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Full text of "Monatshefte der Comenius-Gesellschaft"

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Monatshefte 


Comenius-G 


Ludwig  Keller, 


Comenius-Gesell 


GOOO 
263 


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Monatshefte 

der 

enius-Gesellschaft. 


Zweiter  Band. 

(1893.) 


Leipzig, 

R.  Voigtinn  der' s  Verlag. 
(In  Commission.) 

1893. 


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Inhalt  des  zweiten  Bandes. 

Seit» 

A.  Abhandlungen. 

Keller,  Ludw.,  Die  Comcnius-Gesellschaft.  Geschichtliches  und  Grund- 
sätzliches .   1 

Rovers,  M.  A.  N.,  Ein  Friedenaspruch  27 

Radlach,  0.,  Der  Aufenthalt  des  Comenius  in  Lüneburg  im  August 
1647   und  die  Wiederaufnahme    »eines  Briefwechsels  mit 

Valentin  Andreae  -57 

Heinzelmann,  W..  Goethes  religiöse  Entwickelung.  Dargestellt  von  W.  H.  105 
Loserth,   Johann,    Die    kirchliche   Reforrabewcgung    in  England  im 
XIV.  Jahrhundert  und  ihre  Aufnahme  und  Durchführung 

T  in  Böhmen  151 

Richter,  Albert,  Zwei  Bilderbücher  für  den  Unterricht  vor  dem  Orbis 

pictus  167 

•»  Lettau  (Königsberg  i.  I'r.),  Johann  Georg  Hamann  als  Geistesver- 

/>w  wandtcr  des  Comenius  201 

£  Baehring,  Bernh.,  Christian  Karl  Josias  Freiherr  von  Bimsen    ....  214 

Lange,  Friedrich  Albert,  Geschichte  und  Bedeutung  der  Schulkomödie 
C  vor  und  nach  Comenius  259 

^  B.  Quellen  und  Forschungen. 

Kvacsala,  Joh.,  Zur  Lebensgeschiehte  des  Comenius,  Autobiographisches 
aus  den  Schriften  des  Comenius  zusammengestellt  von 
J.  K.   39.  73.  137.  178.  226.  27* 

C.  Kleinere  Mitteilungen. 

Keller,  Ludwig,  Dr.  S.  J.  Hingst  f  47 

Wittmer,  Gustav,  Anna  von  Mahrenholtz-Bülow  t  ^s 

Radlach,  0.,  Der  Protest  des  Comenius  gegen  den  Vorwurf,  er  sei  ein 
.  ^.  Sektierer,   beleuchtet  aus  den   Beziehungen  Andreaes  zu 

Nürnberg.    Ein  weiterer  Beitrag  zum  Verständnis  seines 

l.üneburger  Briefes  

Kemper,  0.,  Der  Inselnamc  Capharsalama  in  Joh.  Val.  Andreaes  Schrift 
^-w.  „Reipublicae  christianojK>litanae  descriptio*  (1619)     ....  186 

Aus  neueren  Handschriften -Verzeichnissen  (Briefe  von  und  an  Val. 

^  Andreae  in  Wolfenbüttel)  23« 

S~J  Stötzner,  Paul,  Ratichiana     .   .  .  ^  2^ 


?  J?  587699 


IV  Inhalt. 

Seit« 

D.  Litt  erat  urboriclite. 

Hartmann,  G.,  Loibniz  (Mollat).  —  Loserth,  Anabaptismus  in  Tirol 
f Loserth).  —  (W.  B.),  Zur  neuesten  Comenius-Litteratur.  — 
Will  S.  Monroe,  Amerikanische  Comenius-Litteratur.  —  Neuere 
Erscheinungen  auf  dem  Forschungsgebiet  der  C.-G.     ...  81 

Anton  Gindely  über  Comenius  (W.  B.)  —  Zoubek-Novdk,  Leben  des 

Comenius.  —  Noueste  Comenins-Litteratur  239 

Loserth,  Hubmaier  (Detmer).  —  Dörpfcld,  Beiträge.  -  Lange,  Über 
Apperception.  —  Hauffe,  Pädagogik  Schleiermachers.  — 
Spencer,  Von  der  Freiheit  zur  Gebundenheit.  —  Dicescu, 
A.  H.  Niomeyer.  —  Lay,  Psychologische  Grundlage.  — 
Flügel,  Über  die  Phantasie.  —  Klier,  Allg.  Pädagogik  (Hochegger)  291 

£.  Zar  Bttcherfcunde  unseres  Arbeltsgebiets. 

Hohlfeld,  Paul,  Von  und  über  Krause  191 

Brägel,  G.,  Litteratur  über  Val.  Andreae  seit  100  Jahren  249 

F.  Nachrichten   50.  95.  144.  198.  254.  307 

6.  Eingesandte  Bücher  nnd  Aufsitze   303 

Personen«  und  Ortsregister   313 


Für  die  Schriftleitung  verantwortlich:  Diakonus  Jos.  Müller  in 

Herrnhut  i.  S. 


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Monatshefte 

der 

Comenius  -  Gesellschaft . 


II.  Band.  —  1893.  —         Heft  1  und  2. 


Die  Comeniu8-6esellschaft. 

Geschichtliches  und  Grundniilzliche« 

von 

Ludwig  Keller. 


Das  Bedürfnis,  den  zurückgelegten  Weg  von  Zeit  zu  Zeit 
rückschauend  zu  überblicken,  macht  sich  am  Beginn  eines  neuen 
.Tahresabschnittes  stärker  als  sonst  geltend.  Es  ist  nicht  nur  der 
Wunsch,  sich  selbst  und  anderen  über  das  Erreichte  Rechen- 
schaft zu  geben,  der  dabei  mitwirkt;  ebensosehr  fällt  der  Um- 
stand ins  Gewicht,  dafs  die  klare  Erkenntnis  der  vergangenen 
Entwicklung  für  die  richtige  Beurteilung  der  zukünftigen  Uberaus 
wertvoll  ist:  nur  der,  der  weifs,  woher  er  kommt,  wird  wissen, 
wohin  er  geht.   

Weiter  als  der  Mehrzahl  unserer  Mitglieder  und  Freunde 
bekannt  sein  wird,  reichen  die  Entwürfe  und  Anfange  unserer 
Gesellschaft  zurück.  Allerdings  mufs  hier  festgestellt  werden, 
dafs  die  Bestrebungen,  welche  zu  Prag  im  Jahre  1870  behufs 
Gründung  eines  „Comenius- Vereins"  an  das  Licht  traten,  mit 
unseren  Plänen  in  keinerlei  äufseren  Zusammenhang  standen. 
Im  genannten  Jahre  veröffentlichte  Herrn,  von  Leonhardi,  Pro- 
fessor der  Philosophie  an  der  deutschen  Universität  Prag,  einen 
„Aufruf  an  Erzieher  und  Freunde  der  Erziehung  zu  recht- 
zeitiger Jubelfeier  dreier  um  Menschen-  und  Menschheitsbildung 

MonaUheft«  dar  Com«nln*-G<«elUchaft.    1898.  1 


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Keller, 


Heft  1  u.  2. 


verdientester  Männer,  Comenius,  Krause  und  Fröbel1)". 
Leonhardi  fordert,  dafs  gemäfs  der  in  dem  „Weckruf  des 
Comenius  gegebenen  Anleitung  alle  Menschenfreunde  zur  Be- 
ratung gemeinsamer  Angelegenheiten  aller  Orten  Vereine  bilden 
und  schlägt  vor,  sie  Comenius -Vereine ,  Krause -Vereine  oder 
Fröbel -Vereine  zu  nennen.  Diese  Pläne,  die  dann  zur  Gründung 
des  allgemeinen  Erziehungsvereins  führten,  waren  uns  zu  der 
Zeit,  wo  wir  in  die  ersten  Erwägungen  über  unser  Unternehmen 
eintraten,  unbekannt. 

Andere  Umstände  und  andere  äufsere  Bedingungen ,  aber 
doch  verwandte  Erwägungen  waren  es,  die  zur  selbständigen 
Wiederaufnahme  des  älteren  Gedankens  führten  und  die  That- 
sache,  dafs  die  Kreise,  in  welchen  die  gleichen  Pläne  reiften, 
unabhängig  voneinander  waren,  liefert  den  Beweis,  dafs  nahe- 
liegende Interessen  und  Beftirfnisse  auf  diesem  Wege  nach  Be- 
friedigung und  äufserer  Gestaltung  rangen. 

Der  Anblick  des  unmenschlichen  Bruderhasses,  mit  dem  die 
Nationen  Österreich-Ungarns  und  insbesondere  Böhmens  sich 
gegenüberstanden,  hatten  in  dem  Herzen  Leonhardis  den  Wunsch 
befördert,  zur  Beschwörung  dieser  Plage  den  Geist  des  Comenius 
wachzurufen. 

Als  wir  etwa  fünfzehn  Jahre  später  im  Westen  Deutschlands 
die  gleichen  Wege  einschlugen,  da  waren  es  die  Folgen  der 
schweren  religiösen  Kämpfe,  deren  Wahrnehmung  den  Anstofs 
für  unser  Vorgehen  bildete.  Die  Gegensätze  der  christlichen 
Konfessionen  hatten  unter  der  Wucht  eines  langen  und  schweren 
Ringens  eine  Schärfe  so  bedrohlicher  Art  gewonnen,  dafs  man 
sich  in  die  Zeiten  zurückversetzt  glauben  konnte,  die  dem  grofsen 
Religionskriege  des  17.  Jahrhunderts  vorausgingen.  Diese  Gegen- 
sätze durchdrangen  und  zersetzten  alle  Beziehungen  des  Lebens ; 
fast  so  schroff  wie  in  Österreich-Ungarn  die  Nationalitäten  standen 
sich  in  einzelnen  Teilen  Deutschlands  die  Angehörigen  derselben 
Nation  in  Hafs  und  Mifstrauen  einander  gegenüber,  und  der  Kampf 
schien  nur  mit  der  völligen  Niederwerfung  des  einen  oder  des  an- 
deren Gegners  enden  zu  können.  War  es  nicht  naheliegend,  zur 
Beschwörung  solcher  Gefahren  auch  hier  auf  Comenius  zurück- 
zugreifen, der  schon  durch  seine  Schicksale  ein  warnendes  Bei- 


')  Wir  haben  den  Aufruf  im  Auszug  abgedruckt  im  Jahrgang  1892, 
S.  217  der  Monatshefte  der  C.-G. 


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1893. 


Die  Comenius-Gesellschaft. 


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spiel  war  für  die,  welche  leichten  Herzens  in  den  Keligionshafs 
des  17.  Jahrhunderts  wieder  einlenkten  —  auf  Comenius,  dessen 
Name  nie  in  den  Hader  der  Parteien  hinabgczcrrt  war  und  den 
selbst  die  strengsten  Vertreter  des  curialen  Systems  mit  Achtung 
nannten  l)  ? 

Es  war  kein  zufalliges  Zusammentreffen,  dafs  unsere  Plane  um 
dieselbe  Zeit  festere  Gestalt  gewannen,  wo  Friedrich  Fabri 
seine  Schrift:  „Wie  weiter?  Kirchenpolitische  Betrachtungen  zum 
Ende  des  Kulturkampfes"  (Gotha,  Perthes)  veröffentlichte,  nämlich 
im  Jahre  1887.  Wer  diese  Schrift  liest,  wird  rasch  erkennen, 
dafs  sie  neben  den  Erörterungen  über  die  damalige  kirchen- 
politische Lage  eine  Fülle  wichtiger  Grundsätze  enthält,  die 
für  alle  Lagen  und  Verhältnisse  ihre  Gültigkeit  bewahren,  und 
wer  schärfer  zusieht,  dem  kann  es  nicht  entgehen,  dafs  diese 
Grundsätze  auf  dem  Boden  comenianischer  Überzeugungen  er- 
wachsen sind. 

Das  Schwergewicht  der  Fabrischen  Erörterungen  lag  nicht  in 
dem  von  ihm  bereits  im  J.  1876  erhobenen  Widerspruch  gegen  die 
Kirchenpolitik  der  damals  herrschenden  Männer,  den  sog.  Kultur- 
kampf, sondern  in  den  Prinzipien,  auf  Grund  deren  dieser  Wider- 
spruch erfolgte.  „Die  nachfolgenden  Erörterungen,"  sagt  Fabri, 
sind  ein  Friedenswort,  und  wenn  es  auch  unvermeidlich  war, 
da  und  dort  mit  einer  etwas  scharfen  Kritik  sich  den  Weg  durch 


')  Aloys  Bolcslas  Balbinus,  S.  J.,  schreibt  in  seiner  Bohemia  docta: 
„Comenius  hat  überaus  viel  herausgegeben ,  nichts  aber,  was  gegen 
den  katholischen  Glauben  wäre,  und  so  acheint  es  mir  immer,  wenn 
ich  seiue  Schriften  lese,  als  wollte  er  keine  Religion  weder  bevorzugeu 
noch  verdammen.4*  (Quam  plurima  edidit,  nihil  tarnen  unquam,  quod  catho- 
licae  fidei  adversaretur,  ac  mihi  opera  ejus  legeuti  semper  visu»  est  ita 
eomparatus  seripsisse,  ut  nullam  notare  aut  damnare  religiouem  vellet.) 
Baibin  empfiehlt  die  Werke  des  Comenius  und  sagt,  sie  seien  in  jeder 
Beziehung  außerordentlich  lesenswerth.  —  Balbinus,  geb.  1621,  starb  am 
29.  Nov.  16*8  zu  Prag.  Näheres  Ober  ihn  in  der  Bibliotheque  de  Compagnie 
de  Jesus.  Nouv.  Edit.  par  C.  Sommervogel  S.  J.  Bibliogr.  Tom.  I.,  Sp.  792  ff. 
Die  bekannteste  Ausgabe  der  Bohemia  doeta  ist  zu  Prag  im  Jahre  1780  er- 
schienen. —  In  einem  Bericht  über  das  Religionsgesprfteh  zu  Thorn  (1644) 
gicbt  ein  ungenanntes  Mitglied  der  Gesellschaft  Jesu  eine  ungünstige  Be- 
schreibung der  beteiligten  protest.  Abgeordneten;  über  Comenius  bemerkt 
er  dagegen  nur.  er  sei  ein  geistvoller  (iugeniosus)  Mann  und  in  der  Er- 
ziehuugslehre  ausgezeichnet  erfahren;  nur  sei  ihm  unbewußt,  ob  Comenius 
in  der  Theologie  mehr  verstehe  wie  andere.  (Altes  und  Neues  von  theolog. 
Sachen,  1746,  S.  36  ff.) 

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Keller, 


Heft  1  u.  2. 


unser  kirchenpolitisches  Gestrüpp  zu  bahnen,  so  wird  der  un- 
befangen und  gerade  denkende  Leser,  wie  ich  hoffe,  doch  den 
Eindruck  empfangen,  dafs  der  Verfasser  sich  bestrebt,  nach  der 
Regel:  »Wahrheit  in  Liebe'  zu  urteilen.  Unter  allen  Umständen 
wissen  wir,  dafs  es  auch  noch  höhere  Dinge  giebt  als  Karchen- 
politik und  dafs  die  ultima  ratio  des  Kirchenbegriffes  für  alle 
Zeiten  von  dem,  den  wir  als  unseren  einzigen  Herrn  und  Meister 
bekennen,  mit  den  Worten  ausgesprochen  wurde :  ,Wo  zwei  oder 
drei  versammelt  sind  in  meinem  Namen,  da  bin  ich  mitten  unter 
ihnen'.  In  dieses  innere  Heiligtum  kann  glücklicherweise  kein 
Kulturkampf,  selbst  keine  wirklich  ,diokletianische  Verfolgung* 
störend  eingreifen." 

Diese  Überzeugungen  waren  und  sind  in  Deutschland  weniger 
als  in  Holland  und  England  das  Gemeingut  weiterer  Kreise,  und 
wir  begegneten  uns  mit  Fabri  in  dem  Wunsche,  ihnen  auch 
anderwärts  allgemeinere  Geltung  zu  geben.  Diese  Ideen  besafsen 
ihre  Geschichte;  es  hatte  Zeiten  gegeben,  wo  sie  hervorragende 
geistige  Vertreter  gefunden  hatten,  Zeiten  auch,  wo  sie  von  ent- 
gegengesetzten Anschauungen  zurückgedrängt  waren.  Um  ihnen 
in  der  Gegenwart  eine  kräftige  Ausbreitung  zu  sichern,  gab 
es  verschiedene  Wege,  einer  war  der,  dafs  man  versuchte,  sie 
von  neuem  durch  den  Mund  der  grofsen  Männer  zu  verkünden, 
die  sie  einst  erfolgreich  vertreten  hatten.  Da  wir  von  der 
Macht,  welche  grofsen  geschichtlichen  Überlieferungen  inne- 
zuwohnen  pflegt,  überzeugt  waren,  jso  schien  uns  dieser  Weg 
viele  Vorzüge  zu  bieten,  und  wir  hatten  die  Freude,  darüber 
alsbald  ein  Einverständnis  mehrerer  angesehener  Männer  zu  er- 
zielen; die  wärmste  Zustimmung  kam  zunächst  aus  Holland,  wo 
Chr.  Sepp  und  Dr.  S.  J.  Hingst,  ersterer  einer  der  an- 
gesehensten Kirchenhistoriker  und  letzterer  ein  hochverdienter 
Jurist  dieses  Landes,  unsere  Bestrebungen  billigten. 

Nachdem  unter  uns  hierüber  eine  Einigung  herbeigeführt 
war,  war  es  der  Verfasser  dieses  Aufsatzes,  welcher  dem  Ge- 
danken dadurch  festere  Formen  gab,  dafs  er  im  Jahre  1889 
vorschlug,  zur  Lösung  dieser  Aufgabe  eine  Gesellschaft 
zu  gründen  und  durch  diese  zunächst  das  Andenken  des  Co- 
raenius  zu  neuem  Leben  zu  erwecken;  die  bevorstehende 
Jahrhundertfeier  konnte  —  so  war  meine  Erwägung  —  in  er- 
wünschter Weise  die  Möglichkeit  zur  Ausführung  dieses  Ge- 
dankens bieten;    gerade   die  Ideen    und   Schriften   des  Co- 


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1893. 


Die  Comcnius-GeselUchaft. 


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menius  in  Sachen  der  Volkserziehung  schienen  mir  der 
Erneuerung  besonders  wert  und  bedürftig;  sie  mufsten,  wenn 
dies  gelang,  einen  heilsamen  Einflufs  auf  eines  der  wichtigsten 
Gebiete  des  Volkslebens,  nämlich  die  Erziehung  und  Erziehungs- 
lehre, üben  und  zugleich  dieser  Wissenschaft  und  ihren  Vertretern 
mehr  und  mehr  diejenige  Stellung  im  Kreise  der  übrigen  Wissen- 
schaften sichern,  auf  die  sie  ihrer  Bedeutung  nach  einen  be- 
rechtigten Anspruch  besafs. 

Aber  es  waren  doch  nicht  allein  die  Schriften  des  Comenius, 
deren  Herausgabe  uns  vorschwebte:  wir  wollten  den  comenia- 
ni sehen  Geist  und  damit  zugleich  den  Geist  und  die  Ge- 
sinnung aller  ihm  innerlich  verwandten  Männer  wecken  und  in 
diesem  Geist  die  philosophischen,  pädagogischen  und  wissen- 
schaftlichen Fragen  der  Gegenwart  betrachten  und  behandeln. 
In  dem  ersten  Entwurf  der  Satzungen  unseres  beabsichtigten 
Unternehmens  —  er  wurde  im  Frühjahr  1889  aufgestellt  — 
spiegeln  sich  die  Ziele,  die  uns  vorschwebten,  ziemlich  deutlich 
wieder.  Der  §  1  dieses  Entwurfs  lautete  ungefähr  folgendermafsen : 

„Die  Gesellschaft  hat  den  Zweck,  im  Geiste  des  Co- 
menius durch  Förderung  litterarischer  Veröffentlichungen 
für  die  Pflege  des  geistigen  und  sittlichen  Lebens  zu 
wirken." 

In  einem  mir  vorliegenden  Brief  vom  26.  Februar  1889 
werden  diese  Sätze  dahin  erläutert,  dafs  es  darauf  ankomme, 
durch  die  beabsichtigte  Gesellschaft  alle  Wissenschaften,  mit 
Ausnahme  von  Politik  und  Dogmatik,  zu  pflegen,  dafs 
aber  vor  allem  Philosophie,  Erziehungslehre,  Sitten- 
lehre und  Gesellschaftslehre  in  Betracht  zu  kommen 
hätten.  Um  weiteren  Kreisen  anzudeuten,  in  welchem  Sinne  die 
Gesellschaft  ihre  Aufgabe  zu  erfassen  gedenke,  wurde  deshalb 
noch  im  Frühjahr  1889  der  Gedanke  in  Erwägung  gezogen, 
durch  den  Zusatz  „Comenius-Gesellschaft  für  Wissenschaft 
und  Volkserziehung"  die  Thatsache  zu  betonen,  dafs 
unsere  Gesellschaft  sich  nicht  in  der  Weise  der  Shakespeare- 
oder Wiclif-Gesellschaft  auf  Comenius  beschränken  und  etwa 
eine  Kommission  zur  Herausgabe  seiner  Werke  darstellen  wolle. 

Indessen  überwog  zuletzt  die  Erwägung,  dafs  die  einfache 
Bezeichnung  Comenius-Gesellschaft  die  Idee,  die  uns  vorschwebte, 
deutlich  genug  anzeige  und  dafs  der  Name  des  Comenius  ein 
Programm  bestimmter  Art  in  sich  schliefse. 


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Keller, 


Heft  1  u.  2. 


Es  war  nicht  blofs  die  seltene  Vereinigung  eines  lebendigen 
religiösen,  wissenschaftlichen  und  erziehlichen 
Interesses,  die  uns  an  Comenius  vorbildlich  erschien,  auch  nicht 
allein  die  bahnbrechende  Bedeutung,  die  er  auf  dem  Gebiete 
der  Erziehungslehre  gewonnen  hat,  sondern  vor  allem  fiel  für 
uns  die  Thatsache  ins  Gewicht,  dafs  er  einer  der  hervorragendsten 
Vertreter  einer  Geistesrichtung  war  und  ist,  die  in  allen  Jahr- 
hunderten vorhanden  gewesen  ist  und  deren  Festhaltung  wir  in 
den  Kämpfen  der  Gegenwart  für  eine  Pflicht  aller  Freunde  des 
Vaterlandes  wie  der  Menschheit  hielten. 

Es  ist  nicht  ganz  leicht,  diese  Geistesrichtung  mit  wenigen 
Worten  zu  charakterisieren.  Man  kennzeichnet  sie  nicht  richtig, 
wenn  man  ihr  wesentlichstes  Merkmal  in  einer  weit- 
herzigen Toleranz  sucht,  auch  nicht,  wenn  man  sie  undog- 
matisch nennt,  obwohl  sie  auch  diese  Kennzeichen  besessen 
hat.  Aber  es  giebt  eine  Weitherzigkeit,  die  zugleich  religiös 
gleichgültig,  einen  Humanismus,  welcher  vom  Christentum  nicht 
viel  mehr  als  einige  Sittenlehren  übernommen  hat,  die  auch  Eigen- 
tum irgend  einer  Philosophenschule  sein  können,  die  sonst  zum 
Christentum  im  Gegensatze  steht.  Was  Comenius  kennzeichnet, 
ist  vielmehr  die  glückliche  Verbindung  eines  starken  ethischen 
Interesses,  das  mit  Toleranz  und  Weitherzigkeit  Hand  in  Hand 
geht,  und  eines  tief  gewurzelten  religiösen  Bedürfnisses,  das 
im  Christentum  die  Religion,  nicht  eine  unter  vielen,  erkennt, 
sowie  zugleich  die  hohe  Achtung  vor  der  fremden  Überzeugung, 
die  stets  geneigt  ist,  mehr  das  Verbindende  als  das  Trennende 
zu  betonen,  Zweifelhaftes  aber  lieber  zurückzustellen  als  zu  be- 
streiten. 

Die  Verbindung  dieser  Eigenschaften  ist,  so  oft  sie  sich  auch 
in  einzelnen  hervorragenden  Persönlichkeiten  aller  christlichen 
Kirchen  und  Parteien  vorfindet,  doch  keineswegs  eine  charak- 
teristische Eigenschaft  aller  Konfessionen  und  Kirchen  als  solcher. 
Bei  den  Schwierigkeiten,  auf  welche  hohe  sittliche  Forderungen 
bei  der  Masse  der  Menschen  zu  stofsen  pflegen,  haben  die  Kirchen, 
die  auf  die  breiteren  Schichten  rechnen  müssen,  sich  meist  ge- 
nötigt gesehen,  in  der  Theorie  oder  in  der  Praxis  das  Interesse 
des  Gemüts  oder  des  Verstands  in  den  Vordergrund  zu  rücken, 
und  die  Sittenlehre  in  ihrer  vollen  Strenge  innerhalb  engerer 
Kreise  zur  Betonung  zu  bringen.  Daher  die  Erscheinung,  dafs 
die  altchristliche  Ethik  in  dem  Augenblick,  wo  die  Kirche  zur 


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1893. 


Die  Comenius-Gepellschaft. 


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Weltkirche  wurde,  und  den  Bedürfnissen  des  Weltreichs,  dessen 
Erbschaft  sie  antrat,  sich  anpafste,  in  vielen  Punkten  von  der 
Strenge  nachliefs,  welche  die  Männer  der  alten  Zeit  sich  zur 
Pflicht  gemacht  hatten.  Es  ist  ja  nicht  zu  leugnen  und  soll  nicht 
geleugnet  werden,  dafs  solche  Forderungen  der  Gefahr  des  Mifs- 
brauchs  ausgesetzt  sind  und  oft  einen  gesetzlichen  und  unter 
Umständen  einen  verderblichen  Charakter  annehmen.  Aber  ab- 
gesehen davon,  dafs  eine  Zurückstellung  der  ethischen  Seite, 
selbst  wenn  sie  auch  nur  in  der  Praxis  gehandhabt  wird,  der 
Gefahr  des  Mifsbrauchs  nach  anderen  Seiten  hin  in  gleichem 
Mafse  unterliegt,  läfst  sich  doch  nicht  verkennen,  dafs  di<-  ent- 
schiedene Betonung  der  ethischen  Interessen  dem  Charakter  des 
ältesten  Christentums  am  meisten  entsprach,  vorausgesetzt  natür- 
lich, dafs  man  nicht  Gebot  auf  Gebot  häufte,  ohne  dem  Gemüt 
den  Trost  zu  geben,  welcher  mit  und  durch  Christus  den  Menschen 
zu  teil  geworden  war. 

Es  ist  zu  allen  Zeiten  die  schwierigste  Aufgabe  für  die 
christlichen  Bekenntnisse  gewesen,  die  Klippen,  die  auf  beiden 
Seiten  drohen,  zu  vermeiden.  In  besonders  glücklicher  Weise 
aber  ist  die  Aufgabe  von  derjenigen  Geistesrichtung  gelöst  worden, 
als  deren  Vertreter  Comenius  dasteht.  Es  ist  das  Kennzeichen 
der  besseren  Geister  dieser  Richtung,  dafs  sie  sowohl  der  Gefahr 
einer  toten  Rechtgläubigkeit  wie  derjenigen  eines  öden 
Moralismus  entgangen  sind. 

Hieraus  lassen  sich  leicht  alle  übrigen  Eigenschaften  erklären, 
durch  die  sich  Comenius  und  die  religiösen  Gemeinschaften,  die 
er  vertritt  —  wir  fassen  sie  unter  dem  Namen  der  alt  evan- 
gelischen Gemeinden  zusammen  —  von  den  übrigen  Zeit- 
richtungen trennten,  und  durch  die  sie  ihre  geschichtliche  Bedeu- 
tung gewonnen  haben. 

Man  weifs,  dafs  die  herrschenden  Kirchen  in  geistiger  und 
religiöser  Beziehung  in  erster  Linie  auf  die  übersinnlichen 
Dinge  gerichtet  waren,  und  dafs  sie  ihre  Anhänger  gewöhnt 
hatten,  vornehmlich  mit  den  Kräften  des  Gemüts  und  der  Phan- 
tasie ihre  Glaubenswelt  im  jenseitigen  Leben  sich  auszugestalten. 
Die  gläubige  Hingabe  an  die  Lehren  der  Kirche  und  die  Er- 
füllung der  kirchlichen  Pflichten,  an  welche  die  einstige  Seligkeit 
gebunden  war,  stand  durchaus  im  Mittelpunkt  aller  Interessen. 
Dadurch  ergab  sich  von  selbst,  dafs  die  Teilnahme  für  die 
diesseitige  Welt,  für  die  Beziehungen  der  Menschen  zu  den 


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Keller, 


Heft  1  u.  2. 


Menschen  und  für  die  uns  umgebende  Natur  eine  Beeinträch- 
tigung erlitt ,  die  sich  gerade  in  denjenigen  Zeitabschnitten  recht 
deutlich  gezeigt  hat,  wo  die  Kirchenlehre  die  Gemüter  am  meisten 
und  vollständigsten  beherrschte. 

Dieser  Betonung  des  Jenseitigen  und  Übersinnlichen  gegen- 
über lebte  in  Nebenströmungen  des  kirchlichen  Christentums 
eine  Uberlieferung,  welche  die  Uberzeugung  festhielt,  dafs  der 
Stifter  unserer  Religion  die  Aufrichtung  des  Reiches  Gottes  auf 
Erden  als  Gegenstand  seines  Berufs  bezeichnet  und  damit  die 
Neugestaltung  der  menschlichen  Gesellschaft  als 
Zielgedanken  Gottes  hingestellt  hatte.  Die  treibenden  Kräfte  in 
diesem  Gottesreich  sollten  die  Liebe,  der  Glaube  und  die 
Hoffnung  sein,  von  welchen  der  Glaube  aufhört  im  Schauen 
und  die  Hoffnung  in  der  Erfüllung,  von  denen  aber  die  Liebe 
ewig  bleibt,  und  die  somit  das  höchste  unter  allen  Geboten  ist. 
Der  Weltzweck  Gottes,  wie  ihn  Christus  uns  verkündet  hat  — 
sagten  sie  —  ist  nicht  blofs  auf  die  jenseitige  Welt,  auch  nicht 
auf  eine  Anstalt  gerichtet,  die  das  Heil  durch  äufsere  Mittel 
darreicht,  sondern  auf  die  Sammlung  eines  Volks,  das  seinen 
Willen  thut  und  auf  die  Aufrichtung  eines  Reichs,  in  welchem 
die  Menschen  in  Frieden  bei  einander  wohnen. 

In  der  starken  Betonung  des  Gottesreichs  —  der  Begriff 
tritt  in  wechselnden  Formen  und  Namen  auf  und  wird  sehr  oft 
durch  bildliche  Redewendungen  angedeutet  —  tritt  das  vor- 
herrschende Interesse  jener  Kreise  ganz  unzweideutig  zu  Tage. 

Hand  in  Hand  mit  dieser  Idee  des  „Tempels  des  Weisheit" 
geht  die  Ablehnung  jenes  rein  transcendenten  Gottesbegriffs,  wie 
er  durch  die  herrschende  Kirchenlehre  ausgebildet  worden  war. 
Die  Betonung  der  Innerweltlichkeit  Gottes  ist  ein  ge- 
meinsames Merkmal  der  Richtungen,  von  denen  hier  die  Rede 
ist  und  das  sich  auch  bei  Comonius  wiederfindet 1).  Der  Spruch, 
dafs  Gott  „Anfang,  Mitte  und  Ende  aller  Dinge  seiÄ  ist  ein 
Grundgedanke  aller  altovangelischen  Gemeinschaften  und  der 
ihnen  geistesverwandten  Strömungen  und  Schulen.  Ihr  System 
durchzieht  der  Gedanke,  dafs  eine  grofse  Harmonie  das  All  um- 
fafst,  „da  die  Dinge  in  Gott  sind  wie  im  Urbild,  in  der  Natur 
wie  im  Abbild"  (Plato). 


')  Vergl.  den  Artikel  Hohlfelds,  Comcniua  und  Krause,  Monatshefte 
der  C.-G.  1892,  S.  7. 


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1803. 


Die  Cotncnius-Geaclbchaft. 


9 


Mit  diesen  Ideen  hängt  nun  die  Betonung  der  Erziehung 
und  der  Erziehungslehre  und  die  eigenartigen  Grundsatze, 
welchen  Comenius  in  dieser  Wissenschaft  im  Anschlufs  an  die 
Überlieferungen  seiner  Religionsgemeinschaft  zuerst  Bahn  ge- 
brochen hat,  auf  das  engste  zusammen.  Auf  ihnen  beruht  die  Ach- 
tung vor  der  Menschennatur  und  die  Schätzung  des  Wertes, 
den  jede  Menschenseele,  wie  zerrüttet  auch  immer  sie  sei,  vor 
Gott  besitzt,  — -  auf  ihnen  der  Begriff  der  Entwicklung  und 
seine  Übertragung  auf  die  Erziehung,  welche  von  so  grofsen 
Folgen  gewesen  ist,  —  auf  ihnen  die  Wertschätzung  aller  Natu r- 
clinge  und  alles  Naturgesc  heh  ens,  durch  die  dem  grofs- 
artigen  Ausbau  der  Wissenschaften  von  der  Natur  die  Wege  ge- 
ebnet worden  sind,  —  auf  ihnen  die  Betonung  des  Grundsatzes 
der  Freiwilligkeit,  —  auf  ihnen  endlich  jene  weitherzigen, 
aller  toten  Rechtgläubigkeit  abholden  Bestrebungen,  die  dem 
Frieden  der  Völker,  der  Kirchen  und  derStände  ge- 
widmet sind. 


Im  Herbst  1890  waren  wir  soweit,  dafs  wir  zur  Abfassung 
eines  Aufrufes  und  zur  Aufstellung  der  Grundzuge  unserer  Ge- 
sellschaft schreiten  konnten.  Am  10.  Oktober  1890  wurde  ein 
Entwurf  im  Druck  an  eine  gröfsere  Zahl  von  Vertrauensmännern 
geschickt,  und  in  kurzer  Zeit  hatte  er  eine  stattliche  Reihe  von 
Unterschriften  gefunden.  Es  liefse  sich  vieles  dafür  sagen,  dafs 
dieser  10.  Oktober  1890  als  der  eigentliche  Stiftungstag 
unserer  Gesellschaft  anzusehen  ist;  er  ist  wichtiger  als  der 
10.  Oktober  1891,  wo  die  Gesellschaft  ihre  erste  vertrauliche 
Vorversammlung  zu  Berlin  abhielt,  und  den  ersten  Entwicklungs- 
abschnitt unseres  Unternehmens  zum  Abschlufs  brachte. 

Diese  erste  Entwicklung  hatte  sich  nicht  auf  die  Weise  voll- 
zogen, wie  wir  sie  uns  anfanglich  gedacht  hatten.  Die  Zahl 
unserer  Mitglieder  wuchs  rasch,  und  es  bewahrheitete  sich  die 
Thatsache,  dafs  Comenius  viele  Freunde  und  Anhänger  besafs; 
aber  je  mehr  die  Zahl  sich  vergrößerte,  um  so  weniger  erwies 
sich  der  engere  Rahmen  einer  blofs  wissenschaftlichen  Ge- 
sellschaft, den  wir  ursprünglich  ins  Auge  gefafst  hatten,  als 
angemessen;  es  galt,  die  Bedürfnisse  aller  unserer  Mitglieder 
thunlichst  zu  befriedigen  und  womöglich  alle  Kräfte  zur  Mitarbeit 
in  den  für  sie  geeigneten  Formen  heranzuziehen. 

In  diesem  Entwicklungsabschnitt  nun  wurden  uns  die  Ent- 


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10 


Keller, 


lieft  1  u.  2. 


würfe  bekannt,  die  aus  Anlafs  der  Comeniusfeier  des  Jahres 
1871  von  einer  Anzahl  damaliger  Comeniusfreunde  aufgestellt 
waren,  und  die  in  einem  Aufsatz  der  Leipziger  Illustrierten 
Zeitung  vom  15.  August  1874  niedergelegt  sind. 

In  diesem  Aufsatz  war  der  auch  uns  vorschwebende  Gedanke 
der  Vereinsbildung  bestimmt  ausgesprochen,  auch  der  Hoff- 
nung Ausdruck  gegeben,  dafs  dieser  Verein  bei  der  Feier  des 
300jährigen  Geburtstags  aller  Orten  sich  in  voller  Wirksamkeit 
befinde.  Es  war  darin  aber  auch  zugleich  ein  Gesichtspunkt  betont, 
der  unseren  Plänen  gegenüber  neu  war,  nämlich  die  Thatsache, 
dafs  Comenius  selbst  in  seinem  Allgemeinen  Weckruf  (der  Pane- 
gersie)  zur  Durchfuhrung  seiner  Grundsätze  die  Bildung  einer 
Vereinigung  gefordert  hatte,  welche  die  Vertreter  aller  Par- 
teien, Konfessionen,  Nationen  und  Stände  umfassen 
sollte. 

Die  Frage  trat  an  uns  heran,  ob  es  nicht  angänglich  sei, 
unser  Unternehmen  im  Sinn  und  Geist  des  „Weckrufs-  zu  er- 
weitern und  wenigstens  die  Möglichkeit  offen  zu  lassen,  dafs  sich 
die  Comenius-Gesellschaft ,  wenn  Wind  und  Wetter  ihr  günstig 
waren,  zu  einer  Fortsetzung  des  Werks  gestalte,  dessen  Bau 
Comenius  einst  begonnen  hatte,  selbst  wenn  uns  die  Vereinigung 
„aller  Edlen  aus  allen  Nationen",  wie  sie  Comenius  forderte, 
ein  unerreichbares  Ideal  blieb. 

Es  schienen  in  der  That  überwiegende  Gründe  dafür  zu 
sprechen,  auch  in  dieser  Beziehung  thunlichst  auf  den  Wegen  zu 
bleiben,  die  Comenius  uns  gezeigt  hatte  und  so  an  alte  und  be- 
währte Überlieferungen  anzuknüpfen.  Es  ward  demgomäfs  ver- 
abredet, die  Pforten  unserer  Gesellschaft  nicht  blofs  solchen 
Männern  zu  erschliefsen ,  die  durch  wissenschaftliche  Interessen 
sich  zu  ihr  hingezogen  fühlten,  sondern  sie  für  alle  offen  zu 
halten,  die  im  Geiste  des  Comenius  für  das  Wohl  der  Menschheit 
wirken  wollten.  Es  wurde  beschlossen,  neben  den  früher  aus- 
schliefslich  ins  Auge  gefafsten  Quellenwerken  eine  periodisch  er- 
scheinende Zeitschrift  (die  Monatshefte)  und  „Mitteilungen"  der 
Comenius-Gesellschaft  herauszugeben  und  die  Beitragssätze  diesem 
Plan  entsprechend  herabzusetzen  und  mehrere  Sätze  für  ver- 
schiedene Klassen  von  Mitwirkenden  einzuführen. 

Auch  ward  die  Bildung  provinzieller  und  örtlicher  Organi- 
sationen ins  Auge  gefafst  und  bestimmt,  dafs  denjenigen,  die 
sich  solchen  Abteilungen  ohne  Anspruch  auf  die  Lieferung  der 


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189:5. 


Die  Comenius-Gesellschaft. 


wissenschaftlichen  Veröffentlichungen  anzuschliefsen  wünschen, 
gegen  Zahlung  von  3  Mk.  die  „Mitteilungen  der  Comenius-Gesell- 
schaft"  zugänglich  gemacht  werden  sollen.  Endlich,  und  das  war 
das  Wichtigste,  wurden  der  Gesellschaft  auch  gemeinnützige 
Ziele  gesteckt  und  beschlossen,  dafs  sie  sich  auf  dem  Felde  der 
Volkserziehung  und  der  freiwilligen  Bildungspflege 
bethfttigen  solle. 

In  gewissem  Sinn  kamen  die  Aufgaben,  welche  unsere  Gesell- 
schaft sich  nunmehr  im  Anschlufs  an  Comenius'  Weckruf  ge- 
stellt hatte,  dadurch  zu  einem  äufseren  Ausdruck,  dafs  sie 
jenes  Denkzeichen,  das  Comenius  der  Gesamtausgabe  seiner 
Schriften  vorgesetzt  hat  und  dessen  wesentliche  Stücke  sich 
auch  in  dem  von  ihm  geführten  Siegel  wiederfinden1),  zu  dem 
ihrigen  machte. 

In  dem  Weckruf  heifst  es,  dafs  die  „Vereinigung  aller  Edlen" 
auf  einem  dreifachen  Weg  gedacht  werden  müsse,  auf  dem 
Weg  der  Einheit,  dem  Weg  der  Selbständigkeit  und  dem 
Weg  der  Freiwilligkeit.  „Die  Einheit,"  fährt  Comenius 
fort,  „und  die  auf  sie  gegründete  Vereinigung  ist  das  Ebenbild 
Gottes;  denn  Gott  ist  ein  Wesen  und  doch  alles,  er  ist  alles 
und  doch  eins;  der  Weg  der  Selbständigkeit  ist  der  Weg 
der  Unabhängigkeit  von  der  Aufsenwelt,  welche  verlangt,  dafs 
der  Mensch  das  Geistesauge  in  sich  habe  und  nicht  geborgtes 
Licht  zurückstrahle;  was  die  Freiwilligkeit  betrifft,  so  ist 
die  Freiheit  ein  Theil  des  Wesens  der  Gottheit,  welches  Gott 
seinem  Ebenbilde  eingedrückt  hat;  er  erinnert  den  Menschen, 
aber  er  zwingt  ihn  nicht,  er  mahnt  ihn  vom  Bösen  ab,  aber  er 
hält  ihn  nicht  gewaltsam  zurück ;  und  wie  er  selbst  der  mensch- 
lichen Natur  keine  Gewalt  anthut,  so  ist  es  ihm  zuwider,  wenn 
der  Mensch  vom  Menschen  Gewalt  leidet." 

Man  erkennt  hier  die  Zusammenfassung  der  wesentlichsten 
Grundsätze,  auf  welchen  die  religiöse  und  sittliche  Weltanschauung 
des  Comenius  beruht  und  aus  der  sich  seine  Eigenart  erklärt. 

')  Das  Siegel  findet  sich  an  einem  Briefe  des  Comenius  vom  25.  Ok- 
tober 1656,  der  im  Staatsarchiv  zu  Posen  aufbewahrt  wird.  Auf  demselben 
sind  der  Berg  und  die  drei  Bäume  (Erde),  sowie  Sonne,  Mond  und  Sterne 
klar  erkennbar;  am  oberen  Rande  steht:  J.  A.  C.  Ich  verdanke  diese 
Kenntnis  der  Güte  des  Herrn  Archivrats  Dr.  Prümers  in  Posen.  W  i  r 
haben  das  Siegel  als  Abzeichen  für  die  „Mitteilungen"  un- 
serer Gesellschaft  in  Gebrauch  genommen  und  werden  es  auch 
sonst  als  Denkzeicben  der  Gesellschaft  für  kleinere  Drucksachen  verwenden. 


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12 


Keller, 


Heft  1  u.  2. 


Diese  Gedanken  nun  sind  in  dem  erwähnten  Denkzeichen  sym- 
bolisch zur  Darstellung  gebracht,  und  er  hat  sie  damit  gleichsam 
zu  seinem  Wahlspruch  gemacht. 

Zwei  ineinander  liegende  Kreise,  ein  äufserer  und  ein  innerer, 
umschliefsen  die  bildliche  Darstellung  des  Weltalls  mit  Erde, 
Sonne,  Mond  und  Sternen.  Das  Ganze  versinnbildlicht  die  Gott- 
heit, die  Einheit  und  das  All.  Die  Sonne,  die  Urheberin 
und  Erzeugerin  des  Lichts,  ist  Symbol  der  Unabhängigkeit. 
Das  Bild  deutet  an,  wie  die  Strahlen  der  Sonne  und  ihres  Lichts 
die  dunklen  Wolken  besiegen,  die  ihren  Regen  auf  die  Erde 
ergiefsen.  Aus  dem  von  drei  Bäumen  gekrönten  Berg,  hinter 
welchem  sieben  Sterne  und  die  leuchtende  Sonne  aufgehen,  er- 
giefst  sich  aus  doppelt  geöffneter  Höhle  ein  Quell,  an  dessen  ge- 
zacktem Uferrand  sieben  Lilien  wachsen.  Zwischen  dem  äufseren 
und  inneren  Kreise  steht  der  Spruch :  „Omnia  sponta  fluant,  absit 
violentia  rebus",  der  den  Grundsatz  der  Freiwilligkeit  zum 
Ausdruck  bringt. 

Es  war  für  die  Entwicklung  unseres  Unternehmens  ein  er- 
freuliches Zeichen,  dafs  die  Wahl  dieser  Losung  allgemeiner  Zu- 
stimmung begegnete. 

Während  sich  diese  innere  Entwicklung  unserer  Gesellschaft  • 
vollzog,  hielt  sie  die  Lösung  der  Aufgaben,  die  sie  sich  gesteckt 
hatte,  fest  im  Auge.  Die  erste  und  wichtigste  bestand  in  der 
Förderung  der  Jahrhundertfeier,  die  am  28.  März  1892 
bevorstand.  Es  war  von  vornherein  ausdrücklich  ausgesprochen, 
dafs  die  Comenius-Gesellschaft  das  Andenken  der  grofsen  Männer, 
in  deren  Geist  sie  zu  wirken  wünschte,  nicht  blofs  durch  den  Neu- 
druck ihrer  Schriften  oder  durch  Lebensbilder,  sondern  auch  durch 
die  Errichtung  von  Denkmälern  und  durch  Gedenkfeste 
pflegen  wollte. 

Der  Rechenschaftsbericht  über  die  Thätigkeit  und  die  Er- 
folge unserer  Gesellschaft,  dessen  wesentliche  Punkte  ich  in 
dieser  Form  bekannt  machen  möchte,  hat  daher  in  erster  Linie 
die  Schritte  zu  erwähnen,  die  zur  Förderung  der  Feier  geschehen 
sind.  In  Rücksicht  darauf,  dafs  unseren  Lesern  die  erzielten 
Ergebnisse  durch  die  Tagespresse  hinreichend  bekannt  geworden 
sind,  kann  ich  mich  in  dieser  Beziehung  kurz  fassen. 

Bereits  im  Frühjahr  1891  war  die  Jahrhundertfeier  an  den- 
jenigen Orten,  welche  mit  der  Geschichte  des  Comenius  enger 


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1893. 


Die  Comenius-Gesellschaft. 


13 


verknüpft  waren,  gesichert;  aber  eine  allgemeine  Feier  hielten 
um  diese  Zeit  selbst  solche  Männer,  die  dem  Unternehmen  sehr 
wohlwollend  gegenüberstanden,  für  undenkbar.  Ihr  könnt,  sagte 
man  uns,  weder  die  religiösen  Empfindungen  irgend  einer  der 
bestehenden  Kirchen  noch  (aufserhalb  Mährens  und  Böhmens)  die 
nationalen  Leidenschaften  in  Bewegung  setzen,  und  wer  wird 
heute  ftir  einen  Apostel  des  Friedens  schwärmen,  wo  alles  von 
Hafs  und  von  Gegensätzen  erfüllt  ist? 

Alle  diese  Vorhersagungen  sind  zu  Schanden  geworden:  die 
Jahrhundertfeier  hat  in  der  That  einen  einzigartigen  Verlauf  ge- 
nommen, und  unsere  Gesellschaft  kann  mit  diesem  ersten  Er- 
gebnis ihres  Auftretens  zufrieden  sein.  Unter  allen  gebildeten 
Völkern,  bei  Mitgliedern  aller  Bekenntnisse,  Parteien  und  Stände 
hat  der  Ruf,  den  wir  ergehen  liefsen,  Wiederhall  gefunden,  und 
in  tausend  und  aber  tausend  Herzen  hat  sich  das  Bild  des  grofsen 
Mannes  eingeprägt. 

Die  Welt  hast  du  geachtet  einst  durchmessen 
Von  Mährens  Bergen  zu  des  Nordens  Reich, 
Heut  will  die  Welt  an  deinem  Werke  bauen. 
Und  Nord  und  Süd  soll  deine  Siege  schauen! 

Was  der  Dichter  voraussah,  ist  zur  Wirklichkeit  geworden: 
Nord  und  Süd  hat  seine  Siege  geschaut  und  kein  Mifston  hat 
sich  in  die  Freude  gemischt,  mit  der  die  geistige  Auferstehung 
dieses  Propheten  eines  glücklicheren  Weltalters  weit  und  breit 
begrüfst  ward.  So  ist  die  alte  Vorhersagung  von  Gottfried  Wilhelm 
Leibniz  spät  zwar,  aber  in  ungeahntem  Umfang  wahr  geworden : 

Dich,  Comeniug,  wird,  dein  Thun,  dein  Hoffen,  dein  Wünschen 
Ehren  und  preisen  dereinst,  wer  zu  den  Guten  sich  zählt. 

Nachdem  das  Ergebnis,  das  uns  vorschwebte,  erzielt  worden 
ist,  kommt  es  wenig  in  Betracht,  dafs  viel  Arbeit  und  viel  Geld 
dazu  notwendig  gewesen  sind.  Beides  ist  von  den  Freunden  des 
Unternehmens  zur  Verfügung  gestellt  worden,  und  man  wird 
über  die  Einzelheiten  bei  anderer  Gelegenheit  genügende  Aus- 
kunft finden. 

Die  bei  dem  Vorsitzenden  eingegangenen  Berichte  über  die 
Feier  bestätigen,  dafs  die  Träger  der  Bewegung  allerorten 
gerade  diejenigen  Männer  gewesen  sind,  die  bereits  im  Jahre 
1891  Mitglieder  der  Comenius- Gesellschaft  geworden  waren. 
Die  Zahl  unserer  Mitglieder  betrug  bereits  am  1.  Februar  1892 
etwa  650  Personen  und  Körperschaften,  und  die  Summe  der 


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14 


Keller, 


Heft  1  u.  2. 


Beitrage,  die  allein  im  Jahro  1891  oder  für  1891  eingegangen 
sind,  belief  sieh  auf  rund  6200  Mk.  —  ein  Betrag,  der  zur  Be- 
streitung der  Kosten  der  Jahrhundertfeier  nicht  ausreichte,  son- 
dern noch  einen  Zuschufs  von  etwa  2800  Mk.  aus  den  Einnahmen 
des  Jahres  1892  notwendig  machte.  Ich  glaube  kaum,  dafs  die 
Gesamtausgabe  von  9000  Mk. ,  welche  ftlr  die  Jahrhundertfeier 
von  der  Gesellschaft  gemacht  worden  ist,  angesichts  der  erzielten 
Erfolge  als  zu  hoch  betrachtet  werden  wird.  Man  kann  sich  ein 
Bild  von  den  Kosten  und  der  Arbeit,  die  uns  erwuchsen,  machen, 
wenn  man  erwögt,  dafs  etwa  siebzig  verschiedene  Drucksachen 
in  mehr  als  100000  Abzügen  versandt  worden  sind. 

Unter  jenen  650  Mitgliedern  waren  Angehörige  von  14  Na- 
tionen vertreten.  Die  Regierungen  der  verschiedenen  Staaten 
hatten  durch  ihre  obersten  Schulbehördcn  in  freundlichem  Sinne 
zu  der  Sache  Stellung  genommen.  Aus  dem  Königl.  Preufs. 
Kultusministerium  waren  die  Herren  Wirkl.Geh.  Oberregierungsrat 
Dr.  Schneider  und  Geh.  Oberregierungsrat  Dr.  II ö p f n e r  Vor- 
standsmitglieder der  Gesellschaft  geworden  *) ;  aus  dem  Erziehungs- 
bureau der  Vereinigten  Staaten  war  dessen  Chef,  Herr  Dr.  W. 
T.  Harri  8,  beigetreten;  aus  Österreich  hatte  der  k.  k.  Ministerial- 
rat Ritter  v.  Jirecck  in  Wien,  sowie  der  Vizepräsident  des 
Landesschulrats  für  Ungarn,  Herr  Prof.  Dr.  G.  Heinrich  in 
Budapest  den  Anschlufs  bewirkt,  aus  Italien  hatte  der  Minister 
des  Unterrichts,  Herr  Dr.  Pasquale  Villari,  seine  Mitwirkung 
in  Aussicht  gestellt,  ebenso  aus  Schweden  der  vormalige  Volks- 
schulinspektor Herr  Dr.  C.  J.  Meyerberg  in  Stockholm  und 
aus  Norwegen  der  Departements-Chef  im  Kirchen-  und  Unterrichts- 
ministerium, Herr  D.  F.  K n u d s e n.  Das  Kaiserlich  Russische 

•)  Der  Deutsche  Reichs-Anzeiger  vom  18.  März  1892  (Nr.  68) 
brachte  mit  gesperrter  Schrift  folgeude  Notiz :  „Auf  den  28.  März  d.  J.  fallt 
der  300jährige  Geburtstag  de«  Arnos  Comenius.  Die  Verdienste  dieses 
Manne«  um  das  Schulwesen  und  insbesondere  um  die  Volks- 
schule sind  so  grofs  und  so  allgemein  anerkannt,  dafs  gerade 
die  Lehrerbildungsanstalten  durch  eine  angemess ene  Fest- 
feier sein  Andenken  zu  ehren  berufen  sind.  Der  Minister  der 
geistlichen  etc.  Angelegenheiten  hat  den  Königlichen  Provinzial-Schul- 
kollegien  Abschrift  einer  von  dem  Königlichen  Provinzial-Schulkollegium 
zu  Breslau  an  die  Seminardirektoren  und  Präparaudcnanstalts- Vorsteher  der 
Provinz  Schlesien  erlasseuen  Cirkularverfügung  vom  16.  Februar  d.  J.  über 
die  Feier  des  300jährigen  Geburtstags  des  Arnos  Comenius  zur  Kenntnis- 
nahme und  mit  der  Veranlassung  zugehen  lassen,  bei  den  ihnen  unter- 
stellten Lehrer-  und  Lehrerinncn-Uildung^anstalten  etc.  auf  eine  angemessene 
Feier  dieses  Tages  hinzuwirken." 


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- 


I 


1893.  Dic  Comenius-Gesellschaft.  15 

Ministerium  der  Volksaufklärung  hat  in  dem  von  ihm  heraus- 
gegebenen Journal  im  Januar  1892  einen  empfehlenden  Aufsatz 
Uber  die  Comenius-Gesellschaft  abdrucken  lassen.  Diesem  Beispiel 
waren  die  übrigen  deutschen  Staaten  zum  grösseren  Teil  ge- 
folgt; namentlich  hatten  aus  dem  Königl.  Sächs.  Kultusministerium 
Herr  Geh.  Rat  Dr.  Bornemann  und  aus  Strafsburg  der  Präsi- 
dent des  Oberschulrats  fiir  Elsafs-Lothringen  Herr  Richter  seine 
Zustimmung  zu  erkennen  gegeben,  und  die  Oberschulbehörden 
anderer  Staaten  (Würtemberg,  Baden,  S. -Altenburg 
u.  s.  w.)  hatten  eine  thätige  Teilnahme  an  den  Tag  gelegt 

Um  ihre  finanzielle  Mitwirkung  für  die  Gesellschaft  sind  bis 
heute  die  Staatsregierungen  nicht  ersucht  worden ;  zu  den  Kosten 
der  Jahrhundertfeier  hat  das  Königl.  Preufs.  Kultusministerium 
auf  Antrag  des  Festausschusses  eine  Beihilfe  von  500  M.  bewilligt. 
Es  ist  dagegen  um  so  eher  Hoffnung  vorhanden,  dafs  bezügliche 
Gesuche  der  Gesellschaft  einer  freundliehen  Aufnahme  begegnen 
werden,  je  mehr  wir  auf  wissenschaftliche  oder  gemeinnützige 
Leistungen  hinzuweisen  imstande  sind.  Wie  in  den  Jahren 
1871  und  1872  die  Comenius-Stiftung  zu  Leipzig  durch  die  Regie- 
rungen verschiedener  Staaten  unterstützt  worden  ist,  so  wird 
in  gleicher  Weise  gewifs  auch  unser  Unternehmen  die  gleiche 
Mitwirkung  erfahren. 

Auch  eine  Reihe  von  Städten,  an  ihrer  Spitze  Amsterdam, 
Prag,  Danzig,  Elbing,  Lissa  und  Prcrau,  bethätigten 
vom  ersten  Augenblick  an  ihr  Interesse  durch  finanzielle  Mit- 
wirkung; inzwischen  sind  weiter  beigetreten:  Fulnek  in  Mähren, 
Kassel,  Leipzig,  Mühlhausen  in  Thüringen,  Posen  und 
Stettin.  Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dafs  weitere  Gesuche 
weitere  Beitritte  zur  Folge  haben  werden.  Die  Stadt  Berlin  hat 
für  die  Jahrhundertfeier  im  März  1892  1000  Mk.  bewilligt.  Die 
Städte  Halle  und  Nürnberg  haben  den  Beitritt  abgelehnt. 

Seit  dem  Februar  1892,  wo,  wie  bemerkt,  die  Zahl  unserer 
Mitglieder  650  betrug,  hat  sich  eine  stetige  und  regelmäfsige 
Zunahme  vollzogen.    Die  Zahlen  betrugen: 

am  15.  April    1892  :  749  Mitglieder, 

„     3.  Juni       „  796 

„   12.  August    „       856  „ 

„     2.  Nov.       r  910 

„   31.  Dez.        „       940  r 
Unter  diesen  Mitgliedern  befanden  sich  am  Schlufs  des 
Jahres  1892  eine  verhältnismäfsig  grofse  Zahl  —  etwa  215  — 


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16 


Keller, 


Heft  1  u.  2. 


körperschaftliehe  Mitglieder,  was  wir  als  günstiges  Anzeichen 
deuten  dürfen.  Diese  Zunahme  erfolgte,  obwohl  natürlich  gleich- 
zeitig durch  Tod,  Ausscheiden  u.  s.  w.  der  übliche  Abgang  sich 
vollzog.  Wir  haben  durch  den  Tod  unter  anderen  folgende 
Mitglieder  verloren:  Dr.  Friedr.  Fabri,  Univ.-Prof.  in  Bonn; 
Reg.-  u.  Schulrat  Dr.  Falkenheiner  in  Kassel;  Dr.  Frick, 
Direktor  der  Franckeschen  Stiftungen  in  Halle  ;  Dr.  S.  J.  H  ingst, 
Mitglied  des  obersten  Gerichtshofs  im  Haag;  Dr.  J.  Albert  van 
Karapen,  Gymn.-Prof.  in  Gotha;  Dekan  F.  Kübel  in  Efs- 
lingen;  Rcdacteur  August  Lammers  in  Bremen;  Schuldirektor 
Bruno  Marquart  in  Dresden;  Oberst  a.  D.  Neuland,  Berlin; 
R.  H.  Quick,  Redhill,  England;  Rei  necke,  Stadt- und  Kreis- 
Schulinspektor,  Berlin;  Dr.  Eid.  Robert,  Rechtsanwalt,  Mascara, 
Algier;  Pastor  W.  Teutschland  er  in  Bukarest;  Militärober- 
pfarrer  Dr.  Tube  in  Danzig;  Prof.  Dr.  Weinkau  ff  in  Köln; 
Dr.  jur.  Ernst  Emil  W  e  n  d  t  in  London. 

Es  waren  zum  Teil  ausgezeichnete  Männer,  Namen  von 
bestem  Klang  und  zum  Teil  gerade  solche  Männer,  die  den 
ersten  Anfängen  unserer  Gesellschaft  besonders  nahe  gestanden 
haben. 

Die  Summe  der  Einnahmen  des  Jahres  1892  läfst  sich  in 
dem  Augenblick,  wo  dieser  Bericht  abgeschlossen  wird,  noch  nicht 
genau  übersehen.  Bis  zum  31.  Dezember  1892  waren  im  ganzen 
rund  5500  Mk.  für  1892  eingegangen;  da  aber  in  unseren  Rollen 
noch  eine  Anzahl  von  Mitgliedern  verzeichnet  steht,  deren 
Beiträge  noch  ausstehen,  so  werden  die  Einnahmen  unter  Vor- 
aussetzung eines  vollständigen  Eingangs  sich  noch  um  etwa 
500  Mk.  erhöhen.  Von  diesen  Einnahmen  sind,  wie  oben  be- 
merkt, etwa  2800  Mk.  zur  Förderung  der  Jahrhundertfeier  ver- 
wandt worden;  der  Rest  ist  für  die  Veröffentlichungen  der  Ge- 
sellschaft und  für  Verwaltungszwecke  verwandt  worden.  Ein 
Kassenbericht ,  der  die  genaueren  Zahlen  giebt,  soll  im  März 
oder  April  der  Öffentlichkeit  übergeben  werden. 


Nachdem  zu  Ende  März  1892  die  erste  und  vornehmste  Auf- 
gabe der  Gesellschaft  mit  dem  Schiufa  der  Jahrhundertfeier  gelöst 
war,  traten  sofort  wichtige  weitere  Aufgaben  an  uns  heran, 
nämlich  vor  allem  der  Ausbau  Unserer  Organisation, 
die  Anknüpfung  freundlicher  Beziehungen  zu  ver- 


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1893. 


Die  Comenius-Gescdlschaft. 


17 


wandten  Bestrebungen  und  der  Beginn  unserer  Ver- 
öffentlichungen. 

Wenn  auch  zu  Beginn  des  Jahres  1892  die  allgemeinen  Ziel- 
punkte und  die  Mittel,  um  sie  zu  erreichen,  durch  die  mit  dem 
Aufruf  versandten  Vereinbarungen  festlagen,  so  blieben 
doch  im  einzelnen  noch  vielerlei  nähere  Bestimmungen  notwendig. 
Diese  wurden  in  den  Satzungen  gegeben,  die  im  März  1892  ent- 
worfen und  durch  Beschluß  des  Gesamtvorstands  mit  dem 
1.  April  1892  vorläufig  in  Kraft  gesetzt  wurden1).  Von  un- 
mittelbar praktischer  Bedeutung  wurden  von  den  neuen  Anord- 
nungen, die  sie  enthalten,  zunächst  diejenigen,  welche  über  die 
Zwciggesellsc  haften  (Abteilungen)  und  Uber  die  Landes- 
und Ortspflegschaften  handelten  (§§  16—28).  Wenige 
Monate,  nachdem  die  Satzungen  in  Kraft  getreten  waren,  wurde 
die  erste  Zweiggesellschaft  zu  Amsterdam  unter  dem  Vorsitz 
von  Herrn  Dr.  Rogge,  ordentlichem  Professor  der  allgemeinen 
Geschichte  an  der  dortigen  Universität,  ins  Leben  gerufen  und 
ihr  unter  dem  6.  November  1892  ein  Grundungspatent  verliehen. 
Gleichzeitig  wurden  in  Geinäfsheit  der  28  und  29  der 
Satzungen  in  etwa  fünfzig  Städten  Landes-  uod  Ortspflegschaften 
eingerichtet  und  Bevollmächtigte  der  Gesellschaft  ernannt. 
Die  Namen  der  Herren  werden  wir  durch  die  „Mitteilungen" 
veröffentlichen.  Die  Geschäftsordnung,  welche  für  die  Bevoll- 
mächtigten entworfen  worden  ist,  nat  im  Oktober  1892  die  Zu- 
stimmung des  Gesamtvorstandes  gefunden.  Die  wichtigsten  Be- 
stimmungen derselben  sind  diejenigen,  welche  auf  die  Ein- 
richtung von  Co moni  us-Krftnzchen  abzielen. 

Einen  besonders  wichtigen  Fortschritt  unserer  Organisation 
bezeichnet  die  „Geschäftsordnung  für  den  Gesamtvor- 
stand der  C.-G.w,  die  im  dritten  Heft  unserer  Monatshefte  vom 
Jahre  1892  (Geschäftl.  Teil,  S.  63  ff.)  veröffentlicht  worden  ist. 

Durch  die  Bestimmungen  derselben  sind  sowohl  die  wissen- 
schaftlichen, wie  die  gemeinnützigen  Ziele  klarer  umschrieben 
worden.    In  letzterer  Beziehung  heifst  es  in  §  4,  Absatz  2: 

„Zum  Zweck  gemeinnütziger  Bethätigung  kann  der 
Vorstand  in  gröfseren  Orten  unter  Mitwirkung  der  hier- 


')  Abgedruckt  in  den  Monatsheften  der  C  G.,  Heft  1,  Geschäftl.  Teil, 
S.  11  ff. 

MonaUheft«  der  Comenius-OcMUftchaft    1R,<3.  2 


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18 


Keller. 


Heft  1  u.  2. 


für  geeigneten  Gesellschaftsorgane  Einrichtungen  treffen, 
welche  solchen  Personen  die  wissenschaftliche  Weiter- 
bildung erleichtern,  die  eine  Hochschule  nicht  haben  be- 
suchen können  oder  die  ihre  akademischen  Studien  bereits 
beendigt  haben  und  auf  diese  Weise  durch  feste  Vor- 
tragszyklen fUr  Bildungspflege  und  Volkserziehung 
wirken.    Nähere  Bestimmungen  bleiben  vorbehalten." 

Es  wird  eine  der  Aufgaben  des  Gesamtvorstandes  sein,  die 
Schritte  zu  erwägen,  die  unter  Mitwirkung  der  Herren  Bevoll- 
mächtigten und  der  Comenius-Kränzchen  in  der  angedeuteten 
Richtung  etwa  geschehen  könnten. 

In  Sachen  der  wissenschaftlichen  Unternehmungen  und  ihrer 
Lösung  ist  die  Bildung  von  Sektionen,  welche  die  Geschäfts- 
ordnung ins  Auge  fafst,  von  Wichtigkeit  (§  22  ff.).  Da  diese 
Sektionen  selbständige  Einnahmen  haben  und  selbständige  Aus- 
gaben raachen  können,  so  ist  die  Möglichkeit  geboten,  dafs  sie 
bestimmte  Forschungsgebiete  ich  erinnere  z.  B.  an  die  Ge- 
schichte bestimmter  Religionsgemeinschaften  oder  bestimmter 
Persönlichkeiten  —  selbständig  in  Angriff  nehmen,  sofern  gerade 
für  solche  Gebiete  bei  Patronen  und  Gönnern  unserer  Gesellschaft 
besonderes  Interesse  vorhanden  ist  und  besondere  Mittel  flüssig 
gemacht  werden.  Es  sind  einstweilen  vier  Sektionen  ins  Auge 
gefafst : 

A.  eine  philosophisch-historische  Sektion, 

B.  eine  theologisch-historische  Sektion, 

C.  eine  Sektion  für  Erziehungslehre  und  Schulgeschichte, 

D.  eine  Sektion  für  Volkserziehung  und  Bildungspflege. 
Die  Sektion  A  umfafst  auch  die  Geschichte  der  sog.  exakten 

Wissenschaften,  der  Staats-  und  Rechtsphilosophie  und  der  Ge- 
sellschaftslehre; dio  Sektion  D  auch  die  Volkssprachen. 

Mit  der  Bildung  der  Sektionen  soll  im  Herbst  1893  der  An- 
fang gemacht  werden. 


Der  Aufruf  zur  Jahrhundertfeier  und  die  Einladung  zur 
Teilnahme  an  unserer  Gesellschaft  war  seit  dem  Juni  1891  ohne 
Unterschied  der  Nation  und  Konfession  an  solche  Körperschaften 
und  Personen  gesandt  worden,  bei  denen  wir  einiges  Interesse 
voraussetzen  konnten.  Es  war  natürlich,  dafs  unsere  Pläne  dort 
lebhaftere,  hier  geringere  und  anderwärts  gar  keinen  Wiederhall 


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1893. 


Die  Comenius-Gesellschaft. 


19 


fanden  und  aus  den  Rückäufserungen,  die  in  unsere  Hände  ge- 
langten, liefe  sich  über  die  betreffenden  Kreise  ein  einigermafsen 
sicheres  Urteil  gewinnen.  Es  mufs  dabei  hervorgehoben  werden, 
dafs  sieh  diese  Kreise  nicht  in  erster  Linie  nach  der  Kon- 
fession, sondern  nach  dem  Beruf  schieden.  Die  Männer,  die 
durch  ihre  wissenschaftliche  oder  praktische  Thätigkeit  auf  dem 
Gebiet  der  Erziehung  mit  den  Grundsätzen  des  Comenius  be- 
kannt geworden  waren,  bethätigton  bald  und  vielseitig  ihre 
Teilnahrae,  gleichviel  ob  sie  katholisch  oder  evangelisch  waren; 
ebenso  waren  die  österreichischen  und  besonders  die  böhmisch- 
mährischen  Landslcute  des  Comenius,  gleichviel,  ob  reformiert, 
lutherisch,  katholisch  oder  freigeistig,  warme  und  eifrige  Parteigänger. 

Auch  die  Vertreter  aller  gemeinnützigen  Bestrebungen, 
die  in  Comenius  einen  ihrer  Vorkämpfer  erkannten,  wie  die 
Bildlingsvereine,  Schulvereine,  Sprachvereine, 
ferner  die  zahlreichen  und  gut  organisierten  Anhänger  Fröbels 
und  Herbarts,  die  Freunde  Krauses,  der  Verein  für 
Knabenhandarbeit  u.  s.  w.  nahmen  eine  freundliche  Stel- 
lung zu  unseren  Bestrebungen  ein  und  führten  uns  manche 
Mitglieder  zu.  Besonders  rührig  zeigten  sich  die  Lehrer- 
vereine, von  welchen  gegenwärtig  schon  gegen  60  der  Gesell- 
schaft angehören. 

Erfreulich  mufste  es  auch  für  den  Gesamtvorstand  sein, 
dafs  eine  gröfsere  Zahl  angesehener  Gesch ich ts vereine  in 
richtiger  Würdigung  der  wissenschaftlichen  Bestrebungen  unserer 
Gesellschaft,  zum  Theil  aus  eigener  Veranlassung,  zum  Teil  auf 
Anfrage  sich  in  freundliche  Beziehungen  zu  uns  setzten. 

Von  den  gröfseren  Vereinen,  mit  welchen  unsere  Gesellschaft 
schon  jetzt  in  freundnachbarliche  Beziehungen  getreten  ist,  nenne 
ich  aufserdem  die  Gesellschaft  für  deutsche  Erziehungs- 
und  Schulgeschichte,  den  „Verein  für  wissenschaft- 
liche Pädagogik",  die  „Gesellschaft  für  Verbreitung 
von  Volksbildung",  den  „Verein  für  Volkserziehung" 
in  Augsburg;  mit  anderen  Vereinen  schweben  Verhandlungen. 
Der  interkonfessionelle  Charakter  unseres  Unternehmens  trat  darin 
klar  zu  Tage,  dafs  keines  von  unseren  215  körperschaftlichen 
Mitgliedern  (mit  einer  einzigen  Ausnahme)  gefragt  hat,  ob  und 
eventuell  welchen  kirchlichen  Charakter  die  Gesellschaft  trage1). 


')  Man  hat  es  unserer  Gesellschaft  zum  Vorwurf  gemacht,  dafs  auch 

2* 


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20 


Keller, 


Heft  1  u.  2 


Andererseits  zeigte  es  sich  allerdings  bald ,  dafs  Comenius 
einer  Religionsgemeinschaft  angehört  hatte,  die,  wie  G.  A.  Lind- 
ner in  seiner  Lebensbeschreibung  sagt 2),  „nicht  katholisch,  nicht 
protestantisch,  nicht  reformiert,  sondern  einfach  christlich 
war",  und  dafs  es  unter  allenKonfessionen  auch  heute  noch 
Viele  giebt,  die  für  diesen  Standpunkt  Verständnis  und  Sym- 
pathie besitzen. 

Eine  Art  gemeinsamer  Teilnahme  von  seiten  bestimmter 
Religionsgemeinschaften  konnte  der  Natur  der  Sache  nach  nur 
so  weit  zu  Tage  treten,  als  deren  Überlieferungen  sich  in  dem 
einen  oder  andern  Sinn  mit  denjenigen  der  böhmischen  Brüder 
und  ihres  letzten  Bischofs  berührten;  dazu  gehörten  vor  allem 
die  Reformierten,  sofern  sie  nicht  strenge  Calvinisten  waren, 
und  die  Brüdergemeinde.  Die  Reste  der  böhmischen  Brüder 
hatten  sich  nach  Auflösung  der  Unitat  zum  gröfseren  Teil  den 
Reformierten  angeschlossen,  denen  sie  sich  von  je  innerlich  am 
verwandtesten  gefühlt  hatten,  und  die  in  vielen  Ländern  weit- 
herzig genug  waren ,  um  den  Brüdern  in  ihren  Gemeinden  auch 
dann  Aufnahme  zu  gewähren ,  wenn  diese  die  Anerkennung 
streng  calvinistischer  Grundsätze  ablehnten.  Comenius  selbst 
hatte  seine  wissenschaftliche  und  theologische  Ausbildung  an  den 
reformierten  Hochschulen  Herborn  und  Heidelberg  er- 
worben und  seine  letzte  Ruhestätte  in  einer  reformierten  Kirche 
(zu  Naardcn)  gefunden,  und  so  war  es  ganz  erklärlich,  wenn  manche 
reformierte  Geistliche  sich  berechtigt  hielten,  auch  innerhalb 
ihrerKirche  der  Jahrhundertfeier  für  den  Bischof  der  glaubens- 
verwandten Brüder  zu  gedenken  und  den  Anschlufs  ihrer  Gemein- 
den an  die  Gesellschaft  zu  bewirken.  Was  bei  den  Reformierten 
vielfach  geschah,  das  wurde  innerhalb  der  Brüdergemeinde  aller- 
orten vollzogen :  ein  lebhaftes  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit 
mit  den  älteren  böhmischen  Brüdern  brach  sich  Bahn,  und  eine 

Grofs  logen  und  Logen  unter  ihren  Mitgliedern  seien.  Die  That- 
sache  ist  richtig;  aber  es  ist  nicht  abzusehen,  inwiefern  daraus  für  die 
Gesellschaft  eine  Benachteiligung  erwachsen  soll.  Diese  Befürchtung 
fliefst,  wie  es  scheint,  aus  einer  Beurteilung  der  Freimaurer,  die 
Comenius  in  einen  Gegensatz  zu  diesen  stellt.  Wie  weit  ein  solches 
Urteil  zutrifft,  kann  hier  ununtersucht  bleiben.  Wir  glauben  nicht,  dafs 
der  Anschlufs  von  Grofslogcn  und  Logen  erfolgt  sein  würde,  wenn  es  richtig 
wäre. 

')  G.  A.  Lindner,  Joh.  Arnos  Comenius,  sein  Leben  und  Wirken. 
Neu  herausgegeben  von  Bötticher.    Wien  1892,  Pichler.  Vorwort. 


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1893. 


Die  Comenius-Gesellschaft. 


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rege  Teilnahme  wurde  von  allen  Gemeinden  an  dem  Jubiläums- 
tage in  und  aufserhalb  der  Kirchen  bekundet,  während  allerdings 
nur  die  Unität  als  solche,  nicht  aber  einzelne  Gemeinden,  der 
Comenius-Gesellschaft  beitrat 

Auch  darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  dafs  die  deutschen  Men- 
noniten,  die  italienischen  Waldenser  und  die  hollän- 
dischen Kemonstranten  sich  der  Thatsache  erinnerten,  dafs 
in  früheren  Jahrhunderten  engere  Bande  als  in  späteren  Zeiten 
zwischen  den  „Brüdern"  in  Böhmen  und  denjenigen  in  Italien, 
der  Schweiz  und  in  Holland  vorhanden  gewesen  waren,  und  da 
unsere  Vereinbarungen  ausdrücklich  versprachen,  dafs  die  zu 
gründende  Gesellschaft  auch  die  ältere  und  älteste  Geschichte 
pflegen  wollte,  war  es  natürlich,  dafs  von  dieser  Seite  uns  gleich- 
falls Teilnahme  bewiesen  ward.  Die  Jahrhundertfeier  und  das 
Zusammenwirken  in  unserer  Gesellschaft  haben  in  allen  diesen, 
durch  ungünstige  geschichtliche  Entwicklungen  getrennten  Gemein- 
schaften das  Bewufstsein  verwandten  Ursprungs,  ver- 
wandter Grundsätze  und  verwandterAufgaben  offen- 
bar gekräftigt,  und  vielleicht  wird  die  gemeinsame  Arbeit 
diese  Wirkungen  noch  verstärken  und  vertiefen. 


Wenn  wir  nun  schliefslich  unseren  Blick  auf  die  Veröffent- 
lichungen richten,  welche  von  der  Gesellschaft  seit  ihrem  Be- 
stehen veranlagst  worden  sind,  so  wäre  es  unbillig,  wenn  man 
dazu  nur  die  Monatshefte  zählen  wollte. 

Wir  lassen  den  Aufruf,  der  in  20  000  Exemplaren  in 
deutscher,  französischer,  englischer,  tschechischer  und  unga- 
rischer Sprache  verbreitet  worden  ist,  in  dieser  Beziehung  auf 
sich  beruhen;  aber  die  Rundschreiben,  Protokolle  und 
Berichte,  welche  der  Verwaltungsausschufs  nach  und  nach 
veröffentlicht  hat,  dürfen  doch  deshalb  nicht  übergangen  werden, 
weil  sie  keineswegs  blofs  geschäftliche,  sondern  zum  Teil  wichtige 
grundsätzliche  Fragen  betrafen.  Sie  haben  eine  Reihe  von  Ver- 
öffentlichungen mittelbar  veranlagt,  die  auch  insofern  als 
unsere  Publikationen  gelten  dürfen,  als  sie  von  Mitgliedern 
der  Gesellschaft  verfafst  und  zum  Teil  auf  Kosten  der  Gesellschaft 
in  gröfserer  Zahl  verbreitet  worden  sind. 

Hierher  gehören  eine  Anzahl  von  Abhandlungen  und  Vor- 
trägen über  Comenius,  die  in  der  Litteraturübersicht  von  Heft  4 


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22 


Keller, 


Heft  1  u.  2. 


S.  295  ff.  des  Jahrg.  1892  unserer  Monatshefte  mit  aufgeführt  wor- 
den sind.  Hierher  gehören  ferner  die  beiden  Festspiele  von 
Paul  Riech,  Comenius  in  Lissa  (Verlag  von  G.  W.  Luder,  Ber- 
lin, Prinzenstrafse  42)  und  von  Georg  Fritze  (Frankfurt  a./0. 
in  Komm,  bei  G.  Harnecker  &  Co.),  sowie  die  Festgedichte, 
welche  durch  das  Preisausschreiben  unserer  Gesellschaft 
vom  14.  Januar  1892  ins  Leben  gerufen  worden  sind. 

Die  •wissenschaftlichen  Publikationen  der  Gesellschaft  wurden 
dann  im  März  1892  mit  dem  ersten  Jahrgang  der  „Monats- 
hefte der  Coinenius-Ge8ellschafttt  eröffnet,  und  jetzt 
liegt  davon  der  erste  Jahrgang  als  Band  von  25  Bogen 
(Lexikon-Oktav)  vor.  Wenn  wir  uns  im  Jahre  des  Jubiläums 
vorwiegend  mit  der  Person  und  den  Werken  des  Comenius  be- 
schäftigt haben,  so  lag  das  in  den  Verhältnissen  begründet;  dafs 
wir  nicht  populäre,  sondern  wissenschaftliche  Aufsätze  ge- 
bracht haben,  ist  uns ,  wie  mehrfache  Zuschriften  ergeben  haben, 
verdacht  worden;  wir  werden  in  Zukunft  das  Arbeitsgebiet  im 
Sinne  unseres  Arbeitsplanes  erweitern,  aber  unseren  Monats- 
heften den  wissenschaftlichen  Charakter  bewahren  und  den  Be- 
dürfnissen weiterer  Kreise  durch  die  Herausgabe  von  Mit- 
teilungen der  Comenius-Gesellschaft  entgegenkommen. 

Der  Beschlufs  des  Gesaratvorstandes  vom  19.  November, 
welcher  diese  Erweiterung  unserer  Veröffentlichungen  ermöglicht 
hat,  beweist,  dafs  wir  in  jeder  Weise  bemüht  sind,  den  Anforde- 
rungen zu  entsprechen,  welche  billigerweise  gestellt  werden 
können.  Wir  bitten  unsere  Mitglieder,  auch  ihrerseits  eine  thätige 
Mitarbeit  eintreten  zu  lassen. 

Die  Urteile,  welche  in  der  Presse  sowohl  über  die  Gesell- 
schaft wie  über  die  Monatshefte  laut  geworden  sind,  waren  bis- 
her durchweg  in  freundlichem  Sinne  gehalten.  Wir  halten  es 
nicht  für  angemessen,  durch  Abdruck  solcher  Urteile  unseren 
Bemühungen  einen  Hintergrund  zu  geben. 

Jedenfalls  steht  es  fest,  dafs  auch  solche  Männer,  die  der 
Gesellschaft  einstweilen  nicht  angehören,  wie  z.  B.  Professor 
O.  Willmann  in  Prag,  sich  in  sympathischer  Weise  über  die  bis- 
herigen Veröffentlichungen  der  Gesellschaft  geäussert  haben. 

Bei  Unternehmungen,  wie  das  unsere  es  ist,  hat  die  Gesell- 
schaftsleitung vor  allem  die  Pflicht,  ihre  ersten  Schritte  vorsichtig 
zu  setzen.  Es  kann  nicht  darauf  ankommen,  binnen  zweier 
Jahre  blendende  Erfolge  zu  erzielen,  sondern  das  Bestreben  mufs 


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1893. 


Die  Comoniua-Gesellschaft. 


23 


dahin  geben,  eine  Grundlage  zu  schaffen,  auf  der  allmählich 
weitergebaut  werden  kann.  Es  ist  leicht,  gerade  auf  unserem 
Arbeitsfeld,  das  mit  religiös-philosophischen  Fragen  sich  nahe  be- 
rührt, starke  Leidenschaften  zu  wecken;  aber  es  ist  schwierig, 
eine  leistungsfähige  Organisation  unterWahrung  eines  e  i  n  m  it  t  i  g  e  n 
Handelns  ins  Leben  zu  rufen,  zumal  wenn  der  Kreis  der  Mit- 
glieder rasch  einen  Umfang  erreicht,  wie  es  bei  uns  bereits  der 
Fall  ist.  Bisher  ist  es  gelungen,  die  Auffrischung  vergangener 
und  dio  Fortsetzung  bestehender  Gegensätze  zu  vermeiden,  und 
wir  betrachten  es  als  unsere  wichtigste  Aufgabe,  auch  ferner  die 
glückliche  Stimmung  der  verflossenen  Gesellschaftsjahre  fort- 
zusetzen und  jede  Störung  des  Einvernehmens  hintanzuhalten. 

Keiner  Gesellschaft  pflegen  die  Kinderkrankheiten  erspart 
zu  bleiben,  und  wir  rechnen  gleichfalls  auf  solche.  Aber  es  ist 
für  solche  Fälle  doch  wichtig,  wenn  die  Kinder  mit  einer  guten 
Konstitution  zur  Welt  gekommen  sind.  Wenn  Zwischenfalle  ein- 
treten, so  wird  an  den  Tag  kommen,  dafs  wir  seit  1890  nicht 
ohne  Vorbedacht  einen  grofsen  Teil  unserer  verfügbaren  Kräfte 
auf  die  Organisationsfragen  und  deren  Austragung  verwandt 
haben,  und  dafs  die  bisherige  Einmütigkeit  einen  starken  Rück- 
halt gegenüber  störenden  Kräften  darbietet.  Dieser  Erfolg  ist 
wichtiger  als  einige  Bände  von  Publikationen,  die  wir  in  der 
gleichen  Zeit  mit  geringeren  Opfern  an  Arbeit  und  Geldmitteln 
hätten  herstellen  können. 


Die  Gesellschaft  findet  auf  dem  Gebiet,  auf  dem  sie  sich 
gemäl's  ihrem  Arbeitsplan  zunächst  zu  bethätigen  beabsichtigt, 
ein  weites,  wenig  angebautes  Feld  vor.  Comenius  steht  mit 
Baco  und  Leibniz  an  der  Schwelle  des  Zeitalters,  mit  welchem 
die  neuere  Entwicklung  der  Wissenschaften  begonnen 
hat,  jener  Entwicklung,  die  im  Gegensatz  zur  mittelalterlichen 
Weltanschauung  mehr  auf  die  Erkenntnis  des  Seienden  als'  des 
Übersinnlichen,  mehr  auf  das  Wesen  der  Natur  als  auf  das  Über- 
natürliche gerichtet  war. 

Diese  Geistesrichtung,  die  im  eigentlichsten  Sinne  die  Neu- 
zeit eingeleitet  hat,  hat  in  manchen  ihrer  späteren  Vertreter  die 
Neigung  gezeigt,  die  Kräfte  des  Gemüts,  wie  sie  sich  in  der 
Religion  bethätigen,  zu  unterschätzen  und  insbesondere  die 
christliche  Religion  nur  nach  den  Lehren  zu  beurteilen,  wie  sie 
in  den  Bekenntnissen  der  verschiedenen  Kirchen  formuliert  worden 


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24 


Keller, 


lieft  1  u.  2. 


waren.  Indem  sie  damit  in  eine  ähnliche  Einseitigkeit  verfielen, 
wie  sie  die  Träger  der  mittelalterlichen  Weltanschauung  gegen- 
über dem  Naturerkennen  und  den  Erfahrungswissenschaften  an 
den  Tag  legten,  haben  sie  viele  und  wichtige  Kräfte  des  Menschen- 
lebens in  ihrer  Wirkung  unterschätzt  und  ihren  Gegnern  starke 
Waffen  in  die  Hand  gegeben. 

Es  ist  von  der  gröfsten  Wichtigkeit,  festzustellen,  dafs  die 
Männer,  auf  die  die  neuere  Geistesrichtung  sich  mit  Recht  als 
ihre  Bahnbrecher  beruft,  den  späteren  Nachfolgern  hierin  nicht 
vorangegangen  sind.  Diese  Männer  wuisten  wohl ,  dafs  auch 
solche  Dinge,  die  sich  mehr  dem  Gemüt  des  Menschen  als  dem 
Verstände  erschliefsen  und  sich  als  Forderungen  des  Gefühls 
aufdrängen,  im  Leben  der  Völker  eine  grofse  Bedeutung  gewinnen 
und  für  den  Einzelnen  die  gleiche  Gewifsheit  wie  irgend  welche 
Sätze  der  Erfahrung  erlangen  können. 

In  dem  Umfang,  in  dem  es  gelingt,  das  Andenken  und  den 
Geist  von  Baco,  Comenius  und  Leibniz  wieder  zu  beleben,  werden 
die  Errungenschaften  der  modernen  Wissenschaften  vor  den  Ge- 
fahren gesichert  sein,  welche  ihnen  von  denjenigen  Mächten 
drohen,  die  den  scholastischen  Wissonschaftsbetrieb  heute  wie  ehe- 
mals als  allein  gültig  ansehen ,  und  deren  Vertreter  sieh  vor- 
läufig nur  als  zurückgedrängt,  aber  nicht  als  tiberwunden  be- 
trachten. 

Aber  hiermit  ist  das  Arbeitsgebiet  der  Gesellschaft  nicht  er- 
schöpft: es  erstreckt  sich  vielmehr  auf  alle  verwandten  geistigen 
Strömungen,  die  seit  vielen  Jahrhunderten  vorhanden  waren,  und  die 
bald  in  kirchlichen  Nebenströmungen,  bald  in  wissenschaftlichen 
Schulen  und  Gesellschaften  nach  äufserer  Gestaltung  und  Geltend- 
machung rangen.  An  dem  System,  dessen  Erforschung  wir  beab- 
sichtigen, haben  seitden  altchristlichen  Zeiten  unzählige  Geschlechter 
gebaut  und  gearbeitet  —  die  Einzelnen  wie  die  Menschheit  mit 
ihren  Plänen  umspannend.  Wie  für  jede  Geistesrichtung  hat  es 
auch  für  sie  Zeiten  der  Blüte  wie  des  Verfalls  gegeben,  aber  nie- 
mals ist  sie  gänzlich  verschwunden,  und  trotz  schwerer  Kämpfe 
haben  ihre  Ideen  sich  von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert  mächtiger 
und  mächtiger  entfaltet. 

Wir  haben  die  Männer,  die  wir  zu  den  vornehmsten  Trägern 
dieser  Strömungen  zählen,  in  dem  Rundschreiben  des  Verwaltungs- 
ausschusses vom  23.  Juli  1892  namhaft  gemacht1)  und  können 

>)  Abgedruckt  in  den  Monatsheften  der  C.-G.,  Geschäftl.  Teil  S.  71  ff. 


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181.«. 


Die  Comenius-Gesellschnft. 


25 


daher  hier  darauf  verweisen.  Dort  sind  auch  die  wesentlichen 
Charakterzüge,  die  bei  Allen  wiederkehren,  kurz  gctjchildert. 
Sowohl  die  Vertreter  der  sogenannten  älteren  deutschen  Mystik 
wie  Tauler  und  Eck  hart  und  die  sogenannten  Neuplatoniker 
des  Humanismus,  wie  die  sogenannten  Naturphilosophen  des 
siebzehnten  Jahrhunderts  und  der  ältere  Pietismus  Arndts  und 
Speners,  wie  endlich  die  Vorkämpfer  der  sogen.  Aufklärung 
von  Thomasius  bis  Schleiermacher  sind  beherrscht  von 
dem  Streben,  eine  über  dem  Streit  der  Nationen  und  Kirchen 
stehende  christliche  Denkweise  auf  der  Grundlage  echter  Huma- 
nität zur  Geltung  zu  bringen,  und  sie  sind  einig  in  der  Über- 
zeugung, dafs  dies  Ziel  vor  allem  durch  die  freie  Bewegung  der 
Wissenschaft  und  auf  dem  Wege  einer  naturgemäfsen  Volks- 
erziehung  erreicht  werden  müsse.  Daher  kehrt  die  Vorliebe 
des  Comenius  für  die  Erziehungslehre  bei  allen  gleichmäfsig 
wieder ;  aber  auch  seine  Betonung  der  Muttersprache  als  Mittel 
zur  Hebung  der  Volksbildung,  seine  Hinneigung  zu  den  exak- 
ten Wissenschaften  und  endlicli  der  Grundsatz,  dafs  alles 
Wissen  auf  das  Loben  zu  beziehen  sei,  treten  bei  allen  in 
gleicher  Bestimmtheit  hervor.  Daher  sind  in  den  Reihen  dieser 
Männer  die  Bahnbrecher  der  Erziehungslehre  und  die  Begründer 
der  exakten  Wissenschaften  zu  suchen,  und  wenn  unsere  Mathe- 
matiker, Astronomen,  Botaniker  und  Chemiker  nach 
den  Männern  forschen,  die  ihre  Wissenschaften  von  den  antiken 
Überlieferungen  und  der  scholastischen  Methode  befreit  haben, 
so  begegnen  sie  eben  den  Richtungen,  in  deren  Geist  unsere 
Gesellschaft  ihre  Aufgabe  zu  lösen  entschlossen  ist. 

In  einer  Zeit,  wo  für  die  geistigen  Errungenschaften  jener 
Männer  von  mehr  als  einer  Seite  ernste  Gefahren  heraufziehen, 
schien  es  wünschenswert,  diejenigen  unter  sich  in  Beziehung  zu 
setzen,  die  sich  mit  den  geschilderten  älteren  Richtungen  noch 
heute  eins  wissen.  Die  Anregung,  die  wir  in  diesem  Sinne  ge- 
geben haben,  ist  bisher  auf  fruchtbaren  Boden  gefallen. 

Aber  wenn  wir  imstande  sein  wollen,  in  die  Entwicklung 
des  wissenschaftlichen  und  thätigen  Lebens  selbständig  ein- 
zugreifen, dürfen  wir  uns  bei  den  bisherigen  Erfolgen  nicht  be- 
ruhigen. Wir  haben,  nachdem  der  allgemeine  Rahmen  für  unser 
Unternehmen  nunmehr  geschaffen  ist,  den  Wunsch,  den  Ausbau 
des  Ganzen  durch  die  Schaffung  örtlicher  Organisationen 
zu  vervollständigen.    Wir  bitten  daher  unsere  Mitglieder  wie 


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26 


Keller,  Die  Comeniua-GeselUchaft.  Heft  1  U.  2. 


unsere  Freunde,  auf  diesen  Punkt  ihre  Thätigkeit  zu  richten. 
Die  Einrichtung  der  Abteilungsmitglieder,  wie  sie  oben 
geschildert  ist,  erleichtert  den  Anschlufs  unter  den  bescheidensten 
Opfern. 

Wir  waren  und  sind  uns  der  Schwierigkeiten,  auf  die  bei 
dem  vorhandenen  Wettbewerb  jede  neue  Gesellschaftsbildung 
stofsen  mufs,  vollauf  bewufst.  Indessen  finden  wir  die  Berech- 
tigung zu  unserem  Vorgehen  darin,  dafs  wir  ein  Unternehmen 
vertreten,  das  im  Gegensatze  zu  den  zahllosen  Fachvereinen  den 
ganzen  Menschen  zu  erfassen  geeignet  ist  Unsere  Gesell- 
schaft kann,  da  sie  von  ihrer  Thätigkeit  und  ihren  Versammlungen 
keine  Wissenschaft  und  keine  Kunst  ausschliefst,  die  zur  Bildung 
des  Geistes  und  des  Charakters  oder  zur  Pflege  des  Gemüts 
dienen  kann,  gegen  die  Zersplitterung,  an  welcher  unser 
Vereinswesen  krankt,  ein  Gegengewicht  bilden.  Wir  wollen 
und  können  weder  mit  den  bestehenden  wissenschaftlichen 
und  gemeinnützigen  .  Vereinen,  noch  mit  den  Lehrer- 
vereinen, Bildungs  vereine  n,  Schulvereinen,  Sprach- 
verein e  n  u.  8.  w.  in  Wettbewerb  treten,  wohl  aber  kann  unsere 
Gesellschaft  der  Boden  werden,  auf  welchem  sich  die  Vertreter 
der  Fach  vereine  zu  geraeinsamem  Vorgehen  berühren.  Auch 
werden  die  Vorteile  des  grofsen,  viele  Länder  umfassenden 
Zusammenhangs  denjenigen  bald  zum  Bewufstscin  kommen,  die 
sich  zum  Beitritt  entschliefsen. 


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Ein  Friedensspruch. 

Dargestellt  von 
Dr.  M.  A.  N.  Hövers  (in  Holland). 


In  seiner  interessanten  Abhandlung :  Dieinterkonfessio- 
nellen  Friedensideale  des  Johann  Arnos  Comenius 
(Monatshefte  der  C.-G.  1892,  Heft  2)  benützt  Karl  Mämpel  die 
berühmte  Schrift  des  Comenius  „Unum  necessarium". 

Im  achten  Kapitel  derselben  heifst  es:  „Summa  concordiae 
Christianorum  lex  est  trina:  servare  in  omnibus  necessariis  uni- 
tatem,  in  minus  necessariis  libertatem,  in  omnibus  erga  omnes 
caritatem.tt 

Woher  dieser  Wahlspruch  ?  Lange  hat  man  vergebens  nach 
seinem  Urheber  gesucht. 

Im  Jahre  1847  hielt  der  berühmte  holländische  Professor 
der  Remonstranten,  des  Amorie  van  der  Hoeven,  einen  Vortrag, 
der  grofsen  Beifall  erregte.  Aus  demselben  citiere  ich  folgende 
Zeilen:  „Einheit  im  Notwendigen,  Freiheit  im  Zweifelhaften, 
das  sind  die  beiden  Säulen,  die  am  Eingänge  des  Gottesgebäudes 
stehen,  dessen  Grundstein  Christus  ist:  das  Gesims,  welches  beide 
Pfeiler  verbindet,  ist  die  Liebe.  In  Allem  die  Liebe.  Ein 
Spruch,  so  inhaltsschwer,  so  ausdrucksvoll,  der  in  wenig  Worten 
die  Auflösung  des  grofsen  Fragestückes  giebt,  wie  der  Friede  in 
der  Kirche,  die  Vereinigung  der  geteilten  Christenheit  zu  stände 
kommen  soll?  —  ein  Spruch,  wert  in  Marmor  gemeifselt,  oder 
besser,  in  alle  Christenherzen  graviert  zu  werden,  würde  der 
bei  uns  nicht  die  Sehnsucht  erregen ,  den  klaren  Kopf  und  das 
edele  Herz  desjenigen  kennen  zu  lernen,  aus  welchen  er  hervor- 
gegangen ist?" 

Freilich,  der  Redner  selbst  war  zu  der  traurigen  Folgerung 


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I 


28  Rovers,  Heft  1  u.  2. 

gekommen,  dafs  der  Spruch  ein  Findling  sei  und  bleibe.  Trotz- 
dom aber  äufserte  er  den  Wunsch,  ein  wissenschaftlicher  Verein 
möge  einen  Preis  ausschreiben  für  denjenigen,  dem  es  gelingen 
würde,  den  rechten  Vater  zu  entdecken. 

Lange  meinten  die  Gelehrten,  den  Autor  des  hochgepriesenen 
Wahlspruches  mllsse  man  im  christlichen  Altertum  suchen. 
Ziemlich  allgemein  erkannte  man  den  Kirchenvater  Augustinus 
als  den  Urheber  desselben  an.  Allein  in  dessen  zahlreichen 
Schriften  suchte  man  vergebens  danach  Auch  wurde  Augusti- 
nus' jüngerer  Zeitgenosse  und  Bekämpfer,  Vincentius  von  Leri- 
mum,  von  dem  der  bekannte  Spruch  herrührt:  „wir  müssen 
festhalten  an  dem,  was  überall,  immer  und  von  allen  geglaubt 
worden  ist",  genannt2).  Aber  auch  diese  Behauptung  stellte  sich 
als  unrichtig  heraus8),  gleichwie  die  Meinung  derer,  welche  dem 
Episcopius,  dem  ersten  Professor  am  Seminar  der  Remonstranten 
in  Amsterdam,  die  Vaterschaft  des  Spruches  zuschrieben,  der  die 
geliebte  Losung  vieler  Remonstranten  geworden  ist4). 

Dem  Dr.  Friedrich  Lücke,  dem  bekannten  Theologen  in 
Deutschland,  gebührt  die  Ehre,  den  Autor  des  Wahlspruches, 
nach  dem  man  so  lange  vergebens  gesucht,  entdeckt  zu  haben6). 
Nach  ihm  soll  es  Rupertus  Meldenius  sein,  der  sich  um  das  Jahr 
1625  in  seiner  „Mahnung  zum  Kirchenfrieden u  an  seine  Mit- 
bekenner der  Augsburger  Konfession  richtete6).    Es  wird  uns 


')  Vergl.  Prof.  Kist  in  „Kcrkelijk  Archicf",  X,  S.  358. 

*)  U.  a.  von  Dr.  H.  Thier»ch  in  „Vorlesungen  über  Katholicismus  und 
Protestantismus",  1846,  I,  S.  176. 

•j  Vincentius'  Common  itorium  wurde  von  van  der  Hoeven  wieder- 
holt gelesen,  aber  nirgendwo  hatte  er  den  Spruch  „In  necessariis  unitas" 
gefunden  (a.  a.  O.  S.  4  ff.). 

«)  Vergl.  Joannes  Tidemann  in  „De  Remonstranten  cn  het  Re- 
monstrantistne".  Auch  wurde  Georg  Calixtus  genannt.  Dafs  der 
Spruch  in  einem  der  Werke  des  irenischen  Theologen  Hermann  Witsius, 
der  zuerst  Professor  in  Franeker,  nachher  in  Utrecht  und  Leiden  war,  vor- 
kommen sollte,  ist  allerdings  nicht  unmöglich. 

*)Über  das  Zeitalter,  den  Verfasser  und  die  wahre  Be- 
deutung des  kirch liehen  Friedensspruches:  „In  necessariis  unitas, 
in  dubiis  libertas,  in  omnibus  Caritas1',  1851.  Seine  Gründe  waren  für 
Viele  nicht  überzeugend,  u.  a.  nicht  für  Friedrich  Böhringer,  der  noch  im 
Jahre  1878  den  Spruch  dem  Augustinus  zuschrieb.  (Vergl.  Aureliua 
Augustinus,  S.  420.)   Oder  hat  er  etwa  die  Schrift  Lückcs  nicht  gekannt? 

6)  Paraenesis  votiva  pro  pace  ecclesiae  ad  Theologos 
Augustanae  Confessionis. 


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1893. 


Ein  Friedenaspruch. 


29 


in  diesem  Büchlein  eine  nichts  weniger  als  erquickliche  Skizze 
gegeben  von  den  Lutheranern  und  ihren  Theologen.  Sie  worden 
aufgefordert,  nach  „Liebe11  zu  streben,  „verbunden  mit  frommer 
Vorsicht  und  ungeheuchelter  Demut".  Wenn  wir  —  so  lautet 
Meldenius'  Ansicht  —  im  Notwendigen  die  Einheit,  im  Nicht- 
notwendigen die  Freiheit,  in  Allem  die  Liebe  behaupteten,  wie 
viel  besser  würde  es  sich  dann  mit  den  Christen  verhalten  1  Jetzt 
wird  sogar  der  wegen  seiner  Frömmigkeit  bekannte  Johannes 
Arnd,  der  Autor  der  „Vier  Bücher  vom  wahren  Christentum*, 
verketzert !  Anstatt  der  Spur  Christi  folgen  die  Ketzerjäger  dem 
Wege  Bileams!  Lafst  uns  lieber  die  Zahl  der  für  alle  verbin- 
lichen  Glaubensartikel  einschränken  als  auf  die  Differenzen  in 
den  Kirchen  zu  achten!  Nur  im  Notwendigen  ist  die  Ein- 
heit eine  Forderung. 

Aber  was  gehörte  dazu?  Nicht  ohne  Verwunderung  lesen 
wir,  dafs  unser  friedlicher  Theologe  von  jedermann  fordert 
als  etwas  Unentbehrliches  für  die  Seligkeit:  a)  dasjenige,  was 
mit  Sicherheit  aus  deutlichen  Zeugnissen  der  heiligen  Schrift  ge- 
folgert werden  kann;  b)  diejenigen  Dogmen,  welche  auf  kirch- 
lichen Concilien  festgesetzt  und  in  symbolische  Bücher  aufge- 
nommen sind;  c)  die  Lehrsätze,  welche  einstimmig  von  allen 
rechtgläubigen  Theologen  anerkannt  werden. 

Unter  das  Nichtnotwendige  oder  Zweifelhafte  zilhlt 
Meldenius:  a)  dasjenige,  was  in  der  Schrift  nicht  deutlich  gelehrt 
wird;  b)  Dogmen,  über  welche  ältere  Theologen  keine  be- 
stimmte Überzeugung  ausgesprochen  haben;  c)  das,  was  zur 
Beförderung  der  Liebe,  der  Frömmigkeit  und  der  Erbauung 
nicht  dienlich  sein  kann. 

Ein  jeder  wird  der  Meinung  sein,  dafs  die  Klarheit  in  diesen 
Sätzen  zu  wünschen  übrig  lafst.  Wem  z.  B.  ist  es  einleuchtend, 
was  in  der  Schrift  deutlich  und  was  darin  undeutlich  ge- 
lehrt wird'?  Derjenige,  welchem  nach  diesem  der  Ehrenname 
eines  orthodoxen  Theologen  gebührte,  würde  von  jenem  bisweilen 
verketzert  werden.  Über  alles,  was  zur  Erbauung  und  Beför- 
derung der  Frömmigkeit  gehört,  hat  laut  der  Geschichte  schon 
öfter  Meinungsverschiedenheit  bestanden.  Und  diejenigen,  die 
keine  Fremden  in  der  Kirchengeschichte  sind,  werden  sich  er- 
innern, dafs  die  eine  Kirchenversammlung  nicht  selten  abgebrochen, 
was  die  andere  aufgebaut  hatte;  dafs  die  Einstimmigkeit  der 


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30 


Kovers, 


lieft  1  u.  2. 


symbolischen  Bücher  oft  zu  wünschen  übrig  liefs.  Und  welche 
sind  am  Ende  diese  ältern  Theologen,  deren  Aussprüche  als 
Autoritäten  anerkannt  werden  müssen?  Gehören  sie  zu  den  drei, 
vier  oder  fünf  ersten  Jahrhunderten?  Oder  können  z.  B.  die- 
jenigen aus  dem  achten  Jahrhundert  auch  etwa  mitgezählt 
werden? 

Es  ist  klar:  unter  denjenigen,  die  früher  oder  später,  sogar 
noch  in  unserer  Zeit,  den  Wahlspruch  mit  Freude  begrüfsten, 
haben  die  meisten  nicht  gewufst,  was  Meldenius  unter  den  ne- 
cessaria  verstand.  Würde  sonst  der  obengenannte  Professor 
der  Remonstranten  geschrieben  haben:  „Die  in  unserm  Spruch 
empfohlene  Toleranz  ist  eine  Frucht  eines  höheren  Geistes.  Sie 
wird  durch  die  christliche  Liebe  gezogen,  welche  das  ganze 
Leben  des  Christen,  sein  Denken,  Sprechen,  Fühlen,  Handeln 
beseelen  und  veredeln  soll.  Der  Spruch  verurteilt  nicht  blofs 
allen  Formelzwang,  sondern  überzeugt  auch  von  der  Uberflüssig- 
keit und  Schädlichkeit  aller  Formeln  oder  festgesetzten  Lehrsätze. 
Aus  der  römischen  Petruskirche  und  der  protestantischen  Paulus- 
kirche wird  sich  die  Evangelisch-katholische  Johanniskirche  ent- 
wickeln.   Sie  wird  mit  der  Uberschrift  geschmückt  sein: 

„Einheit  im  Notwendigen, 

Freiheit  im  Zweifelhaften, 

In  Allem  die  Liebe!*1) 


Seit  dem  16.  Jahrhundert  bis  auf  unsere  Zeit  hat  es  nicht 
an  Versuchen  gefehlt,  Katholiken  und  Protestanten,  Lutheraner 
und  Reformierte  in  einer  Kirche  zusammen  zu  bringen  und  zu 
vereinigen.  Es  werden  sich  viele  solcher  friedfertigen  Vorschläge 
erinnern ,  wenn  sie  die  Namen  Cassander ,  Calixtus ,  Leibniz, 
Bossuet,  König  Friedrich  Wilhelm  III.  von  Preufsen  nennen 
hören.  Die  Wahlsprüche  aber,  deren  man  sich  bediente,  waren 
gerade  so  schwebend  und  unbestimmt,  wie  das  Notwendige 
und  das  Nicht-Notwendige.  Ein  paar  Beispiele  mögen  ge- 
nügen. Vor  allem  hiefs  es,  man  müfste  Abfall  und  Ab- 
weichung von  der  ursprünglichen  Lehre  wohl  unterscheiden, 
letztere  würde  keine  Veranlassung  zur  Trennung  sein !  Funda- 
mentale und  nichtfundamentale  Glaubensartikel  dürften 
ja  nicht  miteinander  verwechselt  werden.  Wenn  nur  das  W  e  s  e  n  t  - 


»)  a.  a.  O.  S.  23,  32,  40. 


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1893. 


Ein  Friedenssprueh. 


31 


liehe  bewahrt  bliebe,  könne  das  Gleichgültige,  das  keinen 
Einflufs  aufs  Leben  ausübte,  aufgegeben  werden.  Zwischen  den 
Beschlüssen  den  allgemeinen  Kirchen  Versammlungen  der  fünf  ersten 
und  jenen  der  folgenden  Jahrhunderte  liege  eine  grofse  Kluft: 
erstere  seien  bindend,  während  man  den  letzteren  keine  Auto- 
rität zuerkannte. 

Aber  genug  hierüber.  Diese  und  ähnliche  Versuche,  um  zu 
vereinigen,  was  getrennt  war,  wie  gut  die  Absicht  auch  sein 
mochte,  mufsten  wegen  ihrer  Halbheit  scheitern.  Doch  kann 
man  die  Urheber,  die  zur  Versöhnung  mahnten,  mit  Recht  die 
Wegbereiter  einer  besseren  Zeit  nennen,  die  das  Wesen 
der  Religion  in  etwas  Besserem  erkannten  als  in  irgend  einem 
Bekenntnis  einer  gemeinschaftlichen  Lehre. 

Einen  Augenblick  müssen  wir  die  Aufmerksamkeit  auf  eine 
Schrift  richten,  deren  Verfasser  ,T.  v.  Döllinger,  der  grofse  Theo- 
loge der  katholischen  Kirche,  ist1).  Wenn  auch  nach  Döllinger 
eine  Verbindung  zwischen  der  (seit  so  vielen  Jahrhunderten  ge- 
trennten Kirche  des  Ostens  und  des  Westens  infolge  der  Unfehl- 
barkeitserklärung des  Papstes  eine  Unmöglichkeit  ist,  so  brauchen 
wir  deshalb  die  Hoffnung  auf  eine  Union  zwischen  Katholiken 
und  einem  Teile  der  Protestanten  nicht  aufzugeben.  Einzelne 
Zeichen  der  Zeit  geben  nach  Döllinger  das  Recht  zu  dieser  Er- 
wartung. Der  Unterschied  in  den  Dogmen  ist  nicht  so  grofs, 
wie  man  sich  das  so  gewöhnlich  denkt.  Denn  die  Mutterkirche 
erkennt  alle  diejenigen  als  ihre  Mitglieder  an,  die  das  Sakrament 
der  Taufe  empfangen  haben,  und  wenn  sie  sich  auch  durch  Un- 
wissenheit oder  Irrtum  von  ihrer  sichtbaren  Gemeinschaft  ent- 
fernt haben.  Von  beiden  Seiten  ist  Annäherung  unverkennbar. 
Schon  sind  viele  Protestanten,  wo  es  sich  um  die  Lehre  der 
Rechtfertigung  blofs  aus  dem  Glauben  handelt,  uns  näher  ge- 
treten. Einige  Theologen  unter  ihnen  können  sieh  mit  der  Lehre 
der  Läuterung  nach  dem  Tode  einverstanden  erklären  und  em- 
pfehlen das  Gebet  für  die  Toten  auch  mit  Rücksicht  auf  die 
Lebenden.  In  der  anglikanischen  Kirche  wird  der  Wert  der 
Beichte  immer  mehr  anerkannt.  Die  protestantischen  Diako- 
nissinnen sind  den  barmherzigen  Schwestern  der  katholischen 
Kirche  ziemlich  ähnlich ;  bei  letzterer  sind  die  Orden,  welche  die 


l)  Über  die  Wiedervereinigung  der  christlichen  Kirchen, 

1888. 


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r 


32  Rovers,  Heft  1  u.  2. 

Krankenpflege  und  den  Unterrieht  übernommen  haben,  wohl  die 
bedeutendsten.  Döllinger  und  seine  Geistesverwandten  würden 
keinen  Anstofs  daran  nehmen,  das  Abendmahl  unter  beiden  Ge- 
stalten zu  bedienen,  wie  es  auch  in  der  Kirche  des  Ostens  ge- 
schieht. Der  Cölibat  der  Priester  braucht  kein  Hindernis  für 
eine  Union  zu  sein,  weil  dieses,  weit  davon  entfernt,  ein  gött- 
liches Gesetz  zu  sein,  immer  als  kirchliche  Verordnung  betrachtet 
worden  ist.  Im  Einklang  mit  der  Lehre  der  sichtbaren  und  un- 
sichtbaren Kirche  würden  Döllinger  und  seine  Freunde  zu  den 
Gliedern  der  anderen  Kirchen  also  sprechen  mögen:  „Seht,  als 
Getaufte  sind  wir  alle  hüben  und  drüben  Brüder  und  Schwestern 
in  Christus,  Glieder  der  allgemeinen  Kirche.  Lafst  uns  in  diesem 
grofsen  Garten  Gottes  Uber  die  konfessionellen  Zäune  hinweg  ein- 
ander die  Hände  reichen,  und  reifsen  wir  diese  Zäune  nieder, 
um  vollends  uns  umarmen  zu  können.  Diese  Zäune  sind  die 
Lehrunterschiede,  bezüglich  welche  entweder  wir  irren,  oder 
ihr:  solltet  ihr  die  Irrenden  sein,  so  machen  wir  euch  daraus 
keinen  sittlichen  Vorwurf,  denn  infolge  eurer  Erziehung  und 
Umgebung,  eurer  Kenntnisse  und  eures  Bildungsstandes  kann  und 
wird  wohl  das  Festhalten  an  diese  Lehren  entschuldbar,  selbst 
gerechtfertigt  sein.  Lafst  uns  also  gemeinsam  prüfen,  vergleichen, 
suchen  und  forschen;  wir  werden  am  Ende  die  köstliche  Perle 
des  religiösen  Friedens  und  der  kirchlichen  Eintracht  finden  und 
dann  mit  vereinigten  Händen  und  Kräften  den  jetzt  noch  mit  Un- 
kraut überwachsenen  Garten  des  Herrn,  die  Kirche,  reinigen 
und  bebauen."    Aber  die  Zahl  der  Gegner  einer  solchen  Union 

—  der  Autor  kann  es  nicht  leugnen  —  ist  Legion.  Er  rechnet 
zu  ihnen  zuerst  diejenigen,  besonders  in  England  und  Amerika, 
welche  in  dem  Papst  und  dem  Papsttum  noch  immer  den  prophe- 
zeiten Antichrist  und  den  darauf  folgenden  Abfall  der  Gläubigen 
sehen,  dann  die  Ultramontanen,  die  sich  unter  dem  Banner  der 
Jesuiten  zusammenfinden,  endlich  die  liberalen  Protestanten,  die 
sogar  die  Lehrsätze  verwerfen,  welche  von  allen  christlichen 
Kirchen  angenommen  sind.  Dafs  für  letztere  in  der  von  Döllinger 
mit  heifser  Sehnsucht  verlangten  Union  kein  Platz  sein  kann,  ist 
klar:  sie  soll  ja  nach  ihm  auf  der  Grundlage  der  heiligen  Schrift 
und  des  sogenannten  apostolischen  Glaubensbekenntnisses  beruhen 

—  und  letzteres  nach  der  Lehre  der  alten  Kirche  vor  ihrer 
Trennung  aufgefafst.  Für  die  principiellen  Unterschiede  zwi- 
schen Protestanten  und  Katholiken  hat  der  gelehrte  Schriftsteller 


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J893. 


Ein  Friedenaspruoh. 


33 


kein  offenes  Auge.  Und  wenn  er  die  Zeit  einmal  erwartet,  wo 
im  Kölner  Dom  Bekenner  des  Katholizismus  und  des  Protestan- 
tismus gemeinschaftlich  ein  Tedeum  anstimmen  werden  —  so 
können  wir  diese  Hoffnung  nicht  teilen. 

„Einheit  im  Notwendigen,  Freiheit  im  Zweifelhaften,  in  bei- 
den die  Liebe"  —  wir  kommen  jetzt  zu  der  Beantwortung  der 
Frage:    Kann  diese  Losung  die  unsrige  sein? 

Dafs  zwischen  den  Gliedern  einer  religiösen  Gemeinschaft, 
sie  sei  welche  sie  sei,  einige  Übereinstimmung  bestehen  mufs, 
darüber  werden  wir  alle  einig  sein.  Mich  dünkt,  niemand  unter 
uns  wird  das  Beispiel  des  „Freien  religiösen  Vereins"  in  Boston 
nachahmungswürdig  nennen,  dessen  Vorstand  nicht  blofs  aus 
Unitariern,  Quakern  und  freisinnigen  Juden  besteht,  sondern 
auch  Materialisten  unter  ihre  Mitglieder  zählt,  also  Männer, 
welche  die  Religion  eine  Thorheit  nennen.  Oder  müssen 
wir  hierin  einen  Beweis  sehen  der  übergrofsen  Toleranz 
dieser  Gemeinde?  Wir  haben  es  im  Gegenteil  mit  einer  Ver- 
bindung der  heterogensten  Bestandteile  zu  thun.  Ein  religiöser 
Verein,  der  weifs,  was  er  will,  ergiebt  sich  nicht  der  Führung 
solcher  Personen,  von  denen  einige  das  Recht  der  Religion  ver- 
neinen. Wie  würde  man  z.  B.  von  einer  Akademie  der  Wissen- 
schaften denken,  welche  einen  Präsidenten  erwählt  hätte,  der  jede 
wissenschaftliche  Untersuchung  eine  Thorheit  schilt?  Was  von 
einem  Verein  zur  Enthaltung  von  geistigen  Getränken,  dessen 
Sekretär  dem  Arbeiter  gern  täglich  seinen  Schnaps  gönnte? 

In  den  ersten  Jahren  der  religiösen  Richtung,  die  man  (in 
Holland)  als  die  moderne  bezeichnet,  hörte  man  fortwährend  auf 
der  Kanzel:  „Nicht  auf  die  Lehre,  sondern  auf  das  Leben  kommt 
es  an.tt  Es  war  erklärlich,  dafs  Hafs  gegen  jede  Lehrheiligkeit 
diesen  Gegensatz  hervorrief.  Allmählich  aber  begannen  viele  ein- 
zusehen, dafs  es  zwischen  beiden  einen  engeren  Zusammenhang 
giebt,  als  man  im  Anfang  meinte  —  wenn  auch  das  Leben 
die  erste  Stelle  einnehmen  mufs.  Oder  hat  die  Religionsgeschichte 
nicht  etwa  gelehrt,  welchen  grofsen  Einflufs  die  religiösen  Vor- 
stellungen auf  das  Leben  ausüben  können!  Kann  es  uns  wunder 
nehmen,  dafs  ein  Plato,  Griechenlands  gröfster  Philosoph,  die 
Erzählungen  des  Kindermörders  Kronos,  des  Ehebrechers  Zeus, 
der  wollüstigen  Aphrodite  für  die  Kinder  gefahrlich  achtete?1). 

l)  Im  zweiten  Buche  seiner  Politeia. 

Monatsheft«  der  Content  u*  Gesellschaft.    1983.  '1 


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34 


Rovers, 


Heft  1  u.  2. 


Wie  viele  Unsittlichkeiten  wurden  in  Israel  im  Namen  des 
Naturgottes  Jahwe  verübt!  Die  erhabeneren  Vorstellungen  der 
edelsten  Propheten  über  Jahwe,  den  Heiligen,  der  Gefallen  findet 
an  Barmherzigkeit,  Wahrheit  und  Gerechtigkeit,  der  das  Böse 
hafst  und  das  Gute  liebt,  haben  auf  das  sittliche  Leben  des 
Volkes  einen  günstigen  Einflufs  ausgeübt.  Und  Jesus'  Predigt: 
Gott  ist  Liebe,  ist  der  Vater  aller  Menschen,  auch  der  Niedrigsten, 
der  Verachtetsten,  der  am  tiefsten  Gesunkenen,  wenn  sie  reue- 
voll zu  ihm  kommen,  hat  sie  nicht  eine  wohlthittige  Wirkung 
gehabt  auf  das  gegenseitige  Verhältnis  in  der  Familie  und  der 
Gesellschaft,  wenn  sie  auch  nur  ganz  allmählich  eingedrungen  ist? 
Der  Fehler  der  älteren  Rechtgläubigkeit  bestand  nicht  darin,  dafs 
sie  den  religiösen  Vorstellungen  Wert  beilegte,  sondern  dafs  sie 
ihre  Bedeutung  Uberschätzte,  oft  zum  Nachteil  für  das  Leben; 
dafs  sie  ihre  Dogmen  einem  jeden  aufdrängen  wollte,  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Rechte,  welche  die  Kinder  einer  späteren  Zeit 
haben,  ihren  Glauben  zu  bekennen,  ebensogut  als  die  Väter, 
die  in  ihren  Bekenntnisschriften  dem  ihrigen  Ausdruck  gegeben 
hatten.  Wir  wissen,  dafs  alle  unsere  Vorstellungen  von  Gott 
mangelhaft  sind,  wenn  wir  auch  die  einen  den  andern  vorziehen ; 
unser  Sprechen  über  Gott  ist  nur  ein  Stammeln.  Gott  ist  grofs, 
und  wir  begreifen  ihn  nicht;  unser  Wissen  ist  Stückwerk  — 
diese  Konfession  bleibt  die  unserige.  Keinem  Menschen  ist  es 
vergönnt,  das  Wesen  Gottes  zu  ergründen.  Aber  würden  wir 
deshalb  nichts  mehr  über  Gott  bezeugen,  als  z.  B.  Faust  in  seiner 
Antwort  auf  Gretchens  Frage  : 

Wer  darf  sagen: 

Ich  "glaub*  an  Gott? 
Magst  Priester  oder  Weise  fragen, 
Und  ihre  Antwort  scheint  nur  Spott 
Über  den  Frager  zu  sein. 

Wer  darf  ihn  nennen  ? 

Und  wer  bekennen: 

Ich  glaub1  ihn? 

Wer  empfinden 

Und  sich  unterwinden 

Zu  sagen:  ich  glaub'  ihn  nicht? 

Oder  werden  wir  auf  die  Stimme  hören  der  Männer  unserer 
Zeit  —  sie  nennen  sich  Agnostiker  — ,  die  ungefähr  also  sprechen : 
Das  Dasein  Gottes  steht  fest,  wissenschaftlich  ist  es  nachweisbar. 
Er  ist  die  unbegreif liehe  und  allgegenwärtige  Kraft,  aus  welcher 


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1893. 


Ein  Friedensspruch. 


35 


alles  entstanden  ist  —  aber  uns  bleibt  es  untersagt,  etwas  Sicheres 
über  ihn  zu  wissen.  Wir  können  nicht  sprechen  von  einem 
Gotte,  der  Liebe  ist,  von  des  Menschen  Oesinnung  Ihm  gegen- 
über, von  einem  Streben,  Ihn  zu  lieben.  —  Aber  ich  frage: 
können  wir  mit  heiliger  Ehrfurcht  zu  einer  Kraft  hinaufblicken, 
die  uns  ganz  unbekannt  ist?  Uns  ihr  anvertrauen?  Wird  der 
Glaube  an  das  Dasein  jener  ewigen  unendlichen  Kraft  unserem 
Leben  wohlthätig  sein,  wird  er  uns  mit  Mut  und  froher  Hoffnung 
für  die  Zukunft  erfüllen?  Uns  ermuntern,  uns  einer  heiligen 
Lebensaufgabe  zu  widmen? 

•   

„Einheit  im  Notwendigen8  —  was  heifst  das?  Schlagen  wir 
ein  paar  Schriften  aus  unserer  Zeit  auf  —  vielleicht  geben  sie 
einiges  Licht. 

Vor  einigen  Jahren  wurde  in  New- York  ein  Verein  gestiftet 
„Society  for  ethical  Culture"  von  Felix  Adler,  der  als  Rabbiner 
auferzogen,  sich  in  der  Synagoge  nicht  zurecht  finden  konnte. 
An  der  Spitze  einer  Abteilung  jenes  Vereins  zu  Chicago  steht 
William  Salter,  dessen  Name  nicht  unbekannt  ist1)-  Mit  den 
freisinnigen  Christen  hielt  er  keinen  Schritt,  weil  sie  mit  ihren 
Reformationsplänen  zu  zögernd  waren.  Salter  steht  nicht  auf  der 
Grundlage  der  Religion.  Er  wünscht  auf  die  ewigen  Gesetze 
zu  bauen,  welche  sich  in  der  sittlichen  Natur  des  Menschen  offen- 
baren. 

Die  „Society  for  ethical  Culture"  setzt  sich  das  Ziel:  „dem 
Guten  zu  dienen,  unabhängig  von  den  religiösen  Lehrsätzen 
der  Vergangenheit.4*  Sie  will  die  Arbeit  der  sittlichen  und  gesell- 
schaftlichen Reformation  auf  sich  nehmen,  welche  die  christlichen 
und  jüdischen  Kirchen  im  Stich  gelassen  hätten.  Jene  Kirchen 
zu  bekämpfen,  ist  nicht  ihr  Zweck.  Wer  mit  ihr  zu  arbeiten 
wünscht,  mufs  „in  vollem  Ernste  denken  und  fühlen"  wie  die 
Stifter,  mufs  ihren  „Ideen  und  Absichten"  völlig  Glauben  schenken. 
Für  diejenigen,  welche  ihnen  in  Religionsfragen  nicht  beipflichten 
können,  ist  die  Gelegenheit  eröffnet,  sich  ihnen  auf  dem  Gebiete 
der  Wohlthätigkeit  anzuschliefsen. 

Wenn  wir  auch  in  mancher  Hinsicht  dem  Streben  dieses 
Vereins  unsere  Sympathie  nicht  versagen  wollen,  so  würden  die 


')  George  v.  Gizycki  bearbeitete  Salters  Vorlesungen  und  gab  sie 
heraus  unter  dem  Titel:  Religion  der  Moral. 

3* 


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36 


Rovers, 


Heft  1  u.  2. 


wenigsten  unter  uns  sich  ihr  anschliefsen  wollen.  Können  wir 
das  Bekenntnis  ablegen:  Wir  denken  und  empfinden  wie  ihr? 
Der  Behauptung,  dafs  die  alten  Religionen  nur  noch  bei  Unge- 
bildeten und  wenig  Entwickelten  Sympathie  erwecken,  werden 
viele  nicht  beistimmen.  Ist  der  Wahlspruch :  „wir  wünschen  dem 
Guten  zu  dienen,"  nicht  ziemlich  unbestimmt?  Unter  den  von 
Salter  sogenannten  veralteten  Kirchen  und  Religionen  wird  doch 
wohl  keine  der  Sache  des  Bösen  zu  dienen  beabsichtigen. 

In  seinem  letzten  Werke1)  sagt  Rauwenhoff,  der  leider  zu 
früh  von  uns  hinweggerufen  worden  ist,  dafs  die  religiöse  Gemein- 
schaft auf  Übereinstimmung  beruht,  nicht  blofs  in  allgemeiner 
Geistesrichtung,  sondern  auch  in  der  Betrachtung  des  Übersinn- 
lichen. Sie  kann  unmöglich  aufserhalb  einer  gemeinschaftlichen 
Glaubensvorstellung  bestehen.  Eine  religiöse  Gemeinschaft  kann 
sich  nicht  blofs  auf  Gesinnung  oder  Gemütsbewegung  gründen. 
Freie  Frömmigkeit  kann  zwar  eine  Zeitlang  als  Wahlspruch  des 
Vereins  gelten  —  allein  sie  ist  nur  ein  Nothafen,  wo  man  auf  die 
Dauer  nicht  zusammenwohnen  kann.  Bei  der  Religion  handelt 
es  sich  nicht  blofs  um  Gesinnung,  sie  ist  immer  mit  einer  ge- 
wissen Vorstellung  des  Übersinnlichen  verbunden.  Keine  religiöse 
Gemeinschaft  kann  also  bestehen,  wo  das  Charakteristische  der 
Religion  sich  nicht  behaupten  kann.  Eine  religiöse  Gemeinschaft 
umfafst  alles,  was  für  ihre  Glieder  Religion  bedeutet.  Das  speci- 
fisch  Religiöse  heifst  nach  Rauwenhoff  die  Verherrlichung  der 
sittlichen  Ordnung  als  der  höchsten  Macht.  Aber  Übereinstim- 
mung in  der  Denkweise  über  das  Übersinnliche  bedürfen  die 
Glieder  einer  religiösen  Gemeinschaft  fast  noch  mehr  wie  gleich- 
artige Gesinnung  im  Gemütsleben. 

Der  Bremer  Theologe  Moritz  Schwalb  rechnet  unter  die 
„notwendigen  Dinge",  welche  allen  Protestanten  gemein  sein 
müssen:  den  Glauben  an  Gott;  das  Bewufstsein,  dafs  wir  Gottes 
Geboten  folgen  und  uns  nützlich  machen  müssen;  Hafs  gegen  die 
katholische  Hierarchie,  deren  Aberglauben  und  Mifsbräuche ;  Ver- 
ehrung für  den  Menschen  Jesus  und  seine  wahren  Vorgänger  und 
Nachfolger  8). 

„Einheit  im  Notwendigen"  —  das  ist  also  der  Aussage  jener 


*)  Wijsbegeerte  van  den  godsdienst,  1888.    Dr.  J.  R.  Hanne 
gab  eine  deutsche  Übersetzung  heraus. 
»)  Kanzelreden,  1888. 


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1893. 


Ein  Friedensspruch. 


37 


Schriftsteller  gemäfs  etwas  Notwendiges.  Aber  die  Frage:  Was 
versteht  man  darunter?  wird  selbst  von  Geistesverwandten  ver- 
schieden beantwortet  Und  keine  jener  Antworten  hat 
uns  vollkommen  befriedigt.  Mancher  wird  z.  B.  den 
Glauben  an  die  sittliche  Weltordnung  nicht  als  das  Wesen  der 
Religion  betrachten.  Er  wird  die  Frage  stellen:  Ist  die  Ver- 
ehrung einer  Ubersinnlichen  Macht,  als  Wesen  dargestellt  nicht 
das  Merkmal,  das  den  Religionen  gemein  ist?  Und  wenn  auch 
unsere  Vorliebe  für  die  römische  Hierarchie  nicht  grofs  ist,  bei 
niemandem  unter  uns  wird  die  Forderung,  in  dem  Glaubens- 
bekenntnis auch  dem  Hafs  gegen  diese  Ausdruck  zu  geben, 
Beifall  finden. 


„Freiheit  im  Zweifelhaften".  Unter  den  nicht  notwendigen 
Dingen  —  wir  werden  darüber  alle  einverstanden  sein  —  ver- 
steht man  mehr,  als  man  früher  meinte.  Den  grofsen  Konzilien 
der  ersten  Jahrhunderte  erkennen  wir  ebenso  wenig  eine,  die 
Gewissen  bindende  Autorität  zu,  als  denen  der  folgenden  Jahr- 
hunderte. Das  sogenannte  apostolische  und  alle  späteren 
Glaubensbekenntnisse  haben  in  unseren  Augen  nur  eine  histo- 
rische Bedeutung. 

Keine  Religion  ohne  Gottesdienst  —  hat  die  Geschichte  der 
Religionen  es  nicht  gelehrt?  Würde  der  Kultus  ohne  Religion 
einigen  Wert  haben?  Zum  Kultus  gehören  das  Gebet  und  das 
Lied.  Das  Gebet  hat  man  abwechselnd  genannt :  das  Unterhalten 
einer  geistigen  Gemeinschaft  mit  Gott;  die  Betrachtung  der  Lebens- 
erfahrung vom  höchsten  Gesichtspunkte;  die  Ausdrücke  einer 
nachdenklichen  und  jubelnden  Seele  u.  s.  w.  Aber  das  gemein- 
schaftliche Gebet  kann  wohl  nicht  anders  sein  als  das  Aus- 
sprechen eines  Wunsches  vor  Gott  Natürlich  ist  es  kein  Bitten 
um  allerlei  eiteln  Tand,  um  Befriedigung  egoistischer  Wünsche; 
die  Bitte  ist  ein  Flehen  um  Frieden  und  Gemeinschaft  mit  ihm; 
um  das  Beste  was  es  giebt:  Dein  Reich  komme!  Dein  Wille  ge- 
schehe !  Aber  können  wir  in  dieser  Weise  eine  „unendliche  Macht" 
anreden,  von  der  wir  nichts  wissen,  ein  „Ideal"  anbeten  oder  das 
„Gute"  oder  auch  eine  „höhere  Welt"? 

Es  giebt  Menschen,  die  das  Gebet  aus  unseren  Gottesdiensten 
entfernen  wollen.  Die  Haltung  derselben  verrät  allerdings,  dafs 
sie  keinen  Anteil  daran  nehmen.   Andere  dagegen  behaupten,  das 


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38 


Rovers,  Ein  Friedensspruch* 


Heft  1  u.  2 


Hauptgewicht  des  Gottesdienstes  liege  für  sie  mehr  im  Gebet  als 
in  der  Predigt,  ihre  Zahl  wird  aber  wohl  nicht  grofs  sein. 

Wir  kommen  zu  unserer  Schlufsfolge.  Man  hat  recht,  er- 
staunt zu  Bein  Uber  die  Naivität  derjenigen,  welche  noch  in 
unseren  Tagen  uns  zur  Rückkehr  zu  dem  Wahlspruch  auffordern : 
Einheit  im  Notwendigen,  Freiheit  im  Zweifelhaften!  Dafs  dies 
eine  Unmöglichkeit  ist,  davon  sind  wir  jetzt  hoffentlich  Uberzeugt. 
La&t  uns  unsere  Principien  schätzen  und  für  sie  ringen  —  wenn 
nur  mit  ehrlichen  Waffen!  Aber  vergessen  wir  ja  das  schöne 
Dichterwort  nicht:  Verachte  keine  Form,  womit  ein 
armes  Herz  emporringt  von  der  Erde. 


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Quellen  und  Forschungen. 

Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius. 

Autobiographisches  aus  den  Schriften  des 

Comenius. 
Zusammengestellt  von 
Prof.  Dr.  J.  Kvacsala  in  Pressburg. 

(Fortsetzung.) 


VIII. 
37. 

Novum  (in  Synodo  quidem  sed  non  Synodale) 
Visionum  examen,  et  quid  ibi  statutum. 

1.  Altero  mox  mense,  Novembri,  perierunt,  duo  Reges  quos 
Ecclesiae  oppressae  Vindices  fore  spes  erat;  Gustavus  Adol- 
phüs  Sueciae,  qui  in  pugna  ad  Lützen  oeeubuit  16.  No- 
veinbris;  etFridericusBohemiae,  25  eiusdem  dysenteria 
exstinetus  Moguntiae.  — 

2.  Quae  res  incredibilem  attulit  nnn  tan  tum  multis  moerorem, 
sed  et  nobis  qui  eos  ut  Liberatores  respectare  coeperanms  terro- 
rem.  Qui  autem  e  nostris  Visioniun  hostes  erant,  irridere  nos, 
tanquam  spe  nosträ  delusos. 

3.  Accidit  ver6  ut  sequenti  Vere  (Anno  1633  mense  Aprili) 
Synodus  celebraretur  Ostrorogi :  ubi  duo  Fratrum  (alter  Rohemus 
alter  Polonus,)  in  Synedrio  de  praeteritis  illis  vanis  Visionibus, 
controversiam  movent,  condemnariqtie  (ne  aliquando  res  haee, 
vel  apud  posteritatcni ,  omnibus  nobis  iam  viventibus  malam 
inurat  notam)  petunt.  Respondebant  mitiores,  semel  esse  de-  , 
cretum  silcntium,  refricari  hoc  non  oportere.  Uli 
iterum:  Decretum  esse  silcntium,  donec  Deus  et  dies 
quid  8 1  a  t  u  e  n  d  u  m  esset,  d  e  t  e  g  c  r  e  t.  Jam  autem  d  e  - 
texisse  utröque  illo  quem  Revelationes  istao  nomi- 
närant,  b  vivis  sublatö.  — 

4.  Hi  rursum:  Ita  sane,  tragaedinm  tarnen  ipsam 
nondum  finitam.   Posse  Deo  non  deesse  O  rgana,  per 


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40  Kvaesala,  Heft  1  u.  2. 

quae  decreta  exsequatur  sua:  neque  Vaticinia  illa 
ex  toto  vanitatis  condemnari  posse,  nisi  ex  totofal- 
sitati-s  convicta.  Quod  erit,  si  praesens  Gentium 
commotio  sine  primariis  Ulis  praedictis  eventibus 
(I.  Antichrist!  evcrsione,  II.  Turcarum  ac  Judaeorum 
conversione,  III.  Evangeliique  ad  omnesOentes  pro- 
gressu  ac  triumpho)  sedata  fuerit.  Nonduin  ullam 
Ecclesiam,  autConsistorium,  velAcademiam,  novos 
id  genus  Prophetias  penitus  reiecisse,  aut  condem- 
nasse:  nos  cur  primi  esse  vellcmus?  et  quae  id  genus. 

5.  Illi  denuo:  Alios  non  aeque  prope  haee  tangerc 
atquenos.  Et  quoniam  aliqui  nostrüm  haec  approbaro  exteris- 
que  communicare  (aliis  non  approbantibus)  fuissent  ausi,  hoc  ipsum 
(non  approbata  haec  fuisse  omnibus)  ref'erendum  esse  in  inonü- 
menta.  Nos  iterum  ad  totara  provocarc  Synodum  cuius 
hlc  pars  esset  tantüm.  Etc. 

[6.  N.  B.  Ut  melius  haec  pereipiantur,  sciendum  est,  negotia 
in  Synodis  nostris  ita  fuisse  administrata ,  ut  post  constitutas 
Propositiones  (de  quibus  deliberandum  erat)  Antistites  Eccle- 
siae,  Seniores  cum  Consenioribus  peculiari  loco 
Sessiones  suas,  tanquam  Ecclcsiasticus  Scnatus, 
haberent!  reliqui  autem  Pastores  omnes,  Ecclesiam 
repraesen tantes,  seorsim,  communiter  in  Templo 
suas  agerent.  Tandem  ad  formandas  eonimunes  ex  utrinque 
deliberatis  conclusiones  omnes  in  unum  conveniebant.  Demumque 
quod  ita  eommunibus  calculis  decretum  fuit,  Constitutionis  vim 
nabuit.  Cum  ergo  bis  haec  nova  de  Visionibus  condem- 
nandis,  in  solo  Synedrio  mota  agitari  incipiret,  provocaba- 
mus  nos  ad  totum  Pastorum  Caetum.] 

7.  Quod  ne  fieret  (novi  dissidii  nietu)  medium  ä  pruden- 
tioribus  repertum  fuit  tale.  Consignatio  aliqua  in  Synodi 
hui us  Actis  ut  fieret,  absque  condemnatione  tarnen 
cuiusquam;  aut  etiam  ipsius  rei,  Deo  adhuc  com- 
mittendae.  Hoc  tan  tum  fine,  ut  si  (juid  aliqua  ndo 
secus  eveniat,  memoria  exstet  non  a  tota  Ecclesia 
haec  talia  fuisse  approbata.  Cui  moderato  consilio  nos 
reliquos  acquiesccre  pacis  amore  (et  quia  sie  Deo  et  veritati 
nihil  praeiudicari  visum)  aequum  fuit.  — 
Hfat.  Revcl.  p.  131-132. 

38. 

De  reliquo  Christinae  Poniatoviae  Vitae  cursu  et  obitu. 

1.  Sex  illi  e  Bohemis  et  Moravis  nüper  ordinati  Ministri 
(de  quibus  LXI.  4)  ut  ne  in  otio  essent,  pars  eorum  Polonicis 
Ecclesiis  ministrare  jussi  fuerunt,  pars  mittebantur  ad  dispersos 
visitanduin:  Vettero  iam  coniugato,  nobiscumque  habitaturo, 
cessit  Typographei  Ecclesiastici  (e  Moravia  huc  translati) 


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1893. 


Zur  Lebenägeachichtp  des  Comouius. 


41 


in  Farailia  alenda  fklam  illi  adiutricem)  praestitit. 

2.  Vixeruntque  Coniugea  hi  (placidissiniis  utrinque  moribus) 
summa  concordia,  aliis  in  exemplum,  annos  duodecim,  mensesque 
duos.  Neque  thoro  illorum  divina  defuit  benedictio:  natis  ex  eo 
filiis  duobus,  Daniele  et  Georgio,  paternum  avitumque  re- 
ferentibus  nomen  (Georgius  enim  Vetterus,  Horum  Avus, 
optime  de  Ecclesiis  nostris  [totaque  Gente]  meritus.  inter  alia 
eruditionis  pietatisque  suae  monumenta,  Psalmos  Davidieos,  felicis- 


reliquit):  filiabusque  tribus,  Johanna,  Sophia,  Dorothea: 
quos  omnes  ad  mores  bonos,  et  Dei  metum  honestissiine  cducare 
non  intermisit. 

Hist.  Revcl.  p.  1X3.  134. 

39. 

Illud  Poetae  „Excitat  auditor  Studium,  laudataque 
Virtus  erescit"  si  verum  est,  verificari  etiam  in  me  debuit: 
neinpe  ut  tot  et  tanti  applausus  (in  re,  meö  judieio,  non  tanta) 


an  forte  si  quid  realioris  Eruditionis,  interiorisque  Sapientiae  (ad 
similem  aliquam  harmoniae  concinnitatem  redactum)  propinari  tenta- 
retur,  aeque  plaeiturum  esset?  Enatumque  inde  mit  desiderium 
conficiendi  JANUAM  KERUM,  sive  SAPIENTIAE  PORT  AM ;  stu- 
diosae  Juventuti  eo  servituram,  ut  postquam  ope  Januae  Lin- 
gua r  um  Res  externe  discriminare  didicissent,  interiora  dehinc 
rerum  inspectare,  et  quid  per  essen tiam  suam  res  quaeque  sit 
attendere,  consuescerent.  Quod  Studium  si  per  omnia  (ad  omnia 
scitu  et  factu,  credituque  et  speratu  necessaria,  eomprchendendum) 
extenderctur ,  sperare  coepi  puleherrimam  quandam  Encyclopae- 
diolam,  seu  Pansophiolam,  bono  usu  condi  posse.  Quo  proposito 
meo  per  studiosos  quosdam  Moravos,  in  Angliam  delatos,  cognito 
Vir  eximius,  S.  H.  datis  ad  me  litteris,  Delineationem  aliquam 
futuri  Operis  requisivit.    Communieavi  ergo,  uti  sequitur. 

PANSOPHIA  E  PRAELUDIÜM  Quo  sapientiae  universalis  ne- 
cessitas,  possibilitas,  facilitasque  (si  ratione  certa  ineatur)  breviter 
ac  dilucide  demonstratur. 

Op.  Did.  I.  p.  403-404. 

40. 

Haee  ita  privatim  amico  in  Angliam,  privatam  sub  cen- 
suram,  communicata,  redierunt  ad  me  in  Poloniam  Oxonien- 
sium  typis  descripta:  cum  apologia,  salubri  tine  faetam  esse 
publicationem  hanc,  ad  praetentandum  vadum,  cognoscendaque 
in  re  tarn  inusitati  argumenti  tanto  plurium  doctorum  et  sapien- 
tum  virorum  judicia.  Quae  et  subsequuta  fuerunt  agminatim, 
variis  e  Regnis,    pleraque   praeter  spem  benigna:    unum  et 


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42 


Kvacaala, 


Heft  1  u.  2. 


altcrum  malignius.  Erat  qui  scriberet:  Majus  beneficium 
Dei  Humano  generi  datum  non  esse,  post  Verbi 
Divini  lucem,  atque  haue  verioris  ac  plenioris 
lucis  viam  tarn  clare  ostensam:  urgendum  itaque 
esse  Comoniura,  Opus  ut  absolvat.  Abi,  Non  solius 
unius  Comenii  humeris  relinquendum  esse  tantum 
Onus,  quaerendo»  Collaboratores,  constituendum- 
que  Collegium  Pansophicum,  etc.  Ego  indignari  amico, 
quod  me  objecisset  multitudini,  et  non  sivisset  tacite  meam  de- 
texere  telam,  sicuti  cum  priore  opella,  Januae  Linguarum, 
erat  factum.  Sentiebam  enim  me  judiciorum  varietate  distrahi: 
sed  et  lentescere,  cum  Collegii  Pansophici  fieret  spes,  nec 
meö  arbitratu  jam  fore  procedendum,  antequam  scirem  quid 
pluribus  Ulis,  et  me  doctioribus,  placiturum  esset  Non  ergo 
sum  progressiv,  praeterquam  in  particularibus  quibusdam:  ut 
eratPhysica  ad  lumen  divinum  reformanaa,  opusculum 
Lipsiao  excusum  et  raox  Parisiis  et  Amsterdami,  recusum.  Item- 
que  Astronomia  ad  lumen  physicum  reformanda  et 
alia  nounulla.  Erat  et  qui  scriberet  (ad  Hartlibium,  Johan- 
Adolphus  Tassius,  apud  Hamburgenses  Mathematum  Pro- 
fessor): Fervet  jam  per  omnes  Europae  angulos  Pan- 
sophicum, et  melioris  Didacticae,  Studium.  Quod 
si  nihil  etiam  plus  praestiterit  Comenius,  quam 
quod  tantam  stimulorum  segetem  in  omnium  sparsit 
animos,  satis  feeisse  putandus  est  etc. 

Haec  in  quam  omnia  mc.  nescio  quomodo,  ä  fervore  primo 
remiösiorem  fecerunt:  cum  plures  illos  exspectans,  mihi  soli  non 
esse  sudandum  putarem.  Unum  erat  permolestum,  quod  reperti 
fuerunt  (et  quidem  domi  apud  nos  in  Polonia)  qui  valde  suspectum 
reddentes  totum  Pansophicum  propositum,  Divinorum  cum 
humanis,  Theologiae  cum  Pliilosophia,  Christianismi 
cum  Gentilismo,  et  sie  Tenebrarum  cum  luce,  peri- 
culosam  fore  misturam,  dictitarent.  Pertraxerantque  suam 
in  opinionem  aliquot  e  Nobilitate,  mihi  publice  dicam  scribentes : 
ut  mihi  non  tantum  in  Synodo  causa  esset  dicenda,  sed  et 
scribenda, 

Conatuum  Pansophicorum. 
DELUCIDATIO  in  gratiam  Censorum  facta. 
Quae  tandem  ita  satis  fecit  Ecclesiae,  ut  quod  priüs  in  occulto, 
et  meö  veluti  unius  ausu,  agere  orsus  eram  jam  Ecclesiae  autho- 
ritato  munito  mihi  agendum  esse  viderem,  bonis  coeptis  bene 
apprecantibus  omnibus  bonis. 

Op.  Did.  I.  p.  453-456. 

41. 

Venerat  anno  1635  o  dispersis  pro  Evangelio  Bohcmis  unus, 
Daniel  Stolcius,  Medicus  Constantinapoli  usque  ad  nos  Poloniam 
exulatum  perque  menses  aliquot  nobiscum  commoratus  Dantiscum 


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1893.  Zur  Lebensgeschichte  des  Comeniua.  43 

et  Boruasiam  se  transtulit.  Ubi  cum  in  nobilem  Bohemum, 
Ehrenfriedum  Berbisterfium  virum  militarem  ac  atrenuum  ad 
superstitionem  usque  devotum  et  dogmate  Pauli  Felgenhaweri 
iam  infectum,  incidisset,  ab  eodem  ipse  quoque  Hadem  mysteriis 
imbutus  fuit.  Is  igitur  novo  hoc  neetare  inebriatua,  aliiaque  id 
propinandum  ratus,  misit  ad  me,  ceu  inchoatae  amicitiae  pignus 
libellum  Felgenhaveri  Wahrheit  und  Weisheit:  nihil  nisi  iuuicium 
anonymo  authore  exquirens.  Legi  expendi  rescripsi,  bona  inesse 
multa,  sed  latere  heterodoxias  anguem  in  herba.  Ad  quod  ille, 
me  ad  haec  indocilem  videns,  nihil  reposuit.  Sed  quia  fratrem 
gernianum,  quem  secum  habebat,  medicinae  itidem  studioBum 
eodem  venenato  dogmate  infecerat,  ille  tan  quam  novo  musto 
plenus  uter  illorum  in  blasphemias  ebullientem  apiritum  continere 
non  potuit,  quin  antequam  patrum  suorum  omniunnjue  Chriatiano- 
rum  de  Christo  vero  Hominis  Filio  et  Homine  hdem  proterve 
fugillans,  nos  stercoreum  habere  Christum  et  similia  putida, 
eructaret.  Quae  res  utrumque  illum  apud  orthodoxoa  Fratres 
merito  exosum  reddebat,  excedere  Dantiaco,  et  in  oppidum  Risen- 
burg  (Prabuty)  secedere  necessum  haberet,  mo  omnium  istorum 
eatenus  penissime  ignaro,  et  tarnen  apud  meos  heterodoxiae  quo- 
que suspicionem  incurrente.  Nam  quia  Stolcius  initam  mecum 
notitiam  forte  iactaret,  epistolamque  unam  et  alteram,  ostentaret, 
factum  est,  ut  in  complicitatis  suapicionem  nescio  cuius  credulitas 
me  traheret  susurratumque  id  in  Boruaaia  ita  fuit,  ut  e  Lithvania 
tandem  ad  Superattendentcs  Poloniae  majoris  scriptum  fuerit,  cur 
hominem  haereticum  inter  so  tolerarent,  aut  11  II  non  attendant 
melius?  Annon  satis  tristem  statum  per  Socinianos  experiatur 
Ecclesia,  itorumque  per  contrarium  errorum  turbae  sint  aandae? 
Felgenhaverum  misse  Dantisci  apud  complices  suos,  evocatumque 
ab  illis  Comenium  etiam  comparuisse,  et  Felgenhavero  baptizasse 
filiam.  Egisse  etiam  patronos  eorum,  ut  quod  Felgenhawero 
sperandum  non  erat,  Comenio  obtingeret,  publicae  Cathedrae 
honor:  sed  offecisse  magistratum,  machinationem<jue  illam  fuisse 
frustra.  Consequens  ergo  istius  conventiculi  fuisae,  ut  Felgen- 
haver  in  Germaniam,  Comenius  in  Poloniam  rediret,  et  quae 
praeterea  nugacissimae  nugae  scribebantur.  Venit  ergo  cum  hac 
epiatula  Supperattendens  M.  Orminius  Lesznam,  inquisitionem 
ea  de  re  habiturus  .  Habitaque  est  et  reperta  putidissima  men- 
dacis  famae  vanitas,  postquam  Comenium  nunquam  in  vita  (illum 
usque  in  diem)  Dantiacum  vidiase  omnium  testimoniis  constabat. 
Imposita  tarnen  mihi  fuit,  tum  eonfratrum  voluntate  ac  mandato, 
tum  faraara  in  Ecclesiae  conspeetu  honeatam  tutandi  desiderio, 
necessitas,  Stolcium  denuo  monendi,  et  ab  haeretica  curiositatc 
dehortandi.  Factum,  scripai,  absurdique  dogmatia  (in  quod  in- 
cautus  fuit  prolapsua)  enormitatem  (juam  clare  potui  oatendi : 
Stolcio  nihil  toto  anno  ad  illa  respondentc.  Verteilte  demura 
anno  rescripsit,  epistolam  meam  se  in  Saxoniam  ad  authorem 
dogmatis,  ut  pro  se  reaponderet  misiase,  illum  autem  responsum 


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44 


Kvacsala, 


Heft  1  u.  2. 


hucusque  distulisse,  demumque  sibi  redditum  ad  me  mitti,  si  ar- 
gumenti  Felgenhaveri  nova  haec  solvi  poterunt  se  ad  veritati 
8e8e  reconciliandum  ne  fore  difficilem.  Factum  ergo,  responso 
illius  responsum  fuit  Felgenhaverianaeque  hallucinationes  (priores 
et  posteriores)  clare  ostensae  et  nodi  ita  soluti  fuerunt,  ut  quod 
responderet  Felgenhaver  non  reperiret:  praetenso:  sibi  non  datum 
esse  linquis  loqui,  nolle  se  hoc  scriptorum  genere  certare,  Stol- 
cius  tarnen  ut  agnita  in  vcritate  persisteret  Sed  Stolcius  cum 
haerere  videns  cum  crroneo  suo  dogmate  deseruit,  sedemque  in 
Hungariam  transtulit,  inter  antiquae  fidei  consortes  antiquo  suo 
Christo  &eav&Qumti)  ad  exitum  usque  vitae  suae  serviens  Epe- 
riesina in  urbe:  ubi  relicta  eius  vidua  adhuc  (riec  enim  aliter 
scio)  vivit 

A  dextris  et  sinietm  p.  5—9. 

IX. 
42. 

5.  Quinquennio  post f)  prodiit  Schefferi  contra  Virtutem  Re- 
surrectionis  Christi  tractatus ,  ad  me  quoque  (liberales  enim 
sunt  in  suis  communicandis,  sine  exemplo:  magnis 
inter  se  hoc  fine  institutis  collectis,  ut  Libri  excudi, 
gratisque  hinc  inde  spargi  poßint)  missus. 

De  Quaestione  p.  61. 

(Libellus  Comenii)  Scriptus  fuit  anno  1638,  ad  prohlbendum 
scandala  quae  Melchioris  Schefferi  Silesii  (recens  ad 
Socini8mura  conversi,  fervideque  Orthodoxiam  oppugnare  aggressi) 
editus  ea  de  quaestione  libellus  Ecclesiis  nostris  dabat.  Et  quidem 
scrintus  Superiorum  jussu,  idiomatcque  eodem  quö  Schefferus 
ediaerat  Gerraanicö.  Dedicatus  deinque  illi  qui  apud  Antistites 
meo8  potissimum,  ut  Provincia  haec  demandaretur  mihi,  ursit, 
D.  Joh.  Sfhlichtingio:  qui  eum  mox  (cum  peculiari  ad  Meseri- 
censes  et  Sverinenses  quorum  Ecclesias  Schefferus  imprimis  tur- 
babat)  praelo  subjiei  curavit. 

De  Quaestione  etc.  Dedicatio  ad  Wolzogenium. 

43. 

Reperi  ergo  Schedas  lusionis  cujusdam  Scholasticae ,  cum 
ante  annos  circiter  20  Lesnensi  in  Schola  (meo  tunc  sub  regi- 
mine)  Scenica  etiam  vigere  ineiperent  exercitia.  .  .  .  intra  unius 
anni  spatium  idem  hic  Diogenianus  Ludus  ter  fuit  in  illustrium 
hospitum,  illustrem  1).  Comitem  nostrum  visitantium  et  haec 
spectare  expetentiura,  gratiam,  ad  repetendum  flagitatus. 
Praef.  ad  Diog.  C>  n.  ed.  1658. 

44. 

6.  Triennio  circiter  pöst  venit  ad  nos  ex  ultima  Russia 
(per  milliaria  forte  centum)  D.  Jonas  Schlichtin gius,  Soci- 

>)  post  1632,  orgo  1637. 


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1893.  Zur  Lebensgeschicht«  des  Comenius.  45 

nianorum  velut  Patriarcha,  tilium  (adolescentem  18  annorum) 
Scholae  nostrae  traditurus.  Cujus  inspeetio  suprema  quia  per  id 
tempus  mihi  demandata  fuit,  me  ille  conventö  calamitates  suas 
et  auorum  (quod  illis  Kacoviae  Schola  et  Typographeum  essen  t 
ab  lata  illique  in  dispersionem  dati)  questus  fuit,  filiumque  suum 
ad  institutionem  nostram  admitti  petiit.  Factum,  cum  eonsensu 
quorum  intererat,  cautioneque  interposita  ne  quid  turbaret.  Ipse 
interim  D.  Jonas  mihi  Libros  suos,  quibus  Academiae 
Witteb  ergensis  Refutatio  Sraalcii  refutabatur  (in 
erecta  Typogr.  nescio  ubi  in  Russia  excusos)  donavit,  lectionem 
eorum  commendanB.  Respondi,  Non  vacare  mihi,  nec  esse 
volupe  labyrinthis  i s t i »  oberrare.  Uogabat  ergo  saltem 
Praefationem,  quä  dogmatis  deTrinitate  (Tertulliani  aevo 
nati)  originem  primam  ostenderet.  perlegere  vellem;  ut 
postridie  inter  valedieendum  meam  audire  posset  sententiam. 
Legi  ergo:  ut  ne  iterum  conquerendi,  Nos  legere  nolle,  et 
tarnen  condemnare,  ansam  haberet.  Quia  ver6  sub  finem 
praedictae  praefationis  ad  Christianos,  qui  circa  fidem 
in  Christum  vel  in  excessu  vel  in  defectu  peccant, 
exhortationem  adjunxerat,  ut  ad  se,  tanquam  mediam  tenente« 
viam,  regrediantur :  dixi,  Nos  tenere  medium,  qui  utrum- 
que  de  Christo,  et  Deum  esse,  et  hominem  esse, 
juxtaScripturas  credimus.  In  excessu  autem  pec- 
care  illos,  qui  Deum  tantum  esse  volunt,  humani 
praeter  apparentiam  in  eo  nihil  agnoscentes,  ut 
Marcionistae  et  Felgenhaver.  In  defectu  autem 
illos,  qui  divinitatem  Christi  negant,  factitium  tan- 
tum et  titularem  Deum  confitentes.  Ille,  Non  se  esse, 
qui  Christo  debitum  honorem  detrahant,  sed  in 
Transylvania  quosdam  qui  adorandum  esse  negant, 
nec  adorant.  Quaesivi:  Annon  Uli  pars  Vestri  sunt? 
Respondit:  Exierunt  de  nobis,  quia  non  fuerunt  de 
nobis.  Ego  iterum:  Nonne  hinc  apparet,  mi  Dom  ine, 
quibus  gradibus  a  Fide  recedatur?  Ario  nimium 
fuit  visum  Christo  parem  cum  Deo  aeternitatem 
concedere,  amputavit  ergo  quiequid  Mundum  ante- 
cessit:  in  prineipio  illum  ex  nihilo,  dem  um  quo  alia 
per  ipsum,  facta  dictitans.  Sed  Photino,  etSocino 
Vestro,  illud  etiam  nimium  visum:  amputärunt 
iterum  omnia  usque  ad  Mari  am,  in  hujus  utero  exor- 
tum  Uli  primum  tribuentes,  divinos  tarnen  Uli  ho- 
nores  (propter  donatam  divinitatem)  concedentes. 
Ecce  autem,  Francisco  Davidis,  et  qui  illum  e 
Vestris  sequuntur,  etiam  hoc  nimium  visum:  negant 
itaque  Uli  adorationis  honorem.  Quod  si  sie  semper 
aliquid  de  honore  Christi  detrahere  pergemus,  non 
video  quid  remansurum  sit,  nisi  purus  putua  Ma- 
homedismus  (nondura  dicam  Atheismus). 


46  Kvacsala,  Zur  Lebenageschichte  de»  Comeniua.   Heft  1  u.  2. 

Q nippe  Turcae  etiam  Jßsura  Mariae  filium  maio- 
rem  Mose  credunt,  Dei  naturalem  filium  non  credunt;  Ad 
quae  D.  Schlichting  nihil,  nisi  Cavillationem  esse,  dixit. 
Ego  tarnen  quomodo  haec  cavillatio  sit,  et  ex  tali  opioionura 
de  Christo  semper  in  minus  mutatione,  quid  nisi  totalis  tandem 
ahnegatio  sequi  possit,  hunc  usque  in  diem  videre  non  possum. 
Ita  tunc  ab  mvicem  discessimus;  Quae  verö  ab  illius  discessu 
meditatus  eram,  illique  submissum  fuit,  explicui  edita  nuper  De 
Vno  Chri8tianorura  Deo,  Patre,  Filio,  et  Spiritu  S.  confessione  mea. 
Do  Quaestione  etc.  p.  61—63. 

45. 

7.  Anno  1641  aggressus  me  fuisti  Tu  ipse,  Generose  Domine  *) : 
inter  alia  multa  etiam  Quomodo  articulus  de  Trinitate 
(in  0 per e  Paus.)  tractandus  esset,  inquirendo.  Respondi: 
Juxta  Scripturas.  Tu  iterum.  An  ergo  juxta  vulgares 
hypotheses?  Respondi  cum  Apostolo:  Nihil  possum us 
adversus  Veritatem,  sed  pro  Veritate.  Ad  quae  Tu: 
Non  decet  tantus  error  tantum  Virum.  Ego:  Mi  Do- 
mine, In  divinis  nemo  facilius  deeipitur,  quam  qui 
sibi  aut  aliis  cruditionis  nomine  place t.  Tu  contra 
adeö  importune  instare,  mihique  erroris  pertinaciam  exprobrare: 
ut  commotior  ego,  Vobis  (inquam)  vere  pervicacia  tribui 
debet,  qui  etiam  convicti  ceditis  non  tarnen.  Quaere- 
bas:  Vbi  nam  convicti?  Respondi:  Vel  in  nupero  con- 
tra Schefferum  scripto  tot  falaitatuni  deprehensi 
estis,  nec  tarnen  a  \eritate  oppugnanda  desistitis. 
Ibi  Tu:  Meo  nomini  parci:  si  autem  refutari  vellem, 
fieri  posse.  Dixi,  Fiat,  fiat:  nihil  mihi  pareite.  Ecce 
autem  hueusque  nihil ,  praeter  illam  erga  me  eommiserationem 
Veatram. 

De  Quaestione  etc.  p.  6:3—64. 


')  Wolzogen. 


(Fortsetzung  folgt.) 


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Kleinere  Mitteilungen. 


i. 

Sybrand  Jan  Hingst. 

Wir  haben  in  dem  Leitaufsatz  dieses  Heftes  den  Namen  von 
Dr.  S.  J.  Hingst  neben  den  Namen  Fabris  und  Christ.  Sepps 
an  hervorragender  Stelle  nennen  müssen.  Da  sein  Name  in 
Deutschland  weniger  bekannt  ist  als  wünschenswert  wäre,  wollen 
wir  hier  eine  kurze  Skizze  des  merkwürdigen  Mannes  geben. 

Sybrand  Jan  Hingst  war  im  Jahre  1834  zu  Amsterdam  ge- 
boren und  stammte  aus  einer  Weberfamilie  alttäuferisehen  Ursprungs 
in  Friesland;  er  selbst  pflegte  gern  gerade  diese  Abstammung  zu 
betonen,  und  es  kann  auch  nicht  bezweifelt  werden,  dafs  sie  für 
seine  ganze  Geistesrichtung  von  Wichtigkeit  geworden  ist.  H.  war 
Juris  von  Fach  —  er  hatte  im  Jahre  1859  zu  Leiden  den  Dr.  juris 
erworben  —  und  durchlief  die  Stufen  seiner  Laufbahn  rasch  bis 
zu  dem  höchsten  Posten  eines  r  Randsheer  in  den  Hoogen  Raadtf  im 
Haag,  den  er  seit  1883  inne  hatte.  Die  juristischen  Fachzeit- 
schriften Hollands  besafsen  in  ihm  einen  hervorragenden  Mit- 
arbeiter, und  Juristentage  seiner  Heimat  pflegte  er  gern  zu  be- 
suchen. Aber  seine  Interessen  reichten  weiter.  Sein  Geist  ura- 
fafste  frühzeitig  das  ganze  Gebiet  der  Philosophie,  und  zwar 
bezeichnete  er  sich  selbst  als  Anhänger  Kants,  von  dessen 
Wiederbelebung  er  viel  erhoffte;  seit  dem  Beginn  der  achtziger 
Jahre  wandte  er  sich  mit  der  rastlosen  Thatkraft,  die  ihm  eigen 
war  —  er  beherrschte  die  wichtigere  Litteratur  dreier  Sprachen, 
der  deutschen,  holländischen  und  französischen  in  ungewöhnlichem 
Umfang  —  den  religiösen  und  kirchenpolitischen  Fragen 
zu  und  betrieb  dies  Studium  mit  der  Unparteilichkeit  und  Sorg- 
falt, wie  sie  dem  geschulten  Juristen  eigen  zu  sein  pflegt;  er 
fühlte  sich  den  kämpfenden  Religionsparteien  gegenüber  gleich- 
sam als  Richter,  nicht  als  Anwalt  oder  als  Partei,  und  seine 
reiche  Lebenserfahrung  befähigte  ihn  zu  einem  sachlicheren  und 
gerechteren  Urteile,  als  es  von  den  Studierzimmern  philologisch 
geschulter  Dozenten  aus  gefallt  zu  werden  pflegt.    Er  wufste 


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4S 


Keller:  Sybrand  Jan  Hingst. 


Heft  1  u.  2. 


das  Richtige  und  Falsche  der  Prinzipien  sehr  klar  von  den 
Mängeln  der  durch  schwache  Menschen  versuchten  Durchfuhrung 
zu  unterscheiden  und  als  Mann,  der  selbst  im  praktischen  Leben 
zu  wirken  gewohnt  war  —  sein  Lebensweg  war  durch  Schicksale 
aller  Art  ein  schwerer  für  ihn   gewesen  —  wufste  er  zu  be- 
urteilen, welchen  Hindernissen  die  praktische  Gestaltung  auch 
der  lebensvollsten  Ideen  zu  begegnen  pflegt    Gleichzeitig  aber 
suchte  er  alles,  was  sein  Fleifs  aus  der  Litteratur  erarbeitet  hatte, 
für  das  thätige  Leben  nutzbar  zu  machen,  und  keinerlei  Wissen 
schien  ihm  Werth  zu  besitzen,  wenn  man  es  nicht  zur  Veredlung 
der  Menschen  und  ihres  Daseins  nutzbar  machen  könne.  In  dem 
Nachruf,  welchen  der  Generalstaatsanwalt  ihm  widmete,  heifst  es, 
dafs  Hingst  neben  seinen  ausgezeichneten  Gaben  als  Beamter 
ein  Mensch  von  edelster  Gesinnung  war,  der  trotz  eignem  Leid 
immer  darauf  bedacht  blieb,  anderen  zu  helfen.  In  ihm  lebte  ein  Stück 
jenes  alten  Feuergeistes,  der  erleuchtet  und  erwärmt,  ohne  zu 
zerstören,  der  hohen  Opfermutes,  aber  keines  Fanatismus  fähig 
ist  —  ein  Stuck  comeni an i sehen  Geistes,  wie  er  uns  in 
den  grofsen  Kämpfen   früherer  Zeiten   auch  gerade  in  seinem 
Vaterland  wohl  begegnet,   der  heute  aber  immer  seltener  ge- 
worden ist    Als  Hingst  am  12.  Januar  1890  die  Augen  schlofs, 
fühlten  seine  Freunde  weit  und  breit,  wie  viel  sie  an  ihm  ver- 
loren hatten.    Vieles,  was  seine  stille,  aber  rastlose  Hingabe  ge- 
schaffen hatte,  trat  allen  noch  einmal  vor  die  Seele,   Wir  schätzen 
es  als  eine  glückliche  Fügung,  dafs  zwei  in  ihrer  Art  so  seltene 
Männer  wie  Fabri  und  Hingst  an  der  Wiege  der  Comenius- 
Gesellschaft  gestanden  haben,  für  deren  Grundgedanken  sie  mit 
gleicher  Wärme  eingetreten  sind.   Es  ist  tief  zu  beklagen,  dafs 
sie  der  Durchführung  unserer  gemeinsamen  Pläne  ihre  starke 
und  erfahrene  Hand  nicht  mehr  haben  leihen  können.  K. 


II. 

Bertha  von  Marenholtz  geb.  von  Bülow. 


Am  9.  Januar  dieses  Jahres  starb  in  Dresden  nach  längerem 
Leiden  und  im  fast  vollendeten  82.  Lebensjahre  Freifrau  von 
Marenholtz-Bülow,  Excellenz,  deren  Name  mit  dem  An- 
denken Friedrich  Fröbels  für  alle  Zeit  innig  verknüpft  sein 
wird.  In  Wort,  Schrift  und  That  hat  die  Verewigte  für  den  Ge- 
danken einer  neuen  Erziehung  zeitlebens  rastlos  gewirkt  und 
sich    besonders    um    Erhaltung    und   Befestigung   der  Lehre 


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1893. 


Wittmer:  Bertha  von  Marenholtz. 


49 


Fröbels  im  In-  und  Ausland  hoch  verdient  gemacht.  Ihre  zahl- 
reichen Schriften  geben  Zeugnis  von  der  hohen  Einsicht,  mit 
welcher  sie  deren  Bedeutung  für  unsere  Zeit  erkannte,  und  die 
von  ihr  begründeten  Erziehungsvereine,  sowie  die  Fröbelstiftung 
in  Dresden,  mit  dem  Seminar  für  Kindergärtnerinnen  und  der 
Bildungsanstalt  für  Kinderpflegerinnen,  zeigen,  wie  sehr  sie  es 
verstand,  ihre  Gedanken  auch  praktisch  zu  verwirklichen.  Auch 
die  Zeitschrift  „Die  Erziehung  der  Gegenwart"  wurde  von  ihr 
begründet.  Um  zu  beweisen,  dafs  der  Fröbelschc  Kindorgarten 
nicht  etwa  nur  für  die  höheren  Stände  bestimmt,  dafs  er  viel- 
mehr auch  berufen  sei,  eine  Grundlage  für  die  gesamte  Volks- 
bildung zu  werden,  rief  Frau  v.  Marenholtz  die  sogenannten 
Volkskindergärten  ins  Leben,  deren  erster  im  Jahre  1860  in 
Berlin  von  ihr  gegründet  wurde  und  die  später  in  zahlreichen 
Stlidten  zum  Segen  der  ärmeren  Bevölkerung  Eingang  fanden. 
Überall  aber  war  sie  bemüht,  die  Lehre  Fröbels  vor  der  so 
nahe  liegenden  und  leider  auch  in  der  Mehrzahl  der  Kinder- 
gärten eingetretenen  Verflachung  und  Verkünstelung  zu  bewahren 
und  das  ihr  zu  Grunde  liegende  tiefere  pädagogische  Prinzip  zur 
Geltung  zu  bringen. 

Wohl  haben  viele  gegenüber  den  religiösen,  politischen  und 
sozialen  Wirren  der  Zeit  die  Notwendigkeit  einer  neuen  Er- 
ziehung anerkannt  und  sind  eifrig  bemüht  gewesen,  eine  solche 
herbeizuführen,  gewifs  aber  hat  niemand  mit  mehr  Hingabe  und 
Begeisterung  sein  ganzes  Leben  in  den  Dienst  dieser  Idee 
gestellt,  als  es  von  seiten  dieser  seltenen  Frau  geschah,  deren 
Name  in  der  Geschichte  deutscher  Kultur  einen  Ehrenplatz  ver- 
dient. Ihr  Herz  schlug  für  ein  Menschheitsideal,  und  so  dürfen 
wir  in  ihr  auch  die  würdige  Jüngerin  eiues  Comenius  erkennen, 
dessen  hohe  Verdienste  um  das  Erziehungswesen  auch  von  ihr 
in  vollem  Mafse  gewürdigt  wurden. 

Möge  das  Andenken  der  Verstorbenen  überall  ein  gesegnetes 
"  ,1  G.  Wittmer. 


MouaishufU»  der  Cometiia»-G*.elUebafl.  1893. 


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Nachrichten. 


Der  Professor  der  Theologie  an  der  Universität  Tübingen,  Lic.  theol. 
Alfred  Hegler  hat  vor  kurzem  eine  Schrift  über  „Geist  and  Schrift  bei  Sebastian 
Franck"  (Freiburg,  J.  C.  B.  Mohr)  veröffentlicht  Das  Buch  ist  als  eine 
hervorragende  wissenschaftliche  Leistung  zu  bezeichnen.  Der  Verfasser 
weist  mit  Recht  darauf  hin,  dafs  Francks  Gedanken  und  Anschauungen 
für  die  geschichtliche,  die  psychologische  und  die  systematische  Forschung 
ein  grofses  und  allgemeines  Interesse  darbieten.  Für  das  Arbeitsgebiet 
unserer  Gesellschaft  steigert  sich  dies  Interesse  noch  dadurch,  dafs  sich  bei 
Franck  und  seinen  nächsten  Geistesverwandten,  Denck^  Bünderlin  u.  8.  w. 
eine  Auseinandersetzung  über  die  wichtigsten  grundsätz- 
lich en  Fragen  zwischen  den  Anschauungen  Taulers,  Eckharts,  der 
„deutschen  Theologie"  und  den  ursprünglichen  Gedanken  Luthers  (aus 
denen  Franck  geschöpft  hat)  und  der  späteren  protestantischen  Dogmatik 
vollzieht,  wie  sie  in  den  reformatorischen  Staatskirchen  seit  1580  Gestalt 
gewonnen  hat. 

Wir  beabsichtigen  daher,  in  den  Monatsheften  eingehender  auf  Heglers 
Schrift  zurückzukommen.  Heute  wollen  wir  nur  darauf  hinweisen,  dafs 
das  Buch  sich  schon  deshalb  auch  für  weitere  Kreise  eignet,  weil  der 
Verfasser  seine  Gedanken  in  so  klarer  und  ansprechender  Form  vor- 
trugt, wie  es  bei  deutschen  Gelehrten  leider  nicht  allzuhäufig  ist.  —  Wie 
sehr  die  hier  erörterten  Fragen  die  wissenschaftliche  Aufmerksamkeit  beute 
auch  in  anderen  Ländern  auf  sich  ziehen,  beweist  das  im  Jahre  1890  er- 
schienene Werk  von  J.  H.  Maroni  er  (Rotterdam):  Het  inwendig  Woord. 
Ecnige  Hladziiden  nit  de  Geschiedenis  der  Hervorming  (Amsterdam,  Hol- 
ketna),  dessen  Inhalt  sich  ebenfalls  wesentlich  auf  Denck,  Franck  und  Bünderlin 
erstreckt.  Das  Buch  giebt  einen  vortrefflichen,  sorgfältig  gearbeiteten 
Überblick  über  die  in  Frage  kommenden  Erscheinungen  und  wird  im  Zu- 
sammenhang mit  Hegler  und  den  in  derContemporary  Review  (London,  Isbister 
u.  Co.)  im  März  1891  und  Dezember  1892  erschienenen  Abhandlungen 
von  Ric  har  d  H  eath  über  Denck  und  den  sog.  Anabaptismus  zu  besprechen 
sein.  —  Erwähnen  wollen  wir  noch ,  dafs  die  Teylersche  Gesellschaft  im 
Haag  in  Anerkennung  der  Wichtigkeit  der  Frage  für  die  gesamte  theo- 
logische Entwicklung  im  Jahre  1887  eine  Preisfrage  über  das  „innere 
Wort"  ausgeschrieben  hat,  dafs  sie  aber,  als  die  eingelaufenen  Arbeiten 


1893. 


Nachrichten. 


51 


ihren  Ansprächen  nicht  genügten,  die  Frage  gegen  ihre  sonstige  Gewöhn 
heit  nicht  erneuert,  sondern  zurückgezogen  hat. 


Im  Jahre  1679  erschien  f*u  Nürnberg  bei  Michael  und  Joh.  Friedr. 
Endter  eine  Ausgabe  des  Orbis  pietus  mit  folgendem  Titel:  Joh.  Arnos 
Comenii  |  Orbis  sen  |  sualium  pietus  |  quadrilinguis,  |  Hoc  est:  |  Omnium 
fundamental ium  in  mundo  rerum  et  in  |  vita  actionum  |  Pictura  et  Nomen- 
clatura,  j  Germanica,  Latina,  Italica  |  et  Gallica.  |  Cum  Titulorum  juxta, 
atque  Vocabulorum  Indice.  |  (Folgt  eine  Titelvignette,  welche  das  Weltall, 
Sonne,  Mond  und  Sterne,  darstellt,  aber  von  der  Vignette  der  ersten  drei 
Ausgaben  abweicht.)  Cum  gratia  et  Privilegio  Sac.Caea.  Majestatts  et  Screuiss. 
Electoris  Saxonici.   Noribergae  etc. 

Auf  der  Rückseite  des  Titelblattes  steht  folgendes  Gedicht: 

Ad 

Nobüem  et  Clm  Dn.  Autor em 
Novi  ego,  Te  per  multa  patif  dätete  Tepati  pro  vera  Christi 

rehgione  tui. 

Atiamtn  hacc  animum  »ion  flrangunt:  promtius  inde 

proetdit,  magni  grande  Idboris  Opus. 
Italus  et  Gallus  dcmirabwüur:  in  uno  quod  bona  tot  mentis 
sint  cumulata  Viro 

Amicae  memoriae  causa 

Imque  f. 
Joh»  Michael  Dilhemu. 
Hierauf  folgt  die  Widmung  der  Übersetzung  an  den  Rat  der  Stadt 
Nürnberg  in  italienischer  und  französischer  Sprache  durch  den  Herausgeber 
B.  L.  Teppati.   Aus  der  Widmung  erhellt,  daf»  Teppati  dem  Rat  zu  Dank 
verpflichtet  war. 

Da  M.  Dilherr  bereits  1669  gestorben  ist,  so  kann  die  Ausgabe  von 
1679  nur  ein  Neudruck  einer  alteren  Ausgabe  sein.  Da  bis  jetzt  über  die 
Person  des  B.  L.  Teppati,  soviel  ich  habe  feststellen  können,  Näheres  nicht 
bekannt  ist,  so  wäre  es  erwünscht,  wenn  einer  unserer  Leser  imstande 
w  äre,  weiteres  Licht  über  diesen  Mann  und  seine  Beziehungen  zu  Dilherr 
zu  verbreiten. 


Über  Jacob  Redinger,  einen  Anhänger  des  Comenius  im  17.  Jahrb., 
h.'it  Regierung*-  undSchnlrat  F.  Sander  in  der  Beilage  zur  Allg.  Zeitung 
vom  2.  und  3.  Sept.  1892  (Nr.  205  u.  206)  zwei  Artikel  veröffentlicht,  auf 
die  wir  die  Leser  der  Monatshefte  aufmerksam  machen  wollen.  Rfdingcr 
war  bisher  so  gut  wie  unbekannt.  Sander  wurde  dadurch  auf  ihn  geführt, 
dafs  er  in  den  Büchereien  der  ihm  in  Bunzlau  unterstellten  Lehranstalten 
eine  deutsche  Übersetzung  des  lateinischen  Urtextes  der  Schola  Indus  des 
Comenius  fand,  welche  zu  Frankenthal  im  Jahre  lß.r>9  gedruckt  und  der 
berühmten  Kurprinzessin  Elisabeth  Charlotte  (Liselotte,  später 
Herzogin  von  Orleans)  und  dem  Kurprinzen  Karl  von  der  Pfalz  ge- 
widmet war;  Verfasser  dieser  und  einiger  gleichzeitig  entdeckter  Über- 
setzungen war  Jacob  Redinger.  In  der  Widmung  an  die  fürstlichen  Ge- 
schwister heifst  es,  dafs  „kurerbliche  Durchlaucht  nicht  nur  glücklich  an- 

4* 


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52 


Nachrichten. 


Heft  l  u.  2. 


gefangen,  die  lateinische  Sprache  samt  den  Dingen  nach  des  weltberühmten 
Comenius  kurzem  und  leichtem  Lehrwege  zu  lernen,  sondern  auch  mit 
gnädigster  Beiwohnung  des  ersten  Spiels,  so  den  siebenten  Aprilen  in  Franken- 
thal  gehalten  worden,  ihre  günstige  Zuneigung  au  dieser  Spielschule"  und 
zu  der  gesamten  neuen  Lehrart  „bezeuget".  Sehr  merkwürdig  tritt  in 
diesen  Übersetzungen  die  Begeisterung  des  Comenius  und  aller  seiner 
Schüler  für  die  Muttersprache  und  ihre  Pflege,  hier  also  für  din 
deutsche  Sprache  hervor.  „Es  ist  eine  Schande,"  sagt  Redinger,  „dafs 
so  viel  tausend  gelehrte  Männer  in  allen  teutechen  Landen  sind,  die  ihre 
edle  uralte  Sprach  nicht  besser  und  mehrer  sammeln".  Im  Nachwort  der 
„Spielschule"  (Schola  ludus)  heifst  es:  „Günstige  Leser.  Ich  hätte  in  Über- 
setzung dieser  Spielschule  alles  gern  mit  rechten  eigentlichen  teutaehen 
Wörtern  gegeben.  Wo  selbiges  nicht  oder  nicht  wohl  geschehen,  so  messet 
die  Schuld  teils  höchstem  Eilen,  teils  meiner  Unwissenheit  und  nicht  unser 
vollkommensten  Wortreichesten  Sprache  zu,  von  welcher  der  Hochweise  und 
Wohlgeübte  Komenius  im  andern  Teile  seiner  Lehrwerken  am  45.  Blatt 
wohl  sagt  (Opera  didactica  Amst.  1657,  II,  45  in  der  Novissima  linguarum 
methodus  von  1648  Cap.  IV  §  26):  ,Die  teutschc  Sprach  könnte  ihrer  un- 
erschöpften Reichtumcn  geniefsen,  so  sie  dieselbige  zu  brauchen  wüfste 
wegen  der  Menge  eingliedriger  Stammwörtern  und  Glückhaftigkeit  der 
Wijrterdoppelung,  welche  andern  unbekannt;  die  mit  ihr  selbst  vergnügt 
und  allzeit  fertig  ist  ,  die  allerdeutlichsten  Namen  jeden  Dingen  auf- 
zugeben.' Aus  dem  lateinischen  Wortlaut  der  Stelle  geht  deren  Sinn  deut- 
licher hervor.  Comenius  sagt  (a.  a.  0.):  Jam  si  quaestio  sit,  quaenam 
lingua  aliis  omnibus  praecellat,  difficillima  fuerit  responsio  .  . .  Germanica| 
ob  radicum  monosyllabarom  copiam,  vocesque  componendi  ignotam  aliis 
felicitatem,  seipsa  contenta  et  ad  indenda  quibusvis  rebus  significantissima 
nomina  semper  prompta,  inexhaustis  su  is  frui  posset  divitiis,  si 
uti  sciret. 

Wir  verweisen  im  übrigen  in  betreff  der  Bestrebungen  wie  der  Person 
des  Redinger  auf  die  erwähnten  Aufsätze  Sanders. 


In  der  „Zeitschrift  der  Historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz 
Posen",  herausgegeben  von  Dr.  Rodgero  Prümers,  7.  Jahrg.,  2.  u.  3. 
Heft,  April  bis  Sept.  1892  (Posen,  J.  Jolowicz)  veröffentlicht  Ernst  Luck- 
fiel  einen  Aufsatz  über  „Die  Geschichte  des  Socioianisnas  in  Grofspolcn". 
Es  war  in  Polen  dem  Lälius  Socinus  mit  Hülfe  dortiger  Magnaten  gelungen, 
weite  Kreise  für  seine  Auffassung  der  Lehre  Christi  zu  gewinnen,  und  sein 
Neffe  Faustus  Socinus  hatte  es  verstanden,  der  Gemeinde  eine  feste  Ver- 
fassung zu  geben.  Der  Arbeit  ist  eine  Untersuchung  der  Quellen  zur  Ge- 
schichte des  Socianismus  beigefügt.  Wir  machen  hier  auf  diesen  Aufsatz 
auch  deshalb  aufmerksam,  weil  Comenius"  frühere  freundliche  Beziehungen  zu 
dieser  Gemeinschaft  und  einigen  ihrer  Vertreter  weit  weniger  Beachtung  ge- 
funden haben  als  die  späteren,  die  sich  zu  einer  entschiedenen  Gegner- 
schaft gestalteten.  Wir  verweisen  in  Bezug  auf  die  früheren  Beziehungen, 
welche  freundschaftlicher  Art  waren,  auf  die  Monatshefte  1892,  S.  278  ff., 
wo  Comenius  selbst  darüber  berichtet  und  unter  anderem  sagt,  er  habe 


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1893. 


Nachrichten. 


53 


die  Institutionen  des  Ostorodius  nnd  das  Neue  Testament  der  Socinianer 
„non  sine  vario  tentationum  assultu,  conseientiaeqoe  vacillationc,  victoria 
tarnen  fidci  t  andern"  gelesen.  Ware  Cotnenius  der  Versuchung  erlegen, 
so  würde  er  in  den  Untergang  jener  Gemeinschaft,  der  sehr  bald  und  nicht 
ohne  deren  eigenes  Verschulden,  eintrat,  verwickelt  worden  sein,  und  er 
hätte  niemals  die  universelle  Bedeutung  gewinnen  können,  die  er  that- 
sächlich  gewonnen  hat.  Eine  Opposition,  deren  Widerspruch  bei  ein- 
zelnen Lehrsätzen  einsetzt  und  deren  Wesen  sich  zum  gröTsten  Teil 
auf  die  Verneinung  gewisser  Dogmen  zuspitzt,  wird  stet«,  so  begründet 
manchem  die  Bestreitung  scheinen  mag,  der  Gefahr  ausgesetzt  nein,  ihre 
Kräfte  im  Kampf  um  eben  diese  Sätze  zu  zersplittern  und  selbst  einen 
dogmatischen  Charakter  anzunehmen,  der  nur  die  Köpfe  erhitzt,  aber  die 
Herzen  kalt  läfst;  sie  wird  aber  auch,  indem  sie  den  Zusammenhang  mit 
der  Überlieferung  zerreifst,  auf  der  Bahn  der  Verneinung  leicht  weiter  ge- 
führt werden,  als  ihren  Stiftern  vorgeschwebt  hat  und  als  es  angänglich 
ist,  wenn  die  gemeinschaftsbildende  Kraft  aufbauender  Gedanken  erhalten 
bleiben  soll.  Eine  Gemeinschaft  kann  ebenso  durch  die  Betonung  wie 
durch  die  Bestreitung  gewisser  Lehrformeln  den  Charakter  einer  Be- 
kenntnisgemeinschaft gewinnen  und  damit  in  der  einen  oder  der  an- 
dern Beziehung  eine  Gefährdung  der  Bekenntnisfreiheit  herbeiführen.  Nur 
dort,  wo  der  Charakter  der  Gesinnungsgemeinschaft  grundsätzlich 
in  den  Vordergrund  gestellt  und  Lehrformeln  weder  so  noch  so  in  den 
Mittelpunkt  gerückt  werden,  kann  Bekenntniszwatig  mit  allen  seinen 
Folgen  einigermaßen  vermieden  werden. 


Pastor  H.  Stockmann  in  Borssum  bei  Emden  teilt  uns  folgendes  mit: 
„Der  ostfriesische  Chronist  Eggerink  Beninga  schreibt:  ,Anno  Christi 
MDXXII  am  avende  Omnium  sanetomm  is  Helmer  (Häuptling)  zu  Borssum, 
welke  omtrent  63  jaer  olt  was,  uth  dussen  jammerdal  verscheden.  Richtede 
sick  na  dem  olden  und  nyen  Testament,  lange  vor  der  tyd  eer  Mar- 
tinas Luther  begunde  to  schry  ven,  is  dar  oock  bestandlic  wente  an 
dat  einde  by  gebleven.  Heeft  van  de  insettinge  des  Pauwstes  pantsch 
nicht  geholden. »  Eggerink  Beninga  war  Zeitgenosse  des  Hclmcr  und  später 
durch  seine  Heirat  mit  der  Erbtochter  Besitzer  von  Borssum;  er  kannte 
also  den  alten  Helmer  genau." 

Die  Bibelausgabcn,  die  dieser  Häuptling  gelesen  hat,  sind  höchst 
wahrscheinlich  nicht  in  lateinischer,  sondem  in  deutscher  Sprache  ge- 
schrieben gewesen.  In  diesem  Zusammenhang  mag  darauf  verwiesen  sein, 
dafa  die  Bibelübersetzung,  die  im  Jahre  1562  zu  Emden  bei  Nie.  ßiestkens 
erschienen  ist,  sich  in  wichtigen  Teilen  nicht  an  die  lutherische,  sondern 
an  die  vorlutherischc  deutsche  Bibel  anlehnt,  die  also  um  1560  noch 
in  Emden  bekannt  war.  Näheres  bei  Keller,  Die  Waldenser  und  die 
deutschen  Bibelübersetzungen.   Leipzig  1886,  S.  152  ff. 


In  Nr.  222  u.  223  der  Allgemeinen  Zeitung  vom  11.  und  12.  August 
1892  (Beilage -Nummer  186  u.  187)  hat  Theodor  Bitter  von  Stefanovic- 
Vilovsky  unter  dem  Titel  „Studien  zur  Geschichte  des  BogomilismiiB" 


54 


Nachrichten. 


Heft  1  Ü.  2. 


zwei  Aufsätze  veröffentlicht,  die  wir  hier  nicht  unerwähnt  lassen 
dürfen.  Der  Verfasser  schöpft  zum  Teil  aus  slawischen  Quellen,  die  in 
der  deutschen  Litteratur  noch  keine  genügende  Beachtung  gefunden  haben. 
Die  Schrift  Bogomili  i  Patareni  von  Dr.  A.  RaCki  (Rad  Ingo  sla- 
venske  akadomijo  zuanosti  i  unyetnosti.  1869,  u  Zagreba)  habe  ich 
hier  zum  erstenmal  erwähnt  gefunden.  Herr  von  StefanoviC  zeigt  sich  in 
seiner  Beurteilung  der  Bogomilcn  von  seinen  Quellen,  die  fast  durchweg 
von  gegnerischer  Seite  stammen,  sehr  abhängig;  immerhin  hat  er  die 
Bedeutung  dieser  „Gottosfrcunde"  —  der  Name  Bogumil  helfet  Gottes- 
freund  —  doch  richtig  erkannt,  auch  auf  die  Zusammenhänge  mit  Pa- 
tarenern,  Katharorn,  Waldensern,  Taboriton  und  böhmischen 
Brüdern  richtig  hingewiesen.  „Die  höchste  Aufgabe  des  zukünftigen  Ge- 
schichtschreibers des  Bogomilentums,"  sagt  er  am  Schlufs,  „müfste  darin 
bestehen,  den  roten  Faden  zu  finden,  der  sich  durch  die  ersten  Reform 
mationsversuche  der  paulicianischen  und  bogomilischen  Lehre  bis  zur 
neueren  Reformation  (des  16.  Jahrhundert«)  hindurchzieht  und  dem  Bogo- 
milismus  eine  weitaus  gröfserc  Bedeutuug  verleiht,  als  sie  bisher  im  all- 
gemeinen vorausgesetzt  werden  konnte."  Über  diesen  „roten  Faden"  findet 
sich  Näheres  bei  Keller,  Die  Reformation  und  die  älteren  Reformparteien. 


Der  Verwaltungsausschufs  der  Comenius- Gesellschaft  hält  es  für 
seine  Pflicht,  mit  verwandten  und  befreundeten  Unternehmungen  in  freund- 
liche Beziehung  zu  treten.  Die  ersten  Schritte  sind  in  dieser  Richtung  da- 
durch bereits  geschehen,  dafa  der  Vorsitzende  durch  Schreiben  vom  18.  Ok- 
tober d.  J.  den  historischen  Vereinen  nnd  Gesellschaften  Deutschlands  und 
Österreichs  von  der  Errichtung  der  Comenius -Gesellschaft  Kenntnis  ge- 
geben und  sich  bereit  erklärt  hat,  mit  ihnen  in  Schriftenaustausch 
zu  treten.  Darauf  haben  verschiedene  Vereine  —  wir  werden  das  Ver- 
zeichnis demnächst  veröffentlichen  —  alsbald  in  entgegenkommendem  Sinne 
geantwortet,  und  es  ist  Aussicht  vorhanden,  dafs  weitere  Vereine  dem  ge- 
gebenen Beispiel  folgen  werden.  In  dem  Schreiben  vom  18.  Oktober  helfet 
es  unter  andertn:  „Die  Gesellschaft,  die  gegenwärtig  über  900  Mitglieder 
zählt,  hat  sich,  wie  der  im  1.  Heft  unserer  Zeitschrift  (Monathefte  der  C.-G. 
1892)  abgedruckte  Arbeitsplan  ergiebt,  in  erster  Linie  geschichtliche 
Aufgaben  gestellt,  und  ihre  Ziele  berühren  sich  daher  in  manchen  wich- 
tigen Punkten  mit  denjenigen  der  Geschichte-  und  Altertumsvereine.  Es 
wird  nicht  viele  Landschaften  und  gröfsere  Städte  des  Reiches  geben,  in  deren 
Geschichte  nicht  die  Männer,  deren  Andenken  die  Gesellschaft  vornehmlich 
pflegen  will,  Spuren  ihrer  wissenschaftlichen  oder  praktischen  Thätigkcit 
hinterlassen  haben.  Insofern  die  Gesellschaft  dem  Wirken  dieser  Männer 
nachzugehen  beabsichtigt,  kann  sie  auf  diesem  Gebiete  der  Provinzial- 
uud  Stadtgeschichte  ergänzend  zur  Seite  treten  und  durch  ihre  Zeitschrift 
zur  Aufklärung  mancher  bisher  weniger  beachteten  geschichtlichen  Er- 
scheinungen mitwirken." 


Leipzig,  S.  Hirzel,  1885. 


1893. 


Nachrichten. 


55 


Berichtigung. 

Wir  hatten  Monatehefte  1892  8.  219  eine  Übersicht  über  den  Verlauf 
der  Jahrhundertfeier  in  den  Zweigvereinen  de»  Allg.  deutschen  Sprach- 
vereins gebracht  und  zu  Braunschweig  bemerkt,  dafs  Herr  Oberlehrer 
K.  Scheffler  als  Redner  aufgetreten  sei.  Herr  Scheffler  bittet  uns,  mitzu- 
teilen, dafs  nicht  er,  sondern  Herr  Museumsdirektor  Professor  Dr. 
Riegel  des  Comenius  gedacht  und  einen  Hinweis  auf  die  Bedeutung 
des  Tages  in  einer  kurzen  Ansprache  gegeben  habe. 


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■ 


Pierm'ache  Hofbuchdruckerei.   Stephan  Ueibel  A  Co.  in  Altonburg. 


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Monatshefte 

der 

Comenius  -  Gesellschaft. 


II.  Hand.  —  1S93.  —  Heft  3. 


Der  Aufenthalt  des  Comenius  in  Lüneburg  im  August 
1647  und  die  Wiederaufnahme  seines  Briefwechsels  mit 

Valentin  Andrea 

VOM 

O.  Badlach,  Pfarrer  in  Zethlingen  (Altmark). 


Der  im  Jahre  1872  als  Professor  in  Marburg  verstorbene 
Kirchenhistoriker  Emst  Ldw.  Theod.  Henke,  welcher  durch  sein 
kirchengeschichtliches  Hauptwerk :  „Georg  Calixtus  und  seine 
Zeit",  2  Bde.,  Halle  1853—60,  sich  als  einer  der  vorzüglichsten 
Kenner  des  siebenzehnten  Jahrhunderts  erwiesen  hat,  erwähnt 
in  der  Vorrede  zu  dem  von  ihm  schon  im  Jahre  1833  heraus- 
gegebenen und  der  theologischen  Fakultät  zu  Jena  gewidmeten 
Briefwechsel  des  Georg  Calixtus,  dafs  der  gelehrte  Herzog  August 
von  Braunschweig,  der  Gründer  der  Wolfenbüttelschen  Bibliothek, 
eine  besondere  Liebhaberei  hatte,  Autographa  berühmter  Männer 
zu  sammeln.  So  seien  die  grofsen  Sammlungen  besonders  von 
Briefen  •  gelehrter  Zeitgonossen  des  Herzogs  entstanden ,  welche 
sich  noch  auf  dieser  Bibliothek  belinden. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dafs  aus  diesen  Briefsamm- 
lungen noch  manches  Gold  für  die  Comeniusforschung  gewonnen 
werden  kann,  befinden  sich  doch  unter  denselben  neben  zahl- 
reichen Briefen  von  deutschen  Staatsmännern  jener  Zeit,  Ge- 
lehrten verschiedener  Art,  Philologen,  Ärzten,  Polyhistoren  und 
Theologen,  von  denen  wir  z.  B.  nur  Duräus  nennen,  Uber  den 
derselbe  Henke  den  Artikel  in  Herzogs  Realencyklopädie  ftir 
protestantische  Theologie  geliefert  hat,  ganz  besonders  zahlreiche 

Monatsheft«  der  Conwnios-Oewllvbaft.    1*93.  5 


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58  tt*dlach,  Heft  3. 

Briefe  Valentin  Andreät»,  von  dem  von  Criegern  mit  Recht  sagt, 
dafs  für  Valentin  Andreä  Herzog  August  von  Braunsckweig  und 
Lüneburg  dasjenige  bedeutete,  was  Lorenz  und  Ludwig  von  Geer 
für  Comenius  waren. 

Bei  der  Bedeutung,  welche  Valentin  Andreä  für  Comenius 
gehabt  hat,  kann  der  jetzige  Stand  der  Comeniusforschung  nicht 
mehr  mit  Hofsbachs  Bearbeitung  sich  zufrieden  geben,  sondern 
mufs  ein  ahnliches  Werk  fordern,  wie  es  Henke  in  seinem  „Georg 
Calixtus  und  seine  Zeit"  geschaffen  hat,  der  in  seinem  (für  die  von 
der  Münchener  historischen  Kommission  herausgegebene  all- 
gemeine deutsche  Biographie  I.  S.  441  ff.)  über  Valentin  Andreae 
gelieferten  Artikel,  welcher  eine  der  letzten  Arbeiten  aus  Henkes 
Feder  ist,  noch  die  Fundamente  zu  einer  Neubearbeitung  des 
Mannes  gelegt  hat,  den  Comenius  in  Opp.  did.  1.  S.  442  als 
einen  „virum  tervidi  et  defaecatae  mentis"  bezeichnet,  auf  den 
er  öfter  in  seinen  Werken  zu  sprechen  kommt,  so  dafs  man  ihm, 
um  mit  Kleinert  zu  reden,  die  Genugthuung  anspürt,  sich  mit 
diesem  reformatorischen  Geiste  in  fortwährender  Verbindung  und 
inniger  Geistesgemeinschaft  zu  wissen,  und  durch  den,  wie  von 
Criegern:  „Job.  Arnos  Comenius  als  Theolog"  Cap.  7  in  längerer 
Ausführung  trefflich  nachzuweisen  begonnen  hat,  Comenius  nach 
allen  Richtungen  seines  Geisteslebens  einen  befruchtenden  Einflufs 
erfuhr. 

Auffall igerweise  ist  die  von  Henke  Seite  XIV7  seiner  Ein- 
leitung zu  dem  Briefwechsel  des  Georg  Calixtus  gemachte  Be- 
merkung von  der  Comeniusforschung  bis  jetzt  nicht  beachtet 
worden,  in  welcher  Henke  hervorhebt,  dafs  unter  den  von  Herzog 
August  gesammelten  Briefen  sich  auch  ein  Brief  des  Comenius 
befindet.  Dies  läfst  sich  besonders  auch  daraus  erklären,  dafs 
der  Katalog  der  Wolfenbüttler  Bibliothek  unter  den  Werken, 
welche  dieselbe  von  Comenius  besitzt,  diesen  Brief  bis  jetzt  nicht 
aufgezählt  hat  Wir  haben  die  durch  Henke  gegebene  Andeutung 
als  Fingerzeig  benutzt  und  in  dem  Handschriftenbande  Extravag.  54 
der  Wolfenbüttler  Bibliothek,  welcher  die  Überschrift  trägt: 
„Autographa  et  exempla  epistolarum  doctorum  Virorum  ad  alios 
eruditos  ordine  alphabetico  digesta,  in  quarum  numero  etiain 
Epistola  autogr.  Phil.  Melanchtonis"  am  28.  Juli  d.  J.  einen  Brief 
des  Comenius  gefunden,  welchen  er  von  Lüneburg  aus  am 
22.  August  1047  an  Valentin  Andreä  geschrieben  hat.  Henke 
scheint  anzunehmen,    dafs  sämtliche  Briefe  Autographa  siud. 


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1893. 


Der  Aufenthalt  des  Comenius  in  Lüneburg  etc. 


59 


Aus  der  Überschrift,  welehe  der  Sammler  dem  Bande  gegeben 
hat,  geht  aber  schon  hervor,  dafs  eine  Anzahl  Briefe  nur  Ab- 
schriften sind.  Während  der  Brief  des  Melanchthon,  welcher 
in  dem  citirten  Sammelband  sich  befindet,  ohne  Zweifel  ein 
Originalbrief  ist,  der  auch  sonst  die  Spuren  von  den  Taschen 
und  Händen  der  Tabellarii  trägt,  die  ihn  befördert  haben, 
scheint  der  mit  ihm  vereinigte  Brief  des  Comenius  nur  eine 
Abschrift  zu  sein.  Dieselbe  ist  nur  an  einigen  Stellen  weniger 
deutlich,  sonst  aber  sehr  gut  erhalten  und  macht  den  Eindruck, 
als  habe  eine  zweite  Hand  diejenigen  Stellen  sorgsam  nach- 
getragen, welche  der  erste  Schreiber  leer  gelassen  hat,  da  er  sie 
vielleicht  nicht  lesen  oder  verstehen  konnte.  Durch  gütige  Mit- 
hülfe des  Herrn  Bibliothekar  Dr.  Milchsack  haben  wir  die  Über- 
einstimmung unserer  Abschrift  mit  der  Wolfenbuttler  Handschrift 
festgestellt.  Der  Text  giebt  überall  einen  guten  Sinn.  Wir  haben 
nichts  fortgelassen  und  nichts  hinzugesetzt.  Nur  der  Schlufssatz 
erscheint  in  der  Handschrift  unverständlich ,  denn  er  scheint  zu 
lauten:  possim,  suam,  Velim.  Wir  haben  das  Komma  hinter 
suam  fortgelassen  und  in  dem  dargebotenen  Text  des  Briefes  für 
„suam"  „nedum"  gesetzt.  Auch  scheint  das  Jahr  der  Absendung 
„1644"  zu  lauten,  was  aber  schon  auf  Grund  der  in  dem  Brief 
angeführten  Thatsachen,  auf  welche  wir  weiter  unten  hinweisen 
werden,  nicht  angeht.  Laut  Patera,  Briefwechsel  des  Comenius, 
Prag  1892,  S.  82,  schreibt  Comenius  an  Tobias  Andrea  aus  Elbing  am 
16.  August  1644:  „herique  reversus,  jam  rursum  ad  convocationem 
Evangelicorum  generalem  Orlam  Lithvaniae  (sexaginta  inde  leucas 
distantem  locum)  abeo."  Die  erwähnte  Synode  in  Orla,  auf 
der  Comenius  anwesend  war,  wurde  am  24.  August  1644  ab- 
gehalten. Er  berichtet  darüber  an  Hotton  unterm  18.  28.  Sept.  1644. 
Wir  lesen  deshalb  nicht  „1644",  sondern  „1647". 

Der  Brief  selbst  bringt  neues  und  bisher  unbekanntes  bio- 
graphisches Material  zu  unserer  Kenntnis  und  mufs  schon  durch 
diese  besonderen  Angaben,  wodurch  er  die  bisherige  Kenntnis  von 
dem  Lebensgang  des  Comenius  erweitert,  allen  Freunden  und 
Verehrern  desselben  willkommen  sein. 

Nicht  weniger  wichtig  sind  die  allgemeinen  Bemerkungen, 
welche  Comenius  in  demselben  abgiebt.  Seine  reeiperationes, 
wie  er  am  Schlufs  seines  Schreibens  die  in  seinem  Briefe  dar- 
gelegten Gründe  zu  seiner  Rechtfertigung  nennt,  lassen  uns  nicht 
blofs  klar  erkennen,  in  welcher  Ehrfurcht,  in  welcher  Liebe  und 


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60  Kadlacb,  Heft  3. 

* 

in  welchem  Vertrauen  er  dem  Valentin  Andreä  stets  zugethan 
gewesen  ist,  sondern  sie  zeigen  auch,  wie  Comonius  bei  allem 
Streben  für  Einigung  und  Versöhnung,  so  dafs  er  als  „merabrum 
ecclesiae  illius,  quae  alios  condemnare  non  didicit"  darüber  seufzt, 
„quod  satanae  machinationes  in  distrahendis  nobis  plus  possunt, 
quam  in  coadunandis  spiritus  Christi",  doch  auch  wieder  mit  be- 
sonderem Nachdruck  seinen  konfessionellen  Standpunkt  als  ein 
Glied  derjenigen  Kirche  betont  „quae  reformationem  suam  non 
a  Luthero  aut  Calvino,  sed  ab  Husso  centum  ante  Vestram  annis 
coepit". 

Was  die  objektive  Forschung  im  allgemeinen  von  Comenius 
bis  jetzt  festgestellt  hat,  wird  durch  unsern  Brief  nur  bestätigt, 
und  behült  somit  auch  im  Hinblick  auf  unsern  Fund  von  Criegern 
recht,  wenn  er  S.  58  sagt:  „Es  ist  nicht  anzunehmen,  dafs  zu 
dem  Bilde  von  Comenius  neue  Züge  hinzukommen  würden,  wenn 
wir  noch  mehr  Schriften  von  ihm  auffänden.  Der  Gedanken- 
kreis, in  welchem  er  sich  bewegt,  ist  bekannt." 

Als  Comenius  unsern  Brief  in  Lüneburg  schrieb,  befand  er 
sich  in  einem  körperlfch  angegriffenen  Zustande.  Der  Ruf  der 
heilkräftigen  Quelle  zu  Hornhausen,  eines  in  dem  früher  Halber- 
städtischen  Gebiet  gelegenen  Fleckens,  der  etwa  eine  Stunde  von 
Oschersleben  entfernt  ist,  war  selbst  bis  an  die  sarinatischen  Ge- 
stade gedrungen  und  hatte  manche  Bekannte  des  Comenius  ver- 
anlafst,  dies  Bad  aufzusuchen.  Es  war  ein  Soolbad,  das  nach 
mündlicher  Überlieferung  noch  im  Anfang  unseres  Jahrhunderts  von 
vielen  Kranken  besucht  wurde.  Nach  der  Sage  sollen  die  Ge- 
nesenen ganze  Berge  von  Krücken  zusammengetragen  und  daraus 
ein  Freudenfeuer  angerichtet  und  ihre  Loblieder  dabei  angestimmt 
haben.  Wahrscheinlich  war  Comenius  von  rheumatischen  Affek- 
tionen  heimgesucht.  Schon  im  März  1645  finden  wir  ihn  auf 
dem  Krankenlager.  Die  bekannten  Sorgen  der  zuletzt  ver- 
gangenen Zeit  hatten  ihn  besonders  angegriffen.  Auf  Zureden 
einiger  Freunde  schliefst  er  sich  einer  Reisegesellschaft  an,  welche 
in  den  ersten  Augusttagen  1647  die  Reise  antritt,  den  etwa  zwei- 
bis  dreitägigen  Weg  zu  Schiff  von  Elbing  nach  Lübeck  wählt, 
aber  bald  sich  genötigt  sieht,  in  Lüneburg  Halt  zu  machen,  denn 
hier  treffen  sie  mehrere  Reisende,  welche  schon  von  Hornhausen 
zurückkehren,  „sequiora  quam  pro  spe  nostra  nobis  enarrantes", 
und  Schlechteres  erzählen  als  Comenius  erwartete.  Wir  haben 
den  Herrn  Archivrat  Dr.  Jacobs  in  Wernigerode  a.  H.  um  eine 
Erklärung  dieser  Stelle  gebeten.    Derselbe  schreibt  uns:  „Über 


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1893. 


Der  Aufenthalt  de«  Comenius  in  Lüneburg  etc. 


61 


die  Bedeutung  vou  sequiora  braucht  man  sich  wohl  nicht  den 
Kopf  zu  zerbrechen.  Bad  Honihausen  war  im  Jahre  1646  auf- 
gekommen und  sofort  zu  gewaltigem  Ansehn  gelangt.  Aber  am 
Ende  dea  Jahres  verschwanden  die  (20)  Quellen  sofort  wieder,  um 
dann  im  Juni  1689  noch  einmal  hervorzubrechen.  Die  Einrich- 
tungen in  dem  halbwüsten  Dorfe  waren  sehr  notdürftige.  Allen 
halfen  die  Quellen  auch  nicht,  und  so  lauteten  die  Urteile  über 
Bad  Hornhausen  verschieden.  Wunderbares  berichtet  davon  Aug. 
Hauptmann  in  seiner  „Sedula  gratiosarum  fontium  qui  Hornhusii 
pervestigatio",  Leipzig  1647.  In  der  Bibliothek  zu  Wernigerode 
befindet  sich  Pröhles  Chronik  von  Hornhausen.  Genügendes  mit 
Abb.  v.  J.  1646  bei  G.  Schmidt,  Kunstdenkm.  der  Prv.  Sachsen. 
Oschersleben  1891,  S.  144—147."  Aus  dieser  Erklärung  geht 
schon  hervor,  dafs  unser  Brief  nicht  1644  geschrieben  sein 
kann. 

Die  uuerwartete  Unterbrechung  seiner  Badereise  sollte  aber 
für  Comenius  nicht  ohne  Gewinn  sein,  da  er  in  Lüneburg  mit 
einem  vortrefflichen  Mann,  Johann  Stern  mit  Namen,  bekannt 
wurde,  der  sich  mit  seinem  Bruder  Heinrich  um  die  Kirche  Jesu 
Christi  „studiisque  pietatis",  d.  h.  und  durch  seine  Bestrebungen 
zur  Hebung  der  Frömmigkeit  verdient  gemacht  hat  und  immer 
noch,  wie  Comenius  hinzufügt,  verdient  macht. 

Das  Zeugnis,  welches  Comenius  den  Gebrüdern  Stern  in 
Lüneburg  ausstellt,  bestätigt  voll  und  ganz  schon  ein  Blick  in 
die  Geschichte  der  asketischen  Litteratur  jener  Zeit.  Die  Gebrüder 
Stern  sind  nämlich  Verlagsbuchhänder,  welche  für  die  asketische 
Litteratur  des  17.  Jahrhunderts  eine  ähnliche  Bedeutung  haben, 
wie  für  das  Gebiet  der  poetischen  Nationallitteratur  David  Müller 
in  Breslau,  der  durch  seine  rührigen  und  umsichtigen  Verlags- 
arbeiten den  schlesischen  Dichtern,  besonders  dem  Martin  Opitz 
und  dem  Johann  Heermann  den  Weg  geebnet  hat.  Sagt  doch 
Joh.  Heermann  in  der  diesem  Perthes  oder  Cotta  des  17.  Jahr- 
hunderts aufgerichteten  Ehrenschrift,  dafs  „David  Müller  sich  ein 
unsterblich  Lob  zu  Wege  gebracht  hat  durch  die  Unkosten,  so  er 
auf  den  Verlag  vieler  nützlicher  Schriften  verwendet  und  damit 
nicht  allein  der  löblichen  Stadt  Breslau,  sondern  auch  dem  ganzen 
Lande  und  der  christlichen  Kirche  gedient  hat."  Auch  können 
wir  den  Gebrüdern  Hans  und  Heinrich  Stern  in  Lüneburg  die 
Gebrüder  Michael  und  Johann  Friedrich  Endter  in  Nürnberg 
an  die  Seite  stellen,  von  denen  Michael  Endter  durch  Comenius 
das  Zeugnis  erhält,  dafs  er  „durch  eine  korrekte  und  saubere 


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62 


K ad lach, 


Heft  3. 


Ausgabe  des  orbis  pictus  und  die  dazu  besorgten  Figuren  und 
Bilder"  gewissermafscn  dem  berühmten  Schulbuch  erst  die  Bahn 
geebnet  hat. 

Dafs  Comenius  sich  an  Johann  Stern  so  schnell  anschliefst, 
so  dafs  er  ihn  dem  Valentin  Andreae  gegenüber  als  den  „communis 
amicus  et  fautor"  bezeichnet,  hat  ohne  Zweifel  seinen  Hauptgrund 
darin,  dafs  er  in  Stern  einen  Mann  gefunden  hat,  mit  dem  er 
sich  in  der  Hauptrichtung  seines  Geistes  und  seines  Strebens  bald 
eins  fühlen  mufste.  Denn  hatte  Comenius  nach  der  ersten  in 
Zürich  1629  erschienenen  deutschen  Übersetzung  der  „Übung 
der  Gottseligkeit"  des  englischen  Bischofs  Lewis  Bayly  dies  Werk 
1630  ins  Tschechische  übersetzt,  so  fand  er  hier  in  Lüneburg 
eine  andere  der  ersten  geistlichen  Schriften  Englands,  welche  den 
Weg  nach  dem  Kontinent  zurückgelegt  haben,  „das  güldene 
Kleinod"  des  Immanuel  Sonthom,  das  nach  den  bedeutenden 
Forschungen  des  jetzigen  Würzburger  Dekans  H.  Beck  (vgl.  dessen 
Abrifs  der  religiösen  Volkslitteratur  Gotha  1891  S.  181)  in  Lüne- 
burg 1620.  1630.  1632.  1634.  1653.  1679. 1680.  1683.  1696.  1703 
aufgelegt  wurde.  Und  wenn  uns  bald  nach  dem  Fortgange  des 
Comenius  aus  Lüneburg,  dort  auch  1649  die  erste  Lüneburger 
Ausgabe  von  Baylys  Übung  der  Gottseligkeit  begegnet,  so  haben 
wir  dies  vielleicht  auf  den  Verkehr  des  Comenius  mit  Stern 
zurückzuführen.  Konnte  mit  Recht  Kleinert  (Studien  und  Kritiken 
1878  S.  39)  den  Comenius  als  „Vorläufer  der  pietistischen  Be- 
wegung bezeichnen,  die  in  so  vielfacher  Beziehung  (auch  in 
didaktischer)  an  Comenius  direkt  angeschlossen  hat",  so  finden 
wir  eben  in  Stern  einen  Verlagsbuchhändler,  der  durch  die 
zahlreichen  Artikel  seines  grofsen  Verlags  dem  Pietismus  die 
Bahn  hat  brechen  helfen  und  gewissermafsen  die  Hebeammen- 
dienste bei  der  Geburt  einer  neuen  Zeitrichtung  geleistet 
hat,  die  im  Gegensatz  zu  der  toten  Orthodoxie  unter  Speners 
Führung  das  Losungswort  „des  thätigen  Christentums"  auf  ihre 
Fahne  schrieb.  In  Lüneburg  freilich,  das  A.  H.  Francke  als 
seine  geistliche  Geburtsstadt  bezeichnet  hat,  wo  ein  Jahrzehnt  nach 
Franckes  Fortgang  Joh.  Seb.  Bach  als  Diskantist  im  Schulerchor 
des  Michaelisklosters  sein  Brot  verdiente,  sollten  noch  harte  Kämpfe 
zwischen  diesen  beiden  Richtungen  gefuhrt  werden.  Sie  gingen 
so  weit,  dafs  als  der  Superintendent  Caspar  H.  Sandhagen,  der 
früher  in  Bielefeld  mit  Breckling  und  mit  Labadie  in  innigem 
Verkehr  gestanden  hatte,  und  unter  dessen  Amtsführung  Joh. 
Duraeus  von  Cassel  aus  seinen  Friedensgedanken  in  Lüneburg 


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1893. 


Der  Aufenthalt  des  Comenius  in  Lüneburg  etc. 


63 


Bahn  machen  wollte,  nach  Schleswig  als  Generalsuperintendent 
abgegangen  war,  sein  Nachfolger,  der  Freund  Speners,  W.  Pe- 
tersen 1692  abgesetzt  wurde,  der  mit  einer  Post  6000  Thaler 
Missionsgelder  nach  Pennsylvanien  sandte,  die  aber  auf  dem 
stürmischen  Meere  verloren  gingen,  unter  dessen  Einflufs  das 
„Unura  necessarium"  des  Comenius  zum  erstenmal  in  deutscher 
Sprache  1690  in  Lüneburg  erschien,  der  aber  in  einen  ähnlichen 
Fehler  wie  Comenius  verfiel,  indem  er  den  Weissagungen  eines 
Edelfräuleins  von  Asseburg  Glauben  schenkte,  womit  weder 
Spener  noch  die  orthodoxen  Gegner  einverstanden  waren.  Letz- 
tere veröffentlichten  sogar  ihre  Ansichten  darüber  in  besonderen 
Thesen. 

Die  Lüneburger  Chronisten  haben  dem  Stern  keine  beson- 
dere Aufmerksamkeit  geschenkt.  Nach  Maneckes,  des  fleifsigen 
Sammlers  Lüneburgischer  Nachrichten,  Beschreibung  und  Ge- 
schichte der  Stadt  Lüneburg  1816  S.  31,  „waren  seit  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  die  Gebrüder  Stern  in  Lüneburg  konzessionierte 
Buchhändler,  begaben  sich  aber  nachmals  des  Geschäfts,  und  in 
der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  fand  sich  dort  der  Buch- 
händler Cubach,  berühmt  wegen  eines  edierten  und  vielmals  auf- 
gelegten Gebetbuches."  Allein  wir  haben  in  den  Bauernhäusern 
der  Altmark  noch  Werke  aus  dem  18.  Jahrhundert  gefunden, 
welche  in  Lüneburg  bei  Cornelius  Johann  Stern  aufgelegt  sind, 
so  z.  B.  aus  dem  Jahre  1727  die  bekannte  im  17.  Jahrhundert 
auch  in  Lüneburg  öfter  aufgelegte  Praxis  Evangeliorum  Martin 
Mollers,  die  bis  nach  Ungarn  und  nach  Holland  hin  verbreitet 
war.  (Siehe  das  Vorwort  zur  Eisleber  Ausgabe  1857  Band  H.) 
Erzählte  mir  doch  z.  B.  im  Jahre  1888  ein  Ältester  der  grofsen 
evangelischen  Gemeinde  Zauchtel  bei  Fulnek  in  Mähren,  dafs 
ihre  Väter  und  Mütter  die  alten  Erbauungsbacher  „Molleres"  ge- 
nannt hätten,  welche  unter  den  Dielen  der  Wohnzimmer  oder 
in  anderen  Winkeln  vor  Erlafs  des  Toleranzedikts  Joseph  II 
verborgen  gehalten  wurden. 

Es  würde  sehr  lohnend  sein,  die  Buchhändler  Stern  in 
Lüneburg  in  einer  Monographie  zu  behandeln.  Leider  ist  da» 
Archiv  der  Druckerei  in  alle  Winde  zerstreut.  Folgende  wenige 
Notizen,  welche  in  der  Lüneburger  Druckerei  aufbewahrt  werden 
und  von  dem  weiland  Direktor  Dr.  Volger  herrühren,  verdanken 
wir  der  gütigen  Mitteilung  des  Herrn  Oberlehrer  Th.  Meyer  in 
Lüneburg:  „N.  N.  Stern  wird  1580  als  Buchhändler  und  Buch- 
binder genannt,  Hans  Stern  legt  1602  einen  Buchladen  auf  dem 


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64 


Radlatb, 


Heft  3. 


Sande  an.  Dessen  Söhne  Johann  und  Heinrich  gründen  1614 
die  Buchdruckerei.  Bis  dahin  wurden  ihre  Verlagsartikel  in 
Goslar  gedruckt.  Erstes  Privilegium  von  Herzog  Christian  1625. 
Eine  andere  Buchhandlung  und  Buchdruckerei  (Michaelsen), 
welche  1627  gegründet  wurde,  bestand  nicht  lange.  Ein  bedeu- 
tendes Privilegium  erhielten  die  Sterne  1634  und  dieses  ist  mehr- 
fach erneuert  und  selbst  vom  Kaiser  bestätigt  1645.  Spätere 
Buchhandlungen  und  Druckereien  bestanden  nicht  lange.  Be- 
sonders berühmt  sind  die  Bibelausgaben  (mehr  als  12).  1650 
wurde  Johann  Stern  wegen  seiner  Verdienste  um  die  Kunst 
geadelt." 

Während  aber  Öomenius  von  dem  Joh.  Stern  sagt,  dafs  er 
ein  Mann  sei  „optime  de  Ecclesia  Jesu  Christi  studiisque  pietatis 
meritus  et  adhuc  merens"  erwähnt  J.  G.  Bertram  in  seiner  grofsen 
Kirchengeschichte  Lüneburgs  Braunschweig  1719  den  Buchhändler 
Stern  gar  nicht.  Nur  im  XI.  Kap.:  „Von  des  Superintendenten 
D.  Petri  Khebinders  Leben,  darin  auch  der  Streit  mit  Christian 
Hohburg  enthalten"  erwähnt  er  die  Sternsche  Buchdruckerei.  In 
dieser  Druckerei  war  der  wegen  Irrlehre  aus  Ülzen  vertriebene 
und  besonders  durch  seinen  „Spiegel  der  Mifsbräuche  beim 
Predigtamt"  (worin  er  im  Gegensatz  zu  dem  starren  Amtsbegriff 
der  Orthodoxen  zu  dem  entgegengesetzten  Fehler  kam),  durch 
seine  Postilla  mystica  und  andere  auch  im  18.  Jahrh.  öfter  auf- 
gelegte Schriften  bekannt  gewordene  Christian  H  o  h  b  u  rg  seit 
1640  als  Korrektor  angestellt  Die  Verteidigung  dieses  Mannes, 
der  sieh  im  Hause  des  Stern  befand,  als  Comenius  bei  ihm  war, 
hat  später  Gottfried  Arnold  in  seiner  „Unpartheyischen  Kirchen 
und  Ketzerhistorie"  übernommen,  der  aber,  wie  schon  Buddeus, 
der  Verehrer  des  Comenius,  in  der  Sprache  des  Perückenstils 
geurteilt  hat,  „sich  zu  sehr  per  affectum  contrarium  abriepieren 
liefe  und  wie  andere  die  Ketzer  heruntermachen,  er  solche  stets 
excusire  und  den  Damnantibus  die  Schuld  beimesse  und  daher 
die  Wahrheit  verfehlen  müsse."  Gewifs  hätte  Stern  dem  wegen 
Irrlehre  abgesetzten  Hohburg  keine  Stelle  als  Korrektor  in  seiner 
Buchdruckerei  gegeben,  wenn  er  ihm  nicht  in  gewissem  Sinne 
zugeneigt  gewesen  wäre.  Vermutet  doch  Bertram  mit  Recht, 
dafs  Hohburg  als  Korrektor  der  Sternschen  Druckerei  eine  An- 
zahl seiner  Schriften  drucken  liefs,  die  er  unter  dem  erdichteten 
Namen  eines  Elias  Prätorius  (Schulze)  ausstreute. 

Es  war  aber  noch  ein  anderer  Umstand,  der  den  Comenius 
in  Lüneburg  gern  Halt  machen  liefs.    Als  Exulant  fand  er  hier 


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1893.  Dar  Aufenthalt  des  Comenius  in  Lüneburg  etc.  65 

besonderes  Verständnis  und  Mitgefühl  vor  und  hoffte  gewifs  auch 
manches  Neue  über  die  Zustände  in  Böhmen  und  in  Mähren  zu 
erfahren.  Denn  Lüneburg  war  es,  welches  schon  im  Jahre  1622 
den  M.  Georgius  Cratzseh,  welcher,  nachdem  er  zu  Horn  in 
Nieder-!  )streich  3  Jahre  das  Diakonat  und  7  Jahre  das  Pastorat 
treulich  verwaltet  und  infolge  kaiserlichen  Befehls  vom  Febr. 
1621  innerhalb  3  Wochen  sein  Amt  aufgegeben  und  nach  dem 
5  Meilen  von  Horn  entlernten  Znaim  in  Mähren  mit  seiner  Fa- 
milie geflüchtet  war,  als  Pastor  an  der  Michaeliskirche  angestellt 
hatte.  In  Lüneburg  hatte  Sigismund  Scherez,  einer  von  den 
vier  letzten  evangelischen  Geistlichen,  welche  auf  kaiserlichen 
Befehl  Prag  räumen  mufsten,  nachdem  am  24.  Oktober  1622  die 
beiden  deutschen  Kirchen  Augsburgischer  Konfession  in  Prag 
eingezogen  waren  und  darauf,  wie  der  Bericht  sagt,  „die  4  evan- 
gelisch teutsche  Prediger  zu  Prag  nach  ihrer  Beurlaubung  sich 
mit  ihren  lieben  Zuhörern  christlich  und  öffentlich  auf  freyem 
Felde  geseegnet",  zuerst  als  Pastor  an  der  Lampertikirche,  darauf 
als  Superintendent  eine  gesegnete  Wirksamkeit  gefunden.  Mit 
Recht  hat  H.  Beck  in  seinem  schon  oben  zitierten  trefflichen 
Werk  dem  Sigismund  Scherez,  dessen  bedeutendste  Arbeit :  „Seelen 
Arztney  wider  die  Melancholey"  zuerst  Lüneburg  1630  erschien 
und  zuletzt  Lüneburg  1715  wieder  aufgelegt  wurde,  besonders 
hervorgehoben.  Die  Buchhändler  Stern  waren  es,  welche  für 
die  Verbreitung  der  Schriften  des  Scherez  eintraten,  der  ähnlich 
wie  Comenius  sein  Vaterland  und  seine  verlassene  Gemeinde 
nicht  vergafs  und  von  Lüneburg  aus  „2  christliche  Sendschreiben  an 
die  Evangelischen  PrHger  etc."  sandte  und  auch  eine  Schrift  ver- 
fafste:  „Constantia  Veritatis  Evangclicae  an  die  hintcrlassenen 
Evangelischen  Präger",  welche  Stern  1623  in  Lüneburg  druckte 
und  gewifs  dabei  die  meisten  Kosten  aus  seiner  Tasche  hergab. 

Als  Comenius,  wie  er  schreibt,  mit  Stern  „de  selectioribus 
dei  organis  ecclesiaeque  luminibus  reliquis"  sprach  und  dabei  des 
wenige  Jahre  zuvor  verstorbenen  Scherez,  des  damals  noch  in 
frischer  Kraft  in  Hannover  wirkenden  Justus  Gesenius,  dessen 
Bedeutung  die  in  Göttingen  1883  erschienene  gekrönte  Preis- 
schrift des  jetzigen  Bonner  Professors  E.  Bratke  uns  in  verdienst- 
voller Weise  an  das  Licht  gestellt  hat,  des  Calixt,  des  Meyfart, 
des  Saubert,  des  Lütkemnnn,  des  in  dem  nahen  Zelle  1621  ver- 
storbenen Generalsuperintendenten  Job.  Arndt  gedachte,  dem  im 
Jahre  1619  Valentin  Andreae  seine  Kespublica  Christianopolitana 
gewidmet  hat,  von  dessen  „Warem  Christentum"  Valentin  Andreae 


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66  Radlach,  Heft  3. 

schon  bald  nach  seinem  Erscheinen  einen  Auszug  herausgegeben 
hat,  auf  den  Comenius  selbst  in  seiner  Didactica  magna  cap.  XXIV 
N.24,  ohne  Arndts  Namen  zu  nennen,  hinweist,  „incidit  Tui  quoque 
mentio",  wurde  auch  Valentin  Andreae  erwähnt.  Als  Stern  von 
Comenius  hörte,  dafs  er  dessen  Schriften  sehr  schütze  und  dafs 
er  mit  diesem  selectum  organon  ecclesiae  früher  in  brieflichem 
Verkehr  gestanden  habe,  holte  er  des  Andreae  letzte  Briefe  hervor, 
welche  den  Comenius  mit  Trost  und  doch  auch  wieder  mit  Traurig- 
keit erfüllten.  Mit  Trost,  weil  er  daraus  erfuhr,  dafs  Andreae 
„zwar  noch  lebe  und  Gott  lebe  und  das  Werk  Gottes  beständig 
treibe",  mit  Traurigkeit  aber,  weil  die  Briefe  erzählten,  dafs 
Andreae  aus  den  warmen  Bädern  ohne  Hoffnung  auf  Besserung 
zurückgekehrt  sei.  Diese  Angabe  läfst  uns  wiederum  darauf 
sehliefsen,  dafs  Comenius  den  Brief  nicht  1644  geschrieben  hat, 
sondern  erst  1647,  denn  in  diesem  Jahre  kam  Valentin  Andreä 
um  seine  Entlassung  ein.  Eine  andere  Zeitbestimmung  für  den 
Brief  finden  wir  aus  der  Veranlassung  desselben. 

Während  ComeniuB  im  Hause  des  Stern  in  der  evangelischen 
Kirchenharmonie  des  Herzog  August  d.  J.  herumblättert  *),  stöfst 
er  auf  die  „Studtgartiae  die  Lucae  18.0ct.  1644u  geschriebene  Vor- 
rede des  Joh.  Valentin  Andreae. 

Schon  mehrere  Jahre  vorher  hatte  Valentin  Andreae  mit  dem 
Herzog  August  über  die  Evangelienharmonie  korrespondiert.  Wie. 
er  sich  dadurch  den  Weg  zu  einem  näheren  Verhältnis  zum 
Herzoge  bahnte,  zeigen  für  die  Jahre  1639—42  die  Mitteilungen 
Henkes  aus  seinen  Briefen  in  der  deutschen  Zeitschrift  f.  ehr.  W. 
1852.  S.  263  ff.,  wo  auch  (S.  261)  Proben  aus  der  Kirchenharmonie 
gegeben  sind,  die  besonders  deshalb  so  genannt  wurde,  weil  bei 
jeder  evangelischen  Perikope  die  Parallelstellen  aus  den  übrigen 
Evangelien  herangezogen  und  eingemischt  waren.  Andreae  hebt 
in  seiner  Vorrede  des  Herzog  August  Verdienste  hervor  und  sagt, 

')  Evangelische  KircJien  Harmonie  \  das  ist:  der  hoch-heiligen  Skrift 
unterschiedene  Texte  und  |  Worte:  \  welche  von  unsern  Gottseligen  |  Vorfahrn 
aus  den  OeschicJitsbüchern  der  Evangelisten  \  und  aus  den  Briefen  der  Aposteln 
sowohl  auch  aus  den  Skriflen  |  des  alten  und  ersten  Bundes  oder  Testa- 
mentes vor  vielen  hundert  Jahren  her-  I  ausgezogen  u.  s.  tc.  Dies  Werk 
besteht  aus  zwei  Teilen,  welche  1646  vollendet  wurden.  „In  der  Fürstlichen 
Hof  Stadt  zu  Wolfenbüttcl  druckten  und  verlegten  dicselbigc  Hans  und 
Heinrich  die  Sterne/  Nach  der  schriftlichen  Mitteilung  des  Herrn  Ober- 
bibliothekars Professor  v.  Heinemann  in  Wolfenbüttel  ist  die  Buchhändler- 
farnilie  der  Sterne  in  Wolfenbüttel  dieselbe,  die  auch  für  Herzog  August 
in  Wolfenbüttel  Allerhand  verlegt  hat. 


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1893. 


Der  Aufenthalt  de«  Comenius  in  Lüneburg  etc. 


67 


nachdem  er  auf  den  trefflichen  Druck  und  die  schönen  Kupfer, 
welche  das  ganze  Werk  enthält,  hingewiesen  hat,  von  denen  be- 
sonders das  Titelbild  mit  seiner  Darstellung  über  Luc.  10,  41  u. 
42  „Unum  necessarium"  beachtenswert  ist,  so  dafs  wir  es  verstehen, 
weshalb  der  katholische  Kaiser  Ferdinand  III.  den  Verleger  Stern 
wegen  seiner  Verdienste  um  die  Kunst  adelte:  „Dum  aliqui  in 
arenä  potius  inagnä  vi  brachia  tollere  hastasque  vibrare;  alii 
ingenii  aciem  tricis,  argutiisque  ostentare;  alii,  infelix  lolium 
Scholasticae  Pan*sophiae,  in  Lutheri  despectum  serere ;  alii  ad  po- 
pulum  phaleras  projicere,  et  personare  tintinnabulis,  malunt,  Sere- 
nissimus Augustus  noster,  lactantem  gregem  Christi,  ad  laeta 
pascua  ducere;  cytharam  suam  ovans,  (ut  ut  etiam  Michaiis  gc- 
nius  rideat)  pulsare  et  in  atriis  Domini,  cum  psallentibus  stare, 
supra  magnalia  Mundi  ,  elegit,  nobileque  donarium  Dominicae 
Passionis,  in  Sanctuario  Dei,  deposuit."  Ab  Comenius  dies  in 
dem  neu  erschienenen  Werke  las,  stand  Stern  neben  ihm  und 
zeigte  ihm  die  Stelle  von  dem  „infelix  lolium  Scholasticae  Pan- 
sophiae1*,  d.h.  dem  unglücklichen  Schwindelhafer  der  scholastischen 
Pansophie,  „illudque  de  nobis  dici  voluit",  denn  er  war  der  Meinung, 
diese  Stelle  beziehe  sich  auf  die  Pansophie  des  Comenius,  „cum 
de  Pansophia  a  Petro  Laurembergio  edita  intelligi  non  possit",  da 
sie  auf  die  von  dem  bekannten  Rostocker  Professor  der  Poesie 
Petrus  Lauremberg  herausgegebene  Pansophia,  sivc  paedia  philo- 
sophica  sich  nicht  beziehen  könne ;  enthält  doch  des  Petrus  Laurem- 
berg Pansophie,  wie  Comenius  in  seiner  Dilucidatio  sagt,  „nichts 
von  dem  Gegenstände  wahrer  Weisheit,  nichts  vom  Quell  der- 
selben, von  Christo,  nichts  vom  zukünftigen  Leben  und  dem 
Wege  dahin."  Comenius  erstaunt  darüber,  liest  selbst  und  liest 
immer  wieder  und  findet  nicht,  was  er  sagen  soll  oder  wie  er 
diese  Worte  des  Andreae  verstehen  soll.  Den  Schwindelhafer  seiner 
scholastischen  Pansophie  soll  Comenius  nach  der  vor  aller  Welt 
ausgesprochenen  Anklage  des  Andreae  zur  Verachtung  Luthers  aus- 
säen !  O  dafs  sein  lieber  Valentin,  der  so  eifrig  ftir  die  rechte  Zucht 
eintritt,  auch  ihm  gegenüber  die  gradus  adnionitionis  beobachtet 
hätte!  Denn  „Si  quid  exorbitasse  quis  videtur,  monendus  est  in 
occulto  prius  mandante  Christo  etc."  Auf  Matth.  18, 15 — 17,  diesen 
locus  classicus  der  Schriftlehre  über  die  Kirchenzucht  weist  Co- 
menius seinen  Valentin  fast  wie  in  zarter  Ironie  hin,  wenn 
Uberhaupt  ein  Mann  wie  Comenius  ironisch  werden  konnte. 
Aber  heiliger  Eifer  und  heiliges  Feuer  ergriff  ihn,  ein  Feuer, 


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»38 


Kfuüach, 


Heft  3. 


welches  wir  bei  den  Propheten  des  alten  Bundes  und  bei  den 
Aposteln,  besonders  bei  Paulus,  öfter  lodern  sehen.  „Male- 
dictus  sit,  qui  in  despectura  cujusquam  e  minimis  proximis 
nedum  tanti  organi  Dei  tentaverit  aliquid!  Amen."  Ver- 
flucht sei,  welcher  zur  Verachtung  eines  der  leicht  zu  erreichen- 
den kleinsten ,  geschweige  eines  so  grofsen  Rüstzeuges  (wie 
Luther  war)  etwas  unternimmt,  schreibt  Coraenius. 

Stern  bietet  sich  an,  die  Bestellung  des  Briefes  an  Andreae 
zu  besorgen  und  auch  weitere  Briefe  zwischen  Andreae  und  Co- 
menius  zu  befördern,  stand  er  doch  mit  Danzig  in  direktem  Ver- 
kehr, da  er  z.  B.  den  von  dem  Üiakonus  an  der  Johanniskirche 
in  Danzig,  Martin  Statius,  besorgten  Auszug  aus  den  Schriften 
des  Stephan  Prätorius  unter  dem  Titel:  „Geistliche  Schatzkammer 
der  Gläubigen"  in  Verlag  genommen  hatte,  welche  1636  in  Lüne- 
burg bei  Joh.  u.  Heinrich  Stern  (715  Seiten  aufser  den  ver- 
schiedenen Vorreden)  zuerst  erschien  und  1642.  1644.  1652.  1687 
bei  ihm  aufgelegt  wurde  und  noch  in  unserem  Jahrhundert  meh- 
rere Auflagen  erlebte.  Comenius  benutzt  diese  gute  Gelegenheit, 
an  Valentin  Andreae  zu  sehreiben,  und  dies  um  so  mehr,  als  er 
„von  der  ungeschminkten  Frömmigkeit  des  Andreae  überzeugt 
ist  und  nur  einem  müfsigen  Ohrenbläser  es  zuschreiben  kann, 
wenn  Andreae  über  ihn  eine  falsche  Meinung  gewonnen  hat." 
Ehrfurcht,  Liebe  und  Vertrauen  zu  Valentin  Andreae  sind  es, 
welche  die  Feder  des  Comenius  führen.  Venerabilissime  Domine, 
vir  eminentissime,  quem  patris  loco  pridem  jam  venerari  coepi, 
vir  optime,  vir  Dei,  vir  clarissime,  excellentissime  vir,  o  mi  Va- 
lentine, dilecta  deo  anima,  so  redet  er  ihn  an.  Er  erinnert  ihn 
an  das  Jahr  1634,  an  die  traurigen  Zeiten  nach  der  Nördlinger 
Schlacht,  da  auch  Andreae  wie  einst  Comenius  in  Fulnek  sein 
Hab  und  Gut  und  seine  reiche  Bibliothek  verlor  und  auf  unweg- 
samen Bergeshöhen  umherirrte,  fortwährend  den  Feind  auf  den 
Füfsen.  Andreae  hat  selbst  seine  Leiden  beschrieben  unter  dem 
Titel:  „Memoria  virgae  divinae  urbi  Calvae  inflictae"  und 
„Threni  Calvenses".  Comenius  scheint  diese  seiner  Zeit  weit 
verbreitete  Beschreibung  gelesen  zu  haben.  Denn  wenn  Andreae 
beim  Rückblick  auf  das  Jahr  1634  sagt:  „Ich  aber  gleichsam 
triefend  und  voll  Lebensüberdrufs  ans  Ufer  geworfen,  linde,  indem 
ich  der  mühevollen  Lebensfahrt  und  der  täglichen  neuen  Ge- 
fahren mit  Beklommenheit  gedenke,  nichts,  was  mich  die  Fort- 
setzung des  Lebens  einem  soligen  Tode  könnte  vorziehen  lassen, 
als  den  göttlichen  Willen,  dem  wir  alle  gehorsam  sein  müssen,"  und 


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1893. 


Der  Aufenthalt  des  Comenius  in  Lüneburg  etc. 


69 


wenn  Comenius,  der  erst  drei  Jahre  zuvor  gehört,  dafs  Andreae 
noch  lebe  und  „in  altiore  specula"  auf  einer  höheren  Warte, 
nämlich  der  eines  Hofpredigers  in  Stuttgart,  sich  befinde,  der  aber 
in  der  Zeit  nach  1634,  wie  er  im  Anfang  seines  Briefes  betont, 
der  Meinung  war,  dafs  Andreae  an  das  sichere  Ufer  geworfen 
und  zu  Strafsburg  gestorben  sei,  so  dafs  für  Comenius  nichts 
anderes  übrig  blieb,  als  im  Gehorsam  gegen  den  göttlichen  Willen 
Trost  zu  suchen,  —  ist  nicht  die  ganze  Einleitung  des 
Briefes,  mit  dem  Comenius  die  Korrespondenz  mit  seinem 
Valentin  wieder  aufnimmt,  gleichsam  ein  Echo  aus  der  Brust  des 
Freundes,  der,  wenn  er  dem  Andreae  gegenüber  in  unserem  Briefe, 
wie  er  auch  an  anderen  Orten  gethan  hat  (siehe  Kleinert,  Studien 
und  Kritiken  1878  S.  21  u.  37)  die  altehrwürdige  kirchliche  Zucht 
der  Brüderkirche  als  ihr  bestes  Palladium  hoc  hhalt  und  auf  die 
alle  Kraft  für  den  Ausbau  des  kirchlichen  Lebens  verzehrenden 
dogmatischen  Kämpfe  der  beiden  evangelischen  Hauptkonfessionen 
hinweist,  auch  in  dem  Streben  für  die  Aufreehterhaltung  kirch- 
licher Disziplin  und  in  der  Verurteilung  der  unfruchtbaren  dog- 
matischen Zänkereien  sich  eins  weil's? 

„Salus  nostra  Christus",  so  lautet  die  Uberschrift  des  Briefes. 
Sie  ist  für  einen  avr^Q  7toXitQonog,  wie  Comenius  war,  „qui  in 
terris  neminem  adorat  Magistrum",  da  „unus  ille  in  coelis  sufficit 
Matth.  23,  9—10,  qui  propriam  salutem  in  timore  et  tremore  ope- 
rari  satis  habet"  Philipp  2,  12  keine  blofse  Formel.  Wie  Paulus 
die  Kolosser  3,17  ermahnt:  Alles,  was  ihr  thut  mit  Worten  oder 
mit  Werken,  das  thut  alles  in  dem  Namen  des  HErrn  JEsu,  wie 
Luther  öfter  über  seine  Briefe  das  kleine  Wörtlein  „JEsus" 
schrieb  und  Valentin  Andreae  die  Buchstaben  C.  S.  (Christus 
Salus)  an  den  Anfang  vieler  seiner  Briefe  setzte,  so  stellt  Come- 
nius auch  diesen  Freundschaftsbrief  in  da«  Licht  dessen,  „qui 
omnia  videt%  der  ihm  zu  seiner  parrhesia  (1  Joh.  3,  21)  zur 
freudigen  Aussprache  Kraft  und  Mut  giebt,  so  dafs  er  nichts 
zum  Schein  äufsern ,  noch  irgend  etwas  übergehen  kann,  ge- 
schweige w  i  1 1. 

Der  Brief  hat  folgenden  Wortlaut: 


an nos  literarium  commercium,  reassumendi  occasionem  insperatö 
mihi  subministravit  Divina  Providentia. 


al  us  nostra  Ulhristus! 


Domine. 


Intermissum  per  tot 


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70 


Kadiach, 


Heft  3. 


Cum  enim  post  immissam  Patriae  Vestrae  horrendara  illam 
(Anno  1634)  tempestatein ,  ego  Te  inpriiuis  trepidus  cogitarem, 
et  mox  ejectuni  Te  in  tutum  littus,  ibi  (Argentorati)  ad  meliorem 
Vitam  evocatum,  audireui:  acquiescenduni  fuit  Divinae  Voluntati. 

Et  quanquam  a  triennio  jam  versari  Te  adhuc  in  terra  viven- 
tium,  et  constitutum  in  altiore  specula,  cognovisseni,  mihi  tarnen 
in  Sarmatiä  constituto  nihil  adeo,  praeterque  ut  Tua  causa  Deum 
laudarem,  et  Christum  pro  Te  exorarem,  erat  reliquum.  Nune 
cum  salutiferi  Hornhusani  fontis  fama  plures  e  nostris  quoque 
ori8  evocaret,  suadenStque  amicorum  non  nemo  sibi  mecomitem, 
adjunxi  me,  firmioris  quoque  valetudinis,  quam  quä  fruor,  desi- 
derio.  Sed  superato  mari  Baltico,  plures  habuiinus  redeuntium 
inde,  quo  nos  festinabamus,  obvios,  sequiora  quam  pro  spe 
nostra  nobis  enarrantes:  quo  factum,  ut  hac  in  urbe  gradum 
steterimus,  ad  nostra  redituri,  aeruinnäsque  Vitae  pro  divini  bene 
placiti  arbitrio  toleraturi.  Dum  ego  hic  sum,  incido  in  notitiam 
Viri  optimi,  D.  Johannis  Sternii,  optime  de  Ecclesia  Jesu  Christi 
studnsque  pietati»  (una  cum  dilecto  fratre  suo)  meriti  et  adhuc 
merentis.  Inter  sermones  de  selectioribus  dei  organis  ecclesiaeque 
luminibus  reliquis,  incidit  Tui  quoque  mentio:  cujus  scripta  cum 
esse  mihi  in  pretio,  adcöque  aliquod  epistolare  nobis  intercessisse 
commercium,  ille  intellexisset :  depromsit  tuas  ultimas,  quae  me 
et  solatio  et  maerore  affecerunt:  nempe  cum  vivere  quidem,  et 
vivere  Deo,  et  agere  constanter  opus  Dei ;  sed  afflicta  esse  vale- 
tudine,  e  therraisque  nuper  nullä  meliorationis  spe  rediisse 
narrarent,  Deum  itaque,  ut  ipse  opem  ferret,  Teque  melioribus 
adhuc  servaret  rebus,  rogavi:  atque  id  suspiriis  meis  amiseratore 
nostro  requirere  non  desinam.  Quam  enim  spem  de  Te  semel 
coneepi,  meisque  jam  tum  expressi,  eam  non  dimitto,  sclectum 
Te  esse  organon  Dei,  et  fore  evidentius,  si  refrigerii  tempora 
reducat  Dominus. 

Sed  veniam  dabis,  vir  eminentissime,  quem  patris  loco 
pridem  jam  venerari  coepi,  si  in  sinum  Tuum  effudero,  quid 
simul  acciderit.  Inter  versandum  manibus  Harmonicum  Evan- 
gelium opus  Augustissimi  Principis,  reperta  est  Praefatio  Tua,  in 
cujus  medio  ostendit  mihi  adstans  amicus,  de  infelici  lolio  Seho- 
lasticae  Pansophiae,  in  Lutheri  despectum  sato,  locum :  illudque 
de  nobis  dici  voluit ,  cum  de  Pansophia  a  Petro  Laurembergio 
edita  intelligi  non  possit.  Obstupui  ad  haec :  legi  et  relegi  ipsemet : 
nec  inveni,  aut  invenio,  quid  dieam,  aut  quomodo  verba  ista  in- 


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1893. 


Der  Aufenthalt  de«  Comenius  in  Lüneburg  etc. 


71 


telligara.  Si  de  Pansophiola  nostra,  cujus  Prodrom  um  forsan 
vidisti,  intelligenda  illa  sunt:  miror,  nec  mirandi  h'nem  invenio, 
quomodo  Verba  illa  calamo  Tuo  alia*  tarn  circumspeeto  excidere 
potuerunt,  aut  quomodo  tanta  suspieio  iucidere  potuit  in  animuni 
tarn  Dei  amantem,  tarn  charitatis  Christi  observantem.  Infelix 
lolium  nasci  in  agro  nunquam  adhue  viso  quomodo  dici  potestV 
Sed  fuerint  saue  Scholastica  illa  lolium':  quod  sequitur,  in  Lutheri 
despectum,  quid  stbi  vult  obsecro?  Maledictus  sit,  qui  in  de- 
spectum cujusquam  e  minimis  proximis,  nedum  tanti  organi  Dei 
tentaverit  aliquid !  Amen.  Ego  sane  in  terris  neminem  adoro 
Magistrum:  unus  ille  in  coelisraihi  sufiicit.  Nec  tarnen  propterea 
despectui  habeo  quenquam,  in  quo  vel  minimum  Christi  sit. 
Membrum  Ecciesiae  illius,  quae  alios  condomnare  non  didicit, 
propriam  salutera  in  timore  et  tremore  operari  satis  habens. 
Ecciesiae  inquam,  quae  reformationem  suam  non  ä  Luthero  aut 
Calvino,  sed  ab  ilusso,  centum  ante  Vestram  annis  coepit;  vobis- 
cum  autem  eo  tan  tum  non  pleno  coaluit,  quia  mox  ab  initio 
scindi  coepistis,  non  constituendae  disciplinae,  vitaeque  vere 
chri8tianae  et  mansuetae  introducendae,  sed  Disputationum  fer- 
vori  intenti.  Meminissc  potes,  Vir  optime,  ab  initio  statim  me 
protestatum,  sectarium  me  non  esse,  Tc  unä  seetas,  ut  satanae 
opus,  abominari.  Nulli  nomen  dedi,  nulli  bellum  indixi; 
ingemisco  tantum,  quod  satanae  machinationes  in  distrahendis 
nobis  plus  possunt,  quam  in  coadunandis  spiritus  Cbristi.  Mise- 
reatur  nostri  Deus,  ut  k  Vertigine  nostra  tandem  aliquando 
liberemur!  Ignosce  Vir  dei  parrhesiae  meae!  ignoscc  zelo!  Si 
de  me  ista  scripsisti,  ita  de  tua  sine  fuco  pietate  persuasus  sum, 
ut  non  Tibi  laesae  charitatis  culpam  tribuere  audeam,  sed  alicui 
male  feriato  susurroni,  qui  talia  persuasit.  Sed  utinam  absti- 
nuiases  tarnen  in  publico!  Labes  haec  est  seculi  nostri,  nihil  in 
spiritu  lenitatis  cum  inviccm  agcre,  sed  tragice.  At  verö  utinam 
saltem  Viri  tanti,  quantus  Tu  in  oculis  Ecciesiae  (spero  et  Dei) 
maculam  hanc  eluere  incipiant !  Si  quid  exorbitassc  quis  videtur, 
monendus  est  in  occulto  prius,  mandante  Christo:  si  non  audiat, 
ne  plures  quidem  salutaria  monentes,  deferendus  est  ad  Eccle- 
siam,  priusquam  condemnetur.  Si  ergo  privatim  me  monuisses, 
Vir  clarissime,  qui  me  tibi  velut  in  discipulum  dederam  (certe 
enim  per  Te,  gratiä  Dei,  multum  profeceram,  ad  meliora  et 
veriora  cum  videndum,  tum  desiderandum)  osculatus  fuissem 
candorem  Tuum.    Nunc,  si  aliter  factum .  turbari  m<;  non  mira- 


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72 


Radlach,  Der  Aufenthalt  des  Comenius  in  Lüneburg  etc.    Heft  3 


beris  quippe  cui  n  neinine,  mortalium  minus,  qukm  k  Te,  tale  et 
tantura  praejudicium  exspectare  venisset  in  menteni. 

O  mi  Valentine,  Vir  Dei,  utinam  nie  et  mea  orania  tarn  nude 
videas,  atque  videt  qui  omnia  videt!  quam  longo  alia  videres, 
quam  metuit  Tua  illa  pro  veritate  colesti  (ne  quid  per  ulla  clan- 
destina  machinamenta  detrimenti  capiat)  solicitudo!  Videbis 
autem,  si  me  et  Te  aliquo  adhuc  tempore  vivum  volet  Deus.  Te 
enim  adhuc  inter  primarios  mihi  designo  censores,  si  quando 
opuscula  mea  videre  debebunt  lueera.  Te  inconscio  et  inconsulto 
nihil  (in  majoribus)  dabitur  in  publicum:  si  modo  non  aspernari 
Te  coeptam  in  Christo  amicitiam  cognovero.  Facies  ergo  ut  sit, 
unde  id  certus  esse  queam1). 

Has  raeas  ad  Te  curare  promisit  communis  amicus  et  fautor,  D. 
Sternius:  Tuas  ad  me,  si  rescribere,  voles,  curabit  idem.  Haec 
cum  jam  inter  nos  communieandi  reperta  sit  via,  si  placet  Tibi 
eä  uti.  Rogo  autem  ne  displiceat:  non  quod  mea  adeö  intersit, 
amicitias  ambire  (fugio  potius  conversationes  et  ut  vocant  corre- 
spondentias,  qua  datur:  nec  enim  sufticio,  rebus  intentus:  atque 
id  forsan  est,  quod  quibusdam  male  suspicandi  ansamdedit):  sed 
ne  de  nobis  triumphet  satan,  si  quos  eodem  spiritu  agi  videt, 
divellat  tarnen.  Ita  tib  nudavi  animum  meum,  excellentissime 
Vir,  ut  coneeptas  ex  tarn  amici  ante  hacViri,  tarn  inimico  simili 
affectu  reeiperationes  meas  nude  videas.  Ita  me  natura  tinxit,  ita 
Spiritus  siraplicitatis,  qui  Christi  est,  roboravit,  utsimulare  etdissi- 
mulare  nihil  possim,  neduin  Velim. 

Vale  dilecta  Deo  anima  et,  si  simplicitas 
mea  meretur, 
redama 

l^Tae  Tuae 

constanter 
»  observantissimum 

3*  Oomenium. 

Lunaeburgi,  22.  Aug.  1647. 

J)  Es  ist  wahrscheinlich,  dafs  Andreae  dieser  Bitte  entsprochen  and  die 
erbetene  Aufklärung  in  einem  Antwortschreiben  gegeben  hat.  Wir  bitten 
unsere  Leser,  falls  einer  derselben  Gelegenheit  haben  sollte,  Nachforschungen 
Uber  diesen  Punkt  anzustellen,  dies  nicht  zu  unterlassen.  Wir  sind  für 
jeden  Fingerzeig  dankbar.  Die  Schriftleitung. 


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Quellen  und  Forschungen. 
Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius. 

Autobiographisches  aus  den  Schriften  des 

Comenius. 
Zusammengestellt  von 
Prof.  Dr.  J.  Kvacsala  in  Prossburg. 

(Fortxotzung.) 


III.  In  England. 
I. 

46. 

Edito  Pansophiae  Prodromö,  perque  varia  Europae  Regna 
sparso,  cum  plerique  Eruditorum  Operis  delineationem  approba- 
rent,  absolvi  vero  illud  ab  nomine  uno  desperarent,  eoqiu«  Col- 

legium  Eruditorum  HOC  AGENTIÜM  erigi  suaderent, 
operosus  in  ea  re  fuit  qui  Prodomum  in  lucem  promoverat, 
strenuus  rerum  qua  datur  iQyodiunityg,  ü.  S.  H.  ut  quam  plurima 
exeitatiora  Ingenia  huc  alliceret.  Factum  ergo  tandem,  ut  unum 
et  alterum  nactus  me  quoque  ad  se,  Anno  1641,  magnis  obtesta- 
tionibus  evocaret.  In  quam  profectionem  cum  consonsissent 
mei,  veni  Londinum  ipso  Autumnalis  aequinoctii  die:  ibique  de- 
mum  me  Pariamen ti  jussu  fuisse  vocatuin  intellexi.  Sed  quia 
Parlamentum,  Rege  in  Scotiam  digresso,  ad  trimestre  fuit  dimis- 
sum,  detentus  eram  ad  ibidem  hiemandum,  amicis  apparatum 
Pansophicum  (quam  tenuis  ille  fuit)  lustrantibus.  Qua  occasione 
tractatus  nobis  sub  manu  fuit  natus  hoc  titulo. 

VIA  LUCIS. 

Hoc  est,  Ration  ab  i  Iis  disquisitio,  quomodolntellec- 
t u a  1  i s  animorum  Lux,  Sapientia,  tandem  sub  Mundi 
vesperam    per    omnes    mentes    et    gentes  feliciter 

spargi  possit 

Nempe  ad  intelligenda  melius  illa  Oraculi  verba  Zachariae 
14.  V.  7.    Et  erit,  ut  vespere  fiat  lux. 

M«n»t»l»ite  der  Coi»eniu^tiM.ll«:han.    1*3.  6 


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74  Kvacsala.  Heft  3. 

Cougrcgatum  interim  Pariamen  tum,  praesentiaque  nostra 
cognita,  jussit  nos  exspectare,  donec  impetrato  a  negotiis  otio, 
aliquot  e  niedio  sui  Viris  doctia  et  sapicntibus  audiendi  nos,  fun- 
danientaque  eonsilii  nostri  cognoseendi  dari  posset  commissio. 
Communicant  otiam  in  nntecessum  eogitationcs  suas  de  assignando 
nobis  eollegio  aliquo  cum  reditibus,  unde  aliquot  Viri  docti  ae 
industrii,  undecunque  Gentium  evoeati,  sustentari  honestc  possent: 
sive  in  perpetuum.  Sed  et  nominabatur  Londini  Sabaudcum; 
extra  Londinum  vero  Winthoniense;  rursunique  propius  Urbem 
C  h  e  1  s  e  u  m ,  euius  et  redituum  Inventaria  nobis  communicata  fuere : 
ut  nihil  eertius  videretur,  quam  processurum  Magiii  Veru- 
lamii,  de  aperiendo  ubiubi  Gentium  LJniversali 
Collcgio,  de  Scicntiarum  Augmentis  unice  solicito. 
c  o  n  s  i  1  i  u  m. 

Op.  Did.  II.  (De  Novi»  .  .  .  Oecasiouibu*,  p.  1). 

47. 

Londino  8.  18.  Octobr.    Anno  1041. 

Primam  navigationem  non  ex  voto  successissc,  meque 
ab  insis  Norwegiae  littoribus  per  totum  Bai  ti  cum  mare,  mil- 
liarihus  prope  centum,  procellarum  vi  retractum  fuisse,  credo  te 
iam  ante  cognovisse.  Cum  vero  Amicorum  Gedanensium 
(po8t  communicatas  et  intime  perpensas  in  utramque  partem  ra- 
tiones)  consiliis,  propriaeque  conscientiae  stimulis  adactus,  denuö 
me  mari,  et  maris  dominatori,  seu  deferendum  quo  vellet,  seu  mer- 
gendum  abysso,  si  ita  liberet,  credidissem,  factum  est,  ut  paueos 
intra  dies  Insulae  hujus  portum  attigerim,  sospesque  amicos 
80spite8,  DEI  benignitate  repererim,  Hartlibium,  Üuraeum. 
Habnerum,  Pelleum  et  Haakium.  Cum  quibus  quanquam 
pactum  iniveram,  ut  meam  praesentiam  ne  proderent,  solia  nobis 
ut  vacare  possemus,  dies  aliquot  saltem :  frustra  tarnen  id  precau- 
tum  ibamus:  quia  res  statim  dimanavit  ad  plures,  mihique  et 
salutatores  admittendi  et  salutandos  adeundi  necessitas  ineubuit. 
Vivo  itaque  jam  hie,  ut  notus  inter  notos;  quanquam  (nec  te 
celem,  ut  sit,  quod  rideas)  pauciores  me  -salutant  quam  salutarent, 
ai  aut  me  Anglice  loqui  posse  crederent,  aut  suae  latinitati 
magia  tiderent,  aut  denique  me  minus  aestimarent.  Sed  dum  me 
nescio  quem  sublimem  Ph i  1  oso ph u m  aut  Oratorem  sibi 
fingunt  conspectumque  subire  verentur,  isto  complurium  errore, 
aliorum  vero  interea  abaentia  mihi  cum  amicis  intimis  saepius 
conveniendi,  consiliaque  (ut  interim  datur)  conferendi,  otium  non 
deest.    De  redeundo  ante  hyemem  omnis  mihi  spe.s  praecisa  est. 

Quid  interim  autem  hic,  exaeto  propemodum  jam  raense 
videre,  audire,  cognoscere,  contigerit,  strictim  referam,  publica 
j)rimum,  postea  quaedam  nostra. 

Angulus  hic  mundi  multa  habet  prae  aliis  terris  singularin 
et  admiranda.  Me  maxiine  afticiunt  ea,  quae  gloriam  BEI, 
florentemque  Kcclesiae  et  Scholaruin  statum  (aut  jam  praesentem 
aut  uti  se  omnia  dant,  certo  futurum)  concernunt.    Specintim  si 


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1893.  Lebensgcwchiehti"  dos  Coim-nius.  75 

guaedam  retulero,  scio  tibi  (et  aniieis  Dei)  nun  ingratuni 
futurum.    Haec  sunto. 

1.  In  freqventandis  saeris,  Diebus  Dominicis,  incredi- 
bilis  fervor.  Centum  et  viginti  templa  parochialia 
habet  haec  Urbs:  in  quibus  omnibus  Auditorum  tantus  est  con- 
cursus  (sane  de  illis,  quae  oeulis  vidi,  rem  compertam  loquor)  ut 
locus  non  eapiat. 

2.  Et  plerique  omnes  (dicerem  sine  exceptione  omnes,  sed 
vidi  puucos  quosdam  excipiendos)  Biblicum  afferunt  c  o  - 
dicem.  Ber rho  e n s i  um  exemplo,  omnia  E  vange  1  izanti  um 
conferentes,  cum  Scriptura,  nempe  si  quid  majori»  inomenti 
obveniat.  Quare  et  Textum  praelocturus  Concionator  bis  in- 
dicat  libruni,  caput.  versiculum;  demumque  cum  omnes 
invonerint  legere  pergit!  Quod  si  brevior  fuerit  (saepc  enim 
unicum  versum  sibi  Concionator  sumit)  bis  etiam  relcgitur. 
Similitcr  si  quid  valde  emphaticum,  aut  memorabile  in  media 
concione  occurrit,  et  inquirere  quosdam  videt  Concionator, 
subsistit  paululüra,  dum  inveniant:  tum  ostendere  ad  oculum,  quod 
instituit  mysterium,  aut  loci  alicujus  ad  praxin  usum,  pergit. 
Ita  Ministri  Ecclesiarum  non  nisi  elaboratissimas  habere  coneiones 
et  Auditores  valde  attenti  esse  consueseunt. 

3.  luven  um  et  Virorum  bona  pars  coneiones  calamo 
excipiunt  et  quid  cm  verbo  tenus.  Inventa  enim  hic  est  ante 
annos  30.  (sub  Jacobo)  et  jam  etiam  inter  Kusticos  invaluit, 
Tachygraphiae  ars,  quam  i  11  i  Steganograph  iam  voeant, 
qua  (non  literarum  sed  characterum,  voe»*s  integras  significantium 
beneficio)  lingvae  celeritatem  manu  imitantur.  Discunt  autem  illam 
in  urbibus  propemodum  omnes,  simul  atque  vulgatam  Scripturaiu 
in  schola  didicerint,  annum  circiter  addentes  ad  Steganogra- 
ph iam  addiscendam. 

4.  A  concionibus,  plerique  Patres  faniilias  cum  suis 
domestici.s  domi  concionem  habitam  repetunt:  quandoque  duae 
vel  tres  familiae  in  unum  eongressae. 

5.  Librorum  in  sua  lingva  de  omnibus  argumentis  ingentem 
habent  copiam:  ut  dubitem  ullam  gentem  illis  paria  fa- 
ce re,  praesertim  si  Theologicos  respiciamus  libros.  Non  plures 
profectö  nundinarum  tempore  Fraiicofurti  patent  officinae  libra- 
riae,  quam  hie  quotidie.  Etiam  Vcrulamij  opera  nuper  Anglice 
prodiere  De  scientiarum  augmentis. 

6.  Verbi  divini  sitis  adeo  hic  accenditur  (nedum  ut  satietas 
capiat  aut  fastidium)  ut  permulti  ex  Illustrium  ordine  Ci- 
vesque  et  Matronae  ipsae,  quo  e  fontibus  ipsis  dulciüs  et 
tutius  aquas  vitae  hauriant,  Oraecae  et  Hebraicae  lingvae 
dent  operam.  Ne  putes  autem  hujus  rei  exemplum  exstare 
duntaxat  unum  et  alterum:  raulta  sunt,  indiesque  latiüs  sacra 
haec  contagio  serpit. 

7.  Biblicum  textum  in  lingvä  suA,  ut  habeant  quam  accura- 
tissimum  fontibusque  per  omnia  respondentem,  et  notis  brevis- 

6* 


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76  Kvacsala,  Heft  3. 

simis  ad  marginem  illustratum,  in  eo  nunc  Viri  aliquot  selecti 
et  Parlamenti  autoritate,  ad  id  designati,  elaborant.  Ubi 
tarnen  human i  aliquid  prudentiam  politicam  pati  animadvertitur. 
Terminum  illis  perbrevem  mensium  aliquot  tantum  ad  rem  tantam 
conficiendam  praefixerunt.    Sed  sperem  prorogatum  iri. 

8.  De  reiormandis  in  toto  regno  öcholis,  consilia  fervide 
agitant  eodem  fine,  quo  et  nostra  pridem  desideria  tendere  non 
ignoras.  Nempe  ut  omnis  juventus  informari,  nulla  negligi  possit 
informatioque  ipsa  sie  fiat:  Ut  Chris tianismi  fundamenta 
profundius  solidiusque  in  tenellis  animis  ponantur :  quo  ministerii 
Ecclesiastici  eflicacia  major  posthac  appareat. 

9.  Peculiarem  item  Scholam  illustrem  moliuntur  (de 
loco  nondum  convenit  Londini,  an  extra)  pro  Nobili  ju- 
ventute  seorsum  ä  plebeorum  mistura  instituendä. 

10.  Informatorium  ad  parentes  de  provida  primae  infantiae 
curä  et  sapienti  ad  uberiorem  culturam  praeparatione  ex  n  >stro 
Informatorio  (von  der  Mutter  Schul)  antequam  huc  venissem, 
jam  paratum  fuit:  sed  ad  praelum  nondum  datum  melioribus  aut 
certe  plenioribus  cogitationibus  ansam  dabit. 

11.  Vir  Doctissimus  N.  Harisson  obtulit  Parlamento 
novam  quandam  inventionem  suam,  eamque  miram,  autores 
omnes,  quotnuot  alieujus  pretij  extant  ulla  in  lingua,  in  unum 
redigendi  Inuicem,  cujus  beneficio,  de  quacunque  re  incidat 
necessitas,  cujuscunque  Mortalium  (qui  modo  cogitationes  suas 
mundo  communicarunt)  cognosci  sententia,  et  promte  reperiri 
possit.  Delecti  fuerunt  a  Parlamento  Oomm  issarii  Viri 
rerum  gnari,  qui  pleniüs  negotium  hoc  cognoscerent.  Cumque 
retulissent  rem  haue  boni»  niti  fundaraentis,  foreque  inprimis 
utilem,  ad  concinnandum  Pansophicum  opus  (ita  id  expresse 
actum  aeeepi)  decretum  est  hoc  opus  adornandum  permitti.  Sed 
soluto  (ad  "  usque  Octob.)  Ordinum  conventu  specialius  nihil- 
dum  ea  in  re  actum  est.  Ego  ipsum  convenire  Harissonum, 
remque  plenius  coräin  cognoscere  aveo,  sed  abesse  cognovi  ab 
Urbe.  Ubi  rediisse  audivero,  convenire  non  intermittam.  Audio 
ipsum  Autorum  evi.scerandorum  catalogum  jam  habere, 
quorum  numerus  ad  sexaginta  miliia,  (audita  nunc  refero, 
nondum  comperta)  ascendit.  Amici  fore  putant,  ut  ex  utraque 
Academia  Studiosi  aliquammulti  deligantur,  qui  distributos 
inter  se  Autores  Harissoni  sub  directione  sie  resolvant. 

12.  Adest  quoque  nobis  Vir  in  Orientalibus  lingvis  ad  mira- 
culum  versatus,  Germanus  natione,  qui  annis  superioribus  e 
Turciä  et  Tartaria  redux,  cum  Judaeis  illorum  locorum  hactenus 
literario  utitur  commercio.  Quicum  sint  Carraei  a  nostris 
Pharisaicae  sectae  Judaeis  plusquam  ipsi  Christiani.  aut  ulli 
Gentiles  odio  habentur,  eo  quod  Talmud  um  non  reeipiant. 
Uli  ab  annis  aliquammultis ,  refutationem  Talmud i  paratam 
habentes,  ut  et  notas  quasdam  pulchras  super  totam  Scripturam, 
adhuc  scribunt  ad  h>inc  nostrum  orante3  et  obsecrantes,  ut  sibi 


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1803.  Zur  Lebensgeschichte  dos  Comenius.  77 

consilio  non  deesse  velit:  ubinam  gentium  ista  imprimi  possint: 
Quandoquidem  Pharisaei,  ne  id  in  Italia.  Germania, 
Polonia,  Hat,  summopere  cavent.  Res  haee  innotuit  jam  dc- 
putatis  hic  e  Parlamento:  qui  adornare  eum  scriptum,  quo 
res  haec  Parlamento  toti  proponi  possit,  jusserunt.  Spcramus 
fore,  ut  propter  spem  conversionis  Judaeorum,  ea  quoque  ratione 
promovenda,  negotium  hoc  promotionem  inveniat. 

Ita  vides,  Online«  Regni  hujus  negotia  sua  politica  in  eou- 
ventu  hoc  suo  tarn  prolixo  sie  tractare,  ut  simul  Pomocriorum 
Rcgni  CHRISTI  ampliandorum  cura  eosdem  non  destituat.  DEUS 
ipsis  gratiä  suä  adsit,  ne  quid  noxie  ä  salutari  scopo  aberrent 
ulla  in  re.  Sed  hic  trepiaare  nonnullos  anxiosque  expectare 
eventum,  ex  Ulis,  quae  adjiciam,  agnosces. 

13.  Episcopale  negotium  multum  facescit  omnibus  hic  ne- 
gotii: dum  quidam  in  suä  dignitate  integre  rclinqui:  alii  in  to- 
tum  removeri,  nomen  et  rem;  alii  retinere  nomen  et  offi- 
cium pastorale,  abscindi  pompam  mundanam,  et  reditus 
tantos,  et  provenientem  inde  luxum  et  negotiorum  politicorum  tracta- 
tionem,  volunt.  Maxima  tarnen  pars  Procerum,  Populus  autem 
fere  universus,  abolitionera  universalem  urgent.  Tarn  exosos  sc,  et 
totum  hunc  Ordinem,  vario  dignitatis  suae  abusu,  et  super  con- 
scientias  dorainio,  et  contra  uublicam  libortatem,  (pro  sua  tantum 
asserenda  praeminentiä,  ut  ajunt)  molitionibus  redaiderunt.  Ipse 
noster  Lincolniensis  (inter  Episcopos  Doctissimus,  Poli- 
tissimus  et  Politicissimus  ab  Archi  -  Episcopo  ante  triennium 
Episcopatu  suo  exutus  et  in  Carcerem  compactus,  a  parla- 
mento tarnen  anno  superiore  liberatus)  male  eo  nomine  audire 
ineipit,  suntque,  qui  illi  male  ominentur:  non  solüm  scilicet  de- 
graaationem,  una  cum  caeteris,  sed  et  novos  forsan  carceres. 
Deprehensa  enim  sunt  occulta  quaedam,  partim  et  aperta  satis 
contra  Parlamentum  molimina.  Ego  tarnen  meliora,  et  opto 
Viro  optimo  et  spero.  Cum  rae  nuper  ad  prandium  et  collo- 
quium  cum  D.  Duraeo  et  Hartlibio  invitasset,  nihil  adeo 
nisi  modeste  de  Ulis  rebus  discurrentem  audire  fuit.  Dixit 
tantum  nescire  »e,  vi  vis  an  mortui»  annumerandus  nunc  esset  cum 
Fratribus:  Si  mitiüs  res  caderent,  nonnullam  nobis  et  nostris 
promotionem  promittens.  Hoc  addendum  etiam,  Volitare  hic  et 
quotidie  ferme  novos  prodire  de  reformanda  ecclesia  et  amovendis 
Episcopis  Tractatus,  tarn  sacris  quam  politicis  rationibus  con- 
stantes.  Etiam  unus  est  repertus,  qui  de  causis  irae  divinae, 
quae  peste  quoque  certis  loci»  immissa  (etiam  in  Urbe  hac  cir- 
citer  ducentos  hebdomatim  sepeliunt;  suburbia  enim  infecta  sunt 
et  quaedam  in  urbe  plateae;  ubi  doraus  quidera  infectae  occlu- 
duntur,  necessaria  tarnen  omnibus  submimstrantur)  esse  exserit, 
disserens,  inter  alia  Populi  etMagnatum  peccata  hoc  reeenset, 
qvod  abominationem  illam  in  loco  sacro,  Episcopos  seculariter 
dominantes,  gregem  Doraini  dissipantes  potius,  qväm  paseentes, 
memorat,  multumque  äuget. 


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78  KvacsHla,  Heft  3. 

14.  Arehi-Episcopus  Laudus  carcere  adhuc  detinetur, 
nullä  liberationis  spe.  Interim  enim  dura  Pari  amen  tum  solutum 
fuit,  Commi8sarii  ordinati  sunt,  qui  in  ejus  acta  melius  etiam  in- 
quirant,  querelasque  et  gravamina  varia  (quibus  Pari  amen  tum 
vacare  non  poterat  audiendis)  cognoseant.  Quod  factum.  Ajunt- 
que  obvenire  talia,  ut  de  salute  ejus  desperent. 

15.  Decretum  Parlämenti  ante  aimissionem  factum  de 
amoliendis  e  templo  per  Archiepiscopura  introductis  eere- 
raoniis,  altaribus,  crucibus,  etc.  jam  fere  ubioue  his  diebus  ex- 
secutioni  mandatum  est.  In  quodam  hic  Londini  templo 
fenestra  fuit,  in  cujus  rcligiosam  et  adniodura  artiHciosam  pic- 
turam  impensa  fuisse  ajunt  4000  librarum  h.  e.  16000  Impe- 
rial. Eas  integr6  solvere  promittebat  Regia  Hispaniae  Lo- 
ga tu  s  hic  residens,  si  habere  fenestram  eam  integre  posset. 
Sed  nescio  quis  super  abundans  populi  Zclus,  snrevit  ob  latam 
pecuniam,  fenestramque  illam  eonfregit,  ex  idoloraanicis  rebus 
hierum  non  esse  captandum  autumans. 

Haec 

Dn.  Comenius  ex  Anglia: 
ubi  nunc  vivit,  ad  Amicos  Lesnae 
in  Polonia  agentes. 
Druckschrift  der  Leipziger  Univ.-Bibl. 

- 

IV.  In  Schweden  nnd  Elbing. 

n. 

48. 

Verumenimvero  intervcniens  de  Hibernia  tumultuante,  tru- 
cidatisque  nocte  una  plusquam  ducenis  Anglorum  millibus, 
rumor,  subitaneusque  Regis  Londino  diseessus,  et  exarsuri  iamiam 
cruenti  Belli  plena  indicia,  consilia  haec  disturbaverunt,  meque 
ad  raeos  reditum  festinare  coegerunt.  Accidit  tarnen  ut  e  Sveeia 
in  Poloniam,  et  hinc  in  Angliam,  ad  me  missae  venirent  literae: 
quibus  Magnanimu8  et  Strenuus  Vir,  D.  Ludovicus  de  Geer,  me 
ad  se  in  Sveciam  invitans,  studia  mea  (et  si  quos  mihi  associare 
vellem  Viros  doctos,  unum  et  alterum)  fovendi  offerebat  prompti- 
tudinem.  Consilio  itaque  cum  amicis  communieato  abii :  sed  illis, 
ut  ad  nihil  praeterquain  Pansophiea  me  adhiberi  paterer,  obte- 
stantibus. 

Delatus  in  Sveciam  (in  Augusto  Anni  1642)  reperi  novum 
Maecenatem  domi  suae  Nortcopingae:  a  quo  benigne  aeeeptus, 
post  dierum  aliquot  deliberationes  Stokholraiam ,  ad  Illustriss. 
Regni  Cancellarium,  D.  D. Oxenstiernium ;  itemque  Academiae  Upsa- 
liensis  Cancellarium,  J.  U.  D.  Johanne  m  Skyte,  missus  fui.  Qui 
me  (juadriduanis  exercuerunt  colloquiis  :  maxime  autem  prior  ille, 
Aquilonaris  Aquila,  tarn  acritcr  in  utriusque  propositi  (Didactici 
et  Pansophici)  fundamenta  inquirens,  (jualiter  a  nemine  Erudi- 


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1893. 


Zur  Lebensgeflchiehto  des  Compniun. 


79 


torura  adhuc  erat  factum.  Primo  biduo  Didactica  examinabat, 
tali  tandem  conclusione:  Animadverti  ego  ab  ineunte 
aetate,  violentum  quiddam  esse  usitatam  studiorum 
Methodum:  sed  ubi  res  haereat,  deprehendere  non 
poteram.  Missus  tandem  a  Rege  meo,  gloriosae  me- 
moriae,  in  Gerraaniam  Legatus,  variis  cum  doctis 
Viris  ea  de  re  contuli.  Cumque  mihi  Wolfgangum 
RatichiumMethodi  emendationemmoliri  esset  rela- 
tum,  non  erat  animo  meo  quies,  donec  Viri  prae- 
sentia  potirer:  sed  qui  colloquii  loco  Volumen 
mihi  grande,  in  quarto,  legendum  obtul i  t  Devoravi 
ego  illam  molestiam:  pervolutatöquc  to  t6  Librö, 
vidi  eum  Scholar  um  morbos  non  male  detcgere,  re- 
media  tarnen  quae  afferebat  non  sufficere  vide- 
bantur.  Tua  firmioribus  nituntur  fundamentis: 
perge  etc. 

Respondi,  Fecisse  me  in  his  quod  potui,  ad  alia  iara  esse 
transeundum.  III e,  Scio  te  maiora  moliri:  legi  enim 
Prodromum  Pansophiae  tuae.  De  quo  cras  agemus, 
nunc  publica  me  avocant. 

Postridie  conatus  Pansophicos,  sed  maiori  severitate,  cxami- 
naturüs  quaestionein  praeraisit,  Potesne  contradicentem 
ferre?  Posa  um,  respondi:  et  ideo  Prodromus  ille  (non 
quidcm  a  me  sed  ab  amicis)  praemissus  fuit,  ut  iu- 
üicia  et  censuras  experiri  liceret  Quas  si  alias 
undecunque  admittimus,  quidni  a  Viris  adultae 
sapientiae,  et  heroico j udicio?  Coepit  ergo  contra  me- 
lioris  rerum  Status,  ex  recte  instituto  Pansophiae  studio  conccptam 
spem,  dissertare:  tum  Politicas  primum  profundae  considerationis 
obiieiens  rationes ;  deinde  vero  Scripturarum  divinarum  testimonia, 
quae  sub  Mundi  finem  tenebras  potius,  et  deteriora  quaeque, 
quam  lucem  et  emendatum  rerum  statum,  praenuntiare  videntur. 
Ad  quae  omnia  data  sie  excepit  responsa,  ut  his  concluderet 
verbis:  Nemiui  adhuc  talia  venisse  puto  in  mentem. 
Insiste  his  fundamentis:  autsic  venicrauB  aliquando 
in  consensum,  aut  n  ihil  superesse  patebit  viae.  Con- 
s  i  1  i  u  m  tarnen  meum  est  (addebat)  ut  Scholis  prius  grati- 
ficari,  Latinae  linguae  studia  ad  majorem  facil  i  tatem 
deducere,  eo  que  maiori  bus  iiiist  an  to  explanatiorem 
vi  am  parare,  pergas.  Quod  idem  D.  Cancellarius  Aca- 
demiae  urgere  non  destitit:  sicut  et  hoc,  ut  si  cum  familia 
migrare  nollem  in  Sveciam,  propius  tarnen  me  admoverem,  in 
Borussiam  concedendo,  nominatim  Elbingam.  Quo  \itroquo  con- 
silio  cum  Maecenas  meus  (ad  quem  Nortcopingam  fui  reversus)  ac- 
quiescendum  putaret,  seriöque  ne  quid  secus  h'eret,  seu  loci, 
seu  pensi  primum  absolvendi  respectu,  oraret,  reeepi  tandem; 
spe,  intra  unum  et  alterum  annum  tricarum  fore  fineni. 

JSed  haec  mea  Svecis  gratificandi  facilitas  Anglicanis  amicis 


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80 


Kvacsala,  Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius. 


Heft  3. 


vehementer  displicuit,  retrahereque  me  conati  sunt  prolixä,  ratio- 
num  praegnantissimä,  epistolä:  Specimen  in  Didacticis 
datum  esse  sufficiens,  plcnius  omnia  rectificandi 
patere  iam  satis  viam:  nondum  in  realibus.  lila 
uosse  alios  agerc,  exsurgereque  iam  passiniaemu- 
latione  mutuä  ad  industriam  sese  provocantes  Di- 
dacticos:  Pansophiae  vero  nequiaem  fundamenta 
satis  adhuc  esse  detecta.  Infinitoque  plus  utilitatis 
in  publicum  ab  explanatis  sapientiae  verae  viis 
redundaturum,  quam  a  literulis  Latinis:  et  quae  prae- 
terea.  Addebat  S.  H.  Quo  moriture  ruis?  minoraque 
viribus  audes?  Poötieo  hoc  solaecismo  inconsiderantiam  mihi 
exprobrans.  Gavisus  ego  hac  regiam  in  viam  revocatione,  com- 


his  accessuros,  Pansophicis  me  totum  reddidi.  Sive  continüa- 
turus,  sive  saltem  (si  me  Seholasticis  immorari  vellent,  et  forte" 
immori  contingeret)  ut  Pansophiae  fundamenta  (quae  nondum 
satis  detecta  querelas  audivi)  melius  eruta  exstarent,  ignora- 
rique  ampliu8  non  possent.  Venit  autem  e  Svecia  responsum : 
quö  in  proposito  Didactica  prius  absolvendi  persistere  jussus 
sum:  Potiora  quidem  potius,  priora  tarnen  prius, 
agi  op orter e.  Non  per  maiora  iri  ad  minora,  sed 
contra  etc.  Parendum  itaque  fuit,  et  invito  mihi  in  logo- 
machiarum  luto  hacrendum,  octennio  integro:  postquam  tarnen 
prius  detecta  melius  Pansophiae  fundamenta  (sub  titulo  Pan- 
sophiae Diatyposis,  Ichnographica  et  Orthogra- 
phica)  typis  Dantiscanis  luci  exposui,  Anno  1643:  quae  mox 
Amsterodami  et  Parisiis  recusa  fuere.  — 


Op.  Did.  IL   De  Novi8  Occasionibus  p.  1.—3. 


(Fortsetzung  folgt.) 


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Litt  e  ra  turbericli  t . 


Hartmann,  Gustav,  Leibniz  als  Jurist  und  Rechtsphilosoph. 
Tübingen  1892.  H.  Laupp.  8°.  1  Bl.  und  121  S.  Preis 
2  Mk.  —  Inhalt:  I.  Einleitung  (S.  3—6).  II.  Früheste 
juristische  Jugendschriften  (8.  6 — 16).  III.  Die  nnva  methodus 
discendae  docendaeque  jurisprudentiae  (S.  16 — 31).  IV.  Leib- 
nizens  legislative  Projekte  (S.  31—44).  V.  Vielseitigkeit  der 
späteren  rechtswissenschaftlicben  Einzelschriften  von  Leibniz 
(S.  44 — 64).  VI.  Die  Prinzipien  des  Rechts  bei  Leibniz  (S.  64 
— 105).  VII.  Einflufs  der  Leibnizischen  Jurisprudenz  auf  seine 
Philosophie  (S.  105—121). 

In  der  vorliegenden  Schrift,  dem  Sonderabdruck  ans  der  Fest- 
gabe der  Tübinger  Juristenfakultät  zum  50jährigen  Doktorjubiläum 
Rudolf  v.  Jhe rings,  entwirft  der  hochverehrte  Herr  Verfasser 
ein  meisterhaftes  Bild  der  glänzenden  Thätigkeit  Leibnizens  auf 
dem  Felde  der  positiven  und  philosophischen  Rechts-  und  Staats- 
lehre. Nur  ein  Kenner  des  in  den  vielbändigen  Sammlungen  von 
Dutens,  Erdmann,  Foucherde  Careil,  Gerhardt,  Klopp 
u.  A.  enthaltenen  Quellenmaterials  und  der  beträchtlichen  ein- 
schlägigen Litteratur,  etwa  von  Guhraners  vortrefflicher  Lebens- 
beschreibung an  (1846)  bis  auf  die  Arbeiten  zeitgenössischer  Ge- 
lehrter, ist  befähigt,  die  Gediegenheit  und  Gründlichkeit  der  Ab- 
handlung Hartmanns  in  vollem  Umfange  zu  würdigen.  Frische 
und  kernige  Darstellung,  edle  Sprache,  selbständige  und  zugleich 
gesunde  Auffassung,  wohlerwogenes  Urteil,  Verbindung  der  speku- 
lativen und  empirischen  Betrachtungsweise,  scharfsinnige  und  licht- 
volle Analyse  gerade  der  schwierigsten  und  verwickeltsteu  Probleme, 
feiner  Takt  und  pietätevoller  Sinn  zeichneu  das  Buch  in  ungewöhn- 
lichem Grade  aus  und  sichern  ihm  seine  Bedeutung  auf  Jahre 
hinaus. 

Bildet  somit  Hartman  tis  Studie  den  Schlufsstein  der  bis- 
herigen und  den  Ausgangspunkt  für  jede  weitere  Untersuchung  auf 
dem  fraglichen  Gebiete,  so  darf  dieselbe  einen  uoch  höheren  Wert 
in  anderer  Richtung  beanspruchen :  das  Werk  verdient  als  beredtes 


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S2 


Litteratiirbericht. 


Heft  3. 


Zeugnis  eines  mutigen  Kampfers  gegen  den  „fanatischen  Historismus 
und  Positivismusw  unserer  Tage  den  Ehrennamen  einer  wissen- 
schaftlichen T  hat! 

Schon  vor  65  Jahren  schrieb  Sylvester  Jordan  in  seinen 
„Versuchen  über  allgemeines  Staatsrecht"1  :  „Die  Geschichte  wllrde 
ohne  Philosophie  zur  geistlosen  Masse,  und  die  Philosophie  ohne 
Geschichte  zur  praktisch  unbrauchbaren  Schwärmerin."  Vgl.  Mol- 
lat,  Lesebuch.   Ergänzungsheft.   1893.  S.  12. 

Kassel.  Georg  Mo  Hat. 

J.  Los  er  t  h,  Der  Anabaptismus  in  Tirol  von  seinen  Anlangen  bis 
zu  seinem  Erloschen.  Aus  den  hinterlassenen  Papieren  des 
Hof  rat  es  Dr.  Jos.  Ritter  von  Heck.  Archiv  f.  öst.  Gesch.  Bd. 
78,  S.  427  ff.,  u.  Bd.  79,  S.  127  ff. 

Als  Land  der  Glaubenseinheit  wird  Tirol  vielfach  gepriesen. 
Wer  etwa  vermeint,  dafs  dieser  religiöse  Zustand  aus  sich  selbst 
friedlich  sich  entwickelte,  und  dafs  liebevolle  Hut  die  Seelen  im 
alten  Glanben  bis  auf  unsere  Tage  erhielt ,  ist  im  gewaltigen  Irr- 
tum befangen.  Ströme  von  Blut  sind  dahingeflossen  und  der  Rauch 
der  Brandstätten  hat  das  ganze  Land  überschattet.  Tausende  von 
Menschen  haben  ihre  Heimstätte  und  ihre  Habe  verloren  und  ob- 
dachlos ins  Elend  hinauswandern  müssen.  In  gewissenhafter  histo- 
rischer Forschung  entrollt  uns  der  Verfasser  auf  dem  Boden  ehrlicher 
archivalischer  Arbeit  ein  Bild  davon  in  gesättigten  Farben. 

Gegen  Ende  des  zweiten  Jahrzehnts  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts gewinnt  die  Lehre  Luthers  in  Tirol  Eingang  und  Ver- 
breitung. Die  Stimme  des  gewaltigen  Mannes  fand  erst  damals 
Wiederhall  in  den  Felswanden  des  schönen  Berglandes.  Durch 
Wanderlehrer  und  Sendboten  haben  wir  uns  den  Einzug  der 
Lehre  des  neuen  Evangeliums  zu  denken.  Als  einer  der  ersten 
tritt  ein  gewisser  Konrad  von  Schwaben  uns  in  Tirol  ent- 
gegen. Er  zieht  1520  bis  1521  in  den  Gegenden  von  Meran, 
Brixen  und  Sterzing  umher.  In  ähnlicher  Weise  wirkte  im  Inn- 
thale  Dr.  .Jacob  Straufs  zuerst  in  der  Bergstadt  Schwarz,  später  in 
Hall.  Auf  Drängen  des  Bischofs  von  Brixen  wird  er  von  der  Re- 
gierung in  Innsbruck  ausgewiesen  und  zieht  nach  Sachsen.  In  die 
Lücke  tritt  Dr.  Urban  Rhegius.  Er  ist  ein  Eiferer  gegen  Ablafs- 
handel,  Courtisanenwirtschaft,  gegen  die  lateinische  Sprache  und  den 
Pomp  in  der  Kirche,  gegen  den  Marienkult  u.  s.  w.  Auch  er  wird 
bald  gezwungen,  dem  Lande  Tirol  den  Rücken  zu  kehren. 

In  Innichen  verbreitet  der  dortige  Chorherr  Messerschmidt  luthe- 
rische Traktate,  wofür  er  nach  Brixen  in  Halt  kam. 

überall  ist  offenkundige  Hinneigung  zu  Neuerungen  zu  be- 
merken, so  im  Zillerthal,  zu  Brixen,  Bruneck,  Taufers,  Kufstein, 
Kitzbüchel,  Sterzing,  Meran  u.  a.  O.  —  Die  Regierung  lafst  ein- 
schreiten mit  Bezug  auf  das  Edikt  von  Worms  und  die  Nürnberger 
Reichstagabschiede  von  1523  und  1524.  Zu  Ende  des  folgenden  Jahres 


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1893. 


Litteraturbcricht. 


S3 


aber  hatte  Erzherzog  Ferdinand  zu  klagen,  dafs  die  „lutherische 
Sekte"  von  Tag  zu  Tag  iu  Tirol  mehr  um  sich  greif«*.  Mit  der 
fortschreitenden  Befriedung  des  Landes  nach  dem  Bauernkrieg  wur- 
den die  Zuzüge  fremder  Prädikanten  immer  seltener.  Die  neue 
Lehre,  auf  enge  Kreise  beschränkt,  verlor  ihren  Halt  im  Lande  und 
zMhlte  allmählich  nur  noch  in  den  größeren  Städten,  in  einzelnen 
Edelhöfen  und  Schmelzhütten  heimliche  Anhänger.  OfTen  trat  sie 
nirgends  auf.  An  ihre  Stelle  trat  leise  und  allmählich  der  sog. 
Anabaptismus.  Die  ersten  Anfänge  desselben  fallen  in  das  Jahr 
1527;  er  scheint  aus  der  Schweiz  eingedrungen  zu  sein  und  machte 
seinen  Weg  im  Innthale.  Mit  den  Evangelischen  auf  gemeinsamem 
Boden  stehend,  kämpften  dessen  Anhänger  gegen  die  leichte  Sittenlehre. 
Sie  duldeten  kein  Laster;  ^egen  ihre  Feinde  haben  sie  nur  Worte 
des  Friedens.  Mit  den  im  Mai  und  August  1527  erflossenen  Man- 
daten meinte  die  Regierung  die  Bewegung  einzudämmen.  Im  nächsten 
Jahre  erfolgt  die  erste  Hinrichtung.  Niemand  durfte  die  Täufer  „hausen, 
herbergen,  atzen  oder  tränken".  Ihre  Versammlungsstätten  wurden 
niedergebrannt.  Von  da  an  fängt  der  Zug  nach  Mähren  an ,  um 
sich  wieder  rüekzustauen,  wieder  zu  ergiefsen  und  so  fort.  Stetige 
Flutungen  sind  bis  zum  Erlöschen  der  Täuferei  von  einem  in 
das  andere  Land  wahrnehmbar.  So  grofse  Strenge  auch  das  „Regi- 
ment" in  Innsbruck  walten  liefs,  so  breitet  sich  doch  die  neue  Lehre 
südlich  und  nördlich  des  Breuners  im  Lande  aus.  Sterzing,  Hall 
und  Kitzbüchel  sind  die  Mittelpunkte.  Mit  grofsem  Nachdruck  be- 
trieb man  ihre  Bekämpfung,  denn  ihre  Anhänger  sah  die  Regierung 
nicht  allein  als  Ketzer,  sondern  auch  als  Rebellen  und  Aufrührer 
gegen  die  staatliche  Ordnung  an.  Mit  dem  Jahre  1529  sah  man 
das  Blut  der  „Märtyrer"  allenthalben  (Helsen  und  die  Scheiterhaufen 
gegen  den  Himmel  lohen.  Es  war  keines  Bleibens  mehr  im  Lande.  Der 
gröfste  Teil  zog  nach  Mähren  (Austerlitz),  ein  Teil  nach  Südtirol 
(Trient)  und  ins  Venetianische.  Mit  gröfster  Strenge  folgt  man  allen 
Spuren;  nicht  allein  „das  Volk",  sondern  auch  Leute  höherer  socialer 
Stellung  fühlen  ihren  Druck.  Güterbeschlagnahmen  sind  an  der 
Tagesordnung.  Missionspredigten  werden  allenthalben  veranstaltet, 
Beichtzwang  wird  strenge  gehandhabt  1530  kann  die  Regierung  an 
König  Ferdinand  mit  Genugthnung  berichten:  „Mer  ob  700  Manns 
und  Weibspersonen  sind  in  dieser  Grafschaft  Tirol  an  mer  orten  zu 
Tod  gericht,  theils  des  Landes  verwisen  und  noch  mehr  in  das  Elend 
flüchtig  worden,  die  ire  gueter,  eines  teils  auch  ihre  Kinder  waislos 
verlassen1* 

Aber  trotz  alledem  glimmt  es  fort  im  Etsch-  und  Eisackland, 
auch  im  Pnsterthale  lassen  sich  die  Täufer  wahrnehmen.  1532  wird 
eine  streifende  Rotte  von  400  Mann  aufgestellt,  die  im  ganzen  Lande 
alle  verdächtigen  Leute  aufzuheben  hat. 

Das  traurigste  Kapitel  bildet  in  der  Geschichte  der  Täufer- 
bewegung der  Münsterische  Aufstand  uud  sind  die  Folgen  des  Vor- 
gehens jener  Schwärmer  und  Unholde  entsetzlich.    Er  gab  allen  den 


84 


Littcraturberieht. 


Heft  3. 


Täufern  feindlich  gesinnten  Machten  die  schneidigste  Waffe  in  die 
Hand.  An  allen  Orten  erklärte  man:  es  werde  nun  deutlich  ge- 
sehen, wie  das  fromme,  heilige  Wesen  der  Täufer  nichts  sei  als 
Scheinheiligkeit,  ihre  Furcht  vor  dem  Schwert  nur  eitle  Spiegel- 
fechterei. 

1536  gelang  es  der  Regierung,  eines  hervorragenden  Täufers 
Namens  Jacob  Hutter,  habhaft  zu  werden;  er  wird  zu  Innsbruck, 
nachdem  er  alle  Grade  der  Tortur  überstanden  hatte,  durch  das 
Schwert  hingerichtet.  Nach  dessen  Tode  Ubernimmt  Onophrius 
Griesinger,  den  man  aus  Mähren  herbeigerufen  hatte,  die  führende 
Rolle.  1538  rollt  sein  Kopf  in  den  Sand.  Zwischen  1548 — 62 
steht  Hans  Mändl  an  der  Spitze  der  Bewegung,  nach  diesem  Hans 
Kräl.  Endlich  nach  vielen  vergeblichen  Versuchen  gelingt  es  der 
Regierung  im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts,  der  Täuferei  Herr  zu 
werden.  Im  Jahre  1604  wurde  von  Brixen  aus  eine  letzte  scharfe 
Untersuchung  einzelner  in  Religionssachen  verdächtiger  Personen 
angeordnet. 

Die  nächsten  Jahre  bieten  nur  wenige  Materialien,  die  über  das 
Vorkommen  und  die  Verbreitung  der  Wiedertäufer  in  Tirol  Auskunft 
geben.  Grofs  wird  diese  Verbreitung  in  keinem  Falle  mehr  gewesen 
sein.  Wie  es  scheint,  war  nahezu  alles,  was  mit  dem  Täufertum 
noch  irgendwie  in  Zusammenhang  stand,  hinweggezogen. 

The  od.  Unger. 


Zur  neuesten  Comenius-Litteratur. 

Man  begegnet  wohl  der  Meinung,  es  sei  das  Comenius-Jubiläum 
nur  künstlich  durch  den  Eifer  weniger  Comenius-Schwärmer  ins  Werk 
gesetzt  worden ;  der  Gefeierte  sei  mit  seinen  Gedanken  und  Bestre- 
bungen von  unserer  Zeit  längst  Uberholt  und  vermöge  sie  nichts 
mehr  zu  lehren.  Die  so  denken,  sollten  einmal  die  lange  Reihe 
von  Schriften  Uberblicken,  welche  Uber  C.  aus  Anlafs  der  Jubelfeier 
erschienen  sind;  das  Verzeichnis  derselben  füllt  ganze  Seiten  dieser 
Hefte.  Sie  sollten,  was  noch  besser  wäre,  beliebige  dieser  Schriften 
lesen,  in  allen  würden  sie  den  Gedanken  wiederfinden,  dafs  die 
Menschen  unserer  Tage  nichts  Besseres  thun  könnten,  als  sich  die 
Gesinnung  aneignen,  welche  den  C.  beseelte,  und  dafs  viele  seiner 
Lehren  noch  heute  höchst  beachtenswert  seien. 

Ich  greife  aus  der  grofsen  Zahl  der  Bücher  ein  kleines  Schrift- 
chen heraus  von  einem  württembergischen  Pfarrer,  Lac.  theol.  F  r  i  e  d  r. 
Hummel,  der  ein  anziehendes  Lebensbild  des  C.  entwirft 
(Verlag  von  Hugo  Klein  in  Barmen,  32  Seiten).  Er  bekennt 
gleich  im  Vorwort,  welcher  innige  Wunsch  ihm  die  Feder  in  die 
Hand  gedrückt  hat:  „Die  edlen  Züge  der  altehrwürdigen  Leidens- 
gestalt dürfen  uns  nicht  verlöschen;  sie  müssen  deutlich  hervor- 


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1893. 


Litteraturberieht. 


85 


treten,  damit  auch  heute  alle  Bekenntnisse  und  alle  Stünde  erkennen, 
woher  Feindschaft  und  Streit  kommen  und  in  welcher  Tiefe  sie  Über- 
wunden werden  sollen." 

Ich  nehme  ein  anderes  Lebensbild ,  gleich  jenem  eine  Volks- 
schrift, aber  ausführlicher  (65  S.),  von  anmutiger,  leichter  Darstel- 
lung, verfafst  von  Rudolf  Stä  hei  in  (Basel,  Verlag  von  K.  Reich, 
1898).  Wie  urteilt  er  Uber  die  pädagogischen  Forderungen  und 
Grundsätze  des  C?  „Sie  waren  für  das  Schulwesen  jener  Zeit  der 
Anbruch  eines  neuen  Tages,  dessen  Licht  auch  fltr  unsere  Gegen- 
wart noch  nicht  erloschen,  vielleicht  gerade  mit  seinen  besten  Strahlen 
noch  nicht  einmal  zum  Durchbrueh  gekommen  ist*  (S.  85).  Von 
höchster  Bedeutung  aber  fllr  unsere  Zeit  scheint  ihm  dies,  dafs  sich 
um  das  Andenken  des  C.  zu  friedlichem  Gedankenaustausch  eine 
Gemeinde  sammelt,  an  der  die  verschiedensten  Geister  und  Rich- 
tungen, die  Männer  der  Aufklärung,  wie  die  Herrnhuter,  die  Slawen 
wie  die  Deutschen,  Recht  und  Anteil  zu  haben  sich  bewufst  sind 
(vergl.  S.  65). 

Eine  mehr  für  gelehrte  Kreise  bestimmte  Arbeit  ist  die  von 
F.  Gr  und  ig,  Rektor  der  Mittelschule  in  Erfurt:  Joh.  Arnos 
Comen  i  us  nach  seinem  Leben  und  Wirken,  eine  Jubi- 
läumsgabe  zu  seiner  300jähr.  Geburtstagsfeier  (Gotha,  ('.  F.  Thie- 
mann,  1892,  90  S.).  Der  Verfasser  vertieft  sich  gründlich  in  die 
Gedanken  des  C.,  giebt  kurze,  klare  Übersichten  Uber  den  Inhalt 
seiner  bedeutenderen  Werke,  erörtert  im  Ansehlufs  daran  päda- 
gogische Zeit-  und  Fundamentalfragen  und  kommt  zu  dem  Schlufs, 
dafs  ein  allgemeineres  Zurückgehen  auf  die  wohlbegründeten  An- 
schauungen des  (J.  für  eine  einheitliche  Entwickelung  unserer  Päda- 
gogik nur  von  Segen  sein  könnte,  da  die  pädagogischen  Hauptfragen 
der  Gegenwart  bei  ihm  bereits  mehr  oder  minder  eingehende  Be- 
achtung gefunden  haben." 

Deuselben  Gedanken  findet  man  in  knapper  Darstellung  aus- 
geführt in  einem  Aufsatz  der  englischen  Monatsschrift  Ed  u  c  at  i  o  u 
(Dezember  1892),  herausgegeben  von  Frank  H.  Kasson  und  Frank 
H.  Palmer,  Boston ,  50  Bromneid  Street,  London :  Edward  Arnold, 
18  Warwick  Square,  Paternoster  Row.  Der  Verfasser,  Will.  S. 
Monroe,  zeigt  an  der  Hand  der  Didactica  Magna,  der  Jauua,  des 
Orbis  Pictus  und  der  Schola  Infantiae,  dafs  (J.  der  Evangelist  der 
modernen  Pädagogik  genannt  zu  werden  verdient.  Der  Aufsatz  ist 
auch  im  Sonderabdruck  erschienen:  Comenius,  The  Evangelist 
of  Modern  Pedagogy. 

Ich  nehme  eine  andere  Abhandlung:  „Das  pädagogische 
System  des  Comenius"  von  R.  Rifsmann,  Rektor  in  Berlin, 
8.  Heft  im  5.  Bande  der  Sammlung  pädagogischer  Vorträge,  hrsg.  von 
Wilh.  Meyer-Markau,  Bielefeld,  Verlag  von  A.  Helmichs  Buchhandlung. 
Der  Verfasser  entwickelt  aus  der  Didactica  Magna  das  pädagogische 
System  des  C,  er  unterwirft  es  einer  scharfen  Kritik,  aber  er  mufs 
anerkennen,  dafs  die  Didactica  Magna  in  den  meisten  ihrer  Einzel- 
heiten selbst  heute  noch  keineswegs  als  überlebt  angesehen  werden 


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86  Litterattirberieht.  Heft  3. 

darf" ,  „dafs  sieh  zu  beinahe  allen  pädagogischen  Streitfragen  un- 
serer Zeit,  bis  auf  die  modernsten,  aus  ihr  Beläge  heranziehen 
lassen."  Doch  scheint  mir  seine  Kritik  unserem  C.  manchmal  Uu- 
recht  zu  thun.  So  behauptet  er  (S.  25),  dafs  C.  die  Sittlichkeit  im 
wesentlichen  als  etwas  mehr  Aufserliehes  auffasse,  als  das  Vermögen, 
wie  er  selbst  schreibe,  klüglich  Bewegungen  und  Handlungen, 
äufsere  und  innere,  eigne  und  fremde  zu  lenken.  Wenn  auch  die 
inneren  Bewegungen  zu  ihr  gehören,  wie  kann  sie  eine  äußerliche 
sein?  Er  tadelt  „den  Utilitarismus  des  Comenianischen  Bildungs- 
prinzips" (S.  30).  Allein  eine  Prüfung  aller  einschlägigen  Stellen 
durfte  dem  Verfasser  ergeben,  dafs  das  Oomenianische  Nützliehkeits- 
prinzip  durchaus  ethischer  Art  ist.  Nur  was  dazu  nützt,  den 
Menschen  weise,  für  das  Leben  weise  und  tugendhaft  und  fromm 
zu  machen,  soll  in  den  Unterrichtsstoff  aufgenommen  werden.  Sein 
Nützlichkeitspriuzip  liegt  in  dem  Lebensideal,  dem  C.  selbst  in  den 
schwersten  Anfechtungen  treu  geblieben  ist,  in  dem  Lebensideal,  das 
noch  heute  so  viele  Herzen  für  ihn  entzündet.  Die  Comeniusfeier 
war  nur  die  Gelegenheit,  dafs  vieler  Herzen  Gedanken  über  C. 
offenbar  wurden. 

Da  bekannte  der  eine  in  schlichtem,  einfachem  Wort,  dafs  er  zu 
C.  als  zu  einem  Vorbilde  aufschaue :  Wir  lesen  es  in  dem  Gedücht- 
nisblatt,  das  W.  Latt,  Lehrer  in  Herzkamp,  seinem  Andenken 
widmet  (Heft  4  der  pltdagog.  Abhandlungen  in  Hollnichs  Verlag,  Biele- 
feld). Da  drängte  es  einen  anderen,  seinen  Mitbürgern  zu  zeigen,  wie 
gerade  sie  allen  Grund  hätten,  „die  Lichtgestalt  des  C  nicht  zu 
vergessen."  W.  Peiper,  Kgl.  Sem.- Direktor  in  Koschmin,  schilderte 
mit  warmen  Worten  C,  den  grofsen  Schulmann  Posens,  im 
Frühling  seiner  Jugendzeit,  in  der  Arbeit  des  Mannes,  in  der  Ernte 
seines  Alters  (Verlag  von  Ii.  Trünkner,  Koschmin,  1891). 

Da  bezeugte  ein  dritter,  dafs  von  0.  jenes  Lob,  welches  einst  dem 
Hauptmann  von  Capernaum  nachgesagt  wurde,  in  erweitertem  Sinne 
gelte:  „Er  hat  sein  Volk  und  alles  Volk  lieb  gehabt,  und  die 
Schule  hat  er  uns  geistigerweise  miterbaut.  Es  ist  Dr.  G.  Schu- 
mann in  seiner  Broschüre  zur  800jähr.  Jubelfeier  des  C.  (Heusers 
Verlag,  Neuwied  und  Leipzig,  1892,  40  S.).  Er  will  uns  gerade 
das  vor  Augen  malen,  worin  sich  des  C.  „Leben  und  Leiden  als 
Mensch  und  Christ  und  sein  Streben  als  Erzieher  besonders  aus- 
prägt," damit  „wir  in  den  wirren  Fragen  der  Gegenwart  uns  seinen 
feurigen  Glauben,  seine  feurige  Liebe  und  seine  getroste  Hoffnung 
bewahren". 

Doch  nicht  blofs  seine  Gesinnung,  sondern  auch  eine  grofse 
Summe  seiner  Vorschläge  zur  Besserung  kann  uns  zur  Richtschnur 
dienen.  In  dieser  Überzeugung  entwirft  Dr.  J.  Wafsner,  Ober- 
lehrer am  Gymnasium  in  Rendsburg,  in  der  Generalversammlung 
des  Vereins  von  höhereu  Uuterrichtsanstalten  Schleswig- Holsteins  ein 
fesselndes  Bild  von  der  geistigen  Entwickelung  des  grofsen  Schul- 
mannes und  christlichen  Theologen,  und  versichert,  dafs  auch  die 
Gymnasiallehrer  noch  aus  jeder  Seite  der  Werke  des  C.  filr  ihre 


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18113. 


Litteraturbericht. 


87 


Kunst  lernen  können .  und  erhebt  im  Blick  auf  unsere  kirchlichen 
Verhältnisse  die  leider  berechtigte  Frage:  „Wo  ist  die  ökume- 
nische Richtung,  die,  ohne  zu  v e r  f  1  a c h  e n  ,  unablässig 
an  der  Verwirklichung  der  christlichen  Idee  des 
grofscn  GottPsreichcK  arbeitet?  Wo  namentlich  bei 
uns  Protestanten  der  Zug  jener  weiten,  tiefen  Liebe, 
die  Uber  das  Trennende  hin  Uber  nur  auf  d  a  s  E  i  n  i  ge  n  d  e 
schaut?  Wo  jenes  lebendige  Gemeinschaftsgefühl,  das  den  Ge- 
ringsten wie  den  Höchsten  gleichmäfsig  umspannt?"  Wer  diesen 
Vortrag  des  Dr.  Wafsner  (Buchdrnekerei  des  Halleschen  Waisen- 
hauses) gelesen  hat,  wird  der  Generalversammlung  j  »lies  Vereins 
Schleswig-Holsteinischer  Lehrer  Dank  wissen,  dafs  sie  seinen  Sonder- 
abdruck aus  den  „Lehrproben  und  Lehrgängen  von  Fries  u.  Meier" 
beschlofs. 

Auch  Dr.  E.  Lentis,  Oberlehrer  in  Bartensteiii,  ist  der  Über- 
zeugung, dafs  das  Studium  des  C.  ftlr  die  Gymnasiallehrer  höchst 
heilsam  wäre.  Dann  würde  man  nicht  über  so  viele  pädagogische 
Mifsgriffe  aus  den  ersten  Amtsjahren  zu  klagen  haben.  Er  spricht 
dies  aus  in  seinem  Vortrage  in  der  Generalversammlung 
de»  Vereins  von  Lehrern  höherer  Un  t  e  r  r  i  c  h  t  sa  ns  t  al  te  u 
Ost-  und  W  e  s  t  p  r  e  u  f  s  e  n  s ,  in  welchem  er  den  Schulplan  und 
die  Methode  des  ('.  entwickelt  (vorrätig  bei  Gustav  Foek,  Leipzig, 
Magazingasse  4). 

Das  Studium  des  0.  ist  tür  unsere  Zeit  notwendig.  Das  ist  der 
Grundton  einer  vortrefflichen  Festrede,  welche  Dr.  Willi.  Roh- 
meder,  Rektor  der  Handelsschule  und  Stadt-Schulrat  zu  München 
gehalten  hat  (Verlag  von  A.  Helmich,  Bielefeld).  Er  zeigt  in  ihm 
„da«  Verhältnis  des  C.  zu  den  wichtigsten  Schul-  und  Erziehungs- 
fragen der  Gegenwart"  und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  dafs  C.  „für 
die.  vielen  noch  ungelösten  Erziehungsfragen  der  Gegenwart  als  Weg- 
weiser dienen  kann". 

Ich  schliefse  diesen  vielstimmigen  Chor  von  Comenius-Kennern 
mit  dem  schönen,  umfassenden  Grundgedanken  der  Festrede  von 
F.  Sander  (Beilage  der  fortgesetzten  Nachrichten  der  Königlichen 
Waisen-  und  Schulanstalt  zu  Bunzlau  Uber  das  Schuljahr  1891  92). 
Sander  stellt  C.  dar  nicht  blofs  als  einen  edlen  Typus  seines  Jahr- 
hunderts, sondern  auch  als  einen  Propheten  für  die  folgenden 
Jahrhunderte,  zumeist  für  das  unsrige,  als  einen  Propheten  des 
modernen  Erziehungs-  und  Schulwesens  sowohl  wie  der  christlichen 
Humanität.  Wer  sich  mit  0.  beschäftigt,  dem  wird  es  aus  der  Seele 
gesprochen  sein,  was  Sander  sagt:  „Je  tiefer  man  in  dieses 
Mannes  Schriften  eintaucht,  desto  mehr  wächst  die  ehr- 
furchtsvolle Bewunderung  vor  seinem  ahnenden,  vor- 
ausschauenden Seherblick."  Und  wer  die  Schwere  der  Auf- 
gaben empfindet,  welche  die.  Glaube  n  «Spaltung  in  unserem  Volke 
uns  stellt,  der  wird  Sander  von  Herzen  beistimmen,  wenn  er  am 
Schlüsse  seiner  Rede  sagt :  „Sollen  wirdieseAufgaben  lösen, 
so  müssen   wir  uns  an  Männer  halten  wie  den  edlen 


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88  Litteraturbericht.  Heft  3. 

Brüderbischof,  der  innig  und  verständig,  fromm  und 
weise  ftlr  den  wahren  Frieden  der  Völker  und  der 
Kirchen  den  Weg  wieft."  W.  B. 


Die  neueste  amerikanische  Comenius-LItteratur. 

(Zusammengestellt  von  Will  8.  Monroe  in  Palo  Alto,  Californien.) 

Baxdeen,  C.  W.,  The  Tcxt-Books  of  Comenius.  Educational  Review,  New- 

York,  March,  1892. 
Butler,  Nicholas  Murray,  The  Place  of  Comenius  in  the  History  of  Edu- 

cation.   Syracuse,  1892. 
Gregor,  Francis  A.,  Comenius:  a  Pioneer  of  Learning.    Chicago  Times, 

Chicago,  March,  1892. 
Hanns,  Paul  II.,  Permanent  Influences  of  Comenius.    Educational  Review. 

New- York,  March,  1892. 
Hark,  John  Max,  John  Arnos  Comenius:  His  Private  Life  and  Personal 

Characteristics.  Addresses  and  Proceedings  of  the  National  Educational 

Association.   New- York,  1893. 
Klose,  Edwin  G.,  John  Arnos  Comenius :  His  Life,  Services  to  the  Brethren's 

church  and  to  Education.    The  Moravian,  Bethlehem,  March  9,  16, 

und  23,  1892. 

Lang,  Ossian  H.,  Comenius:  Bis  Life  and  Principles  of  Education.  New- 
York,  1892. 

Laurie,  S.  S.,  The  Place  of  Comenius  in  the  History  of  Education.  Edu- 
cational Review,  New- York,  March,  1892. 

Maxwell,  W.  H.,  The  Text-Books  of  Comenius.   Syracuse,  1893. 

Monroe,  Will  S.,  Comenius,  the  Evangelist  of  Modern  Pedagogy.  Boston, 
1892. 


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Neuere  Erscheinungen. 

Zusammengestellt  mit  besonderer  Rücksicht  auf  das 
Forschungsgebiet  unserer  Gesellschaft«. 

Die  mit  *  bezeichneten  haben  der  Schriftleitung  vorgelegen. 
Die  Verfasser,  deren  Namen  mit  einem  f  bezeichnet  sind,  waren  oder  sind 
Mitglieder  der  Comenius-Gesollschaft. 

Die  eingehende  Besprechung  einzelner  Erscheinungen  bleibt  vorbehalten. 

*iBaehring,  Bernhard,  Christian  Karl  Josian  Freih.  von  Bunsen.  Lebens- 
bild eines  deutsch-christlichen  Staatsmannes.  Dem  deutschen  Volke 
dargeboten.    Leipzig,  F.  A.  Brockhaus.  1*92. 

Baumann,  Volksschulen,  höhere  Schulen  und  lTniversitäten.  Göttingen, 
Vandeuhoeck  &  Ruprecht.  1892. 

'Beard.  Charles,  Die  Reformation  des  16.  Jahrhunderts  in  ihrem  Verhältnis 
zum  modernen  '  Denken  und  Wissen.  Zwölf  Hibbert- Vorlesungen. 
Übersetzt  von  Fr.  Halverscheid.    Berlin,  G.  Reimer.    Mk.  6.—. 

'fBenrath,  K.,  Bernardino  Ochino  von  Siena.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Reformation.  Mit  Orig. -Dokumenten,  Portr.  u.  Schriftprobe.  2.  Aufl. 
Braunschweig,  Schwetschke  &  Sohn.  1892.  (XII,  323  S.,  gr.  8.) 
Mk.  7.-. 

Bibliothek,  philosophische,  od.  Sammlung  der  Hauptwerke  der  Philosophie 
alter  und  neuer  Zeit.  Begründet  von  J.  II.  v.  Kirchmann.  180.  u. 
Hl.  Heft  (41.  Bd.)  gr.  8°.  Berlin,  Philos.-histor.  Verl.,  Dr.  R.  Salinger. 
Preis  Mk.  1. — . 

Rene  Descartes  Prinzipien  der  Philosophie,  1.  u.  2.  Teil.  In  geometr. 
Weise  begründet  durch  Benedict  Spinoza.  Mit  einem  Anhang:  Meta- 
physische Gedanken  des  Letzteren,  in  welchem  sowohl  die  in  dem 
allgemeinen  wie  in  dem  besonderen  Teile  der  Metaphysik  vorkommen- 
den schwierigen  Fragen  kurz  erklärt  werden.  Übersetzt  u.  erläutert 
von  J.  H.  v.  Kirchmann.   2.  Aufl.   (XXVI,  158  S.) 


1  Es  ist  hier  die  Litteratur  seit  1800  berücksichtigt,  einige  wenige 
ältere  Erscheinungen  ausgenommen.  Die  Comenius-Litteratur  und  Ver- 
wandtes, was  wir  schon  früher  erwähnt  und  besprochen  haben,  ist  hier  nicht 
noch  einmal  aufgeführt.  Fortsetzung  und  Ergänzungen  folgen  in 
den  nächsten  Heften. 

Monrt-h-fU«  d-r  Com*»lu"M>««ll«chaft.    199::.  7 


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90 


Neuere  Erscheinungen. 


Heft  3. 


Bibliothek  der  katholischen  Pädagogik.  Bd.  4:  a)  Joh.  Miel..  Sailcrs 
pädagogisches  Erstlingswerk,  ein  Vorläufer  seiner  Erziehungslehre. 
Neu  herausgeg.  u.  m.  einer  Einleitung  u.  Anmerkungen  vergehen  von 
Dr.  L.  Kellner,  b)  Franz  von  Fürstenberg.  Sein  Leben  und  seine 
Schriften.   Herausgeg.  von  J.  Esch.    Freiburg,  Herder.  1892. 

Bock,  Geh.  Kcg.-R.  Ed.,  Stimmen  hervorr.  Schulmänner  dieses  Jahrhunderts, 
zur  Beachtung  f.  Lehrer  u.  Laien  bei  der  Erziehung  u.  dem  Unterrichte 
der  Jugend  gesammelt  u.  hrsg.  gr.  S°  (VIII,  160  S.).  Leipzig,  Akadem. 
Buchh.  (W.  Faber).    Mk.  3.—. 

*Breoht,  Th.,  Kirche  und  Sklaverei.  Ein  Beitrag  zur  Lösung  des  Problems 
der  Freiheit    Barmen,  H.  Klein.  1*90. 

Bruno,  G.,  Dialoge  v.  Unendlichen,  dem  All  und  den  Welten  (dell'  infinito, 
universo  e  mondi),  übers,  u.  m.  Anmerkung,  versehen  v.  Ludw.  K  uh 1 en- 
beck.    Berlin,  Lüstenöder.    1893.   Mk.  6.—. 

*tBoasy,  de,  J.  J.  Wijsgeerige  Wetenschap  en  persoonlijke  Ovcrtuiging. 
Rede,  uitgeeproken  den  30.  September  1892  etc.   Amsterdam  1892. 

Dillmann,  Ed.,  Eine  neue  Darstellung  der  Lcibuiz'schen  Monadenlehre  auf 
Grund  der  Quellen.    Leipzig,  (>.  R.  Reisland.  1892. 

*DöUinger,  lgn.  v.,  Beiträge  zur  Sektengeschichte  des  Mittelalters.  2  Bde. 
München,  C.  H.  Becksche  Buchhandlung.  1890. 

Döllinger,  lgn.  v..  Das  Papsttum.  Neubearbeitung  von  Janus,  „Der 
Papst  und  das  Concil",  im  Auftrag  des  inzwischen  heimgegangenen 
Verfassers  von  J.  Friedrich.  München,  C.  H.  Becksche  Verlagsbuch- 
handlung. 1892. 

•fDörpfeld.  F.  W.t  Beiträge  zur  pädagogischen  Psychologie  in  mono- 
graphischer Fonn.  Erstes  Heft.  Denken  und  Gedächtnis.  Gütersloh, 
Bertelsmann.  1891. 

•fDreyer,  Otto,  Undogmatisches  Christentum.  4.  Aufl.  1*90.  Braunschweig, 

Schwetschke  &  Sohn.    Mk.  2.—. 
t  Ehlers,  Kons.-Rat,  Pfr.  D.  R.,  Der  Menschen  Sohn,  Christus,  Gottes  Sohn. 

Vortrag.   8°,  16  S.    Frankfurt  a.  M.,  Kesselring.    1892.   Mk.  -.30. 
*t  Blossen,  O.  A.,  Friedrich  Albert  Lange.    Eine  Lebensbeschreibung.  Mit 

Porträt  F.  A.  Langes.    Leipzig,  Jul.  Baedecker.  1891. 
Euler,  Encyklopäd.  Handbuch  des  gesamten  Tuniwesens.    1.  Lfg.  Wien, 

Pichlers  Wwe.  &  Sohn.  1893. 

Fisoher,  K.,  Geschichte  des  deutschen  Volksschullehrerstandes.   2.  Bd 

Hannover,  C.  Meyer  (G.  Prior).  1892. 
•fPlügel,  O.,  A.  Ritschis  philosophische  u.  theolog.  Ansichten.    2.  Aufl. 

Langensalza,  Beyer  &  Söhne.    1892.   (III,  156  S.  8°.)   Mk.  2. 
•fPredericha,  Jul.,  Robert  le  Bougre.  Premier  Inquisiteur  General  en  France. 

Gand  1892.   32  S.  8°. 
Peith,  P.  R.,  Levensbericht  van  S.  J.  Hingst.   (Sonderabdruck  aus  den 

Veröffentlichungen  der  Maatschappy  der  Nederlandsche  Letterkunde 

1889/90.)   Leiden  1892. 

Prancke,  August  Hermann,  Kurzer  und  einfältiger  Unterricht.  Mit  einer 
Einleitung  herausgeg.  von  AlbertRichter.  Leipzig,  Rieh. Richter. 
1892:    Nr.  X  der  Neudrucke  Pädagog.  Schriften.    Mk.  —.80. 


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1893. 


Neuere  Erscheinungen. 


91 


•fPrederloq,  l)r.  l'aul,  Inquisitiu  haereticaepravitatis  Xeerlandica.  Geschie- 
denis  der  Inquisitie  in  de  Niederlanden  tot  aau  hure  herrinrichting 
onder  K.  Karl  V.  (1025—1020).  1.  Deel.  Gent,  J.  Vuylsteke.  1892. 
XVI,  114  S.  »•    Fr.  3.--. 

•Prerich*,  6.  E.,  Op  hct  Vierde  eeuwfeest  van  Menno  Simons  geboorte. 
Sonderabdruck  aus  d.  Zondagsbode  1892.  Meppael,  Kuiper  en  Taconis. 

tPriok,  weil.  Dir.  D.  Dr.  O.,  Pädagogische  und  didaktische  Abhandlungen. 
Hrsg.  v.  Dr.  Georg  Frick.  1.  Bd.  gr.  8°.  (VII,  OSO  S.  ra.  2  Tab.) 
Halle  a.  S.,  Buehh.  d.  Waisenhauses.    1802.    Mk.  9.-. 

Graue,  D.  G.  II.,  Die  selbständige  Stellung  der  Sittliehkeit  zur  Keligion. 
(Aus  „Jahrb.  f.  protestant.  Theol.*)  gr.8°  (VI,  219  S.).  Braunschweig. 
0.  A.  Schwetschke  &  Sohn.    Mk.  0.—. 

Grünberg,  Pfr.  Lic.  Paul,  Phil.  Juc.  Spener.  1.  Bd.  VIII,  031  S.  Güt- 
tingen.   Vandenhoeck  &  Ruprecht.    1893.    Mk.  10.—. 

Texte  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  nltehristl.  Litteratur.  Hrsg. 
von  Oak.  v.  Gebhardt  und  Adf.  Harnaok.  9.  Bd.,  2.  Heft.  gr.  *°. 
Leipzig.  .1.  C.  Hiurichs  Verlag. 

IX,  2.  Bruchstücke  des  Evangeliums  und  der  Apokalypse  des  Petrus 
von  Adf.  Harnaok.   (III,  78  S.)   Mk.  2.—. 

f Hartfelder,  Das  Ideal  einer  Humanistenschule.  (Die  Schule  Colets  zu 
St.  Paul  in  London.)    Vortrag.    4°,  16  S.    Leipzig,  Teubner. 

Hase,  Karl  v. ,  Kirchengeschichte  auf  der  Grundlage  akademischer  Vor- 
lesungen. 3.  Teil.  Hrsg.  v.  Prof.  Dr.  G.  Krüger,  gr.  8°.  Leipzig, 
Breitkopf  &  Härtel. 

Hateh,  E.,  Griechentum  und  Christentum.  12  Hibbertvorlesungen  über  den 
Einflufs  griech.  Ideen  und  Gebräuche  auf  die  christl.  Kirche.  Deutsch 
von  E.  Preuschen.  Mit  Beilagen  von  A.  Harnack  und  dem  Uber- 
setzer. Rechtmäßige  Übersetzung,  gr.  8°  (XVII,  274  S).  Frei- 
burg  i.  B.,  J.  C.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck).    Mk.  6.—. 

Hausrath.  Arnold  v.  Brescia.    Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel.  1892.  Mk.;t.— . 

•fHeath,  Richard,  Hans  Denck.  tlie  Anabaptist.  Coutemporary  Review. 
London,  Isbister  and  Co.    1892,  Dezember.    S.  880—894. 

•fHeath,  Riehard,  The  Anabaptists  and  theirtEnglish  Dcscendents.  Contem- 
porary  Review.   London,  Isbister  and  Co.    1891.   March.  S.  889 — 40(5. 

Herbart,  Joh.  Frdr. ,  Sämtliche  Werke.  Hrsg.  von  G.  Hartenstein. 
2.  Abdr.  12.  (Schlufs-)Bd.  Historisch-krit.  Schriften,  gr.  8°  (XXVI. 
796  S.).    Hamburg,  L.  Voss,    ä  Mk.  4.00. 

 In  chronologischer  Folge  hrsg.  von  Karl  Kehrbach.    7.  Bd.   gr.  8('. 

(X,  304  S.).    Langensalza,  H.  Beyer  &  Söhne.   Mk.  0. — . 

*t Hingst,  S.  J.,  Wat  verstaat  inen  onder  eed  ?  Sonderabdruck  aus  Rechts- 
geleerde Bijdragen  Jahrg.  IL   Amsterdam  1887. 

•Henner,  C. ,  Beiträge  zur  Organisation  und  Kompetenz  der  papstlichen 
Ketzergerichte.    Leipzig,  Duncker  &  Humblot.  1890. 

"fHochegger,  Rud.,  Über  die  Kulturaufgabe  des  Lehrers  und  die  Notwendig- 
keit eines  freien  Lehrerstandes.  (Sammlung  pädag.  Vorträge,  hrsg.  v. 
Wtlh.  Meyer-Markau.)   Bielefeld,  A.  Helmich.  1892. 

tHoltzmann,  O.,  Jesus  Christus  und  das  Gemeinschaftsleben  der  Menschen. 
Freiburg  i.  B..  J.  C.  B.  Mohr.    1892.   (VIII,  88  S.).  8°.    Mk.  l.~. 

7» 


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92 


Neuere  Erscheinungen. 


Heft  3. 


Hübsch,  6.,  Die  Reformen  und  Reformbestrebungen  auf  dem  Gebiete  der 

Volksschule  im  ehemaligen  Hochstift  Bamberg  1757—1795.    IX,  209  S. 

Bamberg,  Buchner»  Verlag.    1891.    Mk.  3.—. 
tHummel,  F.,  Die  Bedeutung  der  Schrift  von  Carl  Schwarz  über  das 

Wesen  der  Religion  für  die  Zeit  ihrer  Entstehung  und  die  Gegenwart. 

Gekrönte  Preisschrift.    Braunschweig,  Sehwetschkc  <k  Sohn.c?  1890. 
Jahrbuch,  Pädagogisches,  1892.   (Der  pädagog.  Jahrbücher  15.  Bd.)  Hrsg. 

v.  d.  Wiener  pädagog.  Gesellschaft.    Red.  von  Ferd.  Franck.    gr.  8° 

(X,  228  S.  m.  1  Bildnis).   Wien,  Man*.    Mk.  3.—. 
Jahrbuch  des  höheren  Unterrichtswesens  in  Ost  erreich  m.  Einschlufs  der 

gewerblichen  Fachschulen  u.  der  bedeutendsten  Erziehungsanstalten. 

Bearb.  v.  Realseh.-Prof.  Joh.  Neubauer  u.  Realsch.-Dir.  Dr.  Jos.  Divig 

6.  Jahrg.    1893.   gr.  8°  (X,  280  S.).    Prag,  F.  Tempsky. 

Jahresberichte  der  Geschichtswissenschaft,  im  Auftrage  der  Historischen 

Gesellschaft  zu  Berlin,  hrsg.  v.  J.  Jastrow.    14.  Jahrg.  1891.  Berlin, 

Gaertnera  Verlag.   (Lex.  8°.)   Mk.  80.—. 
Kant»  Reflexionen  zur  kritischen  Philosophie.  Aus  Kant*  handschriftlichen 

Aufzeichnungen   herausg.  von   Benno  Erdinann.     2  Bde.  Leipzig, 

O.  R.  Reitdand.  1892. 
•fKieferndorf.  Ph.,  Der  Eid.   Vortrag,  geh.  zu  Ludwigshafeu  a.Rh.  am 

17.  Nov.  1891.    Worms,  Komm,  bei  R,  Reis.    1892.   (11.  74  S.).  8°. 

*Krause,  Karl  Christian  Friedrich,  Abrifs  der  Geschichte  der  griechischen 
Philosophie.  Aus  d.  handschriftl.  Nachlasse  des  Verf.  hrsg.  v.  Dr.  Paul 
Hohlfeld  u.  Dr.  August  Wünsche.  Mit  einem  Anhange:  Die 
Philosophie  der  Kirchenväter  und  des  Mittelalters.  Leipzig,  Otto 
Schulze.  1893. 

Krause ,  Karl  Christ.  Frdr. ,  Anschauungen  od.  Lehren  u.  Entwürfe  zur 
Höherbildung  des  Menschheitslebens.  Aus  dem  hdschr.  Nachlafs  des 
Verf.  hrsg.  v.  Dr.  Paul  Hohlfeld  u.  Dr.  Aug.  Wünsche.  3.  Bd. 
1892.   gr.  8<>.   320  S.    L.  B.  E.  Felber.    Mk.  6.-. 

*Kuenen,  A.,  Volksreligion  und  Weltreligion.  Fünf  Hibbertvorlesungen. 
Berlin.  G.  Reimer.   Mk.  5.—. 

Längin.  Th.,  Die  Sprache  des  jungen  Herder  im  Verh.  z.  Schriftsprache. 
Freiburg.  Diss.   Leipzig,  Fock.    109  S.    Mk.  1.50. 

•Lagarde,  Paul  de,  Deutsche  Schriften  für  nationales  Leben.  Heraus- 
gegeben von  Eugen  Wolf  f.  2.  Reihe,  Heft  4.  Kiel  und  Leipzig, 
Lipsius  &  Tischer.  1892. 

*fLea,  Henry  Charles,  A  Formulary  of  the  Papal  Penitentiary  in  the  thirteenth 
Century.   Philadelphia,  Lea  Brothers  and  Co.  1892. 

•Lindner,  Th..  Der  angebliche  Ursprung  der  Vemegeriehte  aus  der  Inqui- 
sition.  Eine  Antwort  an  Prof.  von  Thndichum.    Paderborn  1890. 

* — ,  Verne  und  Inquisition.  Programm  über  die  Preisverteilung.  Halle 
1893. 

*fLoesche,  Analecta  Lutherana  et  Melanchthoniana.  Tischreden  Luthers  u. 
Aussprüche  Melanchthons ,  hauptsächlich  nach  Aufzeichnungen  von 
Johannes  Matthesius.   Gotha,  F  A.  Perthes.  1892. 

*+Ii08erth,  J..  Doktor  Balthasar  Huhrnaier  u.  die  Anfange  der  Wiedertaufe 


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1893. 


Neuere  Erscheinungen. 


<>3 


in  MShrcn.  Aus  gleichzeitigen  Quellen  und  mit  Benutzung  des  wiss. 
Nachlasses  den  Hofrats  Dr.  Josef  Ritter  von  Beck.  Bonn  189*  Ver- 
lag der  hist.-stati^t.  Sektion. 
Magazin,  pädagogischem,  Abhandlungen  vom  Gebiete  der  Pädagogik  und 
ihrer  Hülfswis.«euschaften.  Hrsg.  v.  Priedr.  Mann.  14.— 19.  Heft, 
gr.  8°.    Langensalza,  H.  Beyer  &  Söhne. 

14.  Die  Überfüllung  der  gelehrten  Berufszweige.  Von  Dr.  Alb. 
Wittstock.  (37  8.)  Mk. -.50.  —  15.  Comenius  ».  Pestalozzi.  Fest- 
rede, geh.  v.  Prof.  O.  Hunziker.  (31  S.)  Mk.  —.40.  —  16.  Das  Recht 
der  Volksaufsicht.  Nach  den  Verhandlgn.  d.  Württemberg.  Kammer 
im  Mai  1891  v.  Dr.  E.  v.  Sallwürk.  (23  S.)  Mk.  -.25.  —  17.  Histo- 
rische Richtigkeit  u.  Volkstümlichkeit  im  Geschichtsunterricht.  Vor- 
trag von  Dr.  F.  Rossbach.  (32  S.)  Mk.  —.40.  —  18.  Lehrplan  der 
sechsstufigen  Volksschule  zu  Halle  a.  S.  für  den  Unterricht  in  Ge- 
schichte, Geographie,  Naturlehre,  Raumlehre,  Deutsch.  Aufgestellt  v. 
Rekt.  Dr.  Wohlrabe.  (32  8.)  Mk.  -.40.  —  19.  Die  Bedeutung  des 
Unbewußten  im  menschlichen  Seelenleben.  Von  H.  Roth  er.  (23  S.) 
Mk.  —.30. 

Masius,  Herrn.,  Bunte  Blätter.  Altes  und  Neues.  Halle  a.  S.  18!*2.  V, 
384  S.  8°.  Mk.  6.40.  —  Darin  u.a.:  Die  Einwirkung  d.  deutsch.  Huma- 
nismus auf  d.  deutsch.  Gelehrtensehulen.  —  Ulrich  Zwingli,  insbeson- 
dere als  Humanist  und  Pädagog.  —  Erasmus  als  Sittenlehrer. 

'tMollat,  Georg,  Mitteilungen  aus  Leibnizens  ungedruekten  Schriften. 
Neue  Bearbeitung.    Leipzig,  H.  Haessel.  1893. 

tPaulaon,  Einleitung  in  d.  Philosophie.    Berlin,  Hertz.    1892.    Mk.  4.50 

iPfleiderer,  Otto,  Die  Entwicklung  der  protest.  Theologie  in  Deutschland 
seit  Kant  und  in  Grofsbrittanien  seit  1825.    Freiburg,  Mohr.  1891. 

Christoph,  Karl,  Wolfgang  Ratkes  (Ratichius)  pädagogisches  Verdienst. 
Dias.   8°,  52  S.    Leipzig,  C.  F.  Fleischers  Sortiment.   Mk.  1. — . 

tBein,  W.,  Am  Ende  der  Schulreform  ?  Betrachtungen,  gr.  8°  (III,  92  S.). 
Langensalza,  H.  Beyer  &  Söhne.    Mk.  1.50. 

tRein,  Prof.  Dr.  W.,  Sem.-Lchr.  A.  Piokei  u.  E.  Soheller,  Theorie  u.  Praxis 
des  Volksachulnnterrichts  nach  Herbartsehen  Grundsätzen.  I.  gr.  8°. 
Leipzig,  H.  Bredt.  —  I.  Das  erste'Schuljahr.  Ein  theoretisch-prakt.  Lehr- 
gang für  Lehrer  u.  Lehrerinnen,  sowie  zum  Gebrauch  in  Seminareu. 
5.  Aufl.   (X,  280  S.)   Mk.  3.—. 

fReinhardt,  Die  Umgestaltung  des  höheren  Schulwesens.  Vortrag.  Frank- 
furt, Diesterweg.  1892. 

•Rosin,  Harkort,  Der  Tribun  der  preuss.  Volksschule.  Dortmund,  Rubfus. 
Mk.  1.—. 

Rühl,  F.,  Kant  über  den  ewigen  Frieden.  Rede.  Königsberg,  Leupold. 
1892.    15  S. 

f8ander,  F.,  Briefwechsel  Friedr.  Lückes  mit  den  Brüdern  Jacob  u.  Wilh. 
Grimm.    Hannover-Linden,  Manz  &  Lange.    1891.    Mk.  5.-. 

Bohaarsohmidt,  Dr.  Emil,  Die  Unsterblichkeit  der  Menschenseele.  Leip- 
zig, Max  Spohr.    1892.  (34  8.)  Mk.  —.60. 

Bchleiermacher,  Fr.,  Über  die  Religion.  Reden  an  die  Gebildeten  unter 
ihren  Verächtern.   7.  Aufl.   Berlin,  G.  Reimer.    Mk.  2.—. 


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94 


Xeuere  Erscheinungen. 


Heft  3. 


«Sehmoller,  O.,  Die  Lohr*»  vom  Reiche  Gottes  in  den  Sehriffen  des  Neuen 
Testament«.  Bearbeitung  einer  v.  der  Haager  Gesellschaft  zur  Ver- 
teidigung d.  christl.  Religion  gestellten  Aufgabe.  Leiden,  E.  J.  Brill.  1891. 

Servet.  M.,  Wiederherstellung  de»  Christentums.  1.  Bd.  Zum  erstenmal 
übersetzt  von  Dr.  Bernh.  Spiefs.  323  S.  Wiesbaden  1892.  Mk.  5.—. 

Theologie,  deutsche,  d.  i.  ein  «niles  Büchlein  v.  rechten  Verstände,  was 
Adam  und  Christus  sei  und  wie  Adam  in  uns  sterben  und  Christus 
erstehen  soll.  Mit  den  Vorreden  Dr.  Martin  Luthers  und  Joh.  Amds. 
2.  Aufl.   gr.  16».    179  S.    Stuttgart,  J.  F.  Steinkopf.    1892.   Mk.  1.60. 

•fThudichum,  F.,  Femgericht  und  Inquisition.    Giefsen  1869. 

•f—  Das  heilige  Femgericht.  Histor.  Zeitschrift,  hrsg.  v.  H.  v.  Sybel 
und  M.  Lehmann.    1892    68.  Bd.   S.  1-57. 

Stange,  Karl,  Die  christliche  Ethik  im  Verhältnis  zur  modernen  Ethik: 
Paulsen,  Wundt,  Hartmann.  Preisgekrönt  von  der  theol.  Fakultät  zu 
Göttingen  am  1.  Juni  1892.  gr.  4°.  VI,  99  S.  Göttingen,  Dieterichs 
Verlag.    1892.   M.  2.—. 

fStötsner,  Paul,  Beiträge  zur  Würdigung  v.  Joh.  Balth.  Schupps  lehrreichen 
Schriften.    III,  95  S.    Leipzig,  R.  Richter.   Mk.  1.80. 

Träger,  J.,  Die  Familienreohte  an  der  öffentl.  Erziehung.  Ein  Wort  der 
Verständigung  im  schnlpolit.  Kampfe.  2.  Aufl.  Mit  einem  Vorwort 
von  W.  Rt-iu.  gr.  8°.  IX,  104  S.  Langensalza,  Beyer  &  Söhne. 
1892. 

fUblig,  Dr.  G.,  Gymn.  Direkt.,  Die  Einheitsschule  mit  latcinlosem  Unterbau. 

XXIV,  104  S.   gr.  8°.    Heidelberg,  Winter.    1892.    Mk.  2.-. 
•Volksbibliothek,  religiöse,  hrsg.  vom  Bibliograph.  Bureau  zu  Berlin  unter 

Iiddaction  von  C.  Werekshagen.  I.  5.  8°.  Berlin,  Bibliogr.  Bureau. 

5.  Schleiermacher.    Eine  Auswahl  aus  seinen  Predigten,  Reden  und 

Briefen.   Zusammengestellt  und  eingeleitet  von  Pred.  Kurt  Stage. 

(IV,  95  S.) 

Walther,  Die  deutsche  Bibelübersetzung  des  Mittelalters.  Braunschweig. 
1890—1892. 

'fZieRler,  Th.,  Geschichte  der  christl.  Ethik.   Zweite,  durch  ein  Sachreg. 

vermehrte  Ausgabe.    8°.   XVI,  607  S.    Strasburg  i.  E.,  Verlag  von 

K.  J.  Trübner.    Mk.  9.—. 
+Ziegler,  Theob.,  Sittl.  Sein  u.  sittl.  Werden.    1891  od.  92. 
tZiegler,  Theob.,  Religion   und  Religionen.    Fünf  Vorträge.  Stuttgart, 

Cotta.    1893.   Mk.  2.-. 
*Ziller,  Tuiskon,  Allgemeine  Pädagogik.    Dritte,  neubearbeitete  und  mit 

Anmerkungen  versehene  Auflage  der  Vorlesungen  über  allgemeine 

Pädagogik,  hrsg.  von  Dr.  Karl  Just.  Leipzig,  Heinr.  Matthes.  1892. 
Zittel,  Karl,  Der  Sonntagabend.    Religiöse  Betrachtungen  für  denkende 

Christen,  hrsg.  von  D.  Emil  Zittel.  Dekan  in  Karlsruhe.  1.  Bd.  Berlin, 

G.  Reimer.    Mk.  4.—. 


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Nachrichten. 


Über  einen  interessanten  Handschriftenfond  berichtot  Herr 
Lehrer  Ed.  Peck  in  Holeschau  (Mähren)  in  der  Beilage  zu  Nr.  5  der 
tschechischen  Zeitschrift  „Komensky".  Herr  Prof.  Spohrer,  ehemalH 
Erzieher  beim  Grafen  von  Vrben,  jetzt  in  Holeschau  privatisierend, 
zeigte  dem  Berichterstatter  mehrere  alte  Handschriften  meist  in  btihm. 
Sprache,  die  er  in  Ungarn  erworben  hatte  und  bat  ihn,  da  er  selbst 
der  höhm.  Sprache  nicht  mächtig  ist,  um  nähere  Auskunft  Uber  die- 
selben.   Die  Sammlung  enthält  folgende  Stücke : 

1.  Zehn  Briefe  des  Comenim  an  Nik.  DrabiJc  aus  den  Jahren  1664 
—  1670.  viele  derselben  tragen  aufser  dem  Datum  des  Comenius 
Unterschrift  und  Siegel. 

2.  Die  Schrift  des  Comenius:  „Tlteatrum  universiiatis  rerwn,  t.  j. 
Divadlo  sveta  a  vSechnrch  vSudy  predivnjjch  veci  jeho,  kteree  na 
nebi,  na  zemi,  pod  zemi,  u  vodach,  v  povetrt  a  kdekoli  v  svtte 
jsou  aneb  se  drji  a  dfti  budou  od  poÖdtku  sveta  ai  do  skondni' 
jeho  a  a£  na  vvh/ vrkut\u  [Theatr.  univers,  rerum,  d.  i.  Schau- 
platz der  Welt  und  aller  ihrer  grofsen  Wunder,  die  am  Himmel, 
auf  Knien,  unter  der  Erde,  im  Wasser,  in  der  Luft  und  wo 
immer  sonst  in  der  Welt  sind  oder  geschehon  und  geschehen 
werden  von  Anfang  der  Welt  bis  zu  ihrem  Ende  und  bis  in 
Ewigkeit.]  Handschrift  1 10  S.  in  4°.  Vgl.  meine  Bücherkunde 
des  Comenius  Jahrg.  1892,  I.  Monatsheft  S.  20  Nr.  2. 

3.  Eine  tachech.  Übersetzung  der  Admonitio  fratema  des  Comenius. 
Vergl.  meine  Bücherkunde  a.  a.  0.  S.  47  Nr.  111. 

4.  Viele  Briefe  von  verschiedenen  Personen  (Junius,  Muratus,  Fabri- 
cius,  Medfiansky,  Veterinus  u.  a.)  an  Drabik. 

5.  Briefe  Drabiks  an  verschiedene  Personen  (Comenius,  Rotal, 
de  Geer  u  a.). 

6.  Tagebuch  Drabiks  von  1652—1668. 

7.  Zeugnis  des  Bürgermeisters  und  Rates  der  Stadt  Meseritech 
über  Drabiks  ehrenhafte  Geburt. 

8.  Ein  amtliches  Protokoll  mit  Drabik  in  Prefsburg,  worin  an- 
gegeben ist,  dafs  Comenius  „ex  pago  komniau  stamme  (latein.). 

9.  Verschiedeue  Briefe  der  Herren  von  Zerotin,  Georg  Rafanides, 


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06 


Nachrichten. 


Heft  3. 


Laurentius  de  Geer  (engl.)  und  der  Grafen  Pembrok  und  Mont- 
gomery  (engl.). 

10.  „Manuductio  in  reveiationum  Nicolai  Drabicii  considerationem 
quadripartüam  per  quaestiones  sucdnda." 

11.  Ein  Erlafs  des  Herrn  Georg  Rakoczi  an  die  Exulanten  aus 
Mähren,  unter  welchen  Bedingungen  sie  sich  auf  seinem  Grund 
ansiedeln  dürfen. 

12.  Synodalpredigten,  gehalten  bei  der  Weihe  und  Ordination  von 
Kirchendienern  der  BrUderunität. 

13.  Register  der  Eibenschlltzer  Brüdergemeinde  1600. 

14.  9Kra'tki/  spis  o  zlatetn  a  budouct'm  jiz  nastävajicim  veku,  sepsan>/ 
läa  1584  od  W.(ilima)  B.(udovce)  z  B.(udovau).  |Kurze  Schrift 
von  dem  goldenen  und  zukünftigen,  bereits  anbrechenden  Zeit- 
alter, geschrieben  im  Jahn«  1584  von  Wilhelm  Budovec  von 
Budova.] 

15.  Ein  grüfserer  Band  enthalt  folgende  Handschriften  : 

a.  „O  püvodu  jednoty  bratrske  a  rddu  v  ni.u  (Von  dem  Ur- 
sprung der  Brüderunität  und  der  Ordnung  in  ihr.] 

b.  „Sejjsäni  br.  Jana  Blahoslava  o  rozdüe  jednoty  bratrske  od 
luteryansJce."  [Schrift  des  Br.  Joh.  Blahoslav  von  dem  Unter- 
schied zwischen  der  BrUderunität  und  den  Lutheranern.] 

c.  „Zpräva  o  nauieni  tech,  kteri  od  nekterfich  Waldenskftmi 
naztfväni  byvajt  .  -  -  od  jich  StarMch  uöincna  Uta  1496." 
[Nachricht  von  der  Lehre  derer,  die  von  einigen  Waldenser 
genannt  werden  .  .  .  von  ihren  Ältesten  verfafst  im  Jahre 
1496.] 

d.  „0  mrzuiem  hr/chu  opilstv»  atd.u  [Von  der  haTslichen  Sünde 
der  Trunksucht  etc.]  1560. 

Die  übrigen  5  Schriften  finden  sich  auch  unter  den  Hand- 
schriften der  Unitätsbibliothck  in  Herruhut. 
Aufser  diesen  Handschriften  werden  noch  2  Druckschriften  ge- 
nannt : 

Orbis  8ensualium  jtidus  trilinguis  aus  dem  Jahre  1708  und 
die  von  Comenius  veranstaltete  Übersetzung  der  Offenbarungen 
Kotters  ins  Tschcchisüie.  S.  meine  Büchcrkunde  des  Comenius 
a.  a.  O.  S.  23  Nr.  18. 
Nach  neueren  Nachrichten    hat   das  böhm    Museum  in  Prag 
diese  ganze  Sammlung  von  Hand-  und  Druckschriften  für  600  fl. 
erworben  und  wird  demnächst  im  Casopis  ceskeho  Musea  eine  ein- 
gehendere Beschreibung  derselben  veröffentlichen.  J.  M. 

Die  Sammlung  von  Autographen  nnd  historischen  Dokumenten  aus  dem 

Besitz  des  Grafen  Ludwig  von  Paar,  die  am  20. — 25.  März  1898  durch  das 
Antiquariat  von  Albert  Cohn  iu  Berlin  (W.  Mohrcnstr  53)  versteigert 
worden  ist,  gehört  zu  den  merkwürdigsten,  die  je  in  den  Handel  ge- 
kommen sein  mögen.  Sie  enthält  auch  in  Bezug  auf  das  Forschungs- 
gebiet unserer  Gesellschaft  so  wichtige  Stücke,  dafs  wir  unsere  Leser 
auf  den  vorzüglichen  Katalog,  den  das  genannte  Antiquariat  kürzlich 


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1893. 


Nachrichten. 


97 


versandt  hat.  hinweisen  wollen.  Unter  Nr.  976  nnd  977  finden  sich 
zwei  Stücke  von  ConeniaM  Hand,  ein  lateinischer  Brief  an  Nigrinus  vom 
19.  September  1668,  worin  unter  anderem  von  der  Reise  Ilcsenthalers 
(s.  Monatshefte  1892,  Heft  4,  S.  237  ff.)  nach  England  und  Amsterdam  die  Rede 
ist,  und  ein  Stammbuchblatt  vom  20.  Mai  1651  für  Matthias  Zimmermann. 
Unter  Nr.  917  findet  «ich  ein  Brief  Luthers  an  Pirkheimer  vom  20.  Febr. 
1519,  also  aus  sehr  früher  Zeit,  wo  Luthers  Beziehungen  zu  den  Huma- 
nisten und  deren  Societäten  noch  sehr  freundschaftlicher  Art  waren.  L. 
schreibt:  „Den  in  Basel  erfolgten  Nachdruck  meiner  Schriften  wirst  Du 
gelesen  haben.  Sic  sind  so  gut  herausgegeben,  dufs  sie  mir  selbst  gefallen. 
So  haben  diese  vorzüglichen  Alchymisten  verstanden,  aus  Kupfer  Gold  zu 
machen.  Den  Sylvester  nennen  sie  sehr  drollig  den  Magirum  Pallacü 
statt  Magistrum  Pallacü"  u.  s.  w.  Ferner  sind  aus  der  Zeit  der  Reformution 
vertreten:  Melanchthon,  Graf  Herrn,  v.  Neuenahr,  Peutinger, 
Pirkheimer,  Reuchlin,  Eobanus  Hessus,  Savonarola,  Stau- 
pitz, Zwing  Ii,  Erasmus  u.  s.  w.  Aus  dem  17.  Jahrhundert  seien  Ca- 
lixtuB,  Dcscartes,  Aug.  Herrn.  Fraucke,  Kepler,  Leibniz,  Sau- 
bert und  Spener  genannt;  daran  schliefsen  sich  aus  unserem  Arbeits- 
gebiet Thomasius  uud  Zinzeudorf,  auch  Basedow,  Joachim 
H.  Campe  und  Job.  Gottl.  Fichte.  Besondere  Erwähnung  verdient  ein 
sehr  seltenes  Stück,  das  im  Katalog  auch  teilweise  facsimiliert  ist,  von 
Sebastian  Franc k.  Es  ist  ein  Brief  aus  dem  Jahre  1533  an  den  Bürger- 
meister von  Ulm,  worin  er  bittet,  ihm  das  Seifensieder-Handwerk  zu  ge- 
statten; er  wolle,  was  er  von  Gott  habe,  nicht  vergraben,  sondern  schrift- 
lich dem  Volk  Gottes  mitteilen;  in  diesen  gefährlichen  Zeiten  könne  er  das 
nicht,  wenn  er  mit  einem  Amt  „verstrickt"  sei  u.  s.  w.  Endlich  machen 
wir  auf  die  Stücke  Nr.  1235— 1247,  welche  Herder  betreffen,  noch  besonders 
aufmerksam;  es  sind  darunter  Briefe  an  Lavater  und  Fr.  H.  Jacobi  von  hohem 
persönlichen  und  sachlichen  Interesse.  So  schreibt  er  an  Jacobi  am 
29.  Mai  1783 :  „Wollen  Sic,  lieber  Jacobi,  so  schicken  Sie  mir  Ihre  Zeich- 
nung von  Hcmsterhuis  gezeichnet :  sie  soll  über  Lessings  Büste  in  meinem 
Zimmer  hangen,  in  dem  nichts  ist  als  Luther,  Hamann,  Lessing,  der  Graf 
und  die  Gräfin  von  Bückeburg  und  die  regierende  Herzogin1*  ....  Diese 
Proben  werden  zur  Charakteristik  der  wichtigen  Sammlung  vom  Stand- 
punkt unserer  Gesellschaft  aus  genügen. 


Amerikanisch«  Gesellschaft  für  Kirchengeschiehte.  Ein  eigen  .  ja  viel- 
leicht einzigartiger  Verein  ist  die  amerikanische  Gesellschaft  für  Kirchen- 
geschichte, die  nicht  auf  dem  Boden  eines  bestimmten  Bekenntnisses  steht, 
sondern  Glieder  aller  in  Amerika  vertretenen  kirchlichen  Gemeinschaften 
umfafst.  Diese  Gesellschaft  wurde  vor  vier  Jahren  gegründet  und  zählt 
jetzt  140  Mitglieder.  I-He  letzte  Jahresversammlung  wurde  am  29.  und 
30.  Dezember  1891  in  der  Columbischen  Universität  zu  Washington  abge- 
halten. Unter  den  zur  Verlesung  gekommenen  Abhandlungen  waren 
folgende  von  besonderm  Luteresse:  „Die  religiösen  Motive  des  Christoph 
Columbu»1-  von  W.  K.  Gill  et,  Professor  an  der  Uuiversität  Newyork. 

Sehr  eigenartig  war  der  Vortrag  des  Professors  Th.  Davidson,  eben- 
falls aus  Newyork,  über  „Christliche  Einigkeit  nnd  das  Himmelreiche 


98 


Nachrichten. 


Heft  3. 


nDie  Verteilung  Amerikas  durch  päpstliche  Bullen"  behandelte  Pro- 
fessor J.  Gordon  vom  theologischen  Seminar  zu  Omaha,  Nebraska.  Er 
zeigte,  wie  der  Papst  die  einzelnen  Teile  Amerikas  willkürlich  an  Könige 
und  Fürsten  verteilte,  und  dafs  in  frühern  Zeiten  da*  Besitzrecht  oft  auf 
diese  päpstlichen  Verwilligungen  gestützt  wurde. 

Der  in  der  lutherischen  Kirche  bekannte  Verfasser  der  Geschichte  des 
Ministeriums  von  Newyork,  Pastor  Nie  um,  veranlagte  durch  einen  ge- 
schichtlichen Überblick  über  die  Lehrentwicklung  der  evangelisch-lutheri- 
schen Kirche  in  Amerika  eine  lebhafte  Besprechung. 

Mit  grofsem  Interesse  lauschte  man  auch  den  Worten  von  Barr 
Ferren'  ans  Newyork,  dessen  Vortrag  den  „christlichen  Gedanken  in  der 
Baukunst"  behandelte. 

Am  zweiten  Tage  der  Versammlung  fand  mich  einem  Empfang  bei 
Präsident  Harnson  im  Kapitol  die  Aufnahme  neuer  Glieder  statt,  darunter 
die  beiden  Professoren  der  Kirchengeschichte  an  der  neuen  katholischen 
Universität  zu  Washington,  und  des  Herrn  H.  K.  Carroll,  des  Spezial- 
ugenten  der  Regierung  zur  Sammlung  der  kirchlichen  Statistik. 

Die  wichtigste  Handlung  der  Gesellschaft  war  der  Besehlufs,  eine 
Geschichte  aller  religiösen  Gemeinschaften  Amerikas  herauszugeben.  Als 
Publikations-Komite  wurden  ernannt  Dr.  Ph.  Schaff,  die  Bischöfe 
Hurst  und  Potter,  Professor  Fischer,  Dr.  Wolf  und  die  Pastoren 
H.  C.  Vetter  und  S.  M.  Jackson.  Diese  haben  die  Aufgabe,  geeignete 
Persönlichkeiten  zur  Abfassung  von  Monographien  aus  den  verschiedenen 
Kirchenkörpern  zu  wählen  und  die  Herausgabe  des  ganzen  Werkes  zu,  be- 
aufsichtigen. Diese  Kirchengeschiehte  ist  auf  mindestens  zehn  Bände  zu 
je  etwa  500  Seiten  berechnet.  Der  Geschichte  der  gröfsern  Kirchen  (Bap- 
tisten, Kongegrationalisten,  Lutheraner,  Methotlisten,  Presbytcrianer,  Episko- 
palen und  römischen  Katholiken)  wird  je  ein  Band  gewidmet,  zwei  oder 
mehr  Bände  den  kleineren  Kirchen  und,  wenn  thunlich,  ein  Band  einer 
gedrängten  Geschichte  der  christlichen  Kirche  in  Amerika,  worin  nament- 
lich auch  die  Beziehungen  zu  Europa,  die  charakteristischen  Merkmale  des 
amerikanischen  Kirchenweseus,  das  Verhältnis  der  Kirche  zum  Staat  be- 
handelt werden  sollen.  Eine  Reihe  anerkannt  tüchtiger  kirchlicher  Schrift- 
steller hat  bereits  ihre  Mitwirkung  zu  dem  Werke  zugesagt.  Wir  nennen: 
für  die  lutherische  Kirche  Professor  H.  E.  Jakobs,  die  römisch-katholische 
Kirche  Professor  Tb.  O'Gorman,  die  deutsch -reformierte  Professor 
.1.  H.  Dubbs.  (Chronik  d.  christl.  Welt.) 


Die  „Theologischen  Studien  und  Kritiken",  Jahrg.  1898,  Heft  1, 
S.  125  ff.  bringen  einen  Artikel  über  J  ean  de  Labadie  und  die  Brüder- 
gemeinde, den  wir  der  Beachtung  unserer  Leser  empfehlen.  Der  Ver- 
fasser —  Max  Bajorath  —  hat  die  Geschichte  der  Labadieschen  Genieinde- 
stiftuug  nnd  der  Gemeinde  Zinzendorfs  genau  studiert,  und  der  mit  grofser 
Unbefangenheit  durchgeführte  Vergleich  beider  Gründungen  bietet  inter- 
essante Punkte  genug  dar.  Labadie,  geb.  1610,  gehörte  einer  vornolunen 
französischen  Adelsfamilie  an,  war  im  Jesuitenkolleg  zu  Bordeaux  erzogen 
und  blieb  Mitglied  des  Ordens  bis  zum  Jahre  1040;  im  Jahre  1650  trat 
er  in  Montnnban  zu  den  Reformierten  über.    Die  Schicksale  Zinzendorfs 


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1893. 


Nachrichten. 


99 


sind  bekannt:  merkwürdig  ist,  dafs  er  seit  seinem  Pariser  Aufenthalt  (1719 
bis  1721)  mit  eben  den  Kreisen  in  naher  Fühlung  stand,  mit  denen  einst 
auch  Labadic  befreundet  gewesen  war.  Wir  können  hier  auf  die  Ergeb- 
nisse des  Vergleichs,  der  zu  Gunsten  der  Brüdergemeinde  ausfallt,  nicht 
näher  eingehen.  Nur  ein«  Mollen  wir  hervorheben.  In  den  heute  üblichen 
Darstellungen  dieser  „Schwärmer"  wird  deren  „Weltflucht"  und  ihr  Gegensatz 
gegen  das  reformatorische  Lebensideal  betont.  Hajorath  ist  auf  Grund 
seiner  sorgfältigen  Untersuchungen  zu  anderen  Ergebnissen  gelangt.  Bei 
aller  Betonung  sittlicher  Lebensführung  blieben  beide  Gemeinschaften  den 
Geschäften  des  Tags  und  dem  „geselligen  Leben"  zugewandt.  „Sowohl 
die  Labadisten  wie  besonders  die  Herrnhuter  sehen  wir  als  tüchtige  Ar- 
beiter, brauchbare  und  gewissenhafte  Handwerker,  ernsthafte  Lehrer,  Arzte 
und  Beamte  geachtet  und  geschätzt".  Und  in  Zinzendorf  erkennt  der  Ver- 
fasser (S.  166)  ^tatsächlich  einen  Nachfolger  der  Reformatoren,  „der  in  der 
Gemeinde  wieder  religiöses  Interesse  und  aufrichtige  Bestätigung  warmer 
Herzensfrömmigkeit  weckte." 

Ein  Lehrstuhl  fiir  ^Geschichte  de»  Christentums"  ist  an  der  Universität 
Rom  neu  geschaffen  und  durch  einen  Erlafs  des  Unterrichtsntinisters  Marti  ni 
zum  erstenmale  definitiv  besetzt  worden.  Berufen  wurde  Prof.  B.  Labanca, 
seither  Lehrer  der  Moralphilosophie  an  der  Universität  Pisa.  Ein  Teil 
der  italienischen  Presse  begrüfst  diese  Thatsache  freudig  und  spricht  die 
Hoffnung  aus,  das  Studium  der  Geschichte  des  christlicheus  Glaubens  und  • 
Lebens  werde  den  Gebildeten  die  Fragen  der  Religion  wieder  näher  bringen. 


Programm  4er  Teylerschen  Theologisehen  Gesellschaft  zu  Haarlem, 
für  das  Jahr  1893.  —  Die  Direktoren  der  Teylerschen  Stiftung  und  die 
Mitglieder  der  Teylerschen  Theologischen  Gesellschaft  haben  in  ihrer 
Sitzung  vom  21.  October  1892  ihr  Urteil  abgegeben  über  die  vier  bei  ihnen 
eingegangenen  Abhandlungen  zur  Beantwortung  der  zwei  ausgeschriebenen 
Preisfragen.  Sie  hatten  verlangt  eine:  „Geschichte  der  niederlän- 
dischen Bibelübersetzung  vorder  Staaten bibel,"  und  erhielten 
darauf  eine  Antwort  in  holländischer  Sprache  mit  einem  aus  Jerem.  XXIII, 
29  entlehnten  Motto. 

Wurde  auch  des  Autors  Fleifs  und  Ausdauer  gern  anerkannt  und  ge- 
lobt, so  konnte  doch  das  Endurteil  nicht  anders  als  ungünstig  ausfallen 
und  ihm  der  Preis  nicht  zuerkannt  werden. 

Die  drei  anderen  Abhandlungen  behandelten  die  Frage:  „Welches 
ist  nach  christlichen  Principien  das  wünschenswerteste 
Verhältnis  zwischen  Philanthropie  und  S taats sorge?" 

Auch  diesen  Abhandlungen  konnten  die  Direktoren  einen  Preis  nicht 
zuerkennen. 

Darauf  beschlofs  man,  als  Preisaufgabe  zu  stellen: 

„Eine  Geschichte  der  niederländischen  Bibelüber- 
setzung  bis   zur   Herausgabe    der   Übersetzung  nach 
Luther  im  Jahre  1523", 
und  den  Ablieferungstermin  auf  zwei  Jahre  hinauszuschieben,  so  dafs  die 
Arbeiten  vor  dem  1.  Januar  1895  erwartet  werden. 


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H"»0 


Nachrichten. 


Heft  3. 


Als  neue  Preisfrage,  w  orauf  die  Antworten  vor  dem  1.  Januar  1894 
eingesandt  werden  müssen,  wird  angeboten: 

„Ziemlich  allgemein  wird  angenommen,  dafs  mehrere 
bei  den  Juden  nach  dem  Exil  vorkommende  Vorstellun- 
gen, namentlich  betreffend  die  Esehatologie,  die  Au- 
gelologie  und  die  Demonologic,  dem  Einfluf*  de»  Pär- 
sismus  zuzuschreiben  sind. 

Inwiefern  ist  diese  Hypothese  hinreichend  begrün- 
det, oder  ist  es  möglich,  die  genannten  Vorstellungen 
ganz  oder  teilweise  aus  der  inneren  Ent  Wickelung  der 
Israelitischen  Religion  befriedigend  zu  erklären?" 
Der  Preis  besteht  in  einer  goldenen  Medaille  von  fr.  400  an  innerem 
Wert, 

Man  kann  sich  bei  der  Beantwortung  des  Holländischen,  Lateinischen, 
Französischen ,  Englischen  oder  Deutschen  (nur  mit  Lateinischer  Schrift) 
bedienen.  Auch  müssen  die  Antworten  vollständig  eingesandt  werden, 
da  keine  unvollständigen  zur  Preisbewerbung  zugelassen  werden.  Alle  ein- 
geschickten Antworten  fallen  der  Gesellschaft  als  Eigentum  anheim,  welche 
die  gekrönte,  mit  oder  ohne  Übersetzung,  in  ihre  Werke  aufnimmt,  sodafs 
die  Verfasser  sie  nicht  ohne  Erlaubnis  der  Stiftung  herausgeben  dürfen. 
Auch  behält  die  Gesellschaft  sich  vor,  von  den  nicht  preiswürdigen  nach 
Gutfinden  Gebrauch  zu  machet),  mit  Verschweigung  oder  Meldung  des 
Namens  der  Verfasser,  doch  im  letzten  Falle  nicht  ohne  ihre  Bewilligung. 
Auch  können  die  Einsender  nicht  anders  Abschriften  ihrer  Antworten  be- 
kommen als  auf  ihre  Kosten.  Die  Antworten  müssen  nebst  einem  ver- 
siegelten Namenszettel,  mit  einem  Denkspruch  versehen,  eingesandt  werden 
an  die  Adresse:  Fundatiehuis  van  wijlen  den  Heer  P.  Teyler  van  der 
Hülst,  te  Haarlem. 


Die  I'renr»if<chen  Jahrbücher  sind  mit  Beginn  ihres  36.  Jahrg.  (1893) 
aus  dem  Verlag  von  Georg  Reimer  in  den  von  Walther  in  Berlin  über- 
gegangen. Mit  diesem  Wechsel  hat  sich  zugleich  eine  Änderung  des  Pro- 
gramms vollzogen.  Während  die  Jahrbücher  früher  nur  Originalaufsätze 
brachten,  wollen  sie  in  Zukunft  auch  aus  den  Fachzeitschriften  solche 
„Schätze  der  Wissenschaft  heben,  deren  künstlerische  Form  sie  geeignet 
macht,  nicht  nur  dem  Fachmann,  vielmehr  der  Nation  Lieht  zu  spenden4*. 
In  Ausführung  dieses  Vorhabens  bringt  das  Januarheft  den  Wieder- 
abdruck einer  Abhandlung,  welche  Ad.  Harnack  in  den  Sitzungs- 
berichten der  Berliner  Akademie  über  die  neuentdeckten  Bruchstücke 
des  Evangeliums  u nd  der  A pokaly  pse  des  Petrus  hatte  erscheinen 
lassen.  Der  Umfang  der  Jahrbücher  wird  vergröfsert  und  der  Preis  von 
18  auf  20  Mk.  erhöht.  Die  Schriftlcitung  führt  wie  bisher  Prof.  H.  Del- 
brück. Heft  1  enthält  aufser  dem  genannten  Wiederabdruck  Aufsätze 
vou  Delbrück,  Rud.  Hildebrand,  Will.  Scharling,  Alex.  Tille  und  Rud.  Wach; 
letzterer  handelt  über  die  Beschimpfung  von  Religiousgesellschafteu. 


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1893. 


Nachricht««!). 


101 


Entgegnung. 

In  dem  Aufwitz«'  rDas  Verhältnis  der  Didartiea  magna  des  Comenius 
zur  Didaktik  Ratkes"1  (Monatshefte  der  Comenius-GeselIs«haft  III,  S.  176 
gedenkt  der  Verfasser  —  Herr  A.  Israel  —  der  Arlioit  de»  Unterzeichneten 
über  Comenius  in  einer  Weif»«',  die  ein  Schweigen  unmöglich  macht.  Ich 
habe  auf  S.  89  meine«  Buches  von  einer  „Schrift"  Ratkes  (De  studiorum 
rectificanda  methodo  consilium)  gesproch«>n  und  zwar  lediglich  deshalb,  um 
Comenius'  eigene  Angabe  (Opp.  did.  I,  3)  hervorzuheben.  Ob  die  Worte 
De  studiorum  etc.  Bruchteil  gewesen  sind  oder  nicht,  ist  gleichgültig;  sie 
decken  sich  mit  dem  Inhalte  dessen,  was  Comenius  in  Herboru  von  Ratke 
gelernt  hat,  und  «las  ist  die  Hauptsache.  Herr  Israel  behauptet  nun,  ich 
hätte  wahrscheinlich  die  Bezeichnung  „Schrift  Ratkes"  von  Dr.  G.  A.  Lindner 
entlehnt;  diese  Annahme  trifft  nicht  zu,  da  ich  das  in  Frajje  kommende 
Buch  Lindners  nur  dem  Titel  nach  kenn«'.  Die  Herrn  Israel  anstüfsige 
Benennung  ist  aber  schon  vor  Lindner  gebraucht  und  üblich  gewesen,  wie 
••in  Blick  in  die  Schrift  Eugen  Pappenheims  „Arnos  Comenius,  der  Be- 
gründer der  neuen  Pädagogik".  Berlin  1871  (S.  3)  beweist.  Ganz  dieselbe 
Bezeichnung  wählt  auch  Dr.  Th.  Lion  in  dem  10.  Bande  der  Bibliothek 
pädagogischer  Klassiker  (Langensalza,  H.  Beyer,  1*7"»)  S.  10.  Seit  dieser 
Zeit  ist  der  bequeme  Ausdruck  „Schrift  Ratkes"  in  Anwendung  gekommen. 
Da  Comenius  schon  vor  Ablauf  des  Jahres  11512  Herboru  verliefs,  so  kann 
unter  der  „Schrift  Ratkes"  nur  dessen  Memorial  an  den  Reichstag  ver- 
standen werden,  denn  die  Bericht«'  der  Jenenser  und  Giefsener  Akademieen 
erschienen  zu  einer  Zeit,  da  sich  Comenius  schon  in  Heidelberg  aufhielt. 

Die  als  wahrscheinlich  bezeichnete  Anlehnung  an  Lindner  glaubt  Herr 
Israel  auch  in  der  Anführung  der  9  Artikel,  smf  welchen  Ratk»?s  Lehr- 
kunst beruht,  entdeckt  zu  haben.  Lindner  hat  dieselben  angeblich  aus 
Raumers  Geschichte  der  Pädagogik  geschöpft.  Herr  Israel  hätte  «las  auch 
bei  mir  annehmen  können.  Nach  Räumers  Vorgange  (Bd.  II,  S.  30—36, 
Stuttgart  1*43)  ist  die  Annahme  von  9  Punkten  geläufig  geworden.  Hätte 
ich  ein  weitschichtiges  Werk  über  Comenius  schreiben  wollen,  so  würde 
ich  nicht  ermangelt  haben,  sämtliche  Artikel  aufzuführen.  Die  Schrift 
Schumanns  „Die  echte  Methode  Ratkes"  ist  in  Hannover  erschienen.  Ich 
hatte  nur  diejenig«'n  Punkte  ins  Auge  zu  fassen,  die  zu  einer  Parallele 
zwischen  Ratke  und  Comenius  geeignet  erschienen.  Aus  diesem  Grunde 
schlofs  ich  ausdrücklich  zwei  der  angeführten  Punkt«-  aus,  was  Herr  Israel 
verschweigt.  Schumann  führt  in  seiner  Geschichte  der  Pädagogik  10 
Punkte  an:  ich  nahm  j«'doch  Abstand,  Ratkes  Grundsatz:  „Alles  mit  vor- 
hergehendem G«'bet*  in  einer  Arbeit  über  Comenius  zu  erwähnen;  man 
hat  schon  vor  Ratke  die  Schule  mit  Gebet  angefangen.  — 

Den  Schlufs  d«\s  Vergleichs  bilden  folgende  Sätze,  die  zwar  nicht  mit 
^Anlehnung  an  Lindner"  bezeichnet  sind,  aber  dafür  auch  desto  weniger 
Gnade  in  den  Augen  des  Herrn  Reeensenten  fanden:  „Ratke  ward  bei 
seinen  pädagogischen  Bestrebungen  vom  Glücke  nicht  so  begünstigt  wie 
sein  jüngerer  Zeitgenosse;  er  mufste  es  noch  erleben,  dafs  die  Comenia- 
nischen  Schriften,  besonders  die  grofse  Unterrichtslehre  und  ndie  geöffnete 
Sprachenthür'  seine  Erfolge  nicht  nur  in  den  Schatten  stellten,  sondern 
bald  in  das  Me«  r  der  Vergessenheit  gelangen  li«  fs«  n.    Da  ich  nun  selbst 


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102 


Nachrichten. 


Heft  3. 


8.  M9  anführte,  dafs  Ratke  1635  starb,  die  grofse  Uuterrichtslehre  aber  erat 
1657  im  Druck  erschien,  da  ferner  die  Janua  erst  4  .Jahre  vor  Ratkes  Tod 
vollendet  wurde,  so  war  damit  für  Herrn  Israel  der  Beweis  der  Urteils- 
losigkeit des  Verfassers  vorhanden!  Ich  erlaube  mir,  folgenden  Gedanken- 
gang, der  jene  beanstandeten  Sätze  hervorrief,  darzulegen. 

Die  grofsc  Unterrichtslehrc  ward  schon  in  den  Jahren  1627— 162* 
vollendet,  und  Coinenius  war  kein  Geheimniskrämer,  wie  Ratke,  der  aus 
allerhand  Gründen  sich  auf  keinerlei  Mitteilung  einliefe.  Comenius  stand 
vielmehr  in  engem  Verkehr  mit  der  gelehrten  Welt:  ihm  war  der  Ge- 
dankenaustausch geradezu  ein  Bedürfnis.  Männer,  wie  Georg  und  David 
Vechner,  J.  Ravius  in  Gera,  L.  Schneider  in  Leipzig,  S.  Evenius  in 
Weimar,  J.  Mockinger  in  Danzig,  J.  Docem  in  Hamburg  und  Samuel 
Hartlieb  in  London  waren  über  die  Bestrebungen  und  Erfolge  des  Co- 
menius auf  das  genaueste  unterrichtet  und  sorgten  in  ihren  Kreisen  für 
die  weitere  Ausbreitung  der  Comenianischen  Ideen.  Hartlieb  war  von  dem 
schliefslichen  Erfolge  der  Comenianischen  Bestrebungen  so  sehr  überzeugt, 
dafs  er  den  Plan  fafste,  eine  Art  Gelehrtenkollegium  nach  den  Ideen  de.« 
Baco  von  Verulam  zu  gründen,  das  aus  den  hervorragendsten  Gelehrten 
Europas  zusammengesetzt  werden  und  Comenius  zum  Leiter  haben  sollte. 
Comenius  war  ferner  seit  1614  im  Dienste  der  Schule  thätig  und  unab- 
lässig bemüht,  das  Schulwesen  der  Brüderunität  zu  heben.  Dafs  dabei  die 
Geistlichen  und  Lehrer  derselben  iu  den  Ideengang  des  Comenius  ein- 
geweiht wurden,  mithin  auch  Kenntnis  von  dem  Inhalte  der  Didaktik  und 
Janua  erhielten,  versteht  sich  von  selbst.  Hierdurch  wurde  die  Kenntnis 
der  Schriften  des  Meisters  ungleich  mehr  gefördert,  als  durch  eine  Druck- 
legung derselben  in  damaliger  Zeit  geschehen  konnte.  Nur  so  ist  es  zu 
verstehen,  dafs  die  Janua  in  kurzer  Zeit  eine  so  beispiellose  Verbreitung 
finden  konnte.  Schon  im  Jahre  1642,  also  7  Jahre  nach  Ratkes  Tode,  be- 
richtet der  Orientalist  J.  Gallus  in  Leyden  dem  Comenius,  dafs  die  Janua 
in  das  Arabische  übersetzt  sei  und  den  Mohammedanern  so  sehr  gefiele,  dafs 
Übersetzungen  in  da«  Türkische,  Persische  und  Mongolische  in  Aussicht 
stünden.  Man  kann  also  doch  wohl  sagen,  dafs  die  Janua  bereits  1635 
Ratkes  Erfolge  habe  in  den  Schatten  stellen  können. 

Schliefslich  sei  noch  erwähnt,  dafs  Comenius  vergeblich  versuchte, 
einen  Briefwechsel  mit  Ratke  anzuknüpfen  (1629).  Liegt  die  Annahme  so 
fern,  dafs  Comenius,  um  einen  Gedankenaustausch  anzuregen,  die  Resultate 
seiner  jahrelangen,  mühsamen  Arbeit  dem  Ratke  mitteilte?  Ratke  war  nach 
dem  bösen  Ausgange  des  Unternehmens  in  Kothen  in  seinem  Ansehen 
schwer  geschädigt;  die  Blicke  der  um  das  Wohl  der  Schule  besorgten 
Männer  wandten  sich  einem  neuen  Sterne  zu,  vor  dessen  Glänze  das  Licht, 
das  Ratke  angezündet  hatte,  schnell  erblafste  —  dem  Comenius. 

Ich  weifs  sehr  wohl,  dafs  meine  Arbeit  über  Comenius  nicht  ohne 
Mängel  ist,  und  bin  wohlwollenden  Beurteil ern  gegenüber  sehr  dankbhr 
gewesen,  unberechtigte  Ausstellungen  dagegen  werden  mich  zur  Abwehr 
allzeit  bereit  finden. 

Hannover,  14.  Februar  1893.  W.  Kayser. 

Auf  die  vorstehende  Entgegnung  habe  ich  folgendes  zu  erwidern: 
1.  In  seinein  Buche  schreibt  Herr  Kayser:   .Ratkes  Schrift:  De 


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1893. 


Nachrichten. 


103 


studiorum  rectificanda  methodo  consilium  (Ratschläge,  die  Verbesserung  des 
Lehrverfahrens  betreffend),  welche  von  den  Giefsener  Professoren  Hclwig 
und  Jung,  sow  ie  von  den  Jenaischen  Gelehrten  Grawer ,  Brendel,  Walter 
und  Wolf  günstig  beurteilt  worden  war,  lernte  Comenius  . .  1612  kennen." 
In  seiner  Entgegnung  lesen  wir:  „Seit  dieser  Zeit  ist  der  bequeme  Auf- 
druck „Schrift  Ratkes"  in  Anwendung  gekommeu.  Da  Comenius  schou 
vor  Ablauf  des  Jahres  1612  Herborn  verlief»,  so  kann  unter  der  „Schrift 
Ratkes"  nur  dessen  Memorial  an  den  Reichstag  verstanden  werden,  denn 
die  Berichte  der  Jenenser  und  Giefsener  Akademieen  erschienen  zu  einer 
Zeit,  da  sich  Comenius  schon  in  Heidelberg  befand. Herr  Kayser  scheint 
gar  nicht  zu  bemerken,  dafs  seine  neuerliche  Auslassung  der  früheren 
vollkommen  widerspricht.  Ich  kann  nach  wie  vor  nicht  unterlassen, 
ihn  und  natürlich  auch  alle  anderen,  auf  die  er  sich  beruft,  in  dem  Ge- 
brauche des  bequemen  Ausdruckes  „Schrift  Ratkes"  zu  stören.  Hätte  er 
„Vogts  Quellen  zur  Geschichte  des  Didaktikers  V  Ratichius"  zu  Rate  ge- 
zogen oder  hätte  er  in  einer  Bibliothek  nachgefragt,  so  hätte  er  erfahren, 
dafs  es  eine  Schrift  Ratkes  De  stitdiorum  etc.  nicht  giebt. 

Übrigens  ist  es  selbstverständlich,  dafs  es  auch  nicht  erlaubt  ist,  unter 
diesem  Titel  Ratkes  Memorial  zu  verstehen,  das  gar  kein  Buch  ist  und 
dem  Titel  De  studiorum  gar  nicht  entspricht. 

2.  Es  ist  mir  nicht  sehr  wahrscheinlich,  dafs  Herr  Kayser  die  auch 
von  mir  angezogene  Schrift  Schumanns  benutzt  hat,  denn  es  könnte  ihm 
dann  nicht  entgangen  sein,  dafs  Schumann  die  Ausgabe  der  Methodus 
quadruplex  von  1617  vor  sich  hatte,  während  Raumer  nur  die  von  1626 
kannte,  und  es  bleibt  mir  völlig  unerfindlich,  warum  er,  da  er  doch  seinen 
Abschnitt  „Comenius -Qu eilen*4  überschrieben  hat,  diese  wirklich«* 
und  fast  einzige  Quelle,  aus  der  Comenius  seine  Kenntnis 
der  Lehrkunst  Ratkes  geschöpft  hat.  nicht  angezogen  hat. 
Seine  Aufzählung  der  „neun  Punkte"  deckt  sich  bis  auf  geringfügige 
sprachliche  Abweichungen  genau  mit  der  Aufzählung  bei  Raumer  und 
Lindner. 

Wenn  daher  Herr  Kayser  oben  schreibt:  „Aus  diesem  Grunde  schlofs 
ich  ausdrücklich  zwei  der  angeführten  Punkte  aus,  was  Herr  Israel  ver- 
schweigt", so  ist  das  ganz  unverständlich:  weder  hat  Herr  Kayser  weniger 
Punkte  aufgezählt  als  Raumer  und  Lindner,  noch  hatte  ich  etwas  zu  ver- 
schweigen ! 

3.  Die  Didactica  magna  ist  allerdings  1628  vollendet  worden,  aber  be- 
kanntlich in  böhmischer  Sprache!  Die  Übersetzung  ins  Lateinische 
erfolgte  drei  Jahre  nach  Ratkes  Tode,  der  Druck  22  Jahre  später.  Ob 
meine  Ausstellungen  an  den  Kaysersehen  „Quellenangaben"  demnach  „un- 
berechtigt" waren,  mufs  ich  dem  Urteil  der  Leser  anheimstellen. 

Zschopau,  10.  März  189:1.  Israel. 


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PitWiK-he  Hon>ucbdruck«r«i.   Stephan  0«ib«l  k  Co.  in  AUenburg. 


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Monatshefte 

der 

Comenius  -  Gesellschaft. 


IL  Band.  —  1893.  —  Heft  4  u.  5. 


Goethes  religiöse  Entwicklung. 

Dargestellt  von 
Prof.  Dr.  W.  Heinzelmann  in  Erfurt. 


Wenn  es  die  Aufgabe  dor  Comenius-Gesollschaft  ist,  für  alle 
diejenigen  Bestrebungen  wissenschaftlicher  und  praktischer  Art 
einen  zusammenfassenden  Mittelpunkt  zu  bilden,  welche  auf  die 
Pflege  und  Förderung  einer  den  Anforderungen  und  Bedürfnissen 
der  Neuzeit  entsprechenden,  zugleich  echt  menschlichen  und  echt 
christlichen  Volkserziehung  und  -Bildung  im  weitesten  und 
tiefsten  Sinne  des  Wortes  gerichtet  sind,  wenn  sie  zu  diesem 
Behufe  ihre  Aufmerksamkeit  besonders  den  bedeutenden  Männern 
der  Vergangenheit  zuwendet,  welche  im  Sinne  und  Geiste  des 
Comenius  das  Ziel  allgemein  menschlicher  Bildung  auf  dem 
Grunde  einer  ebenso  weitherzigen,  über  dem  Streite  der  Parteien 
und  Konfessionen  erhabenen,  als  sittlich  fruchtbaren  christlichen 
Denkweise  zu  erreichen  suchten  und  in  dieser  Richtung  bahn- 
brechend und  erziehend  auf  Mit-  und  Nachwelt  eingewirkt  haben, 
so  dürfen  neben  den  im  Programme  der  C.-G.  verzeichneten 
Männern  unsere  drei  grofsen  klassischen  Dichter  Lessing,  Schiller 
und  Goethe  einen  wohlbegründeten  Anspruch  darauf  erheben, 
auch  ihrerseits  in  diesen  Blättern  berücksichtigt  zu  werden. 

Vor  allem  steht  hier  wohl  unser  gröfster  deutscher  Dichter 
als  Begründer  einer  Weltliteratur  in  seiner  ganzen  religiösen 
und  sittlichen  Denkweise  dem  auf  ein  Völker  und  Zeiten  um- 

MoBfcUkofto  in  Comenin»-Of»ell«chafl.   1898.  8 


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106 


Heinzelmann, 


Heft  4  u.  5. 


spannendes  Christentum  der  That  abzweckenden,  echt  welt- 
bürgerlichen  Gesinnung  des  Comenius  am  nächsten.  Es  ist  be- 
kannt, wie  Qoethe  selbst  im  kleinen  Kreise  sich  oft  und  gern 
als  Erzieher  versuchte,  wie  sein  Geist  sich  stets  mit  besonderer 
Teilnahme  pädagogischen  und  didaktischen  Fragen  zuwandte1)- 
Aber  weit  höher  als  diese  im  engeren  Sinne  erziehende  und 
erziehungswissenschaftliche  Thätigkeit  sind  die  bedeutenden  er- 
ziehlichen Einwirkungen  anzuschlagen ,  die  noch  jetzt  fort  und 
fort  von  ihm  durch  Vermittelung  seiner  poetischen  und  prosaischen 
Meisterwerke  auf  die  weiten  Kreise  der  Gebildeten  unseres  Volkes, 
sowie  aller  Kulturvölker  ausgehen.  Und  nicht  gering  dürfen  wir 
diejenigen  Nachwirkungen  anschlagen ,  welche  sich  auf  dem  be- 
deutsamsten und  umfassendsten,  für  das  sittliche  Handeln  über- 
haupt, wie  insbesondere  für  das  Werk  der  Erziehung  im  engeren 
Sinne  mafsgebenden  Gebiete  des  religiösen  Lebens  bewegen. 

Es  ist  wahr,  Goethes  Stellung  zu  den  höchsten  Fragen  des 
Lebens  ist  in  den  drei  Perioden,  die  man  in  seinem  Dichten  und 
Denken  unterscheidet,  eine  verschiedene,  und  wer  ihn  nach 
einzelnen  mündlichen  oder  brieflichen  Aufserungen,  nach  einzel- 
nen, vorübergehende  Stimmungen  und  zeitweilige  Anschauungen 
widerspiegelnden  poetischen  Ergüssen  beurteilen  wollte,  würde 
einen  geteilten,  ja  nicht  selten  befremdenden  Eindruck  em- 
pfangen. Die  widersprechendsten  Urteile  von  rechts  und  von 
links  hat  der  Dichter  daher  über  sich  ergehen  lassen  müssen, 
sobald  es  sich  um  seine  Stellung  zum  Christentum  handelte. 
Aber  es  ist  eben  verfehlt  und  unstatthaft,  den  Genius  mit  der 
Elle  eines,  ob  auch  noch  so  schulgerechten  dogmatischen  oder 
kritischen  Alltagsverstandes  messen  zu  wollen.  Je  tiefer  eine 
Persönlichkeit  angelegt  ist,  je  gewaltigere  Gegensätze  in  ihr  ver- 
einigt sind,  desto  mehr  darf  sie  fordern,  lediglich  nach  sich  selbst 
beurteilt  zu  werden,  und  nur  dem  echt  geschichtlichen  Sinne, 
der  es  gelernt  hat,  sich  liebend  in  fremde  Eigentümlichkeiten 
zu  versenken,  und  der  es  versteht,  mit  philosophischem  Blick 
die  einzelnen,  sich  scheinbar  widersprechenden  Momente  der 
Entwicklung  im  grofsen  Zusammenhange  des  Ganzen  zu  schauen, 
erschliefsen  sich  die  Geheimnisse  des  persönlichen  Lebens. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  rein  geschichtlicher  Be- 


l)  Vergl.  die  beiden  Monographien  von  Langgut h:  Goethes  Päda- 
gogik, Halle  1836;  Goethe  als  Pädagog,  Halle  1887. 


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1893. 


Goethes  religiöse  Entwicklung. 


107 


trachtung  versuchen  wir  es,  die  religiöse  Entwicklung 
Goethes  nach  ihren  Hauptmomenten  darzulegen.  Wir  dürfen 
uns  dabei  auf  die  in  religiös  -  sittlicher  Hinsicht  wichtigsten 
Perioden  seines  Lebens  und  Dichtens,  auf  die  erste  und  auf  die 
dritte,  beschränken.  Unsere  Hauptquellen  für  die  Darstellung 
sind  in  Bezug  auf  die  erste,  die  Jugendperiode,  Goethes  Selbst- 
biographic, „Wahrheit  und  Dichtung",  welche  ergänzt  wird  durch 
die  gleichzeitigen  Briefe  und  die  wichtigsten  odenartigen  Gedichte, 
die  er  während  der  ersten  zehn  Übergangsjahre  in  Weimar  ab- 
gefafst  hat.  Für  die  Darlegung  der  religiösen  und  sittlichen 
Weltanschauung  des  Dichter»  in  der  dritten  Periode,  der  sog. 
Periode  der  Vollendung,  benutzen  wir  die  vortreffliche  Monographie 
von  0.  Harnack1). 

Goethe  sagt  am  Schlufs  von  „Wahrheit  und  Dichtung" : 
„Man  hat  im  Verlaufe  dieses  biographischen  Vortrages  umständ- 
lich gesehen ,  wie  das  Kind ,  der  Knabe ,  der  Jüngling  sich  auf 
verschiedenen  Wegen  dem  Übersinnlichen  zu  nähern  gesucht; 
erst  mit  Neigung  nach  einer  natürlichen  Religion  hingeblickt; 
dann  mit  Liebe  sich  an  eine  positive  festgeschlossen ;  ferner  durch 
Zusammenziehung  in  sich  selbst  seine  eigenen  Kräfte  versucht 
und  sich  endlich  dem  allgemeinen  Glauben  freudig  hingegeben." 
Die  „natürliche  Religion",  von  welcher  der  Dichter  hier  redet, 
ist  der  Deismus  der  Aufklärungszeit,  die  „positive"  Religion,  der 
er  sich  sodann  zuwendet,  ist  das  Christentum  in  der  Form  der 
Brüdergemeinde.  Unter  der  „Zusammenziehung  in  sich  selbst" 
versteht  er  die  Bildung  eines  eigenen,  von  dem  kirchlichen 
Christentum  abweichenden  Standpunktes.  Endlich  unter  dem 
„allgemeinen  Glauben*  ist  jedenfalls  nicht  die  bereits  früher  von 
ihm  überwundene  abstrakte  Denkweise  des  vulgären  Rationalismus 
zu  verstehen,  der  mit  der  natürlichen  Religion  des  Deismus  zu- 
sammentrifft, sondern  die  mehr  dem  Pantheismus  verwandte 
religiöse  Weltanschauung,  wie  sie  der  Dichter  allmählich  an  der 
Hand  des  Philosophen  Spinoza  und  auf  Grund  anderer  Einflüsse 
gewinnt 

Goethes  Jugend  fällt  in  die  Zeit  der  beginnenden  Herrschaft 


')  Otto  Harnack,  Goethe  in  der  Epoche  seiner  Vollendung  (1805 — 
1832).  Versuch  einer  Darstellung  seiner  Denkweise  und  Welthetrachtung. 
Leipzig,  1887. 

8* 


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Heituelmann, 


Heft  4  u.  5 


des  vulgaren  Rationalismus,  der  von  den  drei  Artikeln 
des  apostolischen  Glaubensbekenntnisses  nur  den  mit  den  Juden 
und  den  Muhammedanern  uns  gemeinsamen  ersten  Artikel  fest- 
hielt, aber  häufig  nicht  einmal  im  Sinne  einer  lebendigen  alt* 
testamentlichen  Frömmigkeit,  d.  h.  des  Theismus,  sondern  im 
Sinne  des  Deismus,  jener  abstrakten  und  unlebendigen  Vor- 
stellung, nach  welcher  Gott  zwar  von  der  Welt  unterschieden, 
aber  zugleich  ohne  lebendige,  persönliche  Beziehung  zu  derselben 
gedacht  wird.  Man  hielt  nur  den  verblafsten  Gedanken  einer 
Vorsehung  und  eine  Fortdauer  der  menschlichen  Seele  nach  dem 
Tode  fest;  aber  eine  geschichtliche  Offenbarung  Gottes  zum  Heile 
der  Menschheit  ward  geleugnet,  weil  der  Mensch,  wie  man 
meinte,  an  sich  und  von  Natur  gut,  einer  Erlösung  nicht  be- 
dürftig war.  Die  Bibel  ward  in  der  willkürlichsten  Weise 
behandelt  und  durch  eine  platt  verständige,  zum  Teil  aber- 
witzige Auslegung  ihres  prophetischen  und  poetischen  Gehaltes 
entkleidet,  die  Gesangbuchslieder  entstellt  und  verwässert  und 
ihres  erbaulichen,  wie  dichterischen  Wertes  beraubt.  An  Stelle 
der  Religion  trat  mehr  und  mehr  eine  dürre  und  geistlose 
Moral.  „Tugend  und  Weisheit"  war  die  Losung  in  Kirche  und 
Schule;  etwas  Besseres  und  Höheres  kannte  man  nicht.  Diese 
von  England  und  Frankreich  eingeführte  Lehre  ward  damals 
vielfach  auch  von  lutherischen  Geistlichen  in  Anbequemung  an 
den  Zeitgeist  von  Kanzeln  und  Kathedern  verkündigt.  Der  in 
Welt  und  Kirche  herrschende  Geist  trieb  viele  Glieder  der 
Kirche  in  den  Separatismus  hinein.  Die  „Stillen  im  Lande"  — 
so  nannte  man  sie  —  sonderten  sich  ab  von  der  Kirche  und 
thaten  sich  zusammen  zu  kleinen  Privatgemeinden.  Seit  der 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  als  die  kirchliche  Rechtgläubigkeit 
in  Deutschland  infolge  der  theologischen  Zänkereien  immer  mehr 
erstarrte,  hatte  bereits  der  sog.  Pietismus  eines  Spener  und 
A.  II.  Francke  in  diesem  Sinne,  doch  innerhalb  der  Schranken 
der  kirchlichen  Ordnungen,  zur  Belebung  der  Kirche  gewirkt. 
Vergebens.  Der  rationalistische  Geist  drang  immer  mehr  ein  in 
die  Kirche;  Zinzendorf  wählte  den  Weg  einer  eigenen  Gemein- 
schaftsbildung und  pflegte  in  seiner  Brüdergemeinde  eine  von  dem 
öffentlichen  Bekenntnis  der  Kirche  vielfach  abweichende,  aber 
lebendige  evangelische  Frömmigkeit.  Wie  stand  es  in  Frank- 
furt a.  M.,  dem  Geburtsort  Goethes? 

Frankfurt  galt  damals  noch  als  Hort  lutherischer  Recht- 


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1893. 


Goethes  religiöse  Entwicklung. 


109 


gläubigkeit;  aber  diese  war  fast  völlig  zu  toter  Orthodoxie  er- 
starrt, und  gleichzeitig  drang  der  Deismus  ein,  der  seine  Lehren 
unter  dem  Deckmantel  der  kirchlichen  Autorität  um  so  besser 
verbreiten  konnte.  Kein  Wunder,  dafs  sich  der  junge  Goethe 
von  dieser  Art  von  Religion  abgestoßen  fühlte.  Eine  Zeit  lang 
bewährte  sich  noch  der  Einflufs  der  häuslichen  Sitte.  Der  Knabe 
ward  durch  den  ernsten,  streng  kirchlichen  Vater  und  durch  die 
gemütvolle  heitere  Mutter  fromm  erzogen.  Er  erzählt,  wie  er 
sein  kindliches  Morgengebet  knieend  und  mit  gefalteten  Händen 
verrichtet  habe.  Aber  frühe  erwachten  Zweifel  in  seiner  Seele. 
Als  die  entsetzlichen  Nachrichten  von  dem  Erdbeben  von  Lissabon 
an  sein  Ohr  drangen,  da  geriet  sein  Glaube  an  die  Güte  Gottes 
gegen  alle  Menschen  ins  Wanken ;  auch  konnte  ihm  niemand  auf 
seine  kindlichen  Fragen  eine  befriedigende  Antwort  geben.  Da 
beschliefst  eines  Tages  der  7jährige  Knabe,  sich  auf  seine  Weise 
„dem  grofsen  Gotte  in  der  Natur"  zu  nähern  und  bringt  ihm 
auf  dem  schönen,  pyramidalischen,  mit  allerhand  Naturprodukten 
ausgestatteten,  von  Räucherkerzen  gekrönten  Musikpulte  seines 
Vaters  bei  Sonnenaufgang  jenes  bekannte,  rührende  Morgen- 
opfer dar. 

Bald  wird  er  mit  der  Bibel  näher  bekannt.  Sein  früh 
erwachter,  reger  Forschungstrieb  wirft  sich  zunächst  auf  das  alto 
Testament.  Er  liest  im  hebräischen  Grundtexte  die  Geschichte 
der  Erzväter,  und  das  Leben  Josephs  reizt  ihn  zum  ersten 
dichterischen  Versuch.  Ja,  der  14jährige  Knabe  überrascht  bald 
nach  seiner  Konfirmation  den  erstaunten  Vater  mit  einer  umfang- 
reichen Sammlung  selbstgedichteter  geistlicher  Oden  und  Lieder. 
Denn  schon  Klopstocks  „Messias"  hat  seine  Phantasie  erfüllt  und 
begeistert  ihn  zu  dem  ersten  bedeutenderen  poetischen  Versuch, 
der  die  Überschrift  trägt:  „Die  Höllenfahrt  Christi".  In  diesem 
Gedichte  wird  der  Erlöser  mit  Klopstockschem  Pathos,  aber  in 
einer  nicht  ungewandten  Sprache,  als  majestätischer  Beherrscher 
des  Höllenreiches  dargestellt. 

Die  durch  Klopstock  empfangenen  religiösen  Eindrücke 
christlicher  Art  hätten  auf  der  Universität  Leipzig,  die  der 
kaum  16jährige  Knabe  bezieht,  durch  den  frommen  Geliert 
vertieft  und  ergänzt  werden  können.  Aber  die  im  Sinne  der 
Aufklärungszeit  moralisch  -  verständige ,  dabei  etwas  weichlich- 
sentimentale Weise  dieses  persönlich  hochachtbaren,  in  jener 
Zeit  sehr  einflufsreichen ,  doch  nicht  durchweg  geschmackvollen 


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Vertreters  des  kirchlichen  Christentums  wirkte  befremdend  auf 
den  gesunden  Sinn  des  jungen  Goethe.  Gleichzeitig  verleidete 
ihm  nun  sein  sarkastischer  Freund  Behrisch  durch  herben  Spott 
die  ungelenke  Odenpoesie  eines  Kamler  und  verwandter  Dichter 
der  Zopfzeit.  Kurz,  Goethe  wandte  sich  von  Geliert  ab  und 
brach  so  zugleich  mit  dem  gesamten  religiösen  wie  ästhetischen 
Ideal  der  Aufklärung,  welche  den  Zweck  des  Dichtens  in  das 
spiefsbUrgerliche  Horazianische  „Ergötzen  und  Nützen"  setzte. 
Es  war  das,  sachlich  angesehen,  ein  Vorteil  für  den  künftigen 
Dichter,  aber  im  Augenblick  persönlich  ein  sittlicher  Schaden 
für  den  Menschen  Goethe.  Denn  indem  er  mit  der  gefeiertsten 
Autorität  jener  Zeit  brach,  schwand  ihm  allmählich,  wie  er  sagt, 
alle  Autorität,  und  er  begann  selbst  an  den  gröfsten  und  besten 
Männern  zu  zweifeln,  ja  zu  verzweifeln. 

Damit  trat  der  Dichter  ein  in  die  Periode  innerer  Gärung, 
aus  der  sich  »ein  eigener  Standpunkt  entwickeln  sollte.  Die 
innere  Aufregung  in  Verbindung  mit  seinen  zerrissenen  Studien 
und  seiner  unregelmäßigen  Diät  stürzte  ihn  in  eine  gefährliche 
Krankheit.  Da  wurde  er  durch  seinen  Freund  Langer,  den 
späteren  Nachfolger  Lessings  in  Wolfenbüttel,  auf  eine  eingehende 
und  zusammenhängende  Beschäftigung  mit  der  Bibel  hingewiesen, 
als  das  nächst  dem  Studium  der  Alten  wichtigste  Mittel  höherer 
Bildung.  Kaum  genesen,  folgte  der  Dichter  diesem  Rate.  „Mit 
Gefühl  und  Enthusiasmus"  las  er,  wie  er  sagt,  das  Neue  Testament. 
Da  lernte  er  die  Bibel  zuerst  als  ein  göttliches  Buch  verehren,  als 
ein  Ganzes  göttlicher  Offenbarungen  schätzen  und  liebgewinnen; 
das  Gespenst  der  Aufklärung  lag  hinter  ihm.  Die  Kritik  des 
Rationalismus  konnte  ihm  vor  der  Hand  nichts  mehr  anhaben; 
er  durchschaute  ihre  wissenschaftlichen  Mängel  und  —  ihre 
Unwahrheit.  Diese  Vorliebe  für  die  heilige  Schrift  ist  ihm 
zeitlebens  geblieben,  sie  ist  ihm  in  seinem  Leben  wie  in  seinem 
Dichten  trefflich  zu  statten  gekommen.  Er  würdigt  in  „Wahrheit 
und  Dichtung"  die  hohe  Bedeutung  der  Bibel  für  seine  gesamte 
höhere  Bildung  folgendermafsen :  „Ich  für  meine  Person  hatte 
sie  lieb  und  wert;  denn  fast  ihr  allein  war  ich  meine  sittliche 
Bildung  schuldig,  und  die  Begebenheiten,  die  Lehren,  die 
Symbole,  die  Gleichnisse,  alles  hatte  sich  tief  bei  mir  ein- 
gedrückt und  war  auf  die  eine  oder  andere  Weise  wirksam 
gewesen.  Mir  milstielen  daher  die  ungerechten,  spöttischen  und 
verdrehenden  Angriffe." 


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1893. 


Goethe«  religiöse  Entwicklung. 


III 


Was  Langer  in  Leipzig  begonnen  hatte,  das  war  eine 
Freundin  der  Mutter  Goethes  berufen  fortzusetzen.  Als  der 
junge  Goethe  im  Jahre  1768  krank  und  mifsmutig,  mit 
der  Liebe  zur  Bibel  im  Herzen  und  mit  viel  ungelösten 
Zweifeln  im  Kopfe,  nach  Frankfurt  zurückkehrte,  trat  er  dem 
oben  erwähnten  Kreise  der  in  Frankfurt  seit  Speners  Wirken 
in  dieser  Stadt  nicht  ausgestorbenen  „Stillen  im  Lande" 
näher,  welche,  durch  die  dürre  Moral  des  Rationalismus  aus  der 
öffentlichen  Kirche  getrieben,  christliche  Gemeinschaft  pflegten 
auf  Grund  eines  lebendigen,  persönlichen  Glaubens  an  Christum, 
den  Heiland.  Goethe  äufsert  sich  über  sie:  „Sie  suchten  sich 
der  Gottheit  besonders  durch  Christum  mehr  zu  nähern,  als  es 
ihnen  unter  der  Form  der  öffentlichen  Religion  möglich  zu  sein 
schien.  Die  mehr  oder  weniger  Abgesonderten  —  auch  einige 
Geistliche  der  Stadt  neigten  sich  zu  ihnen  —  waren  immer  die 
Minderzahl;  aber  ihre  Sinnesweise  zog  an  durch  Originalität, 
Herzlichkeit,  Beharren  und  Selbständigkeit."  Besonders  im 
Handwerkerstande  hatte  diese  Richtung  Freunde,  aber  auch  der 
berühmte  Jurist  Friedrich  Karl  v.  Moser,  seit  1751  in  Frankfurt, 
ein  Freund  Hamanns,  sowie  der  Legationsrat  Moritz  und  andere 
angesehene  Männer  der  Stadt  gehörten  zu  diesen  „verbundenen 
Christen". 

Den  Mittelpunkt  dieses  Kreises  bildete  Fräulein  von 
Kletten  berg.  Sie  war  durch  aehwere  Lebensschicksale  zum 
lebendigen  Glauben  an  den  Heiland  geführt.  Von  Hause  aus 
ein  flatterhaftes  Weltkind  ohne  Ruhe  und  ohne  Halt,  hatte  sie 
den  Frieden  der  Seele  in  der  christlichen  Religion  gefunden. 
Der  Friede  Gottes,  der  in  dieser  schönen  Seele  wohnte,  wirkte 
wie  ein  stiller,  aber  unwiderstehlicher  Zauber  auf  ihre  Um- 
gebung. Auch  auf  Goethe  verfehlte  er  seine  Wirkung  nicht. 
Die  Freundschaft  mit  Fräulein  v.  Klettenberg  giebt  dem  unruhig 
suchenden  Jüngling  in  den  nun  beginnenden  Jahren  des  Sturmes 
und  Dranges  einen  innern,  gemütlichen  Halt.  Sie  verbreitet 
ihren  stillen  Glanz  Uber  die  Jahre  1768—1773.  Es  ist  die  Zeit 
der  gröfsten  Annäherung  des  Dichters  an  das  positive  Christen- 
tum. Fräulein  v.  Klettenbcrg  hatte  den  Gegenstand  ihrer  Für- 
sorge an  dem  unruhig  Zweifelnden  gefunden  und  sagte  ihm  offen, 
seine  Unruhe  komme  daher,  dafs  er  noch  „keinen  versöhnten 
Gott  habe".  Von  Hause  aus  tief  religiös  angelegt  und  in  seinem 
leidenden  Zustande  doppelt  empfänglich,  hoffte  Goethe  in  der 


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Brüdergemeinde  zu  finden,  was  ihm  die  Kirche  und  das 
Leben,  auch  das  elterliche  Haus  nicht  bot.  Er  besuchte  die 
geschlossenen  Andachten  mit  dem  Legationsrat  Moritz  in  der 
Frankfurt  benachbarten  Kolonie  Marienborn  und  ward  von  leb- 
hafter Zuneigung  ergriffen.  Denn  einmal  war  es  eine  Reihe 
trefflicher  Männer,  die  er  hier  kennen  lernte,  sodann  fesselte  ihn 
der  poetische  Zauber  der  Geschichte  der  Brüdergemeinde  und 
ihr  Zurückgreifen  auf  die  Zustände  der  Urkirche.  Vor  allem 
aber  gefiel  ihm  die  herrschende  Pflege  des  Religiösen  in  der 
Form  des  Gefühls,  der  warmen  Empfindung  des  Herzens  im 
Gegensatze  zu  der  trockenen  moralisch-verstandigen  Behandlung 
religiöser  Dinge  in  der  Kirche. 

Das  Herz  des  Dichters  war  gewonnen,  aber  das  Gewissen 
war  nicht  getroffen.  Ihm  widerstand,  bei  seiner  durch  die 
herrschende  Zeitrichtung  begünstigten  Ansicht  von  der  an- 
geborenen Güte  der  menschlichen  Natur,  die  uugustinische  Lehre 
von  dem  natürlichen  Verderben  des  Menschen  durch  die  Sünde, 
zu  der  sich  auch  die  Brüdergemeinde  bekannte.  Goethe  konnte 
und  mochte  nicht  glauben,  dafs  es  mit  der  menschlichen  Natur 
so  schlimm  bestellt  sei.  Mit  anerkennenswerter  Offenheit  spricht 
er  sich  über  diesen  wichtigen  Gegenstand  selbst  im  8.  Buche 
von  „Wahrheit  und  Dichtung"  aus.  Er  hielt  sich  zwar  nicht 
für  fehlerfrei,  aber  im  ganzen  doch  für  gut  und  meinte  daher, 
für  seine  Person  zur  Not  auch  ohne  einen  Erlöser  und  Versöhner 
vor  Gott  und  Menschen  bestehen  zu  können.  Da  ihm  mithin 
das  auf  die  Erkenntnis  der  Sünde  gegründete  Bedürfnis  eines 
Heilandes  fehlte,  so  können  wir  uns  nicht  wundern,  dafs  er  den 
entscheidenden  Schritt  der  unbedingten  persönlichen  Hingabe  an 
Christus  als  an  den  alleinigen  Heiland  der  Welt  und  auch 
seinen  Heiland  nicht  gethan  hat. 

Doch  lag  es  in  der  Natur  der  Sache,  dafs  ein  so  gewaltiger, 
reich  begabter  und  zugleich  religiös  so  angeregter  Geist,  wie 
Goethe  es  war,  das  lebhafte  Bedürfiiis  empfand,  dem  Gegenstande 
seines  Glaubens  auf  dem  Wege  des  W  i  s  s  e  n  s  näher  zu  kommen. 
Er  benutzte  dabei  alle  Hilfsmittel,  die  ihm  geboten  wurden.  Sein 
Blick  füllt  auf  Arnolds  „Kirchen-  und  Ketzergesehiehte".  Als 
Freund  des  Besonderen  und  Charakteristischen  —  und  dieser 
damals  sehr  ausgeprägte,  echt  romantische  Zug  seiner  Natur 
wirkte  wohl  auch  bei  seiner  Hinneigung  zu  den  Herrnbutern 
mit  —  gewinnt  er  nunmehr  ein  lebhaftes  Interesse  an  den  von 


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Goethes  religiöse  Entwicklung. 


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der  Kirche  verurteilten  Gnostikern,  jenen  Lehrern  des 
2.  Jahrhunderts,  welche  das  Christentum  in  ein  religions- 
philosophisches System  zu  bringen  suchten,  in  dem  orientalische 
und  griechische  Ideen  mit  christlichen  Vorstellungen  verquickt 
sind.  Er  liest  und  liest  und  baut  sich  selbst  an  der  Hand  der 
Gnostiker  ein  religionsphilosophisches  System  auf,  das  er  uns 
am  Ende  des  8.  Buches  in  seinen  Grundzügen  mitgeteilt  hat  In 
diesem  System  spielt  Lucifer  eine  ziemlich  hervorragende,  Christus 
dagegen  nur  eine  untergeordnete  Rolle.  Der  Gnosticismus  hat 
einen  geheimen  Zug  zum  Pantheismus.  Diese  Studien  in 
Verbindung  mit  gleichzeitiger  Lesung  alchymistischer  Bücher, 
wozu  ein  durch  ein  Geheimmittel  gehobener  Krankheitsanfall 
die  Veranlassung  gab,  rufen  eine  neue  Revolution  in  seinem 
Kopfe  hervor  und  geben  zugleich  den  ersten  Anstofs  zu  seinem 
„Faust".  Die  dürre  Steppe  des  Deismus  der  Aufklärung  hat  er 
verlassen.  Nunmehr  gerät  er  in  das  Fahrwasser  des  Pantheismus, 
des  mächtigsten  Faktors  der  modernen  Bildung. 

Körperlich  leidlich  hergestellt,  im  Herzen  herrnhutisch ,  mit 
pantheistischen  Ideen  im  Kopfe,  bezieht  er  im  Herbste  1770  die 
Universität  Strafsburg.  Er  ist  durch  Fräulein  v.  Klettenberg 
an  deren  dortige  Freunde  empfohlen.  Es  waren  Männer  hallischer 
Richtung,  die  mehr  die  sittliche  Seite  des  Christentums,  Bufse 
und  Heiligung,  betonten,  während  Zinzendorf  in  der  Brüder- 
gemeinde mehr  den  Glauben  an  die  in  Christus  geoffenbarte 
Liebe  Gottes  hervorkehrte.  Bis  in  den  Sommer  hinein  ver- 
nehmen wir  Nachklänge  des  Frankfurter  Lebens  aus  den  Briefen 
an  seine  Freundin;  er  geht  regelmäfsig  zum  Abendmahl  und 
pflegt  Gemeinschaft  mit  den  dortigen  Kreisen  der  „Stillen  im 
Lande".  Aber  bald  machten  sich  andere  Einflüsse  geltend:  er 
lernte  die  Schriften  Rousseaus  kennen.  Rousseau  war  ebenso 
wenig  wie  Voltaire  Atheist,  er  wollte  sogar  Theist  sein ;  er  pries 
die  Schönheiten  der  Bibel,  wenigstens  einiger  Abschnitte  des 
Neuen  Testaments,  und  setzte  das  Wesen  der  Frömmigkeit  in 
das  Gefühl;  aber  er  erklärte  sich  entschieden  gegen  die  Erb- 
sünde, feierte  die  ursprüngliche  Güte  der  menschlichen  Natur 
im  Gegensatze  zu  der  verderbten  Gesellschaft  jener  Zeit  und 
setzte  sich  dadurch  zugleich  in  Widerspruch  mit  dem  kirchlichen 
Dogma.  Und  gerade  das  gefiel  dem  jungen  Goethe.  1  Er  glaubte 
nunmehr  gegen  den  Pantheismus  geschützt  und  doch  zugleich 
in  seiner  Hinneiguung  zur  Brüdergemeinde  nicht  beeinträchtigt 


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zu  sein.  Später  hat  er  der  Rousseauschen  Weltanschauung  in 
seinem  „Werther*  ein  bleibendes  Denkmal  gesetzt,  aber  ihr 
zugleich  nach  ihrer  sittlichen  Seite  in  dem  Schicksale  dieses 
liebenswürdigen  Schwächlings  den  vollgültigsten  Totenschein  aus- 
gestellt. 

Wichtiger  indes  noch  als  diese  Einwirkung  Rousseaus  wurde 
fUr  den  jungen  Goethe  der  Mann,  welcher  dem  ungestümen 
Sturm  und  Drang  des  durch  die  erhebenden  Strafsburger  Ein- 
drücke mächtig  angeregten,  für  alles  Grofse  und  Schöne  so  warm 
empfindenden  Dichters  erst  die  rechte  Richtung  geben  und  ihn 
auch  in  religiösor  Hinsicht  weiter  führen  sollte.  Herder  (der 
damals  zum  Zwecke  einer  Augenkur  in  Strafsburg  weilte)  hat 
das  Verdienst,  eine  zugleich  wissenschaftliche  und  geistvolle 
Betrachtung  der  heiligen  Schrift  angebahnt  zu  haben,  in  der 
sich  das  religiöse  Interesse  mit  dem  litterarischen  und  poetischen 
berührt,  indem  er  den  Inhalt  der  einzelnen  biblischen  Schriften 
mehr  als  es  bisher  geschah  aus  dem  Standpunkte  und  Geiste 
des  Altertums  heraus  entwickelte  und  einer  Auffassung  Bahn 
brach,  welche  der  persönlichen  und  schriftstellerischen  Eigenart 
der  einzelnen  Verfasser  der  biblischen  Bücher  mehr  gerecht 
wird.  Mit  dem  Blick  auf  das  Ganze  verband  er  den  auf  das 
Individuelle.  Von  dieser  Seite  aus  lehrte  er  den  jungen  Goethe 
die  heilige  Schrift  würdigen  und  gab  dadurch  dem  bereits  durch 
Shakespeare  in  ihm  geweckten  Sinne  für  das  Charakteristische 
die  Richtung  auf  den  höchsten  Gegenstand.  Besonders  machte 
er  ihn  auf  die  hohen  poetischen  Schönheiten  des  alten  Testa- 
mentes aufmerksam.  Endlich  wies  er  ihn  auf  die  Schriften  des 
tiefsinnigen  Hamann  hin,  dem  Herder  selbst  die  fruchtbarste 
Anregung  für  seine  Ansichten  Uber  die  Bibel  und  über  die 
Volkspoesie  zu  verdanken  hatte. 

Die  eingehende  Beschäftigung  mit  diesem  durch  und  durch 
positiven,  auf  die  Erkenntnis  des  Realen  und  geschichtlich  Be- 
stimmten in  der  göttlichen  Heilsoffenbarung  gerichteten  Geistes 
vollendete  Goethes  Abneigung  gegen  die  geistlose  Kritik  des 
Rationalismus.  Ernstlich  prüfte  er  nunmehr  die  einzelnen  Bücher 
der  heiligen  Schrift  nach  ihrer  Wirkung  auf  sein  Inneres,  sein 
Gemüt;  durch  diesen  Begriff  ward  ihm,  wie  er  sagt,  die  Bibel 
erst  recht  zugänglich.  Wollte  sie  ihm  auch  noch  nicht  als  ein 
Ganzes  entgegentreten ,  so  nahm  er  doch  an  den  verschiedenen 
Charakteren  der  einzelnen  Bücher  keinen  Anstofs  mehr. 


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Goethes  religiöse  Entwicklung. 


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Nach  Frankfurt  zurückgekehrt  legte  er  nun  seine  religiösen 
Anschauungen  in  den  von  ihm  mit  seinem  Schwager  Schlosser 
gegründeten  „Frankfurter  Gelehrtenanzeigen"  und  der  theo- 
logischen Abhandlung  „Brief  des  Pastors  N.  N.  an  den  Pastor 
N.  N."  dar.  Dort  charakterisierte  er  seinen  subjektiv- 
religiösen  Gefühlsstandpunkt  gegenüber  dem  positiv- 
evangelischen Bekenntnis  und  der  Aufklärung.  Hier  setzt  er 
der  heuchlerischen  Toleranz  der  religiösen  Gleichgültigkeit  die 
wahre  Toleranz  gegenüber,  die  aus  dem  christlichen  Glauben 
stammt.  „Dieser  Glaube,*  sagt  er,  „ist  das  Empfinden  der 
göttlichen  Liebe,  die  vor  so  viel  hundert  Jahren  unter  dem 
Kamen  Jesus  Christus  eine  kleine  Zeit  als  Mensch  herumzog, 
die  sich  in  das  Elend  der  Welt  mischte  und  auch  elend  ward, 
damit  das  Elend  mit  ihr  herrlich  gemacht  werde."  Dem  Zweifel 
an  der  künftigen  Seligkeit  der  Heiden  sucht  er  durch  die  Lehre 
von  der  dereinstigen  Wiederbringung  Aller,  d.  h.  von  der 
endlichen  Seligkeit  aller  Menschen  zu  begegnen.  Der  letzte 
Gedanke,  übrigens  auch  von  Zinzendorf  und  dem  Fräulein 
v.  Klettenberg  wie  auch  von  Klopstock,  aber  auf  dem  Grunde 
eines  christlichen  Optimismus  vertreten,  war  bei  Goethe  zugleich 
die  notwendige  Folge  einer  religiösen  Weltbetrachtung,  in  welcher 
das  ästhetische  Element  das  ethische  beherrscht,  die  Rücksicht 
auf  das  Gefühl  die  auf  die  sittliche  Selbstbestimmung  und 
Selbstverantwortlichkeit  des  einzelnen  Menschen  überwiegt,  und 
wirft  ein  helles  Schlaglicht  auf  den  Schlufs  des  „Faust",  von 
dem  der  Dichter,  wie  er  kurz  vor  seinem  Tode  erklärt,  bereits 
den  Plan  um  diese  Zeit  festgestellt  hat. 

Als  gärender  Faust  ging  Goethe  nach  Wetzlar,  mit  dem 
Gedanken  an  Lotte  und  Maximiliane  kehrte  er  wieder  zurück. 
Kestner,  Lottes  Mann,  schreibt:  „Er  strebt  nach  Wahrheit,  hält 
jedoch  mehr  vom  Gefühl  derselben  als  von  ihrer  Demonstration." 
Im  Frühjahr  1773  brach  Goethe  mit  dem  klettenbergschen  Kreise. 
Den  Anstofs  gab  dazu  ein  Gespräch  Uber  die  Sünde  und  den 
Gegensatz  von  Natur  und  Gnade.  Nun  erst  erkannte  er  die 
Kluft,  die  ihn  von  diesem  Kreise  trennte.  Ihm  war,  wie  er  sagt, 
die  Natur  auch  im  Gegensatz  zur  Gnade  „in  ihrer  Herrlichkeit 
erschienen" ;  in  dem  klassischen  Gedichte  „Der  Wanderer*  hatte 
er  ihr  soeben  ein  Denkmal  gesetzt.  Er  löste  das  Band.  Nur 
Fräulein  von  Klettenberg  selbst  hörte  nicht  auf  zu  hoffen,  und 
als  Goethe  sich  scherzhaft  ihr  gegenüber  als  Heide  bezeichnete, 


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sah  sie  das  lieber,  weil  mehr  Wahrheit  darin  sei,  als  in  seiner 
Anbequemung  an  die  christliche  Ausdrucksweise,  welcher  die 
innere  Überzeugung  fehle.  In  gleichraäfsiger  Freundlichkeit  und 
Milde  begegnete  sie  ihm  und  schien  nicht  im  mindesten  um  sein 
Seelenheil  besorgt  zu  sein.  Im  Dezember  1774  entschlief  sie 
sanft.  Goethe  widmete  ihr  in  „Werthers  Leiden"  einen  Nach- 
ruf: „Ach,  dafs  die  Freundin  meiner  Jugend  dahin  ist!"  — läfst 
er  den  Werther  klagen  —  »Ach,  dafs  ich  sie  gekannt  habe.  Nie 
werde  ich  sie  vergessen,  nie  ihren  festen  Sinu  und  ihre  göttliche 
Duldung."  In  „Wilhelm  Meisters  Lehrjahren*  setzte  er  ihr  später 
ein  bleibendes  Denkmal  in  den  „Bekenntnissen  einer  schönen 
Seele". 

Mit  der  Lösung  dieses  Freundschaftsbandes  durch  den  Tod 
hatte  das  nähere  persönliche  Verhältnis  Goethes  zu  diesem  Kreise 
seine  Endschaft  erreicht.  Wie  tief  ea  ihn  damals  angegangen 
sein  mufs,  erkennen  wir  aus  einer  Äufserung  an  Eckermann 
kurz  vor  seinem  Tode,  in  der  er  sein  Bedauern  ausspricht,  die 
Beziehungen  zu  diesem  Kreise  nicht  mehr  gepflegt  zu  haben,  da 
sie  ihm  doch  eine  Zeit  lang  die  Ruhe  seiner  Seele  gegeben  hätten. 
An  die  Stelle  jener  Einwirkungen  trat  nunmehr  der  Philosoph 
Spinoza.  Von  da  an  datiert  seine  bestimmtere  Hinneigung 
zum  Pantheismus.  Scheidet  der  Deismus  Gott  streng  von 
der  Welt  und  die  Welt  von  Gott,  so  begeht  der  Pantheismus 
den  entgegengesetzten  Fehler,  indem  er  Gott  und  Welt  ineinander- 
wirrt  und  die  Persönlichkeit  Gottes  sowie  die  Willensfreiheit 
des  Menschen  leugnet  Alles  Einzelne  ist  nichts  als  eine  Er- 
scheinungsform des  Allgemeinen,  des  Alllebens,  eine  verschwindende 
Welle  im  Meer.  Goethe  hat  nie  daran  gedacht,  sich  als  Mensch, 
als  sittliche  Persönlichkeit,  zum  Pantheismus  zu  bekennen,  als 
solcher  ist  er  durchaus  Theist;  aber  auf  seine  Naturforschung 
hat  diese  Denkweise  einen  bedeutenden  Einflufs  ausgeübt  und 
von  da  aus  zu  Zeiten,  namentlich  in  der  2.  Periode  seines  Denkens 
und  Dichtens,  der  klassisch-realistischen  (1786—1805),  auch  seine 
sittlichen  und  ästhetischen  Anschauungen  beherrscht.  In  der 
3.  Periode  (1805—1832)  entwindet  er  sich  mehr  und  mehr  den 
Umstrickungen  des  gefährlichen  Feindes.  Wenn  er  sich  aber 
als  Dichter  und  Denker  pantheistisch  äufsert,  so  liegt  dieser 
Äufserung  meist  eine  gewisse  Berechtigung  durch  den  bewufsten 
Gegensatz  zu  der  unlebendigen,  abstrakten  und  mechanischen 
Weltbetrachtung  des  Deismus  zu  Grunde,  welche  ebenso  dem 


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Goethes  religiöse  Entwicklung. 


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universellen  Denken  wie  dem  persönlichen  Empfinden  des  Dichters 
widersprach. 

Dem  widerspruchsvollen  Deismus,  dem  die  Gottheit  mttfsig 
im  Himmel  thront  und  in  epikureischer  Selbstgenügsamkeit  nicht 
thätig  und  liebend  in  den  Weltprozefs  eingreifen  kann  oder  will, 
nicht  dem  echten ,  lebendigen  Theismus,  nach  welchem  Gott 
Uber  die  Welt  schlechthin  erhaben  in  persönlicher  Selbständigkeit 
dieselbe  nicht  nur  geschaffen  hat,  sondern  sie  auch  lebendig  all- 
wirksam durchdringt  und  sie  nach  seinen  Liebeszwecken  leitet, 
gilt  das  Gedicht  „Prometheus";  nicht  der  wahre  und  lebendige 
Gott  des  Theismus,  nur  der  eingebildete  Gott  des  Deismus  wird 
von  dem  Hohn  und  Spott  des  Titanen  getroffen.  Und  bekennen 
wir  Christen  uns  zu  einem  Gotte,  dor  sich  allüberall  in  Natur 
und  Menschenwelt  offenbart  und  wirksam  erweist  mit  seiner 
„ewigen  Kraft  und  Gottheit"  und  dabei  doch  ewig  klar  bewufst 
in  sich  selbst  ruht  als  persönlicher  Quell  alles  Lebens,  so  können 
wir  es  Goethe  nur  danken,  wenn  er  energisch  protestiert  gegen 
die  unlebendige,  mechanische  Naturbetrachtung  des  Deismus  mit 
den  bekannten  herrlichen  Worten: 

Was  wär'  ein  Gott,  der  nur  von  aufsen  etiefse, 

Im  Kreis  das  AU  am  Finger  laufen  liefse! 

Ihm  ziemt»,  die  Welt  im  Innern  zu  bewegen, 

Natur  in  Sich,  Sich  in  Natur  zu  hegen, 

So  dafs,  was  in  Ihm  lebt  und  webt  und  ist, 

Nie  Seine  Kraft,  nie  Seinen  Geist  vermifst. 

Wir  können  es  ihm  nur  herzlieh  danken,  wenn  er  ferner 
in  so  köstlicher  Weise  im  Famulus  Wagner  die  dürren  Moralisten 
auf  Kanzel  und  Katheder  gcgeilk-lt  hat: 

Ja,  eure  Reden,  die  so  blinkend  sind, 
In  denen  ihr  der  Menschheit  Schnitzel  kräuselt, 
Sind  unerquicklich,  wie  der  Morgenwind, 
Der  herbstlich  durch  die  dürren  JUättcr  säuselt. 
Wir  wollen  es  uns  immer  aufs  neue  merken: 

Wenn  ihr's  nicht  fühlt,  ihr  werdet'»  nicht  erjagen, 

Wenn  es  nicht  aus  der  Seele  dringt 

Und  mit  urkrÄftigem  Behagen 

Die  Herzen  aller  Hörer  zwingt.  — 

Doch  werdet  ihr  nie  Herz  zu  Herzen  schaffen, 

Wenn  es  euch  nicht  von  Herzen  geht. 

Goethen  war  es  heiliger  Ernst  mit  seinem  Dichten ;  er  schrieb 
seine  Werke  mit  seinem  Herzblut,  er  beichtete  auch  die  Schuld 
seines  Lebens,    die  aus  der  Überfülle  »eines  liebebedürftigen 


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118 


Heinaelmann, 


Heft  4  u.  5. 


Herzens  hervorging,  deren  Grund  er  uns  unverhüllt,  wie  z.  B. 
im  „Werther"  und  „Tasso"  in  einem  zeitweiligen  Mangel  an  sitt- 
licher Selbstbeherrschung  angiebt  und  deren  verderbliche  Folgen 
er  uns  nicht  verschweigt.  In  der  Überfülle  des  Gefühls 
verkennt  er  zu  Zeiten  die  heilige  Grenze,  den  festen  Unterschied 
zwischen  Gott  und  Mensch,  Gut  und  Böse  und  wirrt  Sinnliches 
und  Geistiges  durcheinander,  wie  in  dem  bekannten  pan- 
theistischen  Glaubensbekenntnisse  des  Faust  an 
Gretchen : 

Wer  darf  ihn  nennen? 

Und  wer  bekennen: 

Ich  glaub  ihn. 

Wer  empfinden 

Und  sich  unterwinden 

Zu  sagen:  Ich  glaub  ihn  nicht? 

Der  Allumfasscr, 

Der  Allerhalter, 

Fafst  und  erhält  er  nicht 

Dich,  mich,  sich  selbst?  — 
Erfüll  davon  dein  Herz,  so  grofs  es  ist, 
Und  wenn  du  ganz  in  dem  Gefühle  selig  bist, 
Nenn  es  dann,  wie  du  willst, 
Nenn's  Glück!  Herz!  Liebe!  Gott! 
Ich  habe  keinen  Namen 
Dafür!    Gefühl  ist  alles; 
Name  ist  Schall  und  Rauch, 
Umnebelnd  Himmelsglut. 

Gewif/s,  das  ist  alles  recht  schön  und  gut,  wie  Gretchen  sagt, 

Wenn  man's  so  hfirt,  möcht's  leidlich  scheinen, 
Steht  aber  doch  immer  schief  darum; 
Denn  du  hast  kein  Christentum. 

„Gefühl  ist  alles."  Wohl;  das  Gefühl  besagt  mehr  als 
der  Vorstand  fassen  kann,  und  fromme  Gefühle  sind  etwas 
Köstliches.  Aber,  müssen  wir  entgegnen,  nicht  alle  Gefühle  sind 
fromm;  es  ist  ein  grofser  Unterschied  zwischen  sinnlichen  und 
sittlichen  Gefühlen.  Aus  dem  Herzen  kommen  gewifs  sehr  schöne, 
reine,  fromme  Gefühle,  nämlich  wenn  das  Herz  darnach  ist, 
fromm  und  roin;  aber  aus  dem  Herzen  kommen  bekanntlich 
auch  unreine  Gefühle  und  arge  Gedanken.  Und  welches  Unheil 
diese  Gefühle  und  Gedanken  in  der  Welt  anrichten,  nun,  das 
lernen  wir  am  besten  an  Faust  selbst. 

So  verbessert  der  Dichter  Goethe  nicht  selten  den  Denker 
Goethe;  indem  er  uns  das  Gute  wie  das  Böse  an  seinen  Wir- 


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1893. 


Goethes  religiöse  Entwicklung. 


119 


kungen  zeigt,  wird  er  uns  ein  Führer  zur  wahren  Selbsterkenntnis 
und  damit  ein  Führer  zur  Wahrheit  aus  Gott.  Aber  weder  in 
die  Tiefen  noch  auf  die  Höhen  des  menschlichen  Herzens  konnte 
er  uns  so  als  Dichter  fuhren ,  wenn  er  sie  nicht  als  Mensch 
erlebt,  erfahren  hätte.  Goethe  selbst  hatte  ein  gut  Stück  von 
Faust  und  Werther  in  sich;  er  wandelte  nicht  selten  an  Abgründen, 
und  Lavater  hatte  Grund,  an  Herder  zu  schreiben:  „Rette  mir 
Goethe,  den  Unvergleichlichen;  doch  Du  kennst  ihn,  den  furcht- 
bar Erhabenen  —  Einzigen/ 

Aber  er  drang  aus  der  Tiefe  immer  wieder  siegreich  in  die 
Höhe,  wie  als  Denker,  so  als  Mensch,  damit  er  als  Genius 
imstande  wäre,  die  Geheimnisse  des  Menschenherzens  uns  zu 
deuten,  des  trotzigen  und  verzagten  Herzens  ebensowohl  wie 
der  nach  dem  lebendigen  Gott  dürstenden,  nach  Gott  geschaffenen 
Seele.  So  erfährt  er's  in  Weimar  bald,  nachdem  er  einige  Wochen 
in  Saus  und  Braus  unter  Eitel-  und  Lustbarkeiten  hingebracht 
hat,  dafs  alle  weltliche  Lust  nichts  als  glänzendes  Elend  ist  und 
wahrer  Friede  nur  von  oben  kommt.  Seine  Gott  entstammte 
Seele  seufzt  in  „Wanderers  Nachtlied" : 

Der  du  von  dem  Himmel  bist, 
Alles  Leid  und  Schmerzen  stillest, 
Den,  der  doppelt  elend  ist. 
Doppelt  mit  Erquickung  füllest, 
Ach,  ich  bin  des  Treibens  müde! 
Was  soll  alPder  Schmerz  und  Lust? 
Süfser  Friede, 

Komm,  ach  komm  in  meine  Brust! 

So  schreibt  er  unterm  12.  Februar  1776  vom  Hang  des 
Ettersberges  an  Frau  von  Stein.  Und  auf  der  Rückseite  lesen 
wir,  von  anderer  Hand  geschrieben,  die  Antwort  auf  diesen 
Gebetsseufzer,  von  der  frommen  Mutter  der  Frau  von  Stein  — 
das  Ja  und  Amen  auf  des  Menschen  Goethe  tiefstes  Sehnen,  das 
der  Dichter  ausspricht:  „Den  Frieden  lasse  ich  euch,  meinen 
Frieden  gebe  ich  euch,  nicht  gebe  ich,  wie  die  Welt  giebt  Euer 
Herz  erschrecke  nicht  und  fürchte  sich  nicht."    Joh.  14,  27. 

Gewifs,  der  Friedeftlrst  hielt  seine  schützende  Hand  über 
diesem  wunderbaren  Menseben,  auch  wo  er  an  Abgründen  wandelte, 
und  sandte  ihm  zur  rechten  Zeit,  wie  eine  Fräulein  von  Kletten- 
berg, so  jetzt  eine  Frau  von  Stein.  Sie  gab  dem  unruhig 
suchenden  Herzen  des  pantheistisch  angehauchten  Stürmers  und 
Drängers  eine  Zeit  lang  Ruhe.    Das  Wertherfieber,  der  Faustes- 


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120 


Heinzelmann, 


Heft  4  u*  5 


drang,  der  Prometheustrotz  lag  hinter  ihm.  Es  wird  stille  über 
den  Wassern,  und  „in  dem  See  weiden  ihr  Antlitz  alle  Gestirne". 
Erhabene,  echt  religiöse  Stimmungen  kommen  Uber 
ihn,  als  er  zwei  Jahre  später  mitten  im  Winter  auf  dem  Brocken 
ist  —  die  Kuppe  des  Berges  frei,  von  der  Sonne  beschienen, 
hoch  thronend  über  der  in  Wolken  gehüllten  Welt,  wie  ein  Altar 
des  Herrn,  einladend  zum  Preise  des  Schöpfers,  da  schreibt  er 
in  sein  Tagebuch:  „Was  ist  der  Mensch,  dafs  Du  sein  gedenkest! 
—  Was  soll  ich  vom  Herrn  sagen  mit  Federspulen,  was  für  ein 
Lied  soll  ich  von  ihm  singen,  im  Augenblick,  wo  mir  alle  Prosa 
zur  Poesie  und  alle  Poesie  zur  Prosa  wird?"  Und  nun  stimmt 
er  seine  Leier,  greift  voll  in  die  Saiten  und  singt  ein  Lied  zum 
Preise  des  Herrn,  jene  Ode,  die  ihresgleichen  nicht  hat,  „Harz- 
reise  im  Winter".  Das  „Edel  sei  der  Mensch,  hilfreich  und 
gut"  —  er  hat's  bewährt  aufs  neue,  wie  sonst  oft,  durch  Wohl- 
thun in  der  Stille,  indem  er  dem  unglücklichen  Plessing  in 
Wernigerode,  dem  Menschenfeind,  Trost  zusprach.  Wie  empfindet 
er  doch  die  Not  dieses  Unglücklichen  wie  seine  eigene  Not! 

Aeh,  wer  heilet  die  Schmerzen 

Des,  dem  Haisam  zu  Gift  ward? 

Der  eich  Menschenhaß 

Aus  der  Fülle  der  Liehe  trank? 

Erat  verachtet,  nun  ein  Verächter, 

Zehrt  er  heimlich  auf 

Seinen  eignen  Wert 

In  ungenügender  Selbstsucht 

Er  betet  für  ihn: 

Ist  auf  deinem  Psalter, 
Vater  der  Liebe,  ein  Ton 
Seinem  Ohre  vernehmlich, 
So  erquicke  sein  Herz! 
Offne  den  umwölkten  Blick 
Über  die  tausend  Quellen 
Neben  dem  Durstenden 
In  der  Wüste. 

Er  denkt  an  die  Gefahren  seiner  Winterreise,  an  die  gnädige 
Bewahrung,  an  den  Dank,  den  er  dem  Schöpfer  opfern  durfte 
auf  dem  Brockenaltar,  und  preist  die  schlitzende  Nähe  des  Vaters 
der  Liebe,  der  ihn  sicher  leitete: 

Mit  der  dämmernden  Fackel 

Leuchtest  du  ihm 

Durch  die  Furten  bei  Nacht, 


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1893. 


Goethes ,  religiöse  Entwicklang. 


121 


Ober  grundlose  Wege 

Auf  öden  Gefilden; 

Hit  dem  tausendfarbigen  Morgen 

Lachst  du  ins  Herz  ihm; 

Mit  dem  beizenden  Sturm 

Trägst  du  ihn  hoch  empor; 

Winterströme  stürzen  vom  Felsen 

In  seine  Psalmen, 

Uud  Altar  des  lieblichsten  Danks 

Wird  ihm  des  gefürchteten  Gipfels 

Schneebehangener  Scheitel, 

Den  mit  Geisterreihen 

Kränzten  ahnende  Völker. 

Das  ist  der  wahre  Goethe,  der  hier  zu  uns  redet,  der 
mit  dem  tiefmitftihlenden,  frommen,  deutschen  und  von  Natur 
doch  christlichen  Herzen  —  das  ist  unser  Goethe;  nicht 
der  herzlose  Zweifler  Faust,  der  allem  Heiligen  flucht  und  den 
Frieden  der  Unschuld  untergräbt.  Das  ist  der  wahre  Goethe, 
nicht  der  Titan  Prometheus,  der  der  Götter  spottet  im  Bewufst- 
sein  eigener  Kraft,  sondernder,  welcher  in  der  Ode  „Grenzen 
der  Menschheit"  sich  im  demütigen  Bewufstsein  der  eigenen 
Schranken  ehrfurchtsvoll  vor  der  Gottheit  beugt  und  anbetet  in 
frommer  Scheu: 

Wenn  der  uralte 
Heilige  Vater 
Mit  gelassener  Hand 
Aus  rollenden  Wolken 
Segnende  Blitze 
Über  die  Erde  sa't, 
Küss'  ich  den  letzten 
Saum  seines  Kleides, 
Kindliche  Schauer 
Treu  in  der  Brust 

Denn  mit  Göttern 
Soll  sich  nicht  messen 
Irgend  ein  Mensch. 

Das  ist  der  wahre  Goethe,  nicht  der  naturtrunkene  Pantheist, 
der  über  der  Herrlichkeit  des  Lenzes  den  Meister  aller  Schöne 
vergifst,  sondern  der  fromme  Theist,  der  sich  durch  des 
Lenzes  Pracht  aufwärts  an  das  Herz  des  Vaters  im  Himmel 
ziehen  läfst: 

Hinauf!  hinauf  strebt's. 
Es  schweben  die  Wolken 
Abwarte,  die  Wolken 


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122 


Heinzelmann, 


Heft  4n5. 


Neigen  sich  der  sehnenden  Liebe. 
Mir!  mir 

In  eurem  Schofse 
AufVärta! 

Umfangend  umfangen ! 
Aufwärts  an  deinen  Busen, 
Allliebender  Vater! 

Und  das  ist  endlich  auch  der  wahre  Goethe,  der  aufrichtig 
gegen  sich  selbst  über  den  inneren  sittlichen  Zwiespalt 
der  Sünde  im  Herzen  sich  nicht  durch  Rousseau  oder  sonst 
wen  hinwegtäuschen  läfst,  noch  sich  selbst  hinwegtäuscht,  sondern 
der  in  demütiger  Beschämung  bekennt: 

Zwei  Seelen  wohnen,  ach,  in  meiner  Brost, 

Die  eine  will  sich  von  der  andern  trennen; 

Die  eine  halt,  in  derber  Liebeslust, 

Sich  an  die  Welt,  mit  klammernden  Organen; 

Die  andre  hebt  gewaltsam  sich  vom  Dust 

Zu  den  Gefilden  hoher  Ahnen. 


Doch  wer  kann  sie  ausreden,  die  Herrlichkeit  der  Goethe- 
schen  Poesie,  die  lockende  Stimme  des  Genius  aus  dem  oberen 
Heiligtum,  der  im  Bunde,  wenn  auch  im  geheimen  und  unbewufsten, 
mit  dem  christlichen  Glauben,  ahnend  die  Wahrheit  aus  Gott 
bekennt,  die  ihm  von  oben  ins  offene  Herz  sich  senkt,  und  den 
Denker  Goethe  selbst  zu  Zeiten  staunen  macht! 

Aber  auch  der  Denker  verharrt  nicht  immer  im  Irren,  durch 
manch  bangen  Zweifel  dringt  er  zur  Wahrheit.  Die  dritte 
Periode  der  Entwicklung  seines  Lebens,  die  Periode  der 
Vollendung,  in  welcher  an  die  Stelle  Spinozas  die  Einwirkung 
eines  Kant  und  Leibnitz  tritt,  zeigt  uns  den  Dichter  auf  der 
Höhe  seiner  sittlich  gereiften  Weltanschauung,  und  hier 
nimmt  auch  die  Religion  eine  bedeutende  Stellung  ein.  Davon 
zum  Sehlufs  noch  einige  Andeutungen. 

„Fruchtbare  Thätigkeit,"  die  der  „Entfaltung  der  Eigenart" 
ebensowohl  wie  dem  „Nächsten  in  Liebe  dient",  und  den  Menschen 
also  „wahrhaft  frei  macht"  —  das  ist  des  Lebens  Ziel.  So 
hören  wir's  in  den  „Wanderjahren" : 

Und  dein  Streben,  sei's  in  Liebe, 
Und  dein  Leben  sei  die  That! 

Thu  deine  Pflicht  in  deinem  Beruf!  Pflicht  aber  ist  keine 
äufscre  sittliche  Nötigung  zur  rechten  That,  sondern:  Pflicht  ist, 
wo  man  liebt,  was  man  sich  selbst  befiehlt.    Nun  reden  zwar 


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1893. 


Goethes  religiöse  Entwicklung. 


123 


zwei  Stimmen  in  unserer  Brust;  der  Hang  zur  Sünde  zieht  uns 
nach  unten;  aber  es  giebt  nicht  blofs  eine  Erbsünde,  es  giebt 
auch  eine  Erbtugend.    Davon  zeugt  das  Gewissen  in  uns: 

8ofort  nun  wende  dich  nach  innen! 
Das  Centrum  findest  du  da  drinnen, 
Woran  kein  Edler  zweifeln  mag; 
Wirst  keine  Regel  da  vermissen, 
Denn  das  selbständige  Gewissen 
Ist  Sonne  deinem  Sittentag. 

Auf  diese  Stimme  gilt's  zu  lauschen  im  Kampf  des  Lebens 
und  ihr  unentwegt  in  dem  beharrlichen  Streben  eines  festen 
Charakters  zu  folgen.  Und  wie  gelangt  man  dahin,  ein  solcher 
Charakter  zu  werden ?  Durch  die  Religion.  Die  Frömmigkeit 
ist  Führer  zur  Sittlichkeit,  Mittel,  um  durch  die  reinste  Gemüts- 
ruhe zur  höchsten  Kultur  zu  gelangen.  Der  T  r  i  e  b  zur  Religion, 
das  Bedürfnis  gläubiger,  völliger,  dankbarer  Hingabe  ist  tief  ein- 
gegraben in  des  Menschen  Herz: 

In  unsres  Busens  Reine  wogt  ein  Streben, 
Sich  einem  Höhern,  Reinem,  Unbekannten 
Aus  Dankbarkeit  freiwillig  hinzugeben, 
Enträtselnd  sich  den  ewig  Ungenannten; 
Wir  heifeen's  fromm  sein. 

Wesen  der  Frömmigkeit  ist  dankbare  Hingabe  des  Herzens, 
tiefe  Ehrfurcht  vor  den  Offenbarungen  Gottes  über 
uns,  neben  uns,  in  uns  und  unter  uns.  Denn  die  Welt  ist  ein 
Spiegel  der  Herrlichkeit  des  Schöpfers,  wenn  auch  alles  Ver- 
gängliche nur  ein  Gleichnis  des  wahren,  ewigen  Seins  ist;  Natur 
und  Menschengeist  sind  ein  Abglanz  des  Urlichtes.  Mit  Ehrfurcht 
sollen  wir  daher  jedem  einzelnen  Menschen  begegnen,  denn  er 
trägt  Gottes  Bild;  mit  Ehrfurcht  vor  allen  den  grofsen  Genien, 
den  schöpferischen  Geistern,  denn  ihre  Gaben  stammen  von  Gott. 
Aber  höher  als  das  Talent  steht  die  Sittlichkeit.  Die  göttliche 
Offenbarung  des  höchsten  Prinzips  der  Sittlichkeit  verehrte  Goethe 
in  der  Person  Christi:  „Die  Hoheit  der  Person  Christi  ist 
so  göttlicher  Art,  wie  das  Göttliche  nur  je  auf  Erden  erschienen 
ist."  Die  christliche  Religion  ist  nach  Goethe  „ein  mäch- 
tiges Wesen  für  sich,  woran  sich  die  gesunkene  und  leidende 
Menschheit  von  Zeit  zu  Zeit  immer  wieder  emporgearbeitet  hat!" 
Sie  ist  erhaben  über  alle  Philosophie  und  bedarf  von  ihr  keiner 
Stütze.  Wie  hoch  er  die  Bibel  stellt,  wissen  wir.  Sie  ist  ihm 
nicht  nur  ein  Volksbuch,  sondern  das  Buch  der  Völker,  das 

9« 


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124  Heinzelmann,  Heft  4  U.  5. 


wichtigste  Mittel  zur  Erziehung  der  Menschheit. 
Ihr  gegenüber  soll  man  keine  Kritik  üben,  sondern  aus  ihr  sich 
aneignen,  was  man  für  seine  sittliche  Kultur  und  Stärkung  ge- 
brauchen kann.  Sie  wird  allen  Fortschritt  menschlicher  Kultur 
überdauern.  Die  Evangelien  sind  ihm  durchaus  echt:  denn 
in  ihnen  schimmere  und  leuchte  die  sittliche  Kultur  des  Christen- 
tums; in  ihnen  sei  „der  Abglanz  einer  Hoheit  göttlicher  Art 
wirksam,  welcher  von  der  Person  Christi  ausging/  Die  gröfste 
und  segensreichste  That  Gottes  im  Verlauf  der  Geschichte  der 
Menschheit  ist  nächst  dem  Eintritt  des  Christentums  in  die  Welt 
die  Reformation.  Sie  ist  eine  im  höchsten  Sinne  befreiende 
und  kulturfördernde  That,  so  recht  eine  That  des  deutschen 
Volkes,  dessen  Wesen  ist  die  persönliche  Freiheit. 

Die  Zukunft  der  Menschheit,  ihr  letztes  Ziel,  ist  ein 
allumfassender  sittlicher  Weltbund,  in  welchem  die  Ehrfurcht  vor 
dem  Göttlichen,  Glaube  und  thatkräftige  Liebe  ihre  volle  Ver- 
wirklichung gefunden  hat. 

Zuletzt  wird  es  dahin  kommen,  dafs  alles  nur  eins  ist.  Denn 
„sobald  man  die  reine  Lehre  und  Liebe  Christi,  wie  sie 
ist,  wird  begriffen  und  in  sich  eingelebt  haben,  wird  man  sich 
als  Mensch  grofs  und  frei  fühlen.*  „Auch  werden  wir  alle  nach 
und  nach  aus  einem  Christentum  des  Glaubens  und  des  Wortes 
zu  einem  Christentum  der  Gesinnung  und  der  That 
kommen." 

Ziehn  wir  einst  im  Engelchor, 
Geht's  nach  einer  Weise! 

Dahin  führt  Goethe  zuletzt  seinen  Faust  ein  —  und  der 

Chor  der  Engel  singt: 

Gerettet  ist  das  edle  Glied 
Der  Geisterwelt  vom  Bösen: 
Wer  immer  strebend  sich  bemüht, 
Den  können  wir  erlösen; 
Und  hat  an  ihm  die  Liebe  gar 
Von  oben  teilgenommen, 
Begegnet  ihm  die  eel'ge  Schar 
Mit  herzlichem  Willkommen. 

„In  diesen  Versen,"  sagt  Goethe  am  6.  Juni  1831  zu  Ecker- 
mann, „ist  der  Schlüssel  zu  Fausts  Rettung  enthalten:  In  Faust 
selber  eine  immer  höhere  und  reinere  Thätigkeit  bis  ans  Ende, 
und  von  oben  die  ihm  zu  Hülfe  kommende  ewige  Liebe.  Bis 
steht  dieses  mit  unserer  religiösen  Vorstellung  durchaus  in  Har- 


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Goethes  religiöse  Entwicklung. 


125 


monie,  nach  welcher  wir  nicht  blofs  durch  eigene  Kraft  selig 
werden,  sondern  durch  die  hinzu  kommende  göttliche  Gnade." 

Blicken  wir  von  hier  aus  zurück  auf  den  im  Vorstehenden 
dargelegten  Gang  der  religiösen  Entwicklung  Goethes  und  auf 
die  schliefslichen  Ergebnisse  seines  Denkens  und  Forschens  auf 
dem  religiös  -  sittlichen  Gebiete,  so  dürfte  zunächst  soviel  ein- 
leuchten, dafs  diejenigen,  welche  den  grofsen  Dichter  zum  klassi- 
schen Vertreter  einer  religionslosen  Sittlichkeit,  einer  auf  die 
eigene  Kraft  des  Menschen  gestellten  Humanität  stempeln 
möchten,  im  Unrechte  sind.  Was  er  selbst  in  einem  seiner  letzten 
Gespräche  mit  Eickermann  ausdrücklich  betont,  dafs  er  das 
Reinmenschliche  nie  im  Sinne  einer  vom  Übersinnlichen 
losgelösten  Sittlichkeit  aufgefafst  und  verstanden  habe,  das  wird 
nicht  blofs  durch  die  erhabensten  Erzeugnisse  seines  dichterischen 
Genius  —  und  wir  erinnern  noch  besonders  an  den  tief-religiösen 
Gehalt  der  von  uns  hier  absichtlich  unberücksichtigt  gelassenen 
„Iphigenie",  seines  klassischen  Epos  „Hermann  und  Dorothea" 
und  jener  wundervollen  Erzählung  aus  seinen  letzten  Lebensjahren, 
welche  die  Überschrift  „Novelle"  trägt  —  vollauf  bestätigt,  sondern 
es  wird  auch  durch  eine  unbefangene  und  zugleich  umfassende 
Betrachtung  seines  gesamten  Lebens  und  Denkens  aufser  Frage 
gestellt.  Denn  wer,  wie  Goethe,  als  Dichter  dem  religiösen 
Element  einen  so  breiten  Spielraum  in  seinen  Werken  anweist, 
und  als  Mensch  den  religiösen  Fragen  trotz  aller  Kämpfe, 
Zweifel  und  Irrtümer  mit  so  reger  Teilnahme  bis  an  sein  Lebens- 
ende zugewandt  bleibt,  der  beweist  damit  zugleich,  dafs  ihm  die 
Religion  nicht  ein  im  Grunde  überflüssiger  und  störender  An- 
hängsel des  Lebens,  nicht  blofs  ein  Gegenstand  rein  wissenschaft- 
lichen, kritischen  Interesses  oder  auch  ein  nicht  ganz  wertloser, 
nun  einmal  nicht  zu  entbehrender  Schmuck  des  Lebens,  nicht 
blofs  ein  kräftiges  Reizmittel  zur  Sittlichkeit  ist;  ihm  ist  die 
Religion  in  Wahrheit  Herzenssache,  persönliche  Ange- 
legenheit des  innern  Lebens,  der  erkennt  in  der  Religion 
ein  selbständiges  Lebenselement  der  menschlichen  Natur,  ja  die 
höchste  Angelegenheit  der  Menschheit  und  hat  damit 
trotz  aller  begrifflichen  Schwankungen  den  unzureichenden  Stand- 
punkt eines  mehr  intellektuell,  ästhetisch  oder  ethisch  gefärbten 
Rationalismus  grundsätzlich  verlassen. 

Aber  wir  müssen  noch  einen  Schritt  weitergehen.    Die  in 


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126  Heinzelmann,  Goethes  religiöse  Entwicklung.     Heft  4  U.  5. 


den  Grundzügen  dargelegte  theistische  Weltanschauung, 
welche  sich  der  Dichter  in  seiner  dritten,  ethisch  -  praktischen 
Lebensperiode,  der  Periode  der  Vollendung,  im  Gegensatze  zu 
dem  von  ihm  erfolgreich  bekämpften  Deismus,  wie  zu  dem  von 
ihm  sittlich  immermehr  überwundenen  Pantheismus  an  der  Hand 
von  Kant  und  Leibniz  herausgearbeitet  hat,  trägt  auf  Schritt 
und  Tritt  so  unverkennbar  die  Einwirkungen  des  christlichen 
Geistes  an  sich  und  tritt  zuletzt  so  warm  für  das  Christentum 
selbst  als  die  gewaltigste  Kulturmacht  und  das  höchste  Prinzip 
der  Sittlichkeit  in  die  Schranken,  dafs  wir  ihr  das  Prädikat 
einer  echt  christlichen  Denkweise  nun  und  nimmermehr 
versagen  können.    Und  wenn  wir  auch  gern  zugestehen  wollen, 
dafs  seine  religiös- sittliche  Weltanschauung  schwerlich  in  den 
engen  Rahmen  irgend  eines  besonderen  kirchlichen  Bekenntnisses 
passen  möchte,  so  müssen  wir  doch  einerseits  dem  Dichter  selbst 
ein  volles  Recht  zugestehen,  denen  gegenüber,  welche  ihn  einen 
Heiden  nannten,  sich  offen  als  einen  Christen  zu  bekennen, 
und  dürfen  andererseits  mit  Genugthuung  daraufhinweisen,  dafs 
das  von  ihm  als  letztes  und  höchstes  Ziel  der  Menschheit 
bezeichnete  und  angestrebte  „Christentum  der  Gesinnung  und 
der  Thata,  das  universelle  und   weitherzige  Reichgottes- 
Christentum  der  Bibel,  d.  h.  das  praktische  Christentum 
des  Glaubens,  der  sich  in  der  weltumfassenden  Liebe  kräftig 
und  wirksam  erweist,  wie  zur  Hebung  und  Linderung  des  Welt- 
elends, so  auch  zur  Förderung  aller  echt  menschlichen  Interessen, 
zum  Wachstum  des  Guten,  Wahren,  Schönen,  alles  Edlen  und 
Grofsen  in  der  Welt,  —  verstehen  wir  recht  —  kein  anderes 
ist,  als  das,  welches  der  ihm  geistesverwandte  und  schon  durch 
das  langjährige  Interesse  des  Dichters  für  die  Brüdergemeinde 
und  ihr  praktisches  Christentum  so  nahestehende  Comenius 
zu  pflegen  und  zu  verbreiten  sich  zur  Aufgabe  gemacht  hat. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


Der  Protest  des  Comenius  gegen  den  Vorwurf, 
er  sei  ein  Sektierer,  beleuchtet  aus  den  Beziehungen 

Andreäs  zu  Nürnberg. 

Ein  weiterer  Beitrag  zum  Verständnis  seines  Lttnebnrger  Briefs 
O.  Hadlaoh,  Pfarrer  in  Zethlingen  (Altmark). 


Neben  Ernst  Ludwig  Theodor  Uenke  ist  der  grofse  Theologe 
und  Polyhistor  A.  Tholuck  derjenige,  welcher  unter  den  Theo- 
logen dieses  Jahrhunderts  sich  am  tiefsten  in  die  Zeit  des  17.  Jahr- 
hunderts versenkt  hat,  indem  er  lange  Zeit  hindurch  seine 
historischen  Studien  auf  den  Ursprung  einerseits  des  Pietismus, 
andererseits  der  Aufklärung  und  schliefslich  des  Rationalismus 
richtete.  Selbstverständlich  hat  Tholuck  auch  Uber  Valentin  Andreä 
sein  wohlbegründetes  Urteil  abgegeben.  Er  sagt  (Lebenszeugen 
der  luth.  Kirche,  1850,  S.  332):  „Andreä  ist  lutherisch-orthodox 
—  seiner  Verwandtschaftspietat  nach  würde  er  schon  als  Enkel 
eines  Jakob  Andreä  nicht  anders  gekonnt  haben. u  Der  im  Jahre 
1890  verstorbene  Göttingor  Kirchenhistoriker  Wagenmann  stimmt 
Tholucks  Urteil  zu,  wenn  er  in  Herzogs  Realencyklop.,  2.  Aufl., 
I.,  S.  394  noch  hinzufügt:  Andreä  ist  voll  Antipathie  gegen  den 
Calvinismus.  Auch  von  Criegern  hebt  an  mehreren  Stellen  hervor, 
dafs  Andreä  mit  vollem  theologischen  Bewufstsein  der  rechten 
lutherischen  Lehre  zugethan  gewesen  ist 1).  Dies  Urteil  erscheint, 
wenn  wir  das  Abhängigkeitsverhältnis  des  Comenius  von  Andreä 


')  Von  neuesten  Darstellungen  des  Lebenslanges  V.  Andreäs,  welche 
der  800jährige  Geburtstag  desselben  hervorgerufen  hat,  ist  aufser  Glöcklers 
Arbeit  zu  nennen:  A.  Landenberger :  J.  V.  Andreä,  ein  schwäbischer  Gottcs- 
gelehrter,  Bannen  1886,  und  P.  Wurm:  J.  V.  Andreä,  ein  Glaubenszeuge 
aus  der  Zeit  des  30jährigon  Krieges,  Calw  1887.  Wir  berücksichtigen  diese 
Arbeiten  hier  nicht,  wen  sie  die  historische  Forschung  über  Hossbach  und 
Tholuck  nicht  hinausgeführt  haben. 


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128 


Radluch, 


Heft  4  u.  5. 


ins  Auge  fassen,  zunächst  auffällig.  Wir  möchten  den  Valentin 
Andreä,  wenn  wir  zum  erstenmal  von  Criegerns  Urteil  hören, 
„dafs  Comenius  in  allen  Richtungen  seines  Geisteslebens  von 
Andreä  einen  befruchtenden  Einflufs  erfuhr",  denjenigen 
Lutheranern  beigesellt  denken,  welche  der  milderen  Melanch- 
thonischen  Richtung  ergeben  waren  und  mit  den  strengeren 
Lutheranern  im  Streit  lagen.  Allein  wenn  wir  Andreä  in  seinem 
Lebenslauf  rühmen  hören,  wie  viel  ihm  der  tägliche  Umgang  mit 
dem  Professor  D.  Hafenreffer,  der  auch  seines  Vaters  und  Grofs- 
vaters  Freund  gewesen,  in  den  Jahren  1612  und  13  in  Tübingen 
flir  Geist  und  Herz  ausgetragen  hat,  müssen  wir  uns  schon  vorher 
sagen,  dafs  Andreä  sich  auch  an  Hafenreffer  angeschlossen  hat, 
von  dem  Thomas  Lansius  in  der  Gedächtnisrede  rühmt1),  „dafs 
er  all  sein  Denken  und  Thun  auf  die  Ausbreitung  des  reinen 
orthodoxen  Glaubens  und  auf  das  Heil  und  Wachstum  des  christ- 
lichen Staats  richtete,  dafs  er  sehr  oft  das  schreckliche  Unheil, 
welches  über  Deutschland  kommen  würde,  mit  Trauer  und  tiefen 
Seufzern  vorhersagte"  und  der  vergeblich,  wie  wir  hinzufügen, 
vor  Ausbruch  des  30jährigen  Krieges  in  der  Schrift:  „Friedbott 
—  oder  ernstliche  Erinnerung  aufs  Gottes  Wort  —  dafs  wir 
Christen  friedlieh  und  einig  miteinander  leben  —  und  keiner  den 
andern  mit  Worten  und  Waffen  freventlich  verletzen  solle,  Frank- 
furt 1613,  Stettin  1615  und  1630  in  4oa  seine  Stimme  erhob. 

Wir  müssen  diese  Bemerkungen  vorausschicken,  weil  gerade 
aus  den  Beziehungen  Valentin  Andreas  zu  Nürnberg,  aus  seiner 
inneren  Anteilnahme  an  den  Kämpfen,  welche  sein  Freund  Johann 
Saubert  mit  den  „Sektierern"  in  Nürnberg  einerseits,  mit  den 
„Philippisten"  andererseits  zu  bestehen  hatte8),  hervorgeht,  dafs 
Tholuck  und  Wagenmann  und  von  Criegern  Recht  haben,  wenn 
sie  sagen :  Andreä  ist  lutherisch-orthodox.  Aus  den  Beziehungen 
Valentin  Andreäs  zu  den  Strafsburger  Theologen,  mit  denen  er 
der  Konkord ienformel  anhing,  kann  dies  noch  greifbarer  bewiesen 
werden.  Wichtiger  ftir  uns  ist  die  Frage,  welche  Auffassung 
hatte  Comenius  Uber  die  Stellung  des  Andreä  zu  den  kirchlichen 
und  religiösen  Fragen  seiner  Zeit?  Ist  er  etwa  in  seiner  Auf- 
fassung, um  in  der  Weise  seines  Lüneburger  Briefs  zu  reden, 
einem  müfsigen  Ohrenbläser  gefolgt,  wie  er  solches  von  Andreä 
annehmen  mufste,  wenn  dieser  ihn  wirklich  für  einen  „Sectarius" 
halten  sollte?  Nein,  Comenius  kannte  Andreäs  Stellung  genau, 
deshalb  weist  er  mit  besonderer  Entrüstung  den  ihm  unter- 
geschobenen Angriff  auf  Luther  ab.  Deshalb  erinnert  er  den 
Andreä  an  die  Streitigkeiten  innerhalb  der  lutherischen  und  der 
.  ,  

')  Witten:  Memor.  theolog.,  Frankfurt  a.  M.  1674,  S.  151. 

•)  Siehe  Hossbach,  Val.  Andreä,  S.  129.  Andreäs  Selbstbiographie, 
heraugg.  von  Rhein wald,  S.  221:  „Sauberti  mei  luctam  cum  Philippophilis, 
Apap  satellitibu.H,  qui  nunquam  Lutbero  fidi,  nunquain  a  cuniculis  abstinentes, 
inter  molesta  numeraverim." 


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1893. 


Der  Protest  des  Comenius  etc. 


129 


reformierten  Scholastik,  welche  mehr  für  die  Reinheit  der  Lehre, 
als  für  die  Reinheit  des  Lebens  kämpfte,  deshalb  bezeichnet  er 
sich  in  seinem  Briefe  als  einen  Christen ,  der  keinen  irdischen 
Lehrer  anbetet,  der  aber  dabei  zugleich  ein  treues  Glied  der- 
jenigen Kirche  ist,  welche  ihre  Gestalt  100  Jahre  vor  Luther  und 
Calvin,  von  Hufs  erhalten  hat  und  stellt  sich  gleichsam  mit  diesem 
Bekenntnis  dem  Bekenntnis  des  Andrea :  „Christianus  mihi  nomen, 
Lutheranus  cognomen"  an  die  Seite. 

Wie  aber  Comenius  über  seinen  lieben  Valentin,  den  er  wie 
einen  Vater  verehrte,  nicht  im  Unklaren  war,  so  mufste  auch 
Andreä  den  Bischof  der  böhmischen  Brüder  kennen.  Und  bei 
welcher  Gelegenheit  sollte  Comenius  dem  Andreä  gegenüber,  wie 
er  aus  Lüneburg  schreibt,  gegen  den  Vorwurf  protestiert  haben, 
dafs  er  ein  Sektierer  sei?  Nach  unserer  Auffassung  weist  diese 
Stelle  des  Lüneburger  Briefs  nicht  blofs  auf  einen  früheren,  ver- 
loren gegangenen  Brief  des  Comenius  hin,  sondern  sie  wird  auch 
verständlich  aus  den  Nürnberger  Streitigkeiten,  die  während  der 
Amtszeit  Sauberts  stattfanden,  an  welchen  Andreä  mit  seinen 
Freunden  inneren  Anteil  nahmen.  „Du  verabscheust  die  Sekten 
als  Satans  Werk",  schreibt  Comenius.  Andreä  hatte  sich  gewifs 
dieses  Ausdrucks  in  einem  Briefe  an  Comenius  bedient,  schreibt 
er  doch  z.  B.  an  J.  Schmidt  in  Strafsburg:  „Längst  wäre  Nürn- 
berg in  einem  Sektenchaos,  ja  im  calvinistischen  Kothe  unter- 
gegangen, hätte  nicht  der  Eifer  der  geistlichen  Oberhirten  es 
noch  erhalten  1).tt 

Mit  welcher  Teilnahrae  Valentin  Andreä  das  Amtsleben  seines 
Freundes  Joh.  Saubert  in  Nürnberg,  seine  fortgesetzten  Kämpfe 
für  die  Reinheit  lutherischer  Lehre  sowohl  als  ftlr  die  Reinheit 
lutherischen  Lebens,  seine  Korrespondenzen  mit  gleichgesinnten 
Freunden  wie:  Gerhard,  Höe,  Höppfner  in  Leipzig,  Meyfart, 
Daniel  Dilger  in  Danzig,  Kefsler  in  Schweinfurt,  J.  Schmid  in 
Strafsburg,  Schleupner  in  Hof,  Walther  in  Celle,  Hirsch  in  Eis- 
leben, Meisner  in  Wittenberg,  Lälius  in  Ansbach  und  Joh.  Schröder 
in  Rostock  verfolgte,  ist  schon  aus  der  von  Valentin  Andreä  nach 
Sauberts  Tode  verfafsten  Schrift:  Umbra  Sauberti,  1647,  zu  er- 
kennen und  mufs  besonders  aus  Ep.  ad  Saubertum  cod.  ms. 
Hamb,  weiter  erforscht  werden. 

Aus  den  Visitationsakten  von  1669  in  der  Nürnberger  Stadt- 
bibliothek ist  zu  ersehen,  welcher  Art  die  „Sectarii"  in  Nürnberg 
waren.  Saubert  bezeichnet  sie  als  Weigelianer.  Tholuck  sagt: 
„Es  sind  Separatisten  aus  redlichem  Mifsmut  Uber  die  Verderbnis 
der  Kirche,  andere  mit  latudinarischen  Ansichten  über  Abend- 
mahl, Beichte  und  andere  Dogmen."  Sie  waren  nicht  plötz- 
lich aufgetreten.  Theophrastus  Paracelsus  und  Lautensack, 
ersterer  noch  ein  Zeitgenosse  Luthers,  besonders  aber  ValentinWeigel 


l)  Ep.  ad  J.  Schmid,  IL,  cod.  ms.  Hmb.,  citiert  he\  Tholuck. 


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130 


Rml  lach, 


Heft  4  u.  5. 


gehörten  zu  ihren  geistlichen  Vätern1).  In  der  Halleschen  Uni- 
versitätsbibliothek befindet  sich  in  zwei  Bänden  eine  Sammlung 
nürnbergischer  kirchlicher  Dokumente  von  dem  Nürnberger  Senior 
Joh.  Fabricius  zusammengetragen.  Aus  diesen  Dokumenten  ist 
zu  ersehen,  dafs  allem  Anschein  nach  auch  Mennoniten  aus  Holland 
in  Nürnberg  sich  befanden,  welche  in  der  deutschen  Kauftnanns- 
stadt  ihren  Wohnsitz  aufgeschlagen  hatten.  Auch  gegen  diese 
richtete  sich  der  Streit  Sauberts.  Die  Anschauung,  welche  sie 
vertreten,  ist  aus  der  Erklärung  eines  gewissen  Van  der  Houven 
zu  ersehen.  Dieser  erklärte  bei  einer  Vorladung  vor  dem 
Ministerium:  Er  habe  mit  der  Augustana  nichts  zu  thun,  da  sie 
nur  verdamme,  er  aber  niemanden  verdamme.  Den  Katechismus 
habe  er  schon  vor  40  Jahren  auswendig  gelernt,  könne  aber  sein 
Christentum  darauf  nicht  genugsam  gründen ;  im  Neuen  Testament 
finde  er  einen  weit  gröfseren  Schatz,  daraus  er  sich  erbaue. 
Andreä  in  der  Umbra  Sauberti  bezeichnet  diese  Gegner  folgender- 
mafsen:  „In  bis  facile  familiam  ducunt  qui  a  Wigelio  nomen 
habent,  monstrosae  ac  plane  Chyraieae  sive  fumivendae  sectae 
asseclae:  Ex  Photinianis,  Flaccianis,  Puritanis,  Swenckfeldianis, 
Catabaptistis  aliisque  hujus  farinae  faecibus  congestae,  Lutheranis 
potissimum  infcstae." 

Die  andere  Seite  des  Kampfes  war  gegen  die  mildere  luthe- 
rische Richtung,  die  sogenannte  philippistische,  gerichtet.  Diese 
Richtung  repräsentierte  schon  im  Reformationsjahrhundert  den 
eigentlichen  Charakter  der  Nürnberger  Kirche.  Der  oben  ge- 
nannte Senior  Johann  Fabricius  gehörte  zu  derselben  Familie, 
deren  Vorfahren  schon  durch  vier  Generationen  der  gemäfsigt 
melanchthonischen  Richtung  gedient  hatten  und  deren  Stammvater 
Joh.  Fabricius  mit  Philipp  Melanchthon  befreundet  gewesen  war2). 

Als  die  Nürnberger  im  Jahre  1624  dem  Georg  Calixt  eine 
Professur  in  Altdorf  antrugen,  konnten  sie  deshalb  mit  Recht 
schreiben:  „Ecclesiae  Ditionis  Reipublicae  Norib.  neque  Calvini 
doctrinam  neque  Formulae  concordiae  placita  nonnullis  in  locis 
cum  scriptis  D.  M.  Lutberi  et  Phil.  Melanthonis  p.  m.  minus 
convenientia  hactenus  amplexae  sunt8)." 

Wenn  nun  aber  Andreä  seinen  Freund  Saubert  auch  in  dem 
Kampfe  nach  dieser  Seite  hin  unterstützt  und  z.  B.  an  J.  Schmid 
schreibt:  „In  Nürnberg  herrschte  einst  Philippus,  und  Luther 
wurde  ausgeschlossen.  Nach  heftigen  Kämpfen  ist  Luther  endlich 
angenommen,  obwohl  bei  den  Mächtigen  sich  Philippus  noch 
immer  im  Hintergrunde  versteckt  halt.  Ich  bitte  Euch,  kommt 
dem  bedrängten  Luther,  an  den  sich  die  philippistischen  Mause 
machen,  zu  Hülfe,  richtet  wenigstens  den  Mut  unseres  Saubert 
auf  ;u  wenn  er  ferner  den  Pfarrer  an  der  Sebalduskirche  in  Nürn- 


1)  Dorner:  Geschichte  der  protest.  Theologie,  München  1867,  8.601. 
*)  Herzog»  Realenevklop.,  2.  Aufl.,  IV.,  S.  4S2. 
*)  Georg  Calixtus'  Briefwechsel,  herausgegeben  von  Henke,  Halle 
1833,  S.  18. 


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1893. 


Der  Protest  des  Comenius  etc. 


131 


berg,  mit  dem  ihn  die  engsten  Familienbande  umschlossen,  da 
sein  Sohn  Gottlieb  Sauberts  Tochter  Barbara  geheiratet  hatte, 
in  der  Umbra  Sauberti  als  ein  exemplum  doctrinae  Orthodoxae 
rühmend  hinstellt,  kann  da  noeh  ein  Zweifel  übrig  bleiben, 
welcher  kirchlichen  Richtung  Valentin  AndreÄ  angehörte? 

Andrea  war  lutherisch-orthodox  im  eminenten  Sinne.  Und 
wenn  von  Criegcrn  den  AndreÄ  und  den  Comenius  als  mystisch- 
praktisch bezeichnet,  so  hat  Andrea  sich  gegenüber  der  Vernach- 
lässigung des  Gemüts,  welche  eine  Folge  des  ausgeprägten  Forma- 
lismus und  des  Ausschlusses  des  subjektiven  Faktors  bei  dem 
Ausbau  der  späteren  lutherischen  Theologie  war  und  ihr  die 
Wärme  und  Lebendigkeit  nahm,  mit  Bcwulstsein  zu  Luthers 
Standpunkt  zurückgewendet,  dessen  mystischer  und  theosophischer 
Zug  bei  seinen  Epigonen  verloren  gegangen  war1). 

Nicht  auf  dogmatischem  Gebiet  ist  die  Übereinstimmung  des 
Andreä  und  des  Comenius  zu  suchen,  denn  deutlicher  kann  sich 
Comenius  darüber  nicht  aussprechen,  als  er  es  in  dem  Lüne- 
burger Brief  gethan  hat,  sondern  auf  dem  ethischen.  Wenn 
Kleinert  von  dem  Pädagogen  Comenius  sagt,  dafs  der  ethische 
Standpunkt  für  ihn  der  dominierende  ist*)  und  dies  ebenso  von 
dem  Pädagogen  Andreä  gilt,  dann  müssen  wir  diesen  Standpunkt 
auch  bei  den  Theologen  Andreä  und  Comenius  als  den  dominie- 
renden bezeichnen.  Die  Theologie  beider  ist  auf  die  Weltaufgabe 


>)  Aus  einer  Stelle  in  Valentin  Andreas  Theophil us  1649,  pg.  5, 
7,  88,  welche  zugleich  beweist,  dafs  Comeniua  dem  Andreä  in  seinem  Lüne- 
bnrger  Brief  nicht  etwas  Neues  schrieb,  wenn  er  ihn  an  die  Streitigkeiten 


erinnerte,  Bondem  nur  bekannte  Thatsachen  andeutete,  über  welche  Andreä 
dieselben  Ansichten  wie  Comenius  hatte,  geht  dies  besonders  hervor. 
Andreä  in  seinem  Theophilus  klagt  und  warnt:  „Religio  exspirarc  penitus 
videtur  ....  Multa  sunt,  quae  possint  ad  Lutheri  inentem  tnstitutionem- 
que  revocari,  quae  temporum  vitio  paulatim  obsolescunt.  Duo  oinnium 
maxime  renovatk  vel  repetita  exoptarem.  Unum,  ut  ad  verbi  divini  regulam 
et  conscientiae  normam  vel  leges  vel  rationes  politicac  magis  adoptarentur, 
majorque  harmonia  divini  humanique  instituti  couspiecretur  .  .  .  Altcrum, 
ut  non  tantum  de  publica  verbi  divini  annunciationc,  verum  etiam  privata 
singulorum  institutione  recte  curanda  major  esset  solicitudo,  quae  et  praedi- 
cationi  aptiores  et  ridei  certiores  omninoque  Christianae  religionis  magis 
erudito»  redderet  .  .  .  Dolendum,  id  Semper  agere  Satanam.  ut  ubi  vita 
lncet,  doctrina  caliget,  ubi  doctrina  pura,  vita  sordcat  .  .  .  Christiana  dis> 
eiplina,  cui  serio  omnes  omnis  ordinis  nominea  animum  addiecre  et  ineumbere 
ei  quoquo  studio  et  cura  decet.  Fieri  hoc  possc  ausim  sperare,  si  idem 
zelus  emendationis  vitae,  qui  Konsensus  olim  et  concordiae  inter  Evangelicos 
sanciendae  ecclesiae  proceres  acceuderet"  Andere  Citate  au»  dem  Theo- 
philus siehe  bei  von  Criegcrn,  S.  342,  wo  von  Criegern  den  wichtigen  Zu- 
satz macht:  Andreä  katechisiert  aus  seinem  Eusebius  alle  Lehrsätze  der 
lutherischen  Dogmatik  heraus  in  einer  den  Freund  der  lutherischen  Kirche 
fast  peinlich  berührenden  Weise,  denn  man  nimmt  gar  zu  sehr  die  Absicht- 
licbkcit  wahr.  Es  soll  eben  eine  Verwahrung  gegen  jede  Heterodoxie  sein. 
In  ähnlicher  Weise  hat  auch  Comenius  sich  wegen  seiner  pansophischen 
Bestrebungen  seiner  Kirche  gegenüber  rechtfertigen  müssen. 

*)  Herzogs  Realencyklop.,  2.  Aufl.,  Band  III. 


über  die  rechte  Lehre  und  an  di 


lnde  Sorge  für  das  rechte  Leben 


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132 


Radlach, 


Heft  4  u.  5. 


des  Christentums  gerichtet,  wie  die  Ethik  sie  verzeichnet.  Der 
Theologie  des  Andreä  und  des  Comenius  ist  die  Pädagogik  der- 
selben entsprossen  wie  Pallas  Athene  aus  dem  Haupte  des  Zeus 
in  voller  Rüstung  und  mit  einem  Speere  bewaffnet  hervorging. 

Ein  weiteres  Licht  zur  Erklärung  der  Beziehungen  des 
Andreä  zu  Comenius,  zum  Verständnis  der  Liebe,  mit  welcher 
beide  einander  zugethan  waren,  so  dafs  das  Herz  des  Comenius, 
des  Hirten  der  vertriebenen  mährischen  Brüder,  mit  dem  Herzen 
des  Andreä,  des  schwäbischen  Hofpredigers,  zusammenschlug  wie 
das  des  bethlehemitischen  Hirten  David  und  das  des  Königs- 
sohnes Jonathan,  giebt  uns  ein  Blick  auf  die  österreichischen 
Exulanten  in  Nürnberg.  Dafs  Andreä  mit  Nürnberg  in  Be- 
ziehung trat,  mufs  uns  um  so  weniger  auffällig  sein,  als  Nürnberg, 
wie  Andreä  in  der  Umbra  Sauberti  sagt,  in  damaliger  Zeit  die 
Wonne  des  deutschen  Reichs  und  das  Auge  unter  den  bedeuten- 
deren Städten  war1).    „Nürnberg  war  nicht  blofs  ein  Handels- 

Slatz  ersten  Ranges,  neben  dem  Wohnsitz  des  Mercur  Wohnsitz 
er  Pallas  und  schon  seit  einer  langen  Reihe  von  Jahren  der 
Sammelplatz  hervorragender  Männer,  sondern  es  war  auch  ein 
Asyl  und  eine  vornehme  und  willkommene  Herberge  für  die, 
welche  um  ihres  Glaubens  willen  verbannt  worden  waren."  Wie 
für  viele  alte  Städte  Deutschlands,  wie  z.  B.  Ulm,  wo  nach  W. 
Gröfslers  Angabe  das  dortige  Münsterarchiv  die  noch  nicht  aus- 
geschöpften Quellen  verborgen  hält,  so  hat  für  das  kirchliche 
und  für  das  bürgerliche  Leben  Nürnbergs  die  Aufnahme  der  aus 
den  österreichischen  Staaten  um  ihres  Glaubens  willen  Verbannten 
den  gröfsten  Segen  gebracht2).  Eine  ähnliche  Bedeutung,  welche 
die  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  um  ihres  Glaubens 
willen  vertriebenen  Franzosen  für  Berlin  hatten,  hatten  in  der 
ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts,  in  der  Zeit  wirtschaftlichen 
Niedergangs,  für  Nürnberg  die  Bekenner  des  evangelisch-lutheri- 
schen Glaubens,  welche  aus  den  habsburgischen  Erblanden, 
namentlich  Steyermark,  unter  Ferdinand  II.  im  Jahre  1629  in 
Nürnberg  ein  Asyl  fanden.  Während  man  im  allgemeinen  in 
damaliger  Zeit  auf  protestantischer  Seite  nicht  toleranter  war  als 
auf  katholischer  Seite,  so  hatten  doch  auch  in  Nürnberg  vier- 
hundert evangelisch  -  reformierte  Christen  ihre  Herberge  auf- 
schlagen dürfen.  Auf  ihren  ausgedehnten  Handelsreisen  hatten 
die  Nürnberger  lutherischen  Kaufherren  auch  andere  Bekennt- 
nisse verstehen  und  dulden  gelernt.    Was  Amsterdam  damals  im 


')  Illustris  Noriberga,  orbis  Germani  deliciac  et  insigniorum  urbium 
ocellus  ...  Est  enim  illustris  Noriberga  non  tarn  primae  notac  emporium 
et  Mercurii  iuxta  l'alladisque  sedes,  quam  Heroum  jam  a  longa  aunorum 
serie  atriam,  sed  et  Christi  Exuluui  asylum  et  hospitium  nobflissimum  et 
percommoduni. 

*)  In  dem  „Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit4*,  18ö">,  befindet 
»ich  ein  beachtenswerter  Aufsatz,  welchen  uuch  Tholuck  citiert  hat,  »über 
die  österreichischen  Exulanten  in  Nürnberg**. 


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1893. 


Der  Protest  des  Comenius  etc. 


133 


vollen  Sinne  schon  übte,  das  bahnte  sich  in  Nürnberg  an:  der 
Qedanke  der  Toleranz,  die  Bejahung  der  von  dem  Rostocker 
Professor  Job.  Tarnow  im  Jahre  161$  aufgeworfenen  Frage:  An 
in  republica  christiana  a  magistratu  politico  salva  conscientia 
plures  quam  una  tolerari  queant  religiones. 

Und  in  welchem  äußerlichen  Zustande  haben  wir  uns  die 
Nürnberger  Exulanten  vorzustellen  ?  Es  waren  nicht  blofs  Pastoren, 
welche  mit  Kindern  und  Büchern  Nürnberg  aufgesucht  hatten 
und  zwar  in  solcher  Zahl,  dafs  z.  B.  bei  einer  Beerdigung  einer 
gewissen  Elisabeth  Kraus  39  exilierte  Geistliche  der  Leiche 
folgten,  auch  viele  von  dem  hohen  Adel  Österreichs  hatten  ihrem 
Vaterlande  den  Rücken  gekehrt  Während  die  Angehörigen  der 
tschechischen  Nation  sich  mehr  den  Ländern  polnischer  Zunge 
zuwandten  und  zum  Teil  auf  den  Besitzungen  des  edlen  Grafen- 
hauses der  Leszcynski  und  besonders  auf  deren  Hauptsitz  Lissa 
sich  niederliefsen,  wo  der  Wohlstand  sich  so  hob,  dafs  1637  im 
Juni  der  Grundstein  zum  Bau  eines  grofsen  Rathauses  gelegt 
werden  konnte,  sehen  wir  einen  grofsen  Teil  von  den  tapferen 
und  glaubensstarken  Nachkommen  der  Männer,  welchen  Luther 
einst  eine  seiner  Hauptschriften  gewidmet  hatte:  „An  den  christ- 
lichen Adel  deutscher  Nation,  von  des  christlichen  Standes  Besse- 
rung", sich  nach  Nürnberg  wenden.  Folgende  Namen  vertriebener 
österreichischer  Adelsfamuien ,  welche  in  Nürnberg  sich  nieder- 
gelassen hatten,  werden  von  Tholuck  genannt:  von  Dachsberg, 
Dietrichstein,  Heberstein,  Hostelsberg,  Jörger,  Khevenhüller, 
Leiningen,  Liechtenberg,  Prank,  Praunfalk,  Rauchenberg,  Rägk- 
nitz,  Stubenberg,  Teuffenbach,  Welz,  Windischgrätz,  Zinzendorf. 
Valentin  Andreä  nennt  65  verschiedene  Familiennamen  und  be- 
weist dadurch,  wie  genau  er  den  Kreis  der  Nürnberger  Exilierten 
kannte.  Die  Angehörigen  des  österreichischen  Adels  hatten  längere 
Zeit  ihr  endliches  Schicksal  vorausgesehen,  ihre  Güter  veräußert 
und  ihre  Gelder  nach  Nürnberg  mitgebracht,  wo  sie  ansehnliche 
Gebäude  und  Güter  erwarben  und  bedeutende  Schutzgelder 
zahlten.  So  gab  z.  B.  Graf  Heinrich  von  Zinzendorf  für  ein 
Halbjahr  500  Goldgulden,  Freiherr  von  Windischgrätz  für  die- 
selbe Zeit  600  Reicnsthaler. 

Was  Lissa  in  Polen,  das  zu  einem  Haupthandelsplatz  für 
den  Verkehr  nach  Preufsen  und  den  Ostseeprovinzen  sich  heraus* 
bildete,  auf  der  einen  Seite  der  Länder  war,  in  welchen  Ferdinand  II,, 
der  Sohn  der  Jesuiten,  seinen  Scepter  führte,  das  war  auf  der 
anderen  Seite  in  Mittelfranken  Nürnberg.  Zwischen  beiden 
8ütdten  war  nicht  blofs  äufserer  Handelsverkehr,  es  fand  auch 
ein  reger  Austausch  der  litterarischen  Erzeugnisse  statt.  Liefsen 
doch  z.  B.  die  Hinterbliebenen  des  in  Lissa  verstorbenen  Dichters 
Johann  Heermann  alle  ungedruckten  Werke,  welche  dieser  Poly- 
histor hinterlassen  hatte,  und  es  sind  deren  nicht  wenige,  bei  den 
Gebrüdern  Endter  in  Nürnberg  erscheinen.  Und  wenn  wir  bei 
Joh.  Heennann:  „ Sechserlei  Sonntagsandachten,  Lissa  bei  Funke 


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134 


Rad  lach, 


Heft  4-u.  5. 


1G42"  einem  reichen  berühmten  Kaufmann  Thomas  Brun  aus 
Frankfurt  a.  M.  begegnen,  der  auf  seiner  Reise  öfter  bei  Joh. 
Heermann  in  Lissa  einkehrt,  ihn  tröstet  und  bedeutende  Gaben 
«um  Bau  der  Kreuzkirche  für  die  vertriebenen  Schlesier  nach 
Lissa  bringt,  sollte  dieser  Kaufmann  bei  seinen  Reisen  von  Frank- 
furt a.  M.  nach  Lissa  durch  Nürnberg  gekommen  sein,  ohne  auch 
hier  auf  die  köstlichste  aller  Perlen  hinzuweisen,  welche  die  Ver- 
bannten nicht  blofs  nach  Nürnberg,  sondern  auch  nach  Lissa 
mitgebracht  hatten? 

Bei  seinem  Aufenthalt  in  Nürnberg  lernte  Andreä  den  Kreis 
der  Exulanten  kennen,  trat  zu  ihnen  in  nähere  Beziehungen  und 
gewann  zweifelsohne  auch  aus  ihren  Schilderungen  ein  Ver- 
ständnis ftlr  die  Lage  des  Comenius  und  der  Brüderkirche.  In 
der  „Umbra  Saul>ertiu  hebt  Andrea  die  Beziehungen  Sauberts 
zu  dem  österreichischen  Baron  von  Rägknitz  hervor,  den  er  be- 
sonders rühmt.  Dies  war  allem  Anschein  nach  für  Tholuck  die 
Veranlassung,  auch  den  Baron  Gallus  von  Rägknitz  unter  seine 
„Lebenszeugen  der  lutherischen  Kirche  vor  und  während  des 
dreifsigjährigen  Krieges*  aufzunehmen.  Auf  Grund  einer  Leichen- 
rede und  der  Nachrichten,  welche  in  dem  standesherrlichen  Archiv 
des  Grafen  von  Giech  in  Thurnau  sich  befinden,  weist  Tholuck 
in  dem  Lebensbilde  des  steyrischen  Exulanten  Gallus  von  Rägknitz, 
der  ein  sehr  wohlhabender  Mann  und  Besitzer  eine«  ansehnlichen 
Hauses  und  Gartens  in  Nürnberg  war,  darauf  hin,  dafs  zwischen 
diesem  Exulanten  und  Andreä  ein  besonders  nahes  und  inniges 
Verhältnis  bestand.  Die  Söhne  des  Barons  statteten  Andreä  auch 
in  Stuttgart  Besuche  ab. 

Zu  diesem  Exulantenkreise  gehörte  auch  ein  Altersgenosse 
der  Söhne  des  eben  genannten  Gallus  von  Rägknitz,  Justinianus 
von  Weltz,  der  Vorkämpfer  der  lutherischen  Hoidenmission, 
welcher  im  Anschlufs  an  die  Schriften  Andreäs :  Invitatio  fraterni- 
tatis  Christi  ad  sacri  amoris  eandidatös,  Argentorati  1626,  und 
Invitationis  ad  fraternitatem  Christi  pars  altera,  Argentorati  1628, 
seinen  „Vorschlag  zu  einer  Christerbaulichen  Jesusgesellschaft, 
behandelnd  die  Besserung  des  Christentums  und  Bekehrung  des 
Heidentums"  schrieb1). 

Es  wird  einem  anderen  Kapitel  angehören,  darzulegen,  wie 
bei  Comenius  die  Missionsgedanken,  sein  Verlangen,  das  Licht 
des  Evangeliums  in  die  Heidenwelt  hinauszutrager.,  hindurch- 
klingt und  auch  an  nicht  wenigen  Orten  deutlich  ausgesprochen 
wird.  Wie  das  Schiff,  welches  den  ersten  Missionar  der  Heiden- 
welt an  die  Gestade  der  heidnischen  Hauptstadt  d«'s  alten  Römer- 
reichs trug,  das  Panier  der  Zwillinge,  den  Castor  und  Pollux, 
hatte  (Apostelgeschichte  28,  11),  so  sind  im  Lichte  der  neueren 
Missionsgeschichte  Andreä  und  Comenius  das  Panier  des  Schiffs, 


>)  Siehe  W.  Grössel:  Justinian  von  Weltz,  Leipzig  1891,  8.  34  und 
S.  184. 


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1893. 


Der  Protest  de»  Comeniua  etc. 


135 


zu  dessen  Ausrüstung  Georg  Calixt,  als  er  am  19.  Mai  1629, 
wenige  Tage  nach  dem  Frieden  zu  Lübeck,  da«  Prorektorat  der 
Univeraitä  Helmstädt  zum  erstenmal  übernahm,  durch  seine  Antritts- 
rede „über  die  Bekehrung  der  Nichtchristen"  das  Signal  gab, 
in  welches  Justinian  von  Weltz  als  Steuermann  eintrat,  der  in 
Holland  den  Breckling,  der  sich  an  Taulera,  Luthers  und  Valentin 
Andreäs  Schriften  genährt  hatte,  in  seine  „Jesusgesellschaft"  auf- 
nahm, welcher  wieder  Aug.  Herrn.  Francke,  den  grofsen  Pädagogen 
und  Begründer  der  ostindischen  Mission,  zum  Einsteigen  und 
Mitfahren  einlud.  Ebenso  müssen  die  Missionsbestrebungen 
Petersens  in  Lüneburg,  welche  wir  in  unserer  ersten  Abhandlung 
angedeutet  haben,  in  diesen  Kreis  eingeschlossen  werden.  Und 
als  nun  der  Enkel  des  Comenius,  der  Mitbegründer  der  Akademie 
der  Wissenschaften  in  Berlin,  Daniel  Ernst  Jablonsky  gemeinsam 
mit  Leibnitz  in  den  Stiftungsbrief  dieser  Akademie  die  Missions- 
aufgabe, Math.  28,  19—20,  mit  aufnahm,  sollten  nicht  die  Missions- 
gedanken des  Freiherrn  von  Leibnitz  auf  die  Befruchtung  durch 
Comenius  hinweisen,  der,  angeregt  durch  Andreä  und  den  Fuls- 
stapfen  desselben  folgend,  auch  in  diesem  Punkte  Andreä  gegen- 
über gegen  den  Vorwurf  protestieren  konnte,  dafs  er  ein  Sek- 
tierer sei1)? 

Gerade  die  heifse  Liebe  und  unverbrüchliche  Treue  des  der 
Herde  bestellten  Hirten,  der  einige  Jahre  später  in  dem  „Testa- 
ment der  sterbenden  Mutter",  als  die  Gemeinde  in  Lissa  den 
Katholiken  ihre  Kirche  aushändigen  mufste,  die  Weisung  giebt, 
sich  den  bestehenden  evangelischen  kirchlichen  Gemeinschaften 
mit  willigem  Dienst  anzuschliefsen  und  „der  Stadt  Bestes  zu 
suchen" ;  die  Weite  des  Blicks,  der  bei  Comenius  und  bei  Andreä 
die  Fermentierung  der  Menschheit  durch  das  Christentum  all- 
seitig fordert;  das  Bestreben,  die  persönliche  Frömmigkeit  nicht 
zu  etwas  Isoliertem  werden  zu  lassen  und  des  ethischen  Geistes 
voll,  der  allein  aus  dem  Glauben  geboren  wird,  als  treuer  Sohn 
seiner  Kirche  die  sittlichen  Aufgaben  derselben  zu  erfüllen,  das 
Kulturleben  zu  reinigen  und  innerlich  zu  weihen,  der  Humanität 
die  Bahnen  zu  öfraen,  ist  der  Grund,  dafs  Comenius  von  sich 
sagen  durfte,  er  sei  kein  Sektierer2). 

')  Das  Hauptthema  der  Korrespondenz  zwischen  Aug.  H.  Francke  und 
Leibnitz  in  den  Jahren  1697—1714  bildet  die  Heidenmission.  Siehe: 
Guhrauer,  Freiherr  von  Leibnitz.  Berlin  1846.  Plath:  Die  Missions- 
gedanken des  Freiherrn  von  Leibnitz,  Berlin  1869.  Über  die  Abhängig- 
keit des  Leibnitz  von  Comenius  nach  einer  anderen  Richtung.  Siehe: 
1).  P.  Kleinert,  Zur  christlichen  Kultus-  uud  Kulturgeschichte,  Berlin 
1889,  S.  301. 

')  Über  die  Stichworte  „cultura  und  hnmanttas"  bei  Comenius  siehe: 
D.  P.  Kleiner ts  Abhandlung  in  den  „Studien  und  Kritiken",  1878,  S.  33. 


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Quellen  und  Forschungen 


Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius. 

Autobiographisches  aus  den  Schriften  des 

Comenius. 
Zusammengestellt  von 
Prof.  Dr.  J.  Kvacsala  in  Pressburg. 
(Fortaetiang.) 


IV.   Die  Zeit  in  Elbing. 
1. 

Anno  1642  contigit  me  peregre  esse,  et  per  dies  aliquot 
cum  Nobilibus  Polonis  quinquc  conversari.  Quorum  cum  tres 
Euangelici  essent  (Adam  Suchodolski  et  duo  Reczicii)  duo  So- 
ciniani  (Lubienietski  et  Wiszowaty)  variorum  discursuum  occasio 
fuit  Tandem  illi  de  migrando  in  minorem  Poloniam  mecum 
agere,  ingentibus  promissis  allicere,  fidemaue  suam  (de  annuo 
lautissimo  stipendio)  chirographi  cautione  ooligare:  maxime  hic 
occupato  Wiszowaty.  Quod  ut  frustra  esse  vidit,  manui  meae 
inter  valedicandum  chartulam  inseruit,  cui  Lucianicum  quiddamr 
et  in  religionem  Christianam  valde  ludibriosum  inscriptum  fuit, 
hoc  sensu. 

Vulgaris  Theologiae  hypotheses. 
Dem  condito  primitus  Eotnini  praescripsit  legem  servatu 
impossibilem.  Quam  cum  transgressus  esset,  adeo  implaeabüiter 
illi  fuit  iratus,  ut  eum  aeternis  cruciatibus  addiceret.  Reversus 
tarnen  ad  sef  ut  reo  iüi  parcere  posset,  in  proprium  Filium  de- 
saevüt,  ob  alienam  culpam  ittum  ad  mortem  usque  contundens : 
eo  fine ,  ut  quisquis  crederet  ita  esse  actum,  poneae  relaxaätionem 
aeeiperet.  Haec  annon  cogitatu  absurda,  impia  et  in  Deum  plas- 
hema  sint,  etiam  atque  etiam  videndum.  Scnedulam  hanc  multis 
ostendi,  satanica  in  salutis  mysterium  odia  mecum  mirantibus. 
De  Quaestione  etc.  p.  64.  65. 


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1893.  Zur  Lebcnsgeachicbtc  dea  Comenius.  137 

2. 

1.  Cum  verö  aliis  quoque  communicare  vellet1),  retractus  est 
peculiari  Visione  I  Julii:  eö  quöd  nondum  tempus  esset  illa  vul- 
gandi  (Rev.  XIV.  V.  I,  2,  3).  Deo  judicia  sua  adhuc  exercente 
acriter  (V.  4  ad  8).  Mittenda  tarnen  illa  esse  ad  J.  A.  C.  confe- 
renda  cum  aliis  ab  ore  Uei  profcetis  &e.  <fec.  (V.  9.  &c):  cum 
novis  mandatis  dePopulo  poenitentiae  serio  admonendo  (V.  14.  &c.): 
Scripturisque  ab  omnibus  diligenter  hoc  tempore  (&  quare  id, 
V.  20)  legendi».    Rev.  XIV. 

2.  Degebam  ego  tunc  Elbingae  Borussorum  (ä  Puchovia  cen- 
tum  circiter  miliaribus)  omnium  quae  ibi  fierent  ignarissimus. 
Fratres  ergo  melius  de  his  persuasi  (nominatim  Paulus  Hladik 
Consenior,  Vir  timoris  Dei  plenus)  parendura  Oraculo  rati  Re- 
velationes  eatenus  factas  (numero  XIV)  transcribi  curant,  &  ad 
me  niittunt,  meum  quoque  requirentes  judicium  &  consilium. 
(NB.  Quomodo  schedae  illae  in  alienas  manus  in  Polonia  inci- 
dissent,  servataeque  tarnen  sint,  monui  annotatiuneula  ad  Rev. 
XVIII.) 

3.  Ego  istis  cognitis  expavi,  novarum  turbarum  metu.  Priora 
enim  illa,  Cotteriana  et  Poniatoviana,  altö  jam  apud  nos  sepulta 
erant  silentiö:  ut  ä  novo  hoc  emergente  non  post  et  non  concuti 
animus.  Orabam  tarnen  Deum  ut  nos  ne  desereret:  relegendoque 
missa  jam ,  quid  facto  videretur  opus  cogitabam ,  ne  vel  ingrati 
reperiremur  si  Dei  hoc  esset  opus,  vel  expositi  ludibriis  si  secus. 

4.  Reseripsi  deinde  Fratribua,  illorum  circa  examen  hujus 
rei  tarn  acre  prüden tiam  laudans,  utque  porro  etiam  saluti  suae 
invigilarent  orans.  Quantum  ad  publica»  pi*ecea,  paenitentiaeque 
exercitia,  cum  illa  per  se  placeant  Deo  Semper,  praesentique  nu- 
miliationis  nostra  statui  imprimis  conveniant,  posse  tantö  dili- 
gentiüs  institui :  ut  si  divinitus  horum  admoneamur,  ne  reperiamur 
immorigeri.  Sed  et  si  forte  ab  aliquo  deceptionis  spiritu  ista  ve- 
niant,  tanto  magis  fervidis  orationibus  esse  opus,  ut  ne  inducamur 
in  tentationem. 

5.  Enim  verö  nihil  factum  est,  quantum  ad  publicas  istaa 
preces  &  jejunia:  praevalente  illorum  consiliö,  qui  opus  hoc  si- 
lentiö tegendum,  &  sie  si  posset  exstinguendum,  putabant 

Lux  e  teu.  III.  p.  28. 

3. 

Relatum  mihi  fuit,  Christinam  Visiones  suas  revocare,  op- 
probrioque  ducere,  si  quis  in  memoriam  revocet.  Ego  veritatis 
cognoscendae  causa  seorsum  eam  (etiam  marito  arbitro  remoto, 
ut  liberius  confitentem  habere  possem)  alloquutus,  exquisivi  dili- 


')  seil.  Drabicius. 
Monktuhefle  d«r  C«menin»-0^*lUch»n.   1893.  10 


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138  Kvacsala,  Heft  4  u.  5. 

genter.  Respondit,  Mirari  sc,  si  talibus  susurris  fidem  adhibcam: 
aliter  autem  esse  de  me  porsuasum.  Verum  esse  quibusdam  se 
respondisse  silentio,  cum  sciat  ludibrii  causa  quaestiunculas  mo- 
veri  etc.  etc.  Animadverti  ergo  illum  immerito  inconstantiae  ar- 
gui :  quod  magis  etiam  ex  marito  eius  cognoscere  fuit,  qui  qualia 
inter  se  colloquia  de  spe  Israelis  instituere  soleant,  retulit 

Lux  e  ten.  IL  p.  128. 

4. 

6.  Ad  historiam  revertendo  placuit  Deo  Christinam  ad  aetcr- 
nas,  dudum  adamotas  nuptias,  tandem  evocare.  Postquam  enim 
toto  matriraonii  tempore  bona  fuisset  usa  valetudine,  caepit  (mense 
Junio  anni  1644)  catarrhis  et  tussi  molestari,  quae  invitis  etiam 
Medicis  in  occultam  febrim  (hecticam  vocant)  degeneravit,  illi- 
que  6  Dccemb:  beatam  analysin  attulit. 

Lux  e  ten.  IL  p.  128. 

5. 

Mihi  testis  est  ille,  qui  omnia  nostra  contuetur,  me  cum  pri- 
mum  accepissem  Librum  Tuum  lectionisque  facto  initio  quantas 
res  negotium  hoc  concernat,  et  quanta  fiqucia  tu  rem  geras,  imo 
et  quam  multa  pulchre,  solide,  pie,  moveas,  (multa  enim  habes 
valde  bona)  viderem:  me  (horrore  quodam  correptum)  lectionem 
continuare  non  ausum,  nisi  postquam  me  cum  eodem  libro  Tuo 
humi  coram  Deo  prostrassem,  caecitatem  dcprecatus.  Kogavi  enim 
humilime  Deum,  si  Te  mihi  cum  nova  Veritatis  luce  submitteret, 
ut  aperire  dignaretur  oculos  meos :  sin,  ut  me  conservaret  in  veri- 
tate  sua.  Multo  minus  scribere  ad  eundem  librum  Tuum,  haec 
quae  legis,  induci  animum,  nisi  iterum  iterumque  exinanitis  Omni- 
bus sensibus  meis,  Deoque  resignato  regendi  me,  et  flectendi  quo 
vellct,  mentem,  voluntatem,  calamum,  arbitrio.  Et  adhuc  eo  sum 
animo,  ut  si  errare,  (sive  ex  parte,  sive  ex  toto)  deprehensus 
fuero,  gloriam  dem  Deo.  Hunc  mihi  animum  conserva,  qui  eum 
dedisti,  o  Deus. 

Judicium  de  regula  fidei  ed.  1658.  p.  86. 
6. 

Ego  mcmbrum  illius  Ecclesiae  sum,  quae  tertio  iam  seculo 
(a  teinporibus  Hussi)  Deo  suo  in  spiritu  et  veritate  servire  con- 
tenta,  de  Veritatis  praerogativa  cum  aliis  contendere  non  quae- 
sivit :  aliena  litigia  tacite  spectans,  utque  Deus  ipse  Lucem  suam 
tenebras,  Veritatemque,  errores  tandem  eluctari  taceret  suspirans. 
Polemicum  ergo  aliquid  in  publicum  scribere  mihi  nunquam  ve- 
nerat in  mentem :  nisi  cum  editos  Valeriani  Magiii  de  Christianae 
Fidei  REGULA  libros  examinandi  ac  cepsendi  mihi  esset  im- 
posita  necessitas.  Cum  autem  consignatum  de  iis  Judicium  pu- 
blico  exponere  j uberer,  non  aliter  quam  avtovvfiütg  •  volui :  eo  quod 
meus  a  rolemicis  abhorreret  genius.  Respondebatur,  Non  pole- 
micum esse  hoc  scriptum,  acerbum  et  odiosum,  sed  placidum  et 


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1893.  Zur  Lebensgeschichte  de»  Comoniu».  139 


amicabile:  tandcm  ai  nollem  meo,  posse  alio  quocunque  nomine. 
Placuit  ergo  Huldrici  Neufeldii  nomen,  meo  Cabaliatice  reapon- 
dens:  editumque  sie  fuit.  Sed  reseivit  authorem  Valerianus,  illi- 
que  propterea  nihil  Offenaus  non  solum  respondit  aatia  placide 
(nihil  praeterquam  allegationum  ineuriam  taxans)  sed  etiain  salu- 
tari  aliquoties  curavit  amicc.  Quin  etiam  alii  Romano  -  Catholici 
moderatum  hoc  scriptum  collaudarunt,  interque  alios  Cujaviensia 
Episcopus,  Regni  Senator  illuatris  etiam  sapiens:  qui  cum  Gedani 
aa  sesquiennium  residentiam  haberet,  legendaque  Uli  ECHO  nostra 
offeretur,  legit  etiam  pcrlegit  totam,  iudiciumque  benigne  tulit  iis 
verbis:  Absit  a  me,  ut  haereaeos  condemnare  velim  virum  docere 
et  doceri  paratum. 

Jud.  de  reg.  fidei  ed.  1658.  Praefatio. 

V.  Der  zweite  Aufenthalt  in  Lissa.   Comenius  in  Ungarn. 

7. 

Anno  1649,  Marti nus  Ruarus,  suos  in  Maj.  Polonia  visitatum 
e  Borussia  veniens,  etiam  me  salutare  dignatus,  demum  in  collo- 
quio  nomen  suum  (nec  enim  noveram  de  facie)  prodidit.  Sed  post- 
quam  me  ab  amicitia  sua  vidit  alieniorem,  disecssit:  litteris  me 
de  via  resalutans,  ad  quas  nihil  reapondi. 

De  Quaeatione  etc.  p.  65. 

8. 

De  Atrio  Latinitatis. 

Cum  editionem  huius  iam  iam  moliremur,  intervenit  Vocatio 
in  Hungariam,  eamque  intereepit.  Differamus  itaque  in  sequentia. 

Jud  icia,  novaeque  Disquisitiones.  Duo  solum  triave  attin- 
gam,  tan  quam  publicos  iterum  novae  industriae  stimulos. 

I.  Illustrissimus  Posnaniae  Palatinus,  D.  D.  Christophorus  Opa- 
linsky  de  Bnin,  magnanimus  et  sapiens  heros,  composuerat  (lingua 
patria)  Satyrarum  libros  X.  corruptissimos  patriae  mores  graphice 
depingens,  et  nescio  quid  publici  mali  praesagiens  (patuit  revera 
hoc  tali  tanti  Viri  scripto,  Omnera  bonum  Politicum  prophetam 
esse).  Cumque  hos  typis  exscribendos  Lesnam  misisset,  famulus 
nobilis  et  literatus  Didactica  nostra  sub  prelo  sudare  videns,  Do- 
mino id  retulit.  Quae  occasio  fuit  literis  me  compellandi,  tum  et 
acceraendi  ad  ae,  et  de  atudiorum  ratione  conferendi.  Summa 
fuit:  Imbutum  so  pucrum  fuisse  literis  methodo  Jesuitarum,  quam 
tarnen  Vir  factua  probare  (dispendioae  compendiosam  illorum  do- 
cendi  rationem  appcllans)  non  poaset.  Constituisae  proinde,  pro 
filiia  et  agnatis  suis,  Nobilique  iuventute,  in  oppido  Sirakoviae 
6ymna8iolum,  tribus  Claasibua  instruetura  funaare,  eoque  fine 
Cracoviensi  ex  Academia  evocare  Viros  trea  doctos.  Quum  autera 
lecta  Linguarum  Methodo  noviaaima  nostra  non  posset  non  pro- 
bare consilia,  velle  ae  futurum  illum  Scholae  auae  Rectorem  ad 
me  mittere,  quomodo  editi  Latino  Germanice  libelli  (Vestibulum 

10« 


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140  Kvacaala,  Heft  4  u.  5. 

et  Janua  L.  L.)  Latino-Polonice  adomari  queant,  deliberatüm. 
Factum:  venit  ille,  ratio  inita,  approbanteque  Illustrissinio  Maeee- 
nate,  et  impensas  subministrante,  Libelli  editi,  Schola  inchoata, 
floruitque  usque  dum  inopinata  Suecorum  (Anno  1655)  irruptione, 
cruentoque  illain  sequuto  hello,  dissiparetur.  Qua  de  re  scripta* 
ad  me  lllustrissimi  Viri  epistolas  (X  numero  vel  XI)  nisi  eius- 
dem  furiosi  belli  absumsissent  flammae  (Lesnensi  excidio)  pateret 
Viri  summi  ad  omnia  exquisita  summus  ardor,  et  ad  expendendum 
iudicium  acre,  cum  eloquentiae  purissima  suavitate.  Öed  perie- 
runt  illae,  periisseque  doleo. 

II.  Aliani  reperio  (servatam  inter  illa  quae  tumultuarie,  nullo 
vero  delectu,  in  terram  coniecta  fuere)  a  Regii  in  Borussia  Fisci 
praefecto  datam  ad  me  Dantisco  I.  Febr.  1050,  cuius  partum  bic 
exscribi  patior.    lta  ordiebatur: 

Contigit  mihi  nuper  videre  aliquot  philuras  Lcxici  tui,  quod 
iam  sub  prelo  fervet.  Utinam  quantocyus  prodeat  integrum! 
Passim  enim  expetitur  summis  desideriis,  prout  omnia  tua:  ita  ut 
nuper  in  Aula  Regia  Magnus  quidam  Vir,  et  Secretarius  Regius, 
quamvis  Religioni  Romanae  addictissimus,  mentione  tui  iniecta  im- 
pense  me  rogarit,  ut  quaeeunque  a  te  ederentur  sedulo  eonqui- 
rerem,  et  ad  se  transmitterem.  Hu  enim  Tua  omnia  magni  facero, 
Nepotcsque  suos  non  nisi  Comeniana  metbodo  institui  vulle.  Hoc 
vero  est  rectae  rationis  robur  apud  omnes,  ut  captivet,  vincat  et 
constringat  nolentes,  volonte«  ducat,  allictat  et  voluptatibus  per- 
fundat.  Ego  sane  id  pro  tenuitate  mea  praevideo,  hoc  ipsum 
Lexieon,  validam  fore  machinam  evertenda»*  logomachiae,  quae 
haeteuus  plus  satis  inquinavit  triticum  Doinini,  cuius  radix  igno- 
rantia.  altrix  bumana  authoritas,  quam  nonnullis  verae  Eruditioni, 
aut  Divinae  rationi,  postponere  piaculum  est.  Sed  forte  non  con- 
temnendus  erit  usus  Tuorum  Scriptorum  in  evellendis  hisce  Zi- 
zaniis:  quod  praestet  Auterna  illa  Veritas,  ut  tandem  aliquando 
possimus  et  recta  sentire,  et  reute  loqui.  Erupit  hie  haud  ita 
pridem  nonnullorum  speciosus  conatus,  docendi  per  artiricium  me- 
moria«' localis,  invenitque  quosdam  ex  Magistratu  praeeipuos  fau- 
tores:  sed  postquam  Tua  Didactica  lecta  est,  visa  est  facilior  haue 
via,  per  iteratos  actus  doctrinam  iuculcandi,  quam  tot  reflexioni- 
bus  operosis  memoriam  contundendi.  Cunique  sermo  mihi  esset 
cum  primario,  et  vere  douto  Viro,  ordinis  Senatorii,  de  Didactica 
seu  Methodo  Tua  Linguarum,  isque  in  laudes  eins  erumpuret, 
quaesivi  ex  illo,  An  contradicant  isti  ArtitieesV  aut  quid  de  ua 
iudieent?  Respondit,  Contradicant?  Impossibilu  est:  hie  enim 
Vir  quiequid  loquitur,  loquitur  cum  ratione,  omnemque  contra- 
diuendi  ansam  praecidit,  dum  naturam  et  sanam  rationem,  et  se- 
quitur  ipse,  et  monstrat  aliis,  iudicioqm-  Orbis  exponit  omnia  etc. 

III.  Accidit  sub  idum  tempus,  ut  cum  Fax  Imperii  bienuio 
ante  Monasterii  eonclusa,  demumque  sub  ingressum  huius  anni 
(1650)  Noribergae  ad  plenum  firmata,  esset,  inter  publici  gaudii 
varie  a  variis  erecta,  aut  erigi  tentata,  monumenta,  prodiret  etiam 


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1893.  Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius.  141 

Lipsiensi  Catalogo  Librorum  (inter  proximis  nundinis  prodituros) 
scriptum  quoddam  tali  titulo: 

Petri  Colbovii  von  Gadebuscb  aufs  Meehelnburg  Sende- 
Scbreiben  an  den  Wol  Erwürdigen  . . .  Herrn  Jobannem  Amosum 
Comenium  u.  s.  w. 

Mirabar  id  scribi,  cum  ego  epistolam  talem  vidissem  nullam, 
venit  tarnen  post,  non  in  epistolae,  sed  libri  forma.  Reseripsi, 
editionem  dissuadens,  antequam  recoctis  consiliis  fluidius  quiddam 
conatitucretur.  Coepimusque  permutatis  inter  nos  epistolis  agitare 
consilia,  quomodo  quam  optime  eonstitui  possent  omnia.  Sed 
profectio  mea  in  Hungariam  interrupit  haee,  meliorum  desiderio: 
dum  erigendae  ibi  Pansophieae  Seholue  constanter  amici  facerent 
spem,  qua  plenus  animus  minora  baec  tanto  fervore  agi  non  per- 
initteret.  Hie  igitur  de  istis  tum  temporis  occasionibus  loqui 
dosisto. 

Op.  Did.  II.  459.  460. 

9. 

1.  Fortuita  liominum  respectu  occulta  Providentiae  vi  disponi, 
non  ignorant  qui  voces  Dei  in  Scriptum  non  ignorant  „eursuique 
operuin  Dei  pie  attendunt:  qualia  Iiis  ipsis  in  rebus,  de  quibus 
loquimur,  innumera  observare  est;  boc  etiam  quod  nunc  inemo- 
randum  venit 

2.  Pace  Monastcrii  &  Osnabrugae  sexennio  agitatae,  tandem- 
(jue  teruiinatae,  ultima  publicatio  incidit  in  Januarium  anni 
1650.  Qua  Bohemiae  Regno,  cum  incorporatis  provinciis,  baere- 
ditatis  nomine  Austriaeae  Domni  relictis,  dispersi  propter  Even- 
gelium  a  spe  reditiis  aeternum  exclusi ,  quid  iam  agendum  esset 
deliberare  coeperunt:  superstites  nempe  Ecclesiaruin  Superatten- 
dentes  cum  reliquis  Auditorum  suorum,  ex  Baronali  et  Equestri 
online.  Petebant  ergo  in  Polonia  exulantcs  ab  exulantibus  alibi, 
in  primis  Hungaria,  ut  e  medio  sui  aliquot  prudentiores  (ex  or- 
diue  Politieo  &  Ecelesiastico)  mense  Martio  mitterent,  ad  certi 
aliquid  coneludendum.  Comparuerunt  alii,  ex  Hungaria  nemo: 
senium  &  morbo.s  eorum,  qui  maxime  idonei  huc  essent,  eausati. 
Addebant:  adfuisse  se  Fratrum  in  Polonia  iSynodis  per  bos  exilii 
annos  aliquoties,  justum  esse  quoque  aliquando  se  in  Hungaria 
vi.sitari.  Nominatim  ad  se  Confratrem  suum  Comenium  niitti 
postulabant:  quippe  Moravum,  et  Moravorum  causa  Antistitem 
ordinatum:  sibi  verö  per  annos  jam  25  non  eonspectum.  Cujus 
absentiam  tolerari  potuisse  vivo  Collega,  Laureutio  Justino ;  nunc 
illo  evocato  requiri  omnino,  ut  gregem  suum  intervisat,  si  non  ad 
cobabitandum,  ordinis  tarnen  stabiliendi  causa  etc. 

3.  Huic  Fratrum  Moravorum  postulato  mox  assensum  dabant 
Bobemi,  »fc  qui  adorant  Poloni:  eundumque  esse,  &  de  actis  bujus 
Convocationis  ibi  quoque  deliberandum ,  concluserunt.  Maxime 
postquam  eo  ipso  temporis  puncto  a  Sigismunde  Hacoci  venirent 
Comenium  ad  colloquia,  et  de  Scbolarum  suarum  reformatione 
consultationem,  evocantes  literae. 


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142  Kvacsala,  Heft  4  u.  5. 

4.  Ab  his  igitur  vocationem,  ab  illis  missionem  nactus,  com- 
mendavi  me  Deo,  perque  Silesiain  &  Moraviam  festinans,  Ska- 
licium  (priraam  Hungariae  Ii  her  am  urbem)  pridie  Paschatos  attigi, 
&  cum  dispersorum  populo  (praesentibus  aliquot  Baronibus  &  b 
Nobilitate,  Pastoribusque)  festi  soleinnitatem  percgi:  iis  quorum 
in  primi8  causa  veneram  in  ultimum  reservatis.  Ubi  consilium 
non  fuit  aliud  (sicut  &  nobis  in  Polonia,  &  alibi)  nisi  ut  ab  bo- 
minibus  in  Universum  derelicti,  uni  Deo  tant6  firmius  adhaereamus, 
illius  nos  voluntati  plenissime  resignantes,  ad  vitam  et  ad  mor- 
tem etc. 

5.  Alter  similis  conventus  (sed  major,  Pastonun  circiter  vi- 
ginti)  erat  octiduö  post  in  ditione  Viduae  Racocianae,  Puchovii : 
ubi  per  dies  sex  varie  de  conclamato  undique  flatu  nostro  ser- 
monibus,  mutuisque  ad  poenitentiam,  pati entern,  spemque  in  Deo 
(etiamsi  nos  occidat)  exhortationibus  habitis:  valedicturus  ego 
illis  signineavi,  Mihi  quidem  propositum  fuisse  ad  Principem 
Sigismundum  (ä  quo  vocatorias  haberem)  divertendi,  sed  itineris 
longinquitate  absterreri,  a  negotiis  verö  raeis  revocari.  Constituisse 
itajjue  negotiö  per  literas  expeditö,  festinare  domum.  Illia  ut  pro- 
tidie  ad  commune«  preces,  nosque  invicem  spiritui  gratiae  com- 
mendandum,  redire  liberet. 

6.  Instant  illi,  perseverandum  esse  in  absolvendo  suspecti 
itineris  proposito:  literam  esse  mutam,  non  tanti  fieri  atque  prae- 
sentiam  vivam:  sc  prineipis  matris  indigere  gratiä,  ampliandum 
potius  quam  minuenduin  tavorem,  et  quae  id  genus  plura.  Re- 
spondi:  me  ergo  adhuc  deliberaturum,  quomodo  ultimum  formati 
possit  consilium.  Ita  quietae  noctis  voto  valedixi,  apud  cognatos 
pernoctaturus  meos. 

7.  Ecce  autem  exeuntem  me  illorum  unus,  Nicolaus  Drabicius, 
comitatur,  impense  ut  propositum  ne  mutein  orans.  Quaesiri, 
quid  praecaeteris  sua  interesset,  ut  praecaeteris  tarn  instaret? 
Respondit,  quia  te  in  Sigismundi  Racoci  notitiam  venire  opto. 
Quare  id?  llle,  ceu  invitus  &  effari  verecundans,  tandem:  quia 
ille  Rex  erit.  Ego  consistens,  illumque  intuitus :  Quid  mi  Frater 
audio?  nondum  tu  ä  somniis  tuis  evigilasti?  (Nihil  enira  ampliüs 
de  his  materiis  voce  aut  scripto  cum  illo  egeram,  nec  eoruin  plus 
quam  ad  me  missum  fuit  primitüs  videram,  vanitatis  illa  apud 
me  aeque  ut  caeteri  condemnans,  eo  qu6d  propheticam  styli  gravi- 
tatem,  vel  qualis  Cottero  &  Christinae  in  est,  non  attingere  even- 
tusque  raulto  etiam  minus  rosponderet,  viderentur.)  Dixi  ergo: 
Patri  priüs  Coronam  offerebas :  eä  spe  delusus  ad  filium  jam  ibis  ? 
Vide  per  Deum  quid  agas,  luditicareque  te  et  alios  desiste. 

8.  Eruperant  Viro  lacrymae:  oculisquo  &  mantbus  sublatis, 
Bis  me  lacrymis  meis  abluere  possein,  inquit,  quantum  earum 
jam  effusum  est,  ut  misero  mini  parceret  Deus:  sed  irapetrare 
non  possum.  An  ergo  adhuc  i«ta  pateri»?  Respondit:  Ultra 
annum  est  quod  nihil  uatior,  scio  tarnen  nondum  esse  finem. 
Quaero  unde  id  sciat?   Ille.  Dominus  dixit  consignataque  in  ad- 


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1893. 


Zur  Lebensgeschichte  des  Coraenius. 


143 


ventum  tuum  (adducturum  enim  Te  in  hanc  terram)  aervari,  et 
tibi  tradi,  jussit  En  trado!  Offertque  chartas  illas,  posteriores 
Visiones  continentes,  pluresque  promitten tes,  rogans  legere  vellem. 
Annon  haec  fingis  obsecro?  dixi.  Ille  Deum  testem  invocat. 
Quaero,  quando  id  de  adventu  huc  meo  auditum?  Ille,  Anno 
abbinc  tertio,  mox  ä  Principis  morte,  quum  ludibriorum  in- 
patientiä  exurere  ista  vellem,  Dominus  vero  prohibebat :  Invenies 
ibi  scriptum. 

9.  Attonitus  ergd  chartas  illas  recipio,  vespertinisque  horis 
inter  amicorum  colloquia  consumtis,  mane  demüm  inspicio,  lego, 
ruminor,  interque  suspiria  &  ut  Deus  vias  meas  dirigeret  vota  & 
preces,  animum  mutari  sentio :  offerentibus  se  pro  suscipiendo  ad 
Principera  itinere  tot  causis,  quas  priüs  non  observaram.  Quae 
cogitata  mea  cum  Fratribus  ad  preces  congregatis  communicarem, 
gratulabantur,  laetisque  iter  meum  prosequebantur  votis. 

10.  Ingressus  ignotas  vias,  decimä  die  residentiam  Princi- 
pissae,  Patakum,  Deo  duce  attigi:  sie  &  Principibus  (Matre  & 
Filio)  Theologisque,  &  aliis  Viris  doctis  &  bonis,  octiduo  toto  Ha- 
bitus, ut  ad  conabitandum  Ulis  aliquandiu  (instabant  enim)  re- 
ditum  non  recusare  promitterem,  si  per  rcrum  apud  nos  statum, 
assensumque  illorum  quorum  pars  sum,  Hcebit  Ad  illos  itaque 
Hteris  me  instruetum  dimittunt,  deinde  ver6  per  Cursores  festi- 
nationem  ita  urgent,  ut  non  redire  non  possein:  detentus  apud 
eos  (Scholasticis  in  laboribus)  quadriennium. 

Lux  e  ten.  IIL  p.  40  ff. 


(Fortsetzung  folgt.) 


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Nachrichten. 


Im  Januar- lieft  der  „Deutschen  Rundschau"  veröffentlicht  Prof. 
Dr.  Otto  Pfleiderer  in  Berlin  eine  Charakterzeichnung  des  kürzlich  ver- 
storbenen Emst  Renan,  auf  die  wir  unsere  Leser  aufmerksam  machen.  Der 
geistige  Entwicklungsgang  Renan*  hat  etwas  Typisches.  Im  Priester- 
Seminar  zu  St.  iSulpice  erzogen,  war  er  von  früh  auf  mit  einem  streng 
katholischen  Eifer  erfüllt.  Als  er,  beseelt  von  dem  Streben  nach  Wahr- 
heit, zu  erkennen  glaubte,  dafs  sein  bisheriger  Standpunkt  unhaltbar  sei, 
warf  er,  wie  es  in  solchen  Fallen  zu  gehen  pflegt,  alles  über  Bord,  was 
seine  geistlichen  Lehrer  ihn  gelehrt  hatten.  Aber  in  zwei  Punkten  zeigt 
sich  doch  der  Unterschied  dieses  hervorragenden  Geistes  von  der  gewöhn- 
lichen Freigeisterei,  in  die  der  Regel  nach  ein  solcher  Entwicklungsgang 
auszulaufen  pflegt.  Er  sah  nämlich  ganz  richtig  ein,  dafs  eine  Philosophie, 
wie  sie  sich  der  Vernunft  erschliefst,  selten  starke  Antriebe  zu  einer  opfer- 
fähigen Gesinnung  bietet  und  zur  Volkserziehung  mithin  unbrauchbar  ist, 
und  ferner  hat  er  doch,  alles  in  allein  genommen,  ein  gutes  Stück  des 
Christentums  in  seine  neuen  Überzeugungen  mit  hinübergenommeu,  mehr 
jedenfalls  als  die  Mehrzahl  derer  meint,  die  sich  auf  einzelne  seiner  Äusse- 
rungen stützen,  um  alle3  zu  verneinen.  Man  lese  nur  den  Schlufs  des  „Lebens 
Jesu",  wo  er  geradezu  sagt,  dafs  „die  Gründung  der  wahren  Religion" 
(also  nicht  blofs  die  Gründung  einer  Religion)  Jesu  Werk  sei.  Besonders 
wichtig  ist  es  unter  diesen  Umständen,  dafs  wir  aus  seineu  „Jugend- 
erinnerungen'' erfahren,  wer  die  Mftnner  waren,  die  nach  der  Abstofsung 
seiner  Jugendansichten  ihm  die  Führer  zu  der  neuen  Lebensanschauung 
(wenigstens  theilweise)  wurden.  „Herder", sagt  er,  „war  der  deutsche  Schrift- 
steller, den  ich  am  besten  kannte.  Seine  weiten  Blicke  entzückteu  mich, 
und  ich  sagte  mir  oft  mit  lebhaftem  Bedauern:  ach,  dafs  ich  nicht  wie  ein 
Herder  denken  und  zugleich  christlicher  Prediger  bleiben  kann !  . . .  .  Ich 
möchte  um  alles  Christ  sein,  aber  orthodox  kann  ich  nicht  sein.  Wenn 
ich  Denker,  so  frei  und  kühn  wie  Herder,  Kant  und  Fichte,  sich 
Christen  nennen  sehe,  so  hatte  ich  Lust,  ein  Christ  von  dieser  Art  zu  sein. 
.  ...Ich  gestehe,  dafe  ich  in  einigen  deutschen  Schriftstellern  die  wahre, 
für  uns  passende  Form  des  Christentums  gefunden  zu  haben  glaube. 
Könnte  ich  den  Tag  erleben,  wo  dieses  Christentum  eine  alle  Bedürfnisse 


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1893. 


Nachrichten. 


143 


unserer  Zeit  befriedigende  Gestalt  gewänne!  Könnte  ich  selbst  zu  diesem 
grofaen  Werke  mitwirken!" 


Die  historisch-nationalökonomischc  Sektion  der  Fürstlich  Jablouows- 
kischen  Gesellschaft  in  Leipzig  hat  für  die  Jahre  1893  — 1896  folgende 
Preisanfgaben  gestellt: 

1.  Für  das  Jahr  1898.  —  Die  allmähliche  Einführung  der  deutschen 
Sprache  in  öffentlichen  und  privaten  Urkunden  bis  um  die  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts. 

2.  Für  das  Jahr  1894.  —  Darstellung  der  Entwicklung,  welche  der 
Gewerbfleifs  in  Polen  seit  dem  Aufhören  der  polnischen  National- 
selbstilndigkeit  gehabt  hat. 

3.  Für  das  Jahr  181)5.  —  Darstellung  des  griechischen  Genossen- 
sehafts- und  Vereinswesens  auf  Grund  der  schriftstellerischen  und 
besonders  der  inschriftlichen  Quellen,  welche  ebenso  sehr  die  Arten 
und  die  Organisation  der  Genossenschaften,  wie  ihre  zeitliche  und 
räumliche  Entwicklung  berücksichtigt. 

4.  Für  das  Jahr  1*96.  —  Eingehende  Untersuchung  der  wirtschaft- 
lichen, sozialen  und  politischen  Bewegung  in  irgend  einer  größeren 
deutschen  Stadt  des  ausgehenden  Mittelalters  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  die  Wirkungeu  des  seit  Ende  des  14.  Jahrhunderts 
aufkommenden  kapitalistischen  Individualismus. 

Die  anonym  einzureichenden  Bewerbungsschriften  sind,  wo  nicht  die 
Gesellschaft  im  besonderen  Falle  ausdrücklich  den  Gebrauch  einer  anderen 
Sprache  gestattet,  in  deutscher,  lateinischer  oder  französischer  Sprache  zu 
verfassen,  müssen  deutlich  geschrieben  und  paginiert,  femer  mit  einem 
Motto  versehen  und  von  einem  versiegelten  Umschlag  begleitet  sein,  welcher 
auf  der  Aufseiiseite  das  Motto  der  Arbeit  trägt,  inwendig  den  Namen  und 
Wohnort  des  Verfassers  ungiebt.  Jede  Bewerbuugsschrift  mufs  auf  dem 
Titelblatte  die  Angabe  einer  Adresse  enthalten,  an  welche  die  Arbeit  für  den 
Fall,  dafs  sie  nicht  preiswürdig  befunden  würde,  zurückzusenden  ist.  Die 
Zeit  der  Einsendung  endet  mit  dem  80.  November  des  angegebenen  Jahres, 
und  die  Zusendung  ist  an  den  Sekretär  der  Gesellschaft  (für  das  Jahr  1898 
Professor  Dr.  W.  Roscher,  An  der  I.  Bürgerschule  4)  zu  richten.  Die  Re- 
sultate der  Prüfung  der  eingegangenen  Schriften  werden  durch  die  Leiji- 
ziger  Zeitung  im  März  oder  April  des  folgenden  Jahres  bekannt  gemacht. 
Die  gekrönten  Bewerbungs.-ehriften  werden  Eigentum  der  Gesellschaft. 

Der  (iescbiclitsunterrhbt  als  Vorbereitung  zur  Teil« ahme  am  öffent- 
lichen Leben.  Die  durch  den  kaiserlichen  Erlafs  an  das  preufsische  Staats- 
ministerium vom  1.  Mai  lf*89  und  durch  die  Berliner  Schulkonferenz  zur  öffent- 
lichen Diskussion  gestellte  Frage,  ob  bezw.  inwieweit  die  Schule  politisch 
vorbilden  und  sozialpolitisch  beeinflussen  soll,  beschäftigte  die  für  den 
~k  April  nach  München  einberufene  Versammlung  von  Historikern.  Aus 
den  bezüglichen  Thesen  veröffentlichen  wir  die  folgenden.  Direktor  Mar- 
tens nimmt  fast  die  gleiche  Stellung  ein,  die  im  Erlasse  des  Kaisers  zum 
Ausdrucke  kam.  „Der  kulturgeschichtliche  Unterricht,"  so  lautet  die  betr. 
These,  „berücksichtigt   bezüglich  der  sozialpolitischen  Eut  wicke- 


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146 


Nachrichten. 


Heft  4  u.  5 


lung,  indem  er  die  einschlägigen  Thatsachen  aus  der  alten,  mittleren  und 
neueren  Geschichte  bewirfst  unter  den  sozialpolitischen  Gesichts- 
punkt stellt,  die  wirtschaftlichen  Vorhältnisse  vornehmlich  des  deutschon 
Volkes,  so  dafs  nicht  nur  das  Verständnis  für  die  sozialeFrage  der 
Gegenwart  geweckt,  sondern  auch  die  Mittel  und  Wege  zur  Be- 
kämpfung der  heutigen  Sozi aldemokrati e  auf  dem  Grunde  de« 
verantwortungsvollen  Staatsbewufstseina  gezeigt  werden."  Demgegenüber 
stellt  Prof.  Do vc  folgende  These  auf:  „Beim  Vortrage  der  neuesten,  für 
die  oberste  Schulstufe  bestimmten  Geschichte  ist  eine  kundige,  jedoch 
durchaus  objektive,  von  aller  Tendenz  freie  Erläuterung  der 
gegenwärtig  in  Staat,  Kirche,  Recht,  Volkswirtschaft  u.  s.  w.  bestehenden 
Ordnungen  und  Verhältnisse  von  Seiteu  des  Lehrers  angebracht  und  er- 
wünscht. Dieselbe  wird  indessen  nur  dann  sichern  Nutzen  stiften,  wenn 
Studiengang  und  amtliche  Prüfung  der  künftigen  Lehrer  der  neueren 
Historie  ausdrücklich  auch  auf  das  Gebiet  der  StaatswisBenschaften 
erstreckt  werden."  Prof.  Raufmann  formuliert  daneben  noch  folgende 
Sätze :  „Bei  der  Geschichte  der  neuesten  Zeit  ist  schon  auf  der  Mittelstufe 
Kenntnis  zu  geben  von  der  Verfassung  des  Reiches  und  des  Landes.  Auf 
der  Oberstufe  ist  diese  Kenntnis  zu  vertiefen  und  durch  Vergleichung 
mit  den  politischen  Ordnungen  anderer  moderner  Staaten  einerseits  und 
des  Mittelalters  und  Altertums  andererseits  zu  erläutern."  „Die  an  sich 
wünschenswerte  Einführung  in  mancherlei  Formen  und  Pflichten  des 
öSVntlichen  Lebens  ist  nicht  Sache  des  Geschichtsunterrichts." 
„Erkennt  man  das  Bedürfnh  an,  so  ist  zu  erwägen,  ob  nicht  nach  dem 
Muster  anderer  Staaten  auf  der  Mittelstufe  eine  Stunde  für  bürgerliche 
Geschäftsaufsätze  und  Gesetzeskunde  einzuführen  sei.-  Schärfer  noch  als 
Prof.  Dove  protestiert  endlich  Prof.  Kaufmann  gegen  jede  kirchliche 
und  politische  Tendenz  im  Geschichtsunterricht.  Er  erklärt 
sich  gegen  jeden  Versuch,  dieJugeud  zu  bestimmten  Ansichten  über 
politische,  kirchliche  und  soziale  Fragen  und  Parteien  zu  er- 
ziehen und  verlangt  volle  Unabhängigkeit  für  den  Lehrer  und 
gemeinsamen  Geschichtsunterricht  für  die  verschiedenen  Konfessionen. 
Schlicfslich  wurde  folgender  Antrag  des  Professors  Stieve  mit  grofser  Majorität 
angenommen:  Der  Geschichtsunterricht  kann  und  soll  nicht  in  der  Weise 
als  Vorbereitung  zur  Teilnahme  an  den  Aufgaben  des  öffentlichen  Lebens 
dienen,  dafs  er  in  systematischer  oder  auf  eine  bestimmte  Gesinnung  hin- 
zielender Weise  für  dasselbe  vorbereitet;  er  hat  vielmehr  zu  dem  frag- 
lichen Zwecke  lediglich  diejenigen  geschichtlichen  Kenntnisse  zu  über- 
mitteln, welche  zur  späteren  Teilnahme  am  öffentlichen  Leben  befähigen, 
und  die  Neigung  zu  dieser  Teilnahme  entwickeln."  Der  Schlufspassus : 
„insbesondere  hat  er  (der  Geschichtsunterricht)  auch  die  Liebe  zum  Vater- 
lande und  ein  strenges  Pflichtbewufstsein  gegen  den  Staat  zu  erwecken" 
wurde  auf  Antrag  des  Professors  Quidde-München  abgelehnt. 

Herr  Lehrer  Richard  Aron  in  Berlin  O.  34  besitzt  eine  wertvolle 
Sammlung  von  Ausgaben  comenianischer  Schriften.  Wir  teilen  im  nach- 
folgenden eine  Auawahl  daraus  mit: 

Comenius,  J.  A.,  Auffgc*chlosscue  Güldene  Sprachen -Thür  u.  s.  w. 


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1893. 


Nachrichten. 


147 


Auagef.  von  Zacharias  Schneider.  Die  7.  Ausfertig.  Leipzig,  1689. 
— ,  Janua  lingnae  Graeeae,  Secundum  methodura  ä  Dn.  Comenio  inventam 
conatructa  atque  reaerata  a  L.  Z.  Schneidero,  Leipzig  1642.  — ,  Janua  lingua- 
lem reaerata.  Cum  Graeca  veraione  Theodori  Simonii  Holaati,  Secunda 
hac  editiono  recognita  et  innumerig  in  loci»  emendata  et  Gallica  nova  Steph. 
Curcellaei.  Amstelodami  1643.  — ,  Janua  aurea  quinque  linguarum  reaerata. 
Nath.  Dhuez  et  Theod.  Simon.  Franeof,  1644.  — .  Latinae  Linguae  Janua 
reaerata.  Rerum  St  Linguae  Structuram  cxhibens  ordine  nativo.  Ex  mentc 
Autoris  ad  lege«  mcthodi  Janualis  proponenda,  in  Schola  Olsnensi  Silo«. 
Olanae,  1647.  — ,  Janua  aurea  reacrata.  Sive  compendiosa  Methodua  Lati- 
nam,  Gallicam  etc.  etc.  Genevae,  1663.  — ,  Janua  linguarum  reacrata 
aurea  Coloniae  Agrippinae,  1662.  — ,  Janua  Linguarum  reaerata.  Pro 
compendioae  Lingua  Latina  cum  Rebua  docenda.  Belgiea  veraione  a  Joh. 
Seidelio  ornata.  Amsterdam,  1691.  — ,  Janua  linguarum  reacrata  aurea. 
Editio  postrema.  Cöln,  1692.  — ,  Pansophiae  prodromua,  et  Conatuum 
Panaopbicorum  Dilucidatio.  Lugduni  Batav.,  1644.  — ,  Orbis  Senauaüum 
Pictua.  Latino-Gallico-Germanico-Polonice.  Bregae  Silesiorum,  Typis 
Tachorniania,  Impenais  Caspari  Mülleri  Bibliopolac  Wratialav.,  1667. 
— ,  Orbis  aenaualium  pictua  qnadrilinguia.  Noribergae,  1679.  — ,  Orbia 
aensualium  pictua.  Noribergae ,  1706.  — ,  Orbis  aenaualium  pict.  Nori- 
bergae,  1740—45.  — ,  Orbia  aens.  pictus.  Noribergae,  1777.  — ,  Orbia  pictua 
in  Hungaricum  et  Gcrmanicum  tranalatna.  Die  Welt  in  Bildern.  In  die 
ungarische  und  deutsche  Sprache  übersetzt  und  hin  und  wieder  verbessert. 
Po'  aonyban,  1831.  — ,  Neuer  Orbis  pictua  für  dio  Jugend  oder  Schauplatz 
der  Natur,  der  Kunat  und  des  Menschenlebens  in  822  lithogr.  Abbildungen  etc. 
nach  der  früheren  Anlage  des  Comenius  bearbeitet  von  J.  E.  Gailer. 
3.  Aufl.  Reutlingen,  1885.  — ,  Neuer  Orbia  pictua  für  unser  philosophisches 
and  aufgeklarte«  Jahrhundert.  Kaklogallinien,  1790.  — ,  Die  Welt  in 
Bildern.  Ein  lehrreiches  und  angenehmes  Geschenk  für  Kinder  gebildeter 
Eltern.  Enth.  121  sauber  kolor.  Kupfer.  Berlin,  1832.  — ,  Versuch  eines 
Elementarbuches  für  Kinder  durch  Abbildung  der  merkwürdigsten  Dinge 
und  derselben  deutschen,  lateinischen,  franzöaischen  und  italiänischen  Be- 
nennungen. Nürnberg,  1770.  6000  Holzachnitte.  — ,  Januac  in  linguam 
Graecam  Vestibulum  ad  Dn.  Comenii  methodum  adornatum  a  Z.  Schnei- 
dero. Lipsiae,  1640.  — ,  Portael  der  Saecken  en  Spraecken -Vestibulum 
rerum  et  Linguarum  —  Die  Vortfihre  der  Sachen  u.  Sprachen.  Amstelod, 
1673.  — ,'  Vorpforte  der  Schul -Unterweisung.  Nach  den  Gesetzen  der 
neuesten  Lehrart  u.  mit  vielen  Kupffer-Bildnissen  erklaert  von  Jacob 
Redinger.  Noribergae,  Chr.  Gerhardt,  1678.  — ,  8ententiae  Vestibuli  J. 
A.  C.  Multo  emendatiores,  quam  hactenus  alibi,  excusae,  cum  vocabulis, 
£  regione  appoaitis,  in  usum  juventntis  scholaaticae.  Wernigerodae ,  1738. 
— ,  Unum  necesaarium  Editio  quarta.  Jenae,  1718.  — ,  Das  Einige  Not- 
wendige. Leipzig,  1725.  — ,  Das  Einige  Nothwendige.  Frankfurt-Leipzig 
1755.  — ,  Kurz  gefafste  Kirchen-Historie  der  Böhmischen  Brüder,  wie 
solche  J.  A.  C.  lateinisch  beschrieben.  Schwabach,  1738.  — ,  Joh.  Theoph. 
Eisner,  Martyrologium-Bohemicum  oder  die  Böhmische  Verfolgung» -Ge- 
schichte von  894—1682  etc.  Berlin,  1766.  — ,  Labirynt  Sweta  a  Rag 
Srdcc.    Berline,  1757.   — ,  Comenii  philosophisch-satyriscbe  Reisen  durch 


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148 


Nachrichten. 


Heft  4  U.  5. 


alle  Stände  der  menschlichen  Handlungen.  Berlin  u.  Potsdam,  1787.  — , 
Dag  wiedergefundene  Paradies  oder  Uebergang  aus  der  Welt  ins  Herz.  1760. 
— ,  Das  Labyrinth  der  Welt  und  den  Herzens  Paradies.  Aus  böhmischer 
in  deutsche  Sprache  übertragen  von  J.  Nowotny.  Spremberg,  1871.  — , 
Kssafft  Vmjragjcy  Matky  Gednoty  ßratrske.  Berlin  1757.  — ,  Höcbst- 
verwundersame  Offenbahrungen.  Welche  Einer  Böhmischen  Edel- Jungfer 
Nahmens  Christina  Poniatovia  In  denen  Jahrgängen  1627,  1628,  1629  ge- 
schehen u.  s.  w.  Nebst  beygefügter  Historischer  Erzählung  u.  Erläuterung 
dess  berühmten  Mit-Gliedes  der  Böhmischen  Brüderschaft  Johann  Arnos 
Comenius.  1711.  —  Zwey  wunder  Tractätlein  |  deren  das  Erste  begreiffet 
Englische  Erscheinungen  und  Reden  Christoph  Kütten  u.  s.  w.  Das  Ander 
Himmlische  Offenbarungen  und  Gesichte  einer  Gottsfftrchtigen  Jungfrawen 
aus  Böhmen  (Chr.  Poritowsken)  u.  s  w.    Im  Jahr  1632. 

Für  eine  Bücherkunde  der  Janua,  des  Orbis  pictus  und  anderer 
Schriften,  die  uns  noch  fehlt,  sind  hier  Fingerzeige  gegeben,  die  sich 
vielleicht  aus  anderen  Privat-  oder  öffentlichen  Sammlungen  ergänzen  lassen. 

Es  ist  der  Zweck  dieser  Zeilen,  zur  Aufstellung  einer  Bücherkunde  der 
Janua  und  des  Orbis  pictus  anzuregen. 

Wir  haben  bereits  früher  (M.  H.  1892  S.  224)  auf  die  freundlichen  Be- 
ziehungen hingewiesen,  in  welchen  Comenius  zu  den  sog.  Hutterischen 
Brüdern  in  seiner  mährischen  Heimat  stand,  die  er,  wie  er  selbst  bezeugt, 
wohl  kannte.  Von  um  so  gröfseren  Interesse  ist  für  uns  das  Buch  über  die  An- 
fänge dieser  „mäh  rischen"  Brüder,  welches  Prof. Dr.  Johann  Loaerth  soeben 
veröffentlicht  hat;  es  führt  den  Titel:  Doetor  Balthasar  Hnbmaier  und  die 
Anfänge  der  Wiedertaufe  in  Mähren.  Aus  gleichzeitigen  Quellen  und  mit 
Benützung  des  wissenschaftlichen  Nachlasses  des  Hofrates  Dr.  Josef 
Ritter  von  Beck  von  Dr.  J.  L.  Herausgegeben  von  der  historisch-statis- 
tischen Sektion  der  k.  k.  mährischen  Gesellschaft  zur  Beförderung  der 
Landwirtschaft,  der  Natur-  und  Landeskunde.  Brünn,  Verlag  der  hist- 
statist.  Sektion  1893.  Das  Buch  ist  auf  Grund  eines  reichen,  bisher  unbe- 
nutzten Materials  bearbeitet  und  ist  ein  wichtiger  Beitrag  zur  Reformations- 
geschichte überhaupt.    Wir  werden  eingehender  darauf  zurückkommen. 

t  — 

Dr.  Theodor  Arndt,  Prediger  an  St.-Pctri  in  Berlin,  hat  im  Verlag  von 
Georg  Reimer  unter  dem  Titel :  „Da«  Glück,  Ein  Wort  für  die  ideale  Welt- 
anschauung'4, eine  kleine  Schrift  erscheinen  lassen,  auf  die  wir  die  Auf- 
merksamkeit unserer  Leser  lenken  möchten.  Es  ist  im  wesentlichen  die 
Wiedergabe  eines  Vortrags,  den  Arndt  am  20.  Januar  1893  im  Berliner 
Unions- Verein  gehalten  hat.  Der  Verf.  beabsichtigte  durch  seine  Schrift 
in  einigen  Punkten  eine  Ergänzung  zu  der  Arbeit  zu  geben,  die  er  im 
vorigen  Jahr  unter  dem  Titel  „Die  Religion  der  Sozialdemokratie"  (Ev.- 
soz.  Zeitfragen  II.  6.  Lfg„  F.  W.  Grunow»  hat  erscheinen  lassen.  Er  will 
versuchen :  1.  Das  Problem  des  Glückes  selbst  klar  zu  stellen,  2.  die  Wege 
zu  beschreiben,  auf  denen  man  seine  Lösung  versucht  hat,  und  3.  anzu- 
deuten, auf  welchem  Wege  wir  als  evangelische  Christen  die  Lösung  finden 
werden.  Besonders  lesenswert  ist  der  zweite  Abschnitt,  der  in  kurzen 
Zügen  eine  Reihe  von  Versuchen  schildert,  die  gemacht  worden  sind,  um 


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1893. 


Nachrichten. 


149 


auf  dem  Wege  der  Naturwissenschaft  oder  der  philosophischen  Speku- 
lation die  Wege  zu  ergründen,  die  zum  Glücke  hinführen. 


Die  russische  Zeitschrift  „Gimnasija"  (Journal  für  Philologie  und  Pä- 
dagogik, Reval)  enthalt  in  der  Oktober-Nummer  1892  die  Fortsetzung  der 
von  Meschoff  bearbeiteten  „Bibliographie  der  Pädagogik",  welche  eine 
Übersicht  über  die  russischen  Erscheinungen  in  den  letzten  beiden  Jahr- 
zehnten bietet.  In  Deutschland  existiert,  soviel  uns  bekannt  ist,  eine 
ähnliche  bibliographische  Übersicht  nicht;  gleichwohl  wäre  es  erwünscht, 
wenn  allmählich  wenigstens  für  die  Volksschule  oder  die  Gymnasien  oder 
die  Universitäten  oder  die  Geschichte  der  Erziehungsichre  von  Zeit  zu 
Zeit  bibliographische  Übersichten  veröffentlicht  werden  könnten. 


Berichtigung. 

Wir  hatten  (Monatshefte  der  C.-G.  1892  S.  232)  die  Vermutung  aus- 
gesprochen, dafs  die  Abhandlung  Carl  Hüllemanns  über  Valentin  Andrea« 
als  Pädagog,  welche  im  J.  1884  zu  Leipzig  erschien,  auf  die  Anregung 
des  Criegeruschen  Buchs  über  Comenius  zurückgehe.  Bezugnehmend  auf 
diese  Äusserung  teilt  uns  Herr  Dr.  Hüllemann  unter  dem  18.  März  1898  mit, 
dafs  er  genötigt  sei,  zu  erklären,  dafs  ihm  nicht  Herr  Lic.  Dr.  von  Criegern, 
sondern  Herr  Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  Masius  die  Anregung  zu  «einer  Arbeit 
gegeben  habe.  Die  Schriftleitung. 


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Pur.rtch.  Hof  baehdruck«r«i.  Stophma  Oeibel  ä  Co.  in  Altenbui*. 


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Monatshefte 

der 

C  omenius  -  Gesellschaft. 


IL  Band.  —  1S93.  —  Heft  6  n.  7. 


Die  kirchliche  Reformbewegung  in  England  im  XIV.  Jahr- 
hundert und  ihre  Aufnahme  und  Durchfuhrung  in  Böhmen. 

Akademische  Antrittsrede,  gelullten  am  2.  Mai  1893  von 
Dr.  Johann  Loserth, 

o.  ö.  l'rofcBsor  <lor  allgemeint-u  Oeachichtu  an  der  k.  k.  Karl-Fraiizcns-Uiiiversitat 

in  Graz. 


Indem  ich  das  mir  übertragene  Lehramt  der  allgemeinen 
Geschichte  an  der  hiesigen  Universität  antrete,  darf  ich  wohl 
für  den  heutigen  Vortrag  ein  allgemeineres  Thema  wühlen,  als 
es  dem  Gegenstande  dieser  Vorlesungen  entspricht.  Man  wird 
es  begreiflich  finden,  dafs  ich  es  jenen  Studien  entnehme,  die  ich 
seit  mehr  als  zehn  Jahren  gepflegt  habe:  der  kirchlichen  Reform- 
bewegung in  England  im  letzten  Drittel  des  XIV.  Jahrhunderts 
und  ihrer  Aufnahme  und  Durchführung  in  Böhmen. 

Mit  Recht  wird  es  als  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  ge- 
schichtlicher Forschung  bezeichnet,  die  Einwirkungen  darzulegen, 
die  ein  Volk  in  Bezug  auf  seine  politische  und  kulturelle  Ent- 
wickelung  von  anderen  höher  stehenden  Völkern  erfahren.  Diese 
Aufgaben  sind  freilich  nicht  immer  leicht  zu  lösen.  Man  weifs 
heute,  in  welcher  Weise  sich  semitische  Einflüsse  in  Griechen- 
land, griechische  in  Rom,  römische  bei  den  germanischen  Völker- 
schaften Geltung  verschafft  haben.  Wenn  man  auf  den  phöni- 
zischen  Ursprung  der  griechischen  Bezeichnungen  für  einzelne 
Metalle,  Pflanzen  und  Thicre  oder  für  jene  Dinge  hinweist,  die 
auf  Gewerbe  und  Handel,  Münze,  Mafs   und  Gewicht  Bezug 

Monatsheft*  der  Coraenius-Ge^llactaaft.    INM.  11 


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152 


Losertli, 


Heft  6  U.  7. 


nehmen,  oder  wenn  man  deutsche  Lehenwörter,  wie  z.  B.  Ziegel, 
Mauer  u.  s.  w.  auf  ihren  lateinischen  Ursprung  zurückfuhrt,  so 
weifs  man  zugleich,  welcher  Art  diese  Beeinflussung  gewesen,  und 
findet  sie  begreiflich,  denn  diese  Völker  wohnten  entweder  als 
Nachbarn  nebeneinander  oder  kamen  doch  sonst  miteinander  in 
mannigfachen  Verkehr.  Seltener  sind  die  Einwirkungen  von  Völkern 
aufeinander,  die  durch  grofse  Räume  voneinander  getrennt  sind 
und  zwischen  denen  es  auch  sonst  wenig  Berührungspunkte  giebt. 

Ziemlich  vereinzelt  ist  wohl  der  Fall,  dafs  Ideen  und  Rich- 
tungen, die  aus  einem  fremden,  durch  grofse  Länderstrecken  und 
Meere  getrennten  Lande  stammen,  so  mächtig  und  nachhaltig 
auf  ein  Volk  einwirken,  dafs  es  in  kürzester  Zeit,  man  könnte 
fast  sagen,  seine  frühere  Eigenart  grofsenteils  preisgiebt. 

Das  trifft  beim  Wiclitismus  zu,  der  von  bestimmten  Personen 
aus  England  nach  Böhmen  verpflanzt,  hier  als  Husitismus  er- 
scheint und  als  solcher  das  böhmische  Volk  in  eine  von  der 
bisherigen  durchaus  verschiedene  Richtung  drängt. 

Unter  den  Reichen  der  abendländischen  Christenheit  bot  das 
böhmische  dem  Oberhaupte  der  Kirche  bis  an  die  Wende  des 
XIV.  Jahrhunderts  geringen  Grund  zu  Beschwerden.  Ja  die 
Zeit  Karls  IV.  wird  geradezu  die  goldene  Zeit  der  böhmischen 
Kirche  genannt.  Hier  gab  es  eine  feste  hierarchische  Ordnung; 
hier  zählte  man  eine  solche  Menge  kirchliche  Körperschaften, 
wie  in  keinem  anderen  Lande  der  Nachbarschaft  Die  Kirchen 
und  Klöster  besafsen  einen  schier  unermefslichen  Reichtum;  denn 
alle  die  Jahrhundertc  hindurch  hatte  sich  der  fromme  Sinn  der 
Fürsten  und  Herren  des  Landes  an  der  Gründung  neuer  und 
der  Bereicherung  älterer  Klöster  bethätigt.  Hier  hörte  man  wenig 
von  oppositionellen  Strömungen,  und  wo  sich  eine  solche  kund- 
gab, galt  sie  der  verfallenden  Kirchenzucht,  nicht  dem  Bestände 
der  gesamten  kirchlichen  Ordnung. 

Eine  Wendung,  jäh  und  unvermittelt,  trat  am  Ende  des 
XIV.  Jahrhunderts  ein.  Noch  zum  Jahre  1392  meldet  das  Zeit- 
buch der  Prager  Hochschule:  „Und  dazumal  wurde  auch  der 
Magister  Hus  durch  die  Ablafspredigtcn  betrogen.  Er  beichtete 
auf  dem  Wischehrad  und  reichte  dem  Beichtvater  die  letzten 
4  Groschen,  so  dafs  ihm  nichts  als  trockenes  Brot  zur  Nahrung 
blieb1).«' 

')  Für  das  folgende  verweise  ich  auf  mein  Buch :  Hua  und  Wiclif,  und 
namentlich  auf  die  Einleitungen  zu  ineinen  Ausgaben  von  Wiclif*  Buch 
von  der  Kirche,  den  Predigten,  De  Eucharistie  und  Opus  Evangelicum. 


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1893.  I*'0  kirchliche  Reforrabewegung  in  England  etc. 


153 


Wenige  Jahre  später  kamen  die  ersten  refonnatorischen 
Schriften  Wiclifs  ins  Land.  Wie  im  Fluge  eroberten  die  neuen 
Ideen  alle  Gemüter  und  erzeugten  jene  tiefe  Bewegung,  die  alles 
mit  fortrifs:  Alt  und  jung,  arm  und  reich,  hoch  und  niedrig 
8chlofs  sich  an;  politische  und  kirchliche,  sociale  und  wissen- 
schaftliche und  nicht  zuletzt  auch  nationale  Beweggründe  wirkten 
zusammen.  Der  Name  des  englischen  Magisters  befand  sich  in 
Aller  Mund.  Seine  Lehren  vernahm  man  in  den  Sälen  der 
Fürsten,  in  den  Kollegien  und  von  den  Kathedern  der  Priester, 
in  den  Schulen  der  Studenten,  unter  den  Haufen  des  gemeinen 
Volkes,  ja  selbst  in  den  der  Ruhe  geweihten  Räumen  der  Mönche. 
Von  seiner  Gelehrsamkeit,  seiner  scharfen  Dialektik  wurden 
Wunderdinge  erzählt,  vornehmlich  aber  von  seinem  Eifer  für 
das  Gesetz  Christi.  „Mich  zieht,  sagt  Hus,  zu  ihm  der  Ruf,  den 
er  bei  den  guten  Priestern  hat"  „Mich  locken  seine  Schriften 
an,  durch  die  er  die  Menschen  zu  Christi  Gesetz  zurückzuführen 
sucht,  und  besonders  die  Geistlichen,  auf  dafs  sie  irdischer  Herr- 
schaft entsagen  und  gleich  den  Aposteln  nach  dem  Leben  Christi 
leben.  Es  zieht  mich  an  seine  Liebe  zu  dem  Gesetze  Christi, 
und  dafs  er  behauptet,  dafs  dieses  auch  nicht  in  dem  geringsten 
Punkte  falsch  sein  könne." 

Die  Lehren  des  Engländers  auszubreiten,  dazu  war  nun  Hus 
der  geeignete  Mann.  Von  der  beherrschenden  Stellung,  die  er 
in  Böhmen  einnahm,  zeugt  sein  stolzer  Ausspruch  vor  dem  ver- 
sammelten Konzil:  „Frei  bin  ich  hieher  gekommen,  und  wenn 
ich  nicht  hätte  hieher  kommen  wollen ,  nicht  jener  König  dort 
(Wenzel)  und  auch  nicht  dieser  da  (Sigismund)  hätte  mich 
zwingen  können,  denn  gar  zahlreich  und  mächtig  sind  die  böh- 
mischen Herren,  die  mich  lieben.  Auf  ihren  Schlössern  hätte 
ich  mich  leicht  schützen  mögen."  Diese  Liebe  war  freilich  nicht 
ganz  uneigennützig;  denn  wenn  die  Enteignung  der  böhmischen 
Kirche  von  ihrem  gewaltigen  Länderbesitze  erfolgte,  so  mufste 
er,  wie  es  auch  geschah,  an  die  Herren  des  Landes  fallen. 

Husens  Ideen  in  Bezug  auf  die  Reformation  der  Kirche, 
nahmen  einen  immer  kühneren  Flug:  über  den  Boden  seiner 
engeren  Heimat  hinweg  wollte  er  die  ganze  abendländische  Kirche 
in  die  Reform  einbeziehen.  Dafs  diese  aber  keine  andere  war 
und  keine  andere  sein  sollte  als  der  reine  und  unverfälschte 
Wiclifismus,  das  werden  die  folgenden  Ausfuhrungen  ergeben. 

Als  Hus  im  Herbste  des  Jahres  1414  nach  Konstanz  zog, 

11« 


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151 


Loßcrtb, 


Heft  6  u.  7. 


war  sein  Vorhaben  nicht  so  sehr  darauf  gerichtet,  sieh  selbst 
bezüglich  seiner  Lehre  vor  den  versammelten  Vätern  zu  recht- 
fertigen, als  vieiraehr  die  ganze  Versammlung  für  diese  zu  ge- 
Avinnen.  Zu  dem  Zwecke  bereitete  er  drei  Reden  vor,  die  er 
auf  dem  Konzil  zu  halten  gedachte:  die  eine  will  die  Mittel  an- 
geben, den  Frieden  zu  gewinnen,  dessen  die  christliche  Welt  so 
notwendig  bedurfte;  die  zweite  giebt  Rechenschaft  über  seinen 
Glauben,  und  die  dritte,  die  wichtigste  von  allen,  behandelt  die 
Frage,  ob  das  Gesetz  Christi,  d.  h.  die  hl.  Schrift,  genüge,  die 
christliche  Welt  zu  regieren.  Indem  er  die  Frage  bejaht,  betont 
er  mit  Nachdruck,  dafs  es  unmöglich  sei,  die  Einheit  in  der 
Kirche  herzustellen,  Reiche  und  Länder  zu  regieren,  Völker  zu 
beglücken  und  einzelne  Personen  zu  befriedigen,  wenn  dies  nicht 
durch  das  Gesetz  Christi  geschehe.  Ihm  darf  nichts  hinzugefügt, 
nichts  weggenommen  werden;  die  sonstigen  Gesetze  dürfen  nur 
Geltung  besitzen,  wenn  sie  mit  der  hl.  Schrift  in  Ubereinstimmung 
sind.  Die  Folge  ist,  dafs  alles  andere  abgeschafft  und  ausgetilgt 
werden  müsse. 

Auf  diesem  Grunde  bauen  die  Taboriten  weiter:  das  evan- 
gelische Gesetz,  lehren  sie,  ist  an  sich  völlig  genügend  zur  Re- 
gierung der  streitenden  Kirche.  Es  bedarf  nicht  der  Ceremonieen, 
die  aus  dem  alton  Bunde  stammen,  nicht  der  Brüuche,  die  später 
hinzukamen,  die  aufreizend  sind,  das  Gesetz  Christi  mindern 
und  hindern  und  mehr  Schaden  anrichten  als  nützen.  Was  in 
Gottes  Gesetz  nicht  enthalten  ist,  mufs  abgeschafft  werden,  so 
der  Prunk  bei  den  gottesdienstlichen  Handlungen  u.  dgl.  Auf 
der  Versammlung  zu  Konopischt  erklären  die  taboritischen 
Priester:  Wir  sind  nicht  zusammengekommen,  um  wegen  der 
Bücher  einzelner  Doktoren  zu  streiten,  sondern  um  die  hl.  Schrift 
bezüglich  der  streitigen  Punkte  zu  vergleichen,  denn  wir  wissen, 
dafs  auch  die  Pseudoprophetcn  ihre  irrigen  Lehren  auf  die  Worte 
der  Apostel  begründen:  „Den  hl.  Doktoren  aber  glauben  wir 
nur  insoweit,  als  ihre  Lehre  in  der  hl.  Schrift  begründet  ist, 
denn  auch  sie  können  betrogen  werden  und  betrügen.  Dem 
göttlichen  Gesetze  beugen  wir  unseren  Nacken,  allen  Menschen- 
tand aber,  der  in  der  Schrift  nicht  begründet  ist,  wollen  wir 
abthun.44 

Woher  hat  Hus,  woher  haben  die  Taboriten  diese  Lehre  ge- 
nommen? An  hundert  und  noch  mehr  Stellen  sagt  Wiclif:  Gottes 
Gesetz,  d.  i.  die  Bibel,  reicht  aus  zur  Regierung  dieser  Welt. 
Wäre  irgend  ein  Mensch  so  weise  wie  Salonion,  so  hochbetagt 


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1893.  I>ie  kirchliche  Rcformbcwegung  in  England  etc. 


155 


wie  Methusalem,  er  niüfsto  erkennen,  dafs  auch  nur  ein  kleiner 
Teil  des  Evangeliums  ausreicht,  um  das,  was  er  will,  zu  erlernen. 
Besser  als  durch  Traditionen,  die  menschlicher  Fürwitz  erdacht 
hat,  wird  die  christliche  Welt  durch  Christi  Gesetz  regiert;  die 
anderen  Gesetze  haben  nur  insoweit  Geltung,  als  sie  mit  Gottes 
Gesetz  Ubereinstimmen.  In  der  Kirche  soll  es  keine  weltliche 
Satzung  geben.  Die  beste  Regierung  hier  auf  Erden  war  zur 
Zeit  der  Apostel,  denn  sie  und  ihre  Jünger  kannten  kein  anderes 
Gesetz  als  das  Evangelium.  Wenn  man  nichts  anderes 
von  Gottes  Gesetz  besäfse,  als  allein  die  Berg- 
predigt: sie  könnte  genügen,  um  ganz  ohne 
menschlichen  Zusatz  die  Pilgrime  auf  Erden  zu 
lenken.  Jede  Wahrheit  sowie  jedes  Irrtums  Vernichtung  ist 
aus  dem  Evangelium  zu  entnehmen.  Das  soll  jeden  Gläubigen 
aufmuntern,  das  Evangelium  kennen  zu  lernen.  Ohne  die 
Kenntnis  des  Evangeliums  gleichen  die  Menschen  den  Tieren: 
„Du  magst  nun  ein  päpstlicher  Gesetzgeber,  ein  kaiserlicher,  könig- 
licher oder  ein  Landesgesetzgeber  sein,  wenn  Dein  Gesetz  etwas 
gelten  soll,  so  mufs  es  da  ausdrücklich  gelehrt  werden."  Giebt's 
eine  gröfsere  Gotteslästerung  als  zu  sagen,  Gottes  Gesetz  reiche 
nicht  aus  zur  Regierung  der  christlichen  Welt?  Es  reicht  voll- 
ständig hin,  da  es  alle  und  jede  einzelne  Wahrheit  enthält,  die 
Gesetze  des  Papstes  aber  lenken  von  der  Kenntnis  des  göttlichen 
Gesetzes  ab.  Da  gebe  es  Leute,  wie  die  Bettelmönche,  die 
lehren,  Gottes  Gesetz  sei  falsch  und  zur  Regierung  der  christ- 
lichen Welt  erst  dann  hinreichend,  wenn  es  durch  sie  selbst  und 
ihre  Leitung  unterstützt  wird.  Diese  Leute  verachten  Christi 
Gesetz,  das  nun  in  England  verbreitet  wird  —  eine  Anspielung 
auf  seine  Bibelübersetzung;  dafür  erheben  sie  die  Satzungen  des 
Antichrists,  die  ja  auch  sonst  viele  Gönner  haben.  Das  gnaden- 
reiche Wort  des  Herrn,  wie  es  in  der  Bibel  enthalten  ist,  wird 
verschmäht  und  menschliche  Erdichtung  an  seine  Stelle  gesetzt 
Christi  Gesetz  allein  ist  kurz,  leicht  zu  fassen,  nutzbringend,  die 
Söhne  der  Kirche  nicht  belastend;  da  braucht  man  keine  dick- 
leibigen Folianten,  keine  in  der  Weltlichkeit  aufgehenden  Diener, 
nur  solche,  die  Gottes  Gesetz  verstehen,  prüfen  und  jedes  andere 
abweisen.  Nur  der  Mensch,  der  die  reine  Absicht  auf  Christi 
Gesetz  hat  und  den  Vorsatz,  hierin  bis  ans  Ende  zu  verharren, 
darf  hoffen,  zur  Seligkeit  zu  gelangen.  Wenn  jemand,  und  sei 
es  auch  ein  Engel  vom  Himmel,  dem  Gesetze  Gottes  Satzungen 
hinzufügt,  die  im  Evangelium  weder  explicite  noch  implicite  ent- 


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Loserth, 


Heft  6  u.  7. 


halten  sind,  der  müht  sich  ab  um  schlechte  Gesetze.  So  ge- 
nügen denn  die  vier  Evangelien  vollständig  zur  Leitung  dieser 
Kirche. 

In  diesem  Sinne  finden  sich  in  allen  Werken  Wiclifs  aus 
dessen  letzten  Jahren  zahlreiche  kräftige  Stellen ;  besonders  häufig 
kommt  er  in  seinen  Predigten  auf  den  Satz  zurück,  dafs  Christi 
Gesetz  völlig  genügt  zur  Regierung  dieser  Welt  und  dafs  die 
menschlichen  Satzungen  nur  dann  einen  Wert  haben,  wenn 
sie  auf  der  Schrift  begründet  sind.  Das  ist  der  Gedanke,  der 
in  zahlreichen  Abänderungen  immer  wiederkehrt  und  zu  dessen 
Erläuterung  er  noch  im  letzten  Jahre  seines  Lebens  selbst  ein 
„dickleibiges"  Buch,  das  Opus  Evangelicum,  geschrieben  hat. 
Diese  Lehren  und  dieses  Buch  waren  es,  aus  dem  Hus,  und 
mehr  noch  als  dieser,  die  taboritischen  Lehrer,  geschöpft  haben. 
Aus  diesem  Buche  hat  Hus  die  Anregung  zu  seiner  Rede:  De 
sufficiencia  legis  Christi  ad  regendam  ecclesiam  erhalten,  und 
wenn  ihn  die  auf  dem  Konzil  versammelten  Väter  hätten  anhören 
wollen,  so  würden  sie  Wiclifs  Worte  vernommen  haben.  Denn 
jeder  einzelne  Hauptsatz  in  dieser  Rede  stimmt  nicht  nur  sinn- 
gemäfs,  sondern  auch  wortgetreu  mit  Wiclifs  Sätzen  zusammen. 

Die  ganze  Reform  des  taboritischen  Gottesdienstes,  bei  dem 
nun  zunächst  abgethan  wurde,  was  aus  „Gottes  Gesetz"  nicht 
zu  erweisen  war,  geht,  wie  man  sieht,  auf  die  Anregungen  des 
englischen  Meisters  zurück.  Freilich  mufsten  schon  die  tabori- 
tischen Vorstände  erkennen ,  wie  gefährlich  es  sei ,  wenn  jeder 
einzelne  Priester  das  Evangelium  als  Richtschnur  in  der  Hand 
hält.  Wie  viel  aber  warfen  sie  nun  selbst  zu  Boden,  was  die 
Jahrhunderte  hindurch  in  ganz  Böhmen  mit  besonderer  Inbrunst 
verehrt  worden  war.  Denn  was  sagte  die  Bibel  von  dem  „eitlen" 
Prunk,  der  nun  in  der  Kirche  entfaltet  wurde,  von  den  grofs- 
artigen  Tempelbauten,  die  nicht  zur  Frömmigkeit  einladen,  son- 
dern zerstreuen,  die  nicht  die  Demut,  sondern  die  unerträgliche 
Hoffart  des  Klerus  beweisen  ?  Sieht  man  nicht  an  dem  Turmbau 
zu  Babel,  dafs  Gott  diese  Bauten  verschmäht?  oder  wo  haben 
die  Apostel  zugelassen,  dafs  solche  Bauwerke  aufgeführt  werden, 
die  in  der  Schrift  keine  Begründung  haben?  Haben  nicht,  lehrt 
Wiclif,  die  Märtyrer  im  Kerker  gebetet?  Hat  sich  nicht  Johannes 
der  Täufer  in  der  Einsamkeit  der  Wüste  zu  erbauen  vermocht, 
haben  nicht  die  Väter  des  alten  und  neuen  Bundes  ihre  Gebete 
unter  freiem  Himmel  verrichtet?  Oder  war  etwa  Christus,  wenn 
er  die  Nacht  im  Gebete  verbrachte,  in  einem  Tempel  eingesperrt? 


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1893. 


Die  kirchlich«  Rpformbewegung  in  England  etc. 


157 


In  allen  diesen  Dingen  schufen  die  Taboriten,  den  Lehren  ihres 
englischen  Meisters  folgend,  gründlichen  Wandel.  Nunmehr 
wurde  die  Messe  weder  an  diesen  Prunkstätten,  noch  in  den  von 
Gold  strotzenden  Gewändern  und  in  den  bisher  üblichen  Formen 
gehalten.  All  das  mufste  fallen :  „quod  olim  in  primitiva  ecclesia 
saneti  messando  conficiebant  communiter  sine  vestibus  iam  ad 
hoc  consuetis",  weil  die  Apostel  weder  vom  Introitus,  noch  vom 
Kyrie  eleison,  von  den  Präfationen,  Kollekten  u.  s.  w.  etwas 
wufsten  und  sich  einzig  und  allein  mit  dem  Vaterunser  begnügten. 

Wozu  braucht  man  diese  Orden,  lehrte  Wiclif,  als  er  in 
seinen  letzten  Lebensjahren  mit  immer  steigender  Schärfe  die 
Bettelmönche  bekämpfte,  in  denen  er  nichts  anderes  als  die  ge- 
fügigen Werkzeuge  des  römischen  Absolutismus  erblickte.  Eine 
jede  Pflanzung,  die  nicht  der  himmlische  Vater  gepflanzt  hat, 
mufs  ausgerottet  werden.  Solche  Pflanzungen  sind  die  Orden, 
erdacht,  die  Einheit  der  Kirche  zu  zerstören.  Die  Mönche  be- 
lasten die  Kirche,  sie  verhindern,  dafs  das  Evangelium  frei  wie 
in  der  alten  Kirche  gepredigt  werde,  sie  haben  ihren  Ursprung 
in  arge  Lügen  verhüllt,  sie  ziehen  ihre  Sekten  —  so  nennt 
Wiclif  stets  die  Orden  —  der  allgemeinen  evangelischen  Lehre 
vor.  Statt  in  Armut  zu  leben,  bauen  sie  prächtige  Paläste. 
Brecht  den  Verkehr  mit  ihnen  ab,  ruft  er  den  Seinigen  zu, 
nehmt  ihnen  die  Temporalien  weg,  vernichtet  sie,  denn  sie  sind 
ein  Hindernis  der  kirchlichen  Einheit;  und  so  lehrt  Wiclif  fast 
in  allen  seinen  zahlreichen  Büchern  und  Flugschriften  aus  den 
Jahren  1378 — 1884,  erstens,  dafs  die  Orden  überflüssig  seien, 
zweitens  dem  Gesetze  Christi  widersprechen,  drittens  verderb- 
lichen Lastern  frönen,  den  einzelnen  Mitmenschen,  der  Kirche 
und  dem  Staate  zur  Last  fallen  und  daher  vernichtet  werden 
müssen *)  —  alles  Lehren,  welche  die  Taboriten  leider  nur  allzu 
wörtlich  befolgt  haben.  „Item,  lautet  einer  ihrer  Artikel,  man 
mufs  die  Klöster  der  Ketzer  zerstören  und  ebenso  die  über- 
flüssigen Kirchen  und  Altäre,  die  Bilder,  die  man  offen  oder 
insgeheim  aufbewahrt,  die  goldenen  und  silbernen  Kelche,  die 

')  Über  diese  Punkte  verbreitet  «ich  ausführlicher  mein  Aufsatz:  Der 
Kirchen-  und  Klostersturm  der  Hnsiten  und  sein  Ursprung.  Zeitechr.  für 
Gesch.  u.  Politik  1888,  4.  Heft.  Vgl.  dazu  noch  die  Stelle  Senn.  IV,  4: 
Xunquam  erit  secura  pax  in  ecclesia  militante,  anteqnam  isti  fratres 
upostate  fundamentaliter  heretici  et  blasphemi  a  saneta  matre  ecclesia  sint 
proscripti. 


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Loserth, 


Heft  6  u.  7. 


stolzen  Ornate  und  diese  ganze  Brutstätte  des  Antichrist  und 
die  simonistische  Schlechtigkeit,  die  ja  nicht  von  dem  himm- 
lischen Vater  herrührt" 

So  fiel  nun,  was  sich  an  Klosterstiftungen  im  Lande  vor- 
fand, der  neuen  Richtung  zum  Opfer.  Alle  die  zahlreichen  Orden 
verschwanden:  Johanniter,  der  deutsche  Ritterorden,  die  Kreuz- 
herren, Prämonstratenscr,  Augustiner,  Benediktiner,  Cistercienser, 
Dominikaner,  Minoriten,  Karthäuser,  Karmeliter,  Cölestiner  u.  a. 
Sie  alle  wurden  ausgetilgt.  „Und  alle  Klöster,  sagt  eine  gleich- 
zeitige Quelle  mit  einiger  Übertreibung,  wurden  zerstört,  mit 
Ausnahme  von  dreien,  nämlich  zwei  Minoritenklöstern  und  dem 
Augustinerkloster  in  Wittingau. 

Der  ganze  reiche  Besitz  fiel  in  Laienhand,  wie  es  der  dritte 
von  den  bekannten  vier  Prager  Artikeln  voraussetzt:  Dem  Klerus 
mufs  aller  weltlicher  Besitz,  den  er  gegen  Christi  Befehl  seinem 
Amte  zum  Schaden  und  zum  Nachteil  des  weltlichen  Arms  in 
Händen  hat,  genommen  werden ;  die  Geistlichkeit  mufs  zur  evan- 
gelischen Regel  und  jenem  apostolischen  Leben  zurückgeführt 
werden,  das  Christus  und  seine  Apostel  gewandelt." 

Anregung  zu  dieser  Lehre  und  deren  Begründung  haben  die 
Husiten  gleichfalls  den  Schriften  Wiclifs  entnommen.  Es  giebt 
kaum  eine  Schrift  aus  seinen  letzten  Jahren,  in  der  er  nicht 
mit  allem  Nachdruck  für  die  Sekularisiorung  des  gesamten 
Kirchengutes  eingetreten  wäre.  In  den  mannigfaltigsten  Wen- 
dungen spricht  er  von  dem  Verderben  der  Kirche  seit  den  Tagen 
der  Konstantinischen  Schenkung,  von  dem  Gift,  das  der  Kirche 
damals  eingeflöfst  wurde.  „Der  Teufel  hat  den  Kaiser  Konstantin 
verführt,  dafs  er  die  Kirche  mit  irdischen  Gütern  belastete." 
Jetzt  vergifst  der  Klerus,  in  weltliches  Treiben  versenkt,  seine 
Pflicht,  als  evangelische  Lehrer  zu  wirken.  Alles  Übel  in  der 
Kirche  stammt  von  dieser  „Verkaiserung",  d.  h.  von  der  Be- 
lastung mit  irdischen  Gütern  her.  Das  mufs  ein  Ende  haben. 
Der  gesamte  Klerus  darf  kein  Eigentum  haben1),  er  mufs  ein 
armes  Leben  führen;  der  weltliche  Besitz  des  Klerus  ist  ein 


J)  Omnis  clericus  debet  vivere  vitam  pauperem  et  vel  nihil  possidere 
in  proprio  sicut  Christus,  vel  si  possideat,  eletnosänam  capere  de  Ulis,  et 
paupere  et  parce  ut  egenus,  et  residuum  prudenter  ministrare  panperibua. 
Unde  sub  colore  dotaciouis  introdueta  fnit  earybdis  dinboli,  in  qua  sunt 
multi  clerici  nd  nimium  dampnum  ecelesie  devorati.  Serni.  1,315;  11,65,298. 
Pol.  Works  95.  295.  703.  714.    De  Eueharistia  319.  10. 


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1893.  I*'e  kirchliche  Refonnbowcguug  in  England  etc. 


150 


Raub  an  den  Armen,  denn  diesen,  nicht  den  Klerikern,  gehören 
die  Güter  der  Kirche.  Allee  Gut,  das  in  der  toten  Hand  liegt,  darf 
zur  Verteidigung  des  Reiches,  wenn  es  notthut,  verwendet 
werden.  Die  Dotation  der  Kirche  steht  im  Widerspruche  zur 
Lehre  und  dem  Beispiel  Christi  und  der  Kirche  in  der  ersten 
Zeit  ihres  Bestehens.  Würde  der  Klerus  leben  in  evangelischer 
Annut,  wie  zur  Zeit  der  Apostel,  so  würden  alle  Streitigkeiten 
unter  den  Völkern  aufhören.  Während  Christus  und  die  Apostel 
ein  armes  Leben  der  weltlichen  Herrschaft  vorzogen,  stolziert 
unsere  Geistlichkeit  einher,  hoch  zu  llofs,  mit  reisigem  Gefolge, 
Königen  gleich.  Jede  weltliche  Gewalt,  lehrt  er  an  anderer 
Stelle,  ist  ihr  untersagt,  denn  sie  ist  das  Gift,  an  dem  sie  zu 
Grunde  geht.  Weder  die  Notwendigkeit,  dafs  der  Kaiser  seine 
Krone  aus  den  Hü n den  des  Papstes  empfange,  noch  dessen  An- 
spruch auf  die  Weltherrschaft  ist  in  der  hl.  Schrift  begründet. 
Die  weltliche  Herrschaft  der  Päpste  rührt  nicht  von  Gott,  son- 
dern vom  Kaiser  her.  In  Bezug  auf  weltliche  Dinge  steht  die 
weltliche  Macht  über  dem  Klerus;  die  geistliche  Gewalt  hat 
andere  Grundlagen  und  verfolgt  ganz  verschiedene  Zwecke. 
Ich  will  hier,  sagt  Wiclif  an  einer  Stelle,  die  Grenzen  beider 
Mächte  nicht  näher  berühren,  aber  das  sage  ich  kühn,  dafs 
weder  das  Geschrei  unseres  Klerus  noch  die  hl.  Schrift  uns  be- 
wegen zu  glauben,  dafs  der  Papst  gröfser  sei  als  der  Kaiser,  sei 
es  in  irdischen,  ja  selbst  in  göttlichen  Dingen.  Die  Civilgewalt 
des  Königs  Uber  den  Klerus  hat  Wiclif  in  mehreren  gelehrten 
Schriften  ausführlich  dargelegt  Diese  Gewalt  des  Königs  ist 
ein  Ausflufs  der  königlichen  Macht  überhaupt.  Der  König  wäre 
nicht  Herr  von  ganz  England,  wenn  mehr  als  der  vierte  Teil 
des  Landes,  welcher  der  toten  Hand  gehört,  seiner  Gewalt  ent- 
zogen würde.  Dem  Klerus  sind  die  Privilegien  und  Temporalien 
nur  bedingungsweise  gegeben;  erfüllt  er  die  Bedingungen  nicht, 
so  verfallt  er  der  Strafe,  und  diese  besteht  in  der  Einziehung 
der  Güter  der  toten  Hand.  Solcher  Einziehungen  kenne  die 
englische  Geschichte  gar  viele:  Wiclif  erinnert  an  die  Vorgänge 
unter  Wilhelm  dem  Eroberer,  Eduard  III.,  ja  an  die  unter 
Richard  II. 

Nicht  die  weltliche  Herrschaft,  sondern  die  Predigt  des 
Evangeliums  ist  die  des  Priesters  würdige  Aufgabe.  Und  wie 
ernst  es  Wiclif  mit  dem  Predigtarate  nahm,  zeigt  das  Institut 
der  armen  Priester  oder  Wanderprediger,  das  er  ins  Leben  rief, 


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Loser  tb, 


Heft  6  11.  7, 


wofern  er  nicht  vielleicht,  woran  ich  übrigens  zweifle,  an  wal- 
densische  Übung  anknüpft.  Alle  Segnungen  und  Weihungen  des 
Wachses  und  Brotes,  der  Palmen  und  Kerzen,  der  Stäbe  und 
Taschen  sind  kein  notwendiger  Bestandteil  des  Glaubens,  wich- 
tiger als  alles  das  ist  die  Predigt.  Die  Pseudoprälaten  aber 
wissen,  warum  sie  das  Evangelium  links  liegen  lassen,  denn  es 
lehrt  die  Nachfolge  Christi,  die  ihnen  nicht  zusagt.  Diese  Pflicht 
erfüllten  Wiclifs  arme  Prieper,  ein  Verein,  dessen  Mitglieder 
keine  Weihe  und  kein  Gelübde  band. 

Barfufs,  gekleidet  in  einen  langen  groben  Tuchmantel  von 
dunkelroter  Farbe,  dem  Zeichen  harter  Arbeit  und  der  Armut, 
einen  langen  Stab  in  der  Hand,  der  ihren  Hirtenberuf  andeutete, 
wanderten  sie  von  Stadt  zu  Stadt,  von  Dorf  zu  Dorf  und  pre- 
digten in  Kirchen,  Kapellen  und  Mefshäusern  von  der  Herrlich- 
keit des  Gesetzes  Gottes. 

Aber  nicht  blofs  Priester,  auch  Laien  wurden  "zum  Predigt- 
amte berufen  —  und  auch  in  dieser  Beziehung  waren  die  Tabo- 
riten  Wiclifs  gelehrige  Schüler:  wir  hören  von  Ungelehrten, 
selbst  Frauen,  die  sich  bei  den  Taboriten  das  Predigtamt  an- 
mafsten  und  Priester  ausweihten.  Lehrte  doch  ihr  Meister,  dafs 
zu  einem  Dienst  in  der  Kirche  die  göttliche  Berufung  und  Voll- 
macht vollkommen  ausreichend  sei.  Es  gebe  eine  Einsetzung 
durch  Gott  selbst,  auch  wenn  der  Bischof  dem  Prediger  die 
Handauflegung  nicht  erteilt  hat. 

Damit  kommen  wir  zu  dem  Satze,  dafs  Wiclif  sowohl  als 
seine  böhmischen  Schüler  von  der  gesamten  bestehenden  Hier- 
archie nichts  wissen  wollen.  Wie  sagt  doch  Wiclif  an  einer 
bezeichnenden  Stelle:  „Vom  Papste  und  den  Kardinälen,  von 
den  Mönchen,  den  begüterten  sowohl  als  den  Bettelbrüdern, 
erinnere  ich  mich  nicht,  gelesen  zu  haben,  dafs  die  hl.  Schrift 
ihrer  gedenkt" 

Die  hierarchische  Gliederung  der  bestehenden  Kirche  verwirft 
Wiclif  grundsätzlich.  Der  Primat  ist  ihm  begründet  auf  einem 
frivolen  Irrtum  des  Antichrist;  so  nennt  er  den  Papst.  Man 
mufs,  lehrt  er,  diesen  Irrtum  aufgeben  und  sich  an  die  Schrift 
halten.  Den  bekannten  Satz  von  der  Schlüsselgewalt  des  Papstes 
nennt  er  einen  locus  a  simiali  similitudine ;  mit  dem  römischen 
Bischof  habe  das  nichts  zu  thun.  Er  spottet  über  die  Wahl 
eines  solchen  Oberhauptes  durch  die  Kardinäle.  Woher  haben 
denn  diese  ihre  Berechtigung?    Als  sich  Judas  erhängt  hatte 


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1893. 


Die  kirchliche  Reformbewegung  in  England  etc. 


161 


und  die  Apostel  einen  Nachfolger  wählten,  geschah  das  nach 
eifrigem  Gebete  durch  das  Los,  das  über  die  zwei  Würdigsten 
geworfen  wurde.  Alle  Priester  sind  vollständig  gleich.  Eine 
Über-  und  Unterordnung  giebt  es  nach  Gottes  Gesetz  nur  in  der 
Laienwelt.  Nicht  so  in  der  Kirche.  Alle  Apostel,  Priester  und 
Presbyter  sind  Genossen  und  dürfen  nicht  um  höheres  Ansehen 
oder  höheren  Vorrang  streiten.  Der  Primat  rührt  vom  Kaiser 
Konstantin  her;  der  Christ  mufs  sich  an  das  Gesetz  Christi 
halten,  das  er  im  Briefe  an  die  Galater  im  2.  Kapitel  ausgedrückt 
findet.  Es  soll  in  der  Kirche  nur  Priester  und  Diakonen  geben. 
Einstens  wurden  in  der  Kirche  alle  Priester  Bischöfe  genannt. 
Priester  und  Diakone  haben  die  besondere  Erlaubnis  von  Gott, 
das  Evangelium  zu  predigen. 

Ja,  wie  verhielt  sich  nun  zu  diesen  Lehren  die  Kirche? 
Die  Kirche.  Was  ist  denn  die  Kirche?  Wenn  die  Leute  heut- 
zutage, sagt  Wiclif,  von  der  Kirche  reden,  so  verstehen  sie  unter 
ihr  Prälaten  und  Priester,  besitzende  Mönche,  Stiftsherren  und 
Bettelbrüder  und  alle,  die  eine  Tonsur  tragen,  mag  auch  ihr 
Wandel  noch  so  ruchlos  sein  und  dem  Worte  des  Herrn  zuwider- 
laufen. Dagegen  nennt  man  die  weltlichen  Leute  nicht  Männer 
der  Kirche,  mögen  sie  auch  noch  so  treu  nach  Gottes  Gesetz 
leben  und  in  vollkommener  Nächstenliebe  sterben.  Aber  nichts- 
destoweniger sind  doch  alle  die,  so  einstens  im  Himmel  selig 
sein  werden,  Glieder  der  hl.  Kirche  und  sonst  niemand  mehr1). 
In  diesen  und  ähnlichen  Worten  wendet  er  sich  in  verschiedenen 
Schriften  gegen  die  landläufige  Vorstellung,  als  ob  man  unter 
der  Kirche  nur  die  sichtbare  katholische  Kirche  zu  verstehen 
habe,  d.  h.  die  hierarchisch  gegliederte  Gemeinschaft  derselben, 
oder  als  ob  Kirche  und  Geistlichkeit  gleichbedeutend  wären,  also 
nur  die  Mitglieder  der  Geistlichkeit  der  Kirche  angehören  würden, 
die  Laien  aber  von  ihr  ausgeschlossen  wären.  Diese  falsche 
Auffassung,  lehrt  Wiclif,  haben  auch  Männer,  die  innerhalb  der 
Kirche  einen  hohen  Rang  einnehmen,  und  doch  liege  es  zu  Tage, 
dafs  so  viele  Irrtümer,  in  welche  die  Christen  verfallen,  lediglich 
eine  Folge  dieser  Auffassung  seien.  Und  gerade  in  diesen  Tagen, 
fährt  er  fort,  ist  es  notwendig  zu  sagen,  was  denn  eigentlich  die 


*)  Aus  meiner  Einleitung  zu  Wiclif«  Buch  De  Ecclcsia.  Deutsch  im 
24.  Bande  der  Mitteilungen  <L  Vereins  für  Gesch.  der  Deutschen  in  Böhmen. 
4.  Heft. 


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Loacrtli, 


Heft  6  u.  7. 


Kirche  sei,  und  ein  richtigeres  Verständnis  von  dem,  was  die 
Kirche  ist,  anzubahnen,  das  Volk  im  Glauben  an  die  Barche  zu 
unterweisen  und  alle  wider  sie  erhobenen  Angriffe  abzuwehren. 

Um  diese  Ausführungen  zu  würdigen,  mufs  man  sich  erinnern, 
dafs  Wiclif  sich  in  den  Jahren  1377  und  1378  den  empfindlichsten 
Angriffen  der  gesamten  Hierarchie  —  damals  sagte  man  also: 
der  Kirche  —  ausgesetzt  sah.  Die  Hierarchie  ist  aber  nicht  die 
Kirche.  Und  den  Unterschied  zwischen  dem,  was  Kirche  ist, 
und  was  die  grofse  Menge  unter  Kirche  versteht,  darzulegen, 
ist  der  Zweck  seiner  Darstellung  im  Buch  von  der  Kirche,  jenem 
berühmten  Werke,  das  die  längste  Zeit  hindurch  nur  durch  das 
matte  Plagiat  des  Magisters  Johannes  Hus  bekannt  war,  und  für 
dessen  Inhalt  dieser  vornehmlich  den  Feuertod  erlitten  hat. 

Nur  wenige  Punkte  aus  dieser  Schrift  mögen  hier  angeführt 
werden,  und  nur,  um  zu  zeigen,  wie  ihr  Inhalt  in  Böhmen  in 
die  Wirklichkeit  umgesetzt  wurde.  Die  Kirche,  so  beginnt 
Wiclif,  ist  die  Gesamtheit  aller  jener,  die  von  Ewigkeit  her  zur 
Seligkeit  bestimmt  (prädestiniert)  sind.  Sie  enthält  drei  Teile: 
Die  triumphierende,  schlafende  und  streitende  Kirche,  die  Seligen 
im  Himmel,  die  Seelen  im  Fegefeuer  und  die  im  Kampfe  mit 
der  Welt  begriffenen  Christen. 

Kein  von  Ewigkeit  her  Verworfener  (prescitus)  hat  Teil  an 
dieser  Kirche.  Es  ist  nicht  dasselbe:  „von  der  Kirche  sein" 
und  „in  der  Kirche  seintt:  Nicht  jeder,  der  in  der  Kirche  ist, 
ist  auch  von  der  Kirche,  sondern  umgekehrt;  denn  wie  im 
menschlichen  Körper  manches  ist,  Auswurf  und  Ähnliches,  was 
kein  Bestandteil  des  Körpers  ist,  so  können  auch  in  der  Kirche 
Verworfene  sein,  die  dereinst  vom  Leibe  der  Kirche  entfernt 
werden  müssen. 

Kein  Ort  und  keine  menschliche  Wahl  macht  jemanden  zum 
Gliede  der  hl.  allgemeinen  Kirche,  sondern  allein  die  göttliche 
Prädestination. 

Es  giebt  nicht  mehrere,  sondern  nur  eine  einzige  allgemeine 
(katholische)  Kirche  und  aufser  dieser  kein  Heil.  Haupt  der 
Kirche  ist  Jesus  Christus. 

Kein  Papst  darf  behaupten,  dafs  er  das  Haupt  der  Kirche 
sei;  denn  er  weifs  nicht  einmal,  ob  er  prädestiniert,  also  über- 
haupt auch  nur  Mitglied  der  Kirche  sei.  Wäre  irgend  ein  Christ 
mit  Christus  Haupt  der  Kirche,  so  wäre  diese  ein  Monstrum, 


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1893. 


Die  kirchliche  Refonnbcwegtuig  in  Engl  und  etc. 


da  sie  zwei  Häupter  besäfse.  Daher  haben  die  Apostel  in  ein- 
mütiger Weise  sich  nur  Diener  dieses  Hauptes  und  der  Kirehe 
genannt,  und  nie  hat  einer  von  ihnen  die  Behauptung  gewagt, 
dafs  er  das  Haupt  oder  der  Verlobte  der  Kirehe  Bei.  Kein 
Christ  kann,  sei  es  durch  eine  Wahl  oder  irgend  eine  Satzung 
bestimmen,  dafs  der  Papst  das  Haupt  oder  auch  nur  ein  Mitglied 
der  Kirche  sei,  denn  die  Mitgliedschaft  beruht  auf  der  Prä- 
destination und  Gnade  Gottes.  In  diesem  Tone  und  auf  Grund- 
lage dieser  Vorbegriffe  geht  es  weiter. 

Kein  zweites  Buch  seines  englischen  Lehrmeisters  —  vielleicht 
die  Predigten  ausgenommen,  hat  Hus  in  dem  Mafse  angezogen, 
als  das  Buch  von  der  Kirche.  Welchen  überwältigenden  Eindruck 
es  auf  ihn  gemacht,  sieht  man  daraus,  dafs  er  in  der  gleichen 
Absicht  wie  Wiclif  ein  Buch  „von  der  Kirche"  geschrieben,  das 
genau  wie  das  seines  Lehrers  23  Kapitel  enthält  und  fast  Wort 
für  Wort  diesem  entlehnt  ist  Mit  Ausnahme  weniger  polemi- 
scher Stellen  gegen  seine  böhmischen  Widersacher  ist  alles  das 
geistige  Eigentum  des  Engländers. 

Dieses  Buch  ist  das  Hauptlehrbuch  der  husitisch-taboritisehen 
Parteien  geworden.  An  dem  Wiclifschen  Begriff  von  der  Kirche 
zerschellten  die  Versuche,  die  der  König  Wenzel  zu  Anfang  des 
Jahres  1413  machte,  um  den  kirchlichen  Frieden  wieder- 
herzustellen. In  dem  Buch  von  der  Kirche  fanden  sich  jene 
Grundsätze,  die,  wenn  sie  durchgeführt  wurden,  der  bisherigen 
Stellung  des  Klerus  im  Lande  ein  Ende  bereiten  mufsten.  Dafs 
dieses  Ende  ein  Ende  mit  Schrecken  war,  dafür  haben  die  hef- 
tigen Angriffe  Wiclifs  auf  die  Bettelmönche  gesorgt,  die  sich  in 
seinen  Predigten  fanden.  Diese  Predigten  Wiclifs  aber  wurden 
nach  dem  Feuertode  des  Hus  als  dessen  eigene  Lehren  im  Volke 
verbreitet. 

Indem  man  diese  Lehren  Wiclifs  in  Böhmen  in  die  Wirk- 
lichkeit übersetzte,  zerfiel  die  kirchliche  Ordnung,  wie  sie  bisher 
bestanden.  Die  Welt  erschrak  vor  der  Wucht,  mit  der  die 
vernichtenden  Schläge  auf  das  bisherige  Regiment  geführt  wurden, 
und  der  Wut,  mit  der  man  selbst  an  das  ehrwürdigste  Dogma 
der  Kirche  griff  —  an  die  Abendraahlslehrc. 

Gegen  diese  Lehre,  nach  welcher  kraft  der  Weihe  Brot  und 
Wein  in  den  Leib  und  das  Blut  Christi  derart  verwandelt  werden, 
dafs  nur  noch  die  sinnlich  wahrnehmbaren  Eigenschaften  von 
Brot  und  Wein  —  die  Accidenzien  ohne  Subjekt  —  zurück- 


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104 


Loserth, 


Heft  6  u.  7. 


bleiben,  trat  Wiclif  in  einen  mit  den  Jahren  sich  immer  mehr 
zuspitzenden  Widerspruch.  Brot  und  Wein,  lehrt  er,  seien  nach 
wie  vor  den  Segensworten  des  Priesters  vorhanden.  Woher 
stammt  der  Widerspruch  Wiclifs,  was  bezweckt  er  mit  ihm, 
und  wie  wurde  seine  Lehre  in  Böhmen  aufgenommen? 

Mit  dem  Kampf  gegen  die  herrschende  Lehre  meinte  Wiclif 
die  Stellung  der  Hierarchie  seiner  Zeit  in  ihren  Grundfesten  zu 
erschüttern.  Er  will  der  „heidnischen"  Meinung  entgegentreten, 
als  sei  jeder  Priester  imstande,  den  Leib  Christi  zu  „machen", 
eine  Meinung,  die  damals  allgemein  geteilt  und  von  den  Priestern, 
wie  Wiclif  sagt,  in  gewinnsüchtiger  Weise  verwertet  wurde. 
Der  Gedanke,  dafs  ein  Priester  Gott  „machen"  (conficere)  könne, 
erscheint  ihm  als  ein  schauerlicher;  denn  hierdurch  wird  erstens 
dem  Priester  eine  überschwengliche  Vollmacht  zuerkannt,  als 
sei  er  imstande,  er,  ein  Geschöpf,  seinem  Schöpfer,  ein  sündiger 
Mensch  der  Gottheit  das  Dasein  zu  geben;  zweitens  werde  Gott 
hierdurch  erniedrigt,  wenn  man  sage,  er,  der  Ewige,  könne  Tag 
für  Tag  neu  geschaffen  werden.  Man  bete,  klagt  er,  die  Hostie 
an,  statt  des  Schöpfers  die  Kreatur;  das  sei  schlimmer  als  selbst 
der  Fetischdienst  der  Heiden.  Nachdem  er  einmal  mit  der 
kirchlichen  Lehre  von  der  Wandlung  gebrochen,  behandelte  er 
diesen  Gegenstand  mit  nie  ermüdendem  Eifer  in  wissenschaft- 
lichen und  populären  Werken,  am  gründlichsten  in  seinem  Buch 
vom  Abendmahl,  das  auch  in  Böhmen  zu  grofsem  Ansehen  ge- 
langte. Man  gestatte  mir  einige  Worte  aus  dieser  Abhandlung 
anzuführen:  Bei  diesem  Sakramente,  lehrt  er,  sind  drei  Dinge 
zu  scheiden,  1.  das  blofse  Sakrament,  d.  i.  die  geweihte  Hostie, 
2.  das  Sakrament  und  dessen  Inhalt,  d.  i.  der  Leib  und  das  Blut 
des  Herrn,  und  8.  die  Sache  des  Sakraments  und  nicht  das 
Sakrament,  d.  i.  die  Einigung  Christi  mit  seinem  mystischen 
Körper,  der  Kirche.  Erst  wer  diese  Vorbegriffe  kennt,  wird  die 
Behauptungen  jener  Leute  würdigen,  die  da  sagen,  ein  Hund 
oder  eine  Maus  könne  unsern  Herrgott  verzehren,  weil  sie  die 
Hostie  fressen,  d.  h.  Christi  Leib,  also  Gott  Wir  antworten, 
nagt  Wiclif,  diesen  Leuten,  dafs  solche  Tiere  nur  die  geweihte 
Hostie  fressen,  das.  Sakrament,  nicht  den  Leib  Christi.  Denn 
so  wie  der  Löwe,  wenn  er  des  Menschen  Leib  verzehrt,  nicht 
auch  dessen  Seele  verspeist,  wiewohl  sie  in  jedem  Teil  seines 
Körpers  ist,  so  hat  man  es  auch  vom  Leib  des  Herrn  im  Sa- 
krament des  Altars  zu  verstehen;  denn  dieser  ist  auch  —  aber 


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1893.  kirchliche  Kefonnbewegung  in  England  etc. 


105 


in  sakramentaler,  spiritualer  und  virtueller  Weise  in  jedem  Punkte 
der  Hostie  vorhanden.  So  brechen  wir  also  die  Hostie,  nicht 
den  Leib  des  Herrn,  so  wie  wir  den  Sonnenstrahl  nicht  brechen, 
wenn  wir  ein  Krystallgefafs  zerschlagen.  Das  Sakrament  wird 
gebrochen,  nicht  der  Leib  des  Herrn.  Wie  es  ein  doppeltes 
Sehen  giebt,  ein  körperliches  und  ein  geistiges,  bo  giebt  es  auch 
ein  doppeltes  Essen.  So  sehen  wir  im  Sakrament  nicht  mit 
leiblichen  Augen  den  Leib  des  Herrn,  sondern  im  Glauben  — 
durch  einen  Spiegel  —  im  Gleichnisse.  Und  so  wie  ein  Bild 
vollständig  in  jedem  Punkte  des  Spiegels  ist,  so  ist  es  auch  mit 
dem  Leib  des  Herrn  in  der  geweihten  Hostie:  Wir  berühren 
und  fassen  ihn  nicht,  wir  nehmen  ihn  nicht  körperlich,  sondern 
geistig,  aber  vollständig  unversehrt  zu  uns.  In  diesem  Sinne 
geht  es  weiter.  Freilich,  lehrt  WTiclif,  sagt  man,  das  priester- 
liche Ansehen  werde  leiden,  wenn  der  Priester  nicht  mehr  die 
Befugnis  hätte,  den  Leib  Christi  zu  „machen".  Wer  würde 
dann  noch  eine  Messe  hören,  wer  die  Hefsstecher  um  teures  Geld 
mieten  oder  gar  das  Sakrament  nach  dem  Brauche  der  Kirche 
nehmen  wollen?  Aber  giebt  es  wohl  etwas  Schrecklicheres,  als 
dafs  jeder  Priester  bei  der  Messe  den  Leib  des  Herrn  macht : 
Unser  Gott  ist  ja  kein  neuer  Gott,  sein  Leib  nicht  neuerlieh  zu 
machen.  Was  wir  Priester  machen,  das  ist  nur  die  Weihung  der 
Hostie,  die  aber  nicht  der  Leib  des  Herrn,  sondern  dessen  wirk- 
sames Zeichen  ist. 

Dieser  Lehre  war  auch  Hus,  wie  wir  aus  mehrfachen  Zeugnissen 
wissen,  lange  Zeit  zugethan,  aber  er  schreckte  doch  davor  zurück, 
sie  vor  dem  Konzil  zu  bekennen.  Dort  hat  er  sie  preisgegeben, 
und  ihm  folgte  die  gemäfsigte  Partei  der  Husiten.  Nicht  so  die 
Taboriten.  Das  sind  nun  die  wahren  Schüler  des  englischen 
Reformators;  wie  an  allen  anderen  Lehren:  von  der  Gemeinschäd- 
lichkeit der  geistlichen  Orden  und  der  Notwendigkeit  ihrer  Ver- 
nichtung, dem  Prinzip,  dafs  alles  zu  verwerfen  sei,  was  in  der 
Schrift  keine  Begründung  findet,  an  der  Lehre  vom  Priestertum  und 
der  Hierarchie,  von  der  Bilderverehrung,  vom  Zehent,  der  an 
die  Geistlichkeit  zu  zahlen  ist,  vom  Reichtum  der  Kirche,  der 
Verwerfung  des  Mefsopfers,  so  haben  sie  namentlich  an  der 
Wiclifschen  Abendmahlslehre  festgehalten,  und  gerade  in  dieser 
liegt  der  Grund,  der  die  Taboriten  von  den  Calixtinern  schied, 
denn  nicht  um  etwas  rein  Äufserliches ,  wie  um  den  Kelch,  ist 
es  jenen  zu  thun. 


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IOC 


Loserth,  Dil-  kirchliche  Reformbewegung  etc     Heft  C  U.  7. 


Doch  wir  halten  ein,  so  verlockend  es  auch  ist,  noch  auf 
weitere  Punkte,  namentlich  auf  die  sociale  Seite  der  Lehre  Wiclifs 
und  ihre  Aufnahme  in  Böhmen  näher  einzugehen.  Nur  auf 
ein  Moment  möchte  ich  noch  hinweisen,  und  nur  um  zu  zeigen, 
wie  abhängig  der  Husitismus  selbst  in  itufserlichen  Dingen  von 
Wiclifs  Lehren  ist.  Man  weifs,  welchen  Eindruck  es  weit  Uber 
die  Grenzen  Böhmens  hinaus  machte,  als  1412  während  des 
Ablafsstreites  in  Prag  ein  Volkshaufe,  geführt  von  Wok  von 
Waldstein,  demselben,  den  wir  jüngst  als  einen  Freund  des  be- 
rühmten Wielititen  Lord  Cobham  erwiesen  haben,  die  papstlichen 
Bullen  verbrannte,  ein  Beispiel,  das  später  kein  Geringerer  als 
Luther  nachgeahmt  hat.  Nun  —  auch  die  Anregung  zu  der 
Verbrennung  der  päpstlichen  Bullen  fanden  die  Freunde  des 
Hus  in  Wiclifsehcn  Schriften.  In  seinem  Opus  Evangelicum 
lesen  wir  im  zweiten  Buche  (Kap.  37):  Was  aber  immer  dieser 
Antichrist,  d.  i.  der  Papst,  reden  mag:  Nur  die  evangelischen 
Werke  führen  zur  Seligkeit,  diese  nackten  Bullen  aber  mit  den 
kalten  Bildern  von  St.  Peter  und  Paul  höchstens  zur  Hölle,  und 
so  kommt  es,  dafs  gläubige  Menschen,  wenn  sie  sehen,  dafs  das 
Leben  solcher  Leute,  die  der  Papst  als  Geldein treiber  in  die 
Welt  schickt,  dem  Leben  Christi  widerspricht,  diese  Bullen 
dem  Feuertod  preisgeben.  Mag  dann  immer  die  Strafformel  in 
den  Bullen  lauten:  Nulli  hominum  liceat  paginam  istam  infringere, 
solche  Verbrenner  der  Bullen  lachen  darüber. 

Wer  nun  etwa  die  Lage  der  Dinge  in  Böhmen  beim  Tode 
Sigismunds  mit  jener  beim  Tode  seines  Vaters  verglich,  welch 
ergreifenden  Unterschied  nahm  er  wahr.  Wo  war  nun  die  einst 
so  mächtige  Hierarchie,  wo  waren  die  stattlichen,  in  den  Himmel 
ragenden  Klöster,  wo  der  unermefsliche  Reichtum  des  Klerus? 
In  Wahrheit  war  hier  alles  von  unten  nach  oben  gekehrt,  so 
dafs  ein  Mann  wie  Enea  Silvio  in  lebhafte  Klagen  ausbricht. 
Und  zu  alledem  hatte  der  kurze  Zeitraum  von  kaum  einem 
Menschenalter  genügt.  Ob  freilich  dies  Ergebnis  im  Sinne  des 
Meisters  gewesen,  dessen  Lehren  hier  aus  der  Welt  der  Gedanken 
in  die  Wirklichkeit  umgesetzt  wurden?  Wir  möchten  es  billig 
bezweifeln.  Sahen  sich  doch  schon  Wiclifs  Enkel,  die  böh- 
mischen Brüder,  genötigt,  den  radikalen  Standpunkt  der 
Taboriten  in  einzelnen  Punkten  aufzugeben. 


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Zwei  Bilderbücher  für  den  Unterricht 
vor  dem  Orbis  pictus. 

Von 

Albert  Richter. 


In  dem  Artikel  „Bilderbuch"  in  Schmids  Encyklopadie  des 
ges.  Erz.-  und  Unterrichte  wesens  I8,  S.  696,  schreibt  Strebel: 
„Der  erste,  der  die  Bilder  eigentlich  in  die  Schule  einführte  und 
für  deren  Zweck  benutzte,  war  Arnos  Comenius."  Dieser  Hin- 
weis auf  den  Orbis  pictus  beruht  aber,  wie  der  Verfasser  des 
Artikels  eigentlich  hatte  wissen  müssen,  auf  ganz  falschen  Voraus- 
setzungen 

Wir  wollen  gar  nicht  reden  von  den  Schulen  des  Altertums, 
in  denen  z.  B.  Relief  tafeln  in  Gebrauch  waren,  die  bei  der  Lek- 
türe Homers  zur  Veranschauliehung  gebraucht  wurden  (vgl.  die 
Tabula  lliaca  in  Seemanns  Kulturhistorischem  Bilderatlas,  I.  Abt. 
Altertum,  hsgb.  von  Dr.  Theod.  Schreiber).  Für  das  deutsche 
Mittelalter  wäre  zu  erinnern  an  die  vielverbreitcto  Biblia  pauperum, 
die  ebenso  in  Schulen  wie  in  Familien  gebraucht  wurde,  wenn 
man  Kindern  die  biblischen  Geschichten  erzählte.  Aus  dem 
Mittelalter  wird  auch  berichtet  von  einzelnen  Bildern  auf  Papier, 
die  „dutzendweise,  in  rohen  Umrissen  und  vermittelst  der  Patronen 


')  Übrigens  beruft  sich  Comenius  (0.  D.  II.  79)  selbst  auf  Eilhard 
Lubinus  (f  1621),  der,  um  das  Lateinsprechen  zu  fordern,  den  Rat  erteilt 
habe,  ein  Buch  herzustellen,  in  welchem  die  Bilder  aller  Dinge  abgemalt 
seien,  mit  ebensoviel  hinzugefügten  Sätzen,  bis  alle  Wörter  und  Sätze  der 
ganzen  Sprache  erschöpft  seien. 

MoniUhefte  der  ComeniM-OeteJlsehaft.    1893.  12 


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168 


Richter, 


Heft  6  u.  7. 


mit  Farben  Uberstrichen,  verfertigt  wurden",  selbst  den  Ärmsten 
zugänglich  waren,  an  die  Wände  oder  Thüren  geklebt  oder  in 
Bücher  gelegt  wurden.  Der  Schulmeister  Joh.  Buchstab  in  Winter- 
thur  schreibt  in  seiner  Schrift  „Von  bekleidung  der  priester" 
(1527.  Bl.  D*):  „Die  bilder  werden  gemacht  zu  einer  under- 
weisung  der  ungeschickten  menschen,  so  die  geschrifften  nit  lesen 
können,  den  selbigen  menschen  werden  die  bilder  für  die  büecher 
angeztfgt  und  fürgemacht,  defs  ich  selbst  kundschaft  gibe,  mich 
von  meiner  ungelernten  mutter  die  xij  stück  des  Christenlichen 
glaubens  mit  sampt  den  x  botten  Gottes  ufs  zweien  gemalten 
briefen  (an  der  wand  klebent)  gelernt  haben."  Sotzmanns  Auf- 
satz „Gutenberg  und  seine  Mitbewerber"  in  Raumers  historischein 
Taschenbuche  (Jahrg.  1841)  bietet  dazu  weiteres  Material. 

Mit  Bildern  waren  zahlreiche  Bücher  des  Mittelalters,  die 
der  religiösen  Unterweisung  dienten,  ausgestattet,  z.  B.  eine  Aus- 
gabe von  „der  Sele  Trost"  vom  Jahre  1478.  Weitere  Beispiele 
bietet:  „Geffcken,  der  Bilderkatechismus  des  15.  Jahrhunderts"^ 
S.  49 — 52.  Auch  Bücher  aus  anderen  Wissensgebieten  weisen 
schon  im  Mittelalter  Bilder  auf,  so  ein  im  15.  Jahrhundert  aufser- 
ordentlich  oft  aufgelegtes  Geschichtswerk:  Fasciculus  temporum 
von  Werner  Rolevinck  (—  merkwürdig  ist,  dafs  die  PortrÄts, 
Belagerungsbilder  etc.  dieses  Buches  immer  nach  etlichen  Bogen 
wiederkehren,  so  dafs  der  gleiche  Holzschnitt  neben  verschiedenen 
Lebensbeschreibungen,  Belagerungen  etc.  steht  — ),  so  ferner  die 
verbreitetste  deutsche  Naturgeschichte  des  Mittelalters,  das  „Buch 
der  Natur"  von  Konrad  von  Megenberg. 

Auch  dem  Leseunterrichte  wurden  schon  im  Mittelalter  Bilder 
dienstbar  gemacht.  Johannes  Müller  beschreibt  in  seinen  „Quellen- 
schriften zur  Geschichte  des  deutschsprachlichen  Unterrichts" 
(S.  329)  eine  von  dem  deutschen  Schulmeister  Christoph  Huber 
aus  Landshut  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  ge- 
schriebene Handschrift  der  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek, 
in  der  sich  neben  einem  „Modus  legendi",  der  zur  Übung  im 
Lesen  der  mannigfachsten  Zusammensetzungen  von  Vokalen  und 
Konsonanten  bestimmt  ist,  auch  kleine  Bilder  mit  darüber  ge- 
schriebenen Buchstaben  finden,  bestimmt  zur  besseren  Einprägung 
der  Laute.  Mit  dem  Alphabet  im  Orbis  pictus  verglichen,  ent- 
sprechen diese  Huberschen  Bilder  den  Bildern  in  heutigen  Bilder- 
fibeln mehr  als  die  Bilder  bei  Comcnius.  Während  im  Orbis 
pictus  ein  Gegenstand  dargestellt  wird,  der  den  betreffenden  Laut 


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1893. 


Zwei  Bilderbücher  für  den  Unterricht  etc. 


169 


hervorbringt  (—  die  Krähe  krächzet  a,  die  Maua  pfipffert  i  — ), 
beginnt  bei  Huber  der  Name  des  Gegenstandes  mit  dem  be- 
treffenden Laute  (—  das  a  steht  über  einem  Eichenzweige  mit 
zwei  Eicheln,  bayrisch  „acheln",  das  i  über  einem  Igel,  das  d 
über  einem  Tintenfafs  etc.  — ). 

Über  den  Wert  von  Bildern  zur  besseren  Einprägung  bibli- 
scher Geschichten  spricht  sich  auch  Luther  aus.  1522  hatte  er 
veröffentlicht:  „Eyn  bettbuchlin.  Der  czehen  gepot.  Des  glaw- 
bens.  Des  vater  vnsers.  Des  Aue  Marien.  Etliche  verdeutschte 
Psalmen.  Die  Epistell  sanct  Pauls  tzu  Tito,  eyn  Christlich  leben 
tzu  vnterrichten."  Das  Büchlein  ist  in  zahlreichen  Auflagen  er- 
schienen; der  von  1529  fügte  Luther  einen  Kalender,  ein  Passional 
Christi  und  52  Holzschnitte  hinzu.  Über  die  Bestimmung  der 
letzteren  aber  spricht  er  in  der  Vorrede  der  Ausgabe  von  1545: 
„Ich  habs  für  gut  angesehen,  das  alte  Passionalbüchlein  zu  dem 
Betbüchlein  zu  thun,  allermeist  umb  der  Kinder  und  Einfältigen 
willen,  welche  durch  Bildnifs  und  Gleichnifs  besser  bewegt  werden, 
die  göttlichen  Geschieht  zu  behalten ,  denn  durch  blofse  Wort 
oder  Lehr  .  .  .  Und  was  sollts  schaden,  ob  jemand  alle  fürnehm- 
liche  Geschichte  der  ganzen  biblia  liefs  nach  einander  malen  in 
ein  Büchlein,  dafs  solch  Büchlein  ein  Lainbibel  wäre  und  hiefse." 

Man  möchte  glauben,  die  Herausgeber  der  beiden  Bücher, 
von  denen  hier  die  Rede  sein  soll,  hätten  sich  geradezu  nach 
Luthers  hier  angeführten  Worten  gerichtet,  denn  es  handelt  sich 
in  der  That  um  zwei  Büchlein,  die  den  Namen  Laienbibel  ver- 
dienen. 

Der  von  Herzog  Ernst  dem  Frommen  1Ö34  als  Schulrat  nach 
Weimar  berufene  Sigismund  Evenius  (1613  Rektor  in  Halle, 
1622  in  Magdeburg,  rettet  sich  bei  der  Eroberung  Magdeburgs 
1631  mit  Mühe  nach  Esthland,  wird  Rektor  des  von  Gustav 
Adolf  gestifteten  Gymnasiums  zu  Riga,  1633  Rektor  in  Regens- 
burg), ein  Ratichianer,  entwarf  den  Plan  zu  dem  eben  so  grofs- 
artig  ausgeführten  wie  angelegten  Weimarischen  Bibelwerke  und 
machte  Verbessorungsvorschlägc  für  den  Religions-,  insbesondere 
den  Katechismusunterricht.  Für  letzteren  schrieb  er  die  1636 
in  Erfurt  erschienene  „Christlich-gottselige  Katechismusschule,  d.  i. 
einfältliche ,  verständliche  Erklärung  des  heiligen  Katechisrai 
Dr.  Lutheri". 

Neben  der  grofsen,  für  die  Erwachsenen  bestimmten  Bilder- 
bibel, die  bei  Endter  in  Nürnberg  erschien,  plante  aber  Evenius 

12* 


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Richter, 


Heft  6  u.  7 


auch  ein  biblisches  BilderbUchlein  für  die  Jugend.  Einer  vom 
Herzog  im  Juni  1634  nach  Jena  berufenen  Konferenz  legte  Evenius 
seine  Ideen  vor,  wie  der  Jugend  und  insbesondere  schon  den 
kleinen  Kindern,  die  noch  nicht  lesen  konnten,  das  religiöse 
Wissensgebiet  durch  Bilder  veranschaulicht  und  dadurch  um  so 
schneller  und  um  so  sicherer  eingeprägt  werden  sollte.  Die 
Jenenser  Theologen  waren  der  Meinung,  dafs  eine  solche  Idee 
„nicht  zu  improbieren"  sei.  Gleichwohl  ist  der  Plan  des  Evenius 
unter  lebhafter  Anteilnahme  des  Herzogs  verwirklicht  worden  in 
einem  Büchlein,  das  1636  zu  Jena  erschien  unter  dem  Titel: 

„Christliche  Gottselige  Bilderschule,  das  ist,  Anführung  der 
Ersten  Jugend  zur  Gottseligkeit  in  und  durch  Biblische  Bilder, 
aus  und  nach  den  Historien,  Sprüchen  der  Schrift,  Einstimmung 
des  Catechismi  und  nützlichen  Gebrauch  erklärt,  förderst  zu 
Gottes  Ehren  und  dann  zu  der  christlichen  Jugend  frühzeitiger 
Erbauung  in  der  Gottesfurcht:  Nach  Ordnung  und  Weise,  wie 
es  bisher  in  öffentlicher  Übung  der  zarten  Jugend  gut,  heilsam 
und  nützlich  befunden.  Auf  Gutachten  fürnehmer  Theologen, 
allen  Christlichen  Schulen  und  häuslichen  Unterweisungen  zum 
Besten  im  Druck  ausgefertigt.    Jena  im  Jahr  1636." 

Noch  im  Jahre  des  Erscheinens  dieses  Büchleins  fanden  zu 
Weimar  unter  Beteiligung  Herzog  Emsts  weitere  Verhandlungen 
über  die  Gestaltung  des  Religionsunterrichtes  statt.  Wie  Johannes 
Müller  („Herzog  Emsts  Special-  und  sonderbahrer  Bericht", 
Sammlung  selten  gewordener  pädagogischer  Schriften,  X,  125) 
nachweist,  wünschte  der  Herzog  damals  Einrichtungen,  die  als 
Vorläufer  der  heutigen  Kindergärten  und  Kleinkinderschulen  be- 
zeichnet werden  könnten,  und  in  ihnen  sollte  der  Verwilderung 
der  Jugend  vorgebeugt  worden  durch  einen  schon  im  dritten  oder 
vierten  Lebensjahre  beginnenden  Unterricht  unter  Zugrundelegung 
der  „Bilderschule".  Durch  „anmutige  Bilder"  sollte  „den  Kindern 
gleichsam  unwissend  die  Wissenschaft  in  etwas  beigebracht  werden", 
Sprüche  von  der  Sünde,  dem  Verdienste  Christi,  das  Vaterunser 
u.  s.  w.  sollten  gelehrt  werden. 

Zur  Verwirklichung  dieses  Planes  ist  es  nicht  gekommen; 
wohl  aber  wird  berichtet,  dafs  bei  einer  Prüfung,  die  der  Herzog 
am  9.  August  1645  mit  seinen  eigenen  Kindern,  dem  vierjährigen 
Prinzen  Johann  Emst  und  der  fünfjährigen  Prinzessin  Elisabeth 
Dorothea,  vornehmen  liefe,  beide  Kinder  „wegen  des  einen  oder 


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1893. 


Zwei  Bilderbücher  für  den  Unterricht  etc. 


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anderen  Bildes  aus  der  Bilderschule  gute  Rechenschaft  und  Be- 
richt geben4*  konnten.    (Gelbke,  Herzog  Ernst  I.,  Bd.  III,  81.) 

Ausführlicheres  über  diesen  an  Bilder  angeschlossenen  Unter- 
richt teilt  Dr.  W.  Boehne  „Die  pädagogischen  Bestrebungen 
Ernst  des  Frommen"  (S.  295  f.)  mit.  Es  heifst  da:  „Der  damalige 
alumnus  gyninasii  Joachim  Meyer,  der  auch  später  noch  vielfach 
als  Lehrer  der  fürstlichen  Kinder  verwendet  wurde,  mufste  den 
Prinzen  Johann  Ernst  und  die  Prinzessin  Elisabeth  vormittags 
von  10 — '  all  Uhr  unterrichten.  Hierzu  waren  drei  Hauptthemata 
nebst  entsprechenden  Bildern  gegeben,  nämlich  „1.  von  des  Men- 
schen Verderbung,  2.  von  seiner  Erlösung,  3.  von  den  Mitteln 
dazu".  Die  Bilder  wurden  den  Kleinen  vorgelegt  und  ihnen 
durch  wiederholtes  Vorsagen  einige  passende  Sprüche  eingelernt. 
Dann  erst  wurden  die  Bilder  eingehend  erklärt  nach  Angabe  der 
(genau  wie  im  Orbis  pictus)  beigedruckten  Zahlen.  Dadurch 
sollte  der  „Verstand"  der  Bilder  erzielt  werden.  An  jedem  Sonn- 
abend aber  waren  solche  Bilder  vorzunehmen,  welche  sich  auf 
das  Evangelium  des  nächsten  Sonntags  bezogen.  Dadurch  hoffte 
man  die  Kleinen  besser  auf  den  Gottesdienst  vorzubereiten,  dem 
sie  von  frühester  Kindheit  an  regelmäfsig  beiwohnen  mufsten. 
Doch  blieb  dieser  erste  Anschauungsunterricht  keineswegs  auf 
das  religiöse  Gebiet  beschränkt.  Vielmehr  hatte  man  auch  welt- 
liche Bilder,  namentlich  aus  der  Geschichte  und  Naturkunde,  zu 
denen  den  Kindern  „feine,  nützliche  und  kurze  Historien  ein- 
feltig,  kürzlich  und  deutlich"  vorerzählt  wurden.  Bisweilen  sollten 
sie  sich  allein  mit  denselben  beschäftigen  und  darüber  von  dem 
Lehrer  nachmals  examiniert  werden  .  .  .  Übrigens  bediente  man 
sich  dabei  nicht  nur  gemalter,  sondern  auch  geschnitzter  Bilder 
und  selbst  natürlicher  Gegenstände." 

Es  mufs  auffallen,  dafs  hier,  wenn  von  Erklärung  der  „Bilder- 
schule" die  Kede  ist,  die  biblischen  Geschichten  nicht  erwähnt 
werden,  deren  Erwähnung  man  doch  vor  allem  erwartet.  (Ein 
Exemplar  der  Bilderschulc  ist  uns  nicht  zugänglich.)  Vielleicht, 
dafs  gerade  deshalb  ein  mit  den  Gothaischen  Reformbestrebungen 
auf  dem  Gebiete  des  Religionsunterrichtes  genau  vertrauter  Mann 
ein  anderes  Bilderwerk  schuf,  das  vorzugsweise  der  biblischen 
Geschichte  diente  und  das  von  ihm  ganz  ausdrücklich  als  Vor- 
stufe für  das  in  der  Vorrede  seines  Büchleins  wann  empfohlene 
„Weimarische  Bilderbuch  lein"  bezeichnet  wird. 


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172 


Richter, 


Heft  G  u.  7. 


Der  Verfasser  des  in  Rede  stehenden  BUchelchens  ist  Johann 
8  a  u  b  e  r  t ,  Pfarrer  zu  St.  Sebald  in  Nürnberg,  der  von  Herzog  Ernst 
dem  Frommen  mit  der  Revision  des  Druckes  der  bei  Endter  in 
Nürnberg  hergestellten  Weimarisehen  Bilderbibel  betraut  war» 
Johann  Saubert  war  geboren  26.  Februar  1592  zu  Altorf,  studierte 
daselbst  Theologie,  ward  1610  Magister,  studierte  dann  in  Tübingen, 
Giefsen  und  Jena,  ward  1617  Katechet  und  Inspektor  zu  Altorf, 
1618  Diakonus  und  Professor  der  Theologie  am  Gymnasium  da- 
selbst, 1622  Diakonus  zu  Nürnberg  an  der  St  Ägidienkirche 
und  Pastor  an  der  Marienkirche,  1637  Pastor  zu  St.  Sebald,  und 
starb  am  2  November  1646. 

Saubert  ist  Verfasser  einer  Anzahl  von  Erbauungsschriften, 
unter  denen  besonders  gerühmt  werden  die  „Schola  Crucis, 
Christliche  Kreuzesschule,  gesprächsweise  gestellt  .  .  .  Nürnberg 
1619"  und  „Currus  Simeonis,  der  Wagen  Simeonis  sampt  einem 
Geistlichen  apparat  und  vorrath,  Nürnberg  o.  J.u  (Widmung  von 
1627).  Im  geistlichen  Apparat  und  Vorrat  sind  Lieder,  Gebete, 
Aussprüche  der  Kirchenväter  u.  a.  m.  bunt  durcheinander  ge- 
worfen. Ferner  werden  noch  von  Saubert  genannt:  „Icones  pre- 
cantium,  Nürnberg  1629,  1638."  „Geburtsschule,  Nürnberg  1630" 
und  „Cyclopädia  christiana,  wie  man  sich  aus  den  sechs  Haupt- 
stücken  des  Katechismus  wider  die  Anfechtung  verwahren  könne, 
Nürnberg  1634.tt  (Vgl.  H.  Beck,  die  religiöse  Volkslitteratur,  S.  1 10.) 

Nicht  erwähnt  wird  von  Beck  die  hier  in  Rede  stehende 
Schrift,  deren  Kupfertitel  lautet:  „Lese  Büchlein  aus  H.  Schrifft, 
der  lieben  Jugend  zum  besten  gedruckt  durch  Wolffgang  Endter 
in  Nürnberg  1639."  Ausführlicher  ist  der  gedruckte  Titel:  „Lese- 
büchlein  |  Für  die  kleine  Kinder  |  Welche  allbereit  |  aufs 
dem  gemeinen  Namen-  |  büchlein  in  dem  Buchstabiren  genug- 
sam |  geübt  worden,  und  nunmehr  im  Lesen  |  einen  Anfang 
machen  sollen  |  Nürnberg  |  In  Verlegung  Wolffgang  Endters 
MDCXXXIX."  Der  Verfasser  nennt  sich  nur  unter  der  auf  der 
Rückseite  des  Titels  befindlichen  Widmung  an  „Herrn  Gustav* 
und  „Fräulein  Sophia",  die  „Hertzgeliebten  Ehepflänzlein"  des 
Herrn  Gallus,  Freiherrn  von  Räcknitz,  Herrn  auf  Perneck  u.  s.  w. 

Das  Büchelchen  stellt  sich  zunächst  in  den  Dienst  des  Lese- 
unterrichts, will  aber  wie  damals  jeder  Leseunterricht  zugleich 
religiöse  Bildung  vermitteln,  denn  es  enthält  nur  biblischen 
Lesestoff. 


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1893. 


Zwei  Bilderbücher  für  den  Unterricht  etc. 


173 


Die  alten  „ABC"-  oder  „Namen -Büchlein"  enthielten  oft 
nichts  als  ein  paar  Alphabete,  denen  nur  zuweilen  ein  paar  Seiten 
mit  einzelnen  Syllabi  er  Übungen  folgten,  und  dann  den  Katechismus, 
etliche  Gebete  und  Bibelsprüche.  Zur  Erleichterung  des  Lesen- 
lernens mufste  es  oft  genügen,  wenn  dem  vollständigen  Abdrucke 
des  lutherischen  Katechismus  die  zehn  Gebote,  der  Glaube  und 
das  Vaterunser  ohne  Luthers  Erklärungen  in  der  Weise  vorauf- 
gingen, dafs  die  einzelnen  Silben  durch  Zwischenräume  von  ein- 
ander getrennt  waren. 

Noch  A.  H.  Francke  schreibt  in  seiner  Schulordnung  für 
die  deutschen  Schulen  des  Waisenhauses:  „Das  Lesen  wird  aus 
dem  Catechismo  geübet,  den  die  Kinder  ohne  dem  lernen  müssen 
und  also  schon  durchs  Lesen  selbst  ihnen  den  Catechisraum  ein 
wenig  bekannt  machen.  Jedoch  sollen  sich  die  Kinder  erst  daran 
exercieren,  was  in  das  ABC-Buch  aus  dem  Catechismo  gebracht 
ist;  hernach  mögen  sie  auch  im  Catechismo  selbst  das  Lesen 
üben,  da  die  Syllaben  nicht  so  deutlich  voneinander  unter- 
schieden sind." 

Als  man  begann,  mehr  Sorgfalt  auf  die  Ausarbeitung  der 
ABC -Bücher  zu  verwenden,  als  man  z.  B.  in  dem  „ABC-  und 
Syllaben-Bttchlein  für  die  Kinder  im  Fürstentumb  Gotha.  Gedruckt 
im  Jahr  1641",  bogenlang  einzelne  Silben  zur  Leseübung  darbot 
und  dieselben  so  ordnete,  dafs  unter  anderen  aufeinander  folgten: 
„zweibuchstabliche,  darinnen  der  Erste  ein  coasona,  der  andere 
ein  vocalis,  und  andere,  darinnen  der  erste  ein  vocalis  und  der 
andere  ein  consona  ist",  ferner:  „Syllaben  von  drei  Buchstaben, 
darinnen  der  erste  und  letzte  sind  consonantes,  der  mittlere  aber 
ein  vocalis",  sowie  „drey-  und  mehrbuchstäbliche,  in  welchen  der 
erste  ein  vocalis  und  zwey,  drey  oder  mehr  Buchstaben  als  lauter 
consonantes  darauf?  folgen"  —  da  erst  liefs  man  auf  das  ABC- 
Buch  noch  ein  besonderes  Lesebuch  folgen,  dessen  Inhalt  aber 
immer  noch  ein  religiöser  war. 

Für  die  Schulen  des  Herzogtums  Gotha  liefs  Herzog  Ernst 
der  Fromme  drucken:  „Teutsches  Lesebüchlein  für  die  Schulen 
im  Fürstentumb  Gotha.  1642."  Es  enthält  auf  104  Seiten:  „erst- 
lich den  Catechismum  Lutheri,  nemlichen  die  Sechs  Hauptstück 
Christlicher  Lehre,  Morgen-  und  Abends-Gebet,  item  Tischgebet, 
die  Fragstücke  und  die  Haufs-Tafel,  zum  andern  die  vornembste 
Sprüche  der  Heiligen  Schrifft  Uber  jedwedern  Glaubens  -  Articul, 
das  Nicänische  und  des  H.  Athanasii  Glaubens  -  Bekäntnifs  und 


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174 


Kirhter, 


Heft  6  u.  7. 


etliche  Gebetlein."  Die  aufgenommenen  Bibelsprüche,  160  an  der 
Zahl,  füllen  zwei  Drittel  des  Buches. 

Drei  Jahre  vor  diesem  Lesebuche  war  bereits  das  Saubert- 
sche  erschienen.  Es  enthält  ebenfalls  nur  religiösen  Lesestoff, 
aber  in  der  Hauptsache  biblische  Geschichte,  und  vor  allem  stellt 
es  mit  seinen  hübschen  Kupferstichen  das  Bild  in  den  Dienst  des 
Unterrichts.  Was  der  Verfasser  mit  seinem  Büchlein  wollte,  sagt 
er  in  der  „Kurtzen  Vorrede  an  Gottselige  Schulmoister  und  Schul- 
meisterin".  Es  heilst  da:  „Was  Nutzbarkeit  das  gemeine  Namen- 
büchlein  mit  seinen,  wiewol  kindischen  Figuren  bey  den  kleinen 
Schulkindern  bifsher  mit  sich  gebracht,  und  wie  fleissig  sie  jhre 
Lection  darbey  pflegen  zu  merken,  das  hat  die  Erfahrung  bezeugt 
und  benebens  zu  diesen  Gedanken  Ursach  gegeben,  ob  nicht 
rathsam  sey,  ein  Lesebüchlein  aufs  heiliger  Schrifft  zu  formiren, 
welches  jhnen,  nach  dem  sie  im  erwehnten  Namenbüchlein  mit 
Buchstabiren  das  jhrige  gethan,  alsdann  zum  Lesen  dienlich 
seyn  kirnte? 

Es  ist  ja  unter  den  recht  Gottliebenden  Christen  unzweiffelich 
waar,  dafs  der  Kinder  ewiges  Heil  und  Seligkeit  vor  allen  Dingen 
und  nach  aller  Möglichkeit  zu  befördern,  massen  Christus  noch 
jetzo  in  seinem  Predigampt  rufft:  Lasset  die  Kindlein  zu  mir 
kommen  und  wehret  jhnen  nicht  u.  s.  w.    Marci  10,  v.  14. 

Dahero  nicht  allein,  wann  sie  auff  diese  Welt  geborn  werden, 
die  heilige  Tauff,  als  das  Bad  der  Widergeburt  und  Ernewerung 
defs  Heiligen  Geistes,  Tit.  3.  vers.  5.,  jhnen  billich  ertheilt  wird, 
sondern  es  erforderts  auch  die  höchste  Nothdurfft,  so  bald  sie  be- 
ginnen das  Böse  zu  fassen,  mit  dem  Guten  unverzüglich  jhnen 
zu  begegnen,  und  das  Wort  GOttes  auff  allerley  Weils  und  Wege 
beyzubringen,  ja  gleichsam  mit  der  Muttermilch  einzuflössen,  damit 
sie,  wie  dort  der  junge  Timotheus  (2.  Tim.  3.  v.  15.)  von  Kind- 
heit auff  GOttes  Wort  hören  und  allgemach  daraufs  lernen  Gott 
erkennen,  fürchten,  lieben,  ehren,  anruffen,  jhm  für  alle  Wolthat 
dancken,  sich  als  fromme  Kinder  desselben  erzeigen,  jhme  zu 
allem  Gefallen  leben,  und  vor  Sünden  sich  mit  Eifer  und 
Ernst  hüten. 

Nun  kan  zu  solcher  Übung  der  Gottseligkeit  auch  auf  diese 
vorgeschriebene  Weifs  ein  sonderbarer  Vortheil  an  die  Hand  ge- 
geben werden. 


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1893.  Zwei  Bilderbücher  für  den  Unterricht  etc.  175 


Erstlich,  alldieweil  die  kleine  Kinder  unter  dem  Lesen  zu- 
gleich (neben  den  Worten  der  heiligen  Schlifft)  die  Sach  selbst 
ergreiffen. 

Fürs  ander,  weil  sie  die  beygefugte  Figuren  jhnon  steiff  in 
das  Gedächtnüfs  bilden. 

Drittens,  weil  Gottselige  Lehrmeister  hiebey  Anlafs  haben, 
einem  Kind,  da  es  einen  Text  durchgelesen,  in  der  Figur  die 
abgebildete  Historiam  zu  zeigen  und  zu  sagen  (zum  Exempel) 
Nun  hast  du  so  weit  gelesen,  wie  Gott  den  Menschen  geschaffen 
oder  wie  Eva  den  verbotenen  Apffel  von  der  Schlangen  ge- 
nommen, oder  wie  Cain  seinen  Bruder  erschlagen,  oder  wie  der 
Engel  Adam  und  Evam  aufs  dem  Paradeifs  getrieben  u.  s.  w. 

Zum  vierdten,  weil  'die  Kinder  hierdurch  Lust  bekommen, 
von  jhren  frommen  Eltern  und  Verwandten  zu  Haufs  ferneren 
Bericht  einzuholen,  welche  alsdann  recht  in  das  Werck  setzen 
können,  was  S.  Paulus  befohlen:  Ziehet  ewre  Kinder  auff  in  der 
Zucht  und  Vermahnung  zum  HErrn  u.  s.  w.  Ephes.  6.  v.  4. 

Dafs  aber  solch  Wercklein  für  difsmal  was  eng  zusamm 
gezogen  worden,  ist  darumb  geschehen,  damit  auch  die  Arme  zu 
desto  ringern  Kauff  gelangen  können. 

Und  mögen  alsdann,  wann  es  die  Kinder  jhncn  bekand  ge- 
macht, die  Fest-  und  Sontags-Evangelienbüchlein,  Catechismi  und 
andere  dergleichen,  sonderlich  das  schöne  \Yeimarische  Bilder- 
buchlein, gebraucht  werden. 

SchlicfsUchcn  wünsche  ich  hiezu  allen  Gottseligen  Schul- 
meistern und  Schulmeisterin  und  jhrer  untergebenen  lieben  Jugend, 
das  Göttliche  Gedeien,  Geist,  Gnad  und  Segen  in  Jesu  Christi 
Namen.  Amen !  Geschrieben  am  dritten  Tag  Januarii  Anno  1639.a 

Das  Buch  selbst  enthält  auf  vortrefflichem  Papier  und  in 
musterhaft  sauberem,  grofsem  Druck  22  Abschnitte,  die  der  Lese- 
übung  halber  in  verschiedenen  Alphabeten  gedruckt  sind  und 
deren  Inhalt  für  die  ersten  11  dein  Alten,  für  die  übrigen  dem 
Neuen  Testamente  entlehnt  ist  Man  könnte  das  Büchelchen  einen 
Vorläufer  der  „biblischen  Historienbücher"  nennen,  wenn  nicht 
auch  manche  andere  biblische  Abschnitte  darin  aufgenommen 
wären,  wie  sie  in  biblischen  Geschichtsbüchern  sich  nicht  finden, 
Stücke  aus  den  neutestamentlichen  Briefen  und  aus  der  Offen- 
barung Johannis,  und  wenn  der  Verfasser  die  von  ihm  berück- 
sichtigten biblischen  Geschichten  vollständig  gegeben  hätte.  Von 
Moses  wird  z.  B.  die  Geschichte  seiner  Auffindung  durch  Pharaos 


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176 


Richter, 


Heft  6  u.  7. 


Tochter  ausführlich  erzählt ;  daran  schliefst  sich  mit  den  Worten 
fortfahrend:  „Der  Herr  sprach  zu  Mose:  Recke  deine  Hand  aus 
u.  8.  w.tf,  unmittelbar  die  Erzählung  von  dem  Zuge  durch  das 
rote  Meer,  und  darauf  folgt  wieder  unmittelbar  die  Gesetzgebung 
auf  Sinai  mit  den  Worten:  „Und  da  der  Herr  aufsgeredet  hatte 
mit  Mose  auff  dem  Berge  Sinai,  gab  Er  jhme  zwo  Tafeln  defs 
ZeugnUfs,  die  waren  steinern  und  geschrieben  mit  dem  Finger 
Gottes."  Von  Josef  erzählt  das  Büchlein  nur  in  sechs  Zeilen, 
wie  er  verkauft  wird ,  und  in  zwölf  Zeilen ,  wie  er  sich  seinen 
Brüdern  zu  erkennen  giebt.  Aus  der  Geschichte  der  ersten  drei 
israelitischen  Könige  enthält  das  Büchlein  nur  Absoloms  Tod  und 
Saloraos  Gebet  bei  der  Einweihung  des  Tempels.  Die  Geburts- 
und die  Leidensgeschichte  Jesu  sind  ziemlich  ausfuhrlich  erzählt. 
Die  Auferstehung  und  die  Himmelfahrt  sind  nicht  berücksichtigt. 
Von  den  Gleichnissen  Jesu  finden  sich  nur  die  in  Luc.  15  er- 
zählten und  die  vom  Unkraut  unter  dem  Weizen  und  von  den 
anvertrauten  Zentnern.  Die  beiden  letzteren  sind  im  21.  Ab- 
schnitte mit  Jesu  Rede  von  seiner  Wiederkunft  zum  Gericht  und 
mit  Sprüchen  aus  dem  15.  Kapitel  des  ersten  Korintherbriefes 
zu  einem  Ganzen  verbunden.  Der  an  der  Spitze  diese«  21.  Ab- 
schnittes stehende  Kupferstich  stellt  das  Weltgericht  dar.  Auf 
der  oberen  Hälfte  des  Bildes  sieht  man  den  Heiland  auf  Wolken 
thronend,  umgeben  von  Scharen  singender  und  musizierender 
Seligen,  die  untere  Hälfte  zeigt  die  Qualen  der  Verdammten,  die 
von  lodernden  Flammen  umgeben  sind.  Der  22.  Abschnitt  ent- 
hält Stellen  aus  der  Offenbarung  Johannis,  und  der  dazu  gehörige 
Kupferstich  zeigt  ein  Bild  des  neuen  Jerusalem. 

Den  künstlerischen  Gewohnheiten  des  17.  Jahrhunderts  ent- 
sprechend finden  sich  auf  einem  und  demselben  Kupferstiche  oft 
mehrere  Geschichten  zugleich  bildlich  dargestellt  So  enthält 
gleich  der  erste  Kupferstich  eine  Darstellung  des  Sündenfalles, 
der  Vertreibung  aus  dem  Paradiese  und  des  ersten  Brudermordes. 
Auf  dem  zweiten  Kupferstiche  sind  dargestellt  Isaaks  Opferung, 
Jakobs  Traum  von  der  Himmelsleiter,  Joseph  wird  von  seinen 
Brüdern  verkauft  und  Joseph  giebt  sich  seinen  Brüdern  zu  er- 
kennen l).    Der  dritte  enthält  die  Auffindung  Mosis,  den  Zug 

»)  Eine  Nachbildung  des  zweiten  Kupfers  hat  Referent  gegeben  in 
seinem  1886  erschienenen  Schriftchen:  „Aus  alten  Schulbüchern",  S.  83, 
wo  er  zum  ersten  male  auf  das  Saubertache  Lesebüchlein  aufmerksam  ge- 
macht hat 


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1803.  Zwei  Bilderbücher  für  den  Unterricht  etc. 


177 


durchs  rote  Meer  und  die  Gesetzgebung  auf  Sinai.  Der  vierte 
stellt  dar,  wie  Simson  die  Philister  mit  einem  EeeUkinnbacken 
erschlägt  und  wie  ihm  von  seinem  Weibe  die  Haare  abgeschnitten 
werden. 

Der  Text  in  seiner  fragmentarischen  Gestalt  will  nur  der 
Deutung  der  Bilder  dienen,  er  will,  wie  dies  auch  der  Heraus- 
geber in  der  Vorrede  ausdrücklich  ausspricht,  nur  das  Interesse 
der  Rinder  wecken,  damit  sie  „von  jhren  frommen  Eltern  und 
Verwandten  zu  Haufe  ferneren  Bericht  einholen". 


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Quellen  und  Forschungen 


Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius. 

Autobiographisches  aus  den  Schriften  des 

Comenius. 
Zusammengestellt  von 
Prof.  Dr.  J.  Kvacsala  in  Pressburg. 

(Fortsetzung.) 


10. 

(De  Vocatione  in  Hungariam  brevis  narratiuneula.) 
Rebus  in  Didactico  studio  hueusque  deduetis  quiescere,  par- 
ergisque  istis  Vale  dicto  ad  magis  seria  redire,  statueram:  cum 
ecce  ex  Hungaria,  tarn  ä  Theologis,  quam  ä  Celsissimo  D.  D. 
Sigismundo  Rakoci  (suo  &  Serenisaimae  Matris,  Transylvaniae 
Prineipis,  Viduae,  nomine  scriptae)  literae !  quibus  ad  colfoquium, 
&  communicanda  de  Scholarum  Refonnatione  consilia,  amanter 
evocabar.  Abii,  meis  consentientibus ,  imö  mandantibus,  &  me 
mittentibus:  e6  inprimis  quod  cüm  tot  coexules  nostri,  Moravi, 
per  Serenissimae  Prineipis  Oppida  dispersi,  benignä  gratiosae 
Cels.  suae  protegerentur  umbrä,  indignum  videbatur  non  iterum 
gratitudinem  contestari,  si  quibus  daretur  modis.  Veni  igitur 
Patakum  mense  Maio,  Anni  1650,  indequo  cum  suis  Celsitudinibus 
Tokajum.  Ubi,  post  aliquot  dierum  colloquia,  scriptö  aliquid  a 
me  consignari  postulatum  est  Quomodo  provincialis  Patakina 
Schola  ad  Pansophiae  leges  (visa  enim  illis  erant  et  lecta,  eatenus 
edita)  quam  optime  constitui  posset?  Exhibui  ergo  sequentem 
consignatiuneulam. 

(Com.  Op.  Did.  IIL  p.  3.) 

11. 

Haec  sie  Principibus  exhibita  non  displicuerunt:  requisitusque 
sum,  ut  ad  consiliorum  tarn  salutarium  exsequutionem  mauere 
vellem:  non  repudiatä,  quam  Celsissima  Princeps  (Su6  &  lllustris- 


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1893. 


Kvacsala,  Zur  Lebensgeechiehte  des  Comcnius. 


179 


simorum  Filiorum  nomine)  solemniter  oblatura  esset,  Vocatione. 
Obtendi  multa,  non  in  speciem,  sed  ex  veritate.  Cum  autem 
variis  urgerent  rationibus,  Scholaeque  Pansophicae  hic  feliciter 
aperiendae  fieret  spes,  exhibui  Celaissimo  Dn.  Sigismundo  quod 
sequitur. 

(Op.  D.  in.  p.  4.) 

12. 

Promissa  omnia,  tametsi  postea  (in  iis  quae  primariae  inten- 
tionis  erant)  nihil  adeo  consequutum ,  fatis  obstantibus.  Quum 
enim  nonnisi  autumnali  tempore  sistere  me  possem,  Principibua 
in  TranBylvaniam  (ad  hiemandum  ibi)  parantibus  abitum,  postu- 
latum  dermo  fuit  expressius  omnia  delineari:  ut  quid  sibi  Pan- 
sophica  Schola  vellet  planissirae  patere,  omniumque  huc  requisi- 
torum  ratio  iniri,  posset 

Conscriptum  itaque  fuit,  quod  sequitur,  dedicatumque  illu- 
strissimo  Heroi,  ferviao  horum  rromotori :  quem  tanquam  recens 
orientera  fulgidum  Solera  adorare  (respectare  dico)  coeperant 
domcstici  &  exteri,  nihil  non  summum  ab  illo  exapectantea,  lega- 
tionibusque  suis  illum  Reges  &  Prineipes  (tanquam  Kegalium  iam 
Sceptrorum,  &  Aflinitatum,  candidatum)  dignati  fuöre.  Qui  Sol 
tametsi  brevi  postea  nobis  exstinctus,  coej>tis  hisce  caliginem 
rursum  induxit:  quae  tarnen  ibi  tunc  velut  in  occulto  consiliis 
agitari  coepta,  ea  nunc  luci  exponi,  quid  vetat?  ut  si  tanti  desi- 
derii  tunc  non  assequuti  fuimus  scopum,  hoc  tarnen  vel  inter 
meliora  exstet  vota,  vel  porro  etiam  simile  quid  tentandi  occasio- 
nem  ferat.  Fiat! 

(Com.  Op.  Did.  II.  p.  5.) 

13. 

Anno  1651. 
Videns  ad  Adjunctum  mittitur. 

Ultima  Visione  anni  hujus  (6.  Dec.)  mandatum  fuit  Drabicio 
ad  Sigismundura  proficisci,  ad  illi  voluntatem  Dei  notam  redden- 
dum.  Quod  cum  per  literas  significasset  mihi,  Prineipes  verö 
(mater  cum  Filio)  in  Transylvania  hiemarent,  concreuidi  rem 
hanc  Locum  tenenti,  auem  Praefectum  vocant,  Andreae  Klobu- 
cicio.  Qui  consilium  dahat  ut  tecto  nomine  veniret,  ceu  filium 
ad  me  studiorum  causa  dedueturus:  se  interim  de  ulteriore  itinere 
(tantundem  adhuc  a  nobis  distabant  Prineipes,  milliaribus  40)  de- 
liberaturum,  animumque  Principis  cogniturum. 

2.  Perscripsi  haec  Drabicio :  illo  vero  denuo  ä  lievelatore 
monitus,  5  Januarii  (anni  1641)  viae  se  dans,  15  ejusdem  ad  me 
pervenit:  superatis  cum  profunda  nive  (alieubi  &  aquis  a  luto) 
diffieilibus  luctis.  Beneficii  Dei  fuit,  quod  alterä  mox  ab  egressu 
die  in  tres  robustos  Viros,  pedestre  iter  eAdem  habentes,  incidit: 
cumque  ut  se  viae  ignarum  in  comitatum  admitteret,  lentioreque 
gressu  utentem  non  desererent,  rogaret,  oßiciosos  habuit.  Nam 
non  deseruerunt,  donec  in  mea  domo  sisterent:  piis  boni  senis 


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180 


Kvacsala, 


Heft  6  u.  7. 


colloquiis  toto  itinere  oblectati:  ut  mihi  gratias  aibi  agenti  refe- 
rebant,  Drabicioque  pro  tot  bonia  monitis  (me  praeaente)  gratias 
agebant. 

8.  Ultima  illia  pcrnoetatio  aesquimilliari  ä  me  fuit,  in  exigua 
ruaticelli  casa.  Ubi  Dominus  cur  eum  huc  mitteret  aignificavit: 
ut  nempe  dudum  aibi  mandata  exaequi  (cum  illo  quem  aibi 
auxilio  misiaaet)  inciperet,  clangendo  ad  Gentes  ä  Domino  ad 


mox  eadem  die  &  narravit  mihi  (ad  haec  paveacenti)  &  retulit  in 
scriptum. 

4.  Cognitö  illiua  adventu  Praefectua  convcnit  nos,  amanter- 
que  (utpote  pridein  aibi  notum)  salutavit,  conailium  dan8  post 
exantlatum  tantum  iter  reapirandi.  Scripaiaae  enim  ae  jam,  & 
acripturum  denuö,  illiua  jam  aignificando  praeaentiam. 

5.  Quod  reaponsum  cum  tale  veniaset,  ut  ex  eo  nihil  niai 
metua  &  tergiversatio  posaet  concipi:  (petebat  enim  dcmüm  sibi 
verbotenu8  omnia  in  Latinum  tranaferri,  ut  de  recte  perceptia 
delibcrare  posaet)  colloquebamur  noa  duo  soli  (mensulae  adstando 
Musei  mei)  quid  facienaum  esaet.  Ecce  autem  ille,  ceu  re  qua- 
piam  perculsus,  componit  manus.  Quaero  quid  sit?  Ille:  Non 
audiati  Vocem?  Nihil,  respondi.  Ille:  Caena  abstinere  Jubeor. 
Quid?  inquam  ego:  Semperne  Kevelationi  jejunium  praemittitur? 
Negat  ille  hoc  aemper  fieri.  Interim  coena  infertur,  ille  accubitu 
abstinere  &  exire  parat.  Kogo  ut  aasideat  aaltem,  propter  aer- 
monea.    As8edit,  nihil  tarnen  de  cibo  aut  potu  guatana. 

6.  Sperabamu8  ergo  ea  nocte  ipaiua  Dci,  quid  facto  eaaet 
opua,  informationem :  aed  nihil  tum  fuit;  poatridie  demüm.  Ubi 
illi  (quibuadam  de  8igi8mundo  praemiaaia)  domum  redire  man- 
datum:  aed  ita  ut  Ore  auo  deinceps  etiam  opu8  fore  sciret. 
Kev.  LI. 

7.  Adii  Praefectum,  &  illi  hoc  significavi:  qui  conailium  pro- 
bavit,  Drabiciumque  ultima  Januarii  dimiait.  Ego  vorö  per  illam 
continuorum  16  dierum  Drabicio  converaationem  (quod  nuno^uam 
ante  contigerat)  familiariüs  Virum  noase  didici.  Nempe  hominem 
esse,  non  Angel  um :  sed  hominem  Dei  timentem ,  potiüa  quam 
hominum  obaervantem:  coram  Deo  humilem,  adveraua  hominea 
aatis  animosum:  linguä  et  factia  liberiorem,  personaa  parum  re- 
8pectantem.  Verbö,  peccatorem  ut  omnea  aumus,  non  tarnen 
hypocritam  ut  pleri^ue:  Concionatoremque  fervidum,  quem  sine 
motu  bono  vix  audias:  caetera  omnia  mediocriter. 


Videns  ad  Principem  Matrem  mittitur,  illamque  urgere  ju- 
betur:  et  quae  ibi  acta,  fruatra  fere. 

Revelatione  CXXXIX  alloquutus  eum  Dominus  dixit:  Etiam 
tua  spes  vacillat,  de  rerum  per  te  annuntiatarum  pleno  eventu? 


perdendum  Bestiam 
decreta  subito  etc. 


(Lux  e  ten  HI.  p.  58—60.) 


U. 


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1803.  2ur  Lebensgeschichte  des  Comenius.  181 

O  seouere  mihi,  para  te,  ut  in  nomine  meo  illuc  eas  unde  post- 
ridie  literas  aeeipies :  aeeepit  autem  Patakö.  Et  Rev.  CXLII.  V .  4. 
Kon  aliter  evement  omnia  atque  decretum  est  consilio  meö,  contra 
spem  omnium  hominum.  5  Silentium  esse  ajunt  undique?  sed  tu 
brevi  audio»  aliud,  taeiturnus  tantüm  esto,  et  patiens,  sermones- 
que  humani  nihil  te  turbent.  Rev.  CXLIV  (die  31.  Aug.)  Cum 
Frincipissa  ipsemet  loquere,  me  Racocianae  Domini  denuntiare 
tum  benedictionem,  si  facere  volent  jussa  mea;  tum  intermina- 
tiones;  si  non  audient  voees  meas:  nam  in  manu  mea  utrumque 
iatud  est  etc. 

2.  Egressus  ergo  2  Sept.  venit  eu  II  Sept.  Ubi  quid  sit  actum, 
explicatuni  est  Revel.  CXIV,  &  annexis  ei.  Addam  tarnen  hic, 
quod  ibi  non  consignatum  in  schedis  repcrio.  Cum  Examinatores 
illi  de  notis  vere  divinae  Prophetiae  inter  sc  convenissent  (ut 
Annotatione  ad  Rev.  CXIV  posui :  nempe  I  Humilitate  personae, 
2  Puritate  doctrinae,  3  Veritatoque  eventuum)  dixi  ego,  Plura 
observari  posse,  quac  divinitatis  ostendant  vestigia.  Quaerebant 
quae  illa?    Consignavi  erg6  sequentia. 

3.  Primö,  tergiversationem  Videntis  nostri  ad  hacc,  tum 
credenda,  tum  propalanda:  nisi  toties  iteratis  monitionibus, 
increpationibus,  poenarumque  interminationibus,  non  ab  initio 
tantüm,  sed  adhuc.  Toties  enim  illum  adhuc  cum  Jeremia  cla- 
mare,  Vae  mihi  mater  mea;  &  cum  Elia  mortem  sibi  optare, 
testis  suni. 

4(2)  Nec  in  his  admittendis  praeeipitis  fuisse  illos,  quibus  ea 
fuerunt  detecta:  trepidantes  potius,  tentationesque  diabolicas  et 
metuentes  et  deprecantes.  Impossibile  videri  cos,  qui  pro  nomine 
Dei  afflicti,  &  pro  veritate  Verbi  ejus  extrema  passi,  aliö  abduci 
nullö  modo  voluerunt,  &  hueusque,  luditicationibus  satanae  sie  a 
Deo  exponi. 

5.  Tertium  argumentum  posueram  Revelatoris  constantiam, 
ut  qui  neque  personam  inutat,  neque  revelationis  modum,  neque 
res  revelatas:  exccptö  quod  hujus  suac  scenae  personas  mutari 
patitur,  prouti  faciunt  aut  non  faciunt  quae  jubet.  Diabolum  esse 
vertumnum,  ipsä  levitate  se  prodere,  ut  in  Genevensi  puero  patuit. 

6  (4)  Sanctitatcm  hic  rorum,  et  scopi,  convenientissimain  esse 
zelo  Dei  Zebaoth,  et  Christi  ejus:  inconvenientissimam  (imo  im- 
possibilem)  Diabolo,  ad  eversionem  regni  sui  (abominationum 
Babylonicarum)  consilia  nunquam  subministraturo. 

7(5)  Effectum  in  cordo  Videntis,  illuminationem  semper  ma- 
jorem, charitatisque  erga  Deum  ardorem  Semper  flammantiorem. 

8  (6)  Stylum  (quiequid  sit)  non  humanum.  Scire  me  per  Dei 
gratiam,  quid  hac  m  re  humanum  possit  ingenium,  &  quam  Dra- 
bicius  aliis  minus  possit,  nisi  ä  dictante  in  calamum  revelatore 
adjutus  fuisset:  ut  Rev.  CVII.  22  &  alibi.  Scire  denique  me 
quäm  imitari  haec  talia  nequeat  tenebrarum  pater  Diabolus,  ä 
quo  lucidi  nihil  prodirc  possit.  &c. 


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182  Kvacsala,  Heft  6  u.  7. 

9(7)  Revelatorem  hune  saepe  ad  Videntis  cogitata  respon- 
dere:  ut  Rev.  IV.  3.  &  XLV.  2,  12,  13,  &  alias  saepe.  Scimus 
autem  Deum  sibi  hoc  tribuere  soli,  quod  cordiuiu  scrutator  sit: 
Diabolo  proinde  honorem  illum  non  concedendum. 

10(8)  Theologoa  inter  suspecta  ponere,  si  quis  spiritum  re- 
velatorem ad  omnia  quaesita  nimis  facilem,  semperque  respon- 
dentem,  habeat :  Deum  enim  pro  maiestate  sua  ea  solum  revelare 
quae  vult,  quando  vult,  quomodo  vult.  Hunc  autem  Revelatorem 
quaestionibus  se  fatigari  non  ferre,  ii  euriositate  dohortari:  ut 
Rev.  OXXIX.  2,  3. 

11(9)  Ad  suspicionem,  Non  a  Deo  venire  haoc,  auid  ali- 
quoties  rcsponderit  observatione  dignum  esse:  ut  Rev.  IV.  4,  & 
17  — &  28.  Rev.  V.  per  totum:  &  Rev.  VI.  1—6.  &  Rev. 
CXLV.  5.  &c. 

12.  Petebant  tandem  catalogum  aliquem  contexi,  oorum  quae 
eminus  praedicta,  reveraque  impleta  fuissent:  quem  &  dedi,  hic 
autem  non  pono,  quia  auctiorem  dandi  occaaio  redibit  infra.  Uli 
autem  omnibus  bis  ita  actitatis  nihil  nisi  animi  pendere  per- 
rexerunt. 

(Lux  e  teil.  III.  134—137.) 

15. 

(De  Studii  Pansophici  Impedimentis.) 

Haetcnus  quid  circa  tres  primas  et  imas  Pansophicae  Scholae 
Classes  moliti  simus,  explicatum  est. 

Patuit  verö  mature,  nos  desiderii  nostri  fastigium  non  asse- 
quuturos;  prouter  causas,  quas  involvi  silentio  prae.stat.  Videbam 
universali  studio  vix  esse  locum  ibi,  ubi  frustillata  sapiunt,  quae- 
runt,  agunt,  tantüm  non  omnes :  et  impatientia  regnat,  consilia  non 
ematurari,  sed  praecipitari,  urgens:  Zelusque  se  adraiscct  eorum, 
qui  quam  proni  sunt  adoraro  Jovcm  et  Mercuriura  idola,  tarn  parati, 
lapidare  Paulum  et  Barnabam,  quam  primum  homines  esse,  non 
idola,  animadvertunt.  Et  denique  difficile  esse  moliri  Turrim 
praecelsam,  ubi  vix  etiam  pro  fundamentis  iuste  ponendis  neces- 
saria  suppetun t  requisita. 

2.  Veniendum  ergo  tandem  fuit  eö,  ut  summa  intendentibus 
consistendum  esset  circa  media,  et  acquiescendum  Schola  Triclassi. 
Sed  et  ibi  luctandum  fuit  varie  cum  difticultatibus.  Inter  quas 
prima  fuit  consuetus  mortalium  morbus,  Consucta  melioribus 
praeferendi,  &  antiqua  ubique  chorda  oberrandi,  amor.  Quorum 
causa  Methodi  verae  Encomia  conseribillanda,  publice  recitanda, 
fuerunt. 

3.  Cum  vero  itcrum  Janualcm  rcrum  historiam  fastidire  vide- 
rentur  (Ad  quid  nobis  plena  rerum  Nomenclatura?  dietitantes, 
Non  erimus  nos  Philosophi  &c)  incogitantiae  huic  obviam  eundo, 
recitavimus  De  accuratae  Rcrum  Nomenclaturae  Utüitatibus  ora- 
tiunculum. 

4.  Dumque  Atrialibus  etiam  studiis  inepti  cjuidam  obmurmu- 
rarent,  elegantiasque  L.  L  ante  perceptum  etiam  gustum  nau- 


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4 


1893.  Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius.  183 

searent  (iterum,  Ad  quid  nobis  Elegantia?  non  erimus  non  Cice- 
rones, blaterando)  causa  fuit  data  de  eleganti  Elegantiarum  studio 
perorandi. 

5.  Torpor  denique  ingeniorum,  in  quibusdam  intolerabilis, 
occasionem  dedit  aureum  Joacliimi  Fortii  Kingelbergii  de  ratione 
studii  libellum  publicandi,  omnibusque  literarum  studiosis  (dedi- 
catione  ad  ipso»  directa)  commendandi.  Cunique  illius  editionis 
exiguus  appareret  fruetus,  Fortium  Redivivum,  sive  de  pellenda 
Scholis  Ignavia,  eonscribendi. 

6.  Concinnata  quoque  fuerunt  (dum  omni  ratione  pr  od  esse 
quaerimus)  Morum  honestorum  praocepta.  Itemque  Öcholae  bene 
ordinatae  Leges. 

7.  Utque  omni  possibili  ratione  pubem  literariam  ad  studiorum 
amorem,  in  illis  perseverandi  lubentiam,  excitaremus,  coneepimus 
Vestibuli  Januae  Lucidarium:  h.  e.  Nomenclaturam  rerum  ad 
ocularem  demonstrationem  deduetam.  Itemque  Januae  Linguarum 
praxin  Comicam,  suavem,  amaenam  vivis  repraesentationibus  om- 
nia  Demonstranten*  etc. 

8.  Quae  omnia  sicut  ibi,  bonö  usu  typis  publicata  sunt  (ex- 
ceptis  Scholae  Legibus)  ita  lue  ponenter  ordine. 

(Op.  Did.  III.  p.  735.) 

16. 

Bisterfeldius  (Principi  Trans,  ab  intimis  consiliis)  evocatur  ad 
judicium  de  his  revelatis  ferendum,  et  quäle  id  fuerit 

Occasio  mihi  ad  Joh.  Bisterf.  scribendi  data  fuit  14  Junii, 
per  hominem  Belgam  in  Aula  Principis  quaedam  requirentem. 
Cui  epistolae  inserueram  schedulam  Ins  verbis.  liegt  tiov  bqa- 
nätutv,  cum  ingratam  esse  materiam  intelligam,  nihil  addo,  nec 
addam.  Vos  videritis.  Feci  quod  debui,  et  cujus  gratiä  huc 
missus  fui:  jamque  tacere  juboor.  Finis  ostendet  cujus  toni. 
Doleo  tarnen,  Te  consultörc  (scio  enim  Te  unum  audiri)  haec  tarn 
pertinaci  praejudicio  nremi,  ut  ne  cognoscerc  quidem  a  funda- 
mento  rem  libeat.  Mihi  facillimum  est,  adcoque  gratissimum  (con- 
scientiam  testor  )  silere:  sed!  Vale,  et  res  ea  prudentia  moderare, 
ut  exitus  acta  probet.    Deum  oro,  ut  Te  spiritü  suö  regat. 

2.  Cum  verö  ad  Principissae  matris  Consiliarium,  Klobucicium, 
rei  hujus  postea  fioret  mentio,  illeque  hoc  referret  Principissae, 
factum  fuit,  ut  Bisterfeldius  hac  etiam  de  causa  (e  Transylvania 
in  Hungariam)  evocaretur,  recognitioque  totius  negotii  penitior  illi 
demandaretur. 

8.  Vonit  ille  scriptaque  illa  sibi  exhiberi  petiit:  ut  privatim, 
aut  noctu  evolvendo  (erat  enim  somni  parcissimus,  interdiu  autem 
negotiis  Aulicis  distractissimus)  ruminare  posset.  Factum:  per- 
volutävit  ille  Kotterum,  Poniatoviara,  Drabicium.  Quanquam  in 
hoc  non  longo  progressus,  ob  nauseam  (ut  dicebat)  ex  eo,  quöd 
omnia  viderentur  ä  conditionibus  quibusdam  suspensa. 

4.  Iudicium  ergo  talc  tulit.  Kotterina  vere  videri  prophetica, 
futurorum  praenuntia.    Sicut  et  Poniatoviana :  quae  non  tantüm 

Monatsheft«  der  Com^niuMjwcllwhan.   1893.  V-i 


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184  Kvacaal«,  Heft  6  u.  7. 

verbis,  sed  et  iis  quae  passa  est  prophctasse  dici  possit:  prae- 
sertim  cum  tot  miraculosis  concurrentibus  res  tirmata  sit.  De 
Drabicio  ver6  dixit :  Etiamsi  Jesaias,  Jeremias,  Daniel,  omnesque 
israelitici  Prophetae  resurgerent,  et  talia  sibi  loqucrentur,  se  illis 
non  habitürum  fidem. 

5.  Interrogatua  quäre?  Respondit:  Quia  indignum  est  Deum 
k  conditione  humanae  voluntätis  suspendi.  Fiet  hoc,  si  hic  aut 
ille  hoc  vel  illud  faciet:  secus  non  fiet.  Ego:  Atqui  haec  est 
praxis  Dei,  per  Mosen  O  omnes  Prophetas  bona  promittentis  sub 
conditione  oDoedientiae ;  mala  denuntiantis  sub  conditione  im- 
poenitentiae.  Allegabamque  tacitae  conditionis  exemplum  in 
Jona,  Ninivitis  eversionem  praedicente.  Respondit:  Non  prae- 
dictio  fuit,  sed  praedicatio.  Kgo:  Imo  non  praedieatio,  sed  prae- 
dictio.  Non  enim  dixit,  Resipiscite  si  perire  non  vultis :  sed  cate- 
gorice,  Adhuc  quadraginta  dies,  O  Ninive  subvertetur.  (Jon.  3.  4.) 

6.  Cumque  ille  hypothesi  suae  insisteret,  Se  conditionatos 
Prophetas  nihili  facere,  eöque  in  Cottero  et  Christina  spiritum 
propheticum  agnosci  posse,  non  item  in  tertio:  respondi,  Non  de 
voce  Prophetae  (cui  titulus  ille  compctat  vel  non  competat)  liti- 
gandum  esse,  sed  quid  faeiendum  quando  extraordinariis  raodis 
voluntätis  suae  Deus  (additis  promissionibus  aut  minis)  faeiat  in- 
dicium?  sive  Propheta  praedicit  sive  praedicat.  Praeterea,  si  Cot- 
terus  &  Poniatovia  non  praedicabant,  sed  tantum  praedicebant, 
Drabicius  contrk :  cogitari  posse,  illos  ad  praedicandura  missionem 
non  habuisse,  sicuti  hic  &c.  &c. 

7.  Tandem  ille  eo  delapsus  ut  diceret,  Apud  Principem  tali- 
bus  prophetiis  nihil  esse  opus,  scire  Principem  (juid  istis  in  rebus 
agendum  sit,  si  Deus  occasiones  subministraverit.  Addebat:  In 
manu  mea  Principem  habeo.  Si  hodie  dicam,  Tempus  est,  cras 
prodibit.  Obstupui  ad  haec,  testor  Oranificium.  Nec  aliud  quod 
dicerem  habui,  nisi  haec  duo:  Vide  ne  tibi  nimium  tribuas! 
(Nempe  id  quod  Scriptura  Deo  tribuit,  Prov.  21.  I.)  Vide  ne 
tanta  häc  authoritate  abutaris!    Ita  ab  invicem  discessiinus. 

(Hist.  Revel.  i>.  174  ff.) 

17. 

Honoratissimi  D.  D.  Scholarchae. 
Molitos  iam  ante  complures  annos  fuisse  nos  Studiorum 
puerilium  compendia  quaedam,  &  oblectaraenta.  non  ignotura  est: 
&  benigne  id  acceptum,  cum  alibi,  tum  apud  vos,  in  quorum 
Scholas  Janua  Linguae  Latinac  recepta  fuit.  Superaddere  coepit 
ante  triennium  non  inelegans  Januae  illius  exercitium  Vir  eximius, 
D.  Sebastianus  Macer,  Scholae  in  Polonia  Lesnensis  Rector:  sub 
titulo,  Januae  L.  L.  Oomenianae  Praxis  Comica.  Cujus  praxis 
partem  primam,  Mundum  rerum  naturalium  repraesentantcra,  cum 
sub  ingressum  Anni  hu  jus  in  Scenam  produci,  &  in  conspectu 
vestro  ludi,  curassem :  adeo  placuit  actio  nla  vobis,  &  spectantibus 
omnibus,  ut  approbato  publice  hoc  exercitii  genere,  totum  Rerum 
ambitum,  seu  Discendorum  Encyclopaediam,  in  talem  autopsian, 


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1893.  z»r  Lebeiwgcschiehte  des  Comcniu*.  185 

autopraxian,  deduci  optaretis,  ä  mcque  petcrctis.  Quo  ego  stimu- 
latu*,  sieut  et  insperato  Nobilis  Vestrae  Juventutis  ad  haec  talia 
ardore,  tametsi  lauoribus  circa  magis  seria  actatique  &  vocationi 
meae  convenieiitiora,  occupatus  »im :  &  ad  stationem  meara  redire 
a  meis  (qui  nie  huc  ad  tempus  miserunt)  urgeor:  cohibere  ine 
tarnen  non  potui,  quin  unö  et  altera  Mense  huc  dato,  omnes 
Rerum  materias  pertransire,  omniaque  in  Dialogos  tales,  Res 
veras  simulachris  jueundis  repraesentantes,  reducere  proposuerim. 
Nempe  quia  D.  Maeer  paralyseos  morbo  praeventus  (dolendum!) 
Opus  coeptum  absolvere  non  potuit:  &  quia  praxin  hanc  ab  illo 
inchoatam  ad  majorem  simplicitatem,  evidentioresque  Juventutis 
usus,  deduci  posse  sperare  coepi.  Quod  quid  &  nuale  sit  ex- 
ponere,  &  de  hujus  Lxercitii  Utilitate,  adeoque  illua  in  Scholam 
hanc  (&  alias)  introducendi  necessitate,  dissertare  aliquid  non  abs 
re  fuerit 

(Op.  Did.  III.  832.) 

18. 

Peractis  cum  applausu  hisce  Ludis  (confluebant  enim  eminus 
etiara  Nobile«  &  Pastores,  postremo  autem  ipsamet  Celsissima 
Prineeps  cum  Aula  sua,  &  praesentium  Magnatum  Corona,  interesse 
dignata  est,  eamque  in  Arcis  area  peragi  voluit)  abeundum  mihi 
erat,  quo  revocabar,  in  Poloniam,  valedicendumque  Hungariae  in 
eorunaem  hospitum  frequentia.  Ad  quod  me  nonnullorum  Voces, 
a  discessu  meo  exercitia  haec  obsoletum  iri  metuentium,  incita- 
bant:  non  tantum  ut  sermone  valedictorio  eos  animarem,  sed  & 
Sermunculuin  illum  typis  mox  exscriptum  stimulo  rclinquerem. 
Quod  &  factum,  hunc  m  modum. 

(Op.  Did.  III.  1042.) 


(Fortsetzung  folgt.) 


i:r 


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Kleinere  Mitteilungen. 


Der  Inselname  Capharsalama  in  Joh.  Val.  Andreaes  Schrift 
,Reipublicae  christianopolitanae  descriptio'  (1619). 

Von 

cand.  min.  O.  Kemper  in  Münster  L  W. 


Bei  dem  Interesse,  welches  die  Forschung  gegenwärtig  in 
steigendem  Mafse  der  schriftstellerischen  Wirksamkeit  des  Joh. 
Val.  Andreae  und  deren  Einflufs  insbesondere  auf  die  Entwicklung 
der  Ideen  des  Comenius  zuzuwenden  scheint,  dürfte  eine  kurze 
Erörterung  einer  zugehörigen  litterarischen  Einzelfrage,  die  Fest- 
stellung der  Quelle  und  Bedeutung  des  manchem  unerklärlichen 
Inselnamens  Capharsalama  wohl  erwünscht  sein.  Veranlassung 
dazu  gab  eine  Bemerkung  Dr.  Ludw.  Kellers  in  seiner  Abhand- 
lung „Johann  Valentin  Andreae  und  Comenius"  (Monatshefte  der 
C.-G.  Bd.  I,  1892,  S.  229  ff.).  Aus  A.  Pateras  Ausgabe  der 
Korrespondenz  des  Comenius  findet  sich  dort  (S  240)  ein  Brief 
des  letzteren  an  Magnus  Hesenthaler 1 )  vom  1.  September  1656 
abgedruckt,  in  welchem  der  damals  in  Amsterdam  weilende  Co- 
menius den  Freund  bittet,  für  Ankauf  und  Zusendung  wennmög- 
lich aller  vorhandenen  Schriften  Andreaes  um  jeden  Preis  Sorge 
zu  tragen,  die  er  zum  Teil  bereits  früher  besessen  und  studiert,  dann 
—  wohl  bei  dem  Brande  in  Lissa  (1656)  —  verloren  und  in 
Stettin,  Hamburg  und  Amsterdam  vergeblich  aufzutreiben  ver- 
sucht habe,  die  ihm  aber  wegen  vielfacher  Bezugnahme  unent- 
behrlich seien.  Als  Titel  einer  derselben  wird  unter  Nr.  4  dort 
angegeben :  De  republica  Christiana  (Cataphar  Salama).  Zu  den 
in  Parenthese  gesetzten  Worten  bemerkt  Keller  in  einer  An- 
merkung:  „Es  ist  kein  Grund  anzunehmen,  dafs  Patera  diese 


')  Näheres  über  denselben  bei  Dr.  K.  Hucllemann,  Valentin  Andreae 
als  Pädagog,  II.  Teil  (Abhandlung  zu  dem  Jahresberichte  des  Thomas- 
gymnafliutns),  Leipzig  1893,  S.  8,  Anra.  16.  —  s.  auch  Dr.  Kracsala,  Joh. 
Arnos  Comenius,  sein  Leben  und  seine  Schriften,  Leipzig  1892,  S.  380. 


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1893.  Kemper,  Der  Inselname  Capharsalama  etc. 


187 


Worte  unrichtig  gelesen  habe;  eine  Erklärung  des  Sinnes  giebt 
P.  nicht,  und  ich  bin  gleichfalls  nicht  imstande,  eine  solche  zu 
geben." 

Die  Kenntnis  der  korrekten  Schreibart:  Capharsalama  oder 
Caphar  Salama  und  einige  Bekanntschaft  mit  der  hebräischen 
Sprache  führten  zur  Lösung  des  Rätsels.  Auf  den  Weg  der  Er- 
klärung der  dunklen  Worte  aus  dem  Hebräischen  wiesen  aufser 
dem  Anklingen  des  Wortes  Salama  an  das  hebräische  Substantiv 
Saloin  [=  Heil,  Wohlbefinden,  Glück,  Friede,  vergl.  das  ent- 
sprechende aramäische  Substantiv  S*lam,  def.  5°lama]  einige  auf 
die  Wahl  der  Namen  bei  Andreac  bezügliche  Bemerkungen  Huelle- 
manns1)  und  Gussmanns2). 

Die  Schreibweise  des  Wortes,  wie  sie  in  der  lateinischen 
Originalausgabe  der  „Descriptio"  (erschienen  Argentorati  Sump- 
tibus  haeredum  Lazari  Zetzneri,  Anno  MDCXIX)  vorliegt,  konnte 
ich  nicht  feststellen,  da  mir  dieselbe  nicht  zugänglich  war.  Sie 
findet  sich  aber  auf  dem  Titel  der  von  Huellemann8)  angeführten 
vollständigen  Übersetzung  jener  Schrift:  „D.(octoris)  V.(alentini) 
A.(ndreae)  Reise  nach  der  Insul  Capharsalama,  Und  Beschrei- 
bung der  darauf  gelegenen  Repubhc  Christiansburg,  Nebst  einer 
Zugabe  Von  Moralischen  Gedancken  in  gebundener  und  un- 
gebundener Rede,  Herausgegeben  von  l).(aniel)  S.(arauel)  G.(eorgt). 
Eislingen  1741.  Verlegte  Friedrich  Christian  Schall,  Buch- 
händler." 8°,  die  (als  neue  Titelausgabe)  mit  unverändertem 
Text  zum  zweitenmal  erschien  unter  dem  Titel :  D.  Val.  Andreae, 
Prof.  Theol.  Tubing. 4)  Sonderbare  Reise  nach  dem  Lande  der 
Ruhe*)  und  vortrefflichen  Insul  Capharsalama...,  heraus- 
gegeben von  einem  Anonyme  Stuttgart,  1754.  bey  Johann  Dier- 
lamm,  Buchbinder."  — 

Zur  sprachlichen  Erläuterung  des  Namens  Capharsalama 
bietet  J.  Fttrsts  Hebräisches  und  Chaldäisches  Handwörterbuch 


])  A.  a.  O.  S.  h  beim  Nachweis  des  Einflusses,  „den  neben  der  Civitas 
Solis  des  Dominikanermönchs  Campanella  die  Utopia  des  Thomas  Morus 
auf  die  Andreacschc  Darstellung  der  Christenstadt  geübt  hat:  Hier  wie  dort 
sind  zur  Benennung  von  Orten  und  Personen  bezeichnende  Namen 
aus  der  griechischen  und  hebräischen  Sprache  gewählt". 

*)  „Keipublicae  Christianopolitanae  Descriptio"  in  der  Zeitschrift  für 
kirchl.  Wissenschaft  und  kirchl.  Leben,  VII.  Jahrg.,  1886,  S.  382,  Anm.  1: 
„Die  meisten  der  von  Andreae  gewählten  Namen  sind  biblischen  Ur- 
sprungs: Abialdon,  wahrscheinlich  ein  Druckfehler  für  Albialbon,  2.Sam.28, 1, 
Achban,  1.  Chron.,  2,  29  u.  ».  w." 

•)  a.  a.  O.  S.  4  f. 

*)  Über  diese  irrtümliche  Bezeichnung  s.  Huellemann  a.  a.  0.  S.  5, 
Anm.  9. 

B)  Vergl.  die  von  Gufsmann  (a.  a.  O.  S.  466)  angeführte  Schrift  des 
Konst.  Wahrenberg  „Die  glückseligste  Insul  auf  der  gantzen  Welt,  oder 
das  Land  der  Zufriedenheit.  Gedruckt  in  Königsberg  1723",  in  wel- 
cher eine  Anzahl  von  Berührungspunkten  mit  der  „Descriptio"  nachzu- 
weisen sei.  die  aber  ohne  Zweifel  als  Anklänge  zufälliger  Art  zu  betrachten 
und  zu  erklären  seien. 


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188 


Kemper, 


Heft  6  u.  7. 


über  das  Alte  Testament,  3.  Aufl.  bearb.  von  Dr.  Victor  Rytssel, 
Leipzig  1876,  Bd.  I,  S.  662a,  Näheres  in  folgendem  Artikel: 
„i!^  =  Gehöfte,  eigentlich  Häuserverbindung,  d.  h.  Dorf.  — 
Sehr  stark  wird  dieses  Wort  [ähnlich  wie  *rn  =  eig.  das  um- 
hegte Lager,  feste  Niederlassung,  jede  Ortscfiaft  ohne  Mauer, 
Dorf,  offener  Flecken,  zur  Bildung  geographischer  Ortsnamen 
gebraucht,  wie  deutsch  Hof  (ebenda  S.  431a)]1,)  in  späterer  Zeit 
in  Zusammensetzungen  zur  Benennung  kleinerer  Ort- 
schaften verwendet,  wie  bereits  Jos.  18,  2«  ein  Beispiel  vor- 
kommt und  wie  das  Wort  sowohl  im  Arabischen  als  im  Syrischen 
ebenfalls  in  Ortsnamen  angetroffen  wird.  In  der  talm.  Zeit 
werden  Ortschaften  Palästinas,  Phoenikiens ,  Syriens  mit  *2  zu- 
sammengesetzt angeführt,  als  co»  -es  (j.  Sanh.  11)  ...  u.  a.  m.; 
—  vergl.  im  N.  T.  und  in  den  Apokryphen  KarteQvaoip  d.  h. 
Din:  -ics  (Mt.  4,  is),  Xatpa^aala^ä  d.  h.  «ubo  ici  (1.  Mak.  7,ai), 
was  talm.  (j.  'Aboda-Sara  44)  ab«  's  heifst  u.  a.  in." 

Als  Quelle,  der  Andreae  das  Wort  Capharsalama  entnommen 
hat,  stellt  sieh  hiernach  eine  Stelle  aus  dem  ursprünglich  in 
hebräischer  oder  aramäischer  Sprache  abgefafsten,  uns  in  grie- 
chischem Text  vorliegenden  1.  Makkabäerbuche  heraus,  einer  apo- 
kryphischen  Schrift,  welche  die  Periode  der  Kämpfe  des  jüdischen 
Volkes  gegen  die  syrische  Oberherrschaft  von  175 — 135  v.  Chr. 
schildert  und  als  wertvolle  Geschichtsquelle  betrachtet  wird. 

Die  Stelle  1.  Makkab.  7,  8i  lautet  nach  Tischendorf,  Vetus 
Testamentum  graece  iuxta  LXX  interpretes^  (ed.  H,  Lips.  1856, 
tom.  II,  p.  524):  %a\  tyviD  NixÜvidq  oti  aneKahvy&i)  rt  ßovlr) 
crirtov,  xat  ilpjk&ev  eig  ovvdvrrjoiv  t$  'Iovda  ev  noXtfit^  xara 
Xa<pa Qoctkctfid.  Vulgata:  Et  cognouit Nicauor quoniam  de- 
nudatum  est  consilium  eius:  et  exiuit  obuiam  Judae  in  pugnain 
iuxta  Capharsalama.  Luther:  Und  da  Nikanor  merkte, 
dafs  sein  Vornehmen  war  offenbar  geworden,  zog  er  wider  Juda, 
und  that  eine  Schlacht  mit  ihm  bei  Caphar  Salama. 

Wahl,  Clavis  libror.  Vet.  Test,  apoeryph.  philol.,  Lips.  1853, 
p.  497  s.  v.  erklärt :  XaqwQoakafia,  Chapharsalama,  urbs  palaesti- 
nensis,  proelio  nobilis,  quo  Nicanorem  vicit  Judas  Maccabaeus 
1.  Makk.  7,  si. 

Grimm,  Kurzgefafstes  exeg.  Handbuch  zu  den  Apokryphen 
des  A.  Test.,  3.  Liefrg.,  Leipz.  1853,  S.  114,  erläutert  den  Namen: 
„von  Joseph us  als  zw^ij  xig  bezeichnet  (in  Gem.  Hieros.  Avoda- 
Zara  fol.  44  col.  4  als  abia  nca  erwähnt9)  scheint  südlich  von 
Jerusalem  im  Gebirge  gelegen  zu  haben,  da  Nikanor  nach 
dem  Verlust  des  Treffens  erst  nach  Jerusalem,  dann  von  da 
nördlich  nach  Bethoron  zieht  (Mich.).    Mit  dem  in  der  Geschichte 

')  S.  auch  W.  Gesenius,  Hebräisches  und  Chaldäischea  Handwörter- 
buch über  da»  Alte  Testament,  9.  Aufl.,  bearb.  von  Muehlau  und  Volck, 
Leipa.  1883,  S.  285. 

*)  Keil,  Kommentar  über  die  Bücher  der  Makkabäer,  Leipz.  1874, 
S.  182,  verweist  noch  auf  Reland,  Pal.  illuntr.  p.  690. 


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1893. 


Der  Inselname  Capharsalama. 


189 


einer  grofsen  Pilgerfahrt  im  J.  1065  erwähnten  Carvasalim  kann 
es  nicht  identisch  sein,  da  dieses  in  der  Nfthe  von  Ramleh  nord- 
westlich bei  Jerusalem  lag;  s.  Robinson  II.  S.  225. u 

Als  Bedeutung  des  durch  Zusammensetzung  aus  ncs  —  Dorf 
und  trabti  =  Friede  gebildeten  Ortsnamens  Capharsalama  ergiebt 
sich  demnach:  „ Friedensdorf " ' 

Nimmt  man  hinzu  den  Zusammenhang  dieses  Namens  mit 
Salem,  der  Älteren  Bezeichnung  der  „Friedensstadt"  Jerusalem2), 
so  erhellt  das  Motiv,  welches  Andreae,  „den  Apostel  des  Gottes- 
staatestf  ,  zur  Wahl  gerade  dieser  Benennung  für  die  Insel  im 
Meere,  auf  welcher  er  das  Ideal  eines  christlichen  »Staates  sich 
verwirklicht  denkt,  veranlafst  hat.  Das  deutet  Andreae  auch 
selbst  an  in  der  Widmung  der  „Descriptio"  an  den  von  ihm  hoch 
geschätzten  Joh.  Arnd,  wenn  er  schreibt3):  Haec  nova  civitas 
nostra  te  agnoscit  et  respicit,  nam  cum  ex  magna  illa  Hiero- 
so lyma,  quam  ingenti  spiritu,  invitis  sophistis,  extruxisti,  mi- 
nuta  colonia  dedueta  sit,  non  potest,  non  omnia  ad  te  referre, 
et  pro  institutis  legibusque  gratias  agere,  simul  etiam  orare,  ut, 
quae  supplenda  emendandave  ei  sint,  pro  benevolentia  communi- 
care  non  dedigneris. 

Diese  Stelle  lautet  nach  Glöklers4)  Übersetzung:  „Diese 
meine  neue  Stadt  verdankt  Dir  ihr  Dasein  und  blickt  auf  Dich 
hin.  Denn  da  sie  aus  jenem  grofsen  Jerusalem,  welches 
Du  mit  erhabenem  Geiste  gegen  den  Willen  klügelnder  Sophisten 
erbaut  hast,  als  eine  kleine  Kolonie  ausgeführt  ist,  so  kann 
sie  nicht  anders  als  alles  auf  Dich  beziehen  und  für  ihre  Ein- 
richtungen und  Gesetze  Dir  ihren  Dank  sagen." 

Keinen  sinnreicheren  und  treffenderen,  zu  Inhalt  und  Ten- 
denz der  Schrift  passenderen  Namen  hatte  Andreae  für  die  Insel 
als  Stätte  der  Cnristianopolis  wählen  können,  die  Gufsmann8) 
mit  den  Worten  charakterisiert:  „Sic  ist  ein  Haus  des  Frie- 
dens, der  Sitz  des  Wahren  und  Guten,  ein  christliches  Gemein- 
wesen, dessen  Glaube  mit  dem  der  Apostel,  dessen  Gesetze  mit 
Gottes  Gesetz  ttbereinstinimon."  — 


')  Diese  Übersetzung  findet  »ich,  wie  ich  nachträglich  sehe,  bereit«  in 
G.  Büchners  bibl.  Real-  und  Verbal-Handkonkordanz,  herausg.  v.  Dr.  H. 
L.  Heubner.  18.  Aufl.  Braunschw.  1888.  8.  219.  —  vrgl.  Schenkels  Bibel- 
lexikon I.  S.  507  (Lpzg.  1869)  und  Winer,  Bibl.  Realwörterbuch  I.  S.  223 
(3.  Aufl.  Lpzg.  1847). 

•)  Geseniua, a.a.O. 8.846s. v.:  „oV<S.  f-  nrb^Adj.:  5) Nom.prop.  s.v. a. 
das  vollständige  aVttp"V  Jerusalem  Ps.  76,  3.  Josephus(Archaeol.  1, 10, 2): 
rrjv  fitvjoi  Zolvfja '  vartQov  (xaltaav  x ItQoadXvfttt.  Auch  Gn.  14,  18  wird 
unter  ebo  Jerusalem  zu  verstehen  sein." 

a)  Da»  Citat  bei  Gufsmann  a.  a.  O.  S.  438. 

*)  Johann  Valentin  Andreae.  Ein  Lebensbild  zur  Erinnerung  an  seinen 
dreihundertsten  Geburtstag,  entworfen  von  Johann  Philipp  (ilökler,  Pro- 
fessor in  Stuttgart.   Mit  einem  Bildnis  Andreaes.   Stuttgart  1886,  S.  66  f. 

h)  a.  a.  O.  S  Ö39. 


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190  Kemper,  Der  Inselname  Capharsalama.        Heft  6  U.  7. 

» 

Es  erübrigt  noch  eine  Beantwortung  der  Frage,  wie  die 
eigenartige  Titelangabe:  De  republica Christiana (Cataphar  Salama) 
in  dem  oben  angeführten  Briefe  des  Comcnius  an  Ilesenthaler 
vom  1.  September  1656  sich  erklären  lasse.  Huellemann  *)  macht 
zunächst  darauf  aufmerksam,  „dafs  A.(ndreae)  sowohl  in  seiner  Vita 
als  in  seinem  Verzeichnis  für  längere  Titel  seiner  Schriften  kürzere 
Bezeichnungen  wählt."  Keipublicae  christianopolitanae  deseripto 
und  Christianopolis  „Bind  Titel  ein  und  derselben  im  Jahre  1619 
erschienenen  Schrift",  nicht  verschiedene  Schriften,  wie  irrtümlich 
angenommen  (Sonntag  und  v.  Criegern). 

Sodann  findet  Gufsmann2)  in  der  Stelle  aus  einem  Briefe8) 
des  Andreae  an  Comenius,  datiert  16.  Cal.  Oct  (=  16.  Sept.)  1629: 
Itaque  tabulas  naufragii  nostri  vobis  legendas,  ac  si 
lubet  sarciendas  tradimus:  satis  beati,  si  non  omnino  magnis 
ausis  excideriraus.  Hoc  se  solatt  sunt,  qui  novas  terras  erroribus 
suis  aperuerunt  seouuturis  feliciore  navigatione  „eine  für  An- 
dreaes  „sinnreiche  Manier"  .  .  .  ziemlich  deutliche  Anspielung  auf 
die  ,Descriptiol". 

Erwägt  man  nun  die  bei  Andreae  selbst  vorkommende  schwan- 
kende Betitelung  der  eigenen  Schriften4)  und  zieht  man  ferner 
in  Betracht,  dafs  seit  dem  ersten  Studium  und  Excerpierung  der- 
selben seitens  des  Comenius s)  nach  Mafsgabe  der  beiden  Briefdaten 
eine  Reihe  von  Jahren  verflossen  ist,  so  ergiebt  sich,  dafs  Co- 
menius den  Titel  „De  republica  Christiana",  falls  er  nicht  etwa 
bei  Andreae  oder  sonstwo  bereits  vorkam,  selbst  frei  nach  dem 
Gedächtnis  gebildet,  da  ihm  der  genaue  Titel  nicht  mehr  erinner- 
lich war,  und  dafs  er  Cataphar  [irrtümliche  Schreibung  statt  des 
richtigen :  Caphar]  Salama  in  Parenthese  hinzugefügt  hat,  um  die 
gewünschte  Schrift  deutlich  als  diejenige  zu  bezeichnen,  in  welcher 
Andreae  das  Bild  seines  auf  der  Insel  im  Weltmeere  gelegenen 
Musterstaates  entworfen. 


«)  a.  a.  O.  S.  3  f. 
*)  a.  a.  O.  S.  471  f. 

»)  In  deutscher  Übersetzung  citiert  von  Keller  in  der  erwähnten  Ab- 
handlung S.  235  f. 

*)  Vergl.  Veri  Christianismi  solidaegue  Philosophiae  Liberias  etc.  = 
Veri  Christiani  libertas  ™  libertas  chriatiana  «=  veri  Christianismi  libertas. 

a)  Vergl.  Kvacsala  a.  a.  0.  S.  38. 


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Zur  Bücherkuncle. 


Von  und  Uber  Krause. 

Krauses  handschriftlicher  Nachlafs  und  seine 
Herausgabe  bis  1898. 

Von 

Paul  Hohlfeld  in  Dresden. 

Am  24.  Juli  1822  schrieb  Krause  (vergl.  Anschauungen  III, 
1892,  S.  235):  „Ich  weifs  es  zwar  nicht,  ob  es  Gott  gefallen  wird, 
meine  noch  ungedruckten  Handschriften  durch  mich  oder  andere, 
durch  meine  Kinder,  Bekannte  oder  noch  Unbekannte  zu  Rettung 
und  Weseubelebigung  —  zum  Heile  —  der  Menschheit  mitwirksam 
zu  machen1):  aber  ich  bin  verpflichtet,  so  damit  zu  verfahren,  als 
ob  dieses  einst  dennoch  geschehe,  —  also  diese  Handschriften  so 
vollkommen,  so  berichtigt,  so  Ubersichtlich  als  möglich  zu  machen. 
Dazn  dient  eine  wissenschaftliche  Inhaltangabe  (raisonnierendes  Re- 
pertorium)  und  Würdigung  derselben 9) ,  und  ein  gemeinsames  Sach- 
verzeichnis8) (ein  gleichförmiger  Iudex)  dazu.  Das  wird  dem  küuf- 
tigen  Bearbeiter  Licht  und  Erleichterung  geben." 

Im  Jahre  1822  hatten  Krauses  Handschriften  die  stattliche 
Zahl  von  60  Bänden  erreicht  (s.  Anschauungen  III,  S.  213),  und 
wenn  auch  bis  zu  seinem  Tode  (1832)  ein  Werk  nach  dem  andern 
gedruckt  worden  war,  so  erschien  doch  das  Gedruckte  dem  Umfang 
nach  unerheblich  gegen  das  Übrigbleibende.  Das  blofse  Abschreiben 
des  Nachlasses  würde  ein  Menschenalter  erfordert  haben! 

Der  Inhalt  der  Handschriften  erstreckte  sich  auf  das  Gesamtgebiet 
der  Wissenschaft,  der  Erkenntnisquelle  nach  auf  die  reine  Vernunft- 


')  Ähnlich  auch  Anschauungen  III,  S.  29  u.  212  f. 

*i  Der  Vorsatz,  dies  beides  auszuarbeiten,  ist  von  Krause  leider  nicht 
ausgeführt  worden. 

s)  Dasselbe  bildet  einen  wichtigen  Teil  des  Nachlasses,  einmal  von 
Krauses  Hand,  dann  noch  in  einer  Abschrift  von  anderer  Hand. 


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192 


Hohlfeld, 


Heft  6  u.  7. 


Wissenschaft  (Philosophie  und  Mathematik),  auf  die  Erfahrungs- 
wissenschaft und  di<*  Durchdringung  heider,  die  angewandte  Philo- 
sophie der  Geschieht«?. 

Krause  heklagt  und  verwirft  die  eingewurzelte  Trennung  von 
Mathematik  und  Philosophie.  Er  hat  auf  das  eingehendste  auch 
Mathematik  getrieben,  namentlich  die  Kombinationslehre  ')  ausgebildet, 
die  allgemeine  Auflösung  der  Gleichungen 2)  versucht  und  eine  ganz 
neue  Betrachtung  der  krummen  Linien,  rein  nach  den  Begriffen  der 
Liinge,  der  Richtung  und  dem  wechselseitigen  Verhältnisse  beider, 
gefunden.  Der  außerordentlich  umfangreiche  mathematische  Nach- 
lafs  Krauses  ist  fast  noch  gar  nicht  durchgesehen,  benutzt  und  ge- 
würdigt, geschweige  bearbeitet  und  herausgegeben  worden.  Eine 
Programmabhandlung  Uber  Krause  als  Mathematiker,  welche  nicht 
blofs  die  gedruckten .  sondern  auch  die  handschriftlichen  mathe- 
matischen Arbeiten  Krauses  berücksichtigt,  von  II.  II  ün  ig  er  in 
Eisenberg  (S.-A.),  dem  Geburtsorte  Krauses,  steht  in  naher  Aussicht. 

Die  Anerkennung  Krauses  als  Begründers  und  Ausbildners  der 
Mathematik  im  Sinne  einer  allgemeinen  Wesenheitlehre ,  welche 
neben  der  Lehre  von  der  Gröfse  und  Grofsheit  und  von  der  Ganz- 
heit bez.  Unendlichkeit  auch  die  Lehre  von  der  Selbständigkeit 
oder  Selbheit  und  vom  Verhältnis  oder  von  der  Verhaltheit  im 
weitesten  Sinne  umfafst,  ist  erst  von  der  Zukunft  zu  erwarten. 

Erschwert  wird  das  Verständnis  der  Krauseschen  Mathematik 
durch  eine  Reihe  ueuerfundener  Zeichen.  Der  allenthalben  schöpfe- 
rische Denker  hat  sich  nämlich  auch  mit  dem  berühmten  Problem 
einer  Pasigraphie  oder,  wie  er  selbst  sagt,  Wesengestalteprache  ernst- 
lich und  mit  Erfolg  beschäftigt.  Es  handelt  sich  um  eine  Bezeich- 
nung der  Gedanken  lediglich  durch  Haumzeichen ,  unabhängig  von 
aller  Lautsprache.  Krauses  tiefe  Kenntnis  der  Raumlehre8)  tritt 
also  hier  in  den  Dienst  der  ßezeichnungskunst.  Die  vielen  Werken 
Krauses  beigegebenen  Figurentafeln  sind  Anfänge  und  Beispiele 
seiner  Wesengestaltsprache. 

Daneben  suchte  er  auch  ein«?  Wesenlautsprache 4)  zu  schaffen, 
d.  h.  eine  künstliche,  dem  Urbilde  der  Sprache  überhaupt  und  der 
Wissenschaftsprache 6)  insbesondere  entsprechende  Lautsprache,  un- 
abhängig von  und  im  Gegensätze  zu  den  bisherigen  natürlichen  Laut- 
sprachen der  einzelnen  Völker  bez.  Sprachgenossenschaften. 

Die  vielen  auffallenden,  zum  grofsen  Teil  recht  umfänglichen 
Benennungen  der  strengen  deutscheu  Wisscuschaftsprache6)  Krauses 


*)  Vergl.  Anschauungen  II,  S.  226;  Lehrbuch  der  Combinationlehre 
und  der  Arithmetik  1812. 

*j  Vergl.  Anschauungen  III,  S.  20,  43. 
*)  Vergl.  Anschauungen  III,  S.  151  f. 
4)  Vergl.  Anschauungen  II,  S.  157,  170. 

*)  Vergl.  Anschauungen  II,  S.  175.  Von  der  Würde  der  deutschen 
Sprache  und  von  der  höheren  Ausbildung  derselben  überhaupt  ,  und  als 
Wissenschafteprache  insbesondere,  Dresden  1816. 

«)  Vergl.  Anschauungen  II,  S.  153,  175,  190,  193. 


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1893. 


Von  uud  über  Krause. 


193 


sind  anzuseilen  und  zu  begreifen  als  ein  wesentliches  Mittelglied 
zwischen  dem  gewöhnlichen  Deutsch  und  der  Wesen  lautsprache, 
oder  als  ein  anschauliches  und  unterrichtendes  Beispiel  der  Fort- 
bildung einer  Volkslautsprache l)  nach  den  Gesetzen  und  dem  Muster 
der  Wesenlautsprache,  in  erster  Linie  im  Dienste  der  Wissenschaft. 

Krause  unterscheidet  selbst  in  seinen  eigenen  Schriften  zehn 
verschiedene  Weisen  oder  Stufen  der  Darstellung  in  deutscher  Sprache 
nach  ihrer  steigenden  Wissenschaftlichkeit,  Übrigens  war  es  seine 
Absicht  keineswegs,  die  gewöhnlichen  kurzen  Wörter  d«-r  Volks- 
sprache für  zusammengesetzte  Begriffe,  z.  B.  Recht,  ganz  abzuschaffen. 
Xnr  wollte  er  daneben  für  die  strengwissenschaftliche  Behandlung 
und  zur  bequemen  Wiederholung  die  langen,  wesengemäfsen  Be- 
zeichnungen einfuhren. 

Die  deutsche  Sprache  hat  Krause  auf  das  gründlichste  durch- 
forscht. Es  gelang  ihm,  seinen  Wissenschaftgliedbau  (—  System) 
in  reinem  Deutsch  darzustellen,  und  den  bisherigen  gelehrten 
lateinisch -griechischen  Mischmasch2)  als  Wissenschaftsprache  der 
reinen  Vernunftwissenschaft  (als  Terminologie  der  Philosophie)  ent- 
behrlich zu  machen.  Er  beabsichtigte,  nach  ganz  neuen,  eigen- 
tümlichen, wohldurchdachten  Grundsätzen  ein  deutsches  Wörterbuch 
zu  schreiben:  ein  Urworttum  der  deutschen  Sprache.  Die  beiden 
Ankündigungen  desselben  sind  noch  heute  beachtenswert  und  werden 
hoffentlich  in  Zukunft  dazu  beitragen,  die  Wortkunde  (Lexikographie) 
auf  eine  höhere  Entwicklungsstufe  zu  bringen. 

Nachdem  die  Uälftc  der  Vorarbeiten  zum  Urworttum  fertig 
war,  blieb  die  Ausführung  wegen  Mangel  an  genügender  Beteiligung 
liegen. 

Die  umfangreichen  Vorarbeiten  zum  Urworttum  sind  der  am 
wenigsten  wertvolle  Teil  des  Nachlasses. 

Damit  verbinden  wir  gleich  das  andere  Werturteil,  dafs  die 
Wesengestaltsprache  Krauses  uns  weit  bedeutender  und  zukunfts- 
reicher scheint,  als  seine  Wesenlautsprache. 

Der  Wissenschaftgliedbau  Krauses  umfafst  auch  die  gesamte 
Erfahrungswissenschaft,  z.  B.  Geschichte  der  Wissenschaft  überhaupt 
und  der  einzelnen  Wissenschaften,  der  Philosophie,  der  Mathematik, 
der  Religions-  und  der  Rechtswissenschaft,  Auszüge  aus  den  Schriften 
gottinniger  Menschen  (der  Mystiker),  Nebenstellen  (Parallelstellen) 
zu  den  einzelnen  Sätzen  des  eigenen  Systems  aus  den  Werken 
früherer  und  gleichzeitiger  Deuker  u.  s.  w.,  Schätze,  welche  zum 
grolseu  Teile  immer  noch  nicht  gehoben  sind. 

Eine  Ilaupteigentümlichkeit  und  eiu  ilauptvorzug  der  „Wesen- 
lehre",  wie  Krause  mit  Vorliebe  sein  System  nennt  (Wesen  Gott), 
weil  alles  einzelne  in  Gott,  im  Lichte  des  Gottesgedankens  betrachtet 
wird,  ist  die  Forderung  eines  harmonischen  ud<*r  synthetisohen  Teiles 


')  Vergl.  Anschauungen  III,  S.  64. 
»)  Vergl.  Anschauungen  II,  8.  314. 


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194 


Hohlfeld, 


Heft  6  u.  7. 


der  Wissenschaft,  einer  gesetzmäßigen  Vereinigung  der  reinen  Ver- 
nunft- und  der  Erfahrungserkenntnis. 

Krause  bestreitet  auf  das  entschiedenste,  dafs  die  reine  Ge- 
schichtswissenschaft, wie  so  oft  behauptet  wird,  „die  Lehrerin",  d.  h. 
die  Hauptlehrerin,  der  Menschheit  sei,  höchstens  sei  sie  eine  „Unter- 
lehrerin".  Hauptlehrerin  sei  vielmehr  die  (auf  die  erfahrungs- 
mHfsige  Geschichtswissenschaft)  angewandte  Philosophie  der  Ge- 
schichte. 

Durch  gcsetzmMfsige  Verbindung  der  reinen  Urbegriffe  und 
der  Geschichtsbegriffe  entstehen'  nun  die  Musterbegriffe,  die  ange- 
wandten Ideen ,  so  wie  durch  die  Verbindung  der  Urbilder  und 
der  Geschichtsbilder  die  Musterbilder  oder  angewandten  Ideale. 
Diese  bieten,  was  die  Lebenskunst  erheischt,  die  hinreichende  Be- 
stimmtheit und  die  erforderliche  Unbestimmtheit,  welche  nach  den 
sich  stetig  lindernden  Umständen  vollends  durchzustimmen  ist,  worauf 
dann  das  vollständig  bestimmte  innere  Bild  stufenweis  in  die  äufsere 
zeitliche  Wirklichkeit  Ubertragen  werden  kann. 

Vor  allem  sind  es  die  Urbilder  „der  Menschheit,  des  Meuschheit- 
lebens  und  des  Menschheitbundes1*,  welche  Krause  am  Herzen  liegeu. 
„Urbild  der  Menschheit"  ist  der  Titel  eines  der  früheren  und 
zugleich  der  schönsten,  ansprechendsten  und  verständlichsten  Werke 
Krauses. 

Ende  März  1808  r)  erfafste  Krause  den  Gedanken  des  Mensch- 
heitbundes mit  voller  Klarheit.  Seine  menschheit bundlichen  Schriften2) 
stellte  er  noch  Uber  seine  wissenschaftlichen  Werke,  wenn  sich  jene 
auch  als  einen  Teil,  und  zwar  als  den  innersten  und  erstwesent- 
lichen Teil  seiner  wissenschaftlichen  Leistungen, 8)  ansehen  lassen.4) 

Um  dem  Urbegriffe  und  dem  Urbilde  des  Meuschheitbundes 
schliefslich  den  Musterbegriff  und  das  Musterbild5)  desselben  zur  Seite 
stellen  zu  können,  erforschte  Krause  aufs  sorgtHltigste  die  Geschichte 
der  Menschheit  behufs  Entdeckung  der  Vorahnungen  des  Menschheit- 
bundgedankeus  und  der  Keime  seiner  geselligen  Darlebuug.  In 
diesem  Sinne  würdigte  Krause  den  pythagoreischen  Bund,  den 
Staatagedanken  bei  Piaton,  den  christlichen  Gedanken  des  allum- 
fassenden Himmelreiches  auf  Erden,  welcher  nach  seiner  Ansicht  in 
der  Ausführung  sich  freilich  zu  einem  blofsen  Religionsvereine,  der 
christlichen  Kirche,  verengte,  die  Bestrebungen  *)  eines  Audreä,  Come- 
nius  u.  a.,  sowie  der  FroimaurerbrUderschaft.  Krause  glaubte  1817 
die  Entdeckung   gemacht  zu  haben,7)   dafs  die  Stifter   der  Neu- 


')  Vcrgl.  Anschauungen  II,  S.  37;  24. 

8>  Vergl.  Anschauungen  II,  S.  321 ;  III,  S.  212,  269,  274. 

a)  Vergl.  Anschauungen  I,  S.  196,  II,  S.  228. 

*)  Vergl.  Anschauungen  III,  S  41. 

R)  Vergl.  Anschauungen  I,  S.  205. 

•)  Vergl  Anschauungen  II,  S.  225:  „Die  menschheitbundlichen  Ahn- 
versuche sind  stets  von  Wissenschaftforscliern  und  durch  Wissenschaft  be- 
geisterten Gottinnigeu  ausgegangen.4* 

')  Vergl.  Amchauungen  II,  S.  163;  Kunsturkunden  IV,  1821,  3—36. 


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1893. 


Von  und  über  Krause. 


195 


englischen  Grofsloge  (1717),  Anderson  und  Desaguliers ')  ihre  Grund- 
gedanken wörtlich  aus  Comeuius  entlehnt  hiitten. 

Das  glänzendste  Ehrenzeugnis  aber  giebt  er  diesem  in  den 
Worten  (Anschauungen  II,  S.  221):  „Comeuius'  Plan  eine«  Wissen- 
schaftgliedbaues  verhält  sich  zu  meinem  Plane  des  Wissenschaftbaues 
ähnlich,  wie  Comenius'  Plan  eines  allgemein  menschlichen  Vereines 
zu  meinem  Plane  des  Menschheitbundes.    (S.  dessen  Panegersia.)" 

Uer  handschriftliche  Nachlafs  Krauses  nebst  den  mit  Bemer- 
kungen und  Nachträgen  des  Verfassers  versehenen  Handexemplaren 
der  gedruckten  Werke  und  den  an  ihn  gerichteten  Briefen  wurde 
in  sechs  mittelgrofsen  Schränket»  aufbewahrt.  Die  Gefahr,  dafs 
derselbe  in  alle  Winde  zerstreut  würde,  oder  unbeachtet  zu  Grunde 
ginge,  hat  Krauses  eifrigster  Schüler,  Hermann  von  Leonhardi, 
glücklich  abgewendet. 

Der  Nachlafs  kam  nach  langwierigen  Verhandlungen  in  die 
Wohnung  und  unter  die  Aufsicht  Leonhardis,  des  Schwiegersohnes 
Krauses,  während  das  Eigentumsrecht  an  demselben  der  Familie 
Krause  vorbehalten  blieb,  und  wanderte  mit  Leonhardi  von  München, 
wo  der  edle  Dulder  endlich  von  seinen  unsäglichen  Leiden  Erlösung 
gefunden  hatte,  nach  Heidelberg  und  Prag. 

H.  von  Leonhardi  hat  aus  dem  Nachlasse  folgende  Werke  zum 
Drucke  befördert: 

1)  die  vollkommen  druckfertige  j  nur  infolge  änfserer  Gründe 
liegen  gebliebene  Religionsphilosophie8):  1834  Band  I,  1836  das 
Sachverzeichnis,  1843  die  beiden  Abteilungen  von  Band  II. 

2)  1886  die  Lehre  vom  Erkennen  und  von  der  Erkenntnis 
(eine  Nachschrift  von  Vorlesungen  an  der  Göttinger  Hochschule). 

3 )  1843  die  Lebenlehre  oder  Geist  der  Geschichte  der  Menschheit. 
Ferner  veröffentlichte  er   kleinere   Abhandlungen    Krauses  in 

der  von  ihm  herausgegebenen  Zeitschrift:  Neue  Zeit  (1869 — 1875, 
11  Hefte),  so  die  Menschheitgebote  in  Heft  5,  den  Glauben  an  die 
Menschheit  in  Heft  6,  den  Entwurf  eines  europäischen  Staaten- 
bundes in  Heft  7.  Endlich  veranstaltete  er  1868  eine  zweite,  durch 
die  Verbesserungen  und  Zusätze  des  Verfassers  bereicherte  Auflage 
der  ersten  Hälfte  der  „Grundwahrheiten"  (1829)  unter  dem  Titel: 
„Erneute  Vernunftkritik"  uud  der  ersten  Hälfte  der  Vorlesungen 
über  das  System  der  Philosophie  (1828)  unter  dem  Titel:  „Empor- 
leitender Teil". 

Eine  zweite,  unveränderte  Auflage  des  längst  vergriffenen  „Ur- 
bildes der  Menschheit"  (1811)  hatte  gerade  40  Jahre  später  (1851) 
der  älteste  Sohn  des  Verfassers,  Karl  Krause,  besorgt.    1835  gab 


')  Vergl.  Anschauungen  II,  S.  217. 

s)  „Die  absolute  Refigionriphilosophie  in  ihrem  Verhältnisse  zu  dem 
gefühlglaubigen  Theismus  und  nach  der*  in  ihr  gegebenen  endlichen  Ver- 
mittlung des  Siipernaturalismus  und  Rationalismus.  Dargestellt  in  einer 
philosophischen  rrüfung  und  Würdigung  von  Fr.  Bouterwek's  Schrift:  die 
Religion  der  Vernunft,  und  von  Fr.  Schleiennacher's  Einleitung  zu  dessen 
Schrift:  Der  christliche  Glaube." 


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HohlfeiJ, 


Heft  6  u.  7. 


H.  Schröder  in  München  die  völlig  druckfertige  Kurveulehre  Krauses 
heraus  (Novae  theoriae  lincarum  curvarum  specimina  V):  dieselbe 
war  einst  in  derselbeu  Stadt  von  Sendling  als  Präsidenten  der 
Akademie  der  Wissenschaften  als  unbrauchbar,  ohne  Umschlag  durch 
den  Akademiediener  dem  Verfasser  zurückgeschickt  worden. 

1887  veröffentlichte  Leutbecher  den  gleichfalls  völlig  druck- 
fertigen Abrifs  der  Ästhetik,  und  im  folgenden  Jahre  (1838) 
V.  Straufs  (später  von  Straufs  und  Torney)  die  Anfangsgründe  der 
Theorie  der  Musik,  die  er  mit  sinnigen  Versen  einleitete. 

Verdienstvoll  war,  dafs  Liudemann  1889  das  Leben  und  die 
Wissenschaftlehre  Krauses  aus  des  letzteren  Handschriften  zusammen- 
stellte und  herausgab. 

1848  erschienen  Krauses  Vorlesungen  über  psychische  Anthro- 
pologie in  der  eilfertigen  Bearbeitung  und  angeblichen  stilistischen 
Verbesserung  von  H  Ahrens,  womit  Leonhard!  ganz  unzufrieden 
war.  Wider  des  letzteren  Willen  wurden  Krauses  Vorlesungen 
über  Rechtsphilosophie  1874  von  Röder  herausgegeben ,  der  wert- 
volle Bemerkungen  beifügte. 

Nachdem  Leonhardi  1875  in  Smichow  bei  Prag  gestorben  war, 
kam  Krauses  Nachlafs  infolge  Verabredung  der  von  Leonhardi  zur 
Fortführung  seines  Werkes  ausersehenen  und  darum  zu  Erben  er- 
nannten Männer  1877  in  die  Verwahrung  P.  Kohlfelds  in  Dresden. 
Sein  gesamtes  beträchtliches  Vermögen  hatte  Leonhardi  laut  Testa- 
ment in  erster  Linie  zum  Drucke  des  handschriftlichen  Nachlasses 
seines  Meisters  bestimmt,  und  das  Smichower  Bezirksgericht  hat  in 
Gemeinschaft  mit  einem  vom  Gericht  ernaunten  Kurator  der  Leou- 
hardischen  Verlasseuschaft  darüber  zu  wachen,  dafs  die  Erben  die 
im  Testamente  getroffenen  Bestimmungen  des  Erblassers  genau  be- 
obachten. 

P.  Hohlfeld  und  A.  Wünsche,  beide  in  Dresden,  vereinten  sich, 
nachdem  ihr  Versuch,  die  „Neue  Zeit"  fortzuführen,  und  auch  der 
Plan  des  letzteren,  eine  streng  wissenschaftliche  Zeitschrift  als  Organ 
der  Krauseschen  Philosophie  herauszugeben,  an  dem  Widerspruche 
des  Gerichts  gescheitert  war,  zur  Veröffentlichung  von  Krauses 
Handschrifteu. 

Es  erschienen  nunmehr  in  rascher  Folge :  1882  die  Vorlesungen 
Uber  Ästhetik  (eine  gröfsere  Lücke  in  der  von  Krause  durchgesehenen 
Handschrift  konnte  nach  dem  Ankauf  der  vollständigen  Niederschrift 
Edmunds  von  Hagen,  welcher  Krauses  Vortrag  mittelst  der  Horstig- 
schen  Stenographie  nachgeschrieben  hatte,  glücklicherweise  ergänzt 
werden)  und  das  System  der  Ästhetik,  welchen  Hohlfeld  erklärende 
und  vervollständigende  Anmerkungen  beifügte;  1883  die  Dresdner 
Gemäldegalerie,  die  Landverschönerkunst,  welche  Baurat  Vorherr 
in  München  herausgeben  wollte,  und  die  bereits  1832  als  erschienen 
buchhändlerisch  angekündigt,*  aber  in  Wahrheit  noch  garnicht  ge- 
druckt war,  und  die  Reisekunststudien;  1884  die  Methode  des 
akademischen  Studiums,  die  Vorlesungen  Uber  synthetische  Logik, 
welche  trotz  der  aufserordentlichen  Schwierigkeit  des  Verständnisses 


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1893. 


Von  und  über  Kraus*-. 


197 


unerwartet  reichen  Absatz  fanden,  und  die  Einleitung  in  die  Wissen- 
schaftslehrc  (von  Kraust'  früher:  Einleitung  in  die  Literaturgeschichte 
genannt);  1885  die  angewandte  Philosophie  der  Geschichte  uud  der 
analytisch  -  induktive  Teil;  1886  die  reine  allgemeine  Vernunft- 
wisscnschaft  und  der  Abrifs  des  Systeme»  (einschliefslich  der  zweiten 
Abteilung,  des  absteigenden  Teiles,  welche  in  der  1825  bezw.  1828 
vom  Verfasser  selbst  besorgten  Ausgabe  gefehlt  hatte);  1887  die 
Geschichte  der  Philosophie;  1888  die  Sittenlehre  (1810)  in  zweiter, 
sehr  stark  vermehrter  Ausgabe;  1889  die  neuereu  philosophischen 
Systeme  (Kants,  Fichtes  und  Schellings) ,  der  Grundrils  der  Philo- 
sophie der  Geschichte,  Philosophische  Abhandlungen  (darin  die  drei 
lateinischen  Habilitationsschriften  Krauses  für  Jena  1802,  Perlin  1814 
und  Göttingen  1824,  die  erste  und  die  dritte  zugleich  in  deutscher 
Übertragung  des  Verfassers,  und  drei  Abhandlungen  über  Mathe- 
matik) und  der  sehr  vermehrte  ableitende  Teil  der  Vorlesungen 
Uber  das  System  der  Philosophie  (1828);  1890  das  Eigentümliche 
der  Wesenlehre,  worin  Krause  selbst  die  Haupteigentilmlichkeiten 
seiner  Lehre  kennzeichnet  und  dieselbe  streng  sachlich,  wie  die 
Leistung  eines  anderen,  beurteilt;  1890  —  1892  drei  Bünde  An- 
schauungen (teils  Beiträge  zur  Lebensgeschichte  des  Verfassers, 
teils  Einzelsatze  aus  den  verschiedensten  Wissenschaften ,  die  er 
nicht  sofort  au  der  gehörigen  Stelle  des  Wissenschaftgliedbaues 
eintragen  konnte);  1892  aufserdem  die  Anfangsgründe  der  Erkenntnis- 
lehre;  1893  das  Werk  „Zur  Religionsphilosophie  und  spekulativen 
Theologie",  der  Abrifs  der  Geschichte  der  griechischen  Philosophie 
und  Aphorismen  zur  Sittenlehre. 

Mittlerweile  hatte  Wünsche  allein  1891  die  Sprachphilosophie 
herausgegeben;  desgl.  Dr.  jur.  Mollat  1890  das  Naturrecht  die  2.  Ab- 
teilung zum  erstenmal,  wahrend  die  1.  Abteilung  bereits  1803  für 
sich  erschienen  war)  und  1893  Krauses  Bemerkungen  und  Erläute- 
rungen zu  Fichtes  Grundlage  des  Naturrechts.  1891  fertigte  Trömel 
ein  Verzeichnis  zu  dem  emporleitenden  (1868)  und  dem  ableitenden 
Teile  der  Vorlesungen  über  das  System  der  Philosophie,  nebst 
Nachträgen  (1889). 

Damit  ist  aber  der  handschriftliche  Nachlafs  Krauses  noch  lange 
nicht  erschöpft.  Die  bisherigen  Herausgeber  Mollat,  Hohlfeld  und 
Wünsche  gedenken  mit  Gottes  Hülfe  rüstig  weiter  zu  arbeiten,  und 
als  neue  Mitarbeiter  sind  Oberlehrer  R.  Vetter  in  Dresden  und 
Professor  Mucke  in  Dorpat  gewonnen.  Vielleicht  tragen  auch  diese 
Mitteilungen  dazu  bei,  neue  Kräfte  uns  zuzuführen! 


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Nachrichten. 


Die  Eigenart  der  Persönlichkeit  und  ihrer  Bedeutung  brachte  es  mit 
sich,  dafs  Comeuius'  Thätigkeit  bisher  in  erster  Linie  von  Männern  be- 
trachtet und  gewürdigt  worden  ist,  die  von  Beruf  Philosophen,  Gottes- 
gelehrte oder  Vertreter  der  Erziehungslehre  waren.  Indessen  darf  darüber 
nicht  vergessen  werden,  dafs  der  erste,  der  das  Andenken  des  C.  in  un- 
serem Jahrhundert  wirksam  erneuerte,  von  Beruf  ein  Geschichtechreiber 
im  engeren  Sinn,  d.  h.  ein  Vertreter  der  politischen  Geschichte,  gewesen 
ist  —  AntOB  Gindely.  Da  ist  es  denn  nun  von  Wichtigkeit,  dafs  auch 
jetzt,  bei  Gelegenheit  der  Jahrhundertfeier,  Gindely  abermals  zur  Feder  ge- 
griffen hat,  um  eine  zweite  Auflage  seiner  Arbeit :  „Über  des  Johann  Arnos 
Com cnius  Leben  und  Wirksamkeit  in  der  Fremde"  zu  veranstalten.  Sein  in- 
zwischen eingetretener  Tot!  (tarn  24.  Okt.  1892,  s.  M.H.  der  CG.  1H92,  S.  322) 
hat  die  Ausgabe  verzögert;  jetzt  ist  die  Schrift  erschienen  (Znaim,  Fournier 
&  Haberler,  Preis  2  Mk.)  und  wir  werden  in  Kürze  an  anderer  Stelle 
darauf  zurückkommen.  Die  Bedeutung  dieser  Veröffentlichung  liegt, 
wie  bemerkt,  abgesehen  von  ihrem  Inhalt,  zugleich  in  der  Person  und 
der  Stellung  des  Verfassers.  Angesichts  des  Umstände«,  dafs  die  politischen 
Historiker  die  Bearbeitung  der  Lebensgeschiehte  von  Päpsten,  Kardinälen 
und  Bischöfen  oder  auch  der  Geschichte  der  Reformatoren  und  der  Re- 
formation als  zu  ihren  Aufgaben  gehörig  betrachten,  darf  angenommen 
werden,  dafs  nach  Gindelys  Vorgang  auch  noch  andere  Geschichtsforscher 
im  engeren  Sinn  sich  dieser  oder  verwandten  Aufgaben  unserer  Gesellschaft 
zuwenden  werden.  In  der  That  sind  denn  auch  eine  Reihe  bekannter  Ver- 
treter der  politischen  Geschichtschreibung  —  wir  nennen  unter  anderen 
die  Herren  von  Below  (Münster),  von  Bezold  (Erlangen),  Caro  (Bres- 
lau), K 1  u  c  k  h  o  h  n  (Göttingen),  L o s  e r  t h  (Graz),  O  n  c  k c  n  (Giefsen),  Watten- 
bach  (Berlin)  —  Mitglieder  unserer  Gesellschaft  geworden. 

Herr  Professor  Dr.  Kvacsala  in  Prefsburg  —  D.M.  der  CG.  —  ist  von 
der  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Prag  beauftragt  worden,  die  Briefe 
von  Und  an  Oomeniu«,  soweit  sie  an  aufserösterreichischen  Fundorten  noch 
zu  ermitteln  sind,  behufs  Herausgabc  zu  sammeln.  Herr  Kvacsala  wird  sich 
zu  diesem  Zweck  noch  im  Laufe  des  Sommers  nach  Paris,  London  und 


1693. 


Nachrichten. 


199 


Stockholm  begehen.  Die  Königl.  Akademie  hätte  den  bezüglichen  Auf- 
trag in  keine  geeigneteren  Münde  legen  können.  Herr  Kvacsala  ist,  wie 
«ein  Buch  beweiht,  gegenwartig  der  genaueste  Kenner  den  gesamten 
Quellenmaterial»  zur  Geschichte  des  Comenius.  Seine  Kenntnis  der  deutschen, 
slavischen,  ungarischen  und  französischcn'Sprache  wird  ihm  bei  seinen  Ar- 
beiten ein  ausgezeichnet««»  Förderungsmittel  sein.  Der  Briefwechsel  desG, 
den  Patera  im  Jahre  1892  herausgegeben  hat,  umfafst  kaum  die  Hälfte  des 
schon  heute  bekannten  Stoffes.  Durch  Kvac&alas  Keinen  dürfte  noch  weit 
mehr  an  das  Licht  kommen.  Wir  bitten  unsere  Mitglieder,  zumal 
die  ausländischen,  ihn  kräftig  zn  unterstützen. 

Dafs  die  beiden  gröfsten  Gelehrten  Deutschlands  und  Italiens  im 
vorigen  Jahrhundert,  0.  W.  Leibolz  und  L.  A.  Muratori,  im  Briefwechsel 
mit  einander  gestanden  haben,  war  schon  längst  bekannt  A.  v.  Rcumont 
hatte  in  der  Kieler  Monatsschrift  1854  Mitteilungen  über  ihn  gemacht, 
nachdem  zuvor  der  Marchcse  Giuseppe  Campori  gelegentlich  der  Enthüllung 
des  Denkmals  für  Muratori  in  Modeiia  darüber  gehandelt  hatte.  Jetzt  liegt 
uns  die  vollständige  Korrespondenz  des  alternden  Leibniz  mit  dem  viol 
jüngeren  italienischen  Gelehrten  aus  den  Jahren  1708  bis  1716  mit  einigen 
dazugehörigen  Briefen  anderer  Personen  in  einer  ausgezeichneten  Ausgabe 
vor,  welche  Herr  Matteo  Campori  zuerst  in  den  Atti  e  Memorie  della 
R.  Deputazione  di  Storia  patria  delle  Provincie  Modenesi.  Scr.  IV.  T.  III. 
1892  hat  abdrucken  lassen,  dann  aber  auch  unter  dem  Titel:  Corrispon- 
denza  tra  L.  A.  Muratori  e  G.  G.  Leibniz  conservata  nella  R. 
Biblioteca  di  Hannover  ed  in  altri  istituti.  Modena  1*92  XLHI  u. 
335  S.  in  gr.  8°  besonders  herausgegeben  hat 

Centralbl.  f.  Bibliothekswesen. 


In  nächster  Zeit  erscheint  im  Verlage  von  Herrn.  Heyfelder  in  Berlin 
(R.  Gaertners  Verlagsbuchhandlung)  ein  Buch:  Johann  Bünderlin  und  die 
Anfänge  des  Täufertums  in  Oberösterreich  von  Dr.  Alexander  Nicola- 
doni.  Hof-  und  Gerichtsadvokat  in  Linz  a.  Donau.  Johann  Bünderlin  ist 
jener  originelle  Vorläufer  Sebastian  Franeks,  der  im  16.  Jahrhundert  das 
„geistige  Christentum"  am  wärmsten  zum  Ausdruck  gebracht  hat  und  dem 
Schellhorn,  Hagen,  Gerbert  und  in  neuester  Zeit  A.  Hegler  in  „Geist  und 
Schrift  bei  Sebastian  Franck"  Beachtung  geschenkt  haben.  Dr.  Alex.  Nico- 
ladoni  bringt  eine  Reihe  bisher  unbekannter  biographischer  Daten,  weitere 
ausführliche  Auszüge  aus  bereits  bekannten  und  nicht  bekannten  Schriften 
Bnnderlins.  Nicoladonis  Buch  enthält  endlich  interessante  Nachrichten  über 
den  Gang  der  Reformation  und  der  Täuferbewegung  in  Oberösterreich,  einen 
der  Herde  der  letzteren,  in  den  Jahren  1526 — 1531  und  belegt  dieselben 
mit  zahlreichen,  bisher  noch  nicht  veröffentlichten  Urkunden.  Wir  werden 
nach  dem  Erscheinen  des  Werkes  eingebender  darauf  zurückkommen. 


Descartes  über  Comenius.  Comenius  war,  wie  den  Kennern  seiner 
Philosophie  bekannt  ist,  nicht  in  allen  Auffassungen  mit  Descartes  ein- 
verstanden. Insbesondere  fafste  C.  das  Verhältnis  zwischen  Philosophie 
und  Theologie  anders  auf  als  Descartes.    Um  so  interessanter  ist  folgendes 

Monatsheft«  der  Comeiuq9-4i.,se|l*:W«.    1893.  14 


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200 


Xachricbteu. 


Heft  6  u.  7. 


Urteil  des  Descartes  über  des  C.  Pansophie,  wie  es  sich  bei  Kvacsala, 
Comeniua,  Belege  um!  Erklärungen  S.  67  findet.  Ee  ist  den  für  die  Ge- 
schichte unsere«  Forschungsgebietes  reichen  Sloane-Mss.  des  Britischen 
Museums  entnommen  und  lautet: 

Judicium  de  Opere  Pansophico.  Quemadmodum  Dens  est  unus  et  creavit 
Naturam  unam  simplicem,  continuam  ubique  sibi  cohaereniem  et  respondentem, 
paucissimis  constantem  Principiis  elementisque,  ex  quibus  infinitis  propemodum 
res,  sed  in  tria  regna  Min.,  Veget.  et  Animale  certo  inter  se  ordine  gradibusque 
distincta  perduxit;  ita  et  harum  rerum  eognüionem  oportet  ad  similitudinem 
unius  Creatoris  et  Unius  Naturae  universam,  simplicem,  continuam,  non  inier- 
ruptam,  paucis  constantem  principiis  (imo  unico  Principio  principali)  unde 
caetera  omnia  ad  specialissima  usque  individuo  nexu  et  sapientissimo  ordine 
deducta  permanent,  ut  ita  nostra  de  rebus  universis  et  singulis  contemplatio 
similis  $it  Picturae  vel  speculo,  Universi  et  Singularum  ejusdem  Partium  ima- 
ginem  exactissime  repraesentanti.  De  modo  autem  speeulum  eiusmodi  con- 
friert  di,  naturae  maxime  consent  aneus  iUe  videtur  (quem  et  Comenius  hac  de  re 
libros  mundi  utriusque  Majori*  nimirum  et  Minoris  cum  libro  Scripturae  ut 
audio  potiasimum  consulentem  sibi  eligere  conjicio)  qui  Vestigia  Creatoris  in 
producendis  rebus  accuratissime  observet,  ita  ut  ex  rationis  lumine  primo 
probet ur;  necessario  concedendum  esse  rerum  conditorem  et  Deum,  deinde  Crea~ 
turae  eo  pertractentur  modo,  quo  Moses  eas  in  Genesi  sua  proereatas  luculenter 
descripsit :  quarum  gubernationem  libri  profani,  praeeipue  vero  sacri  ad  finem 
usque  saeculorum  continuandam  explicant,  denique  ad  Deum,  tam(fuam  ad 
Punctum  vel  Centrum  unde  progressus  omnia  educamus.  Sic  uti  ex  uno  per  et 
ad  unum  sunt  omnia,  üa  et  horum  Ex,  per  et  ad  unum  Contemplatio  utilissima 
juxta  atque  jueundissima  est  futura.u 


Der  soeben  zur  Versendung  gelangte  Katalog  193  des  Antiquariat«  von 
Heinrich  Kerler  in  Hin,  enthaltend  Philosophie  (Religionsphilosophic, 
Naturphilosophie  und  Ästhetik),  giebt  ein  Verzeichnis  wertvoller  älterer  und 


neuerer  Schriften,  die  das  Forschungsgebiet  unserer  Gesellschaft  berühren. 
Insbesondere  sind  die  im  Arbeitsplan  unserer  Gesellschaft  unter  B  auf« 
geführten  sog.  Naturphilosophen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  und  der  sog. 
Aufklärung  des  18.  Jahrhunderts  stark  vertreten.  Wir  verweisen  z.  B.  auf 
Nr.  156— 166 (von und  über  Baco),  Nr.283(Kob.Boy  le),  Nr. 812— 315 (Bruno), 
Nr.419(Cooruhert),  Nr.  660— 735  (J.  G.  Fichte),  Nr.895— 899  (Grotius), 
Nr.  1096—1 118 (Her hart).  Nr.  1304— 1418 (Kant),  Nr.  1588—1616 (Leibni z), 
Nr.  1657-1666  (Locke),  Nr.  2507— 2530  (Schleiermacher)  u.  s.  w. 


Pterer'sche  Hofbuchdruckerei.   Stephan  Geibel  *  Co.  in  Altenburg. 


Monatshefte 

der 

C  omenius  -  Gesellschaft. 


II.  Band.  —  1893.  —  Heft  8  u.  9. 


Johann  Georg  Hamann  als  Geistesverwandter 
des  Comenius. 

Von 

Lettau,  Königsberg  i.  Preufeen. 

Vergebens  habe  ich  bis  jetzt  darauf  gewartet,  dafs  von 
anderer  Seite  auf  eine  Lücke  in  der  Reihe  derer,  die  der  Arbeits- 
plan unserer  Gesellschaft  als  Geistesverwandte  des  Comenius 
nennt,  hingewiesen  und  somit  gewissermaßen  ein  begangenes  Un- 
recht gut  gemacht  werden  möchte.  Neuerdings  haben  mich  aber 
einerseits  der  Hinblick  auf  die  sich  stetig  mehrenden  bedroh- 
lichen Zeichen  der  Zeit,  andererseits  auch  Verpflichtungen  be- 
sonderer Dankbarkeit  wiederholt  aufs  lebhafteste  gemahnt,  mit 
der  obigen  Klage  nicht  länger  zurückzuhalten  und  auf  eine 
Persönlichkeit  aufmerksam  zu  machen,  die  in  ihrem  äufsern  und 
innern  Leben,  in  ihrem  Wollen  und  Wirken  unserm  Comenius 
näher  als  sehr  viele  andere  steht  —  auf  eine  Persönlichkeit,  die 
diesem  insbesondere  darin  verwandt  ist,  dafs  sie  ernstlichst  be- 
strebt gewesen,  „eine  über  den  Streit  der  Parteien  und 
Kirchen  erhabene  christliche  Denkweise  auf  der 
Grundlage  echter  Humanität  zur  Geltung  zu  brin- 
gen" (8.  „Arbeitsplan"). 

Dafs  hiermit  von  dem  in  der  Überschrift  dieses  Aufsatzes 
genannten  Johann  Georg  Hamann  nicht  zu  viel  gesagt  wor- 
den ist,  möge  an  dieser  Stelle  vorerst  in  kürzerer  Ausführung 
und  —  wenn  es  wünschenswert  erscheinen  sollte  —  später  ein- 
gehender, vollständiger  dargelegt  werden. 

MonaULefte  der  Comeniu.-OselUchafl.    1993.  15 


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Lettau, 


Heft  8  u.  9. 


Eine  auffallende  Ähnlichkeit  zwischen  Comenius  und 
Hamann  zeigt  sich ,  wie  oben  bereits  angedeutet ,  zunächst 
schon  in  ihrem  üufsern  Lebensgange:  Sie  wachsen  beide  in 
engen  Verhältnissen  auf,  müssen  schon  beim  ersten  Schulunter- 
richt die  Mängel  der  zu  ihrer  Zeit  meist  üblichen  Lehrweise  an 
sich  selbst  und  an  den  ihnen  Nahestehenden  schmerzlich  er- 
fahren; sie  werden  im  spätem  Leben  meist  dornenvolle  Wege 
geführt,  „mit  rauher  Hand  aus  einem  Gefäfs  ins  andere  ge- 
schüttet". 

Wir  finden  sie  bald  im  Osten,  bald  im  Westen  oder  in  der 
Mitte  unseres  Kontinents;  folgenreiche  Anregungen  erhalten  sie 
in  England,  obwohl  sie  dem  ursprünglichen  Zwecke  ihrer  Reise 
dorthin  nicht  gerecht  werden  konnten.  Die  zwei  gewaltigen 
Kriege  ihrer  Zeit  —  der  30jährige  und  der  7jährige  —  zeigen 
ihnen  eindringlichst,  dafs  „die  Sünde",  insbesondere  Intoleranz, 
Eroberung*-  und  Herrschsucht,  „der  Leute  Verderben  ist".  Als 
ihnen  sodann  nach  vielen  Jahren  voll  schwerer,  aber  doch  „köst- 
licher Mühen"  (Ps.  90,  10)  der  Osten,  dem  sie  entstammten, 
keine  ruhige  Heim-  und  Schaffensstätte  mehr  gewähren  wollte, 
folgten  sie  endlich  dem  Rufe  jugendlicher  Freunde  und  begeisterter 
Verehrer  nach  dem  Westen ,  wo  sie  die  noch  übrige  Zeit 
ihres  Lebens  in  erwünschtem  Frieden  wirken  und  die  letzte 
Ruhestätte  finden  sollten. 

Eine  bemerkenswerte  Übereinstimmung  zwischen  beiden  zeigt 
sich  auch  darin,  dafs  sie  von  den  edelsten  und  erleuchtetsten 
ihrer  Zeitgenossen  viel  gepriesen  und  bewundert,  ja  angestaunt 
wurden,  und  dafs  dessen  ungeachtet  doch  bald  nach  ihrem  Tode 
„die  Mehrheit  des  Volkes  diese  Wurzelmänner"  —  um  es  mit 
einem  trefflichen  Ausdruck  Sailers  zu  sagen  —  „vergessen, 
ja  als  Schwärmer  und  Mystiker  verspottet  und  Gras  und  Laub 
andächtig  auf  ihre  Altäre  gestellt  hat".  Nun  aber  treibt  die 
Not  der  Zeit,  insbesondere  der  Zwiespalt  unter  den  Völkern, 
der  Hader  unter  den  politischen  und  konfessionellen  Parteien, 
die  lange  Vergessenen  und  Verkannten  wieder  auf  den  Schild 
zu  erheben  als  Vorbilder  und  Führer,  denen  es  von  Gott  ge- 
geben ist,  das  die  Völker  Einigende,  Läuternde  und  dadurch 
wahrhaft  Beglückende  und  Erhöhende  zu  erfassen  und  ein- 
dringlichst zu  zeigen. 

Dafs  im  nachfolgenden  vorwiegend  von  Hamann  die  Rede 
sein  und  das  Verwandte  aus  dem  Leben  und  Schaffen  des  Co- 


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Hanjann  als  Geistesverwandter  des  Comenius. 


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menius  als  bekannt  vorausgesetzt  wird,  bedarf  wohl  kaum  der 
Entschuldigung. 

Der  erste  Unterricht,  den  Hamann  erhielt,  war,  wie  bereits 
angedeutet,  teils  ein  mangelhafter,  teils  ein  gänzlich  verfehlter. 
„Konrektor  Röhl,"  so  hören  wir  Hamann  selber  klagen  (s. 
Schriften,  von  Roth  herausgegeben,  I,  S.  155  ff.),  „in  dessen 
Schule  ich  die  Vorbereitung  für  eine  der  obern  Gymnasialklassen 
erhalten  sollte,  schmeichelte  mir  und  sich  selbst,  einen  grofsen 
Lateiner  und  Griechen  erzogen  zu  haben;  sein  Sohn  brachte 
mich  weit  in  der  Rechenkunst;  aber  es  geht  das  alles  verloren, 
wenn  das  Urteil  nicht  entwickelt  wird.  Ich  fand  mich  mit  einer 
Menge  von  Wörtern  und  Sachen  auf  einmal  überschüttet,  deren 
Verstand,  Grund,  Zusammenhang  und  rechten  Gebrauch  ich 
nicht  kannte.  Während  ich  mich  in  einigen  Dingen  weiter  be- 
fand, als  ich  es  bedurfte,  so  war  ich  dafür  in  weit  nützlichem 
und  nötigern  ganz  zurückgelassen  —  weder  Historie,  noch 
Geographie,  noch  die  geringsten  Begriffe  von  der  Schreibart 
und  Dichtkunst  — .tt  Erst  auf  der  Universität  (Königsberg)  fand 
er  ähnlich  wie  Comenius  in  seinem  Aisted  u.  a.  Lehrer, 
die  es  besser  verstanden,  ihn  allseitig  anzuregen  und  zu  fördern. 
Er  erwähnt  zunächst  mit  besonderer  Anerkennung  den  „berühm- 
ten Kuntze",  dessen  Schüler  in  allen  Teilen  der  Philosophie 
und  Mathematik  er  gewesen.  Mehr  noch  rühmt  er  einen  zweiten 
Universitätslehrer,  Professor  Rappold,  als  einen  Mann,  „der 
einen  besondern  Scharfsinn  besafs,  natürliche  Dinge  zu  beur- 
teilen mit  der  Andacht,  Einfalt  und  Bescheidenheit  eines  christ- 
lichen Weltweisen,  und  eine  ungemeine  Stärke,  den  Geist  der 
römischen  Schriftsteller  in  ihrer  Sprache  nachzuahmen".  „In 
einem  kleinen  Bezirk  der  Welt  nützlich,  war  er  zu  einem  gröfsern 
geschickt,  ihr  unbekannt  und  verborgen,  der  aber  sich,  die 
Natur  und  den  Schöpfer  desto  besser  kannte,  sich  selbst  ver- 
leugnete, der  Natur  bescheiden  und  unermüdlich  nachging  und 
den  Schöpfer  in  kindlicher  Einfalt  verehrte."  —  Wer  erkennt 
nicht  in  Rappold  eine  Persönlichkeit,  die  in  mehr  als  einer 
Hinsicht  Val.  Andreae  und  dessen  Einflufs  auf  Comenius 
in  Parallele  zu  stellen  wäre? 

Die  bei  seiner  Vorbildung  erfahrenen  lebhaften  Eindrücke, 
die  allerdings  einerseits  trübe  und  hemmende,  andererseits  aber 
erfreuliche  und  fördersamc  waren,  haben  wesentlich  dazu  bei- 
getragen, dafs  Hamann,  ebenso  wie  Comenius,  besondern 


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Lettau, 


Heft  8  u.  9. 


Fleifs  und  Eifer  auf  die  Lösung  „des  gröfsten  und  wichtigsten 
Problems  der  Menschheit,  der  Erziehung  des  heranwachsenden 
Geschlechts"  (Kant),  verwendet  hat. 

Mit  grofser  Freudigkeit  beginnt  Hamann  schon  frühe, 
in  seinem  22.  Lebensjahre,  seine  Lehrwirksamkeit,  und  zwar 
als  Erzieher  der  beiden  Kinder  einer  verwitweten  Baronin  v.  B. 
in  Kurland.  Er  bezeichnet  den  Anfang,  den  er  hier  in  der  Er- 
zieherpraxis gemacht,  als  einen  schweren,  „da  er  sich  selbst, 
seine  Unmündigen  und  eine  unschlachtige,  rohe  und  unwissende 
Mutter  zu  ziehen  gehabt".  Wie  gewissenhaft  er  es  aber  dort 
in  seinem  Berufe  nahm,  ersieht  man  aus  einem  Briefe,  den  er 
mit  rückhaltloser  Wahrheitsliebe  bescheiden  mahnend  an  die 
Baronin  geschrieben  hat.  „Ich  nehme  mir  die  Freiheit,"  heifst 
es  darin  unter  anderm,  „Euer  Gnaden  um  einige  Hülfe  in  der 
Arbeit  anzusprechen.  Gewissenhafte  Eltern  erinnern  sich  ja  der 
Rechenschaft,  die  sie  von  der  Erziehung  ihrer  Kinder  Gott  und 
der  Welt  einmal  ablegen  müssen.  Dieselben  in  Puppen,  Affen, 
Papageien  oder  sonst  etwas  Derartiges  zu  verwandeln,  haben 
wir  kein  Recht.  Sie  werden  dem  Hofmeister  ihrer  Kinder  nicht 
zuviel  thun,  wenn  sie  ihn  als  einen  Menschen  beurteilen,  der 
seine  Pflicht  mehr  liebt,  als  zu  gefallen  sucht  etc."  Nachdem 
die  eitle  Mutter,  durch  dieses  Schreiben  verletzt,  Hamann 
verabschiedet  hatte,  wurde  derselbe  Hofmeister  der  beiden  Söhne 
des  Generals  v.  Witten  auf  Grünhof  (Kurland).  Herr  von 
Witten  erkannte  gar  bald  die  Tüchtigkeit  Hamanns.  „Die 
Fortschritte  meiner  Zöglinge,"  so  schreibt  Hamann  erfreut  an 
seine  Eltern ,  „machen  den  Vater  glücklich  und  gegen  mich  er- 
kenntlich; er  redet  bisweilen  mit  nassen  Augen  von  uns  gegen 
andere,  und  giebt  mir  auf  alle  Weise  zu  verstehen,  wieviel  er 
von  mir  hält." 

Im  übrigen  urteilt  er  aber  sehr  bescheiden  von  seiner  Er- 
zieherthfttigkeit:  „Gott  gab  mir  viel  Geduld,  Klugheit  und  Glück 
(bemerkt  er  in  seinem  „Lebenslauf"),  das  wohl  hauptsächlich  eine 
Wirkung  des  Gebetes  meiner  frommen  Eltern  und  eine  Nach- 
sicht göttlicher  Gnade  und  Langmut  gewesen  ist."  Die  prak- 
tischen Lehrversuche  liefsen  ihn  die  Wichtigkeit  des  Erzieher- 
berufes immer  inniger  erfassen  und  mehrten  seine  Einsicht  in 
denselben.  Darum  hat  er  (ebenso  wie  Oomenius)  im  spiltern 
mühe-  und  unruhvollen  Leben  jede  Gelegenheit  freudig  wahr- 
genommen, um  sowohl  Kinder  und  Jünglinge  selber  zu  unter- 
richten, ab  auch  andern,  namentlich  seinem  Bruder  und  seinen 


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1893. 


Hamann  als  Geistesverwandter  des  Comenius. 


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Freunden,  Rektor  Lindner  und  Herder,  didaktische  Wei- 
sungen zu  erteilen. 

„Sie  wissen,"  schreibt  er  an  Lindner  in  den  „5  Hirten- 
briefen über  das  Schuldrama'-  (s.  Schriften  Bd.  H,  S.  421), 
„wie  gern  ich  von  solchen  Dingen  plaudere,  die  Kinder  und 
den  gemeinen  Mann  angehen;  denn  der  wahre  Menschenfreund 
buhlt  um  die  Stimme  des  Volks,  und  das  Lob  der  Unmündigen 
ist  die  Stärke  seines  Nachruhms."  —  Wiederholt  bezeugt  er 
nachdrücklichst,  dafs  ihm  der  Erzieher-(Lehrer-)Beruf  als  der 
höchste  gilt.  „Der  Wert  einer  Menschenseele, "  heifst  es  in  den 
„Briefen  über  das  Schuldrama  a  (Schriften  II,  S.  413  ff.), 
„kann  nicht  durch  den  Gewinn  dieser  ganzen  Welt  ersetzt 
werden.  Wie  wenig  kennt  diesen  Wert  der  Andriantoglyph  des 
Emil  (Rousseau),  blinder  als  jener  Knabe  des  Propheten  (2.  Kön.  6). 
Jede  Schule  ist  ein  Berg  Gottes,  wie  Dothan,  voll  feuriger  Rosse 
und  Wagen  um  Elisa  her.  Lafst  uns  also  die  Augen  aufthun 
und  zusehen,  dafs  wir  nicht  jemand  von  diesen  Kleinen  verachten, 
denn  solcher  ist  das  Himmelreich,  und  ihre  Engel  sehen  allezeit 
das  Angesicht  des  Vaters  im  Himmel." 

In  ähnlichem  Sinne  schreibt  er  an  Kant,  der  ihn  aufge- 
fordert hatte,  eine  „Kinderphysik"  mit  ihm  zu  bearbeiten  (s. 
Schriften  II,  S.  443  ff.):  „Wenn  Sie  ein  Lehrer  der  Kinder  sein 
wollen,  so  müssen  Sie  ein  väterlich  Herz  gegen  dieselben  haben, 
und  dann  werden  Sie,  ohne  rot  zu  werden,  sich  auf  das  hölzerne 
Pferd  der  mosaischen  Märe  zu  setzen  wissen  (Schöpfungsge- 
schichte nach  1.  Mos.) ;  was  Ihnen  als  hölzernes  Pferd  vorkommt, 
ist  vielleicht  ein  geflügeltes.  —  Die  blinden  Heiden  haben  vor 
den  Kindern  Ehrerbietung,  und  ein  getaufter  Philosoph  wird 
glauben,  dafs  mehr  dazu  gehört,  als  ein  Fontenellischer  Witz 
und  eine  buhlerische  Schreibart.  Was  schöne  Geister  fesselt 
und  schönen  Marmor  begeistert,  dadurch  würde  man  die  Ma- 
jestät ihrer  Unschuld  beleidigen.  Ein  philosophisches  Buch 
für  Kinder  würde  daher  so  einfältig,  thöricht  und  abgeschmackt 
aussehen,  wie  ein  göttliches  Buch,  für  Menschen  geschrieben. 
—  Das  gröfste  Gesetz  der  Methode  für  Kinder  besteht  eben 
darin,  sich  zu  ihrer  Schwäche  herunterzulassen,  ihr  Diener  zu 
werden,  wenn  man  ihr  Meister  sein  will,  ihnen  zu  folgen,  wenn 
man  sie  regieren  will,  ihre  Seele  und  Sprache  zu  erlernen,  wenn 
man  sie  bewegen  will,  die  unsrige  nachzuahmen.  —  Nun  prüfen 
Sie  sich,  ob  Sie  soviel  Herz  haben,  der  Verfasser  einer  einfäl- 
tigen, thörichten  und  abgeschmackten  Naturlehre  zu  sein.  Haben 


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Lettau, 


Heft  8  u.  9. 


Sie  solch  ein  Herz,  so  sind  Sie  auch  ein  Philosoph  flir  die 
Kinder.  Sie  sind  in  Wahrheit  ein  Meister  in  Israel,  wenn  Sie 
es  für  eine  Kleinigkeit  halten,  sich  in  ein  Kind  zu  verwandeln 
trotz  ihrer  Gelehrtheit."  —  „Es  ist  nichts  daran  gelegen,"  fügt  er 
im  weitern  noch  hinzu,  „was,  noch  wieviel  Kinder  und  wir 
altern  Menschen  überhaupt  wissen,  sondern  alles  wie!  Wir 
säen  nicht  ganze  Gewächse,  auch  nicht  ganze  Früchte,  sondern 
nichts  mehr  als  das  Kleinste  davon,  den  Samen,  und  dieser 
selbst  ist  zu  überflüssig,  so  dafs  er  verfaulen  mufs,  ehe  er  auf- 
gehen kann.  Er  geht  aber  nicht  auf,  wenn  der  Boden  nicht 
zubereitet  und  die  Jahreszeit  in  acht  genommen 
wird.  Von  diesen  Bedingungen  hängt  also  das  Ge- 
deihen des  Samens  mehr  ab,  als  von  dessen  Natur 
selber.  Die  Mittel,  Kinder  zu  unterrichten,  können 
daher  nicht  einfach  genug  sein.  So  einfach  sie  sind, 
ist  noch  immer  viel  Überflüssiges,  Verlornes  und  Vergängliches 
an  denselben.  Sie  müssen  aber  reich  an  Wirkungen 
sein,  eine  Mannigfaltigkeit  und  Fruchtbarkeit  zur  Anwendung 
und  Ausübung  in  sich  schliefsen." 

Ähnlich  auch  noch  an  Lindner  („Hirtenbriefe  über  das 
Schuldrama"):  „Der  Unterricht  in  Schulen  scheint  recht  dazu 
ausgesonnen  zu  sein,  um  das  Lernen  zu  verekeln  und  zu  ver- 
eiteln. Alle  unsere  Erkenntnisse  hängen  von  der 
sinnlichen  Aufmerksamkeit  ab;  diese  wiederum  beruht 
auf  der  Lust  des  Gemüts  an  den  Gegenständen  selbst  Ein 
Knabe,  der  alacritatem  ingenii  äulsert  bei  einem  Zeitvertreib 
(Schuldraraa!),  gewinnt  immer  mehr  als  ein  anderer,  dem  über 
dem  Cornelius  Nepos  Hören  und  Sehen  vergeht,  der  sich  stumpf 
memoriert  und  schläfrig  exponiert." 

Mit  besonders  innigen,  eindringlichen  Worten  weist  Hamann 
immer  und  immer  wieder  auf  das  Urbild  und  das  höchste  Ziel 
aller  Erziehung  hin.  So  schon  in  seinem  „Lebenslauf" 
(Schriften  1,  p.  87  ff.):  „Wen  der  Sohn  Gottes  frei  macht,  der 
ist  recht  frei,  und  wenn  die  Seele  erst  in  i  h  m  ihren  Mittelpunkt 
findet,  so  bleibt  sie  ihm,  wie  die  Erde  der  Sonne,  getreu,  und 
alle  übrigen  Neigungen  richten  sieh  wie  Monde  nach  diesem  ur- 
sprünglichen und  eigentumlichen  Eindruck  des  Schwunges  und 
ihres  Laufes.  Jesus  Christus  ist  das  Haupt  unserer  Natur  und 
aller  unserer  Kräfte  und  die  Quelle  aller  der  Bewegung,  die  so 
wenig  in  einem  Christen  still  stehen  kann,  als  der  Puls  im 
lebendigen  Menschen;  und  wenn  wir  alles  vergessen,  so  vertritt 


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1893. 


Hamann  als  Geistesverwandter  des  Comenius. 


207 


er,  der  Gekreuzigte,  alle  Weisheit  und  alle  Kraft,  alle  Vernunft 
und  alle  Sinne."  —  „Diesem  Könige  (s.  Schriften  VII,  S.  121), 
dessen  Name,  wie  sein  Ruhm,  grofs  und  unbekannt  ist,  ergofs 
sieh  der  kleine  Bach  meiner  Autorschaft,  verachtet,  wie  das 
Wasser  zu  Siloah,  das  stille  geht.  Kunstrichterlicher  Ernst 
verfolgte  den  dürren  Halm  und  jedes  Blatt  meiner  Muse,  weil 
der  dürre  Halm  mit  den  Kindlein,  die  am  Markte  sitzen,  spielend 
pfiff  (Matth.  11,  16.  17),  und  das  fliegende  Blatt  taumelte  und 
schwindelte  vom  Ideal  eines  Königs,  der  mit  der  gröfsten  Sanft- 
mut und  Demut  von  sich  rühmen  konnte:  hier  ist  mehr  denn 
Salomo."  — 

Diese  Citate  dürften  genügen,  um  erkennen  zu  lassen,  wie 
Hamann  in  seinen  Grundanschauungen  Uber  Erziehung  und 
Unterricht  mit  Comenius  übereinstimmt  Daß*  er  auch  mit 
den  Schriften  dieses  seines  Vorläufers  wohl  vertraut  gewesen 
ist,  ersieht  man  aus  mehreren  Bemerkungen  in  seinen  Briefen 
und  Aufsätzen.  So  schreibt  er  seinem  Freunde  Lindner  auf 
dessen  Bitte  um  Zusendung  anregender  Schriften  (Schriften  I, 
S.  504):  „Ihrem  Wunsche  bin  ich  nachgekommen,  und  schicke 
unter  anderm  zwei  Programme  von  M.  Huhn  Uber  „Subtilität 
und  Schulsachen".  Einige  Citate  aus  Comenius,  die  er  an- 
führt, sind  besonders  merkwürdig."  —  Er  freut  sich  (s.  Schrif- 
ten III,  S.  209),  dafs  er  auf  einer  Bucherauktion  die  Werke 
des  Comenius  erstanden  und  somit  „einen  wertvollen  Zu- 
wachs zu  seiner  Bibliothek  erworben  habe".  In  seiner  „Aes- 
thetika  in  nuce"  (Schriften  II,  S.  270  ff.)  bemerkter,  indem 
er  den  einfaltigen  Kinderglauben  preist,  unter  anderm:  „Sie 
werden  es  wohl  ohne  Beweis  glauben,  dals  des  berühmten  Schul- 
meisters und  Philologen  A.  Comenius  „Orbis  pietus"  und  des 
Muzelii  „Exercitia"  für  Kinder,  die  sich  noch  im  blofsen  Buch- 
stabieren üben,  viel  zu  gelehrte  Bücher  sind".  „Wenn  Sie  jetzt 
merken  (Schriften  II,  S.  435,  „Briefe  über  das  Schuldrama"  ),  war- 
um eine  Absonderung  von  den  besten  Anmerkungen  über  das 
Schuldrama  unumgänglich  ist,  damit  der  Ruhm  iv  (YKIoxqU^ 
jtavow  eig  xtt  hoipct  (U.  Cor.  10,  16)  aufhöre,  so  -  bleibt  uns 
noch  übrig,  das  zu  erfüllen,  was  A.  Comenius  „convertere 
ludicra  in  seria"  nennt,  weil  wir  Schulhandlungen  als  ein 
aufserordentlich  bequemes  und  vorteilhaftes  Werkzeug  voraus- 
gesetzt haben,  um  die  dramatische  Poesie  in  ihre  Kindheit 
zurückzuführen,  sie  zu  verjüngen  und  zu  erneuern." 

Dieselben  Gaben  und  Vorzüge,  die  einen  Comenius  be- 


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Lettau, 


Heft  8  u.  9. 


fähigten,  ein  Lehrer  und  Prophet  nickt  nur  seinen  Zeitgenossen, 
sondern  auch  den  nachfolgenden  Geschlechtern  zu  werden,  finden 
wir  auch  in  hohem  Mafse  bei  Hamann.  Einerseits  war  es 
auch  bei  ihm  die  universelle  Richtung  seines  Geistes,  verbunden 
mit  einem  unermüdlichen  Lerneifer  (daher  die  Fülle  und  Ge- 
diegenheit seines  Wissens!),  andererseits  der  derautvolle,  beschei- 
dene Kindersinn  und  die  herzliche  Liebe,  die  ihren  Ursprung 
in  der  ewigen  Gottcsliebe  hat,  und  die  in  Bezug  auf  den  Nächsten 
alles  hofft,  glaubt  und  duldet,  sich  nie  erbittern  läfst  und  nimmer 
aufhört  (I.  Cor.  13). 

„Hamann,"  so  rühmt  J.  Paul,  „war  ein  Heros  und  ein 
Kind  zugleich."  Ahnlich  Goethe:  „Hamann  war  der  hellste 
Kopf  seiner  Zeit;  er  wufste  wohl,  was  er  wollte"  (so  in  einem 
Gespräch  mit  dem  Kanzler  Müller,  Dezember  1824);  desgl. 
an  Moser:  „Ich  besitze  noch  zwei  Schreiben  Hamanns,  die 
von  der  wunderbaren  Grofsheit  und  Innigkeit  ihres  Verfassers 
Zeugnis  ablegen."  —  Fr.  Jacoby,  der  Hamann  besonders  nahe 
stand,  bezeugt  von  ihm:  „Die  ganze  Art  und  Manier  seines 
Geistes  hat  eine  auffallende  Verwandtschaft  mit  Lessings  Wesen 
und  Eigentümlichkeit.  Diese  Ähnlichkeit  kommt  daher,  dafs 
Witz  und  Tiefsinn,  Scharfsinn  und  Gelehrsamkeit  in  den  Schriften 
beider  innigst  vereint  und  gemischt  sind.  Der  Geist  und  die 
gerade  Kraft,  mit  der  Lessing  nach  der  Wahrheit  strebt,  sind 
bewundernswert,  indessen  ist  er  weit  vom  Ziele  geblieben. 
Darin  steht  Hamann  über  ihm,  wie  er  denn  überhaupt  ihn  an 
metaphysischem  Tiefsinn  übertrifft.  Selbst  Kant  darf  ihm  hierin 
nicht  gleichgestellt  werden.  Überhaupt  zeigt  sich  der  wahre 
und  volle  Charakter  des  Philosophen  deutlicher  an  solchen,  die 
zunächst  nur  die  Wahrheit  selbst  und  ihre  eigene  Befriedigung 
im  Auge  haben,  daher  auch  sich  mehr  rhapsodisch  mitteilen, 
als  eigentliche  Systeme  aufzustellen  pflegen."  Auch  Lessing 
bewundert  an  Hamann  die  Vielseitigkeit  seines  Wissens:  „Seine 
Schriften,"  bemerkt  er  in  einem  Briefe  an  Herder,  „scheinen 
als  Prüfungen  der  Herren  aufgesetzt  zu  sein ,  die  sich  für  Poly- 
histors ausgeben;  denn  es  gehört  ein  wenig  Panhistorie  dazu." 
—  Herder  erkennt  in  mehreren  seiner  Briefe  die  geistige 
Überlegenheit  Hamanns  an;  und  selbst  ein  Hegel,  der  sonst 
abfällig  Uber  Ilamann  urteilt,  bezeugt,  dafs  dieser  seinem 
Freunde  Herder  an  Scharfsinn  und  Tiefe  bedeutend  überlegen 
gewesen  sei.     Er  bemerkt  z.  B.  bei  Erwähnung  der  gegen 


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1893. 


Hamann  ab  Geistesverwandter  des  Comenius. 


209 


Kant  gerichteten  Abhandlung  Hamanns  „Metakritik  Uber 
den  Purismus  der  reinen  Vernunft":  „  Man %hat  diesen 
Aufsatz  ans  Licht  gezogen,  um  darin  die  Quelle  aufzuweisen, 
aus  welcher  Herder  seine  mit  grofsem  Dünkel  aufgetretene 
und  mit  gerechter  Herabwürdigung  aufgenommene,  nun  längst 
vergessene  „Metakritik"  geschöpft  hat.u  —  Niebuhr  schliefst 
seine  Charakteristik  Hamanns  mit  dem  Zeugnis:  „Hamann 
ist  einer  der  tiefsten  und  gewaltigsten  Geister  gewesen,  die 
Deutschland  hervorgebracht  hat;  die  originale  Richtung  seines 
Geistes  war  die  eines  Starken,  der  aus  einem  untergegangenen 
Geschlechte  in  ein  ganz  verändertes  Weltall  hineinlebte. u 

Wahrhaft  erstaunlich  ist  die  Allseitigkeit  des  Wissens,  die 
Fülle  der  Gelehrsamkeit  Hamanns.  In  den  sechs  Jahren  des 
„Stilllebens  im  Vaterhause"  (von  1759—65)  machte  er  mit  be- 
wundernswerter Beharrlichkeit  die  umfassendsten  Studien.  In 
jener  Zeit  hat  er  sämtliche  bedeutende  griechische  und  römische 
Dichter,  Philosophen  und  Historiker  aufs  genaueste  studiert. 
Ein  vorzügliches  Gedächtnis  kam  ihm  dabei  zu  statten,  so  dafs 
er  mit  den  aus  den  Alten  entnommenen  Bildungselementen  wie 
mit  einem  ihm  vollständig  eigen  gewordenen  Momente  schaltete. 
Um  den  Geist  der  heiligen  Schrift  noch  besser  zu  erfassen,  stu- 
dierte er  orientalische  Sprachen,  besonders  Hebräisch  und  Ara- 
bisch. Dazu  kam,  dafs  er  nicht  nur  in  der  modernen  Litteratur, 
namentlich  in  der  englischen ,  französischen  und  italienischen, 
ungemein  bewandert  war  —  die  genannten  Sprachen  waren  ihm 
vollständig  geläufig  — ,  sondern  auch  mit  dem  ihm  eigenen  Eifer 
sich  in  die  Systeme  der  neuern  Philosophen,  namentlich  Car- 
tesius,  Wolf,  Leibniz  und  Hume,  vertiefte.  Häutige 
Citate  in  seinen  Schriften  liefern  den  Beweis,  wie  genau  er  mit 
den  sämtlichen  hervorragenden  Schriftstellern  älterer  und  neuerer 
Zeit  vertraut  war. 

Grofs  war  bei  Hamann,  wie  bei  Comenius,  „der  Herois- 
mus im  Dulden".  Auch  in  den  drückendsten  Verhältnissen 
verlor  er  nie  das  kindliche,  fröhliche  Gottvertrauen  und  „wufste 
sich",  wie  Goethe  es  bewundernd  anerkennt,  rdie  Hoheit  des 
Geistes  und  der  Gesinnung  stets  zu  erhalten".  „Wenn  Sie  alles 
haben,  was  mir  fehlt,"  so  schreibt  Hamann  an  seinen  Freund 
Lindner  im  Jahre  1761,  „so  tausche  ich  meinen  Mangel  nicht 
mit  Ihrem  Cberflufs.  —  Dafs  mich  Gott  in  ein  Feld  getrieben 
hat,  das  Dornen  und  Disteln  trägt,  erkenne  ich  mit  Freude  und 


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210 


Lettau, 


Heft  8  u.  9. 


Dank."  —  „Was  sind  samtliche  Leiden  des  jungen  Werther," 
so  schreibt  er  in  seinen  „Hierophantischen  Briefen", 
„gegen  den  Druck,  unter  dem  ich  schon  sieben  Jahre  in  meinem 
Vaterlande  wie  ein  Palmbaum  getrieben  habe." 

Der  kindlich  grofse  Sinn  Hamanns,  seine  mafs volle  Be- 
scheidenheit, die  Lauterkeit  und  natürliche  Offenheit,  die  herz- 
liche, aufrichtige  Freude  an  allem  Guten,  wo  er  es  auch  fand, 
bewirkten,  ebenso  wie  bei  Gomenius,  dafs  er  alle,  die  ihm 
nahe  kamen,  gar  bald  gewann  und  fesselte,  dafs  er  in  fröhlich- 
ster Unbefangenheit  mit  den  heterogensten  Naturen  verkehren 
konnte.  Entschiedene  Lutheraner  und  Katholiken  gehören  zu 
seinen  Hausfreunden.  Ein  katholischer  Gutsherr  befreit  ihn  von 
Nahrungssorgen  und  nimmt  ihn  in  sein  Haus  auf;  eine  katho- 
lische Fürstin  (Gallitzin)  pflegt  ihn,  den  Sterbenskranken,  müt- 
terlich und  weint  heifse  Thrnnen  über  dem  Toten ;  ein  berühmter 
Theolog  und  Philosoph  katholischer  Konfession  (Hemsterhuis) 
setzt  ihm  die  Grabschrift  nach  dem  Vulgatatexte :  „Viro  chris- 
tiano  —  den  Juden  ein  Ärgernis  und  den  Griechen  eine  Thor- 
heittt  (I.  Cor.  1,  23),  und  ein  protestantischer  König  (Friedrich 
Wilhelm  IV.)  kommt,  von  Liebe  und  Ehrfurcht  getrieben,  zu 
seinem  einsamen  Grabe,  lafst  die  Gebeine  herausheben,  sie 
feierlich  in  geweihter  Erde  bestatten  und  ihm  ein  neues  schönes 
Denkmal  setzen. 

Mit  Comenius  hatte  Hamann  das  ernste  Streben  gemein, 
„sich  zu  der  Einfachheit  der  Anschauungen,  in  der  die  Gegen- 
sätze zusammenfallen,  zu  erheben"  (coincidentia  oppositorum !). 
„Moses  und  Johannes,"  so  schreibt  er  an  Jacobi  —  „Christen- 
tum und  Judentum,  die  Lebendigen  und  die  Toten  zu  vereinigen, 
—  die  durch  den  Turmbau  sich  verwildern  in  gesellschaftlicher 
Zerstreuung,  durch  die  Taubeneinfalt  des  Geistes  gleichgesinnt, 
und  aus  gemeinschaftlichen  Sündern  übereinstimmende  Brüder 
des  Sinnes  zu  machen,  —  das  ist  die  Aufgabe!" 

Am  vollkommensten  findet  er,  ebenso  wie  Comenius, 
diese  Coincidentia  oppositomm  in  der  Gottesidee:  „Die  Einheit 
des  Welten  Urhebers  (  s.  Schriften  II,  S.  276)  spiegelt  sich  bis 
in  dem  Dialekte  seiner  Werke;  in  allen  ein  Ton  von  uner- 
mefslicher  Höhe  und  Tiefe.  Ein  Beweis  der  herrlichsten 
Majestät  und  leersten  EntÄufserung !  Ein  Wunder  von  solcher 
unendlichen  Ruhe,  die  Gott  dem  Nichts  gleich  macht,  dafs  man 
sein  Dasein  aus  Gewissen  leugnen  oder  ein  Vieh  (Ps.  73, 


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1  893. 


Hamann  als  Geistesverwandter  des  Comcnius. 


211 


21.  22)  sein  mufs;  aber  zugleich  von  solcher  unendlichen  Kraft, 
die  alles  in  allem  erfüllt,  dafs  man  sich  vor  seiner  innig- 
sten Zuthätigkeit  nicht  retten  kann!4*  Und  ähnlich:  „Es 
werde!  —  Erstes  und  letztes  Wort  des  drcioinigen  Schöpfers! 
Es  ward  Licht!  Es  ward  Fleisch!  Es  werde  Feuer! 
Siehe  ein  neuer  Himmel  und  eine  neue  Erde  —  ohne  Meer  und 
eine  neue  Kreatur!    Das  Alte  ist  vergangen;  siehe!  es  ist  alles 

neu  geworden.    Siehe,  ich  mache  alles  neu!  Herr,  wo 

da?  —  Wo  ein  Aas  ist,  da  ist  Er!tt 

Nicht  ganz  ohne  Grund  wird  geklagt,  dafs  der  Stil  Ha- 
manns dunkel  ist,  „dafs  er  sich  nicht  selten  in  Rätsel  verhüllt". 
Indessen  darf  nicht  übersehen  werden,  dafs  diese  von  vielen, 
namentlich  von  Gcrvinus,  gerügte  Dunkelheit  Hamanns 
öfter  eine  beabsichtigte  ist.  »Ein  Schriftsteller,"  erklärt 
Hamann  einmal,  „der  eilt,  heute  und  morgen  verstanden  zu 
werden,  läuft  Gefahr,  übermorgen  vergessen  zu  sein.  Quod  cito 
fit,  cito  perit!  Meine  Welt  möchte  die  Nachwelt  sein ,  deren 
Kräfte  die  Kinder  dieses  Säkuli  nicht  zu  schmecken  imstande 
sind.  —  Man  überwindet  leicht  das  Herzeleid,  von  seinen  Zeit- 
genossen nicht  verstanden  und  dafür  m  i  f  s  h  a  n  d  e  1 1  zu  werden, 
durch  den  Geschmack  an  den  Kräften  einer  bessern  Nachwelt." 
Zum  Teil  scherzend  sagt  er  ein  andermal:  „Ich  meide  das  Licht, 
vielleicht  mehr  aus  Feigheit  als  Niederträchtigkeit.  1)  Aus 
Furcht  vor  meinen  Lesern,  da  ich  feierlich  dem  grofsen  Haufen 
resigniert  habe  (odi  vulgus  profanum  et  arceo!).  2)  Aus  Furcht 
vor  solchen  Kunstrichtern,  die  nicht  so  viel  Spleen  und  Lange- 
weile zu  verlieren  haben,  wie  ich  —  Zeilen  zu  pflanzen,  deren 
Wachstum  von  Samen,  Boden  und  Wetter  abhängt."  —  „Wäh- 
rend andere"  —  so  Dr.  Winer  Uber  Hamanns  Stil  —  „entweder 
nur  ein  Wort  gaben,  weil  nichts  zeugend  in  ihre  Seele  fällt, 
oder  leere  Worte,  angelernt  und  angeflogen  wie  Spreu  aus  den 
Lüften,  ist  bei  ihm,  was  er  lebte  und  erlebte,  im  Wort  zu  hellen 
Blüten  emporgedrungen  oder  in  herben,  bittern  Tropfen  er- 
quollcn".  —  „Welche  Schriften  müssen  am  meisten  auf  die 
Wahl  und  den  Reichtum  der  Sprache  bedacht  sein?"  so  fragt 
Hamann  einmal;  er  antwortet:  „Die  leersten,  die  abgeschmack- 
testen, die  sUndlichsten !  Daher  gehört  es  mit  zu  der  Güte  eines 
vorzüglichen  Werkes,  alles  Unnütze  so  viel  als  möglich  auszu- 
scheiden, die  Gedanken  in  den  wenigsten  Worten  und  die 
stärksten  in  den  einfältigsten  zu  sagen.    Daher  ist  die  Kürze 


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212 


Lcttau, 


Heft  8  u.  9. 


der  Charakter  eines  Genius  selbst  unter  menschlichen  Hervor- 
bringungen, und  alle  Menge,  aller  Überflufs  eine  gelehrte  Sünde. 
Ist  die  Sunde  nicht  selbst  die  Mutter  der  verschiedenartigen 
Sprachen  gewesen,  wie  die  Kleidung  eine  Wirkung  unserer 
Blöfee?" 

Hamann  ist,  wie  Comenius,  gewisserniafsen  in  sich  selber 
eine  coincidentia  oppositorum,  eine  geweihte  Persönlichkeit,  die 
da,  wo  andere  nur  Dunkel  und  Irrtum,  Verhüllung  und  Sterb- 
lichkeit sahen,  allezeit  das  durchscheinende  göttliche  Licht  und 
Leben  mit  prophetischem  Tipfblick  erkannte  und  in  Kindes- 
einfalt erfafste,  somit  von  Tage  zu  Tage  mehr  in  die  „herrliche 
Freiheit  der  Kinder  Gottes  hineinreifte  und  dem  Ziele  näher 
kam,  da  das  Verworrene,  Friedlose,  Wandelbare  vergangen  und 
Himmel  und  Erde,  Menschliches  und  Göttliches  innig  eins  sein 
werden".  „Omnia  divina,  humana  omnia"  —  einer  seiner  Lieb- 
lingssprüche!  Darum  gehört  er  zu  den  Erwählten,  die  Gott 
gesandt,  „den  Geist  der  Nationen  mitdenUrgedanken 
des  Christentums  zu  durchdringen"  und  den  Frieden 
unter  den  Völkern  auszubreiten. 

Von  Tage  zu  Tage  mehren  sich  nun  die  Zeichen,  dafs  das 
Verlangen  nach  einem  Völkerfrieden  immer  mächtiger  wird,  so- 
wie der  Eifer,  alle  Hemmnisse  seines  Kommens,  seien  sie  äufser- 
licher  oder  innerlicher  Art,  aus  dem  Wege  zu  räumen:  Die 
völkertrennenden  Schranken  werden  mehr  und  mehr  beseitigt, 
Landengen  von  grofsen  Kanälen  durchschnitten,  gewaltige  Ge- 
birge zu  Tunnelanlagcn  durchbohrt  und  die  ganze  Erde  von 
Eisenbahn-,  Dampfer-,  Telegraphen-  und  Kabellinien  umzogen. 
Geht  man  doch  allen  Ernstes  daran,  bei  Gelegenheit  der  neuesten 
grofsen  Weltausstellung  in  einem  „ersten  Religions- 
paria mentu  die  Basis  „einer  vollkommenen  Religion  aus  den 
Elementen  der  sämtlichen  historischen  Religionen  festzustellen 
und  somit  den  Schwerpunkt  für  die  künftige  Einigung 
aller    Religionen    der    Menschheit    zu  gewinnen". 

Freilich  wohl  trachtet  die  grofse  Menge  nach  einem  Frieden, 
nach  einer  Völkerverbrüderung,  die  wesentlich  auf  materialisti- 
scher Grundlage  ruht,  die  alle  von  Gott  gegebenen  Völker- 
eigenheiten verwischen,  vernichten  und  ein  irdisches  Para- 
dies herstellen  soll.  Das  ist  allerdings  das  Reich  „des 
falschen  Friedens"  (I.  Thess.  5,  3),  von  dem  der  Seher 
des  neuen  Bundes  zeugt  (s.  Off.  Joh.  11,  7  ff.  und  entsprechend 


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1893. 


Hamann  ab  Geistesverwandter  des  Conienius. 


213 


II.  Thess.  2),  dafs  es  nicht  lange  Bestand  haben  kann  und  soll, 
weil  es  sieh  von  dem  Urgründe  alles  Lebens,  der  ewigen 
Liebe  des  lebendigen  Gottes  und  seiner  Gerechtigkeit 
und  Wahrheit  losgerissen  hat. 

Um  so  mehr  gilt  es  nun,  nachdrücklichst  auf  die  Gott- 
erwählten hinzuweisen,  die  Herolde  und  Säulen  des  wahrhaftigen, 
göttlichen  und  darum  ewigen  Friedensreiches  sind;  ja  fürwahr, 
ihr  Zeugnis  hervorzuziehen,  neu  zu  verkündigen  und  auszu- 
breiten, das  gilt  es,  das  ist  heilige  Pflicht!  Dafs  auch  Ha- 
mann zu  diesen  Gottgesandten  gehört,  das  möge  schließlich 
noch  durch  die  Zeugnisse  zweier  besonders  gewichtiger  und  zu- 
ständiger Gewährsmänner  bestätigt  werden. 

Der  berühmte  Kirchenhistoriker  Neander  bezeugt:  „Wir 
wollen  uns  der  Hoffnung  hingeben,  dafs  unser  Deutschland,  wie 
zur  Zeit  der  Reformation,  die  Geburtsstätte  der  neuen,  herrlichen, 
christlichen  Epoche,  von  welcher  aus  sich  dieselbe  in  alle  Länder 
verbreiten  soll,  werden  wird.  Männer,  wie  Hamann,  sollen 
uns  Propheten  einer  Zukunft,  die  nicht  ausbleiben 
wird,  sein.  Die  Stürme  des  Winters,  während  der  Same  im 
Schofse  der  Erde  geborgen  wird,  müssen  dem  schöpferischen 
Frühlinge  Bahn  bereiten.  Wo  Himmelskräfte  herabkoramen 
sollen,  da  regen  sich  Mächte  der  Hölle." 

Dem  entsprechend  Goethe  (s.  Goethes  Schriften  Band 
XXVIII,  S.  28):  „Es  ist  gar  schön,  wenn  ein  Volk  solch 
einen  Altervater  besitzt,  wie  das  italienische  in  seinem  J.  B.  Vico. 
Bei  einem  flüchtigen  Überblick  seiner  Schriften,  die  mir  als  ein 
Heiligtum  mitgeteilt  wurden,  wollte  es  mir  scheinen,  hier  seien 
sibyllinische  Vorahnungen  des  Guten  und  Rechten,  das  einst 
kommen  soll  oder  sollte,  gegründet  auf  ernste  Betrachtungen 
des  Überlieferten  und  des  Lebens.  Den  Deutschen  wird 
einst  Hamann  ein  ähnlicher  Codex  werden." 


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Christian  Carl  Josias  Freiherr  von  Bunsen. 

Von 

B.  Baehring,  Pfarrer  in  Minfeld  (Pfalz). 


Einer  der  edelsten  Genüsse,  welchen  die  Kulturgeschichte 
der  Menschheit  bereitet,  ist  die  Erkenntnis,  dafs  durch  das  La- 
byrinth der  menschlichen  Ansichten,  Bestrebungen  und  Streitig- 
keiten sich  ein  goldener  Faden  hindurchzieht,  der  zu  immer 
hellerem  Lichte  und  befriedigenderer  Einsicht  in  die  erziehende 
Weisheit  und  Liebe  des  himmlischen  Vaters  emporleitet.  Freilich 
giebt  es  immer  viele,  die  diesen  goldenen  Faden  nicht  finden, 
oder,  wenn  er  ihnen  gezeigt  wird,  ihm  nicht  folgen.  Einseitige 
Verstandesmenschen  halten  sich  lieber  an  die  konkreten  Erschei- 
nungen, als  dafs  sie  ihre  Hoffnung  auf  die  Zukunft  setzen. 
Verbinden  sie  mit  dieser  Vorliebe  für  das  Sichtbare  Genufssucht, 
so  tritt  infolge  der  häufigen  Täuschungen  sehr  oft  Mifsmut  und 
Unzufriedenheit  ein.  Die  Weltanschauung  des  Pessimismus,  der 
gegenwärtig  so  viele  ergeben  sind,  ist  nichts,  als  der  Versuch, 
diesen  inneren  Zerfall  mit  Gott  und  Welt  vor  dem  Verstände 
zu  rechtfertigen. 

Wenn  einer  Ursache  gehabt  hätte,  sich  der  pessimistischen 
Weltanschauung  zu  ergeben,  so  war  es  Arnos  Comenius.  Die 
Zustände  Europas  waren  zu  seiner  Zeit  die  denkbar  traurigsten. 
Auch  seine  eigenen  Lebenserfahrungen  waren  so  betrübend, 
dafs  sie  ihn  öfters  zur  Verzweiflung  hätten  bringen  können. 
Doch  schrieb  er,  bald  nachdem  das  Elend  des  dreifsigjiihrigen 


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1803. 


Chr.  Carl  Josia»  Freiherr  von  Bimsen. 


215 


Religionskrieges  begonnen  hatte,  nicht  nur  seine  „Betrachtungen 
über  die  christliche  Vollkommenheit"  (1622),  sondern  im  fol- 
genden Jahre  auch  das  für  alle  Christen-  und  Menschenfreunde 
immer  noch  lehrreiche  Buch:  „Labyrinth  der  Welt  und  Paradies 
des  Herzens.  Die  erste  deutliche  Abbildung  davon,  wie  m  dieser 
Welt  und  allen  ihren  Dingen  nichts  ist  als  Verwirrung  und 
Zerrüttung,  Marter  und  Plage,  Falschheit  und  Betrug,  Angst 
und  Elend  und  zuletzt  Überdruf«  an  allem  und  Verzweiflung; 
dafs  aber  der  allein,  welcher  in  das  Heim  des  Herzens  einkehrt 
und  sich  da  nur  mit  seinem  Gott  und  Herrn  einschliefst,  zur 
wahren  und  vollkommenen  Ruhe  und  Freude  des  Gemütes 
gelangt." 

Er  hatte  den  goldenen  Faden,  der  aus  diesem  Labyrinthe 
und  seinen  gefährlichen  Irrgängen  zum  hellen  Lichte  heraus- 
fuhrt, gefunden,  war  ihm  gefolgt  und  hatte  dadurch  die  unver- 
wüstliche Freudigkeit  zu  seinein  reformatorischen  Wirken  in 
der  Erziehung  und  dem  Unterricht  der  Jugend  gewonnen.  Es 
war  ihm  zur  Gewifsheit  geworden,  dafs  nur  durch  diese  Reform 
der  Kirche  und  der  Menschheit  ein  bleibender  Segen  gebracht 
werden  könne.  Verbesserung  der  politischen  und  kirchlichen 
Gesetze,  Fortschritte  in  der  wissenschaftlichen  Erkenntnis  und 
in  den  technischen  Einrichtungen  sind  nur  Mittel,  die  Un- 
zufriedenheit der  Menschen  zu  vergröfsern,  so  lange  nicht  durch 
die  Erziehung  und  Bildung  Geist  und  Herz  von  Jugend  auf  in 
das  richtige  Verhältnis  zu  Gott,  zur  Natur  und  zur  Menschheit 
gebracht  werden. 

Moriz  Carriere  nennt  in  seinem  Werk:  „Die  Kunst  im 
Zusammenhange  der  Kulturentwickelung  und  der  Ideale  der 
Menschheit"  (fünfter  Band,  S.  017),  den  Comenius  „einen 
Mann  von  weltgeschichtlicher  Bedeutung"  nicht  blofs  deshalb, 
weil  er  einer  der  genialsten  und  fruchtbarsten  Schriftsteller 
seines  Volkes  war,  sondern  auch,  weil  er  seine  Nation  in  einen 
lebendigen  Geistesverkehr  mit  der  germanischen  und  durch  sie 
mit  allen  christlichen  Kulturvölkern  gebracht  hat.  Er  war 
durchdrungen  von  der  Idee,  dafs  die  Menschheit  trotz  aller 
scheinbaren  Zerrissenheit  nach  ihrem  Grund  und  Wesen  ein  or- 
ganisches Ganze  bilde,  und  durch  Erziehung  zu  dem  Bewufstsein, 
ein  solches  bilden  zu  sollen ,  erhoben  werden  müsse.  Diese 
Grundidee  seines  ganzen  bewegten  Lebens  und  vielseitigen 
Strebens  hatte  er  aber  ebenso  aus  der  Bibel  wie  aus  seinem 


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216 


Baehring, 


lieft  8  u.  9. 


eigenen  vernünftigen  Nachdenken  gewonnen.  Daher  kommt  er 
auch  auf  seiner  Wandorung  durch  das  „Labyrinth  der  Welt" 
in  der  genannten  Schrift  zuletzt  zu  Christus  und  zeigt  an  der 
Gemeinde  innerlicher  Christen,  die  das  doppelte  Licht  der  Ver- 
nunft und  des  Glaubens  erleuchtet  und  durch  das  Band  der 
Liebe  und  des  Friedens  vereinigt  ist,  das  Ziel  aller  Kultur- 
en twieklung. 

Eine  Gesellschaft,  die  in  Wahrheit  im  Geiste  des  Comenius 
wirkt  und  arbeitet,  kann  in  der  That  bedeutungsvoll  genug 
werden.  Sie  wird  nicht  blofs  das  Schulwesen  fördern,  nicht 
blofs  den  kirchlichen  Konfessionen  die  Idee  ihrer  Zusammen- 
gehörigkeit zu  der  Einen,  Heiligen,  Allgemeinen  Kirche  zum  Be- 
wufstsein  bringen,  sondern  auch  unter  den  Nationen  den  Geist 
des  Friedens  durch  die  Erkenntnis  fördern,  dafs  sie  alle  auf- 
einander angewiesen  sind  und  nur  dadurch  zu  voller  Blüte  ge- 
langen, wenn  sie  gegenseitig  als  Glieder  am  grofsen  Leibe  der 
Menschheit  sich  unterstützen  und  voneinander  lernen. 

Die  nationale  Idee  ist,  wie  ein  slavischcr  Schriftsteller,  Pypin, 
gesagt  hat,  zweischneidig,  fort-  und  rückschrittlich  zugleich.  Sie 
ist  in  hohem  Grade  wohlthätig,  wenn  sie  sich  regt  zum  Schutze 
des  Rechtes  und  der  Menschenwürde,  abe»  äufserst  schädlich, 
wenn  sie  sich  in  Eigendünkel,  Ausschliefslichkeit  und  Unduld- 
samkeit verkehrt.  Sie  geht  dann  in  Ungerechtigkeit  und  Streit- 
sucht über  und  ruft  dadurch  Widerstand  und  Feindschaft  auf 
der  andern  Seite  hervor.  Mit  einem  Worte:  sie  ist  wohlthätig 
und  schädlich,  je  nachdem  sie  als  herrschenden  Gedanken  die  Idee 
der  Humanität  und  Bildung  in  sich  aufgenommen  hat,  oder  sich 
von  dem  rohen  Stammestrieb  beherrschen  und  leiten  läfst. 

Die  Idee  der  wahren  Humanität,  kraft  welcher  die  einzelnen 
Persönlichkeiten,  wie  die  ganzen  Nationen  sich  als  Glieder  des 
grofsen  Ganzen  der  Menschheit  erkennen  und  sich  verpflichtet 
fühlen,  durch  Werke  des  Friedens  Bildung  und  Wohlstand  nach 
innen  und  aufsen  zu  heben,  gedeiht  aber  nur  auf  dem  Boden 
des  wahren  Christentums.  So  schrecklich  diese  Religion  auch 
schon  zu  Bruderkriegen  mifs  braucht  worden  ist  und  gerade  zur 
Zeit  des  Comenius  mifsbraucht  wurde,  so  bleibt  sie  doch,  wenn 
sie  richtig  nach  dem  Willen  ihres  Stifters  verstanden  wird,  das 
einzige  Heilmittel  gegen  diesen  Mil'sbrauch,  und  darin  zeigt  sich  die 
Gröfse  dieses  edlen  Menschenfreundes  Comenius,  dafs  er  trotz  aller 
bitteren  Erfahrungen  nie  an  der  segensreichen  Kraft  dieser  Rc- 


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1693. 


Chr.  Carl  Josias  Freiherr  von  Hunsen. 


217 


ligion  verzweifelte  und  nicht  nur  für  sich  selbst  als  seinen  höchsten 
Trost  an  ihr  festhielt,  sondern  ihn  auch  unermüdlich  der  Welt 
als  einziges  Rettungsmittel  aus  ihren  Nöten  anpries.  All  seine 
Werke  und  seine  Kunst,  besonders  auch  seine  pädagogische, 
stellte  er  in  den  Dienst  Jesu  Christi,  und  bewies  durch  sein 
Leben,  dafs  der  Mensch  nur  zum  Frieden  gelangt,  wenn  Glaube 
und  Vernunft  in  ihm  harmonisch  zur  Ehre  Gottes  und  zum 
Wohle  der  Menschheit  zusammenwirken. 

Sein  Nachfolger  Friedrich  Froebel  konnte  mit  gleichem 
Rechte  wie  er  bezeugen,  dafs  sein  Ilauptbestrcben  sei,  das 
Christentum  zur  Wahrheit  zu  machen.  Diese  wird  es  erst,  wenn 
es  als  „das  Licht  der  Welt"  verstanden  und  in  alle  Lebensver- 
haltnisse der  Menschen  durch  wahrhaft  geistige  Behandlung 
hineingeleitet  wird. 

Zu  diesen  Lebensverhältnissen  aber  gehört  notwendig  auch 
das  Staatsleben.  Dieses  im  christlichen  Geiste  zu  ordnen 
und  zu  führen,  ist  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der  Gegenwart. 

Politik  lernt  man ,  wegen  der  Mannigfaltigkeit  der  mensch- 
lichen Verhältnisse  und  des  steten  Wechsels,  der  in  denselben  vor 
sich  geht,  weniger  aus  Büchern  als  durch  die  Anwendung  und  Übung. 
Einen  klaren  Einblick  in  ihr  Wesen  gewinnt  man  daher  hauptsächlich 
durch  die  Betrachtung  ausgezeichneter  Staatsmänner,  ihres  Lebens 
und  Wirkens.    Dafs  dieses  unterlassen  worden,  ist  ein  empfind- 
licher Mangel  an  der  im  übrigen  sehr  beachtenswerten  Schrift 
von  A.  Skopnik:  „Politik  und  Christentum"  (Berlin  W.,  Ver- 
lag von   Conrad  Skopnik.     1892.)     Philosophisch  -  theologische 
Erörterungen  überzeugen  weit  weniger  als  die  Thatsache,  dafs 
es    wirklich   Männer  gegeben    hat,    die  das   Christentum  in 
geistig-lebendiger  Auffassung,  ohne  die  Befangenheit  einer  kirch- 
lichen Partei  oder  Confcssion,  mit  einer  weitreichenden  politischen 
Thätigkeit  zu  verbinden  gewütet  und  dadurch  wohlthätige  An- 
regungen nach  allen  Seiten  hin  gegeben  haben.     Ein  solcher 
Staatsmann  war  der  zu  seinen  Lebzeiten  viel  gepriesene,  nach 
seinem  Tode  aber  durch  seine  Gegner  auf  Links  und  Rechts 
ähnlich  wie  Comenius  in  das  Dunkel  der  Vergessenheit  geflissent- 
lich zurückgedrängte  Freiherr  Christian  CarlJosia«  von 
Bu  n  se  n. 

Der  Schreiber  dieses  hatte  das  Glück,  mit  Bunsen  in 
den  letzten  Jahren  seines  Lebens  mehrmals  persönlich  zu  ver- 

Mon*Uh«?fte  oVr  Com<.ntq*G«ell*th«ft.    189:«.  16 


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218 


Baehring, 


Heft  8  u.  9. 


kehren  und  von  ihm  selbst  in  seine  wissenschaftlichen  und 
politischen  Ansichten  eingeführt  zu  werden.  Es  waren  ihm 
Stunden  voll  höchsten  geistigen  Genusses,  die  er  in  den  Jahren 
1857  bis  1860  bei  ihm  zubringen  durfte.  Persönliche  Verehrung 
und  Dankbarkeit  hat  den  Unterzeichneten  ermutigt,  im  Jahre 
seines  hundertjährigen  Geburtstages  (1892),  ein  kurzes  Lebens- 
bild dieses  „deutsch  -  christlichen  Staatsmannes"  dem  deutschen 
Volke  darzubieten  >)  in  der  Hoffnung,  dadurch  etwas  zur  Klärung 
unserer  politischen,  kirchlichen  und  socialen  Wirren  beizutragen. 
Denn  nach  diesen  drei  Seiten  hin  hat  Bunsen  sehr  beachtens- 
werte Lehren  durch  Wort  und  That  gegeben.  Allen  freilich 
konnte  er  nicht  zu  Dank  arbeiten,  besonders  denen  nicht,  welche 
durch  Bunsens  universelles  Streben  ihre  Parteiinteressen  gefährdet 
•  sahen.  Aber  er  hatte  die  hohe  Freude,  dafs  sowohl  Se.  Majestät 
der  Kaiser  Wilhelm  IL,  als  Se.  Königliche  Hoheit,  Prinzregent 
Luitpold  von  Bayern  dem  Verfasser  den  huldvollsten  Dank  für 
diese  Arbeit  aussprechen  liefsen  und  dafs  Se.  Durchlaucht  Fürst 
Bismarck  sie  in  einer  besonderen  Zuschrift  an  den  Verfasser 
freundlich  willkommen  geheifsen  hat. 

Lehrreich  ist  da*  Leben  und  Wirken  Bunsens,  wie  gesagt, 
nach  wichtigen  Seiten  hin.  Seine  einfache,  fromme,  naturgemäfse 
Erziehung  im  elterlichen  Hause  beweist,  wie  wohlthätig  eine 
solche  für  die  Entwicklung  des  Kindes  ist  Gottesfurcht,  d.  h. 
kindliche  Ehrfurcht  vor  dem  Höchsten,  gepaart  mit  dem  auf- 
richtigsten Bestreben ,  dem  Allgegenwärtigen  wohlzugefallen, 
wurde  dadurch  der  Grundzug  seines  Denkens  und  Thuns  in 
allen  Lebensverhältnissen  bis  zum  Tode.  Die  frische  Bewegung 
in  der  Natur,  die  Mithilfe  bei  den  ländlichen  Arbeiten,  der  offene 
Sinn  fiir  die  einfachen,  Leib  und  Seele  stärkenden  Genüsse, 
welche  Feld  und  Wald  darbieten,  gaben  ihm  eine  Ausdauer  in 
seinen  wissenschaftliehen  Studien  und  eine  Freudigkeit  bei  allen 
sonstigen  Entbehrungen,  die  seinen  Umgang  aufserordentlich 
anziehend  machte.  Die  ungeschwächte  Pietät  gegen  die  ein- 
fachen Eltern  erhöhten  die  Achtung,  die  er  sicli  mit  der  Zeit 
in  allen  Lebensstellungen  zu  erwerben  wufste.  Musterhaft  war 
sein  Leben  und  Streben  auf  der  Universität.  Bei  aller  Fröh- 
lichkeit und  dem  vielseitigsten  Umgang  blieb  er  doch  frei  von 

')  Chr.  Carl  Josias  Freiherr  von  Bansen.  Lebensbild  eines  deutsch- 
christlichen  Maunes.  Dem  deutschen  Volke  dargeboten  von  Beruhard 
Baehring.   Leipzig,  F.  A.  Brockhaus.    1892.   210  S. 


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1803. 


Chr.  Carl  Josias  Freiherr  von  Buuaeu. 


219 


den  Thorheiten,  durch  welche  so  mancher  Musensohn  sich  schon 
an  Leib  und  Seele  zu  Grunde  gerichtet  hat.  Die  Wissenschaft 
betrieb  er  stets  mit  dem  Hinblick  auf  das  sittliche  Bedürfnis 
des  praktischen  Lebens,  besonders  auch  des  deutschen  Vater- 
landes. Seinen  eigenen  Lebensgang  betrachtete  er  stets  als 
eine  göttliche  Gnadenführung,  die  ihn  zur  demütigsten  Dank- 
barkeit verpflichtete.  Sein  Grundgedanke  blieb  unter  allen 
Würden  und  Auszeichnungen,  die  auf  ihn  gehäuft  wurden,  dafs, 
wer  Gott  nicht  erkannt  hat  in  dem  eigenen  Lebensgang,  ihn  auch 
Uberhaupt  nicht  erkennt,  weder  aus  der  Natur,  noch  aus  der 
Geschichte,  noch  aus  der  Bibel  und  Kirche.  Diese  innere  Zu- 
versicht leitete  ihn  bei  seinen  immer  weiter  sich  ausdehnenden 
Forschungen.  Als  er  in  Rom  die  Stufe  betrat,  von  der  ihn  sein 
Lebensgang  zu  immer  höheren  Ehren  und  Würden  aufwärts 
führte,  schrieb  er  in  sein  Tagebuch:  „Ewiger,  unendlicher  Gott! 
erleuchte  du  mich  mit  deinem  heiligen  Geist  und  erfülle  mich 
mit  deiner  himmlischen  Klarheit!  Was  ich  in  der  Kindheit 
geahnt  und  in  den  Jahren  der  Jugend  heller  und  heller  vor 
meiner  Seele  gesehen  habe,  will  ich  jetzt  wagen  festzuhalten, 
durchzuforschen,  darzulegen.  Deine  Offenbarungen  in  der  Menschen 
Treiben  und  Streben,  deinen  festen  Gang  in  dem  Strome  der 
Jahrtausende  möchte  ich  erkennen,  soweit  es  mir  vergönnt  ist 
in  diesem  irdischen  Leibe;  der  Menschheit  freudigen  Lobgesang 
zu  dir  in  den  fernen  und  nahen  Zeiten,  ihre  Schmerzen  und 
Klagen  und  ihren  Trost  an  dir  möchte  ich  klar  und  unbefangen 
vernehmen.  Sende  du  mir  deinen  Geist  der  Wahrheit,  dafs  ich 
die  irdischen  Dinge  sehe,  wie  sie  sind,  ohne  Hehl  und  Fehl, 
und  dafs  ich  in  der  stillen  ruhigen  Wahrheit  dich  erkenne  und 
fühle.  Lafs  mich  nicht  wanken  und  weichen  von  dem  grofsen 
Ziele  deiner  Erkenntnis,  lafs  der  Welt  Freuden  und  Ehren 
meinen  Geist  nicht  schwächen  und  verdunkeln,  lafs  mich  immer 
fühlen,  dafs  ich  nur  erkenne,  insofern  ich  bin,  und  nur  bin, 
insofern  ich  in  dir  lebe  und  sterbe." 

Dieses  Gebet  offenbart  seine  innerste  Geistesrichtung,  seinen 
wahrhaft  frommen,  vom  Geiste  des  Christentums  durchdrungenen 
Charakter,  dadurch  aber  auch  seine  Geistes  Verwandtschaft  mit 
Comenius. 

Es  kann  nicht  nachgewiesen  werden,  dafs  er  den  Schriften 
dieses  Bischofs  der  mährischen  Brüdergemeinde  besondere  Studien 
zugewendet  habe.    Seine  Lebensstellung  führte  ihn  auf  andere 

16« 


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220 


Uaebring, 


Heft  8  u.  9 


Gebiete  der  Weltliteratur  aus  der  alteren  und  neueren  Zeit. 
Aber  durch  die  Abfassung  eines  „Allgemeinen  evangelischen 
Gesang-  und  Gebetbuches  zum  Kirchen-  und  Hausgebrauch", 
wozu  er  sich  in  Rom  als  preufsischer  Gesandter  bei  vier  Päpsten 
und  im  Hinblick  auf  die  dort  zu  begründende  evangelische  Ge- 
meinde veranlafst  fühlte,  hat  er  bewiesen,  welchen  Wert  er  auf 
den  Liederschatz  jener  Märtyrerkirche,  der  Comenius  als  letzter 
Bischof  vorgestanden,  gelegt  hat.  Es  ist  sein  Verdienst,  viele 
Lieder  dieser  Gemeinden  auch  in  Deutschland  dem  kirchliehen 
Gebrauch  zugänglich  gemacht  zu  haben. 

Bunsen  war  wie  Comenius  frei  von  jedem  Pessimismus. 
So  viele  bittere  Anfeindungen  er  auch  wegen  seiner  universellen 
Geistesrichtung  und  seines  Drängens,  dem  deutschen  Volk  die 
ihm  gebührende  konstitutionelle  Verfassung  nicht  länger  vorzu- 
enthalten, von  seiten  der  Partikularisten  und  Absolutisten  zu 
erfahren  hatte,  so  hat  er  doch  nie  daran  gezweifelt,  dafs  endlich 
das  Wahre  und  Gute  zum  Siege  gelangen  werde.  Er  hat  seinen 
Gegnern  nie  Gleiches  mit  Gleichem  vergolten,  und  es  gereicht 
seinen  jetzigen  Gegnern,  die  sein  Andenken  vernichten  möchten, 
nicht  zur  Ehre,  dafs  sie  tbrtfahren,  durch  gehässige  Entstellung 
unser  Volk  an  diesem  seinem  Freunde  und  Fürsprecher  irre  zu 
machen.  Möchten  sie  doch  bedenken,  dafs  sie  durch  nichts 
mehr  die  Krankheit  des  Pessimismus  fördern,  als  wenn  sie  dem 
Volke  den  Glauben  nehmen,  dafs  wahres  Christentum  mit  der 
zeitgemäfsen  Fortbildung  der  Vernunft-  und  Gemeinderechte  ver- 
einbar sei. 

Bunsen  studierte  in  Göttingen  mit  Arthur  Schopenhauer  und 
befreundete  sich  mit  ihm  so,  dafs  er  mit  ihm  im  Jahre  1811 
eine  Reise  nach  Weimar  und  Jena  zu  dessen  Mutter  machte. 
Später  gingen  ihre  Wege  weit  auseinander.  Bunsen  trat  in  den 
Dienst  des  preufsischen  Staates  als  Gesandter  in  Rom,  in  der 
Schweiz  und  in  England  und  suchte  in  diesen  hohen,  einflufs- 
reichen  Stellungen  eine  Friedenspolitik  nach  den  Grundsätzen 
des  wahren  Christentums  zur  Geltung  zu  bringen ,  wodurch  er 
mit  den  spezifisch  kirchlichen  Politikern  auf  der  katholischen 
wie  der  protestantischen  Seite  in  den  schärfsten  Gegensatz  geriet. 
Arthur  Schopenhauer  dagegen  betrat  die  Bahn  der  philosophischen 
Forschung  und  arbeitete  mit  grofsem  Scharfsinn  und  in  an- 
ziehender Darstellung  ein  System  aus,  welches  den  Boden  des 
Christentums  mit  dem  des  Buddhismus  vertauschte,  und  die  be- 


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1893. 


Chr.  Carl  Josias  Freiherr  von  Bunseu. 


221 


stehende  Welt  als  ein  durchaus  verfehltes  Gebilde,  das  der  Weise 
soviel  als  möglich  verlassen  müsse,  schilderte.  Als  Bunsen  im 
Herbst  1857  auf  seiner  Rückreise  von  Berlin  seinen  ehemaligen 
Studiengenossen  in  Frankfurt  a.  M.  besuchte,  fiel  die  Unterhaltung 
während  des  Mittagsmahles  nicht  erfreulich  aus.  Die  pessimi- 
stische Weltanschauung,  so  scharfsinnig  und  anregend  sie  auch  von 
Schopenhauer  ausgeführt  worden  ist,  stand  mit  seiner  Geistes- 
richtung und  seiner  christlichen  Hoffnung  in  ebenso  entschiedenem 
Widerspruch,  wie  der  katholische  und  protestantische  Jesuitismus. 

In  seinem  Werk:  „Gott  in  der  Geschichte",  oder  der  „Fort- 
schritt des  Glaubens  an  eine  sittliche  Weltordnung",  sowie  in 
dem  einige  Jahre  zuvor  verfafsten  Werke:  „Hippolytus  und 
seine  Zeit.  Anfänge  und  Aussichten  des  Christentums  und  der 
Menschheit"  und  zuletzt  in  seinem  „Bibelwerk  für  die  Gemeinde4* 
hat  Bunsen  seine  christliche  Weltanschauung  freilich  mehr  in  ab- 
gebrochener als  in  systematischer  Ausgestaltung  ausgesprochen. 
Wir  glauben,  dafs  er  in  drei  wichtigen  Punkten  als  Fortbildner 
des  Comenius  zu  betrachten  ist. 

Erstens  hat  er  als  Aufgabe  für  jeden  einzelnen  Menschen 
wie  für  jede  Nation  das  bewufste  und  freiwillige  Eintreten  in 
die  sittliche  Weltordnung  nachgewiesen.  Diese  ist  die  von  Gott 
bestimmte  Ordnung,  innerhalb  welcher  sich  die  menschliche 
Freiheit  zu  bethätigen  hat,  wenn  die  Menschheit  ihre  Bestimmung, 
die  Erde  mit  ihren  Kräften  und  Gaben  sich  unterthan  zu  machen, 
erfüllen  soll.  „Die  Weltgeschichte  ist  das  grofse  Sonnenjahr  der 
Menschheit.  Die  Philosophie  der  Weltgeschichte  sucht  die 
Formel  für  die  Sonnenbahn,  das  Gesetz  des  Fortschrittes  in  der 
Bewegung.  Der  Menschengeist  ist  in  diesen  Umschwung  gesetzt, 
damit  er  den  ewigen  Gedanken  der  Gottheit  offenbare  und  be- 
wirfst verwirkliche  in  der  Zeit,  wie  die  «ufsere  Schöpfung  ihn 
unbewufst  verwirklicht  im  Raum  .  . .  Der  natürliche  und  geistige 
Kosmos  verwirklichen  denselben  göttlichen  Gedanken.  Wie  der 
Erde  und  allen  Sternen  ein  ewiger  Gedanke  innewohnt,  welcher 
sie  lenkt  und  zugleich  zu  Teilen  eines  organischen  Ganzen 
macht ;  so  lebt  in  dem  Menschen  eine  Ahnung  von  seiner  Stellung 
zur  Menschheit  und  von  der  Stellung  seines  Geschlechtes  als 
einer  Einheit  in  dem  Weltall  und  zu  dessen  erster  Ursache  .  .  . 
Die  Erde  vollbringt  ihren  Umlauf  um  die  Sonne,  indem  sie  sich 
selbst  umschwingt,  und  sie  kennt  keinen  Fortschritt,  als  durch 
diesen  Umschwung.    Sie  wird  aber  doch  mit  allen  übrigen  Pla- 


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Baehring, 


Heft  8  u.  9. 


neten  in  die  grofse  fortschreitende  Bewegung  des  Sonnensystems, 
welches  nach  einem  geheimen,  aber  sicheren  Mittelpunkte  hin- 
zieht, fortbewegt.  In  gleicher  Weise  dringt  die  Menschheit 
vorwärts,  indem  Licht  und  Schatten  wie  Tag  und  Nacht  in 
ihren  Teilen  wechseln.  Der  Einzelne  stirbt,  die  Völker  vergehen ; 
aber  aus  dem  Tode  der  Einzelnen,  wie  dem  Untergange  der 
Völker  spriefst  neues  Leben  hervor.  Kein  Leben  anders  als 
aus  dem  Tode  und  zum  Tode,  aber  aller  Tod  zum  höheren 
Leben  nach  der  sittlichen  Weltordnung,  welche  der  Gedanke 
der  ewigen  Liebe  ist"  u.  s.  w. 

Um  aber  mit  Bewufstsein  und  Freiheit  in  diese  ihm  be- 
kannte Welt-  und  Lebensordnung  einzutreten  und  in  ihr  das 
Grundgebot  der  Gottes-  und  Menschenliebe  zu  erfüllen,  dazu 
bedarf  der  Mensch  vor  allem  der  Kenntnis  der  Natur  und  der 
praktischen  Einführung  in  ihre  Ordnung.  Nicht  blofs  Anschauung 
der  Natur,  nicht  blofs  Kenntnis  ihrer  Erscheinungen  und  Kräfte 
genügen,  um  in  der  sittlichen  Weltordnung  heimisch  zu  werden. 
Der  Mensch  mufs  von  Jugend  auf  auch  nach  Leib  und  Seele 
naturgemäfs  erzogen  werden.  Er  mufs  seine  Kenntnis  der  Natur 
auch  bethätigen  durch  verständige  Arbeit  in  und  an  derselben. 
Er  mufs  Freude  daran  gewinnen,  durch  Bauen  und  Pflanzen 
selbständig  auf  die  Natur  einzuwirken  und  sie  sich  dienstbar  zu 
raachen.  Auf  diese  erziehende  Bedeutung  geordneter  Arbeit  in 
und  an  der  Natur  hat  unter  den  Pädagogen  besonders  Fröbel 
hingewiesen.  Auch  Bunsen  setzt  solche  Arbeit  voraus  als  Grund- 
bedingung gesunden  Men sehen wesens ,  wenn  er  auch  nicht  Ge- 
legenheit genommen,  diese  erste  Stufe  der  Menschenerziehung 
eingehender  zu  behandeln.  Er  hat  dabei  grofses  Interesse  der 
Bodenkultur  zugewendet,  die  er  auch  selbst  in  der  Jugend  mit 
geübt  hat.  Zur  Bewahrung  vor  socialistischen  Verirrungen 
dient  nichts  mehr  als  Verständnis  der  Natur  und  ein  ihrer 
Ordnung  entsprechendes  Leben.  Der  Kommunismus  ist  eine 
Ausgeburt  des  naturwidrigen  Denkens  und  Lebens,  das  in  der 
modernen  Welt  so  viele  Verbreitung  gefunden  hat.  Die 
Nattirordnung  zeigt,  dafs  jedes  Ding  seinen  bestimmten  Raum 
einnimmt,  dafs  keiner  imstande  ist,  Uber  die  ihm  gesetzten 
Grenzen  sich  auszudehnen,  dafs  eines  dem  andern  dienen  mufs 
und  alle  in  einem  organischen  Zusammenhange  miteinander  stehen. 
Wer  sich  selbst  als  Glied  dieses  grofsen  Organismus  der  Welt, 
an  dem  keine  menschliche  Kraft  etwas  ändern  kann,  erkannt 


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1893. 


Chr.  Carl  Josias  Freiherr  von  Bimsen. 


223 


hat,  fühlt  sich  notwendig  auch  verpflichtet,  an  seinem  sittlichen 
Verhalten  gegen  seine  Nebenmenschen  die  Schranken  zu  be- 
obachten, die  ein  friedliches  Zusammenwirken  mit  ihnen  zur 
Pflicht  macht. 

Hierdurch  entsteht  das  wahrhaft  religiöse  Leben.  Religion 
ist  Gottcsbewufstsein ,  d.  h.  das  Wissen,  dafs  Gott  ist  und  dafs 
die  Welt  durch  ihn  ist,  von  ihm  erhalten  und  regiert  wird. 
Wie  der  Mensch  von  Natur  ein  Bewufstsein  von  sich  selbst  hat, 
sich  selbst  als  ein  Wesen  fühlt  und  betrachtet,  das  ein  eigenes 
Leben  besitzt,  so  hat  er  auch  ein  Bewufstsein  von  dem  Dasein 
und  der  Wirklichkeit  der  Welt,  in  der  er  lebt.  Sie  ist 
ihm  keineswegs  eine  blofse  Vorstellung.  Beides  aber  einigt  sich 
in  dem  Gottesbewufstsein ,  durch  welches  der  Mensch  allein  das 
nötige  Licht  über  sich  selbst  aus  der  Aulsenwelt  flndet.  Religion 
ist  daher  nicht  blols  Innerliches,  Subjektives;  sie  ist  erst  wahr- 
haft, was  sie  sein  soll,  entfaltet  erst  dann  ihr  wahres  Wesen, 
wenn  sie  sich  durch  ein  der  göttlichen  Weltordnung  entsprechendes 
Leben  bethtttigt. 

„Ihr  könnt  nicht  Religion  haben  ohne  Glauben  an  eine 
sittliche  Weltordnung !"  sagt  Bunsen.  „Ihr  könnt  diesen  Glauben 
nicht  erhalten,  ohne  ihn  zu  verwirklichen.  Kein  Volk  glaubt 
wirklich  an  eine  göttliche  Ordnung,  wenn  sie  sich  ihm  nicht 
verkörpert  im  Gesamtleben.  Der  reinste  Glaube  verkümmert 
oder  wird  zu  einem  fressenden  Gifte,  wenn  die  Wirklichkeit  im 
Staate  und  im  Leben  mit  diesem  Bewufstsein  im  grellen  Wider- 
spruch steht,  wenn  Unrecht  sich  auf  den  Stuhl  des  Rechtes 
setzt  und  Lüge  auf  den  Thron  der  Wahrheit.  Das  Evangelium 
vernichtet  jede  unsittliche  Regierungsform  und  Verfassung. 
Sittlich  ist  aber  nur  die  auf  Anerkennung  des  Gemeinsamen 
gegründete. 

Die  Bibel,  welche  diese  Bedeutung  der  Religion  für  das 
menschliche  Leben  nach  allen  seinen  Beziehungen  hin  aufschliefst, 
ist  darum  das  wichtigste  und  heiligste  Buch,  welches  die  Mensch- 
heit besitzt,  „allerdings  ein  Buch  in  einfacher  Hede,  aber  in 
Worten,  die  nicht  vergehen,  weil  jedes  Mcnschenhcrz  ihnen 
Zeugnis  giebt;  ein  Buch  der  Weisen,  und  doch  jedem  Kinde 
verstandlich,  wie  Gottes  Natur,  ein  Buch,  verfafst  in  toten 
Sprachen  und  doch  lebend  in  den  Zungen  der  Völker." 

Dieses  heilige  Buch  auch  unserem  Volke  nach  seiner  welt- 
geschichtlichen Bedeutung  und  seiner  Unentbehrlichkeit  für  die 


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224 


Bachriug, 


Heft  8  u.  9. 


Volkserziehung  immer  mehr  aufzuschliefsen  und  zugänglich  zu 
machen,  hat  Bunsen  sein  greises  Bibelwerk  unternommen.  Man 
hat  noch  wenig  davon  Gebrauch  gemacht,  ja  alles  gethan,  um 
seinen  Eingang  in  die  Gemeinden  zu  hindern.  Aber  es  liifst 
sich  wohl  erwarten,  dafs  der  Stand  der  Volkslehrer  ihm,  wie 
Diesterweg  bereits  gethan,  das  Interesse  bewahrt  und  für  seine 
Verbreitung  auch  geeignete  Sorge  trägt  Man  redet  jetzt  öfters 
wieder  von  Schulbibeln.  Diese  haben  wir  bereits  in  den  bib- 
lischen Geschichten.  Die  Bibel  selbst  aber  sollte  als  heilige 
Urkundensammlung  der  christlichen  Religion  in  keiner  Weise 
verändert,  sondern  nur  nach  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  wieder 
hergestellt  werden.  Das  hat  Bunsen  in  seinem  Bibelwerk,  soweit 
es  durch  die  wissenschaftlichen  Forschungen  der  Gegenwart 
möglich,  mit  Sorgfalt  und  Umsicht  gethan  oder  durch  seine 
Mitarbeiter  thun  lassen,  während  die  kirchlichen  Ubersetzungen 
aus  Mangel  an  Kritik  in  dieser  Hinsicht  manche  Änderungen 
sich  erlaubt  haben,  die  dem  Verständnis  der  Bibel  nicht  forder- 
lich waren. 

Comenius  ist  öfters  wegen  seiner  chiliastischen  Hoffnungen  als 
religiöser  Schwärmer  bezeichnet  worden.  Er  hat  sich  aber  an 
die  Bildersprache  der  Bibel  gehalten.  Seine  Zeit  war  auch  noch 
nicht  reif  dazu,  den  vernünftigen  Sinn  dieser  Sprache  zu  ent- 
hüllen. Bunsen  thut  dieses  in  den  Schlufssiitzen  seines  „Gott 
in  der  Geschichte".  „Der  Glaube  an  ein  bevorstehendes  Ende 
der  Welt1* ,  sagt  er,  „ist  zu  betrachten  als  ein  fortschreitendes  Gefühl 
von  einer  kommenden  Weltkrise  und  eines  drohenden  socialen, 
politischen  und  religiösen  Zusammenbruchs.  Diese  wird  wie  alle 
vorhergehenden  ein  Weltgericht  sein  und  eine  herrlichere  Entfaltung 
des  Gottesreichs  zur  Folge  haben.  Die  Wiederbringung  aller 
Dinge,  also  der  Sieg  des  Guten  auf  der  Erdo,  ist  das  Ziel  der 
Geschichte.  Der  Geist  ist  unsterblich  und  sein  Fortschritt  un- 
endlich, denn  er  ist  ursprünglich  eins  mit  dem  ewigen,  bewufsten 
Gedanken  des  Weltalls  und  soll  diesen  Gedanken  auf  der  Erde 
verwirklichen  in  schrankenloser  Zukunft." 

„So  gehe  denn  glaubensmutig  und  in  Gott  selig  durch  die 
Jahrtausende,  du  zerrissene  Menschheit,  du  zertretenes  Volk 
Gottes!  Du  bist  doch  eine  gröfsere  Verherrlichung  des  Ewigen 
als  alle  Sonnen  und  Sterne,  denn  es  strahlt  aujs  dir  der  bewufste 
Geist,  nach  welchem  die  ganze  Natur  sich  sehnt  und  in  dir  allein 
offenbart  sich  die  göttliche  Liebe,   welche  den  Gedanken  der 


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1893. 


Chr.  Carl  Josiaa  Freiherr  von  Bunaen. 


225 


Schöpfung  gedacht  und  sich  in  diese  Wirklichkeit  versenkt  hat 
Und  du,  gottbewufstes  Geschlecht  der  nächsten  und  einer  fernen 
Zukunft,  erschrick  und  verzage  nicht,  wenn  das  Weltgericht  an- 
bricht. Was  stürzt,  sinkt  getroffen  vom  rächenden  Blitze  des 
Himmels  und  was  in  Trümmer  fallt,  macht  nur  Platz  dem  neuen 
Leben,  welches  im  stillen  Laufe  von  Jahrhunderten,  unbeachtet 
und  deshalb  ungestört  unter  ihm  aufgesprofst  ist.  Es  wird  alles 
reifen  zu  schönerer  Frucht. 

Wem  Zeit  ist  eine  Ewigkeit 
Und  Ewigkeit  eine  Zeit, 
Der  ist  befreit 
Von  allem  Streit." 


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Quellen  und  Forschungen. 


Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius. 

Autobiographisches  aus  den  Schriften  des 

C  o  m  e  n  i  u  8. 

Zusammengestellt  von 
Prof.  Dr.  J.  Kvaceala  in  Pressburg. 

(Fortsetzung.) 


VI.  Dritter  Aufenthalt  in  Lissa. 

19. 

Calumnia  III. 

68.  Grandis  calumnia  est,  et  capitale  crimen  intentans,  quod 
Panegyricus  meus,  Regi  Sueciae  scriptus,  Lesnensis  excidii  eos, 
incendiique  taeda  fuit.  Hanc  diabolen  recitata  ex  vero  facti 
historia  diluet:  recitabo  itaque  saneta  fide.  Tu  meus  obtrectator 
attende,  et  ad  Veritatis  tribunal  pudetieri  disce. 

69.  Postquam  se  tota  iam  utraque  Polonia,  sicut  et  Lithuania 
Regi  Sueciae  subdiderat,  ad  ipsum  usaue  Regni  caput  Cracoviam, 
reversus  inde  D.  Joh.  Schlichting,  Ürbis  et  Comitatus  Lesnensis 
Administrator,  aeeersivit  ad  se  in  arcem  Superattendentem  Ec- 
clesiarum  nostrarum,  D.  Gertichium  [avuneulum  Tuum]  et  me: 
narrans  nobis  de  heroicis  Sueciae  Regis  virtutibus  multa,  et 
quomodo  sibi  tantum  Regem  gratulari  habeat  Polonia  brevique 
celebranda  esse  Regni  commitia,  ad  Regis  coronationem  pera- 
gendam.  Referens  etiam  Catholicos  ipsos  in  laudem  Regis  gratu- 
latoria  scribere  Carmina,  ut  Canonicum  quendam  Gnesnensem,  et 
Samuelem  Twardovium  Virum  nobilem,  nobilemque  Poetam  ipsum 
quoque  pontificium,  Latine  et  Polonice  typis  iam  exscriptos, 
applausus  etc.  Indecorum  forc  si  Euangelici  prorsus  taccant. 
Respondebamus  non  aeque  tutum  nobis  eo  descendere:  instabat 
tarnen  aliquoties  me  in  primis  eo  folicitans  argumentumque  scrip- 
tioni  suggerens.    Concepi  ergo  tandem  quiddam:   quod  ille  per- 


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1893.  Kvacsala,  Zur  Lebensgeschicbte  des  Comenhis.  227 

fectum  ita  excepit,  ut  diceret;  Nihil  unquam  sapientius  scripsisti. 
Habebunt  cur  tibi  gratias  agant  Catholici  et  Euangelici  etc. 
Cum  adhuc  tergiversarer ,  vocavit  me  iterum  (post  dies  aliquot) 
Consulemque  urbis  iturum  esse  Vratislaviam  (Silesiorum  ubi  tum 
illustrissimus  Comes  Dominus  noster,  Regni  Archithesaurarius,  a 
rerum  in  patria  tumultu  seeedens  residcbat)  sequc  scriptum  illud 
ad  censuram  ill i  missurum  signiticavit:  cuius  si  accesscrit  cal- 
culus  nihil  foro  quod  metuerem.  Respondi,  Maculaturas  mitti 
non  posse.  Ille  Describi  ergo  cura,  Consulem  ad  crastinum  ma- 
nere  jubebo,  Quid  multis?  factum.  Illustrissiraus  autem  Mox, 
mox,  mox  typis  exscribi  mandavit 

70.  Habes  cuius  iussu,  et  qua  spe,  Panegyricus  ille  scriptus 
editusque  fuerit.  Atque  utinam  monita  fuissent  secuti  utriusque!  ad 
illas  extremitates  numquam  fuissent  ventiun.  Sperabant  autem 
magni  Uli  Politici ,  alter  Euangelicua :  alter  Catholicus.  Si  spei 
non  respondit  eventus,  quid  tum?  Viles  animae  consilia  ex 
eventu  aestimant:  quibus  Te  accedere  indecorum,  ansam  vero 
tarn  atrocis  inde  calumniae  arripere  inpium.  Quid  enim?  prop- 
terea  ego,  quod  superiorum  voluntati  parui :  quod  Regem  Sueciae 
reverenter  fortunain  habere  docui,  quod  omnes  in  tanto  rerum 
tumultu  prudentis  modestiae  admonui,  propterea  inquam  ego 
Lesnae  tuae  incendiarius  audire  debeo?  quis  tales  eonsequentias 
nectere  doeuit?  Nihilne  viderunt  qui  ant«;  te  Panegyricum  hunc 
viderunt,  saluberrimaque  messe  Theologica  et  Politica  monita 
iudicarunt?  Eoquc  illum  eundem  (ut  plurium  subiret  Odilos) 
suis  typis  cxscripserunt.  Noribergae,  Frankofurti,  Londini,  et  ut 
audio  Parisiis  quam  tarnen  editionem  non  vidi.  Omnes  «eil.  hi 
delirarunt,  solus  Franekeranus  Profossor,  configendis  cornicum 
oculis  natus,  sapit. 

71.  Quod  magis,  Calumniarium  te  ipsa  adversariorum  (qui 
Lessnam  exusserunt)  confessione  convincam:  ex  qua  patebit  I 
Pontifieios  Panegyricum  hunc  ab  aliquo  Leanae  hospite  fuisse 
scriptum,  non  solura  ante  Lesnam  eversam  (ut  inde  concitari  po- 
tuissent)  sed  et  post  ignorasse;  et  forsan  adhuc  ignorare,  nisi 
id  ex  te  buccinatore  iam  discant.  II.  Scripto  illo  non  fuisse 
irr  itatos,  quippe  quod  ipsi  etiam,  quantum  ad  substantialia,  lau- 
darunt:  excepto  quod  iura  et  libertates  ad  omnes  in  commune 
etiam  haereticos  (suo  sensu)  extendi,  aegre  tulerunt.  Faciam 
utriusque  tidem. 

72.  Sesquiennio  post  eversam  Lesnam  reeepta  fuit  a  Polonis 
Cracovia,  ibique  paulo  post  excusus  tractatus  tali  titulo: 

Apologcticus  contra  Panegyricum  Carolo  Gustavo  Magno, 
Suecorum,    Gothorum  Vandalorumque  Regi  Dedicatum  ad 
religionis,  Regis  Legisque  Polonae  Defensionem  produetus. 

In  cujus  mox  ingressu  authorem  Panegyrici  se  ignorare  osten- 
dunt,  his  verbis  „Quisquis  est  (Polonum  autem  et  haereticuni  te 
coniicio)  qui  Panegyricum  Regi  Suecorum  nuper  dedicatum  in 


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228  Kvacsala,  Heft  8  u.  9. 

lucem  edisti  etc.  Et  paulo  post:  Subtraxisti  tarn  personac  quam 
nominis  tui  copiam  etc.  Ecce,  ecce,  ipsi  adversarii  Te,  ob  pa- 
negyricum  Lesnae  scriptum  in  Lesnam  eos  fuisse  concitatos 
testantem,  mendacia  loqui  testantur. 

73.  Neque  Panegyricum  hunc  tarn  absurde  ab  illis  fuisse 
acceptum,  ut  propterea  furere  vellent,  fatentur  eodem  scripto  sub- 
inde,  Exsignabo  quaedam  vel  saltem  ex  ultimo  bifolio  ipsorum- 
met  verbis.  Ne  quid  inusitatae  infelicitatis,  magnae  se  intermisceret 
felicitati,  ut  timcret  monuisti  Gustavum,  optume  fecisti.  Nescit 
enim  pennata  Dea  ac  brevi  evolatura,  stabiles  setnper  continuae 
felicitatis  gressus  figere.  Et  mox:  Benevolentiani  quia  eommen- 
dasti  Gustavo  erga  Polonos,  laudo  aniinum,  sine  üla  enim  nec 
retineri  possunt  imperia,  nec  manceps  populi  fieri  Spiritus,  etc. 
Et  post  unam  et  afteram  periodum  denuo:  Partes  defensoris  in 
tuendis  Polonae  Nobilitatis  libcrtatibus  apud  Gustavum,  quod  sus- 
ceperis  multas  eadem  Nobilitas  et  habet  et  aget  tibi  gratias.  Li- 
bertatis  enim  amorem  tenacissime,  vel  te  ipso  fatente  retinent 
mori  paratiores  quam  illa  privari.  Quod  autem  non  aliquos  Po- 
lonae gentis  liberos  esse  debere,  sed  oranes  et  singulos  in  Uni- 
versum, Proceres  regni,  Nobilitatem  inferiorem,  Civitates  et 
Oppida  plebeinque  ipsam  rusticanam  suo  modo  et  gradu,  cen- 
suisti,  nec  etiam  ueviasti.  Et  penes  enim  exeelsam  Abietem 
humilis  humi  libere  serpit  viola  etc.  Illud  autem  quod  nugaris, 
ut  manus  libere  in  coelum  attolantur  etiam  diverse  de  Deo  sen- 
tientium,  dum  modo  Ueura  colant  non  blasphement  etc.  ostendit 
ex  caenosa  lutulenti  Lutheri  te  prodiisse  luira  non  in  Romanae 
Ecclesiae  Ministrum  esse  ara.  Non  enim  sola  irreligiosttas ,  aut 
blasphemiae  interdicta  esse  debent,  ut  ais  tu :  sed  et  diversae  Re- 
ligiouis  ritus  colendi  Deum  etc.  ilox  iterum :  Quod  in  praeeeptis 
dederis,  ut  se  Augustum  semper,  prudentem,  strenuum,  magna- 
nimum,  iustum,  liberalem,  paeificum,  pium,  dementem,  tuus  Rex 

{jraestaret,  dignus  es  quem  posteri  etiam  suis  concelebrent  laudi- 
>us.  Hae  virtutes  enim  optimorum  regum  propriae  sunt.  Reli- 
gione  dissidentibus  civibus  tolerantiam  retinenuam  cum  suasisti, 
denuo  Romanae  Ecclesiae,  Orthodoxaeque  Fidei  hostem  te 
ostendisti.  An  ignoras  advonam  haeresin  venerandae  Matrifamilias, 
Fidei  Catholicae  in  Repub.  l'olona,  sine  gravi  iniuria  aequari 
non  pos.se  etc.  Tandem  addit:  In  reliquo  orationis  tuae  cursu 
vela  contraho.  Digna  enim  tuo  Regi  suasisti :  votisque  salutaribus, 
•si  illis  morein  gessisset  prosequutus  es. 

74.  Si  Apologeticus  ille  (Cracoviae  typis  excusus)  ad  manum 
tibi  est,  inspiee,  ista  sie  verbotenus  scripta  reperiea.  Quid  autem 
ex  omnibus  istis  ad  verbis  tui»  fidein  taeiendam  (Polonos  Pane- 
gyrico  isto  irritatos,  de  Euangelicis  extirpandis,  Lesnaque  ever- 
tenda ,  consilia  coepisse)  elicics,  obsecro  ?  Annon  omnia  haec  te 
vanum,  sed  virulentum,  Caluinniatorem  esse  Ostend unt?  cuius  verba 
sirailia  sagittis,  comnaranda  juuiperorum  prunis  (Psal.  120.  4). 
Vere  prunis  candentibus  aut  potius  faeibus  ardentibus,  quibus 


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1893.  Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius.  229 

pyram  (cui  me  ceu  publicum  incendi  ariuni  imposuisti)  sub  me 
accendis.    Ut  tua  causa  mihi  cum  Davide  clamandum  sit: 

Hei  mihi  quod  peregrinor  tarn  diu,  habito  inter  osores  paeis. 
Ego  enim  pacem  diligo,  aut  cum  loquor  (etiam  certe  isto  Pane- 
gyrico  meo  nihil  nisi  pacem  loquutus  fui)  i  11  i  ad  bellum  conela- 
mant  (v.  5,  6,  7). 

75.  Quod  magis,  Apologeticua  ille  Polonorum  mihi  adversus 
praesentem  columniam  tuam  apologiae  loco  est.  Quippe  ubi  illi 
fatentur  1.  Me  tolorantiam  suasisse.  2.  Tolerantiam  tarnen  concedi 
non  posse  propter  principium  suum,  Religionem  nisi  unam  uno  in 
Regno  tolerari  non  debere.  3.  Qui  contrarium  suadeat,  hostem 
esse  Romanae  Ecclcsiae,  Fideique  Orthodoxae.  Videsne  quis  eos 
adversus  Euangelicos,  illorumque  in  Polonia  ceu  metropolin  Les- 
nam,  concitaverit?  Si  nihilominus  meum  scriptum,  Tollerantiam 
optans  et  orans  oceasionem  dedisse  dixeris:  perinde  feceris  atque 
olim  Christiani  fecissent,  si  Justinuni  Märtyrern,  Tatianum,  Athe- 
nagorum,  ineusare  voluissent,  quod  suis  pro  se  intercessionibus 
Ethnicis  ad  Persequutiones  movendas,  aut  continuandas,  occasi- 
onem dedissent.  At  quis  illorum  tarn  perversus.  ut  id  faceret, 
fuit?  quem  admodum  tu  faciendo  te  esse  ostendis. 

76.  Nam  ut  te  non  calumniandi  causa  hoc  adversus  me  scrip- 
sisse,  sed  vere  sie  opinari  (hac  via  hostilem  accensum  fuisse  fu- 
rorem)  credam,  adduci  non  possum:  quia  te  tarn  puerum  imagi- 
nari  non  possum,  qui  Veritatis  hostium  indolem  ignores:  ut  tam- 
etsi  illi  ex  presse  hac  de  causa  id  tieri  dicerent  non  causa  tarnen 
esset,  sed  nQÖoyaoig  et  color?  Iinpossibile  te  inter  legend  um 
Codicem  Dei  et  Historiam  Ecclesiasticam,  et  Martyrologia  non  id 
observasse.  [Nisi  forte  sicut  in  prato  bos  gramen,  apis  tnel,  ci- 
conia  laeertas  quaerit,  ita  Disputationuni  Magister  nihil  in  Omni- 
bus libris  nisi  syllogismos,  illationumque,  exceptionum,  et  limi- 
tationum  formulas?  Quod  si  «tiam  non  causas  ut  causas  expresse 
allegantibus  hostibus  credendum  non  est  [quia  apud  illos  semper 
Agnus  lupo  aquam  turbat]  quomodo  alicui  tratrum  accusatori  tale, 
quid  tingenti  credemus?  Deo  et  Ecclesiae  te  judicandum  trado. 

77.  Antequam  tarnen  ab  hac  recedo  Calumnia,  revoco  tibi  in 
mentom  Legem  Dei,  Deut.  19  v.  16  etc.  quam  et  Erasmus  trac- 
tatu  De  Lingua  allegat  his  verbis:  Quin  et  Gentium  leges 
Calumniatorem  ad  talionis  poenam  vocant,  non  solum  lex 
Mosaica.  Sceleratior  est  qui  crimen  falsum  intendit  proximo, 
quam  mendax  testis:  nam  et  hunc  ille  subornat.  Et  tarnen 
in  Deutoronomio  Deus  Testern  calumniae  eonvictum  iubet 
eodem  aflfici  supplicio  quo  afficiendus  erat  is  qui  delatus  erat, 
si  convinci  potuisset:  Non  miseraberis  eius  [inquit  Deus] 
sed  animam  pro  anima,  oculum  pro  oculo,  dentem  pro  dente, 
man  um  pro  manu,  pedem  pro  pede,  exiges.  Qua  lege  si  standum 
hic  esset,  quid  fieret?    Quia  nempe  Incediariis  supplicium  ignis 


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230  Kvacsala,  Heft  8  u.  9. 

lege»  irrogant:  si  ego  ut  Incendiarius  Civitatis  tuae  convinci 
possam,  flammis  tradendus  suin :  si  tu  criminis  falsi  convinci,  tu. 
Ego  tarnen  contentus  ero,  si  ad  iustitiac  tribunal  illa  tarn  bonis 
perniciosa  credulitas  tua,  et  quibus  eam  illivisti  mendaces  chartae, 
tetrum  denique  illud  in  nie  conceptum  odium  tuum,  tainquam 
infernalis  vere  flamma,  igne  charitatis  l)ei  exurantur. 

(Vindicatio  famac  et  conscicntiae  etc.  p.  32— 33.) 

20. 

Calumnia  IV. 

78.  Cum  te  nuper  privatis  ad  te  liberis  tot  iniuriarum  (qui- 
bus rae  ineonsiderata  illa  in  Anti-Bibellum  tuum  praefatione  affe- 
cisti)  commonefacerem,  Tu  respondendo  aliam  addidisti,  alio  do- 
lore tinetam  calumniam,  Iiis  verbis:  Lesna,  Lesna  inquam,  habet 
quod  de  vobis  conqueratur  aeternum.  Tarn  altas  enim  radiees 
apud  vos  egerant  istae  prophetiae,  ut  injurius  in  Dei  providentiam 
videretur,  illis  qui  non  crederet.  Multi  illorum  reculis  suis  eon- 
vasatis  asylo  aliquo  sibi  prospexisssent  nisi  conatus  illi  per  haee 
talia  fuissent  sufflaminati.  Hoc  autem  quid  est?  Nugari  pro- 
fecto  et  tarnen  simul  fortiter  calumniari.  Nam. 

79.  Totine  Lesnensium  Civitati  prophetiae  hae  innotuerant? 
omnesne  illis  tidem  habendo  dementari  sc.  et  a  quaerendo  asylo 
sufflaminari,  passi?  At  qui  paucissimi  de  illis  aliquid  seibant 
(non  millesima  certe  Lesnensium  pars):  pauciores  etiam  credebant; 
adeoque  praeter  unum  et  altcrum  (uti  solet)  nemo.  Tu  tarnen 
credulitate  deeeptos  pronuntias:  et  quidem  tauta  contidentia, 
ut  aeternas  super  nos  devoces  querelas.  Si  hoc  non  est 
calumniari  (tarn  pathece  in  aliquem  odia  concitare)  quid  ca- 
lumnia sit  neseire  me  fatebor.  Certe  si  qui  crodulitate  peccasse 
dici  posset  id,  Bohemi  mei  essent,  soli  harum  (quamquam  quota- 
cumque  iterum  illorum  pars?)  conscii:  sed  neque  hi  possunt, 
conscientiae  alias  suae  illaturi  vim.  Nam  cum  alii  agminatim 
bona  sua  in  vicinam  Silesiam  eveherent  nostros  autem  quodam 
idem  imitari  volentes  exeniplo  meo  (qui  nihil  emittebam,  retrahi 
audirem,  monendos  publice  putavi,  Providentiae  divinae  fiduciam 
non  excludere  humannm  prudentiam,  sed  includere.  Die  itaque 
jejunii  ac  (toti  Civitati  a  Magistratu  in  singulos  menses  induc- 
tarium)  suiupto  ex  Geneseos  capite  32  v.  I  ad.  12  textu,  quid  ho- 
mini  Christiano  in  angustiis  constituto  faciendum  sit  Jacobi  Pa- 
triarchae  exemplo  doeui.  Nempe  1.  Utcndum  omnibus  humanae 
prudentiae  mediis  (in  specie  ursi ,  quomodo  illa  omnia  sua  in 
duas  turmas  diviserit,  ratione  addita.  Si  altera  hostili  percussa 
furore  esset,  altera,  ut  servaretur,  v.  7,  8)  2.  Orandum,  3.  Deoque 
tidendum  qui  et  Angelorum  satis  habeat  ad  suos  tutandum  (  v.  1.  2) 
et  corda  hostium  ad  misericordiam  flectere  sit  potens  (cap.  33.  4). 

80.  Privatim  ad  quosdam  meorum  dicebam  (non  diftiteor) 
Non  eandem  nobis  atque  Gennanis  et  Polonis  esse  rationem. 


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1893.  Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius.  281 

Istos  enim  in  Silesiam  profugere  tamquam  in  patriam,  ubi  non 
tantum  linguae  eonsortes,  sed  et  notos  atque  cognatos  habentes 
facilius  aive  apertc  degere,  sive  latere  posse.  Nos  e«se  a  Caesare 
patria  haereditariisque  provineiis  proscriptos:  si  vel  captivemur, 
vel  bona  nostra  diripiantur,  neminem  fore,  qui  noatrain  suseipiat 
causam.  In  angustiis  itaque  nos  prae  aliis  esse,  tutissimum  videri 
nos  committere  manibus  Dei,  sive  ad  vitam  sive  ad  mortem.  Hoc 
totum  est  in  quo  mihi  non  quasiti  alibi  asyli  culpa  tribui  possit: 
sed  a  raeis  et  me  ipso,  non  autem  ab  omnibus  Lesnensibus,  qui 
consilia  mea  nec  requisiverunt  nec  audiverunt.  Fuitque  culpa 
[si  fuit]  humanae  imprudentiae ,  non  autem  atrocis  alieuius  od- 
quam  aeterna  provocanda  sint  lamenta  [ut  tu  pessime  declamator 
iacis]  malitiae. 

81.  Pudendum  autem  profecto  hominem  Theologum  de  di- 
vinis  iudieiis  propter  publica  peccata  publicis  poenis  regna  et 
populo.s  involventibus,  tarn  frigidum,  imo  perversum,  ferrc  iudicium, 
ut  attractarum  poenarum  culpam  in  unum  aliquem,  vel  paueos, 
coniieiat,  remque  tarn  tragice  exaggeret  Deus  tibi  ignoscat,  sive 
crassa  ignorantia,  sive  destinata  malitia  sie  peccas.  O  quam  aliud 
erat  gravissimi  Theologi  Superattendentis  Vestri  [patrui  tui  et 
Collegae  mei|  de  bis  iudicium.  Qui  Lesnam  augeri  vicorum 
amplitudine,  maeniis,  pompa,  opibus,  sed  et  simul  crescere  fastu, 
luxu,  dissolutis  moribus,  enormibusque  peccatis,  eoque  maturescere 
ad  poenas,  seu  quam  saepc  privatim  et  publice  [pro  suggestu]  cum 
lacryrais  etiam  quaestus  fuit:  post  eversionem  vero  factam  non 
vanum  se  fuisse  vatem  agnovit,  divina  iusttäcans  iudicia.  Tu  autem 
si  absque  uno  aliquo  hostium  irritatore  fuisset,  Lesnam  tuam  in 
aeterno  futuram  fuisse  flore  autumas?  Plebeium  et  puerile  iu- 
dicium, ne  dicara  insanum,  et  contra  Deum  et  providentiam  re- 
belle. Ex  Propheticis  enim  oraculis,  quae  terribilium  Dei 
iudiciosum  soleant  esse  causae,  et  cur  a  Domo  sua  inchoare  illa 
gaudeat  Deus  diacere  debebas  Theologe.  Nempe  nihil  venire 
mali,  nisi  praeeipiente  Domino:  nec  esse  cur  murrauret  vivens 
homo,  nisi  adversus  peccata  sua.  Scrutandas  esse  potius  vias 
nostras  ut  revertamur  ad  Jehovam  [Thren.  3.  37  etc.],  Passerculum 
etiam  unum  in  terram  non  cadere  sine  voluntate  coelestis  Patris, 
doeuit  Christus  [Math.  10.  29].  Tibi  autem  hominum  millia,  inte- 
graequae  Urbes,  in  gratiam  alieuius  inprudenter  aliquid  sentientis, 
aut  facientis,  pereunt?  quis  Theologiam  hanc  doeuit?  Publica 
peccata,  et  publice  plagae?  annon  correlata  sunt?  essentialis 
nerape  causa  cum  esscntiali  cohaerens  effectu  suo?  Nonne  Theo- 
logus  cogitationes  tales,  Verbo  Dei  et  sanetorum  praxi,  conformes, 
fovere  easdemque  in  popularibus  et  confratribus  suis  excitare  de- 
bebat?  potius  quam  impoenitentis ,  castigationisque  suae  culpam 
in  alios  rcicientis  populi  pessimos,  et  verbo  Dei  daranatos,  iraitari 
mores !  Imo  cogitare  debebas,  annon  tua  quoque  iuventutis  pec- 
cata incendii  Lesnensis  aggregare  iuverint  fomenta !  orareque  cum 
Davide,  delicta  iuventutis  meae,  ne  memineris  Domine  [Psal.  25.  7]. 


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232  Kvacsala,  Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius.    Heft  8  u.  9. 

82.  Quin  tu  potius  cum  profeta,  et  nobiacura  benignitatem 
Dei  quam  in  media  ira  sua  erga  Lesna  exteruit  celebras? 
Dicendo,  Misericordia  Domini  est,  quod  non  sumus  con- 
sumpti,  quia  non  defecerunt  miserationes  eius  (Thren.  3.  22). 
Nunquid  enim  juxta  plagam  percutientis  se  percussit  eam?  aut 
sicut  interficiuntur  interfectores ,  ita  occissi  manus?  (Jef.  27.  7). 

(Vindicatio  famae  et  consc  p.  38 — 42.) 


(Schlufs  folgt) 


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Kleinere  Mitteilungen. 


Aus  neueren  Handschriften-Verzeichnissen'). 


Die  hier  gegebenen   Xaehweisungen   sollen   Hei  trüge  zur  Quellenkunde 
liefern;   es  wird   beabsichtigt,  solche  Handschriften  zusammenzustellen, 
welche   das  Forschungsgebiet  der  Comcnius-Gesellschaft  berühren.  Die 
Heitrage  werden  fortgesetzt  werden. 

Herzogliche  Bibliothek  zu  Wolfenbuttel. 

Nach  Heine  mann,  O.  v.,  Die  Handschriften  der  Herzog- 
lichen Bibliothek  zu  Wolfenbüttel.    Wolfenbüttel  1884  ff. 

Zur  Geschichte  Valentin  Andreaes. 

üelnemann,  a.  O.  Vol.  IV  Nr.  2085. 
7.  4.  Aug,  fol.  Pap.  verschiedenen  Formats,  das  größte  34 1  '•> X 

21x  ,2  cm.    602  Bl.   17.  Jahrh.  von  verschiedenen  Händen. 
Litterae  dirersorum  ad  D.  Johannem  Valentlnem  Andreae 

exaratae  et  transmlssae  de  anno  1636  usque  ad  an- 

nnm  1652. 

Schreiber  sind:  Jac.  Abel  (f.  445 — 445').  Gottlieb  Andreae, 
Johannis  Valentini  filius  (f.  520—522,  526—574).  Paul  An- 
dreae (f.  428—428  ).  Christ.  Bab  (f.  441).  Paulus  Biber- 
stein (f.  324).  Job.  Albert  Birger  ab  Avb  (f.  597—597', 
600-600').  Wendelin  BMzinger  abbas  (f.  307-312).  Petrus 
Cludi  (f.  602).  Nie.  Curaeus  (f.  448—450).  Joh.  Deckinger 
Regiomontanus  (f.  409—414).  Conrad  Ddselius  (f.  407). 
Michael  Döselius  (f.  401-406).  Tobias  Domcrailius  (f.  277 
—279').  Henriciw  Effern  (f.  317—319).  Simon  Ebaesser 
(f.  426-427).  Erasmus  Esenwein  (f.  502—503).  Joh. 
Georg  Esenwein  (f.  344 — 348).  Joh.  Mars.  Evsengrein 
(f.  455).    Job.  Matth.  Faber  (f.  492).    Georg  Fauler  (  f.  525). 


«)  Vergl.  MH.  der  C  G.,  Jahrg.  1892,  S.  131  ff. 
Monnttheft«  <k«r  Oonu-nius-Otsellsrhaft.   1^  3.  17 


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234  Aus  neueren  Handschriften- Verzeichnissen.      Heft  8  u.  9. 

Theodor  Flomming  (f.  354—399).  Petrus  Frison  (f.  602). 
Joh.  Adam  Geinbach  (f.  497).  .Samuel  Gerlachius  (f.  447 
— 447  ).  Matt.  Hafenreffcr  (f.  446).  Joh.  Jac.  Ilainlin  abbas 
(f.  281—306).  Joh.  Hellwag  (f.  325—327).  Joh.  Christoph 
Hopff,  praeceptor  Göppingensis  (f.  442—443).  Joh.  Kaiser 
(f.  439—439').  Georg  Henricus  Keller  (f.  498).  Joh.  Eber- 
hard Knoll  (f.  499—501').  Willi  Koch  (f.  408,  hebräisch). 
Eberhard  Kopp  (f.  508).  Mart.  Kornnauer  (f.  461).  Joh. 
Christoph  Knifft '(f.  438).  Balthasar  Kretzniaier  (f.  575— 
576).  Leonhard  Laurentius  (Lorenz)  (f.  470 — 491).  Georg 
Linde  (f.  510—511.  579).  Joh.  Cornelius  Marci  (f.  494— 
494').  Jacobus  Missicz  (f.  598—598').  Abraham  Nethe 
(f.  452  -453').  Tobias  Pfister  (f.  340—343).  Joh.  Puecher 
(f.  496).  Balthasar  Raith  (f.  321).  Jeremias  Rebstock  abbas 
(f.  313-314).  Valentin  Rother  (f.  495).  Tobias  Schaudili 
(f.  440).  Joh.  Ernst  Schmieden  (f.  465).  Joh.  Henr.  Schor- 
chius  (f.  456—458).  Joh.  Schubelius  (f.  328—339).  Otto 
Frieder.  Schutz  (f.  466 — 469).  Jean  Adam  Sefried  de  Xord- 
lingen  (f.  464).  Thomas  Silemannus  (f.  463).  Joh.  Martinus 
Speidel  (f.  316—316').  Elias  Sprengel  (f.  315).  Joh.  Jac. 
Strohn  (f.  349—350',  429—437).  Levin  Sutor(f.  416-425). 
Vitus  Trexelius  ( f.  444  -  444').  Matthaeus  Varenbfiler  ( f.  506 
—507 ).  Johannes  Vetter  ( f.  493  -493').  Tobias  Wagner  (f.  1  — 
274).  J.  Walderode  (f.  577—578').  Joh.  Georg  Weber  (f. 
482).  Jacobus  Wehm  (f.  509).  Marcus  Widemann  (f.  513 
—519).  Joh.  Lud.  Wider  (f.  415).  Georg  Zappler  (f.  459 
-460).  Christophorus  Zeller  (f.  504-504'.  524—524.). 
Aufscrdem:  1)  Ein  hebräischer  Brief  (f.  351—353).  2)  Pro- 
gramma  funebre  I).  Jacobi  Andreae  (f.  580 — 584).  3)  Rec- 
toris  et  Senatus  Tubingensis  edictum  (f.  586—588').  4)  Rec- 
toris  et  Senatus  Witebergensis  testimonium  pro  Josepho 
Adiuto  ex  Oriente  ultimo  orthodoxae  fidei  confessore  (f.  594 
—595). 

Lose  liegen  vorn  noch  in  dem  Bande  Leichencannina  auf  Joh. 
Val.  Andreae  von  Johannes  Angelin  (2),  Henr.  Effern  (1). 
Joh.  Georg  Esenwein  (1),  Theodor  Fleiuming  (1),  Eberhard 
Knoll  (1),  Eberhard  Kopp  (1)  und  Gottlieb  Andreae. 

Prov.  ti.  Gesch. :  Gehörte  früher  Joh.  Val.  Andreae. 

Ebd.:  Pergamentband  mit  grünen  Bindebändern. 

Heinemann,  a.  O.  Vol.  IV  (1890),  Nr.  2086. 

7.  5.  Aug.  fol.  Pap.  verschiedenen  Formats ,  das  größte  35  X 
20x  2  cm.    503  Bl.    17.  Jahrh.  von  verschiedenen  Händen. 

Enthält: 

1)  f.  1—39:  Carmina  gratulatoria  neeuon  dedieatorla  1). 
Johann!  Yalentino  Andreae  a  propinquis  et  amicls 
trau  amissa. 


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1893. 


Aus  neueren  Handschriften- Verzeichnissen. 


235 


2)  f.  40—503:  Litterae  diyersoram  ad  eondem  scriptae  et 
transmlssae  de  anno  1634  nsque  ad  annum  1649.  Vergl. 
2106  (10). 

Schreiber  sind:  Jacob  Abel  (f.  366).  Bernhardus  Albertus  (f. 
323).  Paulus  Andreac  (f.  314).  Andreas  Berchtold  (f.  450). 
Wendelin  Bilffinger  (f.  223—234).  Frieder.  Chesnel  (f.  345). 
Nicolaus  Cunaeus  (f.  154—157.  319).  Joh.  Jac.  Dannenritter 
(f.  453).  Josephus  Derameler  (f.  206—210).  J.  Dörtenbach 
(f.  443).  Melchior  Sylvester  Eckhardus  (f.  253—261).  Hen- 
ricus  Efferen  (f.  265-291.  439-441).  M.  G.  E.  (f.  262— 
263).  Job.  Elermejer  (f.  479).  Matthaeus  Faber  (f.  351). 
Josua  Faeschius  (f.  140—151.  158—161.  167  —172').  F.  Gast- 
purus  (f.  137.  175  ).  Stephan  Gerlach  (f.  331—332.  335— 
338,  341—342).  Glöckberg  (t.  464).  Joh.  Conr.  Gobelinus 
(f.  356).  Matthiaa  Hafenreffer  (f.  152-153.  315-318). 
Nicolaus  Hagelmeier  (f.  480).  J.  J.  Hainlin  (f.  51-129). 
Christophorus  Harpprechtus  (f.  339—340.  343—344).  Joh. 
Hellwag  (f.  376—384).  Josua  Henrich  (f.  487—489).  Magnus 
Ilcsenthaler  (f.  333).  Joh.  Conr.  Hiemer  (f.  442).  Joh. 
Phil.  Hillerus  (f.  346-349).  Joh.  Honold  (f.  481-483). 
Joh.  Keyser  (f.  474—476).  Joh.  Kies  (f.  162).  Joh.  Kircher 
(f.  350).  Joh.  Samson  Kornbeckh  (f.  394-395').  Job. 
Petrus  Krnger  (f.  420).  Joh.  Wendelin  Langius  (f.  227). 
Leonhard  Laurentius  (Lorenz)  (f.  292—313',  424—438'). 
Christoph  Lutz  (f.  387).  Erhard  Machtolphus  (f.  41-50). 
Georg  Conr.  Maicterus  (f.  211 — 222).  Heinricus  Moglingus 
(f.  354).  Joh.  Lud.  Möglingus  (f.  370-371  ).  Georg  Mftrdel 
(f.  419).  Gcorgius  Nasehold  (f.  451).  Daniel  Osiander  (f. 
491).  J.  B.  Osiander  (f.  264).  Lucas  Osiander  (f.  412— 
415.  492—494).  Joh.  Wilh.  Pfaff  (f.  385).  Albertus  PHtz 
(f.  396—399).  Joh.  Ulric.  Pregitzer  (f.  369).  Georgius  Raub 
(f.  352).  Balthasar  Kaith  (f.  372-375).  Philippus  Raumajer 
(f.  163— 166.  177— 178).  Jeremias  Rebstock  (f.465— 478).  Jac. 
Roth  (f.  411 ).  R.  Roth  (f.  421 ).  Jac.  Rothweiler  (f.  484).  Wilh. 
Schabhart  (  f.  463).  Tobias  Schaudeli  (f.  446).  Joh.  Schlatter 
(f.  133— 135).  Jos.  Schletterberch  (f.  130-131).  Joh.  Cunr. 
Schutz  (f.  496-503).  Georg  Schwegler  (t*.  364—365). 
Fridericus  Sohner  (f.  324.  326—330).  Joh.  Spalth  (f.  320 
— 325).  Joh.  Mart.  Speidell  (f.  201—205).  Elias  Sprenger 
(f.  132).  Stellanus  (f.  422).  Joh.  Jac.  StrAlin  (Ströhn)  (f. 
400—410).  Levinus  Sutor  (f.  454—461).  Jos.  Henr.  Vieillot 
(f.  490).  Joh.  Georg  Volmar  (f.  478).  Joh.  Bernhard 
Wagner  (f.  235—252).  Jac.  Wehm  (f.  388—391).  Joh. 
Georg  Weigenmeier  (f.  448).  Joh.  Weiss  (f.  392—393'). 
Joh.  Werner  (f.  138).  Georg  Beruh.  Wibel  (f.  321).  Theo- 
philus  Wibel  (f.  322).  Samuel  Widmann  (f.  367-868). 
Gallus  Zeaemann  (f.  173—174).    Christopherus  Zeller  (f.  179 

17* 


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286  Aus  neuereu  Handschriften-Verzeichnissen.      Heft  8  u.  9. 

-200).  Joh.  Zeller  ff.  413-414.  416-417).  Joh.  Zuuisler 
(f.  449). 

JProv.  u.  Gesch.:  Gehörte  früher  Joh.  Val  Andreae. 

JRbä.:  Pergamentband  mit  grünen  Bindebändern. 

Ueineiuann,  a.  O.  Vol.  IV  (1890)  Nr.  2106. 

8.  7.  Aug.  fol.  Papier  verschiedenen  Formais,  das  gröfste  33  X 
21  cm.  554  EU.  16.  u.  17.  Jahrh.  Von  verschiedenen  Händen. 
Enthält: 

1)  f.  1 — 2:  Testimonium  Ph.  Melanchthonis  autographum  datum 
Henrico  Effrehen,  1554,  die  Matthiae  (Febr.  24).  Deest  in 
editione  Corporis  Keformatorum. 

2)  f.  3—4:  Epistola  ignoti  ad  Andream  Alusculum. 

3)  f.  5:  Jacobus  Andreae  lectori  pio,  d.  d.  Bebenhusii,  1585. 
Dec.  30. 

4)  f.  6—7:  Ejusdem  epistola  ad  Christophorum  ducem  Wirtem- 
bergicum. 

5)  f.  8 — 9:  Ejusdem  epistola  ad  Joh.  Marpachium,  d.  d.  Lypsiae. 
1578.  Juli  15. 

6)  f.  10:  Epistola  Johannis  Andreae  ad  Joh.  Langium  1588. 
Sept  15. 

7)  f.  11 — 12:  Epistola  M.  Bueeri  ad  Hecto rem  Poemer  Nurem- 
bergensem,  d.  d.  Argentorati,  Nov.  28. 

8)  f.  13:  Epistola  M.  Viti  Theodori  Nurinberg.  ad  eundem. 

9)  f.  14:  Epistola  M.  Erasmi  Grieninger  ad  fratrem  suum 
Josuam  Grieninger,  1590.  Jan.  31. 

10)  f.  15—554:  Litterae  dirersorum  ad  Johannem  Valen- 
tinam  Andreae  exaratae  et  transmlssae  de  anno  1020 
usque  ad  annnm  1649.   Vergl.  2085  und  2086  (2). 

Schreiber  sind:  Georgius  Albertus  (f.  35  — 43).  Jac.  Bruno  (f. 
473).  Georg  Calixtus  (f.  88-89.  92'— 93).  Joh.  Conr.  Dam- 
hauer  (f.  84—87),  Conradus  Dieterieus  (f.  376—377).  Joh. 
Dilgerus  (f.  90).  Nathan  Dilgerus  (f.  353.  361.  363—364. 
366—375').  Joh.  Georg  Dorscheus  (f.  80— 83).  Joh.  Duraeus 
(f.  91).  Joh.  Eberken  (f.  409— 410').  Georg  Erhardt  (f.  474). 
Henricus  Faber  (f.  415-423).  Jae.  Fabricius  (f.  92). 
Fulanus  (f.  354-360.  365).  Balthasar  Goekelius  (f.  378— 
402  ).  Joh.  Conr.  Goebelius  (f.  15 — 34).  Joh.  Haspelmacher 
(f.  94).  Jae.  Henoldus  (f.  403—408).  Jac.  Hermsdorff  (f. 
431).  Mich  Laminit  (f.  432).  Joh.  Latennannus  (f.  97-97  ). 
Justus  Jac.  Leibnitz  (f.  486).  Matthäus  Luther  (f.  414). 
Christoph  Maek  (f.  495—506')  Joh.  Mair  (f.  475-585). 
Christoph  Meelfuhrer  (f.  292-352)  Mentzer  (f.  96).  Mel- 
chior Nicolai  (f.  520-553).  Heinricus  Omeis  (f.  487-493). 
Joh.  Petrus  (f.  433).  Joh.  Saubertus  (f.  98—291).  Joh. 
Adam  Schaffer  (f.  507—511).  Joh.  Schmidt  (f.  44—79). 
Conr.  Schragmnller  (f.  494).  J.  J.  Schuele  (f.  515 — 519). 
Joh.  Conr.  Stalpius  (f.  434).     Jac.  Viseher  (f.  436-441). 


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Aus  ueueren  Handschriften-Verzeichnissen. 


237 


Bernhardus  Waldsehniidt  (f.  413).  Conr.  Weiniger  (f.  442 
—455'  ).  Erhardus  Weinmann  (f.  512— 514).  Michael  Wen- 
celius  (f.  435).  Georg  Wibel  (f.  456—472).  Daniel  Wulffer 
(f.  411—412).  Georg  ZArlin  (f.  424). 
Vorn  eingeklebt :  1 )  Fama  Posthuraa  Incomparabilis  ac  Orna- 
tissimi  Theologorum  Johan-Valentini  Andreae  etc.  auctore 
G.  A.  2)  Elegiae  in  memoriam  J.  V.  Andreae,  auctore 
Johanne  Schnbclio  diacono  Stutgard. 

J*rov.  u.  Gesch.:  Wohl  fritfier  im  Besitze  von  J.  V.  Andreae. 

Ebd.:  Pergamentband  mit  grünen  Bindebändern. 

Heinemami,  a.  0.  Vol.  IV  Nr.  2116. 
10,  5.  Aug.  foL    Pap.  verschiedenen  Formates,   das  grö/ste 
34X23  cm.  638  Bl    16.  und  27.  Jahrh.    Von  verschiedenen 
Händen. 
Enthält: 

1)  f.  131—198':  Direraoruin  rirorum  erudttoruiu  saeeuli 
re forma tlonis  epfstolae  ad  Mlchaelem  Cellariuni,  Ml- 
ehaelein  Maestllnum  et  altos.  Scriptores  sunt:  Abbates 
cenobiorum  ducatus  Wirtcmbergensis  (f.  131  — 134).  Besoldus 
(f.  158).  Bullingerus  (f.  147-147').  Bucerus  (f.  142-145). 
Georgius  Calixtus  (f.  194—197).  Capito  (f.  136—137).  Jac. 
Cappelbeck  (f.  156).  Laurentius  Coaemanus  (f.  181).  Ana- 
stasius Demeler  (f.  157).  Pomponius  Ellema  (f.  176—176'). 
Thoraas  Finck  (f.  180).  Stephanus  Gerlach  (f.  155).  Samuel 
Haylandt  (f.  182—185').  Tobias  Hess  (f.  163).  Bartholo- 
maeus  Huberus  (f.  177  —  178).  loacnt  Koit6dovXo$  (f.  159 — 
—  159').  Polycarpus  Leyser  (f.  152—153).  Michael  Maest- 
linus  (f.  186-187).  Joh.  Mathesius  (f.  146— 146').  Georgius 
Mederns  (f.  171—175).  M.  Meinhard  (f.  169-170').  W.  Mus- 
culus (1  138  — 141).  Thomas  Naogeorgius  (f.  149).  L.  Osiander 
(f.  161).  Georgius  Köllen hagen  (f.  167—167').  M.  Schaeferus 
(f.  188—188').  Hieronymus  Wolfius  (f.  164—166).  —  f.  150: 
Epistola  Caroli  Comitis  Palatini  Rheni  ad  rectores  et  pro- 
fessores  academiae  Heidelbergensis  d.  d.  1580.  Oct.  13.  — 
f.  135:  Folium  manu  Ph.  Melanchthonis  exaratum. 

2)  f.  1—130'.  199-465.  489-535:  Varil  ordtnis  epistolae 
Johannis  Valentlnl  Andreae  et  ad  eundem  de  annls 
164!)— 1652.  Nomina  scriptorum  sunt  haec:  Joh.  Val. 
Andreae  (f.  332-341.  362).  Crafto  Assum  (f.  382-388  ). 
Joh.  C.  Assum  (f.  380—381 .  389).  Joh.  Heinr.  Boeelerus 
(f.  452—454).  Conrad  Breuning  (f.  285).  Joh.  Conr.  Brot- 
beckh  (f.  419—424.  540).  Abraham  Calerius  (f.  206).  Wolfg. 
Georgius  comes  Castelli  (f.  1).  Fritz  von  Crain  (Kraram) 
(f.  5-6  ).  Hartmannus  Creidius  (f.  330).  J.  Cronegk  (Cro- 
neccius,  Kronegk)  (f.  2—8).  Nathanael  Dilgerus  (f.  253 — 
259).  Johan  Michael  Dilherus  (f.  227—228).  Joh.  Georg 
Dorachertts   (f.  222—226).      Elias   Ehinger  (f.  455—461). 


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238  Aus  neueren  Handschriften- Verzeichnissen.      Heft  8  u.  9. 


Joh.  Henr.  Faber  (f.  295-303).  Joh.  Frischmann  (f.  395— 
396).  Joh.  Geilfuls  (f.  501).  M.  Stephanus  Gerlachius 
(f.  502 -  51 7',  539—539' ).  Balthasar  Gockelius  (f.  282—283'). 
Martinus  Gosky  (f.  407—412).  Hieronymus  Hainhofer  (f.  9L 
-94).  Georg  Philippus  Harsdörfer  (f.  95-99).  Joh.  Haspel- 
macher (f.  210).  PolycarpuB  Heiland  (f.  391  —392*).  Johannes 
Henisius  (f.  415-417).  Magnus  Hesenthaler  (f.  518-532). 
Hieronymus  im  Hoff  (f.  7—76).  Jacob  Honoldu«  (f.  286— 
294).  Thomas  Hopfer  (f.  308-310'.  319).  Joh.  Hulsemann 
(f.  202—205).  Kram  s.  Cram.  —  Joh.  Conr.  Kreidemann 
(f.  343-361.  303—379  ).  Kroncgk  s.  Cmncgk.  —  Thomas 
Lansius  (f.  397—398).  Anthonius  Laynarius  (f.  321).  Con- 
rad Leschenbrandt  (f.  284).  Christoph  Mack  (f.  311—315). 
Joh.  Mair  (f.  304  -307').  Ludewicus  de  May  (f.  77—90, 
auch  Briefe  an  die  Herzogin  Sophie  Elisabeth  von  Braun- 
schweig und  deren  Tochter).  Cnristophorus  Mehlfuhrer  (f. 
260—281).  Petrus  Mendelius  (f.  489—494).  HectorMicho- 
bius  (f.  231).  J.  M.  Moscherosch  (f.  399—404).  H.  Neuw 
(f.  394—394).  Melchior  Nicolai  (f.  234—237).  Georg 
Oehlerus  (f.  535).  Heinricus  Oraeis  (f.  316—318).  Christophor. 
Godefredus  Pfintzing  (f.  101-122).  Jeremias  Rebstock  (f. 
329).  Jean  Jacques  Keusch  (Reisch)  (f.  124— 129  ).  Mar- 
tinus Reuschern  (t.  487— 500').  Eberhardus  Sehafelitzkius  (f. 
123).  Joh.  Conr.  Saxc  (f.  500a).  Samuel  Schalleaius  f.  (  533 
—534).  H.Schraidius  (f.  322).  Joh.  Schmidt  (f.  211-220'). 
Joh.  Conr.  Schragmüller  (f.  229).  J.  F.  Selbingerus  (f.  324). 
Joachim  Stollius  (f.  325-328).  J.  G.  Styrzel  (f.  427—451). 
Wendelin  Sybelist  (f.  413-414').  E.  Theobaldus  (f.  199). 
Johann  Otto  Tuber  (f.  390).  Joh.  Henr.  Ursinus  (f.  323— 
323 j.  Joh.  Jac.  Wagnerus  (f.  405—406'.  423).  Bernhardus 
Waldschmidt  (f.  320).  J.  Weinlin  (f.  418).  Martinus  Zeil- 
lerus  (f.  130).  Chr.  Zeller  (f.  239—252  ).  Georgius  Zier- 
linus (f.  233).    Vergl.  2085,  2086  (2),  2106  (10)  

7)  f.  537—556,  561-638:  Carolina  maxlmam  ad  partem  in 
honorem  Jacob!  Valentin!  Andreae,  auctoribus  Julio 
Andreae.  J.  V.  Andreae,  Joh.  Conr.  Brotbeckh,  Marco  Dol- 
metscher, Elia  Ehingcr,  Georgio  Esenwein,  Theodoro  Flem- 
ming,  Martino  Gosky,  Georg.  Philippo  Harsdörffer,  Tobia 
Pfister,  J.  M.  Keuschero,  Tobia  Schaudelio,  Henrico  Schmidio, 
Johanne  Schübelio,  Levino  Sutor  aliisque.    Vergl.  2086  (1)# 

8)  f.  557—560:  Ezechias  rex  Juda  e  lethall  morbo  ad 
Titam  revocatus. 

Haec  Deo  Sospitatori  canit  Soteria.    Manu  E.  Ehingen). 
Prot»,  u.  Gesch.:  Wie  2085  und  2086. 
Ebd.:  Wie  2085  und  2086. 


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Litteraturberieht. 


Anton  Gindely  über  Comenius. 

Wenn  Gindely  Uber  Comenius  urteilt,  so  wird  es  niemand 
wagen,  ohne  gründliche  Untersuchung  ihm  zu  widersprechen.  Er 
wird  es  selbst  dann  nicht  thun ,  wenn  jener  etwas  an  der  Hand- 
lungsweise des  C.  zu  tadeln  hat. 

Dr.  Anton  Gindely  (vgl.  Monatshefte  I  4,  S.  322)  gehörte  zu 
den  ersten,  welche  das  Leben  des  C.  zum  Gegenstande  einer  gründ- 
lichen Forschung  machten.  8eine  Abhandlung  über  des  C.  Leben 
und  Wirksamkeit  in  der  Fremde,  1855  veröffentlicht  in  den  Sitzungs- 
berichten der  philosophisch-historischen  Klasse  der  k.  k.  Akademie 
der  Wissenschaften  in  Wien,  wurde  für  alle  späteren  Arbeiten  über 
(!.  von  mafsgebender  Bedeutung.  Als  dann  das  Jahr  1890  der 
Comeniusforschung  einen  neuen  Aufschwung  gab;  als  Kvacsala,  Pro- 
fessor am  evangelischen  Lyceum  in  Prefsburg,  sein  grofses  Werk 
über  da»  Leben  des  C  verfafste  uud  dabei  aus  bisher  nicht  be- 
kannten Quellen  wie  z.  B.  der  im  Keichsarchiv  in  Budapest  auf- 
bewahrten Korrespondenz  des  C.  schöpfte,  da  nahm  auch  Gindely 
seine  Forschung  über  ihu  wieder  auf,  durchsuchte  die  im  böhmischen 
Museum  aufbewahrte  handschriftliche  Korrespondenz  und  verbesserte 
und  ergänzte  seine  Abhandlung,  in  welcher  er  in  wesentlichen 
Punkten  von  Kvacsala  abweicht. 

Dafs  diese  Abhandlung  jedem,  der  sich  über  die  neuesten  das 
Leben  des  C.  betreffenden  Forschungsergebnisse  in  Kürze  unter- 
richten will,  leicht  zuganglich  geworden  ist,  das  verdanken  wir  der 
Verlagshandlung  von  Fournier  &  Haber ler  in  Znaini.  Sie  hat 
durch  die  von  ihr  seit  1892  veröffentlichten  „C  o  m  e  n  i  u  s  s  t  u  d  i  e  n" 
schon  viel  zur  Verbreitung  seines  Namens  beigetragen.  Als  sechste 
Nummer  dieser  Comeniusstudien  erschien  der  Aufsatz  von  Dr.  Anton 
Gindely  über  des  C.  Leben  und  Wirksamkeit  in  zweiter,  neu  be- 
arbeiteter Auflage.  Der  eigentlichen  Abhandlung  sind  hier  noch 
acht  Beilagen  angeschlossen,  eine  von  C.  aufgestellte  Rechnung  über 
Geldsamtnlungen ,  welche  in  England  für  die  böhmischen  Brüder 
veranstaltet  waren,  und  sieben  Briefe  des  C. 


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240 


Litteraturberieht. 


Heft  8  u.  9. 


Gindcly  schildert  uns  in  seinem  Büchlein  nicht  blofs  den  Päda- 
gogen, den  Bischof,  den  Dulder;  er  eröffnet  uns  auch  einen  Einblick 
in  seine  Seele,  in  seine  Gemütsart.  Und  immer  geschieht  dies  sine 
studio  et  ira,  wie  mau  es  von  einem  rechten  Geschichtsschreiber 
erwartet,  was  bei  dem  Gegensatz  seines  Bekenntnisses  zu  dem  des 
C.  um  so  höher  anzuschlagen  ist.  Doch  möchte  man  fast  meinen, 
dafs  in  einem  Punkte  die  Ansicht  Gindelys  durch  diesen  Gegensatz 
beeinflufst  sei,  wenn  nicht  auch  evangelische  Gelehrte  bereits  die- 
selbe Ansicht  ausgesprochen  hätten.  Man  liest  nämlich  in  fast  allen 
Lebensbeschreibungen,  dafs  C.  Weltentsagung  gepredigt  habe,  und 
auch  in  Gindelys  Abhandlung  lesen  wir  dies  (S.  11).  Dieses  Urteil 
gründet  sich  auf  die  Erbauungsschriften,  die  C.  in  jüngeren  Jahren 
verfafste,  besonders  auf  die  Schrift  „das  Labyrinth  der  Welt  und 
das  Paradies  des  Herzens'4.  Aber  es  steht  im  Widerspruch  schon 
mit  den  Gedanken,  die  er  im  „Faber  fortunae"  darlegt,  es  steht  im 
Widerspruch  mit  der  warmen  Teilnahme,  die  er  in  seinen  pädago- 
gischen Schriften  für  alle  Verhältnisse  des  Menschenlebens  an  den 
Tag  legt:  es  steht  im  Widerspruch  mit  seinem  pädagogischeu  Grund- 
gedanken, dafs  die  Schule  für  das  Leben  vorbereiten  solle,  am 
meisten  aber  widerspricht  jenes  Urteil  seinem  eigenen  Leben  und 
Wirken.  C.  war  durchaus  nicht  der  Meinung,  dafs  man  alles  in 
frommer  Ergebung  Uber  sich  ergehen  lassen  solle.  Er  ist  unaus- 
gesetzt bemüht,  seiner  Gemeinde  die  Rückkehr  ins  Vaterland  zu 
erwirken.  Unermüdlich  arbeitet  er  an  der  Verbesserung  des  Schul- 
wesens. Niemals  verzweifelt  er  an  der  Verbesserung  der  Welt,  und 
alle  seine  Kräfte  stellt  er  in  den  Dienst  der  Menschheit.  Darum 
ist  Weltentsagung  nicht  das  rechte  Wort  für  das  Verhältnis  des  C. 
zur  Welt.  Treffender  würde  es  geistige  WeltUberwindung  genannt. 
So  urteilt  auch  Kvacsala.  Er  sagt  im  Vorwort  (S.  IV):  „Man  nannte 
den  C.  einen  frommen  Dulder,  man  behauptete,  der  Grundsatz  seiner 
Ethik  sei  der  Quietismus,  Ergebung  in  Gottes  Willen:  dies  fand  ich 
nur  insofern  richtig,  als  er  im  Dulden  fromm  war,  und  wo  mensch- 
liche Hilfe  nicht  ausreicht,  sich  in  Gottes  Willeu  ergab.  Aber  eine 
rastlose,  fast  über  Meuschenkräfte  hinausgehende  Thätigkeit,  un- 
ermüdeter,  wenn  auch  mit  dem  Eudziele  des  Friedens  geführter 
Kampf  für  die  hehren  Ideale  des  Glaubens,  des  Vaterlandes  und 
des  Humanismus  auf  allen  Gebieten,  sogar  auf  politischem,  das  er- 
schien als  die  richtige  Kennzeichnung  seiner  Lebensbahn.4* 

Betrachtet  man  unter  diesem  Gesichtspunkte  die  Thätigkeit,  zu 
welcher  sich  durch  die  Weissagungen  Drabiks  veranlafst  fühlte, 
so  wird  man  dem  herben  Urteil  Gindelys  über  dieselbe  nicht  bei- 
stimmen können.  Drabik,  ein  Geistlicher  der  böhmischen  Brüder, 
weissagte  aus  Visionen,  die  ihm  zu  teil  geworden  seien,  dafs  (Jott 
das  Haus  Habsburg,  den  mächtigsten  Feind  des  Evangeliums,  stürzen 
werde:  dafs  sein  Sturz  nahe  bevorstehe;  dafs  sich  der  Norden  und 
der  Osten  verbinden  würden,  um  dieses  Gottesgericht  zu  vollstrecken. 
Er  forderte  als  eiu  von  Gott  Gesandter  den  Fürsten  von  Sieben- 
bürgen auf,  im  Verein  mit  Schweden  gegen  Österreich  zu  Felde  zu 


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1893. 


Litteraturbericht. 


241 


ziehen,  die  ungarische  Königskrone  würde  der  Siegespreis  sein. 
Viele  erklarten  Drabik  fllr  einen  Betrtlger,  C.  und  andere  glaubten 
ihm;  er  hatte  es  ja  mit  einem  furchtbaren  Eide,  den  die  zur  Prüfung 
eingesetzte  geistliche  Kommission  ihm  auferlegte,  feierlich  beschworen, 
daf»  ihm  seine  Offenbarungen  von  Gott  gegeben  seien.  Drabiks 
Gegner  wiesen  0.  hin  auf  den  schlechten  Lebenswandel  des  Mannes : 
Drabik  war  dem  Trunk  ergeben.  Auch  sonst  stand  er  in  üblem 
Rufe.  Aber  ('.  entgegnete  allen  Ernstes,  auch  Bileam  sei  kein  Ge- 
rechter gewesen,  und  doch  habe  er  die  Wahrheit  verkündigt.  „So 
blieb  C.,u  Bagt  Gindely,  „förmlich  blind  und  taub  gegen  vernünftige 
Vorstellungen."  Aber  was  ihn  verblendete,  das  war  nicht  etwa 
Eigensinn,  das  war  vielmehr  der  religiöse  Glaube  »der  bosser  Aber- 
glaube seiner  Zeit,  die  dadurch  verursachte  unfreie,  sich  jedes  eige- 
nen Urteils  begebende  Stellung  zur  heiligen  Schrift  und  die  mangel- 
hafte Einsicht  in  das  Wesen  und  die  Bedingungen  der  Prophetie. 

Genug,  C.  glaubte  jenen  Offenbarungen.  Mufste  er  es  unter 
diesen  Umständen  nicht  als  eine  heilige  Pflicht  ansehen,  den  noch 
zaudernden  König  zur  Erfüllung  des  prophetischen  Wortes  anzu- 
feuern? Und  als  sich  der  Fürst  nun  wirklich  zum  Kriege  rüstete; 
als  er  wirklich  einen  Bevollmächtigten  nach  Schweden  sandte;  als 
dieser  den  0.  in  Lissa  auf  des  Fürsten  Befehl  um  Rat  und  Wei- 
sungen ersuchte,  durfte  (.'.  seine  Mitwirkung  versagen!  Mufste  er 
nicht  auch  weiterhin  alles  thun,  was  in  seinen  Kräften  stand,  um 
das  Bündnis  herbeizuführen?  Hiefs  es  nicht,  Gott  versuchen,  wenn 
er  jetzt  die  Hände  in  den  Schofs  legen  und  zusehen  wollte,  ob  er 
auch  ohne  ihn  sein  Wort  erfüllen  werde  ?  Konnte  er  das  vor  seinen 
verbannten  Brüdern  verantworten,  in  denen  jene  Weissagungen  wieder 
die  Hoffnung  auf  baldige  Rückkehr  ins  Vaterland  angefacht  hatten? 
Und  es  war  nicht  blofs  Gehorsam  gegen  eine  vermeintliche  Offen- 
barung, was  ihn  zum  Handeln  trieb.  Es  waren  durch  sie  auch  in 
seinem  Herzen  Sehnsucht  und  Hoffnung  wieder  mächtig  erwacht. 
Ach  wie  gern  hatte  er  die  Erhörung  so  heifser Gebete  noch  erlebt! 
Gindely  nennt  die  zu  einem  Kriege  gegen  Osterreich  treibenden 
Bemühungen  des  C  Aufhetzungen.  Wer  sich  in  die  Seele  des  C. 
versetzt,  wird  unmöglich  so  urteilen  können. 

Der  König  von  Schweden  eröffnete  wirklich  den  Krieg,  doch 
nicht  gegen  Osterreich,  sondern  gegen  Polen.  C.  war  froh,  dafs  der 
Krieg  überhaupt  begann :  er  zweifelte  nicht ,  dafs  auch  bald  Oster- 
reich würde  mit  hineingezogen  werden.  Dann  erfüllte  sich  die 
Weissagung.  Aber  einen  Krieg  gegen  Polen  hatte  er  nicht  ge- 
wollt, auch  nicht  angeraten.  Wir  dürfen  also  den  C.  von  dem  Vor- 
wurfe freisprechen,  den  Gindely  gegen  ihn  erhebt,  wenn  er  sagt: 
„C.  hatte  auf  diese  Weise  durch  «eine  Aufhetzungen  —  —  erreicht, 
was  er  wünschte:  der  Krieg  zwischen  Polen  und  Schweden  war  ent- 
brannt." Wohl  aber  werden  wir  Gindely  zuereben  müssen,  dafs  C. 
unklug  und  unvorsichtig  handelte,  als  er  an  den  siegreichen  Schweden - 
könig  ein  Beglückwünschungsschroiben  richtete,  welches  veröffentlicht 
wurde.    Freilich  die  Veröffentlichung  hatte  er  nicht  gewollt,  wie 


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242 


Li  tteraturberi  ch  t. 


Heft  8  u.  9. 


Kvacsala  S.  869  ausdrücklich  hervorhebt.  Er  hatte  es  nur  nicht 
Uber  sich  vermocht,  dem  Stadtoberhaupt  von  Lissa  seine  Bitte  um 
ein  BeglückwUnschungsschreiben  an  den  König  entschieden  abzu- 
schlagen. Es  scheint  C.  Uberhaupt  schwer  geworden  zu  sein, 
dringende  Bitten  abzulehnen.  Diese  Schwäche  tritt  ganz  auffallend 
hervor  in  der  Zeit,  als  man  ihn  zur  Teilnahme  an  dem  Religions- 
gespräch in  Thoru  bewegen  wollte.  Als  ein  Teil  der  Brüder  nicht 
ablief« t  ihn  zu  bestürmen,  bat  er  den  Herrn  von  Geer,  ihn  nach 
Schweden  zu  berufen,  damit  er  einen  genügenden  Vorwand  fllr  seine 
Nichtbeteiligung  besitze.  Herr  von  Geer  berief  ihn  wirklich  nach 
Schweden.  Aber  bereits  hatte  er  sich  doch  wieder  zur  Reise  nach 
Thorn  Uberreden  lassen  (S.  47). 

Diese  Schwäche  des  C.  war  jedoch  nur  das  Übermafs  einer 
Tugend,  sie  war  Übertriebene  Sanftmut.  Es  gab  keine  bedeutende 
Erscheinung,  keine  bedeutende  Persönlichkeit,  die  nicht  auf  C.'s 
Herz  sofort  tiefen  Eindruck  machte  und  es  eine  Zeitlang  ganz  in 
ihrem  Zauberkreise  hielt,  bis  er  die  empfangenen  Eindrücke  in 
stillem,  abwägendem  Nachdenken  in  sich  verarbeitet  hatte.  Gindely 
erzählt  davon  sehr  auffallende  Beispiele.  Ein  angesehener  Kapuziner 
Namens  Valerian,  ein  Mann  von  grofser  Schlagfertigkeit  und  diploma- 
tischem Geschick,  hatte  eine  Polemik  gegen  den  evangelischeu 
Glauben  geschrieben ;  er  hatte  sogar  in  einer  dadurch  veranlafsten 
öffentlichen  Disputation  mit  einem  evangelischen  Geistlichen  den 
Sieg  davongetragen,  so  dafs  dieser  zum  katholischen  Glauben  Uber- 
trat. Wieviel  hatte  0.  bereits  Uber  den  Gegenstand  der  beiden  Be- 
kenntnisse nachgedacht!  Wie  klar  war  er  sich  darüber!  Und  doch 
vermochte  die  Schrift  des  Valerian  noch  einen  tiefen  Eindruck  auf 
ihn  zu  machen,  so  dafs  es  ihn  trieb,  noch  einmal  zu  vergleichen, 
noch  einmal  ohne  Voreingenommenheit,  ohne  Selbstüberhebung  zu 
prüfen.  Er  bekennt  dies  auch  offen  seinem  Gegner  in  einem  seine 
Widerlegungsschrift  begleitenden  Briefe,  und  Kvacsala  wie  Gindely 
finden  dieses  Bekenntnis  so  bezeichnend,  dafs  sie  es  uns  in  Über- 
setzung mitteilen  (Kv.  S.  280,  G.  S.  43):  „Als  ich  dein  Buch  zum 
erstenmal  erhielt,  sah  ich,  welch  grofse  Dinge  dasselbe  behandelt, 
mit  welchem  Selbstvertrauen  du  die  Sache  führst;  wie  vieles  du 
schön,  gediegen  und  fromm  bewegst,  denn  vieles  hast  du,  was  sehr 
schön  ist.  Da  wagte  ich  nicht,  das  Buch  weiter  zu  lesen,  nur  nach- 
dem ich  mich  mit  deinem  Buche  vor  Gott  auf  die  Erde  warf,  um 
Blindheit  flehend.  Denn  ich  bat  Gott  so  recht  demütig,  wenn  er 
mir  dich  mit  einem  Licht  der  Wahrheit  zugesandt  hat,  er  möge  die 
Gnade  haben,  meine  Augen  zu  eröffnen.  Um  so  weniger  hatte  ich 
vor,  dies  Werk  auf  das  deine  als  Antwort  zu  geben,  erst  nachdem 
ich  mich  immer  wieder  aller  meiner  Sinne  entäufserte  und  meine 
Seele  Gott  übergab,  er  möge  meinen  Geist,  Willen  und  meine  Feder 
lenken,  wohin  er  will1)." 

')  Der  Leser  wird  wohl  selbst  das  Gefühl  haben,  dafs  diese  Über- 
setzung der  Berichtigung  bedarf.  Schon  der  Anfang  erregt  Zweifel.  Sollte 
nicht  am  Anfang  Quam  prinium  stehen?  Das  wäre  mit  „sobald  als-  zu 
übersetzen. 


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1893. 


Litteraturbericht. 


243 


Ganz  derselbe  war  C.  iu  seinem  Verhalten  gegen  die  Socinianer. 
Gindely  erzählt  (S.  15),  wie  beharrlich  sich  diese  bemühten,  ihn 
für  sich  zu  gewinnen.  Soviel  erreichten  sie  von  ihm,  dafs  er  sich 
in  die  Lektüre  der  von  ihnen  empfohlenen  Glaubensschriften  vertiefte, 
und  C.  bekennt,  dafs  sie  ihn  doch  in  seinem  Glauben  einigermafsen 
wankend  gemacht  hätten.  Aber  er  eroberte  ihn  sich  wieder,  und 
später  erzählt  er,  dafs  der  Socinianismus  auf  ihn  keinen  Eindruck 
mehr  machen  könne. 

Wer  wollte  dieses  Verhalten  des  C.  als  Schwäche  auslegen! 
Es  ist  vielmehr  das  einzig  richtige,  wo  es  sich  um  einen  so  reichen, 
so  geheimnisvollen  Schatz  handelt,  wie  der  christliche  Glaube  ist. 
Man  lernt  ihn  nur  kennen,  indem  man  ihn  immer  wieder  durch- 
mustert. Es  ist  das  einzig  wahre  Verhalten ,  wenn  mau  ferner  be- 
denkt, dafs  wir  solchen  Schatz  nur  in  schwachen,  unvollkommenen 
Gefäfsen  bergen.  Da  setzt  sich  leicht  allerlei  Staub  an ,  und  das 
Gold  verblafst.  Da  ist  es  notwendig,  ihn  von  Zeit  zu  Zeit  hervor- 
zuholen und  vom  Staube  zu  reinigen.  Das  aber  war  des  C.  Stärke, 
dafs  er  sich  seiner  menschlichen  Schwäche  in  der  begrifflichen  Er- 
fassung seines  Glaubens  stets  bewufst  blieb.  W.  B. 


Z i v o t  Jana  AmosaKomeask^ho.  Xa  oslavu  tWsetlete  pamAtky 
jeho  narozeni  napsal  Fr.  J.  Zoubek.  VydAno  z  pozüstalosti 
spisovatelovy  peci  „Besedy  u£itelske  Budce"  na  Smichove.  K 
tisku  upravil  Dr.  Jan  V.  Xovak.  V  Praze  1892.  XAkl.  J.  Otty. 
Lex.  8°  str.  294.    Cena  2  zl.  40  kr.1) 

Zveenely  Zoubek,  teuto  pravy  „apostol  Komenskeho"  v  CechAeh, 
poprve  vydal  zivotopis  Komenskeho  v  r.  1871  o  128  str.  lex.  8°, 
jeni  zAhy  vyäel  take  ve  zpracoväiu  nemeckem  a  stal  se  pramenem 
a  zAkladem  pro  väechuy  temer  nAsledujkf  iivotopisy  Komenskeho  a 
teprve  v  r.  1892  byl  pfedsti/en  di'lem  Kvacsalovym,  zejmena  ve 
pffcin£,  vyUeenf  veskerych  stykü  Komenskeho  a  ocenenf  veskere 
spisovatelske  finnosti  Amosovy. 

Pm;  vydAnf  zivotopisu  Zoubkova  opfralo  se  sice  o  piedchozf 

')  Das  Leben  des  Johann  Arnos  Comenius  zur  Gedächtnisfeier  seines 
dreihundertjfthrigen  Geburtstages  verfafst  von  Fr  J.  Zoubek,  aus  des  Ver- 
fassers Xachlafs  herausgegeben  von  der  „Beseda  m'itelskä  Budef"  in 
Smichow,  zum  Druck  zubereitet  von  Dr.  J.  V.  XovAk.  —  Frag  1892.  Verlag 
von  J.  Otto.    Lex.  8°.  294  S.  —  Treis  2  H.  40  kr. 

Der  verewigte  Zoubek,  dieser  „Apostel  de»  Comenius"  in  Böhmen,  hat 
zum  erstenmal  im  Jahre  1871  eine  Lebensbeschreibung  de»  Comenius  her- 
ausgegeben (Lex.  8°.  128  S.),  die  bald  auch  in  deutscher  Bearbeitung  er- 
schien und  Quelle  und  Grundlage  für  fast  alle  nachfolgenden  Lebens- 
beschreibungen des  Comenius  wurde.  Erst  1892  ist  sie  durch  das  Werk 
Kvacsalas  fiberholt  Morden,  namentlich  was  die  Darstellung  der  gesamten 
Beziehungen  des  Comenius  und  die  Würdigung  seiner  gesamten  schrift- 
stellerischen Thätigkeit  betrifft.  Die  erste  Ausgabe  der  Zoubekschen 
Lebensbeschreibung  stützte  sich  zwar  auf  die  vorangegangenen  Arbeiten, 


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244 


Litteraturbericht. 


Heft  8  U.  9 


prace  hlavne  Palackeho  a  Gindelyho,  take  vsak  o  vlastnf  Studium 
spisü  sameho  Komenskeho  a  prfslusne  literatury.  Zoubek  jiz  v  r. 
1871  nepfestal  na  vypsam  viiejsfch  udalosti  pohnuteho  zivota  Komeu- 
skeho,  nez  pokusil  se  —  pokud  prameny  tehdäz  na  snado  jsouci 
dovolovaly  —  vyHciti  Amosa  jako  syna  sve  doby,  vypsati  pomery 
prostoru  a  osob,  jez  ho  obklopovaly,  pomery  politicke  a  spolerenske, 
kterym  podlehal  a  jez  zase  k  vvvoji  jeho  dncha  a  k  uzräväui  a 
trfbeni  jeho  zamyslu  pfispfvaly,  zvläst*  zevrubne  pak  ocenil  velikou 
praci  jeho  a  to  hlavne  v  oboru  didaktiky.  K  tomuto  zivotopisu 
pridruzil  Zoubek  v  letech  sedmdesatyeh  a  ostndesätych  vzorna  ceska 
ztlumoeenf  nejdülezitejsfch  latinskych  spisö  Komenskeho  a  rovnez 
dükladne  jako  duchaplne  monografie  o  rüznyrh  strankach  jeho 
{•innosti,  zejmena  Studie  o  nabozenskych ,  poetickych  a  narodohos- 
podärskvch  spisech  a  ideach  Komenskeho,  ktere  Zoubkovi  v  litera- 
tufe  eeske  na  vzdy  zabezpecuji'  jedno  z  nejprednejsich  mf.st  a  cennym 
obsahem,  ryzi'm  jazykem  a  slohem  stejne  jasnym  jako  lahodnym 
budou  trvati  klassickymi.  I  zabiral  se  Zoubek  stale  hloubeji  ve 
studia  spisu  Komenskeho  a  veskere  literatury  pfi'slusne,  pfi  eemz 
naporad  snasel  opravy ,  doplnky  a  novy  materinl  k  novemu  vydanf 
Zivotopisu  Komenskeho,  jehoz  vydanf  prve  bylo  pocatkem  let  o.smde- 
satych  rozebrano. 

hauptsächlich  auf  die  eines  Palaeky  und  Gindely,  doch  auch  auf  »elbständiges 
Studium  der  Schriften  de»  Comenius  und  der  einschlägigen  Litterat ur; 
Zoubek  begnügte  sich  schon  1871  nicht  damit,  das  bewegte  Leben  des  Co- 
meniu» in  «einem  äufseren  Verlauf  zu  beschreiben,  sondern  versuchte,  soweit 
das  die  damals  zugänglichen  Quellen  erlaubten.  Arnos  als  einen  Sohn  seiner 
Zeit  zu  schildern  und  die  Zustände  von  Land  und  Leuten,  die  ihn  umgaben,  zu 
beschreiben,  sowie  die  politischen  und  socialen  Verhältnisse,  denen  er  unter- 
lag, die  aber  andererseits  zur  Entwicklung  seines  Geistes  und  zur  Aua- 
reifung und  Klärung  seiner  Ideen  beitrugen.  Besonders  eingehend  würdigte 
Zoubek  seine  grofse  Arbeit  auf  didaktischem  Gebiet.  —  Aufserdem  über- 
trug Zoubek  in  den  siebziger  und  achtziger  Jahren  die  wichtigsten  latei- 
nischen Schriften  des  Comenius  in  musterhafter  Weise  ins  Böhmische  und 
verfafste  ebenso  gründliche  wie  geistvolle  Monographien  über  verschiedene 
Seiten  seiner  Thätigkeit,  so  besonders  Studien  über  die  religiösen,  dichte- 
rischen und  volkswirtschaftlichen  Schriften  und  Gedanken  des  Comenius, 
Arbeiten,  durch  welche  sich  Zoubek  für  alle  Zeit  einen  hervorragenden 
Platz  in  der  bömischen  Litteratur  gesichert  hat,  und  die  wegen  ihres  wert- 
vollen Inhalts,  ihrer  rliefsenden  Sprache  und  ihres  ebenso  klaren  wie  an- 
mutigen Stils  einen  dauernden  klassischen  Wert  haben.  Daneben  versenkte 
sich  Zoubek  immer  tiefer  in  da*  Studium  der  Schriften  des  Comenius  und 
der  gesamten  dazu  gehörigen  Litteratur  und  gewann  dadurch  nach  und 
nach  Verbesserungen,  Ergänzungen  und  neues  Material  zu  einer  neuen 
Ausgabe  der  Lebensbeschreibung  des  Comenius,  deren  erste  Ausgabe  zu 
Anfang  der  achtziger  Jahre  vergriffen  war. 

Aber  der  Tod  rifs  Zoubek  mitten  aus  seiner  Arbeit,  und  in  seinem 
schriftstellerischen  Xachlafs  fand  sich  das  Manuskript  zu  einer  neuen  Aus- 
gabe der  Lebensbeschreibung,  aber  nur  bis  zum  Jahr  1643  fortgeführt  und 
auch  das  noch  nicht  völlig  gleichmäfsig  ausgearbeitet ;  für  das  übrige  war 
sein  Handexemplar  der  ersten  Ausgabe  mit  seineu  Anmerkungen,  Nach- 
trägen und  Verbesserungen  vorhanden.  Dieses  Material  wurde  auf  Ver- 
anlassung des  Smichover  Lehrervereins  Prof.  J.  V.  Noväk  übergeben,  um 
es  zum  Druck  vorzubereiten.  Das  konnte  auf  zweierlei  Weise  geschehen : 
entweder  ohne  alle  Zusätze,  Verbesserungen  und  Veränderungen,  also  wie 


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189:5 


Litteraturberieht. 


AvSak  smrt  zasAhla  Zoubka  v  prostfed  jeho  prace,  a  v  literann 
pozfistalosti  jeho  nalezl  se  rukopi«  noveho  zivotopisu  Komcnskeho, 
dovedeny  jen  po  rok  1643  a  to  jeste  ne  ve  vsem  urovnany  a  sou- 
merny,  k  ostatmmu  pak  prolozeny  exempjaf  vydAnf  prveho,  poznAm- 
kami,  piipisky  a  opravami  dolozenv.  Tento  material  pru-inemm 
smlchovske  jednoty  utfitelske  byl  odevzdan  prof.  J.  V.  Xoväkovi, 
aby  ho  upravil  k  vydani  tiskem ,  kterez  mohlo  se  stati  zpüsobem 
dvojfm :  bud  beze  vsech  doplfiküv ,  oprav  a  zmen ,  tedy  jako 
pramen  historicky  —  a  takovvm  by  nejspfSe  za  vdek  vzali  komeuio- 
fiiove,  chtöjfcf  zvedeti,  jakdaleko  v  poznAnf  Komenskeho  dospel  tak 

prosluly  znate]  a  nadseny  ctitel  Amosüv,  jakym  byl  Zoubek  —  bud 
upraviti  kusy  rukopis  Zoubküv  tak,  aby  byl  eetbou  i  pro  sirsf  obe- 
ceustvo;  byl  zvolen  tento  druhy  zp&sob  vydAn(,  cimz  se  stalo,  ze 
railme  pfed  sebon  nikoli  jen  prAci  Z<»ubkovu,  nybrz  —  a  to  zejmena 
od  str.  151  —  prAci  Zoubkovu  a  XovAkovu. 

Jako  prve  tak  take  pfftomne  druhe  vydani  zivotopisu  Komen- 
skeho jest  osnovAno  zpusobem,  ktery  dnes  vübec  jest  obliben :  Podrobne 
Mvt  so  vnejsi  beh  zivota  Komenskeho  v  sedtni  statfch  (die  hlavnfch 
mist  jeho  pobytu:  domov,  Cechy,  Lesno,  Anglie,  Lesno  podruhr, 
Uhry,  Lesno  potretf,  Amsterodam  ) ,  pfi  fern/  soueasue  vypisnj/,  se 
podnety,  vznik,  hlavnf  obsah,  liodnota  jodnotlivvch  spisilv  anebo  zdroj, 
povaha  a  tendence  jeho  znmyslitv  a  einn,  naeez  ve  stati  osme  nasle- 
dup  naskrze  vecne  a  stflzlive  ZAvereene  üvahy  a  koneene  ve  stati 
deväte  Seznatn  spitsii  J.  A.  Komenskeho  o  138  rislech  (proti  110 
ei'slum  vydAnf  z  r.  1871);  hlavnf  stati  tyto  rozeleneny  zase  nejvfce 
die  vynikajfcfch  spisüv  Amosovvch,  ktere  vylo/.env  mnohem  zevrub- 
ueji  a  üplneji  nez  ve  vydAnf  prvem  a  to  i  spisy  didaktickö,  i  nAbo- 
ienske,  i  filosoficke :   prof.  XovAk  hlavne  v  tomto  smeru,  *  patrnou 


eine  Gesehichtsquelle  —  und  so  wäre  es  den  Comenius freunden  am  liebsten 
gewesen,  die  zu  erfahren  wünschen,  wie  weit  ein  so  berühmter  Kenner 
und  begeisterter  Verehrer  wie  Zoubek  in  der  Kenntnis  des  Comenius  vor- 
gedrungen sei  —  oder  es  galt,  die  fragmentarische  Handschrift  Zoubeks  so 
zuzurichten,  dafs  etwas  auch  für  einen  weiteren  Kreis  Lesbares  daraus  würde. 
Da»  letztere  Verfahren  wurde  eingesehlagen,  und  so  ist  es  gekommen,  dafs 
wir  keineswegs  auschliefslich  eine  Arbeit  Zoubeks,  sondern  —  namentlich 
von  S.  löl  an  —  eine  Arbeit  Zoubeks  und  NovAks  vor  uns  haben. 

Wie  bei  der  ersten  Ausgabe  der  Lebensbeschreibung,  so  ist  auch  bei 
dieser  zweiten  die  äufsere  AnTage  die  heut  allgemein  beliebte:  Der  üufsere 
Lebenslauf  des  Comenius  wird  ausführlich  in  sieben  Abschnitten  erzählt 
(nach  seinen  hauptsächlichen  Schauplätzen:  die  Heimat,  Böhmen,  Lissa, 
England,  zum  zweitenmal  Lissa,  Ungarn,  zum  drittenmal  Lissa,  Amster- 
dam), wobei  die  gleichzeitigen  Unternehmungen,  Ursprung,  Hauptinhalt 
und  Wert  der  einzelnen  Schriften,  oder  Quelle,  Hedeutung  und  Richtung 
seiner  Gedanken  und  Leistungen  geschildert  werden.  Im  lichten  Abschnitt 
folgt  eine  durchaus  sachlich«"  und  nüchterne  Schlufsbetrachtung  und  end- 
lich im  neunten  Abschnitt  ein  Verzeichnis  der  Schriften  des  J.  A.  Comenius 
mit  138  Nummern  (gegen  110  Nummern  der  ersten  Ausgabe  von  1871). 
Diese  Hauptabschnitte  gliedern  sich  wieder  hauptsächlich  nach  den  hervor- 
ragenden Schriften  des  Comenius.  die  viel  ausführlicher  und  vollständiger 
als  in  der  ersten  Ausgabe  besprochen  werden,  und  zwar  sowohl  die  didak- 
tischen als  auch  die  theologischen,  als  auch  die  philosophischen  Schriften. 


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246  Litteraturberieht.  Heft  8  u.  9. 

pdf  a  svCdomitostf  ujal  se  doplnfoif  textu  Zoubkova.  Sloh  dfla  jest 
jasny  ,  jazyk  ryzl.  Hojn6  poznAmky  histoncke  a  literaraf  prfpadne' 
dojasnuji  hlavni  text  a  poukazujf  k  pramenum ,  spolu  jsouce  toho 
dokladem,  jak  nesmfruS  vzrostla  literatura  Komenskebo  od  r.  1871 
a  jak  dokonale  Zoubek  ji  ovl&dal  i  jak  Novak  —  pokud  se  tyce 
doby  nejnovej*f  —  jf  vyuiiti  se  snazil. 

Velmi  vknsna  jest  vyprava  vnejsf,  tisk  velmi  zrfteluy,  ai  nad- 
bytnÖ  v  odstavce  döleny  a  cuslovapy;  litujeme  jen,  2e  k  di'lu  tak 
obsahlemu  a  duiezitemu  nebyl  pridan  ani  jmenny  ani  vfecny  rejstrfk 
abecednf.  Vhodnö  spis  doplüuji  podobizny  Komenskebo  (die  obrazu 
Sllssnappova)  a  Zoubkova  (die  fotogratie),  smmek  zaklaW  z  Opera 
didactica  omnia  a  Milbauerova  mapa:  Cesty  Komenskebo. 

Jos.  Klika. 


Prof.  Novak  hat  namentlich  in  dieser  Richtung  mit  grofscm  Fleifs  und 
Gewissenhaftigkeit  den  Text  Zoubeks  wesentlich  vervollständigt.  Der  Stil 
des  Werkes  ist  klar,  die  Sprache  flickend.  Zahlreiche  geschichtliche  und 
litterarische  Anmerkungen  erläutern  den  Text  und  weisen  auf  die  Quellen 
hin;  sie  zeigen  zugleich,  wie  bedeutend  die  Comeniuslitteratur  seit  1871 
angewachsen  ist,  wie  vollkommen  Zoubek  sie  beherrschte  und  wie  voll- 
ständig sie  Noväk  —  was  die  neuesten  Zeiten  anbelangt  —  zu  verwerten 
bestrebt  war. 

Die  äufsere  Ausstattung  ist  recht  geschmackvoll,  der  Druck  deutlich, 
der  Absätze  und  Paragraphen  sind  fast  zu  viele;  wir  bedauern  nur,  dafs 
diesem  so  inhaltreichen  und  wertvollen  Werk  kein  Namen-  und  Sachregister 
beigegeben  worden  ist.  Das  Buch  ist  in  passender  Weise  geschmückt  mit 
den  Bildern  des  Comenius  (nach  Süfsnapp)  und  Zoubeks  (nach  einer  Photo- 
graphie), mit  einer  Nachbildung  des  Titelkupfers  aus  den  Opera  didactica 
omnia  und  mit  Milbauers  Karte:  Die  Keiseu  des  Comenius. 


Neueste  Comenius-Litteratur. 

Seit  unserem  letzten  Bericht  vom  M«rz  1893  (s.  M.-H  der 
C.  G.  1893,  Heft  3,  S.  84  ff.)  sind  eine  Reihe  weiterer  Arbeiten 
Uber  Comenius  erschienen,  die  wir  hier  einstweilen  nur  dem  Titel 
nach  zur  Kenntnis  unserer  Leser  bringen  können.  Wir  behalten 
uns  näheres  Eingehen  auf  die  wichtigeren  Arbeiten  vor.  Sollten  in 
dieser  Übersicht  einige  inzwischen  erschienene  Aufsätze  fehlen,  so 
bitten  wir  unsere  Leser  und  Mitarbeiter  um  Zusendung  derselben ; 
es  wird  dann  die  Nachtragung  erfolgen. 

A.  Deutsche  Lltteratur. 

Andreae,  Dr.  Karl.  Zwei  pädagogische  Festreden  (Beigabe  zum 
Jahresberichte  der  König!.  Lehrerbildungsanstalt  Kaiserslautern 
1892—93),  darin:  I.  Gesprochen  zur  Feier  des  300jährigen  Ge- 


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1893. 


Litteraturbcricht. 


247 


burtstags  des  J.  A.  Comenius,  veranstaltet  von  sämtlichen  Uuter- 
richtsanstalten  am  28.  Mttrz  1892. 
Dittes,  Fr.    Über  den  Geburtsort  des  Comenius.    Im  Pttdagogium. 
September  1892. 

Fechtuer,  E.  Johann  Arnos  Comenius.  In  der  Österreichisch- 
ungarischen  Revue  XIII.  335—348. 

Feuerbach,  A.  Arnos  (Comenius  und  die  Volksschule.  Gedächtnis- 
rede  auf  Comenius,  gehalten  in  der  Hauptversammlung  des  hes- 
sischen Landes- Lehrervereins.  Abgedruckt  im  Schulboteu  für 
Hessen.    1892,  No.  21  und  22  (1.  und  15.  November). 

Gindely,  Anton.  Über  des  Johann  Arnos  Comeuius  Leben  und 
Wirksamkeit.  2.  neu  bearbeitete  Auflage  der  im  Jahre  1855  ver- 
öffentlichten Abhandlung.  Mit  4  Abbildungen.  Znaitn,  Foumier  & 
Haberler  (Karl  Bornemanu).    Preis  2  Mk.  (s.  oben  8.  239  ff.). 

Grillenberger,  G.  Comeuius,  seine  Quellen,  seine  eigene  Arbeit 
und  sein  Einflute.  Konferenzvortrag.  Fürth,  G.  Rosenberg.  1898. 
48  S.  8°. 

Herold,  H.  Welche  Bedeutung  hat  Comeuius  ftlr  die  Entwicklung 
der  Unterrichtsmethode.  In  der  katholischen  Lehrerzeitung,  heraus- 
gegeben von  W.  Dürken.    1892.    Xo.  8  und  9. 

Hunziker,  0.  Comeuius  und  Pestalozzi.  Festrede,  gehalten  zu 
Zürich  am  13.  Marz  1893.    Zürich.  Druck  von  Orell  Füssli. 

Kvacsala,  Johann.  Des  Comenius  Aufenthalt  in  Lissa.  In  der 
Zeitschrift  der  historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen. 
Bd.  Vni  (1893),  8.  1—46. 

Tamms,  August.  Johann  Arnos  Comeuius,  sein  Leben  und  seine 
Bedeutung  für  die  Volksschule.  In  der  mecklenburgischen  Schul- 
zeitung, XXHI.  Jahrgang,  No.  47 — 51. 

Joh.  Böhm,  Geschichte  der  Pädagogik  mit  Charakterbildern  her- 
vorragender PMdagogen  und  Zeiten.  Als  Kommentar  zu  seiner 
kurzgefaßten  Geschichte  der  Pädagogik  bearbeitet  von  Joh.  Böhm. 
Mit  103  Abbildungen.  Zweite,  verbesserte  und  vermehrte  Auf- 
lage. 2  Hefte.  Die  Geschichte  der  Pädagogik  von  Montaigne 
bis  zur  Gegenwart.  Nürnberg,  Verlag  von  Friedr.  Korn.  1893. 
Diese  neue  Auflage  ist  in  Bezug  auf  Comenius  unter  Berück- 
sichtigung aller  neueren  Forschungen  bearbeitet. 

B.  Norwegische  Litteratur. 

Zusammengestellt  von  C.  Anderasen. 

Hovedpur'ikterne  i  Skolens  Udvikling  efter  Reformationen  of  Mafia* 
Skard,  Vorstander  for  Vonheims  Folkchoiskole,  Christiania  1884. 
Paedagogikens  Historie  of  N.  Hertzborg  1890. 

Johann  Arnos  Comenius  et  trehundredeaars  Jubilaeum  af  N.  Hertz- 

berg.   Norsk  Skoletidende  1892. 
Comenius  som  Brodremenighedens  Biskop.    Foredrag  ved  Comenius- 

festen  i  Christiania  15.  Nov.  1892  (Norsk  Skoletidende  1892). 


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248 


Litteraturbericht. 


Heft  8  U.  9. 


Anderssen,  Otto  (Skolbestyrer).  Johan  Arnos  Comenius,  Den 
modern«  opdragelses  videnskaps  Grundlaegger.  Foredrag  ved  minde- 
feest«m  i  Kristiania  15.  Nov.  1892.  Christiania,  Alb.  Cammer- 
meyere  Forlag,  1893. 

C.  Englische  Litterat ur. 

Foster  Watson,  M.  A.  On  the  development  of  Jobn  Arnos  Co- 
menins.  Tbe  Educational  Review.  London ,  Office  of  the  Ed. 
Review  2  Creed  Lane,  Ludgate  Hill,  E.  C.  1892  Mai. 

F oster  Watson.  Translations  from  Comenius.  The  Educational 
Review.    1892  July  and  August. 

D.  Italienische  Lltteratur. 

11  testamento  di  Comenio.  L'  Italia  Evangelica.  Firenze  1893  Anuo 
Xin  N°  12  (25.  März  1893). 


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Zur  Bücherkunde. 


Litteratur  über  Johann  Valentin  Andreae  aus  den 
letzten  hundert  Jahren. 

Zusammengestellt  von 
Dr.  J.  Brügel,  Scminarrektor  in  Nagold. 


1782  Petersen,  Leben  Andreaes  im  Württembergischen  Reper- 
torium  der  Litteratur.    Stück.  II,  S.  274 — 365. 

1 786  (Carl  Sonntag,  (JeneralKuperintendent  zu  Riga.  Der  Name 
des  Vf.  ist  im  Buch  selbst  nicht  genannt.) 
J.  V.  Andreaes  Dichtungen  zur  Beherzigung  unseres  Zeit- 
alters. Mit  einer  Vorrede  von  J.  G.  Herder.  Leipzig, 
G.  «I.  Göschen.  LXIV,  181.  Enthalt  in  der  Einleitung  einen 
l^'bensabrifs  A.'s,  ist  im  übrigen  keine  Übersetzung,  sondern 
eine  freie  Bearbeitung  ausgewählter  Stücke  aus  der  Mytho- 
logia  christiana.  S.  auch  Werke  Herders  von  Suphan,  Band 
XVI,  S.  591—600. 

1703  Herder,  J.  G.,  Zerstreute  Blatter.  Gotha  bei  Carl  Wilhelm 
Ettinger.  Sttmtl.  Werke  hrsg.  von  Suphan.  Berlin,  Weidmann. 
1888.  Band  XVI,  131  —  191.  Übersetzungsproben  aus  der 
Mythologie  und  Menippus.  S.  232—241  über  J.  V.  Andreae 
als  Dichter  mit  Proben  aus  der  Geistlichen  Kurtzweil. 

1799  Seybold,  ordentlicher  Professor  der  klassischen  Litteratur 
in  Tübingen,  Selbstbiographien  berühmter  Mftnnor.  Ein  Pen- 
dant zu  .).  G.  Müllers  Selbstbekenntnissen.  Gesammelt  von 
Prof.  S.  2.  Band.  J.  V.  Andreae  nebst  Beilagen.  Winterthur 
in  der  Steinerischen  Buchhaudlung.    XVII,  392  S. 

1808  (Staudlin,  .1.  Fr  )  Dissertatio  de  Johannis  Valentini  Andreae 
Theologi  olim  Virtembergensis  consilio  et  doctrina  morali. 
Ostorprograinm.    Güttingen.    4°.  17  S. 

1817  Immanuel  Friedrich  Gamm,  Dr.  der  Theologie  und  Philo- 
sophie, Asch  e  ii  f  u  u  k  e  n  aus  der  Bannbulleverbrennung 
Luthers,  zur  Xachfeyer  des  dritten  Sekularfestes ,  glimmend 
erhalten  durch  das  Andenken  an  den  zweiten  (Württembergischen) 
Luther,  Dr.  Valentin  Andreä,  vormaligem  zweiten  Hofgcist- 

MoD»Uh*fto  dor  Coro«niue-Oe8elUeh»fl.   18W.  \H 


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250 


Brägel, 


Holt  8  11.  9. 


liehen,  von  seinem  Amtsnachfolger  nach  einem  Ahlauf  von 
179  .Jahren.  Ad  Boreum  poli  50  gr.  elcvati.  Den  31.  De- 
zember 1817.  8°.  225  S.  (Enthalt  u.  a.  Übcrsctznngsproben 
aus  Menippus  u.  Mythologia  christiana.) 

1819  Wilhelm  Hofsbach,  Prediger  an  der  K.  Kadettenanstalt  zu 
Iterlin,  Job.  Val.  Andreae  und  sein  Zeitalter.  Berlin,  gedruckt 
und  verlegt  hei  G.  Keimer.  8°.  295  S.  —  Im  Text  einge- 
schaltet und  im  Anhang  beigefügt  sind  Proben  besonders  aus 
dem  Menippus,  einige  auch  aus  der  Mythologia  christiana. 

1821  H.  Chr.  Fr.  Krause,  Die  drei  ältesten  Urkunden  der  Frei- 
maurerbrüderschaft.   Dresden.    Band  II,  Abt.  2.    S.  88  ff. 

1827  Pah  8  t,  Carl  Theodor,  ord.  Mitglied  der  hist.-theol.  Gesell- 
schaft zu  Leipzig,  .loh.  Val.  Andreaes  Entlarvter  Apap  (Papa) 
und  llahnenruf.  Eine  Stimme  der  Warnung  an  das  deutsche 
Volk  nebst  Beitrugen  zur  Kircheugeschichte  des  16.  und  17. 
.Jahrhunderts  aus  den  Schriften  des  J.  V.  Andreae.  Leipzig 
bei  G.  Kayser.  Vorr.  XII.  Leben  .1.  V.  A.'s  52  S.  Über- 
setzung des  Apap  proditus  53 — 78.  Des  Gallicinum  (llahnen- 
ruf) S.  80 — 92.  Übersetzung  von  Bruchstücken  aus  Fama 
Audreaua  reflorescens  S.  100 — 145. 

1836  Carl  Grün  eisen,  Job.  Val.  Andreae,  die  Ch  r  i  s  t  e  n  b  u  rg. 
Allegorisch-epische  Dichtung.  Nach  einer  gleichzeitigen  Hand- 
schrift herausgegeben.  Zeitschrift  für  historische  Theologie 
von  lllgen.  VI.  Bd.  1836.  S.  231—312.  —  Auch  als  Sonder- 
abdruck erschienen.    Leipzig  1836. 

1845  Mohl,  Robert,  Die  Staatsromane.  Ein  Beitrag  zur  Lite- 
raturgeschichte der  Staatswissenschaften.  Zeitschrift  für  die  ge- 
samte Staatswissenschaft.     Tübingen.     Band  2.     S.  24  —  74. 

—  Die  Kampfe  des  christlichen  Herkules  von  Joh.  Val.  Andreae. 

—  Ein  altes  Buch  für  die  neue  Zeit  aus  dem  Lateinischen 
übersetzt  und  herausgegeben  von  einem  seiner  Nachkommen. 
Frankfurt  n.  M.  Verlag  von  Heinrich  Zimmer.  Einl.  XXXII. 
Vorrede  des  Herausgebers  Dr  jur.  Victor  Andreae,  S.  V— XIV. 
Vorerinnerung  desselben  XV — XXXII.  144  S.  Mit  Bildnis 
und  Facsimile. 

1848  ('.Römer,  Diaconas  zu  Sindelfingen  (Württemberg).  Kirch- 
lich»' Geschichte  Württembergs.  Ein  Versuch.  Stuttgart. 
Verlag  der  evang.  Bücherstiftung.    Andr.  294  tf. 

18-19  F.  H.  Rheinwald,  Dr.,  Joannis  Valentini  Andreae  Theologi 
t^.  Württembergensis  Vita  ab  ipso  conscripta.  Ex  autographo 
in  Bibl.  Guelferbytano  Recondito,  adsumtis  codd.  Stuttgartianis, 
Schorndorfiensi,  Tubingensi  Nunc  primum  edidit  cum  icone  et 
Chirographe  Andreann.  F.  H.  Rheinwald.  Berolini  ajmd 
Henn.  Schultzium.  IV,  284  S.  2  Seiten  Facsimile.  Die  in 
dem  Buch  bezeichneten  Anmerkungen  sind  merkwürdigerweise 
nie  im  Druck  erschienen. 

1851  Carl  Grüneisen,  Job.  Val.  Andreae.  Evangel.  Kalender. 
Jahrbuch  für  1851.    S.  32:J  ff. 


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1803.  Litteratur  über  J.  V.  Andreac.  251 

1 8 1  .r»  F.  L.  Steinmeyer,  Andreaes  Lebensabrifs  in  Pipers  evan- 
gelischem Jahrbuch  8.  220 — 230  (Gesamtausgabe  der  „Zeugen 
evangelischer  Wahrheit".  Leipzig.  4.  Hand.  1875.  S.  258— 207). 

—  (iustav  Schwab,  Lebensbild  von  Andreaes  Mutter  Maria  in 
Pipern  ovang.  .Jahrbuch  (Gesamtausgabe  der  „Zeugen  evan- 
gelischer Wahrheit.    4.  Band.    Leipzig  1875.    S.  267-270). 

1852  G.  E.  Guhrauer,  Der  erste  deutsche  Staat»roman.  Deutsches 
Museum.  Zeitschrift  ttlr  Litteratur  u.  s.  f.  von  Robert  Prutz. 
Leipzig.    Hand  2.    S.  734—754. 

—  Derselbe,  Kritische  Hemerkungen  Uber  den  Verfasser  und 
den  ursprünglichen  Sinn  und  Zweck  der  Fama  Fraternititis 
des  Ordens  der  Rosenkreuzer  in  Niedners  Zeitschrift  f.  histo- 
rische Theologie.    Haniburg  u.  Gotha.    Bd.  22.    S.  298 — 315. 

—  Henke,  Mitteilungen  aus  dem  Verkehr  Andreaes  mit  Herzog 
August,  in  der  deutschen  Zeitschrift  für  christliche  Wissen- 
schaft.   1852.    S.  260—354. 

1855  Mohl,  Robert,  Die  Geschichte  und  Litteratur  der  Staats- 
wissensc haften.    Erlangen.    Bd.  I.    S.  127  ff. 

—  Palmer,  Pädagogische  Betrachtungen  und  Phantasieen  eines 
wilrttembv'rgischen  Theologen  aus  dem  siebzehnten  .Jahrhundert, 
im  Süddeutschen  Schulboten,  herausgegeben  von  Völter. 
Nr.  15—17. 

1857  Gafs,  ord.  Prof.  der  Theol.  in  Greifswald,  Geschichte  der 
protestantischen  Dogma  tik  iu  ihrem  Zusammenhang  mit  der 
Theologie  Uberhaupt.  Darstellung  der  Theologie  Andreaes  in 
Bd.  2,  S.  54-67.    Berlin,  G.  Reimer. 

1K;>9  Tholuk,  Lebenszeugen  der  lutherischen  Kirche.  Berlin. 
S.  314-330. 

1863  Hartmann,  Julius,  Dekan  in  Tuttlingen,  Job.  Val.  Andreaes 
Leben  und  Auswahl  seiner  Schriften.  In  der  Evangelischen 
Volksbibliothek,  herausgegeben  von  D.  Klaiber,  Garnisons- 
prediger in  Ludwigsburg.  2.  Band.  Stuttgart,  Ad.  Bechers 
Verlag  (Gustav  Hoffmann).    S.  571  —  641. 

—  K.W.  Hochhuth,  ref.  Pfarrer  zu  Frankenberg  in  Kurhessen, 
Mitteilungen  aus  der  protestantischen  Sektengeschichte  iu  der 
hessischen  Kirche.  1.  Teil.  Im  Zeitalter  der  Reformation. 
IV.  Abt.  Die  Weigelianer  und  Rosenkreuzer.  Illgens  Zeit- 
schrift für  historische  Theologie,  33.  Bd.,  giebt  S.  253—262 
und  im  folgenden  Jahrgang 

1X6-1  ebendort  S.  301 — 315  ein  Verzeichnis  der  bedeutendsten  rosen- 
kreuzerischen  Schriften  (190  an  der  Zahl). 

1X72  Dr.  Carl  Grüueisen,  Job.  Val.  Andreae,  Vortrag  am 
24.  Jan.  1872  in  der  Stuttgarter  Liederhalle  gehalten.  Deutsch- 
land, eine  periodische  Zeitschrift  zur  Beleuchtung  des  deutschen 
Leben«*  u.  s.  w.  Herausgeg.  von  W.  IlotVtnauu.  Dr.  d.  Theol. 
und  Oberhofprediger  in  Berlin.  Wiesbaden.  Julius  Niedner, 
Verlagsbuchhandlung.    S.  168  — 100. 

I*' 


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252 


Brügel, 


Heft  8  u.  9. 


1875  Henke,  Artikel  J.  V.  Andreae  in  der  Allgf ineinen  deutschen 
Biographie.    Leipzig.    I,  441 — 447. 

1876  C'h.  Palm  er,  Artikel  „Andreae"  in  Schmid's  Pädagogiseher 
Realencyklopädie.  Zweite  verbesserte  Aufl.  I,  110 — 113. 
Gotha,  Verlag  von  Rudolf  Besser. 

1877  Tholuk(Wagenmann),  Artikel  „Audreac"  in  Herzogs  theo- 
logischer Realencyklopädie.    2.  A.    1,  388—395. 

1878  J.  V.  Andreae,  der  christliche  Bürger.  Herausgegeben  von 
V.  F.  Ohler,  Heilbronn. 

—  J.  V.  Andreae,  T  Ii  e  o p  h  i  1  u  s.  Herausgeg.  von  V.  F.  Ö  h  1  e  r. 
Heilbronn  1878. 

1881  H.  F.  von  Criegern,  Johann  Arnos  Gomenius  als  Theolog. 
Ijeipzig  u.  Heidelberg.    Winter,    über  Andreae  S.  334  ff. 

1883  Krich  Schmidt,  Zur  Vorgeschichte  des  G o  et  h  e  sehen 
Faust.    Goethejahrbuch,  herausgegeben  von  Ludwig  Geiger. 

4.  Band.  Frankfurt  a.  M.,  Literarische  Anstalt  Rtltten  u.  Inning. 

5.  127—140.  (Betrachtet  Andreaes  Turbo  als  Vorlaufer  des 
Faust.) 

1884  YV.  Baur,  Dr.  th.,  Generalsuperintendent  der  Rheinprovinz, 
Das  d  e  u  t  s  c  h  •  e  v  a  n  g  e  I  i  s  c  h  e  P  f  a  r  r  h  a  u  s.  Seine  G ritn - 
dung,  seine  Entfaltung  und  sein  Bestand.  3.  vermehrte  Aufl. 
Bremen,  Verlag  von  (\  Ed.  Muller.    S.  172  —  186. 

('.  Hilllemanii,  Val.  Andreae  als  Pädagog.  1.  Theil. 
[naugiirnldiHsertatiou.    Leipzig.    22  S. 

1885  Robert  Kübel,  Drei  Vliter  der  evang.  Kirche  Württembergs 
Brenz,  Andreae  und  Bengel  in  V.  Fr.  Ohlers  Zeitschrift  für 
Pastoraltheologie  „Halte,  was  du  hast".  8.  .lahrgang.  Andreae 
S.  252—268. 

1886  Gafs,  Geschichte  der  christlichen  Ethik.  II,  1.  Sech- 
zehntes und  siebzehntes  Jahrhundert.  Die  vorherrschend 
kirchliche  Ethik.  Berlin,  Druck  u.  Verlag  v.  G.  Reimer. 
Andreae  S.  161  — 167. 

—  Job.  Phil.  G  lock  ler,  Job.  Val.  Andreae,  ein  Lebensbild  zur 
Erinnerung  an  seinen  dreihundertsten  Geburtstag  entworfen. 
182  S.  Mit  einem  Bildnis  Andreaes.  Stuttgart,  Emil  Hänsel- 
manns  Verlag. 

Willi.  Gu  Ts  mann,  Pfarrer  in  Pfäffingen  (Württemberg),  Rei- 
publicae  christianopolitanae  descripto.  Fünf  Artikel  in  der 
Luthardtschen  Zeitschrift  ftlr  kirchliche  Wissenschaft  u.  kirchl. 
Leben,  S.  320  ff. 

—  Alb.  Laudenberg  er,  J.  V.  A.,  ein  schwäbischer  Gottes- 
gelehrter des  siebzehnten  Jahrhunderts.  Eine  Geschichts- 
erzähluiig.  Zur  Erinnerung  an  die  300jährige  Geburtstagsfeier. 
Barmen,  Hugo  Klein.    Mit  Bildnis. 

Richard  Weitbrecht,  Job.  Val.  Andreae.  Ein  Gedenkblatt 
zu  seinem  dreihundertsten  Geburtstag.  17.  Aug.  1586.  In 
Bey schlags  „Deutsch-evangelische  Blätter",  Zeitschrift  ftlr  den 
gesamten   Bereich  des  deutschen   Protestantismus.    11.  Jahr- 


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1893. 


Litteratur  über  J.  V.  Andrea«. 


253 


gang.  Halle  a.  S.  In  Kommission  bei  Eugen  Strien  in  Halle. 
.S.  577  -602. 

1887  Paul  Wurm,  Joh.  Val.  Andreae.  Ein  Glaubenszeuge  aus 
der  Zeit  des  dreißigjährigen  Krieges  mit  Auszügen  aus  seinen 
Schriften  u.  Bildnis.  Calw  u.  Stuttgart.  Verlag  der  Vereins- 
buehhandlung.    (Calwer  Familienbibliothok,  6.  Bd.)    239  S. 

1887  Dr.  Hermann  Bender,  Kektor  des  K.  Gymnasiums  zu  Ulm. 
Gymnasialrcden  nebst  Beiträgen  zur  Geschichte  des  Humanismus 
und  der  Pädagogik.  Tübingen  1887.  Verl.  der  II.  Lauppschen 
Buchhandlung.    Essay  Uber  J.  V.  Andreae  S.  256 — 275. 

1889  Christoph   Sigwart,    Kleine   Schriften.      Zweite  Ausgabe. 
Freiburg  im  Breisgau.    Erste  Reihe.    S.  173  ff. 
Chamloth,  Joh.  Val.  Andreae  redivivus.   Eine  Pastoraltheologie 
in  Versen.    S.  150.    Braunschweig,  Wollermann. 

1891  Theologisches  Handwörterbuch  (Calwer  Kirchenlexi- 
kon I),  redigirt  unter  Mitwirkung  einer  Reihe  von  Theologen 
von  Lic.  Th.  Paul  Zeller  und  herausgegeben  vom  Calwer 
Verlagsverein.  1.  Band.  Calw  und  Stuttgart,  Verlag  der 
Vereinsbuchhundlung.    Andreae  S.  74  f. 

1 892  Geschichte  der  Erziehung  vom  Anfang  bis  auf  unsere 
Zeit,  bearbeitet  in  Gemeinschaft  mit  einer  Anzahl  von  Gelehrten 
und  Schulmännern  von  Dr.  K.  A.  Schmid,  weil.  Prälat  u. 
Gymnnsialrektor,  fortgeführt  von  Georg  Schmid,  Dr.  phil. 
3.  Band.  2.  Abtheilung.  Stuttgart,  Verlag  der  J.  G.  Cottaschen 
Buchhandlung  Nachfolger.  Joh.  Val.  Andreae  als  Pädagng, 
bearbeitet  von  Dr.  Julius  Brügel,  Seminarrektor  in  Nagold 
(Württemberg). 

Lic.  Hummel  in  Schwaigern  (Württemberg):  Von  wem 
Comenius  die  „Fackel"  erhielt  und  wem  Comenius  sie  reichte. 
Ein  Beitrag  zum  Commcniusjubiläum  au«  Württemberg.  Neue 
Blatter  ans  Süddeutschland  für  Erziehung  und  Unterricht, 
herausg.  von  Dr.  Burk  u.  Dr.  E.  Gundert  1892.  S.  112—135. 
1898  Württembergische  Ki  rchengeschichte,  herausgegeben 
vom  Calwer  Verlagsverein.  J.  V.  Andreae  S.  437  ff.  (Prof. 
Jul.  Hartmanu). 

—  Dr.  C.  Hüllemann,  Valentin  Andreae  als  Piidagog.  II.  Teil. 
Abhandlung  zu  dem  Jahresbericht  des  Tlioinasgymnasiums. 
Leipzig,  (s.  1884.) 

Aimi.    Diese  Zusammenstellung  maebt  kernen  Ansprucb  auf  Voll- 
ständigkeit. 


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- 


Nachrichten. 


Em  sind  im  Laufe  der  letzten  Monate  »'ine  Reihe  von  Berichten  und 
Besprechungen  über  die  C.-G.  und  ihre  Schriften  erschienen,  auf  die  wir 
hier  im  einzelnen  nicht  eingehen  können.  Nur  auf  einige  derselben  wollen 
wir  die  Aufmerksamkeit  unserer  Leser  lenken.  In  der  Revue  crititjue 
vom  17.  April  1893,  S.  305  f.  hat  Ch.  Seignobos  eine  sehr  freundliche  An- 
zeige veröffentlicht;  in  No.  41  des  Literarischen  Centralblattes 
vom  J.  1892  handelt  D.  Brandes  über  die  ersten  beiden  Heft«'  unserer 
wiss.  Zeitschrift  in  empfehlendem  Sinn.  In  der  Zeitschrift  für  prakt. 
Theologie  (hrsg.  von  Baumgarten-Jena,  Kirmss-Berlin  und  Teiehmann- 
Frankfurt  a.  M.)  hat  Prof.  Bitssermann  eine  Besprechung  veröffentlicht 
(Jahrg.  XV,  Heft  1,  S.  89  f.).  Sehr  freundlich  spricht  sich  G.  Müller  im 
Theolog.  Li  tteratu  rblat  t  aus  und  ebenso  Dr.  Landwehr  in  No.  2o3 
der  Neuen  Preuss.  Zeitung  in  einem  längeren  Artikel.  Ganz  neuer- 
dings hat  sich  der  Theol  ogi  sc  he  J  ahres  bericht,  hrsg.  von  JI.Holtz- 
mann,  Bd.  XII,  S.  .'{47,  sehr  freundlich  geäussert;  Lic.  Kohlschmidt  hat 
unserer  Gesellschaft  einen  Platz  in  dem  Abschnitt  über  die  Brüdergemeinde 
gegeben  und  sagt  unter  anderem:  „Die Besprechung  der  reichhaltigen  und 
wissenschaftlich  wertvollen  Monatshefte  der  Comenius-Jiesellschaft  an  der 
Spitze  dieser  Rubrik  bedarf  keiner  Rechtfertigung."  Wir  möchten,  um 
Mifsverständnissen  vorzubeugen,  doch  hervorheben,  dafs  unsere  (»«'Seil- 
schaft nicht  das  Organ  irgend  einer  bestehenden  Kirche  ist  und 
grundsätzlich  nicht  sein  kann.  Das  vornehmste  Absehen  der  C.-G.  ist  da- 
hin gerichtet,  einen  Boden  zu  schaffen,  auf  welchem  sich  die  verschiedenen 
Bekenntnisse  zu  gemeinsamem  Wirken  berühren  können.  Vielleicht  ist 
für  Herrn  Lic.  Knhlschmidt  der  Umstand  ins  Gewicht  gefallen,  dafs  Herr 
Diakonus  Jos.  Müller  in  Herrnhut  Mitredakteur  der  M.-H.  ist:  Herr 
Müller  selbst  aber  hat  die  M.-H.  nie  als  Organ  seiner  Gemeinschaft  be- 
trachtet -  Wie  sich  die  verschiedenen  theologischen  Richtungen  in 
einer  überwiegend  freundlichen  Beurteilung  begegnen,  so  ist  es  erfreu- 
licherweise im  grofsen  und  ganzen  auch  bei  den  verschiedenen  pädago- 
gischen Strömungen  und  ihren  Organen  der  Fall:  wir  nennen  hier  nur  die 
Anzeigen  und  Besprechungen  in  No.  2  des  ..Gymnasiums"  von  1893, 
die  „Deutsche  Schulpraxis"  vom  12.  März  d.  J.,  die  .Pädagogische 


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1893. 


Nachrichten. 


255 


Revue-  vom  20.  Dez.  1892,  die  „Zei  tschrift  für  die  österreichi- 
schen G y in  nas i c n",  Jahrg.  1*9:»,  S.  304  u.  s.  w.  Von  den  zahlreichen 
Anzeigen  in  den  Lehrer-Zeitungen  und  Tagesblättern  können  wir  hier 
füglieh  absehen:  nur  sei  noch  auf  die  Hesnrechung  in  lieft  101,  Bd.  LXIV 
von  Nord  und  Süd  und  auf  den  in  rumänischer  Sprache  erschienenen 
Aufsatz  Meissners  in  dem  Archiva,  Organul  etc.,  Jassy  1892,  S.  51. ri  hin- 
gewiesen. —  Schliefslieh  machen  wir  noch  aufmerksam  auf  das  freundliche 
l'rthcil  E.  Hannacks  in  seinem  Vortrag  über  ComcniuM  (abgedruckt  im 
Püdag.  Jahrbuch,  1892,  Wien,  Man/.)  und  auf  den  Artikel  des  Mey er- 
sehen Konversations-Lexikons  unter  dem  Stichwort  „Comenius-Gescll- 
schaft." 


Schweden  begeht  im  J.  1893  eine  Gedenkfeier,  die  wir  um  so 
weniger  unerwähnt  lassen  dürfen,  als  nur  durch  die  Wendung,  die  durch 
das  gefeierte  Kreignis  -  es  ist  dsis  Jubiläum  von  Ujisala  möte,  d.  h.  jener 
Versammlung  zu  Upsala  im  Jahre  1593,  durch  die  die  Annahme  der 
Reformation  dauernd  gesichert  wurde  —  die  Wirksamkeit  des  Comcnius 
in  Schweden  möglich  geworden  ist.  In  Upsala  selbst  wird  die  Jubelfeier 
erst  im  September  stattfinden.  Zu  Stockholm  und  im  übrigen  Lande  hat 
sie  sich  bereits  am  4.  April  vollzogen,  und  zwar  sind  neben  den  Haupt- 
gottesdiensten  mehr  oder  weniger  reich  ausgestattete  Vespergottesdienste 
gehalten  worden,  wofür  Schulinspektor  R.  Noren  das  Formular  einer  „Re- 
fonnationsvesper"  entworfen  hat.  In  Stockholm  ward  die  Festpredigt  in 
der  Grofskirchc  von  Pastor  primaria*  Fchr,  Präses  des  Stadt-Consistorinms 
—  Herr  Fehr  ist  Diplom-Mitglied  der  Comenius-Gesellschaft  und  gilt  »ls 
einer  der  ersten  Redner  des  Königreichs  —  gehalten,  und  es  wird  unsere 
Leser  interessieren,  den  Schiufa  derselben  kennen  zu  lernen. 

„Wenn  wir  uns,"  sagte  der  Redner,  „als  die  geistlichen  Erben  der 
Reformation  dankbar  erweisen,  haben  wir  doch  weder  Anlafs  noch  Recht, 
auf  den  schon  gewonnenen  Lorbeeren  auszuruhen.  Eine  grofse  und  um- 
fassende Arbeit  liegt  vor  uns.  Wir  haben  auf  dem  gelegten  Grunde 
weiter  zu  bauen.  Wir  müssen  Massen  von  Steinen  und  allerlei  Zierrat 
wegräumen,  die  den  Eintritt  ins  Heiligtum  nicht  nur  unnötigerweise  er- 
schweren, sondern  manchen  geradezu  hindern.  Denn  —  was  nimmer  ver- 
gessen werden  darf  -  die  Reformation  trat  nicht  mit  einmal  fertig  und 
erwachsen  aus  dem  Sehofa  der  mittelalterlichen  Kirche  hervor.  Die  bahn- 
brechenden Gedanken  wurden  wohl  von  Luther  besonders  während  der 
ersten  Zeit  seines  reformatorischen  Wirkens  ausgesprochen.  Ein  kräftiger 
Wiederhall  dieser  hellen,  vielversprechenden  Frühlingstime  ward  in  un- 
ser« Gegenden  vernommen,  so  weit  als  Olavus  Petrin  Stimme  drang.  — 
Aber  bald  trat  eine  Zurückbewegung  in  maucher  Hinsieht  ein.  Die  Durch- 
führung der  Reformation  zeigt  viele  Ärmlichkeiten,  hinter  denen  etliche 
von  ihren  ursprünglichen  Zügen  verdunkelt,  ja  ausgetilgt  wurden.  Viel 
vom  katholischen  Sauerteige  ward  in  die  neuen  Kirchen  hineingciiommen 
und  ist  noch  da  zu  finden.  Wie  manche  unter  uns  wissen  es  wohl  noch 
kaum  besser,  als  dafs  christlicher  Glaube  sei  gleichbedeutend  mit  Recht  - 
gläubigkeit  und  christliches  Leben  mit  der  Ausübung  der  Werkheiligkeit V 
Doch  vieles,  wenn  nicht  alles  davon  hat  seinen  Ursprung  wohl  in  den 


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25G 


Nachrichten. 


Heft  8  u.  9. 


Schwierigkeiten,  womit  alle«  Grofse  behaftet  ist,  da«  in  dor  Menschheit 
seinen  Weg  machen  soll.  Wir  dürfen  nieht  verzweifeln.  WaB  bedeuten 
300  Jahre  in  einer  grofsen  religiösen  Bewegung! . . .  Zwischen  Augustinus 
und  dem  Vatikanum  liegen  etwa  anderthalb  Jahrtausende  .... 

Reform  mufs  immer  noch  die  Losung  sein  in  der  Kirche  der  Refor- 
mation, Reform  auf  der  Grundlage  des  von  der  Reformation  ans  Licht 
gezogenen  Evangeliums  Christi.  Der  Papst  in  Rom  mag  sich  für  unfehl- 
bar ausgeben;  unsere  evangelische  Kirche  will  von  keiner  Unfehlbarkeit 
wissen.  Thut  sie  das,  so  befindet  sie  sich  auf  einem  Wege,  der  nach 
Rom  führt.  Dann  giebt  sie  auch  die  Treue  gegen  das  reformatorische 
Evangelium  auf.  Wir  aber,  die  wir  heute  Reformationsfest  feiern,  wir 
wollen  uns  unser«  evangelischen  Glaubens  und  der  christlichen  Freiheit, 
zu  der  Christus  uns  frei  gemacht  hat,  nicht  berauben  lassen.  Wenn  wir 
aber  die  Reformation  feiern,  lafst  uns  nicht  vergessen,  dafs  jede  wirkliche 
Reform,  die  etwa«  wert  ist,  von  neuem  beginnt  ....  So  wollen  wir  hier 
zuletzt  uns  der  ersten  der  95  Thesen  erinnern,  die  Luther  in  der  Morgen- 
dämmerung der  Reformation  wie  einen  Weckruf  in  die  Welt  hinausgehen 
liefs:  Da  unser  Herr  und  Meister  Jesus  Christus  sprach:  Thut  Bufse  u.  s.  w., 
wollte  er,  dafs  das  ganze  Leben  der  Gläubigen  eine  beständige  Bufse  sei." 


In  Prag  erscheint  seit  einiger  Zeit  lieferungsweise  im  Verlag  der 
literarischen  und  pädagogischen  Abteilung  des  Centralverbandcs  der 
böhmischen  Lehrervereine  ein  „Kurzgefafsles  pädagogische«  Wörter- 
buch* (strut1!»^  slovnik  paedagogick^),  das  in  Heft  19—22  einen  sehr 
eingehenden  Artikel  über  Comenius  bringt.  Wie  das  Vorwort  zum  2.  Band 
hervorhebt,  ist  diesem  Artikel  das  Comcniusjubiläum  mit  den  dadurch  her- 
vorgerufenen zahlreichen  Veröffentlichungen  und  Ausstellungen  wesent- 
lich zu  gute  gekommen.  Es  wird  uns  hier  eine  gute  und  gründliche  Zu- 
sammenfassung dessen  geboten,  was  wir  gegenwärtig  über  Comenius  und 
seine  verschiedenen  Thätigkeitsgebicte  wissen.  Der  Artikel  zerfällt  in 
folgende  Abschnitte:  1.  Das  Leben  des  Comenius  (von  J.  NovAkj.  —  2.  Co- 
menius als  Theolog.  —  3.  Comenius  als  Philosoph.  —  4.  Comenius  als 
Pädagog.  Diesem  naturgcmäfs  ausführlichsten  Abschnitt  (S.  627  -  G56j  von 
J.  Klika  ist  auch  ein  Verzeichnis  der  nach  Comenius  sich  nennenden  Ver- 
eine und  Gesellschaften  beigefügt.  —  .r>.  Comenius  als  Schriftsteller.  - 
6.  Die  Schriften  des  Comenius  (nicht  nur  ein  Verzeichnis  sämtlicher  143 
Originalausgaben  von  ,1.  Kvacsala,  sondern  auch  ein  solches  der  neueren 
böhmischen  Ausgaben.  —  7.  Die  Bilder  des  Comenius  (31  Nummern).  -- 

8.  Urteile  von  hervorragenden  Böhmen  und  Ausländern  über  Comenius.  — 

9.  Schlufsurteil. 

Bei  jedem  einzelnen  der  von  verschiedenen  Verfassern  herrührenden 
Abschnitte  ist  ilie  Literatur  mit  grofser  Vollständigkeit  angegeben.  Der 
erste  Abschnitt  ist  mit  den  bekannten  verschiedenen  Abbildungen  des 
Comenius  geschmückt,  sowie  mit  einer  von  Milbauer  gearbeiteten  Karte 
der  verschiedenen  Reisen  des  Comenius. 


Der  Sekretär  der  „historischen  Konilli»Hionu  bei  der  kgl.  bayrischen 
Akademie  der  Wissenschaften,  Herr  Professor  Dr.  C.  A.  Cornelius,  ver- 


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1803. 


Nachrichten. 


257 


sendet  den  Bericht  Aber  die  vierunddreifsigste  Pleuarversammlung,  die  am 
25.  und  26.  Mai  in  München  stattgefunden  hat.  Hervorgehoben  sei  aus 
diesem,  dafa  seit  der  letzten  Pleuarversammlung  im  Juni  1892  folgende 
Publikationen  durch  die  Kommission  erfolgt  sind: 

1.  Allgemeine  deutsche  Biographie,  Bd.  XXXIV  u.  XXXV. 

2.  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland,  Bd.  XXII:  Dr.  August 
Hirsch,  Geschichte  der  medizinischen  Wissenschaften  in  Deutschland. 

Auf  die  Fülle  der  in  erfreulichem  Fortgang  begriffenen  Arbeiten,  von 
denen  berichtet  wird ,  und  die  zum  Teil  in  nächster  Zeit  der  Öffentlich- 
keit übergeben  werden,  können  wir  hier  nicht  nfiher  eingehen  und  müssen 
auf  den  Bericht  selbst  verweisen. 


Der  Jahresbericht  der  „Gesellschaft  für  de  nt  sehe  Erzieh  nngs-  und 
Sehnlgefichichte"  für  1892  stellt  fest  (s.  Mitteilungen  der  Gesellschaft,  Jahr- 
gang III,  Heft  2,  S.  1),  dufs  im  Hinblick  auf  die  Leistungen,  die  sich  die 
Gesellschaft  für  ihre  Mitglieder  auferlegt  hatte,  selbstverständlich  „sich  am 
Jahrcsschlufs  ein  Minus  (dessen  Höhe  nicht  mitgeteilt  ist)  ergeben  nmfste." 
Indessen  ist  Hoffnung  vorhanden,  dafs  angesichts  der  inzwischen  gestiege- 
nen Mitgliederzahl  (sie  betrug  am  4.  April  1893  J»16)  die  Bedenken,  welche, 
wie  der  Bericht  sagt,  „ein  rechter  Zweifler  au  der  Lebensfähigkeit  der 
Gesellschaft  früher  haben  mochte,"  sich  nicht  bewahrheiten  werden.  Die 
erfreuliche  Wendung,  die  durch  die  Steigerung  der  Mitgliederzahl 
herbeigeführt  ist  die  Jahresbeiträge  werden  für  lfS98  auf  2580  Mk.  ver- 
anschlagt —  ist  besonders  der  inzwischen  erfolgten  Organisation  der 
Gruppen  zu  verdanken.  Die  höchste  Mitgliederzahl  hat  die  Gruppe 
Westfalen  erreicht  (58),  deren  Leitung  in  der  Hand  des  Herrn  Privat- 
dozenten Dr.  Kappes  in  Münster  liegt  und  dessen  Bemühungen  es  gelungen 
ist.  viele  katholische  Lehranstalten  und  Geistliche  der  Gesellschaft  zuzu- 
führen; dann  folgen  die  Gruppen  Württemberg  (36  Mitglieder),  Schweiz 
(36),  Anhalt  (29),  Hessen  (26)  u.  s.  w.  An  der  Spitze  der  Gesellschaft 
steheu  auch  für  1803  die  Herren  Geh.  Oberregierungsrat  Dr.  Höpfner 
(der  inzwischen  infolge  von  Krankheit  aus  dem  Staatsdienst  ausgeschieden 
ist)  als  erster  und  Herr  J.  Jahne),  Propst  und  fürstbischöflicher  Delegat 
in  Berlin  als  zweiter  Vorsitzender. 

Am  25.  Mai  d.  J.  hat  in  Weimar  die  diesjährige  Generalversammlung 
der  Guethe-liesellsebaft  stattgefunden.  Der  Versammlung,  in  welcher  der 
Geh.  Hofrat  Dr.  Ruland  den  Vorsitz  führte,  wohnten  Ihre  König).  Hoheiten 
der  Grofaherzog  und  die  Grofsherzogin,  sowie  zahlreiche  Mitglieder  der 
Goethe-Gesellschaft  bei  Prof  Lorenz -Jena  hielt  den  Festvortrag  über 
Goethes  Lehrjahre  und  charakterisierte  in  geistvoller  Weise  Goethes 
Verhältnis  zu  dem  Grofsherzog  Karl  August  in  politischen  Dingen.  Der 
Direktor  des  Goethe-  und  Schiller- Archivs  Prof.  Dr.  Suphan  machte 
über  die  Xenien  viele  interessante  Aufschlüsse  und  teilte  die  Auffindung 
neuer  Xenien  mit.  In  der  nächsten  Schrift  der  Gesellschaft  soll  das  ganze 
Material  veröffentlicht  werden.  Nach  Erledigung  des  geschäftliehen  Teils 
wurde  die  Versammlung  geschlossen. 

18  ** 


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258 


Nachrichten. 


Heft  8  u.  9. 


Die  ungarische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Budapest  hat  Herrn 
Professor  I>r.  Kvacsala  in  Prcfsburg  den  Auftrag  erteilt,  das  Leben  des 
Comenius  im  Anschlufs  an  sein  bekanntes  Werk  in  ungarischer  Sprache 
zu  bearbeiten  und  heraufzugehen.  Die  Akademie  wünscht,  dafs  der  Ver- 
fasser dabei  der  Thätigkeit  des  Comenius  in  Ungarn  besondere  Aufmerk- 
samkeit schenke.  Es  ist  erfreulich  und  vom  Standpunkt  unserer  Gesell- 
schaft nur  warm  zu  begrüfsen,  dafs  die  ungarische  Akademie  durch  diese 
Unterstützung  dem  Beispiel  folgt,  das  die  Königl.  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Prag  bereits  seit  längerer  Zeit  gegeben  hat  (vgl.  M.-H.  der  C.-G. 
1H93,  S.  198). 


In  No.  2  bis  5  der  Evangelisch-refonnierten  Klätter  von  1893  (heraus- 
gegeben von  J.  G.  A.  Szalatnay  in  Kuttelberg,  Österr.- Schlesien)  bringt 
Lic.  theol.  Pfr.  Sebesta  eine  Artikelreihe  über  „die  Beziehungen  der 
alten  Brüderuni t ät  zu  der  reformierten  Kirche'*.  Längst  vor 
der  Zeit,  wo  Comenius  die  ref.  Hochschulen  zu  Herboru  und  Heidelberg 
besuchte,  pflegten  die  jüngeren  Theologen  der  Brüder  ihre  Bildung  dort 
zu  vervollständigen,  zumal  seit  der  Zeit,  wo  die  schroffe  lutherische  Recbt- 
gläubigkeit  den  Melanchthonianismus  in  Wittenberg  verdrängt  hatte.  Sebesta 
weist  vielfache  Beziehungen  und  Berührungspunkte  der  beiden  Gemein- 
Bchaften  nach  und  schliefst  mit  «lern  Hinweis  auf  die  Thatsache,  dafs  an 
den  späteren  Hauptsitzcu  der  Brüder  in  Polen  die  letzteren  und  die  Re- 
formierten alle  Leiden  gemeinsam  trugen.  Gleichwohl  wäre  es  erwünscht, 
wenn  wir  noch  genauere  Nachrichten  und  besonders  genauere  Quellen- 
nachweise erhielten,  uls  sie  Sebesta  giebt;  der  Gegenstand  wäre  für  eine 
monographische  Arbeit  ein  dankenswerter  Vorwurf. 


Geschäftliches. 

Der  nächste  Kongrefs  der  C.-G.  wird  am  22.  und  2H.  Oktober  d.  .1. 
zu  Unna  (Posen)  abgehalten  werden.  Das  Näher*-  ersehen  unsere  Mitglieder 
aus  der  Einladung  und  dem  Programm,  das  wir  gleichzeitig  bekannt  geben. 

In  der  Juni- Juli -Nummer  der  „Mitteilungen  der  CG."  ist  die  „Ge- 
schäftsordnung für  die  Hauptversammlungen  und  Kongresse 
der  C.-G.",  wie  sie  nach  den  Beschlüssen  vom  April  1893  zu  stände  ge- 
kommen ist,  veröffentlicht  worden.  Sie  ist  nach  §  1«  mit  dem  1.  Juli  189:1 
vorläufig  in  Kraft  getreten  und  hat  nur  so  lange  Giltigkeit,  bis  der 
Vorstand  oder  ein  von  diesem  bevollmächtigter  Ausschuß»  sie  geändert,  ge- 
bessert oder  genehmigt  hat.  —  Wir  bringen  dies  hierdurch  mit  dem  Be- 
merken zur  Kenntnis  der  Mitglieder  der  C.-G.,  dafs  Abzüge  dieser  Ge- 
schäftsordnung auf  Anfordern  kostenlos  zu  ihrer  Verfügung  stehen. 


Pkrer'whe  Hof  1»uchdruck«.roi.    Stephan  (5«.ibel  A  Co.  in  AlUnbur*. 


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Monatshefte 

der 

Comenius -Gesellschaft.  - 


II.  Band.  —  1893.  —  Heft  10. 


Geschichte  und  Bedeutung  der  Schulkomödie 
vor  und  nach  Comenius. 

Von 

Friedrich  Albert  Lange1). 

Die  merkwürdige  Erscheinung  der  deutschen  Schul komödie, 
wie  sie  besonders  im  16.  und  17.  Jahrhundert  blühte,  fallt  ge- 
mäfs  der  Natur  der  Sache  unter  einen  doppelten  Gesichtspunkt. 
Wir  haben  es  einmal  mit  einer  viel  verbreiteten  und  einflufs- 
reichen  Form  des  Dramas  zu  thun,  und  insofern  ist  die  Schul- 
komödie ein  wichtiges  Glied  in  der  Entwicklungsgeschichte  der 
dramatischen  Litteratur  und  der  Bühnenkunst  Anderseits  haben 
wir  hier  eine  eigentümliche  Erscheinung  des  deutschen  Schul- 
lebens, die  in  dieser  Hinsicht  wieder  mit  der  Gesamtheit  der 
pädagogischen  und  didaktischen  Grundsätze  und  Einrichtungen  jener 
Zeiten  in  engster  Wechselwirkung  steht  und  sich  in  dieser  Wechsel- 
wirkung entwickelt  und  bethtttigt. 

Es  ist  auffallend,  und  ein  Beweis  davon,  wie  sehr  eine  or- 
ganische Betrachtung  des  Schul-   und  Erziehungswesens,  ins- 

')  Wir  veröffentlichen  hier  aus  dem  Nachtat*  F.  A.  Langes  einen 
wertvollen  Aufsatz  zum  erstenmal.  Die  Zeit  der  Abfassung  läfst  sich  nicht 
genau  bestimmen;  doch  gehört  er  offenbar  der  Periode  seiner  nieder- 
rheinischen  Lehrtätigkeit  in  Köln  oder  Duisburg  an.  Es  ist  unser  Wunsch, 
hiermit  zugleich  die  Aufmerksamkeit  auf  diese  eigentümliche  Erseheiuung 
dea  deutschen  Schullebens  zu  lenken;  eine  Untersuchung  über  die  Bedeutting 
des  Comenius  als  Verfasser  von  Schuldramen  und  für  die  Entwicklung  der 
Schulkomödie  würde  den  Aufsatz  Langes  vortrefflich  ergänzen. 

MmaUlufl«  der  Coaivtiiui-OeaeJlscbaft.    1993.  19 


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260 


Lange. 


Heft  10. 


besondere  auch  nach  seiner  geschichtlichen  Entwicklung  hin,  in 
den  Anfängen  liegt,  wenn  man  sieht,  wie  verschieden  die  Wür- 
digung ist,  welche  die  Schulkomödie  nach  diesen  verschiedenen 
Beziehungen  bisher  gefunden  hat.  Während  die  literarhistorische 
Seite  dieser  Erscheinung  mit  dem  gröfsten  Eifer  angebaut  wurde, 
so  dafs  von  da  aus  selbst  die  anerkennenswertesten  Streiflichter 
auf  die  pädagogische  Bedeutung  des  Gegenstandes  fielen,  ist  diese 
letztere  an  sich  so  wenig  beachtet,  dafs  nicht  nur  der  Versuch, 
sie  als  pädagogisches  Problem  eingehend  zu  betrachten,  unter- 
blieben ist,  sondern  dafs  man  sie  sogar  in  der  Geschichte  der 
Pädagogik  kaum  erwähnt  findet  und  jedenfalls  nur  da,  wo  der 
Zusammenhang  ein  völliges  Übergehen  unmöglich  machte. 

Wie  tief  aber  die  scenischen  Darstellungen  in  den  Gesamt- 
organismus  des  Schullebens  eingreifen  mufsten,  davon  kann  man 
sich  schon  bei  der  oberflächlichsten  Betrachtung  leicht  einen  Be- 
griff machen,  wenn  man  bedenkt,  welche  Zeit  und  Mühe  dazu 
gehören  mufste,  wie  viel  Einübung,  Erklärung,  Anleitung, 
Proben,  endlich  Ausrüstung  der  Bühne  und  Verschaffung  des 
Materials,  bis  eine  Schar  von  20—50  oder  gar  hundert  zum 
grofsen  Teil  noch  unerwachsenen  Schülern  ein  Drama  und  gar 
ein  lateinisches  vor  den  Spitzen  der  Einwohnerschaft  so  auf- 
führte, dafs  der  Schulmeister,  der  in  der  Kegel  selbst  dirigierte. 
Ehr  und  Ansehen  gewann.  Selbst  wo  solche  Aufführungen  nur 
einmal  jährlieh  stattfanden,  nahmen  sie  ein  Verhältnis  zum  Kursus  des 
Jahres  ein,  das  mit  dem  unsrer  Kedeakte  und  öffentlichen  Prüfungen 
gar  nicht  zu  vergleichen  ist;  nun  aber  finden  wir  sie  nicht  nur 
aulserdem  bei  allen  möglichen  Gelegenheiten,  sondern  an  vielen 
Anstalten  auch  zweimal,  mehrmals,  selbst  wöchentlich.  Nicht  weniger 
aber  ist  zu  bemerken,  wie  die  wichtigsten  Eigentümlichkeiten  des 
Schulwesens,  das  sittliche  Leben  der  Schüler,  Art  und  Methode 
des  Unterrichtes,  Gebrauch  der  lateinischen  Sprache,  Stellung 
der  Lehrer  zu  den  Schülern  und  zu  der  Stadt  gerade  mit  dieser 
Erscheinung  im  engsten  Zusammenhang  stehen  und  sich  gewisser- 
mafsen  mit  der  ganzen  Tendenz  und  Organisation  des  Unterrichts- 
wesens in  ihr  wiederspiegeln. 

Gerade  bei  dieser  tiefgehenden  Bedeutung  der  Schulkomödie 
ist  es  natürlich,  dafs  sie  in  den  mannigfachsten  Gestalten  auftritt 
und  dafs  ihre  Grenzen  schwer  zu  bestimmen  sind.  Denn  wie 
einerseits  die  Geschichte  der  dramatischen  Litteratur  zwischen  der 
Schulkomödie  und  der  Volkskomödie  die  mannigfachsten  Ver- 


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1893.  Geschichte  und  Bedeutung  der  Sehulkommlie. 


201 


bindungen  und  alle  Stufen  allraiihliehen  Übergangs  von  der  einen 
zur  andern  nachweist,  so  sind  auch  tausendfache  Verbindungen 
und  Übergange  sichtbar  von  der  Aufführung  eines  vollständigen 
Dramas  durch  die  Schüler  bis  zu  dem  einfachsten  Redeakt,  wie 
er  noch  heutzutage  üblich  ist. 

Um  nun  diese  Begrenzung  der  Sehulkomödie  mit  einiger 
Sicherheit  zu  ziehen,  bietet  sieh  als  das  einzig  stichhaltige  Kri- 
terium das  des  Zwecks,  des  Prinzips  der  Aufführungen  dar. 
Denn  nicht  nur  finden  wir  vielfach  Schulkomödien  in  Stadt- 
lokalen, Volkskomödien  in  Schullokalen,  diese  an  Schulfesten, 
jene  zur  Fastnacht,  diese  von  Schulmeistern,  jene  von  Volks- 
männern oder  schulfremden  Gelehrten  gedichtet,  sondern  selbst 
die  Aufführung  durch  Schüler  und  Lehrer  allein  findet  sich  viel- 
fach beim  Volksdrama,  während  hinwiederum  auch  beim  eigent- 
lichen Sehuldrama  nicht  selten  fremde  Elemente  mitwirken.  Hin- 
sichtlich des  Zweckes  der  Schulkomödien  könnte  es  scheinen,  als 
walte  dieselbe  Vieldeutigkeit  ob;  denn  in  der  That  schlug 
mancher  Rektor  gern  2—3  Fliegen  mit  einer  Klappe,  wenn  er 
durch  seine  Aufführungen  das  Volk  belustigen,  die  Schüler  üben 
und  sich  selbst  etwa  neben  dem  Dichterruhm  noch  eine  Erkennt- 
lichkeit in  klingender  Münze  vom  Hof  oder  Magistrat  gewinnen 
konnte.  Dennoch  wird  es  sich,  wo  unser  Material  einigermafsen 
ausreicht,  in  der  Regel  mit  Leichtigkeit  entscheiden  lassen,  ob 
der  Schulzweck  das  eigentliche  Lebensprinzip  der  Erscheinung 
war  oder  nicht. 

Betrachten  wir  z.  B.  das  in  neuerer  Zeit  wieder  mehrfach 
ans  Licht  gezogene  und  besprochene  „geistliche  Spiel  von  den 
10  Jungfrauen",  wie  es  im  Jahre  1322  von  den  Geistlichen  und 
Schülern  zu  Eisenach  aufgeführt  wurde,  so  sehen  wir  hier  in 
allen  Zügen  eines  der  uralten  kirchlichen  Dramen,  wie  sie  ur- 
sprünglich zur  Verdrängung  heidnischer  Ergötzlichkeiten,  zur 
Popularisierung  des  Christentums,  zur  Bethätigung  des  frommen 
Glaubensdranges  in  einer  über  Liturgie  und  Messe  hinausgehen- 
den festlichen  Darstellung  christlicher  Stoffe  allenthalben  durch 
Deutschland,  Frankreich,  England,  Italien,  Spanien  von  der  Geist- 
lichkeit selbst  begünstigt  und  gepflegt  wurden.  Dafs  jenes 
thüringische  Spiel  noch  eine  speziellere  theologische  Parteitendenz 
hatte,  ist  wahrscheinlich,  während  sich  dagegen  von  einer  päda- 
gogischen Absicht  bei  der  Aufführung  durch  die  Schüler  keine 
Spur  findet.    Am  wenigsten  konnte  dieser  Zweck  in  Bezug  auf 

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202 


Lange, 


Heft  10. 


die  Schüler  ein  didaktischer  sein,  da  schon  der  Gebrauch  der 
deutschen  Sprache  im  Dialog  die  Absicht  einer  Wirkung  auf  die 
Massen  des  Volkes  verrät,  womit  die  Gelegenheit,  grolses  Ablafs- 
fest  und  Jahrmarkt  beim  Beginn  des  Frühlings,  vollkommen  über- 
einstimmt. Und  wenn  der  Chronist  die  clerici  et  scholares  als 
die  Aufführenden  nennt,  ist  leicht  anzunehmen,  dafs  in  einem 
Stück  von  so  grofsartiger  Wirkung  die  Schüler,  wenigstens  die 
jüngeren  Knaben,  wohl  nur  Nebenrollen  zu  spielen  hatten.  — 
Ahnlich  verhält  es  sich  aber  mit  allen  Misterion  und  Volksspielen 
des  14.  und  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  auch  wo 
die  Schüler  die  wichtigsten  Rollen  spielen.  Bedenkt  man,  dafs 
in  jener  Zeit  noch  das  gelehrte  Studium  an  sich  schon  selbst 
den  Anfanger  gleichsam  adelte,  ihm  ein  höheres  Selbstbewufst- 
sein  gab,  dafs  dagegen  der  Burgerstand  im  allgemeinen  noch 
nicht  so  vielfach  angeregt  und  durch  die  wandernden  Elemente 
durchsäuert  sich  zeigte,  wie  späterhin,  so  versteht  man  die  vor- 
zugsweise Beteiligung  der  Schuljugend  richtig,  indem  man  die- 
selbe, dem  ungelehrten  Volke  gegenüber,  selbst  wieder  als  ein 
lehrendes  Element  betrachtet.  So  wirken  bei  den  Misterien  die 
Schüler  selbst  wieder  in  Gemeinschaft  mit  ihren  Lehrern  oder 
als  Stellvertreter  derselben  auf  die  Schüler  der  Schule,  auf  das 
im  grofsen  Ganzen  zu  schulende  Volk.  Dieser  pädagogische 
Zug  des  Mittelalters,  der  sich  in  grofsen  Umrissen  allenthalben 
in  jenen  Jahrhunderten  bethätigt,  ist  es  nicht  der  die  specitische 
Schulkomödie  geschaffen  hat.  Es  ist  dies  vielmehr  die  grofse 
Bewegung  der  neueren  Zeit,  vor  allein  eins  der  wichtigsten  ihrer 
Fermente,  der  Humanismus.  Das  Studium  der  Alten,  das  bisher 
nur  als  Mittel  gegolten  hatte,  gewann  selbständige  Bedeutung. 
Die  Welt  der  alten  Römer  schien  in  Italien  aufs  neue  erwachen 
zu  wollen,  und  mächtige  Wellen  von  dieser  Bewegung  schlugen 
nach  Deutschland  herüber.  Junge  aufstrebende  Geister  wollten 
die  Schmach  nicht  länger  dulden,  von  den  übermütigen  Italienern 
als  Barbaren  angesehen  zu  werden ;  pflegte  doch  auch  das  deutsche 
Vaterland  Kunst  und  Wissenschaft,  waren  ja  auch  hier  Leute, 
die  zu  reden  und  zu  schreiben  wufsten.  Freilich  wenige.  Wenn 
auch  Reuchlin  und  Agricola  sich  den  Italienern  ebenbürtig 
zeigen  konnten,  die  grofse  Masse  der  gelehrten  und  gebildeten 
Welt  sprach  und  schrieb  nie  Latein,  das  aufs  äufserste  ver- 
kommen war.  Dem  mufste  abgeholfen  werden;  die  römische 
Sprache,  denn  an  eine  Ausbildung  der  Muttersprache  war  ja 


1893.  Geschieht««  und  Bedeutung  der  Schulkomödie. 


nicht  zu  denken,  mufste  so  gepflegt  werden,  als  gelte  es,  die 
Städte  und  Gaue  des  Vaterlandes  dem  alten  Latium  einzuver- 
leiben. Der  Gedankengang,  den  die  neuen  Bestrebungen  be- 
folgten, war  ein  sehr  natürlicher  und  konsequenter.  Ohne 
Sprache,  ohne  Beredsamkeit  stand  man  auf  jedem  Gebiete  zu- 
rück; verspottet  bei  kirchlichen  und  politischen  Unterhandlungen, 
ausgeschlossen  von  der  Aristokratie  der  geistigen  Bestrebungen 
aller  gebildeten  Völker,  ohne  Witz,  ohne  Poesie,  ohne  wahre 
Wissenschaft  befand  sich  ein  grofser  Teil  gerade  der  Männer, 
die  das  Volk  zu  allen  geistigen  Gütern  heranbilden  sollten.  So 
betraten  die  Humanisten  Deutschlands  den  einzigen  Weg,  der 
offen  schien,  um  sich  Ebenbürtigkeit  mit  Italien,  mit  Frankreich 
zu  erringen.  Die  Sprache  Ciceros  mufsto  zur  Muttersprache 
werden  in  ihrer  ganzen  Reinheit.  Wie  natürlich,  dafs  keiner 
daran  dachte,  welche  Zukunft  der  eigenen  Muttersprache  be- 
schieden sei;  ging  es  doch  den  Italienern  mit  ihrer  verachteten 
Vulgärsprache  nicht  anders.  Das  Extrem  des  Ciceronianismus 
war  somit  nur  die  Übertreibung  eines  an  sich  gesunden  Ge- 
dankens. Wollte  man  sich  das  Gut  der  Alten  wahrhaft  neu  er- 
arbeiten, so  gab  es  in  der  That  für  die  Kation  keinen  andern 
Weg  als  den  Durchgang  durch  die  vollkommne  Beherrschung 
der  Sprache.  Die  Autoren,  welche  die  wahre  Fundgrube  für  die 
echte  alte  Sprache  abgaben,  an  denen  man  sich  vorzüglich  in 
jeder  Weise  bildete,  waren  Cicero,  Virgil,  Terenz.  Während 
Cicero  das  Muster  des  prosaischen,  Virgil  Muster  des  poetischen 
Stils  war,  blieb  für  Terenz  eine  dritte  Rolle,  vielleicht  die  wich- 
tigste: von  Terenz  lernte  man  sprechen. 

Der  Terenz  ist  daher  unter  allen  alten  Autoren  im  16.  Jahr- 
hundert am  meisten  in  Schulen  gelesen,  behandelt,  auswendig 
gelernt.  Wenn  der  angehende  Dichter  immer  wieder  zu  Virgil 
zurückkehrte,  um  des  Hexameters  und  der  poetischen  Diktion 
völlig  Herr  zu  werden,  wenn  der  Redner  und  Berichterstatter 
unermüdlich  sich  an  Cicero  mafs  und  stärkte,  so  war  dagegen 
Terenz  so  recht  eigentlich  die  Milch  des  Schülers  an  fast  allen 
deutschen  Gymnasien.  Wo  man  seinen  zu  frühen  Gebrauch  ver- 
mied, waren  die  Gründe  teils  sittlicher,  teils  sprachlicher  Natur. 
Dafs  die  Bedenken  ersterer  Art  niemals  ganz  verschwanden,  so 
sehr  sie  auch  zu  mancher  Zeit  zurückzutreten  scheinen,  liegt  in 
der  Natur  der  Sache.  Ludw.  Vives  sagt  im  8.  Buch  seiner 
Schrift  „De  tradendis  disciplinis" :    „Cajus  Caesar  nennt  den 


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264 


Lauge, 


Heft  10. 


Tcrentius  einen  Verehrer  der  reinen  Sprache.  Weit  weniger 
Reinheit  findet  sich  bei  Plautus.  Denn  der  ist  ein  Liebhaber 
den  Altertümlichen  und  erlaubt  sich  viel  Freiheit  in  den  Rollen 
der  Sklaven,  indem  er  das  Lachen  und  die  Heiterkeit  der  Zu- 
schauer und  dadurch  den  Beifall  der  Menge  sogar  durch  Ver- 
kehrtheit des  Sprechens  zu  haschen  sucht.  Aber  auch  im  Sinn 
ist  er  nicht  allzu  lauter.  Ich  wünschte,  dafs  aus  beiden  das  aus- 
geschnitten wäre,  was  die  jungen  Gemüter  mit  den  Lastern  be- 
flecken könnte,  zu  denen  wir  gleichsam  durch  einen  gewissen 
Wink  der  Natur  geneigt  sind."  Vives,  ein  Mann,  der  in  päda- 
gogischer Hinsicht  von  höchster  Wichtigkeit  ist,  da  aus  ihm 
gleichzeitig  Jesuiten  und  Protestanten  einen  guten  Teil  der  Ge- 
danken geschöpft  haben,  die  sie  nachher  mit  so  grofsem  Erfolg 
in  der  Erziehung  zur  Anwendung  brachten,  schrieb,  um  wenigstens 
die  ersten  Anfänger  von  allen  Unlauterkeiten  der  Komiker  frei 
zu  halten,  seine  Colloquia,  die  an  vielen  Schulen  eingeführt  waren ; 
diese  dienten  dem  Zweck,  diese  Unlauterkeiten  wenigstens  vom  zar- 
testen Knabenalter  fernzuhalten.  Die  unsittlichen  Colloquia  des 
Erasmus  dagegen  wurden  nur  ihrer  trefflichen  Sprache  wegen, 
gleichsam  als  Ergänzung  zum  Terenz,  verwendet.  Sturm  hat 
selbst  für  seine  Schule  Dialoge  geschrieben,  Neanisci  genannt, 
die  mir  unbekannt  sind;  sie  scheinen  jedoch  in  dem  Sinne  des 
Vives  gehalten  zu  sein.  Das  grofse  Gewicht,  welches  die  Ge- 
lehrten und  Schulmänner  jener  Zeiten  auf  das  Lateinsprechen  und 
-schreiben,  auf  die  Leichtigkeit  und  Flüssigkeit  des  ersteren, 
die  Korrektheit  und  Eleganz  in  beiden  legten,  ist  keines- 
wegs so  gering  anzuschlagen,  wie  dies  von  Raumer  thut;  es 
hat  nicht  nur  für  die  Vergangenheit  als  Festhaltung  der  Tra- 
dition seine  Bedeutung  gehabt,  sondern  auch  für  die  ganze  Zu- 
kunft der  Wissenschaften  in  Europa.  Der  Geist  der  Alten  war 
eben  trotz  aller  Tradition  so  fremd  geworden,  dafs  es  einer  Ver- 
tiefung in  alle  Denkmäler  jener  Zeit  bedurfte,  die  notwendig 
zum  Bedürfnis  der  Nachahmung,  der  Reproduktion  führen  mulste. 
Unsere  heutige  Wissenschaft,  auch  die  Philologie,  kann  jene  Re- 
produktion als  Nebensache  betrachten ;  in  der  That  aber  war  sie 
Thür  und  Thor,  durch  welche  der  Geist  der  Alten  in  seiner  be- 
lebenden Macht  unter  uns  einziehen  mufste;  ja,  wie  auch  im 
einzelneu  manche  Klage  über  verlorene  Kraft  begründet  sein 
mag  (wie  man  sie  bei  Raumer  und  Gcrvinus  so  häufig  findet), 
im  ganzen  hat  jene  Vertiefung  in  das  Latein  wohl  selbst  die 


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1893. 


(li'schichto  und  Bedeutung  der  Kehulkomödie. 


265 


Kultur  unserer  Muttersprache  mehr  gehoben  als  gehemmt  und 
der  ganze  neuere  Geist  der  Forschung,  der  seit  Baco  v.  Verulam 
so  gern  in  Opposition  gegen  die  Alten  auftritt,  verdankt  den 
Ciceronianern  selbst  mittelbar  seine  stärksten  Triebfedern.  — 
War  somit  im  allgemeinen  die  gewaltige  Kultur  der  lateinischen 
Sprache  gerechtfertigt,  so  liefse  sich  wohl  auch  das  Extrem  einer 
notwendigen  Schulpedanterie  im  Ciceronischen  Puritanismus 
in  ein  besseres  Licht  stellen  als  in  dem  es  gewöhnlieh  be- 
trachtet wird,  doch  würdo  das  zu  weit  vom  Gegenstande  abführen. 
Auf  diesem  Boden  der  Kultur  der  lateinischen  Sprache  ist  nun 
auch  die  deutsche  Schulkomödie  erwachsen.  Was  half  es  zu 
lesen?  Es  inulste  gesprochen  werden,  um  sprechen  zu  lernen. 
Dafs  dazu  das  Lateinsprechen  beim  Unterricht  nicht  ausreicht, 
liegt  auf  der  Hand.  Wie  bald  sind  nicht  die  wichtigsten  Phrasen 
des  Schulgebrauchs  gelernt!  Wie  wenig  ist  damit  gewonnen  für 
das  tagliche  Leben,  für  den  Gebrauch  zu  Hause,  im  freundlichen 
Gespräch  im  Verkehr  und  Geschäft  jeder  Art!  Das  war  aber 
das  Ideal  Sturms,  dafs  die  Knaben  auch  bei  Spiel  und  Sj>azier- 
gang  Latein  sprächen,  sein  gröfster  Kummer,  dafs  sie  zu  Hause 
bei  Eltern  und  Hausgenossen  Deutsch  hörten.  Ja  Trotzendorf 
scheint  es  wirklich  in  seinem  kleinen  Latium  durchgesetzt  zu 
haben,  dafs  seine  Schüler  fast  kein  deutsches  Wort  mehr  hörten. 
—  Die  Komödie,  wie  sie  nach  der  Meinung  jener  Zeiten  im 
Verse  der  Prosa  so  nahe  stand,  bewegte  sich  am  meisten  in  den 
Gegenständen  des  täglichen  Lebens  und  gab  recht  eigentlich  das 
Material  zu  solchem  lateinischen  Verkehr.  —  Die  ersten 
Terenzischen  Komödien  liefsen  Reuchlin  und  Celtes  aufführen. 
Insbesondere  wird  ersterer  als  der  Begründer  der  deutschen 
Schulkomödie  gefeiert,  da  es  ihm  zuerst  gelang,  in  Terenzischer 
Form  und  Sprache  einen  modernen  Stoff  selbständig  zu  be- 
handeln. Reuchlins  Henno,  der  im  Jahre  1497  aufgeführt  wurde, 
verdient  daher  in  mancher  Beziehung  Beachtung.  Der  Stoff 
dieses  Dramas  ist  im  wesentlichen  dem  alten  französischen  Lust- 
spiel vom  Advokaten  Pathelin  entnommen,  jedoch  vielfach  ver- 
verändert und  durchaus  selbständig  behandelt.  So  hat  z.  B. 
Reuchlin  die  berühmten  Hämmel  des  französischen  Stückes  weg- 
gelassen und  dafür  einen  echt  deutschen  Zug  eingeführt:  der 
liederliche  Landmann  Henno  hat  Geld  entdeckt,  welches  sein 
sparsames  Weib  Elsa  zusammengeknickert  und  vergraben.  Mit 
diesem  Gelde  schickt  er  seinen  Knecht,  Dromo,  zum  Tuchhändler 


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266 


Lange, 


Heft  10. 


in  der  Stadt.  Dieser  Kneeht,  Dromo,  ist  nun  der  Schalk  des 
Stückes,  der  die  Worte  des  Herrn,  dafs  er  das  Geld  ja  keinem 
andern  geben  soll,  als  ein  rechter  Eulenspiegel  zu  wörtlich  ver- 
steht, den  Tuchhändler  zugleich  um  das  Tuch  bringt  und  sich 
nachher  vor  Gericht  durch  das  bekannte  „blett  statt  aller  Ant- 
wort auf  Rat  eines  Advokaten  herauszieht.  Es  versteht  sich, 
dafs  nachher  der  Advokat  in  seine  eigne  Grube  fällt  und  mit 
demselben  „ble"  um  seine  Bezahlung  geprellt  wird,  ganz  wie  in 
dem  französischen  Stück.  Nun  aber  kommt  ein  eigner  Sehlufs, 
in  dem  die  poetische  Gerechtigkeit  vielleicht  die  derbsten  Faust- 
schlage erhält,  die  sie  je  besehen.  Henno  und  Dromo  kehren 
nach  Hause  zurück,  ersterer  durch  den  Spruch  der  weisen 
Obrigkeit  wirklich  belehrt,  dafs  Dromo  unschuldig  sei,  hält  den 
Krämer  in  der  Stadt  für  den  einzigen  Betrüger.  Durch  Ver- 
mittlung Elsas  und  einer  Nachbarin  erhält  Dromo  sogar  die 
Tochter  Hennos  zur  Frau,  bekennt  sodann  seinen  Schelmenstreich 
und  giebt  die  8  Goldstücke  zur  Mitgift.  Hier  also  wieder  ein 
uralter,  echt  deutscher  Zug  der  Gemütlichkeit  Er  und  sie 
müssen  sich  kriegen,  es  mag  biegen  oder  brechen ;  sonst  ist  keine 
Befriedigung.  Das  Original  schliefst,  offenbar  ungleich  wirk- 
samer, mit  dem  „ble"  „bleu  des  Schäfers  und  dem  geprellten 
Pathelin.  —  Die  Rücksicht  auf  die  Schüler  hat  übrigens  Reuchlin 
bewogen,  das  Ganze  teils  bedeutend  abzukürzen,  wodurch  nament- 
lich die  effektvolle  Gerichtsszene  viel  verlieren  mufste,  teils  das 
Stück  möglichst  von  allen  Unsauberkeiten  des  Originals  zu  be- 
freien. Wenn  darauf  gestützt  der  Drucker  vom  Jahre  1498  in 
seiner  Vorrede  an  Dalberg  sagt,  dafs  die  Fabel  „nihil  obscenum 
aut  impurum"  enthalte,  so  ist  das  in  demselben  Sinne  zu  ver- 
stehen, in  dem  man  auch  hundertmal  die  völlige  Reinheit  de» 
Terenz  dem  Plautus  gegenüber  hervorhob.  Es  bezieht  sich  auf 
die  Worte  und  Ausdrücke,  deren  Roheit  das  Ohr  der  Huma- 
nisten weniger  ertrug,  während  die  Unsittlichkeit  der  dargestellten 
und  besprochenen  Verhältnisse  gar  nicht  vor  Gericht  gefordert 
wurde;  eine  Ansicht  der  Dinge,  die  sich  im  Laufe  des  17.  Jahr- 
hunderts in  die  entgegengesetzte  vorwandelt. 

Dafs  um  dieselbe  Zeit,  gegen  Ende  des  15.  Jahrhundert», 
zugleich  mit  den  Aufführungen,  Bearbeitungen,  Ausgaben  und 
Nachahmungen  des  Terenz  auch,  die  ersten  Übersetzungen  er- 
schienen, zeigt,  wie  lebendig  der  Sinn  für  die  Muttersprache  und 
ihre  Ausbildung  sich  damals  schon  bethätigte.    Dafs  die  Ge- 


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1893. 


(;<>*eliieht<>  uml  Bedeutung  der  Scluilkomödii-. 


267 


lehrton  dies  nicht  sahen,  nicht  anerkannten,  jedenfalls  es  gering 
schlitzten,  ist  eine  ganz  natürliche  Erscheinung,  wenn  man  be- 
denkt, mit  welchem  Aufwand  von  Kräften  sie  sieh  in  die  alte 
Litteratur  hineingeworfen  hatten,  wie  viel  sie  in  derselben  fanden 
von  Bildung,  Eleganz,  Schönheit,  Geschmack,  das  sich  in  unsere 
deutsche  Sprache  damals  und  noch  auf  lange  Zeit  hinaus  absolut 
nicht  schien  hineinbringen  zu  lassen,  am  wenigsten  in  der  Poesie. 
Man  darf  deshalb  jene  Männer  des  Lateins  nicht  als  reaktionäre 
Geister  betrachten.  —  Wo  die  deutschen  Bearbeitungen  des  Terenz 
oder  anderer  Nachahmungen  öffentlich  aufgeführt  werden,  ge- 
schieht es  in  dieser  Zeit  noch  keineswegs  im  Interesse  der  Schule. 
Die  lateinische  Komödie  blieb  durch  das  ganze  16.  Jahr- 
hundert die  eigentliche  Schulkomödie,  und  Doppelaufführungen, 
wie  wir  sie  bei  Frischlins  Stücken  finden,  sind  stets  so  zu  er- 
klären, dafs  die  erste,  die  lateinische,  allein  eine  eigentliche  Schul- 
sache ist;  die  deutsehe,  als  Volksbelustigung,  ist  in  der  Regel 
eine  Privatunternehmung  eines  Lehrers.  Wie  nun  solche  Unter- 
nehmungen überhaupt  möglich  waren,  wie  es  geschehen  konnte, 
dafs  Schüler  als  öffentliche  Schauspieler  in  den  verfänglichsten 
Stücken  auftreten  konnten,  das  ist  wieder  im  Zusammenhang  mit 
allgemeinen  Erscheinungen  zu  betrachten. 

Von  dem  allgemeinen  sittlichen  Charakter  jener  Zeit  im  Ver- 
hältnis zur  unsrigen  zu  reden,  würde  überflüssig  sein.  Die  Ent- 
wicklung des  Schul-  und  Erziehungswesens  zeigt  vom  Mittelalter 
an  bis  auf  unsere  Tage  eine  allmähliche  und  stetige  Veränderung 
hinsichtlich  des  Rechts  der  Schule  an  ihre  Zöglinge  und  hin- 
sichtlich ihrer  eigentümlichen  Stellung  zu  Stadt  und  Staat.  Der 
Charakter  dieser  Veränderung  ist  unleugbar  der,  dafs  die  Schule 
sowohl  an  den  Staat  als  an  die  Familie  und  an  die  Willkür  der 
Einzelnen  ein  Recht  um  das  andere  verliert,  dafs  sie  immer  mehr 
von  der  Erziehungsanstalt  zur  blofsen  Unterrichtsanstalt  herab- 
sinkt, dafs  sie  mehr  und  mehr  auf  die  Bearbeitung  einer  einge- 
schränkten Aufgabe  in  ihrem  ganzen  Einflüsse  beschränkt  wird, 
dafs  das  Verhältnis  der  Eltern  selbst  zu  der  öffentlichen  Anstalt 
mehr  und  mehr  zu  dem  eines  allzeit  kündbaren  Kontraktes  über 
bestimmte  und  eng  begrenzte  Leistungen  herabsinkt.  Zu  gleicher 
Zeit  und  parallel  mit  dieser  Veränderung  ging  eine  zweite:  die 
nämlich,  dafs  mehr  und  mehr  dem  Schüler  die  rohe  Freiheit 
seines  Lebens  aufser  der  Schule  entzogen,  dafs  er  mehr  und 
mehr  der  Familie  auch  in  dieser  Hinsicht  wieder  untergeordnet 


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268 


Lunge, 


Heft  10. 


wurde.  Wilhrend  daher  jetzt  der  Quartaner  Fritz  als  gehorsamer 
Sohn  seines  Vaters  täglich  zur  Schule  geht,  um  daselbst  fleifsig 
zu  lernen,  was  die  Eltern  für  dienlich  halten,  wurde  im  16.  Jahr- 
hundert noch  der  Knabe,  indem  er  Schüler  wurde,  in  Bezug  auf 
das  elterliche  Haus  emanzipiert,  während  er  in  Bezug  auf  die 
Schule,  so  weit  deren  Anordnungen  sich  zu  erstrecken  beliebten, 
in  ein  strenges,  durchgreifendes  Dienstverhältnis  trat.  Der 
Rektor  der  Schule  ward  des  Knaben  Obrigkeit;  er  gleichsam 
dessen  Eigentum. 

Bedenkt  man  nun,  dafs  bei  der  geringen  Anzahl  höherer 
Schulen  und  bei  dem  auf  dem  Lande  und  in  kleinen  Städten 
allenthalben  grassierenden  Studieneifer  die  Mehrzahl  der  Schiller 
stets  ortsfremd  war,  ein  Verhältnis,  das  ja  auch  jetzt  noch 
den  Gymnasiasten  zur  moralischen  Frühreife  zu  bringen  pflegt, 
so  ermifst  man  leicht,  wie  sehr  die  damalige  Schülergeneration 
von  jeder  heutigen  verschieden  sein  raufste.  Wie  es  auf  den 
Universitäten  aussah,  ist  hinlänglich  bekannt,  und  der  Unterschied 
zwischen  Universität  und  Gymnasium  war  in  mancher  Beziehung 
noch  schwankend.  Dazu  die  Verschiedenheit  des  Alters;  end- 
lich die  abenteuerlichen  Fahrten  der  wandernden  Schützen  und 
Bacchanten  —  alles  das  machte  bald  Männer  aus  den  Schülern, 
die  vom  Leben  in  seiner  Vielseitigkeit  mehr  gesehen  und  ge- 
kostet hatten,  als  heutzutage  manchem  Gelehrten  seiner  Lebtage 
begegnet.  —  In  Strafsburg  war  bekanntlich  in  der  2.  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  das  berühmteste  Schultheater.  Es  war  eben  an 
der  Schule  des  hochverdienten  Johannes  Sturm,  desselben,  der 
gern  die  deutsche  Sprache  zu  gunsten  der  lateinischen  ausgerottet 
hätte,  der  den  Cicero  beneidete,  dafs  er  in  der  Jugend  schon 
nichts  als  Latein  gehört  habe,  dem  die  Imitation  der  Alten  in 
Schrift  und  Hede  über  alles  ging.  In  Sturms  Schulgesetzen  aus 
dem  Jahre  1565,  also  noch  2  Jahre  vor  Erhebung  des  Gymna- 
siums zur  Akademie,  steht  an  der  Spitze  der  Abschnitt  De 
gladiatoribus  et  vestibus.  Wir  erfahren  aus  derselben,  dafs  die 
Schüler  der  Anstalt  sich  eifrig  duellierten  und  mehr  Fleifs  auf 
die  Fechtstunden  als  auf  die  Lektionen  verwendeten.  Würfel- 
spiel und  Trinkgelage  werden  gerügt,  sodann  der  Kleiderluxus, 
soldatische  Gewänder  und  geschlitzte  Stiefel,  die  sich  besser  für 
Henker  passen,  als  für  ehrbare  Männer.  —  „Deshalb,"  heifst  es 
zum  Schlufs,  „wollen  wir,  dafs  das  alte  Gesetz  über  die  Kleider, 
und  Uber  Messer  und  Dolche  etc.  mit  diesem  neuen  Gesetze  zu- 


1893.  Osdiichte  uiul  Bedeutung  der  Sehulkomi'.tlio.  269 


gleich  wiederholt  und  erneuert  und  befestigt  sei."  —  Diese  Kerle, 
die  in  martialischer  Kleidung  mit  Dolchen  und  Schlägern  durch 
die  Kneipen  heruinrenommierten ,  mochten  freilich  wenig  durch 
die  Komödien  der  Alten  zu  verderben  sein,  wohl  aber  konnten 
sie  vielleicht  trefflich  agieren,  wurden  von  manchem  Schlimmeren 
dadurch  abgezogen  und  hatten  eine  treffliche  Übung  im  Latein. 
Dafs  mit  der  Erhebung  der  Strafsburger  Schule  zur  Akademie 
die  Sitten  trotz  der  neuen  Schulgesetze  noch  freier  wurden,  liegt 
in  der  Natur  der  Sache.  Jene  Zeit  der  Akademie  ist  aber  gerade 
die  Blütezeit  des  Strafsburger  Theaters.  Der  scharfe  Tadel 
von  Raumers  muls  daher  wohl  zum  grofsen  Teil  als  ungerecht 
erscheinen.  Er  hat  Sturm  mit  dem  Mafsstabe  unserer  Zeit  ge- 
messen, statt  ihm  den  Mafsstab  seiner  eigenen  Zeit  zu  ver- 
gönnen. Er  hat  Übelstände  in  Sturms  Erziehungsmaximen  ge- 
sucht, die  in  einem  grofsen  Zusammenhang  mit  anderweitigen 
Zeitelcmenten  in  ihren  bedenkliehen  Teilen  unschädlicher,  in 
ihren  förderlichen  notwendiger  waren,  als  sie  zu  irgend  einer 
späteren  Zeit  sein  konnten.  Wie  gern  übrigens  Sturm  alles  zum 
Akt,  zum  Drama,  zum  Dialog  machte,  sieht  man  auch  aus  dem 
im  Jahre  1578  abgehaltenen  grofsen  Examen,  bei  dem  alle  Fragen 
dialogisch  von  Schülern  an  Schüler  ergingen.  Die  theatralischen 
Aufführungen  fanden  in  der  Kegel  wöchentlich  statt.  In  den 
oben  erwähnten  Schulgesetzen  heifst  es  darüber:  „Komödien  und 
Tragödien  sollen  nicht  viele  von  den  Lehrern  im  Gymnasium 
erklärt  werden,  damit  nicht  anderes,  was  notwendig  ist,  liegen 
bleibe.  Es  sollen  aber  viele  von  den  jungen  Leuten  aufgeführt 
und  aus  dem  Gedächtnisse  hergesagt  werden.  Diese  Fähigkeit 
werden  sie  erlangen,  wenn  jeder  Klasse  je  ein  Schauspiel  vor- 
gelegt wird;  und  die  Darstellung  der  Personen,  welche  wenig 
sprechen,  ist  leicht,  mehr  Arbeit  haben  die  Darsteller  der  Haupt- 
rollen nötig.  Was  von  diesen  aufzufuhren  ist,  kann  auf  2  oder  3 
verteilt  werden,  damit  das  Gedächtnis  bei  mehreren  angebahnt, 
bei  allen  begründet  werde.  Damit  die  Dinge  durch  die  täglichen 
oder  häufigen  Aufführungen  in  den  Geist  der  Jünglinge  unmerk- 
lich eindringen,  nicht  aber  durch  ihre  Last  ihn  ermüden  oder  zu 
Boden  drücken  mögen;  in  wenigen  Monaten  wird  auf  diese 
Weise  ein  grofser  Teil  der  Dramen  in  die  Sehulen  eingeführt 
werden  können;  ohne  Erklärung  der  Lehrer  und  ohne  An- 
strengung und  Überdrufs  der  Schüler.  Denn  was  dunkel  zu  sein 
scheint,  wenn  man  es  für  sich  liest,  das  wird  entweder  durch 


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270  Lang".  Heft  10. 

Aufführung  und  Gewöhnung,  oder  durch  eine  kurze  Erklärung 
des  Lehrers,  oder  durch  Unterredung  und  gegenseitiges  Fragen 
der  Schüler  aufgeklärt. 

Es  ist  jedoch  Pflicht  der  Lehrer,  sich  mit  den  jenigen  Dramen 
sorgfältig  bekannt  zu  machen ,  welche  die  Schüler  aufführen 
werden,  und  beim  Erklären  der  Schriftsteller  und  beim  Geschicht- 
lichen aus  diesen  Dramen  Stellen  anzuführen ,  in  denen  irgend 
etwa«  ist,  entweder  dunkel  oder  fehlerhaft,  oder  scharfsinnig  und 
gelehrt,  oder  unähnlich  oder  ähnlich.  Denn  es  ist  schwer  zu 
glauben,  aber  dennoch  wahr:  es  ist  wunderbar,  durch  eine  wie 
geringe  Hülfe  eines  gelehrten  und  thätigen  Lehrers  der  Schüler 
eine  grofse  Menge  wichtiger  Dinge  sich  aneignen  kann."  — 

In  die  siebziger  und  achtziger  Jahre  dieses  Jahrhunderts  fällt 
auch  Frischlins  dramatische  Thätigkeit.  Von  dem  Leben  und 
den  Schriften  dieses  Mannes  hat  David  Straufs  ein  so  lebendiges 
Gemälde  geliefert,  dafs  man  beim  Lesen  glaubt,  den  alten  Dichter 
in  Fleisch  und  Blut  wieder  vor  sich  einherwandeln  zu  sehen. 
Hier  haben  wir  zum  Unterschied  eine  eigentliche  Dichternatur, 
einen  selbständig  produktiven  und  nebenbei  beträchtlich  unruhigen 
Kopf,  dessen  Werke  daher  stets  Uber  den  Schulzweck  hinaus- 
griffen. Dennoch  sehen  wir  Frischlin  allenthalben  sich  wenigstens 
als  lateinischen  Dichter  gebärden.  An  den  deutschen  Bearbeitungen 
war  ihm  wenig  gelegen. 

Im  Jahre  1592  liefs  Rollenhagen  in  Magdeburg  die  sämt- 
lichen Stücke  des  Terenz  zugleich  aufführen.  Diese  Herrschaft 
des  Terenz  in  Verbindung  mit  der  lateinischen  Schulkomödie 
dauerte  in  ungeschwächtem  Glänze  bis  an  die  Zeiten  des  SOjäh- 
rigen  Krieges.  In  Katichs  pädagogischen  Schriften  sehen  wir 
den  Terenz  als  Schulbuch  noch  einmal  auf  seiner  vollen  Höhe. 
Von  da  an  geht  es  abwärts  mit  seinem  Einflufs,  wie  mit  dem 
Einflufs  der  lateinischen  Sprache  überhaupt.  Die  mannigfaltigsten 
Gründe  vereinten  sich,  dies  zu  bewirken. 

Die  deutsche  Philologie,  die  sich  in  einem  Agricola,  Heuchlin, 
Melanchthon,  Camerarius  und  vielen  andern  der  italienischen 
schon  ebenbürtig  gefühlt  hatte,  mufste  ihre  besten  Kräfte  mehr 
und  mehr  in  theologische  Streitigkeiten  einschiefsen ;  Frankreich 
und  die  Niederlande  überflügelten  sie  weit  So  sank  im  all- 
gemeinen der  hohe  Flug  humanistischer  Begeisterung  mehr  und 
mehr.  Heroen  des  Schulwesens  wie  Sturm,  Trotzendorf,  Neander, 
wurden   immer  seltener.    Die  Verheerungen  des  Krieges  er- 


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1893. 


Geschieht«  uud  Heücuttmg  üer  Seliulkoinödio. 


271 


schlitterten  bald  auch  das  Schulwesen  in  seinen  Fundamenten 
Durch  die  so  allenthalben  entstandenen  Breschen  stürmten  neue 
Elemente  herein.  Die  im  Volk  seit  der  Reformation  gepflegte 
Muttersprache  voran;  die  Realien  mit  dem  ganzen  Heer  der  An- 
forderungen des  Lebens  folgten  unaufhaltsam.  Dio  allent- 
halben  verbreiteten  Grunds iitze  des  Co menius  gaben 
dem  ganzen  Zielpunkt  des  Schullebens  eine  neue 
Richtung.  Endlich  das  Auftreten  der  Hehlesischen  Dichter- 
schule, der  ersten,  die  den  Mut  hatte,  als  ebenbürtig  neben  jeder 
klassischen  Litteratur  aufzutreten. 

Katholischerseits  hatte  man  schon  früher  an  den  heidnischen 
Komödien  Anstofs  genommen,  und  hier  gingen  insbesondere  die 
Jesuiten  mit  Ersetzung  derselben  durch  christliche  fleilsig  voran. 
Eine  klassische  Periode  erlebten  diese  Aufführungen  auf  den 
Schulen  der  katholischen  Niederlande,  insbesondere  in  Löwen 
und  Mecheln  gegen  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts.  Charakte- 
ristisch ist  hier  zugleich,  dafs  nicht,  wie  in  Deutschland,  die 
Komödie  in  den  Vordergrund  tritt,  sondern  die  Tragödie,  dafs 
somit  nicht  Terenz,  sondern  Seneca  Vorbild  ist,  wie  es  sich  ähn- 
lich auch  in  Frankreich  und  in  England  um  diese  Zeit  zeigt. 
In  den  Niederlanden  hatten  schon  die  Philologen  von  jeher  ein 
gröfseres  Interesse  für  Seneca  gezeigt ,  als  in  Deutschland. 
Lipsius,  später  Heinsius,  haben  ihm  beträchtliche  Sorgfalt  zuge- 
wendet. Hugo  Grotius  hat  den  Stil  und  insbesondere  die  Metrik 
des  Seneca  so  vollständig  studiert,  dafs  in  dieser  Beziehung  sein 
Christus  patiens  wohl  die  vollkommenste  Nachahmung  ist.  Nicht 
nur  dieselben  Pointen  und  Antithesen,  dieselben  rhetorischen 
Fragen  und  Exklamationen,  derselbe  Flug  bombastischer  Worte, 
sondern  auch  dieselben  Regeln  im  Trimeter,  im  Anapäst,  bis  auf 
Wortcäsuren  und  alle  Feinheiten  des  Wortaccentes  im  Verhältnis 
zum  Versaccent  —  wie  sie  den  Senecaschen  Vers  so  vollkommen 
von  allen  anderen  lateinischen  und  griechischen  unterscheiden 
und  bestimmen.  Grotius  besafs  auch  ein  so  feines  Ohr  für  diese 
Metrik,  dafs  er  an  einer  anonym  erschienenen  Tragödie,  die  mir 
leider  unbekannt  geblieben  ist,  den  Heinsius  scheint  erkannt  zu 
haben.  Die  unter  Heinsius'  Gedichten  stehenden  Verse  sind 
übrigens  bei  weitem  minder  exakt  als  die  des  Grotius,  vielleicht 
absichtlich  wegen  des  Gegensatzes. 

In  diesem  Stile  sind  nun  auch  die  Tragödien  des  Vernuläus 
(Löwen)  sowie  die  der  Palaestra  scholae  Mechliniensis  gehalten 


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21-1 


Lange,  Gösch,  u.  Bedeut.  d.  SohuikomÖdie.  Heft  10. 


und,  obwohl  häufige  Verstöl'se  unterlaufen,  so  ist  doch  die  for- 
melle Nachahmung  weit  vollkommener  als  die  des  Terenz  in 
Deutschland.  Die  Ökonomie  der  Stücke  leidet  durch  den  Schul- 
zweck mannigfache  Veränderungen,  namentlich  Häufung  der 
Personen.  Erstere  wurden  zu  Löwen,  letztere  zu  Mecheln,  wie 
sich  aus  den  Vorreden  ergiebt,  öffentlich  aufgeführt.  Ähnliche 
Aufführungen  scheinen  an  fast  allen  katholischen  Schulen  unseres 
Niederrheins  stattgefunden  zu  haben.  Hier  erhielt  sich  dann 
auch  die  lateinische  Sprache  im  Dialog  bis  ins  18.  Jahrhundert 
hinein ,  während  deutsehe  Gesänge  eingelegt  wurden.  Zugleich 
zeigen  jedoch  diese  Stücke,  namentlich  in  den  letzten  Ausläufern 
aus  dem  18.  Jahrhundert,  einen  immer  gröfseren  Verfall  des 
Geschmacks  und  namentlich  den  ganzen  Opernspuk,  wie  er  zu 
jener  Zeit  auch  auf  den  öffentlichen  Bühnen  herrschte. 

Aber  auch  in  anderen  Teilen  Deutschlands  reichte  die 
Schulkomödie  bis  weit  ins  18.  Jahrhundert  hinein.  —  Der  Cha- 
rakter der  neuen  Periode  war  der  des  Nutzens,  des  Guten  etc., 
gegenüber  dem  Schönen  des  Humanismus.  Der  Zweck  der  Komödie 
wurde,  zu  belehren,  zu  warnen,  zur  Tugend  zu  ermuntern ;  endlich 
besonders  (unter  Einflufs  Frankreichs)  ein  anständiges,  sicheres 
Benehmen  zu  geben  (Christian  Weise).  In  der  immer  gröfseren 
Verflachung  des  Nützlichkeitsprinzips  ging  die  Schulkomödie 
unter. 


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Quellen  und  Forschungen. 


Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius. 

Autobiographisches  aus  den  Schriften  des 

Comenius. 

Zusammengestellt  von 
Prof.  Dr.  J.  Kvacsala  in  Pressburg. 

(Schlaft.) 


VII.  Comenius  in  Amsterdam. 
21. 

3.  Ex  horum,  varios  Vitae  euripos  experientium  nuraero, 
en  nie  quoque  ununi!  tot  difticultatum  fluctibus  toto  Vitae  ineae 
tempore  jactatum,  ut  revera  cum  Jacobo  dicere  habeam :  Pauci  et 
mali  fuerunt  dies  peregrinationis  meae.  Etiam  postremi,  cum  ex 
Hungaria  in  Poloniam  (exilii  mei  sedem)  reversus,  ad  quietera 
ine  jamjam  componerem.  Novus  enim  nie,  et  is  quidem  terribilis, 
excopit  gyrus,  venientis  ab  Aquilonari  plaga  insncratae  tempe- 
statis  turbo,  qui  atrocissimo  oello  involvens  Poloniam  totam, 
vastavit  totam :  etiam  Urbecula  nostra  sie  oversa,  ut  ejus  praeter 
rudera  exstet  nihil.  Et  quidem  tarn  subita  oppressione,  ut  prae- 
terquam  vi tam  eripere  liceret  nihil.  Ibi  enim  tota  mea  quoque 
mihi  periit  substantia,  domuneula,  supellcx,  bibliotheca:  omnes 
nimirum  thesauri  mei  collectarum  per  annos  araplius  quadraginta 
lucubrationum,  praeter  pauca  illa,  quae  iam  edita  erant,  aut  opere 
tumultuario  in  serobem  conjecta,  et  terra  obruta,  fuere. 

4.  Amisi  ergo  omnia,  praeterquam  illum  solum  qui  solus  est 
omnia:  et  qui,  ut  se  fidelem  suis  ostendat,  eastigationem  suani, 
utcunque  duram,  in  bonum  aliquem  disponit  eventum.  Qualiter 
mihi  quoque  factum  agnusco,  &  noraen  «'jus  laudo:  dum  me  eo 
deduxit,  ubi  respirare  datum  est;  et  excitavit  qui  me  favore  dig- 
nati  suo,  secum  esse,  ingratique  otii  taedia  honesta  aliqua  occu- 
patione  lenire.  voluerunt.     Praesertim,  si  mentem  recolligere, 


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274  KvHcwla,  Heft  10. 

operaque  pridem  inchoata  et  affecta,  necdum  effecta,  absolvere 
possem.  Merito  id,  prohibente  Apostolo,  ne  quis  panem  alienum 
gratis  edat  (2.  Thess.  3.  8). 

5.  Deus  ergo  est,  Deus,  qui  nobis  haec  otia  fecit!  tanquam 
exsertam  erga  nie  Dei  manum  osculor  eos,  qui  nie  hoc  literato 
otio  frui  jusserunt.  Ad  quidnam  vero  adhibendo  otk>?  Si  meae 
per  oinnia  spontis  fuissem,  alia  hoc  anno  (quem  iam  Amatero- 
aami  Deo  favente  exegi)  egissem :  sed  reperi  hic  etiam  gyros, 
qui  me  versarunt  et  ad  paulo  alia,  quam  consilio  destinaram,  de- 
nectere  coögerunt.    Quod  paucis  attingam. 

6.  Dolorum  ego  plenus  de  iactura  eorum,  quae  pretiosissima 
habebam,  Pansophica,  (perierunt  enim  mihi  non  tantum  primariae 
aliquot,  ad  mundum  iam  descriptae,  Operis  illius  partes,  sed  et 
ipsa  tota  materiarum  Pansophicarum  Sylva,  Definitionum  seil, 
omnium  rerum,  et  Axiomatum,  supra  20  annos  magna  diligentia 
congestatus  thesaurus)  considere  denuo,  rerumque  venas  per- 
sequendo  hanuonici  illius  Operis  si  non  plenum  iam  systema, 
pleniorem  tarnen  quam  hactenus  delineationem ,  constituere  de- 
ereveram.  Eeee  autem  denuo  ad  puerilia  illa,  utut  mihi  toties 
nauseata,  Latinitatis  studia  retrahor!  idque  occasione  insperata 
non  una. 

7.  Primum,  quia  Januae  nostrae  linguarum  praxeos  comicae, 
sub  titulo  Schola  Ludus  in  Hungaria  institutae,  postque  meum 
inde  discessum  typis  descriptae,  exemplar  in  Belgium  allatum 
reeudi  postulabatur.  Ego  autem  intinitis  id  scatere  mendis  videns, 
quin  totum  percurrendo  redderem  castigatius,  temperare  mihi  non 
potui :  quae  res  temporis  abstulit  aliquid. 

8.  Mox  Linguae  Latinae  radices  in  sententiolas  redigendi,  et 
sub  titulo  Auctarium  Ve.stibuli  edendi,  incidit  occasio:  quam  ad- 
iuneta  praefatiuneula  expressi. 

9.  Vcncrunt  item  ex  Germania  et  Borussia  literae  amicorum, 
in  Opuscula  nostra  Didactica  varie  inquiri  significantium ,  utque 
Volumine  uno  omnia  edantur  suadentium.  Addebant  ealculum 
suum  hic  in  Belgio  Viri  doctissimi,  suis  quoque  dueti  rationibus. 
Quibus  ego  (quem  ita  finxit  natura,  ut  alioruin  fere  plus  tribuam 
judieiis;  nec  usquam  deesse  velim,  ubi  mea  quoque  opella  aliquid 
in  commune  conferri  possit)  cessi:  spe  duetus,  realiura  studio  id 
nihil  ineoinmodaturum,  si  haec  parata  iam  reeudantur.  Sed  quae 
spes  fefellit,  temporisque  moras,  et  principalis  negotii  varias  re- 
moras,  attulit. 

10.  Accessit  primomm  quorundam  Virorum,  ex  ipso  etiam 
Amplissimo  Senatu,  de  edendo  in  aliquot  Adolescentulis  methodi 
nostrae  speeimine,  postulatum.  Quod  et  ipsum,  cum  se  literati 
duo  Viri-Juvenes  experimentum  facturi  offerrent,  recusari  honeste 
non  potuit:  factumque  est,  tametsi  me  nonnihil  ob  invidiae  me- 
tum  tergiversante:  et  quia  non  datis  Methodi  hujus  requisitis 
omnibus,  successum  satis  ex  voto  sperare  non  poterain. 


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1893.  Zur  Lebcii8getK'hichte  des  Cotnenius.  275 

11.  Postquam  vero  non  effugimus  invidiara,  repertusque  est, 
qui  ut  propositura  turbarot  libellos  nostros  illepidae  Latinitatis 
convincere  attentaret  (alibique  similia  mussitari  amicus  scriberet) 
occasio  data  fuit  temere  obieeta  diluendi,  Apologiaeque  nomine 
publicandi. 

12.  Unde  factum,  ut  nonnulli  excitatiorcs  facti  acrius  in  Mc- 
thodi  nostrao  fundamenta  inquirerc  animum  inducerent:  amicis- 
quc,  proditura  esse  omnia  üulaetiea  nostra  Volumine  pleno  dieti- 
tantibus,  Prolixa  non  solere  Viris  publice  occupatis  legi, 
responderent.  Hequisita  itaque  a  nobis  Moliminum  nostrorum 
summa  aliqua  epitomc  fuit.  Quod  scribendi  Novissimae  L.  L.  Me- 
thodi  synoDsin  oecasionera  dedit,  ad  cito  amabiles  ejus  Fines  et 
exquisita  aa  tincs  media,  facilemque  et  iucundam  Praxin,  variosque 
et  solidos  ad  alia  quoque  Usus,  pervidendum.  Quod  scriptum  publi- 
catum  quidem  est,  hic  tarnen  td  recudi  non  visum:  quia  epitome 
tan  tum  fuit  superiorum,  et  meliores  inox  superuenerunt  eogita- 
tiones,  quas  potius  attendi  volo. 

13.  Xempe  omnia  nostra  retractandi,  et  a  melioribus  inventis 
minus  utilia  separandi,  propositum.  Quod  sub  titulo  VTentilabrum 
Sapientiae  hic  suo  loco  sequetur. 

14.  Quia  vero  mihi  Seni  merito  iam  omnes  nudae  delibe- 
rationes,  tanquam  ad  placitum  discursus,  displicere  coenerunt,  nec 
aliquid  labore  dignum  existimo  nisi  practicum,  quod  ad  praesentes 
mox  usus  faciat,  venit  cogitare  Quonara  modo  omnium  hactenus 
actorum  fruetus  reipsa  exhiberi  possit,  construeta  Optimi  Scho- 
larum  Status  idea,  quantum  posset  perfecta:  quam  intuendo,  quis- 
quis  vellet  amethodiae  labyrinthos  pervidere,  et  deelinare,  sibique 
commissos  ad  Eruditionis  scopum  per  viam  planam  ducere,  posset. 

(Op.  Did.  IV.  p.  5  ff.) 

22. 

10.  Ultimus  mihi  tentator  nuper  denuo  fuit  larvatus  quidam 
Apostolus,  animarum  his  in  locis  aneeps:  qui  aliam  mentibus 
Keligionem  aliquoties  nie  convenit ,  desiderium  veri  simulans ; 
donec  apertius  laqueos  explicare  ineipientem  a  me  abegi.  Parcam 
illius  nomini,  quia  sibi  parci  vult:  haec  tarnen  ipsius  etiam  causa 
scribo,  ut  si  evigilare  potest  evigilet.  Is  nempe  ipse  est  ad  quem 
Tu  Domine  Baro  epistolam  illam  Tuam,  cum  anuda  ad  me  salu- 
tatione  exarasti,  Vestram  de  me  spera  adhuc  perstare  signiticans. 
Repeto  igitur  haee,  ut  Vos  vana  spe  laetare  desinatis.  Major  mihi 
divinae  misericordia  fiducia  est,  quam  ut  me  humiliter  sibi  ad- 
haerentem  ita  deserat,  ut  Vobis  et  Satanae  ludibrium  fieri  per- 
mittat. Ecce  quo  impatientiae  me  iraDortunitate  Vestra  adegistis ! 
Recitare  tarnen  haec  volui,  ut  omnem  Vestram  circa  me  panurgiam 
fuisse,  esse  et  fore  vanam,  semel  faudetn  intellecto,  me  missum 
faciatis:  alii  v.  ut  exemplo  moniti  meo  cavere  a  Vobis  diseant. 
Nexuit  mihi  et  alii»  quidam  ille  Vester  his  diebus  Nodum  Gor- 
diura,  quem  tanquam  aeternum  insolubilem  (Thresonica  prorsus 

Monafchefl«  4er  Comonln»-4i«H*ll»ch»ft.   189:1.  20 


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276  Kvacaala,  Heft  10. 

jactantia  omnes  provocans)  publico  cxposuit.  Cum  igitur  omni  um 
illorum  quos  provocat  ego  sini  unus,  raihiquc  etiam  libellus  ille 
tertiam  oer  manum  subraissus  sit ;  et  Tu  forsan  (hujus  non  ig- 
narus)  ibi  ouoque  suei  adbuc  de  me  Tuae  hasiu  fundas:  ecce 
propono  in  l)ei  nomine  Fortalicium  illud  Vestrum  aggred i,  ulti- 
raamque  illam  Vestram  oppugnandae  et  expugnandae  Divinitatis 
Christi  machinam ,  dissolvendi :  ut  vel  sie  tandem  tum  de  me 
evertendo,  tum  de  alii«  ad  votum  tatigandi«,  8|>em  deponatis.  Adsis 
Jesu  Christel    Tua  agitur  gloria. 

Clausula  Tua,  Dom  ine  adhuc  mihi  amieitiam  et  ofticiorum 
promptitudinem  offert  Quid  dieam?  Hoc  unum.  Periculosum 
est  a  Vobis  amari,  periculosum  salutari,  periculorum  unumsculis 
affici.    Plus  hic  est  quam  timeo  Danaos  et  dona  ferentes. 

Et  tarnen  quia  serio  forte  me  et  nos,  amas,  festucain  nobis 
oculo  exiraere  paratus,  amor  autem  esse  debet  reeiprocus,  serio 
Tibi  Christianae  charitatis  officio  respondeam  necesse  est.  Im- 
pendnm  ergo  aliquid  porro  etiam  temporis  eximendae  oculo  Tuo 
(si  prosperaverit  Christus)  trabi,  ultima  illa  mea  (de  qua  modo 
dixi)  scriptiuneula :  oblati  mempe  nobis  Irenici  Irenicorum  Vestri 
examine. 

Vale  Domine!  Cui  non  araplius  dicorem  Ave  (Apostolo  pro- 
hibente)  nisi  adhuc  Tui  ad  Apostolicam  doctrinam  reditus  mihi 
esset  spes:  quam  ratam  esse  jube  tu  qui  potes,  Jesu  Christe, 
virtute  Spiritus  tui  Sancti.  Amen. 

(De  Quaeatione  etc.  p.  6.r>  ff.) 

23. 

Conveniebas  me  in  hanc  urbem  delatum  (exulem  exul,  ut  di- 
cebas)  saepius:  de  rcligiono  tua  nihil  unquam  aliud,  quam  te 
Fratribus  Moravicis  (Anabaptistis  communionem  bonorum  pro- 
fessis,  eque  Moravia  per  Hungariam  dispersis)  dedisse  nomen,  ob 
pietatis  studia  missumoue  huc  ad  reconciliandum  dissentes 
Mennonitas,  si  posset.  Kon  improbavi:  successum  potius  appre- 
catus  sum,  ut  tanto  minus  dissiuiorum  et  sectarura  in  orbe  Chris- 
tiano  esset.  Demum  post  menses  aliquot,  e  sermonibus  quibus 
dam  Socinismi  te  suspectum  habere,  et  ob  occultatam  vulpem 
conversatione  tua  minus  delectari,  coepi:  quod  notare  poteras. 
Cum  enira  bis  terue  ad  soliloquium  me  (foras  ut  prodiremus,  ali- 
quot foliola  habere  te  ad  communicandum)  invitares,  renui.  Ve- 
nisti  ergo  tandem  ad  me,  mysteria  tua  tecum  ferens,  praelectio- 
nemque  ofFerens,  si  audire  vellem.  Permisi,  languidus  tunc,  et 
decumbens.  Legisti  ergo:  me  vel  ad  ipstun  Irenici  tui  titulum, 
conditionemque  illius  (de  abnegando  Christo,  qualem  adoramus) 
obstupefacto.  Requirebas  vero  ad  singulas  periodos  iudicium 
meum:  ferre  nolui,  audire  nie  dicens  velle  totum,  ut  iudicare 
possem  de  toto.  Toto  perlecto,  instabas:  nolui,  ruminaturum  me 
haec  dicens,  sicut  et  cum  postea  urgeres.  Causa  vero  non  fuit 
(ut  falso  suspicabaris,  et  iam  propalas)  quod  argumentis  tuis  con- 


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1893. 


Zur  Lebensgcschichtp  dos  Comcniu*. 


277 


vietus  dclibcrandi  spatia  quaererem ,  eoque  sie  iaxn  doeilitatem 
promisterem:  sed  quod  Pansophica  meditanti  nullis  disputationem 
tricis  implicare  rae,  vel  alios,  constitueram :  cogitare  potius,  quo- 
modo  Catholica  rerum  veritas,  ita  in  illo  Universali  Opcre  eon- 
nexa  exstarot,  ut  erroruin  naevi  suapte  patescere  tacitaque  lucis 
et  veritatis  vi  dissolvi  possent. 

(De  iterato  irenico  irenicoruin.  p.  36.) 

24. 

Pagina  5  mendacium  impigis  mihi,  quod  Exemplar  Ircnici 
tui  per  tertiam  mihi  manum  fuissc  missum  scripsissem,  quum 
tarnen  id  mihi  coram  tradidisses.  Verum  est  utrumque.  Kam 
amicus  cui  primum  dederaa,  ad  me  aecurrens  illud  exhibuit, 
promissum  a  te  afferens,  quam  primum  urbem  rediissem 
etiam  mihi  esse  dandum.  Respondi :  Ecce  redii ,  mittat  igitur. 
Simulque  Librum  lectitare  ineipimus,  conspectoquo  in  praefactione 
tua  de  aliis  ncscio  quibus,  me  etiam,  iain  convietis,  vanissimo 
triumpho,  exardescens  ego,  Veni  mecum,  (inquiebam)  ut  cum  ho- 
mine  male  sano  de  stultitia  et  iniquitate  (omnia  praeeipitante)  te 
teste  expostulem.  Ivimus  ergo:  petii  (ex  promisso)  exemplar: 
dedisti.  Legi  (te  audiente)  praefationcra ,  et  quinam  illi  devicti 
essent,  cuius  verba  allegebaa  (simile  scriptum  sc  nondum  vidisse 
tassos)  quaesivi.  Tu  subridens:  Memineris  fbrsara  verborum 
tuorum.  Ego:  Memini;  sed  ineministine  tu  quid  addiderim?  Ita 
mihi  scriptum  hoc  videri  comparatum,  ut  Socinismo  valide  promo- 
vendo  serviturum  sit,  si  refutari  non  poterit;  aut  subruendo,  si 
poterit?  Respondebas:  Sed  ego  praesuppono  refutari  non  posse. 
Ego:  Cur  autem  non  exspectasti,  an  aliquis,  et  quomodo  re- 
futurus  esset?  Aut  cur  non  totum  posuisti  ailemna  meum?  Plus 
in  te  iudicii  requisivissem.  I).  Zwickere.  Inique  ad  versus  me 
egisti,  clam  de  me,  et  talso,  triumphans.  Atque  te  non  nominavi. 
Sed  ostendisti  digito,  et  nominabis  ad  alios,  uti  vobis  mos  est, 
Orthodoxis  etiam  viris  moderatius  vobiscum  agentibus,  affricare 
maculam.  Tandem  dixi:  Quia  hac  in  nie  publice  ausus  es,  ta- 
cere  non  potero,  et  conscientiae  meae  et  famae  habenda  mihi  est 
ratio ,  ne  de  me  seu  vivo  seu  mortuo  triumphet  satan.  Ita  a  te 
cum  amico  discesst,  nec  ex  eo  tempore  te  oculus  vidit  meus. 

(De  iterato  iren.  iren.  p.  42.) 

25. 

De  ultimo  Drabicii  acerrimo  Examine. 
Cum  a  Principis  ltacocii  morte  (cui  Drabicius  Victorias 
et  Regnum  promisissc  visus  est:  ille  autem  non  iussa,  sed  pro- 
hibita  faciens  in  conflictu  cum  Turcis  oeeubuit,  anno  1660)  vati- 
cinia  Drabicii  tanto  magis  suspecta  reddi  ineiperent  confratresque 
illius,  omnia  per  Hungariam  turbari  videntes,  sibi  prae  aliis  me- 
tuerent;  atque  ut  ne  propter  im  um  pati  necesse  haberent  oranes 
providendum  putarent,  consilium  iniverunt  amovendi  a  se  sus- 

20* 


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278  Kvaesala,  Heft  10. 

picionem  eomplicitatis.  Primarius  itaque  inter  illos,  Johannes  Fe- 
linos,  Pastor  ruehoviensium  Exulum  conseripsit,  idiomate  Latin o 
tractatum,  sub  titulo  Ignis  Fatuus  Nicol.  Drabicius.  Quo  demon- 
strare  annisus  est,  Omnes  Drabicii  Revelationes  aut  mera  illius 
Cerebri  tigmenta  esse,  aut  mere  Satanicas  illusioncs.  Quem  trac- 
tatum non  per  Hungariam  tantum  sparsit  et  plerisque  quod  voluit 
persuasit:  «od  in  Silesiam,  Poloniam  Hollandiam  raisit,  Ecclesiis- 
que  Belgicis  dedicatum  typis  describi  voluit  Uli  tarnen,  a  quibus 
hoc  officii  requirebat,  inconsultum  id  rati  asscnsum  negarunt: 
tum  maioris  incendii  metu,  tum  quia  irreverentius  agere  visus  est 
causam,  quae  trepidatione  potius  &  suspiriis,  ac  gemitu,  quam 
supercilio  et  ludibriis,  agi  digna  videbatur.  Praesertira  cum  Dra- 
bicianae  Visiones  idem  i Iii  denuntiarent,  quod  Jeremias  contra  di- 
centi  sibi  Hananiae,  mortem  eodem  anno,  quia  adversus  Dominum 
loquutns  esset  (cap.  28.  16)  quae  et  insequuta  fuit  utrobique:  ibi 
mense  septimo,  hic  autem  a  denuntiatione  prima  (anno  1660,  oct.  16 
facta)  mense  decirao  septimo:  anno  nimirum  1662  Aprilis  6. 

2.  Casu  hoc  non  exterritus  unus  ex  eiusdem  Ecclesiae  Seni- 
oribu»,  Paulus  Veterinus  (primarius  Feiini  et  aliorum  adversus 
Drabicium  instigator)  causam  eui  Pastor  immortuus  fuit  continu- 
andam  suscepit:  diversist|ue  ad  diversos  scriptis  et  missis  epistolis 
(vernacule  iam)  criminationes  amarulenter  iteravit,  editionemque 
Ignis  Fatui  admodum  ursit,  assumpto  in  auxilium  (alibi  habitante) 
Medico,  Josepho  Securio. 

3.  Quae  res  cum  novas  adeo  daret  turbas,  ut  novorum  dissi- 
diorum,  odiorum  schismatum,  eoque  scandalurum  prae  oculis  es- 
sen t  initia :  imo  ipsi  etiam  nos  (de  Hevelationibus  istis  melius  per- 
svasi,  nonnihil  nütare,  Drabicioque,  Nobis,  Ecclesiae,  metuere 
incipcremus  communicatis  ergo  inter  invicem  consiliis  decrevimus, 
Ad  Deum  esse  tandem  pleno  humilitatis  affectu  deferendam  cau- 
sam haue.  Et  quidem  primum  indicto  nobis,  dispersique  populi 
rcliquiis,  ieiunio  ac  preeibus  (quo  solo  armorum  genere  Dae- 
monia  in  Christi  nomine  eiici,  Dominus  doeuit  Matth.  17.  21). 
Deinde  adhibito  ad  controversiis  finem  inponendum  divinitus 
ordinato  medio,  Juramento  (Heb.  6.  16). 

5.  Et  quia  per  eosdem  dies  redibat  iuniorum  fratrum  unus 
in  Hungariam,  a  nobis  missus  Sam.  Junius,  data  i  11  i  fuit  in- 
struetio  talis.  (Primo.)  Informabit  fratres  (ubiubi  congregatos) 
de  moderno  Controversiae  statu,  et  quid  nobis  factu  opus  videa- 
tur:  cum  requisitione  fraternae  cooperationis  ad  scandala  tollen- 
dum.  2.  Controversiae  statum  in  eo  versari,  Utrum  Fr.  Nico- 
laus Dr.  divinitus  aliquid  patiatur  revera,  an  vero  proterve  ac 
impie  Revelationes  tingat?  Nonnulli  pii  sperant  prius :  Paulus  V. 
affirmat  posterius.  Videndura  igitur,  quibus  fundamentis  nitantur, 
hic  et  Uli.  (3).  Priorum  argumenta  potissima  sunt  quatuor. 
(a)  Fingi  talia  non  posse,  tanta  rerum  et  styli  sublimitate,  ut  haec 
non  hominem  sonare  videantur:  nec  ullum  exemplum  exstare 
simile.    (b)  Aut  si  haec  ab  aliquo  forsan  extraordinarie  ingenioso 


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189:1 


Zur  LebenHgesehichte  des  Comenius. 


279 


tingi  possent,  a  Drabicio  tarnen  non  posse,  ostendunt  alia  eius 
(ex  gr.  epistolae,  aut  si  quid  novorum  scribere  tentat:)  tarn  ab 
illis  quae  Oraculi  nomine  proferuntur  diversa,  ut  plumbum  est, 
aut  lutum  ab  auro.  (c)  Si  Visiones  fingere  sciret  Drabicius, 
sciret  etiam  defendere  (haec  eniin  eiusdem  sunt  artis) :  nescit  au- 
tem,  nisi  aut  impatientia  et  fletu,  aut  murmurc  et  eonvitiis,  in 
convitiatores  suos  regestis.  (d)  Si  fingere  posset  tarn  concinne 
res  et  verba,  posset  longe  faeilius  Vitam,  ad  sanctitatem  simu- 
latam  pseudoprophetis  propriam.  Nescit  autem,  ad  scandalum 
usque  quod  inde  sumunt  eius  osores,  eum  hoc  nomine  infamantes. 
Et  forte  haec  ideo  sie  fieri  Divina  permittit  Providentia,  ut  argu- 
mento  sit  Simulatorem  non  esse,  (e)  Si  denique  fingere  posset 
praedieta,  non  tarnen  praedictis  dare  posset  veritatem  et  eventum : 
praesertim  in  rebus  tantis,  commotionem  gentium,  nova  bella,  in- 
teritus  tot  personarum  et  fami Harum  etc.  (4)  Argumenta,  quae 
in  Contrarium  P.  V.  habet  duo  sunt,  (a)  Multa  non  impleri:  id 
quod  non  veracis  Dei,  sed  mendacis  hominis,  esse  vestigium. 
(b)  Ipsum  Drabieium  ista  non  credere,  nec  pro  Divinis  habere: 
si  enim  crederet,  viveret  secundum  ista.  Sed  respondent,  qui 
ultra  corticem  rem  expendunt  (tametsi  ingemiscant  ita  fieri)  ad 
primum  argumentum,  Minutiora  esse,  quae  non  impleri  dueuntur, 
respectu  eorum  quae  nimis  implentur:  de  accenaa  nimirum  sie 
flamma  irae,  Dei  ad  versus  Mundi  peccata,  ut  non  exstingvenda 
sit  donec  alii  post  alios  consumantur  populi  etc.  Item  de  horri- 
biliter  eastigandis  imraorigeris,  nominatim  Racociana  Domo:  de 
Turca  venturo,  si  Ohristiani  abominationes  abolere  nolint  &  alia 
immunera.  Non  impleri  ea  potissimum  quae  sub  conditione  pro- 
missa  tuerunt :  ubi  culpa  non  in  promittentem,  sed  in  conditiones 
non  praestantem,  cadit  Si  quid  secus  videtur,  fortassis  mysteria 
subesse,  deteganda  suo  tempore.  Quicquid  circa  instrumenta 
Providentiae  sit,  scopum  tarnen  persistere  immote,  et  ad  illum 
proprius  semper  veniri  (per  alia  licet,  atque  alia  media)  in  evi- 
denti  esse. 

(5.)  Quantum  ad  Vitam  Drabicii:  respondent  illum  se  non 
facere  Angelum,  cum  sciant  esse  hominem.  Sufficere,  quod  quae 
illi  obiieiuntur  naevi  sint,  non  scelera.  Quanquam  Deum  ne 
propter  flagitium  quidem  (humana  infirmitatc  admissa,  et  per 
poenitentiam  rursum  elüta)  alienare  prorsus  Spiritum  suum  a  pro- 
phetis,  Davidis  ostendit  exemplum :  qui  adulter  licet  et  homicida, 
reconciliatus  tarnen  per  poenitentiam  Deo,  Dei  esse  organon  non 
desiit  Drabicium  dudum  novimus  vehementis  esse  naturae,  pro- 
nae  ad  excessum  in  virtutibus  et  vitiis.  Et  quid  tandem,  si  hic 
etiam  subsit  mysterium?  Ut  ad  annutiandura  Mundo  ultimae 
gratiae  tempora,  ubi  Dcus  plenissimam  reconciliationem  promittens 
(delere  propter  semet  ipsum  oranes  defectiones  populi  sui,  et  non 
recordari  peccaturum  eius,  Jes.  43, 24  etc.  et  59, 12  etc.,  Jer.  31,  34, 
Ezech.  36,  19.  20  etc.)  tarnen  huc  delegerit  personam,  cui  peccati 
reliquias  adhaerere  et  nihilominus  tarnen  gratiae  dona  huc  effundi, 


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280 


Kvaeaala, 


Urft  10. 


omnes  videndo,  in  philanthropiae  Dei  admirationcm  et  adorationem 
tanto  magis  abripiantur? 

(6.)  Ne  tarnen  scientes  volentes  ad  indebita  conniveamus,  con- 
tentionibusque  ac  factionibusque,  vel  profanitati,  tbmenta  reliqua- 
nius,  aut  tandem  incerti  semper  circa  haec  fluctuemus,  decretum 
esse  Deo  Vindici  solvendum  conimittere  nodum  hunc:  invocando 
iuiictim,  ardentissimoque  tandem  cordis  affectu,  et  unanimi  oris 
clamore  Deura,  ut  causam  hanc  velut  inter  Eliam  et  ßaalitas 
olim  igne  Zeli  dignoscere  dignetur.  Cui  fini  prccandi  formulam, 
solis  verbis  divinis  eonceptam,  ad  cos  (ut  et  alios  dispersos)  mitti. 
Eftundant  igitur  corara  Deo  animas  suas,  utque  Pater  raisericor- 
diam  diutius  nobisilludi  ne  patiatur,  propter  Christum  orent,  omnes. 

(7.)  Veniendum  dehinc  erit  ad  examen,  quäle  nondum  fuit: 
per  institutum  divinitus  controversias  terminandi  medium,  Jura- 
mentum  (Heb.  6.  16).  Quod  quia  in  re  tarn  extraordinaria  extra- 
ordinariuni  esse  necessum  est,  praescriptam  esse  illius  formulam, 
e  divinis  Scripturis  ad  rem  praesentem  spectantibus.  Cuius  mit- 
titur  Exemplar:  Fr.  Drabicio  ita  ut  ost  offerendum.  Quod  si 
admittet,  et  secundum  illam  formam  Jusiurandum  praestabit,  eoque 
modo  Conscientiae  suae  Testern  ac  Vindicem  Aeternura  illura  in 
coclis  habitantem  sistet,  officii  nostri  erit  Deo  id  honoris  habere, 
ut  ipsi  iudicium  et  vindictam  permittamus,  cui  soli  eam  deberi 
ipse  testatus  est  Deut.  32.  35.  Ultra  id  si  quid  P.  V.  requirere, 
Deoque  ipso  sapientior  videri  volet,  videat,  ne  ipsius  Dei  (gla- 
dium  ultionis  manu  illius  extorquere  quaerens)  iustam  in  se  pro- 
vocet  vindictam. 

(8.)  Contra  vero  si  Fr.  Dr.  iuraraentum  hoc  praestare  et  se  iusto 
ludicii  Deo  submittere  recusaverit:  debet  ad  nos  refferri,  ut  aliud 
quaeratur  consilium.  (9.)  Si  denique  idem  Fr.  in  se  descendens 
aliquid  de  suo  fuisse  additum  (seu  parum  seu  multuni)  recordari 
poterit  et  fateri  volet,  debebit  illi  offetri  conditio,  quam  Deus 
Prophetae  suo  Jeremiae  fictionum  itidem  suspecto,  obtulit:  ncmpe 
ut  separet  pretiosum  a  vili,  triticum  a  palea  si  quasi  os  Dei  esse 
velit  (Jer.  15,  19:  et  23.  28).  Nam  ex  Capitibus  Jeremiae  15  et 
17  et  43,  satis  evidens  est  Jeremiam,  taraetsi  a  plerisque  propheta. 
Dei  haberetur,  non  nullis  tarnen  et  in  non  nullis  suspectum  fuisse, 
quasi  de  suo  aut  in  gratiam  aliorum  aliquid  aflfingerct :  exprobra- 
tumque  illi  fuisse  Non  omnia  impleri  (Jer.  5,  13  et  17,  15) 
Contra  quod  ille  Deum  testem  invocabat,  nihil  se  loquutum  nisi 
verba  Dei  (Cap.  15,  16  et  17,  16).  Deus  nihilo  minus  videre 
suadet,  annon  pretioso  admiscuerit  vile  aliquid,  atque  si  factum 
est  separare  illud:  reliqua  autem  coinmenaare  sibi,  cui  rationes 
suae  satis  constant,  cur  aliquando  alitcr  quam  loquutus  fuit  faciat: 
Cap.  18.  Si  ergo  secundum  hanc  normam  Fr.  Drabicius  incedens, 
erratum  aliquod  circa  dicta  etwripta  sua  (in  eo  quod  non  omnia  pro- 
terve  tinxerit,  testem  in  Coclis  nobis  sistens)  fateri  volet,  illud 
etiam  aperte  ad  nos  referri  debet. 

6.  Addita  epistola  ad  Pastores  et  Seniores  Ecclesiae  utrius- 
que,  Puchoviensis  et  Lednici-nsis. 


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1893. 


Zur  Lebensgeschichte  des  Comenius. 


281 


8.  Responsum  ininistrorum  V  D.  cum  Senioribus  Ecclesiao 
Puch,  et  Lednicensis,  ad  Superattendentem  suum  tale  fuit. 

Obedientiam  filialem,  cum  voto  protectionis  divinae  in  tantis 
undique  calamitatum  plenis  temporibus  Ect.  Dileete  in  Christo  P. 
literae  Tuae  ad  nos  iunetim  datae,  subscriptinnibusque  R.  R.  Pa- 
trum I.  B.  et  N.  ö.  et  D.  V.  firmatae :  redditae  nobis  »mit  manu 
dilecti  fratris  S.  .1.  feliciter  ad  nos  8  Julit  appellentis.  E  quibus 
intellecta  voluntate  Vestra,  Patres  Venerandi,  feeimus  quod  a  nobis 
requisitum  fuit,  iuxta  instruetionem  datam.  De  cuius  totius  actus 
proeessu  ecce  Vos  informamus  sincere,  puraque  conscientia,  sie 
prorsus  ut  res  actae  sunt. 

1.  Primum  ego  Puchoviensium  Pastor  mox  ea  die,  qua  vestras 
aeeepi,  accersitis  Ecclesiae  raeae  Senioribus,  et  Symmista,  illis 
praesentibus  literas  ad  nos  coniunetim  spectantes  resignavi,  per- 
ceptisque  contentis  postridie  mane  F.  F.  Lednicenses  scripsi,  ve- 
nisseque  ad  nos  missum  Confratrem,  singularia  ad  omnee  nos 
afferentem  mandata,  docui  utque  sc  ad  nos  sistere  vellent  oravi. 
Factum ,  venerunt  eadem  9  Julii,  ad  vesperam :  ubi  ego  ad  Fr. 
Drabicium  spectantes  eidem  in  mantim  tradidi,  et  ad  mecum  per- 
noctandum  invitavi:  reliquos  quid  negotii  sit  cras  pereepturos 
esse  dicens. 

2.  Die  Julii  10  peractis  in  Coetu  sacro  preeibus  publicis, 
ingressi  sumus  in  meam,  Pastoris,  Dornum :  ubi  peracta  cum  Fr. 
Drabicio  consalutatione  (quia  in  templo  commode  fieri  non  potuit) 
dixi:  Arduum  nos  prae  manibus  habere,  negotium,  denuo  itaque 
ab  invocatione  miaericordiae  Dei,  ad  impetrandam  Spiritus  S. 
gratiam  inchoaturos.  Ubi  Fr.  Drabicius,  Orate  vos  hic,  ego  in 
eubiculum  secedam,  et  meas  quoque  preces  peragam:  exiitque. 

3.  Nos  ergo  praeraisso  Cantu,  Veni  sanete  Spiritus,  pro- 
eubuimus  in  genua  omnes,  gemitusque  nostros  (Oratione  hue  desti- 
nata)  ad  Dominum  fudimus. 

4.  Peracta  suplicatione  consedimus,  Pastorque  loci,  gratiis 
actis  quod  rogati  comparuissent,  quid  agendum  esset  doeuit.  Tum 
lecta  est  communis  illa  epistola:  dehinc  Juramentum  Drabicio 
praescriptum  (a  cuius  horrore  perterriti  plerique  obstupuimus). 
Demum  Fr.  Samuel  legendam  dabat  Instructionen!  suam. 

5.  Deliberatione  super  his  rebus  interposita  accersitus  est 
Fr.  Drabicius:  perque  Pastorem  loci  interrogatus,  An  literas  a 
R.  R.  Superattendcntibus  ad  Consessum  hunc  datas  audire,  con- 
tentaque  pereipere  vellet?  Annuit:  addito,  non  ignorabam  ego 
ab  aliquot  iam  septimanis  quid  mecum  futurum  sit.  Dominus 
enim  indieavit  mihi,  si  prascissem,  mecum  sumpaissem  ut  videretis. 
Ego:  sit  illud  »uo  loco. 

6.  Praelegebatur  itaque  illi,  primum  epistola  communis,  dehinc 
Juramenti  formula.  (Antequam  tarnen  haec  legeretur,  monebam 
et  rogabara,  ut  omnia  attente  expenderet !  Inesse  enim  terribilia 
(agique  hic  de  animae  salute).  Demum  Instructio  Samueli  J. 
data.  Ad  quae  omnia  quum  ille  nihil  prorsus  responderet,  denuo 
fuit,  interrogatus,  An  vellet  secundum  praescripta  hic  secum 
agi?    Rrspondit  dirpetc.  Ita  volo. 


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282  Kvacaala,  Zur  Lebensgeschichtc  des  Comeniu«.  Heft  10. 

7.  Quo  audito  tertia  fuit  proposita  quaestio,  An  ergo  Revc- 
lationes  suas  omnes  pro  divinis  haberct  et  haberi  vellet?  Assu 
veretne  adhuc,  omnia  illa  iussu  Omnipotentis  Dei  Jehovae,  qui 
non  tantum  misericors  sed  et  iustus  est,  sibi  dicta  et  scripta  esse, 
sine  ullis  additamentis?  Kespondit:  Assevero.  Quin  imo  recipio  in 
animam  meam,  nihil  a  me  additum  esse:  neque  nequidquam 
lucri  causa,  aut  in  alicuius  gratiam  vel  odium,  esse  loquutum. 

8.  Progressi  ulterius  interrogavimus,  An  id  iuramento  tali, 
quäle  praescriptum  est,  firmare  vellet?  Denuo  autem  eum  ad- 
hortati  sumus,  ne  se  praecipitaret,  deliberate  ageret,  imo  et  de- 
liberandi  spatium  sumeret,  indulturos  esse  noa.  Kespondit:  Nihil 
deliberatione  opus.  Assurgensque ,  et  man  um  utramque  coelum 
versus  attollens  ita  loquutus  est.  Kecipio  in  animam  meam,  quic- 
quid  Revelationibus  a  me  scriptis  inest,  non  a  me  ipso,  excogitatum, 
nec  de  meo  quidquam  additum  esse,  sed  ea  sola,  quae  Dominator 
Dominus  scribi  iussit.  Credoque  lirmiter,  sanctam  benedictam 
Trinitatem  omnia  ista  pro  suis  agnituram,  utpote  quae  ab  ipsa 
aeterna  Sapientia  scribi  iussa  sunt. 

9.  Progressus  inde  ad  mensam,  sumtaque  Juramcnti  formula 
in  manum,  pronuntiavit  online,  clare,  aistineto  omnia  (nihil 
omittens,  potius  hinc  inde  nonnulla,  vcheraentioris  asseverationis 
causa  superaddens)  tanto  Zelo,  ut  nos  praesentes  videndo  et  audi- 
endo  haec  attoniti  staremus:  aliqui  etiam  nostrura  tremerent  et 
plorarent.  In  medio  vero  illius  iuramenti  prospexit  e  fenestra 
(quae  aperta  fuit)  Coelum  versus,  Videtis  ne  Amici!  videtis  ne? 
clamans:  nos  vero  quid  vidisset  non  interrogavimus.  Cum  ad 
ultima  venisset  verba,  de  Adversario  suo,  ibi  flebat:  cum  priora 
omnia,  de  se,  magna  fiducia  et  animositate  pronuntiasset. 

10.  Finito  iuramento  consedit,  vultumque  in  mensa  ponen» 
chartam  illam  (unde  iuramentum  recitaverat)  ter  osculatum  faciei 
8upposuit.  Tum  vero  (nobis  omnibus  attonitis,  et  silentibus) 
surripuit  se,  et  Psalmum  123  incinuit  (Ad  te  levavi  oculos  qui 
habitas  in  coelis.  Sicut  oculi  servorum  ad  manus  Dominorum 
8uorura,  ita  oculi  nostri  ad  Dominum  Deum  nostrum,  donec  mise- 
reatur  nostri.  Miserere  nostri  Domine,  miserere  nostri !  quia  mul- 
tum  repleti  sumus  despectione.  Multum  saturata  est  anima  nostra 
sannis  et  opprobriis,  et  conteratu  öuperborum.)  Quem  quum  nos  omnes 
concineremus,  Hnitusque  esset,  ille  procidens  in  genua  (et  nos  cum 
illo)  ardentissimas  ad  Deum  fudit  preces,  ut  Dous  ab  approbriis 
liberaret  nomen  suum  cet. 

Quae  omnia  ita  esse  acta,  conscientia  manuque  testamur  om- 
nes nos  subscripti,  16.  Julii  (1663)  Puchoviae 

Lucas  Calesius,  Paulus  Laurinus  p.  t.  Pastor 

Eccl.  Lednic.  Pastor,  Eccles.  Puchoviensis  Conf.  Helv. 

Tobias  Jeffon  V  D.  M.  Ezechiel  Alfeus 

Wenzel  Gottfried  Bielsky  Paulus  Vetterin 

de  Karissow  Nicolaus  Pilsina 

Samuel  Junius  Paulus  Horatschek. 

(Lux  c  ten.  HL  478  ff.) 


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Kleinere  Mitteilungen. 


Ratichiana. 

Von  Dr.  P.  Btötaner  in  Zwickau  i.  8. 


Es  sei  mir  gestattet,  im  Nachfolgenden  einige  Ergänzungen 
beziehentlich  Berichtigungen  zu  dem  trefflichen  Litteraturbericht 
zu  geben,  den  Gideon  Vogt  im  ersten  Bande  dieser  Monats- 
hefte 8.  148  ff.  veröffentlicht  hat.1 

Unter  Nr.  14  fuhrt  Vogt  einen  Jenaer  Bericht  an,  der  ohne 
Orts-  und  Zeitangabe  erschienen  sei,  47  Seiten  in  12°  habe  und 
in  Zwickau  (auf  der  Ratschulbibliothek)  aufbewahrt  werde.  Ich 
habe  nun  bereits  in  meiner  Ausgabe  des  Giefsener  und  Jenaer 
Berichtes  (Ratichianische  Schriften  I,  Leipzig  1892)  von  diesem 
Druck  bemerkt,  dafs  er  in  Magdeburg  1614  erschienen  sei,  ohne 
jedoch  dort  näher  auf  diesen  Punkt  einzugehen.  Das  sei  nun 
an  dieser  Stelle  nachgeholt 

In  seiner  ersten  Ausgabe  der  „Quellen-  und  Hülfsschriften 
zur  Geschichte  des  Didaktikers  Wolfgang  Ratichius"  (Programm 
des  Kasseler  Gymnasiums  1882)  gedenkt  Vogt  des  Zwickauer 
Exemplare»  noch  nicht,  wohl  aber  fuhrt  er  daselbst  unter  Nr.  15 
einen  Druck  an,  der  mit  jenem  vielfach  übereinstimmt.  Es  heifst 
dort  von  diesem  so:  „(Reiche  xylogr.  Titelverzierung:  Oben  das 
Bild  eines  Jagdhorns,  unten  das  Bild  einer  Stadt.]  Bericht  von 
der  Didactica,  |  Oder  |  Lehr  Kunst  WOLFGANGI  |  Ratichij, 
darinnen  er  Anlei-  |  tung  gibt,  wie  die  Sprachen  J  gar  leicht  vnd 
geschwinde  |  können  ohne  sonderlichen  |  Zwang  vnd  Verdrufs 
der  |  Jugend  fortgepflan-  |  tzet  werden."  Wenn  Vogt,  wie  ich 
annehme,  ganz  genau  beschreibt,  so  weicht  diese  Ausgabe  von 
der  obengenannten  Zwickauer,  die  ich  als  einen  Magdeburger 
Druck  bezeichnete,  in  folgendem  ab.  Zunächst  in  Bezug  auf  die 
Abteilung  der  Worte  auf  dem  Titelblatt;  in  dem  mir  vorliegenden 
Exemplar  der  Zwickauer  Bibliothek  ist  so  eingeteilt:  „Bericht  |  Von 
der  Didactica,  |  Oder  |  Lehr  Kunst  |  WOLFGANGI  |  Ratichij,  , 
darinnen  er  Anlei-  I  "  u.  s.  w.,  der  Rest  stimmt  mit  Vogts  Angabe 
genau  Uberein.    Dann  aber  trägt  das  Oval  des  reichverzierten 


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284 


Stötzuer, 


Heft  10. 


Titelblattes  (oben  ein  Horn,  unten  eine  »Stadt)  noeli  folgende  Um- 
schrift: OFFICINA- AD  INSIGNE  •  |  AVRES  CORNV-  |  CON- 
CORDIA  •  RES  •  |  PARViE  •  CRESCVNT  • 

Diese  Umschrift  samt  dem  Bilde  des  Hornes  darüber  verrät 
nun  auch  den  Druckort  des  Büehelehens.  Nämlich  auf  dem 
letzten  Blatt  de»  „angeheiukten  kurtzen  Berichtes  etlicher  Herrn 
Professoren  der  löblichen  Vniversität  Giessen  von  derselben  Ma- 
tena" sehen  wir  das  nämliche,  von  einem  Kranze  umrahmte 
Horn  in  etwa«  vergrößerter  Gestalt;  darunter  aber  stehen  die 
Worte:  „Zu  Magdcburgk,  bey  [  Levin  Braunfs,  Buchhünd  |  lers 
Im  Jahr  1  1614."  Die  Bucbdruckerei  zum  „goldenen  Horn" 
ist  aber  die  Braunfaaehe  in  Magdeburg  gewesen,  und  das  Jahr 
1614  gilt  natürlich  auch  für  den  Jenaer  Bericht,  als  dessen  An- 
hang nach  den  eben  angeführten  Worten  der  Giefsener  anzu- 
sehen ist. 

Also:  1.  Nr.  14  in  Vogts  Bericht  ist  1614  in  Magdeburg 
erschienen,  und  zwar  im  Verein  mit  Nr.  6,  dem  Giefsener  Be- 
richt, der  demnach  nicht  als  eine  selbständige  Ausgabe,  sondern 
als  Anhang  zu  Nr.  14  zu  betrachten  ist.  2.  Der  in  Vogts 
älterem  Verzeichnis  (Kassel  1882)  unter  Nr.  15  beschriebene 
Druck  des  Jenaer  Berichtes  ist,  wie  durch  das  Horn  bewiesen 
wird,  auch  in  Magdeburg  bei  Levin  Braunfs  gedruckt,  scheint 
aber  mit  dem  Exemplare  der  Zwickauer  Bibliothek  nicht  völlig 
Übereinzustimmen,  so  dafs  vermutlich  zwei  Ausgaben  des  Be- 
richtes aus  Magdeburg  kommen  —  abgesehen  natürlich  von  dem 
im  Jahre  1621  bei  Wendelin  Pohl  erschienenen. 

Unter  Nr.  88  erwähnt  Vogt  „M.  Joh.  Wern.  Krausens  Anti- 
quitates  et  Memorabilia  Historiae  Franconicac.  Hildburghausen. 
1753.  4°."  Der  Titel  ist  nicht  vollständig  angegeben,  und  doch 
wäre  das  nötig  gewesen,  da  unter  demselben  Haupttitel  noch  ein 
zweiter  Band  1755  erschienen  ist.  Es  heilst  nämlich  nach  den 
von  Vogt  angeführten  Worten  „Antiquität«*  ....  Franconicaett 
weiter:  „Darinnen  |  Insonderheit  der  Ursprung,  Einrichtung  und 
Merkwürdigkeiten  |  der  Stadt  |  Eifsfeld  |  Von  denen  ältesten  bifs 
auf  die  ietzige  Zeiten  aus  bewährten  Urkunden  |  abgehandelt 
worden  i  von  i  Johann  Werner  Kraufs.  \  Hildburgnausen,  |  Ver- 
legt b.  Johann  Gottfried  Hanisch,  Herzogl.  Sächs.  privilegirter  | 
Hof-Buchhändler  1753."  Den  Inhalt,  soweit  er  für  die  Geschichte 
des  Ratichianismus  von  Belang  ist,  hat  Vogt  in  dem  mehrerwähnten 
Programm  S.  28  in  kurzen  Worten  angedeutet.  Ich  will  hier 
nur  eine  Stelle  daraus  (S.  255  f.)  anführen ,  die  auf  die  Thätig- 
keit  Ernst  des  Frommen  und  seiner  Mitarbeiter  ein  helles  Licht 
wirft:  „So  war  Herzog  Ernst  genöthiget,  sich  nach  solchen 
Männern  umzusehen,  die  dem  Ratichio  seine  Kunst-Griffe  ab- 
gelernet,  auch  in  praxi  sattsam  geübet  hatten.  Was  er  gesucht, 
das  hat  er  an  vorgenannten  Evenio,  Brunchorst  und  Reyher 
glücklich  gefunden.  Im  Hauptwerck,  was  die  Schul-Sachen  be- 
trifft, hatten  sie  einen  Zweck,  alles  nach  des  Ratichii  Lehrart 


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1893. 


Raticliiaua. 


285 


einzurichten:  Ein  jeder  aber  hatte  sein  besonders  Geschaffte, 
Evenius  arbeitete  so  zu  reden  mit  dem  Herzog  im  Cabinet,  und 
entwurff  die  verschiedenen  Schul- Methoden,  Instructionen  und 
Verordnungen,  die  im  Nahmen  höchstbesagten  Herzogs  zum  Vor- 
schein kommen,  und  praeparirte  darneben  etliche  Candidaten  zum 
Schulwesen;  Keyher  hatte  seine  volle  Arbeit  in  der  Schul  mit 
dociren,  ausser  der  Schule  mit  Verfertigung  der  Schulbücher 
nach  dem  Sinn  des  Ratichii,  davon  hernach  soll  geredet  werden  : 
der  Hof-Prediger  Brunchorst  aber  hatte  nebst  seinem  Predigt-Amt 
vornehmlich  mit  Besuchung  der  Schulen  zu  thun,  obs  darinnen 
recht  zugieng  nach  der  neuen  Lehrart.  Wenn  der  Herzog  im 
Land  herum  reisete,  wie  Seine  löbliche  Gewohnheit  war,  so 
mufste  der  Hof-Prediger  stets  dabey  seyn,  und  auf  alles  acht 
geben,  was  in  Kirchen  und  Schulen  jedes  Orts  passirete  und 
etwa  einer  Besserung  bedurffte."  —  Aber  auch  der  1755  er- 
schienene Band  der  Antiquitates  ....  Franconicae  ist  für  die 
Geschichte  des  Ratichianismus  nicht  ohne  jede  Beziehung.  Der 
Titel  ist  auch  in  seinem  deutschen  Teile  dem  bereits  angeführten 
des  ersten  Bandes  gleich ,  nur  heifst  es  nach  den  Worten  „der 
Stadt"  hier  weiter:  „und  Dioeces  |  Königsberg,  Sonnenfeld,  Beh- 
ringen |  und  Schalckau  |  von  denen  ....  Hildburghausen,  1755.  ■ 
Zu  finden  in  der  privilegirten  Hof-Buchhandlung."  Königsberg 
in  Franken  ist  aber  auch  eine  von  den  Stätten  gewesen,  wo  der 
Ratichianismus  eine  Heimstätte  fand.  Zum  Beweise  dafür  dient 
ein  Briefwechsel,  der  in  naher  Beziehung  zu  diesem  Bande  der 
Ant.  Franc,  steht.  Derselbe  wird  auch  von  Vogt  a.  a.  O.  er- 
wähnt; es  heifst  dort:  Das  Hauptsächlichste  aus  diesem  Brief- 
wechsel ist  ohne  Zweifel  noch  erhalten  in  Krausens  „Nachricht 
von  dem  Ratichisnismo  zu  Königsberg,  extrahiert  aus  dessen 
Königsberger  Historie  in  MSto."  in  der  Bibliothek  zu  Weimar.  — 
Nebenbei  bemerkt,  ist  dies  Citat  Vogts  nicht  ganz  genau  und 
auch  die  Angabe  über  die  Herkunft  dieser  Handschrift  ist  es 
nicht.  Das  Original  von  „M.  Johann  Werner  Krausens  weil. 
Diaconi  zu  Königsberg  in  Franken,  Nachricht  von  dem  Ratich ia- 
nismo  daselbst,  als  Königsberg  noch  unter  Weimarische  Landes- 
hoheit gehörte,  extrahiert  aus  dessen  Königsbergischer  Historie 
in  Msto."  liegt  vielmehr  im  Goethe-Archiv  zu  Weimar.  Die 
Handschrift  der  Weimarer  Bibliothek  enthält  nur  eine  Abschrift 
davon,  besorgt  durch  „Th.  Kräuter,  im  Oktbr.  1845". 

Doch  ich  wollte  darthun,  dafs  auch  der  zweite  Band  der 
Ant,  Franc,  nicht  ohne  Belang  für  den  Ratichianismus  sei.  Er 
ist  es  in  sofern,  als  man  aus  ihm  hinreichende  Belehrung  em- 
pfängt Uber  einige  Persönlichkeiten,  die  zu  jenem  Briefwechsel 
und  zu  den  Ant.  Franc,  in  Beziehung  stehen.  Der  im  Goethe- 
Archiv  im  Auszug  .erhaltene  Briefwechsel  fand  nämlich  statt 
zwischen  dem  weimarischen  Generalsuperintendenten  Abraham 
Lang  und  seinem  Schwiegersohn  Mag.  Gregorius  Ewald, 
der  von  1613  bis  1641  Superintendent  zu  Königsberg  war.  Jener 


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286 


Stfttzner,  Ratichiana. 


Heft  10. 


ist  einer  der  erbittertsten  Gegner  des  Ratichius  gewesen,  der 
vielleicht  das  Umsichgreifen  der  Lehren  des  Didacticus  im  Weima- 
rischen erfolgreich  gehindert  haben  würde,  wenn  ihn  nicht  schon 
1615  ein  plötzlicher  Tod  hinweggerafft  hätte;  dieser  war  ein 
nicht  minder  eifriger  Anhänger  der  neuen  Lehre.  Aus  dem 
zweiten  Band  der  Ant  Franc,  ist  nun  ersichtlich,  dafs  der  Enkel 
dieses  Magister  Ewald  ein  Mag.  Johann  Werner  Krause  war,  der 
1732  als  Diakonus  zu  Königsberg  starb.  Es  werden  von  ihm 
folgende  historische  Arbeiten  aufgezählt,  die  sämtlich  nicht  ge- 
druckt worden  sind : 

I.  Königsbergische  Annales,  2  Folianten. 

II.  Lebensbeschreibungen  der  Beamten  u.  s.  w.  in  der  Stadt 
und  Amt  Königsberg. 

III.  Beschreibung  des  Amts,  der  Cent,  der  Stadt  Königs- 
berg u.  s.  w. 

IV.  Genealogica  derer  vom  Adel,  die  im  Amt  Königsberg 
Unterthanen  haben. 

Der  Verfasser  der  Ant  Franc,  schliefst  dann  die  Lebens- 
beschreibung des  Mag.  J.  W.  Krause  mit  den  Worten:  „Und 
diese  gegenwärtige  Königsbergische  Kirchen-  und  Schul-Historie 
ist  raeistentheils  seine  Arbeit."  Dieser  Verfasser  nennt  sich  aber 
auch  Mag.  J.  W.  Krause,  und  der  Zeit  nach  ist  es  wohl  des 
1742  verstorbenen  Diakonus  Krause  Sohn,  der  im  ersten  Bande 
der  Ant.  Franc,  als  derzeit  (1753)  lebender  Superintendent  zu 
Eifsfeld  bezeichnet  wird.  Daher  erklärt  sich,  dafs  er  jenen  Brief- 
wechsel Ewalds,  als  seines  Urgrofsvaters,  besafs. 

Die  Sache  liegt  nun  demnach  kurz  so:  Die  Antiquitates  et 
mem.  bist.  Franconicae  sind  verfafst  von  dem  J.  W.  Krause,  der 
1753  Superintendent  zu  Eifsfeld  war;  die  Königsbergische  Ge- 
schichte in  Msto,  aus  der  Goethe  einen  Auszug  besafs,  hat  zum 
Verfasser  den  Vater  dieses  Superintendenten,  den  1732  zu 
Königsberg  verstorbenen  Diakonus  Krause.  Diese  Königsbergische 
Geschichte  aber  ist  jedenfalls  dasselbe  Werk,  welches  oben  als 
Königsbergische  Annales  bezeichnet  worden  ist.  Ob  dies  und 
die  anderen  handschriftlich  hinterlasse nen  Werke  des  altehr- 
würdigen Chronisten  seines  Heimatlandes  noch  vorhanden  sind, 
ist  unbekannt  Sind  sie  aber  verloren,  so  ist  doch  ihr  wesent- 
licher Inhalt  erhalten,  einesteils  in  dem  zweiten  Bande  der  Ant 
Franc,  andernteils  in  dem  Manuscript  des  Goethe-Archivs  und 
dessen  Abschrift  auf  der  Weimarischen  Bibliothek. 

Endlich  will  ich  noch  bemerken,  dafs  zu  der  neuesten  Litte- 
ratur  Uber  Ratichius  im  vergangenen  Jahre  noch  eine  Leipziger 
Dissertation  von  Carl  Christoph  hinzugekommen  ist,  die  den  Titel 
führt:  „Wolfgang  Ratkes  pädagogisches  Verdienst". 


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Litteraturbericht. 


Lottert  Ii,    J. :    Dr.    Balthasar   Hvibmaier   und    die  Anfänge  der 
Wiedertaufe  iu  Mähren.    Brünn  1893.    VIII,  217  S.  8°. 

Vorliegende  Schrift  will  einige  Bausteine  zusammentragen  zu 
einer  unparteiischen  Darstellung  der  Geschichte  der  Wiedertäufer, 
die  vollständig  erst  dann  geliefert  werden  kann,  wenn  die  Forschung 
sich  nicht  weiter  nur  beschränkt  auf  die  Schriften  der  Gegner  des 
Anabaptismus,  sondern  sich  ausdehnt  auch  auf  die  zahlreichen,  zum 
guten  Teile  noch  gänzlich  unbekannten  Schriften  der  Taufgesinnten 
selbst.  Mit  gründlicher  Beherrschung  der  einschlägigen  gedruckten 
Quellen  und  Litteratur  und  mit  Verwertung  reichen  ungedruckten 
Aktenstoffes  giebt  der  Verfasser  hier  ein  Bild  von  dem  Leben  und  den 
Anschauungen  B.  Hubmaiers,  einer  der  hervorragendsten  Persönlich- 
keiten unter  den  Führern  der  sog.  Wiedertäufer,  und  verbreitet 
sich  dabei  eingehend  über  die  anabaptisti sehen  Bewegungen  in  den 
österreichischen  Vorlanden  und  in  Mähren,  den  Hauptschauplätzen  der 
Wirksamkeit  Hubmaiers.  Dabei  ist  der  reiche  litterarische  Nachlafs 
des  verstorbenen  Ritters  von  Beck  ausgiebig  benutzt  worden ,  eine 
umfangreiche  Sammlung  von  Materialien  zu  einer  Geschichte  der 
Wiedertäufer  in  den  einzelnen  Provinzen  Österreichs. 

Das  Buch  zerfällt  in  zwei  Teile.  Es  behandelt  im  ersten  die 
Wirksamkeit  Hubmaiers  in  Waldshut.  Der  Verfasser  wiederholt 
hier  zum  guten  Teile  das,  was  er  in  seinem  Aufsatze  „Die  Stadt 
Waldshut  und  die  vorderösterreichische  Regierung  in  den  Jahren 
1523—1526"  (Archiv  für  österreichische  Geschichte,  Bd.  77  (1891) 
S.  1 — 149)  niedergelegt  hat,  holt  aber  zugleich  nach,  was  er  dort 
versprach,  die  biographischen  Angaben  über  Hubmaier  und  eine 
kritische  Betrachtung  seiner  Lehren  und  Schriften.  Die  Anfänge 
der  Reformation  in  Waldshut,  ihr  Fortschritt,  die  langen,  erfolglosen 
Verhandlungen  zwischen  der  Stadt  und  der  vorderösterreichischen 
Regierung,  endlich  die  Einnahme  und  Bestrafung  von  Waldshut, 
alles  dcis  ist  fast  unverändert  aufs  neue  wieder  zum  Abdruck  ge- 
langt, aber  Uberall  da  mit  bemerkenswerten  Zusätzen  vermehrt,  wo 
Hubmaier  besonders  thätig  oder  ratend  eintritt.  Gleich  im  ersten 
Kapitel  ist  Hubmaiers  früherer  Lebensgang,  seine  Wirksamkeit  als 


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288 


Litteraturbericht. 


Heft  10. 


Domprediger  iu  Regeusburg,  sein  heftiges,  fast  fanatisches  Auftreten 
daselbst  gegen  die  Juden,  eingehender  berücksichtigt  worden.  Ge- 
nauer wird  verfolgt,  wie  er  zunächst  während  seines  ersten  Aufent- 
halts zu  Waldshut  (1521)  noch  völlig  die  hergebrachten  Gebrauche 
der  Kirche  beobachtet,  wie  er  aber  allmählich  durch  die  Lektüre 
der  Paulinischen  Briete,  der  Schriften  Luthers  und  durch  persön- 
liche  Beziehungen   zu   Männern  wie  Busch,   Erasmus  u.  a.  schon 
während  seines  zweiten  Aufenthalts  in  Regeusburg  (1523)  sich  der 
neuen  Lehre  zugeneigt  zeigte,  in  der  er  sich  dann  in  eifrigem  Verkehr 
mit  Zwingli  mehr  und  mehr  befestigte,  so  dafs  er  im  Religionsgespräch 
zu  Zürich  (Okt.  1523)  scharf  gegen  die  Bilderverehrung  und  den  Opfer- 
charakter der  Messe  auftrat,  sich  aber  immer  noch  gemäfsigt  verhielt  und 
vor  allzu  raschen  Reformschritten  warnte.  Im  zweiten  Kapitel  werden 
die  18  sogenannten  Schlufsreden  hinzugefügt,  das  christliche  Leben 
betreffende  Sätze,  über  die  Hubmaier  noch  im  Jahre  1523  mit  der 
Waldshuter   Geistlichkeit   disputieren  wollte.     Sie   sind   ganz  im 
Zwinglischeu  Geiste  gehalten ;  und  auf  ihrer  Grundlage  führte  nun 
llubmaier  die  kirchlichen  Neuerungen   in  Waldshut  im  Sinne  der 
Schweizer  Reformatoren  durch,  um  so  erfolgreicher,  da  er  in  allen 
seinen   Bestrebungen  wirksamen  Rückhalt  an    Zwingli  und  nach- 
drückliche  Unterstützung  seitens   Zürichs  gewann.     Auch  weitere 
26  Schlufsredeu  werden  aufgeführt,  die  im  November  1523  erschienen 
und  an  Eck  gerichtet  waren  und  die  Frage  behandelten,  wer  in 
Glaubeussachen  Richter  sein   solle.    Mit  keinem  Worte  war  bisher 
der  Kindertaufe  gedacht.     Entscheidend   aber  für  die  Geschicke 
Hubmaiers  und  Waldshuts  wurde  es,  als  llubmaier  sich  Ende  1524 
nach  persönlicher  Bekanntschaft  mit  Münzer  und  im  Anschlufs  an 
Männer  wie  Grebel,  Manz,  Röublin,  den  Wortführern  des  sog.  Anabap- 
tismus anschlofg  und  damit  sich  und  der  Stadt  jede  Sympathie  und 
jede  Unterstützung  der  Partei  Zwingiis  entzog,   so  wenig  er  auch 
zu  den  Fanatikern  der  Wiedertaufe  gerechnet  werden  darf.  Dafür 
giebt  den  besten  Beweis  das  fünfte  Kapitel  des  ersten  Buches,  sowie 
das  zweite  des  zweiten  der  vorliegenden  Arbeit,  in  denen  der  Ver- 
fasser eine  dankenswerte  Übersicht  Uber  den  Inhalt  der  meist  schwer 
zugänglichen  Streitschriften  darbietet,  die  Uber  die  Taufe  zwischen 
Hubmaier  und  Zwingli  gewechselt  worden  sind.     Der  Teilnahme 
Hubmaiers  am  Bauernkriege  ist  auch  hier  ein  besonderes  Kapitel 
gewidmet,  in  dem  der  Verfasser   ebenso  wie  in  seinem  früheren 
Aufsatze  zu  dem  Ergebnis   gelangt,   dafs   die  Gegner  Hubmaiers 
diesem  manches  zur  Last  legten,  woran  er  in  Wirklichkeit  unschuldig 
war,  dafs  Hubmaier  nicht  als  der  Verfasser  des  Artikelbriefcs  und 
der  zwölf  Artikel  der  Bauern  zu  betrachten  ist,  wenn  er  sich  auch, 
zumal  unter  dem  Einflufs  Münzers,  den  Inhalt  derselben  zu  eigen 
gemacht  hat    Der  Anschlufs  Hubmaiers  an  den  Anabaptismus  zu- 
sammen mit  der  Niederlage  der  Bauern  bei  Griefsen  am  4.  No- 
vember 1525  beschleunigten  den  Fall   des   nun   völlig  isolierten 
Waldshut.    Schon  am  5.  Dezember  war  die  Stadt  in  den  Händen 
der  vorderösterreichischen  Regierung.  Hubmaier  entkam  mit  genauer 


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1893. 


Littel  aturbericht. 


289 


Not  nach  Zürich,  mufste  dort  einen  erzwungenen  Widerruf  seiner 
Uber  die  Taufe  gehegten  Ansichten  leisten  und  wandte  sich  dann 
Uber  Konstanz  und  Augsburg  nach  Mahren.  Im  Juli  1526  traf  er 
in  Nikolsburg  ein. 

Der  Wirksamkeit  Hubmaier»  in  dieser  Stadt  ist  der  zweite  Teil 
der  vorliegenden  Schrift  gewidmet.  Hubmaiers  Person  steht  im 
Mittelpunkt  der  Darstellung,  die  aber  auch  sonst  noch  erwünschte 
Beitrüge  zur  Geschichte  der  kirchlichen  Neuerungen  in  Mähren 
giebt,  wo,  wie  besonders  in  Nikolsburg,  schon  seit  1524  umfang- 
reiche evangelische  Gemeinden  bestanden.  Der  Verfasser  fügt  bio- 
graphische Skizzen  Uber  Martin  Göschl,  Hans  Hut  u.  a.  bei.  Vor 
allen  Dingen  aber  sind  die  Aufschlüsse  wichtig,  die  wir  hier  Uber 
die  Stellung  erhalten,  die  Hubmaier  zu  den  radikalen  Richtungen 
innerhalb  der  Taufgesinnteu  einnahm.  Denn  so  grofs  am  Anfang 
der  Zudrang  zu  ihm  war,  so  erstanden  ihm  doch  auch  bald  unter 
den  Wiedertäufern  selbst  zahlreiche  und  heftige  Gegner,  da  er  ent- 
schieden gegen  die  chiliastischen  Schwärmereien,  gegen  die  Mifs- 
achtung  der  weltlichen  Obrigkeit,  gegen  die  Verweigerung  des 
Kriegdienstes  und  des  Steuerzahlens  zu  Kriegszwecken  auftrat  und 
sich  damit  in  scharfen  Gegensatz  zu  der  radikalen  Partei  unter 
Hans  Huts  Führung  setzte.  Der  Verfasser  läfst  hier  Hubmaier 
selbst  recht  ausgiebig  das  Wort  und  giebt  eine  vollständige  Über- 
sicht Uber  dessen  litterarische  Wirksamkeit.  In  der  kurzen  Zeit 
seines  Aufenthalts  in  Nikolsburg  hat  Hubmaier  nicht  weniger  als 
18  Schriften  veröffentlicht.  Sie  sind  sehr  verschiedener  Art.  Zu- 
nächst setzte  er  seine  Verfechtung  der  Spättaufe  —  er  lehnt  den 
Namen  Wiedertaute  ausdrücklich  ab,  denn  die  Kindertaufe  sei  keine 
Taute  gegen  Zwingli  und  dessen  Anhang  in  mehreren  Abhand- 
lungen fort,  lalst  auch  in  den  „zwölf  Artikeln  des  christlichen 
Glaubens"  nach  Art  des  apostolischen  Symbolums  sein  Glaubens- 
bekenntnis zusammen  und  gab  in  seiner  „kurzen  Entschuldigung" 
eine  Widerlegung  aller  seit  Jahren  gegen  ihn  erhobeneu  Anklagen 
und  Verleumdungen.  Erbaulichen  Inhalts  ist  sein  „kurzes  Vater- 
unser". Lehrhaften  Zweck  verfolgt  sein  „Unterricht  auf  die  Worte : 
Das  ist  der  Leib  mein",  in  dem  Hubmaier  15  verschiedene  Mei- 
nungen Uber  die  Lehre  vom  Abendmahl  bespricht.  Die  „Form  zu 
taufen"  und  die  „Form  des  Nachtmahls"  schildern  die  Art  und  den 
Sinn,  in  denen  zu  Nikolsburg  und  anderswo  von  Hubmaier  und 
seinen  Anhängern  Taufe  und  Abendmahl  gehalten  wurden.  Die 
Pflicht  der  christlichen  Nächstenliebe  wird  in  den  Schriften  von  der 
»brüderlichen  Strafe"  und  von  dem  „christlichen  Bann"  erörtert; 
die  Freiheit  des  Willens  und  die  Unerläfslichkeit  der  guten  Werke 
neben  dem  Glauben  gegen  deren  Bekämpfer  in  zwei  Traktaten 
energisch  verteidigt  und  endlich  verficht  das  Buch  „vun  dem 
Schwert"  die  Berechtigung  resp.  die  Notwendigkeit  für  den  Christen, 
das  Schwert  zu  führen,  und  eine  ordentliche,  gerechte  und  fromme 
Obrigkeit  zu  achten.  Von  all  diesen  mehr  oder  minder  umfang- 
reichen Werken  wird  der  Inhalt  kurz  charakterisiert  mit  Beibringung 


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290 


Litteraturboricht. 


Heft  10. 


der  hauptsächlich  hervorstechenden  Stellen.  Wir  erkennen  da  in 
Hubmaier  einen  beredten  und  überzeugungsvollen  Anhänger  der 
Spättaufe,  sonst  aber  einen  Mann,  der  im  Gegensatz  zu  radikalen 
Bestrebungen  gern  und  bestimmt  in  gemässigte  Bahnen  einlenkt. 

Hubmaiers  Wirksamkeit  in  Mähren  war  nur  von  der  kurzen 
Dauer  eines  .Jahres.  Schon  im  Juli  1527  safs  er  in  Wien  als  Ge- 
fangener. In  seiner  letzten  erhaltenen  Schrift  ^Rechenschaft  an 
den  König"  giebt  er  im  Januar  1528  noch  einmal  bündig  sein 
Glaubensbekenntnis  in  27  Artikeln.  In  allem  will  er  sich  ganz  an 
die  alte  Kirche  anschliefsen,  nur  die  Artikel  von  der  Taufe  und 
dem  Abendmahl  will  er  einem  allgemeinen  Konzil  vorbehalten 
wissen.  Dem  festen  Entschluß  König  Ferdinands,  die  Wiedertäufer 
in  seinen  Landen  auszurotten,  ist  er  zum  Opfer  gefallen.  Seine 
Waldshuter  Vergangenheit  und  seine  hartnäckige  Verweigerung  eines 
Widerrufs  in  Sachen  der  Taufe  und  des  Abendmahls  beschleunigten 
seine  Verurteilung.  Am  10.  März  1528  erlitt  er  standhaft  den  Tod 
auf  dem  Scheiterhaufen. 

Dem  verdienstvollen  Buche,  das  am  Schlufs  noch  Nachrichten 
über  die  energische  Verfolgung  der  mahrischen  Wiedertäufer  seitens 
der  österreichischen  Regierung  giebt,  sind  15  Beilagen  beigefügt, 
die  für  die  Geschichte  Hubmaiers  wichtige  Akten  aus  Schweizer, 
deutschen  und  österreichischen  Archiven  enthalten.  Bemerkt  sei 
noch,  dafs  der  Verfasser  eine  ausführliche  Geschichte  der  Wieder- 
täufer in  Österreich  Uberhaupt  zu  liefern  verspricht,  wofür  ihm  auch 
die  reiche  Materialiensammlung  des  verstorbenen  Ritters  v.  Beek 
zur  Verfügung  steht. 

Münster  i.  W.  Dr.  H.  Detmer. 

Dörpfeld,  F.  W. ,  Beiträge  zur  pädagogischen  Psychologie  in 
monographischer  Form.  Erstes  Heft:  Denken  und  Gedächtnis. 
4.  Auflage.  Gütersloh,  Druck  und  Verlag  von  (\  Bertelsmann. 
1891.    XXVIII,  179  S.  8°. 

Die  bekannte  Monographie  Dörpfelds  liegt  in  neuer  Auflage 
vor,  ein  Zeichen,  dafs  dieselbe  einem  wirklichen  Bedürfnis  der 
Lehrerwelt  entspricht.  Wenn  auch  der  Referent  den  Standpunkt 
Dörpfelds  nicht  teilt  —  derselbe  ist  nämlich  der  Herbarts  —  aner- 
kennt er  doch  gerne ,  dafs  der  Verfasser  durch  vorliegende  Mono- 
graphie einen  wertvollen  Beitrag  zur  pädagogischen  Psychologie 
geliefert  hat.  Die  zum  8chlusse  seiner  Monographie  gezogene  kurze 
Summe  der  Lehre  vom  Denken  und  Gedächtnis:  „Wer  im  Unter- 
richt das  Memorieren  vernachlässigt,  ist  ein  Thor:  —  wer  aber 
das  Denken  vernachlässigt,  ist  ein  zweifacher  Thor,  und  wenn  er 
dazu  beim  Repetieren  die  judieiösen  Memoriermittel  nicht  be- 
nutzt, ein  dreifacher",  ist  wohl  unanfechtbar.  Man  darf  dem  Ver- 
fasser nur  Dank  dafür  wissen,  dafs  er  so  erfolgreich  gegen  den 
didaktischen  und  insbesondere  den  Memorier-Materialismus  zu  Felde 
gezogen  ist. 

Czernowitz.  Hochegge  r. 


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I 


1893.  Litteraturbericht.  291 

II  au  ff  e,  Gustav,  Das  Verhältnis  der  Pädagogik  Schleiermacher' s 
zu  den  Prinzipien  Pestalozzi'«.  Soest,  Wilh.  Tappen.  1892. 
182  S.  8°. 

Während  Pestalozzis  Schriften  und  Lehren  verhältnismäfsig  tief 
in  das  Volk  und  die  Lehrpraxis  eingedrungen  sind,  läfst  sich  das 
gleiche  von  Schleierinachcrs  pädagogischem  System  nicht  behaupten. 
Bei  dem  tief  sittlichen  und  religiösen  Gehalt  der  Schleiermacherschen 
Anschauungen  ist  dies  sehr  zu  bedauern.  Gleich  Pestalozzi  war 
auch  er  erfüllt  von  einer  unerschöpflichen  Liebe  zum  Volke,  von 
glühender  Hegeiste  rang  für  seinen  Beruf  und  erkannte  in  der 
Familie,  besonders  in  der  Mutter,  die  Bedingung  für  alle  erspriefs- 
liche  Erziehung.  Beide  Denker  stellen  auch  die  erzieherische 
Thätigkeit  unter  den  Gesichtspunkt  eines  künstlerischen  Wirkens. 
Die  meisten  Forderungen  Schleiermachers,  welche  er  als  Zweck  und 
Endziel  der  Erziehung  hinstellt,  treffen  oft  überraschend  mit  denen 
Pestalozzis  zusammen.  Nur  zeigt  sich  Schleiermacher  im  Aufbau 
des  Systems  überlegen,  besonders  auch  dadurch,  dafs  er  gleich  grofs 
in  der  Theorie  wie  in  der  Praxis  war,  was  sich  von  Pestalozzi  nicht 
behaupten  läfst.  Die  Schleiermachersche  Theorie  ist,  so  spekulativ 
sie  dargestellt  ist,  doch  auch  ausführbar.  Sie  kommt  demnach  einer 
Beschreibung  der  vernünftigen  Praxis  gleich. 

Hauffe  giebt  bezüglich  der  wichtigsten  Fragen  aus  der  Theorie 
der  Erziehung  eine  vergleichende  Darstellung  der  Ansichten  beider 
Denker.  Seine  Zusammenstellung  ist  meist  recht  geeignet,  die 
Eigenart  derselben  hervortreten  zu  lassen. 

Czernowitz.  II  o  c  h  e  g  g  e  r. 

Lange,  Karl.  Über  Apperception.  Eine  psychologisch  -  pädago- 
gische Monographie.  Vierte,  verbesserte  Auflage.  Plauen,  Druck 
und  Verlag  von  G.  E.  Neupert.    1891.  IV,  242  S.  8°. 

Selten  hat  eine  Monographie  eine  Reihe  von  Auflagen  erlebt. 
Es  ist  ein  erfreuliches  Zeichen  dafür,  wie  sehr  das  psychologische. 
Interesse  in  pädagogischen  Kreisen  gewachsen,  dafs  eine  Schritt,  wie 
die  vorliegende,  so  zahlreiche  Abnehmer  fand.  Sie  verdient  aber 
auch  höchste  Beachtung,  man  könnte  sie  geradezu  als  klassisches 
Muster  einer  mit  gründlicher  Sachkenntnis  gearbeiteten  Monographie 
hinstellen.  Aus  ihr  kann  nicht  blofs  der  Pädagog,  sondern  ebenso 
der  Psycholog  vom  Fach  lernen.  Wie  wünschenswert  wäre  es,  dafs 
wir  auch  für  andere  Teile  der  Psychologie  und  insbesondere  auch 
der  psychologisch- pädagogischen  Theorie  ähnliche  Einzelunter- 
suchungen hätten !  Der  Verfasser  giebt  zunächst  eine  treffliche 
Analyse  des  Wesens  und  der  Arten  der  Apperception,  die  er  als 
diejenige  seelische  Thätigkeit  bezeichnet,  durch  welche  einzelne 
Wahrnehmungen,  Vorstellungen  oder  Vorstellungsverbände  zu  ver- 
wandten Produkten  unseres  bisherigen  Vorstellungs-  und  Gemüts- 
lebens in  Beziehung  gesetzt,  ihnen  eingefügt  und  so  zu  gröfserer 
Klarheit,  Regsamkeit  und  Bedeutung  erhoben  werden.    Sodann  be- 

Monatshefte  der  Comeniu»-G**eU»ehaft.   1K«3.  21 


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292 


Litteraturberioht. 


Heft  10. 


spricht  er  die  Bedingungen  der  Apperception  und  zeigt,  welche  Be- 
deutung Uberhaupt  die  ganze  Geiste»-  und  Gemütsverfassung  für 
den  Verlauf  der  geistigen  Aneignung  hat,  wie  ferner  neben  den 
psychischen  Bedingungen  auch  physische  Vorgange  nicht  Ubersehen 
werden  dürfen.  Ihre  eigentliche  Motivirung  findet  die  Monographie 
durch  den  Abschnitt ,  welcher  die  Bedeutung  der  Apperception  für 
die  geistige  Entwicklung  des  Menschen  bespricht.  Lange  zeigt,  dafs 
die  Apperception  auf  allen  Stufen  der  Geistesentwicklung  wirksam 
ist.  Sie  leistet  uns  wesentliche  Dienste  bei  der  Erwerbung  neuer 
Anschauungen,  wie  auch  bei  der  Verarbeitung  und  Durchbildung 
des  erworbenen  Seeleninbaltes.  Mit  Hülfe  der  Apperception  erheben 
wir  uns  erst  von  seelischer  Unfreiheit  zu  geistiger,  sittlicher 
Freiheit,  so  dafs  nur  durch  sie  wahre  Bildung  ermöglicht  wird. 
Daraus  ergiebt  sich,  dafs  alles  Lernen  der  Hauptsache  nach  ein 
Appercipiereu  ist  und  die  Hauptaufgabe  des  Lehrers  darin  besteht, 
den  Vorgang  desselben  regelmäfsig  und  sicher  im  Schüler  einzu- 
leiten und  zu  Ende  zu  führen.  In  dem  Kapitel  „Die  Apperceptions- 
theorie  in  ihrer  Anwendung  auf  die  Pädagogik"  zeigt  Lange,  dafs 
die  Forderung,  den  Apperceptionsvorgang  möglichst  zu  fördern,  auf 
alle  Gebiete  des  Unterrichts  sich  erstreckt  und  die  meisten  und 
wichtigsten  didaktischen  Grundsatze  in  sich  schliefst,  somit  als  ein 
oberster  Grundsatz  gelten  kann.  „.leue  allgemeinen  Imperative  z.  B., 
in  welche  eine  Richtung  der  neueren  Pädagogik  ihre  Theorie  zu- 
sammenzufassen pflegt,  jene  Satze,  wie:  „Vom  Bekannten  zum  Un- 
bekannten!" „Vom  Nahen  zum  Entfernten!"  »Vom  Leichten  zum 
Schweren !"  lassen  sich,  soweit  sie  Wahres  enthalten,  zumeist  zurück- 
führen auf  die  Forderung:  Sorge  für  leichte  und  gründliche  Apper- 
ception! und  es  kommt  ihnen  nur  in  dein  Grade  Gültigkeit  zu,  als 
sie  diesem  Grundsatze  entsprechen." 

Ein  geschichtlicher  Abrifs,  welcher  die  Entwicklung  des  Apper- 
ceptionsbegrifl'es  von  Leibniz  bis  auf  Wundt  darstellt ,  bildet  eine 
willkommene  Ergänzung  des  systematischen  Teils  der  Abhandlung. 

Die  neueste  Auflage  kann  insofern  als  eine  verbesserte  be- 
zeichnet werden,  als  sie  die  Ergebnisse  der  physiologischen  Psycho- 
logie unter  den  Bedingungen  der  Apperception  eingehender  würdigt, 
ferner  b*-i  der  Theorie  der  Kulturstufen  eine  teilweise  Umarbeitung 
erhielt  und  endlich  die  Grenzen  genauer  abzustecken  bemüht  ist, 
innerhalb  deren  dem  Verfasser  die  Bearbeitung  eines  Lehrstoffes  nach 
den  formalen  Stufen  allein  zulässig  erscheint. 

Czernowitz.  Hoch  egger. 

Spencer,- Herbert,  Von  der  Freiheit  zur  Gebundenheit.  Vom 
Verfasser  genehmigte  Übersetzung  durch  Dr.  Wilhelm  Bode.  Berlin, 
Leonhard  Simion.    1891.    30  Pf. 

Der  englische  Philosoph  weist  auf  eine  auffällige  Erscheinung 
hin:  die  Klage  Uber  die  Schlechtigkeit  der  Dinge  nimmt  um  so 
mehr  zu,  je  mehr  diese  Dinge  sich  gebessert  haben.  Solange  die 
Frau  noch  das  Lasttier  des  Mannes  und  vollständig  unterdrückt  war, 


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1893. 


Litten»  tu  rbericht. 


293 


klagte  man  nicht  Uber  die  unfreie  Stellung  derselben ;  solche  Klagen 
wurdeu  erst  rege  in  der  Gegenwart,  wo  die  Rücksicht  gegen  die 
Frau  obenan  steht.  Ähnliches  beobachten  wir  auf  dem  Gebiete  des 
Erziehung»-  und  Unterrichtswesens.  In  der  Gegenwart,  da  man  die 
weitgehendsten  Vorkehrungen  für  eine  ersprjefsliche  Erziehung  ge- 
troffen, klagt  man  Uber  die  mangelhaften  Mafsregeln  auf  diesem 
Gebiete.  Niemals  hat  man  auf  dem  Gebiete  des  Volksschulwesens 
so  viel  geleistet,  wie  in  unserer  Zeit;  in  Kulturstaaten  werden  sämt- 
liche Mitglieder  in  die  elementaren  Grundlagen  der  Bildung  ein- 
geführt —  da  entstand  der  Ruf.  dafs  das  Volk  aus  Mangel  an 
Bildung  verkomme.  So  verhält  es  sich  im  allgemeinen  mit  den  ge- 
sellschaftlichen Zuständen.  Die  Unzufriedenheit  mit  dem  Zustande 
der  gesellschaftlichen  Ordnung  läfst  die  Frage  offen,  ob  die  gegen- 
wärtigen Mifsstände  nicht  geringer  sind  als  diejenigen,  welche  wir 
in  einer  anderen  gesellschaftlichen  Ordnung  zu  tragen  hätten.  In 
der  That  würde  die  Verwirklichung  der  socialistischen  Idee  einen 
Rückschritt  von  der  Freiheit  zur  Gebundenheit  bedeuten.  Es  ist 
zwar  in  den  gesellschaftlichen  Einrichtungen  eine  Umwandlung  un- 
vermeidlich und  wünschenswert,  aber  diese  Umkehrung  kann  sich 
nur  als  langsamer  Entwicklungsprozefs  vollziehen.  Plötzliche  Um- 
stürze gefährden  die  Gesellschaft  und  die  daraus  hervorgehenden 
Einrichtungen  haben  auch  keinen  Bestand.  Wie  die  Geschichte 
lehrt,  verwandeln  sie  sich  langsam  oder  schnell  in  das  Gegenteil,  iu 
das,  was  eben  durch  den  jeweiligen  Entwicklungszustand  der  Ge- 
sellschaft bestimmt  ist.  Möchten  dies  auch  diejenigen  vor  Augen 
haben,  welche  unser  Unterrichts-  und  Erzie.hungswesen  mit  Ver- 
kenuung  und  Mifsachtung  der  historischen  Entwicklungsgesetze  aller 
gesellschaftlichen  Verhältnisse  auf  vollständig  neue  Grundlagen  zu 
stellen  beabsichtigen !  Auch  im  Erziehungswesen  taugen  solche  Ver- 
suche nichts  und  können  nur  zu  bedenklichen  Hemmungen  der  Ent- 
wicklung, dem  dasselbe  unterworfen  ist,  führen. 

Czernowitz.  Hochegg  er. 

D  ie  esc  u,  Torna.  August  Hermann  Niemeyers  Verdienste  um  das 
Schulwesen.  Inaugural-Dissertation  zur  Erlangung  der  Doktor- 
würde der  philosophischen  Fakultät  der  Universität  Leipzig.  Leip- 
zig, Verlag  von  Gustav  Fock.    1891.    178  S.    8 ü. 

Die  gediegene  Abhandlung  berührt  zunächst  die  Geschichte  von 
dem  Urspruuge  und  dem  Stifter  der  Franckeschen  Schulen  in  Halle, 
kennzeichnet  die  Einrichtung  derselben,  die  in  ihr  herrschende  Zucht 
und  Iiehrart  und  wendet  sich  dann  Aug.  Herrn.  Xiemeyer  zu,  welcher 
die  Frankeschen  Stiftungen  zu  neuer  Blüte  brachte.  Eine  quellen- 
mäßige Geschichte  des  Lebens  und  der  Entwicklung  des  hervor- 
ragenden Pädagogen  legt  uns  dar,  wie  Niemeyer  das  ward,  was  er 
war.  Wir  lernen  letzteren  auf  dem  Boden  seiner  Thätigkeit  als 
Theologen  kennen,  in  seinem  Bestreben,  die  Bildung  des  Predigers 
wie  des  Religionslehrers  zu  veredeln ,  ferner  als  Reformator  der 
Halleschen  Stiftungen.    Dicescu  hebt  die  Eigenart  der  Anschauungen 

21  ♦ 


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294 


Litteraturbericht. 


Heft  10. 


Niemeyers  gegenüber  seinen  zeitgenössischen  Pädagogen  (Rousseau 
und  Pestalozzi)  hervor,  besonders  auch  seine  Verdienste  auf  dem 
Gebiete  der  nationalen  Bildung  und  der  allgemeinen  Didaktik, 
ferner  bespricht  er  seine  Wirksamkeit  als  Kanzler  und  Rektor  der 
Universität  Halle;  im  Schlufsabschnitt  werden  unB  einige  Kernpunkte 
aus  seinem  pädagogischen  Vermächtnis,  „Grundsätze  der  Erziehung 
und  des  Unterrichts",  vorgeführt  und  gezeigt,  dafs  der  pädagogische 
Standpunkt  Niemeyers  dem  eines  auf  den  Boden  der  Erfahrung  sich 
stützenden  Eklektizismus  gleichkommt. 

Dicescus  Dissertation  kann  als  wertvoller  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Pädagogik  bestens  empfohlen  werden. 

Czernowitz.  H och  egge r. 

Lay,  W.  A.  Psychologische  Grundlagen  des  erziehenden  Unter- 
richts und  ihre  Anwendung  auf  die  Umgestaltung  des  Unterrichts 
in  der  Naturgeschichte.  Eine  Festgabe  zur  Comeniusfeier  1892. 
Bühl  (Baden),  Verlag  der  Aktiengesellschaft  Konkordia.  1892. 
XI,  112  S. 

Die  Pädagogik  darf  sich  nicht  verschliefsen  der  allgemeinen 
wissenschaftlichen  Bewegung  und  den  Fortschritten  derselben,  ins- 
besondere soll  sie  mit  der  Philosophie  in  engem  Zusammenhang 
stehen.  Nur  dann  werden  Erziehung  und  Unterricht  kulturgemäfs 
sein.  Gerade  bezüglich  dieser  Forderung  kann  uns,  so  bemerkt 
Lay,  Oomenius  ein  leuchtendes  Vorbild  sein.  „Comenius  suchte  das 
Wohlergehen  seines  Volkes  und  das  der  Menschheit  zu  begründen 
durch  den  Unterricht  der  Jugend,  und  zwar  durch  einen  Unterricht, 
der  den  Fortschritten  der  Philosophie  und  der  Naturwissenschaften 
seiner  Zeit  entsprach,  der  nach  Lehrverfahren  und  nach  Lehrstoff 
kulturgemäfs  gestaltet  war."  Zwei  Gebiete  sind  es,  welchen  in  der 
Gegenwart  grofse  Pflege  zu  teil  wurde  und  die  sehr  aufgeblüht  sind : 
die  Biologie  und  physiologische  Psychologie.  Beide  haben  für  die 
Pädagogik  grofse  Bedeutung.  Der  Biologie  wendet  die  Methodik 
seit  einigen  Jahren  ihre  Aufmerksamkeit  zu,  während  die  Ergebnisse 
der  physiologischen  Psychologie  noch  nicht  gehörige  Berücksichtigung 
für  die  Theorie  der  Pädagogik  gefunden  haben.  Lay  meint,  dafs 
man  durch  die  physiologische  Psychologie  auch  ein  tieferes  Ver- 
ständnis für  das  Hauptwerk  von  Comenius,  für  die  Didactica  magna 
erreichen  werde.  Die  physiologische  Psychologie  besitzt  nämlich 
gröfste  Bedeutung  für  die  Erkenntnislehre.  Das  Erkenntnisproblem, 
welches  in  der  Gegenwart  für  alle  Wissenschaften  grundlegend  ge- 
worden ist,  hat  seinen  Ausgang  in  den  Ideen  des  Comenius  und 
seiner  Zeitgenossen.  „Die  heutige  Erkenntnistheorie  gleicht  einem 
vielgegliederten  Baum,  den  Comenius  blofs  als  das  von  der  Samen- 
schale eingeschlossene  Keimpflän/cheu  kannte.  Erst  wenn  wir  die 
einzelnen  Teile  dieses  Baumes  und  ihre  Funktionen  kennen,  sind 
wir  imstande  zu  beurteilen,  wie  weit  Comenius  die  noch  unent- 
wickelten Teile  und  ihre  Funktionen  richtig  erkannt  habe.  Wir 
sind  dann  aber  auch  imstande,  alles,  was  er  gedeutet  hat,  besser 


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1893. 


Littoraturbcricht. 


295 


zu  erklären,  bestimmter  zu  erfassen  und  erfolgreicher  zu  pflegen." 
Wir  werden  nur  im  Sinne  des  Oomenius  handeln,  wenn  wir  den 
Zusammenhang  mit  der  Psychologie  und  Erkenntnistheorie  be- 
wahren. In  diesem  Sinne  will  nun  Lay  durch  vorliegende  Arbeit 
eine  Anregung  geben.  Der  Verfasser  benutzt  die  Ergebnisse  der 
physiologischen  Psychologie,  um  die  Entwicklung  der  Anschauung, 
des  Verstandes,  des  Gemütes,  und  zwar  des  sittlichen,  ästhetischen 
und  religiösen  Interesses  darzustellen.  Von  diesen  Grundlagen  aus 
erschliefst  er,  wie  der  Stoff  und  das  Lehrverfahren  beschaffen  sein 
mufs,  damit  der  naturgeschichtliche  Unterricht  alle  jene  Seiten  des 
Bewußtseins  allseitig  und  intensiv  erfasse  und  entwickle.  Lay  zeigt 
sich  in  seinen  psychologischen  Anschauungen  vorwiegend  durch 
A.  Riehl  und  W.  Wundt  beeinflufst.  Neben  dem  mannigfache  An- 
regung gewährenden  Abschnitte,  welcher  die  psychologische  Grund- 
legung und  die  methodischen  Grundsätze  entwickelt,  bespricht  die 
Abhandlung  auch  die  Mängel  und  Gefahren  der  heutigen  Reform- 
bestrebungen. Die  Reform! itteratur  unserer  Tage  steht  nach  des 
Verfassers  Ansicht  nicht  entschieden  genug  auf  dem  psychologisch- 
ethischen  Standpunkt.  Der  Schlufsabschnitt  bringt  die  methodische 
Behandlung  eines  speziellen  naturgeschichtlichcn  Themas. 

Lays  Abhandlung  ist  als  eine  wertvolle  Bereicherung  der 
pädagogischen  Litteratur  zu  bezeichnen. 

Czernowitz.  Hocheggcr. 

Flügel,  0.  Über  die  Phantasie.  Ein  Vortrag.  Langensalza, 
Herrn.  Beyer  &  Söhne.  1892.  [Pädagogisches  Magazin.  Ab- 
handlungen vom  Gebiete  der  Pädagogik  und  ihrer  Hilfswissen- 
schaften. Herausgeg.  von  Friedrich  Mann.  10.  Heft.]  24  S.  8°. 
Der  bekannte  philosophische  Schriftsteller  der  Herbartschen 
Schule  schildert  uns  in  recht  anregender  Form  die  Erscheinungen 
des  Phantasielebens  und  weist  auf  die  Bedeutung  desselben  für  die 
Geistesentwicklung  und  Beschaffenheit  hin.  Die  Phantasie  scheint 
ihm  gleich  bedeutsam  für  die  intellektuelle,  wie  für  die  Geftthls- 
und  Willensseite.  Die  Phantasie  sei  die  Vorschule  zu  allem  Wahren, 
Schönen,  Guten.  Besonders  bemerkenswert  für  die  Pädagogik  und 
Didaktik  ist  die  Beeinflussung  der  Apperceptionsthätigkeit  durch  die 
Phantasie.  Die  Auffassung  der  Dinge  vollzieht  sich  in  der  Weise, 
dafs  wir  die  neuen  Vorstellungen  mit  Hülfe  der  alten  in  uns  bereits 
vorhandenen  aufnehmen.  Hierbei  finden  Ergänzungen  und  Deutungen 
des  Wahrgenommenen  durch  Hinzugedachtes  statt,  und  zwar  ganz 
unwillkürlich  oder  auch  infolge  eines  besonderen  Willens.  Nament- 
lich die  unwillkürliche  Pbantasiethätigkeit  bestimmt  die  Form  der 
appereipierten  Vorstellungen  in  überraschender  Weise.  Flügel  bringt 
hierfür  reichlich  Belege.  Die  Abhandlung  sei  der  pädagogischen 
Welt  bestens  empfohlen. 

Czernowitz.  Hochegge  r. 


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296 


Littcratiirbericht. 


Heft  10. 


Ziller,  Tuiskon.  Allgemeine  Pädagogik.  Dritte  Auflage  der  Vor- 
lesungen Uber  allgemeine  Pädagogik.  Herausgeg.  von  Dr.  Karl 
Just,  Direktor  der  städtischen  Schulen  zu  Altenburg.  Leipzig. 
1892.  Verlag  von  Heinrich  Matthes  [W.  H.  Voigt].  XVI, 
430  S.  8°. 

Zilien)  klassisches  Werk,  das  1876  zuerst  ausgegeben  wurde, 
erschien  nun  in  neuer  Auflage  unter  Just»  trefflicher  Loitung. 
Die  dritte  Auflage  bringt  noch  etliche  Zustttze  aus  Zillers  Nachlafs, 
die  bei  der  zweiten  Auflage  Ubergehen  worden  waren,  ferner  findet 
darin  die  seither  erschienene  Litteratur  fleifsige  Berücksichtigung; 
freilich  ist  dabei  nur  auf  diejenige  Litteratur  Rücksicht  genommen, 
welche  entweder  der  Zillerschen  Richtung  angehört  oder  ihr  ver- 
wandt ist.  In  diesem  Sinne  zog  der  Herausgeber  vor  allem  die 
Arbeiten  im  Jahrbuche  des  Vereins  für  wissenschaftliche  Pädagogik, 
das  noch  immer  als  Mittelpunkt  der  Zillerschen  Bestrebungen  gelten 
kann,  zur  Benutzung  heran. 

Möge  auch  die  neue  Auflage  gleich  anregend  wirken,  wie  es 
sonder  Zweifel  die  älteren  gethan  haben. 

Czernowitz.  H  o  c  h  e  g  g  e  r. 


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Zur  Bricherkunde. 


Neuere  Litteratur  über  den  Humanismus. 

Zusammengestellt  von  Dr.  A.  Börner. 


Im  Folgenden  sind  Erscheinungen  von  1890  Mb  Ende  1892  verzeichnet. 
—  Eine  vollständige  Bücherkunde  ist  hier  nicht  beabsichtigt.  Vielmehr 
sind  aufser  allg.  Schriften,  Lebensbeschreibungen  u.  s.  w.  nur  solche  Werke 
und  Aufsätze  berücksichtigt, die  auf  die  religiöse,  philosophische,  pädagogische 
und  naturwissenschaftliche  Thätigkeit  der  Humanisten  Bezug  haben. 


1)  Allgemeines.  —  Sammelwerke.  —  Mehrere  Humanisten. 

Abel,  E.,  Literarhistorische  Denkmäler.  Bd.  2.  Herausgegeben 
von  der  Ungarischen  Akademie.  Budapest  1890.  XV,  881  S. 
8°.    6  Mk.    [Apologetische  Werke  italienischer  Humanisten.] 

Barrili,  Anton  Giulio,  II  rinovamente  letterario  italiano:  lezioni 
universitarie.    Genova,  A.  Donath.  1890. 

Ca  r  r  i  e  r  e ,  M.,  Zur  Philosophie  der  Renaissance.  (Zeitschrift  für  ver- 
gleichende Literaturgeschichte  und  Renaissancelitteratur.  Nene 
Folge  in.    Berlin  1890.    8.  236—241.) 

Gallo is,  Les  geographes  allemands  de  la  Renaissance.  Paris, 
Leronx  1890.    XX,  270  8. 

Geiger,  L.,  Vorträge  und  Versuche.  Beitrage  zur  Litteratur- 
geschichte.  Dresden,  Ehlennann  1890.  XVI,  818  8.  8°.  [Darin: 
Erasmus  in  Italien.  —  Ulrich  von  Hutten.  —  Humanismus  an 
der  Universität  Heidelberg.] 
—  Zur  Geschichte  des  Studiums  der  hebräischen  Sprache  in 
Deutschland  während  des  16.  Jahrhunderts.  [Viele  für  die  Ge- 
schichte des  Humanismus  wichtige  Andeutungen.]  (Zeitschrift  für 
die  Geschichte  der  Juden  in  Deutschland.  IV.  1890.  S.  111 
-126.) 


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298 


Börner, 


Heft  10. 


Hartfelder,  Karl,  Konrad  Celtis  und  Sixtus  Tucher.  (Zeitschrift 
ftir  vergleichende  Literaturgeschichte  und  Renaissancelitteratur. 
N.  F.  III.    1890.    8.  331—349.) 

—  Da»  Ideal  einer  Humanistenschule.  (Die  Schule  Colets  zu 
St.  Paul  in  London.)  Vortrag  gehalten  zu  München  am  22.  Mai 
1891  in  der  pädagogischen  Sektion  der  41.  Versammlung 
deutscher  Philologen  und  Schulmänner.  (Verhandlungen  der 
41.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner.  Leip- 
zig, Teubner  1891.    16  S.  4U.) 

—  Zur  Gelehrtengeschichte  Heidelberg»  am  Ende  des  Mittelalters. 
(Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrhein».  N.  F.  VI.  Frei- 
burg i.  B.    1891.    8.  141—171.) 

Hipler,  Fr.,  Beiträge  zur  Geschichte  de»  Humanismus,  aus  dem 
Briefwechsel  de»  Johanne»  Dantiscu».  Braunsberg  190.  104  S. 
(Auch  in  Zeitschrift  für  die  Geschichte  und  Altertumskunde 
Ermlands.    1890.    S.  471—572.) 

Hucblin,  E.,  Picus  Mirandula  und  Angelus  Politianus.  (Archiv 
für  Stenographic.  1890.  November  Xr.  1,  2  und  Dezember 
Xr.  1,  2.) 

Kallenbach,  J. ,  Les  hu  man  ist  es  polonais.  Indices  lectionum 
1891  92.  Freiburg  i.  S.,  Libr.  de  l'universite  (P.  Friesenhahn). 

Kl  ette,  Th.,  Beiträge  zur  Geschichte  und  Litteratur  der  italienischen 
Gelehrtenrenaissance.  Bd.  III.  Die  griechischen  Briefe  des 
Franc iskus  Philelphus.  Nach  den  Handschriften  zu  Mailand 
(Trivulziana)  und  Wolfenbuttel.  Mit  Notizen  zur  Biographie 
Philelphs  und  der  Gräcisten  seiner  Zeit  Greifswald,  Abel  1890. 
VI,  180  S.  8°. 

Lateinische  Literaturdenkmäler  des  15.  u.  16.  Jahrhunderts. 
Herausgegeben  von  Max  Hermann  und  Siegfried  Szamatolski. 
Berlin,  Speyer  u.  Peters.    1891  ff. 

1)  Guil.  Gnapheus,  Acolastus.    Herausg.  von  Joh.  Bolte.  1891. 

2)  EckiuB  dedolatu».  Herausg.  von  Siegfr.  Szamatolski.  1891. 
8)  Thomas  Naogeorgus,  Pammachius.   Herausg.  von  Joh  Bolte 

und  Erich  Schmidt  1891. 

4)  Phil.  Melanchthon,  Declamationes.   Herausgeg.  von  K.  Hart- 
felder. 1891. 

5)  Euricius  Cordus,  Epigrammata.    Herausgeg.  v.  Karl  Kraust 
1892. 

6)  Jac.  Wiinphelingius,  Stylpho.     Herausgeg.  von  Hugo  Hol- 
stein. 1892. 

Loesche,  G. ,  Die  Bibliothek  der  Lateinschule  in  Joachimsthal. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Humanismus  und  der  Schule  in 
Böhmen.  (Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  deutsche  Erziehungs- 
und Schulgeschicbte.    U.  1892.    S.  207—246.) 

Mas  aus,  Herrn.,  Bunte  Blätter.  Altes  und  Neue*.  Halle  a.  S. 
1892.  VII.  884  S.  8°.  [Darin:  Die  Einwirkung  des  deutschen 
Humanismus  auf  die  deutschen  Gelehrtenschulen.  —  Ulrich 


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1893.  Neuere  Littcratur  über  den  Humanismus.  299 

Zwingli,  insbesondere  als  Humanist  und  PHdagog.  —  Erasmus 
als  Sittenlehrer.] 

Ncve,  F.,  La  reuaissance  des  lettres  et  Pessor  de  l'erudition  ancienne 

en  Belgique.  Louvain,  Charles  Peters;  Berlin,  Mayer  &  Müller ; 

Paris,  Leroux.    1890.    439  S.  gr.  8°. 
Oehler,  Die  Bedeutung  des  Humanismus  fUr  die  Reformation  und 

den  Protestantismus.     (Protestantische  Kirchenzeitung  für  das 

evangelische  Deutschland  1891,  Nr.  7.) 

Pardo  de  Barzan,    Emilia,   Los   pedagogos   del    renaeimiento : 
Erasme,  Rabelais,  Montaigne.    Conferenzia.    Madrid,  Fortauet 
1891.    44  S.  4°. 

Reindell,  Wilh.,  Luther,  Crotus  und  Hutten.  Eine  quellenmäßige 
Darstellung  des  Verhältnisses  Luthers  zum  Humanismus.  Mar- 
burg, Ehrhardt  1890.    134  8.  8°. 

Schaff,  Ph.,  The  Renaissance.  The  revival  of  learning  and  art 
in  the  14  and  15  centuries.    New-York,  Putnams  Sons.  1891. 

Voigt,  G.,  II  risorgimento  dell'antichita  classica.  Trad.  dt  D.  Val- 
busa,  con  aggiunte  e  correzione  'inedite  dell'autore.  Vol.  2. 
(ultimo).    Firenze,  Sansoni.    1890.    502  8.  8°. 

Werner,  J. ,  Der  christlich-sociale  Agitator  Johann  Eberlin  vou 
Günzburg  im  Kampfe  mit  den  freisinnigen  Humanisten  und 
revolutionären  Bauern.  (Kirchliche  Monatsschrift.  X-  1891. 
Nr.  7.) 

2)  Einzelne  Humanisten. 

Hartfelder,  Karl,  Unedierte  Briefe  von  Rudolf  Agricola.  (Aus- 
zug.)   Heidelberg  1890. 

Sudhoff,  K.,  Benedict  Aretius.  (Zeitschrift  fllr  vergleichende 
Litteraturgeschichte  und  Reuaissancelitteratur.  X.  F.  III.  1890. 
8.  143—145.) 

Wegele,  F.  X.  von,  Aventin.  (Bayerische  Bibliothek,  her.  von 
K.  von  Reinhardstfittner  und  K.  Trautmann.  X.  Bamberg, 
Buchner.    1890.    68  8.) 

Heinrichs,  R. ,  Der  niederrheinische  Humanist  und  Schulmann 

Mathias  Bredenbach  und  sein  Urteil  Uber  die  Reformation. 

Beitrag  zur  Reformationsgeschichte.    Frankfurt  a.  M.,  Ffisser. 

1890.    80  8.  8°. 
Brown,  H.,  George  Buchanan,  humanist  and  reformer.    A  bio- 

graphy.    Edinburgh,  Douglas.    1890.    398  S.  8°. 
Bude,  E.  de,   Un  huraaniste  francais  au  XVI"  siecle:  Guillaume 

Bude.    (Bibliotheque  universelle  suisse.  1890.  September.) 

Benoist,  A.,  Quid  de  puerorum  institutione  senserit  Erasmus. 
Grenoble,  Allier.    1890.    163  8.  8°. 

Glöckner,  G.,  Das  Ideal  der  Bildung  und  Erziehung  bei  Eras- 
mus von  Rotterdam.  Dissertation.  Leipzig  1890.  TV, 
97  8.  8°. 


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300 


Hömer, 


Heft  10. 


Haar  hau  h,  Jul.  R,  Erasmus  von  Rotterdam,  der  erat«  moderne 
Mensch  diesseits  der  Alpen.  (Wissenschaftliche  Beilage  der 
Leipziger  Zeitung  1891,  Nr.  90.) 

Hartfelder,  Karl,  Desiderins  Erasmus  von  Rotterdam  und  die 
Pilpste  seiner  Zeit.  (Historisches  Taschenbuch.  VI.  Folge. 
11.  Jahrg.    Leipzig  1892.    S.  121—162.) 

—  Friedrich  der  Weise  von  Sachsen  und  Desiderius  Erasmus  von 
Rotterdam.  (Zeitschrift  für  vergleichende  Literaturgeschichte 
und  Renaissancelitteratur.    N.  F.  IV.    1891.    8.  203—217.) 

Jebb,  R  C,  Erasmus.    Lecturo  in  the  Senate  House.  Cambridge, 

June  11,  1890.    54  S.  8°. 
Kan,  J.  B. ,    Erasmiana.     Rotterdam,  Wenk.    1892.  Programm. 

56  S.  4°. 

Richter,  Arthur,  Erasmusstudien.  Dissertation  von  Leipzig.  Dresden, 
Joh.  Fafsler.    1891.    XXIV,  64  S. 

L  e  g  r  a  n  d ,  E.,  Cent  dix  lettres  grecques  de  Franyois  F  i  1  e  1  f  e.  Pub- 
likes integral ement  pour  la  premiere  fois,  d'apres  le  Codex 
Frivulzianus  873,  avec  traduction,  notes  et  commentaires.  Paris, 
Leroux.  1892. 

Fritzsche,  0.  F.,  Glarean.  Sein  Leben  und  seine  Schriften. 
Frauenfeld,  Huber.    1890.    VIII,  136  S.  mit  Portrait.  8°. 

Lefranc,  Abel,  Ulrich  de  Hutten  ä  Paris  1517.  (Bulletin  de 
la  societe  de  l'histoire  du  protestantisme  francais  1891.) 

Szamatölski,  Siegfr. ,    Ulrichs    von  Hutteu    deutsche  Schriften. 

Untersuchungen  nebst  einer  Nachlese.  (Quellen  und  Forschungen. 

67.  Heft.    Strafsbnrg  i.  E.,  Trttbner.  1891.) 
Votsch,  Ulrich  von  Hutten  uach  seinem  Leben  und  seinen  Schriften 

geschildert.    Hannover,  Hahn.    1890.    X,  75  S. 

Hartfelder,  Karl,  Über  Melanchthons  Ratio  discendi.  (Zeit- 
schrift für  Kirchengeschichte.    Bd.  12.    1891.    S.  562—566.) 

—  Aus  einer  Vorlesung  Melanchthons  Uber  Ciceros  Tusculanen. 
(Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  deutsche  Erziehung»-  und 
Schulgeschichte.  1.  Jahrg.  Berlin  1891.  S.  168—177.  —  Be- 
merkungen dazu  von  E.  Voigt,  ebend.  S.  269.) 

—  Melanchthoniana  paedagogica.  Eine  Ergänzung  zu  den  Werken 
Melanchthons  im  Corpus  reformatorum.  Leipzig,  Teubner.  1892. 

Buhl  mann,  P.,  Die  Sprichwörter  aus  des  Johannes  Murmellius 
„Pappa  puerorum".  (Germania  35.  N.  R.  23.  1890.  S.  400 
—402.) 

Des  Munsterischen  Humanisten  Johannes  Murmellius  De  magistri 
et  discipulorum  Epigrammatum  Uber.  Zum  ersten  Male  in 
einem  Neudrucke  herausgegeben  von  A.  Börner.  Münster, 
Regensberg  1892.    40  S.  8°. 

Desselben  Opusculum  de  discipulorum  ofnciis,  quod  Enchiridion 
scholasticorum  inscribitur.  In  einem  Neudrucke  heraus- 
gegeben von  A.  Börner,  ebenda«.    1892.    67  S.  8°. 


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1898.  Neuem  Litterntur  über  den  Humanismus.  301 

Murotns,  institutio  puerilis  ad  M.  Antonium  fratris  filium,  con  tra- 
duzione  di  G.  Cavazzoni  Pederzini.  (Per  nozze.)  Modena, 
stab.  tip.  lit.  1890.    13  8. 

Der  Briefwechsel  des  Conradus  Mutianu«,  gesammelt  und  bearbeitet 
von  weil.  Gymn. -Lehrer  Dr.  Karl  Giller t.  Herausg.  von  der 
historischen  Kommission  der  Provinz  Sachsen.  Halle  a.  8., 
0.  Hendel.  1890.  (Auch  unter  dem  Titel:  Geschichtsquellen 
der  Provinz  Sachsen.    Bd.  18.) 

Pico  della  Mirandola,  His  life.  By  his  Nephew,  Giovanni 
Francesco  Pico.  Edit  with  notes  by  J.  M.  Rigg.  London, 
Nutt    1890.    XL,  96  S.  8°. 

Platter,  Th.,  Briefe  an  seinen  Sohn  Felix.  Herausgegeben  von 
A.  Burckbardt.    Basel,  Detloff.   1890.  VI,  106  S. 

Geiger,  L.,  Zur  Biographie  des  PomponinsLaetus.  (Zeitschrift 
für  vergleichende  Literaturgeschichte  und  Renaissancelitteratur. 
N.  F.  TV.   1891.    S.  215—217.) 

Hartfelder,  Karl,  Der  Karthäuserprior  Gregor  Reisch,  Ver- 
fasser der  Margarita  philosophica.  (Zeitschrift  für  die  Ge- 
schichte des  Oberrheins.    N.  F.  5.    1890.    S.  170—200.) 

Distel,  Th. ,  Eine  R e u c h  1  i n Übersetzung  aus  dem  Jahre  1495. 
Luc i an  XII.  Todtengespräch,  auch  Nachrichten  Uber  die  Ver- 
deutschung einer  Demosthenischen  Rede.  (Zeitschrift  für  ver- 
gleichende Literaturgeschichte  und  Renaissancelitteratur.  N.  F. 
III.    1890.    8.  360—861.) 

Geiger,  L.,  Ein  ungedruckter  Brief  Reuchlins.  (Zeitschrift  für  ver- 
gleichende Literaturgeschichte  und  Renaissancelitteratur.  N.  F. 
rV.    1891.    8.  154—157.) 
—  Ungedrucktes  von  und  Uber  Reuchlin.     ( Ebenda«.    N.  F.  TV. 
1891.    8.  217—226.) 

Gzihak,  E.  von,  Die  Beziehungen  des  Markgrafen  Ernst  Friedrich 
von  Baden-Durlach  zu  dem  Humanisten  Nikolaus  Reufsner. 
(Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrhoins.  N.  F.  5.  1890. 
8.  249—254.) 

Er  ich  ko  n,  A.,  Ein  neues  Dokument  Uber  Beatus  Rhenanus. 
(Zeitschrift  für  Kirchengeschichte.  Bd.  XII.  1891.  8.  211 
—213.) 

Trnmpp,  P.,  Sadolet  als  Pädagog.  Programm  der  Studienanstalt 

zu  Schweinfurt  1891.    46  S.  8°. 
Mancini,  Girol,  Vita  di  Lorenzo V a  1 1  a.  Firenze,  Sansoni.  1892. 

VI.  389  8.  8°. 

Jakob  Wimphelings  pädagogische  Schriften  übersetzt,  erläutert 
und  mit  einer  Einleitung  versehen  von  Joseph  Freundgen. 
(Sammlung  der  bedeutendsten  pädagogischen  Schriften  aus  alter 
und  neuer  Zeit.  Mit  Biograph ieen ,  Erläuterungen  und  er- 
klärenden' Anmerkungen  herausgeg.  von  J.  Gänsen,  A.  Keller, 
Bernh.  Schulz.  Bd.  XTU.)  Paderborn,  Ferd.  Schöningh.  1892. 
573  8.  8°. 


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302  Horner,  Neuere  Litteratur  üb.  d.  Humanismus.        Heft  10. 

Holstein,  Hugo,  Eine  anbekannte  Schrift  Wimphelings.  (Central- 
blatt  für  Bibliothekswesen.    Vm.    1891.    S.  344—347.) 
—  Zur  Biographie  Jakob  Wimphelings.  (Zeitschrift  für  vergleich. 
Literaturgeschichte  und  Renaissancelitteratur.    N.  F.  IV.  1891. 
ö.  227—252.) 

Neff,  J.,  Udalricus  Zasius.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des 
Humanismus  am  Oberrhein.  1.  2.  Programme  des  Gymnasiums 
in  Freiburg.    1890  u.  1891. 


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Eingegangene  Schriften. 


Die  an  anderer  Stelle  dieser  Hefte  besprochenen  oder  erwähnten  «Schriften 
sind  hier  nicht  noch  einmal  aufgeführt1). 
(Vgl.  Monatshefte  1893,  8.  89  ff.) 


Die  Schriftleitung  behält  sich  vor,  über  einzelne  Werke  noch  besondere 

Besprechungen  zu  bringen. 

Bodnär,  Sigmund,  Das  Gesetz  unseres  geistigen  Fortschritts.    Ans  dem 

Ungarischen  übersetzt  von  Julius  Lechner  von  der  Lech.  Leipzig, 

Alfr.  Janssen.  1893. 
Ciaaf,  Ferd.,  Nu  Poplach!    KAzani  die  Soudcu  16,  20,  je2  R  29.  Valn 

shuczi  moravske1  poboi'nl  jednoty  Gustav-Adolfskeho  Üstavu  V  Lystali 

dne  1.  Cervna  1893  vykonal.  1893. 
Clifford,  John,  The   origin  and  growth  of  English  Baptists.    (From  a 

Volume  of  Eight  Lectures  on  „The  English  Baptists;   who  they  are 

and  what  they  have  done").  Edited  bv  J.  Clifford.    London,  E.  Marl- 

borough. 

Clifford,  John,  The  eoining  theology  or  the  primitive  Christian  faith  etc. 
London,  Clarke  and  Co. 

Dechen t,  Dr.  H.,  Cassiodorus  Rcinius,  Gründer  der  Frankfurter  Nieder- 
ländischen Gemeinde  Augsburger  Konfession  (t  15.  März  1594).  Zur 
Erinnerung  an  seinen  300jährigen  Todestag.  (Frankf.  Ev.-lutherischcr 
Kirchenkalender  auf  das  Jahr  Christi  1894.  Hrsg.  v.  ev.-lutherischcn 
Prediger-Konsistorium.   VI.  Jahrg.) 

FlÜRel,  O.,  Die  Sittenlehre  Jesu.  3.  Aufl.  Langensalza,  Hermann  Beyer 
u.  Sohne.    1892.   M.  1.20. 

Glökler,  Joh.  Phil.,  Johann  Valentin  Andreae.  Ein  Lebensbild  zur  Er- 
innerung an  seinen  300.  Geburtstag.  Mit  einem  Bildnis  Andreaes. 
Stuttgart,  Hansehnann.  1886. 

Heinaelmann,  Prof.  Dr.,  Über  den  deutschen  Volkscharakter.  Vortrag, 
gehalten  am  26.  Jan.  1892  in  der  öffentl.  Sitzung  der  Kgl.  Akademie 
gemeinnütziger  Wissenschaften  zur  Vorfeier  des  Geburtstages  Sr.  Maj. 
des  Kaisers.   Erfurt,  Karl  Villaret.  1893. 


')  Das  Verzeichnis  der  zur  Besprechung  in  den  „Mitteilungen  der 
C.-G."  eingesandten  Schriften  s.  am  Schlüte  der  Mitteilungen  Nr.  10. 


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804  Eingegangene  Schriften.  Heft  10. 

Hilty,  Prof.  Dr.  C,  Über  die  Grundgedanken  der  schweizerischen  Er- 
ziehung. Separatabdruck  au«  dem  Polit.  Jahrbuch  d.  Schweizerischen 
Eidgenossenschaft.   (Jahrg.  1893.) 

Hodermann,  Kichard,  Bilder  au*  dem  deutschen  Leben  des  17.  Jahr- 
hunderts. I.  Eine  vornehme  Gesellschaft.  (Nach  Harsdörffers  Ge- 
sprächspielen). Mit  einem  Neudruck  der  Schutzschrift  für  die  Teutsche 
Spracharbeit.    Paderborn,  Ferd.  Schöning)).  1890. 

HorBch.  John.  The  Mennonites,  their  History,  Faith  and  Practise.  Men- 
nonite  Publishing  Company,  Elkart,  Indiana.  1893. 

Hülsmann,  J.,  Beiträge  zur  christlichen  Erkenntnis  für  die  gebildete  Ge- 
meinde. Aus  Aufzeichnungen  und  Briefen  v.  J.  H.  Mit  biographischer 
Charakteristik  u.  dem  Bildnis  des  Verf.  Braunschweig, C.  A.  Schwetschke 
u.  Sohn.  1890. 

Geschichtsblätter  des  deutschen  Hugenotten-Vereins.  Erstes  Zehnt  1891. 
Magdeburg,  Heinrichshofen. 

Heft  1.  Vercins-Statuten.  Einleitung  zu  den  Geschichtsblättern. 
Die  Hugenotten  in  Magdeburg.   Von  Prediger  Dr.  Henri  Tollin. 

Heft  2.  Die  französisch(wallonisch)-reformierte  Kirche  in  Emden 
von  Pastor  J.  N.  Pleincs. 

Heft  8.  Die  Waldenser  und  ihre  Kolonie  Walldorf  von  Konsist.- 
Rat  Robert  in  Frankfurt  a.  M.  und  Pfarrer  W.  Dittmar  in  Walldorf. 

Heft  4.  Die  französische  Kolonie  in  Berlin  von  Prediger  Lic.  theol. 
Dr.  med.  Tollin  und  Amtsrichter  Dr.  jur.  Bcringuier. 

Heft  5.  Geschichte  der  walloniseh-reformierten  Kirchengemeinde 
zu  Magdeburg  von  Bode,  Prediger  a.  D. 

Heft  6.  Die  französisch-reformierte  Kirchengemeiude  in  Erlangen 
von  Pfarrer  Job.  Stursberg.  Mitglieder-Verzeichnis  des  deutschen 
Hugenotten-Vereins. 

Heft  7.  1)  Die  wallonische  Gemeinde  zu  Otterberg  von  J.  Knecht, 
protest.  Pfarrer  zu  Otterberg.  2)  Die  Statuten  des  deutschen  Huge- 
notten-Vereins. 

Heft  8.  Die  wallonisch-französische  Fremdengemeinde  in  Bremen 
von  Pastor  J.  Fr.  Iken. 

Heft  9.  Die  französische  Kolonie  in  Karlshafen  von  Pfarrer 
Rudolf  Franke. 

Heft  10.  1)  Die  hugenottische  Kirchenordnung  oder  La  diseipline  des 
eglises  reformees  de  France,  deutseh  v.  Dr.  H.  Tollin.    2)  Register  zum 
I.  Zehnt  der  Hugenottischen  Geschichtsblätter. 
Geschichtsblätter  des  deutschen  Hugenotten-Vereins.  Zweites  Zehnt.  1893. 
Magdeburg,  Heinrichshofen. 

Heft  1.  Geschichte  der  walloniseh-reformierten  Gemeinde  zu 
Annweiler  von  Pastor  Lic.  Fr.  W.  Cuno. 

Heft  2.  Die  wallonisch-französische  Fremdengemeinde  in  St  Lam- 
brecht-Grevenhausen von  Pfarrer  Th.  Gümbel. 

Heft  3.  Geschichte  der  französischen  Kolonie  von  Halberstadt 
von  Lic.  theol.  Pastor  H.  Tollin. 

Heft  4.  Geschichte  der  wallonisch-rcf.  Gemeinde  zu  Heidelberg 
von  Pastor  Lic.  Fr.  W.  Cuno. 


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1808. 


Eingegangene  Schriften. 


305 


lieft  5.    Die  französisch-rcform.  Gemeinde  zu  Grof*-  und  Klein- 
Ziethen  in  der  Mark  Brandenburg  von  Pfarrer  Devaranne,  Angermünde. 

Heft  6.  Die  wallonische  Gemeinde  in  Stade  von  Oberlehrer 
Dr.  C.  H.  Wilh.  Sillem,  Hamburg. 
Theologischer  Jahresbericht.  Unter  Mitwirkung  von  Kaur,  Höhringer 
u.  s.  w.  hrsg.  v.  H.  Holtmann.  Bd.  XII.  1892.  Histor.  Theologie. 
Interkonfessiones,  bearbeitet  v.  Lie.  Osk.  Kohlschmidt,  Pfarrer  in  Den- 
stedt bei  Weimar.  Braunschweig,  C.  A.  Schwetzschke  u.  Sohn.  1898. 
(Souder-Abdruck.) 

Kipper,  Dr.  Paul,  Pastor,  Abbruch  und  Aufbau.  Beiträge  zur  kommen- 
den Reformation.  I.  2.  AuH.  1891.  (VIII  u.  60  S.)  II.  u.  III.  1*93. 
(X  u.  162  S.)   Berlin,  Richard  Wilhelmi. 

Koeber,  Raphael  von,  Leo  Tolstoi  und  sein  unkirchliches  Christentum. 
Hrsg.  mit  einer  Nachschrift  :  Die  Flucht  aus  dem  brennenden  Cirkus  von 
Hübbe-Schleideti.    Braunschweig,  C.  A.  Schwetzschke  u.  Sohn.  1890. 

Krause,  Karl  Christ.  Friedr..  Der  Begriff  der  Philosophie.  Aus  dem  hand- 
schriftlichen Nachlasse  des  Verf.  hrsg.  v.  Dr.  Paul  Hohlfeld  u.  Dr.  Aug. 
Wünsche.    Leipzig,  Otto  Schulze.  1893. 

Krause,  Karl  Christ.  Friedr.,  Aphorismen  zur  Sittenlehre.  Aus  dem  hand- 
schriftlichen Nachlasse  des  Verf.  hrsg.  v.  Dt.  P.  Hohlfeld  u.  Dr.  Aug. 
Wünsche.    Leipzig,  Otto  Schulze.  1893. 

Krause ,  Karl  Christ.  Friedr  ,  Der  Krdreehtsbimd  an  sich  selbst  und  in 
seinem  Verhältnis  zum  Ganzen  und  zu  allen  Einzelteilen  des  Mensch- 
hcitslebens.  Aus  dem  handschriftlichen  Nachlasse  des  Verfassers  hrsg. 
v.  Dr.  Georg  Mollat.    Leipzig,  Otto  Schulze.  1893. 

Kvacsala,  Joh.,  Des  Comenius'  Aufenthalt  in  Lissa.  Sonderabdruck  aus 
der  Ztschr.  der  Hist.  Ges.  f.  d.  Provinz  Posen.    Jahrg.  VIII,  S.  1  ff. 

Landwehr,  Hugo,  Bartholomäus  Stosch,  kurbrandenburgischer  Hofprediger 
1612—1686.  Ein  Lebensbild  von  H.  L.  Sonderabdruck  aus  den  For- 
schungen zur  brandenburgischen  u.  preußischen  Geschichte.  VI,  1. 
Leipzig,  Duncker  u.  Humblot.  1893. 

Lea,  Henry  Charles,  The  Absolution  Formula  of  the  Tempiare.  (Rcprinted 
from  Vol.  V.  Papers  of  American  Church  History  Society.)  The 
Knickerbocker  Press  1893. 

Lea,  Henry  Charles,  The  Spanish  Inquisition  os  an  Alienist.  (Reprinted 
from  the  Populär  Science  Monthly  for  July  1893.) 

Lea,  Henry  Charles,  The  Taxes  of  the  Papal  Pcnitentiary.  (Reprinted 
from  the  English  Historical  Review  July  1893.) 

Maisch,  Religiös-sociale  Bilder  aus  der  Geschichte  des  deutschen  Bürger- 
tums.  Leipzig,  Verlag  v.  Reiuh.  Werther.    1898.   2.  Abt. 

MeiUe,  W.,  Le  Reveil  de  1825  dans  les  valtees  vaudoises  du  Piemont.  Ka- 
conte  ä  la  generation  actuelle  par  W.  M.   Turin  1893. 

Meister,  Ferd.,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Gymnasiums  zu  St.  Maria 
Magdalena  Sonderabdruek  aus  der  Festschrift  zur  250jährigen  Jubel- 
feier des  Gymnasiums  zu  St.  Maria  Magdalena  zu  Breslau  am  30.  April 
1893.    Breslau  1898. 

Michelson,  Carl,  Neun  Träume.  Eine  Einleitung.  Leipzig,  Verlag  von 
Alfred  Janssen.  1892. 


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300 


Eingegangene  Schriften. 


Heft  10. 


Monroe,  Will.  S.  (Leland  Stanford  Junior  University.  Palo  Alto  Cali- 
fornia.) The  Educational  Labors  of  Henry  Barnard.  A  Study  in  the 
History  of  American  Pedagogy.  Syracuse,  N.-Y.  C.  W.  Bardecn, 
Pnbl.    1893.    35  S.  8°. 

Fappenheim,  Eugen,  Friedrich  Fröbel.  Aufsätze  aus  den  Jahren  1861 — 
1893.    Berlin,  L.  Oemigkes  Verlag.  1893. 

Pfeiffer,  Wilh.,  Die  Theorie  und  Praxis  der  einklassigen  Volksschule. 
Eine  kritische  Beleuchtung  der  einklassigen  Volksschule  nach  ihrem 
Wesen  und  den  Bedingungen  ihres  Gedeihens  nebfit  einer  praktischen 
Darstellung  des  gesamten  Volksschul-Unterrichts  unter  Zugrundlegung 
eines  einheitlichen  Lehrplansystems.  Erster  Teil:  Die  theoretische 
Grundlegung.  Gotha,  Thienemann.  1887.  Zweiter  Teil:  Die  theo- 
retische Grundlegung.   Ebenda.  1889 

Rausch,  Alfr.,  Otto  Frick  als  Erneuerer  des  Seminarium  pracceptorum.  Aus 
Lehrproben  und  Lehrgänge  hrsg.  von  Frick  u.  Meyer.    Heft  XXXVI. 

Schaefer,  Peter,  Das  geschichtliche  Anrecht  der  Kirche  und  des  Staates 
auf  die  Volksschule.    Köln,  Komm.-Verlag  v.  Alb.  Ahn.  1892. 

Schwarz,  Gottfried,  Der  christliche  Staat.    Heidelberg,  J.  Hörning.  1892. 

Seidensticker,  Osw.,  German- American  Events,  prineipally  of  Pennsyl- 
vania, up  to  1870.   Collected  and  ehronologically  arraiiged  by  Osw.  S. 

Sudhoff,  K.,  Ein  Beitrug  zur  Bibliographie  der  Paracelsisten  im  16.  Jahr- 
hundert. Sonderabdruck  aus  dem  Centraiblatt  für  Bibliothekswesen. 
1893.    Heft 7  und«.   S.  316  ff.   Heft  9.  S.  385  ff. 

Sudhoff.  Karl,  Zu  Hohenheims  Geburtstag.  Beilage  Nr.  261  zur  Allgem. 
Zeitung  vom  10.  Novbr.  1893. 

Taylor,  W.,  Doctrine  on  the  atonement  as  set  forth  by  St.  Paul  in  the 
fifth  Chapter  of  hist  Epintle  to  the  Romans,  with  a  Paraphrase  of 
the  Chapter.    For  students  of  theology  London  1893. 

Wilke,  Edwin,  Zum  15.  November,  dem  Todestage  des  Arnos  Comenius. 
Comenius  in  Preufsen.  Abgedruckt  in  der  „Volksschulfreund",  hrsg. 
von  E.  Krantz.    1893.   Nr.  46  u.  47. 

Wohlwill,  Emil,  Joachim  J unguis.  Festrede  zur  Feier  seines  300.  Ge- 
burtstags am  22.  Okt.  1887  im  Auftrago  der  Hamburger  Oberschul- 
behörde gehalten  von  Dr.  E.  W.  Mit  Beitragen  zu  Jungius'  Bio- 
graphie und  zur  Kenntnis  seines  handschriftlichen  Nachlasses.  Ham- 
burg und  Leipzig,  L.  Vofs.  1888. 


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Nachrichten. 


Im  Vorworte  zum  3.  Bande  seiner  Geschichte  Karl»  V.  entwickelt 
Herrn.  Haum^arten  den  Gedanken,  data  es  nötig  sei,  für  die  Erschließung 
der  Quellen  der  anderthalb  Jahrhunderte  von  Maximilian  I.  bis  zum  West- 
fälischen Frieden  endlich  in  grofsem  Mafsstabe  Fürsorge  zu  treffen.  Da  die 
zunächst  berufene  Wiener  Akademie  diese  besonders  für  Karls  V.  Zeit  drin- 
gende Aufgabe  nicht  scheine  übernehmen  zu  wollen,  falle  es  dem  Deutsehen 
Rci  che  zu,  in  diese  Lücke  zwischen  den  Monumenta  Germanine  und  neueren 
preufsischen  Unternehmungen  einzutreten.  Es  wäre  dagegen  nun  vielleicht 
einzuwenden,  dafs  doch  wenigstens  ein  erheblicher  Teil  dieses  Gebietes 
das  besondere  Arbeitsfeld  der  Münchener  historischen  Kommission  in  ihren 
Reichsakten  und  Wittelsbacher  Korrespondenzen  bildet,  und  dafs  ein 
anderer  Teil  sich  vortrefflich  zu  provinzialen  und  lokalen  Publikationen 
eignet.  Immerhin  aber  bleibt  ein  bedeutender  reichsgeschichtlicher  Stoff  be- 
sonders in  auswärtigen  Archiven  zu  heben,  und  in  diesem  Zusammenhang 
regt  Baumgarten  noch  einen  anderen  Gedanken  an,  der  gewifs  sorgsamste 
Beachtung  verdient.  Ähnlich  wie  schon  seit  langer  Zeit  England  und 
Belgien,  neuerdings  auch  Holland  und  Frankreich,  Arbeiter  aussenden,  um 
alles,  was  sich  in  den  Archiven  und  Bibliotheken  Europas  für  ihre  Ge- 
schichte findet,  verzeichnen  zu  lassen,  so  solle  es  auch  seitens  Deutsch- 
lands für  unsere  neuere  Geschichte  geschehen,  und  der  nächste  Schritt 
dazu  würde  sein,  dafs  man  den  grofsen  Botschaften  in  London, 
Paris  und  Madrid  historische  Kräfte  beigäbe,  gleichsam  histo- 
rische Attaches  neben  den  militärischen  und  technischen,  welche  den  Auf- 
trag erhielten,  die  Anfragen  deutscher  Forscher  zu  beantworten  und  die 
von  ihnen  gewünschten  Abschriften  oder  Auszüge  zu  erleichtern.  In  Rom 
ist  dafür  ja  schon  von  Staats  wegen  gesorgt  durch  das  preufsische  historische 
Institut.  Ahnliche  Einrichtungen  in  erheblich  geringerem  Umfange  und 
ohne  die  in  Rom  Vorherrschenden  direkten  Publikationsabsichten  würden 
ohne  Zweifel  in  Paris,  London  und  Madrid  der  deutschen  Geschichts- 
wissenschaft die  allerwichtigsten  Dienste  leisten  können. 

(Deutsche  Ztg.  f.  Gcschichtswissensch.) 

Der  rührige  Verein  „Comenium"  in  Prag  hat  zwei  weitere  stattliche 
Bände  (VI  und  VII)  publiziert:  J.  A.  Komenskys  „Ecclesiae  shivonicac  ab 
ipsis  apostolis  fundatae,  ab  Hieronymo,  Cyrillo,  Methodio,  pmpagatae, 

Monat»h«-tU»  dir  Comenin*-Oes*Il«cb«ft.    IM*?.  22 


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308 


Nachrichten. 


Heft  10. 


boheina  in  gente  potissimum  radicatae,  et  in  unitate  Fratrum  Bohemorum 
fastigatae,  brevis  historiola",  ins  Böhmische  übertragen  von  Jaroslav  Bidlo, 
und  J.  A.  Komeuskys  „Haggaeus  Redivivus"  nach  den  Manuskripten  heraus- 
gegeben vom  Historiographcn  Josef  Müller  in  Herrnhut.  Wir  werden  auf 
die  Schriften  des  Vereins  demnächst  im  Zusammenhang  zurückkommen. 

In  den  früheren  Auflagen  des  bekannten  Handbuchs  von  Überweg- 
Heinze,  „Grundrifs  der  Geschichte  der  Philosophie",  war  der  Name  des 
Comenius  nur  gelegentlich  bei  Aufführung  der  Schrift  von  Franz  L.  Kvet, 
Leibniz  und  Comenius  (Aus  den  Abhlu  d.  K.  Böhm.  Ges.  d.  Wissensch.) 
Prag  1857  erwähnt.  In  die  neueste  Auflage  (Berlin  1888)  ist  ein  Abschnitt 
über  Comenius  als  Philosoph  aufgenommen  (III,  164).  Ks  ist  indessen  zu 
hoffen,  dafs  bei  der  nächsten  Auflage  dieser  Abschnitt  eingehender  aus- 
fallt. Wir  wollen  hier  nur  hinweisen  auf  die  Ausführungen  von  Walter 
Müller,  Comenius,  ein  Systematiker  der  Pädagogik,  Dresden  1887, 
H.  Hühner,  Natur  und  NatHrgemäfshcit  bei  Comenius  und  Pestalozzi, 
Chemnitz  18'JO  (Leipz.  Diss.)  und  K.  A.  Schmid,  Geschichte  der  Erziehung 
u.  ».  w.  III,  2  S.  218. 


Wilhelm  Tilthey,  Einleitung  in  die  Geisteswissenschaften,  Bd.  I,  Leip- 
zig 1883,  S.  28,  bemerkt  über  die  Bedeutung  des  Bacon  und  Comenius 
für  die  Gliederung  der  Wissenschaften  Folgendes:  „ Versuche  ....  die  Ge- 
samtgliedcrung  der  Wissenschaften  zu  entdecken,  welche  die  geschichtlich- 
gesellschaftliche  Wirklichkeit  zum  Gegenstande  haben,  sind  von  der  Philo- 
sophie ausgegangen.  Sofern  sie  von  metaphysischen  Prinzipien  her  diesen 
Zusammenhang  abzuleiten  versuchten,  sind  sie  dein  Schicksal  aller  Meta- 
physik anheimgefallen.  Einer  besseren  Methode  bediente  sich  schon  Bacon, 
indem  er  mit  dem  Problem  einer  Erkenntnis  der  Wirklichkeit  durch  Er- 
fahrung die  vorhandenen  Wissenschaften  des  Geistes  in  Hezichung  setzte 
und  ihre  Leistungen  wie  ihre  Mängel  an  der  Aufgabe  mafs.  Comenius 
beabsichtigte  in  seiner  Pansophia1)  aus  dem  Verhältnis  der  inneren  Ab- 
hängigkeit der  Wahrheiten  voneinander  die  Stufenfolge,  in  welcher  sie  im 
Unterricht  auftreten  müssen,  abzuleiten,  und  wie  er  so  im  Gegensatz  gegen 
den  falschen  Begriff  der  formalen  Bildung  den  Grundgedanken  eines  künf- 
tigen Unterrichtswesens  (das  leider  auch  heute  noch  Zukunft  ist)  entdeckte, 
hat  er  durch  das  Prinzip  der  Abhängigkeit  der  Wahrheiten  voneinander 
eine  angemessene  Gliederung  der  Wissenschaften  vorbereitet.  Indem 
Comte  die  Beziehung  zwischen  diesem  logischen  Verhältnis  von  Ab- 
hängigkeit, in  welchem  die  Wahrheiten  zueinander  stehen,  und  dem  ge- 

»)  Vgl.M.  II.d.O.-G.,  II.  Bd.,  S.200.—  In  der  .Zeitschrift  für  Kirchenge- 
schichte« Bd.  XII,  2.  Heft,  Gotha  1890,  S.  362-  :180  hat  I>r.  Eduard  Bodemann 
„Briefe  Leibnizens  und  offizielle  Aktenstücke  zur  Geschichte  der  Antoinette 
ßourignon"  ( 1616  - 1682)  nebst  einleitenden  Bemerkungen  über  ihr  Leben  und 
ihre  Lehre  veröffentlicht,  aus  denen  wir  hervorheben:  „Dort  (in  Amsterdam) 
entsagte  sie  dem  katholischen  Kultus,  verkehrte  viel  mit  den  Labadisten, 
Comenius  und  anderen  Chiliasten,  auch  mit  Cartesianern,  konnte  aber,  da 
sie  selbst,  ,die  Mutter  der  Gläubigen'  und  Stifterin  einer  eigenen  neuen 
Kirche  sein  wollte,  mit  keiner  Sekte  sich  einigen." 


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1898. 


Nachrichten. 


30«» 


Bchichtlichcn  Verhältnis  der  Abfolge,  in  welchem  sie  auftreten,  der  Unter- 
suchung unterwarf:  schuf  er  die  Grundlage  für  eine  wahre  Philosophie  der 

Wissenschaften  Mi  II,  Littre,  Herbert  Spencer  haben  das  Problem 

des  Zusammenhangs  der  geschichtlich -gesellschaftlichen  Wissenschaften 


Man  hat  bisher  wenig  darauf  geachtet,  dafs  Beziehungen  der 
böhmischen  Brüder  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  den 
Reformierten  am  Niederrhein  vorhanden  gewesen  sind  und  noch  weniger 
ist  es  allgemein  bekannt,  dafs  die  religiöse  Bewegung  am  Niederrhein  bis 
zum  Jahre  1535  (vor  dem  Eindringen  des  Calvinismus)  ebenso  wie  in  Hol- 
land sich  wesentlich  in  der  Form  jener  Brüdergemeinden  vollzog,  die 
von  ihren  Gegnern  Täufer  oder  Wiedertäufer  genannt  wurden  und  deren 
innere  Verwandtschaft  mit  den  böhmischeu  Brüdern  schon  daraus  erhellt, 
dafs  auch  die  letzteren  bis  zum  Jahr  1535  die  Taufe  auf  den  Glauben 
(Spättaufe)  übten.  Ks  ist  vor  kurzem  eine  kleine  Schrift  erschienen,  die 
wichtige  neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  Täuferbewegung  am  Nieder- 
rhein enthält,  nämlich  die  Münstersehe  Dissertation  von  Karl  Rimbert,  Die 
Wiedertäufer  im  Herzogthum  Jülich,  Kapitel  II  und  III.  Münster, 
Buchdruckerei  von  Job.  Bredt  18S>M.  Man  sieht  schon  aus  dem  Titel,  dafs 
Herr  Dr.  Rembcrt  zum  Zweck  der  Promotion  nur  einen  Teil  (das  2.  und 
8.  Kapitel)  einer  von  ihm  fertig  gestellten  Arbeit  zum  Druck  gegeben  hat; 
das  nicht  gedruckte  1.  und  4.  Kapitel  behandeln  die  wichtige  Vorgeschichte 
bezw.  die  Geschichte  der  Jülichcr  Täufer  von  1550—1705.  Es  liegt  auf  der 
Hand,  dafs  die  jetzt  vorliegenden  Kapitel  erst  im  Zusammenhang  der  ganzen 
Arbeit  in  das  rechte  Licht  treten  werden  und  dafs  eine  Kritik,  die  sich 
lediglich  auf  das  gedruckte  Stück  erstreckt,  dem  Verfasser  nur  schwer  ge- 
recht werden  kann.  Bei  der  geschichtlichen  Bedeutung,  die  der  sog.  Aua- 
baptismus für  die  Reformation  überhaupt,  besonders  aber  für  die  nieder- 
rheinische  besitzt,  bleibt  die  Drucklegung  der  ganzen  Arbeit  wünschens- 
wert. Wir  holten  auf  die  Sache  zurückzukommen  und  wollen  einstweilen 
hier  nur  die  Aufmerksamkeit  auf  die  kleine  Schrift  lenken.  Der  Teil  der 
Rembertschen  Arbeit,  der  gedruckt  vorliegt,  läfst  in  Bezug  auf  Sorgfalt 
der  Ausführung  und  Schärfe  des  I'rteils  auch  für  den  Rest  des  Ganzen 
das  Beste  erwarten. 

Das  (bereits  früher  angekündigte)  Buch  vou  Dr.  Alexander  Nico- 
lailoni,  Johannes  Bündcrlin  von  Linz  und  die  oberösterreichischen  Täufer- 
gemeinden in  den  Jahren  1525—1581  ist  nunmehr  erschienen.  (Berlin  SW., 
R.  Gärtners  Verlagsbuchhandlung  181)3,  VI  u.  314  S.  8").  Die  Bedeutung 
der  Schrift  liegt  darin,  dafs  durch  dieselbe  abermals  eine  bisher  wenig  be- 
kannte, aber  sehr  merkwürdige  Persönlichkeit  aus  der  grofsen  Bewegung, 
die  man  unter  dem  Namen  des  Anabaptismus  zusammenzufassen  pflegt,  in 
helles  und  zum  Teil  ganz  neues  Licht  gesetzt  wird.  Man  hatte  sich  ge- 
wöhnt ,  die  Führer  jener  Bewegung  bisher  in  Bausch  und  Bogen  zu  be- 
trachten und  aufser  ihren  Namen  kannte  die  allgemeine  Geschichte  wenig 
von  ihnen.  Seit  zehn  Jahren  sind  zunächst  Oehino  (Benrath)  und  Denk 


aufgenommen." 


O.  Kemper. 


22* 


310 


Nachrichten. 


Heft  10. 


(Keller),  dann  Seh.  Castellio  (Buisson),  Seh.  Franc k  { Hegler),  Balth. 
H  n  h  in  a  i  e  r  (Loserth)  und  jetzt  auch  B  ü  n  d  e  r  1  i  n  zum  Gegenstand  besonderer 
monographischer  Arbeiten  gemacht  worden  und  es  stehen  weitere  bezüg- 
liche Arbeiten  in  Aussicht.   Wir  kommen  auf  Nicoladonis  Buch  zurück. 

0.  Ilunziker  weist  in  »einem  zu  Zürich  am  13.  März  1892  gehalte- 
nen Vortrag  über  Comenius  und  Pestalozzi  auf  ein  merkwürdiges  Urteil 
eines  schweizerischen  Zeitgenossen  über  Comenius  hin.  Der  zürcherische 
Pfarrer  Felix  Wyss  (1596—1666)  verfaßte  im  Jahre  1661  einige  Distichen 
zu  der  Ausgabe  der  Janua  und  des  Atrium,  die  Wilhelm  Frey  damals  ver- 
anstaltete.   In  einem  dieser  Verse  heifst  es 

Magno  Comenio  dehentur  magna 
—  gewifs  ein  seltenes  Urteil  über  einen  noch  lebenden  Gelehrten.  Wir 
bemerken  bei  dieser  Gelegenheit,  dafs  wir  Comenius  gern  gelegentlich 
im  Urteil  seiner  Zeitgenossen,  seiner  Freunde  wie  seiner  Gegner,  schildern 
möchten;  eine  Zusammenstellt'ng  solcher  Urteile  aus  der  ganzen  Welt 
würde  gewifs  viel  Interessantes  bieten. 


Litteratur  über  Job.  Valentin  Andrea«  aus  den  letzten  hundert  Jahren. 
Ein  Nachtrag  zu  dem  Artikel  Bd.  II  der  M.H.,  S.  249—253. 

1)  1784.  J.  V.  Andreae,  Ahrifs  eines  rechtschaffenen  und  thatigen  Christen- 

tums.   2.  Aufl.    Tübingen  1784. 

2)  1864.  J.  Val.  Andreae,  Das  guto  Leben  eines  rechtschaffenen  Dieners 

Gottes.  Neu  herausgeg.  von  J.  C.  M.  Laurent.  Stuttgart  1864.  Be- 
sonderer Abdruck  aus  Vilmars  pastoraltheolog.  Blättern. 

3)  1873.  J.  Val.  Andreae.  Mahnruf  an  die  Diener  der  evangel.  Kirche. 

Herausgeg.  von  Pfarrer  Ohler.    Stuttgart  1873. 

Radlach,  Pfarrer  in  Zethlingen. 


Professor  Dr.  K.  Comba  in  Florenz  hat  in  diesem  Jahre  eine  Ge- 
schichte der  Waldenser  in  italienischer  Sprache  erscheinen  lassen,  die 
Ende  dieses  Jahres  in  deutscher  Ubersetzung  vorliegen  wird.  In  der 
„L'Italia  Evangeliea-  ist  eine  Art  Vorrede  des  Verfassers  veröffentlicht  wor- 
den, aus  der  wir  einige  Stellen  in  deutscher  Übersetzung  folgen  lassen: 

„Wir  sagen  hier  das,  dafs,  nachdem  die  Waldensergeschichte  von  hun- 
dert Schriftstellern  geschrieben  worden  ist,  es  sich  hier  zum  erstenmal 
darum  handelt,  dieselbe  vollständig  und  auf  Grund  einer  geduldigen  Qucllen- 
sammlung  zu  erzählen."  rDicse  Versicherung  möge  weder  zu  kühn  noch 
paradox  klingen.  Es  ist  eine  sehr  einfache  Thatsaehe.  Unter  den  vielen 
Geschichtsschreibern,  die  an.  die  sogenannten  «undenkliche"  Zeit  fest  ge- 
glaubt haben  und  gern  von  ihr  sprechen,  gieht  es  nicht  einen,  der  sie 
eigentlich  schildert.  So  sagte  noch  vor  vierzig  Jahren  ein  Mann,  der  die 
Waldenser  sehr  liebte  und  Waldenser  unter  seinen  Schülern  hatte,  als  er 
der  Kollege  Vinets  zu  Lausanne  war,  und  sich  für  ihre  Mission  interes- 
sierte und  über  die  Waldensergeschichte  schrieb  und  seine  Schriften  von 


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1893. 


Nachrichten. 


311 


manchem  in  Italien,  vonViktor  KmaiiUfl  angefangen1),  verehrt  sah, 
der  Professor  J.  J.  Herzog:  .Sicher  ist,  dafs  die  alte  Geschichte  der  Wal- 
dcnser  noch  zu  schreiben  ist.'  Wenn  sie  nicht  geschrieben  wurde,  wurde 
sie  doch  studiert.  Der  gegenwärtige  Versuch,  diesen  Teil  der  allgemeinen 
Waldensergesehichte  zu  erzählen  ist  eine  Frucht,  man  verstehe  wohl,  der 
vergleichenden  Prüfung  der  bi*  jetzt  angestellten  Nachforschungen.  .  . 

„Ferner  war  auch  die  Epoche  der  Reformation  sehr  unvollkommen  ge- 
schildert, und  auch  da  benutzten  wir  die  von  den  Spezialgelehrten  erziel- 
ten Resultate.  Bezüglich  der  Zeiten,  welche  die  Reformation  von  der 
französischen  Revolution  trennen  und  dieser  folgen  bis  zum  Jahre  der  Ver- 
fassung und  der  Waldensercmancipation  gab  es  nicht  viel  Neues  zu  sagen. 
Muston,  Monastier  und  Bert  habi  n  sich  wahrhaftig  hinreichend  informiert 
gezeigt.  Nichtsdestoweniger  handelte  es  sich  auch  hier  darum,  einige 
Si-hlufsfolgcrungen  zu  werten  und  die  Erzählung  da  und  dort  klarzustellen 
und  zu  vervollständigen.  Endlich  stellten  die  bedeutsame  Epoche  der  Ver- 
kündigung unserer  Freiheiten,  die  Anbahnung  der  Waldensermission,  ihre 
Pflanzung,  die  entstandenen  Spaltungen  und  die  Diskussion,  die  darüber 
entstand,  ein  sehr  bedeutendes  Moment  für  eine  aufmerksame  Prüfung  dar. 
Diese  Prüfung  lieferte  den  Stoff  zu  einer  neuen  Seite,  wenigstens  für  die 


der  C.-G.  übernimmt  der  unterzeichnete  Vorsitzende  vom  1.  Januar  1S94 
:in  die  Herausgabe  der  Monatshefte  unter  Mitwirkung  des  Redaktions- 
ausschusses und  eventuell  eines  stellvertretenden  Schriftleiters. 

Es  werden  vom  genannten  Zeitpunkt  an  einige  wichtige  Änderungen 
eintreten: 

1.  GröTserc  QuelleustUcke,  die  wir  bisher  in  der  Abteilung  „Quellen 
und  Forschungen-  gebracht  haben,  werden  in  Zukunft  den  Einzelschriften 
der  C.-G.  zugewiesen  werden.  Kleinere  Quellenstücke  (Briefe  u.  s.  w.) 
werden  unter  den  „Kürzeren  Mitteilungen"  erscheinen. 

2.  Der  dadurch  gewonnene  Raum  wird  der  Abteilung  Abhandlung 
and  Aufsätze  zu  gute  kommen. 

')  Im  September  d.  J.  weilte  König  Humbert  I.  in  den  Waldcnser- 
thftlern  und  wurde  hier  von  den  Waideusern  mit  Herzlichkeit  begrüfst. 
Hnmbcrt  verkehrte  mit  den  königstreuen  Waldenscrn  mit  grofser  Leutselig- 
keit und  nannte  sie  „primissimi"  d.  i.  die  allerersten  unter  seinen  Unter- 
thanen.  In  Torre  Pellice  betrat  der  König  die  „Casa  Valdese",  zu  deren 
Bau  er  beigetragen  hatte  und  in  der  u.  a.  zahlreiche  Denkwürdigkeiten 
aus  der  Verfolgungszeit  ausgestellt  sind. 


jungen  Leser." 


Gerber,  Pfarrer. 


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312 


Nachrichten. 


Heft  10. 


.*{.  In  der  Abteilung  Mtteratarberieht,  «lie  gegen  früher  eine  Erweite- 
rung erfahren  wird,  soll  über  die  gesamte  literarische  Thätigkeit,  die  auf 
dem  Forschungsgebiet  unserer  Gesellschaft  herrscht,  thunlichst  genau  Buch 
geführt  werden:  die  Begutachtung  wird  in  die  Hände  angesehener  Fach- 
männer übergehen. 

4.  Die  Sehriftleituug  wird  denjenigen  Teilen  unseres  Arbeitsgebiet*, 
die  für  die  Historiker,  die  Philosophen  und  die  Pädagogen  in  gleicher 
Weise  von  Bedeutung  sind,  ihre  besondere  Aufmerksamkeit  zuwenden. 
Zu  den  Fragen,  die  auf  den  genannten  Gebieten  heute  die  Wissenschaft  be- 
wegen, werden  wir  auf  Grund  der  comenianischen  Weltanschauung,  die 
für  unsere  Gesellschaft  das  einende  Band  bildet,  klar  und  bestimmt  Stellung 
zu  nehmen  suchen. 

ö.  Die  Ausgabe  der  Hefte  wird  regelmftfsig  zum  Beginn  des  Monats 
erfolgen.    Die  Ausgabe  von  Doppclheften  bleibt  einstweilen  beibehalten. 

Münster,  am  20.  November  1893. 

Archivrat  Dr.  Keller, 
Vorsitzender  der  Comenius-Gesellschaft. 


Pierer'ich»  Horbuchdnickerei.  Stephan  Goibol  A  Co.  in  Altonburg. 


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Personen-  und  Orts  -  Register 

zum  zweiten  Band  (1893)  der  Monatshefte. 


Da*  ini  im  HinliUi  k  auf  «Ii« •  Namt-n  ip'.K-hirljtlklirr  IVrsorun  und  Ortxnutm'ii  U-arlx-iiit. 

Naiii.  n  von   r<  iH..n.'ii  ntul  Orion,  >Iif  >-\w  hi^tori-M-ln-  rh-drutimj;  >">  Zu*niniin-rili:iii«  iin*i'nt 
l'oi  si  Ijitimvn  nicht  lifstiüH-n,  sind  »t-kiucl iltclwii. 
l>i.'  Uut'u»1al»-ti  C  und  K,  !■'  und  V,  I.  .1  und  V  sind  vi-rl.illid.ii. 


A. 

Ahoi.  E.  2!  »7. 

Abel,  .Fat-.  215.  2.:r>. 

Ad iu tu«,  Ja«.  211. 

Adler,  Felix  t"). 

Agrieola,  Rud.  2<>2.  J70.  •>'.»!». 

Ahn- Iis,  H. 

A Ihcrtus,  R  21'>. 

Albertus.  G.  2:5i i. 

Alfens,  Ezechiel  2S2. 

Altdorf  l.{0.  172. 

Amsterdam  lf>.  17.  17.  1.42.  INI». 

24r».  274  ff. 

A  nabaptistac  27»i.     (s.  Cata- 

baptistae.) 

Anderson  U>.r>. 

A  iidersscn  ,  ( '.  247. 

Andersse ii.  O.  2ls. 

Andreae,  Karl  2I<>. 

And  reue,  Victor  2r»0. 

Andreae,  (iottl.  2:!.',.  21». 

Andreae,  .Tae.  127.  2:U.  2:M>. 

Andreae.  Job.  Val.  '>7  ff.  127  ff.  141. 

141».  isti  ff.  204.  2:::;  ff.  248.  2iü  ff. 
4io. 

Andreae,  .Tul.  21S. 
Andreae,  Maria  2">1. 
Andreae,  l'aul  244.  24:,. 
Andreae,  Tobiiis  Ml. 


Angelin,  .loh.  211. 

Aretius.  Benedict  2tH». 

Arndt,  Joh.  2.-..  2t».  Im.  «Mi.  til.  lsti. 

Arndt ,  Thcod.  1  IN. 

Arnold,  (iottfr.  114. 

A  ron  ,  Hich.  1  U\. 

Asse  bürg.  Edelfräulein  von  'i4. 

As  Mim,  t'rafto  2:t7. 

Assum,  .loh.  V.  2.57. 

Augsburg,  281  >. 

August,  Herzog  von  Bramischwcig 

u.  Lüneburg  r»7.  r»s.  im;,  rü.  25 1. 


Hab.  Christ,  231 

Bach,  Joh.  Seb.  <i2. 

Baco,  R.,  von  Verulam  24.  21.  74. 
7.'».  102.  2<n>.  >><',-,.  .'{Ott. 

Bach  ring,  B.  N!».  214  ff. 

Buhl  in  an  n.  I\  40O. 

I  Bay  1  y  ,  Lewis  Iii 

Balbiniif.  Aloys  Boleslas.  S.  ,1.  4. 

Bamberg  02. 

Bardeen,  C.  \V.  ss. 

Barrili,  Anton  («iulio  207. 

Basedow  ,  Joh.  Beruh.  t»7. 

Bassertnan n,  H.  2'»4. 

Beard,  Uharl.-s  h;i. 


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Bobenhausen  23(>. 
Beck,  H.  Ü2.  112. 
Beck,  J.  von  H2,  iLl  LÜL  2HL  22& 
Below,  G.  von  1Ü& 
Bender,  Henn.  '2.ri3. 
Bcngcl  252. 
ßeninga,  Eggerink  ä»L 
Bcnoist,  A.  21ÜL 
Benrath,  K.  8iL 
Berbisterf ius,  Ehrenfried  LL 
Bcrchtold,  Andr.  2Jiä» 
Berlin  iL  Kl  41L 
Bert  3LL 

Bertram,  J.  G.  (iL 
Besoldus  2H7. 
Bezold,  Fr.  von  1Ü& 
Biberstein,  Paul  ?XA. 
Bielefeld  02. 

Bielsky,  Wenzel  Gottfr.  282. 
Bicstkcns,  Nie.  äiL 
Bilffinger,  Wendelin  235. 
Birger  ab  Ayb,  Joh.  Alb.  2X1. 
BiHterfeld,  Joh.  L£L 
Blahoslav,  Joh.  1KL 
Bode,  Wilh.  2Ü2.  2ÜIL 
Boeclerus,  Joh.  Heinr.  2H7. 
Böhm ,  Joh.  247. 
Börner,  A.  2Ü2  ff.  3ÜQ. 
Boyle,  Rob.  2i& 
Bolte,  Joh.  2M 
Bougrc,  Rob.  le  1!£L 
Bourignon,  Antoinotto  'AOH. 
Boutcrwek,  Fr.  liiä. 
Brande»,  D.  2.r)4. 
Brock ling  02»  1  .'t">. 
Bredenbach,  M.  2ÜÜ. 
Brescia,  Arnold  von  ÜL 
Breslau  ÜL  22L 
Breuning,  Conr.  22L 
Brixen  82.  ÜL 

Brotbeckh,  Joh.  Conr.  22L  2JÜ 
Brown,  H.  2ÜÜ. 
Brägel,  Jul.  2111  ff.  2LL 
Brun,  Thon».  LLL 
Brunehorst,  Hofprediger  234. 
Bruno,  G.  ii£L  XML 
Bruno,  Joe.  '^'.li- 


Butzer,  M.  23fL  23L 
Buchanan,  G.  2M. 
Buchstab,  Joh.  1Ü8. 
Bud6,  E.  m 
Bud£,  Guillaume  2<>!1. 
Budovcc,  Wilh.  Ü1L 
Bückeburg,  Graf  u.  Gräfin  von  ÜL 
Bülzinger,  Wendelin  2'AZ. 
Bünderlin,  Joh.  50.  IM).  30il 
Bullinger,  Heinr.  9.'A7. 

Bunscn,  Christ.  Carl  Josias  Frei- 

herr  von  2L4  ff. 
Burckhardt,  A.  3ÜL 
Bussy,  J.  J.  de  Qü. 
Butler,  Nichola»  Murray  88. 

C.  K. 

Cavazzoni,  G.  3QL 
Kaiser,  Joh. 

Kayser,  W.  1ÜL  1Ü2.  1D3. 
:  Calerius,  Abraham  231. 

Calesius,  Lucas  282. 
!  Calvin,  Joh.  itfL  IL  L2Ü.  Llli 

Calixtus,  Georg  28.  30.  ÖL  58.  Üü. 
1>L  13LL  L3Ö.  231L  23L 

Calixtincr  liiä. 

Kallenbach,  J.  228, 

Calw  ÖS, 

Camcrarius  2ZQ. 

Campanella,  Joh.  187. 
i  Campe,  Joachim  EL  ÜL 

Kampen,  J.  Albert  van  HL 

Kau,  J.  B.  3ÜÜ. 

Kant  iL  112.  iLL  122.  12IL  1LL  LilL 

2DÜ  2QL  'Ml  208.  200. 
Capharsalama  ISÜ  ff. 
Capito,  Wolfg.  F.  23L 
Cappclbeck,  Jac.  23L 
Karl  IV.,  Kaiser  L52. 
Karl  V.,  Kaiser  OL 
Karl,  Pfalzgraf  l>ei  Rhein  23L 
Karl,  Kurprinz  von  der  Pfalz  iL 
Karl    August,    Grossherzog  von 

Sachsen  -Weimar 
Karl  Gustav,  König  von  Schweden 

,  Caro,  Jak.  I'.>S. 
Carrierc,  Moriz  2KL  2liL 


-    315  - 


Carte»! u<*  209. 

Cassandcr,  Georg  30. 

Kassel  1.").  02. 

Castelli,  Graf  W.  G.  237 

Castcllio,  Schalt.  310. 

Catabaptistae      130.     (.».  Ana- 
baptistac.) 

Kehrbach,  Karl  91. 

Key  »er,  Joh.  235. 

Cellarius,  Mich.  237. 

Keller,  A.  301. 

Keller,  G.  H.  234. 

Keller.  Ludw.  1  ff.  47.  48.  "»3.  54. 
90.  18(5.  190. 

Gelte»,  Conr.  205.  29S. 

Kemper,  O.  180  ff.  30S.  309. 

Kepler,  Joh.  97. 

Khevenhüller,  Familie  von  133. 

Chcsncl,  Friedr.  235. 

Christian,    Herzog    von    Braun - 
schweig  u.  Lüneburg  04. 

Chri»tiania  24S. 

Christoph,  Herzog  von  Württem- 
berg 230. 

Christoph,  K.  93.  280. 

Kieferndorf,  Ph.  92. 

Kies,  Joh.  235. 

Kircher,  Joh.  235. 

Cisaf ,  Ferd.  303. 

Kitzbüchel,  Stadt  i.  Tirol  82.  S3. 

Kleinort,  Paul  58.  02.  09.  135.  1HI. 

Klette,  Th.  2i)8. 

Kletten berg,    Fräulein   von    111.  ! 
113.  115.  119. 

Klika,  Jo».  250. 

Klobusitz,  Andr.  179.  183. 

Klopstock  109.  115. 

Klose,  Edwin  G.  88. 

Kluckhohn,  Aug.  von  198. 

Cludi,  Petru»  233. 

Knoll,  Joh.  Eberh.  234. 

Knudsen,  D.  F.  14. 

Cobham,  Lord  100. 

Koch,  Wilh.  234. 

Codcmanus,  Laurentius  237. 

Königsberg  i.  Pr.  20A. 

Colboviu»,  Petrus  141. 

Colet  91.  298. 


Comba,  E.  310. 

Konstanz  153. 

Coornhert  200. 

Kopp,  Eberh.  234. 

Cord us,  Euriciu»  298. 

Kombeckh,  Joh.  Samson  235. 

Kornnauer,  Mart.  234. 

Kotier,  Christoph  90.  137.  142.  148. 
1S3.  184. 

Krakau  139.  220.  227.  228. 

Kral,  Hans  84. 

K rafft,  Joh.  Christoph  234. 

Cr  am,  Fritz  v.  237. 

Cratzsch,  G.  05. 

Kraus,  Elisabeth  133. 

Krause,  Joh.  Werner  284.  285.  280. 

Krause,  Karl  298. 

Krause,  K.  Chr.  Fr.  2.  92.  191.  ff. 
250.  305. 

Kreide  man  n,  Joh.  Conr.  238. 

Creidius,  Hartmann  237. 

Kretzmaier,  Balth.  234. 

Criegern,  H.  F.  v.  58.  00.  127. 
128.  131.  149.  190.  252. 

Kritodoulos,  Isaak  237. 

Cronegk,  J.  237. 

Crotus  299. 

Krüger,  G.  91. 

Krüger,  J.  P.  235. 

C ubach,  Buchhändler  03. 

Kübel,  F.  10. 

Kübel,  Bob.  252. 

Kuenen ,  A.  92. 

Cun actis,  Nicolaus  235. 

Curaeu»,  Nicolaus  233. 

Kvacsala,  J.  39  ff.  73  ff.  130  ff. 

178.  180.  190.  198.  200.  22(5  ff.  239. 

240.  242.  247.  250.  258.  273  ff.  305. 

Kvet,  F.  L.  308. 

D. 

Dachsberg,  Familie  v.  133. 
Da  vidi»,  Francisco  45. 
Dalberg,  Joh.  v.  200. 
Damhauer,  Joh.  Conr.  23(5. 
Dannenritter,  Joh.  .Jac.  235. 
Dantiscus,  Joh.  298. 
Dausig  15.  42.  43.  139.  140. 


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Deekinger,  .Toh.  \'AX. 
Domelor,  Anastasius  237. 
DcmmcliT,  Jnsephus  235. 
Donck,  Hans  50.  !>I.  3011. 
D/saguliers,  .loh-  Thooph.  1  !».">. 
Desoartos  !)7.  Htit.  200. 
Dotiiicr,  H.  2K7  ff. 
Die. >sc n,  Torna  211.3.  294. 
Diest erwog,  Adolf  221. 
Dieterieus,  (Ymradus  23<i. 
Dietrich,  Veit  23f>. 
Diotrichrttoin,  v.  133. 
DiviS,  Jos.  U2. 
Di  Igor,  Daniel  1«». 
Di  Igor,  .Toh.  23Ü. 
Dilger,  Nathan  230.  237. 
Dilhorr,  .loh.  Mich.  51.  2X7. 
Dilthey,  Wilh.  30S. 
Distel,  Th.  301. 
Dütes,  Fr.  247. 
Dooem,  J.  102. 
Döllinger,  J.  v.  31.  32.  IM.). 
Dörpfeld,  K.  W.  IM).  2!«). 
Dörtenbaeh,  .1.  23."». 
Döselins,  Conrad  233. 
Döselins,  Michael  233. 
Dolmetscher.  Marens  23N. 
Domerai  lins,  Tobias  233. 
Dorn  er  130. 

Dorsehons,  Joh.  Georjj  23t  1.  237. 
Drahioins.  Nicolaus  H,"».  <M>.  1.57. 

112.   17!).  ISO.  1S1.  1S3.  IM.  240. 

211.  277.  27s.  27« i.  JSO.  2M 
Drcyor,  O.  HO. 
Dresden  48.  4!». 
Diirken,  W.  217 
Diiräus  Joh.  57.  02.  74.  77.  230. 

E. 

Rhorken,  Joh  230. 
Eh«  Hin,  Joh.  2H0. 
Kek,  Dr.  2! IS. 

Eekhardus.  Molch.  Sylv.  23%. 
Kok  hart  25.  *>0. 

E  v  o  n  i  ii  s ,  S.  1 02.  I < 5! ».  17o.  _'S4.  2Sj . 
Kffem,  Moii.r.  2.13.  234.  23:..  23t i. 
Eh  in  gor.  Elias  237.  23K. 


Ehlers,  Hnd.  !)0. 
Eibcnschütz  IM». 
Eysengroin,  Joh.  Mars.  2:53. 
El  hing  IT,.  ;,{).  Uli.  711.  130  ff. 
Elormojor,  Joh.  23"». 

Elisabeth  Charlotte  von  der  Pfalz 

51. 

Elisabeth  Dorothea.  Prinzessin  von 
Sachsen -Weimar  170.  171. 

Elloma,  Poruponius  237. 

EUissen,  O.  A.  00. 

Elsaesser,  Million  233. 

El. stier,  .loh.  Thooph.  147. 

Endtor,  Joh.  Friedr.  51.  »H. 

Endtor,  Michael  51.  fil. 

Endter,  Wolfg.  10D.  172. 

Endter,  Gebr.  133. 

Eperies  44. 

Episeopins,  Simon  28. 

Erasmus,  Dcsidcrius  !)3.  !)7.  22!). 
2t» I.  2SS.  2!>7.  21i9.  300. 

Erdmaun,  Benno  D2. 

Erhard*,  Georg  23t». 

Erichson,  A.  301. 

Ernst  der  Fromme,  Herzog  von 
Sachsen-Gotha  KiÜ.  170.  171. 
172.  173.  2*4.  285. 

Ernst   Friedrich,   Markgraf  von 

Baden- Dnrlaeh  301. 
Esch  wein,  Erasmus  233. 
E  s  e  n  w  e  i  n .  ( }e<  >rg  234 .  2:  »S. 
Esonwoin,  Joh.  Georg  233. 
Euler  HO. 

Ewald,  Grcgorius  285.  280. 

F.  V. 

Faher,  Hcinr.  230. 
Faher.  Joh.  lleinr.  23S. 
Fal.er,  Joh.  Matth.  233. 
Faber,  Matthaeus  235. 
Fabri,  Friedr.  3.  4.  10.  47.  48. 
Fabrieius,  Joh.  Andr.  ii5.  13<). 
Fabricius.  .lae.  230. 
Faoschius,  Jo-ua  235. 
Falkenheiner,,  Dr.  10. 
Valerian,  Ka}»uzinor  242. 
Valerian  it-  Magnus  13S.  131). 
Valla.  L.  301. 


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417 


Varenbüler.  Malthacii*  244. 
Kalt  Irr,  Georg  244. 
Weimer,  David  lo2. 
Veehner,  Georg  102. 
Feehtncr,  K.  217. 
Kehr,  Pastor  prim.  255. 
Feith,  P.  R.  90. 
Felgonhnuer,  Paul  44.  44.  45. 
Fe  Ii  n  os,  Joh.  27S. 
Ferdinand,  König  s;t.  290. 
Ferdinand  II.,  Kaiser  142.  144. 
Ferdinand  III.,  Kaiser  07. 
Ferdinand,  Erzherzog  S4. 
Vorn nl ans  271. 
Votier,  Job.  241. 
Vetter,  U.  197. 

Vetter,  Mitglieder  der  Familie  40. 
•11. 

Veilerinus,  Paulus  95.  27S.  279. 

2SH.  2*2. 
Feuerbach,  A.  217. 
Fichte,  .loh.  Gotll.97.  141.  197.  200. 
Viertor  Ein un  iicl,  Komp  von  Italien 

310. 

Vi co,  J.  B.  21.1. 
Vir i Hot,  Jos.  Heinr.  2:;.',. 
Vives,  Job.  \a\w.  204.  204. 
Filelff,  Francois  400. 
Vi  Huri,  Pas<pude  14. 
Finck,  Thonias  247. 
Fischer,  K.  90. 
Vi  scher,  Jac.  240. 
Flein nii np,  Theodor  2.4-1.  24  s 
Flügel,  O.  A.  90.  295.  404. 
Vogt,  Gideon  104.  2N4.  299. 
Voigt,  E.  400. 
Volmur,  Joh.  Georg  245. 
Voltaire  114. 
Fort  ins,  Joachim  ls 4. 
Foster  Watson,  M.  A.  2 IS. 
Votsch  400. 
Franck.  Ford.  92. 
Franck,  Sei..  50.  97.  199.  409. 
Franeke.  A.  H.  02.  90.  97.  10S. 

145.  174. 
F  r u  ii  k «* n  t  hal  51.  52. 
Franeeker,  .Stadt  i.  Holland  227. 


Frankfurt  u.  M.  10*.  111.  114.  115. 
Freder  ichs,  Jul.  90. 
Frcdcricq,  Dr.  Paul  91 
Frey,  Willi.  310. 
Freriehs,  (',.  E.  91. 
Frick,  Georg  91. 
Frick,  Otto  10.  91.  400. 
Friederich,  König  von  Böhmen  49. 
Friedrich   Wilhelm   III.,  König 

Voll  Preus«ell  40. 
Fried  rieh   Willlelm    IV.,  König 

von  Prenssrn  210, 
Friedrich  der  Weise,  Herzog  von 

Sachsen  400. 
Friedrich,  J.  90. 
Frischlin  2*17.  270. 
Frisch  in  an  n,  .loh.  24s. 
Frison,  Petrus  241. 
Fritze,  Georg  22, 
Fritzsche,  O.  F.  400. 
Fröl.el,  Friedr.  2.  48.  19.  217.  222. 
400. 

FürstcnUerg,  Franz  v.  9<>, 
Fulaniis  240. 
Fulneck  15.  0*. 

e. 

Galius,  J.  10-J. 
(»iil  litzin,  Fürstin  210. 
Gallois,  297. 
(Jansen,  J.  401. 
Gast  pu ms,  F.  245. 
Gebhard«,  »War  v.  91. 
Geer,  fyoretiz  de  5S.  95.  90.  212. 
(teer,  I^dw.  de  5S.  7S. 
(Jeiger,  L.  297.  401. 
Geilfuss,  Job.  24S. 
(ieiiibacb,  Job   Adnm  241. 
Gellerl,  Chr.  F.  109.  HO. 
Gcorgi,  Daniel  Samuel  1S7. 
Gerber,  Pfarrer  411. 
Gervinus  211.  201. 
G erlach,  Samuel  244. 
Gerlach,  Stephan  245.  247.  24S. 
(Jcrticbius,  D.  220. 
Gc  senilis,  Justus  05. 
Oiech,  Graf  v.  141. 
Gi  essen  2*4.  2N-I. 


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—  318 


Gillert,  K.  301. 

Gindely,  Ant.  198.  _>:i9  ff.  244.  247. 

Gizycki,  George  v.  35. 

Glarean,  H.  L.  300. 

Glöckberg  235. 

Glöckler,  Job.  I»hU.  252. 

Glöckner,  G.  299. 

Gnaphcus,  Guil.  298. 

Gobelin us,  Joh.  Conr.  235. 

Gockelius,  Balth.  230.  238. 

Goebelius,  Joh.  Conr.  230. 

(iöschl,  Martin  289. 

Goethe,  J.  W.  v.  105  ff.  20S.  201». 
213.  252.  257.  285.  280. 

Gosky,  Martin  238. 
Graue,  G.  H.  91. 
Grebel,  Conrad  288. 
Gregor,  Francis  A.  88. 
Grieninger,  Erasmus  230. 
Grieninger,  Josua  230. 
Griesinger,  Onophriu*  81. 
Grillen  berger,  G.  217. 
Grotius,  Hugo  200.  271. 
Grünberg,  Paul  91. 
Grüneisen,  Carl  250.  251. 
Grundig,  F.  85. 
Guhrauor,  G.  K.  81.  251. 
Gussmann,  Willi.  187.  189.  190.  252. 
Gustav  Adolph,  König  von  8<-h  wc- 
den  39.  109.  211.  303. 


Haakius  74. 
Haag  47. 

Haarbau«,  Jul.  R.  300. 
Habncrus  71. 
Hab«h  urg,  Haus  240. 
Hühner,  H.  3U8. 

Hafen  reff  er,  Matthias  128.234.235. 

Hagelmeier,  Nicolai!*  235. 

Haylandt,  Samuel  237. 

Hainhofer,  Hieronymus  238. 

Hainlin,  Joh.  Jac.  234.  235. 

Halle  15.  109.  2! »3.  294. 

Hamann,  Joh.  Georg  97.  111.  114. 
201  ff. 

Hanisch,  Joh.  Gottfr.  284. 


Hannack,  E.  255. 

Hanne ,  J.  R.  30. 

Hannover  05. 

Hanus,  Paul  H.  88. 

Hark,  John  Max  88. 

Harisson ,  N.  70. 

Haruack,  Adf.  91. 

Harpprecht,  Christoph  235. 

Harris,  W.  T.  14. 

Harsdorf  er,  Georg  Phil.  23S. 

Hartenstein,  G.  91. 

Hartf eider,   Karl   91.   298.  209. 
300.  301. 

Hartlieb,  8.  42.  74.  77.  102. 
,  Hartniann,  Gust.  81.  82. 
I  Hartmann,  Jul.  251.  253. 

Hase,  Karl  v.  91. 

Haspchnachcr,  Joh.  230.  2:tS. 

Hatch,  E.  91. 

Hauffe,  Gust.  291. 

Hauptmann,  Aug.  01. 

Hausrath  91. 

Heath,  Rieh.  50.  91. 

Heborstoiu,  Familie  v.  133. 
!  Heermann,  Joh.  01.  133.  131. 
i  Hegel  208. 

Hegler,  Alfr.  50. 

Heidolberg  20.  237.  258.  297.  298. 

Heiland,  Polycarpus  238. 

Heinrich,  G.  14. 

He  inrichs,  R.  299. 

Hcin*i us,  Daniel  271. 

Hcinzelinann,  W.  105. 

Hell  wag,  Joh.  234.  235. 

Helms  lädt  135. 

Hehvig,  Christoph  103. 

Hemsterhuis  97.  210. 

Henke,  E.  Ldw.  Th.  57.  58.  00.  127. 

130.  251.  252. 
Henisius,  Joh.  23S. 

II  enner,  C.  91. 

Henoldns,  Jac.  230. 

Henrich,  Josua  235. 

Herbart,  Joh.  Fvdr.  91.  93.  200. 

290.  295. 
Herhorn  20.  103.  258. 

Herder.  J.  G.  92.  97.  114.  119.  144. 
205.  20«.  209.  249. 


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:U!i 


Hermann.  Max  21  »8. 

Hormsdorf,  Jae.  230. 

Herold,  H.  217. 

Hertzberg,  N.  247. 

Herzog,  J.  J.  57.  130.  131.  310. 

Hcscnthaler,  Magnus  07.  ISO.  100. 

235.  238. 
Hess,  Tobiaa  237. 
Hess«!»,  Eoban us  1)7. 
Hienier,  Joh.  Cnnr.  235. 
Hillerus,  Joh.  Phil.  235. 
Hilty,  C.  304. 

Hinget,  8.  J.  4.  Iii.  47.  48.  00  Ol. 
Hipler,  Fr.  21#S. 
Hladik,  Paulus  137. 
Hoehegger,  Hud.  01.  200  ff. 
Hoehhuth,    K.  W.  251. 
Hoderuiann,  Rieh.  304. 
Höe  v.  Hohenegg  121). 
Hoeven,  Amorie  van  der  27.  2S. 
Hopfner,  Dr.  14. 
Hoff,  Hieronymus  im  2158. 
Hohburg,  Christian  f 5-4. 
Hohenheim,  Theophrast  v.  12'.i. 
Kohlfeld,  Paul  02.  IUI  ff.  305. 
Holstein,  Hugo  2U8.  302. 
Holtzmann,  ().  Ul. 
Honold,  Joh.  235. 
Honoldus,  Jac.  238. 
Hopf  er,  Thomas  23S. 
Hopff,  Joh.  Christoph  234. 
Horatschek,  Paulus  282. 
Horseh,  John  :J04. 
Hossbaeh,  Wilh.  58.  127.  128.  250. 
Hostelsbcrg,  Familie  v.  133. 
Hotton  5U. 
Houven,  van  der  130. 
Huber,  Barthol.  237. 
Huber,  Christoph  108.  100. 
H  u  b  m  a  i  e  r ,  Balthasar  U2. 1 48.  287.  ff. 
310. 

Hueblin,  E.  208. 
Hübsch,  G.  02. 

Hüllemann,  Carl   140.   1811.  187. 

100.  252.  253. 
Hüniger,  H.  102. 
Hulsemann,  Joh.  238. 


Humbert  I.,  König  von  Italien  311. 

Hu me,  David  200. 

Hummel,  F.  84  .  02.  253. 

Hunziker,  O.  03.  247. 

Hus,  Joh.  ISO.  71.   120.  138.  152. 

153.   154.  155.  150.  102.  103.  105. 

100. 

Hut,  Hans  280. 

Hutten,  Ulr.  v.  207.  200.  300. 

Hutter,  Jae.  84. 

J.  I. 

Jablonsky,  D.  E.  135. 

Jackson,  S.  M.  08. 

Jaeobi,  Fr.  H.  07. 

Jacoby,  Fr.  208.  210. 

Jan us  00. 

Jastrow,  J.  02. 

Jcbb,  R,  C.  300. 

Jeffon,  Tobias  282. 

Jena  283.  284. 

Jirccek,  H.  v.  14. 

Im  ho  ff  (s.  Hoff.) 

Innichen,  Stjidt  i.  Tirol  82. 

Innsbruck  82.  83.  84. 

Joachimsthal  208. 

Jörger,  Familie  v.  133. 

Johann  Ernst,  Prinz  von  Sachsen  - 

Weimar  170.  171. 
Jordan,  Sylv.  82. 
Joseph  II.,  Kaiser  03. 
Israel,  A.  101.  102.  103. 
Jungin*,  Joachim  lo:{.  .{(KS. 
Junius,  Sam.  05.  278. 
Just,  Karl  04.  200. 
Just  in us,  Laurentius  141. 

I~ 

Labadie,  Jean  de  02.  08.  00. 
Labanca,  B.  00. 
Längin,  Th.  02. 
Lactu«,  Pomponius  301. 
Lavater  07.  110. 
Lagard e,  Paul  de  02. 
Lay,  W.  A.  204.  205. 
Laynarius,  Anthonius  238. 
Laminit,  Mich.  230. 
Lämmer»,  Aug.  10. 
Landenborger,  Alb.  252. 


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-  :{20 


Landwehr,  Hugo  2öl.  rt()*>. 

Lang,  Abraham  2S.r>. 

Lang,  Osshtti  IL  üH. 

Lange,  Karl  2ÜL  2lr2. 

Lange,  Frdr.  Alb.  ÜLL  2JÜ1  ff. 

Langiiis,  Joh.  23<>. 

Langius,  Joh.  Wendelin  '^-t-V 

Lansins,  Thoina*  12S.  2:ts. 

Latermannus,  Joh.  2;{<i. 

Latt,  W.  fiü. 

Land,  \\\,  Krzbischof  7k, 

Laurcinberg,  Petrus  HL  70. 

La ii  rie,  S.  S. 

Laurinus,  Paulus  2K2. 

Lautensack  1  2f  >. 

Lea,  Henry  Charles  Ü2.  HO"). 

Lednic  (?)  2JjÜ  2ÜL 

Lufranc,  Abel  ML 

Legrand,  E.  3ÜLL 

Leibniz,  G.  W.  LL  23.  2i.  3Ü.  HL 

Ö2.ÜaiiiliL122.L2£Lmii]iL 

20<1  2ßiL  2112.  IM. 
Leibniz,  Justus  Jac.  2M\. 
Leiden  IL 
Lein  in  gen,  v.  1  M't. 
Leipzig  ÜL  2:J.ti. 
Loy  «er,  Polyearp  2H7 
Lentz,  E.  H7_ 

Leonhard  i,  Henn.  v.  L  i  H>.r).  H»t>. 

Leschenbrandt,  Conrad  2; {8. 

Lessing,  G.  E.  ÜL  Hü  110  20S. 

Lesczinsky,  siehe  Lissa,  (irafen  v. 

Lett au,  Fr.  2H1  ff. 

Lentbecher,  .1.  Mi. 

Licchtenberg,  Familie  v.  I A.i. 

Lincoln,  Bischof  v.  IL 

Linde,  Georg  2.U. 

Liuduer,  G.  A.  20.  205  2lHi,  207.  20! i. 

Lion,  Th.  1HL 

Lipsius,  Justus  L'7 1 . 

Lissa,  (irafen  v.  LL  1 -Ii 

Lissa  1.5.  22.  4H.  14.  Ts  |;t|, 

Liä.  m  ff.  lhli.  22ii  ff.  21L  212. 

24  r>.  212.  £>ü  iüö. 
Locke,  John  2m. 
Loesehe,  G.  Q2»  2'is 
Low  »mi  27 1  272. 


London  LL  7_l  ff. 
Lorenz,  Leoni).  234 .  2M:Y 

Loser  Hi,  Job.  h2.  112.  LÜL  Iii  ff. 

1ÜS.  2SI  ff. 
Lubicn iet.sk i,  Herr  v. 

Lubinus,  Eilhanl  H>7. 
Luckfiel,  Ernst  Ü2. 
1  Lübeck  1 
Lücke,  Frdr.  113. 
Lfineburg  äl  ff.  121  ff.  IA~>. 
Löf keniann  Üü. 
Luther,  Matthäus  23(i. 

Luitpold,  Prinzregent  von  Bayern 

21H. 

Luther,  Martin  .'>().  ,r>:t.  ti(>.  <?7. 
lilL7JiILii2.iriitLliLiili.  128. 
L2ii  L«i  133.  Liä.  iiiii.  Hill  1L1 
m  22A  2J1L  2üä.  2JÜL  2ÜÜ. 

Lutz,  Christoph  2:if>. 

W. 

Mack,  Christoph  231L  2ikL 
Macer,  Sb.  UiL  LSü. 
Machtolphus,  Erhard 
Mainpcl,  Karl  2J\ 
Mandl,  Hans  S_L 
Maestlinus,  Mich.  23L 
Magdeburg  2S:t.  2K4. 
May,  Ludewicus  de  2:iS 
M nie t er us,  Georg  Conr.  2,T> 
Mair,  Joh.  2iJü.  23S. 
M  an  ei  u  i ,  Girol  .'KU . 
Man 7.  2SS. 

Marci,  Joh.  Coniel.  ":M 
Marcion istae  LL 

Marenholtz,   Bertha   v.,   gel»,  v. 

Bülow  J±L  Iii. 
Maronier,  .1.  iL  isiL 
Marpaehius,  Job.  2:  Hl. 
Marquart,  Bruno  Li. 
Masius.  Herrn.  !>L  Uli.  21iü. 
Mail  he  .-ins,  Joh  Ü2,  2.i7. 
Maxwell,  \V.  iL  ܣL 
Mecheln  2LL  212. 
Mederns,  Georg  2:<7 
Mediianskf 

Merenberg,  Konrad  HiS. 
Mehlführer,  Christoph  23H  2:M, 
Meyer,  Joachim  171. 


321 


Meyor-Markau,  Wilh.  S5.  91. 
Meycrbcrg,  C.  .1.  14. 
Meyfart,  Joh.  Matthaeus  05.  129. 
Meinhard,  M.  237. 
Meister,  Ford.  305. 
Melanehthoii,  Phil.  5.H.  59.  92.  97. 

130.  230.  237.  270.  2U8.  300. 
Melden  in  s,  Rujiortiiri  2H.  21».  30. 
Mon  de  Ii  us,  Petrus  238. 
Mennoniten  130. 
M eilt z er  230. 
Mo  ran  82. 
Moseritz  41. 

Mcsscrsehmidt,  Chorherr  82. 

Micheln» ii,  Carl  305. 

Michobius,  Hector  238. 

Milbauer  210.  250. 

Mi  ran  du  In,  Picus  29S.  301. 

Missicz,  Jae.  234. 

Moehinger,  Joh.  102. 

M  o g  I  i  n  g  u  s ,  Hoinr.  235. 

Möglingus,  Joh.  Lud.  235. 

Mohl,  Robert  250. 

Mollat,  Georg  81.  82.  93.  197.  305. 

Möller,  Martin  03. 

Monnstier  311. 

Monroe,  Will.  S.  85.  88.  300. 

Montaigne,  M.  K.  247.  299. 

Montgomery,  Graf  90. 

Moseherosch,  J.  M.  238. 

Morus,  Thomas  187. 

Moser,  Fricdr.  Kurl.  v.  III.  208. 

Mucke,  Prof.  197. 

Müh  Ihausen  i.  Thür.  15. 

Müller,  David  01. 

Müller,  G.  254. 

Müller,  Jos.  254.  308. 

Müller,  Walter  308. 

Münzer,  Thomas  28S. 

Mürdel,  Georg  235. 

Muratori,  L.  A.  199. 

Muretus  95.  301. 

Murmel  Ii  us,  Joh.  300. 

Musen  Ins,  Andreas  230. 

Musculus,  W.  237. 

Musion,  A.  311. 

Mutianus,  C.  301. 


Naarden  20. 

Nnogeorgius,  Thoma-*  237.  29s. 
Nasehold,  Georg  235. 
,  Nenn  der,  A.  213.  270. 
Neve,  F.  299. 
Neff,  .1.  302. 
Net  ho,  Abraham  234. 
Neubauer,  Job.  92. 
Neuenahr,  Graf  Herrn,  v.  97. 
Neufeld,  Huldrieus  139. 
Neuland,  Oberst  n.  D.  10. 
Neuw,  lt.  238. 

Nieoladoni,  Alexander  199.  30!». 

Nicolai,  Melchior  230.  238. 

Nicolsburg  289. 

Niebuhr,  13.  G.  209. 

Niemeyer,  A.  H.  293.  294. 

Nigri nus,  C.  97. 

Novak,  J.  V.  243  ff.  250. 

Norköping  78.  79. 

Nowotny,  J.  148. 

Nürnberg  15.  51.  127  ff.  140.  172. 

O. 

Ochino  309. 

Oehler,  V.  F.  252.  299. 

Oehlerus,  Georg  23S. 

Omeis,  Hoinr.  230.  2:*. 

Oneken,  Wilh.  198. 

( ) p a  1  i n s k y  de  B  n  i  n ,  C'hrist oj)h  1 39. 

Opitz,  Martin  Ol. 

Or  in  in  ins,  M.  43. 

Osi  ander,  Daniel  235. 

Osi ander,  J.  R.  235. 

Osiander,  Lucas  235.  337. 

Ostorodius  53. 

Ostrorog  39. 

Oxenstierna  78. 


Pabst ,  Carl  Theodor  250. 
Palacky  244. 
Palm  er.  Ch.  252. 
Pappen  he  im,  Fugen  300. 
Paracelsus  siehe  Hohenheim. 
Pardo  de  Bnrzan,  Emilia  299. 


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Patera,  A.  59.  im.  l!«!t. 

Paul,  J.  20K. 

Paulscn,  Friedr.  93. 

Pciper,  W.  8*i. 

Pclleua  74. 

Pembrock,  Graf  9«}. 

Pestalozzi  93.  217.  291.  21»4.  308. 
310. 

Petersen,  W.  63.  135. 

Petri,  Olav  255. 

Petrus,  Joh.  230. 

Pcutinger  97. 

Pf  äff,  Joh.  Will».  23.'). 

P  f  i  n  t  z  i  n  g ,  Christophor.  Godcfr.  238. 

Pf  ist  er,  Tobias  234.  238. 

Pfitz,  Albert  235. 

Pfleidercr,  Otto  93.  144. 

Philelphus,  Franeiscua  298. 

Photinus  45. 

Pilsina,  Nicolai!«  282. 

Pypin,  Schriftsteller  21«. 

Pirkheimer,  W.  97. 

Platter,  Felix  301. 

Platter,  Th.  301. 

Poem  er,  Hector  23«}. 

Politianus,  Angelus  2ftH. 

Poniatovia,  Christi  na  10.  137.  112. 
148.  183.  184. 

Posen  (Stadt)  11.  15. 

Prätori us  (Schulze),  Elias  04. 

Prätori  Iis,  Stephan  (kS. 

Prag  1.  15.  <>5.  !<}(}. 

Prank,  Familie  v.  133. 

Prauufalk,  Familie  v.  133. 

Pregitzer,  Joh.  Ulric  235. 

Prerau  15. 

Prcusehen,  E.  91. 

Pröhle,  Iii. 

Prümers,  R.  11.  52. 

Pucov  (Mähren)  280.  281.  2N2. 

Puecher,  Joh.  234. 

Puritaner  130. 

a- 

Quick,  R.  H.  1(J. 


122  - 

R. 

Raab,  Georg  235. 
i  Rabelais  299. 
i  Raeki,  A.  54. 

Räk6czi,  Georg  90.  277.  279. 

Räköczi,  Sigismund  111.  112.  I7S. 
179.  180. 

Rakow ,  Stadt  i.  Polen  45. 

Rad  lach,  O.  57.  ff.  127.  ff.  310. 

Rägknitz,  Gallus  v.  134.  172. 

Rägknitz,  Freiherrn  v.  133. 

Rafanidcs,  (ieorg  95. 

Ravius,  J.  102. 

Raith,  Balth.  234.  235. 

Rappold,  Prof.  203. 

Ratichius,  Wolfgang  7!).  93.  101. 
102.  103.  270.  283  ff. 

Rauchenberg,  v.  133. 
Raumajer,  Phil.  235. 
Raum  er,  Karl  v.  1158.  2<>4.  209. 
Rausch,  Älfr.  300. 
Rauwenhoff  30. 
Rebstock,  Jerem.  231.  235.  238. 
Reczik,  Herrn  v.  130. 
Redinger,  Jacob  51.  52.  147. 
Reyher,  Andreas  284  .  285. 
Rein,  W.  93.  94. 
!  Reindell,  Wilh.  299. 
Reinecke  10. 
Rein  ins,  (,'assiodorus  303. 
Reisch,  Gregor  301. 
Reisch  siehe  auch  Reusch. 
Rein  bort,  Karl  309. 
Renan,  Ernst  144. 
Reuchlin  97.  262.  265.  26«.  270.  301. 
Renseh,  Jean  Jacques  23S. 
Reusehern,  Marti nus  23S. 
Reu seher us,  J.  M.  238. 
Reussner,  Nicolaus  301. 
Rhcbinder,  Peter  01. 
Rhegius,  Urban  82. 
Rhein wald,  F.  H.  128.  25«». 
Rhenanus,  B.  301. 
Richter,  Alb.  90.  167  ff. 
Richter,  Arthur  3(>0. 
Richter,  Präsident  15. 
Riehl,  A.  295. 


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323 


Riseh,  Paul  22. 

Risenhurg  43. 

Rispmann,  R.  85. 

Ritsehl  i>0. 

Rohort,  Bl. 

Röther,  Vnl.  234. 

Roublin  288. 

Rovers,  M.  A.  N.  27  ff. 

Rogge,  Dr.  17. 

Rohmoder,  Wilh.  87. 

Rollenhagen,  Georg  237.  270. 

Rosonkreuzer  251. 

Rotal  05. 

Roth,  Jac.  235. 

Roth,  R.  235. 

Roth weiler,  Jac.  235. 

Rousseau,  .1.  J.  113.  111.  122.  204. 

Ruarus,  Martin  tut  130. 

S. 

Sadolct  301. 

Savonarola  07. 

Sailer,  Joh.  Mich.  00.  202. 

Sallwürk,  E.  v.  1*3. 

Salt  er,  William  35.  30. 

Sander,  F.  51.  52.  87.  !I3. 

Sa  ml  ha  gen,  Caspar  II.  «12. 

Karos- PaUk  143.  178.  1S1. 

Säubert,  Joh.  05.  1)7.  128.  120.  130. 

132.  134.  172.  174.  17(j.  23ti. 
Saxe,  Joh.  Conr.  238. 
Skard,  Matias  247. 
Schabhart,  Wilh.  235. 
Scharfer,  M.  237. 
Seh  äff  er,  Joh.  Adam  23(1. 
Schafe)  itzki  um,  Eberhard  23*. 
Schaff,  Phil.  08.  200. 
Schallcsius,  Samuel  238. 
Sehaudelius,  Tobias  234.  235.  238. 
Scheffer,  Melchior  44.  40. 
Schölling  100.  107. 
Schere/.,  Sigismund  05. 
Schiller,  Frdr.  v.  105. 
Schlatler,  Joh.  235. 

Schleiermacher.  Daniel  25.  200. 
201. 

Schleiermaeher,  Fr.  03.  04.  105. 


j  Schleswig  03. 

Schiet  terberch,  Jos.  23."». 
j  Schlichting,  Joh.  44.  220. 
I  Schlichting,  Jonas  44.  45.  40. 

Sehloupncr,  I).  120. 

Schm id,  K.  A.  253.  308. 

Schmidt,  Erich  252.  208. 

Schmidt,  G.  01.  253. 

Schmidt,  H.  2118. 

Schmidt,  Joh.  230.  2;«. 

Schmieden,  Joh.  Ernst  234. 

Schneider,  Karl  14. 

Schneider,  Zacharias  147. 

Schopenhauer,  Arthur  220. 

Schorchius,  Joh.  Heinr.  234. 

Sehragmüller,  Conr.  230. 

Schragmüller,  Joh.  Conr.  23S. 

Schröder,  Joh.  120. 

Schflbeli us,  Joh.  234.  237.  238. 

Schuele,  J.  J.  230. 

Schlitz,  Joh.  Conr.  235. 

Schütz,  Otto  Friedr.  234. 

Schulz,  Rernh.  301. 

Schumann,  G.  20. 

Schuppius,  Joh.  Balth.  01. 

Schwab,  Gast.  251. 

Schwalb,  Moritz  30. 

Schwarz,  Carl  02. 
:  Schwarz,  Gottfr.  300. 
1  Sch wegler,  Georg  235. 
|  Schw.enckfoldianer  130. 

Skyte,  Joh.  78. 

Sebesta,  F.  258. 

Seeurius,  Joseph  278. 
!  Sofried,  Jean  Adam  234. 

Seidensticker,  Osw.  300. 

Soignobos,  Ch.  254. 

Selbingerus,  J.  F.  23S. 
'  Sepp,  Chr.  4.  47. 

Servet,  M.  04. 
!  Sybelist,  Wendelin  23H. 
1  Sigismund,  Kaiser  153.  H id. 

Sigwart,  Christoph  253. 
'  Silomat! n,  Thomas  234. 

Simons,  Menno  01. 

S  mal  eins  l:> 

Smichow  244. 


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Soeinianer  ÜL  2i:i. 

Socinus,  Faust  us  ü. 

Socinut*,  Lälius  ÜL  Ü2, 

Sohn  er,  Friedr.  2ÜIL 

Sommervogel,  C.  & 

Sonntag,  Carl  2JiL 

Sonthom,  Immanuel  Ü2. 

Sophie  Elisabeth,  Herzogin  von 
Braunschweig  '2AH. 

Spnlth,  Joh.  -?■-{">■ 

Spcidel,  Joh.  Mart.  2>iL  23i 

Spencer,  Herbert  2Ü2.  2iü  ML 

S pener,  Phil.  Jac.  2iL  Ü2,  ÜLu  LLL 
HL  KÜL  1 1 1. 

Spiess,  Beruh.  M. 

Spinoza  lüL  LKL  L22. 

Sprenger,  Elias  234.  2A~). 

Stähelin ,  Rud.  8*>. 

Stalpiu»,  Joh.  Conr.  23(i. 

Statut* ,  Martin  (W, 

Staupitz,  Joh.  v.  !>7. 

Stcfanovic- Vilovsk  v,  Th.  v.  ikL 
iL 

Stein meycr,  F.  L.  2~»1 
Stcllanu«  '2'A~i. 

Stern,  Gebr.  üL  Ü2.  liü  ÜL  lüL  tili 

<i7.  liH.  70.  7  > 

Stern,  Cornelius  Johann  üü 

Sterz ing  S2, 

Stettin  ü 

Styrzcl,  J.  G.  2^ 

Stockholm  IS. 

Stockmann,  IL  ü, 

Stützner,  Paul  «iL  2i&  ff. 

Stolciu.-,  Daniel  42.  4,3.  44. 

Stolliut*,  Joachim  2:{M. 

Stosch,  Barthol.  iML 

Strälin,  Joh.  Jac.  2:'.l.  2->T>. 

Strasburg  füL  JiL  1L1  LLL  L2£L 
i:ti.  2:t<;  2i;s.  jiüi. 

Sraus«,  V.  ülii 

St  raus«,  Jac.  S2., 

St  rölin  siehe  Strälin. 

Stuben berg,  Familie  v.  I.M 

Sturm,  Joh.  21LL  2lü  2üS.  2ÜLL  2Iü 

Stuttgart  LiL 

Sucho<lolski,  Adnm  l'Aii. 

Sudhoff,  K.  21ÜL  ML 


Suphnn,  Dr.  2'»7. 
Sutor,  Levin  2.U.  -'■{.">.  2.tS. 
Szalatnay,  J.  G.  A.  _'»S. 
Szamatolski,  Sicgfr.  2SÜL  'ML 

T. 

Taboriten  läL  läL  Kik  liü  lüiL 

Tain m 8,  Aug.  247 

Tarnow,  Joh.  IAA. 

Taseius,  Johan  Adolphus  42, 

Tau ler  2JL  üü.  t-~t-"> 

Tcyler,  P.  van  der  Hülst  1ÜL  K*L 

Tcylersche  Gesellschaft  all  ÜiL 

Teppati,  B.  L.  iL 

Teuf fen bach,  Familie  v.  IAA. 

Teulschländor,  W.  KL 

Thcobaldus,  E.  '2AH. 

Thiersch,  iL  2S. 

Tholuck,  A.  LiL  L2S.  L2Ü,  LÜ 

iaa.  i:u.  2r,2. 

Thomasius,  Chr.  2ü,  HL 
Thorn  Ii.  242, 
Thudichum,  F.  v.  Ü2,  UL 
Tirol  S2  ff. 
Tokai  ÜL 
Tollin,  IL  'ML 
Tolstoi,  Leo  ■><>.'>. 
Trexelius,  Vitus  23L 
Trotzendorf  0tt">.  2Ul 
Trump]»,  P.  3ÜL 
Tube,  Dr.  KL 
Tuber,  Joh.  Ol  In  2^S, 
Tucher,  Sixtus  21Ü 
Tübingen  12h.  23L 
T ward oviuf*,  Samuel  22<>. 

II. 

l'nger,  Theod.  S2.  ÜiL  i^L 
Crsi uns,  .loh.  Henr.  2ÜS. 

W. 

Wagner,  .loh.  Beruh.  2:!.*i. 
Wagner,  Joh.  Jac.  2.!S. 
Wagner.  Tobias  2.M. 
Wnidenser  'JiL  AUL  dlL 
Waiderod. .1.  21LL 
Waldschmidt,  Beruh.  2uL  2aÜ 


325 


Walds  tri»,  Wok  v.  IM. 
Wiissncr,  J.  St».  87. 
Watten  brich,  W.  198. 
Weber,  Joh.  Georg  234. 
Wehm,  Jae.  234.  235. 
Weigel.  Valentin  12!l.  130. 
Wei  gel  inner  12!».  251. 
Weigcnmeier,  .Toh.  Georg  235. 
Weimar,  2S.r,.  280. 
Weinkanff,  Fr.  10. 
Weiniger,  Conr.  237. 
Weinli»,  .T.  238. 
Wir  in  mann,  Erhard  237. 
Weise,  Christian  272. 
Weiss,  Joh.  235. 
Weitbrceht,  Rieh.  252. 
Weltz,  Herrn  v.  133. 
Welt/.,  Justinianus  v.  134.  1  .*»."». 
Wencclius,  Mich.  237. 
Wendt,  Emst  Emil  10. 
Wenzel,  Kaiser  l.")3.  103. 
Werner,  .loh.  23'».  21»!). 
Wibel,  Georg  237. 
Wibel,  Georg  Beruh.  23:.. 
Wibel,  Theophil.  23:.. 
Wielif,  Joh.  151  tf. 
W idemann,  Marcus  234. 
Wider,  Joh.  Lud.  234. 
Wid mann,  Samuel  235. 
Wilhelm  IL,  Kaiser  218. 
Will  man  n,  O.  22. 
Wimpheling,  Jae.  29S.  301.  302. 
Windisehgrätz,  Herrn  v.  133. 
Win  er,  Dr.  211. 
Wyss,  Felix  310. 
Wiszowaty,  Herrn  v.  130. 
Witsius,  Herrn.  28. 


:  Witten,  General  v.  204. 
Wittenberg  234.  258. 
Witt  m  er,  Ct.  48.  1!». 
Wittstock,  Alb.  !»3. 
Wolf,  Adam  103.  209. 
Wolf,  Hieronymus  237. 
Wolfenb fittel  57. 
Wolzogen,  Freiherr  v.  44.  40. 
Wulff  er,  Daniel  237. 
Wünsche,  Aug.  5)2.  190.  I!l7.  305. 
Wundt,  Wilh.  202.  2!»5. 
Wurm,  Paul  253. 

Z. 

Zapp ler,  Georg  234. 
Znsius,  Ldalrieus  ;W2. 
Zauehtel  l>ei  Fulnek  03. 
.  Zeaemaan,  Gallus  235. 
Zeil  lern»,  Mart.  238. 
Zeller,  Christoph  234.  235.  23S. 
Zeller,  Joh.  230. 
Zerotin,  Herrn  v.  95. 
Zetzner,  I^azarus  1S7. 
Ziegler,  Thcob.  !I4. 
Zi erlin us,  Georg  238. 
Ziller  Tu iskon  94.  290. 
Zimmermann,  Matthias  97. 

Zinzendorf,  N.  L.  v.  !>7.  !»s.  99. 

108.  113.  115. 
Zinzendorf,  Graf  Heinr.  v.  133. 
Znaim  05. 

Zoubek,  Fr.  J.  243  ff. 
Zürich  288.  289. 
Zürlin,  Georg  237. 
Zwisler,  Joh.  230. 
Zwicker,  J.  Ad.  D.  277. 
Zwingli,  Ulrich  93.  97.  2SS.  2S9. 
298.  29!». 


l!ui-lidiu<kirii  vwu  J<.ti::nii'«t  ßntlt,  MDiisU  i  i.  W. 


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Monatshefte 


clor 


Herausgegeben  von  Ludwig  Keller. 


Dritter  Band. 

(1894.) 


Leipzig, 

R.  VoigtländcrN  Verlag. 
(In  Commiasion.J 
1894. 


Inhalt  des  dritten  Bandes. 


A.  Abhandlungen.  Heiu- 

Keller,  Ludwig,  Ziel«  und  Wege.    Rückschau  und  Umschau  am 

Beginn  des  neuen  GesellsehafUtjahres   1 

Reinhardt,  Kurl,  Die  Schulordnung  in  Coinenius'  Fntcrriehtslehre 

und  die  Frankfurier  Ivehrpläne  1(J 

Beeker,  Bernhard,  Schleiermacher  und  die  Brüdergemeinc .    .    .    .  4."» 

Nebe,  A.,  Conicniu*'  Studienzeit  in  Herl>orn.  Neue  Beiträge  zur  Ge- 
schichte Beiner  (icistcscnt  Wicklung  78 

Lange,  Friedrich  Albert,  Über  den  Zusammenhang  der  Erzieh  ung»- 
systcme  mit  den  herrschenden  Weltanschauungen  verschiedener 
Zeitalter.    (Ans  dem  Nachlas)  107 

Natorp,  Paul,  ( Ymdorcet 's  Ideen  zur  Nationalerziehung.   Hin  Schnl- 

gesetzentwurf  vor  KM)  .lahren  12S 

Hummel,  Friedrieh,  Thomas  C'arlyle  und  der  Umschwung  der  (ie- 

sellsehnftaanffassungen  des  englischen  Volkes  im  19.  .Jahrh.  .    .  147 

Keller,  Ludwig,  Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer  .    .    .  172 

Ellissen,  O.  A.,  Friedrich  All»«rt  Lange  als  Philosoph  und  Pädagog  210 

Kawerau,  Waldemar,  Die  Anfänge  der  Universität  Halle  ....  2:10 

Steig,  Kein  hold,  Zu  Herders  Schriften   2.r>3 

Bah I mann,  F.,  Bemerkungen  der  Fürstin  von  Gallitziu  und  Bernhard 
Overbergs  zu  einer  Abhandlung  des  Abbec  Marie  über  Kinder- 
erziehung   259 

Nieoladoni,  Alexander,  Hans  Sachs  und  die  Reformation     .    .    .  279 

Mämpcl,  Karl,  Abälard  und  Lessing.    Eine  religionsgeschichtlichc 

Parallele  291 

Sander,  Friedrich,  Coinenius,  Diiracus,  Figulus.  Nach  Stamm- 
büchern der  Familie  Figulus-.Iablonski  

B.  Besprechungen. 

S'cLmi«!,  (««hiclit-  <Ur  Erri.huiiK.   IhUt.  r  Band  illoch.  i:s.  r)   31 

N  i  co  I  iiil  oii  i ,  AI.,  Johanne»  Uundfrliri  von  l.inz  ^I».i»-rth)   !*; 

I.jiihJ  wi  h  r ,  It.,  Die  Kircht-npolitik  Friedrich  Willi. ■Im*,  tli-s  Gronx-n  KiirfGt>Un  ill.i.),-- 

nuiuni.       Schnitzt-,  Fritz,  Dcutmlu-  Kr/i.-hnnt!  (lincliiKKi'r)  .'.S 

Natorp,  Ittlision  inncrhsill«  drr  Oiviizt  n  <i<  r  lliininniuit  i  Kllis-.  n).  Coincuii  I,.Mia.- 
i'Xfiiliuiii.  llr*K.  v.  Noi-manii  iW.  Biitüchcr).  -  Zwei  Ahhartdluiij^'ii  .!<•*  <'u- 
lucniiiK,  M»th.  von  ('.  Tli.  Linn  (K.  .Muirij«! ).  I* p h u c i ,  Itichmng.-ri  der 
pi.ych.il.  ForM-luintf  d>-r  Gegenwart  iH.i«.lK-gger).  —  Slöi/nor,  Zu  J.  B.  Schupps 
Schriften  lAron)  ■_»(,- 

K  raune,  K.  F.,  Abhandlungen  und  Kin/elxAtze  DImt  Krzichung  timl  Unterricht 
(Wernickc).  -  Vogel,  A.,  Ihtr*l.llimg  .1.  r  l*:idag<.»cik  IVMalnxcl«.  1»cr*., 
Herbart  oder  IVstaloz/i  ill.H-h.wri.  -  Gill«.  A. ,  Aufsaht-  unil  Methode  der 
Pädagogik  al«  WinsenM-hafl  < Hocli.ggeri.  t'hriMoph,  K..  \V,  Kalkes  pUtla- 
goKiitclun  Verdienst  lAroni   XT 


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IV 


Inhalt. 


('.    Littcraturheriflitc.  Seite 

Neuere  Wiclif-Litteratur.  —  A  H.  Newman,  Mcdiaeval  S-ets.  -  W.  Dilthcy,  Auf- 
fassung  und  Analyse  de.»  Menschen  im  15,  unil  16.  Juhrti.  ■--  Fr.  Hubert,  P. 
T.  Vcrgerio.  —  H.  Hein.  <  k,  Melaiichthnn»  Ethik.  Ehwald,  Eottanus 
FIihku».  K.  t.ehmlich,  Ur.-inwhiilcn  .les  16.  Jahrb.  H.  Hol  mH  n  .  Zur 
tielehrtengesehichu-  Heidelberg*.  -  Zum  4<*)jahr.  tieluirtstag  Hohenheim*. 
Jul.  Lttwenbcrg,  Sebastian  Knuick.  Beruh.  Becker,  Christliche  Volk*- 
unterweisung   37 

Wölkau,  Kirchenlied  der  böhmischen  Bruder.      Müller,  Heuuclie  und  Uchechlftche 

<  ictianghOchpr  der  IsMimivhcn  Bruder.       C   Burkhard!,  Die  Bruderge  ine. 

■-  H.  (".  I.en,  A  fonnularv  «dt  lie  pupal  |*nn.iitiarv.  Max  von  Wolff, 
l»r<nzo  Yiilta.  Georg  Ludewig,  I»i<-  l'cililik  Nurnlierg*  im  Zeilalter  der 
Reformation.  Edwin  Ton»«  Ii.  Sebastian  Fr.itick  und  seine  Lehrer.  Jo*. 
Kotier,  < 'oiiHiiins'  Sittenvoroehriften  ftir  die  Schule  in  Saros-Patak.  IIDIle- 
mann,  Val.  Andn-ae  als  PAdagog.  Thcil  II.  Fr.  von  Wcech,  Erziehung 
der  Kinder  des  Kurfürsten  Karl  Ludwig  von  di  r  Pfalz.  W.  Dilthey,  das 
natürliche  System  der  (Jeisicswisscnschafien  im  17.  Jahrb.  1»«» 

„Ketzer"  und  „Sekten".  Fredcrleo,,  Uesoliiedcnl*  der  ln.|iiisitic  etc.  —  Wie*e, 
•  Alex.  Hcgiu.*.  Börner,  Miinnellltis.  —  Becher,  Erasmus  (Iber  Erziehung 
-  Hartfelder,  Otto  Brimfels.  •  («otheln,  Tli. ,  Campanclla.  Zum  Er- 
ziehung5»e*eii  der  Brüd.rgenieine.  C.  W e  rc k  *  ha g-  >' .  Religiöse  Volks- 
bibliothek.  —  •».  Frnneke,  Herder  und  dai<  Wciiuuri«che  <•  vmnuMtim. 
SkaltKiini,  I>ic  Entstehung  dm  Menschen.      Hiiber,  Dogmenlose  Sittenlehre  15C 

Ad.  Hcn»chcl,  Pctr.  ruul.  Verdrill«.  -  K.  A.  Kopp,  1'.  P.  Vcrgerio.  Max 
Lehnen,  (;.  di  Couvcrxino  von  Rav-tina.  Karl  Wolke,  die  pädagogischen 
Grundsätze  de»  Johanne!»  Murmelliu».  Anton  Zingr-rlc,  Der  Humanismus 
in  Tirol.  -  K.  Hartfelder,  I»er  humanistische  Freundeskreis  de»  IVsjderins 
Erasmus  in  Konstanz.  Max  Radlkofer.  I>ie  humanistischen  Bestrebungen 
der  Augsbnrycr  Arzte  im  Ib.  Jahrb.     Alf  r.  Schröder,  iHr  Humanist  Veit  Bild.  »fj 

D.  Xarhriehten. 

Bcspn-chung  der  M.  H.  (Irr  <'.<!,  in  der  Theologischen  Lltlersturzeitnng.  Sonstige 
theologische  Erteile  über  die  Publikationen  der  <'.<!.  Einig»-  Erteile  W.  1H1- 
tbej  n  tll«  r  Cmcniiis,  Frölu-I  und  Pestalozzi.  Hin»,  i«  auf  die  Bedeutung  von 
f'omonlus  Schrift  Via  lud«  au-«  BVI1  (zuerst  gedruckt  Amsterdam.  W*»    .    .    .  \**\ 

Hinweis  auf  Christian  Thoumsius  uurl  die  Jahrhundertfeier  der  l'niversitttt  Halle. 

Wilhelm  Schräder  über  Thotnsisius  und  A.  H.  Fraiiekc.       Friedrich  de-.  Grossen 
Crb-il  Uber  Leibniz  und  Thomas  in».        H.  von  Tu  itsehke  u.  Wilhelm  Koscher 
über  Lcibniz,  Thoumsius ,  Spem-r  und  Pufeiidorf.       Bartholomaus  Stosch. 
Ibis  Gymnasium  Schonaicbluiium  zu  Beuchen  und  seine  Beziehung  zu  der  Brüder- 
sclnde  in  Lissa  .M". 

Friedrich  Bcrbtg  lil»  r  die  Latein-Schule  zu  Cn*sii.  Ein  Erteil  Moritz  Rittern  ul»  r 
die  bohmischen  Brüder.  —  Hermann  von  der  Hardt  (geb.  Ii lfit.it  in  s-inen  Briefen. 

'JSOjÜhr.  Stiftungsfest  des  „Blumcnordens"  In  Nürnberg  J7"> 

Zu  Hans  Sachs'  Schrift  „Ein  Ge«|.rilch  eines  Evannelisehen  mit  einem  Lutherischen'"  etc. 

Thomasius  und  Herder  ids  Wiederentdeeker  des  Haus  Sachs.  Neuen-  Ar- 
U-iten  über  Abalard.  Ach-'iibacb»  (iem  hiehtc  der  Stadt  Siegi-n.  J.  Kvacsalas 
ComeiiiuH-Forj'chimgeii.  —  Ein  Tagebuch  Karin  von  Zierolin  von  LV.il.  Tanger- 
mann,  Natur  und  tb  ist.  SchiU-r  des  Coineuius  als  Rektoren  der  Latein.s4  hnlen 
zu  Iteutheii ,  Crossen  und  I^iuban  im  17.  Jahrh.  -  ,.!/>  br-tiesilnge  von  der 
Nachfolge  t'hristi"  von  I'hilipp  von  Zesen.  •  tieorg  Phil.  Harsdörffers  und 
l'b.  v.  Z»-s»-ns  Beziehungen,  zu  (omeiiiu*.  —  Eine  seltene  (^nueiiiuis-Ausgal«'. 
Ibe  lw-ihiuischeii  Brüder  und  die  Leformii  rten.  Pi<-  „waldeiisiM-be  Form''  der 
,,1^-hre  ih  r  zwölf  Aposlel".       Kin  Antimiariais-Katalog  von  Rosentbal     .    .    .  rilTj 

K.  Inhalt  neuerer  Zeitsehriflen  4.J.  10'».  170.  2iS.  l>78  :M'J 

F.  Personen-  und  Orts-ReifMer   .  143 


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Monatshefte 

der 

Comenius-Gesellschaft. 

-----  ■       1   ^        . — 

III.  Band.  ^  1894.  x  Heft  1. 


Wege  und  Ziele. 

Kückhchnu  und  lTm*<hau  am  Beginn  «le*  neuen  (»e*>llHt-haft*jnhro*. 

Von 

Ludwig  Keller. 

Es  giebt  viele  Aufgraben  in  der  Entwicklung  der  Nationen, 
die  weder  allein  dureh  die  staatlichen  noeh  durch  die  kirchlichen 
Organe  gelöst  werden  können,  die  vielmehr  in  besonderem  Mass 
auf  die  freiwillige  Mitwirkung  angesehener  Männer  angewiesen 
sind,  wenn  sie  Aussicht  auf  dauernden  Erfolg  haben  sollen. 

Zu  diesen  Aufgaben  gehören  diejenigen,  die  sich  die  Comeuius- 
( iesellschaft  gesteckt  hat,  Unter  den  mancherlei  Ratschlägen,  die 
auch  im  abgelaufenen  (iesellsehaftsjahr  an  uns  gelangt  sind,  ist 
uns  nicht  selten  auch  der  entgegengetreten,  dass  wir  den  starken 
Ann  des  Staates  oder  der  Kirche  für  die  Zwecke  in  Bewegung 
setzen  möchten,  die  uns  vorschweben  und  der  Huf  nach  Staats- 
halts, der  heute  allgemein  ist,  hat  sich  auch  unter  uns  erhoben. 
Wir  sind  nun  weit  entfernt,  zu  verkennen,  dass  ein  Unternehmen, 
das  sich  mit  den  wichtigsten  Zielen  staatlicher  und  kirchlicher 
Interessen  im  Einklang  weiss,  von  dorther  eine  wirksame  Förde- 
rung erfahren  kann,  und  wu-  beabsichtigen,  seinerzeit  bezügliche 
Schritte  zu  thun ;  aber  wir  sind  der  Ansicht,  dass  der  wichtigste  und 
schwerste  Teil  der  Arbeit  auf  dem  Wege  freier  Mitwirkung 
gethan  werden  muss,  und  dass  diejenigen  Bestrebungen,  die  sich 
aus  eigner  Kraft  nicht  halten  können,  auch  mit  staatlichen  oder 
kirchlichen  Mitteln  in  der  Kegel  nur  ein  künstliches  Dasein  fristen. 

Es  giebt  gerade  in  Deutschland  nicht  sehr  viele  grössere 
wissenschaftliche  und  zugleich  gemeinnützig«'  Unternehmungen,  die 

MvIMItsili-flt.'  <lvl   t  'i>lln-llill«-(  ■■•vIlM-hllf  1.      IKH1.  1 


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2  KVIkr.  H,.ft  1. 

nicht  in  dieser  oder  jener  Form  ihre  wesentliche  Stütze  in  der 
Mitwirkung  der  öffentlichen  Organe  finden.  Der  Nutzen,  der  in 
Bezug  auf  Ansehn  und  Geldmittel  damit  verbunden  zu  sein  pflegt, 
ist  ja  in  vielen  Fällen  erheblich,  aber  nicht  minder  gross  sind  die 
Bedenken,  die  stets  damit  verknüpft  sind,  vor  Allem  die  Gefahr, 
dass  nicht  die  freiwillige  Hingabe  an  selbsterwählte  Ziele,  sondern 
Interessen  anderer  Art  zu  vorwiegenden  Triebfedern  werden. 

Wer  das,  was  die  ('omenius-< iesellschaft  in  ihrer  nunmehr 
dreijährigen  Wirksamkeit  geleistet  hat,  billig  beurteilen  will,  darf 
nicht  vergessen,  dass  das  Erreichte  ausschliesslich  oder  fast  aus- 
schliesslich durch  freie  Mitarbeit  opferwilliger  Männer  erzielt 
worden  ist.  Gewiss  gieht  es  viele  audere  Gesellschaften  und 
ruternehmungen,  die  das  Gleiche  von  ihren  Mitgliedern  sagen 
dürfen;  aber  es  ist  «loch  wohl  sicher,  dass  die  Mehrzahl  derselben 
in  der  Befriedigung  politischer,  nationaler  oder  eonfessioncller 
Tagesströmungen  ihren  Mitgliedern  eine  Gegenleistung  gewährt, 
die  wir  nicht  bieten  konnten.  Wer  für  unsere  Sache  Opfer  ge- 
bracht hat,  bei  dem  haben  solche  Antriebe  sicherlich  in  wenigen 
Fällen  den  Aussehlag  gegeben;  jedenfalls  waren  diejenigen,  die 
dem  Beginn  unseres  l "nternehmens  nahe  gestanden  haben,  sich 
darüber  klar,  dass  sie  nicht  mit  dein  Strom  der  Tagesintercssen, 
sondern  gegen  ihn  sich  bewegen  inüssten. 

Wir  sind  uns  der  Schwierigkeiten,  die  in  diesen  Verhältnissen 
lagen,  sehr  wohl  bewusst  gewesen.  Man  hat  uns  gesagt:  es  wird 
nicht  möglich  sein;  aber  wir  haben  geantwortet:  es  raitss  mög- 
lich sein,  denn  es  ist  Pflicht.  Gerade  in  einer  Zeit,  die  von 
politischen  und  eonfcssionellen  Leidensehaften  in  bedrohlichem 
Masse  erfüllt  ist,  schien  es  notwendig,  das  Bild  eines  Mannes  von 
Neuem  zu  beleben,  der  das  Elend,  das  aus  der  übermässigen 
Steigerung  solcher  Leidenschaften  erwächst,  in  dein  Jammer  des 
80jährigen  Kriegs  erfahren  und  sozusagen  am  eignen  I>eib  die 
Früchte  kennen  gelernt  hatte. 

Auch  Comenius  hatte  in  seiner  Zeit  alle  die  Hindernisse 
kennen  gelernt,  die  heute  vorhanden  waren.  Gleichwohl  wird  heute 
kaum  Einer  sein,  der  wünschte,  dass  Comenius  den  damaligen 
Zweiflern  sein  Ohr  geliehen  und  seine  Harfe  an  die  Weiden  ge- 
hängt hätte.  Es  war  ihm  sicherlich  so  gut  bewusst,  als  es  uns 
bewusst  ist,  dass  es  bequemer  und  angenehmer  ist,  mit  dem 
Strom  als  gegen  ihn  zu  schwimmen.    Wer  möchte  ihn  heute  an- 


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189-1.  W'i  ^c  uiifl  Ziele  ;{ 

klagen,  dass  er  den  schwereren  Weg  p>wnhlt  hat  und  wer  von 
i  h  m  sagen,  das*  er  nicht  t  rot/,  zeit  weil  i  gen  M  i  ssorf olgs 
und  schwerer  Kämpf«'  grosse  Erfolge  erzielt  hat? 

Ich  weiss  nicht,  oh  es  unter  unsern  Freunden  und  Mitgliedern 
manche  gegeben  hat,  die  der  Hoffnung  lebten,  dass  die  natürlichen 
Schwierigkeiten,  die  in  den  eingeschlagenen  Wegen  lagen,  in  kurzer 
Zeit  zu  fiberwinden  seien.  .Jedenfalls  hat  die  (lo.sellsehaftsleitung 
eine  solche  Ansieht  nie  gehegt,  und  sie  hat  nichts  gethan,  um  sie 
in  ihren  Mitgliedern  hervorzurufen.  Wer  die  Geschichte  kennt, 
der  weiss,  dass  Ideen,  wie  sie  Comenius  vertrat  und  wie  wir  sie 
in  seinem  und  seiner  Freunde  Sinn  vertreten  wollen,  den  Leiden- 
schaften der  Masse  nicht  schmeicheln,  und  dass  Schritt  für  Schritt 
um  sie  gekämpft  werden  muss;  aber  der  in  den  geschichtlichen 
Entwicklungen  Erfahrene  weiss  nicht  minder,  dass  dieselben  Ideen 
im  Lauf  der  Jahrhunderte  eine  ausserordentliche  Zähigkeit  und 
Tragkraft  bewiesen  haben,  und  dass  sie  sich  von  Jahrhundert  zu 
Jahrhundert  ein  breiteres  Feld  erkämpft  haben.  Wenn  wir  uns 
heute  in  einem  Zeitpunkt  befinden,  der  ihrer  Entfaltung  weniger 
günstig  zu  sein  seheint,  so  darf  man  nicht  vergessen,  dass  früher 
als  man  denkt  andere  und  bessere  Zeiten  kommen  können.  An 
der  Weltanschauung,  wie  sie  Comenius  und  die  ihm  geistesver- 
wandten Männer  vertreten,  haben  seit  uralten  Zeiten  unzählige 
Männer  gebaut  und  gearbeitet  die  Einzelnen,  wie  die  Mensch- 
heit mit  ihren  Plänen  umspannend;  wir  wollen  ohne  Rücksicht 
auf  den  Erfolg  dos  Tags  an  diesem  Werke  weiterbauen,  in  der 
sicheren  Ueborzeugung,  dass  Gedanken  und  Ziele, 
die  eine  v i e  1  h u n de rt  j  ä h r i ge  (1  esc h i c ht e  haben,  weder 
heute  noch  morgen  untergehen,  und  dass  jeder  ernsten 
A  r h e  i  t ,  d  i  e  für  solche  Ziele  k  ä  m p  f  t ,  früher  oder  späte  r 
der  Erfolg  nur  selten  fohlt. 


Ist  es  zu  viel  gesagt,  wenn  wir  behaupten,  dass  die  Richtig- 
keit des  letzten  Satzes  sich  schon  jetzt  in  den  Erfolgen  unserer 
Bestrebungen  bewahrheitet  hat? 

Wie  viel  Menschen  gab  es  noch  vor  wenigen  Jahren,  die 
von  Comenius  mehr  als  den  Xamen  kannten?  Wie  gering  war 
verhältnismässig  die  Zahl  der  Schriften,  die  denen  zur  Verfügung 
standen,  die  sich  nähere  Auskunft  über  ihn  verschaffen  wollten! 

r 


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I 


KVIIer. 


Heft  1. 


Wie  sohr  int  das  heute  anders  geworden.  Wir  haben  durch  die 
Jahrhundertfeier,  die  ganz  und  ausschliesslich  ein  Werk  unserer 
Gesellschaft  war,  in  tausend  und  abertausend  Herzen  das  Bild 
des  Mannes  wachgerufen;  wir  haben  eine  Fülle  guter  Bücher  an- 
geregt und  zum  Teil  unmittelbar  gefördert,  und  wir  haben  dahin 
gewirkt,  dass  jetzt  nicht  blos  in  der  mährischen  Heimat,  sondern 
auch  in  anderen  Städten  Denkmäler  und  Denkzeichen  sich  für  den 
grossen  Mann  erheben. 

Da  wir  den  Namen  des  Comcnius  gewählt  hatten,  um  die 
Weltanschauung  zu  kennzeichnen,  deren  Erneuerung  und  Pflege 
die  Aufgabe  unserer  Gesellschaft  sein  sollte  es  war  eine  Zeit 
lang  auch  der  Name  Herder- Gesellschaft  für  die  Pflege 
der  Wissenschaften  und  der  Volkserziehung  in  Erwägung 
gekommen  —  so  war  für  uns  in  der  That  an  diesem  Ergebnis 
viel  gelegen.  Der  Name  war  unbrauchbar  zur  Kennzeichnung 
unserer  Ziele,  wenn  das  Bild  des  Mannes  unbekannt  blieb,  dessen 
Streben  wir  zu  dem  unsrigen  gemacht  hatten.  Dem  haben  wir 
durch  die  Jahrhundertfeier  kräftig  entgegengewirkt  und  damit  die 
ersten  Schritte  gethan  auf  dem  Wege,  der  uns  vorschwebte.  Aber 
freilich  nur  die  ersten  Schritte:  denn  noch  immer  ist  der  Name 
wie  das  Charakterbild  des  grossen  Bischofs  nicht  so  bekannt,  als 
er  es  verdiente  und  als  es  im  Interesse  unseres  Cntei-nchmens 
wünschenswert  wäre. 

Weder  im  Rahmen  des  Schulunterrichts  wird  die  Kenntnis 
des  Mannes  und  seines  Werkes  den  Schülern  vermittelt,  noch  wird 
ihm  in  der  Litteratur  derjenige  Platz  eingeräumt,  den  er  als  bahn- 
brechender Geist  an  der  Schwelle  der  neueren  Geschichte  bean- 
spruchen darf.  Er  ist  weniger  bekannt  und  genannt  als  Ix'ibniz, 
der  ihm  doch  seinerseits  das  höchste  Lob  spendet,  und  weit 
weniger  als  die  grossen  Männer  des  ausgehenden  18.  Jahrhunderts, 
die  auf  dem  Gebiet  der  schönen  Litteratur  oder  der  Philosophie 
ihre  Namen  unsterblich  gemacht  haben. 

Man  weiss,  dass  auf  den  Namen  von  Shakspeare,  Schiller, 
Goethe  u.  s.  w.  Stiftungen  und  Gesellschaften  gegründet  worden 
sind,  und  dass  diese  Gesellschaften  sich  zum  Teil  in  blühendem 
Zustand  befinden.  Nichts  liegt  näher  (wie  es  denn  thatsächlich 
vielfach  geschieht),  als  anzunehmen,  dass  die  Comenius-Gesellschaft 
sich  in  ähnlicher  Weise  wie  jene  auf  die  Herausgabe  und  Erläute- 
rung comenianischer  Schriften  beschränken,  «»der  wie  die  Schiller- 


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1894. 


Wejre  und  Ziele. 


Stiftung  für  einen  bestimmten  und  beschränkten  Kreis  gemeinnützig 
wirken  will.  Beide  Annahmen  sind  unzutreffend  und  verdunkeln 
die  in  unserem  Programm  klar  und  bestimmt  ausgesprochenen 
Zielpunkte. 

Die  (Nmienius- Gesellschaft  liat  den  Zweck,  Menschen- 
Bildung  und  Volkserziehung  im  Geiste  des  Mannes,  dessen 
Namen  sie  trägt,  zu  fördern  und  zu  pflegen  und  diejenigen  Männer 
aus  allen  lündeni  und  Kirehen  zu  gemeinsamem  Wirken  zu  ver- 
einen, die  sieh  in  der  Gesinnung  wie  im  Streben  mit  ihm  eins 
wissen. 

Diese  Zweckbestimmung  bringt  es  mit  sieh,  duss  unsere  Ge- 
sellschaft sieh  nicht  auf  die  Vertreter  irgend  eines  bestimmten 
Berufs  (nler  Standes,  nicht  auf  eine  bestimmte  C'onfession  und 
nicht  auf  eine  bestimmte  Partei  einschränken  kann  und  will;  sie 
hat  aber  auch  die  naturgemässc  Folge,  dass  sie  sich  weder  auf  die 
eine  noch  auf  die  andere  ausschliesslich  stützen  kann.  Während 
die  Mehrzahl  der  Vereinsbildungen  auf  dem  Zusammcnschluss 
bestimmter  Berufsarten  oder  Interessengruppen  beruht  und  dadurch 
bis  zu  einem  gewissen  Grad  erleichtert  wird,  muss  unsere  Gesell- 
schaft unter  verschiedenartigen  Berufen  und  bestehenden  Gruppen 
ihre  Mitglieder  suchen,  und  sie  kann  das  einigende  Band  lediglieh 
in  geistigen  Interessen  und  Bedürfnissen  Mnden.  Ks  ist  zweifellos 
leichter,  eine  Gesellschaft  für  ein  abgegrenztes  Wissensgebiet, 
z.  B.  für  medizinische  oder  mathematische  Wissenschaften  oder 
selbst  für  Philosophie  oder  Krziehungslchrc  ins  Leben  zu  rufen, 
als  die  Vertreter  couienianiseher  Geistesriehtung  aus  allerlei  Volk 
zu  sammeln,  zumal  wenn  diese  Gcistcsrichtung  von  anderen  Strö- 
mungeu  bcwu.sst  oder  unbewusst  zurückgedrängt  i>t  und  auf  die 
Freiwilligkeit  der  Mitwirkenden  besonderer  Werth  gelegt  wird. 

Auch  diese  Umstände  muss  man  im  Auge  behalten,  wenn 
man  die  nachfolgenden  thatsäehlichen  Mitteilungen  in  Rücksicht 
auf  die  Bedeutung  der  erzielten  Krgebnisso  prüfen  und  betrach- 
ten will. 

Am  Schiltst*  des  Jahres  1891  als  Stiftungstag  hat  der 
10.  Oktober  1X91  zu  gelten  hatte  die  Gesellschaft  ungefähr 
öäO  Mitglieder  und  die  Flöhe  der  zugesagten  Jahresbeiträge  betrug 
etwa  :W00  Mk. 


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Ii 


Kfller. 


Heft  1. 


Gegen  Sellins*  des  .Jahns  189*2  war  «Ii«-  Mitgliederzahl  auf 
etwa  850  gestiegen,  und  die  Summe  der  Jahresbeiträge  war  auf 
etwa  5000  Mk.  gewachsen.  In  beiden  Jahren  (1891  und  1892) 
hatte  die  Gesellschaft  eine  ziemlich  erhebliche  Einnahme  aus  ein- 
maligen Beitragen,  die  ihr  zum  Teil  von  „Patronen,"  zum  Teil 
von  „Stiftern,"  die  auf  I>'henszeit  beitraten,  zuflössen,  zum  Teil 
auch  von  anderen  Freunden  gezahlt  wurden. 

Am  Schluss  des  Jahres  189.5  betrug  die  Mitglieder/ahl  nahezu 
10(10  Personen  und  Körperschaften,  und  die  Summe  der  zugesagten 
Jahresbeiträge  war  auf  etwa  0000  Mk.  gestiegen,  l'nter  dieser 
Zahl  befanden  sieh  nicht  weniger  als  2N5  kör]»er*ehaft liehe  Mit- 
glieder, was  als  günstiges  Anzeichen  zu  deuten  ist. 

Die  Jahresabschlüsse  unseres  Schatzmeisters  haben  sieh  in 
den  beiden  verflossenen  Jahren  günstig  gestaltet:  trotz  der  sehr 
erheblichen  Ausgaben,  die  uns  durch  die  Jahrhuudeilfcier  erwachsen 
sind  und  trotz  der  grossen  Kosten,  die  wir  behufs  Gründung  der 
Gesellschaft  aufgewandt  haben,  weisen  beide  Abschlüsse  einen  be- 
scheidenen rberschuss  auf.  Wenn  wir  also  in  dieser  Beziehung 
vorsichtig  gewirtsehaftet  haben,  so  ist  es  andererseits  freilich 
einstweilen  nicht  gelungen,  ein  Stammkapital  zu  schaffen,  und 
es  wird  in  der  Zukunft  eine  dringende  Aufgabe  sein,  unser  f/nter- 
iichmcn  durch  die  Schaffung  eines  Vermögensgrundstocks  weiter 
zu  befestigen.  Wir  wollen  nicht  unterlassen,  schon  heute 
unsere  Freunde  und  Mitglieder  um  ihre  thätige  Mitwir- 
kung für  diese  Aufgabe  ausdrücklich  zu  bitten.  Der  Herr 
Schatzmeister  wird  alle  einmaligen  Beiträge,  die  ihm  mit  dieser 
Bestimmung  zugehen,  dem  Vcrmügenssloek  überweisen. 

Ks  ist  nicht  ganz  leicht,  einen  richtigen  Massstab  für  die 
Beurteilung  dieser  Ergebnisse  zu  gewinnen,  tun  so  weniger,  weil 
die  Eigenart  unseres  rnternehniens  einen  Vergleich  mit  anderen 
Gesellschaften  zweifellos  ersehwert.  Thatsächlieh  sind  die  Vor- 
bilder für  un>er  ruternehnicn  weniger  in  heutigen  Gesellschaften 
verwandter  Art  als  in  filteren  Entwürfen  und  Bildungen  zu  suchen, 
wie  sie  sieh  teils  in  des  ('omenius  „Weckruf,"  teils  in  jenen  filteren 
sogenannten  „Akademien"  finden,  wie  sie  vor  der  Errichtung  der 
Hoyal  Society  und  der  nachmals  errichteten  „Königliehen  Akade- 
mien der  Wissenschaften"  bestanden  und  deren  Mitglied  einst  auch 
(  'omenius  gewesen  ist.  Die  Vereine,  die  wir  heute  zum  Vergleich 
heranziehen  könnten,  sind  nach  ganz  andern  Vorbildern  geschaffen 


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1894.  W'ofic  uml  Zirle.  7 

« 

worden  und  haben  ineist  unter  ganz  amlcnn  Voruuss«'tzung<*n  «  ine 
eigenartige  Entwicklung  genommen. 

Wenn  man  trotzdem  Vergleiche  anstellen  will,  so  könnten 
unter  And«*ren  etwa  folgende  heutige  Gesellschaften  in  Hetnieht 
kommen:  das  Freie  deutsehe  Ilochstit't  für  Wissenschaften, 
Künste  und  höher«*  Bildung  (Krankfurt  a.  M.),  die  Görr«*s- 
gesellschaft  zur  Pflege  der  Wissenschaften  im  katho- 
lischen Deutschland  und  die  G<*s<*llschaft  für  Vcrln-ci- 
tung  von  Volksbildung,  die  freilich  ihre  vornehmste  Aufgabe 
in  der  Volkserziehung  findet,  während  bei  uns  umgekehrt  die 
Pflege  der  Wissenschaften  vornehmlich  betont  wird;  endlich  könn- 
ten im  Hinblick  auf  den  letzterwähnten  Gesichtspunkt  auch  noch 
der  litterarische  Verein  in  Stuttgart  und  die  Gesellschaft 
für  deutsche  Erziehung*-  und  Schulgesehichte  hinzuge- 
zogen werden. 

Leider  steht  mir  für  die  Mehrzahl  der  genannten  Gesell- 
schaften kein  genügendes  Material  zur  Verfügung;  sie  sind  fast 
sämtlich  viel  älter  als  unsere  Gesellschaft  und  um  sicher  zu  gehen, 
wäre  es  notwendig,  zu  wissen,  wie  sich  ihr  Mitgliederstand,  ihre 
Hinnahmen  und  ihr«'  Leistungen  am  Sehluss  des  dritten  Gcsell- 
schaftsjahres  dargestellt  haben. 

Die  GöiTcs-Gescll.schaft  besass  im  Jahn1  1892,  also  nach 
siebzehnjähriger  Thätigkcit  (gest.  1875)  ungefähr  8000  Mitglieder 
mit  Jahresbeiträgen  von  etwa  25000  Mk. :  der  littcrarischc  Verein 
in  Stuttgart  (gest.  1*80)  hatte  im  Jahre  ISSN  etwa  .{70  Mitglieder 
mit  einer  Hinnahme  von  etwa  7500  Mk.,  das  Freie  deutsch«* 
Hochstift  (gest.  1859)  liatt«*  im  Jahre  1892  etwa  1050  Mitglieder 
und  ung«*fähr  .'{000  Mk.  Hinnahme;  «lie  Gesellschaft  für  deutsehe 
Erziehung*-  und  Schulgesehichte,  «lie  fast  <*benso  alt  ist  wi«*  «lic 
('«anenius  -  Gesellschaft ,  besass  nach  ihrem  letzten  Jahresbericht 
etwa  510  Mitglied«*r  und  2500  Mk.  Jahns-Einnalim«*. 

In  einer  Zeit  wi«*  d«*r  unsrig«*n,  di<-  gewohnt  ist,  «lie  He- 
deutung  ein« *r  Sache  vorwi«*geml  nach  Zahlen  uml  Geldsummen 
abzuschätzen,  ist  «*s  un«'rlässli<*h,  auch  zifiermässig  «las  Wachstum 
eines  Unternehni«*ns  zur  Ans«*liauung  zu  bringen.  Eim*r  tiefer 
dringenden  Betrachtung  erscheinen  fr<*ilich  aml«*r<*  Ding«*  wichtiger, 
vor  Allem  der  Wille  und  die  geistige  Kraft,  für  die  Hrn-ichung 
d«r  v«irgest<*cktcii  Ziele  gemeinsam  zu  arbeit«'n  und  «li<*  Hi"folg«*, 
di«*  in  dieser  Kichtung  aufzuweisen  siml.    Di«'   Probe  auf  «li«ses 


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S  Kellfr.  Heft  1. 

K.xempcl  nmss  an  den  Veröffentlichungen  der  Gesellschaf t 
gemacht  werden. 

Die  Aufnahme,  welche  unsere  Veröffentlichungen  innerhalb 
wie  ausserhalb  unseres  Mitgliederkreises  gefunden  haben,  spiegeln 
sieh  in  den  Besprechungen  und  Kritiken  wieder,  die  darüber 
erschienen  sind.  Ich  verweise  hier  unter  Anderen  auf  die  Be- 
spreehungen  in  Xr.  41  des  Litt.  Ontralblatts  (1892),  in  der  Revue 
critiquc  vom  17.  April  1893  S.  305  f.,  in  der  Academv  (London) 
vom  ]8.  Februar  1893  Nr.  1085,  auf  die  Zeitschrift  für  praktisch«' 
Theologie  (Jahrg.  XV,  S.  89),  auf  das  Theol.  Literaturblatt  vom 
19.  August  und  2.  Dezember  1N92  mul  vom  7.  Juli  1893,  die 
Theol.  Tvdschrift  B<1.  27  (189:5)  S.  451  58,  und  auf  den  Theol. 
Jahresbericht  Bd.  XII,  S.  347.  Kbenso  finden  sich  freundliche 
Besprechungen  in  der  Wissensch.  Beilage  der  Leipziger  Zeitung 
vom  25.  Mai  1893,  in  der  Zeitschrift  für  Realsehulwescn  Bd. 
XVII.,  Heft  9,  in  der  Zeitschrift  Gymnasium  (1893  Nr.  2),  in 
den  U'hrproben  und  l^ehrgängcn,  1893,  37,  S.  120  f.,  in  der  Zeit- 
schrift für  die  österreichischen  Gymnasien  (1893  S.  3(34)  und  in 
den  Deutscheu  Blättern  für  erziehenden  Unterricht  1892  Nr.  44. 
Anzeigen  und  Besprechungen  in  der  Tagespresse,  die  zum  Teil  aus- 
führliche Artikel  gebracht  hat,  übergehen  wir  hier  und  bestätigen 
nur,  dass  die  (Jesamtaufnahuie  durchweg  als  eine  freundliche  be- 
zeichnet werden  kann. 

Dabei  müssen  wir  freilieh  hier  offen  bekennen,  dass  weder 
die  Monatsheft«-  noch  die  Mitteilungen  bisher  das  Ziel,  das 
ihnen  gestellt  ist,  erreicht  haben;  Niemand  fühlt  mehr  als  die 
Nächstbeteiligten  selbst,  dass  ihr  Wollen  hinter  dem  Können  weit 
zurückgeblieben  ist  und  dass  in  Zukunft  vieles  besser  werden 
muss.  Wir  sind  aber  glücklicherweise  im  Stande,  schon  jetzt  für 
das  kommende  Jahr  wesentliche  Fortschritte  in  Aussicht  stellen 
zu  können.  Auf  keinem  Felde  hat  sieh  während  des  letztvcrflos- 
senen  Jahres  das  innere  Wachstum  unserer  Gesellschaft  deut- 
licher gezeigt,  als  in  der  Zunahme  der  wissenschaftlichen  Mit- 
arbeit an  unseren  Zeitschriften. 

Wir  waren  zwar  von  vornherein  in  der  I^age,  eine  Fülle 
hervorragender  Kniffe  als  Mitglieder  in  unserer  Gesellschaft  zu 
besitzen,  auch  war  ja  oft  genug  gesagt,  was  und  wie  wir  es  zu 
bringen  wünschten;  aber  den  Strom  der  Mitarbeit,  der  bisher  in 
andere  (.'anale  geflossen  war,   in  ein  neues  Bett  zu  lenken  und 


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1804. 


Wopp  und  Ziolo. 


eine  Mitarbeitcrsehaft  zu  finden,  die  verständnisvoll  dir  Stoffe 
und  den  Ton  zu  treffen  wusste,  wie  sie  durch  die  Eigenart  des 
Unternehmens  bedingt  waren,  war  in  der  kurzen  Frist,  die  zwischen 
der  eonstituirenden  Versammlung  vom  10.  Oktober  1891  und  dem 
Januar  189*2  (wo  das  1.  Heft  erseheinen  sollte)  lag,  völlig  unmög- 
lich ;  grössere  wissenschaftliche  Arbeiten  lassen  sich  höchstens  an- 
regen, niemals  „bestellen,"  und  sie  forden)  eine  Vorbercitungszeit, 
wie  sie  der  Sehriftlcitimg  eben  nicht  zur  Verfügung  stand;  die 
Nachwirkungen  dieser  Verhaltnisse  haben  sich  leider  imk-Ii  fast 
zwei  Jahn-  lang  geltend  gemacht. 

Seit  der  zweiten  Hälfte  des  verflossenen  Jahres  aber  ist  hierin 
ein  erfreulicher  Wechsel  eingetreten.  Es  hatte  uns  zwar  auch  bis 
dahin  nicht  an  Beiträgen  gefehlt,  aber  sie  waren  vielfach  weder  in 
Rücksicht  auf  die  Stoffe  noch  auf  die  Behandlungsart  im  Sinn 
des  Unternehmens,  wie  es  der  Gesellschaftslcitung  vorschwebte. 
Mehr  und  mehr  aber  hat  sich  seit  dem  angegebenen  Zeitpunkt 
das  Verständnis  für  Haltung  und  Ton,  wie  wir  ihn  wünschen 
müssen,  verbreitet  und  wir  verfügen  für  den  Beginn  des  jetzt 
laufenden  Jahrs  über  eine  Reihe  wertvoller  Arbeiten,  die 
entweder  bereits  eingesandt  oder  zugesagt  sind. 

Da  das  Jahr  1894  zweifellos  uns  noch  weitere  Anerbietun- 
gen bringen  wird,  so  müssen  wir  fast  fürchten,  dass  die  uns  bis- 
her zur  Verfügung  stehende  Bogenzahl  nicht  ausreicht.  Anderer- 
seits können  wir  uns  freilich,  so  lange  die  Monatshefte  zu  dem 
jetzigen,  ungewöhnlich  billigen  Preis  von  jedem  Mitglied  bezogen 
werden  können,  keinerlei  weitere  Ausgaben  für  die  Zeitschrift 
auferlegen,  ohne  andere  wichtige  Interessen  der  Gesellschaft  zu 
schädigen. 

Unsere  Mitglieder  und  Freunde  wissen,  dass  unser  Absehen 
auf  die  Förderung  geschichtlicher  Erkenntniss  in  besonderem  Ma» 
gerichtet  ist;  aber  es  kommt  uns  in  gleichem  Masse  auf  die  Klar- 
stellung der  coinenianischen  Grundsätze  und  der  comenianischen 
Weltanschauung  an,  durch  die  wir  einen  Massstab  und  eine 
Richtschuur  für  die  Beurteilung  derjenigen  Fragen  zu  gewinnen 
wünschen,  die  heut«-  auf  dem  Gebiete  der  Philosophie,  der  Re- 
ligion und  der  Erziehung  die  Welt  bewegen. 

Wir  werden  daher  solchen  Aufsätzen  besonders  gern  unsere 
Spalten  öffnen,  die  die  philosophischen,  religiösen  und  pädagogischen 


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t 


10  Keller,  H,.ft  1. 

Fragen  und  Aufgaben  der  Gegenwart  im  Lichte  enmenianischer 
Prinzipien  behandeln  und  wir  haben  die  Abhandlung  Karl  Rein- 
hardts über  die  Schulordnung  in  Comenius  Unter- 
richt sie  hie  und  die  Frankfurter  Lehr  plane  auch  desshalb 
gerade  am  Beginn  des  neuen  Gesellschaftejahres  vcniff'entlicht,  um 
anzudeuten,  in  welcher  Art  wir  andere  Fragen  verwandter  Art 
behandelt  sehen  möchten. ')  Dans  wir  unter  conieninnisehcr  Welt- 
anschauung auch  diejenige  von  Leibniz,  Herder,  Fichte, 
Krause  und  Schlciermacher  verstehen,  haben  wir  ja  oft  genug 
ausgesprochen.  Es  gilt,  die  geistigen  Errungenschaften  dieser  Männer 
für  die  Gegenwart  fruchtbar  zu  machen  und  ihre  Gedanken,  so- 
weit sie  für  die  vielfach  veränderten  Bedürfnisse  noch  verwendbar 
erseheinen,  als  Wegweiser  und  Richtlinien  zu  verwerten.  Zu  den 
Grundsätzen  dieser  grossen  Männer  zurückkehren,  heisst  heute 
zweifellos  in  vielen  Fällen  fortschreiten. 

Unsere  Gesellschaft  hat  sich,  wie  bereits  in  dem  Aufruf 
gesagt  worden  war,  die  doppelte  Aufgab«'  gestellt,  erstens  dem 
Geist  de*  Comenius  und  der  ihm  innerlich  verwandten 
Männer  unter  uns  von  Neuem  lebendige  Verbreitung  zu 
verschaffen  und  zweitens  in  diesem  Geist  bildend  und 
erziehend  auf  das  heutige  Geschlecht  zu  wirken.  Aber 
wir  haben  von  vornherein  ausdrücklich  betont,  dass  die  letztere 
Aufgabe  erst  dann  mit  einiger  Aussicht  auf  Krfolg  in  Angriff'  ge- 
nommen werden  soll  und  kann,  wenn  es  gelungen  ist,  die  erstere 
ihrer  Losung  näher  zu  führen.  Auch  haben  wir  stets  gesagt,  dass 
der  Schwerpunkt  dieser  erziehenden  Thätigkeit  in  den  örtlichen 
Organisationen  (Abteilungen  und  (  omenius-Kränzehen)  liegen 
muss  und  es  liegt  auf  der  Hand,  dass  solche  Organisationen,  wenn 
sie  Bestand  haben  sollen,  nicht  von  heute  auf  morgen  geschaffen 
werden  können.     Behufs   Vorbereitung  geeigneter  Massregeln 


')  Sehr  wünschenswert  h  wäre  im  Hinblick  auf  beut  ige  Hedürfnipsr 
ein  Aufsatz  über  «Jen  rnterricht  in  der  Sittenlehre  nach  Comenius 
(Did.  magna  e.  -'.)),  mler  die  allgemeine  Volksschule  nach  den  For- 
derungen de.«  Conicniu*.  ebenso  in  Betreff'  der  .Ideen  de.«  C.  über 
t'ni  versitäten  und  T*  u  i  ve  i  si  i  ;'i  t  swese  n  (Did.  magna  e.  ferner  über 
riie  rnionsvrrsuebe  des  Crossen  Kurfürsten  im  Liebte  nunc- 
nianiseber  Grundsätze  u.  >.  w. 


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Wege  und  Ziele 


und  zur  Anregung  einer  Erörterung  über  Wege  und  Ziele  schien 
es  zweckmässig,  schon  jetzt  mit  der  Schaffung  eines  Organs 
von» liehen,  das  dem  Meinung«- Austausch  dienen  könne,  und 
so  wurde  zu  Beginn  des  Jahres  lSil,-;  mit  der  Heraustrabe  der 
Mitteilungen  der  C.-G.  begonnen,  wie  sie  bereits  in  den 
Satzungen  vorgesehen  und  ins  Auge  gefasst  wan  n.  Ich  darf  den 
Inhalt  im  Wesentlichen  als  bekannt  voraussetzen.  Wir  haben 
versucht,  in  den  Leitaufsätzen  die  Zielpunkte  festzulegen  und  die 
Wege  zu  besprechen,  die  behufs  I- orderung  der  Volkerziehung 
sich  für  uns  als  gangbar  erweisen  könnten;  auch  haben  wir 
aus  der  Geschichte  der  humanitären  Bestrebungen  früherer  Zeiten 
einige  Beitrage  geliefert.  Vor  Allem  aber  kam  es  uns  dar.mf 
an,  zu  betonen,  dass  alle  praktischen  Massregeln,  die  unsere 
Gesellschaft  demnächst  etwa  ergreifen  könnte,  sich  auf  die  För- 
derung der  allgemeinen  Bildung  de»  nuchschulpflichti- 
gen  Alters  beziehen  müssen.  Hier  klafft  in  dem  Ix-stehenden 
Schulwesen  eine  Lücke,  die  zunächst  auf  dem  Wege  der  frei- 
willigen Bildungs  pflege  auszugleichen  ist.  Als  Vorbilder 
schweben  uns  jene  englischcnVolkshochschulen  vor,  die  seit  den 
fünfziger  Jahren  durch  Maurice  und  Kingsley  ins  lieben  gerufen 
worden  sind. 

Die  Erweiterung  unserer  Veröffentlichungen,  wie  sie  mit  der 
Herausgabc  der  Mitteilungen  eintrat  —  es  werden  am  Schlüsse 
des  Jahres  1X1K?  etwa  l'J  Druckbogen  davon  vorliegen  hat 
uns  wesentliche  finanzielle  Opfer  auferlegt.  W  ir  hoffen,  dass  unsere 
Mitglieder  die  neue  Einrichtung  zur  Gewinnung  neuer  Mitglieder 
kräftig  benutzen  werden. 

Endlich  weise  ich  noch  kurz  darauf  hin,  dass  mit  dem  Jahre 
]H\YA  auch  eine  Folge  von  Vorträgen  und  Aufsätzen  aus 
der  Comcnius-G  escl  Ischaf  t  zu  erscheinen  begonnen  hat,  die 
sieh  als  weitere  Ergänzung  unserer  Veröffentlichungen  darstellen. 
Diese  Sammlung  ist  in  erster  Linie  dazu  bestimmt,  solche  Per- 
sonen und  Körperschaften  für  die  Ziele  unserer  Gesellschaft  zu 
interessieren,  die  einstweilen  noch  nicht  Mitglieder  sind.  Wir 
wollen  diese  Vorträge  an  Freunde  unserer  Sache  kostenlos  ver- 
teilen und  die  Schriftleitung  stellt  auf  Anfordern  allen  Mitgliedern 
Abzüge  zu  diesem  Zweck  kostenlos  zur  Verfügung. 


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12 


Keller, 


Heft  l. 


Bei  der  Beurteilung  unserer  Schriften  darf  die  Thatsaehe 
nicht  ausser  Ansatz  gelassen  werden,  dass  die  Gescllschaftsleitung 
auch  im  Laufe  des  Jahres  1893  »ich  der  Förderung  dieser  Seite 
unserer  Thätigkeit  nicht  «ingeteilt  widmen  konnte.  Vielmehr  hatte 
sie  gleichzeitig  eine  zweite  Aufgabe  von  gleicher  Wichtigkeit  im 
Auge  xu  behalten,  nämlich  den  Ausbau  unserer  Organisation. 

Durch  die  Satzungen,  wie  sie  auf  Grund  der  mit  dem  Auf- 
ruf im  Juni  1 S!»  1  veröffentlichten  „Vereinbarungen"  im  März  1892 
beschlossen  worden  waren  -  sie  sind  im  Jahrgang  1892  der 
Monatshefte,  Gesehäftl.  Teil  S.  1 1  ff.  abgedruckt  waren  nur 
die  (irundxüge  der  (Organisation  vorläufig  festgelegt  worden,')  der 
weitere  Ausbau  der  dort  getroffenen  Bestimmungen  blieb  den  Ge- 
schäftsordnungen vorbehalten,  die  zu  entwerfen  waren. 

Ks  erwies  sieh  zunächst  als  notwendig,  das  wissenschaftliche 
wie  das  gemeinnützige  Arbeitsgebiet  der  Gesellschaft  bestimmter 
abzugriuizen.  und  wir  halten  «las  Hundsehreiben  vom  23.  Juli  1892, 
wie  die  hierher  gehörigen  Programm- Aufsätze  der  Mitteilungen 
vom  Januar/Februar  und  Juni  Juli  1893  bereits  besprochen  oder 
erwähnt. 

Weiterhin  war  eine  Geschäfts-Ordnung  für  den  Gesamt- 
Vorstand  und  eine  solche  für  die  Congressc  unerlässlieh,  und 
die  ersten*  wurde  vom  Vorstand  im  Oktober  1892  (abgedruckt  in 
den  Monatsheften  1892  Gesehäftl.  Teil  S.  Ii3  ff.),  die  letzten*  im 
April  1893  (abgedruckt  in  den  M.  M.  der  C.  G.  1893  S.  103  ff.) 
genehmigt.  Mancherlei  Beratungen  und  Erörterungen  wurden  durch 
diese  Angelegenheit  notwendig. 

In  den  ijJj.  28  und  29  der  Satzungen  war  die  Einrichtung 
örtlicher  Organisationen  vorgesehen,  und  es  ^*ar  eine  wich- 
tige Aufgabe  der  Gcsellsehiiftsleitung,  an  Orten,  wo  hierfür  die 
Möglichkeit  vorhanden  zu  sein  schien,  die  einleitenden  Massregeln 
zu  treffen.  Wir  haben  zunächst  die  in  28  der  Satzungen  vor- 
gesehene Krneunung  von  Bevollmächtigten  ins  Auge  gefasst, 
und  ich  frone  mich,  mitteilen  zu  können,  dass  wir  beivits  etwa 
in  50  deutschen  und  iiusserdeutsclien  Städten  angesehene  Männer 
für  die   rbernahme   dieses    Ehrenamts   gewonnen   haben.  Wir 

')  Dir?;.  MO  unserer  Satzungen  lautet:  „Diese  Vereinbarungen  treten  mit 
dem  1.  April  lK!r>  vorläufig  in  Kraft  und  bleiben  nur  solange  in  Geltung, 
bis  die  Haupt  Versammlung  oder  ein  von  diene r  bevollmüeliligter  Auswhuss 
sie  genehmigt,  geändert  oder  verbissen  hat." 


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1S!I4. 


W'ffp'  und  Ziolo. 


haben  die  Namen  zum  Teil  bereits  veröffentlicht ;  demnächst  wird 
die  vervollständigte  Liste  herausgegeben  werden. 

Um  unseren  Bevollmächtigten  die  Geschäftsführung  /u  er- 
leichtern, int  seit  einigen  Monaten  die  Einrichtung  getroffen  worden, 
dass  ihnen  die  Erhebung  der  Beiträge  u.  s.  w.  durch  geschäfts- 
führende  Buchhandlungen  abgenommen  wird,  wo  sie  sieh  mit 
einem  solchen  Geschäft  selbst  in  Verbindung  setzen. 

Wir  haben  die  Absieht,  vom  kommenden  Jahre  ab  unsere 
Kräfte  für  «'ine  neue  grosse  Aufgabe  zu  sammeln:  für  die  Her- 
stellung einer  Gesamt-A  usgabe  der  Werke  des  Comcuius. 

Wir  würden  dieser  Aufgabe  vom  ersten  Augenblick  an  näher 
getreten  sein,  wenn  es  sieh  nicht  als  notwendig  erwiesen  hätte, 
zunächst  das  Verständnis  für  die  Bedeutung  des  Mannes  überhaupt 
wieder  zu  wecken.  Erst  nachdem  dies  gelungen  ist  -  man  kann 
freilich  fragen,  ob  es  heute  schon  völlig  gelungen  ist  ist  es 
möglich,  an  eine  so  umfassende  Aufgabe  auch  nur  zu  denken. 

Es  hätte  nahe  gelegen,  dass  die  wissenschaftlichen  Akademien 
derjenigen  Staaten,  die  einst  von  der  Thatigkcit  des  grossen  Mannes 
Nutzen  gezogen  haben,  vor  Allem  Deutsehland,  Oestreich- 
Ingnrn,  England,  Holland  und  Schweden,  den  Plan  entworfen 
und  mit  Hülfe  staatlicher  Mittel  durchgeführt  hätten.  Da  es  nicht 
geschehen  ist  und  auch  jede  Atissicht  fehlt,  dass  es  in  absehbarer 
Zeit  geschehen  wird,  fällt  der  C'omcnius-Gcsellschaft  um  sc»  mehr 
die  Pflicht  zu,  als  sie  alle  hervorragenden  Coinenius-Eorscher  der 
genannten  Länder,  d.  h.  alle  die  Kräfte,  auf  die  auch  jene  Akade- 
mien angewiesen  sein  würden,  in  sich  vereinigt,  während  ihr  freilieh 
die  finanziellen  Mittel  für  ein  so  grosses  Werk  einstweilen  fehlen. 

Wenn  nun  aber  die  Gesellschaft  jene  Korseher  zu  einer 
Commission  für  die  Comenius-A  usgabe  unter  dein  Vorsitz 
eines  angesehenen  Gelehrten  vereinigt,  sollte  dann  nicht  die  finan- 
zielle Mitwirkung  der  genannten  Staaten  im  Interesse  der  Wissen- 
schaft wie  der  Volkserziehung  erreichbar  sein*.' 

Gewiss,  die  Aufgab»'  ist  gross  und  schwh'iig.  Aber  ich 
mochte  diV  Zweifler  daran  erinnern,  »lass  die  Mehrzahl  in  «1»'U 
Jahren  lHi)0  und  1S!*1  sowohl  ein«'  allgemein»'  Jahrhundertfeier, 
wie  namentlich  die  Gründung  »'hier  gr»"»ssen-n  Gesells»*haft  für  fast 
unausführbar  gehalten  hat  und  doch  wie  sind  ihre  Erwartungen 
und  Befürchtungen  g»'täuseht  worden.   Kann  es  jetzt  nicht  ähnlieh 


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14  KVIIer.  Heft  1. 

gehen?  Jedenfalls  wird  die  Herstellung  einer  Gesamtausgabe  da- 
durch sehr  erleichtert,  dass  der  Markt  für  sie  sieh  über  die 
ganze  jf ohi l<i«'t**  Welt  erstreckt  und  dass  die  hohen  und 
niederen  Schulen  in  allen  Ländern  allmählich  das  Bedürfnis  fühlen 
werden,  ein  Exemplar  in  erreichbarer  Nähe  zu  besitzen. 

Die  Gesellschaftsleitung  behält  sich  je  nach  der  weiteren 
Entwicklung  vor,  eine  ausserordentliche  Hauptversamm- 
lung zur  Berathung  dieser  Sache  einzuberufen. 

Bei  der  Einrichtung  unserer  Gesellschaft  sind,  wie  ich  wieder- 
holt betone,  die  Anregungen  von  ausschlaggebender  Bedeutung 
gewesen,  die  Comenius  selbst  in  seinem  Allgemeinen  Weck- 
ruf (der  Panegcrsie)  gegeben  hat.  In  dieser  Schrift  hatte  Come- 
nius  die  Bildimg  einer  Vereinigung  gefordert,  die  die  Vertreter 
aller  Parteien,  Konfessionen,  Nationen  und  Stande  um- 
fassen sollte. 

Obwohl  wir  nun  der  Ansicht  waren,  dass  die  „Vereinigung 
aller  Edlen  aus  allen  Nationen,"  wie  sie  Comenius  forderte,  ein 
für  uns  unerreichbares  Ideal  bleiben  werde,  so  schien  es  uns  doch 
richtig,  thunlichst  auf  den  Wegen,  die  uns  Comenius  gezeigt  hatte, 
zu  bleiben.  Die  Gesellschaft  durfte,  wenn  sie  dem  Ideal  des 
Comenius  einigennassen  nahe  kommen  wollte,  weder  als  ausschliess- 
lich gelehrte,  noch  als  ausschliesslich  gemeinnützige  Gesellschaft 
erscheinen  von  der  Vertretung  einseitiger  Parteiinteressen  ganz 
zu  schweigen. 

Die  Gesellsehaftslcitung  ist  bisher  von  dem  Gedanken  durch- 
drungen gewesen,  dass  sie  die  Aufgabe  habe,  das  Werk  fortzu- 
setzen, dessen  Bau  Comenius  einst  begonnen  hat,  den  Bau  jenes 
„Tempels  der  Weisheit,4'  in  dem  die  Nationen,  die  Stande  und  die 
Kirchen  in  Eintracht  beieinander  wohnen  können.  Man  weiss,  wie 
sehr  dem  grossen  Manne  das  „Apostelamt  unter  dem  Kleinvolk," 
wie  er  es  nannte,  am  Herzen  lag;  aber  dieses  Amt  war  ihm  doch 
nur  ein  Mittel  für  den  höheren  Zweck,  der  ihm  vorschwebte,  näm- 
lich für  das  „Prophetenamt  des  Friedens,"  dem  er  diente.  Der 
Weg»  den  er  dazu  wählte,  war  jener  „Königliche  Weg  des  Lichtes 
und  des  Friedens,  der  Weg  der  Einheit,  Einfachheit  und  Frei- 
willigkeit," wie  er  ihn  in  seinem  Weckruf  geschildert,  wie  er  sich 
in  seinem  Wahrzeichen,  das  nunmehr  auch  das  Denkzeiehcn  unserer 
Gesellschaft  ist,  in  sinnbildlichen  Zeichen  wiederspiegelt. 


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1894. 


\Vn£«>  und  YAv]v. 


15 


Wir  \v«*it  es  uns  bisher  gelungen  ist,  diesen  Zielen  uns  zu 
nähern,  mag  der  Beurteilung  der  Zukunft  anheimgestellt  bleiben; 
wir  haben  nach  unseren  Kräften  dafür  gearbeitet  und  nianehe 
l'nterstiitzung  bei  gleiehgi-stimmten  Männern  gefunden.  Möge  auch 
für  die  kommenden  Jahre  uns  die  nötige  Mitwirkung  und  (tottes 
Segen  nieht  fehlen  ! 


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Die  Schulordnung  in  Comenius'  Unterrichtslehre 
und  die  Frankfurter  Lehrpläne. 

Von 

Dr.  Karl  Reinhardt, 

(iviiumMitl-nmku.r  in  Frankfurt  a.  M 

Die  Frage,  oh  es  zweckmässig  ist,  den  fremdsprachigen 
lTnterricht  mit  einer  neueren  Sprache  zu  beginnen  und  den  An- 
fang des  Lateinischen  auf  das  zwölfte  «»der  dreizehnte  Lebensjahr 
zu  verschieben,  wird  augenblicklich  vielfach  erörtert.  Eine  Neu- 
ordnung des  höheren  Schulwesens  auf  diesen'  Grundlage  scheint 
aus  mancherlei  Gründen,  pädagogischen,  national-ökonomischen  und 
politischen,  wünschenswert  '). 

Man  hört  nun  gewöhnlich  sowohl  von  Laien  wie  von  Fach- 
leuten, von  Anhängern  einer  solchen  Keforni  wie  von  ihren  Gegnern 
die  Ansicht  äussern,  dass  dieser  Plan  etwas  dun  haus  Modernes  sei, 
«  ine  Erfindung  unseres  ebenso  eifrig  und  einseitig  gepriesenen  wie  ge- 
scholtenen Zeitgeistes.  Dem  ist  nicht  so;  der  Gedanke  ist  vielmehr 
schon  recht  alt.  Dieser  Sachverhalt  mag  manchen  von  denen,  die 
über  diese  Krage  geredet  und  geschrieben  haben,  bekannt  gewesen 

'!  Wir  verweisen  lx-huf*  weiterer  Oricntirunj»  hierauf  »Iii»  Ausfilhrun- 
«rcn.  die  Friedrich  I'uulsen  in  seiner  höchst  lx-achtcnswerten  Schrift: 
TImt  die  irrten  wältige  Lajre  iles  höheren  Schulwesens  in  Prcussen.  Berlin, 
K.  (laertner*  Verlag.  <  Preis  f>0  Pfp.)  jjcfiehcn  hat.    Paulsen  bespricht 

di irt  das  so^r.  Altonaer  oder  Frankfurter  System  und  Bernhardts  l^  hrpliine 
in  zustimmendem  Sinn.  Auch  Prof.  Dr.  .1.  HnaniHun  in  tiöttinfjen 
spricht  in  seinem  Buch  Volksschulen,  höhere  Schulen  und  t  ni ver- 
späten. Höningen  .  Vandenhock  und  Ruprecht  (M.  _'.  40)  mit  Ach- 
tung von  dem  Frankfurter  Versuch  und  billigt  dessen  Grundgedanken;  das 
ist  hei  der  sonstigen  Haltung  des  Buches  dop]»rlt  bemerkenswert. 

Die  Schriftleitn  njr. 


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1*<M. 


Reinhard»,  1  >ie  Schulordnung  in  (Vmionius'  etc. 


17 


sein:')  aber  nirgend  ist  meines  AVissens  hei  solchen  Erörterungen 
Jini'  den  Mann  hingewiesen  worden,  dein  hierin  die  Krstlingsehnft 
zukommt,  l'nd  doch  ist  es  kein  geringerer  als  Johann  Arnos 
Coincnius.  Die-  Schulordnung,  die  er  in  seiner  grossen 
lT nterriehtslehre  entwirft,  stimmt  in  wesentlichen  Punk- 
ten mit  dem  Lehrplsme  ühercin,  der  in  Deutschland  zu- 
erst an  dem  Realgymnasium  in  Altona  eingeführt  worden 
ist,  und  der  in  ausgedehnterem  Masse  augenblicklich  an 
mehreren  höheren  Schulen  in  Frankfurt  a.  M.  die  Probe 
zu  bestellen  hat. 

Die  Grundxügc  dieses  neueren  Reforinversuehes  sind  in  Kürze 
folgende:2} 

In  den  drei  unteren  Klassen  der  höheren  Schulen  wird  nur 
eine  fremde  Sprache  und  zwar  eine  neuere,  die  französische,  ge- 
lehrt. Auf  diese  Weise  wird  ein  gemeinsamer  Unterriehtsgnng 
für  die  drei  unteren  Klassen  sämtlicher  höheren  Schulen  herge- 
stellt. Die  sechs  ersten  Schuljahre  des  Knalx-n,  vom  sechsten  bis 
zum  zwölften  Lebensjahre,  sind  den  Dingen  gewidmet,  die  ihm 
durch  die  Anschauung  nahe  liegen,  und  deren  Anwendung  sich 
auf  das  ganze  Leben  erstreckt.-1} 

Der  rnterrieht  im  Lateinischen,  und  damit  der  eigentliche 
Gymnasialkursus  beginnt  erst  nach  vollendetem  zwölfteu  L-bens- 
jahre.  Zwei  Jahre,  die  Klassen  Unter-  und  Obertertia,  sind 
vornehmlich  der  Aneignung  des  Lateinischen  gewidmet,  das  in 
wöchentlich  10  Stunden  gelehrt  wird.  Darnach,  also  nach  vollen- 
detem vierzehnten  Lebensjahre,  beginnt  im  Gymnasium  das  Grie- 
chische, das  vier  Jahre  hindurch  in  wöchentlich  S  Stunden  ge- 
trieben wird. 

Man  wird  ve  rsuchen,  einen  inneren  Zusammenhang  zwischen 
den  fremden  Sprachen,  die  gelehrt  werden,  herzustellen,  so  dass 
das  r'Yanzösisehe  eine  Vorschule  für  das  Lateinische  und  diese 
beiden  Sprachen  wieder  eine  Vorbereitung  für  das  Griechische 

')  Der  Sehreiher  dieser  Zeilen  l>ckennt .  diu««  er  durch  die  Anregung 
eines  hiesigen  Ijchrcr».  de«  Herrn  Philipp  Zimmermann,  veranlasst  worden 
ist.  die  grosse  l 'nterriehtslehre  des  (oiiienins  auf  den  hex«>ic]ax>teii  Gesichts- 
punkt hin  durehzuarheilen. 

■)  Näheres  wolle  man  in  dem  Schriftchen  des  Verfassers  ..Die  Frank- 
furter 1^'lirpliine,  '  hei  Moritz  Dicsterweg.  nachlesen. 

">  Frankfurter  Lelupliinc  S.  21. 

Mimsl»li.  fK'  d.  r  Com.  Mni-«i-^llscl.:ift-    lyi.  •  > 


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\A  Uoii.har.il,  H,»ft  1. 

bilden.  So  hofft  man,  in  den  beiden  Jahren  der  Tort  in  «ine  sichere 
Ausbildung  im  Lateinischen  zu  erzielen  und  in  Untersekunda  die 
Elemente  des  Griechischen  zur  festen  Aneignung  zu  bringen. 

Bei  der  ersten  Sprache,  dem  Französischen,  geht  mau  vom 
gesprochenen  Wort«-  aus  und  versucht,  den  Knal>eu  vom  Hören 
zum  Sprechen  und  Losen  und  von  der  praktischen  Anwendung 
ih  r  Sprache  zum  bewussten  Aneignen  der  Spraehgcsetze  zu  führen. 

In  den  alten  Sprachen  wird  man  nach  kurzer  Vorberoitungs- 
zeit  mögliehst  Imld  zum  Srhrif'tstell<>r  und  zu  eindringenden  Übun- 
gen an  der  Sprache  selbst,  übersehen. 

Überall  wird  man  sieh  vorgegenwärtigen,  dass  Übung  und 
( iewöhnung  die  Grundlage  dos  Spraehonlornons  sein  muss,  und 
dass  das  tiefere  Erfassen  der  sprachlichen  Gesetze  und  die  eigent- 
liche sprachlich-logische  Bildung;  die  Aufgabe  eines  reiferen  Alters 
und  der  obersten  Klassen  ist. ') 

Wie  im  Gymnasium  das  Griechische,  so  beginnt  im  Real- 
gymnasium das  Englische  erst  in  Untersekunda.  Es  wird  also 
nach  dem  zwölften  Lebensjahre  ein  ÜIm  •rgang  zwischen  allen  höhe- 
ren Schulen  und  nach  dem  vierzehnten  Lebensjahre  noch  ein  Über- 
gang zwischen  Gymnasium  und  Realgymnasium  möglich  sein. 

Diese  Schulorgunisation  hat,  wie  gesagt,  .-im.  grosse  Ähn- 
lichkeit mit  derjenigen,  die  C'oinenius  in  der  grossen  Unterrichts- 
leluv  entwickelt.  Ein  unmittelbarer  Zusammenhang  zwischen  beiden 
besteht  nicht;  ob  ein  mittelbarer  angenommen  weiden  darf,  ist 
schwer  zu  entscheiden.  Wer  Gelegenheit  gehabt  hat,  den  ver- 
wickelten und  wunderlichen  Wegen  geistiger  Beeinflussung  nach- 
zuspüren, der  wird  einen  solchen  Zusammenhang  auch  dann  nicht 
leugnen,  wenn  es  unmöglich  wäre,  ihn  nachzuweisen.  Jedenfalls 
ist  es  wichtig  genug,  ('01110111110'  Ausführungen  kennen  zu  lernen. 
J>a  seine  Gründe  zum  grossen  Teil  auch  für  unsere  Verhältnisse 
noch  zutreffen,  so  ist  es  für  die  Vertreter  der  genannten  Schul- 
reform eine  erfreuliche  Bestätigung  der  Richtigkeit  ihrer  Ansich- 
ten, dass  sie  sich  auf  demselben  Wege  wissen,  den  der  Vater  der 
neueren  wissenschaftlichen  Pädagogik  schon  dereinst  für  den  besten 
erklärt  hat. 

Bekanntlich  ist  Gomenius  der  erste  gewesen,  der  die  For- 
derung einer  allgemeinen  Volksschule,  einer  gleiehmässigeu  und 


'1  Knuikhirtor  blirplüik'  S.  _»l  und  S.  17. 


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lSiM.  Schuhwlnunp  in  CnmeniiiV  rnlerriclitslehrc  etc. 


gemeinsamen  Vorbildung  aller  Angehörigen  derselben  Nation,  auf- 
gestellt und  ausführlich  begründet  hat.  Von  den  Lchrgegenstäiidcn 
und  der  lTnterrichtsdnucr  in  dieser  Schule  handelt  er  im  29.  Kapitel 
der  grossen  Unterriehtslchre.  „Zweck  und  Ziel  der  Volksschule," 
heisst  es  dort  i;  Ii1),  „wird  sein,  dass  die  gesamte  Jugend  vom 
sechsten  bis  zum  zwölften  oder  dreizehnten  Lebensjahre 
in  den  Dingen  unterrichtet  werde,  deren  A  nwendnng  sich 
auf  das  ganze  Leben  erstreckt."  Als  die  Gegenstände  des 
rnterriehts  in  dieser  Schule  bezeichnet  er:  Übung  im  mündlichen 
und  schriftlichen  Gebrauch  der  Muttersprache;  Rechnen  und  Geo- 
metrie;  Religion.«-  und  Sittenlehre;  einige  Kenntnis  vom  Wesen 
des  Staates,  in  dem  die  Kinder  leben;  Geschichte  und  Geographie; 
Handfertigkeitsunterricht.  Am  Schlüsse  des  Kapitels  fügt  er  hinzu 
(5j  19)-):  „Alles  einzelne  hierüber  sparen  wir  für  eine  andere  Zeit. 
Nur  wollen  wir  einstweilen  daran  erinnern,  dass,  wenn  einige 
Knaben  die  Sprachen  der  Nachbarvölker  zu  lernen  haben, 
dies  hier  geschehen  möge,  etwa  im  zehnten,  elften  und 
zwölften  Lebensjahre,  nämlich  zwischen  der  Volksschule 
und  der  Lateinschule." 

Kbenso  spricht  er  sich  im  '2'2.  Kapitel,  das  von  der  Methode 
der  Spmcherlemung  handelt,  dahin  aus,  dass  vor  dem  Lateini- 
schen eine  neuere  Sprache  zu  lernen  sei  (ij  8  ff.):  „Was  die 
Viclsprachigkeit  betrifft,  so  wird  folgender  rnterriehtsgang  die  Kr- 
lernung  verschiedener  Sprachen  kurz  und  leicht  machen:  .Jede 
Sprache  niuss  für  sich  allein  gelernt  werden;  nämlich  zuerst  die 
Muttersprache,  dann  diejenige,  welche  an  Stelle  der  Muttersprache 
anzuwenden  ist,  also  die  Sprache  eines  Nachbarvolkes.  Denn 
ich  halt«' dafür,  da*s  die  Umgangssprachen  den  gelehrten 
vorauszuschicken  sind.  Dann  die  lateinische,  darnach  die 
griechische,  hebräische  u.  s.  w.,  immer  eine  nach  der  andern, 
nicht  zugleich,  sonst  verwirrt  die  eine  die  andere3).  End- 


')  .1.  A.  (  Vduciiii  Opern  didaclica  oiniiin.  Amsterdam  1i»"i7.  1\  l.  Didac- 
tica  magna,  p.  17:!.  —  1  He  ri>L-r»itzuug  von  Limitier  mit  hinlcitung  (Päda- 
gogische Kla&dkcr  II.  I,  Wien,  Pichler)  ict  gelegentlich  zu  Kate  gezogen. 

vl  Opera  did.  P.  I  p.  17t»:  Partictilariora  «piao<pio  in  aliud  tenipue  rc- 
scrvniiius,  hoc  interini  inonentes.  ut  si  qui  pueri  ediseeudis  viciuarum  gentium 
Unguis  nperam  dare  deUelnint,  id  hie  (tat,  circa  actatis  anmiiu  deciuumi,  undu- 
ciuiuni.  duodeciiuum :  mmpe  inter  M-holain  vcrmiculnm  et  latinam. 

■')  Opera  did.  P.  I   p.  I_N:   l.Juaelil.et  lmgiia  Morsim  di-catur ;  primo 

2* 


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20 


Keinhanlt. 


Heft  1. 


lieh  jedoch,  wenn  sie  durch  Übung  befestigt  sind,  können  sie  vor- 
teilhaft durch  vergleichende  Wörterbücher  und  Grammatiken  in 
Beziehung  gesetzt  werden." 

So  eifrig  Uomenius  die  allgemeine  Volksschule  befürwortet, 
so  erkennt  er  also  doch  die  Notwendigkeit  einer  besonderen  Unter- 
weisung für  diejenigen  Schüler  an,  die  die  neueren  Sprachen  zu 
lernen  haben.  Dieser  Unterricht  soll  in  die  Zeit  vom  neunten  bis 
zum  zwölften  I^  bensjahre  fallen,  also  genau  entsprechend  den  drei 
unteren  Klassen  des  Frankfurter  Ixdirplans. 

Wenn  wir  daneben  den  Vorschlag  finden in  diesen  drei 
•Jahren  mehren'  Umgangssprachen  nach  einander  in  Angriff  zu 
nehmen,  so  widerspricht  das  in  gewissem  Sinne  dem  eben  von 
ihm  aufgestellten  trefflichen  Grundsätze,  den  er  von  seinem  didak- 
tischen Vorgänger  Ratiehius  übernommen  hatte,  dass  es  unrichtig 
ist,  die  Elemente  mehrerer  Sprachen  neben  einander  oder,  was 
dasselbe  ist,  in  zu  rascher  Folge  nach  einander  zu  lehren.  Erst 
wenn  in  der  einen  Sprache  Sicherheit  erlangt  ist,  darf  man  zur 
Erlernung  «'inor  zweiten  übergehen,  sonst  tritt  eine  gegenseitieg 
Störung  und  Verwirrung  ein.  Diese  Wahrheit  hat  man  leider  bei 
der  Organisation  des  modernen  Gymnasiums  in  den  ersten  Jahr- 
zehnten unseres  Jahrhunderts  zu  wenig  beachtet.  Das  unrichtige 
Streben,  mit  den  verschiedensten  Sprachen,  alten  und  neuen,  mög- 
liehst frühzeitig  zu  beginnen,  hat  dahin  geführt,  dass  in  unseni 
höheren  Schulen  zwölfjährige  Knaben  gleichzeitig  in  drei  fremden 
Sprachen  unterrichtet  werden.  Die  Wirkung  dieses  Unterrichts- 
ganges musste  sein,  dass  das  Erlernen  der  Elemente  der  ver- 
schiedenen Sprachen  sich  auf  eine  grosse  Zahl  von  Jahren  aus- 
dehnte, und  dass  das  lange  Verweilen  in  einer  nur  vorbereitenden, 
wenig  Fortschritt  zeigenden  Thätigkeit  vielfach  den  Ijcmeifer  der 
Jugend  hemmte.  Denn  das  spornende  (iefühl  des  erreichten  Er- 
folges liisst  bei  dieser  Methode  allzu  lang  auf  sich  warten. 

Es  ist  also  eine  Rückkehr  zu  einer  alten  Weisheit  und  kein 
aus  Neuerungssucht  entspringendes  Experimentieren,  wenn  wir,  wie 


n<>ni|H'  vernacula,  tum  <|i>ae  vernanila«'  loo»  usnipamla  «*t,  put a  viriiim» 
nti*  lingiia.   I'i  -aoiuit  U'IkIhk  eiiim  n-ihcn  lingua*  vulgär«-*  iloetis. 
Tum  latina  ot  \H**t  haue  >rra«-ia,  h<hra«-a  et«-.  -»ni|«>i  alia  jMist  aliam.  mm 
simiil:  aliu*  confuwiet  hacc  illaai. 
')  OjM-ra  did.  I.  i«.  1J1»  init. 


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1N<>4.         l>i«'  Schulordnung  in  ('«»nullius'  riitcrrirlitidclnv  et«-. 


dies  in  den  Frankfurter  I^chi-pläncn  pesehieht,  den  Voi>ehläjjcn  des 
Comenius  tollend  <>iiuiml  den  Versuch  machen,  die  eine  Sprache 
nach  der  andern  zu  lehren  und  mit  den  klassischen  Sprachen 
nicht  eher  zu  beginnen,  als  Iiis  dir  allgemeine  Vorbildung  zu 
einem  gewissen  Abschlüsse  pekonnnen  und  in  der  Muttersprache 
und  wenigstens  einer  neueren  Spmche  eine  tüchtige  sprachliche 
(Irundlage  gewonnen  ist. 

Das  Haupthindernis,,  das  einer  solchen  tnterrichtsgcstaltung 
in  den  Augen  vieler,  die  e«.  ernst  nehmen  mit  der  Erhaltung 
unseres  tüchtigen  Schulwesens,  im  Wege  steht,  ist  die  Befürchtung, 
die  beiden  ahen  Sprachen,  das  lateinische  und  Griechische,  uml 
damit  die  humanistische  Bildung,  die  Grundlage  unserer  geistigen 
Kultur,  komme  zu  kurz,  wenn  der  Kursus  des  eigentlichen  Gun- 
nasiums  erst  nach  dem  vollendeten  zwölften  I^cbensjahrc  einsetze. 
Der  Schreiber  dieser  Zeilen  teilt  die  rberzeugung,  duss  die  Auf- 
lösung unseres  geistigen  Zusammenhangs  mit  dein  Altertum  und 
das  Aufheben  der  humanistischen  Bildung  eine  der  schwersten 
Schädigungen  wäre,  die  unser  Volk  und  das  gesamte  ( ieistcsleben 
der  modernen  Kulturvölker  tieften  könnte.  Aber  er  ist  ebenso 
überzeugt,  dass  die  gegenwärtige  Verfassung  der  (ivinnasieu  nicht 
geeignet  ist,  einer  solchen  Gefahr  mit  dauerndem  Erfolge  entgegen- 
zuwirken. 

Wir  sind  neuerdings  in  den  pädagogischen  Auseinander- 
setzungen und  in  der  Beurteilung  von  I /einplanen  allzusehr  in  das 
äussere  Zählen  nach  Jahreskursen  und  Stundenzahlen  gekommen ; 
solche  Statistik  macht  befanden.  Wie  viel  mehr  Anlass  hätte  Come- 
nius  zu  der  Besorgnis  haben  müssen,  ob  es  ihm  gelingen  könne, 
mit  seinen  sechs  Jnhrcsknrsen  das  Ziel  zu  erreichen,  das  er  sich 
stecken  musste.  Er  ist  ja  in  manchen  Dingen  durchaus  nicht  den 
Humanisten  zuzuzählen,  weder  nach  seinem  eigenen  Wesen  noch 
nach  der  herrschenden  Zeitrichtung.  Aber  eine  allseitige  Beherr- 
schung des  lateinischen  in  Wort  mul  Schrift  setzt  er  als  selbst- 
verständliches Ziel  seiner  Schule  voraus.  In  lateinischer  Sprache 
soll  in  den  oberen  Klassen  der  Unterricht  in  allen  den  Gcgen- 
ständen  betrieben  werden,  von  denen  später  die  Hede  sein  wird. 
Auch  im  Griechischen  verlangt  er  Verständnis  der  Schriftsteller, 
t'nd  doch  will  er  das  Lateinische  erst  nach  vollendetem  zwölften 
Lebensjahre  beginnen  und  das  Griechische  zwei  Jahre  später.  Er 
ist  überzeugt,  da**  unter  Zugrundelegung  seines  l'nterrichtsgnngcs 


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2  2 


Reinhardt. 


Heft  1. 


(Ho  Kl  erneute  des  lateinischen  in  zwei  Jahren,  die  des  Griechi- 
schen in  einem  Jalire  tK'Wjiltiyrt  werden  können  M. 

Allerdings  schreibt  er  «'ine  methodische  Behandlung  den 
Spraehunterriehts  vor,  von  der  man  sieh  leider  oft  und  weit  ent- 
fernt hat,  und  die  man  in  unserer  Zeit  vielfach  als  neue  Entdeckung 
preisen  hört,  obwohl  sie  schon  so  alt  ist.  Man  wird  diese  Regeln 
auch  jebct  nicht  ohne  Nutzen  lesen. 

,Jede  Sprache,"  sagt  er  Kap.  22  $  1 1  ff.*),  „inuss  mehr  durch 
den  Gebrauch  als  durch  Hegeln  gelernt  werden,  das  ist,  durch 
Hören,  Lesen,  Wicderlcscn  und  durch  möglichst  häufige  mündliche 
und  schriftliche  Xaehahmungsversneho. 

„Doch  sollen  die  Regeln  den  Gebrauch  stützen  und  befestigen. 
Das  gilt  besonders  von  den  gelehrten  Sprachen,  die  wir  aus  Rüchen» 
schöpfen  müssen,  aber  auch  von  den  Umgangssprachen;  denn  auch 
die  italienische ,  französische ,  deutsehe ,  böhmische ,  ungarische 
können  in  Regeln  gefasst  werden  wie  dies  bereits  geschehen  ist. 

„Die  Spraehregeln  sollen  grammatisch,  nicht  philosophisch 
sein.  Das  ist,  sie  sollen  nicht  scharfsinnig  nach  Begründung  und 
Ursprung  von  Worten,  Atisdrücken  und  Konstruktionen  forschen, 
warum  es  sieh  so  oder  so  notwendig  habe  gestalten  müssen,  sondern 
sie  sollen  einfach  darlegen,  was  vorkommt  und  wie  es  vorkommt. 
Jene  scharfsinnige  Erwägung  der  Gründe  und  inneren  Verknüpfung, 
des  Regelmässigen  und  Unrcgelmsissigen,  das  sich  in  den  Dingen 
und  Worten  findet,  geht  den  Philosophen  an  und  hält  den  lernen- 
den nur  auf. 

„Die  bereits  gelernte  Sprache  inuss  die  Richtschnur  bilden 
für  die  Festsetzung  der  Regeln  einer  neuen  Sprache,  sodass  nur 
die  Unterscheidung  zwischen  dieser  und  jener  aufgezeigt  wird. 
Denn  die  Wiederholung:  des  (•enieiiisanien  ist  nicht  nur  un- 
nütz, sondern  sogar  schtfdich.  weil  sie  den  (»eist  durch  den 
Schein  einer  grosseren  Weitschweifigkeit  und  Abweichung, 
als  thatsifchlich  vorhanden  ist.  schreckt.  Z.  B.  braucht  man 
in  der  grieehischi'ii  Grammatik  durchaus  nicht  die  Begriffsbestim- 
mungen des  Xoniens,  des  Verbums,  der  Kasus  und  Tempora  zu 
wiederholen,  oder  syntaktische  Regeln,  die  nichts  Xeues  bringen, 


')  Oper»  diu".  I.  \>.  12!»:  Latinai'  (lingutuO  Studium  absolvi  pol  «st  biemiio, 
inaorao  uno  nnno. 

-')  Opera  did.  I.  p.  12!». 


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lSiM.         l>i<-  S-hulonliiiuijr  in  Cmuenius'  rnlenulilflehrf  Hr.  •_>;{ 

\\v\\  man  das  Verständnis  hierfür  voraussetzen  kann.  Ks  sollen 
also  mir  die  Hekeln  aufgestellt  werden,  in  denen  das  (Jriechisehc 
von  dem  bereits  bekannten  Lateinischen  abweicht.  Dann  wird 
man  die  griechische  (irammntik  auf  einige  Blätter  zusammenziehen 
können,  und  es  wird  alles  bestimmter,  leichter  und  fester  sein. 

„Die  ersten  Übungen  in  einer  neuen  Sprache  müssen  an 
einem  bereits  bekannten  Stoffe  vorgenommen  werden  .... 

„Alle  Sprüchen  können  also  nach  derselben  Methode  gelernt 
werden:  nämlich  durch  den  (lebraneh,  durch  Hinzufügung  der 
leichtesten  Kegeln,  die  nur  den  Unterschied  von  der  bekannten 
aurweisen,  und  durch  Übung  ;m  bekannten  Stoffen." 

In  diesen  Sätzen  sehiess<'n  gewiss  manche  Bemerkungen  über 
das  Ziel  hinaus;  aber  ebenso  wahr  ist,  dass  wir  noch  kaum  den 
Anfang  gemacht  haben,  die  elementaren  Satzlehren  der  fremden 
Sprachen,  die  der  Knabe  lernen  muss,  so  einzurichten,  dass  die 
nächstfolgende  sieh  auf  der  vorhergehenden  aufbaut.  Die  Be- 
rechtigung dieser  Forderung  aber  wird  wohl  niemand  bezweifeln; 
sie  findet  sich  auch  in  den  neuen  preussischen  Lehrplänen  S.  21» 
und  28. 

Ebenso  richtig  ist  die  Bemerkung,  dass  man  im  Anfangs- 
unterricht einer  fremden  Sprache  nur  das  Thatsäehliehc  in  einer 
einfachen,  natürlichen  Weise  beibringen,  die  tiefere  sprachlich- 
logische  Bildung  aber  dem  späteren  Alter  vorbehalten  soll.  Wie 
damals  eine  klügelnde  Philosophie,  so  ist  in  unserer  Zeit  eine  scharf- 
sinnige Sprachforschung  dem  Elementarunterricht  in  den  fremden 
Sprachen  oft  mehr  hinderlieh  als  förderlich  gewesen. 

Der  augenblicklich  wieder  geführte  Streit  über  die  Frage: 
ob  kurz«-,  ob  lange  (Grammatiken,  wird  etwas  einseitig  zu  dunsten 
der  kurzen  entschieden.  Richtig  seheint  aber  doch,  dass  eine  Elc- 
nicntargrnnunatik,  nach  der  der  Knabe  eine  Sprache  zu  lernen  hat, 
nur  die  Hauptregeln  und  die  ( irundgesetze  deutlich  und  klar  MM- 
Augen  bringen,  und  nicht  die  Eigentümlichkeiten  in  bunter  Mannig- 
faltigkeit als  ein  Heer  von  Ausnahmen  und  Besonderheiten  vor- 
führen soll.  Den  Reichtum  der  Sprache  in  Ausdrücken  und  Wen- 
dungen, in  Abweichungen,  die  doch  wieder  auf  die  (irundgoetze 
zurückgehen,  kann  man  nur  an  der  Sprache  selbst,  am  Schrift- 
steller, nachweisen  und  beobachten  und  auffassen.  Eine  svstema- 
tische  Belehrung  darüber  muss  notwendiger  Weise  ebenso  un- 
vollständig bleiben,  wie  sie  unzweckmäßig  ist. 


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24 


Reinhardt, 


Heft  1. 


(oincnius  ist  mit  seinem  Vinxt* hinge  einer  allgemeinen,  mög- 
lichst gleichmässigen  Vorbildung  aller  Knaben  Ins  zum  zwölften 
oder  dreizehnten  Lebensjahre  nicht  durchgedrungen.  Nur  eins  hat 
die  Bewegung,  die  von  ihm  und  Ratiehius  ausging,  erreicht,  dass 
die  bis  dahin  allgemein  herrschende'  Sitte  abkam,  den  lateinischen 
Unterricht  schon  mit  den  sechsjährigen  Knaben  zu  beginnen  und 
an  dieser  fremden  Spruche  das  Abc,  das  Lesen  und  Schreiben  zu 
lehren,  ohne  irgend  welche  Vorkenntnisse  in  der  Muttersprache. 
Nicht  ohne  langes  Widerstreben  der  damaligen  Vertreter  der  alten 
Ijateinschule  und  der  alten  Methode'  wurde  der  Beginn  des  Latei- 
nischen allmählich  wenigstens  vom  sechsten  auf  das  neunte  bis 
zehnte  Lebensjahr  verschoben. 

Obgleich  also  Comenius  Zustande  voraussetzt,  die  mit  den 
unseren  nicht  völlig  übereinstimmen,  so  lohnt  es  doch,  die  Gründe 
kennen  zu  lernen,  mit  denen  er  seine  Schulorganisation  empfiehlt, 
denn  zum  Teil  sind  sie  auch  jetzt  noch  gültig  und  auch  auf  unsere 
Verhältnisse  anwendbar. 

1.  „Wir  beabsichtigen,"  sagt  er  Kap.  2M  $.  2,')  „eine  ge- 
meinsame Ausbildung  aller,  die  als  Menschen  geboren  sind,  zu 
allem  Menschlichen.  Alle  sind  also  gemeinsam  zu  führen, 
soweit  sie  gemeinsam  geführt  werden  können,  damit  >ic 
sieh  gegenseitig  ermutigen,  aufmuntern  und  anspornen. 

2.  Wir  wollen  alle  zu  allen  Tugenden  bilden,  auch  zur  Be- 
scheidenheit, Kintraeht  und  gegenseitigen  Gefälligkeit.  Deshalb 
darf  man  sie  nicht  so  frühzeitig  auscinanderreissen,  auch  darf  mau 
nicht  einzelnen  die  Gelegenheit  geben,  vor  anderen  selbstgefällig 
zu  werden  und  andere  gering  zu  achten. 

„Vu\  das  sechste  Ix'bensjnhr  herum  bestimmen  zu  wollen, 
für  welchen  Beruf  einer  geeignet  ist,  für  die  Wissenschaft  oder  für 
ein  Gewerbe,  seheint  eine  Übereilung  zu  sein.  Hier  zeigen  sich 
noch  nicht  genügend  die  Kräfte  und  Neigungen  des  Geistes,  beide 
treten  später  besser  hervor.  So  kann  man  auch  in  einem  (»arten, 
so  lange  die  Pflanzen  noch  ganz  zart  sind,  nicht  erkennen,  welcln« 
man  ausjäten,  welche  man  stehen  lassen  soll,  sondern  erst,  wenn 
sie  herangewachsen  sind.  Auch  werden  nicht  allein  die  Kinder 
der  Reichen  und  Adligen  und  der  Beamten  zu  solchen  Stellungen 
geboren,  dass  ihnen  allein  die  Litteinschule  offen  stehen  sollte, 


')  Oi*«™  di<l.  1\  I.  j».  17J. 


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ISfH. 


Dir  Schulordnung  in  ("'omcaia*'  rnU-rrithti*lehrc  otc. 


2'» 


während  die  übrigen  gcwissermasscn  hoffnungslos  zurückgewiesen 
werden.  Der  Wind  weht,  wohin  er  will,  und  er  beginnt  nicht 
immer  zu  einer  bestimmten  Zeit  zu  wehen. 

4.  „Der  vierte  Grund  ist,  dass  unser  allgemeiner  Ijchrgang 
nieht  lediglich  jene  ineist  so  unfriiehtbar  geliebte  Nvmphe,  die 
lateinische  Sprache,  zunf  Ziel  hat,  sondern  einen  Weg  sucht  für 
die  gleich  massige  Ausbildung  der  Muttersprachen  aller  Völker, 
damit  je  mehr  und  mehr  jeder  Athcmzug  Gott  lobe.  Diese  Ab- 
sieht aber  darf  nicht  durch  ein  so  willkürliches  Überspringen  der 
ganzen  Muttersprache  gestört  werden. 

;").  „Fünftens:  jemand  eine  fremde  .Spniehe  lehren  wollen, 
bevor  er  die  einheimische  fest  innc  hat,  ist  fi  nale  so,  als  ob  du 
deinen  Sohn  wolltest  reiten  lernen  lassen,  ehe  er  gehen  kann. 
Besser  ist  es  zu  sondern.  Wie  Cicero  sagt,  (lass  er  niemand 
die  Hen'dsamkcit  beibringen  könne,  der  nicht  ordentlich  zu  sprechen 
verstehe,  so  bekennt  unsere  Methode,  dass  sie  niemand  lateinisch 
h'hrcu  könne,  der  nicht  seine  Muttersprache  kennt.  Denn  diese 
soll  zu  jener  hinüber  leiten. 

(i.  „Kndlich,  da  wir  eine  sacldiche  Ausbildung  erstreben,  so 
können  unsere  Schüler  ebenso  gut  durch  den  äusseren  Kreis  der- 
selben geführt  w eitlen  mit  Hülfe  von  Büchern,  die  in  der  Mutter- 
sprache geschrieben  sind,  und  die  die  Bezeichnungen  enthalten. 
Später  werden  sie  die  lateinischen  Wörter  um  so  leichter  ver- 
stehen, da  ihnen  die  Sachen  bekannt  sind  und  sie  sieh  nur  die 
neuen  Namen  anzueignen  haben.  Tnd  während  >ie  bisher  die 
Dinge  nur  auf  empirischem  Wege  kennen  gelernt  haben,  werden 
sie  mm  die  innere  Begründung  in  schöner  Steigerung  hinzu- 
fügen." 

Die  letztgenannte  Aufgabe,  «las  innere  Verständnis  der  Dinge 
zu  ersehliessen,  also  die  eigentlich  wissenschaftliche  Vorbildung 
zu  geben,  und  als  notwendiges  Werk-  und  Hüstzeug  dazu  die 
Kenntnis  der  gelehrten  Sprachen  zu  vermitteln,  fällt  der  auf  die 
Mutterspraehsehule  folgenden  höheren  Schule,  dem  ( ivnuinsiutn, 
zu.  Ks  soll  einen  sechsjährigen  Kursus,  vom  zwölften 
oder  dreizehnten  bis  zum  achtzehnten  oder  neunzehnten 
Lebensjahre  und  dement  sprechend  sechs  Klassen  haben. 
(Kap.  27  ij.  1  und       Kap.  M)  $   |.) ') 

■i  0|i.ia  di.i.  I.  |>.  in;,  177-  -i;s. 


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_'o 


RHnhnnlt. 


Urft  1. 


Pic  verschiedenen  Ziele  der  Mutterspnich-  oder  Volksschule 
und  des  Gymnasiums  charakterisiert  Comenius  treffend  durch  fol- 
gende Bestimmungen  (Kap.  27  §.(})'):  «In  der  Muttcrsprachschulc 
soll  der  innen-  Sinn,  die  Kinbildungskraft  und  das  Gedächtnis  nebst 
ihren  vollziehenden  Organen,  der  Hand  und  der  Zunge,  geübt 
werden  und  zwar  durch  Lesen,  Schreiben,  Zeichnen,  Sinken, 
Rechnen,  Messen,  Wägen  und  mannigfache  Gedächtnisübungen. 
Im  Gymnasium  soll  das  Verständnis  und  die  Beurteilung  aller 
durch  die  Sinne  gesammelten  Gegenstände  durch  Dialektik,  Gram- 
matik und  Rhetorik,  sowie  durch  die  übrigen  realen,  auf  dem 
Wege  des  Was  und  des  Weshalb  überlieferten  Künste  und 
Wissenschaften  gebildet  werden." 

Genauer  werden  im  .'50.  Kapitel  die  Grundzüge  des  sechs- 
klassigen  Gymnasiums  entworfen.2)  Ks  wird  dem  Leser  vielleicht 
nicht  unwillkommen  sein,  auch  hierüber  einiges  zu  hören,  obgleich 
die  Vergleichungspunkte  mit  den  modernen  Verhältnissen  hier 
geringer  sind. 

Die  Ivehrgegenstände  sind  zunächst  die  des  mittelalterlichen 
Triviums.  Grammatisch  sollen  die  Schüler  so  weit  gefordert  wer- 
den, dass  sie  im  lateinischen  und  in  der  Muttersprache  von  allen 
sprachlichen  Beziehungen  Bechenschaft  abzulegen  im  stände  sind, 
im  Griechischen  und  Hebräischen  so  weit  es  zum  Verständnis  der 
Schriftsteller  nötig  ist.  Von  der  Methode  der  Spracherlcruung  ist 
bereits  die  Hede  gewesen. 

Die  Dialektik  und  Rhetorik,  als«»  die  tiefen-  sprachlich-logische 
Ausbildung,  fällt  den  beiden  obersten  Klassen  zu.  die  infolgedessen 
auch  die  Bezeichnung  Dialectica  und  Rhetoriea  führen. 

Nach  dem  Trivimn  werden  die  Gegenstände  des  Quadriviums 
genannt,  Arithmetik,  Geometrie,  Musik  und  die  Anfangsgründe 
der  Astronomie.  Aber  die  Schüler  sollen  noch  weiter  gefördert 
werden,  sie  sollen  auch  in  Phvsik  (Naturgeschichte),  Geographie, 
Geschichte,  Kthik  und  Theologie  unterrichtet  werden.  Die  realen 
Fächer  sind  mehr  den  mittleren  Klassen  überwiesen,  die  davon 
die  Namen  Physica  und  Matliematica  haben.  Die  Geschieht«'  soll 
sich  durch  alle  Klassen  ziehen.  Die  vierte  Klasse  von  unten  heisst 
Kthiea. 


'i  Ii».  |i.  ]i;:>. 

')  Opern         I.  i».  17t;  (!'.:         Iji.'  Inlinac  «Iclinrutin. 


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I.SiM. 


Die  Srliultmlnunp  in  Comenius  UiifornVhlsMiro  etc. 


27 


„In  allen  diesen  Fächern,"  sagt  ( 'omeniiis, ')  „möchten  wir 
dein  Jüngling  nach  Vollendung  dieses  sechsjährigen  Kursus,  wenn 
auch  keine  voll»-  Bildung,  so  doch  wenigstens  eine  feste  Grund- 
lage für  eine  zukünftige  Ausbildung  geben.  Denn  Vollkommenheit 
lässt  das  jugendliehe  Alter  nicht  zu,  da  längere  Erfahrung  nötig 
ist,  um  die  Theorie  durch  die  Praxis  zu  befestigen,  auch  kann 
innerhalb  einer  Zeit  von  sechs  Jahren  das  ganze  Meer  der  Bildung 
unmöglich  erschöpft  werden." 

Am  Schlüsse  des  Gymnasial-Kursus  soll  eine  Reifeprüfung 
darüber  entscheiden,  ob  der  Schüler  die  Befähigung  zum  Studium 
auf  der  Universität  hat,  und  für  welches  Fach  er  besonders  ge- 
eignet ist.  Ks  ist  dies  wohl  der  erste  derartige  Vorschlag,  der 
sich  in  der  pädagogischen  Litteratur  findet.  „Es  wäre  geraten," 
heisst  es  Kap.  :il  ■) ,  „dass  gegen  Ende  der  klassischen  Schule  von 
der  Schulobrigkeit  eine  öffentliche  Prüfung  der  Geistesanlagen 
(ingenionun)  veranstaltet  würde.  Nach  ihrem  Urteil  müsste  ent- 
schieden werden,  welche  Jünglinge  zur  Universität  entlassen,  und 
welche  für  andere  Berufsarten  bestimmt  werden  sollen.  Bei  den- 
jenigen, die  ihre  Studien  fortsetzen  sollen,  wäre  gleichfalls  auszu- 
sprechen, wer  sieh  der  Theologie,  der  Staatswissenschaft,  der 
Medizin  u.  s.  w.  widmen  soll,  je  nachdem  sieh  die  Neigung  der 
Natur  kund  giebt,  oder  auch  die  Notwendigkeit  der  Kirche  oder 
des  Süuites  es  erfordert." 

Wer  den  hier  besprochenen  Sehulplan  im  einzelnen  prüft,  wird 
allerdings  manche  offene  Frage,  manches  Unausgeglichene,  ja  auch 
Widersprüche  finden.  So  sollte  man  nach  Kap.  22  glauben,  dass 
der  Aneignung  der  lateinischen  Sprach«'  zwei  volle  Jahre  und  die 
beiden  unteren  Klassen  vornehmlich  gewidmet  wären.  Statt  dessen 
führt  nur  die  unterste  Klasse  den  Namen  Grnnnnatica,  und  nur 
in  diesem  einen  Jahn*  bildet  das  Lateinische  den  Hauptgegenstand 
des  Unterrichts.  So  sollen  auch  in  einem  Jahre  die  beiden  Jahr- 
bücher bewältigt  werden,  die  Comcnius  selbst  für  den  lateinischen 
Anfangsunterricht  entworfen  hat,  das  Vestibulum  und  die  Janna.) 
Bestimmte  Angaben  über  die  Klasse,  in  der  das  Griechische  ein- 
setzen soll,  vermissen  wir  hier  ganz. 


')  Ojjora  tlid.  I.  |>.  177. 
'•)  Ojmih  tli<l.  I.  |».  \HJ. 
)  Opera  <li<l.  I.  p.  I7(.l. 


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2K  Reinhardt,  Heft  1. 

Comcniiis  selbst  hat  dir  Lücken  und  Mängel  dieses  Grund- 
nsses  wohl  empfunden.  Er  entschuldigt  sieh  damit,  das*  die  Praxis 
das  ITbrige  von  selbst  an  die  Hand  gehen  werde.  Ixider  ist  aber 
dieser  Entwurf  durch  die  Schuld  des  Verfassers  niemals  in  der 
Praxis  versucht  worden.  Die  „pansophisehe  Schule" ')  in  Patak  in 
Ungarn,  die  Comcnius  selbst  leitet«',  hat  zwar  in  ihrer  Anlag«' 
manche  Ähnlichkeit  mit  dem  besprochenen  Plane,  doch  ging  sie 
wieder  von  anderen  Grundlagen  aus,  wurde  auch  wenige  Jahre 
nach  der  Eröffnung  durch  den  Tod  des  Patrons,  des  Fürsten  Rrikoczy 
wieder  aufgelöst. 

Der  vielbeschäftigte,  rastlos  thatige  Mann  verlor  das  Nächst- 
liegende, Erreichbare  suis  den  Augen  über  all/.u  weitausgreifenden 
Plänen  und  unerfüllbaren  Hoffnungen.  Auch  urteilte  er  gewiss 
in  vielen  Dingen  einseitig  und  befangen.  Nichtsdestoweniger 
haben  seine  pädngogihchcn  Bestrebungen,  vor  allem  seine  grosse 
l 'nterriehtslehre  auf  die  ganze  nachfolgende  Zeit  befruchtend  ge- 
wirkt und  Gedanken  angeivgt,  die  wie  Keime  langsam  sieh  ent- 
wickelnd allmählich  das  ganze  l  Tnterrichtswesen  durchdningcn  und 
umgestaltet  haben.  Das  Buch  ist  trotz  mancher  Absonder- 
lichkeiten auch  jetzt  noch  eine  Fundgrube  trefflicher 
pädagogischer  Lehren. 

Zu  den  gesunden  Gedanken  dieses  Werkes,  die  noch  der 
Erfüllung  harren,  rechnen  wir  die  besprochene  Schulorgniiisation. 
Wenn  Comcnius  in  einer  Zeit,  in  der  das  lateinische  die  herr- 
schende Sprache  aller  Gelehrsamkeit  und  höheren  Bildung  war, 
im  Interesse  der  Allgemeinheit  und  aus  triftigen  pädagogischen 
Gründen  verlangte,  dass  die  Erlernung  neuerer  fremder  Sprachen 
dem  lateinischen  vorangehe,  und  dass  der  Liteinunterricht  erst 
nach  vollendetem  zwöften  Iicbcnsjahrc  beginne,  wie  soll  man  sieh 
in  unserer  Zeit  einer  solchen  Forderung  verschliessen,  wo  der 
praktische  Gebrauch  jener  Sprache  allen  Boden  verloren  hat  und 
die  äusseren  Verhältnisse  immer  heftiger  auf  eine  solche  L">smig 
der  Schulfrage  hindrängen".' 

Von  den  zahlreichen  Schülern,  die  jetzt  in  Preussen  lateinisch 
und  Griechisch  lernen,  erreicht  nach  amtlicher  Feststellung2)  nur 

')  Siehe  darüber  Opera  •       1'.  III.  p.  X-  II  I. 

luchrphuie  iukI  Leina»  fjrabcn  nebst  Kiiäiiteruojfcn,  S.  H7.  Im  den 
dort  pepebenen  Zahlen  sind  die  Itculjryuma.'iicn  und  Obcrrealsehiden  a)lcrdin^> 
mit  sn'i-eeliaet.    >iimiiil  man  die  <lvmnn*im  für  sieh  allein,  so  ergeben  Meli 


1X04. 


Dir  Schulordnung  in  Comenius'  rnterrieht^lehre  etc. 


20 


etwa  ein  l'Yinftel  (Iiis  Ziel  der  S<'lml<» ;  fast  vier  Fünftel  treten 
ohne  den  Absehluss  der  Reifeprüfung  erreicht  zu  haben  ins  lieben, 
also  mit  einer  Schulbildung,  die  wenigstens  in  Hinsieht  der  beiden 
alten  Sprachen  als  eine  unvollkommene  und  unzweckmässigo  be- 
zeichnet werden  nniss.  Die  Hälfte  wieder  von  den  Letzteren  er- 
reicht nicht  einmal  diis  Zeugnis  für  den  einjährigen  Militärdienst, 
bleibt  also  in  den  ersten  Elementen  der  alten  S|>rachen  stecken 
und  hat  für  eine  mühselige  Arbeit  keinerlei  äusseren  und  einen 
kaum  nennenswerten  inneren,  geistigen  Gewinn. 

Dieser  Zustand  schädigt  nicht  am  wenigsten  die,  die  wirk- 
lich Lateinisch  und  (iriechisch  lernen  wollen;  er  drückt  das  Niveau 
der  klassischen  Bildung  im  allgemeinen  herab  und  mehrt  das  Heer 
derer,  die  aus  eigener  Erfahrung  sich  berechtigt  glauben,  dem 
I  nterriehte  in  den  alten  Sprachen  allen  Wert  abzusprechen.  (  ome- 
nius  nannte  schon  für  seine  Zeit  die  lateinische  Sprache  eine  vulgo 
tarn  impotenter  adamata  nympha;  was  würde  er  zu  unserem  La- 
teinlemcn  sagen'.' 

Dass  solche  Verhältnisse  nicht  auf  die  Dauer  bestehen  bleiben, 
darf  man  wohl  als  sicher  betrachten.  Sie  werden  früher  oder 
später  beseitigt  werden  durch  die  Macht,  die  den  praktischen  Bc- 
dürfnissen  inne  zu  wohnen  pflegt.  Die  zahlreichen  Angriffe,  «Ii«« 
sich  heutzutage  gegen  den  l'ntenicht  in  den  alten  Sprachen  über- 
haupt richten,  sind  ein  Symptom  der  Missstimmung;  sie  finden 
immer  neue  Nahrung  in  dem  Zwang,  den  unsere  Schulorgmiisutiou 
auf  die  Beschäftigung  mit  den  alten  Sprachen  ausübt.  Der  (inmd 
aber  dafür,  dass  so  zahlreiche  Schüler  den  Gymnasien  und  Real- 
gymnasien zugeführt  werden,  die  niemaU  die  Elemente  des  lateini- 
schen und  Griechischen  überwinden,  liegt  darin,  d:iss  der  l'nter- 
richt  in  diesen  Sprachen  zu  früh  beginnt,  ehe  sieh  erkennen  lässt, 

-ranz  ähnliche  Ycrhältniszahlen.  In  dem  jener  Rerechmmj:  zu  U  runde  ge- 
legten Schuljahre  lSS'i  «ki  Itelru^  <lie  < ;esamtfie.|iienz  der  |.reii*>i-eiien  Uvm- 
nusial-Anstaltcn  ('Uyinmisieti  und  rrngynmasicii)  S.'iS'j7.  der  ( iesanitabgang 
]">:!J5,  mit  Ausnahme  derer,  die  auf  ( ivtnnasial- Anstalten  übergingen  oder 
sturlien.  Von  den  Abgehenden  erreichten  :;.">Nh  !»:{,: 5  v.  H.  da*  Zeugnis  der 
Reife;  H-IJ  —  J7  v.  II.  tra(en  nach  Kihingung  des  Zeugnisse*  zum  einjähri- 
gen Dienst  ins  lx-ben  über;  7'»"_':i  19,7  v.  II.  verliessen  entweder  vorzeitig 
die  (tymnftsicn,  um  auf  Real-  oder  sonstige  Schulen  überzugehen  i.i'.tslj,  oder 
sie  traten  ins  l>eben,  ohne  selbst  das  Zeugnis  zum  einjährigen  Dienste  er- 
langt zu  haben  (:to4'2).  (Nach  dem  (  entralblatf  für  di<*  riitcrriehtsv.  i waltung 
in  l'ruuwten,  IS'mi  Heft  7.  S.  Uff.) 


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Reinhardt,  hin  Schulonlnmifr  in  ('omeniux'  etc.         Heft  1. 


wohin  Neigung  und  Begabung  den  Knaben  weiht,  und  ferner  darin, 
dass  unser  Schulsystem  den  IJliergang  vnn  den  lateintreibenden 
auf  die  lateinlnsen  Anstalten  so  sehr  ersehwert. 

Es  muss  also  ein  Mittel  gefunden  werden,  wodurch  die  Nöti- 
gung zu  einer  so  vorzeitigen  Entscheidung  aufgehoben  und  eine 
Seheidung  der  Geister  zur  rechten  Zeit  ermöglicht  wird.  Und 
dieser  Weg  liegt  in  der  Organisation,  die  schon  C'onienius  empfohlen 
hat;  er  bezeichnet  ihn  mit  den  Worten:  „alle  Schüler  müssen  ge- 
meinsam geführt  werden,  so  weit  sie  gemeinsam  geführt  werden 
können." 

C'onienius  verteidigt  sieh  nicht  einmal  gegen  den  Einwurf,  den 
Schülern,  die  erst  mit  dem  dreizehnten  Ijebensjahre  das  lateinische 
beginnen,  möchte  es  unmöglich  werden,  die  nötige  Beherrschung 
dieser  Sprache  und  des  Griechischen  zu  gewinnen.  In  unserer  Zeit 
dürfte  eine  solche  Besorgnis  noch  viel  weniger  begründet  sein, 
vorausgesetzt,  dass  in  dem  sechsklassigen  Gymnasium  die  beiden 
alten  Sprachen  den  ihnen  gebührenden  Platz  erhalten.  Es  kommt 
mehr  auf  die  Art  und  den  Geist,  auf  die  Anspannimg  und  den  Eifer 
an,  womit  eine  Sache  betneben  wird,  als  auf  die  Zahl  der  Jahre. 
Wo  jene  Eigenschaften  fehlen,  wo  das  Interesse  sich  zersplittert, 
da  hilft  auch  die  Zahl  der  .Jahre  nichts,  wie  wir  dies  ja  erleben. 

Die  l'Veunde  der  humanistischen  Bildung  sollten  vor  allen 
mit  Hand  anlegen,  dass,  wenn  das  alte  Gymnasium  sich  gegen- 
über der  Macht  der  Thatsachen  als  unhaltbar  erweist  inzwischen 
nach  einem  schon  vor  .Jahrhunderten  vorgezeichneten  Plane  unter 
günstigem  Schutze  ein  Neubau  entstellen  kann,  in  dem  die  alten 
Sprachen  ein«'  zwar  weniger  weitläufige,  aber  desto  sicherere  Stätte 
finden  zu  künftigem  erfolgreichen  Gedeihen. 


I 


Die  Schmid'sche  Geschichte  der  Erziehung. 

Dritter  Hand.' 

Kine  Hcsprechung  von 
Rud.  Hochegger, 

t'iuv.i>itHi«-I,r<>f.M-.<r  in  I  wrimwii/.. 


Das  ausgezeichnete  Werk  K.  A.  Schunds  schreitet  unter 
( i.  Sclunids  T^'ituiijr  rüstig  vorwärts.  Die  Bearbeitung  des  Werkes 
ist  freilieh  infolge  der  verschiedenartigen  Verfasser,  denen  die  ein- 
zelnen Abschnitte  anvertraut  sind,  nicht  «ranz  glcichmässig,  doch 
war  die  Wahl  der  Bearbeiter  eine  glückliche,  so  dnss  die  einzelnen 
Beiträge  durchweg  «1*  treffliche  und  beachtenswerte  Leistungen  zu 
bezeichnen  sind. 

Die  erste  Abteilung  des  dritten  Bandes  enthält  folgende 
Monographien:  1.  Cnterrieht  und  Erziehung  in  der  ( icsellschaft 
Jesu  während  des  Jahrhunderts.  Von  Prof.  Dr.  (Jcorg  Müller 
in  Dresden.  2.  Bildung  und  Bildungswesen  in  Frankreich  während 
des  In.  Jahrhundert*.  Von  Oberschulrat  Dr.  Ernst  v.  Sallwürk 
in  Karlsruhe.  (Michel  de  Montaigne  von  (I. Schumi.)  'S.  Das  Schul- 
wesen in  England  im  Di.  und  17.  Jahrhundert  von  (ieorg  Sc  hin  id. 
(Francis  Baeon  von  Pfarrer  Karl  Sandberger  in  Stuttgart.) 

Müllers  Abhandlung  fusst  durchweg  auf  eifrigem  (.Quellen- 
studium und  verrät  in  deren  Verarbeitung  eine  wohlthucnde 
Objeetivität.  Die  Frage  nach  der  Entstehung  des  jesuitischen 
Schulwesens,  nach  den  (Quellen  der  Pädagogik  der  Jesuiten,  ist 
bisher  nirgends  in  befriedigender  Weis«'  gelöst  worden.  Müller 
unterzieht  sieh  dieser  wichtigen  und  interessanten,  aber  auch  schwie- 
rigen Aufgabe  in  dankenswerter  Weise.  Er  zeigt  einesteils,  welch 
mannigfaltigen  Einiluss  das  Leben  und  die  Erfahrungen  des  Ignatius 
von  Loyola  auf  die  (iestaltnng  der  Ordensanschauungen  bezüg- 
lich der  Erziehung  ausgeübt  haben,  andernteils,  wie  die  allgemei- 
nen kirchlichen  Einrichtungen,  insbesondere  die  der  Mönchsorden, 


')  Schumi,  K.  A.  (icschichtc  der  Erziehung  vom  Anfang  an  bi*  auf 
unsere  Zeit,  bearbeitet  in  ( icmeiiiichaft  mit  einer  Anzahl  von  ( !clehrten  und 
Schulmännern.  Fortgeführt  von  Dr.  (icoig  Sehmid.  III.  Hand.  I.  Ablei- 
tung. Stuttgart.  .T.  t;.  Cotta'*  Nachfolger,  ls'.rj.  VI  —  l:;«t  S.  III.  Hund. 
•_\  Abteilung.    KUI.  isirj.    VI    -  :!!  I  S.  gr  s". 


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Hix-Iu'^ger. 


Urft  1. 


w«'lch«'  Ignatius  genau  studirt  und  die  auc-h  in  den  Bestimmungen 
des  Noviziates  massgebend  wurden,  von  Bedeutung  waren.  Als 
heeinflussendt'  Faetoren  kommen  fern«T  in  Betracht:  die  spanischen 
Kitterorden,  die  Universität«!!,  in  oi-ster  Linie  die  von  Paris,  der 
stark  religiös  und  kirchlich  gefärbte  Humanismus  in  den  Nieder- 
landen, das  spanische  Schulwesen.  Die  Jesuiten  schlössen  sich 
mit  kluger  Politik  an  die  bestehenden  Einrichtungen  an  und  bilde- 
ten sie  dann  in  ihrem  Sinne  um.  Nur  so  war  es  ihnen  möglich, 
so  weitreichende  Erfolge  zu  erzielen.  Der  <  )rden  beschäftigte  sich 
vornehmlich  mit  dem  höheren  Schulwesen.  Selten  begegnen  wir 
Ansätzen  zu  Volksschulen,  dagegen  suchten  die  Jesuiten  die  Er- 
ziehung der  Fürsten  in  die  Hände  zu  bekommen,  wohl  um  dadurch 
die  leitenden  Kreise  für  die  Bestrebungen  des  Ordens  zu  gewinnen. 
Es  sandte  namentlich  auch  der  Adel  seine  Söhne  in  ihre  Schulen. 
Müller  bespricht  ziemlich  eingehend  die  Ratio  studiorum,  die  Or- 
ganisation des  Schulwesens,  der  Lehrbücher,  der  einzelnen  Lehr- 
fächer, die  Erziehungspolitik,  die  Grundsätze  der  Erziehung  und 
des  Unterrichtes.  Der  Verfasser  anerkennt,  dass  die  Jesuiten  unter 
Benützung  der  mittelalterlichen  Überlieferung  der  humanistischen 
pädagogisch« Mi  Strömungen  ein  System  geschaffen,  das  in  seiner 
Einheitlichkeit  und  Geschlossenheit  sich  eines  kaum  geahnten  Er- 
folges erfreut«'. 

Hochbedeutsam  und  gelingen  ist  auch  Sallwürks  Abhandlung. 
Im  lb\  Jahrhundert  gehen  Bildung  und  Unterricht  ganz  und  gar 
von  «ler  Universität  aus.  Sie  bestimmt  nicht  nur  das  höher«1, 
sondern  am-h  «las  ni«>«lere  Unterrichtsw«'seii.  Das  Leben  der  Uni- 
versitäten spielt«-  sieh  wesentlich  in  «len  K<>llegi«'ii  ab,  die  nicht 
bloss  Pensionat«-,  son«lern  wirkliche  Untcrrichtsnnstaltcu  darstellt«1!!. 
Im  Ui.  Jahrhundert  gelangte  in  ilineii  d«>r  Humanismus  zur  Gel- 
tung. Man  kam  namentlich  auf  «lie  Griechen  zurück,  die  der 
iK'iien  Bihlung  ihr  besond«'r«'s  Gepräg«'  geben.  Sallwürk  bespricht 
ausführlich  «Ii«-  wiss«Mischaftliehen  Zustände  Frankreichs  zu  jener 
Zeit  und  den  Einfluss  «les  Huinanismus  auf  Philosoph!»1,  Theologie, 
Kechtsgel<'hrsamk«  it,  Medizin  und  Sprachstudium.  Er  deutet  zu- 
gh'iVh  an,  wie  mit  «1er  erst<-n  Hälfte  des  17.  Jahrhundert«  «  ine 
Reaktion  eintrat,  welch«1  die  freie  Gestaltung  der  Wissenschaft, 
wie  sie  der  Humanismus  anbahnte,  vernichtet«1,  und  zeigt  uns  die 
Gründe,  warum  Fmnkni<'hs  Secundaruntemcht  lat«>iniseh  blieb 
und  der  Jesuitismus  sich  «h-sselben  bemächtigen  konnte  und  auf 
zwei  Jahrhunih'rte  hinaus  bestimmte.  Bevor  «lies«1  Reaktion  «-in- 
tnit,  macht«'  Petrus  Raums  den  Versuch  einer  X«'ubegrün«lung 
«les  höher«1!!  Unterrü-htes  in  freiem  und  nationalem  Sinn«1. 7  Sall- 
würk wi«lmet  «lern  Petrus  Raums,  als  «ler  glänzendsten  Erscheinung 
des  französischen  Humanismus,  «'ine  liebevoll  ausgeführte  Lcbcns- 
b«'schr«'ibung  und  Würdigung  seiner  Verdienste  als  vielseitig«'!' 
Gelehrte)1  und  als  Vorkämpfer  einer  modernen  Unterrichtsweisc. 


JS»4.  !>'••  SchmMVlie  Ci-M-hirlih-  <l.r  Knsichmip.  X\ 

I>t»ii  ersten  Eingriff'  in  die  mittelalterliche  Ordnung  des  höheren 
Studienwesens  bedeutet  dir  Errichtung  des  College  de*  France  durch 
Kranz  I.  Erst  die  neuen-  Forschung,  besondere  die  Untersuchun- 
gen Abel  I^francs,  bnt  Lieht  über  die  Entstehung  und  Einrich- 
tung dieser  Anstalt  gebracht.  Von  grösstcr  Bedeutung  für  die 
Entwicklung  des  französischen  Interriehtswesens  waren  die  Be- 
ziehungen der  Jesuiten  zu  ihm.  Der  Orden  wandte  sich  nach 
Paris,  dem  glänzendsten  Sitze  des  Humanismus,  hier  wuchs  er 
geistig  heran  und  ward  ein  ebenbürtiger  Gegner  des  letzteren. 
Sallwürk  schildert  den  Kampf  zwischen  der  Pariser  Universität 
und  dem  Jesuitismus.  Der  Orden  zeigte  viel  Geschick,  fähige 
Köpfe  herauszufinden  und  seinen  Zwecken  dienstbar  zu  machen. 
Von  der  Bedeutung  der  Gesellschaft  Jesu  für  das  französische 
Bildung* wesen  kann  man  sich  nach  Sallwürk  kaum  einen  zu  hohen 
Begriff  machen.  Die  St udienre forin  Heinrich  IV.,  welche  die  Schule 
zu  einer  staatlichen  Angelegenheit  machte,  bracht«'  wohl  eine  ge- 
wisse Ordnung  in  das  französische  Unterrichtswesen,  regte  aber 
das  wissenschaftliche  Ix-ben  nicht  dauernd  an. 

Die  Fülle  von  Leben  und  Hoffnung,  mit  welcher  der  Humanis- 
mus in  die  geistige  Bewegung  des  HJ.  Jahrhunderts  eingetreten  ist, 
drückt  sich  in  Rabelais'  Schriften  aus.  Sallwürk  widmet  ihm  eine 
ausführlichere  Darstellung.  Im  Ansehluss  daran  lernen  wir  als  päda- 
gogische Theoretiker  Frankreichs  im  1(>.  Jahrhundert  Jacob  Sado- 
letus,  Claude  Baducl,  Pierre  Saliat  und  Gaucher  kennen. 
Michel  de  Montaigne  findet  im  Werke  besonders  eingehende 
Berücksichtigung,  wohl  wegen  des  Einflusses,  den  er  auf  die  nach- 
folgenden pädagogischen  Theoretiker  (J.  I>oeke  und  Rousseau)  aus- 
übte. Der  Abschnitt  über  Montaigne  entstammt  der  Feder  G.  Schunds 
und  bildet  eine  wertvolle  Ergänzung  zur  Charakteristik  des  franzö- 
schen  Bildungswesens  in  jener  Periode. 

Der  letzte  Teil  des  Bandes  gibt  uns  ein  genaues  Bild  der 
äusseren  und  inneren  Organisation  der  durch  die  „königlichen  Inter- 
junetions"  von  151-15  im  Sinne  der  neuen  Zeit  orgnnisirten  eng- 
lischen Universitäten.  Wir  bekommen  guten  Einblick  in  den  In- 
halt und  die  Methode  des  Unterrichts  in  jener  Zeit.  Der  Verfasser 
verwertet  hierbei  höchst  interessante  Quellen. 

In  dem  Abschnitte  „Granuuatikschulcn"  zeichnet  uns  G.  Schmid 
auch  mit  grosser  Anschaulichkeit  ein  Bild  von  dem  Unterricht  und 
der  Erziehung  einer  grossen  Schule  aus  dem  Jahn*  15H0,  das  bis 
weit  ins  17.  Jahrhundert  für  England  als  typisch  betrachtet  werden 
kann.  Unter  denen,  welche  auf  dem  neubelebten  humanistischen 
Boden  erwuchsen,  sind  für  die  Geschichte  der  Erziehung  Boger 
Ascham,  Richard  Mulcaster  und  John  Milton  besonders  be- 
achtenswert. Francis  Bacon  dagegen  sagte  sich  von  der  Autori- 
tät des  Altertums  los  und  wurde  der  Verkünder  der  modernen 
Weltanschauung.    Bacon  ist  Herold  des  neuzeitlichen  Realismus, 

M.matslK  fl.'  «i.  r  C.iiR'iiiii-«!. -.11«,  liaft.    l-'.M.  ;j 


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:U  H.K'hf(rPT.  Heft  1. 

«Irr  Begründer  einer  selbständigen,  auf  inductiver  ( irundlagc  si<'li 
erhellenden  Wissenschaft.  Sandhcrger  gibt  uns  eine  allgemeine 
Würdigung  ilc*r  Baconschcn  ( icsamtanschauung  und  ehanikterisirt 
Wann  die  Stellung,  welche  Baron  /u  »Im  Kragen  der  Krziehung 
und  des  l'ntrrrichts  »cininiiiuii  hat.  Baron  zeigt  sieh  auch  hierin 
als  (»eist  von  eigenartigem  Gepräge:  die  Bedeutung  seiner  bc- 
/ügliehrn  Gedanken  liegt  im  M  et  hodisehen.  Kr  vrrlangt  dnreh- 
wrg,  dass  in  pädagogischen  Dingen  die  gegebene  Wirklichkeit 
zum  Ausgangspunkt  genommen  werde.  Kr  wurde  hierin  Vorläufer 
des  ('omenius.  letzterer  ist  offenkundig  von  Baeo  brrinflusst, 
was  rr  anrh  dankbarst  anerkannte.  Ks  sind  nach  Sandberger  nicht 
nur  einzelne  Äusserungen,  in  weleheu  ('«»menius  seine  Abhängigkeit 
von  Baeon  bekennt,  sondern  seine  pädagogischen  Werke  sind  voll 
von  Anklängen;  seine  ganze  < Tcdaukcnrichtung  und  Ausdrucks- 
weise ist  von  Baeon  brrinflusst;  dies  tritt  namentlich  in  der  „Pan- 
sophiri  libri  Drlineatio"  hrrvor. 

Dir  zweite  Abteilung  des  dritten  Bandes  enthält:  1.  Wolf- 
gang Katkr  (Rntichiu*).  Von  Schulrat  August  Isnirl.  '_\  .Johann 
Arnos  ('omenius  mit  srinrn  Vorgängrrn  .1.  II.  Alstrd  und 
J.  V.  Audrrä.  Kinlritung  von  Srminarrrctor  Dr.  Julius  Brügrl. 
Johann  Ilrinrirh  Alstrd.  Von  (  i.  Srhmid.  Johann  Valen- 
tin Andrea.  Von  Jnl.  Briigel.  Joh.  Arnos  ('omenius.  Von 
Jul.  Brägel. 

Isniel  gibt  uns  eine  durchgängig  auf  sorgfältigrr  (^iielleii- 
untrrsurhung  fussrndr  und  durch  Benutzung  allrr  rinsrhlägigrn 
Literatur  grklärtr  Darstellung  des  lieben*  und  der  Lehrart  Ratkes. 
Sie  kann  als  die  beste  und  vollständigste  bezeichnet  werden,  die 
wir  besitzen,  durch  sie  findet  auch  die  Haumerschc  manche  Be- 
richtigung. 

Von  grösstem  Interesse  ist  der  Abschnitt  über  ( 'omenius, 
«lein  mehr  als  zwei  Drittteile  des  Bandes  gewidmet  >ind.  Die 
Kinleitung  zeigt,  wie  dir  Didaktik  drs  ('omenius  in  tiefem  Zu- 
sammenhang mit  der  rmwaiidlung  der  gesamten  Weltanschauung 
zu  Knde  des  15.  und  Beginn  des  1(5.  Jahrhunderts  steht,  (omenius 
war  sieh  wohl  bewusst,  der  Bannerträger  einer  neuen  Zeit  zu  sein, 
vergleicht  er  doch  selbst  sein  rntcrneluueu  mit  «1er  Thnt  eines 
Columbus.  Mit  Begeisterung  schliesst  er  sich  dem  „grossen  (ic- 
dankenerreger  meiner  Zeit,"  Lord  Baeon,  an,  von  ihm  erhält  er  die 
Methode  und  Richtung  für  seine  Bestrebungen.  Neben  Baeon  war 
auch  Ludwig  Vives.  der  sieh  eb<*nfalls  gegen  die  Autoritätsherrschaft 
des  Aristoteles  erklärt,  für  ( 'omenius  von  Kinflnss.  Nicht  ohne 
nachhaltend«'  Anregung  für  letzteren  zeigte  sich  auch  das  Studium 
( 'ampancllas,  besonders  aber  empfing  er  Kinwirkungen  von  Ratke, 
Aisted  uml  Andre».  In  Betreff  des  Verhältnisses  zu  Ratke  ver- 
.  weisen  wir  auf  die  Ausführungen,  die  Israel  in  den  Monatsheften 
der  Comrnius- Gesellschaft  Bd.  1  |1S«>l'|  S.  17.!  ff.  gegeben  hat. 


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1  Sil  4 .  I*'"'  SrliniidVi  li«'  (!i  M  liir)itf  der  Kr/.ieluing.  :\~) 

Von  ungleich  grös>erer  Bedeutung  ist  die  Einwirkung  Alsteds 
und  Andreas.  Aisted  beeinflusste  ihn  nämlich  sowohl  diux'h  seine 
Vorlesungen,  die  ( 'oinenius  in  Herborn  zu  hören  ( Jclegcnheit  hatte, 
wie  durch  sein«-  zahlreichen  Sehriften,  besonders  dureh  seine  Uni- 
vers4il-Encyklopädie.  Zwischen  I^chrer  und  Schüler  herrschte  eine 
Übereinstimmung  in  den  grössten  Kragen,  „in  der  Ableitung  aller 
Wissensehaft  aus  der  göttlichen  (Quelle  und  ihrer  Beziehung  auf 
sie,  in  der  Umleitung  namentlich  der  Erziehung  auf  ( lott  und  dem 
entsprechend  in  der  hohen  Schätzung  der  Schule  als  einer  göttlichen 
(d.  h.  gottgewollten)  Hinrichtung  und  in  dein  warmen  Herzen,  das 
beide  ihr  entgegen bringen.  l>em  entspricht  auch  die  bei  dem 
Systematiker  Aisted  so  auffallende  W  ärme  der  Spruche,  die  auch 
in  den  oft  sehr  gelungenen  Wortspielen  und  Vcrgleiehungen  eine 
nicht  zu  verkennende  Parallele  bei  beiden  Männern  bildet  .  .  .  Die 
Ausführung  des  Satzes  vom  Mensehen  als  Mikrokosmus  ist  bei 
('omenius  (in  der  Phvsicne  Synopsis  S.  208)  eine  ganz  analoge, 
wie  bei  Alstcd."  Auch  in  der  eigentlichen  Didaktik  finden  sich 
auffallende  Übereinstimmungen  zwischen  beiden  Denkern;  was 
Comenius  voraus  hat,  ist  nur  der  einheitlichere  Aufbau,  die  folge- 
richtigere Zusammenfassung,  die  ihm  als  durchaus  pädagogisch  an- 
gelegter Natur  eigen  war. 

Wenig  oder  gar  nicht  wurde  bisher  die  pädagogische  Be- 
deutung Andreas  gewürdigt,  während  der  (benannte  einen  Ehren- 
platz in  der  Geschichte  der  Pädagogik  beanspruchen  darf.  Seine 
„goldenen"  Schriften  bildeten  insbesondere  für  ( 'omenius  eine  helle 
leuchte.  Manche  sehen  in  Andrea  geradezu  die  Wurzeln  der  Kraft 
für  Comenius.  Brügel  sagt  in  dem  Ergebnis  seiner  Untersuchung 
über  Andren:  „Es  sind  nicht  nur  einzelne  Berührungspunkte,  die 
sich  zwischen  Andrea  und  ('omenius  ergeben,  sondern  eine  durch- 
greifende Übereinstimmung  ihrer  ganzen  Anschauung,  dergestalt, 
dass  Andrea  zuerst  in  genialem  W  urf  die  Grundgedanken  aus- 
spricht, welche  ('omenius  in  einen  gnVsercn  Zusammenhang  gefasst 
und  ausführlich  begründet  hat,  welche  darzustellen  und  praktisch 
anzuwenden  seine  Lebensarbeit  unter  sechs  Nationen  gewesen  ist. 
Andrea  hat  den  Grund  gelegt,  auf  welchem  ('omenius  den  be- 
wundernswerten Bau  seiner  Didaktik  aufgeführt  hat."  Brügel  hat 
sieh  durch  seine  Abhandlung  entschieden  ein  Verdienst  erworben  und 
die  Anregung  zu  weitergehenden  Untersuchungen  gegeben,  welche 
darthun  werden,  inwieweit  sieh  jenes  bisherige  Ergebnis,  über  die 
Abhängigkeit  des  ('omenius  von  Andren  aufrecht  halten  lassen 
wird.  Die  Untersuchung  ist  erst  angeregt,  noch  keineswegs  ab- 
geschlossen •). 


't  Vgl.  L.  Keller,  Job.  Val.  Andreii  und  ( V.meiiius.    Monatshefte  «kr 
t,oraeiinis-<if>.  IM)«ft.  B<1.  I.  S.  _>J!»  ff. 

3* 


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M  Fkx  ln  gjn  r.  l>i<  Schini«lVrlu-  » iorhirlit«-  <1<  r  Kiziduin^.    Heft  1. 

Dir  Abhandlung  über  Comenius  giebt  ein  auf  Grund  der 
Quellen  und  besten  Bearbeitungen  entworfenes,  mit  Liebe  auf- 
geführtes I>>bensbild  des  Pädagogen,  tritt  dann  der  Pädagogik 
desselben  näher,  bespricht  anhangsweise  dessen  juinsophische  Be- 
strebungen und  sehliesst  mit  einer  Würdigung  der  Leistungen  und 
der  Bedeutung  des  Comenius.  Dir  Darstellung  ist  klar  und  sach- 
gemäss  gelullten  und  gehört  zum  Besten,  was  über  ihn  gesehrieben 
wurde.  Es  ist  freilich  zu  bedauern,  dass  die  Veröffentlichung 
nicht  bis  nach  der  kurz  naeh  Ausgabe  des  Bandes  abgehaltenen 
Jubelfeier  der  dreihundertsten  Wiederkehr  des  ( ieburtstages  des 
grossen  Mannes  verschoben  wurde.  S<»  konnte  die  zahlreich« • 
Literatur,  manche  Quellenergänzung  und  mancher  dankenswerte 
Beitrag  zur  EntMclnmgsgcsehichtc  und  zum  Verständis  der  Come- 
nianischcn  Lehn*,  nicht  mehr  benutzt  werden.  Der  Verfasser 
anerkennt  rückhaltlos  die  Bedeutung  des  Comenius  für  die  Gegen- 
wart, er  zollt  auch  den  Bestrebungen  der  (  omenius-Gesellschaft 
die  gebührende  Würdigung.  Möge  Niemand,  der  sieh  für  Comenius 
interessiert,  versäumen,  vorliegenden  Band  des  SchmidVchen  Werkes 
zur  Hand  zu  nehmen. 


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B.  Litteraturbericht 


Wir  licahsichtigcn,  «lie  wicht igeren  Krscli«.'iiiimgen  unseres  Korwhungs- 
gebiet*  durch  kurze  Hinweise  an  dieser  Stelle  der  Aufmerksamkeit  unserer 
Leser  zu  empfohlen  und  bitten  die  Herren  Verfasser  und  Verlepn  tun  Zu- 
wendung der  hierher  gehörigen  Litteratur. 


1.  Neuere  Wiclif-Litteratur.  Über  die  neueren  Wiclif-Studicn 
hat  Prof.  Dr.  J.  Ixiserth  in  (im/,  seit  dein  .lubre  1  SS"»  wiederholt  be- 
richtet, und  wir  können  uns  an  dieser  Stelle  deshalb  darauf  be- 
schränken (soweit  es  sieh  um  die  bis  Ende  1N92  erschienenen  Sehrifteii 
handelt),  auf  jene  Berichte  zu  verweisen.  Der  erste  findet  sich  in 
der  historischen  Zeitschrift  1  HS"»  Bd.  53.  13  —  (»2,  der  zweite  ebendort 
1889  Bd.  02,  JtJti  27S,  der  dritte  und  letzte  in  der  deutschen  Zeit- 
schrift für  Geschichtswissenschaft  1M93  Bd.  9,  111-113.  Aus 
diesen  Berichten  erhellt,  welch'  grossen  Aufschwung  die  Wiclif-Literutur 
seit  der  Begründung  der  Wiclif-Societv  genommen  hat.  Die  früher 
sowohl  in  England  wie  anderwärts  stark  vernachlässigt«  Wielif- For- 
schung zählt  jetzt  eine  Reihe  angesehener  Mitarbeiter,  in  England 
die  I>'itcr  der  (.Gesellschaft  F.  J.  Furnivall.  M.  Burrow  und  F. 
D.  Matthew  «owie  die  (Gelehrten  Harris.  Laue,  Poole,  Pollard. 
Sayle,  in  Deutschland  die  Herrn  R.  Beer,  Budtlciisieg,  Herzberg-  • 
Frankel,  Loserth  und  Schnabel,  in  Polen  Dziewicki.  in  Böhmen 
A.  Patera.  Wir  können  uns  nicht  versagen,  den  Eingang  und  den 
Schluss  des  letzterwähnten  I/oscrthschen  Berichts  hierher  zu  setzen. 
.AVer  jene  Studien  überblickt,  >agt  L.,  die  seit  den  letzten  vier  .Jahr- 
hunderten über  da.-  Leben  und  die  Lehren  Wiclifs  auf  englischer 
Erde  «Tsrhienen  sind,  der  nui-s  wohl  sagen,  dass  Alt-England  diesen 
.Morgenstern  der  Reformation',  wie  es  ihn  heute  gern  nennt,  bis 
auf  die  letzten  zwei  .Jahrzehnte  herab  in  einer  geradezu  seltsamen 
Weis«-  vernaebläs-igt  hat  ....  Eist  jetzt,  nachdem  «Ii«-  Hauptmasse 
der  bahnbrechenden  Werke  Wiclifs  gedruckt  vorliegt,  ist  man  in  d«T 
Lag«\  seine  B<-<leutung  vollktannicn  zu  ermessen,  seinen  Werdegang 
zu  schildern  nn<l  den  Einfluss  genau   festzustellen,  den  er  auf  das 

Husitentum  gewonnen  Es  ergibt   sich,  dass  Uns  bis  auf 

die  geringfügigsten  Dinge  «Ii«-  Lehren  seines  Meisters  wortgetreu  auf- 
genommen bat.  Selbst  «las  national«-  Element,  das  im  Husitentum 
•  •ine  s«>  hcdcut«'U<lc  Rolle  spielt.  g«»ht  auf  Wiclif  zurück.  Dass  «lie 
Tabnriten  lehre  im   Wes«'iitliehen    mit  jener   Wiclifs  i«|.<ntisch  ist. 


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:>,S  I  Jiloratnrl^rifhi.  Heft  1. 

habe  ich  in  meiner  Ausgabe  De  Euchnristia  nachgewiesen."  Bei  dem 
nahen  Zusammenhang  der  Tahoritenlehre  mit  der  «Irr  böhmischen 
Brüder,  haben  die  Arbeiten  der  Wiclif-Society  für  unsere  Gesell- 
schaft ihk'Ii  ein  gesteigertes  Interesse.  Die  Thnt-iiche.  dass  sich  durch 
das  angebliche  „Sektenchaos"  der  Wiclefifen ,  Hiisiten,  Taboriten, 
böhmischen  Brüder  u.  -.  w.  eine  gemeinsame  rbcrlieferun«:  religiöser 
Überzeugungen,  die  in  allen  wesentlichen  Punkten  überciiistimiiien, 
wie  ein  rother  Faden  hindurchzieht  wir  fa--en  sie  unter  dem 
Namen  der  ..altevangeli-ehen  Glaubenslehre"  zusammen  -  tritt  immer 
deutlicher  an  das  Licht.  K. 

'*.  In  Bd.  I  der  American  Society  of  Church  Hi-tory  —  wir  haben 
die  Arbeiten  die-er  Gesellschaft  schon  früher  |s.  M.  H.  der  ('.  G.  \sUH 
S.  97)  erwähnt  veröffentlicht  Albert  Henry  Newman,  Prof. 
der  Kirchengesehichte  an  der  rniversität  Toronto  in  Canada,  eine  sehr 
interessante  I  bersicht  über  die  neueren  Forschungen  zur  Sektenge- 
schichtc  des  Mittelalters  unter  dein  Titel:  Keccnt  Rcscarches  con- 
cerning  inediaeval  sects.  Ks  i-t  ein  Vortrag,  den  Newmann  zu 
Ende  1S!>1  in  einer  Versammlung  der  oben  genannten  Gesellschaft 
gehalten  hat.  Die  Übersicht  reicht  daher  nur  bis  zu  dem  genannten 
Zeitpunkt.  Der  Vortrag  enthält  zugleich  eine  gute  Orientirung  über 
die  verschiedenen  auf  diesem  Gebiet  schwellenden  Streit  fragen  und 
U-weist,  dass  auf  diesem  (Jebiet  seit  zehn  .Jahren  mit  grossem  Eifer 
und  Erfolg  «rearbeitet  worden  ist.  So  sehr  auch  die  Ansichten  über 
den  Wert  der  mittelalterlichen  Keformparteien  noch  auseinandergehen, 
so  bricht  sich  doch  idlmählich  die  Überzeugung  immer  allgemeiner 
Bahn,  dass  ihre  Bedeutung  für  das  abendländische  Geistesleben  grösser 
gewesen  ist  als  man  früher  angenommen  hat;  -ie  können  daher  die 
erhöhte  Anfiiierksamkeit  weiterer  Kreise  mit  Recht  beanspruchen. 

K. 

:j.  Kin  Aufsatz,  <len  Wilhelm  Dilthey  in  Steins  Archiv  Bd.  IV. 
(!<i4  ff.  u.  \'.  :<:-t7  ff.  unter  dem  Titel:  ..Auffassung  und  Analyse 
des  Menschen  im  1"».  und  1  »!.  .J  n  h rh  u ndert  "  veröffentlicht  hat, 

verdient  die  besondere  Auf  rksamkeit  unserer  Mitglieder.  Dilthey 

will  durch  diese  Erörterung  sich  einen  Weg  bahnen,  um  zu  erkennen, 
„wie  die  Menschheit  aus  der  theologischen  Metaphysik  des  Mittelalters 
dem  1 7.  Jahrhundert,  der  Begründung  der  Herrschaft  des  Menschen 
über  die  Natur,  der  Autonomie  des  erkennenden  und  handelnden 
Menschen,  der  Ausbildung  eines  natürlichen  Systems1)  auf  dein 
Gebiet  von  Recht  und  Staat.  Kunst,  Moral  und  Theologie  entgegen- 
geschritten  ist"  (V,  ;U  1 ).  Für  diese  Erkenntnis  erscheint  ihm  das 
Hervorbrechen  des  „religiös -universalen  Theismus"  am  Beginn  des 
10.  .Jahrhunderts  besonders  wichtig;  wir  müssen  erkennen,  „wie  sich 
Luther  diesem  Theismus  entgegenwnrf ,  wie  dieser  Standpunkt  aber 

1 1  I  ber  dieses  natürliche  System  selbst  hiit  Dilthey  in  einem  beson- 
deren Aufsatz  gehandelt,  den  wir  weiter  unten  erwähnen. 


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1S1M.  LitleraliliWeHcht.  M) 

von  Zwingli  in  gewissen  <  «lenzen  aufgenommen  und  von  den  Sekten, 
zumul  der  reforniirlcn   Kirche,   f«>rt^-l>iUU-t   worden   ist;  mit 

diesen  Sekten  uixl  «I c  111  reformierten  ({eiste  -teilt  dann  an 
•  I «•  11  meisten  Stellen  Wie  Fortgcstnltuug  dies,.,  Standpunkts 
während  des  17.  Jahrhunderts  in  klar  erkenn  barem  histo- 
rischem Zusammenhang"  (V,  S.  III,  v«rl.  S.  :isu).  Nach  einer 
Schilderung  des  italienischen  und  französischen  Humanismus  (Petrarca, 
Montaigne  n.  s.  w.)  koinml  Dilthev  eingehender  auf  den  deutsehen 
Humanismus  zu  sprechen;  treffend  ist  «las  \Y\\<\  von  Krusinus  ge- 
zeichnet; Dilthev  zeigt,  wie  diesem  Freigeist  des  1 1i.  Jahrhunderts  doch 
allmählich  das  grösstc  Problem  seiner  Zeh,  «las  wahre  Christentum, 
zum  Mittelpunkt  der  ( Jedankenwclt  wurde,  und  wie  er  das  Wesen  des 
Christentums  in  dein  fand,  (V.  :UH;  vjrl.  f.»  wa>  Christus  seihst 
gelehrt  hatte  (Kra-ini  Opp.  eil.  Clcrie.  V,  J">)  oder  wie  geistesver- 
wandte Zeitgenossen  sagten,  in  den  ..Herrnworten";  mit  Keeht  wird 
aueh  die  Bedeutung  Conrad  Mutian-  betont.  Hei  der  Besprechung 
der  religiösen  Figenart  Luthers  hemerkt  Dilthev  sehr  richtig  gegen - 
üher  den  Anhängern  Bit-ehls  (V.  :}">!>),  da>s  die  Lehre  von  der  Sünde 
und  dein  l'nvermögeii  de-  Menschen  zum  (Juten  ein  mönchisches 
Lehensideal  zur  Voraussetzung  hat;  auch  auf  die  nachdrückliche  Be- 
tonung der  eigenartigen  Bedeutung  Zwingli-  machen  wir  aufmerksam, 
der  sich  dann  eine  Würdigung  Doncks  und  Fruncks  (S.  :{SS  ff.) 
anschliesst,  die  wohl  mancher  Ergänzung  bedürftig  wäre,  aher  doch 
sehr  beachtenswert  ist.  K. 

i.  Vornehmlich  veranlasst  durch  die  Mangel  der  panegyrischen 
Lebensbeschreibung  Vergerios  von  Chr.  H.  Sixt  hat  Friedrich 
Unheil  es  unternommen,  da.-  liehen  und  Wirken  dieses  merkwürdigen 
Mannes  und  früheren  päpstlichen  Nuntius  einer  kritischen  Untersuchung 
zu  unterziehen.  Das  Buch  liegt  vor  unter  dem  Titel:  Vergerios 
puhlieistische  Thätigkeit,  nebst  einer  bibliographischen 
Übersicht  (({öltingen.  Vandenhoeck  u.  Ruprecht  |s!j:{).  Huberl 
fand  in  den  im  vorigen  Jahr  von  Friedeushurg  herausgegebenen 
Nunciaturherichten  eine  nützliehe  V<»rarheit.  Das  Hauptgewicht  hat 
er  auf  die  schriftstellerische  Thätigkeit  Vcrgcriös  gelegt.  Veigerio  ist  vor 
allem  Volksschriftst.ller.  Als  churnktrisiisrh  kennzeichnet  Hubert  die 
Bevorzugung  der  Muttersprache,  die  Einfachheit  und  Klarheit 
des  Ausdruck»'  und  namentlich  die  Frische  und  Lebendigkeit  der 
auf  die  Anschauung  des  Lesers  wirkenden  Darstellung  den 
Freunden  des  Comeiiius  wohlbekannte  Eigenschaften  aller  hervor- 
ragenden Vertreter  dieser  ( ieistesriehtung.  Fs  ist  bekannt,  dass 
Veigerio  nach  seinem  ('beitritt  (l"»ls)  sieh  innerlich  den  böhmischen 
Brüdern  besonders  nah  verwandt  fühlte.  Fine  reiche  Bücherkunde 
von  Vergerios  Schriften,  die  meist  als  kleine  Flugschriften  erschienen, 
lnschliesst  Huberls  verdienstliches  Werk.  Wir  beabsichtigen,  wenn 
thunlich,  die  Beziehungen  Vergerios  zu  den  Brüdern  gelegentlich 
näher  zu  verfolgen.  B.  u.  K. 


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40 


Literat  urh«>rit-ht. 


lieft  1. 


.">.  Die  rniv<  r-iläl-Hil»li«ith.  k  von  Geiil  luit  «Im»  dankenswert«- 
Werk  eim-r  umfassenden  Bibliograph»'  «l«'s  Erasmus  unternommen. 
Di«-  bisherigen  Resultate  <Ims«t  „Bibliotheca  Erasmiana"  liegen  in 
Listen  vor,  «lie  gegenwärtig  zur  Verv«dlstän«ligung  und  ev.  Berichtigung 
an  «lie  Vorstand««  <l«t  Bibliotheken  n.  <.  w.  uvsamlt  worden  sind. 

B. 

(\.  In  «len  .J'hiloH.plnVrlun  Monatsh.ft««ir  (Bd.  20.  1*93.  S.  129 
bis  177)  vcr<">ffentli«ht  Hermann  Heineok  M elaneh t hont*  Ethik 
in  ihrer  ältesten  Fa>>iin^  auf  Grund  «in«r  Handschrift,  «Ii«*  aus 
dem  Naehla.-s  des  verstorl>en«'ii  (irö)>er-Lasero\v  durch  Schenkung  an 
das  städtische  Museum  in  Nordhausen  gck«»mmcn  ist.  Das  Manuskript 
»lammt  aus  dein  .Jahn'  1.132.  Di«'  «Tst.-  Ausgabe  «rschien  1.13K. 
Achtzehn  Kapitel  enthält  diese  ni<hr,  als  «lie  Handschrift.  zwölf  ans 
der  Hamlschrift  fehlen  in  ihr.  .  B. 

7.  Kinen  kleinen  Beitrug  zur  Charakteristik  des  Eobanus  Hes- 
sus,  «h-r  uns  seiner  r»  forniatoris<-h«'ii  Bestrebungen  weg«*n  hier  ang«>ht. 
liefert  Eh  wähl  in  einem  Programm  des  Herzogl.  Gymnasium  Kniest  i- 
uum  in  Gotha  (1*93)  «Inreh  Mitteilung  eines  Briefes  von  Hessns  an 
einen  jungen  Student«'ii  Namens  Mauri«ius  Sydel  aus  einer  Gothacr 
Handschrift.  Auch  «ler  grosse  „Pnurcptor  Germania«-"  hat  sich  «lieses 
„stmliosissimus  iuveni-"  in  einem  derselben  Handschrift  ungehörigen, 
im  Corpus  Hefortnatoriun  (II.  S.  I.lu  ff.)  .-«  hon  v.röff.ntlichten  Sclnvi- 
hen  angenommen .  da-  Ehwald  al>  Gcgcnstürk  zu  Eobans  Brief 
wiederholt  hat.  B. 

S.  Di«-  2<i.  Lieferung  «les  ,.Pä«lagogis<h«n  Magazins,"  herausge- 
geben  von  F.  Mann  (Langensalza  1*93)  bringt  bemerkenswert«'  „Bei- 
träg«-  zur  Geschichte  «les  rntorrichts  und  «l«-r  Zucht  in  den  Latein- 
schulen des  ](».  Jahrluuuh  rts"  von  E.  Gchmlich.  Pädagogisches 
Interesse  bietet  auch  «-in  Aufsatz  von  Karl  Wolke  im  1.  Hefte  «ler 
.,( )«'st«  rr«'i«  his«  hen  Mithlsehulc"  (1N93)  üb«-r  «l«-n  cinfltissrcichen  Gna- 
rino  von  Wrnn«  als  Lehrer.  B. 

9.  In  einem  Aufsatz  „Zur  (Ich  hrtengeschiehte  Heidel- 
bergs beim  Ausgang  «!«•.-  Mittelalters"  (Gymnasial-Prograinm  v«»n 
Wilhelmshaven  1K93)  lenkt  Hugo  Holstein  unser«'  Aufmerksamkeit 
auf  «lie  «-ist«'  IVriode  <l«s  Heidelberger  Humanismus  (14.16  1  4N0), 
i  im  Uli  i  er  «Ii«-  Persönlichkeiten  hervorhehl,  «lie  damals  in  «ler  altbe- 
rühmt«'n  Neckarstadt  voruherg«h«n«l  oder  «lauerml  für  «Ii«-  neue  Rich- 
tung thätig  g«'W«'-cn  sind.  Aus  ihn-r  Zahl  seien  hier  wegen  ihrer 
Wrdicnste  auf  pädagogischem  Gebiete  genannt:  Stephan  Hoest.  Pallas 
Spangel  und  bcsomlers  der  «'ifrig««  Vorkämpb  r  «les  deuischen  Huma- 
nismus Juk«d>  Whnphling,  «ler  duivh  s«-in  Auftreten  gegen  d«'ii  <in- 
s«  itigcn  Formalismus  so  segeiisrei«  h  für  «lie  Verbesserung  «l«  s  Jugend- 
unterricht«'s  gt-wirkt  hat.  B^ 

Kl.  Es  ist  erfreulich,  <lass  der  vierhundertjährige  Geburtstag 
Hohenheims  «>r  ist  bekannter  unter  «lein  Namen  Para««'lsus  ■-. 
d.'s-en  Wiederkehr  uns  das  Jahr  1  «93  gebracht  hat.  von  eim>r  Anzahl 


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Littoi-aturbf-rkhl. 


41 


angesehener  Organe  der  » »ff«*t i 1 1 i« *lt« *ti  Meinung  in  gebührender  Weis«- 
beuchtet  worden  ist.  In  der  Beilage  Nr.  2(il  zur  AI  lg.  Zeitung 
vom  10.  Nov.  1  s«»:j  h»t  Dr.  Karl  Sudhoff,  der  heute  wohl  der  )*•- 
kunnteste  l'uracelsu»-Forscher  sein  dürfte  Dr.  Sudhoff  ist  Diplom- 
Mitglied  der  ('.-(!.  einen  Aufsatz  gebracht,  und  in  der  Illustrir- 
ten  Zeitung  vom  !).  Dez.  1*0:?  (Xr.  2W2)  findet,  sich  ein  Bilil  um! 
ein  Artikel  von  Dr.  A«l.  Kohut.  Ebenso  bringen  die  National-Zeitung 
in  ihrer  Sonntags- Hei Inge  zu  Nr.  7<>s  vom  17.  Dez.  1S0.*{  um)  Vom 
Fels  zum  Meer  Heft  I  (Ludwig  Kareil)  freiimllieh  gehaltene  Artikel. 

In   dem  Arbeitsprogramm  der  i>l  der  Name  Hohenheims 

ausdrücklich  genannt,  und  wir  beabsichtigen  unsere  I^cser  über  den 
Fortgang  der    I'aracelsiis  -  Forschungen    regelmässig   zu  unterriehten. 

K. 

11.    Wir  haben  wiederholt  darauf  hingewiesen,  dass  die  Männer, 

•  lie  die  exakten  Wissenschaften  von  den  mitikcn  ('herlieferungen  befreit 
haben,  und  die  mithin  die  Begründer  der  heutigen  Mathematik.  Astro- 
nomie, Botanik,  Chemie  u.  s.  w.  geworden  sind,  gerade  unter  den 
historischen  Persönlichkeiten  zu  suchen  --ind,  die  wir  zu  den  Geistes- 
verwandten  des  Comenius  zahlen.  Zu  jenen  Wissenschaften  gehört 
auch  die  Geographie.  Der  Nestor  unter  den  heutigen  <  ieographeli. 
.lulins  Löwcnberg  in  Herlin  (geb.  ISOü),  hat  soeben  eine  kleine 
Schrift  veröffentlicht  {Sammlung  gemeinverständlicher  wiss.  Vorträge, 
hrsg.  v.  Virchow  und  Wattenbach,  Neue  Folge,  Heft  177).  die  in 
mehrfacher  Beziehung  für  uns  von  Interesse  ist;  der  Titel  lautet: 
„Das  Weltbuoh  8ebastian  Prancks.  Die  erste  allgemeine  Geographie 
in  deutscher  Sprache  von  J.  Löwenberg."  Ks  handelt  sich  um  das 
zuerst  im  .1.  1 ."» 1 1 1  erschienene  „Weltbuch,  Spiegel  und  Bildnis  des 
•ranzen  Erdbodens"  .  .  ..  da-  rasch  vier  deutsche  Auflagen  und  drei 
holländische  Übersetzungen  erlebte,  bereits  nach  zehn  Jahren  1  4 4 
:iber  durch  die  bekannte  (osmographie  des  Seb.  Münster  eine  sach- 
lich nicht  begründete  Zurückdrängung  erfuhr,  um  später  in  unver- 
dienter Weise  vergessen  zu  werden.  Wie  hoch  Seb.  Frnueks  Leistung 
über  derjenigen  Münster-  steht,  hat  vor  .fahren  bereits  H.  W.  v.  Riehl 
(Freie  Vorträge  I,  ]S7:!,  l:..~>ff.)  in  sehr  treffender  Weise  dargelegt. 
Dass  Franck  jetzt  mehr  und  mehr  unter  den  Geographen  diejenige 
Würdigung  findet,  die  er  verdient,   ist   um   -o  erfreulicher,  als  ihm 

•  Ii«*  Historiker  (wie  die  ( beschichte  der  deutschen  Historiographie  von 
F.  X.  Wegele  beweist)  die  ihm  gebührende  Wertschätzung  immer  noch 
vorenthalten.  Wir  verweisen  in  Betreff  .Julius  Löwenbergs  und  seiner 
kleinen  Schrift  auf  den  Aufsatz  eines  ungenannten  Verfassers  in  der 
Leipziger  III.  Ztg.  Xr.  vom  U.  Dezember  1  St>.'{.  Einige 
andere  Seiten  Franck  scher  ( Jeistesarbeit  haben  H.  Wiskemann  (Dar- 
stellung der  in  Deutschland  zur  Zeit  d.  Ref.  herrschenden  national- 
ükonomischen  Anschauungen.  Lpz.  1  Stil)  und  Friedr.  Latendorf  (Seb. 
Franci  de  I'vthagora  disjait.  illustrata  ISGS  u.  S.  F.'s  erste  namen- 
lose Sprüchwürtersannnlung  1S7<>)  behandelt.  K. 


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42 


IJtternturhcricht. 


.Heft.  1. 


l'J.  Dr.  Beruh.  Becker  hat  im  theologischen  Seminar  der 
Brüdergemeine  zu  Gnndenfeld,  dessen  Direktor  er  ist,  zwei  Vorlesun- 
gen über  ilie  „Christliche  Volksunterweisung  als  Bindeglied 
zwischen  <ler  Reformation  un«l  Wein  Pietismus"  gehalten,  die  hei 
C.  Bertelsmann  in  Gütersloh  (1H91.  S.  ">4  S.)  als  hcsomlere  kleine 
Schrift  erschienen  sind.  B.  hat  damit  auf  eine  Seite  der  Entwicklung  des 
Pietismus  hingewiesen,  die  noch  nicht  genügend  gewürdigt  worden  ist. 
B.  knüpft  an  die  mit  Göhels  Gesch.  des  ehristl.  Lehens  in  der  rhein.- 
westf.  Kirche  1s4it — übereinstimmende  Auffassung  Alhrecht 
Ritschis  an,  wonach  der  Pietismus  nichts  ist  als  eine  a h geschwächte 
Form  derselben  Richtung,  wie  sie  im  Ii».  .Jahrh.  unter  dem  Namen 
des  Anahaptisnuis  aufgetreten  ist  und  die  (iöhel  als  eine  Fortsetzung 
mittelalterlicher  Reformbestrebungen  ansieht.  Während  Göbel  den 
.Pietismus"  als  einen  Fortschritt  evangelischen  Lehens  het rächtet  hält 
Ritsehl  ihn  für  einen  Rückfall,  für  halhkatholisch  und  für  eine  Ent- 
artung der  Reformation.  Dem  gegenüher  sucht  Becker  nachzuweisen, 
dass  zwischen  dem  älteren  sog.  Pietismus  Andreas,  S|K*ners,  Francko 
und  der  deutschen  Reformation  ein  positiver  Zusammenhang  besteht,  und 
er  zeigt  ihn  auf  in  der  Geschichte  der  Vol  ksunlerweisung  und 
Volkserziehung.  „Mit  der  pietistischen  Bewegung,"  sagt  Beeker 
S.  'Mi,  „traf  jene  von  Baco  und  Montaigne  her  angeregte  Schulreform 
zusammen,  deren  Tendenz  im  Allgemeinen  dahin  ging,  die  Schule  zur 
Schule  für  das  Lehen  zu  machen.  Männer  wie  Kalke.  Helwich, 
Jung  sind  die  Vertreter  dieser  Reform,  ilie  schon  in  Andrea  und 
namentlich  Comeniua  sich  innerlich  nahe  mit  dem  Pietismus  berührte. 
.  .  .  Er,  ein  Vertreter  der  Aufklärung  im  edelsten  Sinn  des  Wortes, 
der  von  sich  sagte:  „rationalis  sum,  iioii  ratinnalisla"  ist  der  eigentliche 
Führer  jener  Schulreform  und  vertritt  zugleich  in  seiner  Frömmigkeit 
den  Herzensernst  des  Pietismus"  ...  B.  Wendet  sich  entschieden 
gegen  die  neueren  (iegner  dieser  sog.  „Pietisten,"  als  deren  Kennzeichen 
mit  Vorliebe  ein  Spiel  mit  der  Josiisliebe,  eine  mönchische  Askese 
und  quietistisehe  Beschaulichkeit  hingestellt  werden.  „Wenn  solche  Er- 
scheinungen bei  Einzelnen  bemerkbar  sein  mögen  an  wem  lag  die 
Schuld?  Die  l'nterdrückung  und  Verfolgung  war  es,  die  die  .Recht- 
gläubigen' ihnen  nngedeihen  Hessen .  durch  welche  hier  und  da  ein 
engherziger  Methodismus  grossgezogen  ward.  Seinem  Stern  und  Wesen 
nach  ist  der  sog.  Pietismus  weiter  nichts  als  ein  ernstes  Streben 
nach  einer  sittlich-  religiöser»  Reform  der  Gesellschaft  auf 
dem  Wege  der  Volkserziehung"  |S.  .">."{>.  Die  Vorträge  sind 
in  den  Jahren  iss«)  und  1  N'm  gehalten  und  können  warm  empfohlen 
werden.  K. 


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.S.U. 


Inhalt  ni-ii. ivr  ZeiJM-hnl'li-ii. 


j:; 


C.  Inhalt  neuerer  Zeitschriften. 


Ailu<-m«'in<-  /.«itnnc.    Ifc-iiiip-  Nr. 

.'?".  JN*;.  T nli-.il I  :  Kuk<>  Itreniiili...  Miin- 
.  Ii.  ner  v..lk-w irlli«<-lialtli<-li«   Mmlieii.       A  u  u* 

•  '•■iiru.lr.   I>i>-  <  i.  -eliirlite  >l«r  >i«iin-.ii. 
I»>t  HyiHioti.nnu»  im  Kerht         Kr.   I'.  i  lit. 
Zur  Kriniu  ninc  an  .1 1 1 Ii •■  ■>  Kr.l»l  Aiiimi 
K>- 1 1  .•  I  h  ••  i  m  .  Zu  Klin-H  v.in  Hermann  Kur/. 

Kirn-  <»rietitr>  i-.  A.    Iln-rina  ,    iiU  r 

in  Hin-  M«Hi>riti  ri.  K  W.rnet.  I»i:uuanl 
iiml  Kiihin.  Her  Koinnll  einer  Kai-  nu 
II.  .1  a  n  -  «•  ii .  Miir»>kkuiii-ehe  Kramn.  I.  mi- 
ni K  HliHse,  II  ,i  Ii  s  V  :i  i  h  i  n  ff  r  »  I  'im iih  ii- 
Uir  7ii  Knill«  Kiilik  <|.i  n-inen  Wimmfi. 
-V    Bei.         Hii)!»  Atn.il.l.  \  ..lk-ki  km 

■au  der  l>.irv  im  II.  it.»i  1">7'\  Max  l>i>-i/. , 
«Ipmli..  Mtiiili'v.'iili.  A'lnlf  Hii-tian, 

t'lwr   Ki'ti'cliiMiiu»  V.ilk-wirtli-i-liafilii  li>- 

Literatur.  Mitli'iliniki-ii ,  Na.liri. Im-t,  .  IV- 
s|>rvrliuiiK.ii. 

Hu  Hol  In  d«-  I*  »m-illl  d*Mftlolr«> 
Yandolxw  i  l>i  Tom  InliaW  IX  Mai  Juni 
l-'.i'.M  K.  Arnaiul,  lli.ii.m  <l<-  |.remi.' n» 
|«  r>iVnlii.ii>  .Iii  Vhii.I.ii-  lnlli.  ri.il>  <lu  r..in- 
liil  V.  |MI*r<ili  .1  «|.-  Iii  l'mv.-nn-  .l'.i|in  >  .1. 
ikmutuiix  (l.«.uni.iit>  I'.  Hiv.iii.  .  Mi»-i..ii. 
•M  S  nahiiv  diiili..  ('.-.an-  l!ail..-n  ii.-ll.-  «»Iii 

Valcl«'!»i,  Ii;.1,".    li.-.'T.       K   d.-  I>i<.|e.   S.j  • 

<l»  -  Vanrlni-  «tu  l'i.'riM.iii  .-n  Sni— e  I "•.»!»  IT:Si. 

W.  M<-ille,  I  n  niiie.-  .in  -iijet  .1.  .1«  an 
L.'tp-r.     I'.liul.-  Iii-t..ii<(i|.-  .1.   ,I:i  IIa,    I  ii 

(•n-enr-i.re  .Irl  |»ux-i»iii.i  pelle  Valli  :<l  -.-ei.!.. 
XVII.  Ktillelm    X:    i.V. nit    !-',(;     AI.  um 

<l<K-ntii>-ini  nlaiivi  allu  |»-r«.vin  i>>ii.-  >«al«l>  -.  i 

•  I* -I    tiV'rf!     I.Vtil.  I!.  I.  V.  in. -nl   III. IUI. •Iltail.'  .'' 

>xtinrti..ti  .1.  »  Kl-Ii»'--  Vaiu|.ti-e.  .lau-  I.-  Val 
lYnjp-la,  fl'a|ir.  >  <!<•-  um.  iit-  ifn-.lii* 
LiMe  .le«  Viili.l.ii-  .-Ml.'.«  . 'Ii  Iii'.»«*  .'»  1<.'»:i. 
tir.V  <!«•.  Ar«  luv. -  Na!i..ual<-  .1.  la  Hat. 
Vainli.il.  n IL  uiali.l-  .  Ii  Boheme  v.  r-  l  au  I  I  In. 
Trsulueti.iii  «U-  raU.  niiimh Zeil«.  In  (  K  -<..  >.  1. 
XIV.    Ii  IVt-ul«*-.    li.mninn.iiil.   .|.  Van- 

«|..i»  i  n  Wui  l-iiiU  rv'   Tn«.|n<  li  I.'  I'nll.  nian.l 

iliMioRraplii.' 

MllfoHuiiKoii  d«>r  <»«*M<>llM*han 
fllr  d«-*il«.«-h«'  l-.rxit'hiiiiif«-  iiml 
H<hiilKi'1"lil»-hto.  (Berlin.  A  llolinaiin 
A  Co  i.  III.  2  II.  K.  Watrn.  i  .  «  •-•  Iii»  ht. 
••••!«  Volk-*<'liul«.'»-n-  im  Lrz-nlt.-  •».il/lmi^ 
K.  W  K.  It..ili.  i »r.liuiiii:»  n  und  Nori/eii 
zur  Hrlinlkf  xi  lnrli!.'  >|.«  Uh.-imsn.e-  •  r.'.N'  l>i» 

MITi.         Lm-i  l..  I.Iii  Ii.  Ii.   Z.iih»   trir 

I/>'liliT  .Irr  I>  I|./U'.  |  KpliMii.'  ml-  .l.  ii  .laiin  n 
ITIW,   IT".'.   !7">7  »nid  l-»C.       Hut"-  I  >.  ti - 

I.  arl,  .lu«ui>  Mn«-t>  Hii.'l  au  W.  v..u  K.I.N- 
ln-im  lil»'r  Ki/i.'huii^  lurV  |>nikliM'li<   l^  l«n 

F.  rn«l  <  i  >•  Ii  m  1 1  <  Ii  ,  Zur  I  ..'-«-lurlilc  .1.  r 
Srliiile  »|.-«  Milflrrhi'n«  Tiint  lia  l»  i  l^  tn/i^- 

II.  Kaim.'r.  In-irnkii.iii  für  »l'ii  >■«  liiiini'i»(rr 
in  Srh«*T  vrnn  Jahn'  lii»4.  ■  K,  A  .*  »■  h  .•  r  >.<.  n. 
Vniliüuiipoii   ul»  r  i|.  iit»u.li.-  Kivi.-Iuin>f>-  un«l 


S<  liulk!.  «.  liirli1.  an  >|.  iii-i  li.  n  Kiuv.  r>i1a(<  n  im 
Wiiil.  r»  in.  >(«  i'  IVil  '.i.(  iiml  S..iiuu.  i-"*«-iii.--i.  i 
l«rj.  ii.  •..•►lafilu  li.  i  Tln-il.  I',  Ital.l- 
in  an  n.  Schill"-!-  -  K.i;.'lii  au-  il.'tn  Kinli-  <)> - 
I .lalirliun.l. n>  II  H.-i  k.  i  .  I >i>  Z«  rl.-t.  » 
Ijiii.U.  li.il.  n  um  .Ii.-  Milt.-  <!.".  IT.  .lalnli 
It.  I'alin.-i  .  I»  r  V.i^u.li  .1.--  Il.  r/..^  Km-' 
.1.-  I'r..iuiii.  n  v..n  «...ilia  zur  i  iriin.liiiiK  .  in. - 
a.|.ln."U  I- i:iu|.iii-lilli  um  l'.T"  K.  Ma>  , 
>.lmlk  ...lull  ilir    I.Miitfii  in  N.i«H-  ilTi». 

I.  i-  IT'ü'i.  K"l.l ••»•«'>  .  ><  Inilonlnuii^.  ii 
.1.1  Sia.ll  K"Uii;vluil<-i  I.  für  .l.ii 
>.liiil.  nli.ir  »..in  .lalir  17J».        M  hulinlin/iii- 

II.  -.  Ii'-niil'  unik"'.        Zur  i  i-u>janu--l.ill.  nitiM  , 

I '.-l»'i -iclil  .|«t  in  .luhr«  IVH  im  l'.u«  li- 
liaml.  l  .  iMlii.  ii.-ii.  il  W.  ik.-  /ui"  1  i.-M'lii.-lii.-  .|.  t 
Ki/i.-liim»;  iiml  .1.-  I  ui.  riiolil-,  ii.--.i)i;lf i- 
li.  li.  r  I  ii.  il 

Ki'i  n«.  iiil4-rnnlioiiMl<*  d<-  r«>niM*lK- 

114'IIK-lll.  K-  .l  KiIiiixikI  1 1|.  >  Ins  -  l!ri-a.-. 
I:!i-  : 1 1 1 1 « Nr,  |»i  :  K-l  I >  i .- \  I  n  -  -  B  1  i  -  a  .  , 
.|>-  la  in*  iIkkI.-  ä  ,i|i)m.i1.  i  .Inn»  l'.'lu.l.  .1.  - 
<|ii.->ii..ri»  .r.  n*.  iu'n''in.'iit.  Krank  .l'Arv.  ^i. 
I'.'ilni  aii. <n  nati.'iial.  .  I  ->  i  i  ..  |.<  n ...  In>l.>ii> 
.l  ull.  .  «..Ii-  ..  titr.il.',  A|M-ri  n  -ur  I'.>r)jaiii- 
•ali.jii  «I..  I  uniM  i-il.  'k  <  ..(..  nliau-u-'.  *  >.r- 
iv»|...n.laii.  ••    int. Tiniti.. null-.  Il.  sui-  r.  Ii«.- 

-|»  i  liv.    .!«■-  ..iiMav'.  -  <l"'    l'.  iix  iijrni-rri.  iil. 
rhii.iii.|ii«'  -I-    IVu-.-un.-in.-nt  .    N..in.  l'..-    .  t 
iiif.iriiiaiu.il-,        V.l.  -  .  r  .|..r.iui.  ui>  i.ffi.i.l- 
HiMm-ianliii-. 

JühroolM'Hfhl  ttlM-r  du»  hAlicro 

S»-lnilw«'«wn .  Ii.'i  aii-k-' Ih-ii  v.in  r..ni 
IC-tliM  i~i-lt  7.  .lahrn,  l-.'J.  II  lt.ii.|.i. 
>i-liiili^--i  hii  lil«-.  i  Ii-- 1  1.  tt  i -i  Ii  ,  >clnil- 
\.r|j--iini;.  \,.  Witt«-,  K»an«,  l:>-lit;ii»>— 
U-IiIt.  .1.  N  Hiiinn.  r.  K jlln.li-«li.  !!•- 
lik.'i"ii-!<  lin  15.    .li.na-,    l».ul«<li.  II. 

Zi.iii.i,    Kanin.  A.   \  i»n    II  a  in  !>  .•  r  u  , 

l  .r].i  Iiis«  Ii.  II.  I,  •".  -  .  Ii  Im  i  n  ,  l*ian/..si-rli 
(iini  Kiiyli-i  Ii.        I).  >>  Ii  mit  h-,  (n  -t-liirlil. 

1»    It.. Im  .  Ia.lk  |.  A.   1  l.a.-i  ,  Ma- 

IlKinatil.  K.    Ni.ark.     V.     Ilin.-r  ui«l 

A   I  Ii  a.  r  ,  Nanu m  i--i  iim  dafl       K  KlillX»-!. 
Z.  i.  liii.-n.         II.  Ii.- II«- 1  in  a  ii  n  ,  i;.--ant- 
r    Kul.-i  .  "tili  ii.  ii  iiml  i..  -niulli.-ii-i.fi.-!;.  . 

Ar«-hi»  tiiv  <r»i»U-rr«>l4-hlMrh<*  <•«•♦ 
«M'bU'hl«*.  IVaml  ?.'.  I ►••(.-<•  Ii  .  KiHM.  liuri- 
iiml  l'haniki.  r  .1.  -  .-i.  il>  i«  l.i-.  li.  ii  l^in.lr. .  Ut-. 

...    XV  .  ii  1.- 1  ,    I«.  i  Hi.l..  .oii-.lü  v..i.  1  .  .. 

.1.  I.  rl  h.  lfc-i  Anali:i|.-ii«iuti-  in  Tirnl 

v..iii  .lahi.-  ITk'^i  lu>  zu  -.-in. -in  Ki l>>»i  Ih-ii. 
Kiiiii.'s,  Zur  <  ..mIik-IiI.'  il<>  ,I.Miii<-n..i.l.ii« 
in  l"tii:arn  l'.l".  t •  »T I .  \V  <•  r  i  h  .•  i  m  .• »  , 
W i«-ii  und  «Iii»  Kl i'vjalir  lsl  '..  ,\<l,  li.'.  i  , 
l>i"  liaii<l.'l«]>i.liti-.li<-n  |l.-/i.-liuii|{i'n  <>.-r.-i- 
r»  H-h-  /u  d.'n  I  K ■  1 1 1 -4 -Ii* -ii  Slaal.  ii  unter  Maria 
Tlieiv-ia. 


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4» 


Zur  Nachricht. 


Heft  1. 


D.  Zur  Nachricht 


Aus  dem  Erschein ungsplan  der  Monatshefte  1S94. 

Ein*r«>jtinlt  oder  zujrc-ajrt  -ind  unter  and<  r<  n  folgende  Aufsätze: 
H.  Aron  i  Berlin).  Comenius  im  l'rleil  seiner  Zeitgenossen.      Hcrnh.  HnchriujT 
Minfeld;.  Zur  Kiinneruiijr  sm  Jach  Frohschaininer.         Kornh.  Kerker 
rii;nl.  nt- Id  i.  Sehlejerinncher  un.l  die  Brüd. TtM  in.  in. .  -   W  ilhelm  Hegemanu 
i  Rostock  i.  I'Imt  den  ( iehniuch  und  die  Bcdciituuj:  des  Wortes  „Fansophie". 

tiennr  Klllsson  l  F.inl>eek  \  Friedrich  Allvert  Lunp«  als  I 'hili>-<>|>h  und 
l'ädnjrojr.  Wendelin  Foerster  (Bonn).  I  Im  r  «Ii«-  \  erhandlunpcn  der 
Walden-er  mit  Occolnmpnd  und  ltni/er  im  Jahre  l.'i.ls.  Ludwig  Keller 
i  Mi'm-tert.  I  >ie  Akademien  und  Sodalifäten  der  Xaturphilosophcn  des  1 7.  Jahrh. 
!*i>  zur  KnlsielinriL'  der  Royal  Society  in  London.  llackenbcnr  fHotten- 
Wachi.  F.  W.  horpf.  lds  h  t/ies  Werk.  Fr.  Hummel  (Schwaigern),  Zur 
-ozial|K.|iiis<hen  Kr/iehunjr  des  enirlisehen  Volkes  im  11».  Jahrhundert. 
Iluiro  Landwehr  (Berlin».  Johann  I Hirnen*  und  die  l'nions- Bcstrchunjrcn 
■  les  17.  Jahrh.  Friedlich  Albert  Lautre,  I'Ut  den  Zu<«nmiiicnhaii)»'  der 
l]i  zieliiiii'!ss\  sinne  mit  ilen  herrschenden  Wcltnuschauuujrcn  der  verschiedenen 
Zeilalter  laus  dem  Nachlas«'!.  K.  Melchers  (Bremen!,  l'omenius  und 
Pestalozzi.  Paul  Natorp  i  Marlninri.  Fiter  Condorcet.  tiraf  Leo  Tolstoi, 
I  >ns  Kaffeehaus  von  Snral.  Aus  dem  Russischen  übersetzt  von  K.  von  lioev. 
Jacob  Wvehcxnni  ( L«  i|«/i>r) ,   Ludwi<r  Vives  als  Vorlauter  des  Comenius. 


Aus  «lein  Inhalt  des  ersten  und  /weiten  Haiides. 

Fnser  Arbeit^plmi  <S.  III  Villi.  I».  Ilohireld,  J.  A.  Comenius 
mid  K.  C.  F.  Krause.  K.  MHinpel,  Die  interkonfessionellen  Friedens- 
ideale des  J.  .\.  Comenius.  A.  Israel.  Da.««  Verhältnis  drr  »rossen  l'ntcr- 
richtslehre  des  C. mienius  /u  der  Didaktik  Ratkes.  Ludwig  Keller,  Johann 
Valentin  Audivac  und  ('niui  niiis.  4ns.  Müller,  Zur  Büchcrktinde  des 
<  omeniiis.  Kd.  Hodemnnii.  Hin  (iedieht  von  Lcilmiz  auf  Comeuius. 
Jos.  .Müller,   Die  Bilder  des  (  onienins.        Litteratur- Berichte:  Die 

C  eniiis- Litteratur  in   allen  Sprachen  seit  Ml  Jahren.        Die  jredruckte 

Litteratur  ül*-r  Wolfjrani«  Ratn-hiiis.  Kritiken,  Besprechiineen,  Nach- 
richten (darin  die  Snt/.un«:en  der  C.C.i. 

Ludwig  Keller  (Münsten,  Die  Comenius-(  icscINchuft.  <  ieschichtliches 
und  ( ii undsntzliches.        M.  A.  X.  Hövers  il'trechn,   F.in  Friedeusspruch. 

W.  lleiti/clmaiin.  Coeihi  s  religiöse  l'.ntwieki  lunjr.  Johann  LoMerth 
Hirazi.  Die  kirchliche  Befoi  inlM  we^nnir  in  Kurland  im  XIV.  Jahrhundert 
iiihI  ihn-  Aufnahme  und  Durch fiihiuuj;  in  Böhmen.  Akademische  Antritts- 
rede.  Lettnil  iKönieslierir  i.  l'r.K  Johann  ( Seorir  Hamann,  als  tieistes- 
wrwandter  des  Comeniu-.  Hernil.  Hiichrlnir  i  Minfeld).  Christian  Karl 
Josin«*,  Freiherr  von  Bimsen.  Friedlich  Albert  I*anire,  tieschichte  und 
Bedeutung  rlcr  Sehn Ikr <tii< m Ii. ••  vor  und  nach  Comenius.  Zur  Uilchcrkundc: 
Die  neuere  Litteratur  ülsr  K.  Chr.  Fr.  Krause  ilLdilfeld).  Litteratur 
ü I«  r  Valentin  Andrea'  s,.jr  )imi  Jahren.  Quellen  und  Forschungen. 
Kleinere  Mitteilungen.      Kritiken  und  Besprechungen.  Xaclirlchten. 

i  »«♦♦« 

llit.  k.  i-  i  v>ii  .t.ilviniivs  Iii.  .Ii,  Müii-ht  i.  W.-sf. 


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Monatshefte 

der 

Comenius-Gesellschaft 

III.  Hand.  181)4.  Holl  t>  u.  :i. 

Schleiermacher  und  die  Brüdergemeine. 

Von  D.  Bornh.  Bockor. 
I. 

In  der  Nacht  vom  2t.  Mai  1770  ging  <*■  n  preussiseher 
llusarcnleutnant  mit  seinen  Leuten  über  die  Weielisel,  um  aus  dem 
polnischen  (Jrcnzort  Seitersdorf  eine  von  römiseh - katholischen 
Gutsherrn  schwer  bedränge  Gemeinde  reformierter  Pfälzer  auf 
preussisches  Gebiet  herüber  zu  holen.  Kr  folgte  dabei  einem  Be- 
fehl Friedrichs  des  (i rossen,  der  durch  den  schlesischen  Feld- 
prediger  .loh.  (.iottlieb  Sehleiermacher  auf  jene  Glaubensgenossen 
aufmerksam  gemacht  worden  war.  So  entstand  die  Kolonie  Anhalt 
bei  l'less  in  Obersehlesien,  denn  kirchliche  Bedienung  .Sehleier- 
macher selbst  übernahm,  indem  er  177S  tlahin  übersiedelte.  Sein 
Sohn  Daniel  Ernst  stand  damals  im  10.  Lebensjahr.  In  diese 
Zeit  fällt  der  Anfang  der  Beziehungen  seiner  Familie  zur  Brüdcr- 
gemeinc. 

Sein  Vater  trat  aus  Anlass  einer  Kollekte,  die  er  für  jene 
(iemeinde  sammelte,  in  Verbindung  mit  angesehenen  reformierten 
Männern;  einer  derselben,  der  Antistes  Fmanuel  Mcrian  in  Basel, 
übersandte  ihm  eine  im  Jahr  17(>!l  erschienene  Schrift:  La  saine 
doetrine,  tiree  des  ecrits  des  plus  eclebres  doeteurs  de  l'cglise 
reformee.  Verfasser  derselben  ist  der  Prediger  der  Brüdergemeine 
Jeremias  Bisler,  ein  Mann,  der  nach  Zinzendorfs  Tode  dessen  nur 
zu  bald  vergessene  theologische  Grundauschauungcn  hochgehalten 
und  auf  den  Synoden  der  Brüdergenieine  mit  Nachdruck  vertreten 
hatte. 

M>jn:it.sli<-(ti-  tU-t  <'<>iii--riitis-<;<'.-4'll»tlialt.    ls<>j.  « 


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Bocker, 


Heft  2  u.  X 


Jene  Auszüge  aus  den  Schriften  reformierter  Theologen  lassen 
deutlich  erkennen,  dass  er  sich  bei  der  Auswahl  von  Zinzendor- 
h'sehen  Anschauungen,  namentlich  bezüglich  der  Autfassung  der 
christlichen  Gotteserkenntnis,  leiten  Hess.  Von  da  an  begann  die 
Sehleierniachcr'schc  Familie  auf  die  Brüdergemeine  aufmerksam  zu 
werden,  in  der  sie  „ein  singulare*  Phänomen  in  der  Christenheit" 
zu  erkennen  glaubte.  Der  dem  Prediger  Schleiermacher  unterstellte 
Lehrer  Christoph  Pauli  war  ein  Vertreter  brüderischen  Christen- 
tums; seine  »Söhne  gehörten  der  Brüdergemeine  an;  er  selbst  stand 
in  Verbindung  mit  dem  Gcmcinort  Gnadenfrei  in  Schlesien. 
Die  Familie  Sehleiennaehers,  nicht  am  wenigsten  die  Kinder, 
wünschten  diesen  Ort  kennen  zu  lernen.  Als  die  Mutter  mit  ihnen 
dort  einen  längeren  Besuch  machte,  erhielt  ihr  Sohn,  namentlich  in 
religiöser  Beziehung,  so  tiefgehende  und  entscheidende  Eindrücke, 
dass  er  sieh  entschloss,  der  Brüdergcmeinc  auf  alle  Fälle  als  Mit- 
glied anzugehören,  auch  wenn  er  nur  ein  ehrsames  Handwerk  in 
derselben  erlernen  könne. 

Thatsächlich  trat  er  in  seinem  lö.  Iicbens  jähre  in  das  Päda- 
gogium der  Brüdergemeine  zu  Niesky  in  der  Oberlausitz  ein.  Er 
bietet  das  Bild  eines  Pädagogisten ,  wie  er  sein  sollte,  im  Sinne 
der  damaligen  Zeit.  In  edler  Freundschaft,  mit  dem  späteren 
Brüderbischof  von  Albert ini  verbunden,  giebt  er  sich  als  achter 
Schüler  des  Neuhumanismus  mit  frischer  Begeisterung  dem  Studium, 
namentlich  der  griechischen  Klassiker,  hin  und  pHegt  zu  gleicher 
Zeit  ein  inniges  religiöses  Leben,  das  seinen  einzigen  Beziehungs- 
punkt in  Christus  hat.  Nicht  im  mindesten  wird  dadurch  seine 
jugendliche  Frische  und  Fröhlichkeit  im  Kreise  der  gleichgestimm- 
ten Kameraden  beeinträchtigt  Jm  Gegenteil  ermahnt  er  seine 
im  Gnadenfreier  Sehwesternhausc  lebende  Sehwester  Charlotte,  ja 
nicht  zu  melancholisch  zu  seiu,  damit  die  Leute  nicht  in  der  An- 
sicht bestärkt  würden,  dass  die  Ilcrmhuter  sämtlich  Kopfhänger 
seien. 

Der  Umgang  mit  dem  Heiland  ist  es,  der  ihm  zu  harmo- 
nischem inneren  Leben  verhilft.  Nur  wenn  dieser  gestört  wird, 
fühlt  er  sich  innerlieh  bedrängt.  „,,leh  will  sie  alle  zu  mir  ziehen, 
hiess  es  in  der  gestrigen  I/>sung",  schreibt  er  an  seine  Schwester; 
„das  wird  er  in  Gnaden  auch  an  mir  erfüllen ;  er  ist  auferstanden, 
zu  helfen  allen  Elenden  auf  Erden,  das  giebt  mir  auch  ein  Recht 
au  ihn;  er  ist  meine  Zuvci>icht  alleine,  der  Gott,  für  mich  am 


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■ 


1894.  SohU'icrmacher  und  die  Briidergemoino.  47 

Kreuz  erblasst."  —  „Ach  erfüllte  Jesu  Liebe  unsere  Herzen  Tag 
und  Nacht!  Wären  wir  ihm  nur  ganz  zur  Freude,  stünden  wir 
initiier  in  einem  ganz  ungestörten  Umgang  mit  ihm,  könnte  uns 
nichts  auch  nur  einen  Augenblick  von  ihm  abbringen".1) 

In  seinem  „vergnügten  Gange"  fühlt  er  sich  nur  dann  ge- 
stört, wenn  er  sieht,  er  „liebe  den  Heiland  nicht  genug";  er  sei 
ihm  nicht  ganz  zur  Ehre,  und  „wenn  der  tägliche  Umgang  mit 
ihm  nicht  ungestört  und  ununterbrochen  fort  geht  Aber,  so  oft 
man  zu  ihm  kommt,  als  ein  Sünder,  der  blos  aus  seiner  Gnade 
selig  ist,  so  oft  man  sich  einen  Gnadenblick  von  ihm  ausbittet, 
so  geht  man  nie  leer  von  ihm,  er  wird  nie  untreu,  so  oft  wir  es 
auch  -werden".  -) 

Bei  dieser  inneren  Gesinnung  ist  ihm  auch  „der  Schritt  in 
ein  anderes  Chor"  (d.  h.  seine  Aufnahme  in  den  besonderen  Rund 
der  „ledigen  Brüder")  „nichts  Geringes,  sondern  vielmehr  ein  An- 
lass  ernster  religiöser  Selbstprüfung,  die  ihn  zu  dem  Bekenntnis 
treibt:  „Niemand  ist  seliger  als  ein  Sünder  —  hört  es  und  glaubt 
es,  ihr  Menschenkinder  —  der  Gnade  hat".1)" 

Nachdem  Schleiermacher  in  das  theologische  Seminar  der 
Briidcrgcmeinc  in  Barby  eingetreten  war,  erfolgte  bald  ein  voll- 
ständiger Umschwung  seiner  Anschauungsweise;  von  tiefgreifen- 
den Zweifeln  wurde  er  heimgesucht;  in  den  stillen  Räumen  des 
Brüderseminars  kämpfte  er  einen  schweren  Kampf  durch,  dessen 
letzte  Entscheidung  von  durchgreifender  Bedeutung  für  die  Ent- 
wiekelung  der  evangelischen  Kirche  des  19.  Jahrhunderts  wurde. 

Durch  die  eigentümliche  Art  der  brüderischen  Frömmigkeit 
und  der  auf  derselben  ruhenden  humanistischen  Bildungsweise  ist 
er  nicht  verursacht  worden.  Dieselben  waren  vielmehr  im  stände 
gewesen,  dem  von  Haus  aus  kritisch  gerichteten  Knaben  zur  vollen 
innen)  Befriedigung  zu  verhelfen.  Jene  Zweifel  waren  schon  in 
den  Kinderjalireu  aufgetaucht;  durch  gewisse  überlieferte  kirchliche 
Lehrsätze  wurden  sie  angeregt,  mit  denen  das  Nachdenken  des 
Knaben  sieh  nicht  befreunden  konnte. 

Es  handelt  sich  namentlich  um  die  Lehre  von  den  unend- 
lichen Strafen  und  Belohnungen,  von  dem  genugthuenden  Straf- 
leiden Christi,  von  dem   natürlichen  Verderben  und  den  über- 


')  Au*  Sclilcicniiiichois  l^l>cn  in  Briefe».   Berlin  ISfJO.  I,  .T_\    *>  a.  a. 

u  1,  js.    'i  a  u.  <).  I. 

4* 


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4S 


Herker, 


Heft  '2  ii.  X 


natürlichen  Gnaden  Wirkungen.  Dio  Frage  nach  den  letzteren  war 
in  ihm  allerdings  erst  durch  die  von  ihm  besuchten  Gnadenfrcier 
gottcsdienstliehen  Versammlungen  angeregt  worden.  Während 
seiner  Studienzeit  im  Pädagogium  waren  diese  Zweifel  vollständig 
verschwunden;  nun  erst  im  Zusammenhang  mit  dem  beginnenden 
theologischen  Studium  tauchten  sie  wieder  auf  und  störten  die 
innere  Ruhe  seines  Jugendlebens.  Es  handelte  sich  namentlich 
um  zwei  Punkte  der  überlieferten  kirchlichen  Lehre,  um  die  Be- 
hauptung einer  metaphysischen  Gottheit  Christi  und  um  die  seines 
genugthuendeu  Straflcidens. 

Schleiermacher  war  im  Pädogogium  durch  Kohlreif  zu 
einer  nüchternen  Betrachtung  religiöser  Fragen  angeleitet  worden. 
„Ich  war  damals  lauter  glühende  Phantasie  und  hoffte,  er  werde 
mein  Feuer  noch  feuriger  blasen,  aber  nein,  er  führte  mein  Gemüt 
an  der  Hund  der  Geschichte  und  verständiger  Vorstellungen  zu 
einem  stillen  Emst  und  zu  ruhigen  Überlegungen  zurück.*")  Im 
Seminar  sah  er  sieh  gehindert,  diesen  Weg  selbständig  weiter 
zu  gehen.  Er  klagt  über  die  „etwas  zu  grosse  Eingeschränktheit 
in  der  Leetüro";  mau  könne  sich  über  den  gegenwärtigen  Stand 
der  Exegese  und  Doginatik  nicht  genügend  unterrichten.-)  Schliess- 
lich sali  er  sich  zum  völligen  Bruch  mit  den  angezweifelten  Lehren 
der  Kirche  getrieben.  „Ich  kann  nicht  glauben,  dass  der  ewiger 
wahrer  Gott  war,  der  sich  selbst  nur  den  Mensehensohn  nannte, 
ich  kann  nicht  glauben,  dass  sein  Tod  eine  stellvertretende  Ver- 
söhnung war,  weil  er  es  selbst  nie  ausdrücklich  gesagt  hat,  und 
weil  ich  nicht  glauben  kann,  dass  sie  nötig  gewesen;  denn  Gott 
kann  die  Mensehen,  die  er  offenbar  nicht  zur  Vollkommenheit, 
sondern  nur  zum  Stieben  nach  derselben  geschaffen  hat,  unmöglich 
darum  ewig  strafen  wollen,  weil  sie  nicht  vollkommen  geworden 
sind/'1)  So  sehreibt  er  an  deu  bekümmerten  Vater  und  fügt 
später  noch  hinzu,  er  „habe  Zweifel  gegen  die  Versöhnungslehre 
und  die  Gottheit  Christi",  sie  seien  natürlich  aus  seiner  Lage  ent- 
standen. „Wie  konnte  ich  auf's  blosse  Wort  glauben,  dass  an 
allen  den  Einwürfen  unserer  Theologen,  die  von  kritischen  exe- 
getischen und  philosophischen  Gründon  unterstützt  sein  sollen, 
nichts,  ganüchts  sei*.'"  Er  könne  selbst  nicht  untersuchen,  in- 
wiefern neuere  Einwürfe  ungegründet  seien,  weil  er  nichts  der- 


\  a.  u   O    I,  I  1  J      ■■)  a.  a    (>.  I,    ;'.».      )  a.  a.  O.  I,  I.'  Ii. 


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ls!>». 


SchlcienmicluT  und  «lic  llnMiYrp-mciM'. 


gleichen  lesen  dürfe  und  man  sieh  nicht  einmal  damit  einlasse, 
ihm  seine  eigenen  Zweifel  zu  widerlegen.  Was  die  Gottheit  Christi 
betreiTe,  so  koiiiinc  es  darauf  an,  was  man  damals  für  einen  Be- 
ginn" mit  den  Worten  rin*  ihor  verband.  „Dass  man  wenigstens 
nicht  immer  die  Kinli<>it  mit  dein  göttlichen  Wesen  meint«-, 
sieht  man  daraus,  dass  die  Apostel  diese  Worte  auch  häutig  von 
den  Christen  gebrauchen".  ') 

Es  handelt  sieh  hei  diesen  Erlebnisse?»  des  geistig  reich  be- 
gabten Jünglings  nicht  blos  um  theoretische  Zweifel,  sondern  um 
unabweisliche  Forderungen  seines  religiösen  Lebens.  Es  galt  das- 
selbe» „zu  retten  irrten  <lie  vereinigte  Macht  der  Welt  uml  des 
skeptischen  Verstandes'*;  es  handelte  sich  um  eine  „Wirkung  des 
Wahrheitsgefühls  ohne  alle  Lust  oder  Unlust  zu  dem,  was  nun 
kommen  würde".  Das  eitle  Wesen  in  der  Welt  fürchtete  er,  und 
hätte  er  einen  ähnliehen  Winkel  gewus-t,  wie  die  Herrnhuter,  er 
wäre  lieber  dorthin  (als  nach  Halle)  gegangen.-)  Seine  in  der 
Brüdergenicinc  entbundene  und  entwickelte  Frömmigkeit  war  es, 
die  ihm  half,  als  er  „anfing  den  väterlichen  ('Hauben  zu  sichten 
und  Gedanken  und  Gefühle  zu  reinigen  von  dem  Schutt  der  Vor- 
welt". «) 

Her  Christus,  mit  dem  er  täglich  als  mit  seinem  Heilande 
verkehrt  hatte,  erschien  ihm  fremd,  wenn  er  sieh  ihn  unter  dem 
Gesichtspunkt  der  metaphysischen  Gottheit  vorstellen  sollte;  der 
Gedanke,  dass  der  Heiland  als  der  Unschuldige  um  der  Unvoll- 
kommenheit  der  übrigen  Menschen  willen  von  Gott  abgestraft 
worden  sei,  kränkte  ihn  in  seinen  religiösen  Gefühlen.  Weil  er 
die  Religion  als  Sache  des  Gemüts  keimen  gelernt  halt«',  als  engstes 
Angcschlosseusein  an  die  acht  menschliche,  geschichtlich  offenbare 
Person  des  Heilandes,  den  Träger  der  gottliehen  Liebe,  konnte  er 
sich  mit  Vorstellungen  nicht  zurecht  linden,  welche  die  lebendig«' 
nahbare  Person  dieses  Heilandes  in  'inen  metaphysischen  Begriff' 
aufzulösen  schienen  und  ihn  als  einen  solchen  hinstellten,  dessen 
Hauptaufgabe  in  diesem  Leben  es  gewesen  »ei,  einem  blossen  Ge- 
reehtigkeitsbedürfnis  zum  Opfer  gebracht  zu  werden.  Er  glaubte 
mit  diesen  Vorstellungen  brechen  zu  müssen.  Schon  damals  bahnte 
sich  in  ihm  eine  andere  Anschauungsweise  an.  Wohl  wäre  es  die 
Aufgabe  der  leitenden  Männer  des  Seminars  gewesen,  dein  inner- 

')  ».  ».  o.  I,  r,;j  t\.   -i  ».  a.  o.  1.  ais.    >  sämtliche  W.  iko  i,  ■_»<>-_>. 


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50 


Becker, 


Heft  2  u.  H. 


lieh  Kämpfenden  nicht  nur  mit  seelsorgerlichem  Rat  zur  Seite  zu 
stehn,  sondern  ihm  auch  die  nötige  wissenschaftliche  Anleitung 
zu  gewähren,  um  ihm  zum  rechten  Verständnis  der  religiösen 
Bedeutung  jener  Lehren  zu  verhelfen  auf  Grund  der  von  ihm 
namentlich  gewünschten  exegetischen  Arbeit 

Es  war  dem  theologischen  Seminar  der  Brüdergemeine  nicht 
beschieden  gewesen,  die  von  Zinzendorf  teils  dargebotene,  teils 
angeregte  grundsätzliche  Auffassung  der  christlich -theologischen 
Fragen  wissenschaftlich  fortzubilden  und  den  Versuch  zu  machen, 
die  auf  dem  Boden  der  „Herzensreligion"  mögliche  Ein- 
heit und  Einigung  zwischen  dem  christlich -religiösen 
Glauben  und  der  philosophischen  Bildung  ernstlich  zu 
suchen.  Indem  man  fest  auf  jenen  überlieferten  kirchlichen 
Lehrsätzen  stand,  suchte  man  sich  gegen  die  Wirkungen  der  (am 
Ende  des  vorigen  Jahrhunderts)  mächtig  emporstrebenden  deutschen 
Bildung,  die  auch  auf  theologischem  Gebiet  einen  durchgreifenden 
Einfluss  äusserten,  streng  abzuschliessen,  indem  man  die  Erträge 
derselben  lediglich  für  verbotene  Frucht  erklärte.  Man  sah  in 
Schleiennachers  Anschauungen  ein  „schädliches  Gift"  und  sagte 
ihm,  dass  er,  im  Fall  eine  Änderung  nicht  einträte,  „auf  kein 
längeres  Hiersein,  keine  Schonung,  kein  Mitleid  zu  hotf'cn  hätte".1) 
Schleiermacher  musste  das  Seminar  verlassen.  Sein  Freund  Alber- 
tini  behauptet,  dass  man  ihn  nicht  edelmütig  behandelt  habe,  sein 
Oheim  Stubenrauch  klagt  darüber,  dass  man  bei  den  Brüdern 
nicht  verstehe,  einen  Zweifelnden  richtig  zu  behandeln,  und  der 
ehrwürdige  Direktor  des  Pädagogiums  Zembsch  äusserte  später, 
dass  sein  Kollege  am  theologischen  Seminar  nicht  genug  bedacht 
habe,  „dass  ein  Theologus  nicht  anders  wird,  als  durch  den  Zweifel". 
Diese  Männer  weisen  in  der  That  auf  einen  vorhandenen  Mangel 
hin.  Im  Pädagogium  der  Uuität  hatte  man  es  vermocht,  die  Ein- 
heit zwischen  der  brüderischen  Herzensreligion  und  dem  uneinge- 
schränkten humanistischen  Studium  zu  finden;  darum  entwickelte 
sich  Schleiermacher  zu  einem  geistesfrischen  innerlich  harmonischen 
Jüngling;  noch  im  höheren  Alter  sah  er  mit  Freude  auf  die  drei 
„seiner  schönsten  Jugendjahre"-)  zurück.  W  ie  viele  alte  Schüler 
dieses  Instituts  können  ihm  das  von  Herzen  nachfühlen!  Dem 
Barbyer  Seminar  war  die  ungleich  schwerere  Aufgabe  gestellt, 


')  a.  a.  O.  I,  ">'-'.    •)  a.  a.  O.  II,  21. 


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8cIiIouthiikIioi-  und  die  Briiderpcini-inc 


öl 


«einen  humanistisch  gut  gebildeten  Schülern  gegenüber  die  rechte 
Vermittelung  zwischen  der  neuen  plülosophischen  Bildung  der  Zeit 
und  dem  Brüderglauben  zu  finden.  Ks  vermochte  diese  Aufgabe 
nicht  zu  lösen;  daran  scheiterte  damals  nicht  nur  Schleiermachers 
Bildungsgang,  sondern  auch  der  manches  anderen  trefflichen  Jüng- 
lings in  seinem  Freundeskreis. 

Wenn  Schleiermacher  sich  später  als  Theolog  die  Aufgabe 
gestellt  hat,  die  rechte  Verbindung  zu  finden  zwischen  dem  christ- 
lichen Glauben  und  der  neuen  Kultur,  so  war  das  der  unmittel- 
bare Ertrag  seiner  Jugendentwickelung  in  der  Brüdergemeine,  in 
der  er  trotz  aller  Kampfe  diejenige  Auffassung  des  Christentums 
sich  angeeignet  hat,  die  allein  jene  Verbindung  wirklieh  ermöglicht, 
der  zufolge  Christ  nicht  derjenige  ist,  der  eine  bestimmte  Summe 
vorgeschriebener  Dogmen  annimmt,  sondern  derjenige,  der  von 
Herzen  bekennen  kann:  Ich  weiss,  dass  mein  Erlöser  lebt. 

IL 

Schleiermaeher  erkennt  in  den  Erlebnissen,  die  er  als  Mit- 
glied der  Brüdergemeine  gemacht  hat,  die  für  sein  geistiges  lieben 
e  u  t  s  c  h  e  i  d  e  n  d  e  n  Vorgänge. 

In  Gnadenfrei  wurde  der  Grund  zu  einer  Herrschaft  der 
Phantasie  in  Sachen  der  Religion  gelegt,  die  ihn  bei  etwas  weniger 
Kaltblütigkeit  wahrscheinlich  zu  einem  Schwärmer  gemacht  haben 
würde,  der  er  es  aber  verdankt,  dass  er  seine  Denkungsart ,  die 
sich  bei  den  meisten  Menschen  unvermerkt  aus  Theorie  und  Be- 
obachtung bildet,  weit  lebendiger  als  das  Ergebnis  und  den  Ab- 
druck seiner  e  i  g e  n  e  n  G  e  s  e  h  i  c  h  t  e  anseilen  kann  l).  „Es  giebt 
keinen  Ort,"  bezeugt  er,  „der  so  wie  dieser  die  lebendigt»  Er- 
innerung an  den  ganzen  Gang  meines  Geistes  begünstigte,  von 
dem  ersten  Erwachen  des  Bessern  an  bis  auf  den  Punkt,  wo  ich 
jetzt  (1802)  stehe.  Hier  ging  mir  zuerst  das  Bewusstscin  auf  von 
dem  Verhältnis  des  Mensehen  zu  einer  höheren  Welt,  —  hier 
entwickelte  sich  zuerst  die  mystische  Anlage,  die  mir  so  wesent- 
lich ist,  und  die  mich  unter  allen  Stürmen  des  Skepticisinus  ge- 
rettet und  erhalten  hat  Damals  keimte  sie  auf,  jetzt  ist  sie  aus- 
gebildet, und  ich  kann  sagen,  dass  ich  nach  allem  wieder  ein 


')  a.  u.  O.  I,  7. 


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n«'<-k«T. 


Urft  2  n.  :J. 


Herrn  hutcr  geworden  bin,  nur  von  einer  höheren  Ordnung."  M  Auf 
der  „Hemihutischen  Universität"  gedieh  „sein  inneres  JW>en  zu 
der  Freiheit  von  den  Fesseln  des  Buchstabens". '-')  „Es  ist  mir  doch 
giinz  eigen  zu  Mute,"  sehreibt  er  von  Ebersdorf  aus  {'Mi.  Aug.  1S05), 
„wenn  ich  in  einer  Brüdergemeine  bin ;  der  grösste  Teil  meiner 
Jugend  und  der  entscheidende  Moment  für  die  ganze  Entwickelung 
meines  Lebens  steht  vor  mir.  Dieser  Durchgangspunkt  erseheint 
mir,  wie  zufällig  er  auf  der  einen  Seite  zu  sein  scheint,  auf  der 
andern  so  notwendig,  dass  ich  mich  gar  nicht  ohne  ihn  denken 
kann."  3) 

Diese  Überzeugung  begründete  eine  persönliche  Anhänglich- 
keit Schleiermachers  an  die  Brüdergemeine,  der  er  zum  öftem 
lebendigen  Ausdruck  verlieh.  Es  freut  ihn,  dass  der  Bekannten- 
kreis seiner  Schwester  Charlotte  in  Gnadenfrei  auch  ihm  vertraut 
ist.  Er  hört  gern  von  all'  den  lieben  Mensehen,  die  er  dort  kennt. 
„Diese  sehlesisehen  Gestirne  tragen  nicht  wenig  bei ,  mir  meinen 
hiesigen  (Berliner)  Himmel  zu  erheitern,  und  des  Abends  im  Freien, 
wenn  der  Mensch  gestimmt  ist,  in  ferne  Welten  zu  schauen,  seh 
ich  gar  oft  nicht  weiter  als  nach  Gnadenfrei  und  was  daran  liegt, 
nicht  ohne  Wünsche ,  denen  ich  gar  oft  die  Flügel  besehneiden 
muss.  Durch  das  Teleskop,  womit  Du  meine  Sternwarte  aus- 
rüstest und  unterhältst,  mache  ich  immer  neue  Entdeckungen  in 
jenen  liebliehen  Sternbildern,  neue  Vollkommenheiten  gehen  mir 
oft  auf,  wie  ungesehene  Nebelflecke  bisweilen  vor  das  Kohr  treten, 
und  Stunden  ausgezeichneter  Glückseligkeit  nehme  ich  wahr,  wie 
der  Beobachter  das  wachsende  Licht  mancher  Sterne  sieht." ') 
Auch  an  Herrn hut  erinnert  er  sieh  gern,  an  den  Ort  selbst, 
an  den  Anblick  der  ehrwürdigen  Männer  der  Fnitäts- Ältesten- 
Konferenz  und  an  die  herrliche  Umgebung.  „Doch  alle  Xatur- 
schönheiten  sind  nichts  gegen  die  Menschen,  und  wie  viele  liebe 
Leute  hast  Du  in  Xiesky  und  Herrnhut  nicht  gesehen.  Es  ist  alles 
zu  wenig,  was  Du  sagst,  und  ich  mik'hte  alles  weit  ausführlicher 
und  detaillierter  wissen."  )  Viel  Freude  machte  es  ihm,  als  er  zu 
Ostern  1S05  den  ehrwürdigen  Direktor  Zern bsch  in  Barby  wieder 
sah,  der  ihn  höchst  liebreich  aufnahm  und  ihm  gestand,  „dass 
unsere  Zeiten  doch  die  brillantesten  des  Pädagogiums  gewesen 


')  a.  a.  O.  I,  JIM.     ')  a.  a.  < ).  II.  21.     :ll  a.  a.  <  >.  II.  ')  a.  a. 

<>.  I,  11!»  ilWlin  Au«-.  I7!»7>.     )  a.  a.  <  >.  1.  B.  _\  Atiir.  KW. 


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Schliiciiiinrlior  und  die  Brii<lcrj.'emcine. 


wären".1)  Er  gedenkt  des  alten  Lehrers  nach  dessen  Tode  mit 
dem  schönen  Wort  :  „Nächst  einem  Staatsmann  wirkt  doch  nicht 
leicht  jemand  mehr  als  ein  tüchtiger  Schulmann,  und  in  einer  so 
langen  Ijaufbaltn."  2)  Vor  allem  war  es  aber  der  ihm  eng  ver- 
bundene Jugendfreund  Albertini,  der  dauernd  der  Gegenstand 
seines  liebevollen  Gedächtnisses  bleibt.  Im  Jahre  171IS  schreibt 
er  an  seine  Schwester  Charlotte :  „Dass  Du  Albertini  nicht  gesehen 
hast,  thut  mir  sehr  weh  ;  gar  zu  gern  wüsst'  ich,  wie  er  lebt  mit 
seinem  Amt,  mit  seiner  Frau,  und  ob  er  Kinder  hat,  und  ob  er 
noch  an  mich  denkt.  Wie  oft  erinnere  ich  mich  bei  meinen  ge- 
meinschaftlichen Lesereien  mit  Schlegel  und  mit  der  Herz  an 
unsere  nieskv'schen  Studien.  Weit  auseinander  sind  wir  freilieh 
jetzt  und  ausser  aller  Verbindung;  aber  wie  es  im  Grunde  seines 
Herzens  aussieht,  das  weiss  ich  doch  recht  genau,  und  sein  ganzes 
Wesen  kann  ich  mir,  wie  es  jetzt  sein  muss,  sehr  lebhaft  denken. 
Er  möchte  seinen  alten  Pvlades  mehr  verändert  finden,  wenn  wir 
noch  einmal  zusammenkämen."  )  Als  Dichter  ist  Albertini  in  der 
Familie  seines  Freundes  geschätzt.  Die  Gattin  liest  mit  den 
Kindern  nach  dem  Frühstück  ein  Kapitel  aus  der  Bibel  und  einige 
Lieder  aus  Albertini ').  Sie  sieht  in  ihm  den  „heiligen  Sänger', 
ans  dessen  Liede  „Nimm  der  Morgenröte  Flügel"  sie  zitiert.  ') 
Ihr  Gatte  urteilt  über  diese  religiösen  Gedichte,  die  Versiiikation 
sei  in  denselben  „gemeinmässig  vernachlässigt" ;  „aber  es  sind  die 
geistreichsten  Sachen  und  wahrhaft  lyrische  Kompositionen  darin, 
so  dass  ich  sagen  möchte,  einen  solchen  Dichter  hat  diese  Form 
des  Christentums  noch  nicht  gehabt"'). 

Nachdem  ihm  Bischof  Christlieb  Reichel  den  Tod  seines 
Freundes  gemeldet  hatte,  schrieb  er  an  jenen:  „Es  ist  ein  herber 
Verlust  für  die  Gemeine  und  für  gar  viele  liebe  fromme  Seelen 
ausserhalb  derselben.  Aber  es  geht  ja  immer  wieder  eine  neue 
Saat  erfreulich  auf,  und  das  Werk  des  Herrn,  wenn  es  auch  nicht 
zu  allen  Zeiten  gleich  fröhlich  zu  gedeihen  scheint,  kann  und  wird 
auch  nicht  darunter  leiden,  wenn  einzelne  Arbeiter  oft  mitten  aus 
der  kräftigsten  Wirksamkeit  abgerufen  werden.  Namentlich  ist 
mir  das  schon  lange  klar,  dass  in  der  Gemeine,  wie  in  der  Kirche 
überhaupt,  weit  weniger  auf  dem  Hervortreten  einzelner  beruht, 

')  a.  n.  <).  IV,  11.!.     i  n.  ji.  <>.  IV.  "i  a.  a.  <>.  I.  |su.    '(  a.  a. 

o.  II.  ;:<.»<;.   s)  a.  a.  o.  II.  m:;.  -\  a.  a.  o.  IV.  -jmo. 


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54 


Hocker, 


Heft  2  n.  X 


als  auf  der  Treue  und  dem  richtigen  Verstand  am  Evangelium  in 
der  Masse,  ja  das«  das  Bedürfnis  einzelner  ausgezeichneter  Rüst- 
zeugs immer  mehr  abnehmen  muss.  Noch  mehr  gilt  das  freilich 
in  der  Brüdergcmeine ,  wo  gewisse  Maximen  einmal  feststehen 
und,  Gott  sei  Hank,  die  inneren  Reibungen  nicht  so  heftig  sein 
können.  Indessen  dieser  Glaube  stillt  doch  das  schwer  betroffene 
Herz  nicht  gleich,  sondern  es  will  sein  Recht  haben,  und  so  habe 
ich  dem  geliebten  Freunde  schon  manchen  Seufzer  nachgeschickt, 
und  in  jedem  Heft  der  Gemeinnachrichten  freue  ich  mich,  wenn 
ich  noch  ein  Wort  aus  seinem  lieben  Munde  finde,  und  fürchte 
zugleich,  es  möchte  das  letzte  sein."  —  An  die  gemeinsamen 
Jugcnderlebnisse  mit  Albertini  zurückdenkend  versichert  er:  „ich 
kann  nur  sagen,  dass  uneraehtet  aller  skeptischen  Anregungen, 
die  sich  in  uns  entwickelt  hatten,  ihm  doch  bei  unserer  Trennung 
sein  Bleiben  in  der  Gemeine  unerschütterlich  gewiss  war."  — 
„Was  nun  in  eben  dieser  Beziehung  mich  betrifft,  so  ist  es  nur 
in  den  mancherlei  Kämpfen,  die  ich  auf  meiner  Baiin  nicht  ver- 
meiden kann,  und  bei  den  vielfältigen  Miss  Verständnissen  der 
Exaltierten  von  beiden  Seiten,  zwischen  denen  ich  mich  durch- 
winden muss,  jedesmal  eine  kräftige  Ermunterung,  wenn  ich  irgend 
eine  Ahnung  davon  merke,  dass  wir  ein  Ziel  vor  Augen  haben 
und  für  dasselbe  Werk  arbeiten." ') 

III. 

Auf  der  Grundlage  dieses  lebendigen  innem  Zusammenhangs 
mit  der  Brüdcrgemeiiie  hat  Schleiennaehcr  sein  grosses  Lebens- 
werk gethan,  und  es  ist  unverkennbar,  wie  dabei  allenthalben 
Gedanken  und  Gesichtspunkte  hervortreten,  die  deutlich  genug 
den  brüderischen  Einlluss  erkennen  lassen.  Namentlich  ist  es  dus 
zentrale  Gebiet  der  Kirche,  das  des  Gottesdienstes,  an  das 
er  mit  einem  durch  die  Anschauung  brüderkirchlicher  Kultus- 
formen geschärften  Auge  herantritt. 

„In  der  Jahrhundertnacht,"  schreibt  er  an  seine  Schwester, 
„habe  ich  besonders  viel  an  Dich  und  an  die  Geineine  überhaupt 
gedacht,  wie  ich  allemal  in  der  Xeujahrsstunde  und  am  Ostcr- 
morgen  besonders  thue,   wegen   der  schönen  und  allein  zweek- 


')  n.  a.  O.  II,  40."». 


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1S04. 


Sdileicrmncher  u\\<\  dir  Itn'Mlcrpriiirino. 


massigen  Art,  wie  beides  bei  Euch  begangen  wird."  Kr  hörte 
nach  der  Predig  im  Dom  das  von  Niemcver  veränderte  „Herr 
Gott  Dieh  loben  wir"  singen;  „aber  da  dachte  ich  wieder  mit 
Seufzen  an  die  Gemeine  zurück.  Weil  das  so  selten  gesungen 
wird,  wusste  kein  Mensch  Bescheid;  die  Leute  walteten  immer 
erst  auf  die  Musik,  und  die  meisten  wurden  durch  die  Wieder- 
holungen und  Nachspiele  so  konfus,  dass  sie  um  ganze  Zeilen  vor 
oder  zurück  waren."  ')  Ks  fehlt  ihm  der  schöne  geordnete  Ver- 
lauf der  liturgischen  Gottesdienste,  an  die  er  in  der  .lugend  ge- 
wöhnt war,  in  denen  die  G  e  m  eine  als  s  o  1  c  h  e  zu  gemeinsamer 
und  wechselseitiger  Thatigkeit  gelangt. 

Im  Jahre  ISO")  beschäftigte  er  sich  mit  dem  Plan,  in  Halle 
einen  akademischen  Gottesdienst  einzurichten,  der  zugleich  muster- 
giltig  für  die  spätere  gottesdienstliche  Thatigkeit  der  jungen  Theo- 
logen sein  sollte.  Kurz  vorher  besuchte  er  Barbv  und  feierte 
dort  das  Osterfest  „Schöne  heilige  Tage  waren  das  für  mich, 
voll  merkwürdiger  Erinnerungen  und  unmittelbaren  schönen  Ge- 
nusses." Kr  preist  „die  herrlichen  Gottesdienste  am  Charfreitag, 
das  mit  schöner  sinnvoller  Kirchenmusik  und  wenigen  Lieder- 
versen  unterbrochene  Ablesen  der  Passionsgeschichte  ohne  alle 
Rede,  nur  zuletzt  in  der  Todesstunde  Christi  ein  kräftiges  Gebet, 
ganz  auf  die  grosse  Idee  der  Versöhnung  gegründet.  Am  Sonn- 
abend das  Liebesmahl  am  Grabe  Christi  und  am  Ostenuorgen  beim 
Aufgang  der  Sonne  die  Feier  der  Auferstehung  auf  dem  Kirch- 
hof. -  -  Wahrlieh,  liebt»  Charlotte,  es  giebt  in  der  ganzen  Christen- 
heit zu  unserer  Zeit  keinen  öffentlichen  Gottesdienst,  der  acht 
christliche  Frömmigkeit  würdiger  ausdrückte  und  sichrer  erweckte, 
als  in  der  Brüdergeincine !  Und  indem  ich  mich  ganz  in  himm- 
lischen Glauben  und  Liebt;  versenkte,  musste  ich  es  recht  tief 
fühlen,  wie  weit  wir  andern  zurück  sind,  bei  denen  die  armselige 
Rede  alles  ist,  und  diese  noch  an  ärmliche  Form  gebunden,  allem 
Wechsel  der  Zeit  sich  unterwerfend  und  so  selten  von  dem  rechten 
lebendigen  Geist  beseelt."  In  Bezug  auf  die  Abendmahlsfeier  er- 
klärt er:  „man  feiert  kein  Abendmahl  als  nur  dort".  Der  Gedanke 
der  „Gemeinde"  lebt  fort  in  Sehleiermacher,  und  darum  fühlt  er 
sieh  so  tief  befriedigt  von  einem  Gottesdienst,  der  diesen  Gedanken 
zur  kultischen  Darstellung  bringt,  in  einer  Weise  der  Feier,  die 


')  a.  h.  ().  I,  *>1. 
* 


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lieoker, 


Heft  •>  n.  ::. 


den  Höhepunkten  christlicher  Anbetung  das  belehrende  Wort 
dos  Predigers  gänzlich  zurücktreten  lässt  hinter  das  Moment  ge- 
meinsamer I Jet  rächt un^ ',  Anbetung  und  Lobpreisung,  in  der 
alle  selbstthatig  zu  einem  Akt  lebendiger  Gottesverehrung  sich 
Zusammenschlüssen. 

Im  Blick  auf  den  in  Halle  einzurichtenden  Gottesdienst 
muss  er  sich  sagen :  „wie  unselig  beschränkt  bin  ich  in  ineinen 
Mitteln,  und  wie  innig  bedauere  ieb,  dass  ich  nicht  das  Schönste 
und  Beste  von  dort  mit  hinüber  nehmen  kann".1)  In  seinem 
späteren  „( iutaehten  über  die  Mittel,  dein  Verfall  der  Religion 
vorzubeugen"  macht  er  diesen  Gesichtspunkt  für  die  ganze  Kirche 
geltend,  indem  er  allenthalben  die  Gemeinde  zu  grösserer  Selbst- 
bethätigung  am  (iottesdienst,  namentlich  in  der  Form  des  gemein- 
samen Gesangs,  heranziehen  möchte.  Er  verweist  auf  das  Beispiel 
der  Brüdergeiueine.  „Das.-,  in  dieser  besonders  der  Vortrag  des 
gemeinschaftlichen  religiösen  Gesang*  in  einem  solchen  Grade  wie 
sonst  nirgends  bedeutend  und  ausgebildet  ist,  das  gesteht  un- 
bedenklich, wer  nur  Gelegenheit  hatte,  den  Versammlungen  einer 
wohlorganisicrten  Gemeine  von  dieser  Kirch«'  beizuwohnen.  Schon 
dies  ist  eine  gute  Bürgschaft  dafür,  dass  sie  auch  mit  der  religiösen 
Poesie  selbst  auf  dem  rechten  Wege  sein  werden.  Noch  gewisser 
offenbart  sich  dieser  Vorzug  dadurch,  dass  sich  der  Gesang  bei 
ihnen  zur  Selbständigkeit  emporgearbeitet  hat  und  nicht  nur  der 
Rede  zur  lTmi£ebunj>  dient,  sondern  «ranze  Zusammenkünfte  allein 
ausfüllt.  Ihre  Singstunden,  wo  Verse  aus  verschiedenen  Liedern 
zu  einem  Ganzen  zusammengenäht  werden  und  unter  einem  ver- 
ständigen A  nordner  auch  der  Wechsel  der  Melodien  einen  dem 
poetischen  angemessenen  musikalischen  Eindruck  hervorbringt, 
machen  einen  grossen  religiösen  Kindruck,  und  ist  eine  solche 
mehr  wert  als  viele  Predigten.  Doch  die  Aussicht,  dergleichen 
in  uiisern  öffentlichen  (iottesdienst  zu  übertragen,  liegt  allzu  fern, 
und  vergebliche  Wünsche  beschweren  nur  d:is  Herz".-)  Seine 
Äusserung,  dass  man  kein  Abendmahl  feiert-  als  nur  dort,  ist  wohl 
auch  nur  daraus  erklärlich,  dass  ihm  in  der  Brüdergeiueine  eine 
Feier  vor  Augen  trat,  die  unbecinflusst  durch  dogmatische  Diffe- 
renzen die  allein  sachgemässen  Gedanken  der  christlichen  xoivomn 
zum  vollen  liturgischen  Ausdruck  bringt. 

')  u.  n.  O.  II.  >  .Sin.tl.  Wt-rke  V.  ins. 


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1*1)4. 


Schleiermachcr  und  die  MnkU'rgetneine. 


57 


Der  Gedanke  der  freien  und  selbsttätigen  Gemeine  ver- 
anlasste Schleiermachcr  ferner  schon  UW.i  gegen  seinen  Oheini 
Stubcnraueh  die  Forderung  einer  vom  Staat  freien  Kirche 
auszusprechen.  Der  Oheim  konstatiert,  dass  das  gegenwärtige 
Kirclientuin  „der  uispriingliehen  Abzieht  Jesu  «rar  nicht  entspreche. 
Wenn  man  dieser  treu  geblieben  wäre,  so  würden,  wie  in  den 
ersten  Zeiten  vor  Konstantin,  lauter  einzelne  hie  und  (Li  zerstreute 
christliche  Gemeinden  auch  jetzt  noch  sein;  und  dann  könnte  und 
würde  jede  Gemeinde  selbst  sieh  ihre  Lehrer  bestimmen,  so  wie 
es  auch  in  den  folgenden  Jahrhunderten  an  allen  Orten,  wo 
ecclesia  pressa  war,  geschehen  ist,  und  noch  jetzt  bei  den  Dis- 
senters  in  England  und  bei  den  Brüdergemeinden  aller  Orten  ge- 
schieht, ohne  dass  sich  der  Staat  darum  bekümmert  oder  Gefahr 
leidet".1)  Her  Oheim  hält  die  Lockerung  der  Verbindung,  die  der 
Staat  mit  der  Kirche  eingegangen  ist,  gegenwärtig  für  unthunlich. 
Schleiermacher  dagegen  beharrt  auf  seiner  Ausicht  und  bezeichnet 
in  den  „Heden  über  die  Religion"  17115  jene  Verbindung  als  „die 
Quelle  alles  Verderbens"  -.)  „Hinweg  also  mit  jeder  solchen  Ver- 
bindung zwischen  Kirche  und  Staat !  Das  bleibt  mein  katoniseher 
Ratsspruch  bis  ans  Lude,  oder  bis  ich  es  erlebe,  sie  wirklich 
zertrümmert  zu  sehen"  ').  Kr  verlangt  die  Aufhebung  des  Gegen- 
satzes von  Geistliehen  und  Laien,  den  Wegfall  des  Symbolzwangs. 
Bis  eine  Neubildung  erfolgt,  tröstet  der  Blick  auf  die  schon  vor- 
handene Geineinsehaft  wahrhaft  religiöser  Menschen,  die  schon 
jetzt  untereinander  „ein  Bund  von  Brüdern"  sind  *).  Kr  musste 
sieh  wohl  später  überzeugen,  dass  eine  solche  vollständig»'  Trennung 
der  Kirche  vom  Staat  zunächst  nicht  mitglich  sei;  um  so  mehr 
wandte  er  sieh  mm  der  Aufgabe  zu,  die  evangelische  Kirche  unter 
dem  Gesichtspunkt  ächter  christlicher  Gemeinschaft  innerlich  aus- 
zubauen. 

Schon  ISO:!  forderte  er  eine  Union  der  evangelischen  Kirche, 
die  nicht  auf  dogmatischem,  sondern  auf  kultischem  Wege  er- 
folgend wesentlich  in  der  Gemeinschaft  des  Abendmahls  bestehen 
sollte,  von  dem  er  mit  Recht  sagte,  dass  es  widersinnig  sei,  das- 
selbe als  ein  „dogmatisches  Abzeichen"  zu  betrachten  :"). 

')  Ans  Schkierm.  \aU  u  in  Hin  ten  III,  ,,;>,.    |  Sämtliche  Werke  I,  ÜIO 
i  u.  u.  O.  I.  ::IS  vgl.  .tso  und  die  spatere  .Milderung  S.  f»sj.    «i  n.  a.  O.  I, 

Vgl.  sein«-  li  „unvurirreilliehei,  ( iutaehlen".  S.  W.  V.  Im-.  S.  7(K  S.  7:{ 
unten  n.  S.  TS. 


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liecker, 


Heft  2  u.  H. 


Auch  in  den  1803  auf  offizielle  Aufforderung  hin  entworfenen 
Vorsehingen  zu  einer  neuen  Kirehenverfassung  dringt  er  auf  I.«os- 
lösung  von  der  Bevormundung  des  Staates  und  auf  Herstellung 
einer  neuen  Kirchen  vcrfassimg  auf  Grund  einer  „den  Bedurfnissen 
der  Gegen  wart  angemessenen  Erneuerung  des  gesamten  kirchlichen 
Gemeinschaftslebens".  Die  Gemeindeglieder  sollen  zur  kirchlichen 
Verwaltung  herangezogen  werden.  Der  Staat  solle  wenigstens  die 
inneren  kirchlichen  Angelegenheiten  freigeben,  damit  die  Kirche 
unter  diesem  Gesichtspunkt  „als  ein  sich  selbst  regierendes  Ganzes" 
dastehe.  Die  Gemeinde  lässt  er  insofern  zu  ihrem  Recht  kommen, 
als  ihr  die  freie  Wahl  von  Kirchenältesten  zusteht;  die  Kirchen- 
zucht, die  „als  etwas  schlechthin  Freiwilliges  der  bürgerlichen 
Freiheit  oder  Ehre  keinen  Eintrag  thun  darf",  soll  von  der  Ver- 
sammlung der  Kommunikanten  ausgeübt  werden;  aus  .'i  von  der 
Synode  oder  ihrem  Ausschuss  vorgeschlagenen  Geistliehen  soll 
die  Gemeinde  ihren  Ix'hrer  wählen.  Vorausgesetzt  ist  auch  hier 
wieder  „Union  der  protestantischen  Kirche  im  preussischen  Staat". 
Der  Gemeinde  wünscht  er  ferner  einen  Anteil  an  der  Gestaltung 
des  Gottesdienstes  zu  sichern.  „Denn  was  ist  auch  natür- 
licher, als  dass  in  den  Grenzen  des  Hechten  und  Schickliehen 
jede  Gemeine  sieh  ihr  Gotteshaus  einrichte"  u.  s.  w., ')  aber  frei- 
lich, wenn  dies  geschehen  soll,  müssen  auch  die  Gemeinen  gehörig 
organisiert  sein.  Es  rauss  vor  allem  „eine  neue  lebendige  Ver- 
fassung der  Kirche"  gegründet  werden,  „aus  welcher  das  andere 
alles  von  selbst,  wie  und  wenn  es  recht  ist,  hervorgehen  wird."2) 
Er  wünscht  eine  Prcsbyterial-  und  Synodal  Verfassung,  durch  welche 
die  Gemeinde  wenigstens  annähernd  zu  ihrem  Hechte  kommt 

Als  er  sich  davon  überzeugen  musste,  dass  auf  eine  Durch- 
führung seiner  kirchlichen  Verfassungsgedanken  nicht  zu  rechnen 
war,  wurde  in  ihm  der  Gedanke  an  die  Brüdergemeine,  in  der  er 
verwirklicht  sah,  was  der  Landeskirehe  fehlte,  wieder  sehr  lebendig. 
Jn  seinem  „Gespräch  zweier  selbst  überlegender  evangelischer 
Christen"  1827  äussert  er  sich  darüber  rückhaltlos.  A.  hält  es  für 
unwahrscheinlich,  dass  B.  (Sehleiermacher)  die  evangelische  Kirche 
je  verlassen  könne.  B.  antwortet:  „Vollkommen  richtig!  Auch 
mochte  ich  aus  der  evangelischen  Kirche  so  eigentlich  nicht  aus- 


')  Seheiik.l,  Kr.  Sclil.  i.  niiach.  !.  Kll>,  rf.  1,1  isiiS.  S.  ::|7  it.    "j  S.  W. 
V,  isi;  II.    VVI.  auch  S.  W.  V,  21U  II. 


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lSf»4. 


Sehleiermncher  und  dir  Briidoi^moine. 


50 


ziehn,  nur  aus  dieser  Gestaltung  derselben  hei  uns  u.  s.  w."  A. 
Wie  willst  Du  das  ohne  auszuwandern  bewerkstelligen?  und  aus- 
wandern kannst  Du  doch  in  Deinen  Verhältnissen  nicht!  Ii.  Die 
Losung  des  Rätsels  liegt  Dir  doch  ziemlich  nahe:  Die  Briider- 
geineine  gehört  ja  zur  evangelischen  Kirche,  sie  ist  in  unserem 
Umd  einheimisch  und  wohl  ungesehen  und  hat  doch  mit  unsern 
allgemeinen  kirchlichen  Einrichtungen  nichts  zu  thun.  A.  Das 
heisst  freilich,  sich  in  Ruhe  begeben;  aber  das  ist  nicht  Dein 
Ernst.  B.  Warum  nicht?  Was  mich  betrifft,  ich  könnte  mit  den 
Meinigen  sehr  gut  unter  ihnen  leben.  Aber  freilich  geht  das  nicht 
für  alle  die,  denen  es  bei  uns  zu  stark  zu  rauchen  anfängt;  denn 
ein  so  stm'ker  und  plötzlicher  Zuwachs  und  auf  solche  Meise 
wurde  dort  keine  Aufnahme  rinden.  Auch  meinte  ich  das  ja 
nicht,  sondern  nur,  um  Dich  durch  die  Ähnlichkeit  auf  das  zu 
führen,  was  ich  meinte,  zog  ich  sie  herbei. 

A.  Also  doch  eine  Sekte,  eine  Spaltung? 

B.  Eine  Spaltung?   Kaum.    Eine  Sekte?   Gar  nicht 

A.  Nimm  es  mit  den  Worten  nicht  so  genau!  Sind  sie 
doch  kaum  in  der  katholischen  Kirche  recht  genau  bestimmt. 
Aber  sollte  Dich  nicht  gerade  das  Beispiel  der  Brüdergen icine 
von  solchem  Vorhaben  gänzlich  abbringen?  Hast  Du  nicht  die 
Klagen  über  den  dortigen  Verfall  laut  genug  von  allen  Seiten 
gehört?  und  ist  es  nicht  auch  natürlich,  dass  auf  solcher  Tren- 
nung von  der  grossen  Gemeinschaft  mannigfaltiger  Unsegen  ruhen 
muss? 

B.  Lass  Dir  doch  nichts  einreden  von  Verfall!  Wo  ein 
solches  Werk  blüht  wie  das  Missionswesen  der  Brüder,  wo  ver- 
hältnismässig so  viel  klare  und  tiefe  religiöse  Gemüter  gefunden 
werden,  wo  solche  Erzeugnisse  zum  Vorschein  kommen,  wie 
Albertinis  geistliche  Lieder  und  Garvcs  christliche  Gesänge  und 
seine  neuen  Liturgien,  da  ist  kein  Verfall.  Den  Unsegen  einer 
gänzlichen  Trennung  von  der  grossen  öffentlichen  Gemeinschaft, 
wenn  auf  irgend  eine  Weise  ein  separatistisches  Wesen  daraus 
entsteht,  gebe  ich  Dir  gern  zu.  Dergleichen  mochte  ich  nicht 
stiften  oder  herbeiwünschen;  aber  eben  so  wenig  ist  dergleichen 
auch  dort  vorhanden.  Bekennen  sie  sich  nicht  wie  wir  zu  dein 
augsburgischen  Symbol?  Haben  sie  nicht  die  lebendigsten  Ver- 
bindungen in  unserer  Kirche  selbst?  Sehen  sie  es  als  eine 
Glaubonsveränderung  an,  wenn  jemand  in  ihre  Gemeinschaft  zu 


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«0 


I  lecker, 


Urft  2  u. :{. 


treten  begehrt.,  oder  nur  als  ein  Verlangen  nach  einem  bestimmten 
Zusammenleben  und  einer  eigenen  Anfassung  und  Führung?" 

Sehlciermachcr  denkt  an  die  Bildung  einer  staatsfreien  Kirche 
in  der  Weise  der  Brüdergcmeine.  Es  ist  ihm  Gewissensforderung, 
diesen  Gedanken  im  Knist  auszusprechen,  da  bei  den  gegen- 
wärtigen öffentlichen  Zuständen  „der  Geist  der  evangelischen  Kirche 
nicht  bestehen  kann".  „Wir  sagen  es  unserm  Herrn  und  König 
rein  heraus,  ebenso  unumwunden  als  unterthänig,  dass,  wie  wir 
ihm  auch  von  Herzen  zugethau  wären  und  ihm  mit  Leben  und 
Blut  ergeben  in  allem,  was  zum  weltliehen  Regiment  gehört,  so 
sei  es  doch  gegen  unser  Gewissen,  und  nach  langem  Kampf  sei 
unser  Herz  darin  fest  geworden,  dass  wir  in  einer  kirchlichen 
Verfassung  nicht  bleiben  können,  wo  die  beiden  Schwerter  so 
wenig  gesondert  seien.  Denn  die  Hülfe,  welche,  um  Ordnung  zu 
erhalten,  nachdem  die  Bischöfe  das  Werk  der  Reinigung  der  Kirche 
nicht  mit  angreifen  wollten,  von  den  weltlichen  Herrn,  ohncrachtet 
diese,  wie  Luther  selbst  sagt,  nicht  berufen  seien,  geistlich  zu 
legieren,  doch  begehrt  werden  inusste,  sei  durch  die  Länge  der 
Zeit  zn  einer  Vermischung  beider  Regimenter  gediehen,  welche 
unser  Gewissen  beschweren.  Und  nachdem  nun  durch  Gottes 
Hülfe  nach  mehr  als  :{  Jahrhunderten  das  Werk  der  Kirchen- 
verbesserung auf  der  einen  Seite,  auf  der  andern  aber  die  all- 
gemeine menschliche  Entwickelung  soweit  gediehen  sei,  dass  solche 
Hülfe  hie  und  da  könne  entbehrt  werden,  so  bäten  wir  nur  um 
den  vom  Gesetz  verheissenen  Schutz  des  Gewissens  und  um  die 
Vergünstigung,  eine  solche  evangelische  Gemeinschaft  unter  uns 
aufzurichten,  in  welcher  alle  Ordnung  und  alles  positive  Regiment 
nur  von  der  Gemeine  selbst  ausgehe  und  durch  ihre  Selbst- 
bevollmächtigten  verwaltet  werde. 

A.  Und  Du  bist  sicher,  dass  Du  nicht  zweifelst,  die  Re- 
gierung werde  eine  solche  Spaltung  genehm  halten? 

B.  Ich  darf  nicht  zweifeln,  denn  das  Gesetz  ist  da.  Und 
warum  sollte  die  höchste  Gewalt  nicht  einer  andern  kleinen  Anzahl 
evangelischer  Unterthanen  dasselbe  gestatten,  was  doch  jenen,  die 
zur  evangelischen  Brüdergemcinc  gehören,  schon  eingeräumt  ist? 
Ich  darf  nicht  zweifeln,  denn  die  väterliche  Billigkeit  des  Königs 
steht  neben  dem  Gesetz. 

Schleiermacher  führt  bis  in  einzelne  Züge  lünein  aus,  wie 
er  sieh  diese  neue  Biüdergemeine  denkt,  indem  er  unter  andern 


1KJU. 


Sehleierinnrher  und  <lio  Hnnlergonipine. 


01 


auch  clio  Befreiung  von  der  Eidespflicht  (abgesehen  vom  Diensteid) 
in  der  Weise  der  Mennoniten  fordert  Der  Staat  soll  das  Recht 
lies  Einblicks  in  die  inneren  Verhältnisse  derselben  haben.  „Wir 
stellen  ihm  also,  auch  wenn  er  nach  den  andern  Mitgliedern  gar 
nicht  fragt,  doch  nnsern  Geistliehen,  oder  wenn  es  auch  mehrere 
sind,  alle  und  ein  Paar  Altesten.  Ich  weiss  nicht  einmal,  ob  die 
Brüdergemeinen  dies  thun,  und  mit  denen  vergleiche  ich  meine 
(iemeinschaft  geradezu,  wenigstens  was  unsern  Staat  betrifft."  Er 
setzt  die  Möglichkeit  näherer  Verbindung  mit  ähnliehen  Gemeinen 
im  Ausland;  „ich  glaube,  die  Regierung  wird  davon  gar  keine 
Notiz  nehmen,  auch  wenn  wir  einen  Zentralpunkt  errichteten,  der 
im  Ausland  seinen  Sitz  hätte ;  denn  mit  den  Brüdergemeinen  ist 
es  ebenso.  .Jedoch  wollten  wir  nichts  dagegen  haben,  jeder  be- 
treffenden Regierung  von  allen  Verhandlungen  und  Beschlüssen 
Kenntnis  zu  geben  u.  s.  w.;  ich  glaube  aber  nicht,  dass  die 
Brüdergemeinen  ihn-  Synodalvcrhandhnigen  jemals  der  Regierung 
mitteilen14.  Je  mehr  die  Reformation  sieh  in  Deutsehland  aus- 
wirkt, um  so  notwendiger  ist  „die  Trennung  der  beiden  Regimente." 
„Bewusstlos  in  der  tiefsten  Unschuld  aber  aus  dem  richtigsten 
Geistcsautrieb  hat  vor  100  Jahren  die  evangelische  Brüdergemeine 
sich  zu  einer  solchen  freien  gestaltet.  Jetzt  und  in  unsern  Ver- 
hältnissen kann  dasselbe  nur  mit  dem  klarsten  Bewussteein  ge- 
schehen." „Aber,"  setzt  er  hinzu,  „eben  deswegen  auch  nur, 
wenn  einer  hinreichenden  Anzahl  evangelischer  Christen  diese 
Freiheit  eine  wahre  Gewissenssache  wird  geworden  sein.  Ohne 
ein  solches  Fundament,  ohne  die  innere  Notwendigkeit,  bei  der 
gar  keine  Willkür  mehr  ist,  sondern  das  acht  reformatorische 
,hier  stehe  ieh,  ich  kann  nicht  anders'  allein  hervortritt,  der- 
gleichen unternehmen  zu  wollen,  wäre  sträflicher  Vorwitz  und 
würde  sich  auch  strafen.  Damin  ist  es  auch  besser  zu  schweigen 
und  unsere  heutige  Rede  nicht  auszubringen."  ') 

Schleiermaeher  hat  so  wenig  wie  Luther2),  an  dessen  Ge- 
danken über  eine  ächte  Christengemeine  die  seinigen  erinnern, 
daran  gedacht,  diesen  Plan  auszuführen,  aber  ebenso  steht  fest, 
dass  ihm  die  Brüdergemeinc  stets  als  das  Ideal  einer  staatsfreien 
Gemeinde-  und  Synodalkirchc  erschienen  ist.    Sie  war  auch  in 


')  S.  Bd.  V,  (HO  ff.    -)  Vjr|.  Kolil.-:  Luihn*  (ieilnnkcn  von  tU  r  cidoiula 
in  «rcleHu  in  Zeil-4-hrifi  für  Kiri'heiigt'schk'hlc  Vi.  BuinI   1.  Heft.  K  ."»."> 2. 

M»nat»h«fti<  <1«r  Comi'niu«-(i.>-,.-ll=<-l.nfl.    H'il.  r, 


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»>2 


Bocker, 


Heft  2  u.  3. 


dieser  Beziehung  seine  geistige  Heimat,  deren  Schätze  er  ver- 
geblieh für  die  Umgestaltung  der  Grosskirehe  zu  verwerten  ge- 
sucht hat.  Seine  Darlegungen  in  jenem  „Gespräch"  sind  die 
letzte  Konsequenz  des  Gedankens,  den  er  schon  im  Jahre  1811 
ausgesprochen  hatte,  dass  die  Brüdergemeine  „dem  Geist  der  Zeit 
gemäss  umgebildet  etwas  ganz  Herrliches  und  Beneidenswertes 
sein"')  könnte.  Der  Mann,  der  der  evangelischen  Kirche  zuerst 
die  Anregung  zu  einer  sachgemässen  Verfassungsbildung  gegeben 
hat,  war  in  der  That  in  höherem  Grade  .,Herrnhuter",  als  seine 
Zeitgenossen  annahmen. 

IV. 

Sehleiermaehcr  nennt  sich  einen  „Ex-Herrnhuter" -),  der  aber 
wieder  ein  „Hernihuter"  geworden  sei,  wenn  auch  „von  einer 
höheren  Ordnung". ;!)  Er  sucht  das,  was  er  in  der  L'm- 
sehränkimg  dieser  kleinen  Gemeinschaft  gelernt  hat,  in  die  Potenz 
des  allgemein  Gültigen  zu  erheben.  Es  war  das  Eigentümliche 
jener  Gemeinschaft  in  den  Zeiten  ihrer  ersten  Kraft  gewesen,  dass 
sie  das  in  ungewöhnlicher  Stärke  sich  geltend  machende  religiöse 
Leben  herausgehoben  hatte  aus  seiner  Veri|iiickung  mit  einer  alt- 
überlieferten, schliesslich  auf  dem  Nieänum  ruhenden  Dogmatik, 
um  es  rein  an  sich  selbst  und  für  sich  selbst  zu  besitzen.  Des- 
halb hatte  man  dasselbe  lediglich  an  die  Heilandsperson  ge- 
bunden, in  der  die  Liebe  Gottes  sich  voll  offenbart.  Auf  diesem  . 
Boden  war  es  auch  dem  wissenschaftlich  forschenden  und  philo- 
sophisch gebildeten  Manne  möglieh,  wenn  er  anders  ein  über- 
zeugter Christ  war,  zur  harmonischen  Einheit  des  inneren  geistigen 
Lebens  zu  gelangen,  die  einen  Zwiespalt  zwischen  Kopf  und  Herz 
nicht  kennt.  .Je  mehr  innerhalb  der  Brüdergemeine  die  statutarische 
Form  des  evangelischen  Christentums  Kinfluss  erlangte,  um  so 
näher  trat  die  («»fahr  an  sie  heran,  grade  dem  geistig  bedeutenden 
Mann  die  Freiheit  der  Lebcnsbcwcgung  zu  beschränken,  und 
Sehleiermacher  frohlockt  in  seinen  Monologen  darüber,  dass  er  im 
schönen  Genus»  jugendlicher  Freiheit  „hinweggerissen"  habe  „die 
falsche  Maske,  frevelnder  Erziehung  langes  mühsames  Werk."4) 
Es  handelte  sich  bei  jenen  jugendlichen  Kämpfen  in  der  That  um 


)  Brief«-  IF,  )  a.  n.  O.  IV.         ')  a.  a.  O.  1,  JIM.    'l  S.  W.  I,  .t'.is. 


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1SJM. 


Sclileierniueher  un<l  <\'w  HriiiU'ijrt'ineiiK'. 


die  Wiedergewinnung  eines  unschätzbaren  Gutes,  um  die  Freiheit 
eines  Christtnenschcn,  seine  geistige  Hube  so  zu  gestalten,  dass 
kein  hemmender  Zwiespalt  das  auseinander  rcisst,  was  eng  zu- 
sammengehört, die  Festigkeit  des  auf  persönlicher  Überzeugung 
ruhenden  Glaubens  und  die  Freiheit  der  wissenschaftlichen  Forschung. 
Sehleiermaeher  entnahm  aus  jenen  Kämpfen  die  grosse  acht  brü- 
derische, schon  von  Zinzendorf  in  Angriff  genommene  Aufgabe 
der  Versöhnung  zwischen  Glauben  und  Wissen. 

Nach  seinem  Austritt  aus  der  Brüdergeincine  gab  ihm  sein 
Barbycr  Jugendfreund  von  Brinkmann  bald  Gelegenheit,  sich  über 
diese  Frage  auszusprechen.  Brinkmann  vertrat  insofern  den  da- 
mals herrschenden  Standpunkt,  als  er  von  einer  gegenseitigen 
Beziehung  der  Theologie  und  Philosophie  überhaupt  nichts  wissen 
wollte.  Der  fromme  Christ,  meint  er,  brauche  die  Philosophie 
nicht,  und  der  philosophische  Kopf  gehe  seinen  eigenen  Weg. 
Sehleiermacher  kann  dem  nicht  zustimmen  und  hält  dem  Freunde 
vor:  „Aber  hast  Du  denn  vergessen,  dass  es  zwischen  beiden 
noch  ein  Mittelding  gebe,  einen  frommen  Kopf  oder  einen  philo- 
sophischen Christen'.'"  Er  weist  Brinkmann  auf  einen  andern  von 
diesem  selbst  erwähnten  Barbver  Jugendfreund  Clrich  von  Sprecher 
hin,  der  ein  solcher  philosophischer  Christ  gewesen  sei.  Er  tritt 
unter  diesem  Gesichtspunkt  für  die  Notwendigkeit  einer  philo- 
sophisch orientierten  Dogniatik  ein.1)  Indem  er  selbst  an  einer 
solchen  später  arbeitete,  gelangte  er  für  sich  zur  vollen  Klarheit 
über  diesen  Punkt.  Jaeobi  hatte  an  Heinhold  geschrieben:  „Gern 
tausehte  ich  mein  gebrechliches  philosophisches  Christentum  gegen 
ein  positives  historisches  und  begreife  nicht,  dass  es  gleichwohl 
bisher  nicht  von  mir  hat  geschehen  können.  Du  siehst,  lieber  B., 
dass  ich  noch  immer  derselbe  bin.  Durchaus  ein  Heide  mit  dem 
Verstände,  mit  dem  ganzen  Gemüte  ein  Christ,  schwimme  ich 
/wischen  2  Wassern,  die  sieh  mir  nicht  vereinigen  wollen,  so 
dass  sie  gemeinschaftlich  mich  trügen,  sondern  wie  das  eine 
mich  unaufhörlich  hebt,  so  versenkt  zugleich  auch  unaufhörlich 
mich  das  andere."2) 

Sehleiermacher,  dem  dieser  Brief  mitgeteilt  wurde,  erwidert: 
„Sie  sind  mit  dem  Verstände  ein  Heide,  mit  dem  Gemüte  ein 
Christ.    Dagegen  erwidert  meine  Dialektik:    Heide  und  Christ 


')  llrieiY  II,  _N.    •)  a.  a.  ( >.  II.  :!»<•  (ohne  l>atum'. 


o4 


Becker, 


Heft  2  u. 


sind  als  solche  einander  entgegengesetzt  auf  demselben  Gebiete, 
nämlich  dein  der  Religion;  haben  auf  dieses  Verstand  und  Gefühl 
so  gleiche  Ansprüche,  dass  sie  sich  teilen  könnten  in  die  entgegen- 
gesetzten Können?  —  Die  Religiosität  ist  Sache  des  Gefühls;  was 
wir  zum  Unterschied  davon  Religion  nennen,  was  aber  immer 
mehr  oder  weniger  Dogmatik  ist,  das  ist  nur  die  durch  Reflexion 
entstandene  Dolmetschung  des  Verstandes  über  das  Gefühl;  — 
wenn  Ihr  Gefühl  christlich  ist,  kann  dann  Ihr  Verstand  heidnisch 
dolmetschen?  Darin  kann  ich  mich  nicht  finden.  Mein  Satz 
dagegen  ist  also  der:  Ich  bin  mit  dem  Verstände  ein  Philosoph; 
denn  das  ist  die  ursprüngliche  und  unabhängige  Thütigkeit  des 
Verstandes,  und  mit  dem  Gefühl  bin  ich  ganz  ein  Frommer  und 
zwar  als  solcher  ein  Glinst  und  habe  das  Heidentum  ganz  aus- 
gezogen oder  vielmehr  nie  in  mir  gehabt."  Jakobis  Zustand  habe 
darin  seinen  Grand,  dass  sein  Verstand  nicht  über  die  Natur 
hinaus  wolle.  „Meiner  will  aber  auch  nicht  dariiber  hinaus,  -- 
aber  weil  ich  durchaus  in  keinen  Widerspruch  hinein  will,  so  habe 
ich  mich  auf  den  Fuss  gesetzt,  mir  von  einem  andern  nachweisen 
zu  lassen,  wo  die  Natur  ein  Ende  hat.  Wenn  nun  mein  christ- 
liches Gefühl  sich  eines  göttlichen  Geistes  in  mir  bewusst  ist, 
der  etwas  anderes  ist,  als  meine  Vernunft,  so  will  ich  nie  auf- 
geben, diesen  in  den  tiefsten  Tiefen  der  Natur  der  Seele  aufzu- 
suchen, und  wenn  mein  christliches  Gefühl  sieh  eines  Gottessohnes 
bewusst  wird,  der  von  dem  Besten  unser  eines  anders  als  durch 
ein  noch  besser  unterschieden  ist,  so  will  ich  nie  aufhören,  die 
Erzeugung  dieses  Gottessohnes  in  den  tiefsten  Tiefen  der  Natur 
aufzusuchen  und  mir  zu  sagen,  dass  ich  den  andeni  Adam  wohl 
eben  sobald  begreifen  werde,  als  den  ersten  oder  die  ersten  Adams, 
die  ich  auch  annehmen  muss,  ohne  sie  zu  begreifen.  Dies  ist 
meine  Art  von  Gleichgewicht  in  den  beiden  Wassern."  Kr  giebt 
zu,  dass  diese  Art  des  Gleichgewichts  auch  nichts  anderes  sei, 
„als  ein  wechselweise  von  dem  einen  gehoben,  von  dem  andern 
gesenkt  werden;  aber,  Lieber,  warn  in  wollen  wir  uns  das  nicht 
gefallen  lassen?  Die  Oseillation  ist  ja  eine  allgemeine  Form  alles 
endlichen  Daseins,  und  es  giebt  doch  ein  unmittelbares  Bewusst- 
sein,  dass  es  nur  die  beiden  Brennpunkte  meiner  eigenen  Ellipse 
sind,  aus  denen  dieses  Schweben  hervorgeht,  und  ich  habe  in 
diesem  Schweben  die  ganze  Fülle  meines  irdischen  Lebens".  Kr 
schliesst  mit  den  Worten:    „Verstand  und  Gefühl  bleiben  auch 


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1S!I|. 


Scldrioriuadior  und  dir  Hrüdor^riiicinr. 


»»•> 


mir  nebeneinander,  aber  sie  berühren  sieh  und  bildet»  eine  gal- 
vanische Säule.  Da«  innerste  Lebeu  des  Geistes  ist  für  mich  nur 
in  dieser  galvanischen  Operation,  in  dem  Gefühl  vom  Verstände 
und  dem  Vei-stande  vom  Gefühle,  wobei  aber  beide  Pole  immer 
von  einander  abgekehrt  bleiben."1) 

Es  kann  sich  unter  dem  Gesichtspunkt  der  wünschenswerten 
Einheit  von  Glauben  und  Wissen  nie  um  die  Vereinerleiung 
zweier  Vermögen  handeln,  von  denen  jedes  sein  eigentümliches 
Gebiet  ein  für  allemal  inne  hat.  Derjenige  aber,  der  sich  von 
Christus  dem  Erlöser  hat  weisen  lassen,  „wo  die  Natur  ein  Ende 
hat",  gelangt  zu  einer  lebendigen  Personalunion  beider  Vermögen, 
welche  die  schlechthin  einheitliche  und  harmonische  Fülle  seines 
inneren  Lebens  bedingt.  Wie  der  galvanische  Strom,  obwohl  aus 
der  Berührung  zweier  ungleichartiger  Körper  entstehend,  als 
schlechterdings  einheitliche  Kraft  sich  offenbart,  so  ist  das  Werk 
des  christusgläubigen  Denkers  aus  einem  Guss;  einen  „Zwiespalt 
von  Kopf  und  Herz"  kennt  er  nicht.  Unter  diesem  Gesichtspunkt 
erklärt  Schleier macher  mit  Beziehung  auf  ein  Wort  seines  ver- 
ehrten Lehrers  Zcnibseh  in  Niesky:  „Ein  Theologus  wird  nicht 
anders  reif,  denn  durch  Zweifel  und  Anfechtung;  das  ist  ein  altes, 
wahres,  herrliches  Wort.  Die  Zweifel  entstehen  in  einer  von  dem 
Ganzen  der  jedesmaligen  wissenschaftlichen  Forschung  mitbewegten 
Theologie,  wie  Gott  sei  Dank  unsere  protestantische  immer  sein 
und  bleiben  muss,  doch  von  selbst,  und  daher  ist  nichts  wünschens- 
werter, als  dass  eine  jede  Ansieht  vorgetragen,  und  zwar  der 
theologischen  .lugend  gerade  in  jenen  .fahren  der  lebendigsten 
Erregung  mit  aller  Schärfe  und  Strenge,  deren  sie  fähig  ist,  vor- 
getragen werde,  so  es  nur  ernsthaft  und  treu  von  ernsten  „gewissen- 
haften wahrheitliebenden  Männern  geschieht."-) 

Allein  auf  diesem  Wege  einer  energischen,  aber  von  treuen 
Männern  geübten  Wissensehaftspflege,  die  nicht  zu  dem  „Gelichter" 
der  „leichtsinnigen  Frevler  und  ungründlichen  Wort -Krämer"  ge- 
hören,') kann  das  Ziel  erreicht  werden,  das  der  evangelischen 
Kirche  gesteckt  ist.  „Wenn  die  Reformation,  aus  deren  ersten 
Anfängen  unsere  Kirche  hervorgegangen  ist,  nicht  das  Ziel  hat, 
einen  ewigen  Vertrag  zu  stiften  zwischen  dem  lebendigen  Glauben 
und  der  nach  allen  Seiten  frei  gelassenen,  unabhängig  für  sich 


')  a.  a.  O.  II,  Mi»  (ohiif  I  »utiim.  ISIS).     )  S.  W.  V,  J  Iii.    ")  a.  a.  O.  2lli. 


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Beeker. 


Urft  2  U.  A. 


arbritendrn  wissenschaftlichen  Forschung,  so  dass  jener  nicht  diese 
hindert,  und  diese  nicht  jenen  ausschliesst:  so  leistet  sie  den  Be- 
dürfnissen unserer  Zeit  nicht  (»einige,  und  wir  bedürfen  noch 
einer  andern,  wie  und  aus  was  für  Kämpfen  sie  sich  auch  ge- 
stillten möge.  Meine  feste  Überzeugung  ist,  der  Grund  zu  diesem 
Vertrage  sei  schon  damals  gelegt,  und  es  thue  nur  Not,  dass  wir 
zum  bestimmteren  Bewusstsein  der  Aufgabe  kommen,  um  sie  auch 
zu  lösen."1) 

Schleiermacher  selbst  isl  sich  dieser  Aufgabe  gerade  durch 
seine  brüderische  Herkunft  mehr  als  die  meisten  seiner  Zeitgenossen 
bewusst  gewesen.  Kr  macht  den  Versuch,  zu  einer  christlichen 
Gesamtanschauung  der  Dinge  zu  gelangen,  deren  Grundzüge  schon 
in  den  „Reden  über  die  Religion"  (17JW)  vorliegen.  Sehleier- 
maeher  trat  während  seines  Berliner  Aufenthalte  in  rege  Beziehung 
zu  den  Kreisen  der  Romantiker,  deren  Weltanschauung  allerdings 
dem  religiösen  Glauben  der  Brüdergemeine  sehr  fern  stand.  Seine 
Reden  über  die  Religion  sind  unverkennbar  beherrscht  von  der 
Reflexion  auf  den  Gegensatz  des  Unendlichen  und  des  Endlichen, 
welcher  das  Denken  der  romantisch  gerichteten  Zeitgenossen  in 
massgebender  Weise  beherrschte.  Indessen,  Schlciermnchcrs  Fröm- 
migkeit hatte  damals  noch  „den  fatalen  Anstrich  von  herrn- 
hutianischer",  die  einem  Manne  wie  Niemever  in  Halle  „herzlich 
zuwider"  -)  war,  und  als  die  Reden  erschienen  waren,  meldete  der 
Verfasser  seinem  Freunde  Brinkmann :  „Da  giebt  es  in  Königsberg 
einen  Kriegsrat  Scheffher,  dem  man  als  einem  vertrauten  Freund 
von  Hippel  lange  Zeit  an  den  Werken  des  letzteren  einen  be- 
deutenden Anteil  zugeschrieben  hat,  der  hat  in  den  Reden  neben 
allem  Übrigen  auch  herrnhu tische  Ideen  gespürt.  Das  ist 
doch  von  einem  solchen  Weltkinde  wirklieh  sehr  scharfsichtig."  4) 
Man  kann  in  der  That  jene  Reden  ebenso  gut  als  den  ersten 
kräftigen  Ansatz  dazu  auffassen,  dem  schimmernden  Lande  der 
Romantik  den  Rücken  zu  kehren,  um  wieder  die  sittlich-religiöse 
Gesinnung  der  »Jugendzeit  zur  herrsehenden  Geltung  kommen  zu 
lassen.  Die  Romantik  keimt  nach  Sehlciermachers  Auffassung 
nur  die  „Naturreligion";  „meine  Religion  ist  so  durch  und  durch 
Herzreligion,  dass  ich  für  keine  andere  Raum  habe."4)  Indem  er 
diese  Herzreligion  aussprechen  will,  greift  er  in  der  ersten  Rede 


')  S.\V.V,«ils.  -•>  Briefe  I,  1U*.    )  a.a.O.  IV, »ii.  ')  a.a.O.  I,  '202 (17! »IM. 


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IK94. 


SihleHTniiKher  iiihI  «lio  Krii«I<>rgriiipiue. 


<i7 


zurück  auf  seine  religiöse  Erfahrung  in  der  Jugendzeit,  <lie  er 
innerhalb  der  Brüdergemeine  gemacht  hatte.  „Frömmigkeit  war 
der  mütterliehe  Leib,  in  dessen  heiligem  Dunkel  mein  junges 
Leben  genährt  und  auf  die  ihm  noch  verschlossene  Welt  vor- 
bereitet wurde;  in  ihr  atmete  mein  Geist,  ehe  er  noch  sein  eigen- 
tümliches Gebiet  in  Wissenschaft  und  Lebenserfahrung  gefunden 
hatte;  sie  half  mir,  als  ich  anfing,  den  väterlichen  Glauben  zu 
sichten  und  Gedanken  und  Gefühle  zu  reinigen  von  dem  Schutt 
der  Vonveit;  sie  blieb  mir,  als  auch  der  Gott  und  die  Unsterb- 
lichkeit der  kindliehen  Zeit  dem  Auge  verschwanden;  sie  leitete 
mich  absichtslos  in  das  thätige  lieben;  sie  zeigte  mir,  wie  ich  mich 
selbst  mit  meinen  Vorzügen  und  Mängeln  in  meinem  ungeteilten 
Dasein  heilig  halten  solle,  und  nur  durch  sie  habe  ich  Freund- 
schaft und  Liebe  gelernt." ')  Dieser  Frömmigkeit  verdankt  er 
sehleehterdings  alles,  was  sein  lieben  wertvoll  macht  Wenn 
er  nun  daran  geht,  das  Wesen  dieser  Frömmigkeit  zu  zeichnen, 
den  Charakter  wirklicher  religiöser  Vergesellschaftung  nachzuweisen, 
sind  es  wieder  die  Brüdergemeinen,  auf  denen  sein  suchendes 
Auge  ruhen  bleibt.  „Vielleicht  ist  sogar  nur  in  einzelnen  ab- 
gesonderten, von  der  grossen  Kirche  gleichsam  ausgeschlossenen 
Gemeinheiten  etwas  Ähnliches  in  einem  bestimmten  Kaum  zu- 
sammengedrängt zu  finden."  -') 

In  der  That  hat  er  dasselbe  Interesse,  das  dieser  und  be- 
sonders ihrem  Stifter  ursprünglich  eigen  war.  Es  kommt  ihm 
darauf  an,  die  Religion  in  ihrem  reinen  ansieh  zu  begreifen, 
indem  er  sie  aus  der  Verzückung  mit  jeglicher  bestimmten  Dog- 
matil« herauslöst.  Das  ist  die  leitende  Tendenz  seiner  Reden; 
sie  entstammt  nicht  der  Romantik,  sondern  ist  dieser  an  sieh 
entgegengesetzt  und  auf  eine  ursprüngliche  Wirkung  seiner  „herrn- 
hutisehen"  Frömmigkeit  zurückzuführen.  Die  Religion  ist  eine 
Angelegenheit  des  Gemüts,  die  allem  reflektierenden  Denken 
gegenüber  in  absoluter  Selbständigkeit  verharrt.  Der  alles  be- 
herrschende Grundsatz  lautet:  „Unmittelbar  in  der  Religion  ist 
alles  wahr,  denn  wie  könnte  es  sonst  geworden  sein?  Unmittelbar 
aber  ist  nur,  was  noch  nicht  durch  den  Begriff  hin- 
durchgegangen ist,  sondern  rein  im  Gefühl  erwachsen."  ') 

Vi  S.  \V.  I,  I .Y_\  •)  S.  \V.  |.  ::_N.  v^l.  <li<-  -päi.r<-  Krklsiriuijr  S.  :\<>l. 
')  S.  W.  I,  -2ÜU 


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lfcvker. 


Heft  2  u.  3. 


Dcmgcmäss  erkennt  Sehleiernmeher  seine  Hauptaufgabe  darin,  „in 
dein  gegenwärtigen  Sturme  philosophischer  Meinungen  die  Unab- 
hängigkeit der  Religion  von  jeder  Metaphysik  recht  darzustellen 
und  zu  begründen". l)  Andrerseits  ist  dieser  reinen  Religion  eigen- 
tümlich ,  unersättlich  zu  sein  und  alle  Ix'bensbcwegungen  des 
Menschen  zu  begleiten.  „Jede  Unterbrechung  der  Religion  ist 
Irreligion;  das  Christentum  hat  zuerst  und  wesentlich  die  Forderung 
aufgestellt,  dass  die  Frömmigkeit  ein  beharrlicher  Zustand  sein 
soll  im  Menschen  und  versehmäht  auch  mit  den  stärksten  Äusse- 
rungen derselben  zufrieden  zu  sein,  sobald  sie  nur  gewissen  Teilen 
des  Lebens  angehören  und  nur  diese  beherrschen  soll.  Nie  soll 
sie  ruhen,  und  nicht«  soll  ihr  so  schlechthin  entgegengesetzt  sein, 
dass  es  nicht  mit  ihr  bestehen  könne;  von  allem  Endlichen  sollen 
wir  aufs  Unendliche  sehen,  allen  Empfindungen  des  Gemüts,  woher 
sie  auch  entstanden  seien,  allen  Handlungen,  auf  welche  Gegen- 
stände sie  sich  auch  beziehen  mögen,  sollen  wir  im  stände  sein, 
religiöse  Gefühle  und  Ansichten  beizugesellen.  Das  ist  das 
eigentliche  höchste  Ziel  der  Virtuosität  im  Christentum."2)  Die 
Religion,  sobald  sie  sich  ausgestaltet,  bewegt  sich  durch  Willens- 
entecheid ungen  hindurch  zu  Begriffsbildungen  und  schafft  dadurch 
eine  alles  umfassende  sittlich-religiöse  Lebenshaltung,  die  in  allen 
nur  möglichen  Erfahrungen  und  laugen  sich  als  stets  parat  erweist. 
Schon  Zinzendorf  hatte  seinerzeit  den  Gedanken  ausgesprochen, 
dass  der  Religion  allen  antlern  Erscheinungen  des  geistigen  Lebens 
gegenüber  eine  eigentümliche  Selbständigkeit  zukomme,  dass  die- 
selbe ferner  eine  Äusserung  des  Gemütslebens  sei,  die  zunächst 
mit  den  Bedürfnissen  der  philosophischen  Denkweise  nichts  zu 
thun  habe.  Auch  im  Christentum  handelt  es  sich  um  den  Gemüts- 
eindruck,  den  die  Pereon  Christi  als  des  Heilandes,  in  welcher  die 
entscheidende  Offenbarung  Gottes  vorliegt,  im  Frommen  hervor- 
bringt. Unbekümmert  um  den  Beweis  dafür  und  die  Einwendungen 
dagegen  wendet  sieh  diesem  das  ganze  Gemüt  zu;  damit  ist  die 
Grundlage  für  Willensentscheidtingen  und  religiöse  Erkenntnis 
gelegt.  >) 

Sein  geistvoller  Schüler  und  Biograph,  Ludwig  von  Sehrauten- 
bach, der  Freund  Karl  August's  von  Weimar,  geht  in  seinen 


')  Brief»-  III.  L'Sl.  ■■>  S.  W.  I,  ll'.K   ■')  Vjrl.  Ifcvkrr:  Zinxemlorf.  Leipzig 

jss<j.  s.  :w  fi:  <;j  ir. 


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1N!U. 


Selileiermnelier  iiihI  «lie  Briiilei^emeino. 


„Religionsideen  eines  rngelehrten"  J)  verwandt«  Wege.  Kr  hat  sieh 
das  Selbstzeugnis  ausgestellt:  „Wenn  ielj  kein  Herrnhilter  wäre, 
wäre  ieh  ein  sehr  elender  Mensch".  Daraus  lässt  sieh  sehliessen, 
woher  seine  religiöse  Gedankenbildung  den  entscheidenden  Kiufluss 
erfahren  hat.  Auch  er  lässt  die  Religion  dadurch  zu  stände 
kommen,  dass  die  Gottheit  den  Menschen  in  der  Tiefe  seines 
Wesens,  im  Gemüt  da,  wo  „das  kostbarste  menschliche 
Selbstbewusstsein"  ruht  —  wirkungskräftig  berührt.  Da 
thun  sich  „die  Genusswerkzeuge  des  Geistes"  auf,  ein  „erstes 
Wollen"  entsteht,  das  sieh  fortentwickelnd  zu  dem  entscheidenden 
Willensakt  der  Hinwendung  zu  Gott  werden  muss,  in  welchem 
„der  höchste  Punkt  menschlicher  Erschliessung"  vorliegt.  Die 
Verwirklichung  derselben  kann  freilieh  nicht  des  Menschen  eigene 
That  sein.  „An  dieser  Stelle  scheitert  die  natürliche  Religion." 
Auch  Sehrautenbach  hat  sich  wie  Zinzcndorf  und  Schleiermacher 
von  Christus  weisen  lassen,  „wo  die  Natur  ein  Ende  hat".  „Das 
menschliche  Gemüt  bedarf  der  wirksamen  Thatsaehe",  und  diese 
liegt  vor  in  Jesu  Christo,  der  die  Menschen  mit  Gott  versöhnte. 

Was  diese  „Herrnlinter"  aussprachen,  hat  der  Herrnhuter 
von  einer  höheren  Ordnung,  ohne  ihre  Gedanken  zu  kennen,  that- 
sächlich  in  die  Höhe  einer  an  Kant  geschulten  umfassenden 
wissenschaftlichen  Weltanschauung  erhoben,  die  den  («'bilde- 
ten unter  den  Verächtern  der  Religion  zeigen  sollte,  welches  hohe 
Gut  sie  verworfen  hatten.  Indem  Schleiennacher  seine  wissen- 
schaftliehe Anschauung  weiter  ausbildete,  verfolgte  er  immer  ent- 
schiedener die  Hahnen  jener  „vornieänischen  Denkart",  die  er  so 
gern  zum  Allgemeingut  gemacht  hätte;  diese  verziehtet  darauf, 
„an  Bestimmungen  zu  binden  d.  h.  die  Kirche  danach  öffnen 
und  sehliessen  zu  wollen,  welche  im  Streit  die  Majorität  ge- 
habt haben,  da  doch  in  diesen  Dingen  der  Streit,  wenn  er  einmal 
entstanden  ist,  als  ein  unendlicher  gesetzt  werden  muss,  und  jede 
Majorität  nur  momentan  ist"  ').  Er  war  sich  vollkommen  klar 
darüber,  dass  auch  in  der  Brüdergemeine  die  „nieänische  Denkart" 
bis  auf  einen  gewissen  Grad  Platz  gegriffen  hatte;  war  er  doch 
selbst  in  Konflikt  mit  derselben  geraten. 

An  der  sonst  vielfach  angefochtenen  Eingeschränktheit  der 


')  im  Auszug  hnausjrcj;.  Im  n  von  I>.  Hermann  IMiti.    (intim  1*7(1. 
■)  Briefe  IV,  :\TA. 


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70 


Rrck»T. 


Heft  2  u.  X 


gesellschaftlichen  Verhältnisse  innerhalb  der  Brüdcrgcmeinc  findet 
er  nicht»  Erhebliches  zu  tadeln.  „In  der  Gemeine,"  schreibt  er 
an  seine  Schwester  Charlotte,  „wird  der  Mensch  gebildet  durch 
Einsamkeit  und  stilles  Nachdenken ;  in  der  Welt  kann  er  es  nur 
werden  durch  die  mannigfaltigste  und  zusammengesetzteste  Thätig- 
keit.  Es  sind  zwei  verschiedene  Weg«',  aber  beide  sind  gut,  und 
jeder  Mensch  hat  nur  darauf  zu  sehen,  dass  er  den  einschlage, 
der  Keiner  Natur  am  angemessensten  ist,  und  dass  er  sieh  auch 
dann  hübsch  dahin  stelle,  wo  er  diesen  verfolgen  kann.'*  Kleinig- 
keiten, die  der  Mensen  in  der  Welt  gar  nicht  wahrnimmt,  „bringen 
Euch  schon  zum  Nachdenken  und  decken  Euch  etwas  auf,  —  was 
allerdings  ein  grosser  Vorzug  ist  —  und  ich  danke  es  meinem 
Aufenthalt  in  der  Gemeine,  dass  ich  ihn  in  einem  höheren  Grade 
besitze,  als  irgend  ein  Mensch  vielleicht,  den  ich  in  der  Welt 
kenne;  bei  ihm  muss  alles  erst  in  eine  merkliche  Thätigkeit 
versetzt  werden,  ehe  er  es  wahrnehmen  soll".1)  Was  er  diesem 
Ix'ben  in  der  Gemeine  verdankt,  bezeichnet  er  seinem  Freunde 
von  Brinkmann  noch  näher:  „Insofern  man  irgend  etwas  Inneres 
kann  äusseren  Umstanden  zu  verdanken  haben,  glaube  ich,  dass 
wir  hiervon  immer  etwas  auf  Rechnung  der  Gemeine  setzen 
können.  Das  zeitige  Insiehselbstschauen  und  in  einem  solchen 
Detail,  wie  es  fast  nur  dort  möglich  ist,  bildet  gewiss  den  reifsten 
Menschcnbcobaehtcr.  Es  scheint  mir  gewissermassen  eine  Pesta- 
lozzisehe Anstalt  zu  sein;  die  Verhältnisse  sind  sehr  einfach  und 
nur  wenige,  in  die  man  gesetzt  wird ;  aber  man  lernt  sie  gründlich 
behandeln  und  gelangt  zur  Fertigkeit  und  zur  Besonnenheit,  die 
hernach  mit  dem  vermehrten  Stoff'  in  der  Welt  bald  ebenso  sieher 
umzugehen  weiss."  Er  hätte  gern  mit  einer  ihm  bekannten  Dame 
in  Schlesien,  v.  Tsehiersky,  davon  geredet,  wie  viel  wert  es  ihm 
sei,  in  der  Gemeine  gewesen  zu  sein;  er  stiess  aber  bei  ihr  auf 
grosse  Hartnäckigkeit,  „Sie  wollte  alles  nur  auf  das  gute  Lernen 
beziehen  und  auf  die  Bewahrung  vor  dem  Bösen;  und  dies  war 
doeh  offenbar  das  Wenigste.  Nicht  einmal  so  weit  konnte  ich 
mit  ihr  kommen,  dass  ich  sie  aufmerksam  darauf  machte,  wie  viel 
wert  es  wäre,  dass  man  zeitig  lernt«;,  die  Welt  von  einer  Idee 
aus  zu  betrachten,  sondern  sie  meinte,  dabei  könnte  wenig  Gewinn 
sein,  wenn  man  die  Idee  hernach  fahren  Hesse." 


')  a.  a.  O.  I,  l'os  ff. 


1MM. 


S-l)loicrmach«;r  nn<l  ilic  Brü<lergoaii>inp. 


71 


Iiier  traf  Sehleiermacher  stuf  diu  Widerspruch,  der  in  der 
Gemeine  gegen  ihn  erhoben  wurde;  da*  war  ihm  sofort  klar. 
„Hier  hätte  es  nun  gegolten,"  führt  er  fort,  „ihr  mein  Glaubens- 
bekenntnis abzulegen  über  das  eigentliehe  Esoterische  des  Heilandes 
und  der  Gemeine,  wenn  ich  Zeit  gehabt  hätte.  Wirklich  bin  ich 
überzeugt,  dass  die  Ilcrnihuter,  von  denen  der  Mühe  wert  ist 
zu  reden,  recht  guten  Grund  haben  in  der  Religion,  nur  frei- 
lieh in  der  Theologie  und  Christologie  ist  er  sehr  sehlecht; 
aber  das  ist  ja  das  Exoterische.  Dass  sie  beides  nicht  voneinander 
trennen  können  und,  um  mit  Zembsch  zu  reden,  die  Sohlen  doch 
immer  für  den  Grund  und  Boden  halten,  ist  schlimm,  und  ich 
glaube  nicht,  dass  es  mir,  wie  Dir,  hätte  gelingen  können,  zwischen 
der  Scylla  und  Charybdis  hindurch  zu  kommen,  am  wenigsten  im 
Gespräch.  Billige  ich  von  dem,  was  sie  sagen,  den  esoterischen 
Gehalt,  so  ziehen  sie  es  mit  auf  das  Esoterische,  und  es  wird 
wenigstens  eine  genommene  Heuchelei,  wenn  auch  keine  gegebene. 
Wollte  ich  ihnen  aber  mein  Exoterisches  geben,  in  einer  andern 
als  ihrer  exoterischen  Sprache,  so  ist  ja  der  offenbar  gegebene 
Skandal  der  Freigeisterei  gar  nicht  zu  vermeiden."  „Ich  gestehe 
Dir  gern,  der  Brüder  nnmässiges  Anhängen  an  ihrem  Exoterischen 
und  meine  eigene  Unfähigkeit,  unter  dieser  Bedingung  zwischen 
der  Heuchelei  und  dein  Anstoss  hindurch  zu  kommen,  ist  das 
Einzige,  was  meinen  Wunsch,  einmal  wieder  unter  den  Herren- 
hutern  zu  leben,  zurück  hält.  Denn  das  auf  allen  Seiten  so  er- 
bärmliche Wesen  in  der  Welt,  dem  ich  zwar  ruhig  und  ohne 
A  nsteekung  zu  fürchten  zusehe,  aber  das  mich  doch  auf  mancherlei 
Weise  stört,  und  in  das  ich  nicht  thätig  eingreifen  kann,  wäre 
sonst  für  mich  ein  mächtiger  Bewegungsgrund  dazu."  ')  Wenn  er 
später  (180ö)  an  denselben  Freund  sehreibt,  dass  ihm  bei  einem 
Besuch  in  Gnadenfrei  „das  zerstörende  Prinzip  in  der  Gemeine 
stärker  als  sonst  entgegengetreten"  sei,  meint  er  wohl  das  Über- 
handnehmen der  „nieänisehen  Donkungsart",  die  den  Nachdruck 
auf  das  Exoterische  legt,  denn  er  knüpft  diese  Bemerkung  un- 
mittelbar an  die  Erwähnung  eine>  „alten  nieskyschen  Schul- 
kameraden" an,  „aus  dem,  ohncraehtet  er  mit  Albertini  und  mir 
wetteiferte,  nicht  recht  viel  geworden  zu  sein  scheint".-)  Hier 
wird  deutlieh,  was  ihn  von  der  damaligen  Brüdergemeine  schied: 


')  a.  a.  O.  IV,  S7t  (II.  Dez.  ISO.!).     |  u.  tu  ().  IV,  1 7:*. 


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< 


72  Hocker,  Heft  2  U.  .I. 

dir  in  derselben  herrschende  dogmatische  Auffassnngswcise.  Mim 
lässt  diese  mit  der  Sache  selbst,  mit  dem  christlich -religiösen 
(Hauben,  unmittelbar  zusammenfallen,  sodass  die  Verständigung  mit 
einer  anders  gearteten  erkenntnismässigon  Auffassung  des  Christen- 
tum* ausgeschlossen  ist.  Das  ist  die  Kluft,  die  Schleiermacher 
von  der  Brüdergcinoine  schied,  sodass  er  danin  dachte,  eine  neue 
Freikirche  zu  bilden,  die  bei  aller  innern  Verwandtschaft  mit  der 
der  Bruder  doch  nicht  mit  ihr  zusammenfallen  sollte. 

Sehleiermacher  hat  trotz  dieser  Differenz  seine  innere  Stellung 
zur  Briidergemeine  nicht  geändert.  In  seiner  „Weihnachtsfeier" 
(180o)  ist  Josef  offenbar  der  „hormhutisch"  Fromme,  der  als 
Vertreter  eines  unbefangenen  Gemütschristcntums  die  wissen- 
schaftlichen Erörterungen  der  Freunde  ablehnt  zu  Gunsten  eines 
unmittelbaren  Genusses  der  Weilmaehtsfreude.  „Ieh  bin  nicht 
gekommen,  Reden  zu  halten,  sondern  mich  zu  freuen  mit  Euch; 
und  Ihr  kommt  mir,  dass  ieh  es  ehrlieh  sage,  wunderlich  und  fast 
thöricht  vor,  dass  Ihr  dergleichen  treibt,  wie  schön  es  auch  mag 
gewesen  sein."  Das  „schlechte  Prinzip"  ist  nämlich  anwesend, 
„dieser  Leonhard,  der  denkende  reflektierende  dialektische  über- 
verständige Mensch".  „Und  die  armen  Frauen  haben  sieh  das  so 
müssen  gefallen  lassen",  während  sie  mit  schönem  Gesang  hätten 
die  Herzen  der  Hörer  erquicken  können,  der  die  Frömmigkeit 
weit  inniger  zum  Ausdruck  gebracht  hätte,  als  lange  Reden  das 
je  vermögen.  „Kommt  denn,  und  das  Kind  vor  allen  Dingen  mit, 
wenn  es  noch  nicht  schläft,  und  lasst  mich  Eure  Herrlichkeit 
sehen  und  lasst  uns  heiter  sein  und  etwas  Frommes  und  Fröh- 
liches singen."  l)  Vorher  hatte  Eduard  einen  Satz  ausgesprochen, 
der  den  versöhnenden  Gedanken  enthält:  „Wohl  aber  können  in 
der  Kirche  sein,  die  nicht  die  Wissenschaft  in  sich  haben;  denn 
sie  können  jenes  höhere  Selbst bewusstsein  in  der  Empfindung 
besitzen,  wenn  auch  nicht  in  der  Anschauung".-) 

Als  Schleiermncher  daran  ging,  sein  Hauptwerk,  die  Glaubens- 
lehre, zu  entwerfen,  hat  er  einen  Gedankenzusammenhang  aufge- 
stellt, der  sieh  von  dem,  was  das  „Exoterischc"  der  Brüder  war, 
allerdings  weit  entfernt.  Richtet  man  dagegen  sein  Hauptaugen- 
merk auf  die  Konzeption  der  theologischen  Grundgedanken,  so  sieht 
man  sieh  zu  der  Behauptung  veranlasst,  dass  er  auch  in  diesem 


')  S.  \V.  I,  V3J  ff.     )  a.  11.  O.  S.  .V>: 


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1894. 


Schloimiiaeher  und  die  HrüdcrKcmeino. 


Werke  Erkenntnisse  erneuert  hat,  die  seit  den  Tagen  Luthers  und 
Melanehthons  niemand  mit  solcher  Energie  vertreten  hatte,  als  der 
Stifter  der  Brüdergemeine,  Zinzendorf. 

Seine  Theologie  hat  bei  allem  Widerspruchsvollen  ihrer  Fas- 
sung im  ein/einen  einen  Gedanken  zur  prinzipiellen  Grundlage, 
der  mit  folgerichtiger  Konsequenz  in  fast  allen  seinen  Schriften 
wiederkehrt. 

Das  Christentum  ist  ihm  die  auf  Grund  des  von  Christus 
her  gewonnenen  entscheidenden  (iemütseindrueks  sieh  bildende 
Ijebensgemeinschaft  mit  der  Person  des  geschichtlichen  und  ver- 
klärten Heilands.  Christliche  Gotteserkenntnis  kann  daher  mit 
innerer  Notwendigkeit  nur  aus  der  Person  dieses  Heilandes  ge- 
wonnen werden,  und  zwar  ausschliesslich  von  einem,  der  als  Mit- 
glied der  christlichen  Gemeine  in  Gemeinschaft  mit  ihm  steht. 
Wenn  er  von  diesem  Hoden  aus  eine  Theologie  anstrebt,  so  kann 
das  nur  „Gemeintheologie"  sein,  d.  h.  eine  Theologie,  welche  ihre 
Erkenntnisse  auf  Grund  der  religiösen  Erfahrung  der  Gemeine  aus 
der  Person  des  Heilandes  herleitet.  Ihr  Inhalt  wird  bezeichnet 
durch  die  Formel:  Lamm,  Blut  und  Gemeine,  d.  h.  sie  entfaltet 
den  Umkreis  der  Heilswahrheiten,  die  durch  den  Zusammenhang 
der  drei  Grundfaktoren,  des  Heilandes,  der  Versöhnung  und  der 
in  der  Versöhnung  stehenden  Gemeine  gebildet  wird.  Indem  die 
Gemeine  den  Zusammenhang  dieser  Hcilswahrheiten  vertritt,  ge- 
langt sie  zur  vollen  Erkenntnis  der  Gottheit  und  wird  zu  einer 
Lebensmacht,  die  befähigt  ist,  eine  sittlich-soziale  Erneuerung  der 
ganzen  Menschheit  bis  in  die  Gebiet«'  der  ungeschichtliehen  Völker 
hinein  zu  unternehmen. 

Schleiennacher  hat  schon  in  seiner  „Kurzen  Darstellung  des 
theologischen  Studiums"  tSlO  den  Satz  aufgestellt,  dass  jedenfalls 
unter  dem  Gesichtspunkt  der  exegetischen  Theologie  die  normale 
Dignität  im  schlechthinnigen  Sinne  nur  Christus  zugesprochen 
werden  könne.1)  Später  stellt  er  fest,  dass  die  Person  Christi  als 
die  „wahre  Offenbarung*'  die  einzige  Erkenntnisquelle  im  Christen- 
tuni ist.  „Das  Wort  . loh.  1,  14:  Wir  sahen  seine  Herrlichkeit  u. s.w. 
ist  der  Keim  alles  Dogmas  und  giebt.  sich  selbst  für  nichts 
anderes,  als  für  die  in  Rede  übertragene  Affektion.  Ja,  auch  was 
Christus  von  sich  selbst  sagt,  wäre  keine  christliche  Wahrheit  ge- 


I  S.  W.  I..  r,S. 


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71 


Hocker, 


Heft  2  u.  :?. 


worden,  wenn  es  sich  nicht  sogleich  durch  diese  Affektion  be- 
wahrt hatte.  Diese  ist  also  und  bleibt  mir  das  Ursprüngliche  im 
Christentum,  und  alles  andere  ist  nur  von  ihr  abgeleitet.  Die 
wirksame  d.  Ii.  auf  eine  bestimmte  Art  afficicrende  Erschei- 
nung Christi  ist  die  wahre  Offenbarung  und  das  Objek- 
tive. Von  jedem  andern  Zeugnis  gilt  dasselbe,  was  die  Samariter 
von  der  Krau  und  ihren  Worten  sagen.  Wer  eben  nicht  glaubt, 
dass  ich  an  dem  historischen  Christus  festhalte,  hat  auch 
kein  Wort  von  meinem  Buche  (Glaubenslehre)  und  von 
meiner  Methode  verstanden."')  Auch  Lücke  gegenüber 
wiederholt  er  den  Grundsatz,  „dass  der  Spruch  .loh.  1,  14  der 
Grundtext  der  ganzen  Dogmatik"  sein  solle.-)  In  dem  Disscnsus, 
in  welchem  er  mit  Sack  über  dessen  Apologetik  geraten  ist,  giebt 
er  den  Grund  „aus  dem  sich,  wie  mir  scheint,  alles  entwickeln 
lässt,  was  zwischen  uns  streitig  ist"  in  folgenden  Worten  an:  „Ich 
nehme  nämlich  nur  eine  göttliche  Offenbarung  au  in  der  Person 
Christi,  sie  nehmen  auch  eine  besondere  an  in  der  Schrift,  die 
für  mich  in  dieser  Hinsieht  gar  nichts  Primitives  ist.  Auf  diesem 
Punkt  aber  stehe  ich  nicht  nur  für  mich  unerschütterlich  fest, 
.sondern  ich  möchte  auch  alles  Mögliche  thun,  um  ihn  andern  so 
klar  zu  machen,  wie  er  mir  selbst  ist,  weil  ich  überzeugt  bin,  dass 
wir  dann  erst  auf  dem  rechten  Fundament  der  evange- 
lischen Theologie  feststehen."') 

Es  ist  demnach  nicht  zu  bestreiten,  dass  für  Sehleieruiacher 
die  Gotteserkenntnis  aus  der  Person  Christi  das  allein  brauchbare 
Fundament  der  evangelischen  Theologie  war. 

Warum,  fragt  mau,  hat  er  seine  Glaubenslehre  so  entworfen, 
dass  dieses  Fundament  als  solches  nicht  ohne  weiteres  von  vorn- 
herein kenntlich  gemacht  wurde?  Eben  diese  Frage  ist  es,  mit 
der  sieh  Schleiermacher  in  seinem  zweiten  Sendschreiben  an  Lücke 
vom  Jahr  1823  beschäftigt.  Schon  als  er  zuerst  die  Glaubens- 
lehre ausarbeiten  wollte,  hat  er  lange  gesehwankt,  ob  er  den  ein- 
zelnen Teilen  die  Stellung  geben  sollte,  die  sie  nun  haben,  oder 
ob  er  sie  umkehren  sollte,  mit  dem  zweiten  Teil  (Entwiekelung 
der  Thatsachen  des  frommen  Selbstbewusstscins,  wie  sie  durch 
den   Gegensatz  Jvon  Sünde  und  Gnade]  bestimmt  sind) 


')  Aus  ScIiKi.iin.  Ia-Uu  in  »riefen   IV.         «lv_T...     -i  S   W.  II. 
tili  (ISJ'iV     )  Aus  Sclileierm.  LIhmi  IV,  JO-'iff. 


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Sehloiermncher  und  die  Brfiderfremeinr. 


75 


anfangen,  und  mit  dem  ersten  (Entwickelung  des  frommen  Selbst- 
bewusstseius,  wie  es  in  jeder  christlich-frommen  Gemütserregung 
immer  schon  vorausgesetzt  wird,  aber  auch  immer  mit 
enthalten  ist")  schliessen.  Das  Grundgefühl  jedes  mündigen 
Christen  müsse  doch  dieses  alte  sein,  dass  in  keinem  andern  Heil 
und  kein  andrer  Name  den  Mensehen  gegeben  sei,  als  der  Jesu 
Christi.  Wäre  nicht  hiervon  auszugehen  das  ( )rdnungsmässigste 
für  ihn  gewesen,  da  er  so  bestimmt  ausgesprochen  hat,  dass  Christen 
ihr  gesamtes  Gottesbowusstsein  nur  als  ein  durch 
Christum  in  ihnen  zu  stände  gebrachtes  in  sich  tragen? 
In  Folge  davon  wäre  der  Vater  zuerst  in  Christo  geschaut 
worden.  Die  ersten  bestimmten  Aussagen  über  Gott  hätten  die 
spezifischen  Heilslehren  enthalten,  und  die  sogenannten  metaphy- 
sischen oder  natürlichen  Eigenschaften  Gottes  wären  zuletzt  ab- 
gehandelt worden.  Er  hat  sein  Werk  nicht  so  entworfen,  und  in 
Folge  davon  ist  er  in  der  Weise  missverstanden  worden,  dass  seine 
Dogmatik  eigentlich  Philosophie  sei,  und  dass  sie  das  Christentum 
demonstrieren  wolle.  Er  selbst  hatte  das  nicht  erwartet,  da  er 
deutlich  genug  gesagt  zu  haben  glaubte,  dass  der  eiste  Teil  zwar 
zum  Gebäude  selbst  gehöre,  aber  nur  als  Eintritt  und  Vorsaal; 
die  dort  gegebenen  Sätze  seien  nur  unausgefüllte  Rahmen  und 
bekämen  ihren  wahren  Gehalt  nur  durch  die  Beziehung  auf  das, 
was  erst  hernach  vorgetragen  werde.  Bei  der  umgekehrten  Auf- 
einanderfolge der  Teile  wären  diese  Missverständnisse  nicht  mög- 
lich gewesen,  denn  keiner  hätte  dann  verkennen  können,  dass  die 
Darstellung  des  eigentümlich  christlichen  Bewusstseins  wahrhaft 
und  wirklich  der  eigentliche  Zweck  des  Buches  sei.  Wäre  nament- 
lich die  Einleitung  noch  schärfer  von  der  eigentlichen  Glaubens- 
lehre gesondert  worden,  „so  wurde  dann  gewiss  dem  schlimmsten 
und  grellsten  Missverständiiis,  dass  nämlich  weine  Glaubenslehre 
eine  spekulative  Tendenz  habe  und  auf  einem  spekulativen  Grunde 
ruhe,  möglichst  vorgebeugt  worden  sein."  Er  gesteht,  dass  er 
durch  die  gegenwärtige  Gestalt  des  Buchs  seiner  ursprünglichen 
Neigung  ein  grosses  Opfer  gebracht  habe.  Er  hätte  dasselbe 
lieber  so  eingerichtet,  „dass  den  Lesern  möglichst  auf  jedem 
Punkt  hätte  deutlich  werden  müssen,  dass  der  Spruch  .loh. 
1,  14  der  Grundtext  der  ganzen  Dogmatik  ist,  so  wie  er 
dasselbe  für  die  ganze  Amtsführung  des  Geistlichen  sein  solle. 
Wie  es  jetzt  ist,  gehören  hier/u  Kombinationen,  die  ich,  so  ein- 


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7r, 


IWkor, 


Heft  2  ii.  :»,. 


fach  sie  auch  sind,  doch,  wie  ich  leider  sehe,  nicht  von  allen 
erwarten  kann." 

Zwei  Gründe  haben  ihn  davon  abgehalten,  jene  andere  an 
sich  richtigere  Anordnung  zu  treffen;  da  indessen  der  eine  nur 
eine  Grille  sei  und  der  ander«'  nur  eine  Unfähigkeit,  „so  tröste 
er  sich  um  so  leichter  damit,  dass  früher  oder  später  ein  anderer 
kommen  wird,  der  diese  bei  weitem  vorzüglichere  Stellung  mit 
Lust  und  Glück  durchführt."') 

Die  positive  Begründung  des  thatsnehlich  befolgten  dogma- 
tischen Verfahrens  kann  hier  nicht  weiter  erörtert  werden.  Ks 
genügt  noeh  einmal  festzustellen,  dass  er  in  der  That  in  Joh.  1,  14 
den  „Keim  der  Dogmatik"  sah  und  damit  feststellte,  dass  alle 
christlichen  Glaubenssätze  nur  aus  der  Wirkung  hergeleitet  werden 
können,  welche  die  Person  des  Heilandes  auf  den  Frommen  ausübt. 

Es  gehören,  seinem  Urteil  zufolge,  „Kombinationen"  dazu, 
um  darzulegen,  dass  er  selbst  diesem  Grundsatz  gefolgt  ist. 

Versuchen  wir  in  der  Kürze  wenigstens  eine  solche  Kom- 
bination, indem  wir  feststellen,  was,  abgesehen  von  dein  philosophi- 
schen Unterbau,  der  eigentlich  theologische  Ertrag  seiner  Glaubens- 
lehre ist. 

Offenbarung  ist  nie  irgend  welche  Lehrmitteilung,  sondern 
vielmehr  die  Selbstdarstellung  einer  von  Gott  erfüllten  Persön- 
lichkeit, die  durch  ihn-  geschichtliche  Erscheinung  auf  das  fromme 
Selbstbewusstsein  in  massgebender  Weise  einwirkt.  Innerhalb  der 
christlichen  Religion  ist  es  die  Person  Christi  als  des  Erlösers,  die 
den  gesamten  Offenbarungsinhalt  an  die  Menschen  heranbringt. 
Das  Christentum  ist  daher  diejenige  Glaubensweise,  in  welcher 
alles  bezogen  wird  auf  die  durch  Jesum  Christum  vollbrachte 
Erlösung;  sein  Zweck  erschöpft  sich  in  der  lediglich  von  Christus 
her  sich  vollziehenden  Auswirkung  des  Erlösungsprinzips  in  und 
an  der  Menschheit. 

Wie  alle  Religionen,  so  kann  auch  die  christliche  nur  in  der 
Form  der  Gemeinschaft  zur  Darstellung  kommen.  Demgemäss 
bezieht  sich  die  erlöserische  Thatigkeit  Christi  zunächst  auf  die 
christliehe  Gemeinde,  deren  Aufgabe  auch  nur  wieder  in  der  Ver- 
breitung dieser  erlösenden  Wirksamkeit  bestehen  kann.  Indem 
das  Christentum  in  dieser  Weise  Christus-  und  Erlösungsreligion 


')  s.  w.  Ii,  i;o:,  ff. 


1HJM. 


SchlriorniHilicr  und  die  Briiderpcmeiiic. 


ist,  stellt  es  sieh  zu  gleicher  Zeit  stets  in  der  Form  des  Bewußt- 
seins der  Gemeinsehaftlichkeit  aller  Erlösten  dar. 

Innerhalb  der  Gemeinde  erkennt  der  Gläubige  auf  Grund 
der  durch  sie  vermittelten  ursprünglichen  Wirkung  des  Erlösers 
und  aus  der  Selbsterfahrung  derselben,  was  Sünde  und  17 bei  zu 
bedeuten  haben;  hier  ergreift  er  die  Kraft  der  erlösenden  Gnade 
und  erkennt,  dass  sein  Leben  im  Zusammenhang  mit  allem  Ge- 
schehen in  der  Welt  im  Ratschluss  des  Gottes,  der  die  Liebe  ist, 
beschlossen  liegt.  Hier  erfasst  er  im  Glauben  die  Wahrheit,  dass 
auch  mitten  in  dem  grössten  Zerfall  der  öffentlichen  Verhältnisse 
doch  eine  von  Christi  Vollkommenheit  ausgehende  stets  gleich- 
artige Wirkung  durch  Vermittelung  der  Gemeinde  der  Erlösten 
sich  auslebt,  der  schliesslich  der  Erfolg  der  Weltüberwiudung  nicht 
mangeln  wird. 

Auch  bei  Schlciennachcr  bilden  daher  der  Erlöser,  die  Er- 
lösung und  die  in  der  Erlösung  hergestellte,  auf  ihr  ruhende  und 
durch  sie  wirksame  Gemeinde  einen  schlechthin  unauflöslichen 
Zusammenhang,  der  als  solcher  den  Kern  der  di >gmatiseh-thc< »lo- 
gischen Gesamtanschauung  bildet  und  aus  dem  Keim  von  Job.  1,  11 
erwachsen  ist 

Es  begegnet  uns  hier  dieselbe  Tendenz,  zu  einer  schlechthin 
ehristo-centrisehen  Fassung  der  Glaubenslehre  zu  gelangen,  die 
auch  in  Zinzendorfs  theologischen  Gedanken  die  treibende  Kraft 
bildete.  Seine  Begriffsbildung  im  Einzelnen  ist  eine  andere,  in- 
sofern namentlich,  als  er  als  Lutheraner  nicht  den  Gedanken  der 
Erlösung,  sondern  den  der  Versöhnung  in  den  Mittelpunkt  stellt 

Unter  den  zahlreichen  Verdiensten  Schleiermachers  ist  das 
nicht  das  geringste,  dass  er  von  seiner  „vornieänischen"  Denkweise 
aus  wieder  ein  besseres  Verständnis  der  sogenannten  „Neben- 
parteien" in  der  Kirche  und  ihrer  Bedeutung  für  die  Gesamtent- 
wickelung  erschlossen  hat,  die  dem  spezifisch  nieänischen  Stand- 
punkte des  Symbolzwangs  verborgen  bleiben  muss;  wo  dieser  sich 
geltend  macht,  erscheinen  jene  kleiner»  Kirchengemcinschaften  meist 
als  unbotmässige,  Verwirrung  stiftende  Sekten,  wahrend  thatsäch- 
lich  häufig  in  ihnen  Wahrheiten  zum  Ausdruck  kommen,  denen 
die  Grosskirehe,  sei  es  widerwillig  oder  nicht,  doch  einmal  gerecht 
werden  muss,  zum  Heil  für  die  Christenheit. 

Gnaden  leid,  im  -Juli  1S!»:J. 

Munal*  Ii.  It.  J.  i  C.(iii.  iiuiK-ii,  «  II-.,  tiuft.  l-'fl. 


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Comenius'  Studienzeit  in  Herborn. 

Neue  Beitrüge  zur  Geschichte  seiner  Geistesentwicklung 

von 

Dr.  A.  Nebe  in  Elberfeld. 


„Ew.  Gnaden,  erhaltende  diese  Akademie,  thun  der  {ranzen 
reformierten  Christenheit  einen  grösseren  Dienst,  als  wenn  Sie 
etliehe  tausend  Reuter  und  Kneehte  /u  Felde  hielten,"1)  so  sehrieb 
1590  Johann  Fontanus  aus  Arnheim  dem  Gründer  der  hohen 
Sehule  zu  Herborn,  dem  Grafen  Johann  dem  Alteren  von 
Nassau-Katzenellenbogen.  Das  war  keine  leere,  ungeschickte 
Schmeichelei  für  den  edlen  Fürsten,  der  einst  als  würdiger  Mit- 
arbeiter seines  grösseren  Bruders  Wilhelm  von  Oranien  für 
die  Befreiung  der  Niederlande  gekämpft  hatte  und  nun  seit  einer 
Reihe  von  •Fahren  seine  reiche  Kraft  auf  enger  begrenztem  Gebiet 
in  der  Verwaltung  seiner  nassauischen  Stammlande  bethätigte.  Seine 
hochherzige  Schulgründung  in  Herborn  hatte  trotz  ihres  erst  acht- 
jährigen Bestehens  einen  schönen  Aufschwung  genommen,  waren 
doch  in  der  letzten  Zeit  jährlich  an  00  lernbegierige  Jünglinge  der 
Johannea  zugeströmt,  nicht  nur  ans  allen  Gauen  Deutschlands, 
sondern  auch  aus  Böhmen,  Mähren,  Ungarn,  Dänemark,  Friesland, 
Holland,  Frankreich  und  der  Schweiz. -'}  Man  kannte  und  schätzte 
damals  überall,  wo  die  reformierte  I^ehre  festen  Fuss  gewonnen  hatte, 
das  bis  dahin  fast  unbekannte,  kleine  Landstädtchen  im  anmutigen 
Dillthal,  das  von  bewaldeten  Ausläufern  des  Westerwalds  umgeben 


')  vgl.  .1.  H.  Steuhing,  OSe.sch.  «1.  hohen  Schale  Herhoni,  Hadamar 
1S2:5,  8.  l'JS;  wichtige  Ergänzungen  zu  diesen»  Wi  rk  bietet  die  Topographie 
der  Stadt  Herhoni,  Marburg  !7Li_'  von  demselben  Verfahr;  einen  Neudruck 
der  Schulgesetze  von  1  .»84  und  hm  giebt  F.  Zimmer  in  der  Festschrift 
zur  Feier  de*  Coinenius-.Iubiläums.    Herborn  ISU'J. 

'•')  vgl.  die  Matrikel  in  A.  v.  d.  Linde 's  Katalog  der  Nassauer  Drucke 
T,  Wiesbaden.    1SS1\  S.  :t  10  ff. 


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1S!M. 


Nebe.  Coincnius'  Studienzeil  in  Heiborn. 


7i> 


und  von  einem  stattlichen  Schloss  überragt  wird.  Ohm»  jode  Ein- 
schränkung nennt  ein  Kenner  wie  Tholuck  (Akad.  lieben  II, 
Herborn  „unter  den  reformierten  hohen  Schulen  bei  weitem  die 
bedeutendste."  Durch  den  in  allen  Verfolgungen  bewährten  Caspar 
Olevian,  der  bei  der  Gründung  Graf  Johanns  rechte  Hand  ge- 
wesen war,  hatte  die  Schule  ihr  für  alle  Zeiten  charakteristisches 
Gepräge  aufgedrückt  erhalten,  sie  war  eine  Schule  „um  Fort- 
pflanzung der  reinen  Lehre  und  unserer  christlichen  Religion  an- 
gerichtet." Selbst  als  sich  eine  besondere  juristische  Fakultät 
entwickelte  und  in  der  philosophischen  Fakultät  auch  medizinische 
Professoren  thätig  waren,  blieb  die  Theologie  die  beherrschende 
und  für  die  Entwicklung  der  ganzen  Schule  entscheidende  Wissen- 
schaft. 

Die  hohe  Schule  war  aber  nur  ein  Teil  der  ganzen  Gründung; 
in  enger  Verbindung  mit  ihr  stand  das  Pädagogium,1)  welches  in 
fünf  (zeitweise  sechs)  Klassen  zerfiel,  die  denkbar  günstigste  Vor- 
bereitungsstätte für  die  Hochschule,  deren  Einrichtungen  vielfach 
als  mustergültig  angesehen  und  z.  H.  in  Hanau  und  Bremen  nach- 
gebildet wurden.  In  der  untersten  Klasse  spielte  die  Muttersprache 
noch  die  Hauptrolle,  während  sie  in  den  beiden  folgenden  all- 
mählich zu  Gunsten  der  lateinischen  zurücktrat,  die  in  den  beiden 
höchsten  ihre  Alleinherrschaft  nur  mit  dem  Griechischen  teilte. 
Das  Lob,  das  ein  dankbarer  Schüler  des  Pädagogiums  aus  dem 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  Caspar  Sibel,-)  ihm  zollt,  war  wohl- 
verdient. Fleiss  und  Lehrgesehiek  der  Lehrer,  eine  milde  und 
doch  ernste  Schulzucht  verliehen  ihm  hohes  Ansehen  und  ver- 
schafften ihm  zahlreiche  Schüler  von  nah  und  fern;  die  erste 
Klasse,  die  unter  Leitung  des  Pädagogarchen  stand,  der  zugleich 

')  Die  Gesetze  desselben  bei  Zimmer  a.  0.  8.  S)  ff.  und  21  ff.,  eine 
kurze  Beschreibung  de*  L'hrplan»  bei  A.  Nebe,  Vives,  Alstcd,  Comcnius 
in  ihrem  Verhältnis  zu  einander.    Progr.  Elberfeld  18!»'J. 

'•')  vgl.  die  von  L.  Scheibe  veröffentlichte  Probe  au«  C.  Silx-ls  Lebens- 
beschreibung in  der  Festschrift  zur  Feier  fies  300jährigen  Bestehens  des 
Gymnasium*  zu  Elberfeld.  IS! »3  S.  70:  Paedagogeura  illud  Herbornensc  tum- 
tempore  (U>or>)  udmodum  florebat  praceeptoruin  eruditormn  diligentia,  diw.i- 
|iidoriun  tum  frequentia,  tum  jiraeclani  laudabilique  institutione  ac  disciplinae 
schobist  icac  obwrvatione  atque  exercitio.  »Sola  classic  prima  ab  octoginta 
diseipulis  frequenlabatur ,  quorurn  plcrorumrpie  geni*  baiha  inerescehat ;  ac 
haud  facile  quis  ex  illa  classc  ad  publica*  lectionc*  promovebatur  et  admitte- 
balur.  qui  pure  et  ciucndatc  n<>n  scrilieret  Latinc  et  Graeee. 


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NYlu-, 


Urft  2.  u. 


eint»  Professur  bekleidete,  zählte  in  manchen  Jahren  SO  Schüler, 
um  dt  ren  Lippen,  wie  Sibel  hervorhebt,  zumeist  der  erste  Flaum 
sichtbar  ward.  Das  ist  keine  müssige  Bemerkung,  sondern  ein 
bedeutsamer  Hinweis  darauf,  dass  es  hier  nicht  auf  die  Erziehung 
frühreifer  Wunderkinder  abgesehen  war,  wie  sonst  oft,  sondern 
auf  Erziehung  und  gründliche  Bildung  des  Geistes  durch  religiöse 
und  sprachlich -humanistische  Unterweisung,  mit  der  Kräftigung 
des  Körpers  in  „ehrlichen"  Spielen  und  Leibesübungen  Hand  in 
Hand  ging.  Erscheinungen,  wie  die  des  Heinrieh  Dauber,  der  Hi2l 
in  seinem  elften  Jahre  zur  Hochschule  entlassen  eine  hebräische 
Dissertation  geschickt  verteidigen  konnte,  und  des  Johann  Heinrich 
Aisted,  der  11  jährig  H>02  Student  wurde,  waren  in  Herborn  nur 
vereinzelt  und  bestätigten  als  Ausnahmen  die  Regel.  Schon  da- 
durch, tlass  der  Pädagogarch  zugleich  Professor  war,  wurde  der 
Gefahr  vorgebeugt,  dass  nur  unvollkommen  vorbereitete  Zöglinge 
zur  hohen  Schule  übergingen. 

Das  Eigentümliche  der  Herborner  Schulanstalten  war,  dass 
sie  „gleichsam  in  zweyen  gliedern  vertheilct",  dennoch  ein  um- 
fassendes System  bildeten,  das  den  Schüler  von  den)  Abc  bis  zu 
den  Geheimnissen  der  vier  Fakultäten  zu  führen  geeignet  war. 
So  war  hier  im  Keime  das  Ideal  vorhanden,  das  der  berühmteste 
Schüler  der  Herborner  Hochschule  mit  kühnem  Seherblick  als  die 
Schule  der  Zukunft  erkannte  und  mit  geschickter  Hand  in  seinen 
Grundzügen  zu  zeichnen  verstand. 

Das  bis  jetzt  vorhandene  Material  über  die  Anwesenheit  des 
Johann  Arnos  Comenius  in  Herborn,  das  J.  Kvaesala  in  seinem 
Werke  (S.  16  ff.)  mit  gewohnter  Umsieht  und  Gründlichkeit  aus- 
genutzt hat,  wird  durch  einen  glücklichen  Fund  wesentlich  be- 
reichert. In  dem  Königl.  Staatsarchiv  zu  Wiesbaden  befindet 
sich  nämlich  die  bisher  ganz  unbekannte  älteste  Schrift  des 
Johannes  Arnos  Marcomanno-Xiwniezenus,  wie  er  sieh  da- 
mals noch  nennt,  ein  zierliches  Quartheft  von  *>  Blatt,  das  in 
Christoph  Corvins  Druckerei  UU2  gedruckt  wurde  und  Proble- 
mata  miscellanea  behandelt:  und  auch  die  zweite  Herborner 
Disputation,  von  der  man  nur  den  Titel:  Sylloge  Quaestionum 
eoutroversarum ,  Plülosophiac  viridario  depromptarum  (Resp.) 
Johannes  Arnos,  e  Marcomannis  Niunieenus.  Hcrhoruac 
Iii  13"  kannte,  ein  21  Seiten  starkes  unscheinbares  Schriftchen  in 
12"'  hat  sieh  in  der  Königl.  Laudcshibliothck  in  Wiesbaden  er- 


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Is91. 


Comonius'  Studienzeit  in  Herborn. 


Sl 


halten  (bei  v.  d.  Lind«'  n.  O.  Xo.  599  und  58).  Beide  Schriften 
verdanken  ihre  Entstehung  der  in  Melborn  sehr  geschützten  Ein- 
richtung öffentlicher  Disputationen,  die  wöchentlich  am  Samstag 
stattfanden  (Zimmer  a.  O.  15,  19,  31);  ausdrücklich  war  in  den 
Schulgesetzen  bestimmt,  „die  öffentlichen  und  privaten  Disputa- 
tionen solle  man  nicht  leicht  versäumen,  da  dort  die  Urteilskraft 
vor  allem  geschärft  und  eine  klare  Ausdmcksweise  erlernt  werde," 
ja  die  Stipendiaten  waren  im  Falle  des  Fernbleibens  mit  Sperrung 
der  Freitische  bedroht.  Unterscheidet  sich  auch  der  Inhalt  der 
beiden  Disputationen  nicht  wesentlich  von  dem  der  gleichzeitigen 
Herborner  Schulschriften,  und  kann  die  spitzfindige  Behandlung 
aller  mögliehen  philosophischen  Fragen  kaum  auf  allgemeineres 
Interesse  rechnen,  so  erfreut  doch  die  gewandte  lateinische  Form, 
die  in  ihrer  anschaulichen  Bildlichkeit  und  ihren  geschickten  Wort- 
spielen manchmal  lebhaft  an  die  späteren  Schriften  des  Comenius 
gemahnt;  auch  lassen  die  Widmungen  und  die  beigefügten  Lob- 
gedichte  ««in  schönes  Streiflieht  auf  die  persönlichen  Beziehungen 
des  jungen  Studenten  zu  seinen  Genossen  und  Lehrern  fallen,  so 
dass  wir  jetzt  ein  ziemlich  klares  Bild  von  dem  Aufenthalt  des 
Comenius  in  Herborn  gewinnen. 

„Joannes  Arnos  Nivnizensis"  wurde  am  30.  März  Hill  von 
dem  damaligen  Prorektor  Joannes  Jaeobus  Hermannus  in  die  Ma- 
trikel der  hohen  Schule  eingetragen  (v.  d.  Linde  a.  O.  S.  389),  an 
demselben  Tage  wie  Daniel  Thelermcnus  a  Zhorze  Satecenus, 
Matthaeus  Titus  Straznieensis  und  Joannes  Litomil  Litomislenus. 
Der  Xame  des  jungen  Grafen  von  Kunowitz,  als  dessen  Begleiter 
und  Ratgeber  Comenius  im  Dezember  1610  aus  seiner  mährischen 
Heimat  nach  Herborn  gezogen  war,  findet  sich  nicht  in  der  Ma- 
trikel, wohl  deshalb,  weil  er  das  Pädagogium  besuchte.  Wie  wir 
jetzt  aus  der  Widmung  der  Schrift  Sylloge  etc.  erfahren,  hatte 
sieh  der  edle  Bischof  der  böhmischen  Brüder,  Dr.  Johannes 
Lanceius  (Lanetius)  den  ausziehenden  hoffnungsvollen  Jünglingen 
als  treuer  Berater  und  woldwollender  Gönner  erwiesen  und  ver- 
folgte ihre  Studien  auch  fernerhin  mit  ermunternder  Teilnahme,  so 
dass  Comenius  ihm  die  erwähnte  Disputation  „als  Zeichen  seiner 
Dankbarkeit  und  Beweis  seiner  dauernden  Hochachtung"  widmet  und 
sein  Landsmann  Matthaeus  Titus  in  dem  beigefügten  Glückwunsch- 
gedicht ihn  geradezu  als  den  Beschützer  ihrer  Studien  bezeichnet, 
der  an  dem  Streben  des  Arnos  besonderes  Wohlgefallen  finde.  Auf 


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KL' 


Ncoo, 


Heft  2.  ii.  :t. 


die  zarteren  Beziehungen,  dir  sieh  zwischen  dem  jungen  Studenten 
und  der  Familie  des  Laneeius  zu  knüpfen  begonnen  hatten,  weist 
der  Sehluss  des  Widmungsschreibens,  in  dem  er  den  Ijanceins 
„mit  seiner  süssen  Gemahlin  und  Tochter"  der  Hut  des  Heilands 
empfiehlt. 

Der  glückliche  ('instand,  dass  mehrere  böhmische  Brüder 
zugleich  in  Herborn  studierten,  und  die  väterliche  Fürsorge,  die 
ihnen  ihr  Bisehof  ans  der  Ferne  angedeihen  Hess,  mussten  be- 
wirken, dass  Comenius  bei  seinen  Studien  nie  den  Zusammenhang 
mit  seiner  Heimat  und  seiner  Mutterkirehe  verlor,  deren  Diener 
er  werden  wollte,  und  „treu  die  Wege  einhielt,  die  ihm  durch  die 
eignen  Überlieferungen  gewiesen  waren",  die  Richtung  auf  das 
„Praktische."  Von  dem  festen  Zusammenhalten  der  jungen  Tsche- 
chen, die  zusammen  nach  der  nassauischen  Schule  gezogen  waren, 
zeugt  ausser  dem  von  Kvacsala  (.1.  A.  Comenius,  Anm.  S.  U4)  ver- 
öffentlichten Gedichte  des  Comenius  auf  Johannes  Litomil  vom 
Jahre  1012  das  oben  erwähnte  I*>bgedieht  des  Matthaciis  Titus  auf 
„seinen  Landsmann  und  engverbundenen  Freund"  Arnos  IUI 8,  in 
welchem  im  Wortspiel  mit  diesem  Namen  seine  Liebe  zur  Weis- 
heit gefeiert  wird,  die  ihn  wiederliebe  und  ihm  die  Liebe  aller 
verschaffe. 

Aber  es  war  nicht  zu  befürchten,  dass  im  engen  Kreise  der 
Sinn  sich  verengerte;  ein  äusseres  Gegengewicht  dagegen  bildete 
schon  eine  eigentümliche  Einrichtung  der  Herborner  Hochschule, 
die  sog.  gräfliche  Communität.  Dies  war  eine  öffentliche  Speise- 
anstalt für  die  Studenten,  die  unter  Aufsicht  des  Senates  stand. 
Hier  speisten  nicht  nur  die  Stipendiaten,  sondern  auch  die  Mehr- 
zahl der  übrigen  Studenten  in  drei  nach  der  Höhe  des  Kostgelds 
verschiedenen  Abteilungen.  „Über  einem  Tisch  sollen  10  Personen 
sitzen,"  so  bestimmten  die  Convictsgesetze  (vgl.  Steubing,  hohe 
Schule  S.  7()  ff.,  .'H9  ff.),  und  natürlich  genug  war  es,  dass  zwischen 
den  Tischgenossen  sich  schnell  ein  engeres  Verhältnis  entwickelte. 
Auch  Comenius  gehörte  der  Communität  an.  Heinrieh  Pithan  nennt 
ihn  in  dem  Gedicht,  welches  am  Sehluss  der  Problcmatn  von  IUI 2 
steht,  seinen  „höchst  erwünschten  Tischgenossen"  und  feiert  ihn 
dann  wegen  seiner  Frömmigkeit  ,  Gelehrsamkeit  und  Treue,  wegen 
seines  reinen  Herzens,  seines  glühenden  Wissenstriebes  und  seiner 
liebenswürdigen  Bescheidenheit  und  bittet  ihn  zum  Sehluss  um 
seine  fernere  Freundschaft,  die  er  von  Herzen  zu  erwidern  ver- 


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Comenius'  Studienzeit  in  Herhorn. 


spricht.  Dieser  Pithan  aus  Siefen,  der  drei  Jahre  vor  Comenius 
in  die  Hcrborner  Matrikel  eingetragen  worden  war,  hat  sich  später 
seines  Freundes  würdig  gezeigt  und  glaubensiuutig  die  schweren  Ver- 
folgungen getragen,  die  von  den  Katholiken  über  ihn  verhängt  wurden, 
als  er  1020  Kaplan  in  seiner  Vaterstadt  geworden  war:  er  musste 
fliehen,  hatte  aber  später  die  Gcnugthuung,  nach  kurzer  Wirksam- 
keit in  Dillenburg  und  Herborn  als  erster  Kaplau  nach  Siegen 
zurückkehren  zu  dürfen  (vgl.  Steubing,  Stadt  Herborn  S.  107). 

Auch  die  Widmung  dieser  Krstlingsschrift  lässt  uns  erken- 
nen, wie  leicht  es  Comenius  gelang,  Ansehluss  zu  gewinnen:  als 
„Zeugnis  seiner  Hochachtung  und  Dankbarkeit"  überreicht  er  die 
Disputation  zwei  jungen  polnischen  Adligen,  Stanislaus  und  Andreas 
Jahodinskyni  (in  der  Matrikel  1.  Aug.  IG  10:  Jahodniski)  de  Matcze 
und  deren  gelehrtem  und  erfahrenen  Erziehe  r  Daniel  ßresler  aus 
Dauzig,  „seinen  Freunden  und  Gönnern,"  die  er  in  einem  geschick- 
ten lateinischen  Gedichte  feiert. 

liegreiflich  ist  es,  dass  der  hochbegabte,  vielseitig  angeregte 
und  rastlos  arbeitende  junge  Student  gerade  die  tüchtigsten,  gleich- 
st rebendeii  Genossen  unwiderstehlich  an  sich  zog;  was  sein  Lands- 
mann Titus  rühmte,  dass  die  sicheren  Zeugnisse  seiner  Studien  der 
ganzen  Schule  sichtbar  seien,  war  ja  keine  hohle  Schmeichelei. 
Kincr  der  bedeutendsten  seiner  Mitschüler,  Justus  (in  der  Matrikel 
I.  Okt.  1010:  Jodocus)  Reiffenberger,  ein  Pfarrersohn  aus  dem 
nahe  bei  Herborn  gelegenen  Haiger,  der  ein  halbes  Jahr  vor  Co- 
menius' Ankunft  aus  dem  Pädagogium  zur  hohen  Schule  überge- 
gangen war,  seheint  sich  ihm  besonders  eng  angeschlossen  zu  haben, 
obwohl  seine  eigentlichen  Studiengebiete,  Rechtswissenschaft  und 
Politik,  von  denen  des  jungen  Tschechen  weit  ablagen.  Kin 
„niveum  pectus,"  wie  Comenius  selbst,  hat  er  nach  Beendigung 
seiner  Studien  in  Bremen  und  Heidelberg,  wo  er  1010  zum  Doctor 
juris  promoviert  wurde,  durch  seine  juristische  I>'hrthätigkeit  in 
Herborn,  Rinteln,  Bremen  und  Franeker  ebenso  grossen  Ruhm 
erworben,  wie  durch  seine  auf  umfassenden  Studien  beruhenden 
Werke  (vgl.  Allg.  Deutsche  Biographie  21,  S.  085).  Der  zweiten 
Disputationssehrift  des  Comenius  fügte  dieser  Reiffenberger  101. "5 
ein  schwungvolles  Lobgedicht  auf  ihn,  „den  einzig  treuen  Freund," 
bei,  in  das  er  die  beiden  Anagrammc  auf  den  Namen  des  Johannes 
Arnos  Moravus:  „Amas  Musas.  Inde  honor"  oder  „Ova:  ornas 
online  Musas"  geschickt  zu  verweben  weiss. 


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Heft  2  u.  :\. 


Bei  clor  verhältnismässig  geringen  Zahl  clor  Studenten  konnte 
es  kaum  ausbleiben,  das*  sieh  fast  alle  gegenseitig  kannten,  selbst 
wenn  sie  nur  kurze  Zeit  zusammen  in  Herborn  studiert  hatten. 
Als  Comenius  auf  seiner  Orientierungsreise  naeh  Polen  1H24, 
angelockt  durch  die  Naehrieliten  von  dem  neuen  Propheten  Christof 
Kotter,  Sprottau  besuehte  und  zufällig  den  Namen  des  dortigen 
Pastors  Mag.  Menzel  vernahm,  wurde  trotz  1.5 jähriger,  erfahrungs- 
reicher Zwischenzeit  sofort  in  seinem  Geist  die  Krinnerung  an  die 
Studienzeit  in  Herborn  wachgerufen.  Zwei  Sehlesier,  Joachim  und 
Abraham  Menzel,  hatten  nämlich,  wie  er  sieh  entsann,  gerade  um 
die  Zeit,  wo  er  dorthin  kam,  sieh  zur  Heimreise  angeschickt. 
Der  Sprottauer  Pastor  war  wirklieh  sein  Studiengenosse,  und  als 
willkommener  Gast  seines  Hauses  verlebte  Comenius  in  frommen 
Gesprächen  einige  Tage  in  einer  namenlosen  Seligkeit,  die  er  noch 
nach  30  Jahren  mit  der  „Wonne  der  Unmittelbarkeit"  besehreibt 
(vgl.  Kvacsala  a.  O.  :W  und  Monatshefte  I,  117). 

Wohl  möglich,  dass  sie  in  den  Gesprächen  mehr  als  einmal 
die  alten  Hcrbornor  Erinnerungen  aufleben  Hessen,  wurzelte  doch 
Comenius  wenigstens  mit  seinen  chiliastischcn  Anschauungen 
durchaus  in  den  Eindrücken,  die  er  von  seinen  zwei  bedeutendsten 
Hcrbornor  Lehrern  während  seiner  zweijährigen  Studienzeit  em- 
pfangen hatte.  „Von  dem  frommen  Theologen  Piseator  und 
dem  grossen,  aber  christlichen  Philosophen  Aisted"  hat  er,  wie 
er  später  in  seiner  letzten  Schrift  (de  zelo  sine  seientia  et  char. 
p.  8)  am  Rande:  des  Grabes  erklärt,  zuerst  diesen  Trost  der  Kirche 
sich  angeeignet,  „dass  dem  Volke  Gottes  noch  eine  Ruhe  vor- 
handen sei"  (Hehr.  1,  9);  ein  Trost,  der  ihm  ein  Stocken  und  Stab 
für  seine  ganze  Lebenszeit  sein  sollte. 

Schon  aus  dieser  Stelle  konnte  man  erkennen,  dass  Comenius 
nicht  einseitig  theologisehe  Studien  in  Herborn  getrieben  hatte: 
jetzt  tritt  aus  seinen  Disputationsschriften  das  mit  voller  Klarheit 
ans  Licht,  dass  er  sich  den  philosophischen  Studien  im  Um- 
fange und  Sinne  der  damaligen  Zeit  mit  einem  ungewöhnlichen 
Eifer  ergeben  hatte,  als  könne  er  das  ganze  Meer  der  Wissen- 
schaften mit  einem  Male  erschöpfen.  Das  beweist  zunächst  das 
Vorhandensein  der  Schriften  selbst,  da  naeh  den  Schulgesetzen 
(Zimmer  a.  O.  S.  19)  in  der  Regel  von  den  Professoren  eine  Auf- 
forderung zur  Abfassung  einer  Disputationsschrift  erging;  der  Fall, 
dass  zwei  verschiedene  I/'hrer  der  Philosophie  denselben  Schüler 


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1S<M. 


Comoimis  Studienzeit  in  HpHkh-ii. 


Sö 


erwählten,  scheint  nicht  allzu  häufig  vorgekommen  zu  sein.  Zudem 
wird  fast  in  allen  Lobgedichten  auf  (omcnius  gerade  dies«.  be- 
wundernswerte Vielseitigkeit  seiner  Studien  immer  wieder  betont: 
Der  Vorsitzende  bei  der  ersten  Disputation,  Prof.  Gutberleth,  be- 
ginnt sein  Gedieht  mit  einem  Hinweis  darauf,  wie  Comcnius  gerade 
dadurch  sieh  wertvolle  Schätze  zu  eigen  mache,  das«  er  huma- 
nistische und  theologische  Studien  zu  verbinden  fortfahre,  und 
sein  Lieblingslehrer  Johann  Heinrich  Aisted,  unter  dessen  Vorsitz 
die  zweite  Disputation  stattfand,  leitet  gar  in  seinen  geschmack- 
vollen Distichen  in  dorischem  Dialekt  den  Ruhm  des  jungen 
Arnos,  der  einst  zum  Himmel  emportonen  werde,  davon 
ab,  dass  er  nach  süssem  vielseitigen  Wissen  dürste. 

„Jhm  war  der  lieblichste  Frühling  des  ganzen  I^cbcns,  die 
blühenden  Jahn*  der  Jugend,  in  unnützem  Schultreiben  elendiglich 
verkommen",  wie  er  selbst  später  klagt  (Did.  mag.  XI,  H).  Als 
ihm  nun  in  Herborn  vergönnt  war,  Besseres  zu  schauen,  mochte 
ihm  die  Erinnerung  an  die  unwiederbringlich  verlorene  Lebenszeit 
wohl  „Seufzer  aus  der  Brust  emporsteigen  bissen,  Thränen  aus 
den  Augen  pressen  und  Kummer  im  Herzen  wachrufen",  aber 
ebenso  verstand  es  sieh  für  ihn,  dass  er  mit  dem  Feuereifer  und 
der  Zähigkeit  des  slavischen  Naturells  nun  beharrlieh  „den  Schaden 
der  verlorenen  Zeit  auszufüllen"  strebte.  In  der  That  waren  die 
philosophischen  I^ehrer,  die  während  seiner  Studienzeit  in  Herborn 
wirkten,  wohl  geeignet,  diesem  Streben  entgegenzukommen  und 
ihrem  Schüler  bleibende  Anregungen  für  die  Zukunft  zu  geben. 
Der  1572  in  Hersfeld  geborene  Heinrieh  (iutberleth  war  seit 
1()01  in  Herborn  thätig,  anfangs  an  dem  Pädagogium,  seit  HiO") 
an  der  hohen  Schule,  wo  er  mit  kurzer  Unterbrechung  bis  KiDl 
Logik,  Physik,  Geschichte  und  die  Ars  oratoria  vertrat.  Wie 
man  ihn  schätzte,  zeigte  sieh  darin,  dass  er  IfiOfi  an  das  nach 
Herborner  Muster  eingerichtete  akademisehe  Gymnasium  in  Hanau 
berufen  wurde,  wo  er  zwei  Jahre  blieb,  und  dass  er  1(U9  als 
Rektor  der  lateinischen  Schule  nach  Deventer  kam,  wo  er  bis  zu 
seinem  Tode  H»35  wirkte,  zuletzt  als  Professor  der  Philosophie 
am  neugegründeten  Athenaeum.  Seine  Hauptthätigkeit  suchte 
und  fand  er  in  der  Anleitung  seiner  Schüler  zu  philosophischen 
Studien;  wir  kennen  nicht  weniger  als  38  Disputationsschriften, 
die  unter  seiner  Anleitung  entstanden  sind;  durch  fortwährende 
Übung  und  Anwendung  der  Aristotelisch-Ramischen  Dialektik  auf 


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80  Nein»,  Heft  2  Ii. 

philosophische  Fragen  aller  Art  suchte  er  seine  Schüler  zum 
wissenschaftlichen  Denken  zu  befähigen.  Seine  schriftstellerische 
Thätigkeit  besehriinktc  sich  auf  haiulliehe  Auszüge  der  von  ihm 
vertretenen  Wissenschaften;  so  ersehien  ein  Diseursus  logieus,  »ine 
Kthik  und  eine  Physik,  daneben  schrieb  er  eine  Pathologia,  d.  h. 
eine  Lelire  von  den  meuschliehen  Affekten,  und  vollendete  kurz 
vor  seinem  Tode  seine  Chronologie,  die  HKJ9  in  Amsterdam  ge- 
druckt ward.  (Vgl.  de  Wal  in  der  Deutseh.  Biogr.  10,  2LJ  und 
v.  d.  Linde  a.  ().  148  ff.) 

Viel  bedeutsanier  für  des  lotnenius  gesamte  (ieistesent- 
wicklung  wurde  aber  der  jüngere  Vertreter  der  Philosophie, 
Johann  Heinrieh  Aisted,  der  kurz  zuvor  wie  ein  leuchtendes 
Meteor  neben  den  alten  Sternen  der  Herborner  Schule  erschienen 
war.  Durch  mehrere  völlig  unabhängig  von  einander  fast  zu  der- 
selben Zeit  entstandene  Untersuchungen  über  diesen  weniger  durch 
Tiefe  als  durch  Vielseitigkeit  ausgezeichneten  Manu  ist  jetzt  der 
massgebende  Einlluss,  den  er  auf  Comenius  geübt  hat,  festgestellt 
und  wohl  allseitig  anerkannt1)  1588  in  Ballersbach  nahe  bei 
Herborn  geboren,  hatte  er  schon  Hi02  die  Hochschule  seiner 
Heimat  bezogen  und  nach  einer  ausgedehnten  Studienreise  seine 
schnell  gereiften  Kräfte  in  den  Dienst  der  Anstalten  gestellt, 
denen  er  die  Anfänge  seiner  Bildung  zu  verdanken  hatte.  Nach 
zweijähriger  Wirksamkeit  als  Ijcitcr  des  Pädagogiums  wurde  er 
HilO  ausserordentlicher  Professor  der  Hochschule  und  entwickelte 
als  solcher  vermöge  seiner  persönlichen  Liebenswürdigkeit,  seines 
umfassenden  Wissens  und  seines  anregenden  Unterrichts  eine 
ungemein  fruchtbare  Lehrthätigkeit ,  mit  der  eine  ausgedehnte 
Schriftstellern  Hand  in  Hand  ging.  Schon  1018  wurde  er  ordent- 
licher Professor  der  Philosophie;  vier  Jahn-  später,  nachdem  er 
sieh  auf  der  grossen  Dordrechter  Synode  bewährt  hatte,  bekam 
er  den  Auftrag,  neben  seinen  philosophischen  auch  theologische 
Vorlesungen  zu  halten.  Nachdem  der  greise  Piscator  H>2">  ge- 
storben war,  wurde  die  Theologie  sein  eigentliches  Lehrfach;  aber 
nur  noch  kurze  Zeit  wurde  seine  unschätzbare  Kraft  der  Heimat 
erhalten;  die  furchtbaren  Verheerungen,  die  der  grosse  Krieg  auch 

')  Vgl.  .1.  Kvncsnla,  l'njnir.  Krviir  |xs«i,  'i'N  ff.:  ,\.  Nr  he,  Vivo. 
Alstcil,  Comenius  u.  s.  w.;  (J.  Schmitt  in  «Irr  Geschichte  der  Krzii -hang 
IS!  12,  ino  ff. 


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IS!)|. 


('omeniii*'  Studienzeit  in  Herhorn. 


87 


über  Herborn  hereinbrechen  lies«,  vertrieben  ihn  Hi29;  aber  in 
Stuhl- Wcissenburg  in  Siebenbürgen  fand  er  eine  neue  Stätte  für 
^eine  akademische  und  littenirisehe  Wirksamkeit,  die  er  bis  zu 
seinein  Tode  in  alter  Kraft  fortführte.    Ks  war  bekannt, 

wie  Comenius  von  ihm  auf  den  verschiedensten  (Jebieten  Ann'- 
ptii}!  empfangen  hat,  und  noch  hat  sieh  ein  Brief  des  einstigen 
Schülers  an  seinen  Ix»hrer  aus  dem  Jahre  \WA  erhalten  (vgl. 
Kvaesula  a.  ().  179),  der  Rest  eines  ursprünglich  wohl  regeren 
Briefwechsels,  der  beweist,  wie  innig  das  Verhältnis  der  beiden 
im  Alter  nur  wenig  verschiedenen  Männer  auch  noch  nach  Jahren 
war.  Nun  liegt  in  den  Disputationen  des  jungen  Annw  ein  neuer 
Beweis  für  diese  Thatsaehe  vor,  der  zugleich  davon  zeugt,  wie 
übermächtig  anfangs  der  Eindruck  des  Lehrers  war,  und  wie 
knift  ig  er  seinen  Schüler  in  seine  Kreise  zu  bannen  verstand. 
Seine  Werke  hat  der  Schüler  gründlich  studiert  und  holt  aus  ihnen 
sein  Rüstzeug,  auch  seine  Neigungen  haben  sich  übertragen,  nicht 
nur  sein  Gefallen  an  den  logischen  Spitzfindigkeiten  und  Spielereien 
in  der  Art  der  Ars  magna  des  Lullus  finden  wir  bei  ihm  wieder, 
nicht  nur  gelegentliche  etymologische  Wortspielcreien  wie  „men- 
dacium  .  .  .  est  quasi  ad  versus  meutern  ire",  was  doch  recht  an 
die  von  Aisted  gegebenen  Deutungen  lepus,  lapis  und  vulpes  als 
levi-pes,  lacdi-pes  und  voli-pes  erinnert,  kehren  bei  ihm  wieder, 
sondern  auch  er  schwört  wie  jener  auf  Keckermann  und  weiss 
den  Spanier  Vives  zu  schätzen  wie  sein  Lehrer,  der  gelegentlich 
das  rühmende  Wort  sprach:  „Vives  <jiii  vivet,  «juoad  litenie  vivent." 
Wie  Aisted  wiederholt  ein  M'ort  des  Vives  als  Motto  oder  Schluss- 
wort einer  Schrift  gebraucht  hat,  so  setzt  Comcnius  auf  den  Titel 
seiner  Erstling*sehrift  einen  Ausspnich  aus  dem  Hauptwerk  des 
grossen  Spaniers  De  diseiplinis.  Da  bei  dem  Ausspnich  das  Buch 
genau  angegeben  ist,  in  dem  sich  die  Stelle  findet,  wird  man 
nicht  zweifeln  dürfen,  dass  damals  schon  Comcnius  Vives  kennen 
und  schätzen  gelernt  hatte,  obwohl  man  nach  der  Vorrede  zur 
Physik  annehmen  zu  müssen  glaubte,  dies  sei  zuerst  1H28  üi  der 
Verbannung  geschehen  (vgl.  Kvascala  a.  O.  Anm.  S.  lö).  That- 
säehlich  sind  auf  der  Herborner  Bibliothek  noch  jetzt  eine  Anzahl 
von  Schriften  des  Vives  vorhanden,  und  dass  der  junge  Herborner 
Student  diese  Bibliothek,  die  nach  wie  vor  in  dem  alten  Raum,  auf 
dem  Sehl obs,  aufbewahrt  wird,  eifrig  benutzt  hat,  zeigt  seine  grosse 
Belesenheit,  die  in  den  beiden  Disputationsschriften  schon  hervortritt. 


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«SS 


Urft  1'  u.  :i. 


Um  wenigstens  einen  allgemeinen  Kindtuck  von  dem  zn 
verschaffen,  womit  sieh  der  (»eist  des  Comenius  in  Herhorn 
beschäftigte,  lassen  wir  du-  in  den  I)is|>ntationen  behandelten 
»|uaestioncs  folgen. 

In  der  unter  <  iutberleth's  Vorsitz  abgehaltenen  sind  es 
folgende: 

1.  Quomodo  verum  nit :  Ars  imitatur  Xaturam,  eum  tarnen 
alihi  Ars  Xaturae  opponatur? 

2.  Quuestio  Mctaphvsica:  An  idem  ens  possit  realiter 
a  se  ipso  ditt'erre? 

'■>.  Quaestio  Mctaphvsica:  An  eausae  possint  produeere 
effeetum  se  praestantius?  Neg. 

4.  Quaestio  Logieo-Phvsica :  An  anima  rationulis  sit  forma 
hominis?  Affir. 

.">.  Quaestio  I^ogica:  An  in  hoc  versu  Martialis:  Kbrius  es, 
nee  enim  faeeres  hoc  sobrius  uii(|uam,  cbrius  sit  ha- 
bitus,  sobrius  privatio?  Affir. 

Ii.  Quuestio  IüOgiea:  An  dentur  syllogismi  proprii?  Affir. 

7.  Quuestio  Rhetoriea:  An  prineipalis  et  proximus  Hnis 
Rhetorieae  sit  bene  dieere  an  bene  pcrstiadere? 

5.  Quaestio  Kthica:  An  omnis,  <pii  falsum  dieit,  men- 
tiatur?  Xcg. 

Die  unter  Alsted's  Vorsitz  abgehaltene  Disputation  behandelte: 

1.  Universaliane  cognoscat  intellcctus  tantum  an  singula- 
riu  etiam? 

2.  Omnisne  eognitio  a  sensu  ineipiat? 

:\.  An  inter  Substantiam  et  Aeeidens  detur  medium?  Eo 

infieias. 
1.  Quid  sit  locus? 
.").  Uttum  angeli  sint  in  loco? 

Ii.  Mundusnc  (juoad  essentiam  in  mente  sit  divina,  extra 

autem  quoad  existentiam? 
7.  Au  dentur  in  euelo  orbes  reales? 
S.  Per  etnissionemne  Hat  visio  an  per  immissionem? 
Als  Beigaben  sind  ausserdem   angehängt   folgende  Thesen: 
(irain.  Optativus  modus  Latinis  superfluus  est  et  inutilis. 
Ivhet.  1.  Rhetoriea,  Oratoria,  I'oetica  diversae  sunt  artes.  Male 
ergo  eonfunduntur.    2.   Hyperbolen,   quod  Keck,  uffirmut, 
tropum  esse  negumus. 


1 


1K94.  CoiiH-niiis'  Studienzeit  in  Horliorn.  N!) 

lyig.  Praedieamentnles  tahulac  lumen  sunt  Ijogicne  ideo<pie  inibi 
tolerandac. 

Phys.  1.  Corpora  caelestia  non  sunt  calida  nee  frigida  formaliter 

sed  virtualiter.    2.  Ixicatio  potius  (jimin  locus  est  cnqiorut 

aH'ectio.    A.  Cor}>us  donee  venun  nisi  uno  loeo  esse  ne<püt. 

4.  Proprietatcs  <|tii  tollit,  naturam  tollit. 
Metaph.    I.   Kntis  dari  priiieipia  asseverantcr  asserhnus.    2.  Ut 

accidcns   sine  substantia,   sie  substantia  sine  aeeidentibus 

subsistere  non  potest.    3.  Maximum  et  minimum  naturale 

non  datur.    Jae.  Mart.  Met.  Kx.  p.  ^572. 
Aritli.  1.  Unitas  est  numerus  et  non  est  numenis.  Reete  intellige, 

utniiii([nc  verum  erit.    2.  Denarius  numerus  est  perfectus. 

Continet  enim  omnes  numeroruin  formas:  purem,  imparem, 

(|uadratum,  cubieum,  linearem,  planum  primum,  compositum. 

Dn.  Praeses  Flein.  Math. 
Geomet.  Punctum  est  principium  lineae:  idcmquc  ejusdem  est  ad- 

jnnetuin:  divers« »  respeetn. 
Geograph.  Paradisum  in  sphaera  obliqua  positum  fuisse,  plausibile: 

nee  tarnen  in  aeris  regionc. 
Astron.  Lunae  motus  omnium  planetarum  perplexissimus. 
Astrol.  Astrologinc  seientiam  «jiii  vanum  putant,  vani  ipsi  putandi. 
Ktli.  Virtus  lieroiea  a  eonununi  speeie  non  difl'crt:  «piia  fuükuv 

xal  t/rrov  non  variant  speeiein. 

Unverkennbar  spiegelt  sieh  in  diesen  Fragen  und  Sätzen 
Alsteds  eneyklopädische  Richtung  wieder,  und  sie  zeigen  von  neuem, 
wie  tief  Comenius  nicht  nur  auf  dem  Gebiet  der  Theologie, 
Pädagogik,  {Sprachvergleichung  und  Physik,  sondern  auch  in  seinen 
«ncyklopädiseh -pansophischen  Bestrebungen,  deren  Anfänge  er 
selbst  nach  Herborn  legt,  von  seinem  „überaus  teueren  und  hoch 
zu  verehrenden  Lehrer",  wie  er  ihn  auf  dem  Titel  der  Sylloge 
nennt,  beeinflusst  wurde.  Aber  der  verwandte  Zug  zwischen  diesem 
und  jenem  zeigte  sieh  auch  darin,  dass  beide  alles  Wissen  und 
Forschen  in  den  Dienst  der  Theologie  stellten.  Für  Aisted  hätte 
es  kaum  der  ausdrücklichen  Weisung  der  Schulgesetze  an  die 
philosophischen  Professoren  bedurft,  „sie  sollten  zeigen,  dass  die 
Philosophie  der  Theologie  als  Dienerin  untergeordnet  und  nicht 
als  Herrin  vorgesetzt  sei",  und  ebenso  wenig  war  für  ihn  die 
Mahnung  nötig,  „dass  sie  vielmehr  auf  das  Praktische  in  den 
Wissensehaften  ihr  Augenmerk  zu  richten  hätten,  als  dass  sie  sich 


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lieft  2  u.  :{. 


mit  frivolen  Spitzfindigkeiten  und  Erfindungen,  bei  denen  man  sieh 
nur  zu  leielit  in  ein  Nichts  verliere,  abgäben"  (vgl.  /immer  a.  O. 
S.  18).  lind  wir  können  uns  denken,  mit  welcher  Bewegung  der 
geistverwandte  Arnos  vor  der  Immatrieulation  dem  Rektor  Ilermannus 
das  in  den  (iesetzen  vorgeschriebene  heilige  Gelübde  ablegte,  „er 
werde  etwas  dem  wahren  (Hauben  von  Gott  und  d«>r  h.  Trinitat, 
wie  es  in  der  Schrift  und  dem  apostolischen  Glaubensbekenntnis 
(Mithalten  sei,  Entgegeng« 'setzt« is  weder  öffentlich  noch  privatim 
lx*k<Min<'Ti ,  auch  sein  lieben  nach  dem  im  I)ekalog  zusainmen- 
gefussten  (iebote  Gottes  richten  und  nüchtern,  gerecht  und  fromm 
leben".    (Vgl.  /immer  a.  ().  S.  18.) 

Ijcider  ist  es  uns  immer  noch  nicht  vergönnt,  zu  erkennen, 
wie  weit  er  von  den  theologischen  Professoren  in  Herborn  Ein- 
wirkungen zu  erfahren  hatte.  Bedeutend  genug  waren  sie,  um 
ihn  zu  fesseln,  vor  allem  der  trotz  seines  Alters  noch  jugendlich 
frische  und  unermüdlich  tlmtigc  .loh  nun  es  I'iscator  (154ti  bis 
li»2ö),  aber  auch  sein  Stnissburger  Luidsmann,  Johann  Jakob 
Ilermannus  (1558  1 1>:>0),  der  zugleich  Pfarrer  in  Herborn  war 
und  die  praktische  Theologie  vertrat,  und  der  bedeutend  jüngere 
Georg  l'asor  (1570  —  lt>87),  der  durch  seine  „grosse  Gabe  im 
Unterrichten"  und  seine  „ausgezeichnete  Kenntnis  der  alten 
Sprachen"  «'ine  hoch  angesehene  Stelle  in  Herborn  einnahm  und 
sich  durch  di«'  Erforschung  d<is  Sprwhidioms  des  neuen  Testa- 
mentes nach  wissenschaftlichen  Grundsätzen  bleibenden  Ruhm  er- 
warb (vgl.  Deutsch«'  Biographie  25,  104).  Ks  seheint  sehr  wohl 
möglich,  dass  dieser  Mann,  dessen  Lexikon  zum  N.T.  allerdings 
erst  ein  Jahrzehnt  später  erschien,  mit  dazu  beitrug,  in  dem  selbst 
vor  den  schwersten  Aufgaben  nicht  zurückschreckenden  Geist«' 
d«-s  A mos, den  Enteehluss  n'if«m  zu  lassen,  «'inen  Thesaurus  d«r 
böhmischen  Sprache  zu  schreiben,  d«-r  ein  vollständiges  Lexikon, 
eine  genaue  Grammatik,  sowie  die  Eh-gantias  und  Emphase*  der 
Idiotismen  und  die  Adagia  umfassen  sollt«',  —  <>in  Entsehluss, 
der  nach  C«»menius'  eigner  Angabe  s«*hnn  in  Herborn  gefasst  wurde. 

Wenn,  wie  anzunehmen  ist,  Ilermannus  in  di<-  Fusstapfin 
seines  Vorgängers  Wilhelm  /epp«T  getn*ten  war,  so  widmet«*  <>r 
auch  dem  Schulwesen  eingehend«'  Aufmerksamkeit,  wozu  er  als 
Inspektor  <1<t  H«'rborn«T  I>iöz«*s«'  auch  fint»  ausser«'  Nötigung  fand. 
S«-it  Wilhelm  il<T  Reiche  1580  in  den  nassauischen  I^andcn  «Ii«' 
R«'fonnation  eing«'führt  hatte,  war  die  Besserung  des  Schulwesens 


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1891. 


Cnmenins*  ^tnnirnzeil  in  Herhorn. 


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eine  der  Ijebensnufgabcn  dieses  Fürsten  geworden,  du  er  in  ilun 
eine  der  Hauptgrundsäulen  der  Kirehe  und  einen  wahrhaft  religiös- 
sittlichen  Lebens  sah.  Die  Visitationsordnung  des  Graten  Johann 
de«  Alteren  bestimmte  daher  geradezu:  „Die  Befehlshaber  und 
Superintendenten  sollen  in  alle  Städte,  Kleeken  und  Dörfer  selbst 
reisen  und  unter  anderem  aueh  die  Schulen  besichtigen"  (vgl. 
('.  W.  I^orsbaeh,  Beitr.  zur  (ieseh.  d.  ehemaligen  lat.  Schule  zu 
Siegen,  Progr.,  Siegen  1849,  9).  Für  den  praktischen  Theologen  in 
Herborn  war  es  mithin  Pflicht,  aueh  pädagogische  Fragen  in  den 
Bereich  seiner  Vorlesungen  zu  ziehen,  und  Zopper  unterliess  es 
nicht,  in  dem  Werke  De  politia  eeclesiastica,  in  dem  er  „das  Bild 
einer  nach  dem  Worte  Gottes  verfasston  Kirche  in  sehr  an- 
sprechender und  beherzigenswerter  Weise"  ausführte,  auch  das 
Schulwesen  eingehend  m  behandeln.  Möglich  ist  es,  dass  des 
Comenius  Bekanntschaft  mit  den  Plänen  des  Hatiehius  durch 
Hormannus'  Vorlesungen  vermittelt  wurde. 

Ein  sicheres  Zeugnis  für  bleibende  Einwirkung  liegt  aber 
nur  für  den  edlen,  tiefgelehrton  und  in  mancher  Prüfung  be- 
währten Johannes  Piscator  vor;  auf  ihn  führt  Comenius  seine 
chiliastischen  Anschauungen  zurück.  Die  jungen  Böhmen  und 
Mähren  seheinen  sich  ihm  besonders  eng  angeschlossen  zu  haben, 
von  Comenius  Freunde  Matthaeus  Titus  wurden  zwei  Disputationen 
unter  seinem  Vorsitz  abgehalten,  ausserdem  je  eine  von  Elias 
Aeontius  Trebiensis  Moravus,  Jacobus  Junior  Petrozelinus  e  Marco- 
mannis  Budvicenus  und  Johannes  Philemou  Lovosicenus  Bohemus 
(vgl.  v.  d.  Linde  a.  ().  151:$,  1514,  1411,  14K;{,  14S4).  Über- 
haupt war  ja  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  17.  Jahrhunderts 
gerade  Piscator  der  Hauptanziehungspunkt  für  die  in  Herborn 
studierenden  Jünglinge,  mit  dem  der  Ruhm  der  Schule  aufs  engste 
verknüpft  war. 

Dunkburen  Herzens  hat  Comenius  Zeit  seines  I^cbcns  die 
reichen  Anregungen  anerkannt,  die  er  in  dem  unscheinbaren 
Städtchen  an  der  Dill  empfangen  hatte.  Unbewusst  hat  er  die 
oft  ausgesprochene  Dankbarkeit  aueh  bethatigen  können.  IGöl 
erschienen  in  Herborn  „apud  haeredes  Christophori  Corvini"  die 
Uudimenta  Grammatieae  Latinae  Philippo- Hamaeae :  nna  cum 
Vestibulo  Joan.  Arnos  Comenii  (vgl.  v.  d.  Linde  u.  ().  1009), 
ofl'ciibar  für  den  Unterricht  am  Pädagogium  bestimmt.  So  kamen 
die  Verbesserungen  des  I^'hrbetriebs,  zu  denen  Comenius  einst 


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92 


Nel»c. 


Heft  2  u. 


selbst  in  Horborn  angespornt  worden  war,  nach  Jahren  <len  dortigen 
Anstalten  wieder  zu  gute.  Wohl  mochten  Schüler  und  Lehrer 
nicht  ahnen,  dass  der  Verfasser  des  Büchleins  einst  in  den  engen 
Mauern  der  Stadt  geweilt  hatte,  um  reiche  Wissensschatze  ein- 
zusammeln, die  er  zum  Wohle  der  gesamten  Menschheit  und  auch 
zum  Ruhme  der  Hcrborncr  Schule  verwendete:  aber  für  uns  bleibt 
es  ein  eigentümlich  anmutender  Gedanke,  dass  an  der  Statt*',  wo 
sich  Comenius  gebildet  hatte,  er  andere  bilden  half. 

Zum  Schluss  mögen  die  Titel,  Widmungen  und  Gedichte 
der  beiden  Disputationsschriften  folgen: 

Titel  der  Schrift  vom  Jahre  1  b'  1 2 : 
Zbv  Tfj  ror  f)eov  ankauft 

Rroblemata  haee  miseellanea,  fretus  auxilio  et  patrocinio 
clarissimi  viri,  Dn.  M.  Henri  ei  Gutberlethi,  in  inclvto  in- 
elvtorum  ac  generosiss.  Comitum  Xassoviomm  Athenaco  Herbor- 
nensi  Logiees  et  Phvsiees  Professoris  ordinarii,  IVaeeeptoris  sui 
honorandi,  publicitus  veritatis  lance  pensiculandum  studiosis  off  ort 

Johannes  Arnos  Marcoman  no-Niwniczenus. 

Lud-  Vives  lib.  I.  de  causs.  com  art.  Xulla  est  tarn  facilis 
aut  humilis  ars,  in  qua  non  infinita  occultantur,  quae  niulta  acuta 
ingenia  diutissima  exereere  possunt, 

Ilerbornao  Nassoviorum,  Ex  officina  tvpographica  Christo- 
phori  Corvini  MDCXII. 

W  i  <1  m  u  n  g. 

Magnifica  strenuitate,  generis  et  natalium  sj)lendore  nobilissiinis 
dominis,  Stanislao  et  Andreae  Jahodinskym  de  Matezc, 
cquitibiis  l'olonis  etc.  fratribus  gerinanis  ut  et  viro  cruditione  solida, 
humauitate  eximia,  rerum<jne  usus  experientia  praestantissimn, 
Dn.  Danieli  Breslero  Dantiscano,  illorum  ephoro  meritissimo, 
dignissimo:  Dominis,  Ainieis,  et  Factoribus  suis  peramanter  colendis 
in  perpetnum  observantiae  et  amoris  uaiiTi'otov,  L.  M.  Q.  (lubens 
nn-rito(jiie)  inseribit  et  dedieat  Author  et  Respondens. 

l'raeclaro,  o  juvones,  virtntum  nomine  clari 

Quosquc  ornat  vcrue  nohilitatis  honos. 
Kn  vobis  nun  Musa  ofterf,  quae,  inunera  mentis, 

()  utiiiam  ve*tri«  digna  fim-nt  meriti*. 
At  mihi  cum  desint  dona  aurea,  chnrteiun  honorN 

Signum  et  piT|)<-tui  W  mumi>  amoris  »rit. 


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1891. 


Comeniti*'  Studienzeit  in  Herborn. 


9:i 


Sed  peto,  non  donum,  a*t  menUmt  fqicctatc  ferontis, 
Vile  ilhul:  vestro  haoc  digna  favorc  venit. 

Sumite  jam  donum  hoc  et  laoto  sumite  vultn, 
Quurn  vires  «li^irit,  saltem  animus  placeat. 

Gutberloths  Gedicht  auf  Arnos. 

Praoscs  ad  Du.  Respondentem. 

Hiuuanain  sophiam  t  um  sacrae  jüngere  |»ergi«, 

Pu  lehnt  paras  anirno  munera,  Amoso,  tuo. 
Quill  mclin«  vera  sophia  suh  solo?  quid,  inquam, 

Nobilins?  vol  quid  dignius  esse  polest? 
E  mundo  sophiam  qui  tollit,  Imnini*  expers 

In  densis  tenebris  palputat  illo  minor. 
Ergo  noster  Arnos  reite  sibi  consulit,  omni* 

In  sophia  Studium  dum  po*uis*e  juvat. 

Heinricli  Pithans  (icdicht  auf  Arnos. 

Ad  lnorum  suavitato  ot  eruditionis  splendore  ornatiss.  Dn. 
Kospondontem  ainieum  et  conunensalem  cxopüitissiinuni. 
Si  quem  eonimendat  pietas,  doetrina,  fidesque: 
Coiumondandus  orit  comprimis  noster  Aniosiis. 
Si  quem  eondeeorat  sineerum  poetn*,  et  ardens 
In  Uteri*  Studium,  laudalque  inodestia  grata: 
Non  erit  immerito  celohrandiis  noster  Amosus. 
Hino  te  eoiumondo:  dignis  hinc  laudibu.«  orno: 
Ilinc  et  amicitiao  connecto  vineula  nostrae. 
Fiu-  maneas  talis  mihi,  qualis,  aiuicc,  f n ist i : 
Hm-  eg.»  sincero  promitto  eonle  vicissim. 

Ap|)onebat  (fikiac  trrxu 

Henricus  Pilhan  Nassovius. 

Titel  der  Schrift  vom  Jahre  Kilo*. 
Sylloge  ijiiaestionuin  controversarum  e  Philosophiae  viridario 
dopmmptaruni :  Pro  quamm  veritate  sub  clypoo  doctiss.  viri 
Johannis  Ilenrici  Alstedi,  Philosophiae  in  inoluto  Naxsovi- 
oruni  Lyceo  Profossoris  solcrtissimi,  Praeeeptoris  sui  eharissimi, 
lmiltuniquo  honorandi,  in  pnhlico  philosophantium  acroaterio  pug- 
nabit 

Johannes  Arnos,  e  Marcomannis  Xiwnicenus. 

Ad  quam  pugnam  omnes  sanioris  Philosophiae  eastra  seijucntes 
perainanter  invitat 

Tov  rpiloaoyelv  av&iv  "jdiov  h  fi'uo. 
Herbornae  Xassoviorum,  CID  I.)  CXI1I. 

.\|<>nat»l»-fi<-  ,V  r  <  ..inriiiii"« ..    Mm  linft ,  7 


94 


Nebe, 


Heft  2  u.  3. 


Widmiin  g. 

Viro  revcrendo,  clarissimo,  Dn.  Johanni  Lanecio,  ecclesi- 
arum  orthodoxarum ,  quae  per  Moraviam,  Antistiti  gravissimo, 
dignissimo,  fuutori  benigno,  salutem  et  observantiam. 

En  tibi,  optimc  Maccenas,  grati  animi  Signum,  peq>etuae 
observantiae  monumentum.  Bencfactoribus  deberi  gratiam)  vctus 
ist  verbum.  Sed  tibi  quid  a  nie,  qui  ine  dudum,  (}ui  nunc  etiam 
promoves,  diJigis,  ornas,  et  in  futurum  quoque  studiis  meis  pro- 
spicis,  reddi  potcst?  Praeter  verba  nihil.  Non  nuda  tarnen  verba, 
sed  cum  verbis  animum,  et  sie  nie  ipsum  tibi  offero.  Exhibeo 
nunc  etiam  pagellas  hasce  philosophieas,  ingetüi  exercendi  gratia 
a  me  conscriptas :  ens  grati  animi  publicum  testem  exstare  volo. 
Demitte  ergo  te,  magne  Maccenas,  et  hoc  quiequid  est  muneris, 
manu  benevola  aeeipe;  sed  non  nisi  ut  pignus,  ut  certi  obsequii 
arrham.  Me  etiam  in  posterum  provehere,  studia  mea  animare,  et 
currendi  addere  calcar  ne  desiste.  Sic  te  duleissima  cum  conjuge 
Hliaque  sospitet  aeterna  salus  Christus,  inque  suae  Ecclesiae  bonum 
et  nostrtim  solatium  Nestoreos  in  annos  conservet  »Sic  voveo 
et  opto. 

Tuae  qui  Reverentiae  observantiss. 

Johannes  Arnos. 

Alsteds  Gedicht  auf  Arnos. 

Iwdwtjs  "Eggtxo;  6  'AÄaiyAios   Aootori  noostfoivti   /ü>aif#   uo  A/itoi 
xarTodcvril  ugrtfl  ififievorxi  axovoif. 

AvTOJiauoQ  ßaoütvg  xgadiav  fieQÖxtooir  cdaixe 

diyaXeav  yXvxrgds  ^ovlvfta&tfftoavva?. 
"Öx/Jioc  iaa   ovta>i  apftiv  xttpüafitvoe  'Afia>s 

diyxodrjg  ylvxeoäi  ^ovivfia&Tjftoavrai. 
'flgaros  uoTcgöttt,  xai  yä  jiolvdaidaXog,  v&u>g, 

Meraero?  r'  amöv  vvxra  xai  ijftat)  fy«. 
'A/tuK,  torofia  atio  xat  wgavov  dvußodatr 
TIo6ooo>  yaQ  Kpdius  xav  Optra*  igaxdv. 

TSV  'EQßÖQvq  rovftqvia  'lavovagiov  hn 
rv  odgxov  oixorofiiac 

Titus'  Gedicht  auf  Arnos. 
Ad  pietate  et  eruditione  ornatiss.  juvenem,  Dn.  Johann  cm 
Arnos,  sympatriotam  et  amicum  conjunetissimum. 

Non  (juod  anicf«  Sophiam  mimm  c«t,  Amoae,  vemudam: 

Pulchrior  haee  Venen;  est,  digna  et  amore  tuo. 
Innumeroaque  suis  fruetu.«  eultoribus  adfert. 
Dum  redauiut  mirit*  nmdecoratque  uiodk 


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1894.  ("omeniua'  Studienzeit  in  Horboni.  95 

Place  quoque  te  redamat,  facit  ac,  ut  ameris  ab  Uli», 

A  quibu»  aswiduo  culta  labore  fnit. 
Haec  te  Lanetio  »tudiorum  sane  patrono 

No*trum  commendat  de  meliorc  nota. 
Hincquo  place»  alii»,  Htudii  qui  pignora  eernunt 

Oerta  tili,  toti  compicienda  scholac. 
Tc  complector  ob  hanc  ego  nee  minu»  ipsus  Am  ort? 

Magno,  do*i»tam  nee  memor  cs«e  tui. 
Tu  tSophiam  pergas  modo  condecorare  nitentem: 

Sic  collu»trabit  toque  nitore  »uo. 
Dona  tVac  VI  tat-  Contlngant  prospera  fatIM 

AnnVs  et  Is  faVste  (Vl)at  AMosc  tibi. 

Gratulabundu»  apponebat  Matthacu»  Titus  Moravu». 

Reiffenbcrgers  Gedicht  auf  Arnos. 

Sortilcgiu  Lycophrontica  Johanui  Arnos,  Juveni  insigniter 
litt-mto  et  venustate  monim  politissimo,  amico  unico  eharo,  amoris 
testüicandi  gratia  composita  a  Junto  Reif  f  enbergero  Xassovio. 

.Johannes  Arnos  Moravus,  AmyQaftfjuina9tk 

1.  Amas  Mnsas.  Inde  honor.  (v.  in  d.  verso.) 

2.  Ova:  orna«  ominc  Musas. 
Sit  laus,  ingenui»  artibu»  addero 
Linguarum  Studium,  quanta  decentium 
O  Arno«?  tibi  constat,  ut  arbitror, 
Iucundi**imc:  Sedulo 

Nam  conjungis  amico  quoque  foedere 

Linguarum  Studium  notitiac  artium, 

Imbutus  quibu»  es  non  »ine  gloria 

Et  cultu»  »atis  artibus. 

Hoc  nostrac  cathedrac  pulpita  non  negant, 

Kt  novere,  quibu»  mens  calet,  optima» 

Scrutari  et  variaa  res  studioeiu», 

Pracsentesque  docent  these», 

Sublime»  quibu»  in  re»  »crupulooius 

Indaga»,  nitido  et  commemora*  »tvlo, 

Quae  multo»  alio»  latent. 

Macte  acri  studio  ac  ingenio  tuo, 

O  Amosc,  quod  inquirit  in  ardua 

Reruni;  te  juvenem  sie  comitabitur 

Non  vili»  sed  Honos  deinen»: 

Munas  quandoquidem  (nomine  proprio 

Sic  to*tante)  sacra»  promptu»  ovausque  ama». 

Ae  orna»  Claria»  ominc  nominis; 

(JaunV  vi  lactns  ob  hoc  ovn. 


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Johannes  Bündeiiin  von  Linz.'» 


Eint*  Besprechung  von 
J.  Loserth, 

l'niv.-rrt.fesNor  in  (im. 


Dr.  Alexander  Nieoladoni  in  Linz  hat  das  vorliegend«« 
Buch  allen  denen  /um  Dank  geschrieben,  die  sich  über  die*  Anfange 
der  Reformation  in  Oberöstcrreieh  eingehender  zu  belehren  wünschen, 
und  da  man  bisher  ülwr  die  Wirksamkeit  Bündcrlins  und  über  die 
Entstehung  der  oberösterreiehisehen  Täuferbewegung  von  den 
Arbeiten  Becks  und  /um  Teil  auch  .läckels  abgesehen  kaum 
etwas  Ausreichendes  wusste,  so  werden  auch  die  Faehgenossen  das 
Buch  willkommen  heissen.  Schon  die  in  der  zweiten  Hälfte  mit- 
geteilten Aktenstücke  bringen  nach  mehreren  Seiten  hin  Belehrung. 
In  ihrer  Mitteilung  liegt  vornehmlich  der  W  ert  der  Nicoladonischen 
Arbeit.  Indem  ich  «leren  Verdienste  willig  anerkenne,  kann  ich 
nicht  verschweigen,  dass  ich  ihren  Standpunkt  nicht  ganz  zu  teilen 
vermag.  E*  scheint  mir  immer  noch  zu  gewagt,  das  Täufertum 
an  die  älteren,  dem  katholischen  Kirchcutiun  widerstrebenden  Rich- 
tungen in  dem  Sinn«'  anzuknüpfen,  als  wären  sie  einfach  eine 
Fortsetzung  dieser.  Zu  verkennen  ist  ja  nicht,  dass  an  einem  und 
dem  anderen  Orte  alte  Strömungen  mit  den  neuen  zusammen- 
flössen, aber  verallgemeinern  darf  man  da  nicht.  Es  kommt  ge- 
legentlich der  Fall  vor,  dass  die  älter«4  Oppositionspartei  sich  in 
hewusstem  Gegensatz  zu  allen  kommenden  Neuerungen  hält.  Und 
dann,  nirgends  ist  das  Täufertum  tiefer  ins  Volk  gedrungen,  als 
in  Tirol,  w«>  man  von  alten  Oppositionsparteien  bisher  noch  nichts 
entd«'ckt  hat.  Ein  anderer  l .'beistand  li«gt  meiner  Ansicht  nach 
in  der  Abgränzung  «les  Stoffes  überhaupt.  Di«'  Täuferbewegung 
iu  Oberösterreich  lässt  sich  nicht  gut  von  der  in  den  anderen 
Ländern  Österreichs  abtrennen;  si«-  gehört  vielmehr  als  ein  Teil 
zu  diesem  Ganzen;  «*rst  wenn  sie  in  s« »Icher  Weise  dargestellt 
wird,  erscheint  manches  jetzt  noch  Dunkle  hell  und  deutlich.  Erst 


')  A.  Nicoladon i,  Johanne»  Btindi'rlin  von  Linz  und  «lie  oberöster- 
reiehisehen Tiiufergoiueintkn  in  den  Jahren  ir»L'."»  -1. ">:',].  Berlin  1S»»:{.  tiürtiier» 
Verlagsbuchhandlung. 


18!>1. 


I»*erili,  .!ohiuuir>  ltiindcrlin  von  Linz. 


!>7 


dann  nicht  man,  dann,  was  hier  geleugnet  wird,  die  < »beröster- 
reiehische  Bewegung  mindestens  mittelbar  mit  der  in  Oberdeutseh- 
land  beziehungsweise  der  Schwei/  zusammenhängt.  Stand  ja  doch 
der  vornehmste  Dogmatiker  der  Partei  leilv-  und  lebhaft  im  Kampfe 
mit  Zwingli  selbst,  und  sind  die  spateren  Ijchrsätze  zum  grossen 
Teil  eine  Frucht  dieser  Kämpf«'  gewesen.  Endlich  finde  ich  eine 
Anzahl  verein/elter  Irrtümer;  leider  bin  ich  nicht  in  der  U»ge, 
über  sie  förmlich  Buch  zu  fuhren  und  Rede  zu  stehen,  da  es  mir 
hier  in  Rom  an  den  allcrnotwcndigsten  Behelfen  fehlt  und  ich  mich 
da,  wo  ich  einzelnes  vorbringe,  auf  mein  (iedäehtnis  verlassen  muss. 

Doch  zunächst  einiges  über  den  Inhalt:  Wie  billig,  geht  der 
Verfasser  zunächst  auf  die  Anfänge  Bünderlins  ein,  behandelt 
dessen  Namen  in  den  verschiedenartigen  Fassungen  und  schildert, 
soweit  dies  überhaupt  möglich  ist,  Bünderlins  Studien  in  Wien. 
Die  Hochschule  hatte  hier  durch  die  Bemühungen  Maximilians  I. 
einen  mächtigen  Aufschwung  genommen,  der  freilich  nicht  anhielt. 
Als  Maximilian  starb,  dasselbe  Jahr,  da  Bünderlin  aus  Wien  ab- 
zog, trat  ein  Rückgang  ein.  Bünderlins  Studien  dürften  kaum 
gelehrte  Zwecke  verfolgt  haben:  Wir  finden,  dass  er  niemals  die 
Doktorwürde  erlangt  hat.  Ob  er  dann,  wie  Nicoladoni  meint,  seit 
lf>H>  als  fahrender  Scholar  in  Oberösterreich  herumzog,  ist  freilich 
nicht  sieher.  Gewiss  ist,  dass  wir  ihn  152b"  im  Lande  treffen. 
Hier  hatte  die  neue  Richtung  allerorten  Wurzel  geschlagen:  in 
den  Schlössern  des  Adels,  den  Mäusern  der  Binger  und  nicht  am 
wenigsten  in  den  Hütten  der  Bauern.  Bald  sah  man  unter  diesen 
die  ernsten  Gestalten  einhergehen,  die  durch  eigentümliche  Gruss- 
und  sonstige  Zeichen  vor  den  übrigen  auffielen  -  die  sogenannten 
Wiedertäufer  ,  denn  wie  in  Oberdeutschland,  so  erschien  auch 
hier  vielen  die  Tagesarbeit  eines  Luther  und  Zwingli  nur  als 
Stückwerk.  Man  müsse  dem  Volk  die  Bibel  in  die  Hand  geben 
und  ein  Leben  wie  das  der  Christen  in  den  Zeiten  der  ersten 
Kirche  beginnen.  Was  Häusscr  einstens  irrtümlicher  Weise  von 
Zwingli  gesagt  hat,  da  wo  er  den  Gegensatz  zwischen  diesem  und 
Luther  heraushebt:  Zwingli  verwerfe  alles  das,  was  sich  nicht  auf 
die  Bibel  stützen  und  aus  ihr  erweisen  lässt,  das  gilt  in  Wahrheit 
von  den  sog.  Wiedertäufern.  Hie  Schrift,  Hie  Schrift,  ruft  Zwingli 
höhnend  ihnen  zu  und  wurde  zu  einem  Verteidiger  der  Kinder- 
taufc,  von  der  die  Bibel  ausdrücklich  nichts  erwähnt.  Diese 
Partei  gewann  in  allen  deutschen  landen  mächtig  an  Boden. 
Die  Spättaufe  war  ihnen  nicht  der  Endzweck,  sondern  nur  das 
Bundeszeichcn  und  das  Mittel,  um  diesen  Endzweck,  nämlich  die 
Herstellung  der  alten  Kirche,  zu  erreichen.  Wie  die  Apostel,  so 
ziehen  nun  ihre  Sendboten  aus,  und  so  entstehen  in  Steyer  und 
Frei stadt,  Linz  und  Wel>,  Enns  und  Gallneukirehen, 
Guiunden  und  Grein,  Perg  und  Lembach  kleine  Gemeinden, 
über  die  der  Verfasser  schätzenswerte  Mitteilungen  beibringt.  Dann 


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ns 


Ivoserth, 


Heft  2  u.  H. 


trat  die  schwere  Verfolgung  der  Jahre  1527  und  1528  ein.  Bün- 
derlin  tritt  verhältnismässig  wenig  hervor.  Wir  finden  ihn  in 
Augsburg,  begleiten  ihn  nach  Nikolsburg,  wo  er  auf  Huts  Seite 
gegen  Hubmaier  stand;  dann  zog  er  nach  Strasburg;  von  dort  - 
ausgewiesen  —  ging  er  nach  Constanz.  Über  seine  letzten  Schick- 
sale ist  nichts  Näheres  bekannt 

Am  eingehendsten  hat  der  Verfasser  die  litterarische  Wirk- 
samkeit Bünderlins  behandelt:  „Dessen  Gott  ist  der  Gott  der 
Mystiker,  ein  transcendentaler  Gott,  den  man  nicht  mit  den  Sinnen 
erschauen,  nicht  mit  dem  Verstände  erfassen  kann,  der  sich  aber 
der  Intuition,  dem  innersten  Herzensgefühl,  der  frommen  sehn- 
süchtigen Betrachtung  offenbart;  er  ist  das  All,  aus  dem  alles 
geflossen  ist,  das  alles  umfasst,  in  das  alles  zurückkehrt.  Die 
Gabe,  der  Gottheit  auf  intuitivem  Wege  inne  zu  werden,  sei  ur- 
sprünglich jedem  Menschen  eigen,  denn  er  ist  ja  ein  Teil  der 
Gottheit,  ihr  Wesen  lebt  auch  in  seinem"  etc.  In  dieser  Art 
zeichnet  der  Verfasser  die  Ideen  Bunderlins,  von  denen  er  dar- 
thut,  dass  durch  sie  Sebastian  Franck  ')  und  Theophrastus 
Paracelsus  angeregt  wurden.  Mehr  noch  find«'  ich  sie  in  den 
theologischen  Schriften  Ascher  harn  h  wieder. 

Im  einzelnen  finden  sich  einige  seltsame  Vorsehen  und 
Irrtümer.  Wie  kann  Hubmaier  vor  Ferdinands  I.  Verfolgungen 
in  Stoyer  in  Österreich  Schutz  gesucht  haben?  Da  wärt'  er  ja, 
man  erlaube  den  Ausdruck,  dem  Löwen  in  den  Rachen  gefallen. 
Hubmaier  weilt  nur  als  Durchreisender  in  Stoyer.  Seine  Absichten 
waren  auf  Mähren  gerichtet.  Dort  herrschte  bis  zur  Schlacht 
bei  Mohacs  Ferdinand  I.  noch  nicht,  und  dort  konnte  ein  „jeder 
unbehelligt  nach  seiner  Weise  seinem  Glauben  leben.  In  Öster- 
reich war  Hubmaier  immer  in  grosser  Gefahr  nicht  als  Tauf- 
gesinnter oder  als  Zwinglianer,  wofür  man  ihn  damals  noch  hielt, 
sondern  als  Rebell,  der  dem  Kaiser  die  Stadt  Waldshut,  wie  seine 
Feinde  sagton,  habe  abwendig  machen  wollen.  Dass  die  Ge- 
schichtsbücher so  wenig  von  Oberöstorreich  melden,  ist  ja  natür- 
lich: es  hoisst  ihre  Natur  verkennen,  wenn  man  übersieht,  dass 
sie  das  offizielle  Buch  nur  einer  Partei  der  Wiedertäufer  sind 
der  Hutcrischen  Brüder. 


')  Es  ist  ein  besonderes  Verdienst  Nicoladonis,  da.<s  er  fftr  den  geisti- 
gm  Zusammenhang  zwischen  Bfindcrlin  und  Seh.  Franck  zuerst  die  Beweise 
beigebracht  bat.  N.  druckt  einen  Teil  des  Briefe«  ab  iS.  I2li  ff.!,  den  Franek 
im  Jahre  1M1  an  Joh.  Campanus  geschrieben  hat,  au«  dem  sich  klar  ergiebt, 
wie  hoch  Franck  selbst  die  Bedeutung  Bunderlins  für  seine  eigne  Oeistcs- 
entwicklung  schützte.  Franck  nennt  den  Bünderlin  reinen  „Bruder  im 
Glauben."  Leider  enthält  der  Alxlruck  des  Briefes  viele  offenbare  Druck- 
fehler. Für  die  Würdigung  Francks  ist  damit  ein  wichtiger  neuer  Faktor 
gewonnen.  Die  Schriftleitung. 


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Johann«*  Hündcrlin  von  Linz.  00 

Die  Aktenstücke,  die  den  zweiten  Teil  den  Buehes  füllen, 
stummen  aus  dem  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchive,  den  Archiven 
des  Unterrichts-  und  Finanzministeriums,  den  l'assauer  Akten  des 
Münchener  Reichsarehivs,  dos  Nürnberger  Kreisarchivs  (Ansbaeher 
Akten),  den  Archiven  von  Steycr  und  Freistadt  und  dem  Stntt- 
haltcreiarchiv  in  Innsbruck. 

Rom,  am  2K.  November  1893. 

J.  Losorth. 


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B.  Litteraturbericht 


Wir  l>cahsiehtigeii,  ehe  wichtigeren  Erscheinungen  unseres  Forschungs- 
gebiets durch  kurze  Hinweise  an  dieser  Stelle  der  Aufmerksamkeit  unserer 
Ixser  zu  empfohlen  und  bitten  die  Herren  Verfasser  und  Verleger  um  Zu- 
wendung der  hierher  gehörigen  Litteratur. 


18.  „Das  deutsche  Kirchenlied  der  bö  h  m  i  s  c  h  e  n 
Brüder  im  XVI.  Jahrhunderte"  von  R.  Wolkan  (Prag,  A. 
Hmw,  1H91)  will  niu'hweisen,  da.*s  Michael  Weisse,  der  löUl  «las 
erst«;  Gesangbuch  der  deutsehen  Gemeinden  unter  den  böhmischen 
Brüdern  herausgab,  zugleich  auch  der  Verfasser  der  in  dein  Gesang- 
buche  von  1:V4-1  enthaltenen  Lieder  und  Job.  Horn,  der  Herausgeber 
dieser  neuen  Ausgabt',  aus  der  Reihe  deutscher  Liederdichter  zu 
streichen  sei,  und  «lass  die  Lieder  Weisses  mehr,  als  bisher  auf  Grand 
der  Angaben  des  Lissaer  Gesangbuchs  von  10!):i  angenommen  wurde, 
den  Anspruch  haben,  als  originelle  deutsche  Dichtungen  zu  gelten. 
Den  Schluss  dieser  Untersuchungen  bildet  ein  Verzeichnis  der  deut- 
schen Kirchenlieder  der  böhmischen  Brüder  mit  Angabe  jener  prote- 
stantischen Gesangbücher,  in  welche  jene  Aufnahm«-  gefunden  haben. 
Auffallend  ist  «lahei,  «lass  die  niederdeutschen  Gesangbücher  die 
Lanier  «ler  böhmischen  Brü«ler  besonders  bevorzugen.  Di«'  Schrift 
bat  den  B«'ifnll  katholischer  uml  protestantischer  Fachgenossen,  wie 
Baumker,  Kawerau,  Achelis  u.  a.  gefumlen;  nur  Truhlaf  w«n«l«'t 
sich  im  l'asopi*  eeskeho  inusea  1*91  (p.  ">27 — "»:J2)  gegen  ehe  Aus- 
führungen  des  V«»rfassers,  namentlich  in  «ler  Abhängigkeitsfrag«-  «ler 
«leutscheu  Lieilcr  von  «Ion  tschechischen,  ohu«-  wirklich  sachliche 
Gegengriindc  vorzubringen.  Wie  wir  hören,  wir«l  W«dkan  in  citn'in 
demnächst  ers«'hein«'nden  Buche:  „G«'schieht«'  «ler  «leutscheu  Litteratur 
Böhmens  bis  zum  Ausgange  des  XVI.  Jahrhundert.*"  g«gen  Truhlaf 
»Stellung  nehmen  und  die  Frage  neuerdings  erörtern. 

14.  Wichtig  für  die  Frag««,  ob  «Ii«1  «leutscheu  Kir»'henli««ler  «ler 
böhmischen  Brü<l«T  Übers«'tzunge»i  aus  dem  Tschechischen  sind,  ist 
«Ii«'  Untersuchung  Müllers,  «lie  «lers«lbe  im  „Dictionary  of  Hvmno- 
logy,  edite«!  by  J.  Julian"  (I^onelon,  John  Murray  1892)  veröffentlicht 
hat;  sie  giebt  zunächst  eine  kurze*  Übersicht  «ler  Geschichte  eler 
iKibinischen  Brüder  bis  zum  Jahre  11)21,  verz«>ichn«'t  «Ii«-  «h'Utscben 
und  tschechischen  Gesangbücbe>r  eler  Bri'nlcrge'meinden  vom  Jahr«'  1501 
bis  1039  und  ende  t  mit  «'iner  Wrgleichung  der  «leutscheu  G«'snng- 


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1S«M. 


Litterutnrherkht. 


101 


hüchcr  mit  don  tschechischen.  Unabhängig  von  Wölkau  kommt  der 
Verfasser  zu  dem  Ergebnis,  dass  in  Weisses  Gesangbuch  nur 
12  Lieder  sich  finden,  die  als  Übertragungen  bezeichnet  werden 
können,  wobei  es  oft  schwer,  ja  unmöglich  ist,  zu  entscheiden,  ob 
Weisse  direkt  das  tschechische  oder  da*  auch  dem  tschechischen  Liede 
zu  Grunde  liegende  lateinische  Original  übersetzt  habe;  in  dem 
Hornschen  Gesangbuche  von  1544  finden  sich  nur  7  Lieder,  die  als 
Übertragungen  betrachtet  werden  können,  während  das  grosse  Gesang- 
buch von  1  öOO  07  Lieder  aufweist,  die  in  eine  Parallele  zu  tschechi- 
schen oder  lateinischen  Kirchenliedern  gebellt  werden  können. 

W. 

15.  Eine  Übersicht  fiber  die  Geschichte  der  böhmischen  Brüder 
giebt  O.  Barkhardt  im  ersten  Teile  seines  Buches:  Die  Brüder- 
gemeine  (Gnadau,  Unitüts-Buchhdlg.  1803,  Preis  2  M.),  da*  sich  als 
S.  Auflage  der  zuerst  1774  erschienenen  „Kurzgefassten  Nachricht 
von  der  evangelischen  Brüder -Unität"  Itczcichuct.  Bei  dem  rein 
praktischen  Zwecke,  den  die  Schrift  verfolgt,  und  dem  geringen 
Seitenausmass,  welches  der  älteren  Geschichte  der  Brüdergemeinden 
zugedacht  ist,  dürfen  wir  darüber  hinwegsehen,  wenn  manche  neueren 
Forschungen  wenig  beachtet  sind  und  auf  die  Darstellung  wichtiger 
Abschnitte  in  der  Lehre  der  böhmischen  Brüder,  wie  der  Abend- 
nmhlslehre,  ganz  verzichtet  wird.  In  den  Kreisen  der  heutigen 
Brüdergemeinde  wird  die  Übersicht  das  Interesse  für  die  „alte 
Unität",  wie  Burkhurdt  die  böhmischen  Brüder  im  Gegensatz  zu  der 
seit  1722  entstandenen  heutigen  Unität  nennt,  hoffentlich  von  neuem 
anregen.  Das  Archiv  der  Unität  in  Hermhut  besitzt  viele  wichtige 
Aktenstücke,  die,  wie  wir  hoffen,  allmählich  zur  Veröffentlichung 
gelungen  werden.  W.  und  K. 

lti.  A  fonnularv  of  the  papal  penitentiarv  in  the  thirteenth 
eenturv.  Edited  bv  Henry  Charles  Lea»  LL.  I).  Philadelphia,  Lea 
Bmthcrs  and  Co."  1802.  8°  XXXVIII  und  1S-*  SS.  Der  Ver- 
fasser hat  Recht,  wenn  er  in  der  Vorrede  bemerkt,  das*  ihm  wenige 
mittelalterliche  Dokumente  begegnet  seien,  die  in  so  mancher  Beziehung 
unterrichtend  sind  wie  dieses.  Es  ist  eine  Smnmlung  von  :{">8  päpst- 
lichen Entscheidungen  in  Rechtsfällen  der  verschiedensten  Art.  die 
uns  nicht  nur  einen  Blick  in  die  rechtlichen  und  sittlichen  An- 
schauungen und  die  Kulturzustände  des  1 Jahrhunderts,  sondern 
auch  in  die  Mittel  und  Wege  bieten,  mit  denen  die  Curie  die  von 
ihr  erworbene  Machtstellung  zu  sichern  suchte.  Das  Buch  enthält 
(S.  50  ff.)  einige  Abschnitte,  die  auch  für  die  Geschichte  der  In- 
quisition wichtig  sind.  Eine  ausführliche  Einleitung  des  Herausgebers 
erleichtert  die  Benutzung. 

17.  Das  Umfassendste,  was  bislang  über  Ix>renzo  Valla  ge- 
sehrieben, war  Poggialis  „Memorie  intorno  alla  vita  e  agli  seritfi  di 
Iyorenzo  della  Valle.  Piacenza  1700".  In  neuerer  Zeit  hatten  vor 
allen  Vahlens  epochemachende  Untersuchungen  wertvolle  Ergänzungen 


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1<>2  Littoratmben'cht.  lieft.  2  U.  .'i. 

geliefert.  Gegenwärtig  liegt  »-in«'  zusammenfassende  Arbeit  von  Max 
von  Wolff  vor:  „Lorcnzo  Valla.  Sein  Leben  und  seine 
Werke.  Eine  Studie  zur  Literaturgeschichte  Italiens 
im  XV.  Jahrhundert.  Leipzig,  Seemann  1893."  Valla  war 
ausgezeichnet  als  Philolog,  Philosoph  und  Kritiker.  Uns  interessiert 
er  in  den  beiden  letztgenannten  Eigenschaften  als  „einer  der  ersten 
und  kühnsten  Pioniere  des  modernen  Geistes  in  der  Wildnis  des 
sinkenden  Mittelalters",  der  in  seiner  Schrift  über  die  Lust  den 
offensten  Naturalismus  gepredigt,  im  Dialoge  über  die  Freiheit  des 
Willens  der  mittelalterlichen  Dogniatik  ins  Gesieht  geschlagen  und  in 
der  bekannten  Kritik  der  Constantinisehen  Sehenkungsurkunde  durch 
die  aus  iler  Nichtigkeit  des  Schriftstücks  gegen  die  Hierarchie  über- 
haupt gezogenen  Folgerungen  in  nicht  geringem  Masse  der  Reforma- 
tion den  Weg  zu  bahnen  geholfen  hat.  Die  jüngste  italienische  Valla- 
Litteratur,  namentlich  Mancinis  „Vita  di  Lorenzo  Valla.  Firenze  1892", 
hat  Wolff  leider  nicht  mehr  benutzt.  B. 

18.  Auf  Anregung  unseres  leider  zu  früh  für  unsere  Gesell- 
schaft verstorbenen  Diplom-Mitgliedes,  Prof.  Dr.  A.  v.  Kluekhohn  in 
Göttingen,  hat  Dr.  Georg  Ladewig  die  Politik  Nürnbergs  im 
Zeitalter  der  Reformation  (von  1520  —  1584)  einer  neuen 
Untersuchung  unterzogen  (Göttingen,  Vandenhoeck  und  Ruprecht  1803). 
Es  kommt  dem  Verfasser  vornehmlich,  wie  der  Titel  besagt,  auf  die 
Haltung  an,  die  die  Stadtregierung  in  den  politischen  Händeln  jener 
Zeit  zu  den  Nach  harn  und  den  grösseren  Mächten  eingenommen  hat; 
immerhin  kann  der  Verfasser  nicht  umhin,  auch  die  religiösen  Be- 
wegungen in  der  Stadt  wenigstens  zu  streifen  und  da  Nürnberg 
längere  Zeit  auch  ein  Sitz  der  religiösen  Volksbewegungen  war,  die 
zum  Forschungsgebiet  unserer  Gesellschaft  gehören,  so  wollen  wir 
die  Aufmerksamkeit  unserer  Leser  auf  diese  sorgfältige  Arbeit  und 
auf  die  massvolle  und  unparteiische  Darlegung  der  betreffenden 
Strömungen  lenken.  Sehr  richtig  bemerkt  der  Verfasser,  dass  sich 
die  Stadtregicrung  als  Vertreterin  des  strengsten  Luthertums  be- 
trachtete und  dass  ihr  die  Reformierten  für  nicht  besser  als  Wieder- 
täufer und  Sektirer  galten;  gleichwohl  hielten  sich  Nachwirkungen 
aus  der  vorreformatorischen  religiösen  Bewegung  sehr  lange  in  Nürn- 
berg und  im  17.  Jahrhundert  waren  die  Zweifel,  die  in  Wittenberg, 
J/eipzig  und  anderwärts  an  der  luth.  Rechtgläubigkeit  des  nürn- 
bergischen Ministeriums  auftauchten,  sehr  begründet.  Die  Männer, 
die  um  1524  das  Stadtregiment  leiteten  die  Seele  aller  Mass- 
regeln war  der  Ratsschreiber  Lazarus  Spengler  —  haben  auf  die 
religiöse  Entwicklung  nicht  nur  Nürnbergs,  sondern  ganz  Oberdeutsch - 
lands  einen  grossen  Einfluss  ausgeübt.  K. 

19.  In  einer  Haller  Doktor- Dissertation  behandelt  Edwin 
Tausch  „Sebastian  Pranck  von  Donauwörth  und  seine  Lehrer" 

(Verlag  von  Mayer  u.  Müller  in  Berlin  l S93.  Preis  1.50).  Tausch 
weist  mit  Recht  nachdrücklich  auf  die  Verwandtschaft  Francks  mit 


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1894. 


Litternturberieht. 


loa 


dem  Gedankenkreiso  der  Humanisten  hin,  wobei  freilich  die  Frage 
offen  bleibt,  ob  Franek  von  den  Humanisten  abhängig  ist;  ebenso 
nachdrücklich  betont  Tausch  aber  auch  die  Ideengemeinschaft  Francks 
mit  den  deutsehen  Mystikern,  mit  Tau ler,  Staupitz,  und  der 
deut  sollen  Theologie;  auch  die  Zeitgenossen  Denek,  En tf eider 
und  andere  sind  nach  Tauseh  nicht  zu  übersehen.  Die  Bedeutung 
Bünderlins  als  Lehrer  Francks  (s.  oben  S.  90  ff.)  hat  Tausch  noch 
nicht  hinreichend  hervorgehoben.  Wir  ersehen  aus  der  der  Schrift 
boigogeboiicn  Nachricht,  dass  Herr  Dr.  Tausch  ein  grösseres  Werk 
über  die*  religiöse  Weltanschauung  der  Reformation  vorbereitet.  K. 

20.  Vor  kurzem  hat  Dr.  Joseph  Beber,  Direktor  der  höheren 
weibl.  Bildungs-Anstalt  in  A  schaffen  bürg,  einen  Beitrag  zur  Comenius- 
Litteratur  veröffentlicht  unter  dem  Titel:  Dos  Johann  Arnos  Co- 
menius  .Sitten Vorschriften  für  die  Schule  zu  Saros-Patak, 
mit  einem  einleitenden  Berichte  über  des  Comenius  Thätigkeit  in  Un- 
garn vom  Jahre  1050  -1054  ( Asohaffenburg,  Wailandtsche  Druckeroi 
Akt.-Gesellsohaft  1893.  11  SS.  8°.  Preis  00  Pf.).  Die  Schrift  ent- 
hält eine  Ausgabe  und  eine  wohlgelungene  deutsche  Übersetzung 
der  Praecepta  inorum  in  usum  juventutis  eolleota,  die  in  der  Amster- 
damer Ausgabe  von  1057  abgedruckt  sind,  und  die  Comenius  während 
seines  Aufenthalts  in  Ungarn  im  Jahre  1053  verfasst  hat.  Die  Ein- 
leitung (S.  1  —  19)  zeigt  uns  in  Reber  einen  in  der  Comenius-Litteratur 
wohl  bewanderten  Gelehrten,  dessen  Name,  wie  wir  hoffen,  auf  fliesein 
Gebiete  von  uns  nicht  zum  letzten  Mal  erwähnt  wird.  K. 

21.  Valentin  Andrea  ward  von  den  Zeitgenossen,  die  sieh  im 
Besitz  des  rechton  Glauhms  wussten,  vielfach  und  nachdrücklich  der 
Heterodoxie  beschuldigt.  Er  hielt  es  für  notwendig,  sich  in  einer 
besonderen  Schrift  gegen  diese  in  jener  Zeit  äusserst  gefährliche 
Anklage  zu  verwahren  und  schrieb  im  Jahre  1022  eine  Schrift 
Theophilus,  seil  de  Christiana  Religione  sanetius  eolonda,  Vita  tom- 
perantius  instituenda,  et  Literatura  rationahilius  docenda  Consilium. 
Erwägungen  verschiedener  Art  bestimmten  ihn,  die  Drucklegung  hin- 
auszuschieben und  die  Abhandlung  zunächst  handschriftlich  näheren 
Freunden  mitzuteilen.  Da  geschah  es,  dass  das  eigne  Exemplar  dem 
Verfasser  hei  dem  Brand  von  Calw  verloren  ging,  so  dass  er  wähnte, 
das  Büchlein  sei  ganz  verloren.  Da  brachte  ihm  um  das  Jahr  1015 
(genauer  zwischen  1042—1049)  sein  Freund  Magnus  Hesenthaler 
(vgl.  über  ihn  M.H.  der  CG.  1892  S.  237  ff.)  ein  Exemplar  dos 
Theophilus  von  einer  Reise  mit;  der  Besitzer  war  kein  nnderer  als 
Comenius  gewesen.  (Näheres  bei  Hülle  mann,  Val.  Andreae  als 
Pädagog,  Teil  II,  Leipzig  1893,  S.  8.)  K. 

22.  In  der  „Ztseh.  für  die  Geschichte  des  Oborrheins"  Bd.  47  (Jahrg. 
1893)  Heft  1  bringt  Fr.  v.  Weech  einen  Aufsatz  über  die  Erziehung 
der  Kinder  dos  Kurfürston  Karl  Ludwig  von  der  Pfalz;  o*  finden 
sich  darin  die  ausführlichen  Anweisungen,  die  der  Kurfürst  den  Er- 


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1o4 


Littcraturltcrictit. 


Heft  L>  ii.  :?. 


zichcrn  im« I  Erzieherinnen  -t  iix-r  ht'idt-n  Kinder.  «le>  Kurprinzen  Kail 
imil  der  Prinzessin  Elisabeth  Charlotte  (der  berühmten  Liselotte),  in 
«len  Jahren  lfiaT  — 106S  erteilte.  Kiner  »ler  Kr/.ieher  war  Ezechiel 
Spanheini  (r  1710),  der  als  Diplomat  und  Gelehrter  bekannt  genug 
ist  (s.  über  ihn  den  Aufsatz  von  H.  v.  Petersdorf  in  der  A.  I).  B. 
35,  50  ff.).  K. 

23.  Wie  eine  Fortsetzung  und  Weiterführung  des  (unter  Nr.  3) 
besprochenen  Aufsatzes  liest  sich  die  Abhandlung,  die  Dilthey  unter 
dein  Titel:  „Das  natürliche  System  der  Geisteswissenschaften 
im  siebzehnten  Jahrhundert"  in  Steins  Archiv  f.  Gesch.  d.  Philo- 
sophie V.  (1892),  4 SO  502  veröffentlicht  hat.  Dilthey  versteht  unter 
jenem  „natürlichen  System  der  Gcistcswisseiischaftei  ben  die  Denk- 
weise, wie  sie  in  Leibniz,  Grotius  und  anderen  lebendig  war,  mithin 
gerade  »las  System,  dessen  Vorkämpfer  und  Vertreter  für  unsere 
Gesellschaft  im  Mittelpunkt  des  Interesses  stehen.  „Bewundert  und 
viel  gescholten,"  sagt  Dillhey  S.  4SI.  ..ist  dies  System  doch  der  gross- 
artig«' Ausdruck  der  nunmehr  erreichten  Mündigkeit  des  menschlichen 
Geistes  in  Religion,  Recht  und  Staat."  „Wo  die  neue  Ordnung  «ler 
Dinge  zu  fester  Gestalt  hat  gebracht  werden  sollen,  v<m  der  Errich- 
tung der  selbständigen  niederländischen  Föderalion  bis  zur  Ausarbei- 
tung des  Lniidrcchts  Friedrichs  des  Grossen,  da  hat  es  mitgeholfen." 
E>  bestätigt,  nach  Dillhey,  «Ii»'  Macht,  «Ii«*  «ine  in  sich  geschlossene 
Weltanschauung  gewinnen  kann.  „Die  Abwendung  des  lu-utigcn 
Beamtentums  und  unserer  Bourgeoisie  von  «l«'ii  Ideen  und  ihrem 
philosophischen  Aus«lruck  mag  sich  so  vornehm  geber«len,  als  sie 
wolle:  si«'  ist  nicht  «in  Z<ich»'ii  des  Thatsacheiisiuns,  sondern  «l«r 
Geistesarmut:  nicht  nur  natunnächtige  Gefühl«-,  sond«'in  auch  ein 
geschlossenes  Gcdankcusystem  g«'b«-n  «ler  SoziaMeinokmtic  uiul  «h'in 
Ultramontanismus  vor  «l«  n  anilern  politischen  Kräften  unserer  Zeit  ihr 
Übergewicht."  Die  Schilderung  des  Ursprungs  «lieser  Weltanschau- 
ung, wie  sie  Dilthey  gieht,  ist  sehr  anziehend ;  wir  mach«-u  besonders 
auf  «Ii«-  Schilderung  Coorn  h«'i-t  s  aufmerksam  (S.  4S7  ff).  „Der  erste 
Schriftsteller,"  sagt  er  mit  R«rht,  „welcher  nach  dem  einsamen  Sc- 
bastian  Franck  diisem  («»fühl  «l«r  Sehnsucht  nach  Frie«len  uml  «ler 
«lurch  dasselbe  bedingten  Hingabe  der  G«'ister  an  die  gemeinsame 
moralische  Grundlage  alh-r  C'onfessionen  einen  wirksamen  Ausdniek 
gab,  war  der  Nie«lerländer  Coornhert."  Es  ist  erfreulich,  dass  Dilthey 
hier  wie  in  seinem  früheren  Aufsatz  manch«'  Namen  wieder  in  ihn- 
Rechte  setzt,  «Ii«'  ihm'ii  ni«-  hätt«'ii  verloren  gehen  sollen;  wir  ver- 
weisen  auf  die  Schihleruiigeii  von  Koolha«'s,  Arminius,  Epis- 
copius,  Chillingworth,  Jer«'iny  Taylor,  Roger  Williams,  Jean 
Bodin  und  amlere  heut«'  halbverg»ss«ne  Männer.  K. 


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1M94.  Inhalt  neiuTcr  Z<*it»**hrifton. 

C.  Inhalt  neuerer  Zeitschriften 


105 


Archiv  «ttr  •Uewrh  lohte  4er  IMillo- 
•ophlc.  IW.  VII,  M.  ft  1>'>1:  Ferdinand 
Dil  in  ml  er.  Zur  <»rphi».-h.-n  KiMunnloific.  - 

H.  Diel»,  (Vr  IVmokrit.»  I>!lmoiieni;laul.en. 
Johulin.»  Diilscke,  Pntri»ti«-he  ll.-ra- 

k|i'ilx»>-S|>unii.  Hurulil  Hi.ffdinK,  Die 
Kontinuität  im  pliilowiphiai-hrn  Kniwii-kluiiK«- 
ganip-  Knut».  A.  K-.pina«,  Ijl  phito»ophii- 
de  I'actiuii  nu  V.  sieclc  av.  J.  Cti.  Paul 
Tanni'ry,  Sur  lu  <'<iiripo»ition  de  la  Phy»it|iii 
d'Arir<toto.  Dowen  h.-i  m  .  IV-r  Kinflu.-.» 
Demokrit»  auf  «.alilei.  Wilhelm  Pilth.y, 
(iiordam.  Brunn  und  Spinoza.  .lahn-»herlcht 
ni«T  sämtlich."  Kri»cln'inunp<n  auf  dein  (..-lii.-tc 
der  <.c!..hichte  .ler  Fhilo-ophie. 

l*rciiMMlN4'h«>  Jahrburher.   ti.V  Bd., 

I.  lieft .  Januar  IWii  :  (i.  v.  S  <•  h  11 1  r..'- 
(i  «<■  v  <•  m  i  t  /. ,  lVr  NaliimaliMiiii«  iu  Kur- 
land und  «.in.-  wirt«ohufllich«n  Tränr.r. 
CivU,  Ein  katholi-ohe-  Kl.wt.-r.  Wil- 
helm l>ilth>'y,  Die  i;|aiihcii«l.-hr<>  d.-r  Re- 
formatoren. Illtn  llnrn:i<-k,  Kim-  neue 
I":iii.«t-Krklßriiin;.  Th.  Frantc,  l«t  der 
Kechuanwiilt  .  in  Zwi»ch.-iih;iii.ller  *  Sehif- 
Ii-r,  H.-|»lik.  A.  v.  Krie»,  l:.t  ht».iiihcii 
und  <<cri.-ht!>vi-rfn»i>nii|{.  Paul  Sohl.-n- 
tln-r,  Aus  den  Berliner  Tln-at.-rn.  Hopu-oh- 
tinu-n  und  |M>liri»ch<-  C«rrv!»|K>nil<-nz. 

Arehlcr  \  oor  XcdcrlMndHrhe  Kork- 
e<'<M>hlcdonl«i.  I.  di-cl.  Afl.-v.-nm;.  I.  IWt:t: 
I*.  I'ypi-r,  Ken  ovorMyfsel  van  »Ii-  ^mmImwu-- 
ilWI.-n  in  Ni-U.-rland.  !•'.  I,.  Kut^i-r*.  |v 
N<derland»che  vcrtuline  van  t'ulvyn»  in--<chiift-ii 
t.irvii  d<-  P»u«lo-Nii-odemietcn.  HC.  Kokk«*. 
Na»chrift.  J.  .1.  van  T.mi  ri-in- 11  In- igen  , 
Ii.-  Iir><  \-  nsclutl  d«-r  N'-d'-rlandv-hr  Il.-ivnrnide 
K'-mit-nl.-  Ii-  IjhiiL-ii.  Ovcrzit-hl  van  jjc- 
'.  Iii  ilt.-ii  iM-tii  ffi  nd.-  .1.-  .Wd-rland«.  In-  K>  rk- 
ü.-«-lii<iii>niN  ov.  r  .1.-  jan  n  !*»'•    |  *<,;•. 

KellM-hrin  flir  exwkle  Phllo- 
Mophlc.  K.I.  IM,  lieft  t.  \*x\:  Ali-xi> 
So  h  «arii-.  Am  Au-gann  de»  |!>,  .lahrliniidi-rt.-.. 
Fin  Ib-itrtuc  zur  Z>'itphiloMi|>(iif>.  I,.  I'ri'i», 
Kritixli.-  Bcilrihco  zur  Analyw  d.-r  ('.»fühle. 

Theodor  Simon.  Wid.-r.prii.  In-  und 
Schwankungen  in  Ix.tzo'«  Ulm-  von  d«-n 
Diiir-ii  B.-Hpr.chunK«-n. 


Revue  International  de  Tennelcne« 

menl.  Red.  Ixlinond  Drvyfui«  -  Brisac.  V.lv 
annce  Nn  \2:  Somuiaire :  H.  Schiller,  la 
refornie  d.-  IVnsclKnement  »*<»ondaliv  <-n  Prüm*.- 

,  <-n  |s!»2.  Charle»  Dupiiix,  la  loi  inili- 
lain-  et  Ii-  liecnce  i-n  droit.  Sur  la  ncco»»iie 
d'un  (-n<H-ii(n.-ui.-iit  national  en  Sui*»e  tm.'-moirv 
im-dit  du  eointo  d'Autrnitpji'i.),  puhli.'-  |>ar 
M.  1/ono.»  Pingaud.        Cir.ulair.»  du  _M 

I    uovriuliM-  rvlativc  mix  corps  de  fucult.'-s. 
Climtii.pu-  di-  l'.-iis.-i({n.-m.-nt.       Nouvclles  <-t 

1    inforiuutions.       Ac  t.-»  et  dociimcnt»  offici«-U. 
HiMioüraphi.-. 

Xeiie  Jahrbücher  fllr  Phllwlovle 
und  PMdacoBlk.  Hn-ü.  von  A  If  r.  Fl.-rk- 
(  i-«.-!!  11.  K.  Kioliti-r.  H7.  u.  HS.  Bund. 
II.  Il-ft.    Inh.:  ('.  Schirl!  Iz,  IM>  K.-ih.-n- 

I.  ili»«'  ili-r  fünf  .-rst.-n  K.-di-n  in  Platmix  Sym- 
ponion  iS.-hlnj.fi).  O.  K.'ll.-r,  Zu  Strahn» 
(XIV.  ti-Vt,.  I  HultKch,  Zur  Syntax b. 
Ui-K.  l'tol.-iuaios.  .1.  O.-ri,  Zu  iN-MioMhcnri. 
(Olynth.  1  5  7i.  Kraut  h,  Vi»rju-holt.-ii<- 
Uind-r  .1--.  Alt.  1111111*.  I.  Iii.»  ()»t|<r.-n»-  d<  r 
Oikuiu.-n<-  und  d.-r  Arax.'r»  iS.-hliiMs».  M. 
K  11  b<-  n  s  o  h  11 ,  .-in.-  i/lM-nu'tzuiig  <!<•«  Pauli!» 
liiiikoniif  1111*  d.-r  (pi<»rhi!«-h<-n  AiKhologi.-. 

II.  I. >•«■)-,  Zu  ll.-wi.ido*.  K.  V\"  i  I  In- 1 111 , 
,    Zu  Tihiillns  (KyrxdaniiifiHltl.  <l.l      W.  Sti-rn- 

kopf.  Zu  Cin-p»  P<iiiip.-iann  (S  :ti|.  K. 

Poll.-,  Zu  Phädrii!.  KaUdti  IV.  T.  I.).  f. 

K.  W.  Müll-i-,  Z11  Pomponiiis  M.-la.  -  P. 

I>.  i'h.  IL-nnitiR!«,  Zu  Cicvro»  falo  major 
_'M.    -     K.  tio.  l.i-l,    Zu  Ovidiu»  M'-ta- 

iiiorph.'fn-ii  iXV  KR!)  uihI  ( o-rmiink'ux  (Ptia>-n. 

"i.V»i.   —  Int».,  IV  ti.-rmaiii.-i  plia^iioim-ii.in 

pr>H.-ini...       Fr.  Spiro,  Hin  It.- forma tor  d.-u 

tUili.-nifii  hi-u  Fnu  rriihtsw.-p«.-!!-..  —  Hartz, 
I    li<-r  < ■«injum-tivu«  diil.iUitivuH  in  di-r 

itnaiiimalik.  F  r  i  1  r.  N  o  w  uc  k  ,  ZuMtmnii-n- 
|    haiwiiil.-  Strick.-  ..di  r  »innclnc  Sät*«-  im  la- 

ii-iiii-><'iivii    Kl.-iii.-ii tainiut.-rriolit  ?  Fi-rd. 

liroiiiu-r,  tMK-thi-'»  römlfilu-  Kl<»K>'-n  und 
1    ihn-  Hui-lli-n  (Sehl.).       Otto  Franke,  An» 

.Inn  Na.lil;        de»  l«.-s»au.-r  I'liiliiinliiopinn. 

Kinr-    \ii.»walil  von   Briefen  iFoit».).  K.- 

ivnfoon.n. 


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Hu.  lnlnjrk.  n  l  von  Johann.-»  Knill,  Mßn*t<r  i.  W. 


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Monatshefte 

der 

Comenius-Gesellschaft 

III.  Band.  <  1S!>4.  >  Hoff  4 11. 5. 

Ueber  den  Zusammenhang  der  Erziehungssysteme 
mit  den  herrschenden  Weitanschauungen 
verschiedener  Zeitalter. 

■ 

Von 

Friedrich  Albert  Lange.  ■) 

Die  Krziehung  lebt  in  jedem  Volk«-  als  die  einfache  That- 
sache  seiner  sittlichen  Fortpflanzung.  Intcr  der  Pflege  staatlicher 
Ordnungen  uml  eines  erziehenden  Standes  liebt  sie  sieh  zur  Kunst. 
]>iese  Kunst  hat  zu  ihrem  (i<igcnstande  den  Menschen  in  seiner 
natürlichen  E  n  t  w  i  c  k  I  u  n  g ;  als  Ziel  den  Mens  e  h  e  n  in  seiner 
idealen  Vollcndu  ng.  Als  die  höchste  menschliche  Kunst 
wird  sie  somit  auch  wohl  mit  Recht  die  verachtetste  sein;  denn 
ein  jeder  ist  berufen  sie  zu  üben  und  k  e  i  n  e  r  vermag  es;  der 
grosse  Hanfe  aber  ist  in  seiner  Weise  berechtigt,  den  Weit  einer 
Kunst  nach  den  Leistungen  ihrer  Virtuosen  zu  messen.  Trotz 
ihres  unvollkoinnmeii  Zustandcs  muss  nun  diese  Kunst,  wie  jede, 
«ine  Wissensehaft  als  ihre  Theorie  er/engen,  die  Pädagogik. 
Anthropologie   und   Kthik   sind  Voraussetzungen  derselben;  also 

'>  Der  vorliegende  Aufsatz .  der  da*  Datum  des  2A.  Oktolwr  1n.m 
träjrt,  ist  oftcnhai  identisch  mit  der  Aufzeichnung,  die  Innige  seiner  An- 
t  rit  t  svorlesung  als  Privatdoccnt  in  Houm  zu  (öiind  gelegt  hat;  Ltiu^e 
Ix-jraiiii  seine  Vorlesungen  oln-n  im  Oktotar  IN."«.  Dies  hat  aueli  schon 
().  A.  Ellissen  <  Friedrich  A  liiert  Imlage,  Leipzig  IS1»1.  S.  !»1  »  vermutet. 
Flüssen  hat  aueli  mit  H«rht  aut  dm  reichen  Inhalt  d<  -  Auf>at/.>  auf- 
merksam gemacht,  der  hier  zum  eisten  Mal  gedruckt  wird.  -  Die  entschie- 
dene Ifei \orliel)iing  der  Itedeiitun^  der  F.|-/iehun^lehiv  als  Wissenschaft. 
M.m.n-ii.fi-  il.-r  e.itin  iiiii--i ;.  s,  ii.<  ii;i(t     |S'.t|.  ^ 


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los 


Heft  4  ii.  5. 


kann  sie  erst  mit  der  Philosophie  und  durch  dieselbe  wirklich 
entstehen.  Aber  sie  miiss  auch  mit  der  Philosophie  entstehen; 
denn  weder  ist  eine  Anthropologie  vollständig,  welche  den  Menschen, 
wie  er  in  der  ( Jcscllschaft  loil>l i<*li  und  geistig  t*ic*li  heranbildet, 
nicht  beachtet,  noch  eine  Ethik  befriedigend,  welche  keine  Mittel 
zur  Erreichung  ihrer  Ideale  kennt,  noch  endlich  eine  Politik 
zweckdienlich,  welche  es  vergisst,  den  für  gut  erkannten  Zustand 
des  Staates  durch  eine  weise  Ordnung  der  Erziehung  erhalten  und 
fortbilden  zu  lassen. 

Wie  steht  e>  nun  aber  mit  dieser  Notwendigkeit  der  Philo- 
sophie und  der  Pädagogik  in  der  Geschichte?  Bekanntlich  fügt  die 
(lese  Iii  chte  sich  oft  weit  schwerer  noch  in  einen  dialektischen 
Rahmen,  als  etwa  die  lebendige  Natur  sich  in  den  Systemen  der 
Botaniker  und  der  Zooingen  unterbringen  lässt.  Und  in  der  That 
sehen  wir  z.  B.  Kant,  der  alles  kritisierte,  lediglich  ex  officio 
Pädagogik  lesen  nach  einem  ljcitfndcn  seines  Vorgängers.  Fichte 
fällt  völlig  aus  dem  Himmel  seines  idealistischen  Systems,  wo  er 
die  Pädagogik  zum  (iegenstande  hat.  Sendling  hat  dieselbe  ver- 
gessen und  Hegel,  der  als  ( iymuasialrektor  seine  I^ogik  schrieb, 
wurde  als  Professor  der  Philosophie  von  der  Cholera  dahingerafft 
über  dem  Vorsatze  auch  eine  Pädagogik  zu  schreiben.  Freilich 
ist  «lieser  Vorsatz  allein,  \<>n  dem  ^uis  Thaulow  berichtet,  mehr 
als  Alles,  was  Kaut  und  Fichte  gethan  haben,  weil  er  den  (Je- 
danken  an  die  Notwendigkeit  dieses  Stückes  für  die  Philosophie 
selbst  bei  einem  Manne  wie  Hegel  war,  voraussetzen  lässt.  Im 
auffallendsten  Gegensatz  zu  «lieser  allgemeinen  Unterlassungssünde 
der  Philosophie  sehen  wir  auf  der  andern  Seite  ein  Heer  von 
Atitixlidukt.cn  in  verschiedenen  Stämmen,  Rousseau,  Basedow, 
Pestalozzi  an  der  Spitze,  gegen  Alles  auf  dem  Felde  der  Erziehung 
und  des  rnterrichts  Bestehende  mit  schonungsloser  Energie  an- 
rennen. Niemand  war  unerzogener  als  Basedow,  niemand  ungelehrter 


die  «Irr  Anfall/,  enthält,  verdient  ebenen  sehr  Beachtuiig,  wie  der  richtige 
(iednnkc,  das«  die  <  it^fhic-lit**  der  KrzichungsMire  da*  Thor  sei,  durch  das 
sie  allein  ihren  würdigen  Kinzug  in  den  Kreis  der  älteren  und  bevorzugten 
Wissenschaften  halten  kunne.  Auf  das  interessante  Urteil  über  Conicnius 
machen  wir  besonder*  aufmerksam:  Uomcniiis  ist  der  einzige,  dessen  System 
Lange  ein  „eigne-,  wahrhaft  philosophisches  Prinzip"  zuerkennt. 

Wir  liahen  die  licchtschrcihung.  wie  sie  «ich  in  Langes  Urschrift  findet, 
beibehalten  zu  sollen  ««'ghuibt.  Anmerkung  der  Schrift leitnng. 


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1S!)4.  f ''*'»'  'I«'«  Znsammeiihang  «W  KrzH'hunp<8\>1iim-  .«t<\  |  0}t 


als  Pestalozzi,  und  welche  Kollo  spielten  diese  Männer  in  der  Er- 
ziehung und  I>ohrc,  ohne  die  Philosophie  nur  im  mindesten  um 
Erlaubnis*  zu  fragen-! 

Nachdem  gegenwärtig  der  Sturm  unserer  Idealphilosophie 
mit  seiner  berauschenden  Wirkung  vorüber  ist,  dürfte  es  zur  Ab- 
rechnung mit  der  Vergangenheit  vor  der  Eröffnung  neuer  Blätter 
wohl  einer  der  wichtigsten  Punkte  sein,  die  Philosophie  für  die 
Vernachlässigung  der  Pädagogik,  diese  hinwiederum  für  das  Wagnis 
ihres  selbständigen  Auftretens  zur  Rechenschaft  zu  ziehen,  indem 
wir  erforschen,  welche  inneren  oder  äus.>eren  Verhältnisse  diesen 
Erscheinungen  zu  Grunde  liegen.  Eine  vollständige  I^ösung  dieser 
Frage  setzt  freilich  eine  Geschichte  der  Pädagogik  vonms,  zu  der 
auch  von  Räumer  nur  das  Titelblatt  und  die  sehätzenswerthesten 
Beiträge  geliefert  hat.  Für  die  heutige  T  ntersuehung  kann  es 
sich  daher  nur  um  die  Andeutung  der  ( irundansohaunng  handeln, 
von  der  wir  ausgehen. 

Wenden  wir  uns  nun  zur  Gewinnung  des  richtigen  Aus- 
gangspunktes zu  den  Völkern  der  alten  Welt,  insbesondere  den 
Griechen  und  den  Hebräern,  so  zeigt  sich  hierauf  jeder  Stufe 
eine  völlige  Harmonie  der  Erziehungsprinzipien  mit  der  gesaiumtcn 
Weltanschauung,  und  die  Philosophen  auf  der  einen  Seite,  die 
Propheten  auf  der  andern  sind  vor  Allem  auch  I^ehrer  und  Erzieher. 

Bei  den  Hebräern  war  es  bei  völliger  Einheit  des  religiösen 
und  des  nationalen  Bewusstschis  das  Gesetz  Gottes,  was  die  Welt- 
anschauung des  auserwählten  Volkes  in  allen  Peilen  bestimmte 
und  durchdrang.  Die  Erziehung  der  Kinder  war,  wie  auch  Pahncr 
in  seiner  Pädagogik  sehr  richtig  bemerkt,  im  Ganzen  keineswegs 
ein  Hauptaugenmerk  der  Einrichtungen  des  alten  Hundes;  aller- 
dings giebt  «las  Gesetz  nirgendwo  spezielle  Vorschriften  über 
Sehuleiurichtungen  und  Methoden;  aber  wenn  Palmer  diese  Bo- 
merkung  dadurch  erklärt,  dass  er  sagt,  „weil  alle  sieh  Gott  gegen- 
über im  Stande  der  Erziehung  wissen,  so  kommt  es  zu  keiner 
wirksamen  Tutei-scheidung  zwischen  Mündigen  und  rnmündigen 
innerhalb  des  Volkes",  so  kann  man  wohl  kaum  mehr  irre  gehen. 
Vielmehr  niuss  derselbe  Geist  der  Erziehung  durch  das  Gesotz, 
der  eben  das  ganze  Volk  als  unmündig  erscheinen  lässt,  in  der 
Erziehung  sich  wiederum  als  Faktor  vorfinden;  daher  denn  die 
.lugend,  man  könnte  sieh  fast  mathematisch  ausdrücken,  in  einer 

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Heft  4  u.  5. 


potcnzirtcn  rnmündigkeit  unter  einer  potcnzirtcn  Zucht  des 
Gesetzes  stehend  erscheinen  muss.  Dass  mit  diesem  Charakter 
einer  züchtigenden  Erziehung  dir  einschlagenden  Stellen  dos  alten 
Testamentes  vollkommen  übereinstimmen,  bedarf  gar  keines  Nach- 
weises. I'almer  liat  sieh,  indem  er  naeh  lTnterwcisungslehren  und 
Schulmethodcn  aussehaute,  verleiten  lassen  «'inen  Theil  für  das 
Ganze  /u  nehmen.  Das  Moment  der  Bildung  ist  hei  den  Hebräern 
noch  nicht  ausgebildet,  wenigstens  noch  nicht  in  der  Zeit  der 
Gesetzgebung;  daher  der  Mangel  jeuer  speziellen  Vorschriften ; 
das  Moment  der  Zucht  aber,  das  erste,  wodurch  die  Erziehung 
sds  bewusste  Kunst  sich  übei  das  natürliche  Wachsenlassen  erhebt, 
«his  Fundamentalelement  wirklicher  Erziehung,  ist  bei  den  Hebräern 
bedingt  durch  den  (lang  der  göttlichen  Führung  in  ihrem  ganzen 
Volksleben  hell  ans  Licht  getreten. 

Im  Gegensatz  hiezn  zeigt  sich  nun  leicht  das  Element  der 
Bildung  als  das  eigenthümlich  hellenische.  Man  wende  uns  nicht 
die  Strenge  der  spartanischen  Zucht  ein,  als  ob  diese  uns  vielmehr 
die  Erziehung  der  hellenischen  .lugend  von  der  entgegengesetzten 
Seite  zeige!  Kraft,  Schönheit,  Kriegstüchtigkeit  und  Gewandtheit 
in  den  Künsten  der  Musen,  das  waren  die  Zwecke  der  Spartaner 
wie  der  übrigen  Hellenen  in  der  Erziehung;  also  wesentlich 
Bildung,  bildnerische  Vervollkommnung  des  rein  Menschlichen 
in  I^'ib  und  Seele.  In  dem  Vorherrsehen  dieser  Weltanschauung 
von  »1er  Kallokagathie  als  dem  wahren  und  höchsten  Ziel  aller 
Erziehung  beruht  in  Wahrheit  mehr  als  in  allem  Andern  die 
Einheit  der  griechischen  Stämme.  Häher  war  dieses  I^and  ein 
wahres  Ijjmd  der  Gymnasien,  an  deren  gemeinsame  Bestrebungen 
sich  die  gemeinsamen  Nationalspiele,  die  Blütenfeste  der  ge- 
wonnenen Bildung,  verherrlichend  anschlössen.  Der  rauhe  Charakter 
des  dorischen  Stammes,  der  alles  beherrschende  Staatszweck  modi- 
heirten  die  Bildimgsweise  Spartas,  aber  der  Gnmdeharaktcr  blieb 
derselbe.  Das  Vorherrschen  <les  Staats/.weckes  ist  übrigens  ein 
zweiter,  den  Griechen  mit  den  Hörnern  gemeinsamer  ( 'hamkterzug, 
während  bei  den  Hebräern  im  Grunde  der  Staat  selbst  in  der 
Heligion  aufgeht.  Ganz  analog  damit  entspricht  dem  religiösen 
Element  der  Hebräer  auch  wieder  die  eigentliche  Familien- 
erziehung,  die  bei  den  Griechen  völlig  zurücktritt.  Dem  staat- 
lichen Prinzip  entspricht  die  Sehulerziehung,  die  hinwiederum 
bei  den  Hebräern  erst  spat  in  einiger  Ausdehnung  sieh  findet. 


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]  SS)  i.         I'Iht  iIpii  ZiHnmmenhuiig  der  Krzichun{r*y*U'tni'  etc.  1  1  | 


Aber  wir  haben  die  Griechen  neben  dieser  nationalen  Be- 
deutung noch  in  einer  zweiten  wichtigen  Hinsieht  zu  betrachten: 
als  die  Träger  der  alten  Philosophie.  Wir  brauchen  kaum  zu 
erinnern,  dann  bei  einem  Volke,  wo  so  vollkommen  die  äussere 
Form  der  Entwicklung  dem  inneren  treibenden  (leiste  entsprach, 
auch  hinsichtlich  des  Verhältnisses  der  Philosophie  zur  Pädagogik 
dieselbe  Harmonie  stattfindet.  »So  lange  die  Philosophie  in  ver- 
einzelten Aussprüchen  der  Weisheit  auf  einer  vorbereitenden  Stufe 
sieh  fand,  war  es  nicht  anders  mit  der  Pädagogik ;  die  physischen 
und  metaphysischen  Knigen  der  ersten  Systeme  berührten  die  Er- 
ziehung wenig,  weil  sie  das  geistige  Ix-ben  des  Mensehen  noch 
wenig  berührten;  ein  Philosoph  wie  Pythagoras  über  widmet«'  dem 
Erziehungswerke  seine  wärmste  Sorge,  Als  eigentliche  Wissen- 
sehaft wird  sodann  die  Pädagogik  vorbereitet  und  gleichsam 
ins  Dasein  genötigt  durch  die  Sophisten;  allseitig  bearbeitet  und 
theoretisch  wie  praktisch  begründet  durch  Sokrates;  ausge- 
führt in  wirklichen  lichtvollen  Systemen  durch  Pluto  und  Ari- 
stoteles. Freilich  büsste,  seit  die  Sophisten  die  Erziehung  von 
dem  Standpunkt  unbewuwster  Sicherheit  verrückt  hatten,  die  Praxi* 
derselben  ihre  urwüchsige  Gesundheit  mehr  und  mehr  ein.  Aber 
das  Prineip  der  Subjectivität,  eine  nothwendige  Krrungensehaft  fin- 
den ferneren  Fortseh  ritt  der  Menschheit,  war  einmal  gewonnen 
und  wurde  durch  Sokrates  Hand  aus  dem  Wüsten  gezogen  und 
zum  (inten  gewendet.  Die  griechische  Nation  eilte  der  Erfüllung 
ihrer  Aufgabe  entgegen. 

Eine  Verfolgung  unserer  Frage  durch  die  Systeme  des  Pluto 
und  Aristoteles  hindurch  würde  lediglieh  einer  Darstellung  der- 
selben gleichkommen;  dazu  aber  reicht  für  uusern  heutigen  Zweck 
die  Zeit  nicht  hin.  Hat.  doch  Kapp  in  seiner  gründlichen  Dar- 
stellung der  Erziehnngslehre  Piatos  diese  schon  von  vornherein 
für  identisch  erklärt  mit  der  praktischen  Philosophie  desselben, 
ein  ähnliches  Verhältnis  aber  für  Aristoteles  nachgewiesen,  der 
nur  das  Ideal  der  Ethik  und  Politik  in  strengerer  Sonderung  von 
den  pädagogischen  Mitteln  zur  Erreichung  desselben  aufstellt. 
Das  aber  mag  noch  hervorgehoben  werden,  das*  gerade  die  Staats- 
pädagogik dieser  beiden  Philosophen  in  ihrem  umfassenden  Begriff, 
sich  gegenseitig  ergänzend,  den  eigentlichen  Gipfelpunkt  der  philo- 
sophischen Arbeit  Griechenlands  überhaupt  bildet,  liier  zeigen 
sich  die  beiden  Ideale,  denen  Hellas  nachgerungen,  die  Kallokugathic 


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Heft  J  u.  r». 


als  Ziel  einer  vollendeten  Bildung,  die  Glückseligkeit  der  Einzelnen 
und  Harmonie  des  Ganzen  als  Folge  eines  vollendeten  Staats- 
lebens, mit  wissenschaftlichem  Bcwusstsein  erfasst,  in  Eins  ver- 
schmolzen und  als  möglich  gedacht  durch  den  Begriff  einer  voll- 
endeten Pädagogik.  Auf  dieser  Höhe  angelangt  staunt  man  mit 
Recht,  wie  die  durch  Jahrtausende  sich  hinziehende  Bewunderung 
für  die  Griechen  so  selten  bei  diesem  Brennpunkt«'  ihres  geistigen 
Ix'beiiH  verweilt  hat.  Hegel  gedachte  die  Pädagogik  wieder  in 
diesen»  umfassenderen  Sinne  einer  Staatspädagogik  zu  nehmen ; 
aber  unserer  neuereu  Idealphilosophie  war  es  nicht  vergönnt,  sieh 
mit  dieser  letzten  Krone  zu  schmücken. 

Wie  in  seiner  ganzen  Entwiekelung,  so  ist  Hellas  auch  noch 
gross  und  vorbildlich  schöpferisch  in  seiner  Deereseenz.  Vom 
t  hat  kräftigen  Leben  zur  Kunst,  von  der  Kunst  zur  Philosophie, 
von  der  Philosophie  zur  Gelehrsamkeit ,  von  dieser  endlich  zur 
auflösenden,  aber  auch  aussäenden  Popularisirung  seiner  Schätze 
zieht  sich  ein  Kreislauf  für  die  Nachwelt  gleich  wichtiger  Er- 
scheinungen. Die  Stiftung  gelehrter  Schulen  zu  Alexandria  war 
noch  eine  letzte  volle  I/ehensäusseruug  des  in  so  vielen  Stadien 
bewährten  Geistes.  In  Bvzanz  und  besonders  in  Korn  fand  die 
Aussaat  statt,  von  deren  Ernte  wir  zehren.  Die  eigenthümliche 
Entwiekelung  Horns  wird  durch  dieses  Ferment  so  bestimmt,  dass 
sie  nur  nach  der  Versetzung  mit  demselben  direkte  mal  ent- 
scheidende Bedeutung  für  die  späteren  Nationen  hat,  obwohl  gar 
manches  hier  noch  zu  verfolgen  von  Interesse  wäre. 


AVir  eilen  dazu,  die  Bedeutung  des  mm  sich  verbreitenden 
Christenthums  für  die  Entwickelung  der  Pädagogik  zu  be- 
trachten und  nach  einem  Blick  auf  den  allgemeinen  Charakter 
des  Mittelalters  zu  dem  schwierigeren  Thcile  unserer  Frage  über- 
zugehen. 

Im  Christentum  stellte  sieh  die  Verschmelzung  der  Ideen 
des  gereiften  .Itulentliunis  mit  den  Schätzen  des  klassischen  Altcr- 
thuins  dar;  teils  in  der  einfachen  Form  ihres  ursprünglichen  Wesens, 
teils  in  i'iner  transscendenten  Idee  der  Verklärung:  das  Gesetz 
wird  Freiheit,  der  Gehorsam  Liebe,  als  des  Gesetzes  Erfülluny;. 
Die  reine  Menschlichkeit  bestimmt  sieh  zur  Gottmcnschlichkcit ; 
die  Bildung  zur  Heiligung  des  ganzen  Daseins. 


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ISO  1.         C Wer  den  ZiisantiiH-nhaiig  der  Er/.irhuiij.'ssYMc  h<\ 


Ii:? 


In  Uebercinstinunung  mit  dieser  Verschmelzung  ersieht  min 
das  Christenthum  für  die  Kntwickelung  der  pädagogischen  Idee 
von  vornherein  dir  Synthese  der  beiden  oben  getrennt  erkannten 
Momente,  der  Zneht  und  der  Bildung.  Die  Zucht  selbst  wird  als 
die  wahre  Bildung  und  die  Bildung  als  eine  neue  Zucht  des 
Geistes  erkannt.  Die  Familie  und  die  Sehlde,  das  religiöse  und 
das  staatliehe  Element,  erhalten  in  gegen seither  Bedingung  und 
harmonirender  Ergänzung  ihre  wahre  Bedeutung.  Wenn  aber 
mit  dieser  Synthese  zugleich  gesetzt  und  gcfonlcrt  wird,  dass  die 
Zucht  zur  Freiheit,  die  Bildung  zur  Heiligung  wenle,  so  ist  doeh 
nicht  gesagt,  dass  diese  vollendeten'  Korm  auch  historisch  gleich 
gegeben  sei.  Bedenkt  man,  dass  dieser  ganze  neue  Kcichthum 
entwicklungsfähiger  Keime,  diese  Welt  neuer  Ideen,  die  nach 
Können  zu  ihrer  Ausprägung  drängten,  nicht  auf  einem  schon 
gebildeten  und  vorbereiteten  Boden  sieh  entfalten,  sondern  viel- 
mehr unter  einer  Reihe  von  neuen,  ungebändigten  Völkern  all- 
mählich aufgehen  sollten,  so  begreift  man  leicht,  dass  als  Duivh- 
gangsform  ein  neues  Gesetz  und  neue  Bildungssehulen  das  ganze 
Leben  dieser  Völker  tunspannen  und  durchdringen  mussten,  wähivnd 
die  Vollendung  des  Christcnthums  nur  im  Mysterium  dem  Glauben 
geboten  war.  So  sehen  wir  wieder  das  ganze  Mittelalter  im 
richtigen  Lichte  nur  unter  dem  Gesichtspunkte  der  Pädagogik. 
Hier  könnte  man  vielleicht  wieder  mit  Bahner  sehliessen,  „dass 
es  eben  desshalb,  weil  Alle  sieh  Christus  gegenüber  im  Stande  der 
Unmündigkeit  fühlten,  es  zu  keiner  wirksamen  Unterscheidung 
zwischen  Mündigen  und  Unmündigen  gekommen  sei";  aber  davon 
weiss  die  Geschichte  anders  zu  erzählen. 

Der  Ritterschlag,  das  Meisterstück,  die  Priesterweihe,  die 
Doktorwürde  —  lauter  Doeuineute  einer  scharfen  Sonderung  der 
relativen  Mündigkeit  auf  den  verschiedensten  Gebieten.  Bei  dem 
naiven  Charakter  dieser  Zeit,  dem  Vorwalten  der  gegebenen  ob- 
jektiven I^ebensverhältnisse  war  die  Philosophie  selbst  nicht  frei 
und  daher  nicht  auf  dem  Standpunkt  der  Wissenschaft.  Trotzdem 
dass  sie  in  der  Krarbcitiuig  neuer  Können  und  Begriffe  für  die 
überlieferten  Ideen  und  Anschauungen  ein  ungeheueres  Kehl  durch- 
pflügt«', blieb  sie  dennoch  wesentlich  eine  Kunst.  Auf  demselben 
Standpunkt  der  naiven  Kunst  Huden  wir  somit  auch  die  .Jugend- 
erziehung. Alles  hatte  seine  fest  bestimmten  liegein,  mit  denen 
der  Meister  handlieh  umzuspringen  wusste,  ohne  das  Bcdürfuiss 


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III 


Heft  I  u.  ö. 


einer  wissenschaftlichen  Begründung  derselben  zu  empfinden.  Wir 
können  diese  Stuf«'  etwa  mit  «lein  Zustand  der  Krziehung  in  Spart» 
oder  in  Griechenland  überhaupt  vor  dem  Auftreten  der  Sophisten 
vergleichen.  Aber  auch  da.«*  Mittelalter  sollte  dem  Durelibruch 
der  Siihjcctivität  entgegcm'eifcn,  und  es  erfolgte  die  Reformation. 
Längst  schon  war  ein  Seufzen  nach  ihr  duivh  alle  edleren  Gc- 
mütiier  gegangen.  Kein«'  Sitten  in  der  Kirche,  'reines  I^itein  in 
den  Schulen  wünschte  man  mehr  und  mehr.  Her  von  Italien 
über  Frankreich  her  sieh  verbreitende  Humanismus  begegnete 
namentlich  in  Deutschland,  wo  ein  Tauler  und  Geiler  prophetisch 
redeten,  dem  Mvstieismus.  An  allen  Orten  bildeten  sich  in 
steinender  Klamme  neue  l  "ebei-zeugungen.  reberzeugungen ,  die 
mit  unmittelbarer  <  ilnuhensgewisshcit  die  Seele  von  Männern  er- 
griffen, welche  in  der  Schule  des  Gehorsams  gereift  und  gestählt 
waren. 

Neben  dem  humanistischen  und  dem  religiös-philosophischen 
Klctncnte  machte  sieh  als  ein  drittes  «las  politische  geltend.  Im 
Volke  verlangten  indessen  alle  edleren  Kiemente  vorab  nach 
liiutcrung  der  Sitten  und  grösserer  Innigkeit  des  Gottesdienstes. 
Die  Mvstiker,  welche  dies  vor  Allen  zu  gewähren  schienen,  fanden 
deshalb  grossen  Anhang;  aber  gerade  sie  waren  es  auch,  in  denen 
das  philosophische  Bcwusstsein  von  der  Geltung  des  Subjectes 
am  meisten  zu  Tage  kam.  l'nter  ihnen  entwickelte  sieh,  wie  gar 
manche  Stellen  ihrer  Schriften  beweisen,  ein  Hass  gegen  die  Ge- 
lehrsamkeit, die  an  sieh  charakterlos  und  zum  Dienste  des  Stärkeren 
geneigt  schien.  Kine  Krschütterung  der  damals  herrschenden 
Gelehrsamkeit  war  also  von  dieser  Seite  gegeben.  Die  Scholastik 
und  das  Monopol  des*  Lateinischen  erlitten  «  inen  zweiten  Stoss 
von  der  entgegengesetzten  Seite,  durch  die  Humanisten.  Diese 
entdeckten  das  Griechische  wie  eine  neue  Welt,  zogen  den  wahren 
Aristoteles  ans  Lieht,  und  weiter  sehreitend  kamen  sie  dazu,  den 
Gegensatz  ihres  eigenen  Treibens,  den  Realismus  selbst  ans  Licht 
zu  fördern.  Denn  wer  lebte  mehr  in  der  Natur  selbst  als  die 
Alten?  Wer  hatte  ein  offeneres  Auge  für  alle  Dinge  des  I^chcns 
als  namentlich  die  Griechen'.'  Von  diesen  selbst  lernt»'  man  es, 
die  Physik,  die  Geographie,  die  Astronomie  und  vor  Allem  die 
Mathematik  zu  schätzen.  Ks  gab  jedoch  unter  den  Humanisten 
eine  äusserste  Rechte,  die  ( 'iceroninnor,  welche  schon  Krasmus 
bekämpfte.    Diesen  gehörte  im  Wesentlichen  Johannes  Sturm  an, 


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IM»  l.         f'lwr  ilt  d  Zii-aiiuiit  nliuiij:  «Um*  Kr/.i(  luiii<r->y-t»  iiU'  «  i«*.  |  1 

während  Mclanchthon  der  Hauptvertreter  der  freieren  Richtung 
war.  Wir  werden  nun  der  Keilie  nach  sehen,  wie  die  verschiedenen 
Riehtungen  und  Bestrebungen  auf  dein  (iehiete  der  Pädagogik, 
und  naiuetitlieli  in  den  Schulen,  ihren  Ausdruck  fanden. 

Wir  herinnen  billig  mit  den  eigentlichen  Schulmännern  und 
unter  diesen  mit  dem  berühmten  Johannes  Sturm.  In  diesem 
Manne  Huden  wir  das  am  wenigsten  fortgeschrittene  Klemmt  der 
Reformation,  den  Gedanken  einer  grossen  Verbesserung  und 
Läuterung  ohne  wesentlich  neue  I'rincipicn  auf  das  Schulwesen 
angewandt.  Zu  bemerken  ist  hier  gleich,  was  bei  Trotzendorf  uns 
wiederum  begegnen  wird,  dass  im  Gegensatze  gegen  die  classische 
Kinfachheit  der  Kutwieklung  keineswegs  jeder  Hauptvertreter  einer 
Richtung  diesellx-  durch  alle  I«ebens<rebiete  klar  und  conseiment 
durchführt.  Im  Grossen  und  Ganzen  aber  gleicht  sieh  diese  In- 
conseipienz  aus.  So  ist  hier  gleich  Sturm  auf  pädagogischem 
(«•biete  Vertreter  der  äusscrstcn  Rechten  in  der  Bewegung,  wäh- 
rend derselbe  Mann  in  seinem  hohen  Alter  noch  als  Kämpe  gegen 
den  überhandnehmenden  Dogmatismus  mit  Heftigkeit  auftritt  und 
darüber  seines  Amtes  entsetzt  wird.  Sein  Ideal  als  Zweck  aller 
Schulbildung  war  Frömmigkeit,  Kenntnisse  und  Kunst  der  Rede; 
aber  das  letztere  unter  diesen  ist  es,  was  ihm  ans  Herz  gewachsen 
ist,  die  Kunst  der  Rede,  näher  bestimmt  als  ciceronischc  Gewandt- 
heit und  Eleganz  im  Schreiben  und  Sprechen,  v.  Raumer  hat 
trefflich  nachgewiesen,  wie  sehr  dieses  Streben  all  seine  Ein- 
richtungen und  Bemühungen  lenkt  und  bestimmt,  wie  gering  in 
der  Thnt  das  scheinbare  Streben  nach  Realismus  war,  wie  ver- 
nachlässigt der  Unterricht  in  der  Muttersprache.  Aber  gerade 
durch  diese  C'oneentration  seines  Strebens  leistete  Sturm  Be- 
deutendes. 

Meister  in  seinem  Störte,  uucrmüdlieh  im  Amte,  geschickt 
und  erfinderisch  in  belebenden  Methoden,  war  er  zugleich  der 
Träger  einer  der  grossen  Bestrebungen  seiner  Zeit,  der  Reform 
der  barbarischen  Latinität,  und  dadurch  wuchs  sein  KinHuss  ins 
rnenncssliche.  Zahllose  Schüler  strömten  ihm  zu;  manche  Schulen 
musste  er  einrichten,  andre  kamen  an  seine  Schüler,  andre  nahmen 
seine  Ordnungen  /.tun  Muster;  der  Einfluss  derselben  erstreckte 
sich  über  ganze  Länder. 

Die  fortgeschrittenere  Richtung  des  Humanismus,  zu  der 
Erasmus  in  Deutschland  den  Hnuptanstoss  gegeben  hatte,  Huden 


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11« 


Hoft  -i  11.  r>. 


wir,  wie  schon  erwähnt,  in  Melau  cht  hon  rcpräscntirt.  Obschon 
dieser  Mann  das  Reetornt  de«  Xürnlierger  Gymnasiums  ausschlug, 
weil  er  einer  solchen  Holle  nicht  gewachsen  sei,  wird  doch  er 
mit.  Recht  als  der  praeeeptor  Gcnnaniac  gefeiert,  und  sein  direkter 
und  indirekter  Kinthiss  auf  die  ganze  Natur  des  Gynmasialwcsens 
war  wohl  der  grösste  und  entscheidendste,  der  von  einer  einzigen 
Persönlichkeit  ausgeübt  wurde.  Sein«'  Schöpfungen  waren  nament- 
lich auch  desshalb  so  dauerhaft,  weil  die  grosse  realistische  Bildung, 
die  er  als  achter  Humanist  sieh  erworben  hatte,  ihn  ein  festes 
Verhaltiiis«  zwischen  diesen  Elementen  durch  eine  freilich  ent- 
schieden subordinirendc  Anerkennung  der  Realien  finden  Hess. 
Dadurch  wurde  die  Autorität  des  lateinischen  in  der  That  gegen 
die  Augritte,  die  in  der  Zeit  lagen,  mehr  gesehfitzt  als  geschwächt. 
Die  Einführung  des  Griechischen  war,  namentlich  als  Keim  für 
die  Zukunft,  wichtiger,  weil  diese  Sprache,  indem  sie  die  wahren 
(.Quellen  der  Bildung  eröffnete,  die  römische  Schulform  von  Seiten 
der  Wissensehaft  ebenso  uberflüssig  zu  machen  drohte,  wie  dies 
in  andern  Zweigen  des  Ijchcus  bereits  geschehen  oder  ebenfalls 
vorbereitet  war.  Man  sehreibt  sogar  «lein  Melanchthou  nicht  mit 
l'nivcht  die  Absieht  zu,  durch  eine  Herausgäbe  des  Aristoteles 
eine  ähnliche  Reformation  zu  Stande  zu  bringen  für  die  Philo- 
sophie, wie  Luther  sie  für  die  Theologie  durch  seine  Bibelüber- 
setzung zu  Stande  gebracht.  Jedenfalls  hat  sein  Wirken  einen 
ilauptanthcil  an  der  Beseitigung  der  pseudoaristotelisehen  Scho- 
lastik. Unter  den  Männern,  die  Melanchthons  Richtung  in  der 
eonsequenten  Wirksamkeit  eines  langen  Lebens  verfolgten  und 
ausbildeten,  war  Michael  Neun  der  der  bedeutendste;  bei  ihm 
findet  sich  eine  gründliche  Betreibung  der  Realien  mit  Virtuosität 
im  sprachlichen  rnterricht  verbunden. 

Vielleicht  die  merkwürdigste  aller  Erscheinungen  auf  dem  Ge- 
biete  der  neueren  Pädagogik  bildet  die  Schule  Tro  tzendorfs  zu 
Goldberg  in  Schlesien.  Hier  haben  auf  die  eigenthümlichstc  Weise 
die  politischen  Ideen  der  Zeit,  mitten  in  einer  rein  pädagogischen 
Welt,  einen  Ausdruck  gefunden.  Der  Grundgedanke,  die  Schule 
als  eine  Republik  zu  organisiren,  die  unbedingte  Gleichstellung 
der  vornehmsten  adeligen  mit  den  geringsten  bürgerlichen  Schülern, 
die  spezielle  und  sorgfältige  Gesetzgebung,  die  Benutzung  der 
Schüler,  nicht  mir,  wie  auch  Sturm  es  that,  zu  Dccurioncn  und 
Monitoren,  sondern  zu  einer  grossen  Reihe  der  mannigfaltigsten 


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]N!M.  *       I'Imt  <1<-ii  Zu^aiiniH  iilianj;  «Ii  i- Kr/.icliini)rr.-v-tciur  «■)«•.  1)7 


Acniter,  ja  <-ntlli<-h  dir  Einsetzung  förmlicher  Gerichtshöfe,  in 
denen  Schüler  über  Schüler  ohne  Ansehen  der  Person  zu  Recht 
süssen  alles  das  konnte  nur  unter  dein  Einfluss  einer  so  all- 
seitig und  namentlich  auch  politisch  so  bewegten  Zeit  sieh  gestalten 
und  Anerkenn  im«;  Huden.  Kreilich  war  die  politische  Richtung 
des  Geistes  bei  Trotzendort'  in  die  Pädagogik  nicht  nur  ein- 
gegangen, sondern  auch  völlig  in  derselben  aufgegangen ;  sein 
ganzes  lieben,  namentlich  auch  sein  hartnäckiger  Kampf  gegen 
Sehwenkfcld  zeigt  ein  treues  Halten  mit  der  soliden  Krönt  der 
Reformation  gegen  Abwege  und  Extreme.  Dennoch  that  er  in 
seinen  Schuleinriehtungcu ,  was  er  that,  mit  gutem  Bewusstscin 
und  Hess  als  gewaltiger  dictator  perpetuus  in  seiner  Republik 
keine  seiner  Einrichtungen  zum  Schein  oder  gar  zum  Spott  weiden. 
Ks  wird  als  seine  ausdrückliche  Absieht  erwähnt,  durch  diese 
Können  die  Schüler  für  das  politische  I>eben  vorzubilden  und 
ihnen  Ehrfurcht  gegen  Gesetze  und  Behörden  zur  Gewohnheit  zu 
machen.  Auch  war  in  der  That  Trotzendorf  jedenfalls  ein  wenn 
auch  für  die  Staatswirksamkeit  verlornes  politisches  Talent.  Zu 
der  grossartigen  Gabe  der  Organisation,  die  sich  in  seinen  Ein- 
richtungen zeigte,  gesellte  sich  ein  solches  Herrsehertalent,  dass 
Mclanehthon  von  ihm  sagte,  er  sei  zum  Regieren  einer  Schule» 
wie  Seipio  zum  Regieren  eines  Iglgeis  geboren,  und  in  der  That 
mochte  bei  einer  so  grossartigcii  Anstalt  die  erforderliche  l>eitungs- 
fähigkeit  der  eines  Kcldhcrrn  nicht  so  unähnlich  sein.  Trotzendorf 
soll  sich  gerühmt  haben,  wenn  er  einmal  alle  seine  Scholaren 
zusanmienberiefe,  wollte  er  ein  Kriegsheer  zusammenbringen,  das 
auch  wider  die  Türken  genug  sei.  Oer  charakteristische  Irrthum 
eines  späteren  Lehensbeschreibers  zählt  zu  Trotzendorfs  Schülern 
den  grossen  Wallenstein.  I>as  Lateinsprechen  trieb  übrigens 
Trotzeudorf  in  seiner  Anstalt  bis  zum  Extrem,  so  dass  es  ihm 
fast  gelungen  scheint,  die  Muttersprache  aus  seinem  schlesischen 
Uitium  zu  verbannen.  ]>ies  ist  um  so  merkwürdiger,  da  es  au 
sich  ganz  gewiss  in  den  ( 'onsei|Uenzcn  der  Reformation  lag,  die 
Autorität  der  lateinischen  Sprache  von  ihrer  Höhe  zu  stür/en  und 
die  Muttersprache  zu  pflegen  und  hervorzuziehen.  Ebenso  inusste 
es  mit  dem  Geiste  der  (Quellenforschung  und  des  selbständigen 
rntei-stiehens  übereinstimmen,  an  die  Stelle  der  ganzen  Wort- 
gelehrsamkeit und  des  vermittelten  Realismus  sofort  eine  wirk- 
liche- Rückkehr  zu  der  Natur  selbst  und  zu  den  hingen  des  Lebens 


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Urft  M  Ii.  f>. 


zu  setzen.  Die  grammatische  Methode  als  eine  künstlieh  ver- 
mittelnde musstc  derselbe  Angriff'  treffen.  Und  in  der  That  finden 
sieh  Element«'  zu  all  diesen  Augritten  wirklieh  in  der  Kcfornintions- 
zeit  vor  und  zwar  besonders  bei  Luther.  Die  Ausführung  dieser 
Angriffe  hatten  jedoeh  dem  linken  Flügel,  den  Mystikern,  nach 
dem  naturgemüssen  Zusammenhang  mit  deren  Weltanschauung 
müssen  anheimfallen.  Aber  theils  die  Verfolgungen,  welehe  diese 
Männer  zu  erdulden  hatten,  theils  ihr  sehon  erwähnter  Hass  gegen 
die  Gelehrsamkeit  überhaupt  Hessen  sie  zur  Gründung  eigner 
Schulen  nicht  kommen.  Das  Nachwirken  ihrer  Ideen  aber,  die 
nie  ganz  erloschen,  war  ohne  Zweifel  eins  der  wichtigsten  Elemente, 
aus  denen  nach  fast  einem  vollen  Jahrhunderte  das  Wirken  des 
Katich  und  des  Comenius  hervorging.  Dass  insbesondere  Katich 
nicht  bloss  so  blindlings  auf  seine  didaktische  Methode  verfallen, 
zeigt  unter  Andern»  der  dritte  Punkt  seines  Memorials  an  das 
deutsche  Keich,  in  «lein  er  zu  zeigen  verspricht,  wie  im  ganzen 
Reich  einträchtige  Sprache,  Regierung  und  Religion  einzuführen 
und  zu  erhalten  sei.  Noch  deutlicher  ist  der  allgemeine  religiös- 
philosophische  Ausgangspunkt  bei  Comenius,  der  theils  als  ein 
Kind  der  mährischen  Brüdergemeinde  von  vornherein  auf  einem 
der  Mystik  genäherten  Boden  stand,  theils  bei  Aisted.  seinem  Ix'hrer 
zu  Herborn,  chiliawtische  Ideen  einsog  und  in  der  That  durch 
seine  Pausophie  nichts  geringeres  l>eabsichtigte,  als  der  Zeit  der 
allgemeinen  Erlösung  und  der  Ruhe  von  allem  Streit  und  Hader 
Bahn  zu  machen.  Ratichs  ganzes  didaktisches  Wirken  ruht  auf 
zwei  Angelpunkten:  die  Begründung  alles  Unterrichts  auf  die 
Muttersprache  und  die  radieale  Umstossung  der  grammatischen 
Methode.  Sein  Radicalismus  in  letzterer  Hinsicht  verbunden  mit 
seiner  persönlichen  Ungeschicklichkeit  Hessen  seine  Pläne  allent- 
halben seheitern  und  die  grammatische  Methode  besteht  in  Deutsch- 
land unangefochten  bis  auf  den  heutigen  Tag:  denn  von  Hamilton» 
Erfolgen  kann  man,  was  die  Erziehung  im  grossen  Ganzen  betrifft, 
absehen.  Der  Irrthuin,  der  hier  zu  Grunde  lag,  bestand  darin, 
das»  in  der  alten  grammatischen  Methode  das  wesentlichste  Ele- 
ment, die  grammatische  Bildung,  übersehen  wurde.  Sollte  jene 
Methode  nur  zur  Erlernung  der  Sprach«'  an  sieh  dienen,  so  hätte 
Ratieh  recht  gehabt,  trotz  seines  Misslingens;  ab«*r  was  man  ihm 
und  ähnlichen  Theoretikern  niemals  klar  entgt-gnen  konnte,  sagte 
ein   fester  Instinct   j«MiVin   Schulmann    um   so  deutlicher.  Da» 


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1S*)1.  I  * I M-r  fl«-n  ZiiHainiiieiiliHiur  der  Kraiehiin^systeiiie  Hr.  1  \  \) 


bessere,  geistige  Theil  der  Sprnchhildung,  das  bewusste  Ergreifen 
der  Formen  übersah  Katich  gegeu  das  materielle  Element,  dos 
blossen  Anlernens.  Wir  können  somit  das  l  'nzeitgomässo,  welches 
von  Knumer  bei  Katich  findet,  ganz  specicll  bezeichnen  und  bo- 
stinnnen  als  ein  Element  des  Materialismus,  in  das  der  gute  Katich 
unversehens  !>ei  seinen  Koformen  verfiel.  .Katichs  Verfahren  würde 
daher  zeitgomäss  sein  in  keiner  andern  Sphäre  als  in  einer 
materialistischen  »»der  wenigstens  einer  rein  materiellen,  d.  Ii.  einer 
solchen,  die  das  geistigere  Princip  in  naiver  Absiehtslnsigkeit 
unangebaut  lässt,  wie  vermnthlich  die  Sphäre  der  kaufmännischen 
Schiller  des  glücklicheren  Hamilton,  der  nach  zwei  Jahrhunderten 
mit  derselben  Methode  viel  (ich!  verdiente. 

Comenius,  Katichs  glücklicherer  Nachfolger  in  der  Theorie 
der  Didaktik,  war  eine  grosse  Persönlichkeit.  Seine  reichen 
I^'benserfahrungen,  sein  tiefes  (iemüth,  seine  umfassenden  Studien 
verbanden  sieh  mit  dem  tiefsten  Nachdenken,  das  in  der  Noth 
der  Zeiten  stets  einen  neuen  Sporn  und  Antrieb  fand. 

Das  grösstc  Ziel  seines  Strebens  war,  die  Pansophie,  ein 
allumfassendes  religiös  philosophisches  Werk,  zu  schreiben,  dessen 
Titel,  wie  er  ihn  im  prodromus  pnnsophinc  aufstellt,  zugleich  wohl 
am  prägnantesten  seine  Ideale  darstellt.  Das  Werk  sollte  heissen: 
„Pansophiae  Christinnnc  templum,  ad  ipsius  supremi  Architeeti, 
Omnipotentis  I>ei  ideas,  normas,  legos<|iie  exstruendum ;  et  usibus 
katholieac  Jesu  Christi  Keclesiae,  ex  omnibus  gentibus,  tribubus, 
populis  et  liuguis,  collcctac  et  colligendae,  conscernndum."  Das 
immer  zusammenhanglosere  Auseinandergehen  der  Wissenschaften 
sollte  hier  durch  Aufstellung  eines  neuen  auf  die  ewigen  Funda- 
mente alles  Wissens  gegründeten  Systems  für  immer  wieder  in 
Einheit  verwandelt  werden,  in  dieselbe  Einheit,  die  er  für  Nationen 
und  Confessionen  so  heiss  ersehnte,  und  deren  Verwirklichung  er 
sieh  je  länger  je  mehr  in  baldiger  Zukunft  dachte.  (  omonius  geht 
somit  bei  allem  Zusammenhange  mit  der  Koformationsbewegung  und 
mit  Baeo  von  Verulam  w<'sentlieh  doch  von  einem  eignen,  wahrhaft 
philosophischen  Princip  aus,  von  der  Setzung  der  Einheit 
in  dem  ursprünglichen  Wesen  aller  Wissensehaft  und  alles  geistigen 
J^ebens. ')    Dieses  Bestreben  der  Einigung  ist  es  nun  auch,  was 

'l  Wie  in«»?  rs  sein,  tl;i*f>  tmlzdein  (.'oiuenius  in  der  ( JcM-liirhto  «l<*r 
Philosophie  kriiie-wep«  die  ilim  jrehnhrende  Heaehtunjr  gefunden  hat? 

Anm.  iler  Sihriftleitunjr. 


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1J0 


Lllljre, 


Heft  4  Ii.  •">. 


seine  hoehberühmt  gewordenen  didaktischen  Leistungen  charak- 
terisirt.  Durch  Baeo  mächtig  «l«ac«i  angeregt,  über  den  alten  ver- 
mittelten Realismus,  den  wir  bei  Melanehthon  fanden,  hinauszu- 
gehen und  die  Dinge  aus  der  Natur  selbst  zu  entnehmen,  blieb 
er  doch  nicht  dabei  stehn,  diesen  wahren  Realismus  in  die  Schulen 
auf/uuehmen,  sundern  der  Aufgabe  von  Jahrhunderten  voraus- 
greifend,  suchte  er  sofort  eine  Synthese  der  streitenden  Richtungen. 
Denn  es  ist  keineswegs  eine  äusserliche  Nebeneinanderstellung  und 
( Jleichbereehtigung  der  Sachkenntnisse  und  der  Sprachen,  sondern 
ein  einheitlicher  Ciang  des  l  "nterriehts,  durch  Sachen  die  Sprachen 
und  durch  Sprachen  die  Sachen,  was  er  in  seiner  janua  reserata, 
«lein  orbis  pictus  und  andern  Jahrbüchern  bezweckt.  Das  viel- 
bewegte lieben  und  die  pmktische  Natur  des  Comenius  hemmten 
die  ideale  Ausbildung  seines  Systems,  zu  der  es  seiner  Anlage 
nach  allein  fähig  gewesen  wäre:  dennoch  blieb  sein  Einthiss  auf 
die  Schulen  ein  höchst  bedeutender  und  weit  über  Deutschlands 
( irenzen  hinausreichender. 

Die  sänuntlichen  theoretischen  und  praktischen  Refonn- 
veiNuche  und  System«1,  die  wir  bisher  im  (iefolge  der  Reformation 
auftreten  sahen,  bezogen  sieh  mit  Ausnahme  des  Trotzendorfsehen 
auf  die  Didaktik,  also  auf  das  Schulleben.  Nachdem  somit 
das  ( 'hristeiithum  eine  Synthese  der  (»rundcleniente  der  allge- 
meinen Pädagogik  gegeben  hatte,  treten  seit  der  Refnrmationszeit 
die  Motive  der  angewandten  Pädagogik  der  Reihe  nach  historisch 
auf  und  zwar  beginnend  nicht  etwa  vom  Familienverhältnisse, 
sondern  vom  Schulverhältni*se ;  bei  I/»eke  und  Rousseau  tritt 
Malaiin  das  einfache  Erzicherverhältniss,  bei  Basedow  die  Erziehungs- 
anstalt, bei  Pestalozzi  die  Familie  in  den  Vordergrund;  eine  auf- 
steigende Linie,  in  der  das  einfachste  aber  auch  am  höchsten 
stehende  Verhältniss  zuletzt  kommt.  —  Das  Familienverhältniss 
fand  übrigens,  wenn  auch  noch  nicht  in  principieller  Ausführung, 
«•ine  besondere  Berücksichtigung  durch  Luther.  In  \aA\vv  und 
Beispiel  wirkte  dieser  kräftig  für  den  wahren  neutcstamentliehen 
(ieist  der  Faniilienzucht,  wonach  die  Liebe  im  (iegensatz  zur 
strengen  ( Jeset/.liehkeit  in  den  Vordergrund  treten  soll.  Werfen 
wir  nun  noch  einen  Blick  auf  die  Erziehung  der  Jesuiten,  deren 
Schulen  gleichzeitig  mit  denen  der  Reformation  einen  grossen  Ruf 
erlangten!  Man  thut  diesem  Orden  Int-ccht,  wenn  man  seinen 
Eifer  für  die  Schulen  lediglich  in  dein  Zweck  der  Ausbreitung 


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lKiH.  t'lwr  «Im  Xus;iminonlmn^  der  Krzieluuiirssystfmr  <'<•. 


121 


seiner  I'rineipien  will  begründet  finden.  Die  katholische  Kirche 
hatte  ihrerseits  die  Notwendigkeit  einer  Reformation  auch  an- 
erkannt und  als  Haupttriiger  dieser  Gegenreformation  wurden  die 
Jesuiten  von  selbst  zu  berufenen  Pflegern  der  Wissenschaften. 
Das  Streben,  der  Reformation  hierin  den  Rang  abzulaufen  und  zu 
zeigen,  wie  eine  Reform  der  Sitten  und  der  Bildung  bei  einem 
verschärft  hierarchischen  Grundprincip  bestehen  könnte,  gab  ihnen 
doppelte  Knergie.  So  sah  man  bald  das  Schauspiel,  dass  Jesuiten 
die  elegantesten  Ijateiner  wurden,  während  die  kölniseheu  Scho- 
lastiker kurz  vor  der  Reformation  einen  I^ehrer  nach  dem  andern 
verjagt  hatten ,  weil  er  ihr  barbarisches  Ixitein  angriff'.  Selbst  in 
den  Naturwissenschaften,  namentlich  grade  in  der  Astronomie, 
gehölten  bald  Jesuiten  mit  zu  den  berühmtesten  Namen.  In  dieser 
Richtung  auf  Restauration  der  Wissenschaften  lag  der  positive 
Beruf  der  Jesuiten  für  das  Sehnlichen,  daher  auf  diesem  Felde 
auch  ihre  U»istungen  so  glänzten,  dass  Sturm  alles  andre  über- 
sehend sie  fast  wie  <  iesinnungsgenossen  begrüsst  und  Rae«»  von 
Verulam  nichts  B<'sseres  in  Hinsicht  des  l  "nterrichtes  zu  empfehlen 
weiss  als  Nachahmung  der  Jesuitensehulen.  Die  südlichen  macehia- 
vellistisehen  Prineipien  dieses  Ordens  machten  jedoch  seine  sitt- 
liche Krziehung  um  so  verdächtiger;  namentlich  sieht  der  ger- 
manische Stamm  sein  Ideal  der  Sittlichkeit  so  bestimmt  in  einem 
entgegengesetzten  Licht«',  dass  eine  Schrift  wie  die  Apologie 
Macehiavellis  durch  Macaulay  mit  allem  Appelliren  an  die  Ver- 
schiedenheit der  Nationalitäten  nur  unsern  Verstand  bewegen  kann; 
auf  dein  religiösen  Gebiete  aber  erseheinen  diese  Kiemente  mit 
Recht  noch  schwärzer  als  auf  «lern  politischen. 

Während  so  die  sämnitlichcn  Grundideen,  die  in  der  Rcfor- 
niationszeit  lagen,  früher  oder  später,  dauernder  oder  vorüber- 
gehender auf  dem  pädagogischen  Gebiete  ihren  Ausdruck  fanden, 
begann  schon  die  neuere  Philosophie  sich  zu  entfalten.  Zwei 
Richtungen  lassen  sieh  unterscheiden,  von  denen  die  eine  mit 
einem  Glanzpunkte  anfangend  sieh  in  einen  schmählichen  Ausgang 
zu  verlieren  scheint,  während  die  andere  immer  höher  und  breiter 
anwachsend  erst  in  der  nächst  vergangenen  Generation  mit  einem 
Lichtpunkte  endigt. 

Baeo  von  Verulam,  ein  ehrwürdiger  Name,  trotz  der  irdi- 
schen Mängel,  die  dem  Chanikter  dieses  Mannes  anklebten,  schrieb 
in  den  ersten  Jahren  des  1  7.  Jahrhunderts  seine  instauratio  magna. 


1_'_> 


Lui^-. 


Heft  4  II. 


Die  Philosophie  wuixle  durch  ihn  zum  ersten  Male  seit  Aristoteles 
mit  rinnii  grossen  entscheidend«'!!  Erfolg««  auf  «Ii«*  br««itc  realistisch«- 
Basis  gesetzt;  seine  Pyramide  der  Philosophie,  die  von  der  un- 
zähligen Vielheit  der  irdischen  Dinge  ausgeht  und  sich  mit  all- 
niählig««r  Verjüngung  his  zu  der  Gottheit  seihst  als  ihrer  letzten, 
einheitlich  sehliesscndcn  Spitz«-  erheben  soll,  gleicht  dem  babylo- 
nischen Thurmbau,  der  von  der  Knie  in  den  Himmel  ragen  und 
den  Geschlechtern  der  Sterblichen  ein  Symbol  ihrer  Einheit  sein 
soll.  Und  es  fanden  sich  bald  die  Titanen,  welche  Berge  ver-  . 
setzten,  um  den  gewaltigen  Grund  zu  legen.  Galiläi  und  Kepler 
waren  Zeitgenossen  Bucos,  und  von  ihnen  bis  auf  unsere  Tage 
zieht  sieh  eine  Kette  von  riesigen  Arbeitern,  das  Fundament  jenes 
Baues  zu  errichten.  Die  exaeten  Wissenschaften  traten  ins  liehen 
und  das  Studium  der  Xatur  gewann  eine  Bedeutung,  die  die  Alten 
nicht  geahnt  hatten.  Aber  auch  Baeo  hatte  keinen  Massstab  für 
diese  Ausführung  des  Gebäudes.  Die  Geschichte  entwindet  ihm 
Titel  und  Rechte  des  Baumeisters,  so  sehr  auch  seine  Weiherede 
ihm  das  Andenken  und  den  Dank  einer  fernen  Zukunft  sichert. 
Die  ganze  wahrhaftige  Bedeutung  Baeos  liegt  daher  in  den  Prin- 
eipien  der  Rückkehr  zur  Xatur,  in  der  Erfindung  der  lnduction 
und  in  alle  dem  was  auf  das  Fundament  seines  Baues,  zu  dem 
allein  die  I'rineipien  aus  der  Zeit  konnten  mit  Sicherheit  gegriffen 
werden,  Beziehung  hat.  Wer  wird  bei  dieser  I^age  der  Sache 
eine  Pädagogik  von  ihm  fordern?  Die  Philosophie  spricht  ihn 
frei,  und  nur  der  gemeine  Verstand  und  das  allgemein  menschliche 
Gefühl  der  Sittlichkeit  haben  es  mit  ihm  zu  thun,  wenn  er  über 
das  Ideal  der  .lesuitenschulen  nicht  hinausgeht. 

Anders  steht  es  mit  Locke.  Bacos  Philosophie  enthielt 
immerhin  in  ihrer  gigantischen  Tendenz,  in  der  Setzung  der  blossen 
Möglichkeit,  auf  menschlichem  Wege  aus  der  Xatur  zu  Gott  zu 
steigen,  den  Keim  einer  Afterphilosophic,  den  später  die  Materia- 
listen zur  Xothreife  brachten.  Durch  die  rächende  Ironie  der  ( u- 
sehiehte  sollte  ein  Pygmäenthuui  daraus  werden,  und  hier  bildete 
Locke  «'in  Mittelglied;  selbst  noch  eine  stattlich«'  Erscheinung. 
Seim-  Empirie  hat  der  W«>lt  ihre  Dienst«-  getlum  und  den  gesunden 
M<'ns<«h<,nverstan<l  gefördert;  aber  während  die  lvinc  Empirie  g»-- 
duldig  und  bescheiden  ist,  indem  sie  tlie  InVhstcn  Resultate  findet, 
wird  «ler  Empirismus  zum  Usurpator,  intlem  er  siYh  als  letztes 
philosophisches  Princip  constituirt.     Im  Fortschritt   g««gen  Baeo 


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1894.         Ob*>r  don  Zusammenhang  der  Erziehungwyetemc  etc.  123 


wandte  sieh  übrigens  Locke  vorwiegend  dem  Reiche  des  Geistes 
zu,  und  die  Pflicht  Pädagoge  zu  werden,  die  ihm  daraus  erwuchs, 
hat  er  treulich  erfüllt  Auch  ist  der  Zusammenhang  seiner  Ge- 
danken über  Erziehung  mit  seinem  philosophischen  Standpunkte 
überhaupt  klar  und  leicht  zu  übersehen.  Wie  der  Empirismus 
nur  das  nächste  Resultat  des  Forschens  will  und  anerkennt,  so 
entspricht  ihm  auf  dem  Gebiete  der  Ethik  das  Nützlichkeits- 
prineip,  welches  nur  ein  nächstes,  relatives  Gut  als  Gegenstand 
des  menschlichen  Willens  begreift.  Daher  denn  das  letzte  Ziel 
der  Erziehung  hier  bei  Gesundheit,  äusserlichem  Glück  und  mög- 
lichst freiem  Gewissen  stehen  bleibt,  wahrend  in  den  Mitteln  eine 
sündliche  Verlockung  zum  Guten  durch  Ehrgeiz  und  äusseren 
Vortheü  vorherrscht 

An  Locke  reihen  sich  die  Materialisten  mit  einer  Synthese 
von  Menschcngeist  und  Natur.  Sie  haben  die  Philosophie  schon 
fertig,  wahrend  die  Geschichte,  oft  durch  den  Arm  derselben 
Manner,  noch  immer  Bacos  Fundamente  legt  Ihre  Systeme  sind 
daher  wie  ein  Strohdach  über  dem  Sockel  eines  Domes,  wodurch 
dann  freilich  aus  dem  Ganzen  eine  Scheune  wird.  Ihre  pädago- 
gischen Consequenzen  tauchen  in  dem  Strudel  der  französischen 
Revolution  am  offensten  auf. 

Legte  nun  Baco  von  Verulam  eine  Art  von  babylonischem 
Thunnbau  an,  so  ist  es  dem  zweiten  grosseren  Stamme  der  Philo- 
sophie eigenthümlich,  mit  der  Spitze  zu  beginnen  und  so,  nicht 
wie  irdische  Bauleute  pflegen,  aus  der  Wolkenhöhe  des  Princij>s 
zu  der  irdischen  Vielheit  der  Dinge  hinabzusteigen.  Betrachten 
wir  aber  diese  Principien  näher,  die  Sclbstgewissheit  bei  Cartcsius, 
die  Substanz  bei  Spinoza,  die  Urmonade  bei  Leibniz,  das  Ich 
bei  Fichte,  das  Absolute  bei  Schölling  und  Hegel,  so  sehen 
wir  in  ihnen  allen  einen  Geist  der  abstrakten  Theorie  vorwalten, 
der  von  vornherein  die  praktische  Philosophie  als  einen  äusseren 
Anhang,  eine  nur  gezwungene  Folgerung,  überhaupt  als  Nebensache 
erscheinen  lässt  Auf  diesem  Standpunkte  muss  die  Pädagogik 
zwar  für  eine  vollkommene  Durchführung  des  Systems  bis  auf 
den  Boden  der  wirklichen  menschlichen  Existenz  im  Leben  immer 
noch  als  ein  nothwendiger  Theil  erscheinen,  sie  kann  jedoch,  in- 
sofern sie  lediglich  als  Theil  der  praktischen  Philosophie  be- 
trachtet wird,  ebenso  wie  diese  überhaupt  Nebensache  sein 
und  im  Nothfalle  den  Fachmännern  zur  Bearbeitung  überlassen 

Monatah<'fU>  d«>r  Conwniu<»-0!K'll*cbafi.    lSfll.  Ii 


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121  Ungc.  Heft  4  u.  ä. 

werden,  wie  etwa  eine  Rechtsphilosophie  den  Juristen.  A1>er  die 
Pädagogik  ist  auch  als  eine  rein  theoretische  Wissenschaft 
denkbar,  indem  die  Entwickelnng  des  Bewusstscins  durch  die  Alters- 
stufen des  einzelnen  Menschenlebens  nicht  nur  an  sich,  sondern 
in  ihrer  Wechselwirkung  mit  einem  l>ercits  gereiften  Selbstbewnsst- 
sein  unter  den  verschiedenen  pädagogischen  Grundverh:iltniHsen 
verfolgt  und  wissenschaftlieh  dargestellt  wurde.  Die  Hegclschc 
Philosophie  in  ihrer  allumfassenden  Tendenz  wäre  zu  diesem  Stück 
Arbeit  verpflichtet  gewesen,  und  die  Nachfolger  jenes  Meisters 
hatten  an  der  Ausfüllung  dieser  Lücke  eine  würdigere  Aufgabe 
gehabt,  als  am  Zurückgehen  auf  die  gewohnte  Form  einer  prak- 
tischen Kunstlehrc.  letztere  hätten  wir  unter  allen  am  ehesten 
von  Kant  erwarten  dürfen;  die  praktische  Richtung  seiner  Philo- 
sophie verpflichtete  ihn  nicht  weniger  dazu,  als  sein  Amt  ihn  ver- 
anlassen musstc.  Die  Aufregung  der  Zeit  in  pädagogischer  Hin- 
sicht forcierte  ebenfalls  heraus;  aber  Kant  mochte  es  nicht  lieben, 
sich  in  den  lürm  der  streitenden  Parteien  zu  mengen. 

Andere  Gründe  dieser  Versäumnis*  der  Philosophie  liegen 
in  Thatsaehen,  die  in  ihrem  historischen  Zusammenhange  so  weit 
greifen,  dass  sie  hier  höchstens  angedeutet  werden  können.  Die 
höheren  Schulen  und  die  Universitäten  standen  zur  Reformations- 
zeit in  einem  weit  näheren,  innigerem  Zusammenhang  als  jetzt.  Der 
ungeheure  Fortschritt  der  Wissenschaften,  insbesondere  auch  ausser 
den  Naturwissenschaften  der  klassischen  Philologie  in  Deutschland, 
erzeugten  einen  Standesunterschied,  eine  um  so  grössere  Gcsehieden- 
heit,  je  weniger  die  Schuhnethoden  trotz  aller  Verbesserungen 
Schritt  zu  halten  vennoehten.  -  Man  beilenke  nur  das  eine  Bei- 
spiel: das  trefflichste  Gymnasium  würde  sieh  nicht  nur  gegen  die 
grosse  Masse  seiner  Schüler,  Mindern  auch  gegen  den  Wortlaut 
bestehender  Gesetze  versündigen,  wenn  es  in  der  Mathematik 
Kapitel  berühren  würde,  bei  denen  die  Wissenschaft,  wie  sie  von 
Fachmännern  getrieben  wird,  ihre  ersten  Anfänge  hat.  Wie  aber 
einem  Schüler  keine  Ahnung  davon  gegeben  werden  kann,  was 
die  Mathematik  seit  Newton  und  Ix'ibni/.  eigentlich  ist,  so  müssen 
ihm,  wenn  anders  überhaupt  noch  ein  Zweck  erreicht  werden  soll, 
die  wahren  Geheimnisse  fast  aller  Wissensehaften  noch  vorent- 
halten bleiben.  Die  menschliche  Schwachheit  hat  es  herbeigeführt, 
dass  von  diesem  relativen  Sinken  des  Stoffes  unserer  Schulen  eine 
gewiss«-  vornehme  Geringschätzung  die  Kunst  des  Tittei-richts  und 


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I'Imt  «l«>n  Xunimnicnhaiig  <U*r  KrziehHiijrssy^n'rur  Hr. 


12f> 


<l«-r  Erziehung  seihst  hetn»fl*en  hs>t.  Indein  «He  Meister  dieser 
Kunst  ans  Wirkung  alter  Tradition  naeh  wie  vor  ihre  wahre 
Wurzel  in  der  Wissensehaft  seihst  suchen,  die  sie  vertreten,  wird 
einerseits  der  tiefen-  Kall  der  öftentliehen  Hochschätzung  mit  oft 
bewundeningswünliger  Anstrengung  gehemmt;  andererseits  aber  der 
Kunst  die  letzte  Knift  entzogen.  S<»  kam  «'s,  dass  im  Laufe  des 
vergangenen  Jahrhunderts  die  Pädagogik,  von  der  Philosophie  so- 
wohl wie  von  den  Kachgenossen  im  Stieh  gelassen,  Abenteurern 
in  die  Hände  fiel,  wie  eine  i*cs  nullius,  mit  der  man  naeh  Gut- 
dünken schalten  kann.  Ks  hat  dies  in  etwa  sein  Gutes  gehabt, 
da  das  Hessen*  einmal  doch  nicht  sein  sollte.  Je  mehr  man  ohne 
die  Voraussetzungen  irgend  einer  philosophischen  oder  gelehrten 
Schule  an  die  Sache  gieng,  desto  sicherer  bemächtigte  sich  ihrer 
der  herrschende  Geist  der  Zeit  und  prägte  ihr  seinen  Stempel  auf. 
Insbesondere  gilt  dies  von  Basedow  und  Pestalozzi.  Rousseau 
als  Pädagoge  bleibt  in  mancher  Beziehung  eine  räthselhafte  Er- 
scheinung. Ebenso  wie  Basedow  und  Pestalozzi  ohne  bestimmten 
philosophischen  Ausgangspunkt,  wollte  er  sich  nicht  dem  Geist 
seiner  Zeit  überlassen,  sondern  erklärte  derselben  im  Gegentheil 
auf  allen  Punkten  den  Krieg.  Nicht  nur  fand  er,  wie  auch  Ba- 
sedow und  Pcstnllozzi,  die  Erziehung  verkehrt,  sondern  er  macht«' 
«•s  förmlich  zum  Princip,  die  l'ebel  alle  in  dem  Abfall  der  ganzen 
Gesellschaft  von  d«*r  Natur  und  die  Heilung  einfach  in  der  totalen 
Umkchrung  des  l'eblichen  zu  suchen.  Rousscnus  Hass  der  G<i- 
sellschaft,  sein  Princip  «1er  Natürlichkeit,  sein  Pelagianismus  waren 
vi«'l  zu  originell  in  ihrer  Entstehung,  zu  unrein  in  ihrer  l>m*eh- 
führung,  als  dass  ihm  eine  bestimmte  St«-!!«',  die  Vertretung  einer 
bestimmten  Stufe  in  «1er  Entwicklung  der  Pädagogik  g«'bührt«', 
und  doch  war  sein  Einfluss  vielli-ieht  grösser,  als  «h-r  irgend  eiius 
pädagogischen  Theoretikers.  In  ihm  eoncentrirt«'  si«'h  Manches, 
das  theils  auf  einer  früheren  Stufe  d«>r  Erkenntniss  versäumt,  tlieils 
andenveitig  schon  vorb«'r«'it«'t  war.  So  wurde  z.  B.  di<>  Natürlich- 
st ein  Schlagwort  von  mächtiger  Wirkung,  w«'il  <*s  einers«-its 
an  die  Gultur  der  Lciblichkcit  anklang,  die  b«i  einer  praktischeren 
Richtung  der  Philos«»phie  schon  von  Spinoza  hätte  gepredigt  werden 
können  und  die  Locke  nicht  v«>i*gess«»n  hatte,  anderseits  an  di«' 
Vcnumftcr/.iehung  Based«»ws,  die  dun'h  d«'ii  deutscheu  Rationalis- 
mus im  W«'s«MitIi<'!u  ii  gefördert  wnnle.  „Natürlich''  ist  im  l'cbrigen 
j«'de  Zeit,  di<'  ihre  Aufgab«-  «'rkennt,  und  diese  Aufgab«-  war  damals 


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126 


Laiige, 


Heft  4  u.  5. 


nicht«  weniger  als  ein  Rousseau'sehcs  Aufgeben  der  Civilisation. 
In  Deutschland  hatte  sich  aus  den  nie  erloschenen  Elementen  der 
subjectiven  Mystik  einerseits  der  Pietismus  entwickelt,  den  A.  H. 
Francke  in  imposanter  Weise  pädagogisch  vertrat,  anderseits  der 
Rationalismus,  der  jedoch  erst  durch  sein  Zusammentreffen  mit 
der  Wolf  sehen  Philosophie  und  mit  der  französischen  Aufklärung 
zu  jenem  breiten  Strome  wurde,  der  ganz  Deutschland  über- 
schwemmte. Ihn  vertrat  in  der  adäquatesten  Form  Basedow  und 
mit  ihm  der  ganze  Philanthropismus.  Diese  beiden  Richtungen, 
die  Franckesche  sowie  die  philantropischc  begegnen  sich  in  Beför- 
derung des  Realismus,  dessen  Ueberhandnehmen  durch  die  Bedurf- 
nisse des  Lebens  noch  täglich  neue  Nahrung  erhält.  Als  principielle 
Vertreter  der  Bürgerschulen  kann  man  besonders  A.  H.  Francke 
und  den  Prediger  Seniler  zu  Halle  ansehen;  neben  ihnen  eine 
Reihe  verdienter  Männer  aus  der  ersten  Hälfe  des  vorigen  Jahr- 
hunderts. —  Auch  die  Volksschule  sollte  sodann  einen  be- 
sonderen Aufschwung  erhalten  durch  Pestalozzi,  der  zugleich  als 
Vertreter  des  Familienverhältnisses  in  der  Erziehung  schon  oben 
erwähnt  wurde.  Pestalozzis  Wirkung  auf  die  Erziehung  war  wesen- 
hafter und  dauernder,  als  die  seines  Vorgängers.  Sein  Streben 
statt  des  Scheinwissens  ein  achtes,  statt  eines  Wustes  unverarbei- 
teter Kenntnisse  die  wahren  Elemeute  und  durch  diese  eine  un- 
trügliche Methode  zu  finden,  erinnert  schlagend  an  Kants  Unter- 
nehmen auf  dem  Boden  der  Philosophie.  Und  in  der  That,  um 
hier  Zusammenhänge  anzunehmen,  muss  man  sich  nicht  dadurch 
beirren  lassen,  dass  Pestalozzi  die  Kant'sche  Philosophie  niemalK 
studirt  hatte.  Die  gewaltig  treibende  Kraft  seiner  Liebe  zum  Volk 
hatte  Pestalozzi  zum  Pädagogen  gemacht;  sein  Ideal  schwebte  ihm 
anfangs  so  undeutlich  vor,  dass  er  sich  freute  über  jede  Hülfe 
zur  Verdeutlichung  und  allmählich  kam  eine  solche  Menge  viel- 
seitig gebildeter  Männer  mit  ihm  in  Berührung,  dass  er  in  der 
That  der  treibenden  Feder  eines  Uhrwerks  zu  vergleichen  ist, 
dessen  Gang  ein  mannigfaches  Räderwerk  regelt.  Am  eigentüm- 
lichsten gehört  ihm  eben  seine  Hervorhebung  der  Familiener- 
ziehung,  und  wenn  auch  die  stille  Wirkung  derselben  weniger 
öffentlich  beachtet  wurde,  als  seine  übrigen  Leistungen,  so  ist  sie 
vielleicht  nur  um  so  tiefer  gegangen. 

So  wären  denn  auch  die  Hauptmomente  einer  angewandten 
Pädagogik  trotz  aller  Unbilden  der  Zeiten  historisch  ans  Licht 


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1H94.         Cl\»r  den  Ziixummenhang  der  ErziehuntfsMViMeme  oh-.  127 


getreten,  einer  organischen  Synthese  nwh  harrend.  —  Es  ist  ab- 
sichtlieh geschehen,  dass  wir  Herbarts  in  dieser  Untersuchung 
keine  Erwähnung  gethan.  Ueber  das  System  dieses  Mannes  ist 
noch  nicht  abgeschlossen. 

Die  Gegenwart  mit  ihren  Arbeiten  und  Aufgaben  tritt  hier 
in  unmittelbare  Verbindung  mit  dem  bereit«  Geleisteten.  Diese 
Aufgaben  sind  gross,  in  der  Theorie  wie  in  der  Praxis.  Sie  be- 
dürfen daher  eines  kleinen  Anfangs,  stillen  Schaffens  und  schwei- 
gender Aufmerksamkeit  auf  die  Zeichen  der  Zeit,  Die  Geschichte 
der  Pädagogik  aber  ist  das  Thor,  durch  das  die  Wissenschaft 
selbst  in  den  Kreis  der  grossen  Wissenschaften  einzig  wieder 
einen  würdigen  Einzug  halten  kann. 

Bonn,  den  24.  Oktober  1855. 

Fr.  Albert  Lange. 


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Condorcefs  Ideen  zur  Nationalerziehung. 

Ein  Sehulgesctzentwurf  vor  hundert  Jahren. 

Von 

Dr.  Paul  Natorp, 

i:niv«'r!iiUllJt-Pn»f<'*M>r  in  M«rl»urK. 


„Jeder,  der  als  Mensch  geboren,  ist  zu  demselben  vornehm- 
sten Zweck  geboren:  Mensch  zu  sein/4  Dieser  Satz  der  Didnctica 
magna,  als  Grundsatz  aufgestellt,  um  das  uneingeschränkt  allgemein«' 
Recht  auf  Bildung  „zu  allem  Menschlichen"  darauf  zu  gründen, 
scheint  er  nicht  die  „Erklärung  der  Menschenrechte"  voruuszu- 
verkünden? 

In  der  Thut,  nirgend  in  der  seitherigen  Geschichte  finden 
Comenius'  organisatorische  Forderungen  für  das  Bildungswesen 
genauere  Analogien,  als  in  den  grossen  schulpolitischen  Entwürfen 
der  französischen  Revolution.  Dieselben  Grundgedanken  begegnen 
uns  da:  streng  allgemeiner,  auf  den  unteren  Stufen  auch  gemein- 
samer und  inhaltlich  gleicher  Unterricht  für  die  ganze  Nation, 
gemeinsam  und  gleich  auch  für  beide  Geschlechter;  Aufhebung 
jedes  Klassenvorrechts  in  Bildungssachen.  indem  nicht,  wer  mehr 
aufwenden  kann,  von  Anfang  an  eine  bessere,  auf  höhere  „Zielleistun- 
gen"  hinaussehend«',  höhere  „Berechtigungen"  gewahrende  Bildung 
beanspruchen  darf,  sondern  die  gleichen  Bildungswege  Allen  ohne 
rntersehied  des  Standes  und  Vermögens,  lediglich  nach  dem  Masse 
der  Befähigung  offen  stehen,  die  allemal  höhen-  Stufe  nur  dem 
zugänglich  ist,  der  die  unteren  zuvor  ordnungsmässig  durchlaufen 
hat;  »lein  Stoff  nach  möglichst  allseitige  Gestaltung  gerade  des 
grundlegenden  l'nterrichts,  damit  jeder  besonderen  Begabung  Ge- 
legenheit geboten  sei,  sieh  rechtzeitig  kundzugeben  und  die  ihr  an- 
gemessene Entwicklung  zu  finden;  daher  Berücksichtigung  auch  der 
Bildung  zur  physischen  Arbeit;  endlich  Einführung  einer  allge- 
meinen, vom  religiösen  Bekenntnis  unabjiängigen  sittlichen,  des- 


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1S!U. 


Natorp.  (•(»iidon-rtV  Idnen  zur  Nntioimlcr/.iiliung. 


gleichen  wirtschaftlichen,  rechtlichen,  politischen  Unterweisung,  als 
für  Alle  gleich  unerlässlich. 

Ob  hier  ein  Einfluss  des  ('omcuius  vorliegt,  und  wie  dieser 
vermittelt  ist,  oder  ob  selbst  ohne  einen  solchen  das  gleiche  sichere 
Vertrauen  auf  die  Macht  der  Vernunft  im  Menschen  zu  den 
gleichen  demokratiehen  Folgerungen  in  der  Bildungsfrage  geführt 
hat,  wim'  wohl  der  Untersuchung  wert;  zunächst  ist  gewiss  die 
ersterc  Annahme  die  wahrscheinlicher«'.  Hier  soll  darauf  nicht 
weiter  eingegangen,  sundern  nur  einer  jener  Knt würfe,  der  zugleich 
hochsinnigste,  wissenschaftlich  durchdachteste  und  für  die  Bildungs- 
fragen unserer  Zeit  belehrendste,  vorgeführt  werden,  der  des  be- 
rühmten Mathematikers,  Enevklopädistcn  und  (Girondistenführers 
Condoreet,  der  Nationalversammlung  vorgelegt  am  20.  und  21. 
April  1792. 

Die  Forderung  einer  umfassenden  Organisation  der  „Xational- 
erzichung"  gehört  zum  eisernen  Bestand  des  revolutionären  Pro- 
gramms. Eine  Reihe  darauf  zielender  Entwürfe  ist  schon  vor 
dein  Ausbruch  der  Revolution  zu  verzeichnen,  wie  ja  alle  ihre 
Hauptideeu  lange  vorher  fertig  waren.  Xoeh  sehr  bescheiden  ver- 
langt der  durch  Rolland  176K  dem  Parlament  vorgelegte  Bericht 
(Oompte  rendu  ou  plan  d'education)  für  jeden  Franzosen,  selbst 
für  den  Handarbeiter,  „eine  gewisse"  Bildung,  d.  h.  wenigstens 
Ijesen  und  Schreiben.  Helvetius  und  Diderot  arbeiteten  in  den 
siebziger  Jahren  theoretische  Entwürfe  in  ziemlich  radikaler  Rich- 
tung aus.  Endlich  Turgot  stellt  in  dem  durch  Dupont  de  Xeinnurs 
nach  seinen  Weisungen  etwa  1775  ausgearbeiteten  Verfassungs- 
entwurf  Forderungen  für  das  Unterriehtswesen,  die  denen  seines 
Freundes  und  (Gesinnungsgenossen  Condoreet  Ix-greiflich  sehr  nahe 
stehen.  Xur  zehn  .Jahre,  meinte  Turgot,  brauche  das  von  ihm 
aufgestellte  System  in  Wirksamkeit  zu  sein,  um  die  Nation  auf 
eine  Stufe  zu  erheben,  dass  sie  nicht  wiederzuerkennen  sei. 

Die  Revolution  gab  der  so  in  allen  Edlen  schon  lebendigen 
Begeisterung  für  die  Sache  der  Nationalerziehung  neue  Nahrung; 
schien  sie  doch  berufen,  jene  Idee  aus  dem  Stadium  des  frommen 
Wunsches  und  der  akademischen  Krortcrung  in  das  der  organisa- 
torischen That  überzuführen.  Die  Forderung  Rousseaus,  die  Volks- 
souveränität, war  mit  einem  Schlage  zur  Anerkennung  gelangt; 
man  gab  sieh  keiner  Täuschung  darüber  hin,  dass  sie.  samt  Frei- 
heit und  (Gleichheit,  ein  leeres  Wort  blieb,  so  lange  nicht  der 


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130 


Natorp, 


Heft  4  u.  5. 


ganzen  Nation  auch  der  Anteil  an  Bildung  vorliehen  war,  der 
allein  sie  in  stand  setzte,  die  ihr  zugebilligten  Rechte  in  Besitz 
zu  nehmen  und  sie  zu  ihrem  Heil,  nicht  zu  ihrem  Verderben  zu 
gebrauchen. 

So  formuliert  die  Konstitution  vom  August  1791  unter  ihren 
Grundartikeln  die  Forderung:  „Es  soll  ein  öffentlicher  Unterricht 
geschaffen  und  eingerichtet  werden,  gemeinsam  für  alle  Bürger, 
unentgeltlich  für  die  allen  Menschen  unerlasslichen  Unterrichts- 
gegenstande; die  dafür  bestimmten  Anstalten  sollen  in  einer  der 
Einteilung  des  Königreichs  entsprechenden  Anordnung  stufen- 
mässig  verteilt  werden."  Kaum  einen  Monat  später  legt  bereits 
Talleyrand  einen  umfassenden  Organisationsplan  der  Konstituieren- 
den Versammlung  vor.  Er  bezeichnet  klar  den  Nationaluntcrricht 
als  notwendige  Ergänzung  zum  allgemeinen  Stimmrecht  Die  Un- 
gleichheit soll  von  Seiten  der  Erziehung  zuerst,  zwar  nicht  auf- 
gehoben, aber  gemildert,  die  Freiheit  des  Individuums  erst  dadurch 
begründet  werden,  dass  man  ihm  ein  Bewusstsein,  dass  man  ihm 
eine  Vernunft  giebt.  Daher  sind  allenthalben  bis  zum  kleinsten 
Dorf  Schulen  zu  errichten.  Der  Unterricht  muws  auch  dem  Gegen- 
stand nach  allseitig  sein;  jeder  muss,  zwar  nicht  alles  lernen, 
aber  die  Möglichkeit  haben,  alles  zu  lernen.  Für  den  Unterricht 
der  weiblichen  Jugend  ist  auf  gleicher  Linie,  wie  für  den  der 
Knaben,  Sorge  zu  tragen.  Auch  Einrichtungen  zur  Fortbildung 
für  die  Erwachsenen  werden  ins  Auge  gefasst 

Der  Entwurf  kam  nicht  zur  Durchberatung  und  Bcschluss- 
fassung;  die  Konstituierende  hinterliess  die  Aufgabe  ungelöst  der 
Gesetzgebenden  Versammlung,  welche  alsbald  Condorcet  mit  der 
Ausarbeitung  eines  neuen  Gesetzentwurfs  betraute.  Er  war  ge- 
rüstet; seine  leitenden  Grandsätze  hatte  er  soeben  in  fünf  Ab- 
handlungen (Sur  Pinstruetion  publique)  in  der  Bibliotheque  de 
l'homme  public  1791—92  ausführlich  dargelegt;  es  kam  nur  noch 
auf  eine  knappe,  eindringliche  Fassung  an,  die  ihm  vorzüglich 
gelungen  ist  •) 

Die  wesentlichen  Vorzüge  dieses  Entwurfs,  durch  die  er 
seine  zahlreichen  Vorganger  und  Nachfolger  überragt,  bestehen, 


')  Man  findet  jene  Abhandlungen  sowie  den  Entwurf,  dem  eine  ein- 
gehende Begründung  vorangeht,  im  T.Bande  «einer  durch  Condorcet  O'Connor 
und  Arago  herausgegebenen  Werke,  S.  100  ff. 


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1K94.  Condorcet's  Itloen  nur  Xationalerzit'hunjr-  131 

abgesehen  von  der  fast  mathematischen  Strenge  und  Eleganz  de* 
Aufbaus,  in  drei  Dingen:  in  der  entschlossenen  Durchführung  der 
Idee  einer  völligen  Gleichheit,  einer  thatsächlichen  Aufhebung, 
nicht  bloss  Milderung  der  Klassenunterschiede  im  Bildungsweseu ; 
in  der  Behauptung  seiner  strengen  Unabhängigkeit  von  staatlicher 
wie  kirchlicher  Gewalt  und  Begründung  auf  die  einzige  Grundlage 
der  Wissenschaft  und  Pädagogik;  endlich  in  der  umfassenden 
Berücksichtigung  des  Unterrichts  der  Erwachsenen,  des  Fortbil- 
dungswesens. 

Diesem  Manne  ist  die  Gleichheit  etwas  mehr  als  ein  tönen- 
des Wort.  Er  begreift,  was  so  allgemein  damals  übersehen  wurde, 
dass  die  blosse  Rechtsgleichheit  eine  leere,  unrealisierbare  An- 
weisung bleibt,  so  lange  die  dop]>elte  Ungleichheit  des  Besitzes 
und  der  Erziehung  imgeschwächt  fortbesteht  Die  erstere  zwar 
hält  er  für  unüberwindlich;  aber  eine  grössere  Ausgleichung  des 
Besitzes,  meint  er,  werde  sich  eben  dann  ergeben,  wenn  die  gleichen 
Bildungswege  ohne  Rückhalt  Allen,  einzig  nach  dem  Masse  der 
Befähigung,  erschlossen  werden.  Gesetze  vermögen  die  Gleichheit 
nicht  zur  Wahrheit  zu  machen,  Bildung  allein  vermag  es.  Ihre 
möglichste  Verbreitung  wird,  so  glaubt  er,  nicht  allein  den  Fort- 
schritt der  Wissenschaft  und  damit  der  Technik  in  ungeahntem 
Masse  beschleunigen,  sondern  ihn  zugleich  für  immer  weitere 
Kreise  nutzbar  machen  und  so  von  selbst  dahin  wirken,  die  Un- 
gleichheit zu  verringern.  Sie  wird  eine  grossei*  Gleichheit  der 
Erwerbstüchtigkeit  und  damit  des  Besitzes  zur  Folge  haben  (Oeuv. 
VI  250),  während  ohne  diese  Voraussetzung  die  Wirkung  der 
freien  Konkurrenz  die  gerade  entgegengesetzte  sein  muss.  Das 
Elend  ganzer  Klassen  wird  nicht  mehr  möglich  sein,  der  extreme 
Vermögensunterschied,  der  notwendig  den  Einen  in  die  Gewalt 
des  Andern  bringt,  von  selbst  verschwinden,  die  Zahl  derer,  die 
für  ihre  Existenz  nicht  auf  die  tägliche  Arbeit  angewiesen  sind, 
wird  sich  so  verringern,  dass  nur  gerade  genug  Personen  übrig 
bleiben,  um  sich  ganz  den  Wissenschaften  oder  solchen  Berufen, 
die  eine  lange  Ausbildung  fordern,  zu  widmen  (VI  527  ff.  592). 
So  hält  der  begeisterte  Anhänger  von  Locke,  Smith  und  Turgot 
am  Individualismus  grundsätzlich  fest,  ohne  der  wirtschaftlichen 
Ungleichheit  ein  Loblied  zu  singen.  Allerdings  eine  völlige  Auf- 
hebung der  sozialen  Unterschiede  vermag  er  sich  nicht  zu  denken. 
Die  Alten,  bemerkt  er  einmal  (VII  197),  konnten  von  einer  voll- 


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1  :L> 


Natorp. 


H«'ft  4  U.  "). 


kommencn  < ilcichhcit  (Irr  Krzichuug  träumen,  j:i  sie  zum  Teil 
durchführen,  aber  nur  auf  der  (irundlagc  <l«'s  Sklaventums;  in 
einer  (iesellsehaft,  \vn  aueh  die  Arbeit  freien  Menschen  zufällt, 
ist  eben  damit  eine  l "ngh-ichheit  der  I.rf'bcusstelluiig  gegeben,  die 
eine  völlige  (ileiehlieit  der  Erziehung  ausseldiesst. 

Soweit  es  aber  in  den  (irenzen  ilieser  ungemeinen  Anschau- 
ung  möglich  ist,  niaelit  er  Krnst  mit  der  Beseitigung  jedes  Klassen- 
vorrecht»« im  Bildungswesen.  Die  durchs  Gesetz  ausgesprochene 
Gleichheit  der  politischen  Hechte  kann  allein  zur  Wahrheit  werden 
durch  einen  öffentlichen  Unt«rrieht,  der  möglichst  glcichmassig 
und  allgemein,  zugleich  möglichst  vollständig  ist;  der  Allen  die 
für  Alle  mögliche,  allen  Befähigten  die  höhere  Erziehung  bietet, 
(iemeingut  muss  zum  wenigsten  die  Bildung  sein,  die  einen  jeden 
in  den  Stand  setzt,  seine  bürgerliche  Unabhängigkeit  zu  behaupten; 
deren  Mangel  ihn  der  Gewalt  des  hesser  Unterriehteten  schutzlos 
preisgäbe.  Ohm*  das  bleibt  die  (.tlcichhcit  «'in  trügerisches  Wahn- 
gebilde und  lurrscht  in  Wahrheit  eine  sehr  reelle  Ungleich- 
heit, indem  die  (iewalt  in  den  Händen  weniger  Unterrichteter,  die 
ununterrichtete  Masse  ein  Spielball  wüster  Agitatoren  bleibt. 
Weiter  ist  die  (iesellsehaft  aueh  schuldig,  den  zu  den  einzelnen 
Berufsarten  vorherciU-iiden  Unterricht  möglichst  jedem  dazu  Be- 
fähigten zugänglich  zu  machen,  also  auch  diesen  Unterricht  m«">g- 
lichst  zu  verallgemeinern. 

Wenn  dnher  schon  die  Verfassung  di<>  Unentgeltlichkcit  für 
die  erste  Unterrichtsstufe  feststellte,  so  schreibt  Conrinrcct  sie  für 
alle  Stufen  vor,  ausdrücklich  in  der  Absieht,  „die  Ungleichheit, 
die  aus  dem  Besitzinitersehied  stammt,  zu  mildem,  und  <lie  Klassen, 
die  er  zu  trennen  die  Tendenz  hat,  unter  einander  zu  mischen44 
(VII  1!»1).  Begabte,  aber  unbemittelte  Schüler,  sollen  überdies, 
als  eleves  de  la  patric,  in  cigucn  (übrigens  aueh  für  Andere  zu- 
gnuglichcn)  Anstalten  auf  Staatskosten  unterhalten  werden,  um  di«' 
höheren  Unt«*rrichtsstufcii  durchlaufen  zu  können  (27:».  I!l.»>.  Olm«' 
solche  Massr«'geln,  ineint  «t,  würd«'  man  zwar  auch  (iclehrtc, 
Philosophen,  aufgeklärte  Staatsmänner  haben,  aber  «Ii«'  Masse  des 
Volks  wird  allen  ihren  Irrtümern  preisgegeben  bleiben,  und  so, 
mitten  auf  «ler  Höhe  der  Aufklärung,  «las  Vorurteil  «Ii«'  Ihrrsehaft 
führ<-n;  „man  wird  innner  zw«'i  Völker  haben,  vct^'hu'd«'!!  an 
Bildung.  Sitten,  Charakter  und  politischer  Überzeugung.44  Fast 
«lasselbe  hat  einst  l'lato  als  die  unausbleibliche  l'olge  der  grossen 


1KJM. 


Comlon-efV  Moon  zur  Natiniuilcr/.irhuii^. 


Besitzuugleichheit,  der  Entblüssung  der  Arbeitenden  vom  Besitz 
der  Arbeitsmittel,  erkannt;  wir  hüben  uns  überzeugt,  wie  aueli 
Condortet  sieh  auf  den  Einfluss  diese*  letzten  Grundes  der  Un- 
gleichheit auf  Sehritt  und  Tritt  hingewiesen  sah.  Ks  ist  der  Punkt, 
wo  er  über  den  Liberalismus  fast  schon  hinaus  und  «Inn  Sozialis- 
mus ganz  nah  ist. 

Das  Streben  nach  möglichster  Ausgleichung  der  sozialen 
[  'utersehiede  bestimmt  nun  auch  seine  sehr  beachtenswerten  Vor- 
schläge inbetreff  des  Unterrichts  der  Erwachsenen.  Denen  vor- 
züglich, die,  durch  Armut  verhindert,  »'inen  über  die  untersten 
Stufen  hinausgehenden  Unterricht  nicht  gemessen  durften,  sollen 
zum  Ersatz  allsonntägliehe  Unterrichtsstunden  geboten  werden,  an 
denen  alle  Erwachsenen,  vorzugsweise  die  heranwachsende,  nicht 
mehr  die  Schule  besuchende  Jugend  unentgeltlich  teilzunehmen 
berechtigt  ist;  als«»  eine  organisierte  Kortbildungsschnlc,  ange- 
schlossen an  sinnt  liehe  vorhandenen  Untcrrichtsanstaltcn ,  zuerst 
und  hauptsächlich  die  der  beiden  ersten,  etwa  unserer  Volks-  und 
Bürgerschule  entsprechenden  Stufen.  Dieser  Unterricht  soll  nicht 
bloss  dazu  dienen,  die  in  den  entsprechenden  Schulen  gewonnenen 
Kenntnisse  zu  befestigen,  sondern  sie  in  jeder  Richtung  weiterzu- 
führen, .sowohl  in  gemeinnützigen  Gegenständen  aus  dem  natur- 
wissenschaftlich-technischen Gebiet,  als  in  den  Grundlagen  der  Ge- 
sundheitspflege, der  Moral,  der  Staats-  und  Keehtskunde,  endlich 
ein  besonders  glücklicher  Gedanke  in  den  Elementen  der 
Erachungslehre.  Voraussetzung  dazu  wäre  eine  sehr  gründliche 
und  umfassende  I^  lncrvorbildung;  über  dieses  erstwesentliche  Er- 
fordernis geht  ('ondorcet  offenbar  zu  leicht  hinweg.  Er  glaubt,  es 
genügten  zu  seiner  Absicht  gute  Hülfsbücher,  die  dem  Lehm-  in 
die  Hand  gegeben  werden;  aber  mit  den  besten  Büchern  und 
sonstigen  Hülfsmitteln  wäre  offenbar  nicht  geholten  ohne  eine  grosse 
Selbständigkeit  des  Lehrers,  die  nur  durch  gründliche  Vorbildung 
erreicht  werden  kann.  Kür  die  höheren  Lehranstalten  schlägt 
('ondorcet,  ausser  ebensolchen  bloss  für  Erwachsene  bestimmten 
öffentlichen  I^'hrstunden,  noch  die  einfache  Einrichtung  vor,  dass 
an  den  gewöhnlichen  Unterrichtsstunden  der  einzelnen  Kücher 
jeder  Erwachsene  (ohne  Verpflichtung  die  Aufgaben  mitzumachen) 
teilnehmen  darf. 

Ohne  Zweifel  hat  die  Organisation  des  Unterrichts  der  Er- 
wachsenen ein«'  grosse  Zukunft.    Wie  imim-r  man  über  das  Ideal 


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IM  Xnlorp,  Hoft  4  u.  5. 

des  Ausgleichs,  ja  der  völligen  Gemeinschaft  des  materiellen  Be- 
sitzes denken  mag:  dass  eine  möglichst  weitgehende  Genieinsehaft 
des  geistigen  Besitzes  der  Nation  nicht  ein  utopische»  Ideal,  son- 
dern eine  unumgängliche  Notwendigkeit  ist,  wenn  es  überhaupt 
eine  Nation  geben  soll,  dürfte  nachgerade  von  allen  Seiten  zuge- 
standen sein.  Wir  haben  nun  zwar  Fortbildungsschulen,  hier  und 
da  selbst  obligatorisch  für  die  Heranwachsenden.  Aber  dass  sie 
dem  vorhandenen  Bedürfnisse  in  keiner  Weise  genügen,  darüber 
herrscht  wohl  kaum  Meinungsverschiedenheit.  Die  in  England, 
Nordamerika,  Australien  und  anderwärts  mit  gutem  Erfolg  ins 
Werk  gesetzte,  täglich  wachsende  Bewegung  für  „Ausdehnung 
des  Universitätsunterrichts"  versucht  dieselbe  Aufgabe  in  wirk- 
samerer Weise  zu  lösen.1)  Und  schon  wäre  eine  wenn  auch  bis 
jetzt  nicht  grosse  Partei  deutscher  Hochschullehrer  bereit,  diese 
Einrichtung,  mit  den  durch  die  Eigenart  unserer  Zustände 
bedingten  Änderungen,  auf  heimischen  Boden  zu  verpflanzen. 
Allein,  denken  wir  uns  auch  alle  die  Schwierigkeiten  glücklich 
überwunden,  die  sich  der  kraftigen  und  allgemeinen  Durchführung 
einer  solchen  Einrichtung  gerade  bei  uns  entgegenstellen  werden, 
immer  bliebe  sie,  selbst  bei  so  umfänglicher  privater  oder  öffent- 
licher Unterstützung,  wie  man  sie  heute  kaum  zu  träumen  wagt, 
eine  vereinzelte,  unregehnassig  und  ungewiss  wirkende  Massregel. 
Ein  Gutes  würde  sie  immerhin  stiften:  sie  würde  den  Universi- 
täten und  sonstigen  Hochschulen  die  ihnen  zur  Zeit  fast  aus  den 
Augen  entschwundene  Aufgabe  der  Nationalbildung  mahnend  ins 
Gedächtnis  rufen ;  sie  würde  die  Lehrer  der  höheren  und  höchsten 
Stufe  an  den  Gedanken  einer  Verpflichtung  gegen  die  gesamte 
Nation,  nicht  bloss  gegen  den  verschwindenden  Bruchteil,  der  in 
der  bevorzugten  Lage  ist,  ihren  Unterricht  aufsuchen  zu  können, 
wieder  gewöhnen.  Allein  die  thatsächliehe  Wirkung  auf  die  Er- 
höhung des  Bildungsstandes  der  Nation  würde  immer  eine  gering- 
fügige bleiben.  Nicht  leicht  aber  wird  man  sich  ein  System  aus- 
denken können,  welches  eine  zugleich  einfachere  und  umfassendere 
Möglichkeit  der  Fortbildung  für  alle  einer  solchen  bedürftigen 
Erwachsenen  böte,  als  das  von  Condorcet  vorgeschlagene.  Selbst 
die  schon  bezeichnete  Schwierigkeit:  das  Erfordernis  einer  weit 

')  Vgl.  den  Artikel  „VolkdiocWniilon"  in  den  M.M.  der  CG.  18!W 
8.  78  ff.  Die  Schriftleitnng. 


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1894. 


CnmlorcrtV  Ideen  zur  Nntionalorziehnng. 


höheren  als  der  bisherigen  Lehrerbildung,  ist  an  sich  nicht  un- 
überwindlich; ja  es  darf  ein  besonderer  Vorzug  dieses  Systems 
genannt  werden,  dass  es  Anforderungen  an  die  Bildung  des  Volks- 
lchrers  stellt,  deren  Erfüllung  ihn  erst  auf  eine  dieses  schönen 
Namens  ganz  würdige  Höhe  stellen  würde;  dass  es  nötigen  würde, 
den  Volksschn Hehrer  mindestens  zu  der  Stufe  der  Allgemeinbildung 
zu  erheben,  die  heute  vom  Geistlichen  verlangt  wird.  Merkwürdig 
ist,  dass  Condorcet  nicht  darauf  gekommen  ist,  die  Lehrer  der 
höheren  Stufen  für  die  Volksbelelirung  mitheranzuzichen.  Das  Zu- 
sammenwirken der  Lehrer  aller  Kategorien  an  derselben  grossen 
Aufgabe  und  eine  entsprechende  Gemeinsamkeit  oder  doch  enge 
Verbindung  ihrer  pädagogischen  Vorbildung  würde  weitere  unbe- 
rechenbare Vorteile  mit  sieh  bringen,  es  würde  vor  allem  dahin 
wirken,  den  jetzt  so  verderblichen  Kinfluss  des  Standes-  und 
K  lassen  Vorurteils  auf  unser  Bildungswesen  zu  verringern  und  end- 
lich ganz  zum  Verschwinden  zu  bringen. 

Man  kann  heute  nicht  umhin,  bei  dem  allen  vorzüglich  an 
die  Aufgaben  der  Arbeiterbildung  zu  denken.  Es  bestätigt  von 
neuem  den  Scharfblick  Condorcets  für  die  soziale  Seite  der  Bil- 
dungsfrage, dass  auch  er  dies  Ziel  hauptsächlich  ins  Auge  fasst» 
Er  geht  von  der  Ansicht  aus,  dass  gerade  die  Handarbeit  eines 
Gegengewichts  in  gehaltvoller  geistiger  Beschäftigung  dringend 
bedarf.  Diese  hat  für  den  Arbeiter  ganz  so  die  Bedeutung  der 
Erholung,  wie  körperliche  Anstrengung  für  den  vorzugsweise  geistig 
Beschäftigten.  Gerade  der  Industriearbeiter  wird  dazu  lebhaftes 
Interesse  mitbringen,  vielleicht  mehr  als  der  mit  Bildung  schon 
übersättigte  Sohn  der  besitzenden  Klassen.  An  sieh  fördert  gerade 
die  grössere  Einfachheit  der  Ix'bensweise  den  natürlichen  Einklang 
des  leiblichen,  seelischen  und  geistigen  Lebens  (344).  Allein  die 
höhere  Entwicklung  der  Industrie  zwingt  zu  immer  weitergehender 
Arbeitsteilung,  sodass  für  den  Einzelnen  zuletzt  nur  rein  mecha- 
nische Verrichtungen  übrig  bleiben,  die  keinerlei  geistige  Anregung 
bieten;  so  würde  die  Vervollkommnung  der  Technik  für  einen 
grossen  Teil  der  Menschen  zu  einer  Ursache  der  Verdummung 
werden ;  sie  würde  eine  Menschenklasse  erzeugen,  unfähig  sich  über 
die  gröbsten  Interessen  zu  erheben;  sie  würde  eine  erniedrigende 
Ungleichheit  nach  sich  ziehen,  die  zu  einer  Saat  beständiger,  ge- 
fährlicher Unruhen  wird,  wenn  nicht  ein  starkes  Gegengewicht 
in  einer  ausgedehnteren  Erziehung  geschaffen  wird,  die  gegen  die 


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Natorp, 


Heft  4  U.  5. 


unrettbare  Wirkung  der  Eintönigkeit  der  täglichen  Beschäftigung 
kräftige  Hülfe  bietet  {-Ui'A).  Die  Weckung  geistiger  Interessen 
wird  den  Arbeiter  anregend  beschäftigen,  iiiin  reinere  Sitten,  rich- 
tigeren Verstand,  gesunderes  Crteil  beibringen.  Der  freie  Mensch, 
der  sich  selber  leitet,  bedarf  mehr  der  Aufklärung,  als  der  Sklave, 
der  sich  der  Führung  Anderer  überlässt.  Findet  man  nicht  den 
Weg,  die  Massen  aufzuklären,  so  sind  alle  Anstrengungen  ver- 
geblieh.  Nur  der  Moment  des  Übergangs  bietet  Schwierigkeiten; 
denn  man  möchte  das  Volk  in  Unwissenheit  erhüben,  um  es  besser 
zwingen  zu  können  (HKKf.).  —  -  Auf  die  Bedeutung  dieser  Erwägungen 
für  unsere  Zeit  braucht  wohl  nicht  erst  aufmerksam  gemacht  zu 
werden.  Leider  sind  wir,  trotz  so  dringender  Mahnungen,  wie 
die  Ereignisse  jedes  Tages  sie  an  uns  ric  hten,  von  durchgreifenden 
Massregeln  zur  Höherbildung  der  arbeitenden  Klassen  noch  weit 
entfernt,  ol)gleich  weder  die  starke  Nachfrage  auf  seiten  des 
Arbeiterstands  länger  bestritten  werden  kann,  noch  etwa  an  ver- 
wendbaren Kräften  auf  seiten  der  höher  gebildeten  Schichten 
Mangel  ist.  Es  ist  fast  die  letzte  Hoffnung,  dass  endlich  der 
Zwang  des  Wettbewerbs  mit  den  Nachbarvölkern  uns  über  die 
Notwendigkeit  einer  besseren  Arbeiterbildung  gründlicher  aufklären 
wird,  als  die  sonnenklarsten  theoretischen  Gründe  es  vermögen. 

Zu  wenig  beachtet,  obwohl  nicht  ganz  vergessen  ist  bei 
Condorcet  die  Arbeit  selbst  als  ein  Faktor  und  zwar  ein 
(irundfaktor  aller  Bildung,  ihr  wesentlicher  Einfluss  auf  die  leib- 
liche und  sittliche  Ausbildung  des  Individuums  wie  die  gesunde 
Gestaltung  des  gesamten  sozialen  Ernähmngsj>rozesscs.  Darin 
steht  die  klassische  deutsche1  Pädagogik  :  Pestalozzi,  Fichte,  seihst 
Sehlciermaeher  auf  höherer  Stufe.  Diese  Männer  begriffen  ganz, 
dass  eine  wahre  Natioiialerziehuug  sieh  nicht  anders  als  auf  dem 
Grunde  der  Arbcitsbilduug  aufbauen  kann.  Condorcet  ist  hier 
noch  in  der  einseitigen  Schätzung  der  Kopfbildung  befangen,  die 
das  Erbteil  des  Aufklärungszcitalters  war. 

Dagegen  bewährt  sich  sein  Sinn  der  Gleichheit  wieder  aufs 
beste  in  der  grundsätzlichen  Forderung  der  gleichen  und  wenigstens 
für  die  erste  Stufe  auch  gemeinsamen  Bildung  beider  Geschlechter. 
Die  Frau  bedarf  der  gleichen  Bildung  wie  der  Mann,  l.  um  auf 
gleicher  Linie  mit  ihm  für  die  Erziehung  der  Kinder  ausgerüstet 
zu  sein,  J.  um  die  Ungleichheit  in  der  Familie  (zwischen  den 
Eheleuten,  den  Geschwistern,  zwischen  Mutter  und  Sohn  u.  s.  f.) 


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1894. 


CiHidonvlV  Ideen  zur  Njttioniilorzw-hun};. 


1.57 


zu  beseitigen,  'A.  die  Gemeinschaft  unter  den  Ehegatten  zu  fördern, 
4.  ganz  an  und  für  sich,  weil  nun  einmal  beide  gleiches  Hecht 
auf  Bildung  haben  (2 1 K  ff.)-  Ursprünglich  dachte  sieh  wohl  Con- 
doreet  den  rntenicht  auch  auf  allen  .Stufen  gemeinsam.  Der 
Verein  der  Geschlechter  im  rntenicht  seheint  ihm  nicht  bloss 
unbedenklich,  sondern  in  mancher  Hinsicht  sogar  höchst  förder- 
lich ;  die  Trennung  ist  für  die  grosse  Masse  des  Volkes  auch  im 
übrigen  Leben  nicht  vorhanden,  und  in  den  (»bereu  Ständen  hat  sie 
nicht  etwa  sittliche,  sondern  /.um  Teil  recht  unsittliche  Gründe, 
wie  die  Besorgnis  vor  Mesalliancen.  Sein  Gesetzentwurf  bleibt 
jedoch  hier  bei  sehr  bescheidenen  Forderungen  stehen;  er  ver- 
langt lediglich  Teilnahme  der  Mädchen  am  Unterrichte  der  ersten 
Stufe  und  fasst  auch  da  die  Gemeinsamkeit  des  Unterrichts  nur 
für  solche  kleinere  Orte  ins  Auge,  wo  nur  eine  Schule  unterhalten 
werden  kann. 

Eigenartig  und  bedeutend  ist  ferner  die  grundsätzlich  strenge 
Durchführung  der  Unabhängigkeit  der  gesamten  Unterrichts  Ver- 
waltung von  der  öffentlichen  Gewalt.  Nicht  nur  sorgt  sein  Ent- 
wurf auf  jede  Weise  für  eine  anständige  soziale  Stellung  des  I/ch- 
rers;  nicht  nur  sichert  er  ihm  volle  Unabhängigkeit  der  politischen 
Thätigkeit  zu,  sondern  die  ganze  Schulverwaltung,  wie  Coiidoreet 
sie  plant,  ist  eine  nach  jeder  Hichtung  selbständige;  das  Schul- 
wesen wird  in  höchst  kühner  und  origineller  Weise  ganz  auf  eigene 
Fasse  gestellt.  .Jede  höhere  Stufe  des  Lehrstandes  wählt  entweder 
geradezu  die  Tichrcr  der  folgenden  Stufen,  nämlich  jede  der  vier 
Klassen  der  „Nationalgesellschaft  der  Wissensehaften  und  Künste" 
(Akademie)  die  Lvceal- (Ilochschul-)  Professoren  der  entsprechenden 
Fächer,  diese  die  Professoren  der  Institute  (höhereu  Schulen);  oder 
sie  bestimmt  wenigstens  die  Liste  der  Wählbaren,  nämlich  die  In- 
stitutsprofessoren  für  die  Sekundär-  und  Priinürschulen  (Elementar- 
schulen höherer  und  niederer  Ordnung),  während  die  Wahl  im 
ersteren  Falle  den  Gemeinden,  im  letzteren  den  Familienvorständen 
zufällt.  Ebenso  steht  die  Aufsieht  über  die  Schulen  einer  jeden 
Ordnung  den  Professoren  der  nächst  höheren  Ordnung  zu.  Da 
die  centrale  Behörde,  die  Xatinnalgcscllsehaft,  sich  mit  völliger 
Freiheit  selbst  ergänzt,  so  ist  damit  das  ganze  System  auf  eigene 
Grundlagen  gestellt,  einzig  der  öffentlichen  Meinung  verantwortlich, 
«leren  Kontrolc  nach  Uondoreets  Meinung  auch  genügt.  So  soll  die 
Denkfreiheit  unverkürzt  bleiben,  die  luldungsangelegenheiten  von 


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138 


Natorp, 


Heft  4  u.  5. 


den  wechselnden  politischen  Einflüssen,  von  der  Vormundschaft 
der  Unbildung,  von  der  Herrschaft  der  besitzenden  Klassen  frei 
erhalten  werden  (498  Anm.  512  ff.  321).  Eine  ziemlich  weit- 
gehende  Lehr-  und  Lernfreiheit  (320.  322)  soll  in  gleicher  Rich- 
tung wirken. 

Vollends  die  bedenklichste  Antastung  der  persönlichen  Frei- 
heit, ja  eine  wahre  Tyrannei  würde  Condorcet  darin  sehen,  wenn 
der  Staat,  nach  den  extremen  Vorschlägen  damaliger  Revolutionäre, 
die  ganze  Erziehung  der  Bürger  selbst  dem  Inhalt  nach  bestimmen, 
wenn  er  die  politische,  moralische,  religiöse  Uberzeugung  autori- 
tativ vorschreiben  wollte.  Die  religiöse  Unterweisung  soll  ganz 
der  Familie  überlassen  bleiben,  die  Moral  völlig  von  Religion 
unabhängig  und  nur  so  weit  gelehrt  werden,  als  sie  beweisbare 
Wahrheiten  enthält;  die  Verfassung  soll  einen  Gegenstand  des 
Unterrichts  zwar  bilden,  aber  sie  soll  nur  als  thatsächlich  geltend 
mitgeteilt  und  erklärt,  nicht  als  ewige  Vernunftwahrheit,  als  eine 
Art  politischer  Religion,  als  „Tafeln,  die  vom  Himmel  gefallen 
sind,  die  man  anbeten  und  an  die  man  glauben  muss"  (455)  über- 
liefert werden.  „So  lange  es  noch  Menschen  giebt,  die  nicht  aus- 
schliesslich ihrer  Vernunft  gehorchen,  die  ihre  Meinungen  auf 
fremde  Meinung  hin  annehmen,  hätte  man  umsonst  alle  Ketten 
zerbrochen,  umsonst  auch  würden  die  autoritativen  Meinungen 
nützliche  Wahrheiten  sein;  das  Menschengeschlecht  bliebe  nichts- 
destoweniger in  zwei  Klassen  geteilt:  die,  welche  ihre  Vernunft 
gebrauchen,  und  die,  welche  glauben;  Herren  und  Sklaven."  Mit 
der  ganzen  Kraft  seiner  Beredsamkeit  tritt  er  besonders  für  die 
strenge  Unabhängigkeit  des  Moralunterrichts  von  jeder  besonderen 
religiösen  Lehrmeinung,  überhaupt  gegen  jeden  Anteil  des  öffent- 
lichen Unterrichts  an  der  letzteren  ein  (besonders  203  ff,  483  ff.). 
Meint  man  selbst,  dass  die  Moral  der  Stütze  der  Religion  bedarf, 
so  will  man  doch  nicht  sagen,  die  Wahrheit  der  sittlichen 
Grundsätze  hänge  vom  religiösen  Dogma  ab;  man  meint  vielmehr 
nur,  die  Religion  biete  mächtigere  Beweggründe,  um  rechtschaffen 
zu  sein.  Nun  denn,  lasse  man  diese  Beweggründe  (durch  den 
Gottesdienst)  ihre  ganze  Kraft  entfalten;  sie  werden  darum  nicht 
geringere  Wirkung  thun,  weil  sie  nur  verstärken,  was  Vernunft 
und  innerer  Sinn  ohnedies  gebieten  (vgl.  254).  Als  uncrlässlich 
könnte  mau  höchstens  die  gemeinsamen  Bestandteile  aller  Religion, 
den  Glauben  an  ein  höchstes  Wesen  und  die  religiösen  Emptind- 


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18t»  1. 


(  niKlum-tV  Iilorn  zur  NiitioniilcrzH'huiifr. 


untren  gegen  dieses  in  Anspruch  nehmen,  nieht  die  religiösen 
Mythologien.  Aber  auch  das  Ersten-  einzuräumen  trügt  er  be- 
denken ;  die  deistischen  Philosophen  oder  Vertreter  der  natürlichen 
Religion  sind  über  den  Begriff  Gottes  und  seines  sittlichen  Ver- 
hältnisses zum  Men9chen  nieht  einiger  als  die  Theologen ;  also  sei 
es  am  Ende  besser,  diese  ganze  Angelegenheit,  ohne  irgendwelche 
äussere  Beeinflussung,  der  Vernunft  und  dem  Gewissen  jedes 
Einzelnen  zu  überlassen. 

Diese  Ansicht  ist  bekanntlich  in  der  Schulgesetzgebung  der 
dritten  Republik  zum  Siege  gelangt;  sie  zählt  auch  in  Deutschland 
viele  und  achtbare  Anhänger.  Doch  wird  man,  bei  voller  An- 
erkennung ihrer  leitenden  Gründe,  sich  ihr  anzuschliessen  Bedenken 
tragen.  Indem  man  das  trennende  Dogma  aus  der  Schule  ent- 
fernt, meint  man  einen  wesentlichen  Zweck  der  Schule,  die  Pflege 
des  Gemeinsinns,  zu  fordern.  Man  übersieht,  dass  das  Dogina, 
aus  der  Schule  verwiesen,  nur  desto  nachdrücklicher  ausserhalb 
seinen  trennenden  Einfluss  geltend  machen  wird,  zumal  es  \n 
solcher  Ausweisung  nur  Feindseligkeit  erkennen  kann.  Man  ver- 
gisst,  dass  Religion,  wenn  überhaupt  noch  eine  thatsächliche  Macht, 
ihrer  Natur  nach  einen  bestimmenden  Einfluss  auf  das  ganze 
geistige  und  sittliche  Leben  des  Menschen  beansprucht,  folglieh 
sich  dem  Ausschluss  von  einem  so  wichtigen  Lebensgebiet  wie 
die  Schule  nur  mit  aller  Kraft  widersetzen  kann.  Also  erreicht 
man  gerade  nicht  eine  Stärkung,  sondern  nur  eine  weitere 
Schwächung  des  Gemeinsehaftsbewusstseins.  Man  verkennt  andrer- 
seits die  sehr  entschiedene  Wirkung  aller  echten  Religion  gerade 
auf  die  Schaffung  und  Erhaltung  innerer  Gemeinschaft.  Religion 
hat  von  jeher  nicht  die  Trennung,  sondern  die  Gemeinschaft 
zwischen  Mensch  und  Mensch,  ohne  jede  weitere  Bedingung,  ver- 
treten. Die  christliche  Religion  zumal,  die  es  vermag,  ihren  Gott 
geradezu  durch  die  Liebe,  d.  i.  die  Gemeinschaft,  zu  definieren, 
durch :die  Gemeinschaft,  die  wir  allein  kennen  als  die  Gemein- 
schaft zwischen  Mensch  und  Mensch,  diese  Religion  darf  man 
doch  nicht  beschuldigen,  dass  sie  wesentlich  und  notwendig 
trennend,  nicht  einigend  wirke.  Was  trennend  gewirkt  hat  und 
fortwährend  wirkt,  ist  das  Dogma,  nicht  die  Religion.  Giebt  es 
also  irgend  eine  Möglichkeit,  das  Dogma  aus  der  Schule  fernzu- 
halten, ohne  die  Religion  zugleich  über  Bord  zu  werfen,  so  ist 
offenbar  dies  der  richtige  Weg  und  nicht  die  Verbannung  der 


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140 


Natorp.  Urft  4  u. 


Religion.  Das  hiesse,  nach  dem  allen,  immer  noch  zutreffenden 
Bild,  da«  Kind  mit  dem  Bad  ausschütten. 

Gerade  Condorcet,  meine  ich,  hätte  das  einsehen  müssen, 
stände  ihm  nicht  die  persönliche  Erfahrung  eines  edlen  Einflusses 
der  Religion  allzu  fern.  Er  denkt  doch  nicht  daran,  die  Moral 
und  die  Politik  aus  der  Schule  zu  verbannen,  trotzdem  er  sich 
gegen  ihre  autoritative  Beibringung,  als  für  die  Überzeugung  des 
Einzelnen  verbindlich,  mit  so  grossem  Recht  verwahrt.  Die  Schule 
darf  nicht  Überzeugung  fordern  oder  gebieten,  sie  soll  vielmehr 
die  Kräfte  entwickeln  und  die  Mittel  an  die  Hand  geben  sich 
selbständig  zu  über/engen.  Das  gilt  gleichen  nassen  für  die  drei 
Gebiete:  Moral,  Politik,  Religion,  die  alle  aus  demselben  letzten 
Quell:  Wille  und  Gemüt  des  Menschen  und  zwar  des  gesellten 
Menschen,  unter  der  I^eitung  selbsteigener  Einsicht  erwachsen 
müssen,  wenn  sie  etwas  wert  sein  sollen.  Was  immer  aus  diesem 
Gninde  naturgcinäss  hervorspriesst,  das  und  nicht  mehr  darf  die 
Schuh'  lehren;  „lehren",  das  heisst  ja,  wie  wir  seit  Plato  wissen 
sollten,  aus  dem  eigenen  Bewusstscin  des  Zöglings  entwickeln, 
nicht  wie  aus  einein  Gefäss  in  ein  andres  einschütten.  Was  sich 
äusserlich  mitteilen  lässt:  die  überlieferten,  historischen  Fonneln 
der  moralischen,  der  religiösen  Uberzeugung,  die  geltenden  Be- 
stimmungen einer  gegebenen  politischen  Verfassung  zu  gegebener 
Zeit,  das  soll  die  Schule  zwar  mitteilen,  aber,  wie  Condorcet  im 
letzteren  Fall  richtig  sagt,  nicht  „als  vom  Himmel  gefallene  Tafeln, 
die  man  anbeten  und  an  die  man  glauben  niuss",  sondern  als 
etwas,  wovon  sieh  zu  über/engen  oder  nicht  in  die  Freiheit  eines 
Jeden  gestellt  ist,  immerhin  mit  der  warnenden  Erinnenmg,  es 
ernst  damit  zu  nehmen,  sich  nicht  früher,  weder  für  noch 
wider,  zu  entscheiden,  als  man  sieh  die  volle  Reife  dazu  zu- 
trauen darf.  Die  Kenntnisnahme  von  den  wichtigeren  religiösen 
Lehrmeinungen  ist  unentbehrlich,  schon  um  die  Geschichte,  aber 
auch  um  die  Gegenwart  in  irgend  welchem  Masse  zu  verstehen; 
aber  die  Schul«'  soll  auch  so  viel  als  möglich  verständlich 
machen,  wie  man  zu  solchen  Anschauungen  gekommen  ist,  und 
was  man  daran  zu  haben  glaubt.  Mau  sollte  in  religiösen  ebenso 
wie  in  mondischen  und  politischen  Ansichten,  die  man  sich  selber 
nicht  anzueignen  vermag,  dennoch  den  Andern  verstehen  lernen; 
nur  dann  wird  die  Verschiedenheit  der  Überzeugung  in  diesen  so 
tief  ins   Leben  greifenden   Gebieten  nicht  das   Bewusstscin  der 


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1S94. 


( 'ondorcet's  Ideen  zur  Nntioiialcrziohnug. 


141 


Getueinsehaft  aufheben,  sondern  es,  wie  das  unter  Freunden  oft 
der  Fall  ist,  eher  stärken;  denn  nichts  kraftigt  sosehr  das  Gefühl 
des  unzerstörliehen  Zusammenhangs  des  Lebens  jedes  Einzelnen 
mit  dein  Leben  Aller,  als  das  Hingen  an  gemeinsamen  Aufgaben 
von  dieser  Tiefe  der  Bedeutung,  und  zwar  auch,  wenn  man  nicht 
in  der  schlicssliehcn  Entscheidung  einig  gehen  kann.  Also  auch 
das  Dogma  ist  nicht  in  dem  Sinne  ans  der  Schule  zu  verbannen, 
dass  man  von  seiner  Kxistenz  überhaupt  absehen  dürfte;  das  wäre 
den  Thatsachen  gegenüber  nicht  wahr  und  würde  überdies  nichts 
helfen,  da  es  sich  auf  anderen  Wegen  doch,  ja  dann  erst  recht 
Gehör  verschaffen  würde.  Dagegen  muss  der  Unterricht  aufhören 
dogmatisch  in  dem  Sinne  zu  sein,  dass  die  Uberzeugung  vom 
Dogma  Ziel  des  Unterrichts  wäre'). 

Ganz  davon  zu  trennen  ist  die  Forderung  eines  von  Re- 
ligion unabhängigen  Unterrichts  in  der  Sittenlehre. 
Einen  Milchen  hat  selbst  Conienius,  der  fromme  Zögling  der 
Brüdergemeinde,  verlangt,  wie  denn  Luther  und  im  Grunde  alle 
grossen  Kirchenlehrer  die  Unabhängigkeit  der  sittlichen  Erkenntnis, 
in  weiten  Grenzen  auch  des  sittlichen  Lebens  von  der  Religion 
unbefangen  anerkannt  hüben.  Auch  das  Eigentümliche  der  Religion 
selbst  wird  fühlbarer,  wem»  die  rein  human  begründete  Sittenlehre 
in  ganzer  Unabhängigkeit  daneben  steht.  Iiier  also  wird  man 
Uondorcet  nur  beitreten  köunen.  Auch  von  der  Art  des  geplanten 
Moral  Unterrichts  giebt  er  (234  ff.  409)  eine  nicht  unrichtige,  nur 
allzu  skizzenhafte  Vorstellung. 

Zu  schroff  erklärt  Condorcet:  die  Aufgabe  der  Schule  sei 
Unterricht  und  nicht  Erziehung.  Gewiss  liegt  die  Erziehung 
nicht  ebenso  wie  der  Unterricht  in  der  Hand  der  Schule.  Aber 
wiederum  sind  die  menschlichen  Kräfte  auch  nicht  so  getrennt, 
dass  ein  richtig  geleiteter  Unterricht  überhaupt  ohne  Einfluss  auf 
die  Erziehung  bliebe,  oder  umgekehrt  eine  Erziehung  völlig  ohne 
Verstandcsunterrieht  auch  nur  denkbar  wäre.  Die  Schule  trägt 
demnach  immerhin  das  Ihrige  zur  Erziehung  bei,  nicht  bloss  durch 
die  Disziplin  und  den  stillen  aber  dieneren  Einfluss  der  Arbeits- 


')  Ausführlicher  findet  man  die  Frage  behandelt  in  meiner  soeben 
liei  .1.  C.  Ii.  Mohr  (1*.  Sielx-cki  in  Freiburg  i.  B.  erscheinenden  Schrift: 
„Religion  innerhalb  der  (5  l  enzen  der  II  u  man  i t ä  t.  Hin  Kapitel  zur 
(.iruadlegung  der  Sozialpädagogik." 

10* 


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112 


Natorp, 


Heft  4  u.  :"). 


Gemeinschaft,  sondern  auch,  obwohl  mehr  mittelbar,  durch  den 
Gehalt  des  Unterricht«  selbst. 

Wir  würden  ii(»eh  Manches  auszusetzen  Huden,  wollten  wir 
auf  das  Einzelne  des  Unterrichtsplanes,  wie  Uondoreet  ihn  ent- 
wirft, näher  eingehen.  Vor  allein  tritt  uns  überall  eine  doch  sehr 
«■inseitige  Geringschätzung  des  humanistischen  Faktors  der  Bildung 
entgegen,  während  nach  der  realistischen  Seite  von  ihm,  der  ganz 
in  diesem  Gebiete  zu  Hause  ist,  gewiss  zu  lernen  wäre.  Ich  geht« 
darauf,  wie  gesagt,  nicht  ein,  sondern  gebe  nur  noch,  um  eine 
etwas  lebendigere  Anschauung  vom  Ganzen  seiner  Absieht  zu 
liefern,  einen  kurzen  Abriss  seines  Systems. 

Das  gesamte  Bildungswesen  gliedert  sich  nach  diesem  Ent- 
wurf in  fünf  Stufen.  Primär  schulen  sollen  an  jedem  Ort  von 
•100  Einwohnern  errichtet  werden.  Man  lernt  darin  in  vierjährigem 
Kursus  Lesen,  Schreiben,  Rechnen,  Anfangsgründe  der  Naturkunde 
und  Ökonomie  in  enger  Beziehung,  in  den  Dorfschulen  zum  Land- 
bau, in  den  Städten  zu  Gewerbe  und  Handel.  Die  Element«'  der 
Messkunde  und  Maschinenkunde  sind  darin  einbegriffen.  Dazu 
kommt  Moral  nebst  Elementen  der  Politik. 

Eine  Sekundärschule  erhält  jeder  Distrikt,  überdies  jede 
Stadt  von  4000  Einwohnern.  Sie  führt  den  Unterricht  in  den- 
selben Fächern  fort,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  weiter- 
gehenden Bedürfnisse  des  Handwerks  und  des  Handels.  Zeichnen, 
tieschichte  und  Geographie  Frankreichs  und  der  Nachbarländer 
kommt  hinzu,  der  Mond  Unterricht  erweitert  sich  bis  zu  den  An- 
fangsgründen der  Sozial  Wissenschaft,  insbesondere  Verfassungs- 
knnde.  Der  Physikunterricht  soll  auf  dieser  Stufe  bereits  die 
Hohe  erreichen,  das»  er  „das  majestätische  Ganze  des  Systems 
der  Naturgesetze  vor  unseren  Augen  enthüllt,  enge  und  irdische 
Vorstellungen  von  uns  fernhält,  die  Seele  zu  unsterblichen  Ideen 
emporhebt,  und  sich  so  noch  mehr  zu  einer  Schule  der  Philo- 
sophie als  zu  einer  bloss  wissenschaftlichen  Lehre  gestaltet"  (204). 
Eine  sehr  einfache  I»gik,  nämlich  einige  Beobachtungen  über  die 
Form  des  Schlussverfahrens,  über  die  Natur  wissenschaftlicher 
Sätze  und  die  Grade  der  Gewissheit  oder  Wahrscheinlichkeit, 
deren  sie  fähig  sind  (200),  schliefst  sich  an  den  Mathematik-  und 
Phvsikunterricht  an. 

Die  dritte  Stufe  bilden  die  Institute,  deren  jedes  Departe- 
ment  mindestens    eines   erhalten   soll.     Sie   behandeln   in  vier 


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18!>4. 


CondorvetV  IuVen  zur  Xationalerziehung. 


I4:t 


getrennten  Kursen,  unter  denen  man  nach  Bedürfnis  und  Fähig- 
keit wählen,  aber  auch  mehrere  oder  selbst  alle  verbinden 
darf,  l.  Mathematik  und  Naturwissenschaften:  reine  Mathematik, 
mathematische  Physik,  Experimentalphysik  und  Chemie,  Natur- 
geschichte der  drei  Reiche;  2.  moralisch-politische  Wissensehaften : 
Philosophie  („Analyst'  der  Empfindungen  und  Begriffe,  Moral, 
wissenschaftliche  Methodenlehre  oder  Logik,  allgemeine  Prinzipien 
der  Staatsverfassungen"),  Gesetzkunde  nebst  Staatsökonomie  und 
Handel,  Geographie  und  Geschichte;  '-(..„Anwendung  der  Wissen- 
schaften auf  die  Künste",  nämlich  Medizin,  Kriegskunst,  Techno- 
logie, graphische  Geometrie;  4.  Litteratur  und  schone  Künste: 
allgemeine  Theorie  der  schönen  Künste,  allgemeine  Grammatik, 
Latein  (nur  ausnahmsweise  auch  Griechisch),  neuere  Sprachen  nach 
lokalem  Bedürfnis.  Ausführlich  rechtfertigt  er  die  starke  Bevor- 
zugung der  exakten  Wissenschaften,  die  Zurückstellung  der  Sprachen. 
Ihm  will  nicht  einleuchten,  dass  das  tiefere  Studium  der  alten 
Sprachen,  der  Schönheiten  des  Stils  der  Klassiker  u.  s.  w.  zu 
den  Dingen  gehöre,  deren  Kenntnis  für  jeden  Gebildeten,  für 
jeden,  der  sich  den  leitenden  Berufen  widmet,  unerlässlich  sei; 
die  dafür  sonst  aufgewendete  Zeit  scheint  ihm  nicht  länger  ver- 
fügbar, seitdem  es  so  viel  wichtigere  Dinge  zu  lernen  giebt.  Wir 
wollen  darüber  nicht  mit  ihm  rechten,  auch  das  Urteil  über  das 
System  der  getrennten  Kurse  lieber  den  Praktikern  überlassen. 
In  dieser  Allgemeinheit  ist  das  System  für  uns  sicher  unverwend- 
bar; dagegen  Hesse  sich  eine  gewisse  Annäherung  daran  unch 
ohne  Bruch  mit  unsern  Überlieferungen  wohl  denken.  Es  ist  nicht 
einzusehen,  weshalb  nicht  ein  begabter  Gymnasiast  an  dem  besseren 
mathematisch-naturwissenschaftlichen  Unterricht  einer  realistischen 
Anstalt,  ein  begabter  Realschüler  am  klassischen  Unterricht  des 
Gymnasiums  sollte  teilnehmen  dürfen.  Umgekehrt  könnte  der 
weniger  Befähigte  bei  Beschränkung  auf  eine  kleinere  Zahl  von 
Fächern  wenigstens  in  diesen  Ordentliches  leisten,  während  er 
jetzt  durch  die  Vielgestaltigkeit  der  Anforderungen  verwirrt  und 
gedrückt  wird,  so  dass  er  schliesslich  in  keinem  Fach  mehr  etwas 
Erträgliches  zu  stände  bringt.  Immer  aber  müsste  ein  Grund- 
stock gemeinsamen  Unterrichts  bleiben;  die  freie  Auswahl  dürfte 
sich  nur  auf  solche  Fächer  erstrecken,  die  nicht  als  allgemein 
verbindlich  gelten  können.  Wenn  aber,  so  wäre  es  denkbar,  die 
höhere  Schule  auf  einer  anständigen  Höhe  zu  erhalten,  ja  über 


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III 


Natorp. 


Heft  4  u.  ."). 


ihren  heutigen  Stand  in  allen  wesentlichen  Fächern  emporzuheben 
ohne  die  befürchtete  Überbürdung;  wälircnd  man  jetzt  z.  B.  in 
Preusscn  die  Anforderungen  fast  in  allen  Fächern  ermässigt,  da- 
durch alber  die  höhere  Schule  und  damit  unausbleiblich  auch  die 
Universität,  also  überhaupt  das  ganze  Unterriehtswescn  um  eine 
Stufe  herabdrückt. 

Jede  der  genannten  drei  Schulen  hat  einen  vierjährigen 
Kursus;  sie  sollen  regelrecht  vom  neunten  bis  einundzwanzigsten 
Jahre  durchlaufen  werden  können.  Die  vierte  und  höchste  Stufe 
des  Unterrichts  bilden  die  Lyccen.  In  dieselben  vier  Klassen 
geteilt  wie  die  Institut«',  umfassen  sie  in  möglichster  Vollständig- 
keit den  ganzen  Umkreis  der  Wissensehaften.  Noch  über  ihnen 
steht,  als  letzte  Staffel  des  ganzen  Systems,  die  National- 
gesellschaft der  Wissenschaften  und  Künste,  die  centrale 
Vertretung  der  nationalen  Wissenschaft,  der  zugleich  die  Ober- 
leitung des  gesamten  Schulwesens  zufällt,  ohne  das«  sie  selbst  am 
Unterricht  beteiligt  wäre.  Sie  zerfällt  wieder  in  dieselben  vier 
Klassen  wie  die  Lyccen  und  Institute.  Sonnt  entspricht  sie  in 
jeder  Hinsicht  dem,  was  wir  eine  „Akademie"  nennen. 

Als  seine  letzte  Absicht  bezeichnet  Condorect:  die  Gleich- 
heit zu  verwirklichen  durch  Verbreitung  der  Aufklärung.  Wenig- 
stens im  achtzehnten  Jahrhundert,  fügt  er  hinzu,  habe  er  wohl 
keinen  Tadel  deshalb  zu  besorgen,  dass  er  lieber  alles  auf  eine 
höhere  Stufe  bringen  und  befreien,  als  durch  Xiederhaltung  uud 
Zwang  habe  gleichmachen  wollen.  Schliesslich  erhebt  er  sich  zu 
dem  für  ihn  höchsten  Standpunkt  der  Betrachtung:  dem  des  un- 
begrenzten Fortschritts  des  Menschengeschlechts.  „Ist  diese  un- 
begrenzte Vervollkommnung  unserer  Gattung,  wie  ich  glaube,  ein 
allgemeines  Naturgesetz,  so  darf  der  Mensch  sich  nicht  länger  als 
ein  Wesen  betrachten,  das  auf  ein  vorübergehendes  und  vereinzeltes 
Dasein  beschränkt,  das  bestimmt  ist,  nach  einem  Wechsel  von  Glück 
und  Unglück  für  sieh,  Nutzen  und  Sehaden  für  die,  die  der  Zufall 
neben  es  gestellt  hat,  zu  verschwinden;  er  wird  zu  einem  thätigen 
Glied  des  grossen  Ganzen,  zum  Mitarbeiter  an  einem  ewigen  Werk. 
In  einem  Dasein  eines  Augenblicks,  an  einem  Punkte  des  Raumes, 
vermag  er,  kraft  seiner  Arbeit,  alle  Käume  zu  umspannen,  mit  allen 
Zeitaltern  in  Verbindung  zu  treten  und  noch  lange,  nachdem  sein 
Andenken  von  der  Erde  verschwunden  ist,  zu  wirken." 

Es  ist  die  Begeisterung  desjgrossen  geschichtlichen  Moments, 


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ComlonH  V  M'«n  zur  Ntitiunalcr/irhutijr. 


II") 


die  ihn  zu  solch  kühnem  Zutrauen  fortreisst.  „Ein  glückliches 
Ereignis  hat  auf  einmal  den  Hoffnungen  des  Menschengeschlechts 
eine  unabsehbare  Laufbahn  eröffnet;  ein  Augenblick  hat  den 
Abstand  eines  Jahrhunderts  zwisc  hen  den  Menschen  von  gestern 
und  den  von  heute  gesetzt.  Sklaven,  zum  Dienst  oder  Vergnügen 
eines  Herrn  abgerichtet,  sind  erwacht  und  sehen  mit  Erstaunen, 
dass  sie  keinen  mehr  haben,  empfinden  auf  einmal,  das»  ihre 
Kräfte,  ihr  Fleiss,  ihre  Gedanken,  ihr  Wille  fortan  nur  ihnen 
selbst  gehören  ...  Es  ist  nicht  die  Revolution  einer  Regierungs- 
form,  es  ist  die  Revolution  der  Überzeugung  und  des  Willens; 
nicht  den  Thron  eines  Gewaltherrsehers  stösst  sie  um,  sondern 
den  des  Irrtums  und  der  freiwilligen  Knechtschaft;  nicht  ein  Volk 
hat  seine  Kette  zerbrochen,  die  Freunde  der  Vernunft  in  allen 
Völkern  haben  einen  grossen  Sieg  errungen:  das  sichere  Vorzeichen 
eines  allgemeinen  Triumphes  .  .  .  Das  Reich  der  Wahrheit 
naht;  nie  ist  die  Pflicht  sie  zu  sagen  dringlicher  gewesen,  weil 
es  nie  nützlicher  gewesen  ist;  darum  müssen,  die  ihr  Leben  ihr 
geweiht  haben,  Allem  mutig  entgegen  gehen  lernen  .  .  ." 

Solcher  Glauben  gab  noch  dem  Verfolgten,  dem  als  Opfer 
der  Tyrannei  des  „Schreckens"  Fallenden  erhabenen  Trost  und 
Hess  ihn  bis  zum  letzten  Atemzug  an  der  hohen  weltgeschicht- 
lichen Bedeutung  der  Revolution  nicht  im-  werden.  Als  Ge- 
ächteter in  mühsam  bewahrter  Verborgenheit  brachte-  er  noch 
seineu  kühnen  gcschichtsphilosophischen  Entwurf  (Esquisse  d'un 
tableau  historique  des  progres  de  l'csprit  humum,  Ocuv.  VI)  zu 
Papier,  dessen  stark  ungesehiehtlieher  Charakter  durch  die  Umstände 
seiner  Entstehung  doch  einigermnssen  erklärlieh  wird.  Endlich 
auch  in  seinem  Versteck  nicht  mehr  sicher,  begab  er  sich  auf 
unstete  Irrfahrt,  wurde  jedoch  bald  aufgefunden  und  als  verdächtig 
festgenommen.  Ein  nischer,  wie  angenommen  wird,  sclbstgesuchter 
Tod  im  Kerker  am  2S.  März  1704  ersparte  der  Revolution  für 
diesmal  die  Schande,  einen  ihrer  glühendsten,  hoehsiimigsten 
Gläubigen  in  unbegreiflicher  Verblendung  hingemordet  zu  haben. 

Sein  Entwurf  blieb,  gleich  so  vielen  nachfolgenden,  ohne  prak- 
tische Folge.  Verdient  er  darum,  ja  verdient  die  ganz«'  Schul|>olitik 
der  Revolutionszeit  die  harten  Vorwürfe,  die  man  wider  sie  ge- 
schleudert hat?')    Es  ist  hier  nicht  vom  politischen  Standpunkt 

')  SIm-v  Alli.  Dum  v,  LuiMriK'tiuii  publique  <t  In  ri-voluiiun,  I\ui>  ]sv_\ 


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U<»  Natorp,  0.n<l..rLTf*  M.en  .  tr.  J|,.ft  4  u.  5. 


darüber  zu  urteilen.  Jedenfalls  für  die  (ieschiehte  der  pädagogi- 
schen Ideen  bleibt  diese  Zeit  und  bleibt  insonderheit  C'ondoreet 
hueh  wichtig.  Hat  doch  die  dritte  Republik  fast  in  jeder  Hin- 
sicht auf  die  Entwürfe  dieses  Zeitalters,  nicht  zuletzt  auf  C'ondoreet, 
zurückgegriffen  und  manche  seiner  (Jedanken  mit  unstreitigem 
Krfolg  in  die  Wirklichkeit  übertragen.  Aber  auch  unmittelbar  ist 
ihre  Fortwirkung  wohl  zu  spüren.  Deutschland  hat  die  Idee  der 
„Natioinderziehuug"  aufgenommen,  fast  von  dem  Augenblick  an, 
wo  in  Krankreich  das  Todesurteil  über  sie  gesprochen  schien. 
Name  und  Begriff"  begegnet  bei  Pestalozzi  schon  vor  der  Revo- 
lution; selbst  in  einem  preussisehen  Miuisterialberieht  von  17911 
taucht  er  auf;  und  in  Fichte*  Reden  an  die  deutsche 
Nation  erreicht  er  seinen  Höhepunkt. 


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Thomas  Carlyle 
und  der  Umschwung  der  Gesellschaftsauffassungen  des 
englischen  Volkes  im  19.  Jahrhundert. 

Von 

Lic.  theol.  Friedrich  Hummel. 

Wer  der  l»sung  „Menschenbildung  und  Volkserziehung" 
folgt,  wird  nicht  fernab  vom  Schauplatz  den  thätigen  Ix*bens  einen» 
lehrhaften  Wissenschaftsbetrieb  huldigen,  sondern,  so  oft  er  kann, 
auf  die  btintbewcgtcn  .Pfade  der  Menschen-  und  Völkei-gesehichtc 
treten.  Kr  wird  auf  alle  Kräfte  des  Volkslebens  achten,  welche 
als  Mitbildner  für  seinen  Zweck  in  Betracht  kommen.  Wenn  er 
dann  innerhalb  eines  bestimmten  Volkes  und  in  einem  überseh- 
baren Rahmen  die  Bedeutung  und  Einwirkung  dieser  Mitbildner 
besonders  eigenartig  vor  Augen  gestellt  sieht,  so  wilti  er  diesem 
Bilde  besondere  Aufmerksamkeit  zuwenden.  So  geht  es  heute 
manchem  in  Beziehung  auf  England.  Die  Eigentümlichkeit  des 
englischen  Volkes  ist  so  ausgeprägt,  die  politischen  und  gesell- 
schaftlichen, vornehmlich  aber  die  geistigen  Bewegungen  sind  so 
lehrreich,  dass  wir  ein  Recht  haben,  gerade  auch  von  dem  Boden 
unserer  Bestrebungen  aus  in  jenes  Kehl  hinüberzublicken.  Eben- 
dort  liisst  sich  im  einzelnen  die  Probe  dafür  schauen,  wie  ein 
umfassendes  Bildungsstieben  auf  private  und  auf  (JemeinHchaftshilfe 
sich  stützen,  wie  es  mit  dem  Genossenschaftswesen  Fühlung  haben, 
und  wie  es  die  versehiedenai-tigsten  Kräfte  und  Kreise  in  den 
Dienst  am  grossen  „Tempel  der  Weisheit  und  Liebe"  nehmen 
kann.  Oder  betonen  wir  ausdrücklich  die  sittliche  Seite,  welche 
in  unserem  Eintreten  für  Menschenbildung  und  Volkserziehung 
enthalten  ist,  so  ist  es  «loch  wohl  die  Bekämpfung  «1er  Selbst- 
sucht, was  den  innersten  Trieb  im  lieben  der  Einzelpei-sönlichkeit 
wie  in  dem  I/Vn  des  Volkes  ausmachen  soll.    Nun  aber  sehen 


14K 


HlllllMliI. 


Heft  4  u.  •"». 


wir  dort  ein  Land,  wo  deutlicher  als  anderwärts  die  Losung 
fruchtbar  geworden  ist:  Heraus  aus  Eigennutz  und  Schlaff- 
heit zur  Arbeit  an  Menschen  wohl  und  Menschenbildung! 
Darum  thun  wir  wohl,  auf  diese  Thatsache  zu  achten. 

Mit  solchen  Gedanken  betrachten  wir  einige  Blätter  aus  dein 
klar  und  tief  angelegten,  hochbedeutsamen  Werk  des  Professor 
Dr. Gerhard  von  Schulze-Gävernitz  „Zum  sozialen  Frieden. 
Eine  Darstellung  der  sozialpolitischen  Erziehung  des  englischen 
Volkes  im  neunzehnten  Jahrhundert."  (2  Bde.  I^eipzig,  Verlag 
von  Duneker  und  Hutnblot.  181M). )  Wir  entnehmen  demselben 
einige  hauptsächliche,  mit  unseren  Bestrebungen  sich  berührende 
Gedankenreihen. 

Durch  die  Einführung  der  Großindustrie  war  die  Umge- 
staltung der  englischen  Gesellschaft  in  den  ersten  Jahrzehnten 
unseres  Jahrhunderts  vollendet  worden.  Jene  hatte  zunächst  die 
alte  gewerbliche,  dann  die  politische  und  soziale  Gesellschafts- 
ordnung ins  Wanken  gebracht.  Der  Kampf  tun  die  Macht  ent- 
brannte zwischen  der  bisherigen  Aristokratie  und  der  neu  auf- 
kommenden Grossindustrie.  Die  Demokratisierung  der  Verfassung 
fand  in  der  Reformbill  des  Lord  Rüssel  (1831)  ihren  Stützpunkt. 
Die  „klassische  Nationalökonomie"  der  Smith,  Ricardo  und 
Malt  Ii  Iis  aber  hatte  die  Wirkung,  die  Herrschaft  der  Arbeitgeber 
zu  begründen.  Man  dachte  sich  da  die  Menschen  ausschliesslich 
von  egoistischen  Trieben,  dem  Erwerbstrieb  und  dein  Geschlechts- 
trieb, beherrscht  und  in  eben  diesem  Stück  alle  ganz  gleichartig. 
Deswegen  erwartete  man  von  der  Kreigebung  des  Wettbewerbs 
die  schönste  gesellschaftliche  Harmonie;  man  fasste  eine  Ein- 
mischung in  das  Arbeiterwesen  als  Eingriff  in  das  „Eigentum  des 
armen  Mannes"  und  hielt  schliesslich  gar  die  Unterstützung  der 
Armen  für  /.weckwidrig,  weil  durch  sie  die  „überschüssige  Be- 
völkerung" aufrecht  erhalten  werde.  Eine  solche  Denkweise  mtisstc 
die  oberen  und  unteren  Klassen  in  der  Tiefe  trennen.  „Zu  keiner 
Zeit  und  an  keinem  Ort  haben  Besitz  und  Bildung  und  zwar 
bona  fide  ihre  Pflichten  gegenüber  den  unteren  Klassen  in 
gleicher  Weise  abgelehnt  wie  die  Mittelklassen  des  englischen 
Volkes  in  den  ersten  Jahrzehnten  unseres  Jahrhunderts"  (I.  S. 
Eine  äusserliche  und  innerliche  Entartung  der  Nation  drohte.  Der 
Klassenkampf  loderte  wild  auf.  In  den  dreissiger  Jahren  erstand 
die  erste  sozial-revolutionäre  Arbeiterpartei  auf  dem  Boden  Eng- 


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1804. 


Thomas  Ciirlvl««  und  der  l  uiM-hu unjr  ete. 


140 


lands,  die  der  Chartisten.  Die  Cni-ulien  wurden  so  stark,  dass 
Engels  in  seinem  Buch  über  die  taigc  der  englischen  Arbeiter 
(1S48)  „einen  Krieg  der  Annen  gegen  die  Heiehen"  prophezeite 
und  meinte,  das  Jahr  1K.VJ  oder  1S5H  als  das  Jahr  seines  Aus- 
bniehs  bezeichnen  zu  können.  Eine  friedliche  Lösung  schien  kaum 
mehr  möglieh. 

Aber  schon  bahnte  sieh  eine  bessere  Zukunft  an.  Infolge 
der  Erhebung  des  Arbeiters  zu  gesellschaftlicher  und  politischer 
Gleichberechtigung  mit  den  oberen  Klassen  erwachsen  die  äusseren 
Formen  für  die  Neugestaltung  des  Lebens  der  Nation.  Daneben 
vollzieht  sich  «'in  gewaltiger  Umschwung  des  Denkens.  In 
Thomas  Carlvle  tritt  zum  ersten  Mal  die  neue  soziale  Gcsell- 
schaftsauffassung  in  Gegensatz  zu  der  herrschenden  individualisti- 
schen. Diese  äusseren  und  inneren  Entwicklungsreihen  beeinflussen 
sich  gegenseitig  ursächlich.  lTnd  diese  ganze  wechselseitig  ge- 
ordnete Entwicklung  geht,  sagt  Schulze -Gävernitz,  dem  Ziele 
entgegen,  an  Stelle  des  sozialen  Krieges  den  sozialen  Frieden 
treten  zu  lassen. 

In  seinem  ersten  Buch  behandelt  Schulze-Gävernitz  „Themas 
Carlvle  als  Theoretiker  und  Sozialpolitiker"1).  Dieser 
Mann  war  in  Wahrheit,  wie  schon  Goethe  erkannte,  „eine 
moralische  Macht  von  grosser  Bedeutung".  Carlvle  war  der  be- 
herrschende Geist  der  ganzen  Aeru.  Er  hat  die  Gedanken  und 
den  Willen  seiner  Volksgenossen  beeinflusst  wie  seitdem  kein 
zweiter.  Das  Auftreten  der  Sozialrevolutionären  Partei  bildet  den 
Hintergrund  für  sein  Wirken.  Dort  in  gährender  Zeit  kämpfte 
er  wie  ein  Jesujas  des  neunzehnten  Jahrhunderts  gegen  die  indi- 
vidualistische Weltanschauung  und  «leren  Zuspitzung  in  der 
„klassischen  Nationalökonomie".  lud  in  seiner  Gcscllschafts- 
anschauuug  verkörpert  sich  die  heraufschrcitende  Zukunft.  Auf 
Carlvle  gehen  alle  diejenigen  zurück,  welche  die  Beurteilung  der 
Erscheinungen  vom  kapitalistischen  Standpunkt  verwerfen  und 
durch  eine  solche  vom  Standpunkt  der  Arbeit  ersetzen.  Er  ver- 
anlasst den  Cmschwung  der  Geistesbewegung,  welcher  die  neuen' 

')  Verpleiehe  von  deiu«ell»en  Verfasser  „Thonia*  Carlvle*  Weil- 
and ( JeselUchafl-aiischauiinjr."  Mit  Porträt.  IJand  V  der  Sammlung  von 
Biographien:  Führende  (Deister,  herauspepelien  von  Dr.  Beltelheitn  (Prexlen, 
L.  Khlermann.  ISM.T). 


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150 


Hummel, 


Heft  1  U.  5. 


Genossenschaftsbewegung,  die  Universitätsbewegung,  den  englischen 
Positivisiuus  und  Sozialismus  trägt.  So  «ehr  aber  bei  ihm  die 
sozialpolitische  Seite  im  Vordergrund  steht,  so  tief  wurzelt  er 
in  einer  umfassenden  Lebens-  und  Weltanschauung,  Und 
diese  ist  eine  originale.  Von  der  deutschen  Philosophie,  von 
Kant,  den  Kantianern,  besonders  von  Goethe  nimmt  er  Formen; 
aber  der  den  Engländern  augeborne  Sinn  für  die  „positiv"  festr 
gestellte  Thatsaehe  bewahrt  ihn  vor  unpraktischer  Füllung.  Am 
ehesten  kann  man  sagen,  das«  sich  Inhalt  in  jene  Formen  aus 
der  Quelle  des  Puritanisinus  ergiesst,  welcher  in  Carry  lc  den 
zeitgemässen  Ausdruck  findet.  Sehauen  wir  aber  auf  jene  Formen, 
so  begegnet  uns  der  entscheidende  Begriff  des  Organismus,  welchen 
deutsches  Denken  in  die  europäische  Gedankenwelt  eingeführt  hat. 
Diesen  Begriff  benützt  Carlvlc,  um  von  seinem  Standort  aus  zu 
zeigen,  wie  der  Mensch  als  Einzelwesen  durch  die  Selbst- 
sucht, als  Teil  eines  Organismus  durch  Glaube  und  Liebe 
geleitet  werde.  „(Haube"  ist  ihm  die  „Annahme",  „Liebe"  das 
„Erfassen"  eines  ausserhalb  des  einzelncu  Individuums  liegenden 
Wertes.  Als  gesellschaftliches  Wesen,  ruft  Carlvlc,  lebt  der 
Mensch  nur  dadurch,  dass  er  (ilauben  hat!  Dieser  Glaube  allein 
ennoglicht  die  altruistische,  d.  h.  die  nicht  auf  das  eigne, 
sondern  auf  fremdes  Wohl  gerichtete  I  Lebensauffassung,  den 
Grundgedanken  des  Christentums;  denn  er  ist  ja  an  sich 
die  dem  Individualismus  entgegengesetzte  Weise,  zu  wollen  und 
zu  wirken. 

„Zu  wollen  und  zu  wirken"  -  wir  halten  inne.  Nicht  an 
der  christlichen  Glaubenslehre  wollen  wir  die  Anschauung  Carlylcs 
messen.  Wir  möchten  aus  dem  Gewebe  seiner  Gedanken  nur 
einige  Fäden  für  die  psychologische  l>ezw.  pädagogische  Betrachtung 
herausnehmen  und  einen  Augenblick  festhalten.  Es  ist  wirklich 
so,  wie  Carlvlc  sagt,  und  durch  ihn  selbst  bewährt:  In  der 
Wissenschaft  wie  im  praktischen  Leben  sind  diejenigen  die  Führer, 
welche,  am  meisten  von  altruistischen  Grundlagen  ausgehend,  um 
einer  Sache  willen  erkennen,  um  eines  Wertes  willen  handeln! 
l'ns  tritt  ein  Grosser  vor  «las  Geistesauge,  aus  welchem  diese 
Wahrheit  in  besonderem  Sinne  helle  leuchtet:  Com en ins.  Dieser 
Mann  hat  denselben  Gedanken  in  die  Pädagogik  eingeführt. 
I  nd  merkwürdig,  auch  bei  ihm  hing  das  zusammen  mit  seinem 
Begriff  des  Organismus,  mit  seiner  Forderung  der  „Entwicklung". 


1K<)4. 


Thoimi*  ('Hrlyle  mid  der  riiiKchwun^  rtc. 


151 


Kr  hat  gelehrt,  «Iii*  Teile  «'in«*!-  Gruppe  als  abhängig  und  wechsel- 
seitig sich  ergänzend  anzusehen,  l'nd  vor  ihm  stand  ein  Organis- 
nius  des  Wissens,  da  bei  jeder  Wissenschaft  das  Dreifache  sein 
soll:  die  idea  das  Urbild,  das  Objekt  der  Wissenschaft;  ideatum 
<las  Abbild,  das  Produkt  der  Wissenschaft;  ideans  das  produ- 
zierende instruiuentum,  der  Geist,  die  Hand  und  die  Zunge.  Damm, 
weil  er  die  letztgenannten  organisch  zusammennahm,  fasstc  er  das 
Wissen  mit  der  bildenden  und  mit  der  Redekunst  in  einen  Be- 
griff' des  Bildens  zusammen.  Er  wollte  auch  hierin  Wort  und 
Sache  nicht  trennen.  Kr  wollte  um  der  Sache  willen  er- 
kennen. L'nd  um  des  Wertes  willen  handeln.  Das  kam 
zuletzt  von  seiner  Forderung  her,  die  jungen  Ebenbilder  (imagun- 
cnlos)  Gottes  zu  erziehen  und  sie,  den  in  ihnen  durch  göttliche 
Kunst  gezogenen  Umrissen  von  Güte,  Macht  uud  Weisheit  gemäss, 
zu  vollenden.  Bei  Coinenius  heisst  wissen  etwas  bilden  können, 
und  darum  lautet  seine  Ix>suug:  „Durch  Thun  gelangt  der  Mensch 
erst  zum  wahren  Sein".  „Die  That  ist  das  Ziel  des  Menschen", 
sagt  Curry le,  und  es  giebt  „keine  wahre  Erkenntnis  ohne  altruisti- 
sches Wollen"!  „Das  Thun  aller  muss  zusammengeordnet  werden 
durch  die  Liebe",  ruft  Conienius.  Die  Idee  des  Organismus 
treibt  aus  der  systematischen  und  praktischen  Pädagogik  des 
Coinenius  Blüten  und  Früchte  hervor.  Die  Idee  des  Organismus 
führt  von  Carlyle  aus,  indem  dieser  vor  allem  auf  den  Mensehen 
als  gesellschaftliches  Wesen  schaut,  zu  den  Forderungen  einer 
praktischen  Sozialpolitik  und  weiter  zu  einer  sozialen  Pädagogik. 

Nun  ist  nach  Carlyle  die  Geschichte  der  Menschen  von  dem 
Gegensatz  zwischen  Geineinsinn  (Altruismus)  und  Eigensucht 
(Individualismus)  beherrscht.  Auf  „positive"  Zeiten  folgen  „nega- 
tive", auf  solche  des  Glaubens  und  der  Hingebung  Zeiten  des 
Unglaubens  und  der  Selbstsucht.  Den  ersteren  verdanken  die 
gesellschaftlichen  Erscheinungen  ihre  Entstehung,  den  letzteren 
fällt  ihre  Auflösung  anheim.  Erfolg  hat  allein  das  soziale  Handeln, 
d.  h.  die  Arbeit.  Das  innere  Wesen  des  sozialen  Missstandes 
aber  ist  das,  dass  an  die  Stelle  des  gesellschaftlichen  Thuns  das 
ungesellschaftliche,  eigensüchtige  getreten  ist.  Besonders  der  freie 
Arbeitsvertrag,  ruft  Carlyle  immer  wieder,  erschöpft  die  Beziehung 
zwischen  dem  Arbeiter  und  dem  Arbeitgeber  nicht  Im  Blick 
auf  den  „Pauperismus",  „die  sichtbare  Erscheinung  der  Sünde  des 
sozialen  Systems",   verteidigt  Carlyle  die  damals  auftauchenden 


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1  ,v_> 


HUIIIIIH'I, 


Heft  i  u.  5. 


Arbeiterorganisationen.  Er  achtet  es  für  seine  Lebensaufgabe, 
soziale  Gesinnung  zu  predigen  und  die  Gewissen  wachzurufen, 
damit  die  zerrissenen  Bande  zwischen  den  oberen  und  den  unteren 
Klassen  wieder  geknüpft  werden.  W  ir  können  nicht  alles  einzelne 
anführen.  Auf  dein  Gebiet  des  äusseren  und  inneren  Geschehens 
ist  dort  (  arlyle  der  Vater  jener  grossen  Bewegungen  geworden, 
welche  seit  Mitte  des  Jahrhunderts  den  Besitzenden  ihre  Pflichten 
gegen  die  unteren  Klassen  ans  Herz  legten  und  auf  die  Her- 
stellung eines  friedliehen  Verhältnisses  hinstrebten.  Carlvle  hat 
den  Anstoss  zu  dem  rmschwung  gegeben,  welcher  seitdem  in 
England  erfolgt  ist. 

In  seinem  /.weiten  Buch,  das  „die  sozialen  Richtungen 
der  (regenwart"  behandelt,  schildert  Schulze-Gävernitz,  wie  von 
diesem  Umschwung  nicht  nur  die  konservativen  und  gemässigt 
liberalen  Richtungen  erfasst  wurden,  sondern  wie  auch  die  Radi- 
kalen ihm  ihren  Zoll  bezahlten.  An  die  Stelle  des  älteren  Radi- 
kalismus, wie  er  theoretisch  durch  Bcntham,  politisch  in  der 
I>'hre  vom  Geschehen-I^asscn  durch  John  Bright,  ("obden  u.  a. 
vertreten  wurde,  tritt  der  Positivismus  und  der  Sozialismus.  Seit 
den  siebenziger  Jahren  hat  letzterer  einen  Vorsprung  vor  dem 
ersteren  gewonnen.  Aber  in  nächster  Zukunft  erwarten  die  Posi- 
tivisten  eine  den  Sozialismus  in  gutem  Sinn  überholende  Weiter- 
entwicklung und  messen  hiefür  vornehmlich  den  Gewerkvercinen 
die  gnisste  Bedeutung  bei. 

Obwohl  diese  letzteren  neuerdings  gewisse  Fühlung  mit  der 
Sozialdemokratie  genommen  haben,  fällt  Schulze-Gävernitz  doch 
mit  Bestimmtheit  sein  Gutachten  dahin,  dass  in  England  der 
Sozialismus  ein  Mittel  der  friedlichen  Fortentwicklung  abgiebt. 
Der  Grund  hiefür  liegt  nach  ihm  in  folgenden  Thatsachen: 

„1.  Die  englischen  Arbeiter  befinden  sich  seit  fünfzig  Jahren 
wirtschaftlich  in  einem  Aufschwung,  welcher  ihnen  die  Grundbe- 
hauptung  sozialrevolutionärer  Bestrebungen  unannehmbar  macht, 
die  nämlich,  dass  die  Lage  des  Arbeiters  unabänderlich  schlecht 
sei  und  nach  Naturgesetz  immer  schlechter  werden  müsse. 

2.  Sie  besitzen  zudem  die  Macht  und  sind  daran,  die  poli- 
tische Schulung  zu  erwerben,  mittelst  deren  sie  mögliche  Forde- 
rungen auf  Cirund  des  Bestehenden  verwirklichen  können. 

.'{.  Die  öffentliche  Meinung,  insbesondere  ihre 
Führer  in  Universitäten  und  Kirche,  betrachten  infolge 


1S<H. 


Tlumiais  Carlylo  und  der  rmschwuiig  etc. 


des  von  Carlyle  und  der  Meng»'  seiner  Nachfolger  ein- 
geleiteten Umschwungs  die  sozialen  Verhältnisse  nicht 
iiH'hr  vom  Standpunkt  des  Kapitals.  S'w  neigen  vielmehr 
eher  einer  Betrachtung  vom  Standpunkt  der  Arbeit  zu,  welche  in 
Bezug  auf  die  Gesetzgebung  Sozialismus  heisst,  ebenso  wie  eine 
von  den  besitzenden  Mittelklassen  ausgehende  Betrachtung  zu  der 
Jx'hre  vom  Gesehchen-Lanseu  führte.  Ih'es  beseitigt  Klassengegen- 
»ätze  und  erhöht  die  Aussicht  friedlicher  Fortschritte." 

Diese  Punkte  sind  wert,  dass  auch  unter  uns  viele,  und  nicht 
bloss  die.  Führenden  im  Volk,  genau  darauf  achten.  Sie  kommen 
eben  thatsäehlich  ernstlich  in  Betracht;  in  naheliegendem  Sinn 
auch  für  die  Fragen  der  Volksbildung  und  Volkser- 
ziehung. Gehen  die  beiden  erstgenannten  Punkte  uns  mehr 
mittelbar  an  innerhalb  des  Kähmens  unserer  Gesellschaft,  so  legt 
sieh  der  letzte  uns  unmittelbar  nahe,  manchem  unter  uns  sehr 
nahe.  Durch  Venuittclung  der  geistigen  Erzieher  des  Volks, 
unter  welchen  wir  z.  B.  noch  die  Kingslcy,  Hughes,  Maurice, 
Lud  low  nennen,  hat  in  Kngland  jene  sittlich«',  im  Kern  anti- 
individualistische,  Reformbeweguug  immer  weitere  Kreise  gezogen, 
und  kraft  dieser  Wirkung  wird  nirgends  vou  den  gebildeten 
Klassen  so  umfassend  und  besonders  so  planmässig  er- 
zieherisch auf  dem  sozialen  Boden  gearbeitet  wie  heut«' 
in  Kngland.  „Drei  Gebiete  sind  es,"  sagt  Schulze -Gävernitz 
(I.  S.  4.'5u),  „auf  welehen  die  höchst  praktischen  Bestrebungen 
.sieh  bewegen:  Einmal  Sorge  für  angemessene  Unterhaltung  der 
arbeitenden  Klassen  an  Abenden  und  Feiertagen;  sodann  Sorge 
für  die  körjH'riiche  Ausbildung  durch  Beförderung  der  nationalen 
Spiele,  Anlag«'  von  Spielplätzen  und  Parks,  durch  Besuch  der 
Wohnungen  und  Anzeige  von  Übertretungen  der  sanitären  Gesetze. 
Am  wichtigst«'«!  aber  sind  die  zahlreichen  Bemühungen  um  Er- 
ziehung und  Fortbildung,  wodurch  der  Volksschulunt<'rricht  <>r- 
gänzt,  die  geistig«-  Stufe  gehoben  und  damit  auch  das  äussere 
Fortkommen  erleichtert  wird." 

Es  ist  schon  früher  in  den  „Mitteilungen"  der  Gunenius- 
Gesellschaft  (1K9'5,  I.  II.)  auf  jene  Erzieh«»r  in  England  hingewiesen, 
W«'lche  „innerlich  d«'ii  Gedanken  der  eonu-nianisehen  Gcistcsrich- 
tung  nahe  standen."  Und  mit  Bezüdumg  auf  die  sog.  englische 
Universitntsbewi'gung  ist  uns  «Ii«-  Sache  «ler  „Volkshochschulen" 
ebeudort  die   vor  Augen  gistellt  worden   („Mitt«'ilungeu"  lSM.'i, 


154 


Hummel. 


Heft  4  u.  i>. 


JV.). ')  Wir  können  wirklich  von  der  Probe  auf  England*  Boden, 
bei  aller  Verschiedenheit  der  Verhältnisse,  vieles  lernen.  Ks  be- 
reitet sieh  ja  in  der  That  eine  gesellschaftliche  Ordnung  vor, 
welche  die  Entfernung  zwischen  den  verschiedenen  Klassen  ver- 
mindern will.  Es  hat  vor  allein  die  allgemeine  Schulpflicht,  sowie 
das  allgemeine  und  gleiche  Wahlrecht  den  unteren  Ständen  ein  so 
grosses  Gewicht  gegeben,  dass  notwendig  auch  der  Bildungsdrang 
emporgeht  und  nach  Teilnahme  am  geistigen  Besitz  der  Mensch- 
heit strebt.  Da  ist  es  thatsäclüich  im  («eist  des  Comenius,  wenn 
die  nach  ihm  sich  nennende  Gesellschaft  auf  eine  grossere  G leich- 
massig keit  der  Geistesbildung  hinarbeitet.  Es  ist  feiner  eine 
Forderung  ebenso  der  Liebe  wie  der  Weisheit,  dass  die  Oben- 
stehenden mehr  und  mehr  auch  Vergnügungen  und  Erholungen 
mit  den  Geringeren  teilen  lernen.  Und  es  ist  eine  nicht  zu  unter- 
schätzende Aufgabe,  die  Pfleg»-  der  köqjcrliehen  Übungen  im  Dienst 
der  Volkserziehung  fruchtbar  zu  machen.  Hoffentlich  lässt  sich 
die  freiwillige  Mitarbeit  der  Comcnius-Gesellsehnft  so  organisieren, 
dass  sie  in  vereinbartem  Anschluss  au  andere  Kreise  und  Ein- 
richtungen, vornehmlich  an  die  Universitäten,  willige  Kräfte  für  die 
Hebung  der  Bildung  im  Mittelstand  und  in  den  unteren  Ständen 
zur  Verfügung  stellt.  Können  nicht  auch  wir  wahr  machen  und 
bethätigen,  dass  die  Arbeit  der  Volksbildung  daran  mit- 
hilft, die  Kluft  zwischen  den  Oberen  und  Unteren 
innerlich  zu  überbrücken?  Sollte  nicht  allmählich  ein  Teil 
des  Wissensehaftsbetricbs  durch  den  Umschwung  heilsam  beein- 
flusst  werden,  der  seit  Thomas  Carlvles  Wirken  von  der  indi- 
vidualistischen zu  der  sozialen  Gesellsehaftausehauung  sich  voll- 
zieht? Wenn  wir  auch  auf  diesem  geistigen  Gebiet  unser«' 
Sehuldigkeit  thun,  tragen  wir  mächtig  dazu  bei,  dass  die  Zeiten 
naher  rücken,  da  wir  vom  sozialen  Frieden  reden  dürfen. 

In  seinem  dritten  Buch  verfolgt  Schulze  -  Gävernitz  die 
Äusserungen  des  in  England  bewirkten  Umschwungs  im  Umkreis 
des  gesellschaftlichen  Lebens  und  zeigt,  wie  die  Entwicklung  auf 
den  sozialen  Frieden  hinausweise.  Verfasser  hat  diese  Hoffnung 
in  seiner  erwähnten  Schrift  über  Arbeiterbildung  (S.  22)  einen 


')  Verfasser  darf  vielleicht  auf  die  Ausführung  in  seiner  Schrift  „Wh* 
):"i*st  xieh  zur  Pflege  einer  gediegenen ,  .-eht  volk-tüinlichen  Bildung  in  den 
Arbeiterkreim-ii  thun?'1  iHeilhnmii,  Kug.  Salzer  IS!»::  Seile  KM  t.  hinwei*>u. 


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1S!)4. 


Tlmmu*  Citrlvl«'  und  <l<-r  rm«-hwitnp  vW. 


„allzu  sicher  blickenden  <  )ptimismus"  genannt.  Schulze-Gävernitz 
hat  «lagern  erwidert  („Christliehe  Welt",  1K!»3,  Nr.  47,  S.  112»): 
Dass  England  die  Gefahr  eines  gewaltsamen  sozialen  Zusammen- 
bruchs überwunden  habe  und,  seiner  Ansieht,  nach,  in  friedlicher 
Fortentwicklung  begriffen  sei,  sei  ja  noch  nicht  das  ferne  Endziel, 
sondern  eine  Etappe,  von  welcher  aus  nur  um  so  schwerere  Ziele 
sichtbar  werden.  Den  Sozialpolitikern  Englands,  erklärt  Gävernitz, 
thun  sich  sofort  auf  der  geöffneten  Bahn  friedlicher  Entwicklung 
die  schwersten  Probleme  auf,  wie  etwa  das  der  Iiohnstcigerung 
gegenüber  dem  ausländischen  Mitbewerb,  das  der  ungelernten 
Arbeit  u.  s.  f.  Verfasser  gesteht,  dass  diese  Auffassung  ihn  über- 
zeugt hat.  Denn  wirklich  wird  in  England  der  Damm  sichtbar, 
welcher  die  revolutionäre  Sturmflut  aufhalten  kann.  Mag  er 
Jahrzehnte  lang  von  dem  Wogenprall  umtost,  in  manchen  Teilen 
gar  von  demselben  bedeckt  werden,  er  ist  da  und  hält  fest  Wir 
müssen  betonen,  dass  seine  unerschütterlichen  Grundlagen  in  der 
sittlich -religiösen  Persönlichkeit  ruhen.  Aber  wir  wissen  auch, 
dass  das  Aufführen  desselben  nicht  am  wenigsten  jenen  Bestre- 
bungen zu  verdauken  ist,  die  im  Sinne  Carlyles  und  Kingslcys 
in  uneigennützigster  Weise  und  ohne  Parteigeist  für  Menschen- 
bildung und  Volkserziehung  gearbeitet  haben.  Das  ist  eine 
Leuchte  auf  den  Pfaden  derjenigen,  die  im  Sinne  des 
„Weckrufs"  des  Conicnius  alle  Parteien,  Konfessionen 
und  Stände  aufrufen,  echt  sozial  zu  denken  und  zu  han- 
deln und  mit  ernsten  Bild ungsbestrebungen  an  das  Volk 
heranzugehen. 

Aus  der  Idee  des  Organismus  hat  Carlyle  soviel  Kraft  ge- 
holt für  Gedanke  und  That  Er  wollte  ein  organisches  Volks- 
leben. Auch  wir  dienen  der  Sache  des  organischen  Volkslebens 
mit  unseren  Bildungsbestrebungen.  Zu  den  Lebensbedingungen 
dieses  Organismus  gehört  auch  die  Anwendung  einer  echt  sozialen 
Erziehungslehre,  wie  sie  in  dem  „Tempel  der  Weisheit"  eines 
Coincnius  mitbefasst  ist.  Von  der  auf  englischem  Boden  geschauten 
Probe  aus  strahlt  die  Hoffnung,  dass  die  Besitzenden  lernen  werden, 
auf  fremdes  Wohl  zu  denken,  und  dass  die  unteren  Klassen  dahin 
gelangen,  das  hohe  Gut  der  Freiheit  gegen  alle,  auch  gegen  die 
revolutionäre,  Vergewaltigung  zu  verteidigen. 


Mormts.li.  fu  il.  r  r.,m.  niu*-(;.-..,  IK.  hurt.  |wu. 


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B.  Litteraturbericht. 

Wir  beabsichtigen,  die  wichtigeren  Erscheinungen  unsere«  Forschungs- 
gebiets, durch  kurze  Hinweise  an  dieser  Stelle  der  Aufmerksamkeit  unserer 
t/wer  zu  empfehlen  und  bitten  die  Herren  Verfasser  und  Verleger  um  Zu- 
sendung der  hierher  gehörigen  Littcratur. 

24.  Seit  der  zweiten  Hälfte  der  achtziger  Jahre,  genauer  seit 
dein  Jahn-  1885,  haben  die  Forschungen  über  die  Geschichte  der 
Katharer  und  Waldenser  einen  grossen  Aufschwung  genommen.  Es 
ist  nicht  ohne  Interesse,  zu  sehen,  unter  welchen  Xanieti  und  Titeln  die 
betreffenden  Schriften  an  das  Lieht  treten.  Es  ist  sonst  üblich,  dass 
die  Geschieh tsforscher,  gleichviel  welcher  Kirche  oder  Partei  sie  an- 
gehören, zur  Bezeichnung  einer  Richtung  oder  Gemeinschaft,  deren 
Geschichte  sie  schreiben,  diejenigen  Namen  wählen,  die  sich  jene 
Richtungen  oder  Gemeinschaften  selbst  gegebeu  haben,  und  es  gilt 
als  Anstandspflicht,  Scheltnamen,  wie  sie  in  heftigen  Kämpfen 
von  der  siegreichen  Partei  leicht  in  Umlauf  gesetzt  werden,  zu  ver- 
meiden. Zu  solchen  Parteibezeichnungen  und  Scheltnamen  gehören 
die  Namen  „Ketzer"  und  „Sekten",  in  denen  die  denkbar  schärfste 
Ablehnung  im  Sinn  der  mittelalterlichen  Kirche  ausgesprochen  wird; 
selbst  die  Namen  „Katharer"  und  „Waldenser"  sind  in  jenen  Jahr- 
hunderten Scheltnamen  gewesen,  da  es  bis  zum  l(J.  Jahrhundert  nie 
eine  Gemeinschaft  gegeben  hat,  die  sieh  so  genannt  hätte.  Es  ist 
ganz  erklärlich,  wenn  diejenigen  neueren  Historiker,  die  die  altkirch- 
liehe  Beurteilungsweise  der  Ketzer  teilen  und  beibehalten,  auch  die 
von  der  überlieferten  Streittheologie  gebilligten  Kunstausdrücke  bei- 
behalten; wer  als  unparteiischer  Geschichtsschreiber  sich  weder  auf  die 
eine  noch  auf  die  andere  Seite  stellt,  sollte  es  sich  hier  wie  anderswo 
zur  Pflicht  machen,  entweder  solch«1  Bezeichnungen  zu  wählen,  die 
neutraler  Art  sind  oder  die  von  jenen  „Ketzern"  selbst  gebraucht 
wurden.  Oder  wie  würden  heutige  Protestanten  es  bezeichnen,  wenn 
römisch-katholische  Schriftsteller  Bücher  unter  dem  Titel:  „Geschichte 
der  lutherischen  Ketzerei"  u.  s.  w.  veröffentlichen  wollten?  Da  zu 
den  satzungsgemässen  Aufgaben  der  CG.  die  Erforschung  der  Ge- 
schichte der  böhmischen  Brüder  und  ihrer  Vorläufer  —  das  sind 
eben  die  sog.  Ketzer  des  Mittelalters  -  gehören,  so  werden  wir  noch 
oft  Veranlassung  haben,  auf  diese  Xamcnfragc  zurückzukommen.  Wir 
werden  aber  selbstverständlich  die  wissenschaftlichen  Anstandsregeln. 


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1X94. 


Litteraturhcricht. 


157 


die  sonst  gelten,  auch  auf  die  „Ketzer"  ausdehnen  und  keinen  Sehelt- 
nanien  ohne  ei-ninteruden  Zusatz  gebrauchen  oder  zulassen. 

25.  Kine  Geschichte  der  altevangelischen  Gemeinden  in  den 
Niederlanden  oder  wichtige  Beiträge  dazu  liefert  Prof.  Dr.  Paul 
Prederioq  (D.-M.  der  CG.)  in  seinem  Werk:  „Geschicdcnis  der  In- 
»juisitie  in  de  Ncdcrlandcn  tot  aau  hare  Hcrinrichting  onder  Keizer 
Karel  V  (1025  1520),  Eerste  Deel,  Oe  Ncdcrlandschc  Inquisitie 
tydens  de  elfdc,  twaalfdc  en  dertiende  eeuwen.  Met  twee  Kaarten. 
Gent,  J.  Vuylsteke  1«!)2."  Fre<lerieq  hat  im  Jahre  188«  die  Ur- 
kunden  und  Akten  zur  Geschichte  der  Kctzerverfolgung  in  den 
Niederlanden  (1025 — 1520)  herausgegeben,  und  auf  der  so  gewonne- 
nen Grundlage  haut  sieh  jetzt  die  Gesehiehte  der  Inquisition  auf, 
•leren  erster  Teil  unter  obigem  Titel  vorliegt.  Die  Arbeit  hat,  wie 
F.  im  Vorbericht  selbst  bemerkt,  eine  erhebliehe  Förderung  durch 
das  grosse  Werk  von  H.G.Lea,1)  History  of  the  Inquisition  in  the 
Middle  Ages,  New- York  1«««  ff.,  das  gerade  während  der  Aus- 
arbeitung ersehien,  erfahren.  Sie  ist  dein  hervorragendsten  heute 
lelnrnden  Vertreter  der  niederländischen  Kirehengesehiehte,  Herrn  Prof. 
Dr.  Acquoy  in  Leyden,  gewidmet  und  verdient  die  Aufmerksamkeit 
nicht  bloss  der  holländischen  Geschichtsforscher.  Sie  kann  in  der 
Fassung  wie  in  der  Bearbeitung  des  Themas  als  Vorlage  für  Be- 
arlM'itungen  der  Inquisition  in  anderen  Ländern  und  Provinzen  dienen, 
wie  denn  z.  B.  eine  nach  ähnlichen  Gesichtspunkten  bearbeitete  Ge- 
schieht*' der  südfranzösisehen  oder  auch  der  oberrheinischen  und  nieder- 
rheinischen Inquisition  sehr  interessant*-  Ergebnisse  liefern  würde. 
Nur  müsste  mau  der  Gcsehiehts-Darstellung  ebenso,  wie  es  Frederieq 
gethan  hat,  die  Herausgabe  der  Urkunden  vorausschicken. 

2fJ.  Unter  den  humanistischen  Reformatoren  auf  dem  Gebiete 
de-  Schulwesens  um  die  Wende  des  15.  Jahrhunderts  hat  hellen 
Klang  der  Name  des  Alexander  Hegius,  des  langjährigen  Vorstehers 
der  Schule  von  Deventer.  ÜImt  2000  begeisterte  Jünglinge  haben 
dort  zu  seinen  Füssen  gesessen  und  die  empfangenen  Lehren  weithin 
getragen,  nach  des  Meisters  Beispiel  mit  der  herrschenden  Schul- 
methode brechend  und  frisches  neues  Leben  in  die  mittelalterlichen 
Formen  bringend.  Die  zerstreuten  Nachrichten  über  diesen  zwar 
nicht  hervorragend  begabten,  aber  um  so  unermüdlicheren  Schulmann 
hat  Joseph  Wiese  in  einer  Erlanger  Dissertation  zusammengestellt: 
„Der  Pädagoge  Alexander  Hegius  und  seine  Schüler.  Berlin 
1«92."  Nach  Darlegung  des  meist  auf  die  Schulstube  liesehränkten 
Ijehens  seines  Helden  giebt  Wiese  einen  kurzen  Auszug  aus  seinen 
philosophischen,  didaktischen  und  pädagogischen  Werken,  die  150M 
zusammen   unter  dem  Titel  „Dialogi"  von   Jakob  Fabri  herausge- 

')  Inzwischen  ist  von  H.  C.  Lea  (der  unserer  (icsellschaft  ebenfalls 
angehört)  iax*h  erschienen:  Chapter  from  the  religious  historv  of  Spain, 
connected  wirh  the  Inquisition.  Philadelphia,  Lea  Brothers  aad'Co.  1S1H). 


11' 


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158  Utteraturbericht.  Heft  4  u.  5. 


frühen  uihI  ziemlich  seilen  geworden  sind.  Besondere  Erwähnung 
verdient  die  den  Dialogen  angehängte  „Invectiva  in  modos  signifieandi," 
ein  Pamphlet  gegen  die  damaligen  sogenannten  Modisten,  die,  anstatt 
sich  an  «las  Thatsäehliche  zu  halten,  mit  spitzfindigen  Reflexionen 
Grammatik  triehen.  B. 

27.  Unter  des  Hegius  Schülern  hat  am  wirksamsten  Johannes 
Murmellius  in  Münster  diesen  Kampf  fortgesetzt.  Seine  erbittertste, 
aus  einstiger  Hochachtung  langsam  umgeschlagene  Feindschaft  galt 
dem  „Doctrinale"  des  Alexander  de  Villa  Dei,  dem  Kanon  der 
hisherigen  Grammatiker.  Dasselbe  ist  neuerdings  von  dem  bekannt. Mi 
Murmcllius-Biographen  D.  Reich ling  mit  einer  sehr  bemerkenswerten 
Kinleitung  über  Umfang,  Ziel  und  Methode  des  grammatischen 
Unterrichts  im  Mittelalter,  sowie  das  Lehen  und  die  Schriften  Alexan- 
ders als  12.  Band  der  Mo  11  innen  tu  Gerina  niae  paedagogica 
(Berlin,  1S»:{)  abgedruckt  worden.  Murmellius  drang  gegenüber  «liesein 
weitschweifigen  Lehrbuch  überall  auf  natürliche  Gestaltung  und  Be- 
lebung des  Unterricht*,  und  wenn  er  auch  seiner  Zeit  gemäss  über 
die  Begeisterung  für  das  Lateinische  eine  gesunde  Pflege  der  Mutter- 
sprache vergessen  hat,  so  erinnert  er  doch  in  der  genannten  Beziehung 
und  wegen  mancher  übereinstimmenden  Lehren  im  einzelnen,  auf  die 
ich  hier  nicht  näher  eingehen  kann,  schon  an  Uomenius  und  seine 
Anhänger.  Ich  habe  vor  kurzem  mit  einer  neuen  Ausgabe  der  vor- 
züglichsten seiner  grösstenteils  äusserst  selten  gewordenen  Werke 
begonnen.  (Ausgewählte  Werke  des  Münsterischcn  Huma- 
nisten Johannes  Murmellius.  Herausgegehen  von  A.  Börner. 
Heft  1  ff.  Münster,  Regensberg  1*92  ff.)  Das  1.  Heft  hat 
eine  für  „verschollen"  gehaltene  kurze  Sammlung  von  Epigrammen 
über  die  Pflichten  des  Lehrers  und  der  Schüler  gebracht.  Heft  2 
enthält  das  treffliche  „Enchiridion  seholastieorum",  in  dem  von  Mur- 
mellius die  Grundsätze  aufgezeichnet  sind,  nach  denen  er  mit  so 
grossem  Erfolge  an  der  Domschule  zu  Münster  unterrichtet  und  er- 
zogen hat.  Eben  finde  ich  eine  Übersetzung  der  pädagogischen 
Werke  des  Murmellius  von  J.  Freundgen  angekündigt,  in  der 
„Sammlung  der  bedeutendsten  pädagogischen  Schriften 
aus  alter  und  neuer  Zeit  (Paderborn,  Sehöningh)",  auf  die 
bei  dieser  Gelegenheit  nochmals  aufmerksam  gemacht  sei.  Die  im 
'.i.  Hefle  meiner  Ausgabe  veröffentlichten  „Elegiae  morales"  kommen 
für  uns  höchstens  wegen  ihres  ethischen  und  didaktischen  Charakters 
in  Betracht.  Das  nächste  Heft  wird  mehrere  Kapitel  aus  der  be- 
kannten „Pappa  puerorum"  bringen.  Was  Coineuius  im  10.  Ab- 
schnitt seiner  grossen  Unterrichtslehre  ( Übersetzung  von  J.  Beegcr 
und  F.  Zoubek  S.  141  f.)  lebhaft  empfiehlt,  dass  Bücher  in  Gesprächs- 
form verfasst  werden  möchten,  davon  finden  sieh  hier  die  Anfänge. 
Nachdem  im  1.  Kapitel  nach  Stoffen  geordnet  die  gebräuchlichsten 
lateinischen  Wörter  mit  deutscher  Übersetzung  und  hier  und  da  mit 
veranschaulichenden  Erläuterungen  zusammengestellt  sind,  folgen  im 


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Litteraturl>e  rieht. 


2.  Kapitel  „Omtiunculne  variae  puerorum  usui  <-xposita«\  Mancherli'y 
redlin  zu  gebrauch  «ler  Kimler  ausgelegt."  Teils  in  einfaeher  Redt-, 
teils  in  Form  von  Re«le  und  Antwort,  werden  die  den  Knaben  zu- 
nächstliegenilen  Stoffe  der  Unterhaltung  behandelt.  Dureh  solebe 
Gespräche  ist  es,  wie  Conienius  an  der  bezeichneten  Stelle  näher 
ausführt,  möglich,  Inhalt  und  Darstellung  der  kindliehen  Auffassung 
anzupassen,  denn  „nichts  ist  vertraulicher  und  natürlicher,  als  da- 
Gespräch."  An  «lie  „Omtiunculae"  scbliessen  sich  in  den  beiden 
folgenden  Kapiteln  der  Pappa  bemerkenswerte  „Pnucepta  moralia" 
und  „Protrita  quaedam  proverbia."  Noch  im  Lauf«'  des  Jahres  soll 
das  Büchlein  herausgegeben  werden.  B. 

28.  „Die  Ansichten  des  Desiderius  Erasmus  über  die 
Erziehung  und  den  ersten  Unterricht  der  Kinder*«  untersucht 
Richard  Becher  in  einer  verdienstvollen  Leipziger  Dissertation  von 
1S00,  über  deren  Ergebnisse  wir  einig«'  berichtende  Worte  nicht 
schuldig  bleilM  ii  dürfen.  Erasmus  selbst  hat  ein  System  seiner  Er- 
ziehungslehren nicht  g««geben,  Becher  musste  sein  Bild  nach  5  ver- 
schiedenen Schriften  des  grossen  Pädagogen  entwerfen;  es  sind  «lie 
Werke:  „De  ratione  stiulii"  ( 1  f>  1 H ),  „Declumatio  de  pueris  ad  virtutem 
ac  literas  liberaliter  instituendis  idque  protinus  a  nntivitate"  (1529), 
„De  institution«'  matriinonii  christiani"  ( 1 52ü)  und  „De  eivilitatc  monun 
puerilium"  (1530),  von  denen  «>r  das  bislang  am  wenigsten  beachtete 
zweit«'  für  «las  be«leutendste  hält.  Nach  Darlegung  dessen,  was  Eras- 
mus von  «1er  IVrstm  <l«*s  Erziehers  und  «l«'s  Zöglings  verlangt,  geht 
Bacher  üb«ir  zu  «lein  Erziehung--  und  Untcrriehtswerke  selbst,  in  dem 
Erzieher  und  Zöglinge  zu  einander  in  Beziehung  treten.  In  seiner 
Anschüttung,  »lass  «las  Lat«'iitische  und  Griechische  der  Mittelpunkt 
«l«»s  Unterrichtes  sein  und  sich  mit  «lein  scheuten  Jahn'  sogh'ieh  an 
die  YorlK'reitungsperio«le,  «len  Spnn'h-,  Lese-  und  Schreibunterricht, 
anschliessen  müsse,  zahlte  Erasmus  der  herrschenden  humanistischen 
Bewegung  seinen  Tribut,  in  vielen  Teilen  «ler  Unterrichtsmethode  aber 
war  «t  stjner  Zeit  voraus  und  zwar  so  weit,  «lass  ihn  «lie  Mitlehenden 
nicht  verstanden  haben.  Seine  «»indringlich«'  Mahnung,  «len  Unterricht- 
freundlich  ZU  gestalten,  «len  Kindern  nur  Angenehmes  ZU  bieten,  sie 
«lurch  Zuhülfenahme  des  Spiels  «lie  Schwierigkeit  ihrer  Aufgabe  nicht 
verspüren  zu  lassen,  machen  ihn  zum  Vorläufer  I.,ockes  und  «ler 
Phihinthropiuistcn.  Die  Betonung  «les  Anschauungsunterrichtes  st«>llt 
ihn  Conienius  an  die  Seite.  Damit  Erzählungen  im  G«'iste  der  Kinder 
haften  bleiben,  s«dl  ihiu'it  «ler  L«'hrer  d«  n  Inhalt  «lersclben  auf  «'iiu-in 
Bihl«'  vor  Augen  führen,  die  einzelnen  Gegenstände  mit  lateinischen  un«l 
griechischen  Namen  nennen,  auch  eine  kurze  Beschreibung  derselben 
hinzufügen.  Es  ist  «lie-elbe  Ide«-,  «lie  «len  Orbis  pictus  «l«-s  Comciiius 
ins  Leben  g«'rufen  hat.  Den  Schluss  von  Bechers  Arbeit  bilden 
«Ii«'  Ansichten  des  Entsmus  über  «lie  moralisch«'  Erziehung  «I<t  Jugend, 
bei  d«-n«'ii  sieh  «-in«'  besondere  Fürsorg«-  für  «las  weiblich«'  G«'s«'hl«-chl 
vorteilhaft  bemerkbar  macht.  B, 


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Hin 


Litt4*raiurlM'rielit. 


Heft  4  u.  5. 


29.  Das  Nachspiel  der  /.wischen  Knwmi'  und  Hutton  ent- 
brannten litterarischen  Fehde  ist  der  Gegenstand  eines  Aufsatzes  von 
Karl  Hartfelder  im  4.  Hefte,  der  Zeit schritt  für  die  Geschichte  des 
Oherrheins  von  1S93:  „Otto  Brunfels  als  Verteidiger  Huttens" 
(S.  5Gö — 57.H).  Auf  Huttens  leidenschaftliche  „Expos tulatio"  gegen 
den  Abtrünnigen  der  evangelischen  Sache  hatte  Erasmus  schlagfertig 
mit  seiner  „Spongia  adversus  aspergines  Hutteni"  geantwortet,  aber 
seine  wohlgezielten  giftigen  Pfeile  hatten  den  Gegner  nicht  mehr 
Ichend  erreicht.  Die  Sache  de*  Toten  machte  einer  seiner  Schuler, 
Otto  Brunfcls  aus  Mainz,  damals  noch  Pfarrer  zu  Neuenburg  am 
Rhein,  aber  im  Herzen  schon  der  neuen  Lehre  zugethan,  zu  der 
seinigen.  Er  blieb  eine  „Responsio  pro  Ulrieho  Hutteno  defuneto 
ad  Erasmi  Roterodami  Spongiam"  nicht  lange  schuldig.  Hutten  ist 
ihm  ein  leuchtendes  Ideal,  Erasmus  der  Inl>cgriff  aller  Untugenden. 
„Erasmus  ist  treulos,  Lug  und  Trug  geht  von  ihm  aus,  aus  seinem 
Munde  kommt  es  warm  und  kalt  zu  gleicher  Zeit,  mit  der  einen 
Hand  hält,  er  ein  Brod  hin,  während  er  mit  der  anderen  einen  Stein 
verbirgt  u.  s.  w.u  Trotz  aller  Mängel  verfehlte  die  Schrift  ihn;  Wir- 
kung nicht.  Der  tiefgekränkte  Erasmus  hat  sie  Brun  fei»  nie  ver- 
gessen können,  auch  nicht  als  »lieser  später  im  Auftrage  des  Rates 
zu  Strassburg,  wo  er  eine  lateinische  Schule  errichtet  hatte,  sich  mit 
ihm  auseinanderzusetzen  suchte.  —  Hartfehlers  Hoffnung,  an  anderem 
Ork*  das  Lehen  Brunfels'  einmal  ausfuhrlicher  behandeln  zu  köiuien, 
hat  sein  zu  früher  Tod  vereitelt.  B. 

30.  Eine  Skizze  von  der  Bedeutung  und  dein  lieben  Thomas 
Campanellas  (f  1039)  bringt  die  Zeitschrift  für  Kulturgeschichte 
4.  Folge  Bd.  I  S.  f.O—  92  aus  der  Feder  Eberhard  Gotheins  in 
Bonn,  «Iii*  wie  alles,  was  Gothein  schreibt,  in  anziehender  Weise 
und  aus  einer  Fülle  reichen  Wissens  heraus  den  gewählten  Vorwurf 
behandelt.  Herder  war  es  (wie  Gothein  hervorhebt),  der  vor  fast 
100  Jahren  eine  Reihe  von  Sonetten  des  grossen  italienischen  Natur- 
philusophcn  unter  uns  von  neuem  bekannt  machte,  nachdem  sie 
zuerst  von  Valentin  Andreae  (der  auch  Campnncllas  Sonnenstaat 
nachgeahmt  hat)  ins  Deutsche  übertragen  worden  waren.  Herder 
berief  sich  für  seinen  Versuch,  den  vergessenen  Dichter  Italiens  von 
neuem  zu  beleben,  auf  das  Urteil  von  Leibniz,  der  Campanella 
als  Philosophen  neben  Baco  und  weit  übei  Dcseartes  und  Hobbes 
gestellt  hatte.  Es  ergiebt  sieh  hieraus  wie  aus  der  ganzen  Schilderung 
Gotheins,  dass  wir  mit  gutem  Grund  den  Namen  Campanellas  in 
dem  Arbeitsprogramm  der  CG.  genannt  haben.  Campanclla,  der 
sowohl  den  Vertretern  voltärianischer  Aufklärung  wie  der  kirchlichen 
Rechtgläubigkeit  unsympathisch  war,  ist  hing«'  Zeit  in  seiner  Heimat 
wie  anderwärts  vergessen  gewesen;  heute  feiert  man  in  ihm  neben 
Bruno  einen  der  hervorragendsten  Vertreter  italienischer  Philosophie 
im  17.  Jahrhundert  und  einen  Märtyrer  der  Gedankenfreiheit.  Es 
verdient   erwähnt    zu   werden,    dass   Campanella    ein   Schüler  des 


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Litterat  urltcricht. 


Bcrnnrdino  Telesio  war,  der  in  Coscnzn  und  in  Neapel  sog.  Akn- 
«I <-in  tcn  (Sodalitaten)  jr<*f*tifit*t  hntte,  die  sich  der  Pflege  philosophi- 
scher Studien  widmeten.  Als  CnmpaucHu  in  »panischer  Gefangen- 
schaft als  „Revolutionär"  schmachtete,  waren  es  zwei  Deutsche, 
Rudolf  von  Birnau  und  Tobias  Adami  aus  Weimar,  die  sieh 
des  Gefangenen  und  seiner  Schriften  annahmen,  und  die  seinen 
Büchern  in  Deutschland  eine  Zuflucht  verschafften.  Campniiclla  hat 
seinen  Freunden,  die  Evangelische  waren  (der  Mönch  kannte  für 
diese  nur  den  Namen  „Lutheraner"),  in  mehreren  Sonetten  seinen 
Dank  abgestattet,  deren  eins  folgende  Strophen  enthält: 

Von  Rom  auch  Ostia  ging  ein  alter  Munn, 

Den  Räuber  überfallen  und  verwunden. 

Ihn  traf  ein  Mönch.    Der  betet  seine  Stunden 

Und  geht,  als  ob  er  tief  im  Buche  sann. 

Hin  Bischof  kam,  sah  ihn  von  oben  an 

Und  segnet  ihn,  statt  das«  er  iha  verbunden. 

Ein  Cardinal,  der  heuchelnd  Leid  empfunden: 

Er  folgt  dein  Diel),  des*  Beute  er  gewann. 

Ein  deutscher  Lutheraner  nahte  jetzt, 

Der  nicht  von  Worten,  nur  vom  Glauben  hält. 

Der  hat  ihn  aufgehoben  und  geletzt. 

Wer  war  sein  Nächster  wohl  in  dieser  Welt? 

So  ist  die  Hand  mehr. als  der  Mund  geschätzt, 

Die  Einsicht  sei  dem  Wollen  nachgesetzt, 

Es  ist  die  That,  die  jedem  wohlgefällt. 

Du  weisst  nicht,  ist  dein  Glaube  andern  wahr. 

Die  gute  That  nur  stellt  Gewissheit  dar. 

Es  ist  eigentümlich,  das*  das  Naturerkennen  dieses  Mannes, 
der  doch  innerlich  Galilei,  Kepler,  Gilbert  und  andern  so  nah  stand, 
so  sehr  gering  war;  er  berührt  sich  in  diesem  Punkt«'  mit  dem 
gleichen  Mangel  bei  Comcniu».  Gleichwohl  veröffentlichte  Tobius  Adami 
Campanellas  Schriften  mit  den  höchsten  Lobsprüchen  derselbe 
Adauni,  der  zugleich  ein  Schüler  Bacos  und  ein  Bewunderer  von 
Galilei,  Kepler  und  Paracelsus  war.  „Unter  den  vielen,  die  Ivcibniz 
Monudenlehre  becinflusst  haben,  gebührt  Campanellu  «loch  wohl  der 
erste  Platz",  sagt  Golhein. 

Wie  sehr  Campanella   von   den    Ideen   und  Hoffnungen  des 

Urchristentums  erfüllt  war,  zeigen  folgende  schöne  Strophen: 

Kehrt  zur  Vernunft!  Dann  könnt  ihr  innig  lieten: 
„Es  komme  uns  dein  Reich,  darin  dein  Wille 
„Auf  Erden  wie  im  Himmel  sich  erfülle, 
„Wo  alles  reift,  was  wir  in  Hoffnung  säten. 
Und  vor  der  Dichter  Auge  wird  dann  treten 
Die  dunkle  Zeit  aus  dunkler  Zukunft  Hülle; 
Das  Unschuldsalter  kehrt,  in  heiliger  Stille, 
In  frommer  Kraft,  um  das  die  Väter  flehten. 
Dann  freut  der  Philosoph  sich  jenes  Staates, 
Den  er  beschrieh  als  beste  Republik, 
Um  den  die  Erde  immer  noch  betrogen. 
Auf  Zion  schauen,  froh  des  Gottesrate», 
Dann  die  Propheten  Israel  im  Sieg. 
Frei,  wie  es  aus  Egypten  einst  gezogen. 


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Ib2 


LitlrratiirlMficht. 


Heft  4  u.  5. 


Man  sieht,  wie  auch  bei  (ampnnclln  «Ii»-  I« lf «•  des  „Reiches 
Gottes"  oder,  wie  anilcrc  Zeitgenossen  sagten,  des  Tempels  4er 
Weisheit,  ebenso  im  Mittelpunkte  des  Gedankenkreises  steht,  wie 
bei  allen  Münnem,  die  zum  Forschungsgebiet  unserer  Gesellschaft 
im  engeren  Sinn  gehören.  K. 

31.  In  der  Unterhaltungs- Beilage  der  Täglichen  Rundschau 
vom  20.  u.  27.  Januar  d.  J.  findet  sich  ein  längerer  Aufsatz  eines 
„»Uten  Nieskyers"  über  die  Universitäts  •  Anstalten  der  Brüder- 
gemeinde EU  Niesky,  die  wir  der  Beachtung  unserer  I>  ser  empfehlen. 
Die  Praxis  der  brüderischen  Erziehung  beruht  auf  einer  Jahrhunderte 
langen  Erfahrung,  und  die  Grundsätze  haben  sieh  an  denjenigen  jungen 
Leuten,  die  den  brüderischen  Anstalten  anvertraut  worden,  in  hohem 
Grade  bewährt;  die  bedeutendste  und  wichtigste  Anstalt  ist  aber 
diejenige  in  Niesky.  Der  ungenannte  Verfasser  des  Aufsatzes  nennt 
unter  den  Männern,  die  sich  um  das  Er/.iehungswesen  der  Brüder- 
gemeinde besonders  verdient  gemacht  haben,  August  Göttlich 
Spangenberg  (+  1702)  und  Gottfried  Polycarp  Müller  (r  1  7  47), 
den  der  Verfasser  als  Freimaurer  bezeichnet.  Über  Polycarp  Müller 
hat  Otto  Kaetnmel  in  der  Allg.  I).  Biographie  XXII,  <>(i9  gehandelt; 
Kaenunel  nennt  ihn  einen  entschiedenen  Vertreter  des  Naturrecht* 
und  kühnen  Neuerer  auf  dem  Gebiete  des  Schulwesens;  er  war  am 
14.  Juni  1  «>S4  geboren,  studierte  in  Leipzig  und  Altdorf  bei  Nürn- 
berg, wurde  Mitglied  des  Blumenordens,  den  Harsdorf  er  1*>44 
errichtet  hatte,  und  übernahm  im  Jahre  1713  die  Direktion  des 
Gymnasiums  in  Zittau.  Von  hier  wegen  seiner  religiösen  Anschau- 
ungen durch  die  Lutheraner  verdrängt  (173S),  siedelte  er  nach 
Herrnhut  über,  wo  ihn  die  Gothaer  Synode  von  1740  an  Zinzen- 
dorfs  Stelle,  der  damals  nach  Amerika  ging,  zum  Bisehof  wählte. 
Er  hat  dann  auf  das  Erziehungswesen  der  Brüdergemeinde  einen 
grossen  Einfluss  gewonnen,  und  wir  werden  gern  gelegentlich  in 
unseren  Monatsheften  das  Andenken  des  merkwürdigen  Mannes 
erneuern.  K. 

32.  Die  „Roligiöse  Volksbibliothek",  die  vom  Bibliographi- 
schen Bureau  zu  Berlin  unter  Redaktion  von  C.  Wcrckshagen 
seit  1.892  herausgegeben  wird  es  sind  bis  jetzt  sechs  Bändchen 
erschienen  beabsichtigt,  dem  neuerwachten  religiösen  Interesse 
dadurch  entgegenzukommen,  dass  sie  versuchen  will,  das  beste  der 
religiösen  Litteratur  der  verschiedenen  Zeiten  und  Richtungen  der 
Gegenwart  von  neuem  zugänglich  zu  machen.  Es  sind  in  der  Samm- 
lung bisher  folgend«'  Schriften  erschienen: 

I.  1.  Dr.  Rudolf  Schramm,  weil.  Domprediger  zu  Bremen,  Zur 
Erneuerung  des  Christcnthums.  Eine  Auswahl  aus  seinen 
Schriften.  Berlin.  Verlag  des  bibliographischen  Bureaus. 
1892.    II  —  97  S.  8". 


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1X94. 


LittcrnturlKTu-ht. 


I.  2.  Charles  K  ingsley.  Kin  ndigiös-M>zialcs  Chhrakterhild  von 
Dr.  A.  Kalthoff,  Pastor  an  Si.  Martini  in  Bremen.  Ebd. 
1X92.     It  —  «!!)  S. 

I.  A.  Dr.  Eduard  Reilos,  weil.  Prof.  der  Theologie  zu  Stras- 
burg. Geschichte  Israels  bis  zum  Exil.  Rede  über  den 
Wahlspruch.    Ebd.  1 SM2.    II  —  7X  S. 

I.  4.  Blaise  Pascal.  Reden  und  Aufsätze  von  Dr.  M.  Schwalb. 
Ebd.  1*92.    02  S. 

I.  ">.  Srhleiermaehe  r,  Eine  Auswahl  aus  seinen  Predigten, 
Reden  und  Briefen.  Zusammengestellt  und  eingeleitet  von 
Gurt  Stago.    Ebd.  1X93.    IV    -  05  S. 

I.  <i.  Wie  Jesus  von  Nazareth  der  Messias  oder  Christus  wurde. 
Fünf  biblische  Betrachtungen  von  E.  Zittcl.  Ebd.  1  SfKt. 
II  -  »4  S. 

Di«'  ausgegebenen  Hefte  sind  sehr  wohl  geeignet,  dein  Unter- 
nehmen Freunde  zu  gewinnen.  Die  Schriften  sind  gut  gewählt  und 
mit  trefflichen  Einleitungen  versehen.  In  Rudolf  .Schramm  lernen 
wir  einen  Geistlichen  kennen,  der  die  Gedanken  der  Hegcl-Schleior- 
macbersehen  Schule  volkstümlich  zu  gestalten  versucht  hat,  in 
Charles  Kiugsley  den  christlichen  Sozialismus  in  eigenartiger  Ge- 
stalt, in  Eduard  Reuss  den  ausgezeichneten  theologischen  Historiker. 
Das  Heft  über  Pascal  bringt  namentlich  auch  eine  charakteristische 
Auswahl  von  Originalstellen  aus  Pascals  „Gedanken".  Dass  Schleier- 
macher in  der  „Religiösen  Volksbibliothek"  Berücksichtigung  ge- 
funden hat,  hegrüssen  wir  vom  Standpunkt  unserer  (Gesellschaft  aus 
mit  besonderer  Genügt  huunif.  Es  wäre  nur  zu  wünschen,  dass  der 
Genannte,  von  dem  so  tiefe  religiöse  Anregungen  ausgingen,  auch 
noch  durch  seine  religiösen  Hauptwerke  in  obiger  Sammlung  die 
gebührende  Vertretung  finde.  Hochegger. 

:?3.  Zur  Würdigung  von  Herders  bahnbrechender  Bedeutung 
auf  pädagogischem  Gebiete,  welcher  zuletzt  Dr.  Fr.  Kötz,  Scminar- 
oberlehrcr  in  Waldenburg,  in  einer  Leipziger  Dissertation  (Die  päda- 
gogische Bedeutung  Herders.  Waldenburg  1S91.  99  S.  S")  eine 
ausführlichere  Darstellung  gewidmet  hat,  tragen  zwei  kürzlich  er- 
schienene kleinere  Schriften  bei:  Dr.  Otto  Franoke,  Herder  und 
das  Weimarische  Gymnasium.  Sammlung  gemeinverständlicher  wissen- 
schaftlicher Vorträge,  begründet  von  Rud.  Virchow  und  Fr.  von 
Holtzendorff,  herausgegeben  von  Rud.  Virchow  und  Willi.  Wattcnbneh. 
Neue  Folge.  Achte  Serie.  Heft  1  Slj  (Hamburg,  Verlagsanstalt  und 
Druckerei  A.-G.  |vonn.  .1.  F.  Richter),  1  Sft-J.  SU  S.  X«  Preis  öl»  Pf.) 
und  Dr.  Horst  Keferstein,  früher  Seminnrohcrlehrer  in  Hamburg, 
jetzt  in  Jena:  Eine  Herder- Studie  mit  besonderer  Beziehung  auf 
Herder  als  Pädagog.  Pädagogisches  Magazin.  Abhandlungen  vom 
Gebiete  der  Pädagogik  und  ihrer  Hilfswissenschaften.  Herausgegeben 
von  Friedrich   Mann.  Heft.    (Langensalza,  Druck   und  Verlag 

von  Hermann   Beyer  &  Söhne.    1x92.    Hl  S.   X°).    Francke's  im 


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HU 


Littcrnturtaricht. 


Heft  4.  ii  5. 


Weimarer  Volksbildungsvcrein  lsl)2  gehaltener  Vortrag  gieht  nach 
einer  Skizzierung  «U»r  schon  in  Herder'.-*  Rcisetagehuch  (1709)  ent- 
haltenen Rcformgcdankcn  eine  Darlegung  seiner  Reform  de*  Weimar- 
schen  Gymnasiums  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Unterriehts- 
plancs  im  An.-<-hluriH  tm  die  Sehulreden.  Kefersteins  Studie  ent wirft 
in  umfassenderer  Weise  »-in  Bild  der  von  Begeisterung  für  ein  hohes 
Krziehungsidenl  erfüllten  uml  in  seinen  Ideen  vielfach  mit  Männern 
verwandter  Geistesrichtung  wie  (  omenius,  Schleiermachcr  etc.  .«ich  berüh- 
renden Persönlichkeit  Herders,  entwickelt  sodann  seine  Anschauungen 
über  die  erziehlichen  Aufgaben  des  Staates,  der  Kirche,  Schule,  Kunst 
und  Wissensehaft  (S.  11  ff.)  und  charakterisiert  endlich  (S.  2öff.)  die 
wichtigsten  seiner  didaktischen  Grundsätze  und  methodischen  Ansichten 
im  allgemeinen  wie  hinsichtlich  der  einzelnen  Fächer  nach  ihrem  Wert 
auch  für  die  gegenwärtige  Bewegung  auf  «lein  Gebiete  der  Schulrefonn- 
l>cstrebungen.  Wie  Francke  einleitend  betont,  dass  Herder  „in  seinen  der 
Bildung  unseres  Volkes  dienenden  Schriften  zwar  nicht  die  heutzutage 
bestehende  Gährung  in  Sachen  der  höheren  Schulen  voran sverkündet 
hat,  dagegen  —  was  viel  mehr  ist  —  die  brennenden  Fragen  unserer 
Zeit  in  einem  der  seinigen  entsprechenden  Umfange  mit  einer  un- 
endlichen Fülle  von  Gedanken  geradezu  vorweggenommen  hat"  (S.  4), 
st»  bemerkt  Keferstein:  „In  seinem  'Ideal  einer  »Schule*  ist  die 
Grundlegung  des  Unterrichts  durchaus  auf  vaterländische  Sprache 
und  Littcratur,  Geschichte,  Naturwissenschaften  und  Mathematik  ge- 
richtet; darnach  tritt  erst  der  fremdsprachliche  Unterrieht  und  zwar 
mit  Französisch  als  der  vorangestellten  Sprache  ein.  Man  meint 
.-ich  in  Gesellschaft  durchaus  moderner  didaktischer  Bewegungen  zu 
licfinden,  wenn  man  sowohl  auf  Herders  Gesamtprogramm  des  Unter- 
richte, als  auf  die  Reihenfolge  sieht,  in  welcher  er  die  Fächer  uml 
wiederum  einzelne  Teile  derselben  im  Lchrplanc  auftreten  lassen 
will  .  .  .  Wenn  gegenwärtig  selbst  auch  für  Gymnasien  der  deutschen 
Sprache  und  Littcratur,  wie  der  Geschichte  ein  grösserer  Raum  zu- 
gewiesen werden  soll,  wenn  man  den  Beginn  mit  dem  altsprachlichen 
Unterricht  weiter  hinausriieken  und  diesen  selbst  von  einer  vorwiegend 
grammatisch-philologischen  Richtung  befreien,  dagegen  die  aus  reich- 
licher Lektüre  zu  gewinnende  Kenntnis  des  Inhalts  altklassischcr 
Autoren  zur  Hauptsache  machen  will,  so  darf  man  getrost  die  didak- 
tischen Anschauungen  Hertiers  in  alle  dem  wieder  erkennen  und 
denselben  auch  in  diesem  Bezüge  als  einen  Bahnbrecher  bezeichnen". 
|S.  2i;  f.)  O.  Kemper. 

'M.  I.  ZKAATZOYXfl,  Ikot  ytveotuK  Tut*  uvüqumov.  'Ag/tovini 
jroiannvtouov  xai  fmartfßttj^.  Athen  lNf*8.  Gewiss  hat  es  für 
manchen  deutschen  Gelehrten  Reiz,  die  modernsten  Streitfragen  der 
Philosophie  und  Naturwissenschaft,  die  sich  freilich  mit  den  ältesten 
berühren,  in  der  Sprache  des  Platt»  und  Aristoteles  erörtert  zu  sehen. 
Dazu  giebt  das  Buch  Skaltsunis  Gelegenheit.  Wem  das  Altgriechische 
geläufig  ist,  der  wird  sich  in  die  Schriftsprache  der  hellenischen  Ge- 


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1HP4. 


LitUraturiVrieht. 


lehrten  unserer  Tag«-  sehr  rasch  hincinlcscn,  und  es  ist  nur  zu  be- 
dauern, «lass  griechische  Bücher  noch  s«»  schwer  ihren  Weg  nach 
Deutschland  finden.  Umgekehrt  geht  es,  was  freilich  leicht  erklärlich 
ist,  hesser.  So  haben  die  Bücher  und  die  Theorien  eines  Höckel, 
Molesehott,  Büchner  in  Griechenland  Einzug  gehalten  und  Anhänger, 
Übersetzer,  Verbreiter  gefunden.  Der  Zweek  des  Buches  „Von  der 
Entstehung  des  Menschen"  ist  es,  diese  materialistische  Schule  in 
Griechenland  zu  bekäm]>feii.  Skaltsuni  stützt  sich  dabei  vielfach 
wieder  auf  deutsch«-  Gelehrte,  so  auf  Kant,  Fr.  A.  Lange,  Du  Bois 
Keymond;  aber  auch  Franzosen,  Engländer,  Italiener  werden  herbei- 
gezogen. Der  Verfasser  selbst  hat  früher  schon  in  italienischer 
Sprache  eine  Streitschrift  gegen  den  Materialismus  (L'uomo  ed  il 
Matcrialismo)  veröffentlich|.  Sein  Standpunkt  ist  der  christliche,  den 
er,  wie  «1er  Nebentitel  andeutet,  für  wohlvereinbar  mit  einer  wissen- 
schaftlichen Weltnuffassung  hält.  O.  A.  Ellissen. 

.{."».    Unter  dem  Titel:  „Dogmenlose  Sittenlehre  für  Schule 

und  Haus"  veröffentlicht  F.  P.  Huber  im  Verlag  des  biblio- 
graphischen Bureaus  (Berlin,  1S92.  N°.  VII  —  l(jö  S.)  eine  Schrift, 
deren  Standpunkt  sich  als  der  der  sogenannten  Aufklärungszeit  kenn- 
zeichnet. Das  oberste  Gesetz  des  Sittlichen  ist  die  allgemeine  Wohl- 
fahrt und  das  Grundgebot  desselben,  unter  den  möglichen  Hand- 
lungen immer  nur  diejenige  zu  wählen,  welche,  alle  Folgen  erwogen, 
das  Wohl  des  Ganzen  tun  meisten  befördert.  Dies«'  Obcrsätzc  der 
Sittenlehre  ergeben  sieh  aus  «ler  Natur  des  Menschen  und  sind  für 
jeden  gesunden  Menschenverstand  einleuchtend.  Nur  das,  was  alle 
Mensehen  ohne  weiteres  einsehen,  kann  für  sie  verpflichtend  s«-in. 
Ein  Sittengesetz,  «lesseii  Obersätze  auf  Voraussetzungen  beruhen,  «Ii«' 
nicht  bewiesen  wenlcn  können,  fällt  und  .-teht  mit  der  Annahme 
oder  Verwerfung  jener  OI>ersätze.  Die  Autorität,  nicht  «Ii«-  Über- 
zeugung  «-ntschei«l«-t.  Damit  erstirbt  aber  «lie  wahre  Sittlichkeit,  «leren 
Lebeushauch  ja  «Ii«'  innen*  Fn-iheit  ist.  Der  Verfasser  bespricht  im 
einzelnen  die  wichtigsten  Problem«*  der  Indiv'nlual-  und  Sozialethik. 
Man  würde  vielleicht  Hubers  Ethik  am  besh-u  als  Ethik  «les  ge- 
sumlen  Menschenverstandes  kennzeichnen.  Sie  t«*ilt  «lie  Vorzüge  und 
die  Mängel  eines  naiven  Empirismus.  Wer  noch  auf  «lern  Stand- 
punkte der  Auffassung  <!«•*  Zeitalters  der  Aufklärung  steht,  wer  noch 
den  Menschen  einseitig  als  Verstau«  Icswcseu  betrachtet  un«l  vom 
vernünftigen  Denken  allein  alle-  Heil  sowohl  in  intellektueller  wie 
auch  in  sittlicher  Beziehung  erlmfft,  wer  ferm-r  noch  an  die  Möglich- 
keit eines  allgemein  gültigen  Systems  eines  Xatursystems!  -  der 
Ethik  glaubt,  der  winl  Hubers  Büchlein  mit  grösstem  Interesse  h'scn 
un«l  Befriedigung  «laraus  schöpfen.  Der  Beurteiler  und  wohl  viele 
andere,  «lie  den  Ideen  <le>  neueu  Zeitalter»,  «las  hereinbricht,  sich 
nicht  verschluss«!),  halxn  mit  «ler  in  Huber  verkörperten  Welt- 
anschauung gehnx-hen.  Hochegger. 


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1«(> 


Nachrichten. 


Heft  1  u.  5. 


C.  Nachrichten. 


Die  von  Adolf  Harnack  (Berlin)  und  K.  Schürer  (Kid)  heraus- 
gegebene Theologische  Literat  arzeituiitr  —  sie  vertritt  die  Auffassungen 
Albrecht.  Ritschis  —  beschäftigt  sich  in  ihrer  Nr.  '.I  vom  Ii.  Fel)rnar  d.  .1. 
eingebender  mit  unseren  Monatsheften.  Es  ist  erfreulieh,  da**»  der  Bericht- 
erstatter, Prof.  G.  Kawerau  (jetzt  in  Breslau),  im  Ganzen  da»*  günstige 
Urteil  teilt,  das  vor  ihm  die  Theologen  anderer  Richtungen  -■  wir  ver- 
weisen auf  die  früheren  Besprechungen  in  dem  Theol.  Literaturblatt 
Luthardts  vom  IU.  August  und  2.  Dezember  1802  sowie  vom  7.  Juli  IH'X), 
auf  den  Theologischen  Jahresbericht,  Bd.  XII,  S.  347,  die  Theolog. 
Tydschrift,  Bd.  '27  (18U3).  S.  4M— 45S,  die  Zeitschrift  für  praktische 
Theologie,  Jahrgang  XV,  S-  SU  u.  s.  w.  —  ausgesprochen  halnm.  Das 
Hauptbedenken,  da*«  Kawerau  hegt,  ist  diu*,  das*  „die  Tlieologen  unter  den 
Mitgliedern  der  CG.  sehr  verschiedene  Richtungen  repräsentieren"  — 
bezeichnend  genug  für  ihn  selbst  wie  für  die  G.G.,  der  der  Herr  Bericht- 
erstatter dies  zum  Nachtnil  anrechnet.  Wir  sind  vielmehr  der  Ansicht, 
das»»  darin  ein  Lob  unserer  Haltung  liegt,  da  wir,  wie  die  oben  er- 
wähnten Besprechungen  beweisen ,  trotz  dieser  Verschiedenheit  der  Rich- 
tungen allen  zu  Dank  gearbeitet  haben.  Wenn  man  uns  vorwerfen  könnte, 
das«  wir  eine  einseitige  Richtung  vertreten,  würden  wir  bedenklich 
sein  und  uns  fragen,  ob  wir  wirklich  auf  den  Wegen  des  Gomenius  uns 
befinden;  jetzt  gehen  wir  über  dies  „Bedenken"  der  Ritschl'schen  Schule 
ruhig  zur  Tagesordnung  über,  obwohl  wir  ganz  genau  wissen,  dass  diese 
Weitherzigkeit  an  sich  Vielen  zuwider  ist  und  dass  jenes  „Bedenken"  genügt, 
um  gar  Manchen  von  unsrer  Schwelle  fern  zu  halten.  Hiervon  abgesehen, 
meint  Kawerau,  sei  nicht  zu  verkennen,  dass  „für  streng  geschichtliche 
Gomen ins- Forschung  hier  bereits  ein  sehr  erfreulicher  Anfang  gemacht  sei." 
„Bis  jetzt  haben  sich",  fährt  er  fort,  „der  jungen  Gesellschaft  kundige  Mit- 
arbeiter und  mit  ihnen  neue  Themata  so  reichlich  eingestellt ,  das*  muti  ihr 
zu  diesem  Anfange  von  Herzen  Glück  wünschen  darf  "  ....  „Es  nnis* 
genügen,  darauf  hinzuweisen,  dass  der  Theologe  nelwn  dem  Interesse,  welches 
er  der  Geschichte  der  Pädagogik  ohnehin  zuwenden  muss,  auch  für  seine 
besonderen  theologischen  Interessen  in  mannigfaltiger  Weise  hier  des  Anre- 
genden und  Belehrenden  in  reichem  Masse  findet.  Der  Kirchenhistoriker 
speziell  wird  an  den  Arbeiten  der  Comcnius-Gcsellschaf t  nicht 
vor  ü  hergehen  d  ii  r  f  e  n ." 


1  S!»4. 


Nachrichten. 


1(57 


Die  theologischen  Urleile  Hber  unsere  Schriften,  die  wir  oben  zu- 
sammengestellt haben,  stammen  aus  evangelischen  Zeitschriften.  Wir  linden 
es  ganz  natürlich,  dass  die  katholischen  Blätter  einstweilen  zurückhalten- 
der sind.  Cm  so  erfreulicher  ist  es  für  uns  gewesen,  dass  die  wissenschaft- 
liche  kaiholische  Presse  —  die  katholisch  -  pädagogische  Presse  im  engeren 
Sinn  war  liereit*  früher  damit  vorangegangen  und  hatte  sowohl  Comenius 
selbst  wie  der  C  G.  freundliehe  Worte  gewidmet  —  jetzt  die  Arbeiten 
unserer  Hefte  in  sympathischer  Weise  begrüsst  und  bespricht.  Wir 
verweisen  in  dieser  Beziehung  auf  die  Besprechung,  die  P.  Usw.  Mannl, 
().  Praem.  zu  Pilsen,  in  dem  von  der  Leo-Gesellschaft  unter  Redaktion  von 
Dr.  Fr.  Scluiürcr  herausgegebenen  Österreichischen  Litteraturblatt  vom 
15.  Februar  d.  J.  Xro.  4  über  die  akademische  Antrittsrede  Prof.  J.  Loserths 
in  Graz  veröffentlicht  hat,  die  wir  in  den  M.H.  der  CG.  189U,  Seite  151  H*. 
abgedruckt  haben.    Mannl  empfiehlt  den  Aufsatz  auf  da«  wärmste: 


In  den  Sitzungsberichten  der  Königlich  Preußischen  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Berlin  (XXXV.  l'.t.  Juli  IHS8,  Berlin  1S88,  S.  807 — SiJ'J) 
hat  Wilhelm  Dilthey  einen  Aufsatz  über  „die  Möglichkeit  einer  allgemein- 
gültigen pädagogischen  Wissenschaft"  veröffentlicht,  der  einige  Urteile  Uber 
Coinenlus,  Fröbel  und  Pestalozzi  enthält,  die  für  uns  von  Interesse  siud. 
Dilthey  sagt  (Seite  825):  „Auch  in  dem  pädagogischen  Genius  ist  etwas 
Ursprüngliches.  Seltener  vielleicht  als  der  Dichter  oder  der  bildende  Künstler 
ist  er  in  der  beschichte  aufgetreten.  Sokrates,  Plato,  Comenius,  Pest  alozzi, 
Herbart,  Fröbel  sind  unzweifelhaft  von  dieser  Art.  Sie  treten  nel>eu 
die  Dichter  als  Personen  desselben  Ranges,  aber  von  einer  ganz  anderen 
(»cnuitsbescbaflenhcit.  Die  geschichtliche  Kenntnis  von  ihnen  schöpfen  wir 
mehr  aus  Schilderungen  Anderer  über  sie  als  aus  Selbst  Zeugnissen.  Man 
bemerkt,  dass  die  Atiziehungskraft,  die  ein  Mensch  auf  andere  ausübt,  durch 
die  impulsive  Macht  bedingt  ist,  mit  der  er  sich  äussert  und  hingiebt. 
In  dem  pädagogischen  Genius  herrschen  daher  Gemüt  und  Anschauungs- 
kraft vor,  gar  nicht  der  Verstand  .  .  .  Wir  verstehen  nur  durch  Liebe  .  .  . 
Kine  ungebrochene  Naive  tat  im  Grunde  der  Seele  nähert  den  päda- 
gogischen Genius  dem  Kinde.  Pestalozzi  in  seiner  Schulst  übe,  Fröbel 
in  den  Thüringer  Bergen,  Kinderspiele  erfindend  und  Kinderlieder,  zeigen 
solche  Gabe  wie  in  einem  Urphänomen.  .  .  .  Auf  dem  Grunde  naiven  Ver- 
stchens  "entspringt  dann  ein  Sinnen  über  Seelenleben,  so  lebendig,  so 
voll  Kealitätssinn,  dass  es  gegen  die  wissenschaftliche  Analysis  widerspenstig 
verbleibt.  Ans  solchem  Sinnen  sind  die  herrlichen  Jünglingsgestalten  Plato 's 
entstanden  als  ein  einziges  Denkmal  des  pädagogischen  AHects,  dann 
Pestalozzi'*  Menschenbilder  in  dein  Lienhart,  dem  schönsten  Volksronian 
aller  Zeiten,  und  seine  wie  Fröbel 's  Phantasien  über  die  Menschenseele 
und  die  Entwickelung  der  Menschheit:  tiefsinnig,  elementar,  concret,  wahr- 
haftig, nicht  nach  «lein  Rieht mass  wissenschaftlicher  Analyse  zu  messen,  ein 
Ding  für  sich  in  der  Welt  des  Grübelns  über  Menscbennatur.  .  .  .  (Seite  82«».) 
Und  nun  entspringt  in  dein  |widagogischcn  Genius  aus  immer  neuer  Be- 
schäftigung mit  Menschen-  und  Kindcrscelen  grübelnde  Elf indsamkeit 


IHK 


Nachrichten. 


Hoft  4  u.  "1. 


mit  Bezug  auf  die  Kunstgriffe  zu  bilden,  zu  unterrichten.  In  der  Schulstube 
entspringen  diene  Erfindungen,  Kinder  vor  den  Augen,  und  da?  l'rpbänomen 
«wichen  Erfinder«  ist,  wie  Pestaltw.zi,  verwahrhwtc  Kinder  um  pich,  mit  den 
einfachsten,  elementarsten  Auf  galten  ringt  und  die  Kleinen  tarmefhode  erfindet. 
Welch  ein  Kontrakt:  Die  Aufklärung  der  Salon*  in  Frankreich  und  dort 
Rousseau  phantasierend,  «ein  Buch  auf  den  Tischen  der  Weltfrauen,  seine 
Kinder  im  Findelhause,  sein  liehen  einsame  Träumerei,  und  die  Pädagogik 
der  deutschen  Aufklärung,  das  goldene  Zeitalter  genialer  Erziehungs- 
versuche, Fürsten  und  Minister,  die  helfen  wollen,  ein  Publikum,  das  mit 
Begeisterung  folgt,  und  die  A  ufopf  erung  echt  pädagogischer  Naturen, 
wie  Pestalozzi,  Salzmann,  Campe,  Fröbel,  welche  unter  Kindern  in  einfachsten 
Verhältnissen  ihr  Leben  mit  dem  mächtigen  Gefühl  des  Fortschrei- 
tens der  Mensehenbildung  als  der  wichtigsten  Angelegenheit 
unseres  Geschlechtes  erfüllen.  .  .  .  (Seite  S27.»  Das  oberste  Prinzip 
des  Anschauungsunterrichts  i*t  unter  der  Einwirkung  Bacos  von 
Conienius  und  seinen  Nachfolgern  formuliert  worden.  Der  l'nterrieht 
niuss  dem  Gang  der  Natur  folgen,  dieser  aber  geht  von  der  Anschauung 
zu  Begriff  und  Wort,  und  zwar  von  dem  (tanzen,  da»  in  der  Anschauung 
l>efa*st  ist,  zu  den  Teilen.  Die  von  diesem  Prinzip  aus  gefundenen  Methoden 
bilden  einen  Hnuptteil  der  pädagogischen  Rcfomithiitigkeit  im  17.  und  1K. 
Jahrhundert.  Dann  ist  ein  zweites  Prinzip  von  Comenius  gesehen,  von 
Rousseau  durchgeführt  worden.  Der  Anschauungsunterricht  hat  von  der 
nächsten  Umgebung  des  Kindes  aus  das  Ganze  der  umgebenden  Welt  zu 
beschreiben.  So  ergänzt  er  das  der  kindlichen  Erfahrung  Gegebene  vermittels 
der  dem  Kinde  geläufigen  Operationen  in  den  ihm  geläufigen  Richtungen. 
Ein  drittes  Prinzip  war  ebenfalls  von  Comenius  aufgestellt  und  ist  von 
Basedow  durchgeführt  worden.  Auffassen  der  Objcctc  und  Bezeichnung 
derselben  ist  einzuüben.  Viel  tiefer  aber  reicht  das  von  Pestalozzi  auf- 
gestellte vierte  Prinzip.  In  aller  Anschauung  wiederholen  sich  Elemente. 
Dass  jedes  dieser  Elemente  in  höchster  Energie,  Reinheit  und  Sicherheit 
hervorgebracht  werde,  ist  die  Voraussetzung,  unter  welcher  dann  die  An- 
schauung ihre  höchste  Vollkommenheit  erreicht.  Diese  Elemente  treten  in 
dem  Anscbauungsk reise  de»  Räumlichen,  der  Zeitbestimmungen,  der  sinnlichen 
Qualitätcnkrcise,  der  Tonreihe  und  der  Spraehlaule  auf.  Übungen,  welche 
die  vollkommene  Ilcrvorbringung  dieser  Elemente  zum  Ziel  haben,  sind  von 
Pestalozzi  erfunden  und  von  llcrbart ,  Fröbel  und  vielen  anderen  durch- 
geführt worden.  Eine  Ergänzung  finden  diese  Prinzipien  darin,  dass  auch 
die  Erweckung,  die  reine  und  energische  Darstellung  von  Elementen  der 
inneren  Erfahrung  vermittels  des  dugang*  und  der  Poesie,  der  Religion 
und  der  Geschieh tserzühlung  eine  wichtige  Unterlage  des  höheren  Soelcn- 
lchcnt»  bildet." 

Comenius  war,  wie  bekannt,  im  «fahre  l(>28  gleichzeitig  mit  dem 
Schotten  Joh.  Johnston  und  den  Gelehrten  Urainus  und  Stadius  Mitglied 
der  SoeleU*  Christlania  geworden,  an  deren  Spitze  Val.  Andreae  stand; 
diese  Societät  oder  Brüderschaft  stand  auf  der  gleichen  Stufe  wie  jene  zahl- 
reichen Akademien  und  Sodalitüten  der  Naturphilosophen,  die  das  17  Jahr- 


1894. 


Nachrichten. 


1<»<) 


hundert  könnt.  Sehr  merkwürdig  ist  nun  C.'s  Schrift  Via  luchs,  die  im 
Jahre  1G41  in  England  geschrieben  und  im  Jahre  1608  zum  ersten  Mal  zu 
Amsterdam  bei  Christoph  Conrad  im  Druck  erschienen  ist  (s.  M.H.  der 
CG  181»2,  S.  34).  Der  volle  Titel  lautet:  Via  luci«,  vestigata  et  vestiganda, 
h.  c.  Rationabilis  disquisitio,  quibus  modi»  intellectualis  aniinormn  lux, 
sapicntia,  per  omnes  omnium  homimun  mentes  et  gentes,  iam  tandcm  sub 
mundi  vesperam  fcliciter  spargi  possit. 

Die  Schrift  ist  der  Societas  Londincnsis,  die  im  Jahr  der  Drucklegung 
bereite  zur  Regia  Societas  (der  heutigen  Royal  Society)  geworden  war, 
gewidmet  und  enthält  ein  Vorwort  an  diese  „Akademie",  das  unterzeichnet 
ist:  Unus  ex  humilibus  Viris  desideriorum  ( 'omenins  senex.  Amsterdami 
idibus  Aprilis  UKW.  —  Als  einen  Weg,  um  das  „Licht"  unter  allen  Völkern 
zu  verbreiten,  empfiehlt  Comenius  eine  einheitliche  Organisation  der 
über  alle  Lander  verbreiteten  Akademien  und  schlägt  vor,  dass  die  englischen 
Brüder  sich  an  die  Spitze  stellen.  Leider  ist  die  Schrift  äusserst  selten  und, 
soviel  uns  bekannt,  nur  in  einem  Exemplar  vorhanden.  Wir  haben  den 
Wunsch,  einen  Aufsatz  über  sie  zu  veröffentlichen,  und  würden  gern  einem 
unserer  Mitarbeiter  den  Raum,  den  er  dafür  nötig  hat,  zur  Verfügung  stellen. 
Am  besten  wäre  es  freilich,  recht  bald  einen  Neudruck  zu  veröffentlichen. 
Einige  Nachrichten  giebt  Kvacsala  in  Dittex'  Pädagogium,  18S8,  Seite  M. 


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17(> 


Inhalt  iieneivr  Zeitsrhrifu  n. 


Hoff  4  U.  Ti. 


D.  Inhalt  neuerer  Zeitschriften. 


I'll  do  Ki-monilmiiliu  Iii'  ItrtMMJor- 
M-hap.  iM<|>|w  l,  II.  t.-n  Brink. i  I.  .Inlir>c. 
•4.   Hill.     Inhalt :    .1.    II.   Maronirr,  .Inn 

H.  -rman  dr  Ridtlrr.  In  Mrmoriam.  H.  T  hl  «•  - 
man  jr.  (h-duld.  Jahr*.  1 .  Ii.  2.  Urft, 
luitall :  J.  II.  .Min  imier,  l*r>  onlwikktlinK 
van  h.-t  ln-jnip  d.-*  ktIooi»  in  »l<-  rrr»tc  i«ru»«-n 
van  Ik-I  Chrt»trndom.  .1.  A.  Kim  o  riiuin  , 
Simon  K|ii»cnfiiiiH.  IN-  Altf-mi-ritr  V.-r- 
Kad.ring.  Onw»  L<v*taf«'l.  Wneur-k  van 
Dr.  M.  ('.  Tidruian.  Hrrichlfn.  (i.  van 
tiorkon,  Alijrd  h.lz.lfdr.  IV  Kid  «Irr, 
Wuarüiu  |<<Kl<<ai«-ii!>l ^  Hey er man,  l>n 
drorf  heiduit.  -  IN-  Kidiler,  Knenott»  Munal. 

Oll»-  I>»-«tairl.  Hrrirhtin.  —  Urft  H. 
Inhalt:  IKM1  <"..  Novrinh-r  I««.  I>r 
Kriiintir>lnuiL«rh>>  Hru»ih'r»rhu|i  in  haar  lirtjitiwl 

i'ti  «  I.    Fr*tredr  U't  hrrdi-nking  van  l«»j;irip' 

i:vant<rlirlw<|ioiiing  van  Fmf.  ('.  F.  Tirlr. 
Ilrt  Wrivldjcrrirlil  I,  door  I>r.  .1.  Ilrrdrn>«-he«\ 
De  wm-ldtnitoon-t'-llinR  rn  hrt  pniVnimt 
••■  ■',Hl-li'-n<'t<'n  diHir  Dr.  .1.  A.  Hey.-riuan. 
u     \-   -»«.iM.       Rrriehtrn.  M>-«l><l«'rlinic 
!•  !•■      i    «".  Tidrnian.      FryovnuiK  vmi  <!•• 
">«jik-  M.hIm  luipp> . 

XHtftchrin  «Ir  lMilloftophl«'  und 
phllo*ophl»ch<>  Kritik,  int.  IM.  .V  lieft 
l«M:  Kd.  Holder,  Fr.  .Jo.ll'»  Vortrag  lihrr 
das  Natum-rlit.  Thrnliuld  Zirnh-r, 
lh-liginn!ipliilo*ophi»ihe...  <i.  Kohf.lih. 
Zur  Aathrtik  «Irr  Metapher.  K.  (ii  Dnci-i  ii, 
Zur  Kririnrmnn  an  Ih-rmann  l'lriii.  !{<•- 
nticionrn. 

FhlltMwphlM-hri«  Jahi-hut'h.  7.  IM. 

I.  Urft.  1MM.  Ahliandliinipn  ;  T ihn  I*.  ><  h, 
Sx  h-  und  I/il.  nl»  He»iandl<-il<-  der  .inm 
MrnwhriiMibMali/.  p-niih>»  tln  hrhn-  d<»  hl. 
TIioiiiu*  von  Ai|iiin.  n  Ihi-rh-l  ,  Vtm-r 
ih  n  1'rs.pi'unj;  der  Spraeh«-.  v.  N  i >  •»  t  i  i  z  - 
Itirnrik.  hihtuz  und  dir  S«-h..lantik. 
A<ilho«-h,  llrr.lrr  und  lirw  hicht-»philo.«..|ihir 
i  .»■ililiiv»).  Hoivn»ionen  und  Ref.-rate. 
I'liilir*..|ihi«.  h.  r  Spr>-rh*Aal  :  Mnthildr  v.  II., 
Ilir    tmdlticinrllr   AuftasiMHIK    de«  Weih.-*. 

Z'  it.irhrifK  UM  hau.  Mi«<vlleii  und  Nach- 
rii'lili'ii. 

Xeiif  Jahrbücher  Htr  Philologie 
und  PttdiiK«»Klk.  I'^i.  IM.  i  I'Sidagoif.  Aht.i 

I.  lieft    1MU:     |-iii,l  |.,.iw:<l.l.   Di  |'ala»t 


di  u  Ody^i'ii».  ('.  Slegmann  ,  Zur  latoini- 
i«:hrii  SolitiliriKinnintik.  II  o  i  n  rh-h  \V  ei  » .«  , 
Blinuo  und  Hlutr,  Kinr  sprachliche  Flage  au» 
«Inn  Grhirt  «Irr  thron-li-oln-n  llotanik. 
Krn*l  IIjmi',  Zum  doittK-hr-n  l'nterriolil 
iu  IIa.  Allri'd  Bio».-,  Kiti  AufhlDln-n 
«Irr  l'hili»M>|ihir.  O »  k  a  r  .1  a  ge  r  und  Franz 
Muhl  «-Ii  ha  tu  i  ,  An»wabl  wirlni«.-!  Akten- 
»liickr  zur  (»•tx-liicliu-  d<s  Hl.  .Iithrhunileit«. 
(Berlin  IVtti,  anp-zrigi  von  Alfml  Bal- 
dauiu».  -  Onkar  JüKrr:  Flu  dum». 
K«Mk«n  und  Aufoiktz«  (Hirlin  lslKii.  twwiti 
vun  Richard  Kii  htrr. 


C!«*«chlrht4>  d«H»  Prot«*«ttantl»niiiH  In 
O^nt^rrolrh.  (Wirii  und  hip«g,  Klink- 
luudt.i  XIV.  .lahru.  »IHlKti.  IMl  1  4:  Fr.tr 
Fi  iIi  Irr,  Km  «iclir.iKljlKiK'T  Frldzu^. 
Karl  lli  inji'iilHTKi'i-,  Zur  (■«•«•hichu>  d«-r 
ifliyi<"'M'n  Urwrjiiinjj  in  flluTcwiiwu-h,  Kflmlni 
und  St.-h-imark  um  dir  Miltr  dr*  XVIII.  .lahr- 
hurulrrl-.  K  Si  hatzmayr,  .li>hann>-> 
Itiipli^t  tininiNi  und  *«'itgm;i>!«i!i«-h«-  Anhaiwr 
der  l{r('<rniali«ui  in  Ktrirn  iiii«J  Trirnt. 
Th.  Klzr,  l>ir  iduvi  tiifHlwn  |irutrsiantiM'lM>n 
Katrchiiiiurn    drs    XVI.  .Ialnhundrrt.1. 

I  »rlii',  Kililio|rn>|ihir  ülirr dir rin<chl!kK'K,'n 

Frsoh'-inunj;«'!!  dri»  .lahn-i«  isirj  mit  kury/n 
Xailirichlrn.  B«richt  dr»  IVnlrnlTorwtand«-* 
fil.rr.laj.  Vrr.-ins.jahr  IS'.ct.  Frz.  Si-hrit  hl, 
tilaiilH-uxfliK-htliiiK''  au»  «l«-n  iV>trnvichi*<-ln-n 
tirl.irtm  in  drn  Irt/lrn  virr  .1  uhrhiiinl.rt.  ti 
-  Il.  inri.  lt  (i  radl.  I>i<-  Information  «In« 
Kip  rlanilr»  iS-lilu«-.!.  —  Burh  «  nlil ,  Kin>- 
vrriurintlirhr  ud.-r  al»)«i'lrhnlr  Ib'rufuUf;  in  «la> 
Joa«-himi>tliaior  I'larrnint  vmn  .lahn-  IV.'K. 
\V.  A.  Sihiiti.lt,  Notizrn  üh  r  dir  It<- 
formation  und  tirjjeni'-forinati.in  rinzi-ltirr 
Stiidtr  NoMlwrcllN.limrnfi.  -  l'.  i>.>nrnrc){i>.t.T. 
OrtMvKhlrr. 

MltlrllunK^n  der  Clt>»«>lli»chafl  ftlr 
dviitufh«*  ErslrhuiMCM-  und  Mrhul- 
KVM-hlt'lltO.  Im  Aultrajp-  drr  Crx-Ihrhaft 
li.-rauüp  ^rlN-n  von  Karl  K.  hrharh  .lahrK.  III 
MKtS'i.  Schlu>s.  Urft  I.  Inhalt:  Konrad 
Kol  ho  (Zfil/.,  StiftuiiK-urkiindr  ih  r  Srliuli- 
nnd  dr-  «;viuniis.iitnt«.  zu  lu-uihm  ».  t».  au» 
drm  Juhir  Hill..  Namrii  und  Sarin ■<>ni«t«-r 
zu  .hility.  III.  —  t  irM'häftlirh'  r  Tril. 


ltiirhdiurkrn'i  von  .lohultno  Hr.  dl,  Miiu»trr  i.  \V.->I(. 


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Monatshefte 

der 

Comenius-Gesellschaft. 


III.  •Band.  ~b  1894.  s~  Heft  6  u.  7. 


Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer. 

Von 

Ludwig  Keller. 

In  der  „Geschieht«-  der  böhmischen  Brüder",  welche  Oomeiüus 
im  Jahre  1  (>49  herausgegeben  hat,1)  finden  sich  über  den  Ursprung 
und  die  Zusammenhänge  dieser  Religionsgemeinschaft  einige  Mit- 
teilungen, die  zur  Kennzeichnung  der  Geistesrichtung,  aus  welcher 
Comenius'  Eigenart  erwachsen  ist,  von  Bedeutung  sind. 

Die  Sehritten  Wiclifs,  so  erzählt  die  erwähnte  Geschichte, 
hätten  auf  die  Bewegung,  welche  unter  Führung  des  Joh.  Hus  in 
Böhmen  ausgebrochen  sei,  einen  grossen  EinHuss  ausgeübt;  nach 
den  Husitenkriegen  sei  unter  den  Gegnern  Koni»  ein  grosser  Zwie- 
spalt entstanden,  da  die  einen  nur  auf  den  Kelch  drangen,  auf  die  / 
übrigen  Lehren  dos  Hus  aber  wenig  Wert  legten,  während  die 
Taboriten,  die  in  Wenzeslaus  Koranda  und  Nicolaus  Episcopius 
ausgezeichnete  Führer  besassen,  mit  wenigen  andern  anfingen,  auf 


')  Di«-  „Historia  fratrum  Boheinonun"  —  icli  benutze  hier,  da  die 
ersten  Ausgaben  «ehr  selten  sind,  die  Ausgabe,  welche  von  .1.  F.  Buddcus 
unter  dem  Titel:  Jo.  Arnos  (Vnnenii,  eccl.  F.  F.  Hob.  Kpiseopi,  Hist.  fratrum 
floh.  etc.  Halac  1702  besorgt  worden  ist  —  ist  nicht  von  Comenius,  sondern 
von  Joh.  Lasitiuä  seit  etwa  lf>80  verfasst.  Sie  ist  deshalb  sehr  wertvoll 
(leider  hat  Comenius  die  ersten  sieben  Bücher  nicht  vollständig,  sondern 
nur  im  Auszug  herausgegeben),  weil  Lasitius  bei  der  Abfassung  von  den 
nmt liehen  Organen  der  Brüder  mit  Material  n.  s.  w.  unterstützt  worden  ist  ; 
der  Senior  Tumovius  (f  UM*»»  hat  das  ganze  Werk  vor  der  letzten  Bear- 
beitung einer  Durchsicht  unterzogen. 

MuiuilMii'fk'  il.-r  eoiii.  iiiu-.-U»  !..  Il-x  lmll.    In*»!.  10 


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172  Keller,  Heft  6  u.  7. 

- 

Einfachheit  und  Reinheit  in  allen  Glaubenslehren  und 
Kirchengebräuchen  zu  dringen.  Geflissentlich  ward  von 
den  Gegnern  der  Hass  geschürt  und  das  Volk  aufgereizt  gegen 
die,  welche  „dem  reineren  Glauben"  anhingen,  indem  man  ihnen 
den  verhassten  Namen  der  Pikarden  beilegte;  Pikarden  aber  war 
ein  Scheltname  der  Waldenser,  die  als  die  allerechändlichsten 
Ketzer  galten.1) 

Es  gelang  den  Bemühungen  der  Kurie  im  Jahre  1433,  so 
fährt  der  Bericht  fort,  diejenigen,  „die  nur  auf  den  Kelch  drangen", 
zur  röinischcu  Kirche  zurückzuführen  und  mit  deren  Hilfe  die 
jetzt  alleingelassenen  Taboriten  oder  Pikarden  gänzlich  niederzu- 
schlagen. So  schien  es,  als  ob  die  evangelische  Lehre  in  Böhmen 
vernichtet  sei;  aber  im  Stillen  gab  es  viele  Männer,  welche  ihr 
Ziel  fest  im  Auge  behielten  und  nur  auf  den  rechten  Augenblick 
warteten,  um  hervorzutreten  und  den  Kampf  von  neuem  aufzu- 
nehmen; einer  der  vornehmsten  unter  diesen  war  Bruder  Gregor,, 
ein  Neft'e  des  Erzbischofs  von  Prag,  Rokyeana,  der  unter  König 
Georg  von  Podiebrad  der  einflussreichste  Mann  im  Lande  war. 
Bruder  Gregor  und  seine  Freuude  hofften  lange,  dass  Rokyeana 
selbst  ihr  Führer  werde,  und  in  der  That  unterstützte  er  die 
Brüder,  indem  er  ihnen  in  den  schlesischen  Gebirgen  ein  Gebiet 
anwies,  wo  sie  unbehelligt  wohnen  konnten,  aber  die  angetragene 
Führerschaft  lehnte  er  ab,  ja  allmählich  ging  er  in  das  Lager  derer 
über,  welche  die  Brüder  hassten  und  verfolgten. 

König  Georg  erliess  strenge  Befehle  gegen  die  Brüder, 
welche  man  ebenfalls  mit  dem  verhassten  Namen  der 
Pikarden  belegte,  und  eine  schwere  Zeit  der  Verfolgung  brach 
für  die  Brüder  an;  in  Wäldern  imd  Höhlen  mussten  sie  sich  ver- 
bergen und  erhielten  den  Spottnamen  Jamnici  oder  Grubenheimer. 
Trotz  dieser  Hindernisse  hielten  die  Brüder  in  den  Bergen  Zu- 
sammenkünfte und  Synoden  ab  und  errichteten  eine  feste  Ord- 
nung, indem  sie  Senioren  wählten,  denen  sie  Gehorsam  versprachen. 

Da  aber  unter  den  Brüdern  die  Überzeugung  lebte,  dass  für 
die  ordnungsmässige  Ausübung  des  geistlichen  Amtes  die  Hand- 
auflegung eines  Bischofs  erforderlich  sei,  der  innerhalb  der  apo- 
stolischen Succession  und  Bischofsfolge  steht,  so  sandten  sie  zu 


')  Man  beachte  das  günstige  Urteil  der  Historia  über  die  Taboriten; 
die  hier  angeführten  Stellen  finden  sieb  in  der  Ausg.  v.  1702,  S.  11  f. 


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1894. 


Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer. 


173 


dem  Bischof  der  sogenannten  Waldens  er,  Namens  Stephanus, 
der  mit  seinen  Gemeinden  an  der  Grenze  von  Österreich  und 
Mähren  lebte.  Die  Gesandten  liatten  den  Auftrag,  dem  Bischof 
über  die  Brüder  in  Böhmen  und  ihre  Schritte  Bericht  zu  erstatten 
und  sein  Urteil  darüber  einzuholen;1)  „sie  fanden  den  Bischof 
Stephan  und  dieser  legte  ihnen  in  Gegenwart  eines  zweiten  Bischofs 
und  einiger  Diener  (nuuistri)  den  Ursprung  der  sog.  Waldenser 
dar,  dio  Satze  ihrer  Lehre  und  alle  die  schweren  Schicksale,  die 
sie  bisher  in  Frankreich  und  Italien  erduldet;  darauf  hörten  sie 
den  Bericht  der  unsrigen  über  ihre  Ix>ssagung  vom  Papst  und  den 
Calixtincrn  an,  sprachen  ihre  Billigung  aus  und  wünschten  ihnen 
Glück;  nach  Übertragung  der  Vollmacht,  Diener  (Prediger)  zu 
wählen,  machten  sie  jene  drei  Abgesandten  durch  Handauflegen 
zu  Bischöfen  und  sandten  sie  zu  den  ihrigen  zurück."2) 

Es  begannen  darauf  Verhandlungen  über  eine  förmliche  Ver- 
schmelzung, d.  h.  über  Einrichtung  einer  Verfassung  und  Organi- 
sation, welche  die  Brüder  in  Österreich  und  die  „Brüder  des 
Gesetzes  Christi"  in  Böhmen  —  so  nannten  sich  die  Brüder  nach 
dem  Zeugnis  imsercr  Quelle  m-sprünglich  3)  —  in  gleicher  Weise 
umfasste.  Die  Brüder  in  Böhmen  waren  in  Bezug  auf  die  Lehre 
und  den  Eifer  des  christlichen  Lebens  im  höchsten  Grade  mit  den 
Brüdern  in  Österreich  einverstanden,  doch  missfiel  ihnen,  dass  die 
letztem  die  Wahrheit  im  Verborgenen  übten  und  dass  sie  aus  Furcht 
vor  Verfolgungen  die  päpstlichen  Kirchen  besuchten.4)  Die  öster- 
reichischen Brüder,  hierauf  hingewiesen,  erkannten  an,  dass  sie 

')  Ausg.  v.  1702  S.  18:  Qui  quid  actum  esset  explicarent,  judicium- 
que  de  co  petcrent. 

*)  Nach  Adr.  Regcnvolseius,  .Syst.  Eccl.  Slav.  Lib.  III  Cap.  X  (1G52) 
beginnt  die  Bisehofurcibe  der  bübmmchen  Brüder  folgendermaßen : 

„1467  wurden  von  «lern  Waldenser -Binchof  Stepbanu«  in  Österreich 
ordiniert : 

1.  Michael  Bradaciua  von  Zainberg. 

2.  N.  N.,  ein  alter  Waldenser-Prediger. 

3.  N.  N.,  ein  Priester  aus  dem  Papsttum." 

Wenn  dieser  „alte  Waldcnser-Predigcr"  nicht  unter  den  Brüdern  eine  ange- 
sehene Stellung  besenscn  hätte,  würden  sie  ihn  wohl  nicht  zuerst  haben 
ordinieren  laswen.  —  Hier  nach  Cranz,  Brüder-Historie  1772,  S.  1)1. 
")  A.  O.  S.  15. 

4)  A.  O.  S.  18:  „Placuit  doctrinae  puritas  vitaeque  Christianae  Studium 
ftumme,  displieuit  autem,  quod  voritatem  occultarent  nec  profitcrentur  libere: 
quin  evitandi  persecutioncs  studio  papistica  tcmpla  frequentarent  etc. 

12* 


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174 


Keller, 


Heft  6  u.  7. 


nicht  richtig  handelten  und  unter  dem  Eingeständnis,  dass  sie  von 
der  Reinheit  der  Vorfahren  sich  entfernt  hätten,  versprachen  sie 
Besserung.  Es  ward  ein  Termin  festgesetzt,  an  welchem  nach 
Beseitigung  der  Anstände  die  Verschmelzung  weiter  betrieben 
werden  solle. 

Aber  noch  ehe  der  Termin  herangekommen  war,  ward  von 
den  „Papisten",  welchen  die  Pläne  der  Bruder  verraten  worden 
waren,  die  Sache  durchkreuzt  Bischof  Stephan  ward  verhaftet 
und  zu  Wien  verbrannt,  und  seine  Gemeinden  flohen,  zum  Teil 
in  die  Mark  Brandenburg,  zum  Teil  nach  Fulnek  in  Mähren. 

Das  Zustandekommen  der  Verschmelzung  ist  nach  unserer 
Quelle  lediglich  an  der  Vernichtung  der  österreichischen  Gemeinden 
gescheitert  Wenn  die  Brüder  in  Böhmen  gleichwohl  den  Namen 
„Waldenser"  allezeit  zurückgewiesen  haben,  so  haben  sie  damit 
nur  das  Beispiel  befolgt,  welches  die  Brüder  in  Österreich  und 
alle  anderen  sog.  Waldenser  der  älteren  Zeiten  ihnen  gegeben 
hatten.  Tnser  Bericht  aber  kennt  noch  zwei  andere  Gründe  der 
Abweisung  des  Namens,  nämlich  eimnal  die  Thatsachc,  dass  die 
Brüder  in  Böhmen  ihren  Glauben  nicht  ebenso  wie  die  Handauf- 
legung von  den  sog.  Waldensern  Österreichs  geholt  hätten  (was 
gewiss  richtig  war,  aber  die  oben  betoute  wesentliche  Überein- 
stimmung in  der  I^chre  nicht  aussehloss)  und  sodann  die  Erwägung, 
dass  sie  es  für  klug  hielten,  die  Anweudung  der  von  den  Obrig- 
keiten gegen  die  „Waldenser"  erlassenen  Gesetze  nicht 
herbeizuführen,  sondern  vielmehr  abzuwenden.1) 

Diese  Darstellung,  wie  sie  sieh  in  der  Brüderhistorie  findet, 
wird  in  wertvollster  Weise  bestätigt  und  ergänzt  durch  Urkunden 
und  Briefe,  welche  in  neuerer  Zeit  über  diese  Vorgänge  aufgefunden 
worden  sind.2)  Durch  sie  erhalten  wir  auch  Auskunft  über  die 
Gründe,  welche  die  Brüder  bestimmten,  sich  gerade  an  den  Bisehof 
der  „Waldenser"  zu  wenden,  und  gerade  diese  Gründe  sind  für 
uns  deshalb  vom  grössten  Interesse,  weil  die  Quelle,  die  sie  uns 


l)  A.  O.  S.  1!»:  „quia  lata  et  publica  (taj  in  Waiden**  a  maxist  rat  ibus 
decreta  in  «•  non  derivanda,  vitanda  pntius  prudenter  exisliraabant.  Ordi- 
nandi  tarnen  potextatom  eoque  extemani  »«uecosionem  a  Waldenhibu*  sc* 
aeeepiftse,  nunquam  negabant;  licet  et  haue  aliquando  prudenter,  pro 
tempuris  rationc,  «ilentio  praeteribant," 

*)  S.  Göll,  Quellen  und  Unhrambungen  zur  Gesch.*  d.  böbmiacben 
Brüder.    Prag  1S78  I,  17  ff. 


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1894. 


Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer. 


175 


berichtet,  gleichsam  amtlicher  Natur  und  von  der  Bruderschaft 
als  solcher  ausgegangen  int.  Im  Jahre  1468  nämlich  sandten  die 
Brüder  ein  Schreiben  an  den  Erzbisehof  Rokyeana,  welches  be- 
stimmt war,  den  Sehritt,  den  sie  mit  der  öffentlichen  Loslösung 
von  der  römischen  Kirche  durch  die  Aufrichtung  einer  eignen 
Hierarchie  und  die  pjnführung  der  Taufe  der  Erwachsenen  gethan 
hatten,  zu  rechtfertigen.  Ihr  Vorgehen,  heisst  es,  sei  lediglich  eine 
Rückkehr  zur  wahren  Kirche  der  ersten  Christen,  welche  sich 
bei  den  Waldensern  erhalten  habe.  Um  diesem  Schreiben 
noch  grösseren  Nachdruck  zn  geben,  ward  es  im  Jahre  1471  in 
umgearbeiteter  Form  von  den  Brüdern  veröffentlicht  Auch  hier 
versichern  sie,  dass  sie  durch  "Wahl  eigner  Bischöfe  und  Prediger 
nichts  Neues  begonnen,  sondern  sich  lediglich  nach  dem  Vorbild 
der  ersten  Kirche  gehalten  hätten;  mit  dieser  Kirche  seien 
sie  durch  die  Waldenscr  verknüpft;  „es  ist  ein  grosses  Volk 
(die  sog.  Waldenscr)  in  vielen  Ländern,  und  sie  besitzen  Bischöfe 
und  Prediger."1) 


Die  Überzeugung  der  böhmischen  Brüder  von  ihrem  Zu- 
sammenhang mit  den  altchristlichen  Gemeinden  ist  einstweilen 
ebenso  unbewiesen,  wie  die  gegenteilige  Annahme  mancher  katho- 
lischer und  protestantischer  Geschichtsschreiber  der  neueren  Zeiten. 
Sieher  aber  ist,  dass  die  gleiche  Überzeugung  bei  den  Vorläufern 
der  Brüder  in  allen  Jahrhunderten  des  Mittelalters*  wiederkehrt*) 

Wir  wollen  und  können  an  diesem  Orte  nicht  in  eine  wissen- 
schaftliehe Prüfung  der  Ursprungsfrage  eintreten.  Wohl  aber 
können  wir  auf  die  Ergebnisse  hinweisen,  welche  einer  unserer 

')  (loll,  a.  O.  I,  93.  —  Im  März  1471  waren  die  vornehmsten  Verfolger 
der  Brüder,  König  Georg  und  Kokycana,  gestorben ;  unter  Georg  Wladislaus, 
König  von  Polen,  begannen  bessere  Zeiten,  sodass  sie  die  Ketzergesetze  nicht 
zu  furchten  brauchten.  AU  um  1503  die  Verfolgung  wieder  anbrach,  ward 
der  Zusammenhang  mit  den  Waldensern  absichtlieh  verschwiegen. 

*)  Ausser  den  Stellen,  auf  die  ich  früher  hingewiesen  habe  (vgl. 
Keller,  Joh.  v.  Staupitz  und  die  Anfänge  der  Reformation.  Lpz.  1SKS  S.  252 f.), 
verweist«  ich  hier  auf  den  Briefwechsel  zwischen  den  Österreich,  und  lombnrd. 
Waldensern  von  130JS  in  der  Deutschen  Zeitsch.  f.  Geschichtawiss.  1890S.  3(iSf. 
Ferner  auf  das  Schreiben  des  HÜdfranzösischcn  Waldensers  (J.  Morel  von  1530 
bei  Dieckhoff,  Die  roman.  Waldenscr  S.  3<>3  f.  Dieselbe  Überzeugung  spricht 
Rob.  Oli veter  in  der  Vorrede  zur  wald.  Bibelübersetzung  aus  (153üj. 


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176 


Keller, 


Heft  6  u.  7. 


bedeutendsten  Kirchenhistoriker  —  J.  von  Dölb'nger  —  neuerdings 
der  Öffentlichkeit  übergeben  hat.1) 

Döllinger  ist  zu  der  Überzeugung  gelangt,  dass  die  „Sekten" 
des  Mittelalters  durch  eine  Reihe  von  Mittelgliedern  mit  den 
Sekten  des  ersten  und  zweiten  Jahrhunderts  verbunden  sind, 
und  er  glaubt,  dass  am  Anfang  dieser  Entwicklungsreihe  jene 
Systeme  stehen,  welche  als  gnostische  bezeichnet  zu  werden  pflegen. 
Diese  Mittelglieder  sind  nach  Döllinger  die  sog.  Bogomilen 
sowie  die  Paulicianer  gewesen,  welche  nachweislich  bis  minde- 
stens in  das  4.  und  5.  Jahrhundert  hinaufreichen.  Auch  ist  Döl- 
linger ganz  anderer  Meinung,  als  die,  welche  in  den  mittelalter- 
lichen Ketzern  lauter  verschiedenartige  Sekten  sehen;  nach  ihm 
sind  vielmehr  die  Priscillianisten,  Paulicianer,  Bogomilen  u.  s.  w. 
„überall  nur  Verzweigungen  einer  einzigen  grossen  Sekten- 
Familie,  welche,  wenn  auch  in  einzelnen  Meinungen  von  einander 
abweichend,  doch  in  allen  Hauptpunkten  übereinstimmen."  Aber 
Döllinger  geht  noch  weiter;  er  halt-  nicht  bloss  die  genannten 
Sekten  für  eine  Sekte,  sondern  behauptet  im  bewussten  Gegensatz 
gegen  die  weit  überwiegende  Zahl  der  neueren  Kirchenhistoriker 
—  Gieseler,  J.  J.  Herzog,  0.  Schmidt,  Guericke,  Engelhardt  — , 
dass  die  Petrobrusianer  und  die  Henricianer  des  12.  Jahrhunderts 
gleichfalls  nur  Zweige  jener  einen  Sekten- Familie  seien;  es  sei 
durchaus  willkürlich,  Peter  von  Bruys  imd  Heinrich  von  Toulouse 
als  Stifter  besonderer  Sekten  anzusehen;  von  eignen,  getrennt  be- 
stehenden Gemeinschaften  der  Petrobrusianer  u.  s.  w.,  finde  sich 
keine  Spur;  vielmehr  stimme  ihre  Lehre  in  allen  Punkten  mit  der 
der  Bogomilen  u.  s.  w.  überein,  und  Peter  bezw.  Heinrich  seien 
lediglich  berühmte  Wortführer  einer  alten  und  weitverbreiteten 
Religionsgemeinschaft  Es  darf  ja  heute  aber  wohl  als  allgemein  an- 
erkannt gelten,  dass  wir  in  den  Petrobrusianern  und  Heinricianern 
die  Vorlaufer  der  Waldenser  zu  erkennen  haben.  Dieser  Zweig 
der  mittelalterlichen  Ketzer,  fährt  Döllinger  fort,  hatte  unter  den 
Webern  zu  Toulouse  und  in  der  Umgegend,  die  in  der  dortigen 
Volkssprache  Arriens  Messen,  seinen  stärksten  Auhang. 

Ebenfalls  ein  Zweig  dieser  Sektenfarailie  sind  nach  Döllinger 
die  Katharer,  oder  doch  der  grössere  Teil  derselben.   „Die  Ähn- 


')  Döllinger,  J.  v.,  Beiträge  zur  Ketzergeschichte  des  Mittelalter». 
2  Bde.  München  1890. 


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1894. 


Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer. 


177 


lichkeit  des  Lchrbegriffs  der  monarchischen  Katharer  in  Italien  mit 
dem  der  Bogomilen  (sagt  Döllingcr  I,  114)  ist  so  auffallend,  dass  die 
direkte  Abstammung  der  enteren  von  den  letzteren  als  unzweifel- 
haft gewiss  betrachtet  werden  kann."  Dieser  bestimmte 
Ausspruch  eines  Kirchenhistorikers  von  Döllingers  Bedeutung  fällt 
um  so  mehr  ins  Gewicht,  als  er  damit  lediglich  bestätigt,  was 
bereits  im  12.  Jahrhundert  ein  Mann  ausgesprochen  hat,  der  die 
Dinge  sicher  besser  beurteilen  konnte,  als  irgend  ein  späterer 
Forscher  oder  Ketzerrichter,  nämlich  Bernhard  von  Clairvaux. 
Die  Lehre  der  Katharer,  sagt  dieser,  enthalte  nichts  Neues, 
sondern  wiederhole  lediglich  das,  was  die  älteren  Häretiker  vor- 
gebracht hätten.  Döllingcr  hält  es  für  notwendig,  manche  bis- 
herige Ansicht  über  die  Glaubenslehre  der  Katharer  zu  berichtigen; 
während  man  bisher  den  sog.  Dualismus,  d.  h.  die  manichäische 
Lelire  von  einem  bösen  und  guten  Gott,  als  das  wesentlichste 
und  unterscheidende  Merkmal  der  Katharer  hingestellt  hatte,  weist 
Döllingcr  nach,  dass  diese  Lehre  von  einem  grossen  Teil  der 
Partei  zurückgewiesen  worden  ist  und  mithin  keineswegs  als  unter- 
scheidendes und  wesentliches  Kennzeichen  gelten  kann.  Er  ist 
geneigt,  diesen  Dualismus  lediglich  als  eine  Schulmeinung  mancher 
Katharer  zu  betrachten. 

Und  nicht  bloss  in  Bezug  auf  die  Zusammenhänge,  sondern 
auch  in  betreff  der  räumlichen  und  zeitlichen  Ausdehnung  weichen 
Döllingers  Ansichten  von  den  landläufigen  Meinungen  weit  ab. 
Von  der  Lehre,  in  welcher  er  die  Wurzel  des  mittelalterlichen 
Sectenwescns  sieht,  vom  Gnostizismus,  sagt  er,  dass  derselbe  sich 
um  die  Mitte  des  2.  Jahrhunderts  über  das  ganze  römische  Welt- 
reich, ja  über  dessen  Grenzen  hinaus  ausgebreitet  hatte.  „Obwohl 
vielfach  unterdrückt",  sagt  er,  „verbreitete  sich  dieses  System  im 
Osten  wie  im  Westen,  von  Persien  bis  nach  dem  römischen  Afrika 
und  behauptete  sich  Jahrhunderte  lang  mit  zäher  Dauer- 
haftigkeit" Er  wiederholt  damit  nur,  was  Zeitgenossen  wie 
Cäsarius  von  Heisterbach  (f  um  1230)  und  der  Abt  Joaclum 
(f  1202)  gesagt  hatten;  der  letztere  zählt  die  Katharer  mit  den 
Juden,  Heiden,  Arianern,  Mohamedanern  und  den  deutschen 
Kaisera  zu  den  sechs  Hauptfeinden  der  Kirche;  sie  seien  um  so 
gefährlicher,  weil  sie  im  Geheimen  thätig  seien;  ihr  Mittelpunkt  sei 
Oberitalien,  von  dort  aus  würden  alle  übrigen  Länder  angesteckt 


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178 


Koller, 


Heft  6  u.  7. 


Seitdem  unter  Kaiser  Constantin  die  Kirehe  zur  Staatekirchc 
geworden  war  und  der  Grundsatz  Gesetzeskraft  gewonnen  hatte, 
dass  jede  bewusste  Abweichung  von  dem  Glauben  und  der  Lehre 
der  Staatskirehe  ein  staatliches  Verbrechen  sei,  war  im  Abend- 
land ein  friedliches  Nebeneinanderleben  zweier  grosser  religiöser 
Körperschaften  unmöglich:  nur  im  Kampf  konnte  sich  jede  selb- 
ständige Strömung  religiösen  Leiwens  behaupten,  und  es  lag  in  der 
Natur  der  Verhältnisse,  dass  diejenige  Richtung,  welche  über  die 
Machtmittel  des  römischen  Reichs  und  seiner  Nachfolger  verfugte, 
eine  erdrückende  Übermacht  mitbrachte.  Die  römische  Kirche 
war  entschlossen,  diese  Überlegenheit  zur  Geltung  zu  bringen: 
ein  Kampf  auf  Leben  und  Tod  war  die  Folge. 

Die  Geschichte  der  Kirche  ist  von  ihren  Anhängern  ge- 
schrieben, und  wie  stets  die  Partei,  die  äusserlich  siegreich  aus 
solchen  Kämpfen  hervorgeht,  ihrer  Auffassung  der  Dinge  und 
Personen  Geltung  zu  verschaffen  pflegt,  so  ist  es  auch  hier  ge- 
schehen. Wir  kennen  die  Kämpfe,  die  sich  zwischen  der  römischen 
Kirche  und  ihren  Gegnern  abgespielt  haben,  nur  oder  fast  nur 
aus  den  Berichten  derer,  welche  auf  der  Seite  des  siegreichen 
Teiles  fochten,  und  es  ist  ganz  natürlich,  dass  diese  Berichte  sehr 
viel  Schlechtes  von  ihren  Feinden  zu  erzählen  wissen,  ja  dass 
ihnen  jedes  Verständnis  der  gegnerischen  Anschauungen  fehlt,  und 
dass  sich  die  Wildheit  jener  grossen  Kämpfe  in  der  Härte  des 
Urteils  und  der  gänzlichen  Verdammung  des  besiegten  Feindes 
wiederspiegelt 

Glückb'cherweise  trifft  dies  in  vollem  Umfange  mehr  die- 
jenigen Berichterstatter,  die  unter  dem  unmittelbaren  Eindrucke 
der  sieh  vollziehenden  Kämpfe  schrieben,  als  die  wissenschaftliche 
Geschichtschreibung  der  neueren  Zeiten,  die  sich  innerhalb  aller 
Kirchen  eines  ruhigeren  Urteils  zu  befleissigen  strebt  Man  kann 
sogar  beobachten,  dass  schon  in  früheren  Zeiten  die  Urteile 
katholischer  Autoritäten  wenigstens  in  betreff  der  böhmi- 
schen Brüder  viel  von  der  Schärfe  verloren  haben,  die  in  der 
Zeit  der  Religionskämpfe  selbst  uns  begegnen;  es  würde  nicht 
schwer  sein,  eine  Reihe  freundlicher  Stimmen  über  sie  aus  älterer 
und  neuerer  Zeit  auch  ausser  den  Äusserungen  Anton  Gindelvs 
(dessen  strengkatholische  Gesinnung  ja  bekannt  ist)  zu  sammeln 
—  ganz  zu  geschweige!!,  dass  einzelne  hervorragende  Vertreter 
der  Brüder,  wie  Comenius  und  andere,  stets  auch  unter  gläubigen 


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1894. 


Die  höhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer. 


170 


Katholiken  Freunde  besessen  haben.  Freilieh,  was  von  den 
böhmischen  Brüdern  gilt,  kann  nicht  in  gleicher  Weise  von  der 
Beurteilung  ihrer  Vorläufer  gesagt  werden,  und  doch  sollte  die 
einfache  Folgerichtigkeit  diesen  Geschichtschreibern  gesagt  haben, 
das«  man  Manner  und  Richtungen  nicht  zu  Verbreehern  und 
Bösewichten^  stempeln  kann,  deren  Nachfolger  man  mit  Ehren  zu 
nennen  gezwungen  ist 

Je  mehr  sich  die  römische  Kirche  seit  dem  12.  Jahrhundert 
von  der  religiösen  Opposition  bedroht  sah,  um  so  unbedenklicher 
wurde  sie  in  der  Wahl  der  Kampfmittel.  Allmahlich  bildete  sieh 
die  Ix'hre  aus,  dass  jede  bewusste  Abweichung  von  der  römischen 
Glaubensregel  etwas  Sündhaftes  sei,  und  unter  dem  Einfluss 
des  Thomas  von  Amuno1)  gelangte  der  Satz  zu  kirchlicher  An- 
erkennung, dass  jede  derartige  Abweichung  strafwürdiger  sei  als 
Moni,  Ehebruch,  Diebstahl  oder  irgend  eine  fleischliehe  Verünmg. 

Jeder  Getaufte,  der  in  Fragen  der  Religion  trotz  empfangener 
Belehrung  der  römischen  Kirche  den  Gehorsam  verweigerte,  war 
nach  den  Rechtsbegriffen,  wie  sie  damals  ausgebildet  wurden,  recht- 
los. Wer  einen  solchen  aus  Eifer  gegen  die  Kirche  tötet,  begeht 
keinen  Moni,  kein  Eid  und  keine  Zusage  braucht  ihm  gehalten 
zu  wenlen ;  er  ist  nicht  fähig,  Vermögen  zu  besitzen  oder  ein  öffent- 
liches Amt  zu  verwalten,  ja  selbst  seine  Kinder  gehen  des  Erb- 
rechts verlustig;  ganze  Orte  können,  wenn  sie  Ketzern  Herberge 
gewähren,  zerstört  und  eingeäschert  werden. 

Auch  wenn  man  annimmt,  dass  die  Inquisitoren  und  Kleriker, 
auf  deren  Berichten  unsere  Kenntnis  beruht,  von  dem  Streben  nach 
Billigkeit  und  Unparteilichkeit  erfüllt  waren,  so  muss  man  die 
Schwierigkeiten  ins  Auge  fassen,  die  sieh  einem  solchen  Bestreben 
entgegen  stellten.  Diejenigen,  welche  sich  mit  Religions-  und 
Völkerkunde  beschäftigen,  wissen  es,  wie  schwer  sich  zwischen 
Gegnern  die  Verständigung  über  den  wahren  Sinn  religiöser 
Meinungen  zumal  mit  einfachen  Mensehen  vollzieht.  Diese  Menschen 

')  Thomas  von  Aquilin,  Summa  II,  2.  Qunestio  XI,  Art.  A:  ("irea 
haeretieon  duo  mint  ennaideranda,  nimm  quideut  ex  parte  ipsorum,  aliud 
vero  ex  parte  eccle«iae.  Kx  parte  ip*orum  est  peceatum,  j>er  quod  iiieru- 
erunt  non  «dum  ab  eeele*ia  per  exeommunieatinnem  neparari,  wd  etiain 
per  mortem  a  mundo  ex  ein  dt.  Kx  parte  antem  ecdodne  «tat  im  ex 
quo  de  haeretd  convineuntur ,  po^unt  non  Holum  exeommunicari ,  *ed  et 
juste  oecidi." 


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180 


Keller, 


Heft  6  u.  7. 


pflegen  Fremden  gegenüber  mit  Mitteilungen  über  Dinge,  die  ihr 
Heiligste»  betreffen,  sehr  zurückhaltend  zu  sein,  weil  sie  Ver- 
höhnung desselben  fürchten ;  Feinde  aber,  die  ihnen  Strafe  drohen, 
pflegen  sie  durch  dunkle  und  vieldeutige  Antworten  absichtlich 
irre  zu  leiten.  Es  ist  nicht  schwer,  gerade  in  den  Kämpfen 
der  Kirche  mit  den  „Ketzern"  solche  absichtliche  Irreleitungen 
nachzuweisen 

Gewiss  ist  dies  Verfahren  nicht  billigenswert,  aber  es  ist 
menschlich  begreiflicher,  wie  das  Verhalten  unserer  Berichter- 
statter, die  in  vielen  Fällen,  wo  ihnen  der  Sinn  einer  religiösen 
Meinung  unerklärlich  blieb,  den  Aussagen  eine  Wendung  gaben, 
die  nicht  zu  Gunsten  des  Angeklagten  sprach,  und  die  in  anderen 
Fällen  allerlei  verkehrte  Meinungen,  die  einzelnen  Gefangenen 
sei  es  mit,  sei  es  ohne  Folter  abgepresst  waren,  zu  I^ehren  und 
Grundsätzen  der  Gesamtheit  stempelten  oder  Anschauungen,  die 
lediglich  aus  einer  Anpassung  an  die  herrschende  Theorie  erwuch- 
sen, als  wesentliche  Merkmale  der  Partei  hinstellten. 

Man  wird  über  das  Wesen  der  nüttelalterlichen  Ketzer- 
gemeinden und  Vorläufer  der  böhmischen  Brüder  nie  zu  einem 
sicheren  Urteil  kommen,  wenn  man  nicht  gerade  die  letzterwähnten 
Punkte,  nämlich  die  Scheidung  dessen,  was  lediglich  Anpassung 
war  und  die  Trennung  der  eigentlichen  Lehre  von  den  ver- 
breiteten M  ei  min  gen  sich  zur  Pflicht  macht  Religionsgemein- 
schaften, welche  Lehrgesetzen  oder  Bekenntnisschriften  ablehnend 
gegenüberstehen,  auch  unfehlbare  Lehrautoritäten  nicht  besitzen, 
werden  stets  sehr  mannigfachen  Lehrmeinungen  unter  sich  Raum 
gestatten  müssen;  gerade  in  solchen  Gemeinschaften  aber  darf 
nicht  jede  beliebige  Ansicht,  selbst  wenn  sie  nicht  vereinzelt  vor- 
kommt, zum  wesentlichen  Kennzeichen  der  Partei  gemacht 
werden,  sondern  es  ist  sorgfältig  zu  prüfen,  ob  anerkannte  Wort- 
führer sie  vertreten,  und  ob  sie  eine  vorübergehende  Meinung  oder 
eine  durch  die  Jahrhunderte  sich  fortpflanzende  Uberzeugung 
darstellt.  Selbst  in  festgeschlossenen  Kirchen  hat  es  trotz  strenger 
Lehrgesetze  oder  unfehlbarer  Ix'hrinstanzen  allezeit  verbreitete 
Meinungen  und  Schulen  gegeben,  ohne  dass  es  jemanden  ein- 
gefallen wäre,  solche  Schulmeinungcn  als  unauslöslichc  Bestand- 
teile der  Glaubensregel  zu  betrachten;  wird  doch  in  der  römisch- 


')  Vgl.  Döllinger,  Beiträge  zur  8ekU>nge*chichtc  I,  1)5. 


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1S04.  Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer.  181 


katholischen  wie  in  der  protestantischen  Kirche  behauptet,  dass 
lehren  wie  die  von  den  Hexen  und  der  Hexerei  ')  oder  von 
der  Sklaverei2),  bezw.  Leibeigenschaft3)  trotz  der  Thntsaehe, 
dass  sie  die  förmliche  Billigung  der  höchsten  kirchliehen 
Autoritäten  gefunden  haben,  nicht  als  wesentliche  Stücke 
der  römisch-katholischen,  bezw.  protestantischen  Kirchenlehre  be- 
trachtet werden  dürfen. 


Keine  Beurteilung  kann  der  Entwicklung  wie  der  Eigenart 
der  ausserkirehlichen  Christen-Gemeinden  der  älteren  Zeiten  gerecht 
werden,  die  den  schweren  Druck  ausser  acht  lässt,  unter  dem  sie 
zu  leben  und  zu  wirken  gezwungen  waren.  In  einer  Gemeinschaft, 
die  der  freien  Entwicklung  beraubt  ist,  werden  die  Fanatiker 
stets  leichteres  Spiel  haben  als  sonst.  Wer  die  Geschichte  der 
römischen  Kirche  kennt,  der  weiss,  dass  sie  Jahrhunderte  hindurch 
an  schweren  Verirrungen  gelitten  hat,  und  dass  z.  B.  im  9.  und 
10.  Jahrhundert  die  Geliebte  des  Markgrafen  Adalbert  von  Tos- 
kana ein  halbes  Jahrhundert  hindurch  den  Stuhl  Petri  mit  ihren 
unehelichen  Söhnen  und  ihren  Buhlen  besetzte.  AVenn  Cardinal 
Hergenröther  in  seiner  berühmten  Kirchengesch iehte  die  Zustände 
dieser  Zeit,  die  er  „eine  Zeit  der  tiefsten  Erniedrigung  für  den 
päpstlichen  Stuhl"  nennt,  da  Stephan  VII.  „nicht  aus  Irrtum, 
sondern  aus  fanatischer  Bosheit"  gehandelt  habe,  aus  der  Unfrei- 
heit erklärt,  in  der  sich  die  Kirche  damals  befand1),  so  mag 
daran  vielleicht  etwas  Wahres  sein.     Aber  die  Entschuldigung, 


')  Die  Bulle  Innoeenz  VIII.  Sunnnis  desidernntes  vom  5.  Dec.  1181 
gab  «lein  Hexenprozess  als  solchem  die  höchste  kirchliche  Sanktion. 

-)  Die  Bulle  Nicolai)*  V.  v.  K.  Jan.  14 '»4  erklärt,  das.-  et*  erlaubt  sei, 
„alle  Sarazenen,  Heiden  und  andere  Feinde  Christi  in  ewige  Sklaverei 
zu  verkaufen".  Diese*  zunächst  den  Portugiesen  gewährte  Recht  ist  durch 
Sixtus  IV.  (1471  UM),  Innoeenz  VIII.  (14S4  14!>2)  bestätig  und  von 
Clemens  VII.  ( l.VJ.'t—  1.V14)  dahin  erweitert  worden,  da<s  es  erlaubt  sei,  auch 
alle  Ketzer  in  die  Sklaverei  zu  verkaufen.  Weiteres  bei  Keller,  die  Re- 
formation S.  480. 

:,j  über  die  ausdrückliche  Billigung  der  Leibeigenschaft  durch  die 
Reformatoren  s.  Keller,  Job.  v.  Staiipitz,  S.  M2. 

*)  J.  Hergenröther,  Cardinal,  Handbuch  derallg.  Kirchengeschichte. 
Freiburg  i  Br.  ISTil.  _\  Aufl.  IM.  I,  S.  ."»«»7.  H.  sagt:  „Der  päpstliche  Stuhl 
glich  einem  Gefesselten,  dein  die  Schmach  nicht  zugerechnet  werden  darf, 
die  er  erdulden  mus»,  so  lange  er  der  Freiheit  beraubt  ist". 


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182 


Kollor, 


Heft  6  11.  7. 


die  in  dieser  Erklärung  liegt,  trifft  in  viel  höherem  Grade  auf 
eine  Gemeinschaft  zu,  deren  Mitglieder  von  der  herrsehenden 
Mehrheit  nieht  nur  der  Freiheit  beraubt  waren,  sondern  wie  ge- 
meine Verbreeher  behandelt  wurden.  Es  war  gar  nieht  zu  ver- 
wundern, dass  in  der  Enge,  in  die  sieh  diese  verfolgten  Männer 
gedrängt  sahen,  viele  Verirrungen  reiften,  und  dass  ihnen  die 
Förderung  und  Anregung  völlig  verloren  ging,  die  aus  der  öftent- 
liehen Bethätigung  des  religiösen  Glaubens  erwächst.  Die  Ver- 
irrungen, die  zweifellos  vorgekommen  sind,  sind  weniger  zu  ver- 
wundern als  die  Thatsaehe,  dass  es  trotz  des  schweren  Drucks 

i 

nie  gelungen  ist,  diese  Gemeinden  gänzlich  zu  vernichten. 

Immerhin  hatte  die  Inquisition  wenigstens  den  Erfolg,  dass 
die  wissenschaftliehe  Fortbildung  und  Ausgestaltung  des  Systems 
unterbrochen  und  der  äussere  Zusammenhang  der  Gemeinden 
zerrissen  wurde.  Nachdem  dies  erreicht  war,  war  eine  einheit- 
liehe und  gleichmäßige  Weiterentwicklung  der  Partei  völlig 
unterbunden  und  die  Zersplitterung  in  eine  Reihe  von  kleinereu 
Gruppen,  die  von  örtlichen  oder  provinziellen  Wortführern  geleitet 
wurden,  war  fast  mit  Notwendigkeit  gegeben.  Nieht  darum  konnte 
es  sieh,  so  lange  der  Druck  datierte,  handeln,  diese  Entwicklung 
ganz  zu  hindern,  sondern  nur  darum,  die  Versehiedenartigkeit 
nicht  bis  zur  völligen  inneren  und  äusseren  Trennung  ausarten 
zu  lassen. 

Es  ist  ganz  natürlich,  dass  unter  den  gegebenen  Verhält- 
nissen die  sog.  Ketzer  auf  die  Chronisten  einen  buntfarbigen  Ein- 
druck machten,  und  wo  man  mehr  das  Trennende  als  das  Ver- 
bindende suchte,  mochte  man  leicht  ebensoviel  Sekten  unter  ihnen 
finden  als  es  Schulen  und  Schulmeinungen  unter  ihnen  gab. 

Dieser  Eindruck  musste  durch  mehrere  Umstände  verstärkt 
werden.  In  den  Verhören  nämlich,  die  vor  den  Tribunalen  er- 
folgten, tritt  ein  erklärliches  Bestreben  vieler  Angeklagten  zu 
Tage,  die  Unterschiede  ihrer  Auffassungen  von  den  herrsehenden 
Kirchenlehren  und  Gebräuchen  abzuschwächen.  In  der  Lage,  in 
der  sie  sieh  bc landen,  mussteu  die  Gemeinden  ihren  Angehörigen 
manche  Anpassung  erlauben,  die  sie,  obwohl  sie  den  Überliefer- 
ungen  der  Gemeinschaft  nicht  entsprach,  nicht  hindern  konnten. 
Dadurch  kommt  es,  dass  manche  Angeklagte  sowohl  ihren  damaligen 
Richtern  wie  den  heutigen  Forschern  römischer  erscheinen  als  sie 
es  in  Wirklichkeit  waren. 


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1894. 


Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer. 


183 


Ferner  aber  waren  den  Berichterstattern ,  auf  die  wir  an- 
gewiesen sind,  nur  in  einzelnen  Fällen  die  Unterschiede  klar,  welche 
in  diesen  Geineinden  zwischen  der  I^bensordnung  und  den  Brauchen 
der  „Gottesfreunde"  (Wanderprediger)  wir  werden  diese 
Einrichtung  unten  naher  kennen  lernen  —  und  den  „Gläubigen" 
vorhanden  waren.  Je  nachdem  sie  ein  Mitglied  der  Gottesfreunde, 
die  unter  sich  ein  geschlossenes  Ganze  bildeten,  oder  ein  einfaches 
Genieindeglied  vor  sich  hatten  und  schilderten,  inusste  bei  den 
mannigfachen  Besonderheiten,  die  jene  von  diesen  trennten,  ein 
ganz  anderes  Bild  der  Partei  entstehen,  und  die  Versuchung  lag 
nahe,  eine  „Sekte"  der  Gottesfreundc  und  eine  „Sekte"  der 
Gläubigen  zu  konstruieren. 

Ks  kann  an  sieh  gar  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  diese 
Christen  niemals  im  Sinn  der  römischen  Kirche  eine  Einheit 
dargestellt  haben.  Es  waren  nicht  bloss  die  Verhältnisse,  die 
eine  einheitliche  und  gleiclunässige  Entwicklung  und  die  Her- 
stellung grösserer  Verbände  hinderten,  auch  ihre  Prinzipien  machten 
es  ihnen  unmöglich,  eine  äussere  Einheit  als  Ziel  und  Ideal  zu 
betrachten. 

lTm  so  beachtenswerter  ist  es,  dass  die  urteilsfähigsten  Zeit- 
genossen und  Chronisten  sich  mit  Päpsten  und  Coneilien  in  der 
Überzeugung  begegnen,  dass  die  Mehrheit  der  mittelalterlichen 
Ketzer,  unter  welchen  Namen  sie  auch  auftraten,  sich  in  den 
gleichen  Grundgedanken  begegnen1). 

In  der  That  zeigt  sich  unter  ihnen  trotz  der  Kämpfe,  die  sie 


')  In  finer  Bulle  Papst  Gregors  IX.  vom  2.">.  Juni  12:iJ  heix*t  in: 
„Kxcomiminicnmu.s  et  anathetnutiy.amui>  universos  haeretieos  Cut  hure-, 
Patarenos,  Paupen*  de  Lugduno,  Passagi  n  <>s,  Joseppi  nos, 
Arnuldirftas,  Speronista«  et  aliw,  quibnscunqiie  nominibus  eenseantur; 
faeies  quidcni  hubente*»  diversa*,  seil  cauda*  ad  inviieiu  i-olligata*«  de  varie- 
tate  eonventunt  in  id  ipsum".  Boehmer,  Acta  imp.  sei.  II,  (!<ir>.  — 
Vgl.  ilcn  ähnlich  lautenden  Bcschluss  in  den  Canoner»  Com-ilii  Lat.  vom 
::<».  Nov.  121'*  Ini  Mansi,  Coli.  Conril.  XXII,  !»H<;  ff.  In  dem  Traktat 
des  David  von  Augsburg  De  inquisitionc  baeretieorum  (S.  XlIIl  heisst  es: 
„Cum  olim  una  seeta  fui«*e  dieantur  Pouvcr  l>un  et  Ortidicbarii  (Ortli- 
haiii)  et  Arnostustc  i  Arnoldistac)  et  Kuneharii  et  Waltenws  et  alii  ex 
ambieione  primntus  et  erroris  eoutrarietate  diwrsis  inter  *c  opinionum  alter- 
cationibuH  conscissi  in  di versa*«  benies  divisi  sunt  et  detiominati  ab  illanuu 
autoribus  opinionum  cujiislibet  hornm  seetatores."  Abhandlungen  d.  bist. 
Kl.  d.  Kgl.  B.  Ailad.  d.  Wiss.,  Bd.  XIV  Abtl.  2  S.  2Hi 


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184 


Keller, 


Heft  6  u.  7. 


unter  sich  ausfochten,  zu  ollen  Zeiten,  wo  sie  von  Gefahren  bedroht 
waren,  ein  sehr  starkes  Bewusstsein  der  inneren  Zusammengehörig- 
keit, und  jede  vorurteilslose  Prüfung  lehrt,  dass  sie  durch  alle 
Jahrhunderte  und  in  allen  Ländern  ihre  vornehmsten  Grundsätze 
—  wir  werden  sie  unten  kennen  lernen  —  mit  ausserordentlicher 
Zähigkeit  festgehalten  und  in  einer  Leidensgeschichte  ohne  Gleichen 
gegen  ihre  Gegner  verteidigt  haben. 

Diese  innere  Verwandtscliaft  ist  so  auffallend,  dass  man  sich 
dieselbe  nur  dann  hinreichend  erklären  kann ,  wenn  man  ein  ge- 
meinsames Entstehungsgebiet  für  alle  diese  Richtungen  an- 
nimmt. Es  ist  bei  dem  heutigen  Stand  der  Forschung  nicht 
möglich,  dies  Gebiet  bestimmt  zu  bezeichnen,  aber  die  Richtung, 
in  welcher  die  Ixisung  zu  suchen  ist,  wird  durch  die  Thatnache 
augedeutet,  dass  diese  ausserkirchlichen  Christen  in  vielen  ihrer 
wichtigsten  U-hren  sich  an  die  Vorstellungen  anschliessen,  welche 
von  den  ältesten  griechischen  Kirchenvätern,  vor  allem  von 
Origenes,  vertreten  worden  sind.  Und  eben  auf  den  Orient 
weisen  alle  frühesten  Spuren,  soweit  wir  sie  verfolgen  können; 
über  Kleinasien,  Bulgarien,  Dalmatien,  Oberitalien  und  Südfrank- 
reich kommen  sie  nach  Deutschland,  Böhmen,  Polen  und  England, 
bald  hier,  bald  dort  zurückgedrängt,  bald  verschwindend,  bald 
wiederauftauehend,  bald  in  kirchlichen  Formen,  bald  als  Bruder- 
schaft in  weltlichem  Gewände  kämpfend,  oftmals  scheiternd,  nie- 
mals untergehend  durchdringen  sie  mit  einzelnen  ihrer  Ideen  zeit- 
weilig gerade  dann  die  ganze  Christenheit,  wenn  sie  dem  äusseren 
Anschein  nach  als  Gemeinschaft  völlig  besiegt  am  Boden  liegen. 

Bei  der  Beurteilung  ihrer  Ausbreitimg  wie  ihrer  Erfolge 
musB  man  die  Thatsache  im  Auge  behalten,  dass  ihr  Kirchenbo- 
griff  —  wir  werden  ihn  alsbald  kennen  lernen  —  es  ihnen  er- 
möglichte, den  Sakraments -Kultus  zeitweilig  ruhen  zu  lassen, 
ohne  den  Charakter  als  Gemeinde  damit  aufzugeben,  und  dass  sie 
daher  stets  im  stände  waren,  ihre  Wirksamkeit  in  Form  einer 
Bruderschaft  fortzusetzen,  wenn  die  Verfolgung  sie  zwang,  den 
Dienst  der  Sakramente  oder,  wie  sie  sagten,  der  „heiligen  Hand- 
lungen" zeitweilig  einzustellen.  Damit  besassen  sie  die  Möglich- 
keit, sich  in  derselben  Weise  in  der  Form  heimlicher  oder  ver- 
borgener Gemeinden  fortzupflanzen,  wie  die  ältesten  Christen  unter 
der  Verfolgung  der  Cäsaren  diesen  Weg  besessen  und  beschritten 
hatten.    Diese  Art  der  Fortpflanzung  ist  seit  dem  4.  Jahrhundert 


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1894. 


Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorlaufer. 


isr, 


für  sie  im  grossen  und  ganzen  sogar  die  Regel  gewesen;  nur  in 
kürzeren  Zeitabsclinitten  und  in  einzelnen  Ländern  bezeichnen 
die  grossen  Ketzerkriege  und  Religionskämpfe  die  Versuche,  die 
öffentliche  Übung  ihres  Kultus  und  ihrer  Gemeinde- Verfassimg 
durchzusetzen. 

So  trägt  diese  Gemeinschaft  in  grossen  Zeiträumen  und  in 
viekm  Ländern  in  derselben  Weise  die  Kennzeichen  eines  Gc- 
heimbundes  an  sich  wie  die  ältesten  Christengemeinden.  Es  wurde, 
um  nur  einiges  zu  erwähnen,  eine  Anpassung  an  die  Gebräuche 
der  herrschenden  Kirche  üblich,  wie  sie  eine  religiöse  Gemein- 
schaft, sobald  sie  sich  öffentlich  bethätigen  darf,  ihren  Angehörigen 
niemals  gestatten  wird  und  kann.  Man  hielt  es  für  erlaubt,  durch 
den  Besuch  der  Messe  und  durch  Handlungen  kirchlicher  Devotion 
den  Verdacht  der  Verfolger  von  sich  abzulenken,  wie  es  ja  auch 
bei  den  sog.  Waldensern  Österreichs,  mit  denen  die  böhmischen 
Brüder  in  Verhandlung  traten,  noch  im  15.  Jahrhundert  (wie 
oben  bemerkt)  üblich  war.  Für  gewisse  religiöse  Ceremonien,  wie 
die  Lehre  Christi  sie  vorschrieb  (z.  B.  für  die  Taufe  und  das 
Abendmahl),  suchte  man  symbolische  Einkleidungen  oder  verdeckte 
den  religiösen  Brauch  durch  die  Annahme  weltlicher  Formen. 
Uberhaupt  nahm  der  Gebrauch  symbolischer  Zeichen  und  Formen 
stark  zu,  und  mannigfache  altchristliehe  Symbole,  die  der  römischen 
Kirche  verloren  gegangen  waren,  erhielten  sich  hier  in  Übung. 
Auch  eine  verabredete  Bildersprache  und  geheime  Erkennungs- 
zeichen (z.  B.  beim  Handgeben)  begegnen  uns  frühzeitig  bei 
diesen  „Ketzern"; ')  besonders  aber  wurde  es  üblich,  den  Mit- 
gliedern bei  der  Aufnahme  einen  Brüdern  amen  zu  geben,  den 
in  der  Regel  nur  die  Wissenden  kannten,  und  der  ein  wichtiges 
Mittel  darstellte,  um  den  Gegnern  die  Entdeckung  der  Bundes- 


')  Döllinger,  Beiträge  II,  254  giebt  eine  Urkunde  über  einen  Waldcn- 
sor-Prozoss  von  1387/88  in  der  Lombardei;  darin  lieisst  es:  „Frater  Antonius 
respondit,  quod  fuerunt  duo  nomine«,  qui  duxerunt  euni  ad  locum  Macbia- 
rum,  quorum  unus  ei  tetigit  digituin  auriclarem  more  Valdensium. 
Ib.  S.  255:  Interrogatus,  quomodo  sciebant,  ipr*am  esse  haereticam,  respondit, 
quod  ipsa  tetigit  sihi  duos  digitos,  videlicet  in  acie  digitorum, 
dicens  ipsa  sibi:  vos  l>ene  veneritis.  Kgo  credo,  quod  voa  estis  de  seeta 
nostra  .  .  .  et  quia  de  more  ipsorum  est,  quod  mulieres  tungunt  duoe 
digitos,  et  bomincs  digitum  auriclarem  ad  cognnscenduui  se 
ipso«  haereticos  inter  se." 


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ist; 


Koller, 


Heft  6  u.  7. 


Angehörigen  zu  erschweren.')  Es  war  Aufnahme -Brauch,  dass 
die  Bibel  bei  dem  Evangelium  Johannes  aufgeschlagen  war;  der- 
jenige, der  die  Aufnahme  vollzog,  verlas  die  Stelle  Joh.  1,  1: 
„Im  Anfang  war  das  Wort"  bis  Joh.  1,  14:  „Und  das  Wort  ward 
Fleisch  und  wohnte  unter  uns"  oder  auch  bis  1,  17:  „Die  Gnade 
und  Wahrheit  ist  durch  Jesum  Cliristum  geworden."2) 

Jahrhunderte  hindurch  sind  Südfrankreich  und  besonders 
Oberitalien  die  Hauptsitze  und  die  Hauptstützpunkte  der  ausser- 
kirchlichen  Christengemeinden  gewesen.  Das  damalige  Zunftwesen 
(sagt  Döllinger  I,  92)  mit  seiner  engen  und  organischen  Verbin- 
dung bot  der  Verbreitung  einer  Lehre,  die  sich  einmal  in  eine 
solche  Innung  eingeschlichen  hatte,  einen  Rückhalt  und  ein  Ver- 
breitungsmittel, und  es  lag  daher  nah,  dass  dort,  wo  die  Gilden, 
Werkbruderschaften  und  Zünfte  zu  besonderer  Kraft  und  Blüte 
gediehen  waren  (wie  es  in  den  grossen  stadtischen  Gemeinwesen 
der  Lombardei  und  Venetiens  der  Fall  war),  auch  die  in  dieselben 
eingedrungenen  religiösen  Ansichten  und  Formen  zu  besonderer 
Ausbreitung  gelangten. 

So  gewiss  nun  aber  die  romanischen  Völker  lange  die  vor- 
nehmsten Träger  waren,  so  hat  doch  der  Glaube  dieser  Christen 
niemals  irgend  eine  Spur  nationaler  Ausschliesslichkeit  an  sich 
getragen  wie  z.  B.  der  Utnujuismus  der  Böhmen.  So  sehr  sie  die 
nationale  Eigenart  und  namentlich  die  Volkssprachen  überall 
wo  sie  uns  begegnen  in  ihren  Gottesdiensten  wie  in  .den  Schulen 
pflegten,  so  .sind  sie  doch  nirgends  die  Träger  eines  nationalen 
Fanatismus  gewesen;  ihr  Streben  umfasste  die  Menschheit,  nicht 
diese  oder  jene  Kace  und  Nationalität.  So  tief  und  ernst  sie  von 
dem  Wunsche  durchdrungen  waren,  die  Lehre  Christi,  wie  sie  sie 
fassten,  allen  Menschen  nahe  zu  bringen,  so  wollten  sie  die  Herr- 
schaft Christi  über  die  Welt  doch  nicht  durch  den  Arm  irgend 
einer  Nation  oder  der  Staatsgewalt,  sondern  auf  dem  Wege 
freier  Überzeugung  erreichen.  Der  Grundsatz  der  freien  Selbst- 
bestimmung, mit  dem  die  Gewissensfreiheit  steht  und  fällt,  tritt 
uns  in  allen  Absclmitten  ihrer  Geschichte  entgegen.   Die  Freiheit 


')  Döllinger  a.  O.  I,  21.r>:  Interrogatu*  de  nominibus  dictoruni  hae- 
ntioorum  de  novo  iveeptnrum ,  dixit,  quod  in  tliita  reeeptinne  fuerunt  ei» 
nomina  mutata  et  uni  fuit  hnpositiun  nomtn  Petrus  et  alii  Paulus. 

•)  Döllinger  a.  Ü.  II,  .">  und  öfter. 


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1804. 


Die  böhmischen  Hrüder  und  ihre  Vorläufer. 


1*7 


war  nach  ihrer  Überzeugung  die  Vorbedingung  für  das  Wachs- 
tum de«  Senfkorns,  mit  dem  Christus  das  Gottcsreieh  ver- 
liehen hatte. 


Man  würde  die  innere  Ubereinstimmung  aller  ausserkirehlichen 
Christen  der  mittleren  Zeiten  schon  längst  viel  klarer  erkannt 
haben,  als  es  der  Fall  gewesen  ist,  wenn  nicht  die  Verschieden- 
heit der  Namen,  unter  welchen  sie  erscheinen,  den  Einblick  in 
ihr  wahres  Wesen  erschwert  hatte. 

Der  Missbrauch,  welcher  mit  der  Erfindung  von  Sekten- 
Namen  getrieben  worden  ist,  hat  die  wahre  Geschichte  der  Brüder 
in  schlimmster  W  eise  verwirrt  und  verdunkelt,  und  es  ist  eine 
sehr  schwierige  Aufgabe,  heute  hierin  Wandel  zu  schaffen. 
,  Gerade  die  Namen  frage  aber  ist  von  der  grössten  Wichtigkeit 
und  bietet  den  Schlüssel  für  Erscheinungen,  die  sich  bisher  als 
ganz  rätselhaft  dargestellt  haben. 

In  meiner  Geschichte  der  Reformation  und  der  älteren  Re- 
formparteien (1885)  habe  ich  zum  ersten  Mal  nachdrücklich  auf 
die  Wichtigkeit  der  Nameufrage  hingewiesen  und  unter  anderem 
dargethan,  dass  alle  die  bekannten  Ketzernamen  Scheltnamen 
waren,  welche  von  den  Gemeinden,  die  mau  so  nannte,  stets 
zurückgewiesen  sind  und  die  etwa  wie  die  Namen  Sakrameutierer 
und  Papisten  dem  Bedürfnis  der  Streittheologie  ihren  Ursprang 
verdanken. ') 

In  allen  Jahrhunderten  des  Mittelalters  findet  sich  die  That- 
sache,  dass  diejenigen  ausserkirehlichen  Religionsgemeinschaften, 
welche  in  den  apostolischen  Zeiten  ihr  Vorbild  und  ihre  reinste 


')  Sehr  bezeichnend  für  «He  Sucht,  Ketzernamen  zu  erfinden  und  nie 
al»*  Kampfmittel  zu  verwerten,  sind  die  Klagen  Zwingiis  au»  der  Anfangszeit 
der  Reformation,  So  protestiert,  er  in  seiner  Schrift  „Wer  Ursache  gebe  zu 
Aufruhr"  l:YJ4  wider  seine  Gegner,  welche  „das  Gotteswort  mit  Kctze.r- 
nanien  verunwerten"  und  dem  Volke  verdächtig  machen.  Was  er  damit 
meint,  erhellt  aus  einer  anderen  Schrift  vom  Jahre  1~>22,  wo  er  gesagt  hatte, 
man  suche  das  Evangelium  mit  Ketzernamen  wie  husi tisch  etc.  zu  ver- 
unglimpfen. Banr,  Zwingli  I,  112.  —  Später  hat  Zwingli  übrigens  dasselbe 
Kampfmittel  gegen  seine  evangelischen  tiegner  sehr  nachdrücklich  in  An- 
wendung gebracht  ;  er  hat  den  Ketzernamen  „Wiedertäufer"  in  Umlauf  gesetzt. 


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188 


Keller, 


Heft  ß  u.  7. 


Ausprägung  erkannten ,  sieh  einfueh  C  bristen  und  Brüder 
nannten1)  und  das*  die  Wanderprediger,  welche  sie  unter  sich 
besassen  —  wir  werden  auf  diese  wichtige  Eigentümlichkeit  zurück- 
kommen —  den  Namen  Gottesfreunde  oder  Gute  Leute  (boni 
homines)  trugen;  auch  sind  die  Namen  „Brüder  des  Gesetzes 
Christi",  sowie  „evangelische  Christen" 2)  als  selbstgebrauchte 
Namen  unter  ihnen  nachweisbar. 

Es  ist  ein  ganz  ausgesprochener  Widerwille,  der  in  allen 
ihren  Äusserungen  gegen  Sonder- Namen,  sei  es,  dass  sie  von 
einzelnen  Männern,  sei  es,  dass  sie  von  »Sonderlehren  hergenommen 
waren,  zu  Tage  tritt,  und  selbst  der  Name  Walde nser,  der  für 
sie  im  späteren  Mittelalter  am  üblichsten  wurde,  ist  erst  von  der 
Zeit  an  unter  ihnen  in  Aufnahme  gekommen,  als  sich  die  Nach- 
kommen der  alten  „Christen"  seit  1538  der  reformierten  Kirche 
angeschlossen  hatten  3). 


')  Bei  Reinem*,  Adversus  Catharos  etc.  heisst  es  nach  einer 
Schilderung  der  Perfecti:  „Ceteri,  qui  sunt  sine  online,  inter  eos  vocantur 
Christiani  et  Christianae".  (Max.  bibl.  Patrum  XXV,  27S.)  —  Von  den 
Ketzern  am  Rhein  heisst  es  im  Jahre  1163:  „Primus  eoruin  fuit  error,  quod 
....  sc  sol«»s  christianos  et  veros  Catholicos  arbitrantes ,  cactero*  omnes, 
qui  tum  essen  t  in  secta  eorum,  hacreticos,  schismaticos  et  infideles,  Dcoque 
odibiles  praedicabant.  Fredericq,  Corpus  Doc.  etc.  I,  41.  —  Li  m  horch, 
Lib.  inquis.  Tolos.  Anist  1 692,  S.  300  f. :  „Vocabant  st;  illi,  qui  erant  de  illa 
socictatr,  f  rat  res."  Kbenda:  „Gentes  prrsequebantur  cos  (d.  h.  fratres)  et 
vocabant  eos  Valdcnses  et  reputabant  eos  bacretieos."  Die  Aussagen  stam- 
nien  an«  den  Jahren  1307— 1.5 J3.  —  Da**  alle  „Patarcner",  soweit  nie  nicht 
Bischöfe ,  Diakonen  u.  s.  w.  waren,  „Christen"  hicssen  s.  l>ei  Dölliiiger 
Beiträge  II,  324.  Döllinger  a.  »>.;  „Diaconi  cliguntur  a  christiani«  et 
ordinantur  ab  episcopo"  etc. 

')  Die  Beweise  bei  Keller,  Joh.  von  Staupits,  Lpz.  1888  S.  103  f.  - 
Über  den  hingerichteten  Ketzer  Albert  aus  dem  Langau  (öntlich  von  (tastein), 
der  »ich  im  Jahre  1285  einen  „evangelischen  Lehrer"  (Prediger)  nannte,  wiche 
Mon.  Germ.  Hist.  SS.  XI,  810. 

:')  Herzog,  Die  roman.  Waldenser  S.  SO:  „Wir  wissen  aus  den  Be- 
richten der  katholischen  Schriftsteller  selbst,  dass  die  Wählender  »ich  diesen 
Namen  nicht  selbst  gegeben  haben;  sie  nannten  «ich  Arme,  Anne  von 
Lyon"  u.  s.  w.  —  .Selbst  noch  im  Jahre  1535  wird  die  Bezeichnung  „Wal- 
denser"  von  den  provcnzalisch.cn  Waldcusem  als  noinen  invidiosum  ab- 
gewiesen. Histor.  Zts.  1885»  8.  57.  —  In  Frankreich,  rler  Schwei/,  und  den 
Niederlanden  kommt  der  Name  Vaudois  seit  etwa  1450  ausschliesslich  zur 
Bezeichnung  von  Hexen  und  Zaulx-rern  vor  ( Vauderic!).  Deutsche  Zts.  für 
Geschichtswk«.  1*1)0.  S.  3SJ  f.  -     Dass  der  verketzerte  Name  „Waldenser" 


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1894. 


Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer. 


189 


Bis  zum  Ende  des  Mittelalters,  ja  bis  in  die  Ueformations- 
zeit  hinein,  haben  diese  Christen  die  Unterschiede,  die  unter  ihnen 
vorhanden  waren,  nieist  lediglich  dadurch  gekennzeichnet,  dass  sie 
sieh  nach  den  Uindern,  wo  sie  ihre  Hauptsitze  hatten,  als  „lom- 
bardische  Bruder",  „  r  <  > m a n i s c h e  Brüder",  „böhmische  Bruder", 
„Schweizer  Brüder"  bezeichneten1). 

Es  war  im  Grunde  ganz  natürlich,  dass  die  herrschende 
Kirche  und  ihre  Vertreter  den  Religionsgemeinschaften,  die  sie 
sich  gegenüber  fand,  den  Namen  Christen  nicht  zugestehen 
wollte;  abgesehen  davon,  dass  sie  geneigt  war,  den  Gegnern, 
die  das  Christentum  ganz  anders  verstanden  als  sie  selbst,  die 
Eigenschaft  von  Clmsten  überhaupt  streitig  zu  machen,  hatte  in 
jenem  Zugeständnis  unzweifelhaft  eine  Beeinträchtigung  des  eignen 
Christen  -  Namens  gelegen.  Die  Aufbringung  neuer  Namen 
wurde  durch  diesen  Umstand  für  die  Gegner  geradezu  zum 
Bedürfnis. 

So  begreif  lieh  dies  ist,  so  stark  ist  für  die  Geschichts- 
schreibung die  Nötigung,  zur  Kennzeichnung  der  Partei,  um  die 
es  sich  handelt,  einen  gemeinsamen  Namen  in  Gebrauch  zu 
nehmen.  In  der  That  ist  in  bestimmten  Epochen  jedesmal  ein 
bestimmter  Sekten -Name  in  überwiegendem  Gebrauch  gewesen, 
und  Jahrhunderte  lang  haben  die  Namen  Manichäer,  Katharer, 
Wal  denser  alle  Sekten  zusammenfassend  bezeichnet 

Für  eine  Geschichtsschreibung  indessen,  deren  Grundsatz  es 
ist,  die  Ketzer  wie  die  Kirchen  in  gleicher  Weise  unparteiisch  zu 
behandeln,  ist  jeder  Sekten-Name  unbrauchbar;  so  wenig  sie  für 


von  deren  Freunden  überall  vermieden  zu  werden  pflegte,  auch  wo  man 
eine  Bezugnahme  bestimmt  erwarten  sollte,  hat  schon  Preger  nachgewiesen 
(Verhältnis  der  Taboritcn  zu  den  Waldesiern  etc.   München  1887  8.  1UÖ  f.). 

')  Von  den  vielen  Beweisstellen,  die  sich  dafür  l>eil>ringen  liesscn,  soll 
hier  nur  eine  erwähnt  werden.  In  einer  Handschrift  d.  Staate-Bibliothek  zu 
München  (Clm.  223U3  f.  241)  aus  dem  15.  Jahrb..  steht  aus  gegnerischer 
Quelle  folgender  Berieht:  „Inio  ijwi  Waldcuses  coustituunt  monstrum  in 
natura,  qui  diennt,  so  faeere  verum  eorpus  (die  wahre  Gemeinde  Christi)  et 
tarnen  haben t  tria  eapita:  aliqui  enim  suorum  haeresiarcharum  dieuntur 
romani  (die  französischen  Brüder),  alii  pedemontani  (die  italischen),  alii 
vero  alemunniei,  neque  aliquis  ab  altcro  jurisdictionem  sive  auetoritatem 
siiseipit  neqne  alterius  sc  snbüitum  confitetur."  Hier  nach  Preger,  Das 
Verhältnis  d.  Taboriten  zu  d.  Waldeaiern  des  14.  Jahrb.  1.M87.  8.  3ü. 

13* 


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190 


Keller, 


Heft  6  u.  7. 


die  katholische  oder  protestantische  Kirche  Namen  gebrauchen 
darf,  welche  diese  selbst  zurückweisen,  ich  erinnere  nur  an  die 
eben  erwähnten  Namen  Papisten  oder  Sakramentierer,  so 
wenig  ist  sie  berechtigt,  die  Ketzer  anders  zu  nennen  als  diese 
sich  selbst  genannt  haben  und  genannt  wissen  wollten.  Eine  un- 
parteiische Geschichtsschreibung  darf  nur  solche  Namen  wählen, 
welche  die  wesentlichen  Charakterzüge  möglichst  treffend  zusammen- 
fassen, unter  den  Ketzern  selbst  wenigstens  gelegentlich  nach- 
weisbar sind  und  niemandes  Hechte  beeinträchtigen. 

Unter  diesen  Gesichtspunkten  ist  für  die  mittelalterlichen 
Ketzer  kein  Name  zutreffender  und  berechtigter  als  die  Bezeich- 
nung altevangelisehe  Gemeinden:  denn  mit  Grund  heisst  es 
in  jenem  bekannten  Artikel  der  sog.  Wikletitcn  des  Ii.  Jahr- 
hunderts: „Das  Evangelium  int  die  alleinige  Norm  unseres  Glaubens 
und  Lebens  mit  Verwerfung  der  alttestamcntlichen  (mosaischen) 
und  nachevangelisehen  Vorschriften",  und  die  Katharer  sagten  von 
sich  aus,  dass  sie  die  Beobachtung  „der  evangelischen  und 
apostolischen  Walirheit"  sich  zur  Pflicht  gemacht  hätten1). 


Auf  diese  Gemeinden  pflegt  in  alteren  wie  in  neueren  kirchen- 
gesehichtlichen  Werken  katholischer  und  protestantischer  Herkunft 
fast  durchweg  derjenige  Begriff'  der  Kirche  Anwendung  zu  finden, 
welcher  im  eigenen  Hause  üblich  ist-  Kirche  und  Gottesdienst 
sind  für  diese  Betrachtungsweise  unzertrennliche  Begriffe,  und  es 
erscheint  daher  bei  gegnerischen  Berichterstattern  allgemein  die 
Vorstellung,  dass  die  „Häretiker"  eine  Kirche  gebildet  hätten,  die 
nach  ihrer  Ansieht  als  wesentliche  Kennzeichen  ein  Lehrgesetz 
(Symbol)  oder  Bekenntnis  und  bestimmte  Sakramente  besessen 
haben  muss.  Diese  Ansieht  trifft  nicht  zu.  Die  ausserkirchlichen 
Religionsgemeinschaften  waren  keine  Kirche  und  wollten  keine 
Kirche  im  Sinn  des  alten  Bundes  oder  der  romischen  Kirche  sein; 
sie  bildeten  vielmehr  einen  Bruderbund  oder  eine  Brüderschaft, 
deren  Glieder  sich  zwar  im  Sinn  des  Evangeliums  als  eine  Ge- 
meinde betrachteten,  die  aber  mehr  eine  GeMimungs-Gemein- 
schaft  als  eine   Bekenntnis -Gemeinschaft   darstellten  und 


')  Dülliiijrer,  Beitrag  II,  2*7. 


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1S1M. 


Die  böhmischen  Brüder  uiul  ihre  Vorläufer. 


daher  auch  den  Namen  und  den  Begriff  der  Kirche  nicht  auf 
ihren  Bund  anzuwenden  pflegten1). 

So  grossen  Nachdruck  diese  Christen  jederzeit  auf  ein  reges 
Gemeindeleben  legten,  so  ausgesprochen  ist  ihre  Abneigung  gegen 
die  von  Menschen  aufgesetzten  Symbole  und  Bekenntnisschriften2) 
sowie  gegen  die  Anknüpfung  der  Heils  Vermittlung  an  Kirche  oder 
Sakramente  von  jeher  gewesen.  So  sehr  ihnen  dies  von  vielen 
Seiten  verdaeht  ward,  so  sicherten  diese  Auffassungen  ihnen  doch 
den  doppelten  Gewinn,  dass  sie  der  Heuchelei  und  Verstellung 
weniger  Vorschub  leisteten,  und  dass  sie  ihr  Gemeindeleben  inner- 
halb der  Kirchen  im  Stillen  fortzupflanzen  im  stände  waren. 

In  den  Verfolgungszeiten  wurde  von  dieser  Möglichkeit,  wie 
wir  sahen,  gern  Gebrauch  gemacht,  und  unsere  römischen  Bericht- 
erstatter sind  voll  von  Klagen  über  diese  „Füchse",  welche  nicht 
wagten,  an  die  Öffentlichkeit  zu  treten.  Nur  wenn  sie  sich 
stark  genug  fühlten,  heisst  es,  träten  sie  aus  der  Verborgenheit 
heraus3). 


')  Besondere  häufig  begegnet  in  den  Quellen,  welche  eine  genauere 
Kenntnis  verraten,  der  Name  Soeietas  sowohl  zur  Bezeichnung  der  Einzel- 
Gemeinde  wie  der  Gesamt* Gemeinde.  Vgl.  Pöllinger,  Beiträge  II,  8.  95. 
!w>.  {»£».  —  Die  Gegner  nannten  natürlich  die  Gemeinden  auch  nicht  Kirchen; 
wohl  aber  finden  -ich  ausser  «lern  Namen  „Sekte"  andere  merkwürdige 
Bezeichnungen,  nämlich  die  Namen  So  ho  In  (Ketzerschule)  (»der  Synagoge. 
Ausser  den  Beweisen,  die  ich  früher  beigebracht  habe  («.  Keller,  Job.  von 
Staupitz,  Register  s.  v.  Schule  u.  Ketzer  schule)  verweise  ich  auf  Mansi, 
Concilia  Germaniae  P.  XXIII  S.  244  (Scholae  hereticorum  in  Trier  VJ'M), 
auf  Hefele,  Coneilien-Gcsch.  V,  1»01»  f.  (12:14),  Deutsche  Zts.  f.  Gesch.  188!» 
S.  JliKf.,  Döllinger.  Beiträge  II,  255. 

''l  Dies  erstreckte  »ich  in  den  älteren  Zeiten  -  sj)äter  trat  in  diesen 
wie  in  anderen  Punkten  eine  Annäherung  an  die  Grundsätze  und  Gewohn- 
heiten der  herrschenden  Kirchen  ein  auf  alle  Lchrgesetze  und  Sakra- 
mente. Über  die  Stellung  zum  Symholum  Apostolicum  s.  die  Aussagen  Ihm 
Dnilinger  II,  II.  Iöl.  2M;  Bibl.  Max.  Patrum  XXV,  2ti<iG  und  2fi7K.  Vgl. 
zu  dieser  Frage  weitere  Beweisstellen  Iwi  Keller,  Joli.  v.  Staupitz  1SSS 
S.  !»!)  f.  u.  M'.i  f.  Sicher  ist,  das»  die  Waldenser  um  1500  das  Credo  an- 
erkennen. Döllinger  II,  Wü.  Im  14.  Jahrh.  und  früher  ist  der  Wider- 
spruch dagegen  nahezu  allgemein;  eine  vereinzelte  Zustimmung  beweist  so 
wenig  wie  die  vereinzelte  Übung  des  Ave  Maria,  die  auch  vorkommt. 

')  Mansi,  Coli.  Conciliorum  XXII,  232:  Invaluit  damnata  |>ervcrsitas, 
nt  jam  non  in  oeculto  nequitiam  suam  exerceant,  sed  errorem  publice  mani- 
festem. Die  Notiz  findet  sieh  zum  Jahre  117!».  In  dieser  Zeit  hatten  die 
„Ketzer"  in  Petrus  Wnldus  einen  angesehenen  Wortführer  gefunden.  Klagen 


Koller, 


Heft  fi  u.  7. 


Mnn  hat  wohl  gesagt  und  gemeint,  dass  dort,  wo  kein  be- 
rufsmässiger Geistlicher  und  keine  Sakramente  vorhanden  waren, 
auch  keine  kirchliche  Gemeinde  in  rechtlichem  Sinn  vorhanden 
gewesen  sei;  eine  kirchliche  Gemeinde  im  Sinn  des  kanonischen 
Hechte  war  allerdings  nicht  vorhanden;  aber  nach  den  liegritfen 
und  Rechtsanschauungen  dieser  Richtungen  war  die  Übung  des 
Sakramente -Kultus  eben  kein  unentbehrliches  Kennzeichen  einer 
christlichen  Gemeinde;  wo  man  sie  zwang,  Taufe  und  Abendmahl 
einzustellen,  war  das  gemeinsame  Gebet  der  einzige,  aber  auch 
ausreichende  Kultus '). 

Es  hing  diese  Auffassung  mit  ihren  wichtigsten  Prinzipien 
eng  zusammen.  Denn  ganz  im  Unterschied  von  denen,  welche 
der  Ansicht  waren,  dass  die  Beziehungen  zu  Gott  nur  durch 
Priester  und  Sakramente  hergestellt  werden,  waren  sie  durch- 
drungen von  der  Überzeugung,  dass  es  einen  innerlichen  Ver- 
kehr der  Menschenseele  mit  Gott  giebt,  für  dessen  Herstellung 
zwar  die  Reinheit  des  Herzens,  aber  nicht  die  Sakramente  die 
Voraussetzung  bilden.  Mochten  im  Alten  Testament  die  Begriffe 
der  Kirche  ihre  Begründung  finden,  ho  waren  sie  doch  der  An- 
sieht, dass  Christus  der  Welt  die  höhere  Einheit  des  göttlichen 
und  des  menschlichen  Daseins  verkündet  habe,  und  dass  seitdem 
der  Zugang  zu  Gott  jedem  reinen  Herzen  offen  stehe,  das  im 
Geiste  Christi  sich  ihm  naht 


Es  ist  nicht  ohne  Interesse,  zu  beobachten,  in  welcher  Weise 
die  Vertreter  der  verschiedenen  Kirchen  und  Religionsgemein- 
schaften diese  Christen  im  Lauf  der  Jahrhunderte  beurteilt  haben. 
Je  ablehnender  die  gesamte  Stellung  der  Beurteiler  ist,  um  so  nach- 
drücklicher pflegen  ihnen  von  diesen  gerade  solche  Eigentümlich- 
keiten beigelegt  zu  werden,  die  den  Anhängern  der  letzteren  jeweilig 
besonders  verabscheuenswert  erschienen.  Dabei  ist  es  denn  nicht 
zu  verwundern,  wenn  im  Laufe  der  Zeit  gerade  entgegengesetzte 
Urteile  und  Ansichten  zu  Tage  gebracht  sind  und  Eigenschaften, 

über  die  „Simulatio"  der  Ketzer,  ülier  ihren  Kirchcnbcsnch  n.  s.  w.  bei 
Martenc,  Thcs.  Aneedot.  p.  ITK'J  sowie  in  d.  Max.  Biltl.  l'atruiu  XXV, 

')  Bei  den  südfranzösisehen  Waldrnscrn  ruhten  die  „heiligen  Hand- 
lungen" lange  Zeit  vollständig;  gleichwohl  betrachteten  nie  sieh  al*  christ- 
liche Geineinden.  Vgl.  den  Bericht  des  Barben  Moni  v.  Vi.  Üct.  15W  bei 
Dieckhoff,  Die  Waidenoer  S.  Mi  ff. 


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1S04.  Die  böhmischen  Hrtidcr  miil  ihre  Vorläufer. 

die  sich  auszuschliessen  pflogen,  als  allgemeine  und  wesentliche 
Kennzeichen  der  beurteilten  Partei  hingestellt  werden.  Je  nach  dein 
Bedürfnis  der  Polemik  glaubt  der  eine  Kritiker  das  Wesen  der 
,,Ketzer"  dadurch  bestimmen  zu  können,  dass  er  sie  als  IVlaginner 
und  Asketen  und  ihre  Gemeinschaft  als  einen  entarteten  Mönchs- 
orden bezeichnet,  der  andere  glaubt  alles  Wesentliche  gesagt  zu 
haben,  wenn  er  sie  als  Libcrtiner  und  froigoistige  Lüstlinge  hin- 
stellt1); der  eine  wirft  ihnen  revolutionäre  Tendenzen  vor,  die  auf 
den  gewaltsamen  Umsturz  aller  staatlichen  und  sittlichen  Ordnung 
in  der  Welt  abzielten,  der  andere  erklärt  sie  für  quictistischc  Mysti- 
ker, die  in  tadelnswerter  Weltflucht  nur  dem  eignen  Seelenheil 
nachtrachten;  der  eine  sieht  in  der  Absonderung  von  der  allgemeinen 
Kirche  die  Verführung  des  Satans  und  charakterisiert  sie  zusammen- 
fassend als  Luciferianer,  der  andere  glaubt  sie  genügend  gekenn- 
zeichnet zu  haben,  wenn  er  sie  Maniehäer  oder  Arianer  nennt.  Es 
liegt  am  Tage,  dass  in  allen  diesen  Urteilen  mehr  der  ablehnende 
Standpunkt  des  Sprechenden  als  die  Kennzeichnung  des  eigent- 
lichen Wesens  zum  Ausdruck  kommt,  und  dass  jeder  Versuch 
einer  gerechten  Beurteilung  sich  von  den  theologischen  Kunst- 
ausdrücken und  schematiseher  Einschachtelung  fern  halten  und 
vielmehr  die  wesentlichen  Ideen  und  Grundsätze  im  einzelnen 
prüfen  muss. 

Wenn  man  auf  den  gemeinsamen  Besitz  religiöser  Uber- 
zeugungen, welcher  bei  allen  Zweigen  dieser  Christen  und  in  allen 
Jahrhunderten  wiederkehrt,  das  Augenmerk  richtet,  so  wird  jedem 
Beobachter  zunächst  die  Thatsache  auffallen,  dass  alle  diese  ansser- 
kirchlichen  Christen-Gemeinden  von  dem  Streben  erfüllt  sind,  das 
Wesen  des  ursprünglichen  Christentums  zur  Darstellung 
zu  bringen.  Das  Vorbild  der  apostolischen  Zeit,  wie  es  in  den 
Evangelien  und  Episteln  seinen  Ausdruck  findet2),  ist  ihnen  die 


')  In  der  Streitschrift  de.«  Keinem*  Advorsus  Catharos  heilst  es 
(p.  280):  „Sunt  in  moribus  eompositi  et  modesti,  eavent  a  seurrilitate,  ver- 
bonim  levitato,  niendacio  et  jurameuto,  casti  sunt  et  temperati  in  eibo  et 
potu."  Ähnliche  günstige  Urteile  liefen  sich  viele  zusammenstellen ;  natür- 
lich gab  es  auch  schlechte  Menschen  unter  ihnen. 

7)  Döllingcr  II,  .">.  2*7.  —  Petrus  Venernbilis  wirft  den  „I'etro- 
brusianern"  vor:  Nullos  vos  libros,  nullos  vos  traditioncs  Ecclcsiac  ab  ecelesin 
praeter  Evangelium  susoiperc,  sed  illi  tnntum,  hoc  est  Evangelio,  fidein 
vos  firinissimam  conservare.    Max.  Ribl.  Patr.  XX III  p.  107-*. 


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194  KclW,  Heft .6  u.  7. 

oberste  Richtschnur  für  ihr  Denken,  Thun  und  Lassen,1)  und  der 
Vorwurf,  den  sie  der  Hitnischen  Kirche  machen,  besteht  darin, 
dass  die  Päpste  eine  neue  Kirche  an  die  Stelle  der  alten  gesetzt 
hätten  —  eine  Kirche,  die  sich  in  wichtigen  Teilen  mehr  auf  das 
alte  Testament  als  auf  die  Evangelien  stütze. 

Man  weiss,  welche  Bedeutung  seit  dem  3.  und  4.  Jahrhundert 
jene  Lehrgesctze  und  Symbole  in  der  herrschenden  Kirche  ge- 
wonnen hatten,  die  unter  den  Namen  des  apostolischen,  rncänischen, 
athanasianischen  u.  s.  w.  Gesetzeskraft  erlangt  hatten.  Ks  war  ja 
sehr  naheliegend,  dass  die  Vertreter  der  Kirche  bei  den  Verhören 
bestrebt  waren,  diese  Symbole  in  die  Angeklagten  hineinzufragen, 
aber  es  zeigte  sich  regelmässig,  dass  sie  von  den  Verhörten  über 
die  Begriffe  und  Vorstellungen  von  der  Trinität,  der  Homousie  und 
Homoiusie  u.  s.  w.  wenig  erfuhren,  was  sie  befriedigt  hätte.  Die 
Betonung  dieser  dogmatischen  Fragen,  wie  sie  in  der  Kirche 
üblich  geworden  war,  kannten  die  Verhörten  eben  nicht,  und  die 
Ablehnung  solcher  Begriffsbestimmungen  lag  keineswegs  an  ihrem 
Mangel  an  Gelehrsamkeit,  sondern  floss  aus  der  Überzeugung 
dass  das  Wesen  des  Christentums  nicht  in  der  Lehre  von  der 
Trinität  und  überhaupt  mcht  in  irgend  einem  System  von  Glaubens- 
sätzen, sondern  in  dem  Streben  nach  dem  Aufbau  des  Gottes- 
reichs im  Sinne  Jesu  beschlossen  liege. 

Das  W  erk  Christi  bezog  sich  nach  der  bei  ihnen  überwiegend 
vertretenen  Ansicht  nicht  bloss  auf  die  Änderung  des  Verhältnisses 
der  einzelnen  Menschenseele  zu  Gott,  sondern  auch  auf  die  Be- 
ziehungen von  Mensch  zu  Mensch  und  auf  die  Durchdringung 
der  menschlichen  Gesellschaft  mit  dem  Geiste  Cluisti.  Sie  glaubten, 
dass  eine  I^ehre,  die  die  Erreichung  der  individuellen  Seligkeit 
im  Jenseits  zum  höchsten  Zweckbegriff  der  christlichen  Religion 
macht,  dem  frommen  Egoismus  wie  dem  PharisäLstnus  Thür  und 
Thore  öffne  und  das  Streben  nach  der  Erreichung  des  allgemeinen 
Heils  oder  dem  Aufbau  des  Gottesreichs  naturgemüss  zurückdränge 
und  abschwäche.    Und  doch  hatte  Christus  das  Reich  Gottes  als 


')  ,,E«  giebt  vielleicht  keine  einzige  »Schrift  »m  «len  M-rh*  letzten 
Ix>hcn*jahrcn  Wiclif.-",  *agt  Lodert h  iGött.  Gel.  Anz.  KS'.»  Nr.  12  8.  4!»7), 
„in  denen  nicht  die  unbedingt«»  Forderung  der  Zurück führung  der  Kirche 
auf  den  apostolischen  Zustand  gestellt  wurde."  L'l>er  die  Bedeutung  dieser 
Forderung  in  den  Tahnritcnkämpfen  Pregcr,  t"lx>r  die  Verh.  der  Tabo- 
riten  etc.  1SS7  S.  Hfl  ff. 


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1894.  Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorlaufen  195 

den  vornehmsten  Inhalt  seiner  Botschaft  bezeichnet  und  das 
Trachten  danach  zu  den  wichtigsten  Aufgaben  derer  gezählt,  die 
er  als  seine  Jünger  erkannte. 

I>ieses  Reich,  dessen  Bau  sie  beginnen  wollten,  war  nach 
der  Lehre  Christi,  wie  sie  sie  fassten,  in  seinen  Einrichtungen 
denjenigen  der  Familie  gleich,  und  in  ihm  gab  es  keine 
andere  Zwangsgewalt,  als  die,  welche  der  Vater  gegen  seine  Kinder 
zu  üben  berechtigt  und  verpflichtet  ist.  Es  war  ein  Grundgedanke 
ihrer  I>ehre,  dass  wahre  Glieder  der  Gemeinde  nur  die  sein  könn- 
ten, die  aus  freiem  Entsehluss  und  kraft  selbständiger  Wahl l)  ihr 
beigetreten  waren;  weder  Unmündige  noch  zwangsweise  zugetretenc 
Personen,  noch  die,  die  das  Gesetz  der  Bruderliebe  offenkundig 
brachen,  waren  volle  Glieder  der  Kirche  Christi,  wie  sie  sie  ver- 
standen. 

Diese  Grundsätze  machten  es  ihnen  unmöglich,  irgend  eine 
Person  auf  dem  Wege  der  Gewalt,  sei  es  unmittelbar  oder  durch 
die  Hilfe  des  Staates  ihrer  Kirche  zuzuführen,  und  damit  fiel  für 
sie  die  Theorie  wie  die  Auwendung  des  Glaubenszwangs  von  selbst 
hinweg;  ja,  sie  mussten  folgerichtig  in  einer  Kirche,  die  diesen 
wesentlichen  Teil  der  Lehre  Christi  verleugnete,  eine  Gegnerin 
des  Christentums,  wie  sie  es  fassten,  erkennen. 

Sie  hielten  daran  fest,  dass  Christus  eine  sichtbare  Gemein- 
schaft behufs  Stiftung  des  Gottesreichs  gegründet  habe  und  die 
erziehende  und  erleuchtende  Kraft  der  Gemeinschaft  haben  sie 
stets  betont.  Aber  der  Satz,  dass  die  Hoffnung  der  Seligkeit  im 
Jenseits  an  die  Zugehörigkeit  zu  ihrer  Kirche  oder  an  irgend  eine 
äussere  Anstalt  oder  Veranstaltung  gebunden  sei,  lässt  sich  bei 
ihnen  als  autoritativer  Ausspruch  nicht  nachweisen.2) 

So  sehr  der  Grundsatz,  dass  die  h.  Schriften  die  höchste 
Richtschnur  für  Glauben  und  Leben  bilden,  all  ihr  Denken  be- 
herrscht, so  finde  ich  doch,  dass  sie  über  den  Begriff  des  „Kanons" 
wie  er  seit  dem  dritten  .Jahrhundert  uns  entgegentritt,  sieh  selten 
in  dem  gleichen  Sinn  wie  die  römische  Kirche  ausgesprochen 
haben.    Wenn  hierin,  wie  in  anderen  Punkten,  im  Lauf  der  Jahr- 


')  Die  Aufnahme  in  die  Gemeinde  erfolgte  im  14.  Jahrh.  in  Süd 
frankreieh  nicht  vor  dem  IS.  Leliensjahr;  Pöllinger,  Beiträge  IT,  2M\. 
')  S.  Preger,  n.  a.  Ü.  1887  S.  54. 


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Keller, 


Heft  6  u.  7. 


hundorte  sich  eine  Annäherung  an  die  herrschende  Theologie  voll- 
zieht, so  tritt  in  den  Auffassungen  der  frühmittelalterlichen  Ketzer 
doch  noch  ein  starker  Gegensatz  klar  zu  Tage.  Nach  der  Lehre 
jener  „Gottesfreunde",  die  man  Bogoimlen  nannte,  ruhte  das  „von 
der  Weisheit  gebaute  Haus"  d.  h.  die  Gemeinde  Christi,  auf 
sieben  Stutzen,  nämlich  den  Psalmen,  den  Propheten,  den 
Evangelien,  apostolischen  Schriften,  Briefen,  der 
Apostelgeschichte  und  der  Offenbarung  Johannis.1)  Hier 
fehlen  also  die  historisehen  Bücher  des  alten  Testaments,  und  es 
ist  deutlich,  dass  sie  darin  eben  eine  Stütze  ihres  Hauses  nicht 
erkannten.  *) 

Die  Berichte  der  römischen  Chronisten  erzählen  wohl,  dass 
die  „Waldenser"  alles  „für  erfunden  halten,  was  nicht  durch  den 
Text  der  Bibel  bewiesen  werden  könne;"  aber  soviel  ich  sehe, 
berufen  sich  diese  Gemeinden,  wenigstens  in  der  älteren  Zeit,  dort 
wo  sie  von  ihrer  obersten  Autorität  als  Ganzem  sprechen,  selten 
auf  die  „Bibel",  häufig  aber  auf  das  „Gesetz  Gottes"  ')  oder  die 
„Kegel  Christi"  oder  das  „Evangelium"  und  das  „evangelische 
Gesetz"  oder  auch  auf  die  „göttliche  Schrift"  (scriptum  divina) 
und  das  „Neue  Testament",1)  welches  sie,  wie  die  Gegner  be- 
haupten, wortlich  auswendig  können  und  bis  auf  den  Buchstaben 
beobachtet  wissen  wollen  mit  Hintansetzung  wichtiger  Teile  des 
Alten  Testaments,  der  Dekretalen  und  der  Kirchenväter. 

Neben  diesem  sog.  „Evangelium  expressum"  erscheint  aber 
als   Richtschnur  ihrer   Überzeugungen   auch   das    „Gesetz  des 


')  Pöllinger,  Beiträge  I,  4fJ. 

*)  Über  die  gleiche  Anficht  der  Priscillianisten  vgl.  Döllinger  a.  O.  55; 
derselben  Meinung  waren  nach  Dnllinger  1,  83  Petrus  v.  Bruys  und  Heinrich 
von  Toulouse,  und  die  Katharer  in  den  slavischen  Ländern  (a.  O.  I,  24. 5). 
Vgl.  den  Tractatus  de  heresi  Paujteruin  de  Lugduno  l>ei  Marlene ,  Thes. 
Anecdot.  V,  1780.  —  Bei  Ebrard,  Contra  Waldenses  (Gretser,  Opp.  XII, 
135)  heisst  es:  Vcstrac  orationes  execrabile»  sunt,  quuni  Moysi  legem  non 
reeipiatis. 

")  Vgl.  das  Sendschreiben  über  den  Konvent  zu  Bergamo  (abgedruckt 
in  den  Abhdlg.  d.  K.  Bair.  Akad.  d.  WLw.  1H77  8.  231)  Nro.  10  u.  13,  wo  es 
hetsst,  die  betr.  Frage  sei  zu  bestimmen  seeundum  Deum  et  ejus  legem. 

')  Das«  die  Paulicianer  einen  anderen  „Kanon"  kannten,  als  die 
römische  Kirche  (ihr  Neues  Testament  enthielt  u.  a.  auch  den  Brief  Pauli 
an  die  Lnodicäcr,  der  sich  auch  in  den  vorlut herischen  deutschen  Bibeln 
findet),  darüber  vgl.  Düllingcr,  Beiträge  I,  21. 


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18<W. 


Die  Im  »h  mischen  Brüder  un<l  ihre  Vorläufer. 


197 


h.  Geistes",  d.  h.  das  dem  Herzen  innewohnende  Gesetz,  und 
damit  tritt  schon  hier  ein  Grundsatz  zu  Tage,  der  später  in  der 
Lehre  vom  inneren  Wort  grosse  Bedeutung  gewinnen  sollte. 

Es  ist  kein  Zweifel,  das«  für  diese  zurückgedrängten  und 
schwer  verfolgten  Männer  die  Versuchung  zu  allen  Zeiten  nah  ge- 
legen hat,  sich  von  der  Welt  grollend  abzuwenden  oder  aus  der  Ent- 
sagung, die  ihnen  aufgezwungen  war,  eine  Tugend  zu  machen,  die 
ihnen  im  Himmel  sichert«»,  was  die  Erde  ihnen  vorenthielt.  In  der 
That  sind  wcltfluchtige  Neigungen  unter  ihnen  häufig  aufgetreten, 
und  es  wäre  wunderbar,  wenn  es  andere  gewesen  wäre.  Die  Frage 
ist  nur,  ob  es  nicht  solche  Neigungen  in  jeder  Kirche  giebt,  und 
ob  diese  „gesetzliche  Richtung"  ein  wesentliches  oder  ein  zu- 
fälliges Merkmal  bildet.  Was  die  erste  Frage  anbetrifft,  so  hat 
es  noch  nie  eine  grössere  Religionsgemeinschaft  gegeben,  die  nicht 
in  den  bei  ihr  üblichen  Formen  ihre  Konvente  oder  ihre  Kon- 
ventikel  gehabt  hätte;  selbst  die  Kirche  Luthers,  dessen  Lehre 
der  „Weltflucht"  am  schärfsten  gegenüber  steht,  hat  in  ihrem 
Schoss  zahllose  weit  flüchtige  Gemüter  besessen  und  wird  sie  stets 
besitzen,  zumal  in  den  Zeiten  und  den  Ländern,  wo  äusserer  Druck 
auf  ihren  Bekennern  lastet.  Es  würde  also  darauf  ankommen, 
nachzuweisen,  dass  die  „gesetzliche  Richtung"  den  älteren  Evange- 
lisehen als  wesentliches  Kennzeichen  anklebt,  und  dieser  Nachweis 
wird  nicht  gelingen.  Schon  unter  den  sog.  ßogomilen  findet  sich 
die  Lehre,  dass  die  Gnade  Gottes  nicht  nach  den  Werken, 
sondern  nach  dem  Mass  des  Glaubens  gegeben  werde1),  und  die 
Katharer  lehrten,  dass  j<*dermann  durch  und  in  seinem  Glauben 
die  Seligkeit  erwerbe.  Uber  den  Begriff  des  „Gesetzes  Christi" 
aber  finden  sich  sowohl  bei  Wiclif,  der  den  Ausdruck  oft  und 
mit  Nachdruck  gebraucht,2)  wie  namentlich  bei  Joh.  von  Goch, 
so  unzweideutige  Bestimmungen,  dass  für  den  unparteiischen  Be- 
trachter jede  Möglichkeit  verschwindet,  aus  diesem  Wortgebmueh, 
auf  den   wir  nuten   zurückkommen  werden,   den   Vorwurf  der 


')  Didlinger,  IVitrÜge  I,  50. 

?)  Wiclif,  Sermone*  Hc.  Ixmdon  ISS!»  III,:i."»0:  „Lex  Christi,  expressata 
in  Kvangclio  (cum  sit  ossentialiter  Den*  ij>so)  est  jn>r  sc  stifficiens  etc.,  vgl.  III, 
:5.">1.  --  Sehr  eingehend  handelt  W.  aber  das  (icsetz  Christi  in  seiner  Schrift 
De  civili  Dominio,  hrsg.  v.  R.  L.  Pooll  1SS.1.  Kg  heisst  darin  u.  a. :  „Ks 
steht  dem  Christen  nicht  zu.  drin  Gesotz  Christi  andere  Satzungen  hei/u- 
mengen, denn  diese  sind  nur  eine  Last  für  die  Kirche." 


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198 


Keller, 


Heft  (i  u.  7. 


„Möncherei"  zu  begründen.  „Gehen  wir",  sagt  O.  Lcchler,  „auf 
(He  ethische  Anschauung  Gochs  über,  so  fasst  er  das  Evangelium 
als  sittliches  Gesetz  auf,  und  insofern  scheint  er  ganz  auf  dem 
romisch-katholischen  Standpunkt  zurückgeblieben  zu  sein.  Das  ist 
aber  nur  Schein.  Sobald  wir  der  Sache  näher  treten,  entdecken 
wir  hier  echt  reformatorische  Gedanken.  Das  evangelische 
Gesetz  (oder  das  „Gesetz  Christi")  ist  nach  Goch  ein  Gesetz  der 
Freiheit  und  hiermit  zugleich  der  Liebe,  ein  Gesetz  des  Her- 
zens, d.  h.  der  inneren  Willensbestimmung  und  nicht  ein  Gesetz 
der  Werke,  wie  (bis  mosaische." ') 

Gleichwohl  mag,  wie  schon  bemerkt,  eingeräumt  werden,  dass 
für  diese  Christen  die  Versuchung  nah  lag,  mehr  den  Gebotswillen 
Gottes,  als  seinen  Heilswillen  zu  betonen  und  das  Evangelium  oder 
den  Glauben  und  seine  Bedeutung  für  das  Seelenheil  des  einzelnen 
nicht  immer  mit  dem  Nachdruck  hervorzuheben,  der  z.  B.  bei 
Paulus  dem  Glauben  gegeben  wird.  Indessen  ist  es  ja  bekannt 
genug,  dass  die  Zurückstellung  des  Gebotswillens  Gottes  hinter  den 
Glauben  ebenfalls  Versuchungen  aller  Art  mit  sich  bringt,  und 
der  Satz,  dass  „gute  Werke  schädlich  sind  zur  Seligkeit",  ist  auf 
diesem  Standpunkt  in  der  Theorie  zwar  nur  vereinzelt,  aber  in 
der  Praxis  um  so  häufiger  nachweisbar;  die  Gefahr  des  Manichäis- 
inus  ist  bei  dieser  Auffassung  ebenso  nahe  liegend,  wie  bei  der 
andern  der  Ebionitismus  und  die  Werkgerechtigkeit 


Es  ist  ein  vergebliches  Bemühen,  das  kennzeichnende  Merk- 
mal dieser  Christen  in  irgend  einem  Svmbol  oder  I^ehrsystem  zu 
suchen;  Glaubensbekenntnisse,  von  denen  wir  überhaupt  erst  am 
Ende  des  15.  Jahrhunderts  (und  zwar  zuerst  unter  den  böhmischen 
Brüdern)  etwas  hören,  haben,  wo  sie  aufgestellt  wurden,  eine  ge- 
wissenbindende Kraft  nicht  besessen,  sondern  nur  als  Zeugnisse 
des  Glaubens  gegenüber  denjenigen  staatlichen  und  kirchlichen 
Autoritäten  gegolten,  die  von  ihnen  Bechenschaft  über  ihre  Mein- 
ungen verlangten.  Der  Anspruch,  dass  die  Seligkeit  an  diesen 
oder  jenen  Glaubenssatz  gebunden  sei,  ist  von  ihnen  als  Gemein- 
schaft, soviel  ich  weiss,  niemals  erhoben  worden.  Ilaben  sie  aber 
keine  wesentlichen  oder  kennzeichnenden  Grundsätze,  an  die  sie 


')  Joh.  von  Wielif,  Lpz.  1873.  II,  all). 


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1894.  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer.  109 

die  Mitgliedschaft  der  Gemeinde  banden,  besessen?  Es  wäre  sehr 
verkehrt,  dies  anzunehmen. 

Es  ist  innerhalb  der  bestehenden  Kirchen  ein  anerkannter 
Satz,  dass  der  Begriff  der  Kirche  einen  der  wesentlichsten,  wenn 
nicht  den  wesentlichsten  Teil  eines  jeden  Systems  bildet,  An- 
gesichts dessen  ist  es  doch  eine  wichtige  Thatsache,  dass  der 
Hegriff  der  Gemeinde  und  die  mit  ihm  zusammenhängenden 
Grundsätze  der  Gemeinde- Verfassung  in  ein  und  derselben 
Gestalt  seit  den  ersten  Jahrhunderten  bei  ihnen  wiederkehren,  s<> 
dass  eben  dieser  Begriff  die  Eigenart  derjenigen  Christen  bildet, 
die  wir  unter  dem  Begriff  der  altevaugelischen  Gemeinden  zu- 
sammenfassen —  gleichviel  ob  sie  in  den  Streitschriften  der  Gegner 
unter  den  Namen  der  Gnostikcr,  Manichäcr,  Paulicianer,  Bogomilen, 
Katharer,  Waldenser  u.  s.  w.  auftreten.  Mit  dieser  Begriffs- 
bestimmung wird  zugleich  ein  sicherer  Massstab  dafür  gewonnen, 
wie  weit  die  „Ketzer"  des  Mittelalters,  deren  es  ja  verschiedene 
gegeben  hat,  als  Zweige  eines  Stammes  zu  betrachten  sind  und 
wie  weit  nicht 

Im  allgemeinen  lässt  sich  der  Gemeindebegriff  und  die  Ge- 
meinde-Verfassung der  altevangelisehen  Gemeinden  daran  erkennen, 
dass  in  ihnen  dieselben  Grundsätze  und  dieselben  Ordnungen  fest- 
gehalten sind,  wie  wir  sie  heute  im  Anschluss  an  die  apostolischen 
Konstitutionen  und  die  „I^ehre  der  zwölf  Apostel"  als  die  Ein- 
richtungen der  ältesten  Christen-Gemeinden  kennen. 

Einer  der  unterscheidenden  Sätze,  auf  die  sieh  ihn'  Eigen- 
art gründet,  war  die  Überzeugung,  dass  die  Worte  Christi  die 
Herrenworte  — ,  in  denen  sie  die  Norm  ihres  Glaubens  erkannten, 
nicht  blos  Zusagen  und  Verheissungen  oder  Kegeln  des  religiösen 
und  sittlichen  l^ebens,  sondern  auch  unabänderliche  Anweisungen 
in  Sachen  der  Gemeinde-Ordnung  enthielten.  Dass  das  Neue 
Testament  an  allen  den  zahlreichen  Stellen,  wo  von  den  Aposteln, 
Bischöfen,  Diakonen  u.  s.  w.  die  Hede  ist,  eine  abgethane  alte 
l'rkunde  sei,  konnten  sie  nicht  einsehen;  sie  hielten  sich  an  die 
h.  Bücher  nicht  blos  in  Sachen  der  Lehre,  sondern  auch  in  betreff 
der  von  den  ältesten  Christen  beobachteten  und  von  den  Aposteln 
nach  Christi  Weisung  angeordneten  Gemeinde-Verfassung  gebunden. 

Es  ist  in  den  Schriften  dieser  Parteien  oft  von  der  „rechten 
Gemeinde  oder  Kirche"  die  Hede;  aber  wo  dieser  Ausdruck  vor- 
kommt, deckt  er  sich   weder  mit  dem  Begriff  der  „alleinselig- 


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200  Keller,  Heft  (i  U.  7. 

machenden  Kirche"  noch  der  „rechtgläubigen  Gemeinde",  sondern 
die  rechte  Gemeinde  ist  einfach  die,  die  die  Gemeinde-Ordnung 
halt,  wie  sie  in  den  Befehlen  Christi  und  der  Apostel  gegeben 
ist,  und  die  mit  den  ältesten  Gemeinden  durch  ununter- 
brochene Gemeinschaft  oder  die  rechtmässige  Folge  der 
Bischöfe  in  thatsäch lieber  Verbindung  geblieben  ist 
Das  war  eine  rechte  und  vollkommene  Gemeinde,  die  im  Verbände 
der  altüberlieferten  Verfassung  stand  und  gegründet  war. 

Der  Natur  der  Sache  nach  kam  es  dabei  nicht  sowohl  auf 
die  Beibehaltung  gewisser  Namen,  als  auf  die  Sache  an,  und  in 
den  Zeiten  der  Verfolgung  blieb  auch  in  diesem  Punkte  die  Mög- 
lichkeit offen,  weltliche  Formen  zu  finden,  sobald  nur  das  Wesen 
der  Sache  gewahrt  wurde. 

Zunächst  stand  es  nun  auf  Grund  der  h.  Schriften  für  sie 
fest,  dass  es  nicht  in  Christi  Absicht  gelegen  habe,  im  Sinn  des 
Alten  Testamentes  eine  Priesterkirche,  noch  im  Sinn  des 
Heidentums  eine  Staat skirchc  zu  begründen,  dass  er  vielmehr 
die  universitär  fratrum  (wie  sie  sagten),  d.  h.  die  Gemeinde  zur 
Trägerin  der  Verfassung  und  zur  Inliabcrin  der  leitenden  Gewalt 
bestimmt  liabe.  Unabhängig  von  ilu*  und  als  Gegengewicht  gegen 
demokratische  Willkür  bestand  nur  das  Kollegium  der  „Gottes- 
freunde", das  sicli  durch  Zuwahl  ergänzte;  alle  anderen  Stufen  der 
geistlichen  Amter  gingen  aus  freier  Wahl  der  Gemeinde  oder  ihrer 
Vertreter  unter  Mitwirkung  der  Bischöfe  hervor. 

Wahrend,  wie  wir  sahen,  bei  diesen  Christen  in  Fragen  der 
Glaubenslehre  grosse  Weitherzigkeit  herrschte,  ist  in  Sachen  der 
Organisation  eine  feste  und  kunstvolle  Gliederung  des  Ganzen 
nachweisbar. 

Auf  der  untersten  Stufe  der  hierarchischen  Ordnung  standen 
die  Beamten  der  Einzelgemeinde.  Die  Stufenleiter  begann  mit 
dem  Amt  der  Diakonen,  die  von  den  „Christen"  gewählt  wurden. 
Aus  ihrer  Zahl  gingen  die  „Ältesten"  (Presbvteri)  oder  „Diener" 
(Ministri)  hervor,  sofern  sie  mindestens  sechs  Jahre  Diakonen  ge- 
wesen waren,  d.  h.  die  Ix'hrer  und  Prediger,  die  aber  das  Recht  zur 
Vollziehung  der  h.  Handlungen  in  der  Hegel  nicht  besassen *).  Die 


')  Pödinger  II,  „Qui  presbyter,  sie  onliiiutu?,  non  jurtest  eelebrare 
niissum  M.  h.  «las  Aliemlmulil  austeilen  i,  se<l  soluin  nutlire  eonfei-eione.«,  nec 
|KMiias  i*reatoriun  miiiltere." 


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18JU.  Dio  hfthmfechcn  Brüder  und  ihre  Vorlauf«*.  201 


Mitglieder  der  früheren  Stufen  wählen  den  Bischof  oder  Senior, 
der  gelegentlich  aucli  wohl  Major  genannt  wird  und  der  alle 
Ritual fonneln  der  gottesdienstliehen  Handlungen  kennt  und  übt. 
Die  Bisehofe  waren,  sofern  sie  nicht  dem  grndus  apostolicus 
(s.  unten)  angehörten,  ebenfalls  Beamte  der  Einzelgemeinde1)  oder 
eines  Bezirks  von  Kinzelgemeinden. 

Ausserhalb  dieser  Stufenleiter  standen  die  Beamten  der 
Gesaintgeineinde,  die  ein  in  sich  geschlossenes  Ganze  bildeten, 
die  s<»g.  Gottesfreunde. 

Keine  Hinrichtung  dieser  Christen  ist  merkwürdiger,  keine 
auch  ist  den  Gegnern  zu  allen  Zeiten  unverstandlicher  und  auf- 
fälliger gewesen  als  diese.  Die  Gottesfreunde  besassen  ihre 
besondere  Ixbcnsordtiung  und  ihn*  besondere  Tracht,  sie  hatten 
eine  feste  „Regel"  und  strenge  Vorschriften  in  Bezug  auf 
Fleischgenuss ,  Ehelosigkeit  und  Armut;  sie  waren  verpflichtet, 
vor  dem  Eintritt  in  das  Collegium  oder  die  Sodalitat  der 
Apostel  all  ihr  Gut  den  Armen  zu  geben  und  auf  die  Gefahr 
der  Tötung  hin  die  Pflichten  ihres  Amtes  zu  erfüllen.  Während 
die  „Brüder"  im  Fall  der  Not  und  des  Zwangs  im  Stillen  leben 
konnten,  mussten  die  Apostel  als  Bekenner  und  Märtyrer  alle 
Not  und  Verfolgung  über  sich  ergehen  lassen.  Was  Wunder, 
dass  den  Gegnern  die  „Gottes freunde"  als  die  eigentlichen 
Ketzer  erschienen,  und  dass  man  alle  Gewohnheiten  und  Pflich- 
ttin dieser  Wauderprediger  als  Sitten  und  Rechte  der  „Katharcr" 
und  „Waideuser"  überhaupt  zu  betrachten  sich  gewöhnte.  Eine 
unglaubliche  Verwirrung  ist  dadurch  in  den  älteren  Berichten 
entstanden  und  ohne  klare  Scheidung  und  Trennung  des  Ver- 
schiedenartigen ist  hier,  wie  ich  bereits  früher  betont  habe*),  kein 
sicheres  geschichtliches  Ergebnis  zu  erzielen. 

Es  ist  kein  Zweifel,  dass  mancherlei  äussere  Ähnlichkeit 
zwischen  dem  römischen  Mönchtum  und  dem  Apostcl-Colleg  dieser 
Christen  vorhanden  war;  ebenso  gewiss  aber  ist,  dass  ein  tiefer 


')  Epiwopus  unuw|uiH<|ue  j>or  singulas  tivitates  constituitur,  qui  viriH 
et  mulieribus  suae  seetae  prueest,  ipso*  seeiindum  arbitrium  «uuiu  di*|>onendo 
(Döllinger  II,  270).  —  Übrigens  werden  in  den  Quellen  die  I Beamten  der 
Kinzelgenieinde  öftere  mit  denen  der  (iesamtgeincinde  zusammengeworfen; 
auch  bei  den  letzteren  gab  es  Diakonen  und  Presbyter  (*.  unten). 

*)  Vgl.  Keller,  Die  Reformation  cte.  1SSÖ  (Register  unter  Apostel); 
dazu  Keller,  Jobann  v.  Staupitz  isss  8.  s:{  f. 


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202 


Keller, 


Heft  0  u.  7. 


grundsätzlicher  Unterschied  bestund,  der  in  ihren  besseren  Zeiten 
den  wandernden  Predigern  völlig  klar  gewesen  sein  dürfte. 

Wir  wissen  aus  der  „Lehre  der  zwölf  Apostel",  dass  das 
zweite  Jahrhundert  die  uralte  Einrichtung  der  wandernden 
Apostel  noch  kannte,  dass  mithin  die  Apostel  von  diesen 
Christen  als  dauernde  Einrichtung  der  Kirche  betrachtet  wurden. 

In  der  That  ist  es  klar,  und  die  ältesten  Ausleger  der 
h.  Schriften  haben  es  wohl  gewusst,  dass  ein  bestimmter  Unter- 
schied zwischen  denjenigen  Befehlen  zu  machen  ist,  welche  Christus 
an  alles  Volk  gerichtet  und  denen,  die  er  seinen  Jüngern  im  engeren 
Sinne  gegeben  hat.  Anweisungen  wie  sie  Matth.  10,  1  ff.,  Marc. 
0,  7  ff.,  Luc.  0,  1  ff.  und  10,  1  tf.  vorliegen,  können  unmöglich  für 
alle  Christen  bestimmt  sein,  und  wir  sehen  denn  auch,  dass  die 
Apostel  Christi  danach  strebten,  genau  zu  erfahren,  was  Christus 
für  sie  allein  gesagt,  und  was  er  allem  Volke  befohlen  hatte. 

Nachdem  die  römische  Kirche  die  alte  Gemeinde- Verfassung 
und  mit  ihr  zugleich  das  altchristliehe  Apostolat  aufgegeben  und 
eine  der  Verfassung  des  römischen  Staates  nachgebildete  Organi- 
sation eingeführt  hatte  —  eben  hiermit  konstituierte  sie  sich  als 
die  römische  Kirche  —  war  für  sie  die  Möglichkeit  verschwunden, 
die  apostolische  ltegcl,  wie  sie  sich  Matth.  10,  1  ff.  findet,  in  der 
Weise  der  alteren  Zeiten  auszulegen.  So  wurden  aus  den  be- 
treffenden Geboten  des  Evangeliums  die  evangelischen  Rat- 
schläge, die  angeblich  für  alle  diejenigen  gegeben  waren,  welche 
einen  höheren  Grad  der  Vollkommenheit  als  die  übrigen  sich 
erwerben  wollten.  Damit  war  die  Id(»e  des  Mönchtums  gegeben 
und  die  altchristlichen  Grundgedanken  verlassen. 

Im  Gegensatz  hierzu  hielten  die  Brüder  daran  fest,  dass  die 
bezüglichen  Anweisungen  Christi  Befehl«'  seien,  die  für  einen 
bestimmten  Grad  der  hierarchischen  Ordnung  bestimmt  waren, 
dessen  Vertreter  jene»  Pflichten  freiwillig  auf  sieh  nahmen  —  nicht 
weil  sie  darin  ein  gerecht  machendes  Werk  erkannten,  sondern 
weil  die  Pflichten  des  Amtes,  welches  Christus  eingesetzt  hatte,  es 
so  mit  sich  brachten. 


Ebenso  wie  die  Fcsthaltung  der  uralten  Einrichtung  des 
Apostolats  ein  kennzeichnendes  Merkmal  der  Christen  ist,  deren 
allgemeine  Charakteristik  wir  hier  zu  geben  versuchen,  so  ist  auch 
die  I>ehre  von  den  drei  Wegen  oder  Gesetzen  und  den  drei 


1S94. 


Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer. 


208 


Stufou  eine  eigenartige,  nur  liier  vorkommende  Eigentümlichkeit, 
die  wir  hier  freilich  nicht  im  einzelnen  erörtern,  sondern  nur 
berühren  können. 

Die  drei  Wege  «der  Gesetze  sind  das  Gesetz  der  Natur,  das 
Gesetz  Mose  und  das  Gesetz  Christi. J) 

Das  Gesetz  der  Natur  umfasst  die  Gebote,  die  in  aller  Men- 
schen Gewissen  sich  ankündigen  und  offenbaren ;  auch  die  Heiden 
kennen  dies  Gesetz  und  die  Besseren  unter  ihnen  befolgen  es. 

Das  Gesetz  Mose  ist  nicht  in  unserem  Sinn  das  „mosaische 
Gesetz",  sondern  es  ist  ein  anderer  Ausdruck  für  die  zehn 
G  e  b  o  t  e. 

Ausser  diesen  Gesetzen  hat  Christus  seiner  Gemeinde  noch 
besondere  Anweisungen  gegeben  und  alle,  die  derselben  als  Brüder 
angehören,  sollen  dasselbe  erfüllen:  Gal.  6,  1  steht  geschrieben : 
„Liebe  Brüder  .  .  .  Einer  trage  des  anderen  Last,  so  werdet  Ihr 
das  Gesetz  Christi  erfüllen,"  d.  h.  das  Gesetz  der  Bruderliebe 
in  dem  Sinn,  In  welchem  es  Christus  gelehrt  und  verkündigt  hat. 

Dieser  eigentümliche  Ausdruck  bildet  eines  der  wichtigsten 
Kennzeichen  dieser  Christen,  und  welchen  Wert  sie  ihm  beilegten, 
erhellt  aus  dem  Umstand,  dass  sie  sich,  wie  wir  sahen,  noch  im 
15.  Jahrhundert  Brüder  des  Gesetzes  Christi  nannten. 

Es  konnte  nicht  ausbleiben,  dass  ihre  Gegner  dieses  leicht 
misszuverstehende  Wort  benutzten,  um  ihnen  die  Absicht  unter- 
zulegen, dass  sie  aus  dem  Evangelium  und  der  frohen  Botschaft 
ein  neues  Gesetz  machten  —  ein  Vorwurf,  der  in  dieser  All- 
geineinheit ausgesprochen  ganz  unrichtig  ist  und  mit  ähnlichem 
Kecht  auch  Paulus  gemacht  werden  könnte. 

Wie  sich  die  Entwicklung  der  Menschheit  in  den  Stufen 
der  drei  Gesetze  vollzieht,  so  bestimmen  sie  auch  den  Entwick- 
lungsgang der  einzelnen  Menschenseele,  der  durch  drei  Stufen 
oder  Grade  gekennzeichnet  wird. 

Über  diese  Einteilung  findet  sich  die  erste  bis  jetzt  be- 
kannte ausführliehe  Nachricht  in  einem  Schreiben  des  Klerus  von 
Lüttich  an  Tapst  Julius'  II.  aus  dem  Jahre  1145.?)  Dort  heisst 
es,  dass  die  Sekte  der  Katharer  „abgeteilt  sei  in  Grade";  der 

')  Eine  Beschreibung  findet  sieh  z.  B.  in  der  Noble  Leyczon;  dazu 
vgl.  G.  Glanz,  Du*  Alter  der  Waldenxcr-Scktc  IS7S  8.  2."). 

■)  Abgedruckt  bei  Fredericq,  Corpus  documentoriun  inquisitioni* 
Neerlamlieae.  Gent  1&S!t  JS.  .'{]  f. 

MoimLih.-ft.'  ilor  CunH'niiis-Uvw-INHiaft.    1H!>1.  J4 


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204 


Keller, 


Heft  6  u.  7. 


erste  Grad  umfasse  die  „Hörer",  der  zweite  die  „Glaubenden",  der 
dritte  die  „Christen."1) 

In  Bezug  auf  die  Namen  und  die  Begriffsbestimmung  der 
drei  Grade  begegnen  uns  mannigfache  Schwankungen  und  Ab- 
wandlungen; im  allgemeinen  aber  bezeichnet  der  erste  Grad  die- 
jenigen Personen,  die  zur  Gemeinde  in  einem  rein  äusserlichen 
Verhältnis  stehen,  keinen  Anteil  an  den  heiligen  Handlungen 
besitzen  und  lediglich  die  Predigt  hören;  dies  können  sowohl 
Kinder  der  Gläubigen  wie  aussenstehende  Personen  sein.  Der 
zweite  Grad  umfasst  diejenigen,  die  nicht  bloss  am  Gebetekultus, 
sondern  auch  am  Sakraments -Kultus  der  Gemeinde  teizunehmen 
berechtigt  sind,  die  Glaubenden;  der  dritte  die  Christen  im 
engeren  Sinn. 

Ebenso  wie  die  Brüder  waren  auch  die  Beamten  der  Einzel- 
gemeinde  in  drei  Stufen  gegliedert,  die,  wie  wir  sahen,  in  der 
Kegel  als  Diakonen,  Diener  des  Worts  und  Bischöfe  be- 
zeichnet zu  werden  pflegten. 

Endlieh  gab  es  auch  unter  den  Christen,  die  die  „Kogel 
Christi"  angenommen  hatten,  drei  Staffeln,  die  unter  wechselnden 
Namen  in  den  Quellen  erseheinen.  Die  Gesamtheit  dieses  Grades 
wird  als  gradus  apostolicus  (Döllinger  II,  100.  289)  oder  gradus 
perfeetiönalis  (II,  98  f.)  bezeichnet.  Mitglieder  desselben  konnten 
nur  diejenigen  sein,  die  sich  den  strengen  Vorschriften  des  aposto- 
lischen Lebens  unterwarfen  und  damit  in  den  Grad  der  Perfecti 
eintraten.  Die  erst«'  Stufe  hiess  Perfecti  Novellani  (Döllinger  II, 
92),  die  zweite  Perfecti  Sandaliati  (Döllinger  a.  ().);  an  der  Spitze 
des  Ganzen  stand  der  Major  oder  Majoralis.    Auch  wird  dieser 


')  Hacre*is  haec  divereis  distineta  est  gradibiw;  habet  enim  auditores, 
qui  ad  errorem  iuitinntur,  habet  credentes,  qui  jam  deeepti  sunt,  habet 
chrislianos  suoa;  habet  sjwerdotcs,  habet  et  eaeteros  praelatos  sicut  et  tu». 
1 1 ujn>  haeresis  nefandae  bla*phcmiao  sunt,  quod  in  baptismo  peccata  remitti 
negat,  quod  saerameiitum  corporis  et  sanguinis  Christi  inane  reputat,  quod 
|>er  imj>ositioiicm  jxintificalis  nianus  eonferri  nil  asseverat,  quod  neminem 
Spiritum  Sanetum  aeeipere  credit  nisi  bononim  openun  praeeedentibus  incriti«, 
quod  conjugia  daninat,  quod  apud  sc  tantuni  ceclcHiam  catholieam  ejwm 
praedieat,  quo«!  onme  jununentuni  velut  crimen  judicat.  Et  tarnen,  qui  huju» 
sceleris  seetatores  sunt  sacratnentis  nostris  fiete  eommunieant  ad  nequitiae 
suae  velanientuin.  In  dieser  Schilderung  sind  wie  gewöhnlich  die  „Hegeln" 
der  (Jottesfreunde  (Ehelosigkeit  et«-.)  mit  der  I>ehre  der  „Christen"  zusammen- 
geworfen. 


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1S94. 


Die  böhmischen  Hrflder  und  ihre  Vorläufer. 


205 


Grad  zusammenfassend  als  Sandaliati  oder  Magistri  bezeichnet1) 
und  die  erste  Stufe  heisst  Magistri  minores,  die  zweite  Magistri 
majores  oder  auch  Filii  majores  und  Filii  minores,  während  der 
Majoralis  Pater  heisst 

Aus  diesem  Grade  gingen  die  Beamten  der  Gesamt- 
gemeinde hervor  und  die  Capitula  generalia,  die  von  diesen 
gehalten  zu  werden  pflegten2),  bildeten  die  höchste  Instanz  der 
Gemeinschaft  Die  Hierarchie  dieser  Grossbeamten 3)  hatte  natur- 
lich mancherlei  Ähnlichkeit  mit  der  hierarchischen  Ordnung  der 
Einzelbeamten  und  wie  der  Bischof  auch  wohl  Major  hiess,  so 
wurden  die  Magistri  minores  auch  wohl  Diaconi  und  die  Magistri 
majores  Presbvteri  genannt  In  der  That  waren  die  „Diakonen" 
die  Diener  und  Begleiter  der  Majores4),  besonders  auf  ihren 
Wanderfahrten  und  Reisen,  die  den  vornehmsten  Teil  ihrer 
Thätigkeit  bildeten. 

Das  Wahlsystem  der  Grossbeamten  war,  wie  es  scheint,  das- 
selbe, wie  bei  den  Einzelbeamten;  insbesondere  steht  es  fest,  dass 
der  Majoralis  aus  der  Zahl  der  Presbyter  dieses  Grades  gewählt 
wurde,  dass  er  aber  der  Handauflegung  eines  in  gleichem  Range 
stehenden  Beamten  bedurfte.    „Nach  der  Wahl"  —  so  erzählen 


')  Döllinger  II,  1*2:  Sandaliati  sunt  illi,  qui  sacerdotes,  magistri  et 
reciorcs  dicuntur  totius  hacrcticac  prari  tätig  .  .  .  Item  sandabati  nun  tenent 
tKcuniam  et  sotularc*  decollntos  seil  perforato*  super  pedes  in  dictis  sandaliis. 
Et  quodquod  |>er  qwos  aandaliatos  ordinatur  ...  ab  omnibu»  inferioribus 
irrefragibilitcr  observatur  et  eisdem  tainquani  capitibus  obediunt. 

?)  Döllinger  II,  !)5:  Quarto  sciendum  est,  quod  praedicti  haeretici 
perfecti  scinel  in  anno  in  quadragesiina  vel  circa  celebrant  eoncilium  vel 
eapitulum  generale  in  aliquo  loco  Ixanbardiac  vcl  Provinciae  ...  In  quo 
i  tinm  capitulo  credentes  non  admittuntur,  nec  perfecti  bacretici  juvenes  nec 
mulicre*  quanivis  »int  perfectae  et  antiquac  .... 

:')  Döllinger  II,  104:  Majoralis  ubiqtic  potent  praedicarc  et  alia 
«aeramentn  minist  rare  soeiis  suis.  Der  Name  „socii"  und  „societas"  scheint 
hier  der  gebräuchlichste  gewesen  zu  sein. 

')  Döllinger  II,  28!) :  „Diaeonus  efficitur  de  corum  statu  (d.  h.  des 
unmittelbar  vorher  genannten  Ördo  et  gradus  apostolorum)  cum  voto  quod 
fneit  paupertat  is,  castitatis  et  obedientiac,  nec  ante  reeeptionem  dicti  ordinis 
aliquis  est  perfeetu*  in  corum  statu,  sed  alii ,  qui  non  ordinantur,  vocantur 
credentes  et  amici  corum,  a  quibus  ctiam  reeipiunt  (seil,  perfecti)  siiaten- 
tationem;  ad  diaconuui  autem  perl  inet,  ministrarc  tarn  Majori  quam 
Presbytern  neecssaria  corporis,  non  tarnen  habet  potestatem  audiendi  con- 
fessiones." 

14« 


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206 


Keller, 


Heft  6  u.  7. 


unsere  Quollen1)  „knieten  die  Wähler  nieder  und  beteten  das 
Vater  Unser  und  während  des  Gebets  hielten  sie  die  Hände  ver- 
schlungen, so  dass  jedesmal  die  Daunienseite  der  Hand  unter  dem 
Kinn  lag." 

Wenn  auch  in  Bezug  auf  Namen  und  Zuständigkeit  der 
Glieder  dieser  hierarchischen  Ordnung  bei  der  Natur  unserer 
Quellen,  denen  meist  die  klare  Einsicht  in  die  Zusammenhänge 
fehlt  und  bei  dem  Dunkel,  mit  dem  die  Bruder  selbst  sich  um- 
gaben, noch  Manches  unklar  ist,  so  steht  doch  fest,  dass  die 
Verfassung  sich  in  neun  Stufen  aufbaute  und  dass  die  oben 
geschilderte  Teilung  zwischen  den  Beamten  der  Einzelgemeinde 
und  der  Gesamtgemeinschaft  der  einzelnen  Länder  und  Stämme 
vorhanden  war.  Sie  sind,  wie  es  in  einem  alten  waldensisehen 
Gedieht  heisst,  die  „Träger  des  Lichts"  und  die  „Säulen  der  Kirche", 
auf  denen  der  Tempel  der  Weisheit  ruht.  Auch  kehrt  die  Idee 
der  neun  Stufen  gerade  in  den  bekanntesten  Selirifton  der  Partei 
an  manchen  Stellen  wieder3). 

Von  dem  unbekannten  Verfasser  der  sog.  „deutsehen  Theo- 
logie", deren  Zusammenhang  mit  den  älteren  religiösen  Volksbe- 
wegungen des  Mittelalters  anerkannt  ist  und  schon  dadurch  be- 
wiesen wird,  dass  sie  in  Übereinstimmung  mit  den  „Ketzern"  die 
Lehre  von  der  Ewigkeit  der  Höllenstrafen  bezweifelt,  werden  (im 
XIV.  Kapitel)  die  drei  Stufen  folgendenuassen  beschrieben:  „Nun 
soll  man  wissen,  dass  Niemand  kann  erleuchtet  werden,  er  sei 
denn  zuvor  gereinigt  oder  geläutert  und  geledigt.  Auch  kann 
Niemand  mit  Gott  vereinigt  werden,  er  sei  denn  zuvor  erleuchtet. 
Und  darum  giebt  es  drei  Wege:  zum  ersten  die  Reinigung, 
zum  andern  die  Erleuchtung,  zum  dritten  die  Vereinigung. 
Die  Reinigung  gehört  dem  anfangenden  oder  bussenden  Men- 

')  Döllinger  II,  11t  f.:  „Quo  facto  omne*  genua  fleetunt  dieentes 
Pater  noster;  et  dum  dicunt  l'atcr  nostcr  terient  manu*  juneta*  po*iti* 
pollicibu*  *ub  nieiito.  (Urkunde  auc  Südfrankreich,  Anfang  de«  14.  Jahrb.). 
—  Diese  Vcrwblingnng  der  Hände  war  auch  bei  feierlichen  Aufnahme- 
Handlurigeii  üblich  (Döllinger  II,  5),  wobei  der  Leiter  des  Aufnahme-Akte* 
da*  Evangelium  Jobanni*  1,1  verlas  von  „In  prineipio"  bi*  „caro  factum 
e*t  et  babitavit  in  nobi»." 

v.  Zezschwitz,  Die  Katechismen  der  Waldcnser  etc.  ISO.'i,  S.  205  f. 

')  z.  Ii.  in  dem  Inichlein  „Von  den  neun  Felsen"'  (*.  Keller,  Die 
Reformation  S.  VXi)\  auch  in  einein  Strasuburger  Edikt  von  1.117  gegen  die 
„Bethanien"  kehren  sie  wieder  {Reformation  K  201). 


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189-1. 


Die  böhmischen  Brüder  und  ihre  Vorläufer. 


207 


scheii  zu  und  geschieht  auch  auf  dreifache  Weise   Die 

Erleuchtung  gehört  dem  zunehmenden  Menschen  zu  und  ge- 
schieht auch  in  dreifacher  Weise  .  .  .  Die  Vereinigung  betrifft 
die  vollkommenen  Menschen  und  geschieht  auch  in  dreierlei 
Weise  « 

Dreimal  drei  Stufen  waren  es  also,  die  die  Grundlage 
in  der  äusseren  Verfassung  und  Ordnung  der  Bruderschaft  bildeten 
und  die  für  die  einzelne  Menschenseele  die  Leiter  der  Vollkommen- 
heit darstellten.  Unzweifelhaft  spiegelt  sieh  hierin  der  Glaube 
an  die  besondere  Bedeutung  der  Dreizahl,  wie  ihn  schon  die  älte- 
sten Christen  kannten. 

Diese  Dreiteilung  ist  für  die  Organisation  wie  für  die 
Glaubenslehre  der  altchristlichen  und  altevangelischen  Gemeinden 
aller  Jahrhunderte  von  grundlegender  Bedeutung  geworden.  Wir 
besitzen  einen  sog.  Waldenser-  Katechismus  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert in  böhmischer  Sprache,  der  den  Titel  führt:  „Schrift  der 
dreierlei  Fragen,  die  ersten  für  die  Anfangenden,  die  zweiten 
für  die  Fortschreitenden,  die  dritten  für  die  Vollkommeneren 
u.  s.  w."  Es  sind  dies  drei  Katechismen,  deren  erster  unter  dem 
Namen  der  „Kinderfragen"  ins  Deutsche  übersetzt  und  in  mehreren 
Auflagen  als  „Katechismus  der  böhmischen  Brüder"  bekannt  ge- 
worden ist1). 

Es  trifft  sieh  glücklich,  dass  es  gerade  Oomenius  gewesen 
ist,  der  uns  in  einer  der  von  ihm  herausgebenen  Schriften  folgende 
Darstellung  der  drei  Stufen  erhalten  hat:  „Das  Volk  oder  ihre 
Zuhörer  haben  unsere  Vorfahren  dreifach  .  .  .  zu  teilen  gepflegt: 
nämlich  in  die  Anfangenden  (Incipientes),  die  Fortschreiten- 
den (Proficientes)  und  die  Vollkommenen  (Pcrfecti)  oder  die 
auf  dem  Weg  dahin  Begriffenen  (s.  Hebr.  5,  Iii;  1.  Cor.  2,  b  und 
Isid.  Lib.  2  Eccl.  c.  21  -')." 


')  Vgl.  Jos.  Müller,  Die  deutschen  Katechismen  der  böhmischen 
Brüder  (Mon.  Germ,  Paedagogica  IV)  1*S7  8.  77. 

■)  Die  Stelle  findet  sich  in  der  zuerst  in  Lissa  (1032)  zum  Druck  be- 
förderten Schrift:  Ratio  diseiplinac  ordinfcquc  ccelesiiwtici  in  I'nitatc  Fralrttm 
Bohcmorom,  die  nicht  von  Coincnius  verfaßt,  sondern  von  der  Brüder-Synode 
zu  Zerawic  entworfen  worden  ist;  sie  lautet:  „Populum  seu  auditores  isuos 
majores  nostri  ....  trifariam  juxta  gradus  lal>orum,  circa  illos  iustituendos, 
partiri  soliti  sunt:  nempe  in  Incipientes,  Profieicutes  et  Perfecto», 
»ive  ad  perfectionem  tendeutes  (vid.  Ilebr.      13  f.;  1.  Cor.  2,  G  et  Isid.  IIb. 


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208  Kelle  r,  Heft  6  11.  7. 

Der  Gedanke,  der  dieser  Einteilung  zu  Grande  liegt,  ist  der, 
das«  der  Mensch  der  Entwicklung  zum  Guten  fähig  und  be- 
dürftig ist  und  dass  eine  Hauptaufgabe  der  christlichen  Gemein- 
schaft in  der  Beförderung  dieser  Entwickelung  gelegen  ist.  In 
jedem  Mcnscheiiher/en  schlummert  nach  dieser  Anschauung  ein 
Funke  des  ewigen  Lichts,  der,  wie  verschüttet  er  auch  durch 
Sünde  und  Schuld  sein  mag,  zur  reinen  Flamme  oder  zur  inneren 
Erleuchtung  (wie  sie  sagten)  emporgehoben  und  entzündet  werden 
soll  und  kann. 

Der  Weg,  der  nach  ihrer  Auffassung  zu  dieser  Erleuchtung 
führt,  ist  oft  und  vielfach  von  ihnen  beschrieben  worden :  es  ist 
der  Weg,  den  Christus  gegangen  ist,  der  Weg  der  Demut,  der 
Nächstenliebe  und  der  Gelassenheit,  &  h.  der  leidenswilligen  Er- 
gebung, die  jede  persönliche  Rache  ausschliesst  und  verbietet 

Aus  diesen  Auffassungen  erklärt  sich  auch  die  besondere 
Betonung,  die  sie  der  Entwicklung  und  Erziehung  der  einzelnen 
wie  der  Menschheit  beilegten,  und  die  Thatsache,  dass  die  Brüder 
seit  alten  Zeiten  sich  der  Erziehung  und  der  Erziehungslehre 
eifriger  angenommen  haben  als  irgend  eine  andere  Religionsge- 
meinschaft 

Tief  durchdrungen  von  dem  Wert  jeder  Menschenseele  wie 
sie  es  waren,  waren  sie  erfüllt  von  dem  Streben,  den  Weg  des 
Lichtes  allen  Menschen  zu  zeigen,  gleichviel  ub  die  Irrenden  wie 
die  Heiden  nur  das  „Gesetz  der  Natur"  oder  wie  die  Juden  nur 
das  „Gesetz  Mose"  kannten. 

Die  Ziele,  welche  sie  zunächst  im  *Kreise  der  „Brüder"  der 
Verwirklichung  zuführen  wollten,  galten  ihnen  im  weiteren  Sinn 


2  Eccles.  cap.  21).  Incipientes  sive  Initialen  sunt,  qui  Catechesin  et  prima 
Rcligioni»  clemcnta  discunt;  ut  sunt  pueri,  Paatorum  jam  onrae  a  ParcntihtiM 
traditi.  Nee  non  adulti  ab  Idololatris  accedentes  vel  alias  neglocti,  qui,  si 
Miniritroruw  interFratres  curat-  ae  permittunt,  inetitui  prius  probarique  solent. 
(Hohr.  5,  v.  11,  12,  13,  M.)  Proficicntcg  sunt,  qui  rcligiuniH  eleinenta 
jam  edocti,  in  pastoralem  curam  nuseepti  ad  umnium  in  Kccle»ia  niysteriorura 
participatiüncm  adniis»i,  mag«  rnagfeque  in  agnitione  voluntatis  Dei,  ejusque 
practica  oboervatione  *e  exercent;  atque  in  ecclesiae  ordine  so  continentox 
ganetificationom  suam  custodiunt  (2.  Cor.  7,  1;  Hebr.  <»,  1).  Perfcc  tos 
appellarunt  rorum  divinarum  cognitionc  notabiliter  auetoe  inque  Fide,  Chari- 
tate  et  Spc  adeo  rolxiratot?,  at  alios  jam  quoque  illuminare,  illUquc  in  online 
continendis  praefici  potent  (Rom.  15,  14;  1.  Cor.  2,  6;  Phil.  3,  1">).  Hier 
nacb  Müller  a.  O.  S.  77. 


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1894. 


Die  böhmischen  Hrmler  und  ihre  Vorläufer. 


200 


auch  für  die  ganze  Menschheit.  Die  Erkenntnis  der  christlichen 
Wahrheit,  wie  sie  sie  fassten,  sollte  ihrem  Wunsche  nach  allen 
zugänglich  werden,  und  es  ist  sehr  merkwürdig,  dass  bei  diesen 
„Ketzern"  durch  alle  Jahrhunderte  hindurch  ein  ökumenischer,  die 
ganze  Menschheit  umfassender  Zug  nachweisbar  ist,  der  sie  in 
ihrer  grossen  Mehrheit  über  jeden  Sektengeist  erhob.  Seit  alten 
Zeiten  war  es  ihre  Freude  gewesen  —  wir  sehen  diesen  Zug  an 
allen  ernsten  Geistern  dieser  Richtung,  auch  an  Comenius  —  im 
Streite  der  Parteien  mehr  das  Verbindende  als  das  Trennende 
zu  betonen;  bei  allem  Nachdruck,  mit  dem  sie  ihre  Eigenart  ver- 
treten und  festhalten,  war  ihnen  doch  eine  Weitherzigkeit  eigen, 
die  stets  auf  das  Wesentliche  der  Religion,  nicht  auf  Nebenpunkte 
gerichtet  war;  wenn  irgend  eine  Religionsgemeinschaft  so  sind 
gerade  sie  der  Losung  der  schwierigen  Aufgabe  näher  gekommen: 
religiöse  Wärme  mit  freisinniger  Duldung  zu  verbinden. 


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Friedrich  Albert  Lange  als  Philosoph  und  Pädagog. 

Von 

O.  A.  Elli88en. 


I. 

In  den  zwanziger  und  dreissiger  Jaliren  unseres  Jahrhunderts 
stand  die  Idealphilosophie  in  der  Gestalt  des  Hellsehen  Systems 
auf  der  Hohe  ihres  Ansehens  und  hatte  in  Prcussen  die  Geltung 
einer  Staatsphilosophie.  Plülosopheme,  in  welchen  nicht  das  Sein 
durch  das  Nichtsein  gesetzt  und  das  Positive  aus  der  Negation 
gewonnen  wurde,  hiessen  in  offiziellen  »lassen  „seicht  und  ober- 
flächlich",')  und  ein  ähnliches,  wenn  auch  nicht  so  unbestrittenes 
Ansehen  wie  Hegel  auf  dem  politisch-historischen  Gebiete,  genoss 
Schelling  beim  Publikum  eine  Zeitlang  auf  dem  naturwissenschaft- 
lichen. Aber  der  masslosen  Uberschätzung  folgte  rasch  eine  ebenso 
masslose  Untersehätzung.  Von  sehr  verschiedenen  Seiten  erfolgten 
die  heftigsten  Angriffe.  Kein  Ausdruck  war  Schopenhauer  stark 
genug,  wenn  es  galt  die  Universitätsphilosophie  und  ihre  drei 
Koryphäen  Fichte,  Schelling,  Hegel  zu  verunglimpfen;  aber  der 
letztere  mit  seiner  „Bierwirtsphysiognomie"  war  der  bestgehasste, 
während  Schelling  wenigstens  eine  gewisse  Begabung  nicht  abge- 
sprochen wurde.  Dieser  umgekehrt  war  die  rechte  bete  noire  für 
die  jüngeren  Vertreter  der  Naturwissenschaft,  die  ihrerseits  von 
dem  freundlichen  Frankfurter  Philosophen  als  Apothekergehülfen 
und  Barbiergesellen  charakterisiert  wurden.  Schopenhauer  blieb 
bekanntlich  Jahrzehnte  hindurch  unbeachtet,  während  die  Chemiker 
und  Physiologen  populär  wurden  und  unter  lautem  Beifall  des 
Publikums  die  „Kelle  der  Metaphysik"  ergriffen,  indes»  die  paten- 


')  Langr,  (Jf-M-h.  dos  Materialismus  II,  j>.  7.'t. 


1S94. 


Friedrich  Alliert  Lango  als  Pliil(*oph  und  Padagog. 


211 


tierte  Baumeisterin  schlief  oder  zu  schlafen  schien. ')  Hasch  folgten 
sich  in  den  fünfziger  Jahren  die  Werke  von  Moleschott  (Kreislauf 
des  Lebens),  Vogt  (Bilder  aus  dem  Thierleben),  Büchner  (Kraft 
und  Stoff);  und  welche  zünftigen  Philosophen  hätten  sich  ähnlicher 
litterarischer  Erfolge  rühmen  können?  Wer  nicht  mit  den  Mate- 
rialisten ging,  war  ein  wegen  seines  „Köhlerglaubens"  bemitleidens- 
werter Obscnrant.  Jede  epochemachende  naturwissenschaftliche 
Entdeckung  wie  die  Darwinsche  Entwicklungslehre  und  die  mecha- 
nische Wännethcorie  (die  ja  erst  lange  nach  ihrer  Entdeckung  zur 
Anerkennung  gelangte),  konnte  Büchner  mit  gutem  Recht  als  Be- 
stätigung seines  Programms  in  Anspruch  nehmen.  Muss  also  dies 
Programm  nicht  ganz  voitref flieh  sein? 

„Ja  und  nein"  werden  wir  antworten,  wenn  wir  in  drei  Worte 
fassen  wollen,  was  Friedrich  Albert  Lange  in  den  zwei  Bänden 
seiner  trefflichen  „Geschichte  des  Materialismus  und  Kritik  seiner 
Bedeutuni;  für  die  Gegenwart"  ausführt.  Der  Materialismus  ist 
ebie  durchaus  berechtigte  und  höchst  brauchbare  naturwissen- 
schaftliehe Maxime  eine  Maxime,  die  denn  auch  Lange 
selbst  in  Psychologie,  Pädagogik  und  sonst  so  weit  immer  möglieh 
befolgt;  aber  er  erhebe  nicht  den  Anspruch,  das  letzte  Wort  der 
Philosophie  zu  sein!  In  der  That  macht  I^ange  dem  Materialismus 
so  grosse  Zugeständnisse,  dass  ein  Kritiker  der  Saturday  Review 
ihn  seiner  Zeit  als  „ardent  defender  of  matcrialism"  bezeichnete. 

Schon  vor  dem  Erscheinen  seines  Hauptwerkes,  am  27. 
September  1858  schrieb  unser  Philosoph  an  seinen  Freund  Kambli: 
„Meine  Logik  ist  die  Wahrscheinlichkeitsrechnung,  meine  Ethik 
die  Moralstatistik,  meine  Psychologie  ruht  durchaus  auf  der 
Physiologie;  ich  suche  mit  einem  Worte  mich  nur  in  exakten 
Wissenschaften  zu  bewegen.  Eine  Kritik  der  Psychologie,  in 
welcher  der  grösste  Teil  dieser  Wissensehaft  als  Geschwätz  und 
Selbstbetrug  nachgewiesen  würde,  und  die  sich  der  Tendenz  nach 
als  zweiter  grosser  Schritt  an  Kants  Kritik  der  reinen  Vernunft 
anschliessen  sollte,  wäre  das  Buch,  das  ich  am  liebsten  schreiben 
möchte." 

Aber  so  sehr  Lange  die  materialistische  Methode  billigt 
und  befolgt,  so  entschieden  missbilligt  er  denn  doch  die  materia- 
listische Philosophie.    Nach  ihm  widerlegen  Kant  und  die  Physio- 


')  (Wh.  d<s  Ma».  II,  ]».  HS. 


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212 


Kllitigpii, 


Heft  (i  u.  7. 


logie  der  Sinnesorgane  dieselbe  endgültig.  —  Und  die  Systeme 
der  Idealphilosophie?  Sie  zerstören  einander,  die  Zeit  geht  fiber 
sie  hinweg,  sie  haben  gar  keine  objektive  Geltung.  Per  Mensch 
begreift  und  versteht  immer  nur  Bruchstücke,  nur  ein/eines;  ver- 
sucht er  die  Welt  als  Ganzes  zu  verstehen,  so  schafft  er  —  Dich- 
tungen. Religion,  Kunst,  spekulative  Philosophie  gelwren  in  eine 
Gruppe  und  stehen  alle  drei  mit  ihrem  Streben  nach  dem  Abso- 
luten der  schlechthin  nur  relativistischen  Wissensehaft  gegenüber. 
Nur  diese  hat  einen  objektiven,  jene  haben  einen  subjektiven 
Charakter. 

Und  so  wäre1  auch  hier  der  Schluss,  dass  der  Mensch  auf 
sich  zurückgewiesen  wird.  Gegen  diese  Auffassimg  der  Philosophie 
erhob  sich  öffentlich  und  brieflich  mancher  Widerspruch,  und  ein 
Brief  von  Professor  Hülsmann1)  veranlasste  Lange  zu  einem  aus- 
führlichen Schreiben,  in  welchem  er  noch  einmal  den  Kern  seiner 
Ansicht  so  kurz  und  klar  darlegt,  dass  wir  nichts  besseres  thun 
können,  als  diesen  Brief  hier  einzuschalten,  der  ganz  gewiss  die 
Veröffentlichung  verdient,  welche  Lange  auch,  irren  wir  nicht, 
dabei  von  vornherein  im  Auge  gehabt  hat  In  diesem  Briefe  also 
schreibt  unser  Philosoph: 

„Was  heisst  es,  wenn  ich  die  >  Religion  <  zur  Dichtung 
mache?  Zunächst  brauche  ich  nicht  zu  erinnern,  dass  in 
dieser  Beziehung  eine  sehr  radikale  Kritik  und  eine  sehr 
tiefgehende  Anerkennung  Hand  in  Hand  gehen,  ja  Eins  sind; 
denn  aus  meinem  ganzen  Werk  muss  zum  mindesten  so  viel 
klar  werden,  dass  ich  die  Dichtung  nicht  auf  einen  niedrigeren 
Rang  setze,  sondern  umgekehrt,  auf  einen  höhern,  als  man 
gemeiniglich  pflegt.  Ich  brauche  Ihnen  gegenüber  nicht  an 
die  kulturgeschichtliche  Bedeutung  Homers,  der  Nibelungen, 
des  griechischen  Dramas,  des  deutschen  Liedes  zu  erinnern. 

„Klar  ist  ferner  ohne  weitere  Erläutcnmg,  dass  diese 
Definition  mich  in  gleichem  Grade  den  Mystikern  näher  rückt, 
in  welchem  sie  mich  von  den  Orthodoxen  und  Dogmatikern 
entfernt 

„Ebenfalls  leicht  einzusehen  ist,  dass  ich  von  meinem 
Stundpunkt  aus  in  direktem  Gegensatz  zu  den  Rationalisten 


')  Abgedruckt  in  den  Philosophischen  Monatsheften  von  Bcrgrninnn, 
II.  IW.  I.  u.  >.  Heft  S.  S3. 


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IHO-I .         Friedrich  Albert  Iaw^c  aU  PhiloM>ph  und  l'ädngng.  21'» 

(deren  Bestrebungen  teh  gleichwohl  in  anderer  Hinsieht  hoch- 
schätze) das  Wesentlichste  und  Wertvollste  am  Christentum 
nicht  sowohl  in  den  abstrakten  lehren  als  vielmehr  in  der 
Verkörperung  dieser  Lehren  und  —  um  mich  so  auszudrücken 
in  der  Tragödie  desselben  finde,  dass  ich  auch  durchaus 
nicht  glaube,  Alles  dies  liegt  im  Begriff  wahrer  Dichtung 
—  dass  eine  zersetzende  Kritik  der  angeinassten  historischen 
Geltung  die  Wirkungslosigkeit  oder  gar  völlige  Nichtigkeit 
der  religiösen  Uberlieferungen  nach  sich  ziehen  müsse. 

„Endlich  glaube  ich  das  von  jedem  Leser  meiner  Ge- 
schichte des  Materialimus *  erwarten  zu  dürfen,  dass  er  das 
Wort  Dichtung  ,  wo  es  in  Beziehung  auf  Religion  (und  auf 
Metaphysik)  erscheint,  nicht  schlechthin  in  gewöhnlichem,  son- 
dern in  einem  etwas  weitern  Sinne  verstehe,  sodass  darin  mit 
einer  a  potiori  hergenommenen  Bezeichnung  eine  Geistesfunktion 
allgemeiner  Art  verstunden  wird,  welche  die  wesensverwandten 
»Schöpfungen  (mit  einer  nach  der  andern  Seite  neigenden,  aber 
im  Grunde  dasselbe  meinenden  Bezeichnung  könnte  man  sagen 
Offenbarungen)  von  Kunst,  Religion  und  Philosophie  zusammen- 
fasst  Ich  hätte  die  Hegeische  Zusammenfassung  im  Begriff 
des  ,Absolutcn'  beibehalten  können,  wenn  ich  nicht  dann 
sicher  eigentliche  Missverständnisse  in  Folge  der  an  dies  Wort 
sich  anheftenden  Ideenassoziationen  hätte  erwarten  müssen. 
Die  Hernähme  des  Wortes  für  den  erforderlichen  Übergriff 
von  der  Dichtung  erfolgte  aber  auch  grade  deshalb,  weil 
sich  in  diesem  Wort  in  der  klarsten  unzweideutigsten  Weise 
die  Unabhängigkeit  des  ideellen  Gehaltes  der  Religion  von 
der  historischen  Wahrheit  ihrer  Überlieferungen  ausspricht. 
Das  aber  schien  mir  grade  der  Punkt,  auf  welchen  es  in 
unserer  Zeit  überhaupt  und  zumal  bei  einer  Beurteilung  des 
Materialismus  ankommt.  Dieser  hat  seine  Stärke  in  der  Ne- 
gation dessen,  was  wirklich  nicht  zu  behaupten  ist,  verbunden 
mit  dem  Ignorieren  jenes  idealen  Kems  der  Religion,  dem 
keine  Kritik  und  keine  Skepsis  etwas  anhaben  kann,  und  der 
durch  eigene  innere  Lebenskraft  unter  wechselnder  Form  des 
Mythus  und  des  Dogma  weiterlebt. 

„Das  Schwierige  meines  Standpunkte»,  die  Unzugäng- 
lichkeit für  jeden,  der  sich  nicht  in  ähnlicher  Weise  gewöhnt 
hat,  unbefangen  und  mit  rücksichtsloser,  weil  sorgloser,  nichts 


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214 


Eiligen, 


Heft  6  u.  7. 


fürchtender  Kritik  alles  vermeintliche  Wissen  auf  die  Wag- 
schale zu  legen  und  dabei  doch  gleichzeitig  sich  ebenso  harm- 
los der  unmittelbaren  Wirkimg  jeder  Art  von  Dichtung  und 
Offenbarung,  die  aus  den  unergründlichen  Tiefen  des  Geistes- 
lebens quellen,  hinzugeben,  liegt  auf  einem  andern  Punkt,  und 
grade  hier  habe  ich  mich  auch  in  meinem  Werke  vielfach, 
bald  mit  Bildern,  bald  mit  möglichst  scharfem  Ausdruck  ab- 
gemüht, mich  verständlich  zu  machen,  ohne  das  beruhigende 
Gefühl,  es  müsse  nun  gelungen  sein. 

„Es  betrifft  die  alte  Frage:  Was  ist  Wahrheit?  Nach 
meiner  Ansicht  ist  nicht  nur  die  .absolute*  Wahrheit  materiell 
unbekannt  und  hinsichtlich  ihrer  materiellen  Erkennbarkeit 
mindestens  in  unendlicher  Ferne  liegend,  sondern  es  ist  auch 
in  formeller  Hinsicht  zu  fragen,  ob  jene  bruchstückweise,  aber 
objektive  und  mit  logischer  und  mathematischer  Sicherheit 
fortschreitende  Naturerkenntnis  (im  weitesten  Sinne  des 
Wortes)  wirklich  allein  Anspruch  auf  den  Namen  der  ,Wahr- 
heit'  hat 

„Ich  leugne  die  Möglichkeit  einer  ebenso  sichern  oder 
noch  gewissem,  ebenso  objektiven  oder  noch  objektivern  Er- 
kenntnis auf  den  Gebieten  der  Metaphysik  und  Kcligion;  ieh 
sehe  die  vermeintliche  Erzielung  einer  solchen  durch  Ver- 
standes- oder  Vernunftgebrauch  als  Selbstiiuschung  an;  aber 
ich  spreche  damit  den  geistigen  Gebilden  auf  diesem  Gebiete 
noch  nicht  jeden  Anspruch  auf  ,  Wahrheit*  ab.  Nicht  in 
ihrer  vermeintlichen  Objektivität,  sondern  in  ihrer  Subjek- 
tivität, in  ihrem  lautern  Hervorquellen  aus  dem  Innersten  des 
Individuums  als  Quintessenz  und  Gesjuntrcsultat,  sowie  höchste 
Selbstverwirklichung  seines  geistigen  Seins,  liegt  ihr  Wert 
und  ihre  Wahrheit,  wie  die  Wahrheit  der  Naturerkenntnis 
—  die  im  strengen  Sinne  allein  Erkenntnis  ist  —  grade 
umgekehrt  in  der  Sclbstentäussemng  des  erkennenden  Indi- 
viduums ruht.  Ich  will  damit  bedeutend  mehr  sagen,  als 
etwa  eine  blosse  Verallgemeinerung  des  ästhetischen  Hegriffs 
der  »poetischen  Wahrheit*.  Ich  weiss  ja,  dass  die  ganze 
Naturerkenntnis  mit  all  ihrer  .Objektivität',  mit  all  ihrer 
(stets  relativistisch  zu  fassenden)  Nichtigkeit  und  Sicherheit 
doch  im  letzten  Grunde  auch  nur  ein  Produkt  der  geistigen 
Organisation   des  Individuums   ist,   also  derselben 


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1894.        Friedrich  Altwrt  Lange  als  Philosoph  und  Paltlagog.  215 

Quelle  entstammt,  wie  jener  Krystallisationsprozcss  im 
Gemüt,  der  uns  auf  dem  Wege  der  Kunstschöpfung,  der 
religiösen  Ideenerzeugung  (Offenbiunmg)  ein  Ganzes  Vollen- 
detes hinstellt 

„Die  unbekannte  wirkliche  volle  Wahrheit  —  ich  kann 
sagen  ,die  ewige  Wahrheit*  —  denken  wir  uns  als  1)  gewiss 
und  2)  vollendet.  Unser  Geist. zerlegt  seiner  ursprungliehen 
Organisation  gemäss  diese  beideu  Elemente  und  giebt  uns 
auf  dem  Wege  der  Erkenntnis  zwar  aHerdings  Gewiss- 
heit, aber  nur  hinsichtlieh  der  Art,  wie  ein  Bruchstück  aus 
dem  andern  folgt,  und  wie  diese  Bruchstücke  durch  die  Art 
ihres  Zusammenhangs,  durch  das  Prinzip  ihres  Ineinander- 
greifens  auf  ein  unendliches  und  dennoch  einheitliches  Ganze 
hindeuten.  Die  unmittelbare  Produktion  des  Geistes 
giebt  uns  statt  dessen  die  Vollendung,  aber  freilieh  nur 
auf  Kosten  der  Gewissheit  und  selbst  der  Richtigkeit  (er- 
keimtnismässigen  Objektivität)  liinsiehtlieh  des  Stoffes,  in 
welchem  diese  Vollendung  sich  ausdrückt  Sie  hat  daher 
stets  nur  den  Wert  eines  Bildes,  aber  dieser  Wert  kann 
bei  richtiger  Auffassimg  seiner  Bedeutung  für  unser  ganzes 
Geistesleben  nicht  leicht  hoch  genug  veranschlagt  werden. 

„Wir  dürfen  glauben,  können  sogar  nicht  umgehen,  zu 
glauben,  dass  wir  in  diesen  Bildern  ein  fortschreitendes  mit 
jeder  auf  höherer  Stufe  erneuten  Produktion  wahreres  Er- 
fassen der  Form  des  Ewigen  und  Unendlichen  haben,  wahrend 
uns  gleichzeitig  die  fortschreitende  Wissenschaft  die  Materie 
desselben  in  immer  grösserer  Ausdehnung  erfassen  lasst, 
wobei  immerhin  vorbehalten  bleibt,  dass  diese  ganze  Unter- 
scheidung nach  Form  und  Materie  nur  eine  Folge  unserer 
endlichen  Organisation  ist."1) 

Hatte  also  Professor  Hülsmann,  wie  sich  ergiebt,  Einwendun- 
gen in  Bezug  auf  die  Keligion  erhoben,  so  Stadler,  der  bekannte 
damals  noch  ganz  junge  Züricher  Philosoph  in  Bezug  auf  die  Ethik. 
Er  schrieb  im  Jahre  1875  an  Innige,  er  könne  sich  vorläufig 
davon  nicht  überzeugen,  dass  Moral  als  „beweisende  Wissenschaft" 
nicht  notwendig  und  nicht  möglich  sei.  Er  möchte  gern  an  Stelle 
der  Begriffsdichtung  eine  Begriffsverfassung  festhalten,  eine  ethische 


')  Iiier  bricht  che  im  Xuchlaw  bcfimlliche  Alwchrift  den  Hriefes  ab. 


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216 


Kllisscn, 


Heft  6  u.  7. 


Konstitution ,  von  welcher  er  beweinen  könne,  dass  sie  für  die 
menschlich«-  Natur  unerlasslich,  und  dass  nur  eine  bestimmte  Form 
derselben  die  richtige  sei. 

Nun  hüben  wir  oben  gesehen,  wie  I^ange  schrieb:  „meine 
Ethik  ist  die  Moralstatistik."  Damit  ist  aber  zusammenzuhalten, 
was  Lange  in  seiner  Mondstatistik  (Vorlesungen  1857 — 58)  sagt, 
dass  nämlich  diese  Wissenschaft  statt  die  Moral  aufzuheben,  sie 
nur  auf  eine  solidere  und  breitere  Basis  setzen  solle,  als  die  ge- 
meine Erfahrung"  gebe.  Die  sittliche  Kraft  des  Menschen  sei 
ausserlieh  und  naturhistorisch  betrachtet  stets  endlich  und  habe 
einen  bestimmten  Wert,  der  sich  in  den  Zahlen  der  Moralstatistik 
handgreiflich  darstelle.  Das  Schuldbewusstsein  aber  messe  sich 
gar  nicht  an  dieser  empirischen  Kraft,  sondern  an  einer  idealen, 
die  grösser  gedacht  werde  als  jedes  mögliche  Hindernis,  an  dem 
kategorischen  Imperativ,  der  seine  Gebote  stelle,  ohne  nach  der 
Möglichkeit  ihrer  Idealisierung  zu  fragen.  Hier  giebt  sich  also 
Lange  in  Bezug  auf  die  Ethik  durchaus  als  Kantianer,  wie  er  ja 
in  der  Erkenntnistheorie  beständig  einen  modifizierten  Kantianis- 
mus  vertrat.  Spater  hat  er  sich  in  der  Ethik  Kant  gegenüber 
wiederholt  auf  Schiller  berufen  und  gelegentlich  die  Äusserung 
gethan,  Kant  und  Schiller  verhielten  sich  wie  Gesetz  und  Er- 
lösung. ')  Was  aber  das  eigentlich  Materielle  der  Ethik  betrifft, 
so  scheint  es  uns,  dass  auf  den  letzten  Seiten  der  Gescliichte  des 
Materialismus  mehr  Christliches  als  Schillersehes  zu  finden  sei. 
Freilich  sieht  Innige  eben  in  Schillers  Gedichten,  insbesondere  in 
dem  herrliehen  Hymnus  „Das  Ideal  und  das  Leben",  mehr  dem 
Christentum  Wesens  verwandtes,  als  gewöhnlieh  darin  gefunden  wird. 

Jedenfalls  ist  es  nach  Longe  eine  Aufgabe  empirischer 
Wissenschaft,  dem  sittlichen  Handeln  des  Menschen  und  der 

')  Cohen  (Kant*  Begründung  der  Ethik  p.  "J8K)  leugnet  den  zwischen 
Kant  und  Schiller  gewöhnlich  angenommenen  Gegensatz,  der,  wie  wir  sehen, 
Lange  so  gross  erscheint,  und  wünscht,  dass  aus  unseren  Littcraturgeschichtcn 
die  bequeme  Verhältiiisbestimmung  zwischen  Kant  und  Schiller,  nach  welcher 
der  letztere  des  erstcren  Rigorismus  ästhetisch  gemildert  habe,  endlich  ver- 
schwinde. Kr  beruft  sich  dabei  auf  den  Brief  Schiller»  an  Kant  vom  13.  Juni 
17!»4;  aber  im  Musenalmanach  für  das  Jahr  17'.t7  finden  sich  die  bekannten 
Epigramme  „(Jewissenssmipcl''  und  „Decisum",  die  «loch  bis  jetzt  meines 
Wissens  allgemein  als  eine  Ironisiernng  der  Kantischen  Tugendlehre  betrachtet 
worden  sind:  doch  lassen  sie  sich  allenfalls  auch  als  eine  Verspottung  un- 
verständiger .Jünger  Kants  auffassen. 


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1894. 


Friedrich  Altert  I,ange  ab*  Philosoph  und  Pädagog. 


217 


Menschheit  gleichsam  entgegenzukommen,  ihm  die  Stätte  zu  be- 
reiten, mag  uns  nun  als  ethisches  Ideal  das  pf  Ii  cht  massige,  das 
schöne  oder  das  liebevolle  Handeln  erseheinen. 

Damit  haben  wir  denn  auch,  wie  wir  sehen  werdet),  den 
Ausgangspunkt  für  langes  Ansichten  über  wissenschaftliche  Päda- 
gogik gewonnen. 

IL 

Die  Pädagogik  Ist  bekanntlich  mehr  eine  Kunst  als  eine 
Wissenschaft  und  zwar  eine  Kunst,  die  mit  der  des  Mimen  die 
Schwierigkeit  und  die  Vergänglichkeit  gemein  hat.  Hier  stirbt 
der  Zauber  mit  dem  Künstler  ab.  Oder  hat  Schiller  darin  Un- 
recht? Wohl  bleibt  kein  Werk  zurück  wie  das  Gebild  des 
Meisseis,  der  Gesang  des  Dichters;  aber  der  Eindruck,  den  der 
Virtuose  macht,  kann  doch  bei  den  Zeitgenossen  ein  unvergäng- 
licher sein  und  sie  zu  Schildeningen  veranlassen,  durch  welche 
auch  für  ferne  Zeiten  „stat  nominis  unibra". 

Lange  muss  ein  Virtuose  in  seiner  Kunst  gewesen  sein. 
Man  hört  wohl  die  Klage,  dass  die  Schule  uns  den  Schiller  ver- 
leitle. Das  muss  bei  ihm  nicht  der  Fall  gewesen  sein.  Auch 
nüchterne  Naturen  werden  heute  nach  80  Jahren  warm,  wenn  sie 
sich  mit  freudiger  Rührung  der  Augenblicke  erinnern,  da  Lange 
ihnen  das  Lied  auslegte  von  der  Sehnsucht  aus  des  Thaies 
Gründen,  die  ein  feuchter  Nebel  drückt,  und  ihnen  das  schöne 
Wunderland  deutete,  in  das  nur  Wunder  tragen  können.  Lange 
sagt  einmal: 

„Die  höchste  Aufgabe  der  Erziehung  ist  ohne  Zweifel,  dem 
Kinde  das  Gute  in  charaktervoller  Form  nahe  zu  bringen; 
daher  denn  auch  die  ungemeine  Überlegenheit  des  persönlichen 
Beispiels  über  abstrakte  lehren  sich  erklärt"1) 

Dafür  nun,  dass  Lange  selbst  eine  Persönlichkeit  war,  die 
von  vornherein  auf  Jung  und  Alt  den  entschiedensten  Eindruck 
eines  bedeutenden  Menschen  machte,  sind  in  seiner  Biographic 
manche  Zeugnisse  angeführt,  tauige  absolvierte  sein  Probejahr 
am  Friedrich-Wilhelms-Gvmnasium  in  Köln.  Der  Nationalökonom 
Professor  Ia'x'is  war  damals  in  Köln  Primaner  und  hatte  als  solcher 


'!  Artikt-I  StfU  nhhrc  in  S-hinid*  Kncyklopiidie. 


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218 


Kinasen, 


Heft  C»  Ii.  7. 


.selbst  keine  Stunde  bei  Lange,  aber  lebhaft  erinnert  er  sich,  mit 
welcher  Hochachtung  seine  Schüler  von  ihm  sprachen,  und  wie  er 
schon  damals  den  Eindruck  erhielt,  das»  es  keine  gewöhnliche 
Persönlichkeit  sei.  In  dein  Osterprogramm  1S53  heisst  es:  „Es 
wäre  als  ein  erfreulicher  Gewinn  anzusehen,  wenn  Dr.  Ijungc 
dauernd  an  die  Anstalt  gefesselt  werden  könnte."  In  der  zweiten 
Hälfte  des  Probejahres  wurde  ihm  ein  andrer  Kandidat  zur 
Ausbildung  anvertraut,  tauige  selbst  verfasste  noch  als  Kandidat 
eine  Denkschrift  über  den  Turnunterricht,  welche  ein  anerkennendes 
Schreiben  des  Ministers  und  Lauges  Berufung  nach  Berlin  zum 
Zweck  einer  Besprechung  mit  dem  Unterriehtsdirigenten  der 
Zentralturnanstalt  veranlasste.  Das  Probezeugiiis,  welches  Lange 
erst  im  August  1854  erhielt,  lautet  :  „Hatte  Herr  Dr.  Lange  schon 
wahrend  seines  Probejahres  in  allen  ihm  anvertrauten  Lehrobjekten 
wolilbegründete  Kenntnisse,  ein  richtiges  Urteil  und  entschiedene 
Lehrgaben  an  den  Tag  gelegt,  mit  liebevollem  Ernst  eine  gute 
Zucht  aufrecht  erhalten  und  sich  sowohl  das  Zutrauen  seiner 
Schüler  als  die  achtungsvolle  Teilnahme  aller  Lehrer  der  Anstalt 
zu  gewinnen  gewusst,  so  hat  er  im  zweiten  Jahre  seiner  Wirk- 
samkeit diese  guten  Eigenschaften  in  erfreulichster  Weise  weiter 
entwickelt  und  sich  als  einen  denkenden  und  für  seinen  Beruf 
mit  Hingebung  lebenden  Lehrer,  der  zu  den  schönsten  Hoffnungen 
berechtigt,  erwiesen." 

Auch  Wiese  hat  sich,  wie  aus  einem  Brief  des  Schulrats 
Ijandfermann  vom  9.  August  185H  an  Lange  hervorgeht,  über 
diesen  mit  besondrer  Anerkennung  ausgesprochen. 

Wir  dürfen  also  sagen:  I^ange  war  ein  vorzüglicher  Lehrer. 
Dies  kann  man  bekanntlich  sein,  ohne  dass  man  ein  grosser 
Theoretiker  der  Piidugogik  ist.  I^ange  selbst  hielt  auch  durchaus 
nicht  für  nötig,  dass  alle  Lehrer  theoretisch  geschulte  Pädagogen 
seien;  kaum  hielt  er  für  bedauerlich,  dass  so  wenige  es  sind. 
„Wer  in  diesem  Sachverhalt,"  sagt  er1),  „lediglich  eine  Unvoll- 
kommenheit  oder  gar  ein  Unglück  erblickt,  der  übersieht  eben, 
dass  ganz  dieselben  Grundsätze,  welche  sieh  in  dem  philosophi- 
schen Kopfe  zum  Bcwusstscin  entfalten,  unbewusst  auch  in  den 
übrigen  wirken  und  walten ;  ja  dass  sogar  diesem  instinktmässigen 


')  In  Fleckeisena  Jjihrbüeherii   IUI.  TS:    Das  Studium  und  die 
IVinzipii  h  der  (.iyiiitinsiiilpädugogik. 


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1894. 


Friedrich  Allwrt  Lange  als  Philosoph  und  l'äilngog. 


und  rein  natürlichen  Thun  erfahrungsmässig  meist  eine  grössere 
•Sicherheit  und  Taktfestigkeit  zukommt  als  dem  durch  Bcwusstsein 
vermittelten.  Die  eine  Weise  findet  an  der  andern  Ferment  oder 
Korrektiv,  und  es  giebt  keinen  Stand,  der  nicht  beiderlei  Köpfe 
zur  Erreichung  seiner  praktischen  Ziele  bedürfte." 

Kr  selbst  freilich  beherrschte  auch  die  Theorie  und  die 
Geschichte  des  Unterrichts  und  musste  sie  beherrschen  als  Dozent 
der  Pädagogik  und  als  pädagogischer  Schriftsteller.  Da  er  als 
Privatdozent  nach  Bonn  ging,  hatte  er  mit  in  erster  Iänie  das 
Halten  pädagogischer  Vorlesungen  ins  Auge  gefasst,  aber  es  wurde 
aus  diesen  nicht  viel.  Die  Philologen  waren  durch  ltitschls 
energische  Wirksamkeit  ganz  in  Anspruch  genommen,  und  die 
Psychologie  wurde  hier  langes  Hauptvorlesung.  Später  hat  er 
pädagogische  Vorlesungen  in  Zürich  und  Marburg  gehalten,  und 
eine  umfangreiche  schriftstellerische  Thätigkeit  hat  er  über  ein 
Jahrzehnt  für  die  Schimdsche  Eneyklopädie  des  Erzichungs-  und 
Unterrichts wesens  ausgeübt,  welcher  seine  Artikel  zur  besonderen 
Zierde  gereichen. 

In  dem  schönen  inhaltreichen  Aufsatze  „Seelenlehre"  heisst  es: 

„Man  darf  nie  vergessen,  dass  in  der  Pädagogik  stets  zwei 
Faktoren  in  Frage  kommen: 'der  ethische,  welcher  uns  das 
Ziel  der  erziehenden  Thätigkeit  giebt  und  gleichsam  den  Stil  be- 
stimmt, in  welchem  der  Erzieher  bauen  will,  und  der  psycho- 
logische, welcher  das  technische  Material  beherrschen  lehrt." 

Leider  steht  es  nun  mit  der  Wissenschaft  der  Psychologie, 
wie  gerade  dieser  ganze  Artikel  zu  zeigen  bemüht  ist,  noch  sehr 
schwach.  Wissenschaftliehe  Ansätze  finden  sich  aber  wenigstens 
in  der  Psychophysik  einerseits  und  andererseits  in  der  Moral- 
statistik, an  deren  Stelle  für  «las  pädagogische  Gebiet  eine  um- 
fangreiche Schulstatistik  zu  treten  hätte. 

In  seinen  eigenen  Vorlesungen  über  Psychologie  befolgt 
Lange  eine  möglichst  -„somatische"  Methode,  d.  h.  er  sucht  mög- 
lichst viel  von  der  Psychologie  auf  die  Physiologie  zurückzuführen, 
und  auch  die  Pädagogik  kann  sich  nach  Lange  physiologischen 
Beobachtungen  nicht  entziehen,  eine  Erkenntnis,  die  ja  in  der 
Forderung  der  Anstellung  von  Schulärzten  vielfach  von  einem 
andern  Gesichtspunkt  aus  zur  Geltung  gekommen  ist.  In  seinen 
Vorlesungen  über  Pädagogik  (Winter  1S71  — 72)  macht  I^inge 
ausführliehe  Mitteilungen  über  Wachstum,  Gewichtszunahme,  Zu- 

MunaL-lioft.-  »kr  CuinvuliiH-OfwIlwhaft.  15 


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220 


Heft  G  u.  7. 


nähme  der  Muskelkraft  u.  dgl.  und  kommt  auf  Grund  dieser 
statistischen  Beobachtungen  zu  folgendem  praktischen  Resultat: 

„Die  im  vorigen  §  dargelegten  Verhältnisse  der  natürlichen 
Entwicklung  geben  für  die  Erziehung  den  deutliehen  Wink,  dass 
das  Kind  bis  zum  vollendeten  5.  Ijcbcnsjahrc  der  vollen  Sorgfalt 
mütterlicher  Pflege  und  häuslicher  Erziehung  bedarf;  das  darauf 
folgende  Alter  bis  zum  12.  hin  eignet  sich  l>ei  abnehmenden  und 
glcichmassig  fortschreitenden  Ansprüchen  der  körperlichen  Ent- 
wicklung mit  schneller  Befestigung  der  Gesundheit  vorzüglich  für 
die  allmählich  steigenden  Ansprüche  der  Schule.  Vom  12.  Jahre 
an  ist  unsere  gegenwärtige  Erziehungsweise  wahrscheinlich  falsch, 
und  dürfte  es  der  Natur  am  besten  entsprechen,  unter  Beschränkung 
des  gewöhnlichen  Schulunterrichts  auf  das  Notwendigste  vorzüg- 
lich die  gy  mnas  tisch  e  Bildung  zu  pflegen.  Dagegen  «eignet 
sieh  wieder  das  Alter  vom  IG.  bis  20.  Jahre  bei  Knaben,  vom 
14.  oder  15.  bis  zum  17.  oder  18.  bei  Mädchen  vorzüglich  für 
den  höhern  Schulunterricht  und  die  spezielle  Berufsbildung 
und  soweit  ein  solcher  nicht  allgemein  durchführbar  ist,  für 
Unterweisung  in  den  Pflichten  des  Bürgers  und  der  Hausfrau 
neben  der  speziellen  Berufsbildung." 

Selbstverständlich  wird  auch  "im  einzelnen  die  Beachtung 
körperlicher  Einflüsse  nicht  fehlen  dürfen,  so  wenig  in  der  häus- 
lichen Erziehung  als  in  der  Schule.  Über  den  Unverstand  mancher 
Lehrer  und  Mütter  gegenüber  verdrossenen,  unlustigen  Kindern 
linden  sich  in  dem  Artikel  „Seelenlehre"  sehr  verständigt;  Be- 
merkungen, denen  die  allgemeinste  Beachtung  zu  wünschen  wäre. 
Durchaus  nicht  ist  es  Inniges  Meinung,  dass  hinter  der  rationellen 
körperliehen  Erziehung  die  ethische  zurücktreten  solle;  diese  wird 
aber  nach  ihm  durch  jene  gerade  gefördert;  sie  ist  schon  im 
frühesten  Kindesalter  nicht  zu  versäumen. 

„Nichts  ist  verderblicher,  sagt  er,  als  die  Meinung,  dass  in 
den  ersten  Jahren  nur  für  das  körperliche  Wohl  der  Kinder  zu 
sorgen  sei  und  die  eigentliche  Erziehung  erst  später  zu  erfolgen 
habe.  Vielmehr  soll  man  schon  aus  dem  Tempo  und  Ausdruck 
des  Gesehreis  und  der  Gliederbewegungen  eines  Säuglings  auf  die 
innere  Form  seiner  Empfindungen  und  Stimmungen  zu  schliessen 
suchen,  wobei  man  schön  in  den  frühesten  Wochen  eine  über- 
raschende Bestimmtheit  der  ursprünglichen  Charakteranlage  er- 
kennen wird.    Jeder  zärtliche  Blick,  mit  dem  einer  offenbaren 


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1894. 


Friedrich  Allwrt  Lunge  als  Philosoph  und  Pndagog. 


221 


Unart  begegnet  wird,  jede  .stumpfe  Gleichgültigkeit  gegen  die  ersten 
seelenvollen  Äusserungen  kindlicher  Dankbarkeit  und  Zuneigung 
stört  die  geistige  Entwicklung  des  Kindes  in  ihren  ersten  folgen- 
reichen Anfängen."  (Seelenlehre.) 

Und  bei  dem  Zweige  des  Schulunterrichts,  der  zunächst 
ganz  dem  körperliehen  Wohl  gewidmet  zu  sein  scheint,  bei  dem 
Turnen,  weist  Lange  mit  Entschiedenheit  auch  auf  dessen  geistige 
und  sittliche  Bedeutung  hin  in  der  trefflichen  Schrift  „IjeibcH- 
übungen"  (Separatabdruck  aus  der  Encyklopädie)  und  auch  schon 
in  der  oben  erwähnten  Denkschrift  über  diesen  Gegenstand  aus 
der  Kölner  Zeit,  aus  welcher  ein  Auszug  in  der  Biographie  mit- 
geteilt ist. 

Lange  schrieb  nicht  nur  der  gesamten  psychologischen,  sondern 
auch  der  speziell  pädagogischen  Litteratur  seiner  Zeit  nicht  viel 
wissenschaftlichen  Wert')  zu,  und  es  wird  wohl  zuzugeben  sein, 
dass  auf  wenigen  Gebieten  ein  redseliger  Dilettantismus  sich  so 
breit  gemacht  hat  wie  auf  pädagogischem.  Darum  ist  der  Wert 
des  Studiums  dieser  umfangreichen  Litteratur  problematisch.  Aber 
auch  offizielle  Anordnungen  zum  Besuch  pädagogischer  Vorlesungen 
hielt  Irrige  für  verwerflich.  (Auch  Schräder,  Verfassung  der 
höheren  Schulen,  2.  Aufl.  p.  117,  spricht  sich  ziemlich  unumwunden 
gegen  Universitätsstudien  in  der  Pädagogik  aus.) 

Kür  um  so  wichtiger  aber  hielt  Lange  eine  praktische  An- 
leitung während  des  Vorbereitungsdienstes.  Lange  selbst  war  ein 
Meister  der  Disziplin;  aber  er  war  weit  davon  entfernt,  solche 
Meisterschaft  für  eine  mystische  Himmelsgabe  zu  halten.  In 
mehreren  Artikeln  der  Encyklopädie  (bes.  Oppositionsgeist)  giebt 
er  vortreffliche  Winke,  und  im  Artikel  „Schülerzahl"  spricht  er 
scharf  aus,  man  sollte  „streng  daran  festhalten,  dass  die  Aufrecht- 


')  Am  Schlug*  der  Einleitung  zu  den  Vorlesungen  über  Pädagogik 
sagt  Lang*?:  „Während  die  (tesehichle  der  Pädagogik  in  neuerer  Zeit  sieh 
einer  streng  wissenschaftlichen  Behandlung  «ehr  genähert  hat,  schwankt  die 
Behandlung  der  Krzichungslehre  noch  zwischen  sehr  verschiedenen  Ziel- 
punkten und  Methoden.  Die  berechtigte  Zurückweisung  der  Metaphysik 
und  die  Fortschritte  der  anthropologisehen  und  politischen  Wissenschaften 
sollten  jedoch  dazu  führen,  die  Pädagogik  schon  jetzt  unter  Benutzung  der 
StaatMvissensehnftcn,  der  Physiologie  und  der  neueren  empirischen  Psycho- 
logie zu  einer  empirischen  Wissenschaft  von  der  Volkserziehnng 
zu  machen." 


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222 


ElhWn, 


Heft  0  u.  7. 


erlialtung  der  Disziplin  in  grossen  wie  kleinen  Klassen  eine  lehr- 
bare Kunst  ist,  die  jeder  Fachmann,  möge  er  nun  etwas  mehr 
oder  weniger  Xaturanlagc  dazu  mitbringen,  sieh  aneignen  kann 
und  soll.  An  der  Volksschule  hat  man  diesen  Satz  längst  be- 
obachtet, und  die  Zöglinge  guter  Seminare  bringen  es  auch  durch- 
schnittlich so  weit,  dass  sie  in  jedem  Wasser  schwimmen  können; 
an  den  höhereu  Schulen  dagegen  ist  die  eitle  und  selbstgefällige 
Verachtung  aller  pädagogischen  Hegeln  und  Fertigkeiten  leider 
noch  so  vorherrschend,  dass  es  rein  dem  Zufall  überlassen  bleibt, 
ob  sich  ein  Lehrer  in  dieser  Beziehung  das  Erforderliche  aneignet 
oder  nicht". 

Seit  Lange  dies  schrieb  sind  über  zwanzig  Jahre  vergangen, 
und  man  wird  nicht  leugnen  können,  dass  es  inzwischen  besser 
geworden  ist.  Interessant  ist  und  wir  dürfen  auch  hier  nicht 
übergehen,  was  wir  schon  in  der  Biographie  Langes  (p.  Iu9  f.)  mit- 
teilten, dass  ganz  ähnliche  Reformen  im  Vorbereitungsdienst  für  das 
höhew  Schul  fach,  wie  sie  jüngst  zur  Durchführung  gekommen  sind, 
reichlich  dreissig  Jahre  früher  von  Lange  beantragt  waren  in  einem 
Gutachten  „über  eine  wünschenswerte  Modifikation  des  Prüfungs- 
reglementa  für  da*  höhere  Schulfach".  Und  wenn  Direktor  Hütt 
in  seiner  trefflichen  Abhandlung  „Zur  Vorbereitung  auf  das  höhere 
Sehulfach"  (Beilage  zum  lU.  Jahresbericht  des  Realgymnasiums  zu 
Bernburg)  ausreichende  Kenntnis  der  Schulgesetzgebung,  der 
Rechtsverhältnisse  des  Lehrerstandes  und  der  Formen  des  amt- 
lichen Verkehrs  verlangt,  so  hat  auch  er  in  Lange  einen  Vor- 
gänger, der  nachdrücklieh  ähnliche  Fordeningen  aufstellte. 

Auch  der  Ruf  nach  grösserer  Freiheit  im  Unterrichtswesen, 
wurde  von  Lange  mit  Entschiedenheit  erhoben.  Er  erkannte  sehr 
klar  die  Schattenseiten  des  burenukratischen  Schematismus  gerade 
auf  diesem  Gebiete.  AVie  vortrefflich  ist  z.  B.,  was  er  in  dem 
Artikel  „Oppositionsgeist"  sagt: 

„In  unserer  Zeit  der  Schulräte  und  Cireularverfügungen,  der 
vorgeschriebenen  Ix'hrmittcl,  genehmigten  Ix-hrpläne,  höheren  Orts 
festgesetzten  Klassenziele,  Reglements,  Prüfungsordnungen,  In- 
spektionen, Gutachten,  Berichte  u.  s.  w.  ist  es  der  herzlose 
Mechanismus,  welcher  an  so  vielen  Anstalten  trotz  aller  äusseren 
Regelung  in  der  ,Haltung*  der  Schulen  einen  schlimmen  Oppo- 
sitionsgeist erzeugt.  Die  bureaukratisehe  Ordnung  bringt  es  leider 
mit  sieh,  dass  das  Schicksal  der  Lehrer  und  die  Gunst,  welcher 


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■ 

1894.        Friedrich  Albert  Lange  aU  rhiloHoph  und  Psidagog.  22:5 


sich  ganze  Anstalten  erfrouen,  viel  zu  sehr  von  den  ostensiblen 
Resultaten  abhangt.  Bringen  doch  ganze  Provinzen  dem  leitenden 
Schulrat  mehr  Ehre  ein,  wenn  alle  Anstalten  nach  dem  Sehnurehen 
geregelt  sind  und  alles  handwerksmässig  klippt  und  klappt,  als 
wenn  so  viel  Freiheit  gelassen  wird,  dass  der  Stümper  offen 
stümpern  und  daneben  der  ernste  denkende  Arbeiter  in  sicherer 
Ruhe  ein  Samenkorn  für  das  Gedeihen  kommender  Generationen 
ausstreuen  kann!  Je  mehr  die  französische  Ccntrulisntionswut  in 
Deutschland  eindringt,  desto  ausgebreiteter  und  desto  gefährlicher 
wird  auch  der  Oppositionsgeist  werden,  der  auch  dann,  wenn  er 
geschickt  und  kräftig  niedergehalten  wird,  immer  noch  den  ganzen 
Segen  der  Erziehung  in  Fluch  zu  verwandeln  droht."  Und  in 
demselben  Artikel  heisst  es  noch:  „Der  Erzieher,  dem  die  Pflege 
einer  Menschenseele  anvertraut  ist,  soll  sieh  nicht  auf  eine  herz- 
lose Sicherheit  in  der  Handhabung  der  Amtsgewalt  verlassen, 
sondern  er  soll  sieh  fragen,  ob  er  fest  im  Geist  der  Wahrheit 
und  der  Liebe  steht,  und  ob  er  auch  der  zarten  Keime  des  Guten 
wartet,  die  in  keiner  Prüfung,  bei  keiner  Inspektion  nachweisbar 
und  doch  in  ihrer  zukünftigen  Entfaltung  oft  wertvoller  sind  als 
alle  ostensiblen  Resultate." 

Auch  im  Artikel  „Schülerzahl"  spricht  Lange  den  Wunsch 
aus,  „dass  den  einzelnen  Ix'hrern,  sofern  sie  einen  pädagogisch 
richtigen  Gebrauch  davon  zu  machen  wissen,  eine  grössere  Frei- 
heit in  der  Behandlung  der  Klasse  erlaubt  und  zugemutet  werde, 
als  sie  bis  jetzt  meist  üblich  ist". 

Weit  grössere  Freiheit  innerhalb  ihrer  Kreise  Hesse  sieh 
Direktoren  und  Ix-hrern  natürlich  auch  in  der  staatliehen  Schule 
gewähren;  wie  aber  Lange  in  einem  Briefe  an  Dörpfeld  vom 
4.  Dezember  181)3 l)  ein  Programm  für  das  Unterrichtswesen  auf 
Grund  völliger  Unabhängigkeit  der  Schule  vom  Staat  aufstellt, 
ist  in  der  Biographie  p.  120  ff.  mitgeteilt  worden.  Indem  der 
Verfasser  die  betreffende  Stelle  wieder  durchsah,  erkannte  er 
übrigens,  dass  seine  Darstellung  auf  S.  1 21)  geeignet  ist,  das  Miss- 
verständnis hervorzurufen,  als  seien  die  Unterschiede  der  Dörp- 
feldschen  und  Langeschen  Anschauungen  grösser  als  das  beiden 
Gemeinsame.    Das  ist  nicht  der  Fall,  und  es  ist  hier  wohl  der 


')  Er  beabniehtigte  übrigens  auch  ein  Buch  über  den  Gegenstand  zu 
«•hreiben. 


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224 


KUWn, 


Tieft  (i  ii.  7. 


Ort,  noch  Hintes  aus  dem  dort  schon  zitierten  Briefe  Dörpfelds 
aus  dem  Jahre  1890  mitzuteilen.    Dörpfeld  sehreibt: 

„Unsere  Anschauungen  hatten  zwei  starke  Wurzeln  gemein- 
sam :  einmal  die  freiheitlich  gerichteten  kirchlichen  und  bürger- 
lichen Zustande  unserer  niederrheinischen  Ileimath  mit  ihrer 
eigenartigen  Geschichte,  und  sodann  unsere  beiderseitige  Liebe 
zur  Freiheit."  Auf  die  in  der  Biographie  mitgeteilte  Brief  stelle, 
wonach  Döq>fclds  praktische  Überlegung  vom  Gegebenen,  Lange 
dagegen  von  dem  abstrakten  Begriff  der  Freiheit  ausgegangen  sei, 
heisst  es  in  dem  Briefe  weiter: 

„Allerdings  bestanden  auch  noch  einige  andere  Differenzen 
zwischen  uns.  Einmal  in  unseren  religiösen  Ansichten.  Das 
hing  wieder  zum  Teil  damit  zusammen,  dass  ich  auf  dem  philo- 
sophischem Gebiete  aus  einem  frühem  Benekianer  ein  eifriger 
Herbartianer  geworden  war,  während  Lange  mit  seinem  Freunde 
Ueberweg  (und  vielleicht  auch  durch  denselben)  —  unter  dem 
Kinfluss  der  Katheder- Philosophie  an  Herbart  vorbeilief  und 
in  eine  andere  philosophische  Strömung  geriet.  Das  hing  wieder 
damit  zusammen,  dass  ich  mir  rechtzeitig  und  fleissig  die  Schriften 
unseres  beiderseitigen  Landsmannes  Dr.  Mager  (früher  enragierter 
Hegelianer,  später  entschiedener  Herbartianer)  zu  Nutze  gemacht 
hatte,  während  Lunge  dieselben  wohl  erst  spät  und  nur  unzuläng- 
lich kennen  gelernt  hat.  Diese  Differenzen  erwähne  ich  deshalb, 
weil  sie  es  grade  bewirkten,  dass  ich  bei  den  praktischen  Über- 
legungen den  Freiheitsbegriff'  nicht  als  Ausgangspunkt,  sondern 
als  Ziel  nahm.  Hätte  Lange  schon  in  den  jüngeren  Jahren  die 
Schriften  Magers  kennen  gelernt  und  nach  Gebühr  beachtet 
der  die  Schweiz  weit  besser  kannte  als  er  — ,  so  würde  er  später 
in  Duisburg  vor  den  politischen  Verwickelungen  bewahrt  geblieben 
sein.  Übrigens  begann  zu  jener  Zeit  (1S0H)  das  Verhältnis  zu 
seinen  bisherigen  politischen  Parteigenossen  („Fortsehritt")  sich  zu 
Iockern  —  wovon  auch  eine  Andeutung  in  seinem  Briefe  vor- 
kommt — ;  mir  gab  sieh  diese  namentlich  darin  kund,  dass  er 
damals  anfing,  auch  die  Anliegen  des  vierten  Standes  (soziale 
Frage)  schärfer  ins  Auge  zu  fassen  — ,  was  ich  auf  Magers  und 
Herbarts  Anregung  schon  längst  gethan  hatte." 

Dies  bringt  uns  auf  die  Frag«',  was  nach  I Tinges  Ansicht 
Erziehung  und  l'nterrichtswcsen  zur  Besserung  der  sozialen  Zu- 
stände leisten  können.    Hierüber  hat  sich  unser  Philosoph  besonders 


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1894. 


Friedrich  Albert  Lan^e  als  Philosoph  und  rfiilagog. 


225 


in  derjenigen  seiner  Schriften  ausgesprochen ,  die  wohl  von  allen 
die  geringste  Verbreitung  gefunden  hat  „John  Stuart  Mills  An- 
sichten über  die  soziale  Frage  und  die  angebliche  Umwälzung  der 
S  >zialwisscnschaft  durch  Carey"  18ü*ti.  Von  unsrer  Volksschule 
sagt  Lauge  hier  p.  75: 

„Unsere  deutsche  Volksschule  hat  ihren  Mittelpunkt  

in  der  religiösen  Erziehung,  und  diese  Erziehung  ist  auf  der  einen 
Seite  eben  so  reich  an  Elementen,  welche  das  Genifit  bilden,  die 
Phantasie  beleben  und  das  Herz  bereichern,  als  sie  auf  dir  andern 
Seite  eine  beständige  Schulung  zur  Unterwürfigkeit  ist,  und  zwar 
zu  einer  Unterwürfigkeit  gegen  Mächte,  welche  selbst  nach  durchaus 
anderen  Grundsätzen  handeln,  und  welche  den  Einfluss,  den  sie 
durch  die  allgemeine  Schulung  der  Gemüter  gewinnen,  haupt- 
sächlich zur  Befestigung  einer  Herrschaft  verwenden,  die  mit  tler 
Entwürdigung  der  Erwachsenen  dasjenige  zwiefältig  wieder  ver- 
dirbt, was  mit  der  Pflege  der  Jugend  gut  gemacht  wird.  Die 
Kinder  werden  fromm,  edel  und  duldend  gemacht,  damit  die 
Männer  duldend,  gemein  und  frivol  werden;  ein  Kreislauf,  der 
aus  denselben  Bedingungen  sich  innner  wieder  aufs  Neue  erzeugt. 
Unendlich  viel  Gutes  gedeiht  hier  schliesslich  zu  übler  Wirkung, 
weil  es  mit  Üblem  ungünstig  zusammenwirkt. 

Vieles  würde  von  dieser  verderblichen  Nachwirkung  unseres 
mit  so  vielen  Vorzügen  ausgestatteten  Schulwesens  verschwinden, 
wenn  wir  ein  System  völliger  Unterriehtefreiheit  hätten,  ohne  das 
Wesen  unserer  jetzigen  Volksschule  aufzugeben.  Es  wäre  für  die 
geistige  Freiheit  in  jeder  Beziehung  gefährlicher,  ein  Staatsschul- 
wesen,  wie  etwa  das  preussische,  unter  die  energische  Leitung 
ei  nes  konstitutionell  -  monarchisch  -  deistisch  -  rational  istischen  Schul- 
mannes zu  stellen,  als  die  Volksschule  den  Kirchengesellschaften 
völlig  zurückzugeben  -  unter  der  Voraussetzung  einer  wirklichen 
Keligious-  und  Lclirfreiheit." 

Lange  redet  weiterhin  der  Einführung  eines  ernstlichen 
naturwissenschaftlichen  Unterrichte  in  die  Volksschule  das  "Wort 
und  bemerkt: 

„Wenn  wir  einen  Arbeiter  nehmen,  der  seinen  Namen  mit 
drei  Kreuzen  schreibt,  und  der  dagegen  einige  richtige  und  klare 
Grundbegriffe  von  den  Gesetzen  des  Hebels,  von  der  schiefen 
Ebene  und  dem  Parallelogramm  der  Kräfte  hat,  der  die  Aus- 
dehnung der  Körper  durch  die  Wärme,  die  Brechung  des  Lichts, 


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22<> 


Ellison, 


Heft  6  n.  7. 


die  Expansionskraft  der  Dampfe  kennt,  und  wir  stellen  einen 
deutsch  geschulten  Arbeiter  daneben,  der  von  all  diesen  Dingen 
gar  nichts  weiss,  so  ist  der  Vorsprung  des  erstercu  unverkennbar." 

Einen  einzigen  Zweig  menschlichen  Wissens  halt  Lange  fiT 
ebenso  wichtig  wie  die  Bekanntschaft  mit  den  Naturgesetzen, 
die  Kenntnis  der  Landesgesetze  und  des  öffentlichen  Rechts.  Den 
Unterricht  hierin  zählt  er  zu  den  notwendigsten  Forderungen  der 
nächsten  Zukunft.  Wann  mag  wohl  diese  Zukunft  Gegenwart 
werden  ? 

Der  Vergangenheit  des  Krziehungswesens  hat  Ijtngc  fort 
und  fort,  am  intensivsten  als  Privatdozent  in  Bonn,  Aufmerksam- 
keit und  Studium  gewidmet.  Er  beabsichtigte  damals  unter  dem 
Titel  „Beiträge  zur  Geschichte  der  Pädagogik"  eine  Reihe  von 
Monographien  über  diesen  Gegenstand  herauszugeben.  Der  erste 
Aufsatz  sollte  Ludwig  Vives  und  seine  Bedeutung  schildern.  Dies 
Projekt  kam,  wie  so  viele  andere  Langes,  nicht  zur  Ausführung, 
doch  waren  die  damals  gemachten  Studien,  wie  wir  gleich  sehen 
werden,  keineswegs  verloren. 

Die  Aufforderung  der  Buchhandlung  von  B.  G.  Teubner, 
selbst  eine  kompendiöse  Geschichte  der  Pädagogik  zu  schreiben, 
lehnte  Lunge  aus  Gründen,  die  in  der  Biographic  (p.  108)  an- 
geführt sind,  ab.  In  Jahns  (Fleckeisens)  Jahrbüchern  rezensierte 
er  die  einschlägigen  Arbeiten  von  Raumers,  Schmidts  (über  Sturm) 
und  Koroers  in  einem  vortrefflichen,  heute  noch  höchst  lesens- 
werten Aufsatze.  Ferner  lieferte  er  weiterhin  mehrere  geschicht- 
liche Artikel  für  die  Eneyklopädie,  so  über  Calvin,  Erasmus, 
Errichtung  und  Erhaltung  der  Schulen»),  Friedrich  den  Grossen, 
die  Schule  zu  Sehlettstadt,  vor  allem  aber  über  Vives,  dessen 
Bedeutung  für  die  Geschichte  der  Pädagogik  nach  Luigc  darin 
besteht,  diiss  sich  in  ihm  die  gesamte  Opposition  der  beginnenden 
Neuzeit  gegen  die  pädagogischen  Missbräuche  des  späteren  Mittel- 
alters konzentriere,  und  dass  sich  bei  ihm  in  gleicher  Weise  die 
Keime  der  wichtigsten  Reformen  von  Sturm  bis  auf  Rousseau 
hinab  vereinigt  und  in  ein  Ganzes  verschmolzen  finden.  Es  ist 
bezeichnend,  dass  Vives,  wie  sich  aus  den  zu  Anfang  versandten 
Programmen  und  Entwürfen  zur  Eneyklopädie  ergiebt,  ursprünglich 


')  Diester  wichtige  Aufsatz,  enthält  langes  Ansichten  ültor  das  Ver- 
hältnis von  Staat  nml  Kirche  zur  Vulkr^elmle. 


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1K0I.         Friedrich  Albert  Lange  aln  Philosoph  und  1'iUlugog.  227 


gar  kein  Artikel  zugedacht  war,  während  nun  der  Langesehe  Auf- 
satz von  ungefähr  80  Seiten  zu  den  umfangreichsten  Artikeln 
derselben  gehört.  Wir  können  im«  nicht  versagen,  aus  dieser 
vortrefflichen  Arbeit,  die  Schmid  geradezu  als  eine  neue  Ent- 
deckung für  unsere  Zeit  bezeichnete,  zum  Schlüsse  das  mitzuteilen, 
was  Lange  über  das  Verhältnis  Vives'  zu  dem  Manne  sagt,  dessen 
Namen  diese  Zeitschrift  trägt,  und  dessen  Andenken  sie  in  erster 
Linie  gewidmet  ist. 

Nach  einer  kurzen  Bemerkung  über  das  Verhältnis  Hatiehs 
zu  Baeo  heisst  es: 

„Bei  Comenius  wissen  wir  sieher,  dass  Bacon  grossen  Ein- 
fluss  auf  ihn  hatte;  gleichwohl  bezieht  sich  gerade  auch  Comenius 
auf  eine  von  Vives  erhaltene  Anregung.  Beiläufig  sei  hier  be- 
merkt, dass  Comenius  Vives  keineswegs  nur  seinen  Realismus 
verdankt,  sondern  dass  er  ihn  vielfach,  namentlich  auch  in  ethi- 
schen Fragen,  benützt  und  zitiert.  Besonders  merkwürdig  ist 
darunter  eine  Stelle  aus  dem  Anfang  des  5.  Kapitels  der  „didaetica 
magna"  (bei  Lcutbccher,  Comenius  Lehrkunst  S.  '20),  wo  Comenius 
entwickeln  will,  dass  der  Mensch  von  Natur  zur  Gelehrsamkeit, 
Tugend  und  Pietät  angelegt  sei.  Er  bemerkt  hier,  dass  er  unter 
Natur  die  erste  ursprüngliche  Anlage  verstehe,  wie  sie  vor  dein 
Sündenfall  war,  und  zu  welcher  wir  wieder  zurückkehren  müssen. 
Dabei  beruft  er  sich  auf  eine  Stelle  bei  Vives,  de  concordia  et 
discordia  I.  1.  (die  Stelle  findet  sich  V,  S.  201,  ed.  Mag.),  in 
welcher  es  heisst,  der  Christ  sei  nichts  anderes,  als  der  seiner 
Natur  wiedergegebene  Mensch.  In  der  That  redet  Vives,  wie 
nach  ihm  Comenius,  in  diesem  Sinne  öfter  von  der  Naturanlage 
des  Menschen  zum  Guten,  und  wiewohl  beide  dabei  die  Lehre 
vom  Sündenfall  und  der  Erlösung  vorbehalten,  so  liegt  darin  doch 
in  etwas  eine  Vorbereitung  des  später  von  Rousseau  eingenommenen 
Standpunktes." 


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Die  Kirchenpolitik  Friedrich  Wilhelms,  des  grossen 

Kurfürsten. l) 

Eine  Besprechung  von  Julius  Heidemann. 

Unter  den  rühmlichen  Eigenschaften  der  Fürsten  aus  dem 
Hause  llolicnzollcrn  ist  als  eine  <ler  erfrciüiehstcn  mit  Recht  «Ii*« 
Toleranz  in  religiösen  Dingen  gepriesen  worden.  Der  grosse  Kurfürst 
uml  der  grosse  König,  welche  sie  in  vollem  Masse  übten,  verdankten 
ihr  einen  nieht  geringen  Teil  ihres  Ansehens  und  ihrer  Erfolge. 
Dabei  ist  freilieh  der  Ausgangspunkt  der  Toleranz  hei  beiden  ein 
wesentlich  verschiedener  gewesen.  Fried  rieh  II.  betrachtete  von  dem 
Standpunkte  seiner  Philosophie  aus  die  Dogmen  der  verschiedenen 
Konfessionen  als  gleich  wertvoll  oder  gleich  wertlos;  und  daher  fiel 
es  ihm  nicht  schwer,  „zwischen  Genf  und  Koni  neutral  zu  bleiben". 
Der  grosse  Kurfürst  dagegen  stand  inmitten  erregter  konfessioneller 
.Streitigkeiten,  selber  lebhaft  durchdrungen  von  der  Wahrheit  der 
reformierten  Lehrsätze,  welche  er  auch  bei  höchster  Wertschätzung 
der  Augustana  als  den  rechten  Ausdruck  der  christlichen  Lehre  be- 
trachtete. Wenn  er  Duldung  gegen  Andersgläubige  übte,  so  müssen, 
von  dem  ihm  angeborenen  Gerechtigkeitsgefühle  abgesehen,  besondere 
Gründe  dazu  vorhanden  gewesen  sein.  Diese  lagen  in  der  Mannig- 
faltigkeit der  christlichen  Konfessionen  in  den  verschiedenen  Landes- 
teilen seines  Kurstaates,  in  denen  Katholiken,  Lutheraner  und 
Reformierte  neben  einander  wohnten.  Daraus  ergab  sich  für  ihn  die 
Notwendigkeit,  die  Parität  der  Konfessionen  zum  Ausgangspunkte 
seiner  Kirchenpolitik  zu  nehmen.  Allein  gerade  die  Geltendmachung 
der  Parität  auch  für  die  Reformierten  rief  in  Brandenburg  und 
Preussen,  wo  das  strenge  Luthertum  herrschte,  Misstraucn  und  Oppo- 
sition bei  den  Lutheranern  hervor,  welche  er  andererseits  mit  den 
Reformierten  als  ihren  Konfessionsverwandten  zu  einer  evangelischen 
Partei  zu  vereinigen  suchte.  Der  Versuch  seheiterte  und  es  erfolgte 
ein  scharfer  kirchlicher  Streit,  welchen  nach  Anlass  und  Verlauf 
eingehend  auf  Grund  langjähriger  Forschungen  und  neuer  Archivalien 
H.  Landwehr  in  seinem  obengenannten  Werke  dargestellt  hat.  Der 
Verfasser  hat  dazu  die  gesamte  KiivhenjMjlitik  Friedrieh  Wilhelms, 
wie  er  sie  als  Reichsfürst  und  als  Landesherr  geübt,  zum  Gegen- 
stände seiner  Erörterungen  gemacht  und,  indem  er  uns  das  Wirken 
des  toleranten  und  thatkräftigen  Fürsten  in  grossen  Zügen  schilderte, 
ein  Lebensbild  desselben  von  dauerndem  Werte  geschaffen. 


')  Auf  Grund  arehivalischer  Quellen  von  Hugo  Landwehr.  Berlin, 
Ernst  Hofniann  &  Co..  IbMI. 


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1894. 


Die  Kiroh.'i.politik  Friedrich  Wilhelm*  etc. 


Zunächst  ist  es  die  verdienstvolle  Reichspolitik  des  Kurfürsten, 
mit  welcher  der  Verfasser  uns  bekannt  macht.  Als  jener  1  (540  zur 
Regierung  kam,  war  die  Lage  der  Evangelischen  in  Deutschland  eine 

überaus   traurig«'.     Kursachsen,    i  icr   von   zweifelhafter  Haltung 

während  des  Religionskrieges,  hatte  einseitig  1035  mit  dem  Kaiser 
den  Prager  Frieden  geschlossen,  ohne  die  Aufhebung  des  Restitutions- 
ediktes von  KJ29  und  eine  allgemeine  Amnestie  zu  erlangen. 
Brandenburg  unter  Sehwarzenbergs  Leitung  war  ihm  beigetreten;  der 
«bitte  evangelische  Kurstaat,  die  Pfalz,  lag  in  Trümmern;  Hessen, 
Braunschweig  und  ander«»  kleine  evangelische  Länder  waren  nicht  im 
stand«',  den  Evangelisch«*!!  zu  helfen.  Da  erstand  ihnen  ein 
Retter  in  Friedrich  Wilhelm.  Er  war  es,  w«*lcher  v«*rhindcrt<*, 
«las*  auf  dem  Reichstag«*  zu  Regensburg  1040  die  vagen  Bestim- 
mungen des  Prager  Friedens  zum  Reichsgesetze  «*rhoben  wurden;  er 
setzt«*  «'s  durch,  «lass  im  westfälischen  Frieden  auch  «lie  Reformierten 
«Ii«*  ftlei«*hb«*r<'«*htigiing  mit  den  Lutheranern  zuerkannt  erhielten,  ob- 
gleich «lie  letzteren  nicht  minder  dagegen  waren  als  die  Katholiken. 
Dann  kamen  «Ii«*  Z«  it«*n  unerhört«*!-  Bedrückungen  und  V«'rfolgung«'n 
<l«*r  Evjingelischen  in  «h-n  katholischen  (»«'bieten,  in  welchen  die 
katholiscln'n  Fürsten  «las  jus  reformandi  in  Anwendung  brachten. 
Da  war  es  wiederum  Fri«*«lrich  Wilhelm,  welcher  mit  unermüdlichem 
Eifer  «Icr  Verfolgteu  sich  annahm,  hier  prot«*sti<*rend,  dort  Fürbit t«' 
«'inl«*gen«l,  «len  Flüchtigen  aber  Unterstützung,  Hülfe  und  Aufnahme 
in  seinem  Lande  gewähreml.  Landwehr  hat  umfangreiche  Kapitel 
mit  Schilderungen  «ler  thatkräftigen  Fürsorge  des  grossen  Kurfürsten 
für  s«'iue  verfolgten  Glaubensgenossen  angefüllt,  un«l  «lennocli  kann 
sein«*  Darstellung  noch  ergänzt  werden.  Uni  den  Evangelischen  in 
Schbsicn,  welchen  «l«*r  Kaiser  «lie  Kirchen  entzogen  hatte,  «lie  M«">g- 
lichkeit  zu  g«*währen,  an  einem  evang«*lis«*h«'n  G«>ttesdi«'iist«*  teil  zu 
nehmen,  fönlerteu  «ler  Kurfürst  und  seine  Mutter,  die  verwittw«!«* 
Kurfürstin  Elisabeth  Charlotte,  d«'ii  Bau  von  Grenzkirchen  im 
Bramlenburgischcn  nahe  «ler  sehlesischen  Grenze,  in  welchen  evan- 
gelische Geist  lieh«*  für  «lie  Schlesier  Gottesdienst  hielten.  Von  «l«*n 
2H  Grenzkirchen,  zum  t«*il  nur  kleinen  Gebäud«'n,  lagen  <>  im  Ge- 
biete von  K rossen  und  Züllichau,  über  welche  «lie  Geschichte  des 
Lamlc.-*  Sternbeig  von  W.  un«l  B.  Freier  (S.  ö(J«J  u.  fg.)  nähere 
Angaben  enthält.  Als  emlhVh  in  Öst«>nvi«*h  «Ii«*  Be«lrü«*kung  «Icr 
Evangelischen  und  in  Frankreich  «Ii«*  Verfolgung  «ler  Reformi«*rt«*n 
unter  Ludwig  XIV.  si«*h  steigert«*ii,  in  England  aber  Jak«>b  II. 
katholisieren«le  Tendenzen  verfolgt««,  da  schloss  «ler  grosse  Kurfürst 
1(JS~>  mit  Holland  einen  Allianzwrtrag,  weh  her  auch  «lie  Vertei«ligiing 
«ler  Evangelischeu  ins  Auge  fasste.  Vom  Frühjahr  1087  an  for<l<«rt«' 
er  unausgesetzt  Wilhelm  von  Oranien  zur  Erhebung  gegen  Jakob  II.  auf, 
d«*r«*n  glücklichen,  folgenr«*ichen  Ausgang  er  freilich  nicht  mehr  erlebte. 

Von  d«*m  Streben,  das  Wohl  der  Evangelischen  zu  fiinlern, 
war  au«h  s«>ine  Kirchenpolitik  in  seinem  eigenen  Lande  beherrscht; 
aber  hier  traten  ihm,  wie  schon  aiig«*«lciitct,  Sehwi«*rigk«*iu*n  entgegen, 


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230 


Heidemann, 


Heft  6  il  7 


die  in  den  eigentümlichen  Verhältnissen  des  Kurstaates  begründet 
■waren,  und  deren  er  nieht  vollständig  Herr  werden  konnte.  In  der 
Mark  Brandenburg,  in  Preußen  und  Pommern  hatte  sieh  die  Kirchen- 
reformatio!!  unter  der  Führung  Wittenl>orgs  vollzogen.  Die  Ke- 
vrdkerung  war  im  strengsten  Sinne  des  Wortes  lutherisch  gesinnt  und 
die  Augustana  und  die  Konkordienfonnel  bestinimten  die  Glaubens- 
richtung.  Katholikin  und  C'alvinisten  waren  nur  in  verschwindender 
Minderheit  vorhanden.1)  Während  des  16.  Jahrb.  lehten  Kurfürsten, 
Stände  und  Volk  auf  Grund  der  gleichen  religiösen  Ansehauung  in 
vollem  Einvernehmen.  Diesen  Zustand  der  Ruhe  unterbrach  1013 
der  Übertritt  Johann  Sigismunds  zur  reformierten  Kirche,  den  Berlin 
mit  einem  Aufstande  beantwortete.  In  der  Thnt  war  die  Aufregung 
der  Lutherischen  nicht  unbegründet,  denn  der  Kurfürst  besass  das 
jus  reformandi  in  seinem  Lande,  und  die  Möglichkeit  der  Anwendung 
desselben  schien  nicht  ausgeschlossen  zu  sein.  Indessen  Johann 
Sigismund  dachte  nicht  an  die  Anwendung  jenes  Rechtes,  sondern 
forderte  nur  die  Gleichberechtigung  seiner  Konfession  neben  der 
lutherischen;  aber  der  dogmatische  Streit  der  Parteien,  welcher  nun 
entbrannte  und  mit  einer  uns  heute  kaum  noch  begreiflichen  Heftig- 
keit geführt  wurde,  liess  es  dazu  nicht  kommen.  Selbst  der  Religions- 
krieg  drängte  ihn  nur  zurück,  aber  beendete  ihn  nieht.  Der 
Regierungsantritt  Friedrich  Wilhelms  entfachte  ihn  von  neuem  l>e- 
sonders  in  Preussen,  wo  die  politische  Opposition  der  lutherischen 
Stände  gegen  die  kurfürstliche  Autorität  durch  ihn  ein  neues  Reiz- 
mittel gewann.  In  Brandenburg,  Pommern  und  den  anderen  Landes- 
teilen  wuchsen  Unruhe  und  Unfrmlen  mit  den  Jahren.  Die  Ein- 
führung eines  reformierten  Gottesdienstes,  die  Anstellung  von  Beamten 
des  reformierten  Bekenntnisses,  ja  selbst  die  Beförderung  friedliebender 
lutherischer  Geistlichen  an  Stelle  übereifriger  Persönlichkeiten  auf 
Grund  des  Paritätsprinzipes,  welches  der  Kurfürst  proklamierte,  er- 
schienen den  Lutheranern  als  unberechtigte  Übergriffe  der  C'alvinisten 
in  ihren  Besitzstand.  Der  Kurfürst  suchte  die  konfessionellen  Gegen- 
sätze durch  Veranstaltung  von  Religionsgesprächen,  wie  das  Thorner 
vom  Jahre  164ö  und  das  Berliner  vom  Jahre  1662,  zu  mildem, 
erfuhr  aber  zu  seinem  Leidwesen  die  alte  Wahrheit,  das.*  religiöse 
Disputationen  sie  nur  verschärfen.  Als  die  friedlichen  Mittel  zur 
Versöhnung  ohne  Erfolg  blieben,  griff  die  Regierung,  freilich  nicht 
immer  mit  dem  richtigen  Takte,  zu  amtlichen  Verordnungen.  So 
wurde  der  Exorcisnius  bei  der  Taufe  verboten,  die  Verbindlichkeil 
der  Konkordienfonnel  für  die  Theologen  aufgehoben  und  den  Stu- 

')  Die  von  Landwehr  S.  3o8  geäusserte  Ansicht,  dass  in  den  Marken 
der  römische  Glaube  keine  Anhänger  mehr  besass,  bedarf  doch  der  Ein- 
schränkung. Nicht  alle  Adeligen  waren  1;>39  zum  Luthertum  übergetreten, 
unter  anderen  z.  B.  nieht  Busso  und  Hans  von  Bertenslel>en  auf  Wolfsburg 
in  der  Altmark.  Vcrgl.  Danneil:  Gesch.  d.  Geschlechtes  derer  v.  d.  Schulen- 
burg, I,  S.  421. 


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1894.  Die  Kirchenpolitik  Friedrich  Wilhelms  etc.  231 

diereinlen  «ler  Besuch  »1er  Universität  Wittenberg,  des  Sitzes  der 
streng  lutherischen  Lehre,  untersagt.  Als  die  Streitigkeiten  dennoch 
formulierten,  erliess  «1er  Kurfürst,  um  wenigstens  den  äusseren  Kirchen- 
frieden  zu  erzwingen,  am  IG.  Sept.  1G04  »las  scharf«'  Tolcmnzcdikt, 
welches  «len  Parteien  «las  gegenseitige  Schmähen  und  Verketzern  Ihm 
Strafe  verbot  un«l  von  «len  Geistlichen  einen  Revers  tlarüber  ver- 
langte, «lass  si«>  d«ni  E<likte  Folge  leisten  wollten.  Damit  trat  der 
kirehlieh«'  Streit  in  eine  neue  Phase:  es  entbrannte  «ler  Kampf  gegen 
«l«Mi  Revers,  welchen  Paul  Gerhardts  charaktervolle  Opposition  und 
Amtsentsagung  für  all«-  Zeiten  denkwürdig  gemacht  haben.  Auch 
«las  E«likt  führte  nicht  zum  Zieh',  entzündete  vielmehr  in  Wahrheit 
«■inen  Kampf  zwischen  Staat  und  Kirch«',  der  die  Gemeinden  aufregte 
und  die  Kinmisehung  «ler  Stände  herbeiführt«',  so  dass  d«-r  Kurfürst 
sich  veranlasst  sah,  IGGS  die  Schärfe  seines  Ediktes  zu  mildern. 

Die  Geschichte  dieses  kirchlichen  Streites  bildet  «len  Haupt- 
gc  gen  stand  »ler  Darstellung  in  Laudwehrs  Buche.  Der  Verfasser  hat 
durch  dieselbe  wohl  für  immer  die  landläufige,  durch  Herings  „Neue 
Beitrüge"  verbreitete  Ansicht  beseitigt,  «lass  die  Lutheraner  die  eigent- 
lichen Fri«'<l«'nsstörcr  g«-wes«'ii  seien ;  denn  er  hat  «len  Nachweis  geführt, 
«lass  die  Reformierten  nicht  minder  kampflustig  waren  als  ihre  G«-gner.1) 
Von  hervorragendem  Einflüsse  in  dieser  Beziehung  war  «ler  kurfürst- 
liche  Hofprediger  Bartholomäus  Stosch,  welchem  «ler  Verfasser  eine 
besondere  Monographie  in  den  Forschungen  zur  brnmlenburgischen 
uml  preussischen  G«'schichte  (  VI,  1)  gewidmet  hat.  Stosch  war  nicht 
eig<'iitlieh  streitlustig,  ab«T  ein  Hauptvertreter  «l«*r  Vermittlungs- 
theologic,  welch«'  den  scharfkantigen  Lutheranern,  wie  einem  Paid 
Gerhanlt,  als  Synkretismus  erschien.  Seine  Bestrebungen  fanden 
eine  Stütze  an  dem  Staatsmanne  Otto  von  Schwerin,  dessen  Bedeutung 
als  Ratgeber  des  Kurfürsten  Landwehr  je« loch  nicht  eingehend  «lar- 
gelegt  hat  Das  Nachgeben  «les  Kurfürsten  in  «ler  Reversfrnge  hatte 
auch  zur  Folg»',  dass  «Ii«;  Einwirkung  jener  Männer  auf  «Iii'  Kirehcn- 
politik  mehr  und  mehr  zurücktrat.  Von  allgemeinen  Erlassen  und 
«ler  Veranstaltung  von  Colloquien  der  Geistlichen  nahm  der  Kurfürst 
fortan  Abstand.  Er  entschied  die  Streitigkeiten  zwischen  Lutheranern 
uml  Reformierten  nur  noch  von  Fall  zu  Fall  auf  Grund  «ler  lie- 
stehi'nden  Gesetze,  womit  er  weiter  kam.  Das  Hauptziel  seiner 
Kircheiipolitik  aber,  die  Versöhnung  uml  Einigung  «ler  hadernden 
Parteien,  hat  er  nicht  »^reicht.  Erst  eine  spätere  Zeit  uml  eine 
andere  Geistesentwieklung  vermochten  «lie  konfessionellen  Gegensätze 
zu  mildem. 


l)  Wir  verweisen  hi»-r  auf  die  Bemerkungen,  »Ii«;  wir  zu  Landwehrs 
Aufsatz  über  St<*sch  in  den  Nachrichten  dieses  Heftes  gemacht  halten. 

Die  Schriftleitmig. 


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Deutsche  Erziehung.1) 

Eine  Besprechung  von  Bud.  Hochegger. 

Eine  mächtige  pädagogische  Strömung  geht  durch  Deutsch- 
land. Wie  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhundert«  bekunden  alle 
Gesellschaftskreise  lebhaftes  Interesse  für  pädagogische  Fragen. 
In  den  Verhandlungen  der  Parlamente,  im  öffentlichen  und  privaten 
Leben,  in  einer  reichen  Litteratur,  in  Hunderten  von  Flugschriften, 
in  wissenschaftlichen  und  politischen  Blattern  wird  über  die  Er- 
ziehung gesprochen  und  gestritten,  man  hofft  von  einer  Keforni 
des  Unterrichtes  und  der  Erziehung  eine  ideale  Wiedergeburt 
unseres  Volkes,  täglich  tauchen  neue  Vorsehläge  zur  Umgestaltung 
der  Erziehungsverhältnisse  auf.  Den  Verfasser  bedünkt  es,  dass 
wir  Deutschen  zwar  äusserlich  gross  geworden  sind,  aber  auf  dein 
besten  Wege  seien,  innerlich  klein  zu  werden.  „Das  fachmännische 
Spezialistentum  verdrängt  immer  mehr  die  idealen1  Allgemein- 
bildung; Uniformierung  und  Sehablonisierung  verhindern  die  Ent- 
faltung kräftiger  Sondernaturen,  die  ihren  eigenen  Weg  zu  gehen 
wagen ;  sittliche  Charakterlosigkeit,  aus  körperlichen  Ursachen  und 
naturnotwondiger  Vererbung  erklärt  uud  entschuldigt,  gilt  kaum 
noch  als  Sehmach,  wenn  nur  (Jcld  dabei  verdient  wird.  Ein  Volk 
bleibt  aber  gross  nur  durch  die  Erhaltung  der  Eigenschaften,  durch 
welche  es  gross  geworden  ist.  So  müssen  wir  uns  denn  die  All- 
gemeinbildung, die  scharf  geschnittenen  Individualitäten,  die  starken 
Charaktere  unserer  Eltern  zurückerobern,  wollen  wir  auf  der 
äusseren  Höhe  bleiben,  auf  der  wir  stehen,  denn  nur  durch  innere 
Grösse  wird  äussere  erzeugt  und  bewahrt."  Schnitze  entwirft  von 
diesen  Gesichtspunkten  ans  ein  System  der  Erziehung  und  des 
erziehenden  Unterrichtes.  Das  Ideal  der  „Deutschen  Erziehung" 
besteht  nach  ihm  in  der  ebenmässigen  Vereinigung  einer  reichen 
Allgemeinbildung  mit  einem  festen  Charakter  in  einer 
starken  und  urwüchsig  ausgeprägten  Individualität  Seine 
Ijcitbegriffe  und  einzelnen  Darlegungen  stehen  unter  dem  Einflüsse 
Herbart«  und  Zillers,  jedoch  tritt  in  Inhalt  und  Form  auch  die 
Eigenart  und  Selbständigkeit  des  Verfassers  hervor.  All  die  Vor- 
züge, welche  den  übrigen  Schriften  des  bekannten  Schriftstellers 
eigen  sind,  kommen  auch  seinem  neuesten  Werke  zu:  strenge 
Wissenschaftlichkeit  verbunden  mit  der  Gabe,  die  schwierigsten 
Probleme  spielend  zu  behandeln  und  auch  dem  Laien  verständlich 

')  Schnitze,  Fritz.    Drtitwlu-  Erziehung.    I/tMpzig,    Ern*t  Günther. 

18!  tt  S.  8°. 


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1894. 


Pout8che  Erziehung. 


233 


zu  machen,  feine  psychologische  Analyse,  objektives  Urteil,  Ver- 
ständnis für  die  Wirklichkeit  bei  einer  durchwegs  idealen  Welt- 
auffassung, glänzende  Schreibweise.  Das  vorliegende  Werk  birgt 
auch  einen  Schatz  von  pädagogisch  -  didaktischen  Erfahrungen. 
Letztere  werden  in  einer  so  anschaulichen,  anregenden  Forin  ge- 
geben, dass  dadurch  der  Praxis  mehr  gedient  ist  als  durch  abstrakte 
Theorien,  die  oft  auf  Grund  eines  unhaltbaren  psychologischen 
und  ethischen  Systems  mit  Vernachlässigung  der  erfahrungsmässig 
gegebenen  Bedingungen  aufgebaut  werden.  Allerdings  zeigen  sich 
infolge  des  Mangels  einer  einheitlichen  systematischen  Grundlegung 
manche  Ungleichheiten  und  Widersprüche.  Der  Verfasser  ist  z.  B. 
im  Ganzen  Anhänger  der  Ziller'sehen  Kulturstufen,  wonach  der 
historische  Vorgang  der  Geistesentwicklung  auch  bei  der  Ent- 
wicklung des  Einzelnen  einzuhalten  wäre,  fordert  aber  in  seinem 
speziellen  Kcformplanc  dem  entgegen,  dass  der  sprachliche  Unter- 
richt in  der  Stufenfolge  Englisch,  Französisch,  Lateinisch,  Griechisch 
erteilt  werde.  Solche  Widersprüche  würde  der  Verfasser  ver- 
mieden haben,  wenn  er  von  seinem  Standpunkte  als  Neukantianer 
und  Anhänger  der  Entwicklungslehre  ein  System  der  Pädagogik 
folgerichtig  entwickelt  hätte.  Schnitze  ist  ein  durchaus  moderner 
Denker  und  hätte  schon  deswegen  sieh  an  kein  älteres,  unter 
anderen  Voraussetzungen  entstandenes  System  anlehnen  sollen. 
Doch  soll  durch  die  Erwähnung  dieser  Schwäche  nicht  das  Treff- 
liche, welches  das  Werk  sonst  bietet,  geschmälert  werden.  Sehultzes 
Werk  zerfällt  in  folgende  Abschnitte:  1.  Das  Hauptziel  aller 
erzieherischen  Thätigkeit.  2.  Die  Bedeutung  und  Pflege  der 
Individualität  des  Zöglings.  3.  Die  angeborenen  Anlagen  des 
Zöglings.  4.  Die  erworbenen  Vorstellungen.  5.  Der  Begriff  der 
pädagogischen  Regierung.  Die  leibliche  Pflege  des  Zögling«. 
t>.  Uberbürdung,  Bewegung  und  Beschäftigung.  7.  Die  Bestrafung 
der  Kinder  im  allgemeinen.  8.  Die  erzieherischen  Strafmittel  im 
einzelnen.  9.  Achtung  und  Liebe  als  wirksamste  Mittel  der  Leitung 
der  Kinder.  10.  Die  Bildung  des  Charaktere  und  Gemütes. 
11.  Der  erziehende  Unterricht:  Methoden,  Unterrichtsfächer,  Schul- 
arten. 12.  Die  methodische  Behandlung  eines  Lehrstoffes  im  er- 
ziehenden Unterricht.  Schnitze  findet  den  allgemeinen  Zweck  der 
Erziehung  in  der  harmonischen  Ausbildung  aller  Fähigkeiten  des 
Geistes  (Verstand,  Wille,  Gemüt,  Gefühl,  Phantasie)  und  ihrer 
steten  Unterordnung  unter  den  starken  Willen  eines  echt  sittlichen 
Charakters.  Als  Gegenstand  der  Erziehung  tritt  uns  aber  nie  ein 
allgemeiner  Typus  entgegen,  sondern  stets  eine  Individualität,  so 
diiss  die  Erziehung  stets  individualisierend  verfahren  muss.  Jenes 
allgemeine  Ziel  muss  mit  kluger  Vorsicht  in  der  Individualität 
zur  Durchführung  gebracht  werden.  Die  Erziehimg  des  Mannes 
und  der  Frau  kann  z.  B.  nicht  nach  einerlei  Gesetz  erfolgen.  Um 
der  Individualität  gerecht  zu  werden,  bedarf  es  einer  gründlichen 
Erforschung  der  Eigenart  des  geistigen  Wesens  überhaupt  wie  des 


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25U 


Hoehejnjer,  Deuteln-  Erziehung.  Heft  6  u.  7. 


einzelnen  Zöglings.  Um  den  Kern  des  Mensehen  zu  erkennen, 
timss  man  die  angeborenen  Anlagen  und  die  durch  Beeinflussung 
von  aussen  erworbenen  Vorstellungen  in  Betracht  ziehen.  Der 
Rest  macht  den  innersten  Wesenskeru,  die  eigentliche  Individualität 
des  Mensehen  aus.  Gegenüber  der  Maeht  der  ererbten  Anlagen 
und  dem  individuellen  Wesenskern  des  Ich  zeigt  sieh  die  Er- 
ziehung oft  ohnmächtig,  doch  bilden  die  angeborenen  Anlagen 
keineswegs  ganz  unabänderliche  Hindernisse.  Der  individuelle» 
Wesenskern  ist  freilieh  das  Irrationale  im  Mensehen.  Die  Haupt- 
macht der  Erziehung  liegt  in  der  Beeinflussung  durch  erworbene 
Vorstellungen.  Die  innere  Harmonie  der  Persönlichkeit,  welche 
die  Erziehung  erzielen  soll,  muss  bereits  in  der  Ordnung  der 
äusseren  Lebenshaltung  vorgebildet  sein.  Da  erweist  sieh  nament- 
lich eine  vernünftige  Körperpflege  als  die  Vorbedingung  zur  Er- 
haltung der  äusseren  Ordnung.  Nie  darf  auch  über  der  geistigen 
die  leibliche  Ausbildung  übersehen  werden  oder  gar  auf  Kosten 
dieser  jene  erzwungen  werden.  Nicht  bloss  aus  organischen, 
sondern  auch  aus  psychischen  Zuständen  erwachsen  Unordnung 
und  Störung  für  die  Harmonie  der  Persönlichkeit.  Den  daraus 
sieh  ergebenden  ungeordneten  Handlungen  begegnen  wir  durch 
Gewalt  nmssrcgeln  und  Strafen.  Die  wirksamsten  Mittel  für  die 
Leitung  der  Kinder  sind  jedoch  Achtung  und  Liebe.  Ihre  Voll- 
endung erreicht  die  Erziehung  in  der  Charakterbildung,  d.  h.  in 
der  Erreichung  eines  steten,  von  sittlichen  Grundsätzen  geleiteten 
Willens.  Uber  der  Bildung  des  Charakters  darf  aber  die  des 
Gemütes  nicht  in  den  Hintergrund  gedrängt  werden.  „Das  Gemüt 
ist  der  warme  Sonnenschein,  der  sich  auf  die  rauhen  Felsen  des 
Charakters  legt,  sie  erwärmt  und  mit  lieblichem  Pflanzenwuchs 
bekleidet.  Gemüt  ohne  Charakter  bedeutet  einen  Schwächling  .  .  . 
Charakter  ohne  Gemüt  einen  Starrkopf,  ein  versteinertes  Herz; 
Charakter  u  n  d  Gemüt  den  gefühlswarmen,  liebevollen  und  darum 
wahrhaft  liebenswürtligen  Menschen.  Allein  aus  dieser  Verbindung 
von  Charakter  und  Gemüt  entspringt  die  rastlos  thatige  und  er- 
folgreich wirkende  Menschenliebe."  Es  sind  beherzigenswerte 
Worte,  die  Schnitze  den  Erziehern  und  Lehrern  zuruft:  „Niemals 
vergesse  man  in  der  Erziehung,  dass  tausendmal  mehr  als  alle 
gelehrten  Kenntnisse  und  alle  künstlerischen  Fertigkeiten  die 
lautere  sittliche  Gesinnung  und  das  liebevolle  Gemüt  wert  ist. 
Es  steht  nicht  geschrieben:  Selig  sind  die  Wissenden!  -  auch 
nicht:  Selig  siud  die  Könnenden!  sondern  einzig  und  allein: 
Selig  sind,  die  reinen  Herzens  sind!"  In  dein  didaktischen  Teile 
fasst  sich  der  Verfasser  kurz,  da  er  nicht  so  sehr  die  Absieht 
hatte,  in  vorliegendem  Werk  ein  Buch  für  den  Lehrer  in  der 
Schule  als  für  den  Erzieher  in  der  Familie  zu  schreiben;  doch 
entwickelt  er  immerhin  allgemeine  Grundlagen  des  erziehenden 
Unterrichtes. 


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1894. 


Nachrichten. 


235 


C.  Nachrichten. 


Am  14.  April  WM  ernannte  Kurfürst  Friedrich  III.  von  Branden- 
burg den  von  der  Universität  Leipzig  ab  „notorischer  Erzbösewicht"  ver- 
triebenen Christian  Thomasius  zuni  kurf.  brandenburgischen  Rat  und 
ermächtigte  ihn,  „sich  in  unserer  Stadt  Halle  im  Herzogthum  Magdeburgk 
zu  setzen  und  der  studirenden  Jugend,  welche  sich  allda  bei  ihm  ein- 
finden möchte,  mit  Lectionibus  und  Collegiis,  wie  er  bishero  zu  Lcipzigk 
getban,  an  die  Hand  zu  gehen".  Es  war  der  erste  Schritt  zur  Errichtung 
der  Universität  Halle,  die  am  11.  Juli  16&4,  dem  Geburtstag  des  Chur- 
f  Arsten,  feierheh  eröffnet  wurde.  Dieser  erste  Sehritt  kennzeichnet  zugleich 
die  Geistesrichtung,  aus  der  heraus  der  kühne  Entschluss  entstand,  in  der 
Nähe  von  Leipzig,  Jena  und  Wittenberg  eine  neue  Hochschule  zu  gründen, 
—  es  war  der  Geist  der  religiösen  Toleranz,  wie  er  den  Kurfürsten 
und  nachmaligen  ersten  König  von  Preussen  und  seine  nächste  Umgebung, 
den  Kanzler  Frhru.  Paul  von  Fuchs  und  den  Hof-  und  Domprediger  Daniel 
Ernst  Jablonsky,  den  Enkel  des  Comenius  und  Mitbegründer  der  Kgl. 
Akademie  der  Wissenschaften,  beseelte  —  der  Geist,  «1er  im  Jahre  1091 
auch  die  Berufung  des  von  den  Lutheranern  aus  Dresden  verdrängten 
Philipp  Jacob  Spener  nach  Berlin  veranlasste.  Keine  deutsche  Hoch- 
schule hat  im  ersten  Jahrhundert  ihrer  Wirksamkeit  mehr  für  die  Ausbrei- 
tung der  comenianischeu  Geistesrichtu ng  gethan  als  die  Universität 
Halle;  nirgends  haben  die  von  dem  schroffen  Confessionalismus  der  lutheri- 
schen Territorien  verdrängten  und  verfolgten  Vertreter  des  Unionsgedankens 
eine  kräftigere  Stütze  gefunden  als  hier,  und  keine  deutsche  Hochschule  hat 
mehr  dazu  beigetragen,  die  in  äusseren  Formen  und  Formeln  verknöchernde 
Kirchlichkeit  zu  lebendigem  religiösen  Empfinden  zurückzuführen.  In  Rück- 
sicht auf  diese  Bedeutung  hat  gerade  die  Comenius -Gesellschaft  alle  Ver- 
anlassung, die  bevorstehende  Jahrhundertfeier  der  Universität  Halle  mit 
ihren  besten  Wünschen  zu  begleiten. 


Die  „geistigen  Begründer  der  Universität  Halle"  waren,  wie 
Wilhelm  Schräder  in  seiner  soeben  erschienenen  Geschichte  der  Friedrichs- 
Universität  zu  Halle  (Berlin,  Ferd.  Dümmler  1894  I,  8)  sagt,  Thomasius 
und  Francke.  „Wir  empfinden  es  fast  als  eine  Ironie  der  Geschichte  (sagt 
Schräder),  dass  diese  beiden,  welche  nicht  nur  die  junge  Universität,  sondern 
die  Hochschulen  überhaupt  mit  neuer  Kraft  füllen  sollten,  um  ihres 
freien  Geistes  willen  von  Leipzig  ausgestoßen  wurden,  demselben  Leipzig, 
dessen  Anfänge  doch  auch  einer  Befreiung  von  fremdem  Drucke  ent- 
stammten  Die  neue  Universität  ist  durch  den  Kurfürsten  Friedrieh 

von  Brandenburg  gestiftet;  aber  diese  Universität  wäre  nicht  ohne Thomasius 
entstanden,  noch  ohne  Francke  zu  ihrem  gewaltigen  Einfluss  gediehen." 

Monatshefte  der  Coroenius-ücscllMihaft.    IWrt.  1<5 


236 


Nachrichten. 


Heft  (i  u.  7. 


Sehr  merkwürdig  ist  da*  Urteil  Friedrichs  des  Gräften  ül>er  Tho- 
masius.    Er  sagt: 

„Do  tou»*  les  savans,  cpii  ont  illustre!  l'Allemagne,  Loibniz  et  Thnmasius 
feudi  rent  les  plus  grands  Services  ä  1'esprit  humain." 

Oeuvres,  1788,  1,  37«. 

Treitschko,  Deutsche  Geschichte  I,  3«  und  Wilhelm  Roscher 
(Prcnns.  Jahrb.  XIV,  28 j  nennen  Leibolz,  Thoma*iuH,  Spener  und  Pain- 
dorf die  vier  grossen  reformatorisohen  Denker  des  17  Jahrhunderte.  Wie 
kommt  es,  da*«  hier  Comcniua  fehlt,  der  doch  auf  die  drei  erstgenannten 
so  grossen  geistigen  Einfluss  geübt  hat?  Sehr  richtig  alier  machen  beide 
neuere  fielehrte  auf  die  Tbatsachc  aufmerksam,  da*s  die  vier  genannten 
grossen  Männer,  von  dem  lutherischen  Sachsen  abgewiesen,  in  Branden- 
burg Aufnahme  und  einen  grossen  Wirkungskreis  gefunden  haben.  — 
Für  das  Forschungsgebiet  der  CG.  kommt  gerade  der  hrandenburgisch- 
preussiache  Staat  neben  dem  englischen  und  hollandischen  in  erster 
Linie  in  Betracht. 

In  den  Forschungen  zur  brnndenburgiseben  und  preussischen  Ge- 
schichte«. 1  giebt  H.  Land  wehr  eine  Lebensbeschreibung  des  knrfürstbchen 
Hofprediger»  Bartholomaens  8to*eh  (1«04—  1«8«).  Die  brandenburgisebe 
Kirchciiftolitik  unter  Friedrich  Wilhelm  dem  Grossen  Kurfürsten  ist  gerade 
für  das  Forschungsgebiet  unserer  Genellschaft  von  Iwsonderem  Interesse,  und 
in  der  That  berührt  der  Aufsatz  eine  Reihe  von  Fragen,  die  für  unsere 

Zwecke  wichtig  sind.    Die  Schrift,  die  auch  als  SonderaMruek  ersehn  n 

ist1),  ist  um  so  wärmer  zu  l>ogrüssen,  al*  es  bisher  an  Arbeiten  über  den 
merkwürdigen  Mann  fast  ganz  fehlt.  Stosch  war  in  Reuthen  von  Männern 
de«  comenianischen  Freundeskreises  (s.  unten)  unterrichtet  worden  und 
hatte  dann  (1«2«)  die  Universität  Frankfurt  a.  O.  besucht,  deren  Theologen 
damals  durchweg  der  reformierten  Lehre  zugethan  waren  und  unter  denen 
hier  nur  Konrad  Bergius,  Christoph  Pelargus  und  Benjamin  Ureinus  genannt 
sein  mögen.  Unter  den  vielfachen  Beziehungen,  die  Stosch  auf  seinen  zahl- 
reichen Reisen  anknüpfte,  war  die  zum  Grafen  Achati us  III.  von  Dohna, 
der  sich  damals  unter  allen  Adligen  Otproussens  durch  seine  wissenschaftliche 
Bildung  und  seine  ernste  religiöse  Lebensrichtung  hervorthat,  (s.  filier  ihn 
Beiheft  8  zu  „Die  Dohnas",  Berlin  1882  S.  10)  für  seine  spätere  taufbahn 
die  wichtigste.  Im  J.  1«40  begab  sich  Stosch,  der  damals  bei  dem  genannten 
Grafen  auf  Dönhofsstädt  (damals  Grosa-Wolffdorf  genannt)  weilte,  nach  Lissa, 
um  sich  von  den  böhmischen  Brüdern  zum  Geistlichen  ordinie- 
ren zu  lassen;  dass  dieser  auffallende  Schritt  keiner  Laune  entsprang, 
sondern  seine  Geistesrichtung  kennzeichnet,  liegt  auf  der  Hand.  Dann  wurde 
er  Pfarrer  in  dem  Dönhoff 'sehen  Dorfe  Pilten  in  Livland,  um  durch  den 
Hofprediger  Johann  Bergius,  den  Bruder  Konrads,  im  J.  1«44  als  Hofprediger 
nach  Berlin  zu  kommen.  Wir  müssen  im  übrigen  an  dieser  Stolle  auf  die 
interessante  Schrift  verweisen,  die  namentlich  der  geistigen  Bedeutung  von 


')  I/'ipzig,  Duncker  und  Humblot  is'Xi. 


1894. 


Nachrichten. 


237 


Stosch,  der  zugleich  einer  der  hervorragendsten  Kanzelredner  seiner  Zeit  war, 
vollkommen  gerecht  wird.  Landwehr  ist  hei  seinen  Veröffentlichungen,  wie 
er  selbst  erklärt,  von  dem  Bestreben  geleitet,  „der  lutherischen  Richtung 
gerecht  zu  werden",  der  man  nach  seiner  Ansicht  bei  der  Darstellung 
dieser  Zeiten  und  Verhältnisse  bisher  nicht  genügend  gerecht  geworden  ist. 
Dies  Bestreben  ist  gewiss  zu  billigen  und  zumal  bei  einem  Gelehrten,  der 
sich  selbst  zu  den  Lutheranern  zählt,  durchaus  begreiflich.  Wenn  er  aW 
sagt,  d&ss  so  „herrliche  Typen",  wie  sie  sich  damals  im  lutherischen 
Lager  finden ,  „vergebens  im  reformirten  Lager  gesucht  werden",  so  mu*s 
man  doch  fragen,  oh  ihn  dies  Bestreben  nicht  hier  und  da  doch  dazu  vertührt 
hat,  in  denselben  Fehler  zu  verfallen,  in  den  die  bisherigen  Darsteller  nach 
seiner  Uebcrzeugung  gernthen  sind,  nämlich  den  einen  Teil  der  streitenden 
Parteien  zum  Nachteil  des  anderen  zu  bevorzugen.  Immerhin  ist  es  wert- 
voll, da«s  wir  nunmehr  auch  eine  Darstellung  besitzen,  die  uns  die  Kehrseite 
der  Ereignisse  nicht  verschweigt. 

In  den  UnionslK-strebungen  di*  17.  Jahrhunderts,  zumal  im  östlichen 
Deutschland,  spielt  das  (iyinnasium  Schonalehlanuin  zu  Beuthen  a.  (>., 
das  vom  Freiherrn  Georg  von  Schönaich  um  1614  gegründet  war,  keine  un- 
erhebliche Rolle.  Die  Anstalt  hatte  viel  Ähnlichkeit  in  ihrer  Einrichtung  wie 
in  ihren  Zielen  mit  der  hohen  Schule  in  Herborn,  und  wenn  auch  die  Ge- 
schichte der  letzteren  durch  Comenius'  Aufenthalt  von  grösserer  Bedeutung 
für  unser  Arbeitsgebiet  ist,  so  haben  wir  doch  alle  Veranlassung,  auch  den 
berühmten  Beuthcner  Schulen  unsere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden;  denn 
ausser  dem  Gymna*ium,  das  mehr  den  Charakter  einer  akademischen  An- 
stalt besass,  hatte  der  genannte  Freiherr  v.  Schönaich  auch  ein  Pädagogium 
in  Beuthen  errichtet.  Die  Schulen  haben  viele  hervorragende  Vertreter  der 
reformierten  Kirche  gebildet  —  die  Freiherrn  von  Schönaich  waren  reformiert 
unter  anderen  auch  den  Mann,  der  auf  die  Kirchenpolitik  des  Grossen  Kur- 
fürsten lange  Zeit  den  wesentlichsten  Einfluss  geübt  hat,  Bartholomaus  Stosch. 
I-eider  fehlt  eine  Geschichte  dieser  Schulen,  die  den  Anforderungen  der 
Neuzeit  entspräche.  Eine  ähnliche  Bedeutung  besass  übrigens  in  Nordwest- 
deutschland das  Gymnasium  illustre,  das  die  Grafen  von  Bentheim  in  Burg- 
steinfurt  errichtet  hatten.  Bemerkt  sei  noch,  dass  sowohl  die  Hern»  von 
Schönaich,  wie  die  Professoren  den  Anstalten  (cIhmiso  wie  die  Oranier  in 
Herborn  und  anscheinend  auch  die  Grafen  von  Bentheim)  rege  Beziehungen 
zu  den  böhmischen  Brüdern  Insassen,  und  dn&s,  als  YVallcnstcin»  Scharen 
die  Beuthener  Schulen  schlössen,  verschiedene  Professoren  sich  zu  den 
Brüdern  nach  Lissa  begaben.  Von  den  Beuthener  Lehrern  ist  Georg  Vechner 
durch  seine  |>er9Önlichen  Beziehungen  zu  Comenius  bekannt  (vgl.  M.  H.  der 
CG.  1892  S.  118  u.  185)3  S.  102);  ausser  ihm  sind  aus  älterer  Zeit  Jeremias 
Golems,  Adam  Liebig,  Johannes  Scultetus  und  Martin  Fussel,  der  Sohn  des 
bekannten  brandenburgischen  Hofpredigers,  zu  nennen. 


16" 


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238 


Inhalt  neiurer  Zeitschriften. 


Heft  6  u.  7. 


D.  Inhalt  neuerer  Zeitschriften. 


HIMorlM-hoN^   Jahrtoueh^  der 

Auf  »atze:     Schinitz,  <iro»»*iegcll>ewahrer 
Kauffman*   und   die    l'niversitat  Köln. 
Rattingcr,  lvr  Uber  provisionuni  praela- 
lorum   l'rbani  V.   -     Kleinere  Ili-itr5lif«>. 
Rezensionen  und  Referate.  Zeilsehrlften- 
schaii,       Novitatenseluui.    -  Nachrichten. 

Heft  2.  Aufsätze:  Rauschen,  Nnw 
l'ntersuchiiiigeii  DImt  die  |fc-»criptio  der  Re- 
liquien ku  Aachen  und  St.  Denis.  -  Sag- 
müller.  Die  Anfange  der  diplomatischen 
Korrespondenz.  K  a  y  se  r ,  Johann«  »  Ludwig 
Vin»  (145r2  -l.'4t».  —  RÜchl,  (ieorg  von 
Wys».       Kleinere  Beitrage  etc. 

Rrvar  Internationale  de  l>n- 
Miencnn-nt.  14.  aunee.  No.  J:  Mau  riet* 
Vi'rni'ii,  I/cnscigncmcnl  de  la  republique 
«•l  la  restauraüon  de*  etudi-s  n'ligieuses.  — 
Theodore  Kein  ach,  I/histoire  greeuue 
et  la  nuinüuiiatique.  -  Con »eil  genersl  de» 
fatult.s  de  Pari».  Rapport  u  M.  h-  miniatru 
de  I' Instruction  publique  et  de»  Beaux-Arts. 

-  Chroniquc  de  I  Vnseigiiemcnt.  —  Nouvclk'S 
et  inlonnation».  Bibliographie. 

No.  3:  Cimi  I  le  Bloch  ,  I.'iiistniction 
publique  dan»  l'Aude  prndant  la  Revolution. 
II.  L'iiistniclioii  sreondaire;  l'ccoie  centrale. 

—  d  'Antruignes,  Sur  la  ni'-cessite  d'un 
enseignemciit  national  eii  Ku»»ie.  Memoire 
inedit.  Publie  par  M.  Ei'once  Pingaud 
(SiiiU'i.  -  H.  Eenionuicr  et  F.  Kenoit, 
Elements  de  hibllogniphic  |Kiiir  l'hi»toire  de 
l'art  moderne.  —  ('hronique  etc. 

Archiv  fllr  ©»terreiehl-Mhe  €*>• 
»rhirnte.  Ml.  Bd.  .'  HftUte.  1«M :  Hanna 
Schiitter,  Die  Stellung  der  österreichischen 
Regierung  cum  Te»taniente  Napoleon  Bona- 
parte'u.  —  B.  Jtretholx,  IHe  Übergabe 
Mahren»  an  Herzog  Albrecht  V.  Ton  Öster- 
reich im  Jahn-  1423.  (Beitrage  zur  (  Geschieh  te 
der  Hiisitenkriege  «n  Mohren.)  —  Franit 
von  Krone»,  Zur  (ieschichie  Ungarn» 
tl«»7t  — lOKli.  Mit  besonderer  Rück»icht  auf 
die  Thätigkcit  und  die  (ieschiehle  de»  Jesuiten- 
orden». Max  Dvorak,  Briefe  Kaiser 
!>>o|iold  I.  an  Wenzel  Kuseb,  Herzog  in 
Schlesien  zu  Sagsui ,  Fürsten  von  LohkowiU 
il<>ö7--l*>74).  Nach  den  Originalen  de«  Forst- 
lich von  Ixibkowitx'schen  Familienarchive»  gu 
Raudnilz  an  der  Klbc  in  Böhmen. 

Mitteilungen  de»  Verein«  für 
UeNehlchte  d.  Ueulwehen  |n«ohm<  n. 

:rJ.  Jahrg.  Heft  ■>:  Hermann  Hall  wich, 


Böhmen,  die  Heimat  Walther»  von  der  Vogel- 
weide.  -  A.  I*.  v.  Schlechtn-W»sehrd, 
l'ntpmng  und  Bedeutung  der  historischen 
Bezeichnung  zupa  und  zupan.  (Schluss.)  — 
J  o  b.  Ma  t  th.  K  Ii  tue»c  h,(fVKchicbt**chreiber 
de»  ehemaligen  t'istereienserstift»  ttoldcnkron. 

K.  Huyer,  Die  Budwel»  •  Linzer  PferuV- 
clscnbahn.  H.Lumhel,  IHc  Auffuhrungen 
de»  Horilzer  Pasaionaspicl». 

Heft  3 :  J  u  1.  L  i  p  |>e  r  t ,  Die  Wyscbehrad- 
frage.  Joh.  Matth.  Kliuie»ch,  iiv- 
»chichtsschrcllier  de*  ehemaligen  t'isterzienaer- 
»tifts  (Soldenkron.  (Schill»*.)  B.  Wolkan, 
l>ie  Anfänge  der  Reformation  in  Joachimathal. 

II.    La  tu  bei,    Die   Aufführungen  de» 
Horitzer  Passionsspicles.  (Schluss.)      An  ton 
Re I»  h  a  n  n .  Elisabeth  Johanna  Westen.  Kine 
vergessene  Dichterin  de»  IC.  Jahrhundert«. 
Schlesinger,  Bemerkung. 

1'lillonophUrhe  Honat»h»ne. 

:*>.  Bd.  Heft  I  u.  .»:  W.  Schuppe,  Die 
natürliche  Weltansieht.  B.  Erdniann, 
Theorie  der  Typen  -  Einteilungen.  (I.)  —  J. 
Du  hoc,  In  Sachen  der  Trieblehre.  —  K. 
Vorl linder,  Ein  lucher  noch  iinentdeckter 
Zusammenhang  Kant«  mit  Schiller.  —  Re- 
zenaionen.  -  Neu  eingegangene  Schriften.  - 
Au*  Zeitschriften. 

Vlerteljanrsmrhrirt  fllr  wlatven- 
wehnn Hellt-  l*ht  looophle.  IS.  Jahrg. 
Heft  2:  R.  A  vena riu»,  Bemerkungen  zum 
Begriff  de»  tiegenstandes  der  Psychologie. 
1.  Art.  —  W.  J  eru  »ale  in  ,  Glaube  und  Urteil. 
-  J.  Petzoldt,  Einige*  zur  t  rrundlegiing  der 
Sittenlehn\  3.  Art.  (Schiusa.)  -  Anzeige.  — 
Selbstanzeigp.  --  Philosophische  Zeitschriften. 
Bibliographische  Mitteilungen. 

Mitteilungen  der  Cleselliiehafl 
fllr  deut»<  he  Krzleliunn»  n.  Hehul- 
re*ehlehte.  Jahrg.  IV.  Tieft  1:  Otto 
örilluberger.  Eine  Disziplinarordnung 
für    Bunisten.  Wilhelm  Richter, 

Paderborner  JeeuiU-ndramen  in  den  Jahren 
16:r_'  1770.  --  M.  Wehrmann,  Die  Schute 
cu  Stargard  In  Pommern  unu-r  dem  Rektor 
Thomas  Reddemer  tl6<»4  10181.  Hans 
Heiniseh,  Ausgaben  der  Stadt  Regensburg 
fOr  ihr  (iymnasium  Poeticum  in  den  Jahren 
1018-1647.  Franz  Brummer,  Zur 
Schulgeschichle  der  Stadt  Nauen  (Provin* 
Brandenburg).  —  Holstein,  2  Schriftstücke 
zur  Hebung  des  P&dagogitims  zu  Ilfeld  und 
de«  hannoverschen  höheren  Schulwesen»  aus 
dem  Jahn-  177<l.  -  (ieschaftlicher  Teil. 


Biichdruckerei  von  Johanne«  Brt'dt,  Münster  i.  Westf. 


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Monatshefte 

der 

Comenius-Gesellschaft. 


III.  Band.  ~s  1894.  e~  Heft  8. 


Die  Anfänge  der  Universität  Halle. 

Von 

Dr.  Waldemar  Kawerau. 


Der  11.  Juli  lß94  war  ein  hoher  Festtag  für  Halle,  denn 
an  diesem  Tage,  dem  Geburtstage  ihres  kurfürstlichen  Stifters, 
erhielt  die  neugegründete  Hochschule  ihre  feierliche  Weihe.  Der 
Festakt  vollzog  sich  mit  all  der  Pracht  und  all  dem  Pomp,  die 
dem  nachmaligen  ersten  preussischen  Könige  Bedürfnis  waren.  Nach- 
dem er  selbst  tags  zuvor  von  150  berittenen  adeligen  Studenten 
in  feierlichem  Zuge  eingeholt  worden  war,  ging  am  11.  Juli,  einem 
Sonntag,  in  der  Domkirohc  der  eigentliche  Weiheakt  vor  sich.  Der 
Hofprediger  Ursin us  hielt  die  Festpredigt  über  Jesajas  49,23: 
„Und  die  Könige  sollen  deine  Pfleger  und  ihre  Fürstinnen  deine 
Saugammen  sein  ...  da  wirst  du  erfahren,  dass  ich  der  Herr  bin, 
an  welchem  nicht  zu  Schanden  werden,  so  auf  mich  harren," 
worauf  der  Geheime  Rat  Paul  von  Fuchs  die  Eröffnungsrede 
hielt  und  darin  nach  des  erlauchten  Stifters  Willen  den  Kurprinzen 
als  Rektor,  den  Professor  Bai  er  als  Prorektor  der  nunmehrigen 
Friedrichsuniversität  einsetzte.  Am  nächsten  Tage,  dem  12.  Juli, 
folgten  in  der  Marienkirche  am  Markte  die  Ehrenpromotionen  und 
eine  Dankrede  des  Professora  Cellarius,  wahrend  überdies  an 
beiden  Tagen  an  festlichen  Gastereien  und  Volksbelustigungen  kein 
Mangel  war. 

Der  12.  Juli  ist  seitdem  als  eigentlicher  Geburtstag  der 
Hochschule  festgehalten  worden,  die  somit  eben  jetzt  zwei  Jalu*- 
hunderte  ihrer  ruhmreichen  Geschichte  vollendet  hat  Sie  selbst 
hat  sieh  die  wertvollste  Festgabe  in  der  in  ihrem  Auftrage  von 

Monal-tli)-fu>  «Irr  tOinciiius-CvÄ-llschalt.    181*4.  i  7 


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240 


Kawcrau, 


Heft  8. 


dem  Kurator  der  Universität,  Herrn  Geh.  Oberregierungsrat  D.  Dr. 
Wilhelm  Sehrader  verfassten  Geschiente  der  Fridericiaim1)  dar- 
gebraeht,  einem  durchweg  aus  den  Quellen  geschöpften,  durch 
Umfang  und  Tiefe  der  Gelehrsamkeit  imponierenden  Werke,  in 
dem  der  Schöpfung  des  Thomasius  das  schönste  und  dauerhafteste 
Denkmal  erriehtct  ist  Es  ist  ein  monumentales  Werk,  aufgebaut 
auf  einem  Material  von  ausserordentlicher  Breite  und  Tiefe,  das 
der  Verfasser,  wohlvertraut  mit  den  Grundbedingungen  jeder  histo- 
rischen Arbeit:  der  richtigen  Wertmessung,  dem  sichern  Blick 
für  Höhen  und  Tiefen  und  dem  feinen  Gefühl  für  Abstufungen, 
lichtvoll  zu  gruppieren  und  anschaulich  zu  gestalten  verstanden 
hat  Allenthalben  tritt  aus  seinem  Bericht  der  Geschehnisse  die 
volle  geistgessittigte  Anschauung  der  Wirklichkeit  hervor  und  macht 
jene  Geschehnisse  begreiflich,  glaubwürdig  und  überzeugend.  Und 
es  ist  ein  ebenso  reichhaltiges  wie  glänzendes  Kapitel  aus  der 
Geschichte  der  deutschen  Wissenschaft,  das  sich  in  den  zwei 
stattlichen  Bänden  vor  uns  aufrollt,  und  es  ist  eine  lange  Bcihe 
berühmter  Gelehrten  von  Christian  Thomasius  und  August  Her- 
mann Francke  bis  zu  Schleiermacher  und  Tholuck,  die  uns  hier 
in  scharf umrissenen,  lebensvollen  und  farbenreichen  Charakter- 
bildern vor  Augen  treten.  Aber  auch  unerquickliche  Partien 
durelimisst  der  Verfasser  mit  gleichem  Bedacht  und  in  gleichem 
Tempo  wie  die  fruchtreichen  und  erhebenden  und  bringt  uns  nicht 
nur  deutlieh  zum  Bewusstsein,  was  fördernd,  sondern  auch  alles 
das,  was  jeweilig  hemmend  auf  die  Entwicklung  der  Universität 
einwirkte  und  ihre  Blüte  zeitweilig  verkümmern  Hess.  Doch  ist 
es  fiberwiegend  ein  glänzender  Ausschnitt  aus  der  Geschichte 
deutscher  Kultur  und  deutsehen  Geisteslebens,  der  uns  in  diesem 
Buche  geschildert  wird,  denn  es  bleibt  der  Ruhm  der  hallischen 
Hochschule,  dass  sie,  so  wechsclrcieh  auch  ihre  Schicksale  sich 
gestalteten,  doeh  nie  aufgehört  hat,  an  der  Entwicklung  des  deut- 
scheu Geistes  erfolgreich  mitzuarbeiten  und  sich  allezeit  als  das 


')  Geschichte  der  Friedrichs-Universität  zu  Halle,  von  D.  Dr.  Wilhelm 
Sehrader,  (ich.  Oherregierungsrat  und  Univcrsitätskurator.  Zwei  Bände, 
Berlin,  1SÜ4.  Einen  |x»pulären  Auszug  daraus  veranstaltete  Prof.  Dr.  Gustav 
Hertzberg:  Kurze  Übersieht  über  die  Geschichte  der  Universität  zu 
Halle  a.  S.  bis  zur  Mitte  des  10.  Jahrhunderts.  Halle  a.  S.,  1804.  Ausser- 
dem verweis*-  ich  auf  meine,  vorzugsweise  die  Anfänge  der  Universität  be- 
handelnde Schrift:  Aus  Halles  Littcraturlchen.  Halle  ISNS. 


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1H94.  Die-  Anfänge  der  Universität  Halle.  241 


zu  bewahren,  wozu  ihr  Schöpfer  Thomasius  sie  bestimmt  hatte: 
als  eine  Alma  mater  der  freien  Forschung  und  des  geistigen 
Fortschritts;  es  bh'ibt  ihr  Ruhm,  dass  sie  allezeit  in  ganz  beson- 
derem Masse  au  allen  Geistesbestrebungen  den  wärmsten  Anteil 
genommen  und  sie  aufs  Treueste  wiedergespiegelt  hat,  wodurch 
sie  mehr  als  die  meisten  andern  deutschen  Hochschulen  immerdar 
auch  für  die  allgemeine  Bildungsgeschichte  fruchtbar  und  segens- 
reich geworden  ist. 

Es  ist  natürlich  unmöglich,  hier  an  dieser  Stelle  von  dem 
ganzen  reichen  Inhalt  dieser  Wechsel  vollen  Geschichte  auch  nur 
in  knappsten  Timrisslinien  eine  Vorstellung  zu  geben,  doch  mag 
uns  wenigstens  bei  den  Anfangen  der  Friedrichs-Universitat  ein 
verweilender  Blick  gestattet  sein.  Auch  liegt  ja  ohne  Frage  eben 
in  diesen  ihren  Anfängen  der  Schwerpunkt  imd  der  Hauptreiz 
ihrer  Geschichte,  da  sie  damals  als  Trägerin  eines  durchaus  neuen 
Geistes  sich  in  entschiedenem  Gegensatz  zu  den  älteren  Univer- 
sitäten durchsetzen  und  behaupten  musste,  während  in  der  Folge- 
zeit natürlich  auch  sie  mehr  und  mehr  das  allgemeine  Gepräge 
deutscher  Hochschulen  gewann,  wodurch  ihre  Geschichte  in  ihrem 
weiteren  Verlaufe  den  fesselnden  Heiz  einbüsst,  der  ihr  in  jener 
ersten  Werdezeit  eigentümlich  ist 

Bekanntlich  reichen  die  Anfänge  der  jungen  Hochschule 
über  das  offizielle  Gründungsjahr  hinaus,  denn  schon  im  Jahre 
lüOO  hatte  Christian  Thomasius,  den  das  eifernde  Leipzig  von 
sich  gestossen  hatte,  in  Halle  seine  Vorlesungen  eröffnet  und  da- 
mit den  Grund  zu  der  neuen  Schöpfung  gelegt,  die  dann  vier 
Jahre  später  ihre  feierliche  Weihe  erhalten  sollte.  Es  waren  hier, 
merkwürdig  genug,  Professor«'!»  und  Studenten  schon  vorhanden, 
bevor  überhaupt  noch  „eine  gewisse  Resolution  gefasst  worden, 
eine  Universität  zu  stabilieren",  und  man  begreift  angesichts  dieser 
eigentümlichen  Entstehung  der  Fridericiana  das  bekannte  Wort  des 
Thomasius,  dass  diese  nicht  als  ein  Werk  menschlicher  Klugheit, 
sondern  als  ein  Werk  göttlicher  Vorsehung  zu  betrachten  sei 
Denn  in  der  That  ist  es  wunderbar  genug,  wie  im  Grunde  ein 
Zufall,  oder  sagen  wir  lieber  mit  ihm  die  „göttliche  Providern?", 
entscheidend  über  den  Anfängen  dieser  Hochschule  waltete.  Das 
altgläubige  Ixnpzig  liatte  den  jungen  temperamentvollen  Professor, 
der  selbst  ein  gutes  leipziger  Professorenkind  war,  weil  er  den 
dortigen  Orthodoxen  allzu  empfindlich  ihre  Kreise  gestört  hatte, 

17* 


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242 


Kawerau, 


Heft  8. 


von  »ich  gestossen,  so  dass  er,  gebrandmarkt  als  „notorischer  Erz- 
bösc wicht",  wie  ein  Flüchtling  au«  der  Heimat  hatte  entweichen 
müssen;  da  bot  dem  am  Markte  müssig  Stehenden  der  Kurfürst 
von  Brandenburg  in  seinem  Lande  eine  Heimat,  indem  er  ihm 
unterm  14.  April  lf>90  den  Ratetitel  verlieh  und  ihm  unter  Be- 
willigung eines  ansehnlichen  Gehalts  gestattete,  „sich  in  Unserer 
Stadt  Halle  im  Herzogtum  Magdeburg  zu  setzen  und  der  studi- 
reuden  Jugend,  welche  sich  allda  vielleicht  bev  ihm  einfinden 
möchte,  mit  I>>ctionibus  und  Collegiis,  wie  er  bisshero  zu  Lcipzigk 
gethan,  an  die  Hand  zu  gehen."  Damit  war  der  Grundstein  zu 
der  neuen  Hochschule  gelegt,  die  zwar  als  ihren  Stifter  (Linkbar 
den  Kurfürsten  Friedrich  von  Brandenburg  feiert,  aber  doch  nie 
.vergessen  wird,  dass  der  eigentliche  Anstoss  zu  dieser  einem  neuen 
Geiste  Gestalt  und  Zusammenhang  verleihenden  Ncnschöpfung  in 
dem  ganz  persönlichen  Geschick  jenes  Mannes  lag,  der  als  kecker 
Neuerer  und  nicht  zuletzt  als  warmer  Verteidiger  des  vervehmten 
Pietisten  Francke  dem  Hass  des  orthodoxen  Leipzigs  hatte  weichen 
müssen,  worauf  nun  ihm,  dem  obdachlosen  Vertreter  der  Aufklärung, 
Kurbrandenburg  eine  neue  Statte  der  Wirksamkeit  eröffnete. 

Freilich  waren  auch  eben  jetzt  und  grade  auf  hallischem 
Boden  die  äusseren  und  inneren  Bedingungen  für  das  Gedeihen 
der  jungen  Hochschule  so  günstig  wie  nur  möglich:  die  äusseren 
in  der  l^age  der  Stadt,  in  ihrer  als  Pflegstätte  des  jungen  Adels 
dienenden  Ritterakademie,  in  dem  geistigen  und  gewerblichen  Auf- 
schwung, den  sie  durch  die  Niederlassung  der  französischen  und 
pfälzer  Reformierten  erfahren  hatte;  die  inneren  in  den  sich  vor- 
bereitenden geistigen  Wandlungen,  die  eine  so  eigenartige  geistige 
Schöpfung  geradezu  zu  fordern  schienen.  Allerdings  hatten  die 
Hallenser  selbst  zu  dem  „tollkühnen  Unternehmen"  nur  wenig 
Vertrauen,  und  der  Bedenklichkeiten  und  Zweifel  war  kein  Ende. 
Während  die  Stände  des  Herzogtums  —  nicht  mit  Unrecht  — 
für  ihren  Geldbeutel  fürchteten     besorgte  der  städtische  Rat  von 


')  Wonig  bekannt  um!  auch  bei  Schräder  nicht  erwähnt  i*t  die  That- 
xaehe,  dann  sich  der  Kurfürst ,  um  dii«  Mittel  für  die  neue  Hochxchule  auf- 
zubringen, zeitweilig  auch  mit  dem  Gedanken  trug,  das  Kloster  U.  L.  Frauen 
in  Magdeburg  nach  Halle  zu  verlegen  und  mit  der  Universität  zu  ver- 
schmelzen, wobei  dein  fehdelustigen  Propst  Philipp  Müller  eine  theologische 
Professur  zugedacht  worden  war.  Die  Akku  darüber  hat  G.  Herta  im 
Beiblalt  zur  Magdeb.  Zeitung  IMH,  S.  JJ»  f.  mitgeteilt, 


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1894. 


Pio  Anfänge  oVr  Universität  Hallo. 


243 


dem  Zuzug  ungeberdiger  »Studenten  nichts  als  Störungen  der  öffent- 
lichen Ordnung,  wie  nicht  minder  die  verdrießlichsten  K«>mpetenz- 
konflikte  mit  den  akademischen  Behörden,  und  selbst  der  Rektor 
des  städtischen  Gymnasiums  stand  grollend  abseits,  weil  er  sich 
wohl  durch  die  neue  Universität  in  seiner  wissenschaftlichen  Allein- 
herrschaft bedroht  fühlen  mochte  —  aber  Thomasius  lies«  sich 
durch  alle  diese  Bedenkliehkeiten  nicht  beirren,  sondern  schritt 
mutig  vorwärts  in  jenem  unbeirrbaren  Gott  vertrauen,  von  dem  sein 
ganzes  Leben  durchleuchtet  war.  Und  der  Erfolg  sollte  den  Klein- 
mütigen bald  genug  zeigen,  wie  begründet  sein  Vertrauen  gewesen 
war.  „Er  (Thomasius)  —  so  schilderte  er  später  selber  in  einer 
„Anrede  an  seine  Feinde"  die  Anfänge  der  Akademie1)  —  „er 
kam  her  nach  Halle  und  fand  keinen  Auditorcm  hier  .  .  .  Wie 
schmählich  lachtet  Ihr  damals  Thomasium  aus  und  wie  höhnisch 
8|>ottetet  Fhr  seiner.  Thomasius  aber  vertraut«  Gott  und  setzte 
sich  hierher;  er  warb  keine  Studenten  hierher  zu  kommen,  sondern 
notificirte  nur  seine  Ankunft  erst  privatim  seinen  Auditoribus 
privatissimis,  worüber  Ihr  ein  gräulich  Lärmen  anfinget,  hernach 
Jedermann  publice  durch  s«»in  l'rogramma,  das  der  Oberhofprediger 
Carpzovius  ein  marktschreierisches  Programma  schalt.  Ihr  machtet 
ihm  vor  dem  Anfang  seiner  Ix'ctioucn  durch  Eure  C'rcaturen,  die 
Ihr,  wie  bekannt,  auch  in  andern  Ländern  habt,  so  viel  Hindernis« 
und  Verdruss,  als  Ihr  nur  konntet;  er  fand  sehr  Wenige,  die 
ihm  zu  helfen  und  Sr.  kurfürstlichen  Durchlaucht  gnädigste  Inten- 
tion zu  befördern  angelegen  sein  Hessen,  ja  es  waren  Etliche  so 
offenherzig,  dass  sie  ihn  fragten,  ob  er  denn  bei  Anfang  seiner 
Lectionen  etliche  Auditores  im  Vorrath  hätte,  denn  hier  in  Halle 
würde  er  keinen  bekommen.  Thomasius  aber  Hess  sich  durch 
nicht*  abschrecken,  sondern  fing  seine  Leetiones  in  Gottes  Namen 
den  Montag  nach  Trinitatis  anno  1690  an.  Er  hatte  das  erste 
mal  über  fünfzig  Auditores  und  hat  sie  von  da  an,  so  lange  er 
allein  hier  und  noch  keine  Resolution  von  Aufrichtung  einer  Uni- 
versität gefasst  gewesen,  nie  unter  zwanzig  gehabt.  .  ."  Bald 
verstummte  denn  auch  der  Spott  d«-r  Leipziger  über  die  verwegene 
Gründung,  und  der  giftige  Hass,  der  mit  einem  wohlfeilen  Wort- 
witze Carpzows  die  Universität  Halle  als  die  „höllisch«;"  anrüchig 
zu  machen  suchte,  erwies  sich  als  ohnmächtig;  vielmehr  mussten 


')  Vgl.  Aus  Hallt's  LittcraturMwn.    S.  18  f. 


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244 


Kn  woran, 


Heft  8. 


die  alten  rechtgläubigen  Hoehsehulen  bald  genug  mit  Schrecken 
wahrnehmen,  wie  frisch  und  kräftig  die  junge  Sehwestoranstalt 
aufblühte,  und  wie  der  von  ihr  gepflegte  Geist  bald  über  den  engen 
Bezirk  der  Hörsäle  hinausdrang  und  allenthalben  ein  neues  Leben, 
insbesondere  ein  neues  Leben  für  die  evangelische  Kirche  ent- 
stehen Hess. 

Hierfür  waren,  wie  gesagt,  eben  jetzt  auch  alle  inneren 
Bedingungen  in  reichstem  Masse  vorhanden.  Es  war  jetzt  am 
Ausgange  des  17.  Jahrhunderts  ein  kritischer  Wendepunkt  für 
.das  geistige  Leben  eingetreten,  da  die  lähmende  Nachwirkung 
jener  unseligen  Zeit,  in  der  in  einem  Kriegselend  ohnegleichen 
die  beste  Volkskraft  zerstört  und  der  Wohlstand  zerrüttet  war, 
trotz  aller  staatlichen  Zersplitterung  nachzulassen,  die  Volksseele 
allmählich  wieder  aufzuathmen  begann  und  allenthaben  die  Keime 
eines  neuen  geistigen  Lebens  und  einer  neuen  Bildung  ans  Licht 
drängten.  Die  warme  Sehnsucht  eines  Spener  lehnte  sieh  auf  gegen 
die  unfruchtbare  Scholastik  in  der  Theologie,  und  vor  dem  Ideen- 
reichtum des  grossen  Leibniz,  in  dem  der  deutsche  Geist  zum 
erstenmale  zur  Conception  eines  allgemeinen  Weltbildes  sich  erhob, 
musste  die  nicht  minder  unfruchtbare  Scholastik  in  der  Philosophie 
zurückweichen;  zugleich  war  auch,  worauf  der  Geschichtsschreiber 
der  halligchen  Universität  nachdrücklich  hinweist,  für  das  öffent- 
liche Recht  das  Bedürfnis  neuer  Gestaltung  in  der  Wissenschaft 
durch  Grotius  und  Pufendorf,  im  Leben  durch  die  Ausbildung 
des  Fürstenrechts  und  durch  die  lebhafteren  Berührungen  der 
Staaten  seit  dem  westfälischen  Friedensschlüsse  wach  geworden: 
für  diese  ganze  neue«  Gedankenbewegung  aber  reichten  die  Formen 
und  Uberlieferungen  der  alten  Hochschulen  nicht  aus,  sondern  es 
bedurfte  eben  eines  völlig  neuen  Gebildes,  das  diesem  neuen 
Geiste  Gestalt  und  Zusammenhang  zu  geben  im  stände  war. 

Doch  das  wesentlichste  Motiv,  das  zu  dem  kühnen  Ent- 
schlüsse führte,  hier  in  der  unmittelbaren  Nähe  von  Leipzig,  Jena 
und  Wittenberg  eine  neue  Hochschule  zu  gründen,  war  kirch- 
licher Art,  da  im  eigenen  Interesse  des  Staates  die  Errichtung 
einer  neuen  lutherischen  Universität,  in  der  Mitte  der  kurfürst- 
liehen  Lande  gradezu  zu  einer  Notwendigkeit  geworden  war. 
Frankfurt  und  Duisburg  waren  reformiert,  jenes  seit  KU 4,  dieses 
seit  Gründung  der  Hochschule  im  Jahre  Ki54;  das  lutherische 
Königsberg  lag  zu  weit  ab  und  war  überdies  nach  langen  zerrüt- 


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1894.  l>i«  Anfang«  der  Universität  Hall»-.  245 

tenden  Streitigkeiten  innerlich  aufs  äusscrste  geschwächt  worden; 
so  zogen  Wittenberg  und  L<'ij)/ig  die  Landeskinder  au  sieh,  die 
beide  zu  Hochburgen  eines  engherzigen,  streit-  und  vordammungs- 
süehtigen  Luthertums  geworden  waren.  Hier  herrsehte  eine 
Theologie,  die  die  religiösen  Wahrheiten  in  ein  umfangreiches 
Gefüge  von  Formeln  verwandelt  hatte,  gezimmert  von  einer  neuen 
scharfsinnigen,  haarspaltenden  Scholastik,  in  der  je  länger  desto 
mehr  das  intellektuelle,  das  doktrinäre  Interesse  überwog,  während 
das  religiöse  völlig  verkümmerte.  Sollte  der  Einfluss  dieser  so 
leidensehaftlichen  wie  unfruchtbaren  Streittheologie  gebrochen 
werden,  so  bedurfte  das  konfessionell  gemischte  Preussen  einer 
neuen  Universität,  die  den  jungen  Studierenden  eine  Stätte  fried- 
licher und  inniger  Gotteserkenntnis  zu  bieten  im  stände  war,  so 
bedurfte  es  einer  Hochschule,  auf  der  lutherische  Prediger  er- 
zogen werden  konnten,  die  „nicht  so  sektiererisch  und  gegen 
anders  denkende  Bürger  kriegerisch  und  einer  reformierten  Obrig- 
keit abgeneigt"  waren,  wie  die  sich. meist  noch  lutherischer  als 
Luther  selbst  geberdenden  Theologen  von  Wittenberg.  Und  es 
entsprach  ganz  der  duldsamen  Kirchenpolitik  des  preussischen 
Staates,  dass  er  zu  diesem  Behuf  nicht  nur  den  obdachlosen  Ver- 
tretern der  Aufklärung,  sondern  auch  denen  des  Pietismus  seine 
Arme  öffnete  und  dieser  sonst  überall  verfolgten  um!  vervehmten 
Theologie  hier  in  Halle  ein  sicheres  Asyl  bot.  Schon  der  Grosse 
Kurfürst  hatte  diese  duldsame  Kirchenpolitik  deutlich  genug  vor- 
gezeichnet.')  Wie  er  in  der  Reichspolitik  überall  der  Hauptv 
Vertreter  der  evangelischen  Interessen  war,  wie  er  mannhaft  für 
seine  Glaubensgenossen  in  den  österreichischen  Erblanden  und 
in  anderen  deutschen  Gebieten,  namentlich  in  Jülich-Berg,  ein- 
trat, ja  gar  eifrig,  wenn  auch  erfolglos,  auf  eine  Allianz  aller 
evangelischen  Mächte  hinwirkte,  so  war  auch  seine  Landespolitik 
ganz  und  gar  von  «lern  Bestreben  beherrscht,  das  Wohl  der 
Evangelischen  zu  fördern  und  die  konfessionellen  Gegensätze  nach 
Möglichkeit  auszugleichen.  Nicht  zwar,  als  ob  er  direkt  eine 
Unionspolitik  verfolgt  hätte;  wohl  aber  war  seine  ganze  Kirchen- 
politik unverkennbar  von  dem  Motiv  geleitet,  ein  friedliches  Ver- 


')  Vgl.  Hugo  Landwehr,  Die  Kirehenpolitik  Friedrieh  Wilhelms, 
den  Grossen  Kurfürsten.  Berlin  IS'.U  und  .1.  H  e  i  d  ein  a  n  n  Anzeige  in 
diesen  Monatsheften  3,  L'L'S  f. 


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f 


24«  Kawerau,  Heft  8. 

hältnis  zwischen  Lutheranern  und  Reformierten  herzustellen  und 
auf  Grund  des  von  ihm  proklamierten  Paritäteprinzips  den  leiden- 
schaftliehen Kämpfen  der  hadernden  Parteien  ein  Ziel  zu  setzen. 
Von  dem  gleichen  Bestreben  war  auch  der  nachmalige  erste 
König  von  Preussen  erfüllt,  der,  wie  Schräder  feinsinnig  hervor- 
hebt, mit  seinem  milden  kirchlichen  Sinne  eine  unverkennbare 
innere  Verwandteehaft  mit  dem  unionsfreundlichen  Könige  Fried- 
rich Wilhelm  III.  besass,  mit  dem  ihm  die  stille  überzeugte 
Glaubenstreue  und  der  Wunsch  nach  einer  Versöhnung  der  beiden 
evangelischen  Kirchen  gemeinsam  war.  Es  war  dabei  gewiss 
nicht  zufällig,  dass,  worauf  neuerdings  schon  von  andrer  Seite 
hingewiesen  worden  ist, ')  zu  des  Kurfürsten  nächster  Umgebung 
neben  dem  weitherzigen  Kanzler  Paul  von  Fuchs  auch  der  Hof- 
und  Domprediger  Daniel  Ernst  Jablonskv,  ein  Enkel  des 
Comcnius,  gehörte,  der  von  Haus  aus  jedem  schroffen  Konfes- 
sionalismus abhold  und  ganz  im  Geiste  seines  grossen  Ahnen 
von  friedlichen  Unionsgedanken  durchdrungen  war.  Und  ganz 
aus  dieser  Geistesrichtung  heraus  erwuchs  der  Entsehluss,  der 
die  Universität  Halle  ins  Leben  rief:  eine  Universität,  durch- 
waltet von  einem  ökumenischen  Zuge,  der  ihre  Glieder  auch  in 
dem  Streite  der  Konfessionen  über  dem  Trennenden  das  Einigende 
nicht  vergessen  Hess,  die  Pflegstätte  eines  Geistes  religiöser  Wärme 
und  weitherziger  Duldsamkeit. 

Eben  dadurch  bedeutete  denn  auch  die  Gründung  dieser 
Universität  eine  neue  Epoche  des  deutschen  Hochschulwesens, 
denn  ein  neues  Prinzip  gewann  hier  unter  dem  Schutze  des  hohen- 
zollernschen  Herrscherhauses  sein  erstes  akademisches  Bürger- 
recht. Die  junge  Hochschule  stand  eben  von  vorneherein  in 
einem  entschiedenen  Gegensatze  zu  den  älteren  Universitäten ; 
sie  tnig  ein  durchaus  modernes  Gepräge  und  verdankte  grade 
diesem  Gegensätze  ihr  Dasein  und  ihren  Glanz,  ihr  unvergleich- 
lich rasches  Aufblühen  und  den  nicht  minder  unvergleichlichen 
Einfluss,  der  ihr  in  ihrer  eisten  Blütezeit  auf  das  gesamte  geistige 
Leben  des  Volkes  beschieden  war.  Der  Kurfürst  war  sich  daher 
auch  der  Wichtigkeit  dieser  neuen  Schöpfung  voll  bewusst;  sie 
verstärkte  Ruf  und  Einfluss  des  Staates  nach  aussen  und  gab 
ihm  im  Innern  Halt  und  Festigkeit;  sie  war  in  jedem  Betracht 


')  Monatshefte  der  Comcniu»-Ge*cll*ehait.    3,  2:$f>. 


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1894. 


Die  Anfänge  der  Universität  Halle. 


247 


ein  beredtes  Zeugnis  für  die  geistige  Kraft  des  friseh  aufstrebenden 
Staates,  der  sieh  tüeht  lange  darnach  in  ein  Königreich  wandelte. 

Aber  so  hoch  wir  auch  des  Kurfürsten  Verdienste  um  die 
Stiftung  der  hallischen  Universität  anschlagen  müssen  -  diese 
Universität,  so  bemerkt  Schräder  mit  Recht,  wäre  doch  nicht 
ohne  Thomasius  entstanden  und  hätte  ohne  August  Hermann 
Franc ke  nicht  den  gewaltigen  Einfluss  erlangt,  kraft  dessen  sie 
von  Anbeginn  an  alle  ihre  älteren  Schwestern  überflügelte.  Und 
auch  in  diesem  Umstände,  dass  gleichzeitig  jenes  frische  und 
freie  Weltkind  und  der  fromme  Pietist  hier  an  dieser  Stätte 
sich  zusammenfanden,  waltete  in  der  That  mehr  „göttliche  Pro- 
videnz"  als  menschliche  Klugheit,  und  es  bleibt  eine  so  über- 
raschende wie  wunderbare  Erscheinung,  dass  diese  auf  den  ersten 
Blick  so  gegensätzlichen  Naturen  hier  zu  einträchtigem  Wirken 
sich  vereinigten,  und  dass  grade  in  ihrer  gemeinsamen  Arbeit  die 
erste  und  reichste  Blüte  der  jungen  Hochschule  begründet  war. 
Auch  dem  jungen  Gottesgelehrten  hatten  unmittelbar  zuvor  die 
Leipziger  Orthodoxen  übel  mitgespielt,  so  dass  er  gleich  Thomasius 
das  Feld  hatte  räumen  müssen.  Er  hatte  sich  von  Leipzig  nach 
Erfurt  gewandt,  aber  auch  dort  hatte  der  Hass  seiner  Feinde  nicht 
eher  geruht,  als  bis  der  anrüchige  Pietist  seines  Amtes  wieder 
entsetzt,  ja  wie  ein  Verbrecher  aus  der  Stadt  vertrieben  worden  war. 
Da  traf  ihn  in  Gotha  ein  Ruf  in  die  Pfarretelle  zu  Glaucha  bei 
Halle,  mit  deren  Annahme  sich  ihm  zugleich  die  Aussicht  auf  eine 
Thätigkeit  an  der  zu  gründenden  Hochschule  eröffnete;  er  nahm 
in  gläubigem  Gottvertrauen  diesen  Ruf  an,  siedelte  in  den  ersten 
Januartagen  des  Jahres  1692  nach  Glaucha  über  und  begann  hier, 
nicht  ohne  mancherlei  schwere  Kämpfe  und  Anfechtungen,  seine 
stille,  aber  unermesslich  segensreiche  Wirksamkeit,  aus  der  bald 
ein  völlig  neues  Leben  für  die  evangelische  Kirche  erwachsen  sollte. 

Auf  den  ersten  Blick  ist  es  in  der  That  ein  wunderlicher 
Bund  zweier  geistiger  Mächte,  der  in  den  beiden  anscheinend  so 
gegensätzlichen  Persönlichkeiten  des  Aufklärers  Thomasius  und 
des  frommen  Waisenhausstifters  verkörpert  ist»  Jener  frisch  und 
keck,  ein  geschworner  Feind  aller  Vorurteile  und  aller  Pedanterie; 
kein  genialer,  selbstschöpferi scher  Geist,  aber  ein  rühriger,  uner- 
müdlicher Agitator  der  Aufklärung;  kein  beschaulicher  Gelehrter, 
sondern  der  Weltmann  auch  auf  dem  Katheder;  eine  ganz  auf  prak- 
tische Thätigkeit  gestellte  Natur,  die  unglaubliche  Zähigkeit  mit 


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248 


Kawcrau, 


Heft  8. 


ebenso  grosser  Elasticität  in  sich  vereinigte.  Mit  starkem  Menschen- 
verstand paarte  sich  in  ihm  ein  gesunder  Mutterwitz,  und  seine 
kriegerische  Natur  fühlte  sich  am  wohlsten  in  der  Polemik,  in 
der  seine  derb -satirische  Schreibart  sich  am  freiesten  entfaltete. 
Dramatische  Bewegimg  war  sein  Element,  sowohl  im  mündlichen 
Vortrag  wie  in  all  seinen  Schriften,  und  wenn  er  auch  später 
unter  pietistischem  Einfluss  zur  Einsicht  in  die  „Eitelkeit  der 
satirischen  Schreibart"  gelangt  sein  wollte,  so  blieb  sein  Stil  doch 
bis  zuletzt  „unerfahren  in  der  Traurigkeit"  und  „zu  betrübten  und 
ernsthaften  Sachen  ganz  ungeschickt".  Er  war  der  Vertreter  eines 
Bildungsideals,  das  bewusst  mit  der  Renaissance  brach,  indem  es 
von  den  Büchern  weg-  und  auf  das  Leben  hinwies,  das  huma- 
nistische Interesse  an  den  klassischen  Sprachen  zurückdrängte  und 
auch  für  die  Wissenschaft  das  Xützlichkcitsprinzip  zur  Geltung 
brachte.  Er  war  der  akademische  Vertreter  des  „homme  de  cour" ') 
und  zugleich  der  Begründer  des  wissenschaftlichen  Journalismus, 
der  unbekümmert  um  die  wackelnden  Zöpfe  der  gelehrten  Philister 
die  wissenschaftliehe  Prosa  in  Deutschland  begründete,  nachdem 
einhundert  und  siebzig  Jahre  zuvor  Luther  die  deutsche  Sprache 
für  den  Glauben  und  Gottesdienst  erobert  und  genau  hundert 
Jahre  nach  ihm  Opitz  als  Seitenstück  zu  der  lateinischen  Poesie 
der  Humanisten  eine  Renaissancedichtung  in  deutscher  Sprache 
geschaffen  hatte. s) 

Wie  anders  dagegen  August  Hermann  Franc ke,  dieser 
Mann  des  Gebets,  der  in  einem,  man  möchte  fast  sagen  verwegenen 
Gottvertrauen  seine  Riesenschöpfungen  der  Nächstenliebe  aus  dem 
Nichts  hervorrief;  dieser  Priester  und  Prophet  voll  heiligen  Eifers, 
dem  nach  schweren  inneren  Kämpfen  der  Frieden,  der  höher  ist 
als  alle  Vernunft,  zu  einem  unverlierbaren  Besitztum  geworden 
war!  Thomasius  streitsüchtig,  unerschrocken  und  rücksichtslos, 
ein  heiter  um  sich  blickendes  Weltkind  voll  lebhaften  Tempera- 
ments und  scharfen  Witzes:  Francke  ipmz  ein  Mann  des  religiösen 
Enthusiasmus  und  unbeirrbar  zäher  Glaubenskraft,  ganz  und  gar 
durchdrungen  von  dem  Gefühl  der  Gotteskindschaft,  aber  dabei 
doch  fest  mit  beiden  Füssen  auf  dem  Boden  der  Wirklichkeit 

')  Hein  WrhültniH  zu  Graeian  ist  neuerdings  von  Karl  Borini»ki  in 
der  Schrift :  Ilaitasur  Graeian  und  die  Hoflitteratur  in  Deutschland,  Halle 
IS'Jl,  geistvoll  erörtert  worden. 

'-')  Vgl.  J.  Minor  in  der  Vicrteljahrwhrift  für  Litterai  Urgeschichte  1,5. 


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1894. 


Die  Anfänge  der  Universität  Halle. 


249 


stehend  und  sein  Christentum  allezeit  bethätigend  in  werkthätiger 
Liebe,  die  sieh  im  Dienst  für  andere  nimmer  genug  that.  Tho- 
masius scharf  ausgreifend,  ein  stürmischer  Neuerer;  Francke  als 
Mann  des  Gemütes  nur  bestrebt,  das  geistige  und  religiöse  Leben 
zu  verinnerlichen  und  zu  vertiefen  und  die  durcli  eine  erstarrte 
Orthodoxie  verschütteten  Quellen  des  Innenlebens  wieder  auf- 
sprudeln zu  lassen. 

Aber  so  gegensätzlich  ihre  Naturen  auch  erscheinen  mögen, 
doch  gab  es  zwischen  ihnen  des  Gemeinsamen  genug,  das  ihr 
Bündnis  für  die  neu  gegründete  Hochschule  zu  unennesslichem 
Segen  gestaltete.  Und  nicht  nur  für  die  Universität  Halle  selbst, 
sondern  für  das  gesamte  geistige  Leben  Deutschlands,  das  durch 
ihr  Zusammenwirkan  verjüngt  und  gekräftigt  und  auf  lange  Zeit 
hinaus  aufs  Reichste  befruchtet  ward.  Dieses  Gemeinsame  lag 
nicht  nur  in  der  gleichen  Negation,  d.  h.  in  der  gleichen  Kampf cs- 
stellung  wider  die  verknöcherte  Orthodoxie  und  den  Gelehrten- 
pedantismus  des  17.  Jahrhunderts,  sondern  auch  in  den  gleich- 
artigen positiven  Zielen,  die  den  Bahnbrecher  der  Aufklärung 
und  die  glänzende  Lichtgcstalt  des  Pietismus  zusammenführten. 
Gemeinsam  waren  ihnen  beiden  die  tiefinnerliche  Frömmigkeit, 
denn  nur  Kurzsichtigkeit  kann  leugnen,  dass  auch  Thomasius  eine 
religiöse,  von  schlichtem,  felsenfestem  Gottvertrauen  erfüllte  Natur 
war,  und  eben  von  diesem  gemeinsamen  Ausgangspunkte  aus 
strebten  sie,  wenn  auch  auf  verschiedenen  Wegen,  doch  auch 
einem  gemeinsamen  Ziel  zu.  Der  Aufklärer  Thomasius  kämpfte 
für  Freiheit  der  Wissenschaft  von  dem  Joche  der  Theologie  und 
innerhalb  der  Wissensehaft  selbst  wider  jede  scholastische  Über- 
lieferung; den  Pietisten  Francke  führte  die  unbefriedigte  Sehn- 
sucht nach  der  Versöhnung  mit  seinem  Gotte  in  den  gleichen 
Kampf  hinein;  beide,  jener  aus  Freiheitsliebe,  dieser  aus  einem 
ganz  persönlichen  religiösen  Bedürfnis,  strebten  heraus  aus  der 
Enge  und  Leere  der  bisherigen  Erkenntnisformeln  und  lehnten 
sieh  auf  wider  den  Zwang,  der  mit  jedem  Autoritätsglauben  ver- 
bunden ist.  „Freiheit  erwacht  in  jeder  Bnist,  wir  protestieren  all 
mit  Lust",  das  war  die  Parole  des  Thomasius,  mit  der  er  keck 
und  frohgemut  wider  die  dürre  Scholastik  zu  Felde  zog,  während 
Francke,  überzeugt,  dass  in  unsres  Vaters  Hause  viele  Wohnungen 
sind,  das  Joch  des  allein  seligmachenden  Dogmas  zerbrach,  das 
dem  evangelischen  Glauben  den  angeborenen  freien  Atem  ver- 


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Kaworau, 


Heft  8. 


kümmerte.  lTnd  wie  Francke  einen  Glauben  wollte,  der  nicht 
blosse  Ix'hre,  der  nicht  nur  ein  Bekenntnis  der  Lippen  war,  son- 
dern sieh  im  Leben  praktisch  bethätigte,  so  wollte  Thomasius 
eine  praktische  Bethätigung  der  Wissenschaft  und  ein  Nieder- 
werfen der  Schranken,  die  bis  dahin  Wissenschaft  und  Leben  wie 
eine  clünesische  Mauer  von  einander  getrennt  hatten.  Beide 
bahnten  sich  somit  den  Weg  von  den  Hörsälen  in  das  öffentliche 
Leben,  und  wie  des  Thomasius  Gedankeufrische  auf  dieses  um- 
gestaltend einwirkte,  wie  er  tapfer  und  beherzt  mit  einer  Unmenge 
alter  und  durch  das  Alter  geheiligter  Vorurteile  aufräumte,  so 
entwand  sieh  durch  Franckes  Wirksamkeit  die  Kirche  mehr  und 
mehr  den  Fesseln  der  scholastischen  Theologie,  verjüngte  sich  in 
Ix'hre  und  Predigt,  befreite  das  so  lange  gefesselt  gewesene  Ge- 
fühl und  läuterte  und  adelte  die  Sittlichkeit» 

So  fand  der  eine  an  dem  andern  seine  Ergänzung:  Tho- 
masius befreite  die  weltliche  Wissenschaft  von  der  Vormund- 
schaft der  Theologie;  Francke  flösste  dieser  Theologie  selbst  ein 
neues  lieben  ein,  indem  er  dem  sittlichen  Gehalte  des  Christen- 
tums wieder  zu  seinem  Hechte  verhalf  und  durch  Erwecknng 
eines  innigen,  in  der  Liebe  sich  bewährenden  Herzensglaubcns 
das  gesamte  kirchliehe  und  religiöse  Leben  von  Grund  aus  er- 
neuerte. Und  dieser  Aufgabe  gegenüber  war  natürlich  die  Auf- 
klärung des  Thomasius  allein  ohnmächtig,  da  religiöse  Mächte 
nur  wiederum  durch  religiöse  Mächte  zu  überwinden  sind.  Nicht 
theoretisch  konnte  die  Allmacht  der  orthodoxen  Theologie  gebrochen 
werden;  das  konnte  nur  eine  so  übermächtige,  durch  und  durch 
religiöse  Persönlichkeit  wie  die  Franckes,  der  der  verknöcherten 
theologischen  Scholastik  sein  praktisches  Christentum  entgegen- 
setzte und  durch  handgreifliche  Beweise  des  Geistes  und  der  Kraft 
den  Zusammenbruch  jener  alten  Orthodoxie  zum  Heile  der  Kirche 
beschleunigte.  Weniger  freilich  als  der  Professor,  denn  als  der 
fromme  Stifter  des  Waisenhauses  und  all  der  übrigen  „Sieges- 
denkmäler des  Gottvertrauens  und  der  Menschenliebe",  wie  denn 
überhaupt  der  eigentliche  Schweipunkt  seiner  Wirksamkeit  nicht 
innerhalb,  sondern  ausserhalb  der  Fakultät  lag.  Denn  um  die 
naehlutherische  Dogmatik,  dieses  kunstvolle  Produkt  einer  über- 
aus scharfsinnigen  neuen  Scholastik,  wissenschaftlieh  zu  über- 
winden, dazu  fehlte  es  ihm  selbst  wie  dem  gesamten  Pietismus 
an  der  genügenden  wissenschaftlichen  Leistungsfähigkeit,  so  dass 


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1894. 


Die  Anfänge  der  Universität  Hallo. 


251 


os  ihm  überhaupt  versagt  blieb,  dem  von  ihm  verkündeten  Herzens- 
glauben die  entsprechende  theologische  Ausgestaltung  zu  geben. 
Ja,  der  von  ihm  immer  wieder  betonte  Satz,  Glauben  sei  mehr 
wert  als  Wissen,  musste  sich  je  länger  desto  mehr  für  die  theo- 
logische Wissenschaft  geradezu  als  verhängnisvoll  erweisen,  und 
es  war  an  Francke  selbst  ohne  Frage  die  bedenklichste  Ein- 
seitigkeit, dass  er  den  Erwerb  theologischer  Kenntnisse  immer 
wieder  durch  asketische  Forderungen  einzuengen  beflissen  war. 
Insofern  konnte  der  Pietismus  die  Theologie  unmittelbar  nur  wenig 
fördern,  sondern  eben  nur  mittelbar  konnte  auch  sie  des  »Segens 
teilhaftig  werden,  den  diese  eigentümliche  religiöse  Bewegung  in 
Haus  und  Gemeinde  und  in  unser  gesamtes  geistiges  Leben  aus- 
strömte. Nur  mittelbar,  indem  der  Pietismus  gegenüber  den  in 
starre  Formeln  verwandelten  religiösen  Wahrheiten  wieder  und 
wieder  die  Ausprägung  des  Christentums  im  Leben  betonte,  indem 
er  das  verkümmerte  religiöse  Interesse  wieder  zur  Geltung 
brachte  und  so  die  streitmüde  Christenheit  von  dem  unfrucht- 
baren Dogmengezänk  ab-  und  einem  innigen,  auf  eigne  Erfahrung 
begründeten  Herzensglauben  zuführte.  Er  verpflanzte  das  religiöse 
Leben  aus  den  Grenzen  des  Verstandes  auf  den  Hoden  des  Gemüts, 
und  wenn  auch  in  der  Folgezeit  die  gewaltsame  Steigerung  der 
Phantasie  und  des  Gefühlslebens,  mit  der  er  die  beseligende  Er- 
fahrung des  Christentums  erzwingen  wollte,  nicht  ohne  bedenk- 
liche Folgen  blieb,  so  war  doch  zunächst  diese  gesteigerte  religiöse 
Temperatur  für  die  Kirche  von  unermesslichem  Werte  und  gegen- 
über dem  dürr  verstandesmässigen  Zuge  der  alten  Rcchtgläubig- 
keit  ein  Fortsehritt,  der  gar  nicht  hoch  genug  zu  bewerten  ist 
Und  diese  Wärme  sollte  auch  sobald  nicht  wieder  erlöschen, 
auch  nicht  in  der  Zeit  des  Kationalismus,  wo  immer  noch  selbst 
die  schärfste  Kritik  von  warmer  Religiosität  und  Gefühlsinnig- 
keit durchleuchtet  und  allenthalben  noch  der  vom  Pietismus  er- 
weckte sittliche  Ernst  deutlich  erkennbar  war. 

So  sehen  wir  also  hier  thatsächlich  eine  innere  Bundes- 
genossenschaft zwischen  Thomasius  und  Francke,  die  für  die 
L  niversität,  wie  für  unser  ganzes  geistiges  Leben  von  heilsamstem 
Einfluss  gewesen  ist.  Doch  auch  die  wirklich  vorhandenen 
Gegensätze  zwischen  beiden  mussten  sich,  worauf  Schräder  mit 
Fug  und  Recht  aufmerksam  macht,  für  die  junge  hallische  Hoch- 
schule als  segensreich  erweisen:  des  Thomasius  übersprudelnde 


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252 


Kawcran,  Die  Anfänge  der  UnivorHität  Halle-  Heft  8. 


Keckheit  wurde  durch  die  mahnende  Stimme  Franckes  heilsam 
gemässigt,  während  andrerseits  die  frische  Lebens-  und  Thaten- 
lust  jenes  ein  wohlthuendes  Gegenmittel  gegen  die  kopfhängerische 
Neigung  der  Pietisten  war,  die  gerne  alles  irdische  Leben  als  ein 
Elend  und  Jammerthal  anzuklagen  pflegten. 

So  brachte  die  junge  Friedrichs- Universität  der  Wissen- 
schaft, der  Kirche  und  dem  Staate  reiche  Frucht  und  zwar  nicht 
zuletzt  dank  der  Eigenart,  die  ihr  durch  jene  beiden  Männer, 
die  als  Thorwächter  an  der  Pforte  ihrer  Geschichte  aufragen, 
aufgeprägt  worden  ist.  Zu  des  Thomasius  innerer  Freiheit  und 
Unbefangenheit,  zu  seiner  ehrlichen  Wahrheitsliebe  und  seinem 
rückhaltlosen  Wahrheitsinute  gesellte  sich  Franckes  tiefinnerliche, 
in  der  Liebe  sich  bewährende  Frömmigkeit,  und  dieser  mehr  durch 
„göttliche  Providenz"  als  durch  „menschliche  List"  gestiftete  Bund 
machte  von  Anbeginn  an  die  Stellung  der  neuen  Hochschule 
glücklich  und  siegverheissend.  „Fromm  und  frei"  —  dieses  Wort 
leuchtet  gleichsam  als  Motto  über  den  Anfängen  ihrer  Gescliichte, 
und  diese  Verbindung  von  warmer,  innerlich  freier  Herzens- 
frömmigkeit  mit  unbefangener  Forschung  und  weitherziger  Duld- 
samkeit, sie  hat  die  junge  Hochschule  zu  reicher  Blüte  geführt 
und  war  allemal  die  innere  Voraussetzung  ihrer  glänzendsten 
Epochen.  Und  sie  ist  das  Zeichen,  unter  dem  die  Fridericiana 
auch  in  Zukunft  stehen  und  sich  immerdar  als  ein  reicher  Segens- 
quell für  die  Wissenschaft,  die  Kirche  und  unsere  gesamte  geistige 
Kultur  erweisen  möge! 


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Zu  Herders  Schriften.1) 

Von 

Beinhold  Steig. 

1.  Zur  Überlieferung  der  Vorlesung  „Über  die 
menschliche  Unsterblichkeit". 

Die  Vorlesung  „Uber  die  menschliche  Unsterblichkeit"  wurde 
von  Herder  in  der  Freitagsgesellschaft  vom  4.  November  1791 
gehalten;  sie  erschien  gedruckt  das  Jahr  darauf  im  4.  Bande  der 
Zerstreuten  Blätter. 

Als  ich  1886  den  Text  des  16.  Bandes  der  Suphan'schen 
Ausgabe  bearbeitete,  lag  nur  Herders  erste  Niederschrift  (a)  vor,  fast 
überfüllt  mit  Korrekturen,  Streichungen,  Zusätzen.  Aus  ihr,  ergab 
sieh,  war  die  (uns  verlorene)  Druekvorlage  geflossen,  deren  in  den 
Originaldruck  übergegangene  Fehler  zu  einem  guten  Teile  aus  a 
erkannt  und  gebessert  werden  konnten.  Reichliche  Proben  der 
allerfrühesten  Gedankenbewältigung  wurden  in  den  Noten  gegeben. 

Kin  paar  Jahre  später  fiel  mir  zufällig  im  Schau  räum  der 
Königlichen  Bibliothek  Berlin  eine  wunderschöne  Handschrift  Her- 
ders in  das  Auge:  sie  enthielt  die  „menschliche  Unsterblichkeit." 
Wegen  ihrer  besonderen  Schönheit  zur  allgemeinen  Ansicht  aus- 
gelegt, und  so  von  dem  Hauptstamm  der  Herder- Papiere  abge- 
trennt, war  sie  der  Verwertung  für  den  Text  der  Sämtlichen 
AVerke  entgangen. 

Diese  Handschrift  (b)  ist  direkt  aus  a  geflossen,  wie  die 
Druekvorlage;  b  steht  als«  dem  diese  letztere  ersetzenden  Original- 
druck parallel.  Ahnlich  liegt  das  textgeschichtliche  Verhältnis  bei 
den  „Ursachen  des  gesunknen  Geschmacks".  Nun  wäre  freilich 
durch  b  die  Grundlage  des  Neudrucks  nicht  verschoben  worden: 
man  hätte  trotzdem  vom  Text  der  Zerstreuten  Blätter  ausgehen 

')  Am  25.  Anglist.  1804  *ind  150  Jahre  verflossen,  seitdem  Johann 
Gottfried  Horder  ab«  Sohn  de«  Lehrern  Gottfried  Herder  und  dessen  zweiter 
Khefrau  Anna  Elisabeth  Pelz  zu  Mohrungen  geboren  wurde.  Wir  haben 
es  ab  Pflicht  der  C.  G.  betrachtet,  diesen  Tag  nicht  vorübergehen  zu  lassen 
ohne  de«  growen  Manne«  zu  gedenken,  indem  wir  einen  Baustein  zur  näheren 
Kenntnis  seiner  Schriften  beitragen.  Die  Schriftlei tuug. 


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254  Steig,  Heft  8. 

müssen.  Auch  in  schwankenden  Eigenheiten  der  Herderischen 
Rechtschreibung,  Interpunktion  wie  des  Satzgefälles  wäre  der  Hand- 
schrift b  nicht  ohne  weiteres  zu  folgen  gewesen.  Trotzdem  hätte 
eine  damalige  Kenntnis  ihrer  Eigenart  auf  die  Textgcstaltung 
eingewirkt.  Mehrfach  bestätigt  sie  erfreulich  aus  a  in  den  Text 
eingeführte  Verbcsserungen,  in  einem  Falle  wäre  die  Entscheidung 
zuversichtlicher  ausgefallen.  Indem  ich  alles  bloss  Formale  über- 
gehe, verzeichne  ich  die  irgendwie  für  den  Text  wichtig  erscheinen- 
den Varianten  von  b: 

S.  283.  des  kalten  Wissens  und  der  noch  kälteren  Erfahrung 
„  29  Z.  9.  das  Band  einer  blühenden,  ewigen  Sprache 
„  301.  kein  Zcuxis  und  Apelles  —  die  bereits  aus  a  in  Note  1 

angemerkte  Lesart  wäre  in  den  Text  zu  setzen. 
„  31«.  „Eines  Theils"  fehlt  auch  in  b. 
„  3l7.  Die  Ergänzung  „der  cilfte"  durch  b  bestätigt 
„  3P.  Die  Tafel  der  Muse  ist  fast  mehr  schon  beschrieben 

—  a  stimmt  dagegen  zum  Originaldruck. 
„  32  Z  9.  Theilnehmung ») 

„  32  Z.  12.  in  einen  fernen  Charakter  —  a  stimmt  zum 
Original  druck. 

„  32  Z.  20.  hinter  so  vielen  andern  —  a  stimmt  zum  Original- 
druck. 
3(>5.  ist  nichts  Grab 

373.  ehemals  eigner  jetzt  fremder  Gedanken  —  trotz  der 
Übereinstimmung  zwischen  a  und  b  ist  der  Text  nicht 
zu  ändern. 

„  39 3.  Die  Ergänzung  „von  immer  neuer  Kraft"  durch  b  be- 
stätigt. 

„  404.  habe  ich  einmal  die  Ehre  —  wie  a. 

„  11  Z.  3.  steht  nur  in  b:   Die  Kunst  als  ßczeichnerin  des 

Ewigwahren 
„  42*.  unserm  Ohr 

Die  Handschrift  b,  in  Quart,  ist  durch  alte  Faltung  zu 
Taschenformat  zusammengelegt;  die  Königliche  Bibliothek  erwarb 
sie  vom  Major  von  Knebel,  einem  Verwandten  Karl  Ludwigs. 
Allem  Anschein  nach  besitzen  wir  an  ihr  jenes  Manuskript,  das 
Herder  in  der  Freitagsgesellschaft  aus  der  Tasche  zog  und  vorlas, 
und  das  er  damals  seinem  Freunde  Knebel  überlassen  haben  mag. 
Dass  es  für  die  Gesellschaft  bestimmt  war,  beweist  die  hoflich 
gewählte  Form  (40')  „habe  ich  einmal  die  Ehre",  die  zum  Druck 
in  „habe  ich  einmal  die  Gelegenheit"  verwandelt  wurde.  Herder 
hielt  also  seiner  Zeit  die  Vorlesung  wesentlich  so,  wie  wir  sie  jetzt 
in  Suphans  Ausgabe  gedruckt  vor  uns  sehen,  und  die  umfassenden 
Änderungen  der  Urschrift  a  wurden  unmittelbar  nach  der  ersten 


')  Die  Zeile  vorher  i*t  „Menge"  Druckfehler  für  „Menschen". 


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1894. 


Zu  Herden*  Schriften. 


255 


Niederschrift,  nicht  erst  spiitcr  für  die  Drucklegung  vorgenommen. 
Der  Handschrift  b  fehlt  die  am  Schlüsse  von  a  gegebene  Hin- 
weisung auf  Franklins  Junto- Fragen  (vgl.  Bd.  16,  43 %  Es  ist 
daher  nicht  wahrscheinlich,  dass  Herder  sie  —  wie  nach  a  allein 
geschlossen  werden  konnte  —  noch  in  der  Sitzung  vom  4.  November 
1791  zur  Sprache  brachte;  auch  Bottiger,  in  dessen  „litterarischen 
Zuständen"  ein  genaues,  frisch  nach  der  Sitzung  niedergeschriebenes 
Referat  uns  aufbewahrt  ist,  erwähnt  der  Junto-Fragen  nicht. 

2.  Zu  dem  Gespräch  „Iduna,  oder  der  Apfel  der 

Verjüngung". 

Das  Gespräch  „Iduna,  oder  der  Apfel  der  Verjüngung"  ist 
der  letzte  von  Herders  Aufsätzen  für  Schillers  Hören  (1796).  Er 
behandelt  den  Gedanken,  welche  Bedeutung  die  nordische  Mytho- 
logie für  die  gegenwärtige  Poesie  gewinnen  könne.  Alfred  spricht 
für  die  nordische  Mythologie,  Frey  gegen  sie.  Man  einigt  sich 
dahin,  dass,  unbeschadet  der  als  überlegen  anerkannten  griechischen 
Mythologie,  aus  der  nordischen  zwar  nicht  das  Rohe  und  uns 
Entfernte,  wohl  aber  das  Schone  und  Ideale  einer  durch  den  Apfel 
Idunens  verjüngten  Nachbildung  wert  und  fähig  sei. 

Das  Gespräch  verläuft  in  drei  Unterredungen.  In  den  beiden 
letzten  liegt  die  Hauptkraft  der  Gedanken.  Was  Frey  in  der 
zweiten  Unterredung  (S.  W.  18,  494)  gegen  den  poetischen  und 
sittlichen  Gehalt  des  nordisch -germanischen  Ix»bens  einzuwenden 
hat,  widerlegt  Alfred  Punkt  für  Punkt  in  der  dritten  Unterredung 
(S.  496). ')  So  wenigstens  ist  die  Abfolge  der  Gedanken  von  Herder 
angelegt.  Thatsächlich  aber  hat  eine  Verschiebung  des  Ursprüng- 
lichen stattgefunden.    Freys  Gründe  lauten  in  Kürze: 

1.  Die  Naturdichtungen  der  Edda  beruhen  auf  einer  für 
uns  unmöglichen  Physik. 

2.  Die  Sitten  dieser  Helden  sind  nicht  für  uns,  ihr  Witz 
nicht  fein,  Gewalt  entscheidet.  I>as  asotische  Helden- 
leben ist  nicht  zu  preisen. 

3.  (durch  „oder  endlieh"  eingeleitet:)  Die  Form  dieser  Ge- 
dichte und  Sagen  ist  nicht  zu  empfehlen. 

4.  Desgleichen  nicht  die  allegorische  Rätsel  Weisheit  der 
Buchstaben,  noch  die  ungeheuren  Umschreibungen  für 
Schwert,  Schiff,  Schlacht  etc. 

Dagegen  Alfred: 

1.  Bezeichnung  des  poetisch  Verwendbaren  aus  den  Dich- 
tungen der  Edda. 

2.  „Du  sprachst,  Frey,  auch  gegen  die  Sitten  dieser 
Männer"  etc. 


')  S.  W.  18,  4iK»  sind  die  Namen  Alfred*  und  Frey*  zu  vertauxchen. 

MormUlffte  d,.r  (•ouH-ni.iMi.-nfllacha/t.    im.  jy 


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25(5 


Steig, 


Heft  8. 


3.  „Du  sprachst  weiter,  Frey,  gegen  die  Sitten  der 
Weiber"  etc. 

4.  „Du  sprachst  ferner  vom  rohen  Witz  dieser  Völker"  etc. 

5.  „Du  spottetest  über  diese  Verse  und  nanntest  sie  Buch- 
staben wahlerinnen"  etc. 

ß.  „Endlich  spottetest  Du  über  das  Register  von  poetischen 
Beinamen  und  künstlichen  Umschreibungen  der 
Dinge"  etc. 

7.  „Geschmack  sollen  wir  von  den  Nordländern  nicht 
lernen,  Frev"  etc. 

Es  bedarf  nur  dieser  Gegenüberstellung,  um  zu  zeigen,  dass 
hier  kerne  Ordnung  herrscht.  Alfreds  Antworten  setzen  zu  einem 
Teile  anders  geartete  und  mit  andern  Stichwörtern  versehene 
Einwürfe  Freys  voraus;  Freys  Einwurf  gegen  die  Sitten  der 
Weiber  fehlt  ganz.  Handschriftliches,  woraus  man  die  Natur  der 
stattgefundeuen  Veränderungen  ersehen  könnte,  hat  sich  zu  dem 
Horen-Aufsatze  nicht  erhalten.  Unzweifelhaft  aber  ist  in  der  dritten 
Unterredung  die  ursprüngliche  Reihe  der  Gedanken  erhalten,  wäh- 
rend in  der  zweiten  eine  nachträgliche  Verkürzung  eintrat.  Ausser- 
lich verrät  sich  dies  noch  durch  das  „endlich"  der  dritten  Frage 
Freys  (S.  495),  das  an  seiner  ursprünglichen  Stelle  wohl  am 
Platze  war,  an  seiner  gegenwärtigen  Stelle  aber  verfrüht  erscheint 

Wir  haben  also,  technisch  ausgedrückt,  von  der  zweiten 
Unterredung  eine  spätere  Redaktion  als  von  der  dritten.  An  sich 
bei  Herder  nicht  ohne  Beispiel.  Sein  Jimarbeitender  Eifer  nimmt, 
nach  Ausweis  der  Handschriften,  regelmässig  gegen  das  Ende  hin 
ab.  In  einzelnen  Schriften,  wie  beim  „Ursprung",  bei  der  „Offen- 
barung", verbleiben  die  letzten  Teile  gegenüber  den  ersten  auf 
einer  früheren  Stufe  der  Gestaltung,  und  kleine  Unebenheiten 
werden  nicht  abgeglichen.  Mit  dem  Horen-Aufsatz  steht  es  ähnlich. 
Bei  der  Herrichtung  des  Druckmanuskripts  hatte  Herder  den 
Aufbau  des  ganzen  Gesprächs  nicht  mehr  im  Kopfe,  die  Ände- 
rungen wären  sonst  auch  auf  die  dritte  Unterredung  auszudehnen 
gewesen.  Eine  Korrektur  der  Druckbogen  hat  er  schwerlich  ge- 
lesen. Auch  Schiller  bemerkte  den  Kompositionsmangel  nicht, 
ob  er  gleich  über  den  Inhalt  des  Aufsatzes  seine  abweichende 
Meinung  Herder  gegenüber  ausführlich  begründete. 

3.   „Nach  Ponce  de  Leon." 

In  den  dritten.  Band  der  Adrastea  (S.  W.  23,  516)  legte  Herder 
die  dreistrophige  Übersetzung  eines  spanischen  Gedichtes  „nach 
Ponce  de  Leon"  ein.  Eine  andre,  bisher  nicht  bekannte  Nach- 
bildung Herders  fand  ich  im  Vaterländischen  Museum  1810  (Ham- 
burg, bei  Fr.  Perthes)  Heft  5,  S.  595,  wieder.  Sie  ist  so  grund- 
verschieden von  jener,  dass  wir  fast  ein  neues  Gedicht  Herders 
vor  uns  zu  haben  glauben. 


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1894. 


Zu  Herder*  Schriften. 


257 


Nach  dem  Spanischen: 
Quando  contcmplo  el  Cielo  — 

Erheb'  ich  meine  Blicke 

Zu  euch,  ihr  hellen,  schönen  Himmelssternc, 
Und  wende  sie  zurücke 

Zu  meinem  Erdenthal,  von  euch  so  ferne, 
Und  fühle  hier  die  göttlichste  der  Gaben 
Tief  in  Vergessenheit,  in  Schlaf  und  Nacht  begraben: 

Ach  Lieb'  und  Kummer  theilen 

Mein  Herz  alsdann  mit  bangem  süssen  Schncu, 
Und  meine  Augen  weilen 

Entzückt  an  euch,  und  leise  stille  Thränen, 
Entrollend  auf  die  trauernd  blassen  Wangen, 
Enthüllen  euch  mein  seufzendes  Verlangen. 

O!  Sprech'  ich,  lichte  Höhe, 

Du  Tempel  aller  Herrlichkeit  und  Schöne, 

Den  ich  dort  glänzen  .sehe, 

Und  hör'  im  Geist  den  Einklang  deiner  Töne  — 

O  welch  ein  Schicksal  bannte  meine  Seele, 

Für  dich  gebohren,  fern  in  diese  Erdenhöhlc! 

Herder. 

Voransteht  im  Vaterländischen  Museum  ein  Gedicht  Schön- 
borns, dessen  Beziehungen  zu  Friedrich  Perthes  wie  zu  Herder 
bekannt  sind.  Es  ist  daher  wahrscheinlich,  dass  die  hier  mitge- 
teilte Übersetzung  aus  dem  Besitze  Schönborns  herstammt 

4.   Herder  und  Gerning. 

Im  Jahre  1889  erschien  das  schöne  Buch  der  Frau  Henriette 
von  Bissiug  über  „das  Leben  der  Amalie  von  Imhoff".  Amalie 
von  Inihoff,  eine  Verwandte  der  Frau  von  Stein,  stand  in  Ver- 
kehr mit  den  grossen  Persönlichkeiten  der  Goethischen  Zeit,  Ihre 
Blicke  blieben  auch  auf  Weimar  gerichtet,  als  sie  es  längst  ver- 
lassen hatte.  Aus  Heidelberg  schrieb  sie  (S.  279)  die  ihr  wichtige 
Bemerkung,  dass  in  dem  Taschenbuehe  für  das  Jahr  1810  un- 
gedruckte  Gedichte  Herders  enthalten  seien.  Auch  den  jungen 
schwäbischen  Dichtern  waren  diese  „Nachlässe  von  Herder"  be- 
merkenswert (Mayer,  Unland  1, 193).  Ich  ging  diesen  Spuren  nach 
und  fand  das  Folgende. 

Der  Herausgeber  des  Heidelberger  Taschenbuches  war  der 
Ästhetiker  Alois  Schreiber.  In  der  Vorrede  des  Jahrganges  1810, 
S.  VIII,  schreibt  er:  „Nicht  ohne  Rührung  werden  die  Leser  er- 
blicken, was  ich  von  Herder,  Schiller  .  .  mitthcile.  Es  sind  heilige 
Gaben  der  Todten,  Blumen  von  ihren  Grabhügeln,  die  ihren  be- 
sondern Werth  haben  durch  das  Andenken,  welches  sie  erneuern." 

18* 


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25S 


Steig,  Zu  Herders  Schriften. 


Heft  8. 


Doch  nur  ein  Gedicht  Herders  brachte  der  Almanach,  wahrschein- 
lich rechnete  Amalie  von  Inihoff  die  tabula  votiva  betitelten  Verse 
von  Dr.  Herder  mit  hinzu.  Jenes  eine  Gedicht  Herders  wendet  sich 

An  Gerning. 

Weimar  1802. 

Seit  wir  zuerst  uns  sahn,  als  uns  Venusiums  Dichter 
Unter  der  Leier  Klang  näher  und  näher  verband, 

Sind  zehn  Jahre  dahin!  Nach  zehn  durchlebeten  Jahren 
Scheiden  wir  liebend  und  treu,  bleiben  uns  inniger  nah. 

Glücklicher  Freund !  Geneuss  mit  der  Muse  das  Leben,  du  kannst  es ! 
Lebe  den  Freunden  und  dir,  lebe  den  Edelsten  froh. 

J.  G.  Herder. 

Diese  Distichen,  zu  denen  auch  Carl  Redlich  (Goedeke  4, 
297)  auf  anderem  Wege  gelangte,  felüten  bis  jetzt  den  Schriften 
Herders.  Dagegen  sind  sechs  weitere  Gedichte,  die  die  Jahrgange 
auf  1811  und  1812  als  ungedruckt  brachten,  nach  anderen  Vor- 
lagen bekannt  geworden;  wir  lernen  nur  das  eine  hinzu,  dass  die 
Strophen  „aus  dem  Ital.  des  M.  Augelo"  (S.  W.  27,  355)  bereits 
im  Jahre  1779  entstanden  sind. 

Die  Gedichte  Herders  sind  ohne  Zweifel  von  Johann  Isaak 
von  Gerning  in  die  Heidelberger  Taschenbücher  geliefert  worden. 
Gerning,  ein  reicher  Frankfurter,  aber  massiger  Poet,  gehörte  zu 
den  jüngeren  Freunden  Herders  in  seinem  Alter.  Nach  Düntzers 
Buche  „zur  deutschen  Litteratur  und  Geschichte"  hätte  sich 
Gerning  Ende  1794  an  Herder  angeschlossen.  Unsrc  Distichen 
verlegen  also  den  Anfang  der  Bekanntschaft  in  das  Jahr  1792 
zurück,  als  „sie  Venusiums  Dichter  unter  der  Leier  Klang  näher 
und  näher  verband".  Eine  handschriftliche  Ubersetzung  der  Oden 
des  Horaz  hat  sich  wirklich  im  Naclüass  Gernings  gefunden ;  Herder 
mag  ihm  damals  schon  wie  später,  als  er  zur  Wende  des  Jahr- 
hunderts sein  neues  „Carmen  sacculare"  verfasste,  den  Text  ver- 
bessert haben.  Die  Distichen  schrieb  Herder  wahrscheinlich  auf 
ein  Stammbuchblatt,  herzlich  froh,  dass  Gerning  im  Februar  1802 
endlich  aus  Weimar  schied.  Ein  undatierter  Entschädigung«-  und 
Abschiedsbrief  Herders  an  Gerning  wurde  in  den  „Blättern  zur 
Erinnerung  an  die  Feier  der  Enthüllung  des  Göthe-Monuments  zu 
Frankfurt  am  Main,  am  22.  Oktober  1844"  veröffentlicht,  am 
Schlüsse  heisst  es  dort:  „Reisen  Sie  glücklich  in  Ihr  Akademisches 
Museum,  und  leben  daselbst  herzlich  und  Musenhaft  wohl."  Das 
ist  ein  unverkennbarer  Anklang  an  unsre  Distichen.  Die  Datierung 
des  Briefes  wäre  somit  gewonnen. 


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Bemerkungen 

der  Fürstin  von  Gallitzin  und  Bernhard  Overbergs 

zu  einer  Abhandlung  des  Abbe  Marie  über  Kindererziehung. 

Von 

Bibliothekar  Dr.  P.  Barilmann  in  Münster  i.  W. 

Zwei  hervorragende  und  bekannte  Personen  sind  die  Ver- 
fasser des  hier  zum  erstenmal  veröffentlichten  Schriftstückes :  die 
eine  eine  hochgeborene  Frau,  die  sich  selbst  wohl  „die  Schul- 
meisterin Westfalens"  nannte, »)  die  andere  ein  schlichter  Priester, 
der  aber  als  „Lehrer  der  Lehrer  der  Wohlthätcr  des  ganzen 
Münsterlandes"  wurde.2) 

Die  Fürstin  Amalie  von  Gallitzin3)  hatte  mit  Zustim- 
mung ihres  Gemahls  beschlossen,  ihren  Aufenthalt  von  der  Haupt- 
stadt Haag  nach  einem  stilleren  Orte  zu  verlegen,  um  sich  ganz 
der  Erziehung  ihrer  beiden  Kinder  Marianne  (geb.  17C9)  und 
Demetrius  (geb.  1770)  zu  widmen.  Von  dem  ihr  befreundeten 
Philosophen  und  Staatsrat  Hemsterhuis  auf  die  hervorragenden 
Schulreformen  des  mfinsterischen  Ministers  imd  Generalvikars 
Franz  v.  Fürstenberg  aufmerksam  gemacht,  suchte  sie  diesen  auf 
und  liess  sich  im  August  1779  dauernd  in  Münster  nieder,1)  wo 
sie  den  Unterricht  ihrer  Kinder  zum  grossen  Teil  selbst  leitete, 
eifrig  an  ihrer  eigenen  Fortbildung  arbeitete  und  an  allen  pada- 


')  Vgl.  H.  Herold,  Fr.  v.  Fürstenberg  u.  Beruh.  Overberg.  Münster 
1893,  pag.  33—36. 

*)  Vgl.  die  Inschrift  des  1828  im  Hofe  de«  Priester  -  Seminars  zu 
Münster  errichteten  Overberg-Denkmak 

*)  geb.  1748  zu  Berlin  ab  Tochter  des  prouss.  General-Feldmarschalls 
Reichsgrafen  v.  Schrocttau. 

*)  Sie  wohnte  im  Winter  in  dem  von  ihr  angekauften  Hanne  an  der 
Grünen  Gasse  (jetzt  Nr.  32),  im  Sommer  in  dem  vom  Grafen  v.  Mervcldt 
gemieteten  Landhaus  Angelmodde,  1  St.  von  der  Stadt  entfernt. 


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260 


Kahlmann, 


Heft  8. 


gogischen  Bestrebungen  ihrer  Umgebung,  besonders  Fürstenbergs, 
den  lebhaftesten  Anteil  nahm. 

Der  Kaplan  Bernhard  Overberg  (geb.  1754)  war  von 
Fürstenberg  im  Frühjahr  1783  als  Nonnallehrcr  nach  Münster 
berufen  worden  und  unterrichtete  dort  bis  zu  seinem  Tode  (f  1826) 
jährlich  in  den  Herbstferien  (vom  21.  August  bis  Anfang  Novem- 
ber) die  ihm  zugewiesenen  Lehrer  der  Diözese,  sowie  angehende 
Theologen  und  junge  Leute,  die  sich  dem  Lehrfache  widmen 
wollten.  Im  Jahre  1789  erwählte  ihn  die  zum  positiven  Glauben 
zurückgekehrte  Fürstin  von  Gallitzin  zu  ihrem  geistlichen  Vater 
und  Berater  und  bewog  ihn,  in  ihrem  Hause  zu  wohnen,  das  er 
erst  nach  ihrem  Tode  (f  1806)  wieder  verliess,  als  er  1809 
Regens  des  bischöflichen  Priester-Seminars  wurde. 

Während  der  siebzehn  Jahre,  welche  Overberg  in  der  Nähe 
der  Fürstin  verbrachte,  bestand  ein  reger  wissenschaftlicher  Ver- 
kehr zwischen  beiden.  Unter  anderem  begutachteten  sie  auch 
gemeinschaftlich  die  Abhandlung  über  Kindererziehung,  welche 
der  Abbe"  Marie,  ein  in  Hamm  lebender  französischer  Emigrant, 
dem  Frhrn.  von  Landsberg -Velen  auf  dessen  Wunsch  1796  über- 
sandt  hatte;  ihre  Bemerkungen  darüber1)  lauten: 

Ce  trait£  fait  preuve  de  la  litterature  etendue,  de  l'erudition,  de 
l'eloquence  et  de  la  longue  pratique  de  son  auteur.  II  nous  semble, 
en  general,  excellent.  On  y  trouve  partout  l>eaueoup  de  beaute,  de 
profondeur  et  de  conformite  au  but,  que  s'est  propose  l'auteur.  II 
n'y  a  point  de  doute,  que  dans  tout  ee  qu'il  propose  par  rapport  ä 
la  partie  de  Induration,  qui  concerne  les  sciences,  il  ne  supposc,  que 
Tedueation  physique  aie  atteint  le  degre  de  perfeetion,  dont  il  fait 
mention  auparavant:  car  on  concevra  aisement,  qu'un  enfant,  dont 
le  corps  sentit  faible,  n'est  point  eajmble  du  memo  degre  d'application 
dans  ses  Stüdes,  que  eelui  qui  doit  a  son  edueation  un  corps  plus 
robuste.  II  faut  donc  beaueoup  de  prudence  et  un  examen  bien 
refleehi,  pour  proportionner  de  la  nianiere  la  plus  convenable,  ee  qui 
est  dit  dans  le  traite,  dont  nous  pnrlons,  nur  lu  partie  scientifique 
de  Induration  au  degre  de  force  physique  qu'auront  atteint  les 
enfants. 

Au  reste  voici  les  rlflcxions  principales,  que  nous  nous  sommes 
cru  obhge.  de  faire. 


')  Abschriftlich  in  der  Königl.  Paulinischeu  Bibliothek  zu  Münster 
(Mrc  93),  welche  auch  eine  aus  der  Bibliothek  des  verstorbenen  Pfarrer» 
Niewirt  stammende  Abschrift  der  Abhandlung  des  Abbe"  Marie  (M»c.  436) 
besitzt. 


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1894. 


Bemerkungen  der  Fürstin  von  Gallitzin  etc. 


261 


Pag.  8. ')  L'auteur  dit  „Je  prßfdrerai  toujours  dans  un  village 
un  bon  Chirurgien  au  meilleur  maitre  d'ecole."  I>e  Chirurgien  prend 
soin  de  la  santS  du  corps;  le  maitre  d'ecole  de  celle  de  l'äme.  II 
est  donc  juste  de  preferer  celui,  qui  remplit  dignement  le  dernier  de 
ces  emplois  a  celui,  qui  ne  n'omupe  que  du  premier.  A  moins  qu'on 
ne  veuille  soutenir,  que  la  santl  du  corps  ne  soit  un  objet  d'une 
plus  grande  importance  que  Celle  de  Tarne;  que  l'acquisition  des  forces 
physiques  ne  soient  preferable«  a  celle  de  la  erainte  de  Dieu. 

Main  peut-etre  l'auteur  attache-t-il  au  mot  de  maitre  d'ecole 
d'autres  idees  que  edles,  que  nous  y  attachons  dans  le  pays  de 
Münster.  —  Nous  ne  saurions  souserire  non  plus  a  l'opinion  enoncee 
peu  auparavant  qu'il  serait  nuisihlc  aux  enfants  de  la  classe  du 
peuple  d'apprendre  autre  chose  a  l'eeole  qu'a  lire  et  a  ecrire. 
Certainemcnt  ce  serait  a  tort  quon  pretendrait  faire  des  Docteurs 
de  tous  les  enfants.  Mais  aussi  quelle  distanee  n'y  a-t-il  pas  d'un 
enfant,  qui  ne  sait  que  lire  et  ecrire  mechaniquement  a  un  Doeteur! 
En  verite  un  enfant,  qui  auniit  appris  autant  d'Arithmetique,  qu'il 
en  faut  pour  exercer  son  attention  et  le  mettre  en  etat  de  savoir 
faire  les  caleuls  dont  chacun  peut  so  trouver  dans  le  cas  d'avoir 
besoin:  un  enfant,  qui  aurait  et£  instruit  assez  solidement  de  l'histoire 
et  de  la  morale  de  la  sainte  Ecriture  pour  que  les  grands  motifs, 
qu*  ils  fournissent  a  1'homme,  puissent  emouvoir  sa  volonte,  et  pour 
que  cet  enfant  soit  en  £tat,  comme  l'exige  saint  Paul,  de  rendre  couipte 
a  un  chacun  de  la  foi,  qu'il  eonfesse,  et  de  l'csptfrance  qu'il  nourrit 
dans  son  coeur,  im  tel  enfant,  dis-je,  serait  encore  bien  61oign£  d'ßtre 
un  Doeteur!  Certainemcnt  bien  loin  d'£tre  prejudicinble  ou  inutile  ä 
qui  que  ce  soit  de  savoir  ces  choses  la  necessite  d'£tre  bien  instruit 
de  sa  Religion,  et  l'utilite  au  moins  de  l'ArithmStique  se  fait  sentir 
a  tout  le  monde:  et  surement  l'auteur  en  demeure  d'aecord  avec  nous. 

II  dit  ensuite  Pag.  33  -')  „La  piete  de  vos  enfants  ne  doit  pas 
etre  une  pidU?  de  cloitre,  encore  moins  une  piet£  de  beguineg;  franehe, 
sincere,  gaie  et  surtout  chari  table,  tels  doivent  etre  ses  prineipaux 
attributs."  Mais  ces  attributs  ne  doivent-ils  pas  etre  les  attributs 
aussi  de  la  piete  des  cloitres?  Oerait-on  soutenir,  que  la  vraie  piete 
soit  etrangere  ä  tous  les  cloitres?  En  distinguant,  comme  il  faut, 
sans  doute,  les  distinguer,  la  pi6t£  des  pratiques  de  piet£,  ne  serait-il 
pas  a  souhaiter,  que  tous  les  enfants  nourrissent  dans  leurs  coeurs 
une  piete,  teile  qu'dle  devruit  se  trouver  dans  tous  les  cloitres,  et 
que,  grace  a  Dieu,  eile  sc  trouve  encore  en  effet  dans  plusieurs? 
Les  pratiques  de  pi£t£,  en  usagc  dans  les  cloitres,  ne  doivent  pas  etre 
les  memes  pour  les  seculiers,  que  pour  les  pretres,  j'en  conviens, 
quoiqu'il  y  en  ait  grand  nombre,  qu'il  serait  au  moins  bien  utile, 


')  Abschrift  pag.  13:   Je  louc  l'institution  des  ecoles  normales;  mais 
je  preiererai  .  .  . 

?)  Abschrift  pag.  f>ü. 


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262 


Bahlmann, 


Heft  8. 


si  non  necessaire  d'admettre  hors  de*  convent*,  par  exemple  cclle 
d'interrompro  do  temps  en  temps  son  travail  pour  se  reoucillir  et  so 
remettre  en  la  presence  de  Dieu  ete.;  mais  le  signe  de  frapper  des 
main*,  dont  se  servent  les  Superieurs  ehez  los  Peres  de  la  Trappe, 
pour  en  determiner  le*  moinents,  ne  peut  etre  pratique  avee  sueees, 
que  dans  une  compagnie,  dont  la  plupart  des  membres  soient  anim&s 
par  le  memo  e*prit.  Mai»  s'il  est  vrai,  qu'au  nioins  1'esprit  du  plus 
grand  nombre  des  pratique»  de  cloitre  est  un  esprit  de  püHe,  il  ne 
nous  semble  pa*  k  propos  de  hlämer,  en  presence  des  enfants  et 
san*  distinetion,  la  piete  des  eloitres:  et  eneore  moins  de  vouloir  la 
rendre  ridicule.  On  empe'cherait,  par  la,  absolument,  tout  le  fruit,  que 
pourrait  produire  en  eux  l'cxetnple  de  bons  Religioux.  II  pourra.t 
meine  se  faire,  que  les  enfant*  de  peur  de  so  rendre  ridicule*,  par 
l'apparenee  d'une  piete  de  cloitre,  resistoraient  aux  mouvonients  de 
la  grace,  qui  les  j)orterait  a  la  piet£,  et  so  tourneraient  du  cöt6  de 
l'irreligion. 

L'auteur  conseille  Pag.  35  M  „de  faire  elcver  les  enfants  hors 
de  la  maison  paternelle,  aussitot  qu'il»  auront  dix  ou  douae  ans." 
II  est  a  presumer  qu'on  no  pourra  point  suivre  ee  eonsoil  a  la  lettre. 
Mais  peut-etre  pourrait-on  arranger  le*  choses  de  maniore  a  reinplir, 
du  moins  en  partie,  le  but  que  l'auteur  parait  avoir  en  vue,  en  cedant 
entierement  a  l'instituteur  et  ä  se*  eleves  une  des  partie*  de  la  maison, 
qu'on  jugerait  la  plus  convenable:  il  y  eoueherait,  y  dejeunerait,  y 
dinerait  etc.  avec  ses  eleves.  On  en  dofondrait  l'entree  a  tout 
domestique  dont  le  service  n'y  sorait  pa*  absolument  necessaire.  On 
ne  ferait  jamai»  paraitre  les  enfants,  lorsqu'il  y  a  des  etrangers, 
excepte  dans  quelques  oceasions  bien  particulieres.  On  parerait  ainsi 
aux  dangers,  aux  quel*  l'auteur  avec  rai*on  croit  le*  enfants  expose* 
du  c6t£  des  domeatiques,  des  parents,  de*  etrangers  etc.  Et  les 
enfants  ne  perdraient  rien  du  commeree  si  preeieux  pour  eux  avec 
leurs  parents,  si  coux-ci  fixaient  de  eertaines  heures,  auxqucl*  on  leur 
amenerait  leurs  enfants,  pour  leur  donner  leur  benediction  et  leur 
dire,  ce  qu'il*  trouveront  bon. 

L'auteur  conseille  Pag.  372)  de  faire  lire  aux  enfants  des  le 
commencement  les  meilleurs  auteurs.  II  nous  parait.  necessairo 
d'observer  ici,  que  les  auteurs,  qui  effectivement  sont  le*  meilleurs, 
ne  doivent  pas  pour  cela  toujours  etre  eonsidere*  comme  le*  meilleurs 
aussi  pour  les  enfants.  Ce  qui  est  dostine  aux  enfante  doit  etre 
analogue  ä  leur  capaeite  et  ä  leur  goüt:  et  ce  n'est  pas  toujours  le 
cas  des  auteurs,  qui  ont  le  plus  de  valeur  intrinseque.    Outrc  cela 


')  Abschrift  pag.  60. 

*)  Abschrift  pag.  C3:  Quintilien  conseille  de  faire  lire  d'abord  et  tou- 
jours aux  jeunes  gen«  les  meilleurs  ecrivain*  -  ego  optimos  quidem  et  statini 
et  semper  —  II  a  grandement  raison;  car  rien  n'est  plus  propre  a  fonuer  le 
gout,  que  la  Ieeture  assiduc  et  ri-fleehie  des  beaux  modele*. 


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1894. 


Bemerkungen  der  Fürstin  von  (inllitzin  etc. 


im>:? 


quand  on  fftit  lire  hux  enfants  ecs  nuteurs,  nvant  qu'ils  pui««eut  les 
comprendre  en  quelque  facon  au  moin«,  et  avant  que  d'etre  en  6tat 
d'en  trouver  eux-m£mes  avec  un  peu  de  secours  les  beautes,  il  en 
resulte  plusicurs  ineonvenients :  1.  I1h  «'aceoutument  a  admirer  une 
chose,  non  parce  qu'il«  la  trouvent  belle,  mai«  paree  que  d'autres 
l'admirent,  e'e«t-a-dire,  a  admirer  ou  plutot  a  imiter  comme  des  pcrro- 
quets  l'admiration  des  autres.  2.  Iis  perdent  Tenvie  de  lire  res  autcurs 
a  un  ftge,  oü  cette  lecture  pourrait  veritablement  leur  ötre  utile,  paree 
qu'ils  croient  le«  connaitrc  assez  et  qu'ils  s'imaginent,  qu'ils  ne  con- 
tiennent  pas  plus  de  lieautf}«  et  de  choses  utile«,  que  Celle«  qu'ils  se 
souviennent  y  avoir  trouvl  ei-devant. 

L'auteur  conseille  encore  Pag.  37  ')  „de  faire  Studier  ä  foud  par 
les  enfants  Horace  lui-meme,  quand  il«  seront  en  etat  de  l'entendre." 
Cepcndant  il  dit  lui-meme  du  memc  Horace  Pag.  57  2)  „mais  ne  vous 
y  fiez  pa«:  focnum  habet  in  coniu."  II  faut  en  eonclure,  que  «on 
opinion  u'e«t  pa«,  de  mettre  Horace  tout  entier  entre  le«  mains  <le« 
enfants  et  de«  jeunes  gen«,  mai«  qu'il  pen«e  avec  nous,  qu'il  «era  a 
propos  d'en  faire  des  extrait«,  pour  les  donner  aux  Cleves. 

L'auteur  dit  aussi  Pag.  'M  3)  „faites  les  Studier  aussi  et  apprendre 
par  coeur  les  plu«  beaux  endroit«  de  Virgile,  de  Hallustc,  de  Tacite  etc." 
Ceci  «era  ccrtainement  fort  utile,  pourvu  que  cela  ne  «e  fa««e  que 
bien  a  propo«,  tant  j>our  la  quantite  que  pour  le  choix  du  temp«. 
Quand  on  occupe  trop  la  memoire,  l'entendement  dort;  il  faut  donc 
de  quelque  utilite-  que  «oit  l'exercice  de  la  memoire  n'en  pa«  trop 
faire.  Quant  ou  temp«  le  plu«  favorable,  pour  faire  apprendre  par 
coeur  aux  enfants  le«  plu«  beaux  endroit«  des  autcurs  susmentiones, 
il  «emble  qu'il  ne  faudrait  point  commencer  cet  exercice,  avant  que 
les  enfant«  n'eussent  appri«  par  coeur  les  endroits  pour  eux  le«  plus 
interessante*  et  le«  plu«  aises  a  comprendre  et  les  plu«  analogue«  h 
leur  äge  du  meilleur  de  tout  les  livres,  de  rEcriture  sainte;  et  «'il 
fallait  absolument  negliger  Tun  ou  l'autre,  il  «erait  plu«  desavantageux 
«an«  doute  pour  les  enfants,  qu'il«  n'eu««ent  point  la  memoire  meublee 
de«  preeeptes  de«  exemplcs  et  de«  ventes  admirable«  contenu«  dans 
le«  Ii  vre«  saints,  que  «i  l'on  avait  negligC  iui  peu  plus  de  la  leur 
remplir  de«  auteurs  profanes. 

L'auteur  parait  Pag.  47 4)  trouver  les  premiers  chapitre«  de  la 
Genese  difficiles  pour  de«  enfants.  En  effet  il«  le  seraient,  si  on 
voulait  exiger  que  leur  raison  comprenne  tout  ce  qui  y  est  dit;  ou 
bien  encore  si  on  voulait  leur  faire  part  des  explications  mystiques 


')  Abschrift  pag.  64. 

')  Abschrift  pag.  97 :  On  le  prendrait  pour  un  petit  Saint,  taut  il  fait 
la  chattemite  et  Socraticis  madot  «ertnonibus!  mai«  ne  vous  .  .  . 
s)  Abschrift  pag.  64. 

4)  Abschrift  pag.  77:    Ce  n'cst  pas  que  1'expUcation  de«  premiers 
chapitres  de  la  Genese  «oit  ais^e;  tant  s'cn  faut! 


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264  Bahlmann,  Heft  8. 

ou  d'autres  explications  fort  rocherches,  quo  quelques  savante  ont 
hasardes  sur  ces  chapitres.  Mais  il  n'est  ni  neoessaire  ni  m£me  bou 
den  user  ainsi.  II  est  meme  inqiossible  d'expliquer  entierement  le 
(.'omment  de  ce  qu'il  y  a  de  mysterieux  dans  res  chapitres;  la  meme 
difficult6  se  trouve  dans  tous  les  mysteres,  que  Dien  nous  a  revele. 
Mais  si  on  n'exige  des  enfants  que  de  bien  retenir  le*  faits,  qui  y 
sont  enonces  et  de  les  eroire  eonime  ils  y  sont  racontos,  en  souinet- 
tant  leur  raison  a  la  Foi,  commo  il  est  toujours  convenable  de  le 
faire  a  moins  qu'il  ne  soit  bien  elair  que  teile  ou  teile  expression 
ne  puisse  pas  etre  prise  a  la  lettre,  toute  difficulte  s'evanouit,  et  ees 
chapitres  n'ont  rien  que  d'interossant  pour  eux.  Je  ne  snis  point, 
quel  droit  nous  aurions  d'en  exiger  davantage  des  enfants?  Que  les 
savants  se  hasardent  de  donner,  inquirendi  causa,  conune  dit  saint 
Augustin,  des  explications  snvantes,  qui  s'eloignent  du  sens  litteral 
a  la  bonheur;  mais  elles  ne  sont  pas  faites  pour  les  enfants,  et 
les  savants  aussi  bien  que  ceux,  qui  ne  le  sont  pas,  evitent  le  plus 
surement  le  danger  de  s'ecarter  de  la  verit6,  en  ne  s'eloignant  du 
sens  litteral,  que  lorsqu'il  est  bien  elair,  qu'il  ne  saurait  6tre  pris  ii 
In  lettre. 

Ce  que  l'auteur  dit  Pag.  46  et  suivantes1)  sur  le  sublime  et 
les  beautes  oratoires  de  la  sainte  Venture  est  surement  bien  vrai; 
mais  qu'on  aie  soin  de  ne  pas  trop  reeommander  aux  enfants  et  aux 
jeunes  gens  la  sainte  ßoriture  par  ce  cAto-la,  et  de  ne  point  exiter 
en  eux  le  d£sir  de  la  lire,  sous  ce  point  de  vue  si  toutes  fois  on 
veut,  qu'ils  en  retirent  le  fruit,  que  Dieu  veut  que  nous  en  retirions. 
Gr,  eile  nous  a  ete  donne  pour  nous  faire  parvenir  a  la  eonnaissance 
de  la  verite  et  au  saint  amour:  mais  pour  y  parvenir  il  faut  que 
nous  la  lisions  en  vue  d'atteindre  au  but,  e'cst-a-dire,  en  vue  d'ae- 
querir  la  connaissance  de  la  verite  et  le  saint  amour.  Quiconque 
cherche  autre  cho.se  en  etudiant  la  sainte  Venture,  comme  le  feraient 
les  enfants,  auxquels  on  aurait  cherche  a  la  rendre  interessante  en 
dirigeant  principalement  leur  attention  sur  la  beaute  de  l'enveloppe, 
sous  laquelle  eile  nous  presente  la  verit£,  sera  ebloui  par  cette 
enveloppe;  s'y  arretera,  en  l'adminint,  et  n'appercevra  que  difficilement 
ou  peut-ßtre  meme  n'appercevra-t-il  jamais  le  tresor  cache  sous  cette 
enveloppe.  Mais  si  d'un  cAte  il  semble  important  de  diriger  en 
preinier  lieu  toute  l'attcntion  des  enfants  et  des  jeunes  gens  au  but 
essentiel  des  saintes  ßcritures,  parce  que  1'homme  surtout  a  oet  äge 
n'est  que  trop  naturellement  }x>rte  a  amuser  son  imagination  de  ce 
qui  lui  phiit  plutAt,  que  de  se  nourrir  de  ce  qui  lui  est  salutaire; 
il  n'est  pa*  neecssaire  non  plus  de  leur  cacher  les  beautes,  dont  nous 
parlons.  On  peut  leur  dire,  que  la  sainte  ficriture,  meine  prise  de 
ce  eote-la,  ne  le  cede  ä  nueun  livre  au  monde,  mais  que  c'est  surtout 
par  l'avantage   inestimable  de  nous  presenter  les   titros  de  notre 


»)  Abschrift  pag.  7ti-S3. 


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1894. 


Bemerkungen  der  Fürstin  von  (iallitzin  etc. 


265 


bonheur  et  les  marques  de  nous  en  assurer,  qu'elle  est  preeieuse  et 
preferable  a  tout  autre  livre  et  que  la  connaissanee  de  la  verite  et 
l'augmentation  de  Pamour  en  nous  doit  toujours  £tre  ce  que  nous 
reeherchions  principalement  en  la  lisant. 

La  mauiere,  dont  l'auteur  conscille  Pag.  50 — 51 l)  de  faire 
apprendre  aux  enfants  la  geographie,  est  exeellente.  Mais  il  ne  faut 
pas  s'imaginer  que  tous  leg  enfante  ou  m£me  la  plupart  seulement 
v6rifieront  ce  que  l'auteur  dit  „laissez  les  faire,  ils  auront  bientAt 
imit£  ce  modele."  La  plupart  des  enfants  doit  etre  exeites  et  en- 
courag£s  de  differentes  manieres,  pour  aller  au  bout  d'un  ouvrage, 
qui  dure  quelque  temps,  et  pour  y  mettre  le  soin  et  l'attention  ne- 
cessaire. 

Pag.  5U — 57 2):  Je  nous  scmble,  que  le  mcilleur  usage,  qu'on 
pourrait  faire  de  la  morale  des  plus  sages  philosophes  de  l'antiquite 


')  Abschrift  pag.  86  f. :  La  geographie  et  la  Chronologie  passen  t  avec 
raison  pour  les  deux  yeux  de  l'histoire.  Je  conseille  surtout  l'tftnde  de  la 
geographie,  non  pas  commc  on  la  fait  apprendre  ä  la  jeunessc  dans  des  livre« 
mortellenient  ennuyeux,  raais  en  faisaut  travailler  vos  enfants  eux-memes  ä 
la  confection  d'un  globe  terrestre  de  deux  ou  de  trois  pieds  de  diamMre. 
On  leur  donnera  seulement  ev  globe  en  blanc,  avec  les  me>idiens  et  le«  cerele* 
de  latitude  trac«5s  de  dix  en  dix  degres.  Qu'ila  acint  avec  cela  un  autre  glolw 
terrestre  sous  les  yeux,  entierement  desxinc'  ou  grav<?;  et  laissez  les  faire: 
ils  auront  bientot  imite*  ce  modMe,  et  pour  peu  qu'ils  sc  sentent  d'attrait 
pour  la  geographie,  vous  les  verrez  travailler  avec  ardeur  ä  cette  espfece  de 
creation. 

Lea  eartes  geographiques  doivent  succe<ler  ä  ce  premier  travail;  pro- 
posez  leur  d'abord  la  carte  de  leur  pays  ä  faire  sur  une  cchellc  differente 
de  celle  que  vous  leur  aurez  mise  entre  les  mains.  Demandez  leur  en  suitc 
Celles  des  quatre  partie«  du  inonde.  Vous  finirez  par  en  obtenir  et  leur  faire 
comprendre  la  projeetion  de  la  mappemonde;  ce  qui  suffira  pour  les  eclairer 
dans  l'eiudc  de  l'histoire  et  pour  leur  faire  lirc  avec  fruit  jusqu'ä  la  plus 
miserable  gazette. 

Un  atlas  geographique  est  un  bon  meuble  d'«?ducation ;  je  n'en  connais 
point  de  comparable  ä  celui  de  üanville  [i.  e.  .1.  II.  d'Anville  t  1782J. 

*)  Abschrift  pag.  95  f.:  Tous  vos  soins,  tous  vos  efforts  doivent  se 
borner  alors  ä  en  faire  un  parfait  honnetc  bomme. 

LY'tudc  de  la  morale  peut  seul  atteindre  ce  but  essentiel,  pourvu  que 
cette  ötude,  encore  une  fois,  soit  prec£dce,  aecompagnee  et  suivie  de  bons 
exemples  dans  toute  l'atmosphere  de  1'eVlucation  t  et  que  parents,  maltres, 
condisciples  et  domestiques  soient  tous  gens  de  bien. 

Or  la  morale  chr^tienne  l'emportant  infiniment  »ur  celle  des  plus  sage« 
philosophes  de  l'antiquite,  on  peut  ä  la  rigueitr  pour  la  premfrre  jeunosse 
s'en  tenir  aux  preeeptes  de  PEvangilc,  et  dire  avec  Rousseau  „Philosophe, 
tes  raaximes  sont  belle'S,  ruais  muntre  m'eu  la  sauetion",  cn  comparant  les 


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266 


Bahlmann,  Bemerkungen  der  Fürstin  von  Oallitjrin  etc.     Heft  8. 


»erait  d'en  mettre  les  plus  beaux  endroits  sous  les  yeux  den  enfants, 
pour  leur  prouver  par  lä,  qu'aucune  sagesse  humaine  n'a  jamais  pu 
atteindre  ä  1  Valvation  et  a  Li  simplicit£  du  saint  Ävangile,  que  les 
Philosophes  ne  nous  out  rien  dit  de  vrai  et  d'interessant,  qui  ne  se 
trouve  aussi  dans  le  »aint  ßvangile,  qu'on  trouve  dans  les  Philosophen 
*  des  verites  entremelees  de  mensonges,  au  lieu  que  le  saint  ßvangile 
ne  contient  que  la  verite  toute  pure,  qu'enfin  les  vertus,  que  le  snint 
ßvangile  nous  recommande  le  plus,  parce  quelle«  nous  sont  le«  plus 
necessaires  pour  parvenir  au  vrai  bonheur  et  parce  que  sans  elles  il 
n'existe  point  d'autres  vertus  veritables,  l'humilite  et  la  charite,  teile* 
que  le  saint  ßvangile  les  presentent,  [sie!]  etaient  des  vertus  tout  a 
fait  inconnues  aux  philosophes. 

Auf  die  Abhandlung  des  Abbe"  Marie1)  selbst  naher  einzu- 
geben, verbietet  uns  leider  der  Raum.  Sie  enthält  weit  mehr, 
als  die  einleitenden  Worte  des  Verfassers  „Ce  n'est  pas  un  traute" 
dV»dueation,  que  j'ai  pr&endu  faire,  c'est  une  simple  lettre  que 
j'adresse  a  un  pere  de  famille  que  j'honore  et  que  j'aime;  il  m'a 
consult<5  sur  l'dducation  de  ses  enfants,  je  voudrais  bien  lui  etre 
utile'"  vermuten  lassen. 


ouvrages  de  l'ancienne  philosophic  avec  l'Evangile,  dont  il  dit  »i  profondd- 
ment,  que  l'invcntour  eerait  plus  puiasant  que  le  hen*. 

Quiconque  a  dejä  aequis  unc  certaine  expönence,  doit  eependant  lire 
quelques-unn  des  philosophes  les  plus  renommes,  parmi  les  Stoiciens  sur- 
tout.  [etc.] 

')  in  der  Abschrift  121  Seiten  4°. 


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B.  Besprechungen. 


Natorp,  Religion  innerhalb  der  Grenzen  der  Humanität. 

Ein  Kapitel  zur  Grundlegung  der  Sozialpädagogik.  Freiburg  i.  Br. 
u.  Leipzig  1894  (120  S.). 

Die  »ehr  beachtenswerte  Schrift  Natorp«  möchte  dem  Frieden 
dienen,  dem  Frieden  nicht  nur  zwischen  den  verschiedenen  Bekennt- 
nissen, sondern  auch  zwischen  Religiösen  und  «Irreligiösen ;  aber  der 
Verfasser  verhehlt  sich  nicht,  dass  er  einstweilen  von  beiden  Seiten 
scharfe  Angriffe  zu  gewärtigen  hat.  Er  ist  ein  Bürger  der  Zeiten, 
welche  kommen  werden.  Durchaus  Optimist  in  Bezug  auf  die  Zukunft 
des  Menschengeschlechtes,  kann  er  die  bestehenden  Zustände  weder 
auf  religiösem  noch  auf  sozialem  Gebiet  gut  finden.  Dass  die 
Menschheit  zerrissen  ist,  sollte  nach  ihm  nicht  sein.  Die  Menschheit 
soll  eine  Einheit  sein.  Eine  solche  das  ganze  Menschendasein 
umspannende  Gemeinschaft  ist  aber  nur  möglich  durch  die  Gemein- 
schaft der  Bildung.  Der  Unterschied  der  Klassen  entbehrt  auf  dem 
(iebiet  des  Bildungswesens  jeglichen  logischen  und  sittlichen  Rechtes. 
Das  Ideal  des  Comenius  ist  hier  dus  des  Verfassers.  Harmonische 
Ausbildung  aller  Kräfte  wird  gefordert.  Bildung  zur  Arbeit,  also 
physische  Bildung  soll  der  gegebene  Ausgangspunkt  für  alle  sein. 
Mit  Recht  findet  anderseits  Natorp  das  Mass  der  heute  den  Arbeitern 
im  Volksschuluuterricht  gebotenen  geistigen  Bildung  viel  zu  gering 
und  verlangt  insbesondere  gründlichen  naturwissenschaftlich-technischen 
und  soziologisch-historischen  Unterricht,  und  ein  solcher  umfasst  eben 
die  wesentliche  Grundlage  der  intellektuellen  Bildung  für  alle.  Wna 
die  sittliche  Bildung  betrifft,  so  spricht  Natorp  goldene  Worte  gegen 
die  leider  noch  immer  vorherrschende  Meinung,  „dass  sich  Moral 
einpredigen  oder,  wenn  die  Predigt  leider  wirkungslos  verhallt,  durch 
Zucht  und  Strafe  aufzwingen  lasse.  Gehorsam,  Disziplin,  das  scheint 
fast  das  vornehmste  sittliche  Ideal  des  Zeitalters  zu  sein.  Dass 
solche  Ansicht  von  moralischer  Erziehung  aller  edleren  Sittenlehre 


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208 


Besprochungen. 


Heft  8. 


iii'n  Gericht  schlägt,  kann  man  nicht  wohl  übersehen,  aber  diese 
edlere  Sittenlehre,  denkt  man  wohl,  gelte  nur  für  die  Auserlesenen, 
für  die  Massen  wird  davon  einfach  abgesehen".  Nicht  Gehorsam, 
sondern  Gerechtigkeit  ist  die  Kardinaltugend  des  Gemeinschafts- 
lebens, und  sie  wird  immer  nur  durch  Einleben  in  die  sittlichen 
Formen  menschlicher  Gemeinschaft,  nicht  durch  Lehrt«  gewonnen. 
Aber  mit  diesen  Formen  eben  steht  es  noch  sehr  übel  nach  Natorp, 
und  er  verhehlt  nicht,  dass  er  ihre  völlige  Umgestaltung  erwartet 
und  für  geboten  hält  —  eine  Auffassung,  die  doch  in  letzter  Zeit 
wahrhaft  reissende  Fortschritte  tu  machen  scheint,  und  der  auch  die 
Kirchen  sich  nicht  mehr  völlig  verschliessen.  Aber  auch  eine  völlige 
Umgestaltung  eben  der  Kirchen  schwebt  Natorp  als  Ideal  vor,  doch 
eine  solche,  dass  dabei  von  dem,  was  der  Kern  der  Religion  in  ihren 
besten  Vertretern  zu  aller  Zeit  gewesen  ist,  nichts  verloren  gehen 
solle.  Dieser  Kern  aber  ist  der  Glaube  an  die  unbedingte  Realität, 
die  unüberwindliche  Kraft,  folglich  den  unausbleiblichen  Sieg  des 
sittlichen  Ideals  in  der  Menschheit;  anders  ausgedrückt  die  Begrün- 
dung des  Reiches  Gottes  auf  Erden.  Geistreich  wird  erörtert, 
wie  das  Christentum,  durch  die  Nichtwiederkunft  Jesu  m  seinem 
Grundcharakter  verändert,  zu  übertriebener  Weltverachtung  kam,  und 
wie  erst  die  Reformation  die  Welt  gleichsam  rehabilitiert,  wie  durch 
Luther  in  Anlehnung  an  die  Gleichstellung  der  beiden  gross ten  Gebote 
das  GelK)t  der  Liebe  Gottes  ganz  und  gar  in  die  Liebe  des  Nächsten 
gezogen  wird.  Da*  ist  aber  der  Punkt,  den  alle  gelten  lassen  können, 
ja  müssen.  Auch  «lern  Gott  über  den  Wolken  will  durch  Liebe  des 
Nächsten  gedient  sein,  und  auch  der  irreligiöse,  aber  gute  Mensch 
wird  die  Macht  der  Liebe  als  etwas  Göttliches  empfinden.  Darum 
können  und  sollen  den  Satz  „Gott  ist  die  Liebe"  wirklich  alle  Zungen 
bekennen.  Aber  diesem  Herrlichsten,  das  der  Geist  empfangen, 
dränge  auch  hier  fremd  und  fremder  Stoff  sich  an.  Die  Wurzel  der 
Religion  sieht  Natorp  mit  Schleiermacher  im  Gefühl,  einem  Sonder- 
gebiet des  Bewusstseins  neben  Erkenntnis,  Wille  und  schaffender 
Phantasie.  Schlimm  ist  es  nun,  dass  die  Religion  diese  Gebiete 
beherrschen,  ihnen  Gesetze  vorschreiben  will,  dass  sie  -  man  könnte 
sagen:  in  dopj>cltem  Sinne  —  transsceudent  wird.  Möchte  sie  doch 
über  alle  Erfahrung  hinausgehen ,  wenn  sie  sich  nur  nicht  mit  aller 
Erfuhrung  in  Widerspruch  setzen  wollte!  Möchte  sie  sich  statt  der 
Dogmen  mit  Symbolen  begnügen!  Dann  fielen  die  Sehrauken,  nicht 
nur   zwUchen   den    Andersgläubigen,    sondern   auch    für  die  heute 


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1894. 


Besprechungen. 


2I»9 


„Ungläubigen",  mindestens  für  die,  welche  jetzt  aus  Religion  keine 
Religion  bekennen ,   wäre  Raum  in  den  Kirchen.    Welch  ein  Ziel 
auf's  innigste  zu  wünschen!    Aber  unerreichbar  fern,    werden  die 
meisten  hinzufügen.    Und  doch  ist  nicht  neben  andren  Erscheinungen 
der  Widerhall,  den  v.  Egidys  naives  Büchlein  in  Tausenden  von 
Herzen  gefunden  hat,  ein  Sympton  dafür,  dass  der  Zustand  faulen 
Friedens,  in  dem  die  Mehrheit  der  Gebildeten  mit  ihren  Kirchen  lebt, 
je  mehr  und  mehr  als  unerträglich  empfunden  wird?  Wahrhaftigkeit, 
die  reine  soll  uns  alle,  die  welterhaltende  erretten.  Wahrhaftigkeit 
denn  vor  allem  in  der  Erziehung!    Mit  überzeugender  Kraft  schildert 
Natorp  das  Verderbliehe   des   bestehenden  dogmatischen  Religions- 
unterrichts, der  bei  Unzähligen  das  Gegenteil  des  Gewollten  bewirkt 
und  fordert  einen  undogmatischen ,   confessionslosen  Unterricht.  Mit 
Recht,  bedünkt  uns,  ist  er  der  Meinung,  dass  kein  Moralunterricht, 
wie  man  ihn  in  Frankreich  eingeführt,  den  unvergleichlichen  Wert 
des  Evangeliums  ersetzen  oder  erreichen  könne;  aber  nicht  der  Glaube 
an  die  buchstäbliche  geschichtliche  Wahrheit,  sondern  der  Glaube  an 
den  sittlichen  Wert  des  Evangeliums  sei  Seele  und  Ziel  des  -Unter- 
richte!   Viele  werden  die  Möglichkeit  solchen  Unterrichte  bestreiten, 
Natorp  betont,    dass  er  in  England   bestehe.     Welche  befreiende 
Wirkung,    besonder*  auch   für  unzählige  Lehrer  seine  Einführaug 
haben  würde,  liegt  auf  der  Hand;  aber  dass  sie  in  absehbarer  Zeit 
bei  uns  erfolgen  werde,  kann  man  kaum  hoffen.    Dass  ein  Vorschlag 
Grosses  verspricht,  ist  ja  nach  John  Stuart  Mills  bitterwahrer  Bemer- 
kung für  die  grossen  Realpolitiker  schon  Grand  genug,  ihm  nicht 
näher  zu   treten.     Man   soll   deshalb  doch  nicht  verzagen.  „Der 
Realpolitiker  behält  für  den  Augenblick  Recht,  den  Ideen  folgen  die 
grossen  Zeiträume."    Die  ideenreiche  Schrift  Natorps  sei  denn  allen 
Freunden  der  Wahrheit  und  des  Friedens  wann  empfohlen.  Bezie- 
hungsvoll erinnert,  sie  im  Titel  an  die  vor  100  .fahren  erschienene 
Schrift  der  Königsberger  Weisen;  sie  darf  daran  erinnern. 

Einbeck.  Dr.  O.  A.  Ellissen. 

Comenii  Leanae  excidium  und  Vindicationis  famue  et  con- 
scientiae  calumnia  tertia  et  quarta.  Herausgegeben  von  Prof.  Dr. 
Franz  Nesemann,  Oberlehrer  am  Königl.  Gymnasium  zu  Lissa  i.  P. 
Beilage  zum  Programm  des  Königl.  Gymnasiums  zu  Lissa  i.  P., 
Ostern  1894.    Lissa,  Buchdruckerei  von  O.  Eisermann. 


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270 


Besprechungen. 


Heft  8. 


Zwei  geschichtliche  Quellen  von  hohem  Werte  sind  durch  diese 
Arbeit  allen  denen  zugänglich  gemacht,  welche  über  die  Frage,  ob 
und  in  welchem  Masse  Comenius  an  dem  Unglück  von  Lissa  schuld  war, 
zur  Klarheit  kommen  wollen.  Noch  vor  zwei  Jahren  hatte  Oindelv, 
weiland  Professor  an  der  deutschen  Universität  in  Prag  und  Landes- 
archivar von  Böhmen  (gest.  1893),  gegen  Comenius  die  Anklage  erhoben, 
dass  er  die  Polen  gegen  die  Stadt  Lissa  aufgereizt  habe,  indem  er, 
der  Bischof  der  böhmischen  Brüder,  von  welchen  ein  grosser  Teil 
dort  Zuflucht  gefunden  hatte,  im  schwedisch- polnischen  Kriege  ein 
Beglückwünschungsschreiben  an  den  Sieger,  den  König  von  Schweden, 
richtete,  auch  die  Prophezeiungen  eines  Geistlichen  der  Brüder,  der 
in  den  schwedischen  Siegen  eine  Erfüllung  derselben  erblickte, 
während  jener  Zeit  zum  Trost  der  unterdrückten  Glaubensgenossen 
veröffentlichte  (vgl.  Monatshefte  II,  Heft  8  u.  9,  S.  239  ff.).  Es  ist  sehr 
zweifelhaft,  ob  Gindely  diese  Anklage  erhoben  haben  würde,  wenn 
er  jene  beiden  nunmehr  von  Dr.  Nesemann  herausgegebenen  Zeug- 
nisse des  Comenius  über  die  Sache  gekannt  hätte.  In  dem  ersten 
erzählt  Comenius  als  Augenzeuge  die  Zerstörung  Lissas  noch  in  dem- 
selben Jahre  lo'öö,  in  welchem  sie  erfolgt  war,  also  noch  unter  dem 
frischen  Eindruck  des  Unglücks,  das  auch  ihm  und  seiner  Familie 
alles  geraubt  hatte.  Er  hat  noch  in  lebhafter  Erinnerung  alle  die 
Umtriebe,  Verleumdungen,  Verschwörungen,  in  welchen  sich  der  Hass 
der  katholischen  Polen  gegen  die  Evangelisehen,  besonders  gegen  das 
aufblühende  Lissa  schon  seit  vielen  Jahren  kund  gegeben.  Er  erzählt 
uns,  wie  man,  während  der  schwedische  König  in  Preussen  weilte, 
Jesuiten  und  Mönche  nach  allen  Richttingen  aussandte,  um  das  Volk 
gegen  die  Evangelischen  aufzuhetzen,  bis  es  zu  blutigen  Verfolgungen 
an  verschiedenen  Orten  kam  und  zuletzt  auch  zur  Zerstörung  Lissas. 
Das  zweite  Zeugnis  ist  so,  wie  es  lateinisch  lautet,  herausgehoben 
aus  einer  Schrift,  in  welcher  Comenius  Ehre  und  Gewissen  verteidigt 
gegen  die  Verleumdungen  eines  polnischen  Professors  der  Theologie, 
Namens  Nieolaus  Arnold.  Zwei  von  ihnen  betreffen  nämlich  das 
Unglück  von  Lissa;  es  sind  gerade  die,  auf  welche  auch  Gindely 
seine  Anklage  gegen  Comenius  stützte.  Das  Beglückwünschungs- 
schreiben an  den  schwedischen  König  soll  die  Fackel  zum  Brande 
von  Lissa  gewesen  sein.  Wie  war  dies  möglich,  da  er  ja  nur  dem 
Beispiel  der  Katholiken  folgte,  welche  bereits  Lobgedichte  auf  den 
Sieger  veröffentlichten?  Zudem  kann  Comenius  beweisen,  dass  den 
polnischen  Geistlichen  nicht  bloss  vor  der  Zerstörung  Lissas,  sondern 


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1894. 


Besprechungen. 


271 


auch  noch  hing«'  nachher  der  Verfasser  jeneg  Bcglückwünschunga- 
schreibens  gänzlich  unbekannt  gewesen  sei,  ja  noch  mehr,  da*»  sie  mit 
seinem  wesentlichen  Inhalt  einverstanden  gewesen  bis  auf  die  Forderung 
gleichen  Rechtes  für  alle  ohne  Unterschied  des  Glauben».  Die  zweite 
Anschuldigung  gründet  sich  auf  die  von  Comenius  veröffentlichten 
Weissagungen.  Durch  sie  sollen  die  Bewohner  von  Lissa  sicher  und 
sorglos  gemacht  worden  sein.  Dagegen  macht  Comenius  geltend, 
dass  fast  niemand  in  Lissa  jene  Weissagungen  gekannt  habe,  und 
dass  er  selbst  öffentlich  wenigstens  die  Deutschen  und  Polen  zur 
Flucht  nach  «lern  benachbarten  Schlesien  angetrieben  habe,  wo  sich 
Bekannte  und  Verwandte  ihrer  annehmen  würden.  Für  sich  und 
die  Seinigen  freilich  habe  er  es  fürs  Beste  gehalten,  sich  in  Gottes 
Hand  zu  geben,  denn  sie  hätten  niemand  gekannt,  der  für  sie,  die 
Fremden,  die  Verbannten,  eintreten  würde.  Wir  wissen  freilich  aus 
Briefen  des  Comenius,  dass  er  sich  zuletzt  doch  genötigt  sah,  sein 
Heil  in  der  Flucht  zu  suchen. 

Bei  der  Herausgalie  der  beiden  Schriftstücke  ist  mit  peinlichster 
Sorgfalt  zu  Werke  gegangen.  Das  gilt  nicht  bloss  von  der  Her- 
stellung des  lateinischen  Textes,  sondern  auch  von  der  Fülle  histo- 
rischer und  philologischer  Anmerkungen,  welche  das  Verständnis 
wesen Üich  erleichtern . 

Hagen  (Westf.)  Prof.  W.  Bötticher. 

Dem  in  Lebensbeschreibungen  und  Einzelschriften  auf  dem 
Gebiete  der  Comenius  -  Forschung  bisjier  Geleisteten  reihen  sich 
„Zwei  Abhandlungeu  des  Johann  Arnos  Comenius"  (Hannover- 
Linden  1894)  in  sehr  zweckdienlicher  Weise  an,  deren  Übersetzer 
Prof.  Dr.  C.  Th.  Lion  ist.  Das  von  Comenius  in  seinen  Opp.  did. 
omn.  III,  p.  75S — 775  gezeichnete  Musterbild  eines  guten  Lehrers 
möchte  der  Übersetzer  in  der  ersten  der  beiden  Abhandlungen  „Über 
die  Vertreibung  der  Trägheit  aus  den  Schulen"  der  Lehrerwelt 
jeglicher  Schulgattung  zur  Nacheiferung  vor  Augen  halten,  zugleich 
zu  seiner  Übersetzung  durch  mancherlei  Unrichtigkeiten  einer  früheren 
von  J.  Beeger  und  Dr.  .1.  Leutbecher  (Leipzig  1874)  besorgten 
veranlasst.  Es  ist  die  ernste  und  mühsame  „Hebammenenkunst  für 
die  Geister",  deren  Arlx'it  erfordernde  Regeln  der  für  Verwirklichung 
seiner  Theorien  unermüdlich  thütige  Meister  der  Didaktik  hier  in 
dieser  ersten  der  beiden  Abhandlungen  in  Anknüpfung  an  das 
bekannte  sokru tische  Bild  entwickelt  und  neu  einschärft.  Es  handelt 
sich  ihm  um  nichts  Geringeres  als  um  die  Entbindung  alles  Hohen 

MunaUUfW  ihr  Cotiu-iüus-UcaillwIuift.    l«Jl.  i<> 


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272 


Besprechungen. 


Heft  S 


und  Guten  der  noch  bildsamen  Mensehennatur  durch  die  Lehrerhand, 
in  die  er  diese  Hebainmendicnste  gelegt  sieht,  „um  glücklich  die 
schöne  Gehurt  der  Weisheit,  die  gestaltreiche  der  Beredsamkeit,  die 
lelM  ii^frische  und  lehenskräftige  der  Tugend  an's  Licht  zu  fördern". 
Die  Sehlde  —  eine  Arbeitsstätte,  ein  Schauplatz  frischer  geistiger 
Bewegung,  der  lehrende  ein  Mann  von  Kenntnissen,  von  aus- 
gedehnter Weite  des  Gesichtskreises,  mit  regsamer  eigener  Lebendigkeit 
und  voller  Hingabe  an  die  klar  erfasste  Berufspf  licht  die  lernenden 
mit  sieh  fortreissend.  Das  sind  die  schlichten  Forderungen,  die 
Comenius  erhebt,  denen  er  dann  noch  andere,  an  die  Schul  Vorsteher 
und  an  die  Eltern  gerichtete,  anreiht.  —  „Aus  den  Sehul-Lahv- 
rinthen  Ausgang  in's  Frei«;"  betitelt  sich  die  zweite  von  Lion 
übersetzte  Abhandlung,  eine  gedrängte  Cbersicht  der  das  geeignetste 
Lehrverfahren  erhellenden  Pläne  und  Anschauungen  des  Comenius,  — 
daher  auch  der  charakteristische  Nebentitel:  „Mechanisch  kon- 
struirte  Lehrmaschine,  um  (bei  den  Lehr-  und  J^crnobliegenhciten) 
ferner  nicht  stecken  zu  bleiben,  sondern  vorzuschreiten".  Als  da* 
Ziel  der  Schulen  bezeichnet  Comenius  dies,  „das*  sie  den  Menschen 
seinem  Ziele  anpassen,  d.  h.  durch  alles,  was  die  menschliche  Natur 
vervollkommnet,  ausbilden",  und  aus  allen  Labyrinthen,  in  die  er 
das  Schulwesen  verirrt  sieht,  zeigt  er  den  einen  Ausweg:  „Weniges, 
aber  für  das  Leben  (das  diesseitige  wie  das  jenseitige)  Notwendiges" 
soll  die  Schule  darbieten;  „Weniges,  aber  durch  Übungen  gut 
befestigt;  Weniges,  aber  dessen  Nutzanwendung  man  beherrscht"  — 
Wir  bemerken  noch,  dass  der  Phantasie-  und  Bilderreichtum,  der  «lern 
Comenius  zu  Gebote  steht,  der  dichterische  Zug  und  der  plastisch 
ausgestaltende  Trieb  feiner  Natur,  den  er  nicht  verleugnen  kann, 
mich  seine  Neigung  zu  biblischen  Anklängen  zumal  in  der  ersten 
Abhandlung  stark  zu  Tage  tritt,  In  betreff  der  Genauigkeit  der 
Wiedergabe  haben  wir  Grund,  dem  gerade  auf  diesem  Gebiet  be- 
währten Chcrsetzertalcnte  Lions  zu  vertrauen;  wir  sind  ihm  dankbar, 
dass  er  die  beiden  kleinen  und  interessanten  Schulabhandlungcn 
einem  erweiterten  Leserkreise  auf's  neue  zugänglich  gemacht  hat. 
Möge  <lieser  Leserkreis  sich  finden  vor  allem  innerhalb  „der  gesamten 
Lehrcrwclt  jeglicher  Schulgattung". 

Seebach  bei  Eisenach.  K.  Mämpel. 

Uphues,  Goswin  K.,  Über  die  verschiedenen  Riehtungen 
der  psychologischen  Forschung  der  Gegenwart.  (Introspective 


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1894. 


Besprechungen. 


27H 


und  physiologische  Psychologie  und  die  Überschätzung  der  letzteren.) 
Vortrag,  gehalten  in  der  Versammlung  des  Lehrervereins  zu  Halle  a.  S., 
den  17.  April  IS94.    (Halle  1894.)    11  8. 

Die  ältere  Psychologie  ist  durchwegs  beherrscht  vom  Substanz- 
begriff. Wie  man  in  der  Naturwissenschaft  die  Substanztheorie  auf- 
gegeben hat  und  die  Naturerscheinungen  nicht  mehr  mit  Hilfe  von 
elektrischen,  magnetischen  und  anderen  Vermögen  und  Kräften  er- 
klärt, sondern  dieselben  aus  allgemeinen  Bewegungsgesetzen  ableitet, 
so  kam  man  auch  in  der  Psychologie  von  der  Substanzciitheoric  ah, 
welche  die  Erscheinung  des  seelischen  Lebens  als  die  Äusserungen 
einer  metaphysischen  Seelensubsianz  zu  erklären  trachtet,  und  be- 
schränkt sich  auf  die  Anulysis  des  erfahrungsmässig  Gegebenen.  Er- 
fahrungsmässig  gi  geben  ist  uns  eine  Gruppe  zusammengehörender,  ein 
Ganzes  bildender  (vergangener,  gegenwärtiger,  zukünftiger)  Bewusst- 
seinsvorgänge.  Man  kann  nun  die  Bewusstseinsvorgänge  rein  für 
sieh  oder  in  ihrer  Beziehung  zum  Leibe  untersuchen;  das  erste  thut 
die  introspektive,  das  letztere  die  physiologische  Psychologie.  Die 
Vertreter  der  letzteren  behaupten  zuweilen,  dass  nur  die  physiologische 
Psychologie  eine  wissenschaftliche  Erkenntnis  gewähre,  jedoch  mit 
Unrecht.  Demi  die  Untersuchung  der  Abhängigkeit  der  Bewusstseins- 
vorgänge vom  Leibe  ist  ohne  vorhergehende  Kenntnis  und  Analyse  der 
Bewusstseinsvorgänge  für  sich  nicht  möglich.  Auch  ist  das  Körper- 
liehe nicht  der  nächste  Gegenstand  unserer  Erfahrung,  sondern  ein 
Jenseits  unseres  Bewusstseins.  Da-*  unmittelbarste  und  daher  sicherste 
Wissen  gewähren  uns  offenbar  die  Bewusstseinsvorgänge  selbst.  Wenn 
wir  auch  dem  Bewußtseinsinhalt  und  insbesondere  der  Vorstellung 
der  Aussenwelt  die  Realität  absprechen  wollten,  das  Vorstellen  selbst, 
der  Bewusstseinsvorgang,  liesse  sich  nicht  leugnen.  Von  den  That- 
sachen  des  Bewusstseins  aus  hat  somit  alles  Wissen  seine  Begründung 
zu  erfahren.  Wenn  wir  ein  Wissen  von  unseren  eigenen,  insbesondere 
von  den  gegenwärtigen  Bewusstseinsvorgängen  nicht  zu  gewinnen  ver- 
mochten, dann  tniissten  wir  überhaupt  auf  die  Erlangung  desselben 
verzichten.  Duraus  ergibt  sich  die  Möglichkeit,  Berechtigung  und 
Notwendigkeit  der  introspektiven  Psychologie.  Die  Untersuchung  über 
die  Grenzen,  den  Umfang  und  die  Tragweite  unseres  Erkenntnisver- 
mögens hat  die  introspektive  Psychologie  zur  Voraussetzung.  Letztere 
ist.  auch  die  Grundlage  der  physiologischen  Psychologie  und  schliefst 
diese  ein.  Denn  unser  I^eib  ist  für  unser  Bewußtsein  etwas  Trnns- 
cendentes,  wir  haben  von  ihm  nur  Vorstellungen.     Insofern  handelt 


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274 


Bespn  rhunjfon. 


Heft  8. 


es  pich  auch  in  der  physiologischen  Psychologie  nur  um  Untersuchun- 
gen  über  unsere  Bewusstseinsvorgänge,  die  physiologische  Psychologie 
wird  somit  zu  einem  Teil  der  introspektiven.  Sofern  man  das  Trans- 
cendente  als  Vorstellung  nuffasst,  vermag  man  nicht  zu  erklären, 
wie  ein  kausaler  Zusammenhang  zwischen  den  an  sich  wirklichen 
äusseren  Vorgängen  und  den  Bewusstseinsvorgängen  stattfindet.  „Wenn 
wir  von  einer  Entstehung  der  Bewusstseins Vorgänge  aus  körperlichen 
Vorgängen  und  umgekehrt  reden,  so  verstehen  wir  unter  den  körper- 
lichen Vorgängen  nicht  die  Vorstellungen,  die  wir  davon  haben,  son- 
dern wirkliche  körperliebe  Vorgänge,  also  etwas  Transcendentes." 
Körperliches  und  Geistiges  stehen  nicht  in  einer  derartigen  Verbin- 
dung, dass  eines  aus  dem  anderen  hervorgeht,  sie  bedingen  jedoch 
einander  gegenseitig.  Die  grosse  Verschiedenheit  der  beiderseitigen 
Vorgänge  drängt  uns  anzunehmen,  dass  ihre  Zusammengehörigkeit 
nicht  in  ihnen  selbst  den  Grund  haben  kann,  sondern  in  einem  zweiten 
über  beiden  bestehenden  Transcendenten.  „Dieses  zweite  Transcendente 
ist  freilich  nur  ein  Postulat,  ein  theoretisches,  durch  unser 
Denken  gefordertes  Postulat,  das  wir  aufstellen,  um  uns  die 
Entstehung  gewisser  Bewusstseinsvorgänge  insbesondere 
der  Empfindungen  und  weiterhin  die  Beschaffenheit  unseres 
Bewusstseins,  die  Richtung  desselben  auf  das  Transcen- 
dente und  den  unaufhaltsamen  Drang  desselben  zum  Trans- 
cendenten hin  zu  erklären."  Die  Theorie  des  Parallelismus  zwischen 
körperlichen  und  seelischen  Vorgängen  wäre  demnach  abzuweisen. 

Dies  in  Kürze  der  Inhalt  des  verdienstvollen  Vortrages  von 
Uphues;  derselbe  ist  der  Ausfluss  einer  berechtigten  Gegnerschaft 
gegenüber  der  herrschenden  Überschätzung  der  physiologischen  Rich- 
tung der  Psychologie.  In  der  Psychologie  zumal  thut  auch  erkenntnis- 
theoretische Besinnung  not,  wie  sie  Uphues  übt. 

Univ.  Czernowitz.  R.  Hochegger. 

Stötzner,  Paul,  Dr.  phil.,  Beiträge  zur  Würdigung  von 
Johann  Balthasar  Schupps  lehrreichen  Schriften.  Leipzig,  Ver- 
lag von  Richard  Richter,  1891.    Preis  2,40  Mk. 

Stötzner  verziehtet  auf  eine  eingehende  Darstellung  von  Schupps 
Leben  und  beginnt  sein  Buch  mit  einer  erspriessliehen  Kritik  der 
seit  1857  merklich  zunehmenden  Schupplitteratur.  Die  in  den  ein- 
zelnen Arbeiten  sieh  vorfindenden  Irrtümer  werden  auf  Grund  selb- 
ständiger Forschung  und  unter  Benutzung  der  gesamten  einschlagenden 


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I 


I 


1894.  Besprechungen  275 

Veröffentlichungen  berichtigt.  An  der  Hand  «lei  fünf  Gesamtausgaben 
der  lehrreichen  Schriften  aus  den  Jahren  1003,  1077,  1084,  1701 
und  1710  bespricht  er  nach  einander  die  von  Schupp  ursprünglich 
lateinisch  geschriebenen  Traktate,  die  von  ihm  selbst  veröffentlichten 
deutschen,  die  nach  seinein  Tode  gedruckten  und  die  in  den  gesammel- 
ten Schriften  nicht  von  ihm  verfaßten.  Ober  seine  Quellen  und  deren 
Bearbeitung  durch  ihn,  über  die  Entstehungszeit,  den  Zweck  und  die 
Bedeutung  jeder  Schrift  und  über  ihre  Beziehungen  zur  zeitgenössischen 
Litteratur  verbreitet  sich  Stötzner  mit  l>ewundcrn*wertcin  Scharfsinn. 
Im  Anhange  befindet  sich  der  von  Lambecius  stammende  Lebenslauf 
Schupps.  Nach  meiner  Meinung  ist  es  Stötzner  gelungen,  durch 
beweiskräftiges  Material  innerhalb  der  Reihe  sogenannter  Schuppscher 
Schriften  die  echten  von  den  unechten  zu  scheiden  und  somit  einen 
wichtigen  Beitrag  zur  Lebensgeschichte  eines  bedeutenden  Mannes  des 
17.  Jahrhunderts  zu  liefern. 

Berlin.  R.  Aron. 


C.  Nachrichten. 


Zu  Crossen  a.  O.  residierte  seit  1(550  die  Mutter  Friedrieh  Wil- 
helms, de«  Grossen  Kurfürsten,  Elisabeth  Charlotte  von  der  Pfalz,  dio 
Tochter  des  Winterkönigs  und  Gemahlin  Georg  Wilhelms,  der  da«  Fürstentum 
Crossen  als  Lcibgeding  überwiesen  war.  Die  Fürstin,  die  dort  oft  die  Besuche 
ihres  Sohnes  empfing,  liess  sich  das  Wohl  ihres  Fürstentums  sehr  angelegen 
sein  und  widmete  namentlich  auch  der  I^ateinschule  zu  Crossen  ihre  Auf- 
merksamkeit. Da  ist  es  nun  interessant,  dass  wenige  Jahre  nach  ihrer 
dortigen  Niederlassung  ein  Mann  an  die  Spitze  der  Schule  trat,  der  uns 
an  dieser  Stelle  besonders  interessiert  —  der  Konrektor  (seit  1651)  und  spätere 
Rektor  Gottfried  Rothe  (t  U.  April  1605),  über  den  Direktor  Dr.  Friedrieh 
Berbig  in  Crossen  in  seinen  soeben  erschienenen  „Nachrichten  aus  Urkunden 
der  lateinischen  Schule  zu  Crossen"  (Wiss.  Beilage  zum  Programm  des 
Realgymnasiums  1894,  II.  Teil,  S.  15  f.)  uns  Mitteilungen  macht.  Der 
gelehrte  und  friedfertige  Rothe  hatte  seine  Vorbildung  in  der  Brüderschule 
zu  Lissa  erhalten  und  bezeichnet  Comenius  als  seinen  Lehrer,  den 
er  in  seiner  selbstverfassten  Lcbensl>cschreibung  einen  „weltberühmten  Mann" 
nennt.  Dann  war  er  nach  Freistadt  in  Schlesien  gekommen  und  hier  wegen 
seiner  Religions-Anschauungen  vertrieben  worden;  in  ihm  hatte  die  Kurfürstiii 
den  geeigneten  Mann  für  ihre  Schule  erkannt,  und  seine  mehr  als  40 jährige 
Wirksamkeit  hat  ihr  Recht  gegeben.  Es  wäre  von  Wichtigkeit,  wenn  man 
den  Einfluss  näher  untersuchen  könnte,  den  die  Brüderschulc  in  Lissa  durch 
ihre  Lehrer  und   Schüler  gewonnen  hat;   da*s  auch  das  s.  Z.  berühmte 


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276 


Nachrichten. 


Heft  8 


Gymnasium  Schonaich ian um  in  Beuthen  zur  Brüderschule  Beziehungen 
besass,  hal»en  wir  bereit«  früher  erwähnt  (M.H.  der  CG.  1894,  S.  237». 

Ein  interessantes  Urteil  Uber  die  böhmischen  Brüder  in  der  Zeit,  wo 
Coracnius  seine  Laufbahn  begann ,  findet  sich  in  dem  soeben  erscheinenden 
zweiten  Bande  der  „Deutschen  Geschichte  im  Zeitalter  der  Gegen- 
reformation und  de«  dreissigjiihrigen  Krieges"  von  Moritz  Ritter 
(Bibliothek  deutscher  Geschichte,  hrsg.  von  Zwiedineck-Südcnhorst,  Stuttg., 
J.  G.  Cottas  Nachfolger,  Lief.  75  ff.).  Dort  heisst  es  (II,  271)  bei  Besprechung 
der  Lage  der  Protestanten  in  Böhmen:  „Die  Gemeinden  beider  Teile  (der 
Lutheraner  und  der  Brüder)  bliel)en  in  der  alten  Trennimg  bestehen,  wolx-i 
diejenigen  der  Brüder  durch  den  Krnst  ihrer  Sittenzucht,  die  Wärme  des 
Gottesdienstes,  die  Blüte  ihrer  niederen  und  mittleren  lTnterrichtsan8talten 
weitaus  hervorragten.  In  der  gemeinsamen  Oberbehörde  des  Konsistoriums 
musste  durch  Vereinbarung  der  Stände  innerhalb  der  zwölf  Mitglieder  eine  aus 
drei  Angehörigen  der  Brüdergemeinschaft  bestehende  besondere  Abteilung 
geschaffen  werden;  vor  dieser  und  zwar  von  einem  ihr  angehörigen  Senior 
(Bischof)  empfingen  die  Geistlichen  der  Brüder  ihre  Ordination.  Nicht  zur 
Milderung  der  Gegensätze  konnte  es  denn  auch  dienen,  dass  der  Lehrstreit 
über  das  Abendmahl  nach  Böhmen  ubergriff.  Während  in  dieser  Frage  die 
Brüder,  dem  verwandtschaftlichen  Zuge  ihres  alten  Bekenntnisses  folgend,  sich 
mit  Vorliebe  der  calvinischen  Lehre  zuwandten,  hielt  sich  der  andere  Teil 
der  böhmischen  Protestanten,  wenn  auch  nicht  mit  l)esonderem  Eifer,  zur 
lutherischen  Auffassung.  Dem  Zahlenvcrhaltriis  nach  waren  diese  Lutheraner 
die  weitaus  stärkere  Partei;  die  Brüder  erscheinen,  besonders  innerhalb  des 
Adels,  als  eine  kleine  Minorität.  Aber  einmütig  und  an  Zucht  gewöhnt, 
wie  diese  Minderheit  war,  ging  aus  ihrer  Mitte,  wie  in  Mähren  der  Herr 
von  Ze rotin,  so  in  Böhmen  als  der  umsichtigste  und  kräftigste  Führer 
der  protestantischen  Partei  Wenzel  von  Budowec  hervor.  Solchen 
Männern  gegenüber  bildete  der  lutherische  Adel,  wenn  er  auch  von  den  etwa 
1400  Familien  des  böhmischen  Adels  über  1000  zu  den  seinigen  zählen 
mochte,  eine  hin  und  her  wogende  Masse,  die  gleich  ihren  österreichischen 
Genossen  über  ihren  Gelagen  den  Emst  der  Sache,  ül>er  gewaltthätigen 
Antrieben  das  Gebot  politischer  Zucht  übersah;  hinterlistige  Streber  wie 
Wenzel  Kinsky  und  kopflose  Männer  wie  Matthias  Thum  übten  in  diesem 
Kreise  schon  damals  einen  bedeutenden  Einfluss  aus."  —  Das  Rittersehe 
Buch  enthält  auch  an  anderen  Stellen  Schilderungen  und  Nachrichten,  die 
für  unser  Forschungsgebiet  von  Wert  sind.  Wir  können  die  Lesung  des 
Werkes  unseren  Mitgliedern  umsomehr  empfehlen,  weil  dasselbe  unzweifelhaft 
zu  den  bedeutendsten  historischen  Erscheinungen  der  jüngsten  Zeit  zu  zählen 
ist,  und  weil  jeder,  der  von  comenianischer  Geistesrichtung  berührt  ist,  in  der 
Art  der  Darstellung  und  Auffassung  einen  verwandten  Zug  entdecken  wird. 

In  Melle  lebte  um  das  Jahr  lb'OO  als  fürstlich  Osnabiückseher  Münz- 
meistcr  Hermann  v.  d.  Hardt,  der  einer  niederländischen,  nach  Deutschland 
eingewanderten  Familie  angehörte.  Dessen  Sohn  Hermann  v.  d.  Hardt  (geb. 
lö.  Nov.  UM))  gehört  zu  den  Männern,  deren  Geschichte  für  uns  ein  bc- 


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1894. 


Nachrichten. 


277 


sonderet»  Interesse  besitzt.  II.  v.  d.  Hardt  der  Jüngere  besuchte  die  Gym- 
nasien zu  Osnabrück,  Herford,  Bielefeld  und  Coburg  und  bezog  dann  die 
Universität  Jena,  wo  er  »ich  im  Jahre  1683  alt*  Privatdozent  niederließ,  um 
nach  3  Jahren  nach  I/eipzig  überzusiedeln.  Hier  schloss  er  sich  an  die 
Vertreter  des  sog.  Pietismus  an,  trat  mit  A.  H.  Franc ke  in  Beziehung  und 
lebte  einige  .Zeit  in  Dresden  in  vertrautem  Verkehr  mit  Phil.  Jac.  Spener. 
Im  Jahre  1088  nahm  er  einen  Ruf  als  Gehcimsekretiir  des  Herzogs  Rudolf 
August  von  Braunschweig  an  und  wurde  WM  Professor  der  orientalischen 
Sprachen  in  Heimstellt,  wo  er  am  '28.  Febr.  1740  starb.  —  Der  merkwürdige 
Mann  hat  einen  umfassenden  Briefwechsel  unterhalten,  mid  es  ist  ein 
glücklicher  l' instand,  dass  derselbe  erhalten  ist.  Er  ruht  in  der  Hof-  und 
I^ndesbibliothck  zu  Karlsruhe,  und  Ferdinand  Lamey  hat  im  Jahre  1891 
bei  Ch.  Tb.  Gro<w  in  Karlsruhe  als  Beilage  I  zum  Verzeichnis  der  Hand- 
schriften der  genannten  Bibliothek  eine  Übersicht  über  die  Adressaten  u.  s.  w. 
unter  dem  Titel  veröffentlicht:  „Hermann  van  der  Hardt  in  seinen 
Briefen  und  seinen  Beziehungen  zum  braunschweigischen  Hofe, 
zu  Spener.  Francke  und  dem  Pietismus."  —  Es  sind  nicht  weniger 
als  17  Foliobände,  um  die  es  sich  hier  handelt,  und  die  zur  Geschichte  des 
sog.  Pietismus  ein  reiches  Material  liefern.  Wir  nennen  aus  dem  Verzeichnis 
der  Briefschreiber  und  Adressaten  die  Namen:  E.  Anckchnann,  Paul  Anton, 
Daniel  Arvidson,  J.  W.  Baji  r,  H.  Berckau,  J.  N.  Blanek,  B.  Botsac,  Aug. 
Wilhelm,  Herzog  v.  Braunschweig,  Rudolf  August  v.  Braunschweig,  G.  H. 
Bredeholl,  J.  H.  Burckhard,  J.  B.  Carpzov,  Colbius,  C.  Corber,  J.  C.  Dej>en- 
brock,  H.  J.  Ehlers,  A.  H.  Francke,  G.  B.  Glcyncr,  A.  H-  Gloxin,  J.  V. 
Grossgebauer,  Jo.  Jac.  Haak,  Job.  Heinr.  Horb,  H.  Huthmann,  Chr.  Kort- 
hold,  C.  Lange,  J.  v.  Lavitensac,  Gottfr.  Wilh.  Leibniz,  J.  H.  Lerche, 
J.  H.  Leukefeld,  W.  M.  Leukcfeld,  N.  Lindenberg,  P.  C.  Martini,  J.  H. 
Matthai,  Sophie  v.  Mecklenburg,  B.  Mejer,  C.  Möller,  H.  G.  Neuss, 
'/,.  Noltenius,  Joh.  Wilh.  Petersen,  J.  E.  Petersen,  Andr.  Reinl>eck,  C.  Sagit- 
tarius,  C.  H.  Sandhagen,  Veit  Ludw.  v.  Seckendorff,  P.  J.  f>pener,  Frhr. 
v.  Stain,  Joh.  E.  Thilo,  H.  Weiss,  Eborh.  Zeller. 

Im  Jahre  1K04  wird  zu  Nürnberg  ein  Erinnerungsfest  gefeiert  werden, 
das  uns  naher  angeht,  als  es  auf  den  ersten  Blick  scheint;  es  ist  das  2fH>jäbrige 
Stiftungsfest  des  „Bltunciiordens"  durch  Phil.  Harsdörffer  und  Joh.  Klaj. 
Wir  lassen  das  geringschätzige  Urteil,  das  heute  über  diese  „Sprachgesell- 
schaften", üblich  ist,  auf  sich  beruhen;  obwohl  es  sich  nicht  ganz  mit  derThat- 
suche  zu  reimen  scheint,  dass  viele  hervorragende  Männer  Mitglieder  dieser 
Societät  oder  Akademie  an  der  Pegnitz  waren,  so  mag  ja  doch  sein,  dass  sie 
ihren  Gegnern  viele  Angriffspunkte  boten.  Sicher  ist,  dass  gerade  solche 
Männer,  die  zu  den  Gesinnungsgenossen  des  Comenius  zählten,  und  zwar 
nicht  nur  „Sprachreiniger"  Mitglieder  gewesen  sind,  wie  denn  auch  Hars- 
dörffer selbst  Comenius  innerlich  nahe  stand.  Das  feste  Gefüge,  das  der 
„Orden"  im  Jahre  1044  erhalten  hat,  hat  ihm  eine  mehrhundertjährige  Ge- 
schichte gesichert.  Wir  werden  auf  die  Gedenkfeier  zurückkommen.  Der 
eigentliche  Grüuduugstng  ist  der  28.  Oktober. 


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278 


Inhalt  neuerer  Zeitschriften. 


Heft  8. 


D.  Inhalt  neuerer  Zeitschriften. 


Hi«torU<-he  Z«>ltM4'hrift.  Heraus- 
gegeben von  Heinrich  v.  Svbel  und  Friedrieh 
Meinecke.  N.  F.  Bd.:fT.  Erstes  Heft:  Hein- 
rich v.  Sybel,  Friedrich  der  Grosse  im 
Jahre  17<il.  F.  Bailleu,  Kurl  August, 
Goethe  und  der  FOrstenbund.  Denkschriften 
Theodor  von  Bcrnhardi».  III.  Zum  polnischen 
Aufstande  vou  l^-i.  ■-  Miscclleti.  —  Literat  ur- 
hcrieht.  Notiren  und  Nachrichten.  —  Er- 
klärung. Zweite»  Urft:  R.  Koser,  Die 
preiissische  lleformgcsetxgchiing  in  ihn'm  Ver- 
hältnis zur  französischen  IteVolutioii.  K. 
Witticli.  Wallenstein»  Katastrophe.  Zweiter 
Teil.  MiMvIlen.  -  Lituruturliericht.  - 
Notizen  und  Nachrichten. 

Archiof  voor  Xcderlandiuche 
liorli^fM'lile<l<«nl».  ">.  di'-l.  Aflevcring 
1.  IH'.U :  U.  Fruin,  I>e  voorbereiding  in  de 
hallingschap  van  de  Gcreforiin*erdc  Kerk  in 
Holland.  L.  W.  link  hu  ixen  van  den 
Brink,  Hit  recht  op  de  kcrkelijkc  goedereli 
der  Ili  rvormde  gem^nte  te  Bn-edevoort  in 
17!«S  bewezen  en  gehandhaafd.  -  James  de 
Fre  tnery  ,  IK  Naaldwijksche  pracbeiidcn  indc 
St.  Pancra»  of  Hooglaiidsche  Kerk  tc  W-iden. 
-  .1.  M.  WUstenhoff,  ,,Florentii  parvum 
et  »implex  exereilium"  ,  naer  een  Berlijnsch 
linndr-i  hrift  inedegedevld.  W.  P.  C.  Kniittel, 
Veruader-plaatsen  der  Katholiekcn  tc  V-Gra- 
vi-nhage  in  de  wxetitii-nde  eeuw.  H.  C. 
Kogge,   Brie!  van  I).  Bandiu»  aan  J.  Wlcu- 


III»U>rl»rhc%     Jahrbuch  der 
Ottrre»K*ftelUrhiitri.   1.'..  Jahne.    Heft  H, 

Aufsätze:  v.  Funk.  Kriti»chc  Be- 
merkungen zu  dogmatischen  Itcflexioncn,  - 
Falk,  l*T  iiiitudrbeiidschc  Freundeskreis  des 
Heinrich  von  I^ngenstcm. —  Weiss,  Beitrüge 
zur  Geschichte  d<T  Wahl  Lcopold's  I. 
Kleinere  Beiträge:  Gietl,  Hincinar's 
(  olliilio  di-  ccclcsiis  rt  capctli».  —  S  a  u e  r  1  a  l)  d, 
Eine  pn'l'  r!«»rni-i  Handschrift  de»  l'i.  Jahr- 
hundert« in  der  valiranischcn  ItiMiinliek.  -- 
Paulus,  Wolfgang  Mayer  ein  bayerischer 
('islercicnscrahl  de»  10.  Jahrhundert».  — 
Notizen.  Ili-c«  nsioneji  um)  Heferate. 
Zeiigchrifteii»chaii.  NovitflU-nschau.  -  Nach- 
richten.      P.  Uosler-Filike,  KrkUlrungcn. 

Archiv  fnr  «ctM-hlchtc  drr  Fhl- 
IfHMtpblr.  Bd.  VII.  Heft  3.  1KU:  Zelter, 
Aininoniii*  Sakkus  und  Plotin.  l»ie|»,  Au» 
dem  1-els  n  de»  Cyuiker»  Diogenes.  I>ilthey, 
An»  der  Zeil  der  SpitlO/JI-Sludietl  tioethe'». 
l.l  d  in  a  n  n  ,  Zur  Methode  der  Geschichte  der 


Philosophie  mit  Is-sondercr  Rücksicht  auf  die 
Metaphysik  de«  ('artcsiiis,  —  Stein,  Das 
ernte  Auftreten  der  griechischen  Philosophie 
unter  den  Arabern.  Land,  Bibliographische 
Bemerkungen.  —  Hof  f ding.  Die  Cotilinuilat 
im  philosophischen  Entwicklungsgänge  Kants. 
-  W  e  n  d  I  a  n  d,  Jahresbericht  Über  die  Kirchen- 
vater und  ihr  Verhältnis  xu 


Erlliarhrirt  für  1'hilokophic  und 
piillohophUelie  Kritik.  N.  F.  104.  Bd. 
Heft  •>.  1WU:  A.  Döring,  Das  Weltsystem 
de»  Parmenides.  —  Jacob  Kolubowsky, 
Die  Philosophie  in  Btissland.  Studie  (Schi.) 
-  (tust,  Glogau,  Kunte  Kennzeichnung 
meine»  philosophischen  Standpunktes. 
Ad.  La»»on,  Jahresbericht  über  Erschei- 
nungen der  Lillcralur  in  Frankreich  aus  den 
Jahren  18«J1— *.Ö.  —  Beccnsionen  und  Biblio- 
graphie. 


:*).  Bd.    Heft  3  u.  ».    18f»t:    Lipps,  Sub- 
jective  Kategorien  iu  ohjectiven  Frieilcn. 
E  r  d  m  a  n  n  ,  Theorie  der  Ty  pcn-Einteilu 
(Hl.         Husscrl,  Psychologische  Stti 
mir  elementaren  l/.gik.  Utterariscbes. 


l'liilooophiM  he« . 

f.«rrr«««>»<>llMhan.  7.  Bd.  II.  Heft.  181M  : 
(iutberl.t,  Über  den  Frspning  der  Sprache. 
(Schi.)  Reit*,  Die  ari»totcli»che  MaU.rial- 
ursache.  Schirottky,  Zu  Kants  Schrift 
„Die  Beligion  innerhalb  der  (ireruten  der 
blossen  Vernunft".  -  ■  T.  Pesch,  AI.  Schmid 
Ober  die  Erkenntni»lehre.  —  Itecensiunen  etc. 


it<  rnutloniilede 


14.  annee.  No.  t>.  \b\M :  An- 
toine  Pillet,  I>es  modifiraüons  qu'ü  con- 
viendrait  d'npporter  aux  programmes  du 
doctorat  endn.it.  --Jacques  Parmentier, 
Ijk  litti'ratun-  j>edagogii|iie  en  Anglelerre : 
John  Brinsley.  Charles  Dyob,  L'u 
honime  d'eUit  »pirituc!  et  cttevaleresque : 
.Ma?^iitm  d'A/eglio. 

No.  7.  Emile  Bourgeois,  La  rclorme 
de  l'agn'gation  d'htstoire.  —  (iabriel  Alix, 
Bap|Mirt  fuit  ä  la  faculte  libre  de  Pari»  sur  la 
n'forme  de«  elude»  de  la  lieence  et  du  doctorat 
en  droit.  -  A.  (taxier,  DiH-umiiiU  iniklits 
|Miiir  wrvir  ä  l'histoire  de  l'iintniction  puldi- 
ijue  |M'tidanl  la  revolution  (171H  -ISUl  l,  (Sulu-). 

l.u  licviu-c  des  leitr»-».  (.'orrespondanee 
internationale.  (  hronique  de  l'rnseigne- 
uient.  -  Nottvelles  et  inforiiiutions.  Bib- 
liographie. 


>♦♦»< 


Bin  lidrm  ken  i  v..u  J<dialiiie»  Bredt,  Münsti-r  i.  Westf. 


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Monatshefte 

der 

Comenius-Gesellschaft. 


III.  Band.  ~s  1894.  e~  Heft  9  u.  10. 


Hans  Sachs  und  die  Reformation. 

Von 

Dr.  Alexander  Nicoladoni 

in  IJnx  an  iI<t  Ihmmi. 

Anders  spiegelt  «ich  die  Welt  im  Kopfe  des  Gelehrten, 
anders  im  Herzen  des  Dichters! 

Pflegt  der  Gelehrt«  die  Strömungen,  die  eine  bestimmte  Zeit 
bewegen,  zusammenzufassen,  sie  auf  ihre  Griinde  und  Veran- 
lassungen zurüekzuf ühren ,  nach  einem  bestimmten  Ziele  hin  auf 
ihnen  weiter  zu  bauen,  und  sie  mithin  als  ein  Ganzen  zu  betrach- 
ten, so  interessieren  den  Dichter  die  einzelnen  Gedanken,  ihr 
Kommen  und  Gehen,  ihre  formelle  und  inhaltliche  Erscheinung, 
das  Bild  der  Manigfaltigkeit  und  Abwechslung. 

Hans  Sachs,  dessen  400 jähriges  Geburtsfest  wir  in  diesem 
Jahre  feiern,  hat  die  gewaltigste  Idee,  die  seine  Zeit  bewegte,  die 
Reformation,  vom  Standpunkte  des  Dichters  aus  betrachtet! 

Nicht  zu  jenen  Geistern  ist  er  zu  zahlen,  die  die  religiöse 
Bewegung  mit  in  Fluss  brachten,  ihr  Ziel  und  Richtung  gaben  oder 
sieh  die  Erforschung  ihrer  Eutsteliungsgründc  und  Zwecke  ange- 
legen sein  Hessen,  wohl  aber  finden  wir  kaum  irgendwo  die  Ein- 
drücke der  sieh  drängenden  Entwicklungs-Abschnitte  der  Refor- 
mation, der  wechselnden  Stimmungen  des  Volkes  lebendiger  sich 
spiegelnd,  als  in  seinen  Schriften,  in  Versen  und  in  Prosa,  in 
seinen  Sprüchen  und  Dialogen.  Hat  ihm  auch,  sowie  der  ganzen 
Zeit,  das  Gefühl  für  Schönheit  der  Form,  wie  es  einer  späteren 
Periode,  der  klassischen,  eigen  war,  gefehlt,  so  lebt  doch  in  allen 
Erzeugnissen  seiner  Muse  ein  packendes,  dramatisches  Element, 
das  überall  an  die  Stelle  der  Schilderung  die  Handlung  setzt,  der 

Monatsheft»-  <l.  r  Coiwnins-0.-*'ll-fh»ft.    I S** t .  •  -jq 


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280 


Nicoladoni , 


Heft  0  u.  10. 


Sinn  für  das  Naive  und  Volkstümliche,  sowie  die  Absicht,  zu 
bilden  und  zu  verbessern,  die  Tugend  zu  verherrlichen  und  das 
Laster  zu  brandmarken.  Es  war  deshalb  besonders  die  sittliche 
Seite  in  der  religiösen  Bewegung,  die  ihn  anzog,  es  war  die  Ver- 
breiterung und  Vertiefung  des  Reformationsgedankens  im  Volke, 
was  ihm  einen  bleibenden  Platz  unter  den  Förderern  der  Refor- 
mation sichert. 

Des  Hans  Sachs  dichterische  Begeisterung  hat  sich  ursprüng- 
lich an  den  Eindrücken  seiner  Wanderjahre  im  deutschen  Vater- 
lande, das  er  als  Sehustergcselle  durchzog,  entzündet  Erlebtes 
und  Bcobachtungsergchnissc  an  Land  und  Leuten  bilden  den  Inhalt 
seiner  ersten  Gedichte.  Schon  frühzeitig  aber  zogen  ihn  religiöse 
Stoffe  an. 

Seine  ersten  Versuche  dieser  Art  sind  dem  Boden  seiner 
Heimat  entsprossen.  Sie  sind  der  Dolmetsch  der  religiösen  Re- 
gungen und  Strömungen  des  deutschen  Volkes  in  den  beiden 
ersten  Jahrzehnten  des  10.  Jahrhunderts,  standen  demnach  zwar 
auf  dem  Standpunkte  der  katholischen  Kirche,  verrieten  jedoch 
nicht  undeutlich  die  mystischen  Neigungen  ihrer  Verfassers. 

Das  Nürnberg  des  IG.  Jahrhunderts  war  der  Spiegel  der 
Welt.  Alle  Faden,  aus  denen  die  Geschieht«'  der  damaligen  Zeit 
gesponnen  wurde,  liefen  hier  zusammen.  Von  Nürnberg  sandten 
Humanismus,  Renaissauce  und  Reformation  ihre  Strahlen  aus. 
Viele  dieser  Strahlen  hat  unser  Dichter  aufgefangen  und  sich  an 
ihnen  sein  dichterisches  Feuer  in  der  ihm  eigenen  Weise  entzündet 
Dadurch  hat  er  zur  Bekräftigung  und  Verbreitung  der  die  Zeit 
bewegenden  Ideen  viel  beigetragen.  Volkstümlich,  ja  nicht  selten 
spieKsbürgerlich,  geben  sich  alle  Kinder  seiner  Muse;  deshalb 
wurden  sie  aber  auch  vom  Volke  verstanden  und  gesucht 

Bereits  im  Jahre  1Ö23  finden  wir  unseren  Dichter  von  der 
gewaltigen  Persönlichkeit  des  Wittenberger  Mönches  mächtig  er- 
griffen. In  einfachen  aber  zu  Herzen  gehenden  Worten  feiert  er 
Luther  als  den  Apostel  der  Deutschen  und  den  Lehrer  seines 
Volkes.  Zeit  seines  Lebens  war  nunmehr  Sachsens  ganze  schrift- 
stellerische Thätigkeit  der  Anpreisung  und  volkstümlichen  Dar- 
stellung evangelischer  Gedanken  gewidmet.  Alle  die  Kämpfe  und 
Stürme,  welche  diese  Gedanken  im  Laufe  der  nächsten  Jahrzehnte 
zu  bestehen  hatten,  alle  Stimmungen  des  Volkes,  welche  diese 
Kämpfe  begleiteten,  finden  in  Sachsens  poetischen  und  prosaischen 


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1801.  Hau*  Sachs  und  die  Reformation.  2fll 

Schriften  ihren  getreuen  Spiegel.  Und  als  es  dann  galt,  das  neue 
Glaubensbekenntnis  gegen  die  Schlage  der  alten  Kirche  zu  schützen, 
da  stand  Saehs  in  den  vordersten  Reihen  der  Kampfer.  Aber 
auch  gegen  den  Übereifer  und  die  Thorheiten  seiner  eigenen 
Gesinnungsgenossen  fand  er  kräftige  Worte  der  Mahnung,  der 
Beruhigung  und  Beschwichtigung.  Gegenüber  den  sieh  bildenden 
I'arteiungen  erhob  er  das  Panier  der  Einheit  Diejenigen,  die  — 
insbesondere  nach  Luthers  Tod  — -  mutlos  an  dem  Gelingen  der 
Reformation  verzweifeln  wollten,  wies  er  auf  Gott  und  die  gött- 
liche Sache  und  ermutigte  zum  festen  Ausharren  auf  dem  als 
richtig  erkannten  Standpunkte.  Bis  er  im  Alter  von  mehr  als 
70  .Jahren  für  immer  die  treuen  Augen  sehloss,  ist  er  ein  eifriger 
und  wirksamer  Vorkämpfer  der  evangelischeu  Sache  geblieben. 


Am  31.  Oktober  1  ö  1 7  hatte  Martin  Luther  seine  Thesen 
wider  den  Ablast*  an  die  Thüre  der  Schlosskirche  von  Wittenberg 
geheftet. 

Wie  andere  deutsche  Reichsstädte  hat  auch  Nürnberg  die 
Tragweite  dieses  Ereignisses  und  der  daran  sich  entzündenden 
Kämpfe  alsbald  begriffen.  Der  Boden  war  gerade  hier  wohl  vor- 
bereitet „Dort  besassen  Weiber,  Knechte  und  Handwerker  mehr 
Kenntnis  der  Bibel",  sagt  Heinrich  v.  Kettenbach,  „als  anderswo 
die  Mitglieder  der  gelehrten  Schulen." 

Seit  Beginn  des  Jahrhunderts  stand  .loh.  v.  Staupitz,  der 
Luther  in  das  Evangelium  der  deutsehen  Mystik  eingeführt  hatte, 
in  engen  Beziehungen  zu  dem  Nürnberger  Humanistenkreise.  1512 
hat  er  das  erste  Mal  dort  gepredigt  und  war  seither  in  den  ersten 
Familien  der  Stadt  ein  gern  gesehener  Gast.  15]  (i  war  er  wieder 
in  Nürnberg  und  bereits  im  Jahre  darauf  hören  wir  von  einer 
Gesellschaft  (Sodalitas),  die  sich  nach  Staupitz  nannte,  in  der  eine 
Reihe  der  vornehmsten  Männer,  so  Christof  Seheurl,  Anton, 
Andreas  und  Martin  Tücher,  Hieronymus  Ebner,  Casp.  Nützel, 
Hierou.  Holzschuher,  Sigismund  und  Christoph  Fürer,  Lazarus 
Spengler,  Albrecht  Dürer  und  Wolfgang  Hoffmann  vereinigt  waren. 
Dass  nicht  nur  die  humanistisch  gesinnten  Gelehrten  und  die 
Würdenträger  der  Stadt,  sondern  auch  der  minder  gebildete  Teil 
der  Bevölkerung  religiösen  Fragen  ein  lebhaftes  Interesse  ent- 
gegenbrachte, beweist  der  Umstand,  dass  bereits  im  Jahre  1517 

"20* 


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282  Nicoladoni,  Heft  9  u.  10. 

• 

eine  von  Casp.  Nützel  veranstaltete  deutsche  Übersetzung  der 
lutherischen  Ablassthesen  in  Nürnberg  erschien.  Bereits  1518 
nennt  Christof  Scheurl  den  Wittenberger  Mönch  den  berühmte- 
sten Mann  Deutschlands,  eine  Posaune  des  Evangeliums  und  einen 
Herold  der  Wahrheit!  In  Nürnberg  hat  Willibald  Pirkheimer 
den  „gehobelten  Eck"  verfasst,  in  Nürnberg  erschien  die  Schutz- 
wehr und  christliche  Antwort  des  Stadtsehreibers  Lazarus  Speng- 
ler, eines  der  frühesten  evangelischen  Bekenntnisse. 

Hans  Sachs  nahm  an  allen  diesen  Erscheinungen  lebhaften 
Anteil.  Bereits  zu  Anfang  der  zwanziger  Jahre  hat  er  seiner 
eigenen  Erklärung  zufolge  an  die  40  lutherische  Traktatchen 
gesammelt  Von  seiner  erstaunlichen  Kenntnis  der  Bibel  geben 
alle  seine  nach  1523  erschienenen  Schriften  Zeugnis. 

Am  Frohnleichnamstag  des  letztgenannten  Jahres,  wahrend 
der  Reichstag  in  Nürnberg  tagte,  wahrend  dort  die  Geister  scharf 
auf  einander  platzten  und  die  evangelisch  Gesinnten  aus  dem 
Verlauf  der  Verhandlungen  neue  Hoftuungen  für  den  Sieg  ihrer 
Sache  gewannen,  erschien  sein  erstes  von  evangelischen  Ideen 
durchtränktes  Gedicht:  „Die  Wittenbergisehe  Nachtigall". 
Es  singt  auf  12  mit  einem  Holzschnitte  geschmückten  Quartblättern 
das  Lob  des  Wittenberger  Mönches. 

Er  vergleicht  Luther  in  einer  breit  ausgesponnenen,  aber 
poetischer  Schönheiten  nicht  ermangelnden  Allegorie  mit  der 
Nachtigall,  die  mit  der  aufsteigenden  Sonne  ihren  Gesang  ertönen 
lässt  und  dadurch  die  durch  den  fahlen  Schein  des  Mondes 
(der  alten  Kirche)  verfinsterte,  den  Nachstellungen  des  Löwen 
(des  Papstes)  und  der  Wölfe  (der  Clerisei)  preisgegebene  Herde 
rettet  An  diese  Allegorie  reiht  sieh  eine  heftige  Polemik  gegen 
den  römischen  Gottesdienst,  gegen  die  „sogenannten"  guten  Werke» 
gegen  die  Aufführung  der  Geistlichkeit,  die  Habsucht  der  Kirche 
und  gegen  die  faulen  Haufen  der  Mönche  und  Nonnen,  die  ihre 
guten  Werke  um  Geld  verkaufen.  Das  Gedicht  sehliesst  mit 
dem  Glaubensbekenntnis  des  Dichters,  welches  mit  dem  Luthers 
übereinstimmt 

Darauf,  dass  sich  der  wahre  Glaube  allein  in  der  Liebe 
äussert,  wird  dabei  das  grösste  Gewicht  gelegt.  Der  Wert  und 
die  Bedeutung  des  Gedichts  liegt  darin,  dass  es,  indem  es  alles 
theologische  Selmlgezänk  vermeidet  und  nur  die  gemütliehe  Seite 
des  neuen  Evangeliums  betont,  so  recht  dem  Gesichtskreis  der 


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1894. 


Hans  Sacht«  und  die  Reformation. 


283 


Mafuwn  angepasst  war.  Es  hat  desshalb  aucli  in  kürzester  Zeit 
weit  über  Nürnberg  hinaus  zahlreiche  Verehrer  und  Freunde 
gefunden. 

Im  Jahre  1524  veröffentlichte  Sachs  vier  Zwiegespräche, 
(er  selbst  spricht  von  7  Dialogen,  von  denen  uns  jedoch  nur  4 
gedruckt  vorliegen die  des  Dichters  damalige  Stimmung  deutlich 
wiederspiegeln.  Sie  sind  in  Prosa  geschrieben  und  zälden  zu  den 
bedeutendsten  Erscheinungen  der  volkstümlichen  Reformations- 
Litteratur.  „Disputation  zwischen  einem  Chorherren  und 
Schuhmacher,  darin  das  Wort  Gottes  und  ein  recht 
christlich  Wesen  verfochten  würdt"  betitelt  sich  die  erste. 

Ein  Schuhmacher  (der  Dichter  selbst)  verteidigt  die  Witten- 
bergischen Lehren  von  der  Freiheit  des  Evangeliums,  von  dem 
allgemeinen  Christentume,  von  dem  Rechte  der  Laien  auf  die 
Bibel  und  von  der  Nutzlosigkeit  der  äusseren  Werkheiligkeit,  des 
Fastens,  Betens,  der  Beichte  etc.  und  schliesst  mit  der  Ausführung 
des  Satzes,  dass  ein  wahrhaft  Christglaubiger  nur  der  ist,  der 
wiedergeboren  ist  aus  dem  Wasser  und  dem  Geiste,  Gott  allein 
im  Geiste  und  in  der  Wahrheit  und  seinem  Nächsten  mit  den 
Werken  der  Liebe  dient 

Die  besonnene  Milde,  die  von  eingehender  Kenntnis  der 
Bibel  zeugende  Auffassung  und  das  dramatische,  des  Humors  nicht 
entbehrende  Gewand,  in  das  der  Dichter  dieses  Zwiegespräch 
gekleidet  hat,  insbesondere  aber  die  schalkhaften  Züge,  mit  denen 
er  den  Sehluss  ausgestattet  hat,  hat  ihm  zahlreiche  Freunde  in 
weiten  Kreisen  der  Bevölkerung  verschafft. 

Der  zweite  Dialog  führt  den  Titel:  „Ein  gesprech  von 
den  Scheinwerken  der  Geistlichen  und  ihren  Gelübden." 
Wie  schon  der  Titel  andeutet,  richtet  sich  der  Inhalt  gegen  das 
Unwesen  der  Bettelmönche. 

In  beweglichen  Worten  wird  diesen  vorgestellt-,  dass  Betteln, 
Niehtsthun  und  Kasteien  keinen  Wert  vor  dem  Herrn  haben, 
und  wird  ihnen  das  Wort  der  Bibel  entgegengehalten:  „Im  Schweisse 
Deines  Angesichtes  sollst  Du  Dein  Brot  essen".  Als  sprechende 
Personen  sind  wieder  Hans   der  Schuhmacher,  dann  Peter  ein 

*)  Es  wäre  »ehr  erwünscht,  zu  erfahren,  ob  sich  von  den  drei  anderen 
Dialogen  keinerlei  Spur  etwa  in  Handschriften  erhalten  hat  und  die  Gründe 
zu  kennen,  die  Sachs  von  der  Drucklegung  abhielten. 

Die  Schriftlcitung. 


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284 


Nicokdoni, 


Heft  9  u.  10. 


Bäcker  und  2  Barfussermönehe  eingeführt.  Schon  in  diesem 
Dialoge  zeigt  der  lutherisch  gesinnte  Peter  in  polternder,  ja  fana- 
tischer Derbheit  die  Bethiitigung  seines  evangelischen  Eifers, 
während  Hans  auf  die  gegnerischen  Gründe  geduldig  eingeht  und 
mit  Milde  und  Sanftmut  ihre  Schwächen  darthut  und  sie  mit 
Sprüchen  aus  der  Bibel  zu  widerlegen  sucht. 

Der  Zweck  des  dritten  Dialoges:  „Ein  argument  der 
Römischen  wider  das  christlich  Häuflein,  den  Geytz 
auch  andere  öffentliche  Laster  betreffend",  ist,  wie  schon 
die  Vorrede  sagt,  auf  die  Beleuchtung  des  Lebenswandels  seiner 
Gesinnungsgenossen  gerichtet 

Weil  die  Römischen,  sagt  er  dort,  auf  der  Kanzel  und 
überall  sonst  auf  den  verfluchten  Geiz  —  es  ist  die  Habgier  und 
Geldgier  gemeint  —  und  andere  Laster,  welche  bei  uns  im 
Schwange  gehen,  mit  viel  Geschrei  hinweisen  und  daraus  folgern, 
dass  unsere  I^chre  falsch  sei,  deshalb  will  er  den  Lutherischen 
in  s  Gewissen  reden.  Würde  unser  Leben  besser,  so  könnten  die 
Römischen  nichts  mehr  gegen  uns  haben. 

Die  Strafpredigt  des  Dichters  ist  voll  sittlichen  Ernstes» 
ein  Zeugnis  klarer  Beurteilung  der  wirkliehen  Sachlage  und 
deutschen  Mannesmutes.  Die  Figuren  des  Gespräches  sind  diesmal 
der  Junker  Reich enberger,  ein  Anhänger  Luthers,  und  sein  Gast 
Romanus,  ein  katholischer  Priester.  Unter  dein  Geiz,  den  Romanus 
den  Evangelischen  vorwirft,  und  dessen  Existenz  Reichenberger 
zugiebt,  versteht  Romanus  den  Wucher,  das  Zinsetinehmen,  die 
Übervorteilung  im  Handel  u.  s.  w.,  die  mit  dem  Mangel  an  Werken 
echter  christlicher  Nächstenliebe  Hand  in  Hand  gehen. 

Der  vierte  Dialog  betitelt  sich:  „Ein  gesprech  eines 
Evangelischen  Christen  mit  einem  Lutherischen,  darin 
der  ärgerlich  Wandel  etlicher,  die  sich  Lutherisch  nen- 
nen, angezeigt  und  brüderlich  gestraft  wird." 

Während  der  Zweck  dieses  Dialoges  mit  dein  des  vorigen 
vielfach  übereinstimmt,  sind  die  Ausführungen  desselben  insbe- 
sondere deshalb  interessant,  weil  sich  in  ihnen  Hans  (der  evan- 
gelisch gesinnte  Dichter)  gegen  den  polternden  übereifrigen  Peter 
(den  Lutherischen)  und  gegen  alle  diejenigen  wendet,  die  durch 
ihr  Hetzen  gegen  die  römische  Kirche,  gegen  den  äusseren  Gottes- 
dienst und  die  guten  Werke,  Dinge,  die  für  die  Beurteilung  der 
Wahrheit  des  Glaubens  gleichgiltig  seien,  und  durch  ihr  Schimpfen 


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1894. 


Hau»  Sach*  und  die  Reformation. 


285 


über  Papst  und  Pfaffen  die  Schwachen  abschrecken  und  aus  den 
Keinen  der  Evangelisehen  vertreiben. 

Hans  mahnt  zur  christlichen  Milde  und  Duldung.  Nicht 
an  dem  Toben  und  Schreien  gegen  ausserliehe  Dinge,  sondern 
allein  an  der  Liebe  und  dem  christlichen  Lebenswandel  in  der 
Nachfolge  Christi  seien  die  wahren  Kinder  Gottes,  die  Evan- 
gelischen, zu  erkennen! 

Peter  erzählt  dem  Hans,  dass  er  seinen  Schwiegervater  aus 
dem  Hause  geworfen  habe,  weil  dieser  sich  darüber  aufhielt,  dass 
er  (Peter)  an  einem  Freitag  Sehweinebraten  gegessen  habe.  Er 
nennt  ihn  einen  Romanisten-Hund. 

„Du  hast  Unrecht  gethan",  antwortet  Hans,  „Du  weisst 
doch,  dass  Deiu  Schwäher  evangelischer  Freiheit  noch  unbc- 
richtet  ist" 

Peter  versucht  darauf  mit  einer  Reihe  von  Bibelsprüchen 
zu  beweisen,  dass  das  Fleisehessen  am  Freitag  keine  Sünde  sei. 

„Du  hast  Recht",  sagt  Hans,  „Fleisehessen  ist  keine  Sünde, 
aber  nicht  alles,  was  erlaubt  ist,  ist  nützlieh.  Jeder  hat  zu  achten, 
dass  seine  Freiheit  nicht  zu  einem  Anstoss  für  die  Schwachen 
•  werde.  Es  ist  viel  besser,  Du  issest  kein  Fleisch  und  trinkst 
keinen  Wein,  als  dass  daran  Dein  Bruder  Anstoss  nimmt,  sieh 
iirgert  und  schwach  wird.  Nicht,  was  Dir  zuträglich,  suche, 
sondern  was  vielen  zuträglich  ist,  dann  wirst  Du  selig  werden." 

Peter  lässt  sich  nicht  bekehren,  er  häuft  Bibelsprüche  auf 
Bibelsprüche,  um  darzuthun,  dass  das  Meiden  der  Fleischspeisen 
Götzendienst  sei.  „Was  ist  unsere  Freiheit  nutz",  poltert  er, 
„wann  wir  sie  nicht  gebrauchen  dürfen?" 

„Sie  i*t  soviel  nutz",  meint  Hans,  „dass  wir  wissen,  dass  uns 
alle  Speis  unschädlich  ist,  aber  um  der  Schwachen  willen  sollen 
wir's  meiden.  Es  sind  ihrer  gar  viele,  die  Fleisch  essen  am 
Freitag  aus  Frevel,  Fürwitz  oder  Wollust  und  haben  doch  keinen 
Grund  im  Glauben  und  werden  zuletzt  wanken  in  ihren  Gewissen." 
Und  als  Peter  unwillig  fragt,  wie  lang  sie  denn  an  der  römischen 
Kette  liegen  sollen  und  ihre  christliche  Freiheit  nicht  gebrauchen 
dürfen,  da  mahnt  Hans  zur  Geduld. 

„Sei  zufrieden",  spricht  er,  „dass  wir  in  unserem  Gewissen 
frei  sind  von  solcher  menschlicher  Satzung  und  lass  uns  um 
unserer  Mitbürger  willen  solch  ausserliehe  Dinge  tragen,  wie 
andere  Statuten  und  bürgerliche  Sitten;  das  Reich  Gottes  ist  nicht 


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Nieoladoni, 


Heft  9  u.  10. 


erstanden  aus  Trinken,  sondern  aus  Gerechtigkeit,  Friede  und 
Freude  im  heiligen  Geiste.  Essen  wir,  so  werden  wir  nicht  besser, 
essen  wir  nicht,  nicht  schlechter.  Würden  wir  aber  das  Fleisch, 
um  unseres  Nächsten  Unwissenheit  zu  schonen,  nicht  gemessen, 
dann  gehet  solche  Enthaltsamkeit  aus  Glauben  und  Liebe  und 
ist  Gott  gefiillig." 

Er  erinnert  an  die  Worte  Christi:  „Ein  neues  Gebot  gebe 
ich  Euch,  dass  ihr  Euch  liebet  untereinander,  wie  ich  Euch  ge- 
liebet habe.  Dabei  wird  Jedermann  erkennen,  dass  ihr  meine 
Jünger  seid." 

„Hörst  Du",  fügt  Hans  diesen  Worten  bei,  „die  Liebe  ist  die 
rechte  Probe  eines  Christen  und  nicht  das  Fleischessen,  denn  das 
können  die  Hund  und  Katzen  auch." 

In  wenigen  aber  treffenden  Worten  hat  der  Dichter  mit 
diesem  Zwiegespräch  den  Kern  des  evangelischen  Christentums 
aus  der  äusseren  Umhüllung  losgeschält. 

Nachdem  sich  Hans  und  Peter  in  betreff  des  Fleischessens 
geeinigt  haben,  tritt  Ulrich,  der  Schwiegervater,  ein. 

Hansens  Aufforderung,  mit  ihnen  in  die  Predigt  zu  gehen, 
lehnt  jener  mit  den  Worten  ab:  „Ich  wollt  eher,  dass  Euer 
Prediger  gehängt  würde,  er  ist  ein  Ketzer.  Sagte  mir  doch  mein 
Schwiegersohn,  der  Prediger  lehre,  man  dürfe  nicht  mehr  beten, 
nicht  den  Heiligen  dienen,  nicht  fasten,  beichten,  wallfahrten, 
nicht  mehr  die  Messe  hören,  keinen  Jahrtag  stiften,  keinen  Ab- 
lass  lösen  und  es  sei  kein  gutes  Werk  zur  Seligkeit  nutze." 

„Ei",  wendet  sich  darauf  Hans  an  Peter,  „Du  thust  Unrecht 
Du  und  Deine  Gesellen,  dass  Du  den  Prediger  solches  sagen  lässt, 
aber  die  Gründe  vorenthältst,  die  er  dafür  anführt.  Mit  solcher 
Art  entfernst  Du  die  Einfältigen  von  der  wahren  Lehre.  Saget 
diesen  die  tröstliehen  Worte  Christi,  die  Ihr  von  dem  Prediger 
gehört  habt,  saget  ihnen,  dass  der  Tod  Christi  das  einzig  Werk 
unserer  Erlösung  und  dass  Christi  Wort  allein  zu  hören  sei. 
Wenn  Ihr  solches  den  Leuten  vorsagt,  so  wird  dies  die  Herzen 
der  Unwissenden  erweichen,  dass  sie  dann  auch  in  die  evangelische 
Predigt  kommen  und  dadurch  werden  sie  zur  wahren  Erkenntnis 
der  Wahrheit  Gottes  gelangen."  Dem  stimmt  auch  Meister  Ulrich 
zu.  Wenn  man  aber,  fährt  er  fort,  von  den  Lutherischen  kein 
gutes  christliches  Wort  höre,  wenn  sie  nur  Mönche  und  Pfaffen 
ausrichten,  dann  gelüste  ihn  die  lutherische  Weise  gar  nicht 


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1894. 


Hans  Sachs  und  die  Reformation. 


287 


Peter  meint,  die  Mönche  und  Pfaffen  verdienten  es  nicht  besser, 
sie  seien  verstockte  Sünder,  mit  den  Künsten  müsse  man  drein- 
schlagen,  mit  Gewalt  das  Unkraut  ausreissen. 

Hans  mahnt  auch  hier  zur  Geduld  und  Sanftmut.  Kr  beruft 
sich  auf  den  Apostel  Paulus  als  seinen  Gewährsmann.  Der  Weg 
der  Gewalt  gebare  nur  Feindschaft,  die  Kotzer  bekehre  nur, 
wer  dem  Evangelium  Christi  nachfolgt,  und  einen  christlichen 
Wandel  führt,  wie  sichs  gebührt.  Die  rechten  Kinder  Gottes 
erkenne  man  allein  an  der  Liebe.  „Peter",  schliesst  Hans  seinen 
Sermon,  „merk'  Dir  meine  Rode  um  Gottes  willen  und  sag'  es 
Deinen  Mitbrüdern  (d.  h.  den  Lutherischen):  Wenn  sie  mich  einen 
Heuchler  und  Abtrünnigen  heissen,  da  Hegt  mir  nicht  ein  Haar 
breit  daran,  ich  habe  ihnen  die  Wahrheit  gesagt,  welche  immer 
verfolgt  wird  von  den  Gottlosen.  Ich  wollt,  es  hätten  sie  alle 
gehört,  die  sich  lutherisch  nennen,  vielleicht  würden  sie  dann 
rechte  evangelische  Christen  werden." 

Und  darauf  Meister  Ulrich:  „Peter!  wie  dünkt  Dich?  Wann 
Ihr  Lutherischen  solch  züchtigen  und  evangelischen  Wandel  führen 
würdet,  so  hätte  Eure  Lehre  ein  besseres  Ansehen  vor  allen 
Menschen.  Die  Euch  jetzund  „Ketzer"  nennen,  würden  zu  Euch 
,,Christen"  sagen.  Die  Euch  jetzt  fluchen,  würden  Euch  loben. 
Die  von  Euch  jetzt  übel  reden,  würden  von  Euch  wohl  sprechen, 
die  Euch  jetzund  fliehen,  würden  Euch  heimsuchen,  und  die  Euch 
jetzund  verachten,  würden  von  Euch  lernen!  Aber  mit  dem 
Fleisehesson,  Rumoren,  Pfaffenschänden,  Hadern,  Verspotten,  Ver- 
achten und  allem  unzüchtigen  Wandel  habt  Ihr  Lutherischen  selber 
der  lutherischen  Ixhre  grosse  Verachtung  gebracht" 

Schliesslich  gelingt  es  den  besänftigenden  Worten  Hans', 
Meister  Ulrich  zum  Anhören  der  lutherischen  Predigt  zu  bewegen. 

Die  Personen ,  die  in  diesem  Dialoge  auftreten ,  charak- 
terisieren sieh  schon  durch  die  logische  Darlegung  einer  in  sich 
geschlossenen  Ansicht  und  das  folgerichtige  Festhalten  und  Ent- 
wickeln derselben  als  Vertreter  streng  geschiedener  Rieh- 
tu  ngen1). 


')  Nähere*  ülier  diese  merkwürdige-  Schrift  den  Sachr*  gehen  wir  am 
Schluss  diese«  Hefte«  unter  den  „Nachrichten". 

Die  Schriftleitung. 


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288 


Nk-oladoni, 


lieft  <>  n.  10. 


Seit  dem  Jahre  15*24  hat  Hans  Sachs  es  aufgegeben,  sieh 
in  der  bisherigen  Weise  an  den  kirchliehen  Kämpfen  durch  selbst- 
ständige polemische  Schriften  zu  beteiligen.  Nicht  einmal  die 
drei  weiteren  Dialoge,  die  er  bereits  gesehrieben  oder  wenigstens 
entworfen  hatte,  sind  im  Druck  erschienen.  Abgesehen  von  etlichen 
Reimen  und  Gedichten  sind  es  meist  Arbeiten  erbaulichen  Inhalts, 
die  er  veröffentlichte. 

Im  Jahre  1527  Hess  der  Magistrat  der  inzwischen  lutherisch 
gewordenen  Stadt  Nürnberg  dem  Meister  Sachs  sagen,  er  möge 
seines  Handwerks  und  Schuhmaehens  warten,  sich  aber  hinffiro 
enthalten,  „Büchlein  oder  Heimen"  erscheinen  zu  lassen. 

Diese  Anweisung  lässt  erkennen,  dass  der  Rat  an  dem 
„Büchlein"  Sachsens  kein  Gefallen  hatte;  die  nächste  Veranlassung 
zu  dem  obrigkeitlichen  Einschreiten  scheint  aber  die  Herausgabe 
einer  alten  Weissagung  in  dreissig  Bildern  gegeben  zu  haben,  die 
Osiander  veranstaltet  und  die  Sachs  mit  doppelten  Reimpaaren  — 
„Vierzeilern"  —  versehen  hatte.  Das  sind  die  „Reime",  auf  die 
der  Ratserlass  Bezug  nimmt. 

Die  im  Jahre  1527  von  Osiander  besorgte,  mit  Holz- 
schnitten verschiedener  Nürnberger  Künstler  geschmückte  Publi- 
kation hat  den  Titel:  „Eine  wunderliche  Weissagung  von 
dem  Bapstumb".  Es  liegen  dem  Buche,  dem  der  Herausgeber 
Deutungen  beifügte,  die  auf  die  Reformation  Bezug  nahmen, 
Weissagungen  des  Abtes  Joachim  von  Floris  zu  Grunde.  Sie 
veranschaulichen  in  Wort  und  Bild  die  allmähliche  Vcrwelt Hebung 
des  Papsttumes  bis  zu  seinem  Untergange.  Diese  Publikation 
gab  dem  Rate  von  Nürnberg  Ursache  zu  einer  Verwarnung 
gegen  all«»  diejenigen,  welche  sich  an  der  Herausgabe  beteiligt 
hatten.  Das  Werk  sei  geeignet,  lautete  der  Beschluss,  den  Frieden 
unter  den  Genieindegenossen  in  empfindlicher  Weise  zu  stören. 
Sachs  nahm  sich  die  obrigkeitliche  Rüge  sehr  zu  Herzen. 

Jahrelang  schwieg  seine  Muse  gänzlich;  erst  im  Jahre  1529 
veröffentlicht  er  wieder  ein  Gedicht  religiösen  Inhaltes:  „  Die 
sieben  Hindernisse,  die  den  Weg  zum  Berge  Sion  versperren". 
Unter  diese  Hindernisse  zählt  der  Dichter  auch  die  weltlichen 
Obrigkeiten,  welche  Gottes  Wort  Ketzerei  schelten  und  durch 
ihre  Massregeln  und  Verfolgungen  die  Ausbreitung  der  geistlichen 
Lügen  befördern. 

Hans  Sachs  sollte  die  Freude  erleben,  dass  er  auf  Einladung 


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1H«»4. 


Hans  Sachs  und  die  lteforniation. 


289 


Luthers  an  der  Herausgabe  eines  evangelischen  Gesangbuches 
mitwirken  konnte  Er  verfasste  geistliche  Lieder,  in  denen  er 
in  glaubenswannen  und  naiven,  wenn  auch  oft  holperigen  Versen 
das  Lob  der  Herrlichkeit  Gottes  und  seines  Wortes  zum  Himmel 
sandte. 

In  zahlreichen,  in  epischer  Breite  dahinfliessenden,  stets 
moralisierenden,  aber  doch  des  Mutterwitzes  und  der  Erfindungs- 
gabe niemals  entbehrenden  Erzählungen,  Legenden,  Anekdoten, 
Schwänken  und  Abhandlungen  hat  Sachs  im  Laufe  seines  langen 
Lebens  eine  schier  unzählbare  Heihe  biblischer  Themen  umschrieben 
und  behandelt.  Mit  den  auf  dem  Titelblatt  seiner  Gespräche 
stellenden  Worten,  dass  sie  alle  förderlich  seien  zu  Gottes  I/»b 
und  Ehre,  auch  dem  Nächsten  dienlich  zu  einem  bussfertigen 
christlichen  Leben,  hat  er  die  Natur  aller  dieser  Dichtungen 
treffend  gekennzeichnet. 

Im  Jahre  1527  erschien  „Die  Klage  Gottes  über  seinen 
Weinberg,  verwüstet  durch  menschliche  Lehren  und  Gebote", 
1537  „Die  Historie  von  der  erbärmlichen  Belagerung  und  Zer- 
störung Jerusalems",  153})  „Die  gemarterte  Theologie",  1540  „Das 
klagende  Evangelium"  und  1541  „Der  klagende  Waldbruder". 
In  allen  Schriften  fasste  er  seine  Betrübnis  über  die  vielen  Sekten, 
die  im  Besitze  des  reinen  Evangeliums  sein  wollen,  und  über 
die  scholastischen  Haarspaltereien  der  Theologen  in  beweglichen 
Worten  zusammen  und  mahnt  dringend  zur  Einigkeit. 

Ungebeugt  ist  aber  auch  das  Vertrauen  des  Dichters  in  die 
Unbesiegbarkeit  der  lutherischen  Sache.  Gerade  in  der  schwersten 
Zeit  der  protestantischen  Kirchenreformation  im  und  nach  dem 
Jahre  1546,  nachdem  Luther  gestorben  war,  hat  er  dieser  seiner 
glaubensstarken  Zuversicht  in  seinem  „Epitaphium"  oder 
»,Klagrede  ob  der  leich  Dr.  Martin  Luther"  die  rührend- 
sten und  ergreifendsten  Töne  geliehen.  In  dieser  besten  aller 
seiner  allegorischen  Dichtungen  ruft  der  Dichter  der  trauernden 
Theologie*  die  Worte  zu:  „Dawider  hiltt't  kein  gewidt  noch  list; 
dich  sollen  die  pforten  der  hellen  nicht  überweltigcn  noch  feilen!" 

Auch  noch  in  den  letzten  Jahren  seines  Lebens  verfolgte 
Sachs  die  keineswegs  erfreulichen  Ereignisse  im  religiösen  Ix'ben 
Deutschlands  mit  wachsamem  Auge.  Alle  wichtigen  Begebnisse, 
die  verderbenbringenden  Zettelnngen  der  Lutheraner  mit  den 
Katholiken,  der  schmalkahlische  Krieg,  der  Verrat  des  Herzogs 


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2!)0  Nicoladoni,  Hau»  8aeb*  u.  <1io  Reformation.  Heft  0  u.  10. 

Moriz  von  Sachsen  und  das  Konzil  von  Trient  regten  ihn  zur 
schriftstellerischen  Thätigkeit  an. 

Nebst  anderen  Schriften  verfasste  er  1546  eiuen  nicht  ver- 
öffentlichten Dialog,  der  alle  diese  Dinge  in  prosaischer  Form 
behandelt 

Am  19.  Januar  1576  ist  Hans  Sachs  gestorben. 
Das  Werk  aber,  für  welches  er  Zeit  seines  Lebens  gearbeitet 
hatT  blieb  bestehen. 


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Abälard  und  Lessing. 

Eine  religionsgoHchichtliche  Parallele 
Von 

Karl  Mämpel, 

Den  Nathan  des  zwölften  Jahrhunderts  haben  zwei  Kirchen- 
historiker, Reuter  und  Hansrath,  die  eine  kleine  Schrift  des  grossen 
Scholastikers  genannt,  dessen  geistiges  Bild  eint?  immerhin  so 
bemerkenswerte  Ähnlichkeit  mit  dem  streitbaren  und  gedanken- 
scharfen Dichter  der  deutschen  Aiifklä'ruugsperiode  aufweist,  dass 
ich  den  Lessing  der  Scholastik  überhaupt  Peter  Abälard  neuneu 
möchte. 

Es  sind  gewiss  sehr  verschieden  geartete  ZeitverhiUtnisse, 
deren  Söline  die  beiden  gewesen  sind,  Peter  Abälard  und  G.  E. 
I^essing.  Und  man  kann  zweifelnd  fragen:  was  haben  Dogmen- 
geschichte und  Emilin  Galotti,  die  von  Abälard  ausgearbeiteten 
Klosterregeln  für  St.  Paraklet  und  die  von  Lessing  aufgestellten 
Kunstgesetze  des  Lnokoon,  die  tiefere  Begründung  scholastischer 
Wissenschaft  und  die  Reformation  der  Schauspielkunst  gemeinsam? 
Hat  nicht  der  eine  seinen  Platz  unter  den  deutschen  Klassikern, 
auf  der  Sonnenhöhe  allgemeinster  Geistesbildung,  und  sind  seine 
Streifzüge  in  das  Gebiet  der  Religionsgesehiehte,  ihrer  Probleme 
und  Kämpfe  nicht  etwa  nur  Episoden,  während  sich  der  andere 
offenbarungsgläubig  ein  Leben  laug  abmüht,  die  Glaubenslehre 
seiner  Kirche  mit  den  Mitteln  wissenschaftlichen  Denkens  zu  stützen? 

Die  Antwort  auf  die  Frage,  welches  Gemeinsame  sie  den- 
noch dicht  an  einander  gerückt  uns  erscheinen  lässt,  soll  das 

')  Die  Abhandlung  verdankt  ihr  Entstehen,  wju*  des  erstgenannten 
Lebenshildes  wegen  hier  besonders  erwähnt  sei,  hauptsächlich  den  durch 
A.  Hausraths  farbenreiche  Monographie  „Peter  Abälard"  (I/cipzig  IHM) 
gewonneneu  Eindrücken,  sowie  einer  alten  Hinneigung  d«-s  Verfasser»  zu 
dem  „tapferen  Irsing".  M. 


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292 


Mampel, 


Heft  0  u.  10. 


Folgende  bieten,  und  wenn  wir  eine  kurze  Formulierung  dieser 
Antwort  vorausschicken  dürfen,  so  ist  uns  das  eine  gewiss:  beide 
gehören  jener  wahrheitsliebenden,  durch  alle  Jahrhunderte  ver- 
streuten Gemeinde  von  Geistesfürsten  an,  welche  einem  erkenntnis- 
mässigen  Gottes  verlangen  (Dei  anior  intelleetualis)  über  alles  sieh 
verpflichtet  und  um  so  eher  in  ihrem  Elemente  sieh  fühlen,  je 
freier  sie  die  Schwingen  dialektischer  Bewegungslust  des  Geistes 
in  kühnem  Aufflug  prüfen  können. 

Wir  fürchten  jedoch  nicht  den  Schein  willkürlichen  Spiels 
auf  uns  zu  laden,  wenn  wir  auch  äussere  Zufälligkeiten  der  Erden- 
balm, die  doch  zu  einem  guten  Teile  mehr  als  Zufälligkeiten  sind, 
neben  einander  halten  und  in  I^essings  Ix'benserfahnmgen  nur  eine 
Abwandlung  jenes  anderen  Gelehrten lebcns  des  zwölften  Jahr- 
hunderts erblicken.  Dieselben  nicht  immer  heiteren  Sehicksals- 
sterne  leuchten  nicht  selten  den  durch  Jahrhunderte  getrennten 
Berufs-  und  Geistesgefährten,  zumal  wo  ihre  gemeinsamen  Wege  von 
der  Heerstrasse  der  Vielen  abseits  über  die  Höhen  menschlicher 
Erkenntnis  und  des  Talentes  oder  des  Genius  sie  geführt  haben. 

Ein  frühreifer  Kopf  wird  der  junge  Kamenzer  in  fast  allen 
Literaturgeschichten  genannt,  und  als  ein  Pferd,  das  doppeltes 
Futter  brauche,  ist  der  Fürstenschüler  in  Meissen  seinem  Rektor 
erschienen.  Von  der  väterlichen  Burg  in  der  Bretagne  aber  nimmt 
das  Ritterkind  des  Mittelalters  Abschied  in  dem  stolzen  Selbst-  und 
Siegesgefühl,  trotz  seiner  jungen  Jahre  den  gefeierten  Häuptern 
der  Disputierkunst  bereits  gewachsen  und  ebenso  geistesmächtig 
wie  an  Körpergestalt  unansehnlich  zu  sein.  Die  ähnliche  reiche 
Mitgift  der  Naturen  springt  in  die  Augen  gleich  in  den  Anfängen 
Abälards  und  Lessings.  Sein  Geburtsort  Palais  in  der  Bretagne, 
dann  Paris  und  die  verschiedenen  Orte  der  Pariser  Umgebung, 
Sammelpunkte  der  gelehrten  Jugend,  Laon  und  Soissons,  weiter 
das  Kloster  von  St.  Denis,  das  stille  Waldthal  am  Flüssehen  Ar- 
duzon  in  der  Diöccsc  von  Troyes,  und  dann  wieder  der  in  den 
atlantischen  Ocean  vorgeschobene  Felsriegel  mit  der  Abtei  St. 
(üldas,  hierauf  eine  erneute  Pariser  I^ehrthätigkeit  auf  dem  Hügel 
der  heiligen  Genovefa,  endlich  die  Kreuzgänge  der  Benediktiner 
von  C'lftny  —  das  sind  die  Lebensstationen  Abälards,  des 
Peripatetikers  von  Palais.  Der  Ix-ipziger  Student  Lessing  gerät 
zunächst  in  ein  Berliner  Litteraten  leben  hinein,  dann  ist  Witten- 
berg sein  Aufenthalt,   hierauf  Berlin  wieder,  Potsdam,  Leipzig 


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1804. 


Abiilanl  und  Lewing. 


293 


folgen,  er  taucht  in  Breslau  als  Sekretär  eines  Generals  auf,  er 
kehrt  zum  dritten,  zum  vierter)  Mal  nach  Berlin  zurück,  er  wird 
der  Hamburger  Dramaturg,  er  stirbt  als  Wolfenbüttclcr  Bibliothekar. 
So  teilen  die  verwandten  Naturen  sich  in  das  gleiche  Iiuos  un- 
steten Umherziehcns,  wie  rastloser  Forsehergeist  die  gleiche  trei- 
bende Macht  ihres  Philosophierens  war.  Die  Entwicklung  von 
Heloiscns  und  Abfdards  Roman  hat  den  bekannten  tragischen 
Verlauf,  reich  an  Schuld  und  reicher  noch  an  Sühne  der  Schuld 
für  die  Liebenden;  der  Zusammensturz  seines  flüchtigen  Eheglucks 
an  der  Seite  einer  Eva  König  stimmt  Lessing  zu  dem  resignierten 
Klagelaut:  „er  habe  es  auch  einmal  so  gut  haben  wollen  wie  andere 
Ix'utc".  Der  tiefste  Schmerz  ihres  Ix'bens,  der  sich  in  die  Seelen 
der  Denker  bohrt,  ist  mit  zwei  Frauengcstalten  verknüpft.  „Gratias 
ago  Deo  meo,  quod  dignus  sum,  quem  mundus  oderit",  das  Wort 
des  Hieronymus  kann  Abälard  auf  der  letzten  Seite  der  Geschichte 
seines  Unglücks  auf  sich  anwenden,  zwei  Synoden  haben  seine 
Sätze  und  Gedanken  verdammt,  seine  eigene  Hand  hat  zu  Sotssons 
eines  seiner  Bücher  den  Flammen  preisgeben  müssen,  ewige  Kerker- 
nacht ist  drohend  ihm  aufgestiegen.  Der  hierarchischen  Gegner- 
schaft dort  eines  Bernhard  von  Olairvaux  und  seiner  Mönche,  die 
sich  über  Abälard  entlud,  entspricht  hier  der  heilige  Zorn  des 
Hamburger  Hauptpastors  Göze,  dessen  volle  Schalen  sieh  über 
Lessings  Haupt  ergossen. 

Deckt  sich,  wie  wir  sehen,  das  Gewebe  des  äusseren  Ixibens- 
ganges  dort  wie  hier  so  ziemlich,  so  mnss  in  verstärktem  Masse 
aber  von  gleich  laufenden  Gcdankenfäden  in  dem  philosophischen 
( 'harakterbilde  Abälards  und  Lessings  die  Rede  sein,  und  den 
breiteren  Raum  des  Bereiches  unserer  Aufgabe  bildet  der  Nach- 
weis dieser  vielfachen  Harmonie  ihrer.  Anschauungen,  die  eigent- 
liche religionsgesehiehtliche  Parallele,  die  Wiedergabe  des  über- 
einstimmenden Kindrucks,  den  die  theologische  Stellungnahme  der 
beiden  um  G  Jahrhunderte  ans  einander  gerückten  Kämpfer  für 
den  „Anspruch  der  menschlichen  Vernunft  auf  ein  vernünftiges 
Dogma",  für  die  „Rechte  des  menschlichen  Geistes,  für  Freiheit 
und  Wahrhaftigkeit"  hinterlässt. 

„Ich  habe  es  längst  für  meine  Pflicht  gehalten,  mit  eigenen 
Augen  zu  prüfen,  quid  liquidum  sit  in  causa  Ohristianorum",  hat 
Ivessing  von  sieh  geschrieben,  und  er  ist  von  dem  festen  Punkte 
selbständigen,  ungetrübten  L'rteils  aus  ein  scharfer  Kritiker  der 


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294 


Mämpcl, 


Hoft  9  u.  10. 


Kirchenlehre  und  der  rechts  und  links  herrschenden  theologischen 
Meinungen  geworden,  ein  starker  Verächter  aller  geschwätzigen 
Aufklärnngsreden  um  ihn  her,  wie  er  ebensowenig  den  orthodoxen 
Systemen  einen  besseren  Geschmack  abzugewinnen  vermochte. 
Er  hat  in  dem  bekannten  Briefe  an  seinen  Bruder  Karl  vom 
2.  Februar  1774  unsere  neumodische  Theologie  als  Mistjauehc, 
die  alte  Orthodoxie  als  unreines  Wasser  gebrandmarkt.  „In  jungen 
Jahren",  so  besehreibt  Erich  Schmidt  in  seiner  vorzüglichen 
Lessingbiographie  die  Taktik  seines  Helden  in  dessen  theologischem 
Feldzuge,  —  „in  jungen  Jahren,  da  er  alle  Schriften  für  und  wider 
das  Christentum  heisshungrig  versehlang,  hatte  der  beweisende 
Apologet  seinen  selbständig  prüfenden  Sinn  in  die  Arme  des 
Zweifels  gestossen,  und  der  triumphierende  Läugner  ihn  wiederum 
angestachelt,  das  Christentum  als  Herzenssache  zu  erlialten.  Vor 
allem  verhasst  war  ihm  das  Schaukeln  zwischen  Orthodoxie  und 
„vernünftiger"  Religion.  Er  selbst  stand  nach  seinem  witzigen 
Vergleich  unter  den  Gläubigen  und  Rationalisten,  wie  er  als  Dichter 
der  Minna  unter  den  Sachsen  und  den  Preussen  gestanden,  für 
sich  allein,  mit  eignen  Augen  forschend,  quid  liquidum  sit  in  causa 
Christianonim." l) 

Man  muss  sich  zurückversetzen  in  die  Zeit,  die  eines  Abä- 
lard  glänzende  Beredsamkeit  vom  Katheder  dringen  hörte  und 
ihn  seine  Bücher  schreiben  sah,  während  die  spitzen  Gegensätze 
des  Realismus  und  des  Xomiualismus  mit  einander  rangen,  als 
noch  Klosterluft  die  Welt  erfüllte  und  die  Forschenden  an  Hand 
und  Fuss  gebunden  waren  von  einer  kirchlichen  Bevormundung 
aller  Wissenschaft,  man  muss  die  Tage  der  alles  beherrschenden 
Bischofssitze  und  Kathedralschulen,  der  Kreuzzüge  und  der  Mystik 
vor  sieh  erstehen  lassen,  dann  erst  hat  man  den  rechten  Mass- 
stab gewonnen  für  die  Beurteilung  der  Einzigartigkeit  einer  solchen 
Persönlichkeit  in  solcher  Zeit.  Und  wie  sehr  beide  dasselbe  ge- 
than  haben,  ein  anderes  ist  es,  wenn  I/essing,  ein  anderes,  wenn 
Abälard  mit  eigenen  Augen  prüft.  So  unendlich  schwerer  es  dem 
letzterem  im  Vergleich  mit  jenem  gemacht  war,  er  hat  dennoch 
diese  aus  eigenen  Mitteln  schöpfende  Prüfung  unternommen  mit 
einer  der  iA-ssingschen  Methode  wenig  nachstehenden  Klarheit 
und  IJrsprünglichkeit  des  Erkenntnistriebes. 

')  L\  SehniMt,  Les*injr.  ( Jothicht«  .-.  iius  1/  lx  ns  und  meiner  Schriften. 
Leipzig  ISS-I  und  IS!»J.    II,  H7S. 


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1894. 


Almlanl  und  Lcsfting. 


295 


Vor  seinem  Kichtcrstuhlc  sieht  Abälard  in  einer  näehtlieheu 
Vision  den  Juden,  den  Philosophen  und  den  Christen  sich  zu- 
sammenfinden, und  er  sehreiht,  indem  er  mit  der  Erzählung  dieser 
Vision  beginnt,  seinen  Dialogus  inter  Philosophum,  Tudaeum 
et  Christianum  das  Seitenstück  zu  Leasings  dramatischem  Lehr- 
gedicht. „Sag  mir  d<K'h  einmal:  was  für  ein  Glaube,  was  für  ein 
Gesetz  hat  dir  am  meisten  eingeleuchtet?"  —  was  Sultan  Saladin 
von  Nathan  hören  will,  was  Nathan  diesem  mit  der  Geschichte 
von  den  drei  Hingen,  jedoch  mit  Hinaussehiebung  des  letzten 
Spruches  auf  eine  sehr  späten-  Gelegenheit,  deutlich  zu  machen 
sucht,  dasselbe  erörtert  Abälards  Dialog  im  Wortgefechte  des  mit 
den  vernünftigen,  natürlichen  Religionswahrheiten  der  Mensehen- 
brust  ausgerüsteten  Philosophen,  des  im  Besitze  einer  göttlichen 
( )ffenbanmgsurkunde  sich  befindenden  Juden  und  des  auf  zwei 
göttliche  Schriften  sich  berufenden  Christen.  Das  Gespräch  ist 
Fragment  geblieben,  ob  durch  Verlust  und  Verstümmelung  der 
Handschriften,  ob  infolge  davon,  dass  der  Verfasser  es  unvollendet 
Hess,  steht  dahin.  Auch  ist  der  Ausgang  und  die  Schlichtung 
des  Streites,  in  welchem  der  Philosoph  und  der  Christ  sich  iu  der 
Frage  über  das  höchste  Gut  zuletzt  doch  einigen,  für  uns  hier 
von  geringerem  Betracht  als  die  letzten  Gründe  dieser  Entschei- 
dung und  die  Kampfesweise,  die  in  dem  Dialog  für  seine  Zwecke 
gebilligt  und  gehandhabt  wird.  Der  Vertreter  des  Christentums 
ergreift  die  dargebotene  Hand  des  Jüngere  der  Philosophie,  und 
sie  schliessen  für  den  einzuschlagenden  Gang  ihrer  Auseinander- 
setzungen den  Vertrag,  dass  sie  einmal  absehen  wollen  von 
allen  massgebenden  Stimmen  und  Gründen  von  aussen,  von 
allen  Zeugnissen  philosophischer  Grössen  und  göttlicher  Offen- 
barungsträger  der  Vergangenheit,  sie  wollen  auch  in  den  Fragen 
der  Religionswissenschaft  den  Menschen  zum  Wort  kommen 
lassen,  der  unverfälschten  Stimme  der  menschlichen  Vernunft 
allein  Gehör  schenken,  weil  der  Mensch,  wie  er  ist,  mit  dem 
Willen  nach  Wahrheit  auch  die  Kraft,  sie  zu  finden,  von  Gott 
empfangen  habe.  Vor  unsere  Seele  aber  tritt  die  Gestalt  Nathans, 
„dem   sein  Gott   von    allen   Gutem    dieser   Welt    das  Kleinst' 

und  (irösste  so  in  vollem  Mass  erteilet   Das  Kleinste: 

Reichtum.     Und  das  Grösste:  Weisheit."    Er  besitzt  eine  Ab- 


')  Abacl.  op.  ed.  Cousin  Tom.  II.  j»ag.  (>tl  ff. 

MoiiuUh.  fU-  tl.  r  ('oiii.-niiix-O.  H.  ll.^  lnft.    1K!>1.  .jj 


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29G  Mämpel,  Heft  ö  u.  10. 

ncigiing  gegen  kalte  Buchgclehrsamkeit,  er  hat  weine  Tochter  Recha 
die  beste  Religion  in  keinem  Wähnen  über  Gott,  wohl  aber  iu 
Ergebenheit  in  Gott  finden  gelehrt,  und  er  weiss,  wie  viel  andächtig 
schwärmen  leichter  als  gut  handeln  ist;  wir  bewundern  immer 
wieder  die  edle  innere  Klarheit  des  Denkens  in  dieser  Dichter- 
gestalt, den  hohen  geläuterten  Sinn  Nathans,  der  nicht  nach  Racc 
und  nach  Bekenutniszugehörigkeit  fragt,  der  nach  dem  Menschen- 
werte misst,  die  ihm  begegnen:  „Wir  haben  beide  uns  unser  Volk 
nicht  auserlesen.  Sind  wir  unser  Volk?  Was  heisst  denn  Volk? 
Sind  Christ  und  Jude  eher  Christ  und  Jude  als  Mensch?  Ah, 
wenn  ich  Einen  mehr  in  Euch  gefunden  hätte,  dem  es  genügt 
«♦in  Mensch  zu  heissen."  Es  ist  der  Ijessing'sehc  Geist  der  Frei- 
heit von  allen  ererbten  Ijchrstüekcn  und  aller  aufgezwungenen 
Autorität,  der  Geist  seiner  Vorliebe  für  alles  einfach  menschlich 
Wahre  und  Hohe,  der  Geist  der  Humanität,  der  auch  den  Dialog 
Abälards  durchdringt  und  ihm  das  Gepräge  einer  freien  Betrach- 
tungsweise der  Dinge  giebt. 

„Denn  für  den  Aufbau  des  Glaubens  fällt  weniger  ins  Ge- 
wicht, was  thatsächlich  wahr  ist  (quid  sit  in  rei  veritate),  sondern 
was  in  die  Meinung  der  Mensehen  eingehen  kann  (quid  in 
opiniouem  possit  venire),  und  die  meisten  Streitigkeiten  erheben 
sich  über  die  Lehrsätze  der  Autorität  selbst,  so  dass  über  diese 
eher  als  mittelst  derselben  ein  Urteil  zu  fällen  ist"1),  — 
wir  dürfen  gewiss  in  diesem  Ausspruche  des  Christen  seines 
Dialogs  Abälards  eigenste  Anschauung  wahrnehmen,  dessen  eigen- 
tümlichen religionsphilosophischen  Standpunkt  in  seiner  Zeit  man 
darin  hat  erkenneu  wollen,  dass  er  vor  allem  der  Verfechter 
eines  hinreichend  motivierten  Glaubens  gewesen  sei.  Iu 
ihm  kämpft  durchaus  keine  etwa  verneinende,  grundstürzende 
Persönlichkeit  gegen  die  Mauern  der  Kirchenlehre  an;  wohl 
aber  hindert  ihn  in  ihrem  Schatten  die  Ruhe  zu  finden,  welche 
die  anderen  dort  fanden,  seine  ausserordentlich  kritisch  ver- 
anlagte Natur.  Und  es  mag  sein,  dass  das  wenige,  was  ihm 
zu  einem  wirklich  reformierenden  Eingreifen,  zu  einer  weltge- 
schichtlichen Rolle  fehlte,  der  noch  tiefere  religiöse  Ernst,  die 
Wärme  des  Gefühls  und  insbesondere  die  eiserne  Festigkeit  der 
Thatkraft  war.    In  diesen  Stücken  blieb  ihm  sein  Schüler  aus 


')  Abael.  op.  cu.  L'miKin.    Tom.  II.  pug.  HT.'l. 


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1804. 


Abälard  und  Lessing. 


'207 


Italien,  der  Breseianer  Arnold,  der  geborene  Freiheitskämpfer  und 
Volkstribun,  überleben,  der  französische  Gelehrte,  Studenten- 
lehrer und  Publieist  aber,  dessen  Stärke  eben  seine  kritische  Ader 
war,  hat  kaum  einen  grösseren  Geistesverwandten  gehabt,  als  den 
Herausgeber  des  Wolfenbütteler  Fraginentisten  und  den  Schreiber 
des  Autigöze.  Dein  „quid  sit  in  rei  veritate"  gegenüber  das  Recht 
des  „quid  in  opinionem  possit  venire"  hochzuhalten,  das  war  auch 
Lessings  Sache,  Lessings  lx'idenschaft,  der  Ansporn  seines  Ritter- 
tums im  theologischen  Meinungsstreit»':  ihm  können  zufällige 
Geschichtswahrheiten  nie  den  ausschlaggebenden  Wert  von 
ewigen,  notwendigen  V ernunf twahrheiteu  beanspruchen,  nie 
ihr  Beweis  sein. 

AbäJard  hat  weiter  ein  „Sic  et  Non"  gesehrieben,  eine  Auf- 
zählung widerstreitender  patristiseher  Stellen,  sowie  aller  offen- 
kundigen Widerspruche  der  Kirchenlehre  unternommen,  ohne  damit 
die  Geltung  ihres  Inhaltes  auflösen  zu  wollen,  vielmehr  um  in 
geistvoller  Weise  in  seinen  Vorlesungen1)  die  Brücke  zu  schlagen 
von  hüben  nach  drüben  und  eine  geschickte  Synthese  zu  voll- 
führen ganz  in  kirchlich  unanstössigein  Sinne,  der  wissenschaftliche 
Bearbeiter,  nicht  der  ketzerische  Zerstörer  des  Glaubensgebictes. 
Er  beruft  sich  auf  Lue.  2'2,  HO,  er  meint:  „Wenn  die  Christen 
dereinst  die  Welt  richten  sollen,  warum  sollten  sie  nicht  auch 
über  die  verschiedenen,  widerspruchsvollen  Worte  der  Heiligen 
urteilen?",  und  Ahälard  betont  u.  a.  in  der  Vorrede  zu  diesem 
seinem  Sic  et  Non  in  offener  Aussprache,  dass  nicht  alles  Prophetie 
sei,  was  die  Propheten  geschrieben  haben,  dass  der  Geist  der 
Weissagung  nicht  immer  den  Propheten  innewohnte.  Es  ist  von 
hier  aus,  überhaupt  von  diesem  Gesichtspunkte  einer  Anerkennung 
biblischer,  nicht  bloss  kirchenväterlicher,  Kontroversen  und  Mängel 
aus  gewiss  nur  ein  Schritt  zu  den  jedem  Letzten  unter  den  Ge- 
bildeten unserer  Tage  geläufigen  Behauptungen  Irsings:  „Die 


')  Hausrath  a.  a.  ().  S.  <>0.  Auch  war  es,  was  bei  Hausrath  weniger 
ausdrücklich  zum  iiewusstsein  kommt,  der  /weck  der  im  Sie  et  Non  be- 
liebten Methode  und  der  darin  zusammengestellten  dissonnautia,  dass  sie 
„teneros  lectores  ad  maximum  inquirendae  veritatis  exercitium  provocent 
et  aeutiorcs  ex  itumisitione  reddant."  Sie  et  Non  (Prolog)  pag.  13!M  edd. 
Mignc.  Diese*  Streben  nach  genauester  Untersuchung  und  nach  einer  da- 
durch zu  erzielenden  Schürfe  des  (iei*tes  seiner  Leser  ein  gewiss  echt  Les- 
sing'sehcr  Zug  in  Abälanl! 


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20« 


Mämpel, 


Heft  9  u.  10. 


Bibel  enthalt  offenbar  mehr,  als  zur  Religion  gehört  ....  Folg- 
lieh sind  die  Einwürfe  gegen  den  Buchstaben  und  gegen  die  Bibel 
nicht  eben  auch  Einwürfe  gegen  den  Geist  und  gegen  die  Religion." 
Abälard  und  Lessing  —  sie  haben,  jeder  in  «einer  Zeit  und  auf 
seinem  Posten,  die  blinde  Anbetung  der  Tradition  in  ihrer  Dumpf- 
heit zu  durchbrechen  und  an  deren  Stelle  die  eigene  nicht  ge- 
bundene, sclbstgefundene  Uberzeugung  aufzurichten  sich  bestrebt, 
wie  sie  dem  ohne  Fesseln  sieh  fortbewegenden  Forschergeiste  eine 
Gasse  haben  machen  wollen,  sie  waren  beide  die  geschworenen 
Feinde  geistiger  Erstarrung. 

In  Gottes  Plan  lag  es  nach  Abälard  von  Anbeginn  au  als 
letztes  Endziel,  dass  alle  Menschen  zur  Teilnahme  an  einem  gött- 
lichen Leben,  zu  einer  Seligkeit  gelangen:  er  wäre  ja  nicht  der 
vollkommen  Gute,  wo  nicht  sein  ganzer  Wille  gerichtet  wäre 
auf  die  Vervollkommnung  aller  durch  ihn.  Allen  hat  Gott 
seinen  Geist  eingehaucht,  der  Seelen  eigentliche  Seele  und 
wahres  Leben,  die  innere  Macht,  die  sie  zur  Erkenntnis  des 
Rechten  und  zum  Thun  des  Guten  leitet,  allen  das  natürliche 
Sittengesetz  gegeben,  das  auch  die  Heiden  erleuchtete.  Es  ge- 
schah daher  die  Menschwerdung  Gottes  und  die  mit  dein  Christen- 
tum erfolgende  Reformation  einzig,  um  die  alten  Wahrheiten 
dieses  Sittengesetzes  zu  erneuen  und  zu  vertiefen,  —  ad  jmt- 
feetam  et  integrum  summi  boni  eommendationem,  —  damit,  wie 
Abälard  weiter  ausführt,  die  klare  Erkenntnis  des  höchsten  Gutes 
und  'des  Wege«  zur  Vollendung  sich  in  desto  ausgedehnterem 
Umfange  ausbreite  und  eine  um  so  lebendigere  Gottesliebe  in 
der  Menschheit  entfacht  werde1). 

Es  sind  wiederum  Lessing'sche  Gedanken,  die  wir  hier  bei 
Abälard  ausgeprägt  finden  können.  Das  Alter  der  Wahrheit  ent- 
spricht für  beide  dem  Alter  der  Welt,  dem  einen  wie  dem  andern 
ist  das  Christentum  wesentlich  Reformation  des  Sittengesetzes, 
und  so  hat  Lessing  in  seinem  Bruchstücke  „Gedanken  über  die 
Herrnhuter"  die  Absieht  Christi  hauptsächlich  darin  erkennen 
wollen,  die  Religion  in  ihrer  Lauterkeit  wiederherzustellen  und  sie 
zu  befähigen  zu  einem  Hervorbringen  desto  heilsamerer  und  allge- 
meinerer Wirkungen,  je  enger  ihre  Grenzen  sind,  —  diese  Grenzen 
aber  sind  ihm  identisch  mit  denen  des  Bereichs  der  sittlichen 


')  lntrodiutio  in  thvol.  (Op.  wl.  Cousin  II,  120  ff.) 


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1894. 


Abälard  und  Lewing. 


299 


Pflichten,  der  gottgewiesenen  Aufgaben  menschlichen  Handelns, 
der  Mensch  ist  ja  zum  Handeln  da,  nicht  zum  Vernünfteln,  das 
Wesen  und  der  Wert  der  Religion  geht  Lessing  auf  in  ihren  sitt- 
lichen Wirkungen. 

Das  Ethische  tritt  ebenso  sehr  in  den  Vordergrund,  wenn  wir 
uns  einer  Betrachtung  der  besonderen  Gotteslehre  Abalards  und 
Lessings  nunmehr  weiter  zuwenden.  Haruack  erwähnt  mit  Nach- 
druck in  seiner  Dogmengeschichte1)  das  ethische  Interesse,  das 
Abälard  beherrscht  habe,  sein  starkes  Interesse  für  die  Moral- 
philosophie, das  nach  seinem  Vorgange  im  13.  Jahrhundert  über- 
haupt dazu  diente,  den  mystischen  Aufriss  der  Glaubenslehre  zu 
berichtigen.  Eine  hohe  Zuversicht  ist  ihm  eigen,  dass,  was  im 
menschlichen  Sittengesetze  enthalten  ist  und  in  seinen  Forderungen 
sich  unabweisbar  uns  aufdrangt,  auch  das  Heilige  und  Gute  in 
Gott  sei.  Wohl  ist  nach  einer  gewissen  Richtung  hin  der  Gottes- 
begriff Lessings  anders  gefärbt,  als  der  Abalards,  und  in  dieser 
andereu  mehr  ins  Pantheistisehe  hinüberspiel  enden  Farbe  bietet 
sich  uns  vielleicht  das  einzige  dar,  was  man  als  ein  wesentlich 
unterscheidendes  Moment  in  der  Denkart  beider  Männer  hervor- 
heben könnte.  War  Lessing  rundweg  Spinozist?  —  es  ist  viel 
über  diese  Frage  hin-  und  hergestritten  worden  seit  Lessings, 
Mendelssohns  und  Fr.  H.  Jacobis  Tagen.  Man  darf  jedenfalls 
nicht  verkennen,  dass  ein  Ijcssing  dem  Spinozismus  ungleich  näher 
steht2),  als  ein  Abälard,  dem  es  gerade  darauf  so  sehr  ankommt, 
den  Standpunkt  der  Immanenz  mit  dem  der  Transcendenz  zu  ver- 
einen und  die  scharfe  Linie  hervorzuheben,  die  das  kreatürliche 
Dasein  von  dem  Wesen  der  Gottheit  in  seiner  eigentümlichen 
ethischen  Bestimmtheit  trennt.  Aber  Lessing  hat  doch  eine  „Er- 
ziehung des  Menschengeschlechts"  geschrieben,  und  Lessing 
hat  gehofft,  dass,  was  erzogen  wird,  zu  etwas  erzogen  werde,  und 
er  hat  den  Zweifel  danin,  dass  die  Menschheit  noch  die  höchsten 
Stufen  der  Aufklärung  und  Religion  erreichen  soll,  für  Lästerung 
erklärt.  Eine  Erziehung,  ein  Erzieher  ohne  sittliche  Absichten  ist 
nicht  zu  denken.  Lessing  sieht  von  seiner  Höhe  aus  eine  Voll- 
kommenheit des  Wcltplanes  vor  sich,  deren  Verwirklichung,  wenn 


')  Karnack,  I>ehrbuch  d.  DogmcngcHchichtc  II,  328  Anm. 
*)  Vgl.  Lewing*  Gespräch  mit  Jacobi  vom  Sommer  17S0:     "Ev  xai 
.tär\    Ich  weiss  nicht«  andere44,  und  vgl.  ferner     73  der  „Erziehung44. 


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:$oo 


M  simpel, 


Heft  !>  U.  10 


auch  in  Wellenbewegungen  vorlaufend,  doch  auf  den  «  inen  End- 
zweck einer  allgemeinen  Wirkung  des  Guten  hinausläuft  Selbst 
die  Haniburgische  Dramaturgie  spiegelt  die  hohe  ethische 
Färbung  weder,  die  der  Gottesbegriff  in  Ix'ssings  Vorstellung 
und  Denken  trotz  seines  er  xni  ttüv  am  Knde  doch  gewonnen 
hat  „Es  sei  mir  erlaubt,  den  Schöpfer  ohne  Namen  durch  sein 
edelstes  Geschöpf  zu  bezeichnen"  —  und  das  höchste  Genie 
wagt  Ijessing  Gott  zu  nennen,  ein  Name  für  den  Unnennbaren, 
der  gewiss  die  höchsten  sittlichen  Gedanken  und  Werte  ihm  bei- 
misst,  und  zwar  auf  die  eigentümliche  Art,  in  welcher  eben  ein 
Genie  Gedanken  zu  haben  pflegt  und  sie  aus  sieh  hervor- 
strömen lässt,  und  alles  wahre  Genie  ist  sittlich  in  seinen 
eigenen  schöpferischen  Tiefen  und  wirkt  versittlichend  in  seinem 
nach  aussen  tretenden  Schaffen.  Lessing  weist  darauf  hin, 
—  es  handelt  sich  um  Fabel  und  Charaktere  in  Favarts  Stück 
„Soliman"1),  —  dass  die  dramatischen  Charaktere  zu  einer  Welt 
gehören  müssen,  „in  welcher  Ursachen  und  Wirkungen  zwar  in 
einer  anderen  Reihe  folgen  (als  in  fieser  wirkliehen  Welt),  aber 
doch  zu  eben  der  allgemeinen  Wirkung  des  Guten  abzwocken, 
kurz  zu  der  Welt  eines  Genies,  das  —  (es  sei  mir  erlaubt,  den 
Schöpfer  ohne  Namen  durch  sein  höchstes  Geschöpf  zu  bezeich- 
nen!) -  das,  sage  ich,  um  das  höchste  Genie  im  kleinen  nach- 
zuahmen, die  Teile  der  gegenwärtigen  Welt  versetzt,  vertauscht, 
verringert,  vermehrt,  um  sieh  ein  eigenes  Ganze  daraus  zu 
machen,  mit  dem  es  seine  eigenen  Absichten  verbindet."  Und 
einen  gleichen  Einblick  in  den  tief  sittlichen  Gehalt  der  I^'ssing'- 
schen  Gottes  Vorstellungen  vergönnt  uns  die  Kunstf orderung  an  den 
dramatischen  Dichter,  die  der  Hamburger  Dramaturg  an  anderer 
Stelle  gelegentlich  seiner  Kritik  über  Weisses  Richard  den  Dritten 
erhebt2):  Das  Ganze  eines  sterblichen  Schöpfers  solle  ein  Sehatten- 
riss  vom  Ganzen  des  ewigen  Schöpfers  sein,  alles  einzelne  Ge- 
schehen aber  wurzle  im  ewigen  unendlichen  Zusammenhang  aller 
Dinge,  dem  es  an  Weisheit  und  Güte,  Rundung  und  Befriedigung 
durchaus  nicht  fehle.  So  hat  dieser  Mann  seinen  ethischen  Gottes- 
glauben bezeugt  auch  mitten  im  Gange  seiner  kunstkritischen 
Untersuchungen. 

')  Vierunddrci.ssigstes  Stuck  der  Dramaturgie.. 

■)  Neunundsiebzigstes  Stück  der  Dramaturgie.    Vgl.  Schmidt,  a.a.O. 
II,  649. 


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ikh4. 


Abülard  und  Lewing. 


:;oi 


Was  Abalard  anrüchig  gemacht  und  den  Anlass  gegeben 
hat,  ihn  zu  verketzern,  ihn  vor  zwei  Synoden  zu  schleppen,  was 
nach  Hausraths  neuester  trefflicher  Schilderung  dieser  Vorgänge 
den  Adler  der  Mystik  in  immer  engerem  Bogen  sein  Opfer  um- 
kreisen und  dann  auf  den  Hügel  der  heiligen  Genovefa,  auf  den 
dort  lehrenden  Dialektiker  herabstossen  Hess,  war  nicht  zum  wenig- 
sten Abiilard8  ketzerische  Behauptung,  dass  der  Begriff  der  All- 
macht in  Gott  doch  eine  gewisse  Einschränkung  erfahre.  Diese 
Einschränkung  aber  leitet  er  —  ganz  in  Lcssing'scher  Weise  —  von 
Gottes  Heiligkeit  und  von  seinem  zwecksetzenden  Handeln  her. 
Was  im  Widerstreite  steht  mit  den  Normen  einer  höchsten  Ver- 
nunft nnd  was  seinem  heiligen  Wesen  zuwiderlauft,  das  sehliesst 
Gottes  Erhabenheit,  Gottes  Wirksamkeit  von  sich  aus,  das  beides 
kann  Gott  in  keinem  Falle  thun.  Wenn  somit  Abalard  an  ver- 
schiedenen Orten  seiner  Tntroductio  und  seiner  Theologia 
Christiana  ausführlich  darlegt,  dass  Gottes  Wirken  im  Weltlaufe 
unter  so  viel  Möglichkeiten  immer  die  beste  wähle  und  seine  gött- 
liehe  Allmacht  nur  insofern  einer  gewissen  ethischen  Eingrenzung 
unterliege,  als  er  nie  etwas  seinem  Wesen  Zuwiderlaufendes,  nie 
etwas  l'nheiliges  sieh  zum  Zwecke  setzen  könne,  und  dass  Gott, 
wo  er  vielleicht  auch  einen  Menschen  gerechter  und  begabter  und 
stärker  hätte  schaffen  können  und  doch  das  Gegenteil  des  Ideals 
habe  eintreten  lassen,  doch  immer  seine  höheren  Zwecke  verfolge, 
von  der  Rücksicht  auf  das  Beste  des  Ganzen,  auf  die  Bestimmung 
der  Welt  in  ihrer  Totalität  geleitet,  —  auch  liessing  ruft:  „Geh 
deinen  unmerklichen  Schritt,  ewige  Vorsehung.  I^ass  mich  an  dir 
nicht  verzweifeln.  Es  ist  nicht  wahr,  dass  die  kürzeste  Linie  immer 
die  geradeste  ist  Du  hast  auf  deinem  ewigen  Wege  so  viel  mit- 
zunehmen, so  viel  Seitenschritte  zu  thun." 


Mehr  jedoch  als  alles  dieses  einzelne,  mehr  als  der  Einklang 
zahlreichster  Gedanken  und  ihrer  Prinzipien  überhaupt  überzeugt 
uns  eine  von  vornherein  blutsverwandte  Geistesart,  die  in  Abalard 
und  Lessing  Verköq>erung  gefunden  hat,  von  Recht  und  Mög- 
lichkeit, dem  einen  dicht  bei  dem  anderen  seinen  Platz  in  der 
Geschichte  des  religiösen  Geistes  und  seiner  Entwickelimg  zuzu- 
weisen. 

Es  muss  eine  hinreissende  Persönlichkeit,  eine  Erscheinung 
von  akademischer  Vornehmheit  und  von  wirkungsvollster  Art  ge- 


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302 


Mäinpe], 


Heft  9  u.  1 0 


wesen  sein  —  dieser  König  der  Dialektik,  der  auf  der  Seineiusel 
im  lateinischen  Viertel  von  Paris  Scholaren  aller  Länder  zu  .seinen 
Füssen  gesammelt  sah,  der  es  verstand,  mit  umfassender  Gelehr- 
samkeit, mit  Feinheit  und  Schärfe  des  Geistes,  mit  keckem  Urteil, 
mit  Klarheit  des  Vortrags,  mit  flicsscndem  Wort,  dessen  Anmut 
das  Kind  der  Bretagne,  den  Spross  des  immer  eleganten  Francien 
verriet,  die  Gedanken  seiner  Jünger  an  die  Lehrentwiekelung  des 
Meisters  zu  fesseln.  „Das  entlegene  Britannien  wies  seine  Söhne 
dir  zum  Unterrichte  zu",  schreibt  Abt  Fulco  in  einem  Briefe  an 
Abälard,  und  er  führt  ein  ganzes  geographisches  Register  von 
Ruhmesblättern  auf:  aus  der  Gegend  von  Anjou  seien  die  Schüler 
zugeströmt,  „Piktaver,  Wasgonen  und  Hiberer,  Xormannien,  Flan- 
dern, der  Theutone  und  der  Sueve,  ....  die  Einwohner  von  Paris, 
wie  die  der  nahen  und  der  fernen  Teile  Galliens,  welche  nach 
deiner  Lehre  so  sehr  dürsteten,  als  könne  nirgends  als  bei  dir 
Belehrung  gefunden  werden"1). 

„Jeder  Deutsche,  wenn  er  Lessing  nennen  höret, 
fühle  Stolz!"  so  hat  Rückert  dem  grössten  deutschen  Genius 
zwischen  Luther  und  Goethe  gehuldigt.  Und  noch  der  letzte  der 
Lessingbiographen,  der  in  seinen  geistigen  Ansprüchen  so  sehr 
verwöhnte  Erich  Schmidt,  bekennt,  dass  immer  Ansporn  und  Segen 
es  sei,  bei  diesem  Geiste  dienend  zu  hausen-). 

Wir  haben  nichts  philosophisch  Abgerundetes,  keine  abge- 
schlossene Weltanschauung  vor  uns,  sei  es  dass  wir  nach  den 
letzten  Folgerungen  suchen,  die  Abälard  aus  seinen  leitenden 
Sätzen  zieht  oder  vielmehr  zu  ziehen  sich  scheut,  sei  es  dass  wir 
Lessings  Gedankengängen  folgen.  Das  Unfertige  ihres  Gedanken- 
aufbaus  aber  scheint  einen  doppelten  Grund  zu  haben:  den  an 
der  Schwelle  der  deutschen  Sturm-  und  Drangperiode  Stehenden 
machen  sein  Temperament,  sein  rastlos  schweifender  Feuergeist, 
sein  nie  befriedigter  Wahrheitseifer  unfähig,  ein  tadelloses  System 
aus  einem  Gusse  hinzustellen,  ein  Ganzes  im  Reiche  des  philo- 
sophischen Gedankens  zu  zimmern,  —  dem  Sohne  des  kirchlichen 
Mittelalters  ist  seine  Theologie,  der  er  Rednergabe  und  Feder 
leiht,  ein  Hemmschuh  seiner  Philosophie,  und  darum  gelangt 
auch  der  kirchliche  Scholastiker  zu  keiner  allseitig  lücken-  und 


*)  Kpfet.  FuleoniM,  Ab.  op.  ed.  Com.  I,  703—707. 
")  Schmidt,  a.  a.  ü.  Vorrede  pag.  IV. 


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1894.  Abälard  und  I/\*.*ing. 

widerspruchslosen  Weltanschauung.  Aber  kritische  Geister  und 
kraftvolle  Denker  sind  Abälard  und  Irnsing  wie  nur  wenige  ge- 
wesen. 

Es  ist  dem  einen*  jener  feinere,  einsiehtigere  Skepticismus 
zugeschrieben  worden,  „der  nicht  meint,  dass  man  überhaupt  nichts 
wissen  könne,  wohl  aber  bei  lebendigem  Streben  nach  Erkenntnis 
und  bei  unermüdlicher  geistiger  Arbeit  doch  einsieht,  wie  vieles 
sich  überhaupt  nicht,  wie  noch  viel  mehreres  sich  nicht  leicht 
und  zur  Zeit  nicht  entscheiden  lässt" AVie  unser  Abfdard  eben 
eine  Faustnatur  war,  die  von  dem  Himmel  die  schönsten  Sterne 
und  von  der  Erde  ihre  schönste  Lust  für  sich  begehrte,  wie  nichts 
befriedigen  mochte  die  tiefbewegte  Brust,  so  mag  er  nicht  minder 
seinen  Mephisto  an  der  Seite  gehabt  haben,  der  ihn  rechtzeitig 
über  die  Unverdauliehkeit  des  alten  Sauerteigs  belehrte  und  ihn 
zu  der  Erkenntnis  führte,  dass  dieses  Ganze  nur  für  einen  Gott 
gemacht  sei,  und  dass  uns  ewig  Tag  und  Nacht  bleibe. 

Und  wie  er  diese  Einsicht  in  die  lTn Vollkommenheiten 
menschlichen  Wissens  insgemein  und  so  auch  menschlichen  Wäh- 
nens  über  Gott,  die  Ahnung,  dass  der  echte  Ring  vermutlich 
verloren  ging,  mit  Lessing  teilt,  so  steht  der  gelehrteste  Kenner 
der  Schriftsteller  des  klassischen  Altertums  und  der  Kirchen- 
väter, den  das  zwölfte  Jahrhundert  besessen  hat,  dem  grossen 
Polyhistor  des  achtzehnten  fast  ebenbürtig  nahe.  Dass  sie  selber 
Schriftsteller  ersten  Ranges  waren  und  auch  vielfache  Stil- 
verwandtschaft zeigen,  —  Abälards  I^atein  erinnert  nicht  selten 
an  das  knappe  und  klare  Deutsch  Lcssings,  berühren  wir  nur 
beiläufig. 

Mit  einer  Mühle  hat  Lessing  sich,  seine  Bestimmung  und 
seine  Geistesarbeit  einmal  verglichen:  er  steht  auf  seinem  Platze, 
ganz  ausserhalb  des  Dorfes,  auf  luftiger  Höhe,  er  kommt  zu  nie- 
mand, er  bekümmert  sich  um  niemand,  er  verbittet  sich  aber  sehr 
energisch  die  Hand,  die  es  gelüstet,  den  Umlauf  der  Windmühlen- 
flügcl  zu  hemmen,  „die  nicht  starker  ist  als  der  Wind,  der  mich 
umtreibt".  Genau  dasselbe  hätte  Abälard  von  sich  bekennen 
dürfen,  Ähnliches  hat  er  von  sich  bekannt.  Er  will  von  rechts 
und  links  ungehindert  nur  munter  seine  Lanze  brechen  für  seine 


')  Deutsch,  P.  Abälard,  ein  krit.  Thcol.  dos  zweiten  Jahrhundert«*, 
Leipzig  1883,  S.  107. 


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MünijM-l, 


Heft  9  u.  10. 


Sache  auf  dorn  Turnierplätze  philosophischen  Scharfsinns.  Das 
ist  seine  Lust,  mit  Ajax  über  die  Gegner  alle  zu  triumphieren: 
si  «luaeritis  hujus  fortuuam  pugnae,  non  sum  superatus  ab  illo. 
Er  ist  in  den  Augen  des  Heiligen  von  Clairvaux  der  Ketzer,  „dein 
(iott  selbst  ein  verdächtiger  Zeuge  ist,  und  der  nichts  glauben 
will,  was  er  nicht  vorher  mit  der  Vernunft  untersucht  hat."  Dem 
Winde  gehorchen  sie,  Abälard  und  I^essing,  der  sie  umtreibt,  dem 
zwingenden  Drang«',  zu  untersuchen,  Dunkles  zu  klaren,  verwickelte 
Probleme  zu  entwirren,  die  logischen  Kons«'«juenzen  eines  Ge- 
dankens rückhaltlos  zu  verfolgen1).  Keiner  darf  ihnen  ein  Halt 
zurufen  in  ihrem  Hingen  nach  einer  befriedigenden  Losung  der 
Welträtsel.  Und  wir  kennen  alle  das  charakteristische  Wort 
des  deutschen  Geistesheldcn,  das  nicht  minder  die  Unterschrift 
des  französischen  Scholastikers  tragen  k<~»nnte:  er  schätzt  weniger 
hoch  den  vermeintlichen  Wuhrheitsbesitz,  «1er  ruhig,  träge,  stolz 
macht,  er  preist  die  aufrichtige  Menschenmühe,  die  allein  in  der 
Nachforschung  nach  der  Wahrheit  ihr  Genüge  find«'t  um!  ihre  Kräfte 
crw<'itert,  worin  die  immer  wachsende  Vollkommenheit  b«'steht,  er 
fällt  mit  Demut  in  «lie  linke  Hand  seines  Gottos,  die  den  einzigen 
immer  r«»gen  Trieb  nach  Wahrheit  umschlossen  hält,  obschon  mit 
dem  Znsatz,  mich  immer  und  ewig  zu  inen,  —  „und  Gott  spräche 
zu  mir:  Wähle!  ich  fiele  mit  Demut  in  seine  Linke  und  sagte: 
Vater,  gi«'b!  die  reine  Wahrheit  ist  ja  «loch  nur  für  dich  allein!" 

Seinen  4.  Antigöze  aber  schliesst  I^ssing  fragend:  „Weiss 
der  Herr  Hauptpastor  wohl,  dass  selbst  in  diesen  barbarischen 
Zeiten"  —  nämlich  v«»m  neunten  bis  zum  fünfzehnten  Jahrhundert 
„doch  noch  mehr  Einwürfe  geg«'n  «lie  christliche  Religion  ge- 
macht wurden,  als  die  Geistlichen  zu  beantworten  Lust  hatten? 
Jiedenkt  er  wohl,  dass  diese  Zeiten  nicht  darum  der  christlichen 
lU'ligion  so  verderblieh  wurden,  weil  niemand  Zweifel  hatte,  son- 
dern  darum,  weil  sich  niemand  damit  an  «las  Licht  getrauen  durfte? 
Darum,  weil  «-s  Zeiten  war«-n,  wie  der  Herr  Hauptpastor  will,  daxs 


')  Vgl.  übrigens  olwn  «lie  ausdrückliche  Betonung  der  Grenzen ,  dir 
Abälards  Krkenntnistricbe  und  Geistesarl>cit  gezogen  waren.  —  Jene  Rück- 
halt losigkeit ,  die  doch  als  Wunsch  und  Trieb  in  seiner  Natur  lag,  wurde 
eben  bei  Abälard  durdi  die  von  der  kirchlichen  Tradition  ihm  aufgezwungene 
Keserve  und  die  damit  verbundene  Furcht  vor  den  Traditionswiichtcrn  und 
ihren  Angriffen  einigermaßen  beeinträchtigt.  Das  Tragische  in  seinem  I^ebens- 
bilde  ist,  «lass  dieser  freie  Geist  ein  Mann  der  Kirche  war. 


I 

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1894. 


Abälard  und  Losging. 


305 


unsere  worden  sollen."  I'nd  im  7.  Antigözo  fahrt  Ixssing  fort: 
„Abälard  ist  der  Mann,  den  ich  oben  im  Auge  hatte,  als  ieh 
sagte,  dass  selbst  in  jenen  barbarisehen  Zeiten  u.  s.  w."  Er  be- 
dauert, dass  uns  noeh  dasjenige  Work  des  Abälard  mangelt,  aus 
welchem  tue  Keligi(»nsgesinnungen  desselben  hauptsächlich  zu  er- 
sehen sein  mussten.  Er  wünscht  sich  in  den  Besitz  dieser  ver- 
lorenen Handschrift,  er  ruft  aus:  „Anne  Scharteke!  Gott  führe 
dich  mir  in  die  Hände,  ich  lasse  dich  so  gewiss  drucken,  so  ge- 
wiss ieh  kein  Benediktiner  bin." 

Der  Verfasser  des  Antigöze  giebt  uns  damit  selber  ein 
Recht,  ihm  die  Bundesgenossenschaft  mit  den  Religionsgcsinnungen 
eines  Abälard,  wie  wir  es  unternommen  haben,  zuzuschreiben. 

*  * 
* 

Das  Suchen  des  Menschengeistes  nach  einer  lichtvolleren 
Erkenntnis  seiner  transcendentalen  Verankerung  in  Gott  und  ihrer 
Gesetze  dauert  fort. 

Dieses  ernsthafte  Suchen  wird  immer  nur  mit  denselben 
wissenschaftlichen  Waffen  freier  Forschung  zum  Austrug  gebracht 
werden  können,  mit  denen  einst  IVtms  Abälardus  und  G.  V,. 
Lessing  sich  gegürtet  hatten,  der  unglückliehe  Abälard  und  der 
tapfere  Ecssing,  —  umhergeworfene  Philosophen,  fahrende  Ge- 
lehrte, kühne,  spekulative  Naturen  beide,  Zeugen  beide  der  Ver- 
söhnung, zu  welcher  Christentum  und  vernünftige  Geistesschulung, 
religiöse  und  sittliche  Uberzeugung  und  ungeminderte  Freiheit  des 
Denkens  berufen  sind,  Propheten  beide  einer  fernen  Stunde  geist- 
erfüllter und  wahrhaftiger  Gottesanbetung,  Herolde  beide  der 
anima  naturalitor  ehristiana  und  Wortführer  eines  den  Gedanken 
einer  Menschheitserziehung  rechtfertigenden  göttlichen  Funkens, 
einer  göttlichen  Anlage  in  aller  Menschennatur,  auch  der  vor- 
christlichen, wie  der  eine  von  ihnen  seinen  Nathan  vor  Saladin 
das  Rätsel  der  drei  Ringe  deuten  Iässt  und  den  Schiedsspruch 
des  Riehters  über  den  Erbstreit  der  drei  Religionen  in  den  milden 
Rat  umwandelt,  die  Kraft  des  Steines  im  eignen  Ring  nach  Kräften 
zu  entfalten  zum  Beweis  seiner  Echtheit. 


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Comenius,  Duraeus,  Figulus. 

Nach  Stammbüchern  der  Familie  Figulus-Jablonski. 

Von 
F.  Sander, 

Schulrat  der  fivien  HantcsUiH  Rtvni'fi. 

In  der  Nachkommenschaft  des  Comenius  durch  seine  Tochter 
Elisabeth,  Gattin  seines  Pflegsohnes  Petrus  Figulus  Jablonaeus 
( Jablnnski),  deren  gegenwärtiges  Haupt,  Herr  M.  Jablonski  zu 
Berlin,  Mitglied  des  Vorstandes  der  Comenius-Gesellschaft  ist, 
haben  handschriftliche  und  litterarische  Schätze  des  XVII.  und 
des  XVIII.  Jahrhunderts  sich  erhalten,  die  der  vollen  Würdigung 
und  Verwertung  noch  harren.  Das  meiste  rührt  her  von  Comenius^ 
bekanntem  Enkel  Daniel  Ernst  Jablonski  (1660—  1741),  dem 
Berliner  Theologen,  einiges  von  dessen  Bruder  Johann  Theodor 
(1654  -1731)  und  von  Daniel  Emsts  Sohne  Paul  Ernst  (1693— 
1757). 

Hier  sollen  uns  zunächst  nur  zwei  Stammbücher  aus  diesem 
Familienschatze  beschäftigen:  das  des  Stammvaters  Petrus  Figulus 
und  das  seines  Sohnes  Johann  Theodor,  unter  denen  jenes  ältere 
an  Reichtum  und  an  Wert  des  Inhaltes  dies  jüngere  weit  überragt. 

Aus  beiden  Büchern  tritt  uns  vor  allen  anderen  die  hehre 
Gestalt  des  Patriarchen  Comenius  entgegen.  In  das  Stammbuch 
des  Petrus  Figulus  schreibt  dessen  Pflegvater  während  des  ge- 
meinsamen Aufenthaltes  in  London  auf  einem  Qucroktavblatte, 
mit  dem  etwa  das  letzte  Drittel  des  starken  Bandes  beginnt, 
wie  folgt: 

Ab  UNO,  per  UNUM,  ad  UN  UM, 
OMNES,  OMNIA,  OMNINO, 
ni  perire  ac  evanescere  volumus  in  aoternum. 

Hoc  tibi  crebrae  recordationis  ergo,  nt  cjuo  vita  et  omnia 
tua  dirigenda  sint  non  inimemor  vivas,  Petre  Figule,  <juem  a  puero, 


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1894. 


Comeniu»,  Dunums,  Figului*. 


307 


proptcr  Patris  tui  pietatem  et  de  futura  tua  pietate  spem,  dilexi 
et  filii  loco  habui,  jara  adscribo,  Londini  hospes, 
Anno  UUl,  Octobris  5./ 15. 

Johan.  Arnos  Comenius.       in.  p. 

Dem  Enkel  Johann  Theodor  widmet  der  greise  Grossvater 
auf  dem  zweiten  Duodezblatte  seines  Albuins  diesen  Seheidegruss : 

Etiamne  cum  tua  Philotheca  ine  aeccdis,  dileete  nepos,  ((|iiem 
Patri  tuo  filia  inea  Elisabetha  primogenitum  tulit),  ut  a  me  abi- 
turus,  nee  me  forte  in  hae  mortnli  vita  eons|>eeturus  amplius, 
manus  et  mentis  nieae  monumentum  aliquod  auferas?  Fiat  in 
nomine  Domini.  Relinquo  Tibi  benedietionem ,  qualem  Jacob 
senex  moribundus  dileetissimo  iuter  fiüos  suos  Joscpho,  dieens: 
Ben  cdictiones  patris  tui  validae  sint  prae  benedietioni- 
bus  progcnitoruni  meorum,  usque  ad  fines  collium  seeuli 
(Gen.  49,  vers.  2b).  Et  admonitionem,  qualem  Timotheo  ex  fide 
filio  suo  dedit  Paulus:  Iuveniles  eupiditates  fuge,  sed 
sectare  justitiam,  fidem,  charitatem  pacctuquc  cum 
omnibus,  qui  invoeant  Christum  ex  eorde  puro  (2.  Tim. 
2,  22).  Hoc  fac,  dileete  nepotule,  et  vives,  propitio  Tibi  aeterno 
patre  Deo,  propter  Christum  Dominum  nostrum:  cujus  8.  Spiritui 
Te  commendo.  V|ale!|. 

Ita  habes  avitum  votum,  avita  senili  manu  expressnm 
Job.  A.  Comenii  Moravi,  Amstcrd.  hospitis. 
1.  Junii,  1(>69,  aetatis  7S.    m.  pp. 

Übrigens  zeigt  die  Handschrift  nichts  Greisenhaftes.  Sie 
ist  besser  lesbar  und  geistvoller,  klarer  ausgeprägt,  als  im  Jahre 
Hill. 

Vor  diesem  Eintrage  des  Grossvaters  enthält  das  Stamm- 
buch des  Johann  Theodor  Eigulus,  wie  ihn  die  eintragenden  Freunde 
nennen,  Jablonski,  wie  er  selbst  später  zeichnet,  einen  wortreichen 
Abschied  des  Vaters  vom  12.  Juli  16(»H,  unterschrieben:  „Petrus 
Fignlus  Pastor  Ecclae.  Reformatue  novellae  demumque  colligi 
eoeptac  Memmelae  in  Pmssia  Ducali.  M.  p."  Hiernach  werden 
die  bisher  üblichen  Angaben  über  den  Jugendgang  J.  Th.  Jab- 
lonskis  zu  berichtigen  sein.  Das  väterliche  Wort  ist  offenbar  bei 
dem  Geschenke  des  Büchleins,  wie  jeder  unbefangene  Tx'ser  er- 
kennen wird,  gemeint  als  Mitgabe  für  den  bald  vierzehnjährigen 


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Lander, 


Heft  0  u.  10. 


Sohn  bei  dessen  erstem  selbständigen  Ausflüge  aus  dein  Eltern- 
hause.  Johann  Theodur  war  demnach  gewiss  nicht  in  Amsterdam 
bei  Comenius  erzogen,  wie  nach  Jöehers  Angabe  im  Gelehrten- 
lexikon  noch  K.  Schwarze  in  der  Allgemeinen  deutsehen  Biographie 
berichtet,  sondern  kam  erst  jetzt  auf  längeren  Besuch  zum  Gross- 
vater.  Am  12.  Juli  1008  aus  Memel  vom  Vater  feierlich  ent- 
lassen, ist  er  bereits  am  27.  August  (0.  September)  in  Amsterdam 
soweit  eingerichtet,  um  Magnus  Hessenthaler  sein  Buch  zur  Ein- 
schritt vorzulegen.  Noch  am  2.  Juni  1000,  einen  Tag  nach  Oomc- 
nius,  tragen  in  Amsterdam  der  Mähre  Jan  Paskowsky  und  Petrus 
Serrarius  sich  ein,  und  bereits  am  14.  Juni  eröffnet  in  Danzig 
Johannes  Starkiiis,  Scholae  Petro-Paulinae  Kcetor,  eine  ganze  Ueihe 
Danzigcr  Inschriften,  unter  denen  noch  mehrere  von  Lehreren  der- 
selben Anstalt  herrühren.  Wahrscheinlich  hat  Joh.  Th.  Jablonski  den 
Winter  über  (1000  auf  1070),  während  dessen  —  am  12.  Januar 
1070  -  sein  Vater  in  Memel  starb,  die  Peter-Paulsehule  zu 
Danzig  besucht.  In  Memel  schrieb  seines  Vaters  Nachfolger  im 
Pfarranite  D.  Paulus  Andreas  Lubicwski  sich  am  1.  Mai  1070 
ein.  Von  da  wird  Johann  Theodor  das  Joachimsthalsehe  Gym- 
nasium zu  Berlin  l>czogen  haben,  dessen  Besuch  Jöchcr  zwar  auch 
1070  beginnen  lässt,  aber  unmittelbar  an  den  Amsterdamer  Jugend- 
aufenthalt  reiht  Nach  einem  ziemlich  bewegten  Leben  er 
war  Lehrer  und  Erzieher  an  verschiedenen  Fürstenhöfen  —  und 
nach  Herausgabe  mancher  Druckschriften  starb  Johann  Theodor 
als  preussischer  Hofrat  und  (seit  1700)  ständiger  Sekretär  der 
Akademie  der  Wissenschaften  am  28.  April  1 7)ü  in  Berlin.  Sein 
Stammbuch  hat  er  nach  des  Vaters  Tode  nicht  weiter  gepflegt. 
Nur  ein  Frankfurter  Studiengenosse  hat  sich  noch  eingeschrieben. 

Wunderbar  reich  ist  das  Stammbuch  seines  Vaters  Petnis 
Figulus,  ein  schwarzer  Lederband  mit  zierlichem  Goldschnitte,  der 
Spur  von  sechs  blauseidenen  Schnüren,  die  es  ehedem  schlössen, 
und  der  in  Gold  aufgedruckten  Inschrift:  „P.[etrus|  F.|igulus| 
J.|ablonaeus|  B.|ohemus|  10,'tO."  Vorläufige  Ubersicht  über  seinen 
Inhalt  erschiep  bereits  in  der  Beilag«!  zur  Allgemeinen  (Münchener) 
Zeitung  vom  HJ.  und  14.  Dezember  1892;  woraus  natürlich  hier 
einzelnes  zu  wiederholen  sein  wird. 

Eine  kurze  Iicbcusskizzc  des  Petrus  Figulus  giebt  zu  An- 
fange seines  Aufsatzes  über  Daniel  Ernst  Jablonski  H.  Schwarze 
in  der  Allgemeinen  deutschen   Biographie.     Danach  ist  Figulus, 


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1804. 


('omcniu»,  Duraeth«,  Figulus. 


300 


wofür  Rhesus  Presbyterologie  von  Ostpreussen  als  Quölle  bozeiohuot 
wird,  aus  Jabloni,  Jablonka  oder  Gabel  im  böhmischen  Kreise 
Chrudim  gebürtig  und  hat  1027  im  Gefolge  des  Comenius  neun- 
jährig Böhmen  verlassen,  um  nach  Lissa  /u  siedeln.  Es  heisst 
dort  weiter:  „Wie  Comenius  am  Gymnasium  /u  Lissa  alsbald 
seine  Lohrtlmtigkeit  wieder  aufnahm,  so  wird  Figulus  daselbst 
seine  Schulbildung  erhalten  haben.  Sodann  bereiste  er  zu  weiteren 
Studien  von  1030  1048  (naeh  Ausweis  seines  noeh  erhaltenen 
Stammbuehes)  die  berühmtesten  rniversitätsstädte  des  protestan- 
tisehen  Kuropa.  Xach  Lissa  zurückgekehrt,  vermählte  er  sieh  am 
10.  Oktober  [ November? |  1(540  mit  des  Comenius  einziger  |?) 
Tochter  KlisalR'th,  begleitete  1050  seinen  Schwiegervater  naeh 
Ungarn,  ward  1 054  als  Prodiger  naeh  Danzig  vozicrt,  1057  aber 
in  die  Paroehie  Nassenhubcn-Hochzeit,  deren  Kirche  in  jener,  das 
Pfarrhaus  in  dieser  Ortschaft  gelegen  war.  Unter  Zustimmung 
des  Kammerherrn  von  Prönen  als  Patrons  vereinigte  Figulus  1059 
seine  Gemeinde  mit  der  Hrüderunitat  eine  Verbindung,  welche 
jedoch  nur  bis  1700  gedauert  hat,  —  und  ward  1002  auf  der 
Synode  zu  Mieltschin  zu  deren  Senior  geweiht.  1007  folgte  er 
einem  Rufe  des  Kurfürston  Friedrich  Wilhelm  von  Brandenburg 
als  Hofprediger  nach  Memol  und  starb  daselbst  am  12.  Januar 
1070." 

Teils  ergänzt,  teils  berichtigt  sind  diese  Angaben  durch  die 
neuere  Comeuiusforsehung,  namentlich  die  gründliche  Biographie 
des  Comenius  von  Kvacsala.  Wir  finden  nach  ihr  Figulus  1042 
bei  Comenius  in  Kl  bitig,  ferner  1043  und  1040  vom  Meister  ge- 
sandt, 1040  mit  ihm  in  Schweden,  endlich  1050  samt  Familie, 
von  Ivorenz  de  tieer  berufen,  bei  Comenius  in  Amsterdam.  Ausser- 
dem fungiert  Figulus  mehrmals  als  Mittelsmann  zwischen  Comenius 
und  den  englischen  Freunden,  namentlich  mit  «lern  Friedensmantie 
.Johannes  Duräus,  so  besonders  1047;  und  es  erhellt  aus  Kvac- 
salas  Zitaten,  dass  Figulus  an  Duräus  englisch  schrieb.  Per 
Amsterdamer  Aufenthalt  des  Figulus  und  der  Seinen  von  1050 
bis  105S  wird  ferner  noch  bezeugt  durch  die  Widmung  einer 
Predigt:  „Kim*  rechtschaffenen  Christen  Kmausgang",  von  Petrus 
Figulus  am  anderen  Ostcrtage  1058  zu  St  Petri-Pauli  in  Danzig 
gehalten  und  bei  Christof  fei  Cunradus  in  Amsterdam  gedruckt, 
an  „den  Wohl-Kdlen,  Gestrengen  und  Vesten,  Herrn  Luirons  de 
Geer,  Herrn  auf  Östcrby  u.  s.  w.      Vnd  den  Khrenvesteu,  Wohl- 


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310 


Sander, 


Heft  0  u.  10. 


fürnehmen,  Grossaehtbaren  Herrn  Antonium  de  Kuvper,  Vor- 
nelimen  Kauffman  in  Dantzig,  Beydcrseits  seine  hochgeehrten 
Herren  und  selirgünstigen  Beförderer  und  Wohlthättcr".  Die 
Vorrede  des  Büchleins,  das  Herr  M.  Jablonski  besitzt,  ist  (wahrend 
eines  abermaligen  Besuches?  bei  Abholung  der  Seinigen?)  am 
2S.  Januar  1059  in  Amsterdam  unterschrieben  und  enthält  die 
Worte:  „Dieses  wohlmeinende  Werklein  —  wird  meincsteils 
E.  E.  (iestrengen  zugeschrieben,  hiemit  vor  der  Ehrbaren  Welt 
öffentlich  zu  bezeigen,  wie  ich  dem  löblichen  Hause  de  Geer  und 
dann  auch  insonderheit  E.  E.  (iestrengen  wegen  ihrer  alten  und 
neuen,  au  mir  und  jetzt  auch  au  den  Meinigen  beschehener,  grosser 
und  unzählbarer  Wohlthaten,  zum  höchsten  mit  alledem,  was  ich 
kann  und  vermag,  pflichtig  und  schuldig  bin,  und  meine  gebühr- 
liche Dankbarkeit  jederzeit  gern  zu  erkennen  zu  geben  gefliessen." 

Wesentlich  helleres  Licht  fällt  nun  auf  die  Jugendgeschichtc 
des  Petrus  Eigulus  durch  sein  Stammbuch.  Dans  es  «einem  über- 
wiegenden Inhalte  nach  nicht  das  eines  fahrenden  Studenten  sei, 
zeigt  gründlichere  Betrachtung  bald.  Der  Schlüssel  zu  seinem  rich- 
tigen Verständnisse  liegt  in  folgendein,  unscheinbar  zwischen  den 
anderen  versteckten  Eintrage:  „Hebr.  12,  14  (griechischer  Wort- 
laut; darunter:)  Haee  paueula  in  gratiam  ornatissimi  optimaeque 
spei  juvenis,  Domini  Petri  Figuli,  sui  «piondam  in  peregiinationibus 
conenrdiae  ecelesiasticae  causa  suseeptis  septennio  toto  amanuensis 
<-t  cominilitonis  lubcns  adscripsit  Johannes  Dunums  prineipissac 
Mariae  a  eoncionibus.  Hagac  Comitis  Anno  1013.  Octobris  1020." 
Petrus  Figulus  reiste  demnach  vor  1043  sieben  Jahre 
lang  als  Begleiter  und  Gehilfe  mit  dem  Friedensapostel 
Du  raus.  Wenn  man  die  Eintrag«'  der  sieben  Jahre  von  103(5 
bis  1043  mit  dein  vergleicht,  was  aus  dem  Wanderleben  des 
Duriius  sonst  bekannt  ist,  der  allerdings  seit  1041  im  Haag  als 
Hofprediger  der  mit  Wilhelm  II.  von  Onniien  vennählten  Prin- 
zessin Henriette  Maria  Stuart,  Karls  I.  Tochter,  eine  kurze  Ruhe- 
station gefunden  hatte,  so  trifft  man  fast  durchweg  Figulus  an 
des  schottischen  Theologen  Seite. 

John  Dun-  war  1595  oder  1590  in  Edinburg  als  Sohn  eines 
presbvterianischen  Geistlichen  geboren,  der  später,  als  Jakob  I.  in 
der  reformierten  Kirche  Schottlands  das  Bischofsamt  wieder  ein- 
führte, auswanderte  und  eine  Gemeinde  gleichgesinnter  Flüchtlinge 
in  leiden  geistlich  bediente.   Der  Sohn  studierte  zwar  auscheineud 


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1894. 


O'omcnius,  Ihiraeu»,  Pigulus. 


311 


auf  höhnischen  Universitäten:   1U24  hat  er  in  Oxford  auf  der 
Bibliothek  gearbeitet,  fand  jedoch  seine  erste  geistliche  Stelle  bei 
den  sog.  englischen  Adventurers  zu  Elbing  im  polnischen  Preussen, 
das  Gustav  Adolf  von  Schweden  seit  der  Eroberung  von  lt>21 
besetzt  hielt.    Der  dortige  schwedische  Oberrichter  Kaspar  Godc- 
lnann  hatte  1028  in  einer  Schrift  versucht,  die  lutherische  und 
die  kalvinische  Abendinahlslehre  zu  vereinigen,  und  sein  Werk 
auch  Duraus  zur  Begutachtung  vorgelegt.    Dieser  wurde  dadurch 
für  den  Gedanken  der  Union  sämtlicher  evangelischer  Parteien 
so  völlig  gewonnen,  dass  er  besehloss,  ihr  fortan  sein  Leben  zu 
widmen.   Seine  ersten  Gönner  für  dies  Unterfangen  fand  er  ausser 
Godemann  an  dem  grossbritannischen  Gesandten  Sir  Thomas  Howe 
und  dem  grossen  schwedischen   Kanzler   Axel  Oxenstierna,  die 
1080  in  Elbing  zusammentrafen.    Auf  ihren  Rat  reiste  Duräus 
zunächst  nach  England,  wo  er  mit  Zustimmung  seiner  angesehen- 
sten Parteigenossen  um  den  Beistand  der  anglikanischen  Bischöfe 
warb.    Nur  wenige  Förderer  seiner  Sache  gewann  er.    Unter  ihnen 
war  zwar  der  damalige  Erzbischof  von  Gnnterbury,  George  Abot. 
Allein  dieser  edle,  milde  Prälat  hatte  teils  durch  Ungnade  des 
Königes  Karl,  teils  durch  unglückliche  Tötung  eines  Menschen 
auf  der  Jagd  fast  allen  Einfluss  verloren.    Ausserdem  billigten 
das  Unternehmen  nur  die  Bischöfe  Joseph  Hall  von  Exeter  und 
Johannes  Davenant   von  Salisburv.     Dieser  hatte  bereits  selbst 
den  Vorschlag  litterarisch  verfochten,  das  Symbolum  Apostolicum 
als  Grundlage  eines  allgemeinen  Kirchenfriedens  zu  verwerten. 
Gleichzeitig  fand  —  März  10HI   —  in  Leipzig  „bei  währendem 
der  hochlöblichsten  und  hochlöblichen  evangelischen  und  prote- 
stierenden Kurfürsten   und  Stände  hochansehnlichem  Konvente" 
ein  Gespräch  zwischen  den  reformierten  Hofpredigern  D.  Johann 
Bergius  von  Brandenburg,  I).  Johann  Gmeins  und  Thoophilus 
Neubörger  von  Hessen  -  Kassel  einer-,  den  kursächsischen  luthe- 
rischen Theologen  D.  Matthias  Hoc  von  Hohenegg,  D.  Polykarp 
Lyser,  D.  Heinrich  Höpfner  andrerseits  statt.    Man  kam  zu  keiner 
vollen  Einigung.    Doch  wollte  man  „hoffen  und  dahin  sich  durch 
fernere,  der  mehreren  friedliebenden  Theologen  Konferenz,  zu- 
forderst auch  christlicher  hoher  Obrigkeiten  Auktorität  bemühen, 
damit  eine  nähere  Zusammenhaltung  an-  und  aufgerichtet  und  durch 
solches  Mittel  die  wahre  Kirche  Gottes  erweitert  und  vermehret, 
den  Papisten  auch  die  Hoffnung,  welche  sie  bishero  wegen  fürge- 

Mouaulafu-  «k-r  Comi-iiins-<i.  *  IK-.Llmfi.    iv.u.  oo 


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312 


Bander, 


Heft  9  u.  10 


gangener  Spaltung  gehabt,  in  etwa»  benommen  werden  möchte"; 
und  „imnittels  sollten  beiderseits  Theologi  einander  christliehe 
Liebe  inskünftige  erzeigen;  alles  treulieh  und  ohne  Gefährde".  Da 
auch  Gustav  Adolf  selbst  samt  seinem  Kanzler  Oxenstierna  und 
seinem  Hofprediger  D.  Matthiä  den  Unionsbestrebungen  günstig 
gesonnen  war  und  dies  dem  schottischen  Vermittler  bei  einer 
Begegnung  in  Nürnberg  personlich  aussprach,  schien  des  Duräus 
Weizen  zu  blühen.  Indes  die  theologischen  Vorurteile  der  luthe- 
rischen Seite  standen  ihm  schroff  gegenüber;  nur  die  Helmstädter 
sog.  Synkretisten,  deren  Haupt  Georg  Callxtus  war,  ausgenommen. 
Auch  traf  wohl  nicht  ganz  grundlos  den  Friedensapostel  selbst 
der  Vorwurf,  welchen  Vermittler  so  leicht  auf  sich  laden,  dass 
er,  ganz  hingenommen  vom  christlichen  Eifer  der  Vereinigung, 
unter  Lutheranern  lutherischer,  unter  Anglikanero  bischöflicher 
und  unter  Kalvinisten  kalvinischer  auftrat,  als  er  eigentlich  ver- 
antworten konnte.  Nach  Gustav  Adolfs  Tode  setzte  Oxenstierna 
auf  den  Konventen  zu  Frankfurt  a.  M.  1633  und  34  die  Uiiions- 
versuche  vom  politischen  Standpunkte  aus  eifrig  fort.  Duraus 
war  beidemale  zugegen.  Dazwischen  ging  er  nach  England,  wo 
sein  Gönner  Abot  gestorben  war,  und  gewann  —  allerdings  gegen 
den  Preis  der  bischöflichen  Priesterweihe  und  des  Ansclüusses 
an  die  anglikanische  Kirche  —  Urlaub,  Vollmacht  und  Geldmittel 
vom  mächtigen  Erzbischofe  Laud,  sowie  Beifall  und  Beihilfe  des 
irischen  Primas  Jakob  Ussher  von  Armagh  und  anderer  Kirchen- 
fürsten. Aber  die  schwedische  Sache  in  Deutschland  erlitt  gerade 
damals  einen  furchtbaren  Schlag  durch  die  Schlacht  bei  Nörd- 
lingen  (4.  u.  5.  September  1634)  und  den  Prager  Separatfrieden 
von  1635  zwischen  Kaiser  und  Kursachsen.  Dem  Duräus  hatten 
die  Gesandten  auf  dem  zweiten  Frankfurter  Tage  vor  dem  Aus- 
einandergehen (14.  September  1634)  noch  versprochen,  seine  Vor- 
schläge ihren  fürstlichen  und  städtischen  Auftraggebern  vorzulegen 
und  für  deren  Förderung  thätig  zu  sein.  Aber  es  war  ein  Wechsel 
auf  unbestimmte  Zukunft  Duräus  beruhigte  sich  dabei  nicht 
lange.  Im  Jahre  1636  unternahm  er  von  den  Niederlanden  aus 
einen  neuen  Vorstoss  — ■  schriftlich  und  persönlich.  Auch  die 
Unitat  der  böhmischen  Brüder  bot  er  zur  Mithilfe  auf.  Ihre 
Synode  zu  Thorn  (Juli  1636)  beschäftigte  sich  unter  Coinenius' 
persönlicher  Mitwirkung  in  entgegenkommendem  Sinne  mit  seinen 
Anträgen.    Besonders  beschloss  Duräus,  —  man  sagte,  auf  Rat 


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1894. 


Coineniu*,  Duraous,  Figiilun. 


313 


des  Hugo  Grotius,  den  er  als  schwedischen  Gesandten  in  Frank- 
furt kennen  gelernt,  —  nach  dem  lutherischen  Schweden  zu  reisen 
und  dort  in  mündlicher  Verhandlung  sein  Heil  zu  versuchen. 

Mit  dieser  Reise  beginnt  —  soweit  das  Zeugnis  des  Stamm- 
buches entscheidet  —  die  Gefolgschaft  des  Petrus  Figulus.  Seine 
Einträge  stimmen  bestens  zu  den  geschichtlichen  Angaben  und  ur- 
kundlichen Belagen  in  Karl  Jesper  Benzelius'  „Dissertatio  historico- 
theologica  de  Johanne  Duraeo  pacifieatore  eelebcrrimo"  (Helmstädt 
1744).  Die  Verhandlungen  liefen  seit  August  1636  durch  ver- 
schiedene Stadien,  aber  trotz  des  Kanzlers  Gunst  zuletzt  so  un- 
glücklich, dass  am  7.  Februar  1638  auf  Antrug  des  Klerus  die 
Königin  Duraus  aus  Schweden  verbannte.  Nur  durch  Krankheit 
ward  er  noch  bis  Juni  in  Stockholm  festgehalten.  Nicht  ganz 
scheint  Axel  Oxcnsticrna  ihm  seine  Gunst  entzogen  zu  haben, 
und  treu  ergeben  blieb  ihm  Johann  Mutthiä,  später  Bischof  von 
Wexio  und  als  solcher  wegen  Kryptokalvinismus  1664  entsetzt 
Beide  finden  sich  in  Figulus'  Album,  —  Axclius  Oxenstierna  uus 
dem  April  des  Jahres  1637  mit  dem  Spruche:  Moderuta  durant, 
—  in  dem  fast  kein  Name  der  bei  den  hin-  und  herflutenden 
Verhandlungen  beteiligten  Männer,  selbst  der  Gegner,  wie  des 
streitbaren  Bischofcs  Johannes  Rudbcck  von  Westcras  (Arosia), 
fehlt.  Auch  mit  dem  dänischen  Gesandten  Petrus  AVibe  müssen 
die  Reisenden  nach  dessen  sehr  freundlichem  und  vertraulichem 
Fintrage  aus  Stockholm  (Juni  1 638)  schon  dort  nähere  Beziehungen 
geknüpft  haben. 

Einstweilen  ging  die  Reise  nach  Lübeck  (August  1638)  und 
über  Lübeck  nach  Hamburg,  das  einige  Jahre  hindurch  Durys 
Hauptquartier  gewesen  zu  sein  scheint.  Dort  traf  er  Sir  Thomas 
Rowe,  den  alten  Gönner,  der  die  Verbindung  mit  England  für- 
sorglich im  Gange  erhielt  und  die  Bekanntschaft  mit  dem  dänisch- 
deutschen Kanzler  Dietloff  Reventlow  zu  Glückstadt  verurittelte. 
Beide  Männer  haben  sich  in  das  Stammbuch  eingetragen,  das  als 
Ertrag  manchfachcr  Reisen  der  nächsten  Jahre  aus  Hamburg, 
Lübeck,  Bremen  und  anderen  norddeutschen  Städten  zahlreiche 
Denkblätter  aufweist,  sowohl  von  Mitgliedern  des  böhmisch- 
mährischen Refuge,  auch  den  Sozinianern,  wie  von  mehr  oder 
weniger  bekannten  und  bedeutenden  Einheimischen.  Die  örtliche 
Gelelirtengeschichtc  kann  da  noch  manche  Ausbeute  finden.  Ich 
will  aus  dem  nordalbingiseheu  Gebiete  nur  zwei  bedeutende  Namen 

22* 


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314  Sander,  Heft  9  u.  10. 


nennen:  Joachim  Jungiiis  (1587  —  1657),  den  berühmten  Rektor 
den  akademischen  Gymnasiums  zu  Hamburg,  und  den  liederrciehen 
Elbschwan,  Pastor  Johannes  Rist  (1607  —  1067)  zu  Wedel.  Des 
letzteren  Gast  war  Figulns  am  13.  November  163».  Der  red- 
selige Poet  beschreibt  zum  Abschiede  ein  ganzes  Blatt  des  Albums 
mit  Zitaten  aus  der  Bibel  und  aus  Dantes  Holle  nebst  beigefügter 
eigner  Übersetzung. 

Im  Dezember  1639  brachen  Duraus  und  Figulus  zu  einer 
Reise  nach  Braunschweig  und  Hildesheim  auf,  die  jenem  später 
als  eine  Art  Glanzzeit  seines  an  Täuschungen  überreichen  I^'bens 
erschien,  und  die  auch  dem  jungen  Begleiter  hochinteressant  ge- 
wesen sein  wird.  Der  Besuch  galt  den  beiden  weifischen  Fürsten- 
höfen Augusts  des  Jüngern  in  Braunschweig  und  seines  Vetters 
Georg  in  Hildeshehn,  der  Stammväter  der  herzoglich  braun- 
sehweigischen  und  der  späteren  Kur-  und  königlichen  Linie.  Beide 
genossen  nicht  mit  Unrecht  den  Ruf  bedeutender  Fürsten:  jener 
noch  heute  berühmt  als  Gründer  der  Wolfenbütteler  Bibliothek 
und  als  Gönner  Johann  Valentin  Andreas  wie  so  manches  anderen 
Gelehrten  jener  Tage;  dieser  damals  wohl  berühmter  durch  seine 
kriegerische  I^aufbahn,  der  er  nur  zu  bald  (1641)  durch  plötzlichen 
Tod  entrissen  ward. 

Vor  wenigen  Jahren  erst  (1635)  hatte  man  nach  dem  erb- 
losen Tode  Friedrich  l  Iridis  von  Braunschweig-Wolfenbüttel  in 
einer  jeuer  unbegreiflichen  Teilungen,  durch  welche  Fürsten  und 
Stände  in  deutschen  Tjanden  ehedem  ihre  Macht  selbst  zu  schwächen 
pflegten,  den  weifischen  Gcsanitbesitz  in  drei  thunlichst  gleiche 
Lose  zerlegt,  deren  drittes,  man  meinte  damals:  bestes,  Georgs 
älterer,  unstandcsgeiuäss  vermählter  Bruder  Friedrich  von  Lüne- 
burg-Celle inne  hatte.  Gemeinsam  verwaltete  das  „löbliche  hoch- 
fürstliche  Haus  Braunschweig- Lüneburg"  unter  anderem  Besitze 
die  im  protestantischen  Deutschland  hochangesehene  Juliusuniver- 
sität zu  Hehnstädt  Ihr  berühmtester  Lehrer  war  damals  der 
Theolog  Georg  Calixtus  (1586—1656),  Abt  von  Königslutter, 
ein  weitblickender  Mann,  der  an  Einigung  der  ganzen  Kirche 
auf  Grund  der  vermeintlichen  Lehrciultcit  des  kirchlichen  Alter- 
tumes (consensus  <piinquesaecularis)  zu  denken  wagte  und  zunächst 
wenigstens  die  Pflege  eines  freundnachbarliclien  Einvernehmens 
unter  Lutheranern  und  Kalvinisten  als  Pflicht  erkannte.  Von 
vielen  angefeindet  und  verketzert  als  Haupt  der  Synkretistcn, 


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1894. 


C'omenins,  Durarus,  Figulus. 


315 


hatte  er  daheim  doch  Schule  gemacht.  Eine  Schar  tüchtiger 
jüngerer  Theologen  umgab  und  unterstützte  ihn  mit  Verständnis. 
Ans  ihrer  Zahl  ragt  hervor  Justus  Gesenius  (1601- -1(571),  damals 
Hofprediger  und  Konsistorialrat  in  Hildesheim,  später  General- 
superintendent in  Hannover.  Den  Theologen  nahe  befreundet 
waren  tüchtige  Staatsmänner  wie  Dr.  Jakob  Lampadius,  ehedem 
Calixts  juristischer  Amtsgenoss  an  der  Universität,  jetzt  Ge- 
heimer Rat  Herzogs  Georg,  sein  Braunsehwciger  Kollege  Dr. 
Kipius  und  David  Denicke,  mit  Gesenius  Herausgeber  des  bis  in 
unsere  Tage  benutzten  vortrefflichen  hannoverschen  Kirchengesang- 
buches. 

Dass  von  hier  aus  das  leipziger  Gespräch  wie  die  weiteren 
von  Oxenstierna  begünstigten  kirchlichen  Unionsversuche  sorg- 
fältig beachtet  und  nach  Kräften  gefördert  waren,  versteht  sich 
von  selbst  Dem  Duräus  waren  die  Doktoren  Lampadius  und 
Kipius  schon  lti.'M  in  Frankfurt  näher  getreten.  Ihrem  damals 
noch  lebenden  Herzoge  Friedrich  Uliich  gutachteten  sie:  „Weil 
die  Kalvinisten,  mit  deren  Irrtümern  wir  doch  nichts  zu  schaffen 
und  selbige  verwerfen,  uns  viel  näher  kommen  und  in  wenigeren 
Artikeln  diskrepieren  als  die  Papisten,  wird  von  und  mit  ihnen 
billig  der  Anfang  (der  Einung)  gemacht  und,  wie  nahe  ein  Teil 
dem  anderen  treten  möge,  mit  gebührlicher  Sorgfalt  versucht." 
Die  Theologie  des  befreundeten  Galixt  klingt  dabei  fiberall  durch. 
„Das  Fundamentum  und  via  regia  ist  —  — ,  dass  neben  der  heiligen 
Schrift  auf  den  übereinstimmenden  Konsens  der  werten  und  un- 
zweifelhaften Antiquität,  welcher  aus  den  uralten  Symbolis  erhellet, 
das  Absehen  genommen  und  dagegen  alle  den  lieben  Alten  un- 
bekannte zum  wahren  Christentum  unnötige,  hohe,  subtile  und 
gutes  Teiles  ganz  ungewisse  Nebenfragen  beiseits  gesetzet  oder  in 
die  Schulen  verwiesen  werden."  Durch  das  Unglück  der  schwe- 
dischen Waffen,  das  schwedisch -französische  Bündnis  und  die 
ganze  veränderte  Weltlage  waren  diese  Interessen  freilich  auch 
hier  inzwischen  zurückgeschoben  worden. 

Den  Einheitsversuchen  neuen  Antrieb  zu  geben,  ward  Johannes 
Duräus  Hi30  von  Herzog  August  in  Braunschweig  und  Herzog 
Georg  in  Hildesheim  eingeladen.  Am  5.  Dezember  beriet  man 
in  Braunsehweig,  um  die  Jahreswende  in  Hildesheim.  Duräus 
erntete  alles  Lob  für  sein  bisheriges  Wirken  und  die  Zusage,  dass 
man  ihm  fortan  bestens  zur  Hand  gehen  und  seine  christlichen 


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316 


Garnier, 


Heft  9  u.  10. 


Plane  nachdrücklich  fördern  wollte,  wenngleich  mit  aller  Prudenz 
und  Zirkumspektion,  deren  Notwendigkeit  in  jenen  geschwinden 
und  bösen  Zeitläuften  dem  Pektoraltheologen  nicht  immer  so  gegen- 
wärtig sein  mochte,  wie  den  gewiegten  Politikern.  Nach  Dunnis' 
eigenem  späteren  Zeugnisse  fand  er  an  den  weifischen  Höfen 
und  besonders  in  Hildesheim  eine  über  alles  Erwarten  huld-  und 
ehrenvolle  Aufnahme.  Freien  Eingang  muss  auch  überall  Petrus 
Figulus  mit  seinem  offenen  Stammbuch«  gefunden  haben.  Die 
neuen  Braunschweiger  und  Hildesheimer  Bekannten  stehen  zahl- 
reich darin.  Neben  Herzog  August  sein  Sohn  und  Nachfolger 
Rudolf  August;  alle  vier  Söhne  Herzogs  Georg:  Christian  Ludwig, 
später  in  Celle,  dessen  holsteinische  Witwe  Dorothea  des  grossen 
Kurfürsten  zweite  Gemahlin  ward;  Georg  Wilhelm,  später  letzter 
Herzog  in  Celle,  Gemahl  der  hugenottischen  Eleonore  d'Olbreuse 
und  Vater  der  unglücklichen  Prinzessin  von  Ahlden;  Johann 
Friedrich,  Herzog  von  Hannover,  der  später  katholisch  gewordene 
Gönner  Leibniz';  Ernst  August,  später  erster  Kurfürst  von  Han- 
nover und  Stammvater  der  englisch  -  hannoverschen  wie  durch 
seine  Tochter  Sophie  Charlotte  und  seine  Enkelin  Sophia  Dorothea 
der  preussischen  Könige.  Dazu  haben  alle  die  genannten  be- 
deutenden Männer  an  beiden  Höfen,  zumal  in  Hildesheim,  dem 
jungen  dominus  possessor  mit  freundlichen  Wünschen  und  guten 
Sprüchen  sich  gefällig  erzeigt.  Bis  zum  Februar  1640  blieben  die 
Reisenden  —  mit  einem  kurzen  Absteeher  nach  Hannover  —  in 
Hildesheim  und  kehrten  dann  über  Celle,  wo  sie  —  wohl  beide 
—  nur  karge  Ausbeute  gewannen,  und  Lüneburg  nach  Hamburg 
zurück.  Dauernde  Fmcht  hat  die  Anwesenheit  des  Durfiiis  in 
Braunschweig  und  Hildesheim  nicht  getragen.  Wenngleich  die 
friedliehe  Theologie  der  Calixtc,  des  Vaters  und  seines  Sohnes 
Friedrich  Ulrich,  lange  in  den  landen  beider  weifischer  Linien 
vorherrschte,  so  war  doch  für  eine  wirkliche  kirchliche  Union  die 
Zeit  noch  nicht  gekommen.  Immerhin  bildet  diese  Reise  des 
Dnräus  an  die  braunschweig-lüneburgischen  Höfe  ein  ansprechen- 
des Kapitel  in  der  Vorgeschichte  der  evangelischen  Union  und 
ist  als  solches  aufgefasst  und  dargestellt  in  des  jüngeren  Calixt 
„Via  ad  pacem"  (Helmstädt  1701)  und  in  Henkes  trefflichem 
Werke  über  „Georg  Calixt  und  seine  Zeit"  (Halle  1853—1860). 

Die  Leser  des  Aufsatzes  von  Radlach  im  Märzhefte  1893 
dieser  Zeitschrift  über  den  Aufenthalt  des  Comenius  in  Lüneburg 


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1891. 


Comenhw,  DuracuB,  Figulu». 


317 


(1647)  wird  es  erfreuen,  aus  dem  Stammbuche  seines  Pflegsohnes 
zu  vernehmen,  dass  dieser  bereits  sieben  Jahre  zuvor  in  derselben 
Stadt  nicht  nur,  sondern  in  demselben  Hause  freundliche  Auf- 
nahme gefunden  hat:  bei  dem  frommen  buchhändlerischen  Brüdcr- 
pare  Hans  und  Heinrich  Stern.  Hoffentlich  geht  Radlachs  Wunsch 
einer  würdigen  Geschichte  ihres  Verlagshauses  bald  in  Erfüllung. 
Da  noch  kurz  vor  1866  der  Name  von  Stern  in  Lüneburg  persön- 
lich vertreten  und  die  'von  Sternsehc  Druckerei*  im  Besitze  alt- 
verbriefter Verlagsrechte  (Lüneburger  Gesangbuch,  Landeskatechis- 
mus ete.)  war,  die  Dnickerei  auch  noch  heute  unter  der  alten 
Firma  fortbesteht,  so  kann  wohl  das  urkundliche  Material  noch 
nicht  unwiederbringlich  verstreut  sein;  und  in  Lüneburg  hatte  man 
—  ehemals  wenigstens  —  regen  geschichtlichen  Sinn. 

Wenig  Glück  hatte  Duräus  im  weiteren  Verlaufe  des  Jahres 
1640  in  Dänemark.  Christian  IV.  selbst,  damals  zwei  und  sechzig- 
jährig und  schon  über  50  Jahre  König,  war  —  so  berichtet  Benzelius 
— -  dem  Friedensgedanken  des  Schotten  geneigt.  Zum  Danke 
ziert  sein  Bildnis  den  inneren  Deckel  und  der  zugehörige  Eintrag 
aus  dem  Jahre  1640  das  erste  Blatt  des  Albums  des  jungen  Be- 
gleiters. Nur  glaube  ich  kaum,  dass  Name  und  Wahlspruch 
(Kegna  firmat  pietas),  in  tadelloser  Fraktur  geschrieben,  von  des 
Monarchen  eigener  Hand  sind.  Aber  Christian  wies  vorsichtig 
das  kirchliche  Anliegen  an  seine  lutherischen  Theologen,  und  bei 
denen  half  hier  sowenig  die  königliche  Huld,  wie  in  Schweden 
die  Gunst  des  Kanzlers.  Schon  an  der  Vorfrage,  ob  Duräus  von 
allen  kalvinistischen  Kirchen  Vollmacht  hätte,  scheiterte  alles. 
Auch  dachten  die  gnesiolutherischen  Dänen  gar  nicht  an  Entgegen- 
kommen ihrerseits.  Der  einzig  mögliche  Weg  zur  Annäherung 
war  in  ihren  Augen  förmlicher  Verzicht  der  kalvinischen  Sakra- 
mentarier auf  alle  ihre  Irrtümer.  Kein  Beitrag  zur  Philotheka 
des  Amanuensis  ausser  dem  huldvollen  des  Königs  lässt  auf  freund- 
lichere Momente  dieses  dänischen  Unternehmens  schliessen. 

Im  Spätherbste  1 640  ging  die  Reise  rückwärts  über  Hamburg 
(November,  Dezember),  Bremen,  Gidenburg,  Emden  nach  Groningen. 
Duräus  und  Figulus  blieben  nun  in  den  Niederlanden  bis  Juli 
1641.  Hier  —  in  Franeker,  Amsterdam,  Haag,  Leiden  u.  s.  w. 
hielt  dieser  die  reichste  Ernte  für  seine  Autographensammlung. 
Es  lohnt  aber  kaum,  dem  Hin  und  Her  auf  dem  engen  Räume 
vermutend  nachzuspüren;  ich  werde  die  bedeutenderen  der  in  den 


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318  Sander,  Heft  9  u.  10. 

Niederlanden  erbeuteten  Namen  lieber  gruppenweise  zusammen- 
stellen, ohne  die  Zeitfolge  ängstlich  zu  wahren. 

Unter  den  reformierten  Theologen  der  Zeit  traf  Figulus  in 
Groningen  den  Ostfriesen  Heinrieh  Alting  (158H— 1644).  Einst 
des  Pfalzgrafen  und  spateren  böhmischen  Königes  Friedrieh  Hof- 
meister, hatte  er  später  auf  dessen  Wunseh  auch  seines  ältesten 
Sohnes  Erziehung  geleitet.  In  dieser  Eigenschaft  traf  ihn  Comenius 
1626  am  Hofe  des  Königs  im  Haag.  Seit  des  Zöglingcs  Tode 
war  er  zum  akademischen  Lehramte  zurückgetreten.  In  Franeker 
lernte  der  junge  Reisende  Johannes  Koch  oder  Coeecjus  (1603 
bis  1669)  aus  Bremen  kenneu,  dessen  Föderaltheologie  unter  den 
Reformierten  ebenso  berühmt  und  ebenso  umstritten  war,  wie  im 
lutherischen  Lager  Calixts  consensus  <prinquesaecularis.  Zu  den 
beiden  eingebürgerten  Deutschen  trat  im  Haag  der  Franzose 
Andreas  Rivetus  (157H  — 16">1),  einst  Zierde  der  Universität  Leiden, 
dann  Erzieher,  jetzt  väterlicher  Vertrauter  des  Prinzen  Wilhelm  II. 
von  Uranien  (1620 — 1650),  dem  er  eben  die  englische  Braut  ge- 
worben hatte.  —  Heller  noch  fast  als  der  Rilhm  der  Theologen 
strahlte  in  den  damaligen  Niederlanden  der  der  Philologen.  Figulus 
ist  an  ihnen  nicht  vorbeigegangen  und  von  ihnen  nicht  abgewiesen. 
Daniel  Heinsius  (1580-  1655),  der  viclbcwundcrtc  Polyhistor, 
schrieb  in  sein  Buch  »zum  Zeichen  seines  ganz  besonderen  Wohl- 
wollens* den  Seufzer:  Quantum  est,  quod  neseimus!  Heinsius' 
feindlicher  Kollege  an  der  Leidener  Universität  Klaudius  Salmasius 
bezeichnet  sich  stolz  als  Konsistorialrat  des  allerchristlichsten 
Königes;  und  doch  lautet  sein  republikanischer  Wahlspruch:  Könige 
und  Herren  zu  haben  verdient,  wer  sich  selbst  nicht  hat !  Aus- 
führlich variiert  der  Pfälzer  Gerhardus  Johannes  Vossius  (1577  bis 
1649)  das  Thema:  Ars  longa  vita  brevis.  Man  sagt  ihm  nach,  dass 
er  nur  einmal  im  Leben  ein  paar  Arbeitsstunden  seines  streng 
geregelten  Tages  versäumt  habe:  aus  Anlass  der  eigenen  Hochzeit. 
•  -  Den  gelehrten  Männern  gesellt  sich  mit  zierlicher  hebräischer 
Inschrift  („Der  Herr  mein  Lieht!")  die  Kölnerin  Anna  Maria  von 
Sehurman  (1607 — 1678),  damals  wegen  ihrer  vielseitigen  Begabung, 
Gelehrsamkeit,  Kunstfertigkeit  als  eines  der  Wunder  der  Zeit 
angestaunt.  Sie  sprach,  las  und  schrieb,  wie  man  ihr  nachrühmt, 
fertig  in  sieben  Sprachen  und  war  bei  aller  Verehrung,  die  sie 
unter  Frauen  und  Männern  genoss,  ein  Muster  jungfräulicher  Be- 
scheidenheit und  Strenge.    Noch  ahnt«'  die  Vierunddreissigjährigo 


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» 


1894.  Compnim»,  Duracn*.  Fibuln«.  319 

nicht,  dass  sie  einst  als  Diotima  oder  Kgcria  Jean  de  tahadicfl 
ihre  glänzende  Laufbahn  in  Quid  und  limine  enden  und  samt  ihren 
verbannten  und  gehetzten  Freunden  bei  der  geistverwandten  fürst- 
liehen  Freundin  und  Schülerin  sehutzf lebend  anklopfen  sollte,  der 
Pfnlzgräfin  Elisabeth,  die  eben  in  jenen  Jahren  gern  und  oft  mit 
ihr  verkehrte.  Ihr  Kinfluss  hat  sieh  bei  der  Pfalzgräfin  dauern- 
der erhalten,  als  der  eines  anderen,  berühmteren  Freundes,  dem 
wir  gleichfalls  im  Stammbuche  des  Petrus  Figulus  begegnen:  Rene" 
Descartes  oder,  wie  er  selbst  sieh  unterschreibt:  Renatus  des  Cartes. 
Bekanntlich  bestand  zwischen  Cartesius  und  Comenius  kein  freund- 
liches Verhältnis.  Der  Franzose  scheint  von  des  Mähren  hoch- 
fliegenden Plänen  kaum  mehr  als  oberflächliche  Kunde  genommen 
zu  haben;  dieser  hat  des  anderen  Philosophie  stets  von  sich  ge- 
wiesen und  geradezu  bekämpft.  Des  jungen  Figulus  Annäherung 
dagegen  muss  der  philosophische  Einsiedler  sehr  freundlieh  auf- 
genommen haben.  Sein  Spruch  klingt  geradezu  schmeichelhaft 
für  den  jungen  Fremdling,  dein  er  am  18.  Juli  1H41  in  Leiden 
einschreibt:  Philosophandum  sed  cum  paucis!  eine  feine  l'm- 
biegung  des  durch  Cicero  bewahrten  Wortes  des  Ennius:  Philoso- 
phari  est  mihi  neeesse,  sed  paucis.  Xam  omnino  haut  placet: 
degustandum  ex  eat  non  in  eam  ingurgitandum  eenseo. 

Schon  die  beiden  letzten  Namen  führten  darauf,  dass  in 
jener  Zeit  die  Familie  des  unglücklichen  Friedrichs  von  Pfalz  und 
Böhmen  in  den  Niederlanden  Obdach  und  Zuflucht  genoss.  Er 
selbst  war  1032  kurz  nach  Gustav  Adolf,  seinem  Retter,  wie  er 
gehofft  hatte,  in  Mainz,  fern  von  den  Seinen,  gestorben.  Gattin 
und  Kinder  behielten  ihre  niederländischen  Wohnsitze  im  Haag, 
in  Leiden,  in  Rhenen.  Die  Geschichte  nennt  den  Gescheiterten 
unbarmherzig  spottend  den  Winterkönig.  Den  vertriebenen  Böh- 
men blieb  selbstverständlich  seine  Person  und  sein  Haus  ehrwürdig, 
seine  Sache  heilig  und  ernst.  Wie  schon  Comenius  1(>2<>  dem 
Könige  Friedrieh  im  Auftrage  seiner  Mutter,  der  oranisehen  I^ouise 
Juliane,  die  wunderlichen  Orakel  des  Sprottauer  Seilers  Christoph 
Kotter  überbracht  und  ihm  dabei  als  seinem  rechtmässigen  Könige 
gehuldigt  hatte,  so  könnt«'  auch  sein  Pflegsohu  Petrus  nicht  anders 
zu  dem  kurpfälzischen  Hause  sich  stellen.  Friedrichs  hoffnungs- 
vollen Ältesten,  Kurprinz  Heinrich  Friedrich,  den  der  Vater  HI29 
im  Hafen  von  Amsterdam  ertrinken  sehen  musste,  zeigt  sein 
Album  wenigstens  im  Bilde.     Von  den  übrigen   Gliedern  des 


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320  Sander,  Heft  9  ll.  10. 

Hauses  finden  wir  folgende  durch  Namenszug  und  teilweise  durch 
Denkspruche  vertreten.  In  einsamer  Majestät,  wie  ihre  Art, 
zeichnet  sich  nur  mit  dem  Namen  des  Winterkönigs  Wittwc 
„Elizabeth"  ein.  Der  Namenszug  ist  offenbar  dem  der  Elisabeth 
Tudor,  der  jungfräulichen  Königin,  nachgebildet  und  gehört  zweifel- 
los der  Kurfärstin  und  Königin  Elisabeth  Stuart  an.  Karl  Ludwig, 
der  nunmehrige  Kurerbe  und  demnächstige  Kurfürst,  als  solcher 
spater  auch  Gönner  der  Comenischen  Ijchrart  (1617  — 1680),  hatte 
schon  1639  sein  „Deus  providebit"  eingetragen.  Petrus  Figulus 
wird  ihm  in  Hamburg  aufgewartet  haben,  wo  er  nach  dem  Miss- 
lingen  seines  kriegerischen  Unternehmens  und  besonders  nach 
der  Niederlage  von  Gohfeld  (17.  Oktober  1638)  Zuflucht  fand. 
Wechsel  volle  Bilder  ruft  der  Name  seines  Bruders  Ruprecht  (1619 
bis  1682)  oder,  wie  er  selbst  schreibt,  Rupert  vor  die  Seele.  Ge- 
fangen bei  Gohfeld  war  er  drei  Jahre  in  kaiserlicher  Haft  zu 
Linz,  von  wo  er  gegen  Urfehde  1641  nach  London  entlassen  ward. 
Da  ihm  das  Stammbuch  1642  vorgelegen  hat,  wird  es  dort  ge- 
wesen sein.  In  den  bald  ausbrechenden  inneren  Kämpfen  der 
Engländer  und  Schotten  erwarb  er  im  Dienste  seines  Oheims 
Karls  I.  Stuart  den  Ehrennamen  des  Kavaliers  und  den  Ruf  eines 
wetterfesten  Seehelden.  Nach  1660  war  er  Admiral  von  England: 
zugleich  bekannt  durch  seine  physikalischen  Forschungen  und  seine 
Überführung  der  Schabkunst  aus  ihrem  Geburtslande  Hessen  in 
die  neue  Heimat  Der  Greis  Uomenius  widmete  ihm  später  sein 
Unum  neeessarium.  Wahrend  Karl  Ludwigs  und  Ruprechts 
jüngere  Brüder,  Moritz,  Eduard,  Philipp,  fehlen:  ein  abenteuerlich 
Völklein!  —  haben  1641  die  drei  alteren  Schwestern  Elizabeth, 
Louise,  Henriette  sich  eingeschrieben.  Von  allen  dreien  Hesse  sich 
viel  sagen.  Von  der  geistvollen  und  gelehrten  Elisabeth  (1618  bis 
1680),  die  bereit«  damals  des  Glaubens  halber  des  Polenköniges 
Wladislav  Hand  fest  und  entschieden  abgelehnt  hatte,  wurde 
oben  angedeutet,  wie  sie  in  jungen  Jahren  mit  Deseartcs  philo- 
sophierte, mit  A.  M.  Schurinan  Kunst  und  Wissenschaft  trieb  und 
dann  im  Alter  nls  reformierte  Äbtissin  von  Herford  mit  Hilfe 
ihres  Vetters,  des  grossen  Kurfürsten,  die  von  Ort  zu  Ort  ge- 
scheuchten Labadisten  schützte.  Louise  ist  jene  Pfalzgräfin  Louise 
Hollandine,  die  man  einst  dem  Vetter  Friedrich  Wilhelm  von 
Brandenburg  als  Braut  zugedacht  hatte,  als  dieser  in  Leiden 
studierte.    Später  katholisch  geworden,  waltete  sie  bis  ins  hohe 


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1894. 


Coiiieniu»,  Dunums,  Figulus. 


321 


Alter  als  Äbtissin  zu  Maubuisson:  eine  Prälatin  von  wunderlich 
formlosen,  wenn  nicht  gar  ungastlichen  Sitten;  in  der  Malkunst 
nicht  unbegabte  Schülerin  Gerhard  Honthorsts.  Henriette  heiratete 
1650  den  Fürsten  Sigismund  Rrfköczy  von  Siebenbürgen,  starb 
aber  nach  einer  Ehe  von  wenigen  Monaten  am  28.  September  d.  J. 
in  Saros  Patak,  wie  Nikolaus  Drabik  es  vorausgesagt,  gerade  als 
Comenius  im  Dienste  des  Fürsten  und  seiner  Mutter  Susanna 
Lorandfy  dort  weilte.  —  Die  berühmteste  der  zahlreichen  Kinder- 
schar: Sophie  (1630—1714),  später  Kurfürstin  von  Hannover, 
Ahnfrau  der  Könige  von  Grossbritannien  und  von  Preussen,  Leib- 
niz*  Freundin,  war  wohl  noch  zu  jung  geachtet,  um  das  Stamm- 
buch vorgelegt  zu  erhalten.  —  Neben  der  böhmisch -pfälzischen 
Dynastie  sind  endlich  auch  als  nahverwandte  das  Haus  Stuart 
durch  ein  Bildnis  Jakobs  I.  und  das  Haus  Oranicn  durch  Denk- 
spruch und  Namen  Wilhelms  II.  (1626 — 1650,  folgte  seinem  Vater 
Friedrich  Heinrich  1647)  vertreten. 

Der  August  des  Jahres  1641  führte  Duraus  und  Figulus 
nach  I^ondon.  Dass  auch  auf  dieser  Fahrt  Figulus  in  Duräus' 
Gefolge  reiste,  bezeugt,  das  Stammbuch  ergänzend,  Comenius'  be- 
kannter Brief  vom  8./ 18.  Oktober  1641  an  die  heimischen  Freunde. 
Denn  am  2 1 .  September  d.  J.  langte  dort  Comenius  an  und  blieb 
die  ganze  Zeit  bis  zur  gemeinsamen  Reise  am  10.  Juni  1642  mit 
Duraus  und  Figulus  vereint  Nach  Ausweis  seines  Stammbuches 
ging  dieser  im  Freundeskreise  der  beiden  •  älteren  Männer  aus 
und  ein  und  durfte  seine  herrliche  Sammlung  stattlieh  bereichern. 
Unter  denen,  die  während  dieses  englischen  Aufenthalts  eigen- 
händig als  seine  Freunde  und  Gönner  sich  bekannten,  steht  billig 
voran  der  ehrliche  Makler  im  damaligen  geistigen  Leben  des 
protestantischen  Europas  Samuel  Hartlib  aus  Elbing.  Sein  Ein- 
fluss  auf  des  Comenius'  Lebensgang  ist  bekannt;  hatte  er  ihn 
doch  eben  nach  I^ondon  berufen.  Duräus  stand  Hartlibs  Herzen 
gleich  nahe.  Welcher  bedeutende,  strebende  Mann  der  Zeit  hätte 
dem  wannen  Herzen  und  dem  feinen,  umfassenden  Verständnisse 
des  trefflichen  Anglo-Borussen  ferngestanden?  Ihm  widmete  1644 
John  Milton  seinen  Aufsatz  „Of  Education",  zu  dem  er  durch 
einen  Fremdling,  Freund  Hartlibs,  angeregt  zu  sein  bekennt,  ohne 
dessen  Januis  und  Didactieis  in  allem  folgen  zu  können.  „Die 
Liebe  sucht  nicht  das  Ihre"  ist  das  bezeichnende  Stichwort, 
mit  dem  der  edle  Hartlib  im  Stammbuche  des  jungen  Freundes  sich 


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322 


Sander, 


Hof t  9  u.  10. 


einführt.  Xelnm  ihm  nenn«1  ich  Theodor  Haaek,  den  Pfälzer, 
der  1645  in  I^undon  das  Collegiuni  invisibile  oder  philosophieum 
begründete,  woraus  1662  die  königliehe  Gesellschaft  zur  Be- 
förderung der  Xaturwissensehaft  hervorging.  Ieh  nenne  ihn  des 
saelüichen  Zusammenhanges  wegen  hier,  obzwar  der  Kintrag  seines 
Namens  und  seines  Sprüchleins  erst  1643  bei  einer  Begegnung  in 
Amsterdam  geschehen  ist.  Tutor  den  eigentliehen  Briten  sticht 
eine  Gruppe  friedliebender  Prälaten  hervor,  die  meist  in  vor- 
nehmer oder  bescheidener  Würde  sich  sehr  kurz  fassen,  wie  der 
greise  Thomas  Morton  ( 1 564 — 1659),  Bischof  von  Durham,  und 
sein  Freund  Joseph  Hall  (1074  —  1656),  Bischof  von  Kxeter,  der 
lakonisch  als  ,Josophus  Exoniensis4  sieh  einzeichnet.  Mehr  Worte 
liebt  der  hochgelehrte  Erzbisehof  von  Armagh  und  anglikanische 
Primas  von  Irland,  James  I  ssher  (Jaeobus  I  sserius,  1581-1656). 
In  fester  kleiner  Perlschrift  giebt  er  aus  Anlass  seines  eben  vol- 
lendeten sechzigsten  Ix»bcnsjahres  das  Wortspiel  zum  besten:  „Qui 
senescit  et  se  nescit,  miser  est."  Diese  vornehmen  Prälaten 
stehen  fast  verstockt  im  hintern  Teile  des  Stammbuehos.  Anders 
der  grosse  Demokrat  oder  —  nach  damaligem  Ausdrucke  — 
Bundkopf  (round  head)  John  Pvm  (1581  — 1643),  Hampdens  un- 
zertrennlicher Kampfgenoss  in  den  damaligen  inneren  Streitigkeiten. 
Während  des  Parlamentes  von  1642  (Comitia  regni  Westmonaste- 
riensia),  also  kurz  vor  dem  gegen  ihn  erlassenen  Haftbefehle,  nennt 
er  sich:  „durch  Liebe  zu  Gott  und  Vaterland  über  Furcht  und 
Hoffnung  erhaben;  für  die  öffentliche  Freiheit  Knecht  des  Volkes, 
allen  anderen  gegenüber  frei!44  Dass  ein  paar  „Novangli",  doch 
wohl  Angloamerikaner,  unter  den  Kinzeiohnern  sind,  findet  be- 
kanntlieh aueh  im  lieben  des  Conienius  seine  Anknüpfung. 

Im  Juni  1(542  reisten  Conienius,  Duräus  und  Figulus  zu- 
sammen von  London  naeh  Holland,  Comenius  und  Figulus  weiter 
durch  Xorddoutsehland  nach  Schweden.  Das  Band  zwischen  Figulus 
und  Duräus  lockert  sieh  allmählich.  Bremen,  Humburg,  Lübeck 
wurden  naeh  den  vorhandenen  Einträgen  berührt.  Dass  nach 
Kvaesalas  Vermutung  damals  in  Hamburg  Conienius  mit  Joachim 
Jungius  persönlich  bekannt  geworden,  ist  sehr  wahrscheinlich. 
Doch  bietet  das  Stammbuch  keinen  Beweis  dafür,  da  die  Einträge 
von  Jungius  und  Tassius,  die  darin  sich  finden,  bereits  aus  dem 
Spätherbste  16-10  datieren.  Im  August  und  September  wird  Figu- 
lus durch  die  Einträge  in  sein  Stammbuch  als  mit  Conienius  in 


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18<»4. 


Conicniut«,  Durami»,  Figulus. 


323 


Schweden  anwesend  nachgewiesen.  Diener  schwedische  Aufenthalt 
knüpfte  enger  das  Band,  das  beide  fortan  an  das  grosse  nieder- 
ländische Handelshaus  van  Geer  oder  de  (ieer  unauflöslich  fesseln 
sollt«'.  Damals  durch  seineu  Reichtum  und  seine  grossartige  Wohl- 
thätigkeit  weltberühmt,  ist  das  Haus  de  (ieer  heute  hauptsächlich 
durch  seine  Fürsorge  für  I^  benswerk  und  Person  des  Comenius  in 
weiteren  Kreisen  bekannt.  Zwei  (ilieder  der  jüngeren  Generation 
hatte  Figulus  bereits  in  seiner  Philotheka  stehen,  bevor  er  Schweden 
zum  /weiten  Male  betrat.  Jn  Amsterdam  hatten  Juli  Kill  Laurent 
de  Geer,  HU2  Emauucl  de  Geer  sieh  eingeschrieben.  Nun  traf 
er  in  Schweden,  wo  die  Geers  Herrschaften  von  fürstlichem  l"m- 
fange  besassen,  zu  Stockholm  und  Orebro  Ludwig,  Vater  und 
Haupt  des  Hauses,  und  dessen  gleichnamigen  Sohn.  Eigen  b«*- 
rührt  des  älteren  „Louys  de  (ieer",  des  Fürsten  der  Kaiiflcutc 
und  (jJrossalmoscnicrs  von  Europa,  mit  fester  Hand  eingetragener, 
schlichter  Wahlspruch:  „Or  la  pie"t«?  avecij  eontentcinent  d'esprit 
est  ung  grand  gain!"  (1.  Tinioth.  I),  (>). 

Vom  November  Ki42  bis  Juli  lo'43  hat  Figulus  laut  seines 
Stammbuches  teils  in  Lissa,  teils  in  Elbing  bei  Comenius  geweilt. 
Dann  folgte  seine  dritte,  auch  aus  dem  Ix'ben  des  Comcnius  be- 
kannte schwedische  Reise.  Er  ist  in  Schweden  während  des  Juli 
und  des  August  zu  verfolgen;  worauf  im  September  KM 3  die 
Rückreise  über  Seeland  mit  Ruhepausen  in  Helsingor,  Kopenhagen, 
Roeskild,  Sorö  nrfolgte.  Diesmal  fand  sich  unter  den  Dänen  doch 
eine  Reihe  freundlicher  Anknüpfungen.  Auch  der  Bischof  von 
Seeland,  Kaspar  Erasmus  Brochmann,  ist  durch  Konterfei  und 
eigenhändige  Widmung  dem  Reisenden  zu  Willen  gewesen.  In 
Roeskild  muss  das  Stammbuch  in  seinem  äusseren  Bestände  sach- 
kundiger Nachhilfe  bedurft  haben.  Wenigstens  hat  es  hier  der 
Buchbinder  Matthias  Peters  unter  Händen  gehabt  und  diese  Ge- 
legenheit benutzt,  um  am  Schlüsse  des  Buches  dem  „Ehrbarn 
Studioso  Theologiae  I).  Petro  Figulo  in  sein  Stammbuch  zhu  gueter 
(iedechtnus"  einen  schwülstigen,  frommen  Sermou  einzutragen. 
Figulus  selbst  scheint  damals  nicht  zu  Comcnius  zurückgekehrt, 
sondern  sofort  über  Hamburg  (September)  und  Ostfriesland  (Okt<h- 
ber)  nach  den  Niederlanden  gereist  zu  sein,  wo  er  von  Oktober 
KM3  bis  April  KM4  im  Haag  wie  in  Groningen,  Franeker,  Amster- 
dam, Leiden  neue  Beitrag«'  für  sein  Schatzkästlein  sammelt«'.  Aus 
der  damaligen  Anwesenheit   im  Haag  stammt  der  Eintrag  des 


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324 


Sander, 


Heft  9  u.  10. 


Johannes  Duräus  vom  16./26.  Oktober  1643,  von  der  diese  Be- 
trachtung des  seltenen  Kleinodes  ausging. 

Das  herzliche  Wort  des  damaligen  Hofpredigers  Duraus  als 
ehrenvollen  Abschied  für  seinen  jungen  Begleiter  au  deuten,  legt 
ausser  den  Worten  selbst,  namentlich  der  ausdrücklichen  Begren- 
zung ihres  Verhältnisses  auf  ein  Septennium,  der  Umstand  nahe, 
dass  nun  wirklich  Figulus  zunächst  den  Winter  1643/4  über  in 
Groningen  und  den  nächsten  Winter  auf  der  hugenottischen  Uni- 
versität zu  Saumur  als  ruhiger  akademischer  Bürger  studiert  zu 
haben  scheint.  Die  Reise  von  Groningen  nach  Saumur  ging  über 
Franeker  nach  Amsterdam  und  von  da  zu  Schiffe  nach  Dieppe. 
Selbst  unterwegs  auf  dem  Meere  hatte  er  seine  Philotheka  zur 
Hand,  in  der  Johannes  Henck  und  Antonius  Lodemann  als  ,comites 
itineris*  verzeichnet  stehen,  ebenso  in  Dieppe.  Landeinwärts  ginge 
über  Konen  und  Paris  nach  Saumur.  Hier  eröffnet  das  merk- 
würdige Buch  uns  den  Blick  in  eine  ganz  neue,  aber  allem  Bis- 
herigen durchaus  ebenbürtige  Welt.  Es  war  die  Glanzzeit  Sau- 
murs, dessen  Ruhm  damals  das  theologische  Dreigestirn  bildete: 
Moise  Amyraut  (Moses  Amvraldus  1596  — 1664),  Vertreter  der 
gemässigten  Prädestinationslehre  oder  des  Universalismus  hypo- 
theticus,  Louis  Cappel  (Ludovicus  Cappellus  1585—1658),  Vater 
der  wissenschaftlichen  Bibelkritik,  und  Josua  La  Place  (Josne 
Placaeus;  er  selbst  schreibt:  Placcus,  1606—1655),  damals  viel- 
genannter Dogmatiker.  Alle  drei  und  mit  ihnen  eine  stattliche 
Anzahl  anderer  damaliger  Lehrer  und  Studenten  —  darunter  Eng- 
länder, Schweizer,  Deutsche  aus  Emden,  Nürnberg,  Danzig  etc.  — 
haben  mit  freundlichen  Denksprüchen  ihre  Namen  dem  Stamm- 
buche des  jungen  Figulus  anvertraut,  der  hier  wirklich  einmal 
Monate  lang,  vom  August  1644  bis  Februar  1645,  mit  Ausnahme 
eines  Abstechers  nach  Anjou  im  September  1644,  stillgesessen  zu 
haben  scheint.  Im  Februar  freilich  brach  er  schon  wieder  auf, 
um  über  Tours,  Orleans,  Paris  und  so  den  alten  Weg  nach  den 
Niederlanden  zurückzureisen,  die  ihm  schon  zur  zweiten  Heimat 
geworden  waren. 

Besonders  ergiebig  war  auf  dieser  Rückreise  der  längere 
Aufenthalt  zu  Paris  während  des  Aprils  1645.  Jenen  grossen 
hugenottischen  Namen  aus  Saumur  reihten  sich  hier  würdig  an 
die  der  hochangesehenen  reformierten  Geistlichen  zu  Charentou- 
Paris:  Jean  Daille  (Johannes  Dallaeus  1594—1670),  Charles  Drelin- 


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1894.  ComcnhiH,  Duraeua,  Figulus.  325 

court  (1595—1669)  und  Joaii  Mcstrecat.  Zu  einigen  in  Pari» 
lebenden  Engländern  führten  unseren  Petrus  seine  und  seiner 
beiden  Gönner,  Comcnius  und  Duräus,  vielfache  Verbindungen 
mit  dieser  Nation.  Die  mehr  und  mehr  hervortretende  Richtung 
seiner  Studien  auf  das  Alte  Testament  und  die  morgenländisehen 
Sprachen,  die  auch  auf  Sohn  und  Enkel  später  forterbte,  hiess 
ihn  wohl  bei  Gabriel  Sionita  anklopfen,  dem  syrischen  Zöglinge 
des  Collegium  Maronitamm,  das  Gregor  XIII.  i.  J.  1584  in  Rom 
gegründet  hatte,  damals  und  bis  zu  seinem  Tode  (1648)  könig- 
lichem Professor  der  orientalischen  Sprachen  und  Mitarbeiter  an 
der  grossen  Pariser  Polyglottenbibel.  Indes  alle  diese  Namen 
verschwinden  gegen  die  zweier  grosser  Gelehrter  und  Philosophen, 
die  gewiss  schon  den»  Figulus  als  besondere  Juwele  seiner  Samm- 
lung erschienen:  Hugo  Grotius  und  Pierre  Gasscndi.  Von  Hugo 
Grotius  (1583  — 1645)  ist  schwer  zu  sagen,  ob  Rechts-  und  Staats- 
wissenschaft wegen  seiner  Begründung  des  wissenschaftlichen 
Natur-  und  Völkerrechtes  oder  Theologie  und  Philologie  wegen 
seiner  vorurteilsfreien,  kritischen  Bearbeitung  biblischer  und  christ- 
licher Fragen  ihm  mehr  zu  danken  haben.  Er  lebte  damals  seit 
zehn  Jahren  als  schwedischer  Gesandter  in  Paris.  Eben  jetzt 
stand  er  im  Begriffe,  Paris  und  seinen  Posten  altersmüde  zu  ver- 
lassen. Er  reiste,  wie  in  der  Allgemeinen  deutschen  Biographic 
Haelschner  berichtet,  1645  von  Dieppe  zu  Schiffe  nach  Holland, 
wo  er  in  Amsterdam  und  Rotterdam  ehrenvolle  Aufnahme  fand, 
dann  wieder  von  Amsterdam  zur  See  nach  Hamburg,  von  da  über 
Lübeck  nach  Wismar,  um  mit  Oxenstierna,  dem  Sohne  des  Kanz- 
lers, zusammenzutreffen  und  endlich  nach  Stockholm.  Auf  der 
Rückreise  von  da  nach  Lübeck  litt  er  17.  August  an  der  pom- 
merschen  (Jöcher:  kassubi sehen)  Küste  Schiffbruch,  langte  nach 
mehrtägiger  I^andfahrt  in  offenein  Wagen  und  bei  Regenwetter 
am  26.  in  Rostock  an  und  starb  dort  am  28.  (Jöcher:  18.)  August 
1645.  Er  muss  fast  schon  den  Fuss  im  Wagen  gehabt  haben, 
als  er,  der  Bitte  des  Figulus  willfahrend,  am  18.  April  1645  in 
Paris  mit  zierlicher  Hand  schrieb:  „Ad  turbas  et  motus  pessimo 
euique  plurima  uis,  pax  et  quies  bonis  artibns  indigent.  Scribebam 
et  omnia  amicitiae  testimonia  offerebam  lubens  Lutetiae  XVIII. 
Aprilis  MDCXLV.  Hugo  Grotius  R.[eginae|  S.[ueeiae|  L.|egatus]." 

Stand  Grotius  gerade  auf  dem  Sprunge,  Paris  zu  verlassen, 
als  ihn  Figulus  mit  seinem  Stammbuche  aufsuchte,  so  muss  wohl 


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326 


Sander,  —  Comeuiiw,  Duraeu*,  Figulus.     Heft  9  u.  10. 


Gasscudi  (1592 — 11)55)  die  königliche  Professur  der  Mathematik 
in  Paris,  die  der  Probst  von  Digne  während  des  letzten  Jahr- 
zehntes seines  Lebens  bekleidete,  damals  erst  eben  angetreten 
haben.  Der  berühmte  Erneuerer  der  antiken  Atomistik,  naeb 
Jöeher  „ein  übenius  tugendhafter,  bescheidener  und  gelinder  Mann, 
der  sieh  über  nichts  erzürnte",  schreibt  nach  einem  griechischen, 
früher  schon  ins  Stammbuch  von  einem  englischen  Arzte  einge- 
tragenen, also  wohl  damals  beliebten  Spruche  über  Selbst-  und 
Gotteserkenntnis  als  Grundlage  aller  Tugend:  „Studiosissimo  ami- 
cissimoque  Juveni  Petro  Figulo  Bnhcmo  discedenti  in  Patriam|?|, 
et  ob  eximiam  iudolem  desiderium  sui  magnum  reliiu|ucnti.  In 
affeetus  sineeri  Pignus  |  adponebam  Lutetiae  XII.  Apr.  A° 
MDCXLV|  P.  Gassendus  m.  pr."  r>  will  mir  scheinen,  als  wären 
die  geklammerten  Worte  von  Figulus  selbst,  da  Gassendi  das 
Datum  zu  schreiben  vergessen,  nachgefügt.  Di«'  Angab«'  ist  darum 
gewiss  nicht  minder  zuverlässig.  Ob  Gassendis  so  warm  ausge- 
sprochene Freundschaft  schon  von  früherer  Begegnung  in  den 
Niederlanden  stammte  oder  auf  des  gemeinsamen  Freundes  Hartlib 
Empfehlung  hin  so  rasch  erblüht  war,  kann  ich  nicht  entscheiden. 

Nach  dieser  Pariser  Ernte  ist  der  eingeheimste  Schatz  von 
reichlich  400  Autographen  nicht  mehr  wesentlich  bereichert.  Nur 
einzelne  Einschritten  belegen  des  Figulus  vierten  und  fünften 
schwedischen  Aufenthalt  (September  und  Oktober  1()40,  Oktober 
1049),  einige  andere  dazwisehen  (1047,  104S)  sein  Weilen  in  Elbing. 
Doch  hat  noeh  der  jüngste  Eintrag  (Kodolphus  Keller  Turicensis. 
Holini;«'  1.  Octobr.  1049)  chronologischen  Wert.  War  Figulus 
noeh  1.  Oktober.  1049  in  Stockhohn,  dann  kann  er  nicht  (nach 
Kvacsala)  am  H.  Oktober  heimgekehrt,  zum  Priester  geweiht  und 
kaum  am  19.  Oktober  mit  Elisabeth  (  omenius  getraut  sein.  Statt 
Oktober  wird  es  in  diesen  Angaben  heissen  müssen:  November, 
wie  denn  auch  nach  anderer  Lesart  die  Hochzeit  am  Namenstage 
der  Braut  (19.  November)  stattfand. 


B.  Besprechungen  und  Litteraturbericht. 

Krause,  K.  C.  F.  Abhandlungen  und  Einzclsätzc  über  Erziehung 
und  Unterricht.  Aus  dem  handschriftlichen  Nachlasse  des  Verfassers 
hcrausgegel>eii  von  R.  Vetter.  I.  Band.  Berlin,  Verlag  von  Emil 
Feiher,  IS 94.    8.  VIII  u.  170.  S". 

Krause  als  Erzieher!  Nicht  ohne  Rührung  können  wir  eines 
Mannes  gedenken,  dessen  unablässiges  Ringen  nach  dem  ideale  seiner 
Zi-it  nicht  verständlich  war.  Seine  gottinnige  Seele  schaute  «las  „Urbild 
der  Menschheit",  frei  von  allen  Erdenmalen,  im  himmlischen  Gefilde, 
wie  es  uns  Schiller  im  Symbole  (vergl.  das  Ideal  und  das  Lehen) 
gezeigt  hat  Seine  trotz  widriger  Schicksale  nicht  gebrochen!»  Thatkraft 
suchte  dieses  Urbild  herunterzuzwingen,  um  es  im  Irdischen  lebendig 
werden  zu  lassen,  wie  es  uns  Goethe  in  seiner  pädagogischen  Provinz 
(vergl.  Wilhelm  Meister'*  Wanderjahre)  in  behaglicher  Breite  schildert. 

Mit  Recht  eröffnet  der  Herausgeber  der  pädagogischen  Werke 
Krause's  den  ersten  Band  mit  einem  Ausschnitte  aus  dem  „Urbild 
der  Menschheit".  Der  „Bund  für  Menschheitbildung",  den  Krause 
zu  stiften  erstrebte,  soll  alle  umfassen,  er  soll  alle  Bildungsnnstalten, 
als  ihm  untergeordnet,  organisch  in  sich  begreifen  bis  zur  Selbst- 
bildung herab,  weil  jeder  eigene  Mensch  sich  selbst  vollendet,  er  soll 
ein  gereiftes  lieben  vermitteln  als  ein  Gleichnis  der  Fülle,  Wohl- 
ordnung und  Schönheit  des  Weltlebens  in  Gott.  Von  diesem  Ideale 
aus  ist  Krause's  ganzes  Wirken  zu  beurteilen:  er  war  ein  Mann, 
der  „Alles"  im  tiefsten  Grunde  in  ungebrochener  „Harmonie" 
erschaute  und  der  dieser  Harmonie  durch  eine  umfassende  „Organi- 
sation" der  „Einzelnen"  zu  wirklichem  Leben  verhelfen  wollte. 
Wie  dieses  Wollen  in  Thülen  umgesetzt  werden  sollte,  zeigt  uns 
zunächst  eine  Reihe  von  Protokollen,  die  Berlinische  Gesellschaft 
für  Erziehung  betreffend  (Nr.  G  in  «liesein  Bamle).  Mit  den  Professoren 
(i rashoff,  Piamann  und  Zeune,  welche  sämtlich  praktische  Pädagogen 
sind,  grüwlct  Kraus««  (April  1815)  «'in  Vierer- Kollegium,  um  für 
Erziehung  in  ihrem  ganzen  Umfange  als  Wissenschaft  und  als  Kunst 
zu  wirken  und  vor  alh-iu  auch  «lein  Problem  eim-s  .Ehnnentarhuches' 
näWrzutreten.     Krause's    Übersie<lelung   von    Bvrlin    na<*h  Dresd«»n 

Munalf.b.-ft..  a.r  (  uiJM'nius-«i.  «'llMliult.  Is'Jl. 


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32« 


liesprcchiingen  und  Litteraturberieht.       Heft  9  u.  10. 


(Herbst  1815)  ist  die  Veranlagung,  dass  der  kleine  Kreis  nach  einer 
kurzen,  aber  energischen  Arbeit  zerfällt.  Ein  weiterer  Beitrag  für 
die  Art  und  Weise,  wie  sich  Krause  die  Verwirklichung  seiner  Pläne 
gedacht  hat,  giebt  das  Sendschreiben,  den  würdigen  und  hochver- 
dienten Brüdern  Vorstehern  des  Friedrichstädter  Erziehungsinstitutes 
in  brüderlicher  Ergebenheit  überreicht  (Nr.  S  in  diesem  Baude). 
„Allgcmeinniensehliche  Bildung"  soll  die  Anncnsehulc  zu  Fried  rieh  stadt 
für  Knaben  und  Mädchen  vermitteln,  und  darum  soll  sie  auch 
mit  der  ganzen  übrigen  Menschheit  in  Verbindung  gesetzt  werden 
und  zwar  sowohl,  das* -die  Welt  Anteil  am  Institute,  als  auch,  da>s 
die  Kinder  und  das  Institut  Anteil  an  allen  Wohlthaten  des  öffent- 
lichen Lebens  nehmen  (S.  150).  Die  Zöglinge  sollen  aller  Vorzüge 
des  aufgeklärten  Zeitalters,  in  welchem  sie  leben,  soweit  solches  in 
den  Kräften  der  Gesellschaft  steht,  teilhaft  werden,  das  Publikum 
soll  jederzeit  in  je* ler  "Weise  Zutritt  haben  und  prüfen  dürfen,  was 
geboten  wird.  Über  die  Pflichten  und  Rechte  des  Direktors  und 
über  andere  einzelne  Fragen  verbreitet  sich  Krause  in  eingehender 
Weise  und  schliesst  mit  der  Hoffnung,  dass  die  Menschen,  vom 
Menschlichen  gerührt,  was  sich  vor  ihnen  fröhlich  entfaltet,  an  der 
Anstalt  wannen  Anteil  nehmen  und  derselben  zu  neuer  Blüte  verhelfen 
möchten.  Besonders  charakteristisch  für  Krause's  Stellung  innerhalb 
der  Pädagogik  sind  auch  die  beiden  sieh  mit  Pestalozzi  beschäftigenden 
Rezensionen  (Nr.  7  in  diesem  Bande),  deren  zweite  Joseph  Schmid's 
Erfahrungen  aus  Herten  bespricht,  und  die  Bemerkungen  zu  Friibel's 
Abhandlung  über  Deutsche  Erziehung  (Nr.  4  in  diesem  Bande). 

Das  Bild,  welches  wir  von  Krause  als  Erzieher  gewinnen,  wird 
ferner  belebt  durch  eine  Reihe  von  Einzelsätzen  über  Erziehung  und 
Unterricht  (Nr.  2  in  diesem  Bande)  und  durch  eine  (bereits  in  den 
von  P.  Hohlfeld  und  A.  Wünsche  ISMO  herausgegebenen  „Philo- 
sophischen Abhandlungen"  abgedruckte)  Arbeit  (Nr.  3  in  diesem 
Bande)  „Vom  Unterrichte  als  Ziel  der  Erziehung". 

Schliesslich  wird  uns  noch  (Nr.  5  in  diesem  Bande)  eine,  aus 
dem  Jahre  1H08  stammend*-,  „Skizze  über  Bildung  (Erziehung  und 
Ausbildung)"  geboten,  welche  als  ein  ziemlich  vollständiger  Entwurf 
zu  einem  Systeme  der  Pädagogik  bezeichnet  werden  kann.  Sie  ent- 
hält, neben  späteren  Zusätzen  und  neueren  Ansätzen,  folgende 
Fünfteilung:  I.  Idee  «ler  Bildung.  II.  Hauptteile  und  innere  Organi- 
sation der  Bildung.  III.  Mittel  «ler  Bildung.  IV.  Bildungsanstalten. 
V.  Würdigung  des  gegenwärtigen  Zustnndes  der  Erziehung. 


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1804. 


Besprechungen  und  Liüeraturbericht. 


Wir  empfehlen  das  Werk  einem  weitvren  Kreise  auf's  wärmst«1.  D«t 
Geist  <l«T  Harmonie,  welcher  Kraus««'*  ganzes  Streben  beseelte,  machte 
ihn  auch  /.um  Erzieher  im  Sinne  eines  Comenius  und  eines  Pestalozzi. 
Er  hatte  den  Glauben  an  das  Ideal  und  die  Zuversicht,  dass  dieser  Glaube 
wirken  könne  und  müsse.  Mag  ihm  die  Nachwelt  den  Kranz  reichen, 
den  ihm  die  Mitwelt  versagte,  indem  sie,  eins  mit  ihm  in  selbstloser 
Liebe,  an  <l«'in  grossen  Erzichungswerke  der  Menschheit  arbeitet. 

Braunschweig.  Alex.  Wernicke. 

Vogel,  August.  Systematische  Darstellung  der  Pädagogik 
Job.  Heinrich  Pestalozzis  mit  durchgängiger  Angabe  der  quellen- 
massigen Belegstellen  aus  seinen  sämtlichen  Werken.  Zweite  AufInge. 
Mit  einem  Porträt  mich  Diogg  nebst  Facsimile  Pestalozzis.  Hannover. 
Carl  Meyer  |G.  Prior |.  1893.  Pädagogische  Bibliothek.  10.  Band. 
VIII  u.*270  S.  4". 

—  Hcrhart  oder  PesUdoz/.i.  Eine  kritische  Darstellung  ihrer 
Systeme,  als  Beitrag  zur  richtigen  Würdigung  ihres  gegenseitigen 
Verhältnisses.    Zweite  Auflage.    Hannover.    Ebd.  1893.   103  S.  8°. 

Der  als  pädagogischer  Schriftsteller  bestens  bekannt«'  Verfasser 
ist  begei.-tert<'r  Anhänger  Pestalozzis.  Das  System  des  letzteren  gilt 
ihm  als  «las  jMulagogisehe  System  xm  /so///»-,  IVstalo.zzi  habe  die 
Pä«lagogik  auf  unwrgängliche  Grundlagen  gestellt.  Pestalozzi  für 
immer!  so  lautet  «las  Ergebnis  der  VogePsohen  Untersuchung.  Her- 
barts  Bestrebungen  haben  zwar  einen  gewaltigen  Anstoss  zur  Ver- 
tiefung der  pädagogischen  Pmbleme  g«'g«ben,  Pestalozzis  Pädagogik 
wunle  auch  durch  sie  befruchtet  und  gefönlert,  aber  eine  Pädagogik 
nach  seinen  Grumlsätzt'ii  muss  nach  <!«•>  Verfassers  Worten  einem 
mechanischen,  kalten  Schematismus  anheimfallen,  während  Pestalozzis 
pädagogisch«'  Grundsätze  aus  «lein  lebenswarmen  ewigen  Quell  des 
Glaubens  und  der  Liebe  fliessen.  Der  Beurteiler  obiger  Schriften 
hat  kürzlich  in  ehmr  Arbeit  (Die  Bedeutung  «1er  Philosophie  der 
(regenwart  für  die  Pädagogik.  Gotha.  Behrend.  1893.)  dargethan, 
dass  die  Pädagogik  eim*r  erkenntnistheoretischen  Besinnung  bedürftig 
sei.  Es  geh«'  kein  allgemeingültiges  System  der  Pädagogik,  die  ein- 
zelnen Systeme  stehen  immer  unter  historischen  Bedingungen  und 
können  nicht  mehr  als  den  Ausdruck'  eines  bestimmten  Denkers, 
Volkes  und  Zeitalters  darstellen.  Jene  Vergötterung  einzelner  Systeme, 
der  Glaulie  an  ihr«;  absolute  Geltung  ist  unberechtigt.  Von  diesem 
Stamlpuukte  aus  kann  sich  der  Beurteiler  daher  zu  Vogels  Ansicht 
nicht  bekennen.    Er  anerkennt  jedoch  «lavon  abgesehen  gern«*,  dass 

2.5  * 


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3:50 


Besprechungen  und  Litternturbericht.       Heft  0  u.  10. 


<li<'  vorliegenden  trefflichen  Arbeiten  sehr  geeignet  sind,  «las  Ver- 
ständnis Pestalozzis  zu  fönlern  und  zu  verbreiten.  Eine  quellen* 
massige,  systematische  Darstellung  der  Pestalozzischen  Anschauungen 
that  wirklich  not,  und  wir  haben  Vogel  nur  zu  danken,  dass  er  in 
so  vorzüglicher  Weise  die  Lücke  ausfüllte.  Mit  feinem  Takte  wusste 
der  Verfasser  gerade  die  wesentlichsten  Stellen  aus  Pestalozzis  ver- 
schiedenen Sehriften  zu  einem  einheitliehen  Ganzen  zu  verschmelzen 
—  eine  Arbeit,  die  grosse  Belesenheit  und  Bienenfleiss  zur  Voraus- 
setzung hat.  Vogel  schloss  sieh  mit  Recht  auch  im  Wortlaute 
möglichst  an  Pestalozzi  an,  so  das*  die  Zusammenstellung  geradezu 
einer  Originalschrift  des  letzteren  gleichkommt.  Es  dürfte  nun  wohl 
keine  Darstellung  der  Pestalozzischen  Lehre  so  geeignet  sein  in  die 
Tiefe  derselben  einzuführen  wie  die  Vogels.  Auch  die  Darstellung 
der  Grumlauschnuungcn  Herbarts  ist  meist  zutreffend,  die  Kritik 
klar,  der  Vergleich  der  beiden  Systeme  wirkt  sehr  erhellend  für  die 
richtig«'  Auffassung  derselben.  Der  Beurteiler  ist  überzeugt,  duss 
auch  die  neuen  Auflagen  «1er  zwei  Bücher  gleich  freundliche  Aufnahme 
finden  werden,  wie  «lie  erste. 

Czernowitz.  Prof.  Hochegger. 

Gille,  A.  Aufgaben  un«l  Methode  der  Pädagogik  als  Wissen- 
schaft. Beilage  zum  Programm  der  Lateinischen  Hauptschule  zu 
Hailea.  S.  Ostern  1S91.  L«ipzig.  Verlag  von  Gustav  Kock.  HG  S.  4°. 

Der  Verfasser  ist  «'ins  mit  Wilhelm  Dilthey,  indem  er  mit 
der  hergebrachten  Ansicht  bricht,  dass  man  ein  für  alle  Zeiten  uml 
Völker  gültiges  System  der  Pädagogik  schaffen  könne.  Die  Ethik 
vermag  nämlich  das  Ziel  «1er  Erziehung  nie  allgemeingültig  zu  be- 
stimmen. J«'des  ethische  I«l«'al  ist  historisch  bedingt  uml  begrenzt. 
Wohl  aber  vvrnnigcn  wir  nach  Gille  durch  «las  Studium  «1er  Anthro- 
]H>logie,  besoud«>rs  aber  der  Entwicklungsgeschichte  «les  Menschen- 
geschh'chtes  gewisse  Grundwahrheiten  <l«'s  Menschenlebens  zu  erkennen 
uml  damit  einer  Bestimmung  «les  Erzichungsziides  näherzukommen. 
Diesen  Bestimmtheiten  nachzuspüren,  bezeichnet  der  Verfasser  als 
s«'ine  Aufgabe.  Di«'  wichtigste  <1«t  ^tatsächlichen  Bestimmtheiten  ist 
«lie  d«  s  Seihst -Interesses.  Lelzlcivs  würde  aber  zur  Auflösung  «ler 
Gesells«-haft  führen,  wenn  «ler  Mensch  nicht  ges«dls«>haft lieber  Natur 
wäre.  Die  unmittelbarste  Folge  «les  geselligen  Wesens  war  «lie 
Erweiterung  «les  selbstischen  zum  ges«dlsclmft  liehen  Interesse.  Als 
dritte  ^tatsächliche  Bestimmtheit  «les  Mensehen  muss  nach  Gille 
da-jenigc   zur   religiösen    Weltanschauung   hingestellt    werden.  Wo 


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1894. 


Besprechungen  und  Litterat  urbericht. 


immer  wir  Mönchen  treffen,  finden  wir  in  irgend  einer  Form  religiöses 
Fühlen.  Diese  drei  Bestimmtheiten  des  menschlichen  Wesens  bedingen 
alle  Äusserungen  desselben,  Kunst,  Wissenschaft,  Sitten,  Recht  u.  s.  w. 
In  ihnen  niuss  auch  eine  auf  realer  Grundlage  ruhende  Pädagogik 
das  Ziel  der  Erziehung  suchen.  „Diese  seihst  ist  auch  ein  Produkt 
derselben,  denn  sie  ist  dem  echt  sozialen  Streben  entsprungen,  das 
künftige  Geschlecht  besser  zu  machen.  Damit  ist  die  Aufgabe  der 
Erziehung  gekennzeichnet.  Sie  hat  vor  allem  stets  die  natürlichen 
Bestimmtheiten  des  Menschen  im  Auge  zu  behalten,  und  da  in  ihrem 
Begriffe  ein  thätiges  Eingreifen  liegt,  so  kann  ihr  Ziel  nur  die  För- 
derung derselben  sein."  „Förderung  und  Vervollkommnung  der 
obigen  drei  Bestimmtheiten  des  Menschen  ist  das  Ziel  der  Erziehung 
und  zwar,  insofern  als  dieselben  umfassend  und  allgemeingültig  sind, 
das  allein  umfassende  und  allgemeingültige.  Ziel  der  Erziehung."  Die 
Pädagogik  muss  auch  über  die  Mittel  klar  sein,  wie  sie  ihr  Ziel 
erreicht.  Die  Methode  der  Pädagogik  ergiebt  sich  scheinbar  leicht. 
Denn  ist  die  Erziehung  nichts  anderes,  als  die  körperliehe  oder 
geistige  Beeinflussung  des  menschlichen  Wesens,  so  muss  sich  aus 
den  Wissenschaften,  welche  sieh  mit  dem  Menschen  in  jener  doppelten 
Hinsicht  beschäftigen  (Physiologie  und  Psychologie),  die  Art  der 
Beeinflussung  ergeben.  Da  Hber  sowohl  die  Physiologie  wie  die 
Psychologie  noch  so  wenig  ausgebildet  sind,  so  wäre  es  um  die 
Pädagogik  schlecht  bestellt.  Letzterer  bleibt  nichts  anderes  übrig, 
als  sich  möglichst  auf  eigene  Füsse  zu  stellen.  „Sichere  Resultate 
kann  die  Pädagogik  nur  erzielen  durch  die  sogenannte  „naturwissen- 
schaftliche Methode"  d.  h.  durch  Beobachtung  und  Experiment.  Ver- 
gleichende Beobachtung  eines  möglichst  grossen  Bereichs  von  Menschen, 
gross  in  räumlicher  und  zeitlicher  Ausdehnung,  hinsichtlich  des  Masses 
ihrer  Thätigkeit,  das  ist  die  erste  Aufgabe."  Gille  sucht  auch  gewisse  a 
priori  sichere  methodische  Gesichtspunkte  für  die  Pädagogik  zu  gewinnen. 

Die  vorliegende  Abhandlung  zeichnet  sich  namentlich  auch 
durch  die  gründliche  und  weitgehende  Kenntnis  der  einschlägigen, 
oft  ziemlich  entlegenen  Litteratur  aus. 

Czernowitz.  Prof.  Hochegger. 

Christoph,  Karl,  Wolfgang  Ratkes  (Ratichius)  pädagogisches 
Verdienst.  Inaugural- Dissertation  zur  Erlangung  der  Doktorwürde. 
Leipzig  1892.    52  Seiten. 

Christoph  hat  lediglich  nach  den  bereits  —  besonders  von 
Gideon  Vogt  und  Johannes  Müller  —  über  Ratichius  veröffent- 


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332 


Ilcsprcchungcn  und  LiUeniturhericht.        Heft  9  U.  10. 


lichten  Arbeiten  das  pädagogische  Verdien.-»  diesem  Neueren*  einer 
Betrachtung  unterzogen.  Die  Abhandlung  ist  eine  geschickte  und 
fleissige  Kompilation,  welche  wohl  im  stände  ist,  über  die  pädagogi- 
sehen  Bestrehungen  eines  Ratiehius  zu  orientieren.  R.  Aron. 

Pietro  Paolo  Vergerio,  dem  zur  evangelischen  Sache  über- 
gegangenen päpstlichen  Nuntius  und  Bischof,  über  welchen  wir  in 
einem  der  letzten  Hefte  das  Werk  von  Hubert  verzeichnet  haben,  ist 
neuerdings  ein  kleines  Schriftchen  von  Adolf  Henschel  gewidmet.: 
Petrus  Paulus  Vergerius.  Halle  a.  S.  1893.  In  Conunissions- 
Verlag  von  Max  Niemeyer.  (32  S.)  Dieses  kurze  Ijchenshild 
«les  merkwürdigen  Mannes  ist  aufgenonnnen  in  die  vom  Verein  für 
Reforinationsgesehichte  herausgegebenen  „Schriften  für  das  deutsch«' 
Volk"  (Nr.  20)  und  demgeinäss  populärer  Natur.  B. 

Der  wegen  seiner  Bestrebungen  für  die  Wiedererweckung  der 
klassischen  Studien  gefeierte  gleichnamige  Ahne  diese*  Vergerio,  welcher 
unter  anderen  einen  für  uns  bemerkenswerten  Tractat  über  Kinder- 
erziehung geschrieben  hat,  ist  behandelt  worden  von  K.  A.  Kopp: 
„Pietro  Paolo  Vergerio,  der  erste  humanistische  Pädagoge." 
Der  Aufsatz  bildet  einen  Teil  der  Festschrift  zur  Eröffnung  des 
neuen  Cantonsehulgebäudes  von  Luzern.   Luzern  18!)3.  B. 

Mit  dem  älteren  Vergerio  zusammen  lehrte  in  Padua  Giovanni 
«Ii  Conversino,  schriftstellerisch  ziemlich  unbedeutend,  aber  von  regem 
Eifer  für  die  Verbreitung  der  humanistischen  Ideen  erfüllt.  Das 
vorigjährige  Programm  des  Kneiphöfischen  Stadt-Gymnasiums  zu 
Königsberg  hat  eine  Abhandlung  von  Max  Lehnerdt  gebracht:  „Zur 
Biographie  des  Giovanni  di  Conversino  von  Ravenna.  Ein 
Beitrag  zur  Geschichte  des  Humanismus  in  Italien."  Dass 
die  Nachrichten,  welche  G.  Vogt  (Wiederbelebung  etc.  18Ö9.  S.  12«  ff.) 
über  den  Magister  Giovanni  da  Ravenna  gebracht  ,  auf  2  Männer, 
unsern  Giovanni  und  einen  Giovanni  Malpaghini,  zu  verteilen  sind, 
hatten  Sahbadini  und  Klette  schon  nachgewiesen.  Neu  liefert  Lehnerdt 
gegenüber  Klette  den  Beweis,  dass  ersterer  es  gewesen,  der  von  1304 
bis  1307  in  Petrarcas  Hause  gelebt  hat.  Für  die  von  Lehnerdt  be- 
sorgte neue  Bearbeitung  von  Vogt  (Berlin  1X93)  sind  diese  Resultate 
natürlich  verwendet  worden  (vgl.  Bd.  1.  S.  212  ff.).  B. 

Karl  Wotke  feiert  im  1.  Heft  des  S.  Jahrgangs  (1894)  der 
„Oesterreichischen  Mittelschule"  in  einem  Aufsatz  über  „Die  päda- 
gogischen Grundsätze  des  Johannes  Murmellius"  (S.  95  bis 


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1894. 


Bespreehungrn  und  Litteraturhericht. 


333 


9S)  diesen  Humanisten  als  den  „ersten  deutschen  Schulmeister",  der 
für  unser  Unterrichtswesen  geworden  sei,  was  Guurino  von  Verona 
für  Italien  gewesen  ist.  B. 

Bei  der  Verpflanzung  des  Humanismus  von  Italien  nach 
Deutschland  ist  aueh  auf  das  am  Wege  liegende  Tiroler  Land  ein 
fruchtbares  Samenkorn  gefallen.  Die  in  seinen  Beiträgen  zur  Ge- 
schieht«? der  Philologie  (Innsbruck  1880)  eingeleitete  Untersuchung 
über  die  dortige  Verbreitung  der  classischen  Studien  hat  Anton 
Zingerle  ausgeführt  in  einem  Aufsatz:  „Der  Humanismus  in 
Tirol  unter  Erzherzog  Sigmund  dem  Münzreichen."  (In: 
Festgruss  aus  Innsbruck  an  die  42.  Versammlung  deutscher  Philo- 
logen und  Schulmänner  in  Wien.  Innsbruck.  Wagner'sehe  Buchh. 
1893.  S.  21—42.)  Drei  Männer  lernen  wir  bei  Zingerle  kennen,  die 
unter  dem  Mäcenate  des  kunstsinnigen  Erzherzogs  führend  für  die 
neue  Richtung  thätig  gewesen  sind:  Bischof  Johann  Hinderbach  von 
Trient,  Abt  Caspar  Augsburger  von  Georgenherg  bei  Schwaz  und 
Johann  Fuchsmagen  aus  Hall.  B. 

Eine  gleich  liebevolle  Betrachtung  widmet  der  verstorbene 
K.  Hartfelder  in  einem  Aufsatz  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte 
des  Oberrheins  (N.  F.  8.  1S93.  S.  1  —  33)  unter  dem  Titel  „Der 
humanistische  Freundeskreis  des  Desiderius  Erasmus  in 
Konstanz"  den  Gelehrten,  welche  die  Verehrung  des  Erasmus  im 
nahen  Basel  zu  Konstanz  zusammenführte  und  einmütig  verbunden 
hielt,  bis  «lie  lfcrcinhrcchendcn  religiösen  Wirren  den  Kreis  zer- 
sprengten. Es  sind  Jobann  von  Butzheim,  Johann  Jakob  Menlis- 
hofer,  Michael  Humnielberg,  Johannes  Faber  und  Urhnnus  Rhegius. 
Bei  der  Bedeutung,  die,  Konstanz  in  der  refornintorischeii  Bewegung 
gewonnen  hat,  verdienen  seine  hervorragenden  Persönlichkeiten  in  ihrer 
verschiedenen  religiösen  Stellungnahme  besonder«'  Beachtung.  B. 

Wenn  wir  von  den  Pflegern  humanistischer  Bildung  im  Re- 
naissaneezeitalU'r  hören,  denken  wir  mit  Reeht  in  erster  Linie  an 
die  Philologen  von  Beruf,  aber  wir  dürfen  nicht  vergessen,  dass  aueh 
die  übrigen  Gelehrtenklassen  vom  Zuge  der  Zeit  mitergriffen  sind 
und  das  Ihrige  beigetragen  haben  zur  Wiederbelebung  des  klassischen 
Altertums.  Belehrend  in  dieser  Beziehung  ist  ein  Aufsatz  im  20. 
Bande  der  Zeitschrift  des  Historischen  Vereins  für  Sehwaben  und 
Neuburg  (Augsburg  1S93).  Max  Radlkofer  untersucht  dort  (S.  2"> 
bis  02)  „die  humanistischen  Bestrebungen  der  Augsburger 
Ärzte  im  16.  Jahrhundert"  und  weist  zur  Erklärung  ihres  regen 


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334 


Besprechungen  und  Litteraturberieht.       Heft  0  u.  10. 


Eifers  für  «lit»  neue  Richtung  darauf  hin,  dass  sie,  zumal  ihn*  Wissen - 
sehaft  grösstenteils  noch  auf  <len  Ueberlieferungeti  der  griechischen 
und  römischen  Ärzte  beruhte,  um  ihres  eigenen  Studiums  willen  eine 
grossere  Ausbreitung  der  alten  und  eine  Ersehliessung  neuer  un- 
bekannter Quellen  mit  Freuden  begrüssen  mussten.  Er  berichtet 
kurz  über  da*  lieben  und  Wirken  von  10  Ärzten  der  Stadt,  von 
denen  wir  hier  nur  die  Namen  aufzählen  können.  Es  sind:  3  Adolf 
Oeco  —  Vater,  Sohn  und  Enkel  — ,  Josef  Grünpeck,  Sigmund 
Grimm,  Christoph  Wirsung,  Aehilles  Priminius  Gasser,  Jo- 
hannes Moibanus,  Leonhard  Rauwolf  und  Georg  Heuisch. 

—  In  demselben  Bande  derselben  Zeitschrift  (S.  173 — 227)  hat  ein 
Augsburger  Gelehrter  geistlichen  Standes  eingehenden'  Behandlung 
gefunden:  „Der  Humanist  Veit  Bild,  Mönch  bei  St.  Ulrich." 
Verfasser  des  Aufsatzes,  Dr.  Alfred  Schröder,  bischöfl.  Archivar, 
konnte  für  seine  Aufzeichnungen  aus  bester  Quelle  schöpfen,  da 
ihm  im  Archive  des  bischöflichen  Ordinariates  Ausgsburg  die  3  Bände 
umfassenden  wichtigen  Briefe  Bilds  zur  Verfügung  standen,  welche 
zum  grössten  Teile  noch  unged nickt  und  für  die  Biographie  ilm's 
Verfassers  bislang  nicht  in  gebühnMider  Weise  ausgenutzt  worden 
sind.  1481  zu  Höchstädt  geboren,  machte  Bild  seine  Studien  in 
der  Vaterstadt  und  sodann  auf  der  Universität  Ingolstadt,  wo  er 
Jakob  Locher  und  Johann  Stabius  mit  Stolz  zu  seinen  Lehrern 
zählte.  Nachdem  er  3  Jahre  eine  Pfarrschreiberstelle  in  Augsburg 
bekleidet,  trat  der  bis  dahin  etwas  leichtlebige  Jüngling,  durch  ein 
Traumgesicht  geschreckt,  1  503  in  dem  dortigen  Kloster  zu  St.  Ulrich 
als  Novize  ein  und  legte  im  folgenden  Jahre  die  bindenden  Gelübde 
ab.  Mit  Spalatin  und  Oekolampad  stand  er  in  brieflichem,  mit 
Peutinger  in  persönlichem  Verkehr.  Er  starb  in  der  2.  Hälfte  des 
Jahres  1529.  —  In  den  Sprachen  trotz  allen  Eifers  ziemlich  unbe- 
deutend, angesehen  als  Mathematiker,  hat  Bild  seine  Stärke  auf 
theologischem  Gebiete.  Obwohl  begeistert  für  Luther,  der  ihm  ein 
neuer  Elias  ist,  hat  er  mit  seiner  Kin'he  doch  niemals  ganz  gebrochen. 

—  Von  den  zahlreichen  unged  nickten  Briefen  von  und  an  Bild,  soweit 
sie  von  Bedeutung  sind,  giebt  Schi  öder  am  Schlüsse  seiner  Arbeit 
kurze  Regesten.  Als  Anhang  sind  18  der  wichtigsten  in  ihrem  voll- 
ständigen Wortlaut  abgedruckt  B. 


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C.  Nachrichten 


Der  Aufsatz  von  Nicoladoni  über  „Hans  Sachs  und  die  Refor- 
mation", den  wir  in  dienern  Hefte  abdrucken,  stellt  den  Dialog  des  Sachs 
vom  Jahre  1524  „Ein  gesprech  eyncs  Evangelischen  Christen  mit  einem 
Lutherischen,  daryn  der  Ergerlicli  wandcl  etlicher,  die  sych  Lutherisch 
nennen,  angezeigt  und  bruderlich  gestraft  wirt.  Hans  Sachss.  MDXXIIII. 
Sccunda  Corinth.  IV.  Ijisst  uns  niemand  yrgend  ein  ergennüss  geben  auf 
das  unser  ampt  nicht  verlestert  werd,  sondern  yn  allen  Dingen  lasst  uns 
beweysen  wie  die  Diener  Gottes"  —  so  lautet  der  genaue  Titel  —  mit 
Recht  in  den  Mittelpunkt  der  Erörterung.  Von  dieser  Schrift,  die  zweifellos 
nelien  der  „Wittenbergischen  Nachtigall"  die  interessanteste  und  wichtigste 
unter  den  polenuschen  Refonnationssehriften  des  Sachs  ist,  muss  die 
Beurteilung  der  Stellung  ihren  Ausgang  nehmen,  die  Sachs  bis  zum 
Jahre  1525  stur  Reformation  eingenommen  hat.  Aber  während  die  „Witten- 
bergischo  Nachtigall"  in  der  älteren  und  neueren  Litteratur  sehr  vielfach 
ltcsprochen  worden  ist,  auch  Neudrucke  und  Ausgaben  zahlreich  vor- 
liegen, ist  der  obige  Dialog  bisher  wenig  dachtet  worden  und  Ausgaben 
dessell>en  sind  selten.  Ein  Exemplar  findet  sich  in  der  Königl.  Paulinischen 
Bibliothek  zu  Münster  (2  Bogen  4°).  Ein  Auszug,  der  denjenigen  Nieoladonis 
in  wesentlichen  Punkten  vervollständigt,  findet  sich  bei  Keller,  Johann  von 
Staupitz  und  die  Anfänge  der  Reformation,  Lpz.,  S.  Hirzel  18HS  S.  183  ff. 

Man  weiss,  dass  Hans  Sachs  bald  nach  seinem  Tode  der  Vergessen- 
heit und  im  Laufe  des  17.  Jahrhunderts  wenigstens  unter  den  Vertretern 
der  kunstgelehrten  Dichtung  völliger  Missachtung  anheim  fiel,  derart, 
dass  ein  Hamburger  Epigrammendichter  ihn  im  Jahre  1 702  in  einem  komisehen 
Heldengedichte  als  ersten  unter  den  schlechten  Reimern  und  Schwachköpfen 
verhöhnen  konnte.  Da  ist  es  nun  für  uns  sehr  beachtenswert,  dass  die 
Männer,  die  ihn  wieder  zu  Ehren  brachten,  Vertreter  comenianischer  Denkart 
waren:  Christian  Thomasius  und  Gottfried  Herder.  Thomasius 
sprach  es  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  ans,  dass  Sachs  mit  Recht  den 
Titel  eines  deutschen  Homers  für  sieh  beanspruchen  könne,  und  Herder  war 
es,  der  Göthe  auf  ihn  hinwies,  der  1775  das  Ehrendenkmal  von  Hans  Sachs 
poetischer  Sendung  stiftete.  Hiermit  stimmen  folgende  Thatsachcn  merk- 
würdig überein.  Ebenso  wie  Hans  Sachs  waren  die  Meistersinger  überhaupt 
der  Vergessenheit  oder  völliger  Missachtung  anheimgefallen.  Als  nun  im 
Jahre  1097  Wagenseil  in  Folge  beabsichtigter  obrigkeitlicher  Massregeln 
gegen  die  in  Nürnberg  erhaltenen  Reste  dieser  Einrichtung  sich  veranlasst 
sah,  die  Geschichte  der  Meistersinger  zu  untersuchen  —  W.  veröffentlichte 
seine  Ergebnisse  in  seinem  Buch  De  Civitate  Norimbergcnsi  Commcntatio, 


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Nachrichten. 


Heft  !>  u.  10. 


Altdorf  l»il>7  -  ,  da  war  es  nach  W.'s  <'ig«'ii«'r  Aussage  (a.  a.  O.  p.  50h 
Gotfried  Thomasius,  der  ihm  einen  Toil  den  für  »eine  Zwecke  erforder- 
lichen handschriftlichen  Material*  aus  eigenen  Sammlungen  zur  Verfügung 
stellte.  -  Die  einzigen  Männer,  die  sich  außerdem  in  wohlwollendem  Sinne 
mit  den  Meistersingern  während  des  17.  Jahrhunderts  lieschäftigt  haben, 
sind  die  Mitglieder  der  sog.  Sprachgesellschaften  gewesen,  besonders  (Jeonr 
Philipp  Harsdürffer  (t  1G58),  der  Gründer  des  Pegnesischen  Blumenordens, 
der  im  4.  Teil  seiner  „G««sprächspi<'le"  der  Meistersinger  freundlich  gedacht«-. 

Unter  Hinweis  auf  den  Aufsatz  K.  Mämpels  über  Abälard  und  Lewing, 
den  wir  in  diesem  Heft  veröffentlichen ,  wollen  wir  nicht  unterlassen ,  zu 
Iwmerken,  das*  ein  anderes  Mitglied  der  O.G.,  (»abr.  Coiupayr6  in  Poitiers, 
kürzlich  eine  interessante  Schrift,  über  A.  veröffentlicht  hat;  sie  führt  den 
Titel  „Abälard  und  der  Ursprung  und  die  früheste  G<>scbichte  der  Universi- 
täten" (London  189.L  8°.  VIII,  2M>  u.  53  SS.).  —  Kin  anden-s  neueres 
Huch:  „Abälards  1121  zu  Soissons  vcrurtheilter  Tractatus  de  unitate  et 
trinitate  divina.  Aufgefunden  und  erstmals  herausgegnben  von  Dr.  R.  Stölzle. 
Freiburg  i.  Br.  Herder  18!H.  XVI  u.  101  SS."  wird  der  Mehrzahl  unserer 
L«>ser  liekannt  sein.  -  Unter  den  zahlreichen  Schülern,  die  zu  A.'s  Füssen 
gesessen  haben,  findet  sich  auch  der  Name  des  Arnold  von  Brcsci«. 

Soeljon  ist  mit  Ausgabe  des  12.  Heftes  die  seit  1S82  im  Erscheinen 
begriffene  Geschichte  «1er  Stadt  Siegen  von  Dr.  H.  toii  Achenbach, 
Staatsminister  und  ()t>erpräsident  in  Potsdam,  zum  Abschluss  gekommen. 
Die  Ges<'hichte,  «lie  nach  und  nach  in  der  „Siegener  Zeitung"  zum  Abdruck 
gekommen  ist  (Druck  von  W.  Vorländer  in  Siegen),  bautet  mehr  als  der 
Titel  sagt:  sie  bringt  zugleich  wichtige  Beitrage  zur  Geschichte,  bcsomlcrs 
«ler  Cult Urgeschichte,  der  nassau-oran  isehen  Lande  überhaupt  und  hat 
bei  den  nahen  Beziehungen  dieses  Hauses  zum  Forschungsgebiet  der  CG. 
auch  für  uns  Interess«>.  Wir  verweisen  in  «lieser  Beziehung  unter  anderem 
auf  den  Abschnitt,  der  in  Heft  0  S.  1 1  ff.  über  die  Grafcnsehule ,  die 
h«»he  Schule  und  die  Kriegsschule  handelt.  Graf  Johann  von  Nassau 
(g«'b.  am  22.  Nov.  1530),  der  Bnuler  des  Prinzen  Wilhelm  von  Oranien,  des 
Befreiers  der  Niederlande,  und  Begrfuuler  d«-s  ref.  Bekenntnisses  in  «len 
nassau-oranischen  Gebieten  (1578).  war  ein  whr  thätiger  Beschützer  und 
Freund  des  Schulwesens;  besonders  besaasen  auch  die  Volksschulen  in 
ihm  einen  eifrigen  Fönlerer.  Seine  Pläne,  eine  hohe  Schule  zu  errichten 
sie  trat  am  1.  Juli  1584  zu  Herboni  ins  IaIm'u  sollen  bis  in  das 
Jahr  1 5#»<i  zunickreichen;  es  gelang  ihm,  für  die  Anstalt  hochberühmte 
Männer  zu  gewinnen,  und  schon  in  den  Jahren  1585  und  1580  studierten 
ni«-ht  weniger  als  15  IbMchsgrafen  zu  Herbom,  nämlich  Wilhelm  und  Ludwig 
von  Say n  -  Wi 1 1  gens t  ein  ,  Ernst,  Philipp,  Wilhelm,  Reinhard  von  Solms, 
Frnst  Casimir  und  Ludwig  Günther  von  Nassau,  Ludwig  und  Alliert  von 
Hanau,  Kberwein  Wirich,  Adolph  und  Arnold  Jodocus  von  Bentheim, 
Johann  Wilhelm  und  Hennann  von  Wied.  Später  mehrte  sich  die  Zahl 
der  Ausländer;  aus  Schlesien.  Böhmen,  Mähren,  Polen,  Ungarn,  Schottland 
kamen  sie  —  darunt<-r  auch  Job.  Arnos  l'omenius.  —  Das  Achenbachsche 


1M94. 


Nachrichten. 


Werk  ist  auf  Grund  sorgfältiger  Quellenstudien  hearlicitct ;  der  Umfang 
dessen,  was  hier  zum  ernten  M»d  ans  den  Urkunden  ans  Licht  tritt,  ist  «ihr 
bedeutend,  und  er*  wäre  sehr  zu  belauern,  wenn  das  Buch  nicht  durch  den 
Buchhandel  allgemein  zugänglich  werden  sollte. 

Herr  Professor  J.  Kvacsala  hat  seit  seiner  Ohersiedelung  an  die 
Universität  Dorpat  seine  Oomenius-Studien  mit  bestem  Erfolge  fortgesetzt. 
Auf  grosseren  Reisen,  die  ihn  bis  nach  den  Vereinigten  Staaten  führten,  hat 
er  die  von  ihm  angelegte  Brief-  und  l'rk  unden -Sammlung  sehr  er- 
heblieh l>erciehert.  Da**  die  Briefsamiulung,  die  Patera  im  Jahre  lN'.U 
herausgegeben  hat  (s.  M.  H.  der  O.G.  1H02  S.  2S1H,  wesentliche  Lücken  bot, 
war  bekannt;  es  ist  daher  sehr  erfreulich,  das*  Kvacsala  noch  im  Laufe 
dieses  Jahres  den  Druck  seines  Ergänzungsbandes  wird  l>eginnen  können. 
K.'s  Biographie  des  ('.,  die  zuerst  in  deutscher  Sprache  erschien,  wird  jetzt 
auch  ins  Russische  übersetzt.  —  Herr  Prof.  Kvacsala  ist  der  CG.  als  Stifter 
auf  Lebenszeit  beigetreten. 


Prof.  Dr.  Frz.  von  Krone*  in  Graz  veröffentlicht  in  der  von  Dr. 
G.  Steinhansen  herausgegebenen  „Zeitschrift  für  Kulturgeschichte"  (1.  Folge 
Bd.  II,  Heft  1  S.  1—31)  eine  Studie  unter  dem  Titel  „Karl  von  Zierotin 
und  sein  Tagebuch  vom  Jahre  1591",  die  uns  hier  wegen  der  Person  des 
Verfassers  interessiert.  Es  ist  derselln?  Karl  von  Zierotin  (geb.  am  11.  Sep- 
tember 1501  zu  Brandeis  an  d.  Adler),  der  durch  seine  nahen  Beziehungen 
zu  Comenius  bekannt  geworden  ist  (s.  M.H.  der  CG.  1  K'.)2  S.  'JO.  2'2.  19f>. 
201  u.  1893  S.  05),  und  der  im  öffentlichen  Iielwn  Mährens  eine  grosse  Be- 
deutung gewonnen  hat.  Er  war  ein  eifriger  und  einflussreicher  Anhänger 
der  böhmischen  Brüder,  ebenso  wie  sein  Vetter  Friedrich  von  Zierotin 
um  dieselbe  Zeit  der  Beschützer  der  „mährischen  Brüder*',  d.  h.  der  Täufer- 
gemeinden in  Mähren  war  (s.  n.  A.  Lottert  h,  der  Communismus  der 
mährischen  Wiedertäufer,  Wien  1S94  S.  08  f.».  Karls  Vater,  Johann  von 
Zierotin,  gründete  die  berühmt  gewordene  Brüderschule  zu  Eibenschülz  und 
schuf  die  Druckerei  zu  Kralitz,  an  die  sich  eine  neue  Littcratiirc]tochc 
Mährens  knüpft.  An  der  Brüderschulc  zu  Eibenschütz,  wo  damals  u.  a. 
der  wegen  seines  „Kryptoealvinismus"  aus  Wittenberg  verdrängte  Professor 
der  Theologie  Erasmus  Rüdiger  wirkte  (t  1501),  erhielt  Karl  seine  Vor- 
bildung und  setzte  dann  seine  Studien  auf  deutschen  ref.  Hochschulen  in 
Genf,  Basel,  Heidelberg  fort  ,  wo  er  u.  a.  dauernde  Freundschaft  mit  .loh. 
Jac.  Grynaeus  <t  lbl7)  anknüpfte.  „Der  Humanismus  (sagt  Frz.  von  Krones 
a  O.  S.  3),  welcher  die  damalige  Bildung  des  mährischen  Hochadcls  durch- 
drang und  nährte,  beseelte  auch  unsern  Zierotin,  ohne  die  starke  religiöse 
Empfindung  abzuschwächen,  welche  ihn,  den  Genossen  der  Brüdergemeinde, 
mit  der  reformierten  Kirche  innig  befreundete  und  mit  dem  Ideale  eines 
alle  Glaubensverwandten  umfassenden  Bundes  erfüllte."  Diese 
Schilderung  passt  genau  auf  den  30  Jahre  jüngeren  Comenius.  Man  muss 
da*  Wesen  und  die  Art  solch  ausgezeichneter  Männer  studieren,  um  zu  be- 
greifen, wie  es  möglich  war  und  ist,  zugleich  Weltbürger  zu  sein  und  doch 
ein  starkes  Nationalgefühl  zu  besitzen,  zugleich  für  die  Einigung  der  ge- 


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338 


Nachrichten. 


Heft  9  u.  10. 


trennten  Bekenntnisse  zu  wirken  und  doch  ein  eifriger  Anhänger  ßeiner 
besonderen  Religionsgemeinschaft  zu  sein.  Es  ist  ein  Verdienst  von  Krone» 
und  von  der  Zeitschrift  für  Kulturgeschichte,  dass  sie  neuerdings  die  Auf- 
merksamkeit weiterer  Kreise  auf  diesen  seltenen  Mann  gelenkt  hat.  Die 
Conienius-Gesellschaft ,  der  ein  Nachkomme  Karls,  Herr  Graf  Zierotin 
auf  Blauda  in  Mähren,  seit  ihrer  Begründung  angehört,  wird  gern  alle 
weiteren  Bemühungen  unterstützen,  die  Geschichte  des  berühmten  Ge- 
schlechtes weiter  aufzuhellen. 

Wir  haben  schon  früher  (s.  M.M.  der  CG.  1894  B.  07)  Gelegenheit 
genommen,  die  Schrift  von  W.  Tangermann,  Natur  und  Geist.  Speku- 
lative Erörterungen  zur  Erläuterung  und  Erweiterung  kosmologischer  und 
anthropologischer  Begriffe.  Gotha,  Fr.  A.  Perthes  1804  (XIV  und  01  S. 
Preis  M.  1.60)  den  C.Z.G.  und  C.K.  sowie  den  Mitglied- Vereinen  der  CG. 
zur  Anschaffung  und  Besprechung  zu  empfehlen.  Der  hochbetagte  und 
ehrwürdige  Verfasser  tritt  hier  wie  in  allen  seinen  Schriften  für  die  sieg- 
hafte Macht  des  Idealismus  in  die  Schranken,  den  er  mit  gutem  Grund 
durch  mächtige  negative  Strömungen  unserer  Zeit  bedroht  sieht.  Obwohl 
Tangermann  an  sich  selbst,  ebenso  wie  Comenius,  die  vielgestaltige  Bosheit 
der  Menschen  hinreichend  erfahren  hat,  will  er  doch,  ebenso  wie  jener,  den 
Glauben  an  die  Menschen  nicht  aufgeben  und  er  ist  von  der  Hoffnung 
erfüllt  (S.  XIII),  es  werde  die  gegenwärtige,  offenbar  einseitige  Zeitströmung 
ihren  Lauf  vollenden,  so  das«  wieder  eine  tiefere,  edlere  und  trost- 
vollere Welt-  und  Lebensanschauung  in  die  weitesten  Kreise  dringt.  Freilich 
erwartet  er  diese  Erneuerung  nicht  von  den  überlieferten  Schnltheorien, 
sondern  von  Ideen,  die  die  Gemüter  der  Menschen  in  ihrer  Tiefe  ergreifen. 
—  Wir  wiederholen  unseren  Wunsch,  dass  unsere  Mitglieder  und  Freunde 
sich  mit  dieser  Schrift  Tangemianns  bekannt  machen. 

Wir  hallen  bereite  früher  (s.  M.H.  der  CG.  1804  S.  237  und  275) 
an  einzelnen  Beispielen  gezeigt  —  es  wurde  namentlich  auf  das  Gymnasium 
Schönaichianum  in  Beutben  und  auf  die  Lateinschule  in  Crossen  hin- 
gewiesen — ,  wie  viel  die  Schulen  Schlesiens,  der  Lausitz  und  der  Mark  den 
böhmischen  Brüdern  und  insbesondere  Comenius  verdanken.  Wir  möchten 
heute  auch  auf  die  Geschichte  des  Gymnasiums  in  Lauban  hinweisen. 
Gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderte  reorganisierte  die  Stadt  ihre  höhere  Schule 
und  berief  zuerst  als  Rektor  den  M.  Georg  Wende  und  sodann  als  dessen 
Nachfolger  M.  Gottfried  Hoff  mann,  der  aus  Plagwitz  bei  Löwenberg 
stammte  und  das  Rektorat  der  Laubaner  Schule  1605  antrat.  Hoffmann 
gehörte  zu  den  gediegensten  Schulmännern  jener  Zeit;  er  war  im  Geist  des 
Comenius  erzogen  und  befolgte  dessen  Grundsätze  in  der  Leitung  seiner 
Anstalt.  Sein  Ruf  als  Sehulmann  verschaffte  ihm  1708  einen  Ruf  nach 
Zittau,  wo  er  1712  starb.  (Näheres  in  der  Beilage  zum  Laubaner  Tage- 
blatt vom  12.  Okt.  1803.)  —  Es  ist  erfreulich,  dass  man  in  jenen  Städten 
anfängt,  sich  der  Verdienste  dieser  Männer  zu  erinnern,  und  wir  begrüssen 
es,  dass  die  Anstalten  (wie  z.  B.  Crossen)  ihrem  Wunsch,  die  alten  Über- 
lieferungen zu  pflegen,  durch  ihren  Anschluss  an  die  Conienius-Gesellschaft 


1894. 


Nachrichten. 


33Ö 


Ausdruck  geben;  hoffentlich  werden  andere,  wie  Lauban  und  Beuthen, 
darin  hinter  den  kleineren  Anstalten  nicht  zurückstehen. 

Das  Antiquariat  von  Albert  Cohn  in  Berlin  (\V.  Mobrenstr.  53)  zeigt 
in  Kat.  204  einige  Schriften  an,  die  für  unser  Forschungsgebiet  von  Interesse 
sind.  Eine  kleine  Schrift  „I^ehr-Gcsänge  von  Kristus  Nachfolgung4'  (nach 
Thomas  von  Kempen),  erschienen  bei  Johann  Hofmann  in  Nürnberg  1075, 
gewährt  Kinblick  in  die  religiöse  Gedankenwelt,  wie  sie  von  Angehörigen 
des  „Palmenordens"  damals  gepflegt  wurde.  Sie  beweist  zugleich,  dass 
diese  Gesellschaften  und  Orden  sich  keineswegs  bloss  mit  der  Pflege  der 
deutschen  Sprache  und  der  Pnesie  beachnftigt  haben;  die  Gesänge  sind  ver- 
fasst  von  Philipp  von  Zesen,  in  Musik  gesetzt  von  dem  Mitgenossen  der 
höchst  preiswürdigen  „deutschgesinnten  Genossenschaft"  und  Predigern  der 
„Gemeine  Gottes"  zu  Magtieburg  Malachias  Siebenhaar,  gewidmet  dem 
Herrn  Georg  von  Schöbe!  und  Rosenfeld,  Mitglied  der  „Fruchtbringenden 
Palmengescllsehaft"  und  der  „deutschgesinnten  Genossenschaft".  —  Den 
Liedern  sind  die  Noten  beigegeben;  sie  waren  also  zum  praktischen  Gebrauch 
in  den  Zusammenkünften  bestimmt. 

Es  ist  wiederholt  hervorgehoben  worden,  dass  Conienius  freundschaft- 
liche Beziehungen  zu  (Jeorg  Philipp  Harsdiirffcr  (geb.  1.  Nov.  1007, 
gest.  22.  Sept.  1058),  dem  Gründer  des  Blumenordens  gehabt  hat.  Weniger 
bekannt  scheint  die  Thatsache  zu  sein,  dass  auch  Philipp  von  Zcseu 
(geb.  zu  Priorau  bei  Dessau  8.  Okt.  1010),  der  Gründer  der  deutschgesinnten 
Genossenschaft,  zu  Conienius  und  dessen  Freundeskreis  Beziehungen  freund- 
schaftlicher Natur  besessen  haben  muss.  In  dem  soeben  ausgegebenen 
Katalog  von  M.  Spirgatis  in  Leipzig  findet  sieh  folgende  Ausgabe  des 
Vestibulum  angezeigt : 

Joh.  Arnos  Comeni  Portael  der  Saeckcn  en  Spraecken.  Vestibulum 
rerum  et  linguaruni.  Die  Vortühre  der  Sachen  und  Sprachen.  Arastelo- 
dami.    Apud  Joannem  Ravesteinium  1073.  8". 

Aus  dein  Untertitel  und  der  Vorrede  ergiebt  sich,  dass  der  Veranstalter 
der  Ausgabe  Johannes  Seidelius  in  Amsterdam  und  Jacob  Redinger  waren, 
dass  der  Verfertiger  der  deutschen  Übersetzung  Philipp  von  Zesen  ge- 
wesen ist.  Die  von  Jacob  Redinger  (s.  über  ihn  M. H.  der  CG.  1803 
S.  51  ff.  und  S.  147)  liesorgte  holländische  Ausgabe  des  Vestibulum  erschien 
zuerst,  soviel  mir  Inkannt  ist,  im  Jahre  1058.  Dass  die  deutsche  Über- 
setzung erst  in  der  späteren  Ausgabe  beigefügt  ist,  ergiebt  der  I  ntcrtitel 
durch  den  Zusatz:  Atque  nunc  Germanica  versione  donatum  opera  Philippi 
Cacsii  a  Zesen.  Die  Zesenschc  Übersetzung  ist  übrigens  allen  zur  Beachtung 
zu  empfehlen,  die  die  Verdeutschung  der  Schulsprache  erstreben. 
Es  wäre  von  Interesse,  über  die  persönlichen  Beziehungen  des  Conienius  zu 
den  Führern  der  deutschen  Sprachbewegung  weiteres  zu  erfahren.  Vielleicht 
ist  einer  unserer  Leser  im  stände,  hierüber  nähere  Aufklärung  zu  geben. 

Derselbe  Katalog  von  Spirgatis  enthält  verschiedene  Bücher,  die  für 
uns  von  Interesse  sind,  z.  B.  die  äusserst  seltene  zweite  englische  Ausgabe 


840 


Nach  rieh  ton. 


Heft  0  u.  10. 


der  Porta  linguarum  trilinguis  reserata  von  Comenius,  die  Joh. 
Anehnr  besorgt  und  Thomas  Cotes  sumptibus  Michaeli»  Sparkes  London  1633 
gedruckt  bat  (Preis  24  M.).  -•-  Auch  einige  ältere  Ausgaben  von  Scb.  Francks 
Schriften,  nämlich  einen  seltenen  Mülbäuser  (im  Eis.)  Druck  von  lööl  der 
Schrift  De  arborc  scientiac  boni  et  mali  und  eine  Ausgabe  der  Übersetzung 
von  Erasmus  Enconiium  Moriae  und  Agrippaa  Lob  des  Esels  aus  lOttb*  finden 
sich  dort,  besonders,  sei  hingewiesen  auf  die  zu  Augsburg  l»ei  Othmar  im 
Jtdire  15i'7  erschienene  Ausgabe  der  von  Denck  und  Hätzer  veranstalteten 
Übersetzung  der  Propheten,  »leren  Treue  und  Fleiss  von  Luther  ausdrücklieh 
anerkannt  worden  ist  (Preis  140  M.). 

Die  Reste  der  böhmischen  Brüder  hatten  sich  seit  der  Zeit,  wo  der 
Westfälische  Friede  ihren  Untergang  als  Gemeinschaft  l>esiegelte,  meist  den 
]{e formierten  angeschlossen,  denen  eben  jener  Frieden  ein  rechtliche»» 
Dasein  gesichert  hatte.  Die  Reformierten  zeigten  sich  weitherzig  genug,  um 
den  Brüdern  auch  dann  Aufnahme  zu  gewähren,  wenn  diese  die  Anerkennung 
streng  calvinistischer  Grundsätze  ablehnten.  Die  Erneuerung  des  Andenkens 
an  Comenius  hat  nun,  wie  zu  erwarten  war,  das  Bewu&stsein  der  Verwandt- 
schaft zwischen  den  heute  noch  vorhandenen  Reformierten  und  den  Über- 
lieferungen der  böhmischen  Brüder  von  neuem  gestärkt  und  in  ver- 
schiedenen Erscheinungen  tritt  der  Wunsch  zu  Tage,  an  die«?  Überlieferungen 
wieder  anzuknüpfen.  Am  1.1.  -1"».  März  d.  J.  hat  zu  Prag  der  IX.  l'onvent 
der  böhmischen  ev.-ref.  Diözese  getagt.  Der  Convent  (Synode)  fasste  mit 
Einhelligkeit  den  Bescbluss,  auf  der  nächsten  Generalsynode  die  Wieder- 
einführung des  Katechismus  der  Böhmischen  Brüder  von  100*3 
und  löOS  in  den  Gebrauch  der  ref.  Kirche  und  Sehlde  zu  beantragen  und 
es  scheint  alle  Aussicht  vorhanden  zu  sein,  das»  dieser  Antrag  zur  Annahme 
gelangt.  Ferner  hat  am  3.  Mai  ds.  Js.  zu  Berlin  eine  Versammlung  der 
ev.-ref.  Bethlehems  -Gemeinde  stattgefunden,  die  beschlossen  hat,  den  An- 
spruch auf  alle  ihr  durch  Königliche  Gnade  einst  verliehenen  Rechte,  soweit 
sie  verloren  oder  verdunkelt  wurden,  wieder  zu  erheben,  und  unter  diesen 
Ansprüchen  wird  an  erster  Stelle  die  Forderung  erholen,  «läse  der  Gemeinde 
ihr  ursprünglicher  Namen:  „ev. -reformierte  böhmische  Kolonie-Ge- 
meinde4* wiedergegeben  werde.  Die  Gemeinde  ist  eben  von  eingewanderten 
böhmischen  Brüdern  und  Reformierten  gegründet  worden,  denen  der  Grosse 
Kurfürst  ein  Asyl  in  seiner  Residenz  geboten  hatte.  Dieser  war  es  ja  auch, 
der  im  Jahre  1648  die  Aufnahme  der  Reformierten  in  den  Rcligionsfrieden 
durelisetzte  und  damit  verhinderte,  dass  ihnen  in  Deutsehland  das  gleiche 
Schicksal  widerfuhr  wie  den  Brüdern  in  Österreich  und  Polen. 

Ad.  Ilarnack  hat  in  seinem  Buch  über  die  „Lehre  der  zwölf  Apostel", 
Leipzig  1SS4  S.  2(it)  ff.,  auf  die  merkwürdige  Verwandtschaft  lungewiesen, 
die  sich  zwischen  der  Kirchen -Verfassung  der  sog.  Waldenser  des  Mittel- 
alters und  den  in  der  „Lhre"  (Didaehc)  geschilderten  altchristlichen  Ein- 
richtungen finden,  und  betont,  dass  nach  Wiederauffindnng  der  Didaehc  die 
Frage  ernstlich  erwogen  wenlen  müsse,  ob  bei  den  Waldensern  und  denn 
Kirchenordnung  nicht  vorkatholische  Überlieferungen  aus  alter  Zeit  eine 


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1891. 


Nachrichten. 


:i41 


Hollo  gespielt  hal>en  (A.a.O.  S.  27:5).  Hilgen  fohl  hat,  wohl  im  Ansehluss 
an  diesen  Hinweis,  die  lateinische  Form  der  Didache,  von  der  O.  v.  Gebhard 
ein  Bruchstück  auffand  und  die  Prof.  Funk  später  in  einer  Handschrift  des 
Klosters  Melk  wiederentdeckte,  die  „  wnldensische  Form"  genannt  (Ztseh. 
f.  wiss.  Theologie  1KS5  8.  1UU).  Vielleicht  wollte  Krawutzky,  der  die 
Didache  in  d.  Theol.  Quartalschrift  1SS4  S.  547-607  von  römisch-katholischem 
Standpunkt  aus  besprach,  etwa«  Ähnliches  andeuten,  wenn  er  sagte,  dass 
sie  in  „häretischer  Weise1-  bearbeitet  sei.  Wie  dem  auch  sein  mag,  so  steht 
doch  fest,  dass  es  von  grossem  Interesse  wäre,  den  Beziehungen  der  Didache 
zu  den  ausserkirehlichon  Christen-Gemeinden  einmal  genauer  nachzugehen 
und  dass  diese  Aufgabe  durchaus  in  den  Rahmen  unseres  Arl>eitsplanes 
fallen  würde.  Vielleicht  könnte  man  dadurch  der  schwierigen  Frage  nach 
dem  Ursprung  jener  (.'bristen  um  einen  Schritt  näher  kommen  Wir  wollen 
bei  dieser  Gelegenheit  auf  die  Schrift  von  Gotthold  Victor  Lechler 
Urkundenfunde  zur  Geschichte  des  christliehen  Altertums  (Leipzig,  A.  Edel- 
mann 18*0),  verweisen  und  l>emerken,  dass  IxM-hlcr  zu  den  Begründern  der 
G.G.,  bis  zu  seinem  am  20.  Dezember  1888  erfolgten  Ableiten  in  sehr  freund- 
lichen Beziehungen  stand.  Kein  neuerer  Forscher  wäre  mehr  als  Lechler  im 
stände  gewesen,  die  oben  erörterte  Frage  in  die  Hand  zu  nehmen. 

Das  Antiquariat  von  Ludwig  Kosentbai  hat  als  Katalog  70  eine 
Bihliothcca  Evangelico-Theologica  —  bisher  sind  K.)  Hefte  mit  18104 
Nummern  erschienen  —  herausgegeben,  den  wir  der  Aufmerksamkeit  unserer 
Leser  mit  dem  Bemerken  empfehlen ,  dass  er  kostenlos  gegen  Einsendung 
des  Portos  ißO  Pfg.  in  Deutschland)  versandt  wird.  Es  sind  namentlich 
Schriften  des  1*5.  bis  18.  Jahrhunderts  darin  enthalten;  der  Katalog  ist  reich 
an  Schriften  der  Kirchenväter,  Vorrcformatoren  und  deren  Gegner;  Sekten 
(Böhmische  Brüder,  Hussiteu,  Jansenisten,  Quäker,  Schwcnek fehler,  Soci- 
nianer,  Wiedertäufer  etc.,  Kirchenordnungen,  Gesangbücher,  Bibeln);  exe- 
getischer, systematischer  und  praktischer  Theologie.  Als  besonders  gelungen 
müssen  wir  einige  Abteilungen  hervorheben,  die  von  dem  Sammelfleisse  der 
Firma  ein  Bild  liefern,  so  z.  B.  enthalten  die  Nr.  1502—  ,'JlOOa  Bibelsamm- 
lung  in  allen  Sprachen,  die  ersten  lateinischen  und  deutschen  Ausgaben  sind 
besonders  reich  vertreten.  Nr.  7227—7717  enthalten  eine  ausführliche  Lite- 
ratur von  und  über  Erasmus  von  Rotterdam  (und  Portrait»  desselben);  Nr. 
n:W0  11020  eine  solche  von  Ulrich  von  Hutten;  Nr.  1447!»— 14007  eine 
solche  von  Luther  (ab  Supplement  zum  Lutherkatalog  Nr.  .'tSl;  Nr.  150M 
u.  f.  eine  solche  über  Melauehthon  (hierin  ein  Authogrnphen- Album  mit 
Mclanchthons  Beitrag);  Nr.  117.").')  -12271  enthält  eine  reiche  Litteratur  über 
den  Jansenismus;  Nr.  12354  — 1250K  verzeichnet  eine  interessante  Sammlung 
der  „Indices  libronim  prohibitorum"  und  „Schriften  der  Inquisition";  Nr. 
13031 —  131*7  Kirchenoniniingen  und  Agenden  et«-,  etc.  Bemerkt  sei  noch, 
dass  der  Katalog  nicht  in  trockener  Weise  wie  die  gewöhnlichen  Antiquar- 
katalogc  l>earbeitet  ist,  sondern  eine  Unmasse  von  litteraren  Notizen,  biblio- 
graphischen Hinweisen  etc.  enthält,  die  ihn  dem  Bücherlichhabcr  sowohl  als 
auch  bewjndcrs  dem  Gelehrten  und  Forscher  interessant  machen 


342  Inhalt  neuerer  Zeitschriften.  Heft  9  u.  10. 

D.  Inhalt  neuerer  Zeitschriften. 


Ill»tari»>ch<    7,<-lt»clirin.    N.  F. 

Hil.  :C.  :i.  Il.ft.  Auf»!ltzc:  Kohert  l'ölil- 
in ii ii Ii,  Zur  (o  «clii<-litli(  Iwti  Beurteilung 
Homer».  M.  Philipp»on,  Philipp  II. 
vnti  Spanien  «iinl  die  letzten  l.el«eti»jahrc 
Murin  Stuart*.  Mi»«i-I|eu  :  B.  liehhardt, 
Wilhelm  v.  Humboldt  Dher  die  »panischen 
Crt«-».  —  l.illimturlwrit'ht.  Notizen  und 
Nu.hriilit.il. 

Archiv  ntr  PhlloMophle.  I.  Ah- 

t«-iliing  Archiv  für  <t.-»chicht>-  «ler  Phllo- 
»ophi.-.  Itd.  VIII.  Il.ft  1.  N.  K.  I.  H.I.. 
Heft  1.  IXtl:  .loh.  F.  I.initcr.  Her  Begriff 
d.M'tn  iguoninliu  in  i«.-r  g«-»chichili<-h«-n  Ent- 
wicklung. —  I'aill  !.<•  n  <•  k  f  «•  I  d  ,  Zur  logi- 
schen U-lire  von  d«-r  lndiu  ti'.n.  <te»<hi«'htliche 
f "  n  tcr-  ii.  Iiiii^.-ii.  —  Kmil  Arleth,  I'ie  l^-hre 
«l>-»  Anaxagoras  vom  <»ci»t  und  «h-r  Seele.  — 
.hilin-sls-richl  filier  »Jlmtlichf  Eivchcinungon 
»Iii  «h-m  li.-l.icie  «h-r  to-schichte  «h-r  Philo- 
sophi.-.  I.  Ih'e  |Milni»ch<-  I.ittcralur  zur  tio- 
»chichle  «l<  r  Philosophie  von  Hr.  Heinrich 
von  Struv«.  II.  Iii.-  deutsche  l.ittcratur 
filx-r  di<-  »okratischo.  platonisch«*  und  aristot«*- 
lis.he  Philosophie,  lsw.'.  Von  K.  Zeller. 
N'i-iicsto  Erscheinungen  auf  dem  tichiete  der 
(önhichte  «Li  FhiMoophip. 

Phllo«ophl»4-h«:-«i  JiihrbtM'h  der 
UorreiMrcMcIlM-liHit.  7.  Kd.  4.  Il.  ft.  l«i» : 
.1 .  Nausen.  (  her  den  platonischen  lioltc»- 
l»-griff.  i  Forts.)  C.  (i  uthe  riet,  V\«r 
M' >«lisuki  Ii  psychischer  Acte.  (Forts. i  T. 
Posch,  AI.  Schiiiid  Qhcr  die  Erkenntnis)«- hn-, 
(Sehl.l  -  «".  Th.  1 »  e  ii  kru  Ii  <• ,  l>io  1 'o|K-rili- 
kunisih.-  II vpoth.'w  und  «lieSinncstlliis«  hungen. 

Ih-censioiien   und   IMemle.  Philosophi- 
sch, r  Spnchsaal.  Zeitschriftetischaii. 
M iscellcn  und  Naehrichteii. 

Zett»ehrlf.  Ihr  Philosophie  und 
phlloftoplil*.  he  Kritik.  N.  F.  |u..  Itd 
lieft  I.  IS'.M:  Wilhelm  Enoch.  Zur 
Svstflliatik  de«  tieftihl».  A.  I'.'irillg,  l>a» 
Weltsystem  der.  Eui|>c<loklcs.  .lohanil 
I' «•  I.  i  n  g  o  r  .  I»ie  philosophisch«-!)  S.-lirift.-u 
«l<»  Nikolaus  Cusumi«,  II.  A.  C.  Arm- 
*  l  r«.n  g  j  u  Ii. ,  Die  Philosophie  in  den  Ver- 
einigten Stauten.  Übersetzt  von  F.  Koeiiig.  - 
He.vii«ionen.  Noti/.i  u.  Neu  ■•higogntigeiie 
S'hriften.     Bibliographie.    -  Au»  Zcitschrifti-n. 

Mitteilungen  der  •J«Ie»cII«>«littrt 
fllrdcutNchc  Kr*ichiirtgw-  und  Mchul- 

|rc«chtchlc.  Jahrg.  IV.  lieft  2:  I'.  Bruder, 
Das  Scliulw«-.«en  xii  Bingen  am  Khcin  willin-iul 
de«   Mittelalters.  Ii.    II  o  c  Ii  e  g  g  e  r  ,  ('her 

Itl.M  -khficll-r.  W.  Sch«. necke,  l.iinehiirger 
Schn-ih-  und  ILclieuineist«  r.  Hans  U  e  i  - 
nisch.  Instruktion  für  die  l^hn-r  «h's  Gym- 
nasium» in  Keg.nshnrg  au»  dem  Jahn-  IV>7. 

K.  lieh  m  I  i  c  h  ,  2  Stundenpläne  der  l.alcin- 
whiile  in  Wolken»!,  in  im  Frr.p  hiw  an«  den 
Jahren  17«  und  ITH«;.  Kold.  w.  y.  Schul- 
«irduiinp-ii  der  Sladt  K<iniu«liilter  II.  Plan 
für  die  Errichtung  '1er  lteaKhule  aus  dem 


Jahn?  1746.     -    B.   Kai  Huer,  Beslallunif!.- 
urkunde  für  den  Me»»iier  J.  J.1«er  i»  N«-u- 
iliri|i«-ii ,  iiliernint  Tuttlingen,  au»  dein  Jahre 
>  (ie«häftlicher  Toit. 

Hell  :\:  Krnnt  Voigt,  Kin  unl»'- 
kannh'»  I^dirhuch  d«T  Metrik  au»  dem  XI. 
Jnhrhuu.hTt.  Otto  Mayer,  Zwei  Em- 
pfehlung«»chreilM'n  für  den  M.  titurg  JegiT 
zur  ltewerhimg  um  da»  Scliul-Itektorat  der 
freien  lti'ich»<itJidt  Esslingen  von  dein  lleku.r 
und  einem  Lehrer  «h-r  Artisten-  und  Medi- 
riner-l'niversittlt  in  l'iulua  au»  dem  Jahre  1 1.VJ. 

Friedrich    Schmidt,     Eine  cpist.da 
*uii»oria  «le»  Prinzen  Wilhelm  von  Hävern  au» 
dem  Jahn*  IÖ62.     Ein  Beitrag  zur  Charak- 
teristik verschiedeniTTnivernitilten  und  lJinder. 
—  M.  Wöhrmann,   I>ie  Uinputatioiien  am 
Päilagogiuin   (akailemiwhen   <iynina«inm i  in 
Stettin.         <i.   Seil«»,    Zur  Üenchicht«?  «ler 
Schuh-  in  Wilde«hau»eu  im  Herzogtum  Olden- 
hurg  vom  Mittelalter   hia  in  da»  In,  Jahr- 
hundert n«'l>»t  urktinillic-h«-n  Iteitragi  n  uu»  den 
I   .lahnu  I.ViS  und  V*l.  -  Hichard  Pahn.  r, 
i    Ein  Itevisionitlx-richt  Oln-r  «Ii.-  im  llallise|Mn 
|    Viertel  zu  J<eipzig  lK  slehend.  il  Wink.  Ist  holen 
,   und  «in«-  »•.-iteren  Folgen  (1711«.       Zur  »ie- 
»chichte  «ler  Schulhihel.      -   Verw-ii'hni»  «ler 
im  Jahr«-  1K!«2  erschienenen  Verfiffentlichiiug<-ii 
xnr  deutJ»ch«  u  Erziehung»-  und  S<*hHlge»chichU-. 
(i.  »ihflfüich.  r  T.  il. 

Revue  Internationale  de  Pen- 
«eignenient.  14.  ann.V.  No.  U.  lieorge» 
l.ufay,  U-s  gr»  «  »  pnif«-».si-ur»  de  |Ma'-»ie  «  h.-z 
I,-»  Komain».  Ulli  30  av.  J.-C.i  (Fin.l  A. 
«iaxier,  I»ociiinent»  im-dits  |>«.ur  su-rvir  .\ 
l'histoin-  de  l'inütnicti.m  piihli«|ue  (icndaiil  la 

rev.iluti  17^1    1H02).    (Fin.i         All.,  de 

Berzeviczy,  Ui  «piestion  «le  lVtliicaü.ili 
phy  xii|ue. 

Bulletin  de  la  Moelltl  d'hlMolre 
Vaudoline.  Nr.  It.  Avril-Aoüt  18" '4 
Tour,  Impriimrie  Alpina):  Storia  d«-i  Signori 
«Ii  l.usernu.  Parte  la.  M«-dio  Evo  f  P.  Ki  v <•  i  rei. 
l(ihlio^ni|ihi«-  I.  ui  gl  Amahile,  II  siuito 
officio  d.  lla  iiKpiifizione  in  Naptdi  i  P.  Itivoin  t. 

A  r  t  u  r..  M  u  »  t  oti ,  tiiovan  Luigi  Pa-»ch»l«-. 

P.  Font  an  a,  Hoouincnti  Vnlicani  ruiitm 
r.n-sia  lulerana  in  lUilin  (1».  Jahnri.  --  A. 
Bei  1..1..I  ti .  Martiri  dcl  liher»  j«-!i»iero  .- 
vittime  «L  ila  f*.  In«iui»i/i.»ne  nel  #-c.  l.V  a  1?' 
(1>.  Jahi.  n.  N.-en.h.gH-.  BihliotlKHpi.-  et 
Anhiv.*. 

Jahrbuch  der  («teftellMehafi  flir 
die  «UeM-hiehle  «le»  l»r<»l«-%t«ii« imnii«« 
In  <>»lerreleh.  I'..  Jahrg.  tlrtilh  lieft  11. 
Inhalt;  Ui.-  ••vungi-lim-hcii  Kirch«nordnung<-ii 
Dstern  i.  h».  Von  Prof.  I>r.  Eoe  «c  h  e.  Bei- 
trilge  zur  (i«-»ehichte  d«-»  Prol.-sUintisinu»  in 
Istrien  und  Triest  Von  Hr.  E.  Srhatzinay  r. 
-  l»ie  IniivhfQhrung  «h-r  < ..  gi-iic  fonualion  in 
l'ugan  im  Jahn-  PK*;.  Mitgeteilt  von  Hugo 
W.  ig.-I.  B.-richl  <!«•!«  Central vorKUiulr« 
'   lils-r  «la»  Yeti  iiisjuhr  ls!«.!. 


Buchdntck.-ivi  v„n  Johanne»  Bn-dl,  Münnter  i.  Wcslf. 


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Personen-  und  Orts-Register 

zum  dritten  Band  (1894)  der  Monatshefte  der  C.  G. 


IW  H^iM.  r  ist  im  IFinl.lick  auf  .Ii.-  >Wn  pwhichillrlirr  IV™,m-n  und  Ortsnamen  ImrMt-t. 
Hi.-  HiirhmalM>n  C  und  K,  V  und  V,  I  und  .1  nind  yi-i-ImiiimVii. 


Ahälard,  p.  2Ü1  ff.  33<L 
Abot,  Li.  8LL  212i 
Aehelis,  E.  C.  Hill 
Achenbach,  IL  v.  33(i. 
Acontius  Trebiensis,  E.  Iii. 
Acquoy,  Dr.  lüL 
Adalbert  v.  Toacana  lfiL 
Adami,  T.  1ÜL 

Albert  inj,  Bruderbischof  iHäliäX 
äü.  IL 

Alexander  de  Villa  Dei  Liü 

Aisted,  J.  iL  ILL  3JL  Iii  ff.  1 1  st 

Altdorf  IRL 

Alting,  iL  HS. 

Altona  HL  IL 

Amsterdam  S£L  ff. 

Amyraut,  M.  Ü2L 

Anchor,  J.  341L 

Anckelmann,  E.  27 7. 

Andrea,  .T.  V.  3L  £L  Li  1ÜL  LÜÜ 

Mi  3_LL 
Angelmodde  259. 
Angelo,  M.  ?-rift 
Anhalt,  Kolonie  bei  Plcss  LI 
Anjou  302,  32L 
Anton,  P.  211. 
Arminius  J. 
Arnold,  N.  2_7jl 


Arno  hl  von  Brescia  2Ö7.  33<i. 
Aron,  R.  275.  332. 
Arvidson,  D.  277. 
Aschaul,  B.  3JL 
Aseherham  ÖS. 
Augsburg  «JH.  Ü3L 
Augsburger,  C.  333. 
August,   Herzog  v.  Braunschweig 
315.  3 Di. 

August  Wilh.,  Herzog  v.  Br.  27_L 
B. 

Baco  von  Verulani,  R.  LL  llil  ff. 

160.  IUI.  UiH.  307 
Baeon,  F.  3L  3iL  3L 
Baduel,  C.  23. 
Baumker,  Wilh.  UM! 
Bahlmann,  P.  2')!». 
Bajer,  J.  W.  2IZ. 
Baier,  Prof.  23JL 
Ballersbach  SIL 
Barby  :iL  5Q.  52*  ftL  G3. 
Basedow,  J.  B.  IQtL  120.  L2IL  1  "<; 

Basel  3JLL 
Bau  mann,  J.  JiL 
Beck,  Jos.  v.  ÜiL 
Becher,  R.  IML 
Beeker,  B.  LL  LL  üiL 
Bceger,  J.  löiL  2iL 


-    344  - 


Beer,  R.  32. 
Bentham 

Bentheim,  Graf  von  2H7. 
Bentheim,  Ad.  v.  330. 
Bentheim,  A.  J.  v.  330. 
Bentheim,  E.  W.  v.  330. 
Bcnzclius,  K.  J.  3LI  312* 
Berbig,  F.  27JL 
Berckau,  IL  222. 
Bergamo  10ß- 
Bcrgius,  J.  230.  31L 

K.  230. 

Bergmann,  Jul.  212. 

Berlin  Dil  102.  10L  2M  230.  230, 

253.  2Q8.  322.  310. 
Bernburg  222. 

Bernhard  von  Clairvaux  112  304. 
Bertensieben,  B.  v.  230. 

IL  v.  230. 
Bcuthen  230.  232.  210,  328,  330. 
Bild,  Veit  33L 
Bissing,  H.  v.  2f>7. 
Blunck,  J.  N.  212. 
Bodin,  J.  1QL 
Boehmer  183. 

Böhmische  Brüder  s.  Brüder. 

Boemer,  A.  LOB. 

Bottichcr,  W.  22L 

Böttiger  205. 

Bogomilcn  120. 

Bonn  210.  220. 

Borinski,  K.  24& 

Botsac,  B.  22L 

Butzheim,  ,T.  v.  333. 

Bradacius,  M.  173. 

Brnunschweig  314.  310.  310. 

Brcdeholl,  G.  IL  222. 

Bremen  HL  83.  102.  101  313.  312. 

Breslau  100. 
Bresler,  D.  83.  02. 
Bright,  J.  102. 
Brinkmann  v.  03.  00.  20. 
Brochmann,  K.  K.  323. 
Brüder,  Böhmische  etc.  38. 30. 40  ff. 

m  ff.  08.  loa  1QL  IIS.  100.  102. 

III  ff.  100.  230.  23L  220.  27JL- 

■U2.  310. 


ßrügel,  J.  34,  30. 

Brunfels,  O.  100. 

Bruno,  G.  100, 

Bruys,  P.  v.  120.  100. 

Buddensieg,  R.  3L 
;  Buddeus,  J.  F.  12L 

Budowcc,  W.  v.  220. 
!  Büchner  100.  21L 

Bünau,  R.  v.  10L 
!  Bündcrlin,  J.  00  ff.  103. 

Burckhard,  J.  IL  222. 

Burgsteinfurt  23L 

Burkhardt,  G.  I0L 

Burrow,  M.  3_L 

C.  K. 

Kacmmel,  O.  102. 

Caesar i us  v.  Heisterbach  177. 

Calixt,  G.  312.  3LL  310*  310.  318. 

F.  U.  310. 
Calixtiner  173. 
Kalthoff,  A.  103. 
Calvin,  J.  220. 
Kambli  21L 

Campanella,  T.  3L  100  ff. 
Campanus,  J.  08. 
Campe  108. 

Kant,  J.  00.  100.  12L  120.  100.  100. 
211.  210. 

Kapp  11L 

Cappel,  L.  024, 

Karell,  L.  IL 

Carey  220. 

Karl  V.,  Kaiser  102. 

Karl  August  v.  Weimar  tüL 

Karl  Ludwig  v.  d.  Pfalz  103. 

Karl,  Kurprinz  v.  d.  Pfalz  HM. 
I  Carlyle,  Th.  U2  ff. 

Carpzow,  J.  B.  222. 

Carpzovius,  Oberhof prediger  243. 

Carte«  in*  s.  Descartes. 

Katharer  lfifl.  120. 177.  ISO.  U»:L  101L 

Kawcrau,  G.  100.  100. 
W.  230. 

Keckermann  82. 

Kefersiein,  IL  103,  104. 
i  Cellarius,  Prof.  20k 


—    345  - 


Keller,  Ludw.  L  35,  171.  1 7~i.  181. 

188.  litl.  2ÜL  2iäL  33iL 
Koller,  R.  32Ü, 
Kemper,  O.  1ft4. 
Kepler,  J.  L&L  lüL 
Kettenbaeh,  IL  v.  2äL 
Chillingworth  LÜL 
Christian  IV.,  König  v.  Danemark 

Hl  7. 

Christoph,  K.  33  1 . 

Kingsley,  Ch.  LL  1  •~>3.  15">.  1 Ü3. 

Kinsky,  W.  2I1L 

Kipius,  Dr.  31">. 

Klaj,  J.  '277. 

Klette,  Th.  332. 

Kluckholm,  A.  v.  102. 

Knebel,  v.,  Major  2äL 

Cobden,  R.  L52. 

Coceejus,  .7.  (Koch)  318. 

CO  In  2LL 

König,  E.  2Ü3. 

Königsberg  6Ü  24-1. 

Kötz,  F.  LÜ3. 

Cohen,  IL  2LG. 

Kohlreif  4JL 

Cohn,  A.  33iL 

Colbius  277. 

Colcrus,  J.  237. 

Compayre,  G.  33<i. 

Condoreet  128  ff. 

Constantin,  Kaiser  17S. 

Constanz  Q8_.  333. 

Conversino,  G.  di  332» 

Koolhaes  104. 

Coornhert  1QL 

Kopenhagen  323. 

Kopp,  K.  A.  332. 

Koranda,  W.  HL 

Corber,  C.  2IL 

Korthold,  C.  21L 

Cosonza  161. 

Kotter,  C.  8L  31iL 

Cousin  2üü  ff. 

Cranz,  D.  UJl 

Krause,  K.  C.  F.  10.  327.  32S.  32». 
Krawutzky  3LL 
Crocius,  J.  3_LL 


Kronen,  F.  v.  337. 
Crossen  a.  O.  2ZIL  338. 
Kunowitz,  Graf  v.  8_L 
Kuyper,  A.  de  310. 

Kvacsala,  J.  fiQ  ff.  ML  4ML  322. 
32iL  33L 

D. 

Daill«?,  J.  32L 
Danneil  230. 
Danzig  83.  3üfcL  3ÜÜ. 
Darwin,  Ch.  21L 
Dauber,  IL  ߣL 
Da  von  an  t,  J.  31 1. 
David  von  Augsburg  183. 
Dcnck,  Job.  3iL  LQ3.  34JI 
Den  icke,  D.  31.*>. 
Depenbrock,  J.  C.  277. 
Descartes,  R.  123.  ltiü.  3ÜL  32U. 
Deutsch,  S.  M.  3Ü3. 
Devcnter  Öä,  l.fi7. 
Diderot  LEI. 
Dieckhoff  17n. 
Dieppe  32L 
Diestcrweg,  M.  LL 
Dillcnburg  83. 

Diltbey,  W.  .TS.  30.  10L  107.  330. 
Diascntcr*  üL 
Dittes  liüL 

Döllinger,  J.  v.  LTJi  ff. 
Dörpfeld,  Fr.  W.  223.  22L 
t>ohna,  Achati  u»  III.  v.  23<i. 
Dordrecht  SiL 
Drabick,  N.  32L 
Drelincourt,  C.  32L 
Dresden  23i  2IL  22L 
Dürer,  A.  28L 
Duisburg  22L  24L 
Dupont  de  Nemours  1 21). 
Du  raeus,  J.  (Duruy)  3QÜff. 
Duruy,  A.  1  lf>. 
Dziewieki  3_L 

E. 

Ebersdorf  f>2. 
Ebner,  iL  281. 
Ebrard  liÜL 
Eck  282* 


Ehler*,  IL  J.  2IL 
Ehwald  4iL 
Eibenschütz  337. 
Elbing  3Ü1L  31L  323,  32lL 
Elisabeth  Charlotte,  Kurfürstin 

IM.  220.  2ÄIl 
Ellipsen,  O.  A.  1QL  KüL  2KL  200. 
Emden  Hl 7. 

Engelhardt,  J.  G.  V.  17r>. 
Engel«  149. 
Ennü ÖL 

Entfelder,  Chr.  W3. 
Epiacopius,  N.  104.  171. 
Erasmus,  D.  311»  40.  LLL  llä.  LÜL 

1ÜLL  220.  333.  31L 
Erfurt  21L 

Ernnt  August,  Kurfürst  von  Hau-  1 

nover  31(>. 
Ernst  Casimir,  Graf  v. Nassau  331L  ' 

P.  V. 

Faber,  .7.  m 

Fabri,  J.  157. 

Vahlen,  J.  UiL 

Valla,  L.  ELL  102. 

Favart  300. 

Vechner,  G.  23L 

Ferdinand  L  08. 

Vcrgerio,  P.  P.,  der  Ältere  332» 

Vergerio,  P.  P..  der  Jüngere  30.  332. 

Vetter,  R.  32L 

Fichte,  J.  (}.  KL  Lü.  131L  , 

14t».  2KL 
Figulus  s.  .Tablonski. 
Virchow,  R.  4L  103. 
Vivcs,  L.  3L  HL  SIL  8L  U2.  220.  22L 
Floris,  J.  v.  288. 
Vogel,  A.  320.  33LL 
Voigt,  G.  33L  332. 
Font  an  ut*,  .1.  Iii. 
Vossiua,  G.  .1.  318» 
Franck,  Seb.  3!«.  41.  !>H.  102.  1Q.{. 

104.  340. 

Franeke,  A.  IL  Li  121L  23iL  24Q. 

242.  '247.  ?4M,  'MU.  ^.'0  2.M .  'AY>.  277 
Franeke,  <  >.  H>3.  Ki4. 
Francker  83.  3LL  3ÜL  323,  32L 


Frankfurt  a.  M.  L  10.  LL  18.  20. 
2L  312.  313. 

Frankfurt  a.  ü.  230.  2LL  308.  31Ü. 

Franz  1^  Kdnig  v.  Frankreich  33. 

Fredericq,  P.  lüL  188.  203. 

Freier,  Ii.  221L 

Freier,  W.  22iL 

Freistadt  OL  00.  213, 

Freund  gen,  J.  lftS. 

Frey  2f,.r>.  2~>(>. 

Friedensburg,  W.  3iL 

Friedrieh  III.,  Kurfürst  von  Bran- 
denburg, spät.  Konig  v.  Preußen 
23a.  212.  210.  21L  300. 

Fried  rieh  II.,  König  v.  Preussen 
Ii  1QL  221L  228.  230. 

Fried  rieh  von  Lüneburg-Celle  314. 

Fried  rieh  V.  von  der  Pfalz,  König 
von  lähmen  318.  31iL 

Fried  rieh  Fl  rieh  von  Braun- 
schweig- Wolfenbüttel  3LL  31Ü 

Friedrieh  Wilhelm  III.,  König 
von  Preusaen  24)  i. 

Fried  rieh  Wilhelm,  Kurfürst  von 
Brandenburg  KL  228.  220.  230.  230. 
24').  27Ö.  ML  320.  310. 

F rubel,  F.  H>7.  H88.  328. 

Fuchs,  P.  v.  233.  230.  240. 

Fuehsmagen,  .T.  333. 

Fürer,  C.  28L 

Fürer,  S.  28L 

Fürstenberg,  F.  v.  2.">'J.  2i>0. 
Füssel,  M.  23L 
Fuleo,  Abt  302, 
Fulnee  171. 
Furniwall,  F.  ,T.  3L 

G. 

(ialiliii  122.  lliL 

Gallitzin,  A.  v.,  Fürstin  2.r>'.».  2t  »0. 
Gallneukirchen  Ü7_. 
Garve  30. 

Gassendi,  P.  323.  320. 
Gasser,  A.  P.  33L 
Gaueher  33. 
Gebhard,  O.  v.  äiL 
Gi«  er,  E.  de  323. 


Geer,  L.  de  3QSL  32X 
Gehmlich,  E.  4fL 
Geiler  von  Kaisersberg  IM. 
Genf  22L 
Gent  40. 

Georg,  Herzog  v.  Braunschweig  31  ö. 
Georg  von  Podiehrad  172.  1 7f>. 
Georg   Wladislnus,    König  von 

Polen  17*). 
Gerhardt,  P.  2^L 
(ierning,  J.  J.  v.  2~>S. 
Geaenius,  .T.  Hl~>. 
Gie*eler,  .1.  K.  L.  1 7<i. 
Gilbert  ML 
Gille,  A.  ML  32L 
Gindely,  A.  LIiL  Ülil 
Glanz,  G.  203. 
Glaucha  247 
Glevner,  G.  B.  27_L 
Gloxin,  A.  iL  277. 
Gliiekstadt  A\A 
G munden  OL 
({nndenfeld  LL  LL 
( i  rinden  frei  4iL  HL  iL  ZlL  IL 
Goeh,  J.  v.  IHL  LÜH, 
Godcmann,  K.  31 1. 
Göbel  Li. 
Gödeke  2ä>L 
Görren-Ges.  L 
Göxe,  Hnuptpa*tor  2!>.'t. 
Goethe,  J.  W.  v.  L  LÜL  LtLL  2ÜI 

2äli.  ML  A2L  [HL 
Gohfeld  320. 
Goldberg  LliL 
(Soll,  S.  171. 
Gotha  ML  U±L  2LL 
(iothein,  E.  ILili  1ÜL 
Gracinn,  B.  2JiL 
(ircgor,  Bruder  1 7° 
Grein  ÜL 
(irimni,  S.  334. 
G  röper- I.aserow  1D_ 
(ironingen  317.  A\H.  323.  324. 
({ rossgebauor,  J.  v.  2ZL 
Orot  in*,  IL  1ÜL  2LL  liLL  IL2IL 
Griinpeck,  ,T.  331. 
Gry  ii neu«,  J.  337. 


'  Guarino  von  Verona  10.  333. 
Gucricke,  IL  E.  F.  17JL 
Gustav  Adolf,  König  v.  Schweden 

31L  012,  äüL 
Gutberleth,  M.  iL  Sä.  SiL  iLL  iLL 

IL. 

Haaek,  Th.  2Ü, 

Haag  Uli  3LL  ILM.  LliL  1LLL 

Haak,  J.  .T.  2J^L 

Häekel  IOll 

Hüls  ebner  32~i. 

Hätzer,  L.  1L40. 

Haiger  &L 

Hall,  .1.  äLL  32^L 

Halle  41L ÜIL  äiL 2JÜ.  2illi  f f.  2I±  m 

Haniburg  1ÜIL  3LL  ULL  1LLL  üü. 

ij^^^j,    iij^fij  «i^j.^^ 

Hamilton  LliL  Uli. 
Harn  pden*  322. 
Hanau  HL  Sä. 
Hau  hu,  A.  v.  3.' i) i. 
Hanau,  L.  v.  -i'tii 
Hannover  3lf>.  .{Iii. 
Hardt,  IL  v.  d.  2.7JL  27_L 
Harnaek,  A.  litü.  2ÜÜ.  3JLL 
Harris 

Harsdörfcr,  G.P.  I(V>  277  3:tr,  :t:t'i 
Hartfelder,  K.  lülL  ia 
Hart  lieb,  S.  321. 
Hnusrath,  A.  2iiL  21»7.  3HL 
Hegel  ÜJS.  LLL  LLL  ULI  2ÜL  2_LL 
Hcgius,  A.  1*i7   1  ~>8, 
Heidelberg  ML  SIL  2JiL  X1L 
Hei  dem  an  ü,  J.  22S. 
Heineck,  iL  ML 

Heinrich  IV.,  König  von  Krank- 
reich  XL 

Heinrich  von  Toulouse  1 7ti.  HMi. 

Heinsins,  |).  Iliü. 

Hcliustädt  2ZL  1LL  lliL 

Hclsingör  323. 
,   Helvetius  L21L 

Hei  wich,  Christoph  LL 

Henisterhuis,  Struitsrnt  2.*>'.>. 

Heniseh,  G.  3.'M 
,  Hcnschel,  A.  ILLL 


—    348  - 


Hrrhart,  J.  F.  12L  lüL  U£L  221, 

232.  3211  am 

He  rborn  35*  IS  ff.  IIS,  231,  33JK 
Herder,  G.  253. 

Herder,  J.  G.  Iii  llüL  Hü  IM, 

25a  ff.  aaä. 

Hergenröther,  .1.  181. 
Hering  231. 

Hermannus,  J.  J.  &L  U£L  HL 
Herrnhut   4<>.  40.  ~>2.  <V2.  ffli.  Hfl. 

IL  1ÜL  1Ü2,  2ÜS, 
Herold,  H.  2aiL 
Hersfeld  85. 
Herta,  G.  212. 
Hertzberg,  G.  240. 
Herzberg-Friinkel  3L 
Herzog,  J.  J.  HiL  IM 
Hcsenthaler,  M.  103.  306. 
Hcssus,  E.  1& 
Hildesheini  314,  3JJL  3J1L 
Hinderbaeh,  J.  333, 
Hippel  üfi, 
Hobbes  lfili. 

Hoehegger,  R.  3L  1Ü3,  1U5.  232, 

2LL  33Ü,  33L 
Hm"  von  Hohenegg,  M.  31 1. 
Hopfner,  IL  'ALL 
Höst,  .St.  HL 
Hoff  mann,  M.  G.  33Ü. 
Hoffmann,  W.  2S1. 
Hohenheim  s.  ParaceUus. 
Hnhlfeld,  P.  m 
Holstein,  IL  1Ü, 
Holtzendorff,  F.  v.  Hi3. 
Holzschuher,  IL  2S1. 
Honthorst,  G.  32L 
Horb,  J.  iL  22L 
Horn,  J.  löli  101. 
Huber,  F.  P.  1Ü5. 
Hubert,  F.  35K  332, 
Hubtnaier,  B. 
Hüllcniann,  Carl  1  ( >3. 
Hülsmann,  Prof.  212,  215» 
Hughes  1")3. 
Hummel.  F.  147, 
Hummelberg,  M.  33.3. 
Hu»,  J.  LÜL 


]  I  u  s  i  t  e  n  3Ü 
Hut,  J.  Ütf. 
Huthmann,  iL  277. 
Hütt,  Director  222. 
Hutten,  U.  v.  URL  31L 

J.  Im 

Jabloni  30i». 

Jablonsky,  I).  E  235,  2iü.  3Uli  ff . 

Jablonsky,  J.  T.  Figulus  3(Hi  ff. 

Jablonsky,  M.  3Qti  ff. 

J  a  b  1  o  n  s  k  y ,  P.  K.  3ÖÜ,  Figuhu  30t)  ff. 

Jäekel 

Jacob  Lj  König  von  England  310. 
Jacob  II.,  König  von  England  221». 
Jaeobi,  F.  H,  03,  iii,  2ÜJL 
Jahodinskym  deMatcze, A.83.02. 
J  ahodinsky  m  dcMatcze,M.83.i)2. 
Jamnici  (Grubenheimcr)  172. 
Jena  103,  235.  214.  2IL 
Jesuiten  1 20.  121. 
Ignatius  von  Loyola  iL  32, 
Im  hoff,  A.  v.  2f)7.  2öS. 
Ingolstadt  334. 
In nocen z  VIII.,  Papst,  IM . 
Innsbruck  UÜ.  333. 
Joachim,  Abt  177. 
Jöcher  3Q&  321L 

Johann  der  Altere,  Graf  v.  Nassau  - 
Kntzenellen  bogen  I&.  Iii.  ÜL  331? . 

Johann  Sigismund,  Kurfürst  von 
Brandenburg  230, 

Jobnston,  J.  108. 

Israel,  A.  31, 

Julian,  J.  L0& 

Jungius,  J.  12.  314.  322. 

I,. 

Lamey,  F.  277. 
Lampadius,  J.  31*). 
Landfcrmann,  Schulrat  218. 
Landsberg-Veleu,  FreihciT  v.  2<i>>. 
Landwehr,  H,  228,  22IL  230,  231. 

23li.  237.  24f.. 
Lane  37. 

Lanecius,  J.  KL  82,  IM,  05, 
Lange,  C.  277. 


- 


349 


Lunge,  F.  A.  1ÜL  1ÖÜ  12L  105. 

210  ff. 
La  Place,  J.  324. 
Lasitius,  J.  171. 
Lateiidorf,  F.  4L 
Lauban  338.  339. 
Laud,  W.f  Erzbischof  312, 
Lautensac,  .T.  v.  277. 
Lea,  H.  C.  101.  157. 
Lcchler,  G.  198. 
Lechler,  G.  V.  34L 
Lefranc,  A.  33. 
Lchnerdt,  M.  332, 
Leibniz,  G.  W.  4.  10.  104.  123. 124.  1 

lüli  ML  230.  24i.  2IL  310.  32L 
Leiden  31L  318.  312,  320.  323. 
Leipzig  102,  102.  235.  241  ff.  22L 

Hl  I  -  315. 
Lembach  OL 
Lerche,  J.  IL  277. 
Leasing,  G.  E.  2£H  ff.  3HK. 
LcBsing,  K.  294. 
Leukefeld,  J.  iL  2IL 
Leukefeld,  W.  M.  2IL 
Leutbccher,  J.  222.  2IL 
Liebig,  A.  23L 
Limborch  INS. 
Linde,  A.  v.  d.  18.  SL  80.  SiL 
Lindenberg,  N.  277. 
Lindner,  G.  A.  HL 
Linz  a.  Donau  92.  320. 
Lion,  C.  T.  22L  222. 
Lissa  I0L  201.  230.  23L  209.  -'To. 

2iL  215.  309.  323, 
Litomil,  J.  8L  82, 
Locher,  .T.  334. 

Locke,  J.  33.  120    122,  123.  125. 

131.  150. 
Löwenberg,  J.  iL 
London  320.  32L  322. 
Lorsbnch,  C.  W.  ÜL 
Lonerth,  J.  32. M,  99.  ÜiL  1Ü4.  331. 
Lovosieenus,  J.  P.  ÜL 
Lubiewski,  P.  A.  308, 
Ludewig,  G.  102. 
Ludlow  153. 

Ludwig XIV.,  König  v.  Frankr.  220.  [ 


Ludwig  Günther,  Graf  v.  Nassau 
330. 

Lübeck  313.  322.  32,*>. 
Lüneburg  317. 
Lullus,  R.  SL 

Luther,  M.  38.  39.  00.  OL  23.  ÜL 
LUL  HL  118.  120.  ML  1112.  208. 
280.  281.  2H2.  289.  302.  334. 340. 341 . 

Luxem  332. 

Lyser,  P.  311 

JH. 

Macaulay  121. 

Macchiavelli  121. 

Mämpel,  K.  222.  2ÜL  33ji 

Magdeburg  212. 

Mager,  Dr.  224, 

Mainz  319. 

Malpaghini,  G.  332. 

Maneini  102. 

Manichäer  189. 

Mann,  F.  40.  103. 

Maunl,  O.  1ÜL 

Marburg  212. 

Marie,  AbW  200,  200. 

Martini,  P.  C.  22L 

Matthai,  J.  IL  222. 

Matthew,  F.  1).  3L  118. 

Matthiii,  D.  312.  313. 

Matthia,  J.  313. 

Maurice  IL  1  ">3. 

Maximilian  1^  Kaiser  92. 

Mecklenburg,      v.,  Herzogin  277. 

Mejcr,  B.  277. 

Melancbthon,  Ph.  4J1  23.  IIS,  110. 

112.  120.  31L 
Memel  3ÜL  308,  309. 
Menlishofer,  .1.  333. 
Menzel,  A.  84. 
Menzel,  J.  84. 
Mcrian ,  E.  45. 
Mcrveldt,  Graf  von  250, 
Mestrecat,  J.  325. 
Mieltschin  302. 
Mill,  J.  S.  225,  209. 
Milton,  J.  33.  32L 
Minor,  .T.  218, 


350 


Möller,  C.  2IL 

Mohrungen  2"»,L 

Moibanus,  J.  334. 

Montaigne,  M.  de  3L  33.  30.  42. 

Morel,  G.  v.  IIa.  102. 

Moriz,  Herzog  von  Sachsen  '21)0. 

Morton,  T.  322, 

Müller,  G-  3L  32.  Mii 

Müller,  J.  IM  2ÖL  20Ü 

Müller,  P.  2=12. 

München  00. 

Münster  (Westf.)  1*8,  2ö0.  2üiL 
Münster,  S.  4L 
Murmelliu»,  J.  158.  332. 
Mntian,  ('.  31L 

Natorp,  P.  128.  20L  2Ü8.  2U0. 
Nassenhubcn  3t  Kl. 
Neander,  M.  1 H». 
Neapel  1(>1. 
Nebe,  A.  IM.  Ii*.  80. 
Nescmann,  F.  200.  210. 
Neubörger,  T.  311. 
Neuen  bürg  1  CiO. 
Neuss,  G.  iL  2IL 
Newinann,  A.  H.  38. 
Newton,  J.  124. 

Nieoladoni,  A.  00.  07.  i>S.  271  >.  33Ö. 
Nicolai!*  V.,  Papst  1SL 
Nicolsburg  ütL 
Nicmeyer,  A.  H.  üü.  äü. 
Niesort,  Pfarrer  2tiÜ. 
Niesky  40.  02.  H3.  Oll  IL  JüiL 
Nördlingen  312. 
Nolteuius,  Z.  '277. 
Nordhaunen  40. 

Nürnberg  Oi».  102.  LUL  1112.  lILL 

m  28L  283.  288.  312.  330. 
Niitzol,  C.  28L  282. 

O. 

Occo,  A.  334. 
Oekolampadius  334. 
Oercbrö  323. 
Olevian,  C.  HL 
Oli veter,  R.  1 7;"i. 
Opitz,  M.  248. 


Osiander,  A.  288. 
Ostia  Hü, 

Overberg,  B.  2Ü0.  200, 
Oxonstierna,  A.  3LL  312.313.31'). 
Oxonstierna,  Sohn  32i 
Oxford  31L 

P. 

Padua  332. 

Palmer,  Ch.  100.  LUl  LUL 

Paracclsus,  T.  40.  iL  118.  10L 

Pari«  302,  324,  320.  320. 

Pascal,  B.  liLL 

Paskowsky,  .T.  308. 

Pasor,  G.  00, 

Passau,  30. 

Patera,  A.  31. 

Pauli,  C.  40. 

Paulicianer  LTiL 

Paulscn,  F.  lfi. 

Polargus,  C.  2311 

Pelz,  A.  E.  2äX 

Perg  OL 

Perthes,  F.  20L 

Pestalozzi,  J.H.  7JL  108,  100.  120, 
120.  12ü.  130.  140.  10L  1H8.  328. 
320,  330. 

Petersdorf,  IL  v.  1ÖL 

Petersen,  J.  K.  2L7_ 

Petersen,  ,T.  W.  2IL 

Petrarca  3il 

Poutinger,  C.  33L 

Philanthropinisten  1  ">0. 

Pikarden  s.  Taboriten. 

Pilsen  Hi7. 

Pirkheimer,  W.  282. 

Piscator,  Job.  SL  8ü.  00,  OL 

Pithan,  H,  82.  83.  113. 

Plitt,  iL  00, 

Podiebrad,  G.  v.  112. 

Poggiali  10L 

Ponte  de  Leon  200, 

Prag  220.  210=  312.  340. 

Pro  gor,  Wilh.  ISO,  104,  100, 

Prönen,  Kamraerherr  v.  300. 

Piifondorf,  S.  230,  244, 

Pym,  J.  322, 


v.  34.  KÄL  HIL 


R. 

Rabelais  33. 
Radlach,  ().  3HL  311. 
Radlkofer,  M.  333. 
Rakoczy,  &  Fürst  2h,  32L 
Rain  vi*,  V.  32» 

Ratichiu»,  W.  2lL  24-  34.  42.  1LL 

1  LS.  110.  22L  33L 
Räumer,  J.  K. 

119.  22JL 

Kauwolf,  L.  33 1 . 
Reber,  .1.  1Ü3. 
Redinger,  J.  3jÜL 
Redlich,  (*.  2ÜH, 
Regen* bürg  221». 
Regen  volhcius,  A. 
Reichel,  Ch.  5JL 
Reichling,  IX  KüL 
Reif fenberger,  J.  fcüL  UZL 
Reinbeck,  A.  277. 
Reinerur*  UiL  IBS. 
Reinhardt,  K.  KL 
Reu*»,  E.  Iti3. 
Rcventlow,  D.  3K1 

Rhegius,  u.  m 

Rhenen  31ü. 
Rhesa  ML 
Riehl,  IL  W.  v.  IL 
Rinteln  Ü3. 
Risler,  J.  Hl 
Rist,  J.  2LL 

Ritsehl,  A.  31L  12.  UüL  2J1L 
Ritter,  M.  27JL 
Rivetu»,  A.  3 IS. 
Roeskild  323. 

Rokycana,  Erzbischof  172.  1 7.r>. 
Rom  Ü7.  »Ii.  Hil.  228. 
Roscher,  \V.  ^IÜL 
Rosenfeld  33LL 
Romenthal,  L.  341. 
Rostock  :!2ö. 
Rothe,  G. 


r 

Di 


Rotterdam  325. 
Rotten  324 

Rousseau,  J.  J.  iL!  lüü.  12U 

L2IL  L2JL  Hi&  22ü, 
Rowe,  T.  3LL  313. 


Rudbeck,  .1.  313, 
Rudolf  August,  Herzog  v.  Urämi- 
sch weig  277.  31<>. 
Rüdiger,  E.  3;i7. 
Rüssel,  IiOrd  14S. 

Sahbadini  332. 
Sacbs,  iL  27J)  ff.  &ÜL 
Sadoletus,  J.  33, 
SaggitariiiB,  C  277. 
Saliat,  V.  3IL 
Salhvürk,  E.  v.  3L  32.  33. 
Salma»ius,  K.  318. 
Salz  mann  l'is, 
Sandberger,  K.  31.  3L 
Sander,  F.  30<L 
«Sandhagen,  C.  H.  277. 
Sairos-Patak  2£L  KL3» 
Saumur  324. 
Sayle  32. 

Hayn-Wittgenstein,  L.  v.  33(j. 
Sayn-Wittgenstein,  W.  v.  33t i. 
Schcffner,  Kriegsrat  <KL 
.Scheibe,  L.  HL 
Schelling  IM.  123,  2KL 
Schenkel,  F.  5£L 
Seheurl,  C.  2£L  2Ü2. 
Schiller,  F.  v.  4.  21(i.  217.  2'ü. 

2üiL  2üL  32L 
Schlegel  Ü3, 

Schleiermacher,  J.  G.  KL  lü  ff. 

L31L  1Ü3.  1Ü4.  2KL  2öS. 
Schleicrmacher,  Ch.  46.  r>2.  53. 

ü  HL 

Schleicrmacher,  I).  E.  ->.">. 
Sehlcttstadt  22Ü. 
Sc  hm  et  tau,  Reichsgraf  v.  2*>H. 
Schmid,  G.  3L  33»  iL  Sil 
Schmid ,  J.  328. 

Schmid,  K.  A.  3L  2_LL  2KL  22L 
Schmidt,  C.  176,  22JL 
Schmidt,  E.  2!i4.  3Ü2. 
Schnabel  3L 
Schnürer,  F.  1H7. 
Schöbel,  G.  v.  331L 
Schönaich,  G.,  Frhr.  v.  23L 


—    352  — 


Schonborn  2ri7. 

Schopenhauer  210. 

Schräder,  W.  22L  23ä.  241L  2i2. 
24(i.  2.r)l. 

Schramm,  R.  LÜ3. 

Schrautenbach,  L.  v.  täL  lilL 

Schreiber,  A.  2"> 7. 

Schröder,  A.  3iL 

Schfirer,  E.  JülL 

Schulenburg,  v.  der  2H0. 

Schulze-Gävernitz,  Gl.  v.  liS  ff. 

Schnitze,  Fritz  232*  233.  23L 

Schupp,  J.  B.  21L  27JL 

Schurmann,  A.  M.  v.  3J&  32CL 

Schwalb,  M.  HkL 

Schwarze,  R.  3ÜSL 

Schwenkfeld,  C.  v.  LLL 

Schwerin,  O.  v.  23L 

Scultetus,  J.  23L 

Seckendorf,  V.  L.  v.  277. 

Seidcliuts  J.  33k 

Seitersdorf 

Seniler,  Prediger  12i>. 

Serrarius,  P.  xos. 

Sibel,  C.  HL  MO. 

Siebenhaar,  M.  HH'.t. 

Siegen  83.  1>L  33ü 

Sigmund  der  Münzreiche,  Erz- 
herzog 333. 

Sixt,  C.  iL  3iL 

Sixtus  IV.,  Papst  LHL 

Skaltsuni  lüL  HÜ 

Smith  L3L  liH. 

Sohn»,  Graf,  E.  v.  '.V.M. 

Solms,  Graf,  P.  v.  33(i. 

Solms,  Graf,  R.  v.  33K. 

Solms,  Graf,  W.  v.  33JL 

Sophie,  Kurfurstin  v.  Hannover.  321. 

Sorö  32,'i. 

Spalatin,  G.  AU, 

Span  gel,  P.  1LL 

Spangenberg,  A.  G.  1(>2. 

S  p a  n  h  e  i  in ,  E.  104. 

Spener,  P.  J.  Li  23i  Zill  211  277. 

Spengler,  L.  LU2.  2HL  2S2, 

Spinoza  123,  1 2"i. 

Sprecher,  V.  v.  LÜL 


I  Sprottnu  8L 

Stabius,  J.  AAl 

Stadiue  lüS. 

Stadler  2_Lü 

Stagc,  c.  m 

Stain,  Freiherr  v.  277. 

Starkius,  J.  30ÜL 

Staupitz,  J.  v.  10JL  LZö_.  iüL  188. 
191.  201.  281.  m 

Steig,  R.  2ä3. 

Stein,  Frau  von  2ÜL. 
:  Stein,  L.  U.U. 

Steinhaufen,  G.  337. 

Stephan  VII.,  Papst  181. 

Stephan U8,  Bischof  17H.  17 <• 

Stern,  Hann  317. 

Stern,  Heinr.  Hl 7. 

Stcubing,  J.  IL       H2.  &L 

Steyer  07.  98.  WX 

Stockholm  313.  323.  325. 

Stölzle,  R.  33fi 

Slötzner,  P.  274.  27'>. 

Stosch,  B.  23L  23Ö, 

Strassburg  ÖiL  ÜKL  1£3, 

Stuart,  Prinzessin,  IL  M.  Ali). 

St  uben  rauch  ML  ÖL. 

Stuhl- Weisscnburg  HL 

Sturm,  J.  LLL  LUL  LÜL  L2L  22JL 

Sudhoff,  K.  iL 

Suphan,  Beruh.  25H.  2~>4. 

Sydel,  M.  LÖ. 

T. 

Taborhen  31  ff.  L7_L  112.  181L 
Talleyrand  130. 
Tangermann,  W.  338. 
Tassius,  Joh.  Ad.  322» 
Tauler,  Joh.  1DJL  LLL 
Tausch,  E.  1Ü2.  LÜ3. 
Taylor,  J.  LÜL 
Telesio,  B.  1«1. 
Tcubncr,  B.  G.  22Ü 
Thaulow  108. 

Thelermenus  a  Zhörze,  1).  HL 
Thilo,  J.  E.  2ZL 
Tholuck  7JL  240. 
Thomas  von  Aquino  1 71». 


353 


Thomasiua,  (Jb.  235.  2.TG.  240.  241. 

243. 21L  210.250, 23L  252. 335.  330. 
Thorn  2311  312. 
Thum,  M.  2IiL 
Titus,  M.  SL  82.  83.  OL  Ol. 
Trient  230. 

Trotzcndorf  Iii  IUI  LLL  120. 
Truhlaf  100. 
Tschiersky,  v.  IQ. 
Tucher,  Aiidr.  28L 
Tucher,  Ant.  28L 
Tücher,  M.  2S1. 
Turgot  123.  L3L 
Turnovius,  Senior  171. 

r. 

Uphues.  O.  K.  212. 
Ursin  Iis,  B.  108.  230.  230. 
Ussher,  J.  312.  322, 

W. 

Wagenseil  335. 
Wal,  de  80. 

Waldenser  130.  112.  113.  LLL  lü 

lSü.  IBS.  183.  203.  34Ü 
Waldshut  08. 
Waldus,  P.  LQL 
Wallcnsteiu  LLL  23L 
Wattenbach,  W  iL  103* 
Weech,  F.  v.  1Ü3. 
Weimar  lf»3.  104.  2'»7. 
Weiss,  iL  277. 
Weisse,  M.  IM  HiL  'ML 
Wels  OL 
Wende,  G.  338, 
Werekshagen,  C.  132. 
Wernicke,  A.  323, 
Wibe,  T.  313. 

Wiclif,  Joh.  37.  171.  1<I4.  107  1<>S, 
Wied,  Graf  von,  IL  333. 
Wied,  Graf  von,  ,T.  W.  330. 
Wiedertäufer  OL  08.  1*7 
Wien  HL  LLL  AXL 


Wiesbaden  SO. 
Wiese,  J.  LÖL  218.  * 
Wilhelm  der  Reiche  v.  Nassau  00. 
Wilhelm  II.  von  Oranien,  Prinz 

18.  220.  310.  318.  3311 
Williams,  R.  ÜJL 
Wimpfeling,  J.  10. 
Wirsung,  C.  33L 
Wiskcmann,  iL  IL 
Wismar  323. 

Wittenberg   102.  230.  23L  230. 

211.  215.  28L  282.  33L 
Wolf  126, 
Wolfenbüttel  3LL 
Wolff,  M.  v.  102. 
Wolkan,  R.  100.  10L 
Wotkc,  K.  40.  332. 
Wünsche,  A. 

Z. 

Zeller,  E.  2IL 

Zembsch  SOi  32.  05.  IL 

Zeppor,  W.  00.  OL 

Zerawic  2ÜL 

Zesen,  P.  v.  330. 

Zezschwitz,  v.  20*:  i. 

Zicrotiu,  Herrn  von  27r>. 

Zierotin,  F.  v.  332. 

Zicrotin,  Graf  33H. 

Zierotin,  K.  v.  337 

Ziller  232.  233. 

Zimmer,  F.  18.  20.  Üü. 

Zimmermann,  Ph.  iL 

Zingerle,  A.  333. 

Zinzendorf  15.  4JL  50.  03,  US.  03. 

13.  IL  102. 
Zittau  102.  33Ö. 
Zittel,  E.  103. 
Zoubek,  F.  138. 
Zürieh  2111. 

Z  w  i  <m1  i  n  e  c  k  -  S  ii  d  e  n  h  o  r s  f  27«  i. 
Zwingli,  U.  30.  OL  LSL 


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