassburgs  hatten  da- 
selbst vergebens  gesprochen.  Bei  ihren  Mitbürgern  galten  Türck- 
heim  und  Schvvendt  als  hervorragende  Geister  und  es  mochte 
der  eine  von  ihnen  später  bei  einem  deutschen  Kleinfürsten  in 
hohem  Ansehen  stehen.  Gegenüber  denen  aber,  die  mit  dem 
Flug  ihrer  Gedanken  und  mit  der  Macht  ihrer  Rede  ganz 
Frankreich  begeisterten  und  verwandelten,  standen  sie  ebenso 
unbedeutend  da,  wie  ihre  Vaterstadt  in  diesem  Augenblicke, 
verglichen  mit  dem  grossen  Reich,  dem  sie  sich  nicht  fügen 
wollte. 

Magistrat  und  Schöffenrat  von  Strassburg  dürfen,  nach 
ihrer  Erneuerung  im  August  als  «wahre  Repräsentanten  der 
Bürgerschaft»,  auch  als  wahre  Vertreter  ihrer  Gesinnung  gelten. 
Sie  aber  bezeichneten  die  Beschlüsse  von  Versailles  von  Anfang 
an  als  schädlich.» 

Vor  allem  waren  indes  auch  die  Zünfte  in  Besorgnis  we- 
gen der  drohenden  Aufhebung  der  Genossenschaften  der  Hand- 
werker ,und  Gewerbe.   Ihre  bisherige  Einrichtung  hatte  den 


i  Vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  169  und  Spach,  Fred,  de  Dietrich  a. 
a.  0.  S.  505. 

a  L'Als.  S.  169,  Anm.  1. 

3  Vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  148.  «Extrait»  etc.,  und  Anhang  Nr.  17. 


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-    123  — 


regen  Verkehr  mit  den  rechtsrheinischen  Zünften  vermittelt, 
der  zwischen  Strassburg  und  Deutschland  herrschte,  und 
ein  der  Stadt  unentbehrliches  Material  von  deutschen  Hand- 
werkern zugeführt  hatte,  i  Da  ausserdem  das  andere,  mit  dem 
Reich  und  der  Schweiz  eng  verbindende  Vorrecht  der  Zollfrei- 
heit durch  die  Verschiebung  der  Schranken  an  den  Rhein  ver- 
nichtet werden  sollte,  so  waren  Gewerbs-  und  Handelsleute  in 
Strassburg  schwer  bedroht. 

Magistrat  und  Schürten  sahen  sich  deshalb  veranlasst,  thä- 
tig  für  die  angefochtenen  Interessen  einzutreten.  Doch  war  die 
Unsicherheit,  wieweit  man  darin  gehen  dürfe,  so  gross,  dass 
zwei  Erklärungen»  zur  Auswahl  der  geeigneteren  an  die 
Deputierten  gesandt  wurden.  Beide  begannen  mit  der  feierlichen 
Formel  :  «Die  Gemeinde  der  Stadt  Strassburg,  aus  freiem  Wil- 
len mit  der  Krone  Frankreich  kraft  eines  besonderen  Vertrags 
vereinigt,  .  .  .  ^  u.  s.  w.  In  beiden  verzichtete  Strassburg  auf 
alle  Privilegien  betreffs  der  Auflagen,  sowie  auf  alle,  die  den 
Interessen  der  Nation  zuwider  seien.  In  der  ersten  aber  for- 
derte die  Vertretung  der  Bürgerschaft  den  Schutz  der  Regie- 
rung für  die  gefährdeten  Vorteile,  und  behielt  sich  die  volle 
Ausübung  ihrer  Gerichtsbarkeit  vor.  In  der  zweiten  wies  der  Ma- 
gistrat auf  seine  Erneuerung  hin  und  hob  die  damit  zu  erreichende 
Angleichung  an  die  französischen  Einrichtungen  hervor.  Das 
Opfer  der  Gleichstellung  in  Hinsicht  auf  die  Steuern  war  be- 
kanntlich sein  eigener  Wunsch  gewesen,  da  die  Stadt  im  Ver- 
gleich zur  Provinz  benachteiligt  gewesen  war.  Und  die  nach 
seiner  Ansicht  mit  der  Neuordnung  unvereinbaren  alten  Rechte 
nannte  er  zwar  der  Nationalversammlung  nicht  mit  Namen, 
aber  er  gestand  sie  in  einer  Note  ein,»  die  den  Abgeordnelen 
Anweisungen  über  das  von  ihnen  erwartete  Verhalten  gab. 

Diese  waren   uneinig  darüber,  welche  von   beiden  Erklä- 


1  Vgl.  den  Aaszug  aus  der  Adresse  vom  28.  Februar  1791  an 
die  Nationalversammlung,  bei  Heitz  a.  a.  0.  (S.  176  fg.),  S.  178: 
«Daher  sind  auch  beynahe  alle  Handwerksgesellen  in  Strassburg  Aus- 
länder [=  Nichtfranzosen]  deren  Entfernung  den  unersetzlichsten 
Schaden  nach  sich  ziehen  wurde.  —  Unter  den  Professionisten  zu 
Strassburg  sind  ungefähr  zwölfhundert  in  Deutschland  geborne 
Bürger».  Vgl.  auch  Anhang  Nr.  17. 

*  Vgl.  die  Erklärung  der  Schöffenkollegien  (im  Memorial  Fo.  59  fg.) 

3  Vgl.  Schöffenmemorial  Fo.  64  fg. 


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-   124  — 


rungen  zu  wählen  sei»  i  und  baten  den  Magistrat  selbst  zu  ent- 
scheiden.   Indes  war  bereits  ein  Monat  verflossen,  als  der  Ma- 
gistrat ihnen  antwortete  :  8  Nach  der  als  Verzicht  aufgefassten 
Erklärung  der  Deputierten  vom  5.  August  habe  er  sich  nur  ganz 
unbestimmt  ausdrücken  können.  Indessen  aber  habe  die  Natio- 
nalversammlung erkannt,  dass  die  Verfugungen  des  4.  noch 
einer  letzten  Erörterung  bedürfen,  und  es  scheine  daher,  dass 
noch  ein  Weg  offen  bleibe,  triftige  Gründe  geltend  zu  machen, 
um  Ausnahmen  zu  Gunsten  der  Provinz  Elsass  zu  bewirken. 
«Auch  sind  wir  davon  unterrichtet,  schreiben  sie,   dass  die 
grossen  Grundbesitzer  dieser  Provinz  auf  ihrem  Einspruch  be- 
stehen, gegen  die  Ausdehnung  des  Beschlusses,  der  den  Weg- 
fall der  Privilegien  zeitigt,  indem  man  das  Eigentum  mit  ein- 
fachen Uebertragungen  vermengen  möchte,   und  die  Ausflüsse 
der  Landeshoheit  mit  den  Feudalrechten  Frankreichs.  Eben- 
solche Rechte  hat  Strassburg  geltend  zu  machen.»   —  In  Be- 
ziehung auf  die  Zehnten  sagen  sie:    «Man  ruft  in  dieser  Hin- 
sicht die  Grundsätze  der  Nationalversammlung  selbst  an,  die 
jedes  Eigentumsrecht  für   unverletzbar  erklärt  hat.»   Das  war 
mehr  als  der  Wunsch,   die   Verfassung  beizubehalten;  man 
kehrte  auf  den  Standpunkt  zurück,  von  wo  aus  man  die  Kapi- 
tulation verteidigte.  3 

Mit  dieser  Entwickelung  geht  auch  eine  wachsende  Sicher- 
heit der  Deputierten  parallel.  Zuerst  schreiben  sie*:  «Wir 
wägen  in  der  Ruhe  der  Ueberlegung  Ihre  wahren  Interessen 
ab,  und  wir  halten  uns  zu  der  Partei,  wo  es  uns  am  vorteil- 
haftesten zu  sein  scheint.»  Am  13.,  September  sagen  sie  be- 
stimmter: 5  «Wir  werden  uns  nichts  entgehen  lassen,  was  uns 
geeignet  erscheint,  Ihrer  gegenwärtigen  Einrichtung  Geltung  zu 
verschaffen.»  Am  18.,  als  einige  elsässische  Stände  gegen  die 


1  Vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  160. 

2  Am  19.  September.  Vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  177  fg. 

3  Für  die  Selbsttäuschung,  der  man  sich  in  Strassburg  mit 
schönen  Worten  hingab,  ist  die  Rede  Fischers  vom  7.  August  (Schöffen- 
memorial das.)  bezeichnend.  Da  wird  geleugnet,  dass  Strassburg  «ein 
Geist  der  Anhänglichkeit  zu  alten  Formen  und  Gebräuchen  beherrsche», 
es  wird  hingewiesen  auf  den  «Diensteifer»,  den  Strassburg  durch  die 
hohen  «freiwilligen«(!)  Abgaben  bewiesen  habe  u.  dgl. 

*  Am  24.  August.  St.-A.  AA.  2003. 
&  Vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  171. 


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—    125  - 

Aufhebung  ihrer  Privilegien  sich  verwahrt  hatten,  fragten  sie 1 
ob  sie  sich  den  Deputierten  des  Adels  und  der  Geistlichkeit 
und  deren  Denkschriften  anschliessen  sollten,8  falls  diese  sich 
den  Beschlüssen  vom  4.  August  widersetzten.  Zugleich  teilten 
sie  mit,  dass  sie  gestützt  auf  die  Bewilligung  des  Steuerrechts 
für  4789,  zu  den  einzelnen  Ministern  gegangen  waren,  um  sie 
zu  bitten,  die  Stadt  und  ihre  Privilegien  unter  ihren  Schutz  zu 
nehmen.  Sie  hatten  von  allen  die  liebenswürdigsten  Versprech- 
ungen erhalten.  Necker  hatte  sogar  die  Verlegung  der  Zoll- 
schranken als  unvereinbar  mit  den  elsässischen  Handelsinteressen 
erklärt.  Der  Grosssiegelbewahrer  Champion  de  Cic6  machte 
sich  anheischig,  die  Erhaltung  der  selbständigen  Verwaltung 
Strassburgs  beim  König  zu  befürworten,  da  er  die  Wichtigkeit 
derselben  einsehe,  und  «da  die  Beschlüsse  des  4.  August  für 
das  Elsass  notwendiger  Weise  Aenderungen  unterworfen  sein 
müssen.»  Auch  der  Kriegsminister,  dem  einige  Wochen  später 
aus  dem  Schoss  der  Bürgerschaft  vorgeworfen  wurde,s  er  habe 
sie  «in  einer  schimpflichen  Unterwürfigkeit  zurückgehalten,» 
versprach  seine  Verwendung  beim  Staatsrat. 

Am  schärfsten  aber  tritt  die  eigentliche  Gesinnung  der 
Deputierten  und  der  Strassburger  Obrigkeit  hervor  in  der  schon 
öfters  erwähnten  Schrift  Türckheim's*  über  das  Staats- 
recht der  Stadt  Strassburg  und  des  Elsass,  die,  vollendet  in 
eben  diesen  Tagen,,  und  nachdem  sie  vom  Verfasser  selbst  im 
Rat  verlesen  worden  (Nov.),  dem  Druck  übergeben  ward. 

Neben  einer  allgemeinen  Darlegung  des  staatsrechtlichen 
Verhältnisses  enthält  sie  «Einzelheiten  über  die  verschiedenen 
Beschlüsse,  soweit  dieselben  die  Interessen  der  Stadt  und  der 
Gemeinde  verletzten».  Doch  bewegt  sie  sich  keineswegs  auf 
dem  Boden  der  strassburgischen  Ansprüche  allein ;  die  ähnlichen 
Rechte  der  im  Elsass  begüterten  deutschen  Fürsten  fanden, 
sobald  das  Schriftchen  gehörigen  Orts  berücksichtigt  ward, 
daran  den  stärksten  und  unanfechtbarsten  Rückhalt. 


1  Vgl.  Reu  äs,  l'Als.  S.  175. 

2  Dies  war  ganz  nach  dem  Sinn  des  Magistrats.  Vgl.  Reuss, 
l'Als.  S.  177  nnd  den  Auszug  ans  dem  Brief  des  Magistrats  an  die 
Deputierten  vom  24.  September,  Anhang  Nr.  19. 

3  Vgl.  Antrag  der  Zunft  zum  Spiegel  vom  8.  Oktober,  St.-A., 
Acta  der  allg.  Schöffenversammlung  1789.  1790. 

*  Vgl.  S.  1.  Anm,  1. 


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Soweit  die  Versailler  Beschlüsse  diese  Vorrechte  beeinträch- 
tigten, wird  die  Unverletzbarkeit  der  sie  gewährleistenden 
Verträge  aufs  nachdrücklichste  verfochten,  und  zwar  zum  teil 
an  der  Hand  der  eigensten  Grundsätze  der  Nationalversammlung. 

In  Beziehung  auf  die  Eigentumsrechte  auf  liegende  Güter,» 
besonders  die  Gebühren  der  Toten  Hand,  heisst  es ;  «In  dieser 
Provinz  sind  nicht  alle  Länder  Lehen,  viele  sind  auch  Allodial- 
güter  welche  überlässlich  sind  .  .  .  Das  Wort  Lehen  bedeutet  bei 
uns  irgend  ein  Eigentum,  das  zwischen  dem  Grund-  und  Ober- 
eigentümer und  dem  Vasallen  oder  Nutz-Eigentümer,  der  bei 
jeder  Veränderung  dem  ersten  huldigt,  geteilt  ist  .  .  .  Die 
meisten  sind  (in  der  Zwischenregierung  .  .  .  aus  Andächtelei  .  .) 
den  Klöstern  verlobt,  und  als  solche  angesehen;  folglich  ent- 
standen sie  nicht  aus  der  Freigebigkeit  eines  gemeinschaftlichen 
Souveräns,  mit  Andingung  des  Kriegsdienstes,  wie  in  Frankreich.»* 

Es  wird  betont,  «dass  es  ein  Angriff  auf  das  Eigentum  wäre, 
.  .  .  wenn  man  einige  Jahrhunderte  nachher  —  nachdem  ein 
herrschaftliches  Gut  .  .  .  nicht  unentgeldlich  von  einem  Be- 
sitzer auf  den  anderen  gekommen  ist,  dieses  Recht  als  ein  der 
natürlichen  Freiheit  widriges  erklären  und  ohne  Schadloshaltung 
unterdrücken   wollte  .  .  .    Das  bürgerliche  Gesetz  kann  in 
Zukunft  diese  Verträge  verdammen,  aber  an  sich  selbst  kränken 
sie  die  Würde  des  Menschen  nicht,  folglich  kann  man  auch  dem 
Gesetz  keine  zurückwirkende  Kraft  geben  .  .  .    Der  Bediente 
erhält  Lohn  und  Nahrung;  .  .  .  keine  Nation  hat  noch  einer 
solchen    Bedingung   den    Namen    einer   verhassten  Knecht- 
schaft gegeben :  hüten  wir  uns  wohl,  einen  ursprünglich  wahren 
Grundsatz  nicht  zu  missbrauchen  .  .  .    Dieser  Satz  ist  stärker, 
wenn  die  Elsässische  Herrschaft  mit  dem  Titel  eines  Grund- 
herrn und  ursprünglichen  Eigentümers  noch  den  Titel  eines 
Souveräns  verbindet,  der  ...  für  seinen  öffentlichen  Schutz 
Geldsteuern,  Frohnden  oder  Tagarbeiten  fordern  konnte  .  .  . 
Wenn  die  Nation  sie  jetzt  abschaffen  und  freiheits widrig  er- 
klären will,  so  haben  die  Elsässischen  unmittelbaren  Stände 
zum  Pfand  der  Sicherheit  die  Domäne  des  Königs,  mit  dem 
allein  sie  einen  Vertrag  eingegangen.» 


1  S.  27  u.  37  fg. 

2  Spach,  F.  de  Dietrich  a.  a.  0.  S.  530:  nennt  eine  derartige 
Unterscheidung  «nn  peu  subtile >. 


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—   127  — 


Es  ist  «nichts  gerechter,  als  dass  die  Nation  die  Elsässischen 
Herrschaften  mit  derselben  entschädige  .  .  .  Wenn  man  die 
Elsassischen  Frohnen  für  Lehenspflichten  erklärt,  die  zur  per- 
sönlichen Dienstbarkeit  gehören,  und  ohne  Entschädigung  ab- 
geschafft werden  sollten,  so  würde  man  eine  schreiende  Unge- 
rechtigkeit .  .  .  begehen.  Die  Stadt  Strassburg  verlöre  mehr 
als  30000  Livres  Zinsen,»  die  sie  als  ein  wahres  Eigentum  um 
einen  «ehr  hohen  Preis  gekauft  hat  .  .  .  Wir  würden  eine 
biedere  und  gerechte  Nation  beleidigen,  wenn  wir  glauben 
wollten,  dass  sie  nach  obigen  Erläuterungen,  die  ihr  wahr- 
scheinlich unbekannt  waren,  so  wenig  das  Eigentum  ehre,  dass 
sie  die  Elsässischen  Frohnen  mit  dem  französischen  Lehensystem 
in  eine  Klasse  setze.» 

Die  Benennung  zwar  sei  gleich,  der  Sinn  aber  himmelhoch 
verschieden.'  Wenn  man  behaupten  wolle  alle  Zinse  und 
Vorrechte  der  Souveränität  seien  durch  missbrauchte  Gewalt 
entstanden,  «so  würde  man  in  dieser  Quelle  den  Ursprung  aller 
Monarchen  finden  .  .  .  Ist's  in  allem  Emsts  das  Wohlsein  des 
Volkes,  oder  ist's  nicht  vielmehr  der  Feuereifer  eines  Systems, 
der  mit  Wut  den  geringsten  Unterschied  auslöschen  will,  dass 
alle  Folgen  und  Aehnlichkeiten  des  Lehenswesens  abgeschafft 
wurden?  .  .  .  Bei  dieser  Veränderung  wird  die  öffentliche 
Glückseligkeit  gewiss  nichts  gewinnen.» 

Ueber  die  Abschaltung  der  herrschaftlichen  Gerichtsbar- 
keiten ohne  Entschädigung  lässt  Türckheim  sich  folgendermas- 
sen  aus :  «Die  Stadt  Strassburg  hat  niemals  finanzierte  Stellen 
gekannt...  Dadurch,  dass  der  königliche  Hohe  Rat  in  Colmar  nicht 
zu  den  verkäuflichen  Stellen  gehörte,  entstand  der  Provinz  eine 
jahrliche  Beschwerde  von  60  000  Livres.»  Wenn  daher  «der 
Plan  der  Rückbezahlung  der  Gerichtsstellen  im  Königreich 
ausgeführt  werden  soll,  so  erfordert  die  Gerechtigkeit,  dass  die 
Million,  welche  die  Provinz  schon  dafür  ausbezahlt  hat,  ihr 
wieder  zurückgestellt  .  .  .  werde,  oder  dass  das  Elsass  .  .  . 
von  allen  weiteren  Beiträgen  zu  diesem  Gegenstand  befreit 
werde». 


»  S.  41. 

2  S.  27.  —  Vgl.  auch  den  Schlusssatz  des  Briefes  an  den  Kriega- 
minister,  vom  24.  September ;  Anhang  Nr.  20. 
»  S.  43. 


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—   428  — 


Den  Nachteil  der  Stadt  Strassburg  in  bez.  auf  ihre  Gerichts- 
barkeit könne  man  unter  zwei  Gesichtspunkten  betrachten  : 
«insofern  sie  die  Ausübung  ihrer  Regalien  in  ihren  Gütern  und 
Domänen»  und  insofern  sie  die  Gerichtsverfassung  in  der  Com- 
mune selbst  kränkte  ...  Die  Stadt  Strassburg  kommt  mit  der 
Nationalversammlung  darin  überein,  dass  diese  Rechte  der 
Ausfluss  der  höchsten  gerichtlichen  Gewalt  seien,  für  deren 
einzigen  Verwalter  sie  bisher  den  König  erkannt  hat  ...» 

Ueber  die  Abschaffung  der  Zehnten  heisst  es :  Für  Strass- 
burg seien  es  dreierlei :  «1)  Weltliche  und  Lehenszehnten,  die 
sie  mit  Geld  erworben  hat  .  .  .  Man  erlaubt  sich  die  Vermu- 
tung, dass  die  Nationalversammlung  eine  billige  Entschädigung 
festsetzen  wird  ....  2)  Die  Neubruchszehnten ,  auf  Grund  des 
Normaljahrs  1624,  welche  von  den  Landesherren,  die  der  Augs- 
burgischen Konfession  zugethan  sind,  .  .  .  eingezogen»,  und 
als  ein  «wahres  Kennzeichen  der  Landeshoheit  angesehen 
werden.»  3)  Die  geistlichen  Zehnten,  welche  zu  den  durch  die  Ver- 
träge gesicherten  Kirchengütern  gerechnet  werden.  Die  Ein- 
künfte der  protestantischen  Körperschaften  «würden  überdies 
nicht  einmal  zum  Unterhalt  der  Kirchen  und  ihrer  Diener  zu- 
reichen, wenn  die  Freigebigkeit  ihrer  Gläubiger  sie  nicht  er- 
setzte.» 

«Ist's  in  allem  Ernst  das  Wohl  des  Volkes,  welches  den 
zerstörerischen  Verrichtungen  dieser  Nacht  zum 
Beweggrund  und  Vorwand  diente,  um  die  Zehnten  abzuschaf- 
fen ?  .  .  .  Welch  eine  traurige  Zerrüttung  der  Begriffe  von 
Vaterlandsliebe  hat  alle  Klassen  der  Nation  gegen  einander  ge- 
waffnet,  um  sich  gegenseitig  allmählich  aufzureiben?  .  .  .  Wie 
schrecklich  wird  das  Erwachen  aus  diesem  gekünstelten  Enthu- 
siasmus (vgl.  o.  S.  101  fg)  sein,  wenn  man  statt  der  politischen 
Corps,  welche  die  Nation  belebten,  nur  Opfer  und  zerschlagene 
Gerippe  auf  dem  Schlacht felde  antrifft !» 

Diese  prophetische  Warnung  geht  schliesslich  in  trotziges 
Drohen  über.  Man  wird  sich  «leicht  überzeugen,  dass  der  El- 
sässischen  Geistlichkeit  noch  kräftigere  Rechtsmittel  übrig  blei- 
ben, um  .  .  .  auch  alsdann  noch  zu  widerstehen,  wenn  die 
Geistlichkeit  des  Königreichs  dem  harten  Gesetz  sich  unterzieht, 
das  man  ihr  auflegen  will.»  Niemals,  sagt  Türckheim,  könne 
das  Elsass  und  Strassburg  in  die  Vernichtung  derselben  ein- 
willigen. 


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—  - 129  - 


Die  Schrift  wendet  sich  zu  den  Privilegien,  deren 
mehrere  mit  dem  Wohlsein  der  Provinz  unzertrennlich  verbun- 
den seien.  «Die  Strassburgische  Bürgerschaft  .  .  .  ist  auf  die 
Erhaltung  ihrer  Form,  die  sanft  und  väterlich  ist,  eifersüchti- 
ger, als  auf  die  Verbesserung  der  Interessen  ihres  Beutels  ge- 
wesen.» Wenn  man  sie  in  ihren  Rechten  erhalte  und  sie  nicht 
mit  Militärdienst  und  der  Ferme  belaste,  werde  sie  willig 
900  000  Livres  jährlich  bezahlen. 

Dieser  Versicherung  wohnt  viel  Wahrscheinlichkeit  inne. 

Wir  sehen,  wie  sich  in  der  Aufopferung  des  Eigentums 
für  den  Staat  sowie  in  dem  Stolz,  womit  sich  die  Bürgerwache 
dem  Dienst  unterzog,  die  gegen  Ende  1789  stärker  werdende 
Regung  eines  Gemeinsamkeitsgefühls  der  Strassburger  mit  den 
französischen  Bürgern  als  den  Angehörigen  desselben  Staats- 
wesens zeigte  ohne  damit  doch  die  Rechte  der  Stadt  anzu- 
fechten, i 

Der  Magistrat  beharrte  auf  seinem  Standpunkt,  wie  ihn 
Türckheims  Schrift  darlegt.  Wie  gerechtfertigt  seine  Bemer- 
kungen waren,  und  wie  bedeutungsvoll  sie  den  passiv  damit 
verknüpften  Zeitgenossen  erscheinen  mussten,  kann  man  bei 
der  Betrachtung  ermessen,  dass  eben  die  von  Türckheim  so 
scharf  hervorgehobene  Entschädigungsfrage  der  Reichsfürsien  es 
war,  die  den  Reichstag  zu  Regensburg  zwei  Jahre  später  aus 
seiner  Lethargie  erweckte. 

Aber  auch  noch  in  anderer  Hinsicht  sind  seine  Ausfüh- 
rungen bemerkenswert.  Die  Gleichberechtigung  der  Protestan- 
ten war  für  die  grössere  Hälfte  der  Bewohner  Strassburgs,  für 
ein  Drittel  der  Elsässer  überhaupt  eine  Lebensfrage.  Türckheim 
wendet  sich  denn  auch  eifrig  gegen  die  Beeinträchtigungen  die- 
ser Konfession  und  die  ihr  drohende  Gefahr  der  Unterdrückung. 
«Nach  dem  Staatsrecht  des  deutschen  Reiches»,  heisstes(S.  80), 
wovon  das  Elsass  ein  abgerissener  Teil  ist,  geniessen  die  drei 
Religionen  völlig  gleiche  Rechte  .  .  .  Der  3.  Artikel  der  Kapi- 
tulation befiehlt  ausdrücklich  und  namentlich  die  Erhaltung 
des  freien  Gottesdienstes  .  .  .  Das  Elsass  begehrt  keine  Er- 


1  Es  ist  immerhin  beachtenswert,  dass  die  Munizipalität  im  Jahre 
1790  öffentlich  eingestand,  «dass  vor  der  Revolution  die  Strassburger, 
ungeachtet  ihrer  Unterwerfung  unter  die  Krone  Frankreichs,  noch 
immer  im  Stillen  den  Verlust  ihrer  alten  reichsstädtischen  Selbstän- 
digkeit bedauerten».  Vgl.  Strobel  V.  S.  411. 

9 


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130  - 


Weiterung  seiner  alten  Rechte,  aber  es  fordert  laut  deren  Er- 
haltung. Die  Nationalversammlung  wird  nicht  wollen,  dass  die 
Elsässischen  Protestanten  .  .  .  die  traurige  Herabsetzung  einer 
weniger  privilegierten  Sekte  in  derjenigen  wichtigen  Epoche 
erhalten,  wo  sie  dem  staunenden  Europa  angekündigt  hat,  dass 
der  Franzos  frei  ist !  .  .  . 

«Sie  glauben  sich  daher  berechtigt  zu  fordern,  .  .  .  dass 
man  in  dem  Artikel  der  Verfassung  des  Staats,  welcher  von 
der  Religion  in  Frankreich  handeln  wird,  von  keiner  herrschen- 
den Religion  rede  ...» 

Auch  für  den  Elsässischen  Handel  ergriff  Türckheim  das 
"Wort.  Der  «schaudernde  Augenblick»  war  da,  wo  in  dem 
Strudel,  den  «das  Zauberwerk  eines  Patriotismus»  erregt  hatte, 
der  jeder  Ueberlegung  ermangelte,  auch  seine  Vergünstigungen 
fallen  sollten.  Türckheim  führt  die  einzelnen  Zweige,  besonders 
den  Tabak  *  an,  und  zeigt  den  von  den  Neuerungen  zu  er- 
wartenden Schaden.  «Die  Erweiterung  der  Barrieres  würde  dem 
Elsassischen  Handel  einen  tödlichen  Streich  versetzen  .  .  .  Um 
das  Elsass  in  die  grundlosesten  Tiefen  zu  stürzen, 
dürfte  man  ausser  der  Erweiterung  der  Grenzen  an  den  Rhein, 
nur  noch  eine  einförmige  Auflage  errichten,  um  das  Leere  der 
abgeschafften  Salz-  und  Nahrungssteuer  aus  dem  Inneren 
Frankreichs  auszufüllen  .  .  . 

«Da  uns  nichts  hindert  einmal  aus  freien  Stücken  diese 
neuen  Einrichtungen  ...  zu  fordern ;  warum  wollen  wir  mit 
übereilter  Eile  die  Art  zu  leben  und  zu  weben,  die  uns  bisher 
Wohlsein  und  behagliches  Wesen  die  Fülle  zusicherte,  zerstö- 
ren, ehe  die  neue  Verfassung,  die  in  Frankreich  aufkeimen 
soll,  berechnet,  berichtigt,  bestimmt  und  durch  das  Gesetz  ver- 
ordnet ist  ?»  —  Die  vorstehenden  für  das  Verhalten  des  Ma- 
gistrats so  bezeichnenden  und  dasselbe  vielfach  rechtfertigendem 
Worte  umfassen  das  Wohl  und  Wehe  der  ganzen  Provinz.  In 
einen  viel  engeren  Gesichtskreis  tritt  Türckheim  mit  dem  Be- 
gehren nach  Erhaltung  der  hergebrachten  strassburger  Obrig- 
keit zurück.  Sie  bewegt  sich  in  den  bekannten  Gedanken  und 
Begründungen  ;  aber  auch  hier  ist  die  Sprache  sehr  selbstbe- 
wusst.  (S.  104 fg.): 

1  Den  hieran  zu  erwartenden  Verlust  berechnet  er  auf  1 600  000 
Livres;  vgl.  S.  96. 


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—  131 


«Wenn  man  darauf  beharrte,  ihre  Verfassung  umändern 
zu  wollen,  ...  so  könnten  ihre  Deputierten  niemals  ihre  Ein- 
willigung dazu  geben». 

Endlich  heisst  es  (S.  135) : 

«Wenn  man  noch  einen  letzten  Blick  auf  das  Elsass  und 
vorzüglich  auf  das  untere  wirft,  so  wird  man  sich  leicht  über- 
zeugen, dass  es  nicht  als  eine  eroberte  oder  in  das  Ganze  der 
französischen  Nation  eingekörperte  Provinz,  sondern  als  ver- 
schiedene, ehemals  souveräne  Staaten  anzusehen  sei,  die  frei- 
willig die  oberste  Gewalt  Frankreichs  anerkannt .  .  .  haben  ;  und 
nur  als  solche  erscheint  die  Provinz  Elsass  vor  der  ehrwürdigen 
Versammlung  der  französischen  Nation.  .  .  .  Das  Volk,  das 
erwacht  von  seinem  Freiheitsrausch,  seine  Beschwerden  lästiger, 
seine  Auflagen  grösser  fühlen  wird  —  schrecklich  wird  das 
Erwachen  sein,  wenn  es  seine  Stützen  auf  immer  geraubt 
sieht  .  .  .  ;  wenn  vielleicht  der  Feind  in  den  Schoss  seines  El- 
sässischen  Vaterlandes  dringt .  .  .  Dann  erst  wird  dem  Elsässer 
das  zaubernde  Blendwerk  vor  den  Augen  verschwinden  h  — 

Aber  fruchtlos  war  Türckheirns  Schrift,  vergebens  sein 
persönliches  Eingreifen.  Vor  allem  hatte  er  gegen  den  Abge- 
ordneten von  Colmar  zu  streiten,  der  «für  alle  radikalen 
Massregeln,  und  der  eifrigste  Gegner  der  deutschen  Fürsten» 
war,1  und,  wie  wir  gesehen,  schon  am  5.  August  ohne  Pietät 
und  ohne  Erbarmen»  den  Beschlüssen  der  National- 
versammlung zugestimmt  hatte.  Am  8.  war  dann  Türckheim 
aufgetreten2  und  hatte  Ausnahmen,  oder  wenigstens  Ent- 
schädigung für  die  angegriffenen  Rechte,  die  er  ausführlich 
darlegte,  verlangt.  Am  18.  September  aber  war  die  Zustimmung 
zu  den  Beschlüssen  seitens  des  Königs  verlesen  worden^  und 
Reubel  ereiferte  sich  bei  dieser  Gelegenheit  wiederum  gegen 
den  Adel.  Er  sagle  :  «Meine  Mitbürger  sind  so  sehr  verwachsen 
mit  diesem  Beschluss  vom  4.  August,  dass  sie  ihm  durch  nichts 
mehr  entwachsen  können.»  Einer  der  beiden  Strassburger, 
wohl  zweifellos  Türckheim,*  erwiderte  ihm  um  vor  Uebereilung 


1  Rathgeber  a.  a.  0.  S.  217  fg. 

8  Vgl.  Moniteur.  I.  S.  S92  u.  311;  n.  Pfannenschmid, 
a.  a.  S.O.  197. 

3  Vgl.  Ai  ch.  pari.  IX.  S.  28.  fg.—  Renss,  l'Als.  S.  183  fg. 

4  In  den  Archives  pari.  IX.  S.  35  ist  nach  «Rewbell's»  Rede 
die  Entgegnung  eines  M***  angeführt ;  dies  dürfte  wohl  Türckheirns 


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—    132  — 


zu  mahnen.  Trotzdem  war  die  Veröffentlichung  der  königlichen 
Zustimmung  beschlossen  worden. 

Daraufhin  verlangten  die  Deputierten  eine  formliche  Er- 
klärung über  die  endgiltigen  Ansichten  des  Magistrats.  Derselbe 
schritt  daher  zu  einer  letzten  Erklärung,»  die,  aus  7  Artikeln 
bestehend,  am  10.  Oktober  der  Nationalversammlung  wirklich 
vorgelegt  ward.  Die  Verhandlungen,  die  darüber  in  Strassburg 
gepflogen  wurden,*  sind  von  besonderem  Interesse,  weil  sie 
zeigen,  wie  teilweise  in  die  Bürgerschaft  das  Gefühl  einge- 
drungen war,  dass  man  «die  Verfassung  selbst  verworfen  und 
wider  Pflicht  und  Eide  gehandelt»  habe,  indem  man  der  Ab- 
gabenfreiheit entsagte  und  auch  durch  die  Magistratsänderung 
von  der  Kapitulation  abgewichen  war. 

Die  Erklärung  selbst  «huldigte  dem  Patriotismus  der  National- 
versammlung, der  sie  bei  ihren  Beschlüssen  vom  4.  August  ge- 
leitet hatte»,  gab  aber  zu  förmlichem  Vorbehalt  die  wichtigsten 
der  von  Türckheim  behandelten  Rechte  an.  «In  der  Meinung 
wahrscheinlich,  sagt  Engelhardt, 8  dass  wenn  sie  viel  begehrten, 
man  ihnen  doch  etwas  zugeben  würde.»  Merkwürdig,  bis  zu 
welchen  Mitteln  man  schliesslich  griff  1  «Wenn  die  Stadt  auch 
vergessen  wollte»,  so  heisst  es  u.  a.,  «dass  der  Staatsverfassung 
des  deutschen  Reiches  an  der  Erhaltung  der  von  fremden 
Mächten  garantierten  Traktaten  höchlich  gelegen  sei,  so  würde 
dennoch  die  Commune  auf  diesen  vorbehaltenen  Gerechtsamen 
und  ihrer  Gewährung  bestehen»,  u.  s.  f.  In  Versailles  nahm 
man  die  Erklärung  sehr  übel  auf.  «Ich  möchte  ihnen  nicht 
verheimlichen»,  schreibt  Schwendt,*  «dass  die  Ausdehnung 
ihrer  Vorbehalte  ...  zu  einigem  Murren  veranlasst  hat;  in- 
dessen ist  keine  Bemerkung  laut  geworden,  die  mich  ge- 
zwungen hätte,  sie  zu  verteidigen».  Darin,  dass  am  20.  Sep- 


Antwort  sein,  von  der  die  Deputierten  (vgl.  Rens 8,  l'Als.,  S.  183) 
sagen :  «L'un  de  nous  se  proposait  de  lui  [Reubel]  repliquer».  Der 
Schluss  derselben  entspricht  ganz  dem  Geist  der  Türckheim' sehen 
Schrift:  «aurait-on  fait  trop  de  bien  ä  la  fois,  et  pourra-t-on  le  re- 
aliter sans  prodoire  an  grand  bouleversement?> 

1  Vgl.  Arch.  pari.  IX.  S.  404.  —  Renas,  l'Als.  S.  197  fg.  und 
«Obser  vatio  n  8  pour  la  ville  de  Strasbourg  sur  l'objet  de  l'organi- 
Bation  des  municipalites  da  Royaame»,  1789,  von  Schwendt 

2  Vgl-  Schöffenmemorial  vom  1.  Okt. 
s  Bei  Strobel,  V  S.  368. 

*  Vgl.  Reu s s,  l'Als.  S.  214. 


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133  - 


tember  die  Nationalversammlung  die  Eintragung  ihrer  Beschlüsse 
verordnet  hatte,  lag  für  Strassburg  noch  kein  Grund  nachzu- 
geben. «Wir  sehen  voraus,  schrieb  die  SchöfFenversammlung 
am  24.  Oktober,1  dass  nach  diesem  allgemeinen  Beschluss  auch 
wir  jene  Mitteilung  erhalten  werden  ;  aber  da  die  Erklärung 
.  .  .  die  Aenderungen  enthält,  die  wir  für  unsere  Verhältnisse 
für  nötig  halten,  werden  wir  uns  in  Verlegenheit  hinsichtlich 
der  Eintragung  befinden  ...  Es  hiesse  die  Wirkung,  die  wir 
von  der  Erklärung  erwarten,  vernichten,  wenn  wir  die  be- 
treffenden Beschlüsse  ohne  Aenderung  eintragen  würden». 

Während  sich  so  der  Magistrat,  unter  fortgesetzten  schrift- 
lichen Ergebenheitsbezeugungen  gegen  den  König  und  die  Nation 
im  Kampfe  mit  beiden  befand,  hatte  Türckheim  auf  dessen 
Weiterführung  verzichtet.  Nachdem  er  schon  am  4.  August 
über  eine  schwere  Erkrankung  geklagt,  und  am  22.  September 
seine  Rückkehr  wenigstens  auf  einige  Zeit  in  Aussicht  gestellt 
hatte,  sprach  er  am  24.  schon  von  seinem  Nachfolger2  in  der 
ehren-  aber  schreckenvollen  Stellung,  und  bat  um  seine  Rück- 
berufung.  «Ein  mächtiger  König,»  sagt  er,  «würdig  bewundert 
zu  werden  von  seinen  Völkern,  hat  uns  zusammen  berufen,  .  . 
heute  hält  die  Nation  die  Zügel  der  Regierung  in  der  Hand  ; 
ich  habe  nicht  gegen  ihre  Macht  gekämpft,  ich  konnte,  ich 
durfte  es  nicht.  Bei  Ihnen  steht  es,  in  Ihrer  Weisheit  abzu- 
wägen, ob  Sie  Ihrem  Wunsch  Ihre  Privilegien  und  Ihre  Ver- 
fassung opfern  wollen.»  Der  Grosssiegelbewahrer  forderte  den 
Magistrat  zur  Neuberufung  der  Repräsentanten  auf,  um  den 
Ersatzman  für  Türckheim  zu  wählen.  Aber  weil  dieser  seine 
Absicht  noch  nicht  klar  ausgesprochen  hatte,  gab  man  ihm  die 
Erlaubnis  der  Nationalversammlung  so  lange  fern  zu  bleiben, 
als  seine  Gesundheit  es  erfordere.  Nach  dem  «schreckenvollen 
Tag»  des  5.  Oktober  3  und  der  «ihm  folgenden  noch  grausameren 
Nacht,  in  der  nichts  mehr  heilig  war,»  vermochten  ihn  weder 
die  Aufträge  seiner  Mitbürger  noch  die  Stimme  des  Gewissens, 

1  Vgl.  den  Brief  des  Magistrats  an  Schwendt  vom  24.  Oktober 
(Ges.  Raths  Prot.  Fol.  239  fg ) 

2  Vgl.  Reu ss,  l'Alsace  S.  186,  188,  193. 

8  Vgl.  Türckheim's  «Bericht  an  die  Gemeine  von  Strassburg 
über  die  Lage  der  Nationalversammlung  im  Monat  Oktober  dieses 
Jahres,  als  ioh  dieselbe  verliess.»  1789,  Strassburg  In  französischer 
Uebersetznng  bei  R  e  u  s  s,  l'Als.  S.  249  fg. 


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-    134  - 


«durch  seine  Gegenwart  diese  traurigen  Auftritte  stillschweigend 
zu  billigen,»  und  er  benützte  «den  ersten  Augenblick»  zur  Abreise 
(9.  Oktober),  noch  ehe  die  Gärung  sie  verhindern  konnte.  Er 
überliess  es  Schwendt,1  die  Fahne  des  alten  Freistaats  gegen 
die  neue  Trikolore  aufrecht  zu  halten,  kehrte  nach  Sirassburg 
zurück  und  nahm  seinen  Platz  im  Justizkollegium  ein.  Mehr- 
fache Verdächtigungen  aber  trieben  ihn  dazu,  sein  Amt  als 
Deputierter  sowohl  wie  als  Ratsherr  am  23.  November  ganz 
niederzulegen,2  «in  der  traurigen  Ueberzeugung,  dass  seine  An- 
strengungen fruchtlos  gewesen».    In  seiner  Rechtfertigungs- 
schrift, worin  er  über  die  Thätigkeit  der  Strassburger  Abgeord- 
neten und  die  Lage  der  Nationalversammlung  am  5.  Oktober 
berichtete,  und  die  Gründe  auseinandersetzte,  die  ihn  neben 
seiner  Krankheit,  deren  Wahrhaftigkeit  er  beteuerte,  zum  Rück- 
tritt bewogen  hatten,  legte  er  der  Bürgerschaft  sein  Verhalten 
zur  Beurteilung  dar.    Der  ganze  Unmut  eines  Mannes,  der  das 
Beste  gewollt  und  nichts  erreicht  hat,  als  missverstanden  und 
angegriffen  zu  werden,  spricht  aus  dieser  Schrift.  Daneben 
zeigt  sie,  was  die  Versammlung  hätte  ausführen  können,  wenn 
neben  glänzenden    und   weitblickenden  Rednern    nicht  eine 
Menge  von  begeisterungswilden  Radikalen  und  umsturzlustigen 
Advokaten,  sondern  eine  Schar  wohlmeinender,  ernst  denkender 
und  nüchtern  erwägender  Männer,  nach  Türckheims  Art,  als 
Volksvertreter  verhandelt  und  gewirkt  hätten. 
Er  schreibt  unter  anderem: 

Strassburgs  Abgeordnete  glaubten,  «dass  sie  zwar  gute 
Grundsätze  immer  eifrig  behaupten  helfen,  aber  eben  nicht  mit 
besonderer  Heftigkeit  die  bisherige  Regierungsform,  sondern 
nur  die  Verwaltungsmissbräuche  mutig  angreifen,  auch  auf 
Revolutionen,  nach  welchen  der  Nationalgeist  so  sehr  dürstete, 
eben  nicht  besonders  dringen  sollten.  Dies  war  Ursache  .  .  . 
warum  wir  anfänglich  .  .  .  nicht  ohne  Not  reden  wollten,  und 
bei  dem  gänzlichen  Mangel  an  Freiheit,  die  seit  der  Einführung 
einer  zügellosen  Menge  in  unseren  Saal  ...  es  nicht  mehr 
ohne  Gefahr  konnten,  und  doch  die  trauüge  Ueberzeugung  hatten, 
dass  die  Stimme  der  Mässigung  fruchtlos  sein  werde  .  .  . 

1  Vgl.  Reusa,  l'Als.  S.  210  u.  212. 

»  Vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  247  und  Rathsprotokoll  vom  23.  No- 
vember. 


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n  -  -   —  - 


-    135  — 

Ich  für  mein  Teil  habe  wohl  10  oder  12  mal  das  Wort 
geführt  .  .  .  Unsere  Eigenliebe  war  übrigens  bei  der  gänz- 
lichen Dunkelheit,  worin  man  uns  liess,  gänzlich  beruhigt  .  .  . 
Es  war  eine  kleine  Anzahl  einverstandener  Menschen,  die,  un- 
bekümmert um  ihre  Aufträge  und  derselben  nur  spottend,  in 
wildem  Sturmlauf  alles  niederrissen  .  .  .» 

Nach  einer  innigen  Schilderung  der  «zum  Erbarmen  kraft- 
losen» Lage  des  «stillleidenden»  Königs  und  der  gehässigen 
Angriffe  gegen  alles,  was  unter  den  Begriff  Aristokrat  zu  bringen 
war,  fährt  Türckheim  fort :  «Diesen  verhassten  Namen  hab' 
auch  ich  öfters  tragen  müssen  .  .  .  Wie  viel  gegenwärtige 
Zerrüttung  und  künftige  Besorgnisse  haben  leider  die  allzu- 
raschen Schlüsse  unserer  Nationalversammlung  .  .  .  erzeugt? 
Ich  will  nur  drei  Hauptzüge  berühren,  die  meine  Abneigung 
von  den  angenommenen  Grundsätzen  der  Versammlung,  sowie 
meine  Unthätigkeit  seit  etlichen  Monaten  rechtfertigen.»  —  Es 
sind  dies : 

1.  Die  Versuche  die  Gewalt  des  Königs  durch  das  suspen- 
sive Veto  zu  beschränken.  «Dies  war  gewiss  nicht  der  Sinn 
der  Beschwerdenhefte,  dass  man  dem  König  die  Eigenschaft 
eines  ergänzenden  Teiles  der  gesetzgebenden  Gewalt  absprechen 
wollte.» 

2.  Die  Verletzung  des  Eigentumsrechts.  «Die  unmittelbare 
Folge  der  Annahme  dieses  Grundsatzes  war,  dass  die  Kapi- 
talisten der  Hauptstadt  .  .  .  gewonnenes  Spiel  hatten,  um  die 
allzu  zahlreiche  Menge  von  Advokaten  auf  ihre  Seite  zu  ziehen. 
.  .  .  Man  wollte  dies  grosse  Reich  in  volle  Flammen  bringen. 
.  .  .  Und  war  das  alles  nötig,  um  uns  zur  Freiheit  zu  führen?» 

3.  Die  Abschaffung  der  Privilegien.  Türckheim  bemerkt 
dazu :  «Ich  rüstete  mich,  um  Gerechtsamen  unserer  Stadt, 
sowie  die  besonderen  Kenntnisse  und  ganz  unbekannte  Lage 
unserer  Provinz  umständlich  aufzuklären,  und  auf  feierliche 
Traktate  und  Friedensschlüsse  zu  berufen.  Allein  oft  könnt' 
ich  aller  Vorbereitungen  und  Anfragen  ungeachtet  nicht  zum 
Wort  kommen  ;  und  als  ich  endlich  einmal  die  Kanzel  bestieg, 
um  meiner  Herren  Rechte  zu  verteidigen,1  so  wurd'  ich  so  un- 
günstig empfangen,  so  wenig  angehört  und  von  einigen  Depu- 


»  Vgl  o.  S.  131.  Anm  4. 


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-136- 


tierten  der  Provinz  so  unanständig  unterbrochen,  dass  ich  mich 
selten  mehr  wagte,  in  dieser  rauschenden  Versammlung  das 
Wort  zu  führen.  .  .  .  Mein  Name  war  nun  verhasst,  und  ich 
ward  aus  dem  Grund  unlhätig,  weil  man  nicht  begreifen  konnte, 
dass  die  Gemeine  von  Strassburg  ...  ein  anderes  Interesse 
als  die  Sundgauer  Bauern  und  ihre    heftigen  Stellvertreter 
haben  .  .  .  Diese  drei  Punkte  ...  die  meiner  Ueberzeugung 
schnurstracks  zuwider  liefen  .  .  .  hatten  mein  Herz  tief  ver- 
wundet und  meine  Gesundheit  geschwächt  .  .  .  Mein  Entschluss 
war,  zu.  Ende  Oktober  hierher  zu  kommen  .  .  .  Allein  ein 
neuer  Zufall  zerriss  mein  Herz,  und  nötigte  mich,  diesen  Ent- 
schluss früher  zu  bewerkstelligen.»    Es  waren  die  Ereignisse 
vom  5.  und  6.  Oktober,  die  ihn  aus  Paris  vertrieben.  «Mein 
Vorsatz,  fährt  er  fort,  war,  Ihnen  pflichtmässig  zu  sagen,  dass 

1.  weder  die  Versammlung  noch  Ihr  König  mehr  frei  seien,  .  .  . 

2.  dass  die  Regierungsform  in  Frankreich  völlig  geändert  ist, 
und  also  meine  eidliche  Verpflichtung,  die  mich  kraft  meines 
Heftes  zur  Handhabung  der  monarchischen  Konstitution  bevoll- 
mächtigt, aufhöre  ...  3.  dass  Ihre  Privilegien  u.  s.  w.  be- 
droht und  untergraben  sind.  .  .  . 

Dies  ist  die  traurige  Lage,  in  der  ich  Versailles,  das  ehe- 
dem stolze,  nun  tiefgebeugte  Residenzschloss  unserer  Könige 
verlassen  habe.» 

Trotz  seines  nicht  eben  rühmlichen  Rückzuges,  versuchte 
der  Magistrat  ihn  sich  zu  erhalten.  Er  aber  war  es  über- 
drüssig geworden,  hinfällige  Rechte  länger  zu  verteidigen  ;  und 
einer  vollen  Absage  kam  seine  Erklärung  gleich,  er  könne  es 
in's  Auge  fassen,  im  Dienst  der  Stadt  von  vorne  wieder  anzu- 
fangen, —  wenn  Strassburg  von  den  allgemeinen  Gesetzen 
ausgenommen  werde.  Aber  eben  dies  hielt  er  für  ausgeschlossen, 
und  legte  am  2.  Dezember  seine  sämtlichen  Aemter  nieder. 

Eine  so  ernsthafte  Spaltung  trennte  damals  die  Parteien 
der  Stadt,1  dass  Türckheim  es  nicht  wagte,  seine  Gründe  münd- 
lich darzuthun,  sondern  sie  gedruckt  verteilte,  um  durch  seine 
«in  warmem  Tone  geäusserte  Meinung»  nicht  einen  Ausbruch 
der  Misstimmung  unter  den  Bürgern  hervorzurufen. 

Neben  dem  beginnenden  Zwist  über  die  Annehmbarkeit 
der  Beschlüsse  vom  4.  August   kam  die  Unzufriedenheit  eines 

i  Vgl.  Reusa,  l'Als.  S.  182.  Anm.  1.  undStrobel  V.  S.  371. 


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—   437  — 


Teiles  der  Burger  mit  dem  neuen  Magistrat  zum  Ausdruck. 
Schon  der  «Zundelpatscher»  hatte  im  März  gewarnt :  «Setzt 
die  einen  ab,  wählt  die  anderen,  so  könnt  ihr  sicher  glauben, 
.  .  .  dass  diesen  ihr  neuer  Stand  in  kurzer  Zeit  ebensoviele 
Fehler,  euch  ebensoviele  Veranlassungen  zu  Beschuldigungen  und 
Vorwürfen  geben  wird,  als  wie  bei  jenen.»  Das  war  nun  thatsäch- 
lichder  Fall,  aber  «das  feste  und  kluge  Benehmen  des  königlichen 
Kommissärs,  sowie  der  .  .  .  gemässigte  Geist  der  grossen 
Mehrzahl  der  Bürgerschaft  trugen  viel  dazu  bei,  heftigere  Aus- 
brüche der  gereizten  Leidenschaften  zu  hindern.»1 

Auch  die  Verkündigung  des  Martial-Gesetzes,  die  nach  dem 
Vorbild  der  Hauptstadt  mit  grossem  Gepränge  vor  sich  ging, 
konnte  ihre  Wirkung  nicht  verfehlen.«  Am  27.  November 
durchmass  der  düstere  Zug  die  Stadt. 

Das  Martialische  Gesetz  und  die  übrigen  Schlüsse  der 
Nationalversammlung  wurden  dem  Magistrat  stets  amtlich  durch 
den  Kriegsminister  oder  durch  Necker  zur  Eintragung  über- 
sanit.  Denjenigen  des  August  versuchte  der  Magistrat,  wie 
wir  sehen,  zu  widerstreben.  Aber  Schwendt  hielt  für  gut,  sie 
doch  in  die  Rollen  aufzunehmen,**  da  er  selbst  keinen  Ausweg 
mehr  sah,  die  Vorrechte  zu  wahren.  Dennoch  hielt  er  aus, 
und  versprach  allen  Vorschriften  des  Magistrats  genau  zu 
folgen,  wenn  er  sie  auch  als  verfehlt  ansah.*  Er  that  sein 
Möglichstes,  und  legte  am  40.  November  eine  Note*  bei  dem 
für  die  Feudalrechte  ernannten  Ausschuss  nieder,  zugleich  mit 
der  schon  früher  abgegebenen  Erklärung  der  Stadt.  Er  bean- 
spruchte darin  völlige  Gleichberechtigung  Strassburgs  vor  allem 
mit  dem  Bischof,  was  man  ihm  im  Magistrat  sehr  übel  nahm, 6 


1  Strobel  V.  S.  372 fg.,  und  die  Verordnung,  die  zur  Anzeige  von 
Friedensstörern  auffordert  (30.  Oktober),  bei  Renss,  l'Als.  S.  230 fg. 

2  Vgl.  Gesamten  Raths  Protokoll  vom  27.  November.  —  Renss, 
l'Als.  S.  221.  226.  —  Auch  Schnbart,  a.  a.  0.  S.  841  u.  842.  — 
Strobel  V.  S.  391  fg. 

3  Vgl.  den  Brief  vom  1.  November  bei  Reuss,  l'Als.  S.  234  n.  fg. 

4  Spach,  F.  de  Dietrich  etc.  a.  a.  0.  S.  532  sagt  :  «M.  de 
Schwendt  etait  nn  esprit  chagrin,  dispose  ä  ne  voir  que  le  manvais 
cöte  de  choses,  et  ne  risquant  gueres  de  se  tromper  en  face  de  la 
desorganisation  generale.  II  avait  et6  au  point  de  jeter  le  froc  aus 
orties,  et  de  partir  pour  l'Amerique  avec  M.  de  Lezay-Marnesia». 

*  Vgl.  Reuss,  l'Als.  S.  239  u.  242. 

6  Vgl.  Ges.  Raths  Prot,  vom  17.  Nov.  Reuss,  l'Als.  S.  212, 
235,  236,  237.  Anhang  Nr.  21. 


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—    138  - 

besonders,  da  es  in  dem  ungünstigen  Augenblick  geschehen 
war,  wo  die  geistlichen  Güter  zum  Eigentum  der  Nation  er- 
klärt wurden.  Zwar  ward  in  demselben  Briefe  Schwendt's  auf 
die  Einteilung  des  ganzen  Reichs  in  Departements  sowie  den 
sofortigen  Beginn  der  Verhandlungen  über  die  Munizipalitäten 
hingewiesen,  und  der  Magistrat  halte  sich  sagen  können,  dass 
nunmehr  alles  vergebens  war.  Aber  noch  sah  ein  grosser  Teil 
desselben  mit  bangen  Hoffnungen  auf  Schwendt. 

Als  dieser  am  25.  November  die  Versammlung  betrat,  fand 
er  sie  bereits  eröffnet.  Er  bestieg  die  Rednerbühne,1  und  ver- 
langte die  Erhaltung  des  Magistrats.  Die  Abgeordneten  des 
Elsass  bekämpften  ihn,  und  Lavie  erwiderte  ihm,  «alle  Ein- 
wohner Strassburgs  wünschen  im  Gegenteil  die  Unterdrückung 
einer  so  fehlerhaften  Obrigkeit».  Schwendt  beruhigte  sich  dabei 
nicht.  Er  verlangte,  dass  über  Strassburg  zunächst  nichts  be- 
schlossen werde,  und  dass  er  dem  Ausschuss  die  Verfassungs- 
verhältnisse der  Stadt  vorlegen  dürfe;  auch  verwahrte  er  sich 
gegen  die  FJinmischung  der  elsässischen  Abgeordneten  in  strass- 
burger  Angelegenheiten.  In  ähnlicher  Weise  verwandte  sich 
der  Abbe  d'Eymar,  dem  Reubel  widersprach,  für  Colmar.  Schliess- 
lich ging  die  Versammlung  zur  Besprechung  der  einzelnen 
Artikel  über.  Dennoch  wandte  sich  Schwendt  noch  an  die  für 
die  einzelnen  Privilegien  zuständigen  Ausschüsse. 

In  Strassburg  schmeichelte  man  sich,  noch  einiges  durch 
die  Absendung  eines  zweiten  Abgeordneten  zu  erreichen.  Die 
meisten  Repräsentanten  hielten  sich  jedoch  nicht  mehr  für 
wahlberechtigt  und  wollten  die  Entscheidung  in  Versailles  ab- 
warten. In  der  Bürgerschaft  begann  man  also  diese  Autorität 
anzuerkennen.  Der  Magistrat  aber  stand  solchen  Ansichten 
noch  schroff  gegenüber.  Wir  erkennen  es  aus  dem  Protokoll 
eines  s.  Z.  zur  Abfassung  der  Erklärung  eingesetzten,  noch  zu 
Anfang  Dezember  bestehenden  Ausschusses.2  Da  will  einer 
«steif»  auf  der  Verfassung  bestehen;  andere  nennen  die  Gleich- 

»  Vgl.  Aich.  pari.  X.  253.  —  Einleitung  zu  Schwendt's  Ob- 
servations.  —  Anhang  Nr.  22.  Schwendt  legt  die  in  den  Archives 
Lavie  zugeschriebene  Erwiderung  Reubel  in  den  Mund.  Vgl.  An- 
hang Nr.  22.  —  Spach,  F.  de  Dietrich  etc.  a.  a.  O.  S.  530  verlegt 
es  irrig  auf  den  20.  Dezember. 

2  Vgl.  Acta  der  allg.  Schöffenversaramlung  1789.  1790. 


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—   139  — 


Stellung  aller  Gemeinden  Frankreichs  «einen  grossen  und  er- 
habenen Gedanken,»  trotz  dessen  sich  aber  Schwendl  an  seine 
Erklärung  zu  halten  habe.  «Wir  sollen,  rief  Metzler  aus,  Sitten, 
Charakter,  Sprache,  lauter  Vorteile  aufopfern,  uns  ganz  ver- 
läugnen,  und  den  Inwohnern  des  inneren  Frankreichs  ganz 
gleichstellen?»  Und  trotzdem  die  neue  Richtung  so  manchen 
offenen  Anhänger  hatte,  schlug  M.  Zäpffel  vor,  die  ganze  Ge- 
meinde zu  vernehmen,  und  sich  an  den  König  zu  wenden,  um 
«flehentlich»  die  Erhaltung  zu  erbitten.  Man  müsse  auf  der 
Kapitulation  bestehen  (1.  Dezember). 

Aber  am  folgenden  Tag  ward  in  einem  Briefe  Schwendt's 
verlesen,  dass  das  neue  Gesetz  über  die  Munizipalitäten  sich 
einförmig  auf  alle  Städte  ohne  Ausnahme  erstrecke,  und  es 
kein  Mittel  gebe,  sich  dem  zu  entziehen.1  Fischer  wollte  noch 
Beständigkeit  für  die Verwaltungsglieder  erbitten;  für  die  Richter 
verlangte  er  sie  nicht  mehr. 

Nun  erhob  sich  Dietrich,  und  hielt  eine  längere  Rede,2  die 
ein  gewisser  sieghafter,  aber  auch  ein  mitleidig  verächtlicher 
und  gänzlich  neuer  Ton  durchzieht.  Es  ist,  als  habe  der 
Kommissar  nur  auf  diesen  längst  vorhergesehenen  Augenblick 
ratloser  Nachgiebigkeit  des  Magistrats  gewartet,  um  durch  sein 
Wort  Strassburg  in  die  Arme  der  französischen  Nation  zu 
führen. 

«Werden  Sie  sich,»  so  rief  er,  «an  den  König  und  an  die 
Nationalversammlung  wenden,  oder  werden  Sie  sich  endlich 
darauf  beschränken  mit  Ergebung  die  Beschlüsse  der  National- 
versammlung anzunehmen?  .  .  .  Konnten  Sie  sich  ernstlich 
schmeicheln,  dass  [Ihre  Vorrechte]  davon  ausgenommen  würden? 
Die  Aufträge,  Sie  können  es  nicht  läugnen,  haben  Ihre  Depu- 
tierten zu  Vertretern  der  Nation  gemacht.  Sie  erlaubten  Ihnen 
nicht  mehr,  sich  zu  isolieren.» 

Er  stellte  vor,  Strassburg  als  Departementshauptstadt  werde 
der  Sitz  eines  Hohen  Gerichts  werden,  und  wies  die  Befürch- 
tungen wegen  der  Beeinträchtigung  der  Protestanten  unter 
Namhaftmachung  des  protestantischen  Necker  u.  a.  zurück. 


1  Vgl.  Schwendt's  Brief  an  den  Magistrat  vom  27.  November. 
Original  im  Ratsprotokoll,  2.  Dezember. 

2  Im  Druck  trägt  sie  das  falsche  Datum  des  1.  Dezember.  Es 
fand  aber  nur  am  2.  eine  Schöffenversammlung  statt. 


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140 


«Man  hat  einen  ausserordentlich  beleidigenden  Gedanken  gefasst, 
indem  man  die  Möglichkeit  anzunehmen  wagte,  dass  Katholiken 
oder  Protestanten  sich  zusammenthun  würden,  um  von  den 
öffentlichen  Aemtern  die  Mitglieder  der  einen  oder  anderen 
Religion  auszuschliessen  .  .  .  Ich  werde  mich  über  einen  so 
empörenden  Gedanken  nicht  weiter  auslassen.»»  Ueber  die 
Ständigkeil  der  Verwaltungsbeamten  und  die  Zukunft  der  Zünfte 
tröstete  er  die  geängstigte  Obrigkeit,  der  er  versicherte,  sie 
habe  eigentlich  gar  keine  wirklichen  Verluste  zu  besorgen.  Der 
Magistrat  schwieg  sich  aus.  An  Schwendt  schrieb  er,*  wie 
sonderbar  es  doch  sei,  dass  trotz  der  durch  die  Menschenrechte 
errungenen  Freiheit  der  Bürger,  die  Strassburger  sie  nicht  ge- 
messen sollen. 

Schwendt  konnte  nur  noch  der  Hoffnung  Ausdruck  geben, 
dass  die  gefürchtete  Rheingrenze  nicht  werde  hergestellt  werden. 
Alles  andere  war  verloren. 3 

Die  Beschlüsse  vom  25.  Dezember  über  die  Anerkennung 
aller  Konfessionen  gaben  Dietrich  recht.  Dass  die  Elsässischen 
Abgeordneten,  darunter  Schwendt,  gegen  die  Gleichberechtigung 
der  Juden  Einspruch  erhoben,  beachtete  man  nicht.  Darauf 
folgte  die  Festsetzung  der  Departementsgrenzen.  Der  Magistrat 
schickte  sich  darein. 

Der  letzte  Seufzer  der  hinsterbenden  reichsstädtischen  Eigenart 
Strassburgs  klang  aus  in  dem  Wunsch,  die  deutsche  Mutter- 
sprache als  Amtssprache  zu  behalten.* 

Die  unanfechtbare  Entscheidung  brachte  aber  erst  am 
2.  Januar  eine  weitere  Rede  Dietrichs,5  worin  er  das  Verlangen 
der  Zunft  «zur  Lucern»,  das  sich  gegen  die  sofortige  Eintragung 


1  Dass  die  Konfession  eines  der  Haupthindernisse  für  den  poli- 
schen Anschluss  der  Protestanten  Strassbnr  gs  an  Frankreich  w  ar, 
geht  besonders  dent lieh  aas  dem  «Patriotischen  Wochen- 
blatt >  (Beil.  zum  2.  Stück,  15.  Dez.)  hervor. 

2  Am  5.  Dezember  (vgl.  Protokoll) ;  z.  Tl.  abgedruckt  im  Anhang, 
Nr.  23. 

3  Vgl.  Reu  ss,  l'Als.  S.  279  u.  278.  Schwendt  war  der  Einzige 
von  allen  Deputierten  gewesen,  der  gegen  das  Munizipalgesetz  Ein- 
sprach erhoben  hatte. 

*  Vgl.  Ges.  Raths  Prot,  vom  28.  Dez.  Anders  das  Schöffen- 
kollegium. Hier  war  noch  am  2.  Januar  1790  aus  Fischers  Mund 
der  Protest  zu  hören,  dass  die  Stadt  nicht  auf  ihre  Vorrechte  ver- 
zichtet habe! 

»  Vgl.  Anhang  Nr.  24. 


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—   141  - 


der  Beschlüsse  über  die  Munizipalitäten  wendet,  geradezu  als 
gefährlich  bezeichnet,  jeden  weiteren  Zweifel  als  ein  Verbrechen 
brandmarkt.  Das  bisherige  Verhalten  Strassburgs  gegenüber 
den  Beschlüssen  der  Nationalversammlung  sei  nicht  danach  an- 
gethan,  sich  ihnen  jetzt  nicht  fügen  zu  wollen. 

«Verbreiten  Sie,  so  rief  er  aus,  mit  Verschwendung  die 
heilsamen  Gesetze,  die  sich  Schlag  auf  Schlag  folgen ;  möchten 
alle  unsere  Einwohner  davon  durchdrungen  werden.  Klaren 
Sie  sie  auf.  Das  ist  die  Mitteilung,  die  Sie  ihnen  schulden !» 

So  redete  derselbe  Mann,  der  am  11.  Juli  versprochen 
hatte,  die  alte  Verfassung  seiner  Vaterstadt  zu  schützen.  Am 
18.  März  1790,  an  dem  «Totenfest  einer  glänz-  und  ruhmvollen 
deutschen  Vergangenheit»  war  er  Maire  von  Sirassburg. i 

Er,  der  äusserlich  bescheidene  und  stets  zum  Rücktritt  be- 
reite Diener  seines  Königs,  der  kluge  Berater  des  Magistrats 
und  der  würdevolle  Freund  der  Bürger,  zwischen  Beiden  der 
nirgends  anstossende  Vermittler,  ward  mit  dem  Posten  betraut, 
den  er,  wo  nicht  von  Anfang  an  erstrebt,  jedenfalls  nicht  un- 
gern angetreten,  aber  auch  mit  dem  Leben  bezahlt  hat.  Die  in 
den  früher  gekennzeichneten  Pamphleten«  gegen  ihn  ge- 
schleuderten Verdächtigungen  ermangeln  allerdings  des  Be- 
weises. Dennoch  würde  die  moralische  Würdigung  Dietrichs 
nicht  eben  zu  seinen  Gunsten  ausfallen,  wollte  man  sein  wider- 
spruchsvolles Auftreten,  und  das  Bekennen  seiner  wahren  Ueber- 
zeugung  erst  im  gefahrlosen  Augenblick,  an  sich  beurteilen. 
Auf  jeden  Fall  wird  man  in  Betracht  ziehen  müssen,  wie  die 
Verhältnisse  und  Vorgänge  der  Zeit  auch  auf  diesen  hoch- 
und  vielseitig  gebildeten  Mann  gewirkt  haben  mögen.  Es  ist 
nicht  ausser  acht  zu  lassen,  dass  er  durch  seinen  langen  Auf- 
enthalt in  Paris  und  den  Verkehr  in  der  dortigen  vornehmen 
Gesellschaft,  man  möchte  sagen,  mehr  französisch  geworden, 
als  so  viele  seiner  Mitbürger  es  waren.  Daher  konnte  er  auch 
der  ganzen  Bewegung  von  höherem  Gesichtspunkte  aus  folgen, 
als  diese,  und  begreiflicherweise  mit  besserem  Verständnis  für 
das  Wesen  der  Nation  und  ihre  Wünsche  durchschauen,  dass 
es  für  sie  kein  Aufhalten,  für  Strassburg  kein  Widerstreben 
mehr  gab.  Wie  den  Adel  nach  dem  4.  August,  mag  auch  ihn 


i  Vgl.  Strobel  V.  408  fg. 

s  Gräuel  der  Verwüstung  und  Räuberbande. 


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-    142  - 

der  Drang  der  Anpassung  an  das  Ganze  erfasst  haben,  was 
ihn  dann  in  Widerspruch  mit  seiner  zuvor  geäusserten  Absicht 
setzte,  und  ihn  dazu  brachte,  nicht  ohne  Spitzfindigkeiten, 
seine  Mitbürger  an  der  Berechtigung  ihres  Widerstandes  irre 
zu  machen.  Es  Hess  ihn  vergessen,  dass  die  Kapitulation  ein 
völkerrechtlicher  Vertrag  war,  dessen  Bestimmungen  durch  die 
Gesetze  der  Nationalversammlung  nicht  berührt  werden  konnten, 
und  deren  Kontrahenten  sich  diesen  Gesetzen  keineswegs  fügen 
mussten,  der  französische  König  ebensowenig  wie  seine  freie 
Stadt  Strassbarg.  So  aber  verliess  Dietrich  den  Standpunkt, 
dem  er  ursprünglich  entwachsen  war  und  wo  seine  einfluss- 
reichsten Mitbürger,  wohl  auch  sein  Vater  noch  standen,  nämlich 
den  der  Verteidigung  der  Rechte  der  Stadt  bei  Aufrechthaltung 
loyaler  Gesinnungen  gegen  den  französischen  König. 

Noch  mehr  der  Feinde  als  vordem  musste  ihm  sein 
späteres  Vorgehen  erwecken.  Und  die  Treue,  womit  er  an  der 
von  ihm  verteidigten  neuen  Konstitution  hielt,  sowie  der  Um- 
stand, dass  er  dies  auch  in  seiner  Stellung  als  Oberster  in  der 
Gemeinde  äusserlich  durch  seinen  Beitritt  zum  Club  der  Kon- 
stitutionsfreunde kundthat,  gab  ihnen  Gelegenheit,  sich  an  ihm 
zu  rächen  :  er  starb  auf  dem  Schaffot. 

So  blieb  er  seinem  Enthusiasmus  für  das  Neugeschaffene, 
wie  so  viele  Franzosen  und  auch  so  mancher  bedeutende 
Deutsche  im  Innersten  davon  ergriffen,  treu,  wenn  man  auch 
nicht  .sagen  kann,  dass  er  seiner  Vaterstadt  in  jeder  Hinsicht 
einen  Dienst  mit  seinem  Vorgehen  geleistet  hat. 

Wir  haben  gesehen,  dass  die  alten  Zustände  in  Strassburg 
auch  Schäden  aufwiesen,  welche  die  heftigen  Auftritte  und  die 
schwache  Widerstandsfähigkeit  gegen  das  herandringende  Neue 
begreiflich  machen.  Deutlicher  aber  als  zu  irgend  einer  Zeit  seit 
der  Vereinigung  mit  Frankreich  trat  der  Hang  zur  Selbständig- 
keit in  dem  Jahre,  dessen  Verlauf  wir  hier  gefolgt  sind,  hervor. 
Schärfer  als  Türckheim  es  öffentlich  in  seinem  «Staatsrecht» 
gethan,  konnte  der  Wunsch  nach  Bewahrung  der  verbrieften 
Rechte  nicht  geäussert  werden,  und  doch  wurde  diese  Schrift 
auf  Kosten  des  Magistrats  gedruckt.  Und  dass  die  darin  aus- 
gesprochenen Befürchtungen  nicht  ungerechtfertigt  waren,  be- 
weist die  Reue,  die  den  seine  Vaterstadt  liebenden  Strassburger 
alsbald  ergriff,  als  die  veränderten  Verhältnisse  in  ihren  Wir- 
kungen fühlbar  wurden. 


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-    143  - 


Dass  Vieles  davon  unzweifelhaft  praktischen  Wert  für 
Strassburg  hatte,  ist  nicht  zu  bestreiten.  Die  Aufgabe  der  her- 
gebrachten eigentümlichen  Verwaltung  und  Rechtsprechung, 
sowie  der  «Steuerfreiheit»  zu  befürworten,  mochte  man  immer- 
hin zum  Lobe  Dietrichs  als  Triumph  des  bon  sens  rühmen.1 
Die  Uebertragung  der  Departementseinteilung  jedoch,  d.  h. 
die  Einbeziehung  der  bisher  selbständigen  Verwaltung  der  Stadt 
in  die  des  ganzen  Königreichs,  und  vor  allem  das  Bestreben, 
die  ihren  Handel  und  Gewerbe  berührenden  Veränderungen 
zu  verteidigen,  war  einseitig,  und  man  wird  es  nicht  als 
kräftige  Befürwortung  der  städtischen  Interessen  bezeichnen 
dürfen.  Auch  trat  in  den  beteiligten  Kreisen  in  der  That  rasch 
genug  die  Ernüchterung  ein.  Wir  erkennen  dies  aus  einem 
Schriftchen  jenes  Th.  Fr.  Ehrmann  aus  dem  folgenden  Jahre 
1790,2  das  besonders  Strassburgs  materielle  Lage  unter  den 
neuen  Verhältnissen  bespricht.  Der  Verfasser  sagt  u.  a.  : 

«Strassburg  war  vor  der  Revolution  ein  blühender  Handels- 
ort ..  .  Was  sollte  man  nicht  hoffen  dürfen  jetzt,  da  aller 
Zwang  bürgerlicher  Nahrung  aufhört  und  jeder  treiben  darf 
und  treibt,  was  er  will?  ...  Ich  fange  aber  beinahe  an,  alle 
meine  grossen  Hoffnungen  und  die  zuversichtliche  Meinung, 
die  ich  von  dem  dermaligen  Glück  hatte  ,  aufzugeben.  —  Der 
Handel  leidet  hier  im  allgemeinen  Stockung  ...  das  baare 
Geld  ist  verschwunden  .  .  .  der  Kredit  der  besten  Häuser 
wankt;  der  Kaufmann  findet  für  seine  Waaren  keinen  Absatz.» 
—  «Nur  der  Patriotismus  verhindert  augenblicklich  das  Einsehen 
des  grossen  Schadens.»  —  «Nicht  der  Handel  allein  aber  hat 
den  schrecklichen  Stoss  erlitten.  Alle  anderen  bürgerlichen 
Geschäfte  fühlen  ihn  mit  .  .  .  Mit  einem  Wort,  alles  bürger- 
liche Gewerbe  liegt  dermalen  hier  in  den  letzten  Zügen.»  — 
Dies  könnte  man  ja  wohl  auf  die  allgemeine  finanzielle  Not 
zurückführen.  Aber  es  folgen  die,  des  Magistrats  Besorgnisse 
glänzend  rechtfertigenden  Worte:  «Der  Handel  ins  Ausland  ist 
gehemmt  und  der  Speditionshandel  rnuss  ganz  vernichtet  werden.» 
Das  war  die  Folge  der  Aufhebung  der  Privilegien,  der  Kapi- 
tulation :  «Strassburg  war  doch  unter  der  vorigen  Konstitution 


1  Spach,  F.  de  Dietrich  a  a.  0.  S.  531. 

2  Briefe  eines  reisenden  Deutschen  über  das  Elsass.  1790. 


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—   144  — 

reich  und  blühend,  und  wird  sich  bei  der  neuen  schwerlich  im 
gleichen  Zustand  erhalten./)  — 

Die  schwierigen  und  wichtigen  Fragen,  die  sich  hier  auf- 
drängen, sind  nicht  durch  die  Betrachtung  der  Geschieh te  des 
Jahres  1789  allein  zu  beantworten.  Aber  einen  Beitrag-  dazu 
liefert  wohl  das  Studium  der  Quellen,  die  hier  auszugsweise 
mitgeteilt  worden  sind,  und  von  denen  besonders  wichtige,  die 
noch  nicht  veröffentlicht  waren,  im  Anhang  wörtlich  wieder- 
gegeben werden. 


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Anhang. 


Schriftstücke  und  Auszüge  aus  solchen,  dem 
Strassburger  Stadt-Archiv  entnommen. 

(Die  Rechtschreibung  ist  besonders  bei  den  in  den  Protokollen  ent- 
haltenen Abschriften  der  Originale,  vor  allem  in  bez.  anf  die  Ac- 
cente,  sehr  mangelhaft.  Ich  habe  mich  bemüht  diese  Unebenheiten 
auszugleichen,    besonders    Bezeichnendes    aber    buchstäblich  mit 

übernommen). 

I. 

Brief  Dietrichs  an  den  Magistrat. 

Paris,  le  23.  fevrier  1789. 

Messieurs. 

J'avais  engage  mon  pere  ä  vous  rassurer  sur  les  inquiätudes 
que  vous  paroissies  avoir  au  sujet  de  la  representation  de  la  ville 
aux  etats-generaux :  je  lui  avois  marquö,  Messieurs,  que  s'il  y  avoit 
la  plus  legere  apparence  de  changement  aux  dispositions  qui  avoient 
ete  faites  en  ma  pr6sence,  je  veillerois  ä  ce  que  vous  fussies  aver- 
tis  ä  temps.  Je  pense,  Messieurs,  ne  pouvoir  mieux  faire,  que  de 
voua  adresser  un  exemplair  (sie)  du  reglement  qui  vient  de  paroitre ; 
c'est  en  ma  presence  qu'a  ete  fermee  et  remise  du  courrier  la  lettre 
que  le  Roi  vous  6crit  en  cons6quenoe  de  ce  reglement :  eile  a  6te 
envoyee  hier  apres  mid*  ä  M.  le  Marechal  de  Stainville  pour  vous 

10 


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-    146  — 

la  faire  passer.  Je  n'ai  pas  voalu  quitter  Versailles  sans  avoir  ete 
temoin  de  l'expedition  de  cette  lettre,  afin  de  pouvoir  vous  tran- 
quilliser  complettement. 

J'ai  l'honneur  d'etre  avec  respect  et  an  entier  devouement, 

Messieurs, 

votre  tres  humble  et  obeissant  serviteur 
le  Bon  de  Dietrich. 

II. 

Der  Hagistrat  an  Puysegur. 

(Nach  dem  Entwurf.) 

Paris,  le  12.  mars  1789. 

Monseigueur. 

La  distinction  d  une  deputation  directe  aux  Etats-generaux 
accordee  au  Tiers  Etat  de  cette  ville,  lui  präsent  a  la  verite  la  voie 
du  scrutin  pour  l'61ection  de  ses  deputes;  mais  cette  circonstance 
paralt  d'autant  moins  un  motif  d  exception  sur  l'objet  du  suffrage 
conservS  aux  officiers  mnnicipaux,  qu'elle  assure  d'avantage  par  la 
nation  m£me  la  libert^  de  cette  61ection  et  que  d'ailleurs  la  faveur 
obtenue  par  la  Tille  de  Strasbourg  de  l'envoy  direct  de  deux  depa- 
tes  se  trouve  compensee  pour  les  autres  villes  du  Royaume  par  le 
plus  grand  nombre  de  leurs  deputes  aux  assemblees  des  Bail- 
lages. 

Le  nombre  des  assesseurs  du  Tiers  Etat  en  nos  assemblees  or- 
dinales etant  de  42,  il  nous  a  paru  trop  considerable  en  proportion 
de  140  ou  löO  deputes  qui  par  apercu  nous  viendront  de  la  part 
des  assemblees  partielles  indiquees,  et  nous  avons  cru  devoir  donner 
Texemple  de  renoncer  ä  tonte  distinction  ä  cet  egard  et  pouvoir 
espoir  de  la  confiance  de  nos  citoyens  l'occasion  de  concourir  a  ce 
que  l'interet  de  la  chose  publique  pourra  exiger. 


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—    147  - 


III. 

Der  Magistrat  an  Gerard. 
(Nach  dem  Entwurf.) 

Strasbourg  le  25.  mars  1789. 

Monsieur. 

Induit  en  erreur  et  excitä  par  plnsieurs  Berits  et  imprimäs  ano- 
nimes  repandus  sourdement,  le  gros  de  la  Bourgeoisie  s'est  livre  ä 
un  premier  mouvement  de  mäfiance  et  d'insurrection,  qui  a  presque 
g6neralement  opere  l'exclusion  des  Magistrats  des  Echevins  et  de 
tont  ce  qui  n'appartenait  pas  aux  corps  de  metiers.  Le  eboix  n'a  pas 
repondu  dans  toutes  les  assemblees  ä  la  confiance  que  nous  avions 
cru  pouvoir  leur  temoigner,  ni  m&me  aux  bons  avis  anxquels  nous 
nous  etions  bornes  sur  l'objet  de  l'alternative,  et  nous  ne  sommes 
pas  sans  inquietude  sur  les  intentions  personnelles  peut-etre  peu  pa- 
triotiques  de  Tun  ou  l'autre  des  däputes  61us  .... 

Vous  serez  sans  donte  6tonn6s,  comme  nous  l'avons  6te  nous 
memes,  de  voir  a  la  tete  des  deput6s  de  la  manance  M-  le  Baron 
de  Klinglin,  Lieutnant  du  Roi ;  non  seulement  il  a  aeeeptä  la  depu- 
tation,  mais  il  se  trouve  aussi  aux  membres  des  commissaires  pour 
la  redaction  du  cahier  general,  et  parait  donner  la  plus  grand  at- 
tention ä  cette  mission  ainsi  qu'ä  tout  ce  qui  pourrait  lui  concilier 
les  suffrages  lors  de  l'election  definitive.  Nous  devons  nous  abstenir 
de  tonte  räflexion  ä  ce  sujet. 

Les  126  deputßs  du  tiers  tous  presque  ä  Passemblee,  ont  pr6t6 
le  serment  nöcessaire  de  proceder  fidelement  tant  ä  la  redaction  du 
cahier  que  en  suite  ä  l'election  definitive  des  deputes  aux  etats-g6n6- 
raux  comformement  aux  reglements. 

Quant  aux  Commissaires  nommee  pour  preparer  cette  redaction, 
il  en  a  et6  deliberä,  et  au  lieu  de  les  choisir  par  des  elections  ge- 
nerales  sur  la  totalite  de  l'assemblee,  la  majorite  des  opinions  s'est 
reuoie  a  laisser  aux  deputes  de  chaque  tribu  ou  assemblee  parti- 
culiere  de  nommer  un  d'entr'enx  pour  assister  ä  lad.  redaction  pr6- 
liminaire  et  denx  deputes  pour  les  tribus  qui  en  raison  de  leur  plus 
grand  nombre  de  tributaires  se  trouvaient  avoir  six  representants  ou 
au  dela. 

11  en  a  r6sult£  une  commission  de  32  persönnes  dont  vous  trou- 
verez  egalement  la  liste  ci  jointe. 

Ce  sont  encore  les  deputes  tires  des  corps  de  metiers  qui  ont 
fait  la  loi  ä  cet  egard  contre  le  voeu  des  plus  eclaires  qui  auroient 
preferä  une  election  commune  et  libre  de  commissaires  pour  lad. 


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—    148  — 


rSdaction  Le  meme  esprit  de  mäfiance  paroit  donc  avoir  gnide"  sur 
le  choix  de  cette  commission. 


IV. 

Die  Deputierten  an  die  Kammer  der  XHIer. 

Versailles  le  9.  May  1789. 

Messieurs, 

Nous  nous  sommes  rendus  ä  Versailles  le  26.  pour  faire  notre 
cour  aux  Ministies  et  prendre  possession  du  quartier  que  nous  y  oc- 
cupons.  Nons  y  apprimes  qne  l'onvertnre  des  Etats-gäneraux  etait 
retardee  de  hnit  jours,  et  qne  le  costnme  assigne  anx  trois  ordre« 
annon^ait  ponr  le  tiers-ätat  nne  distinction  entre  les  gens  de  robe 
et  les  antres  dSputes,  en  conservant  aux  premiers  )a  robe  Nous 
crümes  devoir  repi6senter  ä  M.  le  Marquis  ds  Breze,  grand  maitie 
des  ceiämonies,  qne  les  Magistrats  de  la  Ville  de  Strasbourg,  juges 
des  habitans  tant  au  civil  qu'au  criminel,  et  formant  a  raison  de 
leur  capitnlation  nne  mnnicipalite  uniqne  daus  le  Royaume,  avaient 
un  costnme  particulier  et  desiraient  le  conserver,  puisqu'ils  ne  por- 
taient  pas  de  robe,  quoiqu'appartenant  ala  Magistratnre.  Cette  recla- 
mation  jointe  k  celle  de  la  ville  de  Lyon  et  ä  quelques  antres  parait 
avoir  influ6  sur  le  changement  publie  par  l'ordonnance  dn  Roi  da  1 ... 
par  laquelle  Sa  Majeste  a  annonce,  que  däsirant  connaitre  les  depu- 
tes  aux  Etats-gen6raux,  ils  devaient  se  faire  inscrire  chez  M.  de 
Breze1,  et  qne  le  costnme  dn  tiers-6tat  serait  uniforme  pour  tous 
ses  döputes,  habit  complet  noir,  mantean  court  de  soie  ou  voile,  cra- 
vate  de  mousseline  et  cbapeau  retrousee  (sie)  des  trois  cötes  sans 
gauce  (sie)  et  bouton. 

La  Präsentation  eut  lieu  le  samedy  2.  May.  Par  erreur  la  ville 
de  Strasbourg  avait  6te  oubliöe  sur  la  liste  et  nous  avons  appris 
depnis  que  cette  erreur  est  provenue  de  ce  que  le  Roi,  ayant  decidä 
qne  Tordre  des  provinces  nouvelles  serait  observä  d'apres  la  datte 
(sie)  des  r£unions :  on  avait  class6  Strasbourg  en  1681,  apres  la 
Flandre  et  Franche-Comte*  et  que  sur  les  observations  des  bureaux, 
que  cette  ville  appartenait  ä  TAlsace,  on  l'avait  ränge  sans  rera- 
placement. 


1  27.  April.  Vgl.  Moniteur,  Introduction  S.  616. 


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—   149  — 


Comme  on  voulut  nous  ranger  apres  les  dix  villes  de  la  pre- 
fecture  dejä  precedees  par  les  deputes  du  plat  pays ;  nous  suivtmes 
sans  le  savoir  la  premiere  determination,  et  pour  ne  pas  porter  pre- 
judice  au  rang,  qui  nous  semblait  dü  ä  la  capitale,  nous  laissämes 
passer  les  provinces  reunies  par  la  paix  des  Pyrenees  et  de  Nimvegue 
et  marchämes  immedial ement  avant  la  Lorraine. 

Nous  crumes  au  retour  devoir  protester  entre  les  mains  de  M. 
de  Breze,  et  demander  qu'on  reglät  notre  rang,  et  nous  remimes  le 
lendemain  ä  M.  le  Comte  de  Puysegur  en  main  propre  la  note,  dont 
nous  joignons  copie.  Le  Ministre  nous  promlt  d'y  faire  attention: 
Tan  de  nous  en  parla  longtemps  ä  M.  de  Campi,  que  nous  trouvämes 
en  general  dispose  ou  ne  pas  plus  favorablement,  pour  la  ville,  et 
eut  occasion  de  conferer  le  soir  avec  M.  Lessart  Charge  du  rapport 
au  bureau  des  Etats-generaux,  qui  nous  opposa  le  principe  adopte 
par  le  Roi,  et  la  datte  posterieure  de  notre  reunion 

Le  lundy  se  fit  la  procession  avec  toutes  les  solemnitea:  la 
nation  fut  entonree  ce  jour  et  le  lendemain  de  tont  l'eclat  du  tröne. 
11  est  inutile  de  vous  en  marquer  les  details,  que  vous  aurez  deja 
vu  consignes  dans  les  papiers  publics:  mais  nous  esperons  pouvoir 
joindre  a  cette  lettre  les  discours  prononces  le  1er  jour  par  Monsieur 
l'Eveque  de  Nancy,  et  le  second  jour  par  le  Roi  et  les  deux  Ministies. 
Celui  du  Roi  fut  debit6  avec  autant  de  noblesse  que  de  bonte:  on 
n'en  perdit  pas  un  mot  dans  tous  les  coins  de  la  salle  qui  contenait 
de  cinq  mil  ämes. 

A  la  procession  le  tiers-etat  n'eut  point  de  rang  et  demanda  ä 
y  aller  sans  appel,  comme  citoyens  d'nne  raerae  famille,  mais  le 
lendemain  le  heraut  d'armes  appela  encore  les  villes  cy-devant  im- 
periales apres  les  baillages  Nous  avions  prepare  de  la  veille  une 
protestation  nouvelle,  dont  nous  joignons  egalement  copie.  Nous 
n'avons  pu  en  faire  usage,  vu  la  Separation  des  ordres  et  l'inaction 
de  celui  du  tiers,  qui  ne  cessera  gueres  que  la  semaine  prochaine, 
si  le  genie  tut^laire  de  la  France  et  celui  de  la  concorde  nous 
rallient. 

Nous  serions  bien  aises,  Messieurs,  de  seavoir  ce  que  vous  pensez 
du  principe  que  nous  y  avons  depose.  apres  une  conf6rence  de  la 
veille  avec  une  personne  de  ce  pays  le  plus  instruite  en  matiere  de 
droit  public  de  l'empire  en  general.  et  de  notre  province  en  par- 
ticulier. 

Ces  prineipes  tendent  k  etablir,  que  la  Suprematie  ou  le  supreme 
domaine  de  TAlsace  entiere  avait  ete  cedee  au  Roy  par  la  clause 
ita  tarnen  de  la  paix  de  Vestpbalie,  que  la  superiorite  territoriale 
seule  avait  rest6e  entre  les  mains  des  princes  seigneurs  et  villes  de 
l'Alsace  a  l'exception  patrimoniale  de  la  maison  d'Autriche,  cädees 
par  la  raerae  paix  a  la  France  comme  propri6te:  que  les  arrfcts  des 


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chambres  de  reunion  ainsi  que  les  capitulations  particulieres, 
notamment  Celles  de  Strasbourg,  n'avaient  ea  poar  bat  et  objet, 
que  de  revendiqaer  de  la  superiorite  territoriale,  que  le  Roi  avait 
jug6  incompatible  avec  la  sou  verainet6. 

Si  cette  distinction,  Messieurs,  paralt  senle  propre  d'un  cöte  ä 
justifier  les  reunions  subsequentes  qui  sans  eile  porteraient  le  carac- 
tere  de  la  violence  et  de  l'injustice:  d'un  autre  notre  ville  poarrait 
y  gagner  un  Palladium  plus  assure  de  ses  franchises  et  libertes, 
puisque  la  capitulation  a  ete  si  souvent  attaquee  par  les  intendants 
et  chefs  de  la  Cour  souveraine  comme  une  capitulation  bourgeoise 
semblable  &  celle  de  Lille,  qui  a  ete  tant  enfreinte;  et  meme  comme 
un  titre  affaibli  par  la  paix  de  Rysvick,  qui  a  prononce  la  renon- 
ciation  finale  de  l'Empire  sur  Strasbourg,  et  que  moyennant  cette 
distinction,  qui  de  fait  existe  encore  de  nos  jours  pour  les  etats 
d'empire  relativement  a  lenr  liaison  envers  le  corps  germanique  et 
son  chef,  la  Suprematie  ou  souverainete  sur  les  deux  Landgraviats, 
par  lesquels  les  negociateurs  de  la  France,  lors  de  la  paix  de 
Vestphalie  ont  certes  entendu  l'universalit6  des  etats  mediats  et 
immediats  de  la  province,  qui  se  trouvent  dans  son  enclave,  appar- 
tenait  ä  la  France  par  les  §  73  et  74  et  la  clause  ita  tarnen  du 
§  87;  mais  que  celle-cy  s'est  formellement  engagee  par  l'article 
teneatur  du  meme  traite,  dans  lequcl  eile  est  partie  contractante, 
de  conserver  Timmediatete  et  le  plein  exercice  de  la  superiorite 
territoriale  aux  etats  cy-devant  d'Empire  en  Alsace,  notamment  a 
Strasbourg:  qu  ainsy  les  droits  et  Privileges  de  cette  derniere  Ville 
reposent  suivant  cette  doctrine  sur  une  double  base:  sur  la  paix  de 
Vestphalie,  qui  est  un  traite  de  pacification  du  droit  des  gens  et  sur 
la  capitulation,  qui  doit  l'etre  consideree  comme  loi  publique  et  con- 
stitutionelle  d'Alsace. 

C'est  d'apres  ces  principes,  Messieurs,  que  nous  comptons  d^fendre 
avec  energie  et  courage  les  droits  et  interets  de  la  ville,  si  comme 
il  est  ä  craindre,  on  venait  ä  les  attaquer,  et  reclamer  toujours  en 
derniere  analyse  Intervention  du  Ministere,  seul  competent  pour 
interpreter  les  traites  de  paix,  qui  ne  sont  pas  des  Conventions 
nationales  mais  des  contrats  bilateraux,  qui  lient  le  souverain  möme. 
II  serait  sans  doute  a  desirer,  que  tous  les  etats  privilegies  de 
r Alsace,  connaissant  mieux  leurs  vrais  interSts,  s'unissent,  pour  la 
defense  commune  de  notre  Constitution  privilögiee,  au  lieu  de  s'isoler 
et  d'affaiblir  leur  propre  cause  .  .  . 

Nous  avons  Thonneur  etc. 

Türckheim.  Schwendt. 


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—  151 


V. 

Copie  dn  Memoire  envoye  ä  M.  le  Comte  de  Puysegnr,  secretaire 
d'Etat  an  departement  de  la  guerre,  le  3.  may  1789,  avec  iine 
lettre  d'accompagnement  du  d.  3.  may, 

(von  den  Deputierten  der  Stadt  Strassburg, 

Abschrift  im  Xlller  Protokoll). 

Les  d6putes  de  la  Ville  de  Strasbourg  ayant  ete  oublies  lors  de 
l'appel  des  deputations  dn  tiers-etat  fait  ponr  lenr  presentation  au 
Roi,  quoiqu'ils  avaient  envoye,  conformement  aux  ordres  dn  Roi,  des 
le  28e  lenr8  noros  et  qualites  ä  M.  le  Marquis  de  Breze  se  sont  vu 
frnstres  dn  rang  qu'ils  croyent  devoir  reclamer  dans  l'assemblee  dn 
tiers-etat  de  la  province  d'Alsace  comrae  representants  de  la  Ca- 
pitale. 

Les  baillages  fictifs  de  Hagnenan,  Colmar  et  Beifort,  qni  ne 
peuvent  etre  assimilies  anx  Sieges  royaux,  parce  qu'ils  n'ont  ete  eta- 
blis,  ainsi  qne  le  porte  le  reglement  de  convocation,  que  ponr  cette 
circonstance  seulement,  ayant  des  lors  pris  de  fait  le  pas  snr  les 
depntes  de  Strasbourg  et  des  dix  villes  de  la  prefecture,  et  soutenu 
qne  cette  precedance  lenr  etait  due,  comme  reunis  ä  la  couronne 
anterieurement  a  la  Capitale:  les  depntes  de  celle-ci  seront  classes 
provisoirement  et  sons  le  principe  avance  par  les  depntes  du  plat 
pays.  apres  la  Flandre  et  la  Franche  Comte,  et  avant  la  Lorraine. 

Mais  pourque  la  meme  incertitude  ne  s'61eve  une  seconde  fois 
lors  de  la  procession  pnblique,  et  n'occasionne  des  discnssions  con- 
traireß  ä  Tnnion  si  desirable  entre  representants  d'une  meme  pro- 
vince :  les  Deputös  de  la  Ville  de  Strasbourg  ont  l'honneur  de  re- 
presenter  ä  Mgr.  le  Comte  de  Puysegnr: 

1.  que  cette  ville  a  ete  avant  le  moment  de  son  henreuse  reu- 
nion  ä  la  France,  6tat  immediat  de  TEmpire,  jonissant  de  tous  les 
effets  de  la  superiorite  territoriale,  et  traitant  snr  le  pied  de  repu- 
blique  avec  des  sonverains;  qu  elle  s'est  soumise  librement  ä  la 
France  en  1681,  en  vertu  d  une  Capitnlation,  qni  lui  conserve  tous 
ses  droits  et  privileges ;  que  le  tiers-etat  de  la  campagne  ne  pent 
raisonnablement  pretendre  preseance  snr  eile,  ainsi  que  snr  les  dix 
villes,  tandis  qne  par  l'ancienne  Constitution  de  la  province  le  tiers- 
etat  soumis  anx  Seigneure  n'avait  aucun  titre  ni  rang,  et  qu'il  ne 
forme  ordre  dans  Torganisation  de  la  province  qne  depnis  la  cr6a- 
tion  de  Tassemblee  provinciale. 


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-    152  - 

2.  qn'en  faisant  abstrahir  de  cette  Constitution  privilegiee,  et  en 
n'invoqnant  que  le  droit  common,  la  capitale  d'une  province  qui 
forme  an  veritable  baillage  avec  pleine  attribation  des  cas  royaux, 
raeme  du  droit  de  juger  ä  vie  et  mort  sans  appel,  qui  lui  a  ete  con- 
serv6  jusqu'ä  ce  jour  par  sa  Capitulation,  doit  avoir  le  pas  aar  le 
plat  pays,  surtout  lorsque  celui-ci  n'est  pas  reuni  en  baillages,  qui 
pourraient  alleguer  en  leur  faveur  un  titre  d'6tablissement  an- 
terieur. 

3.  que  la  ville  de  Strasbourg  serait  fondee  ä  se  garder  comme 
une  petite  province  ou  generalite  distincte  de  l'Alsace  puisqu'elle  a 
son  territoire  et  ses  formes  particulieres :  quelle  est  r6gie  par  une 
administration  s6paree  de  celle  de  la  province,  placee  nuement  sous 
la  protection  du  Ministere  de  la  guerre  :  mais  que  ne  voulant  pas 
se  separer  de  la  province,  et  diviser  des  efforts,  qui  doivent  etre 
reunis  pour  le  bien  gen6ral:  eile  ne  peut  au  moins  consentir  ä 
perdre  le  rang,  que  son  etat  ancien  d'immediatete  et  sa  qualite  de 
capitale  doivent  lui  assurer. 

4.  qu'on  ne  peut  enfin  envisager  la  ville  de  Strasbourg  que 
sous  deux  rapports,  comme  partie  integrante  de  l'Alsace,  ou  bien 
comme  une  petite  province  separee;  dans  le  dernier  cas,  eile  ne  ce- 
dera  non  seulement  le  pas  ä  la  province  d'Alsace.   mais  aussi  ä 
celle  de  Franche  Comte  et  de  Flandres  reunies  avant  eile  a  la 
couronne;  eile  ne  verra  cependant  cette  Separation,  qu'avec  douleur. 
Dans  le  premier  cas,  et  Sa  Majestä  parait  avoir  considere  la  Capi- 
tale sous-  ce  point  de  vue  en  lui  accordant  une  deputation  directe 
pour  son  tiers-6tat,  mais  en  comptant  ses  deux  deput6s  parmis  les 
douze  qui  doivent  former  Tordre  du  tiers  en  Alsace,  il  est  indubi- 
table, que  le  baillage  de  la  Capitale  tout  forme,  doit  obtenir  la  pro- 
seance  sur  les  trois  baillages  du  plat  pays,  crees  momentanement 
et  pour  cette  Operation  seule;  et  c'est  sur  quoique  les    Deputes  de 
la  ville  de  Strasbourg  supplient  Mr.  le  Comte  de  Puysegur  qui  est 
le  protecteur  de  sa  capitulation  et  de  sa  Constitution  privilegi6e,  de 
prendre  les  ordres  de  Sa  Majeste  et  leur  faire  assigner  ä  la  proces- 
sion  du  lundy  et  ouverture  des   Etats-g6neraux,  qui  s'en  suivra,  le 
rang  dü  ä  la  Capitale  de  la  Province,  qui  s'est  toujours  distinguee 
par  sa  fidelite  et  ses  sacrifices  patriotiques. 


VI. 

Der  von  den  Deputierten  vorbereitete  Protest. 

Les  Deputes  de  la  ville  de  Strasbourg,  ä  laquelle  seule  Sa 
Majeste  a  d'abord  accorde  a  l  instar  de  la  ville  de  Paris  une  deputat'on 


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-    153  — 


directe  aux  Etats-generaux,  distinction  qu'elle  a  depuis  etendu  ä 
quelques  autres  villes  du  Royaume,  se  voient  forces  de  protester  par 
devant  les  Etats-generaux  contre  l'appel  fait  avant  eux  des  baillages 
de  Haguenau,  Colmar  et  Beifort,  et  de  reclamer  la  preseance  et  un 
rang  qui  ne  lui  a  jaraais  ete  conteste  jusqu'a  ce  jour. 

La  reunion  de  la  province  d'Alsace  ainsi  que  de  sa  capitulation 
date  de  l'annee  1648  .  epoque  de  la  paix  de  Vestphalie  qui  en  regle 
le  droit  public.  L'Empereur  et  l'Empire  y  ont  transmis  ä  la  France 
par  le  §  73  et  74  et  la  clause  i  t  a  t  en  e  at  u  r  du  §  87,  le  supreme 
domaine  sur  les  deux  Landgraviats  tel  que  l'empire  l'avait  exerce 
jusqae  lä.  Cette  Suprematie  etait  essentiellement  distincte  de  la  su- 
periorite  territoriale,  laquelle  comprend  l'ensemble  des  droits  regaliens, 
et  n'a  ete  cedee  k  la  France  par  ce  traite,  que  sur  les  terres  possodees 
par  la  maison  d'Autriche.  Les  autres  prelats,  seigneurs  et  villes 
immediates  nommement  Strasbourg  ont  continue  d'en  jouir.  Et  par 
les  arr&ts  de  la  chambre  de  röunion,  ainsi  que  par  la  capitulation 
de  Strasbourg  en  1681,  Sa  Majest6  n'a  revendique  qae  ceux  de  ses 
droits,  qu'elle  a  juge  incompatibles  avec  la  souverainete.  Tel  est  le 
langage  uniforme  et  constant  des  Ministres  du  Roi  lors  des  negotia- 
tions  subsequentes ;  et  s'il  pourrait  exister  le  moindre  donte  sur  la 
verite  de  cette  assertion,  on  reclamerait  avec  confiance  le  temoignage 
du  departement  des  affaires  etrangeres,  qui  est  le  depositaire  des 
traites  de  paix,  et  qui  mieux  que  personne  peut  determiner  le  sens 
qu'ils  renferment. 

S'il  est  indubitable,  qae  la  reunion  de  l'Alsace  entiere  ä  la 
couronne  quant  ä  la  Suprematie  a  ete  prononcee  en  1648:  tant  de 
motifs  militent  pour  reconnaftre  ä  la  deputation  directe,  que  le  Roy 
a  accorde  ä  sa  Capitale,  la  preseance  sur  Celles  du  plat  pays,  que  les 
£tats-generaux  ne  peuvent  qu'accenillir  favorablement  la  reclamation 
des  deputes  de  cette  ville. 

Cette  Capitale  ainsi  que  les  dix  villes  de  la  Prefectrre  sont  les 
seules  parties  du  tiers-6tat  de  l'Alsace,  qui  aient  joui  de  rimm6dia- 
tete  et  superiorite  territoriale  sous  le  regime  germanique. 

Le  reste  du  tiers  soumis  aux  seigneurs  territoriaux  n'avait  aucnn 
rang  dans  la  Constitution  politique  de  cette  province.  comme  en  effet 
il  ne  forme  un  ordre  a  part  dans  Torganisation  de  la  province,  que 
depuis  la  creation  de  l'assemblee  provinciale.  Dans  les  anciennes 
Dietes  ou  assemblees  confedöratives  de  la  province,  on  ne  connoissait 
que  les  princes  et  seigneurs  laics  (sie!)  et  ecclesiastiques,  la  Ville  de 
Strasbourg,  les  dix  villes  de  la  Prefecture.  Le  Tiers-6tat.  des  trois  bail- 
lages, qu'on  n'a  renni  que  par  la  circonstance  seule  de  l'election  des  de- 
putes.  ne  peut  donc  alleguer  aueun  titre  d'anciennele,  qui  Tautorise 
a  disputer  le  pas  ä  la  ville  de  Strasbourg  Celle-cy  possede  d'ailleurs 
quatre  baillages  on  terres  sei^nenriales  considerables  dans  la  province 


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—   154  - 


qui  ont  concourru  ä  la  formation  des  baillages  fictifs  da  plat  pays: 
ce  ßerait  donc  en  partie  les  representants  de  ses  justiciables,  qui 
röclameraient  la  preseance  sur  eile. 

Sous  le  regime  de  l'empire  eile  a  contractu  corarae  republique 
libre  avec  des  souverains,  meme  avec  ceux,  dont  eile  a  eu  le  bonheur 
de  reconnaitre  les  successeurs  pour  ses  maltres.  Par  sa  Capitulation 
particuliere,  qui  tient  un  des  premiers  rangs  parmi  les  loix  constitu- 
tives  de  l'Alsace,  eile  a  conservee  (sie!)  l'exercice  de  la  justice 
criminelle,  et  une  comp&ence  civile  en  dernier  ressort  et  l'instänce 
intermödiaire  d'appel  de  ses  jastices  seigneuriales.  Elle  forme  donc 
un  veritable  baillage  avec  attribution  de  cas  royaux  et  ressort  nu 
pour  le  civil  de  la  cour  souveraine  de  la  province.  Ces  prevogatives 
sup§rieurs  (sie!)  m&me  ä  Celles  des  pairies  ont  ete  constamment  re- 
connues  par  le  gouvernement,  et  ont  engage  Sa  Majeste  ä  lui  aecorder 
une  deputation  directe. 

La  ville  de  Strasbourg  eut  pu  par  ces  considerations  s'isoler  de 
la  province,  et  en  s'ecartant  de  l'6poque  de  la  paix  de  Vestphalie,  qui 
a  transföre  an  Roi  le  supreme  domaine  de  toute  TAlsace,  adopter 
Celle  de  1681,  ou  par  sa  Capitulation  eile  a  abandonnä  quelques- 
uns  de  ses  droits  de  superiorite,  qui  lui  avaient  ete  reserväs, 
ainsi  q'aux  autres  etats  immediats  d'Alsace  par  l'Article  87  teneatur 
de  la  susdite  paix. 

La  suite  de  cet  abandon  l'eüt  class6  apres  la  Flandre  et  la 
Franche  Comt6,  mais  eile  est  trop  jalouse  de  ne  pas  separer  ses 
intörßts  de  ceux  de  la  province,  et  de  diriger  ses  formes  reunies  vers 
un  ra^me  but,  pour  sattacher  ä  une  distinetion  sterile  et  qui  pourrait 
etre  opposee  aux  prineipes  avou^s  par  le  Ministere.  Elle  attache  un 
prix  infini  a  sa  qualitö  de  partie  intögrante  et  capitale  d'Alsace,  et 
attend  de  la  justice  des  Etats-gen6raux,  que  par  les  motifs  exposes 
cy-dessus  et  vu  que  la  Suprematie  du  Roi  sur  l'Alsace  entiere  datte 
(sie  /)  incontestableinent  de  1648,  ils  voudront  bien  reintegrer  les  de- 
putes  de  la  ville  de  Strasbourg  dans  le  rang  de  premiere  deputation 
du  tiers  de  la  province  d'Alsace,  qui  ne  lui  a  jamis  ete  conteste  dans 
les  asseinbifees  des  differentes  ordres  de  la  province. 

Türckheim,  depute  de  la  Ville  de  Strasbourg. 
Scbwendt,  dep  :  de  la  Ville  de  Strasbourg. 


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—  155 


V1L 

Die  Kammer  der  XUIer  an  die  Deputierten. 

16.  Mai  1789. 

Messieurs  

Nous  pensons  comme  vous,  Messieurs,  qoe  vous  avez  des  droits 
ä  la  preseance  sur  les  deputes  du  tiers-etat  des  autres  parties  de  la 
province,  et  nons  ne  pouvons  qu'applaudir  ä  l'attention  que  vous 
avez  donne  (sie)  aux  incidens  qu'ont  fait  naltre  quelque  incertitude 
ä  ce  sujet,  et  ä  Tempressement  avec  lequel  vous  avez  cherche  ä  mettre 
ä  couvert  les  interets  de  notre  ville  a  cet  egard.  Recevez  en  nos  re- 
mereiments.  Nous  croyons  donc  devoir  adherer  »ans  difficulte  ä  la 
demande  etablie  par  la  note  remise  ä  cette  occasion  u  Mgr.  le  Comte 
de  Puysegur  le  3.  may  et  nous  en  appuyerons  Tobjet  si  les  circons- 
tanceH  viennent  a  1'exiger. 

Quant  au  principe  depose  dans  la  seconde  protestation  dont  vous 
proposiez  de  faire  nsage,  principe  qui  a  pour  objet  de  lever  l'ob- 
jection  de  priorite  de  datte  (sie/  que  M.  de  Lessart  oppose  a  votre 
revendication,  l'attention  que  vous  voulez  bien  avoir,  Messieurs,  de 
nous  exposer  les  differentes  considerations  qui  y  ont  rapport,  et  de 
nous  demander  ce  que  nous  pensons  de  cet  argumenta  nous  fait  un 
devoir  de  nous  en  expliquer  avec  la  meme  confiance,  et  de  nous 
avouer  que  d  apres  l'examen  qu'il  nous  a  ete  possible  de  faire  a  la 
bäte  de  ce  principe  nous  n'avons  pu  reconnaltre  qu'il  puisse  etre 
necessaire,  ni  utile,  ni  meme  prudent  de  s'en  etayer. 

Sans  s'arreter  ä  vouloir  traiter  la  question  epineuse  de  Tetendue 
de  la  cession  de  la  province  d'Alsace  par  les  trait6s  de  Vestpbalie, 
il  suffit  de  remarquer  d'apres  de  faits  certains  et  notoires :  que  les 
ambassadeurs  de  France  n'ont  jamais  songe  ä  comprendre  dans  cette 
cession  la  ville  de  Strasbourg  alli6e  de  la  France  et  de  la  Suede 
pendant  la  guerre  de  80.  ans,  que  dans  la  guerre  qui  a  precede  la 
paix  de  Nimegue  les  g6neraux  francais  ont  traite  la  dite  ville  tantöt 
en  neutre,  tantöt  en  ennemie,  que  lors  des  reunions  l'avocat  general 
du  Conseil  d'Alsace  n'avait  pas  ordre  de  prendre  ,'des  conclusions 
contre  le  corps  de  la  ville  de  Strasbourg  et  sa  banlieue,  qui  cepen- 
dant  seuls  ont  concourrn  ä  la  nomination  de  deux  deputes  parti- 
culiers  de  cette  ville  aux  etats-generaux  en  la  presente  occasion, 
pour  les  obliger  a.  reconnaltre  la  'souverainet6  de  la  France,  tandis 
qu'il  en  avait  prise  contre  tous  les  princes  et  etats  d'Empire  poss6- 
dants  des  terres  immediates  en  Alsace,  que  le  motif  de  Tassignation 
donnee  a  la  ville  relativement  ä  ses  baillages  portait  sur  les  rela- 


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—    15(i  — 


tions  que  ses  derniers  paraissent  avoir  avec  la  prefecture  d'Haguenau 
et  non  sur  aucun  principe  de  Suprematie  acquise  sur  la  ville,  comme 
on  peut  le  voir  dans  l'assignation  meme  et  lea  defenses  foumies  par 
le  Magistrat  dont  nous  joignons  copie,  qu'eqfin  par  la  capitalation 
Lotiis  XIV.  a  recu  la  ville  de  Strasbourg  et  ses  dependances  en  sa 
royale  protection ;  si  eile  avait  et6  pr6c6demment  sous  sa  Suprematie 
le  Roi  ne  ce  serait  pas  servi  du  terrae  de  protection. 

Cette  Suprematie  n'a  jamais  existee  (sie)  ni  6t6  pretendue  avant 
cette  6poque;  le3  magistrats  de  lad.  ville  n'ayant  jamais  variä  d'o- 
pinion  sur  ce  point,  il  ce  trouveraient  en  contradiction  avec  eux 
memes,  s'ils  voulaient  changer  de  langage  et  avancer  aujourd'hui 
que  la  ville  de  Strasbourg  a  et6  comprise  dans  la  cession  a  la  France 
de  la  Suprematie  sur  l'Alsace. 

Cette  assertion  dont  les  consequences  pourraient  devenir  preju- 
diciables  sous  plusieurs  rapports,  ne  parait  sous  aucun  autre  pou- 
voir  ajouter  ä  la  sürete  des  libertes  et  franchises  de  notre  ville. 
Celles-cy  sur  la  capitulation,  traite  solemnel  qui  malgre  la  ces- 
sion postdneure  du  droit  de  Suprematie  de  la  part  de  l'Empire  par 
le  traite  de  Risvick  n'en  demeure  pas  moins  un  contrat  bilateral  et 
du  droit  des  gens,  contrat  qui  ne  pourroit  qu'en  paraitre  affoible  si 
jamais  il  pouvait  ötre  considere  comme  une  Convention  de  gräce 
entre  le  souverain  et  des  sujets  sur  lesquels  il  aurait  dejä  eu  ante- 
tieurement  des  droits  de  Suprematie 

Ce  moyen  ne  parait  aueuneraent  essentiel  pour  ajsurer  aux  de- 
putes particnliers  de  Strasbourg  le  preraier  rang  parmi  les  deputes 
de  la  province  da  meme  ordre.  Pour  parvenir  au  mSrne  bnt  il  semble 
suffiser  d'observer  que  la  ville  de  Strasbourg  en  tant  que  depuis  sa 
reunion  ä  la  France  eile  fait  partie  de  la  province  d'Alsace.  est  la 
capitale  de  cette  province,  qu'ayant  toujoars  occupe  une  place  dis- 
tingu6e  tant  dans  le  College  des'villes  imperiales  au  dietes  de  l'Em- 
pire, que  dans  l'assembiee  des  etats  d'Alsace.  oü  eile  avait  la  pr6- 
s6ance  sur  la  noblesse  immediate.  saus  que  le  tiers  du  plat  pays  y 
fut  jamais  admis,  eile  ne  devait  pas  s'attendre  qu'on  voulut  la  priver 
d'une  distinetion  reclamee  ä  tant  de  titres  et  pr6fcrer  a  ses  deputes 
aux  Etats-generaux  ceux  des  dix  villes  et  encore  moins  ceux  du 
plat  pays,  sous  le  pretexte  d'nn  ordre  du  Roi  qui  regle  le  rang  des 
deput6s  pour  les  provinces  reunies  a  la  couronne  deptvs  1614,  selon 
la  date  des  rennions. 

Cette  regle  adoptee  par  Sa  Majeste  les  dites  provinces  ä  defaut 
d'une  possession  deja  contractee  par  les  assemblees  nationales  ant6- 
rieures  a  ladite  epoque  ne  parait  applicable  qu'aux  deputations  des 
differentes  provinces  entre  elles,  et  non  anx  deputes  d'une  meme 
province  qui  fondes  en  possession  peuvent  et  doivent  conserver  entre 
eux  le  rang  qui  lenr  est  attribu6  de  toute  anciennete. 


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-    157  - 


L'ordre  des  reunions,  s'il  devait  etre  observS  ä  la  rigueur  meme 
pour  les  parties  individuelles  d'une  m&ine  province  donnerait  lieux 
aux  plus  grands  embarras;  il  faudrait  classer  les  deputes  selon  la 
date  de  la  reconnaissance  de  la  souverainete  du  Roi  par  les  differents 
etats  et  princes  de  l'Empire,  et  il  y  en  a  plusieurs  en  raison  des- 
qaels  la  daUe  de  cette  ■  reconnaissance  est  poetärieure  ä  celle  de  la 
ville  de  Strasbourg.  Tele  sont  le  duc  de  Deux-Ponts  et  l'eveque  de 
Spire,  dont  les  justiciables  ont  cependant  contribuä  le  plus  a  l'elec- 
tion  des  deux  deputes  da  tiers-etat  da  district-baillage  de  Hagaenaa. 

L'antäriorite  de  la  r£union  ne  donnerait  an  avantage  decid6  aux 
deputee  da  plat  pays  sar  ceox  de  la  ville  de  Strasbourg  qn'autant 
que  dans  1' Intervalle  de  la  räunion  de  l'Alsace  ä  la  France  et  de  la 
commission  de  la  dite  ville  ä  la  raeme  couronne,  il  y  anrait  eu  une 
assemblöe  d'6tats-generaux.  a  laquelle  les  deputes  des  dix  villes  et 
du  plat  pays  eassent  ete  admis;  mais  dans  cet  Intervalle  il  n'y  a  pas 
eu  d'assemblee  d'etats-gene>aux;  ils  ne  pouvaient  par  consequant  se 
prevaloir  ni  d'un  droit  acquis  ni  de  la  moindre  possession ,  dans  cet 
6t at  des  choses  tout  a  demeure  et  devait  rentier  dans  son  ordre  na- 
turel ;  la  commission  volontaire  de  la  ville  de  Strasbourg  ä  la  do- 
mination  de  la  France  ne  doit  et  ne  peut  la  priver  envers  les  autres 
parties  de  l'Alsace  d'une  prerogativc  de  rang  qai  ne  lai  a  jamais  6te 
conteste"  ni  aux  dietes  generales  de  l'empire  ni  dans  les  assemblees 
ou  dietes  particulieres  de  l'Alsace. 

Les  deux  d6putea  de  la  ville  faisant  partie  des  douze  accordäes 
au  tiers-etat  de  la  province  prise  collectivement,  ces  douze  deputes» 
doivent  naturellement  demeurer  reunis,  raais  dans  cette  reunion 
les  considerations  cy-dessus  doivent  assurer  le  premier  rang  aux 
deputes  de  Strasbourg  tant  au  titre  de  capitale  qu'en  raison  des  pree- 
minences  dont  eile  est  en  possession  de  jouir. 

Cependant  si  contre  tonte  attente  et  malgre  tontes  les  raisons 
allegu6es  on  voulait  persister  dans  l'objection  qai  la  date  des  re- 
unions partielles  doit  d6c6der  du  rang  des  däputes,  il  vaudrait 
mienx  sans  doute  donner  ä  ce  principe  toute  l'&endue  dont  il  est 
sasceptible  sar  l'ensemble  des  pays  reunis,  et  se  contenter  de  la 
place  assignee  aux  deputes  de  la  ville  entre  la  Franche  Comte  et 
la  Lorraine,  plutöt  que  de  se  laisser  classer  ä  la  suite  des  deputes 
du  tiers-6tat  de  l'Alsace,  ou  de  revendiquer  la  premiere  place 
parmi  ces  derniers  par  un  aveu  contraire  ä  nos  principes,  aux  trait6s 
de  paix,  ä  la  teneur  de  la  capitulation  et  ä  tous  les  actes  qni  ont 
precedö,  accompagne  et  suivi  ces  epoques. 

Comme  cependant  il  peut  se  präsenter  des  occasions  ou  la  re- 
union des  deputes  de  la  ville  ä  ceux  de  la  province  peut  devenir 
indispensable  et  d'un  interet  commun  majeur,  on  ne  croit  pas  que 
des  difficultes  de  rang  doivent  empecher  ces  deliberations  com- 


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—  Im- 
munes, sauf  ä  prevenir  par  des  reserves  les  consequences  que  Ton 
pouriait  vouloir  tirer  contre  la  Tille  en  occasions  de  la  condescendence 
que  Messieurs  le  deputes  jugeraient  devoir  avoir  en  faveur  des  cir- 
constances  et  de  l'union. 

Tel  est.  Messieurs,  le  r6sultat  de  nos  observations  et  de  notre 
avis  sur  l'objet  de  la  difficult6  elevee,  et  de  l'expedient  propose  poar 
y  obvier.  Nous  nous  hätons  selon  tos  desirs  de  tous  les  faire  par- 
Tenir,  persuades  qu'elles  contribueront  ä  tous  determiner  ä  faire 
abstraction  dans  les  demarches  que  tous  pourriez  etre  dans    le  cas 
de  renouveller  ä  Tappuy  de  Totre  demande  de  preseance  du  principe 
de  l'identite  de  date  de  reunion,  qui,  s  il  est  celui  des  bureaax,  ne 
saurait  cependant  deTenir  le  nötre  apres  plus  d'un  siecle  de  con- 
victions  contraires;  .  .  .  nous  rendons  trop  de  justice  ä  Totre  dis- 
cernement,  Messieurs,  et  ä  Totre  zele  pour  les  Tferitables  interets  de 
cette  Tille  et  de  ses  citoyens  pour  ne  pas  nous  tenir  assures  qu'en 
sollicitant  la  reanion  aux  d6put6s  de  la  proTince  tous  saorez  e Titer 
tont  ce  qui  pourrait  au  delä  des  mesares  convenables  confondre  les 
dits  interßts  et  le  regime  distinct  de  notre  Tille  avcc  ceux  de  l'Alsace 
en  g6neral  


VIII 

Die  Deputierten  bei  den  Reichsständen  an  den  Magistrat. 

(Original). 

Versailles,  ce  13.  Mai. 

Messieurs  

Plus  nous  reflechissons,  Messieurs,  sur  la  nature  des  attaques 
que  la  proTince  nous  prepare:  plus  nous  nous  convainqaons  que  la 
Tille  de  Strasbourg  n'a  obtenu  qa'imparfaitement,  par  le  reglement 
particulier  de  l'Alsace,  le  bienfait  d  une  depntation  directe,  que  Sa 
Majeste  lui  destinoit. 

Elle  auroit  du  reclamer  une  deputation  complete,  et  obtenir  que 
le  Clerge  et  la  noblesse  ne  se  separassent  pas  d'elle  pour  aller  au 
baillage  deHaguenan:  ou  bien.  que  ces  deux  ordres  se  fussent  reunis 
au  Tiers  eu  commune,  d'apres  le  tcgu  manifest6  par  la  Tille  de 
Paris,  pour  elire  conjointement  les  representants  de  la  commune. 
On  nous  oppose  d'etre  une  deputation  irreguliere,  representant  le 
Tiers  seul  et  formant  partie  integrante  du  baillage  de  Haguenau,  oü 
les  deux  ordres  superieurs  sont  representes,  et  qaoiqoe  nous  repoas- 
serons  avec  fermete  les  inductions  qu'on  voudroit  se  permettre  d'en 


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—    159  — 


tirer,  noas  ne  pouvons  nous  dissimuler  que  les  droits  et  interets  de 
)a  ville  ont  ete  foiblement  d6fendus,  et  que  la  ville  ait  pu  reclamer 
fructneusement,  ainsi  que  Tont  fait  d'autres  villes,  contre  an  re- 
gle raent,  qui  ätoit  evidemment  Touvrage  de  personnes  peu  au  fait  de 
la  Constitution  de  la  province  ou  peu  amies  de  celle  particuliere  de 
notre  ville. 

Nous  avons  l'honneur  d'&tre  avec  respect  Messieurs  ! 

Vos  tres  -  humbles  et  tr&s  -  oböissants  serviteurs 
Schwendt.  Türckheim. 


IX. 

i 

Die  Deputierten  an  den  Magistrat. 
(Abschrift  im  Protokoll.) 

Versailles,  le  8.  Juin  1789. 

Messieurs  .... 

II  est  constant  raalgrö  les  foibles  moyens  etablis  dans  Tassig- 
nation  donnee  aus  seigneurs  d'Alsace  par  le  Conseil  de  Brisac, 
moyens  qu'on  a  abandonnes  depuis  longtemps,  que  si  les  arrets  de 
reunion  n'avoient  dü  reposer  que  sur  les  droits  dela  pr6fecture, 
l'Evöque  de  Strasbourg,  les  Comtes  de  Hanau,  Linange  et  Flecken- 
stein devoient  ötre  aussi  bien  ä  l'abri  de  cette  revendication  que  la 
ville  de  Strasbourg,  puis  qu'ils  sont  compris  egalement  dans  l'article 
Teneatur  et  que  le  pr6ambule  de  la  Capitulation  met  ä  cet  egard 
leur  position  au  pair.  .  .  . 


X. 

Der  Magistrat  an  den  Kriegsminister  Grafen  von  Puysegur, 
verlesen  im  Magistrat  am  25.  Juni  1789. 

(Abschrift  im  Protokoll.) 
Monseigneur. 

Quoique  par  les  circonstances  nous  nous  trouvions  saus  apuy 
(sie)  pres  de  vous,  et  que  nous  ayons  tres  bien  vu,  que  nous  ne 


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devions  pas  nous  en  promettre  de  la  part  des  depntes  61us  par  le 
Tiers-Etat  de  cette  ville,  dans  les  debats  que  celuici  a  provoques ; 
nous  avons  cm  cependant  qn'il  n'etoit  ni  de  la  delicatesse  que  le 
Magistrat  doit  mettre  dans  ses  procedes  ni  de  la  confiance  que  doivent 
nous  inspirer  les  droits  que  nous  avons  a  la  conservation  de  notre 
Constitution  de  vous  importuner  par  aucune  d6marche,  a van t  que  de 
nous  etre  convaincus,  que  malgrö  nos  däsirs,  il  n'y  a  plus  rien  ä 
6sperer  des  voyes  amiables  accept6es  et  convenues  avec  la  bour- 
geoisie,  sur  tout  ce  qui  peut  en  §tre  susceptible. 

La  meme  reserve  etoit  formellement  presciite  aux  depntes  da 
Tiers  de  cette  ville  par  leur  Instruction  a  la  suite  du  dernier  article 
du  cahier  des  doleances  particulieres  de  la  bourgeoisie  envers  le 
Magistrat.    D'apres  cela  Mgr.,  nous  ne  devions  presumer  aucune 
tentative  contraire  de  leur  part,  tant  que  les  Conferences  conciliatoires 
subsisteroient  entre  nos  d6put6s  et  le  comite  du  Tiers.    Rien  n'en 
a  trouble  la  bonne  intelligence  jusqu'ici.    Ce  comite  nous  en  ä  meme 
t6raoign6  sa  satisfaction.    L'importance  de  quelques  demandes  qui 
iotroduiroient  probablement  la  confusion  democratique  dans  l'ancienne 
forme  de  notre  Constitution,  et  qui  par  la  meme  interessent  le  gou- 
vernement  qui  en  est  le  gardien  et  ne  pourroient  recevoir  que  par 
lui  leur  decision,  nous  ayant  paru  avec  raison  meriter  le  plus  mur 
examen  et  exiger  le  tems  de  desabuser  les  personnes  prävenues  de  ces 
principes,  l'importance  de  ces  objets  nous  a  engagä  ä  faire  deposer 
pendant  le  mois  au  greife  du  Magistrat,  pour  en  faciliter  la  connais- 
sance  a.  cbacun  des  membres,  la  premiere  ^bauche  de  ces  Conferences. 
Nous  sommes  dans  l'usage  de  le  faire  pour  des  sujets  bien  moins 
interessants,  et  le  comite  bourgeois  n'y  a  rien  trouve  ä  dire.  Cepen- 
dant, Mgr.,  c'est  dans  ce  delais  (sie)  au  milieu  de  cette  securitä  au 
moins  apparente  que  nous  avons  re^u  une  lettre  des  d6put6s  de  cette 
ville,  du  8.  de  ce  mois,  qui  nous  mendent  (sie)  tque  quoique  le  nouvean 
d61ais  d'un  mois  (il  n'y  en  avoit  point  encore  eu  jusque-la)  qn'on 
a  demande  aux  Representans  laisser  encore  un  peu  de  marge  (marche). 
ils  ont  cependant  cru  de  leur  devoir  de  vous  prevenir,  MgrM  que 
les  suites  de  ces  debats  pourroient  causer  une  effervescence  d6sa- 
gr6able,  que  la  presence  d'un  Commissaire  de  Sa  Majeste  parait 
necessaire  plus  que  jamais  dans  cette  occurrence  pour  y  exercer  des 
fonetions  conciliatoires,  et  que  le  mauvais  succes  des  voyes  amiables 
consenties  par  la  commune,  les  mettruit  en  derniere  analyse  dans  la 
triste  et  imp&rieuse  n6cessit6  de  döferer  ses  doleances  ä  TAssemblee 
des  Etats-generaux.  Qu'il  vous  ont  ajoute  que  cette  extrömite  leur 
paroissoit  fächeuse  ä  tous  egards  pour  les  interöts  de  la  ville  de 
Strasbourg,  et  que  cette  discussion  etoit  plutöt  de  nature  ä  §tre 
accueillie  ministeriellement  que  traduite  dans  l'assembUe  nationale, 
par  un  fait  des  faveurs  et  prerogatives  particulieres  de  notre  ville; 


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que  vous  avies,  Mgr.,  ecoute  cette  ouverture  avec  interet  et  von« 
occupies  de  mesures  dignes  de  votre  sagesse,  pour  faire  continuer 
les  Conferences  sous  les  auspices  d'une  personne  impartiale,  qui 
pnisse  vous  rendre  nn  compte  exact  de  lenr  r&saltat,  et  ponr  etouffer 
ainsi  dans  son  principe  tont  germe  de  division  et  de  mesintelligenoe . . . 
qn'ils  aiment  ä  croire  qu'on  ne  rangera  pas  dans  les  articles,  sor 
lesqnels  commisssaires  de  la  commune  se  sont  rel&chea,  une  regenc- 
ration  plns  elementaire  et  plns  constitntionelle  dn  corps  des  Echevins 
et  les  modifications  proposees  ponr  ramener  la  chambre  des  XV  a 
des  formes  plns  popnlaires  et  anz  principes  de  son  Institution.» 

Voilä  donc,  Mgr.,  les  impressions  qne  ces  depntes  nons  apprennent 
qn'ils  ont  chercher  (sie  !)  a  vons  donner :  et  Tun  de  cenx  qni  nons  ecrit 
de  ce  style  et  dans  des  maximes  si  pen  mesurees,  est  nn  des  membres 
de  notre  corps,  qni  a  renouvelle  avec  nons  tons  les  ans  nn  serment 
de  fidelite  ä  nos  reglements  constitutionnels  et  qui  comme  Ammeistre 
on  Consnl,  s'est  oblige  plns  particulierement  encore  ä  veiller  et  con- 
tribner  a  lenr  conseryation. 

Le  comite  de  la  bonrgeoisie  qni  a  et£  interpelle  avec  confiance 
a  ce  sujet,  n'a  pas  jnge  ä  propos  de  se  declarer  s'il  avouoit  on  desa- 
vonoit  ce  proceder  (sie)  de  ses  depntes,  mais  il  est  certain  qne  le 
premier  Devoir  de  cenz-ci  devoit  etre  de  ne  point  s'ecarter  de  lenr 
Instruction,  dont  on  etoit  convenu  sous  nos  yenz  et  qni  lenr  pre- 
scrivirent  de  ne  faire  la  demarche  qn'ils  ont  faite,  qu'au  cas  que 
le  concours  des  bonnes  inten tions  pour  un  reseingnement 
amiable  ne  s'operät  pas  pendant  la  duree  des  seances 
des  Etats-gen  §r anz.  Iis  ne  devoient  point,  dans  les  termes  ou  nons 
nons  trouvions  nons  menacer  avec  nne  sorte  de  contradiction,  d*abord 
des  Etats-generaux  et  puis  d'nn  Commissaire,  qne  vous  nons  enver- 
ries  ponr  etonffer  (comme  ils  s'expriment)  nne  division,  qne  jusqn'ä 
cette  heure  n'a  point  eziste,  ou  ä  laquelle  au  moins  le  Magistrat 
n'auroit  contribue  en  rien,  ils  devoient  s'abstenir  beaueoup  plus 
encore  de  vous  insinuer.  Mgr.,  que  nous  ponvions  avoir  qnelque  part 
ä  nne  effervescence  qne  le  vertige  dn  siecle  a  trop  malbeureusement 
enfantee;  mais  qne  nous  avons  cherche  a  calmer  par  toutes  lescon- 
descendances  et  des  sacrifices  meme,  anxqnels  nons  avons  pft  nons 
preter,  et  qui  cesseroit  peut  etre  si  eile  n'etoit  entretenue  par  des 
esprits  exaltes  ou  inte>esses  anz  nouveantes. 

Par  ce  simple  recit  vous  aves  sous  vos  yeuz  la  preuve  des  dis- 
positions  de  BIM.  les  depntes  ä  notre  6gard,  vons  ne  pouves  douter, 
Mgr.,  qu'elles  ne  sont  pas  pour  nous,  et  que  si  nons  avons'  des 
interets  ä  deffendre  (sie)  ils  ne  peuvent  Tetre  par  des  personnes  qni 
se  declarent  avec  tant  de  partialite  contre  nous,  et  qui  se  sont  per- 
mises  dans  lenr  lettre  de  nons  traiter  avec  si  peu  d'egards.  Nous  en 
avons  de  bien  chers;  c'est  notre  Constitution,  dont  vous  etes  le 

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protecteur,  qui  a  ete  ötablie  il  y  a  an  dela  de  3  siecles,  sur  des 
bases  bien  röflechies  et  avec  le  concours  ananime  de  tous  les  ordres 
de  cette  ville  que  la  capitulation  et  des  confirmations  reiterees  de 
nos  Rois  ont  sanctionnee  depuis,  et  qui  a  fait  le  bonheur  oü  ces 
troubles  nous  ont  ete  suscites.  Vous  etes  trop  juste,  Mgr.,  poar  noas 
interdire  les  moyens  de  la  defendre  et  de  nous  garantir  nous  memes 
des  insinuations  sinistres  qu'on  pai'oit  s'etre  plu  a  donner  de  ces 
dispositions.  Peu  prepar&s  a  cet  ävenement  nous  ne  pouvions  dans 
ce  moment  vous  envoyer  qu'un  apercu  imparfait  (qui  etoit  pas  destine 
pour  cela)  de  nos  remarques  sur  les  doleances  de  la  bourgeoisie. 
Nous  allons  nous  occuper  d'un  döveloppement  plus  complet  et  plus 
propre  a  satisfaire  aux  doutes  que  vous  pouves  avoir  pris. 

Mais,  Mgr.,  le  plus  instant  est  d'avoir  incessamment  sur  les  lieux 
qtielqu'un  qui  puisse  et  veuille  vous  defendre  des  impressions  qu'on 
peut  avoir  donnees  ou  donner  encore  sur  notre  regime  et  sur  notre 
maniere  de  penser.  La  maladie  de  Mr  le  Preteur  royal  qui  dans  des 
circonstances  aussi  critiqnes  devoit  6tre  notre  apuy  nous  laisse 
absolument  isoles  a  cent.  lieues  du  Tröne  et  des  Ministres  de  Sa 
Majeste.  Nous  ne  devons  donc  pomt  hesiter  de  vous  demander  avec 
la  plus  grande  confiance  et  les  instances  les  plus  vives  la  permission 
d'envoyer  ä  Versailles  deux  membres  du  Magistrat,  un  noble  et  un 
plebeien,  puisque  notre  Constitution  reunit  ces  deux  ordres;  pour 
peu  que  vous  metties  quelqu'interet  ä  notre  Situation  c'est  une  neces- 
site  dont  vous  seres  vous  meme  convaincu  et  une  justice  que  vous 
ne  pouves  nous  refuser.  Vous  connoitrös  de  plus  pres  par  lk  et 
dans  toute  leur  vöritö  nos  sentimens  pour  notre  bourgeoisie,  et  vous 
verres  dans  les  ecrits  que  nous  avions  prepares  lorsque  nous  etions 
dans  le  cas  de  la  ville  de  Strasbourg,  quel  est  notre  dävonement  pour  le 
Roi,  notre  respect  pour  ses  Ministres  et  notre  attachement  aux  vrais 
principes  de  la  Monarchie.  Avec  ees  sentimens,  Mgr  ,  nous  ne  pouvons 
douter  que  vous  daignies  accueillir  une  supplique  aussi  legitime 
qu'urgente. 

Nous  sommes  etc. 

XI. 

Puysegur  an  den  Magistrat. 

(Abschrift  im  Protokoll.) 

Versailles,  le  30.  Juin  1789. 

Le  Roi  a  cru  necessaire  de  prendre  des  mesures  pour  que  la 
maladie  de  M.  Qerard  ne  püt  pr6judicier  aux  interets  de  la  ville  de 


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-    ICH  — 

Strasbourg.  En  consequence  il  a  regle  par  an  Brevet  qai  vous  sera 
incessamment  presente  que,  pendant  la  dnree  de  cette  maladie,  M.  le 
Haron  de  Dietrich  fils  s'occnpera,  en  qualite  de  Commissaire  de  Sa 
Majeste,  de  toutes  les  affaires  relatives  a  l'administration  de  cette 
ville,  et  correspondra  avec  les  Ministres  touchant  ces  meines  affaires. 
Sa  Majeste  s'est  portee  d'autant  plus  volontiere  ä  lui  confier  une 
pareille  mission,  qn'etant  raembre  de  votre  corps,  il  en  connait  par- 
faitement  la  Constitution,  et  qoe  dailleurs  eile  a  vn  par  des  lettres 
que  vous  avez  ci-devant  ecrites,  que  ce  choix  ne  pourrait  que  vous 
etre  infiniment  agreable.  J'ai  l'honneur  d'etre  etc. 

Puysegur. 


Puys^gur  an  Oerard 

(Copie  St.-A.  AA  2526). 

a  Versailles  le  30.  Juin  1789. 

L'etat  de  votre  sante  ne  vous  permettant  pas,  M.,  de  remplir 
vos  fonctions  avec  la  raeme  activite  que  ci-devant.  le  Roi  a  juge 
qu'il  etait  necessaire  que.  jusqn'ä  ce  qu'elle  füt  retablie,  vous  fus- 
siez  sapplee  par  une  personne  en  qui  il  retrouvät  les  meines  lu- 
mieres  et  le  meme  zele  pour  le  bien  public. 

C'est  a  M.  le  B°"  de  Dietrich,  fils,  qu'il  a  cru  devoir  confier 
cette  mission.  En  consequence  il  vient  de  lui  etre  expedie  un  brevet 
portant  que,  pendant  la  duree  de  votre  maladie,  il  s'occnpera,  en 
qualite  de  Commissaire  de  Sa  Majeste,  de  toutes  les  affaires  rela- 
tives ä  l'administration  de  Strasbourg  et  correspondra  avec  les  Mi- 
nistres touchant  ces  memes  affaires 

Le  Roi  m'ordonne  de  vous  in  form  er  de  cet  arrangement  qui 
vous  laissera  tout  le  repos  et  tont  le  tems  dont  vous  avez  besoin 
pour  retablir  votre  sante  et  qui  d'ailleurs  ne  prejudiciera  en  rien  ä 
vos  interets  puisque,  malgre  votre  absence,  vous  continuerez  de 
toucher  en  entier  le  traitement  attache  ä  votre  place. 

J'ai  l  honneur  d'etre  etc. 

pour  copie 
(Gez.)  Puysegur. 


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-    104  — 


XIII. 

Die  Deputierten  an  den  Magistrat,  verlesen  am  Montag  den 

20.  Jnli  1789. 

(Original). 

Versailles,  ce  15.  Juillet  1789 

Messieurs. 

Nous  nous  hätons  de  vous  faire  part  des  ev6nements  heureox 
de  cette  matinee.  Paris  6tait  entour6  de  troupes;  Monsieur  Necker 
a  6t6  renvoyee  le  11.  Messieurs  de  Puysegur,  de  la  Luzerne  et  de 
Montmorin  ont  donn6  leurs  d6missions ;  et  ils  ont  et6  remplaces  par 
Mr  de  Breteuil,  nomme  chef  du  conseil  royal  des  finances.  Mr  le 
Marecbal  de  Broglie  ministre  de  la  guerre,  ayant  sous  lui  Mr  Fon- 
lon  pour  les  finances  et  le  contentieux,  (ce  dernier  a  eu  hier  une 
apoplexie).  Mr  de  la  Porte  ä  la  marine,  et  M.  de  la  Vauguyon  potir 
les  affaires  6trangeres. 

Ce  cbangement  dyns  le  ministere  et  surtout  le  depait  de 
Mr  Necker  occasionna  une  fermentation  excessive  dans  da  capitale. 
Des  le  12.  le  peuple  s'attroupa,  brula  des  barrieres  et  s'assembla  en 
si  grand  nombre.  qu'on  crut  devoir  employer  des  forces  militaires 
pour  le  dissiper;  le  lendemain  il  ne  fut  que  plus  ecbaufft  et  fut 
joint  par  des  soldats  de  divers  rögiments ;  il  a  jug6  notre  libertä  et 
la  sienne  en  danger,  et  il  nous  fit  porter  son  voeu  pour  l'61oi- 
gnement  des  troupes  et  la  fonnation  d'une  milice  bonrgeoise 
pour  la  garde  de  la  capitale.  Nombre  de  troupes  et  presque  toutes 
etrangeres  ayant  une  artillerie  nombreuse  entourant  Paris,  le  pont 
de  Seve  (sie),  garde  par  des  hussards,  et  des  Suisses  avec  deux 
pieces  de  canon,  le  rägiment  de  Bouillon,  celni  de  Nassau,  des  hus- 
sards et  de  l'artillerie  plac6e  ä  Versailles  ont  dü  nous  allarmer  {sie) 
egalement,  et  prävoyant  les  suites  funestes  de  ce  d6veloppement  de 
Tautorit6  militaire,  TAssemblee  Nationale  a  d6put6  vers  le  Roi,  pour 
le  supplier  d'61oigner  les  troupes  et  de  confier  la  garde  de  Paris  ä 
une  milice  bourgeoise.  Nous  recümes  une  röponse  seche,  froide  et 
negative.  La  fermentation  augmenta  ä  Paris ;  on  s'arma  en  s'emna 
rant  de  tont  ce  qu'on  trouva  chez  les  armuriers,  des  armes  depo- 
s6es  &  Thötel  de  ville,  et  ä  l'hötel  des  invalides  dont  on  se  rendit 
maitre  ainsi  que  des  canons;  et  il  se  trouva  en  tres  peu  de  temps 
pr6s  de  deux  cent  mille  hommes  prets  ^  ce  dövouer.  On  fit  en 
meme  temps  les  dispositions  dans  Paris  pour  sa  garde.  On  enregi- 
menta  par  quartier ;  l'ordre  sortit  du  desordre,  et  on  se  tint  en  pre- 
sence  du  camp  des  troupes  regl6es.  Sur  ces  nouvelles  alarmantes 


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rassemblee  nationale  arr&ta,  qu'il  seroit  vote  des  remerciments  ä 
M.  Necker  et  aux  aatres  ministres  demis,  declara  qae  les  nouveaux 
n'avoient  pas  la  confiance  de  la  nation,  persista  dans  les  arretesdes 
17.  20.  et  23.  juin,  et  deputa  vers  le  Roi  pour  demander  de  nouveau 
l'eloignement  des  troupes  et  d'etre  autorisä  {sie)  a  deputer  vers  Pa- 
ris pour  y  porter  le  calme.  Nouveau  refas  da  Roi.  Deputation  de 
Paris  annoncant  les  alarmes  les  plus  fondees;  la  prise  de  la  b astille, 
le  commandant  et  le  major  mis  ä  mort,  pour  avoir  tire  sur  un 
nombre  d'envoyes  qui  arrivoient  l'olivier  en  mains.  Mr  de  Flesselles 
prevöt  des  Marchands  immol6  sur  l'escalier  de  l'hötel  de  ville  a  la 
patrie,  qu'il  fut  accuse  d'avoir  trahi.  Les  depeches  de  Mr  de  Boesen- 
wald  (Bezenval)  commandant  dans  1  Interieur,  adressees  au  com- 
mandant de  la  bastille,  portant  ordre  de  tenir  jusqu'ä  l'extremite, 
ont  ete  surprises,  ainsi  que  Celles  adressees  ä  l'intendant.  Enfin  le 
peuple  pret  ä  en  venir  aux  mains  avec  ce  qui  restoit  de  tronpes 
qui  n'avoient  pas  passe  de  son  cöte;  l'assemblee  nationale  döputa 
encore  vers  le  Roi  pour  lui  faire  connottre,  la  v6rit6  et  renouveller 
(sie)  des  de  man  des.  11  lui  fut  räpondu  qu'il  seroit  donne  de  nouveaux 
ordres  aux  troupes;  les  canonniers  se  declarerent  ne  vouloir  servir 
contre  la  nation;  le  matin  en  effet  les  troupes  furent  repliees,  mais 
de  raaniere  a  intereepter  tonte  communication  entre  Paris  et  Ver- 
sailles, et  on  arreta  meme  des  chariots  de  grains ;  il  sembloit  qu'on 
vouloit  l'affamer.  L'assemblee  alloit  deputer  de  nouveau  au  Roi, 
lorsque  Mr  de  Breze  arriva  et  vint  annoncer,  que  Sa  Majeste  alloit 
se  rendre  ä  rassemblee,  et  s'y  6toit  decide  de  son  propre  mouve- 
ment.  II  arriva  sans  cortege  aecompagne  de  ses  freres  et  de  son  ca- 
pitaine  des  gardes.  II  prononca  le  discours  suivant.  Les  applau- 
dissements,  l'enthousiasme,  tout  le  fanatisme  du  patriotisme  se 
demontra  Le  Roi  fut  b6ni,  il  se  retour  na  ä  pied,  et  fut  reconduit 
par  tonte  l'assemblee  se  tenant  par  les  mains,  aux  cris  repetes  de 
Vive  le  Roi  et  1  Assemblee  nationale. 

La  joie,  les  larmes  d'attendrissement  prouverent  l'affection  des 
Francois  pour  leur  souverain,  dont  les  larmes  coulerent  L'assem- 
blee deputa  soixante  raembres  ä  Paris  pour  en  porter  la  nouvelle, 
affermir  Vordre  et  pröcher  le  calme. 

On  chanta  le  Te  Deum.  Ce  soir  on  illnminera  la  ville,  et 
nous  avons  lien  d'esperer  qu'apres  avoir  dejouö  par  une  fermete 
sage  les  derniers  efforts  d'un  parti  mourant,  l'Assemblee  Nationale 
marchera  dorenavant  sans  obstacle  vers  le  grand  but  de  sa  convo- 
cation. 

L'allegresse  que  repand  cette  grande  nonvelle  dans  tous  les 
coeurs  est  trop  vive,  Messieurs!  pour  que  nous  nous  permettions 
d'en  alterer  les  sentiments  en  repondant  aux  details  que  contient 
votre  lettre  du  3.  juillet  relativement  ä  nos  demarches  vis-a-visde  M.  le 


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Comte  de  Puysegur.  Noas  avons  l'honneur  de  vous  observer,  Messieurs, 
que  Mr  Maujan  chef  de  la  municipalite  de  Metz  a  ete  rejete  la  se- 
in aine  passee  et.  son  election  declaree  nulle,  principalement  parceqae 
les  officiers  municipaux  ont  pretendu  concourir  ä  l'61ection  du  de- 
put6  direct  de  cette  ville,  et  que  Sa  Majeste  eile  meme  a  consacre 
la  justice  de  ce  principe  dans  le  reglement  particulier  qui  accorde 
deux  deputes  divers  ä  la  ville  d' Arles  et  ne  donne  <voix  au  maire 
«et  consuls  que  dans  les  assembläe  pr6liminaires.  en  la  leur  refu- 
«sant  expressement  dans  Tassemblö  des  electeurs  ämoins  qu'ils 
«n'aient  et6  nommes  pour  en  faire  partie.» 

Nous  avons  conformement  ä  vos  offres  obligeans  (sie)  touch6  il 
y  a  un  mois  cent  Louis  dont  nous  avons  fourni  le  reeepisse  ä  Mon- 
sieur de  Crolbois.  que  nous  n'avons  pas  Thonneur  de  voir  souvent, 
quoique  nous  ne  le  perdions  pas  de  vue. 

Nous  Bommes  avec  respect  etc. 

Les  deputes  de  la  Commune  de  la  Ville  de  Strassburg. 

Tiirckheim,  Schwendt. 

Je  vous  demande  excuse  d'avoir  charge  cette  lettre  de  Tincluse 
ä  cause  de  l'infidelite  des  postes. 


XIV. 

■ 

Genehmigung  des  Beschwerdenhefts  durch  den  Magistrat. 

Auf  die  anheute  in  der  Versammlung  Gnädiger  Herren  Rath  und 
XXI  von  Seiten  des  Herrn  Königlichen  Commissarii  hinterbrachte 
Nachricht  von  den  Dispositionen  der  hiesigen  Commune,  wovon  Er  in 
der  Versammlung  der  Herren  Repräsentanten  durch  ihre  mündliche 
Anträge  sich  zu  versichern  Gelegenheit  gehabt,  ist,  nach  angestellte  r 
Beratschlagung  auf  die  Vernehmung  des  anwesenden  Stadtadvokats 
und  Consulents  und  gehaltener  Umfrag,  von  den  gegenwärtigen  Ma- 
gistratsmitgliedern Erkannt  worden :  dass  zu  Wiederherstellung  und 
künftiger  Beibehaltung  des  guten  Vernehmens,  Einigkeit  and  Frieden 
zwischen  löblichem  Magistrat  und  Einer  Ehrsamen  Commune  alle  und 
jede  in  dem  Beschwerdenheft  gedachter  Commune  enthaltene  Artikel 
und  Punkten,  ohne  Ausnahme  noch  Einschränkung,  zu  bewilligen 
und  zu  genehmigen,  mit  dem  Anhang,  dass  auf  morgenden  Tag  der 
gesammte  Magistrat  neuerdingen  ausserordentlich  versammlet  werde 
damit  obiger  Schluss  durch  die  anheute  abwesende  und  gleichfalls 


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zu  berufende  Glieder  mit  unterschrieben  und  nochmalen  ratificirt 
werde.  Decretnm  den  20.  Julii  1789.  Abends  um  sechs  Uhr 

Freyherr  Zorn  von  Bulach 
regierender  Stättmeister. 
Z  ä  p  f  f  e  1 ,  regierender  Ammeister. 
Freyherr  von  Neuenstein,  Stättmeister. 
Frh.  Haffner  von  Wasslenheim,  Stättmeister. 
P  o  i  r  o  t ,  Ammeister,       Ludwig  Zäpffel,  Ammeister. 
Mogg  XV.  Hennenberg  XIII.  B.  Joseph  De  We  ittersh  e  im. 
Wächter  XXI.  DorsnerXV.  J.D.Weiler. 

Ottmann  XXI.  Debiez.  Schweitzer. 

Trombert,  Secr. 


XV. 

Die  Deputierten  an  die  Kommissare  der  Repräsentanten. 

(Original). 

Versailles,  ce  5.  Aout  1789. 

Messieurs. 

L'assembläe  nationale  vivement  affect£e  des  malheuvs,  qui  affligent 
le  Royaume  et  des  exces  dont  eile  a  recu  des  d&ails  journaliers  et 
accablants  s'occupoit  de  faire  une  declaratioo  qui  püt  en  arreter  le 
cours,  lorsque  le  patriotisme  le  plns  noble  et  le  plus  louable  a  d6- 
termine  tous  les  ordres,  toutes  les  provinces,  toutes  les  villes  et 
tous  les  individus,  a  faire  en  favenr  du  peuple,  la  renonciation  ä  jamais, 
ä  tous  les  droits  qui  lui  sont  onereux,  et  ä  leurs  privileges  parti- 
culiers  en  en  faisant  hommage  ä  la  nation,  et  se  soumettant  au 
regime  commun  que  Tasseroblee  jugera  utile  d'ätablir.  L'epoque 
heureuse  de  cet  enthousiasme  patriotique  sera  consignee  dans  la 
Chapelle  du  Roi  auquel  il  sera  invitä  d'assister;  et  Ton  en  chantera 
dans  toutes  les  provinces. 

Cette  soiräe  m6morable  s'est  terminäe  ä  pres  de  deux  heures  du 
matin  par  proclamer  le  Roi  le  Restaurateur  de  la  libertö 
francoise.  Vos  deputes,  Messieurs,  en  partageant  tous  les  senti- 
mens  des  membres  de  l'assemblee,  ont  regrettö  de  n'avoir  ä  präsenter 
ä  la  nation  aucun  hommage  de  votie  part,  mais  fideles  a  leur  mission 
et  au  cabier  dont  ils  sont  porteurs,  ils  se  sont  bornes  k  faire  ä  l'as- 


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semblee  la  declaration  dont  vous  trouverez  ci-joint  copie.  Elle  devenoit 
indispensable  dans  la  circonstance ;  ils  Tont  fait  a  la  suite  d'une 
pareille  fait«  par  les  autres  deputes  de  la  province;  l'Alsace  senle  ne 
pouvoit  garder  le  silence,  et  nons  croyons  avoir  adopter  (sie!)  une 
forme,  qui  ne  compromet  pas  votre  opinion,  et  votre  volonte. 

Nous  devons  neanmoins,  Messieurs,  vons  faire  connoitre,  qne 
d 'apres  les  renonciations  unanimes,  qni  ont  et6  faites,  il  deviendra 
bien  difficile,  si  ce  n'est  impossible,  ä  la  ville  de  Strasbourg  et  ä  la 
province,  de  resister  senle  ä  l'adoption  d'un  regime,  qui  va  devenir 
uniforme  pour  tont  le  royaume,  et  de  conserver  des  Privileges  ou 
une  existence  qni  le  contrariät. 

Nous  croyons  important,  Messieurs,  que  vous  vons  concertiez 
avec  Messieurs  les  Magistrats,  auxquels  nous  en  ecrirons  par  le  meme 
courrier,  pour  convenir  du  genre  de  declaration  que  vous  pourriez 
nous  charger  de  faire  relativement  aux  droits,  privileges  et  ad  mir  i- 
stration  de  la  ville. 

Aussitöt  que  le  proces-verbal  de  la  seance  d'hier  sera  imprime  il 
vous  sera  adresse.  Nous  vons  prions  de  nous  faire  connottre  vos  in- 
tentions  le  plutöt  qu'ii  sera  possible,  sans  quoi  votre  demarche  ne 
soit  d'aucun  effet. 

Nous  avons  l'honneur  d'etre  etc. 
Les  deput§s  de  la  Commune  de  Strasbourg  ä  Tassemblee  nationale 

Turckheim.  Schwendt. 


XVI. 

Die  Deputierten  an  den  Magistrat. 

(Orignial). 

Versailles,  le  5.  aoftt  1789. 

MM. 

Nous  avons  l'honneur  de  vous  rendre  compte  d'un  evenement 
aussi  inattendu  que  serieux,  qui  reclarae  votre  attention  et  qui  ne 
nous  a  pas  peu  embarasse. 

Le  comite  des  rapports  avoit  propose  lundi  un  arrete  ponr 
sister  le  cours  des  horreurs,  qui  desoleöt  nos  provinces  et  dont  nous 
recevons  tous  les  jours  les  plus  affligeantes  nouvelles  et  pour  ramener 
surtout  les  peuples  ä  l'acquittement  exaet,  non  seulement  des  revenus 
seigneriaux,  mais  aussi  des  irapositions  loyales,  refuse  (sie)  partout.  La 


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proposition  agreee,  le  comite  de  redaction  avoit  propose  hier  matin 
l'arrete  en  consequence:  le  soir  a  huit  heares  l'assemblee  6toit 
indiquee  pour  ecouter  quelques  rapports ;  M.  le  Vicomte  de  NoaillM 
fit  la  motion  que  c'etoit  en  vain  qu'on  invitoit  les  peuples  a  rentrer 
dang  Vordre  et  lob&ssance,  si  on  n'apportoit  le  remede  au  mal,  qui 
avoit  cause  leur  insurrection  ;  que  c'etoit  les  tristes  restes  du  droit 
feoda),  qu'il  falloit  abolir :  qoe  toutes  les  perceptions  qui  derivoient 
de  la  servitude  personnellc  etant  injustes  et  fondees  sur  la  force  seule, 
devoient  Stre  declarees  oppressives  et  eteintes  sans  indemnite ;  que 
les  infeodations  reelles  devoient  etre  declarees  remboursable  (sie) 
au  deuier  trente.  Cette  motion  faiblement  combattue  par  la  terreur  et 
le  8ilence  que  le  parti  dominant  de  l'assemblee  a  su  imprimer  fut 
bientöt  soutenu  par  le  Duc  d'Aiguillon  et  successivement  on  vit  dans 
cette  nuit  le  spectacle  le  plus  extraordinaire,  dont  la  nation  fran- 
coise  etoit  peut-etre  seul  susceptible.  La  noblesse  s'abandonna  a  la 
renonciation  de  ses  privileges  et  de  ses  proprietes  avec  une  ivresse  et 
nne  Emulation  inconcevable  Chacun  rencherissoit  sur  l'autre,  et  a 
moins  de  trois  heures  on  proposa  l'abolition  de  tous  les  droits  infeo- 
des,  des  justices  seigneuriales,  des  droits  de  chasse,  de  la  bannalite 
{sie),  du  droit  de  colombier,  des  garennes,  de  tous  privileges  pecuniai- 
res  quelconques,  des  restes  de  la  servitude  et  mainraortage,  des  cham- 
pards  j  le  rachat  des  dignes  et  des  rentes  foncieres,  la  proscription  de 
toute  nouvelle  Constitution,  des  redevances  foncieres  ;  la  cessation  de 
la  venalite  des  offices  et  le  voeu  d'une  administration  de  la  justice 
absolument  gratuite. 

Le  Clerge  m&la  k  ces  sacrifices  inconcevables  les  siens  et  les 
eures  offrirent  celui  de  tout  casuel  et  la  dispensation  gratuite  des 
sacrements,  et  rassemblee  en  applaudissant  ä  ces  mouvements  patrio- 
tiques  prononca  le  voeu  de  l'augmentation  des  portions  congrues.  On 
proscrivit  la  venalite  et  la  plnralite  des  benefices  curaules  sur  une 
seule  tete.  Plusieurs  membres  coururent  chez  des  notaires  rösigner 
les  leurs.  On  abolit  les  annales. 

Les  Commnnes  voterent  la  suppression  des  maitrises  et  jarandes. 
rivreßse  s'aeerüt  a  un  tel  point  au  railieu  des  applaudissements  publics, 
que  ceux  qui  avaient  pu  conserver  la  froideur  de  la  raison  dars 
cette  söance  unique  crurent  6couter  un  beau  reve  enfant6  par  Tamonr 
d'un  bien  purement  possible,  dont  l'illusion  allait  6tre  detruite  le 
lendemain  par  le  flambeau  de  la  reflexion. 

Mais  ces  renonciations  successives  emises  dans  le  d61ire  de 
patriotisme  ne  furent  que  les  precurseurs  d'abandons  plus  inconce- 
vables encore.  Le  Dauphine  commen^a  a  renouveller  a  Tasserablee 
nationale  Thommage  de  tous  les  privileges  de  sa  province.  Les 
deputes  de  la  Bretagne  du  nombre  de  66  suivirent  cette  impulsion, 
et  ceux  de  Rennes  declarerent  qne  quoique  gSnes  par  un  raandat 


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imperatif  qni  soumettoit  les  decisions  de  Vassemblee  nationale  ä 
l'examen  de  leurs  etats  particuliers,  ils  se  faisoient  fort  du  consente- 
raent  de  leur  province  a  l'abandon  entier  de  leurs  privileges,  dont  la 
nation  Bretonne  avoit  ete  si  jalouse  jusqu'ä  ce  jour.  Des  lors  le  delire 
de  l'enthousiasme  ne  connnt  plus  debornes.  Toutes  les  provinces  depo- 
serent  ä  l'envi  et  avec  un  empressement  dont  on  ne  peut  peindre 
l'ardence  snr  l'autel  de  la  patrie  commune  toutes  leurs  franchises  et 
Prärogatives.  Le  Languedoc,  la  Bourgogne  et  l'Artois  renoncerent  ä 
leurs  Etats.  Les  Ducs  de  Castrie,  de  la  Tour  Maubourg,  le  Comte 
d'Egmont  et  autres  deposerent  les  pierogatives  de  leurs  baronies  et 
leurs  influences  sur  l'administration  de  leur  province.  Toutes  les  pro- 
vinces,  toutes  les  villes  se  depouillerentä  l'envi.  La  Lorraine abandonna 
ses  droits  fondes  sur  les  traites,  Marseille  renonca  (sie)  ä  son  regime  di- 
stinet  et  aux  franchises  de  son  port,  Bordeaux  a  ses  droits  considerables 
mais  oppressifs  sur  les  vins  du  Quercy  et  de  la  Rovergne ;  quelques  de- 
putes en  petit  nombre  y  unirent  des  restrictions.  On  appella  (sie)  l'Al- 
sace:  l'embarras  de  nos  deputes  fut  extreme.  La  Franche  Comt6 
avait  dejä  abjure  ses  franchises,  et  s'etoit  soumise  a  la  legislation 
commune.  Les  deputes  de  la  province  s'avancerent  vers  le  bureaa : 
nous  les  suivlmes:  et  nous  remimes  au  g reffe  la  note  cy-jointe,  MM., 
par  la  quelle  vous  verrez  que  dans  le  fait  nous  n'avons  rien  aban- 
donne  que  sous  la  reserve  de  la  ratification  de  notre  ville  et  com- 
mune- Vous  jugerez  notre  Situation  infiniment  critique,  et  notre 
conduite.  Deja  plus  d'une  fois  l'exaltation  des  Bretons  et  de  l'opinion 
dominante  avoit  accuse  notre  lenteur  et  nos  reserves.  Nous  savons 
meme.  a  ne  pas  en  douter,  que  la  moderation  de  nos  prineipes  a 
ete  denoncee  a  ces  glonbs  (clubs !)  inquisitoires  qui  entretiennent  les 
convulsions  du  patriotisme,  et  influent  malheureusement  sur  les  deter- 
minations  de  l'assemblee  nationale.  L'assemblee  ä  la  fin  lasse  de  tant 
de  sacrifices  de  tant  de  mouvements  patriotiques,  dont  l'Europe  revo- 
quera  en  doute  la  possibilite,  respira  un  raoment,  M.  le  Duc  de  Lian- 
court proposa  de  faire  une  medaille  ä  Thonneur  de  cette  journee  si 
celebre  pour  la  France,  si  desastreuse  peut-etre  pour  votre  province. 
M.  l'Archeveque  de  Paris  proposa  de  chanter  un  Te  Deum  dans  la 
.  chapelle  du  Roi  en  presence  du  Souverain  et  des  representants  de  sa 
grande  famille,  et  l'ivresse  du  sentiment  et  de  la  reconnoissance  pu- 
blique etant  aecrue  ii  son  plus  haut  degrö,  Louis  XVI.  fut  proclame 
solennellement  le  Restaurateur  de  la  liberte  franeoise.  La 
salle  retentit  des  cris  redoubles  de  Vive  le  Roi,  et  Tassemblee  se 
retira  vers  les  deux  heures  du  matin. 

Mille  reflexions  qui  se  contrarient  s'elevent  dans  notre  esprit 
depuis  cette  journee  memorable :  elles  se  r6unissent  toutes  en  der- 
niere  analyse  a  considerer,  que  si  d'un  cöte  la  ville  de  Strasbourg  a 
peut-etre  plus  de  sacrifices  ä  faire  qu'aucune  autre  du  Royaume,  et 


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—  171 


dont  plusieurs  lai  seront  douloureux  et  funestes :  eile  ne  pourra 
d'un  autre  c6t6  se  soustraire  qu'avec  une  peine  infinie  du  voea 
national,  ä  la  loi  commune,  au  parti  qui  parolt  pris  d'6tablir  des 
bases  d'administration  uniformes  pour  renforcer  par  une  Organisation 
pareille  le'  nerf  des  diiferentes  parties  qui  composent  cette  formidable 
monarcbie. 

Nous  attendons,  MM.,  le  resultat  de  votre  opinion  eclairee  par 
toutes  les  considerations  possibles,  propres  a  la  fixer.  Si  dun  cöte 
nous  sentons  qu'une  determination  qui  influera  d'une  maniere  aussi 
decisive  sur  la  prosperite  de  notre  pati-ie  ne  peut  etre  prise  precipi- 
temment;  nous  vous  supplions  d'un  autre  c6t6  de  "ne  pas  trop  la 
retai'der,  puisque  sans  cela  le  merite  de  votre  declaration  et  de  vos 
sacririces  diminueroit  infiniment. 

Vous  vous  arreterez  probablement  au  parti  de  r£clamer  aupres 
du  Ministre  protecteur  de  notre  ville  la  confirmation  de  Dotre  capi- 
tulation,  qui  semble  vous  donnei  des  droits  ä  son  intervention :  mais 
daignez  considörer,  Messieurs,  combien  le  pouvoir  executif  est  faible 
et.  ses  ressorts  rel&ches ;  il  n'ose  rien  entreprendre  crainte  de  se 
compromettre,  et,  nous  le  disons  avec  douleur,  la  France  jusqu'au 
moment  que  sa  Constitution  seta  fixee  et  sanctionnee  invoquera  en 
vain  les  tribunaux  et  les  agents  du  pouvoir,  pour  remedier  anx  des- 
ordres  qui  la  dechirent,  et  maintenier  des  Privileges  dont  on  demande 
le  sacrifice. 

Nous  en  avons  ecrit  pareillement  aux  representants  de  la  com- 
mune avec  lesquells  nons  vous  supplions  de  confferer  sur  une  des 
positions  les  plus  delicates  oü  notre  bonne  ville  si  cruellement  affligee 
cette  annee  se  soit  trouvee  depuis  sa  reunion  ä  la  France. 

Nous  sommes  etc.  Turckheim.  Schwendt 


XVII. 

Die  Commission  der  Bürgerschaft  an  die  Deputierten. 

(Nach  dem  Entwurf.) 

le  11.  Aoüt  1789. 

Messieurs, 

A  la  r6ception  de  la  lettre  que  vous  nous  avez  fait  Thonnem* 
de  nous  6crire  le  5.  de  ce  mois  nous  avons  sur  le  champ  fait  assem- 


uiginzea  uy  Vjüu 


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bler  MM.  le  reprewntans  pour  la  leur  communiquer  avec  la  decla- 
ratio n  qai  y  etoit  jointe.1 

Larrete  de  l'Assemblee  Nationale,  MM.  dont  il  s'etoit  rependu 
la  veille  des  exemplaires  ici  et  qtü  avoit  rependu  d'abord  beaucoup 
de  joie  ne  laissa  pas  d'exciter  de  grandes  inquietudes  dans  la 
partie  des  artisans  qai  ne  pouvant  exercer  lenr  mutier  qu'avec  com- 
pagnons  allemands  se  trouveroient  exposes  a  manqaer  de  ce  seconrs 
et  ä  voir  tenir  an«  des  soarces  de  lern*  prosperitä  et  sabsistence, 
oatre  qae  lenrs  enfans  eleves  dans  le  meme  etat  ne  pourroient 
voyager  en  Allemagne  pour  y  acquerir  les  connoissances  qae  la 
France  oa  ne  lear  offre  pas  du  tout  ou  pas  dans-  le  meme  genre. 

Votre  lettre,  MM.,  et  sartout  la  Declaration  qae  voas  avez  remise 
provisoirement  ä  l'Assembläe  Nationale,  en  laissant  snbsister  Vobjet 
de  ces  apprehensions,  ne  nous  a  pas  raoins  remplis  d'admiration  de 
renthoasiasrae  patriotique.  avec  leqael  les  depates  des  differents 
ordres  de  toates  les  provinces  et  de  toates  les  villes  se  sont  signales 
ä  l'envi  par  des  sacrifices  et  de  renonciations,  dont  il  n'etoit  pas  aise 
de  prevoir  la  raultiplicite  et  l'importance.  Cette  consideration,  MM., 
jointe  ä  uue  antre  que  noas  rapporterons  ci  apres  est  peut-Stre  propre 
ä  adoacir  vos  regrets  de  n'avoir  pas  eu  ä  presenter  de  notre  part 
an  hommage  semblable,  mais  voas  ne  serez  pas  longtems  sans  voas 
voir  ä  meme  de  porter  l'offrande  de  la  commune  de  Strasbourg. 
Nous  l'aurions  fait  des  aujourd'hoi,  si  un  sacrifice  non  moins  noble 
quoique  d'un  genre  different  n'alloit  probablement  nous  en  enlever 
la  gloire. 

Le  jour  meme  de  l'arriv6e  de  notre  depeche  le  corps  de  la  Ma- 
gistrai ure  perp&uelle  de  cette  ville,  avec  qui  entre  autres.  nous  devions, 
suivant  votre  lettre,  concerter  la  declaration  a  vous  envoyer  (sie) 
relativement  aux  droits,  privileges  et  administration  de  cette  ville, 
pour  Scarter  tout  ce  qui  aoroit  pu  s'opposer  davantage  au  Etablisse- 
ment de  la  tranquillite  et  de  l'union  si  desirable  entre  le  raagistrat 
et  la  bourgeoisie  s'est  demis  de  plein  gre  de  ses  dignitäs  et  Offices 
avec  la  resolution  de  porter  les  conseillers  de  ville  ä  adopter  le 
meme  parti  et  d\v  engager  pareillement  les  Colleges  des  Echevins  des 
20  tribus  pour  pouvoir  reraonter  graduellement  toute  l'administration 
conformement  au  plan  pr6scrit  par  le  cahier  de  la  Commune  et  ce 
que  nous  ne  devons  pas  vous  laiaser  ignorer,  c'est  que  M.  le  Commis- 
saire  du  Roi,  qui  dans  ces  difficiles  a  fait  preuves  de  ses  lumieres 
et  de  sa  prudence  lattant  de  generosit£  avec  le  Magistrat  et  secoodant 
ses  efforts,  a  offert  de  meme  au  Roi  la  deraission  de  sa  place  comme 
paroissant  &tre  sans  objet  pendant  la  vacance  de  la  Magistrature 

Ce  changement,  MM.,  devant  s'operer  entre  cejour  d'hui  et  demain, 


»  Vgl.  Strobel  V.,  S.  352. 


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t 


—  M73  — 

nous  avons  dü  laisser  an  nouveau  magistrat  et  aux  300  echevins  ä 
elire,  comme  representant  legalement  la  Commune,  le  soin  de  con- 
8omraer  l'ouvrage  .... 


XVIII. 

Der  Magistrat  an  die  Deputierten. 

(Nach  dem  Entwurf.) 

Strasbourg,  ce  31.  Aout  1789. 

Messieuers. 

Nous  croyons  devoir  vous  instuire  aussitöt  du  nouvean  pas  que 
nous  venons  de  faire  pour  parvenir  successivement  a  la  regeneration 
entiere  de  notre  Constitution  locale,  et  la  rapprocher  autant  qu'il  peut 
§tre  possible  dans  les  circonstances  donnees  des  principes  qui  parois- 
sent  devoir  servir  de  base  a  Torganisation  municipale  des  communes 
des  villes  du  royaume.  La  regeneration  du  College  des  Echevins  et 
celle  du  Grand  Senat  sembloit  pouvoir  etre  suivie  aussitöt  de  celle 
des  chambres  d'administration,  et  de  l'ensemble  du  magistrat,  cepen- 
dant  avant  de  proceder  a  la  nomination  des  places  devenues  va- 
cantes  par  la  demission  generale  de  Tancien  magistrat,  la  Commune 
a  desire  connoitre  les  modifications  auxquelles  ce  pourroit  etre  con- 
venable  de  s'arrlter  pour  dans  cette  formation  nouvelle  concilier 
les  voeux  deja  ezprimes  des  citoyens  et  ceux  que  les  circonstances 
devellopoient  (sie)  avec  ce  que  Ton  6toit  intentionne  de  conserver 
de  Torganisation  pr6c6dente.  La  brievete)  du  tems  et  l'importance 
dont  il  6toit  pour  le  retour  et  le  maintien  du  bon  ordre  de  mettre 
en  activitö  sans  retard  les  döpartement  de  justice,  de  police  et  d'ad- 
ministration n'ont  pas  permiß  au  [comite  charge  de  ce  travail  d'at- 
tendre  qu'il  put  nous  proposer  un  projet  d'arrangement  achev6  dans 
tous  les  details;  ce  comit6  s'est  h&te  de  nous  rendre  compte  des 
donnees  principales  dont  il  pensoit  que  Ton  pourroit  partir  dans 
la  formation  et  distribution  nouvelle  des  departements,  et  cet  ap- 
percu  accueilli  avec  satisfaction  par  la  bourgeoisie  nous  a  paiu  süf- 
fisant pour  nous  däterminer  a  pourvoir  aussitöt  a  la  nomination  des 
personnes  entre  lesquelles  doit  etre  partage  le  soin  de  Tadminis- 
tration.  Nous  avons  termin6  vendredi  soir1  Telection  des  magistrats 


i  28.  August. 


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« 


-    174  — 

permanents.  M.  de  Tarckheim  a  ete  le  premier  porte  an  scrutin  eutre 
los  membres  choisis  de  la  confession  d'Augsbourg.  Nous  avons  une 
satisfaction  particuliere  a  lui  annoncer  cette  election.  Elle  est  un 
hommage  rendn  a  son  patriotisme,  a  ses  talents  et  an  devouement  qa'il 
a  raontre  jusqu'ä  präsent  pour  les  interöt  de  la  Commune  

Ladministration  de  notre  ville  n'est  point  de  nature  a  pouvoir 
etre  confiee  ä  des  administratenrs  pnreraent  amovibles  et  precaires. 
Elle  exige  des  hommes  livres  tont  entier  a  cette  tacbe  publique. 
Rendre  lenr  etat  trop  incertain  seroit  eloigner  l'homme  ntile,  il  en 
räsulteroit  bientöt  le  despotiame  d'un  petit  nombre  de  riches  et 
le  danger  d'nne  aristocratie  plus  oppressive  qne  celle  qne  Von 
reproche  a  Tancienne  Constitution.  Vous  appreciez  sans  donte 
avec  nous,  Messieurs,  les  inconvenients  d'une  mobilite  absolue  de 
principes  et  de  personnes;  sans  trop  nous  ecarter  des  bases  de 
la  construction  ancienne  qui  merite  ä  tant  d'egards  nos  respects, 
nous  croyons  avoir  saisi  un  juste  milieu  en  portant  dans  chaque 
partie  d'administration  publique  un  nombre  de  reprtaentants  legiti- 
mes, de  membres  amovibles  toujours  sup^rieurs  ä  celui  des  mem- 
bres permanents  affectes  par  etat  anx  details  de  ces  d6partements 
Vous  reconnoitres . . . .  que  les  nouveanx  magistrats  permanents  sont  les 
conseils,  et  ne  peuvent  jamais  Stre  les  tirans  de  la  commune ;  que 
celle-ci  aura  une  administration  aussi  libre  qu'elle  puisse  etre  dans 
aucune  (sie)  autre  sisteme,  sans  cependant  sacrifier  les  avantages  qui 
naissent  de  Vexperience  d'nne  partie  des  administrateurs  vou6  (sie) 
par  6tat  aux  interets  qui  leur  sont  commis. 

Nous  esperons  que  ces  differentes  considerations  jointes  a  Celles 
qne  Ton  pent  tirer  de  la  position  locale  de  notre  ville,  de  ses  re- 
lations  avec  TAllemagne,  du  genie  de  ses  habitans,  et  de  leurs  ha- 
bitudes,  feront  dans  les  tems  trouver  gräce  aux  yenx  de  la  nation  ä 
la  determination  que  nous  avons  prise  de  reconstituer  des  magistrats 
permanents  et  inamovibles,  et  quelque  soit  (sie)  d'ailleurs  les  modi- 
fications  accessoires  que  la  revolution  generale  viendroit  k  rendre 
indispensables,  il  n'en  est  aucune  qui  ne  paroisse  pouvoir  Stre  con- 
ciliee  avec  les  bases  adopt6es  pour  notre  regeneration.  Les  fonetions 
de  justice  se  tronvant  distinetes  de  celles  d'administration,  les  unes 
et  les  autres  seront  susceptibles  d'etre  adoptes  (sie)  en  ce  qu'il  y 
auroit  d'essentiel  au  sisteme  national.  Nous  sommes  disposes  a  tous 
les  sacrifices  que  Tint^ret  de  la  nation  pourroit  exiger ;  nous  vous 
avons  prie,  Messieurs,  d'en  faire  agteer  l'assurance  a  Tassembläe 
nationale  ;  raais  nous  nous  croyons  en  droit  d  esperer  que  l'on  n'exi- 
gera  aucune  chose  qui  sans  objet  pour  le  bien  genäral,  pourroit  de- 
venir  un  obstacle  ä  notre  bien  ätre  partieuuer,  *  et  c'est  dans  cette 
confiance  que  nous  croyons  pouvoir  nous  occuper  du  soin  de  nous 
donner  nne  Organisation  adoptee  aux  circonstances  locales  sans  ce- 


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-    175  - 


pendant  perdre  de  vue  les  considerations  qui  derivent  du  lieu  de 
notre  union  avec  les  autres  parties  da  Royaume  .... 
Nous  sorames  etc. 

Le  Preteurs,  Consul,  Senat  et  Echevins 
de  la  ville  de  Strasbourg. 


XIX. 

Schreiben  au  die  Deputierten, 

beschlossen  in  der 
allgemeinen  Schöffenversaramlung  vom  24.  September  1789 

(Abschrift  im  Protokoll). 

....  Comme  vous  jugez  avoir  besoin  d'instructions  formelles  bui* 
la  question:  «St  vous  devez  vous  joindre  aux  deputes  de  la  Noblesse 
et  du  Clerge*dans  le  cas  oü  ceux-ci  feroient  des  demontrances  pour 
sopposer  ou  protester  contre  les  arretes  du  4.  aoüt  et  s'ils  doivent 
appuyer  les  memoires  des  Princes  d  Empire  possessionis  en  Alsace 
et  opposants  aux  memes  arretes?»  La  commune  assemblee  pour  y 
deliberer  .  .  a  arrete,  que  vous  devez  vous  joindre  aux  deputes 
de  la  Noblesse  et  du  Clerge  ä  1  effet  ci-dessous  et  pour  le  maintien 
des  droits  de  la  ville  tels  qu'ils  sont  sans  qu'il  puisse  etre  question 
de  rachat,  ni  d  indemnite  .  .  . 


XX. 

Der  Magistrat  an  den  Kriegsminister  Latour  du  Pin. 
(Abschrift  im  Protokoll,  24.  Sept.) 

Monsieur  le  Comte. 

....  Nous  profitons  des  circonstances  pour  avoir  l  honneur  de 
mettre  sous  vos  yeux  copie  des  instruetions  que  la  Commune  fait 
parvenir  a  ses  döputes  ä  1  Assemblee  Nationale  relativement  a  l  arretö 
de  cette  assemblee  du  4.  aoüt  dernier  concernant  l'abolition  des  pri- 
leges  .... 

Louis  XIV.  en  recevant  par  une  capitulation  solenneile  la  ville 


I 

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-    176  — 


de  Strasbourg  sous  sa  royale  protection  a  promis  en  foi  et  parole  de 
Roi  de  conserver  la  Commune  dans  l'excercice  des  dits  droits,  et  la 
Nation,  au  nom  de  laquelle  cet  engagement  a  6t6  contractu,  etant 
tenue  de  le  remplir  en  ce  qui  la  regarde,  nous  osons  vous  supplier, 
Monsieur  le  Comte,  de  nous  accorder  votre  puissante  protection  a 
cet  effet. 

Nous  sommes  avec  etc. 


XXI. 

Der  Magistrat  an  Schwendt. 
(Abschrift  im  Protokoll). 

Strasbourg,  le  21.  Novembre  1789. 

Monsieur. 

....  Vous  ne  doutez  pas,  Monsieur,  que  nous  ne  soyons  sensibles 
a  l'attention,  que  vous  avez  eu  d'assurer  les  droits  dont  la  ville  jouit 
dans  ses  possessions  territoriales  par  la  declaration  que  vous  avez 
remise  au  bureau  des  droits  feodaux,  nous  croyons  cependant  devoir 
vour  faire  une  Observation  sur  une  partie  a  son  enonce.  Vous  r  e- 
clamez  pour  soutenir  ses  droits  lesm&mesmotifs  qui 
ont  6te  invoques  par  M.  le  Card,  de  Rohan  et  la  n  o- 
b  les  se  dÄlsace  en  respectant  la  legitimite  des  titres  de  Tun  et 
de  lautre;  nous  croyons 

1°  que  dans  un  moment  oü  l  assemblee  nationale  vient  de  d6- 
clarer  les  biens  du  clerge  la  proprietes  de  la  nation,  il  n'est  pas  Bans 
danger  de  ranger  nos  proprietes  dans  la  meme  classe  que  Celles  dont 
le  possesseur  est  ecclesiastique  et  qu'il  eut  fallut  (sie)  du  moins  en 
rapprochant  nos  droits  de  ceux  de  M.  le  Cardinal  faire  mention  de 
sa  qualitö  de  ci-dessus  Prince  d'Empire. 

2°  la  noblesse  imm6diate  d'Alsace  jouit  ä  la  vörite"  dans  ses  im- 
matricules,  seigneuries  des  memes  droits  territoriaux  qui  appartiennent 
ä  la  \ille,  mais  cet  avantage  marqu6e  (sie)  pour  cette  derniere  o  est 
d'avoir  ete  6tat  d'Empire  et  sous  ce  rapport,  c'est  au  Princes  posses- 
sories  en  Alsace  seuls  qu'elle  peut  etre  comparee  dans  ses  droits  ; 
nous  aurions  desirö  d'apres  ses  considerations,  Mr.,  qu'au  lieu  de 
rapporter  aux  moyens  de  defense  ref6rer  de  M.  l'Eveque  de  Stras- 
bourg et  de  la  noblesse  immediate  de  la  Basse-Alsace  les  droits  de 
la  ville  de  Strasbourg,  sur  cet  objet  vous  eussiez  invoque  directement 
les  titres  respectables  sur  lesquels  ils  sont  fond§s. 

Nous  avons  l'honneur  etc. 


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XXII. 

Schwendt  an  den  Magistrat. 
(Original) 

Paris,  le  25.  Novembre  1789. 

Messieurs 

J'ai  ä  vou8  rendre  compte  d'une  decision  dont  magre  tous  mes 
cfforts  il  n'a  pas  6t6  en  mon  pouvoir  de  vous  garantir. 

Le  comite  de  Constitution  avoit  annoncee  (sie)  pour  jeudy  son 
rapport  snr  l  organisation  des  municipalites ;  je  me  depechai  de  mi- 
nnter  des  observations  snr  votre  Constitution  et  je  livrai  ä  rimprimeur 
ponr  les  distribuer  jeudy1  avant  l'assemblee  ainsi  que  je  vous  Tai 
mande,  par  ma  lettre  d'hier.  J'arrive  ce  matin  a  l'assemblöe  et  suis 
fort  6tonn6  d'entendre  la  lecture  dn  rapport  du  comite,  je  monte 
apres  lui  ä  Ia  tribune  et  fais  les  reclamations  dont  vous  trouveres 
le  detail  cy-joint.  J'ai  6te  combattu  par  les  deputGs  des  commnnes 
de  la  province ;  le  voeu  pour  l  uniformite  de  l'organisation  de  toutes 
les  municipalites  se  manifestait  trop  evidemment  ponr  que  je  pus 
(sie)  esp6rer  du  succes ;  je  demandai  alors  qu'on  suspendlt  tont  juge- 
ment  au  regard  de  votre  ville  et  qu'on  me  donna8  (sie)  le  tems  et 
la  liberte  de  presenter  au  comite  de  Constitution  le  tableau  de  l'or- 
ganisation,  administration   et  reg6neration  de  votre  Magistrature 
raunicipale  pour  conferer  avec  lui  sur  les  moyens  d'allier  les  interdts 
de  la  localite  avec  l'uniformite  qu'on  cherchoit  ä  etablir.  M.  Reibel 
a  de  nouveau  reprösente  que  la  Commune  avoit  si  bien  sentie  (sie) 
le  vice  de  son  ancienne  Constitution  qu'elle  l'avoit  eile  meme  refor- 
m6e.  Je  repondis  qu'elle  n'avoit  fait  au  contraire  que  Tadopter  aux 
dispositions  memes  de  rassemblee ;  mais  comme  je  voyois  ä  n'en 
pas  douter  que  c'ötoit  en  vain  que  je  demandois  une  exception,  j'in- 
sistois  pour  que  ma  reclamation  tut  mentionnee,  dans  le  proces-verbal 
pour  ma  justification,  et  je  m'61evai  contre  le  döfaut  de  qualitö  des 
commnnes  d'Alsace  avec  qni  Strasbourg  n'avait  jamais  eu  aueun 
rapport,  et  en  annoncant  que  j'6tois  seul  porteur  du  voeu  et  du 
cahier  de  la  commune.  Apres  d'autres  debats  la  question  prealable 
fut  proposee  et  il  a  6t6  arret§  qu'il  n'y  avoit  pas  bien  ä  delib6rer 
sur  ma  demande  et  l'on  arrlta  les  onze  premiers  articles  du  plan  du 
comite  dont  j'ai  l'honneur  de  vous  adresser  un  exemplaire  .... 


1  26.  November. 

«  Reubel,  der  Abgeordnete  für  Colmar. 


12 


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XXIII. 

Der  Magistrat  an  Schwendt. 

Verlesen  am  5.  Dezember. 
(Abschrift  im  Protokoll.) 

Monsieur 

.  ...  En  insistant  sur  les  reformes  partielles,  la  Commune  n'a  eu  en 
vue  que  de  voir  corriger  les  abus,  qui  deparoient  la  Constitution  et 
en  rendoient  les  avantages  moins  sensibles  et  moins  efficaces,  mais 
qui  loin  d'etre  essentiellement  lies  et  inberents  ä  la  Constitution 
meme  ne  sont  en  partie  que  Teffet  de  tems  qui  degrade  tout  et  en 
partie  que  l'ouvrage  (des)  hommes  ambitieux  comme  il  y  en  aura 
toujours. 

C'est  donc  une  fausse  assertion  d'un  des  deputes  de  la  haute 
Alsace  que  de  dire  que  la  Constitution  des  villes  de  cette  province 
soit  reconnue  radicalement  vicieux  (sie),  et  si  M.  Reubel  en  par- 
ticulier  pour  appuyer  cette  assertion  a  prötendu  que  la  commune  de 
Strasbourg  ayant  reforme  sa  Constitution  en  a  par  la  meme  reconnu 
le  vice,  ce  depute  ne  dit  qu'un  sophisme,  car  reform  er  des  abus 
d'une  Constitution  n'est  pas  condamner  la  Constitution  ,  si  la  räforme 
emportoit  necessairement  la  destruetion  il  n'est  pas  d'administration 
dans  l'univers,  pas  meme  d'Empire,  grand  ou  petit,  monarchique  ou 
republicain,  qui  n'eut  besoin  d'ßtre  refondu  (sie)  a  des  certaines 
epoques  plus  ou  moins  rapprochees,  et  certaraement  la  nouvelle 
Constitution  n'en  demeureroit  pas  ezempte  .... 

Nous  concevons  tres  bien  que  tout  corps  administratif  particulier 
est  et  doit  ötre  sous  la  loi  de  l'administration  generale,  mais  il  ne 
nous  est  pas  aussi  facile  d'apercevoir  la  necessitö  que  ces  administra- 
tions  particulieres  subsistent  pour  cela  une  loi  commune  de  rapport 
et  de  ressemblance  parfaite.  L'intention  de  la  Commune  en  provoquant. 
et  agr6ant  cette  ebauchö  de  nouvelle  forme,  a  6te  d'une  part  de  faire 
cesser  le  dfesordre  resultant  de  l'interruption  du  cours  de  la  justice 
et  de  tont  administration  et  de  Tautre  d'adopter  les  prineipes  ^Or- 
ganisation annoncös  ä  la  Constitution  subsistante. 

On  a  lieu  de  croire  que  le  comite  Charge  de  ce  travail  auroit  eu  ä 
se  feliciter  du  succes  de  ses  soins  sous  1  inflexible  et  impetueux  (sie) 
tendance  de  plusieurs  membres  de  la  commune  vers  le  Systeme  tant 
voütä  de  l'uniformite  de  toutes  les  administrations  du  Royaume,  comme 
si  cette  uniformite  6toit  l'unique  mesure  de  la  felicite  d  un  peuple 
dont  le  langage,  les  moeurs  et  les  habitudes  sont  si  differents.  Nous 


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—    179  — 


ne  pouvons  pas  dissimuler  combien  il  paroit  singulier  que  la  liberte 
etant  de  tous  les  droits  de  l'homme  le  premier,  des  citoyens  paisibles 
qui  depuis  trois  siecles  se  sont  bien  trouves  de  leur  Constitution  et 
8e  tronveroient  encore  Contents  et  henrenx  den  conserver  le  fonds, 
ne  doivent  pas  en  avoir  la  libert6,  tandis  qn'il  doit  etre  libre  de 
changement  total  dune  Constitution  fondee  sur  la  foi  des  traites  qui 
doit  etre  effectue  au  mepris  du  voeu  de  la  Commune,  blesse  les  regles 
de  la  justice,  ni  du  cöte  de  Tinteret,  puisque  sous  tous  les  rapports 
essentiels  d'impositions,  commerce  et  autres,  la  Constitution  stras- 
bourgeoise  ne  peut  pas  dorenavant  etre  plus  en  Opposition  avec 
l'interet  general  de  la  nation  que  ne  le  sera  la  Constitution  Parisienne 
et  qu'en  laissant  subsister  quelques  legeres  nuances  de  forme  il  est 
suffisamment  de  moyens  pour  le  concilier  avec  le  Systeme  general 

(d')administration  

II  est  bien  a  desirer  que  l'iraportance  dont  il  est  pour  l  etat 
common,  pour  le  commerce  et  la  communaute  des  bäteliers  de  cette 
ville,  de  conserver  la  navigation  sur  le  Rhin  et  d'en  faire  observer 
les  traites,  qui  subsistent  entre  le  Roy  et  les  Cours  electorales  de 
Mayence  et  de  Mannheim,  n  echappe  pas  ä  la  penetration  de  l'As- 
8emblee  Nationale  


XXIV. 

Discours 
prononce  le  2.  Janvier 
ä  1  'Assembler 
de  M.  M.  les  E  c  h  e  v  i  n  s. 

Represe n ta ns  de  la  Bourgeoisie  de  Strasbourg 

par 

M.  le  Baron  de  Dietrich 
Commissaire  du  Roi,  faisant  les  fonetions  du  Preteur. 

(Im  Druck  erschienen). 
Messieurs ! 

.  .  .  .  On  vient  de  vous  faire  lecture  de  votre  arrete  du  2.  decembre 
M.  l'avocat  general  Fischer  vous  a  dejä  observe,  Messieurs  que  ce 
decret  ne  renformoit  aneune  renonciation  aux  droits  de  vos  conci- 
toyens  et  que  le  11.  vous  n'aviez  pas  pris  d'arrete  a  ce  sujet.  En  effet 
vous  ne  trouvez  pas  meme  de  trace,  dans  le  premier,  de  Tapprobation 


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—   180  - 


que  vous  avez  bien  voulu  donner  ä  mes  conclusions,  le  jour  oü  il 
fut  rendu  ä  la  verite  vous  vous  apercütes  de  cette  Omission  ä  la 
lecture  qui  vous  fut  faite,  le  11.  decembre,  de  votre  deoret  du  2  Mai 
quoique  je  vous  aie  pri6  formellement  d'ordonner  que  la  redaction 
fut  corrigee,  vous  laissätes  tomber  ma  demande  et  je  le  repete,  vous 
ne  prltes  point  oe  jour  lä  d'arrete  d'oü  I  on  puisse  arguer  aucune 
renonciatioü. 

Mais  quand  meme  vos  arretes  contiendront  une  adhesion  for- 
melle aux  d6crets  de  l'Assemblee  Nationale  sanctionnes  ou  acceptes 
par  le  Roi,  et  qui  vous  sont  aujourd'hui  officio  Herne  nt  notifies,  pour- 
riez  vous  penser  que  vos  commettans  aient  le  droit  de  mettre  en 
question,  s'ils  accepteront  ou  s'ils  rejetteront  ces  decrets?  Le  doute 
seul  seroit  un  crime  de  leze-nation  (sie). 

Lorsqu'en  1681  votre  ville  etoit  une  republique  libre  et  tellement 
iudependante  que  le  chef  de  l'empire  l'avoit  meme  absolument 
abandonnee,  vous  avez  pu  comme  souverains,  traiter  avec  un  autre 
Souverain  et  vos  predecesseurs  ne  durent  pas  se  soummettie  sans 
demander  Taveu  de  la  tbourgeoisie;  il  dependoit  d'elle  de  resister  ä 
Varm6e  de  L  o  u  v  o  i  s  ou  de  capituler. 

Si  la  Commune  de  Strasbourg  eut  pense  que  les  lois  qui  emanoient 
de  ceux  que  la  nation  reconnoitroit  pour  legislateurs,  ne  deviendroient 
pas  obligatoires  pour  elles;  si  eile  eut  cru  que  ces  legislateurs  ne 
pourraient  toucher  en  rien  ä  ses  corps  judiciaires  et  administratifs, 
ni  aux  autres  droits  qui  lui  etoient  reserves  par  son  traite  avec 
Louis  XIV.,  la  commune  des  sa  premiere  convocation  auroit  declare 

Qu'elle  s'etoit  volont  airement  soumise  ä  la  France 
sous  des  certaines  c  o  nditi  o  n  s,  q  u  '  eile  demandoit 
qu' elles  fussent  toutes  execut6es,  etqu'en  cas  de 
refus,elle  croyoit  pouvoir  rentrer  dans  ces  droits 
de  souverainete. 

Elle  se  seroit  bornee  ä  cette  declaration  et  se  seroit  isolee  du 
reste  de  la  nation  ;  eile  n'auroit  pas  pretendu  partieiper  ä  la  gloire 
de  faire  partie,  par  ces  representants,  des  legislateurs  de  ce  süperbe 
empire  ;  loin  de  solliciter,  comme  eile  Ta  fait,  la  faveur  d'une  d6pu- 
tation  directe,  eile  auroit  formellement  refusS  d'envoyer  de  ses  raem- 
bres  aux  Etats-g6neiaux. 

Alors  la  Commune  seroit  rentree  dans  tous  les  droits  et  eile  eut 
eu  celui  d'admettre  ou  rejeter  des  loix  contraires  aux  titres  en  vertu 
desquels  nos  ancetres  ont  ete  incorpores  ä  la  France. 

Loin  de  la,  anim§s  de  la  noble  ambition  de  contribuer  ä  la  re- 
g^neration  du  Royaume,  nos  habitans,  en  nomment  deux  deputös  aux 
Etats-gen6raux,  ont  forme  un  cahier  de  doleances  pour  soumettre 
leurs  voeux  k  la  d6cision  de  ses  legislateurs,  au  nombre  desquels 
ils  envoyoient  leurs  representans. 


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Ainsi  que  vos  deputes  ceux  des  provinces  et  des  villes  les  plus 
privilegiees  da  Royaume,  ceux  [de  la  Bretagne,  du  B6arn,  de  Mar- 
seilles et  taut  d'autres  se  sont  pr£sent6es  anx  Etats-generaux  avec 
des  mandats  imperatifs ;  mais  vous  n'ignorez  pas  que  les  premiers 
decrets  de  l'Assemblee  Nationale  les  ont  condamnes,  parce  qu'il 
eut  6te  absurde  que  chaque  individu  prescrivit  des  loix  aux  legisla- 
tenr  (st«)  lui-meme  et  parceque  la  regeneration  eut  ete  impossible. 

La  Bretagne  et  le  Dauphine,  le  Bearn,  les  villes  de  Bordeaux, 
de  Marseilles  meme,  dont  les  Privileges  etoient  tres  considerables,  se 
sont  soumis  ä  ces  decrets  de  l'Assemblöe,  dont  ils  ont  senti  toute 
la  justice.  Vous  avez  reconnu  vous  meme  son  autorit6  Messieurs  au 
moment  de  la  revolution,  que  vous  avez  6prouv6e,  en  soumettant  ä 
sa  ratification  et  ä  celle  du  Roi  les  changemens  que  vous  avez  in- 
troduits  dans  vos  corps  d'adrainistration  et  de  judicature,  et  que  tous 
vos  bourgeois  n'ont  admis  que  provisoirement. 

L'assemblee  Nationale  n'a  pu  admettre  aucune  resistance  et  eile  a 
du  ordonner  que  tout  jnge,  toute  assemblee  administrative,  toute 
municipalit6,  seroient  tenus  d'enregistrer  ses  decrets  dans  trois  jours 
sous  peine  de  forfaiture ;  vos  magistrats  n'auroient  pu  räsister  ä  ces 
ordres  supremes;  ils  ont  ob6i.  Iis  vous  ont  fait  part  de  ces  actes  de 
soumission ;  il  en  a  6te  fait  mention  sur  vos  registres. 

Vous  aviez  cependant  fait  auparavant,  Messieurs,  une  d6claration 
formelle,  par  laquelle  vous  aviez  conform6ment  au  cahier  de  dole- 
ances,  persiste  dans  le  maintien  de  vos  droits  et  de  vos  prerogatives ; 
vous  y  avez  ajoute  cette  clause  unique,  dont  on  ne  trouve  d'exeinple 
dans  d'aucune  des  protestations  qui  out  paru  ä  l'assemblee  Nationale  ; 
que  l'offre  du  rachat  ou  d'une  indemnit6  quelconque  ne  vous  deler- 
mineroit  ,pas  a  abandonner  vos  droits  et  prerogatives.  Vous  avez 
fait  plus ;  Messieurs,  vous  avez  ordonne  rimpression  du  memoire  de 
Mr.  de  Türckheim  qui  mettoit  vos  titres  dans  tout  leur  jour  ;  votre 
capitulation  a  6te  produite,  votre  döclaration  a  et6  distribuäe  aux  raem- 
bres  de  V  Assembler  Nationale ;  enfin  votre  deputä  est  mont£  ä  la 
tribune ;  il  y  a  ete  ecoute\  quoiqu'avec  impatience.  C'est  apres  que 
vous  aviez  employe"  ;tous  ces  moyens,  c'est  apres  avoir  parfaitement 
instruit  les  legislateurs,  qu'ils  n'ont  pas  cru  devoir  faire  une  excep- 
tion  en  votre  faveur 

Lorsque  vous  en  apprites  la  nouvelle,  Messieurs,  j'eus  Thonneur 
de  vous  adresser  le  discours  qui  m6rita  pour  lors  vos  suffrages ;  apres 
avoir  präsente  les  differens  motifs  qui  dovoient  vous  nanquiliser  sur 
les  suites  de  l'execution  des  decrets  de  l'Assembl§e  Nationale  touchant 
les  municipalites,  je  vous  observai  que  TAdresse  au  Roi  pour  le 
maintien  de  vos  privileges  pvoposGe  par  Mr.  Schwendt,  et  une  nou- 
velle declaration  conservatoire  ä  l'appui  de  l'ancienne,  seroient  su- 
perflues,  qu'elles  n'auroient  aucun  succes ;  et  que  vous  ne  pouviez 


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—    182  - 


prendre  de  parti  plus  convenable  que  d'adberer  an  decret  de 
l'AssembUe  Nationale  sauf  ä  envoyer  a  Mr.  Schwendt  des  dötails 
sur  vos  localites,  afin  d'obtenir  quelques  modifications  qui  pourroient 
yous  etre  avantageuses  .... 

Mais,  Messieurs,  comment  vos  commettans  pourroient-ils  vous 
reprocher  d'avoir  ontrepassä  vos  pouvoirs,  puisque,  malgre  votre  ad- 
hesion  ä  nies  conclusions  la  coramission  que  vous  avez  nommee  pour 
rediger  les  observations  ä  faire  sur  les  localites,  s  est  encore  efforcee 
de  se  conformer  au  voeu  de  votre  cahier  de  doleances,  en  faisant 
connottre  les  avantages  de  votre  Constitution  provisoire  et  ses  rapports 
avec  celle  que  vos  magistrats  ont  enregi6tr6  ce  matin;  puisqu'enfin 
il  a  ete  ecrit  dans  cet  esprit  ä  M.  Schwendt,  en  l'invitant  ä  s'6carter 
le  moins  possible  de  la  däclaration  qu'il  a  pr6sent6e  de  votre  part 
le  HJ.  octobre.  Si  vous  voulez  juger  de  Tenet  qu'auroient  produit  de 
nouvelles  rämontrances,  ecoutez,  je  vous  prie,  ce  que  dans  l  amertume 
de  son  coeur,  ce  d6pute  m  6crit  au  sujet  de  cette  lettre: 

Considerez  ma  position,  me  disoit-il,  j'ai  ete  le  seul 
reclamant,  ouileseulduRoyaume  entier,  conti- e 
les  mun  icipal  ites.  J'ai  ete  ecoute;  je  n'ai  rien  obtenu. 
Comment  veut  on  que  je  fasse  de  nouvelles  reclama- 
tions  quand  un  d£cret  formel  a  determine  la  loi  apres 
m'avoir  entendu.  Comment  veut-on  que  je  propose 
des  administrateurs  inamovibles  et  n'etantjamais 
r  e  g  6  n  6  r  e  8,  tandis  que  par  les  principes  adoptes  on 
rapproche  les  6  p  o  q  u  e  8  de  rägeneration  de  maniere 
qu'aucun  individu  ne  soit  jamais  permanent  dans 
l'admin  istration.  Je  suis  tres  att  ache,  ajoutoit-il,  ä  l'obli- 
gation  de  ne  rien  negl  ige  r  po  u  r  6tab  Ii  r  et  faire  conn  oitre 
les  differens  objets  de  ma  mission:  mais  il  n  est  pas 
possible  d'en  snivre  les  premiers  errements,  les  ev6ne- 
mens  passes  etleursuiteont  denatur^  les  choses. 

Yous  avez  donc  6puis6  tous  les  moyens  de  remplir  les  premiereo 
vues  de  vos  commettans,  avant  que  la  loi  supvöme  füt  portöe!  Sans 
doute  si  vous  les  rassembliez,  ils  se  soumettroient  aux  decrets  de 
l'Assemblee !  .  .  .  .  je  ne  leur  ferai  pas  l'insulte  de  lern*  supposer  seule- 
raent  l'idee  de  ne  recevoir  que  par  force  l  empire  de  la  liberte,  apres 
qu'ils  ont  fait  tout  pour  briser  leurs  chaines. 

Vous  n  avez  point  abandonne  les  droits  de  vos  commettans,  vous 
n'avez  fait  aucun  acte  qui  constatät  une  adhesion  formelle,  vous 
avez  appris  sans  murmures  que  vos  magistrats  avoient  ob6i ;  vous 
avez  resolu  d'executer  ce  que  vous  n  auriez  jamais  pu  refuser  a 
Tautorit6  legitime  de  la  nation  ;  vous  vous  etes  soumis  ä  la  loi,  vous 
en  aviez  prete  le  serment  .... 

Si  cbaque  commune  pouvait,  en  vertu  d'anciens  Privileges,  ad- 


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—  18:]  — 

raettre  ou  rejeter  ä  volonte  les  loix  de  ceux  en  qui  elles  ont  reconnu 
le  poavoir  legislatif,  autant  voudroit-il  dissoudre  TAsseuiblee  Na- 
tionale, car  chaque  Commune  s  erigeroit  elle-meme  en  legislateur  .... 

Je  le  repete, '  Messieurs,  je  ne  doute  pas  du  voeu  de  la  majori  te 
de  V08  bourgeois  ;  mais  ne  vous  exposeriez  vous  pas  aux  suites  ies 
plus  funestes,  si,  dans  une  affaire  dune  si  haute  importance,  quelques 
tribus  formoient  un  voeu  oppose  ä  celui  de  la  pluralite ;  si,  dans 
une  m&me  Corporation,  il  y  avoit  denx  avis:  Les  minorites  ne  seioient- 
elles  pas  en  butte  aux  reproches  les  plus  sanglans,  et  ne  s'attireroient- 
elles  pas  toute  l'animadversion  d'un  grand  nombre  de  vos  habitans 
ä  un  nouvel  etat  de  ohoses  ?  Ne  seroit-ce  pas  vous  exposer  ä  donner 
ä  la  garnison  de  la  defiance  sur  vos  sentimens  de  fidelite  et  d'atta- 
chement  ä  la  nation  du  Roi?  Enfin  ne  courreriez-vous  pas  le  risque 
de  voir  renaitre  ces  scenes  d'horreur  qui  ne  vous  ont  qne  trop  jus- 
teraent  allarmes,  qui  ont  coüt6  des  sommes  immenses  au  tresor  de 
la  ville  et  qui,  si  elles  etoient  repetees,  ne  se  dissiperoient  vraisem- 
blablement  pas  sans  effusion  de  sang.  Je  fr6mis  ä  cette  id6e  et  je 
m'arröte.  .  .  .  .  Rependez  avec  profusion  les  loix  salutaires  qui  se  suc- 
cedent  rapidement;  que  tous  nos  habitans  s'en  penetrent ,  instruisez-les. 
Voilä,  Messieurs,  la  communication  que  vous  leur  devez.  Voila  le 
moyen  d'accomplir  le  voeu  si  bien  exprime  dans  la  lettre  du  premier 
ministre,  lorsqu  il  dit:  «Que  l  Assemblee  Nationale  et  le  Roi  desirent 
le  concours  de  tous  les  bons  citoyens  ä  l'etablissement  paisible  des 
municipalites.» 


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BEITRAGE 


ZUR 


LANDES-  UND  VOLKESKUNDE 

VON 

ELSASS-LOTHRINGEN 

XXIV.  HEFT. 
DIE  BEZIEHUNGEN 

KÖNIG  RUDOLFS  VON  II  ABS  BURG 

ZUM  ELSASS. 


VON 


C.  GÖSSG 


31, 


RECEIVED 

FEB  26  1970 


UNIV.  WIS.  LIBRARY 


STRASSBURG 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel) 

1899. 


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BEITRAGE  ZUR  LANDES-  UNO  VOLKESKUNDE 

von  Elsass-Lothringen. 

Band  1. 

Heft  I :  Die  deutsoh-framöslsohe  Sprachgrenze  In  Loth- 

ringen von  Const.  This.  34  S.  mit  einer  Karte  (1:300.000). 

1  50 

Heft  II:  Ein  andeohtig  geistliche  Badenfahrt  des  hochge- 

lehrten Herren  Thomas  Murner.  56  S.  Neudruck 
mit  Erläuteren.,  insbesond.  über  das  altdeutsche  Badewesen, 
v.  Prof.  Dr.  E.  Martin.  Mit  6  Zinkätzungen  nach  dem  Ori- 

S'nal.  2  — 

le  Alamannensohlaoht  vor  Strassburg  3Ö7.  n. 
Chr.  von  Archivdirektor  Dr.  W.  Wienand.  46  S.  mit  einer 


Karte  und  einer  Wegskizze.  1  — 

Heft         IV:  Lenz,  Goethe  und  Cleophe  Flbioh  von  Strassburg. 

Ein  urkundlicher  Kommentar  zu  Goethes  Dichtung  und  Wahr- 
heit mit  einem  Porträt  Araminta's  in  farbigem  Lichtdruck 
und  ihrem  Facsimüe  aus  dem  Lenz-Stammbuch  von  Dr.  J  o  h. 
Froitzheim.  %  S.  2  50 

Heft  V:  Die  deutaoh-französlsohe  Sprachgrenze  Im  Elsass 

von  Dr.  Const.  This.  48  S.  mit  Tabelle,  Karte  und  acht 
Zinkätzungen.  1  50 

Band  II. 

Heft         VI:  Strassburg  Im  französischen  Kriege  1SS2  von  Dr. 

A.  Ho  IIa  ender.  68  S.  1  50 

Heft        VII:  Zu  Strassburgs  Sturm-  und  Drangperlode  1770 


Durgs 

bis  76.  von  Dr.  J  oh.  Froitzheim.  88  S.  2  — 

Heft      VIII:  Geschichte  des  heiligen  Forstes  bei  Hagenau  im 

E.  N  e  y , 


Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  C. 
Oberförster.  I.  Teil  von  1065-164«.  2  - 

Heft         IX :  Rechts-  und  Wirtschafts-Verfassung  des  Abtei- 
gebietes Maursmünster  während  des  Mittelalters 

von  Dr.  Aug.  Hertzog.  114  S.  2  — 

Heft  X:  Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner.  Ein  Wort 

der  Kritik  an  unsere  Goetheforscher  von  Dr.  Joh.  Froitz- 
heim. 68  S.  1  50 

Band  III 


Heft         XI:  Die  Armagnaken   im  Elsas s.    Von  Dr.  H.  Witte. 

158  S.  2  50 

Heft       XII :  Geschichte  des  heiligen  Forstes  bei  Hagenau  im 

Elsass.  Nach  den  Quellen  bearbeitet  von  C.  E.  Ney,  Kais. 

Oberförster.  II.  Teil  von  1648-1791.  2  50 

Heft      XIII:  General  Kleber.  Ein  Lebensbild  von  Friedrich  Tei- 

c  her,  Königl.  bavr.  Hauptmann.  48  S.  1  20 

Heft      XIV:  Das  Staatsrechtliche  Verhältnis  des  Herzogtums 

Lothringen  zum  Deutschen  Reiche  seit  dem  Jahre 

1542  von  Dr.  Siegfried  Fitte.  Mit  Karte.  103  S.  2  50 

Heft        XV:  Deutsehe  und  Keltoromanen  in  Lothringen  nach 

der  Völkerwanderung.  Die  Entstehung  des  Deutschen 

Sprachgebietes  von  Dr.  Hans  N.  Witte.  Mit  Karten.  100 S.  2  50 

Band  IV. 

Heft  XVI :  Der  letzte  Puller  von  Hohenburg.  Ein  Beitrag  zur 
politischen  und  Sittengeschichte  des  Elsasses  und  der  Schweiz 
im  15.  Jahrhundert  sowie  zur  Genealogie  des  Geschlechts  der 
Puller  von  Dr.  E.  Witte.  IV  u.  143  S.  2  50 

Heft  XVII:  Sine  Strassburger  Legende.  Ein  Beitrag  zu  den  Be- 
ziehungen Strassburg's  zu  Frankreich  im  16.  Jahrhundert  von 
Dr.  A.  Hollaender.  28  S.  1  — 

Heft  XVIII :  Der  lateinische  Dichter  Johannes  Fabrloius  Mon- 
tanas (aus  Bergheim  im  Elsass)  1527—1566.  Selbstbiographie 
in  Prosa  und  Versen  nebst  einigen  Gedichten  von  ihm,  ver- 
deutscht von  Theodor  Vulpinus.  30  S.  —80 

Heft  XIX:  Forstgesohiohtliohe  Skizzen  aus  den  Staats-  und  Ge- 
meindewaldungen von  Rappoltsweiler  und  Reichenweier  aus 
der  Zeit  vom  Ausgange  des  Mittelalters  bis  zu  Anfang  des 
XIX.  Jahrhunderts  von  Dr.  Aug.  Kahl,  Kaiserl.  Oberförster. 
Mit  einer  Ucbcrsichtskarte.  IV  u.  78  S.  2  — 

Heft  XX:  Die  Festung  Bits  oh  von  Hermann  Irle.  Zweite  ver- 
mehrte Auflage.  Mit  2  Ansichten  und  Plan  von  Bitsch.  40  S.  1  — 


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DIE  BEZIEHUNGEN 

KÖNIG  RUDOLFS  VON  HABSBURG 

ZUM  ELSASS. 

VON 

C.  GÖSSGEN. 


STRASSBÜRG 
J.  H.  ED.  HEITZ  (H  EITZ  Sc  MÜNDEL) 

1899. 


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Nach  dem  Untergange  des  hohenslaufischen  Kaisertums 
schritt  der  Verfall  der  obersten  Reichsgewalt,  der  schon  unter 
den  Staufern  selbst  begonnen  hatte,  immer  weiter  vorwärts 
und  führte  schliesslich  zur  Auflösung  des  Reichsverbandes. 
Diesem  allmählichen  Verfall  läuft  parallel  die  Entwickelung 
der  dem  Kaiser  früher  untergeordneten  Gewalten  zu  immer 
grösserer  Selbständigkeit  und  Abschliessung.  Das  eigentüm- 
liche Kennzeichen  des  den  Staufern  folgenden  Zeitalters  ist  die 
Ausbildung  städtischer  Republiken  und  territorialer  Fürsten- 
tümer, —  zwei  Gewalten,  die  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhun- 
derts die  Hauptrolle  spielten.  Ihnen  gegenüber  traten  zurück 
die  Vasallen,  die  entweder  unter  der  erblichen  Lehnsherrlich- 
keit der  welllichen  oder  der  geistlichen  Fürsten  oder  des  Kö- 
nigs standen,  und  die  reichsunmittelbareu  Geschlechter,  die 
nach  dem  Sturze  der  Staufer  auf  sich  selbst  gestellt  waren. 
Fürsten  und  Städte  waren  auch  im  Elsass  um  die  Milte  des 
13.  Jahrhunderts  diejenigen  Faktoren,  mit  denen  die  Reichspo- 
litik am  meisten  zu  rechnen  hatte. 

Das  Bild  einer  politischen  Karte  des  Elsasses  jener  Zeit  bietet  ein 
seltsam  buntes  Aussehen  dar,  indem  sichdieEntwickelung  früherer 
Jahrhunderte  wiederspiegelt.  Das  Elsass  dieser  Zeit  ist  kein  einheit- 
liches politisches  Gebilde  mehr,  das  nur  durch  die  Grafschafts- 
grenze des  Nord-  und  Sundgaues  in  zwei  Gerichts-  und  Verwal- 
tungsbezirke zerlegt  wäre.  Zwar  besteht  diese  Grenze  noch,  auf 
dem  Vogesenkamm  bei  der  Quelle  der  Leberau  beginnend,  erst  ost- 
wärts bis  zur  III,  dann  südlich  dieser  entlang  und  hierauf  wie- 
der ostwärts  verlaufend,  um  unterhalb  Breisach  den  Rhein  zu 
erreichen  ;  aber  nördlich  und  südlich  dieser  Grafschaftsgrenze 
oder  jetzt  Landgrafschaftsgrenze  waltet  nicht  mehr  der  alte 
Gaugraf  als  Vertreter  der  kaiserlichen  Gewalt  in  der  früheren 


I 

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I 


—   4  — 

Macht  fülle  und  dem  ehemaligen  Umfange.  Seine  richterlichen 
Befugnisse  sind  eben  durch  das  allmähliche  Anwachsen  terri- 
torialer und  autonomer  Gewalten,  die  die  Gerichtsbarkeit  in 
grösserem  oder  kleinerem  Umfange  zu  erlangen  wussten,  be- 
deutend eingeschränkt  worden,  —  eine  Einschränkung,  die  das 
Zurückweichen  der  Reichsgewalt  anzeigt.  Diese  Süd-  und 
Nordgau,  Landgrafochaft  Ober-  und  Unterelsass  von  einander 
scheidende  Grenze  war  zugleich  die  Marke  zwischen  den  Bis- 
tümern Strassburg  und  Basel.  Die  Grenzen  der  beiden  Graf- 
schaften entsprachen  ungefähr  denen  der  heutigen  Bezirke 
Ober-  und  Unterelsass,  nur  dass  die  mittelalterliche  Grenze 
des  Sundgaues  nach  S.  W.  bis  gegen  Beifort,  des  Nordgaues  nur 
bis  zum  Selzbach  und  nicht  wie  heute  bis  zur  Lauter  reichten . 
Auch  deckt  sich  nicht  genau  die  Westgrenze  des  alten  Nord- 
gaues mit  der  heutigen  Staatsgrenze  gegen  Lothringen.1 

Der  Grund  und  Boden  des  mittelalterlichen  Elsasses  im 
13.  Jahrhundert  war  unter  drei  Gruppen  von  Besitzern  verteilt. 
Ein  Teil  des  Elsasses  war  Reichsgut  mit  den  Städten,  Reichs- 
dörfern und  Burgen  der  Ministerialen,  ein  anderer  gehörte  der 
Kirche,  der  dritte  weltlichen  Fürsten  und  Herren.  Unter  den 
geistlichen  Territorialherren  ragten  durch  ausgedehnten  Besitz 
hervor  der  Bischof  von  Strassburg  im  Nord-  und  Sundgau,  der 
Bischof  von  Basel  im  Oberelsass ;  dazu  kamen  reichsunmittel- 
bare Klöster  wie  Lützel,  Pairis,  Neuburg,  Baumgarten,  Andlau, 
Hohenburg,  Königsbrück ;  Reichsklöster  wie  Murbach,  St.  Gre- 
gor, Erstein,  Selz,  Weissenburg,  St.  Walburg.  Von  weltlichen 
Herren  waren  im  Oberelsass  begütert  vornehmlich  die  Grafen 
von  Pfirt,  die  Herren  von  Rappoltstein,  die  Grafen  von  Horburg ; 
im  Unterelsass  hatten  ansehnliches  Besitztum  der  Herzog  von 
Lothringen,  die  Familie  Lichtenberg,  Fleckenstein  und  andere. 
Ueber  den  weitaus  grössten  Besitz  aber  verfügten  unter  den 
weltlichen  Herren  die  Habsburger.  Diesen  gehörte2  vor  der 
Regierung  Rudolfs  um  1250  das  habsburgische  Stammgut  (siehe 
unten),  das  vom  Kloster  Murbach  Erworbene  (Vogtei),  die  Vogtei 
des  St.  Amarinthales  (murbachisch),  das  vom  Bistum  Strass- 
burg Erworbene  (Vogtei),  die  Vogtei  der  oberen  Mundat  Ru- 


1  Vgl.  die  Karte  bei  Fritz,  Das  Territorium  des  Bistums  Strassburg. 

2  cf.  die  Karte  bei  Schulte,  Geschichte  der  Habsburger  in  den 
ersten  drei  Jahrhunderten.  Innsbruck  1887. 


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-   5  — 


fach.  Dazu  kam  das  Rudolf  von  Kaiser  Konrad  IV.  verpfändete 
Gut  wie  Breisach  und  Kaisersberg;  doch  blieben  diese  Orte  nicht 
dauernd  vor  Rudolfs  Wahl  in  dessen  Besitz.  Noch  einen  gros- 
sen Erwerb  machte  der  Graf  Rudolf  durch  seine  Vermählung 
mit  Gertrud  von  Hohenberg;  dadurch  gewann  er  als  Heirats- 
gut das  Albrechtsthal  im  Unterel  sass. 

Die  Herrschaft  über  diese  Besitzungen  allein  schon  gab  den 
Habsburgern  im  Elsass  eine  hervorragende  Stellung.  Sie  wurde 
noch  dadurch  verstärkt,  dass  dieses  Geschlecht  sich  im  erbli- 
chen Besitze  der  Landgrafschaft  im  Oberelsass  befand.  Somit 
Inhaber  einer  öffentlich  rechtlichen  vom  Reiche  kommenden 
Gewalt  standen  die  Habsburger  in  engen  Beziehungen  zum 
Kaiser,  zumal  den  Staufern,  mit  welchen  sie  überdies  durch 
verwandtschaftliche  Bande  verknüpft  waren.  So  befand  sich 
auch  der  nachmalige  König  Rudolf,  der  am  1.  Mai  1218  gebo- 
rene Sohn  Albrechts  und  der  Gräfin  Hedwige  von  Kiburg,  auf 
der  Seite  des  grossen  Staufers  Friedrichs  II.,  dessen  Pathen- 
kind  er  war.  In  die  Zeiten  des  erbitterten  Kampfes  zwischen 
Kaisertum  und  Papsttum,  welcher  mit  der  Bannung  Friedrichs 
durch  Papst  Gregor  IX.  im  Jahre  1239  begann  und  nach  der 
Absetzung  dos  Kaisers  durch  das  Konzil  von  Lyon  im  Jahre 
1245  Deutschland  in  zwei  Lager  teilte,  fallen  die  Anfange  des 
Grafen  Rudolf ;  er  hielt  die  Fahne  der  Staufer.  Seine  Partei- 
nahme für  den  Kaiser  brachte  ihn  in  Verbindung  mit  den 
Städten,  welche  fast  ausnahmslos  die  staufische  Sache  mit  un- 
erschütterlicher Treue  verfochten,  trotzdem  Friedrich  II.  früher 
so  scharfe  Edikte  gegen  die  Slädte  erlassen  hatte,  Edikte,  die 
das  Reich  auf  den  alten  Grundlagen  erhalten  und  die  Bestreb- 
ungen der  Städte  nach  Selbständigkeit  ersticken  sollten.  Diese 
treue  Anhänglichkeit  der  letzteren  an  den  Kaiser  erklärt  sich 
daraus,  dass  eben  jene  Edikte  im  Elsass  nicht  recht  lebens- 
kräftig geworden  waren  und  dass  der  Kaiser  mit  der  städte- 
feindlichen Politik  brechend  den  elsässischen  Städten  manch 
schönes  Privileg  erteilt  hatte.  Als  Freund  des  Kaisers  suchte 
auch  Rudolf  mit  den  Städten  enge  Beziehungen  aufrecht  zu  er- 
halten und  zu  pflegen,  besonders  mit  Strassburg,  dessen  Banner- 
träger sein  Vater  gewesen  war.  In  dem  Kriege  der  Stadt  mit 
ihrem  Bischof  Walther  von  Geroldseck  zog  Rudolf,*  da  er  als 


1  cf.  Wiegand,  Bellum  Waltherianom. 


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-   6  - 

Vogt  der  Mundat  von  Rufach  des  Bischofs  Vasall  war,  zuerst 
diesem  zu  Hilfe,  machte  dann  aber  —  aus  welchen  Gründen, 
lässt  sich  nicht  sicher  erweisen  —  die  bedeutungsvolle  Schwen- 
kung zu  Gunsten  der  Stadt.  Sicherlich  haben  ihn  dazu,  da  er 
eine  nüchtern  denkende,  realistisch  gesinnte  Natur  war,  Rück- 
sichten auf  zu  erreichende  Vorteile  bestimmt.  Am  18.  September 
1261  schloss  er  mit  seinem  Vetter,  dem  Grafen  Gottfried  von 
Habsburg-Laufenburg,  und  noch  anderen  ein  Schutz-  und  Trutz- 
bündnis mit  der  Stadt.»  Waren  seine  Ansprüche  auf  die  Ki- 
burgische  Erbschaft  nicht  der  Grund  seines  Partei  wechseis,  so 
können  die  Aussichten  auf  Befestigung  seiner  Stellung  im 
Oberelsass  ihn  zu  der  Schwenkung  gegen  den  Bischof  bestimmt 
haben.  Jedenfalls  hat  er  alsbald  dort  grosse  Vorteile  erlangt; 
denn  er  nahm  von  seinem  Vetter  unterstützt  die  Städte  Kolaiar, 
Kaisersberg  und  Mülhausen  a  ein,  die  bisher  auf  Seite  Wal- 
thers gestanden  hatten.  In  Kolmar*  fand  er  Unterstützung  an 
dem  Feinde  der  bischöflichen  Partei  Johannes  Rösselmann,  der 
als  Schultheiss  an  der  Spitze  der  Stadt  stand  und  das  Bündnis 
mit  der  Stadt  Strassburg  abschloss.  In  demselben  Jahre  noch, 
so  wird  im  Ghron.  Sen.  und  im  bellum  berichtet,  nämlich  1261, 
wurde  auch  Mülhausen  genommen,  dessen  Bürgerschaft  sich 
sogleich  beim  ersten  Angriff  dem  Grafen  Rudolf  ergab,  wäh- 
rend die  von  den  Bischöflichen  besetzte  Burg  sich  noch  12 
Wochen  lang  hielt.  Als  dann  im  März  1262  die  Entscheidung 
bei  Hausbergen  zu  Gunsten  der  Stadt  gefallen  war,  wurde  bald 
darauf  ein  Waffenstillstand  mit  dem  Bischof  abgeschlossen,8  bei 
welchem  der  Graf  Rudolf  die  Stadt  Kol  mar  als  mit  zur  krieg- 
führenden Partei  gehörig  vertrat.  Bei  dem  Vorfrieden  von  St. 
Arbogast,  welcher  den  nach  jenem  Waffenstillstand  ausge- 
brochenen Feindseligkeiten  ein  Ende  machte,  war  der  Habs- 
burger ebenfalls  'beteiligt.  Seine  Teilnahme  beschränkte  sich 
nicht  bloss  auf  Verhandlungen,  sondern  auf  Geltendmachung 
sehr  realer  persönlicher  Interessen :  denn  er  erhielt  in  dem 
Vertrage  alle  seine  Vogleirechte  in  der  Rufacher  Mundat  von 
dem  Bischöfe  und  Kapitel  von  Strassburg,  sowie  Ersatz  des  er- 
littenen Kriegsschadens  bestätigt.    Erst  der  Schlussfriede  vom 


»  Als.  dipl.  I,  436  u.  432. 

2  Quellen :  Chronic.  Cohn.  Richer,  Chron.  Sen.,  Bellum  Waith. 
8  Wiegand,  a.  a.  0. 


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-   7  — 

Jahre  1266  machte  diesem  Kriege,  in  welchem  Rudolf  auf  Sei- 
ten der  Stadt  gestanden  hatte,  ein  Ende. 

Das  Verhältnis  Rudolfs  war  nach  Walthers  Tode  zu  dessen 
Nachfolger  Heinrich  ein  freundliches.  Aber  bald  wurde  das 
gute  Einvernehmen  zwischen  beiden  gestört ;  denn  der  Strass- 
burger  Bischof  wurde  in  den  zwischen  Rudolf  und  dem  Baseler 
Bistum  ausbrechenden  Krieg  verwickelt.  In  diesem  Streite 
handelte  es  sich,  wie  in  der  Kolmarer  Chronik  erzählt  wird, 
zunächst  um  den  Besitz  der  Stadt  Breisach,  die  nach  mehr- 
fachem Besitzwechsel  schliesslich  durch  Kauf  in  die  Hände  des 
Baseler  Bischofs  kam.  Da  Rudolf  trotz  der  von  letzterem  er- 
legten Kaufsumme  immer  mehr  Geldforderungen  erhob,  endlich 
aber  vom  Bischof  abgewiesen  wurde,  so  begann  er  jenen  greuel- 
vollen Krieg,  der  mit  wechselndem  Erfolge  im  Elsass,  dem 
Breisgau  und  der  Schweiz  geführt  und  erst  durch  die  Wahl 
Rudolfs  zum  Könige  beendigt  wurde.  An  diesem  Kriege  nahm 
auch  der  Strassburger  Bischof  teil,  weil  er  Mülhausen  wieder 
in  seine  Gewalt  bringen  wollte.  Alle  von  den  beiden  Bischöfen 
gemachten  Versuche  zur  Wiedergewinnung  der  Stadt  schlugen 
aber  fehl.  Im  letzten  Teile  des  Krieges  errang  Rudolf  mehrere 
Erfolge,  so  dass  er  schliesslich  an  die  Belagerung  Basels  gehen 
konnte.  Bald  war  in  der  Stadt  so  grosse  Not,  dass  auf  Drängen 
der  Bürger  vom  Bischof  .Friedensverhandlungen  eingeleitet 
wurden.  Während  dieser  traf  die  Nachricht  von  der  Wahl 
des  Grafen  Rudolf  zum  deutschen  König  ein. 

Durch  diese  Wahl  nun  wurde  die  Stellung  Rudolfs  in  den 
oberen  Landen,  wo  er  als  Graf  eifrig  und  mit  grossem  Erfolge 
bemüht  war,  seine  Herrschaft  zu  vergrössern  und  zu  einem  in 
sich  geschlossenen  Fürstentum  zu  machen,  von  Grund  aus  ver- 
ändert. Die  nächste  Folge,  die  er  aus  der  neuen  Lage  zog, 
war  die,  dass  er  mit  den  Feinden,  die  er  als  ländergieriger 
Graf  bekämpfte,  Frieden  machte.  Die  kaiserlose  Zeit  des  Inter- 
regnums, in  welcher  bei  der  Abwesenheit  einer  starken  Re- 
gierung und  der  Fülle  widerstreitender  Interessen  der  Fürsten, 
Städte  und  des  Reichsadels  die  Bande  der  staatlichen  Ordnung 
gelöst  waren,  sollte  ja  jetzt  vorüber  sein.  Es  war  gewiss  keine 
leichte  Aufgabe,  die  kaiserliche  Gewalt  in  dem  Kampfe  gegen 
einander  strebender  Kräfte  aufzurichten  und  zu  befestigen.  Die 
Fürsten,  deren  Streben  auf  Erhaltung  ihrer  sehr  starken  Stellung 
gerichtet  war,  fanden  sich  im  Besitz  der  Landesherrlichkeit ; 


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die  Politik  der  Städle  erstrebte  die  möglichste  Befreiung  von 
jeder  Art  der  fürstlichen  Herrschaft.  Das  Bürgertum  der  bi- 
schöflichen Städte  —  dafür  liefert  Sirassburg  ein  klassisches 
Beispiel  —  kämpfte  um  Selbstregierung  und  Selbstverwaltung 
gegenüber  dem  Bischof,  die  königlichen  Städte  ebenso  um  Er- 
haltung und  Vermehrung  ihrer  Gerechtsame  gegenüber  dem 
König.  Das  Reichsgut,  zu  dem  auch  diese  Städte  gehörten,  war 
—  das  gilt  besonders  von  den  ländlichen  —  schon  vor  dem 
Interregnum  und  erst  recht  während  desselben  zum  grossen 
Teil  abhanden  gekommen. 

Die  festeste  Grundlage  des  Königs  war  sein  eigener  Besitz, 
den  er  und  seine  Vorfahren  in  den  Landen  um  den  Oberrhein 
zusammen  gebracht  halle  ;  ein  kleinerer  Bestandteil  seiner  Macht 
war  die  Landgrafschaft  über  das  obere  Elsass.  Seine  landes- 
herrliche und  landgräfliche  Stellung  war  nun  wohl  eine  Ach-' 
tung  gebietende,  aber  ihr  gegenüber  standen  im  Reiche  ebenso 
starke  und  noch  stärkere  Fürsten,  welche  den  König  in  Ab- 
hängigkeit von  sich  zu  bringen  vermochten.  Im  Südosten  des 
Reiches  erhob  sich  zu  gefahrdrohender  Stellung  der  glänzende 
und  mächtige  Ottokar  von  Böhmen,  mit  dem  es  zum  Kampfe 
kommen  musste.  Eine  weitere  Gefahr  für  das  Königtum  war 
die  kurfürstliche  Oligarchie,  welche  die  Reichsleitung  stark  be- 
einflusste.  Also  das  Bild  der  Reichslage  bei  dem  Regierungs- 
antritte Rudolfs  zeigte  Kämpfe  im  Innern,  die  Aussicht  auf 
einen  gefährlichen  Krieg  mit  Ottokar  und  Mangel  an  finan- 
ziellen Mitteln,  die  während  des  Interregnums  den  Fürsten  und 
Städten  überliefert  waren.  Somit  musste  die  Hauptfrage  für 
den  König  sein,  wie  er  das  Königtum  wieder  stärken  könne, 
um  der  widerstrebenden  Kräfte  Herr  zu  werden  und  dem  Reiche 
den  Landfrieden  zu  bringen.  Rudolf  hat  zur  Erreichung  dieser 
Ziele  im  wesentlichen  zwei  Mittel  gebraucht :  Sicherung  eines 
ausgedehnten  Hausbesitzes  einerseits,  Wiederherstellung  und  Or- 
ganisation des  Reichsbesitzes  und  der  damit  verbundenen  Rechte 
andererseits.  Die  Richtigkeit  dieser  Behauptung  beweist  auch 
seine  Thätigkeil  im  Elsass,  zu  dem  er  als  König  in  noch  engere 
und  mannigfachere  Beziehungen  trat,  wie  er  als  Graf  bereits 
gestanden  hatte. 

Schon  die  obige  Beleuchtung  seiner  Stellung  inmitten  der 
verschiedenen  elsässischen  Gewalten  zeigte,  wie  verschieden- 
artig die  Natur  seiner  Herrschaft  im  Elsass  war.  Der  Graf  Rudolf 


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-    9  - 


ist  uns  bereits  bekannt  geworden  als  Territorial herr  ausge- 
dehnter Ländereien  im  Nord-  und  Sundgau,  als  Vogt  und  Va- 
sall des  Strassburger  Bistums,  als  Inhaber  der  öffentlich  recht- 
lichen Grafengewalt,  ganz  abgesehen  von  seinen  durch  Ruck- 
sichten auf  den  eigenen  Vorteil  bestimmten  und  wechselnden 
Beziehungen  zu  Bischöfen  und  Städten.  Diese  mannigfachen 
Verbindungen  mit  dem  Elsass  wurden  durch  seine  Erhebung 
zum  König  noch  erweitert.  Denn  durch  die  Erlangung  dieser 
Würde  wurde  einmal  seine  Stellung  überhaupt  verstärkt,  dann 
kam  er  zu  den  Gewalten  des  Elsasses  eben  durch  das  König- 
tum in  ein  neues  Verhältnis,  endlich  übernahm  er  die  Erb- 
schaft des  im  Elsass  vorhandenen  Reichsbesitzes.  —  Da  er  als 
König  im  ganzen  das  bleibt,  was  er  als  Graf  schon  war,  zu- 
gleich aber  neue  Positionen  gewinnt,  so  sind  die  Beziehungen 
des  Königs  Rudolf  zum  Elsass  von  zwei  Hauptgesichtspunkten 
aus  zu  betrachten,  nämlich  von  denen  eines  Territorial herrn  zu 
seinen  elsässischen  Besitzungen  und  den  damit  verbundenen 
Rechten,  sodann  von  denen  des  Königs  zum  ausserhabsburgischen 
Elsass. 


I.  Der  König  Rudolf  als  Territorialherr.1 

Zum  Begriff  der  Territorialherrschaft  gehören  drei  wesent- 
liche Elemente:  die  Grundherrlichkeit,  die  Gerichtsherrlichkeit 
und  die  Schutzherrlichkeit.  In  welchem  Umfange  Rudolf  diese 
Gewalten  in  seinen  Besitzungen  ausgeübt  hat,  ist  die  nächste 
Aufgabe  der  folgenden  Betrachtung.  Die  Lösung  derselben  er- 
fordert in  erster  Linie  die  Feststellung  des  Umfanges  und  der 
Art  seiner  Besitzungen. 

1.  Der  Umfang  und  die  Art  seines  Besitzes; 

die  Landgrafschaft. 

Der  älteste  Besitz  der  Habsburger  im  Elsass  ist  das  von 
ihnen  gegründete  Kloster  Ottmarsheim,  dessen  Besitz  Heinrich  IV. 


1  Für  diesen  Abschnitt  muss  auf  die  übersichtliche  Karte  bei 
<Schnlte,  Geschichte  der  Habsbürger»  hingewiesen  werden. 


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-lü- 
den Habsburgern  bestätigte.1  Die  Hauptmasse  der  in  der  oberen 
Grafschaft  diesem  Kloster  geschenkten  Güter  lag  rings  um  den 
grossen  Hardtwald  zwischen  III  und  Rhein.  Derselbe  wurde 
seit  etwa  1239  als  habsburgisches  Allod  angesehen  und 
behandelt,«  wie  der  Teilungsvertrag »  zwischen  Graf  Albrecht 
von  Habsburg  und  Graf  Rudolf  von  Habsburg-Laufenburg 
beweist. 

Zu  dem  Kloster  gehörte  auch  das  im  Gebiet  der  Fecht  ge- 
legene Ammerschweier ;  das  Gleiche  gilt  von  dem  nördlich  von 
Schlettstadt  gelegenen  Scherweiler.*  Unter  den  im  Urbarbuch 
genannten  Besitzungen  sind  nun  mehrere,  deren  Ursprung  sich 
nicht  erweisen  lässt.  Gegen  die  Annahme  Schultes,  diese  Orte 
als  habsburgisches  Stammgut  zu  betrachten,  wenn  sich  in  ihnen 
schon  in  ältester  Zeit  habsburgischer  Besitz  nachweisen  lässt, 
dürfte  nichts  einzuwenden  sein.  Das  Stammgut  lag  demnach 
um  Ottmarsheim,  Habsheim,  Blodelsheim,  Sepl,  Ammerschweier 
und  Scherweiler.  Dazu  kaufte  der  Graf  Rudolf  1269  die  um 
die  Burg  Landser  liegenden  Besitzungen  der  Herren  von  Buden- 
heim, die  sie  von  Rudolf  zu  Lehen  nahmen. 5 

Nächst  dem  Stammgut  ist  der  wichtigste  Besitz  der  Habs- 
burger das  vom  Kloster  Murbach  Erworbene.  Früher  hatten 
dieselben  die  Vogtei  über  das  Kloster  Murbach  und  das  dazu 
gehörige  Amarinthal  gehabt,  die  über  das  Thal  hatte  Rudolf 
aber  im  Jahre  1259  aufgegeben,  weil  er  von  dem  Kloster  eine 
grössere  Geldsumme  erhalten  hatte.6  Bei  dieser  Verzichtleistung 
übergaben  die  Grafen  Rudolf  und  Gottfried  ein  Verzeichnis  ihrer 
murbachischen  Lehen. ?  Ein  Vergleich  mit  dem  Urbar»  zeigt, 
dass  von  den  im  Verzeichnis  aufgeführten  Orten  nicht  mehr 


1  ürk.  bei  Redlich,  Mitteil,  des  Instituts  für  österreichische  Ge- 
schichtsforschung V,  405.  —  ürk.  vom  Jahre  1063  (Als.  dipl.  I,  216). 
—  ürk.  vom  Jahre  1153  (Als.  dipl.  I,  884). 

2  Schulte,  Gesch.  d.  Habsb.  S.  17. 

9  Trouillat,  Mon.  de  l'histoire  de  Bäle  I,  549. 

4  Es  werden  hier  nur  die  Orte  der  Bestätigungsurknnde  aufgeführt, 
die  anch  später  nach  dem  Urbarbuch  habsbnrgisch  sind.  Andere 
Orte  der  Urkunde  waren  später  wieder  abgegangen. 

5  Math  v.  Neuenburg  (ed.  Studer)  S.  14. 

6  Murb.  Annal.  Anz.  f.  Schweiz.  Gesch.  IV,  169. 

7  Als.  dipl.  I,  427. 

8  Habsburger  Urbarbuch,  herausgegeben  von  Pfeiffer. 


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-  11  - 


habsburgisch  sind  die  dem  Kloster  zunächst  gelegenen  Orte. 
Das  vom  Kloster  Erworbene  lag  in  einem  von  Isenheim,  Ost- 
heim, Rädersheim  ostwärts  bis  zum  Rhein  ziehenden  Streifen, 
über  welchen  der  König  Rudolf  die  Vogtei  als  murbachisches 
Lehen  besass.  In  dem  Verzeichnis  ist  auch  Hirsingen  als  mur- 
bachisches Lehen  aufgeführt,  während  in  dem  Urbarbuch  dessen 
Ursprung  von  Murbach  nicht  verzeichnet  steht.  Der  murb  ach- 
ische Besitz  um  Dattenried  kam  nach  1274  durch  Kauf  unter 
habsburgische  Herrschaft. i 

Zu  dem  Bistum  Strassburg  standen  die  Habsburger  schon 
seit  längerer  Zeit  in  näheren  Beziehungen.  Das  beweist  der 
zwischen  dem  Bischof  und  dem  Grafen  von  Habsburg  1201  ab- 
geschlossene Vogteivertrag,*  welcher  die  Rechte  des  Vogtes  in 
der  oberen  Mundat  Rufach  näher  bestimmte.  Von  dieser  habs- 
burgischen  Vogtei  wurde  die  Mundat  im  Jahre  1269  befreit, 
indem  der  Bischof  Heinrich  von  Geroldseck  dem  nachmaligen 
König  Rudolf,  dem  an  der  Abrundung  seiner  Herrschati  im  Al- 
brechtsthal viel  lag,  eine  Reihe  dort  gelegener  bischöflicher 
Orte  und  ausserdem  noch  einige  Besitzungen  bei  Kol  mar  ab- 
träte Dem  Habsburger  blieb  nur  noch  a*as  Appellationsrecht 
im  Mundatgebiet.  Die  althabsburgischen  Besitzungen  in  Nord- 
hausen waren  schon  früher  gegen  Ueberlassung  der  Einkünfte 
der  Kirche  zu  Scherweiler  von  Seiten  des  Bistums  an  das 
Kloster  Hugshofen  im  Albrechtsthal  dem  Bischof  von  dem 
Grafen  Rudolf  abgetreten  worden;*  doch  erhielt  derselbe  dann 
diese  Besitzungen  als  Lehen  von  der  Strassburger  Kirche  zu- 
rück. Die  Entstehung  der  Lehnsherrlichkeit  dieser  Kirche, 
wovon  das  Urbarbuch  berichtet,  über  den  Hauptsitz  der  habs- 
burgischen  Verwaltung  Ensisheim  steht  nicht  fest. 

Die  Vogtei  oder  vogteiliche  Rechte  übten  die  Habsburger  aus 
über  das  oberelsässische  Kloster  Lützel,  bei  welchem  es  sich 
nur  um  eine  Unlervogtei  handeln  kann,  weil  dasselbe  unmittel- 
bar unter  dem  Schutze  des  Reiches  stand.  Ueber  das  schon 
erwähnte  Kloster  Hugshofen  üble  der  König  Rudolf  die  Kast- 
vogtei  aus,  d.  h.  er  hatte  über  das  Kloster  mit  all  seinen  Gü- 


1  Schulte  S.  90. 

2  Strassb.  ürk.  B.  I,  nr.  139. 
5  Als.  dipl.  I,  463. 

*  Strassb.  ürk.  B.  I,  S.  328. 


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—    12  — 


tern  die  Verwaltung.  Von  einigen  anderen  Klöstern  wie  Pairis, 
Blotzheim,  Münster  und  ßaumgarten  hatten  die  Habsburger 
die  Schirmvogtei  über  einzelne  Besitzungen. 1  lieber  die  Vogtei 
des  Klosters  Kaltenbrunn  war  sich  die  habsburgische  Verwaltung 
selbst  nicht  klar.  2  Durch  seine  Verheiratung  mit  Gertrud  von 
Hohenberg  erlangte  Rudolf  um  das  Jahr  1258  das  Albrechtsthal,» 
in  welchem  das  althabsburgische  Scherweiler  und  der  schon 
oben  erwähnte  Erwerb  von  der  Strassburger  Kirche  lagen. 
Stand  nun  schon  Rudolf  durch  den  Besitz  grosser  Ländereien 
und  Gerechtsamen  in  engen  Beziehungen  zum  Elsass,  so  wurden 
diese  noch  befestigt  und  vermehrt  durch  verwandtschaftliche 
Verbindungen*  mit  den  Geschlechtern  der  Hüneburg,  der 
Grafen  von  Ortenberg,  Mömpelgard  und  Pfirt.  Auch  mit  der 
Familie  der  Horburg  war  Rudolf  verwandt.» 

Aus  dem  Vorstehenden  ergab  sich,  dass  ein  Teil  des  habs- 
burgischen  Besitzes  sich  lange  vor  König  Rudolf  im  Besitze 
seines  Hauses  fand.  Die  Grafschaftswürde  besassen  die  Habs- 
burger 6  schon  um  das  Jahr  1135.  Die  Frage  nun,  ob  die 
Uebertragung  der  Landgrafschaft  den  Habsburgern  viel  Besitz 
eingetragen  habe  oder  ob  diese  die  Landgrafschaft  wegen  ihres 
grossen  Besitzes  im  Oberelsass  erhalten  haben,  lässt  sich  nicht 
entschieden  beantworten.  Auch  die  Angabe  des  Urbarbuches, 
nach  welchem  Dammerkirch,  vielleicht  auch  Sept,  kaum  wohl 
Hirsingen  i  Grafschaftsgut  gewesen  ist,  liefert  für  Entscheidung 
jener  Frage  kein  Krilerium,  weil  nach  der  Zeit  von  1135  bis 
1303  die  Geschichte  der  habsburgischen  Besitzungen  nicht  mehr 
ganz  klar  sein  dürfte.  So  viel  wird  man  aber  wohl  behaupten 
können,  dass  durch  die  Verleihung  der  landgraflichen  Ge- 
richtsbarkeit das  Haus  Habsburg  einen  bedeutenden  Macht- 
zuwachs erhalten  hat  und  deshalb  auch  die  Ausdehnung  seines 
Herrschaftsgebietes  leichter  erreichen  konnte. 

Die  Grafenrechle  übten  die  Habsburger  zu  Rudolfs  Zeit  im 


1  Urbarbuch  S.  11,  12  u.  18. 

2  Schulte  S.  96. 

s  Math.  v.  Neuenburg  (ed.  Studer)  S.  183. 

4  Schulte  S.  130  u.  181. 

5  Als  dipl.  I,  426. 

6  Schulte  S.  79. 

7  Siehe  das  früher  Gesagte. 


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-    43  - 


oberen  Elsass  ziemlich  ungeschmälert  aus,  wenngleich  die  grossen 
Güter  der  Bistümer  Strassburg,  Basel,  der  Abtei  Murbach,  fer- 
ner Klöster  wie  Lülzel,  Masmünster,  von  der  landgräflichen 
Gerichtsbarkeit  eximiert  waren.    Zudem  ist  zu  beachten,  dass 
die  Landgrafschaft  jener  Zeit  meist  nur  die  hohe  Gerichtsbarkeit 
bedeutete,  dass  die  niedere  Gerichtsbarkeit  sich  nicht  mehr 
durchweg  in  den  Händen  der  vom  Grafen  bestellten  Unterrichter 
befand,  sondern  auch  von  den  Gebietsherren  ausgeübt  wurde. 
Weltliche  Herren  suchten  sich  öfters,  so  auch  im  Oberelsass,  der 
landgräflichen  Jurisdiklion  zu  entziehen,  oder  strebten,  wenn 
dies  nicht  gelang,  darnach,  von  dem  Landgrafen  für  ihr  Ge- 
biet ein  Landgericht  als  Afterlehen  zu  erhalten.  Beispiele  dafür 
lieferten  die  Familien  Pfirt  und  Horburg.    So  stand  der  Graf 
Theobald  von  Pfirt  4278  zu  Altkirch  einem  Landgerichte  vor;1 
im  Jahr  4300  verzichtete  die  Gemahlin  des  Ulrich  von  Regens- 
burg zu  Gunsten  ihres  Bruders,  des  Grafen  Theobald  von  Pfirt, 
vor  dem  Landrichter  Peter  von  Bollweiler  und  dem  Landgericht 
zu  Thann ;  2  im  selben  Jahre  wurde  von  einer  Gräfin  von  Pfirt 
die  Aufnahme  ihres  Gemahls  in  die  Gemeinschaft  der  Graf- 
schaft Pfirt  vor  dem  kaiserlichen  Landgericht  des  Landgrafen 
vollzogen. s    Die  beiden  letzteren  Fälle  beweisen  die  Zugehörig- 
keit der  Grafschaft  Pfirt  zur  Landgrafschaft,  wiewohl  der  oben 
genannte  Theobald  selbst  4278  gräfliche  Funktionen  ausgeübt 
hatte.    Dieser  scheinbare  Widerspruch  erklärt  sich  aus  der 
Afterlehn sschaft  der  Pfirter  Landgerichte.   Ein  Gleiches  gilt  von 
der  landgerichtlichen  Gewalt  der  Horburger  Herren.  Andere 
oberelsässische  Herrengeschlechter  haben  nicht  einmal  ein  Land- 
gericht als  Aflerlehen  erhalten,  sondern  sie  blieben  unmittelbar 
unter  der  Jurisdiktion  der  habsburgischen  Landgrafschaft.  Für 
die  Rappoltsteiner  beweisen  das  mehrere  Urkunden,*  welche 
die  Rechte  derselben  aufzählen,  aber  von  Grafenrechten  nichts 
berichten.    Wie  aus  dem  Obigen  hervorging,  übten  die  Land- 
grafen keineswegs  immer  persönlich  die  Gerichtsbarkeit  an  ihren 
Gerichten  aus,  sondern  übertrugen  sie  anderen,  z.  B.  den  Herren 
von  Bollweiler.  Auch  die  Rappoltsteiner  wurden  öfters  als  Land- 


1  Herrgott,  Gen.  habsb.  nr.  577. 

2  Herrgott,  a.  a.  0.  691. 
*  Herrgott,  a.  a.  0.  692. 

4  Als.  dipl.  m\  808,  880,  883. 


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—    17  - 


auf  die  privatrechtliche  Natur  dieses  Eigengutes  zum  Grund- 
herrn. Welche  indirekten  Einkünfte  Rudolf  aus  etwa  ausge- 
gebenem Lehnsgut  bezog,  lässt  sich  hei  dem  Fehlen  eines  Lehns- 
verzeichnisses nicht  bestimmen.  Einkünfte  von  Eigengut  bezog 
der  König  aus  der  Stadt  Landser  und  dem  Dorfe  Didenheim, 
besonders  aus  dem  Amte  Ensisheim,  dem  an  der  Schweizer 
Grenze  gelegenen  Biederthal,  aus  Hirsungen,  dem  Meiertum 
Sept,  aus  dem  Allodialgut  des  Albrechtsthales.  Dazu  kamen 
Einkünfte  vom  Klostergut  als  Entschädigung  für  die  Vogtei, 
von  Zöllen.  Eine  weitere  Einnahmequelle  bildeten  die  Steuern, 
die  Jahr  für  Jahr  nach  dem  Bedarfe  vom  Vogte  möglichst  ohne 
zu  grosse  Belastung  der  Unterthanen  bestimmt  und  erhoben 
wurden.  In  fast  allen  Orten  des  Amtes  Ensisheim  wurde  die 
Herbergsteuer,  im  grösserem  Teile  des  Amtes  Landser  neben 
einem  Hühnerzins  nur  diese  Herbergsteuer  entrichtet,  welche 
eine  Ablösung  der  in  früherer  Zeit  durch  Einquartierung  und 
Verpflegung  erwachsenen  Lasten  bedeutet.  Eine  weitere  Ver- 
mehrung der  Einnahmen  brachten  die  nicht  regelmässig  auf- 
gebrachten Abgaben,  deren  Höhe  wegen  ihrer  Natur  nicht 
jährlich  festgesetzt  werden  konnte,  so  das  auf  Grund  des  Erb- 
rechtes vom  Kolonen  geforderte  Besthaupt,  der  vom  Erwerber 
eines  Gutes  an  den  Grundherrn  zu  zahlende  Ehrschatz,  ferner 
die  Gerichtsbussen,  Strafgelder  und  andere  Gebühren.  Schliess- 
lich sind  noch  zwei  Steuern  zu  erwähnen,  welche  ebenfalls  in 
den  habsburgischen  Landen  gezahlt  wurden,  nämlich  das  Vogt- 
recht und  die  Vogtsteuer.  Ersteres  zahlten  die  Dammerkircher 
als  freie  Leute  ihrem  Landgrafen,  doch  nicht  als  eine  hinsicht- 
lich des  Ertrages  festgesetzte  Abgabe.  Vogtsteuer  als  eine  nicht 
fixierte  Geldleistung  wurde  in  einigen  Orten  des  Amtes  En- 
sisheim erhoben. 

Nächst  der  Verwaltung  und  Sleuerverfassung  erfordert  die 
von  Rudolf  mit  Anlehnung  an  staufische  Einrichtungen  geschaf- 
fene Militärverfassung  eine  kurze  Betrachtung,  zumal  die  mili- 
tärische Organisation  in  den  habsburgischen  Landen  mit  den 
sonstigen  Plänen  Rudolfs  für  die  Landesverteidigung  überhaupt 
zusammenhängt.  Seine  Einrichtung  der  Burglehen  war  dem 
politischen  Gedanken  entsprungen,  der  Ministerialität,  welche 
zur  Zeit  der  staufischen  Burgenverwaltung  mit  eine  der  Haupt- 
stützen der  damaligen  Reichsregierung  gewesen  war,  dann  aber 
mit  dem  Untergange  der  Hohenstaufen  ihren  Halt   am  König 

2 


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-   18  - 

und  dem  Reiche  verloren  hatte,  neues  Leben  einzuhauchen  und 
die  kleineren  freien  elsässischen  Adelsgeschlechter  an  sich  zu 
fesseln.  Der  Mittelpunkt  seiner  Verwaltung  Ensisheim  wurde 
durch  Rudolf  auch  in  militärischer  Hinsicht  der  Hauptort  seiner 
Besitzungen.  Während  seiner  Regierung  sind,  wie  aus  dem 
Urbarbuch  ersichtlich  ist,  in  Ensisheim  6  Burgleben  einge- 
richtet worden,  vielleicht  noch  mehr,  da  1291  für  Ensisheim 
noch  mehrere  ausgegeben  wurden.  Aber  es  ist  auch  möglich, 
dass  dies  schon  nach  Rudolfs  Tode  geschah.  Von  weiteren 
vier  Ensisheimer  Burglehen  und  zwei  anderen,  dem  Orlenber- 
ger  und  Bilsteiner  im  Albrechtsthal,  ist  die  Zeit  der  Errich- 
tung im  Urbarbuch  nicht  genannt.  Im  Jahre  1287,  in  wel- 
chem Rappoltstein  1  belagert  wurde,  ist  eine  Burg  Gemar  für 
Landsburg  eingerichtet  worden.  In  einem  Burglehensbriefe» 
vom  Jahre  1289  wurden  von  dem  Sohne  des  Königs  Rudolf 
zwei  Brüdern  als  Burglehen  zu  Landsburg  die  Güter  in  Obern- 
heringheim  gegeben.  Durch  diese  Burglehensvergabung,  wel- 
che hauptsächlich  für  Ensisheim  und  Landsburg  erfolgte,  suchte 
Rudolf  einerseits  für  Friedenszeiten  eine  ausreichende  Sicherung 
seiner  Besitzungen  zu  erreichen,  andererseits  für  den  Kriegsfall 
die  Burgmänner  schnell  kampfbereit  zur  Hand  zu  haben. 

Die  bisherige  Betrachtung  des  Umfanges  und  der  Art  des 
habsburgischen  Besitzes,  der  Verwaltungsorganisation,  der 
Steuer-  und  Militärverfassung  und  der  Ausdehnung  seiner 
Landgrafschaft  geben  uns  ein  Bild  seiner  mächtigen  Stellung 
im  Südwesten  des  Reiches.  Nicht  gleich  bei  der  Wahl  erschien 
Rudolf  in  dieser  Machtfülle,  da  einzelne  Besitzungen  erst  wäh- 
rend seiner  Regierung  erworben  und  erst  unter  derselben 
manche  administrative  und  militärische  Einrichtungen  geschaffen 
wurden,  aber  ungefähr  in  dieser  Position  stellt  er  sich  uns 
schon  als  Graf  dar.  Es  war  daher  nicht  zu  verwundern,  dass 
auf  ihn  als  zukünftigen  König  die  Blicke  sich  richteten.  Nächst 
den  Kurfürsten  und  Ottokar  von  Böhmen  war  er  der  mächtigste 
Mann  im  Reich. 

Die  Grundziele  seiner  Politik,  Stärkung  des  in  seinen  Grund- 
festen erschütterten  Königtums,  Unterwerfung  Ottokars  und 
Sicherung  des  Landfriedens  suchte  er  im  Wesentlichen  durch 


1  Chron.  Colm. 
*  Als.  dipl.  II,  42. 


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-   19  - 


Festigung  seiner  Hausmacht,  sowie  durch  Revindikation  des 
Reicbsgutes  und  durch  Ausübung  seiner  auf  das  Reichsgut  sich 
erstreckenden  landesherrlichen  Rechte  zu  erreichen.  Unsere  Blicke 
müssen  wir  daher  jetzt  auf  seine  Thätigkeit  im  ausserhabsbur- 
gischen  Elsass  lenken. 


II  Die  Beziehungen  des  Königs  Rudolf 
zum  ausserhabsburgischen  Elsass. 

Der  Teil  des  Elsasses,  zu  dem  Rudolf  als  König  in  nächste 
Berührung  trat,  war  das  Reichsgut,  d.  h.  dasjenige  Gut,  wel- 
ches unmittelbar  der  Reichsgewalt  unterworfen  war.  Man  kann 
nicht  grade  sagen,  dass  nach  dem  Untergänge  der  Hohenstau- 
fen der  Umfang  des  liegenden  Gutes  im  Elsass  so  sehr  einge- 
schränkt worden  sei.  Aber  innerhalb  des  Reichsgutgebietes 
haben  sich  die  königlichen  Städte,  wie  überall  wenigstens  ver- 
sucht worden,  zu  grösserer  Selbstständigkeit  erhoben,  so  dass 
in  dieser  auf  möglichst  grosser  Unabhängigkeit  vom  Könige  ab- 
zielenden Entwickelung  eine  Gefahr  für  das  Reich  in  finanzieller 
Beziehung  bestand.  Denn  mit  dem  Wachsen  der  Autonomie 
jener  drohte  das  landesherrliche  Recht  der  Besteuerung  selbst 
in  Verfall  zu  geraten.  In  früherer  Zeit  hatte  das  Reich  ausser 
von  dem  reichseigenen  Besitz  an  Pfalzen,  Reichsdörfern,  Höfen 
und  Waldungen  noch  mehr  Einkünfte  gehabt  .  Die  einen  Nutzen 
abwerfenden  Hoheitsrechte  der  Krone  waren  aber  zum  grossen 
Teile  an  die  zur  Landesherrlichkeit  vordringenden  Fürsten  all- 
mählich verloren  gegangen,  und  die  Verpflichtungen  des  Kir- 
chengutes gegenüber  dem  Reiche  hatten  sich  ebenfalls  geändert. 
So  war  Rudolf  bei  seiner  Thronbesteigung  wegen  der  Unsicher- 
heit der  Reichsfinanzen  in  einer  üblen  Lage.  Im  Elsass  war 
er  hauptsächlich  auf  die  Einkünfte  aus  dem  dem  Reiche  direkt 
unterstehenden  Gebiete  mit  seinen  Städten,  Dörfern,  Höfen 
und  Waldungen  angewiesen.  Von  den  Reichsdomänen  nun 
waren  viele  zur  Deckung  von  Schulden  verpfändet.  Ausserdem 
ist  zu  bedenken,  dass  die  ländlichen  Reichsbesitzungen  nicht 
so  viel  Ertrag  lieferten,  weil  der  Schwerpunkt  des  wirtschaft- 
lichen Lebens  mit  dem  grossen  Aufschwung  von  Handel  und 


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—   20  - 


Verkehr  in  die  Städte  verlegt  war.  Das  Land  war  finanziell 
nicht  so  leistungsfähig  als  die  Städte.  Die  Hauptquellen  waren 
daher  diese,  und  sie  wurden  darum  auch  unter  Rudolf  durch 
die  Besteuerung  nach  Möglichkeit  finanziell  nutzhar  gemacht. 
Vor  seiner  Steuerpolitik  aber,  die  schon  die  Ausnutzung  des 
Reichsgutes  bedeutet,  sind  zunächst  seine  auf  Wiederherstellung 
und  Abgrenzung  desselben  gerichteten  Bestrebungen  zu  be- 
trachten. 

1.  Der  König  als  Reichsgrundherr  und  Schirm- 
herr vornehmlich  des  Reichsgutes. 

Ueber  das  Reichsgutgebiet  übt  der  König  die  Landesherrlich- 
keit aus.  Er  ist  in  Beziehung  zu  diesem  Reichsgrundherr, 
obersler  Gerichtsherr  und  Schirmherr. 

A.  Die  Wiederherstellung 
und  Verwaltung  des  Reichsgutes. 

et.  Die  Revindikation. 

Zur  Stauferzeit  gab  es  im  Elsass  Reste  alten  Reichsbesitzes 
um  Hochfelden,  Schweighausen,  Merzweiler,  Marlenheim, 
Wasselnheim,  Illwickersheim,  Geudertheim.  Dazu  kamen  Reichs- 
abteien, deren  Grund  und  Boden  Reichsbesitz  war,  und  andere, 
über  welche  der  Kaiser  die  Schirmvogtei  ausübte.  Abteien 
solcher  Art  waren  Lützel,  Pairis,  Neuburg,  Baumgarten  und 
Königsbrück.  Eigentliche  Reichsklöster  waren  Murbach,  St. 
Gregor,  Erstein,  Selz,  Weissenburg  und  St.  Walburg.  Die 
Klöster  Masmünster  und  Maursmünster  waren  schon  früher  dem 
Reiche  verloren  gegangen.  Viel  bedeutender  als  dieser  alte 
Reichsbesitz  war  das  staufische  Privatgut.  Da  kommt  zuerst 
Schlettstadt  in  Betracht,  welches  durch  Wölflin  ummauert 
wurde.  Den  Privatbesitz  dort  gaben  die  Hohenstaufen  auf, 
sicherten  sich  aber  gewisse  Einkünfte  und  Einfluss  auf  die 
Verwaltung  der  Stadt.  Ferner  hatten  sich  die  Hohenstaufen 
auf  dem  Odilienberg,  in  Rosheim  und  Elienheim  festgesetzt, 
welch  letzteres  um  1240  eine  Stadt  wurde.  Zum  Besitz  der 
Staufer  gehörte  ferner  der  heilige  Wald,  der  nach  dem  Inter- 
regnum dem  Reiche  gehört  und  Reichswald  heisst.  In  diesem 
lag  das  wichtige  Hagenau,  das  durch  die  Staufer  nächst  Strass- 


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-   21  — 

bürg  die  erste  Stadt  des  Elsasses  wurde,  ferner  das  von  den 
Staufern  reich  begabte  Kloster  Neuburg,  das  ebenso  wie  St. 
Walburg  Nutzungsrechte  am  heiligen  Walde  hatte.  Eine  Gründung 
der  Staufer  war  das  begüterte  Kloster  Königsbrück.  Eine  andere 
Gegend,  in  welcher  sich  unter  den  Staufern  ein  Komplex  von 
Reichsgut  entwickelte,  war  das  St.  Gregorienthai  und  das  Gebiet 
von  Kolmar.  Auf  dem  Grunde  des  ersteren  entwickelten  sich 
später  die  Reichsstädte  Münster  und  Türkheim,  in  der  Ebene 
vor  dem  Gregorienthaie  blühte  Kolmar  auf,  das  ebenso  wie 
Schleltstadt  von  Wölflin  ummauert  wurde  und  schon  1226  als 
Stadt  erscheint.  Von  demselben  Wölflin  wurde  die  Burg 
Kaisersberg  angelegt,  deren  Grund  und  Boden  die  Staufer 
kauften.  Von  sonstigen  Besitzungen  seien  noch  die  Komitats- 
dörfer erwähnt,  die  gemeinsam  dem  Kaiser  und  dem  Bischof 
gehörten.  Zu  dem  Reichs-  und  Familiengut  tritt  endlich  noch 
eine  dritte  Gruppe  von  Besitztümern  :  das  sind  die  kirchlichen 
Lehen.  Davon  mögen  hier  hervorgehoben  werden  die  Orte 
Molsheim,  Mutzig  und  Mülhausen,  um  die  nebst  anderen  sich 
ein  Streit  zwischen  Kaiser  und  Bischof  von  Sirassburg  erhob,  der 
1236  zum  Abschluss  kam. 

Das  etwa  waren  die  Besitzungen  der  Staufer,  von  denen  sie 
Einkünfte  bezogen.  Die  Aufzählung  macht  auf  Vollständigkeit 
keinen  Anspruch,  sie  bezweckt  nur  allgemeine  Orientierung  üher 
das  Gebiet,  auf  welche  die  Revindikation  der  Güter  und  die 
Steuerorganisation  der  Reichsgutverwaltung  sich  erstreckte. 
Während  des  Interregnums  war  von  allen  Seiten  Bereicherung 
durch  Reichsgut  angestrebt  worden  ;  gleichwohl  sind  die  Ver- 
luste des  elsässischen  Reichsgutes  nicht  so  sehr  gross  gewesen, 
und  der  Besitzstand  war  zur  Zeit  der  Thronbesteigung  durch 
Rudolf  ungefähr  der  gleiche  wie  zur  Zeit  der  Staufer. 

Alles  nun,  was  etwa  vorn  Reichsgut  während  des  Interregnums 
und  von  der  Zeit  von  1245  an  verloren  gegangen  war,  sollte 
nach  einer  schon  vor  der  Wahl  Rudolfs  von  Seiten  der  Kur- 
fürsten ergangenen  Erklärung  aufgesucht  und  wiederhergestellt 
werden.  Wann  und  wo  die  Verordnung  für  Revindikation  von 
Rudolf  erging,  lässt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  angeben,  wahr- 
scheinlich in  Hagenau  während  des  Februar  1274.  Im  Herbst 
desselben  Jahres  erlangte»  Rudolf  die  Zustimmung  zum  Ein- 


i  M  0.  LL.  II,  p.  400. 


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—   22  — 

schreiten  gegen  alle,  welche  sich  seit  der  Absetzung  Friedrichs  IL 
in  den  Besitz  von  Reichsgütern  gesetzt  hatten.  Später  am  9. 
August  1281 1  wurde  noch  ein  Gesetz  erlassen,  durch  welches 
alle  seit  1245  bis  zum  Regierungsantritte  Rudolfs  getroffenen 
Entscheidungen  über  Reichsgut  für  rechtlich  ungültig  erklärt 
wurden.  Die  Ausführung  der  befohlenen  Einziehung  des  ent- 
wendeten Gutes  sollte  an  Beamte  übertragen  werden,  jedoch 
mit  der  Einschränkung,  dass  die  Entscheidung  über  streitige 
Fälle  dem  Kaiser  zustehen  solle.  Somit  war  ein  gesetzlicher 
Boden  geschaffen,  auf  dem  fussend  Rudolf  mit  der  Einziehung 
beginnen  konnte.  Aber  der  Erfolg  war  kein  grosser :  denn 
die  Möglichkeit,  sich  durch  ein  königliches  Privileg  gegen  die 
Revindikation  zu  schützen,  die  nach  Lehnsreoht  bestehende 
Verpflichtung  zur  Wiederausteilung  restituierter  Reichslehen  und 
die  aus  der  schlechten  Finanzlage  des  Reiches  sich  ergebende 
Notwendigkeit  von  Verpfändungen  verhinderten,  dass  sich  für 
die  Krone  ein  grosserer  Nutzen  ergab. 

Wie  stand  es  nun  mit  den  ländlichen  Reichsgütern  im  Elsass 
während  der  Regierung  Rudolfs?  Das  Reichsdorf  Hochfelden 
mit  Zubehör  war  verpfändet. 2  Die  Dörfer  Marley,  Kirchheim 
und  Nordheim  verpfändete  Rudolf  dem  Heinrich  von  Veldentz, 
Landvogt  im  Speiergau,  und  gestattete  1287  dem  Otto  von 
Ochsenstein,  die  Dörfer  von  der  Pfandschaft  loszukaufen,  damit  er 
sie  selber  als  Pfand  behalte,  s  Ebenso  ist  Rumolsweiler,  Dann, 
Kosweiler  am  1.  Mai  1287  aus  der  Pfandschaft  Simons  und 
Walrams  von  Geroldseck  in  die  Pfandschaft  Otto's  von  Ochsen- 
stein übergegangen.*  Barr,  altes  Reichsgut,  war  seit  Rudolfs 
Zeit  verpfändet ;  die  Stadt  Reichshofen  wurde  1286  von  Rudolf 
Otto  von  Ochsenstein  übergeben.  5  Die  Reichs  Weinberge  bei 
Balburn  sind  von  Rudolf  an  Friedrich  von  Leiningen, 8  das  Dorf 
Gressweiler  (bei  Molsheim)  an  Hugo  von  Lupfenstein,'  einige 


i  M.  G.  Leges  435. 
«  Reg.  Rud.  1179. 

3  Meister.  Die  Hohenstaufen  im  Elsass,  Beil.  IV,  2. 
*  Als.  dipl.  II,  37. 

5  Statistische  Mitteil.  27,  S.  102  (ürk.  Beleg  nicht  angegeben). 
«  Als.  dipl.  II,  33. 
"  Meister,  Beil.  IV,  3. 


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—   t>3  — 


Einkünfte  in  Geudertheim  1  an  Friedrich  von  Wasichensteih 
verpfändet  worden.  Einige  Güter  in  Wassel nheim,  die  dem 
Reiche  hier  noch  verblieben,  sind  den  Herren  von  Wangen  als 
Burglehen  *  übertragen.8  Ulwickersheim*  ist  an  Nikolaus  Zorn, 
Schultheiss  von  Strassburg,  verpfändet.  Eine  Verpfandung  von 
Reichsgütern  an  Herrn  von  Leiningen  findet  sich  auch  für 
Weissenburg.5  Im  März  1284  gestattete  der  König,  welcher 
sich  damals  in  Breisach  aufhielt,  den  Augustinern  von  Hagenau, 
sich  auf  dem  von  dem  dortigen  alten  Marschallamte  abhängigen 
Rosshofe  ein  Kloster  zu  erbauen.«  Im  Mai  4287  weilte  Rudolf 
.  in  Strassburg ;  da  kamen  aus  Hagenau  der  Leutpriester  von 
St.  Georgen  und  Vertreter  der  Stadt  mit  der  Bitte,  das  Patronat 
vom  heiligen  Forste  mit  Einkünften  ihnen  zu  überlassen.'  Die 
Bitte  wurde  vom  König  erfüllt  und  somit  herrschaftliches  Eigen- 
tum verschenkt.  Im  Jahre  1288  verpfändete  Rudolf  die  Burg- 
mühle  s  zu  Hagenau  und  einen  Teil  des  Ertrages  vom  Weiters- 
heimer  Königsgut  an  Gödelmann  von  Dorswiller  gegen  80  Mark 
Silber.  Das  Reichsdorf  ßalgau  bei  Neubreisach  befindet  sich 
in  Pfandschaft  eines  Herrn  Johann  von  Laubegazzen . 9  Der 
kaiserliche  Besitz  Iiikirch  wurde  1291  von  Rudolf  verpfändet.^ 
Das  Reichsdorf  Heiligenstein  war  in  Pfandschaft  des  Herrn 
Eberhard  von  Landsberg,!1  das  Dorf  Bernhardsweiler  in  Pfand- 
schaft des  Herrn  Walther  von  Girbaden.  Ein  Teil  der  Steuern 
in  Oberehnheim  war  1275  an  die  Herren  Zorn  vergabt.«  Wie 
Rudolf  sich  betreffs  der  staufischen  Lehen  Molsheim,  Mutzig, 
Bischofsheim  nebst  zugehörigen  Dörfern  und  mancher  Güter 
in  und  bei  denselben  mit  dem  Bischof  Konrad  von  Lichtenberg 


1  Böhmer,  Act.  sei.  p.  332. 

2  Die  Barglehen  sind  hier  mit  aufgeführt,  weil  ihre  Verausgabung 
ja  auch  die  Einkünfte  schmälerte. 

3  Als.  dipl.  II,  19. 
*  Als.  dipl.  II,  39. 

5  Böhmer,  Act.  sei.  p.  355. 

6  Batt,  Das  Eigentum  zu  Hagenau  I,  218. 

7  Als.  dipl.  II,  37. 

8  Batt  n,  620. 

9  Reg.  Rud.  965  u.  Böhmer,  Act.  sei.  360. 

w  Stat.  Mitteil,  für  Elsass-Lothringen  27,  S.  116  (?) 
ii  Als.  dipl.  n,  15  nr.  711. 
i*  Als.  ill.  Art.  Zorn  §  597. 


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_    24  — 


verständigt  hat,  darüber  lässt  sich  bei  dem  Fehlen  bestimmter 
Nachrichten  nichts  Sicheres  sagen.  Einige  Urkunden  1  beweisen 
uns  aber»  dass  sich  Rudolf  wieder  in  Besitz  von  kaiserlichen 
und  staufischen  Gütern  befand,  welche  früher  wahrscheinlich 
vom  Strassburger  Bistum  besetzt  waren.  Solche  Güter  sind  die 
schon  oben  erwähnten  Baibrunn,  Gressweiler,  Wietersheim, 
Wasselnheim,  Ehnheim.  Auch  das  ergiebt  sich  aus  den  Ur- 
kunden, dass  das  staufische  Lehen  Mülhausen,  dessen  Schicksale 
in  den  Streit  *  zwischen  Bistum  und  König  verflochten  und  mit 
den  Schicksalen  der  Molsheimer  Besitzungen  eng  verbunden 
waren,  wieder  in  Rudolfs  Sitz  gelangt  war.»  Wie  im  ein- 
zelnen der  Streit  zwischen  den  beiden  Gewalten  ausgetragen 
worden  ist,  darüber  herrscht  Dunkel.  Aber  eine  Verständigung 
hat  stattgefunden;  denn  das  Verhältnis  Rudolfs  zum  Bischof  ist 
wenigstens  während  der  letzten  Jahre  seiner  Regierung  ein 
freundliches  gewesen.  Im  Jahre  1293  ist  ja  dann  auch  zwischen 
Adolf  und  dem  Bischof  ein  Vertrag*  abgeschlossen  worden,  dem 
nach  einer  Mitteilung  bei  Grandidier«  Bestimmungen  eines  Ver- 
trages vom  Jahre  1274  zu  Grunde  liegen  sollen.  Wenn  diese 
Mitteilung  richtig  ist,  so  wäre  die  Regelung  des  Besitzstandes, 
wie  sie  1293  vertragsmässig  festgesetzt  wurde,  schon  1274  erfolgt. 
Darnach  hätte  damals  Rudolf  Mülhausen,  i|8  Wasselnheim,  ge- 
meinsamen Besitz  in  den  Orten  Sultze,  Dankratesheim  und  den 
Grafschaftsdörfern,  ausserdem  if2  Wasselnheim  bei  Kronen- 
burg gehabt,  während  der  Bischof  den  alleinigen  Besitz  in 
Molsheim,  Mulzig,  Wege  und  Hermoltzheim  erlangt  hätte.  « 
Mehr  als  Wahrscheinlichkeit  einer  derartigen  Besitzregelung  zu 
Rudolfs  Zeit  lässt  sich  unter  diesen  Umständen  nicht  behaupten. 

Aus  den  bisher  beigebrachten  dürftigen  Belegen  für  Reichs- 
gutsbesitzverhältnisse  geht  zweierlei  hervor :  Einmal  ist  der 
ländliche  Reichsbesitz  zum  grossen  Teil  verpfändet,  so  dass  von 
ihm   das  Reich   keinen   direkten   finanziellen   Nutzen  hatte, 


1  Als.  dipl.  II,  33,  29,  39  u.  a. 

2  üeber  diesen  Streit  vergl.  Fritz,  das  Territorium  des  Bistums 
Strassburg. 

3  Als.  dipl.  II,  9. 

*  Als.  dipl.  II,  58,  59. 

5  Oeuvres  hist.  inedites  VI,  427. 

c  Fritz,  a.  a.  0. 


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-    25  - 


zweitens  lässt  sich  bei  dem  Mangel  urkundlichen  Materiales 
nicht  genau  der  Umfang  des  Reichsgutsbesitzes  unter  König 
Rudolf  feststellen.  Da  nun  für  die  Zeit  der  letzten  Staufer  die 
Festlegung  der  Besitzverhältnisse  ebenfalls  nicht  recht  gelingt, 
so  ist  auch  kein  genauer  Nachweis  zu  erbringen,  mit  welchem 
Erfolge  die  von  Rudolf  in  Angriff  genommene  Revindikation 
gearbeitet  hat.  Und  was  nützte  alle  Wiederbringung  des  Gutes, 
da  doch  wieder  verpfändet  wurde  1  Hier,  wo  es  gilt,  die  Be- 
ziehungen Rudolfs  zum  Elsass  klar  zu  legen,  dürfte  der  Hin- 
weis genügen,  dass  er  auch  im  Elsass  als  Revindikator  thätig 
gewesen  ist.  Nunmehr  ist  die  Frage  zu  beantworten,  wie  er 
die  Verwaltung  des  Reichsgutes  organisiert  und  wie  er  dasselbe 
für  die  Krone  nutzbar  gemacht  hat. 

3.  Die  Einrichtung  der  Landvogtei  und  die  Befugnisse  des 

Landvogtes. 

Schon  vor  der  Zeit  Rudolfs  kamen  im  Elsass  Landvögte  vor ; 
doch  ist  über  die  Abgrenzung  ihrer  amtlichen  Thätigkeit  wenig 
bekannt.  Genauere  Nachrichten  über  ihre  Befugnisse  besitzen 
wir  erst  aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts.  Als  Name 
des  ersten  Landvogtes  Rudolfs  wird  uns  der  des  Konrad  Wern- 
her  von  Hattstadt,  als  zweiter  mit  diesem  zusammen  Kuno 
von  Bergheim  1  genannt.  Letzterer  war  jedenfalls  Landvogt  des 
Niederelsasses,*  ersterer  des  Oberelsasses.  Ende  1280  wurden  die 
beiden  Landvogteien  durch  Rudolf  zu  einer  einzigen  elsässischen 
zusammengezogen,  und  mit  dieser  wurde  Otto  von  Ochtenstein 
betraut.8  Neben  diesem  Ochsenstein  wird  in  den  Kolmarer  An- 
nalen  an  drei  Stellen  ein  Herr  von  Hohenstein  als  Vogt  des 
Elsasses  aufgeführt.  Was  es  mit  diesem  auf  sich  hat,  ist  nicht 
mit  Sicherheit  zu  ermitteln.  Gegen  die  Konjektur  Kopps,4  dass 
für  Hohenstein  Ochsenstein  zu  setzen  sei,  spricht  doch  das 
dreimalige  Vorkommen  des  Namens  Hohenstein  neben  Ochsen- 
stein in  den  Kolmarer  Annalen.    Andererseits  befriedigt  auch 


1  Als.  ill.  II,  p.  560. 

2  Als.  dipl.  II,  11  u.  15. 

3  Zeitschr.  f.  G.  d.  0.,  XI. 

4  Kopp,  Geschichte  d.  eidgenössischen  Bünde,  2.  Buch  731  Anra.  2. 


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—   26  — 


die  von  Teusch1  gegebene  Erklärung,  wonach  der  Hohenstein 
der  Untervogt  sei,  nicht  völlig.  Der  Landvogt  Baldeck  wurde 
schon  oben  als  habsburgischer  Vogt  gekennzeichnet.  Somit  sind 
Konrad  Wernher  von  Hattstatt,  Kuno  von  Bergheim,  Otto  von 
Ochsenstein  als  die  Rudolfinischen  Landvögte  des  Elsasses  an- 
zusehen. Was  hatten  die  Vögte  nun  für  Befugnisse? 

Rudolf  war  als  König  für  die  gesamte  Reichsgutverwaltung 
verantwortlich.  Dass  er  dem  Reichsgut  mit  Zustimmung  der 
Fürsten  seine  ernste  Sorge  zuwandte,  zeigte  schon  die  durch 
ihn  in  Angriff  genommene  Re Vindikation.  Oben  war  schon  be- 
merkt, dass  die  Ausführung  derselben  nach  dem  Gesetz  Beam- 
ten übertragen  werden  sollte.  Die  Landvogteieinrichtung  stand 
daher  offenbar  mit  der  Revindikation  in  Zusammenhang. 

Nach  der  Einsetzungsurkunde  *  des  Landvogtes  Otto  von 
Ochsenstein  vom  Jahre  1280  erscheint  dieser  in  erster  Linie 
als  ein  auf  Zeit  angestellter  und  daher  auch  wieder  absetzbarer 
oberster  Verwaltungsbeamter,  dessen  Gewalt  das  reichsun- 
mittelbare Gebiet  unterworfen  ist,  als  Inhaber  des  Besetzungs- 
rechtes für  die  königlichen  Aemter  der  Untervögte,  Schult- 
heissen,  Meier  u.  s.  w.,  die  ihm  den  Treueid  leisten 
mussten  und  im  Falle  schlechter  Amtsführung  von  ihm  ab- 
gesetzt werden  konnten.  So  setzte  z.  B.  Otto  den  Schult- 
heissen  Siegfried  von  Kolmar  1281  ab.s  In  zweiter  Linie  war 
er  oberster  Finanzbeamter,  der  die  Einkünfte  für  die  Land- 
vogteikasse  in  Empfang  nahm  und,  was  damit  zusammenhing, 
die  Aufsicht  über  das  dem  Reiche  durch  Verpfandung  entzogene 
Reichsgut  führte.  Seine  Wirksamkeit  erstreckte  sich  auch  auf 
die  Erhebung  von  Beden  und  Steuern.  So  werden  die  beiden 
elsässischen  Land vögte  in  einer  Urkunde  vom  26.  Februar  1277* 
angewiesen,  von  den  im  Elsass  gelegenen  Gütern  Strassburger 
Börger  gegen  ihre  Privilegien  keine  Steuern  zu  erheben  und 
die  etwa  schon  erhobenen  zurückzuerstatten.  Ferner  hatte  er 
wohl  bei  der  Einziehung  der  regelmässigen  Jahressteuern  und 
auch  der  ausserordentlichen  Steuern  der  königlichen  Städte 
mitzuwirken.    Neben  der  Führung  und  Beaufsichtigung  der 


1  Teusch,  Die  Landvogteien. 

*  Mone,  Ztschr.  G.  0.  XI. 

3  Colm.  ann.  mai.  anno  1281. 

*  Als.  dipl.  II,  p.  4  nr.  692. 


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Finanzverwaltung  hatte  der  Landvogt  auch  militärische  Oblie- 
genheiten. Konrad  von  Hadstatt  bot  z.  B.  Truppen  für  den 
Feldzug  gegen  Ottokar  auf  und  sammelte  sie  in  Basel.1  Auch 
zur  Vollstreckung  königlicher  Rechtssprüche  oder  zum  Schutze 
des  Landfriedens  wurde  der  Vogt  mit  militärischem  Kommando 
betraut,  z.  B.  bei  dem  Einschreiten  gegen  Anselm  von  Rappolt- 
stein.  In  Sachen  des  Landfriedens  scheint  der  Landvogt  gele- 
gentlich auch  richterliche  Funktionen  ausgeübt  zu  haben.  Sonst 
aber  hat  die  Rechtsprechung  nicht  zur  Kompetenz  der  elsäs- 
sischen  Landvögte  gehört. 

Die  Einrichtung  der  Landvogtei  für  das  Reichsgut  erinnert 
an  die  Verwaltungsorganisation  der  habsburgischen  Lande; 
denn  die  Aehnlichkeit  ist  offenbar.  Diese  zur  Zeit  Rudolfs  be- 
stehende Verwaltung  von  Hausgut  und  Reichsgut  im  Elsass 
war  nun  aber  nicht,  eine  originelle  Schöpfung  des  Königs  Ru- 
dolf:  denn  er  hat  auch  für  die  Landvogtei  an  schon  früher 
Bestehendes  angeknüpft,  dieses  aber  weiter  ausgebildet  und  in 
festere  Formen  gebracht.  Und  dieses  war  notwendig,  wenn  an- 
ders er  die  Ziele  der  Revindikation  und  Erschliessung  der  auf 
dem  Reichsgut  liegenden  Geldquellen  erreichen  wollte.  Letzteres 
war  der  Zweck  seiner  Steuerpolitik. 

f.  Die  Steuerpolitik. 

Als  Rudolf  die  Reichsleitung  übernahm,  war  seine  Stellung 
in  finanzieller  Hinsicht  nicht  stark ;  denn  ein  grosser  Teil  des 
ländlichen  Reichsgutes  war  auch  im  Elsass  verpfändet,  und  er 
musste  zur  Bestreitung  der  bei  der  Revindikation  erwachsenden 
Kosten  oder  zur  Deckung  sonstiger  Schulden  selbst  von  dem 
Mittel  der  Verpfandung  Gebrauch  machen.  Da  nun  das  Land 
finanziell  auch  nicht  so  ergiebig  war  wie  die  im  Aufschwung 
begriffenen  Städte,  so  musste  Rudolf  zur  Beschaffung  der  zur 
Reichsleitung  und  Hofhaltung  notwendigen  Geldmittel  neue 
Wege  finden.  Als  einen  solchen  erkannte  er  die  Ausnützung 
seines  landesherrlichen  Rechtes  der  Besteuerung  der  Städte. 

Früher  war  das  Reich  im  Genüsse  von  ordentlichen  öffent- 
lichen Abgaben  der  dem  Könige  direkt  unterstehenden  Städte, 
von  ordentlichen  direkten  Steuern  auch  einzelner  Bischofs- 


»  M.  G.  Scr.  XVII,  p.  250. 


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-    28  - 


städte  gewesen  ;  dazu  kamen  noch  ausserordentliche  Leistungen. 
Die  eigentlichen  städtischen  Reichssteuern  waren  die  Hof-  und 
Heersteuern,  welche  vornehmlich  auf  den  Bischofsslädten  ruhten. 
In  den  Zeiten  des  Interregnums  aber  hatten  die  Städte  mög- 
lichste Befreiung  von  Leistungen  an  das  Reich  erstrebt.  Die 
unter  bischöflicher  Herrschaft  stehenden  Kommunen  suchten 
diese  abzuwerfen  und  damit  von  der  Zahlung  der  Abgaben  an 
den  Bischof  frei  zu  kommen.  Dieses  Streben  zeigte  sich  im 
Elsass  schon  früh  bei  Strassburg,  welches  bereits  im  Jahre  1236 
von  Friedrich  II.  die  Bestätigung  des  Privilegs  erhielt,  wonach 
die  Stadt  nur  zu  Leistungen  an  das  Reich  verpflichtet  war.  — 
Unter  König  Wilhelm  benutzte  Hagenau  die  Gelegenheit,  um 
sich  ein  Privileg  1  zu  verschaffen,  wonach  die  Stadl  gegen  jähr- 
liche Erlegung  einer  feststehenden  Summe  von  allen  andern 
Leistungen  befreit  wurde.  Unter  Richard  liess  sich  dieselbe 
Stadt  das  Recht»  pri  vi  legieren,  die  Steuer  auf  alle  in  der  Stadt 
liegenden  Güter  ohne  Unterschied  auszudehnen.  Derselbe  König 
bestätigte  dann  noch  die  Befreiung  der  ausserhalb  gelegenen 
Bürgergüter  von  auswärtigen  Steuern.  Man. ersieht  aus  diesen 
Beispielen  das  deutliche  Streben  der  Städte  nach  Einschränkung 
des  königlichen  Besteuerungsrechtes  und  nach  autonomer  Fi- 
nanzverwaltung. —  Trotz  alledem  waren  die  königlichen  Städte 
zur  Zeit  Rudolfs  die  ergiebigsten  Geldquellen.  Darum  hat  der 
König  versucht,  sich  die  Steuerkräfle  aller  und  besonders  der 
königlichen  Städte  im  Elsass  dienstbar  zu  machen. 

Den  besten  Einblick  in  seine  Steuerpolitik  eröffnet  uns  die 
Kolmarer  Chronik.  Aus  dieser  erfahren  wir  zunächst,  dass  die 
Kolmarer  dem  Könige  1273  freiwillig  eine  bestimmte  Menge 
Wein  statt  Kleinodien  darbrachten.  Aus  der  Stuttgarter  Hand- 
schrift, wo  es  heissl,  dass  Dörfer  und  ummauerte  Ortschaften 
ihrem  Herrn  jährlich  eine  bestimmte  Summe  zu  zahlen  pflegten, 
geht  hervor,  dass  die  Zahlung  einer  gewissen  jährlichen  Abgabe 
seitens  der  Stadt  an  den  Herrn  noch  die  Regel  war.  Die  ge- 
wöhnlichen Steuern  nun  hat  Rudolf  zunächst  unverändert  wei- 
ter erhoben.  Das  beweist  auch  der  Ausdruck  der  Chronik,  dass 
Rudolf  eine  neue  Auflage  erfand.  Die  von  ihm  1274  auf  das 
Vermögen  der  einzelnen  ausgeschriebene  3o/0  Steuer  war  eine 

1  Gaupp  I,  102. 

2  Gaupp  I,  104. 


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-   29  - 


ausserordentliche.  Der  Ertrag  der  gewöhnlichen  Sleuern  ge- 
nügte aber  nicht,  daher  musste  der  König  zu  neuen  greifen. 
Der  Grund,  der  ihn  zur  Einführung  dieser  Extrasteuer  be- 
stimmte, war,  da  sich  die  Einfuhrung  der  Hofsteuer  für  die 
königlichen  Städte  nachweisen »  lässt,  jedenfalls  auch  für  die 
Kolmarer  Steuer  der  Wunsch,  die  Mittel  für  den  Hoftag  in 
Nürnberg  (1274)  zu  gewinnen.  Darnach  hatte  also  Rudolf, 
da  das  Reichskirchengut,  Bistümer  und  Abteien,  besonders  an 
der  Aufbringung  der  Kosten  für  Hofhaltung  und  Heerdienst  be- 
teiligt war,  von  bischöflichen  und  königlichen  Städten  Hof-  und 
Heersteuern  d.  h.  ausserordentliche  direkte  Leistungen  gefor- 
dert. —  Die  bekannteste  Steuer,  die  der  König  auch  von  den 
königlichen  Städten  des  Elsasses  forderte,  ist  der  dreissigste 
Pfennig,  über  den  die  grossen  Kolmarer  Annalen  am  genau- 
esten berichten.  Diese  Steuer  ist  ebenfalls  eine  Vermögenssteuer, 
welche  die  einzelne  Steuerkraft  nutzbar  machen  sollte.  Die  Er- 
hebung derselben  stiess  auf  entschiedenen  Widerstand,  beson- 
ders bei  den  reichen  und  einflussreichen  Bürgern,  deren  Ka- 
pital am  meisten  belastet  wurde.  Von  der  Steuer  des  Jahres 
1274  heisst  es,  sie  habe  dem  armen  Volke  behagt.  Natürlich, 
denn  die  Steuer  konnte  damals  ebenso  wenig  wie  die  vom 
Jahre  1284  von  den  Reichen  auf  die  Armen  abgewälzt  werden, 
weil  jedermann  nach  seinem  Vermögen  zahlen  sollte.  Und 
dieses  konnte  jetzt  bei  Erhebung  des  30.  Pfennigs  um  so 
sicherer  getroffen  werden,  weil  die  eidliche  Selbsteinschätzung * 
in  Anwendung  kam.  Aber  nicht  bloss  die  Aussicht,  nun  nach 
dem  wirklichen  Vermögen  steuern  zu  müssen,  erregte  die  Kol- 
marer Bürgerschaft,  sondern  auch  der  Eingriff  in  die  Stadtver- 
waltung, welcher  in  der  Durchbrechung  des  städtischen  Rech- 
tes der  Gesamtbesteuerung  lag.  —  So  kam  es  denn  im  Mai 
1285  zu  offener  Feindseligkeit,«  nachdem  schon  Ende  des  vor- 
hergehenden Jahres  die  Bürger  die  Bezahlung  der  Steuer  ver- 
weigert hatten.  Im  Mai  1285  standen  auch  andere  deutsche 
Städte,  vor  allem  Hagenau,  dessen  Bürger  den  Landvogt  ver- 
jagten, gegen  den  König  in  Waffen.  Diese  Unruhen  sind  offen- 


>  Ficker,  S.  B.  d.  W.  Ak.  77. 
*  Kopp,  Eidg.  B.  I,  745. 
3  M.  G.  Scr.  XVII,  p.  212. 


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-   30  — 


bar  die  Folge  jener  Steuerforderung,  und  die  Missstimmung 
darüber  wurde  dann  von  dem  falschen  Friedrich,  dem  Betröger 
Tilc  Kolup,  geschickt  ausgenutzt.  Bei  dem  entschiedenen  Wider- 
stande der  Kolmarer  —  der  Schultheiss  Walter  Rösselmann, 
den  Rudolf  eingesetzt  hatte,  liess  die  Thore  schliessen  —  kam 
es  zur  Belagerung  der  Stadt  durch  Rudolf.  Dieselbe  endigte  mit 
einem  Vertrage,  wonach  die  Stadt  sich  2200  M.  auflegte.  «Die 
Kolmarer  legten  sich  die  Steuer  auf»  (super  se  posuerunt),  so 
heisst  es  in  den  Annalen.  Nach  diesem  Ausdruck  zu  urteilen, 
hätten  die  Kolmarer  den  Angriff  auf  das  städtische  Recht  der 
Gesamtbesteuerung  abgeschlagen,  so  dass  Rudolf  genötigt  war, 
die  Selbständigkeit  der  städtischen  Finanzverwaltung  anzuer- 
kennen.! Da  nun  £200,  selbst  4000  M.,  wie  Ellenhard  angiebt, 
nicht  der  Ertrag  des  30.  Pfennigs  zu  sein  scheint,  so  wäre 
Rudolf  auch  nicht  in  den  Besitz  der  von  ihm  gewünschten 
Summe  gelangt.  Die  Zahlung  von  30000  Pf.,  welche  die  An- 
nalen für  das  Jahr  1284  melden,  wird  wohl  auf  eine  Anleihe 
zu  beziehen  sein.  Die  letzte  grosse  Städtesleuer  Rudolfs  war  die 
vom  Jahre  1290,  wo  sich  Vertreter  der  Städte  zur  Beratung 
und  Bewilligung  in  Nürnberg  versammelten.  Kolmar  gab  nach 
den  Annalen  500  M.  Jetzt  wird  von  keinen  Unruhen  in  den 
Städten  berichtet.  Es  entstanden  offenbar  jetzt  solche  nicht, 
weil  von  den  Städten  nur  Gesamtleistungen  mit  Wahrung  ihres 
Bewilligungsrechtes  gefordert  wurden.  Die  Steuern,  die  Rudolf 
demnach  von  den  Städten  verlangte,  waren  die  alten  jährlichen 
Prekaria  in  den  königlichen  Städten,  ausserordentliche  Leis- 
tungen auch  der  Reichs-  und  Freistädte  für  Reichszwecke,  d.  h. 
für  Hof  tage  und  Heersteuern  zum  Römerzug.  Dazu  kamen  noch 
sogenannte  Land  frieden  ssteuern,  die  mit  dem  Hinweis  auf  die 
salus  publica  begründet  wurden.  Feste  Jahressteuern  in  den 
alten  grossen  Bischofsstädten,  hier  also  in  Strassburg,  sind  nicht 
zu  erkennen.  Ihre  eigentümliche  Stellung  zwischen  Bischof  und 
König  mag  bewirkt  haben,  dass  sie  in  der  Regel  nach  keiner 
Seite  hin  so  fest  gebunden  waren  wie  die  königlichen  Städte. 
Ihre  Steuerkraft  wurde  nur  für  besondere  Leistungen  an  das 
Reich,  für  die  Romfahrt  und  den  Reichskrieg  wider  die  Feinde 
des  Christentums,  in  Anspruch  genommen.  Das  sind  die  Grund- 


1  Zeumer,  Städtesteuern. 


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-   31  - 


züge  der  Rudolfinischen  auch  auf  das  Elsass  bezüglichen  Steuer- 
politik. Sie  beweist  uns,  wie  energisch  sein  Bemühen  war, 
durch  Aüsnützung  seines  landesherrlichen  Besteuerungsrechtes 
sich  die  Geldkräfte  der  auf  elsassischem  Reichsgut  stehenden 
Städte  nutzbar  zu  machen.  Und  dazu  hatte  er  als  König  nicht 
bloss  das  Recht,  sondern  auch  die  Pflicht,  weil  er  die  immer 
grösser  werdende  Schmälerung  der  Reichseinkünfte  nach  Mög- 
lichkeit verhindern  musste.  Es  war  bereits  erwähnt,  dass  er 
den  teil  weisen  Ertrag  der  Steuern  auch  für  Landfriedens- 
zwecke verwendet  und  seinen  obersten  Verwaltungsbeamten 
mit  der  Ausführung  der  Landfriedensgesetzgebung  betraut  hat. 
Den  Frieden  dem  Reiche  zu  bringen,  den  er  als  Graf  früher 
selbst  in  arger  Weise  gestört  hatte,  war  ja  mit  ein  Hauptziel 
seiner  königlichen  Politik.  Als  König  war  er  zum  Schutz  des 
Reiches  gegen  innere  Empörung  und  äussere  Angriffe  verpflich- 
tet. Auch  im  Elsass  tritt  uns  Rudolf  als  Schirmherr  des  Friedens 
entgegen. 

B.  Die  Sicherung  des  Landfriedens. 

In  mehrerer  Hinsicht  knüpft  die  Thätigkeit  Rudolfs  an  die 
von  den  Staufern  geschaffenen  Einrichtungen  an,  so  auch  in 
den  Landfriedensbestrebungen.  Das  bekannteste  Landfriedens- 
gesetz ist  das  von  Friedrich  II.  in  Mainz  1235  erlassene.  Die 
unter  König  Rudolf  auf  das  ganze  Reich  sich  erstreckenden 
Friedensgesetze  sind  Erneuerungen  jenes  grossen  Mainzer  Ge- 
setzes und  enthalten  Bestimmungen  über  Selbsthilfe,  Pfändung, 
Geleit,  Zölle,  Münzwesen,  Hehlerei,  Schutz  der  Kirche  u.  s.  w. 
Das  eine  Gesetz1  wurde  auf  dem  Würzburger  Reichstage  am 
24.  März  1287,  das  andere«  auf  dem  Reichstage  zu  Speier  am 
8.  April  1291  erlassen.  Zur  Durchführung  des  Landfriedens  gab 
es  besondere  Landfriedensgerichte,  die  in  der  Regel  aus  einem 
Landfriedenshauptmann  und  11  oder  12  Landfriedenspflegern 
zusammen  gesetzt  waren  und  in  Landfriedenssachen  auch  rich- 
terliche Funktionen  ausübten,  aber  namentlich  die  Exekution 
gegen  die  Friedensbrecher  in  Ausführung  brachten.  Ein  solches 
Friedensgericht  bestand  unter  Rudolf  auch  im  Elsass,  wie  eine 


1  M.  G.  LL.  II,  S.  448 

2  M.  G.  LL.  II,  S.  456. 


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32  — 


Notiz  bei  Schöpflin  >  angiebt :  Anno  1289  Otto  advocatus  provin- 
cialis  cum  undecim  assessoribus  de  causa  violatae  pacis  pub- 
licae  cognovit.  Die  erste  zur  Sicherung  des  Landfriedens  getrof- 
fene Massregel  fallt  in  das  Jahr  1278,  wo  in  Hagenau  am  24. 
Juni  eine  Landfriedensvereinigung  zustande  kam,  an  der  auch 
die  Städte8  Strassburg,  Basel,  Kolmar,  Schlettstadt,  Hagenau 
und  Weissenburg  teilnahmen.  Man  gelobte  sich  dort  besonders 
Sicherung  gegen  ungebührlich  auf  dem  Rheinstrom  erhobene 
Zölle,  Sicherheit  der  Fahrt  auf  dem  Rheine  und  eine  gemein- 
same Beisleuer  zur  Aufrechterhaltung  des  Friedens.   Zu  dieser 
Einigung  hat  Rudolf  mitgewirkt  ;  denn  der  Graf  Friedrich  von 
Leiningen,  der  von  Rudolf  gesetzte  Landrichter,  bat  im  August 
1277  die  Stadt  Strassburg,   ihre  Boten   mit  Vollmacht  nach 
Mainz  zu  den  Landfriedensverhandlungen  zu  senden.*  Ein  or- 
dentliches Landfliedensgesetz*  für  die   rheinischen  Gegenden 
wurde  im  Jahre  1281   erlassen,    welches  auch  für  das  Elsass 
Geltung  gehabt  zu  haben  scheint.    Denn  im  selben  Jahre  liess 
Rudolf  den  Landfrieden  in  Konstanz,  SchalFhausen,  Strassburg 
u.  s.  w.  beschwören. 5  Und  vom  Jahre  1288  berichten  die  Kol- 
marer  Annalen,  dass  am  1.  April  der  König  Rudolf,  die  Ad- 
ligen und  Vertreter  der  Strassburger  Bürgerschaft  einen  Land- 
frieden beschworen. ß    Der  König  sorgte  bei  Friedensstörungen 
aber  auch  für  eine  kräftige  Exekution,  bei  welcher,  wie  schon 
oben  erwähnt,  der  Landvogt  beteiligt  sein  konnte.    Von  einem 
allgemeinen  Aufgebot  gegen  einen  Landfriedensbrecher  berichtet 
die  Kolmarer  Chronik.'    Heinrich  von  Rappoltstein  hatte  sich 
vor  Rudolf  beklagt,   dass  sein  Bruder  Anselm  ihm  und  den 
beiden  Söhnen  seines  verstorbenen  Bruders  Ulrich   das  väter- 
liche Erbe  vorenthalte.    Auf  eine  vom  König   an  Anselm  er- 
gangene Aufforderung  zur  Herausgabe  des  Erbteils  weigerte  sich 
dieser.  Da  erging  vom  König  ein  Aufgebot  gegen  den  trotzigen 
Rappoltsteiner,  und   Hartmann   von  Baldeck  wurde  mit  der 


1  Als.  III.  II,  p.  561. 

2  Strassb.  ürk.  ß.  II,  Nr.  68. 
»  Strassb.  Urk.  B.  II,  Nr.  58. 

*  M.  Cr.  LL.  H,  436. 

*  Chronik,  deutsch.  Städte  VIII,  S.  44. 

6  M.  G.  Scr.  XVII,  p.  215. 

7  M.  G.  Scr.  XTO,  p.  255. 


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33  - 


Exekution  betraut.  Da  dieser  keinen  Erfolg  bei  der  Belagerung 
hatte,  kam  Rudolf  selbst  und  schloss  Rappoltstein  ein.  Aber 
ein  Anschlag  gegen  sein  Leben  bewog  ihn,  die  Belagerung 
aufzugeben  und  abzuziehen.  Vorher  traf  er  Anordnungen  für 
eine  energische  Blockade  und  beauftragte  den  Landvogt,  für  die 
Durchführung  derselben  in  Gemar  eine  Burg  aufzuführen. 
Diese  bald  vollendete  Burg  erhielt  dann  eine  Besatzung.  —  So 
sehen  wir  Rudolf  bemüht,  seinen  schiedsrichterlichen  Ent- 
scheidungen zur  Verhütung  gewaltsamer  Landfriedensbrüche 
gehörigen  Nachdruck  zu  verleihen.  —  Einen  anderen  Fall  vom 
Jahre  1289  melden  die  Kolmarer  Annalen.4  Die  Herren  von 
Girsberg  hatten  Siegfrid  von  Gundolzheim  hinterlistig  ermordet 
und  wurden  deshalb  von  Rudolf  geächtet.  Ihre  Burg  wurde 
vom  Landvogt  belagert,  und  die  Herren  von  Girsberg  mussten 
sich  im  Februar  des  folgenden  Jahres  dem  Belagerer  auf 
Gnade  und  Ungnade  ergeben.  Die  Burg  wurde  dann  1291  gänz- 
lich zerstört  und  deren  Herren  bis  dahin  in  strenger  Haft  ge- 
halten. 

So  erweist  sich  hier  Rudolf  als  thalkräftiger  Landfriedens- 
schützer. In  seinen  Eigenbesitzungen  trat  er  uns  mit  seiner 
Einrichtung  der  Burglehen  als  militärischer  Organisator  ent- 
gegen. Auch  für  das  Reich  hat  Rudolf  durch  seine  Reichsburg- 
lehenvergebung  in  gleicher  Richtung  gearbeitet.  Auf  diesem  Ge- 
biete sehen  wir  ihn  wieder  in  die  Fussstapfen  der  Staufer  treten, 
die  an  der  im  Elsass  durchgeführten  Reichsburgenverfassung  mit 
eine  der  Grundlagen  ihrer  Machtgehabt  hatten.  In  Erkenntnis  dessen 
hat  auch  Rudolf  eine  Regenerierung  dieser  erschütterten  Ver- 
fassung angestrebt :  denn  uns  ist  eine  Reichsburglehenvergebung 
an  Härtung  von  Wangen  aus  dem  Jahre  1280  bekannt.  Diese 
betrifft  Ehenheim.*  Die  Zahl  dieser  Vergabungen  wird  aber 
jedenfalls  eine  grössere  gewesen  sein,  da  nur  wenige  solcher 
im  ganzen  schlecht  aufbewahrten  Burglehensverträge  uns  er- 
halten sind.  Das  Wenige,  was  uns  überliefert  ist,  beweist 
jedenfalls,  dass  Rudolf  die  Burglehensvertassung  im  Elsass 
durchzuführen  versucht  hat,  um  mit  ihrer  Hülfe  den  elsässischen 
kleineren  Adel  an  sich   zu  fesseln  und  so  eine  Stütze  seiner 


1  M.  G.  Scr.  XVII,  216. 

2  Als.  dipl.  H,  19. 

3 


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—    34  - 

Herrschaft  zu  sichern.  Mag  auch  sein  Streben  von  keinem  Er- 
folg begleitet  gewesen  sein,  weil  bald  nach  ihm  die  Reichsburg- 
lehen dahin  gegeben  wurden ;  er  hat  doch  daran  gearbeitet, 
den  Verfall  der  glänzenden  staufischen  Burgenschöpfung  aufzu- 
halten. 

2.  Der  König  als  Re  ich soberhaupt  im  Verhältnis 
zu  den  Städten  und  Territorien. 

Die  Betrachtung  des  Verhältnisses  Rudolfs  zu  dem  Reichsgut 
und  seiner  Bestrebungen  für  die  Sicherung  des  Landfriedens 
zeigten  uns  den  König  in  Ausübung  seiner  Gewalt,  welche  ihm 
als  Reichsgrundherrn  und  Schirmherrn  des  Friedens  zustand. 
Neben  dem  Reichsgut,  welches  der  landvogteilichen  Verwaltung 
unterworfen  wurde,  gab  es  aber  auf  dem  Grunde  des  elsässi- 
schen  Reichsgutes  selbst  und  ausserhalb  dieses  Gewalten,  wel- 
che sich  der  Reichsgewalt  immer  mehr  zu  entziehen  bestrebt 
waren  oder  dieses  Ziel  fast  ganz  erreicht  hatten.  Das  sind  die 
Städte  und  vornehmlich  die  Freistadt  und  das  Bistum  Strass- 
burg.  Wie  stark  die-  Städte  zu  Rudolfs  Zeit  bereits  waren, 
welche  Selbständigkeit  der  Verwaltung  sie  schon  erlangt  hat- 
ten, musste  Rudolf  bei  der  von  ihm  geplanten  Durchführung 
der  Besteuerung  erfahren.  Die  Kolmarer  Bürgerschaft  hatte  den 
Eingriff  des  Königs  in  die  Verwaltung  ihrer  Stadt  energisch 
zurückgewiesen.  In  den  anderen  bedeutenderen  städtischen  Ge- 
meinwesen des  damaligen  Elsasses  stand  es  für  den  König  nicht 
besser,  der  wohl  de  iure  noch  als  Herr  der  Städte  erschien, 
de  facto  es  aber  nicht  mehr  war.  Die  denselben  früher  erteil- 
ten Privilegien  musste  er  ebenfalls  anerkennen  oder  gar  noch 
neue  dazu  verleihen,  so  z.  B.  das  mandatum  de  immunitate 
civitatum  imperialium,  worin  es  heisst,  ut  nullus  extra  huius- 
modi  civitates  super  quacunque  causa  in  iudicium  evocetur. 

In  welchen  Beziehungen  stand  nun  Rudolf  zunächst  zu  den 
Städten  ? 

A.  Der  König  und  die  Reichsstädte. 

Reichsstädte  sind  solche,  welche  zum  Reichsgut  gehören  und 
von  königlichen  Beamten  verwaltet  werden.  Zu  den  Reichs- 
städten wird  gewöhnlich  auch  Strassburg  gerechnet ;  doch  sei 
dieses  hier  vorläufig  ausgeschieden,  da  es  eine  Ausnahmestel- 


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-   35  — 


lung  einnimmt  und  daher  eine  besondere  Betrachtung  verdient. 
Als  Reichsstädte  gelten  im  Elsass  zu  Rudolfs  Zeit  oder  bald 
nach  ihm  Oberehnheim,  Rosheim,  Schlettstadt,  Kaisersberg, 
Mülhausen,  Munster,  Kolmar,  Hagenau,  Türkheim  und  Weis- 
senburg.  Zu  mehreren  von  diesen  ist  Rudolf  in  ein  näheres 
Verhältnis  getreten.  % 

Oberehnheim. 

Die  Geschichte  dieses  Ortes,  der  um  1240  zur  Stadt  wurde, 
ist  verflochten  in  die  Schicksale  der  Reichsabtei  Hohenburg, 
über  welche  die  Habsburger  die  Schirmvogtei  hatten.  Der 
Aebtissin  dieses  Klosters,  das  in  Oberehnheim  und  Umgegend 
begütert  war,  schickte  König  Rudolf  am  25.  Dezember  4273, 
wo  er  in  Hagenau  weilte,  den  Investiturbrief,»  durch  welchen 
er  ihr  die  Regalien  ihres  Prinzipats  verlieh.  Und  im  Jahre  4276 
entschied  Kuno  von  Bergheim  an  Stelle  des  Königs,  dessen  Ur- 
teil die  Aebtissin  angerufen  hatte,  in  Oberehnheim  zu  Gunsten  des 
Klosters,  dass  nämlich  die  Höfe  desselben  in  Rosheim,  Bläs- 
heim, Ingmarsheim,  Niederehnheim  und  Sundhausen  von  der 
Herbergsverpflichtun^  und  Herbergsteuer,  dass  ferner  die  Leute 
dieser  Höfe  von  Leistungen  und  Forderungen  aller  Art  frei  sein 
sollen.8  Im  Jahre  4283  war  der  König  selbst  in  Oberehnheim 
und  sass  einer  Gerichtssitzung  vor,  in  welcher  er  die  ledig  ge- 
wordene Herrschaft  Bar  an  Heinrich  von  Fürstenberg  verlieh.* 
Ausser  den  schon  früher  erwähnten  Verpfändungen  eines  Teiles 
der  Steuern  an  die  Herren  von  Zorn  (4276)  und  des  Dorfes 
Bernhardsweiler  an  Walther  von  Girbaden  (4275),  sowie  der 
Burglehensvergabung  (4280),  ist  noch  seine  Mitwirkung  bei  der 
Schlichtung  des  Streites  zwischen  der  Bürgerschaft  einer-,  den 
Herren  der  Schlösser  Kagenfels  und  Birkenfels  andererseits  zu 
erwähnen.  Diese  beiden  Burgen  waren  wohl  nach  dem  Kriege 
Walthers  von  Geroldseck  4262  von  bischöflich-strassburgischen 
Ministerialen  im  Ehenheimer  Walde  angelegt  worden.  Beide 
Schlösser  wurden  mit  Zustimmung  Rudolfs  von  der  Bürger- 
schaft, ersteres  4285  an  Albrecht  von  Kagen,  letzteres  4289 
mit  Willen  der  Bürger  an  den  Ritter  Burkart  Beyer  verlehnt.* 


i  Als.  dipl.  II,  3. 

«  Gyss,  Histoire  d'Obernay,  S.  100  u.  101. 

3  Als.  dipl.  nr.  732. 

4  Als.  dipl.  nr.  747. 


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-    36  - 


Scblettstadt. 

Diese  Stadt  mit  nächster  Umgebung  ist  uraltes  Königsgut. 
Auch  die  Hohenstaufen  hatten  schon  in  früher  Zeit  Privatbe- 
sitzungen im  Schlettstadter  Bann.  Diese  dienten  meist  zur 
Dotierung  von  Stiftern,  namentlich  des  St.  Fidesklosters,  dessen 
Propst  sich  allmählich  die  Gerichtsbarkeit  über  ganz  Schlettstadt 
angeeignet  zu  haben  scheint.  Durch  die  Hohenstaufen  wurde  die 
Macht  des  Propstes  eingeschränkt.  Friedrich  IL,  dem  Schlettstadt 
die  Erhebung  zur  civitas  zu  danken  hatte,  überliess  dem  Propste 
alles  Privateigentum,  sicherte  sich  aber  mehrere  Einkünfte,  den 
.  Vorsitz  und  die  Einnahmen  des  Gerichtes,  sowie  das  Recht  der 
Aechtung.  Sodann  erlangte  er  von  dem  Propste  das  Zugeständnis, 
mit  diesem  gemeinsam  den  Schultheissen  und  Zöllner  zu  er- 
nennen. König  Rudolf  verdrängte  1281  den  Abt  ganz  aus 
seinen  Rechten  über  die  Stadt,  die  sich  zu  immer  grösserer 
Unabhängigkeit  entwickelte,  so  dass  sie  bereits  1291  im  Kriege 
zwischen  Adolf  von  Nassau  und  Albrecht  von  Habsburg  mit 
anderen  elsässischen  Städten  Frieden  schliessen  konnte. 

Kaisersberg. 

Diese  Stadt  hat  sich  aus  einer  Burg  entwickelt,  die  der 
Hagenauer  Schultheiss  Wölflin  1227  als  ein  Bollwerk  gegen 
den  Herzog  von  Lothringen  zum  Schutze  der  damals  noch  wenig 
bedeutenden  Orte  Münster  und  Türkheim  anlegte.  Die  Burg, 
welche  Friedrich  IL  in  dem  Kriege  gegen  Bischof  Heinrich 
von  Stahleck  gute  Diensle  geleistet  hatte,  kam  später  in  die 
Hand  Walthers  von  Geroldseck.  Als  dieser  dann  mit  Strass- 
burg  in  Kampf  geriet,  eroberte  im  Dienste  dieser  Stadt  der 
Graf  Rudolf  Kaisersberg  und  gab  sie  dem  Reiche  zurück.  Die 
militärische  Bedeutung  des  Ortes  erkennend,  richtete  dann  der 
König  Rudolf  dort  die  Burgverfassung  ein.  Er  nahm  zur 
Sicherung  derselben  1280  die  Brüder  Ulrich,  Hermann  und 
Anselm  von  Rappoltstein,  zu  Reichsburgmannen  an  und  ver-  . 
sprach  ihnen  200  M.  Silbers,  für  die  sie  nach  geschehener  An- 
weisung Güter  als  Burglehen  in  Kaisersberg  kaufen  sollen.1 
Kaisersberg  muss  sich  zu  Rudolfs  Zeit  rasch  entwickelt  haben  ; 
denn  schon  1293  erhielt  dieser  Ort  durch  Adolf  von  Nassau» 
Kolmarer  Stadtrecht. 


I  Kapp.  ürk.  B.  139. 
*  Als.  dipl.  II,  59. 


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—    37  — 


Mülhausen. 

Nach  Beendigung  des  Streites  zwischen  dem  Strassburger 
Bistum  und  Kaiser  Friedrich  war  4236  diesem  der  Ort  über- 
lassen worden.  Nach  dem  Untergange  der  Staufer  benutzte 
ihr  Gegner,  Bischof  Heinrich  von  Stahleck,  die  unruhigen 
Zeiten  des  Interregnums,  den  Ort  wieder  in  seine  Gewalt  zu 
bringen.  Aber  unter  seinem  Nachfolger  Walther  befreiten  sich 
die  Einwohner  von  der  Herrschaft  des  Bistums  und  begaben 
sich  unter  den  Schutz  des  Grafen  Rudolf  von  Habsburg,  der 
es  als  König  während  seiner  Regierung  behalten  zu  haben 
scheint.  Am  5.  August  42751  gestand  Rudolf  der  Stadt  Lebens- 
fähigkeit und  ausschliesslichen  Gerichtsstand  in  der  Stadt  zu. 
Im  Jahre  4290  befreite  *  er  die  Bürger  der  Stadt  von  einer 
Schuld  an  einen  Neuenburger  Juden.  Bald  nach  Rudolfs  Tode 
erhielt  dann  die  Stadt  durch  Adolf  ein  Stadlrecht,  für  das 
Kolmarer  Stadtrecht  benutzt  wurde. 

Kolmar. 

Sein  Stadtrecht  erhielt  dieser  Ort  ebenfalls  durch  Adolf  von 
Nassau.  Dasselbe  stützt  sich  aber  durchaus  auf  einen  der  Stadt 
Kolmar  schon  1278  durch  Rudolf  ausgestellten  Freiheitsbrief,  * 
mit  welchem  jenes  hfc  auf  wenige  Abweichungen  übereinstimmt. 
Diesen  Brief  gab  der  König  Rudolf  den  Kolmarer  Bürgern  als 
eine  Handfeste  über  ihre  gesamten  von  ihm  bestätigten  Rechte, 
wahrscheinlich  auf  Vorstellung  des  Schultheissen  Sigfrid  von 
Gundolzheim  ;  denn  in  den  Kolmarer  Annalen  wird  berichtet 
(unter  dem  Jahre  4279),  dass  dieser  in  Wien,  wo  die  Hand- 
feste auch  ausgestellt  wurde,  gewesen  und  von  dort  zurückge- 
kehrt sei,  Glück  und  Heil  (prospera  cum  fortuna)  berichtend. 
Der  Inhalt  der  Handfeste  erstreckt  sich  auf  fast  alle  Rechtsge- 
biete. Als  städtische  Obrigkeiten  werden  nur  erwähnt  der  Schult- 
heiss,  der  jedenfalls  mit  dem  an  mehreren  Stellen  genannten 
Richter  identisch  ist,  und  der  Rat.  Das  Besetzungsrecht  für 
die  Schultheissen- Stelle  hat  der  König  (bezw.  der  Landvogt), 
doch  muss  der  Schultheiss  ein  am  Ort  angesessener  Bürger 
sein.    Alle  Abmachungen,  die  vor  Schultheiss  und  Rat  ge- 


1  Mossmann,  Cartulaire  de  Mulhouso  Nr.  107. 

2  Ebenda  Nr.  118. 

3  Abgedruckt  bei  Gfrörer,  Entstehung  der  Reichsstädte. 


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—   38  - 

schlössen  sind,  sollen  rechtskräftig  sein.  Die  Bürger  haben 
ausschliesslichen  Gerichtsstand  in  Kolmar;  sie  erhalten  das 
Recht,  zum  Nutzen  der  Stadt  Satzungen  zu  geben.  Es  wird 
ihnen  des  Königs  Schutz  durch  das  ganze  Reich  zugesichert. 
Die  edlen  Leute,  die  nach  edler  Leute  Art  dienen,  sind  frei 
von  der  Steuer.  Ferner  erhalten  die  Bürger  die  Lehnsfahigkeit. 
—  Diese  wichtigsten  Bestimmungen  der  Handfeste  zeigen,  dass, 
obwohl  der  König  rechtlich  noch  Herr  der  Stadt  war,  doch 
thatsächlich  die  Verwaltung  und  auch  die  Rechtsprechung  in 
den  Händen  der  Bürgerschaft  lag.  Der  Schultheiss  soll  richten, 
heisst  es  in  §  1,  nach  der  Bürger  Urteil.  Damit  war  auf  jeden 
Fall  wenigstens  die  Mitwirkung  der  Bürgerschaft  an  der  Recht- 
sprechung gesichert.  Zudem  war  der  Schultheiss  doch  völlig 
von  der  Bürgerschaft  abhängig,  ja  er  vertrat  sogar  die  Inter- 
essen derselben  gegen  seinen  Herrn,  den  König.  Das  beweist 
doch  auf  das  eklatanteste  das  Auftreten  des  von  Rudolf  gesetzten 
Schultheissen  Walther  Rösselmann,  der  vor  dem  König  die 
Thore  schliessen  Hess.  Und  welche  Macht  der  Stadt  verrät  es, 
wenn  der  nach  der  Absetzung  Rösselmanns  vom  König  einge- 
setzte Stammheim  wegen  der  über  diesen  entstehenden  Erreg- 
ung die  Stadt  verlassen  muss.  Wer  unter  diesen  Verhältnissen 
der  faktische  Herrscher  in  der  Stadt  war,  ist  klar.  —  Das 
Amt  der  Urteilsfinder  war  jedenfalls  mit  dem  der  Ratsherren 
oder  einiger  von  ihnen  verbunden.  Von  Schöffen  wird  in  dem 
Freiheitsbriefe  noch  nichts  berichtet,  wohl  aber  in  einer  Ur- 
kunde *  vom  29.  Juli  1286,  in  welcher  Schultheiss,  Rat,  Scheffel 
und  Meisterleute  den  König  um  Bestätigung  einer  von  ihnen 
angefertigten  Satzung  bitten. 

Im  Jahre  1281  stellte  König  Rudolf  das  Kapitel  des  St.  Martin- 
Münsters  in  Kolmar  unter  seinen  besonderen  Schutz»  und  er- 
teilte ihm  dieselben  Ehren  und  Vorteile  wie  den  Bürgern  von 
Kolmar.  1288  beschenkte  er  das  Kolmarer  Hospital»  mit  den 
Rechten  des  Strassburger  Spitals.  Endlich  gestattete  er  1291 
den  Bürgern  die  Verteilung  des  zur  Stadt  gehörigen  Rieds 
unter  sich. 


1  Abgedruckt  bei  Ofrörer. 

2  Gengier,  Cod.  mun.  s.  Colmar  1281. 

3  Als.  dipl.  II,  39. 


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-   39  — 


Hagenau. 

Nächst  dem  Kolmarer  hatte  das  Hagenauer  Stadtrecht  grosses 
Ansehen.  Dasselbe  gründete  sich  auf  die  der  Stadt  von  Fried- 
rich II.,  Wilhelm  von  Holland  und  Richard  verliehenen  Pri- 
vilegien. Die  Leitung  der  Stadt  ruhte  auch  hier  in  den  Händen 
des  Rates,  an  dessen  Spitze  ein  vom  König  zu  bestellender 
Schultheiss  stand.  Wilhelm  von  Holland  hatte  der  Bürgerschaft 
neben  der  Lehnsfähigkeit  auch  rechtlichen  Anspruch  auf  eidliche 
Verpflichtung  des  Schultheissen  zur  Anerkennung  der  ver- 
liehenen Privilegien  —  sonst  brauchte  ihn  die  Stadt  nicht  auf- 
zunehmen —  zugesichert,  und  Richard  bestimmte,  dass  der 
Schultheiss  die  Entscheidungen  der  Ratsmitglieder  auszuführen 
habe.  Auch  gestand  er  den  Bürgern  das  Recht  der  Teilnahme 
an  der  Rechtsprechung  wie  den  Ministerialen  und  Burgmännern 
zu.  Darnach  scheint  also  der  Rat  entstanden  zu  sein  aus  der 
Vereinigung  von  Bürgern  und  Burgmannen,  welche  dann  ge- 
meinsam die  Verwaltung  der  Stadt  handhabten.  Die  erstarkende 
Bürgerschaft  hat  offenbar  die  Burgmannen  und  den  Burggrafen, 
die  früher  Verwaltung,  Gericht  und  Militärgewalt  in  der  Hand 
hatten,  mehr  und  mehr  zurückgedrängt  und  sich  neben  diesen 
eine  einflussreiche  Stellung  erobert.  Das  Burggericht,  welches 
auch  später  noch  für  die  Adligen  weiter  bestand,  nachdem  sich 
der  Rat  von  dem  Schultheissen  ganz  frei  gemacht  hatte,  wurde 
in  den  Hintergrund  zurückgedrängt,  wie  überhaupt  die  Burg 
gegenüber  der  sich  mächtig  entwickelnden  Stadt  zurücktrat.  Der 
König  Rudolf  bestätigte  am  2.  Mai  1274  den  Hagenauern  den 
Freiheitsbrief  vom  Jahre  1164  ;  am  9.  Dezember  1275  unter- 
zeichnete er  in  Hagenau  eine  Urkunde  für  Gengenbach,  am  19. 
Dezember  stellte  er  einen  Lehensbrief  für  Gugenheim  aus,*  und 
am  22.  Dezember  wurde  in  Anwesenheit  des  Königs  anerkannt, 
dass  die  Hagenauer  sich  aller  der  von  Kaiser  Friedrich  II.  ver- 
liehenen Freiheiten  und  Rechte  an  Leib  und  Gut,  in  der  Graf- 
schaft (nämlich  der  Burggrafschaft)  und  ausserhalb,  d.  h.  soweit 
sich  die  Gerichtsbarkeit  der  Stadt  und  der  Burg  erstreckte,  er- 
freuen sollten.8  Sein  Einfluss  auf  die  Verwaltung  der  Stadt 
kann  daher  nur  gering  gewesen  sein  :  Er  ernannte  bezw.  der 


1  Batt,  Das  Eigentum  zu  Hagenau  im  ElsasB  I,  S.  215. 
*  Als.  dipl.  II,  11. 


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—   40  — 


Landvogl  den  Schultheissen,  den  die  Bürgerschaft  unter  den 
obengenannten  Bedingungen  annahm,  und  hatte  Anspruch  auf 
jahrliche  Zahlung  einer  dem  Betrage  nach  festgesetzten  Gesamt- 
leistung. Dass  er  sich  sonst  keinen  Eingriff  in  die  Autonomie 
der  Stadt  erlauben  konnte,  beweist  am  besten  der  Widerstand 
der  Stadt  vom  Jahre  1285,  wo  dieselbe  sogar  den  in  Hagenau 
weilenden  Landvogt  verjagte.  Eine  derartige  Gewaltthat  gegen 
den  höchsten  Verwaltungsbeamten  des  Königs  kennzeichnet  zur 
Genüge  die  Grösse  des  Macht-  und  Freiheitsbewusstseins  der 
Stadt.  Des  Landvogtes,  der  in  Hagenau  seinen  Sitz  hatte,  ist 
schon  gedacht  worden.  Dieser  verwaltete  von  hier  aus  das 
Reichsgut  und  besonders  das  um  Hagenau,  in  dessen  Umgebung 
ja  der  seit  Rudolfs  Zeit  sogenannte  Reichswald  und  eine  ganze 
Reihe  von  Reichsdörfern  lag. 

Im  November  1281,  wo  Rudolf  wieder  in  Hagenau  weilte, 
stellte  er  eine  Urkunde  für  das  Schletlstadter  St.  Fideskloster 
aus,  im  Dezember  1282  erklärte  er,  dass  die  Freiheiten,  die  er 
den  Städten  verleiht,  den  Kirchen  nicht  schaden  sollen,  endlich 
am  7.  Dezember  desselben  Jahres  übergab  er  seinem  Neffen 
Otto  von  Ochsenstein  die  Burg  Löwenstein  und  all  das  Lehen, 
welches  ihm  Wolfram  von  Fleckenstein  freiwillig  abgetreten 
hatte.1  Das  Hagenauer  Recht  ist  am  6.  Mai  1283  von  dem  König  der 
Stadt  Selz«  und  am  13.  Juni  1286  dem  Städtchen  Reichshofen» 
verliehen  worden.  Im  Jahre  1275  verbriefte*  Rudolf  den  Bür- 
gern der  Stadt  Breisach  eine  Reihe  von  Satzungen  vornehmlich 
strafrechtlichen  Inhalts,  daneben  die  Ratswahl,  den  freien  Weg- 
zug, die  Lehnsfähigkeit  der  Bürger,  die  Gerechtsame  des  Stapels, 
der  Zollfreiheit,  des  königlichen  Geleits  und  der  Grundruhr  am 
Rhein. 

Weissenborn 

In  nähere  Beziehungen  trat  Rudolf  auch  zu  der  Abtei  und 
Stadt  Weissenburg.  Dieser  Ort  war  seit  den  ältesten  Zeiten 
Sitz  der  reichen  mit  dem  unteren  Mundatgebiet  ausgestatteten 
Abtei,  deren  Abt  zugleich  Herr  der  Stadt  war.    Die  Schirm- 


1  Batt  I,  S.  216. 

2  Als.  dipl.  II,  26. 

3  Als.  dipl.  n,  36. 

*  Rapp.  ürk.  B.  nr.  124. 


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—   41  — 


herrlichkeit  über  die  ganze  Abtei  übten  die  staufischen  Kaiser 
aus.  Auf  diese  und  die  Bestrebungen  der  Städte  nach  Selb- 
ständigkeit —  Weissenburg  schloss  sich  14247  dem  Städtebund 
an  —  ist  wohl  die  allmähliche  Loslösung  der  Stadt  von  der 
Abtei  zurückzuführen.  Nach  vielen  Streitigkeiten  zwischen 
Stadt  und  Abt  gestattete  i  König  Rudolf  4275  ersterer  die  freie 
Wahl  ihrer  Magistrate  in  Gegenwart  des  Abtes,  der  wenigstens 
zum  Erscheinen  bei  der  Wahl  aufgefordert  werden  sollte.  Die 
schiedsrichterliche  Entscheidung  erstreckte  sich  ferner  auf  Be- 
freiung des  Klosters  von  dem  Ungeld  (das  ist  eine  Art  von 
Verbrauchs-  und  Verkehrssteuer),  auf  Erbrechtsfragen,  auf  die 
Nutzung  der  Allmende  und  die  dafür  an  den  Abt  zu  zahlenden 
Abgaben.  Dass  Rudolf  hier  als  Schiedsrichter  in  dem  Streite 
zwischen  Abtei  und  der  Stadt  erscheint,  hat  wohl  seinen  Grund 
in  den  engen  Beziehungen,  die  zwischen  den  Abteien  und  dem 
Reiche  wegen  der  früheren  Dotierung  jener  mit  Reichsgut  be- 
standen. Wenn  auch  die  Abteien  längst  im  festen  Besitze  ihres 
Gutes  waren,  so  befanden  sie  sich  doch  in  einem  gewissen 
Abhängigkeitsverhältnis  von  dem  Schutz  und  Schirm  verleihenden 
Reichsoberhaupt. 

Werfen  wir  nun  im  Ganzen  einen  Rückblick  auf  die  Stellung 
des  Königs  zu  den  Städten,  so  lässt  sich  wohl  sagen,  dass  ihre 
Beziehungen  zum  König  ziemlich  lose  waren.  Dieser  erscheint 
wohl  nach  den  Stadtrechten  noch  als  Herr  der  Stadt  und  kann 
als  solcher  bezw.  sein  Landvogt  den  Schultheissen  setzen,  der 
in  Gemeinschaft  mit  dem  Rat  und  mit  einem  besonderen 
Schöffen kol leg  Verwaltung  und  Rechtsprechung  handhabte. 
Aber  von  einer  wirklichen  Herrschaft  des  Königs  kann  nicht 
mehr  die  Rede  sein.  Das  beweist  schon  die  in  mehreren  Stadt- 
rechten sich  findende  Bestimmung,  dass  der  Schultheiss  ein 
angesessener  Bürger  sein  muss,  oder  jene  Zusicherung,  dass 
die  Bürgerschaft  den  Schultheiss  unter  gewissen  Bedingungen 
ablehnen  kann.  An  den  einmal  verliehenen  Privilegien  hielten 
die  Städte  fest  und  liessen  sie  nicht  mehr  verkürzen.  Der 
König  hatte,  was  den  Schultheissen  anbetrifft,  mehr  ein  for- 
males Bestätigungs-  denn  ein  wirkliches  Besetzungsrechf .  Jeden- 
falls kommt  man  zu  diesem  Ergebnis,  wenn  man  mehr  den 


i  Zeuss,  Traditiones  S.  330. 


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faktischen  als  den  rechtlichen  Zustand  ins  Auge  fasst.  Die 
Thatsachen  von  Kolmar  und  Hagenau  drängen  zu  dieser  Ueber- 
zeugung.  Die  Städte  fühlten  sich  eben  im  Besitze  der  Macht 
und  der  Freiheit,  und  dieser  thatsächliche  Zustand  fand  seinen 
plastischen  Ausdruck  in  der  Zuerkennung  der  Reichsstandschaft, 
die  zu  Rudolfs  Zeit  zum  Durchbruch  gelangte. 

B)  Das  Bistum  und  die  Stadt  Strassburg. 

Die  sogenannte  Dekapolis  der  10  elsässischen  Reichsstädte, 
die  sich  erst  im  14.  Jahrhundert  zu  einem  Bunde  zusammen- 
schloss,  war  nicht  vollständig  frei ;  denn  sie  stand  unter  dem 
Landvogt  als  dem  Stellvertreter  des  Königs.  Strassburg  aber  blieb 
unabhängig  von  dieser  Vogtei  und  im  Besitz  seiner  erkämpften 
Freiheit.  Diese  hatte  sie  sich  in  dem  Kampfe  gegen  den  Bischof, 
der  der  Herr  der  Stadt  gewesen  war,  errungen.  Der  Kampf 
derselben  mit  dem  Bistum  hatte  mit  Abschluss  des  Grundver- 
trages1 vom  21.  April  1263  sein  Ende  erreicht.  Die  vier  städt- 
ischen Aemter  des  Schultheissen,  der  zwei  Richter  bestellt,  des 
Burggrafen  als  eines  Vorgesetzten  einzelner  Handwerke,  des 
Zöllners  und  des  Münzmeisters  blieben  bischöfliche  Lehen.  Da 
der  Schultheiss  ein  Ministeriale  oder  ein  Bürger  sein  konnte, 
die  von  diesem  zu  setzenden  Richter  aber  Bürger  sein  mussten 
ebenso  wie  der  Zöllner  und  Münzmeister,  so  bedeuteten  diese 
Satzungen  des  Vertrages  einen  grossen  Sieg  der  Bürgerschaft. 
Dagegen  wollte  es  wenig  heissen,  dass  der  Burggraf,  dessen 
Amt  als  eines  Vorgesetzten  der  Handwerker  gegen  früher  durch- 
aus verändert  war  und  an  Bedeutung  so  sehr  verloren  hatte, 
ein  Ministeriale  sein  musste.  Der  Stadt  wurde  ferner  vom 
Bischof  freie  Verfügung  über  die  Allmende,  das  Recht,  Einungen 
und  Satzungen  zu  machen,  Anerkennung  des  städtischen  Ge- 
richtes als  eines  Oberhofes  für  Städte  und  Dörfer  des  Bistums, 
die  Verwaltung  des  Spitales  und  die  Bestätigung  der  vom 
Reiche  erlangten  Privilegien  zugestanden.  —  Den  Verfall  der 
kaiserlichen  Macht  zeigt  am  besten  die  Herabminderung  der 
Gewalt  des  Burggrafen,  der  doch  offenbar  [in  Strassburg  wie 
auch  in  andern  Orten  den  Königsbann  über  die  Altfreien,  die 
Anführung  im  Krieg,  die  Aufsicht  über  die  Festungswerke  und 


i  Gaupp  I,  S.  90. 


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-   43  - 


die  Verwaltung  der  nutzbaren  Regale  gehabt  hatte.  Alle  diese 
Rechte  aber  waren  nach  und  nach  an  den  Bischof  und  von 
diesem  an  die  Stadt  übergegangen.  Und  so  kann  man  wohl 
sagen,  dass  Strassburg  bezw.  der  Rat  der  Stadt,  an  dessen 
Spitze  wohl  schon  seit  1262  vier  Bürgermeister  standen, *  nach 
Erlangung  der  hohen  und  niederen  Gerichtsbarkeit,  des  Zoll- 
und  Münzrechtes,  des  Verfügungsrechtes  über  die  Allmende, 
des  Rechtes,  Satzungen  und  Einungen  zu  schliessen,  nicht  bloss 
eine  städtische  Obrigkeit,  sondern  eine  unabhängige  Territorial- 
gewalt mit  allen  Rechten  eines  Landesherrn  geworden  war. 
Strassburg  war  eine  freie  Reichsstadt  mit  dem  Rechte  der 
Reichsstandschaft.  So  war  die  Stellung  dieser  stolzen  Stadt 
schon,  als  Rudolf  zur  Regierung  kam.  Dieser  hat  denn  auch 
die  freie  Stellung  der  Stadt  anerkannt.  In  Hagenau  nahm  er 
am  8.  Dezember  1275 *  Strassburg  in  seinen  besonderen  Schutz 
und  bestätigte  ihr  alle  früher  bewilligten  Freiheiten  und  Privi- 
legien :  Er  verbot  alle  Auflagen  auf  das  Eigentum  und  die  Be- 
sitzungen Strassburger  Bürger  innerhalb  und  ausserhalb  der 
Stadt ;  er  bestätigte  das  schon  von  Philipp  erhaltene  Recht, 
wonach  kein  Bürger  vor  ein  ausserstädtisches  Gericht  gezogen 
werden  konnte,  und  hob  das  Grundruhrrecht  zu  Gunsten  der 
Strassburger  Kaufleute  auf.  Allerdings  teilte  Rudolf  den  Strass- 
burgern  auch  einen  Rechtsspruch  der  Fürsten  vom  22.  Februar 
1277  mit,  dass  einer,  der  sich  zu  einer  Schuldzahlung  in  be- 
stimmter Form  verpflichtet  hat  und  dieser  nicht  nachkommt, 
überall  gerichtlich  belangt  werden  kann.  Am  26.  Februar  des- 
selben Jahres  verbot  Rudolf  seinen  Amtleuten  im  Elsass,  von  den 
in  ihrem  Amtsbezirk  gelegenen  Gütern  der  Strassburger  Abgaben 
zu  erheben. >  Am  15.  März  1280  wies  der  König  die  Zöllner  zu  Frank- 
furt an,  die  Zollfreiheit  der  Strassburger  zu  beachten.*  1281  er- 
hielt das  Hospital  sein  vom  König  Konrad  III.  erlangtes  Privileg 
bestätigt .5  1284  schrieb  Rudolf  dem  Landgrafen  des  Nieder- 
elsasses, dass  er  nicht  befugt  sei,  die  Bürger  von  Strassburg 
gerichtlich  zu  belangen.    Aus  diesen  Privilegienverleihungen 


1  Wiegand,  Bell.  Waith. 

2  Strassb.  Drk.  B.  II,  nr.  47. 
8  Strassb.  Urk.  B.  H,  53. 

4  Ebenda  nr.  74. 

5  Ebenda  nr.  84  u.  Rapp.  Urk.  B,  144. 


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—   44  — 

und  Bestätigungen  geht  hervor,  dass  das  Verhältnis  zwischen 
Stadt  und  König  ein  freundliches  gewesen  ist.  Es  ist  nun  aber 
noch  die  Frage  zu  beantworten,  wozu  die  freie  Reichsstadt  dem 
Könige  als  Reichsoberhaupt  verpflichtet  war.  Völlig  sind  die 
Beziehungen  zwischen  König  und  Stadt  nicht  gelöst.  In  dem 
Privileg  vom  Jahre  1275  steht,  dass  der  König  die  Stadt  ad 
speciale  obsequium  imperii  reserviere.  Das  bezieht  sich  auf 
Geldleistungen  und  andere  Hülfe.  Eine  jährliche  Steuer  be- 
zahlte Strassburg  als  freie  Reichsstadt  dem  Könige  nicht,  wie 
es  die  Reichsstädte  thun  mussten.  Zu  grösseren  Heerfahrten 
war  sie  ebenfalls  nicht  verpflichtet.  Die  einzige  auf  ihr  ruhende 
Verpflichtung  dem  Reiche  gegenüber  erstreckte  sich  auf  Leis- 
tungen für  den  Dienst  über  Berg  bei  der  Kaiserkrönung  und 
beim  Kriege  wider  die  Ungläubigen. 

Ueber  das  Verhältnis  des  Königs  zum  Bistum  ist  nicht  viel 
zu  bemerken.  Rudolf  stand  zu  dem  Strassburger  Bischof  Konrad 
von  Lichtenberg  im  gan2en  in  freundlichen  Beziehungen.  Dieser 
hat  den  König  mehrere  Male  bei  kriegerischen  Unternehmungen 
z.  B.  1283  bei  dem  Kriege  gegen  den  Grafen  von  Mömpelgard 
oder  1289  bei  dem  Heereszuge  gegen  Besancon  1  unterstützt. 
Wichtigere  Gründe  zu  Streitigkeiten  zwischen  Krone  und  Bis- 
tum lagen  ja  eigentlich  nicht  vor,  da  sich  im  Laufe  der  Ent- 
wickelung  ein  festes  rechtliches  Verhältnis  zwischen  Reich  und 
Bistümern  auf  der  Grundlage  der  Territorialität  herausgebildet 
hatte.-  Bei  etwa  entstehenden  Zwisten  konnte  es  sich  im  all- 
gemeinen nur  um  Regelung  von  Besitzverhältnissen  und  Be- 
grenzung der  gegenseitigen  Rechte  in  Gebieten  handeln,  wo 
Reichsgut  und  königlicher  Privatbesitz  mit  bischöflichem  durch- 
einander lag.  Der  Bischof  war  bereits  zu  König  Rudolfs  Zeit 
im  Besitz  der  landesherrlichen  Rechte.  Derselbe  war  dem 
König  als  Reichsoberhaupt  nur  zu  ausserordentlichen  Leistungen 
für  den  Reichsdienst,  d.  h.  für  die  Heerfahrt  beim  Reichskrieg 
und  für  die  Romfahrt  verpflichtet.  Zur  Ausbildung  der  Hof- 
steuer, deren  Durchführung  Rudolf  gleich  zu  Anfang  seiner  Re- 
gierung zur  Abwälzung  der  Kosten  des  königlichen  Hofhaltes 
und  namentlich  des  Hoftages  auf  Bischöfe  und  ihre  Städte  an- 
gestrebt hat,  ist  es  nicht  gekommen.    Eben  weil  die  Durch- 


i  Als.  dipl.  II,  35. 


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—   45  — 


führung  dieser  Steuer  nicht  gelang,  musste  Rudolf  um  so  mehr 
die  Steuerkraft  der  königlichen  Städte  anspannen.  Der  Er- 
wähnung kaum  wert  ist  die  Meldung  der  Kolmarer  Annalen 
zum  Jahre  1283>  dass  der  König  von  den  Herren  von  Lichten- 
berg die  Vogtei  kaufte,  was  übrigens  bestehenden  Satzungen 
widersprach.  Er  hat  sie  wohl  nur  kurze  Zeit  besessen,  und 
das  hatte  keine  Bedeutung ;  denn  Schöpflin 1  bemerkt  dazu :  res 
caruit  effeclu. 

Neben  Bistum  und  Stadt  Strassburg,  den  Abteien,  dem 
Reichsgut  mit  Städten  und  Dörfern,  den  Landgrafschaften, 
gab  es  im  Elsass  noch  Grafschäften  und  Herrschaften  des  kleineren 
Adels,  die  auf  altem  Reichsgut  oder  auf  Lehengütern  des  Reiches 
und  anderer  Territorien  sich  gründeten.  Zwischen  den  Herr- 
schaften des  Ober-  und  Unterelsasses  ist  nun  der  bemerkenswerte 
Unterschied,  dass  jene  von  dem  Hause  Habsburg,  in  dessen 
Besitze  sich  ja  die  höhere  Grafengerichtsbarkeit  befand,  abhängig 
waren  und  daher  nicht  die  Reichsunmittelbarkeit  erlangt  haben, 
während  ein  grosser  Teil  der  Herren  des  Unterelsasses  allein 
vom  Reiche  abhing  und  keine  andere  Oberhoheit  anerkannte 
als  die  des  Königs,  unter  dessen  Schutz  sie  standen.  Die  mäch- 
tigen Rappollsteiner  Herren,  zu  denen  König  Rudolf  in  freund- 
lichen und  feindlichen  Beziehungen  gestanden  hat,  konnten  z. 
B.  nicht  reichsunmittelbare  Fürsten  werden,  weil  sie  Lehens- 
leute des  Baseler  Bistums  und  nicht  im  Besitze  des  Königs- 
bannes waren. 


Gar  mannigfach  hatten  sich  die  Beziehungen  rechtlicher  und 
allgemein  politischer  Natur  gestaltet,  in  denen  wir  auf  dem 
Wege  unserer  Untersuchung  den  König  Rudolf  zum  Elsass  ge- 
funden haben.  In  Rücksicht  auf  die  Besitzungen  seines  Hauses 
war  er  Landesherr  wie  der  Strassburger  Bischof  in  seinem 
Territorium  und  im  Besitze  der  landgräflichen  hohen  Gerichts- 
barkeit, welche  sich  auf  den  nicht  von  Bistümern  abhängigen 
Teil  des  Oberelsasses  erstreckte.  Als  König  war  Rudolf  Landes- 
herr des  Reichsgutes,  soweit  nicht  bereits  seine  Grund-  und 


i  Als.  ill.  II,  829. 


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Gerichtsherrlichkeit  durch  die  freiheitliche  Entwickelung  der 
Städte  zertrümmert  war,  sowie  Reichsoberhaupt  und  Schirmherr 
des  ganzen  Elsasses,  infolge  dessen  er  auch  die  Kräfte  aller  zu 
besonderen  Leistungen  im  Interesse  des  Reiches,  vornehmlich 
seiner  Sicherheit  nach  aussen  in  Anspruch  nehmen  konnte. 
Dem  Landgrafen  des  Unterelsasses  stand  der  König  als  oberster 
Lehnsherr  gegenüber,  weil  jener  die  Grafschaft  als  Reichslehen 
trug.  Eine  feste  Grundlage  für  die  Stellung  des  Königs  in- 
mitten der  grossen  zum  Teil  ganz  selbständigen  Gewalten  mit 
landesherrlichen  Rechten  bildeten  eigentlich  nur  die  habsbur- 
gischen  Besitzungen,  also  die  Hausmacht,  daher  denn  auch  Ru- 
dolf einerseits  für  Abrund ung  und  Befestigung  seiner  elsäs- 
sischen  Besitzungen,  andererseits  für  Erweiterung  seiner  Haus- 
macht thätig  gewesen  ist.  Auf  die  Reichsstädte  konnte  er  sich 
nicht  recht  verlassen,  da  diese  mehr  selbstsüchtige  städtische 
Interessenpolitik  als  gemeinnützige  Reichspolitik  trieben.  Die 
Einkünfte  aus  dem  Reichsgut,  das  teilweise  verpfändet  war,  und 
alle  feststehenden  Steuern  der  Reichsstädte  erwiesen  sich  nicht 
als  ausreichend,  so  dass  Rudolf  öfter  ausserordentliche  Leistungen 
beanspruchen,  ja  die  das  Kapital  am  meisten  treffende  Ver- 
mögenssteuern fordern  musste;  bei  einzelnen  Städten  scheint 
er  sogar  Anleihen  gemacht  zu  haben.  Ueber  diese  finanzielle 
Misere  half  weder  die  Revindikation  noch  die  Neuordnung  der 
Reichsguts  Verwaltung  hinweg.  Und  doch  sind  die  Zeiten  Ru- 
dolfs, der  durch  alle  seine  Einrichtungen  für  Verwaltung  und 
durch  Sicherung  des  Friedens  die  Stellung  des  Königtums  zu 
sichern  und  zu  kräftigen  suchte,  noch  glänzende  zu  nennen 
gegen  die  einzelner  Nachfolger,  unter  denen  die  Reichtsgutver- 
schleuderung  erst  recht  begann.  Das  Hauptziel,  innere  Konsoli- 
dierung des  Reiches,  hat  auch  Rudolf  nicht  erreicht.  Schmoller 
hatte  gewiss  recht,  als  er  in  seiner  Rede  «Strassburgs  Blüte» 
sagte :  «In  der  grossen  sturmbewegten  Zeit  des  13.  Jahrhunderts, 
in  dem  Uebergang  von  der  Natural-  zur  Geldwirtschaft  war  es 
dem  deutschen  Reiche  nicht  beschieden,  den  Mann  zu  finden, 
der  alle  die  kleinen  autonomen  Kreise  und  Städte  wieder  zu 
einer  einheitlichen  Staatsorganisation  verknüpfte».  —  Es  war  die 
Selbstherrlichkeit  der  Fürsten  und  Städte  diesen  selbst  aber 
ebenso  gefährlich  als  dem  Reiche,  weil  die  Entwickelung  der 
kleinen  staatlichen  Gebilde  zu  politischer  Macht  die  Schwächung 
und  Zertrümmerung  der  Reichsgewalt  zur  Folge  haben  musste: 


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47  — 


der  Niedergang  wieder  der  die  Reichsherrlichkeit  darstellenden 
kaiserlichen  Macht  wirkte  schliesslich  in  verderblicher  Weise 
auf  die  kleineren  Gewalten  zurück.  Das  haben  die  Städte  des 
Elsasses,  besonders  Strassburg,  wo  der  Reichsgedanke  auch  in 
späterer  Zeit  so  kräftig  war,  zu  ihrem  Schaden  erfahren  müssen. 


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Inhaltsübersicht. 


Seite. 

Einleitung. 

Gegensätze  der  Stände  am  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts, 
üebersicht  über  die  territorialen  Verhältnisse  des  Elsasses.  Die 
Stellang  des  Grafen  Rudolf  von  Habsbnrg  im  Elsass.  Die  Ver- 
änderung seiner  Stellang  darch  die  Königswahl.  Die  Ziele 
seiner  Politik  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  ,  3 

A  usfü  hrnn  g. 

I.  Der  König  Rudolf  als  Territorialherr  9 

1.  Der  Umfang  und  die  Art  seines  Besitzes;  die  Landgraf  - 
echaft  9 

2.  Die  Organisation  der  Verwaltung,  die  Finanzen  and  die 
Militärverfassang  in  den  habBburgischen  Besitzungen    .  15 

II.  Die  Beziehnngen  des  Königs  Rudolf  zu  dem  aasserhabs- 
bnrgischen  Elsass  19 

1.  Der  König  als  Reichsgrandherr  and  Schirmherr  vor« 
nehmlich  des  Reichsgutes  20 

a)  Die  Wiederherstellung  und  Verwaltang  des  Reichs- 
gutes  «  20 

b)  Sicherang  des  Landfriedens  31 

2.  Der  König  als  Reichsoberhaapt  im  Verhältnis  zu  den 
Städten  and  Territorien  34 

a)  Der  König  und  die  Reichsstädte  34 

b)  Das  Bistum  and  die  Stadt  StrasBbnrg  42 


S  c  h  1  n  s  s. 

Rückblick  auf  Rudolfs  Stellang-    Das  Ergebnis   seiner  Ein- 
richtangen.    Ausblick  in  die  Zukunft  45 


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