Monatshefte
Comenius-G
Ludwig Keller,
Comenius-Gesell
GOOO
263
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Monatshefte
der
enius-Gesellschaft.
Zweiter Band.
(1893.)
Leipzig,
R. Voigtinn der' s Verlag.
(In Commission.)
1893.
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Inhalt des zweiten Bandes.
Seit»
A. Abhandlungen.
Keller, Ludw., Die Comcnius-Gesellschaft. Geschichtliches und Grund-
sätzliches . 1
Rovers, M. A. N., Ein Friedenaspruch 27
Radlach, 0., Der Aufenthalt des Comenius in Lüneburg im August
1647 und die Wiederaufnahme »eines Briefwechsels mit
Valentin Andreae -57
Heinzelmann, W.. Goethes religiöse Entwickelung. Dargestellt von W. H. 105
Loserth, Johann, Die kirchliche Reforrabewcgung in England im
XIV. Jahrhundert und ihre Aufnahme und Durchführung
T in Böhmen 151
Richter, Albert, Zwei Bilderbücher für den Unterricht vor dem Orbis
pictus 167
•» Lettau (Königsberg i. I'r.), Johann Georg Hamann als Geistesver-
/>w wandtcr des Comenius 201
£ Baehring, Bernh., Christian Karl Josias Freiherr von Bimsen .... 214
Lange, Friedrich Albert, Geschichte und Bedeutung der Schulkomödie
C vor und nach Comenius 259
^ B. Quellen und Forschungen.
Kvacsala, Joh., Zur Lebensgeschiehte des Comenius, Autobiographisches
aus den Schriften des Comenius zusammengestellt von
J. K. 39. 73. 137. 178. 226. 27*
C. Kleinere Mitteilungen.
Keller, Ludwig, Dr. S. J. Hingst f 47
Wittmer, Gustav, Anna von Mahrenholtz-Bülow t ^s
Radlach, 0., Der Protest des Comenius gegen den Vorwurf, er sei ein
. ^. Sektierer, beleuchtet aus den Beziehungen Andreaes zu
Nürnberg. Ein weiterer Beitrag zum Verständnis seines
l.üneburger Briefes
Kemper, 0., Der Inselnamc Capharsalama in Joh. Val. Andreaes Schrift
^-w. „Reipublicae christianojK>litanae descriptio* (1619) .... 186
Aus neueren Handschriften -Verzeichnissen (Briefe von und an Val.
^ Andreae in Wolfenbüttel) 23«
S~J Stötzner, Paul, Ratichiana . . . ^ 2^
? J? 587699
IV Inhalt.
Seit«
D. Litt erat urboriclite.
Hartmann, G., Loibniz (Mollat). — Loserth, Anabaptismus in Tirol
f Loserth). — (W. B.), Zur neuesten Comenius-Litteratur. —
Will S. Monroe, Amerikanische Comenius-Litteratur. — Neuere
Erscheinungen auf dem Forschungsgebiet der C.-G. ... 81
Anton Gindely über Comenius (W. B.) — Zoubek-Novdk, Leben des
Comenius. — Noueste Comenins-Litteratur 239
Loserth, Hubmaier (Detmer). — Dörpfcld, Beiträge. - Lange, Über
Apperception. — Hauffe, Pädagogik Schleiermachers. —
Spencer, Von der Freiheit zur Gebundenheit. — Dicescu,
A. H. Niomeyer. — Lay, Psychologische Grundlage. —
Flügel, Über die Phantasie. — Klier, Allg. Pädagogik (Hochegger) 291
£. Zar Bttcherfcunde unseres Arbeltsgebiets.
Hohlfeld, Paul, Von und über Krause 191
Brägel, G., Litteratur über Val. Andreae seit 100 Jahren 249
F. Nachrichten 50. 95. 144. 198. 254. 307
6. Eingesandte Bücher nnd Aufsitze 303
Personen« und Ortsregister 313
Für die Schriftleitung verantwortlich: Diakonus Jos. Müller in
Herrnhut i. S.
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Monatshefte
der
Comenius - Gesellschaft .
II. Band. — 1893. — Heft 1 und 2.
Die Comeniu8-6esellschaft.
Geschichtliches und Grundniilzliche«
von
Ludwig Keller.
Das Bedürfnis, den zurückgelegten Weg von Zeit zu Zeit
rückschauend zu überblicken, macht sich am Beginn eines neuen
.Tahresabschnittes stärker als sonst geltend. Es ist nicht nur der
Wunsch, sich selbst und anderen über das Erreichte Rechen-
schaft zu geben, der dabei mitwirkt; ebensosehr fällt der Um-
stand ins Gewicht, dafs die klare Erkenntnis der vergangenen
Entwicklung für die richtige Beurteilung der zukünftigen Uberaus
wertvoll ist: nur der, der weifs, woher er kommt, wird wissen,
wohin er geht.
Weiter als der Mehrzahl unserer Mitglieder und Freunde
bekannt sein wird, reichen die Entwürfe und Anfange unserer
Gesellschaft zurück. Allerdings mufs hier festgestellt werden,
dafs die Bestrebungen, welche zu Prag im Jahre 1870 behufs
Gründung eines „Comenius- Vereins" an das Licht traten, mit
unseren Plänen in keinerlei äufseren Zusammenhang standen.
Im genannten Jahre veröffentlichte Herrn, von Leonhardi, Pro-
fessor der Philosophie an der deutschen Universität Prag, einen
„Aufruf an Erzieher und Freunde der Erziehung zu recht-
zeitiger Jubelfeier dreier um Menschen- und Menschheitsbildung
MonaUheft« dar Com«nln*-G<«elUchaft. 1898. 1
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Keller,
Heft 1 u. 2.
verdientester Männer, Comenius, Krause und Fröbel1)".
Leonhardi fordert, dafs gemäfs der in dem „Weckruf des
Comenius gegebenen Anleitung alle Menschenfreunde zur Be-
ratung gemeinsamer Angelegenheiten aller Orten Vereine bilden
und schlägt vor, sie Comenius -Vereine , Krause -Vereine oder
Fröbel -Vereine zu nennen. Diese Pläne, die dann zur Gründung
des allgemeinen Erziehungsvereins führten, waren uns zu der
Zeit, wo wir in die ersten Erwägungen über unser Unternehmen
eintraten, unbekannt.
Andere Umstände und andere äufsere Bedingungen , aber
doch verwandte Erwägungen waren es, die zur selbständigen
Wiederaufnahme des älteren Gedankens führten und die That-
sache, dafs die Kreise, in welchen die gleichen Pläne reiften,
unabhängig voneinander waren, liefert den Beweis, dafs nahe-
liegende Interessen und Beftirfnisse auf diesem Wege nach Be-
friedigung und äufserer Gestaltung rangen.
Der Anblick des unmenschlichen Bruderhasses, mit dem die
Nationen Österreich-Ungarns und insbesondere Böhmens sich
gegenüberstanden, hatten in dem Herzen Leonhardis den Wunsch
befördert, zur Beschwörung dieser Plage den Geist des Comenius
wachzurufen.
Als wir etwa fünfzehn Jahre später im Westen Deutschlands
die gleichen Wege einschlugen, da waren es die Folgen der
schweren religiösen Kämpfe, deren Wahrnehmung den Anstofs
für unser Vorgehen bildete. Die Gegensätze der christlichen
Konfessionen hatten unter der Wucht eines langen und schweren
Ringens eine Schärfe so bedrohlicher Art gewonnen, dafs man
sich in die Zeiten zurückversetzt glauben konnte, die dem grofsen
Religionskriege des 17. Jahrhunderts vorausgingen. Diese Gegen-
sätze durchdrangen und zersetzten alle Beziehungen des Lebens ;
fast so schroff wie in Österreich-Ungarn die Nationalitäten standen
sich in einzelnen Teilen Deutschlands die Angehörigen derselben
Nation in Hafs und Mifstrauen einander gegenüber, und der Kampf
schien nur mit der völligen Niederwerfung des einen oder des an-
deren Gegners enden zu können. War es nicht naheliegend, zur
Beschwörung solcher Gefahren auch hier auf Comenius zurück-
zugreifen, der schon durch seine Schicksale ein warnendes Bei-
') Wir haben den Aufruf im Auszug abgedruckt im Jahrgang 1892,
S. 217 der Monatshefte der C.-G.
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1893.
Die Comenius-Gesellschaft.
3
spiel war für die, welche leichten Herzens in den Keligionshafs
des 17. Jahrhunderts wieder einlenkten — auf Comenius, dessen
Name nie in den Hader der Parteien hinabgczcrrt war und den
selbst die strengsten Vertreter des curialen Systems mit Achtung
nannten l) ?
Es war kein zufalliges Zusammentreffen, dafs unsere Plane um
dieselbe Zeit festere Gestalt gewannen, wo Friedrich Fabri
seine Schrift: „Wie weiter? Kirchenpolitische Betrachtungen zum
Ende des Kulturkampfes" (Gotha, Perthes) veröffentlichte, nämlich
im Jahre 1887. Wer diese Schrift liest, wird rasch erkennen,
dafs sie neben den Erörterungen über die damalige kirchen-
politische Lage eine Fülle wichtiger Grundsätze enthält, die
für alle Lagen und Verhältnisse ihre Gültigkeit bewahren, und
wer schärfer zusieht, dem kann es nicht entgehen, dafs diese
Grundsätze auf dem Boden comenianischer Überzeugungen er-
wachsen sind.
Das Schwergewicht der Fabrischen Erörterungen lag nicht in
dem von ihm bereits im J. 1876 erhobenen Widerspruch gegen die
Kirchenpolitik der damals herrschenden Männer, den sog. Kultur-
kampf, sondern in den Prinzipien, auf Grund deren dieser Wider-
spruch erfolgte. „Die nachfolgenden Erörterungen," sagt Fabri,
sind ein Friedenswort, und wenn es auch unvermeidlich war,
da und dort mit einer etwas scharfen Kritik sich den Weg durch
') Aloys Bolcslas Balbinus, S. J., schreibt in seiner Bohemia docta:
„Comenius hat überaus viel herausgegeben , nichts aber, was gegen
den katholischen Glauben wäre, und so acheint es mir immer, wenn
ich seiue Schriften lese, als wollte er keine Religion weder bevorzugeu
noch verdammen.4* (Quam plurima edidit, nihil tarnen unquam, quod catho-
licae fidei adversaretur, ac mihi opera ejus legeuti semper visu» est ita
eomparatus seripsisse, ut nullam notare aut damnare religiouem vellet.)
Baibin empfiehlt die Werke des Comenius und sagt, sie seien in jeder
Beziehung außerordentlich lesenswerth. — Balbinus, geb. 1621, starb am
29. Nov. 16*8 zu Prag. Näheres Ober ihn in der Bibliotheque de Compagnie
de Jesus. Nouv. Edit. par C. Sommervogel S. J. Bibliogr. Tom. I., Sp. 792 ff.
Die bekannteste Ausgabe der Bohemia doeta ist zu Prag im Jahre 1780 er-
schienen. — In einem Bericht über das Religionsgesprfteh zu Thorn (1644)
gicbt ein ungenanntes Mitglied der Gesellschaft Jesu eine ungünstige Be-
schreibung der beteiligten protest. Abgeordneten; über Comenius bemerkt
er dagegen nur. er sei ein geistvoller (iugeniosus) Mann und in der Er-
ziehuugslehre ausgezeichnet erfahren; nur sei ihm unbewußt, ob Comenius
in der Theologie mehr verstehe wie andere. (Altes und Neues von theolog.
Sachen, 1746, S. 36 ff.)
!•
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Keller,
Heft 1 u. 2.
unser kirchenpolitisches Gestrüpp zu bahnen, so wird der un-
befangen und gerade denkende Leser, wie ich hoffe, doch den
Eindruck empfangen, dafs der Verfasser sich bestrebt, nach der
Regel: »Wahrheit in Liebe' zu urteilen. Unter allen Umständen
wissen wir, dafs es auch noch höhere Dinge giebt als Karchen-
politik und dafs die ultima ratio des Kirchenbegriffes für alle
Zeiten von dem, den wir als unseren einzigen Herrn und Meister
bekennen, mit den Worten ausgesprochen wurde : ,Wo zwei oder
drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter
ihnen'. In dieses innere Heiligtum kann glücklicherweise kein
Kulturkampf, selbst keine wirklich ,diokletianische Verfolgung*
störend eingreifen."
Diese Überzeugungen waren und sind in Deutschland weniger
als in Holland und England das Gemeingut weiterer Kreise, und
wir begegneten uns mit Fabri in dem Wunsche, ihnen auch
anderwärts allgemeinere Geltung zu geben. Diese Ideen besafsen
ihre Geschichte; es hatte Zeiten gegeben, wo sie hervorragende
geistige Vertreter gefunden hatten, Zeiten auch, wo sie von ent-
gegengesetzten Anschauungen zurückgedrängt waren. Um ihnen
in der Gegenwart eine kräftige Ausbreitung zu sichern, gab
es verschiedene Wege, einer war der, dafs man versuchte, sie
von neuem durch den Mund der grofsen Männer zu verkünden,
die sie einst erfolgreich vertreten hatten. Da wir von der
Macht, welche grofsen geschichtlichen Überlieferungen inne-
zuwohnen pflegt, überzeugt waren, jso schien uns dieser Weg
viele Vorzüge zu bieten, und wir hatten die Freude, darüber
alsbald ein Einverständnis mehrerer angesehener Männer zu er-
zielen; die wärmste Zustimmung kam zunächst aus Holland, wo
Chr. Sepp und Dr. S. J. Hingst, ersterer einer der an-
gesehensten Kirchenhistoriker und letzterer ein hochverdienter
Jurist dieses Landes, unsere Bestrebungen billigten.
Nachdem unter uns hierüber eine Einigung herbeigeführt
war, war es der Verfasser dieses Aufsatzes, welcher dem Ge-
danken dadurch festere Formen gab, dafs er im Jahre 1889
vorschlug, zur Lösung dieser Aufgabe eine Gesellschaft
zu gründen und durch diese zunächst das Andenken des Co-
raenius zu neuem Leben zu erwecken; die bevorstehende
Jahrhundertfeier konnte — so war meine Erwägung — in er-
wünschter Weise die Möglichkeit zur Ausführung dieses Ge-
dankens bieten; gerade die Ideen und Schriften des Co-
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1893.
Die Comcnius-GeselUchaft.
5
menius in Sachen der Volkserziehung schienen mir der
Erneuerung besonders wert und bedürftig; sie mufsten, wenn
dies gelang, einen heilsamen Einflufs auf eines der wichtigsten
Gebiete des Volkslebens, nämlich die Erziehung und Erziehungs-
lehre, üben und zugleich dieser Wissenschaft und ihren Vertretern
mehr und mehr diejenige Stellung im Kreise der übrigen Wissen-
schaften sichern, auf die sie ihrer Bedeutung nach einen be-
rechtigten Anspruch besafs.
Aber es waren doch nicht allein die Schriften des Comenius,
deren Herausgabe uns vorschwebte: wir wollten den comenia-
ni sehen Geist und damit zugleich den Geist und die Ge-
sinnung aller ihm innerlich verwandten Männer wecken und in
diesem Geist die philosophischen, pädagogischen und wissen-
schaftlichen Fragen der Gegenwart betrachten und behandeln.
In dem ersten Entwurf der Satzungen unseres beabsichtigten
Unternehmens — er wurde im Frühjahr 1889 aufgestellt —
spiegeln sich die Ziele, die uns vorschwebten, ziemlich deutlich
wieder. Der § 1 dieses Entwurfs lautete ungefähr folgendermafsen :
„Die Gesellschaft hat den Zweck, im Geiste des Co-
menius durch Förderung litterarischer Veröffentlichungen
für die Pflege des geistigen und sittlichen Lebens zu
wirken."
In einem mir vorliegenden Brief vom 26. Februar 1889
werden diese Sätze dahin erläutert, dafs es darauf ankomme,
durch die beabsichtigte Gesellschaft alle Wissenschaften, mit
Ausnahme von Politik und Dogmatik, zu pflegen, dafs
aber vor allem Philosophie, Erziehungslehre, Sitten-
lehre und Gesellschaftslehre in Betracht zu kommen
hätten. Um weiteren Kreisen anzudeuten, in welchem Sinne die
Gesellschaft ihre Aufgabe zu erfassen gedenke, wurde deshalb
noch im Frühjahr 1889 der Gedanke in Erwägung gezogen,
durch den Zusatz „Comenius-Gesellschaft für Wissenschaft
und Volkserziehung" die Thatsache zu betonen, dafs
unsere Gesellschaft sich nicht in der Weise der Shakespeare-
oder Wiclif-Gesellschaft auf Comenius beschränken und etwa
eine Kommission zur Herausgabe seiner Werke darstellen wolle.
Indessen überwog zuletzt die Erwägung, dafs die einfache
Bezeichnung Comenius-Gesellschaft die Idee, die uns vorschwebte,
deutlich genug anzeige und dafs der Name des Comenius ein
Programm bestimmter Art in sich schliefse.
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Keller,
Heft 1 u. 2.
Es war nicht blofs die seltene Vereinigung eines lebendigen
religiösen, wissenschaftlichen und erziehlichen
Interesses, die uns an Comenius vorbildlich erschien, auch nicht
allein die bahnbrechende Bedeutung, die er auf dem Gebiete
der Erziehungslehre gewonnen hat, sondern vor allem fiel für
uns die Thatsache ins Gewicht, dafs er einer der hervorragendsten
Vertreter einer Geistesrichtung war und ist, die in allen Jahr-
hunderten vorhanden gewesen ist und deren Festhaltung wir in
den Kämpfen der Gegenwart für eine Pflicht aller Freunde des
Vaterlandes wie der Menschheit hielten.
Es ist nicht ganz leicht, diese Geistesrichtung mit wenigen
Worten zu charakterisieren. Man kennzeichnet sie nicht richtig,
wenn man ihr wesentlichstes Merkmal in einer weit-
herzigen Toleranz sucht, auch nicht, wenn man sie undog-
matisch nennt, obwohl sie auch diese Kennzeichen besessen
hat. Aber es giebt eine Weitherzigkeit, die zugleich religiös
gleichgültig, einen Humanismus, welcher vom Christentum nicht
viel mehr als einige Sittenlehren übernommen hat, die auch Eigen-
tum irgend einer Philosophenschule sein können, die sonst zum
Christentum im Gegensatze steht. Was Comenius kennzeichnet,
ist vielmehr die glückliche Verbindung eines starken ethischen
Interesses, das mit Toleranz und Weitherzigkeit Hand in Hand
geht, und eines tief gewurzelten religiösen Bedürfnisses, das
im Christentum die Religion, nicht eine unter vielen, erkennt,
sowie zugleich die hohe Achtung vor der fremden Überzeugung,
die stets geneigt ist, mehr das Verbindende als das Trennende
zu betonen, Zweifelhaftes aber lieber zurückzustellen als zu be-
streiten.
Die Verbindung dieser Eigenschaften ist, so oft sie sich auch
in einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten aller christlichen
Kirchen und Parteien vorfindet, doch keineswegs eine charak-
teristische Eigenschaft aller Konfessionen und Kirchen als solcher.
Bei den Schwierigkeiten, auf welche hohe sittliche Forderungen
bei der Masse der Menschen zu stofsen pflegen, haben die Kirchen,
die auf die breiteren Schichten rechnen müssen, sich meist ge-
nötigt gesehen, in der Theorie oder in der Praxis das Interesse
des Gemüts oder des Verstands in den Vordergrund zu rücken,
und die Sittenlehre in ihrer vollen Strenge innerhalb engerer
Kreise zur Betonung zu bringen. Daher die Erscheinung, dafs
die altchristliche Ethik in dem Augenblick, wo die Kirche zur
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1893.
Die Comenius-Gepellschaft.
7
Weltkirche wurde, und den Bedürfnissen des Weltreichs, dessen
Erbschaft sie antrat, sich anpafste, in vielen Punkten von der
Strenge nachliefs, welche die Männer der alten Zeit sich zur
Pflicht gemacht hatten. Es ist ja nicht zu leugnen und soll nicht
geleugnet werden, dafs solche Forderungen der Gefahr des Mifs-
brauchs ausgesetzt sind und oft einen gesetzlichen und unter
Umständen einen verderblichen Charakter annehmen. Aber ab-
gesehen davon, dafs eine Zurückstellung der ethischen Seite,
selbst wenn sie auch nur in der Praxis gehandhabt wird, der
Gefahr des Mifsbrauchs nach anderen Seiten hin in gleichem
Mafse unterliegt, läfst sich doch nicht verkennen, dafs di<- ent-
schiedene Betonung der ethischen Interessen dem Charakter des
ältesten Christentums am meisten entsprach, vorausgesetzt natür-
lich, dafs man nicht Gebot auf Gebot häufte, ohne dem Gemüt
den Trost zu geben, welcher mit und durch Christus den Menschen
zu teil geworden war.
Es ist zu allen Zeiten die schwierigste Aufgabe für die
christlichen Bekenntnisse gewesen, die Klippen, die auf beiden
Seiten drohen, zu vermeiden. In besonders glücklicher Weise
aber ist die Aufgabe von derjenigen Geistesrichtung gelöst worden,
als deren Vertreter Comenius dasteht. Es ist das Kennzeichen
der besseren Geister dieser Richtung, dafs sie sowohl der Gefahr
einer toten Rechtgläubigkeit wie derjenigen eines öden
Moralismus entgangen sind.
Hieraus lassen sich leicht alle übrigen Eigenschaften erklären,
durch die sich Comenius und die religiösen Gemeinschaften, die
er vertritt — wir fassen sie unter dem Namen der alt evan-
gelischen Gemeinden zusammen — von den übrigen Zeit-
richtungen trennten, und durch die sie ihre geschichtliche Bedeu-
tung gewonnen haben.
Man weifs, dafs die herrschenden Kirchen in geistiger und
religiöser Beziehung in erster Linie auf die übersinnlichen
Dinge gerichtet waren, und dafs sie ihre Anhänger gewöhnt
hatten, vornehmlich mit den Kräften des Gemüts und der Phan-
tasie ihre Glaubenswelt im jenseitigen Leben sich auszugestalten.
Die gläubige Hingabe an die Lehren der Kirche und die Er-
füllung der kirchlichen Pflichten, an welche die einstige Seligkeit
gebunden war, stand durchaus im Mittelpunkt aller Interessen.
Dadurch ergab sich von selbst, dafs die Teilnahme für die
diesseitige Welt, für die Beziehungen der Menschen zu den
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Keller,
Heft 1 u. 2.
Menschen und für die uns umgebende Natur eine Beeinträch-
tigung erlitt , die sich gerade in denjenigen Zeitabschnitten recht
deutlich gezeigt hat, wo die Kirchenlehre die Gemüter am meisten
und vollständigsten beherrschte.
Dieser Betonung des Jenseitigen und Übersinnlichen gegen-
über lebte in Nebenströmungen des kirchlichen Christentums
eine Uberlieferung, welche die Uberzeugung festhielt, dafs der
Stifter unserer Religion die Aufrichtung des Reiches Gottes auf
Erden als Gegenstand seines Berufs bezeichnet und damit die
Neugestaltung der menschlichen Gesellschaft als
Zielgedanken Gottes hingestellt hatte. Die treibenden Kräfte in
diesem Gottesreich sollten die Liebe, der Glaube und die
Hoffnung sein, von welchen der Glaube aufhört im Schauen
und die Hoffnung in der Erfüllung, von denen aber die Liebe
ewig bleibt, und die somit das höchste unter allen Geboten ist.
Der Weltzweck Gottes, wie ihn Christus uns verkündet hat —
sagten sie — ist nicht blofs auf die jenseitige Welt, auch nicht
auf eine Anstalt gerichtet, die das Heil durch äufsere Mittel
darreicht, sondern auf die Sammlung eines Volks, das seinen
Willen thut und auf die Aufrichtung eines Reichs, in welchem
die Menschen in Frieden bei einander wohnen.
In der starken Betonung des Gottesreichs — der Begriff
tritt in wechselnden Formen und Namen auf und wird sehr oft
durch bildliche Redewendungen angedeutet — tritt das vor-
herrschende Interesse jener Kreise ganz unzweideutig zu Tage.
Hand in Hand mit dieser Idee des „Tempels des Weisheit"
geht die Ablehnung jenes rein transcendenten Gottesbegriffs, wie
er durch die herrschende Kirchenlehre ausgebildet worden war.
Die Betonung der Innerweltlichkeit Gottes ist ein ge-
meinsames Merkmal der Richtungen, von denen hier die Rede
ist und das sich auch bei Comonius wiederfindet 1). Der Spruch,
dafs Gott „Anfang, Mitte und Ende aller Dinge seiÄ ist ein
Grundgedanke aller altovangelischen Gemeinschaften und der
ihnen geistesverwandten Strömungen und Schulen. Ihr System
durchzieht der Gedanke, dafs eine grofse Harmonie das All um-
fafst, „da die Dinge in Gott sind wie im Urbild, in der Natur
wie im Abbild" (Plato).
') Vergl. den Artikel Hohlfelds, Comcniua und Krause, Monatshefte
der C.-G. 1892, S. 7.
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1803.
Die Cotncnius-Geaclbchaft.
9
Mit diesen Ideen hängt nun die Betonung der Erziehung
und der Erziehungslehre und die eigenartigen Grundsatze,
welchen Comenius in dieser Wissenschaft im Anschlufs an die
Überlieferungen seiner Religionsgemeinschaft zuerst Bahn ge-
brochen hat, auf das engste zusammen. Auf ihnen beruht die Ach-
tung vor der Menschennatur und die Schätzung des Wertes,
den jede Menschenseele, wie zerrüttet auch immer sie sei, vor
Gott besitzt, — - auf ihnen der Begriff der Entwicklung und
seine Übertragung auf die Erziehung, welche von so grofsen
Folgen gewesen ist, — auf ihnen die Wertschätzung aller Natu r-
clinge und alles Naturgesc heh ens, durch die dem grofs-
artigen Ausbau der Wissenschaften von der Natur die Wege ge-
ebnet worden sind, — auf ihnen die Betonung des Grundsatzes
der Freiwilligkeit, — auf ihnen endlich jene weitherzigen,
aller toten Rechtgläubigkeit abholden Bestrebungen, die dem
Frieden der Völker, der Kirchen und derStände ge-
widmet sind.
Im Herbst 1890 waren wir soweit, dafs wir zur Abfassung
eines Aufrufes und zur Aufstellung der Grundzuge unserer Ge-
sellschaft schreiten konnten. Am 10. Oktober 1890 wurde ein
Entwurf im Druck an eine gröfsere Zahl von Vertrauensmännern
geschickt, und in kurzer Zeit hatte er eine stattliche Reihe von
Unterschriften gefunden. Es liefse sich vieles dafür sagen, dafs
dieser 10. Oktober 1890 als der eigentliche Stiftungstag
unserer Gesellschaft anzusehen ist; er ist wichtiger als der
10. Oktober 1891, wo die Gesellschaft ihre erste vertrauliche
Vorversammlung zu Berlin abhielt, und den ersten Entwicklungs-
abschnitt unseres Unternehmens zum Abschlufs brachte.
Diese erste Entwicklung hatte sich nicht auf die Weise voll-
zogen, wie wir sie uns anfanglich gedacht hatten. Die Zahl
unserer Mitglieder wuchs rasch, und es bewahrheitete sich die
Thatsache, dafs Comenius viele Freunde und Anhänger besafs;
aber je mehr die Zahl sich vergrößerte, um so weniger erwies
sich der engere Rahmen einer blofs wissenschaftlichen Ge-
sellschaft, den wir ursprünglich ins Auge gefafst hatten, als
angemessen; es galt, die Bedürfnisse aller unserer Mitglieder
thunlichst zu befriedigen und womöglich alle Kräfte zur Mitarbeit
in den für sie geeigneten Formen heranzuziehen.
In diesem Entwicklungsabschnitt nun wurden uns die Ent-
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Keller,
lieft 1 u. 2.
würfe bekannt, die aus Anlafs der Comeniusfeier des Jahres
1871 von einer Anzahl damaliger Comeniusfreunde aufgestellt
waren, und die in einem Aufsatz der Leipziger Illustrierten
Zeitung vom 15. August 1874 niedergelegt sind.
In diesem Aufsatz war der auch uns vorschwebende Gedanke
der Vereinsbildung bestimmt ausgesprochen, auch der Hoff-
nung Ausdruck gegeben, dafs dieser Verein bei der Feier des
300jährigen Geburtstags aller Orten sich in voller Wirksamkeit
befinde. Es war darin aber auch zugleich ein Gesichtspunkt betont,
der unseren Plänen gegenüber neu war, nämlich die Thatsache,
dafs Comenius selbst in seinem Allgemeinen Weckruf (der Pane-
gersie) zur Durchfuhrung seiner Grundsätze die Bildung einer
Vereinigung gefordert hatte, welche die Vertreter aller Par-
teien, Konfessionen, Nationen und Stände umfassen
sollte.
Die Frage trat an uns heran, ob es nicht angänglich sei,
unser Unternehmen im Sinn und Geist des „Weckrufs- zu er-
weitern und wenigstens die Möglichkeit offen zu lassen, dafs sich
die Comenius-Gesellschaft , wenn Wind und Wetter ihr günstig
waren, zu einer Fortsetzung des Werks gestalte, dessen Bau
Comenius einst begonnen hatte, selbst wenn uns die Vereinigung
„aller Edlen aus allen Nationen", wie sie Comenius forderte,
ein unerreichbares Ideal blieb.
Es schienen in der That überwiegende Gründe dafür zu
sprechen, auch in dieser Beziehung thunlichst auf den Wegen zu
bleiben, die Comenius uns gezeigt hatte und so an alte und be-
währte Überlieferungen anzuknüpfen. Es ward demgomäfs ver-
abredet, die Pforten unserer Gesellschaft nicht blofs solchen
Männern zu erschliefsen , die durch wissenschaftliche Interessen
sich zu ihr hingezogen fühlten, sondern sie für alle offen zu
halten, die im Geiste des Comenius für das Wohl der Menschheit
wirken wollten. Es wurde beschlossen, neben den früher aus-
schliefslich ins Auge gefafsten Quellenwerken eine periodisch er-
scheinende Zeitschrift (die Monatshefte) und „Mitteilungen" der
Comenius-Gesellschaft herauszugeben und die Beitragssätze diesem
Plan entsprechend herabzusetzen und mehrere Sätze für ver-
schiedene Klassen von Mitwirkenden einzuführen.
Auch ward die Bildung provinzieller und örtlicher Organi-
sationen ins Auge gefafst und bestimmt, dafs denjenigen, die
sich solchen Abteilungen ohne Anspruch auf die Lieferung der
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189:5.
Die Comenius-Gesellschaft.
wissenschaftlichen Veröffentlichungen anzuschliefsen wünschen,
gegen Zahlung von 3 Mk. die „Mitteilungen der Comenius-Gesell-
schaft" zugänglich gemacht werden sollen. Endlich, und das war
das Wichtigste, wurden der Gesellschaft auch gemeinnützige
Ziele gesteckt und beschlossen, dafs sie sich auf dem Felde der
Volkserziehung und der freiwilligen Bildungspflege
bethfttigen solle.
In gewissem Sinn kamen die Aufgaben, welche unsere Gesell-
schaft sich nunmehr im Anschlufs an Comenius' Weckruf ge-
stellt hatte, dadurch zu einem äufseren Ausdruck, dafs sie
jenes Denkzeichen, das Comenius der Gesamtausgabe seiner
Schriften vorgesetzt hat und dessen wesentliche Stücke sich
auch in dem von ihm geführten Siegel wiederfinden1), zu dem
ihrigen machte.
In dem Weckruf heifst es, dafs die „Vereinigung aller Edlen"
auf einem dreifachen Weg gedacht werden müsse, auf dem
Weg der Einheit, dem Weg der Selbständigkeit und dem
Weg der Freiwilligkeit. „Die Einheit," fährt Comenius
fort, „und die auf sie gegründete Vereinigung ist das Ebenbild
Gottes; denn Gott ist ein Wesen und doch alles, er ist alles
und doch eins; der Weg der Selbständigkeit ist der Weg
der Unabhängigkeit von der Aufsenwelt, welche verlangt, dafs
der Mensch das Geistesauge in sich habe und nicht geborgtes
Licht zurückstrahle; was die Freiwilligkeit betrifft, so ist
die Freiheit ein Theil des Wesens der Gottheit, welches Gott
seinem Ebenbilde eingedrückt hat; er erinnert den Menschen,
aber er zwingt ihn nicht, er mahnt ihn vom Bösen ab, aber er
hält ihn nicht gewaltsam zurück ; und wie er selbst der mensch-
lichen Natur keine Gewalt anthut, so ist es ihm zuwider, wenn
der Mensch vom Menschen Gewalt leidet."
Man erkennt hier die Zusammenfassung der wesentlichsten
Grundsätze, auf welchen die religiöse und sittliche Weltanschauung
des Comenius beruht und aus der sich seine Eigenart erklärt.
') Das Siegel findet sich an einem Briefe des Comenius vom 25. Ok-
tober 1656, der im Staatsarchiv zu Posen aufbewahrt wird. Auf demselben
sind der Berg und die drei Bäume (Erde), sowie Sonne, Mond und Sterne
klar erkennbar; am oberen Rande steht: J. A. C. Ich verdanke diese
Kenntnis der Güte des Herrn Archivrats Dr. Prümers in Posen. W i r
haben das Siegel als Abzeichen für die „Mitteilungen" un-
serer Gesellschaft in Gebrauch genommen und werden es auch
sonst als Denkzeicben der Gesellschaft für kleinere Drucksachen verwenden.
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Keller,
Heft 1 u. 2.
Diese Gedanken nun sind in dem erwähnten Denkzeichen sym-
bolisch zur Darstellung gebracht, und er hat sie damit gleichsam
zu seinem Wahlspruch gemacht.
Zwei ineinander liegende Kreise, ein äufserer und ein innerer,
umschliefsen die bildliche Darstellung des Weltalls mit Erde,
Sonne, Mond und Sternen. Das Ganze versinnbildlicht die Gott-
heit, die Einheit und das All. Die Sonne, die Urheberin
und Erzeugerin des Lichts, ist Symbol der Unabhängigkeit.
Das Bild deutet an, wie die Strahlen der Sonne und ihres Lichts
die dunklen Wolken besiegen, die ihren Regen auf die Erde
ergiefsen. Aus dem von drei Bäumen gekrönten Berg, hinter
welchem sieben Sterne und die leuchtende Sonne aufgehen, er-
giefst sich aus doppelt geöffneter Höhle ein Quell, an dessen ge-
zacktem Uferrand sieben Lilien wachsen. Zwischen dem äufseren
und inneren Kreise steht der Spruch : „Omnia sponta fluant, absit
violentia rebus", der den Grundsatz der Freiwilligkeit zum
Ausdruck bringt.
Es war für die Entwicklung unseres Unternehmens ein er-
freuliches Zeichen, dafs die Wahl dieser Losung allgemeiner Zu-
stimmung begegnete.
Während sich diese innere Entwicklung unserer Gesellschaft •
vollzog, hielt sie die Lösung der Aufgaben, die sie sich gesteckt
hatte, fest im Auge. Die erste und wichtigste bestand in der
Förderung der Jahrhundertfeier, die am 28. März 1892
bevorstand. Es war von vornherein ausdrücklich ausgesprochen,
dafs die Comenius-Gesellschaft das Andenken der grofsen Männer,
in deren Geist sie zu wirken wünschte, nicht blofs durch den Neu-
druck ihrer Schriften oder durch Lebensbilder, sondern auch durch
die Errichtung von Denkmälern und durch Gedenkfeste
pflegen wollte.
Der Rechenschaftsbericht über die Thätigkeit und die Er-
folge unserer Gesellschaft, dessen wesentliche Punkte ich in
dieser Form bekannt machen möchte, hat daher in erster Linie
die Schritte zu erwähnen, die zur Förderung der Feier geschehen
sind. In Rücksicht darauf, dafs unseren Lesern die erzielten
Ergebnisse durch die Tagespresse hinreichend bekannt geworden
sind, kann ich mich in dieser Beziehung kurz fassen.
Bereits im Frühjahr 1891 war die Jahrhundertfeier an den-
jenigen Orten, welche mit der Geschichte des Comenius enger
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1893.
Die Comenius-Gesellschaft.
13
verknüpft waren, gesichert; aber eine allgemeine Feier hielten
um diese Zeit selbst solche Männer, die dem Unternehmen sehr
wohlwollend gegenüberstanden, für undenkbar. Ihr könnt, sagte
man uns, weder die religiösen Empfindungen irgend einer der
bestehenden Kirchen noch (aufserhalb Mährens und Böhmens) die
nationalen Leidenschaften in Bewegung setzen, und wer wird
heute ftir einen Apostel des Friedens schwärmen, wo alles von
Hafs und von Gegensätzen erfüllt ist?
Alle diese Vorhersagungen sind zu Schanden geworden: die
Jahrhundertfeier hat in der That einen einzigartigen Verlauf ge-
nommen, und unsere Gesellschaft kann mit diesem ersten Er-
gebnis ihres Auftretens zufrieden sein. Unter allen gebildeten
Völkern, bei Mitgliedern aller Bekenntnisse, Parteien und Stände
hat der Ruf, den wir ergehen liefsen, Wiederhall gefunden, und
in tausend und aber tausend Herzen hat sich das Bild des grofsen
Mannes eingeprägt.
Die Welt hast du geachtet einst durchmessen
Von Mährens Bergen zu des Nordens Reich,
Heut will die Welt an deinem Werke bauen.
Und Nord und Süd soll deine Siege schauen!
Was der Dichter voraussah, ist zur Wirklichkeit geworden:
Nord und Süd hat seine Siege geschaut und kein Mifston hat
sich in die Freude gemischt, mit der die geistige Auferstehung
dieses Propheten eines glücklicheren Weltalters weit und breit
begrüfst ward. So ist die alte Vorhersagung von Gottfried Wilhelm
Leibniz spät zwar, aber in ungeahntem Umfang wahr geworden :
Dich, Comeniug, wird, dein Thun, dein Hoffen, dein Wünschen
Ehren und preisen dereinst, wer zu den Guten sich zählt.
Nachdem das Ergebnis, das uns vorschwebte, erzielt worden
ist, kommt es wenig in Betracht, dafs viel Arbeit und viel Geld
dazu notwendig gewesen sind. Beides ist von den Freunden des
Unternehmens zur Verfügung gestellt worden, und man wird
über die Einzelheiten bei anderer Gelegenheit genügende Aus-
kunft finden.
Die bei dem Vorsitzenden eingegangenen Berichte über die
Feier bestätigen, dafs die Träger der Bewegung allerorten
gerade diejenigen Männer gewesen sind, die bereits im Jahre
1891 Mitglieder der Comenius- Gesellschaft geworden waren.
Die Zahl unserer Mitglieder betrug bereits am 1. Februar 1892
etwa 650 Personen und Körperschaften, und die Summe der
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Keller,
Heft 1 u. 2.
Beitrage, die allein im Jahro 1891 oder für 1891 eingegangen
sind, belief sieh auf rund 6200 Mk. — ein Betrag, der zur Be-
streitung der Kosten der Jahrhundertfeier nicht ausreichte, son-
dern noch einen Zuschufs von etwa 2800 Mk. aus den Einnahmen
des Jahres 1892 notwendig machte. Ich glaube kaum, dafs die
Gesamtausgabe von 9000 Mk. , welche ftlr die Jahrhundertfeier
von der Gesellschaft gemacht worden ist, angesichts der erzielten
Erfolge als zu hoch betrachtet werden wird. Man kann sich ein
Bild von den Kosten und der Arbeit, die uns erwuchsen, machen,
wenn man erwögt, dafs etwa siebzig verschiedene Drucksachen
in mehr als 100000 Abzügen versandt worden sind.
Unter jenen 650 Mitgliedern waren Angehörige von 14 Na-
tionen vertreten. Die Regierungen der verschiedenen Staaten
hatten durch ihre obersten Schulbehördcn in freundlichem Sinne
zu der Sache Stellung genommen. Aus dem Königl. Preufs.
Kultusministerium waren die Herren Wirkl.Geh. Oberregierungsrat
Dr. Schneider und Geh. Oberregierungsrat Dr. II ö p f n e r Vor-
standsmitglieder der Gesellschaft geworden *) ; aus dem Erziehungs-
bureau der Vereinigten Staaten war dessen Chef, Herr Dr. W.
T. Harri 8, beigetreten; aus Österreich hatte der k. k. Ministerial-
rat Ritter v. Jirecck in Wien, sowie der Vizepräsident des
Landesschulrats für Ungarn, Herr Prof. Dr. G. Heinrich in
Budapest den Anschlufs bewirkt, aus Italien hatte der Minister
des Unterrichts, Herr Dr. Pasquale Villari, seine Mitwirkung
in Aussicht gestellt, ebenso aus Schweden der vormalige Volks-
schulinspektor Herr Dr. C. J. Meyerberg in Stockholm und
aus Norwegen der Departements-Chef im Kirchen- und Unterrichts-
ministerium, Herr D. F. K n u d s e n. Das Kaiserlich Russische
•) Der Deutsche Reichs-Anzeiger vom 18. März 1892 (Nr. 68)
brachte mit gesperrter Schrift folgeude Notiz : „Auf den 28. März d. J. fallt
der 300jährige Geburtstag de« Arnos Comenius. Die Verdienste dieses
Manne« um das Schulwesen und insbesondere um die Volks-
schule sind so grofs und so allgemein anerkannt, dafs gerade
die Lehrerbildungsanstalten durch eine angemess ene Fest-
feier sein Andenken zu ehren berufen sind. Der Minister der
geistlichen etc. Angelegenheiten hat den Königlichen Provinzial-Schul-
kollegien Abschrift einer von dem Königlichen Provinzial-Schulkollegium
zu Breslau an die Seminardirektoren und Präparaudcnanstalts- Vorsteher der
Provinz Schlesien erlasseuen Cirkularverfügung vom 16. Februar d. J. über
die Feier des 300jährigen Geburtstags des Arnos Comenius zur Kenntnis-
nahme und mit der Veranlassung zugehen lassen, bei den ihnen unter-
stellten Lehrer- und Lehrerinncn-Uildung^anstalten etc. auf eine angemessene
Feier dieses Tages hinzuwirken."
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I
1893. Dic Comenius-Gesellschaft. 15
Ministerium der Volksaufklärung hat in dem von ihm heraus-
gegebenen Journal im Januar 1892 einen empfehlenden Aufsatz
Uber die Comenius-Gesellschaft abdrucken lassen. Diesem Beispiel
waren die übrigen deutschen Staaten zum grösseren Teil ge-
folgt; namentlich hatten aus dem Königl. Sächs. Kultusministerium
Herr Geh. Rat Dr. Bornemann und aus Strafsburg der Präsi-
dent des Oberschulrats fiir Elsafs-Lothringen Herr Richter seine
Zustimmung zu erkennen gegeben, und die Oberschulbehörden
anderer Staaten (Würtemberg, Baden, S. -Altenburg
u. s. w.) hatten eine thätige Teilnahme an den Tag gelegt
Um ihre finanzielle Mitwirkung für die Gesellschaft sind bis
heute die Staatsregierungen nicht ersucht worden ; zu den Kosten
der Jahrhundertfeier hat das Königl. Preufs. Kultusministerium
auf Antrag des Festausschusses eine Beihilfe von 500 M. bewilligt.
Es ist dagegen um so eher Hoffnung vorhanden, dafs bezügliche
Gesuche der Gesellschaft einer freundliehen Aufnahme begegnen
werden, je mehr wir auf wissenschaftliche oder gemeinnützige
Leistungen hinzuweisen imstande sind. Wie in den Jahren
1871 und 1872 die Comenius-Stiftung zu Leipzig durch die Regie-
rungen verschiedener Staaten unterstützt worden ist, so wird
in gleicher Weise gewifs auch unser Unternehmen die gleiche
Mitwirkung erfahren.
Auch eine Reihe von Städten, an ihrer Spitze Amsterdam,
Prag, Danzig, Elbing, Lissa und Prcrau, bethätigten
vom ersten Augenblick an ihr Interesse durch finanzielle Mit-
wirkung; inzwischen sind weiter beigetreten: Fulnek in Mähren,
Kassel, Leipzig, Mühlhausen in Thüringen, Posen und
Stettin. Es ist nicht zu bezweifeln, dafs weitere Gesuche
weitere Beitritte zur Folge haben werden. Die Stadt Berlin hat
für die Jahrhundertfeier im März 1892 1000 Mk. bewilligt. Die
Städte Halle und Nürnberg haben den Beitritt abgelehnt.
Seit dem Februar 1892, wo, wie bemerkt, die Zahl unserer
Mitglieder 650 betrug, hat sich eine stetige und regelmäfsige
Zunahme vollzogen. Die Zahlen betrugen:
am 15. April 1892 : 749 Mitglieder,
„ 3. Juni „ 796
„ 12. August „ 856 „
„ 2. Nov. r 910
„ 31. Dez. „ 940 r
Unter diesen Mitgliedern befanden sich am Schlufs des
Jahres 1892 eine verhältnismäfsig grofse Zahl — etwa 215 —
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16
Keller,
Heft 1 u. 2.
körperschaftliehe Mitglieder, was wir als günstiges Anzeichen
deuten dürfen. Diese Zunahme erfolgte, obwohl natürlich gleich-
zeitig durch Tod, Ausscheiden u. s. w. der übliche Abgang sich
vollzog. Wir haben durch den Tod unter anderen folgende
Mitglieder verloren: Dr. Friedr. Fabri, Univ.-Prof. in Bonn;
Reg.- u. Schulrat Dr. Falkenheiner in Kassel; Dr. Frick,
Direktor der Franckeschen Stiftungen in Halle ; Dr. S. J. H ingst,
Mitglied des obersten Gerichtshofs im Haag; Dr. J. Albert van
Karapen, Gymn.-Prof. in Gotha; Dekan F. Kübel in Efs-
lingen; Rcdacteur August Lammers in Bremen; Schuldirektor
Bruno Marquart in Dresden; Oberst a. D. Neuland, Berlin;
R. H. Quick, Redhill, England; Rei necke, Stadt- und Kreis-
Schulinspektor, Berlin; Dr. Eid. Robert, Rechtsanwalt, Mascara,
Algier; Pastor W. Teutschland er in Bukarest; Militärober-
pfarrer Dr. Tube in Danzig; Prof. Dr. Weinkau ff in Köln;
Dr. jur. Ernst Emil W e n d t in London.
Es waren zum Teil ausgezeichnete Männer, Namen von
bestem Klang und zum Teil gerade solche Männer, die den
ersten Anfängen unserer Gesellschaft besonders nahe gestanden
haben.
Die Summe der Einnahmen des Jahres 1892 läfst sich in
dem Augenblick, wo dieser Bericht abgeschlossen wird, noch nicht
genau übersehen. Bis zum 31. Dezember 1892 waren im ganzen
rund 5500 Mk. für 1892 eingegangen; da aber in unseren Rollen
noch eine Anzahl von Mitgliedern verzeichnet steht, deren
Beiträge noch ausstehen, so werden die Einnahmen unter Vor-
aussetzung eines vollständigen Eingangs sich noch um etwa
500 Mk. erhöhen. Von diesen Einnahmen sind, wie oben be-
merkt, etwa 2800 Mk. zur Förderung der Jahrhundertfeier ver-
wandt worden; der Rest ist für die Veröffentlichungen der Ge-
sellschaft und für Verwaltungszwecke verwandt worden. Ein
Kassenbericht , der die genaueren Zahlen giebt, soll im März
oder April der Öffentlichkeit übergeben werden.
Nachdem zu Ende März 1892 die erste und vornehmste Auf-
gabe der Gesellschaft mit dem Schiufa der Jahrhundertfeier gelöst
war, traten sofort wichtige weitere Aufgaben an uns heran,
nämlich vor allem der Ausbau Unserer Organisation,
die Anknüpfung freundlicher Beziehungen zu ver-
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1893.
Die Comenius-Gescdlschaft.
17
wandten Bestrebungen und der Beginn unserer Ver-
öffentlichungen.
Wenn auch zu Beginn des Jahres 1892 die allgemeinen Ziel-
punkte und die Mittel, um sie zu erreichen, durch die mit dem
Aufruf versandten Vereinbarungen festlagen, so blieben
doch im einzelnen noch vielerlei nähere Bestimmungen notwendig.
Diese wurden in den Satzungen gegeben, die im März 1892 ent-
worfen und durch Beschluß des Gesamtvorstands mit dem
1. April 1892 vorläufig in Kraft gesetzt wurden1). Von un-
mittelbar praktischer Bedeutung wurden von den neuen Anord-
nungen, die sie enthalten, zunächst diejenigen, welche über die
Zwciggesellsc haften (Abteilungen) und Uber die Landes-
und Ortspflegschaften handelten (§§ 16—28). Wenige
Monate, nachdem die Satzungen in Kraft getreten waren, wurde
die erste Zweiggesellschaft zu Amsterdam unter dem Vorsitz
von Herrn Dr. Rogge, ordentlichem Professor der allgemeinen
Geschichte an der dortigen Universität, ins Leben gerufen und
ihr unter dem 6. November 1892 ein Grundungspatent verliehen.
Gleichzeitig wurden in Geinäfsheit der 28 und 29 der
Satzungen in etwa fünfzig Städten Landes- uod Ortspflegschaften
eingerichtet und Bevollmächtigte der Gesellschaft ernannt.
Die Namen der Herren werden wir durch die „Mitteilungen"
veröffentlichen. Die Geschäftsordnung, welche für die Bevoll-
mächtigten entworfen worden ist, nat im Oktober 1892 die Zu-
stimmung des Gesamtvorstandes gefunden. Die wichtigsten Be-
stimmungen derselben sind diejenigen, welche auf die Ein-
richtung von Co moni us-Krftnzchen abzielen.
Einen besonders wichtigen Fortschritt unserer Organisation
bezeichnet die „Geschäftsordnung für den Gesamtvor-
stand der C.-G.w, die im dritten Heft unserer Monatshefte vom
Jahre 1892 (Geschäftl. Teil, S. 63 ff.) veröffentlicht worden ist.
Durch die Bestimmungen derselben sind sowohl die wissen-
schaftlichen, wie die gemeinnützigen Ziele klarer umschrieben
worden. In letzterer Beziehung heifst es in § 4, Absatz 2:
„Zum Zweck gemeinnütziger Bethätigung kann der
Vorstand in gröfseren Orten unter Mitwirkung der hier-
') Abgedruckt in den Monatsheften der C G., Heft 1, Geschäftl. Teil,
S. 11 ff.
MonaUheft« der Comenius-OcMUftchaft 1R,<3. 2
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18
Keller.
Heft 1 u. 2.
für geeigneten Gesellschaftsorgane Einrichtungen treffen,
welche solchen Personen die wissenschaftliche Weiter-
bildung erleichtern, die eine Hochschule nicht haben be-
suchen können oder die ihre akademischen Studien bereits
beendigt haben und auf diese Weise durch feste Vor-
tragszyklen fUr Bildungspflege und Volkserziehung
wirken. Nähere Bestimmungen bleiben vorbehalten."
Es wird eine der Aufgaben des Gesamtvorstandes sein, die
Schritte zu erwägen, die unter Mitwirkung der Herren Bevoll-
mächtigten und der Comenius-Kränzchen in der angedeuteten
Richtung etwa geschehen könnten.
In Sachen der wissenschaftlichen Unternehmungen und ihrer
Lösung ist die Bildung von Sektionen, welche die Geschäfts-
ordnung ins Auge fafst, von Wichtigkeit (§ 22 ff.). Da diese
Sektionen selbständige Einnahmen haben und selbständige Aus-
gaben raachen können, so ist die Möglichkeit geboten, dafs sie
bestimmte Forschungsgebiete ich erinnere z. B. an die Ge-
schichte bestimmter Religionsgemeinschaften oder bestimmter
Persönlichkeiten — selbständig in Angriff nehmen, sofern gerade
für solche Gebiete bei Patronen und Gönnern unserer Gesellschaft
besonderes Interesse vorhanden ist und besondere Mittel flüssig
gemacht werden. Es sind einstweilen vier Sektionen ins Auge
gefafst :
A. eine philosophisch-historische Sektion,
B. eine theologisch-historische Sektion,
C. eine Sektion für Erziehungslehre und Schulgeschichte,
D. eine Sektion für Volkserziehung und Bildungspflege.
Die Sektion A umfafst auch die Geschichte der sog. exakten
Wissenschaften, der Staats- und Rechtsphilosophie und der Ge-
sellschaftslehre; dio Sektion D auch die Volkssprachen.
Mit der Bildung der Sektionen soll im Herbst 1893 der An-
fang gemacht werden.
Der Aufruf zur Jahrhundertfeier und die Einladung zur
Teilnahme an unserer Gesellschaft war seit dem Juni 1891 ohne
Unterschied der Nation und Konfession an solche Körperschaften
und Personen gesandt worden, bei denen wir einiges Interesse
voraussetzen konnten. Es war natürlich, dafs unsere Pläne dort
lebhaftere, hier geringere und anderwärts gar keinen Wiederhall
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1893.
Die Comenius-Gesellschaft.
19
fanden und aus den Rückäufserungen, die in unsere Hände ge-
langten, liefe sich über die betreffenden Kreise ein einigermafsen
sicheres Urteil gewinnen. Es mufs dabei hervorgehoben werden,
dafs sieh diese Kreise nicht in erster Linie nach der Kon-
fession, sondern nach dem Beruf schieden. Die Männer, die
durch ihre wissenschaftliche oder praktische Thätigkeit auf dem
Gebiet der Erziehung mit den Grundsätzen des Comenius be-
kannt geworden waren, bethätigton bald und vielseitig ihre
Teilnahrae, gleichviel ob sie katholisch oder evangelisch waren;
ebenso waren die österreichischen und besonders die böhmisch-
mährischen Landslcute des Comenius, gleichviel, ob reformiert,
lutherisch, katholisch oder freigeistig, warme und eifrige Parteigänger.
Auch die Vertreter aller gemeinnützigen Bestrebungen,
die in Comenius einen ihrer Vorkämpfer erkannten, wie die
Bildlingsvereine, Schulvereine, Sprachvereine,
ferner die zahlreichen und gut organisierten Anhänger Fröbels
und Herbarts, die Freunde Krauses, der Verein für
Knabenhandarbeit u. s. w. nahmen eine freundliche Stel-
lung zu unseren Bestrebungen ein und führten uns manche
Mitglieder zu. Besonders rührig zeigten sich die Lehrer-
vereine, von welchen gegenwärtig schon gegen 60 der Gesell-
schaft angehören.
Erfreulich mufste es auch für den Gesamtvorstand sein,
dafs eine gröfsere Zahl angesehener Gesch ich ts vereine in
richtiger Würdigung der wissenschaftlichen Bestrebungen unserer
Gesellschaft, zum Theil aus eigener Veranlassung, zum Teil auf
Anfrage sich in freundliche Beziehungen zu uns setzten.
Von den gröfseren Vereinen, mit welchen unsere Gesellschaft
schon jetzt in freundnachbarliche Beziehungen getreten ist, nenne
ich aufserdem die Gesellschaft für deutsche Erziehungs-
und Schulgeschichte, den „Verein für wissenschaft-
liche Pädagogik", die „Gesellschaft für Verbreitung
von Volksbildung", den „Verein für Volkserziehung"
in Augsburg; mit anderen Vereinen schweben Verhandlungen.
Der interkonfessionelle Charakter unseres Unternehmens trat darin
klar zu Tage, dafs keines von unseren 215 körperschaftlichen
Mitgliedern (mit einer einzigen Ausnahme) gefragt hat, ob und
eventuell welchen kirchlichen Charakter die Gesellschaft trage1).
') Man hat es unserer Gesellschaft zum Vorwurf gemacht, dafs auch
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20
Keller,
Heft 1 u. 2
Andererseits zeigte es sich allerdings bald , dafs Comenius
einer Religionsgemeinschaft angehört hatte, die, wie G. A. Lind-
ner in seiner Lebensbeschreibung sagt 2), „nicht katholisch, nicht
protestantisch, nicht reformiert, sondern einfach christlich
war", und dafs es unter allenKonfessionen auch heute noch
Viele giebt, die für diesen Standpunkt Verständnis und Sym-
pathie besitzen.
Eine Art gemeinsamer Teilnahme von seiten bestimmter
Religionsgemeinschaften konnte der Natur der Sache nach nur
so weit zu Tage treten, als deren Überlieferungen sich in dem
einen oder andern Sinn mit denjenigen der böhmischen Brüder
und ihres letzten Bischofs berührten; dazu gehörten vor allem
die Reformierten, sofern sie nicht strenge Calvinisten waren,
und die Brüdergemeinde. Die Reste der böhmischen Brüder
hatten sich nach Auflösung der Unitat zum gröfseren Teil den
Reformierten angeschlossen, denen sie sich von je innerlich am
verwandtesten gefühlt hatten, und die in vielen Ländern weit-
herzig genug waren , um den Brüdern in ihren Gemeinden auch
dann Aufnahme zu gewähren , wenn diese die Anerkennung
streng calvinistischer Grundsätze ablehnten. Comenius selbst
hatte seine wissenschaftliche und theologische Ausbildung an den
reformierten Hochschulen Herborn und Heidelberg er-
worben und seine letzte Ruhestätte in einer reformierten Kirche
(zu Naardcn) gefunden, und so war es ganz erklärlich, wenn manche
reformierte Geistliche sich berechtigt hielten, auch innerhalb
ihrerKirche der Jahrhundertfeier für den Bischof der glaubens-
verwandten Brüder zu gedenken und den Anschlufs ihrer Gemein-
den an die Gesellschaft zu bewirken. Was bei den Reformierten
vielfach geschah, das wurde innerhalb der Brüdergemeinde aller-
orten vollzogen : ein lebhaftes Gefühl der Zusammengehörigkeit
mit den älteren böhmischen Brüdern brach sich Bahn, und eine
Grofs logen und Logen unter ihren Mitgliedern seien. Die That-
sache ist richtig; aber es ist nicht abzusehen, inwiefern daraus für die
Gesellschaft eine Benachteiligung erwachsen soll. Diese Befürchtung
fliefst, wie es scheint, aus einer Beurteilung der Freimaurer, die
Comenius in einen Gegensatz zu diesen stellt. Wie weit ein solches
Urteil zutrifft, kann hier ununtersucht bleiben. Wir glauben nicht, dafs
der Anschlufs von Grofslogcn und Logen erfolgt sein würde, wenn es richtig
wäre.
') G. A. Lindner, Joh. Arnos Comenius, sein Leben und Wirken.
Neu herausgegeben von Bötticher. Wien 1892, Pichler. Vorwort.
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1893.
Die Comenius-Gesellschaft.
21
rege Teilnahme wurde von allen Gemeinden an dem Jubiläums-
tage in und aufserhalb der Kirchen bekundet, während allerdings
nur die Unität als solche, nicht aber einzelne Gemeinden, der
Comenius-Gesellschaft beitrat
Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dafs die deutschen Men-
noniten, die italienischen Waldenser und die hollän-
dischen Kemonstranten sich der Thatsache erinnerten, dafs
in früheren Jahrhunderten engere Bande als in späteren Zeiten
zwischen den „Brüdern" in Böhmen und denjenigen in Italien,
der Schweiz und in Holland vorhanden gewesen waren, und da
unsere Vereinbarungen ausdrücklich versprachen, dafs die zu
gründende Gesellschaft auch die ältere und älteste Geschichte
pflegen wollte, war es natürlich, dafs von dieser Seite uns gleich-
falls Teilnahme bewiesen ward. Die Jahrhundertfeier und das
Zusammenwirken in unserer Gesellschaft haben in allen diesen,
durch ungünstige geschichtliche Entwicklungen getrennten Gemein-
schaften das Bewufstsein verwandten Ursprungs, ver-
wandter Grundsätze und verwandterAufgaben offen-
bar gekräftigt, und vielleicht wird die gemeinsame Arbeit
diese Wirkungen noch verstärken und vertiefen.
Wenn wir nun schliefslich unseren Blick auf die Veröffent-
lichungen richten, welche von der Gesellschaft seit ihrem Be-
stehen veranlagst worden sind, so wäre es unbillig, wenn man
dazu nur die Monatshefte zählen wollte.
Wir lassen den Aufruf, der in 20 000 Exemplaren in
deutscher, französischer, englischer, tschechischer und unga-
rischer Sprache verbreitet worden ist, in dieser Beziehung auf
sich beruhen; aber die Rundschreiben, Protokolle und
Berichte, welche der Verwaltungsausschufs nach und nach
veröffentlicht hat, dürfen doch deshalb nicht übergangen werden,
weil sie keineswegs blofs geschäftliche, sondern zum Teil wichtige
grundsätzliche Fragen betrafen. Sie haben eine Reihe von Ver-
öffentlichungen mittelbar veranlagt, die auch insofern als
unsere Publikationen gelten dürfen, als sie von Mitgliedern
der Gesellschaft verfafst und zum Teil auf Kosten der Gesellschaft
in gröfserer Zahl verbreitet worden sind.
Hierher gehören eine Anzahl von Abhandlungen und Vor-
trägen über Comenius, die in der Litteraturübersicht von Heft 4
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Keller,
Heft 1 u. 2.
S. 295 ff. des Jahrg. 1892 unserer Monatshefte mit aufgeführt wor-
den sind. Hierher gehören ferner die beiden Festspiele von
Paul Riech, Comenius in Lissa (Verlag von G. W. Luder, Ber-
lin, Prinzenstrafse 42) und von Georg Fritze (Frankfurt a./0.
in Komm, bei G. Harnecker & Co.), sowie die Festgedichte,
welche durch das Preisausschreiben unserer Gesellschaft
vom 14. Januar 1892 ins Leben gerufen worden sind.
Die •wissenschaftlichen Publikationen der Gesellschaft wurden
dann im März 1892 mit dem ersten Jahrgang der „Monats-
hefte der Coinenius-Ge8ellschafttt eröffnet, und jetzt
liegt davon der erste Jahrgang als Band von 25 Bogen
(Lexikon-Oktav) vor. Wenn wir uns im Jahre des Jubiläums
vorwiegend mit der Person und den Werken des Comenius be-
schäftigt haben, so lag das in den Verhältnissen begründet; dafs
wir nicht populäre, sondern wissenschaftliche Aufsätze ge-
bracht haben, ist uns , wie mehrfache Zuschriften ergeben haben,
verdacht worden; wir werden in Zukunft das Arbeitsgebiet im
Sinne unseres Arbeitsplanes erweitern, aber unseren Monats-
heften den wissenschaftlichen Charakter bewahren und den Be-
dürfnissen weiterer Kreise durch die Herausgabe von Mit-
teilungen der Comenius-Gesellschaft entgegenkommen.
Der Beschlufs des Gesaratvorstandes vom 19. November,
welcher diese Erweiterung unserer Veröffentlichungen ermöglicht
hat, beweist, dafs wir in jeder Weise bemüht sind, den Anforde-
rungen zu entsprechen, welche billigerweise gestellt werden
können. Wir bitten unsere Mitglieder, auch ihrerseits eine thätige
Mitarbeit eintreten zu lassen.
Die Urteile, welche in der Presse sowohl über die Gesell-
schaft wie über die Monatshefte laut geworden sind, waren bis-
her durchweg in freundlichem Sinne gehalten. Wir halten es
nicht für angemessen, durch Abdruck solcher Urteile unseren
Bemühungen einen Hintergrund zu geben.
Jedenfalls steht es fest, dafs auch solche Männer, die der
Gesellschaft einstweilen nicht angehören, wie z. B. Professor
O. Willmann in Prag, sich in sympathischer Weise über die bis-
herigen Veröffentlichungen der Gesellschaft geäussert haben.
Bei Unternehmungen, wie das unsere es ist, hat die Gesell-
schaftsleitung vor allem die Pflicht, ihre ersten Schritte vorsichtig
zu setzen. Es kann nicht darauf ankommen, binnen zweier
Jahre blendende Erfolge zu erzielen, sondern das Bestreben mufs
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1893.
Die Comoniua-Gesellschaft.
23
dahin geben, eine Grundlage zu schaffen, auf der allmählich
weitergebaut werden kann. Es ist leicht, gerade auf unserem
Arbeitsfeld, das mit religiös-philosophischen Fragen sich nahe be-
rührt, starke Leidenschaften zu wecken; aber es ist schwierig,
eine leistungsfähige Organisation unterWahrung eines e i n m it t i g e n
Handelns ins Leben zu rufen, zumal wenn der Kreis der Mit-
glieder rasch einen Umfang erreicht, wie es bei uns bereits der
Fall ist. Bisher ist es gelungen, die Auffrischung vergangener
und dio Fortsetzung bestehender Gegensätze zu vermeiden, und
wir betrachten es als unsere wichtigste Aufgabe, auch ferner die
glückliche Stimmung der verflossenen Gesellschaftsjahre fort-
zusetzen und jede Störung des Einvernehmens hintanzuhalten.
Keiner Gesellschaft pflegen die Kinderkrankheiten erspart
zu bleiben, und wir rechnen gleichfalls auf solche. Aber es ist
für solche Fälle doch wichtig, wenn die Kinder mit einer guten
Konstitution zur Welt gekommen sind. Wenn Zwischenfalle ein-
treten, so wird an den Tag kommen, dafs wir seit 1890 nicht
ohne Vorbedacht einen grofsen Teil unserer verfügbaren Kräfte
auf die Organisationsfragen und deren Austragung verwandt
haben, und dafs die bisherige Einmütigkeit einen starken Rück-
halt gegenüber störenden Kräften darbietet. Dieser Erfolg ist
wichtiger als einige Bände von Publikationen, die wir in der
gleichen Zeit mit geringeren Opfern an Arbeit und Geldmitteln
hätten herstellen können.
Die Gesellschaft findet auf dem Gebiet, auf dem sie sich
gemäl's ihrem Arbeitsplan zunächst zu bethätigen beabsichtigt,
ein weites, wenig angebautes Feld vor. Comenius steht mit
Baco und Leibniz an der Schwelle des Zeitalters, mit welchem
die neuere Entwicklung der Wissenschaften begonnen
hat, jener Entwicklung, die im Gegensatz zur mittelalterlichen
Weltanschauung mehr auf die Erkenntnis des Seienden als' des
Übersinnlichen, mehr auf das Wesen der Natur als auf das Über-
natürliche gerichtet war.
Diese Geistesrichtung, die im eigentlichsten Sinne die Neu-
zeit eingeleitet hat, hat in manchen ihrer späteren Vertreter die
Neigung gezeigt, die Kräfte des Gemüts, wie sie sich in der
Religion bethätigen, zu unterschätzen und insbesondere die
christliche Religion nur nach den Lehren zu beurteilen, wie sie
in den Bekenntnissen der verschiedenen Kirchen formuliert worden
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Keller,
lieft 1 u. 2.
waren. Indem sie damit in eine ähnliche Einseitigkeit verfielen,
wie sie die Träger der mittelalterlichen Weltanschauung gegen-
über dem Naturerkennen und den Erfahrungswissenschaften an
den Tag legten, haben sie viele und wichtige Kräfte des Menschen-
lebens in ihrer Wirkung unterschätzt und ihren Gegnern starke
Waffen in die Hand gegeben.
Es ist von der gröfsten Wichtigkeit, festzustellen, dafs die
Männer, auf die die neuere Geistesrichtung sich mit Recht als
ihre Bahnbrecher beruft, den späteren Nachfolgern hierin nicht
vorangegangen sind. Diese Männer wuisten wohl , dafs auch
solche Dinge, die sich mehr dem Gemüt des Menschen als dem
Verstände erschliefsen und sich als Forderungen des Gefühls
aufdrängen, im Leben der Völker eine grofse Bedeutung gewinnen
und für den Einzelnen die gleiche Gewifsheit wie irgend welche
Sätze der Erfahrung erlangen können.
In dem Umfang, in dem es gelingt, das Andenken und den
Geist von Baco, Comenius und Leibniz wieder zu beleben, werden
die Errungenschaften der modernen Wissenschaften vor den Ge-
fahren gesichert sein, welche ihnen von denjenigen Mächten
drohen, die den scholastischen Wissonschaftsbetrieb heute wie ehe-
mals als allein gültig ansehen , und deren Vertreter sieh vor-
läufig nur als zurückgedrängt, aber nicht als tiberwunden be-
trachten.
Aber hiermit ist das Arbeitsgebiet der Gesellschaft nicht er-
schöpft: es erstreckt sich vielmehr auf alle verwandten geistigen
Strömungen, die seit vielen Jahrhunderten vorhanden waren, und die
bald in kirchlichen Nebenströmungen, bald in wissenschaftlichen
Schulen und Gesellschaften nach äufserer Gestaltung und Geltend-
machung rangen. An dem System, dessen Erforschung wir beab-
sichtigen, haben seitden altchristlichen Zeiten unzählige Geschlechter
gebaut und gearbeitet — die Einzelnen wie die Menschheit mit
ihren Plänen umspannend. Wie für jede Geistesrichtung hat es
auch für sie Zeiten der Blüte wie des Verfalls gegeben, aber nie-
mals ist sie gänzlich verschwunden, und trotz schwerer Kämpfe
haben ihre Ideen sich von Jahrhundert zu Jahrhundert mächtiger
und mächtiger entfaltet.
Wir haben die Männer, die wir zu den vornehmsten Trägern
dieser Strömungen zählen, in dem Rundschreiben des Verwaltungs-
ausschusses vom 23. Juli 1892 namhaft gemacht1) und können
>) Abgedruckt in den Monatsheften der C.-G., Geschäftl. Teil S. 71 ff.
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181.«.
Die Comenius-Gesellschnft.
25
daher hier darauf verweisen. Dort sind auch die wesentlichen
Charakterzüge, die bei Allen wiederkehren, kurz gctjchildert.
Sowohl die Vertreter der sogenannten älteren deutschen Mystik
wie Tauler und Eck hart und die sogenannten Neuplatoniker
des Humanismus, wie die sogenannten Naturphilosophen des
siebzehnten Jahrhunderts und der ältere Pietismus Arndts und
Speners, wie endlich die Vorkämpfer der sogen. Aufklärung
von Thomasius bis Schleiermacher sind beherrscht von
dem Streben, eine über dem Streit der Nationen und Kirchen
stehende christliche Denkweise auf der Grundlage echter Huma-
nität zur Geltung zu bringen, und sie sind einig in der Über-
zeugung, dafs dies Ziel vor allem durch die freie Bewegung der
Wissenschaft und auf dem Wege einer naturgemäfsen Volks-
erziehung erreicht werden müsse. Daher kehrt die Vorliebe
des Comenius für die Erziehungslehre bei allen gleichmäfsig
wieder ; aber auch seine Betonung der Muttersprache als Mittel
zur Hebung der Volksbildung, seine Hinneigung zu den exak-
ten Wissenschaften und endlicli der Grundsatz, dafs alles
Wissen auf das Loben zu beziehen sei, treten bei allen in
gleicher Bestimmtheit hervor. Daher sind in den Reihen dieser
Männer die Bahnbrecher der Erziehungslehre und die Begründer
der exakten Wissenschaften zu suchen, und wenn unsere Mathe-
matiker, Astronomen, Botaniker und Chemiker nach
den Männern forschen, die ihre Wissenschaften von den antiken
Überlieferungen und der scholastischen Methode befreit haben,
so begegnen sie eben den Richtungen, in deren Geist unsere
Gesellschaft ihre Aufgabe zu lösen entschlossen ist.
In einer Zeit, wo für die geistigen Errungenschaften jener
Männer von mehr als einer Seite ernste Gefahren heraufziehen,
schien es wünschenswert, diejenigen unter sich in Beziehung zu
setzen, die sich mit den geschilderten älteren Richtungen noch
heute eins wissen. Die Anregung, die wir in diesem Sinne ge-
geben haben, ist bisher auf fruchtbaren Boden gefallen.
Aber wenn wir imstande sein wollen, in die Entwicklung
des wissenschaftlichen und thätigen Lebens selbständig ein-
zugreifen, dürfen wir uns bei den bisherigen Erfolgen nicht be-
ruhigen. Wir haben, nachdem der allgemeine Rahmen für unser
Unternehmen nunmehr geschaffen ist, den Wunsch, den Ausbau
des Ganzen durch die Schaffung örtlicher Organisationen
zu vervollständigen. Wir bitten daher unsere Mitglieder wie
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26
Keller, Die Comeniua-GeselUchaft. Heft 1 U. 2.
unsere Freunde, auf diesen Punkt ihre Thätigkeit zu richten.
Die Einrichtung der Abteilungsmitglieder, wie sie oben
geschildert ist, erleichtert den Anschlufs unter den bescheidensten
Opfern.
Wir waren und sind uns der Schwierigkeiten, auf die bei
dem vorhandenen Wettbewerb jede neue Gesellschaftsbildung
stofsen mufs, vollauf bewufst. Indessen finden wir die Berech-
tigung zu unserem Vorgehen darin, dafs wir ein Unternehmen
vertreten, das im Gegensatze zu den zahllosen Fachvereinen den
ganzen Menschen zu erfassen geeignet ist Unsere Gesell-
schaft kann, da sie von ihrer Thätigkeit und ihren Versammlungen
keine Wissenschaft und keine Kunst ausschliefst, die zur Bildung
des Geistes und des Charakters oder zur Pflege des Gemüts
dienen kann, gegen die Zersplitterung, an welcher unser
Vereinswesen krankt, ein Gegengewicht bilden. Wir wollen
und können weder mit den bestehenden wissenschaftlichen
und gemeinnützigen . Vereinen, noch mit den Lehrer-
vereinen, Bildungs vereine n, Schulvereinen, Sprach-
verein e n u. 8. w. in Wettbewerb treten, wohl aber kann unsere
Gesellschaft der Boden werden, auf welchem sich die Vertreter
der Fach vereine zu geraeinsamem Vorgehen berühren. Auch
werden die Vorteile des grofsen, viele Länder umfassenden
Zusammenhangs denjenigen bald zum Bewufstscin kommen, die
sich zum Beitritt entschliefsen.
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Ein Friedensspruch.
Dargestellt von
Dr. M. A. N. Hövers (in Holland).
In seiner interessanten Abhandlung : Dieinterkonfessio-
nellen Friedensideale des Johann Arnos Comenius
(Monatshefte der C.-G. 1892, Heft 2) benützt Karl Mämpel die
berühmte Schrift des Comenius „Unum necessarium".
Im achten Kapitel derselben heifst es: „Summa concordiae
Christianorum lex est trina: servare in omnibus necessariis uni-
tatem, in minus necessariis libertatem, in omnibus erga omnes
caritatem.tt
Woher dieser Wahlspruch ? Lange hat man vergebens nach
seinem Urheber gesucht.
Im Jahre 1847 hielt der berühmte holländische Professor
der Remonstranten, des Amorie van der Hoeven, einen Vortrag,
der grofsen Beifall erregte. Aus demselben citiere ich folgende
Zeilen: „Einheit im Notwendigen, Freiheit im Zweifelhaften,
das sind die beiden Säulen, die am Eingänge des Gottesgebäudes
stehen, dessen Grundstein Christus ist: das Gesims, welches beide
Pfeiler verbindet, ist die Liebe. In Allem die Liebe. Ein
Spruch, so inhaltsschwer, so ausdrucksvoll, der in wenig Worten
die Auflösung des grofsen Fragestückes giebt, wie der Friede in
der Kirche, die Vereinigung der geteilten Christenheit zu stände
kommen soll? — ein Spruch, wert in Marmor gemeifselt, oder
besser, in alle Christenherzen graviert zu werden, würde der
bei uns nicht die Sehnsucht erregen , den klaren Kopf und das
edele Herz desjenigen kennen zu lernen, aus welchen er hervor-
gegangen ist?"
Freilich, der Redner selbst war zu der traurigen Folgerung
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I
28 Rovers, Heft 1 u. 2.
gekommen, dafs der Spruch ein Findling sei und bleibe. Trotz-
dom aber äufserte er den Wunsch, ein wissenschaftlicher Verein
möge einen Preis ausschreiben für denjenigen, dem es gelingen
würde, den rechten Vater zu entdecken.
Lange meinten die Gelehrten, den Autor des hochgepriesenen
Wahlspruches mllsse man im christlichen Altertum suchen.
Ziemlich allgemein erkannte man den Kirchenvater Augustinus
als den Urheber desselben an. Allein in dessen zahlreichen
Schriften suchte man vergebens danach Auch wurde Augusti-
nus' jüngerer Zeitgenosse und Bekämpfer, Vincentius von Leri-
mum, von dem der bekannte Spruch herrührt: „wir müssen
festhalten an dem, was überall, immer und von allen geglaubt
worden ist", genannt2). Aber auch diese Behauptung stellte sich
als unrichtig heraus8), gleichwie die Meinung derer, welche dem
Episcopius, dem ersten Professor am Seminar der Remonstranten
in Amsterdam, die Vaterschaft des Spruches zuschrieben, der die
geliebte Losung vieler Remonstranten geworden ist4).
Dem Dr. Friedrich Lücke, dem bekannten Theologen in
Deutschland, gebührt die Ehre, den Autor des Wahlspruches,
nach dem man so lange vergebens gesucht, entdeckt zu haben6).
Nach ihm soll es Rupertus Meldenius sein, der sich um das Jahr
1625 in seiner „Mahnung zum Kirchenfrieden u an seine Mit-
bekenner der Augsburger Konfession richtete6). Es wird uns
') Vergl. Prof. Kist in „Kcrkelijk Archicf", X, S. 358.
*) U. a. von Dr. H. Thier»ch in „Vorlesungen über Katholicismus und
Protestantismus", 1846, I, S. 176.
•j Vincentius' Common itorium wurde von van der Hoeven wieder-
holt gelesen, aber nirgendwo hatte er den Spruch „In necessariis unitas"
gefunden (a. a. O. S. 4 ff.).
«) Vergl. Joannes Tidemann in „De Remonstranten cn het Re-
monstrantistne". Auch wurde Georg Calixtus genannt. Dafs der
Spruch in einem der Werke des irenischen Theologen Hermann Witsius,
der zuerst Professor in Franeker, nachher in Utrecht und Leiden war, vor-
kommen sollte, ist allerdings nicht unmöglich.
*)Über das Zeitalter, den Verfasser und die wahre Be-
deutung des kirch liehen Friedensspruches: „In necessariis unitas,
in dubiis libertas, in omnibus Caritas1', 1851. Seine Gründe waren für
Viele nicht überzeugend, u. a. nicht für Friedrich Böhringer, der noch im
Jahre 1878 den Spruch dem Augustinus zuschrieb. (Vergl. Aureliua
Augustinus, S. 420.) Oder hat er etwa die Schrift Lückcs nicht gekannt?
6) Paraenesis votiva pro pace ecclesiae ad Theologos
Augustanae Confessionis.
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1893.
Ein Friedenaspruch.
29
in diesem Büchlein eine nichts weniger als erquickliche Skizze
gegeben von den Lutheranern und ihren Theologen. Sie worden
aufgefordert, nach „Liebe11 zu streben, „verbunden mit frommer
Vorsicht und ungeheuchelter Demut". Wenn wir — so lautet
Meldenius' Ansicht — im Notwendigen die Einheit, im Nicht-
notwendigen die Freiheit, in Allem die Liebe behaupteten, wie
viel besser würde es sich dann mit den Christen verhalten 1 Jetzt
wird sogar der wegen seiner Frömmigkeit bekannte Johannes
Arnd, der Autor der „Vier Bücher vom wahren Christentum*,
verketzert ! Anstatt der Spur Christi folgen die Ketzerjäger dem
Wege Bileams! Lafst uns lieber die Zahl der für alle verbin-
lichen Glaubensartikel einschränken als auf die Differenzen in
den Kirchen zu achten! Nur im Notwendigen ist die Ein-
heit eine Forderung.
Aber was gehörte dazu? Nicht ohne Verwunderung lesen
wir, dafs unser friedlicher Theologe von jedermann fordert
als etwas Unentbehrliches für die Seligkeit: a) dasjenige, was
mit Sicherheit aus deutlichen Zeugnissen der heiligen Schrift ge-
folgert werden kann; b) diejenigen Dogmen, welche auf kirch-
lichen Concilien festgesetzt und in symbolische Bücher aufge-
nommen sind; c) die Lehrsätze, welche einstimmig von allen
rechtgläubigen Theologen anerkannt werden.
Unter das Nichtnotwendige oder Zweifelhafte zilhlt
Meldenius: a) dasjenige, was in der Schrift nicht deutlich gelehrt
wird; b) Dogmen, über welche ältere Theologen keine be-
stimmte Überzeugung ausgesprochen haben; c) das, was zur
Beförderung der Liebe, der Frömmigkeit und der Erbauung
nicht dienlich sein kann.
Ein jeder wird der Meinung sein, dafs die Klarheit in diesen
Sätzen zu wünschen übrig lafst. Wem z. B. ist es einleuchtend,
was in der Schrift deutlich und was darin undeutlich ge-
lehrt wird'? Derjenige, welchem nach diesem der Ehrenname
eines orthodoxen Theologen gebührte, würde von jenem bisweilen
verketzert werden. Über alles, was zur Erbauung und Beför-
derung der Frömmigkeit gehört, hat laut der Geschichte schon
öfter Meinungsverschiedenheit bestanden. Und diejenigen, die
keine Fremden in der Kirchengeschichte sind, werden sich er-
innern, dafs die eine Kirchenversammlung nicht selten abgebrochen,
was die andere aufgebaut hatte; dafs die Einstimmigkeit der
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30
Kovers,
lieft 1 u. 2.
symbolischen Bücher oft zu wünschen übrig liefs. Und welche
sind am Ende diese ältern Theologen, deren Aussprüche als
Autoritäten anerkannt werden müssen? Gehören sie zu den drei,
vier oder fünf ersten Jahrhunderten? Oder können z. B. die-
jenigen aus dem achten Jahrhundert auch etwa mitgezählt
werden?
Es ist klar: unter denjenigen, die früher oder später, sogar
noch in unserer Zeit, den Wahlspruch mit Freude begrüfsten,
haben die meisten nicht gewufst, was Meldenius unter den ne-
cessaria verstand. Würde sonst der obengenannte Professor
der Remonstranten geschrieben haben: „Die in unserm Spruch
empfohlene Toleranz ist eine Frucht eines höheren Geistes. Sie
wird durch die christliche Liebe gezogen, welche das ganze
Leben des Christen, sein Denken, Sprechen, Fühlen, Handeln
beseelen und veredeln soll. Der Spruch verurteilt nicht blofs
allen Formelzwang, sondern überzeugt auch von der Uberflüssig-
keit und Schädlichkeit aller Formeln oder festgesetzten Lehrsätze.
Aus der römischen Petruskirche und der protestantischen Paulus-
kirche wird sich die Evangelisch-katholische Johanniskirche ent-
wickeln. Sie wird mit der Uberschrift geschmückt sein:
„Einheit im Notwendigen,
Freiheit im Zweifelhaften,
In Allem die Liebe!*1)
Seit dem 16. Jahrhundert bis auf unsere Zeit hat es nicht
an Versuchen gefehlt, Katholiken und Protestanten, Lutheraner
und Reformierte in einer Kirche zusammen zu bringen und zu
vereinigen. Es werden sich viele solcher friedfertigen Vorschläge
erinnern , wenn sie die Namen Cassander , Calixtus , Leibniz,
Bossuet, König Friedrich Wilhelm III. von Preufsen nennen
hören. Die Wahlsprüche aber, deren man sich bediente, waren
gerade so schwebend und unbestimmt, wie das Notwendige
und das Nicht-Notwendige. Ein paar Beispiele mögen ge-
nügen. Vor allem hiefs es, man müfste Abfall und Ab-
weichung von der ursprünglichen Lehre wohl unterscheiden,
letztere würde keine Veranlassung zur Trennung sein ! Funda-
mentale und nichtfundamentale Glaubensartikel dürften
ja nicht miteinander verwechselt werden. Wenn nur das W e s e n t -
») a. a. O. S. 23, 32, 40.
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1893.
Ein Friedenssprueh.
31
liehe bewahrt bliebe, könne das Gleichgültige, das keinen
Einflufs aufs Leben ausübte, aufgegeben werden. Zwischen den
Beschlüssen den allgemeinen Kirchen Versammlungen der fünf ersten
und jenen der folgenden Jahrhunderte liege eine grofse Kluft:
erstere seien bindend, während man den letzteren keine Auto-
rität zuerkannte.
Aber genug hierüber. Diese und ähnliche Versuche, um zu
vereinigen, was getrennt war, wie gut die Absicht auch sein
mochte, mufsten wegen ihrer Halbheit scheitern. Doch kann
man die Urheber, die zur Versöhnung mahnten, mit Recht die
Wegbereiter einer besseren Zeit nennen, die das Wesen
der Religion in etwas Besserem erkannten als in irgend einem
Bekenntnis einer gemeinschaftlichen Lehre.
Einen Augenblick müssen wir die Aufmerksamkeit auf eine
Schrift richten, deren Verfasser ,T. v. Döllinger, der grofse Theo-
loge der katholischen Kirche, ist1). Wenn auch nach Döllinger
eine Verbindung zwischen der (seit so vielen Jahrhunderten ge-
trennten Kirche des Ostens und des Westens infolge der Unfehl-
barkeitserklärung des Papstes eine Unmöglichkeit ist, so brauchen
wir deshalb die Hoffnung auf eine Union zwischen Katholiken
und einem Teile der Protestanten nicht aufzugeben. Einzelne
Zeichen der Zeit geben nach Döllinger das Recht zu dieser Er-
wartung. Der Unterschied in den Dogmen ist nicht so grofs,
wie man sich das so gewöhnlich denkt. Denn die Mutterkirche
erkennt alle diejenigen als ihre Mitglieder an, die das Sakrament
der Taufe empfangen haben, und wenn sie sich auch durch Un-
wissenheit oder Irrtum von ihrer sichtbaren Gemeinschaft ent-
fernt haben. Von beiden Seiten ist Annäherung unverkennbar.
Schon sind viele Protestanten, wo es sich um die Lehre der
Rechtfertigung blofs aus dem Glauben handelt, uns näher ge-
treten. Einige Theologen unter ihnen können sieh mit der Lehre
der Läuterung nach dem Tode einverstanden erklären und em-
pfehlen das Gebet für die Toten auch mit Rücksicht auf die
Lebenden. In der anglikanischen Kirche wird der Wert der
Beichte immer mehr anerkannt. Die protestantischen Diako-
nissinnen sind den barmherzigen Schwestern der katholischen
Kirche ziemlich ähnlich ; bei letzterer sind die Orden, welche die
l) Über die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen,
1888.
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r
32 Rovers, Heft 1 u. 2.
Krankenpflege und den Unterrieht übernommen haben, wohl die
bedeutendsten. Döllinger und seine Geistesverwandten würden
keinen Anstofs daran nehmen, das Abendmahl unter beiden Ge-
stalten zu bedienen, wie es auch in der Kirche des Ostens ge-
schieht. Der Cölibat der Priester braucht kein Hindernis für
eine Union zu sein, weil dieses, weit davon entfernt, ein gött-
liches Gesetz zu sein, immer als kirchliche Verordnung betrachtet
worden ist. Im Einklang mit der Lehre der sichtbaren und un-
sichtbaren Kirche würden Döllinger und seine Freunde zu den
Gliedern der anderen Kirchen also sprechen mögen: „Seht, als
Getaufte sind wir alle hüben und drüben Brüder und Schwestern
in Christus, Glieder der allgemeinen Kirche. Lafst uns in diesem
grofsen Garten Gottes Uber die konfessionellen Zäune hinweg ein-
ander die Hände reichen, und reifsen wir diese Zäune nieder,
um vollends uns umarmen zu können. Diese Zäune sind die
Lehrunterschiede, bezüglich welche entweder wir irren, oder
ihr: solltet ihr die Irrenden sein, so machen wir euch daraus
keinen sittlichen Vorwurf, denn infolge eurer Erziehung und
Umgebung, eurer Kenntnisse und eures Bildungsstandes kann und
wird wohl das Festhalten an diese Lehren entschuldbar, selbst
gerechtfertigt sein. Lafst uns also gemeinsam prüfen, vergleichen,
suchen und forschen; wir werden am Ende die köstliche Perle
des religiösen Friedens und der kirchlichen Eintracht finden und
dann mit vereinigten Händen und Kräften den jetzt noch mit Un-
kraut überwachsenen Garten des Herrn, die Kirche, reinigen
und bebauen." Aber die Zahl der Gegner einer solchen Union
— der Autor kann es nicht leugnen — ist Legion. Er rechnet
zu ihnen zuerst diejenigen, besonders in England und Amerika,
welche in dem Papst und dem Papsttum noch immer den prophe-
zeiten Antichrist und den darauf folgenden Abfall der Gläubigen
sehen, dann die Ultramontanen, die sich unter dem Banner der
Jesuiten zusammenfinden, endlich die liberalen Protestanten, die
sogar die Lehrsätze verwerfen, welche von allen christlichen
Kirchen angenommen sind. Dafs für letztere in der von Döllinger
mit heifser Sehnsucht verlangten Union kein Platz sein kann, ist
klar: sie soll ja nach ihm auf der Grundlage der heiligen Schrift
und des sogenannten apostolischen Glaubensbekenntnisses beruhen
— und letzteres nach der Lehre der alten Kirche vor ihrer
Trennung aufgefafst. Für die principiellen Unterschiede zwi-
schen Protestanten und Katholiken hat der gelehrte Schriftsteller
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J893.
Ein Friedenaspruoh.
33
kein offenes Auge. Und wenn er die Zeit einmal erwartet, wo
im Kölner Dom Bekenner des Katholizismus und des Protestan-
tismus gemeinschaftlich ein Tedeum anstimmen werden — so
können wir diese Hoffnung nicht teilen.
„Einheit im Notwendigen, Freiheit im Zweifelhaften, in bei-
den die Liebe" — wir kommen jetzt zu der Beantwortung der
Frage: Kann diese Losung die unsrige sein?
Dafs zwischen den Gliedern einer religiösen Gemeinschaft,
sie sei welche sie sei, einige Übereinstimmung bestehen mufs,
darüber werden wir alle einig sein. Mich dünkt, niemand unter
uns wird das Beispiel des „Freien religiösen Vereins" in Boston
nachahmungswürdig nennen, dessen Vorstand nicht blofs aus
Unitariern, Quakern und freisinnigen Juden besteht, sondern
auch Materialisten unter ihre Mitglieder zählt, also Männer,
welche die Religion eine Thorheit nennen. Oder müssen
wir hierin einen Beweis sehen der übergrofsen Toleranz
dieser Gemeinde? Wir haben es im Gegenteil mit einer Ver-
bindung der heterogensten Bestandteile zu thun. Ein religiöser
Verein, der weifs, was er will, ergiebt sich nicht der Führung
solcher Personen, von denen einige das Recht der Religion ver-
neinen. Wie würde man z. B. von einer Akademie der Wissen-
schaften denken, welche einen Präsidenten erwählt hätte, der jede
wissenschaftliche Untersuchung eine Thorheit schilt? Was von
einem Verein zur Enthaltung von geistigen Getränken, dessen
Sekretär dem Arbeiter gern täglich seinen Schnaps gönnte?
In den ersten Jahren der religiösen Richtung, die man (in
Holland) als die moderne bezeichnet, hörte man fortwährend auf
der Kanzel: „Nicht auf die Lehre, sondern auf das Leben kommt
es an.tt Es war erklärlich, dafs Hafs gegen jede Lehrheiligkeit
diesen Gegensatz hervorrief. Allmählich aber begannen viele ein-
zusehen, dafs es zwischen beiden einen engeren Zusammenhang
giebt, als man im Anfang meinte — wenn auch das Leben
die erste Stelle einnehmen mufs. Oder hat die Religionsgeschichte
nicht etwa gelehrt, welchen grofsen Einflufs die religiösen Vor-
stellungen auf das Leben ausüben können! Kann es uns wunder
nehmen, dafs ein Plato, Griechenlands gröfster Philosoph, die
Erzählungen des Kindermörders Kronos, des Ehebrechers Zeus,
der wollüstigen Aphrodite für die Kinder gefahrlich achtete?1).
l) Im zweiten Buche seiner Politeia.
Monatsheft« der Content u* Gesellschaft. 1983. '1
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34
Rovers,
Heft 1 u. 2.
Wie viele Unsittlichkeiten wurden in Israel im Namen des
Naturgottes Jahwe verübt! Die erhabeneren Vorstellungen der
edelsten Propheten über Jahwe, den Heiligen, der Gefallen findet
an Barmherzigkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit, der das Böse
hafst und das Gute liebt, haben auf das sittliche Leben des
Volkes einen günstigen Einflufs ausgeübt. Und Jesus' Predigt:
Gott ist Liebe, ist der Vater aller Menschen, auch der Niedrigsten,
der Verachtetsten, der am tiefsten Gesunkenen, wenn sie reue-
voll zu ihm kommen, hat sie nicht eine wohlthittige Wirkung
gehabt auf das gegenseitige Verhältnis in der Familie und der
Gesellschaft, wenn sie auch nur ganz allmählich eingedrungen ist?
Der Fehler der älteren Rechtgläubigkeit bestand nicht darin, dafs
sie den religiösen Vorstellungen Wert beilegte, sondern dafs sie
ihre Bedeutung Uberschätzte, oft zum Nachteil für das Leben;
dafs sie ihre Dogmen einem jeden aufdrängen wollte, ohne Rück-
sicht auf die Rechte, welche die Kinder einer späteren Zeit
haben, ihren Glauben zu bekennen, ebensogut als die Väter,
die in ihren Bekenntnisschriften dem ihrigen Ausdruck gegeben
hatten. Wir wissen, dafs alle unsere Vorstellungen von Gott
mangelhaft sind, wenn wir auch die einen den andern vorziehen ;
unser Sprechen über Gott ist nur ein Stammeln. Gott ist grofs,
und wir begreifen ihn nicht; unser Wissen ist Stückwerk —
diese Konfession bleibt die unserige. Keinem Menschen ist es
vergönnt, das Wesen Gottes zu ergründen. Aber würden wir
deshalb nichts mehr über Gott bezeugen, als z. B. Faust in seiner
Antwort auf Gretchens Frage :
Wer darf sagen:
Ich "glaub* an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.
Wer darf ihn nennen ?
Und wer bekennen:
Ich glaub1 ihn?
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub' ihn nicht?
Oder werden wir auf die Stimme hören der Männer unserer
Zeit — sie nennen sich Agnostiker — , die ungefähr also sprechen :
Das Dasein Gottes steht fest, wissenschaftlich ist es nachweisbar.
Er ist die unbegreif liehe und allgegenwärtige Kraft, aus welcher
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1893.
Ein Friedensspruch.
35
alles entstanden ist — aber uns bleibt es untersagt, etwas Sicheres
über ihn zu wissen. Wir können nicht sprechen von einem
Gotte, der Liebe ist, von des Menschen Oesinnung Ihm gegen-
über, von einem Streben, Ihn zu lieben. — Aber ich frage:
können wir mit heiliger Ehrfurcht zu einer Kraft hinaufblicken,
die uns ganz unbekannt ist? Uns ihr anvertrauen? Wird der
Glaube an das Dasein jener ewigen unendlichen Kraft unserem
Leben wohlthätig sein, wird er uns mit Mut und froher Hoffnung
für die Zukunft erfüllen? Uns ermuntern, uns einer heiligen
Lebensaufgabe zu widmen?
•
„Einheit im Notwendigen8 — was heifst das? Schlagen wir
ein paar Schriften aus unserer Zeit auf — vielleicht geben sie
einiges Licht.
Vor einigen Jahren wurde in New- York ein Verein gestiftet
„Society for ethical Culture" von Felix Adler, der als Rabbiner
auferzogen, sich in der Synagoge nicht zurecht finden konnte.
An der Spitze einer Abteilung jenes Vereins zu Chicago steht
William Salter, dessen Name nicht unbekannt ist1)- Mit den
freisinnigen Christen hielt er keinen Schritt, weil sie mit ihren
Reformationsplänen zu zögernd waren. Salter steht nicht auf der
Grundlage der Religion. Er wünscht auf die ewigen Gesetze
zu bauen, welche sich in der sittlichen Natur des Menschen offen-
baren.
Die „Society for ethical Culture" setzt sich das Ziel: „dem
Guten zu dienen, unabhängig von den religiösen Lehrsätzen
der Vergangenheit.4* Sie will die Arbeit der sittlichen und gesell-
schaftlichen Reformation auf sich nehmen, welche die christlichen
und jüdischen Kirchen im Stich gelassen hätten. Jene Kirchen
zu bekämpfen, ist nicht ihr Zweck. Wer mit ihr zu arbeiten
wünscht, mufs „in vollem Ernste denken und fühlen" wie die
Stifter, mufs ihren „Ideen und Absichten" völlig Glauben schenken.
Für diejenigen, welche ihnen in Religionsfragen nicht beipflichten
können, ist die Gelegenheit eröffnet, sich ihnen auf dem Gebiete
der Wohlthätigkeit anzuschliefsen.
Wenn wir auch in mancher Hinsicht dem Streben dieses
Vereins unsere Sympathie nicht versagen wollen, so würden die
') George v. Gizycki bearbeitete Salters Vorlesungen und gab sie
heraus unter dem Titel: Religion der Moral.
3*
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36
Rovers,
Heft 1 u. 2.
wenigsten unter uns sich ihr anschliefsen wollen. Können wir
das Bekenntnis ablegen: Wir denken und empfinden wie ihr?
Der Behauptung, dafs die alten Religionen nur noch bei Unge-
bildeten und wenig Entwickelten Sympathie erwecken, werden
viele nicht beistimmen. Ist der Wahlspruch : „wir wünschen dem
Guten zu dienen," nicht ziemlich unbestimmt? Unter den von
Salter sogenannten veralteten Kirchen und Religionen wird doch
wohl keine der Sache des Bösen zu dienen beabsichtigen.
In seinem letzten Werke1) sagt Rauwenhoff, der leider zu
früh von uns hinweggerufen worden ist, dafs die religiöse Gemein-
schaft auf Übereinstimmung beruht, nicht blofs in allgemeiner
Geistesrichtung, sondern auch in der Betrachtung des Übersinn-
lichen. Sie kann unmöglich aufserhalb einer gemeinschaftlichen
Glaubensvorstellung bestehen. Eine religiöse Gemeinschaft kann
sich nicht blofs auf Gesinnung oder Gemütsbewegung gründen.
Freie Frömmigkeit kann zwar eine Zeitlang als Wahlspruch des
Vereins gelten — allein sie ist nur ein Nothafen, wo man auf die
Dauer nicht zusammenwohnen kann. Bei der Religion handelt
es sich nicht blofs um Gesinnung, sie ist immer mit einer ge-
wissen Vorstellung des Übersinnlichen verbunden. Keine religiöse
Gemeinschaft kann also bestehen, wo das Charakteristische der
Religion sich nicht behaupten kann. Eine religiöse Gemeinschaft
umfafst alles, was für ihre Glieder Religion bedeutet. Das speci-
fisch Religiöse heifst nach Rauwenhoff die Verherrlichung der
sittlichen Ordnung als der höchsten Macht. Aber Übereinstim-
mung in der Denkweise über das Übersinnliche bedürfen die
Glieder einer religiösen Gemeinschaft fast noch mehr wie gleich-
artige Gesinnung im Gemütsleben.
Der Bremer Theologe Moritz Schwalb rechnet unter die
„notwendigen Dinge", welche allen Protestanten gemein sein
müssen: den Glauben an Gott; das Bewufstsein, dafs wir Gottes
Geboten folgen und uns nützlich machen müssen; Hafs gegen die
katholische Hierarchie, deren Aberglauben und Mifsbräuche ; Ver-
ehrung für den Menschen Jesus und seine wahren Vorgänger und
Nachfolger 8).
„Einheit im Notwendigen" — das ist also der Aussage jener
*) Wijsbegeerte van den godsdienst, 1888. Dr. J. R. Hanne
gab eine deutsche Übersetzung heraus.
») Kanzelreden, 1888.
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1893.
Ein Friedensspruch.
37
Schriftsteller gemäfs etwas Notwendiges. Aber die Frage: Was
versteht man darunter? wird selbst von Geistesverwandten ver-
schieden beantwortet Und keine jener Antworten hat
uns vollkommen befriedigt. Mancher wird z. B. den
Glauben an die sittliche Weltordnung nicht als das Wesen der
Religion betrachten. Er wird die Frage stellen: Ist die Ver-
ehrung einer Ubersinnlichen Macht, als Wesen dargestellt nicht
das Merkmal, das den Religionen gemein ist? Und wenn auch
unsere Vorliebe für die römische Hierarchie nicht grofs ist, bei
niemandem unter uns wird die Forderung, in dem Glaubens-
bekenntnis auch dem Hafs gegen diese Ausdruck zu geben,
Beifall finden.
„Freiheit im Zweifelhaften". Unter den nicht notwendigen
Dingen — wir werden darüber alle einverstanden sein — ver-
steht man mehr, als man früher meinte. Den grofsen Konzilien
der ersten Jahrhunderte erkennen wir ebenso wenig eine, die
Gewissen bindende Autorität zu, als denen der folgenden Jahr-
hunderte. Das sogenannte apostolische und alle späteren
Glaubensbekenntnisse haben in unseren Augen nur eine histo-
rische Bedeutung.
Keine Religion ohne Gottesdienst — hat die Geschichte der
Religionen es nicht gelehrt? Würde der Kultus ohne Religion
einigen Wert haben? Zum Kultus gehören das Gebet und das
Lied. Das Gebet hat man abwechselnd genannt : das Unterhalten
einer geistigen Gemeinschaft mit Gott; die Betrachtung der Lebens-
erfahrung vom höchsten Gesichtspunkte; die Ausdrücke einer
nachdenklichen und jubelnden Seele u. s. w. Aber das gemein-
schaftliche Gebet kann wohl nicht anders sein als das Aus-
sprechen eines Wunsches vor Gott Natürlich ist es kein Bitten
um allerlei eiteln Tand, um Befriedigung egoistischer Wünsche;
die Bitte ist ein Flehen um Frieden und Gemeinschaft mit ihm;
um das Beste was es giebt: Dein Reich komme! Dein Wille ge-
schehe ! Aber können wir in dieser Weise eine „unendliche Macht"
anreden, von der wir nichts wissen, ein „Ideal" anbeten oder das
„Gute" oder auch eine „höhere Welt"?
Es giebt Menschen, die das Gebet aus unseren Gottesdiensten
entfernen wollen. Die Haltung derselben verrät allerdings, dafs
sie keinen Anteil daran nehmen. Andere dagegen behaupten, das
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38
Rovers, Ein Friedensspruch*
Heft 1 u. 2
Hauptgewicht des Gottesdienstes liege für sie mehr im Gebet als
in der Predigt, ihre Zahl wird aber wohl nicht grofs sein.
Wir kommen zu unserer Schlufsfolge. Man hat recht, er-
staunt zu Bein Uber die Naivität derjenigen, welche noch in
unseren Tagen uns zur Rückkehr zu dem Wahlspruch auffordern :
Einheit im Notwendigen, Freiheit im Zweifelhaften! Dafs dies
eine Unmöglichkeit ist, davon sind wir jetzt hoffentlich Uberzeugt.
La&t uns unsere Principien schätzen und für sie ringen — wenn
nur mit ehrlichen Waffen! Aber vergessen wir ja das schöne
Dichterwort nicht: Verachte keine Form, womit ein
armes Herz emporringt von der Erde.
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Quellen und Forschungen.
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Kvacsala in Pressburg.
(Fortsetzung.)
VIII.
37.
Novum (in Synodo quidem sed non Synodale)
Visionum examen, et quid ibi statutum.
1. Altero mox mense, Novembri, perierunt, duo Reges quos
Ecclesiae oppressae Vindices fore spes erat; Gustavus Adol-
phüs Sueciae, qui in pugna ad Lützen oeeubuit 16. No-
veinbris; etFridericusBohemiae, 25 eiusdem dysenteria
exstinetus Moguntiae. —
2. Quae res incredibilem attulit nnn tan tum multis moerorem,
sed et nobis qui eos ut Liberatores respectare coeperanms terro-
rem. Qui autem e nostris Visioniun hostes erant, irridere nos,
tanquam spe nosträ delusos.
3. Accidit ver6 ut sequenti Vere (Anno 1633 mense Aprili)
Synodus celebraretur Ostrorogi : ubi duo Fratrum (alter Rohemus
alter Polonus,) in Synedrio de praeteritis illis vanis Visionibus,
controversiam movent, condemnariqtie (ne aliquando res haee,
vel apud posteritatcni , omnibus nobis iam viventibus malam
inurat notam) petunt. Respondebant mitiores, semel esse de- ,
cretum silcntium, refricari hoc non oportere. Uli
iterum: Decretum esse silcntium, donec Deus et dies
quid 8 1 a t u e n d u m esset, d e t e g c r e t. Jam autem d e -
texisse utröque illo quem Revelationes istao nomi-
närant, b vivis sublatö. —
4. Hi rursum: Ita sane, tragaedinm tarnen ipsam
nondum finitam. Posse Deo non deesse O rgana, per
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40 Kvaesala, Heft 1 u. 2.
quae decreta exsequatur sua: neque Vaticinia illa
ex toto vanitatis condemnari posse, nisi ex totofal-
sitati-s convicta. Quod erit, si praesens Gentium
commotio sine primariis Ulis praedictis eventibus
(I. Antichrist! evcrsione, II. Turcarum ac Judaeorum
conversione, III. Evangeliique ad omnesOentes pro-
gressu ac triumpho) sedata fuerit. Nonduin ullam
Ecclesiam, autConsistorium, velAcademiam, novos
id genus Prophetias penitus reiecisse, aut condem-
nasse: nos cur primi esse vellcmus? et quae id genus.
5. Illi denuo: Alios non aeque prope haee tangerc
atquenos. Et quoniam aliqui nostrüm haec approbaro exteris-
que communicare (aliis non approbantibus) fuissent ausi, hoc ipsum
(non approbata haec fuisse omnibus) ref'erendum esse in inonü-
menta. Nos iterum ad totara provocarc Synodum cuius
hlc pars esset tantüm. Etc.
[6. N. B. Ut melius haec pereipiantur, sciendum est, negotia
in Synodis nostris ita fuisse administrata , ut post constitutas
Propositiones (de quibus deliberandum erat) Antistites Eccle-
siae, Seniores cum Consenioribus peculiari loco
Sessiones suas, tanquam Ecclcsiasticus Scnatus,
haberent! reliqui autem Pastores omnes, Ecclesiam
repraesen tantes, seorsim, communiter in Templo
suas agerent. Tandem ad formandas eonimunes ex utrinque
deliberatis conclusiones omnes in unum conveniebant. Demumque
quod ita eommunibus calculis decretum fuit, Constitutionis vim
nabuit. Cum ergo bis haec nova de Visionibus condem-
nandis, in solo Synedrio mota agitari incipiret, provocaba-
mus nos ad totum Pastorum Caetum.]
7. Quod ne fieret (novi dissidii nietu) medium ä pruden-
tioribus repertum fuit tale. Consignatio aliqua in Synodi
hui us Actis ut fieret, absque condemnatione tarnen
cuiusquam; aut etiam ipsius rei, Deo adhuc com-
mittendae. Hoc tan tum fine, ut si (juid aliqua ndo
secus eveniat, memoria exstet non a tota Ecclesia
haec talia fuisse approbata. Cui moderato consilio nos
reliquos acquiesccre pacis amore (et quia sie Deo et veritati
nihil praeiudicari visum) aequum fuit. —
Hfat. Revcl. p. 131-132.
38.
De reliquo Christinae Poniatoviae Vitae cursu et obitu.
1. Sex illi e Bohemis et Moravis nüper ordinati Ministri
(de quibus LXI. 4) ut ne in otio essent, pars eorum Polonicis
Ecclesiis ministrare jussi fuerunt, pars mittebantur ad dispersos
visitanduin: Vettero iam coniugato, nobiscumque habitaturo,
cessit Typographei Ecclesiastici (e Moravia huc translati)
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1893.
Zur Lebenägeachichtp des Comouius.
41
in Farailia alenda fklam illi adiutricem) praestitit.
2. Vixeruntque Coniugea hi (placidissiniis utrinque moribus)
summa concordia, aliis in exemplum, annos duodecim, mensesque
duos. Neque thoro illorum divina defuit benedictio: natis ex eo
filiis duobus, Daniele et Georgio, paternum avitumque re-
ferentibus nomen (Georgius enim Vetterus, Horum Avus,
optime de Ecclesiis nostris [totaque Gente] meritus. inter alia
eruditionis pietatisque suae monumenta, Psalmos Davidieos, felicis-
reliquit): filiabusque tribus, Johanna, Sophia, Dorothea:
quos omnes ad mores bonos, et Dei metum honestissiine cducare
non intermisit.
Hist. Revcl. p. 1X3. 134.
39.
Illud Poetae „Excitat auditor Studium, laudataque
Virtus erescit" si verum est, verificari etiam in me debuit:
neinpe ut tot et tanti applausus (in re, meö judieio, non tanta)
an forte si quid realioris Eruditionis, interiorisque Sapientiae (ad
similem aliquam harmoniae concinnitatem redactum) propinari tenta-
retur, aeque plaeiturum esset? Enatumque inde mit desiderium
conficiendi JANUAM KERUM, sive SAPIENTIAE PORT AM ; stu-
diosae Juventuti eo servituram, ut postquam ope Januae Lin-
gua r um Res externe discriminare didicissent, interiora dehinc
rerum inspectare, et quid per essen tiam suam res quaeque sit
attendere, consuescerent. Quod Studium si per omnia (ad omnia
scitu et factu, credituque et speratu necessaria, eomprchendendum)
extenderctur , sperare coepi puleherrimam quandam Encyclopae-
diolam, seu Pansophiolam, bono usu condi posse. Quo proposito
meo per studiosos quosdam Moravos, in Angliam delatos, cognito
Vir eximius, S. H. datis ad me litteris, Delineationem aliquam
futuri Operis requisivit. Communieavi ergo, uti sequitur.
PANSOPHIA E PRAELUDIÜM Quo sapientiae universalis ne-
cessitas, possibilitas, facilitasque (si ratione certa ineatur) breviter
ac dilucide demonstratur.
Op. Did. I. p. 403-404.
40.
Haee ita privatim amico in Angliam, privatam sub cen-
suram, communicata, redierunt ad me in Poloniam Oxonien-
sium typis descripta: cum apologia, salubri tine faetam esse
publicationem hanc, ad praetentandum vadum, cognoscendaque
in re tarn inusitati argumenti tanto plurium doctorum et sapien-
tum virorum judicia. Quae et subsequuta fuerunt agminatim,
variis e Regnis, pleraque praeter spem benigna: unum et
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42
Kvacaala,
Heft 1 u. 2.
altcrum malignius. Erat qui scriberet: Majus beneficium
Dei Humano generi datum non esse, post Verbi
Divini lucem, atque haue verioris ac plenioris
lucis viam tarn clare ostensam: urgendum itaque
esse Comoniura, Opus ut absolvat. Abi, Non solius
unius Comenii humeris relinquendum esse tantum
Onus, quaerendo» Collaboratores, constituendum-
que Collegium Pansophicum, etc. Ego indignari amico,
quod me objecisset multitudini, et non sivisset tacite meam de-
texere telam, sicuti cum priore opella, Januae Linguarum,
erat factum. Sentiebam enim me judiciorum varietate distrahi:
sed et lentescere, cum Collegii Pansophici fieret spes, nec
meö arbitratu jam fore procedendum, antequam scirem quid
pluribus Ulis, et me doctioribus, placiturum esset Non ergo
sum progressiv, praeterquam in particularibus quibusdam: ut
eratPhysica ad lumen divinum reformanaa, opusculum
Lipsiao excusum et raox Parisiis et Amsterdami, recusum. Item-
que Astronomia ad lumen physicum reformanda et
alia nounulla. Erat et qui scriberet (ad Hartlibium, Johan-
Adolphus Tassius, apud Hamburgenses Mathematum Pro-
fessor): Fervet jam per omnes Europae angulos Pan-
sophicum, et melioris Didacticae, Studium. Quod
si nihil etiam plus praestiterit Comenius, quam
quod tantam stimulorum segetem in omnium sparsit
animos, satis feeisse putandus est etc.
Haec in quam omnia mc. nescio quomodo, ä fervore primo
remiösiorem fecerunt: cum plures illos exspectans, mihi soli non
esse sudandum putarem. Unum erat permolestum, quod reperti
fuerunt (et quidem domi apud nos in Polonia) qui valde suspectum
reddentes totum Pansophicum propositum, Divinorum cum
humanis, Theologiae cum Pliilosophia, Christianismi
cum Gentilismo, et sie Tenebrarum cum luce, peri-
culosam fore misturam, dictitarent. Pertraxerantque suam
in opinionem aliquot e Nobilitate, mihi publice dicam scribentes :
ut mihi non tantum in Synodo causa esset dicenda, sed et
scribenda,
Conatuum Pansophicorum.
DELUCIDATIO in gratiam Censorum facta.
Quae tandem ita satis fecit Ecclesiae, ut quod priüs in occulto,
et meö veluti unius ausu, agere orsus eram jam Ecclesiae autho-
ritato munito mihi agendum esse viderem, bonis coeptis bene
apprecantibus omnibus bonis.
Op. Did. I. p. 453-456.
41.
Venerat anno 1635 o dispersis pro Evangelio Bohcmis unus,
Daniel Stolcius, Medicus Constantinapoli usque ad nos Poloniam
exulatum perque menses aliquot nobiscum commoratus Dantiscum
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comeniua. 43
et Boruasiam se transtulit. Ubi cum in nobilem Bohemum,
Ehrenfriedum Berbisterfium virum militarem ac atrenuum ad
superstitionem usque devotum et dogmate Pauli Felgenhaweri
iam infectum, incidisset, ab eodem ipse quoque Hadem mysteriis
imbutus fuit. Is igitur novo hoc neetare inebriatua, aliiaque id
propinandum ratus, misit ad me, ceu inchoatae amicitiae pignus
libellum Felgenhaveri Wahrheit und Weisheit: nihil nisi iuuicium
anonymo authore exquirens. Legi expendi rescripsi, bona inesse
multa, sed latere heterodoxias anguem in herba. Ad quod ille,
me ad haec indocilem videns, nihil reposuit. Sed quia fratrem
gernianum, quem secum habebat, medicinae itidem studioBum
eodem venenato dogmate infecerat, ille tan quam novo musto
plenus uter illorum in blasphemias ebullientem apiritum continere
non potuit, quin antequam patrum suorum omniunnjue Chriatiano-
rum de Christo vero Hominis Filio et Homine hdem proterve
fugillans, nos stercoreum habere Christum et similia putida,
eructaret. Quae res utrumque illum apud orthodoxoa Fratres
merito exosum reddebat, excedere Dantiaco, et in oppidum Risen-
burg (Prabuty) secedere necessum haberet, mo omnium istorum
eatenus penissime ignaro, et tarnen apud meos heterodoxiae quo-
que suspicionem incurrente. Nam quia Stolcius initam mecum
notitiam forte iactaret, epistolamque unam et alteram, ostentaret,
factum est, ut in complicitatis suapicionem nescio cuius credulitas
me traheret susurratumque id in Boruaaia ita fuit, ut e Lithvania
tandem ad Superattendentcs Poloniae majoris scriptum fuerit, cur
hominem haereticum inter so tolerarent, aut 11 II non attendant
melius? Annon satis tristem statum per Socinianos experiatur
Ecclesia, itorumque per contrarium errorum turbae sint aandae?
Felgenhaverum misse Dantisci apud complices suos, evocatumque
ab illis Comenium etiam comparuisse, et Felgenhavero baptizasse
filiam. Egisse etiam patronos eorum, ut quod Felgenhawero
sperandum non erat, Comenio obtingeret, publicae Cathedrae
honor: sed offecisse magistratum, machinationem<jue illam fuisse
frustra. Consequens ergo istius conventiculi fuisae, ut Felgen-
haver in Germaniam, Comenius in Poloniam rediret, et quae
praeterea nugacissimae nugae scribebantur. Venit ergo cum hac
epiatula Supperattendens M. Orminius Lesznam, inquisitionem
ea de re habiturus . Habitaque est et reperta putidissima men-
dacis famae vanitas, postquam Comenium nunquam in vita (illum
usque in diem) Dantiacum vidiase omnium testimoniis constabat.
Imposita tarnen mihi fuit, tum eonfratrum voluntate ac mandato,
tum faraara in Ecclesiae conspeetu honeatam tutandi desiderio,
necessitas, Stolcium denuo monendi, et ab haeretica curiositatc
dehortandi. Factum, scripai, absurdique dogmatia (in quod in-
cautus fuit prolapsua) enormitatem (juam clare potui oatendi :
Stolcio nihil toto anno ad illa respondentc. Verteilte demura
anno rescripsit, epistolam meam se in Saxoniam ad authorem
dogmatis, ut pro se reaponderet misiase, illum autem responsum
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44
Kvacsala,
Heft 1 u. 2.
hucusque distulisse, demumque sibi redditum ad me mitti, si ar-
gumenti Felgenhaveri nova haec solvi poterunt se ad veritati
8e8e reconciliandum ne fore difficilem. Factum ergo, responso
illius responsum fuit Felgenhaverianaeque hallucinationes (priores
et posteriores) clare ostensae et nodi ita soluti fuerunt, ut quod
responderet Felgenhaver non reperiret: praetenso: sibi non datum
esse linquis loqui, nolle se hoc scriptorum genere certare, Stol-
cius tarnen ut agnita in vcritate persisteret Sed Stolcius cum
haerere videns cum crroneo suo dogmate deseruit, sedemque in
Hungariam transtulit, inter antiquae fidei consortes antiquo suo
Christo &eav&Qumti) ad exitum usque vitae suae serviens Epe-
riesina in urbe: ubi relicta eius vidua adhuc (riec enim aliter
scio) vivit
A dextris et sinietm p. 5—9.
IX.
42.
5. Quinquennio post f) prodiit Schefferi contra Virtutem Re-
surrectionis Christi tractatus , ad me quoque (liberales enim
sunt in suis communicandis, sine exemplo: magnis
inter se hoc fine institutis collectis, ut Libri excudi,
gratisque hinc inde spargi poßint) missus.
De Quaestione p. 61.
(Libellus Comenii) Scriptus fuit anno 1638, ad prohlbendum
scandala quae Melchioris Schefferi Silesii (recens ad
Socini8mura conversi, fervideque Orthodoxiam oppugnare aggressi)
editus ea de quaestione libellus Ecclesiis nostris dabat. Et quidem
scrintus Superiorum jussu, idiomatcque eodem quö Schefferus
ediaerat Gerraanicö. Dedicatus deinque illi qui apud Antistites
meo8 potissimum, ut Provincia haec demandaretur mihi, ursit,
D. Joh. Sfhlichtingio: qui eum mox (cum peculiari ad Meseri-
censes et Sverinenses quorum Ecclesias Schefferus imprimis tur-
babat) praelo subjiei curavit.
De Quaestione etc. Dedicatio ad Wolzogenium.
43.
Reperi ergo Schedas lusionis cujusdam Scholasticae , cum
ante annos circiter 20 Lesnensi in Schola (meo tunc sub regi-
mine) Scenica etiam vigere ineiperent exercitia. . . . intra unius
anni spatium idem hic Diogenianus Ludus ter fuit in illustrium
hospitum, illustrem 1). Comitem nostrum visitantium et haec
spectare expetentiura, gratiam, ad repetendum flagitatus.
Praef. ad Diog. C> n. ed. 1658.
44.
6. Triennio circiter pöst venit ad nos ex ultima Russia
(per milliaria forte centum) D. Jonas Schlichtin gius, Soci-
>) post 1632, orgo 1637.
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1893. Zur Lebensgeschicht« des Comenius. 45
nianorum velut Patriarcha, tilium (adolescentem 18 annorum)
Scholae nostrae traditurus. Cujus inspeetio suprema quia per id
tempus mihi demandata fuit, me ille conventö calamitates suas
et auorum (quod illis Kacoviae Schola et Typographeum essen t
ab lata illique in dispersionem dati) questus fuit, filiumque suum
ad institutionem nostram admitti petiit. Factum, cum eonsensu
quorum intererat, cautioneque interposita ne quid turbaret. Ipse
interim D. Jonas mihi Libros suos, quibus Academiae
Witteb ergensis Refutatio Sraalcii refutabatur (in
erecta Typogr. nescio ubi in Russia excusos) donavit, lectionem
eorum commendanB. Respondi, Non vacare mihi, nec esse
volupe labyrinthis i s t i » oberrare. Uogabat ergo saltem
Praefationem, quä dogmatis deTrinitate (Tertulliani aevo
nati) originem primam ostenderet. perlegere vellem; ut
postridie inter valedieendum meam audire posset sententiam.
Legi ergo: ut ne iterum conquerendi, Nos legere nolle, et
tarnen condemnare, ansam haberet. Quia ver6 sub finem
praedictae praefationis ad Christianos, qui circa fidem
in Christum vel in excessu vel in defectu peccant,
exhortationem adjunxerat, ut ad se, tanquam mediam tenente«
viam, regrediantur : dixi, Nos tenere medium, qui utrum-
que de Christo, et Deum esse, et hominem esse,
juxtaScripturas credimus. In excessu autem pec-
care illos, qui Deum tantum esse volunt, humani
praeter apparentiam in eo nihil agnoscentes, ut
Marcionistae et Felgenhaver. In defectu autem
illos, qui divinitatem Christi negant, factitium tan-
tum et titularem Deum confitentes. Ille, Non se esse,
qui Christo debitum honorem detrahant, sed in
Transylvania quosdam qui adorandum esse negant,
nec adorant. Quaesivi: Annon Uli pars Vestri sunt?
Respondit: Exierunt de nobis, quia non fuerunt de
nobis. Ego iterum: Nonne hinc apparet, mi Dom ine,
quibus gradibus a Fide recedatur? Ario nimium
fuit visum Christo parem cum Deo aeternitatem
concedere, amputavit ergo quiequid Mundum ante-
cessit: in prineipio illum ex nihilo, dem um quo alia
per ipsum, facta dictitans. Sed Photino, etSocino
Vestro, illud etiam nimium visum: amputärunt
iterum omnia usque ad Mari am, in hujus utero exor-
tum Uli primum tribuentes, divinos tarnen Uli ho-
nores (propter donatam divinitatem) concedentes.
Ecce autem, Francisco Davidis, et qui illum e
Vestris sequuntur, etiam hoc nimium visum: negant
itaque Uli adorationis honorem. Quod si sie semper
aliquid de honore Christi detrahere pergemus, non
video quid remansurum sit, nisi purus putua Ma-
homedismus (nondura dicam Atheismus).
46 Kvacsala, Zur Lebenageschichte de» Comeniua. Heft 1 u. 2.
Q nippe Turcae etiam Jßsura Mariae filium maio-
rem Mose credunt, Dei naturalem filium non credunt; Ad
quae D. Schlichting nihil, nisi Cavillationem esse, dixit.
Ego tarnen quomodo haec cavillatio sit, et ex tali opioionura
de Christo semper in minus mutatione, quid nisi totalis tandem
ahnegatio sequi possit, hunc usque in diem videre non possum.
Ita tunc ab mvicem discessimus; Quae verö ab illius discessu
meditatus eram, illique submissum fuit, explicui edita nuper De
Vno Chri8tianorura Deo, Patre, Filio, et Spiritu S. confessione mea.
Do Quaestione etc. p. 61—63.
45.
7. Anno 1641 aggressus me fuisti Tu ipse, Generose Domine *) :
inter alia multa etiam Quomodo articulus de Trinitate
(in 0 per e Paus.) tractandus esset, inquirendo. Respondi:
Juxta Scripturas. Tu iterum. An ergo juxta vulgares
hypotheses? Respondi cum Apostolo: Nihil possum us
adversus Veritatem, sed pro Veritate. Ad quae Tu:
Non decet tantus error tantum Virum. Ego: Mi Do-
mine, In divinis nemo facilius deeipitur, quam qui
sibi aut aliis cruditionis nomine place t. Tu contra
adeö importune instare, mihique erroris pertinaciam exprobrare:
ut commotior ego, Vobis (inquam) vere pervicacia tribui
debet, qui etiam convicti ceditis non tarnen. Quaere-
bas: Vbi nam convicti? Respondi: Vel in nupero con-
tra Schefferum scripto tot falaitatuni deprehensi
estis, nec tarnen a \eritate oppugnanda desistitis.
Ibi Tu: Meo nomini parci: si autem refutari vellem,
fieri posse. Dixi, Fiat, fiat: nihil mihi pareite. Ecce
autem hueusque nihil , praeter illam erga me eommiserationem
Veatram.
De Quaestione etc. p. 6:3—64.
') Wolzogen.
(Fortsetzung folgt.)
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Kleinere Mitteilungen.
i.
Sybrand Jan Hingst.
Wir haben in dem Leitaufsatz dieses Heftes den Namen von
Dr. S. J. Hingst neben den Namen Fabris und Christ. Sepps
an hervorragender Stelle nennen müssen. Da sein Name in
Deutschland weniger bekannt ist als wünschenswert wäre, wollen
wir hier eine kurze Skizze des merkwürdigen Mannes geben.
Sybrand Jan Hingst war im Jahre 1834 zu Amsterdam ge-
boren und stammte aus einer Weberfamilie alttäuferisehen Ursprungs
in Friesland; er selbst pflegte gern gerade diese Abstammung zu
betonen, und es kann auch nicht bezweifelt werden, dafs sie für
seine ganze Geistesrichtung von Wichtigkeit geworden ist. H. war
Juris von Fach — er hatte im Jahre 1859 zu Leiden den Dr. juris
erworben — und durchlief die Stufen seiner Laufbahn rasch bis
zu dem höchsten Posten eines r Randsheer in den Hoogen Raadtf im
Haag, den er seit 1883 inne hatte. Die juristischen Fachzeit-
schriften Hollands besafsen in ihm einen hervorragenden Mit-
arbeiter, und Juristentage seiner Heimat pflegte er gern zu be-
suchen. Aber seine Interessen reichten weiter. Sein Geist ura-
fafste frühzeitig das ganze Gebiet der Philosophie, und zwar
bezeichnete er sich selbst als Anhänger Kants, von dessen
Wiederbelebung er viel erhoffte; seit dem Beginn der achtziger
Jahre wandte er sich mit der rastlosen Thatkraft, die ihm eigen
war — er beherrschte die wichtigere Litteratur dreier Sprachen,
der deutschen, holländischen und französischen in ungewöhnlichem
Umfang — den religiösen und kirchenpolitischen Fragen
zu und betrieb dies Studium mit der Unparteilichkeit und Sorg-
falt, wie sie dem geschulten Juristen eigen zu sein pflegt; er
fühlte sich den kämpfenden Religionsparteien gegenüber gleich-
sam als Richter, nicht als Anwalt oder als Partei, und seine
reiche Lebenserfahrung befähigte ihn zu einem sachlicheren und
gerechteren Urteile, als es von den Studierzimmern philologisch
geschulter Dozenten aus gefallt zu werden pflegt. Er wufste
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4S
Keller: Sybrand Jan Hingst.
Heft 1 u. 2.
das Richtige und Falsche der Prinzipien sehr klar von den
Mängeln der durch schwache Menschen versuchten Durchfuhrung
zu unterscheiden und als Mann, der selbst im praktischen Leben
zu wirken gewohnt war — sein Lebensweg war durch Schicksale
aller Art ein schwerer für ihn gewesen — wufste er zu be-
urteilen, welchen Hindernissen die praktische Gestaltung auch
der lebensvollsten Ideen zu begegnen pflegt Gleichzeitig aber
suchte er alles, was sein Fleifs aus der Litteratur erarbeitet hatte,
für das thätige Leben nutzbar zu machen, und keinerlei Wissen
schien ihm Werth zu besitzen, wenn man es nicht zur Veredlung
der Menschen und ihres Daseins nutzbar machen könne. In dem
Nachruf, welchen der Generalstaatsanwalt ihm widmete, heifst es,
dafs Hingst neben seinen ausgezeichneten Gaben als Beamter
ein Mensch von edelster Gesinnung war, der trotz eignem Leid
immer darauf bedacht blieb, anderen zu helfen. In ihm lebte ein Stück
jenes alten Feuergeistes, der erleuchtet und erwärmt, ohne zu
zerstören, der hohen Opfermutes, aber keines Fanatismus fähig
ist — ein Stuck comeni an i sehen Geistes, wie er uns in
den grofsen Kämpfen früherer Zeiten auch gerade in seinem
Vaterland wohl begegnet, der heute aber immer seltener ge-
worden ist Als Hingst am 12. Januar 1890 die Augen schlofs,
fühlten seine Freunde weit und breit, wie viel sie an ihm ver-
loren hatten. Vieles, was seine stille, aber rastlose Hingabe ge-
schaffen hatte, trat allen noch einmal vor die Seele, Wir schätzen
es als eine glückliche Fügung, dafs zwei in ihrer Art so seltene
Männer wie Fabri und Hingst an der Wiege der Comenius-
Gesellschaft gestanden haben, für deren Grundgedanken sie mit
gleicher Wärme eingetreten sind. Es ist tief zu beklagen, dafs
sie der Durchführung unserer gemeinsamen Pläne ihre starke
und erfahrene Hand nicht mehr haben leihen können. K.
II.
Bertha von Marenholtz geb. von Bülow.
Am 9. Januar dieses Jahres starb in Dresden nach längerem
Leiden und im fast vollendeten 82. Lebensjahre Freifrau von
Marenholtz-Bülow, Excellenz, deren Name mit dem An-
denken Friedrich Fröbels für alle Zeit innig verknüpft sein
wird. In Wort, Schrift und That hat die Verewigte für den Ge-
danken einer neuen Erziehung zeitlebens rastlos gewirkt und
sich besonders um Erhaltung und Befestigung der Lehre
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1893.
Wittmer: Bertha von Marenholtz.
49
Fröbels im In- und Ausland hoch verdient gemacht. Ihre zahl-
reichen Schriften geben Zeugnis von der hohen Einsicht, mit
welcher sie deren Bedeutung für unsere Zeit erkannte, und die
von ihr begründeten Erziehungsvereine, sowie die Fröbelstiftung
in Dresden, mit dem Seminar für Kindergärtnerinnen und der
Bildungsanstalt für Kinderpflegerinnen, zeigen, wie sehr sie es
verstand, ihre Gedanken auch praktisch zu verwirklichen. Auch
die Zeitschrift „Die Erziehung der Gegenwart" wurde von ihr
begründet. Um zu beweisen, dafs der Fröbelschc Kindorgarten
nicht etwa nur für die höheren Stände bestimmt, dafs er viel-
mehr auch berufen sei, eine Grundlage für die gesamte Volks-
bildung zu werden, rief Frau v. Marenholtz die sogenannten
Volkskindergärten ins Leben, deren erster im Jahre 1860 in
Berlin von ihr gegründet wurde und die später in zahlreichen
Stlidten zum Segen der ärmeren Bevölkerung Eingang fanden.
Überall aber war sie bemüht, die Lehre Fröbels vor der so
nahe liegenden und leider auch in der Mehrzahl der Kinder-
gärten eingetretenen Verflachung und Verkünstelung zu bewahren
und das ihr zu Grunde liegende tiefere pädagogische Prinzip zur
Geltung zu bringen.
Wohl haben viele gegenüber den religiösen, politischen und
sozialen Wirren der Zeit die Notwendigkeit einer neuen Er-
ziehung anerkannt und sind eifrig bemüht gewesen, eine solche
herbeizuführen, gewifs aber hat niemand mit mehr Hingabe und
Begeisterung sein ganzes Leben in den Dienst dieser Idee
gestellt, als es von seiten dieser seltenen Frau geschah, deren
Name in der Geschichte deutscher Kultur einen Ehrenplatz ver-
dient. Ihr Herz schlug für ein Menschheitsideal, und so dürfen
wir in ihr auch die würdige Jüngerin eiues Comenius erkennen,
dessen hohe Verdienste um das Erziehungswesen auch von ihr
in vollem Mafse gewürdigt wurden.
Möge das Andenken der Verstorbenen überall ein gesegnetes
" ,1 G. Wittmer.
MouaishufU» der Cometiia»-G*.elUebafl. 1893.
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Nachrichten.
Der Professor der Theologie an der Universität Tübingen, Lic. theol.
Alfred Hegler hat vor kurzem eine Schrift über „Geist and Schrift bei Sebastian
Franck" (Freiburg, J. C. B. Mohr) veröffentlicht Das Buch ist als eine
hervorragende wissenschaftliche Leistung zu bezeichnen. Der Verfasser
weist mit Recht darauf hin, dafs Francks Gedanken und Anschauungen
für die geschichtliche, die psychologische und die systematische Forschung
ein grofses und allgemeines Interesse darbieten. Für das Arbeitsgebiet
unserer Gesellschaft steigert sich dies Interesse noch dadurch, dafs sich bei
Franck und seinen nächsten Geistesverwandten, Denck^ Bünderlin u. 8. w.
eine Auseinandersetzung über die wichtigsten grundsätz-
lich en Fragen zwischen den Anschauungen Taulers, Eckharts, der
„deutschen Theologie" und den ursprünglichen Gedanken Luthers (aus
denen Franck geschöpft hat) und der späteren protestantischen Dogmatik
vollzieht, wie sie in den reformatorischen Staatskirchen seit 1580 Gestalt
gewonnen hat.
Wir beabsichtigen daher, in den Monatsheften eingehender auf Heglers
Schrift zurückzukommen. Heute wollen wir nur darauf hinweisen, dafs
das Buch sich schon deshalb auch für weitere Kreise eignet, weil der
Verfasser seine Gedanken in so klarer und ansprechender Form vor-
trugt, wie es bei deutschen Gelehrten leider nicht allzuhäufig ist. — Wie
sehr die hier erörterten Fragen die wissenschaftliche Aufmerksamkeit beute
auch in anderen Ländern auf sich ziehen, beweist das im Jahre 1890 er-
schienene Werk von J. H. Maroni er (Rotterdam): Het inwendig Woord.
Ecnige Hladziiden nit de Geschiedenis der Hervorming (Amsterdam, Hol-
ketna), dessen Inhalt sich ebenfalls wesentlich auf Denck, Franck und Bünderlin
erstreckt. Das Buch giebt einen vortrefflichen, sorgfältig gearbeiteten
Überblick über die in Frage kommenden Erscheinungen und wird im Zu-
sammenhang mit Hegler und den in derContemporary Review (London, Isbister
u. Co.) im März 1891 und Dezember 1892 erschienenen Abhandlungen
von Ric har d H eath über Denck und den sog. Anabaptismus zu besprechen
sein. — Erwähnen wollen wir noch , dafs die Teylersche Gesellschaft im
Haag in Anerkennung der Wichtigkeit der Frage für die gesamte theo-
logische Entwicklung im Jahre 1887 eine Preisfrage über das „innere
Wort" ausgeschrieben hat, dafs sie aber, als die eingelaufenen Arbeiten
1893.
Nachrichten.
51
ihren Ansprächen nicht genügten, die Frage gegen ihre sonstige Gewöhn
heit nicht erneuert, sondern zurückgezogen hat.
Im Jahre 1679 erschien f*u Nürnberg bei Michael und Joh. Friedr.
Endter eine Ausgabe des Orbis pietus mit folgendem Titel: Joh. Arnos
Comenii | Orbis sen | sualium pietus | quadrilinguis, | Hoc est: | Omnium
fundamental ium in mundo rerum et in | vita actionum | Pictura et Nomen-
clatura, j Germanica, Latina, Italica | et Gallica. | Cum Titulorum juxta,
atque Vocabulorum Indice. | (Folgt eine Titelvignette, welche das Weltall,
Sonne, Mond und Sterne, darstellt, aber von der Vignette der ersten drei
Ausgaben abweicht.) Cum gratia et Privilegio Sac.Caea. Majestatts et Screuiss.
Electoris Saxonici. Noribergae etc.
Auf der Rückseite des Titelblattes steht folgendes Gedicht:
Ad
Nobüem et Clm Dn. Autor em
Novi ego, Te per multa patif dätete Tepati pro vera Christi
rehgione tui.
Atiamtn hacc animum »ion flrangunt: promtius inde
proetdit, magni grande Idboris Opus.
Italus et Gallus dcmirabwüur: in uno quod bona tot mentis
sint cumulata Viro
Amicae memoriae causa
Imque f.
Joh» Michael Dilhemu.
Hierauf folgt die Widmung der Übersetzung an den Rat der Stadt
Nürnberg in italienischer und französischer Sprache durch den Herausgeber
B. L. Teppati. Aus der Widmung erhellt, daf» Teppati dem Rat zu Dank
verpflichtet war.
Da M. Dilherr bereits 1669 gestorben ist, so kann die Ausgabe von
1679 nur ein Neudruck einer alteren Ausgabe sein. Da bis jetzt über die
Person des B. L. Teppati, soviel ich habe feststellen können, Näheres nicht
bekannt ist, so wäre es erwünscht, wenn einer unserer Leser imstande
w äre, weiteres Licht über diesen Mann und seine Beziehungen zu Dilherr
zu verbreiten.
Über Jacob Redinger, einen Anhänger des Comenius im 17. Jahrb.,
h.'it Regierung*- undSchnlrat F. Sander in der Beilage zur Allg. Zeitung
vom 2. und 3. Sept. 1892 (Nr. 205 u. 206) zwei Artikel veröffentlicht, auf
die wir die Leser der Monatshefte aufmerksam machen wollen. Rfdingcr
war bisher so gut wie unbekannt. Sander wurde dadurch auf ihn geführt,
dafs er in den Büchereien der ihm in Bunzlau unterstellten Lehranstalten
eine deutsche Übersetzung des lateinischen Urtextes der Schola Indus des
Comenius fand, welche zu Frankenthal im Jahre lß.r>9 gedruckt und der
berühmten Kurprinzessin Elisabeth Charlotte (Liselotte, später
Herzogin von Orleans) und dem Kurprinzen Karl von der Pfalz ge-
widmet war; Verfasser dieser und einiger gleichzeitig entdeckter Über-
setzungen war Jacob Redinger. In der Widmung an die fürstlichen Ge-
schwister heifst es, dafs „kurerbliche Durchlaucht nicht nur glücklich an-
4*
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52
Nachrichten.
Heft l u. 2.
gefangen, die lateinische Sprache samt den Dingen nach des weltberühmten
Comenius kurzem und leichtem Lehrwege zu lernen, sondern auch mit
gnädigster Beiwohnung des ersten Spiels, so den siebenten Aprilen in Franken-
thal gehalten worden, ihre günstige Zuneigung au dieser Spielschule" und
zu der gesamten neuen Lehrart „bezeuget". Sehr merkwürdig tritt in
diesen Übersetzungen die Begeisterung des Comenius und aller seiner
Schüler für die Muttersprache und ihre Pflege, hier also für din
deutsche Sprache hervor. „Es ist eine Schande," sagt Redinger, „dafs
so viel tausend gelehrte Männer in allen teutechen Landen sind, die ihre
edle uralte Sprach nicht besser und mehrer sammeln". Im Nachwort der
„Spielschule" (Schola ludus) heifst es: „Günstige Leser. Ich hätte in Über-
setzung dieser Spielschule alles gern mit rechten eigentlichen teutaehen
Wörtern gegeben. Wo selbiges nicht oder nicht wohl geschehen, so messet
die Schuld teils höchstem Eilen, teils meiner Unwissenheit und nicht unser
vollkommensten Wortreichesten Sprache zu, von welcher der Hochweise und
Wohlgeübte Komenius im andern Teile seiner Lehrwerken am 45. Blatt
wohl sagt (Opera didactica Amst. 1657, II, 45 in der Novissima linguarum
methodus von 1648 Cap. IV § 26): ,Die teutschc Sprach könnte ihrer un-
erschöpften Reichtumcn geniefsen, so sie dieselbige zu brauchen wüfste
wegen der Menge eingliedriger Stammwörtern und Glückhaftigkeit der
Wijrterdoppelung, welche andern unbekannt; die mit ihr selbst vergnügt
und allzeit fertig ist , die allerdeutlichsten Namen jeden Dingen auf-
zugeben.' Aus dem lateinischen Wortlaut der Stelle geht deren Sinn deut-
licher hervor. Comenius sagt (a. a. 0.): Jam si quaestio sit, quaenam
lingua aliis omnibus praecellat, difficillima fuerit responsio . . . Germanica|
ob radicum monosyllabarom copiam, vocesque componendi ignotam aliis
felicitatem, seipsa contenta et ad indenda quibusvis rebus significantissima
nomina semper prompta, inexhaustis su is frui posset divitiis, si
uti sciret.
Wir verweisen im übrigen in betreff der Bestrebungen wie der Person
des Redinger auf die erwähnten Aufsätze Sanders.
In der „Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz
Posen", herausgegeben von Dr. Rodgero Prümers, 7. Jahrg., 2. u. 3.
Heft, April bis Sept. 1892 (Posen, J. Jolowicz) veröffentlicht Ernst Luck-
fiel einen Aufsatz über „Die Geschichte des Socioianisnas in Grofspolcn".
Es war in Polen dem Lälius Socinus mit Hülfe dortiger Magnaten gelungen,
weite Kreise für seine Auffassung der Lehre Christi zu gewinnen, und sein
Neffe Faustus Socinus hatte es verstanden, der Gemeinde eine feste Ver-
fassung zu geben. Der Arbeit ist eine Untersuchung der Quellen zur Ge-
schichte des Socianismus beigefügt. Wir machen hier auf diesen Aufsatz
auch deshalb aufmerksam, weil Comenius" frühere freundliche Beziehungen zu
dieser Gemeinschaft und einigen ihrer Vertreter weit weniger Beachtung ge-
funden haben als die späteren, die sich zu einer entschiedenen Gegner-
schaft gestalteten. Wir verweisen in Bezug auf die früheren Beziehungen,
welche freundschaftlicher Art waren, auf die Monatshefte 1892, S. 278 ff.,
wo Comenius selbst darüber berichtet und unter anderem sagt, er habe
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1893.
Nachrichten.
53
die Institutionen des Ostorodius nnd das Neue Testament der Socinianer
„non sine vario tentationum assultu, conseientiaeqoe vacillationc, victoria
tarnen fidci t andern" gelesen. Ware Cotnenius der Versuchung erlegen,
so würde er in den Untergang jener Gemeinschaft, der sehr bald und nicht
ohne deren eigenes Verschulden, eintrat, verwickelt worden sein, und er
hätte niemals die universelle Bedeutung gewinnen können, die er that-
sächlich gewonnen hat. Eine Opposition, deren Widerspruch bei ein-
zelnen Lehrsätzen einsetzt und deren Wesen sich zum gröTsten Teil
auf die Verneinung gewisser Dogmen zuspitzt, wird stet«, so begründet
manchem die Bestreitung scheinen mag, der Gefahr ausgesetzt nein, ihre
Kräfte im Kampf um eben diese Sätze zu zersplittern und selbst einen
dogmatischen Charakter anzunehmen, der nur die Köpfe erhitzt, aber die
Herzen kalt läfst; sie wird aber auch, indem sie den Zusammenhang mit
der Überlieferung zerreifst, auf der Bahn der Verneinung leicht weiter ge-
führt werden, als ihren Stiftern vorgeschwebt hat und als es angänglich
ist, wenn die gemeinschaftsbildende Kraft aufbauender Gedanken erhalten
bleiben soll. Eine Gemeinschaft kann ebenso durch die Betonung wie
durch die Bestreitung gewisser Lehrformeln den Charakter einer Be-
kenntnisgemeinschaft gewinnen und damit in der einen oder der an-
dern Beziehung eine Gefährdung der Bekenntnisfreiheit herbeiführen. Nur
dort, wo der Charakter der Gesinnungsgemeinschaft grundsätzlich
in den Vordergrund gestellt und Lehrformeln weder so noch so in den
Mittelpunkt gerückt werden, kann Bekenntniszwatig mit allen seinen
Folgen einigermaßen vermieden werden.
Pastor H. Stockmann in Borssum bei Emden teilt uns folgendes mit:
„Der ostfriesische Chronist Eggerink Beninga schreibt: ,Anno Christi
MDXXII am avende Omnium sanetomm is Helmer (Häuptling) zu Borssum,
welke omtrent 63 jaer olt was, uth dussen jammerdal verscheden. Richtede
sick na dem olden und nyen Testament, lange vor der tyd eer Mar-
tinas Luther begunde to schry ven, is dar oock bestandlic wente an
dat einde by gebleven. Heeft van de insettinge des Pauwstes pantsch
nicht geholden. » Eggerink Beninga war Zeitgenosse des Hclmcr und später
durch seine Heirat mit der Erbtochter Besitzer von Borssum; er kannte
also den alten Helmer genau."
Die Bibelausgabcn, die dieser Häuptling gelesen hat, sind höchst
wahrscheinlich nicht in lateinischer, sondem in deutscher Sprache ge-
schrieben gewesen. In diesem Zusammenhang mag darauf verwiesen sein,
dafa die Bibelübersetzung, die im Jahre 1562 zu Emden bei Nie. ßiestkens
erschienen ist, sich in wichtigen Teilen nicht an die lutherische, sondern
an die vorlutherischc deutsche Bibel anlehnt, die also um 1560 noch
in Emden bekannt war. Näheres bei Keller, Die Waldenser und die
deutschen Bibelübersetzungen. Leipzig 1886, S. 152 ff.
In Nr. 222 u. 223 der Allgemeinen Zeitung vom 11. und 12. August
1892 (Beilage -Nummer 186 u. 187) hat Theodor Bitter von Stefanovic-
Vilovsky unter dem Titel „Studien zur Geschichte des BogomilismiiB"
54
Nachrichten.
Heft 1 Ü. 2.
zwei Aufsätze veröffentlicht, die wir hier nicht unerwähnt lassen
dürfen. Der Verfasser schöpft zum Teil aus slawischen Quellen, die in
der deutschen Litteratur noch keine genügende Beachtung gefunden haben.
Die Schrift Bogomili i Patareni von Dr. A. RaCki (Rad Ingo sla-
venske akadomijo zuanosti i unyetnosti. 1869, u Zagreba) habe ich
hier zum erstenmal erwähnt gefunden. Herr von StefanoviC zeigt sich in
seiner Beurteilung der Bogomilcn von seinen Quellen, die fast durchweg
von gegnerischer Seite stammen, sehr abhängig; immerhin hat er die
Bedeutung dieser „Gottosfrcunde" — der Name Bogumil helfet Gottes-
freund — doch richtig erkannt, auch auf die Zusammenhänge mit Pa-
tarenern, Katharorn, Waldensern, Taboriton und böhmischen
Brüdern richtig hingewiesen. „Die höchste Aufgabe des zukünftigen Ge-
schichtschreibers des Bogomilentums," sagt er am Schlufs, „müfste darin
bestehen, den roten Faden zu finden, der sich durch die ersten Reform
mationsversuche der paulicianischen und bogomilischen Lehre bis zur
neueren Reformation (des 16. Jahrhundert«) hindurchzieht und dem Bogo-
milismus eine weitaus gröfserc Bedeutuug verleiht, als sie bisher im all-
gemeinen vorausgesetzt werden konnte." Über diesen „roten Faden" findet
sich Näheres bei Keller, Die Reformation und die älteren Reformparteien.
Der Verwaltungsausschufs der Comenius- Gesellschaft hält es für
seine Pflicht, mit verwandten und befreundeten Unternehmungen in freund-
liche Beziehung zu treten. Die ersten Schritte sind in dieser Richtung da-
durch bereits geschehen, dafa der Vorsitzende durch Schreiben vom 18. Ok-
tober d. J. den historischen Vereinen nnd Gesellschaften Deutschlands und
Österreichs von der Errichtung der Comenius -Gesellschaft Kenntnis ge-
geben und sich bereit erklärt hat, mit ihnen in Schriftenaustausch
zu treten. Darauf haben verschiedene Vereine — wir werden das Ver-
zeichnis demnächst veröffentlichen — alsbald in entgegenkommendem Sinne
geantwortet, und es ist Aussicht vorhanden, dafs weitere Vereine dem ge-
gebenen Beispiel folgen werden. In dem Schreiben vom 18. Oktober helfet
es unter andertn: „Die Gesellschaft, die gegenwärtig über 900 Mitglieder
zählt, hat sich, wie der im 1. Heft unserer Zeitschrift (Monathefte der C.-G.
1892) abgedruckte Arbeitsplan ergiebt, in erster Linie geschichtliche
Aufgaben gestellt, und ihre Ziele berühren sich daher in manchen wich-
tigen Punkten mit denjenigen der Geschichte- und Altertumsvereine. Es
wird nicht viele Landschaften und gröfsere Städte des Reiches geben, in deren
Geschichte nicht die Männer, deren Andenken die Gesellschaft vornehmlich
pflegen will, Spuren ihrer wissenschaftlichen oder praktischen Thätigkcit
hinterlassen haben. Insofern die Gesellschaft dem Wirken dieser Männer
nachzugehen beabsichtigt, kann sie auf diesem Gebiete der Provinzial-
uud Stadtgeschichte ergänzend zur Seite treten und durch ihre Zeitschrift
zur Aufklärung mancher bisher weniger beachteten geschichtlichen Er-
scheinungen mitwirken."
Leipzig, S. Hirzel, 1885.
1893.
Nachrichten.
55
Berichtigung.
Wir hatten Monatehefte 1892 8. 219 eine Übersicht über den Verlauf
der Jahrhundertfeier in den Zweigvereinen de» Allg. deutschen Sprach-
vereins gebracht und zu Braunschweig bemerkt, dafs Herr Oberlehrer
K. Scheffler als Redner aufgetreten sei. Herr Scheffler bittet uns, mitzu-
teilen, dafs nicht er, sondern Herr Museumsdirektor Professor Dr.
Riegel des Comenius gedacht und einen Hinweis auf die Bedeutung
des Tages in einer kurzen Ansprache gegeben habe.
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Pierm'ache Hofbuchdruckerei. Stephan Ueibel A Co. in Altonburg.
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Monatshefte
der
Comenius - Gesellschaft.
II. Hand. — 1S93. — Heft 3.
Der Aufenthalt des Comenius in Lüneburg im August
1647 und die Wiederaufnahme seines Briefwechsels mit
Valentin Andrea
VOM
O. Badlach, Pfarrer in Zethlingen (Altmark).
Der im Jahre 1872 als Professor in Marburg verstorbene
Kirchenhistoriker Emst Ldw. Theod. Henke, welcher durch sein
kirchengeschichtliches Hauptwerk : „Georg Calixtus und seine
Zeit", 2 Bde., Halle 1853—60, sich als einer der vorzüglichsten
Kenner des siebenzehnten Jahrhunderts erwiesen hat, erwähnt
in der Vorrede zu dem von ihm schon im Jahre 1833 heraus-
gegebenen und der theologischen Fakultät zu Jena gewidmeten
Briefwechsel des Georg Calixtus, dafs der gelehrte Herzog August
von Braunschweig, der Gründer der Wolfenbüttelschen Bibliothek,
eine besondere Liebhaberei hatte, Autographa berühmter Männer
zu sammeln. So seien die grofsen Sammlungen besonders von
Briefen • gelehrter Zeitgonossen des Herzogs entstanden , welche
sich noch auf dieser Bibliothek belinden.
Es unterliegt keinem Zweifel, dafs aus diesen Briefsamm-
lungen noch manches Gold für die Comeniusforschung gewonnen
werden kann, befinden sich doch unter denselben neben zahl-
reichen Briefen von deutschen Staatsmännern jener Zeit, Ge-
lehrten verschiedener Art, Philologen, Ärzten, Polyhistoren und
Theologen, von denen wir z. B. nur Duräus nennen, Uber den
derselbe Henke den Artikel in Herzogs Realencyklopädie ftir
protestantische Theologie geliefert hat, ganz besonders zahlreiche
Monatsheft« der Conwnios-Oewllvbaft. 1*93. 5
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58 tt*dlach, Heft 3.
Briefe Valentin Andreät», von dem von Criegern mit Recht sagt,
dafs für Valentin Andreä Herzog August von Braunsckweig und
Lüneburg dasjenige bedeutete, was Lorenz und Ludwig von Geer
für Comenius waren.
Bei der Bedeutung, welche Valentin Andreä für Comenius
gehabt hat, kann der jetzige Stand der Comeniusforschung nicht
mehr mit Hofsbachs Bearbeitung sich zufrieden geben, sondern
mufs ein ahnliches Werk fordern, wie es Henke in seinem „Georg
Calixtus und seine Zeit" geschaffen hat, der in seinem (für die von
der Münchener historischen Kommission herausgegebene all-
gemeine deutsche Biographie I. S. 441 ff.) über Valentin Andreae
gelieferten Artikel, welcher eine der letzten Arbeiten aus Henkes
Feder ist, noch die Fundamente zu einer Neubearbeitung des
Mannes gelegt hat, den Comenius in Opp. did. 1. S. 442 als
einen „virum tervidi et defaecatae mentis" bezeichnet, auf den
er öfter in seinen Werken zu sprechen kommt, so dafs man ihm,
um mit Kleinert zu reden, die Genugthuung anspürt, sich mit
diesem reformatorischen Geiste in fortwährender Verbindung und
inniger Geistesgemeinschaft zu wissen, und durch den, wie von
Criegern: „Job. Arnos Comenius als Theolog" Cap. 7 in längerer
Ausführung trefflich nachzuweisen begonnen hat, Comenius nach
allen Richtungen seines Geisteslebens einen befruchtenden Einflufs
erfuhr.
Auffall igerweise ist die von Henke Seite XIV7 seiner Ein-
leitung zu dem Briefwechsel des Georg Calixtus gemachte Be-
merkung von der Comeniusforschung bis jetzt nicht beachtet
worden, in welcher Henke hervorhebt, dafs unter den von Herzog
August gesammelten Briefen sich auch ein Brief des Comenius
befindet. Dies läfst sich besonders auch daraus erklären, dafs
der Katalog der Wolfenbüttler Bibliothek unter den Werken,
welche dieselbe von Comenius besitzt, diesen Brief bis jetzt nicht
aufgezählt hat Wir haben die durch Henke gegebene Andeutung
als Fingerzeig benutzt und in dem Handschriftenbande Extravag. 54
der Wolfenbüttler Bibliothek, welcher die Überschrift trägt:
„Autographa et exempla epistolarum doctorum Virorum ad alios
eruditos ordine alphabetico digesta, in quarum numero etiain
Epistola autogr. Phil. Melanchtonis" am 28. Juli d. J. einen Brief
des Comenius gefunden, welchen er von Lüneburg aus am
22. August 1047 an Valentin Andreä geschrieben hat. Henke
scheint anzunehmen, dafs sämtliche Briefe Autographa siud.
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1893.
Der Aufenthalt des Comenius in Lüneburg etc.
59
Aus der Überschrift, welehe der Sammler dem Bande gegeben
hat, geht aber schon hervor, dafs eine Anzahl Briefe nur Ab-
schriften sind. Während der Brief des Melanchthon, welcher
in dem citirten Sammelband sich befindet, ohne Zweifel ein
Originalbrief ist, der auch sonst die Spuren von den Taschen
und Händen der Tabellarii trägt, die ihn befördert haben,
scheint der mit ihm vereinigte Brief des Comenius nur eine
Abschrift zu sein. Dieselbe ist nur an einigen Stellen weniger
deutlich, sonst aber sehr gut erhalten und macht den Eindruck,
als habe eine zweite Hand diejenigen Stellen sorgsam nach-
getragen, welche der erste Schreiber leer gelassen hat, da er sie
vielleicht nicht lesen oder verstehen konnte. Durch gütige Mit-
hülfe des Herrn Bibliothekar Dr. Milchsack haben wir die Über-
einstimmung unserer Abschrift mit der Wolfenbuttler Handschrift
festgestellt. Der Text giebt überall einen guten Sinn. Wir haben
nichts fortgelassen und nichts hinzugesetzt. Nur der Schlufssatz
erscheint in der Handschrift unverständlich , denn er scheint zu
lauten: possim, suam, Velim. Wir haben das Komma hinter
suam fortgelassen und in dem dargebotenen Text des Briefes für
„suam" „nedum" gesetzt. Auch scheint das Jahr der Absendung
„1644" zu lauten, was aber schon auf Grund der in dem Brief
angeführten Thatsachen, auf welche wir weiter unten hinweisen
werden, nicht angeht. Laut Patera, Briefwechsel des Comenius,
Prag 1892, S. 82, schreibt Comenius an Tobias Andrea aus Elbing am
16. August 1644: „herique reversus, jam rursum ad convocationem
Evangelicorum generalem Orlam Lithvaniae (sexaginta inde leucas
distantem locum) abeo." Die erwähnte Synode in Orla, auf
der Comenius anwesend war, wurde am 24. August 1644 ab-
gehalten. Er berichtet darüber an Hotton unterm 18. 28. Sept. 1644.
Wir lesen deshalb nicht „1644", sondern „1647".
Der Brief selbst bringt neues und bisher unbekanntes bio-
graphisches Material zu unserer Kenntnis und mufs schon durch
diese besonderen Angaben, wodurch er die bisherige Kenntnis von
dem Lebensgang des Comenius erweitert, allen Freunden und
Verehrern desselben willkommen sein.
Nicht weniger wichtig sind die allgemeinen Bemerkungen,
welche Comenius in demselben abgiebt. Seine reeiperationes,
wie er am Schlufs seines Schreibens die in seinem Briefe dar-
gelegten Gründe zu seiner Rechtfertigung nennt, lassen uns nicht
blofs klar erkennen, in welcher Ehrfurcht, in welcher Liebe und
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60 Kadlacb, Heft 3.
*
in welchem Vertrauen er dem Valentin Andreä stets zugethan
gewesen ist, sondern sie zeigen auch, wie Comonius bei allem
Streben für Einigung und Versöhnung, so dafs er als „merabrum
ecclesiae illius, quae alios condemnare non didicit" darüber seufzt,
„quod satanae machinationes in distrahendis nobis plus possunt,
quam in coadunandis spiritus Christi", doch auch wieder mit be-
sonderem Nachdruck seinen konfessionellen Standpunkt als ein
Glied derjenigen Kirche betont „quae reformationem suam non
a Luthero aut Calvino, sed ab Husso centum ante Vestram annis
coepit".
Was die objektive Forschung im allgemeinen von Comenius
bis jetzt festgestellt hat, wird durch unsern Brief nur bestätigt,
und behült somit auch im Hinblick auf unsern Fund von Criegern
recht, wenn er S. 58 sagt: „Es ist nicht anzunehmen, dafs zu
dem Bilde von Comenius neue Züge hinzukommen würden, wenn
wir noch mehr Schriften von ihm auffänden. Der Gedanken-
kreis, in welchem er sich bewegt, ist bekannt."
Als Comenius unsern Brief in Lüneburg schrieb, befand er
sich in einem körperlfch angegriffenen Zustande. Der Ruf der
heilkräftigen Quelle zu Hornhausen, eines in dem früher Halber-
städtischen Gebiet gelegenen Fleckens, der etwa eine Stunde von
Oschersleben entfernt ist, war selbst bis an die sarinatischen Ge-
stade gedrungen und hatte manche Bekannte des Comenius ver-
anlafst, dies Bad aufzusuchen. Es war ein Soolbad, das nach
mündlicher Überlieferung noch im Anfang unseres Jahrhunderts von
vielen Kranken besucht wurde. Nach der Sage sollen die Ge-
nesenen ganze Berge von Krücken zusammengetragen und daraus
ein Freudenfeuer angerichtet und ihre Loblieder dabei angestimmt
haben. Wahrscheinlich war Comenius von rheumatischen Affek-
tionen heimgesucht. Schon im März 1645 finden wir ihn auf
dem Krankenlager. Die bekannten Sorgen der zuletzt ver-
gangenen Zeit hatten ihn besonders angegriffen. Auf Zureden
einiger Freunde schliefst er sich einer Reisegesellschaft an, welche
in den ersten Augusttagen 1647 die Reise antritt, den etwa zwei-
bis dreitägigen Weg zu Schiff von Elbing nach Lübeck wählt,
aber bald sich genötigt sieht, in Lüneburg Halt zu machen, denn
hier treffen sie mehrere Reisende, welche schon von Hornhausen
zurückkehren, „sequiora quam pro spe nostra nobis enarrantes",
und Schlechteres erzählen als Comenius erwartete. Wir haben
den Herrn Archivrat Dr. Jacobs in Wernigerode a. H. um eine
Erklärung dieser Stelle gebeten. Derselbe schreibt uns: „Über
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1893.
Der Aufenthalt de« Comenius in Lüneburg etc.
61
die Bedeutung vou sequiora braucht man sich wohl nicht den
Kopf zu zerbrechen. Bad Honihausen war im Jahre 1646 auf-
gekommen und sofort zu gewaltigem Ansehn gelangt. Aber am
Ende dea Jahres verschwanden die (20) Quellen sofort wieder, um
dann im Juni 1689 noch einmal hervorzubrechen. Die Einrich-
tungen in dem halbwüsten Dorfe waren sehr notdürftige. Allen
halfen die Quellen auch nicht, und so lauteten die Urteile über
Bad Hornhausen verschieden. Wunderbares berichtet davon Aug.
Hauptmann in seiner „Sedula gratiosarum fontium qui Hornhusii
pervestigatio", Leipzig 1647. In der Bibliothek zu Wernigerode
befindet sich Pröhles Chronik von Hornhausen. Genügendes mit
Abb. v. J. 1646 bei G. Schmidt, Kunstdenkm. der Prv. Sachsen.
Oschersleben 1891, S. 144—147." Aus dieser Erklärung geht
schon hervor, dafs unser Brief nicht 1644 geschrieben sein
kann.
Die uuerwartete Unterbrechung seiner Badereise sollte aber
für Comenius nicht ohne Gewinn sein, da er in Lüneburg mit
einem vortrefflichen Mann, Johann Stern mit Namen, bekannt
wurde, der sich mit seinem Bruder Heinrich um die Kirche Jesu
Christi „studiisque pietatis", d. h. und durch seine Bestrebungen
zur Hebung der Frömmigkeit verdient gemacht hat und immer
noch, wie Comenius hinzufügt, verdient macht.
Das Zeugnis, welches Comenius den Gebrüdern Stern in
Lüneburg ausstellt, bestätigt voll und ganz schon ein Blick in
die Geschichte der asketischen Litteratur jener Zeit. Die Gebrüder
Stern sind nämlich Verlagsbuchhänder, welche für die asketische
Litteratur des 17. Jahrhunderts eine ähnliche Bedeutung haben,
wie für das Gebiet der poetischen Nationallitteratur David Müller
in Breslau, der durch seine rührigen und umsichtigen Verlags-
arbeiten den schlesischen Dichtern, besonders dem Martin Opitz
und dem Johann Heermann den Weg geebnet hat. Sagt doch
Joh. Heermann in der diesem Perthes oder Cotta des 17. Jahr-
hunderts aufgerichteten Ehrenschrift, dafs „David Müller sich ein
unsterblich Lob zu Wege gebracht hat durch die Unkosten, so er
auf den Verlag vieler nützlicher Schriften verwendet und damit
nicht allein der löblichen Stadt Breslau, sondern auch dem ganzen
Lande und der christlichen Kirche gedient hat." Auch können
wir den Gebrüdern Hans und Heinrich Stern in Lüneburg die
Gebrüder Michael und Johann Friedrich Endter in Nürnberg
an die Seite stellen, von denen Michael Endter durch Comenius
das Zeugnis erhält, dafs er „durch eine korrekte und saubere
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62
K ad lach,
Heft 3.
Ausgabe des orbis pictus und die dazu besorgten Figuren und
Bilder" gewissermafscn dem berühmten Schulbuch erst die Bahn
geebnet hat.
Dafs Comenius sich an Johann Stern so schnell anschliefst,
so dafs er ihn dem Valentin Andreae gegenüber als den „communis
amicus et fautor" bezeichnet, hat ohne Zweifel seinen Hauptgrund
darin, dafs er in Stern einen Mann gefunden hat, mit dem er
sich in der Hauptrichtung seines Geistes und seines Strebens bald
eins fühlen mufste. Denn hatte Comenius nach der ersten in
Zürich 1629 erschienenen deutschen Übersetzung der „Übung
der Gottseligkeit" des englischen Bischofs Lewis Bayly dies Werk
1630 ins Tschechische übersetzt, so fand er hier in Lüneburg
eine andere der ersten geistlichen Schriften Englands, welche den
Weg nach dem Kontinent zurückgelegt haben, „das güldene
Kleinod" des Immanuel Sonthom, das nach den bedeutenden
Forschungen des jetzigen Würzburger Dekans H. Beck (vgl. dessen
Abrifs der religiösen Volkslitteratur Gotha 1891 S. 181) in Lüne-
burg 1620. 1630. 1632. 1634. 1653. 1679. 1680. 1683. 1696. 1703
aufgelegt wurde. Und wenn uns bald nach dem Fortgange des
Comenius aus Lüneburg, dort auch 1649 die erste Lüneburger
Ausgabe von Baylys Übung der Gottseligkeit begegnet, so haben
wir dies vielleicht auf den Verkehr des Comenius mit Stern
zurückzuführen. Konnte mit Recht Kleinert (Studien und Kritiken
1878 S. 39) den Comenius als „Vorläufer der pietistischen Be-
wegung bezeichnen, die in so vielfacher Beziehung (auch in
didaktischer) an Comenius direkt angeschlossen hat", so finden
wir eben in Stern einen Verlagsbuchhändler, der durch die
zahlreichen Artikel seines grofsen Verlags dem Pietismus die
Bahn hat brechen helfen und gewissermafsen die Hebeammen-
dienste bei der Geburt einer neuen Zeitrichtung geleistet
hat, die im Gegensatz zu der toten Orthodoxie unter Speners
Führung das Losungswort „des thätigen Christentums" auf ihre
Fahne schrieb. In Lüneburg freilich, das A. H. Francke als
seine geistliche Geburtsstadt bezeichnet hat, wo ein Jahrzehnt nach
Franckes Fortgang Joh. Seb. Bach als Diskantist im Schulerchor
des Michaelisklosters sein Brot verdiente, sollten noch harte Kämpfe
zwischen diesen beiden Richtungen gefuhrt werden. Sie gingen
so weit, dafs als der Superintendent Caspar H. Sandhagen, der
früher in Bielefeld mit Breckling und mit Labadie in innigem
Verkehr gestanden hatte, und unter dessen Amtsführung Joh.
Duraeus von Cassel aus seinen Friedensgedanken in Lüneburg
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1893.
Der Aufenthalt des Comenius in Lüneburg etc.
63
Bahn machen wollte, nach Schleswig als Generalsuperintendent
abgegangen war, sein Nachfolger, der Freund Speners, W. Pe-
tersen 1692 abgesetzt wurde, der mit einer Post 6000 Thaler
Missionsgelder nach Pennsylvanien sandte, die aber auf dem
stürmischen Meere verloren gingen, unter dessen Einflufs das
„Unura necessarium" des Comenius zum erstenmal in deutscher
Sprache 1690 in Lüneburg erschien, der aber in einen ähnlichen
Fehler wie Comenius verfiel, indem er den Weissagungen eines
Edelfräuleins von Asseburg Glauben schenkte, womit weder
Spener noch die orthodoxen Gegner einverstanden waren. Letz-
tere veröffentlichten sogar ihre Ansichten darüber in besonderen
Thesen.
Die Lüneburger Chronisten haben dem Stern keine beson-
dere Aufmerksamkeit geschenkt. Nach Maneckes, des fleifsigen
Sammlers Lüneburgischer Nachrichten, Beschreibung und Ge-
schichte der Stadt Lüneburg 1816 S. 31, „waren seit Ende des
16. Jahrhunderts die Gebrüder Stern in Lüneburg konzessionierte
Buchhändler, begaben sich aber nachmals des Geschäfts, und in
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fand sich dort der Buch-
händler Cubach, berühmt wegen eines edierten und vielmals auf-
gelegten Gebetbuches." Allein wir haben in den Bauernhäusern
der Altmark noch Werke aus dem 18. Jahrhundert gefunden,
welche in Lüneburg bei Cornelius Johann Stern aufgelegt sind,
so z. B. aus dem Jahre 1727 die bekannte im 17. Jahrhundert
auch in Lüneburg öfter aufgelegte Praxis Evangeliorum Martin
Mollers, die bis nach Ungarn und nach Holland hin verbreitet
war. (Siehe das Vorwort zur Eisleber Ausgabe 1857 Band H.)
Erzählte mir doch z. B. im Jahre 1888 ein Ältester der grofsen
evangelischen Gemeinde Zauchtel bei Fulnek in Mähren, dafs
ihre Väter und Mütter die alten Erbauungsbacher „Molleres" ge-
nannt hätten, welche unter den Dielen der Wohnzimmer oder
in anderen Winkeln vor Erlafs des Toleranzedikts Joseph II
verborgen gehalten wurden.
Es würde sehr lohnend sein, die Buchhändler Stern in
Lüneburg in einer Monographie zu behandeln. Leider ist da»
Archiv der Druckerei in alle Winde zerstreut. Folgende wenige
Notizen, welche in der Lüneburger Druckerei aufbewahrt werden
und von dem weiland Direktor Dr. Volger herrühren, verdanken
wir der gütigen Mitteilung des Herrn Oberlehrer Th. Meyer in
Lüneburg: „N. N. Stern wird 1580 als Buchhändler und Buch-
binder genannt, Hans Stern legt 1602 einen Buchladen auf dem
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64
Radlatb,
Heft 3.
Sande an. Dessen Söhne Johann und Heinrich gründen 1614
die Buchdruckerei. Bis dahin wurden ihre Verlagsartikel in
Goslar gedruckt. Erstes Privilegium von Herzog Christian 1625.
Eine andere Buchhandlung und Buchdruckerei (Michaelsen),
welche 1627 gegründet wurde, bestand nicht lange. Ein bedeu-
tendes Privilegium erhielten die Sterne 1634 und dieses ist mehr-
fach erneuert und selbst vom Kaiser bestätigt 1645. Spätere
Buchhandlungen und Druckereien bestanden nicht lange. Be-
sonders berühmt sind die Bibelausgaben (mehr als 12). 1650
wurde Johann Stern wegen seiner Verdienste um die Kunst
geadelt."
Während aber Öomenius von dem Joh. Stern sagt, dafs er
ein Mann sei „optime de Ecclesia Jesu Christi studiisque pietatis
meritus et adhuc merens" erwähnt J. G. Bertram in seiner grofsen
Kirchengeschichte Lüneburgs Braunschweig 1719 den Buchhändler
Stern gar nicht. Nur im XI. Kap.: „Von des Superintendenten
D. Petri Khebinders Leben, darin auch der Streit mit Christian
Hohburg enthalten" erwähnt er die Sternsche Buchdruckerei. In
dieser Druckerei war der wegen Irrlehre aus Ülzen vertriebene
und besonders durch seinen „Spiegel der Mifsbräuche beim
Predigtamt" (worin er im Gegensatz zu dem starren Amtsbegriff
der Orthodoxen zu dem entgegengesetzten Fehler kam), durch
seine Postilla mystica und andere auch im 18. Jahrh. öfter auf-
gelegte Schriften bekannt gewordene Christian H o h b u rg seit
1640 als Korrektor angestellt Die Verteidigung dieses Mannes,
der sieh im Hause des Stern befand, als Comenius bei ihm war,
hat später Gottfried Arnold in seiner „Unpartheyischen Kirchen
und Ketzerhistorie" übernommen, der aber, wie schon Buddeus,
der Verehrer des Comenius, in der Sprache des Perückenstils
geurteilt hat, „sich zu sehr per affectum contrarium abriepieren
liefe und wie andere die Ketzer heruntermachen, er solche stets
excusire und den Damnantibus die Schuld beimesse und daher
die Wahrheit verfehlen müsse." Gewifs hätte Stern dem wegen
Irrlehre abgesetzten Hohburg keine Stelle als Korrektor in seiner
Buchdruckerei gegeben, wenn er ihm nicht in gewissem Sinne
zugeneigt gewesen wäre. Vermutet doch Bertram mit Recht,
dafs Hohburg als Korrektor der Sternschen Druckerei eine An-
zahl seiner Schriften drucken liefs, die er unter dem erdichteten
Namen eines Elias Prätorius (Schulze) ausstreute.
Es war aber noch ein anderer Umstand, der den Comenius
in Lüneburg gern Halt machen liefs. Als Exulant fand er hier
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1893. Dar Aufenthalt des Comenius in Lüneburg etc. 65
besonderes Verständnis und Mitgefühl vor und hoffte gewifs auch
manches Neue über die Zustände in Böhmen und in Mähren zu
erfahren. Denn Lüneburg war es, welches schon im Jahre 1622
den M. Georgius Cratzseh, welcher, nachdem er zu Horn in
Nieder-! )streich 3 Jahre das Diakonat und 7 Jahre das Pastorat
treulich verwaltet und infolge kaiserlichen Befehls vom Febr.
1621 innerhalb 3 Wochen sein Amt aufgegeben und nach dem
5 Meilen von Horn entlernten Znaim in Mähren mit seiner Fa-
milie geflüchtet war, als Pastor an der Michaeliskirche angestellt
hatte. In Lüneburg hatte Sigismund Scherez, einer von den
vier letzten evangelischen Geistlichen, welche auf kaiserlichen
Befehl Prag räumen mufsten, nachdem am 24. Oktober 1622 die
beiden deutschen Kirchen Augsburgischer Konfession in Prag
eingezogen waren und darauf, wie der Bericht sagt, „die 4 evan-
gelisch teutsche Prediger zu Prag nach ihrer Beurlaubung sich
mit ihren lieben Zuhörern christlich und öffentlich auf freyem
Felde geseegnet", zuerst als Pastor an der Lampertikirche, darauf
als Superintendent eine gesegnete Wirksamkeit gefunden. Mit
Recht hat H. Beck in seinem schon oben zitierten trefflichen
Werk dem Sigismund Scherez, dessen bedeutendste Arbeit : „Seelen
Arztney wider die Melancholey" zuerst Lüneburg 1630 erschien
und zuletzt Lüneburg 1715 wieder aufgelegt wurde, besonders
hervorgehoben. Die Buchhändler Stern waren es, welche für
die Verbreitung der Schriften des Scherez eintraten, der ähnlich
wie Comenius sein Vaterland und seine verlassene Gemeinde
nicht vergafs und von Lüneburg aus „2 christliche Sendschreiben an
die Evangelischen PrHger etc." sandte und auch eine Schrift ver-
fafste: „Constantia Veritatis Evangclicae an die hintcrlassenen
Evangelischen Präger", welche Stern 1623 in Lüneburg druckte
und gewifs dabei die meisten Kosten aus seiner Tasche hergab.
Als Comenius, wie er schreibt, mit Stern „de selectioribus
dei organis ecclesiaeque luminibus reliquis" sprach und dabei des
wenige Jahre zuvor verstorbenen Scherez, des damals noch in
frischer Kraft in Hannover wirkenden Justus Gesenius, dessen
Bedeutung die in Göttingen 1883 erschienene gekrönte Preis-
schrift des jetzigen Bonner Professors E. Bratke uns in verdienst-
voller Weise an das Licht gestellt hat, des Calixt, des Meyfart,
des Saubert, des Lütkemnnn, des in dem nahen Zelle 1621 ver-
storbenen Generalsuperintendenten Job. Arndt gedachte, dem im
Jahre 1619 Valentin Andreae seine Kespublica Christianopolitana
gewidmet hat, von dessen „Warem Christentum" Valentin Andreae
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66 Radlach, Heft 3.
schon bald nach seinem Erscheinen einen Auszug herausgegeben
hat, auf den Comenius selbst in seiner Didactica magna cap. XXIV
N.24, ohne Arndts Namen zu nennen, hinweist, „incidit Tui quoque
mentio", wurde auch Valentin Andreae erwähnt. Als Stern von
Comenius hörte, dafs er dessen Schriften sehr schütze und dafs
er mit diesem selectum organon ecclesiae früher in brieflichem
Verkehr gestanden habe, holte er des Andreae letzte Briefe hervor,
welche den Comenius mit Trost und doch auch wieder mit Traurig-
keit erfüllten. Mit Trost, weil er daraus erfuhr, dafs Andreae
„zwar noch lebe und Gott lebe und das Werk Gottes beständig
treibe", mit Traurigkeit aber, weil die Briefe erzählten, dafs
Andreae aus den warmen Bädern ohne Hoffnung auf Besserung
zurückgekehrt sei. Diese Angabe läfst uns wiederum darauf
sehliefsen, dafs Comenius den Brief nicht 1644 geschrieben hat,
sondern erst 1647, denn in diesem Jahre kam Valentin Andreä
um seine Entlassung ein. Eine andere Zeitbestimmung für den
Brief finden wir aus der Veranlassung desselben.
Während ComeniuB im Hause des Stern in der evangelischen
Kirchenharmonie des Herzog August d. J. herumblättert *), stöfst
er auf die „Studtgartiae die Lucae 18.0ct. 1644u geschriebene Vor-
rede des Joh. Valentin Andreae.
Schon mehrere Jahre vorher hatte Valentin Andreae mit dem
Herzog August über die Evangelienharmonie korrespondiert. Wie.
er sich dadurch den Weg zu einem näheren Verhältnis zum
Herzoge bahnte, zeigen für die Jahre 1639—42 die Mitteilungen
Henkes aus seinen Briefen in der deutschen Zeitschrift f. ehr. W.
1852. S. 263 ff., wo auch (S. 261) Proben aus der Kirchenharmonie
gegeben sind, die besonders deshalb so genannt wurde, weil bei
jeder evangelischen Perikope die Parallelstellen aus den übrigen
Evangelien herangezogen und eingemischt waren. Andreae hebt
in seiner Vorrede des Herzog August Verdienste hervor und sagt,
') Evangelische KircJien Harmonie \ das ist: der hoch-heiligen Skrift
unterschiedene Texte und | Worte: \ welche von unsern Gottseligen | Vorfahrn
aus den OeschicJitsbüchern der Evangelisten \ und aus den Briefen der Aposteln
sowohl auch aus den Skriflen | des alten und ersten Bundes oder Testa-
mentes vor vielen hundert Jahren her- I ausgezogen u. s. tc. Dies Werk
besteht aus zwei Teilen, welche 1646 vollendet wurden. „In der Fürstlichen
Hof Stadt zu Wolfenbüttcl druckten und verlegten dicselbigc Hans und
Heinrich die Sterne/ Nach der schriftlichen Mitteilung des Herrn Ober-
bibliothekars Professor v. Heinemann in Wolfenbüttel ist die Buchhändler-
farnilie der Sterne in Wolfenbüttel dieselbe, die auch für Herzog August
in Wolfenbüttel Allerhand verlegt hat.
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1893.
Der Aufenthalt de« Comenius in Lüneburg etc.
67
nachdem er auf den trefflichen Druck und die schönen Kupfer,
welche das ganze Werk enthält, hingewiesen hat, von denen be-
sonders das Titelbild mit seiner Darstellung über Luc. 10, 41 u.
42 „Unum necessarium" beachtenswert ist, so dafs wir es verstehen,
weshalb der katholische Kaiser Ferdinand III. den Verleger Stern
wegen seiner Verdienste um die Kunst adelte: „Dum aliqui in
arenä potius inagnä vi brachia tollere hastasque vibrare; alii
ingenii aciem tricis, argutiisque ostentare; alii, infelix lolium
Scholasticae Pan*sophiae, in Lutheri despectum serere ; alii ad po-
pulum phaleras projicere, et personare tintinnabulis, malunt, Sere-
nissimus Augustus noster, lactantem gregem Christi, ad laeta
pascua ducere; cytharam suam ovans, (ut ut etiam Michaiis gc-
nius rideat) pulsare et in atriis Domini, cum psallentibus stare,
supra magnalia Mundi , elegit, nobileque donarium Dominicae
Passionis, in Sanctuario Dei, deposuit." Ab Comenius dies in
dem neu erschienenen Werke las, stand Stern neben ihm und
zeigte ihm die Stelle von dem „infelix lolium Scholasticae Pan-
sophiae1*, d.h. dem unglücklichen Schwindelhafer der scholastischen
Pansophie, „illudque de nobis dici voluit", denn er war der Meinung,
diese Stelle beziehe sich auf die Pansophie des Comenius, „cum
de Pansophia a Petro Laurembergio edita intelligi non possit", da
sie auf die von dem bekannten Rostocker Professor der Poesie
Petrus Lauremberg herausgegebene Pansophia, sivc paedia philo-
sophica sich nicht beziehen könne ; enthält doch des Petrus Laurem-
berg Pansophie, wie Comenius in seiner Dilucidatio sagt, „nichts
von dem Gegenstände wahrer Weisheit, nichts vom Quell der-
selben, von Christo, nichts vom zukünftigen Leben und dem
Wege dahin." Comenius erstaunt darüber, liest selbst und liest
immer wieder und findet nicht, was er sagen soll oder wie er
diese Worte des Andreae verstehen soll. Den Schwindelhafer seiner
scholastischen Pansophie soll Comenius nach der vor aller Welt
ausgesprochenen Anklage des Andreae zur Verachtung Luthers aus-
säen ! O dafs sein lieber Valentin, der so eifrig ftir die rechte Zucht
eintritt, auch ihm gegenüber die gradus adnionitionis beobachtet
hätte! Denn „Si quid exorbitasse quis videtur, monendus est in
occulto prius mandante Christo etc." Auf Matth. 18, 15 — 17, diesen
locus classicus der Schriftlehre über die Kirchenzucht weist Co-
menius seinen Valentin fast wie in zarter Ironie hin, wenn
Uberhaupt ein Mann wie Comenius ironisch werden konnte.
Aber heiliger Eifer und heiliges Feuer ergriff ihn, ein Feuer,
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»38
Kfuüach,
Heft 3.
welches wir bei den Propheten des alten Bundes und bei den
Aposteln, besonders bei Paulus, öfter lodern sehen. „Male-
dictus sit, qui in despectura cujusquam e minimis proximis
nedum tanti organi Dei tentaverit aliquid! Amen." Ver-
flucht sei, welcher zur Verachtung eines der leicht zu erreichen-
den kleinsten , geschweige eines so grofsen Rüstzeuges (wie
Luther war) etwas unternimmt, schreibt Coraenius.
Stern bietet sich an, die Bestellung des Briefes an Andreae
zu besorgen und auch weitere Briefe zwischen Andreae und Co-
menius zu befördern, stand er doch mit Danzig in direktem Ver-
kehr, da er z. B. den von dem Üiakonus an der Johanniskirche
in Danzig, Martin Statius, besorgten Auszug aus den Schriften
des Stephan Prätorius unter dem Titel: „Geistliche Schatzkammer
der Gläubigen" in Verlag genommen hatte, welche 1636 in Lüne-
burg bei Joh. u. Heinrich Stern (715 Seiten aufser den ver-
schiedenen Vorreden) zuerst erschien und 1642. 1644. 1652. 1687
bei ihm aufgelegt wurde und noch in unserem Jahrhundert meh-
rere Auflagen erlebte. Comenius benutzt diese gute Gelegenheit,
an Valentin Andreae zu sehreiben, und dies um so mehr, als er
„von der ungeschminkten Frömmigkeit des Andreae überzeugt
ist und nur einem müfsigen Ohrenbläser es zuschreiben kann,
wenn Andreae über ihn eine falsche Meinung gewonnen hat."
Ehrfurcht, Liebe und Vertrauen zu Valentin Andreae sind es,
welche die Feder des Comenius führen. Venerabilissime Domine,
vir eminentissime, quem patris loco pridem jam venerari coepi,
vir optime, vir Dei, vir clarissime, excellentissime vir, o mi Va-
lentine, dilecta deo anima, so redet er ihn an. Er erinnert ihn
an das Jahr 1634, an die traurigen Zeiten nach der Nördlinger
Schlacht, da auch Andreae wie einst Comenius in Fulnek sein
Hab und Gut und seine reiche Bibliothek verlor und auf unweg-
samen Bergeshöhen umherirrte, fortwährend den Feind auf den
Füfsen. Andreae hat selbst seine Leiden beschrieben unter dem
Titel: „Memoria virgae divinae urbi Calvae inflictae" und
„Threni Calvenses". Comenius scheint diese seiner Zeit weit
verbreitete Beschreibung gelesen zu haben. Denn wenn Andreae
beim Rückblick auf das Jahr 1634 sagt: „Ich aber gleichsam
triefend und voll Lebensüberdrufs ans Ufer geworfen, linde, indem
ich der mühevollen Lebensfahrt und der täglichen neuen Ge-
fahren mit Beklommenheit gedenke, nichts, was mich die Fort-
setzung des Lebens einem soligen Tode könnte vorziehen lassen,
als den göttlichen Willen, dem wir alle gehorsam sein müssen," und
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1893.
Der Aufenthalt des Comenius in Lüneburg etc.
69
wenn Comenius, der erst drei Jahre zuvor gehört, dafs Andreae
noch lebe und „in altiore specula" auf einer höheren Warte,
nämlich der eines Hofpredigers in Stuttgart, sich befinde, der aber
in der Zeit nach 1634, wie er im Anfang seines Briefes betont,
der Meinung war, dafs Andreae an das sichere Ufer geworfen
und zu Strafsburg gestorben sei, so dafs für Comenius nichts
anderes übrig blieb, als im Gehorsam gegen den göttlichen Willen
Trost zu suchen, — ist nicht die ganze Einleitung des
Briefes, mit dem Comenius die Korrespondenz mit seinem
Valentin wieder aufnimmt, gleichsam ein Echo aus der Brust des
Freundes, der, wenn er dem Andreae gegenüber in unserem Briefe,
wie er auch an anderen Orten gethan hat (siehe Kleinert, Studien
und Kritiken 1878 S. 21 u. 37) die altehrwürdige kirchliche Zucht
der Brüderkirche als ihr bestes Palladium hoc hhalt und auf die
alle Kraft für den Ausbau des kirchlichen Lebens verzehrenden
dogmatischen Kämpfe der beiden evangelischen Hauptkonfessionen
hinweist, auch in dem Streben für die Aufreehterhaltung kirch-
licher Disziplin und in der Verurteilung der unfruchtbaren dog-
matischen Zänkereien sich eins weil's?
„Salus nostra Christus", so lautet die Uberschrift des Briefes.
Sie ist für einen avr^Q 7toXitQonog, wie Comenius war, „qui in
terris neminem adorat Magistrum", da „unus ille in coelis sufficit
Matth. 23, 9—10, qui propriam salutem in timore et tremore ope-
rari satis habet" Philipp 2, 12 keine blofse Formel. Wie Paulus
die Kolosser 3,17 ermahnt: Alles, was ihr thut mit Worten oder
mit Werken, das thut alles in dem Namen des HErrn JEsu, wie
Luther öfter über seine Briefe das kleine Wörtlein „JEsus"
schrieb und Valentin Andreae die Buchstaben C. S. (Christus
Salus) an den Anfang vieler seiner Briefe setzte, so stellt Come-
nius auch diesen Freundschaftsbrief in da« Licht dessen, „qui
omnia videt% der ihm zu seiner parrhesia (1 Joh. 3, 21) zur
freudigen Aussprache Kraft und Mut giebt, so dafs er nichts
zum Schein äufsern , noch irgend etwas übergehen kann, ge-
schweige w i 1 1.
Der Brief hat folgenden Wortlaut:
an nos literarium commercium, reassumendi occasionem insperatö
mihi subministravit Divina Providentia.
al us nostra Ulhristus!
Domine.
Intermissum per tot
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Kadiach,
Heft 3.
Cum enim post immissam Patriae Vestrae horrendara illam
(Anno 1634) tempestatein , ego Te inpriiuis trepidus cogitarem,
et mox ejectuni Te in tutum littus, ibi (Argentorati) ad meliorem
Vitam evocatum, audireui: acquiescenduni fuit Divinae Voluntati.
Et quanquam a triennio jam versari Te adhuc in terra viven-
tium, et constitutum in altiore specula, cognovisseni, mihi tarnen
in Sarmatiä constituto nihil adeo, praeterque ut Tua causa Deum
laudarem, et Christum pro Te exorarem, erat reliquum. Nune
cum salutiferi Hornhusani fontis fama plures e nostris quoque
ori8 evocaret, suadenStque amicorum non nemo sibi mecomitem,
adjunxi me, firmioris quoque valetudinis, quam quä fruor, desi-
derio. Sed superato mari Baltico, plures habuiinus redeuntium
inde, quo nos festinabamus, obvios, sequiora quam pro spe
nostra nobis enarrantes: quo factum, ut hac in urbe gradum
steterimus, ad nostra redituri, aeruinnäsque Vitae pro divini bene
placiti arbitrio toleraturi. Dum ego hic sum, incido in notitiam
Viri optimi, D. Johannis Sternii, optime de Ecclesia Jesu Christi
studnsque pietati» (una cum dilecto fratre suo) meriti et adhuc
merentis. Inter sermones de selectioribus dei organis ecclesiaeque
luminibus reliquis, incidit Tui quoque mentio: cujus scripta cum
esse mihi in pretio, adcöque aliquod epistolare nobis intercessisse
commercium, ille intellexisset : depromsit tuas ultimas, quae me
et solatio et maerore affecerunt: nempe cum vivere quidem, et
vivere Deo, et agere constanter opus Dei ; sed afflicta esse vale-
tudine, e therraisque nuper nullä meliorationis spe rediisse
narrarent, Deum itaque, ut ipse opem ferret, Teque melioribus
adhuc servaret rebus, rogavi: atque id suspiriis meis amiseratore
nostro requirere non desinam. Quam enim spem de Te semel
coneepi, meisque jam tum expressi, eam non dimitto, sclectum
Te esse organon Dei, et fore evidentius, si refrigerii tempora
reducat Dominus.
Sed veniam dabis, vir eminentissime, quem patris loco
pridem jam venerari coepi, si in sinum Tuum effudero, quid
simul acciderit. Inter versandum manibus Harmonicum Evan-
gelium opus Augustissimi Principis, reperta est Praefatio Tua, in
cujus medio ostendit mihi adstans amicus, de infelici lolio Seho-
lasticae Pansophiae, in Lutheri despectum sato, locum : illudque
de nobis dici voluit , cum de Pansophia a Petro Laurembergio
edita intelligi non possit. Obstupui ad haec : legi et relegi ipsemet :
nec inveni, aut invenio, quid dieam, aut quomodo verba ista in-
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1893.
Der Aufenthalt de« Comenius in Lüneburg etc.
71
telligara. Si de Pansophiola nostra, cujus Prodrom um forsan
vidisti, intelligenda illa sunt: miror, nec mirandi h'nem invenio,
quomodo Verba illa calamo Tuo alia* tarn circumspeeto excidere
potuerunt, aut quomodo tanta suspieio iucidere potuit in animuni
tarn Dei amantem, tarn charitatis Christi observantem. Infelix
lolium nasci in agro nunquam adhue viso quomodo dici potestV
Sed fuerint saue Scholastica illa lolium': quod sequitur, in Lutheri
despectum, quid stbi vult obsecro? Maledictus sit, qui in de-
spectum cujusquam e minimis proximis, nedum tanti organi Dei
tentaverit aliquid ! Amen. Ego sane in terris neminem adoro
Magistrum: unus ille in coelisraihi sufiicit. Nec tarnen propterea
despectui habeo quenquam, in quo vel minimum Christi sit.
Membrum Ecciesiae illius, quae alios condomnare non didicit,
propriam salutera in timore et tremore operari satis habens.
Ecciesiae inquam, quae reformationem suam non ä Luthero aut
Calvino, sed ab ilusso, centum ante Vestram annis coepit; vobis-
cum autem eo tan tum non pleno coaluit, quia mox ab initio
scindi coepistis, non constituendae disciplinae, vitaeque vere
chri8tianae et mansuetae introducendae, sed Disputationum fer-
vori intenti. Meminissc potes, Vir optime, ab initio statim me
protestatum, sectarium me non esse, Tc unä seetas, ut satanae
opus, abominari. Nulli nomen dedi, nulli bellum indixi;
ingemisco tantum, quod satanae machinationes in distrahendis
nobis plus possunt, quam in coadunandis spiritus Cbristi. Mise-
reatur nostri Deus, ut k Vertigine nostra tandem aliquando
liberemur! Ignosce Vir dei parrhesiae meae! ignoscc zelo! Si
de me ista scripsisti, ita de tua sine fuco pietate persuasus sum,
ut non Tibi laesae charitatis culpam tribuere audeam, sed alicui
male feriato susurroni, qui talia persuasit. Sed utinam absti-
nuiases tarnen in publico! Labes haec est seculi nostri, nihil in
spiritu lenitatis cum inviccm agcre, sed tragice. At verö utinam
saltem Viri tanti, quantus Tu in oculis Ecciesiae (spero et Dei)
maculam hanc eluere incipiant ! Si quid exorbitassc quis videtur,
monendus est in occulto prius, mandante Christo: si non audiat,
ne plures quidem salutaria monentes, deferendus est ad Eccle-
siam, priusquam condemnetur. Si ergo privatim me monuisses,
Vir clarissime, qui me tibi velut in discipulum dederam (certe
enim per Te, gratiä Dei, multum profeceram, ad meliora et
veriora cum videndum, tum desiderandum) osculatus fuissem
candorem Tuum. Nunc, si aliter factum . turbari m<; non mira-
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72
Radlach, Der Aufenthalt des Comenius in Lüneburg etc. Heft 3
beris quippe cui n neinine, mortalium minus, qukm k Te, tale et
tantura praejudicium exspectare venisset in menteni.
O mi Valentine, Vir Dei, utinam nie et mea orania tarn nude
videas, atque videt qui omnia videt! quam longo alia videres,
quam metuit Tua illa pro veritate colesti (ne quid per ulla clan-
destina machinamenta detrimenti capiat) solicitudo! Videbis
autem, si me et Te aliquo adhuc tempore vivum volet Deus. Te
enim adhuc inter primarios mihi designo censores, si quando
opuscula mea videre debebunt lueera. Te inconscio et inconsulto
nihil (in majoribus) dabitur in publicum: si modo non aspernari
Te coeptam in Christo amicitiam cognovero. Facies ergo ut sit,
unde id certus esse queam1).
Has raeas ad Te curare promisit communis amicus et fautor, D.
Sternius: Tuas ad me, si rescribere, voles, curabit idem. Haec
cum jam inter nos communieandi reperta sit via, si placet Tibi
eä uti. Rogo autem ne displiceat: non quod mea adeö intersit,
amicitias ambire (fugio potius conversationes et ut vocant corre-
spondentias, qua datur: nec enim sufticio, rebus intentus: atque
id forsan est, quod quibusdam male suspicandi ansamdedit): sed
ne de nobis triumphet satan, si quos eodem spiritu agi videt,
divellat tarnen. Ita tib nudavi animum meum, excellentissime
Vir, ut coneeptas ex tarn amici ante hacViri, tarn inimico simili
affectu reeiperationes meas nude videas. Ita me natura tinxit, ita
Spiritus siraplicitatis, qui Christi est, roboravit, utsimulare etdissi-
mulare nihil possim, neduin Velim.
Vale dilecta Deo anima et, si simplicitas
mea meretur,
redama
l^Tae Tuae
constanter
» observantissimum
3* Oomenium.
Lunaeburgi, 22. Aug. 1647.
J) Es ist wahrscheinlich, dafs Andreae dieser Bitte entsprochen and die
erbetene Aufklärung in einem Antwortschreiben gegeben hat. Wir bitten
unsere Leser, falls einer derselben Gelegenheit haben sollte, Nachforschungen
Uber diesen Punkt anzustellen, dies nicht zu unterlassen. Wir sind für
jeden Fingerzeig dankbar. Die Schriftleitung.
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Quellen und Forschungen.
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Kvacsala in Prossburg.
(Fortxotzung.)
III. In England.
I.
46.
Edito Pansophiae Prodromö, perque varia Europae Regna
sparso, cum plerique Eruditorum Operis delineationem approba-
rent, absolvi vero illud ab nomine uno desperarent, eoqiu« Col-
legium Eruditorum HOC AGENTIÜM erigi suaderent,
operosus in ea re fuit qui Prodomum in lucem promoverat,
strenuus rerum qua datur iQyodiunityg, ü. S. H. ut quam plurima
exeitatiora Ingenia huc alliceret. Factum ergo tandem, ut unum
et alterum nactus me quoque ad se, Anno 1641, magnis obtesta-
tionibus evocaret. In quam profectionem cum consonsissent
mei, veni Londinum ipso Autumnalis aequinoctii die: ibique de-
mum me Pariamen ti jussu fuisse vocatuin intellexi. Sed quia
Parlamentum, Rege in Scotiam digresso, ad trimestre fuit dimis-
sum, detentus eram ad ibidem hiemandum, amicis apparatum
Pansophicum (quam tenuis ille fuit) lustrantibus. Qua occasione
tractatus nobis sub manu fuit natus hoc titulo.
VIA LUCIS.
Hoc est, Ration ab i Iis disquisitio, quomodolntellec-
t u a 1 i s animorum Lux, Sapientia, tandem sub Mundi
vesperam per omnes mentes et gentes feliciter
spargi possit
Nempe ad intelligenda melius illa Oraculi verba Zachariae
14. V. 7. Et erit, ut vespere fiat lux.
M«n»t»l»ite der Coi»eniu^tiM.ll«:han. 1*3. 6
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74 Kvacsala. Heft 3.
Cougrcgatum interim Pariamen tum, praesentiaque nostra
cognita, jussit nos exspectare, donec impetrato a negotiis otio,
aliquot e niedio sui Viris doctia et sapicntibus audiendi nos, fun-
danientaque eonsilii nostri cognoseendi dari posset commissio.
Communicant otiam in nntecessum eogitationcs suas de assignando
nobis eollegio aliquo cum reditibus, unde aliquot Viri docti ae
industrii, undecunque Gentium evoeati, sustentari honestc possent:
sive in perpetuum. Sed et nominabatur Londini Sabaudcum;
extra Londinum vero Winthoniense; rursunique propius Urbem
C h e 1 s e u m , euius et redituum Inventaria nobis communicata fuere :
ut nihil eertius videretur, quam processurum Magiii Veru-
lamii, de aperiendo ubiubi Gentium LJniversali
Collcgio, de Scicntiarum Augmentis unice solicito.
c o n s i 1 i u m.
Op. Did. II. (De Novi» . . . Oecasiouibu*, p. 1).
47.
Londino 8. 18. Octobr. Anno 1041.
Primam navigationem non ex voto successissc, meque
ab insis Norwegiae littoribus per totum Bai ti cum mare, mil-
liarihus prope centum, procellarum vi retractum fuisse, credo te
iam ante cognovisse. Cum vero Amicorum Gedanensium
(po8t communicatas et intime perpensas in utramque partem ra-
tiones) consiliis, propriaeque conscientiae stimulis adactus, denuö
me mari, et maris dominatori, seu deferendum quo vellet, seu mer-
gendum abysso, si ita liberet, credidissem, factum est, ut paueos
intra dies Insulae hujus portum attigerim, sospesque amicos
80spite8, DEI benignitate repererim, Hartlibium, Üuraeum.
Habnerum, Pelleum et Haakium. Cum quibus quanquam
pactum iniveram, ut meam praesentiam ne proderent, solia nobis
ut vacare possemus, dies aliquot saltem : frustra tarnen id precau-
tum ibamus: quia res statim dimanavit ad plures, mihique et
salutatores admittendi et salutandos adeundi necessitas ineubuit.
Vivo itaque jam hie, ut notus inter notos; quanquam (nec te
celem, ut sit, quod rideas) pauciores me -salutant quam salutarent,
ai aut me Anglice loqui posse crederent, aut suae latinitati
magia tiderent, aut denique me minus aestimarent. Sed dum me
nescio quem sublimem Ph i 1 oso ph u m aut Oratorem sibi
fingunt conspectumque subire verentur, isto complurium errore,
aliorum vero interea abaentia mihi cum amicis intimis saepius
conveniendi, consiliaque (ut interim datur) conferendi, otium non
deest. De redeundo ante hyemem omnis mihi spe.s praecisa est.
Quid interim autem hic, exaeto propemodum jam raense
videre, audire, cognoscere, contigerit, strictim referam, publica
j)rimum, postea quaedam nostra.
Angulus hic mundi multa habet prae aliis terris singularin
et admiranda. Me maxiine afticiunt ea, quae gloriam BEI,
florentemque Kcclesiae et Scholaruin statum (aut jam praesentem
aut uti se omnia dant, certo futurum) concernunt. Specintim si
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1893. Lebensgcwchiehti" dos Coim-nius. 75
guaedam retulero, scio tibi (et aniieis Dei) nun ingratuni
futurum. Haec sunto.
1. In freqventandis saeris, Diebus Dominicis, incredi-
bilis fervor. Centum et viginti templa parochialia
habet haec Urbs: in quibus omnibus Auditorum tantus est con-
cursus (sane de illis, quae oeulis vidi, rem compertam loquor) ut
locus non eapiat.
2. Et plerique omnes (dicerem sine exceptione omnes, sed
vidi puucos quosdam excipiendos) Biblicum afferunt c o -
dicem. Ber rho e n s i um exemplo, omnia E vange 1 izanti um
conferentes, cum Scriptura, nempe si quid majori» inomenti
obveniat. Quare et Textum praelocturus Concionator bis in-
dicat libruni, caput. versiculum; demumque cum omnes
invonerint legere pergit! Quod si brevior fuerit (saepc enim
unicum versum sibi Concionator sumit) bis etiam relcgitur.
Similitcr si quid valde emphaticum, aut memorabile in media
concione occurrit, et inquirere quosdam videt Concionator,
subsistit paululüra, dum inveniant: tum ostendere ad oculum, quod
instituit mysterium, aut loci alicujus ad praxin usum, pergit.
Ita Ministri Ecclesiarum non nisi elaboratissimas habere coneiones
et Auditores valde attenti esse consueseunt.
3. luven um et Virorum bona pars coneiones calamo
excipiunt et quid cm verbo tenus. Inventa enim hic est ante
annos 30. (sub Jacobo) et jam etiam inter Kusticos invaluit,
Tachygraphiae ars, quam i 11 i Steganograph iam voeant,
qua (non literarum sed characterum, voe»*s integras significantium
beneficio) lingvae celeritatem manu imitantur. Discunt autem illam
in urbibus propemodum omnes, simul atque vulgatam Scripturaiu
in schola didicerint, annum circiter addentes ad Steganogra-
ph iam addiscendam.
4. A concionibus, plerique Patres faniilias cum suis
domestici.s domi concionem habitam repetunt: quandoque duae
vel tres familiae in unum eongressae.
5. Librorum in sua lingva de omnibus argumentis ingentem
habent copiam: ut dubitem ullam gentem illis paria fa-
ce re, praesertim si Theologicos respiciamus libros. Non plures
profectö nundinarum tempore Fraiicofurti patent officinae libra-
riae, quam hie quotidie. Etiam Vcrulamij opera nuper Anglice
prodiere De scientiarum augmentis.
6. Verbi divini sitis adeo hic accenditur (nedum ut satietas
capiat aut fastidium) ut permulti ex Illustrium ordine Ci-
vesque et Matronae ipsae, quo e fontibus ipsis dulciüs et
tutius aquas vitae hauriant, Oraecae et Hebraicae lingvae
dent operam. Ne putes autem hujus rei exemplum exstare
duntaxat unum et alterum: raulta sunt, indiesque latiüs sacra
haec contagio serpit.
7. Biblicum textum in lingvä suA, ut habeant quam accura-
tissimum fontibusque per omnia respondentem, et notis brevis-
6*
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76 Kvacsala, Heft 3.
simis ad marginem illustratum, in eo nunc Viri aliquot selecti
et Parlamenti autoritate, ad id designati, elaborant. Ubi
tarnen human i aliquid prudentiam politicam pati animadvertitur.
Terminum illis perbrevem mensium aliquot tantum ad rem tantam
conficiendam praefixerunt. Sed sperem prorogatum iri.
8. De reiormandis in toto regno öcholis, consilia fervide
agitant eodem fine, quo et nostra pridem desideria tendere non
ignoras. Nempe ut omnis juventus informari, nulla negligi possit
informatioque ipsa sie fiat: Ut Chris tianismi fundamenta
profundius solidiusque in tenellis animis ponantur : quo ministerii
Ecclesiastici eflicacia major posthac appareat.
9. Peculiarem item Scholam illustrem moliuntur (de
loco nondum convenit Londini, an extra) pro Nobili ju-
ventute seorsum ä plebeorum mistura instituendä.
10. Informatorium ad parentes de provida primae infantiae
curä et sapienti ad uberiorem culturam praeparatione ex n >stro
Informatorio (von der Mutter Schul) antequam huc venissem,
jam paratum fuit: sed ad praelum nondum datum melioribus aut
certe plenioribus cogitationibus ansam dabit.
11. Vir Doctissimus N. Harisson obtulit Parlamento
novam quandam inventionem suam, eamque miram, autores
omnes, quotnuot alieujus pretij extant ulla in lingua, in unum
redigendi Inuicem, cujus beneficio, de quacunque re incidat
necessitas, cujuscunque Mortalium (qui modo cogitationes suas
mundo communicarunt) cognosci sententia, et promte reperiri
possit. Delecti fuerunt a Parlamento Oomm issarii Viri
rerum gnari, qui pleniüs negotium hoc cognoscerent. Cumque
retulissent rem haue boni» niti fundaraentis, foreque inprimis
utilem, ad concinnandum Pansophicum opus (ita id expresse
actum aeeepi) decretum est hoc opus adornandum permitti. Sed
soluto (ad " usque Octob.) Ordinum conventu specialius nihil-
dum ea in re actum est. Ego ipsum convenire Harissonum,
remque plenius coräin cognoscere aveo, sed abesse cognovi ab
Urbe. Ubi rediisse audivero, convenire non intermittam. Audio
ipsum Autorum evi.scerandorum catalogum jam habere,
quorum numerus ad sexaginta miliia, (audita nunc refero,
nondum comperta) ascendit. Amici fore putant, ut ex utraque
Academia Studiosi aliquammulti deligantur, qui distributos
inter se Autores Harissoni sub directione sie resolvant.
12. Adest quoque nobis Vir in Orientalibus lingvis ad mira-
culum versatus, Germanus natione, qui annis superioribus e
Turciä et Tartaria redux, cum Judaeis illorum locorum hactenus
literario utitur commercio. Quicum sint Carraei a nostris
Pharisaicae sectae Judaeis plusquam ipsi Christiani. aut ulli
Gentiles odio habentur, eo quod Talmud um non reeipiant.
Uli ab annis aliquammultis , refutationem Talmud i paratam
habentes, ut et notas quasdam pulchras super totam Scripturam,
adhuc scribunt ad h>inc nostrum orante3 et obsecrantes, ut sibi
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1803. Zur Lebensgeschichte dos Comenius. 77
consilio non deesse velit: ubinam gentium ista imprimi possint:
Quandoquidem Pharisaei, ne id in Italia. Germania,
Polonia, Hat, summopere cavent. Res haee innotuit jam dc-
putatis hic e Parlamento: qui adornare eum scriptum, quo
res haec Parlamento toti proponi possit, jusserunt. Spcramus
fore, ut propter spem conversionis Judaeorum, ea quoque ratione
promovenda, negotium hoc promotionem inveniat.
Ita vides, Online« Regni hujus negotia sua politica in eou-
ventu hoc suo tarn prolixo sie tractare, ut simul Pomocriorum
Rcgni CHRISTI ampliandorum cura eosdem non destituat. DEUS
ipsis gratiä suä adsit, ne quid noxie ä salutari scopo aberrent
ulla in re. Sed hic trepiaare nonnullos anxiosque expectare
eventum, ex Ulis, quae adjiciam, agnosces.
13. Episcopale negotium multum facescit omnibus hic ne-
gotii: dum quidam in suä dignitate integre rclinqui: alii in to-
tum removeri, nomen et rem; alii retinere nomen et offi-
cium pastorale, abscindi pompam mundanam, et reditus
tantos, et provenientem inde luxum et negotiorum politicorum tracta-
tionem, volunt. Maxima tarnen pars Procerum, Populus autem
fere universus, abolitionera universalem urgent. Tarn exosos sc, et
totum hunc Ordinem, vario dignitatis suae abusu, et super con-
scientias dorainio, et contra uublicam libortatem, (pro sua tantum
asserenda praeminentiä, ut ajunt) molitionibus redaiderunt. Ipse
noster Lincolniensis (inter Episcopos Doctissimus, Poli-
tissimus et Politicissimus ab Archi - Episcopo ante triennium
Episcopatu suo exutus et in Carcerem compactus, a parla-
mento tarnen anno superiore liberatus) male eo nomine audire
ineipit, suntque, qui illi male ominentur: non solüm scilicet de-
graaationem, una cum caeteris, sed et novos forsan carceres.
Deprehensa enim sunt occulta quaedam, partim et aperta satis
contra Parlamentum molimina. Ego tarnen meliora, et opto
Viro optimo et spero. Cum rae nuper ad prandium et collo-
quium cum D. Duraeo et Hartlibio invitasset, nihil adeo
nisi modeste de Ulis rebus discurrentem audire fuit. Dixit
tantum nescire »e, vi vis an mortui» annumerandus nunc esset cum
Fratribus: Si mitiüs res caderent, nonnullam nobis et nostris
promotionem promittens. Hoc addendum etiam, Volitare hic et
quotidie ferme novos prodire de reformanda ecclesia et amovendis
Episcopis Tractatus, tarn sacris quam politicis rationibus con-
stantes. Etiam unus est repertus, qui de causis irae divinae,
quae peste quoque certis loci» immissa (etiam in Urbe hac cir-
citer ducentos hebdomatim sepeliunt; suburbia enim infecta sunt
et quaedam in urbe plateae; ubi doraus quidera infectae occlu-
duntur, necessaria tarnen omnibus submimstrantur) esse exserit,
disserens, inter alia Populi etMagnatum peccata hoc reeenset,
qvod abominationem illam in loco sacro, Episcopos seculariter
dominantes, gregem Doraini dissipantes potius, qväm paseentes,
memorat, multumque äuget.
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78 KvacsHla, Heft 3.
14. Arehi-Episcopus Laudus carcere adhuc detinetur,
nullä liberationis spe. Interim enim dura Pari amen tum solutum
fuit, Commi8sarii ordinati sunt, qui in ejus acta melius etiam in-
quirant, querelasque et gravamina varia (quibus Pari amen tum
vacare non poterat audiendis) cognoseant. Quod factum. Ajunt-
que obvenire talia, ut de salute ejus desperent.
15. Decretum Parlämenti ante aimissionem factum de
amoliendis e templo per Archiepiscopura introductis eere-
raoniis, altaribus, crucibus, etc. jam fere ubioue his diebus ex-
secutioni mandatum est. In quodam hic Londini templo
fenestra fuit, in cujus rcligiosam et adniodura artiHciosam pic-
turam impensa fuisse ajunt 4000 librarum h. e. 16000 Impe-
rial. Eas integr6 solvere promittebat Regia Hispaniae Lo-
ga tu s hic residens, si habere fenestram eam integre posset.
Sed nescio quis super abundans populi Zclus, snrevit ob latam
pecuniam, fenestramque illam eonfregit, ex idoloraanicis rebus
hierum non esse captandum autumans.
Haec
Dn. Comenius ex Anglia:
ubi nunc vivit, ad Amicos Lesnae
in Polonia agentes.
Druckschrift der Leipziger Univ.-Bibl.
-
IV. In Schweden nnd Elbing.
n.
48.
Verumenimvero intervcniens de Hibernia tumultuante, tru-
cidatisque nocte una plusquam ducenis Anglorum millibus,
rumor, subitaneusque Regis Londino diseessus, et exarsuri iamiam
cruenti Belli plena indicia, consilia haec disturbaverunt, meque
ad raeos reditum festinare coegerunt. Accidit tarnen ut e Sveeia
in Poloniam, et hinc in Angliam, ad me missae venirent literae:
quibus Magnanimu8 et Strenuus Vir, D. Ludovicus de Geer, me
ad se in Sveciam invitans, studia mea (et si quos mihi associare
vellem Viros doctos, unum et alterum) fovendi offerebat prompti-
tudinem. Consilio itaque cum amicis communieato abii : sed illis,
ut ad nihil praeterquain Pansophiea me adhiberi paterer, obte-
stantibus.
Delatus in Sveciam (in Augusto Anni 1642) reperi novum
Maecenatem domi suae Nortcopingae: a quo benigne aeeeptus,
post dierum aliquot deliberationes Stokholraiam , ad Illustriss.
Regni Cancellarium, D. D. Oxenstiernium ; itemque Academiae Upsa-
liensis Cancellarium, J. U. D. Johanne m Skyte, missus fui. Qui
me (juadriduanis exercuerunt colloquiis : maxime autem prior ille,
Aquilonaris Aquila, tarn acritcr in utriusque propositi (Didactici
et Pansophici) fundamenta inquirens, (jualiter a nemine Erudi-
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1893.
Zur Lebensgeflchiehto des Compniun.
79
torura adhuc erat factum. Primo biduo Didactica examinabat,
tali tandem conclusione: Animadverti ego ab ineunte
aetate, violentum quiddam esse usitatam studiorum
Methodum: sed ubi res haereat, deprehendere non
poteram. Missus tandem a Rege meo, gloriosae me-
moriae, in Gerraaniam Legatus, variis cum doctis
Viris ea de re contuli. Cumque mihi Wolfgangum
RatichiumMethodi emendationemmoliri esset rela-
tum, non erat animo meo quies, donec Viri prae-
sentia potirer: sed qui colloquii loco Volumen
mihi grande, in quarto, legendum obtul i t Devoravi
ego illam molestiam: pervolutatöquc to t6 Librö,
vidi eum Scholar um morbos non male detcgere, re-
media tarnen quae afferebat non sufficere vide-
bantur. Tua firmioribus nituntur fundamentis:
perge etc.
Respondi, Fecisse me in his quod potui, ad alia iara esse
transeundum. III e, Scio te maiora moliri: legi enim
Prodromum Pansophiae tuae. De quo cras agemus,
nunc publica me avocant.
Postridie conatus Pansophicos, sed maiori severitate, cxami-
naturüs quaestionein praeraisit, Potesne contradicentem
ferre? Posa um, respondi: et ideo Prodromus ille (non
quidcm a me sed ab amicis) praemissus fuit, ut iu-
üicia et censuras experiri liceret Quas si alias
undecunque admittimus, quidni a Viris adultae
sapientiae, et heroico j udicio? Coepit ergo contra me-
lioris rerum Status, ex recte instituto Pansophiae studio conccptam
spem, dissertare: tum Politicas primum profundae considerationis
obiieiens rationes ; deinde vero Scripturarum divinarum testimonia,
quae sub Mundi finem tenebras potius, et deteriora quaeque,
quam lucem et emendatum rerum statum, praenuntiare videntur.
Ad quae omnia data sie excepit responsa, ut his concluderet
verbis: Nemiui adhuc talia venisse puto in mentem.
Insiste his fundamentis: autsic venicrauB aliquando
in consensum, aut n ihil superesse patebit viae. Con-
s i 1 i u m tarnen meum est (addebat) ut Scholis prius grati-
ficari, Latinae linguae studia ad majorem facil i tatem
deducere, eo que maiori bus iiiist an to explanatiorem
vi am parare, pergas. Quod idem D. Cancellarius Aca-
demiae urgere non destitit: sicut et hoc, ut si cum familia
migrare nollem in Sveciam, propius tarnen me admoverem, in
Borussiam concedendo, nominatim Elbingam. Quo \itroquo con-
silio cum Maecenas meus (ad quem Nortcopingam fui reversus) ac-
quiescendum putaret, seriöque ne quid secus h'eret, seu loci,
seu pensi primum absolvendi respectu, oraret, reeepi tandem;
spe, intra unum et alterum annum tricarum fore fineni.
JSed haec mea Svecis gratificandi facilitas Anglicanis amicis
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80
Kvacsala, Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Heft 3.
vehementer displicuit, retrahereque me conati sunt prolixä, ratio-
num praegnantissimä, epistolä: Specimen in Didacticis
datum esse sufficiens, plcnius omnia rectificandi
patere iam satis viam: nondum in realibus. lila
uosse alios agerc, exsurgereque iam passiniaemu-
latione mutuä ad industriam sese provocantes Di-
dacticos: Pansophiae vero nequiaem fundamenta
satis adhuc esse detecta. Infinitoque plus utilitatis
in publicum ab explanatis sapientiae verae viis
redundaturum, quam a literulis Latinis: et quae prae-
terea. Addebat S. H. Quo moriture ruis? minoraque
viribus audes? Poötieo hoc solaecismo inconsiderantiam mihi
exprobrans. Gavisus ego hac regiam in viam revocatione, com-
his accessuros, Pansophicis me totum reddidi. Sive continüa-
turus, sive saltem (si me Seholasticis immorari vellent, et forte"
immori contingeret) ut Pansophiae fundamenta (quae nondum
satis detecta querelas audivi) melius eruta exstarent, ignora-
rique ampliu8 non possent. Venit autem e Svecia responsum :
quö in proposito Didactica prius absolvendi persistere jussus
sum: Potiora quidem potius, priora tarnen prius,
agi op orter e. Non per maiora iri ad minora, sed
contra etc. Parendum itaque fuit, et invito mihi in logo-
machiarum luto hacrendum, octennio integro: postquam tarnen
prius detecta melius Pansophiae fundamenta (sub titulo Pan-
sophiae Diatyposis, Ichnographica et Orthogra-
phica) typis Dantiscanis luci exposui, Anno 1643: quae mox
Amsterodami et Parisiis recusa fuere. —
Op. Did. IL De Novi8 Occasionibus p. 1.—3.
(Fortsetzung folgt.)
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Litt e ra turbericli t .
Hartmann, Gustav, Leibniz als Jurist und Rechtsphilosoph.
Tübingen 1892. H. Laupp. 8°. 1 Bl. und 121 S. Preis
2 Mk. — Inhalt: I. Einleitung (S. 3—6). II. Früheste
juristische Jugendschriften (8. 6 — 16). III. Die nnva methodus
discendae docendaeque jurisprudentiae (S. 16 — 31). IV. Leib-
nizens legislative Projekte (S. 31—44). V. Vielseitigkeit der
späteren rechtswissenschaftlicben Einzelschriften von Leibniz
(S. 44 — 64). VI. Die Prinzipien des Rechts bei Leibniz (S. 64
— 105). VII. Einflufs der Leibnizischen Jurisprudenz auf seine
Philosophie (S. 105—121).
In der vorliegenden Schrift, dem Sonderabdruck ans der Fest-
gabe der Tübinger Juristenfakultät zum 50jährigen Doktorjubiläum
Rudolf v. Jhe rings, entwirft der hochverehrte Herr Verfasser
ein meisterhaftes Bild der glänzenden Thätigkeit Leibnizens auf
dem Felde der positiven und philosophischen Rechts- und Staats-
lehre. Nur ein Kenner des in den vielbändigen Sammlungen von
Dutens, Erdmann, Foucherde Careil, Gerhardt, Klopp
u. A. enthaltenen Quellenmaterials und der beträchtlichen ein-
schlägigen Litteratur, etwa von Guhraners vortrefflicher Lebens-
beschreibung an (1846) bis auf die Arbeiten zeitgenössischer Ge-
lehrter, ist befähigt, die Gediegenheit und Gründlichkeit der Ab-
handlung Hartmanns in vollem Umfange zu würdigen. Frische
und kernige Darstellung, edle Sprache, selbständige und zugleich
gesunde Auffassung, wohlerwogenes Urteil, Verbindung der speku-
lativen und empirischen Betrachtungsweise, scharfsinnige und licht-
volle Analyse gerade der schwierigsten und verwickeltsteu Probleme,
feiner Takt und pietätevoller Sinn zeichneu das Buch in ungewöhn-
lichem Grade aus und sichern ihm seine Bedeutung auf Jahre
hinaus.
Bildet somit Hartman tis Studie den Schlufsstein der bis-
herigen und den Ausgangspunkt für jede weitere Untersuchung auf
dem fraglichen Gebiete, so darf dieselbe einen uoch höheren Wert
in anderer Richtung beanspruchen : das Werk verdient als beredtes
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S2
Litteratiirbericht.
Heft 3.
Zeugnis eines mutigen Kampfers gegen den „fanatischen Historismus
und Positivismusw unserer Tage den Ehrennamen einer wissen-
schaftlichen T hat!
Schon vor 65 Jahren schrieb Sylvester Jordan in seinen
„Versuchen über allgemeines Staatsrecht"1 : „Die Geschichte wllrde
ohne Philosophie zur geistlosen Masse, und die Philosophie ohne
Geschichte zur praktisch unbrauchbaren Schwärmerin." Vgl. Mol-
lat, Lesebuch. Ergänzungsheft. 1893. S. 12.
Kassel. Georg Mo Hat.
J. Los er t h, Der Anabaptismus in Tirol von seinen Anlangen bis
zu seinem Erloschen. Aus den hinterlassenen Papieren des
Hof rat es Dr. Jos. Ritter von Heck. Archiv f. öst. Gesch. Bd.
78, S. 427 ff., u. Bd. 79, S. 127 ff.
Als Land der Glaubenseinheit wird Tirol vielfach gepriesen.
Wer etwa vermeint, dafs dieser religiöse Zustand aus sich selbst
friedlich sich entwickelte, und dafs liebevolle Hut die Seelen im
alten Glanben bis auf unsere Tage erhielt , ist im gewaltigen Irr-
tum befangen. Ströme von Blut sind dahingeflossen und der Rauch
der Brandstätten hat das ganze Land überschattet. Tausende von
Menschen haben ihre Heimstätte und ihre Habe verloren und ob-
dachlos ins Elend hinauswandern müssen. In gewissenhafter histo-
rischer Forschung entrollt uns der Verfasser auf dem Boden ehrlicher
archivalischer Arbeit ein Bild davon in gesättigten Farben.
Gegen Ende des zweiten Jahrzehnts des sechzehnten Jahr-
hunderts gewinnt die Lehre Luthers in Tirol Eingang und Ver-
breitung. Die Stimme des gewaltigen Mannes fand erst damals
Wiederhall in den Felswanden des schönen Berglandes. Durch
Wanderlehrer und Sendboten haben wir uns den Einzug der
Lehre des neuen Evangeliums zu denken. Als einer der ersten
tritt ein gewisser Konrad von Schwaben uns in Tirol ent-
gegen. Er zieht 1520 bis 1521 in den Gegenden von Meran,
Brixen und Sterzing umher. In ähnlicher Weise wirkte im Inn-
thale Dr. .Jacob Straufs zuerst in der Bergstadt Schwarz, später in
Hall. Auf Drängen des Bischofs von Brixen wird er von der Re-
gierung in Innsbruck ausgewiesen und zieht nach Sachsen. In die
Lücke tritt Dr. Urban Rhegius. Er ist ein Eiferer gegen Ablafs-
handel, Courtisanenwirtschaft, gegen die lateinische Sprache und den
Pomp in der Kirche, gegen den Marienkult u. s. w. Auch er wird
bald gezwungen, dem Lande Tirol den Rücken zu kehren.
In Innichen verbreitet der dortige Chorherr Messerschmidt luthe-
rische Traktate, wofür er nach Brixen in Halt kam.
überall ist offenkundige Hinneigung zu Neuerungen zu be-
merken, so im Zillerthal, zu Brixen, Bruneck, Taufers, Kufstein,
Kitzbüchel, Sterzing, Meran u. a. O. — Die Regierung lafst ein-
schreiten mit Bezug auf das Edikt von Worms und die Nürnberger
Reichstagabschiede von 1523 und 1524. Zu Ende des folgenden Jahres
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1893.
Litteraturbcricht.
S3
aber hatte Erzherzog Ferdinand zu klagen, dafs die „lutherische
Sekte" von Tag zu Tag iu Tirol mehr um sich greif«*. Mit der
fortschreitenden Befriedung des Landes nach dem Bauernkrieg wur-
den die Zuzüge fremder Prädikanten immer seltener. Die neue
Lehre, auf enge Kreise beschränkt, verlor ihren Halt im Lande und
zMhlte allmählich nur noch in den größeren Städten, in einzelnen
Edelhöfen und Schmelzhütten heimliche Anhänger. OfTen trat sie
nirgends auf. An ihre Stelle trat leise und allmählich der sog.
Anabaptismus. Die ersten Anfänge desselben fallen in das Jahr
1527; er scheint aus der Schweiz eingedrungen zu sein und machte
seinen Weg im Innthale. Mit den Evangelischen auf gemeinsamem
Boden stehend, kämpften dessen Anhänger gegen die leichte Sittenlehre.
Sie duldeten kein Laster; ^egen ihre Feinde haben sie nur Worte
des Friedens. Mit den im Mai und August 1527 erflossenen Man-
daten meinte die Regierung die Bewegung einzudämmen. Im nächsten
Jahre erfolgt die erste Hinrichtung. Niemand durfte die Täufer „hausen,
herbergen, atzen oder tränken". Ihre Versammlungsstätten wurden
niedergebrannt. Von da an fängt der Zug nach Mähren an , um
sich wieder rüekzustauen, wieder zu ergiefsen und so fort. Stetige
Flutungen sind bis zum Erlöschen der Täuferei von einem in
das andere Land wahrnehmbar. So grofse Strenge auch das „Regi-
ment" in Innsbruck walten liefs, so breitet sich doch die neue Lehre
südlich und nördlich des Breuners im Lande aus. Sterzing, Hall
und Kitzbüchel sind die Mittelpunkte. Mit grofsem Nachdruck be-
trieb man ihre Bekämpfung, denn ihre Anhänger sah die Regierung
nicht allein als Ketzer, sondern auch als Rebellen und Aufrührer
gegen die staatliche Ordnung an. Mit dem Jahre 1529 sah man
das Blut der „Märtyrer" allenthalben (Helsen und die Scheiterhaufen
gegen den Himmel lohen. Es war keines Bleibens mehr im Lande. Der
gröfste Teil zog nach Mähren (Austerlitz), ein Teil nach Südtirol
(Trient) und ins Venetianische. Mit gröfster Strenge folgt man allen
Spuren; nicht allein „das Volk", sondern auch Leute höherer socialer
Stellung fühlen ihren Druck. Güterbeschlagnahmen sind an der
Tagesordnung. Missionspredigten werden allenthalben veranstaltet,
Beichtzwang wird strenge gehandhabt 1530 kann die Regierung an
König Ferdinand mit Genugthnung berichten: „Mer ob 700 Manns
und Weibspersonen sind in dieser Grafschaft Tirol an mer orten zu
Tod gericht, theils des Landes verwisen und noch mehr in das Elend
flüchtig worden, die ire gueter, eines teils auch ihre Kinder waislos
verlassen1*
Aber trotz alledem glimmt es fort im Etsch- und Eisackland,
auch im Pnsterthale lassen sich die Täufer wahrnehmen. 1532 wird
eine streifende Rotte von 400 Mann aufgestellt, die im ganzen Lande
alle verdächtigen Leute aufzuheben hat.
Das traurigste Kapitel bildet in der Geschichte der Täufer-
bewegung der Münsterische Aufstand uud sind die Folgen des Vor-
gehens jener Schwärmer und Unholde entsetzlich. Er gab allen den
84
Littcraturberieht.
Heft 3.
Täufern feindlich gesinnten Machten die schneidigste Waffe in die
Hand. An allen Orten erklärte man: es werde nun deutlich ge-
sehen, wie das fromme, heilige Wesen der Täufer nichts sei als
Scheinheiligkeit, ihre Furcht vor dem Schwert nur eitle Spiegel-
fechterei.
1536 gelang es der Regierung, eines hervorragenden Täufers
Namens Jacob Hutter, habhaft zu werden; er wird zu Innsbruck,
nachdem er alle Grade der Tortur überstanden hatte, durch das
Schwert hingerichtet. Nach dessen Tode Ubernimmt Onophrius
Griesinger, den man aus Mähren herbeigerufen hatte, die führende
Rolle. 1538 rollt sein Kopf in den Sand. Zwischen 1548 — 62
steht Hans Mändl an der Spitze der Bewegung, nach diesem Hans
Kräl. Endlich nach vielen vergeblichen Versuchen gelingt es der
Regierung im Anfange des 17. Jahrhunderts, der Täuferei Herr zu
werden. Im Jahre 1604 wurde von Brixen aus eine letzte scharfe
Untersuchung einzelner in Religionssachen verdächtiger Personen
angeordnet.
Die nächsten Jahre bieten nur wenige Materialien, die über das
Vorkommen und die Verbreitung der Wiedertäufer in Tirol Auskunft
geben. Grofs wird diese Verbreitung in keinem Falle mehr gewesen
sein. Wie es scheint, war nahezu alles, was mit dem Täufertum
noch irgendwie in Zusammenhang stand, hinweggezogen.
The od. Unger.
Zur neuesten Comenius-Litteratur.
Man begegnet wohl der Meinung, es sei das Comenius-Jubiläum
nur künstlich durch den Eifer weniger Comenius-Schwärmer ins Werk
gesetzt worden ; der Gefeierte sei mit seinen Gedanken und Bestre-
bungen von unserer Zeit längst Uberholt und vermöge sie nichts
mehr zu lehren. Die so denken, sollten einmal die lange Reihe
von Schriften Uberblicken, welche Uber C. aus Anlafs der Jubelfeier
erschienen sind; das Verzeichnis derselben füllt ganze Seiten dieser
Hefte. Sie sollten, was noch besser wäre, beliebige dieser Schriften
lesen, in allen würden sie den Gedanken wiederfinden, dafs die
Menschen unserer Tage nichts Besseres thun könnten, als sich die
Gesinnung aneignen, welche den C. beseelte, und dafs viele seiner
Lehren noch heute höchst beachtenswert seien.
Ich greife aus der grofsen Zahl der Bücher ein kleines Schrift-
chen heraus von einem württembergischen Pfarrer, Lac. theol. F r i e d r.
Hummel, der ein anziehendes Lebensbild des C. entwirft
(Verlag von Hugo Klein in Barmen, 32 Seiten). Er bekennt
gleich im Vorwort, welcher innige Wunsch ihm die Feder in die
Hand gedrückt hat: „Die edlen Züge der altehrwürdigen Leidens-
gestalt dürfen uns nicht verlöschen; sie müssen deutlich hervor-
Digitized by Google
1893.
Litteraturberieht.
85
treten, damit auch heute alle Bekenntnisse und alle Stünde erkennen,
woher Feindschaft und Streit kommen und in welcher Tiefe sie Über-
wunden werden sollen."
Ich nehme ein anderes Lebensbild , gleich jenem eine Volks-
schrift, aber ausführlicher (65 S.), von anmutiger, leichter Darstel-
lung, verfafst von Rudolf Stä hei in (Basel, Verlag von K. Reich,
1898). Wie urteilt er Uber die pädagogischen Forderungen und
Grundsätze des C? „Sie waren für das Schulwesen jener Zeit der
Anbruch eines neuen Tages, dessen Licht auch fltr unsere Gegen-
wart noch nicht erloschen, vielleicht gerade mit seinen besten Strahlen
noch nicht einmal zum Durchbrueh gekommen ist* (S. 85). Von
höchster Bedeutung aber fllr unsere Zeit scheint ihm dies, dafs sich
um das Andenken des C. zu friedlichem Gedankenaustausch eine
Gemeinde sammelt, an der die verschiedensten Geister und Rich-
tungen, die Männer der Aufklärung, wie die Herrnhuter, die Slawen
wie die Deutschen, Recht und Anteil zu haben sich bewufst sind
(vergl. S. 65).
Eine mehr für gelehrte Kreise bestimmte Arbeit ist die von
F. Gr und ig, Rektor der Mittelschule in Erfurt: Joh. Arnos
Comen i us nach seinem Leben und Wirken, eine Jubi-
läumsgabe zu seiner 300jähr. Geburtstagsfeier (Gotha, ('. F. Thie-
mann, 1892, 90 S.). Der Verfasser vertieft sich gründlich in die
Gedanken des C., giebt kurze, klare Übersichten Uber den Inhalt
seiner bedeutenderen Werke, erörtert im Ansehlufs daran päda-
gogische Zeit- und Fundamentalfragen und kommt zu dem Schlufs,
dafs ein allgemeineres Zurückgehen auf die wohlbegründeten An-
schauungen des (J. für eine einheitliche Entwickelung unserer Päda-
gogik nur von Segen sein könnte, da die pädagogischen Hauptfragen
der Gegenwart bei ihm bereits mehr oder minder eingehende Be-
achtung gefunden haben."
Deuselben Gedanken findet man in knapper Darstellung aus-
geführt in einem Aufsatz der englischen Monatsschrift Ed u c at i o u
(Dezember 1892), herausgegeben von Frank H. Kasson und Frank
H. Palmer, Boston , 50 Bromneid Street, London : Edward Arnold,
18 Warwick Square, Paternoster Row. Der Verfasser, Will. S.
Monroe, zeigt an der Hand der Didactica Magna, der Jauua, des
Orbis Pictus und der Schola Infantiae, dafs (J. der Evangelist der
modernen Pädagogik genannt zu werden verdient. Der Aufsatz ist
auch im Sonderabdruck erschienen: Comenius, The Evangelist
of Modern Pedagogy.
Ich nehme eine andere Abhandlung: „Das pädagogische
System des Comenius" von R. Rifsmann, Rektor in Berlin,
8. Heft im 5. Bande der Sammlung pädagogischer Vorträge, hrsg. von
Wilh. Meyer-Markau, Bielefeld, Verlag von A. Helmichs Buchhandlung.
Der Verfasser entwickelt aus der Didactica Magna das pädagogische
System des C, er unterwirft es einer scharfen Kritik, aber er mufs
anerkennen, dafs die Didactica Magna in den meisten ihrer Einzel-
heiten selbst heute noch keineswegs als überlebt angesehen werden
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86 Litterattirberieht. Heft 3.
darf" , „dafs sieh zu beinahe allen pädagogischen Streitfragen un-
serer Zeit, bis auf die modernsten, aus ihr Beläge heranziehen
lassen." Doch scheint mir seine Kritik unserem C. manchmal Uu-
recht zu thun. So behauptet er (S. 25), dafs C. die Sittlichkeit im
wesentlichen als etwas mehr Aufserliehes auffasse, als das Vermögen,
wie er selbst schreibe, klüglich Bewegungen und Handlungen,
äufsere und innere, eigne und fremde zu lenken. Wenn auch die
inneren Bewegungen zu ihr gehören, wie kann sie eine äußerliche
sein? Er tadelt „den Utilitarismus des Comenianischen Bildungs-
prinzips" (S. 30). Allein eine Prüfung aller einschlägigen Stellen
durfte dem Verfasser ergeben, dafs das Oomenianische Nützliehkeits-
prinzip durchaus ethischer Art ist. Nur was dazu nützt, den
Menschen weise, für das Leben weise und tugendhaft und fromm
zu machen, soll in den Unterrichtsstoff aufgenommen werden. Sein
Nützlichkeitspriuzip liegt in dem Lebensideal, dem C. selbst in den
schwersten Anfechtungen treu geblieben ist, in dem Lebensideal, das
noch heute so viele Herzen für ihn entzündet. Die Comeniusfeier
war nur die Gelegenheit, dafs vieler Herzen Gedanken über C.
offenbar wurden.
Da bekannte der eine in schlichtem, einfachem Wort, dafs er zu
C. als zu einem Vorbilde aufschaue : Wir lesen es in dem Gedücht-
nisblatt, das W. Latt, Lehrer in Herzkamp, seinem Andenken
widmet (Heft 4 der pltdagog. Abhandlungen in Hollnichs Verlag, Biele-
feld). Da drängte es einen anderen, seinen Mitbürgern zu zeigen, wie
gerade sie allen Grund hätten, „die Lichtgestalt des C nicht zu
vergessen." W. Peiper, Kgl. Sem.- Direktor in Koschmin, schilderte
mit warmen Worten C, den grofsen Schulmann Posens, im
Frühling seiner Jugendzeit, in der Arbeit des Mannes, in der Ernte
seines Alters (Verlag von Ii. Trünkner, Koschmin, 1891).
Da bezeugte ein dritter, dafs von 0. jenes Lob, welches einst dem
Hauptmann von Capernaum nachgesagt wurde, in erweitertem Sinne
gelte: „Er hat sein Volk und alles Volk lieb gehabt, und die
Schule hat er uns geistigerweise miterbaut. Es ist Dr. G. Schu-
mann in seiner Broschüre zur 800jähr. Jubelfeier des C. (Heusers
Verlag, Neuwied und Leipzig, 1892, 40 S.). Er will uns gerade
das vor Augen malen, worin sich des C. „Leben und Leiden als
Mensch und Christ und sein Streben als Erzieher besonders aus-
prägt," damit „wir in den wirren Fragen der Gegenwart uns seinen
feurigen Glauben, seine feurige Liebe und seine getroste Hoffnung
bewahren".
Doch nicht blofs seine Gesinnung, sondern auch eine grofse
Summe seiner Vorschläge zur Besserung kann uns zur Richtschnur
dienen. In dieser Überzeugung entwirft Dr. J. Wafsner, Ober-
lehrer am Gymnasium in Rendsburg, in der Generalversammlung
des Vereins von höhereu Uuterrichtsanstalten Schleswig- Holsteins ein
fesselndes Bild von der geistigen Entwickelung des grofsen Schul-
mannes und christlichen Theologen, und versichert, dafs auch die
Gymnasiallehrer noch aus jeder Seite der Werke des C. filr ihre
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18113.
Litteraturbericht.
87
Kunst lernen können . und erhebt im Blick auf unsere kirchlichen
Verhältnisse die leider berechtigte Frage: „Wo ist die ökume-
nische Richtung, die, ohne zu v e r f 1 a c h e n , unablässig
an der Verwirklichung der christlichen Idee des
grofscn GottPsreichcK arbeitet? Wo namentlich bei
uns Protestanten der Zug jener weiten, tiefen Liebe,
die Uber das Trennende hin Uber nur auf d a s E i n i ge n d e
schaut? Wo jenes lebendige Gemeinschaftsgefühl, das den Ge-
ringsten wie den Höchsten gleichmäfsig umspannt?" Wer diesen
Vortrag des Dr. Wafsner (Buchdrnekerei des Halleschen Waisen-
hauses) gelesen hat, wird der Generalversammlung j »lies Vereins
Schleswig-Holsteinischer Lehrer Dank wissen, dafs sie seinen Sonder-
abdruck aus den „Lehrproben und Lehrgängen von Fries u. Meier"
beschlofs.
Auch Dr. E. Lentis, Oberlehrer in Bartensteiii, ist der Über-
zeugung, dafs das Studium des C. ftlr die Gymnasiallehrer höchst
heilsam wäre. Dann würde man nicht über so viele pädagogische
Mifsgriffe aus den ersten Amtsjahren zu klagen haben. Er spricht
dies aus in seinem Vortrage in der Generalversammlung
de» Vereins von Lehrern höherer Un t e r r i c h t sa ns t al te u
Ost- und W e s t p r e u f s e n s , in welchem er den Schulplan und
die Methode des ('. entwickelt (vorrätig bei Gustav Foek, Leipzig,
Magazingasse 4).
Das Studium des 0. ist tür unsere Zeit notwendig. Das ist der
Grundton einer vortrefflichen Festrede, welche Dr. Willi. Roh-
meder, Rektor der Handelsschule und Stadt-Schulrat zu München
gehalten hat (Verlag von A. Helmich, Bielefeld). Er zeigt in ihm
„da« Verhältnis des C. zu den wichtigsten Schul- und Erziehungs-
fragen der Gegenwart" und kommt zu dem Ergebnis, dafs C. „für
die. vielen noch ungelösten Erziehungsfragen der Gegenwart als Weg-
weiser dienen kann".
Ich schliefse diesen vielstimmigen Chor von Comenius-Kennern
mit dem schönen, umfassenden Grundgedanken der Festrede von
F. Sander (Beilage der fortgesetzten Nachrichten der Königlichen
Waisen- und Schulanstalt zu Bunzlau Uber das Schuljahr 1891 92).
Sander stellt C. dar nicht blofs als einen edlen Typus seines Jahr-
hunderts, sondern auch als einen Propheten für die folgenden
Jahrhunderte, zumeist für das unsrige, als einen Propheten des
modernen Erziehungs- und Schulwesens sowohl wie der christlichen
Humanität. Wer sich mit 0. beschäftigt, dem wird es aus der Seele
gesprochen sein, was Sander sagt: „Je tiefer man in dieses
Mannes Schriften eintaucht, desto mehr wächst die ehr-
furchtsvolle Bewunderung vor seinem ahnenden, vor-
ausschauenden Seherblick." Und wer die Schwere der Auf-
gaben empfindet, welche die. Glaube n «Spaltung in unserem Volke
uns stellt, der wird Sander von Herzen beistimmen, wenn er am
Schlüsse seiner Rede sagt : „Sollen wirdieseAufgaben lösen,
so müssen wir uns an Männer halten wie den edlen
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88 Litteraturbericht. Heft 3.
Brüderbischof, der innig und verständig, fromm und
weise ftlr den wahren Frieden der Völker und der
Kirchen den Weg wieft." W. B.
Die neueste amerikanische Comenius-LItteratur.
(Zusammengestellt von Will 8. Monroe in Palo Alto, Californien.)
Baxdeen, C. W., The Tcxt-Books of Comenius. Educational Review, New-
York, March, 1892.
Butler, Nicholas Murray, The Place of Comenius in the History of Edu-
cation. Syracuse, 1892.
Gregor, Francis A., Comenius: a Pioneer of Learning. Chicago Times,
Chicago, March, 1892.
Hanns, Paul II., Permanent Influences of Comenius. Educational Review.
New- York, March, 1892.
Hark, John Max, John Arnos Comenius: His Private Life and Personal
Characteristics. Addresses and Proceedings of the National Educational
Association. New- York, 1893.
Klose, Edwin G., John Arnos Comenius : His Life, Services to the Brethren's
church and to Education. The Moravian, Bethlehem, March 9, 16,
und 23, 1892.
Lang, Ossian H., Comenius: Bis Life and Principles of Education. New-
York, 1892.
Laurie, S. S., The Place of Comenius in the History of Education. Edu-
cational Review, New- York, March, 1892.
Maxwell, W. H., The Text-Books of Comenius. Syracuse, 1893.
Monroe, Will S., Comenius, the Evangelist of Modern Pedagogy. Boston,
1892.
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Neuere Erscheinungen.
Zusammengestellt mit besonderer Rücksicht auf das
Forschungsgebiet unserer Gesellschaft«.
Die mit * bezeichneten haben der Schriftleitung vorgelegen.
Die Verfasser, deren Namen mit einem f bezeichnet sind, waren oder sind
Mitglieder der Comenius-Gesollschaft.
Die eingehende Besprechung einzelner Erscheinungen bleibt vorbehalten.
*iBaehring, Bernhard, Christian Karl Josian Freih. von Bunsen. Lebens-
bild eines deutsch-christlichen Staatsmannes. Dem deutschen Volke
dargeboten. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1*92.
Baumann, Volksschulen, höhere Schulen und lTniversitäten. Göttingen,
Vandeuhoeck & Ruprecht. 1892.
'Beard. Charles, Die Reformation des 16. Jahrhunderts in ihrem Verhältnis
zum modernen ' Denken und Wissen. Zwölf Hibbert- Vorlesungen.
Übersetzt von Fr. Halverscheid. Berlin, G. Reimer. Mk. 6.—.
'fBenrath, K., Bernardino Ochino von Siena. Ein Beitrag zur Geschichte
der Reformation. Mit Orig. -Dokumenten, Portr. u. Schriftprobe. 2. Aufl.
Braunschweig, Schwetschke & Sohn. 1892. (XII, 323 S., gr. 8.)
Mk. 7.-.
Bibliothek, philosophische, od. Sammlung der Hauptwerke der Philosophie
alter und neuer Zeit. Begründet von J. II. v. Kirchmann. 180. u.
Hl. Heft (41. Bd.) gr. 8°. Berlin, Philos.-histor. Verl., Dr. R. Salinger.
Preis Mk. 1. — .
Rene Descartes Prinzipien der Philosophie, 1. u. 2. Teil. In geometr.
Weise begründet durch Benedict Spinoza. Mit einem Anhang: Meta-
physische Gedanken des Letzteren, in welchem sowohl die in dem
allgemeinen wie in dem besonderen Teile der Metaphysik vorkommen-
den schwierigen Fragen kurz erklärt werden. Übersetzt u. erläutert
von J. H. v. Kirchmann. 2. Aufl. (XXVI, 158 S.)
1 Es ist hier die Litteratur seit 1800 berücksichtigt, einige wenige
ältere Erscheinungen ausgenommen. Die Comenius-Litteratur und Ver-
wandtes, was wir schon früher erwähnt und besprochen haben, ist hier nicht
noch einmal aufgeführt. Fortsetzung und Ergänzungen folgen in
den nächsten Heften.
Monrt-h-fU« d-r Com*»lu"M>««ll«chaft. 199::. 7
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90
Neuere Erscheinungen.
Heft 3.
Bibliothek der katholischen Pädagogik. Bd. 4: a) Joh. Miel.. Sailcrs
pädagogisches Erstlingswerk, ein Vorläufer seiner Erziehungslehre.
Neu herausgeg. u. m. einer Einleitung u. Anmerkungen vergehen von
Dr. L. Kellner, b) Franz von Fürstenberg. Sein Leben und seine
Schriften. Herausgeg. von J. Esch. Freiburg, Herder. 1892.
Bock, Geh. Kcg.-R. Ed., Stimmen hervorr. Schulmänner dieses Jahrhunderts,
zur Beachtung f. Lehrer u. Laien bei der Erziehung u. dem Unterrichte
der Jugend gesammelt u. hrsg. gr. S° (VIII, 160 S.). Leipzig, Akadem.
Buchh. (W. Faber). Mk. 3.—.
*Breoht, Th., Kirche und Sklaverei. Ein Beitrag zur Lösung des Problems
der Freiheit Barmen, H. Klein. 1*90.
Bruno, G., Dialoge v. Unendlichen, dem All und den Welten (dell' infinito,
universo e mondi), übers, u. m. Anmerkung, versehen v. Ludw. K uh 1 en-
beck. Berlin, Lüstenöder. 1893. Mk. 6.—.
*tBoasy, de, J. J. Wijsgeerige Wetenschap en persoonlijke Ovcrtuiging.
Rede, uitgeeproken den 30. September 1892 etc. Amsterdam 1892.
Dillmann, Ed., Eine neue Darstellung der Lcibuiz'schen Monadenlehre auf
Grund der Quellen. Leipzig, (>. R. Reisland. 1892.
*DöUinger, lgn. v., Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters. 2 Bde.
München, C. H. Becksche Buchhandlung. 1890.
Döllinger, lgn. v.. Das Papsttum. Neubearbeitung von Janus, „Der
Papst und das Concil", im Auftrag des inzwischen heimgegangenen
Verfassers von J. Friedrich. München, C. H. Becksche Verlagsbuch-
handlung. 1892.
•fDörpfeld. F. W.t Beiträge zur pädagogischen Psychologie in mono-
graphischer Fonn. Erstes Heft. Denken und Gedächtnis. Gütersloh,
Bertelsmann. 1891.
•fDreyer, Otto, Undogmatisches Christentum. 4. Aufl. 1*90. Braunschweig,
Schwetschke & Sohn. Mk. 2.—.
t Ehlers, Kons.-Rat, Pfr. D. R., Der Menschen Sohn, Christus, Gottes Sohn.
Vortrag. 8°, 16 S. Frankfurt a. M., Kesselring. 1892. Mk. -.30.
*t Blossen, O. A., Friedrich Albert Lange. Eine Lebensbeschreibung. Mit
Porträt F. A. Langes. Leipzig, Jul. Baedecker. 1891.
Euler, Encyklopäd. Handbuch des gesamten Tuniwesens. 1. Lfg. Wien,
Pichlers Wwe. & Sohn. 1893.
Fisoher, K., Geschichte des deutschen Volksschullehrerstandes. 2. Bd
Hannover, C. Meyer (G. Prior). 1892.
•fPlügel, O., A. Ritschis philosophische u. theolog. Ansichten. 2. Aufl.
Langensalza, Beyer & Söhne. 1892. (III, 156 S. 8°.) Mk. 2.
•fPredericha, Jul., Robert le Bougre. Premier Inquisiteur General en France.
Gand 1892. 32 S. 8°.
Peith, P. R., Levensbericht van S. J. Hingst. (Sonderabdruck aus den
Veröffentlichungen der Maatschappy der Nederlandsche Letterkunde
1889/90.) Leiden 1892.
Prancke, August Hermann, Kurzer und einfältiger Unterricht. Mit einer
Einleitung herausgeg. von AlbertRichter. Leipzig, Rieh. Richter.
1892: Nr. X der Neudrucke Pädagog. Schriften. Mk. —.80.
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1893.
Neuere Erscheinungen.
91
•fPrederloq, l)r. l'aul, Inquisitiu haereticaepravitatis Xeerlandica. Geschie-
denis der Inquisitie in de Niederlanden tot aau hure herrinrichting
onder K. Karl V. (1025—1020). 1. Deel. Gent, J. Vuylsteke. 1892.
XVI, 114 S. »• Fr. 3.--.
•Prerich*, 6. E., Op hct Vierde eeuwfeest van Menno Simons geboorte.
Sonderabdruck aus d. Zondagsbode 1892. Meppael, Kuiper en Taconis.
tPriok, weil. Dir. D. Dr. O., Pädagogische und didaktische Abhandlungen.
Hrsg. v. Dr. Georg Frick. 1. Bd. gr. 8°. (VII, OSO S. ra. 2 Tab.)
Halle a. S., Buehh. d. Waisenhauses. 1802. Mk. 9.-.
Graue, D. G. II., Die selbständige Stellung der Sittliehkeit zur Keligion.
(Aus „Jahrb. f. protestant. Theol.*) gr.8° (VI, 219 S.). Braunschweig.
0. A. Schwetschke & Sohn. Mk. 0.—.
Grünberg, Pfr. Lic. Paul, Phil. Juc. Spener. 1. Bd. VIII, 031 S. Güt-
tingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 1893. Mk. 10.—.
Texte und Untersuchungen zur Geschichte der nltehristl. Litteratur. Hrsg.
von Oak. v. Gebhardt und Adf. Harnaok. 9. Bd., 2. Heft. gr. *°.
Leipzig. .1. C. Hiurichs Verlag.
IX, 2. Bruchstücke des Evangeliums und der Apokalypse des Petrus
von Adf. Harnaok. (III, 78 S.) Mk. 2.—.
f Hartfelder, Das Ideal einer Humanistenschule. (Die Schule Colets zu
St. Paul in London.) Vortrag. 4°, 16 S. Leipzig, Teubner.
Hase, Karl v. , Kirchengeschichte auf der Grundlage akademischer Vor-
lesungen. 3. Teil. Hrsg. v. Prof. Dr. G. Krüger, gr. 8°. Leipzig,
Breitkopf & Härtel.
Hateh, E., Griechentum und Christentum. 12 Hibbertvorlesungen über den
Einflufs griech. Ideen und Gebräuche auf die christl. Kirche. Deutsch
von E. Preuschen. Mit Beilagen von A. Harnack und dem Uber-
setzer. Rechtmäßige Übersetzung, gr. 8° (XVII, 274 S). Frei-
burg i. B., J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Mk. 6.—.
Hausrath. Arnold v. Brescia. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 1892. Mk.;t.— .
•fHeath, Richard, Hans Denck. tlie Anabaptist. Coutemporary Review.
London, Isbister and Co. 1892, Dezember. S. 880—894.
•fHeath, Riehard, The Anabaptists and theirtEnglish Dcscendents. Contem-
porary Review. London, Isbister and Co. 1891. March. S. 889 — 40(5.
Herbart, Joh. Frdr. , Sämtliche Werke. Hrsg. von G. Hartenstein.
2. Abdr. 12. (Schlufs-)Bd. Historisch-krit. Schriften, gr. 8° (XXVI.
796 S.). Hamburg, L. Voss, ä Mk. 4.00.
In chronologischer Folge hrsg. von Karl Kehrbach. 7. Bd. gr. 8('.
(X, 304 S.). Langensalza, H. Beyer & Söhne. Mk. 0. — .
*t Hingst, S. J., Wat verstaat inen onder eed ? Sonderabdruck aus Rechts-
geleerde Bijdragen Jahrg. IL Amsterdam 1887.
•Henner, C. , Beiträge zur Organisation und Kompetenz der papstlichen
Ketzergerichte. Leipzig, Duncker & Humblot. 1890.
"fHochegger, Rud., Über die Kulturaufgabe des Lehrers und die Notwendig-
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Wtlh. Meyer-Markau.) Bielefeld, A. Helmich. 1892.
tHoltzmann, O., Jesus Christus und das Gemeinschaftsleben der Menschen.
Freiburg i. B.. J. C. B. Mohr. 1892. (VIII, 88 S.). 8°. Mk. l.~.
7»
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92
Neuere Erscheinungen.
Heft 3.
Hübsch, 6., Die Reformen und Reformbestrebungen auf dem Gebiete der
Volksschule im ehemaligen Hochstift Bamberg 1757—1795. IX, 209 S.
Bamberg, Buchner» Verlag. 1891. Mk. 3.—.
tHummel, F., Die Bedeutung der Schrift von Carl Schwarz über das
Wesen der Religion für die Zeit ihrer Entstehung und die Gegenwart.
Gekrönte Preisschrift. Braunschweig, Sehwetschkc <k Sohn.c? 1890.
Jahrbuch, Pädagogisches, 1892. (Der pädagog. Jahrbücher 15. Bd.) Hrsg.
v. d. Wiener pädagog. Gesellschaft. Red. von Ferd. Franck. gr. 8°
(X, 228 S. m. 1 Bildnis). Wien, Man*. Mk. 3.—.
Jahrbuch des höheren Unterrichtswesens in Ost erreich m. Einschlufs der
gewerblichen Fachschulen u. der bedeutendsten Erziehungsanstalten.
Bearb. v. Realseh.-Prof. Joh. Neubauer u. Realsch.-Dir. Dr. Jos. Divig
6. Jahrg. 1893. gr. 8° (X, 280 S.). Prag, F. Tempsky.
Jahresberichte der Geschichtswissenschaft, im Auftrage der Historischen
Gesellschaft zu Berlin, hrsg. v. J. Jastrow. 14. Jahrg. 1891. Berlin,
Gaertnera Verlag. (Lex. 8°.) Mk. 80.—.
Kant» Reflexionen zur kritischen Philosophie. Aus Kant* handschriftlichen
Aufzeichnungen herausg. von Benno Erdinann. 2 Bde. Leipzig,
O. R. Reitdand. 1892.
•fKieferndorf. Ph., Der Eid. Vortrag, geh. zu Ludwigshafeu a.Rh. am
17. Nov. 1891. Worms, Komm, bei R, Reis. 1892. (11. 74 S.). 8°.
*Krause, Karl Christian Friedrich, Abrifs der Geschichte der griechischen
Philosophie. Aus d. handschriftl. Nachlasse des Verf. hrsg. v. Dr. Paul
Hohlfeld u. Dr. August Wünsche. Mit einem Anhange: Die
Philosophie der Kirchenväter und des Mittelalters. Leipzig, Otto
Schulze. 1893.
Krause , Karl Christ. Frdr. , Anschauungen od. Lehren u. Entwürfe zur
Höherbildung des Menschheitslebens. Aus dem hdschr. Nachlafs des
Verf. hrsg. v. Dr. Paul Hohlfeld u. Dr. Aug. Wünsche. 3. Bd.
1892. gr. 8<>. 320 S. L. B. E. Felber. Mk. 6.-.
*Kuenen, A., Volksreligion und Weltreligion. Fünf Hibbertvorlesungen.
Berlin. G. Reimer. Mk. 5.—.
Längin. Th., Die Sprache des jungen Herder im Verh. z. Schriftsprache.
Freiburg. Diss. Leipzig, Fock. 109 S. Mk. 1.50.
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gegeben von Eugen Wolf f. 2. Reihe, Heft 4. Kiel und Leipzig,
Lipsius & Tischer. 1892.
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sition. Eine Antwort an Prof. von Thndichum. Paderborn 1890.
* — , Verne und Inquisition. Programm über die Preisverteilung. Halle
1893.
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Aussprüche Melanchthons , hauptsächlich nach Aufzeichnungen von
Johannes Matthesius. Gotha, F A. Perthes. 1892.
*+Ii08erth, J.. Doktor Balthasar Huhrnaier u. die Anfange der Wiedertaufe
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1893.
Neuere Erscheinungen.
<>3
in MShrcn. Aus gleichzeitigen Quellen und mit Benutzung des wiss.
Nachlasses den Hofrats Dr. Josef Ritter von Beck. Bonn 189* Ver-
lag der hist.-stati^t. Sektion.
Magazin, pädagogischem, Abhandlungen vom Gebiete der Pädagogik und
ihrer Hülfswis.«euschaften. Hrsg. v. Priedr. Mann. 14.— 19. Heft,
gr. 8°. Langensalza, H. Beyer & Söhne.
14. Die Überfüllung der gelehrten Berufszweige. Von Dr. Alb.
Wittstock. (37 8.) Mk. -.50. — 15. Comenius ». Pestalozzi. Fest-
rede, geh. v. Prof. O. Hunziker. (31 S.) Mk. —.40. — 16. Das Recht
der Volksaufsicht. Nach den Verhandlgn. d. Württemberg. Kammer
im Mai 1891 v. Dr. E. v. Sallwürk. (23 S.) Mk. -.25. — 17. Histo-
rische Richtigkeit u. Volkstümlichkeit im Geschichtsunterricht. Vor-
trag von Dr. F. Rossbach. (32 S.) Mk. —.40. — 18. Lehrplan der
sechsstufigen Volksschule zu Halle a. S. für den Unterricht in Ge-
schichte, Geographie, Naturlehre, Raumlehre, Deutsch. Aufgestellt v.
Rekt. Dr. Wohlrabe. (32 8.) Mk. -.40. — 19. Die Bedeutung des
Unbewußten im menschlichen Seelenleben. Von H. Roth er. (23 S.)
Mk. —.30.
Masius, Herrn., Bunte Blätter. Altes und Neues. Halle a. S. 18!*2. V,
384 S. 8°. Mk. 6.40. — Darin u.a.: Die Einwirkung d. deutsch. Huma-
nismus auf d. deutsch. Gelehrtensehulen. — Ulrich Zwingli, insbeson-
dere als Humanist und Pädagog. — Erasmus als Sittenlehrer.
'tMollat, Georg, Mitteilungen aus Leibnizens ungedruekten Schriften.
Neue Bearbeitung. Leipzig, H. Haessel. 1893.
tPaulaon, Einleitung in d. Philosophie. Berlin, Hertz. 1892. Mk. 4.50
iPfleiderer, Otto, Die Entwicklung der protest. Theologie in Deutschland
seit Kant und in Grofsbrittanien seit 1825. Freiburg, Mohr. 1891.
Christoph, Karl, Wolfgang Ratkes (Ratichius) pädagogisches Verdienst.
Dias. 8°, 52 S. Leipzig, C. F. Fleischers Sortiment. Mk. 1. — .
tBein, W., Am Ende der Schulreform ? Betrachtungen, gr. 8° (III, 92 S.).
Langensalza, H. Beyer & Söhne. Mk. 1.50.
tRein, Prof. Dr. W., Sem.-Lchr. A. Piokei u. E. Soheller, Theorie u. Praxis
des Volksachulnnterrichts nach Herbartsehen Grundsätzen. I. gr. 8°.
Leipzig, H. Bredt. — I. Das erste'Schuljahr. Ein theoretisch-prakt. Lehr-
gang für Lehrer u. Lehrerinnen, sowie zum Gebrauch in Seminareu.
5. Aufl. (X, 280 S.) Mk. 3.—.
fReinhardt, Die Umgestaltung des höheren Schulwesens. Vortrag. Frank-
furt, Diesterweg. 1892.
•Rosin, Harkort, Der Tribun der preuss. Volksschule. Dortmund, Rubfus.
Mk. 1.—.
Rühl, F., Kant über den ewigen Frieden. Rede. Königsberg, Leupold.
1892. 15 S.
f8ander, F., Briefwechsel Friedr. Lückes mit den Brüdern Jacob u. Wilh.
Grimm. Hannover-Linden, Manz & Lange. 1891. Mk. 5.-.
Bohaarsohmidt, Dr. Emil, Die Unsterblichkeit der Menschenseele. Leip-
zig, Max Spohr. 1892. (34 8.) Mk. —.60.
Bchleiermacher, Fr., Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter
ihren Verächtern. 7. Aufl. Berlin, G. Reimer. Mk. 2.—.
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94
Xeuere Erscheinungen.
Heft 3.
«Sehmoller, O., Die Lohr*» vom Reiche Gottes in den Sehriffen des Neuen
Testament«. Bearbeitung einer v. der Haager Gesellschaft zur Ver-
teidigung d. christl. Religion gestellten Aufgabe. Leiden, E. J. Brill. 1891.
Servet. M., Wiederherstellung de» Christentums. 1. Bd. Zum erstenmal
übersetzt von Dr. Bernh. Spiefs. 323 S. Wiesbaden 1892. Mk. 5.—.
Theologie, deutsche, d. i. ein «niles Büchlein v. rechten Verstände, was
Adam und Christus sei und wie Adam in uns sterben und Christus
erstehen soll. Mit den Vorreden Dr. Martin Luthers und Joh. Amds.
2. Aufl. gr. 16». 179 S. Stuttgart, J. F. Steinkopf. 1892. Mk. 1.60.
•fThudichum, F., Femgericht und Inquisition. Giefsen 1869.
•f— Das heilige Femgericht. Histor. Zeitschrift, hrsg. v. H. v. Sybel
und M. Lehmann. 1892 68. Bd. S. 1-57.
Stange, Karl, Die christliche Ethik im Verhältnis zur modernen Ethik:
Paulsen, Wundt, Hartmann. Preisgekrönt von der theol. Fakultät zu
Göttingen am 1. Juni 1892. gr. 4°. VI, 99 S. Göttingen, Dieterichs
Verlag. 1892. M. 2.—.
fStötsner, Paul, Beiträge zur Würdigung v. Joh. Balth. Schupps lehrreichen
Schriften. III, 95 S. Leipzig, R. Richter. Mk. 1.80.
Träger, J., Die Familienreohte an der öffentl. Erziehung. Ein Wort der
Verständigung im schnlpolit. Kampfe. 2. Aufl. Mit einem Vorwort
von W. Rt-iu. gr. 8°. IX, 104 S. Langensalza, Beyer & Söhne.
1892.
fUblig, Dr. G., Gymn. Direkt., Die Einheitsschule mit latcinlosem Unterbau.
XXIV, 104 S. gr. 8°. Heidelberg, Winter. 1892. Mk. 2.-.
•Volksbibliothek, religiöse, hrsg. vom Bibliograph. Bureau zu Berlin unter
Iiddaction von C. Werekshagen. I. 5. 8°. Berlin, Bibliogr. Bureau.
5. Schleiermacher. Eine Auswahl aus seinen Predigten, Reden und
Briefen. Zusammengestellt und eingeleitet von Pred. Kurt Stage.
(IV, 95 S.)
Walther, Die deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters. Braunschweig.
1890—1892.
'fZieRler, Th., Geschichte der christl. Ethik. Zweite, durch ein Sachreg.
vermehrte Ausgabe. 8°. XVI, 607 S. Strasburg i. E., Verlag von
K. J. Trübner. Mk. 9.—.
+Ziegler, Theob., Sittl. Sein u. sittl. Werden. 1891 od. 92.
tZiegler, Theob., Religion und Religionen. Fünf Vorträge. Stuttgart,
Cotta. 1893. Mk. 2.-.
*Ziller, Tuiskon, Allgemeine Pädagogik. Dritte, neubearbeitete und mit
Anmerkungen versehene Auflage der Vorlesungen über allgemeine
Pädagogik, hrsg. von Dr. Karl Just. Leipzig, Heinr. Matthes. 1892.
Zittel, Karl, Der Sonntagabend. Religiöse Betrachtungen für denkende
Christen, hrsg. von D. Emil Zittel. Dekan in Karlsruhe. 1. Bd. Berlin,
G. Reimer. Mk. 4.—.
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Nachrichten.
Über einen interessanten Handschriftenfond berichtot Herr
Lehrer Ed. Peck in Holeschau (Mähren) in der Beilage zu Nr. 5 der
tschechischen Zeitschrift „Komensky". Herr Prof. Spohrer, ehemalH
Erzieher beim Grafen von Vrben, jetzt in Holeschau privatisierend,
zeigte dem Berichterstatter mehrere alte Handschriften meist in btihm.
Sprache, die er in Ungarn erworben hatte und bat ihn, da er selbst
der höhm. Sprache nicht mächtig ist, um nähere Auskunft Uber die-
selben. Die Sammlung enthält folgende Stücke :
1. Zehn Briefe des Comenim an Nik. DrabiJc aus den Jahren 1664
— 1670. viele derselben tragen aufser dem Datum des Comenius
Unterschrift und Siegel.
2. Die Schrift des Comenius: „Tlteatrum universiiatis rerwn, t. j.
Divadlo sveta a vSechnrch vSudy predivnjjch veci jeho, kteree na
nebi, na zemi, pod zemi, u vodach, v povetrt a kdekoli v svtte
jsou aneb se drji a dfti budou od poÖdtku sveta ai do skondni'
jeho a a£ na vvh/ vrkut\u [Theatr. univers, rerum, d. i. Schau-
platz der Welt und aller ihrer grofsen Wunder, die am Himmel,
auf Knien, unter der Erde, im Wasser, in der Luft und wo
immer sonst in der Welt sind oder geschehon und geschehen
werden von Anfang der Welt bis zu ihrem Ende und bis in
Ewigkeit.] Handschrift 1 10 S. in 4°. Vgl. meine Bücherkunde
des Comenius Jahrg. 1892, I. Monatsheft S. 20 Nr. 2.
3. Eine tachech. Übersetzung der Admonitio fratema des Comenius.
Vergl. meine Bücherkunde a. a. 0. S. 47 Nr. 111.
4. Viele Briefe von verschiedenen Personen (Junius, Muratus, Fabri-
cius, Medfiansky, Veterinus u. a.) an Drabik.
5. Briefe Drabiks an verschiedene Personen (Comenius, Rotal,
de Geer u a.).
6. Tagebuch Drabiks von 1652—1668.
7. Zeugnis des Bürgermeisters und Rates der Stadt Meseritech
über Drabiks ehrenhafte Geburt.
8. Ein amtliches Protokoll mit Drabik in Prefsburg, worin an-
gegeben ist, dafs Comenius „ex pago komniau stamme (latein.).
9. Verschiedeue Briefe der Herren von Zerotin, Georg Rafanides,
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06
Nachrichten.
Heft 3.
Laurentius de Geer (engl.) und der Grafen Pembrok und Mont-
gomery (engl.).
10. „Manuductio in reveiationum Nicolai Drabicii considerationem
quadripartüam per quaestiones sucdnda."
11. Ein Erlafs des Herrn Georg Rakoczi an die Exulanten aus
Mähren, unter welchen Bedingungen sie sich auf seinem Grund
ansiedeln dürfen.
12. Synodalpredigten, gehalten bei der Weihe und Ordination von
Kirchendienern der BrUderunität.
13. Register der Eibenschlltzer Brüdergemeinde 1600.
14. 9Kra'tki/ spis o zlatetn a budouct'm jiz nastävajicim veku, sepsan>/
läa 1584 od W.(ilima) B.(udovce) z B.(udovau). |Kurze Schrift
von dem goldenen und zukünftigen, bereits anbrechenden Zeit-
alter, geschrieben im Jahn« 1584 von Wilhelm Budovec von
Budova.]
15. Ein grüfserer Band enthalt folgende Handschriften :
a. „O püvodu jednoty bratrske a rddu v ni.u (Von dem Ur-
sprung der Brüderunität und der Ordnung in ihr.]
b. „Sejjsäni br. Jana Blahoslava o rozdüe jednoty bratrske od
luteryansJce." [Schrift des Br. Joh. Blahoslav von dem Unter-
schied zwischen der BrUderunität und den Lutheranern.]
c. „Zpräva o nauieni tech, kteri od nekterfich Waldenskftmi
naztfväni byvajt . - - od jich StarMch uöincna Uta 1496."
[Nachricht von der Lehre derer, die von einigen Waldenser
genannt werden . . . von ihren Ältesten verfafst im Jahre
1496.]
d. „0 mrzuiem hr/chu opilstv» atd.u [Von der haTslichen Sünde
der Trunksucht etc.] 1560.
Die übrigen 5 Schriften finden sich auch unter den Hand-
schriften der Unitätsbibliothck in Herruhut.
Aufser diesen Handschriften werden noch 2 Druckschriften ge-
nannt :
Orbis 8ensualium jtidus trilinguis aus dem Jahre 1708 und
die von Comenius veranstaltete Übersetzung der Offenbarungen
Kotters ins Tschcchisüie. S. meine Büchcrkunde des Comenius
a. a. O. S. 23 Nr. 18.
Nach neueren Nachrichten hat das böhm Museum in Prag
diese ganze Sammlung von Hand- und Druckschriften für 600 fl.
erworben und wird demnächst im Casopis ceskeho Musea eine ein-
gehendere Beschreibung derselben veröffentlichen. J. M.
Die Sammlung von Autographen nnd historischen Dokumenten aus dem
Besitz des Grafen Ludwig von Paar, die am 20. — 25. März 1898 durch das
Antiquariat von Albert Cohn iu Berlin (W. Mohrcnstr 53) versteigert
worden ist, gehört zu den merkwürdigsten, die je in den Handel ge-
kommen sein mögen. Sie enthält auch in Bezug auf das Forschungs-
gebiet unserer Gesellschaft so wichtige Stücke, dafs wir unsere Leser
auf den vorzüglichen Katalog, den das genannte Antiquariat kürzlich
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1893.
Nachrichten.
97
versandt hat. hinweisen wollen. Unter Nr. 976 nnd 977 finden sich
zwei Stücke von ConeniaM Hand, ein lateinischer Brief an Nigrinus vom
19. September 1668, worin unter anderem von der Reise Ilcsenthalers
(s. Monatshefte 1892, Heft 4, S. 237 ff.) nach England und Amsterdam die Rede
ist, und ein Stammbuchblatt vom 20. Mai 1651 für Matthias Zimmermann.
Unter Nr. 917 findet «ich ein Brief Luthers an Pirkheimer vom 20. Febr.
1519, also aus sehr früher Zeit, wo Luthers Beziehungen zu den Huma-
nisten und deren Societäten noch sehr freundschaftlicher Art waren. L.
schreibt: „Den in Basel erfolgten Nachdruck meiner Schriften wirst Du
gelesen haben. Sic sind so gut herausgegeben, dufs sie mir selbst gefallen.
So haben diese vorzüglichen Alchymisten verstanden, aus Kupfer Gold zu
machen. Den Sylvester nennen sie sehr drollig den Magirum Pallacü
statt Magistrum Pallacü" u. s. w. Ferner sind aus der Zeit der Reformution
vertreten: Melanchthon, Graf Herrn, v. Neuenahr, Peutinger,
Pirkheimer, Reuchlin, Eobanus Hessus, Savonarola, Stau-
pitz, Zwing Ii, Erasmus u. s. w. Aus dem 17. Jahrhundert seien Ca-
lixtuB, Dcscartes, Aug. Herrn. Fraucke, Kepler, Leibniz, Sau-
bert und Spener genannt; daran schliefsen sich aus unserem Arbeits-
gebiet Thomasius uud Zinzeudorf, auch Basedow, Joachim
H. Campe und Job. Gottl. Fichte. Besondere Erwähnung verdient ein
sehr seltenes Stück, das im Katalog auch teilweise facsimiliert ist, von
Sebastian Franc k. Es ist ein Brief aus dem Jahre 1533 an den Bürger-
meister von Ulm, worin er bittet, ihm das Seifensieder-Handwerk zu ge-
statten; er wolle, was er von Gott habe, nicht vergraben, sondern schrift-
lich dem Volk Gottes mitteilen; in diesen gefährlichen Zeiten könne er das
nicht, wenn er mit einem Amt „verstrickt" sei u. s. w. Endlich machen
wir auf die Stücke Nr. 1235— 1247, welche Herder betreffen, noch besonders
aufmerksam; es sind darunter Briefe an Lavater und Fr. H. Jacobi von hohem
persönlichen und sachlichen Interesse. So schreibt er an Jacobi am
29. Mai 1783 : „Wollen Sic, lieber Jacobi, so schicken Sie mir Ihre Zeich-
nung von Hcmsterhuis gezeichnet : sie soll über Lessings Büste in meinem
Zimmer hangen, in dem nichts ist als Luther, Hamann, Lessing, der Graf
und die Gräfin von Bückeburg und die regierende Herzogin1* .... Diese
Proben werden zur Charakteristik der wichtigen Sammlung vom Stand-
punkt unserer Gesellschaft aus genügen.
Amerikanisch« Gesellschaft für Kirchengeschiehte. Ein eigen . ja viel-
leicht einzigartiger Verein ist die amerikanische Gesellschaft für Kirchen-
geschichte, die nicht auf dem Boden eines bestimmten Bekenntnisses steht,
sondern Glieder aller in Amerika vertretenen kirchlichen Gemeinschaften
umfafst. Diese Gesellschaft wurde vor vier Jahren gegründet und zählt
jetzt 140 Mitglieder. I-He letzte Jahresversammlung wurde am 29. und
30. Dezember 1891 in der Columbischen Universität zu Washington abge-
halten. Unter den zur Verlesung gekommenen Abhandlungen waren
folgende von besonderm Luteresse: „Die religiösen Motive des Christoph
Columbu»1- von W. K. Gill et, Professor an der Uuiversität Newyork.
Sehr eigenartig war der Vortrag des Professors Th. Davidson, eben-
falls aus Newyork, über „Christliche Einigkeit nnd das Himmelreiche
98
Nachrichten.
Heft 3.
nDie Verteilung Amerikas durch päpstliche Bullen" behandelte Pro-
fessor J. Gordon vom theologischen Seminar zu Omaha, Nebraska. Er
zeigte, wie der Papst die einzelnen Teile Amerikas willkürlich an Könige
und Fürsten verteilte, und dafs in frühern Zeiten da* Besitzrecht oft auf
diese päpstlichen Verwilligungen gestützt wurde.
Der in der lutherischen Kirche bekannte Verfasser der Geschichte des
Ministeriums von Newyork, Pastor Nie um, veranlagte durch einen ge-
schichtlichen Überblick über die Lehrentwicklung der evangelisch-lutheri-
schen Kirche in Amerika eine lebhafte Besprechung.
Mit grofsem Interesse lauschte man auch den Worten von Barr
Ferren' ans Newyork, dessen Vortrag den „christlichen Gedanken in der
Baukunst" behandelte.
Am zweiten Tage der Versammlung fand mich einem Empfang bei
Präsident Harnson im Kapitol die Aufnahme neuer Glieder statt, darunter
die beiden Professoren der Kirchengeschichte an der neuen katholischen
Universität zu Washington, und des Herrn H. K. Carroll, des Spezial-
ugenten der Regierung zur Sammlung der kirchlichen Statistik.
Die wichtigste Handlung der Gesellschaft war der Besehlufs, eine
Geschichte aller religiösen Gemeinschaften Amerikas herauszugeben. Als
Publikations-Komite wurden ernannt Dr. Ph. Schaff, die Bischöfe
Hurst und Potter, Professor Fischer, Dr. Wolf und die Pastoren
H. C. Vetter und S. M. Jackson. Diese haben die Aufgabe, geeignete
Persönlichkeiten zur Abfassung von Monographien aus den verschiedenen
Kirchenkörpern zu wählen und die Herausgabe des ganzen Werkes zu, be-
aufsichtigen. Diese Kirchengeschiehte ist auf mindestens zehn Bände zu
je etwa 500 Seiten berechnet. Der Geschichte der gröfsern Kirchen (Bap-
tisten, Kongegrationalisten, Lutheraner, Methotlisten, Presbytcrianer, Episko-
palen und römischen Katholiken) wird je ein Band gewidmet, zwei oder
mehr Bände den kleineren Kirchen und, wenn thunlich, ein Band einer
gedrängten Geschichte der christlichen Kirche in Amerika, worin nament-
lich auch die Beziehungen zu Europa, die charakteristischen Merkmale des
amerikanischen Kirchenweseus, das Verhältnis der Kirche zum Staat be-
handelt werden sollen. Eine Reihe anerkannt tüchtiger kirchlicher Schrift-
steller hat bereits ihre Mitwirkung zu dem Werke zugesagt. Wir nennen:
für die lutherische Kirche Professor H. E. Jakobs, die römisch-katholische
Kirche Professor Tb. O'Gorman, die deutsch -reformierte Professor
.1. H. Dubbs. (Chronik d. christl. Welt.)
Die „Theologischen Studien und Kritiken", Jahrg. 1898, Heft 1,
S. 125 ff. bringen einen Artikel über J ean de Labadie und die Brüder-
gemeinde, den wir der Beachtung unserer Leser empfehlen. Der Ver-
fasser — Max Bajorath — hat die Geschichte der Labadieschen Genieinde-
stiftuug nnd der Gemeinde Zinzendorfs genau studiert, und der mit grofser
Unbefangenheit durchgeführte Vergleich beider Gründungen bietet inter-
essante Punkte genug dar. Labadie, geb. 1610, gehörte einer vornolunen
französischen Adelsfamilie an, war im Jesuitenkolleg zu Bordeaux erzogen
und blieb Mitglied des Ordens bis zum Jahre 1040; im Jahre 1650 trat
er in Montnnban zu den Reformierten über. Die Schicksale Zinzendorfs
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1893.
Nachrichten.
99
sind bekannt: merkwürdig ist, dafs er seit seinem Pariser Aufenthalt (1719
bis 1721) mit eben den Kreisen in naher Fühlung stand, mit denen einst
auch Labadic befreundet gewesen war. Wir können hier auf die Ergeb-
nisse des Vergleichs, der zu Gunsten der Brüdergemeinde ausfallt, nicht
näher eingehen. Nur ein« Mollen wir hervorheben. In den heute üblichen
Darstellungen dieser „Schwärmer" wird deren „Weltflucht" und ihr Gegensatz
gegen das reformatorische Lebensideal betont. Hajorath ist auf Grund
seiner sorgfältigen Untersuchungen zu anderen Ergebnissen gelangt. Bei
aller Betonung sittlicher Lebensführung blieben beide Gemeinschaften den
Geschäften des Tags und dem „geselligen Leben" zugewandt. „Sowohl
die Labadisten wie besonders die Herrnhuter sehen wir als tüchtige Ar-
beiter, brauchbare und gewissenhafte Handwerker, ernsthafte Lehrer, Arzte
und Beamte geachtet und geschätzt". Und in Zinzendorf erkennt der Ver-
fasser (S. 166) ^tatsächlich einen Nachfolger der Reformatoren, „der in der
Gemeinde wieder religiöses Interesse und aufrichtige Bestätigung warmer
Herzensfrömmigkeit weckte."
Ein Lehrstuhl fiir ^Geschichte de» Christentums" ist an der Universität
Rom neu geschaffen und durch einen Erlafs des Unterrichtsntinisters Marti ni
zum erstenmale definitiv besetzt worden. Berufen wurde Prof. B. Labanca,
seither Lehrer der Moralphilosophie an der Universität Pisa. Ein Teil
der italienischen Presse begrüfst diese Thatsache freudig und spricht die
Hoffnung aus, das Studium der Geschichte des christlicheus Glaubens und •
Lebens werde den Gebildeten die Fragen der Religion wieder näher bringen.
Programm 4er Teylerschen Theologisehen Gesellschaft zu Haarlem,
für das Jahr 1893. — Die Direktoren der Teylerschen Stiftung und die
Mitglieder der Teylerschen Theologischen Gesellschaft haben in ihrer
Sitzung vom 21. October 1892 ihr Urteil abgegeben über die vier bei ihnen
eingegangenen Abhandlungen zur Beantwortung der zwei ausgeschriebenen
Preisfragen. Sie hatten verlangt eine: „Geschichte der niederlän-
dischen Bibelübersetzung vorder Staaten bibel," und erhielten
darauf eine Antwort in holländischer Sprache mit einem aus Jerem. XXIII,
29 entlehnten Motto.
Wurde auch des Autors Fleifs und Ausdauer gern anerkannt und ge-
lobt, so konnte doch das Endurteil nicht anders als ungünstig ausfallen
und ihm der Preis nicht zuerkannt werden.
Die drei anderen Abhandlungen behandelten die Frage: „Welches
ist nach christlichen Principien das wünschenswerteste
Verhältnis zwischen Philanthropie und S taats sorge?"
Auch diesen Abhandlungen konnten die Direktoren einen Preis nicht
zuerkennen.
Darauf beschlofs man, als Preisaufgabe zu stellen:
„Eine Geschichte der niederländischen Bibelüber-
setzung bis zur Herausgabe der Übersetzung nach
Luther im Jahre 1523",
und den Ablieferungstermin auf zwei Jahre hinauszuschieben, so dafs die
Arbeiten vor dem 1. Januar 1895 erwartet werden.
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H"»0
Nachrichten.
Heft 3.
Als neue Preisfrage, w orauf die Antworten vor dem 1. Januar 1894
eingesandt werden müssen, wird angeboten:
„Ziemlich allgemein wird angenommen, dafs mehrere
bei den Juden nach dem Exil vorkommende Vorstellun-
gen, namentlich betreffend die Esehatologie, die Au-
gelologie und die Demonologic, dem Einfluf* de» Pär-
sismus zuzuschreiben sind.
Inwiefern ist diese Hypothese hinreichend begrün-
det, oder ist es möglich, die genannten Vorstellungen
ganz oder teilweise aus der inneren Ent Wickelung der
Israelitischen Religion befriedigend zu erklären?"
Der Preis besteht in einer goldenen Medaille von fr. 400 an innerem
Wert,
Man kann sich bei der Beantwortung des Holländischen, Lateinischen,
Französischen , Englischen oder Deutschen (nur mit Lateinischer Schrift)
bedienen. Auch müssen die Antworten vollständig eingesandt werden,
da keine unvollständigen zur Preisbewerbung zugelassen werden. Alle ein-
geschickten Antworten fallen der Gesellschaft als Eigentum anheim, welche
die gekrönte, mit oder ohne Übersetzung, in ihre Werke aufnimmt, sodafs
die Verfasser sie nicht ohne Erlaubnis der Stiftung herausgeben dürfen.
Auch behält die Gesellschaft sich vor, von den nicht preiswürdigen nach
Gutfinden Gebrauch zu machet), mit Verschweigung oder Meldung des
Namens der Verfasser, doch im letzten Falle nicht ohne ihre Bewilligung.
Auch können die Einsender nicht anders Abschriften ihrer Antworten be-
kommen als auf ihre Kosten. Die Antworten müssen nebst einem ver-
siegelten Namenszettel, mit einem Denkspruch versehen, eingesandt werden
an die Adresse: Fundatiehuis van wijlen den Heer P. Teyler van der
Hülst, te Haarlem.
Die I'renr»if<chen Jahrbücher sind mit Beginn ihres 36. Jahrg. (1893)
aus dem Verlag von Georg Reimer in den von Walther in Berlin über-
gegangen. Mit diesem Wechsel hat sich zugleich eine Änderung des Pro-
gramms vollzogen. Während die Jahrbücher früher nur Originalaufsätze
brachten, wollen sie in Zukunft auch aus den Fachzeitschriften solche
„Schätze der Wissenschaft heben, deren künstlerische Form sie geeignet
macht, nicht nur dem Fachmann, vielmehr der Nation Lieht zu spenden4*.
In Ausführung dieses Vorhabens bringt das Januarheft den Wieder-
abdruck einer Abhandlung, welche Ad. Harnack in den Sitzungs-
berichten der Berliner Akademie über die neuentdeckten Bruchstücke
des Evangeliums u nd der A pokaly pse des Petrus hatte erscheinen
lassen. Der Umfang der Jahrbücher wird vergröfsert und der Preis von
18 auf 20 Mk. erhöht. Die Schriftlcitung führt wie bisher Prof. H. Del-
brück. Heft 1 enthält aufser dem genannten Wiederabdruck Aufsätze
vou Delbrück, Rud. Hildebrand, Will. Scharling, Alex. Tille und Rud. Wach;
letzterer handelt über die Beschimpfung von Religiousgesellschafteu.
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1893.
Nachricht««!).
101
Entgegnung.
In dem Aufwitz«' rDas Verhältnis der Didartiea magna des Comenius
zur Didaktik Ratkes"1 (Monatshefte der Comenius-GeselIs«haft III, S. 176
gedenkt der Verfasser — Herr A. Israel — der Arlioit de» Unterzeichneten
über Comenius in einer Weif»«', die ein Schweigen unmöglich macht. Ich
habe auf S. 89 meine« Buches von einer „Schrift" Ratkes (De studiorum
rectificanda methodo consilium) gesproch«>n und zwar lediglich deshalb, um
Comenius' eigene Angabe (Opp. did. I, 3) hervorzuheben. Ob die Worte
De studiorum etc. Bruchteil gewesen sind oder nicht, ist gleichgültig; sie
decken sich mit dem Inhalte dessen, was Comenius in Herboru von Ratke
gelernt hat, und «las ist die Hauptsache. Herr Israel behauptet nun, ich
hätte wahrscheinlich die Bezeichnung „Schrift Ratkes" von Dr. G. A. Lindner
entlehnt; diese Annahme trifft nicht zu, da ich das in Frajje kommende
Buch Lindners nur dem Titel nach kenn«'. Die Herrn Israel anstüfsige
Benennung ist aber schon vor Lindner gebraucht und üblich gewesen, wie
••in Blick in die Schrift Eugen Pappenheims „Arnos Comenius, der Be-
gründer der neuen Pädagogik". Berlin 1871 (S. 3) beweist. Ganz dieselbe
Bezeichnung wählt auch Dr. Th. Lion in dem 10. Bande der Bibliothek
pädagogischer Klassiker (Langensalza, H. Beyer, 1*7"») S. 10. Seit dieser
Zeit ist der bequeme Ausdruck „Schrift Ratkes" in Anwendung gekommen.
Da Comenius schon vor Ablauf des Jahres 11512 Herboru verliefs, so kann
unter der „Schrift Ratkes" nur dessen Memorial an den Reichstag ver-
standen werden, denn die Bericht«' der Jenenser und Giefsener Akademieen
erschienen zu einer Zeit, da sich Comenius schon in Heidelberg aufhielt.
Die als wahrscheinlich bezeichnete Anlehnung an Lindner glaubt Herr
Israel auch in der Anführung der 9 Artikel, smf welchen Ratk»?s Lehr-
kunst beruht, entdeckt zu haben. Lindner hat dieselben angeblich aus
Raumers Geschichte der Pädagogik geschöpft. Herr Israel hätte «las auch
bei mir annehmen können. Nach Räumers Vorgange (Bd. II, S. 30—36,
Stuttgart 1*43) ist die Annahme von 9 Punkten geläufig geworden. Hätte
ich ein weitschichtiges Werk über Comenius schreiben wollen, so würde
ich nicht ermangelt haben, sämtliche Artikel aufzuführen. Die Schrift
Schumanns „Die echte Methode Ratkes" ist in Hannover erschienen. Ich
hatte nur diejenig«'n Punkte ins Auge zu fassen, die zu einer Parallele
zwischen Ratke und Comenius geeignet erschienen. Aus diesem Grunde
schlofs ich ausdrücklich zwei der angeführten Punkt«- aus, was Herr Israel
verschweigt. Schumann führt in seiner Geschichte der Pädagogik 10
Punkte an: ich nahm j«'doch Abstand, Ratkes Grundsatz: „Alles mit vor-
hergehendem G«'bet* in einer Arbeit über Comenius zu erwähnen; man
hat schon vor Ratke die Schule mit Gebet angefangen. —
Den Schlufs d«\s Vergleichs bilden folgende Sätze, die zwar nicht mit
^Anlehnung an Lindner" bezeichnet sind, aber dafür auch desto weniger
Gnade in den Augen des Herrn Reeensenten fanden: „Ratke ward bei
seinen pädagogischen Bestrebungen vom Glücke nicht so begünstigt wie
sein jüngerer Zeitgenosse; er mufste es noch erleben, dafs die Comenia-
nischen Schriften, besonders die grofse Unterrichtslehre und ndie geöffnete
Sprachenthür' seine Erfolge nicht nur in den Schatten stellten, sondern
bald in das Me« r der Vergessenheit gelangen li« fs« n. Da ich nun selbst
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102
Nachrichten.
Heft 3.
8. M9 anführte, dafs Ratke 1635 starb, die grofse Uuterrichtslehre aber erat
1657 im Druck erschien, da ferner die Janua erst 4 .Jahre vor Ratkes Tod
vollendet wurde, so war damit für Herrn Israel der Beweis der Urteils-
losigkeit des Verfassers vorhanden! Ich erlaube mir, folgenden Gedanken-
gang, der jene beanstandeten Sätze hervorrief, darzulegen.
Die grofsc Unterrichtslehrc ward schon in den Jahren 1627— 162*
vollendet, und Coinenius war kein Geheimniskrämer, wie Ratke, der aus
allerhand Gründen sich auf keinerlei Mitteilung einliefe. Comenius stand
vielmehr in engem Verkehr mit der gelehrten Welt: ihm war der Ge-
dankenaustausch geradezu ein Bedürfnis. Männer, wie Georg und David
Vechner, J. Ravius in Gera, L. Schneider in Leipzig, S. Evenius in
Weimar, J. Mockinger in Danzig, J. Docem in Hamburg und Samuel
Hartlieb in London waren über die Bestrebungen und Erfolge des Co-
menius auf das genaueste unterrichtet und sorgten in ihren Kreisen für
die weitere Ausbreitung der Comenianischen Ideen. Hartlieb war von dem
schliefslichen Erfolge der Comenianischen Bestrebungen so sehr überzeugt,
dafs er den Plan fafste, eine Art Gelehrtenkollegium nach den Ideen de.«
Baco von Verulam zu gründen, das aus den hervorragendsten Gelehrten
Europas zusammengesetzt werden und Comenius zum Leiter haben sollte.
Comenius war ferner seit 1614 im Dienste der Schule thätig und unab-
lässig bemüht, das Schulwesen der Brüderunität zu heben. Dafs dabei die
Geistlichen und Lehrer derselben iu den Ideengang des Comenius ein-
geweiht wurden, mithin auch Kenntnis von dem Inhalte der Didaktik und
Janua erhielten, versteht sich von selbst. Hierdurch wurde die Kenntnis
der Schriften des Meisters ungleich mehr gefördert, als durch eine Druck-
legung derselben in damaliger Zeit geschehen konnte. Nur so ist es zu
verstehen, dafs die Janua in kurzer Zeit eine so beispiellose Verbreitung
finden konnte. Schon im Jahre 1642, also 7 Jahre nach Ratkes Tode, be-
richtet der Orientalist J. Gallus in Leyden dem Comenius, dafs die Janua
in das Arabische übersetzt sei und den Mohammedanern so sehr gefiele, dafs
Übersetzungen in da« Türkische, Persische und Mongolische in Aussicht
stünden. Man kann also doch wohl sagen, dafs die Janua bereits 1635
Ratkes Erfolge habe in den Schatten stellen können.
Schliefslich sei noch erwähnt, dafs Comenius vergeblich versuchte,
einen Briefwechsel mit Ratke anzuknüpfen (1629). Liegt die Annahme so
fern, dafs Comenius, um einen Gedankenaustausch anzuregen, die Resultate
seiner jahrelangen, mühsamen Arbeit dem Ratke mitteilte? Ratke war nach
dem bösen Ausgange des Unternehmens in Kothen in seinem Ansehen
schwer geschädigt; die Blicke der um das Wohl der Schule besorgten
Männer wandten sich einem neuen Sterne zu, vor dessen Glänze das Licht,
das Ratke angezündet hatte, schnell erblafste — dem Comenius.
Ich weifs sehr wohl, dafs meine Arbeit über Comenius nicht ohne
Mängel ist, und bin wohlwollenden Beurteil ern gegenüber sehr dankbhr
gewesen, unberechtigte Ausstellungen dagegen werden mich zur Abwehr
allzeit bereit finden.
Hannover, 14. Februar 1893. W. Kayser.
Auf die vorstehende Entgegnung habe ich folgendes zu erwidern:
1. In seinein Buche schreibt Herr Kayser: .Ratkes Schrift: De
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1893.
Nachrichten.
103
studiorum rectificanda methodo consilium (Ratschläge, die Verbesserung des
Lehrverfahrens betreffend), welche von den Giefsener Professoren Hclwig
und Jung, sow ie von den Jenaischen Gelehrten Grawer , Brendel, Walter
und Wolf günstig beurteilt worden war, lernte Comenius . . 1612 kennen."
In seiner Entgegnung lesen wir: „Seit dieser Zeit ist der bequeme Auf-
druck „Schrift Ratkes" in Anwendung gekommeu. Da Comenius schou
vor Ablauf des Jahres 1612 Herborn verlief», so kann unter der „Schrift
Ratkes" nur dessen Memorial an den Reichstag verstanden werden, denn
die Berichte der Jenenser und Giefsener Akademieen erschienen zu einer
Zeit, da sich Comenius schon in Heidelberg befand. Herr Kayser scheint
gar nicht zu bemerken, dafs seine neuerliche Auslassung der früheren
vollkommen widerspricht. Ich kann nach wie vor nicht unterlassen,
ihn und natürlich auch alle anderen, auf die er sich beruft, in dem Ge-
brauche des bequemen Ausdruckes „Schrift Ratkes" zu stören. Hätte er
„Vogts Quellen zur Geschichte des Didaktikers V Ratichius" zu Rate ge-
zogen oder hätte er in einer Bibliothek nachgefragt, so hätte er erfahren,
dafs es eine Schrift Ratkes De stitdiorum etc. nicht giebt.
Übrigens ist es selbstverständlich, dafs es auch nicht erlaubt ist, unter
diesem Titel Ratkes Memorial zu verstehen, das gar kein Buch ist und
dem Titel De studiorum gar nicht entspricht.
2. Es ist mir nicht sehr wahrscheinlich, dafs Herr Kayser die auch
von mir angezogene Schrift Schumanns benutzt hat, denn es könnte ihm
dann nicht entgangen sein, dafs Schumann die Ausgabe der Methodus
quadruplex von 1617 vor sich hatte, während Raumer nur die von 1626
kannte, und es bleibt mir völlig unerfindlich, warum er, da er doch seinen
Abschnitt „Comenius -Qu eilen*4 überschrieben hat, diese wirklich«*
und fast einzige Quelle, aus der Comenius seine Kenntnis
der Lehrkunst Ratkes geschöpft hat. nicht angezogen hat.
Seine Aufzählung der „neun Punkte" deckt sich bis auf geringfügige
sprachliche Abweichungen genau mit der Aufzählung bei Raumer und
Lindner.
Wenn daher Herr Kayser oben schreibt: „Aus diesem Grunde schlofs
ich ausdrücklich zwei der angeführten Punkte aus, was Herr Israel ver-
schweigt", so ist das ganz unverständlich: weder hat Herr Kayser weniger
Punkte aufgezählt als Raumer und Lindner, noch hatte ich etwas zu ver-
schweigen !
3. Die Didactica magna ist allerdings 1628 vollendet worden, aber be-
kanntlich in böhmischer Sprache! Die Übersetzung ins Lateinische
erfolgte drei Jahre nach Ratkes Tode, der Druck 22 Jahre später. Ob
meine Ausstellungen an den Kaysersehen „Quellenangaben" demnach „un-
berechtigt" waren, mufs ich dem Urteil der Leser anheimstellen.
Zschopau, 10. März 189:1. Israel.
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PitWiK-he Hon>ucbdruck«r«i. Stephan 0«ib«l k Co. in AUenburg.
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Monatshefte
der
Comenius - Gesellschaft.
IL Band. — 1893. — Heft 4 u. 5.
Goethes religiöse Entwicklung.
Dargestellt von
Prof. Dr. W. Heinzelmann in Erfurt.
Wenn es die Aufgabe dor Comenius-Gesollschaft ist, für alle
diejenigen Bestrebungen wissenschaftlicher und praktischer Art
einen zusammenfassenden Mittelpunkt zu bilden, welche auf die
Pflege und Förderung einer den Anforderungen und Bedürfnissen
der Neuzeit entsprechenden, zugleich echt menschlichen und echt
christlichen Volkserziehung und -Bildung im weitesten und
tiefsten Sinne des Wortes gerichtet sind, wenn sie zu diesem
Behufe ihre Aufmerksamkeit besonders den bedeutenden Männern
der Vergangenheit zuwendet, welche im Sinne und Geiste des
Comenius das Ziel allgemein menschlicher Bildung auf dem
Grunde einer ebenso weitherzigen, über dem Streite der Parteien
und Konfessionen erhabenen, als sittlich fruchtbaren christlichen
Denkweise zu erreichen suchten und in dieser Richtung bahn-
brechend und erziehend auf Mit- und Nachwelt eingewirkt haben,
so dürfen neben den im Programme der C.-G. verzeichneten
Männern unsere drei grofsen klassischen Dichter Lessing, Schiller
und Goethe einen wohlbegründeten Anspruch darauf erheben,
auch ihrerseits in diesen Blättern berücksichtigt zu werden.
Vor allem steht hier wohl unser gröfster deutscher Dichter
als Begründer einer Weltliteratur in seiner ganzen religiösen
und sittlichen Denkweise dem auf ein Völker und Zeiten um-
MoBfcUkofto in Comenin»-Of»ell«chafl. 1898. 8
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106
Heinzelmann,
Heft 4 u. 5.
spannendes Christentum der That abzweckenden, echt welt-
bürgerlichen Gesinnung des Comenius am nächsten. Es ist be-
kannt, wie Qoethe selbst im kleinen Kreise sich oft und gern
als Erzieher versuchte, wie sein Geist sich stets mit besonderer
Teilnahme pädagogischen und didaktischen Fragen zuwandte1)-
Aber weit höher als diese im engeren Sinne erziehende und
erziehungswissenschaftliche Thätigkeit sind die bedeutenden er-
ziehlichen Einwirkungen anzuschlagen , die noch jetzt fort und
fort von ihm durch Vermittelung seiner poetischen und prosaischen
Meisterwerke auf die weiten Kreise der Gebildeten unseres Volkes,
sowie aller Kulturvölker ausgehen. Und nicht gering dürfen wir
diejenigen Nachwirkungen anschlagen , welche sich auf dem be-
deutsamsten und umfassendsten, für das sittliche Handeln über-
haupt, wie insbesondere für das Werk der Erziehung im engeren
Sinne mafsgebenden Gebiete des religiösen Lebens bewegen.
Es ist wahr, Goethes Stellung zu den höchsten Fragen des
Lebens ist in den drei Perioden, die man in seinem Dichten und
Denken unterscheidet, eine verschiedene, und wer ihn nach
einzelnen mündlichen oder brieflichen Aufserungen, nach einzel-
nen, vorübergehende Stimmungen und zeitweilige Anschauungen
widerspiegelnden poetischen Ergüssen beurteilen wollte, würde
einen geteilten, ja nicht selten befremdenden Eindruck em-
pfangen. Die widersprechendsten Urteile von rechts und von
links hat der Dichter daher über sich ergehen lassen müssen,
sobald es sich um seine Stellung zum Christentum handelte.
Aber es ist eben verfehlt und unstatthaft, den Genius mit der
Elle eines, ob auch noch so schulgerechten dogmatischen oder
kritischen Alltagsverstandes messen zu wollen. Je tiefer eine
Persönlichkeit angelegt ist, je gewaltigere Gegensätze in ihr ver-
einigt sind, desto mehr darf sie fordern, lediglich nach sich selbst
beurteilt zu werden, und nur dem echt geschichtlichen Sinne,
der es gelernt hat, sich liebend in fremde Eigentümlichkeiten
zu versenken, und der es versteht, mit philosophischem Blick
die einzelnen, sich scheinbar widersprechenden Momente der
Entwicklung im grofsen Zusammenhange des Ganzen zu schauen,
erschliefsen sich die Geheimnisse des persönlichen Lebens.
Von diesem Gesichtspunkte rein geschichtlicher Be-
l) Vergl. die beiden Monographien von Langgut h: Goethes Päda-
gogik, Halle 1836; Goethe als Pädagog, Halle 1887.
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1893.
Goethes religiöse Entwicklung.
107
trachtung versuchen wir es, die religiöse Entwicklung
Goethes nach ihren Hauptmomenten darzulegen. Wir dürfen
uns dabei auf die in religiös - sittlicher Hinsicht wichtigsten
Perioden seines Lebens und Dichtens, auf die erste und auf die
dritte, beschränken. Unsere Hauptquellen für die Darstellung
sind in Bezug auf die erste, die Jugendperiode, Goethes Selbst-
biographic, „Wahrheit und Dichtung", welche ergänzt wird durch
die gleichzeitigen Briefe und die wichtigsten odenartigen Gedichte,
die er während der ersten zehn Übergangsjahre in Weimar ab-
gefafst hat. Für die Darlegung der religiösen und sittlichen
Weltanschauung des Dichter» in der dritten Periode, der sog.
Periode der Vollendung, benutzen wir die vortreffliche Monographie
von 0. Harnack1).
Goethe sagt am Schlufs von „Wahrheit und Dichtung" :
„Man hat im Verlaufe dieses biographischen Vortrages umständ-
lich gesehen , wie das Kind , der Knabe , der Jüngling sich auf
verschiedenen Wegen dem Übersinnlichen zu nähern gesucht;
erst mit Neigung nach einer natürlichen Religion hingeblickt;
dann mit Liebe sich an eine positive festgeschlossen ; ferner durch
Zusammenziehung in sich selbst seine eigenen Kräfte versucht
und sich endlich dem allgemeinen Glauben freudig hingegeben."
Die „natürliche Religion", von welcher der Dichter hier redet,
ist der Deismus der Aufklärungszeit, die „positive" Religion, der
er sich sodann zuwendet, ist das Christentum in der Form der
Brüdergemeinde. Unter der „Zusammenziehung in sich selbst"
versteht er die Bildung eines eigenen, von dem kirchlichen
Christentum abweichenden Standpunktes. Endlich unter dem
„allgemeinen Glauben* ist jedenfalls nicht die bereits früher von
ihm überwundene abstrakte Denkweise des vulgären Rationalismus
zu verstehen, der mit der natürlichen Religion des Deismus zu-
sammentrifft, sondern die mehr dem Pantheismus verwandte
religiöse Weltanschauung, wie sie der Dichter allmählich an der
Hand des Philosophen Spinoza und auf Grund anderer Einflüsse
gewinnt
Goethes Jugend fällt in die Zeit der beginnenden Herrschaft
') Otto Harnack, Goethe in der Epoche seiner Vollendung (1805 —
1832). Versuch einer Darstellung seiner Denkweise und Welthetrachtung.
Leipzig, 1887.
8*
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108
Heituelmann,
Heft 4 u. 5
des vulgaren Rationalismus, der von den drei Artikeln
des apostolischen Glaubensbekenntnisses nur den mit den Juden
und den Muhammedanern uns gemeinsamen ersten Artikel fest-
hielt, aber häufig nicht einmal im Sinne einer lebendigen alt*
testamentlichen Frömmigkeit, d. h. des Theismus, sondern im
Sinne des Deismus, jener abstrakten und unlebendigen Vor-
stellung, nach welcher Gott zwar von der Welt unterschieden,
aber zugleich ohne lebendige, persönliche Beziehung zu derselben
gedacht wird. Man hielt nur den verblafsten Gedanken einer
Vorsehung und eine Fortdauer der menschlichen Seele nach dem
Tode fest; aber eine geschichtliche Offenbarung Gottes zum Heile
der Menschheit ward geleugnet, weil der Mensch, wie man
meinte, an sich und von Natur gut, einer Erlösung nicht be-
dürftig war. Die Bibel ward in der willkürlichsten Weise
behandelt und durch eine platt verständige, zum Teil aber-
witzige Auslegung ihres prophetischen und poetischen Gehaltes
entkleidet, die Gesangbuchslieder entstellt und verwässert und
ihres erbaulichen, wie dichterischen Wertes beraubt. An Stelle
der Religion trat mehr und mehr eine dürre und geistlose
Moral. „Tugend und Weisheit" war die Losung in Kirche und
Schule; etwas Besseres und Höheres kannte man nicht. Diese
von England und Frankreich eingeführte Lehre ward damals
vielfach auch von lutherischen Geistlichen in Anbequemung an
den Zeitgeist von Kanzeln und Kathedern verkündigt. Der in
Welt und Kirche herrschende Geist trieb viele Glieder der
Kirche in den Separatismus hinein. Die „Stillen im Lande" —
so nannte man sie — sonderten sich ab von der Kirche und
thaten sich zusammen zu kleinen Privatgemeinden. Seit der
Mitte des 17. Jahrhunderts, als die kirchliche Rechtgläubigkeit
in Deutschland infolge der theologischen Zänkereien immer mehr
erstarrte, hatte bereits der sog. Pietismus eines Spener und
A. II. Francke in diesem Sinne, doch innerhalb der Schranken
der kirchlichen Ordnungen, zur Belebung der Kirche gewirkt.
Vergebens. Der rationalistische Geist drang immer mehr ein in
die Kirche; Zinzendorf wählte den Weg einer eigenen Gemein-
schaftsbildung und pflegte in seiner Brüdergemeinde eine von dem
öffentlichen Bekenntnis der Kirche vielfach abweichende, aber
lebendige evangelische Frömmigkeit. Wie stand es in Frank-
furt a. M., dem Geburtsort Goethes?
Frankfurt galt damals noch als Hort lutherischer Recht-
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1893.
Goethes religiöse Entwicklung.
109
gläubigkeit; aber diese war fast völlig zu toter Orthodoxie er-
starrt, und gleichzeitig drang der Deismus ein, der seine Lehren
unter dem Deckmantel der kirchlichen Autorität um so besser
verbreiten konnte. Kein Wunder, dafs sich der junge Goethe
von dieser Art von Religion abgestoßen fühlte. Eine Zeit lang
bewährte sich noch der Einflufs der häuslichen Sitte. Der Knabe
ward durch den ernsten, streng kirchlichen Vater und durch die
gemütvolle heitere Mutter fromm erzogen. Er erzählt, wie er
sein kindliches Morgengebet knieend und mit gefalteten Händen
verrichtet habe. Aber frühe erwachten Zweifel in seiner Seele.
Als die entsetzlichen Nachrichten von dem Erdbeben von Lissabon
an sein Ohr drangen, da geriet sein Glaube an die Güte Gottes
gegen alle Menschen ins Wanken ; auch konnte ihm niemand auf
seine kindlichen Fragen eine befriedigende Antwort geben. Da
beschliefst eines Tages der 7jährige Knabe, sich auf seine Weise
„dem grofsen Gotte in der Natur" zu nähern und bringt ihm
auf dem schönen, pyramidalischen, mit allerhand Naturprodukten
ausgestatteten, von Räucherkerzen gekrönten Musikpulte seines
Vaters bei Sonnenaufgang jenes bekannte, rührende Morgen-
opfer dar.
Bald wird er mit der Bibel näher bekannt. Sein früh
erwachter, reger Forschungstrieb wirft sich zunächst auf das alto
Testament. Er liest im hebräischen Grundtexte die Geschichte
der Erzväter, und das Leben Josephs reizt ihn zum ersten
dichterischen Versuch. Ja, der 14jährige Knabe überrascht bald
nach seiner Konfirmation den erstaunten Vater mit einer umfang-
reichen Sammlung selbstgedichteter geistlicher Oden und Lieder.
Denn schon Klopstocks „Messias" hat seine Phantasie erfüllt und
begeistert ihn zu dem ersten bedeutenderen poetischen Versuch,
der die Überschrift trägt: „Die Höllenfahrt Christi". In diesem
Gedichte wird der Erlöser mit Klopstockschem Pathos, aber in
einer nicht ungewandten Sprache, als majestätischer Beherrscher
des Höllenreiches dargestellt.
Die durch Klopstock empfangenen religiösen Eindrücke
christlicher Art hätten auf der Universität Leipzig, die der
kaum 16jährige Knabe bezieht, durch den frommen Geliert
vertieft und ergänzt werden können. Aber die im Sinne der
Aufklärungszeit moralisch - verständige , dabei etwas weichlich-
sentimentale Weise dieses persönlich hochachtbaren, in jener
Zeit sehr einflufsreichen , doch nicht durchweg geschmackvollen
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110
Heinzelmann,
Heft 4 u. 5.
Vertreters des kirchlichen Christentums wirkte befremdend auf
den gesunden Sinn des jungen Goethe. Gleichzeitig verleidete
ihm nun sein sarkastischer Freund Behrisch durch herben Spott
die ungelenke Odenpoesie eines Kamler und verwandter Dichter
der Zopfzeit. Kurz, Goethe wandte sich von Geliert ab und
brach so zugleich mit dem gesamten religiösen wie ästhetischen
Ideal der Aufklärung, welche den Zweck des Dichtens in das
spiefsbUrgerliche Horazianische „Ergötzen und Nützen" setzte.
Es war das, sachlich angesehen, ein Vorteil für den künftigen
Dichter, aber im Augenblick persönlich ein sittlicher Schaden
für den Menschen Goethe. Denn indem er mit der gefeiertsten
Autorität jener Zeit brach, schwand ihm allmählich, wie er sagt,
alle Autorität, und er begann selbst an den gröfsten und besten
Männern zu zweifeln, ja zu verzweifeln.
Damit trat der Dichter ein in die Periode innerer Gärung,
aus der sich »ein eigener Standpunkt entwickeln sollte. Die
innere Aufregung in Verbindung mit seinen zerrissenen Studien
und seiner unregelmäßigen Diät stürzte ihn in eine gefährliche
Krankheit. Da wurde er durch seinen Freund Langer, den
späteren Nachfolger Lessings in Wolfenbüttel, auf eine eingehende
und zusammenhängende Beschäftigung mit der Bibel hingewiesen,
als das nächst dem Studium der Alten wichtigste Mittel höherer
Bildung. Kaum genesen, folgte der Dichter diesem Rate. „Mit
Gefühl und Enthusiasmus" las er, wie er sagt, das Neue Testament.
Da lernte er die Bibel zuerst als ein göttliches Buch verehren, als
ein Ganzes göttlicher Offenbarungen schätzen und liebgewinnen;
das Gespenst der Aufklärung lag hinter ihm. Die Kritik des
Rationalismus konnte ihm vor der Hand nichts mehr anhaben;
er durchschaute ihre wissenschaftlichen Mängel und — ihre
Unwahrheit. Diese Vorliebe für die heilige Schrift ist ihm
zeitlebens geblieben, sie ist ihm in seinem Leben wie in seinem
Dichten trefflich zu statten gekommen. Er würdigt in „Wahrheit
und Dichtung" die hohe Bedeutung der Bibel für seine gesamte
höhere Bildung folgendermafsen : „Ich für meine Person hatte
sie lieb und wert; denn fast ihr allein war ich meine sittliche
Bildung schuldig, und die Begebenheiten, die Lehren, die
Symbole, die Gleichnisse, alles hatte sich tief bei mir ein-
gedrückt und war auf die eine oder andere Weise wirksam
gewesen. Mir milstielen daher die ungerechten, spöttischen und
verdrehenden Angriffe."
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1893.
Goethe« religiöse Entwicklung.
III
Was Langer in Leipzig begonnen hatte, das war eine
Freundin der Mutter Goethes berufen fortzusetzen. Als der
junge Goethe im Jahre 1768 krank und mifsmutig, mit
der Liebe zur Bibel im Herzen und mit viel ungelösten
Zweifeln im Kopfe, nach Frankfurt zurückkehrte, trat er dem
oben erwähnten Kreise der in Frankfurt seit Speners Wirken
in dieser Stadt nicht ausgestorbenen „Stillen im Lande"
näher, welche, durch die dürre Moral des Rationalismus aus der
öffentlichen Kirche getrieben, christliche Gemeinschaft pflegten
auf Grund eines lebendigen, persönlichen Glaubens an Christum,
den Heiland. Goethe äufsert sich über sie: „Sie suchten sich
der Gottheit besonders durch Christum mehr zu nähern, als es
ihnen unter der Form der öffentlichen Religion möglich zu sein
schien. Die mehr oder weniger Abgesonderten — auch einige
Geistliche der Stadt neigten sich zu ihnen — waren immer die
Minderzahl; aber ihre Sinnesweise zog an durch Originalität,
Herzlichkeit, Beharren und Selbständigkeit." Besonders im
Handwerkerstande hatte diese Richtung Freunde, aber auch der
berühmte Jurist Friedrich Karl v. Moser, seit 1751 in Frankfurt,
ein Freund Hamanns, sowie der Legationsrat Moritz und andere
angesehene Männer der Stadt gehörten zu diesen „verbundenen
Christen".
Den Mittelpunkt dieses Kreises bildete Fräulein von
Kletten berg. Sie war durch aehwere Lebensschicksale zum
lebendigen Glauben an den Heiland geführt. Von Hause aus
ein flatterhaftes Weltkind ohne Ruhe und ohne Halt, hatte sie
den Frieden der Seele in der christlichen Religion gefunden.
Der Friede Gottes, der in dieser schönen Seele wohnte, wirkte
wie ein stiller, aber unwiderstehlicher Zauber auf ihre Um-
gebung. Auch auf Goethe verfehlte er seine Wirkung nicht.
Die Freundschaft mit Fräulein v. Klettenberg giebt dem unruhig
suchenden Jüngling in den nun beginnenden Jahren des Sturmes
und Dranges einen innern, gemütlichen Halt. Sie verbreitet
ihren stillen Glanz Uber die Jahre 1768—1773. Es ist die Zeit
der gröfsten Annäherung des Dichters an das positive Christen-
tum. Fräulein v. Klettenbcrg hatte den Gegenstand ihrer Für-
sorge an dem unruhig Zweifelnden gefunden und sagte ihm offen,
seine Unruhe komme daher, dafs er noch „keinen versöhnten
Gott habe". Von Hause aus tief religiös angelegt und in seinem
leidenden Zustande doppelt empfänglich, hoffte Goethe in der
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Heinzelmann,
Heft 4 u. 5.
Brüdergemeinde zu finden, was ihm die Kirche und das
Leben, auch das elterliche Haus nicht bot. Er besuchte die
geschlossenen Andachten mit dem Legationsrat Moritz in der
Frankfurt benachbarten Kolonie Marienborn und ward von leb-
hafter Zuneigung ergriffen. Denn einmal war es eine Reihe
trefflicher Männer, die er hier kennen lernte, sodann fesselte ihn
der poetische Zauber der Geschichte der Brüdergemeinde und
ihr Zurückgreifen auf die Zustände der Urkirche. Vor allem
aber gefiel ihm die herrschende Pflege des Religiösen in der
Form des Gefühls, der warmen Empfindung des Herzens im
Gegensatze zu der trockenen moralisch-verstandigen Behandlung
religiöser Dinge in der Kirche.
Das Herz des Dichters war gewonnen, aber das Gewissen
war nicht getroffen. Ihm widerstand, bei seiner durch die
herrschende Zeitrichtung begünstigten Ansicht von der an-
geborenen Güte der menschlichen Natur, die uugustinische Lehre
von dem natürlichen Verderben des Menschen durch die Sünde,
zu der sich auch die Brüdergemeinde bekannte. Goethe konnte
und mochte nicht glauben, dafs es mit der menschlichen Natur
so schlimm bestellt sei. Mit anerkennenswerter Offenheit spricht
er sich über diesen wichtigen Gegenstand selbst im 8. Buche
von „Wahrheit und Dichtung" aus. Er hielt sich zwar nicht
für fehlerfrei, aber im ganzen doch für gut und meinte daher,
für seine Person zur Not auch ohne einen Erlöser und Versöhner
vor Gott und Menschen bestehen zu können. Da ihm mithin
das auf die Erkenntnis der Sünde gegründete Bedürfnis eines
Heilandes fehlte, so können wir uns nicht wundern, dafs er den
entscheidenden Schritt der unbedingten persönlichen Hingabe an
Christus als an den alleinigen Heiland der Welt und auch
seinen Heiland nicht gethan hat.
Doch lag es in der Natur der Sache, dafs ein so gewaltiger,
reich begabter und zugleich religiös so angeregter Geist, wie
Goethe es war, das lebhafte Bedürfiiis empfand, dem Gegenstande
seines Glaubens auf dem Wege des W i s s e n s näher zu kommen.
Er benutzte dabei alle Hilfsmittel, die ihm geboten wurden. Sein
Blick füllt auf Arnolds „Kirchen- und Ketzergesehiehte". Als
Freund des Besonderen und Charakteristischen — und dieser
damals sehr ausgeprägte, echt romantische Zug seiner Natur
wirkte wohl auch bei seiner Hinneigung zu den Herrnbutern
mit — gewinnt er nunmehr ein lebhaftes Interesse an den von
1893.
Goethes religiöse Entwicklung.
113
der Kirche verurteilten Gnostikern, jenen Lehrern des
2. Jahrhunderts, welche das Christentum in ein religions-
philosophisches System zu bringen suchten, in dem orientalische
und griechische Ideen mit christlichen Vorstellungen verquickt
sind. Er liest und liest und baut sich selbst an der Hand der
Gnostiker ein religionsphilosophisches System auf, das er uns
am Ende des 8. Buches in seinen Grundzügen mitgeteilt hat In
diesem System spielt Lucifer eine ziemlich hervorragende, Christus
dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Der Gnosticismus hat
einen geheimen Zug zum Pantheismus. Diese Studien in
Verbindung mit gleichzeitiger Lesung alchymistischer Bücher,
wozu ein durch ein Geheimmittel gehobener Krankheitsanfall
die Veranlassung gab, rufen eine neue Revolution in seinem
Kopfe hervor und geben zugleich den ersten Anstofs zu seinem
„Faust". Die dürre Steppe des Deismus der Aufklärung hat er
verlassen. Nunmehr gerät er in das Fahrwasser des Pantheismus,
des mächtigsten Faktors der modernen Bildung.
Körperlich leidlich hergestellt, im Herzen herrnhutisch , mit
pantheistischen Ideen im Kopfe, bezieht er im Herbste 1770 die
Universität Strafsburg. Er ist durch Fräulein v. Klettenberg
an deren dortige Freunde empfohlen. Es waren Männer hallischer
Richtung, die mehr die sittliche Seite des Christentums, Bufse
und Heiligung, betonten, während Zinzendorf in der Brüder-
gemeinde mehr den Glauben an die in Christus geoffenbarte
Liebe Gottes hervorkehrte. Bis in den Sommer hinein ver-
nehmen wir Nachklänge des Frankfurter Lebens aus den Briefen
an seine Freundin; er geht regelmäfsig zum Abendmahl und
pflegt Gemeinschaft mit den dortigen Kreisen der „Stillen im
Lande". Aber bald machten sich andere Einflüsse geltend: er
lernte die Schriften Rousseaus kennen. Rousseau war ebenso
wenig wie Voltaire Atheist, er wollte sogar Theist sein ; er pries
die Schönheiten der Bibel, wenigstens einiger Abschnitte des
Neuen Testaments, und setzte das Wesen der Frömmigkeit in
das Gefühl; aber er erklärte sich entschieden gegen die Erb-
sünde, feierte die ursprüngliche Güte der menschlichen Natur
im Gegensatze zu der verderbten Gesellschaft jener Zeit und
setzte sich dadurch zugleich in Widerspruch mit dem kirchlichen
Dogma. Und gerade das gefiel dem jungen Goethe. 1 Er glaubte
nunmehr gegen den Pantheismus geschützt und doch zugleich
in seiner Hinneiguung zur Brüdergemeinde nicht beeinträchtigt
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114
Heinzelmann,
Heft 4 u. 5,
zu sein. Später hat er der Rousseauschen Weltanschauung in
seinem „Werther* ein bleibendes Denkmal gesetzt, aber ihr
zugleich nach ihrer sittlichen Seite in dem Schicksale dieses
liebenswürdigen Schwächlings den vollgültigsten Totenschein aus-
gestellt.
Wichtiger indes noch als diese Einwirkung Rousseaus wurde
fUr den jungen Goethe der Mann, welcher dem ungestümen
Sturm und Drang des durch die erhebenden Strafsburger Ein-
drücke mächtig angeregten, für alles Grofse und Schöne so warm
empfindenden Dichters erst die rechte Richtung geben und ihn
auch in religiösor Hinsicht weiter führen sollte. Herder (der
damals zum Zwecke einer Augenkur in Strafsburg weilte) hat
das Verdienst, eine zugleich wissenschaftliche und geistvolle
Betrachtung der heiligen Schrift angebahnt zu haben, in der
sich das religiöse Interesse mit dem litterarischen und poetischen
berührt, indem er den Inhalt der einzelnen biblischen Schriften
mehr als es bisher geschah aus dem Standpunkte und Geiste
des Altertums heraus entwickelte und einer Auffassung Bahn
brach, welche der persönlichen und schriftstellerischen Eigenart
der einzelnen Verfasser der biblischen Bücher mehr gerecht
wird. Mit dem Blick auf das Ganze verband er den auf das
Individuelle. Von dieser Seite aus lehrte er den jungen Goethe
die heilige Schrift würdigen und gab dadurch dem bereits durch
Shakespeare in ihm geweckten Sinne für das Charakteristische
die Richtung auf den höchsten Gegenstand. Besonders machte
er ihn auf die hohen poetischen Schönheiten des alten Testa-
mentes aufmerksam. Endlich wies er ihn auf die Schriften des
tiefsinnigen Hamann hin, dem Herder selbst die fruchtbarste
Anregung für seine Ansichten Uber die Bibel und über die
Volkspoesie zu verdanken hatte.
Die eingehende Beschäftigung mit diesem durch und durch
positiven, auf die Erkenntnis des Realen und geschichtlich Be-
stimmten in der göttlichen Heilsoffenbarung gerichteten Geistes
vollendete Goethes Abneigung gegen die geistlose Kritik des
Rationalismus. Ernstlich prüfte er nunmehr die einzelnen Bücher
der heiligen Schrift nach ihrer Wirkung auf sein Inneres, sein
Gemüt; durch diesen Begriff ward ihm, wie er sagt, die Bibel
erst recht zugänglich. Wollte sie ihm auch noch nicht als ein
Ganzes entgegentreten , so nahm er doch an den verschiedenen
Charakteren der einzelnen Bücher keinen Anstofs mehr.
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1893.
Goethes religiöse Entwicklung.
115
Nach Frankfurt zurückgekehrt legte er nun seine religiösen
Anschauungen in den von ihm mit seinem Schwager Schlosser
gegründeten „Frankfurter Gelehrtenanzeigen" und der theo-
logischen Abhandlung „Brief des Pastors N. N. an den Pastor
N. N." dar. Dort charakterisierte er seinen subjektiv-
religiösen Gefühlsstandpunkt gegenüber dem positiv-
evangelischen Bekenntnis und der Aufklärung. Hier setzt er
der heuchlerischen Toleranz der religiösen Gleichgültigkeit die
wahre Toleranz gegenüber, die aus dem christlichen Glauben
stammt. „Dieser Glaube,* sagt er, „ist das Empfinden der
göttlichen Liebe, die vor so viel hundert Jahren unter dem
Kamen Jesus Christus eine kleine Zeit als Mensch herumzog,
die sich in das Elend der Welt mischte und auch elend ward,
damit das Elend mit ihr herrlich gemacht werde." Dem Zweifel
an der künftigen Seligkeit der Heiden sucht er durch die Lehre
von der dereinstigen Wiederbringung Aller, d. h. von der
endlichen Seligkeit aller Menschen zu begegnen. Der letzte
Gedanke, übrigens auch von Zinzendorf und dem Fräulein
v. Klettenberg wie auch von Klopstock, aber auf dem Grunde
eines christlichen Optimismus vertreten, war bei Goethe zugleich
die notwendige Folge einer religiösen Weltbetrachtung, in welcher
das ästhetische Element das ethische beherrscht, die Rücksicht
auf das Gefühl die auf die sittliche Selbstbestimmung und
Selbstverantwortlichkeit des einzelnen Menschen überwiegt, und
wirft ein helles Schlaglicht auf den Schlufs des „Faust", von
dem der Dichter, wie er kurz vor seinem Tode erklärt, bereits
den Plan um diese Zeit festgestellt hat.
Als gärender Faust ging Goethe nach Wetzlar, mit dem
Gedanken an Lotte und Maximiliane kehrte er wieder zurück.
Kestner, Lottes Mann, schreibt: „Er strebt nach Wahrheit, hält
jedoch mehr vom Gefühl derselben als von ihrer Demonstration."
Im Frühjahr 1773 brach Goethe mit dem klettenbergschen Kreise.
Den Anstofs gab dazu ein Gespräch Uber die Sünde und den
Gegensatz von Natur und Gnade. Nun erst erkannte er die
Kluft, die ihn von diesem Kreise trennte. Ihm war, wie er sagt,
die Natur auch im Gegensatz zur Gnade „in ihrer Herrlichkeit
erschienen" ; in dem klassischen Gedichte „Der Wanderer* hatte
er ihr soeben ein Denkmal gesetzt. Er löste das Band. Nur
Fräulein von Klettenberg selbst hörte nicht auf zu hoffen, und
als Goethe sich scherzhaft ihr gegenüber als Heide bezeichnete,
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Heinzelmann,
Heft 4 U. 5,
sah sie das lieber, weil mehr Wahrheit darin sei, als in seiner
Anbequemung an die christliche Ausdrucksweise, welcher die
innere Überzeugung fehle. In gleichraäfsiger Freundlichkeit und
Milde begegnete sie ihm und schien nicht im mindesten um sein
Seelenheil besorgt zu sein. Im Dezember 1774 entschlief sie
sanft. Goethe widmete ihr in „Werthers Leiden" einen Nach-
ruf: „Ach, dafs die Freundin meiner Jugend dahin ist!" — läfst
er den Werther klagen — »Ach, dafs ich sie gekannt habe. Nie
werde ich sie vergessen, nie ihren festen Sinu und ihre göttliche
Duldung." In „Wilhelm Meisters Lehrjahren* setzte er ihr später
ein bleibendes Denkmal in den „Bekenntnissen einer schönen
Seele".
Mit der Lösung dieses Freundschaftsbandes durch den Tod
hatte das nähere persönliche Verhältnis Goethes zu diesem Kreise
seine Endschaft erreicht. Wie tief ea ihn damals angegangen
sein mufs, erkennen wir aus einer Äufserung an Eckermann
kurz vor seinem Tode, in der er sein Bedauern ausspricht, die
Beziehungen zu diesem Kreise nicht mehr gepflegt zu haben, da
sie ihm doch eine Zeit lang die Ruhe seiner Seele gegeben hätten.
An die Stelle jener Einwirkungen trat nunmehr der Philosoph
Spinoza. Von da an datiert seine bestimmtere Hinneigung
zum Pantheismus. Scheidet der Deismus Gott streng von
der Welt und die Welt von Gott, so begeht der Pantheismus
den entgegengesetzten Fehler, indem er Gott und Welt ineinander-
wirrt und die Persönlichkeit Gottes sowie die Willensfreiheit
des Menschen leugnet Alles Einzelne ist nichts als eine Er-
scheinungsform des Allgemeinen, des Alllebens, eine verschwindende
Welle im Meer. Goethe hat nie daran gedacht, sich als Mensch,
als sittliche Persönlichkeit, zum Pantheismus zu bekennen, als
solcher ist er durchaus Theist; aber auf seine Naturforschung
hat diese Denkweise einen bedeutenden Einflufs ausgeübt und
von da aus zu Zeiten, namentlich in der 2. Periode seines Denkens
und Dichtens, der klassisch-realistischen (1786—1805), auch seine
sittlichen und ästhetischen Anschauungen beherrscht. In der
3. Periode (1805—1832) entwindet er sich mehr und mehr den
Umstrickungen des gefährlichen Feindes. Wenn er sich aber
als Dichter und Denker pantheistisch äufsert, so liegt dieser
Äufserung meist eine gewisse Berechtigung durch den bewufsten
Gegensatz zu der unlebendigen, abstrakten und mechanischen
Weltbetrachtung des Deismus zu Grunde, welche ebenso dem
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1893.
Goethes religiöse Entwicklung.
117
universellen Denken wie dem persönlichen Empfinden des Dichters
widersprach.
Dem widerspruchsvollen Deismus, dem die Gottheit mttfsig
im Himmel thront und in epikureischer Selbstgenügsamkeit nicht
thätig und liebend in den Weltprozefs eingreifen kann oder will,
nicht dem echten , lebendigen Theismus, nach welchem Gott
Uber die Welt schlechthin erhaben in persönlicher Selbständigkeit
dieselbe nicht nur geschaffen hat, sondern sie auch lebendig all-
wirksam durchdringt und sie nach seinen Liebeszwecken leitet,
gilt das Gedicht „Prometheus"; nicht der wahre und lebendige
Gott des Theismus, nur der eingebildete Gott des Deismus wird
von dem Hohn und Spott des Titanen getroffen. Und bekennen
wir Christen uns zu einem Gotte, dor sich allüberall in Natur
und Menschenwelt offenbart und wirksam erweist mit seiner
„ewigen Kraft und Gottheit" und dabei doch ewig klar bewufst
in sich selbst ruht als persönlicher Quell alles Lebens, so können
wir es Goethe nur danken, wenn er energisch protestiert gegen
die unlebendige, mechanische Naturbetrachtung des Deismus mit
den bekannten herrlichen Worten:
Was wär' ein Gott, der nur von aufsen etiefse,
Im Kreis das AU am Finger laufen liefse!
Ihm ziemt», die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen,
So dafs, was in Ihm lebt und webt und ist,
Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermifst.
Wir können es ihm nur herzlieh danken, wenn er ferner
in so köstlicher Weise im Famulus Wagner die dürren Moralisten
auf Kanzel und Katheder gcgeilk-lt hat:
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
Sind unerquicklich, wie der Morgenwind,
Der herbstlich durch die dürren JUättcr säuselt.
Wir wollen es uns immer aufs neue merken:
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet'» nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkrÄftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt. —
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
Goethen war es heiliger Ernst mit seinem Dichten ; er schrieb
seine Werke mit seinem Herzblut, er beichtete auch die Schuld
seines Lebens, die aus der Überfülle »eines liebebedürftigen
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Heinaelmann,
Heft 4 u. 5.
Herzens hervorging, deren Grund er uns unverhüllt, wie z. B.
im „Werther" und „Tasso" in einem zeitweiligen Mangel an sitt-
licher Selbstbeherrschung angiebt und deren verderbliche Folgen
er uns nicht verschweigt. In der Überfülle des Gefühls
verkennt er zu Zeiten die heilige Grenze, den festen Unterschied
zwischen Gott und Mensch, Gut und Böse und wirrt Sinnliches
und Geistiges durcheinander, wie in dem bekannten pan-
theistischen Glaubensbekenntnisse des Faust an
Gretchen :
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub ihn.
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: Ich glaub ihn nicht?
Der Allumfasscr,
Der Allerhalter,
Fafst und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst? —
Erfüll davon dein Herz, so grofs es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
Gewif/s, das ist alles recht schön und gut, wie Gretchen sagt,
Wenn man's so hfirt, möcht's leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christentum.
„Gefühl ist alles." Wohl; das Gefühl besagt mehr als
der Vorstand fassen kann, und fromme Gefühle sind etwas
Köstliches. Aber, müssen wir entgegnen, nicht alle Gefühle sind
fromm; es ist ein grofser Unterschied zwischen sinnlichen und
sittlichen Gefühlen. Aus dem Herzen kommen gewifs sehr schöne,
reine, fromme Gefühle, nämlich wenn das Herz darnach ist,
fromm und roin; aber aus dem Herzen kommen bekanntlich
auch unreine Gefühle und arge Gedanken. Und welches Unheil
diese Gefühle und Gedanken in der Welt anrichten, nun, das
lernen wir am besten an Faust selbst.
So verbessert der Dichter Goethe nicht selten den Denker
Goethe; indem er uns das Gute wie das Böse an seinen Wir-
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1893.
Goethes religiöse Entwicklung.
119
kungen zeigt, wird er uns ein Führer zur wahren Selbsterkenntnis
und damit ein Führer zur Wahrheit aus Gott. Aber weder in
die Tiefen noch auf die Höhen des menschlichen Herzens konnte
er uns so als Dichter fuhren , wenn er sie nicht als Mensch
erlebt, erfahren hätte. Goethe selbst hatte ein gut Stück von
Faust und Werther in sich; er wandelte nicht selten an Abgründen,
und Lavater hatte Grund, an Herder zu schreiben: „Rette mir
Goethe, den Unvergleichlichen; doch Du kennst ihn, den furcht-
bar Erhabenen — Einzigen/
Aber er drang aus der Tiefe immer wieder siegreich in die
Höhe, wie als Denker, so als Mensch, damit er als Genius
imstande wäre, die Geheimnisse des Menschenherzens uns zu
deuten, des trotzigen und verzagten Herzens ebensowohl wie
der nach dem lebendigen Gott dürstenden, nach Gott geschaffenen
Seele. So erfährt er's in Weimar bald, nachdem er einige Wochen
in Saus und Braus unter Eitel- und Lustbarkeiten hingebracht
hat, dafs alle weltliche Lust nichts als glänzendes Elend ist und
wahrer Friede nur von oben kommt. Seine Gott entstammte
Seele seufzt in „Wanderers Nachtlied" :
Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist.
Doppelt mit Erquickung füllest,
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll alPder Schmerz und Lust?
Süfser Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!
So schreibt er unterm 12. Februar 1776 vom Hang des
Ettersberges an Frau von Stein. Und auf der Rückseite lesen
wir, von anderer Hand geschrieben, die Antwort auf diesen
Gebetsseufzer, von der frommen Mutter der Frau von Stein —
das Ja und Amen auf des Menschen Goethe tiefstes Sehnen, das
der Dichter ausspricht: „Den Frieden lasse ich euch, meinen
Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich, wie die Welt giebt Euer
Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht." Joh. 14, 27.
Gewifs, der Friedeftlrst hielt seine schützende Hand über
diesem wunderbaren Menseben, auch wo er an Abgründen wandelte,
und sandte ihm zur rechten Zeit, wie eine Fräulein von Kletten-
berg, so jetzt eine Frau von Stein. Sie gab dem unruhig
suchenden Herzen des pantheistisch angehauchten Stürmers und
Drängers eine Zeit lang Ruhe. Das Wertherfieber, der Faustes-
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Heinzelmann,
Heft 4 u* 5
drang, der Prometheustrotz lag hinter ihm. Es wird stille über
den Wassern, und „in dem See weiden ihr Antlitz alle Gestirne".
Erhabene, echt religiöse Stimmungen kommen Uber
ihn, als er zwei Jahre später mitten im Winter auf dem Brocken
ist — die Kuppe des Berges frei, von der Sonne beschienen,
hoch thronend über der in Wolken gehüllten Welt, wie ein Altar
des Herrn, einladend zum Preise des Schöpfers, da schreibt er
in sein Tagebuch: „Was ist der Mensch, dafs Du sein gedenkest!
— Was soll ich vom Herrn sagen mit Federspulen, was für ein
Lied soll ich von ihm singen, im Augenblick, wo mir alle Prosa
zur Poesie und alle Poesie zur Prosa wird?" Und nun stimmt
er seine Leier, greift voll in die Saiten und singt ein Lied zum
Preise des Herrn, jene Ode, die ihresgleichen nicht hat, „Harz-
reise im Winter". Das „Edel sei der Mensch, hilfreich und
gut" — er hat's bewährt aufs neue, wie sonst oft, durch Wohl-
thun in der Stille, indem er dem unglücklichen Plessing in
Wernigerode, dem Menschenfeind, Trost zusprach. Wie empfindet
er doch die Not dieses Unglücklichen wie seine eigene Not!
Aeh, wer heilet die Schmerzen
Des, dem Haisam zu Gift ward?
Der eich Menschenhaß
Aus der Fülle der Liehe trank?
Erat verachtet, nun ein Verächter,
Zehrt er heimlich auf
Seinen eignen Wert
In ungenügender Selbstsucht
Er betet für ihn:
Ist auf deinem Psalter,
Vater der Liebe, ein Ton
Seinem Ohre vernehmlich,
So erquicke sein Herz!
Offne den umwölkten Blick
Über die tausend Quellen
Neben dem Durstenden
In der Wüste.
Er denkt an die Gefahren seiner Winterreise, an die gnädige
Bewahrung, an den Dank, den er dem Schöpfer opfern durfte
auf dem Brockenaltar, und preist die schlitzende Nähe des Vaters
der Liebe, der ihn sicher leitete:
Mit der dämmernden Fackel
Leuchtest du ihm
Durch die Furten bei Nacht,
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1893.
Goethes , religiöse Entwicklang.
121
Ober grundlose Wege
Auf öden Gefilden;
Hit dem tausendfarbigen Morgen
Lachst du ins Herz ihm;
Mit dem beizenden Sturm
Trägst du ihn hoch empor;
Winterströme stürzen vom Felsen
In seine Psalmen,
Uud Altar des lieblichsten Danks
Wird ihm des gefürchteten Gipfels
Schneebehangener Scheitel,
Den mit Geisterreihen
Kränzten ahnende Völker.
Das ist der wahre Goethe, der hier zu uns redet, der
mit dem tiefmitftihlenden, frommen, deutschen und von Natur
doch christlichen Herzen — das ist unser Goethe; nicht
der herzlose Zweifler Faust, der allem Heiligen flucht und den
Frieden der Unschuld untergräbt. Das ist der wahre Goethe,
nicht der Titan Prometheus, der der Götter spottet im Bewufst-
sein eigener Kraft, sondernder, welcher in der Ode „Grenzen
der Menschheit" sich im demütigen Bewufstsein der eigenen
Schranken ehrfurchtsvoll vor der Gottheit beugt und anbetet in
frommer Scheu:
Wenn der uralte
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Über die Erde sa't,
Küss' ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust
Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Das ist der wahre Goethe, nicht der naturtrunkene Pantheist,
der über der Herrlichkeit des Lenzes den Meister aller Schöne
vergifst, sondern der fromme Theist, der sich durch des
Lenzes Pracht aufwärts an das Herz des Vaters im Himmel
ziehen läfst:
Hinauf! hinauf strebt's.
Es schweben die Wolken
Abwarte, die Wolken
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122
Heinzelmann,
Heft 4n5.
Neigen sich der sehnenden Liebe.
Mir! mir
In eurem Schofse
AufVärta!
Umfangend umfangen !
Aufwärts an deinen Busen,
Allliebender Vater!
Und das ist endlich auch der wahre Goethe, der aufrichtig
gegen sich selbst über den inneren sittlichen Zwiespalt
der Sünde im Herzen sich nicht durch Rousseau oder sonst
wen hinwegtäuschen läfst, noch sich selbst hinwegtäuscht, sondern
der in demütiger Beschämung bekennt:
Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brost,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine halt, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
Doch wer kann sie ausreden, die Herrlichkeit der Goethe-
schen Poesie, die lockende Stimme des Genius aus dem oberen
Heiligtum, der im Bunde, wenn auch im geheimen und unbewufsten,
mit dem christlichen Glauben, ahnend die Wahrheit aus Gott
bekennt, die ihm von oben ins offene Herz sich senkt, und den
Denker Goethe selbst zu Zeiten staunen macht!
Aber auch der Denker verharrt nicht immer im Irren, durch
manch bangen Zweifel dringt er zur Wahrheit. Die dritte
Periode der Entwicklung seines Lebens, die Periode der
Vollendung, in welcher an die Stelle Spinozas die Einwirkung
eines Kant und Leibnitz tritt, zeigt uns den Dichter auf der
Höhe seiner sittlich gereiften Weltanschauung, und hier
nimmt auch die Religion eine bedeutende Stellung ein. Davon
zum Sehlufs noch einige Andeutungen.
„Fruchtbare Thätigkeit," die der „Entfaltung der Eigenart"
ebensowohl wie dem „Nächsten in Liebe dient", und den Menschen
also „wahrhaft frei macht" — das ist des Lebens Ziel. So
hören wir's in den „Wanderjahren" :
Und dein Streben, sei's in Liebe,
Und dein Leben sei die That!
Thu deine Pflicht in deinem Beruf! Pflicht aber ist keine
äufscre sittliche Nötigung zur rechten That, sondern: Pflicht ist,
wo man liebt, was man sich selbst befiehlt. Nun reden zwar
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1893.
Goethes religiöse Entwicklung.
123
zwei Stimmen in unserer Brust; der Hang zur Sünde zieht uns
nach unten; aber es giebt nicht blofs eine Erbsünde, es giebt
auch eine Erbtugend. Davon zeugt das Gewissen in uns:
8ofort nun wende dich nach innen!
Das Centrum findest du da drinnen,
Woran kein Edler zweifeln mag;
Wirst keine Regel da vermissen,
Denn das selbständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.
Auf diese Stimme gilt's zu lauschen im Kampf des Lebens
und ihr unentwegt in dem beharrlichen Streben eines festen
Charakters zu folgen. Und wie gelangt man dahin, ein solcher
Charakter zu werden ? Durch die Religion. Die Frömmigkeit
ist Führer zur Sittlichkeit, Mittel, um durch die reinste Gemüts-
ruhe zur höchsten Kultur zu gelangen. Der T r i e b zur Religion,
das Bedürfnis gläubiger, völliger, dankbarer Hingabe ist tief ein-
gegraben in des Menschen Herz:
In unsres Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinem, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;
Wir heifeen's fromm sein.
Wesen der Frömmigkeit ist dankbare Hingabe des Herzens,
tiefe Ehrfurcht vor den Offenbarungen Gottes über
uns, neben uns, in uns und unter uns. Denn die Welt ist ein
Spiegel der Herrlichkeit des Schöpfers, wenn auch alles Ver-
gängliche nur ein Gleichnis des wahren, ewigen Seins ist; Natur
und Menschengeist sind ein Abglanz des Urlichtes. Mit Ehrfurcht
sollen wir daher jedem einzelnen Menschen begegnen, denn er
trägt Gottes Bild; mit Ehrfurcht vor allen den grofsen Genien,
den schöpferischen Geistern, denn ihre Gaben stammen von Gott.
Aber höher als das Talent steht die Sittlichkeit. Die göttliche
Offenbarung des höchsten Prinzips der Sittlichkeit verehrte Goethe
in der Person Christi: „Die Hoheit der Person Christi ist
so göttlicher Art, wie das Göttliche nur je auf Erden erschienen
ist." Die christliche Religion ist nach Goethe „ein mäch-
tiges Wesen für sich, woran sich die gesunkene und leidende
Menschheit von Zeit zu Zeit immer wieder emporgearbeitet hat!"
Sie ist erhaben über alle Philosophie und bedarf von ihr keiner
Stütze. Wie hoch er die Bibel stellt, wissen wir. Sie ist ihm
nicht nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker, das
9«
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124 Heinzelmann, Heft 4 U. 5.
wichtigste Mittel zur Erziehung der Menschheit.
Ihr gegenüber soll man keine Kritik üben, sondern aus ihr sich
aneignen, was man für seine sittliche Kultur und Stärkung ge-
brauchen kann. Sie wird allen Fortschritt menschlicher Kultur
überdauern. Die Evangelien sind ihm durchaus echt: denn
in ihnen schimmere und leuchte die sittliche Kultur des Christen-
tums; in ihnen sei „der Abglanz einer Hoheit göttlicher Art
wirksam, welcher von der Person Christi ausging/ Die gröfste
und segensreichste That Gottes im Verlauf der Geschichte der
Menschheit ist nächst dem Eintritt des Christentums in die Welt
die Reformation. Sie ist eine im höchsten Sinne befreiende
und kulturfördernde That, so recht eine That des deutschen
Volkes, dessen Wesen ist die persönliche Freiheit.
Die Zukunft der Menschheit, ihr letztes Ziel, ist ein
allumfassender sittlicher Weltbund, in welchem die Ehrfurcht vor
dem Göttlichen, Glaube und thatkräftige Liebe ihre volle Ver-
wirklichung gefunden hat.
Zuletzt wird es dahin kommen, dafs alles nur eins ist. Denn
„sobald man die reine Lehre und Liebe Christi, wie sie
ist, wird begriffen und in sich eingelebt haben, wird man sich
als Mensch grofs und frei fühlen.* „Auch werden wir alle nach
und nach aus einem Christentum des Glaubens und des Wortes
zu einem Christentum der Gesinnung und der That
kommen."
Ziehn wir einst im Engelchor,
Geht's nach einer Weise!
Dahin führt Goethe zuletzt seinen Faust ein — und der
Chor der Engel singt:
Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen:
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen;
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teilgenommen,
Begegnet ihm die eel'ge Schar
Mit herzlichem Willkommen.
„In diesen Versen," sagt Goethe am 6. Juni 1831 zu Ecker-
mann, „ist der Schlüssel zu Fausts Rettung enthalten: In Faust
selber eine immer höhere und reinere Thätigkeit bis ans Ende,
und von oben die ihm zu Hülfe kommende ewige Liebe. Bis
steht dieses mit unserer religiösen Vorstellung durchaus in Har-
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1893.
Goethes religiöse Entwicklung.
125
monie, nach welcher wir nicht blofs durch eigene Kraft selig
werden, sondern durch die hinzu kommende göttliche Gnade."
Blicken wir von hier aus zurück auf den im Vorstehenden
dargelegten Gang der religiösen Entwicklung Goethes und auf
die schliefslichen Ergebnisse seines Denkens und Forschens auf
dem religiös - sittlichen Gebiete, so dürfte zunächst soviel ein-
leuchten, dafs diejenigen, welche den grofsen Dichter zum klassi-
schen Vertreter einer religionslosen Sittlichkeit, einer auf die
eigene Kraft des Menschen gestellten Humanität stempeln
möchten, im Unrechte sind. Was er selbst in einem seiner letzten
Gespräche mit Eickermann ausdrücklich betont, dafs er das
Reinmenschliche nie im Sinne einer vom Übersinnlichen
losgelösten Sittlichkeit aufgefafst und verstanden habe, das wird
nicht blofs durch die erhabensten Erzeugnisse seines dichterischen
Genius — und wir erinnern noch besonders an den tief-religiösen
Gehalt der von uns hier absichtlich unberücksichtigt gelassenen
„Iphigenie", seines klassischen Epos „Hermann und Dorothea"
und jener wundervollen Erzählung aus seinen letzten Lebensjahren,
welche die Überschrift „Novelle" trägt — vollauf bestätigt, sondern
es wird auch durch eine unbefangene und zugleich umfassende
Betrachtung seines gesamten Lebens und Denkens aufser Frage
gestellt. Denn wer, wie Goethe, als Dichter dem religiösen
Element einen so breiten Spielraum in seinen Werken anweist,
und als Mensch den religiösen Fragen trotz aller Kämpfe,
Zweifel und Irrtümer mit so reger Teilnahme bis an sein Lebens-
ende zugewandt bleibt, der beweist damit zugleich, dafs ihm die
Religion nicht ein im Grunde überflüssiger und störender An-
hängsel des Lebens, nicht blofs ein Gegenstand rein wissenschaft-
lichen, kritischen Interesses oder auch ein nicht ganz wertloser,
nun einmal nicht zu entbehrender Schmuck des Lebens, nicht
blofs ein kräftiges Reizmittel zur Sittlichkeit ist; ihm ist die
Religion in Wahrheit Herzenssache, persönliche Ange-
legenheit des innern Lebens, der erkennt in der Religion
ein selbständiges Lebenselement der menschlichen Natur, ja die
höchste Angelegenheit der Menschheit und hat damit
trotz aller begrifflichen Schwankungen den unzureichenden Stand-
punkt eines mehr intellektuell, ästhetisch oder ethisch gefärbten
Rationalismus grundsätzlich verlassen.
Aber wir müssen noch einen Schritt weitergehen. Die in
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126 Heinzelmann, Goethes religiöse Entwicklung. Heft 4 U. 5.
den Grundzügen dargelegte theistische Weltanschauung,
welche sich der Dichter in seiner dritten, ethisch - praktischen
Lebensperiode, der Periode der Vollendung, im Gegensatze zu
dem von ihm erfolgreich bekämpften Deismus, wie zu dem von
ihm sittlich immermehr überwundenen Pantheismus an der Hand
von Kant und Leibniz herausgearbeitet hat, trägt auf Schritt
und Tritt so unverkennbar die Einwirkungen des christlichen
Geistes an sich und tritt zuletzt so warm für das Christentum
selbst als die gewaltigste Kulturmacht und das höchste Prinzip
der Sittlichkeit in die Schranken, dafs wir ihr das Prädikat
einer echt christlichen Denkweise nun und nimmermehr
versagen können. Und wenn wir auch gern zugestehen wollen,
dafs seine religiös- sittliche Weltanschauung schwerlich in den
engen Rahmen irgend eines besonderen kirchlichen Bekenntnisses
passen möchte, so müssen wir doch einerseits dem Dichter selbst
ein volles Recht zugestehen, denen gegenüber, welche ihn einen
Heiden nannten, sich offen als einen Christen zu bekennen,
und dürfen andererseits mit Genugthuung daraufhinweisen, dafs
das von ihm als letztes und höchstes Ziel der Menschheit
bezeichnete und angestrebte „Christentum der Gesinnung und
der Thata, das universelle und weitherzige Reichgottes-
Christentum der Bibel, d. h. das praktische Christentum
des Glaubens, der sich in der weltumfassenden Liebe kräftig
und wirksam erweist, wie zur Hebung und Linderung des Welt-
elends, so auch zur Förderung aller echt menschlichen Interessen,
zum Wachstum des Guten, Wahren, Schönen, alles Edlen und
Grofsen in der Welt, — verstehen wir recht — kein anderes
ist, als das, welches der ihm geistesverwandte und schon durch
das langjährige Interesse des Dichters für die Brüdergemeinde
und ihr praktisches Christentum so nahestehende Comenius
zu pflegen und zu verbreiten sich zur Aufgabe gemacht hat.
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Kleinere Mitteilungen.
Der Protest des Comenius gegen den Vorwurf,
er sei ein Sektierer, beleuchtet aus den Beziehungen
Andreäs zu Nürnberg.
Ein weiterer Beitrag zum Verständnis seines Lttnebnrger Briefs
O. Hadlaoh, Pfarrer in Zethlingen (Altmark).
Neben Ernst Ludwig Theodor Uenke ist der grofse Theologe
und Polyhistor A. Tholuck derjenige, welcher unter den Theo-
logen dieses Jahrhunderts sich am tiefsten in die Zeit des 17. Jahr-
hunderts versenkt hat, indem er lange Zeit hindurch seine
historischen Studien auf den Ursprung einerseits des Pietismus,
andererseits der Aufklärung und schliefslich des Rationalismus
richtete. Selbstverständlich hat Tholuck auch Uber Valentin Andreä
sein wohlbegründetes Urteil abgegeben. Er sagt (Lebenszeugen
der luth. Kirche, 1850, S. 332): „Andreä ist lutherisch-orthodox
— seiner Verwandtschaftspietat nach würde er schon als Enkel
eines Jakob Andreä nicht anders gekonnt haben. u Der im Jahre
1890 verstorbene Göttingor Kirchenhistoriker Wagenmann stimmt
Tholucks Urteil zu, wenn er in Herzogs Realencyklop., 2. Aufl.,
I., S. 394 noch hinzufügt: Andreä ist voll Antipathie gegen den
Calvinismus. Auch von Criegern hebt an mehreren Stellen hervor,
dafs Andreä mit vollem theologischen Bewufstsein der rechten
lutherischen Lehre zugethan gewesen ist 1). Dies Urteil erscheint,
wenn wir das Abhängigkeitsverhältnis des Comenius von Andreä
') Von neuesten Darstellungen des Lebenslanges V. Andreäs, welche
der 800jährige Geburtstag desselben hervorgerufen hat, ist aufser Glöcklers
Arbeit zu nennen: A. Landenberger : J. V. Andreä, ein schwäbischer Gottcs-
gelehrter, Bannen 1886, und P. Wurm: J. V. Andreä, ein Glaubenszeuge
aus der Zeit des 30jährigon Krieges, Calw 1887. Wir berücksichtigen diese
Arbeiten hier nicht, wen sie die historische Forschung über Hossbach und
Tholuck nicht hinausgeführt haben.
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128
Radluch,
Heft 4 u. 5.
ins Auge fassen, zunächst auffällig. Wir möchten den Valentin
Andreä, wenn wir zum erstenmal von Criegerns Urteil hören,
„dafs Comenius in allen Richtungen seines Geisteslebens von
Andreä einen befruchtenden Einflufs erfuhr", denjenigen
Lutheranern beigesellt denken, welche der milderen Melanch-
thonischen Richtung ergeben waren und mit den strengeren
Lutheranern im Streit lagen. Allein wenn wir Andreä in seinem
Lebenslauf rühmen hören, wie viel ihm der tägliche Umgang mit
dem Professor D. Hafenreffer, der auch seines Vaters und Grofs-
vaters Freund gewesen, in den Jahren 1612 und 13 in Tübingen
flir Geist und Herz ausgetragen hat, müssen wir uns schon vorher
sagen, dafs Andreä sich auch an Hafenreffer angeschlossen hat,
von dem Thomas Lansius in der Gedächtnisrede rühmt1), „dafs
er all sein Denken und Thun auf die Ausbreitung des reinen
orthodoxen Glaubens und auf das Heil und Wachstum des christ-
lichen Staats richtete, dafs er sehr oft das schreckliche Unheil,
welches über Deutschland kommen würde, mit Trauer und tiefen
Seufzern vorhersagte" und der vergeblich, wie wir hinzufügen,
vor Ausbruch des 30jährigen Krieges in der Schrift: „Friedbott
— oder ernstliche Erinnerung aufs Gottes Wort — dafs wir
Christen friedlieh und einig miteinander leben — und keiner den
andern mit Worten und Waffen freventlich verletzen solle, Frank-
furt 1613, Stettin 1615 und 1630 in 4oa seine Stimme erhob.
Wir müssen diese Bemerkungen vorausschicken, weil gerade
aus den Beziehungen Valentin Andreas zu Nürnberg, aus seiner
inneren Anteilnahme an den Kämpfen, welche sein Freund Johann
Saubert mit den „Sektierern" in Nürnberg einerseits, mit den
„Philippisten" andererseits zu bestehen hatte8), hervorgeht, dafs
Tholuck und Wagenmann und von Criegern Recht haben, wenn
sie sagen : Andreä ist lutherisch-orthodox. Aus den Beziehungen
Valentin Andreäs zu den Strafsburger Theologen, mit denen er
der Konkord ienformel anhing, kann dies noch greifbarer bewiesen
werden. Wichtiger ftir uns ist die Frage, welche Auffassung
hatte Comenius Uber die Stellung des Andreä zu den kirchlichen
und religiösen Fragen seiner Zeit? Ist er etwa in seiner Auf-
fassung, um in der Weise seines Lüneburger Briefs zu reden,
einem müfsigen Ohrenbläser gefolgt, wie er solches von Andreä
annehmen mufste, wenn dieser ihn wirklich für einen „Sectarius"
halten sollte? Nein, Comenius kannte Andreäs Stellung genau,
deshalb weist er mit besonderer Entrüstung den ihm unter-
geschobenen Angriff auf Luther ab. Deshalb erinnert er den
Andreä an die Streitigkeiten innerhalb der lutherischen und der
. ,
') Witten: Memor. theolog., Frankfurt a. M. 1674, S. 151.
•) Siehe Hossbach, Val. Andreä, S. 129. Andreäs Selbstbiographie,
heraugg. von Rhein wald, S. 221: „Sauberti mei luctam cum Philippophilis,
Apap satellitibu.H, qui nunquam Lutbero fidi, nunquain a cuniculis abstinentes,
inter molesta numeraverim."
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1893.
Der Protest des Comenius etc.
129
reformierten Scholastik, welche mehr für die Reinheit der Lehre,
als für die Reinheit des Lebens kämpfte, deshalb bezeichnet er
sich in seinem Briefe als einen Christen , der keinen irdischen
Lehrer anbetet, der aber dabei zugleich ein treues Glied der-
jenigen Kirche ist, welche ihre Gestalt 100 Jahre vor Luther und
Calvin, von Hufs erhalten hat und stellt sich gleichsam mit diesem
Bekenntnis dem Bekenntnis des Andrea : „Christianus mihi nomen,
Lutheranus cognomen" an die Seite.
Wie aber Comenius über seinen lieben Valentin, den er wie
einen Vater verehrte, nicht im Unklaren war, so mufste auch
Andreä den Bischof der böhmischen Brüder kennen. Und bei
welcher Gelegenheit sollte Comenius dem Andreä gegenüber, wie
er aus Lüneburg schreibt, gegen den Vorwurf protestiert haben,
dafs er ein Sektierer sei? Nach unserer Auffassung weist diese
Stelle des Lüneburger Briefs nicht blofs auf einen früheren, ver-
loren gegangenen Brief des Comenius hin, sondern sie wird auch
verständlich aus den Nürnberger Streitigkeiten, die während der
Amtszeit Sauberts stattfanden, an welchen Andreä mit seinen
Freunden inneren Anteil nahmen. „Du verabscheust die Sekten
als Satans Werk", schreibt Comenius. Andreä hatte sich gewifs
dieses Ausdrucks in einem Briefe an Comenius bedient, schreibt
er doch z. B. an J. Schmidt in Strafsburg: „Längst wäre Nürn-
berg in einem Sektenchaos, ja im calvinistischen Kothe unter-
gegangen, hätte nicht der Eifer der geistlichen Oberhirten es
noch erhalten 1).tt
Mit welcher Teilnahrae Valentin Andreä das Amtsleben seines
Freundes Joh. Saubert in Nürnberg, seine fortgesetzten Kämpfe
für die Reinheit lutherischer Lehre sowohl als ftlr die Reinheit
lutherischen Lebens, seine Korrespondenzen mit gleichgesinnten
Freunden wie: Gerhard, Höe, Höppfner in Leipzig, Meyfart,
Daniel Dilger in Danzig, Kefsler in Schweinfurt, J. Schmid in
Strafsburg, Schleupner in Hof, Walther in Celle, Hirsch in Eis-
leben, Meisner in Wittenberg, Lälius in Ansbach und Joh. Schröder
in Rostock verfolgte, ist schon aus der von Valentin Andreä nach
Sauberts Tode verfafsten Schrift: Umbra Sauberti, 1647, zu er-
kennen und mufs besonders aus Ep. ad Saubertum cod. ms.
Hamb, weiter erforscht werden.
Aus den Visitationsakten von 1669 in der Nürnberger Stadt-
bibliothek ist zu ersehen, welcher Art die „Sectarii" in Nürnberg
waren. Saubert bezeichnet sie als Weigelianer. Tholuck sagt:
„Es sind Separatisten aus redlichem Mifsmut Uber die Verderbnis
der Kirche, andere mit latudinarischen Ansichten über Abend-
mahl, Beichte und andere Dogmen." Sie waren nicht plötz-
lich aufgetreten. Theophrastus Paracelsus und Lautensack,
ersterer noch ein Zeitgenosse Luthers, besonders aber ValentinWeigel
l) Ep. ad J. Schmid, IL, cod. ms. Hmb., citiert he\ Tholuck.
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130
Rml lach,
Heft 4 u. 5.
gehörten zu ihren geistlichen Vätern1). In der Halleschen Uni-
versitätsbibliothek befindet sich in zwei Bänden eine Sammlung
nürnbergischer kirchlicher Dokumente von dem Nürnberger Senior
Joh. Fabricius zusammengetragen. Aus diesen Dokumenten ist
zu ersehen, dafs allem Anschein nach auch Mennoniten aus Holland
in Nürnberg sich befanden, welche in der deutschen Kauftnanns-
stadt ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten. Auch gegen diese
richtete sich der Streit Sauberts. Die Anschauung, welche sie
vertreten, ist aus der Erklärung eines gewissen Van der Houven
zu ersehen. Dieser erklärte bei einer Vorladung vor dem
Ministerium: Er habe mit der Augustana nichts zu thun, da sie
nur verdamme, er aber niemanden verdamme. Den Katechismus
habe er schon vor 40 Jahren auswendig gelernt, könne aber sein
Christentum darauf nicht genugsam gründen ; im Neuen Testament
finde er einen weit gröfseren Schatz, daraus er sich erbaue.
Andreä in der Umbra Sauberti bezeichnet diese Gegner folgender-
mafsen: „In bis facile familiam ducunt qui a Wigelio nomen
habent, monstrosae ac plane Chyraieae sive fumivendae sectae
asseclae: Ex Photinianis, Flaccianis, Puritanis, Swenckfeldianis,
Catabaptistis aliisque hujus farinae faecibus congestae, Lutheranis
potissimum infcstae."
Die andere Seite des Kampfes war gegen die mildere luthe-
rische Richtung, die sogenannte philippistische, gerichtet. Diese
Richtung repräsentierte schon im Reformationsjahrhundert den
eigentlichen Charakter der Nürnberger Kirche. Der oben ge-
nannte Senior Johann Fabricius gehörte zu derselben Familie,
deren Vorfahren schon durch vier Generationen der gemäfsigt
melanchthonischen Richtung gedient hatten und deren Stammvater
Joh. Fabricius mit Philipp Melanchthon befreundet gewesen war2).
Als die Nürnberger im Jahre 1624 dem Georg Calixt eine
Professur in Altdorf antrugen, konnten sie deshalb mit Recht
schreiben: „Ecclesiae Ditionis Reipublicae Norib. neque Calvini
doctrinam neque Formulae concordiae placita nonnullis in locis
cum scriptis D. M. Lutberi et Phil. Melanthonis p. m. minus
convenientia hactenus amplexae sunt8)."
Wenn nun aber Andreä seinen Freund Saubert auch in dem
Kampfe nach dieser Seite hin unterstützt und z. B. an J. Schmid
schreibt: „In Nürnberg herrschte einst Philippus, und Luther
wurde ausgeschlossen. Nach heftigen Kämpfen ist Luther endlich
angenommen, obwohl bei den Mächtigen sich Philippus noch
immer im Hintergrunde versteckt halt. Ich bitte Euch, kommt
dem bedrängten Luther, an den sich die philippistischen Mause
machen, zu Hülfe, richtet wenigstens den Mut unseres Saubert
auf ;u wenn er ferner den Pfarrer an der Sebalduskirche in Nürn-
1) Dorner: Geschichte der protest. Theologie, München 1867, 8.601.
*) Herzog» Realenevklop., 2. Aufl., IV., S. 4S2.
*) Georg Calixtus' Briefwechsel, herausgegeben von Henke, Halle
1833, S. 18.
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1893.
Der Protest des Comenius etc.
131
berg, mit dem ihn die engsten Familienbande umschlossen, da
sein Sohn Gottlieb Sauberts Tochter Barbara geheiratet hatte,
in der Umbra Sauberti als ein exemplum doctrinae Orthodoxae
rühmend hinstellt, kann da noeh ein Zweifel übrig bleiben,
welcher kirchlichen Richtung Valentin AndreÄ angehörte?
Andrea war lutherisch-orthodox im eminenten Sinne. Und
wenn von Criegcrn den AndreÄ und den Comenius als mystisch-
praktisch bezeichnet, so hat Andrea sich gegenüber der Vernach-
lässigung des Gemüts, welche eine Folge des ausgeprägten Forma-
lismus und des Ausschlusses des subjektiven Faktors bei dem
Ausbau der späteren lutherischen Theologie war und ihr die
Wärme und Lebendigkeit nahm, mit Bcwulstsein zu Luthers
Standpunkt zurückgewendet, dessen mystischer und theosophischer
Zug bei seinen Epigonen verloren gegangen war1).
Nicht auf dogmatischem Gebiet ist die Übereinstimmung des
Andreä und des Comenius zu suchen, denn deutlicher kann sich
Comenius darüber nicht aussprechen, als er es in dem Lüne-
burger Brief gethan hat, sondern auf dem ethischen. Wenn
Kleinert von dem Pädagogen Comenius sagt, dafs der ethische
Standpunkt für ihn der dominierende ist*) und dies ebenso von
dem Pädagogen Andreä gilt, dann müssen wir diesen Standpunkt
auch bei den Theologen Andreä und Comenius als den dominie-
renden bezeichnen. Die Theologie beider ist auf die Weltaufgabe
>) Aus einer Stelle in Valentin Andreas Theophil us 1649, pg. 5,
7, 88, welche zugleich beweist, dafs Comeniua dem Andreä in seinem Lüne-
bnrger Brief nicht etwas Neues schrieb, wenn er ihn an die Streitigkeiten
erinnerte, Bondem nur bekannte Thatsachen andeutete, über welche Andreä
dieselben Ansichten wie Comenius hatte, geht dies besonders hervor.
Andreä in seinem Theophilus klagt und warnt: „Religio exspirarc penitus
videtur .... Multa sunt, quae possint ad Lutheri inentem tnstitutionem-
que revocari, quae temporum vitio paulatim obsolescunt. Duo oinnium
maxime renovatk vel repetita exoptarem. Unum, ut ad verbi divini regulam
et conscientiae normam vel leges vel rationes politicac magis adoptarentur,
majorque harmonia divini humanique instituti couspiecretur . . . Altcrum,
ut non tantum de publica verbi divini annunciationc, verum etiam privata
singulorum institutione recte curanda major esset solicitudo, quae et praedi-
cationi aptiores et ridei certiores omninoque Christianae religionis magis
erudito» redderet . . . Dolendum, id Semper agere Satanam. ut ubi vita
lncet, doctrina caliget, ubi doctrina pura, vita sordcat . . . Christiana dis>
eiplina, cui serio omnes omnis ordinis nominea animum addiecre et ineumbere
ei quoquo studio et cura decet. Fieri hoc possc ausim sperare, si idem
zelus emendationis vitae, qui Konsensus olim et concordiae inter Evangelicos
sanciendae ecclesiae proceres acceuderet" Andere Citate au» dem Theo-
philus siehe bei von Criegcrn, S. 342, wo von Criegern den wichtigen Zu-
satz macht: Andreä katechisiert aus seinem Eusebius alle Lehrsätze der
lutherischen Dogmatik heraus in einer den Freund der lutherischen Kirche
fast peinlich berührenden Weise, denn man nimmt gar zu sehr die Absicht-
licbkcit wahr. Es soll eben eine Verwahrung gegen jede Heterodoxie sein.
In ähnlicher Weise hat auch Comenius sich wegen seiner pansophischen
Bestrebungen seiner Kirche gegenüber rechtfertigen müssen.
*) Herzogs Realencyklop., 2. Aufl., Band III.
über die rechte Lehre und an di
lnde Sorge für das rechte Leben
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132
Radlach,
Heft 4 u. 5.
des Christentums gerichtet, wie die Ethik sie verzeichnet. Der
Theologie des Andreä und des Comenius ist die Pädagogik der-
selben entsprossen wie Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus
in voller Rüstung und mit einem Speere bewaffnet hervorging.
Ein weiteres Licht zur Erklärung der Beziehungen des
Andreä zu Comenius, zum Verständnis der Liebe, mit welcher
beide einander zugethan waren, so dafs das Herz des Comenius,
des Hirten der vertriebenen mährischen Brüder, mit dem Herzen
des Andreä, des schwäbischen Hofpredigers, zusammenschlug wie
das des bethlehemitischen Hirten David und das des Königs-
sohnes Jonathan, giebt uns ein Blick auf die österreichischen
Exulanten in Nürnberg. Dafs Andreä mit Nürnberg in Be-
ziehung trat, mufs uns um so weniger auffällig sein, als Nürnberg,
wie Andreä in der Umbra Sauberti sagt, in damaliger Zeit die
Wonne des deutschen Reichs und das Auge unter den bedeuten-
deren Städten war1). „Nürnberg war nicht blofs ein Handels-
Slatz ersten Ranges, neben dem Wohnsitz des Mercur Wohnsitz
er Pallas und schon seit einer langen Reihe von Jahren der
Sammelplatz hervorragender Männer, sondern es war auch ein
Asyl und eine vornehme und willkommene Herberge für die,
welche um ihres Glaubens willen verbannt worden waren." Wie
für viele alte Städte Deutschlands, wie z. B. Ulm, wo nach W.
Gröfslers Angabe das dortige Münsterarchiv die noch nicht aus-
geschöpften Quellen verborgen hält, so hat für das kirchliche
und für das bürgerliche Leben Nürnbergs die Aufnahme der aus
den österreichischen Staaten um ihres Glaubens willen Verbannten
den gröfsten Segen gebracht2). Eine ähnliche Bedeutung, welche
die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts um ihres Glaubens
willen vertriebenen Franzosen für Berlin hatten, hatten in der
ersten Hälfte des Jahrhunderts, in der Zeit wirtschaftlichen
Niedergangs, für Nürnberg die Bekenner des evangelisch-lutheri-
schen Glaubens, welche aus den habsburgischen Erblanden,
namentlich Steyermark, unter Ferdinand II. im Jahre 1629 in
Nürnberg ein Asyl fanden. Während man im allgemeinen in
damaliger Zeit auf protestantischer Seite nicht toleranter war als
auf katholischer Seite, so hatten doch auch in Nürnberg vier-
hundert evangelisch - reformierte Christen ihre Herberge auf-
schlagen dürfen. Auf ihren ausgedehnten Handelsreisen hatten
die Nürnberger lutherischen Kaufherren auch andere Bekennt-
nisse verstehen und dulden gelernt. Was Amsterdam damals im
') Illustris Noriberga, orbis Germani deliciac et insigniorum urbium
ocellus ... Est enim illustris Noriberga non tarn primae notac emporium
et Mercurii iuxta l'alladisque sedes, quam Heroum jam a longa aunorum
serie atriam, sed et Christi Exuluui asylum et hospitium nobflissimum et
percommoduni.
*) In dem „Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit4*, 18ö">, befindet
»ich ein beachtenswerter Aufsatz, welchen uuch Tholuck citiert hat, »über
die österreichischen Exulanten in Nürnberg**.
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1893.
Der Protest des Comenius etc.
133
vollen Sinne schon übte, das bahnte sich in Nürnberg an: der
Qedanke der Toleranz, die Bejahung der von dem Rostocker
Professor Job. Tarnow im Jahre 161$ aufgeworfenen Frage: An
in republica christiana a magistratu politico salva conscientia
plures quam una tolerari queant religiones.
Und in welchem äußerlichen Zustande haben wir uns die
Nürnberger Exulanten vorzustellen ? Es waren nicht blofs Pastoren,
welche mit Kindern und Büchern Nürnberg aufgesucht hatten
und zwar in solcher Zahl, dafs z. B. bei einer Beerdigung einer
gewissen Elisabeth Kraus 39 exilierte Geistliche der Leiche
folgten, auch viele von dem hohen Adel Österreichs hatten ihrem
Vaterlande den Rücken gekehrt Während die Angehörigen der
tschechischen Nation sich mehr den Ländern polnischer Zunge
zuwandten und zum Teil auf den Besitzungen des edlen Grafen-
hauses der Leszcynski und besonders auf deren Hauptsitz Lissa
sich niederliefsen, wo der Wohlstand sich so hob, dafs 1637 im
Juni der Grundstein zum Bau eines grofsen Rathauses gelegt
werden konnte, sehen wir einen grofsen Teil von den tapferen
und glaubensstarken Nachkommen der Männer, welchen Luther
einst eine seiner Hauptschriften gewidmet hatte: „An den christ-
lichen Adel deutscher Nation, von des christlichen Standes Besse-
rung", sich nach Nürnberg wenden. Folgende Namen vertriebener
österreichischer Adelsfamuien , welche in Nürnberg sich nieder-
gelassen hatten, werden von Tholuck genannt: von Dachsberg,
Dietrichstein, Heberstein, Hostelsberg, Jörger, Khevenhüller,
Leiningen, Liechtenberg, Prank, Praunfalk, Rauchenberg, Rägk-
nitz, Stubenberg, Teuffenbach, Welz, Windischgrätz, Zinzendorf.
Valentin Andreä nennt 65 verschiedene Familiennamen und be-
weist dadurch, wie genau er den Kreis der Nürnberger Exilierten
kannte. Die Angehörigen des österreichischen Adels hatten längere
Zeit ihr endliches Schicksal vorausgesehen, ihre Güter veräußert
und ihre Gelder nach Nürnberg mitgebracht, wo sie ansehnliche
Gebäude und Güter erwarben und bedeutende Schutzgelder
zahlten. So gab z. B. Graf Heinrich von Zinzendorf für ein
Halbjahr 500 Goldgulden, Freiherr von Windischgrätz für die-
selbe Zeit 600 Reicnsthaler.
Was Lissa in Polen, das zu einem Haupthandelsplatz für
den Verkehr nach Preufsen und den Ostseeprovinzen sich heraus*
bildete, auf der einen Seite der Länder war, in welchen Ferdinand II,,
der Sohn der Jesuiten, seinen Scepter führte, das war auf der
anderen Seite in Mittelfranken Nürnberg. Zwischen beiden
8ütdten war nicht blofs äufserer Handelsverkehr, es fand auch
ein reger Austausch der litterarischen Erzeugnisse statt. Liefsen
doch z. B. die Hinterbliebenen des in Lissa verstorbenen Dichters
Johann Heermann alle ungedruckten Werke, welche dieser Poly-
histor hinterlassen hatte, und es sind deren nicht wenige, bei den
Gebrüdern Endter in Nürnberg erscheinen. Und wenn wir bei
Joh. Heennann: „ Sechserlei Sonntagsandachten, Lissa bei Funke
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134
Rad lach,
Heft 4-u. 5.
1G42" einem reichen berühmten Kaufmann Thomas Brun aus
Frankfurt a. M. begegnen, der auf seiner Reise öfter bei Joh.
Heermann in Lissa einkehrt, ihn tröstet und bedeutende Gaben
«um Bau der Kreuzkirche für die vertriebenen Schlesier nach
Lissa bringt, sollte dieser Kaufmann bei seinen Reisen von Frank-
furt a. M. nach Lissa durch Nürnberg gekommen sein, ohne auch
hier auf die köstlichste aller Perlen hinzuweisen, welche die Ver-
bannten nicht blofs nach Nürnberg, sondern auch nach Lissa
mitgebracht hatten?
Bei seinem Aufenthalt in Nürnberg lernte Andreä den Kreis
der Exulanten kennen, trat zu ihnen in nähere Beziehungen und
gewann zweifelsohne auch aus ihren Schilderungen ein Ver-
ständnis ftlr die Lage des Comenius und der Brüderkirche. In
der „Umbra Saul>ertiu hebt Andrea die Beziehungen Sauberts
zu dem österreichischen Baron von Rägknitz hervor, den er be-
sonders rühmt. Dies war allem Anschein nach für Tholuck die
Veranlassung, auch den Baron Gallus von Rägknitz unter seine
„Lebenszeugen der lutherischen Kirche vor und während des
dreifsigjährigen Krieges* aufzunehmen. Auf Grund einer Leichen-
rede und der Nachrichten, welche in dem standesherrlichen Archiv
des Grafen von Giech in Thurnau sich befinden, weist Tholuck
in dem Lebensbilde des steyrischen Exulanten Gallus von Rägknitz,
der ein sehr wohlhabender Mann und Besitzer eine« ansehnlichen
Hauses und Gartens in Nürnberg war, darauf hin, dafs zwischen
diesem Exulanten und Andreä ein besonders nahes und inniges
Verhältnis bestand. Die Söhne des Barons statteten Andreä auch
in Stuttgart Besuche ab.
Zu diesem Exulantenkreise gehörte auch ein Altersgenosse
der Söhne des eben genannten Gallus von Rägknitz, Justinianus
von Weltz, der Vorkämpfer der lutherischen Hoidenmission,
welcher im Anschlufs an die Schriften Andreäs : Invitatio fraterni-
tatis Christi ad sacri amoris eandidatös, Argentorati 1626, und
Invitationis ad fraternitatem Christi pars altera, Argentorati 1628,
seinen „Vorschlag zu einer Christerbaulichen Jesusgesellschaft,
behandelnd die Besserung des Christentums und Bekehrung des
Heidentums" schrieb1).
Es wird einem anderen Kapitel angehören, darzulegen, wie
bei Comenius die Missionsgedanken, sein Verlangen, das Licht
des Evangeliums in die Heidenwelt hinauszutrager., hindurch-
klingt und auch an nicht wenigen Orten deutlich ausgesprochen
wird. Wie das Schiff, welches den ersten Missionar der Heiden-
welt an die Gestade der heidnischen Hauptstadt d«'s alten Römer-
reichs trug, das Panier der Zwillinge, den Castor und Pollux,
hatte (Apostelgeschichte 28, 11), so sind im Lichte der neueren
Missionsgeschichte Andreä und Comenius das Panier des Schiffs,
>) Siehe W. Grössel: Justinian von Weltz, Leipzig 1891, 8. 34 und
S. 184.
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1893.
Der Protest de» Comeniua etc.
135
zu dessen Ausrüstung Georg Calixt, als er am 19. Mai 1629,
wenige Tage nach dem Frieden zu Lübeck, da« Prorektorat der
Univeraitä Helmstädt zum erstenmal übernahm, durch seine Antritts-
rede „über die Bekehrung der Nichtchristen" das Signal gab,
in welches Justinian von Weltz als Steuermann eintrat, der in
Holland den Breckling, der sich an Taulera, Luthers und Valentin
Andreäs Schriften genährt hatte, in seine „Jesusgesellschaft" auf-
nahm, welcher wieder Aug. Herrn. Francke, den grofsen Pädagogen
und Begründer der ostindischen Mission, zum Einsteigen und
Mitfahren einlud. Ebenso müssen die Missionsbestrebungen
Petersens in Lüneburg, welche wir in unserer ersten Abhandlung
angedeutet haben, in diesen Kreis eingeschlossen werden. Und
als nun der Enkel des Comenius, der Mitbegründer der Akademie
der Wissenschaften in Berlin, Daniel Ernst Jablonsky gemeinsam
mit Leibnitz in den Stiftungsbrief dieser Akademie die Missions-
aufgabe, Math. 28, 19—20, mit aufnahm, sollten nicht die Missions-
gedanken des Freiherrn von Leibnitz auf die Befruchtung durch
Comenius hinweisen, der, angeregt durch Andreä und den Fuls-
stapfen desselben folgend, auch in diesem Punkte Andreä gegen-
über gegen den Vorwurf protestieren konnte, dafs er ein Sek-
tierer sei1)?
Gerade die heifse Liebe und unverbrüchliche Treue des der
Herde bestellten Hirten, der einige Jahre später in dem „Testa-
ment der sterbenden Mutter", als die Gemeinde in Lissa den
Katholiken ihre Kirche aushändigen mufste, die Weisung giebt,
sich den bestehenden evangelischen kirchlichen Gemeinschaften
mit willigem Dienst anzuschliefsen und „der Stadt Bestes zu
suchen" ; die Weite des Blicks, der bei Comenius und bei Andreä
die Fermentierung der Menschheit durch das Christentum all-
seitig fordert; das Bestreben, die persönliche Frömmigkeit nicht
zu etwas Isoliertem werden zu lassen und des ethischen Geistes
voll, der allein aus dem Glauben geboren wird, als treuer Sohn
seiner Kirche die sittlichen Aufgaben derselben zu erfüllen, das
Kulturleben zu reinigen und innerlich zu weihen, der Humanität
die Bahnen zu öfraen, ist der Grund, dafs Comenius von sich
sagen durfte, er sei kein Sektierer2).
') Das Hauptthema der Korrespondenz zwischen Aug. H. Francke und
Leibnitz in den Jahren 1697—1714 bildet die Heidenmission. Siehe:
Guhrauer, Freiherr von Leibnitz. Berlin 1846. Plath: Die Missions-
gedanken des Freiherrn von Leibnitz, Berlin 1869. Über die Abhängig-
keit des Leibnitz von Comenius nach einer anderen Richtung. Siehe:
1). P. Kleinert, Zur christlichen Kultus- uud Kulturgeschichte, Berlin
1889, S. 301.
') Über die Stichworte „cultura und hnmanttas" bei Comenius siehe:
D. P. Kleiner ts Abhandlung in den „Studien und Kritiken", 1878, S. 33.
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Quellen und Forschungen
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Kvacsala in Pressburg.
(Fortaetiang.)
IV. Die Zeit in Elbing.
1.
Anno 1642 contigit me peregre esse, et per dies aliquot
cum Nobilibus Polonis quinquc conversari. Quorum cum tres
Euangelici essent (Adam Suchodolski et duo Reczicii) duo So-
ciniani (Lubienietski et Wiszowaty) variorum discursuum occasio
fuit Tandem illi de migrando in minorem Poloniam mecum
agere, ingentibus promissis allicere, fidemaue suam (de annuo
lautissimo stipendio) chirographi cautione ooligare: maxime hic
occupato Wiszowaty. Quod ut frustra esse vidit, manui meae
inter valedicandum chartulam inseruit, cui Lucianicum quiddamr
et in religionem Christianam valde ludibriosum inscriptum fuit,
hoc sensu.
Vulgaris Theologiae hypotheses.
Dem condito primitus Eotnini praescripsit legem servatu
impossibilem. Quam cum transgressus esset, adeo implaeabüiter
illi fuit iratus, ut eum aeternis cruciatibus addiceret. Reversus
tarnen ad sef ut reo iüi parcere posset, in proprium Filium de-
saevüt, ob alienam culpam ittum ad mortem usque contundens :
eo fine , ut quisquis crederet ita esse actum, poneae relaxaätionem
aeeiperet. Haec annon cogitatu absurda, impia et in Deum plas-
hema sint, etiam atque etiam videndum. Scnedulam hanc multis
ostendi, satanica in salutis mysterium odia mecum mirantibus.
De Quaestione etc. p. 64. 65.
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1893. Zur Lebcnsgeachicbtc dea Comenius. 137
2.
1. Cum verö aliis quoque communicare vellet1), retractus est
peculiari Visione I Julii: eö quöd nondum tempus esset illa vul-
gandi (Rev. XIV. V. I, 2, 3). Deo judicia sua adhuc exercente
acriter (V. 4 ad 8). Mittenda tarnen illa esse ad J. A. C. confe-
renda cum aliis ab ore Uei profcetis &e. <fec. (V. 9. &c): cum
novis mandatis dePopulo poenitentiae serio admonendo (V. 14. &c.):
Scripturisque ab omnibus diligenter hoc tempore (& quare id,
V. 20) legendi». Rev. XIV.
2. Degebam ego tunc Elbingae Borussorum (ä Puchovia cen-
tum circiter miliaribus) omnium quae ibi fierent ignarissimus.
Fratres ergo melius de his persuasi (nominatim Paulus Hladik
Consenior, Vir timoris Dei plenus) parendura Oraculo rati Re-
velationes eatenus factas (numero XIV) transcribi curant, & ad
me niittunt, meum quoque requirentes judicium & consilium.
(NB. Quomodo schedae illae in alienas manus in Polonia inci-
dissent, servataeque tarnen sint, monui annotatiuneula ad Rev.
XVIII.)
3. Ego istis cognitis expavi, novarum turbarum metu. Priora
enim illa, Cotteriana et Poniatoviana, altö jam apud nos sepulta
erant silentiö: ut ä novo hoc emergente non post et non concuti
animus. Orabam tarnen Deum ut nos ne desereret: relegendoque
missa jam , quid facto videretur opus cogitabam , ne vel ingrati
reperiremur si Dei hoc esset opus, vel expositi ludibriis si secus.
4. Reseripsi deinde Fratribua, illorum circa examen hujus
rei tarn acre prüden tiam laudans, utque porro etiam saluti suae
invigilarent orans. Quantum ad publica» pi*ecea, paenitentiaeque
exercitia, cum illa per se placeant Deo Semper, praesentique nu-
miliationis nostra statui imprimis conveniant, posse tantö dili-
gentiüs institui : ut si divinitus horum admoneamur, ne reperiamur
immorigeri. Sed et si forte ab aliquo deceptionis spiritu ista ve-
niant, tanto magis fervidis orationibus esse opus, ut ne inducamur
in tentationem.
5. Enim verö nihil factum est, quantum ad publicas istaa
preces & jejunia: praevalente illorum consiliö, qui opus hoc si-
lentiö tegendum, & sie si posset exstinguendum, putabant
Lux e teu. III. p. 28.
3.
Relatum mihi fuit, Christinam Visiones suas revocare, op-
probrioque ducere, si quis in memoriam revocet. Ego veritatis
cognoscendae causa seorsum eam (etiam marito arbitro remoto,
ut liberius confitentem habere possem) alloquutus, exquisivi dili-
') seil. Drabicius.
Monktuhefle d«r C«menin»-0^*lUch»n. 1893. 10
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138 Kvacsala, Heft 4 u. 5.
genter. Respondit, Mirari sc, si talibus susurris fidem adhibcam:
aliter autem esse de me porsuasum. Verum esse quibusdam se
respondisse silentio, cum sciat ludibrii causa quaestiunculas mo-
veri etc. etc. Animadverti ergo illum immerito inconstantiae ar-
gui : quod magis etiam ex marito eius cognoscere fuit, qui qualia
inter se colloquia de spe Israelis instituere soleant, retulit
Lux e ten. IL p. 128.
4.
6. Ad historiam revertendo placuit Deo Christinam ad aetcr-
nas, dudum adamotas nuptias, tandem evocare. Postquam enim
toto matriraonii tempore bona fuisset usa valetudine, caepit (mense
Junio anni 1644) catarrhis et tussi molestari, quae invitis etiam
Medicis in occultam febrim (hecticam vocant) degeneravit, illi-
que 6 Dccemb: beatam analysin attulit.
Lux e ten. IL p. 128.
5.
Mihi testis est ille, qui omnia nostra contuetur, me cum pri-
mum accepissem Librum Tuum lectionisque facto initio quantas
res negotium hoc concernat, et quanta fiqucia tu rem geras, imo
et quam multa pulchre, solide, pie, moveas, (multa enim habes
valde bona) viderem: me (horrore quodam correptum) lectionem
continuare non ausum, nisi postquam me cum eodem libro Tuo
humi coram Deo prostrassem, caecitatem dcprecatus. Kogavi enim
humilime Deum, si Te mihi cum nova Veritatis luce submitteret,
ut aperire dignaretur oculos meos : sin, ut me conservaret in veri-
tate sua. Multo minus scribere ad eundem librum Tuum, haec
quae legis, induci animum, nisi iterum iterumque exinanitis Omni-
bus sensibus meis, Deoque resignato regendi me, et flectendi quo
vellct, mentem, voluntatem, calamum, arbitrio. Et adhuc eo sum
animo, ut si errare, (sive ex parte, sive ex toto) deprehensus
fuero, gloriam dem Deo. Hunc mihi animum conserva, qui eum
dedisti, o Deus.
Judicium de regula fidei ed. 1658. p. 86.
6.
Ego mcmbrum illius Ecclesiae sum, quae tertio iam seculo
(a teinporibus Hussi) Deo suo in spiritu et veritate servire con-
tenta, de Veritatis praerogativa cum aliis contendere non quae-
sivit : aliena litigia tacite spectans, utque Deus ipse Lucem suam
tenebras, Veritatemque, errores tandem eluctari taceret suspirans.
Polemicum ergo aliquid in publicum scribere mihi nunquam ve-
nerat in mentem : nisi cum editos Valeriani Magiii de Christianae
Fidei REGULA libros examinandi ac cepsendi mihi esset im-
posita necessitas. Cum autem consignatum de iis Judicium pu-
blico exponere j uberer, non aliter quam avtovvfiütg • volui : eo quod
meus a rolemicis abhorreret genius. Respondebatur, Non pole-
micum esse hoc scriptum, acerbum et odiosum, sed placidum et
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1893. Zur Lebensgeschichte de» Comoniu». 139
amicabile: tandcm ai nollem meo, posse alio quocunque nomine.
Placuit ergo Huldrici Neufeldii nomen, meo Cabaliatice reapon-
dens: editumque sie fuit. Sed reseivit authorem Valerianus, illi-
que propterea nihil Offenaus non solum respondit aatia placide
(nihil praeterquam allegationum ineuriam taxans) sed etiain salu-
tari aliquoties curavit amicc. Quin etiam alii Romano - Catholici
moderatum hoc scriptum collaudarunt, interque alios Cujaviensia
Episcopus, Regni Senator illuatris etiam sapiens: qui cum Gedani
aa sesquiennium residentiam haberet, legendaque Uli ECHO nostra
offeretur, legit etiam pcrlegit totam, iudiciumque benigne tulit iis
verbis: Absit a me, ut haereaeos condemnare velim virum docere
et doceri paratum.
Jud. de reg. fidei ed. 1658. Praefatio.
V. Der zweite Aufenthalt in Lissa. Comenius in Ungarn.
7.
Anno 1649, Marti nus Ruarus, suos in Maj. Polonia visitatum
e Borussia veniens, etiam me salutare dignatus, demum in collo-
quio nomen suum (nec enim noveram de facie) prodidit. Sed post-
quam me ab amicitia sua vidit alieniorem, disecssit: litteris me
de via resalutans, ad quas nihil reapondi.
De Quaeatione etc. p. 65.
8.
De Atrio Latinitatis.
Cum editionem huius iam iam moliremur, intervenit Vocatio
in Hungariam, eamque intereepit. Differamus itaque in sequentia.
Jud icia, novaeque Disquisitiones. Duo solum triave attin-
gam, tan quam publicos iterum novae industriae stimulos.
I. Illustrissimus Posnaniae Palatinus, D. D. Christophorus Opa-
linsky de Bnin, magnanimus et sapiens heros, composuerat (lingua
patria) Satyrarum libros X. corruptissimos patriae mores graphice
depingens, et nescio quid publici mali praesagiens (patuit revera
hoc tali tanti Viri scripto, Omnera bonum Politicum prophetam
esse). Cumque hos typis exscribendos Lesnam misisset, famulus
nobilis et literatus Didactica nostra sub prelo sudare videns, Do-
mino id retulit. Quae occasio fuit literis me compellandi, tum et
acceraendi ad ae, et de atudiorum ratione conferendi. Summa
fuit: Imbutum so pucrum fuisse literis methodo Jesuitarum, quam
tarnen Vir factua probare (dispendioae compendiosam illorum do-
cendi rationem appcllans) non poaset. Constituisae proinde, pro
filiia et agnatis suis, Nobilique iuventute, in oppido Sirakoviae
6ymna8iolum, tribus Claasibua instruetura funaare, eoque fine
Cracoviensi ex Academia evocare Viros trea doctos. Quum autera
lecta Linguarum Methodo noviaaima nostra non posset non pro-
bare consilia, velle ae futurum illum Scholae auae Rectorem ad
me mittere, quomodo editi Latino Germanice libelli (Vestibulum
10«
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140 Kvacaala, Heft 4 u. 5.
et Janua L. L.) Latino-Polonice adomari queant, deliberatüm.
Factum: venit ille, ratio inita, approbanteque Illustrissinio Maeee-
nate, et impensas subministrante, Libelli editi, Schola inchoata,
floruitque usque dum inopinata Suecorum (Anno 1655) irruptione,
cruentoque illain sequuto hello, dissiparetur. Qua de re scripta*
ad me lllustrissimi Viri epistolas (X numero vel XI) nisi eius-
dem furiosi belli absumsissent flammae (Lesnensi excidio) pateret
Viri summi ad omnia exquisita summus ardor, et ad expendendum
iudicium acre, cum eloquentiae purissima suavitate. Öed perie-
runt illae, periisseque doleo.
II. Aliani reperio (servatam inter illa quae tumultuarie, nullo
vero delectu, in terram coniecta fuere) a Regii in Borussia Fisci
praefecto datam ad me Dantisco I. Febr. 1050, cuius partum bic
exscribi patior. lta ordiebatur:
Contigit mihi nuper videre aliquot philuras Lcxici tui, quod
iam sub prelo fervet. Utinam quantocyus prodeat integrum!
Passim enim expetitur summis desideriis, prout omnia tua: ita ut
nuper in Aula Regia Magnus quidam Vir, et Secretarius Regius,
quamvis Religioni Romanae addictissimus, mentione tui iniecta im-
pense me rogarit, ut quaeeunque a te ederentur sedulo eonqui-
rerem, et ad se transmitterem. Hu enim Tua omnia magni facero,
Nepotcsque suos non nisi Comeniana metbodo institui vulle. Hoc
vero est rectae rationis robur apud omnes, ut captivet, vincat et
constringat nolentes, volonte« ducat, allictat et voluptatibus per-
fundat. Ego sane id pro tenuitate mea praevideo, hoc ipsum
Lexieon, validam fore machinam evertenda»* logomachiae, quae
haeteuus plus satis inquinavit triticum Doinini, cuius radix igno-
rantia. altrix bumana authoritas, quam nonnullis verae Eruditioni,
aut Divinae rationi, postponere piaculum est. Sed forte non con-
temnendus erit usus Tuorum Scriptorum in evellendis hisce Zi-
zaniis: quod praestet Auterna illa Veritas, ut tandem aliquando
possimus et recta sentire, et reute loqui. Erupit hie haud ita
pridem nonnullorum speciosus conatus, docendi per artiricium me-
moria«' localis, invenitque quosdam ex Magistratu praeeipuos fau-
tores: sed postquam Tua Didactica lecta est, visa est facilior haue
via, per iteratos actus doctrinam iuculcandi, quam tot reflexioni-
bus operosis memoriam contundendi. Cunique sermo mihi esset
cum primario, et vere douto Viro, ordinis Senatorii, de Didactica
seu Methodo Tua Linguarum, isque in laudes eins erumpuret,
quaesivi ex illo, An contradicant isti ArtitieesV aut quid de ua
iudieent? Respondit, Contradicant? Impossibilu est: hie enim
Vir quiequid loquitur, loquitur cum ratione, omnemque contra-
diuendi ansam praecidit, dum naturam et sanam rationem, et se-
quitur ipse, et monstrat aliis, iudicioqm- Orbis exponit omnia etc.
III. Accidit sub idum tempus, ut cum Fax Imperii bienuio
ante Monasterii eonclusa, demumque sub ingressum huius anni
(1650) Noribergae ad plenum firmata, esset, inter publici gaudii
varie a variis erecta, aut erigi tentata, monumenta, prodiret etiam
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 141
Lipsiensi Catalogo Librorum (inter proximis nundinis prodituros)
scriptum quoddam tali titulo:
Petri Colbovii von Gadebuscb aufs Meehelnburg Sende-
Scbreiben an den Wol Erwürdigen . . . Herrn Jobannem Amosum
Comenium u. s. w.
Mirabar id scribi, cum ego epistolam talem vidissem nullam,
venit tarnen post, non in epistolae, sed libri forma. Reseripsi,
editionem dissuadens, antequam recoctis consiliis fluidius quiddam
conatitucretur. Coepimusque permutatis inter nos epistolis agitare
consilia, quomodo quam optime eonstitui possent omnia. Sed
profectio mea in Hungariam interrupit haee, meliorum desiderio:
dum erigendae ibi Pansophieae Seholue constanter amici facerent
spem, qua plenus animus minora baec tanto fervore agi non per-
initteret. Hie igitur de istis tum temporis occasionibus loqui
dosisto.
Op. Did. II. 459. 460.
9.
1. Fortuita liominum respectu occulta Providentiae vi disponi,
non ignorant qui voces Dei in Scriptum non ignorant „eursuique
operuin Dei pie attendunt: qualia Iiis ipsis in rebus, de quibus
loquimur, innumera observare est; boc etiam quod nunc inemo-
randum venit
2. Pace Monastcrii & Osnabrugae sexennio agitatae, tandem-
(jue teruiinatae, ultima publicatio incidit in Januarium anni
1650. Qua Bohemiae Regno, cum incorporatis provinciis, baere-
ditatis nomine Austriaeae Domni relictis, dispersi propter Even-
gelium a spe reditiis aeternum exclusi , quid iam agendum esset
deliberare coeperunt: superstites nempe Ecclesiaruin Superatten-
dentes cum reliquis Auditorum suorum, ex Baronali et Equestri
online. Petebant ergo in Polonia exulantcs ab exulantibus alibi,
in primis Hungaria, ut e medio sui aliquot prudentiores (ex or-
diue Politieo & Ecelesiastico) mense Martio mitterent, ad certi
aliquid coneludendum. Comparuerunt alii, ex Hungaria nemo:
senium & morbo.s eorum, qui maxime idonei huc essent, eausati.
Addebant: adfuisse se Fratrum in Polonia iSynodis per bos exilii
annos aliquoties, justum esse quoque aliquando se in Hungaria
vi.sitari. Nominatim ad se Confratrem suum Comenium niitti
postulabant: quippe Moravum, et Moravorum causa Antistitem
ordinatum: sibi verö per annos jam 25 non eonspectum. Cujus
absentiam tolerari potuisse vivo Collega, Laureutio Justino ; nunc
illo evocato requiri omnino, ut gregem suum intervisat, si non ad
cobabitandum, ordinis tarnen stabiliendi causa etc.
3. Huic Fratrum Moravorum postulato mox assensum dabant
Bobemi, »fc qui adorant Poloni: eundumque esse, & de actis bujus
Convocationis ibi quoque deliberandum , concluserunt. Maxime
postquam eo ipso temporis puncto a Sigismunde Hacoci venirent
Comenium ad colloquia, et de Scbolarum suarum reformatione
consultationem, evocantes literae.
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142 Kvacsala, Heft 4 u. 5.
4. Ab his igitur vocationem, ab illis missionem nactus, com-
mendavi me Deo, perque Silesiain & Moraviam festinans, Ska-
licium (priraam Hungariae Ii her am urbem) pridie Paschatos attigi,
& cum dispersorum populo (praesentibus aliquot Baronibus & b
Nobilitate, Pastoribusque) festi soleinnitatem percgi: iis quorum
in primi8 causa veneram in ultimum reservatis. Ubi consilium
non fuit aliud (sicut & nobis in Polonia, & alibi) nisi ut ab bo-
minibus in Universum derelicti, uni Deo tant6 firmius adhaereamus,
illius nos voluntati plenissime resignantes, ad vitam et ad mor-
tem etc.
5. Alter similis conventus (sed major, Pastonun circiter vi-
ginti) erat octiduö post in ditione Viduae Racocianae, Puchovii :
ubi per dies sex varie de conclamato undique flatu nostro ser-
monibus, mutuisque ad poenitentiam, pati entern, spemque in Deo
(etiamsi nos occidat) exhortationibus habitis: valedicturus ego
illis signineavi, Mihi quidem propositum fuisse ad Principem
Sigismundum (ä quo vocatorias haberem) divertendi, sed itineris
longinquitate absterreri, a negotiis verö raeis revocari. Constituisse
itajjue negotiö per literas expeditö, festinare domum. Illia ut pro-
tidie ad commune« preces, nosque invicem spiritui gratiae com-
mendandum, redire liberet.
6. Instant illi, perseverandum esse in absolvendo suspecti
itineris proposito: literam esse mutam, non tanti fieri atque prae-
sentiam vivam: sc prineipis matris indigere gratiä, ampliandum
potius quam minuenduin tavorem, et quae id genus plura. Re-
spondi: me ergo adhuc deliberaturum, quomodo ultimum formati
possit consilium. Ita quietae noctis voto valedixi, apud cognatos
pernoctaturus meos.
7. Ecce autem exeuntem me illorum unus, Nicolaus Drabicius,
comitatur, impense ut propositum ne mutein orans. Quaesiri,
quid praecaeteris sua interesset, ut praecaeteris tarn instaret?
Respondit, quia te in Sigismundi Racoci notitiam venire opto.
Quare id? llle, ceu invitus & effari verecundans, tandem: quia
ille Rex erit. Ego consistens, illumque intuitus : Quid mi Frater
audio? nondum tu ä somniis tuis evigilasti? (Nihil enira ampliüs
de his materiis voce aut scripto cum illo egeram, nec eoruin plus
quam ad me missum fuit primitüs videram, vanitatis illa apud
me aeque ut caeteri condemnans, eo qu6d propheticam styli gravi-
tatem, vel qualis Cottero & Christinae in est, non attingere even-
tusque raulto etiam minus rosponderet, viderentur.) Dixi ergo:
Patri priüs Coronam offerebas : eä spe delusus ad filium jam ibis ?
Vide per Deum quid agas, luditicareque te et alios desiste.
8. Eruperant Viro lacrymae: oculisquo & mantbus sublatis,
Bis me lacrymis meis abluere possein, inquit, quantum earum
jam effusum est, ut misero mini parceret Deus: sed irapetrare
non possum. An ergo adhuc i«ta pateri»? Respondit: Ultra
annum est quod nihil uatior, scio tarnen nondum esse finem.
Quaero unde id sciat? Ille. Dominus dixit consignataque in ad-
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1893.
Zur Lebensgeschichte des Coraenius.
143
ventum tuum (adducturum enim Te in hanc terram) aervari, et
tibi tradi, jussit En trado! Offertque chartas illas, posteriores
Visiones continentes, pluresque promitten tes, rogans legere vellem.
Annon haec fingis obsecro? dixi. Ille Deum testem invocat.
Quaero, quando id de adventu huc meo auditum? Ille, Anno
abbinc tertio, mox ä Principis morte, quum ludibriorum in-
patientiä exurere ista vellem, Dominus vero prohibebat : Invenies
ibi scriptum.
9. Attonitus ergd chartas illas recipio, vespertinisque horis
inter amicorum colloquia consumtis, mane demüm inspicio, lego,
ruminor, interque suspiria & ut Deus vias meas dirigeret vota &
preces, animum mutari sentio : offerentibus se pro suscipiendo ad
Principera itinere tot causis, quas priüs non observaram. Quae
cogitata mea cum Fratribus ad preces congregatis communicarem,
gratulabantur, laetisque iter meum prosequebantur votis.
10. Ingressus ignotas vias, decimä die residentiam Princi-
pissae, Patakum, Deo duce attigi: sie & Principibus (Matre &
Filio) Theologisque, & aliis Viris doctis & bonis, octiduo toto Ha-
bitus, ut ad conabitandum Ulis aliquandiu (instabant enim) re-
ditum non recusare promitterem, si per rcrum apud nos statum,
assensumque illorum quorum pars sum, Hcebit Ad illos itaque
Hteris me instruetum dimittunt, deinde ver6 per Cursores festi-
nationem ita urgent, ut non redire non possein: detentus apud
eos (Scholasticis in laboribus) quadriennium.
Lux e ten. IIL p. 40 ff.
(Fortsetzung folgt.)
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Nachrichten.
Im Januar- lieft der „Deutschen Rundschau" veröffentlicht Prof.
Dr. Otto Pfleiderer in Berlin eine Charakterzeichnung des kürzlich ver-
storbenen Emst Renan, auf die wir unsere Leser aufmerksam machen. Der
geistige Entwicklungsgang Renan* hat etwas Typisches. Im Priester-
Seminar zu St. iSulpice erzogen, war er von früh auf mit einem streng
katholischen Eifer erfüllt. Als er, beseelt von dem Streben nach Wahr-
heit, zu erkennen glaubte, dafs sein bisheriger Standpunkt unhaltbar sei,
warf er, wie es in solchen Fallen zu gehen pflegt, alles über Bord, was
seine geistlichen Lehrer ihn gelehrt hatten. Aber in zwei Punkten zeigt
sich doch der Unterschied dieses hervorragenden Geistes von der gewöhn-
lichen Freigeisterei, in die der Regel nach ein solcher Entwicklungsgang
auszulaufen pflegt. Er sah nämlich ganz richtig ein, dafs eine Philosophie,
wie sie sich der Vernunft erschliefst, selten starke Antriebe zu einer opfer-
fähigen Gesinnung bietet und zur Volkserziehung mithin unbrauchbar ist,
und ferner hat er doch, alles in allein genommen, ein gutes Stück des
Christentums in seine neuen Überzeugungen mit hinübergenommeu, mehr
jedenfalls als die Mehrzahl derer meint, die sich auf einzelne seiner Äusse-
rungen stützen, um alle3 zu verneinen. Man lese nur den Schlufs des „Lebens
Jesu", wo er geradezu sagt, dafs „die Gründung der wahren Religion"
(also nicht blofs die Gründung einer Religion) Jesu Werk sei. Besonders
wichtig ist es unter diesen Umständen, dafs wir aus seineu „Jugend-
erinnerungen'' erfahren, wer die Mftnner waren, die nach der Abstofsung
seiner Jugendansichten ihm die Führer zu der neuen Lebensanschauung
(wenigstens theilweise) wurden. „Herder", sagt er, „war der deutsche Schrift-
steller, den ich am besten kannte. Seine weiten Blicke entzückteu mich,
und ich sagte mir oft mit lebhaftem Bedauern: ach, dafs ich nicht wie ein
Herder denken und zugleich christlicher Prediger bleiben kann ! . . . . Ich
möchte um alles Christ sein, aber orthodox kann ich nicht sein. Wenn
ich Denker, so frei und kühn wie Herder, Kant und Fichte, sich
Christen nennen sehe, so hatte ich Lust, ein Christ von dieser Art zu sein.
. ...Ich gestehe, dafe ich in einigen deutschen Schriftstellern die wahre,
für uns passende Form des Christentums gefunden zu haben glaube.
Könnte ich den Tag erleben, wo dieses Christentum eine alle Bedürfnisse
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1893.
Nachrichten.
143
unserer Zeit befriedigende Gestalt gewänne! Könnte ich selbst zu diesem
grofaen Werke mitwirken!"
Die historisch-nationalökonomischc Sektion der Fürstlich Jablouows-
kischen Gesellschaft in Leipzig hat für die Jahre 1893 — 1896 folgende
Preisanfgaben gestellt:
1. Für das Jahr 1898. — Die allmähliche Einführung der deutschen
Sprache in öffentlichen und privaten Urkunden bis um die Mitte
des 14. Jahrhunderts.
2. Für das Jahr 1894. — Darstellung der Entwicklung, welche der
Gewerbfleifs in Polen seit dem Aufhören der polnischen National-
selbstilndigkeit gehabt hat.
3. Für das Jahr 181)5. — Darstellung des griechischen Genossen-
sehafts- und Vereinswesens auf Grund der schriftstellerischen und
besonders der inschriftlichen Quellen, welche ebenso sehr die Arten
und die Organisation der Genossenschaften, wie ihre zeitliche und
räumliche Entwicklung berücksichtigt.
4. Für das Jahr 1*96. — Eingehende Untersuchung der wirtschaft-
lichen, sozialen und politischen Bewegung in irgend einer größeren
deutschen Stadt des ausgehenden Mittelalters mit besonderer
Rücksicht auf die Wirkungeu des seit Ende des 14. Jahrhunderts
aufkommenden kapitalistischen Individualismus.
Die anonym einzureichenden Bewerbungsschriften sind, wo nicht die
Gesellschaft im besonderen Falle ausdrücklich den Gebrauch einer anderen
Sprache gestattet, in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache zu
verfassen, müssen deutlich geschrieben und paginiert, femer mit einem
Motto versehen und von einem versiegelten Umschlag begleitet sein, welcher
auf der Aufseiiseite das Motto der Arbeit trägt, inwendig den Namen und
Wohnort des Verfassers ungiebt. Jede Bewerbuugsschrift mufs auf dem
Titelblatte die Angabe einer Adresse enthalten, an welche die Arbeit für den
Fall, dafs sie nicht preiswürdig befunden würde, zurückzusenden ist. Die
Zeit der Einsendung endet mit dem 80. November des angegebenen Jahres,
und die Zusendung ist an den Sekretär der Gesellschaft (für das Jahr 1898
Professor Dr. W. Roscher, An der I. Bürgerschule 4) zu richten. Die Re-
sultate der Prüfung der eingegangenen Schriften werden durch die Leiji-
ziger Zeitung im März oder April des folgenden Jahres bekannt gemacht.
Die gekrönten Bewerbungs.-ehriften werden Eigentum der Gesellschaft.
Der (iescbiclitsunterrhbt als Vorbereitung zur Teil« ahme am öffent-
lichen Leben. Die durch den kaiserlichen Erlafs an das preufsische Staats-
ministerium vom 1. Mai lf*89 und durch die Berliner Schulkonferenz zur öffent-
lichen Diskussion gestellte Frage, ob bezw. inwieweit die Schule politisch
vorbilden und sozialpolitisch beeinflussen soll, beschäftigte die für den
~k April nach München einberufene Versammlung von Historikern. Aus
den bezüglichen Thesen veröffentlichen wir die folgenden. Direktor Mar-
tens nimmt fast die gleiche Stellung ein, die im Erlasse des Kaisers zum
Ausdrucke kam. „Der kulturgeschichtliche Unterricht," so lautet die betr.
These, „berücksichtigt bezüglich der sozialpolitischen Eut wicke-
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146
Nachrichten.
Heft 4 u. 5
lung, indem er die einschlägigen Thatsachen aus der alten, mittleren und
neueren Geschichte bewirfst unter den sozialpolitischen Gesichts-
punkt stellt, die wirtschaftlichen Vorhältnisse vornehmlich des deutschon
Volkes, so dafs nicht nur das Verständnis für die sozialeFrage der
Gegenwart geweckt, sondern auch die Mittel und Wege zur Be-
kämpfung der heutigen Sozi aldemokrati e auf dem Grunde de«
verantwortungsvollen Staatsbewufstseina gezeigt werden." Demgegenüber
stellt Prof. Do vc folgende These auf: „Beim Vortrage der neuesten, für
die oberste Schulstufe bestimmten Geschichte ist eine kundige, jedoch
durchaus objektive, von aller Tendenz freie Erläuterung der
gegenwärtig in Staat, Kirche, Recht, Volkswirtschaft u. s. w. bestehenden
Ordnungen und Verhältnisse von Seiteu des Lehrers angebracht und er-
wünscht. Dieselbe wird indessen nur dann sichern Nutzen stiften, wenn
Studiengang und amtliche Prüfung der künftigen Lehrer der neueren
Historie ausdrücklich auch auf das Gebiet der StaatswisBenschaften
erstreckt werden." Prof. Raufmann formuliert daneben noch folgende
Sätze : „Bei der Geschichte der neuesten Zeit ist schon auf der Mittelstufe
Kenntnis zu geben von der Verfassung des Reiches und des Landes. Auf
der Oberstufe ist diese Kenntnis zu vertiefen und durch Vergleichung
mit den politischen Ordnungen anderer moderner Staaten einerseits und
des Mittelalters und Altertums andererseits zu erläutern." „Die an sich
wünschenswerte Einführung in mancherlei Formen und Pflichten des
öSVntlichen Lebens ist nicht Sache des Geschichtsunterrichts."
„Erkennt man das Bedürfnh an, so ist zu erwägen, ob nicht nach dem
Muster anderer Staaten auf der Mittelstufe eine Stunde für bürgerliche
Geschäftsaufsätze und Gesetzeskunde einzuführen sei.- Schärfer noch als
Prof. Dove protestiert endlich Prof. Kaufmann gegen jede kirchliche
und politische Tendenz im Geschichtsunterricht. Er erklärt
sich gegen jeden Versuch, dieJugeud zu bestimmten Ansichten über
politische, kirchliche und soziale Fragen und Parteien zu er-
ziehen und verlangt volle Unabhängigkeit für den Lehrer und
gemeinsamen Geschichtsunterricht für die verschiedenen Konfessionen.
Schlicfslich wurde folgender Antrag des Professors Stieve mit grofser Majorität
angenommen: Der Geschichtsunterricht kann und soll nicht in der Weise
als Vorbereitung zur Teilnahme an den Aufgaben des öffentlichen Lebens
dienen, dafs er in systematischer oder auf eine bestimmte Gesinnung hin-
zielender Weise für dasselbe vorbereitet; er hat vielmehr zu dem frag-
lichen Zwecke lediglich diejenigen geschichtlichen Kenntnisse zu über-
mitteln, welche zur späteren Teilnahme am öffentlichen Leben befähigen,
und die Neigung zu dieser Teilnahme entwickeln." Der Schlufspassus :
„insbesondere hat er (der Geschichtsunterricht) auch die Liebe zum Vater-
lande und ein strenges Pflichtbewufstsein gegen den Staat zu erwecken"
wurde auf Antrag des Professors Quidde-München abgelehnt.
Herr Lehrer Richard Aron in Berlin O. 34 besitzt eine wertvolle
Sammlung von Ausgaben comenianischer Schriften. Wir teilen im nach-
folgenden eine Auawahl daraus mit:
Comenius, J. A., Auffgc*chlosscue Güldene Sprachen -Thür u. s. w.
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1893.
Nachrichten.
147
Auagef. von Zacharias Schneider. Die 7. Ausfertig. Leipzig, 1689.
— , Janua lingnae Graeeae, Secundum methodura ä Dn. Comenio inventam
conatructa atque reaerata a L. Z. Schneidero, Leipzig 1642. — , Janua lingua-
lem reaerata. Cum Graeca veraione Theodori Simonii Holaati, Secunda
hac editiono recognita et innumerig in loci» emendata et Gallica nova Steph.
Curcellaei. Amstelodami 1643. — , Janua aurea quinque linguarum reaerata.
Nath. Dhuez et Theod. Simon. Franeof, 1644. — . Latinae Linguae Janua
reaerata. Rerum St Linguae Structuram cxhibens ordine nativo. Ex mentc
Autoris ad lege« mcthodi Janualis proponenda, in Schola Olsnensi Silo«.
Olanae, 1647. — , Janua aurea reacrata. Sive compendiosa Methodua Lati-
nam, Gallicam etc. etc. Genevae, 1663. — , Janua linguarum reacrata
aurea Coloniae Agrippinae, 1662. — , Janua Linguarum reaerata. Pro
compendioae Lingua Latina cum Rebua docenda. Belgiea veraione a Joh.
Seidelio ornata. Amsterdam, 1691. — , Janua linguarum reacrata aurea.
Editio postrema. Cöln, 1692. — , Pansophiae prodromua, et Conatuum
Panaopbicorum Dilucidatio. Lugduni Batav., 1644. — , Orbis Senauaüum
Pictua. Latino-Gallico-Germanico-Polonice. Bregae Silesiorum, Typis
Tachorniania, Impenais Caspari Mülleri Bibliopolac Wratialav., 1667.
— , Orbis aenaualium pictua qnadrilinguia. Noribergae, 1679. — , Orbia
aensualium pictua. Noribergae , 1706. — , Orbis aenaualium pict. Nori-
bergae, 1740—45. — , Orbia aens. pictus. Noribergae, 1777. — , Orbia pictua
in Hungaricum et Gcrmanicum tranalatna. Die Welt in Bildern. In die
ungarische und deutsche Sprache übersetzt und hin und wieder verbessert.
Po' aonyban, 1831. — , Neuer Orbis pictua für dio Jugend oder Schauplatz
der Natur, der Kunat und des Menschenlebens in 822 lithogr. Abbildungen etc.
nach der früheren Anlage des Comenius bearbeitet von J. E. Gailer.
3. Aufl. Reutlingen, 1885. — , Neuer Orbia pictua für unser philosophisches
and aufgeklarte« Jahrhundert. Kaklogallinien, 1790. — , Die Welt in
Bildern. Ein lehrreiches und angenehmes Geschenk für Kinder gebildeter
Eltern. Enth. 121 sauber kolor. Kupfer. Berlin, 1832. — , Versuch eines
Elementarbuches für Kinder durch Abbildung der merkwürdigsten Dinge
und derselben deutschen, lateinischen, franzöaischen und italiänischen Be-
nennungen. Nürnberg, 1770. 6000 Holzachnitte. — , Januac in linguam
Graecam Vestibulum ad Dn. Comenii methodum adornatum a Z. Schnei-
dero. Lipsiae, 1640. — , Portael der Saecken en Spraecken -Vestibulum
rerum et Linguarum — Die Vortfihre der Sachen u. Sprachen. Amstelod,
1673. — ,' Vorpforte der Schul -Unterweisung. Nach den Gesetzen der
neuesten Lehrart u. mit vielen Kupffer-Bildnissen erklaert von Jacob
Redinger. Noribergae, Chr. Gerhardt, 1678. — , 8ententiae Vestibuli J.
A. C. Multo emendatiores, quam hactenus alibi, excusae, cum vocabulis,
£ regione appoaitis, in usum juventntis scholaaticae. Wernigerodae , 1738.
— , Unum necesaarium Editio quarta. Jenae, 1718. — , Das Einige Not-
wendige. Leipzig, 1725. — , Das Einige Nothwendige. Frankfurt-Leipzig
1755. — , Kurz gefafste Kirchen-Historie der Böhmischen Brüder, wie
solche J. A. C. lateinisch beschrieben. Schwabach, 1738. — , Joh. Theoph.
Eisner, Martyrologium-Bohemicum oder die Böhmische Verfolgung» -Ge-
schichte von 894—1682 etc. Berlin, 1766. — , Labirynt Sweta a Rag
Srdcc. Berline, 1757. — , Comenii philosophisch-satyriscbe Reisen durch
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148
Nachrichten.
Heft 4 U. 5.
alle Stände der menschlichen Handlungen. Berlin u. Potsdam, 1787. — ,
Dag wiedergefundene Paradies oder Uebergang aus der Welt ins Herz. 1760.
— , Das Labyrinth der Welt und den Herzens Paradies. Aus böhmischer
in deutsche Sprache übertragen von J. Nowotny. Spremberg, 1871. — ,
Kssafft Vmjragjcy Matky Gednoty ßratrske. Berlin 1757. — , Höcbst-
verwundersame Offenbahrungen. Welche Einer Böhmischen Edel- Jungfer
Nahmens Christina Poniatovia In denen Jahrgängen 1627, 1628, 1629 ge-
schehen u. s. w. Nebst beygefügter Historischer Erzählung u. Erläuterung
dess berühmten Mit-Gliedes der Böhmischen Brüderschaft Johann Arnos
Comenius. 1711. — Zwey wunder Tractätlein | deren das Erste begreiffet
Englische Erscheinungen und Reden Christoph Kütten u. s. w. Das Ander
Himmlische Offenbarungen und Gesichte einer Gottsfftrchtigen Jungfrawen
aus Böhmen (Chr. Poritowsken) u. s w. Im Jahr 1632.
Für eine Bücherkunde der Janua, des Orbis pictus und anderer
Schriften, die uns noch fehlt, sind hier Fingerzeige gegeben, die sich
vielleicht aus anderen Privat- oder öffentlichen Sammlungen ergänzen lassen.
Es ist der Zweck dieser Zeilen, zur Aufstellung einer Bücherkunde der
Janua und des Orbis pictus anzuregen.
Wir haben bereits früher (M. H. 1892 S. 224) auf die freundlichen Be-
ziehungen hingewiesen, in welchen Comenius zu den sog. Hutterischen
Brüdern in seiner mährischen Heimat stand, die er, wie er selbst bezeugt,
wohl kannte. Von um so gröfseren Interesse ist für uns das Buch über die An-
fänge dieser „mäh rischen" Brüder, welches Prof. Dr. Johann Loaerth soeben
veröffentlicht hat; es führt den Titel: Doetor Balthasar Hnbmaier und die
Anfänge der Wiedertaufe in Mähren. Aus gleichzeitigen Quellen und mit
Benützung des wissenschaftlichen Nachlasses des Hofrates Dr. Josef
Ritter von Beck von Dr. J. L. Herausgegeben von der historisch-statis-
tischen Sektion der k. k. mährischen Gesellschaft zur Beförderung der
Landwirtschaft, der Natur- und Landeskunde. Brünn, Verlag der hist-
statist. Sektion 1893. Das Buch ist auf Grund eines reichen, bisher unbe-
nutzten Materials bearbeitet und ist ein wichtiger Beitrag zur Reformations-
geschichte überhaupt. Wir werden eingehender darauf zurückkommen.
t —
Dr. Theodor Arndt, Prediger an St.-Pctri in Berlin, hat im Verlag von
Georg Reimer unter dem Titel : „Da« Glück, Ein Wort für die ideale Welt-
anschauung'4, eine kleine Schrift erscheinen lassen, auf die wir die Auf-
merksamkeit unserer Leser lenken möchten. Es ist im wesentlichen die
Wiedergabe eines Vortrags, den Arndt am 20. Januar 1893 im Berliner
Unions- Verein gehalten hat. Der Verf. beabsichtigte durch seine Schrift
in einigen Punkten eine Ergänzung zu der Arbeit zu geben, die er im
vorigen Jahr unter dem Titel „Die Religion der Sozialdemokratie" (Ev.-
soz. Zeitfragen II. 6. Lfg„ F. W. Grunow» hat erscheinen lassen. Er will
versuchen : 1. Das Problem des Glückes selbst klar zu stellen, 2. die Wege
zu beschreiben, auf denen man seine Lösung versucht hat, und 3. anzu-
deuten, auf welchem Wege wir als evangelische Christen die Lösung finden
werden. Besonders lesenswert ist der zweite Abschnitt, der in kurzen
Zügen eine Reihe von Versuchen schildert, die gemacht worden sind, um
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1893.
Nachrichten.
149
auf dem Wege der Naturwissenschaft oder der philosophischen Speku-
lation die Wege zu ergründen, die zum Glücke hinführen.
Die russische Zeitschrift „Gimnasija" (Journal für Philologie und Pä-
dagogik, Reval) enthalt in der Oktober-Nummer 1892 die Fortsetzung der
von Meschoff bearbeiteten „Bibliographie der Pädagogik", welche eine
Übersicht über die russischen Erscheinungen in den letzten beiden Jahr-
zehnten bietet. In Deutschland existiert, soviel uns bekannt ist, eine
ähnliche bibliographische Übersicht nicht; gleichwohl wäre es erwünscht,
wenn allmählich wenigstens für die Volksschule oder die Gymnasien oder
die Universitäten oder die Geschichte der Erziehungsichre von Zeit zu
Zeit bibliographische Übersichten veröffentlicht werden könnten.
Berichtigung.
Wir hatten (Monatshefte der C.-G. 1892 S. 232) die Vermutung aus-
gesprochen, dafs die Abhandlung Carl Hüllemanns über Valentin Andrea«
als Pädagog, welche im J. 1884 zu Leipzig erschien, auf die Anregung
des Criegeruschen Buchs über Comenius zurückgehe. Bezugnehmend auf
diese Äusserung teilt uns Herr Dr. Hüllemann unter dem 18. März 1898 mit,
dafs er genötigt sei, zu erklären, dafs ihm nicht Herr Lic. Dr. von Criegern,
sondern Herr Geh. Hofrat Prof. Dr. Masius die Anregung zu «einer Arbeit
gegeben habe. Die Schriftleitung.
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Pur.rtch. Hof baehdruck«r«i. Stophma Oeibel ä Co. in Altenbui*.
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Monatshefte
der
C omenius - Gesellschaft.
IL Band. — 1S93. — Heft 6 n. 7.
Die kirchliche Reformbewegung in England im XIV. Jahr-
hundert und ihre Aufnahme und Durchfuhrung in Böhmen.
Akademische Antrittsrede, gelullten am 2. Mai 1893 von
Dr. Johann Loserth,
o. ö. l'rofcBsor <lor allgemeint-u Oeachichtu an der k. k. Karl-Fraiizcns-Uiiiversitat
in Graz.
Indem ich das mir übertragene Lehramt der allgemeinen
Geschichte an der hiesigen Universität antrete, darf ich wohl
für den heutigen Vortrag ein allgemeineres Thema wühlen, als
es dem Gegenstande dieser Vorlesungen entspricht. Man wird
es begreiflich finden, dafs ich es jenen Studien entnehme, die ich
seit mehr als zehn Jahren gepflegt habe: der kirchlichen Reform-
bewegung in England im letzten Drittel des XIV. Jahrhunderts
und ihrer Aufnahme und Durchführung in Böhmen.
Mit Recht wird es als eine der wichtigsten Aufgaben ge-
schichtlicher Forschung bezeichnet, die Einwirkungen darzulegen,
die ein Volk in Bezug auf seine politische und kulturelle Ent-
wickelung von anderen höher stehenden Völkern erfahren. Diese
Aufgaben sind freilich nicht immer leicht zu lösen. Man weifs
heute, in welcher Weise sich semitische Einflüsse in Griechen-
land, griechische in Rom, römische bei den germanischen Völker-
schaften Geltung verschafft haben. Wenn man auf den phöni-
zischen Ursprung der griechischen Bezeichnungen für einzelne
Metalle, Pflanzen und Thicre oder für jene Dinge hinweist, die
auf Gewerbe und Handel, Münze, Mafs und Gewicht Bezug
Monatsheft* der Coraenius-Ge^llactaaft. INM. 11
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Losertli,
Heft 6 U. 7.
nehmen, oder wenn man deutsche Lehenwörter, wie z. B. Ziegel,
Mauer u. s. w. auf ihren lateinischen Ursprung zurückfuhrt, so
weifs man zugleich, welcher Art diese Beeinflussung gewesen, und
findet sie begreiflich, denn diese Völker wohnten entweder als
Nachbarn nebeneinander oder kamen doch sonst miteinander in
mannigfachen Verkehr. Seltener sind die Einwirkungen von Völkern
aufeinander, die durch grofse Räume voneinander getrennt sind
und zwischen denen es auch sonst wenig Berührungspunkte giebt.
Ziemlich vereinzelt ist wohl der Fall, dafs Ideen und Rich-
tungen, die aus einem fremden, durch grofse Länderstrecken und
Meere getrennten Lande stammen, so mächtig und nachhaltig
auf ein Volk einwirken, dafs es in kürzester Zeit, man könnte
fast sagen, seine frühere Eigenart grofsenteils preisgiebt.
Das trifft beim Wiclitismus zu, der von bestimmten Personen
aus England nach Böhmen verpflanzt, hier als Husitismus er-
scheint und als solcher das böhmische Volk in eine von der
bisherigen durchaus verschiedene Richtung drängt.
Unter den Reichen der abendländischen Christenheit bot das
böhmische dem Oberhaupte der Kirche bis an die Wende des
XIV. Jahrhunderts geringen Grund zu Beschwerden. Ja die
Zeit Karls IV. wird geradezu die goldene Zeit der böhmischen
Kirche genannt. Hier gab es eine feste hierarchische Ordnung;
hier zählte man eine solche Menge kirchliche Körperschaften,
wie in keinem anderen Lande der Nachbarschaft Die Kirchen
und Klöster besafsen einen schier unermefslichen Reichtum; denn
alle die Jahrhundertc hindurch hatte sich der fromme Sinn der
Fürsten und Herren des Landes an der Gründung neuer und
der Bereicherung älterer Klöster bethätigt. Hier hörte man wenig
von oppositionellen Strömungen, und wo sich eine solche kund-
gab, galt sie der verfallenden Kirchenzucht, nicht dem Bestände
der gesamten kirchlichen Ordnung.
Eine Wendung, jäh und unvermittelt, trat am Ende des
XIV. Jahrhunderts ein. Noch zum Jahre 1392 meldet das Zeit-
buch der Prager Hochschule: „Und dazumal wurde auch der
Magister Hus durch die Ablafspredigtcn betrogen. Er beichtete
auf dem Wischehrad und reichte dem Beichtvater die letzten
4 Groschen, so dafs ihm nichts als trockenes Brot zur Nahrung
blieb1).«'
') Für das folgende verweise ich auf mein Buch : Hua und Wiclif, und
namentlich auf die Einleitungen zu ineinen Ausgaben von Wiclif* Buch
von der Kirche, den Predigten, De Eucharistie und Opus Evangelicum.
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1893. I*'0 kirchliche Reforrabewegung in England etc.
153
Wenige Jahre später kamen die ersten refonnatorischen
Schriften Wiclifs ins Land. Wie im Fluge eroberten die neuen
Ideen alle Gemüter und erzeugten jene tiefe Bewegung, die alles
mit fortrifs: Alt und jung, arm und reich, hoch und niedrig
8chlofs sich an; politische und kirchliche, sociale und wissen-
schaftliche und nicht zuletzt auch nationale Beweggründe wirkten
zusammen. Der Name des englischen Magisters befand sich in
Aller Mund. Seine Lehren vernahm man in den Sälen der
Fürsten, in den Kollegien und von den Kathedern der Priester,
in den Schulen der Studenten, unter den Haufen des gemeinen
Volkes, ja selbst in den der Ruhe geweihten Räumen der Mönche.
Von seiner Gelehrsamkeit, seiner scharfen Dialektik wurden
Wunderdinge erzählt, vornehmlich aber von seinem Eifer für
das Gesetz Christi. „Mich zieht, sagt Hus, zu ihm der Ruf, den
er bei den guten Priestern hat" „Mich locken seine Schriften
an, durch die er die Menschen zu Christi Gesetz zurückzuführen
sucht, und besonders die Geistlichen, auf dafs sie irdischer Herr-
schaft entsagen und gleich den Aposteln nach dem Leben Christi
leben. Es zieht mich an seine Liebe zu dem Gesetze Christi,
und dafs er behauptet, dafs dieses auch nicht in dem geringsten
Punkte falsch sein könne."
Die Lehren des Engländers auszubreiten, dazu war nun Hus
der geeignete Mann. Von der beherrschenden Stellung, die er
in Böhmen einnahm, zeugt sein stolzer Ausspruch vor dem ver-
sammelten Konzil: „Frei bin ich hieher gekommen, und wenn
ich nicht hätte hieher kommen wollen , nicht jener König dort
(Wenzel) und auch nicht dieser da (Sigismund) hätte mich
zwingen können, denn gar zahlreich und mächtig sind die böh-
mischen Herren, die mich lieben. Auf ihren Schlössern hätte
ich mich leicht schützen mögen." Diese Liebe war freilich nicht
ganz uneigennützig; denn wenn die Enteignung der böhmischen
Kirche von ihrem gewaltigen Länderbesitze erfolgte, so mufste
er, wie es auch geschah, an die Herren des Landes fallen.
Husens Ideen in Bezug auf die Reformation der Kirche,
nahmen einen immer kühneren Flug: über den Boden seiner
engeren Heimat hinweg wollte er die ganze abendländische Kirche
in die Reform einbeziehen. Dafs diese aber keine andere war
und keine andere sein sollte als der reine und unverfälschte
Wiclifismus, das werden die folgenden Ausfuhrungen ergeben.
Als Hus im Herbste des Jahres 1414 nach Konstanz zog,
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Loßcrtb,
Heft 6 u. 7.
war sein Vorhaben nicht so sehr darauf gerichtet, sieh selbst
bezüglich seiner Lehre vor den versammelten Vätern zu recht-
fertigen, als vieiraehr die ganze Versammlung für diese zu ge-
Avinnen. Zu dem Zwecke bereitete er drei Reden vor, die er
auf dem Konzil zu halten gedachte: die eine will die Mittel an-
geben, den Frieden zu gewinnen, dessen die christliche Welt so
notwendig bedurfte; die zweite giebt Rechenschaft über seinen
Glauben, und die dritte, die wichtigste von allen, behandelt die
Frage, ob das Gesetz Christi, d. h. die hl. Schrift, genüge, die
christliche Welt zu regieren. Indem er die Frage bejaht, betont
er mit Nachdruck, dafs es unmöglich sei, die Einheit in der
Kirche herzustellen, Reiche und Länder zu regieren, Völker zu
beglücken und einzelne Personen zu befriedigen, wenn dies nicht
durch das Gesetz Christi geschehe. Ihm darf nichts hinzugefügt,
nichts weggenommen werden; die sonstigen Gesetze dürfen nur
Geltung besitzen, wenn sie mit der hl. Schrift in Ubereinstimmung
sind. Die Folge ist, dafs alles andere abgeschafft und ausgetilgt
werden müsse.
Auf diesem Grunde bauen die Taboriten weiter: das evan-
gelische Gesetz, lehren sie, ist an sich völlig genügend zur Re-
gierung der streitenden Kirche. Es bedarf nicht der Ceremonieen,
die aus dem alton Bunde stammen, nicht der Brüuche, die später
hinzukamen, die aufreizend sind, das Gesetz Christi mindern
und hindern und mehr Schaden anrichten als nützen. Was in
Gottes Gesetz nicht enthalten ist, mufs abgeschafft werden, so
der Prunk bei den gottesdienstlichen Handlungen u. dgl. Auf
der Versammlung zu Konopischt erklären die taboritischen
Priester: Wir sind nicht zusammengekommen, um wegen der
Bücher einzelner Doktoren zu streiten, sondern um die hl. Schrift
bezüglich der streitigen Punkte zu vergleichen, denn wir wissen,
dafs auch die Pseudoprophetcn ihre irrigen Lehren auf die Worte
der Apostel begründen: „Den hl. Doktoren aber glauben wir
nur insoweit, als ihre Lehre in der hl. Schrift begründet ist,
denn auch sie können betrogen werden und betrügen. Dem
göttlichen Gesetze beugen wir unseren Nacken, allen Menschen-
tand aber, der in der Schrift nicht begründet ist, wollen wir
abthun.44
Woher hat Hus, woher haben die Taboriten diese Lehre ge-
nommen? An hundert und noch mehr Stellen sagt Wiclif: Gottes
Gesetz, d. i. die Bibel, reicht aus zur Regierung dieser Welt.
Wäre irgend ein Mensch so weise wie Salonion, so hochbetagt
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1893. I>ie kirchliche Rcformbcwegung in England etc.
155
wie Methusalem, er niüfsto erkennen, dafs auch nur ein kleiner
Teil des Evangeliums ausreicht, um das, was er will, zu erlernen.
Besser als durch Traditionen, die menschlicher Fürwitz erdacht
hat, wird die christliche Welt durch Christi Gesetz regiert; die
anderen Gesetze haben nur insoweit Geltung, als sie mit Gottes
Gesetz Ubereinstimmen. In der Kirche soll es keine weltliche
Satzung geben. Die beste Regierung hier auf Erden war zur
Zeit der Apostel, denn sie und ihre Jünger kannten kein anderes
Gesetz als das Evangelium. Wenn man nichts anderes
von Gottes Gesetz besäfse, als allein die Berg-
predigt: sie könnte genügen, um ganz ohne
menschlichen Zusatz die Pilgrime auf Erden zu
lenken. Jede Wahrheit sowie jedes Irrtums Vernichtung ist
aus dem Evangelium zu entnehmen. Das soll jeden Gläubigen
aufmuntern, das Evangelium kennen zu lernen. Ohne die
Kenntnis des Evangeliums gleichen die Menschen den Tieren:
„Du magst nun ein päpstlicher Gesetzgeber, ein kaiserlicher, könig-
licher oder ein Landesgesetzgeber sein, wenn Dein Gesetz etwas
gelten soll, so mufs es da ausdrücklich gelehrt werden." Giebt's
eine gröfsere Gotteslästerung als zu sagen, Gottes Gesetz reiche
nicht aus zur Regierung der christlichen Welt? Es reicht voll-
ständig hin, da es alle und jede einzelne Wahrheit enthält, die
Gesetze des Papstes aber lenken von der Kenntnis des göttlichen
Gesetzes ab. Da gebe es Leute, wie die Bettelmönche, die
lehren, Gottes Gesetz sei falsch und zur Regierung der christ-
lichen Welt erst dann hinreichend, wenn es durch sie selbst und
ihre Leitung unterstützt wird. Diese Leute verachten Christi
Gesetz, das nun in England verbreitet wird — eine Anspielung
auf seine Bibelübersetzung; dafür erheben sie die Satzungen des
Antichrists, die ja auch sonst viele Gönner haben. Das gnaden-
reiche Wort des Herrn, wie es in der Bibel enthalten ist, wird
verschmäht und menschliche Erdichtung an seine Stelle gesetzt
Christi Gesetz allein ist kurz, leicht zu fassen, nutzbringend, die
Söhne der Kirche nicht belastend; da braucht man keine dick-
leibigen Folianten, keine in der Weltlichkeit aufgehenden Diener,
nur solche, die Gottes Gesetz verstehen, prüfen und jedes andere
abweisen. Nur der Mensch, der die reine Absicht auf Christi
Gesetz hat und den Vorsatz, hierin bis ans Ende zu verharren,
darf hoffen, zur Seligkeit zu gelangen. Wenn jemand, und sei
es auch ein Engel vom Himmel, dem Gesetze Gottes Satzungen
hinzufügt, die im Evangelium weder explicite noch implicite ent-
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Loserth,
Heft 6 u. 7.
halten sind, der müht sich ab um schlechte Gesetze. So ge-
nügen denn die vier Evangelien vollständig zur Leitung dieser
Kirche.
In diesem Sinne finden sich in allen Werken Wiclifs aus
dessen letzten Jahren zahlreiche kräftige Stellen ; besonders häufig
kommt er in seinen Predigten auf den Satz zurück, dafs Christi
Gesetz völlig genügt zur Regierung dieser Welt und dafs die
menschlichen Satzungen nur dann einen Wert haben, wenn
sie auf der Schrift begründet sind. Das ist der Gedanke, der
in zahlreichen Abänderungen immer wiederkehrt und zu dessen
Erläuterung er noch im letzten Jahre seines Lebens selbst ein
„dickleibiges" Buch, das Opus Evangelicum, geschrieben hat.
Diese Lehren und dieses Buch waren es, aus dem Hus, und
mehr noch als dieser, die taboritischen Lehrer, geschöpft haben.
Aus diesem Buche hat Hus die Anregung zu seiner Rede: De
sufficiencia legis Christi ad regendam ecclesiam erhalten, und
wenn ihn die auf dem Konzil versammelten Väter hätten anhören
wollen, so würden sie Wiclifs Worte vernommen haben. Denn
jeder einzelne Hauptsatz in dieser Rede stimmt nicht nur sinn-
gemäfs, sondern auch wortgetreu mit Wiclifs Sätzen zusammen.
Die ganze Reform des taboritischen Gottesdienstes, bei dem
nun zunächst abgethan wurde, was aus „Gottes Gesetz" nicht
zu erweisen war, geht, wie man sieht, auf die Anregungen des
englischen Meisters zurück. Freilich mufsten schon die tabori-
tischen Vorstände erkennen , wie gefährlich es sei , wenn jeder
einzelne Priester das Evangelium als Richtschnur in der Hand
hält. Wie viel aber warfen sie nun selbst zu Boden, was die
Jahrhunderte hindurch in ganz Böhmen mit besonderer Inbrunst
verehrt worden war. Denn was sagte die Bibel von dem „eitlen"
Prunk, der nun in der Kirche entfaltet wurde, von den grofs-
artigen Tempelbauten, die nicht zur Frömmigkeit einladen, son-
dern zerstreuen, die nicht die Demut, sondern die unerträgliche
Hoffart des Klerus beweisen ? Sieht man nicht an dem Turmbau
zu Babel, dafs Gott diese Bauten verschmäht? oder wo haben
die Apostel zugelassen, dafs solche Bauwerke aufgeführt werden,
die in der Schrift keine Begründung haben? Haben nicht, lehrt
Wiclif, die Märtyrer im Kerker gebetet? Hat sich nicht Johannes
der Täufer in der Einsamkeit der Wüste zu erbauen vermocht,
haben nicht die Väter des alten und neuen Bundes ihre Gebete
unter freiem Himmel verrichtet? Oder war etwa Christus, wenn
er die Nacht im Gebete verbrachte, in einem Tempel eingesperrt?
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Die kirchlich« Rpformbewegung in England etc.
157
In allen diesen Dingen schufen die Taboriten, den Lehren ihres
englischen Meisters folgend, gründlichen Wandel. Nunmehr
wurde die Messe weder an diesen Prunkstätten, noch in den von
Gold strotzenden Gewändern und in den bisher üblichen Formen
gehalten. All das mufste fallen : „quod olim in primitiva ecclesia
saneti messando conficiebant communiter sine vestibus iam ad
hoc consuetis", weil die Apostel weder vom Introitus, noch vom
Kyrie eleison, von den Präfationen, Kollekten u. s. w. etwas
wufsten und sich einzig und allein mit dem Vaterunser begnügten.
Wozu braucht man diese Orden, lehrte Wiclif, als er in
seinen letzten Lebensjahren mit immer steigender Schärfe die
Bettelmönche bekämpfte, in denen er nichts anderes als die ge-
fügigen Werkzeuge des römischen Absolutismus erblickte. Eine
jede Pflanzung, die nicht der himmlische Vater gepflanzt hat,
mufs ausgerottet werden. Solche Pflanzungen sind die Orden,
erdacht, die Einheit der Kirche zu zerstören. Die Mönche be-
lasten die Kirche, sie verhindern, dafs das Evangelium frei wie
in der alten Kirche gepredigt werde, sie haben ihren Ursprung
in arge Lügen verhüllt, sie ziehen ihre Sekten — so nennt
Wiclif stets die Orden — der allgemeinen evangelischen Lehre
vor. Statt in Armut zu leben, bauen sie prächtige Paläste.
Brecht den Verkehr mit ihnen ab, ruft er den Seinigen zu,
nehmt ihnen die Temporalien weg, vernichtet sie, denn sie sind
ein Hindernis der kirchlichen Einheit; und so lehrt Wiclif fast
in allen seinen zahlreichen Büchern und Flugschriften aus den
Jahren 1378 — 1884, erstens, dafs die Orden überflüssig seien,
zweitens dem Gesetze Christi widersprechen, drittens verderb-
lichen Lastern frönen, den einzelnen Mitmenschen, der Kirche
und dem Staate zur Last fallen und daher vernichtet werden
müssen *) — alles Lehren, welche die Taboriten leider nur allzu
wörtlich befolgt haben. „Item, lautet einer ihrer Artikel, man
mufs die Klöster der Ketzer zerstören und ebenso die über-
flüssigen Kirchen und Altäre, die Bilder, die man offen oder
insgeheim aufbewahrt, die goldenen und silbernen Kelche, die
') Über diese Punkte verbreitet «ich ausführlicher mein Aufsatz: Der
Kirchen- und Klostersturm der Hnsiten und sein Ursprung. Zeitechr. für
Gesch. u. Politik 1888, 4. Heft. Vgl. dazu noch die Stelle Senn. IV, 4:
Xunquam erit secura pax in ecclesia militante, anteqnam isti fratres
upostate fundamentaliter heretici et blasphemi a saneta matre ecclesia sint
proscripti.
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Loserth,
Heft 6 u. 7.
stolzen Ornate und diese ganze Brutstätte des Antichrist und
die simonistische Schlechtigkeit, die ja nicht von dem himm-
lischen Vater herrührt"
So fiel nun, was sich an Klosterstiftungen im Lande vor-
fand, der neuen Richtung zum Opfer. Alle die zahlreichen Orden
verschwanden: Johanniter, der deutsche Ritterorden, die Kreuz-
herren, Prämonstratenscr, Augustiner, Benediktiner, Cistercienser,
Dominikaner, Minoriten, Karthäuser, Karmeliter, Cölestiner u. a.
Sie alle wurden ausgetilgt. „Und alle Klöster, sagt eine gleich-
zeitige Quelle mit einiger Übertreibung, wurden zerstört, mit
Ausnahme von dreien, nämlich zwei Minoritenklöstern und dem
Augustinerkloster in Wittingau.
Der ganze reiche Besitz fiel in Laienhand, wie es der dritte
von den bekannten vier Prager Artikeln voraussetzt: Dem Klerus
mufs aller weltlicher Besitz, den er gegen Christi Befehl seinem
Amte zum Schaden und zum Nachteil des weltlichen Arms in
Händen hat, genommen werden ; die Geistlichkeit mufs zur evan-
gelischen Regel und jenem apostolischen Leben zurückgeführt
werden, das Christus und seine Apostel gewandelt."
Anregung zu dieser Lehre und deren Begründung haben die
Husiten gleichfalls den Schriften Wiclifs entnommen. Es giebt
kaum eine Schrift aus seinen letzten Jahren, in der er nicht
mit allem Nachdruck für die Sekularisiorung des gesamten
Kirchengutes eingetreten wäre. In den mannigfaltigsten Wen-
dungen spricht er von dem Verderben der Kirche seit den Tagen
der Konstantinischen Schenkung, von dem Gift, das der Kirche
damals eingeflöfst wurde. „Der Teufel hat den Kaiser Konstantin
verführt, dafs er die Kirche mit irdischen Gütern belastete."
Jetzt vergifst der Klerus, in weltliches Treiben versenkt, seine
Pflicht, als evangelische Lehrer zu wirken. Alles Übel in der
Kirche stammt von dieser „Verkaiserung", d. h. von der Be-
lastung mit irdischen Gütern her. Das mufs ein Ende haben.
Der gesamte Klerus darf kein Eigentum haben1), er mufs ein
armes Leben führen; der weltliche Besitz des Klerus ist ein
J) Omnis clericus debet vivere vitam pauperem et vel nihil possidere
in proprio sicut Christus, vel si possideat, eletnosänam capere de Ulis, et
paupere et parce ut egenus, et residuum prudenter ministrare panperibua.
Unde sub colore dotaciouis introdueta fnit earybdis dinboli, in qua sunt
multi clerici nd nimium dampnum ecelesie devorati. Serni. 1,315; 11,65,298.
Pol. Works 95. 295. 703. 714. De Eueharistia 319. 10.
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Raub an den Armen, denn diesen, nicht den Klerikern, gehören
die Güter der Kirche. Allee Gut, das in der toten Hand liegt, darf
zur Verteidigung des Reiches, wenn es notthut, verwendet
werden. Die Dotation der Kirche steht im Widerspruche zur
Lehre und dem Beispiel Christi und der Kirche in der ersten
Zeit ihres Bestehens. Würde der Klerus leben in evangelischer
Annut, wie zur Zeit der Apostel, so würden alle Streitigkeiten
unter den Völkern aufhören. Während Christus und die Apostel
ein armes Leben der weltlichen Herrschaft vorzogen, stolziert
unsere Geistlichkeit einher, hoch zu llofs, mit reisigem Gefolge,
Königen gleich. Jede weltliche Gewalt, lehrt er an anderer
Stelle, ist ihr untersagt, denn sie ist das Gift, an dem sie zu
Grunde geht. Weder die Notwendigkeit, dafs der Kaiser seine
Krone aus den Hü n den des Papstes empfange, noch dessen An-
spruch auf die Weltherrschaft ist in der hl. Schrift begründet.
Die weltliche Herrschaft der Päpste rührt nicht von Gott, son-
dern vom Kaiser her. In Bezug auf weltliche Dinge steht die
weltliche Macht über dem Klerus; die geistliche Gewalt hat
andere Grundlagen und verfolgt ganz verschiedene Zwecke.
Ich will hier, sagt Wiclif an einer Stelle, die Grenzen beider
Mächte nicht näher berühren, aber das sage ich kühn, dafs
weder das Geschrei unseres Klerus noch die hl. Schrift uns be-
wegen zu glauben, dafs der Papst gröfser sei als der Kaiser, sei
es in irdischen, ja selbst in göttlichen Dingen. Die Civilgewalt
des Königs Uber den Klerus hat Wiclif in mehreren gelehrten
Schriften ausführlich dargelegt Diese Gewalt des Königs ist
ein Ausflufs der königlichen Macht überhaupt. Der König wäre
nicht Herr von ganz England, wenn mehr als der vierte Teil
des Landes, welcher der toten Hand gehört, seiner Gewalt ent-
zogen würde. Dem Klerus sind die Privilegien und Temporalien
nur bedingungsweise gegeben; erfüllt er die Bedingungen nicht,
so verfallt er der Strafe, und diese besteht in der Einziehung
der Güter der toten Hand. Solcher Einziehungen kenne die
englische Geschichte gar viele: Wiclif erinnert an die Vorgänge
unter Wilhelm dem Eroberer, Eduard III., ja an die unter
Richard II.
Nicht die weltliche Herrschaft, sondern die Predigt des
Evangeliums ist die des Priesters würdige Aufgabe. Und wie
ernst es Wiclif mit dem Predigtarate nahm, zeigt das Institut
der armen Priester oder Wanderprediger, das er ins Leben rief,
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Loser tb,
Heft 6 11. 7,
wofern er nicht vielleicht, woran ich übrigens zweifle, an wal-
densische Übung anknüpft. Alle Segnungen und Weihungen des
Wachses und Brotes, der Palmen und Kerzen, der Stäbe und
Taschen sind kein notwendiger Bestandteil des Glaubens, wich-
tiger als alles das ist die Predigt. Die Pseudoprälaten aber
wissen, warum sie das Evangelium links liegen lassen, denn es
lehrt die Nachfolge Christi, die ihnen nicht zusagt. Diese Pflicht
erfüllten Wiclifs arme Prieper, ein Verein, dessen Mitglieder
keine Weihe und kein Gelübde band.
Barfufs, gekleidet in einen langen groben Tuchmantel von
dunkelroter Farbe, dem Zeichen harter Arbeit und der Armut,
einen langen Stab in der Hand, der ihren Hirtenberuf andeutete,
wanderten sie von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf und pre-
digten in Kirchen, Kapellen und Mefshäusern von der Herrlich-
keit des Gesetzes Gottes.
Aber nicht blofs Priester, auch Laien wurden "zum Predigt-
amte berufen — und auch in dieser Beziehung waren die Tabo-
riten Wiclifs gelehrige Schüler: wir hören von Ungelehrten,
selbst Frauen, die sich bei den Taboriten das Predigtamt an-
mafsten und Priester ausweihten. Lehrte doch ihr Meister, dafs
zu einem Dienst in der Kirche die göttliche Berufung und Voll-
macht vollkommen ausreichend sei. Es gebe eine Einsetzung
durch Gott selbst, auch wenn der Bischof dem Prediger die
Handauflegung nicht erteilt hat.
Damit kommen wir zu dem Satze, dafs Wiclif sowohl als
seine böhmischen Schüler von der gesamten bestehenden Hier-
archie nichts wissen wollen. Wie sagt doch Wiclif an einer
bezeichnenden Stelle: „Vom Papste und den Kardinälen, von
den Mönchen, den begüterten sowohl als den Bettelbrüdern,
erinnere ich mich nicht, gelesen zu haben, dafs die hl. Schrift
ihrer gedenkt"
Die hierarchische Gliederung der bestehenden Kirche verwirft
Wiclif grundsätzlich. Der Primat ist ihm begründet auf einem
frivolen Irrtum des Antichrist; so nennt er den Papst. Man
mufs, lehrt er, diesen Irrtum aufgeben und sich an die Schrift
halten. Den bekannten Satz von der Schlüsselgewalt des Papstes
nennt er einen locus a simiali similitudine ; mit dem römischen
Bischof habe das nichts zu thun. Er spottet über die Wahl
eines solchen Oberhauptes durch die Kardinäle. Woher haben
denn diese ihre Berechtigung? Als sich Judas erhängt hatte
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Die kirchliche Reformbewegung in England etc.
161
und die Apostel einen Nachfolger wählten, geschah das nach
eifrigem Gebete durch das Los, das über die zwei Würdigsten
geworfen wurde. Alle Priester sind vollständig gleich. Eine
Über- und Unterordnung giebt es nach Gottes Gesetz nur in der
Laienwelt. Nicht so in der Kirche. Alle Apostel, Priester und
Presbyter sind Genossen und dürfen nicht um höheres Ansehen
oder höheren Vorrang streiten. Der Primat rührt vom Kaiser
Konstantin her; der Christ mufs sich an das Gesetz Christi
halten, das er im Briefe an die Galater im 2. Kapitel ausgedrückt
findet. Es soll in der Kirche nur Priester und Diakonen geben.
Einstens wurden in der Kirche alle Priester Bischöfe genannt.
Priester und Diakone haben die besondere Erlaubnis von Gott,
das Evangelium zu predigen.
Ja, wie verhielt sich nun zu diesen Lehren die Kirche?
Die Kirche. Was ist denn die Kirche? Wenn die Leute heut-
zutage, sagt Wiclif, von der Kirche reden, so verstehen sie unter
ihr Prälaten und Priester, besitzende Mönche, Stiftsherren und
Bettelbrüder und alle, die eine Tonsur tragen, mag auch ihr
Wandel noch so ruchlos sein und dem Worte des Herrn zuwider-
laufen. Dagegen nennt man die weltlichen Leute nicht Männer
der Kirche, mögen sie auch noch so treu nach Gottes Gesetz
leben und in vollkommener Nächstenliebe sterben. Aber nichts-
destoweniger sind doch alle die, so einstens im Himmel selig
sein werden, Glieder der hl. Kirche und sonst niemand mehr1).
In diesen und ähnlichen Worten wendet er sich in verschiedenen
Schriften gegen die landläufige Vorstellung, als ob man unter
der Kirche nur die sichtbare katholische Kirche zu verstehen
habe, d. h. die hierarchisch gegliederte Gemeinschaft derselben,
oder als ob Kirche und Geistlichkeit gleichbedeutend wären, also
nur die Mitglieder der Geistlichkeit der Kirche angehören würden,
die Laien aber von ihr ausgeschlossen wären. Diese falsche
Auffassung, lehrt Wiclif, haben auch Männer, die innerhalb der
Kirche einen hohen Rang einnehmen, und doch liege es zu Tage,
dafs so viele Irrtümer, in welche die Christen verfallen, lediglich
eine Folge dieser Auffassung seien. Und gerade in diesen Tagen,
fährt er fort, ist es notwendig zu sagen, was denn eigentlich die
*) Aus meiner Einleitung zu Wiclif« Buch De Ecclcsia. Deutsch im
24. Bande der Mitteilungen <L Vereins für Gesch. der Deutschen in Böhmen.
4. Heft.
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Loacrtli,
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Kirche sei, und ein richtigeres Verständnis von dem, was die
Kirche ist, anzubahnen, das Volk im Glauben an die Barche zu
unterweisen und alle wider sie erhobenen Angriffe abzuwehren.
Um diese Ausführungen zu würdigen, mufs man sich erinnern,
dafs Wiclif sich in den Jahren 1377 und 1378 den empfindlichsten
Angriffen der gesamten Hierarchie — damals sagte man also:
der Kirche — ausgesetzt sah. Die Hierarchie ist aber nicht die
Kirche. Und den Unterschied zwischen dem, was Kirche ist,
und was die grofse Menge unter Kirche versteht, darzulegen,
ist der Zweck seiner Darstellung im Buch von der Kirche, jenem
berühmten Werke, das die längste Zeit hindurch nur durch das
matte Plagiat des Magisters Johannes Hus bekannt war, und für
dessen Inhalt dieser vornehmlich den Feuertod erlitten hat.
Nur wenige Punkte aus dieser Schrift mögen hier angeführt
werden, und nur, um zu zeigen, wie ihr Inhalt in Böhmen in
die Wirklichkeit umgesetzt wurde. Die Kirche, so beginnt
Wiclif, ist die Gesamtheit aller jener, die von Ewigkeit her zur
Seligkeit bestimmt (prädestiniert) sind. Sie enthält drei Teile:
Die triumphierende, schlafende und streitende Kirche, die Seligen
im Himmel, die Seelen im Fegefeuer und die im Kampfe mit
der Welt begriffenen Christen.
Kein von Ewigkeit her Verworfener (prescitus) hat Teil an
dieser Kirche. Es ist nicht dasselbe: „von der Kirche sein"
und „in der Kirche seintt: Nicht jeder, der in der Kirche ist,
ist auch von der Kirche, sondern umgekehrt; denn wie im
menschlichen Körper manches ist, Auswurf und Ähnliches, was
kein Bestandteil des Körpers ist, so können auch in der Kirche
Verworfene sein, die dereinst vom Leibe der Kirche entfernt
werden müssen.
Kein Ort und keine menschliche Wahl macht jemanden zum
Gliede der hl. allgemeinen Kirche, sondern allein die göttliche
Prädestination.
Es giebt nicht mehrere, sondern nur eine einzige allgemeine
(katholische) Kirche und aufser dieser kein Heil. Haupt der
Kirche ist Jesus Christus.
Kein Papst darf behaupten, dafs er das Haupt der Kirche
sei; denn er weifs nicht einmal, ob er prädestiniert, also über-
haupt auch nur Mitglied der Kirche sei. Wäre irgend ein Christ
mit Christus Haupt der Kirche, so wäre diese ein Monstrum,
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1893.
Die kirchliche Refonnbcwegtuig in Engl und etc.
da sie zwei Häupter besäfse. Daher haben die Apostel in ein-
mütiger Weise sich nur Diener dieses Hauptes und der Kirehe
genannt, und nie hat einer von ihnen die Behauptung gewagt,
dafs er das Haupt oder der Verlobte der Kirehe Bei. Kein
Christ kann, sei es durch eine Wahl oder irgend eine Satzung
bestimmen, dafs der Papst das Haupt oder auch nur ein Mitglied
der Kirche sei, denn die Mitgliedschaft beruht auf der Prä-
destination und Gnade Gottes. In diesem Tone und auf Grund-
lage dieser Vorbegriffe geht es weiter.
Kein zweites Buch seines englischen Lehrmeisters — vielleicht
die Predigten ausgenommen, hat Hus in dem Mafse angezogen,
als das Buch von der Kirche. Welchen überwältigenden Eindruck
es auf ihn gemacht, sieht man daraus, dafs er in der gleichen
Absicht wie Wiclif ein Buch „von der Kirche" geschrieben, das
genau wie das seines Lehrers 23 Kapitel enthält und fast Wort
für Wort diesem entlehnt ist Mit Ausnahme weniger polemi-
scher Stellen gegen seine böhmischen Widersacher ist alles das
geistige Eigentum des Engländers.
Dieses Buch ist das Hauptlehrbuch der husitisch-taboritisehen
Parteien geworden. An dem Wiclifschen Begriff von der Kirche
zerschellten die Versuche, die der König Wenzel zu Anfang des
Jahres 1413 machte, um den kirchlichen Frieden wieder-
herzustellen. In dem Buch von der Kirche fanden sich jene
Grundsätze, die, wenn sie durchgeführt wurden, der bisherigen
Stellung des Klerus im Lande ein Ende bereiten mufsten. Dafs
dieses Ende ein Ende mit Schrecken war, dafür haben die hef-
tigen Angriffe Wiclifs auf die Bettelmönche gesorgt, die sich in
seinen Predigten fanden. Diese Predigten Wiclifs aber wurden
nach dem Feuertode des Hus als dessen eigene Lehren im Volke
verbreitet.
Indem man diese Lehren Wiclifs in Böhmen in die Wirk-
lichkeit übersetzte, zerfiel die kirchliche Ordnung, wie sie bisher
bestanden. Die Welt erschrak vor der Wucht, mit der die
vernichtenden Schläge auf das bisherige Regiment geführt wurden,
und der Wut, mit der man selbst an das ehrwürdigste Dogma
der Kirche griff — an die Abendraahlslehrc.
Gegen diese Lehre, nach welcher kraft der Weihe Brot und
Wein in den Leib und das Blut Christi derart verwandelt werden,
dafs nur noch die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften von
Brot und Wein — die Accidenzien ohne Subjekt — zurück-
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Loserth,
Heft 6 u. 7.
bleiben, trat Wiclif in einen mit den Jahren sich immer mehr
zuspitzenden Widerspruch. Brot und Wein, lehrt er, seien nach
wie vor den Segensworten des Priesters vorhanden. Woher
stammt der Widerspruch Wiclifs, was bezweckt er mit ihm,
und wie wurde seine Lehre in Böhmen aufgenommen?
Mit dem Kampf gegen die herrschende Lehre meinte Wiclif
die Stellung der Hierarchie seiner Zeit in ihren Grundfesten zu
erschüttern. Er will der „heidnischen" Meinung entgegentreten,
als sei jeder Priester imstande, den Leib Christi zu „machen",
eine Meinung, die damals allgemein geteilt und von den Priestern,
wie Wiclif sagt, in gewinnsüchtiger Weise verwertet wurde.
Der Gedanke, dafs ein Priester Gott „machen" (conficere) könne,
erscheint ihm als ein schauerlicher; denn hierdurch wird erstens
dem Priester eine überschwengliche Vollmacht zuerkannt, als
sei er imstande, er, ein Geschöpf, seinem Schöpfer, ein sündiger
Mensch der Gottheit das Dasein zu geben; zweitens werde Gott
hierdurch erniedrigt, wenn man sage, er, der Ewige, könne Tag
für Tag neu geschaffen werden. Man bete, klagt er, die Hostie
an, statt des Schöpfers die Kreatur; das sei schlimmer als selbst
der Fetischdienst der Heiden. Nachdem er einmal mit der
kirchlichen Lehre von der Wandlung gebrochen, behandelte er
diesen Gegenstand mit nie ermüdendem Eifer in wissenschaft-
lichen und populären Werken, am gründlichsten in seinem Buch
vom Abendmahl, das auch in Böhmen zu grofsem Ansehen ge-
langte. Man gestatte mir einige Worte aus dieser Abhandlung
anzuführen: Bei diesem Sakramente, lehrt er, sind drei Dinge
zu scheiden, 1. das blofse Sakrament, d. i. die geweihte Hostie,
2. das Sakrament und dessen Inhalt, d. i. der Leib und das Blut
des Herrn, und 8. die Sache des Sakraments und nicht das
Sakrament, d. i. die Einigung Christi mit seinem mystischen
Körper, der Kirche. Erst wer diese Vorbegriffe kennt, wird die
Behauptungen jener Leute würdigen, die da sagen, ein Hund
oder eine Maus könne unsern Herrgott verzehren, weil sie die
Hostie fressen, d. h. Christi Leib, also Gott Wir antworten,
nagt Wiclif, diesen Leuten, dafs solche Tiere nur die geweihte
Hostie fressen, das. Sakrament, nicht den Leib Christi. Denn
so wie der Löwe, wenn er des Menschen Leib verzehrt, nicht
auch dessen Seele verspeist, wiewohl sie in jedem Teil seines
Körpers ist, so hat man es auch vom Leib des Herrn im Sa-
krament des Altars zu verstehen; denn dieser ist auch — aber
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1893. kirchliche Kefonnbewegung in England etc.
105
in sakramentaler, spiritualer und virtueller Weise in jedem Punkte
der Hostie vorhanden. So brechen wir also die Hostie, nicht
den Leib des Herrn, so wie wir den Sonnenstrahl nicht brechen,
wenn wir ein Krystallgefafs zerschlagen. Das Sakrament wird
gebrochen, nicht der Leib des Herrn. Wie es ein doppeltes
Sehen giebt, ein körperliches und ein geistiges, bo giebt es auch
ein doppeltes Essen. So sehen wir im Sakrament nicht mit
leiblichen Augen den Leib des Herrn, sondern im Glauben —
durch einen Spiegel — im Gleichnisse. Und so wie ein Bild
vollständig in jedem Punkte des Spiegels ist, so ist es auch mit
dem Leib des Herrn in der geweihten Hostie: Wir berühren
und fassen ihn nicht, wir nehmen ihn nicht körperlich, sondern
geistig, aber vollständig unversehrt zu uns. In diesem Sinne
geht es weiter. Freilich, lehrt WTiclif, sagt man, das priester-
liche Ansehen werde leiden, wenn der Priester nicht mehr die
Befugnis hätte, den Leib Christi zu „machen". Wer würde
dann noch eine Messe hören, wer die Hefsstecher um teures Geld
mieten oder gar das Sakrament nach dem Brauche der Kirche
nehmen wollen? Aber giebt es wohl etwas Schrecklicheres, als
dafs jeder Priester bei der Messe den Leib des Herrn macht :
Unser Gott ist ja kein neuer Gott, sein Leib nicht neuerlieh zu
machen. Was wir Priester machen, das ist nur die Weihung der
Hostie, die aber nicht der Leib des Herrn, sondern dessen wirk-
sames Zeichen ist.
Dieser Lehre war auch Hus, wie wir aus mehrfachen Zeugnissen
wissen, lange Zeit zugethan, aber er schreckte doch davor zurück,
sie vor dem Konzil zu bekennen. Dort hat er sie preisgegeben,
und ihm folgte die gemäfsigte Partei der Husiten. Nicht so die
Taboriten. Das sind nun die wahren Schüler des englischen
Reformators; wie an allen anderen Lehren: von der Gemeinschäd-
lichkeit der geistlichen Orden und der Notwendigkeit ihrer Ver-
nichtung, dem Prinzip, dafs alles zu verwerfen sei, was in der
Schrift keine Begründung findet, an der Lehre vom Priestertum und
der Hierarchie, von der Bilderverehrung, vom Zehent, der an
die Geistlichkeit zu zahlen ist, vom Reichtum der Kirche, der
Verwerfung des Mefsopfers, so haben sie namentlich an der
Wiclifschen Abendmahlslehre festgehalten, und gerade in dieser
liegt der Grund, der die Taboriten von den Calixtinern schied,
denn nicht um etwas rein Äufserliches , wie um den Kelch, ist
es jenen zu thun.
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IOC
Loserth, Dil- kirchliche Reformbewegung etc Heft C U. 7.
Doch wir halten ein, so verlockend es auch ist, noch auf
weitere Punkte, namentlich auf die sociale Seite der Lehre Wiclifs
und ihre Aufnahme in Böhmen näher einzugehen. Nur auf
ein Moment möchte ich noch hinweisen, und nur um zu zeigen,
wie abhängig der Husitismus selbst in itufserlichen Dingen von
Wiclifs Lehren ist. Man weifs, welchen Eindruck es weit Uber
die Grenzen Böhmens hinaus machte, als 1412 während des
Ablafsstreites in Prag ein Volkshaufe, geführt von Wok von
Waldstein, demselben, den wir jüngst als einen Freund des be-
rühmten Wielititen Lord Cobham erwiesen haben, die papstlichen
Bullen verbrannte, ein Beispiel, das später kein Geringerer als
Luther nachgeahmt hat. Nun — auch die Anregung zu der
Verbrennung der päpstlichen Bullen fanden die Freunde des
Hus in Wiclifsehcn Schriften. In seinem Opus Evangelicum
lesen wir im zweiten Buche (Kap. 37): Was aber immer dieser
Antichrist, d. i. der Papst, reden mag: Nur die evangelischen
Werke führen zur Seligkeit, diese nackten Bullen aber mit den
kalten Bildern von St. Peter und Paul höchstens zur Hölle, und
so kommt es, dafs gläubige Menschen, wenn sie sehen, dafs das
Leben solcher Leute, die der Papst als Geldein treiber in die
Welt schickt, dem Leben Christi widerspricht, diese Bullen
dem Feuertod preisgeben. Mag dann immer die Strafformel in
den Bullen lauten: Nulli hominum liceat paginam istam infringere,
solche Verbrenner der Bullen lachen darüber.
Wer nun etwa die Lage der Dinge in Böhmen beim Tode
Sigismunds mit jener beim Tode seines Vaters verglich, welch
ergreifenden Unterschied nahm er wahr. Wo war nun die einst
so mächtige Hierarchie, wo waren die stattlichen, in den Himmel
ragenden Klöster, wo der unermefsliche Reichtum des Klerus?
In Wahrheit war hier alles von unten nach oben gekehrt, so
dafs ein Mann wie Enea Silvio in lebhafte Klagen ausbricht.
Und zu alledem hatte der kurze Zeitraum von kaum einem
Menschenalter genügt. Ob freilich dies Ergebnis im Sinne des
Meisters gewesen, dessen Lehren hier aus der Welt der Gedanken
in die Wirklichkeit umgesetzt wurden? Wir möchten es billig
bezweifeln. Sahen sich doch schon Wiclifs Enkel, die böh-
mischen Brüder, genötigt, den radikalen Standpunkt der
Taboriten in einzelnen Punkten aufzugeben.
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Zwei Bilderbücher für den Unterricht
vor dem Orbis pictus.
Von
Albert Richter.
In dem Artikel „Bilderbuch" in Schmids Encyklopadie des
ges. Erz.- und Unterrichte wesens I8, S. 696, schreibt Strebel:
„Der erste, der die Bilder eigentlich in die Schule einführte und
für deren Zweck benutzte, war Arnos Comenius." Dieser Hin-
weis auf den Orbis pictus beruht aber, wie der Verfasser des
Artikels eigentlich hatte wissen müssen, auf ganz falschen Voraus-
setzungen
Wir wollen gar nicht reden von den Schulen des Altertums,
in denen z. B. Relief tafeln in Gebrauch waren, die bei der Lek-
türe Homers zur Veranschauliehung gebraucht wurden (vgl. die
Tabula lliaca in Seemanns Kulturhistorischem Bilderatlas, I. Abt.
Altertum, hsgb. von Dr. Theod. Schreiber). Für das deutsche
Mittelalter wäre zu erinnern an die vielverbreitcto Biblia pauperum,
die ebenso in Schulen wie in Familien gebraucht wurde, wenn
man Kindern die biblischen Geschichten erzählte. Aus dem
Mittelalter wird auch berichtet von einzelnen Bildern auf Papier,
die „dutzendweise, in rohen Umrissen und vermittelst der Patronen
') Übrigens beruft sich Comenius (0. D. II. 79) selbst auf Eilhard
Lubinus (f 1621), der, um das Lateinsprechen zu fordern, den Rat erteilt
habe, ein Buch herzustellen, in welchem die Bilder aller Dinge abgemalt
seien, mit ebensoviel hinzugefügten Sätzen, bis alle Wörter und Sätze der
ganzen Sprache erschöpft seien.
MoniUhefte der ComeniM-OeteJlsehaft. 1893. 12
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168
Richter,
Heft 6 u. 7.
mit Farben Uberstrichen, verfertigt wurden", selbst den Ärmsten
zugänglich waren, an die Wände oder Thüren geklebt oder in
Bücher gelegt wurden. Der Schulmeister Joh. Buchstab in Winter-
thur schreibt in seiner Schrift „Von bekleidung der priester"
(1527. Bl. D*): „Die bilder werden gemacht zu einer under-
weisung der ungeschickten menschen, so die geschrifften nit lesen
können, den selbigen menschen werden die bilder für die büecher
angeztfgt und fürgemacht, defs ich selbst kundschaft gibe, mich
von meiner ungelernten mutter die xij stück des Christenlichen
glaubens mit sampt den x botten Gottes ufs zweien gemalten
briefen (an der wand klebent) gelernt haben." Sotzmanns Auf-
satz „Gutenberg und seine Mitbewerber" in Raumers historischein
Taschenbuche (Jahrg. 1841) bietet dazu weiteres Material.
Mit Bildern waren zahlreiche Bücher des Mittelalters, die
der religiösen Unterweisung dienten, ausgestattet, z. B. eine Aus-
gabe von „der Sele Trost" vom Jahre 1478. Weitere Beispiele
bietet: „Geffcken, der Bilderkatechismus des 15. Jahrhunderts"^
S. 49 — 52. Auch Bücher aus anderen Wissensgebieten weisen
schon im Mittelalter Bilder auf, so ein im 15. Jahrhundert aufser-
ordentlich oft aufgelegtes Geschichtswerk: Fasciculus temporum
von Werner Rolevinck (— merkwürdig ist, dafs die PortrÄts,
Belagerungsbilder etc. dieses Buches immer nach etlichen Bogen
wiederkehren, so dafs der gleiche Holzschnitt neben verschiedenen
Lebensbeschreibungen, Belagerungen etc. steht — ), so ferner die
verbreitetste deutsche Naturgeschichte des Mittelalters, das „Buch
der Natur" von Konrad von Megenberg.
Auch dem Leseunterrichte wurden schon im Mittelalter Bilder
dienstbar gemacht. Johannes Müller beschreibt in seinen „Quellen-
schriften zur Geschichte des deutschsprachlichen Unterrichts"
(S. 329) eine von dem deutschen Schulmeister Christoph Huber
aus Landshut in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ge-
schriebene Handschrift der Münchener Hof- und Staatsbibliothek,
in der sich neben einem „Modus legendi", der zur Übung im
Lesen der mannigfachsten Zusammensetzungen von Vokalen und
Konsonanten bestimmt ist, auch kleine Bilder mit darüber ge-
schriebenen Buchstaben finden, bestimmt zur besseren Einprägung
der Laute. Mit dem Alphabet im Orbis pictus verglichen, ent-
sprechen diese Huberschen Bilder den Bildern in heutigen Bilder-
fibeln mehr als die Bilder bei Comcnius. Während im Orbis
pictus ein Gegenstand dargestellt wird, der den betreffenden Laut
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1893.
Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc.
169
hervorbringt (— die Krähe krächzet a, die Maua pfipffert i — ),
beginnt bei Huber der Name des Gegenstandes mit dem be-
treffenden Laute (— das a steht über einem Eichenzweige mit
zwei Eicheln, bayrisch „acheln", das i über einem Igel, das d
über einem Tintenfafs etc. — ).
Über den Wert von Bildern zur besseren Einprägung bibli-
scher Geschichten spricht sich auch Luther aus. 1522 hatte er
veröffentlicht: „Eyn bettbuchlin. Der czehen gepot. Des glaw-
bens. Des vater vnsers. Des Aue Marien. Etliche verdeutschte
Psalmen. Die Epistell sanct Pauls tzu Tito, eyn Christlich leben
tzu vnterrichten." Das Büchlein ist in zahlreichen Auflagen er-
schienen; der von 1529 fügte Luther einen Kalender, ein Passional
Christi und 52 Holzschnitte hinzu. Über die Bestimmung der
letzteren aber spricht er in der Vorrede der Ausgabe von 1545:
„Ich habs für gut angesehen, das alte Passionalbüchlein zu dem
Betbüchlein zu thun, allermeist umb der Kinder und Einfältigen
willen, welche durch Bildnifs und Gleichnifs besser bewegt werden,
die göttlichen Geschieht zu behalten , denn durch blofse Wort
oder Lehr . . . Und was sollts schaden, ob jemand alle fürnehm-
liche Geschichte der ganzen biblia liefs nach einander malen in
ein Büchlein, dafs solch Büchlein ein Lainbibel wäre und hiefse."
Man möchte glauben, die Herausgeber der beiden Bücher,
von denen hier die Rede sein soll, hätten sich geradezu nach
Luthers hier angeführten Worten gerichtet, denn es handelt sich
in der That um zwei Büchlein, die den Namen Laienbibel ver-
dienen.
Der von Herzog Ernst dem Frommen 1Ö34 als Schulrat nach
Weimar berufene Sigismund Evenius (1613 Rektor in Halle,
1622 in Magdeburg, rettet sich bei der Eroberung Magdeburgs
1631 mit Mühe nach Esthland, wird Rektor des von Gustav
Adolf gestifteten Gymnasiums zu Riga, 1633 Rektor in Regens-
burg), ein Ratichianer, entwarf den Plan zu dem eben so grofs-
artig ausgeführten wie angelegten Weimarischen Bibelwerke und
machte Verbessorungsvorschlägc für den Religions-, insbesondere
den Katechismusunterricht. Für letzteren schrieb er die 1636
in Erfurt erschienene „Christlich-gottselige Katechismusschule, d. i.
einfältliche , verständliche Erklärung des heiligen Katechisrai
Dr. Lutheri".
Neben der grofsen, für die Erwachsenen bestimmten Bilder-
bibel, die bei Endter in Nürnberg erschien, plante aber Evenius
12*
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170
Richter,
Heft 6 u. 7
auch ein biblisches BilderbUchlein für die Jugend. Einer vom
Herzog im Juni 1634 nach Jena berufenen Konferenz legte Evenius
seine Ideen vor, wie der Jugend und insbesondere schon den
kleinen Kindern, die noch nicht lesen konnten, das religiöse
Wissensgebiet durch Bilder veranschaulicht und dadurch um so
schneller und um so sicherer eingeprägt werden sollte. Die
Jenenser Theologen waren der Meinung, dafs eine solche Idee
„nicht zu improbieren" sei. Gleichwohl ist der Plan des Evenius
unter lebhafter Anteilnahme des Herzogs verwirklicht worden in
einem Büchlein, das 1636 zu Jena erschien unter dem Titel:
„Christliche Gottselige Bilderschule, das ist, Anführung der
Ersten Jugend zur Gottseligkeit in und durch Biblische Bilder,
aus und nach den Historien, Sprüchen der Schrift, Einstimmung
des Catechismi und nützlichen Gebrauch erklärt, förderst zu
Gottes Ehren und dann zu der christlichen Jugend frühzeitiger
Erbauung in der Gottesfurcht: Nach Ordnung und Weise, wie
es bisher in öffentlicher Übung der zarten Jugend gut, heilsam
und nützlich befunden. Auf Gutachten fürnehmer Theologen,
allen Christlichen Schulen und häuslichen Unterweisungen zum
Besten im Druck ausgefertigt. Jena im Jahr 1636."
Noch im Jahre des Erscheinens dieses Büchleins fanden zu
Weimar unter Beteiligung Herzog Emsts weitere Verhandlungen
über die Gestaltung des Religionsunterrichtes statt. Wie Johannes
Müller („Herzog Emsts Special- und sonderbahrer Bericht",
Sammlung selten gewordener pädagogischer Schriften, X, 125)
nachweist, wünschte der Herzog damals Einrichtungen, die als
Vorläufer der heutigen Kindergärten und Kleinkinderschulen be-
zeichnet werden könnten, und in ihnen sollte der Verwilderung
der Jugend vorgebeugt worden durch einen schon im dritten oder
vierten Lebensjahre beginnenden Unterricht unter Zugrundelegung
der „Bilderschule". Durch „anmutige Bilder" sollte „den Kindern
gleichsam unwissend die Wissenschaft in etwas beigebracht werden",
Sprüche von der Sünde, dem Verdienste Christi, das Vaterunser
u. s. w. sollten gelehrt werden.
Zur Verwirklichung dieses Planes ist es nicht gekommen;
wohl aber wird berichtet, dafs bei einer Prüfung, die der Herzog
am 9. August 1645 mit seinen eigenen Kindern, dem vierjährigen
Prinzen Johann Emst und der fünfjährigen Prinzessin Elisabeth
Dorothea, vornehmen liefe, beide Kinder „wegen des einen oder
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Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc.
171
anderen Bildes aus der Bilderschule gute Rechenschaft und Be-
richt geben4* konnten. (Gelbke, Herzog Ernst I., Bd. III, 81.)
Ausführlicheres über diesen an Bilder angeschlossenen Unter-
richt teilt Dr. W. Boehne „Die pädagogischen Bestrebungen
Ernst des Frommen" (S. 295 f.) mit. Es heifst da: „Der damalige
alumnus gyninasii Joachim Meyer, der auch später noch vielfach
als Lehrer der fürstlichen Kinder verwendet wurde, mufste den
Prinzen Johann Ernst und die Prinzessin Elisabeth vormittags
von 10 — ' all Uhr unterrichten. Hierzu waren drei Hauptthemata
nebst entsprechenden Bildern gegeben, nämlich „1. von des Men-
schen Verderbung, 2. von seiner Erlösung, 3. von den Mitteln
dazu". Die Bilder wurden den Kleinen vorgelegt und ihnen
durch wiederholtes Vorsagen einige passende Sprüche eingelernt.
Dann erst wurden die Bilder eingehend erklärt nach Angabe der
(genau wie im Orbis pictus) beigedruckten Zahlen. Dadurch
sollte der „Verstand" der Bilder erzielt werden. An jedem Sonn-
abend aber waren solche Bilder vorzunehmen, welche sich auf
das Evangelium des nächsten Sonntags bezogen. Dadurch hoffte
man die Kleinen besser auf den Gottesdienst vorzubereiten, dem
sie von frühester Kindheit an regelmäfsig beiwohnen mufsten.
Doch blieb dieser erste Anschauungsunterricht keineswegs auf
das religiöse Gebiet beschränkt. Vielmehr hatte man auch welt-
liche Bilder, namentlich aus der Geschichte und Naturkunde, zu
denen den Kindern „feine, nützliche und kurze Historien ein-
feltig, kürzlich und deutlich" vorerzählt wurden. Bisweilen sollten
sie sich allein mit denselben beschäftigen und darüber von dem
Lehrer nachmals examiniert werden . . . Übrigens bediente man
sich dabei nicht nur gemalter, sondern auch geschnitzter Bilder
und selbst natürlicher Gegenstände."
Es mufs auffallen, dafs hier, wenn von Erklärung der „Bilder-
schule" die Kede ist, die biblischen Geschichten nicht erwähnt
werden, deren Erwähnung man doch vor allem erwartet. (Ein
Exemplar der Bilderschulc ist uns nicht zugänglich.) Vielleicht,
dafs gerade deshalb ein mit den Gothaischen Reformbestrebungen
auf dem Gebiete des Religionsunterrichtes genau vertrauter Mann
ein anderes Bilderwerk schuf, das vorzugsweise der biblischen
Geschichte diente und das von ihm ganz ausdrücklich als Vor-
stufe für das in der Vorrede seines Büchleins wann empfohlene
„Weimarische Bilderbuch lein" bezeichnet wird.
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Richter,
Heft G u. 7.
Der Verfasser des in Rede stehenden BUchelchens ist Johann
8 a u b e r t , Pfarrer zu St. Sebald in Nürnberg, der von Herzog Ernst
dem Frommen mit der Revision des Druckes der bei Endter in
Nürnberg hergestellten Weimarisehen Bilderbibel betraut war»
Johann Saubert war geboren 26. Februar 1592 zu Altorf, studierte
daselbst Theologie, ward 1610 Magister, studierte dann in Tübingen,
Giefsen und Jena, ward 1617 Katechet und Inspektor zu Altorf,
1618 Diakonus und Professor der Theologie am Gymnasium da-
selbst, 1622 Diakonus zu Nürnberg an der St Ägidienkirche
und Pastor an der Marienkirche, 1637 Pastor zu St. Sebald, und
starb am 2 November 1646.
Saubert ist Verfasser einer Anzahl von Erbauungsschriften,
unter denen besonders gerühmt werden die „Schola Crucis,
Christliche Kreuzesschule, gesprächsweise gestellt . . . Nürnberg
1619" und „Currus Simeonis, der Wagen Simeonis sampt einem
Geistlichen apparat und vorrath, Nürnberg o. J.u (Widmung von
1627). Im geistlichen Apparat und Vorrat sind Lieder, Gebete,
Aussprüche der Kirchenväter u. a. m. bunt durcheinander ge-
worfen. Ferner werden noch von Saubert genannt: „Icones pre-
cantium, Nürnberg 1629, 1638." „Geburtsschule, Nürnberg 1630"
und „Cyclopädia christiana, wie man sich aus den sechs Haupt-
stücken des Katechismus wider die Anfechtung verwahren könne,
Nürnberg 1634.tt (Vgl. H. Beck, die religiöse Volkslitteratur, S. 1 10.)
Nicht erwähnt wird von Beck die hier in Rede stehende
Schrift, deren Kupfertitel lautet: „Lese Büchlein aus H. Schrifft,
der lieben Jugend zum besten gedruckt durch Wolffgang Endter
in Nürnberg 1639." Ausführlicher ist der gedruckte Titel: „Lese-
büchlein | Für die kleine Kinder | Welche allbereit | aufs
dem gemeinen Namen- | büchlein in dem Buchstabiren genug-
sam | geübt worden, und nunmehr im Lesen | einen Anfang
machen sollen | Nürnberg | In Verlegung Wolffgang Endters
MDCXXXIX." Der Verfasser nennt sich nur unter der auf der
Rückseite des Titels befindlichen Widmung an „Herrn Gustav*
und „Fräulein Sophia", die „Hertzgeliebten Ehepflänzlein" des
Herrn Gallus, Freiherrn von Räcknitz, Herrn auf Perneck u. s. w.
Das Büchelchen stellt sich zunächst in den Dienst des Lese-
unterrichts, will aber wie damals jeder Leseunterricht zugleich
religiöse Bildung vermitteln, denn es enthält nur biblischen
Lesestoff.
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Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc.
173
Die alten „ABC"- oder „Namen -Büchlein" enthielten oft
nichts als ein paar Alphabete, denen nur zuweilen ein paar Seiten
mit einzelnen Syllabi er Übungen folgten, und dann den Katechismus,
etliche Gebete und Bibelsprüche. Zur Erleichterung des Lesen-
lernens mufste es oft genügen, wenn dem vollständigen Abdrucke
des lutherischen Katechismus die zehn Gebote, der Glaube und
das Vaterunser ohne Luthers Erklärungen in der Weise vorauf-
gingen, dafs die einzelnen Silben durch Zwischenräume von ein-
ander getrennt waren.
Noch A. H. Francke schreibt in seiner Schulordnung für
die deutschen Schulen des Waisenhauses: „Das Lesen wird aus
dem Catechismo geübet, den die Kinder ohne dem lernen müssen
und also schon durchs Lesen selbst ihnen den Catechisraum ein
wenig bekannt machen. Jedoch sollen sich die Kinder erst daran
exercieren, was in das ABC-Buch aus dem Catechismo gebracht
ist; hernach mögen sie auch im Catechismo selbst das Lesen
üben, da die Syllaben nicht so deutlich voneinander unter-
schieden sind."
Als man begann, mehr Sorgfalt auf die Ausarbeitung der
ABC -Bücher zu verwenden, als man z. B. in dem „ABC- und
Syllaben-Bttchlein für die Kinder im Fürstentumb Gotha. Gedruckt
im Jahr 1641", bogenlang einzelne Silben zur Leseübung darbot
und dieselben so ordnete, dafs unter anderen aufeinander folgten:
„zweibuchstabliche, darinnen der Erste ein coasona, der andere
ein vocalis, und andere, darinnen der erste ein vocalis und der
andere ein consona ist", ferner: „Syllaben von drei Buchstaben,
darinnen der erste und letzte sind consonantes, der mittlere aber
ein vocalis", sowie „drey- und mehrbuchstäbliche, in welchen der
erste ein vocalis und zwey, drey oder mehr Buchstaben als lauter
consonantes darauf? folgen" — da erst liefs man auf das ABC-
Buch noch ein besonderes Lesebuch folgen, dessen Inhalt aber
immer noch ein religiöser war.
Für die Schulen des Herzogtums Gotha liefs Herzog Ernst
der Fromme drucken: „Teutsches Lesebüchlein für die Schulen
im Fürstentumb Gotha. 1642." Es enthält auf 104 Seiten: „erst-
lich den Catechismum Lutheri, nemlichen die Sechs Hauptstück
Christlicher Lehre, Morgen- und Abends-Gebet, item Tischgebet,
die Fragstücke und die Haufs-Tafel, zum andern die vornembste
Sprüche der Heiligen Schrifft Uber jedwedern Glaubens - Articul,
das Nicänische und des H. Athanasii Glaubens - Bekäntnifs und
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Kirhter,
Heft 6 u. 7.
etliche Gebetlein." Die aufgenommenen Bibelsprüche, 160 an der
Zahl, füllen zwei Drittel des Buches.
Drei Jahre vor diesem Lesebuche war bereits das Saubert-
sche erschienen. Es enthält ebenfalls nur religiösen Lesestoff,
aber in der Hauptsache biblische Geschichte, und vor allem stellt
es mit seinen hübschen Kupferstichen das Bild in den Dienst des
Unterrichts. Was der Verfasser mit seinem Büchlein wollte, sagt
er in der „Kurtzen Vorrede an Gottselige Schulmoister und Schul-
meisterin". Es heilst da: „Was Nutzbarkeit das gemeine Namen-
büchlein mit seinen, wiewol kindischen Figuren bey den kleinen
Schulkindern bifsher mit sich gebracht, und wie fleissig sie jhre
Lection darbey pflegen zu merken, das hat die Erfahrung bezeugt
und benebens zu diesen Gedanken Ursach gegeben, ob nicht
rathsam sey, ein Lesebüchlein aufs heiliger Schrifft zu formiren,
welches jhnen, nach dem sie im erwehnten Namenbüchlein mit
Buchstabiren das jhrige gethan, alsdann zum Lesen dienlich
seyn kirnte?
Es ist ja unter den recht Gottliebenden Christen unzweiffelich
waar, dafs der Kinder ewiges Heil und Seligkeit vor allen Dingen
und nach aller Möglichkeit zu befördern, massen Christus noch
jetzo in seinem Predigampt rufft: Lasset die Kindlein zu mir
kommen und wehret jhnen nicht u. s. w. Marci 10, v. 14.
Dahero nicht allein, wann sie auff diese Welt geborn werden,
die heilige Tauff, als das Bad der Widergeburt und Ernewerung
defs Heiligen Geistes, Tit. 3. vers. 5., jhnen billich ertheilt wird,
sondern es erforderts auch die höchste Nothdurfft, so bald sie be-
ginnen das Böse zu fassen, mit dem Guten unverzüglich jhnen
zu begegnen, und das Wort GOttes auff allerley Weils und Wege
beyzubringen, ja gleichsam mit der Muttermilch einzuflössen, damit
sie, wie dort der junge Timotheus (2. Tim. 3. v. 15.) von Kind-
heit auff GOttes Wort hören und allgemach daraufs lernen Gott
erkennen, fürchten, lieben, ehren, anruffen, jhm für alle Wolthat
dancken, sich als fromme Kinder desselben erzeigen, jhme zu
allem Gefallen leben, und vor Sünden sich mit Eifer und
Ernst hüten.
Nun kan zu solcher Übung der Gottseligkeit auch auf diese
vorgeschriebene Weifs ein sonderbarer Vortheil an die Hand ge-
geben werden.
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1893. Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc. 175
Erstlich, alldieweil die kleine Kinder unter dem Lesen zu-
gleich (neben den Worten der heiligen Schlifft) die Sach selbst
ergreiffen.
Fürs ander, weil sie die beygefugte Figuren jhnon steiff in
das Gedächtnüfs bilden.
Drittens, weil Gottselige Lehrmeister hiebey Anlafs haben,
einem Kind, da es einen Text durchgelesen, in der Figur die
abgebildete Historiam zu zeigen und zu sagen (zum Exempel)
Nun hast du so weit gelesen, wie Gott den Menschen geschaffen
oder wie Eva den verbotenen Apffel von der Schlangen ge-
nommen, oder wie Cain seinen Bruder erschlagen, oder wie der
Engel Adam und Evam aufs dem Paradeifs getrieben u. s. w.
Zum vierdten, weil 'die Kinder hierdurch Lust bekommen,
von jhren frommen Eltern und Verwandten zu Haufs ferneren
Bericht einzuholen, welche alsdann recht in das Werck setzen
können, was S. Paulus befohlen: Ziehet ewre Kinder auff in der
Zucht und Vermahnung zum HErrn u. s. w. Ephes. 6. v. 4.
Dafs aber solch Wercklein für difsmal was eng zusamm
gezogen worden, ist darumb geschehen, damit auch die Arme zu
desto ringern Kauff gelangen können.
Und mögen alsdann, wann es die Kinder jhncn bekand ge-
macht, die Fest- und Sontags-Evangelienbüchlein, Catechismi und
andere dergleichen, sonderlich das schöne \Yeimarische Bilder-
buchlein, gebraucht werden.
SchlicfsUchcn wünsche ich hiezu allen Gottseligen Schul-
meistern und Schulmeisterin und jhrer untergebenen lieben Jugend,
das Göttliche Gedeien, Geist, Gnad und Segen in Jesu Christi
Namen. Amen ! Geschrieben am dritten Tag Januarii Anno 1639.a
Das Buch selbst enthält auf vortrefflichem Papier und in
musterhaft sauberem, grofsem Druck 22 Abschnitte, die der Lese-
übung halber in verschiedenen Alphabeten gedruckt sind und
deren Inhalt für die ersten 11 dein Alten, für die übrigen dem
Neuen Testamente entlehnt ist Man könnte das Büchelchen einen
Vorläufer der „biblischen Historienbücher" nennen, wenn nicht
auch manche andere biblische Abschnitte darin aufgenommen
wären, wie sie in biblischen Geschichtsbüchern sich nicht finden,
Stücke aus den neutestamentlichen Briefen und aus der Offen-
barung Johannis, und wenn der Verfasser die von ihm berück-
sichtigten biblischen Geschichten vollständig gegeben hätte. Von
Moses wird z. B. die Geschichte seiner Auffindung durch Pharaos
i
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Richter,
Heft 6 u. 7.
Tochter ausführlich erzählt ; daran schliefst sich mit den Worten
fortfahrend: „Der Herr sprach zu Mose: Recke deine Hand aus
u. 8. w.tf, unmittelbar die Erzählung von dem Zuge durch das
rote Meer, und darauf folgt wieder unmittelbar die Gesetzgebung
auf Sinai mit den Worten: „Und da der Herr aufsgeredet hatte
mit Mose auff dem Berge Sinai, gab Er jhme zwo Tafeln defs
ZeugnUfs, die waren steinern und geschrieben mit dem Finger
Gottes." Von Josef erzählt das Büchlein nur in sechs Zeilen,
wie er verkauft wird , und in zwölf Zeilen , wie er sich seinen
Brüdern zu erkennen giebt. Aus der Geschichte der ersten drei
israelitischen Könige enthält das Büchlein nur Absoloms Tod und
Saloraos Gebet bei der Einweihung des Tempels. Die Geburts-
und die Leidensgeschichte Jesu sind ziemlich ausfuhrlich erzählt.
Die Auferstehung und die Himmelfahrt sind nicht berücksichtigt.
Von den Gleichnissen Jesu finden sich nur die in Luc. 15 er-
zählten und die vom Unkraut unter dem Weizen und von den
anvertrauten Zentnern. Die beiden letzteren sind im 21. Ab-
schnitte mit Jesu Rede von seiner Wiederkunft zum Gericht und
mit Sprüchen aus dem 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes
zu einem Ganzen verbunden. Der an der Spitze diese« 21. Ab-
schnittes stehende Kupferstich stellt das Weltgericht dar. Auf
der oberen Hälfte des Bildes sieht man den Heiland auf Wolken
thronend, umgeben von Scharen singender und musizierender
Seligen, die untere Hälfte zeigt die Qualen der Verdammten, die
von lodernden Flammen umgeben sind. Der 22. Abschnitt ent-
hält Stellen aus der Offenbarung Johannis, und der dazu gehörige
Kupferstich zeigt ein Bild des neuen Jerusalem.
Den künstlerischen Gewohnheiten des 17. Jahrhunderts ent-
sprechend finden sich auf einem und demselben Kupferstiche oft
mehrere Geschichten zugleich bildlich dargestellt So enthält
gleich der erste Kupferstich eine Darstellung des Sündenfalles,
der Vertreibung aus dem Paradiese und des ersten Brudermordes.
Auf dem zweiten Kupferstiche sind dargestellt Isaaks Opferung,
Jakobs Traum von der Himmelsleiter, Joseph wird von seinen
Brüdern verkauft und Joseph giebt sich seinen Brüdern zu er-
kennen l). Der dritte enthält die Auffindung Mosis, den Zug
») Eine Nachbildung des zweiten Kupfers hat Referent gegeben in
seinem 1886 erschienenen Schriftchen: „Aus alten Schulbüchern", S. 83,
wo er zum ersten male auf das Saubertache Lesebüchlein aufmerksam ge-
macht hat
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1803. Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc.
177
durchs rote Meer und die Gesetzgebung auf Sinai. Der vierte
stellt dar, wie Simson die Philister mit einem EeeUkinnbacken
erschlägt und wie ihm von seinem Weibe die Haare abgeschnitten
werden.
Der Text in seiner fragmentarischen Gestalt will nur der
Deutung der Bilder dienen, er will, wie dies auch der Heraus-
geber in der Vorrede ausdrücklich ausspricht, nur das Interesse
der Rinder wecken, damit sie „von jhren frommen Eltern und
Verwandten zu Haufe ferneren Bericht einholen".
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Quellen und Forschungen
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Kvacsala in Pressburg.
(Fortsetzung.)
10.
(De Vocatione in Hungariam brevis narratiuneula.)
Rebus in Didactico studio hueusque deduetis quiescere, par-
ergisque istis Vale dicto ad magis seria redire, statueram: cum
ecce ex Hungaria, tarn ä Theologis, quam ä Celsissimo D. D.
Sigismundo Rakoci (suo & Serenisaimae Matris, Transylvaniae
Prineipis, Viduae, nomine scriptae) literae ! quibus ad colfoquium,
& communicanda de Scholarum Refonnatione consilia, amanter
evocabar. Abii, meis consentientibus , imö mandantibus, & me
mittentibus: e6 inprimis quod cüm tot coexules nostri, Moravi,
per Serenissimae Prineipis Oppida dispersi, benignä gratiosae
Cels. suae protegerentur umbrä, indignum videbatur non iterum
gratitudinem contestari, si quibus daretur modis. Veni igitur
Patakum mense Maio, Anni 1650, indequo cum suis Celsitudinibus
Tokajum. Ubi, post aliquot dierum colloquia, scriptö aliquid a
me consignari postulatum est Quomodo provincialis Patakina
Schola ad Pansophiae leges (visa enim illis erant et lecta, eatenus
edita) quam optime constitui posset? Exhibui ergo sequentem
consignatiuneulam.
(Com. Op. Did. IIL p. 3.)
11.
Haec sie Principibus exhibita non displicuerunt: requisitusque
sum, ut ad consiliorum tarn salutarium exsequutionem mauere
vellem: non repudiatä, quam Celsissima Princeps (Su6 & lllustris-
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1893.
Kvacsala, Zur Lebensgeechiehte des Comcnius.
179
simorum Filiorum nomine) solemniter oblatura esset, Vocatione.
Obtendi multa, non in speciem, sed ex veritate. Cum autem
variis urgerent rationibus, Scholaeque Pansophicae hic feliciter
aperiendae fieret spes, exhibui Celaissimo Dn. Sigismundo quod
sequitur.
(Op. D. in. p. 4.)
12.
Promissa omnia, tametsi postea (in iis quae primariae inten-
tionis erant) nihil adeo consequutum , fatis obstantibus. Quum
enim nonnisi autumnali tempore sistere me possem, Principibua
in TranBylvaniam (ad hiemandum ibi) parantibus abitum, postu-
latum dermo fuit expressius omnia delineari: ut quid sibi Pan-
sophica Schola vellet planissirae patere, omniumque huc requisi-
torum ratio iniri, posset
Conscriptum itaque fuit, quod sequitur, dedicatumque illu-
strissimo Heroi, ferviao horum rromotori : quem tanquam recens
orientera fulgidum Solera adorare (respectare dico) coeperant
domcstici & exteri, nihil non summum ab illo exapectantea, lega-
tionibusque suis illum Reges & Prineipes (tanquam Kegalium iam
Sceptrorum, & Aflinitatum, candidatum) dignati fuöre. Qui Sol
tametsi brevi postea nobis exstinctus, coej>tis hisce caliginem
rursum induxit: quae tarnen ibi tunc velut in occulto consiliis
agitari coepta, ea nunc luci exponi, quid vetat? ut si tanti desi-
derii tunc non assequuti fuimus scopum, hoc tarnen vel inter
meliora exstet vota, vel porro etiam simile quid tentandi occasio-
nem ferat. Fiat!
(Com. Op. Did. II. p. 5.)
13.
Anno 1651.
Videns ad Adjunctum mittitur.
Ultima Visione anni hujus (6. Dec.) mandatum fuit Drabicio
ad Sigismundura proficisci, ad illi voluntatem Dei notam redden-
dum. Quod cum per literas significasset mihi, Prineipes verö
(mater cum Filio) in Transylvania hiemarent, concreuidi rem
hanc Locum tenenti, auem Praefectum vocant, Andreae Klobu-
cicio. Qui consilium dahat ut tecto nomine veniret, ceu filium
ad me studiorum causa dedueturus: se interim de ulteriore itinere
(tantundem adhuc a nobis distabant Prineipes, milliaribus 40) de-
liberaturum, animumque Principis cogniturum.
2. Perscripsi haec Drabicio : illo vero denuo ä lievelatore
monitus, 5 Januarii (anni 1641) viae se dans, 15 ejusdem ad me
pervenit: superatis cum profunda nive (alieubi & aquis a luto)
diffieilibus luctis. Beneficii Dei fuit, quod alterä mox ab egressu
die in tres robustos Viros, pedestre iter eAdem habentes, incidit:
cumque ut se viae ignarum in comitatum admitteret, lentioreque
gressu utentem non desererent, rogaret, oßiciosos habuit. Nam
non deseruerunt, donec in mea domo sisterent: piis boni senis
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180
Kvacsala,
Heft 6 u. 7.
colloquiis toto itinere oblectati: ut mihi gratias aibi agenti refe-
rebant, Drabicioque pro tot bonia monitis (me praeaente) gratias
agebant.
8. Ultima illia pcrnoetatio aesquimilliari ä me fuit, in exigua
ruaticelli casa. Ubi Dominus cur eum huc mitteret aignificavit:
ut nempe dudum aibi mandata exaequi (cum illo quem aibi
auxilio misiaaet) inciperet, clangendo ad Gentes ä Domino ad
mox eadem die & narravit mihi (ad haec paveacenti) & retulit in
scriptum.
4. Cognitö illiua adventu Praefectua convcnit nos, amanter-
que (utpote pridein aibi notum) salutavit, conailium dan8 post
exantlatum tantum iter reapirandi. Scripaiaae enim ae jam, &
acripturum denuö, illiua jam aignificando praeaentiam.
5. Quod reaponsum cum tale veniaset, ut ex eo nihil niai
metua & tergiversatio posaet concipi: (petebat enim dcmüm sibi
verbotenu8 omnia in Latinum tranaferri, ut de recte perceptia
delibcrare posaet) colloquebamur noa duo soli (mensulae adstando
Musei mei) quid facienaum esaet. Ecce autem ille, ceu re qua-
piam perculsus, componit manus. Quaero quid sit? Ille: Non
audiati Vocem? Nihil, respondi. Ille: Caena abstinere Jubeor.
Quid? inquam ego: Semperne Kevelationi jejunium praemittitur?
Negat ille hoc aemper fieri. Interim coena infertur, ille accubitu
abstinere & exire parat. Kogo ut aasideat aaltem, propter aer-
monea. As8edit, nihil tarnen de cibo aut potu guatana.
6. Sperabamu8 ergo ea nocte ipaiua Dci, quid facto eaaet
opua, informationem : aed nihil tum fuit; poatridie demüm. Ubi
illi (quibuadam de 8igi8mundo praemiaaia) domum redire man-
datum: aed ita ut Ore auo deinceps etiam opu8 fore sciret.
Kev. LI.
7. Adii Praefectum, & illi hoc significavi: qui conailium pro-
bavit, Drabiciumque ultima Januarii dimiait. Ego vorö per illam
continuorum 16 dierum Drabicio converaationem (quod nuno^uam
ante contigerat) familiariüs Virum noase didici. Nempe hominem
esse, non Angel um : sed hominem Dei timentem , potiüa quam
hominum obaervantem: coram Deo humilem, adveraua hominea
aatis animosum: linguä et factia liberiorem, personaa parum re-
8pectantem. Verbö, peccatorem ut omnea aumus, non tarnen
hypocritam ut pleri^ue: Concionatoremque fervidum, quem sine
motu bono vix audias: caetera omnia mediocriter.
Videns ad Principem Matrem mittitur, illamque urgere ju-
betur: et quae ibi acta, fruatra fere.
Revelatione CXXXIX alloquutus eum Dominus dixit: Etiam
tua spes vacillat, de rerum per te annuntiatarum pleno eventu?
perdendum Bestiam
decreta subito etc.
(Lux e ten HI. p. 58—60.)
U.
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1803. 2ur Lebensgeschichte des Comenius. 181
O seouere mihi, para te, ut in nomine meo illuc eas unde post-
ridie literas aeeipies : aeeepit autem Patakö. Et Rev. CXLII. V . 4.
Kon aliter evement omnia atque decretum est consilio meö, contra
spem omnium hominum. 5 Silentium esse ajunt undique? sed tu
brevi audio» aliud, taeiturnus tantüm esto, et patiens, sermones-
que humani nihil te turbent. Rev. CXLIV (die 31. Aug.) Cum
Frincipissa ipsemet loquere, me Racocianae Domini denuntiare
tum benedictionem, si facere volent jussa mea; tum intermina-
tiones; si non audient voees meas: nam in manu mea utrumque
iatud est etc.
2. Egressus ergo 2 Sept. venit eu II Sept. Ubi quid sit actum,
explicatuni est Revel. CXIV, & annexis ei. Addam tarnen hic,
quod ibi non consignatum in schedis repcrio. Cum Examinatores
illi de notis vere divinae Prophetiae inter sc convenissent (ut
Annotatione ad Rev. CXIV posui : nempe I Humilitate personae,
2 Puritate doctrinae, 3 Veritatoque eventuum) dixi ego, Plura
observari posse, quac divinitatis ostendant vestigia. Quaerebant
quae illa? Consignavi erg6 sequentia.
3. Primö, tergiversationem Videntis nostri ad hacc, tum
credenda, tum propalanda: nisi toties iteratis monitionibus,
increpationibus, poenarumque interminationibus, non ab initio
tantüm, sed adhuc. Toties enim illum adhuc cum Jeremia cla-
mare, Vae mihi mater mea; & cum Elia mortem sibi optare,
testis suni.
4(2) Nec in his admittendis praeeipitis fuisse illos, quibus ea
fuerunt detecta: trepidantes potius, tentationesque diabolicas et
metuentes et deprecantes. Impossibile videri cos, qui pro nomine
Dei afflicti, & pro veritate Verbi ejus extrema passi, aliö abduci
nullö modo voluerunt, & hueusque, luditicationibus satanae sie a
Deo exponi.
5. Tertium argumentum posueram Revelatoris constantiam,
ut qui neque personam inutat, neque revelationis modum, neque
res revelatas: exccptö quod hujus suac scenae personas mutari
patitur, prouti faciunt aut non faciunt quae jubet. Diabolum esse
vertumnum, ipsä levitate se prodere, ut in Genevensi puero patuit.
6 (4) Sanctitatcm hic rorum, et scopi, convenientissimain esse
zelo Dei Zebaoth, et Christi ejus: inconvenientissimam (imo im-
possibilem) Diabolo, ad eversionem regni sui (abominationum
Babylonicarum) consilia nunquam subministraturo.
7(5) Effectum in cordo Videntis, illuminationem semper ma-
jorem, charitatisque erga Deum ardorem Semper flammantiorem.
8 (6) Stylum (quiequid sit) non humanum. Scire me per Dei
gratiam, quid hac m re humanum possit ingenium, & quam Dra-
bicius aliis minus possit, nisi ä dictante in calamum revelatore
adjutus fuisset: ut Rev. CVII. 22 & alibi. Scire denique me
quäm imitari haec talia nequeat tenebrarum pater Diabolus, ä
quo lucidi nihil prodirc possit. &c.
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182 Kvacsala, Heft 6 u. 7.
9(7) Revelatorem hune saepe ad Videntis cogitata respon-
dere: ut Rev. IV. 3. & XLV. 2, 12, 13, & alias saepe. Scimus
autem Deum sibi hoc tribuere soli, quod cordiuiu scrutator sit:
Diabolo proinde honorem illum non concedendum.
10(8) Theologoa inter suspecta ponere, si quis spiritum re-
velatorem ad omnia quaesita nimis facilem, semperque respon-
dentem, habeat : Deum enim pro maiestate sua ea solum revelare
quae vult, quando vult, quomodo vult. Hunc autem Revelatorem
quaestionibus se fatigari non ferre, ii euriositate dohortari: ut
Rev. OXXIX. 2, 3.
11(9) Ad suspicionem, Non a Deo venire haoc, auid ali-
quoties rcsponderit observatione dignum esse: ut Rev. IV. 4, &
17 — & 28. Rev. V. per totum: & Rev. VI. 1—6. & Rev.
CXLV. 5. &c.
12. Petebant tandem catalogum aliquem contexi, oorum quae
eminus praedicta, reveraque impleta fuissent: quem & dedi, hic
autem non pono, quia auctiorem dandi occaaio redibit infra. Uli
autem omnibus bis ita actitatis nihil nisi animi pendere per-
rexerunt.
(Lux e teil. III. 134—137.)
15.
(De Studii Pansophici Impedimentis.)
Haetcnus quid circa tres primas et imas Pansophicae Scholae
Classes moliti simus, explicatum est.
Patuit verö mature, nos desiderii nostri fastigium non asse-
quuturos; prouter causas, quas involvi silentio prae.stat. Videbam
universali studio vix esse locum ibi, ubi frustillata sapiunt, quae-
runt, agunt, tantüm non omnes : et impatientia regnat, consilia non
ematurari, sed praecipitari, urgens: Zelusque se adraiscct eorum,
qui quam proni sunt adoraro Jovcm et Mercuriura idola, tarn parati,
lapidare Paulum et Barnabam, quam primum homines esse, non
idola, animadvertunt. Et denique difficile esse moliri Turrim
praecelsam, ubi vix etiam pro fundamentis iuste ponendis neces-
saria suppetun t requisita.
2. Veniendum ergo tandem fuit eö, ut summa intendentibus
consistendum esset circa media, et acquiescendum Schola Triclassi.
Sed et ibi luctandum fuit varie cum difticultatibus. Inter quas
prima fuit consuetus mortalium morbus, Consucta melioribus
praeferendi, & antiqua ubique chorda oberrandi, amor. Quorum
causa Methodi verae Encomia conseribillanda, publice recitanda,
fuerunt.
3. Cum vero itcrum Janualcm rcrum historiam fastidire vide-
rentur (Ad quid nobis plena rerum Nomenclatura? dietitantes,
Non erimus nos Philosophi &c) incogitantiae huic obviam eundo,
recitavimus De accuratae Rcrum Nomenclaturae Utüitatibus ora-
tiunculum.
4. Dumque Atrialibus etiam studiis inepti cjuidam obmurmu-
rarent, elegantiasque L. L ante perceptum etiam gustum nau-
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4
1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 183
searent (iterum, Ad quid nobis Elegantia? non erimus non Cice-
rones, blaterando) causa fuit data de eleganti Elegantiarum studio
perorandi.
5. Torpor denique ingeniorum, in quibusdam intolerabilis,
occasionem dedit aureum Joacliimi Fortii Kingelbergii de ratione
studii libellum publicandi, omnibusque literarum studiosis (dedi-
catione ad ipso» directa) commendandi. Cunique illius editionis
exiguus appareret fruetus, Fortium Redivivum, sive de pellenda
Scholis Ignavia, eonscribendi.
6. Concinnata quoque fuerunt (dum omni ratione pr od esse
quaerimus) Morum honestorum praocepta. Itemque Öcholae bene
ordinatae Leges.
7. Utque omni possibili ratione pubem literariam ad studiorum
amorem, in illis perseverandi lubentiam, excitaremus, coneepimus
Vestibuli Januae Lucidarium: h. e. Nomenclaturam rerum ad
ocularem demonstrationem deduetam. Itemque Januae Linguarum
praxin Comicam, suavem, amaenam vivis repraesentationibus om-
nia Demonstranten* etc.
8. Quae omnia sicut ibi, bonö usu typis publicata sunt (ex-
ceptis Scholae Legibus) ita lue ponenter ordine.
(Op. Did. III. p. 735.)
16.
Bisterfeldius (Principi Trans, ab intimis consiliis) evocatur ad
judicium de his revelatis ferendum, et quäle id fuerit
Occasio mihi ad Joh. Bisterf. scribendi data fuit 14 Junii,
per hominem Belgam in Aula Principis quaedam requirentem.
Cui epistolae inserueram schedulam Ins verbis. liegt tiov bqa-
nätutv, cum ingratam esse materiam intelligam, nihil addo, nec
addam. Vos videritis. Feci quod debui, et cujus gratiä huc
missus fui: jamque tacere juboor. Finis ostendet cujus toni.
Doleo tarnen, Te consultörc (scio enim Te unum audiri) haec tarn
pertinaci praejudicio nremi, ut ne cognoscerc quidem a funda-
mento rem libeat. Mihi facillimum est, adcoque gratissimum (con-
scientiam testor ) silere: sed! Vale, et res ea prudentia moderare,
ut exitus acta probet. Deum oro, ut Te spiritü suö regat.
2. Cum verö ad Principissae matris Consiliarium, Klobucicium,
rei hujus postea fioret mentio, illeque hoc referret Principissae,
factum fuit, ut Bisterfeldius hac etiam de causa (e Transylvania
in Hungariam) evocaretur, recognitioque totius negotii penitior illi
demandaretur.
8. Vonit ille scriptaque illa sibi exhiberi petiit: ut privatim,
aut noctu evolvendo (erat enim somni parcissimus, interdiu autem
negotiis Aulicis distractissimus) ruminare posset. Factum: per-
volutävit ille Kotterum, Poniatoviara, Drabicium. Quanquam in
hoc non longo progressus, ob nauseam (ut dicebat) ex eo, quöd
omnia viderentur ä conditionibus quibusdam suspensa.
4. Iudicium ergo talc tulit. Kotterina vere videri prophetica,
futurorum praenuntia. Sicut et Poniatoviana : quae non tantüm
Monatsheft« der Com^niuMjwcllwhan. 1893. V-i
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184 Kvacaal«, Heft 6 u. 7.
verbis, sed et iis quae passa est prophctasse dici possit: prae-
sertim cum tot miraculosis concurrentibus res tirmata sit. De
Drabicio ver6 dixit : Etiamsi Jesaias, Jeremias, Daniel, omnesque
israelitici Prophetae resurgerent, et talia sibi loqucrentur, se illis
non habitürum fidem.
5. Interrogatua quäre? Respondit: Quia indignum est Deum
k conditione humanae voluntätis suspendi. Fiet hoc, si hic aut
ille hoc vel illud faciet: secus non fiet. Ego: Atqui haec est
praxis Dei, per Mosen O omnes Prophetas bona promittentis sub
conditione oDoedientiae ; mala denuntiantis sub conditione im-
poenitentiae. Allegabamque tacitae conditionis exemplum in
Jona, Ninivitis eversionem praedicente. Respondit: Non prae-
dictio fuit, sed praedicatio. Kgo: Imo non praedieatio, sed prae-
dictio. Non enim dixit, Resipiscite si perire non vultis : sed cate-
gorice, Adhuc quadraginta dies, O Ninive subvertetur. (Jon. 3. 4.)
6. Cumque ille hypothesi suae insisteret, Se conditionatos
Prophetas nihili facere, eöque in Cottero et Christina spiritum
propheticum agnosci posse, non item in tertio: respondi, Non de
voce Prophetae (cui titulus ille compctat vel non competat) liti-
gandum esse, sed quid faeiendum quando extraordinariis raodis
voluntätis suae Deus (additis promissionibus aut minis) faeiat in-
dicium? sive Propheta praedicit sive praedicat. Praeterea, si Cot-
terus & Poniatovia non praedicabant, sed tantum praedicebant,
Drabicius contrk : cogitari posse, illos ad praedicandura missionem
non habuisse, sicuti hic &c. &c.
7. Tandem ille eo delapsus ut diceret, Apud Principem tali-
bus prophetiis nihil esse opus, scire Principem (juid istis in rebus
agendum sit, si Deus occasiones subministraverit. Addebat: In
manu mea Principem habeo. Si hodie dicam, Tempus est, cras
prodibit. Obstupui ad haec, testor Oranificium. Nec aliud quod
dicerem habui, nisi haec duo: Vide ne tibi nimium tribuas!
(Nempe id quod Scriptura Deo tribuit, Prov. 21. I.) Vide ne
tanta häc authoritate abutaris! Ita ab invicem discessiinus.
(Hist. Revel. i>. 174 ff.)
17.
Honoratissimi D. D. Scholarchae.
Molitos iam ante complures annos fuisse nos Studiorum
puerilium compendia quaedam, & oblectaraenta. non ignotura est:
& benigne id acceptum, cum alibi, tum apud vos, in quorum
Scholas Janua Linguae Latinac recepta fuit. Superaddere coepit
ante triennium non inelegans Januae illius exercitium Vir eximius,
D. Sebastianus Macer, Scholae in Polonia Lesnensis Rector: sub
titulo, Januae L. L. Oomenianae Praxis Comica. Cujus praxis
partem primam, Mundum rerum naturalium repraesentantcra, cum
sub ingressum Anni hu jus in Scenam produci, & in conspectu
vestro ludi, curassem : adeo placuit actio nla vobis, & spectantibus
omnibus, ut approbato publice hoc exercitii genere, totum Rerum
ambitum, seu Discendorum Encyclopaediam, in talem autopsian,
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1893. z»r Lebeiwgcschiehte des Comcniu*. 185
autopraxian, deduci optaretis, ä mcque petcrctis. Quo ego stimu-
latu*, sieut et insperato Nobilis Vestrae Juventutis ad haec talia
ardore, tametsi lauoribus circa magis seria actatique & vocationi
meae convenieiitiora, occupatus »im : & ad stationem meara redire
a meis (qui nie huc ad tempus miserunt) urgeor: cohibere ine
tarnen non potui, quin unö et altera Mense huc dato, omnes
Rerum materias pertransire, omniaque in Dialogos tales, Res
veras simulachris jueundis repraesentantes, reducere proposuerim.
Nempe quia D. Maeer paralyseos morbo praeventus (dolendum!)
Opus coeptum absolvere non potuit: & quia praxin hanc ab illo
inchoatam ad majorem simplicitatem, evidentioresque Juventutis
usus, deduci posse sperare coepi. Quod quid & nuale sit ex-
ponere, & de hujus Lxercitii Utilitate, adeoque illua in Scholam
hanc (& alias) introducendi necessitate, dissertare aliquid non abs
re fuerit
(Op. Did. III. 832.)
18.
Peractis cum applausu hisce Ludis (confluebant enim eminus
etiara Nobile« & Pastores, postremo autem ipsamet Celsissima
Prineeps cum Aula sua, & praesentium Magnatum Corona, interesse
dignata est, eamque in Arcis area peragi voluit) abeundum mihi
erat, quo revocabar, in Poloniam, valedicendumque Hungariae in
eorunaem hospitum frequentia. Ad quod me nonnullorum Voces,
a discessu meo exercitia haec obsoletum iri metuentium, incita-
bant: non tantum ut sermone valedictorio eos animarem, sed &
Sermunculuin illum typis mox exscriptum stimulo rclinquerem.
Quod & factum, hunc m modum.
(Op. Did. III. 1042.)
(Fortsetzung folgt.)
i:r
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Kleinere Mitteilungen.
Der Inselname Capharsalama in Joh. Val. Andreaes Schrift
,Reipublicae christianopolitanae descriptio' (1619).
Von
cand. min. O. Kemper in Münster L W.
Bei dem Interesse, welches die Forschung gegenwärtig in
steigendem Mafse der schriftstellerischen Wirksamkeit des Joh.
Val. Andreae und deren Einflufs insbesondere auf die Entwicklung
der Ideen des Comenius zuzuwenden scheint, dürfte eine kurze
Erörterung einer zugehörigen litterarischen Einzelfrage, die Fest-
stellung der Quelle und Bedeutung des manchem unerklärlichen
Inselnamens Capharsalama wohl erwünscht sein. Veranlassung
dazu gab eine Bemerkung Dr. Ludw. Kellers in seiner Abhand-
lung „Johann Valentin Andreae und Comenius" (Monatshefte der
C.-G. Bd. I, 1892, S. 229 ff.). Aus A. Pateras Ausgabe der
Korrespondenz des Comenius findet sich dort (S 240) ein Brief
des letzteren an Magnus Hesenthaler 1 ) vom 1. September 1656
abgedruckt, in welchem der damals in Amsterdam weilende Co-
menius den Freund bittet, für Ankauf und Zusendung wennmög-
lich aller vorhandenen Schriften Andreaes um jeden Preis Sorge
zu tragen, die er zum Teil bereits früher besessen und studiert, dann
— wohl bei dem Brande in Lissa (1656) — verloren und in
Stettin, Hamburg und Amsterdam vergeblich aufzutreiben ver-
sucht habe, die ihm aber wegen vielfacher Bezugnahme unent-
behrlich seien. Als Titel einer derselben wird unter Nr. 4 dort
angegeben : De republica Christiana (Cataphar Salama). Zu den
in Parenthese gesetzten Worten bemerkt Keller in einer An-
merkung: „Es ist kein Grund anzunehmen, dafs Patera diese
') Näheres über denselben bei Dr. K. Hucllemann, Valentin Andreae
als Pädagog, II. Teil (Abhandlung zu dem Jahresberichte des Thomas-
gymnafliutns), Leipzig 1893, S. 8, Anra. 16. — s. auch Dr. Kracsala, Joh.
Arnos Comenius, sein Leben und seine Schriften, Leipzig 1892, S. 380.
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1893. Kemper, Der Inselname Capharsalama etc.
187
Worte unrichtig gelesen habe; eine Erklärung des Sinnes giebt
P. nicht, und ich bin gleichfalls nicht imstande, eine solche zu
geben."
Die Kenntnis der korrekten Schreibart: Capharsalama oder
Caphar Salama und einige Bekanntschaft mit der hebräischen
Sprache führten zur Lösung des Rätsels. Auf den Weg der Er-
klärung der dunklen Worte aus dem Hebräischen wiesen aufser
dem Anklingen des Wortes Salama an das hebräische Substantiv
Saloin [= Heil, Wohlbefinden, Glück, Friede, vergl. das ent-
sprechende aramäische Substantiv S*lam, def. 5°lama] einige auf
die Wahl der Namen bei Andreac bezügliche Bemerkungen Huelle-
manns1) und Gussmanns2).
Die Schreibweise des Wortes, wie sie in der lateinischen
Originalausgabe der „Descriptio" (erschienen Argentorati Sump-
tibus haeredum Lazari Zetzneri, Anno MDCXIX) vorliegt, konnte
ich nicht feststellen, da mir dieselbe nicht zugänglich war. Sie
findet sich aber auf dem Titel der von Huellemann8) angeführten
vollständigen Übersetzung jener Schrift: „D.(octoris) V.(alentini)
A.(ndreae) Reise nach der Insul Capharsalama, Und Beschrei-
bung der darauf gelegenen Repubhc Christiansburg, Nebst einer
Zugabe Von Moralischen Gedancken in gebundener und un-
gebundener Rede, Herausgegeben von l).(aniel) S.(arauel) G.(eorgt).
Eislingen 1741. Verlegte Friedrich Christian Schall, Buch-
händler." 8°, die (als neue Titelausgabe) mit unverändertem
Text zum zweitenmal erschien unter dem Titel : D. Val. Andreae,
Prof. Theol. Tubing. 4) Sonderbare Reise nach dem Lande der
Ruhe*) und vortrefflichen Insul Capharsalama..., heraus-
gegeben von einem Anonyme Stuttgart, 1754. bey Johann Dier-
lamm, Buchbinder." —
Zur sprachlichen Erläuterung des Namens Capharsalama
bietet J. Fttrsts Hebräisches und Chaldäisches Handwörterbuch
]) A. a. O. S. h beim Nachweis des Einflusses, „den neben der Civitas
Solis des Dominikanermönchs Campanella die Utopia des Thomas Morus
auf die Andreacschc Darstellung der Christenstadt geübt hat: Hier wie dort
sind zur Benennung von Orten und Personen bezeichnende Namen
aus der griechischen und hebräischen Sprache gewählt".
*) „Keipublicae Christianopolitanae Descriptio" in der Zeitschrift für
kirchl. Wissenschaft und kirchl. Leben, VII. Jahrg., 1886, S. 382, Anm. 1:
„Die meisten der von Andreae gewählten Namen sind biblischen Ur-
sprungs: Abialdon, wahrscheinlich ein Druckfehler für Albialbon, 2.Sam.28, 1,
Achban, 1. Chron., 2, 29 u. ». w."
•) a. a. O. S. 4 f.
*) Über diese irrtümliche Bezeichnung s. Huellemann a. a. 0. S. 5,
Anm. 9.
B) Vergl. die von Gufsmann (a. a. O. S. 466) angeführte Schrift des
Konst. Wahrenberg „Die glückseligste Insul auf der gantzen Welt, oder
das Land der Zufriedenheit. Gedruckt in Königsberg 1723", in wel-
cher eine Anzahl von Berührungspunkten mit der „Descriptio" nachzu-
weisen sei. die aber ohne Zweifel als Anklänge zufälliger Art zu betrachten
und zu erklären seien.
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188
Kemper,
Heft 6 u. 7.
über das Alte Testament, 3. Aufl. bearb. von Dr. Victor Rytssel,
Leipzig 1876, Bd. I, S. 662a, Näheres in folgendem Artikel:
„i!^ = Gehöfte, eigentlich Häuserverbindung, d. h. Dorf. —
Sehr stark wird dieses Wort [ähnlich wie *rn = eig. das um-
hegte Lager, feste Niederlassung, jede Ortscfiaft ohne Mauer,
Dorf, offener Flecken, zur Bildung geographischer Ortsnamen
gebraucht, wie deutsch Hof (ebenda S. 431a)]1,) in späterer Zeit
in Zusammensetzungen zur Benennung kleinerer Ort-
schaften verwendet, wie bereits Jos. 18, 2« ein Beispiel vor-
kommt und wie das Wort sowohl im Arabischen als im Syrischen
ebenfalls in Ortsnamen angetroffen wird. In der talm. Zeit
werden Ortschaften Palästinas, Phoenikiens , Syriens mit *2 zu-
sammengesetzt angeführt, als co» -es (j. Sanh. 11) ... u. a. m.;
— vergl. im N. T. und in den Apokryphen KarteQvaoip d. h.
Din: -ics (Mt. 4, is), Xatpa^aala^ä d. h. «ubo ici (1. Mak. 7,ai),
was talm. (j. 'Aboda-Sara 44) ab« 's heifst u. a. in."
Als Quelle, der Andreae das Wort Capharsalama entnommen
hat, stellt sieh hiernach eine Stelle aus dem ursprünglich in
hebräischer oder aramäischer Sprache abgefafsten, uns in grie-
chischem Text vorliegenden 1. Makkabäerbuche heraus, einer apo-
kryphischen Schrift, welche die Periode der Kämpfe des jüdischen
Volkes gegen die syrische Oberherrschaft von 175 — 135 v. Chr.
schildert und als wertvolle Geschichtsquelle betrachtet wird.
Die Stelle 1. Makkab. 7, 8i lautet nach Tischendorf, Vetus
Testamentum graece iuxta LXX interpretes^ (ed. H, Lips. 1856,
tom. II, p. 524): %a\ tyviD NixÜvidq oti aneKahvy&i) rt ßovlr)
crirtov, xat ilpjk&ev eig ovvdvrrjoiv t$ 'Iovda ev noXtfit^ xara
Xa<pa Qoctkctfid. Vulgata: Et cognouit Nicauor quoniam de-
nudatum est consilium eius: et exiuit obuiam Judae in pugnain
iuxta Capharsalama. Luther: Und da Nikanor merkte,
dafs sein Vornehmen war offenbar geworden, zog er wider Juda,
und that eine Schlacht mit ihm bei Caphar Salama.
Wahl, Clavis libror. Vet. Test, apoeryph. philol., Lips. 1853,
p. 497 s. v. erklärt : XaqwQoakafia, Chapharsalama, urbs palaesti-
nensis, proelio nobilis, quo Nicanorem vicit Judas Maccabaeus
1. Makk. 7, si.
Grimm, Kurzgefafstes exeg. Handbuch zu den Apokryphen
des A. Test., 3. Liefrg., Leipz. 1853, S. 114, erläutert den Namen:
„von Joseph us als zw^ij xig bezeichnet (in Gem. Hieros. Avoda-
Zara fol. 44 col. 4 als abia nca erwähnt9) scheint südlich von
Jerusalem im Gebirge gelegen zu haben, da Nikanor nach
dem Verlust des Treffens erst nach Jerusalem, dann von da
nördlich nach Bethoron zieht (Mich.). Mit dem in der Geschichte
') S. auch W. Gesenius, Hebräisches und Chaldäischea Handwörter-
buch über da» Alte Testament, 9. Aufl., bearb. von Muehlau und Volck,
Leipa. 1883, S. 285.
*) Keil, Kommentar über die Bücher der Makkabäer, Leipz. 1874,
S. 182, verweist noch auf Reland, Pal. illuntr. p. 690.
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1893.
Der Inselname Capharsalama.
189
einer grofsen Pilgerfahrt im J. 1065 erwähnten Carvasalim kann
es nicht identisch sein, da dieses in der Nfthe von Ramleh nord-
westlich bei Jerusalem lag; s. Robinson II. S. 225. u
Als Bedeutung des durch Zusammensetzung aus ncs — Dorf
und trabti = Friede gebildeten Ortsnamens Capharsalama ergiebt
sich demnach: „ Friedensdorf " '
Nimmt man hinzu den Zusammenhang dieses Namens mit
Salem, der Älteren Bezeichnung der „Friedensstadt" Jerusalem2),
so erhellt das Motiv, welches Andreae, „den Apostel des Gottes-
staatestf , zur Wahl gerade dieser Benennung für die Insel im
Meere, auf welcher er das Ideal eines christlichen »Staates sich
verwirklicht denkt, veranlafst hat. Das deutet Andreae auch
selbst an in der Widmung der „Descriptio" an den von ihm hoch
geschätzten Joh. Arnd, wenn er schreibt3): Haec nova civitas
nostra te agnoscit et respicit, nam cum ex magna illa Hiero-
so lyma, quam ingenti spiritu, invitis sophistis, extruxisti, mi-
nuta colonia dedueta sit, non potest, non omnia ad te referre,
et pro institutis legibusque gratias agere, simul etiam orare, ut,
quae supplenda emendandave ei sint, pro benevolentia communi-
care non dedigneris.
Diese Stelle lautet nach Glöklers4) Übersetzung: „Diese
meine neue Stadt verdankt Dir ihr Dasein und blickt auf Dich
hin. Denn da sie aus jenem grofsen Jerusalem, welches
Du mit erhabenem Geiste gegen den Willen klügelnder Sophisten
erbaut hast, als eine kleine Kolonie ausgeführt ist, so kann
sie nicht anders als alles auf Dich beziehen und für ihre Ein-
richtungen und Gesetze Dir ihren Dank sagen."
Keinen sinnreicheren und treffenderen, zu Inhalt und Ten-
denz der Schrift passenderen Namen hatte Andreae für die Insel
als Stätte der Cnristianopolis wählen können, die Gufsmann8)
mit den Worten charakterisiert: „Sic ist ein Haus des Frie-
dens, der Sitz des Wahren und Guten, ein christliches Gemein-
wesen, dessen Glaube mit dem der Apostel, dessen Gesetze mit
Gottes Gesetz ttbereinstinimon." —
') Diese Übersetzung findet »ich, wie ich nachträglich sehe, bereit« in
G. Büchners bibl. Real- und Verbal-Handkonkordanz, herausg. v. Dr. H.
L. Heubner. 18. Aufl. Braunschw. 1888. 8. 219. — vrgl. Schenkels Bibel-
lexikon I. S. 507 (Lpzg. 1869) und Winer, Bibl. Realwörterbuch I. S. 223
(3. Aufl. Lpzg. 1847).
•) Geseniua, a.a.O. 8.846s. v.: „oV<S. f- nrb^Adj.: 5) Nom.prop. s.v. a.
das vollständige aVttp"V Jerusalem Ps. 76, 3. Josephus(Archaeol. 1, 10, 2):
rrjv fitvjoi Zolvfja ' vartQov (xaltaav x ItQoadXvfttt. Auch Gn. 14, 18 wird
unter ebo Jerusalem zu verstehen sein."
a) Da» Citat bei Gufsmann a. a. O. S. 438.
*) Johann Valentin Andreae. Ein Lebensbild zur Erinnerung an seinen
dreihundertsten Geburtstag, entworfen von Johann Philipp (ilökler, Pro-
fessor in Stuttgart. Mit einem Bildnis Andreaes. Stuttgart 1886, S. 66 f.
h) a. a. O. S Ö39.
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190 Kemper, Der Inselname Capharsalama. Heft 6 U. 7.
»
Es erübrigt noch eine Beantwortung der Frage, wie die
eigenartige Titelangabe: De republica Christiana (Cataphar Salama)
in dem oben angeführten Briefe des Comcnius an Ilesenthaler
vom 1. September 1656 sich erklären lasse. Huellemann *) macht
zunächst darauf aufmerksam, „dafs A.(ndreae) sowohl in seiner Vita
als in seinem Verzeichnis für längere Titel seiner Schriften kürzere
Bezeichnungen wählt." Keipublicae christianopolitanae deseripto
und Christianopolis „Bind Titel ein und derselben im Jahre 1619
erschienenen Schrift", nicht verschiedene Schriften, wie irrtümlich
angenommen (Sonntag und v. Criegern).
Sodann findet Gufsmann2) in der Stelle aus einem Briefe8)
des Andreae an Comenius, datiert 16. Cal. Oct (= 16. Sept.) 1629:
Itaque tabulas naufragii nostri vobis legendas, ac si
lubet sarciendas tradimus: satis beati, si non omnino magnis
ausis excideriraus. Hoc se solatt sunt, qui novas terras erroribus
suis aperuerunt seouuturis feliciore navigatione „eine für An-
dreaes „sinnreiche Manier" . . . ziemlich deutliche Anspielung auf
die ,Descriptiol".
Erwägt man nun die bei Andreae selbst vorkommende schwan-
kende Betitelung der eigenen Schriften4) und zieht man ferner
in Betracht, dafs seit dem ersten Studium und Excerpierung der-
selben seitens des Comenius s) nach Mafsgabe der beiden Briefdaten
eine Reihe von Jahren verflossen ist, so ergiebt sich, dafs Co-
menius den Titel „De republica Christiana", falls er nicht etwa
bei Andreae oder sonstwo bereits vorkam, selbst frei nach dem
Gedächtnis gebildet, da ihm der genaue Titel nicht mehr erinner-
lich war, und dafs er Cataphar [irrtümliche Schreibung statt des
richtigen : Caphar] Salama in Parenthese hinzugefügt hat, um die
gewünschte Schrift deutlich als diejenige zu bezeichnen, in welcher
Andreae das Bild seines auf der Insel im Weltmeere gelegenen
Musterstaates entworfen.
«) a. a. O. S. 3 f.
*) a. a. O. S. 471 f.
») In deutscher Übersetzung citiert von Keller in der erwähnten Ab-
handlung S. 235 f.
*) Vergl. Veri Christianismi solidaegue Philosophiae Liberias etc. =
Veri Christiani libertas ™ libertas chriatiana «= veri Christianismi libertas.
a) Vergl. Kvacsala a. a. 0. S. 38.
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Zur Bücherkuncle.
Von und Uber Krause.
Krauses handschriftlicher Nachlafs und seine
Herausgabe bis 1898.
Von
Paul Hohlfeld in Dresden.
Am 24. Juli 1822 schrieb Krause (vergl. Anschauungen III,
1892, S. 235): „Ich weifs es zwar nicht, ob es Gott gefallen wird,
meine noch ungedruckten Handschriften durch mich oder andere,
durch meine Kinder, Bekannte oder noch Unbekannte zu Rettung
und Weseubelebigung — zum Heile — der Menschheit mitwirksam
zu machen1): aber ich bin verpflichtet, so damit zu verfahren, als
ob dieses einst dennoch geschehe, — also diese Handschriften so
vollkommen, so berichtigt, so Ubersichtlich als möglich zu machen.
Dazn dient eine wissenschaftliche Inhaltangabe (raisonnierendes Re-
pertorium) und Würdigung derselben 9) , und ein gemeinsames Sach-
verzeichnis8) (ein gleichförmiger Iudex) dazu. Das wird dem küuf-
tigen Bearbeiter Licht und Erleichterung geben."
Im Jahre 1822 hatten Krauses Handschriften die stattliche
Zahl von 60 Bänden erreicht (s. Anschauungen III, S. 213), und
wenn auch bis zu seinem Tode (1832) ein Werk nach dem andern
gedruckt worden war, so erschien doch das Gedruckte dem Umfang
nach unerheblich gegen das Übrigbleibende. Das blofse Abschreiben
des Nachlasses würde ein Menschenalter erfordert haben!
Der Inhalt der Handschriften erstreckte sich auf das Gesamtgebiet
der Wissenschaft, der Erkenntnisquelle nach auf die reine Vernunft-
') Ähnlich auch Anschauungen III, S. 29 u. 212 f.
*i Der Vorsatz, dies beides auszuarbeiten, ist von Krause leider nicht
ausgeführt worden.
s) Dasselbe bildet einen wichtigen Teil des Nachlasses, einmal von
Krauses Hand, dann noch in einer Abschrift von anderer Hand.
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192
Hohlfeld,
Heft 6 u. 7.
Wissenschaft (Philosophie und Mathematik), auf die Erfahrungs-
wissenschaft und di<* Durchdringung heider, die angewandte Philo-
sophie der Geschieht«?.
Krause heklagt und verwirft die eingewurzelte Trennung von
Mathematik und Philosophie. Er hat auf das eingehendste auch
Mathematik getrieben, namentlich die Kombinationslehre ') ausgebildet,
die allgemeine Auflösung der Gleichungen 2) versucht und eine ganz
neue Betrachtung der krummen Linien, rein nach den Begriffen der
Liinge, der Richtung und dem wechselseitigen Verhältnisse beider,
gefunden. Der außerordentlich umfangreiche mathematische Nach-
lafs Krauses ist fast noch gar nicht durchgesehen, benutzt und ge-
würdigt, geschweige bearbeitet und herausgegeben worden. Eine
Programmabhandlung Uber Krause als Mathematiker, welche nicht
blofs die gedruckten . sondern auch die handschriftlichen mathe-
matischen Arbeiten Krauses berücksichtigt, von II. II ün ig er in
Eisenberg (S.-A.), dem Geburtsorte Krauses, steht in naher Aussicht.
Die Anerkennung Krauses als Begründers und Ausbildners der
Mathematik im Sinne einer allgemeinen Wesenheitlehre , welche
neben der Lehre von der Gröfse und Grofsheit und von der Ganz-
heit bez. Unendlichkeit auch die Lehre von der Selbständigkeit
oder Selbheit und vom Verhältnis oder von der Verhaltheit im
weitesten Sinne umfafst, ist erst von der Zukunft zu erwarten.
Erschwert wird das Verständnis der Krauseschen Mathematik
durch eine Reihe ueuerfundener Zeichen. Der allenthalben schöpfe-
rische Denker hat sich nämlich auch mit dem berühmten Problem
einer Pasigraphie oder, wie er selbst sagt, Wesengestalteprache ernst-
lich und mit Erfolg beschäftigt. Es handelt sich um eine Bezeich-
nung der Gedanken lediglich durch Haumzeichen , unabhängig von
aller Lautsprache. Krauses tiefe Kenntnis der Raumlehre8) tritt
also hier in den Dienst der ßezeichnungskunst. Die vielen Werken
Krauses beigegebenen Figurentafeln sind Anfänge und Beispiele
seiner Wesengestaltsprache.
Daneben suchte er auch ein«? Wesenlautsprache 4) zu schaffen,
d. h. eine künstliche, dem Urbilde der Sprache überhaupt und der
Wissenschaftsprache 6) insbesondere entsprechende Lautsprache, un-
abhängig von und im Gegensätze zu den bisherigen natürlichen Laut-
sprachen der einzelnen Völker bez. Sprachgenossenschaften.
Die vielen auffallenden, zum grofsen Teil recht umfänglichen
Benennungen der strengen deutscheu Wisscuschaftsprache6) Krauses
*) Vergl. Anschauungen II, S. 226; Lehrbuch der Combinationlehre
und der Arithmetik 1812.
*j Vergl. Anschauungen III, S. 20, 43.
*) Vergl. Anschauungen III, S. 151 f.
4) Vergl. Anschauungen II, S. 157, 170.
*) Vergl. Anschauungen II, S. 175. Von der Würde der deutschen
Sprache und von der höheren Ausbildung derselben überhaupt , und als
Wissenschafteprache insbesondere, Dresden 1816.
«) Vergl. Anschauungen II, S. 153, 175, 190, 193.
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1893.
Von uud über Krause.
193
sind anzuseilen und zu begreifen als ein wesentliches Mittelglied
zwischen dem gewöhnlichen Deutsch und der Wesen lautsprache,
oder als ein anschauliches und unterrichtendes Beispiel der Fort-
bildung einer Volkslautsprache l) nach den Gesetzen und dem Muster
der Wesenlautsprache, in erster Linie im Dienste der Wissenschaft.
Krause unterscheidet selbst in seinen eigenen Schriften zehn
verschiedene Weisen oder Stufen der Darstellung in deutscher Sprache
nach ihrer steigenden Wissenschaftlichkeit, Übrigens war es seine
Absicht keineswegs, die gewöhnlichen kurzen Wörter d«-r Volks-
sprache für zusammengesetzte Begriffe, z. B. Recht, ganz abzuschaffen.
Xnr wollte er daneben für die strengwissenschaftliche Behandlung
und zur bequemen Wiederholung die langen, wesengemäfsen Be-
zeichnungen einfuhren.
Die deutsche Sprache hat Krause auf das gründlichste durch-
forscht. Es gelang ihm, seinen Wissenschaftgliedbau (— System)
in reinem Deutsch darzustellen, und den bisherigen gelehrten
lateinisch -griechischen Mischmasch2) als Wissenschaftsprache der
reinen Vernunftwissenschaft (als Terminologie der Philosophie) ent-
behrlich zu machen. Er beabsichtigte, nach ganz neuen, eigen-
tümlichen, wohldurchdachten Grundsätzen ein deutsches Wörterbuch
zu schreiben: ein Urworttum der deutschen Sprache. Die beiden
Ankündigungen desselben sind noch heute beachtenswert und werden
hoffentlich in Zukunft dazu beitragen, die Wortkunde (Lexikographie)
auf eine höhere Entwicklungsstufe zu bringen.
Nachdem die Uälftc der Vorarbeiten zum Urworttum fertig
war, blieb die Ausführung wegen Mangel an genügender Beteiligung
liegen.
Die umfangreichen Vorarbeiten zum Urworttum sind der am
wenigsten wertvolle Teil des Nachlasses.
Damit verbinden wir gleich das andere Werturteil, dafs die
Wesengestaltsprache Krauses uns weit bedeutender und zukunfts-
reicher scheint, als seine Wesenlautsprache.
Der Wissenschaftgliedbau Krauses umfafst auch die gesamte
Erfahrungswissenschaft, z. B. Geschichte der Wissenschaft überhaupt
und der einzelnen Wissenschaften, der Philosophie, der Mathematik,
der Religions- und der Rechtswissenschaft, Auszüge aus den Schriften
gottinniger Menschen (der Mystiker), Nebenstellen (Parallelstellen)
zu den einzelnen Sätzen des eigenen Systems aus den Werken
früherer und gleichzeitiger Deuker u. s. w., Schätze, welche zum
grolseu Teile immer noch nicht gehoben sind.
Eine Ilaupteigentümlichkeit und eiu ilauptvorzug der „Wesen-
lehre", wie Krause mit Vorliebe sein System nennt (Wesen Gott),
weil alles einzelne in Gott, im Lichte des Gottesgedankens betrachtet
wird, ist die Forderung eines harmonischen ud<*r synthetisohen Teiles
') Vergl. Anschauungen III, S. 64.
») Vergl. Anschauungen II, 8. 314.
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194
Hohlfeld,
Heft 6 u. 7.
der Wissenschaft, einer gesetzmäßigen Vereinigung der reinen Ver-
nunft- und der Erfahrungserkenntnis.
Krause bestreitet auf das entschiedenste, dafs die reine Ge-
schichtswissenschaft, wie so oft behauptet wird, „die Lehrerin", d. h.
die Hauptlehrerin, der Menschheit sei, höchstens sei sie eine „Unter-
lehrerin". Hauptlehrerin sei vielmehr die (auf die erfahrungs-
mHfsige Geschichtswissenschaft) angewandte Philosophie der Ge-
schichte.
Durch gcsetzmMfsige Verbindung der reinen Urbegriffe und
der Geschichtsbegriffe entstehen' nun die Musterbegriffe, die ange-
wandten Ideen , so wie durch die Verbindung der Urbilder und
der Geschichtsbilder die Musterbilder oder angewandten Ideale.
Diese bieten, was die Lebenskunst erheischt, die hinreichende Be-
stimmtheit und die erforderliche Unbestimmtheit, welche nach den
sich stetig lindernden Umständen vollends durchzustimmen ist, worauf
dann das vollständig bestimmte innere Bild stufenweis in die äufsere
zeitliche Wirklichkeit Ubertragen werden kann.
Vor allem sind es die Urbilder „der Menschheit, des Meuschheit-
lebens und des Menschheitbundes1*, welche Krause am Herzen liegeu.
„Urbild der Menschheit" ist der Titel eines der früheren und
zugleich der schönsten, ansprechendsten und verständlichsten Werke
Krauses.
Ende März 1808 r) erfafste Krause den Gedanken des Mensch-
heitbundes mit voller Klarheit. Seine menschheit bundlichen Schriften2)
stellte er noch Uber seine wissenschaftlichen Werke, wenn sich jene
auch als einen Teil, und zwar als den innersten und erstwesent-
lichen Teil seiner wissenschaftlichen Leistungen, 8) ansehen lassen.4)
Um dem Urbegriffe und dem Urbilde des Meuschheitbundes
schliefslich den Musterbegriff und das Musterbild5) desselben zur Seite
stellen zu können, erforschte Krause aufs sorgtHltigste die Geschichte
der Menschheit behufs Entdeckung der Vorahnungen des Menschheit-
bundgedankeus und der Keime seiner geselligen Darlebuug. In
diesem Sinne würdigte Krause den pythagoreischen Bund, den
Staatagedanken bei Piaton, den christlichen Gedanken des allum-
fassenden Himmelreiches auf Erden, welcher nach seiner Ansicht in
der Ausführung sich freilich zu einem blofsen Religionsvereine, der
christlichen Kirche, verengte, die Bestrebungen *) eines Audreä, Come-
nius u. a., sowie der FroimaurerbrUderschaft. Krause glaubte 1817
die Entdeckung gemacht zu haben,7) dafs die Stifter der Neu-
') Vcrgl. Anschauungen II, S. 37; 24.
8> Vergl. Anschauungen II, S. 321 ; III, S. 212, 269, 274.
a) Vergl. Anschauungen I, S. 196, II, S. 228.
*) Vergl. Anschauungen III, S 41.
R) Vergl. Anschauungen I, S. 205.
•) Vergl Anschauungen II, S. 225: „Die menschheitbundlichen Ahn-
versuche sind stets von Wissenschaftforscliern und durch Wissenschaft be-
geisterten Gottinnigeu ausgegangen.4*
') Vergl. Amchauungen II, S. 163; Kunsturkunden IV, 1821, 3—36.
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1893.
Von und über Krause.
195
englischen Grofsloge (1717), Anderson und Desaguliers ') ihre Grund-
gedanken wörtlich aus Comeuius entlehnt hiitten.
Das glänzendste Ehrenzeugnis aber giebt er diesem in den
Worten (Anschauungen II, S. 221): „Comeuius' Plan eine« Wissen-
schaftgliedbaues verhält sich zu meinem Plane des Wissenschaftbaues
ähnlich, wie Comenius' Plan eines allgemein menschlichen Vereines
zu meinem Plane des Menschheitbundes. (S. dessen Panegersia.)"
Uer handschriftliche Nachlafs Krauses nebst den mit Bemer-
kungen und Nachträgen des Verfassers versehenen Handexemplaren
der gedruckten Werke und den an ihn gerichteten Briefen wurde
in sechs mittelgrofsen Schränket» aufbewahrt. Die Gefahr, dafs
derselbe in alle Winde zerstreut würde, oder unbeachtet zu Grunde
ginge, hat Krauses eifrigster Schüler, Hermann von Leonhardi,
glücklich abgewendet.
Der Nachlafs kam nach langwierigen Verhandlungen in die
Wohnung und unter die Aufsicht Leonhardis, des Schwiegersohnes
Krauses, während das Eigentumsrecht an demselben der Familie
Krause vorbehalten blieb, und wanderte mit Leonhardi von München,
wo der edle Dulder endlich von seinen unsäglichen Leiden Erlösung
gefunden hatte, nach Heidelberg und Prag.
H. von Leonhardi hat aus dem Nachlasse folgende Werke zum
Drucke befördert:
1) die vollkommen druckfertige j nur infolge änfserer Gründe
liegen gebliebene Religionsphilosophie8): 1834 Band I, 1836 das
Sachverzeichnis, 1843 die beiden Abteilungen von Band II.
2) 1886 die Lehre vom Erkennen und von der Erkenntnis
(eine Nachschrift von Vorlesungen an der Göttinger Hochschule).
3 ) 1843 die Lebenlehre oder Geist der Geschichte der Menschheit.
Ferner veröffentlichte er kleinere Abhandlungen Krauses in
der von ihm herausgegebenen Zeitschrift: Neue Zeit (1869 — 1875,
11 Hefte), so die Menschheitgebote in Heft 5, den Glauben an die
Menschheit in Heft 6, den Entwurf eines europäischen Staaten-
bundes in Heft 7. Endlich veranstaltete er 1868 eine zweite, durch
die Verbesserungen und Zusätze des Verfassers bereicherte Auflage
der ersten Hälfte der „Grundwahrheiten" (1829) unter dem Titel:
„Erneute Vernunftkritik" uud der ersten Hälfte der Vorlesungen
über das System der Philosophie (1828) unter dem Titel: „Empor-
leitender Teil".
Eine zweite, unveränderte Auflage des längst vergriffenen „Ur-
bildes der Menschheit" (1811) hatte gerade 40 Jahre später (1851)
der älteste Sohn des Verfassers, Karl Krause, besorgt. 1835 gab
') Vergl. Anschauungen II, S. 217.
s) „Die absolute Refigionriphilosophie in ihrem Verhältnisse zu dem
gefühlglaubigen Theismus und nach der* in ihr gegebenen endlichen Ver-
mittlung des Siipernaturalismus und Rationalismus. Dargestellt in einer
philosophischen rrüfung und Würdigung von Fr. Bouterwek's Schrift: die
Religion der Vernunft, und von Fr. Schleiennacher's Einleitung zu dessen
Schrift: Der christliche Glaube."
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HohlfeiJ,
Heft 6 u. 7.
H. Schröder in München die völlig druckfertige Kurveulehre Krauses
heraus (Novae theoriae lincarum curvarum specimina V): dieselbe
war einst in derselbeu Stadt von Sendling als Präsidenten der
Akademie der Wissenschaften als unbrauchbar, ohne Umschlag durch
den Akademiediener dem Verfasser zurückgeschickt worden.
1887 veröffentlichte Leutbecher den gleichfalls völlig druck-
fertigen Abrifs der Ästhetik, und im folgenden Jahre (1838)
V. Straufs (später von Straufs und Torney) die Anfangsgründe der
Theorie der Musik, die er mit sinnigen Versen einleitete.
Verdienstvoll war, dafs Liudemann 1889 das Leben und die
Wissenschaftlehre Krauses aus des letzteren Handschriften zusammen-
stellte und herausgab.
1848 erschienen Krauses Vorlesungen über psychische Anthro-
pologie in der eilfertigen Bearbeitung und angeblichen stilistischen
Verbesserung von H Ahrens, womit Leonhard! ganz unzufrieden
war. Wider des letzteren Willen wurden Krauses Vorlesungen
über Rechtsphilosophie 1874 von Röder herausgegeben , der wert-
volle Bemerkungen beifügte.
Nachdem Leonhardi 1875 in Smichow bei Prag gestorben war,
kam Krauses Nachlafs infolge Verabredung der von Leonhardi zur
Fortführung seines Werkes ausersehenen und darum zu Erben er-
nannten Männer 1877 in die Verwahrung P. Kohlfelds in Dresden.
Sein gesamtes beträchtliches Vermögen hatte Leonhardi laut Testa-
ment in erster Linie zum Drucke des handschriftlichen Nachlasses
seines Meisters bestimmt, und das Smichower Bezirksgericht hat in
Gemeinschaft mit einem vom Gericht ernaunten Kurator der Leou-
hardischen Verlasseuschaft darüber zu wachen, dafs die Erben die
im Testamente getroffenen Bestimmungen des Erblassers genau be-
obachten.
P. Hohlfeld und A. Wünsche, beide in Dresden, vereinten sich,
nachdem ihr Versuch, die „Neue Zeit" fortzuführen, und auch der
Plan des letzteren, eine streng wissenschaftliche Zeitschrift als Organ
der Krauseschen Philosophie herauszugeben, an dem Widerspruche
des Gerichts gescheitert war, zur Veröffentlichung von Krauses
Handschrifteu.
Es erschienen nunmehr in rascher Folge : 1882 die Vorlesungen
Uber Ästhetik (eine gröfsere Lücke in der von Krause durchgesehenen
Handschrift konnte nach dem Ankauf der vollständigen Niederschrift
Edmunds von Hagen, welcher Krauses Vortrag mittelst der Horstig-
schen Stenographie nachgeschrieben hatte, glücklicherweise ergänzt
werden) und das System der Ästhetik, welchen Hohlfeld erklärende
und vervollständigende Anmerkungen beifügte; 1883 die Dresdner
Gemäldegalerie, die Landverschönerkunst, welche Baurat Vorherr
in München herausgeben wollte, und die bereits 1832 als erschienen
buchhändlerisch angekündigt,* aber in Wahrheit noch garnicht ge-
druckt war, und die Reisekunststudien; 1884 die Methode des
akademischen Studiums, die Vorlesungen Uber synthetische Logik,
welche trotz der aufserordentlichen Schwierigkeit des Verständnisses
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1893.
Von und über Kraus*-.
197
unerwartet reichen Absatz fanden, und die Einleitung in die Wissen-
schaftslehrc (von Kraust' früher: Einleitung in die Literaturgeschichte
genannt); 1885 die angewandte Philosophie der Geschichte uud der
analytisch - induktive Teil; 1886 die reine allgemeine Vernunft-
wisscnschaft und der Abrifs des Systeme» (einschliefslich der zweiten
Abteilung, des absteigenden Teiles, welche in der 1825 bezw. 1828
vom Verfasser selbst besorgten Ausgabe gefehlt hatte); 1887 die
Geschichte der Philosophie; 1888 die Sittenlehre (1810) in zweiter,
sehr stark vermehrter Ausgabe; 1889 die neuereu philosophischen
Systeme (Kants, Fichtes und Schellings) , der Grundrils der Philo-
sophie der Geschichte, Philosophische Abhandlungen (darin die drei
lateinischen Habilitationsschriften Krauses für Jena 1802, Perlin 1814
und Göttingen 1824, die erste und die dritte zugleich in deutscher
Übertragung des Verfassers, und drei Abhandlungen über Mathe-
matik) und der sehr vermehrte ableitende Teil der Vorlesungen
Uber das System der Philosophie (1828); 1890 das Eigentümliche
der Wesenlehre, worin Krause selbst die Haupteigentilmlichkeiten
seiner Lehre kennzeichnet und dieselbe streng sachlich, wie die
Leistung eines anderen, beurteilt; 1890 — 1892 drei Bünde An-
schauungen (teils Beiträge zur Lebensgeschichte des Verfassers,
teils Einzelsatze aus den verschiedensten Wissenschaften , die er
nicht sofort au der gehörigen Stelle des Wissenschaftgliedbaues
eintragen konnte); 1892 aufserdem die Anfangsgründe der Erkenntnis-
lehre; 1893 das Werk „Zur Religionsphilosophie und spekulativen
Theologie", der Abrifs der Geschichte der griechischen Philosophie
und Aphorismen zur Sittenlehre.
Mittlerweile hatte Wünsche allein 1891 die Sprachphilosophie
herausgegeben; desgl. Dr. jur. Mollat 1890 das Naturrecht die 2. Ab-
teilung zum erstenmal, wahrend die 1. Abteilung bereits 1803 für
sich erschienen war) und 1893 Krauses Bemerkungen und Erläute-
rungen zu Fichtes Grundlage des Naturrechts. 1891 fertigte Trömel
ein Verzeichnis zu dem emporleitenden (1868) und dem ableitenden
Teile der Vorlesungen über das System der Philosophie, nebst
Nachträgen (1889).
Damit ist aber der handschriftliche Nachlafs Krauses noch lange
nicht erschöpft. Die bisherigen Herausgeber Mollat, Hohlfeld und
Wünsche gedenken mit Gottes Hülfe rüstig weiter zu arbeiten, und
als neue Mitarbeiter sind Oberlehrer R. Vetter in Dresden und
Professor Mucke in Dorpat gewonnen. Vielleicht tragen auch diese
Mitteilungen dazu bei, neue Kräfte uns zuzuführen!
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Nachrichten.
Die Eigenart der Persönlichkeit und ihrer Bedeutung brachte es mit
sich, dafs Comeuius' Thätigkeit bisher in erster Linie von Männern be-
trachtet und gewürdigt worden ist, die von Beruf Philosophen, Gottes-
gelehrte oder Vertreter der Erziehungslehre waren. Indessen darf darüber
nicht vergessen werden, dafs der erste, der das Andenken des C. in un-
serem Jahrhundert wirksam erneuerte, von Beruf ein Geschichtechreiber
im engeren Sinn, d. h. ein Vertreter der politischen Geschichte, gewesen
ist — AntOB Gindely. Da ist es denn nun von Wichtigkeit, dafs auch
jetzt, bei Gelegenheit der Jahrhundertfeier, Gindely abermals zur Feder ge-
griffen hat, um eine zweite Auflage seiner Arbeit : „Über des Johann Arnos
Com cnius Leben und Wirksamkeit in der Fremde" zu veranstalten. Sein in-
zwischen eingetretener Tot! (tarn 24. Okt. 1892, s. M.H. der CG. 1H92, S. 322)
hat die Ausgabe verzögert; jetzt ist die Schrift erschienen (Znaim, Fournier
& Haberler, Preis 2 Mk.) und wir werden in Kürze an anderer Stelle
darauf zurückkommen. Die Bedeutung dieser Veröffentlichung liegt,
wie bemerkt, abgesehen von ihrem Inhalt, zugleich in der Person und
der Stellung des Verfassers. Angesichts des Umstände«, dafs die politischen
Historiker die Bearbeitung der Lebensgeschiehte von Päpsten, Kardinälen
und Bischöfen oder auch der Geschichte der Reformatoren und der Re-
formation als zu ihren Aufgaben gehörig betrachten, darf angenommen
werden, dafs nach Gindelys Vorgang auch noch andere Geschichtsforscher
im engeren Sinn sich dieser oder verwandten Aufgaben unserer Gesellschaft
zuwenden werden. In der That sind denn auch eine Reihe bekannter Ver-
treter der politischen Geschichtschreibung — wir nennen unter anderen
die Herren von Below (Münster), von Bezold (Erlangen), Caro (Bres-
lau), K 1 u c k h o h n (Göttingen), L o s e r t h (Graz), O n c k c n (Giefsen), Watten-
bach (Berlin) — Mitglieder unserer Gesellschaft geworden.
Herr Professor Dr. Kvacsala in Prefsburg — D.M. der CG. — ist von
der Kgl. Akademie der Wissenschaften in Prag beauftragt worden, die Briefe
von Und an Oomeniu«, soweit sie an aufserösterreichischen Fundorten noch
zu ermitteln sind, behufs Herausgabc zu sammeln. Herr Kvacsala wird sich
zu diesem Zweck noch im Laufe des Sommers nach Paris, London und
1693.
Nachrichten.
199
Stockholm begehen. Die Königl. Akademie hätte den bezüglichen Auf-
trag in keine geeigneteren Münde legen können. Herr Kvacsala ist, wie
«ein Buch beweiht, gegenwartig der genaueste Kenner den gesamten
Quellenmaterial» zur Geschichte des Comenius. Seine Kenntnis der deutschen,
slavischen, ungarischen und französischcn'Sprache wird ihm bei seinen Ar-
beiten ein ausgezeichnet««» Förderungsmittel sein. Der Briefwechsel desG,
den Patera im Jahre 1892 herausgegeben hat, umfafst kaum die Hälfte des
schon heute bekannten Stoffes. Durch Kvac&alas Keinen dürfte noch weit
mehr an das Licht kommen. Wir bitten unsere Mitglieder, zumal
die ausländischen, ihn kräftig zn unterstützen.
Dafs die beiden gröfsten Gelehrten Deutschlands und Italiens im
vorigen Jahrhundert, 0. W. Leibolz und L. A. Muratori, im Briefwechsel
mit einander gestanden haben, war schon längst bekannt A. v. Rcumont
hatte in der Kieler Monatsschrift 1854 Mitteilungen über ihn gemacht,
nachdem zuvor der Marchcse Giuseppe Campori gelegentlich der Enthüllung
des Denkmals für Muratori in Modeiia darüber gehandelt hatte. Jetzt liegt
uns die vollständige Korrespondenz des alternden Leibniz mit dem viol
jüngeren italienischen Gelehrten aus den Jahren 1708 bis 1716 mit einigen
dazugehörigen Briefen anderer Personen in einer ausgezeichneten Ausgabe
vor, welche Herr Matteo Campori zuerst in den Atti e Memorie della
R. Deputazione di Storia patria delle Provincie Modenesi. Scr. IV. T. III.
1892 hat abdrucken lassen, dann aber auch unter dem Titel: Corrispon-
denza tra L. A. Muratori e G. G. Leibniz conservata nella R.
Biblioteca di Hannover ed in altri istituti. Modena 1*92 XLHI u.
335 S. in gr. 8° besonders herausgegeben hat
Centralbl. f. Bibliothekswesen.
In nächster Zeit erscheint im Verlage von Herrn. Heyfelder in Berlin
(R. Gaertners Verlagsbuchhandlung) ein Buch: Johann Bünderlin und die
Anfänge des Täufertums in Oberösterreich von Dr. Alexander Nicola-
doni. Hof- und Gerichtsadvokat in Linz a. Donau. Johann Bünderlin ist
jener originelle Vorläufer Sebastian Franeks, der im 16. Jahrhundert das
„geistige Christentum" am wärmsten zum Ausdruck gebracht hat und dem
Schellhorn, Hagen, Gerbert und in neuester Zeit A. Hegler in „Geist und
Schrift bei Sebastian Franck" Beachtung geschenkt haben. Dr. Alex. Nico-
ladoni bringt eine Reihe bisher unbekannter biographischer Daten, weitere
ausführliche Auszüge aus bereits bekannten und nicht bekannten Schriften
Bnnderlins. Nicoladonis Buch enthält endlich interessante Nachrichten über
den Gang der Reformation und der Täuferbewegung in Oberösterreich, einen
der Herde der letzteren, in den Jahren 1526 — 1531 und belegt dieselben
mit zahlreichen, bisher noch nicht veröffentlichten Urkunden. Wir werden
nach dem Erscheinen des Werkes eingebender darauf zurückkommen.
Descartes über Comenius. Comenius war, wie den Kennern seiner
Philosophie bekannt ist, nicht in allen Auffassungen mit Descartes ein-
verstanden. Insbesondere fafste C. das Verhältnis zwischen Philosophie
und Theologie anders auf als Descartes. Um so interessanter ist folgendes
Monatsheft« der Comeiuq9-4i.,se|l*:W«. 1893. 14
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Xachricbteu.
Heft 6 u. 7.
Urteil des Descartes über des C. Pansophie, wie es sich bei Kvacsala,
Comeniua, Belege um! Erklärungen S. 67 findet. Ee ist den für die Ge-
schichte unsere« Forschungsgebietes reichen Sloane-Mss. des Britischen
Museums entnommen und lautet:
Judicium de Opere Pansophico. Quemadmodum Dens est unus et creavit
Naturam unam simplicem, continuam ubique sibi cohaereniem et respondentem,
paucissimis constantem Principiis elementisque, ex quibus infinitis propemodum
res, sed in tria regna Min., Veget. et Animale certo inter se ordine gradibusque
distincta perduxit; ita et harum rerum eognüionem oportet ad similitudinem
unius Creatoris et Unius Naturae universam, simplicem, continuam, non inier-
ruptam, paucis constantem principiis (imo unico Principio principali) unde
caetera omnia ad specialissima usque individuo nexu et sapientissimo ordine
deducta permanent, ut ita nostra de rebus universis et singulis contemplatio
similis $it Picturae vel speculo, Universi et Singularum ejusdem Partium ima-
ginem exactissime repraesentanti. De modo autem speeulum eiusmodi con-
friert di, naturae maxime consent aneus iUe videtur (quem et Comenius hac de re
libros mundi utriusque Majori* nimirum et Minoris cum libro Scripturae ut
audio potiasimum consulentem sibi eligere conjicio) qui Vestigia Creatoris in
producendis rebus accuratissime observet, ita ut ex rationis lumine primo
probet ur; necessario concedendum esse rerum conditorem et Deum, deinde Crea~
turae eo pertractentur modo, quo Moses eas in Genesi sua proereatas luculenter
descripsit : quarum gubernationem libri profani, praeeipue vero sacri ad finem
usque saeculorum continuandam explicant, denique ad Deum, tam(fuam ad
Punctum vel Centrum unde progressus omnia educamus. Sic uti ex uno per et
ad unum sunt omnia, üa et horum Ex, per et ad unum Contemplatio utilissima
juxta atque jueundissima est futura.u
Der soeben zur Versendung gelangte Katalog 193 des Antiquariat« von
Heinrich Kerler in Hin, enthaltend Philosophie (Religionsphilosophic,
Naturphilosophie und Ästhetik), giebt ein Verzeichnis wertvoller älterer und
neuerer Schriften, die das Forschungsgebiet unserer Gesellschaft berühren.
Insbesondere sind die im Arbeitsplan unserer Gesellschaft unter B auf«
geführten sog. Naturphilosophen des 16. und 17. Jahrhunderts und der sog.
Aufklärung des 18. Jahrhunderts stark vertreten. Wir verweisen z. B. auf
Nr. 156— 166 (von und über Baco), Nr.283(Kob.Boy le), Nr. 812— 315 (Bruno),
Nr.419(Cooruhert), Nr. 660— 735 (J. G. Fichte), Nr.895— 899 (Grotius),
Nr. 1096—1 118 (Her hart). Nr. 1304— 1418 (Kant), Nr. 1588—1616 (Leibni z),
Nr. 1657-1666 (Locke), Nr. 2507— 2530 (Schleiermacher) u. s. w.
Pterer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel * Co. in Altenburg.
Monatshefte
der
C omenius - Gesellschaft.
II. Band. — 1893. — Heft 8 u. 9.
Johann Georg Hamann als Geistesverwandter
des Comenius.
Von
Lettau, Königsberg i. Preufeen.
Vergebens habe ich bis jetzt darauf gewartet, dafs von
anderer Seite auf eine Lücke in der Reihe derer, die der Arbeits-
plan unserer Gesellschaft als Geistesverwandte des Comenius
nennt, hingewiesen und somit gewissermaßen ein begangenes Un-
recht gut gemacht werden möchte. Neuerdings haben mich aber
einerseits der Hinblick auf die sich stetig mehrenden bedroh-
lichen Zeichen der Zeit, andererseits auch Verpflichtungen be-
sonderer Dankbarkeit wiederholt aufs lebhafteste gemahnt, mit
der obigen Klage nicht länger zurückzuhalten und auf eine
Persönlichkeit aufmerksam zu machen, die in ihrem äufsern und
innern Leben, in ihrem Wollen und Wirken unserm Comenius
näher als sehr viele andere steht — auf eine Persönlichkeit, die
diesem insbesondere darin verwandt ist, dafs sie ernstlichst be-
strebt gewesen, „eine über den Streit der Parteien und
Kirchen erhabene christliche Denkweise auf der
Grundlage echter Humanität zur Geltung zu brin-
gen" (8. „Arbeitsplan").
Dafs hiermit von dem in der Überschrift dieses Aufsatzes
genannten Johann Georg Hamann nicht zu viel gesagt wor-
den ist, möge an dieser Stelle vorerst in kürzerer Ausführung
und — wenn es wünschenswert erscheinen sollte — später ein-
gehender, vollständiger dargelegt werden.
MonaULefte der Comeniu.-OselUchafl. 1993. 15
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202
Lettau,
Heft 8 u. 9.
Eine auffallende Ähnlichkeit zwischen Comenius und
Hamann zeigt sich , wie oben bereits angedeutet , zunächst
schon in ihrem üufsern Lebensgange: Sie wachsen beide in
engen Verhältnissen auf, müssen schon beim ersten Schulunter-
richt die Mängel der zu ihrer Zeit meist üblichen Lehrweise an
sich selbst und an den ihnen Nahestehenden schmerzlich er-
fahren; sie werden im spätem Leben meist dornenvolle Wege
geführt, „mit rauher Hand aus einem Gefäfs ins andere ge-
schüttet".
Wir finden sie bald im Osten, bald im Westen oder in der
Mitte unseres Kontinents; folgenreiche Anregungen erhalten sie
in England, obwohl sie dem ursprünglichen Zwecke ihrer Reise
dorthin nicht gerecht werden konnten. Die zwei gewaltigen
Kriege ihrer Zeit — der 30jährige und der 7jährige — zeigen
ihnen eindringlichst, dafs „die Sünde", insbesondere Intoleranz,
Eroberung*- und Herrschsucht, „der Leute Verderben ist". Als
ihnen sodann nach vielen Jahren voll schwerer, aber doch „köst-
licher Mühen" (Ps. 90, 10) der Osten, dem sie entstammten,
keine ruhige Heim- und Schaffensstätte mehr gewähren wollte,
folgten sie endlich dem Rufe jugendlicher Freunde und begeisterter
Verehrer nach dem Westen , wo sie die noch übrige Zeit
ihres Lebens in erwünschtem Frieden wirken und die letzte
Ruhestätte finden sollten.
Eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen beiden zeigt
sich auch darin, dafs sie von den edelsten und erleuchtetsten
ihrer Zeitgenossen viel gepriesen und bewundert, ja angestaunt
wurden, und dafs dessen ungeachtet doch bald nach ihrem Tode
„die Mehrheit des Volkes diese Wurzelmänner" — um es mit
einem trefflichen Ausdruck Sailers zu sagen — „vergessen,
ja als Schwärmer und Mystiker verspottet und Gras und Laub
andächtig auf ihre Altäre gestellt hat". Nun aber treibt die
Not der Zeit, insbesondere der Zwiespalt unter den Völkern,
der Hader unter den politischen und konfessionellen Parteien,
die lange Vergessenen und Verkannten wieder auf den Schild
zu erheben als Vorbilder und Führer, denen es von Gott ge-
geben ist, das die Völker Einigende, Läuternde und dadurch
wahrhaft Beglückende und Erhöhende zu erfassen und ein-
dringlichst zu zeigen.
Dafs im nachfolgenden vorwiegend von Hamann die Rede
sein und das Verwandte aus dem Leben und Schaffen des Co-
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1893.
Hanjann als Geistesverwandter des Comenius.
203
menius als bekannt vorausgesetzt wird, bedarf wohl kaum der
Entschuldigung.
Der erste Unterricht, den Hamann erhielt, war, wie bereits
angedeutet, teils ein mangelhafter, teils ein gänzlich verfehlter.
„Konrektor Röhl," so hören wir Hamann selber klagen (s.
Schriften, von Roth herausgegeben, I, S. 155 ff.), „in dessen
Schule ich die Vorbereitung für eine der obern Gymnasialklassen
erhalten sollte, schmeichelte mir und sich selbst, einen grofsen
Lateiner und Griechen erzogen zu haben; sein Sohn brachte
mich weit in der Rechenkunst; aber es geht das alles verloren,
wenn das Urteil nicht entwickelt wird. Ich fand mich mit einer
Menge von Wörtern und Sachen auf einmal überschüttet, deren
Verstand, Grund, Zusammenhang und rechten Gebrauch ich
nicht kannte. Während ich mich in einigen Dingen weiter be-
fand, als ich es bedurfte, so war ich dafür in weit nützlichem
und nötigern ganz zurückgelassen — weder Historie, noch
Geographie, noch die geringsten Begriffe von der Schreibart
und Dichtkunst — .tt Erst auf der Universität (Königsberg) fand
er ähnlich wie Comenius in seinem Aisted u. a. Lehrer,
die es besser verstanden, ihn allseitig anzuregen und zu fördern.
Er erwähnt zunächst mit besonderer Anerkennung den „berühm-
ten Kuntze", dessen Schüler in allen Teilen der Philosophie
und Mathematik er gewesen. Mehr noch rühmt er einen zweiten
Universitätslehrer, Professor Rappold, als einen Mann, „der
einen besondern Scharfsinn besafs, natürliche Dinge zu beur-
teilen mit der Andacht, Einfalt und Bescheidenheit eines christ-
lichen Weltweisen, und eine ungemeine Stärke, den Geist der
römischen Schriftsteller in ihrer Sprache nachzuahmen". „In
einem kleinen Bezirk der Welt nützlich, war er zu einem gröfsern
geschickt, ihr unbekannt und verborgen, der aber sich, die
Natur und den Schöpfer desto besser kannte, sich selbst ver-
leugnete, der Natur bescheiden und unermüdlich nachging und
den Schöpfer in kindlicher Einfalt verehrte." — Wer erkennt
nicht in Rappold eine Persönlichkeit, die in mehr als einer
Hinsicht Val. Andreae und dessen Einflufs auf Comenius
in Parallele zu stellen wäre?
Die bei seiner Vorbildung erfahrenen lebhaften Eindrücke,
die allerdings einerseits trübe und hemmende, andererseits aber
erfreuliche und fördersamc waren, haben wesentlich dazu bei-
getragen, dafs Hamann, ebenso wie Comenius, besondern
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Lettau,
Heft 8 u. 9.
Fleifs und Eifer auf die Lösung „des gröfsten und wichtigsten
Problems der Menschheit, der Erziehung des heranwachsenden
Geschlechts" (Kant), verwendet hat.
Mit grofser Freudigkeit beginnt Hamann schon frühe,
in seinem 22. Lebensjahre, seine Lehrwirksamkeit, und zwar
als Erzieher der beiden Kinder einer verwitweten Baronin v. B.
in Kurland. Er bezeichnet den Anfang, den er hier in der Er-
zieherpraxis gemacht, als einen schweren, „da er sich selbst,
seine Unmündigen und eine unschlachtige, rohe und unwissende
Mutter zu ziehen gehabt". Wie gewissenhaft er es aber dort
in seinem Berufe nahm, ersieht man aus einem Briefe, den er
mit rückhaltloser Wahrheitsliebe bescheiden mahnend an die
Baronin geschrieben hat. „Ich nehme mir die Freiheit," heifst
es darin unter anderm, „Euer Gnaden um einige Hülfe in der
Arbeit anzusprechen. Gewissenhafte Eltern erinnern sich ja der
Rechenschaft, die sie von der Erziehung ihrer Kinder Gott und
der Welt einmal ablegen müssen. Dieselben in Puppen, Affen,
Papageien oder sonst etwas Derartiges zu verwandeln, haben
wir kein Recht. Sie werden dem Hofmeister ihrer Kinder nicht
zuviel thun, wenn sie ihn als einen Menschen beurteilen, der
seine Pflicht mehr liebt, als zu gefallen sucht etc." Nachdem
die eitle Mutter, durch dieses Schreiben verletzt, Hamann
verabschiedet hatte, wurde derselbe Hofmeister der beiden Söhne
des Generals v. Witten auf Grünhof (Kurland). Herr von
Witten erkannte gar bald die Tüchtigkeit Hamanns. „Die
Fortschritte meiner Zöglinge," so schreibt Hamann erfreut an
seine Eltern , „machen den Vater glücklich und gegen mich er-
kenntlich; er redet bisweilen mit nassen Augen von uns gegen
andere, und giebt mir auf alle Weise zu verstehen, wieviel er
von mir hält."
Im übrigen urteilt er aber sehr bescheiden von seiner Er-
zieherthfttigkeit: „Gott gab mir viel Geduld, Klugheit und Glück
(bemerkt er in seinem „Lebenslauf"), das wohl hauptsächlich eine
Wirkung des Gebetes meiner frommen Eltern und eine Nach-
sicht göttlicher Gnade und Langmut gewesen ist." Die prak-
tischen Lehrversuche liefsen ihn die Wichtigkeit des Erzieher-
berufes immer inniger erfassen und mehrten seine Einsicht in
denselben. Darum hat er (ebenso wie Oomenius) im spiltern
mühe- und unruhvollen Leben jede Gelegenheit freudig wahr-
genommen, um sowohl Kinder und Jünglinge selber zu unter-
richten, ab auch andern, namentlich seinem Bruder und seinen
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1893.
Hamann als Geistesverwandter des Comenius.
2(»r»
Freunden, Rektor Lindner und Herder, didaktische Wei-
sungen zu erteilen.
„Sie wissen," schreibt er an Lindner in den „5 Hirten-
briefen über das Schuldrama'- (s. Schriften Bd. H, S. 421),
„wie gern ich von solchen Dingen plaudere, die Kinder und
den gemeinen Mann angehen; denn der wahre Menschenfreund
buhlt um die Stimme des Volks, und das Lob der Unmündigen
ist die Stärke seines Nachruhms." — Wiederholt bezeugt er
nachdrücklichst, dafs ihm der Erzieher-(Lehrer-)Beruf als der
höchste gilt. „Der Wert einer Menschenseele, " heifst es in den
„Briefen über das Schuldrama a (Schriften II, S. 413 ff.),
„kann nicht durch den Gewinn dieser ganzen Welt ersetzt
werden. Wie wenig kennt diesen Wert der Andriantoglyph des
Emil (Rousseau), blinder als jener Knabe des Propheten (2. Kön. 6).
Jede Schule ist ein Berg Gottes, wie Dothan, voll feuriger Rosse
und Wagen um Elisa her. Lafst uns also die Augen aufthun
und zusehen, dafs wir nicht jemand von diesen Kleinen verachten,
denn solcher ist das Himmelreich, und ihre Engel sehen allezeit
das Angesicht des Vaters im Himmel."
In ähnlichem Sinne schreibt er an Kant, der ihn aufge-
fordert hatte, eine „Kinderphysik" mit ihm zu bearbeiten (s.
Schriften II, S. 443 ff.): „Wenn Sie ein Lehrer der Kinder sein
wollen, so müssen Sie ein väterlich Herz gegen dieselben haben,
und dann werden Sie, ohne rot zu werden, sich auf das hölzerne
Pferd der mosaischen Märe zu setzen wissen (Schöpfungsge-
schichte nach 1. Mos.) ; was Ihnen als hölzernes Pferd vorkommt,
ist vielleicht ein geflügeltes. — Die blinden Heiden haben vor
den Kindern Ehrerbietung, und ein getaufter Philosoph wird
glauben, dafs mehr dazu gehört, als ein Fontenellischer Witz
und eine buhlerische Schreibart. Was schöne Geister fesselt
und schönen Marmor begeistert, dadurch würde man die Ma-
jestät ihrer Unschuld beleidigen. Ein philosophisches Buch
für Kinder würde daher so einfältig, thöricht und abgeschmackt
aussehen, wie ein göttliches Buch, für Menschen geschrieben.
— Das gröfste Gesetz der Methode für Kinder besteht eben
darin, sich zu ihrer Schwäche herunterzulassen, ihr Diener zu
werden, wenn man ihr Meister sein will, ihnen zu folgen, wenn
man sie regieren will, ihre Seele und Sprache zu erlernen, wenn
man sie bewegen will, die unsrige nachzuahmen. — Nun prüfen
Sie sich, ob Sie soviel Herz haben, der Verfasser einer einfäl-
tigen, thörichten und abgeschmackten Naturlehre zu sein. Haben
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Lettau,
Heft 8 u. 9.
Sie solch ein Herz, so sind Sie auch ein Philosoph flir die
Kinder. Sie sind in Wahrheit ein Meister in Israel, wenn Sie
es für eine Kleinigkeit halten, sich in ein Kind zu verwandeln
trotz ihrer Gelehrtheit." — „Es ist nichts daran gelegen," fügt er
im weitern noch hinzu, „was, noch wieviel Kinder und wir
altern Menschen überhaupt wissen, sondern alles wie! Wir
säen nicht ganze Gewächse, auch nicht ganze Früchte, sondern
nichts mehr als das Kleinste davon, den Samen, und dieser
selbst ist zu überflüssig, so dafs er verfaulen mufs, ehe er auf-
gehen kann. Er geht aber nicht auf, wenn der Boden nicht
zubereitet und die Jahreszeit in acht genommen
wird. Von diesen Bedingungen hängt also das Ge-
deihen des Samens mehr ab, als von dessen Natur
selber. Die Mittel, Kinder zu unterrichten, können
daher nicht einfach genug sein. So einfach sie sind,
ist noch immer viel Überflüssiges, Verlornes und Vergängliches
an denselben. Sie müssen aber reich an Wirkungen
sein, eine Mannigfaltigkeit und Fruchtbarkeit zur Anwendung
und Ausübung in sich schliefsen."
Ähnlich auch noch an Lindner („Hirtenbriefe über das
Schuldrama"): „Der Unterricht in Schulen scheint recht dazu
ausgesonnen zu sein, um das Lernen zu verekeln und zu ver-
eiteln. Alle unsere Erkenntnisse hängen von der
sinnlichen Aufmerksamkeit ab; diese wiederum beruht
auf der Lust des Gemüts an den Gegenständen selbst Ein
Knabe, der alacritatem ingenii äulsert bei einem Zeitvertreib
(Schuldraraa!), gewinnt immer mehr als ein anderer, dem über
dem Cornelius Nepos Hören und Sehen vergeht, der sich stumpf
memoriert und schläfrig exponiert."
Mit besonders innigen, eindringlichen Worten weist Hamann
immer und immer wieder auf das Urbild und das höchste Ziel
aller Erziehung hin. So schon in seinem „Lebenslauf"
(Schriften 1, p. 87 ff.): „Wen der Sohn Gottes frei macht, der
ist recht frei, und wenn die Seele erst in i h m ihren Mittelpunkt
findet, so bleibt sie ihm, wie die Erde der Sonne, getreu, und
alle übrigen Neigungen richten sieh wie Monde nach diesem ur-
sprünglichen und eigentumlichen Eindruck des Schwunges und
ihres Laufes. Jesus Christus ist das Haupt unserer Natur und
aller unserer Kräfte und die Quelle aller der Bewegung, die so
wenig in einem Christen still stehen kann, als der Puls im
lebendigen Menschen; und wenn wir alles vergessen, so vertritt
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1893.
Hamann als Geistesverwandter des Comenius.
207
er, der Gekreuzigte, alle Weisheit und alle Kraft, alle Vernunft
und alle Sinne." — „Diesem Könige (s. Schriften VII, S. 121),
dessen Name, wie sein Ruhm, grofs und unbekannt ist, ergofs
sieh der kleine Bach meiner Autorschaft, verachtet, wie das
Wasser zu Siloah, das stille geht. Kunstrichterlicher Ernst
verfolgte den dürren Halm und jedes Blatt meiner Muse, weil
der dürre Halm mit den Kindlein, die am Markte sitzen, spielend
pfiff (Matth. 11, 16. 17), und das fliegende Blatt taumelte und
schwindelte vom Ideal eines Königs, der mit der gröfsten Sanft-
mut und Demut von sich rühmen konnte: hier ist mehr denn
Salomo." —
Diese Citate dürften genügen, um erkennen zu lassen, wie
Hamann in seinen Grundanschauungen Uber Erziehung und
Unterricht mit Comenius übereinstimmt Daß* er auch mit
den Schriften dieses seines Vorläufers wohl vertraut gewesen
ist, ersieht man aus mehreren Bemerkungen in seinen Briefen
und Aufsätzen. So schreibt er seinem Freunde Lindner auf
dessen Bitte um Zusendung anregender Schriften (Schriften I,
S. 504): „Ihrem Wunsche bin ich nachgekommen, und schicke
unter anderm zwei Programme von M. Huhn Uber „Subtilität
und Schulsachen". Einige Citate aus Comenius, die er an-
führt, sind besonders merkwürdig." — Er freut sich (s. Schrif-
ten III, S. 209), dafs er auf einer Bucherauktion die Werke
des Comenius erstanden und somit „einen wertvollen Zu-
wachs zu seiner Bibliothek erworben habe". In seiner „Aes-
thetika in nuce" (Schriften II, S. 270 ff.) bemerkter, indem
er den einfaltigen Kinderglauben preist, unter anderm: „Sie
werden es wohl ohne Beweis glauben, dals des berühmten Schul-
meisters und Philologen A. Comenius „Orbis pietus" und des
Muzelii „Exercitia" für Kinder, die sich noch im blofsen Buch-
stabieren üben, viel zu gelehrte Bücher sind". „Wenn Sie jetzt
merken (Schriften II, S. 435, „Briefe über das Schuldrama" ), war-
um eine Absonderung von den besten Anmerkungen über das
Schuldrama unumgänglich ist, damit der Ruhm iv (YKIoxqU^
jtavow eig xtt hoipct (U. Cor. 10, 16) aufhöre, so - bleibt uns
noch übrig, das zu erfüllen, was A. Comenius „convertere
ludicra in seria" nennt, weil wir Schulhandlungen als ein
aufserordentlich bequemes und vorteilhaftes Werkzeug voraus-
gesetzt haben, um die dramatische Poesie in ihre Kindheit
zurückzuführen, sie zu verjüngen und zu erneuern."
Dieselben Gaben und Vorzüge, die einen Comenius be-
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Lettau,
Heft 8 u. 9.
fähigten, ein Lehrer und Prophet nickt nur seinen Zeitgenossen,
sondern auch den nachfolgenden Geschlechtern zu werden, finden
wir auch in hohem Mafse bei Hamann. Einerseits war es
auch bei ihm die universelle Richtung seines Geistes, verbunden
mit einem unermüdlichen Lerneifer (daher die Fülle und Ge-
diegenheit seines Wissens!), andererseits der derautvolle, beschei-
dene Kindersinn und die herzliche Liebe, die ihren Ursprung
in der ewigen Gottcsliebe hat, und die in Bezug auf den Nächsten
alles hofft, glaubt und duldet, sich nie erbittern läfst und nimmer
aufhört (I. Cor. 13).
„Hamann," so rühmt J. Paul, „war ein Heros und ein
Kind zugleich." Ahnlich Goethe: „Hamann war der hellste
Kopf seiner Zeit; er wufste wohl, was er wollte" (so in einem
Gespräch mit dem Kanzler Müller, Dezember 1824); desgl.
an Moser: „Ich besitze noch zwei Schreiben Hamanns, die
von der wunderbaren Grofsheit und Innigkeit ihres Verfassers
Zeugnis ablegen." — Fr. Jacoby, der Hamann besonders nahe
stand, bezeugt von ihm: „Die ganze Art und Manier seines
Geistes hat eine auffallende Verwandtschaft mit Lessings Wesen
und Eigentümlichkeit. Diese Ähnlichkeit kommt daher, dafs
Witz und Tiefsinn, Scharfsinn und Gelehrsamkeit in den Schriften
beider innigst vereint und gemischt sind. Der Geist und die
gerade Kraft, mit der Lessing nach der Wahrheit strebt, sind
bewundernswert, indessen ist er weit vom Ziele geblieben.
Darin steht Hamann über ihm, wie er denn überhaupt ihn an
metaphysischem Tiefsinn übertrifft. Selbst Kant darf ihm hierin
nicht gleichgestellt werden. Überhaupt zeigt sich der wahre
und volle Charakter des Philosophen deutlicher an solchen, die
zunächst nur die Wahrheit selbst und ihre eigene Befriedigung
im Auge haben, daher auch sich mehr rhapsodisch mitteilen,
als eigentliche Systeme aufzustellen pflegen." Auch Lessing
bewundert an Hamann die Vielseitigkeit seines Wissens: „Seine
Schriften," bemerkt er in einem Briefe an Herder, „scheinen
als Prüfungen der Herren aufgesetzt zu sein , die sich für Poly-
histors ausgeben; denn es gehört ein wenig Panhistorie dazu."
— Herder erkennt in mehreren seiner Briefe die geistige
Überlegenheit Hamanns an; und selbst ein Hegel, der sonst
abfällig Uber Ilamann urteilt, bezeugt, dafs dieser seinem
Freunde Herder an Scharfsinn und Tiefe bedeutend überlegen
gewesen sei. Er bemerkt z. B. bei Erwähnung der gegen
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1893.
Hamann ab Geistesverwandter des Comenius.
209
Kant gerichteten Abhandlung Hamanns „Metakritik Uber
den Purismus der reinen Vernunft": „ Man %hat diesen
Aufsatz ans Licht gezogen, um darin die Quelle aufzuweisen,
aus welcher Herder seine mit grofsem Dünkel aufgetretene
und mit gerechter Herabwürdigung aufgenommene, nun längst
vergessene „Metakritik" geschöpft hat.u — Niebuhr schliefst
seine Charakteristik Hamanns mit dem Zeugnis: „Hamann
ist einer der tiefsten und gewaltigsten Geister gewesen, die
Deutschland hervorgebracht hat; die originale Richtung seines
Geistes war die eines Starken, der aus einem untergegangenen
Geschlechte in ein ganz verändertes Weltall hineinlebte. u
Wahrhaft erstaunlich ist die Allseitigkeit des Wissens, die
Fülle der Gelehrsamkeit Hamanns. In den sechs Jahren des
„Stilllebens im Vaterhause" (von 1759—65) machte er mit be-
wundernswerter Beharrlichkeit die umfassendsten Studien. In
jener Zeit hat er sämtliche bedeutende griechische und römische
Dichter, Philosophen und Historiker aufs genaueste studiert.
Ein vorzügliches Gedächtnis kam ihm dabei zu statten, so dafs
er mit den aus den Alten entnommenen Bildungselementen wie
mit einem ihm vollständig eigen gewordenen Momente schaltete.
Um den Geist der heiligen Schrift noch besser zu erfassen, stu-
dierte er orientalische Sprachen, besonders Hebräisch und Ara-
bisch. Dazu kam, dafs er nicht nur in der modernen Litteratur,
namentlich in der englischen , französischen und italienischen,
ungemein bewandert war — die genannten Sprachen waren ihm
vollständig geläufig — , sondern auch mit dem ihm eigenen Eifer
sich in die Systeme der neuern Philosophen, namentlich Car-
tesius, Wolf, Leibniz und Hume, vertiefte. Häutige
Citate in seinen Schriften liefern den Beweis, wie genau er mit
den sämtlichen hervorragenden Schriftstellern älterer und neuerer
Zeit vertraut war.
Grofs war bei Hamann, wie bei Comenius, „der Herois-
mus im Dulden". Auch in den drückendsten Verhältnissen
verlor er nie das kindliche, fröhliche Gottvertrauen und „wufste
sich", wie Goethe es bewundernd anerkennt, rdie Hoheit des
Geistes und der Gesinnung stets zu erhalten". „Wenn Sie alles
haben, was mir fehlt," so schreibt Hamann an seinen Freund
Lindner im Jahre 1761, „so tausche ich meinen Mangel nicht
mit Ihrem Cberflufs. — Dafs mich Gott in ein Feld getrieben
hat, das Dornen und Disteln trägt, erkenne ich mit Freude und
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210
Lettau,
Heft 8 u. 9.
Dank." — „Was sind samtliche Leiden des jungen Werther,"
so schreibt er in seinen „Hierophantischen Briefen",
„gegen den Druck, unter dem ich schon sieben Jahre in meinem
Vaterlande wie ein Palmbaum getrieben habe."
Der kindlich grofse Sinn Hamanns, seine mafs volle Be-
scheidenheit, die Lauterkeit und natürliche Offenheit, die herz-
liche, aufrichtige Freude an allem Guten, wo er es auch fand,
bewirkten, ebenso wie bei Gomenius, dafs er alle, die ihm
nahe kamen, gar bald gewann und fesselte, dafs er in fröhlich-
ster Unbefangenheit mit den heterogensten Naturen verkehren
konnte. Entschiedene Lutheraner und Katholiken gehören zu
seinen Hausfreunden. Ein katholischer Gutsherr befreit ihn von
Nahrungssorgen und nimmt ihn in sein Haus auf; eine katho-
lische Fürstin (Gallitzin) pflegt ihn, den Sterbenskranken, müt-
terlich und weint heifse Thrnnen über dem Toten ; ein berühmter
Theolog und Philosoph katholischer Konfession (Hemsterhuis)
setzt ihm die Grabschrift nach dem Vulgatatexte : „Viro chris-
tiano — den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Thor-
heittt (I. Cor. 1, 23), und ein protestantischer König (Friedrich
Wilhelm IV.) kommt, von Liebe und Ehrfurcht getrieben, zu
seinem einsamen Grabe, lafst die Gebeine herausheben, sie
feierlich in geweihter Erde bestatten und ihm ein neues schönes
Denkmal setzen.
Mit Comenius hatte Hamann das ernste Streben gemein,
„sich zu der Einfachheit der Anschauungen, in der die Gegen-
sätze zusammenfallen, zu erheben" (coincidentia oppositorum !).
„Moses und Johannes," so schreibt er an Jacobi — „Christen-
tum und Judentum, die Lebendigen und die Toten zu vereinigen,
— die durch den Turmbau sich verwildern in gesellschaftlicher
Zerstreuung, durch die Taubeneinfalt des Geistes gleichgesinnt,
und aus gemeinschaftlichen Sündern übereinstimmende Brüder
des Sinnes zu machen, — das ist die Aufgabe!"
Am vollkommensten findet er, ebenso wie Comenius,
diese Coincidentia oppositomm in der Gottesidee: „Die Einheit
des Welten Urhebers ( s. Schriften II, S. 276) spiegelt sich bis
in dem Dialekte seiner Werke; in allen ein Ton von uner-
mefslicher Höhe und Tiefe. Ein Beweis der herrlichsten
Majestät und leersten EntÄufserung ! Ein Wunder von solcher
unendlichen Ruhe, die Gott dem Nichts gleich macht, dafs man
sein Dasein aus Gewissen leugnen oder ein Vieh (Ps. 73,
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1 893.
Hamann als Geistesverwandter des Comcnius.
211
21. 22) sein mufs; aber zugleich von solcher unendlichen Kraft,
die alles in allem erfüllt, dafs man sich vor seiner innig-
sten Zuthätigkeit nicht retten kann!4* Und ähnlich: „Es
werde! — Erstes und letztes Wort des drcioinigen Schöpfers!
Es ward Licht! Es ward Fleisch! Es werde Feuer!
Siehe ein neuer Himmel und eine neue Erde — ohne Meer und
eine neue Kreatur! Das Alte ist vergangen; siehe! es ist alles
neu geworden. Siehe, ich mache alles neu! Herr, wo
da? — Wo ein Aas ist, da ist Er!tt
Nicht ganz ohne Grund wird geklagt, dafs der Stil Ha-
manns dunkel ist, „dafs er sich nicht selten in Rätsel verhüllt".
Indessen darf nicht übersehen werden, dafs diese von vielen,
namentlich von Gcrvinus, gerügte Dunkelheit Hamanns
öfter eine beabsichtigte ist. »Ein Schriftsteller," erklärt
Hamann einmal, „der eilt, heute und morgen verstanden zu
werden, läuft Gefahr, übermorgen vergessen zu sein. Quod cito
fit, cito perit! Meine Welt möchte die Nachwelt sein , deren
Kräfte die Kinder dieses Säkuli nicht zu schmecken imstande
sind. — Man überwindet leicht das Herzeleid, von seinen Zeit-
genossen nicht verstanden und dafür m i f s h a n d e 1 1 zu werden,
durch den Geschmack an den Kräften einer bessern Nachwelt."
Zum Teil scherzend sagt er ein andermal: „Ich meide das Licht,
vielleicht mehr aus Feigheit als Niederträchtigkeit. 1) Aus
Furcht vor meinen Lesern, da ich feierlich dem grofsen Haufen
resigniert habe (odi vulgus profanum et arceo!). 2) Aus Furcht
vor solchen Kunstrichtern, die nicht so viel Spleen und Lange-
weile zu verlieren haben, wie ich — Zeilen zu pflanzen, deren
Wachstum von Samen, Boden und Wetter abhängt." — „Wäh-
rend andere" — so Dr. Winer Uber Hamanns Stil — „entweder
nur ein Wort gaben, weil nichts zeugend in ihre Seele fällt,
oder leere Worte, angelernt und angeflogen wie Spreu aus den
Lüften, ist bei ihm, was er lebte und erlebte, im Wort zu hellen
Blüten emporgedrungen oder in herben, bittern Tropfen er-
quollcn". — „Welche Schriften müssen am meisten auf die
Wahl und den Reichtum der Sprache bedacht sein?" so fragt
Hamann einmal; er antwortet: „Die leersten, die abgeschmack-
testen, die sUndlichsten ! Daher gehört es mit zu der Güte eines
vorzüglichen Werkes, alles Unnütze so viel als möglich auszu-
scheiden, die Gedanken in den wenigsten Worten und die
stärksten in den einfältigsten zu sagen. Daher ist die Kürze
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212
Lcttau,
Heft 8 u. 9.
der Charakter eines Genius selbst unter menschlichen Hervor-
bringungen, und alle Menge, aller Überflufs eine gelehrte Sünde.
Ist die Sunde nicht selbst die Mutter der verschiedenartigen
Sprachen gewesen, wie die Kleidung eine Wirkung unserer
Blöfee?"
Hamann ist, wie Comenius, gewisserniafsen in sich selber
eine coincidentia oppositorum, eine geweihte Persönlichkeit, die
da, wo andere nur Dunkel und Irrtum, Verhüllung und Sterb-
lichkeit sahen, allezeit das durchscheinende göttliche Licht und
Leben mit prophetischem Tipfblick erkannte und in Kindes-
einfalt erfafste, somit von Tage zu Tage mehr in die „herrliche
Freiheit der Kinder Gottes hineinreifte und dem Ziele näher
kam, da das Verworrene, Friedlose, Wandelbare vergangen und
Himmel und Erde, Menschliches und Göttliches innig eins sein
werden". „Omnia divina, humana omnia" — einer seiner Lieb-
lingssprüche! Darum gehört er zu den Erwählten, die Gott
gesandt, „den Geist der Nationen mitdenUrgedanken
des Christentums zu durchdringen" und den Frieden
unter den Völkern auszubreiten.
Von Tage zu Tage mehren sich nun die Zeichen, dafs das
Verlangen nach einem Völkerfrieden immer mächtiger wird, so-
wie der Eifer, alle Hemmnisse seines Kommens, seien sie äufser-
licher oder innerlicher Art, aus dem Wege zu räumen: Die
völkertrennenden Schranken werden mehr und mehr beseitigt,
Landengen von grofsen Kanälen durchschnitten, gewaltige Ge-
birge zu Tunnelanlagcn durchbohrt und die ganze Erde von
Eisenbahn-, Dampfer-, Telegraphen- und Kabellinien umzogen.
Geht man doch allen Ernstes daran, bei Gelegenheit der neuesten
grofsen Weltausstellung in einem „ersten Religions-
paria mentu die Basis „einer vollkommenen Religion aus den
Elementen der sämtlichen historischen Religionen festzustellen
und somit den Schwerpunkt für die künftige Einigung
aller Religionen der Menschheit zu gewinnen".
Freilich wohl trachtet die grofse Menge nach einem Frieden,
nach einer Völkerverbrüderung, die wesentlich auf materialisti-
scher Grundlage ruht, die alle von Gott gegebenen Völker-
eigenheiten verwischen, vernichten und ein irdisches Para-
dies herstellen soll. Das ist allerdings das Reich „des
falschen Friedens" (I. Thess. 5, 3), von dem der Seher
des neuen Bundes zeugt (s. Off. Joh. 11, 7 ff. und entsprechend
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1893.
Hamann ab Geistesverwandter des Conienius.
213
II. Thess. 2), dafs es nicht lange Bestand haben kann und soll,
weil es sieh von dem Urgründe alles Lebens, der ewigen
Liebe des lebendigen Gottes und seiner Gerechtigkeit
und Wahrheit losgerissen hat.
Um so mehr gilt es nun, nachdrücklichst auf die Gott-
erwählten hinzuweisen, die Herolde und Säulen des wahrhaftigen,
göttlichen und darum ewigen Friedensreiches sind; ja fürwahr,
ihr Zeugnis hervorzuziehen, neu zu verkündigen und auszu-
breiten, das gilt es, das ist heilige Pflicht! Dafs auch Ha-
mann zu diesen Gottgesandten gehört, das möge schließlich
noch durch die Zeugnisse zweier besonders gewichtiger und zu-
ständiger Gewährsmänner bestätigt werden.
Der berühmte Kirchenhistoriker Neander bezeugt: „Wir
wollen uns der Hoffnung hingeben, dafs unser Deutschland, wie
zur Zeit der Reformation, die Geburtsstätte der neuen, herrlichen,
christlichen Epoche, von welcher aus sich dieselbe in alle Länder
verbreiten soll, werden wird. Männer, wie Hamann, sollen
uns Propheten einer Zukunft, die nicht ausbleiben
wird, sein. Die Stürme des Winters, während der Same im
Schofse der Erde geborgen wird, müssen dem schöpferischen
Frühlinge Bahn bereiten. Wo Himmelskräfte herabkoramen
sollen, da regen sich Mächte der Hölle."
Dem entsprechend Goethe (s. Goethes Schriften Band
XXVIII, S. 28): „Es ist gar schön, wenn ein Volk solch
einen Altervater besitzt, wie das italienische in seinem J. B. Vico.
Bei einem flüchtigen Überblick seiner Schriften, die mir als ein
Heiligtum mitgeteilt wurden, wollte es mir scheinen, hier seien
sibyllinische Vorahnungen des Guten und Rechten, das einst
kommen soll oder sollte, gegründet auf ernste Betrachtungen
des Überlieferten und des Lebens. Den Deutschen wird
einst Hamann ein ähnlicher Codex werden."
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Christian Carl Josias Freiherr von Bunsen.
Von
B. Baehring, Pfarrer in Minfeld (Pfalz).
Einer der edelsten Genüsse, welchen die Kulturgeschichte
der Menschheit bereitet, ist die Erkenntnis, dafs durch das La-
byrinth der menschlichen Ansichten, Bestrebungen und Streitig-
keiten sich ein goldener Faden hindurchzieht, der zu immer
hellerem Lichte und befriedigenderer Einsicht in die erziehende
Weisheit und Liebe des himmlischen Vaters emporleitet. Freilich
giebt es immer viele, die diesen goldenen Faden nicht finden,
oder, wenn er ihnen gezeigt wird, ihm nicht folgen. Einseitige
Verstandesmenschen halten sich lieber an die konkreten Erschei-
nungen, als dafs sie ihre Hoffnung auf die Zukunft setzen.
Verbinden sie mit dieser Vorliebe für das Sichtbare Genufssucht,
so tritt infolge der häufigen Täuschungen sehr oft Mifsmut und
Unzufriedenheit ein. Die Weltanschauung des Pessimismus, der
gegenwärtig so viele ergeben sind, ist nichts, als der Versuch,
diesen inneren Zerfall mit Gott und Welt vor dem Verstände
zu rechtfertigen.
Wenn einer Ursache gehabt hätte, sich der pessimistischen
Weltanschauung zu ergeben, so war es Arnos Comenius. Die
Zustände Europas waren zu seiner Zeit die denkbar traurigsten.
Auch seine eigenen Lebenserfahrungen waren so betrübend,
dafs sie ihn öfters zur Verzweiflung hätten bringen können.
Doch schrieb er, bald nachdem das Elend des dreifsigjiihrigen
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1803.
Chr. Carl Josia» Freiherr von Bimsen.
215
Religionskrieges begonnen hatte, nicht nur seine „Betrachtungen
über die christliche Vollkommenheit" (1622), sondern im fol-
genden Jahre auch das für alle Christen- und Menschenfreunde
immer noch lehrreiche Buch: „Labyrinth der Welt und Paradies
des Herzens. Die erste deutliche Abbildung davon, wie m dieser
Welt und allen ihren Dingen nichts ist als Verwirrung und
Zerrüttung, Marter und Plage, Falschheit und Betrug, Angst
und Elend und zuletzt Überdruf« an allem und Verzweiflung;
dafs aber der allein, welcher in das Heim des Herzens einkehrt
und sich da nur mit seinem Gott und Herrn einschliefst, zur
wahren und vollkommenen Ruhe und Freude des Gemütes
gelangt."
Er hatte den goldenen Faden, der aus diesem Labyrinthe
und seinen gefährlichen Irrgängen zum hellen Lichte heraus-
fuhrt, gefunden, war ihm gefolgt und hatte dadurch die unver-
wüstliche Freudigkeit zu seinein reformatorischen Wirken in
der Erziehung und dem Unterricht der Jugend gewonnen. Es
war ihm zur Gewifsheit geworden, dafs nur durch diese Reform
der Kirche und der Menschheit ein bleibender Segen gebracht
werden könne. Verbesserung der politischen und kirchlichen
Gesetze, Fortschritte in der wissenschaftlichen Erkenntnis und
in den technischen Einrichtungen sind nur Mittel, die Un-
zufriedenheit der Menschen zu vergröfsern, so lange nicht durch
die Erziehung und Bildung Geist und Herz von Jugend auf in
das richtige Verhältnis zu Gott, zur Natur und zur Menschheit
gebracht werden.
Moriz Carriere nennt in seinem Werk: „Die Kunst im
Zusammenhange der Kulturentwickelung und der Ideale der
Menschheit" (fünfter Band, S. 017), den Comenius „einen
Mann von weltgeschichtlicher Bedeutung" nicht blofs deshalb,
weil er einer der genialsten und fruchtbarsten Schriftsteller
seines Volkes war, sondern auch, weil er seine Nation in einen
lebendigen Geistesverkehr mit der germanischen und durch sie
mit allen christlichen Kulturvölkern gebracht hat. Er war
durchdrungen von der Idee, dafs die Menschheit trotz aller
scheinbaren Zerrissenheit nach ihrem Grund und Wesen ein or-
ganisches Ganze bilde, und durch Erziehung zu dem Bewufstsein,
ein solches bilden zu sollen , erhoben werden müsse. Diese
Grundidee seines ganzen bewegten Lebens und vielseitigen
Strebens hatte er aber ebenso aus der Bibel wie aus seinem
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216
Baehring,
lieft 8 u. 9.
eigenen vernünftigen Nachdenken gewonnen. Daher kommt er
auch auf seiner Wandorung durch das „Labyrinth der Welt"
in der genannten Schrift zuletzt zu Christus und zeigt an der
Gemeinde innerlicher Christen, die das doppelte Licht der Ver-
nunft und des Glaubens erleuchtet und durch das Band der
Liebe und des Friedens vereinigt ist, das Ziel aller Kultur-
en twieklung.
Eine Gesellschaft, die in Wahrheit im Geiste des Comenius
wirkt und arbeitet, kann in der That bedeutungsvoll genug
werden. Sie wird nicht blofs das Schulwesen fördern, nicht
blofs den kirchlichen Konfessionen die Idee ihrer Zusammen-
gehörigkeit zu der Einen, Heiligen, Allgemeinen Kirche zum Be-
wufstsein bringen, sondern auch unter den Nationen den Geist
des Friedens durch die Erkenntnis fördern, dafs sie alle auf-
einander angewiesen sind und nur dadurch zu voller Blüte ge-
langen, wenn sie gegenseitig als Glieder am grofsen Leibe der
Menschheit sich unterstützen und voneinander lernen.
Die nationale Idee ist, wie ein slavischcr Schriftsteller, Pypin,
gesagt hat, zweischneidig, fort- und rückschrittlich zugleich. Sie
ist in hohem Grade wohlthätig, wenn sie sich regt zum Schutze
des Rechtes und der Menschenwürde, abe» äufserst schädlich,
wenn sie sich in Eigendünkel, Ausschliefslichkeit und Unduld-
samkeit verkehrt. Sie geht dann in Ungerechtigkeit und Streit-
sucht über und ruft dadurch Widerstand und Feindschaft auf
der andern Seite hervor. Mit einem Worte: sie ist wohlthätig
und schädlich, je nachdem sie als herrschenden Gedanken die Idee
der Humanität und Bildung in sich aufgenommen hat, oder sich
von dem rohen Stammestrieb beherrschen und leiten läfst.
Die Idee der wahren Humanität, kraft welcher die einzelnen
Persönlichkeiten, wie die ganzen Nationen sich als Glieder des
grofsen Ganzen der Menschheit erkennen und sich verpflichtet
fühlen, durch Werke des Friedens Bildung und Wohlstand nach
innen und aufsen zu heben, gedeiht aber nur auf dem Boden
des wahren Christentums. So schrecklich diese Religion auch
schon zu Bruderkriegen mifs braucht worden ist und gerade zur
Zeit des Comenius mifsbraucht wurde, so bleibt sie doch, wenn
sie richtig nach dem Willen ihres Stifters verstanden wird, das
einzige Heilmittel gegen diesen Mil'sbrauch, und darin zeigt sich die
Gröfse dieses edlen Menschenfreundes Comenius, dafs er trotz aller
bitteren Erfahrungen nie an der segensreichen Kraft dieser Rc-
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1693.
Chr. Carl Josias Freiherr von Hunsen.
217
ligion verzweifelte und nicht nur für sich selbst als seinen höchsten
Trost an ihr festhielt, sondern ihn auch unermüdlich der Welt
als einziges Rettungsmittel aus ihren Nöten anpries. All seine
Werke und seine Kunst, besonders auch seine pädagogische,
stellte er in den Dienst Jesu Christi, und bewies durch sein
Leben, dafs der Mensch nur zum Frieden gelangt, wenn Glaube
und Vernunft in ihm harmonisch zur Ehre Gottes und zum
Wohle der Menschheit zusammenwirken.
Sein Nachfolger Friedrich Froebel konnte mit gleichem
Rechte wie er bezeugen, dafs sein Ilauptbestrcben sei, das
Christentum zur Wahrheit zu machen. Diese wird es erst, wenn
es als „das Licht der Welt" verstanden und in alle Lebensver-
haltnisse der Menschen durch wahrhaft geistige Behandlung
hineingeleitet wird.
Zu diesen Lebensverhältnissen aber gehört notwendig auch
das Staatsleben. Dieses im christlichen Geiste zu ordnen
und zu führen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart.
Politik lernt man , wegen der Mannigfaltigkeit der mensch-
lichen Verhältnisse und des steten Wechsels, der in denselben vor
sich geht, weniger aus Büchern als durch die Anwendung und Übung.
Einen klaren Einblick in ihr Wesen gewinnt man daher hauptsächlich
durch die Betrachtung ausgezeichneter Staatsmänner, ihres Lebens
und Wirkens. Dafs dieses unterlassen worden, ist ein empfind-
licher Mangel an der im übrigen sehr beachtenswerten Schrift
von A. Skopnik: „Politik und Christentum" (Berlin W., Ver-
lag von Conrad Skopnik. 1892.) Philosophisch - theologische
Erörterungen überzeugen weit weniger als die Thatsache, dafs
es wirklich Männer gegeben hat, die das Christentum in
geistig-lebendiger Auffassung, ohne die Befangenheit einer kirch-
lichen Partei oder Confcssion, mit einer weitreichenden politischen
Thätigkeit zu verbinden gewütet und dadurch wohlthätige An-
regungen nach allen Seiten hin gegeben haben. Ein solcher
Staatsmann war der zu seinen Lebzeiten viel gepriesene, nach
seinem Tode aber durch seine Gegner auf Links und Rechts
ähnlich wie Comenius in das Dunkel der Vergessenheit geflissent-
lich zurückgedrängte Freiherr Christian CarlJosia« von
Bu n se n.
Der Schreiber dieses hatte das Glück, mit Bunsen in
den letzten Jahren seines Lebens mehrmals persönlich zu ver-
Mon*Uh«?fte oVr Com<.ntq*G«ell*th«ft. 189:«. 16
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218
Baehring,
Heft 8 u. 9.
kehren und von ihm selbst in seine wissenschaftlichen und
politischen Ansichten eingeführt zu werden. Es waren ihm
Stunden voll höchsten geistigen Genusses, die er in den Jahren
1857 bis 1860 bei ihm zubringen durfte. Persönliche Verehrung
und Dankbarkeit hat den Unterzeichneten ermutigt, im Jahre
seines hundertjährigen Geburtstages (1892), ein kurzes Lebens-
bild dieses „deutsch - christlichen Staatsmannes" dem deutschen
Volke darzubieten >) in der Hoffnung, dadurch etwas zur Klärung
unserer politischen, kirchlichen und socialen Wirren beizutragen.
Denn nach diesen drei Seiten hin hat Bunsen sehr beachtens-
werte Lehren durch Wort und That gegeben. Allen freilich
konnte er nicht zu Dank arbeiten, besonders denen nicht, welche
durch Bunsens universelles Streben ihre Parteiinteressen gefährdet
• sahen. Aber er hatte die hohe Freude, dafs sowohl Se. Majestät
der Kaiser Wilhelm IL, als Se. Königliche Hoheit, Prinzregent
Luitpold von Bayern dem Verfasser den huldvollsten Dank für
diese Arbeit aussprechen liefsen und dafs Se. Durchlaucht Fürst
Bismarck sie in einer besonderen Zuschrift an den Verfasser
freundlich willkommen geheifsen hat.
Lehrreich ist da* Leben und Wirken Bunsens, wie gesagt,
nach wichtigen Seiten hin. Seine einfache, fromme, naturgemäfse
Erziehung im elterlichen Hause beweist, wie wohlthätig eine
solche für die Entwicklung des Kindes ist Gottesfurcht, d. h.
kindliche Ehrfurcht vor dem Höchsten, gepaart mit dem auf-
richtigsten Bestreben , dem Allgegenwärtigen wohlzugefallen,
wurde dadurch der Grundzug seines Denkens und Thuns in
allen Lebensverhältnissen bis zum Tode. Die frische Bewegung
in der Natur, die Mithilfe bei den ländlichen Arbeiten, der offene
Sinn fiir die einfachen, Leib und Seele stärkenden Genüsse,
welche Feld und Wald darbieten, gaben ihm eine Ausdauer in
seinen wissenschaftliehen Studien und eine Freudigkeit bei allen
sonstigen Entbehrungen, die seinen Umgang aufserordentlich
anziehend machte. Die ungeschwächte Pietät gegen die ein-
fachen Eltern erhöhten die Achtung, die er sicli mit der Zeit
in allen Lebensstellungen zu erwerben wufste. Musterhaft war
sein Leben und Streben auf der Universität. Bei aller Fröh-
lichkeit und dem vielseitigsten Umgang blieb er doch frei von
') Chr. Carl Josias Freiherr von Bansen. Lebensbild eines deutsch-
christlichen Maunes. Dem deutschen Volke dargeboten von Beruhard
Baehring. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1892. 210 S.
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1803.
Chr. Carl Josias Freiherr von Buuaeu.
219
den Thorheiten, durch welche so mancher Musensohn sich schon
an Leib und Seele zu Grunde gerichtet hat. Die Wissenschaft
betrieb er stets mit dem Hinblick auf das sittliche Bedürfnis
des praktischen Lebens, besonders auch des deutschen Vater-
landes. Seinen eigenen Lebensgang betrachtete er stets als
eine göttliche Gnadenführung, die ihn zur demütigsten Dank-
barkeit verpflichtete. Sein Grundgedanke blieb unter allen
Würden und Auszeichnungen, die auf ihn gehäuft wurden, dafs,
wer Gott nicht erkannt hat in dem eigenen Lebensgang, ihn auch
Uberhaupt nicht erkennt, weder aus der Natur, noch aus der
Geschichte, noch aus der Bibel und Kirche. Diese innere Zu-
versicht leitete ihn bei seinen immer weiter sich ausdehnenden
Forschungen. Als er in Rom die Stufe betrat, von der ihn sein
Lebensgang zu immer höheren Ehren und Würden aufwärts
führte, schrieb er in sein Tagebuch: „Ewiger, unendlicher Gott!
erleuchte du mich mit deinem heiligen Geist und erfülle mich
mit deiner himmlischen Klarheit! Was ich in der Kindheit
geahnt und in den Jahren der Jugend heller und heller vor
meiner Seele gesehen habe, will ich jetzt wagen festzuhalten,
durchzuforschen, darzulegen. Deine Offenbarungen in der Menschen
Treiben und Streben, deinen festen Gang in dem Strome der
Jahrtausende möchte ich erkennen, soweit es mir vergönnt ist
in diesem irdischen Leibe; der Menschheit freudigen Lobgesang
zu dir in den fernen und nahen Zeiten, ihre Schmerzen und
Klagen und ihren Trost an dir möchte ich klar und unbefangen
vernehmen. Sende du mir deinen Geist der Wahrheit, dafs ich
die irdischen Dinge sehe, wie sie sind, ohne Hehl und Fehl,
und dafs ich in der stillen ruhigen Wahrheit dich erkenne und
fühle. Lafs mich nicht wanken und weichen von dem grofsen
Ziele deiner Erkenntnis, lafs der Welt Freuden und Ehren
meinen Geist nicht schwächen und verdunkeln, lafs mich immer
fühlen, dafs ich nur erkenne, insofern ich bin, und nur bin,
insofern ich in dir lebe und sterbe."
Dieses Gebet offenbart seine innerste Geistesrichtung, seinen
wahrhaft frommen, vom Geiste des Christentums durchdrungenen
Charakter, dadurch aber auch seine Geistes Verwandtschaft mit
Comenius.
Es kann nicht nachgewiesen werden, dafs er den Schriften
dieses Bischofs der mährischen Brüdergemeinde besondere Studien
zugewendet habe. Seine Lebensstellung führte ihn auf andere
16«
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220
Uaebring,
Heft 8 u. 9
Gebiete der Weltliteratur aus der alteren und neueren Zeit.
Aber durch die Abfassung eines „Allgemeinen evangelischen
Gesang- und Gebetbuches zum Kirchen- und Hausgebrauch",
wozu er sich in Rom als preufsischer Gesandter bei vier Päpsten
und im Hinblick auf die dort zu begründende evangelische Ge-
meinde veranlafst fühlte, hat er bewiesen, welchen Wert er auf
den Liederschatz jener Märtyrerkirche, der Comenius als letzter
Bischof vorgestanden, gelegt hat. Es ist sein Verdienst, viele
Lieder dieser Gemeinden auch in Deutschland dem kirchliehen
Gebrauch zugänglich gemacht zu haben.
Bunsen war wie Comenius frei von jedem Pessimismus.
So viele bittere Anfeindungen er auch wegen seiner universellen
Geistesrichtung und seines Drängens, dem deutschen Volk die
ihm gebührende konstitutionelle Verfassung nicht länger vorzu-
enthalten, von seiten der Partikularisten und Absolutisten zu
erfahren hatte, so hat er doch nie daran gezweifelt, dafs endlich
das Wahre und Gute zum Siege gelangen werde. Er hat seinen
Gegnern nie Gleiches mit Gleichem vergolten, und es gereicht
seinen jetzigen Gegnern, die sein Andenken vernichten möchten,
nicht zur Ehre, dafs sie tbrtfahren, durch gehässige Entstellung
unser Volk an diesem seinem Freunde und Fürsprecher irre zu
machen. Möchten sie doch bedenken, dafs sie durch nichts
mehr die Krankheit des Pessimismus fördern, als wenn sie dem
Volke den Glauben nehmen, dafs wahres Christentum mit der
zeitgemäfsen Fortbildung der Vernunft- und Gemeinderechte ver-
einbar sei.
Bunsen studierte in Göttingen mit Arthur Schopenhauer und
befreundete sich mit ihm so, dafs er mit ihm im Jahre 1811
eine Reise nach Weimar und Jena zu dessen Mutter machte.
Später gingen ihre Wege weit auseinander. Bunsen trat in den
Dienst des preufsischen Staates als Gesandter in Rom, in der
Schweiz und in England und suchte in diesen hohen, einflufs-
reichen Stellungen eine Friedenspolitik nach den Grundsätzen
des wahren Christentums zur Geltung zu bringen , wodurch er
mit den spezifisch kirchlichen Politikern auf der katholischen
wie der protestantischen Seite in den schärfsten Gegensatz geriet.
Arthur Schopenhauer dagegen betrat die Bahn der philosophischen
Forschung und arbeitete mit grofsem Scharfsinn und in an-
ziehender Darstellung ein System aus, welches den Boden des
Christentums mit dem des Buddhismus vertauschte, und die be-
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1893.
Chr. Carl Josias Freiherr von Bunseu.
221
stehende Welt als ein durchaus verfehltes Gebilde, das der Weise
soviel als möglich verlassen müsse, schilderte. Als Bunsen im
Herbst 1857 auf seiner Rückreise von Berlin seinen ehemaligen
Studiengenossen in Frankfurt a. M. besuchte, fiel die Unterhaltung
während des Mittagsmahles nicht erfreulich aus. Die pessimi-
stische Weltanschauung, so scharfsinnig und anregend sie auch von
Schopenhauer ausgeführt worden ist, stand mit seiner Geistes-
richtung und seiner christlichen Hoffnung in ebenso entschiedenem
Widerspruch, wie der katholische und protestantische Jesuitismus.
In seinem Werk: „Gott in der Geschichte", oder der „Fort-
schritt des Glaubens an eine sittliche Weltordnung", sowie in
dem einige Jahre zuvor verfafsten Werke: „Hippolytus und
seine Zeit. Anfänge und Aussichten des Christentums und der
Menschheit" und zuletzt in seinem „Bibelwerk für die Gemeinde4*
hat Bunsen seine christliche Weltanschauung freilich mehr in ab-
gebrochener als in systematischer Ausgestaltung ausgesprochen.
Wir glauben, dafs er in drei wichtigen Punkten als Fortbildner
des Comenius zu betrachten ist.
Erstens hat er als Aufgabe für jeden einzelnen Menschen
wie für jede Nation das bewufste und freiwillige Eintreten in
die sittliche Weltordnung nachgewiesen. Diese ist die von Gott
bestimmte Ordnung, innerhalb welcher sich die menschliche
Freiheit zu bethätigen hat, wenn die Menschheit ihre Bestimmung,
die Erde mit ihren Kräften und Gaben sich unterthan zu machen,
erfüllen soll. „Die Weltgeschichte ist das grofse Sonnenjahr der
Menschheit. Die Philosophie der Weltgeschichte sucht die
Formel für die Sonnenbahn, das Gesetz des Fortschrittes in der
Bewegung. Der Menschengeist ist in diesen Umschwung gesetzt,
damit er den ewigen Gedanken der Gottheit offenbare und be-
wirfst verwirkliche in der Zeit, wie die «ufsere Schöpfung ihn
unbewufst verwirklicht im Raum . . . Der natürliche und geistige
Kosmos verwirklichen denselben göttlichen Gedanken. Wie der
Erde und allen Sternen ein ewiger Gedanke innewohnt, welcher
sie lenkt und zugleich zu Teilen eines organischen Ganzen
macht ; so lebt in dem Menschen eine Ahnung von seiner Stellung
zur Menschheit und von der Stellung seines Geschlechtes als
einer Einheit in dem Weltall und zu dessen erster Ursache . . .
Die Erde vollbringt ihren Umlauf um die Sonne, indem sie sich
selbst umschwingt, und sie kennt keinen Fortschritt, als durch
diesen Umschwung. Sie wird aber doch mit allen übrigen Pla-
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222
Baehring,
Heft 8 u. 9.
neten in die grofse fortschreitende Bewegung des Sonnensystems,
welches nach einem geheimen, aber sicheren Mittelpunkte hin-
zieht, fortbewegt. In gleicher Weise dringt die Menschheit
vorwärts, indem Licht und Schatten wie Tag und Nacht in
ihren Teilen wechseln. Der Einzelne stirbt, die Völker vergehen ;
aber aus dem Tode der Einzelnen, wie dem Untergange der
Völker spriefst neues Leben hervor. Kein Leben anders als
aus dem Tode und zum Tode, aber aller Tod zum höheren
Leben nach der sittlichen Weltordnung, welche der Gedanke
der ewigen Liebe ist" u. s. w.
Um aber mit Bewufstsein und Freiheit in diese ihm be-
kannte Welt- und Lebensordnung einzutreten und in ihr das
Grundgebot der Gottes- und Menschenliebe zu erfüllen, dazu
bedarf der Mensch vor allem der Kenntnis der Natur und der
praktischen Einführung in ihre Ordnung. Nicht blofs Anschauung
der Natur, nicht blofs Kenntnis ihrer Erscheinungen und Kräfte
genügen, um in der sittlichen Weltordnung heimisch zu werden.
Der Mensch mufs von Jugend auf auch nach Leib und Seele
naturgemäfs erzogen werden. Er mufs seine Kenntnis der Natur
auch bethätigen durch verständige Arbeit in und an derselben.
Er mufs Freude daran gewinnen, durch Bauen und Pflanzen
selbständig auf die Natur einzuwirken und sie sich dienstbar zu
raachen. Auf diese erziehende Bedeutung geordneter Arbeit in
und an der Natur hat unter den Pädagogen besonders Fröbel
hingewiesen. Auch Bunsen setzt solche Arbeit voraus als Grund-
bedingung gesunden Men sehen wesens , wenn er auch nicht Ge-
legenheit genommen, diese erste Stufe der Menschenerziehung
eingehender zu behandeln. Er hat dabei grofses Interesse der
Bodenkultur zugewendet, die er auch selbst in der Jugend mit
geübt hat. Zur Bewahrung vor socialistischen Verirrungen
dient nichts mehr als Verständnis der Natur und ein ihrer
Ordnung entsprechendes Leben. Der Kommunismus ist eine
Ausgeburt des naturwidrigen Denkens und Lebens, das in der
modernen Welt so viele Verbreitung gefunden hat. Die
Nattirordnung zeigt, dafs jedes Ding seinen bestimmten Raum
einnimmt, dafs keiner imstande ist, Uber die ihm gesetzten
Grenzen sich auszudehnen, dafs eines dem andern dienen mufs
und alle in einem organischen Zusammenhange miteinander stehen.
Wer sich selbst als Glied dieses grofsen Organismus der Welt,
an dem keine menschliche Kraft etwas ändern kann, erkannt
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1893.
Chr. Carl Josias Freiherr von Bimsen.
223
hat, fühlt sich notwendig auch verpflichtet, an seinem sittlichen
Verhalten gegen seine Nebenmenschen die Schranken zu be-
obachten, die ein friedliches Zusammenwirken mit ihnen zur
Pflicht macht.
Hierdurch entsteht das wahrhaft religiöse Leben. Religion
ist Gottcsbewufstsein , d. h. das Wissen, dafs Gott ist und dafs
die Welt durch ihn ist, von ihm erhalten und regiert wird.
Wie der Mensch von Natur ein Bewufstsein von sich selbst hat,
sich selbst als ein Wesen fühlt und betrachtet, das ein eigenes
Leben besitzt, so hat er auch ein Bewufstsein von dem Dasein
und der Wirklichkeit der Welt, in der er lebt. Sie ist
ihm keineswegs eine blofse Vorstellung. Beides aber einigt sich
in dem Gottesbewufstsein , durch welches der Mensch allein das
nötige Licht über sich selbst aus der Aulsenwelt flndet. Religion
ist daher nicht blols Innerliches, Subjektives; sie ist erst wahr-
haft, was sie sein soll, entfaltet erst dann ihr wahres Wesen,
wenn sie sich durch ein der göttlichen Weltordnung entsprechendes
Leben bethtttigt.
„Ihr könnt nicht Religion haben ohne Glauben an eine
sittliche Weltordnung !" sagt Bunsen. „Ihr könnt diesen Glauben
nicht erhalten, ohne ihn zu verwirklichen. Kein Volk glaubt
wirklich an eine göttliche Ordnung, wenn sie sich ihm nicht
verkörpert im Gesamtleben. Der reinste Glaube verkümmert
oder wird zu einem fressenden Gifte, wenn die Wirklichkeit im
Staate und im Leben mit diesem Bewufstsein im grellen Wider-
spruch steht, wenn Unrecht sich auf den Stuhl des Rechtes
setzt und Lüge auf den Thron der Wahrheit. Das Evangelium
vernichtet jede unsittliche Regierungsform und Verfassung.
Sittlich ist aber nur die auf Anerkennung des Gemeinsamen
gegründete.
Die Bibel, welche diese Bedeutung der Religion für das
menschliche Leben nach allen seinen Beziehungen hin aufschliefst,
ist darum das wichtigste und heiligste Buch, welches die Mensch-
heit besitzt, „allerdings ein Buch in einfacher Hede, aber in
Worten, die nicht vergehen, weil jedes Mcnschenhcrz ihnen
Zeugnis giebt; ein Buch der Weisen, und doch jedem Kinde
verstandlich, wie Gottes Natur, ein Buch, verfafst in toten
Sprachen und doch lebend in den Zungen der Völker."
Dieses heilige Buch auch unserem Volke nach seiner welt-
geschichtlichen Bedeutung und seiner Unentbehrlichkeit für die
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224
Bachriug,
Heft 8 u. 9.
Volkserziehung immer mehr aufzuschliefsen und zugänglich zu
machen, hat Bunsen sein greises Bibelwerk unternommen. Man
hat noch wenig davon Gebrauch gemacht, ja alles gethan, um
seinen Eingang in die Gemeinden zu hindern. Aber es liifst
sich wohl erwarten, dafs der Stand der Volkslehrer ihm, wie
Diesterweg bereits gethan, das Interesse bewahrt und für seine
Verbreitung auch geeignete Sorge trägt Man redet jetzt öfters
wieder von Schulbibeln. Diese haben wir bereits in den bib-
lischen Geschichten. Die Bibel selbst aber sollte als heilige
Urkundensammlung der christlichen Religion in keiner Weise
verändert, sondern nur nach ihrer ursprünglichen Gestalt wieder
hergestellt werden. Das hat Bunsen in seinem Bibelwerk, soweit
es durch die wissenschaftlichen Forschungen der Gegenwart
möglich, mit Sorgfalt und Umsicht gethan oder durch seine
Mitarbeiter thun lassen, während die kirchlichen Ubersetzungen
aus Mangel an Kritik in dieser Hinsicht manche Änderungen
sich erlaubt haben, die dem Verständnis der Bibel nicht forder-
lich waren.
Comenius ist öfters wegen seiner chiliastischen Hoffnungen als
religiöser Schwärmer bezeichnet worden. Er hat sich aber an
die Bildersprache der Bibel gehalten. Seine Zeit war auch noch
nicht reif dazu, den vernünftigen Sinn dieser Sprache zu ent-
hüllen. Bunsen thut dieses in den Schlufssiitzen seines „Gott
in der Geschichte". „Der Glaube an ein bevorstehendes Ende
der Welt1* , sagt er, „ist zu betrachten als ein fortschreitendes Gefühl
von einer kommenden Weltkrise und eines drohenden socialen,
politischen und religiösen Zusammenbruchs. Diese wird wie alle
vorhergehenden ein Weltgericht sein und eine herrlichere Entfaltung
des Gottesreichs zur Folge haben. Die Wiederbringung aller
Dinge, also der Sieg des Guten auf der Erdo, ist das Ziel der
Geschichte. Der Geist ist unsterblich und sein Fortschritt un-
endlich, denn er ist ursprünglich eins mit dem ewigen, bewufsten
Gedanken des Weltalls und soll diesen Gedanken auf der Erde
verwirklichen in schrankenloser Zukunft."
„So gehe denn glaubensmutig und in Gott selig durch die
Jahrtausende, du zerrissene Menschheit, du zertretenes Volk
Gottes! Du bist doch eine gröfsere Verherrlichung des Ewigen
als alle Sonnen und Sterne, denn es strahlt aujs dir der bewufste
Geist, nach welchem die ganze Natur sich sehnt und in dir allein
offenbart sich die göttliche Liebe, welche den Gedanken der
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1893.
Chr. Carl Josiaa Freiherr von Bunaen.
225
Schöpfung gedacht und sich in diese Wirklichkeit versenkt hat
Und du, gottbewufstes Geschlecht der nächsten und einer fernen
Zukunft, erschrick und verzage nicht, wenn das Weltgericht an-
bricht. Was stürzt, sinkt getroffen vom rächenden Blitze des
Himmels und was in Trümmer fallt, macht nur Platz dem neuen
Leben, welches im stillen Laufe von Jahrhunderten, unbeachtet
und deshalb ungestört unter ihm aufgesprofst ist. Es wird alles
reifen zu schönerer Frucht.
Wem Zeit ist eine Ewigkeit
Und Ewigkeit eine Zeit,
Der ist befreit
Von allem Streit."
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Quellen und Forschungen.
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
C o m e n i u 8.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Kvaceala in Pressburg.
(Fortsetzung.)
VI. Dritter Aufenthalt in Lissa.
19.
Calumnia III.
68. Grandis calumnia est, et capitale crimen intentans, quod
Panegyricus meus, Regi Sueciae scriptus, Lesnensis excidii eos,
incendiique taeda fuit. Hanc diabolen recitata ex vero facti
historia diluet: recitabo itaque saneta fide. Tu meus obtrectator
attende, et ad Veritatis tribunal pudetieri disce.
69. Postquam se tota iam utraque Polonia, sicut et Lithuania
Regi Sueciae subdiderat, ad ipsum usaue Regni caput Cracoviam,
reversus inde D. Joh. Schlichting, Ürbis et Comitatus Lesnensis
Administrator, aeeersivit ad se in arcem Superattendentem Ec-
clesiarum nostrarum, D. Gertichium [avuneulum Tuum] et me:
narrans nobis de heroicis Sueciae Regis virtutibus multa, et
quomodo sibi tantum Regem gratulari habeat Polonia brevique
celebranda esse Regni commitia, ad Regis coronationem pera-
gendam. Referens etiam Catholicos ipsos in laudem Regis gratu-
latoria scribere Carmina, ut Canonicum quendam Gnesnensem, et
Samuelem Twardovium Virum nobilem, nobilemque Poetam ipsum
quoque pontificium, Latine et Polonice typis iam exscriptos,
applausus etc. Indecorum forc si Euangelici prorsus taccant.
Respondebamus non aeque tutum nobis eo descendere: instabat
tarnen aliquoties me in primis eo folicitans argumentumque scrip-
tioni suggerens. Concepi ergo tandem quiddam: quod ille per-
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1893. Kvacsala, Zur Lebensgeschicbte des Comenhis. 227
fectum ita excepit, ut diceret; Nihil unquam sapientius scripsisti.
Habebunt cur tibi gratias agant Catholici et Euangelici etc.
Cum adhuc tergiversarer , vocavit me iterum (post dies aliquot)
Consulemque urbis iturum esse Vratislaviam (Silesiorum ubi tum
illustrissimus Comes Dominus noster, Regni Archithesaurarius, a
rerum in patria tumultu seeedens residcbat) sequc scriptum illud
ad censuram ill i missurum signiticavit: cuius si accesscrit cal-
culus nihil foro quod metuerem. Respondi, Maculaturas mitti
non posse. Ille Describi ergo cura, Consulem ad crastinum ma-
nere jubebo, Quid multis? factum. Illustrissiraus autem Mox,
mox, mox typis exscribi mandavit
70. Habes cuius iussu, et qua spe, Panegyricus ille scriptus
editusque fuerit. Atque utinam monita fuissent secuti utriusque! ad
illas extremitates numquam fuissent ventiun. Sperabant autem
magni Uli Politici , alter Euangelicua : alter Catholicus. Si spei
non respondit eventus, quid tum? Viles animae consilia ex
eventu aestimant: quibus Te accedere indecorum, ansam vero
tarn atrocis inde calumniae arripere inpium. Quid enim? prop-
terea ego, quod superiorum voluntati parui : quod Regem Sueciae
reverenter fortunain habere docui, quod omnes in tanto rerum
tumultu prudentis modestiae admonui, propterea inquam ego
Lesnae tuae incendiarius audire debeo? quis tales eonsequentias
nectere doeuit? Nihilne viderunt qui ant«; te Panegyricum hunc
viderunt, saluberrimaque messe Theologica et Politica monita
iudicarunt? Eoquc illum eundem (ut plurium subiret Odilos)
suis typis cxscripserunt. Noribergae, Frankofurti, Londini, et ut
audio Parisiis quam tarnen editionem non vidi. Omnes «eil. hi
delirarunt, solus Franekeranus Profossor, configendis cornicum
oculis natus, sapit.
71. Quod magis, Calumniarium te ipsa adversariorum (qui
Lessnam exusserunt) confessione convincam: ex qua patebit I
Pontifieios Panegyricum hunc ab aliquo Leanae hospite fuisse
scriptum, non solura ante Lesnam eversam (ut inde concitari po-
tuissent) sed et post ignorasse; et forsan adhuc ignorare, nisi
id ex te buccinatore iam discant. II. Scripto illo non fuisse
irr itatos, quippe quod ipsi etiam, quantum ad substantialia, lau-
darunt: excepto quod iura et libertates ad omnes in commune
etiam haereticos (suo sensu) extendi, aegre tulerunt. Faciam
utriusque tidem.
72. Sesquiennio post eversam Lesnam reeepta fuit a Polonis
Cracovia, ibique paulo post excusus tractatus tali titulo:
Apologcticus contra Panegyricum Carolo Gustavo Magno,
Suecorum, Gothorum Vandalorumque Regi Dedicatum ad
religionis, Regis Legisque Polonae Defensionem produetus.
In cujus mox ingressu authorem Panegyrici se ignorare osten-
dunt, his verbis „Quisquis est (Polonum autem et haereticuni te
coniicio) qui Panegyricum Regi Suecorum nuper dedicatum in
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228 Kvacsala, Heft 8 u. 9.
lucem edisti etc. Et paulo post: Subtraxisti tarn personac quam
nominis tui copiam etc. Ecce, ecce, ipsi adversarii Te, ob pa-
negyricum Lesnae scriptum in Lesnam eos fuisse concitatos
testantem, mendacia loqui testantur.
73. Neque Panegyricum hunc tarn absurde ab illis fuisse
acceptum, ut propterea furere vellent, fatentur eodem scripto sub-
inde, Exsignabo quaedam vel saltem ex ultimo bifolio ipsorum-
met verbis. Ne quid inusitatae infelicitatis, magnae se intermisceret
felicitati, ut timcret monuisti Gustavum, optume fecisti. Nescit
enim pennata Dea ac brevi evolatura, stabiles setnper continuae
felicitatis gressus figere. Et mox: Benevolentiani quia eommen-
dasti Gustavo erga Polonos, laudo aniinum, sine üla enim nec
retineri possunt imperia, nec manceps populi fieri Spiritus, etc.
Et post unam et afteram periodum denuo: Partes defensoris in
tuendis Polonae Nobilitatis libcrtatibus apud Gustavum, quod sus-
ceperis multas eadem Nobilitas et habet et aget tibi gratias. Li-
bertatis enim amorem tenacissime, vel te ipso fatente retinent
mori paratiores quam illa privari. Quod autem non aliquos Po-
lonae gentis liberos esse debere, sed oranes et singulos in Uni-
versum, Proceres regni, Nobilitatem inferiorem, Civitates et
Oppida plebeinque ipsam rusticanam suo modo et gradu, cen-
suisti, nec etiam ueviasti. Et penes enim exeelsam Abietem
humilis humi libere serpit viola etc. Illud autem quod nugaris,
ut manus libere in coelum attolantur etiam diverse de Deo sen-
tientium, dum modo Ueura colant non blasphement etc. ostendit
ex caenosa lutulenti Lutheri te prodiisse luira non in Romanae
Ecclesiae Ministrum esse ara. Non enim sola irreligiosttas , aut
blasphemiae interdicta esse debent, ut ais tu : sed et diversae Re-
ligiouis ritus colendi Deum etc. ilox iterum : Quod in praeeeptis
dederis, ut se Augustum semper, prudentem, strenuum, magna-
nimum, iustum, liberalem, paeificum, pium, dementem, tuus Rex
{jraestaret, dignus es quem posteri etiam suis concelebrent laudi-
>us. Hae virtutes enim optimorum regum propriae sunt. Reli-
gione dissidentibus civibus tolerantiam retinenuam cum suasisti,
denuo Romanae Ecclesiae, Orthodoxaeque Fidei hostem te
ostendisti. An ignoras advonam haeresin venerandae Matrifamilias,
Fidei Catholicae in Repub. l'olona, sine gravi iniuria aequari
non pos.se etc. Tandem addit: In reliquo orationis tuae cursu
vela contraho. Digna enim tuo Regi suasisti : votisque salutaribus,
•si illis morein gessisset prosequutus es.
74. Si Apologeticus ille (Cracoviae typis excusus) ad manum
tibi est, inspiee, ista sie verbotenus scripta reperiea. Quid autem
ex omnibus istis ad verbis tui» fidein taeiendam (Polonos Pane-
gyrico isto irritatos, de Euangelicis extirpandis, Lesnaque ever-
tenda , consilia coepisse) elicics, obsecro ? Annon omnia haec te
vanum, sed virulentum, Caluinniatorem esse Ostend unt? cuius verba
sirailia sagittis, comnaranda juuiperorum prunis (Psal. 120. 4).
Vere prunis candentibus aut potius faeibus ardentibus, quibus
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 229
pyram (cui me ceu publicum incendi ariuni imposuisti) sub me
accendis. Ut tua causa mihi cum Davide clamandum sit:
Hei mihi quod peregrinor tarn diu, habito inter osores paeis.
Ego enim pacem diligo, aut cum loquor (etiam certe isto Pane-
gyrico meo nihil nisi pacem loquutus fui) i 11 i ad bellum conela-
mant (v. 5, 6, 7).
75. Quod magis, Apologeticua ille Polonorum mihi adversus
praesentem columniam tuam apologiae loco est. Quippe ubi illi
fatentur 1. Me tolorantiam suasisse. 2. Tolerantiam tarnen concedi
non posse propter principium suum, Religionem nisi unam uno in
Regno tolerari non debere. 3. Qui contrarium suadeat, hostem
esse Romanae Ecclcsiae, Fideique Orthodoxae. Videsne quis eos
adversus Euangelicos, illorumque in Polonia ceu metropolin Les-
nam, concitaverit? Si nihilominus meum scriptum, Tollerantiam
optans et orans oceasionem dedisse dixeris: perinde feceris atque
olim Christiani fecissent, si Justinuni Märtyrern, Tatianum, Athe-
nagorum, ineusare voluissent, quod suis pro se intercessionibus
Ethnicis ad Persequutiones movendas, aut continuandas, occasi-
onem dedissent. At quis illorum tarn perversus. ut id faceret,
fuit? quem admodum tu faciendo te esse ostendis.
76. Nam ut te non calumniandi causa hoc adversus me scrip-
sisse, sed vere sie opinari (hac via hostilem accensum fuisse fu-
rorem) credam, adduci non possum: quia te tarn puerum imagi-
nari non possum, qui Veritatis hostium indolem ignores: ut tam-
etsi illi ex presse hac de causa id tieri dicerent non causa tarnen
esset, sed nQÖoyaoig et color? Iinpossibile te inter legend um
Codicem Dei et Historiam Ecclesiasticam, et Martyrologia non id
observasse. [Nisi forte sicut in prato bos gramen, apis tnel, ci-
conia laeertas quaerit, ita Disputationuni Magister nihil in Omni-
bus libris nisi syllogismos, illationumque, exceptionum, et limi-
tationum formulas? Quod si «tiam non causas ut causas expresse
allegantibus hostibus credendum non est [quia apud illos semper
Agnus lupo aquam turbat] quomodo alicui tratrum accusatori tale,
quid tingenti credemus? Deo et Ecclesiae te judicandum trado.
77. Antequam tarnen ab hac recedo Calumnia, revoco tibi in
mentom Legem Dei, Deut. 19 v. 16 etc. quam et Erasmus trac-
tatu De Lingua allegat his verbis: Quin et Gentium leges
Calumniatorem ad talionis poenam vocant, non solum lex
Mosaica. Sceleratior est qui crimen falsum intendit proximo,
quam mendax testis: nam et hunc ille subornat. Et tarnen
in Deutoronomio Deus Testern calumniae eonvictum iubet
eodem aflfici supplicio quo afficiendus erat is qui delatus erat,
si convinci potuisset: Non miseraberis eius [inquit Deus]
sed animam pro anima, oculum pro oculo, dentem pro dente,
man um pro manu, pedem pro pede, exiges. Qua lege si standum
hic esset, quid fieret? Quia nempe Incediariis supplicium ignis
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230 Kvacsala, Heft 8 u. 9.
lege» irrogant: si ego ut Incendiarius Civitatis tuae convinci
possam, flammis tradendus suin : si tu criminis falsi convinci, tu.
Ego tarnen contentus ero, si ad iustitiac tribunal illa tarn bonis
perniciosa credulitas tua, et quibus eam illivisti mendaces chartae,
tetrum denique illud in nie conceptum odium tuum, tainquam
infernalis vere flamma, igne charitatis l)ei exurantur.
(Vindicatio famac et conscicntiae etc. p. 32— 33.)
20.
Calumnia IV.
78. Cum te nuper privatis ad te liberis tot iniuriarum (qui-
bus rae ineonsiderata illa in Anti-Bibellum tuum praefatione affe-
cisti) commonefacerem, Tu respondendo aliam addidisti, alio do-
lore tinetam calumniam, Iiis verbis: Lesna, Lesna inquam, habet
quod de vobis conqueratur aeternum. Tarn altas enim radiees
apud vos egerant istae prophetiae, ut injurius in Dei providentiam
videretur, illis qui non crederet. Multi illorum reculis suis eon-
vasatis asylo aliquo sibi prospexisssent nisi conatus illi per haee
talia fuissent sufflaminati. Hoc autem quid est? Nugari pro-
fecto et tarnen simul fortiter calumniari. Nam.
79. Totine Lesnensium Civitati prophetiae hae innotuerant?
omnesne illis tidem habendo dementari sc. et a quaerendo asylo
sufflaminari, passi? At qui paucissimi de illis aliquid seibant
(non millesima certe Lesnensium pars): pauciores etiam credebant;
adeoque praeter unum et altcrum (uti solet) nemo. Tu tarnen
credulitate deeeptos pronuntias: et quidem tauta contidentia,
ut aeternas super nos devoces querelas. Si hoc non est
calumniari (tarn pathece in aliquem odia concitare) quid ca-
lumnia sit neseire me fatebor. Certe si qui crodulitate peccasse
dici posset id, Bohemi mei essent, soli harum (quamquam quota-
cumque iterum illorum pars?) conscii: sed neque hi possunt,
conscientiae alias suae illaturi vim. Nam cum alii agminatim
bona sua in vicinam Silesiam eveherent nostros autem quodam
idem imitari volentes exeniplo meo (qui nihil emittebam, retrahi
audirem, monendos publice putavi, Providentiae divinae fiduciam
non excludere humannm prudentiam, sed includere. Die itaque
jejunii ac (toti Civitati a Magistratu in singulos menses induc-
tarium) suiupto ex Geneseos capite 32 v. I ad. 12 textu, quid ho-
mini Christiano in angustiis constituto faciendum sit Jacobi Pa-
triarchae exemplo doeui. Nempe 1. Utcndum omnibus humanae
prudentiae mediis (in specie ursi , quomodo illa omnia sua in
duas turmas diviserit, ratione addita. Si altera hostili percussa
furore esset, altera, ut servaretur, v. 7, 8) 2. Orandum, 3. Deoque
tidendum qui et Angelorum satis habeat ad suos tutandum ( v. 1. 2)
et corda hostium ad misericordiam flectere sit potens (cap. 33. 4).
80. Privatim ad quosdam meorum dicebam (non diftiteor)
Non eandem nobis atque Gennanis et Polonis esse rationem.
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 281
Istos enim in Silesiam profugere tamquam in patriam, ubi non
tantum linguae eonsortes, sed et notos atque cognatos habentes
facilius aive apertc degere, sive latere posse. Nos e«se a Caesare
patria haereditariisque provineiis proscriptos: si vel captivemur,
vel bona nostra diripiantur, neminem fore, qui noatrain suseipiat
causam. In angustiis itaque nos prae aliis esse, tutissimum videri
nos committere manibus Dei, sive ad vitam sive ad mortem. Hoc
totum est in quo mihi non quasiti alibi asyli culpa tribui possit:
sed a raeis et me ipso, non autem ab omnibus Lesnensibus, qui
consilia mea nec requisiverunt nec audiverunt. Fuitque culpa
[si fuit] humanae imprudentiae , non autem atrocis alieuius od-
quam aeterna provocanda sint lamenta [ut tu pessime declamator
iacis] malitiae.
81. Pudendum autem profecto hominem Theologum de di-
vinis iudieiis propter publica peccata publicis poenis regna et
populo.s involventibus, tarn frigidum, imo perversum, ferrc iudicium,
ut attractarum poenarum culpam in unum aliquem, vel paueos,
coniieiat, remque tarn tragice exaggeret Deus tibi ignoscat, sive
crassa ignorantia, sive destinata malitia sie peccas. O quam aliud
erat gravissimi Theologi Superattendentis Vestri [patrui tui et
Collegae mei| de bis iudicium. Qui Lesnam augeri vicorum
amplitudine, maeniis, pompa, opibus, sed et simul crescere fastu,
luxu, dissolutis moribus, enormibusque peccatis, eoque maturescere
ad poenas, seu quam saepc privatim et publice [pro suggestu] cum
lacryrais etiam quaestus fuit: post eversionem vero factam non
vanum se fuisse vatem agnovit, divina iusttäcans iudicia. Tu autem
si absque uno aliquo hostium irritatore fuisset, Lesnam tuam in
aeterno futuram fuisse flore autumas? Plebeium et puerile iu-
dicium, ne dicara insanum, et contra Deum et providentiam re-
belle. Ex Propheticis enim oraculis, quae terribilium Dei
iudiciosum soleant esse causae, et cur a Domo sua inchoare illa
gaudeat Deus diacere debebas Theologe. Nempe nihil venire
mali, nisi praeeipiente Domino: nec esse cur murrauret vivens
homo, nisi adversus peccata sua. Scrutandas esse potius vias
nostras ut revertamur ad Jehovam [Thren. 3. 37 etc.], Passerculum
etiam unum in terram non cadere sine voluntate coelestis Patris,
doeuit Christus [Math. 10. 29]. Tibi autem hominum millia, inte-
graequae Urbes, in gratiam alieuius inprudenter aliquid sentientis,
aut facientis, pereunt? quis Theologiam hanc doeuit? Publica
peccata, et publice plagae? annon correlata sunt? essentialis
nerape causa cum esscntiali cohaerens effectu suo? Nonne Theo-
logus cogitationes tales, Verbo Dei et sanetorum praxi, conformes,
fovere easdemque in popularibus et confratribus suis excitare de-
bebat? potius quam impoenitentis , castigationisque suae culpam
in alios rcicientis populi pessimos, et verbo Dei daranatos, iraitari
mores ! Imo cogitare debebas, annon tua quoque iuventutis pec-
cata incendii Lesnensis aggregare iuverint fomenta ! orareque cum
Davide, delicta iuventutis meae, ne memineris Domine [Psal. 25. 7].
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232 Kvacsala, Zur Lebensgeschichte des Comenius. Heft 8 u. 9.
82. Quin tu potius cum profeta, et nobiacura benignitatem
Dei quam in media ira sua erga Lesna exteruit celebras?
Dicendo, Misericordia Domini est, quod non sumus con-
sumpti, quia non defecerunt miserationes eius (Thren. 3. 22).
Nunquid enim juxta plagam percutientis se percussit eam? aut
sicut interficiuntur interfectores , ita occissi manus? (Jef. 27. 7).
(Vindicatio famae et consc p. 38 — 42.)
(Schlufs folgt)
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Kleinere Mitteilungen.
Aus neueren Handschriften-Verzeichnissen').
Die hier gegebenen Xaehweisungen sollen Hei trüge zur Quellenkunde
liefern; es wird beabsichtigt, solche Handschriften zusammenzustellen,
welche das Forschungsgebiet der Comcnius-Gesellschaft berühren. Die
Heitrage werden fortgesetzt werden.
Herzogliche Bibliothek zu Wolfenbuttel.
Nach Heine mann, O. v., Die Handschriften der Herzog-
lichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Wolfenbüttel 1884 ff.
Zur Geschichte Valentin Andreaes.
üelnemann, a. O. Vol. IV Nr. 2085.
7. 4. Aug, fol. Pap. verschiedenen Formats, das größte 34 1 '•> X
21x ,2 cm. 602 Bl. 17. Jahrh. von verschiedenen Händen.
Litterae dirersorum ad D. Johannem Valentlnem Andreae
exaratae et transmlssae de anno 1636 usque ad an-
nnm 1652.
Schreiber sind: Jac. Abel (f. 445 — 445'). Gottlieb Andreae,
Johannis Valentini filius (f. 520—522, 526—574). Paul An-
dreae (f. 428—428 ). Christ. Bab (f. 441). Paulus Biber-
stein (f. 324). Job. Albert Birger ab Avb (f. 597—597',
600-600'). Wendelin BMzinger abbas (f. 307-312). Petrus
Cludi (f. 602). Nie. Curaeus (f. 448—450). Joh. Deckinger
Regiomontanus (f. 409—414). Conrad Ddselius (f. 407).
Michael Döselius (f. 401-406). Tobias Domcrailius (f. 277
—279'). Henriciw Effern (f. 317—319). Simon Ebaesser
(f. 426-427). Erasmus Esenwein (f. 502—503). Joh.
Georg Esenwein (f. 344 — 348). Joh. Mars. Evsengrein
(f. 455). Job. Matth. Faber (f. 492). Georg Fauler ( f. 525).
«) Vergl. MH. der C G., Jahrg. 1892, S. 131 ff.
Monnttheft« <k«r Oonu-nius-Otsellsrhaft. 1^ 3. 17
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234 Aus neueren Handschriften- Verzeichnissen. Heft 8 u. 9.
Theodor Flomming (f. 354—399). Petrus Frison (f. 602).
Joh. Adam Geinbach (f. 497). .Samuel Gerlachius (f. 447
— 447 ). Matt. Hafenreffcr (f. 446). Joh. Jac. Ilainlin abbas
(f. 281—306). Joh. Hellwag (f. 325—327). Joh. Christoph
Hopff, praeceptor Göppingensis (f. 442—443). Joh. Kaiser
(f. 439—439'). Georg Henricus Keller (f. 498). Joh. Eber-
hard Knoll (f. 499—501'). Willi Koch (f. 408, hebräisch).
Eberhard Kopp (f. 508). Mart. Kornnauer (f. 461). Joh.
Christoph Knifft '(f. 438). Balthasar Kretzniaier (f. 575—
576). Leonhard Laurentius (Lorenz) (f. 470 — 491). Georg
Linde (f. 510—511. 579). Joh. Cornelius Marci (f. 494—
494'). Jacobus Missicz (f. 598—598'). Abraham Nethe
(f. 452 -453'). Tobias Pfister (f. 340—343). Joh. Puecher
(f. 496). Balthasar Raith (f. 321). Jeremias Rebstock abbas
(f. 313-314). Valentin Rother (f. 495). Tobias Schaudili
(f. 440). Joh. Ernst Schmieden (f. 465). Joh. Henr. Schor-
chius (f. 456—458). Joh. Schubelius (f. 328—339). Otto
Frieder. Schutz (f. 466 — 469). Jean Adam Sefried de Xord-
lingen (f. 464). Thomas Silemannus (f. 463). Joh. Martinus
Speidel (f. 316—316'). Elias Sprengel (f. 315). Joh. Jac.
Strohn (f. 349—350', 429—437). Levin Sutor(f. 416-425).
Vitus Trexelius ( f. 444 - 444'). Matthaeus Varenbfiler ( f. 506
—507 ). Johannes Vetter ( f. 493 -493'). Tobias Wagner (f. 1 —
274). J. Walderode (f. 577—578'). Joh. Georg Weber (f.
482). Jacobus Wehm (f. 509). Marcus Widemann (f. 513
—519). Joh. Lud. Wider (f. 415). Georg Zappler (f. 459
-460). Christophorus Zeller (f. 504-504'. 524—524.).
Aufscrdem: 1) Ein hebräischer Brief (f. 351—353). 2) Pro-
gramma funebre I). Jacobi Andreae (f. 580 — 584). 3) Rec-
toris et Senatus Tubingensis edictum (f. 586—588'). 4) Rec-
toris et Senatus Witebergensis testimonium pro Josepho
Adiuto ex Oriente ultimo orthodoxae fidei confessore (f. 594
—595).
Lose liegen vorn noch in dem Bande Leichencannina auf Joh.
Val. Andreae von Johannes Angelin (2), Henr. Effern (1).
Joh. Georg Esenwein (1), Theodor Fleiuming (1), Eberhard
Knoll (1), Eberhard Kopp (1) und Gottlieb Andreae.
Prov. ti. Gesch. : Gehörte früher Joh. Val. Andreae.
Ebd.: Pergamentband mit grünen Bindebändern.
Heinemann, a. O. Vol. IV (1890), Nr. 2086.
7. 5. Aug. fol. Pap. verschiedenen Formats , das größte 35 X
20x 2 cm. 503 Bl. 17. Jahrh. von verschiedenen Händen.
Enthält:
1) f. 1—39: Carmina gratulatoria neeuon dedieatorla 1).
Johann! Yalentino Andreae a propinquis et amicls
trau amissa.
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1893.
Aus neueren Handschriften- Verzeichnissen.
235
2) f. 40—503: Litterae diyersoram ad eondem scriptae et
transmlssae de anno 1634 nsque ad annum 1649. Vergl.
2106 (10).
Schreiber sind: Jacob Abel (f. 366). Bernhardus Albertus (f.
323). Paulus Andreac (f. 314). Andreas Berchtold (f. 450).
Wendelin Bilffinger (f. 223—234). Frieder. Chesnel (f. 345).
Nicolaus Cunaeus (f. 154—157. 319). Joh. Jac. Dannenritter
(f. 453). Josephus Derameler (f. 206—210). J. Dörtenbach
(f. 443). Melchior Sylvester Eckhardus (f. 253—261). Hen-
ricus Efferen (f. 265-291. 439-441). M. G. E. (f. 262—
263). Job. Elermejer (f. 479). Matthaeus Faber (f. 351).
Josua Faeschius (f. 140—151. 158—161. 167 —172'). F. Gast-
purus (f. 137. 175 ). Stephan Gerlach (f. 331—332. 335—
338, 341—342). Glöckberg (t. 464). Joh. Conr. Gobelinus
(f. 356). Matthiaa Hafenreffer (f. 152-153. 315-318).
Nicolaus Hagelmeier (f. 480). J. J. Hainlin (f. 51-129).
Christophorus Harpprechtus (f. 339—340. 343—344). Joh.
Hellwag (f. 376—384). Josua Henrich (f. 487—489). Magnus
Ilcsenthaler (f. 333). Joh. Conr. Hiemer (f. 442). Joh.
Phil. Hillerus (f. 346-349). Joh. Honold (f. 481-483).
Joh. Keyser (f. 474—476). Joh. Kies (f. 162). Joh. Kircher
(f. 350). Joh. Samson Kornbeckh (f. 394-395'). Job.
Petrus Krnger (f. 420). Joh. Wendelin Langius (f. 227).
Leonhard Laurentius (Lorenz) (f. 292—313', 424—438').
Christoph Lutz (f. 387). Erhard Machtolphus (f. 41-50).
Georg Conr. Maicterus (f. 211 — 222). Heinricus Moglingus
(f. 354). Joh. Lud. Möglingus (f. 370-371 ). Georg Mftrdel
(f. 419). Gcorgius Nasehold (f. 451). Daniel Osiander (f.
491). J. B. Osiander (f. 264). Lucas Osiander (f. 412—
415. 492—494). Joh. Wilh. Pfaff (f. 385). Albertus PHtz
(f. 396—399). Joh. Ulric. Pregitzer (f. 369). Georgius Raub
(f. 352). Balthasar Kaith (f. 372-375). Philippus Raumajer
(f. 163— 166. 177— 178). Jeremias Rebstock (f.465— 478). Jac.
Roth (f. 411 ). R. Roth (f. 421 ). Jac. Rothweiler (f. 484). Wilh.
Schabhart ( f. 463). Tobias Schaudeli (f. 446). Joh. Schlatter
(f. 133— 135). Jos. Schletterberch (f. 130-131). Joh. Cunr.
Schutz (f. 496-503). Georg Schwegler (t*. 364—365).
Fridericus Sohner (f. 324. 326—330). Joh. Spalth (f. 320
— 325). Joh. Mart. Speidell (f. 201—205). Elias Sprenger
(f. 132). Stellanus (f. 422). Joh. Jac. StrAlin (Ströhn) (f.
400—410). Levinus Sutor (f. 454—461). Jos. Henr. Vieillot
(f. 490). Joh. Georg Volmar (f. 478). Joh. Bernhard
Wagner (f. 235—252). Jac. Wehm (f. 388—391). Joh.
Georg Weigenmeier (f. 448). Joh. Weiss (f. 392—393').
Joh. Werner (f. 138). Georg Beruh. Wibel (f. 321). Theo-
philus Wibel (f. 322). Samuel Widmann (f. 367-868).
Gallus Zeaemann (f. 173—174). Christopherus Zeller (f. 179
17*
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286 Aus neuereu Handschriften-Verzeichnissen. Heft 8 u. 9.
-200). Joh. Zeller ff. 413-414. 416-417). Joh. Zuuisler
(f. 449).
JProv. u. Gesch.: Gehörte früher Joh. Val Andreae.
JRbä.: Pergamentband mit grünen Bindebändern.
Ueineiuann, a. O. Vol. IV (1890) Nr. 2106.
8. 7. Aug. fol. Papier verschiedenen Formais, das gröfste 33 X
21 cm. 554 EU. 16. u. 17. Jahrh. Von verschiedenen Händen.
Enthält:
1) f. 1 — 2: Testimonium Ph. Melanchthonis autographum datum
Henrico Effrehen, 1554, die Matthiae (Febr. 24). Deest in
editione Corporis Keformatorum.
2) f. 3—4: Epistola ignoti ad Andream Alusculum.
3) f. 5: Jacobus Andreae lectori pio, d. d. Bebenhusii, 1585.
Dec. 30.
4) f. 6—7: Ejusdem epistola ad Christophorum ducem Wirtem-
bergicum.
5) f. 8 — 9: Ejusdem epistola ad Joh. Marpachium, d. d. Lypsiae.
1578. Juli 15.
6) f. 10: Epistola Johannis Andreae ad Joh. Langium 1588.
Sept 15.
7) f. 11 — 12: Epistola M. Bueeri ad Hecto rem Poemer Nurem-
bergensem, d. d. Argentorati, Nov. 28.
8) f. 13: Epistola M. Viti Theodori Nurinberg. ad eundem.
9) f. 14: Epistola M. Erasmi Grieninger ad fratrem suum
Josuam Grieninger, 1590. Jan. 31.
10) f. 15—554: Litterae dirersorum ad Johannem Valen-
tinam Andreae exaratae et transmlssae de anno 1020
usque ad annnm 1649. Vergl. 2085 und 2086 (2).
Schreiber sind: Georgius Albertus (f. 35 — 43). Jac. Bruno (f.
473). Georg Calixtus (f. 88-89. 92'— 93). Joh. Conr. Dam-
hauer (f. 84—87), Conradus Dieterieus (f. 376—377). Joh.
Dilgerus (f. 90). Nathan Dilgerus (f. 353. 361. 363—364.
366—375'). Joh. Georg Dorscheus (f. 80— 83). Joh. Duraeus
(f. 91). Joh. Eberken (f. 409— 410'). Georg Erhardt (f. 474).
Henricus Faber (f. 415-423). Jae. Fabricius (f. 92).
Fulanus (f. 354-360. 365). Balthasar Goekelius (f. 378—
402 ). Joh. Conr. Goebelius (f. 15 — 34). Joh. Haspelmacher
(f. 94). Jae. Henoldus (f. 403—408). Jac. Hermsdorff (f.
431). Mich Laminit (f. 432). Joh. Latennannus (f. 97-97 ).
Justus Jac. Leibnitz (f. 486). Matthäus Luther (f. 414).
Christoph Maek (f. 495—506') Joh. Mair (f. 475-585).
Christoph Meelfuhrer (f. 292-352) Mentzer (f. 96). Mel-
chior Nicolai (f. 520-553). Heinricus Omeis (f. 487-493).
Joh. Petrus (f. 433). Joh. Saubertus (f. 98—291). Joh.
Adam Schaffer (f. 507—511). Joh. Schmidt (f. 44—79).
Conr. Schragmnller (f. 494). J. J. Schuele (f. 515 — 519).
Joh. Conr. Stalpius (f. 434). Jac. Viseher (f. 436-441).
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Aus ueueren Handschriften-Verzeichnissen.
237
Bernhardus Waldsehniidt (f. 413). Conr. Weiniger (f. 442
—455' ). Erhardus Weinmann (f. 512— 514). Michael Wen-
celius (f. 435). Georg Wibel (f. 456—472). Daniel Wulffer
(f. 411—412). Georg ZArlin (f. 424).
Vorn eingeklebt : 1 ) Fama Posthuraa Incomparabilis ac Orna-
tissimi Theologorum Johan-Valentini Andreae etc. auctore
G. A. 2) Elegiae in memoriam J. V. Andreae, auctore
Johanne Schnbclio diacono Stutgard.
J*rov. u. Gesch.: Wohl fritfier im Besitze von J. V. Andreae.
Ebd.: Pergamentband mit grünen Bindebändern.
Heinemami, a. 0. Vol. IV Nr. 2116.
10, 5. Aug. foL Pap. verschiedenen Formates, das grö/ste
34X23 cm. 638 Bl 16. und 27. Jahrh. Von verschiedenen
Händen.
Enthält:
1) f. 131—198': Direraoruin rirorum erudttoruiu saeeuli
re forma tlonis epfstolae ad Mlchaelem Cellariuni, Ml-
ehaelein Maestllnum et altos. Scriptores sunt: Abbates
cenobiorum ducatus Wirtcmbergensis (f. 131 — 134). Besoldus
(f. 158). Bullingerus (f. 147-147'). Bucerus (f. 142-145).
Georgius Calixtus (f. 194—197). Capito (f. 136—137). Jac.
Cappelbeck (f. 156). Laurentius Coaemanus (f. 181). Ana-
stasius Demeler (f. 157). Pomponius Ellema (f. 176—176').
Thoraas Finck (f. 180). Stephanus Gerlach (f. 155). Samuel
Haylandt (f. 182—185'). Tobias Hess (f. 163). Bartholo-
maeus Huberus (f. 177 — 178). loacnt Koit6dovXo$ (f. 159 —
— 159'). Polycarpus Leyser (f. 152—153). Michael Maest-
linus (f. 186-187). Joh. Mathesius (f. 146— 146'). Georgius
Mederns (f. 171—175). M. Meinhard (f. 169-170'). W. Mus-
culus (1 138 — 141). Thomas Naogeorgius (f. 149). L. Osiander
(f. 161). Georgius Köllen hagen (f. 167—167'). M. Schaeferus
(f. 188—188'). Hieronymus Wolfius (f. 164—166). — f. 150:
Epistola Caroli Comitis Palatini Rheni ad rectores et pro-
fessores academiae Heidelbergensis d. d. 1580. Oct. 13. —
f. 135: Folium manu Ph. Melanchthonis exaratum.
2) f. 1—130'. 199-465. 489-535: Varil ordtnis epistolae
Johannis Valentlnl Andreae et ad eundem de annls
164!)— 1652. Nomina scriptorum sunt haec: Joh. Val.
Andreae (f. 332-341. 362). Crafto Assum (f. 382-388 ).
Joh. C. Assum (f. 380—381 . 389). Joh. Heinr. Boeelerus
(f. 452—454). Conrad Breuning (f. 285). Joh. Conr. Brot-
beckh (f. 419—424. 540). Abraham Calerius (f. 206). Wolfg.
Georgius comes Castelli (f. 1). Fritz von Crain (Kraram)
(f. 5-6 ). Hartmannus Creidius (f. 330). J. Cronegk (Cro-
neccius, Kronegk) (f. 2—8). Nathanael Dilgerus (f. 253 —
259). Johan Michael Dilherus (f. 227—228). Joh. Georg
Dorachertts (f. 222—226). Elias Ehinger (f. 455—461).
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238 Aus neueren Handschriften- Verzeichnissen. Heft 8 u. 9.
Joh. Henr. Faber (f. 295-303). Joh. Frischmann (f. 395—
396). Joh. Geilfuls (f. 501). M. Stephanus Gerlachius
(f. 502 - 51 7', 539—539' ). Balthasar Gockelius (f. 282—283').
Martinus Gosky (f. 407—412). Hieronymus Hainhofer (f. 9L
-94). Georg Philippus Harsdörfer (f. 95-99). Joh. Haspel-
macher (f. 210). PolycarpuB Heiland (f. 391 —392*). Johannes
Henisius (f. 415-417). Magnus Hesenthaler (f. 518-532).
Hieronymus im Hoff (f. 7—76). Jacob Honoldu« (f. 286—
294). Thomas Hopfer (f. 308-310'. 319). Joh. Hulsemann
(f. 202—205). Kram s. Cram. — Joh. Conr. Kreidemann
(f. 343-361. 303—379 ). Kroncgk s. Cmncgk. — Thomas
Lansius (f. 397—398). Anthonius Laynarius (f. 321). Con-
rad Leschenbrandt (f. 284). Christoph Mack (f. 311—315).
Joh. Mair (f. 304 -307'). Ludewicus de May (f. 77—90,
auch Briefe an die Herzogin Sophie Elisabeth von Braun-
schweig und deren Tochter). Cnristophorus Mehlfuhrer (f.
260—281). Petrus Mendelius (f. 489—494). HectorMicho-
bius (f. 231). J. M. Moscherosch (f. 399—404). H. Neuw
(f. 394—394). Melchior Nicolai (f. 234—237). Georg
Oehlerus (f. 535). Heinricus Oraeis (f. 316—318). Christophor.
Godefredus Pfintzing (f. 101-122). Jeremias Rebstock (f.
329). Jean Jacques Keusch (Reisch) (f. 124— 129 ). Mar-
tinus Reuschern (t. 487— 500'). Eberhardus Sehafelitzkius (f.
123). Joh. Conr. Saxc (f. 500a). Samuel Schalleaius f. ( 533
—534). H.Schraidius (f. 322). Joh. Schmidt (f. 211-220').
Joh. Conr. Schragmüller (f. 229). J. F. Selbingerus (f. 324).
Joachim Stollius (f. 325-328). J. G. Styrzel (f. 427—451).
Wendelin Sybelist (f. 413-414'). E. Theobaldus (f. 199).
Johann Otto Tuber (f. 390). Joh. Henr. Ursinus (f. 323—
323 j. Joh. Jac. Wagnerus (f. 405—406'. 423). Bernhardus
Waldschmidt (f. 320). J. Weinlin (f. 418). Martinus Zeil-
lerus (f. 130). Chr. Zeller (f. 239—252 ). Georgius Zier-
linus (f. 233). Vergl. 2085, 2086 (2), 2106 (10)
7) f. 537—556, 561-638: Carolina maxlmam ad partem in
honorem Jacob! Valentin! Andreae, auctoribus Julio
Andreae. J. V. Andreae, Joh. Conr. Brotbeckh, Marco Dol-
metscher, Elia Ehingcr, Georgio Esenwein, Theodoro Flem-
ming, Martino Gosky, Georg. Philippo Harsdörffer, Tobia
Pfister, J. M. Keuschero, Tobia Schaudelio, Henrico Schmidio,
Johanne Schübelio, Levino Sutor aliisque. Vergl. 2086 (1)#
8) f. 557—560: Ezechias rex Juda e lethall morbo ad
Titam revocatus.
Haec Deo Sospitatori canit Soteria. Manu E. Ehingen).
Prot», u. Gesch.: Wie 2085 und 2086.
Ebd.: Wie 2085 und 2086.
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Litteraturberieht.
Anton Gindely über Comenius.
Wenn Gindely Uber Comenius urteilt, so wird es niemand
wagen, ohne gründliche Untersuchung ihm zu widersprechen. Er
wird es selbst dann nicht thun , wenn jener etwas an der Hand-
lungsweise des C. zu tadeln hat.
Dr. Anton Gindely (vgl. Monatshefte I 4, S. 322) gehörte zu
den ersten, welche das Leben des C. zum Gegenstande einer gründ-
lichen Forschung machten. 8eine Abhandlung über des C. Leben
und Wirksamkeit in der Fremde, 1855 veröffentlicht in den Sitzungs-
berichten der philosophisch-historischen Klasse der k. k. Akademie
der Wissenschaften in Wien, wurde für alle späteren Arbeiten über
(!. von mafsgebender Bedeutung. Als dann das Jahr 1890 der
Comeniusforschung einen neuen Aufschwung gab; als Kvacsala, Pro-
fessor am evangelischen Lyceum in Prefsburg, sein grofses Werk
über da» Leben des C verfafste uud dabei aus bisher nicht be-
kannten Quellen wie z. B. der im Keichsarchiv in Budapest auf-
bewahrten Korrespondenz des C. schöpfte, da nahm auch Gindely
seine Forschung über ihu wieder auf, durchsuchte die im böhmischen
Museum aufbewahrte handschriftliche Korrespondenz und verbesserte
und ergänzte seine Abhandlung, in welcher er in wesentlichen
Punkten von Kvacsala abweicht.
Dafs diese Abhandlung jedem, der sich über die neuesten das
Leben des C. betreffenden Forschungsergebnisse in Kürze unter-
richten will, leicht zuganglich geworden ist, das verdanken wir der
Verlagshandlung von Fournier & Haber ler in Znaini. Sie hat
durch die von ihr seit 1892 veröffentlichten „C o m e n i u s s t u d i e n"
schon viel zur Verbreitung seines Namens beigetragen. Als sechste
Nummer dieser Comeniusstudien erschien der Aufsatz von Dr. Anton
Gindely über des C. Leben und Wirksamkeit in zweiter, neu be-
arbeiteter Auflage. Der eigentlichen Abhandlung sind hier noch
acht Beilagen angeschlossen, eine von C. aufgestellte Rechnung über
Geldsamtnlungen , welche in England für die böhmischen Brüder
veranstaltet waren, und sieben Briefe des C.
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240
Litteraturberieht.
Heft 8 u. 9.
Gindcly schildert uns in seinem Büchlein nicht blofs den Päda-
gogen, den Bischof, den Dulder; er eröffnet uns auch einen Einblick
in seine Seele, in seine Gemütsart. Und immer geschieht dies sine
studio et ira, wie mau es von einem rechten Geschichtsschreiber
erwartet, was bei dem Gegensatz seines Bekenntnisses zu dem des
C. um so höher anzuschlagen ist. Doch möchte man fast meinen,
dafs in einem Punkte die Ansicht Gindelys durch diesen Gegensatz
beeinflufst sei, wenn nicht auch evangelische Gelehrte bereits die-
selbe Ansicht ausgesprochen hätten. Man liest nämlich in fast allen
Lebensbeschreibungen, dafs C. Weltentsagung gepredigt habe, und
auch in Gindelys Abhandlung lesen wir dies (S. 11). Dieses Urteil
gründet sich auf die Erbauungsschriften, die C. in jüngeren Jahren
verfafste, besonders auf die Schrift „das Labyrinth der Welt und
das Paradies des Herzens'4. Aber es steht im Widerspruch schon
mit den Gedanken, die er im „Faber fortunae" darlegt, es steht im
Widerspruch mit der warmen Teilnahme, die er in seinen pädago-
gischen Schriften für alle Verhältnisse des Menschenlebens an den
Tag legt: es steht im Widerspruch mit seinem pädagogischeu Grund-
gedanken, dafs die Schule für das Leben vorbereiten solle, am
meisten aber widerspricht jenes Urteil seinem eigenen Leben und
Wirken. C. war durchaus nicht der Meinung, dafs man alles in
frommer Ergebung Uber sich ergehen lassen solle. Er ist unaus-
gesetzt bemüht, seiner Gemeinde die Rückkehr ins Vaterland zu
erwirken. Unermüdlich arbeitet er an der Verbesserung des Schul-
wesens. Niemals verzweifelt er an der Verbesserung der Welt, und
alle seine Kräfte stellt er in den Dienst der Menschheit. Darum
ist Weltentsagung nicht das rechte Wort für das Verhältnis des C.
zur Welt. Treffender würde es geistige WeltUberwindung genannt.
So urteilt auch Kvacsala. Er sagt im Vorwort (S. IV): „Man nannte
den C. einen frommen Dulder, man behauptete, der Grundsatz seiner
Ethik sei der Quietismus, Ergebung in Gottes Willen: dies fand ich
nur insofern richtig, als er im Dulden fromm war, und wo mensch-
liche Hilfe nicht ausreicht, sich in Gottes Willeu ergab. Aber eine
rastlose, fast über Meuschenkräfte hinausgehende Thätigkeit, un-
ermüdeter, wenn auch mit dem Eudziele des Friedens geführter
Kampf für die hehren Ideale des Glaubens, des Vaterlandes und
des Humanismus auf allen Gebieten, sogar auf politischem, das er-
schien als die richtige Kennzeichnung seiner Lebensbahn.4*
Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkte die Thätigkeit, zu
welcher sich durch die Weissagungen Drabiks veranlafst fühlte,
so wird man dem herben Urteil Gindelys über dieselbe nicht bei-
stimmen können. Drabik, ein Geistlicher der böhmischen Brüder,
weissagte aus Visionen, die ihm zu teil geworden seien, dafs (Jott
das Haus Habsburg, den mächtigsten Feind des Evangeliums, stürzen
werde: dafs sein Sturz nahe bevorstehe; dafs sich der Norden und
der Osten verbinden würden, um dieses Gottesgericht zu vollstrecken.
Er forderte als eiu von Gott Gesandter den Fürsten von Sieben-
bürgen auf, im Verein mit Schweden gegen Österreich zu Felde zu
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1893.
Litteraturbericht.
241
ziehen, die ungarische Königskrone würde der Siegespreis sein.
Viele erklarten Drabik fllr einen Betrtlger, C. und andere glaubten
ihm; er hatte es ja mit einem furchtbaren Eide, den die zur Prüfung
eingesetzte geistliche Kommission ihm auferlegte, feierlich beschworen,
daf» ihm seine Offenbarungen von Gott gegeben seien. Drabiks
Gegner wiesen 0. hin auf den schlechten Lebenswandel des Mannes :
Drabik war dem Trunk ergeben. Auch sonst stand er in üblem
Rufe. Aber ('. entgegnete allen Ernstes, auch Bileam sei kein Ge-
rechter gewesen, und doch habe er die Wahrheit verkündigt. „So
blieb C.,u Bagt Gindely, „förmlich blind und taub gegen vernünftige
Vorstellungen." Aber was ihn verblendete, das war nicht etwa
Eigensinn, das war vielmehr der religiöse Glaube »der bosser Aber-
glaube seiner Zeit, die dadurch verursachte unfreie, sich jedes eige-
nen Urteils begebende Stellung zur heiligen Schrift und die mangel-
hafte Einsicht in das Wesen und die Bedingungen der Prophetie.
Genug, C. glaubte jenen Offenbarungen. Mufste er es unter
diesen Umständen nicht als eine heilige Pflicht ansehen, den noch
zaudernden König zur Erfüllung des prophetischen Wortes anzu-
feuern? Und als sich der Fürst nun wirklich zum Kriege rüstete;
als er wirklich einen Bevollmächtigten nach Schweden sandte; als
dieser den 0. in Lissa auf des Fürsten Befehl um Rat und Wei-
sungen ersuchte, durfte (.'. seine Mitwirkung versagen! Mufste er
nicht auch weiterhin alles thun, was in seinen Kräften stand, um
das Bündnis herbeizuführen? Hiefs es nicht, Gott versuchen, wenn
er jetzt die Hände in den Schofs legen und zusehen wollte, ob er
auch ohne ihn sein Wort erfüllen werde ? Konnte er das vor seinen
verbannten Brüdern verantworten, in denen jene Weissagungen wieder
die Hoffnung auf baldige Rückkehr ins Vaterland angefacht hatten?
Und es war nicht blofs Gehorsam gegen eine vermeintliche Offen-
barung, was ihn zum Handeln trieb. Es waren durch sie auch in
seinem Herzen Sehnsucht und Hoffnung wieder mächtig erwacht.
Ach wie gern hatte er die Erhörung so heifser Gebete noch erlebt!
Gindely nennt die zu einem Kriege gegen Osterreich treibenden
Bemühungen des C Aufhetzungen. Wer sich in die Seele des C.
versetzt, wird unmöglich so urteilen können.
Der König von Schweden eröffnete wirklich den Krieg, doch
nicht gegen Osterreich, sondern gegen Polen. C. war froh, dafs der
Krieg überhaupt begann : er zweifelte nicht , dafs auch bald Oster-
reich würde mit hineingezogen werden. Dann erfüllte sich die
Weissagung. Aber einen Krieg gegen Polen hatte er nicht ge-
wollt, auch nicht angeraten. Wir dürfen also den C. von dem Vor-
wurfe freisprechen, den Gindely gegen ihn erhebt, wenn er sagt:
„C. hatte auf diese Weise durch «eine Aufhetzungen — — erreicht,
was er wünschte: der Krieg zwischen Polen und Schweden war ent-
brannt." Wohl aber werden wir Gindely zuereben müssen, dafs C.
unklug und unvorsichtig handelte, als er an den siegreichen Schweden -
könig ein Beglückwünschungsschroiben richtete, welches veröffentlicht
wurde. Freilich die Veröffentlichung hatte er nicht gewollt, wie
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242
Li tteraturberi ch t.
Heft 8 u. 9.
Kvacsala S. 869 ausdrücklich hervorhebt. Er hatte es nur nicht
Uber sich vermocht, dem Stadtoberhaupt von Lissa seine Bitte um
ein BeglückwUnschungsschreiben an den König entschieden abzu-
schlagen. Es scheint C. Uberhaupt schwer geworden zu sein,
dringende Bitten abzulehnen. Diese Schwäche tritt ganz auffallend
hervor in der Zeit, als man ihn zur Teilnahme an dem Religions-
gespräch in Thoru bewegen wollte. Als ein Teil der Brüder nicht
ablief« t ihn zu bestürmen, bat er den Herrn von Geer, ihn nach
Schweden zu berufen, damit er einen genügenden Vorwand fllr seine
Nichtbeteiligung besitze. Herr von Geer berief ihn wirklich nach
Schweden. Aber bereits hatte er sich doch wieder zur Reise nach
Thorn Uberreden lassen (S. 47).
Diese Schwäche des C. war jedoch nur das Übermafs einer
Tugend, sie war Übertriebene Sanftmut. Es gab keine bedeutende
Erscheinung, keine bedeutende Persönlichkeit, die nicht auf C.'s
Herz sofort tiefen Eindruck machte und es eine Zeitlang ganz in
ihrem Zauberkreise hielt, bis er die empfangenen Eindrücke in
stillem, abwägendem Nachdenken in sich verarbeitet hatte. Gindely
erzählt davon sehr auffallende Beispiele. Ein angesehener Kapuziner
Namens Valerian, ein Mann von grofser Schlagfertigkeit und diploma-
tischem Geschick, hatte eine Polemik gegen den evangelischeu
Glauben geschrieben ; er hatte sogar in einer dadurch veranlafsten
öffentlichen Disputation mit einem evangelischen Geistlichen den
Sieg davongetragen, so dafs dieser zum katholischen Glauben Uber-
trat. Wieviel hatte 0. bereits Uber den Gegenstand der beiden Be-
kenntnisse nachgedacht! Wie klar war er sich darüber! Und doch
vermochte die Schrift des Valerian noch einen tiefen Eindruck auf
ihn zu machen, so dafs es ihn trieb, noch einmal zu vergleichen,
noch einmal ohne Voreingenommenheit, ohne Selbstüberhebung zu
prüfen. Er bekennt dies auch offen seinem Gegner in einem seine
Widerlegungsschrift begleitenden Briefe, und Kvacsala wie Gindely
finden dieses Bekenntnis so bezeichnend, dafs sie es uns in Über-
setzung mitteilen (Kv. S. 280, G. S. 43): „Als ich dein Buch zum
erstenmal erhielt, sah ich, welch grofse Dinge dasselbe behandelt,
mit welchem Selbstvertrauen du die Sache führst; wie vieles du
schön, gediegen und fromm bewegst, denn vieles hast du, was sehr
schön ist. Da wagte ich nicht, das Buch weiter zu lesen, nur nach-
dem ich mich mit deinem Buche vor Gott auf die Erde warf, um
Blindheit flehend. Denn ich bat Gott so recht demütig, wenn er
mir dich mit einem Licht der Wahrheit zugesandt hat, er möge die
Gnade haben, meine Augen zu eröffnen. Um so weniger hatte ich
vor, dies Werk auf das deine als Antwort zu geben, erst nachdem
ich mich immer wieder aller meiner Sinne entäufserte und meine
Seele Gott übergab, er möge meinen Geist, Willen und meine Feder
lenken, wohin er will1)."
') Der Leser wird wohl selbst das Gefühl haben, dafs diese Über-
setzung der Berichtigung bedarf. Schon der Anfang erregt Zweifel. Sollte
nicht am Anfang Quam prinium stehen? Das wäre mit „sobald als- zu
übersetzen.
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1893.
Litteraturbericht.
243
Ganz derselbe war C. iu seinem Verhalten gegen die Socinianer.
Gindely erzählt (S. 15), wie beharrlich sich diese bemühten, ihn
für sich zu gewinnen. Soviel erreichten sie von ihm, dafs er sich
in die Lektüre der von ihnen empfohlenen Glaubensschriften vertiefte,
und C. bekennt, dafs sie ihn doch in seinem Glauben einigermafsen
wankend gemacht hätten. Aber er eroberte ihn sich wieder, und
später erzählt er, dafs der Socinianismus auf ihn keinen Eindruck
mehr machen könne.
Wer wollte dieses Verhalten des C. als Schwäche auslegen!
Es ist vielmehr das einzig richtige, wo es sich um einen so reichen,
so geheimnisvollen Schatz handelt, wie der christliche Glaube ist.
Man lernt ihn nur kennen, indem man ihn immer wieder durch-
mustert. Es ist das einzig wahre Verhalten , wenn mau ferner be-
denkt, dafs wir solchen Schatz nur in schwachen, unvollkommenen
Gefäfsen bergen. Da setzt sich leicht allerlei Staub an , und das
Gold verblafst. Da ist es notwendig, ihn von Zeit zu Zeit hervor-
zuholen und vom Staube zu reinigen. Das aber war des C. Stärke,
dafs er sich seiner menschlichen Schwäche in der begrifflichen Er-
fassung seines Glaubens stets bewufst blieb. W. B.
Z i v o t Jana AmosaKomeask^ho. Xa oslavu tWsetlete pamAtky
jeho narozeni napsal Fr. J. Zoubek. VydAno z pozüstalosti
spisovatelovy peci „Besedy u£itelske Budce" na Smichove. K
tisku upravil Dr. Jan V. Xovak. V Praze 1892. XAkl. J. Otty.
Lex. 8° str. 294. Cena 2 zl. 40 kr.1)
Zveenely Zoubek, teuto pravy „apostol Komenskeho" v CechAeh,
poprve vydal zivotopis Komenskeho v r. 1871 o 128 str. lex. 8°,
jeni zAhy vyäel take ve zpracoväiu nemeckem a stal se pramenem
a zAkladem pro väechuy temer nAsledujkf iivotopisy Komenskeho a
teprve v r. 1892 byl pfedsti/en di'lem Kvacsalovym, zejmena ve
pffcin£, vyUeenf veskerych stykü Komenskeho a ocenenf veskere
spisovatelske finnosti Amosovy.
Pm; vydAnf zivotopisu Zoubkova opfralo se sice o piedchozf
') Das Leben des Johann Arnos Comenius zur Gedächtnisfeier seines
dreihundertjfthrigen Geburtstages verfafst von Fr J. Zoubek, aus des Ver-
fassers Xachlafs herausgegeben von der „Beseda m'itelskä Budef" in
Smichow, zum Druck zubereitet von Dr. J. V. XovAk. — Frag 1892. Verlag
von J. Otto. Lex. 8°. 294 S. — Treis 2 H. 40 kr.
Der verewigte Zoubek, dieser „Apostel de» Comenius" in Böhmen, hat
zum erstenmal im Jahre 1871 eine Lebensbeschreibung de» Comenius her-
ausgegeben (Lex. 8°. 128 S.), die bald auch in deutscher Bearbeitung er-
schien und Quelle und Grundlage für fast alle nachfolgenden Lebens-
beschreibungen des Comenius wurde. Erst 1892 ist sie durch das Werk
Kvacsalas fiberholt Morden, namentlich was die Darstellung der gesamten
Beziehungen des Comenius und die Würdigung seiner gesamten schrift-
stellerischen Thätigkeit betrifft. Die erste Ausgabe der Zoubekschen
Lebensbeschreibung stützte sich zwar auf die vorangegangenen Arbeiten,
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244
Litteraturbericht.
Heft 8 U. 9
prace hlavne Palackeho a Gindelyho, take vsak o vlastnf Studium
spisü sameho Komenskeho a prfslusne literatury. Zoubek jiz v r.
1871 nepfestal na vypsam viiejsfch udalosti pohnuteho zivota Komeu-
skeho, nez pokusil se — pokud prameny tehdäz na snado jsouci
dovolovaly — vyHciti Amosa jako syna sve doby, vypsati pomery
prostoru a osob, jez ho obklopovaly, pomery politicke a spolerenske,
kterym podlehal a jez zase k vvvoji jeho dncha a k uzräväui a
trfbeni jeho zamyslu pfispfvaly, zvläst* zevrubne pak ocenil velikou
praci jeho a to hlavne v oboru didaktiky. K tomuto zivotopisu
pridruzil Zoubek v letech sedmdesatyeh a ostndesätych vzorna ceska
ztlumoeenf nejdülezitejsfch latinskych spisö Komenskeho a rovnez
dükladne jako duchaplne monografie o rüznyrh strankach jeho
{•innosti, zejmena Studie o nabozenskych , poetickych a narodohos-
podärskvch spisech a ideach Komenskeho, ktere Zoubkovi v litera-
tufe eeske na vzdy zabezpecuji' jedno z nejprednejsich mf.st a cennym
obsahem, ryzi'm jazykem a slohem stejne jasnym jako lahodnym
budou trvati klassickymi. I zabiral se Zoubek stale hloubeji ve
studia spisu Komenskeho a veskere literatury pfi'slusne, pfi eemz
naporad snasel opravy , doplnky a novy materinl k novemu vydanf
Zivotopisu Komenskeho, jehoz vydanf prve bylo pocatkem let o.smde-
satych rozebrano.
hauptsächlich auf die eines Palaeky und Gindely, doch auch auf »elbständiges
Studium der Schriften de» Comenius und der einschlägigen Litterat ur;
Zoubek begnügte sich schon 1871 nicht damit, das bewegte Leben des Co-
meniu» in «einem äufseren Verlauf zu beschreiben, sondern versuchte, soweit
das die damals zugänglichen Quellen erlaubten. Arnos als einen Sohn seiner
Zeit zu schildern und die Zustände von Land und Leuten, die ihn umgaben, zu
beschreiben, sowie die politischen und socialen Verhältnisse, denen er unter-
lag, die aber andererseits zur Entwicklung seines Geistes und zur Aua-
reifung und Klärung seiner Ideen beitrugen. Besonders eingehend würdigte
Zoubek seine grofse Arbeit auf didaktischem Gebiet. — Aufserdem über-
trug Zoubek in den siebziger und achtziger Jahren die wichtigsten latei-
nischen Schriften des Comenius in musterhafter Weise ins Böhmische und
verfafste ebenso gründliche wie geistvolle Monographien über verschiedene
Seiten seiner Thätigkeit, so besonders Studien über die religiösen, dichte-
rischen und volkswirtschaftlichen Schriften und Gedanken des Comenius,
Arbeiten, durch welche sich Zoubek für alle Zeit einen hervorragenden
Platz in der bömischen Litteratur gesichert hat, und die wegen ihres wert-
vollen Inhalts, ihrer rliefsenden Sprache und ihres ebenso klaren wie an-
mutigen Stils einen dauernden klassischen Wert haben. Daneben versenkte
sich Zoubek immer tiefer in da* Studium der Schriften des Comenius und
der gesamten dazu gehörigen Litteratur und gewann dadurch nach und
nach Verbesserungen, Ergänzungen und neues Material zu einer neuen
Ausgabe der Lebensbeschreibung des Comenius, deren erste Ausgabe zu
Anfang der achtziger Jahre vergriffen war.
Aber der Tod rifs Zoubek mitten aus seiner Arbeit, und in seinem
schriftstellerischen Xachlafs fand sich das Manuskript zu einer neuen Aus-
gabe der Lebensbeschreibung, aber nur bis zum Jahr 1643 fortgeführt und
auch das noch nicht völlig gleichmäfsig ausgearbeitet ; für das übrige war
sein Handexemplar der ersten Ausgabe mit seineu Anmerkungen, Nach-
trägen und Verbesserungen vorhanden. Dieses Material wurde auf Ver-
anlassung des Smichover Lehrervereins Prof. J. V. Noväk übergeben, um
es zum Druck vorzubereiten. Das konnte auf zweierlei Weise geschehen :
entweder ohne alle Zusätze, Verbesserungen und Veränderungen, also wie
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189:5
Litteraturberieht.
AvSak smrt zasAhla Zoubka v prostfed jeho prace, a v literann
pozfistalosti jeho nalezl se rukopi« noveho zivotopisu Komcnskeho,
dovedeny jen po rok 1643 a to jeste ne ve vsem urovnany a sou-
merny, k ostatmmu pak prolozeny exempjaf vydAnf prveho, poznAm-
kami, piipisky a opravami dolozenv. Tento material pru-inemm
smlchovske jednoty utfitelske byl odevzdan prof. J. V. Xoväkovi,
aby ho upravil k vydani tiskem , kterez mohlo se stati zpüsobem
dvojfm : bud beze vsech doplfiküv , oprav a zmen , tedy jako
pramen historicky — a takovvm by nejspfSe za vdek vzali komeuio-
fiiove, chtöjfcf zvedeti, jakdaleko v poznAnf Komenskeho dospel tak
prosluly znate] a nadseny ctitel Amosüv, jakym byl Zoubek — bud
upraviti kusy rukopis Zoubküv tak, aby byl eetbou i pro sirsf obe-
ceustvo; byl zvolen tento druhy zp&sob vydAn(, cimz se stalo, ze
railme pfed sebon nikoli jen prAci Z<»ubkovu, nybrz — a to zejmena
od str. 151 — prAci Zoubkovu a XovAkovu.
Jako prve tak take pfftomne druhe vydani zivotopisu Komen-
skeho jest osnovAno zpusobem, ktery dnes vübec jest obliben : Podrobne
Mvt so vnejsi beh zivota Komenskeho v sedtni statfch (die hlavnfch
mist jeho pobytu: domov, Cechy, Lesno, Anglie, Lesno podruhr,
Uhry, Lesno potretf, Amsterodam ) , pfi fern/ soueasue vypisnj/, se
podnety, vznik, hlavnf obsah, liodnota jodnotlivvch spisilv anebo zdroj,
povaha a tendence jeho znmyslitv a einn, naeez ve stati osme nasle-
dup naskrze vecne a stflzlive ZAvereene üvahy a koneene ve stati
deväte Seznatn spitsii J. A. Komenskeho o 138 rislech (proti 110
ei'slum vydAnf z r. 1871); hlavnf stati tyto rozeleneny zase nejvfce
die vynikajfcfch spisüv Amosovvch, ktere vylo/.env mnohem zevrub-
ueji a üplneji nez ve vydAnf prvem a to i spisy didaktickö, i nAbo-
ienske, i filosoficke : prof. XovAk hlavne v tomto smeru, * patrnou
eine Gesehichtsquelle — und so wäre es den Comenius freunden am liebsten
gewesen, die zu erfahren wünschen, wie weit ein so berühmter Kenner
und begeisterter Verehrer wie Zoubek in der Kenntnis des Comenius vor-
gedrungen sei — oder es galt, die fragmentarische Handschrift Zoubeks so
zuzurichten, dafs etwas auch für einen weiteren Kreis Lesbares daraus würde.
Da» letztere Verfahren wurde eingesehlagen, und so ist es gekommen, dafs
wir keineswegs auschliefslich eine Arbeit Zoubeks, sondern — namentlich
von S. löl an — eine Arbeit Zoubeks und NovAks vor uns haben.
Wie bei der ersten Ausgabe der Lebensbeschreibung, so ist auch bei
dieser zweiten die äufsere AnTage die heut allgemein beliebte: Der üufsere
Lebenslauf des Comenius wird ausführlich in sieben Abschnitten erzählt
(nach seinen hauptsächlichen Schauplätzen: die Heimat, Böhmen, Lissa,
England, zum zweitenmal Lissa, Ungarn, zum drittenmal Lissa, Amster-
dam), wobei die gleichzeitigen Unternehmungen, Ursprung, Hauptinhalt
und Wert der einzelnen Schriften, oder Quelle, Hedeutung und Richtung
seiner Gedanken und Leistungen geschildert werden. Im lichten Abschnitt
folgt eine durchaus sachlich«" und nüchterne Schlufsbetrachtung und end-
lich im neunten Abschnitt ein Verzeichnis der Schriften des J. A. Comenius
mit 138 Nummern (gegen 110 Nummern der ersten Ausgabe von 1871).
Diese Hauptabschnitte gliedern sich wieder hauptsächlich nach den hervor-
ragenden Schriften des Comenius. die viel ausführlicher und vollständiger
als in der ersten Ausgabe besprochen werden, und zwar sowohl die didak-
tischen als auch die theologischen, als auch die philosophischen Schriften.
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246 Litteraturberieht. Heft 8 u. 9.
pdf a svCdomitostf ujal se doplnfoif textu Zoubkova. Sloh dfla jest
jasny , jazyk ryzl. Hojn6 poznAmky histoncke a literaraf prfpadne'
dojasnuji hlavni text a poukazujf k pramenum , spolu jsouce toho
dokladem, jak nesmfruS vzrostla literatura Komenskebo od r. 1871
a jak dokonale Zoubek ji ovl&dal i jak Novak — pokud se tyce
doby nejnovej*f — jf vyuiiti se snazil.
Velmi vknsna jest vyprava vnejsf, tisk velmi zrfteluy, ai nad-
bytnÖ v odstavce döleny a cuslovapy; litujeme jen, 2e k di'lu tak
obsahlemu a duiezitemu nebyl pridan ani jmenny ani vfecny rejstrfk
abecednf. Vhodnö spis doplüuji podobizny Komenskebo (die obrazu
Sllssnappova) a Zoubkova (die fotogratie), smmek zaklaW z Opera
didactica omnia a Milbauerova mapa: Cesty Komenskebo.
Jos. Klika.
Prof. Novak hat namentlich in dieser Richtung mit grofscm Fleifs und
Gewissenhaftigkeit den Text Zoubeks wesentlich vervollständigt. Der Stil
des Werkes ist klar, die Sprache flickend. Zahlreiche geschichtliche und
litterarische Anmerkungen erläutern den Text und weisen auf die Quellen
hin; sie zeigen zugleich, wie bedeutend die Comeniuslitteratur seit 1871
angewachsen ist, wie vollkommen Zoubek sie beherrschte und wie voll-
ständig sie Noväk — was die neuesten Zeiten anbelangt — zu verwerten
bestrebt war.
Die äufsere Ausstattung ist recht geschmackvoll, der Druck deutlich,
der Absätze und Paragraphen sind fast zu viele; wir bedauern nur, dafs
diesem so inhaltreichen und wertvollen Werk kein Namen- und Sachregister
beigegeben worden ist. Das Buch ist in passender Weise geschmückt mit
den Bildern des Comenius (nach Süfsnapp) und Zoubeks (nach einer Photo-
graphie), mit einer Nachbildung des Titelkupfers aus den Opera didactica
omnia und mit Milbauers Karte: Die Keiseu des Comenius.
Neueste Comenius-Litteratur.
Seit unserem letzten Bericht vom M«rz 1893 (s. M.-H der
C. G. 1893, Heft 3, S. 84 ff.) sind eine Reihe weiterer Arbeiten
Uber Comenius erschienen, die wir hier einstweilen nur dem Titel
nach zur Kenntnis unserer Leser bringen können. Wir behalten
uns näheres Eingehen auf die wichtigeren Arbeiten vor. Sollten in
dieser Übersicht einige inzwischen erschienene Aufsätze fehlen, so
bitten wir unsere Leser und Mitarbeiter um Zusendung derselben ;
es wird dann die Nachtragung erfolgen.
A. Deutsche Lltteratur.
Andreae, Dr. Karl. Zwei pädagogische Festreden (Beigabe zum
Jahresberichte der König!. Lehrerbildungsanstalt Kaiserslautern
1892—93), darin: I. Gesprochen zur Feier des 300jährigen Ge-
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1893.
Litteraturbcricht.
247
burtstags des J. A. Comenius, veranstaltet von sämtlichen Uuter-
richtsanstalten am 28. Mttrz 1892.
Dittes, Fr. Über den Geburtsort des Comenius. Im Pttdagogium.
September 1892.
Fechtuer, E. Johann Arnos Comenius. In der Österreichisch-
ungarischen Revue XIII. 335—348.
Feuerbach, A. Arnos (Comenius und die Volksschule. Gedächtnis-
rede auf Comenius, gehalten in der Hauptversammlung des hes-
sischen Landes- Lehrervereins. Abgedruckt im Schulboteu für
Hessen. 1892, No. 21 und 22 (1. und 15. November).
Gindely, Anton. Über des Johann Arnos Comeuius Leben und
Wirksamkeit. 2. neu bearbeitete Auflage der im Jahre 1855 ver-
öffentlichten Abhandlung. Mit 4 Abbildungen. Znaitn, Foumier &
Haberler (Karl Bornemanu). Preis 2 Mk. (s. oben 8. 239 ff.).
Grillenberger, G. Comeuius, seine Quellen, seine eigene Arbeit
und sein Einflute. Konferenzvortrag. Fürth, G. Rosenberg. 1898.
48 S. 8°.
Herold, H. Welche Bedeutung hat Comeuius ftlr die Entwicklung
der Unterrichtsmethode. In der katholischen Lehrerzeitung, heraus-
gegeben von W. Dürken. 1892. Xo. 8 und 9.
Hunziker, 0. Comeuius und Pestalozzi. Festrede, gehalten zu
Zürich am 13. Marz 1893. Zürich. Druck von Orell Füssli.
Kvacsala, Johann. Des Comenius Aufenthalt in Lissa. In der
Zeitschrift der historischen Gesellschaft für die Provinz Posen.
Bd. Vni (1893), 8. 1—46.
Tamms, August. Johann Arnos Comeuius, sein Leben und seine
Bedeutung für die Volksschule. In der mecklenburgischen Schul-
zeitung, XXHI. Jahrgang, No. 47 — 51.
Joh. Böhm, Geschichte der Pädagogik mit Charakterbildern her-
vorragender PMdagogen und Zeiten. Als Kommentar zu seiner
kurzgefaßten Geschichte der Pädagogik bearbeitet von Joh. Böhm.
Mit 103 Abbildungen. Zweite, verbesserte und vermehrte Auf-
lage. 2 Hefte. Die Geschichte der Pädagogik von Montaigne
bis zur Gegenwart. Nürnberg, Verlag von Friedr. Korn. 1893.
Diese neue Auflage ist in Bezug auf Comenius unter Berück-
sichtigung aller neueren Forschungen bearbeitet.
B. Norwegische Litteratur.
Zusammengestellt von C. Anderasen.
Hovedpur'ikterne i Skolens Udvikling efter Reformationen of Mafia*
Skard, Vorstander for Vonheims Folkchoiskole, Christiania 1884.
Paedagogikens Historie of N. Hertzborg 1890.
Johann Arnos Comenius et trehundredeaars Jubilaeum af N. Hertz-
berg. Norsk Skoletidende 1892.
Comenius som Brodremenighedens Biskop. Foredrag ved Comenius-
festen i Christiania 15. Nov. 1892 (Norsk Skoletidende 1892).
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248
Litteraturbericht.
Heft 8 U. 9.
Anderssen, Otto (Skolbestyrer). Johan Arnos Comenius, Den
modern« opdragelses videnskaps Grundlaegger. Foredrag ved minde-
feest«m i Kristiania 15. Nov. 1892. Christiania, Alb. Cammer-
meyere Forlag, 1893.
C. Englische Litterat ur.
Foster Watson, M. A. On the development of Jobn Arnos Co-
menins. Tbe Educational Review. London , Office of the Ed.
Review 2 Creed Lane, Ludgate Hill, E. C. 1892 Mai.
F oster Watson. Translations from Comenius. The Educational
Review. 1892 July and August.
D. Italienische Lltteratur.
11 testamento di Comenio. L' Italia Evangelica. Firenze 1893 Anuo
Xin N° 12 (25. März 1893).
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Zur Bücherkunde.
Litteratur über Johann Valentin Andreae aus den
letzten hundert Jahren.
Zusammengestellt von
Dr. J. Brügel, Scminarrektor in Nagold.
1782 Petersen, Leben Andreaes im Württembergischen Reper-
torium der Litteratur. Stück. II, S. 274 — 365.
1 786 (Carl Sonntag, (JeneralKuperintendent zu Riga. Der Name
des Vf. ist im Buch selbst nicht genannt.)
J. V. Andreaes Dichtungen zur Beherzigung unseres Zeit-
alters. Mit einer Vorrede von J. G. Herder. Leipzig,
G. «I. Göschen. LXIV, 181. Enthalt in der Einleitung einen
l^'bensabrifs A.'s, ist im übrigen keine Übersetzung, sondern
eine freie Bearbeitung ausgewählter Stücke aus der Mytho-
logia christiana. S. auch Werke Herders von Suphan, Band
XVI, S. 591—600.
1703 Herder, J. G., Zerstreute Blatter. Gotha bei Carl Wilhelm
Ettinger. Sttmtl. Werke hrsg. von Suphan. Berlin, Weidmann.
1888. Band XVI, 131 — 191. Übersetzungsproben aus der
Mythologie und Menippus. S. 232—241 über J. V. Andreae
als Dichter mit Proben aus der Geistlichen Kurtzweil.
1799 Seybold, ordentlicher Professor der klassischen Litteratur
in Tübingen, Selbstbiographien berühmter Mftnnor. Ein Pen-
dant zu .). G. Müllers Selbstbekenntnissen. Gesammelt von
Prof. S. 2. Band. J. V. Andreae nebst Beilagen. Winterthur
in der Steinerischen Buchhaudlung. XVII, 392 S.
1808 (Staudlin, .1. Fr ) Dissertatio de Johannis Valentini Andreae
Theologi olim Virtembergensis consilio et doctrina morali.
Ostorprograinm. Güttingen. 4°. 17 S.
1817 Immanuel Friedrich Gamm, Dr. der Theologie und Philo-
sophie, Asch e ii f u u k e n aus der Bannbulleverbrennung
Luthers, zur Xachfeyer des dritten Sekularfestes , glimmend
erhalten durch das Andenken an den zweiten (Württembergischen)
Luther, Dr. Valentin Andreä, vormaligem zweiten Hofgcist-
MoD»Uh*fto dor Coro«niue-Oe8elUeh»fl. 18W. \H
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250
Brägel,
Holt 8 11. 9.
liehen, von seinem Amtsnachfolger nach einem Ahlauf von
179 .Jahren. Ad Boreum poli 50 gr. elcvati. Den 31. De-
zember 1817. 8°. 225 S. (Enthalt u. a. Übcrsctznngsproben
aus Menippus u. Mythologia christiana.)
1819 Wilhelm Hofsbach, Prediger an der K. Kadettenanstalt zu
Iterlin, Job. Val. Andreae und sein Zeitalter. Berlin, gedruckt
und verlegt hei G. Keimer. 8°. 295 S. — Im Text einge-
schaltet und im Anhang beigefügt sind Proben besonders aus
dem Menippus, einige auch aus der Mythologia christiana.
1821 H. Chr. Fr. Krause, Die drei ältesten Urkunden der Frei-
maurerbrüderschaft. Dresden. Band II, Abt. 2. S. 88 ff.
1827 Pah 8 t, Carl Theodor, ord. Mitglied der hist.-theol. Gesell-
schaft zu Leipzig, .loh. Val. Andreaes Entlarvter Apap (Papa)
und llahnenruf. Eine Stimme der Warnung an das deutsche
Volk nebst Beitrugen zur Kircheugeschichte des 16. und 17.
.Jahrhunderts aus den Schriften des J. V. Andreae. Leipzig
bei G. Kayser. Vorr. XII. Leben .1. V. A.'s 52 S. Über-
setzung des Apap proditus 53 — 78. Des Gallicinum (llahnen-
ruf) S. 80 — 92. Übersetzung von Bruchstücken aus Fama
Audreaua reflorescens S. 100 — 145.
1836 Carl Grün eisen, Job. Val. Andreae, die Ch r i s t e n b u rg.
Allegorisch-epische Dichtung. Nach einer gleichzeitigen Hand-
schrift herausgegeben. Zeitschrift für historische Theologie
von lllgen. VI. Bd. 1836. S. 231—312. — Auch als Sonder-
abdruck erschienen. Leipzig 1836.
1845 Mohl, Robert, Die Staatsromane. Ein Beitrag zur Lite-
raturgeschichte der Staatswissenschaften. Zeitschrift für die ge-
samte Staatswissenschaft. Tübingen. Band 2. S. 24 — 74.
— Die Kampfe des christlichen Herkules von Joh. Val. Andreae.
— Ein altes Buch für die neue Zeit aus dem Lateinischen
übersetzt und herausgegeben von einem seiner Nachkommen.
Frankfurt n. M. Verlag von Heinrich Zimmer. Einl. XXXII.
Vorrede des Herausgebers Dr jur. Victor Andreae, S. V— XIV.
Vorerinnerung desselben XV — XXXII. 144 S. Mit Bildnis
und Facsimile.
1848 ('.Römer, Diaconas zu Sindelfingen (Württemberg). Kirch-
lich»' Geschichte Württembergs. Ein Versuch. Stuttgart.
Verlag der evang. Bücherstiftung. Andr. 294 tf.
18-19 F. H. Rheinwald, Dr., Joannis Valentini Andreae Theologi
t^. Württembergensis Vita ab ipso conscripta. Ex autographo
in Bibl. Guelferbytano Recondito, adsumtis codd. Stuttgartianis,
Schorndorfiensi, Tubingensi Nunc primum edidit cum icone et
Chirographe Andreann. F. H. Rheinwald. Berolini ajmd
Henn. Schultzium. IV, 284 S. 2 Seiten Facsimile. Die in
dem Buch bezeichneten Anmerkungen sind merkwürdigerweise
nie im Druck erschienen.
1851 Carl Grüneisen, Job. Val. Andreae. Evangel. Kalender.
Jahrbuch für 1851. S. 32:J ff.
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1803. Litteratur über J. V. Andreac. 251
1 8 1 .r» F. L. Steinmeyer, Andreaes Lebensabrifs in Pipers evan-
gelischem Jahrbuch 8. 220 — 230 (Gesamtausgabe der „Zeugen
evangelischer Wahrheit". Leipzig. 4. Hand. 1875. S. 258— 207).
— (iustav Schwab, Lebensbild von Andreaes Mutter Maria in
Pipern ovang. .Jahrbuch (Gesamtausgabe der „Zeugen evan-
gelischer Wahrheit. 4. Band. Leipzig 1875. S. 267-270).
1852 G. E. Guhrauer, Der erste deutsche Staat»roman. Deutsches
Museum. Zeitschrift ttlr Litteratur u. s. f. von Robert Prutz.
Leipzig. Hand 2. S. 734—754.
— Derselbe, Kritische Hemerkungen Uber den Verfasser und
den ursprünglichen Sinn und Zweck der Fama Fraternititis
des Ordens der Rosenkreuzer in Niedners Zeitschrift f. histo-
rische Theologie. Haniburg u. Gotha. Bd. 22. S. 298 — 315.
— Henke, Mitteilungen aus dem Verkehr Andreaes mit Herzog
August, in der deutschen Zeitschrift für christliche Wissen-
schaft. 1852. S. 260—354.
1855 Mohl, Robert, Die Geschichte und Litteratur der Staats-
wissensc haften. Erlangen. Bd. I. S. 127 ff.
— Palmer, Pädagogische Betrachtungen und Phantasieen eines
wilrttembv'rgischen Theologen aus dem siebzehnten .Jahrhundert,
im Süddeutschen Schulboten, herausgegeben von Völter.
Nr. 15—17.
1857 Gafs, ord. Prof. der Theol. in Greifswald, Geschichte der
protestantischen Dogma tik iu ihrem Zusammenhang mit der
Theologie Uberhaupt. Darstellung der Theologie Andreaes in
Bd. 2, S. 54-67. Berlin, G. Reimer.
1K;>9 Tholuk, Lebenszeugen der lutherischen Kirche. Berlin.
S. 314-330.
1863 Hartmann, Julius, Dekan in Tuttlingen, Job. Val. Andreaes
Leben und Auswahl seiner Schriften. In der Evangelischen
Volksbibliothek, herausgegeben von D. Klaiber, Garnisons-
prediger in Ludwigsburg. 2. Band. Stuttgart, Ad. Bechers
Verlag (Gustav Hoffmann). S. 571 — 641.
— K.W. Hochhuth, ref. Pfarrer zu Frankenberg in Kurhessen,
Mitteilungen aus der protestantischen Sektengeschichte iu der
hessischen Kirche. 1. Teil. Im Zeitalter der Reformation.
IV. Abt. Die Weigelianer und Rosenkreuzer. Illgens Zeit-
schrift für historische Theologie, 33. Bd., giebt S. 253—262
und im folgenden Jahrgang
1X6-1 ebendort S. 301 — 315 ein Verzeichnis der bedeutendsten rosen-
kreuzerischen Schriften (190 an der Zahl).
1X72 Dr. Carl Grüueisen, Job. Val. Andreae, Vortrag am
24. Jan. 1872 in der Stuttgarter Liederhalle gehalten. Deutsch-
land, eine periodische Zeitschrift zur Beleuchtung des deutschen
Leben«* u. s. w. Herausgeg. von W. IlotVtnauu. Dr. d. Theol.
und Oberhofprediger in Berlin. Wiesbaden. Julius Niedner,
Verlagsbuchhandlung. S. 168 — 100.
I*'
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252
Brügel,
Heft 8 u. 9.
1875 Henke, Artikel J. V. Andreae in der Allgf ineinen deutschen
Biographie. Leipzig. I, 441 — 447.
1876 C'h. Palm er, Artikel „Andreae" in Schmid's Pädagogiseher
Realencyklopädie. Zweite verbesserte Aufl. I, 110 — 113.
Gotha, Verlag von Rudolf Besser.
1877 Tholuk(Wagenmann), Artikel „Audreac" in Herzogs theo-
logischer Realencyklopädie. 2. A. 1, 388—395.
1878 J. V. Andreae, der christliche Bürger. Herausgegeben von
V. F. Ohler, Heilbronn.
— J. V. Andreae, T Ii e o p h i 1 u s. Herausgeg. von V. F. Ö h 1 e r.
Heilbronn 1878.
1881 H. F. von Criegern, Johann Arnos Gomenius als Theolog.
Ijeipzig u. Heidelberg. Winter, über Andreae S. 334 ff.
1883 Krich Schmidt, Zur Vorgeschichte des G o et h e sehen
Faust. Goethejahrbuch, herausgegeben von Ludwig Geiger.
4. Band. Frankfurt a. M., Literarische Anstalt Rtltten u. Inning.
5. 127—140. (Betrachtet Andreaes Turbo als Vorlaufer des
Faust.)
1884 YV. Baur, Dr. th., Generalsuperintendent der Rheinprovinz,
Das d e u t s c h • e v a n g e I i s c h e P f a r r h a u s. Seine G ritn -
dung, seine Entfaltung und sein Bestand. 3. vermehrte Aufl.
Bremen, Verlag von (\ Ed. Muller. S. 172 — 186.
('. Hilllemanii, Val. Andreae als Pädagog. 1. Theil.
[naugiirnldiHsertatiou. Leipzig. 22 S.
1885 Robert Kübel, Drei Vliter der evang. Kirche Württembergs
Brenz, Andreae und Bengel in V. Fr. Ohlers Zeitschrift für
Pastoraltheologie „Halte, was du hast". 8. .lahrgang. Andreae
S. 252—268.
1886 Gafs, Geschichte der christlichen Ethik. II, 1. Sech-
zehntes und siebzehntes Jahrhundert. Die vorherrschend
kirchliche Ethik. Berlin, Druck u. Verlag v. G. Reimer.
Andreae S. 161 — 167.
— Job. Phil. G lock ler, Job. Val. Andreae, ein Lebensbild zur
Erinnerung an seinen dreihundertsten Geburtstag entworfen.
182 S. Mit einem Bildnis Andreaes. Stuttgart, Emil Hänsel-
manns Verlag.
Willi. Gu Ts mann, Pfarrer in Pfäffingen (Württemberg), Rei-
publicae christianopolitanae descripto. Fünf Artikel in der
Luthardtschen Zeitschrift ftlr kirchliche Wissenschaft u. kirchl.
Leben, S. 320 ff.
— Alb. Laudenberg er, J. V. A., ein schwäbischer Gottes-
gelehrter des siebzehnten Jahrhunderts. Eine Geschichts-
erzähluiig. Zur Erinnerung an die 300jährige Geburtstagsfeier.
Barmen, Hugo Klein. Mit Bildnis.
Richard Weitbrecht, Job. Val. Andreae. Ein Gedenkblatt
zu seinem dreihundertsten Geburtstag. 17. Aug. 1586. In
Bey schlags „Deutsch-evangelische Blätter", Zeitschrift ftlr den
gesamten Bereich des deutschen Protestantismus. 11. Jahr-
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1893.
Litteratur über J. V. Andrea«.
253
gang. Halle a. S. In Kommission bei Eugen Strien in Halle.
.S. 577 -602.
1887 Paul Wurm, Joh. Val. Andreae. Ein Glaubenszeuge aus
der Zeit des dreißigjährigen Krieges mit Auszügen aus seinen
Schriften u. Bildnis. Calw u. Stuttgart. Verlag der Vereins-
buehhandlung. (Calwer Familienbibliothok, 6. Bd.) 239 S.
1887 Dr. Hermann Bender, Kektor des K. Gymnasiums zu Ulm.
Gymnasialrcden nebst Beiträgen zur Geschichte des Humanismus
und der Pädagogik. Tübingen 1887. Verl. der II. Lauppschen
Buchhandlung. Essay Uber J. V. Andreae S. 256 — 275.
1889 Christoph Sigwart, Kleine Schriften. Zweite Ausgabe.
Freiburg im Breisgau. Erste Reihe. S. 173 ff.
Chamloth, Joh. Val. Andreae redivivus. Eine Pastoraltheologie
in Versen. S. 150. Braunschweig, Wollermann.
1891 Theologisches Handwörterbuch (Calwer Kirchenlexi-
kon I), redigirt unter Mitwirkung einer Reihe von Theologen
von Lic. Th. Paul Zeller und herausgegeben vom Calwer
Verlagsverein. 1. Band. Calw und Stuttgart, Verlag der
Vereinsbuchhundlung. Andreae S. 74 f.
1 892 Geschichte der Erziehung vom Anfang bis auf unsere
Zeit, bearbeitet in Gemeinschaft mit einer Anzahl von Gelehrten
und Schulmännern von Dr. K. A. Schmid, weil. Prälat u.
Gymnnsialrektor, fortgeführt von Georg Schmid, Dr. phil.
3. Band. 2. Abtheilung. Stuttgart, Verlag der J. G. Cottaschen
Buchhandlung Nachfolger. Joh. Val. Andreae als Pädagng,
bearbeitet von Dr. Julius Brügel, Seminarrektor in Nagold
(Württemberg).
Lic. Hummel in Schwaigern (Württemberg): Von wem
Comenius die „Fackel" erhielt und wem Comenius sie reichte.
Ein Beitrag zum Commcniusjubiläum au« Württemberg. Neue
Blatter ans Süddeutschland für Erziehung und Unterricht,
herausg. von Dr. Burk u. Dr. E. Gundert 1892. S. 112—135.
1898 Württembergische Ki rchengeschichte, herausgegeben
vom Calwer Verlagsverein. J. V. Andreae S. 437 ff. (Prof.
Jul. Hartmanu).
— Dr. C. Hüllemann, Valentin Andreae als Piidagog. II. Teil.
Abhandlung zu dem Jahresbericht des Tlioinasgymnasiums.
Leipzig, (s. 1884.)
Aimi. Diese Zusammenstellung maebt kernen Ansprucb auf Voll-
ständigkeit.
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-
Nachrichten.
Em sind im Laufe der letzten Monate »'ine Reihe von Berichten und
Besprechungen über die C.-G. und ihre Schriften erschienen, auf die wir
hier im einzelnen nicht eingehen können. Nur auf einige derselben wollen
wir die Aufmerksamkeit unserer Leser lenken. In der Revue crititjue
vom 17. April 1893, S. 305 f. hat Ch. Seignobos eine sehr freundliche An-
zeige veröffentlicht; in No. 41 des Literarischen Centralblattes
vom J. 1892 handelt D. Brandes über die ersten beiden Heft«' unserer
wiss. Zeitschrift in empfehlendem Sinn. In der Zeitschrift für prakt.
Theologie (hrsg. von Baumgarten-Jena, Kirmss-Berlin und Teiehmann-
Frankfurt a. M.) hat Prof. Bitssermann eine Besprechung veröffentlicht
(Jahrg. XV, Heft 1, S. 89 f.). Sehr freundlich spricht sich G. Müller im
Theolog. Li tteratu rblat t aus und ebenso Dr. Landwehr in No. 2o3
der Neuen Preuss. Zeitung in einem längeren Artikel. Ganz neuer-
dings hat sich der Theol ogi sc he J ahres bericht, hrsg. von JI.Holtz-
mann, Bd. XII, S. .'{47, sehr freundlich geäussert; Lic. Kohlschmidt hat
unserer Gesellschaft einen Platz in dem Abschnitt über die Brüdergemeinde
gegeben und sagt unter anderem: „Die Besprechung der reichhaltigen und
wissenschaftlich wertvollen Monatshefte der Comenius-Jiesellschaft an der
Spitze dieser Rubrik bedarf keiner Rechtfertigung." Wir möchten, um
Mifsverständnissen vorzubeugen, doch hervorheben, dafs unsere (»«'Seil-
schaft nicht das Organ irgend einer bestehenden Kirche ist und
grundsätzlich nicht sein kann. Das vornehmste Absehen der C.-G. ist da-
hin gerichtet, einen Boden zu schaffen, auf welchem sich die verschiedenen
Bekenntnisse zu gemeinsamem Wirken berühren können. Vielleicht ist
für Herrn Lic. Knhlschmidt der Umstand ins Gewicht gefallen, dafs Herr
Diakonus Jos. Müller in Herrnhut Mitredakteur der M.-H. ist: Herr
Müller selbst aber hat die M.-H. nie als Organ seiner Gemeinschaft be-
trachtet - Wie sich die verschiedenen theologischen Richtungen in
einer überwiegend freundlichen Beurteilung begegnen, so ist es erfreu-
licherweise im grofsen und ganzen auch bei den verschiedenen pädago-
gischen Strömungen und ihren Organen der Fall: wir nennen hier nur die
Anzeigen und Besprechungen in No. 2 des ..Gymnasiums" von 1893,
die „Deutsche Schulpraxis" vom 12. März d. J., die .Pädagogische
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1893.
Nachrichten.
255
Revue- vom 20. Dez. 1892, die „Zei tschrift für die österreichi-
schen G y in nas i c n", Jahrg. 1*9:», S. 304 u. s. w. Von den zahlreichen
Anzeigen in den Lehrer-Zeitungen und Tagesblättern können wir hier
füglieh absehen: nur sei noch auf die Hesnrechung in lieft 101, Bd. LXIV
von Nord und Süd und auf den in rumänischer Sprache erschienenen
Aufsatz Meissners in dem Archiva, Organul etc., Jassy 1892, S. 51. ri hin-
gewiesen. — Schliefslieh machen wir noch aufmerksam auf das freundliche
l'rthcil E. Hannacks in seinem Vortrag über ComcniuM (abgedruckt im
Püdag. Jahrbuch, 1892, Wien, Man/.) und auf den Artikel des Mey er-
sehen Konversations-Lexikons unter dem Stichwort „Comenius-Gescll-
schaft."
Schweden begeht im J. 1893 eine Gedenkfeier, die wir um so
weniger unerwähnt lassen dürfen, als nur durch die Wendung, die durch
das gefeierte Kreignis - es ist dsis Jubiläum von Ujisala möte, d. h. jener
Versammlung zu Upsala im Jahre 1593, durch die die Annahme der
Reformation dauernd gesichert wurde — die Wirksamkeit des Comcnius
in Schweden möglich geworden ist. In Upsala selbst wird die Jubelfeier
erst im September stattfinden. Zu Stockholm und im übrigen Lande hat
sie sich bereits am 4. April vollzogen, und zwar sind neben den Haupt-
gottesdiensten mehr oder weniger reich ausgestattete Vespergottesdienste
gehalten worden, wofür Schulinspektor R. Noren das Formular einer „Re-
fonnationsvesper" entworfen hat. In Stockholm ward die Festpredigt in
der Grofskirchc von Pastor primaria* Fchr, Präses des Stadt-Consistorinms
— Herr Fehr ist Diplom-Mitglied der Comenius-Gesellschaft und gilt »ls
einer der ersten Redner des Königreichs — gehalten, und es wird unsere
Leser interessieren, den Schiufa derselben kennen zu lernen.
„Wenn wir uns," sagte der Redner, „als die geistlichen Erben der
Reformation dankbar erweisen, haben wir doch weder Anlafs noch Recht,
auf den schon gewonnenen Lorbeeren auszuruhen. Eine grofse und um-
fassende Arbeit liegt vor uns. Wir haben auf dem gelegten Grunde
weiter zu bauen. Wir müssen Massen von Steinen und allerlei Zierrat
wegräumen, die den Eintritt ins Heiligtum nicht nur unnötigerweise er-
schweren, sondern manchen geradezu hindern. Denn — was nimmer ver-
gessen werden darf - die Reformation trat nicht mit einmal fertig und
erwachsen aus dem Sehofa der mittelalterlichen Kirche hervor. Die bahn-
brechenden Gedanken wurden wohl von Luther besonders während der
ersten Zeit seines reformatorischen Wirkens ausgesprochen. Ein kräftiger
Wiederhall dieser hellen, vielversprechenden Frühlingstime ward in un-
ser« Gegenden vernommen, so weit als Olavus Petrin Stimme drang. —
Aber bald trat eine Zurückbewegung in maucher Hinsieht ein. Die Durch-
führung der Reformation zeigt viele Ärmlichkeiten, hinter denen etliche
von ihren ursprünglichen Zügen verdunkelt, ja ausgetilgt wurden. Viel
vom katholischen Sauerteige ward in die neuen Kirchen hineingciiommen
und ist noch da zu finden. Wie manche unter uns wissen es wohl noch
kaum besser, als dafs christlicher Glaube sei gleichbedeutend mit Recht -
gläubigkeit und christliches Leben mit der Ausübung der Werkheiligkeit V
Doch vieles, wenn nicht alles davon hat seinen Ursprung wohl in den
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25G
Nachrichten.
Heft 8 u. 9.
Schwierigkeiten, womit alle« Grofse behaftet ist, da« in dor Menschheit
seinen Weg machen soll. Wir dürfen nieht verzweifeln. WaB bedeuten
300 Jahre in einer grofsen religiösen Bewegung! . . . Zwischen Augustinus
und dem Vatikanum liegen etwa anderthalb Jahrtausende ....
Reform mufs immer noch die Losung sein in der Kirche der Refor-
mation, Reform auf der Grundlage des von der Reformation ans Licht
gezogenen Evangeliums Christi. Der Papst in Rom mag sich für unfehl-
bar ausgeben; unsere evangelische Kirche will von keiner Unfehlbarkeit
wissen. Thut sie das, so befindet sie sich auf einem Wege, der nach
Rom führt. Dann giebt sie auch die Treue gegen das reformatorische
Evangelium auf. Wir aber, die wir heute Reformationsfest feiern, wir
wollen uns unser« evangelischen Glaubens und der christlichen Freiheit,
zu der Christus uns frei gemacht hat, nicht berauben lassen. Wenn wir
aber die Reformation feiern, lafst uns nicht vergessen, dafs jede wirkliche
Reform, die etwa« wert ist, von neuem beginnt .... So wollen wir hier
zuletzt uns der ersten der 95 Thesen erinnern, die Luther in der Morgen-
dämmerung der Reformation wie einen Weckruf in die Welt hinausgehen
liefs: Da unser Herr und Meister Jesus Christus sprach: Thut Bufse u. s. w.,
wollte er, dafs das ganze Leben der Gläubigen eine beständige Bufse sei."
In Prag erscheint seit einiger Zeit lieferungsweise im Verlag der
literarischen und pädagogischen Abteilung des Centralverbandcs der
böhmischen Lehrervereine ein „Kurzgefafsles pädagogische« Wörter-
buch* (strut1!»^ slovnik paedagogick^), das in Heft 19—22 einen sehr
eingehenden Artikel über Comenius bringt. Wie das Vorwort zum 2. Band
hervorhebt, ist diesem Artikel das Comcniusjubiläum mit den dadurch her-
vorgerufenen zahlreichen Veröffentlichungen und Ausstellungen wesent-
lich zu gute gekommen. Es wird uns hier eine gute und gründliche Zu-
sammenfassung dessen geboten, was wir gegenwärtig über Comenius und
seine verschiedenen Thätigkeitsgebicte wissen. Der Artikel zerfällt in
folgende Abschnitte: 1. Das Leben des Comenius (von J. NovAkj. — 2. Co-
menius als Theolog. — 3. Comenius als Philosoph. — 4. Comenius als
Pädagog. Diesem naturgcmäfs ausführlichsten Abschnitt (S. 627 - G56j von
J. Klika ist auch ein Verzeichnis der nach Comenius sich nennenden Ver-
eine und Gesellschaften beigefügt. — .r>. Comenius als Schriftsteller. -
6. Die Schriften des Comenius (nicht nur ein Verzeichnis sämtlicher 143
Originalausgaben von ,1. Kvacsala, sondern auch ein solches der neueren
böhmischen Ausgaben. — 7. Die Bilder des Comenius (31 Nummern). --
8. Urteile von hervorragenden Böhmen und Ausländern über Comenius. —
9. Schlufsurteil.
Bei jedem einzelnen der von verschiedenen Verfassern herrührenden
Abschnitte ist ilie Literatur mit grofser Vollständigkeit angegeben. Der
erste Abschnitt ist mit den bekannten verschiedenen Abbildungen des
Comenius geschmückt, sowie mit einer von Milbauer gearbeiteten Karte
der verschiedenen Reisen des Comenius.
Der Sekretär der „historischen Konilli»Hionu bei der kgl. bayrischen
Akademie der Wissenschaften, Herr Professor Dr. C. A. Cornelius, ver-
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1803.
Nachrichten.
257
sendet den Bericht Aber die vierunddreifsigste Pleuarversammlung, die am
25. und 26. Mai in München stattgefunden hat. Hervorgehoben sei aus
diesem, dafa seit der letzten Pleuarversammlung im Juni 1892 folgende
Publikationen durch die Kommission erfolgt sind:
1. Allgemeine deutsche Biographie, Bd. XXXIV u. XXXV.
2. Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, Bd. XXII: Dr. August
Hirsch, Geschichte der medizinischen Wissenschaften in Deutschland.
Auf die Fülle der in erfreulichem Fortgang begriffenen Arbeiten, von
denen berichtet wird , und die zum Teil in nächster Zeit der Öffentlich-
keit übergeben werden, können wir hier nicht nfiher eingehen und müssen
auf den Bericht selbst verweisen.
Der Jahresbericht der „Gesellschaft für de nt sehe Erzieh nngs- und
Sehnlgefichichte" für 1892 stellt fest (s. Mitteilungen der Gesellschaft, Jahr-
gang III, Heft 2, S. 1), dufs im Hinblick auf die Leistungen, die sich die
Gesellschaft für ihre Mitglieder auferlegt hatte, selbstverständlich „sich am
Jahrcsschlufs ein Minus (dessen Höhe nicht mitgeteilt ist) ergeben nmfste."
Indessen ist Hoffnung vorhanden, dafs angesichts der inzwischen gestiege-
nen Mitgliederzahl (sie betrug am 4. April 1893 J»16) die Bedenken, welche,
wie der Bericht sagt, „ein rechter Zweifler au der Lebensfähigkeit der
Gesellschaft früher haben mochte," sich nicht bewahrheiten werden. Die
erfreuliche Wendung, die durch die Steigerung der Mitgliederzahl
herbeigeführt ist die Jahresbeiträge werden für lfS98 auf 2580 Mk. ver-
anschlagt — ist besonders der inzwischen erfolgten Organisation der
Gruppen zu verdanken. Die höchste Mitgliederzahl hat die Gruppe
Westfalen erreicht (58), deren Leitung in der Hand des Herrn Privat-
dozenten Dr. Kappes in Münster liegt und dessen Bemühungen es gelungen
ist. viele katholische Lehranstalten und Geistliche der Gesellschaft zuzu-
führen; dann folgen die Gruppen Württemberg (36 Mitglieder), Schweiz
(36), Anhalt (29), Hessen (26) u. s. w. An der Spitze der Gesellschaft
steheu auch für 1803 die Herren Geh. Oberregierungsrat Dr. Höpfner
(der inzwischen infolge von Krankheit aus dem Staatsdienst ausgeschieden
ist) als erster und Herr J. Jahne), Propst und fürstbischöflicher Delegat
in Berlin als zweiter Vorsitzender.
Am 25. Mai d. J. hat in Weimar die diesjährige Generalversammlung
der Guethe-liesellsebaft stattgefunden. Der Versammlung, in welcher der
Geh. Hofrat Dr. Ruland den Vorsitz führte, wohnten Ihre König). Hoheiten
der Grofaherzog und die Grofsherzogin, sowie zahlreiche Mitglieder der
Goethe-Gesellschaft bei Prof Lorenz -Jena hielt den Festvortrag über
Goethes Lehrjahre und charakterisierte in geistvoller Weise Goethes
Verhältnis zu dem Grofsherzog Karl August in politischen Dingen. Der
Direktor des Goethe- und Schiller- Archivs Prof. Dr. Suphan machte
über die Xenien viele interessante Aufschlüsse und teilte die Auffindung
neuer Xenien mit. In der nächsten Schrift der Gesellschaft soll das ganze
Material veröffentlicht werden. Nach Erledigung des geschäftliehen Teils
wurde die Versammlung geschlossen.
18 **
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258
Nachrichten.
Heft 8 u. 9.
Die ungarische Akademie der Wissenschaften in Budapest hat Herrn
Professor I>r. Kvacsala in Prcfsburg den Auftrag erteilt, das Leben des
Comenius im Anschlufs an sein bekanntes Werk in ungarischer Sprache
zu bearbeiten und heraufzugehen. Die Akademie wünscht, dafs der Ver-
fasser dabei der Thätigkeit des Comenius in Ungarn besondere Aufmerk-
samkeit schenke. Es ist erfreulich und vom Standpunkt unserer Gesell-
schaft nur warm zu begrüfsen, dafs die ungarische Akademie durch diese
Unterstützung dem Beispiel folgt, das die Königl. Akademie der Wissen-
schaften in Prag bereits seit längerer Zeit gegeben hat (vgl. M.-H. der C.-G.
1H93, S. 198).
In No. 2 bis 5 der Evangelisch-refonnierten Klätter von 1893 (heraus-
gegeben von J. G. A. Szalatnay in Kuttelberg, Österr.- Schlesien) bringt
Lic. theol. Pfr. Sebesta eine Artikelreihe über „die Beziehungen der
alten Brüderuni t ät zu der reformierten Kirche'*. Längst vor
der Zeit, wo Comenius die ref. Hochschulen zu Herboru und Heidelberg
besuchte, pflegten die jüngeren Theologen der Brüder ihre Bildung dort
zu vervollständigen, zumal seit der Zeit, wo die schroffe lutherische Recbt-
gläubigkeit den Melanchthonianismus in Wittenberg verdrängt hatte. Sebesta
weist vielfache Beziehungen und Berührungspunkte der beiden Gemein-
Bchaften nach und schliefst mit «lern Hinweis auf die Thatsache, dafs an
den späteren Hauptsitzcu der Brüder in Polen die letzteren und die Re-
formierten alle Leiden gemeinsam trugen. Gleichwohl wäre es erwünscht,
wenn wir noch genauere Nachrichten und besonders genauere Quellen-
nachweise erhielten, uls sie Sebesta giebt; der Gegenstand wäre für eine
monographische Arbeit ein dankenswerter Vorwurf.
Geschäftliches.
Der nächste Kongrefs der C.-G. wird am 22. und 2H. Oktober d. .1.
zu Unna (Posen) abgehalten werden. Das Näher*- ersehen unsere Mitglieder
aus der Einladung und dem Programm, das wir gleichzeitig bekannt geben.
In der Juni- Juli -Nummer der „Mitteilungen der CG." ist die „Ge-
schäftsordnung für die Hauptversammlungen und Kongresse
der C.-G.", wie sie nach den Beschlüssen vom April 1893 zu stände ge-
kommen ist, veröffentlicht worden. Sie ist nach § 1« mit dem 1. Juli 189:1
vorläufig in Kraft getreten und hat nur so lange Giltigkeit, bis der
Vorstand oder ein von diesem bevollmächtigter Ausschuß» sie geändert, ge-
bessert oder genehmigt hat. — Wir bringen dies hierdurch mit dem Be-
merken zur Kenntnis der Mitglieder der C.-G., dafs Abzüge dieser Ge-
schäftsordnung auf Anfordern kostenlos zu ihrer Verfügung stehen.
Pkrer'whe Hof 1»uchdruck«.roi. Stephan (5«.ibel A Co. in AlUnbur*.
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Monatshefte
der
Comenius -Gesellschaft. -
II. Band. — 1893. — Heft 10.
Geschichte und Bedeutung der Schulkomödie
vor und nach Comenius.
Von
Friedrich Albert Lange1).
Die merkwürdige Erscheinung der deutschen Schul komödie,
wie sie besonders im 16. und 17. Jahrhundert blühte, fallt ge-
mäfs der Natur der Sache unter einen doppelten Gesichtspunkt.
Wir haben es einmal mit einer viel verbreiteten und einflufs-
reichen Form des Dramas zu thun, und insofern ist die Schul-
komödie ein wichtiges Glied in der Entwicklungsgeschichte der
dramatischen Litteratur und der Bühnenkunst Anderseits haben
wir hier eine eigentümliche Erscheinung des deutschen Schul-
lebens, die in dieser Hinsicht wieder mit der Gesamtheit der
pädagogischen und didaktischen Grundsätze und Einrichtungen jener
Zeiten in engster Wechselwirkung steht und sich in dieser Wechsel-
wirkung entwickelt und bethtttigt.
Es ist auffallend, und ein Beweis davon, wie sehr eine or-
ganische Betrachtung des Schul- und Erziehungswesens, ins-
') Wir veröffentlichen hier aus dem Nachtat* F. A. Langes einen
wertvollen Aufsatz zum erstenmal. Die Zeit der Abfassung läfst sich nicht
genau bestimmen; doch gehört er offenbar der Periode seiner nieder-
rheinischen Lehrtätigkeit in Köln oder Duisburg an. Es ist unser Wunsch,
hiermit zugleich die Aufmerksamkeit auf diese eigentümliche Erseheiuung
dea deutschen Schullebens zu lenken; eine Untersuchung über die Bedeutting
des Comenius als Verfasser von Schuldramen und für die Entwicklung der
Schulkomödie würde den Aufsatz Langes vortrefflich ergänzen.
MmaUlufl« der Coaivtiiui-OeaeJlscbaft. 1993. 19
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260
Lange.
Heft 10.
besondere auch nach seiner geschichtlichen Entwicklung hin, in
den Anfängen liegt, wenn man sieht, wie verschieden die Wür-
digung ist, welche die Schulkomödie nach diesen verschiedenen
Beziehungen bisher gefunden hat. Während die literarhistorische
Seite dieser Erscheinung mit dem gröfsten Eifer angebaut wurde,
so dafs von da aus selbst die anerkennenswertesten Streiflichter
auf die pädagogische Bedeutung des Gegenstandes fielen, ist diese
letztere an sich so wenig beachtet, dafs nicht nur der Versuch,
sie als pädagogisches Problem eingehend zu betrachten, unter-
blieben ist, sondern dafs man sie sogar in der Geschichte der
Pädagogik kaum erwähnt findet und jedenfalls nur da, wo der
Zusammenhang ein völliges Übergehen unmöglich machte.
Wie tief aber die scenischen Darstellungen in den Gesamt-
organismus des Schullebens eingreifen mufsten, davon kann man
sich schon bei der oberflächlichsten Betrachtung leicht einen Be-
griff machen, wenn man bedenkt, welche Zeit und Mühe dazu
gehören mufste, wie viel Einübung, Erklärung, Anleitung,
Proben, endlich Ausrüstung der Bühne und Verschaffung des
Materials, bis eine Schar von 20—50 oder gar hundert zum
grofsen Teil noch unerwachsenen Schülern ein Drama und gar
ein lateinisches vor den Spitzen der Einwohnerschaft so auf-
führte, dafs der Schulmeister, der in der Kegel selbst dirigierte.
Ehr und Ansehen gewann. Selbst wo solche Aufführungen nur
einmal jährlieh stattfanden, nahmen sie ein Verhältnis zum Kursus des
Jahres ein, das mit dem unsrer Kedeakte und öffentlichen Prüfungen
gar nicht zu vergleichen ist; nun aber finden wir sie nicht nur
aulserdem bei allen möglichen Gelegenheiten, sondern an vielen
Anstalten auch zweimal, mehrmals, selbst wöchentlich. Nicht weniger
aber ist zu bemerken, wie die wichtigsten Eigentümlichkeiten des
Schulwesens, das sittliche Leben der Schüler, Art und Methode
des Unterrichtes, Gebrauch der lateinischen Sprache, Stellung
der Lehrer zu den Schülern und zu der Stadt gerade mit dieser
Erscheinung im engsten Zusammenhang stehen und sich gewisser-
mafsen mit der ganzen Tendenz und Organisation des Unterrichts-
wesens in ihr wiederspiegeln.
Gerade bei dieser tiefgehenden Bedeutung der Schulkomödie
ist es natürlich, dafs sie in den mannigfachsten Gestalten auftritt
und dafs ihre Grenzen schwer zu bestimmen sind. Denn wie
einerseits die Geschichte der dramatischen Litteratur zwischen der
Schulkomödie und der Volkskomödie die mannigfachsten Ver-
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1893. Geschichte und Bedeutung der Sehulkommlie.
201
bindungen und alle Stufen allraiihliehen Übergangs von der einen
zur andern nachweist, so sind auch tausendfache Verbindungen
und Übergange sichtbar von der Aufführung eines vollständigen
Dramas durch die Schüler bis zu dem einfachsten Redeakt, wie
er noch heutzutage üblich ist.
Um nun diese Begrenzung der Sehulkomödie mit einiger
Sicherheit zu ziehen, bietet sieh als das einzig stichhaltige Kri-
terium das des Zwecks, des Prinzips der Aufführungen dar.
Denn nicht nur finden wir vielfach Schulkomödien in Stadt-
lokalen, Volkskomödien in Schullokalen, diese an Schulfesten,
jene zur Fastnacht, diese von Schulmeistern, jene von Volks-
männern oder schulfremden Gelehrten gedichtet, sondern selbst
die Aufführung durch Schüler und Lehrer allein findet sich viel-
fach beim Volksdrama, während hinwiederum auch beim eigent-
lichen Sehuldrama nicht selten fremde Elemente mitwirken. Hin-
sichtlich des Zweckes der Schulkomödien könnte es scheinen, als
walte dieselbe Vieldeutigkeit ob; denn in der That schlug
mancher Rektor gern 2—3 Fliegen mit einer Klappe, wenn er
durch seine Aufführungen das Volk belustigen, die Schüler üben
und sich selbst etwa neben dem Dichterruhm noch eine Erkennt-
lichkeit in klingender Münze vom Hof oder Magistrat gewinnen
konnte. Dennoch wird es sich, wo unser Material einigermafsen
ausreicht, in der Regel mit Leichtigkeit entscheiden lassen, ob
der Schulzweck das eigentliche Lebensprinzip der Erscheinung
war oder nicht.
Betrachten wir z. B. das in neuerer Zeit wieder mehrfach
ans Licht gezogene und besprochene „geistliche Spiel von den
10 Jungfrauen", wie es im Jahre 1322 von den Geistlichen und
Schülern zu Eisenach aufgeführt wurde, so sehen wir hier in
allen Zügen eines der uralten kirchlichen Dramen, wie sie ur-
sprünglich zur Verdrängung heidnischer Ergötzlichkeiten, zur
Popularisierung des Christentums, zur Bethätigung des frommen
Glaubensdranges in einer über Liturgie und Messe hinausgehen-
den festlichen Darstellung christlicher Stoffe allenthalben durch
Deutschland, Frankreich, England, Italien, Spanien von der Geist-
lichkeit selbst begünstigt und gepflegt wurden. Dafs jenes
thüringische Spiel noch eine speziellere theologische Parteitendenz
hatte, ist wahrscheinlich, während sich dagegen von einer päda-
gogischen Absicht bei der Aufführung durch die Schüler keine
Spur findet. Am wenigsten konnte dieser Zweck in Bezug auf
19*
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202
Lange,
Heft 10.
die Schüler ein didaktischer sein, da schon der Gebrauch der
deutschen Sprache im Dialog die Absicht einer Wirkung auf die
Massen des Volkes verrät, womit die Gelegenheit, grolses Ablafs-
fest und Jahrmarkt beim Beginn des Frühlings, vollkommen über-
einstimmt. Und wenn der Chronist die clerici et scholares als
die Aufführenden nennt, ist leicht anzunehmen, dafs in einem
Stück von so grofsartiger Wirkung die Schüler, wenigstens die
jüngeren Knaben, wohl nur Nebenrollen zu spielen hatten. —
Ahnlich verhält es sich aber mit allen Misterion und Volksspielen
des 14. und der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, auch wo
die Schüler die wichtigsten Rollen spielen. Bedenkt man, dafs
in jener Zeit noch das gelehrte Studium an sich schon selbst
den Anfanger gleichsam adelte, ihm ein höheres Selbstbewufst-
sein gab, dafs dagegen der Burgerstand im allgemeinen noch
nicht so vielfach angeregt und durch die wandernden Elemente
durchsäuert sich zeigte, wie späterhin, so versteht man die vor-
zugsweise Beteiligung der Schuljugend richtig, indem man die-
selbe, dem ungelehrten Volke gegenüber, selbst wieder als ein
lehrendes Element betrachtet. So wirken bei den Misterien die
Schüler selbst wieder in Gemeinschaft mit ihren Lehrern oder
als Stellvertreter derselben auf die Schüler der Schule, auf das
im grofsen Ganzen zu schulende Volk. Dieser pädagogische
Zug des Mittelalters, der sich in grofsen Umrissen allenthalben
in jenen Jahrhunderten bethätigt, ist es nicht der die specitische
Schulkomödie geschaffen hat. Es ist dies vielmehr die grofse
Bewegung der neueren Zeit, vor allein eins der wichtigsten ihrer
Fermente, der Humanismus. Das Studium der Alten, das bisher
nur als Mittel gegolten hatte, gewann selbständige Bedeutung.
Die Welt der alten Römer schien in Italien aufs neue erwachen
zu wollen, und mächtige Wellen von dieser Bewegung schlugen
nach Deutschland herüber. Junge aufstrebende Geister wollten
die Schmach nicht länger dulden, von den übermütigen Italienern
als Barbaren angesehen zu werden ; pflegte doch auch das deutsche
Vaterland Kunst und Wissenschaft, waren ja auch hier Leute,
die zu reden und zu schreiben wufsten. Freilich wenige. Wenn
auch Reuchlin und Agricola sich den Italienern ebenbürtig
zeigen konnten, die grofse Masse der gelehrten und gebildeten
Welt sprach und schrieb nie Latein, das aufs äufserste ver-
kommen war. Dem mufste abgeholfen werden; die römische
Sprache, denn an eine Ausbildung der Muttersprache war ja
1893. Geschieht«« und Bedeutung der Schulkomödie.
nicht zu denken, mufste so gepflegt werden, als gelte es, die
Städte und Gaue des Vaterlandes dem alten Latium einzuver-
leiben. Der Gedankengang, den die neuen Bestrebungen be-
folgten, war ein sehr natürlicher und konsequenter. Ohne
Sprache, ohne Beredsamkeit stand man auf jedem Gebiete zu-
rück; verspottet bei kirchlichen und politischen Unterhandlungen,
ausgeschlossen von der Aristokratie der geistigen Bestrebungen
aller gebildeten Völker, ohne Witz, ohne Poesie, ohne wahre
Wissenschaft befand sich ein grofser Teil gerade der Männer,
die das Volk zu allen geistigen Gütern heranbilden sollten. So
betraten die Humanisten Deutschlands den einzigen Weg, der
offen schien, um sich Ebenbürtigkeit mit Italien, mit Frankreich
zu erringen. Die Sprache Ciceros mufsto zur Muttersprache
werden in ihrer ganzen Reinheit. Wie natürlich, dafs keiner
daran dachte, welche Zukunft der eigenen Muttersprache be-
schieden sei; ging es doch den Italienern mit ihrer verachteten
Vulgärsprache nicht anders. Das Extrem des Ciceronianismus
war somit nur die Übertreibung eines an sich gesunden Ge-
dankens. Wollte man sich das Gut der Alten wahrhaft neu er-
arbeiten, so gab es in der That für die Kation keinen andern
Weg als den Durchgang durch die vollkommne Beherrschung
der Sprache. Die Autoren, welche die wahre Fundgrube für die
echte alte Sprache abgaben, an denen man sich vorzüglich in
jeder Weise bildete, waren Cicero, Virgil, Terenz. Während
Cicero das Muster des prosaischen, Virgil Muster des poetischen
Stils war, blieb für Terenz eine dritte Rolle, vielleicht die wich-
tigste: von Terenz lernte man sprechen.
Der Terenz ist daher unter allen alten Autoren im 16. Jahr-
hundert am meisten in Schulen gelesen, behandelt, auswendig
gelernt. Wenn der angehende Dichter immer wieder zu Virgil
zurückkehrte, um des Hexameters und der poetischen Diktion
völlig Herr zu werden, wenn der Redner und Berichterstatter
unermüdlich sich an Cicero mafs und stärkte, so war dagegen
Terenz so recht eigentlich die Milch des Schülers an fast allen
deutschen Gymnasien. Wo man seinen zu frühen Gebrauch ver-
mied, waren die Gründe teils sittlicher, teils sprachlicher Natur.
Dafs die Bedenken ersterer Art niemals ganz verschwanden, so
sehr sie auch zu mancher Zeit zurückzutreten scheinen, liegt in
der Natur der Sache. Ludw. Vives sagt im 8. Buch seiner
Schrift „De tradendis disciplinis" : „Cajus Caesar nennt den
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264
Lauge,
Heft 10.
Tcrentius einen Verehrer der reinen Sprache. Weit weniger
Reinheit findet sich bei Plautus. Denn der ist ein Liebhaber
den Altertümlichen und erlaubt sich viel Freiheit in den Rollen
der Sklaven, indem er das Lachen und die Heiterkeit der Zu-
schauer und dadurch den Beifall der Menge sogar durch Ver-
kehrtheit des Sprechens zu haschen sucht. Aber auch im Sinn
ist er nicht allzu lauter. Ich wünschte, dafs aus beiden das aus-
geschnitten wäre, was die jungen Gemüter mit den Lastern be-
flecken könnte, zu denen wir gleichsam durch einen gewissen
Wink der Natur geneigt sind." Vives, ein Mann, der in päda-
gogischer Hinsicht von höchster Wichtigkeit ist, da aus ihm
gleichzeitig Jesuiten und Protestanten einen guten Teil der Ge-
danken geschöpft haben, die sie nachher mit so grofsem Erfolg
in der Erziehung zur Anwendung brachten, schrieb, um wenigstens
die ersten Anfänger von allen Unlauterkeiten der Komiker frei
zu halten, seine Colloquia, die an vielen Schulen eingeführt waren ;
diese dienten dem Zweck, diese Unlauterkeiten wenigstens vom zar-
testen Knabenalter fernzuhalten. Die unsittlichen Colloquia des
Erasmus dagegen wurden nur ihrer trefflichen Sprache wegen,
gleichsam als Ergänzung zum Terenz, verwendet. Sturm hat
selbst für seine Schule Dialoge geschrieben, Neanisci genannt,
die mir unbekannt sind; sie scheinen jedoch in dem Sinne des
Vives gehalten zu sein. Das grofse Gewicht, welches die Ge-
lehrten und Schulmänner jener Zeiten auf das Lateinsprechen und
-schreiben, auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des ersteren,
die Korrektheit und Eleganz in beiden legten, ist keines-
wegs so gering anzuschlagen, wie dies von Raumer thut; es
hat nicht nur für die Vergangenheit als Festhaltung der Tra-
dition seine Bedeutung gehabt, sondern auch für die ganze Zu-
kunft der Wissenschaften in Europa. Der Geist der Alten war
eben trotz aller Tradition so fremd geworden, dafs es einer Ver-
tiefung in alle Denkmäler jener Zeit bedurfte, die notwendig
zum Bedürfnis der Nachahmung, der Reproduktion führen mulste.
Unsere heutige Wissenschaft, auch die Philologie, kann jene Re-
produktion als Nebensache betrachten ; in der That aber war sie
Thür und Thor, durch welche der Geist der Alten in seiner be-
lebenden Macht unter uns einziehen mufste; ja, wie auch im
einzelneu manche Klage über verlorene Kraft begründet sein
mag (wie man sie bei Raumer und Gcrvinus so häufig findet),
im ganzen hat jene Vertiefung in das Latein wohl selbst die
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1893.
(li'schichto und Bedeutung der Kehulkomödie.
265
Kultur unserer Muttersprache mehr gehoben als gehemmt und
der ganze neuere Geist der Forschung, der seit Baco v. Verulam
so gern in Opposition gegen die Alten auftritt, verdankt den
Ciceronianern selbst mittelbar seine stärksten Triebfedern. —
War somit im allgemeinen die gewaltige Kultur der lateinischen
Sprache gerechtfertigt, so liefse sich wohl auch das Extrem einer
notwendigen Schulpedanterie im Ciceronischen Puritanismus
in ein besseres Licht stellen als in dem es gewöhnlieh be-
trachtet wird, doch würdo das zu weit vom Gegenstande abführen.
Auf diesem Boden der Kultur der lateinischen Sprache ist nun
auch die deutsche Schulkomödie erwachsen. Was half es zu
lesen? Es inulste gesprochen werden, um sprechen zu lernen.
Dafs dazu das Lateinsprechen beim Unterricht nicht ausreicht,
liegt auf der Hand. Wie bald sind nicht die wichtigsten Phrasen
des Schulgebrauchs gelernt! Wie wenig ist damit gewonnen für
das tagliche Leben, für den Gebrauch zu Hause, im freundlichen
Gespräch im Verkehr und Geschäft jeder Art! Das war aber
das Ideal Sturms, dafs die Knaben auch bei Spiel und Sj>azier-
gang Latein sprächen, sein gröfster Kummer, dafs sie zu Hause
bei Eltern und Hausgenossen Deutsch hörten. Ja Trotzendorf
scheint es wirklich in seinem kleinen Latium durchgesetzt zu
haben, dafs seine Schüler fast kein deutsches Wort mehr hörten.
— Die Komödie, wie sie nach der Meinung jener Zeiten im
Verse der Prosa so nahe stand, bewegte sich am meisten in den
Gegenständen des täglichen Lebens und gab recht eigentlich das
Material zu solchem lateinischen Verkehr. — Die ersten
Terenzischen Komödien liefsen Reuchlin und Celtes aufführen.
Insbesondere wird ersterer als der Begründer der deutschen
Schulkomödie gefeiert, da es ihm zuerst gelang, in Terenzischer
Form und Sprache einen modernen Stoff selbständig zu be-
handeln. Reuchlins Henno, der im Jahre 1497 aufgeführt wurde,
verdient daher in mancher Beziehung Beachtung. Der Stoff
dieses Dramas ist im wesentlichen dem alten französischen Lust-
spiel vom Advokaten Pathelin entnommen, jedoch vielfach ver-
verändert und durchaus selbständig behandelt. So hat z. B.
Reuchlin die berühmten Hämmel des französischen Stückes weg-
gelassen und dafür einen echt deutschen Zug eingeführt: der
liederliche Landmann Henno hat Geld entdeckt, welches sein
sparsames Weib Elsa zusammengeknickert und vergraben. Mit
diesem Gelde schickt er seinen Knecht, Dromo, zum Tuchhändler
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Lange,
Heft 10.
in der Stadt. Dieser Kneeht, Dromo, ist nun der Schalk des
Stückes, der die Worte des Herrn, dafs er das Geld ja keinem
andern geben soll, als ein rechter Eulenspiegel zu wörtlich ver-
steht, den Tuchhändler zugleich um das Tuch bringt und sich
nachher vor Gericht durch das bekannte „blett statt aller Ant-
wort auf Rat eines Advokaten herauszieht. Es versteht sich,
dafs nachher der Advokat in seine eigne Grube fällt und mit
demselben „ble" um seine Bezahlung geprellt wird, ganz wie in
dem französischen Stück. Nun aber kommt ein eigner Sehlufs,
in dem die poetische Gerechtigkeit vielleicht die derbsten Faust-
schlage erhält, die sie je besehen. Henno und Dromo kehren
nach Hause zurück, ersterer durch den Spruch der weisen
Obrigkeit wirklich belehrt, dafs Dromo unschuldig sei, hält den
Krämer in der Stadt für den einzigen Betrüger. Durch Ver-
mittlung Elsas und einer Nachbarin erhält Dromo sogar die
Tochter Hennos zur Frau, bekennt sodann seinen Schelmenstreich
und giebt die 8 Goldstücke zur Mitgift. Hier also wieder ein
uralter, echt deutscher Zug der Gemütlichkeit Er und sie
müssen sich kriegen, es mag biegen oder brechen ; sonst ist keine
Befriedigung. Das Original schliefst, offenbar ungleich wirk-
samer, mit dem „ble" „bleu des Schäfers und dem geprellten
Pathelin. — Die Rücksicht auf die Schüler hat übrigens Reuchlin
bewogen, das Ganze teils bedeutend abzukürzen, wodurch nament-
lich die effektvolle Gerichtsszene viel verlieren mufste, teils das
Stück möglichst von allen Unsauberkeiten des Originals zu be-
freien. Wenn darauf gestützt der Drucker vom Jahre 1498 in
seiner Vorrede an Dalberg sagt, dafs die Fabel „nihil obscenum
aut impurum" enthalte, so ist das in demselben Sinne zu ver-
stehen, in dem man auch hundertmal die völlige Reinheit de»
Terenz dem Plautus gegenüber hervorhob. Es bezieht sich auf
die Worte und Ausdrücke, deren Roheit das Ohr der Huma-
nisten weniger ertrug, während die Unsittlichkeit der dargestellten
und besprochenen Verhältnisse gar nicht vor Gericht gefordert
wurde; eine Ansicht der Dinge, die sich im Laufe des 17. Jahr-
hunderts in die entgegengesetzte vorwandelt.
Dafs um dieselbe Zeit, gegen Ende des 15. Jahrhundert»,
zugleich mit den Aufführungen, Bearbeitungen, Ausgaben und
Nachahmungen des Terenz auch, die ersten Übersetzungen er-
schienen, zeigt, wie lebendig der Sinn für die Muttersprache und
ihre Ausbildung sich damals schon bethätigte. Dafs die Ge-
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1893.
(;<>*eliieht<> uml Bedeutung der Scluilkomödii-.
267
lehrton dies nicht sahen, nicht anerkannten, jedenfalls es gering
schlitzten, ist eine ganz natürliche Erscheinung, wenn man be-
denkt, mit welchem Aufwand von Kräften sie sieh in die alte
Litteratur hineingeworfen hatten, wie viel sie in derselben fanden
von Bildung, Eleganz, Schönheit, Geschmack, das sich in unsere
deutsche Sprache damals und noch auf lange Zeit hinaus absolut
nicht schien hineinbringen zu lassen, am wenigsten in der Poesie.
Man darf deshalb jene Männer des Lateins nicht als reaktionäre
Geister betrachten. — Wo die deutschen Bearbeitungen des Terenz
oder anderer Nachahmungen öffentlich aufgeführt werden, ge-
schieht es in dieser Zeit noch keineswegs im Interesse der Schule.
Die lateinische Komödie blieb durch das ganze 16. Jahr-
hundert die eigentliche Schulkomödie, und Doppelaufführungen,
wie wir sie bei Frischlins Stücken finden, sind stets so zu er-
klären, dafs die erste, die lateinische, allein eine eigentliche Schul-
sache ist; die deutsehe, als Volksbelustigung, ist in der Regel
eine Privatunternehmung eines Lehrers. Wie nun solche Unter-
nehmungen überhaupt möglich waren, wie es geschehen konnte,
dafs Schüler als öffentliche Schauspieler in den verfänglichsten
Stücken auftreten konnten, das ist wieder im Zusammenhang mit
allgemeinen Erscheinungen zu betrachten.
Von dem allgemeinen sittlichen Charakter jener Zeit im Ver-
hältnis zur unsrigen zu reden, würde überflüssig sein. Die Ent-
wicklung des Schul- und Erziehungswesens zeigt vom Mittelalter
an bis auf unsere Tage eine allmähliche und stetige Veränderung
hinsichtlich des Rechts der Schule an ihre Zöglinge und hin-
sichtlich ihrer eigentümlichen Stellung zu Stadt und Staat. Der
Charakter dieser Veränderung ist unleugbar der, dafs die Schule
sowohl an den Staat als an die Familie und an die Willkür der
Einzelnen ein Recht um das andere verliert, dafs sie immer mehr
von der Erziehungsanstalt zur blofsen Unterrichtsanstalt herab-
sinkt, dafs sie mehr und mehr auf die Bearbeitung einer einge-
schränkten Aufgabe in ihrem ganzen Einflüsse beschränkt wird,
dafs das Verhältnis der Eltern selbst zu der öffentlichen Anstalt
mehr und mehr zu dem eines allzeit kündbaren Kontraktes über
bestimmte und eng begrenzte Leistungen herabsinkt. Zu gleicher
Zeit und parallel mit dieser Veränderung ging eine zweite: die
nämlich, dafs mehr und mehr dem Schüler die rohe Freiheit
seines Lebens aufser der Schule entzogen, dafs er mehr und
mehr der Familie auch in dieser Hinsicht wieder untergeordnet
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268
Lunge,
Heft 10.
wurde. Wilhrend daher jetzt der Quartaner Fritz als gehorsamer
Sohn seines Vaters täglich zur Schule geht, um daselbst fleifsig
zu lernen, was die Eltern für dienlich halten, wurde im 16. Jahr-
hundert noch der Knabe, indem er Schüler wurde, in Bezug auf
das elterliche Haus emanzipiert, während er in Bezug auf die
Schule, so weit deren Anordnungen sich zu erstrecken beliebten,
in ein strenges, durchgreifendes Dienstverhältnis trat. Der
Rektor der Schule ward des Knaben Obrigkeit; er gleichsam
dessen Eigentum.
Bedenkt man nun, dafs bei der geringen Anzahl höherer
Schulen und bei dem auf dem Lande und in kleinen Städten
allenthalben grassierenden Studieneifer die Mehrzahl der Schiller
stets ortsfremd war, ein Verhältnis, das ja auch jetzt noch
den Gymnasiasten zur moralischen Frühreife zu bringen pflegt,
so ermifst man leicht, wie sehr die damalige Schülergeneration
von jeder heutigen verschieden sein raufste. Wie es auf den
Universitäten aussah, ist hinlänglich bekannt, und der Unterschied
zwischen Universität und Gymnasium war in mancher Beziehung
noch schwankend. Dazu die Verschiedenheit des Alters; end-
lich die abenteuerlichen Fahrten der wandernden Schützen und
Bacchanten — alles das machte bald Männer aus den Schülern,
die vom Leben in seiner Vielseitigkeit mehr gesehen und ge-
kostet hatten, als heutzutage manchem Gelehrten seiner Lebtage
begegnet. — In Strafsburg war bekanntlich in der 2. Hälfte des
16. Jahrhunderts das berühmteste Schultheater. Es war eben an
der Schule des hochverdienten Johannes Sturm, desselben, der
gern die deutsche Sprache zu gunsten der lateinischen ausgerottet
hätte, der den Cicero beneidete, dafs er in der Jugend schon
nichts als Latein gehört habe, dem die Imitation der Alten in
Schrift und Hede über alles ging. In Sturms Schulgesetzen aus
dem Jahre 1565, also noch 2 Jahre vor Erhebung des Gymna-
siums zur Akademie, steht an der Spitze der Abschnitt De
gladiatoribus et vestibus. Wir erfahren aus derselben, dafs die
Schüler der Anstalt sich eifrig duellierten und mehr Fleifs auf
die Fechtstunden als auf die Lektionen verwendeten. Würfel-
spiel und Trinkgelage werden gerügt, sodann der Kleiderluxus,
soldatische Gewänder und geschlitzte Stiefel, die sich besser für
Henker passen, als für ehrbare Männer. — „Deshalb," heifst es
zum Schlufs, „wollen wir, dafs das alte Gesetz über die Kleider,
und Uber Messer und Dolche etc. mit diesem neuen Gesetze zu-
1893. Osdiichte uiul Bedeutung der Sehulkomi'.tlio. 269
gleich wiederholt und erneuert und befestigt sei." — Diese Kerle,
die in martialischer Kleidung mit Dolchen und Schlägern durch
die Kneipen heruinrenommierten , mochten freilich wenig durch
die Komödien der Alten zu verderben sein, wohl aber konnten
sie vielleicht trefflich agieren, wurden von manchem Schlimmeren
dadurch abgezogen und hatten eine treffliche Übung im Latein.
Dafs mit der Erhebung der Strafsburger Schule zur Akademie
die Sitten trotz der neuen Schulgesetze noch freier wurden, liegt
in der Natur der Sache. Jene Zeit der Akademie ist aber gerade
die Blütezeit des Strafsburger Theaters. Der scharfe Tadel
von Raumers muls daher wohl zum grofsen Teil als ungerecht
erscheinen. Er hat Sturm mit dem Mafsstabe unserer Zeit ge-
messen, statt ihm den Mafsstab seiner eigenen Zeit zu ver-
gönnen. Er hat Übelstände in Sturms Erziehungsmaximen ge-
sucht, die in einem grofsen Zusammenhang mit anderweitigen
Zeitelcmenten in ihren bedenkliehen Teilen unschädlicher, in
ihren förderlichen notwendiger waren, als sie zu irgend einer
späteren Zeit sein konnten. Wie gern übrigens Sturm alles zum
Akt, zum Drama, zum Dialog machte, sieht man auch aus dem
im Jahre 1578 abgehaltenen grofsen Examen, bei dem alle Fragen
dialogisch von Schülern an Schüler ergingen. Die theatralischen
Aufführungen fanden in der Kegel wöchentlich statt. In den
oben erwähnten Schulgesetzen heifst es darüber: „Komödien und
Tragödien sollen nicht viele von den Lehrern im Gymnasium
erklärt werden, damit nicht anderes, was notwendig ist, liegen
bleibe. Es sollen aber viele von den jungen Leuten aufgeführt
und aus dem Gedächtnisse hergesagt werden. Diese Fähigkeit
werden sie erlangen, wenn jeder Klasse je ein Schauspiel vor-
gelegt wird; und die Darstellung der Personen, welche wenig
sprechen, ist leicht, mehr Arbeit haben die Darsteller der Haupt-
rollen nötig. Was von diesen aufzufuhren ist, kann auf 2 oder 3
verteilt werden, damit das Gedächtnis bei mehreren angebahnt,
bei allen begründet werde. Damit die Dinge durch die täglichen
oder häufigen Aufführungen in den Geist der Jünglinge unmerk-
lich eindringen, nicht aber durch ihre Last ihn ermüden oder zu
Boden drücken mögen; in wenigen Monaten wird auf diese
Weise ein grofser Teil der Dramen in die Sehulen eingeführt
werden können; ohne Erklärung der Lehrer und ohne An-
strengung und Überdrufs der Schüler. Denn was dunkel zu sein
scheint, wenn man es für sich liest, das wird entweder durch
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270 Lang". Heft 10.
Aufführung und Gewöhnung, oder durch eine kurze Erklärung
des Lehrers, oder durch Unterredung und gegenseitiges Fragen
der Schüler aufgeklärt.
Es ist jedoch Pflicht der Lehrer, sich mit den jenigen Dramen
sorgfältig bekannt zu machen , welche die Schüler aufführen
werden, und beim Erklären der Schriftsteller und beim Geschicht-
lichen aus diesen Dramen Stellen anzuführen , in denen irgend
etwa« ist, entweder dunkel oder fehlerhaft, oder scharfsinnig und
gelehrt, oder unähnlich oder ähnlich. Denn es ist schwer zu
glauben, aber dennoch wahr: es ist wunderbar, durch eine wie
geringe Hülfe eines gelehrten und thätigen Lehrers der Schüler
eine grofse Menge wichtiger Dinge sich aneignen kann." —
In die siebziger und achtziger Jahre dieses Jahrhunderts fällt
auch Frischlins dramatische Thätigkeit. Von dem Leben und
den Schriften dieses Mannes hat David Straufs ein so lebendiges
Gemälde geliefert, dafs man beim Lesen glaubt, den alten Dichter
in Fleisch und Blut wieder vor sich einherwandeln zu sehen.
Hier haben wir zum Unterschied eine eigentliche Dichternatur,
einen selbständig produktiven und nebenbei beträchtlich unruhigen
Kopf, dessen Werke daher stets Uber den Schulzweck hinaus-
griffen. Dennoch sehen wir Frischlin allenthalben sich wenigstens
als lateinischen Dichter gebärden. An den deutschen Bearbeitungen
war ihm wenig gelegen.
Im Jahre 1592 liefs Rollenhagen in Magdeburg die sämt-
lichen Stücke des Terenz zugleich aufführen. Diese Herrschaft
des Terenz in Verbindung mit der lateinischen Schulkomödie
dauerte in ungeschwächtem Glänze bis an die Zeiten des SOjäh-
rigen Krieges. In Katichs pädagogischen Schriften sehen wir
den Terenz als Schulbuch noch einmal auf seiner vollen Höhe.
Von da an geht es abwärts mit seinem Einflufs, wie mit dem
Einflufs der lateinischen Sprache überhaupt. Die mannigfaltigsten
Gründe vereinten sich, dies zu bewirken.
Die deutsche Philologie, die sich in einem Agricola, Heuchlin,
Melanchthon, Camerarius und vielen andern der italienischen
schon ebenbürtig gefühlt hatte, mufste ihre besten Kräfte mehr
und mehr in theologische Streitigkeiten einschiefsen ; Frankreich
und die Niederlande überflügelten sie weit So sank im all-
gemeinen der hohe Flug humanistischer Begeisterung mehr und
mehr. Heroen des Schulwesens wie Sturm, Trotzendorf, Neander,
wurden immer seltener. Die Verheerungen des Krieges er-
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1893.
Geschieht« uud Heücuttmg üer Seliulkoinödio.
271
schlitterten bald auch das Schulwesen in seinen Fundamenten
Durch die so allenthalben entstandenen Breschen stürmten neue
Elemente herein. Die im Volk seit der Reformation gepflegte
Muttersprache voran; die Realien mit dem ganzen Heer der An-
forderungen des Lebens folgten unaufhaltsam. Dio allent-
halben verbreiteten Grunds iitze des Co menius gaben
dem ganzen Zielpunkt des Schullebens eine neue
Richtung. Endlich das Auftreten der Hehlesischen Dichter-
schule, der ersten, die den Mut hatte, als ebenbürtig neben jeder
klassischen Litteratur aufzutreten.
Katholischerseits hatte man schon früher an den heidnischen
Komödien Anstofs genommen, und hier gingen insbesondere die
Jesuiten mit Ersetzung derselben durch christliche fleilsig voran.
Eine klassische Periode erlebten diese Aufführungen auf den
Schulen der katholischen Niederlande, insbesondere in Löwen
und Mecheln gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts. Charakte-
ristisch ist hier zugleich, dafs nicht, wie in Deutschland, die
Komödie in den Vordergrund tritt, sondern die Tragödie, dafs
somit nicht Terenz, sondern Seneca Vorbild ist, wie es sich ähn-
lich auch in Frankreich und in England um diese Zeit zeigt.
In den Niederlanden hatten schon die Philologen von jeher ein
gröfseres Interesse für Seneca gezeigt , als in Deutschland.
Lipsius, später Heinsius, haben ihm beträchtliche Sorgfalt zuge-
wendet. Hugo Grotius hat den Stil und insbesondere die Metrik
des Seneca so vollständig studiert, dafs in dieser Beziehung sein
Christus patiens wohl die vollkommenste Nachahmung ist. Nicht
nur dieselben Pointen und Antithesen, dieselben rhetorischen
Fragen und Exklamationen, derselbe Flug bombastischer Worte,
sondern auch dieselben Regeln im Trimeter, im Anapäst, bis auf
Wortcäsuren und alle Feinheiten des Wortaccentes im Verhältnis
zum Versaccent — wie sie den Senecaschen Vers so vollkommen
von allen anderen lateinischen und griechischen unterscheiden
und bestimmen. Grotius besafs auch ein so feines Ohr für diese
Metrik, dafs er an einer anonym erschienenen Tragödie, die mir
leider unbekannt geblieben ist, den Heinsius scheint erkannt zu
haben. Die unter Heinsius' Gedichten stehenden Verse sind
übrigens bei weitem minder exakt als die des Grotius, vielleicht
absichtlich wegen des Gegensatzes.
In diesem Stile sind nun auch die Tragödien des Vernuläus
(Löwen) sowie die der Palaestra scholae Mechliniensis gehalten
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21-1
Lange, Gösch, u. Bedeut. d. SohuikomÖdie. Heft 10.
und, obwohl häufige Verstöl'se unterlaufen, so ist doch die for-
melle Nachahmung weit vollkommener als die des Terenz in
Deutschland. Die Ökonomie der Stücke leidet durch den Schul-
zweck mannigfache Veränderungen, namentlich Häufung der
Personen. Erstere wurden zu Löwen, letztere zu Mecheln, wie
sich aus den Vorreden ergiebt, öffentlich aufgeführt. Ähnliche
Aufführungen scheinen an fast allen katholischen Schulen unseres
Niederrheins stattgefunden zu haben. Hier erhielt sich dann
auch die lateinische Sprache im Dialog bis ins 18. Jahrhundert
hinein , während deutsehe Gesänge eingelegt wurden. Zugleich
zeigen jedoch diese Stücke, namentlich in den letzten Ausläufern
aus dem 18. Jahrhundert, einen immer gröfseren Verfall des
Geschmacks und namentlich den ganzen Opernspuk, wie er zu
jener Zeit auch auf den öffentlichen Bühnen herrschte.
Aber auch in anderen Teilen Deutschlands reichte die
Schulkomödie bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. — Der Cha-
rakter der neuen Periode war der des Nutzens, des Guten etc.,
gegenüber dem Schönen des Humanismus. Der Zweck der Komödie
wurde, zu belehren, zu warnen, zur Tugend zu ermuntern ; endlich
besonders (unter Einflufs Frankreichs) ein anständiges, sicheres
Benehmen zu geben (Christian Weise). In der immer gröfseren
Verflachung des Nützlichkeitsprinzips ging die Schulkomödie
unter.
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Quellen und Forschungen.
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Kvacsala in Pressburg.
(Schlaft.)
VII. Comenius in Amsterdam.
21.
3. Ex horum, varios Vitae euripos experientium nuraero,
en nie quoque ununi! tot difticultatum fluctibus toto Vitae ineae
tempore jactatum, ut revera cum Jacobo dicere habeam : Pauci et
mali fuerunt dies peregrinationis meae. Etiam postremi, cum ex
Hungaria in Poloniam (exilii mei sedem) reversus, ad quietera
ine jamjam componerem. Novus enim nie, et is quidem terribilis,
excopit gyrus, venientis ab Aquilonari plaga insncratae tempe-
statis turbo, qui atrocissimo oello involvens Poloniam totam,
vastavit totam : etiam Urbecula nostra sie oversa, ut ejus praeter
rudera exstet nihil. Et quidem tarn subita oppressione, ut prae-
terquam vi tam eripere liceret nihil. Ibi enim tota mea quoque
mihi periit substantia, domuneula, supellcx, bibliotheca: omnes
nimirum thesauri mei collectarum per annos araplius quadraginta
lucubrationum, praeter pauca illa, quae iam edita erant, aut opere
tumultuario in serobem conjecta, et terra obruta, fuere.
4. Amisi ergo omnia, praeterquam illum solum qui solus est
omnia: et qui, ut se fidelem suis ostendat, eastigationem suani,
utcunque duram, in bonum aliquem disponit eventum. Qualiter
mihi quoque factum agnusco, & noraen «'jus laudo: dum me eo
deduxit, ubi respirare datum est; et excitavit qui me favore dig-
nati suo, secum esse, ingratique otii taedia honesta aliqua occu-
patione lenire. voluerunt. Praesertim, si mentem recolligere,
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274 KvHcwla, Heft 10.
operaque pridem inchoata et affecta, necdum effecta, absolvere
possem. Merito id, prohibente Apostolo, ne quis panem alienum
gratis edat (2. Thess. 3. 8).
5. Deus ergo est, Deus, qui nobis haec otia fecit! tanquam
exsertam erga nie Dei manum osculor eos, qui nie hoc literato
otio frui jusserunt. Ad quidnam vero adhibendo otk>? Si meae
per oinnia spontis fuissem, alia hoc anno (quem iam Amatero-
aami Deo favente exegi) egissem : sed reperi hic etiam gyros,
qui me versarunt et ad paulo alia, quam consilio destinaram, de-
nectere coögerunt. Quod paucis attingam.
6. Dolorum ego plenus de iactura eorum, quae pretiosissima
habebam, Pansophica, (perierunt enim mihi non tantum primariae
aliquot, ad mundum iam descriptae, Operis illius partes, sed et
ipsa tota materiarum Pansophicarum Sylva, Definitionum seil,
omnium rerum, et Axiomatum, supra 20 annos magna diligentia
congestatus thesaurus) considere denuo, rerumque venas per-
sequendo hanuonici illius Operis si non plenum iam systema,
pleniorem tarnen quam hactenus delineationem , constituere de-
ereveram. Eeee autem denuo ad puerilia illa, utut mihi toties
nauseata, Latinitatis studia retrahor! idque occasione insperata
non una.
7. Primum, quia Januae nostrae linguarum praxeos comicae,
sub titulo Schola Ludus in Hungaria institutae, postque meum
inde discessum typis descriptae, exemplar in Belgium allatum
reeudi postulabatur. Ego autem intinitis id scatere mendis videns,
quin totum percurrendo redderem castigatius, temperare mihi non
potui : quae res temporis abstulit aliquid.
8. Mox Linguae Latinae radices in sententiolas redigendi, et
sub titulo Auctarium Ve.stibuli edendi, incidit occasio: quam ad-
iuneta praefatiuneula expressi.
9. Vcncrunt item ex Germania et Borussia literae amicorum,
in Opuscula nostra Didactica varie inquiri significantium , utque
Volumine uno omnia edantur suadentium. Addebant ealculum
suum hic in Belgio Viri doctissimi, suis quoque dueti rationibus.
Quibus ego (quem ita finxit natura, ut alioruin fere plus tribuam
judieiis; nec usquam deesse velim, ubi mea quoque opella aliquid
in commune conferri possit) cessi: spe duetus, realiura studio id
nihil ineoinmodaturum, si haec parata iam reeudantur. Sed quae
spes fefellit, temporisque moras, et principalis negotii varias re-
moras, attulit.
10. Accessit primomm quorundam Virorum, ex ipso etiam
Amplissimo Senatu, de edendo in aliquot Adolescentulis methodi
nostrae speeimine, postulatum. Quod et ipsum, cum se literati
duo Viri-Juvenes experimentum facturi offerrent, recusari honeste
non potuit: factumque est, tametsi me nonnihil ob invidiae me-
tum tergiversante: et quia non datis Methodi hujus requisitis
omnibus, successum satis ex voto sperare non poterain.
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1893. Zur Lebcii8getK'hichte des Cotnenius. 275
11. Postquam vero non effugimus invidiara, repertusque est,
qui ut propositura turbarot libellos nostros illepidae Latinitatis
convincere attentaret (alibique similia mussitari amicus scriberet)
occasio data fuit temere obieeta diluendi, Apologiaeque nomine
publicandi.
12. Unde factum, ut nonnulli excitatiorcs facti acrius in Mc-
thodi nostrao fundamenta inquirerc animum inducerent: amicis-
quc, proditura esse omnia üulaetiea nostra Volumine pleno dieti-
tantibus, Prolixa non solere Viris publice occupatis legi,
responderent. Hequisita itaque a nobis Moliminum nostrorum
summa aliqua epitomc fuit. Quod scribendi Novissimae L. L. Me-
thodi synoDsin oecasionera dedit, ad cito amabiles ejus Fines et
exquisita aa tincs media, facilemque et iucundam Praxin, variosque
et solidos ad alia quoque Usus, pervidendum. Quod scriptum publi-
catum quidem est, hic tarnen td recudi non visum: quia epitome
tan tum fuit superiorum, et meliores inox superuenerunt eogita-
tiones, quas potius attendi volo.
13. Xempe omnia nostra retractandi, et a melioribus inventis
minus utilia separandi, propositum. Quod sub titulo VTentilabrum
Sapientiae hic suo loco sequetur.
14. Quia vero mihi Seni merito iam omnes nudae delibe-
rationes, tanquam ad placitum discursus, displicere coenerunt, nec
aliquid labore dignum existimo nisi practicum, quod ad praesentes
mox usus faciat, venit cogitare Quonara modo omnium hactenus
actorum fruetus reipsa exhiberi possit, construeta Optimi Scho-
larum Status idea, quantum posset perfecta: quam intuendo, quis-
quis vellet amethodiae labyrinthos pervidere, et deelinare, sibique
commissos ad Eruditionis scopum per viam planam ducere, posset.
(Op. Did. IV. p. 5 ff.)
22.
10. Ultimus mihi tentator nuper denuo fuit larvatus quidam
Apostolus, animarum his in locis aneeps: qui aliam mentibus
Keligionem aliquoties nie convenit , desiderium veri simulans ;
donec apertius laqueos explicare ineipientem a me abegi. Parcam
illius nomini, quia sibi parci vult: haec tarnen ipsius etiam causa
scribo, ut si evigilare potest evigilet. Is nempe ipse est ad quem
Tu Domine Baro epistolam illam Tuam, cum anuda ad me salu-
tatione exarasti, Vestram de me spera adhuc perstare signiticans.
Repeto igitur haee, ut Vos vana spe laetare desinatis. Major mihi
divinae misericordia fiducia est, quam ut me humiliter sibi ad-
haerentem ita deserat, ut Vobis et Satanae ludibrium fieri per-
mittat. Ecce quo impatientiae me iraDortunitate Vestra adegistis !
Recitare tarnen haec volui, ut omnem Vestram circa me panurgiam
fuisse, esse et fore vanam, semel faudetn intellecto, me missum
faciatis: alii v. ut exemplo moniti meo cavere a Vobis diseant.
Nexuit mihi et alii» quidam ille Vester his diebus Nodum Gor-
diura, quem tanquam aeternum insolubilem (Thresonica prorsus
Monafchefl« 4er Comonln»-4i«H*ll»ch»ft. 189:1. 20
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276 Kvacaala, Heft 10.
jactantia omnes provocans) publico cxposuit. Cum igitur omni um
illorum quos provocat ego sini unus, raihiquc etiam libellus ille
tertiam oer manum subraissus sit ; et Tu forsan (hujus non ig-
narus) ibi ouoque suei adbuc de me Tuae hasiu fundas: ecce
propono in l)ei nomine Fortalicium illud Vestrum aggred i, ulti-
raamque illam Vestram oppugnandae et expugnandae Divinitatis
Christi machinam , dissolvendi : ut vel sie tandem tum de me
evertendo, tum de alii« ad votum tatigandi«, 8|>em deponatis. Adsis
Jesu Christel Tua agitur gloria.
Clausula Tua, Dom ine adhuc mihi amieitiam et ofticiorum
promptitudinem offert Quid dieam? Hoc unum. Periculosum
est a Vobis amari, periculosum salutari, periculorum unumsculis
affici. Plus hic est quam timeo Danaos et dona ferentes.
Et tarnen quia serio forte me et nos, amas, festucain nobis
oculo exiraere paratus, amor autem esse debet reeiprocus, serio
Tibi Christianae charitatis officio respondeam necesse est. Im-
pendnm ergo aliquid porro etiam temporis eximendae oculo Tuo
(si prosperaverit Christus) trabi, ultima illa mea (de qua modo
dixi) scriptiuneula : oblati mempe nobis Irenici Irenicorum Vestri
examine.
Vale Domine! Cui non araplius dicorem Ave (Apostolo pro-
hibente) nisi adhuc Tui ad Apostolicam doctrinam reditus mihi
esset spes: quam ratam esse jube tu qui potes, Jesu Christe,
virtute Spiritus tui Sancti. Amen.
(De Quaeatione etc. p. 6.r> ff.)
23.
Conveniebas me in hanc urbem delatum (exulem exul, ut di-
cebas) saepius: de rcligiono tua nihil unquam aliud, quam te
Fratribus Moravicis (Anabaptistis communionem bonorum pro-
fessis, eque Moravia per Hungariam dispersis) dedisse nomen, ob
pietatis studia missumoue huc ad reconciliandum dissentes
Mennonitas, si posset. Kon improbavi: successum potius appre-
catus sum, ut tanto minus dissiuiorum et sectarura in orbe Chris-
tiano esset. Demum post menses aliquot, e sermonibus quibus
dam Socinismi te suspectum habere, et ob occultatam vulpem
conversatione tua minus delectari, coepi: quod notare poteras.
Cum enira bis terue ad soliloquium me (foras ut prodiremus, ali-
quot foliola habere te ad communicandum) invitares, renui. Ve-
nisti ergo tandem ad me, mysteria tua tecum ferens, praelectio-
nemque ofFerens, si audire vellem. Permisi, languidus tunc, et
decumbens. Legisti ergo: me vel ad ipstun Irenici tui titulum,
conditionemque illius (de abnegando Christo, qualem adoramus)
obstupefacto. Requirebas vero ad singulas periodos iudicium
meum: ferre nolui, audire nie dicens velle totum, ut iudicare
possem de toto. Toto perlecto, instabas: nolui, ruminaturum me
haec dicens, sicut et cum postea urgeres. Causa vero non fuit
(ut falso suspicabaris, et iam propalas) quod argumentis tuis con-
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1893.
Zur Lebensgcschichtp dos Comcniu*.
277
vietus dclibcrandi spatia quaererem , eoque sie iaxn doeilitatem
promisterem: sed quod Pansophica meditanti nullis disputationem
tricis implicare rae, vel alios, constitueram : cogitare potius, quo-
modo Catholica rerum veritas, ita in illo Universali Opcre eon-
nexa exstarot, ut erroruin naevi suapte patescere tacitaque lucis
et veritatis vi dissolvi possent.
(De iterato irenico irenicoruin. p. 36.)
24.
Pagina 5 mendacium impigis mihi, quod Exemplar Ircnici
tui per tertiam mihi manum fuissc missum scripsissem, quum
tarnen id mihi coram tradidisses. Verum est utrumque. Kam
amicus cui primum dederaa, ad me aecurrens illud exhibuit,
promissum a te afferens, quam primum urbem rediissem
etiam mihi esse dandum. Respondi : Ecce redii , mittat igitur.
Simulque Librum lectitare ineipimus, conspectoquo in praefactione
tua de aliis ncscio quibus, me etiam, iain convietis, vanissimo
triumpho, exardescens ego, Veni mecum, (inquiebam) ut cum ho-
mine male sano de stultitia et iniquitate (omnia praeeipitante) te
teste expostulem. Ivimus ergo: petii (ex promisso) exemplar:
dedisti. Legi (te audiente) praefationcra , et quinam illi devicti
essent, cuius verba allegebaa (simile scriptum sc nondum vidisse
tassos) quaesivi. Tu subridens: Memineris fbrsara verborum
tuorum. Ego: Memini; sed ineministine tu quid addiderim? Ita
mihi scriptum hoc videri comparatum, ut Socinismo valide promo-
vendo serviturum sit, si refutari non poterit; aut subruendo, si
poterit? Respondebas: Sed ego praesuppono refutari non posse.
Ego: Cur autem non exspectasti, an aliquis, et quomodo re-
futurus esset? Aut cur non totum posuisti ailemna meum? Plus
in te iudicii requisivissem. I). Zwickere. Inique ad versus me
egisti, clam de me, et talso, triumphans. Atque te non nominavi.
Sed ostendisti digito, et nominabis ad alios, uti vobis mos est,
Orthodoxis etiam viris moderatius vobiscum agentibus, affricare
maculam. Tandem dixi: Quia hac in nie publice ausus es, ta-
cere non potero, et conscientiae meae et famae habenda mihi est
ratio , ne de me seu vivo seu mortuo triumphet satan. Ita a te
cum amico discesst, nec ex eo tempore te oculus vidit meus.
(De iterato iren. iren. p. 42.)
25.
De ultimo Drabicii acerrimo Examine.
Cum a Principis ltacocii morte (cui Drabicius Victorias
et Regnum promisissc visus est: ille autem non iussa, sed pro-
hibita faciens in conflictu cum Turcis oeeubuit, anno 1660) vati-
cinia Drabicii tanto magis suspecta reddi ineiperent confratresque
illius, omnia per Hungariam turbari videntes, sibi prae aliis me-
tuerent; atque ut ne propter im um pati necesse haberent oranes
providendum putarent, consilium iniverunt amovendi a se sus-
20*
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278 Kvaesala, Heft 10.
picionem eomplicitatis. Primarius itaque inter illos, Johannes Fe-
linos, Pastor ruehoviensium Exulum conseripsit, idiomate Latin o
tractatum, sub titulo Ignis Fatuus Nicol. Drabicius. Quo demon-
strare annisus est, Omnes Drabicii Revelationes aut mera illius
Cerebri tigmenta esse, aut mere Satanicas illusioncs. Quem trac-
tatum non per Hungariam tantum sparsit et plerisque quod voluit
persuasit: «od in Silesiam, Poloniam Hollandiam raisit, Ecclesiis-
que Belgicis dedicatum typis describi voluit Uli tarnen, a quibus
hoc officii requirebat, inconsultum id rati asscnsum negarunt:
tum maioris incendii metu, tum quia irreverentius agere visus est
causam, quae trepidatione potius & suspiriis, ac gemitu, quam
supercilio et ludibriis, agi digna videbatur. Praesertira cum Dra-
bicianae Visiones idem i Iii denuntiarent, quod Jeremias contra di-
centi sibi Hananiae, mortem eodem anno, quia adversus Dominum
loquutns esset (cap. 28. 16) quae et insequuta fuit utrobique: ibi
mense septimo, hic autem a denuntiatione prima (anno 1660, oct. 16
facta) mense decirao septimo: anno nimirum 1662 Aprilis 6.
2. Casu hoc non exterritus unus ex eiusdem Ecclesiae Seni-
oribu», Paulus Veterinus (primarius Feiini et aliorum adversus
Drabicium instigator) causam eui Pastor immortuus fuit continu-
andam suscepit: diversist|ue ad diversos scriptis et missis epistolis
(vernacule iam) criminationes amarulenter iteravit, editionemque
Ignis Fatui admodum ursit, assumpto in auxilium (alibi habitante)
Medico, Josepho Securio.
3. Quae res cum novas adeo daret turbas, ut novorum dissi-
diorum, odiorum schismatum, eoque scandalurum prae oculis es-
sen t initia : imo ipsi etiam nos (de Hevelationibus istis melius per-
svasi, nonnihil nütare, Drabicioque, Nobis, Ecclesiae, metuere
incipcremus communicatis ergo inter invicem consiliis decrevimus,
Ad Deum esse tandem pleno humilitatis affectu deferendam cau-
sam haue. Et quidem primum indicto nobis, dispersique populi
rcliquiis, ieiunio ac preeibus (quo solo armorum genere Dae-
monia in Christi nomine eiici, Dominus doeuit Matth. 17. 21).
Deinde adhibito ad controversiis finem inponendum divinitus
ordinato medio, Juramento (Heb. 6. 16).
5. Et quia per eosdem dies redibat iuniorum fratrum unus
in Hungariam, a nobis missus Sam. Junius, data i 11 i fuit in-
struetio talis. (Primo.) Informabit fratres (ubiubi congregatos)
de moderno Controversiae statu, et quid nobis factu opus videa-
tur: cum requisitione fraternae cooperationis ad scandala tollen-
dum. 2. Controversiae statum in eo versari, Utrum Fr. Nico-
laus Dr. divinitus aliquid patiatur revera, an vero proterve ac
impie Revelationes tingat? Nonnulli pii sperant prius : Paulus V.
affirmat posterius. Videndura igitur, quibus fundamentis nitantur,
hic et Uli. (3). Priorum argumenta potissima sunt quatuor.
(a) Fingi talia non posse, tanta rerum et styli sublimitate, ut haec
non hominem sonare videantur: nec ullum exemplum exstare
simile. (b) Aut si haec ab aliquo forsan extraordinarie ingenioso
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Zur LebenHgesehichte des Comenius.
279
tingi possent, a Drabicio tarnen non posse, ostendunt alia eius
(ex gr. epistolae, aut si quid novorum scribere tentat:) tarn ab
illis quae Oraculi nomine proferuntur diversa, ut plumbum est,
aut lutum ab auro. (c) Si Visiones fingere sciret Drabicius,
sciret etiam defendere (haec eniin eiusdem sunt artis) : nescit au-
tem, nisi aut impatientia et fletu, aut murmurc et eonvitiis, in
convitiatores suos regestis. (d) Si fingere posset tarn concinne
res et verba, posset longe faeilius Vitam, ad sanctitatem simu-
latam pseudoprophetis propriam. Nescit autem, ad scandalum
usque quod inde sumunt eius osores, eum hoc nomine infamantes.
Et forte haec ideo sie fieri Divina permittit Providentia, ut argu-
mento sit Simulatorem non esse, (e) Si denique fingere posset
praedieta, non tarnen praedictis dare posset veritatem et eventum :
praesertim in rebus tantis, commotionem gentium, nova bella, in-
teritus tot personarum et fami Harum etc. (4) Argumenta, quae
in Contrarium P. V. habet duo sunt, (a) Multa non impleri: id
quod non veracis Dei, sed mendacis hominis, esse vestigium.
(b) Ipsum Drabieium ista non credere, nec pro Divinis habere:
si enim crederet, viveret secundum ista. Sed respondent, qui
ultra corticem rem expendunt (tametsi ingemiscant ita fieri) ad
primum argumentum, Minutiora esse, quae non impleri dueuntur,
respectu eorum quae nimis implentur: de accenaa nimirum sie
flamma irae, Dei ad versus Mundi peccata, ut non exstingvenda
sit donec alii post alios consumantur populi etc. Item de horri-
biliter eastigandis imraorigeris, nominatim Racociana Domo: de
Turca venturo, si Ohristiani abominationes abolere nolint & alia
immunera. Non impleri ea potissimum quae sub conditione pro-
missa tuerunt : ubi culpa non in promittentem, sed in conditiones
non praestantem, cadit Si quid secus videtur, fortassis mysteria
subesse, deteganda suo tempore. Quicquid circa instrumenta
Providentiae sit, scopum tarnen persistere immote, et ad illum
proprius semper veniri (per alia licet, atque alia media) in evi-
denti esse.
(5.) Quantum ad Vitam Drabicii: respondent illum se non
facere Angelum, cum sciant esse hominem. Sufficere, quod quae
illi obiieiuntur naevi sint, non scelera. Quanquam Deum ne
propter flagitium quidem (humana infirmitatc admissa, et per
poenitentiam rursum elüta) alienare prorsus Spiritum suum a pro-
phetis, Davidis ostendit exemplum : qui adulter licet et homicida,
reconciliatus tarnen per poenitentiam Deo, Dei esse organon non
desiit Drabicium dudum novimus vehementis esse naturae, pro-
nae ad excessum in virtutibus et vitiis. Et quid tandem, si hic
etiam subsit mysterium? Ut ad annutiandura Mundo ultimae
gratiae tempora, ubi Dcus plenissimam reconciliationem promittens
(delere propter semet ipsum oranes defectiones populi sui, et non
recordari peccaturum eius, Jes. 43, 24 etc. et 59, 12 etc., Jer. 31, 34,
Ezech. 36, 19. 20 etc.) tarnen huc delegerit personam, cui peccati
reliquias adhaerere et nihilominus tarnen gratiae dona huc effundi,
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Kvaeaala,
Urft 10.
omnes videndo, in philanthropiae Dei admirationcm et adorationem
tanto magis abripiantur?
(6.) Ne tarnen scientes volentes ad indebita conniveamus, con-
tentionibusque ac factionibusque, vel profanitati, tbmenta reliqua-
nius, aut tandem incerti semper circa haec fluctuemus, decretum
esse Deo Vindici solvendum conimittere nodum hunc: invocando
iuiictim, ardentissimoque tandem cordis affectu, et unanimi oris
clamore Deura, ut causam hanc velut inter Eliam et ßaalitas
olim igne Zeli dignoscere dignetur. Cui fini prccandi formulam,
solis verbis divinis eonceptam, ad cos (ut et alios dispersos) mitti.
Eftundant igitur corara Deo animas suas, utque Pater raisericor-
diam diutius nobisilludi ne patiatur, propter Christum orent, omnes.
(7.) Veniendum dehinc erit ad examen, quäle nondum fuit:
per institutum divinitus controversias terminandi medium, Jura-
mentum (Heb. 6. 16). Quod quia in re tarn extraordinaria extra-
ordinariuni esse necessum est, praescriptam esse illius formulam,
e divinis Scripturis ad rem praesentem spectantibus. Cuius mit-
titur Exemplar: Fr. Drabicio ita ut ost offerendum. Quod si
admittet, et secundum illam formam Jusiurandum praestabit, eoque
modo Conscientiae suae Testern ac Vindicem Aeternura illura in
coclis habitantem sistet, officii nostri erit Deo id honoris habere,
ut ipsi iudicium et vindictam permittamus, cui soli eam deberi
ipse testatus est Deut. 32. 35. Ultra id si quid P. V. requirere,
Deoque ipso sapientior videri volet, videat, ne ipsius Dei (gla-
dium ultionis manu illius extorquere quaerens) iustam in se pro-
vocet vindictam.
(8.) Contra vero si Fr. Dr. iuraraentum hoc praestare et se iusto
ludicii Deo submittere recusaverit: debet ad nos refferri, ut aliud
quaeratur consilium. (9.) Si denique idem Fr. in se descendens
aliquid de suo fuisse additum (seu parum seu multuni) recordari
poterit et fateri volet, debebit illi offetri conditio, quam Deus
Prophetae suo Jeremiae fictionum itidem suspecto, obtulit: ncmpe
ut separet pretiosum a vili, triticum a palea si quasi os Dei esse
velit (Jer. 15, 19: et 23. 28). Nam ex Capitibus Jeremiae 15 et
17 et 43, satis evidens est Jeremiam, taraetsi a plerisque propheta.
Dei haberetur, non nullis tarnen et in non nullis suspectum fuisse,
quasi de suo aut in gratiam aliorum aliquid aflfingerct : exprobra-
tumque illi fuisse Non omnia impleri (Jer. 5, 13 et 17, 15)
Contra quod ille Deum testem invocabat, nihil se loquutum nisi
verba Dei (Cap. 15, 16 et 17, 16). Deus nihilo minus videre
suadet, annon pretioso admiscuerit vile aliquid, atque si factum
est separare illud: reliqua autem coinmenaare sibi, cui rationes
suae satis constant, cur aliquando alitcr quam loquutus fuit faciat:
Cap. 18. Si ergo secundum hanc normam Fr. Drabicius incedens,
erratum aliquod circa dicta etwripta sua (in eo quod non omnia pro-
terve tinxerit, testem in Coclis nobis sistens) fateri volet, illud
etiam aperte ad nos referri debet.
6. Addita epistola ad Pastores et Seniores Ecclesiae utrius-
que, Puchoviensis et Lednici-nsis.
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Zur Lebensgeschichte des Comenius.
281
8. Responsum ininistrorum V D. cum Senioribus Ecclesiao
Puch, et Lednicensis, ad Superattendentem suum tale fuit.
Obedientiam filialem, cum voto protectionis divinae in tantis
undique calamitatum plenis temporibus Ect. Dileete in Christo P.
literae Tuae ad nos iunetim datae, subscriptinnibusque R. R. Pa-
trum I. B. et N. ö. et D. V. firmatae : redditae nobis »mit manu
dilecti fratris S. .1. feliciter ad nos 8 Julit appellentis. E quibus
intellecta voluntate Vestra, Patres Venerandi, feeimus quod a nobis
requisitum fuit, iuxta instruetionem datam. De cuius totius actus
proeessu ecce Vos informamus sincere, puraque conscientia, sie
prorsus ut res actae sunt.
1. Primum ego Puchoviensium Pastor mox ea die, qua vestras
aeeepi, accersitis Ecclesiae raeae Senioribus, et Symmista, illis
praesentibus literas ad nos coniunetim spectantes resignavi, per-
ceptisque contentis postridie mane F. F. Lednicenses scripsi, ve-
nisseque ad nos missum Confratrem, singularia ad omnee nos
afferentem mandata, docui utque sc ad nos sistere vellent oravi.
Factum , venerunt eadem 9 Julii, ad vesperam : ubi ego ad Fr.
Drabicium spectantes eidem in mantim tradidi, et ad mecum per-
noctandum invitavi: reliquos quid negotii sit cras pereepturos
esse dicens.
2. Die Julii 10 peractis in Coetu sacro preeibus publicis,
ingressi sumus in meam, Pastoris, Dornum : ubi peracta cum Fr.
Drabicio consalutatione (quia in templo commode fieri non potuit)
dixi: Arduum nos prae manibus habere, negotium, denuo itaque
ab invocatione miaericordiae Dei, ad impetrandam Spiritus S.
gratiam inchoaturos. Ubi Fr. Drabicius, Orate vos hic, ego in
eubiculum secedam, et meas quoque preces peragam: exiitque.
3. Nos ergo praeraisso Cantu, Veni sanete Spiritus, pro-
eubuimus in genua omnes, gemitusque nostros (Oratione hue desti-
nata) ad Dominum fudimus.
4. Peracta suplicatione consedimus, Pastorque loci, gratiis
actis quod rogati comparuissent, quid agendum esset doeuit. Tum
lecta est communis illa epistola: dehinc Juramentum Drabicio
praescriptum (a cuius horrore perterriti plerique obstupuimus).
Demum Fr. Samuel legendam dabat Instructionen! suam.
5. Deliberatione super his rebus interposita accersitus est
Fr. Drabicius: perque Pastorem loci interrogatus, An literas a
R. R. Superattendcntibus ad Consessum hunc datas audire, con-
tentaque pereipere vellet? Annuit: addito, non ignorabam ego
ab aliquot iam septimanis quid mecum futurum sit. Dominus
enim indieavit mihi, si prascissem, mecum sumpaissem ut videretis.
Ego: sit illud »uo loco.
6. Praelegebatur itaque illi, primum epistola communis, dehinc
Juramenti formula. (Antequam tarnen haec legeretur, monebam
et rogabara, ut omnia attente expenderet ! Inesse enim terribilia
(agique hic de animae salute). Demum Instructio Samueli J.
data. Ad quae omnia quum ille nihil prorsus responderet, denuo
fuit, interrogatus, An vellet secundum praescripta hic secum
agi? Rrspondit dirpetc. Ita volo.
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282 Kvacaala, Zur Lebensgeschichtc des Comeniu«. Heft 10.
7. Quo audito tertia fuit proposita quaestio, An ergo Revc-
lationes suas omnes pro divinis haberct et haberi vellet? Assu
veretne adhuc, omnia illa iussu Omnipotentis Dei Jehovae, qui
non tantum misericors sed et iustus est, sibi dicta et scripta esse,
sine ullis additamentis? Kespondit: Assevero. Quin imo recipio in
animam meam, nihil a me additum esse: neque nequidquam
lucri causa, aut in alicuius gratiam vel odium, esse loquutum.
8. Progressi ulterius interrogavimus, An id iuramento tali,
quäle praescriptum est, firmare vellet? Denuo autem eum ad-
hortati sumus, ne se praecipitaret, deliberate ageret, imo et de-
liberandi spatium sumeret, indulturos esse noa. Kespondit: Nihil
deliberatione opus. Assurgensque , et man um utramque coelum
versus attollens ita loquutus est. Kecipio in animam meam, quic-
quid Revelationibus a me scriptis inest, non a me ipso, excogitatum,
nec de meo quidquam additum esse, sed ea sola, quae Dominator
Dominus scribi iussit. Credoque lirmiter, sanctam benedictam
Trinitatem omnia ista pro suis agnituram, utpote quae ab ipsa
aeterna Sapientia scribi iussa sunt.
9. Progressus inde ad mensam, sumtaque Juramcnti formula
in manum, pronuntiavit online, clare, aistineto omnia (nihil
omittens, potius hinc inde nonnulla, vcheraentioris asseverationis
causa superaddens) tanto Zelo, ut nos praesentes videndo et audi-
endo haec attoniti staremus: aliqui etiam nostrura tremerent et
plorarent. In medio vero illius iuramenti prospexit e fenestra
(quae aperta fuit) Coelum versus, Videtis ne Amici! videtis ne?
clamans: nos vero quid vidisset non interrogavimus. Cum ad
ultima venisset verba, de Adversario suo, ibi flebat: cum priora
omnia, de se, magna fiducia et animositate pronuntiasset.
10. Finito iuramento consedit, vultumque in mensa ponen»
chartam illam (unde iuramentum recitaverat) ter osculatum faciei
8upposuit. Tum vero (nobis omnibus attonitis, et silentibus)
surripuit se, et Psalmum 123 incinuit (Ad te levavi oculos qui
habitas in coelis. Sicut oculi servorum ad manus Dominorum
8uorura, ita oculi nostri ad Dominum Deum nostrum, donec mise-
reatur nostri. Miserere nostri Domine, miserere nostri ! quia mul-
tum repleti sumus despectione. Multum saturata est anima nostra
sannis et opprobriis, et conteratu öuperborum.) Quem quum nos omnes
concineremus, Hnitusque esset, ille procidens in genua (et nos cum
illo) ardentissimas ad Deum fudit preces, ut Dous ab approbriis
liberaret nomen suum cet.
Quae omnia ita esse acta, conscientia manuque testamur om-
nes nos subscripti, 16. Julii (1663) Puchoviae
Lucas Calesius, Paulus Laurinus p. t. Pastor
Eccl. Lednic. Pastor, Eccles. Puchoviensis Conf. Helv.
Tobias Jeffon V D. M. Ezechiel Alfeus
Wenzel Gottfried Bielsky Paulus Vetterin
de Karissow Nicolaus Pilsina
Samuel Junius Paulus Horatschek.
(Lux c ten. HL 478 ff.)
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Kleinere Mitteilungen.
Ratichiana.
Von Dr. P. Btötaner in Zwickau i. 8.
Es sei mir gestattet, im Nachfolgenden einige Ergänzungen
beziehentlich Berichtigungen zu dem trefflichen Litteraturbericht
zu geben, den Gideon Vogt im ersten Bande dieser Monats-
hefte 8. 148 ff. veröffentlicht hat.1
Unter Nr. 14 fuhrt Vogt einen Jenaer Bericht an, der ohne
Orts- und Zeitangabe erschienen sei, 47 Seiten in 12° habe und
in Zwickau (auf der Ratschulbibliothek) aufbewahrt werde. Ich
habe nun bereits in meiner Ausgabe des Giefsener und Jenaer
Berichtes (Ratichianische Schriften I, Leipzig 1892) von diesem
Druck bemerkt, dafs er in Magdeburg 1614 erschienen sei, ohne
jedoch dort näher auf diesen Punkt einzugehen. Das sei nun
an dieser Stelle nachgeholt
In seiner ersten Ausgabe der „Quellen- und Hülfsschriften
zur Geschichte des Didaktikers Wolfgang Ratichius" (Programm
des Kasseler Gymnasiums 1882) gedenkt Vogt des Zwickauer
Exemplare» noch nicht, wohl aber fuhrt er daselbst unter Nr. 15
einen Druck an, der mit jenem vielfach übereinstimmt. Es heifst
dort von diesem so: „(Reiche xylogr. Titelverzierung: Oben das
Bild eines Jagdhorns, unten das Bild einer Stadt.] Bericht von
der Didactica, | Oder | Lehr Kunst WOLFGANGI | Ratichij,
darinnen er Anlei- | tung gibt, wie die Sprachen J gar leicht vnd
geschwinde | können ohne sonderlichen | Zwang vnd Verdrufs
der | Jugend fortgepflan- | tzet werden." Wenn Vogt, wie ich
annehme, ganz genau beschreibt, so weicht diese Ausgabe von
der obengenannten Zwickauer, die ich als einen Magdeburger
Druck bezeichnete, in folgendem ab. Zunächst in Bezug auf die
Abteilung der Worte auf dem Titelblatt; in dem mir vorliegenden
Exemplar der Zwickauer Bibliothek ist so eingeteilt: „Bericht | Von
der Didactica, | Oder | Lehr Kunst | WOLFGANGI | Ratichij, ,
darinnen er Anlei- I " u. s. w., der Rest stimmt mit Vogts Angabe
genau Uberein. Dann aber trägt das Oval des reichverzierten
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284
Stötzuer,
Heft 10.
Titelblattes (oben ein Horn, unten eine »Stadt) noeli folgende Um-
schrift: OFFICINA- AD INSIGNE • | AVRES CORNV- | CON-
CORDIA • RES • | PARViE • CRESCVNT •
Diese Umschrift samt dem Bilde des Hornes darüber verrät
nun auch den Druckort des Büehelehens. Nämlich auf dem
letzten Blatt de» „angeheiukten kurtzen Berichtes etlicher Herrn
Professoren der löblichen Vniversität Giessen von derselben Ma-
tena" sehen wir das nämliche, von einem Kranze umrahmte
Horn in etwa« vergrößerter Gestalt; darunter aber stehen die
Worte: „Zu Magdcburgk, bey [ Levin Braunfs, Buchhünd | lers
Im Jahr 1 1614." Die Bucbdruckerei zum „goldenen Horn"
ist aber die Braunfaaehe in Magdeburg gewesen, und das Jahr
1614 gilt natürlich auch für den Jenaer Bericht, als dessen An-
hang nach den eben angeführten Worten der Giefsener anzu-
sehen ist.
Also: 1. Nr. 14 in Vogts Bericht ist 1614 in Magdeburg
erschienen, und zwar im Verein mit Nr. 6, dem Giefsener Be-
richt, der demnach nicht als eine selbständige Ausgabe, sondern
als Anhang zu Nr. 14 zu betrachten ist. 2. Der in Vogts
älterem Verzeichnis (Kassel 1882) unter Nr. 15 beschriebene
Druck des Jenaer Berichtes ist, wie durch das Horn bewiesen
wird, auch in Magdeburg bei Levin Braunfs gedruckt, scheint
aber mit dem Exemplare der Zwickauer Bibliothek nicht völlig
Übereinzustimmen, so dafs vermutlich zwei Ausgaben des Be-
richtes aus Magdeburg kommen — abgesehen natürlich von dem
im Jahre 1621 bei Wendelin Pohl erschienenen.
Unter Nr. 88 erwähnt Vogt „M. Joh. Wern. Krausens Anti-
quitates et Memorabilia Historiae Franconicac. Hildburghausen.
1753. 4°." Der Titel ist nicht vollständig angegeben, und doch
wäre das nötig gewesen, da unter demselben Haupttitel noch ein
zweiter Band 1755 erschienen ist. Es heilst nämlich nach den
von Vogt angeführten Worten „Antiquität«* .... Franconicaett
weiter: „Darinnen | Insonderheit der Ursprung, Einrichtung und
Merkwürdigkeiten | der Stadt | Eifsfeld | Von denen ältesten bifs
auf die ietzige Zeiten aus bewährten Urkunden | abgehandelt
worden i von i Johann Werner Kraufs. \ Hildburgnausen, | Ver-
legt b. Johann Gottfried Hanisch, Herzogl. Sächs. privilegirter |
Hof-Buchhändler 1753." Den Inhalt, soweit er für die Geschichte
des Ratichianismus von Belang ist, hat Vogt in dem mehrerwähnten
Programm S. 28 in kurzen Worten angedeutet. Ich will hier
nur eine Stelle daraus (S. 255 f.) anführen , die auf die Thätig-
keit Ernst des Frommen und seiner Mitarbeiter ein helles Licht
wirft: „So war Herzog Ernst genöthiget, sich nach solchen
Männern umzusehen, die dem Ratichio seine Kunst-Griffe ab-
gelernet, auch in praxi sattsam geübet hatten. Was er gesucht,
das hat er an vorgenannten Evenio, Brunchorst und Reyher
glücklich gefunden. Im Hauptwerck, was die Schul-Sachen be-
trifft, hatten sie einen Zweck, alles nach des Ratichii Lehrart
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1893.
Raticliiaua.
285
einzurichten: Ein jeder aber hatte sein besonders Geschaffte,
Evenius arbeitete so zu reden mit dem Herzog im Cabinet, und
entwurff die verschiedenen Schul- Methoden, Instructionen und
Verordnungen, die im Nahmen höchstbesagten Herzogs zum Vor-
schein kommen, und praeparirte darneben etliche Candidaten zum
Schulwesen; Keyher hatte seine volle Arbeit in der Schul mit
dociren, ausser der Schule mit Verfertigung der Schulbücher
nach dem Sinn des Ratichii, davon hernach soll geredet werden :
der Hof-Prediger Brunchorst aber hatte nebst seinem Predigt-Amt
vornehmlich mit Besuchung der Schulen zu thun, obs darinnen
recht zugieng nach der neuen Lehrart. Wenn der Herzog im
Land herum reisete, wie Seine löbliche Gewohnheit war, so
mufste der Hof-Prediger stets dabey seyn, und auf alles acht
geben, was in Kirchen und Schulen jedes Orts passirete und
etwa einer Besserung bedurffte." — Aber auch der 1755 er-
schienene Band der Antiquitates .... Franconicae ist für die
Geschichte des Ratichianismus nicht ohne jede Beziehung. Der
Titel ist auch in seinem deutschen Teile dem bereits angeführten
des ersten Bandes gleich , nur heifst es nach den Worten „der
Stadt" hier weiter: „und Dioeces | Königsberg, Sonnenfeld, Beh-
ringen | und Schalckau | von denen .... Hildburghausen, 1755. ■
Zu finden in der privilegirten Hof-Buchhandlung." Königsberg
in Franken ist aber auch eine von den Stätten gewesen, wo der
Ratichianismus eine Heimstätte fand. Zum Beweise dafür dient
ein Briefwechsel, der in naher Beziehung zu diesem Bande der
Ant. Franc, steht. Derselbe wird auch von Vogt a. a. O. er-
wähnt; es heifst dort: Das Hauptsächlichste aus diesem Brief-
wechsel ist ohne Zweifel noch erhalten in Krausens „Nachricht
von dem Ratichisnismo zu Königsberg, extrahiert aus dessen
Königsberger Historie in MSto." in der Bibliothek zu Weimar. —
Nebenbei bemerkt, ist dies Citat Vogts nicht ganz genau und
auch die Angabe über die Herkunft dieser Handschrift ist es
nicht. Das Original von „M. Johann Werner Krausens weil.
Diaconi zu Königsberg in Franken, Nachricht von dem Ratich ia-
nismo daselbst, als Königsberg noch unter Weimarische Landes-
hoheit gehörte, extrahiert aus dessen Königsbergischer Historie
in Msto." liegt vielmehr im Goethe-Archiv zu Weimar. Die
Handschrift der Weimarer Bibliothek enthält nur eine Abschrift
davon, besorgt durch „Th. Kräuter, im Oktbr. 1845".
Doch ich wollte darthun, dafs auch der zweite Band der
Ant, Franc, nicht ohne Belang für den Ratichianismus sei. Er
ist es in sofern, als man aus ihm hinreichende Belehrung em-
pfängt Uber einige Persönlichkeiten, die zu jenem Briefwechsel
und zu den Ant. Franc, in Beziehung stehen. Der im Goethe-
Archiv im Auszug .erhaltene Briefwechsel fand nämlich statt
zwischen dem weimarischen Generalsuperintendenten Abraham
Lang und seinem Schwiegersohn Mag. Gregorius Ewald,
der von 1613 bis 1641 Superintendent zu Königsberg war. Jener
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286
Stfttzner, Ratichiana.
Heft 10.
ist einer der erbittertsten Gegner des Ratichius gewesen, der
vielleicht das Umsichgreifen der Lehren des Didacticus im Weima-
rischen erfolgreich gehindert haben würde, wenn ihn nicht schon
1615 ein plötzlicher Tod hinweggerafft hätte; dieser war ein
nicht minder eifriger Anhänger der neuen Lehre. Aus dem
zweiten Band der Ant Franc, ist nun ersichtlich, dafs der Enkel
dieses Magister Ewald ein Mag. Johann Werner Krause war, der
1732 als Diakonus zu Königsberg starb. Es werden von ihm
folgende historische Arbeiten aufgezählt, die sämtlich nicht ge-
druckt worden sind :
I. Königsbergische Annales, 2 Folianten.
II. Lebensbeschreibungen der Beamten u. s. w. in der Stadt
und Amt Königsberg.
III. Beschreibung des Amts, der Cent, der Stadt Königs-
berg u. s. w.
IV. Genealogica derer vom Adel, die im Amt Königsberg
Unterthanen haben.
Der Verfasser der Ant Franc, schliefst dann die Lebens-
beschreibung des Mag. J. W. Krause mit den Worten: „Und
diese gegenwärtige Königsbergische Kirchen- und Schul-Historie
ist raeistentheils seine Arbeit." Dieser Verfasser nennt sich aber
auch Mag. J. W. Krause, und der Zeit nach ist es wohl des
1742 verstorbenen Diakonus Krause Sohn, der im ersten Bande
der Ant. Franc, als derzeit (1753) lebender Superintendent zu
Eifsfeld bezeichnet wird. Daher erklärt sich, dafs er jenen Brief-
wechsel Ewalds, als seines Urgrofsvaters, besafs.
Die Sache liegt nun demnach kurz so: Die Antiquitates et
mem. bist. Franconicae sind verfafst von dem J. W. Krause, der
1753 Superintendent zu Eifsfeld war; die Königsbergische Ge-
schichte in Msto, aus der Goethe einen Auszug besafs, hat zum
Verfasser den Vater dieses Superintendenten, den 1732 zu
Königsberg verstorbenen Diakonus Krause. Diese Königsbergische
Geschichte aber ist jedenfalls dasselbe Werk, welches oben als
Königsbergische Annales bezeichnet worden ist. Ob dies und
die anderen handschriftlich hinterlasse nen Werke des altehr-
würdigen Chronisten seines Heimatlandes noch vorhanden sind,
ist unbekannt Sind sie aber verloren, so ist doch ihr wesent-
licher Inhalt erhalten, einesteils in dem zweiten Bande der Ant
Franc, andernteils in dem Manuscript des Goethe-Archivs und
dessen Abschrift auf der Weimarischen Bibliothek.
Endlich will ich noch bemerken, dafs zu der neuesten Litte-
ratur Uber Ratichius im vergangenen Jahre noch eine Leipziger
Dissertation von Carl Christoph hinzugekommen ist, die den Titel
führt: „Wolfgang Ratkes pädagogisches Verdienst".
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Litteraturbericht.
Lottert Ii, J. : Dr. Balthasar Hvibmaier und die Anfänge der
Wiedertaufe iu Mähren. Brünn 1893. VIII, 217 S. 8°.
Vorliegende Schrift will einige Bausteine zusammentragen zu
einer unparteiischen Darstellung der Geschichte der Wiedertäufer,
die vollständig erst dann geliefert werden kann, wenn die Forschung
sich nicht weiter nur beschränkt auf die Schriften der Gegner des
Anabaptismus, sondern sich ausdehnt auch auf die zahlreichen, zum
guten Teile noch gänzlich unbekannten Schriften der Taufgesinnten
selbst. Mit gründlicher Beherrschung der einschlägigen gedruckten
Quellen und Litteratur und mit Verwertung reichen ungedruckten
Aktenstoffes giebt der Verfasser hier ein Bild von dem Leben und den
Anschauungen B. Hubmaiers, einer der hervorragendsten Persönlich-
keiten unter den Führern der sog. Wiedertäufer, und verbreitet
sich dabei eingehend über die anabaptisti sehen Bewegungen in den
österreichischen Vorlanden und in Mähren, den Hauptschauplätzen der
Wirksamkeit Hubmaiers. Dabei ist der reiche litterarische Nachlafs
des verstorbenen Ritters von Beck ausgiebig benutzt worden , eine
umfangreiche Sammlung von Materialien zu einer Geschichte der
Wiedertäufer in den einzelnen Provinzen Österreichs.
Das Buch zerfällt in zwei Teile. Es behandelt im ersten die
Wirksamkeit Hubmaiers in Waldshut. Der Verfasser wiederholt
hier zum guten Teile das, was er in seinem Aufsatze „Die Stadt
Waldshut und die vorderösterreichische Regierung in den Jahren
1523—1526" (Archiv für österreichische Geschichte, Bd. 77 (1891)
S. 1 — 149) niedergelegt hat, holt aber zugleich nach, was er dort
versprach, die biographischen Angaben über Hubmaier und eine
kritische Betrachtung seiner Lehren und Schriften. Die Anfänge
der Reformation in Waldshut, ihr Fortschritt, die langen, erfolglosen
Verhandlungen zwischen der Stadt und der vorderösterreichischen
Regierung, endlich die Einnahme und Bestrafung von Waldshut,
alles dcis ist fast unverändert aufs neue wieder zum Abdruck ge-
langt, aber Uberall da mit bemerkenswerten Zusätzen vermehrt, wo
Hubmaier besonders thätig oder ratend eintritt. Gleich im ersten
Kapitel ist Hubmaiers früherer Lebensgang, seine Wirksamkeit als
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288
Litteraturbericht.
Heft 10.
Domprediger iu Regeusburg, sein heftiges, fast fanatisches Auftreten
daselbst gegen die Juden, eingehender berücksichtigt worden. Ge-
nauer wird verfolgt, wie er zunächst während seines ersten Aufent-
halts zu Waldshut (1521) noch völlig die hergebrachten Gebrauche
der Kirche beobachtet, wie er aber allmählich durch die Lektüre
der Paulinischen Briete, der Schriften Luthers und durch persön-
liche Beziehungen zu Männern wie Busch, Erasmus u. a. schon
während seines zweiten Aufenthalts in Regeusburg (1523) sich der
neuen Lehre zugeneigt zeigte, in der er sich dann in eifrigem Verkehr
mit Zwingli mehr und mehr befestigte, so dafs er im Religionsgespräch
zu Zürich (Okt. 1523) scharf gegen die Bilderverehrung und den Opfer-
charakter der Messe auftrat, sich aber immer noch gemäfsigt verhielt und
vor allzu raschen Reformschritten warnte. Im zweiten Kapitel werden
die 18 sogenannten Schlufsreden hinzugefügt, das christliche Leben
betreffende Sätze, über die Hubmaier noch im Jahre 1523 mit der
Waldshuter Geistlichkeit disputieren wollte. Sie sind ganz im
Zwinglischeu Geiste gehalten ; und auf ihrer Grundlage führte nun
llubmaier die kirchlichen Neuerungen in Waldshut im Sinne der
Schweizer Reformatoren durch, um so erfolgreicher, da er in allen
seinen Bestrebungen wirksamen Rückhalt an Zwingli und nach-
drückliche Unterstützung seitens Zürichs gewann. Auch weitere
26 Schlufsredeu werden aufgeführt, die im November 1523 erschienen
und an Eck gerichtet waren und die Frage behandelten, wer in
Glaubeussachen Richter sein solle. Mit keinem Worte war bisher
der Kindertaufe gedacht. Entscheidend aber für die Geschicke
Hubmaiers und Waldshuts wurde es, als llubmaier sich Ende 1524
nach persönlicher Bekanntschaft mit Münzer und im Anschlufs an
Männer wie Grebel, Manz, Röublin, den Wortführern des sog. Anabap-
tismus anschlofg und damit sich und der Stadt jede Sympathie und
jede Unterstützung der Partei Zwingiis entzog, so wenig er auch
zu den Fanatikern der Wiedertaufe gerechnet werden darf. Dafür
giebt den besten Beweis das fünfte Kapitel des ersten Buches, sowie
das zweite des zweiten der vorliegenden Arbeit, in denen der Ver-
fasser eine dankenswerte Übersicht Uber den Inhalt der meist schwer
zugänglichen Streitschriften darbietet, die Uber die Taufe zwischen
Hubmaier und Zwingli gewechselt worden sind. Der Teilnahme
Hubmaiers am Bauernkriege ist auch hier ein besonderes Kapitel
gewidmet, in dem der Verfasser ebenso wie in seinem früheren
Aufsatze zu dem Ergebnis gelangt, dafs die Gegner Hubmaiers
diesem manches zur Last legten, woran er in Wirklichkeit unschuldig
war, dafs Hubmaier nicht als der Verfasser des Artikelbriefcs und
der zwölf Artikel der Bauern zu betrachten ist, wenn er sich auch,
zumal unter dem Einflufs Münzers, den Inhalt derselben zu eigen
gemacht hat Der Anschlufs Hubmaiers an den Anabaptismus zu-
sammen mit der Niederlage der Bauern bei Griefsen am 4. No-
vember 1525 beschleunigten den Fall des nun völlig isolierten
Waldshut. Schon am 5. Dezember war die Stadt in den Händen
der vorderösterreichischen Regierung. Hubmaier entkam mit genauer
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1893.
Littel aturbericht.
289
Not nach Zürich, mufste dort einen erzwungenen Widerruf seiner
Uber die Taufe gehegten Ansichten leisten und wandte sich dann
Uber Konstanz und Augsburg nach Mahren. Im Juli 1526 traf er
in Nikolsburg ein.
Der Wirksamkeit Hubmaier» in dieser Stadt ist der zweite Teil
der vorliegenden Schrift gewidmet. Hubmaiers Person steht im
Mittelpunkt der Darstellung, die aber auch sonst noch erwünschte
Beitrüge zur Geschichte der kirchlichen Neuerungen in Mähren
giebt, wo, wie besonders in Nikolsburg, schon seit 1524 umfang-
reiche evangelische Gemeinden bestanden. Der Verfasser fügt bio-
graphische Skizzen Uber Martin Göschl, Hans Hut u. a. bei. Vor
allen Dingen aber sind die Aufschlüsse wichtig, die wir hier Uber
die Stellung erhalten, die Hubmaier zu den radikalen Richtungen
innerhalb der Taufgesinnteu einnahm. Denn so grofs am Anfang
der Zudrang zu ihm war, so erstanden ihm doch auch bald unter
den Wiedertäufern selbst zahlreiche und heftige Gegner, da er ent-
schieden gegen die chiliastischen Schwärmereien, gegen die Mifs-
achtung der weltlichen Obrigkeit, gegen die Verweigerung des
Kriegdienstes und des Steuerzahlens zu Kriegszwecken auftrat und
sich damit in scharfen Gegensatz zu der radikalen Partei unter
Hans Huts Führung setzte. Der Verfasser läfst hier Hubmaier
selbst recht ausgiebig das Wort und giebt eine vollständige Über-
sicht Uber dessen litterarische Wirksamkeit. In der kurzen Zeit
seines Aufenthalts in Nikolsburg hat Hubmaier nicht weniger als
18 Schriften veröffentlicht. Sie sind sehr verschiedener Art. Zu-
nächst setzte er seine Verfechtung der Spättaufe — er lehnt den
Namen Wiedertaute ausdrücklich ab, denn die Kindertaufe sei keine
Taute gegen Zwingli und dessen Anhang in mehreren Abhand-
lungen fort, lalst auch in den „zwölf Artikeln des christlichen
Glaubens" nach Art des apostolischen Symbolums sein Glaubens-
bekenntnis zusammen und gab in seiner „kurzen Entschuldigung"
eine Widerlegung aller seit Jahren gegen ihn erhobeneu Anklagen
und Verleumdungen. Erbaulichen Inhalts ist sein „kurzes Vater-
unser". Lehrhaften Zweck verfolgt sein „Unterricht auf die Worte :
Das ist der Leib mein", in dem Hubmaier 15 verschiedene Mei-
nungen Uber die Lehre vom Abendmahl bespricht. Die „Form zu
taufen" und die „Form des Nachtmahls" schildern die Art und den
Sinn, in denen zu Nikolsburg und anderswo von Hubmaier und
seinen Anhängern Taufe und Abendmahl gehalten wurden. Die
Pflicht der christlichen Nächstenliebe wird in den Schriften von der
»brüderlichen Strafe" und von dem „christlichen Bann" erörtert;
die Freiheit des Willens und die Unerläfslichkeit der guten Werke
neben dem Glauben gegen deren Bekämpfer in zwei Traktaten
energisch verteidigt und endlich verficht das Buch „vun dem
Schwert" die Berechtigung resp. die Notwendigkeit für den Christen,
das Schwert zu führen, und eine ordentliche, gerechte und fromme
Obrigkeit zu achten. Von all diesen mehr oder minder umfang-
reichen Werken wird der Inhalt kurz charakterisiert mit Beibringung
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290
Litteraturboricht.
Heft 10.
der hauptsächlich hervorstechenden Stellen. Wir erkennen da in
Hubmaier einen beredten und überzeugungsvollen Anhänger der
Spättaufe, sonst aber einen Mann, der im Gegensatz zu radikalen
Bestrebungen gern und bestimmt in gemässigte Bahnen einlenkt.
Hubmaiers Wirksamkeit in Mähren war nur von der kurzen
Dauer eines .Jahres. Schon im Juli 1527 safs er in Wien als Ge-
fangener. In seiner letzten erhaltenen Schrift ^Rechenschaft an
den König" giebt er im Januar 1528 noch einmal bündig sein
Glaubensbekenntnis in 27 Artikeln. In allem will er sich ganz an
die alte Kirche anschliefsen, nur die Artikel von der Taufe und
dem Abendmahl will er einem allgemeinen Konzil vorbehalten
wissen. Dem festen Entschluß König Ferdinands, die Wiedertäufer
in seinen Landen auszurotten, ist er zum Opfer gefallen. Seine
Waldshuter Vergangenheit und seine hartnäckige Verweigerung eines
Widerrufs in Sachen der Taufe und des Abendmahls beschleunigten
seine Verurteilung. Am 10. März 1528 erlitt er standhaft den Tod
auf dem Scheiterhaufen.
Dem verdienstvollen Buche, das am Schlufs noch Nachrichten
über die energische Verfolgung der mahrischen Wiedertäufer seitens
der österreichischen Regierung giebt, sind 15 Beilagen beigefügt,
die für die Geschichte Hubmaiers wichtige Akten aus Schweizer,
deutschen und österreichischen Archiven enthalten. Bemerkt sei
noch, dafs der Verfasser eine ausführliche Geschichte der Wieder-
täufer in Österreich Uberhaupt zu liefern verspricht, wofür ihm auch
die reiche Materialiensammlung des verstorbenen Ritters v. Beek
zur Verfügung steht.
Münster i. W. Dr. H. Detmer.
Dörpfeld, F. W. , Beiträge zur pädagogischen Psychologie in
monographischer Form. Erstes Heft: Denken und Gedächtnis.
4. Auflage. Gütersloh, Druck und Verlag von (\ Bertelsmann.
1891. XXVIII, 179 S. 8°.
Die bekannte Monographie Dörpfelds liegt in neuer Auflage
vor, ein Zeichen, dafs dieselbe einem wirklichen Bedürfnis der
Lehrerwelt entspricht. Wenn auch der Referent den Standpunkt
Dörpfelds nicht teilt — derselbe ist nämlich der Herbarts — aner-
kennt er doch gerne , dafs der Verfasser durch vorliegende Mono-
graphie einen wertvollen Beitrag zur pädagogischen Psychologie
geliefert hat. Die zum 8chlusse seiner Monographie gezogene kurze
Summe der Lehre vom Denken und Gedächtnis: „Wer im Unter-
richt das Memorieren vernachlässigt, ist ein Thor: — wer aber
das Denken vernachlässigt, ist ein zweifacher Thor, und wenn er
dazu beim Repetieren die judieiösen Memoriermittel nicht be-
nutzt, ein dreifacher", ist wohl unanfechtbar. Man darf dem Ver-
fasser nur Dank dafür wissen, dafs er so erfolgreich gegen den
didaktischen und insbesondere den Memorier-Materialismus zu Felde
gezogen ist.
Czernowitz. Hochegge r.
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I
1893. Litteraturbericht. 291
II au ff e, Gustav, Das Verhältnis der Pädagogik Schleiermacher' s
zu den Prinzipien Pestalozzi'«. Soest, Wilh. Tappen. 1892.
182 S. 8°.
Während Pestalozzis Schriften und Lehren verhältnismäfsig tief
in das Volk und die Lehrpraxis eingedrungen sind, läfst sich das
gleiche von Schleierinachcrs pädagogischem System nicht behaupten.
Bei dem tief sittlichen und religiösen Gehalt der Schleiermacherschen
Anschauungen ist dies sehr zu bedauern. Gleich Pestalozzi war
auch er erfüllt von einer unerschöpflichen Liebe zum Volke, von
glühender Hegeiste rang für seinen Beruf und erkannte in der
Familie, besonders in der Mutter, die Bedingung für alle erspriefs-
liche Erziehung. Beide Denker stellen auch die erzieherische
Thätigkeit unter den Gesichtspunkt eines künstlerischen Wirkens.
Die meisten Forderungen Schleiermachers, welche er als Zweck und
Endziel der Erziehung hinstellt, treffen oft überraschend mit denen
Pestalozzis zusammen. Nur zeigt sich Schleiermacher im Aufbau
des Systems überlegen, besonders auch dadurch, dafs er gleich grofs
in der Theorie wie in der Praxis war, was sich von Pestalozzi nicht
behaupten läfst. Die Schleiermachersche Theorie ist, so spekulativ
sie dargestellt ist, doch auch ausführbar. Sie kommt demnach einer
Beschreibung der vernünftigen Praxis gleich.
Hauffe giebt bezüglich der wichtigsten Fragen aus der Theorie
der Erziehung eine vergleichende Darstellung der Ansichten beider
Denker. Seine Zusammenstellung ist meist recht geeignet, die
Eigenart derselben hervortreten zu lassen.
Czernowitz. II o c h e g g e r.
Lange, Karl. Über Apperception. Eine psychologisch - pädago-
gische Monographie. Vierte, verbesserte Auflage. Plauen, Druck
und Verlag von G. E. Neupert. 1891. IV, 242 S. 8°.
Selten hat eine Monographie eine Reihe von Auflagen erlebt.
Es ist ein erfreuliches Zeichen dafür, wie sehr das psychologische.
Interesse in pädagogischen Kreisen gewachsen, dafs eine Schritt, wie
die vorliegende, so zahlreiche Abnehmer fand. Sie verdient aber
auch höchste Beachtung, man könnte sie geradezu als klassisches
Muster einer mit gründlicher Sachkenntnis gearbeiteten Monographie
hinstellen. Aus ihr kann nicht blofs der Pädagog, sondern ebenso
der Psycholog vom Fach lernen. Wie wünschenswert wäre es, dafs
wir auch für andere Teile der Psychologie und insbesondere auch
der psychologisch- pädagogischen Theorie ähnliche Einzelunter-
suchungen hätten ! Der Verfasser giebt zunächst eine treffliche
Analyse des Wesens und der Arten der Apperception, die er als
diejenige seelische Thätigkeit bezeichnet, durch welche einzelne
Wahrnehmungen, Vorstellungen oder Vorstellungsverbände zu ver-
wandten Produkten unseres bisherigen Vorstellungs- und Gemüts-
lebens in Beziehung gesetzt, ihnen eingefügt und so zu gröfserer
Klarheit, Regsamkeit und Bedeutung erhoben werden. Sodann be-
Monatshefte der Comeniu»-G**eU»ehaft. 1K«3. 21
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292
Litteraturberioht.
Heft 10.
spricht er die Bedingungen der Apperception und zeigt, welche Be-
deutung Uberhaupt die ganze Geiste»- und Gemütsverfassung für
den Verlauf der geistigen Aneignung hat, wie ferner neben den
psychischen Bedingungen auch physische Vorgange nicht Ubersehen
werden dürfen. Ihre eigentliche Motivirung findet die Monographie
durch den Abschnitt , welcher die Bedeutung der Apperception für
die geistige Entwicklung des Menschen bespricht. Lange zeigt, dafs
die Apperception auf allen Stufen der Geistesentwicklung wirksam
ist. Sie leistet uns wesentliche Dienste bei der Erwerbung neuer
Anschauungen, wie auch bei der Verarbeitung und Durchbildung
des erworbenen Seeleninbaltes. Mit Hülfe der Apperception erheben
wir uns erst von seelischer Unfreiheit zu geistiger, sittlicher
Freiheit, so dafs nur durch sie wahre Bildung ermöglicht wird.
Daraus ergiebt sich, dafs alles Lernen der Hauptsache nach ein
Appercipiereu ist und die Hauptaufgabe des Lehrers darin besteht,
den Vorgang desselben regelmäfsig und sicher im Schüler einzu-
leiten und zu Ende zu führen. In dem Kapitel „Die Apperceptions-
theorie in ihrer Anwendung auf die Pädagogik" zeigt Lange, dafs
die Forderung, den Apperceptionsvorgang möglichst zu fördern, auf
alle Gebiete des Unterrichts sich erstreckt und die meisten und
wichtigsten didaktischen Grundsatze in sich schliefst, somit als ein
oberster Grundsatz gelten kann. „.leue allgemeinen Imperative z. B.,
in welche eine Richtung der neueren Pädagogik ihre Theorie zu-
sammenzufassen pflegt, jene Satze, wie: „Vom Bekannten zum Un-
bekannten!" „Vom Nahen zum Entfernten!" »Vom Leichten zum
Schweren !" lassen sich, soweit sie Wahres enthalten, zumeist zurück-
führen auf die Forderung: Sorge für leichte und gründliche Apper-
ception! und es kommt ihnen nur in dein Grade Gültigkeit zu, als
sie diesem Grundsatze entsprechen."
Ein geschichtlicher Abrifs, welcher die Entwicklung des Apper-
ceptionsbegrifl'es von Leibniz bis auf Wundt darstellt , bildet eine
willkommene Ergänzung des systematischen Teils der Abhandlung.
Die neueste Auflage kann insofern als eine verbesserte be-
zeichnet werden, als sie die Ergebnisse der physiologischen Psycho-
logie unter den Bedingungen der Apperception eingehender würdigt,
ferner b*-i der Theorie der Kulturstufen eine teilweise Umarbeitung
erhielt und endlich die Grenzen genauer abzustecken bemüht ist,
innerhalb deren dem Verfasser die Bearbeitung eines Lehrstoffes nach
den formalen Stufen allein zulässig erscheint.
Czernowitz. Hoch egger.
Spencer,- Herbert, Von der Freiheit zur Gebundenheit. Vom
Verfasser genehmigte Übersetzung durch Dr. Wilhelm Bode. Berlin,
Leonhard Simion. 1891. 30 Pf.
Der englische Philosoph weist auf eine auffällige Erscheinung
hin: die Klage Uber die Schlechtigkeit der Dinge nimmt um so
mehr zu, je mehr diese Dinge sich gebessert haben. Solange die
Frau noch das Lasttier des Mannes und vollständig unterdrückt war,
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1893.
Litten» tu rbericht.
293
klagte man nicht Uber die unfreie Stellung derselben ; solche Klagen
wurdeu erst rege in der Gegenwart, wo die Rücksicht gegen die
Frau obenan steht. Ähnliches beobachten wir auf dem Gebiete des
Erziehung»- und Unterrichtswesens. In der Gegenwart, da man die
weitgehendsten Vorkehrungen für eine ersprjefsliche Erziehung ge-
troffen, klagt man Uber die mangelhaften Mafsregeln auf diesem
Gebiete. Niemals hat man auf dem Gebiete des Volksschulwesens
so viel geleistet, wie in unserer Zeit; in Kulturstaaten werden sämt-
liche Mitglieder in die elementaren Grundlagen der Bildung ein-
geführt — da entstand der Ruf. dafs das Volk aus Mangel an
Bildung verkomme. So verhält es sich im allgemeinen mit den ge-
sellschaftlichen Zuständen. Die Unzufriedenheit mit dem Zustande
der gesellschaftlichen Ordnung läfst die Frage offen, ob die gegen-
wärtigen Mifsstände nicht geringer sind als diejenigen, welche wir
in einer anderen gesellschaftlichen Ordnung zu tragen hätten. In
der That würde die Verwirklichung der socialistischen Idee einen
Rückschritt von der Freiheit zur Gebundenheit bedeuten. Es ist
zwar in den gesellschaftlichen Einrichtungen eine Umwandlung un-
vermeidlich und wünschenswert, aber diese Umkehrung kann sich
nur als langsamer Entwicklungsprozefs vollziehen. Plötzliche Um-
stürze gefährden die Gesellschaft und die daraus hervorgehenden
Einrichtungen haben auch keinen Bestand. Wie die Geschichte
lehrt, verwandeln sie sich langsam oder schnell in das Gegenteil, iu
das, was eben durch den jeweiligen Entwicklungszustand der Ge-
sellschaft bestimmt ist. Möchten dies auch diejenigen vor Augen
haben, welche unser Unterrichts- und Erzie.hungswesen mit Ver-
kenuung und Mifsachtung der historischen Entwicklungsgesetze aller
gesellschaftlichen Verhältnisse auf vollständig neue Grundlagen zu
stellen beabsichtigen ! Auch im Erziehungswesen taugen solche Ver-
suche nichts und können nur zu bedenklichen Hemmungen der Ent-
wicklung, dem dasselbe unterworfen ist, führen.
Czernowitz. Hochegg er.
D ie esc u, Torna. August Hermann Niemeyers Verdienste um das
Schulwesen. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktor-
würde der philosophischen Fakultät der Universität Leipzig. Leip-
zig, Verlag von Gustav Fock. 1891. 178 S. 8 ü.
Die gediegene Abhandlung berührt zunächst die Geschichte von
dem Urspruuge und dem Stifter der Franckeschen Schulen in Halle,
kennzeichnet die Einrichtung derselben, die in ihr herrschende Zucht
und Iiehrart und wendet sich dann Aug. Herrn. Xiemeyer zu, welcher
die Frankeschen Stiftungen zu neuer Blüte brachte. Eine quellen-
mäßige Geschichte des Lebens und der Entwicklung des hervor-
ragenden Pädagogen legt uns dar, wie Niemeyer das ward, was er
war. Wir lernen letzteren auf dem Boden seiner Thätigkeit als
Theologen kennen, in seinem Bestreben, die Bildung des Predigers
wie des Religionslehrers zu veredeln , ferner als Reformator der
Halleschen Stiftungen. Dicescu hebt die Eigenart der Anschauungen
21 ♦
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294
Litteraturbericht.
Heft 10.
Niemeyers gegenüber seinen zeitgenössischen Pädagogen (Rousseau
und Pestalozzi) hervor, besonders auch seine Verdienste auf dem
Gebiete der nationalen Bildung und der allgemeinen Didaktik,
ferner bespricht er seine Wirksamkeit als Kanzler und Rektor der
Universität Halle; im Schlufsabschnitt werden unB einige Kernpunkte
aus seinem pädagogischen Vermächtnis, „Grundsätze der Erziehung
und des Unterrichts", vorgeführt und gezeigt, dafs der pädagogische
Standpunkt Niemeyers dem eines auf den Boden der Erfahrung sich
stützenden Eklektizismus gleichkommt.
Dicescus Dissertation kann als wertvoller Beitrag zur Geschichte
der Pädagogik bestens empfohlen werden.
Czernowitz. H och egge r.
Lay, W. A. Psychologische Grundlagen des erziehenden Unter-
richts und ihre Anwendung auf die Umgestaltung des Unterrichts
in der Naturgeschichte. Eine Festgabe zur Comeniusfeier 1892.
Bühl (Baden), Verlag der Aktiengesellschaft Konkordia. 1892.
XI, 112 S.
Die Pädagogik darf sich nicht verschliefsen der allgemeinen
wissenschaftlichen Bewegung und den Fortschritten derselben, ins-
besondere soll sie mit der Philosophie in engem Zusammenhang
stehen. Nur dann werden Erziehung und Unterricht kulturgemäfs
sein. Gerade bezüglich dieser Forderung kann uns, so bemerkt
Lay, Oomenius ein leuchtendes Vorbild sein. „Comenius suchte das
Wohlergehen seines Volkes und das der Menschheit zu begründen
durch den Unterricht der Jugend, und zwar durch einen Unterricht,
der den Fortschritten der Philosophie und der Naturwissenschaften
seiner Zeit entsprach, der nach Lehrverfahren und nach Lehrstoff
kulturgemäfs gestaltet war." Zwei Gebiete sind es, welchen in der
Gegenwart grofse Pflege zu teil wurde und die sehr aufgeblüht sind :
die Biologie und physiologische Psychologie. Beide haben für die
Pädagogik grofse Bedeutung. Der Biologie wendet die Methodik
seit einigen Jahren ihre Aufmerksamkeit zu, während die Ergebnisse
der physiologischen Psychologie noch nicht gehörige Berücksichtigung
für die Theorie der Pädagogik gefunden haben. Lay meint, dafs
man durch die physiologische Psychologie auch ein tieferes Ver-
ständnis für das Hauptwerk von Comenius, für die Didactica magna
erreichen werde. Die physiologische Psychologie besitzt nämlich
gröfste Bedeutung für die Erkenntnislehre. Das Erkenntnisproblem,
welches in der Gegenwart für alle Wissenschaften grundlegend ge-
worden ist, hat seinen Ausgang in den Ideen des Comenius und
seiner Zeitgenossen. „Die heutige Erkenntnistheorie gleicht einem
vielgegliederten Baum, den Comenius blofs als das von der Samen-
schale eingeschlossene Keimpflän/cheu kannte. Erst wenn wir die
einzelnen Teile dieses Baumes und ihre Funktionen kennen, sind
wir imstande zu beurteilen, wie weit Comenius die noch unent-
wickelten Teile und ihre Funktionen richtig erkannt habe. Wir
sind dann aber auch imstande, alles, was er gedeutet hat, besser
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1893.
Littoraturbcricht.
295
zu erklären, bestimmter zu erfassen und erfolgreicher zu pflegen."
Wir werden nur im Sinne des Oomenius handeln, wenn wir den
Zusammenhang mit der Psychologie und Erkenntnistheorie be-
wahren. In diesem Sinne will nun Lay durch vorliegende Arbeit
eine Anregung geben. Der Verfasser benutzt die Ergebnisse der
physiologischen Psychologie, um die Entwicklung der Anschauung,
des Verstandes, des Gemütes, und zwar des sittlichen, ästhetischen
und religiösen Interesses darzustellen. Von diesen Grundlagen aus
erschliefst er, wie der Stoff und das Lehrverfahren beschaffen sein
mufs, damit der naturgeschichtliche Unterricht alle jene Seiten des
Bewußtseins allseitig und intensiv erfasse und entwickle. Lay zeigt
sich in seinen psychologischen Anschauungen vorwiegend durch
A. Riehl und W. Wundt beeinflufst. Neben dem mannigfache An-
regung gewährenden Abschnitte, welcher die psychologische Grund-
legung und die methodischen Grundsätze entwickelt, bespricht die
Abhandlung auch die Mängel und Gefahren der heutigen Reform-
bestrebungen. Die Reform! itteratur unserer Tage steht nach des
Verfassers Ansicht nicht entschieden genug auf dem psychologisch-
ethischen Standpunkt. Der Schlufsabschnitt bringt die methodische
Behandlung eines speziellen naturgeschichtlichcn Themas.
Lays Abhandlung ist als eine wertvolle Bereicherung der
pädagogischen Litteratur zu bezeichnen.
Czernowitz. Hocheggcr.
Flügel, 0. Über die Phantasie. Ein Vortrag. Langensalza,
Herrn. Beyer & Söhne. 1892. [Pädagogisches Magazin. Ab-
handlungen vom Gebiete der Pädagogik und ihrer Hilfswissen-
schaften. Herausgeg. von Friedrich Mann. 10. Heft.] 24 S. 8°.
Der bekannte philosophische Schriftsteller der Herbartschen
Schule schildert uns in recht anregender Form die Erscheinungen
des Phantasielebens und weist auf die Bedeutung desselben für die
Geistesentwicklung und Beschaffenheit hin. Die Phantasie scheint
ihm gleich bedeutsam für die intellektuelle, wie für die Geftthls-
und Willensseite. Die Phantasie sei die Vorschule zu allem Wahren,
Schönen, Guten. Besonders bemerkenswert für die Pädagogik und
Didaktik ist die Beeinflussung der Apperceptionsthätigkeit durch die
Phantasie. Die Auffassung der Dinge vollzieht sich in der Weise,
dafs wir die neuen Vorstellungen mit Hülfe der alten in uns bereits
vorhandenen aufnehmen. Hierbei finden Ergänzungen und Deutungen
des Wahrgenommenen durch Hinzugedachtes statt, und zwar ganz
unwillkürlich oder auch infolge eines besonderen Willens. Nament-
lich die unwillkürliche Pbantasiethätigkeit bestimmt die Form der
appereipierten Vorstellungen in überraschender Weise. Flügel bringt
hierfür reichlich Belege. Die Abhandlung sei der pädagogischen
Welt bestens empfohlen.
Czernowitz. Hochegge r.
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296
Littcratiirbericht.
Heft 10.
Ziller, Tuiskon. Allgemeine Pädagogik. Dritte Auflage der Vor-
lesungen Uber allgemeine Pädagogik. Herausgeg. von Dr. Karl
Just, Direktor der städtischen Schulen zu Altenburg. Leipzig.
1892. Verlag von Heinrich Matthes [W. H. Voigt]. XVI,
430 S. 8°.
Zilien) klassisches Werk, das 1876 zuerst ausgegeben wurde,
erschien nun in neuer Auflage unter Just» trefflicher Loitung.
Die dritte Auflage bringt noch etliche Zustttze aus Zillers Nachlafs,
die bei der zweiten Auflage Ubergehen worden waren, ferner findet
darin die seither erschienene Litteratur fleifsige Berücksichtigung;
freilich ist dabei nur auf diejenige Litteratur Rücksicht genommen,
welche entweder der Zillerschen Richtung angehört oder ihr ver-
wandt ist. In diesem Sinne zog der Herausgeber vor allem die
Arbeiten im Jahrbuche des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik,
das noch immer als Mittelpunkt der Zillerschen Bestrebungen gelten
kann, zur Benutzung heran.
Möge auch die neue Auflage gleich anregend wirken, wie es
sonder Zweifel die älteren gethan haben.
Czernowitz. H o c h e g g e r.
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Zur Bricherkunde.
Neuere Litteratur über den Humanismus.
Zusammengestellt von Dr. A. Börner.
Im Folgenden sind Erscheinungen von 1890 Mb Ende 1892 verzeichnet.
— Eine vollständige Bücherkunde ist hier nicht beabsichtigt. Vielmehr
sind aufser allg. Schriften, Lebensbeschreibungen u. s. w. nur solche Werke
und Aufsätze berücksichtigt, die auf die religiöse, philosophische, pädagogische
und naturwissenschaftliche Thätigkeit der Humanisten Bezug haben.
1) Allgemeines. — Sammelwerke. — Mehrere Humanisten.
Abel, E., Literarhistorische Denkmäler. Bd. 2. Herausgegeben
von der Ungarischen Akademie. Budapest 1890. XV, 881 S.
8°. 6 Mk. [Apologetische Werke italienischer Humanisten.]
Barrili, Anton Giulio, II rinovamente letterario italiano: lezioni
universitarie. Genova, A. Donath. 1890.
Ca r r i e r e , M., Zur Philosophie der Renaissance. (Zeitschrift für ver-
gleichende Literaturgeschichte und Renaissancelitteratur. Nene
Folge in. Berlin 1890. 8. 236—241.)
Gallo is, Les geographes allemands de la Renaissance. Paris,
Leronx 1890. XX, 270 8.
Geiger, L., Vorträge und Versuche. Beitrage zur Litteratur-
geschichte. Dresden, Ehlennann 1890. XVI, 818 8. 8°. [Darin:
Erasmus in Italien. — Ulrich von Hutten. — Humanismus an
der Universität Heidelberg.]
— Zur Geschichte des Studiums der hebräischen Sprache in
Deutschland während des 16. Jahrhunderts. [Viele für die Ge-
schichte des Humanismus wichtige Andeutungen.] (Zeitschrift für
die Geschichte der Juden in Deutschland. IV. 1890. S. 111
-126.)
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298
Börner,
Heft 10.
Hartfelder, Karl, Konrad Celtis und Sixtus Tucher. (Zeitschrift
ftir vergleichende Literaturgeschichte und Renaissancelitteratur.
N. F. III. 1890. 8. 331—349.)
— Da» Ideal einer Humanistenschule. (Die Schule Colets zu
St. Paul in London.) Vortrag gehalten zu München am 22. Mai
1891 in der pädagogischen Sektion der 41. Versammlung
deutscher Philologen und Schulmänner. (Verhandlungen der
41. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner. Leip-
zig, Teubner 1891. 16 S. 4U.)
— Zur Gelehrtengeschichte Heidelberg» am Ende des Mittelalters.
(Zeitschrift für die Geschichte des Oberrhein». N. F. VI. Frei-
burg i. B. 1891. 8. 141—171.)
Hipler, Fr., Beiträge zur Geschichte de» Humanismus, aus dem
Briefwechsel de» Johanne» Dantiscu». Braunsberg 190. 104 S.
(Auch in Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde
Ermlands. 1890. S. 471—572.)
Hucblin, E., Picus Mirandula und Angelus Politianus. (Archiv
für Stenographic. 1890. November Xr. 1, 2 und Dezember
Xr. 1, 2.)
Kallenbach, J. , Les hu man ist es polonais. Indices lectionum
1891 92. Freiburg i. S., Libr. de l'universite (P. Friesenhahn).
Kl ette, Th., Beiträge zur Geschichte und Litteratur der italienischen
Gelehrtenrenaissance. Bd. III. Die griechischen Briefe des
Franc iskus Philelphus. Nach den Handschriften zu Mailand
(Trivulziana) und Wolfenbuttel. Mit Notizen zur Biographie
Philelphs und der Gräcisten seiner Zeit Greifswald, Abel 1890.
VI, 180 S. 8°.
Lateinische Literaturdenkmäler des 15. u. 16. Jahrhunderts.
Herausgegeben von Max Hermann und Siegfried Szamatolski.
Berlin, Speyer u. Peters. 1891 ff.
1) Guil. Gnapheus, Acolastus. Herausg. von Joh. Bolte. 1891.
2) EckiuB dedolatu». Herausg. von Siegfr. Szamatolski. 1891.
8) Thomas Naogeorgus, Pammachius. Herausg. von Joh Bolte
und Erich Schmidt 1891.
4) Phil. Melanchthon, Declamationes. Herausgeg. von K. Hart-
felder. 1891.
5) Euricius Cordus, Epigrammata. Herausgeg. v. Karl Kraust
1892.
6) Jac. Wiinphelingius, Stylpho. Herausgeg. von Hugo Hol-
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Loesche, G. , Die Bibliothek der Lateinschule in Joachimsthal.
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und Schulgeschicbte. U. 1892. S. 207—246.)
Mas aus, Herrn., Bunte Blätter. Altes und Neue*. Halle a. S.
1892. VII. 884 S. 8°. [Darin: Die Einwirkung des deutschen
Humanismus auf die deutschen Gelehrtenschulen. — Ulrich
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1893. Neuere Littcratur über den Humanismus. 299
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als Sittenlehrer.]
Ncve, F., La reuaissance des lettres et Pessor de l'erudition ancienne
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Pardo de Barzan, Emilia, Los pedagogos del renaeimiento :
Erasme, Rabelais, Montaigne. Conferenzia. Madrid, Fortauet
1891. 44 S. 4°.
Reindell, Wilh., Luther, Crotus und Hutten. Eine quellenmäßige
Darstellung des Verhältnisses Luthers zum Humanismus. Mar-
burg, Ehrhardt 1890. 134 8. 8°.
Schaff, Ph., The Renaissance. The revival of learning and art
in the 14 and 15 centuries. New-York, Putnams Sons. 1891.
Voigt, G., II risorgimento dell'antichita classica. Trad. dt D. Val-
busa, con aggiunte e correzione 'inedite dell'autore. Vol. 2.
(ultimo). Firenze, Sansoni. 1890. 502 8. 8°.
Werner, J. , Der christlich-sociale Agitator Johann Eberlin vou
Günzburg im Kampfe mit den freisinnigen Humanisten und
revolutionären Bauern. (Kirchliche Monatsschrift. X- 1891.
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2) Einzelne Humanisten.
Hartfelder, Karl, Unedierte Briefe von Rudolf Agricola. (Aus-
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Sudhoff, K., Benedict Aretius. (Zeitschrift fllr vergleichende
Litteraturgeschichte und Reuaissancelitteratur. X. F. III. 1890.
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Wegele, F. X. von, Aventin. (Bayerische Bibliothek, her. von
K. von Reinhardstfittner und K. Trautmann. X. Bamberg,
Buchner. 1890. 68 8.)
Heinrichs, R. , Der niederrheinische Humanist und Schulmann
Mathias Bredenbach und sein Urteil Uber die Reformation.
Beitrag zur Reformationsgeschichte. Frankfurt a. M., Ffisser.
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Benoist, A., Quid de puerorum institutione senserit Erasmus.
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300
Hömer,
Heft 10.
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11. Jahrg. Leipzig 1892. S. 121—162.)
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Rotterdam. (Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte
und Renaissancelitteratur. N. F. IV. 1891. 8. 203—217.)
Jebb, R C, Erasmus. Lecturo in the Senate House. Cambridge,
June 11, 1890. 54 S. 8°.
Kan, J. B. , Erasmiana. Rotterdam, Wenk. 1892. Programm.
56 S. 4°.
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Joh. Fafsler. 1891. XXIV, 64 S.
L e g r a n d , E., Cent dix lettres grecques de Franyois F i 1 e 1 f e. Pub-
likes integral ement pour la premiere fois, d'apres le Codex
Frivulzianus 873, avec traduction, notes et commentaires. Paris,
Leroux. 1892.
Fritzsche, 0. F., Glarean. Sein Leben und seine Schriften.
Frauenfeld, Huber. 1890. VIII, 136 S. mit Portrait. 8°.
Lefranc, Abel, Ulrich de Hutten ä Paris 1517. (Bulletin de
la societe de l'histoire du protestantisme francais 1891.)
Szamatölski, Siegfr. , Ulrichs von Hutteu deutsche Schriften.
Untersuchungen nebst einer Nachlese. (Quellen und Forschungen.
67. Heft. Strafsbnrg i. E., Trttbner. 1891.)
Votsch, Ulrich von Hutten uach seinem Leben und seinen Schriften
geschildert. Hannover, Hahn. 1890. X, 75 S.
Hartfelder, Karl, Über Melanchthons Ratio discendi. (Zeit-
schrift für Kirchengeschichte. Bd. 12. 1891. S. 562—566.)
— Aus einer Vorlesung Melanchthons Uber Ciceros Tusculanen.
(Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehung»- und
Schulgeschichte. 1. Jahrg. Berlin 1891. S. 168—177. — Be-
merkungen dazu von E. Voigt, ebend. S. 269.)
— Melanchthoniana paedagogica. Eine Ergänzung zu den Werken
Melanchthons im Corpus reformatorum. Leipzig, Teubner. 1892.
Buhl mann, P., Die Sprichwörter aus des Johannes Murmellius
„Pappa puerorum". (Germania 35. N. R. 23. 1890. S. 400
—402.)
Des Munsterischen Humanisten Johannes Murmellius De magistri
et discipulorum Epigrammatum Uber. Zum ersten Male in
einem Neudrucke herausgegeben von A. Börner. Münster,
Regensberg 1892. 40 S. 8°.
Desselben Opusculum de discipulorum ofnciis, quod Enchiridion
scholasticorum inscribitur. In einem Neudrucke heraus-
gegeben von A. Börner, ebenda«. 1892. 67 S. 8°.
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1898. Neuem Litterntur über den Humanismus. 301
Murotns, institutio puerilis ad M. Antonium fratris filium, con tra-
duzione di G. Cavazzoni Pederzini. (Per nozze.) Modena,
stab. tip. lit. 1890. 13 8.
Der Briefwechsel des Conradus Mutianu«, gesammelt und bearbeitet
von weil. Gymn. -Lehrer Dr. Karl Giller t. Herausg. von der
historischen Kommission der Provinz Sachsen. Halle a. 8.,
0. Hendel. 1890. (Auch unter dem Titel: Geschichtsquellen
der Provinz Sachsen. Bd. 18.)
Pico della Mirandola, His life. By his Nephew, Giovanni
Francesco Pico. Edit with notes by J. M. Rigg. London,
Nutt 1890. XL, 96 S. 8°.
Platter, Th., Briefe an seinen Sohn Felix. Herausgegeben von
A. Burckbardt. Basel, Detloff. 1890. VI, 106 S.
Geiger, L., Zur Biographie des PomponinsLaetus. (Zeitschrift
für vergleichende Literaturgeschichte und Renaissancelitteratur.
N. F. TV. 1891. S. 215—217.)
Hartfelder, Karl, Der Karthäuserprior Gregor Reisch, Ver-
fasser der Margarita philosophica. (Zeitschrift für die Ge-
schichte des Oberrheins. N. F. 5. 1890. S. 170—200.)
Distel, Th. , Eine R e u c h 1 i n Übersetzung aus dem Jahre 1495.
Luc i an XII. Todtengespräch, auch Nachrichten Uber die Ver-
deutschung einer Demosthenischen Rede. (Zeitschrift für ver-
gleichende Literaturgeschichte und Renaissancelitteratur. N. F.
III. 1890. 8. 360—861.)
Geiger, L., Ein ungedruckter Brief Reuchlins. (Zeitschrift für ver-
gleichende Literaturgeschichte und Renaissancelitteratur. N. F.
rV. 1891. 8. 154—157.)
— Ungedrucktes von und Uber Reuchlin. ( Ebenda«. N. F. TV.
1891. 8. 217—226.)
Gzihak, E. von, Die Beziehungen des Markgrafen Ernst Friedrich
von Baden-Durlach zu dem Humanisten Nikolaus Reufsner.
(Zeitschrift für die Geschichte des Oberrhoins. N. F. 5. 1890.
8. 249—254.)
Er ich ko n, A., Ein neues Dokument Uber Beatus Rhenanus.
(Zeitschrift für Kirchengeschichte. Bd. XII. 1891. 8. 211
—213.)
Trnmpp, P., Sadolet als Pädagog. Programm der Studienanstalt
zu Schweinfurt 1891. 46 S. 8°.
Mancini, Girol, Vita di Lorenzo V a 1 1 a. Firenze, Sansoni. 1892.
VI. 389 8. 8°.
Jakob Wimphelings pädagogische Schriften übersetzt, erläutert
und mit einer Einleitung versehen von Joseph Freundgen.
(Sammlung der bedeutendsten pädagogischen Schriften aus alter
und neuer Zeit. Mit Biograph ieen , Erläuterungen und er-
klärenden' Anmerkungen herausgeg. von J. Gänsen, A. Keller,
Bernh. Schulz. Bd. XTU.) Paderborn, Ferd. Schöningh. 1892.
573 8. 8°.
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302 Horner, Neuere Litteratur üb. d. Humanismus. Heft 10.
Holstein, Hugo, Eine anbekannte Schrift Wimphelings. (Central-
blatt für Bibliothekswesen. Vm. 1891. S. 344—347.)
— Zur Biographie Jakob Wimphelings. (Zeitschrift für vergleich.
Literaturgeschichte und Renaissancelitteratur. N. F. IV. 1891.
ö. 227—252.)
Neff, J., Udalricus Zasius. Ein Beitrag zur Geschichte des
Humanismus am Oberrhein. 1. 2. Programme des Gymnasiums
in Freiburg. 1890 u. 1891.
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Eingegangene Schriften.
Die an anderer Stelle dieser Hefte besprochenen oder erwähnten «Schriften
sind hier nicht noch einmal aufgeführt1).
(Vgl. Monatshefte 1893, 8. 89 ff.)
Die Schriftleitung behält sich vor, über einzelne Werke noch besondere
Besprechungen zu bringen.
Bodnär, Sigmund, Das Gesetz unseres geistigen Fortschritts. Ans dem
Ungarischen übersetzt von Julius Lechner von der Lech. Leipzig,
Alfr. Janssen. 1893.
Ciaaf, Ferd., Nu Poplach! KAzani die Soudcu 16, 20, je2 R 29. Valn
shuczi moravske1 poboi'nl jednoty Gustav-Adolfskeho Üstavu V Lystali
dne 1. Cervna 1893 vykonal. 1893.
Clifford, John, The origin and growth of English Baptists. (From a
Volume of Eight Lectures on „The English Baptists; who they are
and what they have done"). Edited bv J. Clifford. London, E. Marl-
borough.
Clifford, John, The eoining theology or the primitive Christian faith etc.
London, Clarke and Co.
Dechen t, Dr. H., Cassiodorus Rcinius, Gründer der Frankfurter Nieder-
ländischen Gemeinde Augsburger Konfession (t 15. März 1594). Zur
Erinnerung an seinen 300jährigen Todestag. (Frankf. Ev.-lutherischcr
Kirchenkalender auf das Jahr Christi 1894. Hrsg. v. ev.-lutherischcn
Prediger-Konsistorium. VI. Jahrg.)
FlÜRel, O., Die Sittenlehre Jesu. 3. Aufl. Langensalza, Hermann Beyer
u. Sohne. 1892. M. 1.20.
Glökler, Joh. Phil., Johann Valentin Andreae. Ein Lebensbild zur Er-
innerung an seinen 300. Geburtstag. Mit einem Bildnis Andreaes.
Stuttgart, Hansehnann. 1886.
Heinaelmann, Prof. Dr., Über den deutschen Volkscharakter. Vortrag,
gehalten am 26. Jan. 1892 in der öffentl. Sitzung der Kgl. Akademie
gemeinnütziger Wissenschaften zur Vorfeier des Geburtstages Sr. Maj.
des Kaisers. Erfurt, Karl Villaret. 1893.
') Das Verzeichnis der zur Besprechung in den „Mitteilungen der
C.-G." eingesandten Schriften s. am Schlüte der Mitteilungen Nr. 10.
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804 Eingegangene Schriften. Heft 10.
Hilty, Prof. Dr. C, Über die Grundgedanken der schweizerischen Er-
ziehung. Separatabdruck au« dem Polit. Jahrbuch d. Schweizerischen
Eidgenossenschaft. (Jahrg. 1893.)
Hodermann, Kichard, Bilder au* dem deutschen Leben des 17. Jahr-
hunderts. I. Eine vornehme Gesellschaft. (Nach Harsdörffers Ge-
sprächspielen). Mit einem Neudruck der Schutzschrift für die Teutsche
Spracharbeit. Paderborn, Ferd. Schöning)). 1890.
HorBch. John. The Mennonites, their History, Faith and Practise. Men-
nonite Publishing Company, Elkart, Indiana. 1893.
Hülsmann, J., Beiträge zur christlichen Erkenntnis für die gebildete Ge-
meinde. Aus Aufzeichnungen und Briefen v. J. H. Mit biographischer
Charakteristik u. dem Bildnis des Verf. Braunschweig, C. A. Schwetschke
u. Sohn. 1890.
Geschichtsblätter des deutschen Hugenotten-Vereins. Erstes Zehnt 1891.
Magdeburg, Heinrichshofen.
Heft 1. Vercins-Statuten. Einleitung zu den Geschichtsblättern.
Die Hugenotten in Magdeburg. Von Prediger Dr. Henri Tollin.
Heft 2. Die französisch(wallonisch)-reformierte Kirche in Emden
von Pastor J. N. Pleincs.
Heft 8. Die Waldenser und ihre Kolonie Walldorf von Konsist.-
Rat Robert in Frankfurt a. M. und Pfarrer W. Dittmar in Walldorf.
Heft 4. Die französische Kolonie in Berlin von Prediger Lic. theol.
Dr. med. Tollin und Amtsrichter Dr. jur. Bcringuier.
Heft 5. Geschichte der walloniseh-reformierten Kirchengemeinde
zu Magdeburg von Bode, Prediger a. D.
Heft 6. Die französisch-reformierte Kirchengemeiude in Erlangen
von Pfarrer Job. Stursberg. Mitglieder-Verzeichnis des deutschen
Hugenotten-Vereins.
Heft 7. 1) Die wallonische Gemeinde zu Otterberg von J. Knecht,
protest. Pfarrer zu Otterberg. 2) Die Statuten des deutschen Huge-
notten-Vereins.
Heft 8. Die wallonisch-französische Fremdengemeinde in Bremen
von Pastor J. Fr. Iken.
Heft 9. Die französische Kolonie in Karlshafen von Pfarrer
Rudolf Franke.
Heft 10. 1) Die hugenottische Kirchenordnung oder La diseipline des
eglises reformees de France, deutseh v. Dr. H. Tollin. 2) Register zum
I. Zehnt der Hugenottischen Geschichtsblätter.
Geschichtsblätter des deutschen Hugenotten-Vereins. Zweites Zehnt. 1893.
Magdeburg, Heinrichshofen.
Heft 1. Geschichte der walloniseh-reformierten Gemeinde zu
Annweiler von Pastor Lic. Fr. W. Cuno.
Heft 2. Die wallonisch-französische Fremdengemeinde in St Lam-
brecht-Grevenhausen von Pfarrer Th. Gümbel.
Heft 3. Geschichte der französischen Kolonie von Halberstadt
von Lic. theol. Pastor H. Tollin.
Heft 4. Geschichte der wallonisch-rcf. Gemeinde zu Heidelberg
von Pastor Lic. Fr. W. Cuno.
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1808.
Eingegangene Schriften.
305
lieft 5. Die französisch-rcform. Gemeinde zu Grof*- und Klein-
Ziethen in der Mark Brandenburg von Pfarrer Devaranne, Angermünde.
Heft 6. Die wallonische Gemeinde in Stade von Oberlehrer
Dr. C. H. Wilh. Sillem, Hamburg.
Theologischer Jahresbericht. Unter Mitwirkung von Kaur, Höhringer
u. s. w. hrsg. v. H. Holtmann. Bd. XII. 1892. Histor. Theologie.
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stedt bei Weimar. Braunschweig, C. A. Schwetzschke u. Sohn. 1898.
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schriftlichen Nachlasse des Verf. hrsg. v. Dt. P. Hohlfeld u. Dr. Aug.
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Krause , Karl Christ. Friedr , Der Krdreehtsbimd an sich selbst und in
seinem Verhältnis zum Ganzen und zu allen Einzelteilen des Mensch-
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Eine kritische Beleuchtung der einklassigen Volksschule nach ihrem
Wesen und den Bedingungen ihres Gedeihens nebfit einer praktischen
Darstellung des gesamten Volksschul-Unterrichts unter Zugrundlegung
eines einheitlichen Lehrplansystems. Erster Teil: Die theoretische
Grundlegung. Gotha, Thienemann. 1887. Zweiter Teil: Die theo-
retische Grundlegung. Ebenda. 1889
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von E. Krantz. 1893. Nr. 46 u. 47.
Wohlwill, Emil, Joachim J unguis. Festrede zur Feier seines 300. Ge-
burtstags am 22. Okt. 1887 im Auftrago der Hamburger Oberschul-
behörde gehalten von Dr. E. W. Mit Beitragen zu Jungius' Bio-
graphie und zur Kenntnis seines handschriftlichen Nachlasses. Ham-
burg und Leipzig, L. Vofs. 1888.
<
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Nachrichten.
Im Vorworte zum 3. Bande seiner Geschichte Karl» V. entwickelt
Herrn. Haum^arten den Gedanken, data es nötig sei, für die Erschließung
der Quellen der anderthalb Jahrhunderte von Maximilian I. bis zum West-
fälischen Frieden endlich in grofsem Mafsstabe Fürsorge zu treffen. Da die
zunächst berufene Wiener Akademie diese besonders für Karls V. Zeit drin-
gende Aufgabe nicht scheine übernehmen zu wollen, falle es dem Deutsehen
Rci che zu, in diese Lücke zwischen den Monumenta Germanine und neueren
preufsischen Unternehmungen einzutreten. Es wäre dagegen nun vielleicht
einzuwenden, dafs doch wenigstens ein erheblicher Teil dieses Gebietes
das besondere Arbeitsfeld der Münchener historischen Kommission in ihren
Reichsakten und Wittelsbacher Korrespondenzen bildet, und dafs ein
anderer Teil sich vortrefflich zu provinzialen und lokalen Publikationen
eignet. Immerhin aber bleibt ein bedeutender reichsgeschichtlicher Stoff be-
sonders in auswärtigen Archiven zu heben, und in diesem Zusammenhang
regt Baumgarten noch einen anderen Gedanken an, der gewifs sorgsamste
Beachtung verdient. Ähnlich wie schon seit langer Zeit England und
Belgien, neuerdings auch Holland und Frankreich, Arbeiter aussenden, um
alles, was sich in den Archiven und Bibliotheken Europas für ihre Ge-
schichte findet, verzeichnen zu lassen, so solle es auch seitens Deutsch-
lands für unsere neuere Geschichte geschehen, und der nächste Schritt
dazu würde sein, dafs man den grofsen Botschaften in London,
Paris und Madrid historische Kräfte beigäbe, gleichsam histo-
rische Attaches neben den militärischen und technischen, welche den Auf-
trag erhielten, die Anfragen deutscher Forscher zu beantworten und die
von ihnen gewünschten Abschriften oder Auszüge zu erleichtern. In Rom
ist dafür ja schon von Staats wegen gesorgt durch das preufsische historische
Institut. Ahnliche Einrichtungen in erheblich geringerem Umfange und
ohne die in Rom Vorherrschenden direkten Publikationsabsichten würden
ohne Zweifel in Paris, London und Madrid der deutschen Geschichts-
wissenschaft die allerwichtigsten Dienste leisten können.
(Deutsche Ztg. f. Gcschichtswissensch.)
Der rührige Verein „Comenium" in Prag hat zwei weitere stattliche
Bände (VI und VII) publiziert: J. A. Komenskys „Ecclesiae shivonicac ab
ipsis apostolis fundatae, ab Hieronymo, Cyrillo, Methodio, pmpagatae,
Monat»h«-tU» dir Comenin*-Oes*Il«cb«ft. IM*?. 22
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308
Nachrichten.
Heft 10.
boheina in gente potissimum radicatae, et in unitate Fratrum Bohemorum
fastigatae, brevis historiola", ins Böhmische übertragen von Jaroslav Bidlo,
und J. A. Komeuskys „Haggaeus Redivivus" nach den Manuskripten heraus-
gegeben vom Historiographcn Josef Müller in Herrnhut. Wir werden auf
die Schriften des Vereins demnächst im Zusammenhang zurückkommen.
In den früheren Auflagen des bekannten Handbuchs von Überweg-
Heinze, „Grundrifs der Geschichte der Philosophie", war der Name des
Comenius nur gelegentlich bei Aufführung der Schrift von Franz L. Kvet,
Leibniz und Comenius (Aus den Abhlu d. K. Böhm. Ges. d. Wissensch.)
Prag 1857 erwähnt. In die neueste Auflage (Berlin 1888) ist ein Abschnitt
über Comenius als Philosoph aufgenommen (III, 164). Ks ist indessen zu
hoffen, dafs bei der nächsten Auflage dieser Abschnitt eingehender aus-
fallt. Wir wollen hier nur hinweisen auf die Ausführungen von Walter
Müller, Comenius, ein Systematiker der Pädagogik, Dresden 1887,
H. Hühner, Natur und NatHrgemäfshcit bei Comenius und Pestalozzi,
Chemnitz 18'JO (Leipz. Diss.) und K. A. Schmid, Geschichte der Erziehung
u. ». w. III, 2 S. 218.
Wilhelm Tilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Bd. I, Leip-
zig 1883, S. 28, bemerkt über die Bedeutung des Bacon und Comenius
für die Gliederung der Wissenschaften Folgendes: „ Versuche .... die Ge-
samtgliedcrung der Wissenschaften zu entdecken, welche die geschichtlich-
gesellschaftliche Wirklichkeit zum Gegenstande haben, sind von der Philo-
sophie ausgegangen. Sofern sie von metaphysischen Prinzipien her diesen
Zusammenhang abzuleiten versuchten, sind sie dein Schicksal aller Meta-
physik anheimgefallen. Einer besseren Methode bediente sich schon Bacon,
indem er mit dem Problem einer Erkenntnis der Wirklichkeit durch Er-
fahrung die vorhandenen Wissenschaften des Geistes in Hezichung setzte
und ihre Leistungen wie ihre Mängel an der Aufgabe mafs. Comenius
beabsichtigte in seiner Pansophia1) aus dem Verhältnis der inneren Ab-
hängigkeit der Wahrheiten voneinander die Stufenfolge, in welcher sie im
Unterricht auftreten müssen, abzuleiten, und wie er so im Gegensatz gegen
den falschen Begriff der formalen Bildung den Grundgedanken eines künf-
tigen Unterrichtswesens (das leider auch heute noch Zukunft ist) entdeckte,
hat er durch das Prinzip der Abhängigkeit der Wahrheiten voneinander
eine angemessene Gliederung der Wissenschaften vorbereitet. Indem
Comte die Beziehung zwischen diesem logischen Verhältnis von Ab-
hängigkeit, in welchem die Wahrheiten zueinander stehen, und dem ge-
») Vgl.M. II.d.O.-G., II. Bd., S.200.— In der .Zeitschrift für Kirchenge-
schichte« Bd. XII, 2. Heft, Gotha 1890, S. 362- :180 hat I>r. Eduard Bodemann
„Briefe Leibnizens und offizielle Aktenstücke zur Geschichte der Antoinette
ßourignon" ( 1616 - 1682) nebst einleitenden Bemerkungen über ihr Leben und
ihre Lehre veröffentlicht, aus denen wir hervorheben: „Dort (in Amsterdam)
entsagte sie dem katholischen Kultus, verkehrte viel mit den Labadisten,
Comenius und anderen Chiliasten, auch mit Cartesianern, konnte aber, da
sie selbst, ,die Mutter der Gläubigen' und Stifterin einer eigenen neuen
Kirche sein wollte, mit keiner Sekte sich einigen."
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1898.
Nachrichten.
30«»
Bchichtlichcn Verhältnis der Abfolge, in welchem sie auftreten, der Unter-
suchung unterwarf: schuf er die Grundlage für eine wahre Philosophie der
Wissenschaften Mi II, Littre, Herbert Spencer haben das Problem
des Zusammenhangs der geschichtlich -gesellschaftlichen Wissenschaften
Man hat bisher wenig darauf geachtet, dafs Beziehungen der
böhmischen Brüder in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu den
Reformierten am Niederrhein vorhanden gewesen sind und noch weniger
ist es allgemein bekannt, dafs die religiöse Bewegung am Niederrhein bis
zum Jahre 1535 (vor dem Eindringen des Calvinismus) ebenso wie in Hol-
land sich wesentlich in der Form jener Brüdergemeinden vollzog, die
von ihren Gegnern Täufer oder Wiedertäufer genannt wurden und deren
innere Verwandtschaft mit den böhmischeu Brüdern schon daraus erhellt,
dafs auch die letzteren bis zum Jahr 1535 die Taufe auf den Glauben
(Spättaufe) übten. Ks ist vor kurzem eine kleine Schrift erschienen, die
wichtige neue Beiträge zur Geschichte der Täuferbewegung am Nieder-
rhein enthält, nämlich die Münstersehe Dissertation von Karl Rimbert, Die
Wiedertäufer im Herzogthum Jülich, Kapitel II und III. Münster,
Buchdruckerei von Job. Bredt 18S>M. Man sieht schon aus dem Titel, dafs
Herr Dr. Rembcrt zum Zweck der Promotion nur einen Teil (das 2. und
8. Kapitel) einer von ihm fertig gestellten Arbeit zum Druck gegeben hat;
das nicht gedruckte 1. und 4. Kapitel behandeln die wichtige Vorgeschichte
bezw. die Geschichte der Jülichcr Täufer von 1550—1705. Es liegt auf der
Hand, dafs die jetzt vorliegenden Kapitel erst im Zusammenhang der ganzen
Arbeit in das rechte Licht treten werden und dafs eine Kritik, die sich
lediglich auf das gedruckte Stück erstreckt, dem Verfasser nur schwer ge-
recht werden kann. Bei der geschichtlichen Bedeutung, die der sog. Aua-
baptismus für die Reformation überhaupt, besonders aber für die nieder-
rheinische besitzt, bleibt die Drucklegung der ganzen Arbeit wünschens-
wert. Wir holten auf die Sache zurückzukommen und wollen einstweilen
hier nur die Aufmerksamkeit auf die kleine Schrift lenken. Der Teil der
Rembertschen Arbeit, der gedruckt vorliegt, läfst in Bezug auf Sorgfalt
der Ausführung und Schärfe des I'rteils auch für den Rest des Ganzen
das Beste erwarten.
Das (bereits früher angekündigte) Buch vou Dr. Alexander Nico-
lailoni, Johannes Bündcrlin von Linz und die oberösterreichischen Täufer-
gemeinden in den Jahren 1525—1581 ist nunmehr erschienen. (Berlin SW.,
R. Gärtners Verlagsbuchhandlung 181)3, VI u. 314 S. 8"). Die Bedeutung
der Schrift liegt darin, dafs durch dieselbe abermals eine bisher wenig be-
kannte, aber sehr merkwürdige Persönlichkeit aus der grofsen Bewegung,
die man unter dem Namen des Anabaptismus zusammenzufassen pflegt, in
helles und zum Teil ganz neues Licht gesetzt wird. Man hatte sich ge-
wöhnt , die Führer jener Bewegung bisher in Bausch und Bogen zu be-
trachten und aufser ihren Namen kannte die allgemeine Geschichte wenig
von ihnen. Seit zehn Jahren sind zunächst Oehino (Benrath) und Denk
aufgenommen."
O. Kemper.
22*
310
Nachrichten.
Heft 10.
(Keller), dann Seh. Castellio (Buisson), Seh. Franc k { Hegler), Balth.
H n h in a i e r (Loserth) und jetzt auch B ü n d e r 1 i n zum Gegenstand besonderer
monographischer Arbeiten gemacht worden und es stehen weitere bezüg-
liche Arbeiten in Aussicht. Wir kommen auf Nicoladonis Buch zurück.
0. Ilunziker weist in »einem zu Zürich am 13. März 1892 gehalte-
nen Vortrag über Comenius und Pestalozzi auf ein merkwürdiges Urteil
eines schweizerischen Zeitgenossen über Comenius hin. Der zürcherische
Pfarrer Felix Wyss (1596—1666) verfaßte im Jahre 1661 einige Distichen
zu der Ausgabe der Janua und des Atrium, die Wilhelm Frey damals ver-
anstaltete. In einem dieser Verse heifst es
Magno Comenio dehentur magna
— gewifs ein seltenes Urteil über einen noch lebenden Gelehrten. Wir
bemerken bei dieser Gelegenheit, dafs wir Comenius gern gelegentlich
im Urteil seiner Zeitgenossen, seiner Freunde wie seiner Gegner, schildern
möchten; eine Zusammenstellt'ng solcher Urteile aus der ganzen Welt
würde gewifs viel Interessantes bieten.
Litteratur über Job. Valentin Andrea« aus den letzten hundert Jahren.
Ein Nachtrag zu dem Artikel Bd. II der M.H., S. 249—253.
1) 1784. J. V. Andreae, Ahrifs eines rechtschaffenen und thatigen Christen-
tums. 2. Aufl. Tübingen 1784.
2) 1864. J. Val. Andreae, Das guto Leben eines rechtschaffenen Dieners
Gottes. Neu herausgeg. von J. C. M. Laurent. Stuttgart 1864. Be-
sonderer Abdruck aus Vilmars pastoraltheolog. Blättern.
3) 1873. J. Val. Andreae. Mahnruf an die Diener der evangel. Kirche.
Herausgeg. von Pfarrer Ohler. Stuttgart 1873.
Radlach, Pfarrer in Zethlingen.
Professor Dr. K. Comba in Florenz hat in diesem Jahre eine Ge-
schichte der Waldenser in italienischer Sprache erscheinen lassen, die
Ende dieses Jahres in deutscher Ubersetzung vorliegen wird. In der
„L'Italia Evangeliea- ist eine Art Vorrede des Verfassers veröffentlicht wor-
den, aus der wir einige Stellen in deutscher Übersetzung folgen lassen:
„Wir sagen hier das, dafs, nachdem die Waldensergeschichte von hun-
dert Schriftstellern geschrieben worden ist, es sich hier zum erstenmal
darum handelt, dieselbe vollständig und auf Grund einer geduldigen Qucllen-
sammlung zu erzählen." rDicse Versicherung möge weder zu kühn noch
paradox klingen. Es ist eine sehr einfache Thatsaehe. Unter den vielen
Geschichtsschreibern, die an. die sogenannten «undenkliche" Zeit fest ge-
glaubt haben und gern von ihr sprechen, gieht es nicht einen, der sie
eigentlich schildert. So sagte noch vor vierzig Jahren ein Mann, der die
Waldenser sehr liebte und Waldenser unter seinen Schülern hatte, als er
der Kollege Vinets zu Lausanne war, und sich für ihre Mission interes-
sierte und über die Waldensergeschichte schrieb und seine Schriften von
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1893.
Nachrichten.
311
manchem in Italien, vonViktor KmaiiUfl angefangen1), verehrt sah,
der Professor J. J. Herzog: .Sicher ist, dafs die alte Geschichte der Wal-
dcnser noch zu schreiben ist.' Wenn sie nicht geschrieben wurde, wurde
sie doch studiert. Der gegenwärtige Versuch, diesen Teil der allgemeinen
Waldensergesehichte zu erzählen ist eine Frucht, man verstehe wohl, der
vergleichenden Prüfung der bi* jetzt angestellten Nachforschungen. . .
„Ferner war auch die Epoche der Reformation sehr unvollkommen ge-
schildert, und auch da benutzten wir die von den Spezialgelehrten erziel-
ten Resultate. Bezüglich der Zeiten, welche die Reformation von der
französischen Revolution trennen und dieser folgen bis zum Jahre der Ver-
fassung und der Waldensercmancipation gab es nicht viel Neues zu sagen.
Muston, Monastier und Bert habi n sich wahrhaftig hinreichend informiert
gezeigt. Nichtsdestoweniger handelte es sich auch hier darum, einige
Si-hlufsfolgcrungen zu werten und die Erzählung da und dort klarzustellen
und zu vervollständigen. Endlich stellten die bedeutsame Epoche der Ver-
kündigung unserer Freiheiten, die Anbahnung der Waldensermission, ihre
Pflanzung, die entstandenen Spaltungen und die Diskussion, die darüber
entstand, ein sehr bedeutendes Moment für eine aufmerksame Prüfung dar.
Diese Prüfung lieferte den Stoff zu einer neuen Seite, wenigstens für die
der C.-G. übernimmt der unterzeichnete Vorsitzende vom 1. Januar 1S94
:in die Herausgabe der Monatshefte unter Mitwirkung des Redaktions-
ausschusses und eventuell eines stellvertretenden Schriftleiters.
Es werden vom genannten Zeitpunkt an einige wichtige Änderungen
eintreten:
1. GröTserc QuelleustUcke, die wir bisher in der Abteilung „Quellen
und Forschungen- gebracht haben, werden in Zukunft den Einzelschriften
der C.-G. zugewiesen werden. Kleinere Quellenstücke (Briefe u. s. w.)
werden unter den „Kürzeren Mitteilungen" erscheinen.
2. Der dadurch gewonnene Raum wird der Abteilung Abhandlung
and Aufsätze zu gute kommen.
') Im September d. J. weilte König Humbert I. in den Waldcnser-
thftlern und wurde hier von den Waideusern mit Herzlichkeit begrüfst.
Hnmbcrt verkehrte mit den königstreuen Waldenscrn mit grofser Leutselig-
keit und nannte sie „primissimi" d. i. die allerersten unter seinen Unter-
thanen. In Torre Pellice betrat der König die „Casa Valdese", zu deren
Bau er beigetragen hatte und in der u. a. zahlreiche Denkwürdigkeiten
aus der Verfolgungszeit ausgestellt sind.
jungen Leser."
Gerber, Pfarrer.
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312
Nachrichten.
Heft 10.
.*{. In der Abteilung Mtteratarberieht, «lie gegen früher eine Erweite-
rung erfahren wird, soll über die gesamte literarische Thätigkeit, die auf
dem Forschungsgebiet unserer Gesellschaft herrscht, thunlichst genau Buch
geführt werden: die Begutachtung wird in die Hände angesehener Fach-
männer übergehen.
4. Die Sehriftleituug wird denjenigen Teilen unseres Arbeitsgebiet*,
die für die Historiker, die Philosophen und die Pädagogen in gleicher
Weise von Bedeutung sind, ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden.
Zu den Fragen, die auf den genannten Gebieten heute die Wissenschaft be-
wegen, werden wir auf Grund der comenianischen Weltanschauung, die
für unsere Gesellschaft das einende Band bildet, klar und bestimmt Stellung
zu nehmen suchen.
ö. Die Ausgabe der Hefte wird regelmftfsig zum Beginn des Monats
erfolgen. Die Ausgabe von Doppclheften bleibt einstweilen beibehalten.
Münster, am 20. November 1893.
Archivrat Dr. Keller,
Vorsitzender der Comenius-Gesellschaft.
Pierer'ich» Horbuchdnickerei. Stephan Goibol A Co. in Altonburg.
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Personen- und Orts - Register
zum zweiten Band (1893) der Monatshefte.
Da* ini im HinliUi k auf «Ii« • Namt-n ip'.K-hirljtlklirr IVrsorun und Ortxnutm'ii U-arlx-iiit.
Naiii. n von r< iH..n.'ii ntul Orion, >Iif >-\w hi^tori-M-ln- rh-drutimj; >"> Zu*niniin-rili:iii« iin*i'nt
l'oi si Ijitimvn nicht lifstiüH-n, sind »t-kiucl iltclwii.
l>i.' Uut'u»1al»-ti C und K, !■' und V, I. .1 und V sind vi-rl.illid.ii.
A.
Ahoi. E. 2! »7.
Abel, .Fat-. 215. 2.:r>.
Ad iu tu«, Ja«. 211.
Adler, Felix t").
Agrieola, Rud. 2<>2. J70. •>'.»!».
Ahn- Iis, H.
A Ihcrtus, R 21'>.
Albertus. G. 2:5i i.
Alfens, Ezechiel 2S2.
Altdorf l.{0. 172.
Amsterdam lf>. 17. 17. 1.42. INI».
24r». 274 ff.
A nabaptistac 27»i. (s. Cata-
baptistae.)
Anderson U>.r>.
A iidersscn , ( '. 247.
Andersse ii. O. 2ls.
Andreae, Karl 2I<>.
And reue, Victor 2r»0.
Andreae, (iottl. 2:!.',. 21».
Andreae, .Tae. 127. 2:U. 2:M>.
Andreae. Job. Val. '>7 ff. 127 ff. 141.
141». isti ff. 204. 2:::; ff. 248. 2iü ff.
4io.
Andreae, .Tul. 21S.
Andreae, Maria 2">1.
Andreae, l'aul 244. 24:,.
Andreae, Tobiiis Ml.
Angelin, .loh. 211.
Aretius. Benedict 2tH».
Arndt, Joh. 2.-.. 2t». Im. «Mi. til. lsti.
Arndt , Thcod. 1 IN.
Arnold, (iottfr. 114.
A ron , Hich. 1 U\.
Asse bürg. Edelfräulein von 'i4.
As Mim, t'rafto 2:t7.
Assum, .loh. V. 2.57.
Augsburg, 281 >.
August, Herzog von Bramischwcig
u. Lüneburg r»7. r»s. im;, rü. 25 1.
Hab. Christ, 231
Bach, Joh. Seb. <i2.
Baco, R., von Verulam 24. 21. 74.
7.'». 102. 2<n>. >><',-,. .'{Ott.
Bach ring, B. N!». 214 ff.
Buhl in an n. I\ 40O.
I Bay 1 y , Lewis Iii
Balbiniif. Aloys Boleslas. S. ,1. 4.
Bamberg 02.
Bardeen, C. \V. ss.
Barrili, Anton («iulio 207.
Basedow , Joh. Beruh. t»7.
Bassertnan n, H. 2'»4.
Beard, Uharl.-s h;i.
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Bobenhausen 23(>.
Beck, H. Ü2. 112.
Beck, J. von H2, iLl LÜL 2HL 22&
Below, G. von 1Ü&
Bender, Henn. '2.ri3.
Bcngcl 252.
ßeninga, Eggerink ä»L
Bcnoist, A. 21ÜL
Benrath, K. 8iL
Berbisterf ius, Ehrenfried LL
Bcrchtold, Andr. 2Jiä»
Berlin iL Kl 41L
Bert 3LL
Bertram, J. G. (iL
Besoldus 2H7.
Bezold, Fr. von 1Ü&
Biberstein, Paul ?XA.
Bielefeld 02.
Bielsky, Wenzel Gottfr. 282.
Bicstkcns, Nie. äiL
Bilffinger, Wendelin 235.
Birger ab Ayb, Joh. Alb. 2X1.
BiHterfeld, Joh. L£L
Blahoslav, Joh. 1KL
Bode, Wilh. 2Ü2. 2ÜIL
Boeclerus, Joh. Heinr. 2H7.
Böhm , Joh. 247.
Börner, A. 2Ü2 ff. 3ÜQ.
Boyle, Rob. 2i&
Bolte, Joh. 2M
Bougrc, Rob. le 1!£L
Bourignon, Antoinotto 'AOH.
Boutcrwek, Fr. liiä.
Brande», D. 2.r)4.
Brock ling 02» 1 .'t">.
Bredenbach, M. 2ÜÜ.
Brescia, Arnold von ÜL
Breslau ÜL 22L
Breuning, Conr. 22L
Brixen 82. ÜL
Brotbeckh, Joh. Conr. 22L 2JÜ
Brown, H. 2ÜÜ.
Brägel, Jul. 2111 ff. 2LL
Brun, Thon». LLL
Brunehorst, Hofprediger 234.
Bruno, G. ii£L XML
Bruno, Joe. '^'.li-
Butzer, M. 23fL 23L
Buchanan, G. 2M.
Buchstab, Joh. 1Ü8.
Bud6, E. m
Bud£, Guillaume 2<>!1.
Budovcc, Wilh. Ü1L
Bückeburg, Graf u. Gräfin von ÜL
Bülzinger, Wendelin 2'AZ.
Bünderlin, Joh. 50. IM). 30il
Bullinger, Heinr. 9.'A7.
Bunscn, Christ. Carl Josias Frei-
herr von 2L4 ff.
Burckhardt, A. 3ÜL
Bussy, J. J. de Qü.
Butler, Nichola» Murray 88.
C. K.
Cavazzoni, G. 3QL
Kaiser, Joh.
Kayser, W. 1ÜL 1Ü2. 1D3.
: Calerius, Abraham 231.
Calesius, Lucas 282.
! Calvin, Joh. itfL IL L2Ü. Llli
Calixtus, Georg 28. 30. ÖL 58. Üü.
1>L 13LL L3Ö. 231L 23L
Calixtincr liiä.
Kallenbach, J. 228,
Calw ÖS,
Camcrarius 2ZQ.
Campanella, Joh. 187.
i Campe, Joachim EL ÜL
Kampen, J. Albert van HL
Kau, J. B. 3ÜÜ.
Kant iL 112. iLL 122. 12IL 1LL LilL
2DÜ 2QL 'Ml 208. 200.
Capharsalama ISÜ ff.
Capito, Wolfg. F. 23L
Cappclbeck, Jac. 23L
Karl IV., Kaiser L52.
Karl V., Kaiser OL
Karl, Pfalzgraf l>ei Rhein 23L
Karl, Kurprinz von der Pfalz iL
Karl August, Grossherzog von
Sachsen -Weimar
Karl Gustav, König von Schweden
, Caro, Jak. I'.>S.
Carrierc, Moriz 2KL 2liL
- 315 -
Carte»! u<* 209.
Cassandcr, Georg 30.
Kassel 1."). 02.
Castelli, Graf W. G. 237
Castcllio, Schalt. 310.
Catabaptistae 130. (.». Ana-
baptistac.)
Kehrbach, Karl 91.
Key »er, Joh. 235.
Cellarius, Mich. 237.
Keller, A. 301.
Keller, G. H. 234.
Keller. Ludw. 1 ff. 47. 48. "»3. 54.
90. 18(5. 190.
Gelte», Conr. 205. 29S.
Kemper, O. 180 ff. 30S. 309.
Kepler, Joh. 97.
Khevenhüller, Familie von 133.
Chcsncl, Friedr. 235.
Christian, Herzog von Braun -
schweig u. Lüneburg 04.
Chri»tiania 24S.
Christoph, Herzog von Württem-
berg 230.
Christoph, K. 93. 280.
Kieferndorf, Ph. 92.
Kies, Joh. 235.
Kircher, Joh. 235.
Cisaf , Ferd. 303.
Kitzbüchel, Stadt i. Tirol 82. S3.
Kleinort, Paul 58. 02. 09. 135. 1HI.
Klette, Th. 2i)8.
Kletten berg, Fräulein von 111. !
113. 115. 119.
Klika, Jo». 250.
Klobusitz, Andr. 179. 183.
Klopstock 109. 115.
Klose, Edwin G. 88.
Kluckhohn, Aug. von 198.
Cludi, Petru» 233.
Knoll, Joh. Eberh. 234.
Knudsen, D. F. 14.
Cobham, Lord 100.
Koch, Wilh. 234.
Codcmanus, Laurentius 237.
Königsberg i. Pr. 20A.
Colboviu», Petrus 141.
Colet 91. 298.
Comba, E. 310.
Konstanz 153.
Coornhert 200.
Kopp, Eberh. 234.
Cord us, Euriciu» 298.
Kombeckh, Joh. Samson 235.
Kornnauer, Mart. 234.
Kotier, Christoph 90. 137. 142. 148.
1S3. 184.
Krakau 139. 220. 227. 228.
Kral, Hans 84.
K rafft, Joh. Christoph 234.
Cr am, Fritz v. 237.
Cratzsch, G. 05.
Kraus, Elisabeth 133.
Krause, Joh. Werner 284. 285. 280.
Krause, Karl 298.
Krause, K. Chr. Fr. 2. 92. 191. ff.
250. 305.
Kreide man n, Joh. Conr. 238.
Creidius, Hartmann 237.
Kretzmaier, Balth. 234.
Criegern, H. F. v. 58. 00. 127.
128. 131. 149. 190. 252.
Kritodoulos, Isaak 237.
Cronegk, J. 237.
Crotus 299.
Krüger, G. 91.
Krüger, J. P. 235.
C ubach, Buchhändler 03.
Kübel, F. 10.
Kübel, Bob. 252.
Kuenen , A. 92.
Cun actis, Nicolaus 235.
Curaeu», Nicolaus 233.
Kvacsala, J. 39 ff. 73 ff. 130 ff.
178. 180. 190. 198. 200. 22(5 ff. 239.
240. 242. 247. 250. 258. 273 ff. 305.
Kvet, F. L. 308.
D.
Dachsberg, Familie v. 133.
Da vidi», Francisco 45.
Dalberg, Joh. v. 200.
Damhauer, Joh. Conr. 23(5.
Dannenritter, Joh. .Jac. 235.
Dantiscus, Joh. 298.
Dausig 15. 42. 43. 139. 140.
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Deekinger, .Toh. \'AX.
Domelor, Anastasius 237.
DcmmcliT, Jnsephus 235.
Donck, Hans 50. !>I. 3011.
D/saguliers, .loh- Thooph. 1 !».">.
Desoartos !)7. Htit. 200.
Dotiiicr, H. 2K7 ff.
Die. >sc n, Torna 211.3. 294.
Diest erwog, Adolf 221.
Dieterieus, (Ymradus 23<i.
Dietrich, Veit 23f>.
Diotrichrttoin, v. 133.
DiviS, Jos. U2.
Di Igor, Daniel 1«».
Di Igor, .Toh. 23Ü.
Dilger, Nathan 230. 237.
Dilhorr, .loh. Mich. 51. 2X7.
Dilthey, Wilh. 30S.
Distel, Th. 301.
Dütes, Fr. 247.
Dooem, J. 102.
Döllinger, J. v. 31. 32. IM.).
Dörpfeld, K. W. IM). 2!«).
Dörtenbaeh, .1. 23."».
Döselins, Conrad 233.
Döselins, Michael 233.
Dolmetscher. Marens 23N.
Domerai lins, Tobias 233.
Dorn er 130.
Dorsehons, Joh. Georjj 23t 1. 237.
Drahioins. Nicolaus H,"». <M>. 1.57.
112. 17!). ISO. 1S1. 1S3. IM. 240.
211. 277. 27s. 27« i. JSO. 2M
Drcyor, O. HO.
Dresden 48. 4!».
Diirken, W. 217
Diiräus Joh. 57. 02. 74. 77. 230.
E.
Rhorken, Joh 230.
Eh« Hin, Joh. 2H0.
Kek, Dr. 2! IS.
Eekhardus. Molch. Sylv. 23%.
Kok hart 25. *>0.
E v o n i ii s , S. 1 02. I < 5! ». 17o. _'S4. 2Sj .
Kffem, Moii.r. 2.13. 234. 23:.. 23t i.
Eh in gor. Elias 237. 23K.
Ehlers, Hnd. !)0.
Eibcnschütz IM».
Eysengroin, Joh. Mars. 2:53.
El hing IT,. ;,{). Uli. 711. 130 ff.
Elormojor, Joh. 23"».
Elisabeth Charlotte von der Pfalz
51.
Elisabeth Dorothea. Prinzessin von
Sachsen -Weimar 170. 171.
Elloma, Poruponius 237.
EUissen, O. A. 00.
Elsaesser, Million 233.
El. stier, .loh. Thooph. 147.
Endtor, Joh. Friedr. 51. »H.
Endtor, Michael 51. fil.
Endter, Wolfg. 10D. 172.
Endter, Gebr. 133.
Eperies 44.
Episeopins, Simon 28.
Erasmus, Dcsidcrius !)3. !)7. 22!).
2t» I. 2SS. 2!>7. 21i9. 300.
Erdmaun, Benno D2.
Erhard*, Georg 23t».
Erichson, A. 301.
Ernst der Fromme, Herzog von
Sachsen-Gotha KiÜ. 170. 171.
172. 173. 2*4. 285.
Ernst Friedrich, Markgraf von
Baden- Dnrlaeh 301.
Esch wein, Erasmus 233.
E s e n w e i n . ( }e< >rg 234 . 2: »S.
Esonwoin, Joh. Georg 233.
Euler HO.
Ewald, Grcgorius 285. 280.
F. V.
Faher, Hcinr. 230.
Faher. Joh. lleinr. 23S.
Fal.er, Joh. Matth. 233.
Faber, Matthaeus 235.
Fabri, Friedr. 3. 4. 10. 47. 48.
Fabrieius, Joh. Andr. ii5. 13<).
Fabricius. .lae. 230.
Faoschius, Jo-ua 235.
Falkenheiner,, Dr. 10.
Valerian, Ka}»uzinor 242.
Valerian it- Magnus 13S. 131).
Valla. L. 301.
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417
Varenbüler. Malthacii* 244.
Kalt Irr, Georg 244.
Weimer, David lo2.
Veehner, Georg 102.
Feehtncr, K. 217.
Kehr, Pastor prim. 255.
Feith, P. R. 90.
Felgonhnuer, Paul 44. 44. 45.
Fe Ii n os, Joh. 27S.
Ferdinand, König s;t. 290.
Ferdinand II., Kaiser 142. 144.
Ferdinand III., Kaiser 07.
Ferdinand, Erzherzog S4.
Vorn nl ans 271.
Votier, Job. 241.
Vetter, U. 197.
Vetter, Mitglieder der Familie 40.
•11.
Veilerinus, Paulus 95. 27S. 279.
2SH. 2*2.
Feuerbach, A. 217.
Fichte, .loh. Gotll.97. 141. 197. 200.
Viertor Ein un iicl, Komp von Italien
310.
Vi co, J. B. 21.1.
Vir i Hot, Jos. Heinr. 2:;.',.
Vives, Job. \a\w. 204. 204.
Filelff, Francois 400.
Vi Huri, Pas<pude 14.
Finck, Thonias 247.
Fischer, K. 90.
Vi scher, Jac. 240.
Flein nii np, Theodor 2.4-1. 24 s
Flügel, O. A. 90. 295. 404.
Vogt, Gideon 104. 2N4. 299.
Voigt, E. 400.
Volmur, Joh. Georg 245.
Voltaire 114.
Fort ins, Joachim ls 4.
Foster Watson, M. A. 2 IS.
Votsch 400.
Franck. Ford. 92.
Franck, Sei.. 50. 97. 199. 409.
Franeke. A. H. 02. 90. 97. 10S.
145. 174.
F r u ii k «* n t hal 51. 52.
Franeeker, .Stadt i. Holland 227.
Frankfurt u. M. 10*. 111. 114. 115.
Freder ichs, Jul. 90.
Frcdcricq, Dr. Paul 91
Frey, Willi. 310.
Freriehs, (',. E. 91.
Frick, Georg 91.
Frick, Otto 10. 91. 400.
Friederich, König von Böhmen 49.
Friedrich Wilhelm III., König
Voll Preus«ell 40.
Fried rieh Willlelm IV., König
von Prenssrn 210,
Friedrich der Weise, Herzog von
Sachsen 400.
Friedrich, J. 90.
Frischlin 2*17. 270.
Frisch in an n, .loh. 24s.
Frison, Petrus 241.
Fritze, Georg 22,
Fritzsche, O. F. 400.
Fröl.el, Friedr. 2. 48. 19. 217. 222.
400.
FürstcnUerg, Franz v. 9<>,
Fulaniis 240.
Fulneck 15. 0*.
e.
Galius, J. 10-J.
(»iil litzin, Fürstin 210.
Gallois, 297.
(Jansen, J. 401.
Gast pu ms, F. 245.
Gebhard«, »War v. 91.
Geer, fyoretiz de 5S. 95. 90. 212.
(teer, I^dw. de 5S. 7S.
(Jeiger, L. 297. 401.
Geilfuss, Job. 24S.
(ieiiibacb, Job Adnm 241.
Gellerl, Chr. F. 109. HO.
Gcorgi, Daniel Samuel 1S7.
Gerber, Pfarrer 411.
Gervinus 211. 201.
G erlach, Samuel 244.
Gerlach, Stephan 245. 247. 24S.
(Jcrticbius, D. 220.
Gc senilis, Justus 05.
Oiech, Graf v. 141.
Gi essen 2*4. 2N-I.
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— 318
Gillert, K. 301.
Gindely, Ant. 198. _>:i9 ff. 244. 247.
Gizycki, George v. 35.
Glarean, H. L. 300.
Glöckberg 235.
Glöckler, Job. I»hU. 252.
Glöckner, G. 299.
Gnaphcus, Guil. 298.
Gobelin us, Joh. Conr. 235.
Gockelius, Balth. 230. 238.
Goebelius, Joh. Conr. 230.
(iöschl, Martin 289.
Goethe, J. W. v. 105 ff. 20S. 201».
213. 252. 257. 285. 280.
Gosky, Martin 238.
Graue, G. H. 91.
Grebel, Conrad 288.
Gregor, Francis A. 88.
Grieninger, Erasmus 230.
Grieninger, Josua 230.
Griesinger, Onophriu* 81.
Grillen berger, G. 217.
Grotius, Hugo 200. 271.
Grünberg, Paul 91.
Grüneisen, Carl 250. 251.
Grundig, F. 85.
Guhrauor, G. K. 81. 251.
Gussmann, Willi. 187. 189. 190. 252.
Gustav Adolph, König von 8<-h wc-
den 39. 109. 211. 303.
Haakius 74.
Haag 47.
Haarbau«, Jul. R. 300.
Habncrus 71.
Hab«h urg, Haus 240.
Hühner, H. 3U8.
Hafen reff er, Matthias 128.234.235.
Hagelmeier, Nicolai!* 235.
Haylandt, Samuel 237.
Hainhofer, Hieronymus 238.
Hainlin, Joh. Jac. 234. 235.
Halle 15. 109. 2! »3. 294.
Hamann, Joh. Georg 97. 111. 114.
201 ff.
Hanisch, Joh. Gottfr. 284.
Hannack, E. 255.
Hanne , J. R. 30.
Hannover 05.
Hanus, Paul H. 88.
Hark, John Max 88.
Harisson , N. 70.
Haruack, Adf. 91.
Harpprecht, Christoph 235.
Harris, W. T. 14.
Harsdorf er, Georg Phil. 23S.
Hartenstein, G. 91.
Hartf eider, Karl 91. 298. 209.
300. 301.
Hartlieb, 8. 42. 74. 77. 102.
, Hartniann, Gust. 81. 82.
I Hartmann, Jul. 251. 253.
Hase, Karl v. 91.
Haspchnachcr, Joh. 230. 2:tS.
Hatch, E. 91.
Hauffe, Gust. 291.
Hauptmann, Aug. 01.
Hausrath 91.
Heath, Rieh. 50. 91.
Heborstoiu, Familie v. 133.
! Heermann, Joh. 01. 133. 131.
i Hegel 208.
Hegler, Alfr. 50.
Heidolberg 20. 237. 258. 297. 298.
Heiland, Polycarpus 238.
Heinrich, G. 14.
He inrichs, R. 299.
Hcin*i us, Daniel 271.
Hcinzelinann, W. 105.
Hell wag, Joh. 234. 235.
Helms lädt 135.
Hehvig, Christoph 103.
Hemsterhuis 97. 210.
Henke, E. Ldw. Th. 57. 58. 00. 127.
130. 251. 252.
Henisius, Joh. 23S.
II enner, C. 91.
Henoldns, Jac. 230.
Henrich, Josua 235.
Herbart, Joh. Fvdr. 91. 93. 200.
290. 295.
Herhorn 20. 103. 258.
Herder. J. G. 92. 97. 114. 119. 144.
205. 20«. 209. 249.
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:U!i
Hermann. Max 21 »8.
Hormsdorf, Jae. 230.
Herold, H. 217.
Hertzberg, N. 247.
Herzog, J. J. 57. 130. 131. 310.
Hcscnthaler, Magnus 07. ISO. 100.
235. 238.
Hess, Tobiaa 237.
Hess«!», Eoban us 1)7.
Hienier, Joh. Cnnr. 235.
Hillerus, Joh. Phil. 235.
Hilty, C. 304.
Hinget, 8. J. 4. Iii. 47. 48. 00 Ol.
Hipler, Fr. 21#S.
Hladik, Paulus 137.
Hoehegger, Hud. 01. 200 ff.
Hoehhuth, K. W. 251.
Hoderuiann, Rieh. 304.
Höe v. Hohenegg 121).
Hoeven, Amorie van der 27. 2S.
Hopfner, Dr. 14.
Hoff, Hieronymus im 2158.
Hohburg, Christian f 5-4.
Hohenheim, Theophrast v. 12'.i.
Kohlfeld, Paul 02. IUI ff. 305.
Holstein, Hugo 2U8. 302.
Holtzmann, (). Ul.
Honold, Joh. 235.
Honoldus, Jac. 238.
Hopf er, Thomas 23S.
Hopff, Joh. Christoph 234.
Horatschek, Paulus 282.
Horseh, John :J04.
Hossbaeh, Wilh. 58. 127. 128. 250.
Hostelsbcrg, Familie v. 133.
Hotton 5U.
Houven, van der 130.
Huber, Barthol. 237.
Huber, Christoph 108. 100.
H u b m a i e r , Balthasar U2. 1 48. 287. ff.
310.
Hueblin, E. 208.
Hübsch, G. 02.
Hüllemann, Carl 140. 1811. 187.
100. 252. 253.
Hüniger, H. 102.
Hulsemann, Joh. 238.
Humbert I., König von Italien 311.
Hu me, David 200.
Hummel, F. 84 . 02. 253.
Hunziker, O. 03. 247.
Hus, Joh. ISO. 71. 120. 138. 152.
153. 154. 155. 150. 102. 103. 105.
100.
Hut, Hans 280.
Hutten, Ulr. v. 207. 200. 300.
Hutter, Jae. 84.
J. I.
Jablonsky, D. E. 135.
Jackson, S. M. 08.
Jaeobi, Fr. H. 07.
Jacoby, Fr. 208. 210.
Jan us 00.
Jastrow, J. 02.
Jcbb, R, C. 300.
Jeffon, Tobias 282.
Jena 283. 284.
Jirccek, H. v. 14.
Im ho ff (s. Hoff.)
Innichen, Stjidt i. Tirol 82.
Innsbruck 82. 83. 84.
Joachimsthal 208.
Jörger, Familie v. 133.
Johann Ernst, Prinz von Sachsen -
Weimar 170. 171.
Jordan, Sylv. 82.
Joseph II., Kaiser 03.
Israel, A. 101. 102. 103.
Jungin*, Joachim lo:{. .{(KS.
Junius, Sam. 05. 278.
Just, Karl 04. 200.
Just in us, Laurentius 141.
I~
Labadie, Jean de 02. 08. 00.
Labanca, B. 00.
Längin, Th. 02.
Lactu«, Pomponius 301.
Lavater 07. 110.
Lagard e, Paul de 02.
Lay, W. A. 204. 205.
Laynarius, Anthonius 238.
Laminit, Mich. 230.
Lämmer», Aug. 10.
Landenborger, Alb. 252.
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- :{20
Landwehr, Hugo 2öl. rt()*>.
Lang, Abraham 2S.r>.
Lang, Osshtti IL üH.
Lange, Karl 2ÜL 2lr2.
Lange, Frdr. Alb. ÜLL 2JÜ1 ff.
Langiiis, Joh. 23<>.
Langius, Joh. Wendelin '^-t-V
Lansins, Thoina* 12S. 2:ts.
Latermannus, Joh. 2;{<i.
Latt, W. fiü.
Land, \\\, Krzbischof 7k,
Laurcinberg, Petrus HL 70.
La ii rie, S. S.
Laurinus, Paulus 2K2.
Lautensack 1 2f >.
Lea, Henry Charles Ü2. HO").
Lednic (?) 2JjÜ 2ÜL
Lufranc, Abel ML
Legrand, E. 3ÜLL
Leibniz, G. W. LL 23. 2i. 3Ü. HL
Ö2.ÜaiiiliL122.L2£Lmii]iL
20<1 2ßiL 2112. IM.
Leibniz, Justus Jac. 2M\.
Leiden IL
Lein in gen, v. 1 M't.
Leipzig ÜL 2:J.ti.
Loy «er, Polyearp 2H7
Lentz, E. H7_
Leonhard i, Henn. v. L i H>.r). H»t>.
Leschenbrandt, Conrad 2; {8.
Lessing, G. E. ÜL Hü 110 20S.
Lesczinsky, siehe Lissa, (irafen v.
Lett au, Fr. 2H1 ff.
Lentbecher, .1. Mi.
Licchtenberg, Familie v. I A.i.
Lincoln, Bischof v. IL
Linde, Georg 2.U.
Liuduer, G. A. 20. 205 2lHi, 207. 20! i.
Lion, Th. 1HL
Lipsius, Justus L'7 1 .
Lissa, (irafen v. LL 1 -Ii
Lissa 1.5. 22. 4H. 14. Ts |;t|,
Liä. m ff. lhli. 22ii ff. 21L 212.
24 r>. 212. £>ü iüö.
Locke, John 2m.
Loesehe, G. Q2» 2'is
Low »mi 27 1 272.
London LL 7_l ff.
Lorenz, Leoni). 234 . 2M:Y
Loser Hi, Job. h2. 112. LÜL Iii ff.
1ÜS. 2SI ff.
Lubicn iet.sk i, Herr v.
Lubinus, Eilhanl H>7.
Luckfiel, Ernst Ü2.
1 Lübeck 1
Lücke, Frdr. 113.
Lfineburg äl ff. 121 ff. IA~>.
Löf keniann Üü.
Luther, Matthäus 23(i.
Luitpold, Prinzregent von Bayern
21H.
Luther, Martin .'>(). ,r>:t. ti(>. <?7.
lilL7JiILii2.iriitLliLiili. 128.
L2ii L«i 133. Liä. iiiii. Hill 1L1
m 22A 2J1L 2üä. 2JÜL 2ÜÜ.
Lutz, Christoph 2:if>.
W.
Mack, Christoph 231L 2ikL
Macer, Sb. UiL LSü.
Machtolphus, Erhard
Mainpcl, Karl 2J\
Mandl, Hans S_L
Maestlinus, Mich. 23L
Magdeburg 2S:t. 2K4.
May, Ludewicus de 2:iS
M nie t er us, Georg Conr. 2,T>
Mair, Joh. 2iJü. 23S.
M an ei u i , Girol .'KU .
Man 7. 2SS.
Marci, Joh. Coniel. ":M
Marcion istae LL
Marenholtz, Bertha v., gel», v.
Bülow J±L Iii.
Maronier, .1. iL isiL
Marpaehius, Job. 2: Hl.
Marquart, Bruno Li.
Masius. Herrn. !>L Uli. 21iü.
Mail he .-ins, Joh Ü2, 2.i7.
Maxwell, \V. iL ܣL
Mecheln 2LL 212.
Mederns, Georg 2:<7
Mediianskf
Merenberg, Konrad HiS.
Mehlführer, Christoph 23H 2:M,
Meyer, Joachim 171.
321
Meyor-Markau, Wilh. S5. 91.
Meycrbcrg, C. .1. 14.
Meyfart, Joh. Matthaeus 05. 129.
Meinhard, M. 237.
Meister, Ford. 305.
Melanehthoii, Phil. 5.H. 59. 92. 97.
130. 230. 237. 270. 2U8. 300.
Melden in s, Rujiortiiri 2H. 21». 30.
Mon de Ii us, Petrus 238.
Mennoniten 130.
M eilt z er 230.
Mo ran 82.
Moseritz 41.
Mcsscrsehmidt, Chorherr 82.
Micheln» ii, Carl 305.
Michobius, Hector 238.
Milbauer 210. 250.
Mi ran du In, Picus 29S. 301.
Missicz, Jae. 234.
Moehinger, Joh. 102.
M o g I i n g u s , Hoinr. 235.
Möglingus, Joh. Lud. 235.
Mohl, Robert 250.
Mollat, Georg 81. 82. 93. 197. 305.
Möller, Martin 03.
Monnstier 311.
Monroe, Will. S. 85. 88. 300.
Montaigne, M. K. 247. 299.
Montgomery, Graf 90.
Moseherosch, J. M. 238.
Morus, Thomas 187.
Moser, Fricdr. Kurl. v. III. 208.
Mucke, Prof. 197.
Müh Ihausen i. Thür. 15.
Müller, David 01.
Müller, G. 254.
Müller, Jos. 254. 308.
Müller, Walter 308.
Münzer, Thomas 28S.
Mürdel, Georg 235.
Muratori, L. A. 199.
Muretus 95. 301.
Murmel Ii us, Joh. 300.
Musen Ins, Andreas 230.
Musculus, W. 237.
Musion, A. 311.
Mutianus, C. 301.
Naarden 20.
Nnogeorgius, Thoma-* 237. 29s.
Nasehold, Georg 235.
, Nenn der, A. 213. 270.
Neve, F. 299.
Neff, .1. 302.
Net ho, Abraham 234.
Neubauer, Job. 92.
Neuenahr, Graf Herrn, v. 97.
Neufeld, Huldrieus 139.
Neuland, Oberst n. D. 10.
Neuw, lt. 238.
Nieoladoni, Alexander 199. 30!».
Nicolai, Melchior 230. 238.
Nicolsburg 289.
Niebuhr, 13. G. 209.
Niemeyer, A. H. 293. 294.
Nigri nus, C. 97.
Novak, J. V. 243 ff. 250.
Norköping 78. 79.
Nowotny, J. 148.
Nürnberg 15. 51. 127 ff. 140. 172.
O.
Ochino 309.
Oehler, V. F. 252. 299.
Oehlerus, Georg 23S.
Omeis, Hoinr. 230. 2:*.
Oneken, Wilh. 198.
( ) p a 1 i n s k y de B n i n , C'hrist oj)h 1 39.
Opitz, Martin Ol.
Or in in ins, M. 43.
Osi ander, Daniel 235.
Osi ander, J. R. 235.
Osiander, Lucas 235. 337.
Ostorodius 53.
Ostrorog 39.
Oxenstierna 78.
Pabst , Carl Theodor 250.
Palacky 244.
Palm er. Ch. 252.
Pappen he im, Fugen 300.
Paracelsus siehe Hohenheim.
Pardo de Bnrzan, Emilia 299.
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Patera, A. 59. im. l!«!t.
Paul, J. 20K.
Paulscn, Friedr. 93.
Pciper, W. 8*i.
Pclleua 74.
Pembrock, Graf 9«}.
Pestalozzi 93. 217. 291. 21»4. 308.
310.
Petersen, W. 63. 135.
Petri, Olav 255.
Petrus, Joh. 230.
Pcutinger 97.
Pf äff, Joh. Will». 23.').
P f i n t z i n g , Christophor. Godcfr. 238.
Pf ist er, Tobias 234. 238.
Pfitz, Albert 235.
Pfleidercr, Otto 93. 144.
Philelphus, Franeiscua 298.
Photinus 45.
Pilsina, Nicolai!« 282.
Pypin, Schriftsteller 21«.
Pirkheimer, W. 97.
Platter, Felix 301.
Platter, Th. 301.
Poem er, Hector 23«}.
Politianus, Angelus 2ftH.
Poniatovia, Christi na 10. 137. 112.
148. 183. 184.
Posen (Stadt) 11. 15.
Prätori us (Schulze), Elias 04.
Prätori Iis, Stephan (kS.
Prag 1. 15. <>5. !<}(}.
Prank, Familie v. 133.
Prauufalk, Familie v. 133.
Pregitzer, Joh. Ulric 235.
Prerau 15.
Prcusehen, E. 91.
Pröhle, Iii.
Prümers, R. 11. 52.
Pucov (Mähren) 280. 281. 2N2.
Puecher, Joh. 234.
Puritaner 130.
a-
Quick, R. H. 1(J.
122 -
R.
Raab, Georg 235.
i Rabelais 299.
i Raeki, A. 54.
Räk6czi, Georg 90. 277. 279.
Räköczi, Sigismund 111. 112. I7S.
179. 180.
Rakow , Stadt i. Polen 45.
Rad lach, O. 57. ff. 127. ff. 310.
Rägknitz, Gallus v. 134. 172.
Rägknitz, Freiherrn v. 133.
Rafanidcs, (ieorg 95.
Ravius, J. 102.
Raith, Balth. 234. 235.
Rappold, Prof. 203.
Ratichius, Wolfgang 7!). 93. 101.
102. 103. 270. 283 ff.
Rauchenberg, v. 133.
Raumajer, Phil. 235.
Raum er, Karl v. 1158. 2<>4. 209.
Rausch, Älfr. 300.
Rauwenhoff 30.
Rebstock, Jerem. 231. 235. 238.
Reczik, Herrn v. 130.
Redinger, Jacob 51. 52. 147.
Reyher, Andreas 284 . 285.
Rein, W. 93. 94.
! Reindell, Wilh. 299.
Reinecke 10.
Rein ins, (,'assiodorus 303.
Reisch, Gregor 301.
Reisch siehe auch Reusch.
Rein bort, Karl 309.
Renan, Ernst 144.
Reuchlin 97. 262. 265. 26«. 270. 301.
Renseh, Jean Jacques 23S.
Reusehern, Marti nus 23S.
Reu seher us, J. M. 238.
Reussner, Nicolaus 301.
Rhcbinder, Peter 01.
Rhegius, Urban 82.
Rhein wald, F. H. 128. 25«».
Rhenanus, B. 301.
Richter, Alb. 90. 167 ff.
Richter, Arthur 3(>0.
Richter, Präsident 15.
Riehl, A. 295.
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323
Riseh, Paul 22.
Risenhurg 43.
Rispmann, R. 85.
Ritsehl i>0.
Rohort, Bl.
Röther, Vnl. 234.
Roublin 288.
Rovers, M. A. N. 27 ff.
Rogge, Dr. 17.
Rohmoder, Wilh. 87.
Rollenhagen, Georg 237. 270.
Rosonkreuzer 251.
Rotal 05.
Roth, Jac. 235.
Roth, R. 235.
Roth weiler, Jac. 235.
Rousseau, .1. J. 113. 111. 122. 204.
Ruarus, Martin tut 130.
S.
Sadolct 301.
Savonarola 07.
Sailer, Joh. Mich. 00. 202.
Sallwürk, E. v. 1*3.
Salt er, William 35. 30.
Sander, F. 51. 52. 87. !I3.
Sa ml ha gen, Caspar II. «12.
Karos- PaUk 143. 178. 1S1.
Säubert, Joh. 05. 1)7. 128. 120. 130.
132. 134. 172. 174. 17(j. 23ti.
Saxe, Joh. Conr. 238.
Skard, Matias 247.
Schabhart, Wilh. 235.
Scharfer, M. 237.
Seh äff er, Joh. Adam 23(1.
Schafe) itzki um, Eberhard 23*.
Schaff, Phil. 08. 200.
Schallcsius, Samuel 238.
Sehaudelius, Tobias 234. 235. 238.
Scheffer, Melchior 44. 40.
Schölling 100. 107.
Schere/., Sigismund 05.
Schiller, Frdr. v. 105.
Schlatler, Joh. 235.
Schleiermacher. Daniel 25. 200.
201.
Schleiermaeher, Fr. 03. 04. 105.
j Schleswig 03.
Schiet terberch, Jos. 23."».
j Schlichting, Joh. 44. 220.
I Schlichting, Jonas 44. 45. 40.
Sehloupncr, I). 120.
Schm id, K. A. 253. 308.
Schmidt, Erich 252. 208.
Schmidt, G. 01. 253.
Schmidt, H. 2118.
Schmidt, Joh. 230. 2;«.
Schmieden, Joh. Ernst 234.
Schneider, Karl 14.
Schneider, Zacharias 147.
Schopenhauer, Arthur 220.
Schorchius, Joh. Heinr. 234.
Sehragmüller, Conr. 230.
Schragmüller, Joh. Conr. 23S.
Schröder, Joh. 120.
Schflbeli us, Joh. 234. 237. 238.
Schuele, J. J. 230.
Schlitz, Joh. Conr. 235.
Schütz, Otto Friedr. 234.
Schulz, Rernh. 301.
Schumann, G. 20.
Schuppius, Joh. Balth. 01.
Schwab, Gast. 251.
Schwalb, Moritz 30.
Schwarz, Carl 02.
: Schwarz, Gottfr. 300.
1 Sch wegler, Georg 235.
| Schw.enckfoldianer 130.
Skyte, Joh. 78.
Sebesta, F. 258.
Seeurius, Joseph 278.
! Sofried, Jean Adam 234.
Seidensticker, Osw. 300.
Soignobos, Ch. 254.
Selbingerus, J. F. 23S.
' Sepp, Chr. 4. 47.
Servet, M. 04.
! Sybelist, Wendelin 23H.
1 Sigismund, Kaiser 153. H id.
Sigwart, Christoph 253.
' Silomat! n, Thomas 234.
Simons, Menno 01.
S mal eins l:>
Smichow 244.
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Soeinianer ÜL 2i:i.
Socinus, Faust us ü.
Socinut*, Lälius ÜL Ü2,
Sohn er, Friedr. 2ÜIL
Sommervogel, C. &
Sonntag, Carl 2JiL
Sonthom, Immanuel Ü2.
Sophie Elisabeth, Herzogin von
Braunschweig '2AH.
Spnlth, Joh. -?■-{">■
Spcidel, Joh. Mart. 2>iL 23i
Spencer, Herbert 2Ü2. 2iü ML
S pener, Phil. Jac. 2iL Ü2, ÜLu LLL
HL KÜL 1 1 1.
Spiess, Beruh. M.
Spinoza lüL LKL L22.
Sprenger, Elias 234. 2A~).
Stähelin , Rud. 8*>.
Stalpiu», Joh. Conr. 23(i.
Statut* , Martin (W,
Staupitz, Joh. v. !>7.
Stcfanovic- Vilovsk v, Th. v. ikL
iL
Stein meycr, F. L. 2~»1
Stcllanu« '2'A~i.
Stern, Gebr. üL Ü2. liü ÜL lüL tili
<i7. liH. 70. 7 >
Stern, Cornelius Johann üü
Sterz ing S2,
Stettin ü
Styrzcl, J. G. 2^
Stockholm IS.
Stockmann, IL ü,
Stützner, Paul «iL 2i& ff.
Stolciu.-, Daniel 42. 4,3. 44.
Stolliut*, Joachim 2:{M.
Stosch, Barthol. iML
Strälin, Joh. Jac. 2:'.l. 2->T>.
Strasburg füL JiL 1L1 LLL L2£L
i:ti. 2:t<; 2i;s. jiüi.
Sraus«, V. ülii
St raus«, Jac. S2.,
St rölin siehe Strälin.
Stuben berg, Familie v. I.M
Sturm, Joh. 21LL 2lü 2üS. 2ÜLL 2Iü
Stuttgart LiL
Sucho<lolski, Adnm l'Aii.
Sudhoff, K. 21ÜL ML
Suphnn, Dr. 2'»7.
Sutor, Levin 2.U. -'■{.">. 2.tS.
Szalatnay, J. G. A. _'»S.
Szamatolski, Sicgfr. 2SÜL 'ML
T.
Taboriten läL läL Kik liü lüiL
Tain m 8, Aug. 247
Tarnow, Joh. IAA.
Taseius, Johan Adolphus 42,
Tau ler 2JL üü. t-~t-">
Tcyler, P. van der Hülst 1ÜL K*L
Tcylersche Gesellschaft all ÜiL
Teppati, B. L. iL
Teuf fen bach, Familie v. IAA.
Teulschländor, W. KL
Thcobaldus, E. '2AH.
Thiersch, iL 2S.
Tholuck, A. LiL L2S. L2Ü, LÜ
iaa. i:u. 2r,2.
Thomasius, Chr. 2ü, HL
Thorn Ii. 242,
Thudichum, F. v. Ü2, UL
Tirol S2 ff.
Tokai ÜL
Tollin, IL 'ML
Tolstoi, Leo ■><>.'>.
Trexelius, Vitus 23L
Trotzendorf 0tt">. 2Ul
Trump]», P. 3ÜL
Tube, Dr. KL
Tuber, Joh. Ol In 2^S,
Tucher, Sixtus 21Ü
Tübingen 12h. 23L
T ward oviuf*, Samuel 22<>.
II.
l'nger, Theod. S2. ÜiL i^L
Crsi uns, .loh. Henr. 2ÜS.
W.
Wagner, .loh. Beruh. 2:!.*i.
Wagner, Joh. Jac. 2.!S.
Wagner. Tobias 2.M.
Wnidenser 'JiL AUL dlL
Waiderod. .1. 21LL
Waldschmidt, Beruh. 2uL 2aÜ
325
Walds tri», Wok v. IM.
Wiissncr, J. St». 87.
Watten brich, W. 198.
Weber, Joh. Georg 234.
Wehm, Jae. 234. 235.
Weigel. Valentin 12!l. 130.
Wei gel inner 12!». 251.
Weigcnmeier, .Toh. Georg 235.
Weimar, 2S.r,. 280.
Weinkanff, Fr. 10.
Weiniger, Conr. 237.
Weinli», .T. 238.
Wir in mann, Erhard 237.
Weise, Christian 272.
Weiss, Joh. 235.
Weitbrceht, Rieh. 252.
Weltz, Herrn v. 133.
Welt/., Justinianus v. 134. 1 .*»."».
Wencclius, Mich. 237.
Wendt, Emst Emil 10.
Wenzel, Kaiser l.")3. 103.
Werner, .loh. 23'». 21»!).
Wibel, Georg 237.
Wibel, Georg Beruh. 23:..
Wibel, Theophil. 23:..
Wielif, Joh. 151 tf.
W idemann, Marcus 234.
Wider, Joh. Lud. 234.
Wid mann, Samuel 235.
Wilhelm IL, Kaiser 218.
Will man n, O. 22.
Wimpheling, Jae. 29S. 301. 302.
Windisehgrätz, Herrn v. 133.
Win er, Dr. 211.
Wyss, Felix 310.
Wiszowaty, Herrn v. 130.
Witsius, Herrn. 28.
: Witten, General v. 204.
Wittenberg 234. 258.
Witt m er, Ct. 48. 1!».
Wittstock, Alb. !»3.
Wolf, Adam 103. 209.
Wolf, Hieronymus 237.
Wolfenb fittel 57.
Wolzogen, Freiherr v. 44. 40.
Wulff er, Daniel 237.
Wünsche, Aug. 5)2. 190. I!l7. 305.
Wundt, Wilh. 202. 2!»5.
Wurm, Paul 253.
Z.
Zapp ler, Georg 234.
Znsius, Ldalrieus ;W2.
Zauehtel l>ei Fulnek 03.
. Zeaemaan, Gallus 235.
Zeil lern», Mart. 238.
Zeller, Christoph 234. 235. 23S.
Zeller, Joh. 230.
Zerotin, Herrn v. 95.
Zetzner, I^azarus 1S7.
Ziegler, Thcob. !I4.
Zi erlin us, Georg 238.
Ziller Tu iskon 94. 290.
Zimmermann, Matthias 97.
Zinzendorf, N. L. v. !>7. !»s. 99.
108. 113. 115.
Zinzendorf, Graf Heinr. v. 133.
Znaim 05.
Zoubek, Fr. J. 243 ff.
Zürich 288. 289.
Zürlin, Georg 237.
Zwisler, Joh. 230.
Zwicker, J. Ad. D. 277.
Zwingli, Ulrich 93. 97. 2SS. 2S9.
298. 29!».
l!ui-lidiu<kirii vwu J<.ti::nii'«t ßntlt, MDiisU i i. W.
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Monatshefte
clor
Herausgegeben von Ludwig Keller.
Dritter Band.
(1894.)
Leipzig,
R. VoigtländcrN Verlag.
(In Commiasion.J
1894.
Inhalt des dritten Bandes.
A. Abhandlungen. Heiu-
Keller, Ludwig, Ziel« und Wege. Rückschau und Umschau am
Beginn des neuen GesellsehafUtjahres 1
Reinhardt, Kurl, Die Schulordnung in Coinenius' Fntcrriehtslehre
und die Frankfurier Ivehrpläne 1(J
Beeker, Bernhard, Schleiermacher und die Brüdergemeinc . . . . 4."»
Nebe, A., Conicniu*' Studienzeit in Herl>orn. Neue Beiträge zur Ge-
schichte Beiner (icistcscnt Wicklung 78
Lange, Friedrich Albert, Über den Zusammenhang der Erzieh ung»-
systcme mit den herrschenden Weltanschauungen verschiedener
Zeitalter. (Ans dem Nachlas) 107
Natorp, Paul, ( Ymdorcet 's Ideen zur Nationalerziehung. Hin Schnl-
gesetzentwurf vor KM) .lahren 12S
Hummel, Friedrieh, Thomas C'arlyle und der Umschwung der (ie-
sellsehnftaanffassungen des englischen Volkes im 19. .Jahrh. . . 147
Keller, Ludwig, Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer . . . 172
Ellissen, O. A., Friedrich All»«rt Lange als Philosoph und Pädagog 210
Kawerau, Waldemar, Die Anfänge der Universität Halle .... 2:10
Steig, Kein hold, Zu Herders Schriften 2.r>3
Bah I mann, F., Bemerkungen der Fürstin von Gallitziu und Bernhard
Overbergs zu einer Abhandlung des Abbec Marie über Kinder-
erziehung 259
Nieoladoni, Alexander, Hans Sachs und die Reformation . . . 279
Mämpcl, Karl, Abälard und Lessing. Eine religionsgeschichtlichc
Parallele 291
Sander, Friedrich, Coinenius, Diiracus, Figulus. Nach Stamm-
büchern der Familie Figulus-.Iablonski
B. Besprechungen.
S'cLmi«!, (««hiclit- <Ur Erri.huiiK. IhUt. r Band illoch. i:s. r) 31
N i co I iiil oii i , AI., Johanne» Uundfrliri von l.inz ^I».i»-rth) !*;
I.jiihJ wi h r , It., Die Kircht-npolitik Friedrich Willi. ■Im*, tli-s Gronx-n KiirfGt>Un ill.i.),--
nuiuni. Schnitzt-, Fritz, Dcutmlu- Kr/i.-hnnt! (lincliiKKi'r) .'.S
Natorp, Ittlision inncrhsill« drr Oiviizt n <i< r lliininniuit i Kllis-. n). Coincuii I,.Mia.-
i'Xfiiliuiii. llr*K. v. Noi-manii iW. Biitüchcr). - Zwei Ahhartdluiij^'ii .!<•* <'u-
lucniiiK, M»th. von ('. Tli. Linn (K. .Muirij«! ). I* p h u c i , Itichmng.-ri der
pi.ych.il. ForM-luintf d>-r Gegenwart iH.i«.lK-gger). — Slöi/nor, Zu J. B. Schupps
Schriften lAron) ■_»(,-
K raune, K. F., Abhandlungen und Kin/elxAtze DImt Krzichung timl Unterricht
(Wernickc). - Vogel, A., Ihtr*l.llimg .1. r l*:idag<.»cik IVMalnxcl«. 1»cr*.,
Herbart oder IVstaloz/i ill.H-h.wri. - Gill«. A. , Aufsaht- unil Methode der
Pädagogik al« WinsenM-hafl < Hocli.ggeri. t'hriMoph, K.. \V, Kalkes pUtla-
goKiitclun Verdienst lAroni XT
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IV
Inhalt.
('. Littcraturheriflitc. Seite
Neuere Wiclif-Litteratur. — A H. Newman, Mcdiaeval S-ets. - W. Dilthcy, Auf-
fassung und Analyse de.» Menschen im 15, unil 16. Juhrti. ■-- Fr. Hubert, P.
T. Vcrgerio. — H. Hein. < k, Melaiichthnn» Ethik. Ehwald, Eottanus
FIihku». K. t.ehmlich, Ur.-inwhiilcn .les 16. Jahrb. H. Hol mH n . Zur
tielehrtengesehichu- Heidelberg*. - Zum 4<*)jahr. tieluirtstag Hohenheim*.
Jul. Lttwenbcrg, Sebastian Knuick. Beruh. Becker, Christliche Volk*-
unterweisung 37
Wölkau, Kirchenlied der böhmischen Bruder. Müller, Heuuclie und Uchechlftche
< ictianghOchpr der IsMimivhcn Bruder. C Burkhard!, Die Bruderge ine.
■- H. (". I.en, A fonnularv «dt lie pupal |*nn.iitiarv. Max von Wolff,
l»r<nzo Yiilta. Georg Ludewig, I»i<- l'cililik Nurnlierg* im Zeilalter der
Reformation. Edwin Ton»« Ii. Sebastian Fr.itick und seine Lehrer. Jo*.
Kotier, < 'oiiHiiins' Sittenvoroehriften ftir die Schule in Saros-Patak. IIDIle-
mann, Val. Andn-ae als PAdagog. Thcil II. Fr. von Wcech, Erziehung
der Kinder des Kurfürsten Karl Ludwig von di r Pfalz. W. Dilthey, das
natürliche System der (Jeisicswisscnschafien im 17. Jahrb. 1»«»
„Ketzer" und „Sekten". Fredcrleo,, Uesoliiedcnl* der ln.|iiisitic etc. — Wie*e,
• Alex. Hcgiu.*. Börner, Miinnellltis. — Becher, Erasmus (Iber Erziehung
- Hartfelder, Otto Brimfels. • («otheln, Tli. , Campanclla. Zum Er-
ziehung5»e*eii der Brüd.rgenieine. C. W e rc k * ha g- >' . Religiöse Volks-
bibliothek. — •». Frnneke, Herder und dai< Wciiuuri«che <• vmnuMtim.
SkaltKiini, I>ic Entstehung dm Menschen. Hiiber, Dogmenlose Sittenlehre 15C
Ad. Hcn»chcl, Pctr. ruul. Verdrill«. - K. A. Kopp, 1'. P. Vcrgerio. Max
Lehnen, (;. di Couvcrxino von Rav-tina. Karl Wolke, die pädagogischen
Grundsätze de» Johanne!» Murmelliu». Anton Zingr-rlc, Der Humanismus
in Tirol. - K. Hartfelder, I»er humanistische Freundeskreis de» IVsjderins
Erasmus in Konstanz. Max Radlkofer. I>ie humanistischen Bestrebungen
der Augsbnrycr Arzte im Ib. Jahrb. Alf r. Schröder, iHr Humanist Veit Bild. »fj
D. Xarhriehten.
Bcspn-chung der M. H. (Irr <'.<!, in der Theologischen Lltlersturzeitnng. Sonstige
theologische Erteile über die Publikationen der <'.<!. Einig»- Erteile W. 1H1-
tbej n tll« r Cmcniiis, Frölu-I und Pestalozzi. Hin», i« auf die Bedeutung von
f'omonlus Schrift Via lud« au-« BVI1 (zuerst gedruckt Amsterdam. W*» . . . \**\
Hinweis auf Christian Thoumsius uurl die Jahrhundertfeier der l'niversitttt Halle.
Wilhelm Schräder über Thotnsisius und A. H. Fraiiekc. Friedrich de-. Grossen
Crb-il Uber Leibniz und Thomas in». H. von Tu itsehke u. Wilhelm Koscher
über Lcibniz, Thoumsius , Spem-r und Pufeiidorf. Bartholomaus Stosch.
Ibis Gymnasium Schonaicbluiium zu Beuchen und seine Beziehung zu der Brüder-
sclnde in Lissa .M".
Friedrich Bcrbtg lil» r die Latein-Schule zu Cn*sii. Ein Erteil Moritz Rittern ul» r
die bohmischen Brüder. — Hermann von der Hardt (geb. Ii lfit.it in s-inen Briefen.
'JSOjÜhr. Stiftungsfest des „Blumcnordens" In Nürnberg J7">
Zu Hans Sachs' Schrift „Ein Ge«|.rilch eines Evannelisehen mit einem Lutherischen'" etc.
Thomasius und Herder ids Wiederentdeeker des Haus Sachs. Neuen- Ar-
U-iten über Abalard. Ach-'iibacb» (iem hiehtc der Stadt Siegi-n. J. Kvacsalas
ComeiiiuH-Forj'chimgeii. — Ein Tagebuch Karin von Zierolin von LV.il. Tanger-
mann, Natur und tb ist. SchiU-r des Coineuius als Rektoren der Latein.s4 hnlen
zu Iteutheii , Crossen und I^iuban im 17. Jahrh. - ,.!/> br-tiesilnge von der
Nachfolge t'hristi" von I'hilipp von Zesen. • tieorg Phil. Harsdörffers und
l'b. v. Z»-s»-ns Beziehungen, zu (omeiiiu*. — Eine seltene (^nueiiiuis-Ausgal«'.
Ibe lw-ihiuischeii Brüder und die Leformii rten. Pi<- „waldeiisiM-be Form'' der
,,1^-hre ih r zwölf Aposlel". Kin Antimiariais-Katalog von Rosentbal . . . rilTj
K. Inhalt neuerer Zeitsehriflen 4.J. 10'». 170. 2iS. l>78 :M'J
F. Personen- und Orts-ReifMer . 143
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
----- ■ 1 ^ . —
III. Band. ^ 1894. x Heft 1.
Wege und Ziele.
Kückhchnu und lTm*<hau am Beginn «le* neuen (»e*>llHt-haft*jnhro*.
Von
Ludwig Keller.
Es giebt viele Aufgraben in der Entwicklung der Nationen,
die weder allein dureh die staatlichen noeh durch die kirchlichen
Organe gelöst werden können, die vielmehr in besonderem Mass
auf die freiwillige Mitwirkung angesehener Männer angewiesen
sind, wenn sie Aussicht auf dauernden Erfolg haben sollen.
Zu diesen Aufgaben gehören diejenigen, die sich die Comeuius-
( iesellschaft gesteckt hat, Unter den mancherlei Ratschlägen, die
auch im abgelaufenen (iesellsehaftsjahr an uns gelangt sind, ist
uns nicht selten auch der entgegengetreten, dass wir den starken
Ann des Staates oder der Kirche für die Zwecke in Bewegung
setzen möchten, die uns vorschweben und der Huf nach Staats-
halts, der heute allgemein ist, hat sich auch unter uns erhoben.
Wir sind nun weit entfernt, zu verkennen, dass ein Unternehmen,
das sich mit den wichtigsten Zielen staatlicher und kirchlicher
Interessen im Einklang weiss, von dorther eine wirksame Förde-
rung erfahren kann, und wu- beabsichtigen, seinerzeit bezügliche
Schritte zu thun ; aber wir sind der Ansicht, dass der wichtigste und
schwerste Teil der Arbeit auf dem Wege freier Mitwirkung
gethan werden muss, und dass diejenigen Bestrebungen, die sich
aus eigner Kraft nicht halten können, auch mit staatlichen oder
kirchlichen Mitteln in der Kegel nur ein künstliches Dasein fristen.
Es giebt gerade in Deutschland nicht sehr viele grössere
wissenschaftliche und zugleich gemeinnützig«' Unternehmungen, die
MvIMItsili-flt.' <lvl t 'i>lln-llill«-( ■■•vIlM-hllf 1. IKH1. 1
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2 KVIkr. H,.ft 1.
nicht in dieser oder jener Form ihre wesentliche Stütze in der
Mitwirkung der öffentlichen Organe finden. Der Nutzen, der in
Bezug auf Ansehn und Geldmittel damit verbunden zu sein pflegt,
ist ja in vielen Fällen erheblich, aber nicht minder gross sind die
Bedenken, die stets damit verknüpft sind, vor Allem die Gefahr,
dass nicht die freiwillige Hingabe an selbsterwählte Ziele, sondern
Interessen anderer Art zu vorwiegenden Triebfedern werden.
Wer das, was die ('omenius-< iesellschaft in ihrer nunmehr
dreijährigen Wirksamkeit geleistet hat, billig beurteilen will, darf
nicht vergessen, dass das Erreichte ausschliesslich oder fast aus-
schliesslich durch freie Mitarbeit opferwilliger Männer erzielt
worden ist. Gewiss gieht es viele audere Gesellschaften und
ruternehmungen, die das Gleiche von ihren Mitgliedern sagen
dürfen; aber es ist «loch wohl sicher, dass die Mehrzahl derselben
in der Befriedigung politischer, nationaler oder eonfessioncller
Tagesströmungen ihren Mitgliedern eine Gegenleistung gewährt,
die wir nicht bieten konnten. Wer für unsere Sache Opfer ge-
bracht hat, bei dem haben solche Antriebe sicherlich in wenigen
Fällen den Aussehlag gegeben; jedenfalls waren diejenigen, die
dem Beginn unseres l "nternehmens nahe gestanden haben, sich
darüber klar, dass sie nicht mit dein Strom der Tagesintercssen,
sondern gegen ihn sich bewegen inüssten.
Wir sind uns der Schwierigkeiten, die in diesen Verhältnissen
lagen, sehr wohl bewusst gewesen. Man hat uns gesagt: es wird
nicht möglich sein; aber wir haben geantwortet: es raitss mög-
lich sein, denn es ist Pflicht. Gerade in einer Zeit, die von
politischen und eonfcssionellen Leidensehaften in bedrohlichem
Masse erfüllt ist, schien es notwendig, das Bild eines Mannes von
Neuem zu beleben, der das Elend, das aus der übermässigen
Steigerung solcher Leidenschaften erwächst, in dein Jammer des
80jährigen Kriegs erfahren und sozusagen am eignen I>eib die
Früchte kennen gelernt hatte.
Auch Comenius hatte in seiner Zeit alle die Hindernisse
kennen gelernt, die heute vorhanden waren. Gleichwohl wird heute
kaum Einer sein, der wünschte, dass Comenius den damaligen
Zweiflern sein Ohr geliehen und seine Harfe an die Weiden ge-
hängt hätte. Es war ihm sicherlich so gut bewusst, als es uns
bewusst ist, dass es bequemer und angenehmer ist, mit dem
Strom als gegen ihn zu schwimmen. Wer möchte ihn heute an-
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189-1. W'i ^c uiifl Ziele ;{
klagen, dass er den schwereren Weg p>wnhlt hat und wer von
i h m sagen, das* er nicht t rot/, zeit weil i gen M i ssorf olgs
und schwerer Kämpf«' grosse Erfolge erzielt hat?
Ich weiss nicht, oh es unter unsern Freunden und Mitgliedern
manche gegeben hat, die der Hoffnung lebten, dass die natürlichen
Schwierigkeiten, die in den eingeschlagenen Wegen lagen, in kurzer
Zeit zu fiberwinden seien. .Jedenfalls hat die (lo.sellsehaftsleitung
eine solche Ansieht nie gehegt, und sie hat nichts gethan, um sie
in ihren Mitgliedern hervorzurufen. Wer die Geschichte kennt,
der weiss, dass Ideen, wie sie Comenius vertrat und wie wir sie
in seinem und seiner Freunde Sinn vertreten wollen, den Leiden-
schaften der Masse nicht schmeicheln, und dass Schritt für Schritt
um sie gekämpft werden muss; aber der in den geschichtlichen
Entwicklungen Erfahrene weiss nicht minder, dass dieselben Ideen
im Lauf der Jahrhunderte eine ausserordentliche Zähigkeit und
Tragkraft bewiesen haben, und dass sie sich von Jahrhundert zu
Jahrhundert ein breiteres Feld erkämpft haben. Wenn wir uns
heute in einem Zeitpunkt befinden, der ihrer Entfaltung weniger
günstig zu sein seheint, so darf man nicht vergessen, dass früher
als man denkt andere und bessere Zeiten kommen können. An
der Weltanschauung, wie sie Comenius und die ihm geistesver-
wandten Männer vertreten, haben seit uralten Zeiten unzählige
Männer gebaut und gearbeitet die Einzelnen, wie die Mensch-
heit mit ihren Plänen umspannend; wir wollen ohne Rücksicht
auf den Erfolg dos Tags an diesem Werke weiterbauen, in der
sicheren Ueborzeugung, dass Gedanken und Ziele,
die eine v i e 1 h u n de rt j ä h r i ge (1 esc h i c ht e haben, weder
heute noch morgen untergehen, und dass jeder ernsten
A r h e i t , d i e für solche Ziele k ä m p f t , früher oder späte r
der Erfolg nur selten fohlt.
Ist es zu viel gesagt, wenn wir behaupten, dass die Richtig-
keit des letzten Satzes sich schon jetzt in den Erfolgen unserer
Bestrebungen bewahrheitet hat?
Wie viel Menschen gab es noch vor wenigen Jahren, die
von Comenius mehr als den Xamen kannten? Wie gering war
verhältnismässig die Zahl der Schriften, die denen zur Verfügung
standen, die sich nähere Auskunft über ihn verschaffen wollten!
r
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I
KVIIer.
Heft 1.
Wie sohr int das heute anders geworden. Wir haben durch die
Jahrhundertfeier, die ganz und ausschliesslich ein Werk unserer
Gesellschaft war, in tausend und abertausend Herzen das Bild
des Mannes wachgerufen; wir haben eine Fülle guter Bücher an-
geregt und zum Teil unmittelbar gefördert, und wir haben dahin
gewirkt, dass jetzt nicht blos in der mährischen Heimat, sondern
auch in anderen Städten Denkmäler und Denkzeichen sich für den
grossen Mann erheben.
Da wir den Namen des Comcnius gewählt hatten, um die
Weltanschauung zu kennzeichnen, deren Erneuerung und Pflege
die Aufgabe unserer Gesellschaft sein sollte es war eine Zeit
lang auch der Name Herder- Gesellschaft für die Pflege
der Wissenschaften und der Volkserziehung in Erwägung
gekommen — so war für uns in der That an diesem Ergebnis
viel gelegen. Der Name war unbrauchbar zur Kennzeichnung
unserer Ziele, wenn das Bild des Mannes unbekannt blieb, dessen
Streben wir zu dem unsrigen gemacht hatten. Dem haben wir
durch die Jahrhundertfeier kräftig entgegengewirkt und damit die
ersten Schritte gethan auf dem Wege, der uns vorschwebte. Aber
freilich nur die ersten Schritte: denn noch immer ist der Name
wie das Charakterbild des grossen Bischofs nicht so bekannt, als
er es verdiente und als es im Interesse unseres Cntei-nchmens
wünschenswert wäre.
Weder im Rahmen des Schulunterrichts wird die Kenntnis
des Mannes und seines Werkes den Schülern vermittelt, noch wird
ihm in der Litteratur derjenige Platz eingeräumt, den er als bahn-
brechender Geist an der Schwelle der neueren Geschichte bean-
spruchen darf. Er ist weniger bekannt und genannt als Ix'ibniz,
der ihm doch seinerseits das höchste Lob spendet, und weit
weniger als die grossen Männer des ausgehenden 18. Jahrhunderts,
die auf dem Gebiet der schönen Litteratur oder der Philosophie
ihre Namen unsterblich gemacht haben.
Man weiss, dass auf den Namen von Shakspeare, Schiller,
Goethe u. s. w. Stiftungen und Gesellschaften gegründet worden
sind, und dass diese Gesellschaften sich zum Teil in blühendem
Zustand befinden. Nichts liegt näher (wie es denn thatsächlich
vielfach geschieht), als anzunehmen, dass die Comenius-Gesellschaft
sich in ähnlicher Weise wie jene auf die Herausgabe und Erläute-
rung comenianischer Schriften beschränken, «»der wie die Schiller-
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1894.
Wejre und Ziele.
Stiftung für einen bestimmten und beschränkten Kreis gemeinnützig
wirken will. Beide Annahmen sind unzutreffend und verdunkeln
die in unserem Programm klar und bestimmt ausgesprochenen
Zielpunkte.
Die (Nmienius- Gesellschaft liat den Zweck, Menschen-
Bildung und Volkserziehung im Geiste des Mannes, dessen
Namen sie trägt, zu fördern und zu pflegen und diejenigen Männer
aus allen lündeni und Kirehen zu gemeinsamem Wirken zu ver-
einen, die sieh in der Gesinnung wie im Streben mit ihm eins
wissen.
Diese Zweckbestimmung bringt es mit sieh, duss unsere Ge-
sellschaft sieh nicht auf die Vertreter irgend eines bestimmten
Berufs (nler Standes, nicht auf eine bestimmte C'onfession und
nicht auf eine bestimmte Partei einschränken kann und will; sie
hat aber auch die naturgemässc Folge, dass sie sich weder auf die
eine noch auf die andere ausschliesslich stützen kann. Während
die Mehrzahl der Vereinsbildungen auf dem Zusammcnschluss
bestimmter Berufsarten oder Interessengruppen beruht und dadurch
bis zu einem gewissen Grad erleichtert wird, muss unsere Gesell-
schaft unter verschiedenartigen Berufen und bestehenden Gruppen
ihre Mitglieder suchen, und sie kann das einigende Band lediglieh
in geistigen Interessen und Bedürfnissen Mnden. Ks ist zweifellos
leichter, eine Gesellschaft für ein abgegrenztes Wissensgebiet,
z. B. für medizinische oder mathematische Wissenschaften oder
selbst für Philosophie oder Krziehungslchrc ins Leben zu rufen,
als die Vertreter couienianiseher Geistesriehtung aus allerlei Volk
zu sammeln, zumal wenn diese Gcistcsrichtung von anderen Strö-
mungeu bcwu.sst oder unbewusst zurückgedrängt i>t und auf die
Freiwilligkeit der Mitwirkenden besonderer Werth gelegt wird.
Auch diese Umstände muss man im Auge behalten, wenn
man die nachfolgenden thatsäehlichen Mitteilungen in Rücksicht
auf die Bedeutung der erzielten Krgebnisso prüfen und betrach-
ten will.
Am Schiltst* des Jahres 1891 als Stiftungstag hat der
10. Oktober 1X91 zu gelten hatte die Gesellschaft ungefähr
öäO Mitglieder und die Flöhe der zugesagten Jahresbeiträge betrug
etwa :W00 Mk.
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Ii
Kfller.
Heft 1.
Gegen Sellins* des .Jahns 189*2 war «Ii«- Mitgliederzahl auf
etwa 850 gestiegen, und die Summe der Jahresbeiträge war auf
etwa 5000 Mk. gewachsen. In beiden Jahren (1891 und 1892)
hatte die Gesellschaft eine ziemlich erhebliche Einnahme aus ein-
maligen Beitragen, die ihr zum Teil von „Patronen," zum Teil
von „Stiftern," die auf I>'henszeit beitraten, zuflössen, zum Teil
auch von anderen Freunden gezahlt wurden.
Am Schluss des Jahres 189.5 betrug die Mitglieder/ahl nahezu
10(10 Personen und Körperschaften, und die Summe der zugesagten
Jahresbeiträge war auf etwa 0000 Mk. gestiegen, l'nter dieser
Zahl befanden sieh nicht weniger als 2N5 kör]»er*ehaft liehe Mit-
glieder, was als günstiges Anzeichen zu deuten ist.
Die Jahresabschlüsse unseres Schatzmeisters haben sieh in
den beiden verflossenen Jahren günstig gestaltet: trotz der sehr
erheblichen Ausgaben, die uns durch die Jahrhuudeilfcier erwachsen
sind und trotz der grossen Kosten, die wir behufs Gründung der
Gesellschaft aufgewandt haben, weisen beide Abschlüsse einen be-
scheidenen rberschuss auf. Wenn wir also in dieser Beziehung
vorsichtig gewirtsehaftet haben, so ist es andererseits freilich
einstweilen nicht gelungen, ein Stammkapital zu schaffen, und
es wird in der Zukunft eine dringende Aufgabe sein, unser f/nter-
iichmcn durch die Schaffung eines Vermögensgrundstocks weiter
zu befestigen. Wir wollen nicht unterlassen, schon heute
unsere Freunde und Mitglieder um ihre thätige Mitwir-
kung für diese Aufgabe ausdrücklich zu bitten. Der Herr
Schatzmeister wird alle einmaligen Beiträge, die ihm mit dieser
Bestimmung zugehen, dem Vcrmügenssloek überweisen.
Ks ist nicht ganz leicht, einen richtigen Massstab für die
Beurteilung dieser Ergebnisse zu gewinnen, tun so weniger, weil
die Eigenart unseres rnternehniens einen Vergleich mit anderen
Gesellschaften zweifellos ersehwert. Thatsächlieh sind die Vor-
bilder für un>er ruternehnicn weniger in heutigen Gesellschaften
verwandter Art als in filteren Entwürfen und Bildungen zu suchen,
wie sie sieh teils in des ('omenius „Weckruf," teils in jenen filteren
sogenannten „Akademien" finden, wie sie vor der Errichtung der
Hoyal Society und der nachmals errichteten „Königliehen Akade-
mien der Wissenschaften" bestanden und deren Mitglied einst auch
( 'omenius gewesen ist. Die Vereine, die wir heute zum Vergleich
heranziehen könnten, sind nach ganz andern Vorbildern geschaffen
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1894. W'ofic uml Zirle. 7
«
worden und haben ineist unter ganz amlcnn Voruuss«'tzung<*n « ine
eigenartige Entwicklung genommen.
Wenn man trotzdem Vergleiche anstellen will, so könnten
unter And«*ren etwa folgende heutige Gesellschaften in Hetnieht
kommen: das Freie deutsehe Ilochstit't für Wissenschaften,
Künste und höher«* Bildung (Krankfurt a. M.), die Görr«*s-
gesellschaft zur Pflege der Wissenschaften im katho-
lischen Deutschland und die G<*s<*llschaft für Vcrln-ci-
tung von Volksbildung, die freilich ihre vornehmste Aufgabe
in der Volkserziehung findet, während bei uns umgekehrt die
Pflege der Wissenschaften vornehmlich betont wird; endlich könn-
ten im Hinblick auf den letzterwähnten Gesichtspunkt auch noch
der litterarische Verein in Stuttgart und die Gesellschaft
für deutsche Erziehung*- und Schulgesehichte hinzuge-
zogen werden.
Leider steht mir für die Mehrzahl der genannten Gesell-
schaften kein genügendes Material zur Verfügung; sie sind fast
sämtlich viel älter als unsere Gesellschaft und um sicher zu gehen,
wäre es notwendig, zu wissen, wie sich ihr Mitgliederstand, ihre
Hinnahmen und ihr«' Leistungen am Sehluss des dritten Gcsell-
schaftsjahres dargestellt haben.
Die GöiTcs-Gescll.schaft besass im Jahn1 1892, also nach
siebzehnjähriger Thätigkcit (gest. 1875) ungefähr 8000 Mitglieder
mit Jahresbeiträgen von etwa 25000 Mk. : der littcrarischc Verein
in Stuttgart (gest. 1*80) hatte im Jahre ISSN etwa .{70 Mitglieder
mit einer Hinnahme von etwa 7500 Mk., das Freie deutsch«*
Hochstift (gest. 1859) liatt«* im Jahre 1892 etwa 1050 Mitglieder
und ung«*fähr .'{000 Mk. Hinnahme; «lie Gesellschaft für deutsehe
Erziehung*- und Schulgesehichte, «lie fast <*benso alt ist wi«* «lic
('«anenius - Gesellschaft , besass nach ihrem letzten Jahresbericht
etwa 510 Mitglied«*r und 2500 Mk. Jahns-Einnalim«*.
In einer Zeit wi«* d«*r unsrig«*n, di<- gewohnt ist, «lie He-
deutung ein« *r Sache vorwi«*geml nach Zahlen uml Geldsummen
abzuschätzen, ist «*s un«'rlässli<*h, auch zifiermässig «las Wachstum
eines Unternehni«*ns zur Ans«*liauung zu bringen. Eim*r tiefer
dringenden Betrachtung erscheinen fr<*ilich aml«*r<* Ding«* wichtiger,
vor Allem der Wille und die geistige Kraft, für die Hrn-ichung
d«r v«irgest<*cktcii Ziele gemeinsam zu arbeit«'n und «li<* Hi"folg«*,
di«* in dieser Kichtung aufzuweisen siml. Di«' Probe auf «li«ses
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S Kellfr. Heft 1.
K.xempcl nmss an den Veröffentlichungen der Gesellschaf t
gemacht werden.
Die Aufnahme, welche unsere Veröffentlichungen innerhalb
wie ausserhalb unseres Mitgliederkreises gefunden haben, spiegeln
sieh in den Besprechungen und Kritiken wieder, die darüber
erschienen sind. Ich verweise hier unter Anderen auf die Be-
spreehungen in Xr. 41 des Litt. Ontralblatts (1892), in der Revue
critiquc vom 17. April 1893 S. 305 f., in der Academv (London)
vom ]8. Februar 1893 Nr. 1085, auf die Zeitschrift für praktisch«'
Theologie (Jahrg. XV, S. 89), auf das Theol. Literaturblatt vom
19. August und 2. Dezember 1N92 mul vom 7. Juli 1893, die
Theol. Tvdschrift B<1. 27 (189:5) S. 451 58, und auf den Theol.
Jahresbericht Bd. XII, S. 347. Kbenso finden sich freundliche
Besprechungen in der Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung
vom 25. Mai 1893, in der Zeitschrift für Realsehulwescn Bd.
XVII., Heft 9, in der Zeitschrift Gymnasium (1893 Nr. 2), in
den U'hrproben und l^ehrgängcn, 1893, 37, S. 120 f., in der Zeit-
schrift für die österreichischen Gymnasien (1893 S. 3(34) und in
den Deutscheu Blättern für erziehenden Unterricht 1892 Nr. 44.
Anzeigen und Besprechungen in der Tagespresse, die zum Teil aus-
führliche Artikel gebracht hat, übergehen wir hier und bestätigen
nur, dass die (Jesamtaufnahuie durchweg als eine freundliche be-
zeichnet werden kann.
Dabei müssen wir freilieh hier offen bekennen, dass weder
die Monatsheft«- noch die Mitteilungen bisher das Ziel, das
ihnen gestellt ist, erreicht haben; Niemand fühlt mehr als die
Nächstbeteiligten selbst, dass ihr Wollen hinter dem Können weit
zurückgeblieben ist und dass in Zukunft vieles besser werden
muss. Wir sind aber glücklicherweise im Stande, schon jetzt für
das kommende Jahr wesentliche Fortschritte in Aussicht stellen
zu können. Auf keinem Felde hat sieh während des letztvcrflos-
senen Jahres das innere Wachstum unserer Gesellschaft deut-
licher gezeigt, als in der Zunahme der wissenschaftlichen Mit-
arbeit an unseren Zeitschriften.
Wir waren zwar von vornherein in der I^age, eine Fülle
hervorragender Kniffe als Mitglieder in unserer Gesellschaft zu
besitzen, auch war ja oft genug gesagt, was und wie wir es zu
bringen wünschten; aber den Strom der Mitarbeit, der bisher in
andere (.'anale geflossen war, in ein neues Bett zu lenken und
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1804.
Wopp und Ziolo.
eine Mitarbeitcrsehaft zu finden, die verständnisvoll dir Stoffe
und den Ton zu treffen wusste, wie sie durch die Eigenart des
Unternehmens bedingt waren, war in der kurzen Frist, die zwischen
der eonstituirenden Versammlung vom 10. Oktober 1891 und dem
Januar 189*2 (wo das 1. Heft erseheinen sollte) lag, völlig unmög-
lich ; grössere wissenschaftliche Arbeiten lassen sich höchstens an-
regen, niemals „bestellen," und sie forden) eine Vorbercitungszeit,
wie sie der Sehriftlcitimg eben nicht zur Verfügung stand; die
Nachwirkungen dieser Verhaltnisse haben sich leider imk-Ii fast
zwei Jahn- lang geltend gemacht.
Seit der zweiten Hälfte des verflossenen Jahres aber ist hierin
ein erfreulicher Wechsel eingetreten. Es hatte uns zwar auch bis
dahin nicht an Beiträgen gefehlt, aber sie waren vielfach weder in
Rücksicht auf die Stoffe noch auf die Behandlungsart im Sinn
des Unternehmens, wie es der Gesellschaftslcitung vorschwebte.
Mehr und mehr aber hat sich seit dem angegebenen Zeitpunkt
das Verständnis für Haltung und Ton, wie wir ihn wünschen
müssen, verbreitet und wir verfügen für den Beginn des jetzt
laufenden Jahrs über eine Reihe wertvoller Arbeiten, die
entweder bereits eingesandt oder zugesagt sind.
Da das Jahr 1894 zweifellos uns noch weitere Anerbietun-
gen bringen wird, so müssen wir fast fürchten, dass die uns bis-
her zur Verfügung stehende Bogenzahl nicht ausreicht. Anderer-
seits können wir uns freilich, so lange die Monatshefte zu dem
jetzigen, ungewöhnlich billigen Preis von jedem Mitglied bezogen
werden können, keinerlei weitere Ausgaben für die Zeitschrift
auferlegen, ohne andere wichtige Interessen der Gesellschaft zu
schädigen.
Unsere Mitglieder und Freunde wissen, dass unser Absehen
auf die Förderung geschichtlicher Erkenntniss in besonderem Ma»
gerichtet ist; aber es kommt uns in gleichem Masse auf die Klar-
stellung der coinenianischen Grundsätze und der comenianischen
Weltanschauung an, durch die wir einen Massstab und eine
Richtschuur für die Beurteilung derjenigen Fragen zu gewinnen
wünschen, die heut«- auf dem Gebiete der Philosophie, der Re-
ligion und der Erziehung die Welt bewegen.
Wir werden daher solchen Aufsätzen besonders gern unsere
Spalten öffnen, die die philosophischen, religiösen und pädagogischen
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t
10 Keller, H,.ft 1.
Fragen und Aufgaben der Gegenwart im Lichte enmenianischer
Prinzipien behandeln und wir haben die Abhandlung Karl Rein-
hardts über die Schulordnung in Comenius Unter-
richt sie hie und die Frankfurter Lehr plane auch desshalb
gerade am Beginn des neuen Gesellschaftejahres vcniff'entlicht, um
anzudeuten, in welcher Art wir andere Fragen verwandter Art
behandelt sehen möchten. ') Dans wir unter conieninnisehcr Welt-
anschauung auch diejenige von Leibniz, Herder, Fichte,
Krause und Schlciermacher verstehen, haben wir ja oft genug
ausgesprochen. Es gilt, die geistigen Errungenschaften dieser Männer
für die Gegenwart fruchtbar zu machen und ihre Gedanken, so-
weit sie für die vielfach veränderten Bedürfnisse noch verwendbar
erseheinen, als Wegweiser und Richtlinien zu verwerten. Zu den
Grundsätzen dieser grossen Männer zurückkehren, heisst heute
zweifellos in vielen Fällen fortschreiten.
Unsere Gesellschaft hat sich, wie bereits in dem Aufruf
gesagt worden war, die doppelte Aufgab«' gestellt, erstens dem
Geist de* Comenius und der ihm innerlich verwandten
Männer unter uns von Neuem lebendige Verbreitung zu
verschaffen und zweitens in diesem Geist bildend und
erziehend auf das heutige Geschlecht zu wirken. Aber
wir haben von vornherein ausdrücklich betont, dass die letztere
Aufgabe erst dann mit einiger Aussicht auf Krfolg in Angriff' ge-
nommen werden soll und kann, wenn es gelungen ist, die erstere
ihrer Losung näher zu führen. Auch haben wir stets gesagt, dass
der Schwerpunkt dieser erziehenden Thätigkeit in den örtlichen
Organisationen (Abteilungen und ( omenius-Kränzehen) liegen
muss und es liegt auf der Hand, dass solche Organisationen, wenn
sie Bestand haben sollen, nicht von heute auf morgen geschaffen
werden können. Behufs Vorbereitung geeigneter Massregeln
') Sehr wünschenswert h wäre im Hinblick auf beut ige Hedürfnipsr
ein Aufsatz über «Jen rnterricht in der Sittenlehre nach Comenius
(Did. magna e. -'.)), mler die allgemeine Volksschule nach den For-
derungen de.« Conicniu*. ebenso in Betreff' der .Ideen de.« C. über
t'ni versitäten und T* u i ve i si i ;'i t swese n (Did. magna e. ferner über
riie rnionsvrrsuebe des Crossen Kurfürsten im Liebte nunc-
nianiseber Grundsätze u. >. w.
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Wege und Ziele
und zur Anregung einer Erörterung über Wege und Ziele schien
es zweckmässig, schon jetzt mit der Schaffung eines Organs
von» liehen, das dem Meinung«- Austausch dienen könne, und
so wurde zu Beginn des Jahres lSil,-; mit der Heraustrabe der
Mitteilungen der C.-G. begonnen, wie sie bereits in den
Satzungen vorgesehen und ins Auge gefasst wan n. Ich darf den
Inhalt im Wesentlichen als bekannt voraussetzen. Wir haben
versucht, in den Leitaufsätzen die Zielpunkte festzulegen und die
Wege zu besprechen, die behufs I- orderung der Volkerziehung
sich für uns als gangbar erweisen könnten; auch haben wir
aus der Geschichte der humanitären Bestrebungen früherer Zeiten
einige Beitrage geliefert. Vor Allem aber kam es uns dar.mf
an, zu betonen, dass alle praktischen Massregeln, die unsere
Gesellschaft demnächst etwa ergreifen könnte, sich auf die För-
derung der allgemeinen Bildung de» nuchschulpflichti-
gen Alters beziehen müssen. Hier klafft in dem Ix-stehenden
Schulwesen eine Lücke, die zunächst auf dem Wege der frei-
willigen Bildungs pflege auszugleichen ist. Als Vorbilder
schweben uns jene englischcnVolkshochschulen vor, die seit den
fünfziger Jahren durch Maurice und Kingsley ins lieben gerufen
worden sind.
Die Erweiterung unserer Veröffentlichungen, wie sie mit der
Herausgabc der Mitteilungen eintrat — es werden am Schlüsse
des Jahres 1X1K? etwa l'J Druckbogen davon vorliegen hat
uns wesentliche finanzielle Opfer auferlegt. W ir hoffen, dass unsere
Mitglieder die neue Einrichtung zur Gewinnung neuer Mitglieder
kräftig benutzen werden.
Endlich weise ich noch kurz darauf hin, dass mit dem Jahre
]H\YA auch eine Folge von Vorträgen und Aufsätzen aus
der Comcnius-G escl Ischaf t zu erscheinen begonnen hat, die
sieh als weitere Ergänzung unserer Veröffentlichungen darstellen.
Diese Sammlung ist in erster Linie dazu bestimmt, solche Per-
sonen und Körperschaften für die Ziele unserer Gesellschaft zu
interessieren, die einstweilen noch nicht Mitglieder sind. Wir
wollen diese Vorträge an Freunde unserer Sache kostenlos ver-
teilen und die Schriftleitung stellt auf Anfordern allen Mitgliedern
Abzüge zu diesem Zweck kostenlos zur Verfügung.
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12
Keller,
Heft l.
Bei der Beurteilung unserer Schriften darf die Thatsaehe
nicht ausser Ansatz gelassen werden, dass die Gescllschaftsleitung
auch im Laufe des Jahres 1893 »ich der Förderung dieser Seite
unserer Thätigkeit nicht «ingeteilt widmen konnte. Vielmehr hatte
sie gleichzeitig eine zweite Aufgabe von gleicher Wichtigkeit im
Auge xu behalten, nämlich den Ausbau unserer Organisation.
Durch die Satzungen, wie sie auf Grund der mit dem Auf-
ruf im Juni 1 S!» 1 veröffentlichten „Vereinbarungen" im März 1892
beschlossen worden waren - sie sind im Jahrgang 1892 der
Monatshefte, Gesehäftl. Teil S. 1 1 ff. abgedruckt waren nur
die (irundxüge der (Organisation vorläufig festgelegt worden,') der
weitere Ausbau der dort getroffenen Bestimmungen blieb den Ge-
schäftsordnungen vorbehalten, die zu entwerfen waren.
Ks erwies sieh zunächst als notwendig, das wissenschaftliche
wie das gemeinnützige Arbeitsgebiet der Gesellschaft bestimmter
abzugriuizen. und wir halten «las Hundsehreiben vom 23. Juli 1892,
wie die hierher gehörigen Programm- Aufsätze der Mitteilungen
vom Januar/Februar und Juni Juli 1893 bereits besprochen oder
erwähnt.
Weiterhin war eine Geschäfts-Ordnung für den Gesamt-
Vorstand und eine solche für die Congressc unerlässlieh, und
die ersten* wurde vom Vorstand im Oktober 1892 (abgedruckt in
den Monatsheften 1892 Gesehäftl. Teil S. Ii3 ff.), die letzten* im
April 1893 (abgedruckt in den M. M. der C. G. 1893 S. 103 ff.)
genehmigt. Mancherlei Beratungen und Erörterungen wurden durch
diese Angelegenheit notwendig.
In den ijJj. 28 und 29 der Satzungen war die Einrichtung
örtlicher Organisationen vorgesehen, und es ^*ar eine wich-
tige Aufgabe der Gcsellsehiiftsleitung, an Orten, wo hierfür die
Möglichkeit vorhanden zu sein schien, die einleitenden Massregeln
zu treffen. Wir haben zunächst die in 28 der Satzungen vor-
gesehene Krneunung von Bevollmächtigten ins Auge gefasst,
und ich frone mich, mitteilen zu können, dass wir beivits etwa
in 50 deutschen und iiusserdeutsclien Städten angesehene Männer
für die rbernahme dieses Ehrenamts gewonnen haben. Wir
') Dir?;. MO unserer Satzungen lautet: „Diese Vereinbarungen treten mit
dem 1. April lK!r> vorläufig in Kraft und bleiben nur solange in Geltung,
bis die Haupt Versammlung oder ein von diene r bevollmüeliligter Auswhuss
sie genehmigt, geändert oder verbissen hat."
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1S!I4.
W'ffp' und Ziolo.
haben die Namen zum Teil bereits veröffentlicht ; demnächst wird
die vervollständigte Liste herausgegeben werden.
Um unseren Bevollmächtigten die Geschäftsführung /u er-
leichtern, int seit einigen Monaten die Einrichtung getroffen worden,
dass ihnen die Erhebung der Beiträge u. s. w. durch geschäfts-
führende Buchhandlungen abgenommen wird, wo sie sieh mit
einem solchen Geschäft selbst in Verbindung setzen.
Wir haben die Absieht, vom kommenden Jahre ab unsere
Kräfte für «'ine neue grosse Aufgabe zu sammeln: für die Her-
stellung einer Gesamt-A usgabe der Werke des Comcuius.
Wir würden dieser Aufgabe vom ersten Augenblick an näher
getreten sein, wenn es sieh nicht als notwendig erwiesen hätte,
zunächst das Verständnis für die Bedeutung des Mannes überhaupt
wieder zu wecken. Erst nachdem dies gelungen ist - man kann
freilich fragen, ob es heute schon völlig gelungen ist ist es
möglich, an eine so umfassende Aufgabe auch nur zu denken.
Es hätte nahe gelegen, dass die wissenschaftlichen Akademien
derjenigen Staaten, die einst von der Thatigkcit des grossen Mannes
Nutzen gezogen haben, vor Allem Deutsehland, Oestreich-
Ingnrn, England, Holland und Schweden, den Plan entworfen
und mit Hülfe staatlicher Mittel durchgeführt hätten. Da es nicht
geschehen ist und auch jede Atissicht fehlt, dass es in absehbarer
Zeit geschehen wird, fällt der C'omcnius-Gcsellschaft um sc» mehr
die Pflicht zu, als sie alle hervorragenden Coinenius-Eorscher der
genannten Länder, d. h. alle die Kräfte, auf die auch jene Akade-
mien angewiesen sein würden, in sich vereinigt, während ihr freilieh
die finanziellen Mittel für ein so grosses Werk einstweilen fehlen.
Wenn nun aber die Gesellschaft jene Korseher zu einer
Commission für die Comenius-A usgabe unter dein Vorsitz
eines angesehenen Gelehrten vereinigt, sollte dann nicht die finan-
zielle Mitwirkung der genannten Staaten im Interesse der Wissen-
schaft wie der Volkserziehung erreichbar sein*.'
Gewiss, die Aufgab»' ist gross und schwh'iig. Aber ich
mochte diV Zweifler daran erinnern, »lass die Mehrzahl in «1»'U
Jahren lHi)0 und 1S!*1 sowohl ein«' allgemein»' Jahrhundertfeier,
wie namentlich die Gründung »'hier gr»"»ssen-n Gesells»*haft für fast
unausführbar gehalten hat und doch wie sind ihre Erwartungen
und Befürchtungen g»'täuseht worden. Kann es jetzt nicht ähnlieh
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14 KVIIer. Heft 1.
gehen? Jedenfalls wird die Herstellung einer Gesamtausgabe da-
durch sehr erleichtert, dass der Markt für sie sieh über die
ganze jf ohi l<i«'t** Welt erstreckt und dass die hohen und
niederen Schulen in allen Ländern allmählich das Bedürfnis fühlen
werden, ein Exemplar in erreichbarer Nähe zu besitzen.
Die Gesellschaftsleitung behält sich je nach der weiteren
Entwicklung vor, eine ausserordentliche Hauptversamm-
lung zur Berathung dieser Sache einzuberufen.
Bei der Einrichtung unserer Gesellschaft sind, wie ich wieder-
holt betone, die Anregungen von ausschlaggebender Bedeutung
gewesen, die Comenius selbst in seinem Allgemeinen Weck-
ruf (der Panegcrsie) gegeben hat. In dieser Schrift hatte Come-
nius die Bildimg einer Vereinigung gefordert, die die Vertreter
aller Parteien, Konfessionen, Nationen und Stande um-
fassen sollte.
Obwohl wir nun der Ansicht waren, dass die „Vereinigung
aller Edlen aus allen Nationen," wie sie Comenius forderte, ein
für uns unerreichbares Ideal bleiben werde, so schien es uns doch
richtig, thunlichst auf den Wegen, die uns Comenius gezeigt hatte,
zu bleiben. Die Gesellschaft durfte, wenn sie dem Ideal des
Comenius einigennassen nahe kommen wollte, weder als ausschliess-
lich gelehrte, noch als ausschliesslich gemeinnützige Gesellschaft
erscheinen von der Vertretung einseitiger Parteiinteressen ganz
zu schweigen.
Die Gesellsehaftslcitung ist bisher von dem Gedanken durch-
drungen gewesen, dass sie die Aufgabe habe, das Werk fortzu-
setzen, dessen Bau Comenius einst begonnen hat, den Bau jenes
„Tempels der Weisheit,4' in dem die Nationen, die Stande und die
Kirchen in Eintracht beieinander wohnen können. Man weiss, wie
sehr dem grossen Manne das „Apostelamt unter dem Kleinvolk,"
wie er es nannte, am Herzen lag; aber dieses Amt war ihm doch
nur ein Mittel für den höheren Zweck, der ihm vorschwebte, näm-
lich für das „Prophetenamt des Friedens," dem er diente. Der
Weg» den er dazu wählte, war jener „Königliche Weg des Lichtes
und des Friedens, der Weg der Einheit, Einfachheit und Frei-
willigkeit," wie er ihn in seinem Weckruf geschildert, wie er sich
in seinem Wahrzeichen, das nunmehr auch das Denkzeiehcn unserer
Gesellschaft ist, in sinnbildlichen Zeichen wiederspiegelt.
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1894.
\Vn£«> und YAv]v.
15
Wir \v«*it es uns bisher gelungen ist, diesen Zielen uns zu
nähern, mag der Beurteilung der Zukunft anheimgestellt bleiben;
wir haben nach unseren Kräften dafür gearbeitet und nianehe
l'nterstiitzung bei gleiehgi-stimmten Männern gefunden. Möge auch
für die kommenden Jahre uns die nötige Mitwirkung und (tottes
Segen nieht fehlen !
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Die Schulordnung in Comenius' Unterrichtslehre
und die Frankfurter Lehrpläne.
Von
Dr. Karl Reinhardt,
(iviiumMitl-nmku.r in Frankfurt a. M
Die Frage, oh es zweckmässig ist, den fremdsprachigen
lTnterricht mit einer neueren Sprache zu beginnen und den An-
fang des Lateinischen auf das zwölfte «»der dreizehnte Lebensjahr
zu verschieben, wird augenblicklich vielfach erörtert. Eine Neu-
ordnung des höheren Schulwesens auf diesen' Grundlage scheint
aus mancherlei Gründen, pädagogischen, national-ökonomischen und
politischen, wünschenswert ').
Man hört nun gewöhnlich sowohl von Laien wie von Fach-
leuten, von Anhängern einer solchen Keforni wie von ihren Gegnern
die Ansicht äussern, dass dieser Plan etwas dun haus Modernes sei,
« ine Erfindung unseres ebenso eifrig und einseitig gepriesenen wie ge-
scholtenen Zeitgeistes. Dem ist nicht so; der Gedanke ist vielmehr
schon recht alt. Dieser Sachverhalt mag manchen von denen, die
über diese Krage geredet und geschrieben haben, bekannt gewesen
'! Wir verweisen lx-huf* weiterer Oricntirunj» hierauf »Iii» Ausfilhrun-
«rcn. die Friedrich I'uulsen in seiner höchst lx-achtcnswerten Schrift:
TImt die irrten wältige Lajre iles höheren Schulwesens in Prcussen. Berlin,
K. (laertner* Verlag. < Preis f>0 Pfp.) jjcfiehcn hat. Paulsen bespricht
di irt das so^r. Altonaer oder Frankfurter System und Bernhardts l^ hrpliine
in zustimmendem Sinn. Auch Prof. Dr. .1. HnaniHun in tiöttinfjen
spricht in seinem Buch Volksschulen, höhere Schulen und t ni ver-
späten. Höningen . Vandenhock und Ruprecht (M. _'. 40) mit Ach-
tung von dem Frankfurter Versuch und billigt dessen Grundgedanken; das
ist hei der sonstigen Haltung des Buches dop]»rlt bemerkenswert.
Die Schriftleitn njr.
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1*<M.
Reinhard», 1 >ie Schulordnung in (Vmionius' etc.
17
sein:') aber nirgend ist meines AVissens hei solchen Erörterungen
Jini' den Mann hingewiesen worden, dein hierin die Krstlingsehnft
zukommt, l'nd doch ist es kein geringerer als Johann Arnos
Coincnius. Die- Schulordnung, die er in seiner grossen
lT nterriehtslehre entwirft, stimmt in wesentlichen Punk-
ten mit dem Lehrplsme ühercin, der in Deutschland zu-
erst an dem Realgymnasium in Altona eingeführt worden
ist, und der in ausgedehnterem Masse augenblicklich an
mehreren höheren Schulen in Frankfurt a. M. die Probe
zu bestellen hat.
Die Grundxügc dieses neueren Reforinversuehes sind in Kürze
folgende:2}
In den drei unteren Klassen der höheren Schulen wird nur
eine fremde Sprache und zwar eine neuere, die französische, ge-
lehrt. Auf diese Weise wird ein gemeinsamer Unterriehtsgnng
für die drei unteren Klassen sämtlicher höheren Schulen herge-
stellt. Die sechs ersten Schuljahre des Knalx-n, vom sechsten bis
zum zwölften Lebensjahre, sind den Dingen gewidmet, die ihm
durch die Anschauung nahe liegen, und deren Anwendung sich
auf das ganze Leben erstreckt.-1}
Der rnterrieht im Lateinischen, und damit der eigentliche
Gymnasialkursus beginnt erst nach vollendetem zwölfteu L-bens-
jahre. Zwei Jahre, die Klassen Unter- und Obertertia, sind
vornehmlich der Aneignung des Lateinischen gewidmet, das in
wöchentlich 10 Stunden gelehrt wird. Darnach, also nach vollen-
detem vierzehnten Lebensjahre, beginnt im Gymnasium das Grie-
chische, das vier Jahre hindurch in wöchentlich S Stunden ge-
trieben wird.
Man wird ve rsuchen, einen inneren Zusammenhang zwischen
den fremden Sprachen, die gelehrt werden, herzustellen, so dass
das r'Yanzösisehe eine Vorschule für das Lateinische und diese
beiden Sprachen wieder eine Vorbereitung für das Griechische
') Der Sehreiher dieser Zeilen l>ckennt . diu«« er durch die Anregung
eines hiesigen Ijchrcr». de« Herrn Philipp Zimmermann, veranlasst worden
ist. die grosse l 'nterriehtslehre des (oiiienins auf den hex«>ic]ax>teii Gesichts-
punkt hin durehzuarheilen.
■) Näheres wolle man in dem Schriftchen des Verfassers ..Die Frank-
furter 1^'lirpliine, ' hei Moritz Dicsterweg. nachlesen.
"> Frankfurter Lelupliinc S. 21.
Mimsl»li. fK' d. r Com. Mni-«i-^llscl.:ift- lyi. • >
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\A Uoii.har.il, H,»ft 1.
bilden. So hofft man, in den beiden Jahren der Tort in «ine sichere
Ausbildung im Lateinischen zu erzielen und in Untersekunda die
Elemente des Griechischen zur festen Aneignung zu bringen.
Bei der ersten Sprache, dem Französischen, geht mau vom
gesprochenen Wort«- aus und versucht, den Knal>eu vom Hören
zum Sprechen und Losen und von der praktischen Anwendung
ih r Sprache zum bewussten Aneignen der Spraehgcsetze zu führen.
In den alten Sprachen wird man nach kurzer Vorberoitungs-
zeit mögliehst Imld zum Srhrif'tstell<>r und zu eindringenden Übun-
gen an der Sprache selbst, übersehen.
Überall wird man sieh vorgegenwärtigen, dass Übung und
( iewöhnung die Grundlage dos Spraehonlornons sein muss, und
dass das tiefere Erfassen der sprachlichen Gesetze und die eigent-
liche sprachlich-logische Bildung; die Aufgabe eines reiferen Alters
und der obersten Klassen ist. ')
Wie im Gymnasium das Griechische, so beginnt im Real-
gymnasium das Englische erst in Untersekunda. Es wird also
nach dem zwölften Lebensjahre ein ÜIm •rgang zwischen allen höhe-
ren Schulen und nach dem vierzehnten Lebensjahre noch ein Über-
gang zwischen Gymnasium und Realgymnasium möglich sein.
Diese Schulorgunisation hat, wie gesagt, .-im. grosse Ähn-
lichkeit mit derjenigen, die C'oinenius in der grossen Unterrichts-
leluv entwickelt. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen beiden
besteht nicht; ob ein mittelbarer angenommen weiden darf, ist
schwer zu entscheiden. Wer Gelegenheit gehabt hat, den ver-
wickelten und wunderlichen Wegen geistiger Beeinflussung nach-
zuspüren, der wird einen solchen Zusammenhang auch dann nicht
leugnen, wenn es unmöglich wäre, ihn nachzuweisen. Jedenfalls
ist es wichtig genug, ('01110111110' Ausführungen kennen zu lernen.
J>a seine Gründe zum grossen Teil auch für unsere Verhältnisse
noch zutreffen, so ist es für die Vertreter der genannten Schul-
reform eine erfreuliche Bestätigung der Richtigkeit ihrer Ansich-
ten, dass sie sich auf demselben Wege wissen, den der Vater der
neueren wissenschaftlichen Pädagogik schon dereinst für den besten
erklärt hat.
Bekanntlich ist Gomenius der erste gewesen, der die For-
derung einer allgemeinen Volksschule, einer gleiehmässigeu und
'1 Knuikhirtor blirplüik' S. _»l und S. 17.
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lSiM. Schuhwlnunp in CnmeniiiV rnlerriclitslehrc etc.
gemeinsamen Vorbildung aller Angehörigen derselben Nation, auf-
gestellt und ausführlich begründet hat. Von den Lchrgegenstäiidcn
und der lTnterrichtsdnucr in dieser Schule handelt er im 29. Kapitel
der grossen Unterriehtslchre. „Zweck und Ziel der Volksschule,"
heisst es dort i; Ii1), „wird sein, dass die gesamte Jugend vom
sechsten bis zum zwölften oder dreizehnten Lebensjahre
in den Dingen unterrichtet werde, deren A nwendnng sich
auf das ganze Leben erstreckt." Als die Gegenstände des
rnterriehts in dieser Schule bezeichnet er: Übung im mündlichen
und schriftlichen Gebrauch der Muttersprache; Rechnen und Geo-
metrie; Religion.«- und Sittenlehre; einige Kenntnis vom Wesen
des Staates, in dem die Kinder leben; Geschichte und Geographie;
Handfertigkeitsunterricht. Am Schlüsse des Kapitels fügt er hinzu
(5j 19)-): „Alles einzelne hierüber sparen wir für eine andere Zeit.
Nur wollen wir einstweilen daran erinnern, dass, wenn einige
Knaben die Sprachen der Nachbarvölker zu lernen haben,
dies hier geschehen möge, etwa im zehnten, elften und
zwölften Lebensjahre, nämlich zwischen der Volksschule
und der Lateinschule."
Kbenso spricht er sich im '2'2. Kapitel, das von der Methode
der Spmcherlemung handelt, dahin aus, dass vor dem Lateini-
schen eine neuere Sprache zu lernen sei (ij 8 ff.): „Was die
Viclsprachigkeit betrifft, so wird folgender rnterriehtsgang die Kr-
lernung verschiedener Sprachen kurz und leicht machen: .Jede
Sprache niuss für sich allein gelernt werden; nämlich zuerst die
Muttersprache, dann diejenige, welche an Stelle der Muttersprache
anzuwenden ist, also die Sprache eines Nachbarvolkes. Denn
ich halt«' dafür, da*s die Umgangssprachen den gelehrten
vorauszuschicken sind. Dann die lateinische, darnach die
griechische, hebräische u. s. w., immer eine nach der andern,
nicht zugleich, sonst verwirrt die eine die andere3). End-
') .1. A. ( Vduciiii Opern didaclica oiniiin. Amsterdam 1i»"i7. 1\ l. Didac-
tica magna, p. 17:!. — 1 He ri>L-r»itzuug von Limitier mit hinlcitung (Päda-
gogische Kla&dkcr II. I, Wien, Pichler) ict gelegentlich zu Kate gezogen.
vl Opera did. P. I p. 17t»: Partictilariora «piao<pio in aliud tenipue rc-
scrvniiius, hoc interini inonentes. ut si qui pueri ediseeudis viciuarum gentium
Unguis nperam dare deUelnint, id hie (tat, circa actatis anmiiu deciuumi, undu-
ciuiuni. duodeciiuum : mmpe inter M-holain vcrmiculnm et latinam.
■') Opera did. P. I p. I_N: l.Juaelil.et lmgiia Morsim di-catur ; primo
2*
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20
Keinhanlt.
Heft 1.
lieh jedoch, wenn sie durch Übung befestigt sind, können sie vor-
teilhaft durch vergleichende Wörterbücher und Grammatiken in
Beziehung gesetzt werden."
So eifrig Uomenius die allgemeine Volksschule befürwortet,
so erkennt er also doch die Notwendigkeit einer besonderen Unter-
weisung für diejenigen Schüler an, die die neueren Sprachen zu
lernen haben. Dieser Unterricht soll in die Zeit vom neunten bis
zum zwölften I^ bensjahre fallen, also genau entsprechend den drei
unteren Klassen des Frankfurter Ixdirplans.
Wenn wir daneben den Vorschlag finden in diesen drei
•Jahren mehren' Umgangssprachen nach einander in Angriff zu
nehmen, so widerspricht das in gewissem Sinne dem eben von
ihm aufgestellten trefflichen Grundsätze, den er von seinem didak-
tischen Vorgänger Ratiehius übernommen hatte, dass es unrichtig
ist, die Elemente mehrerer Sprachen neben einander oder, was
dasselbe ist, in zu rascher Folge nach einander zu lehren. Erst
wenn in der einen Sprache Sicherheit erlangt ist, darf man zur
Erlernung «'inor zweiten übergehen, sonst tritt eine gegenseitieg
Störung und Verwirrung ein. Diese Wahrheit hat man leider bei
der Organisation des modernen Gymnasiums in den ersten Jahr-
zehnten unseres Jahrhunderts zu wenig beachtet. Das unrichtige
Streben, mit den verschiedensten Sprachen, alten und neuen, mög-
liehst frühzeitig zu beginnen, hat dahin geführt, dass in unseni
höheren Schulen zwölfjährige Knaben gleichzeitig in drei fremden
Sprachen unterrichtet werden. Die Wirkung dieses Unterrichts-
ganges musste sein, dass das Erlernen der Elemente der ver-
schiedenen Sprachen sich auf eine grosse Zahl von Jahren aus-
dehnte, und dass das lange Verweilen in einer nur vorbereitenden,
wenig Fortschritt zeigenden Thätigkeit vielfach den Ijcmeifer der
Jugend hemmte. Denn das spornende (iefühl des erreichten Er-
folges liisst bei dieser Methode allzu lang auf sich warten.
Es ist also eine Rückkehr zu einer alten Weisheit und kein
aus Neuerungssucht entspringendes Experimentieren, wenn wir, wie
n<>ni|H' vernacula, tum <|i>ae vernanila«' loo» usnipamla «*t, put a viriiim»
nti* lingiia. I'i -aoiuit U'IkIhk eiiim n-ihcn lingua* vulgär«-* iloetis.
Tum latina ot \H**t haue >rra«-ia, h<hra«-a et«-. -»ni|«>i alia jMist aliam. mm
simiil: aliu* confuwiet hacc illaai.
') OjM-ra did. I. i«. 1J1» init.
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1N<>4. l>i«' Schulordnung in ('«»nullius' riitcrrirlitidclnv et«-.
dies in den Frankfurter I^chi-pläncn pesehieht, den Voi>ehläjjcn des
Comenius tollend <>iiuiml den Versuch machen, die eine Sprache
nach der andern zu lehren und mit den klassischen Sprachen
nicht eher zu beginnen, als Iiis dir allgemeine Vorbildung zu
einem gewissen Abschlüsse pekonnnen und in der Muttersprache
und wenigstens einer neueren Spmche eine tüchtige sprachliche
(Irundlage gewonnen ist.
Das Haupthindernis,, das einer solchen tnterrichtsgcstaltung
in den Augen vieler, die e«. ernst nehmen mit der Erhaltung
unseres tüchtigen Schulwesens, im Wege steht, ist die Befürchtung,
die beiden ahen Sprachen, das lateinische und Griechische, uml
damit die humanistische Bildung, die Grundlage unserer geistigen
Kultur, komme zu kurz, wenn der Kursus des eigentlichen Gun-
nasiums erst nach dem vollendeten zwölften I^cbensjahrc einsetze.
Der Schreiber dieser Zeilen teilt die rberzeugung, duss die Auf-
lösung unseres geistigen Zusammenhangs mit dein Altertum und
das Aufheben der humanistischen Bildung eine der schwersten
Schädigungen wäre, die unser Volk und das gesamte ( ieistcsleben
der modernen Kulturvölker tieften könnte. Aber er ist ebenso
überzeugt, dass die gegenwärtige Verfassung der (ivinnasieu nicht
geeignet ist, einer solchen Gefahr mit dauerndem Erfolge entgegen-
zuwirken.
Wir sind neuerdings in den pädagogischen Auseinander-
setzungen und in der Beurteilung von I /einplanen allzusehr in das
äussere Zählen nach Jahreskursen und Stundenzahlen gekommen ;
solche Statistik macht befanden. Wie viel mehr Anlass hätte Come-
nius zu der Besorgnis haben müssen, ob es ihm gelingen könne,
mit seinen sechs Jnhrcsknrsen das Ziel zu erreichen, das er sich
stecken musste. Er ist ja in manchen Dingen durchaus nicht den
Humanisten zuzuzählen, weder nach seinem eigenen Wesen noch
nach der herrschenden Zeitrichtung. Aber eine allseitige Beherr-
schung des lateinischen in Wort mul Schrift setzt er als selbst-
verständliches Ziel seiner Schule voraus. In lateinischer Sprache
soll in den oberen Klassen der Unterricht in allen den Gcgen-
ständen betrieben werden, von denen später die Hede sein wird.
Auch im Griechischen verlangt er Verständnis der Schriftsteller,
t'nd doch will er das Lateinische erst nach vollendetem zwölften
Lebensjahre beginnen und das Griechische zwei Jahre später. Er
ist überzeugt, da** unter Zugrundelegung seines l'nterrichtsgnngcs
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2 2
Reinhardt.
Heft 1.
(Ho Kl erneute des lateinischen in zwei Jahren, die des Griechi-
schen in einem Jalire tK'Wjiltiyrt werden können M.
Allerdings schreibt er «'ine methodische Behandlung den
Spraehunterriehts vor, von der man sieh leider oft und weit ent-
fernt hat, und die man in unserer Zeit vielfach als neue Entdeckung
preisen hört, obwohl sie schon so alt ist. Man wird diese Regeln
auch jebct nicht ohne Nutzen lesen.
,Jede Sprache," sagt er Kap. 22 $ 1 1 ff.*), „inuss mehr durch
den Gebrauch als durch Hegeln gelernt werden, das ist, durch
Hören, Lesen, Wicderlcscn und durch möglichst häufige mündliche
und schriftliche Xaehahmungsversneho.
„Doch sollen die Regeln den Gebrauch stützen und befestigen.
Das gilt besonders von den gelehrten Sprachen, die wir aus Rüchen»
schöpfen müssen, aber auch von den Umgangssprachen; denn auch
die italienische , französische , deutsehe , böhmische , ungarische
können in Regeln gefasst werden wie dies bereits geschehen ist.
„Die Spraehregeln sollen grammatisch, nicht philosophisch
sein. Das ist, sie sollen nicht scharfsinnig nach Begründung und
Ursprung von Worten, Atisdrücken und Konstruktionen forschen,
warum es sieh so oder so notwendig habe gestalten müssen, sondern
sie sollen einfach darlegen, was vorkommt und wie es vorkommt.
Jene scharfsinnige Erwägung der Gründe und inneren Verknüpfung,
des Regelmässigen und Unrcgelmsissigen, das sich in den Dingen
und Worten findet, geht den Philosophen an und hält den lernen-
den nur auf.
„Die bereits gelernte Sprache inuss die Richtschnur bilden
für die Festsetzung der Regeln einer neuen Sprache, sodass nur
die Unterscheidung zwischen dieser und jener aufgezeigt wird.
Denn die Wiederholung: des (•enieiiisanien ist nicht nur un-
nütz, sondern sogar schtfdich. weil sie den (»eist durch den
Schein einer grosseren Weitschweifigkeit und Abweichung,
als thatsifchlich vorhanden ist. schreckt. Z. B. braucht man
in der grieehischi'ii Grammatik durchaus nicht die Begriffsbestim-
mungen des Xoniens, des Verbums, der Kasus und Tempora zu
wiederholen, oder syntaktische Regeln, die nichts Xeues bringen,
') Oper» diu". I. \>. 12!»: Latinai' (lingutuO Studium absolvi pol «st biemiio,
inaorao uno nnno.
-') Opera did. I. p. 12!».
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lSiM. l>i<- S-hulonliiiuijr in Cmuenius' rnlenulilflehrf Hr. •_>;{
\\v\\ man das Verständnis hierfür voraussetzen kann. Ks sollen
also mir die Hekeln aufgestellt werden, in denen das (Jriechisehc
von dem bereits bekannten Lateinischen abweicht. Dann wird
man die griechische (irammntik auf einige Blätter zusammenziehen
können, und es wird alles bestimmter, leichter und fester sein.
„Die ersten Übungen in einer neuen Sprache müssen an
einem bereits bekannten Stoffe vorgenommen werden ....
„Alle Sprüchen können also nach derselben Methode gelernt
werden: nämlich durch den (lebraneh, durch Hinzufügung der
leichtesten Kegeln, die nur den Unterschied von der bekannten
aurweisen, und durch Übung ;m bekannten Stoffen."
In diesen Sätzen sehiess<'n gewiss manche Bemerkungen über
das Ziel hinaus; aber ebenso wahr ist, dass wir noch kaum den
Anfang gemacht haben, die elementaren Satzlehren der fremden
Sprachen, die der Knabe lernen muss, so einzurichten, dass die
nächstfolgende sieh auf der vorhergehenden aufbaut. Die Be-
rechtigung dieser Forderung aber wird wohl niemand bezweifeln;
sie findet sich auch in den neuen preussischen Lehrplänen S. 21»
und 28.
Ebenso richtig ist die Bemerkung, dass man im Anfangs-
unterricht einer fremden Sprache nur das Thatsäehliehc in einer
einfachen, natürlichen Weise beibringen, die tiefere sprachlich-
logische Bildung aber dem späteren Alter vorbehalten soll. Wie
damals eine klügelnde Philosophie, so ist in unserer Zeit eine scharf-
sinnige Sprachforschung dem Elementarunterricht in den fremden
Sprachen oft mehr hinderlieh als förderlich gewesen.
Der augenblicklich wieder geführte Streit über die Frage:
ob kurz«-, ob lange (Grammatiken, wird etwas einseitig zu dunsten
der kurzen entschieden. Richtig seheint aber doch, dass eine Elc-
nicntargrnnunatik, nach der der Knabe eine Sprache zu lernen hat,
nur die Hauptregeln und die ( irundgesetze deutlich und klar MM-
Augen bringen, und nicht die Eigentümlichkeiten in bunter Mannig-
faltigkeit als ein Heer von Ausnahmen und Besonderheiten vor-
führen soll. Den Reichtum der Sprache in Ausdrücken und Wen-
dungen, in Abweichungen, die doch wieder auf die (irundgoetze
zurückgehen, kann man nur an der Sprache selbst, am Schrift-
steller, nachweisen und beobachten und auffassen. Eine svstema-
tische Belehrung darüber muss notwendiger Weise ebenso un-
vollständig bleiben, wie sie unzweckmäßig ist.
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24
Reinhardt,
Heft 1.
(oincnius ist mit seinem Vinxt* hinge einer allgemeinen, mög-
lichst gleichmässigen Vorbildung aller Knaben Ins zum zwölften
oder dreizehnten Lebensjahre nicht durchgedrungen. Nur eins hat
die Bewegung, die von ihm und Ratiehius ausging, erreicht, dass
die bis dahin allgemein herrschende' Sitte abkam, den lateinischen
Unterricht schon mit den sechsjährigen Knaben zu beginnen und
an dieser fremden Spruche das Abc, das Lesen und Schreiben zu
lehren, ohne irgend welche Vorkenntnisse in der Muttersprache.
Nicht ohne langes Widerstreben der damaligen Vertreter der alten
Ijateinschule und der alten Methode' wurde der Beginn des Latei-
nischen allmählich wenigstens vom sechsten auf das neunte bis
zehnte Lebensjahr verschoben.
Obgleich also Comenius Zustande voraussetzt, die mit den
unseren nicht völlig übereinstimmen, so lohnt es doch, die Gründe
kennen zu lernen, mit denen er seine Schulorganisation empfiehlt,
denn zum Teil sind sie auch jetzt noch gültig und auch auf unsere
Verhältnisse anwendbar.
1. „Wir beabsichtigen," sagt er Kap. 2M $. 2,') „eine ge-
meinsame Ausbildung aller, die als Menschen geboren sind, zu
allem Menschlichen. Alle sind also gemeinsam zu führen,
soweit sie gemeinsam geführt werden können, damit >ic
sieh gegenseitig ermutigen, aufmuntern und anspornen.
2. Wir wollen alle zu allen Tugenden bilden, auch zur Be-
scheidenheit, Kintraeht und gegenseitigen Gefälligkeit. Deshalb
darf man sie nicht so frühzeitig auscinanderreissen, auch darf mau
nicht einzelnen die Gelegenheit geben, vor anderen selbstgefällig
zu werden und andere gering zu achten.
„Vu\ das sechste Ix'bensjnhr herum bestimmen zu wollen,
für welchen Beruf einer geeignet ist, für die Wissenschaft oder für
ein Gewerbe, seheint eine Übereilung zu sein. Hier zeigen sich
noch nicht genügend die Kräfte und Neigungen des Geistes, beide
treten später besser hervor. So kann man auch in einem (»arten,
so lange die Pflanzen noch ganz zart sind, nicht erkennen, welcln«
man ausjäten, welche man stehen lassen soll, sondern erst, wenn
sie herangewachsen sind. Auch werden nicht allein die Kinder
der Reichen und Adligen und der Beamten zu solchen Stellungen
geboren, dass ihnen allein die Litteinschule offen stehen sollte,
') Oi*«™ di<l. 1\ I. j». 17J.
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ISfH.
Dir Schulordnung in ("'omcaia*' rnU-rrithti*lehrc otc.
2'»
während die übrigen gcwissermasscn hoffnungslos zurückgewiesen
werden. Der Wind weht, wohin er will, und er beginnt nicht
immer zu einer bestimmten Zeit zu wehen.
4. „Der vierte Grund ist, dass unser allgemeiner Ijchrgang
nieht lediglich jene ineist so unfriiehtbar geliebte Nvmphe, die
lateinische Sprache, zunf Ziel hat, sondern einen Weg sucht für
die gleich massige Ausbildung der Muttersprachen aller Völker,
damit je mehr und mehr jeder Athcmzug Gott lobe. Diese Ab-
sieht aber darf nicht durch ein so willkürliches Überspringen der
ganzen Muttersprache gestört werden.
;"). „Fünftens: jemand eine fremde .Spniehe lehren wollen,
bevor er die einheimische fest innc hat, ist fi nale so, als ob du
deinen Sohn wolltest reiten lernen lassen, ehe er gehen kann.
Besser ist es zu sondern. Wie Cicero sagt, (lass er niemand
die Hen'dsamkcit beibringen könne, der nicht ordentlich zu sprechen
verstehe, so bekennt unsere Methode, dass sie niemand lateinisch
h'hrcu könne, der nicht seine Muttersprache kennt. Denn diese
soll zu jener hinüber leiten.
(i. „Kndlich, da wir eine sacldiche Ausbildung erstreben, so
können unsere Schüler ebenso gut durch den äusseren Kreis der-
selben geführt w eitlen mit Hülfe von Büchern, die in der Mutter-
sprache geschrieben sind, und die die Bezeichnungen enthalten.
Später werden sie die lateinischen Wörter um so leichter ver-
stehen, da ihnen die Sachen bekannt sind und sie sieh nur die
neuen Namen anzueignen haben. Tnd während >ie bisher die
Dinge nur auf empirischem Wege kennen gelernt haben, werden
sie mm die innere Begründung in schöner Steigerung hinzu-
fügen."
Die letztgenannte Aufgabe, «las innere Verständnis der Dinge
zu ersehliessen, also die eigentlich wissenschaftliche Vorbildung
zu geben, und als notwendiges Werk- und Hüstzeug dazu die
Kenntnis der gelehrten Sprachen zu vermitteln, fällt der auf die
Mutterspraehsehule folgenden höheren Schule, dem ( ivnuinsiutn,
zu. Ks soll einen sechsjährigen Kursus, vom zwölften
oder dreizehnten bis zum achtzehnten oder neunzehnten
Lebensjahre und dement sprechend sechs Klassen haben.
(Kap. 27 ij. 1 und Kap. M) $ |.) ')
■i 0|i.ia di.i. I. |>. in;, 177- -i;s.
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_'o
RHnhnnlt.
Urft 1.
Pic verschiedenen Ziele der Mutterspnich- oder Volksschule
und des Gymnasiums charakterisiert Comenius treffend durch fol-
gende Bestimmungen (Kap. 27 §.(})'): «In der Muttcrsprachschulc
soll der innen- Sinn, die Kinbildungskraft und das Gedächtnis nebst
ihren vollziehenden Organen, der Hand und der Zunge, geübt
werden und zwar durch Lesen, Schreiben, Zeichnen, Sinken,
Rechnen, Messen, Wägen und mannigfache Gedächtnisübungen.
Im Gymnasium soll das Verständnis und die Beurteilung aller
durch die Sinne gesammelten Gegenstände durch Dialektik, Gram-
matik und Rhetorik, sowie durch die übrigen realen, auf dem
Wege des Was und des Weshalb überlieferten Künste und
Wissenschaften gebildet werden."
Genauer werden im .'50. Kapitel die Grundzüge des sechs-
klassigen Gymnasiums entworfen.2) Ks wird dem Leser vielleicht
nicht unwillkommen sein, auch hierüber einiges zu hören, obgleich
die Vergleichungspunkte mit den modernen Verhältnissen hier
geringer sind.
Die Ivehrgegenstände sind zunächst die des mittelalterlichen
Triviums. Grammatisch sollen die Schüler so weit gefordert wer-
den, dass sie im lateinischen und in der Muttersprache von allen
sprachlichen Beziehungen Bechenschaft abzulegen im stände sind,
im Griechischen und Hebräischen so weit es zum Verständnis der
Schriftsteller nötig ist. Von der Methode der Spracherlcruung ist
bereits die Hede gewesen.
Die Dialektik und Rhetorik, als«» die tiefen- sprachlich-logische
Ausbildung, fällt den beiden obersten Klassen zu. die infolgedessen
auch die Bezeichnung Dialectica und Rhetoriea führen.
Nach dem Trivimn werden die Gegenstände des Quadriviums
genannt, Arithmetik, Geometrie, Musik und die Anfangsgründe
der Astronomie. Aber die Schüler sollen noch weiter gefördert
werden, sie sollen auch in Phvsik (Naturgeschichte), Geographie,
Geschichte, Kthik und Theologie unterrichtet werden. Die realen
Fächer sind mehr den mittleren Klassen überwiesen, die davon
die Namen Physica und Matliematica haben. Die Geschieht«' soll
sich durch alle Klassen ziehen. Die vierte Klasse von unten heisst
Kthiea.
'i Ii». |i. ]i;:>.
') Opern I. i». 17t; (!'.: Iji.' Inlinac «Iclinrutin.
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I.SiM.
Die Srliultmlnunp in Comenius UiifornVhlsMiro etc.
27
„In allen diesen Fächern," sagt ( 'omeniiis, ') „möchten wir
dein Jüngling nach Vollendung dieses sechsjährigen Kursus, wenn
auch keine voll»- Bildung, so doch wenigstens eine feste Grund-
lage für eine zukünftige Ausbildung geben. Denn Vollkommenheit
lässt das jugendliehe Alter nicht zu, da längere Erfahrung nötig
ist, um die Theorie durch die Praxis zu befestigen, auch kann
innerhalb einer Zeit von sechs Jahren das ganze Meer der Bildung
unmöglich erschöpft werden."
Am Schlüsse des Gymnasial-Kursus soll eine Reifeprüfung
darüber entscheiden, ob der Schüler die Befähigung zum Studium
auf der Universität hat, und für welches Fach er besonders ge-
eignet ist. Ks ist dies wohl der erste derartige Vorschlag, der
sich in der pädagogischen Litteratur findet. „Es wäre geraten,"
heisst es Kap. :il ■) , „dass gegen Ende der klassischen Schule von
der Schulobrigkeit eine öffentliche Prüfung der Geistesanlagen
(ingenionun) veranstaltet würde. Nach ihrem Urteil müsste ent-
schieden werden, welche Jünglinge zur Universität entlassen, und
welche für andere Berufsarten bestimmt werden sollen. Bei den-
jenigen, die ihre Studien fortsetzen sollen, wäre gleichfalls auszu-
sprechen, wer sieh der Theologie, der Staatswissenschaft, der
Medizin u. s. w. widmen soll, je nachdem sieh die Neigung der
Natur kund giebt, oder auch die Notwendigkeit der Kirche oder
des Süuites es erfordert."
Wer den hier besprochenen Sehulplan im einzelnen prüft, wird
allerdings manche offene Frage, manches Unausgeglichene, ja auch
Widersprüche finden. So sollte man nach Kap. 22 glauben, dass
der Aneignung der lateinischen Sprach«' zwei volle Jahre und die
beiden unteren Klassen vornehmlich gewidmet wären. Statt dessen
führt nur die unterste Klasse den Namen Grnnnnatica, und nur
in diesem einen Jahn* bildet das Lateinische den Hauptgegenstand
des Unterrichts. So sollen auch in einem Jahre die beiden Jahr-
bücher bewältigt werden, die Comcnius selbst für den lateinischen
Anfangsunterricht entworfen hat, das Vestibulum und die Janna.)
Bestimmte Angaben über die Klasse, in der das Griechische ein-
setzen soll, vermissen wir hier ganz.
') Ojjora tlid. I. |>. 177.
'•) Ojmih tli<l. I. |». \HJ.
) Opera <li<l. I. p. I7(.l.
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2K Reinhardt, Heft 1.
Comcniiis selbst hat dir Lücken und Mängel dieses Grund-
nsses wohl empfunden. Er entschuldigt sieh damit, das* die Praxis
das ITbrige von selbst an die Hand gehen werde. Ixider ist aber
dieser Entwurf durch die Schuld des Verfassers niemals in der
Praxis versucht worden. Die „pansophisehe Schule" ') in Patak in
Ungarn, die Comcnius selbst leitet«', hat zwar in ihrer Anlag«'
manche Ähnlichkeit mit dem besprochenen Plane, doch ging sie
wieder von anderen Grundlagen aus, wurde auch wenige Jahre
nach der Eröffnung durch den Tod des Patrons, des Fürsten Rrikoczy
wieder aufgelöst.
Der vielbeschäftigte, rastlos thatige Mann verlor das Nächst-
liegende, Erreichbare suis den Augen über all/.u weitausgreifenden
Plänen und unerfüllbaren Hoffnungen. Auch urteilte er gewiss
in vielen Dingen einseitig und befangen. Nichtsdestoweniger
haben seine pädngogihchcn Bestrebungen, vor allem seine grosse
l 'nterriehtslehre auf die ganze nachfolgende Zeit befruchtend ge-
wirkt und Gedanken angeivgt, die wie Keime langsam sieh ent-
wickelnd allmählich das ganze l Tnterrichtswesen durchdningcn und
umgestaltet haben. Das Buch ist trotz mancher Absonder-
lichkeiten auch jetzt noch eine Fundgrube trefflicher
pädagogischer Lehren.
Zu den gesunden Gedanken dieses Werkes, die noch der
Erfüllung harren, rechnen wir die besprochene Schulorgniiisation.
Wenn Comcnius in einer Zeit, in der das lateinische die herr-
schende Sprache aller Gelehrsamkeit und höheren Bildung war,
im Interesse der Allgemeinheit und aus triftigen pädagogischen
Gründen verlangte, dass die Erlernung neuerer fremder Sprachen
dem lateinischen vorangehe, und dass der Liteinunterricht erst
nach vollendetem zwöften Iicbcnsjahrc beginne, wie soll man sieh
in unserer Zeit einer solchen Forderung verschliessen, wo der
praktische Gebrauch jener Sprache allen Boden verloren hat und
die äusseren Verhältnisse immer heftiger auf eine solche L">smig
der Schulfrage hindrängen".'
Von den zahlreichen Schülern, die jetzt in Preussen lateinisch
und Griechisch lernen, erreicht nach amtlicher Feststellung2) nur
') Siehe darüber Opera • 1'. III. p. X- II I.
luchrphuie iukI Leina» fjrabcn nebst Kiiäiiteruojfcn, S. H7. Im den
dort pepebenen Zahlen sind die Itculjryuma.'iicn und Obcrrealsehiden a)lcrdin^>
mit sn'i-eeliaet. >iimiiil man die <lvmnn*im für sieh allein, so ergeben Meli
1X04.
Dir Schulordnung in Comenius' rnterrieht^lehre etc.
20
etwa ein l'Yinftel (Iiis Ziel der S<'lml<» ; fast vier Fünftel treten
ohne den Absehluss der Reifeprüfung erreicht zu haben ins lieben,
also mit einer Schulbildung, die wenigstens in Hinsieht der beiden
alten Sprachen als eine unvollkommene und unzweckmässigo be-
zeichnet werden nniss. Die Hälfte wieder von den Letzteren er-
reicht nicht einmal diis Zeugnis für den einjährigen Militärdienst,
bleibt also in den ersten Elementen der alten S|>rachen stecken
und hat für eine mühselige Arbeit keinerlei äusseren und einen
kaum nennenswerten inneren, geistigen Gewinn.
Dieser Zustand schädigt nicht am wenigsten die, die wirk-
lich Lateinisch und (iriechisch lernen wollen; er drückt das Niveau
der klassischen Bildung im allgemeinen herab und mehrt das Heer
derer, die aus eigener Erfahrung sich berechtigt glauben, dem
I nterriehte in den alten Sprachen allen Wert abzusprechen. ( ome-
nius nannte schon für seine Zeit die lateinische Sprache eine vulgo
tarn impotenter adamata nympha; was würde er zu unserem La-
teinlemcn sagen'.'
Dass solche Verhältnisse nicht auf die Dauer bestehen bleiben,
darf man wohl als sicher betrachten. Sie werden früher oder
später beseitigt werden durch die Macht, die den praktischen Bc-
dürfnissen inne zu wohnen pflegt. Die zahlreichen Angriffe, «Ii««
sich heutzutage gegen den l'ntenicht in den alten Sprachen über-
haupt richten, sind ein Symptom der Missstimmung; sie finden
immer neue Nahrung in dem Zwang, den unsere Schulorgmiisutiou
auf die Beschäftigung mit den alten Sprachen ausübt. Der (inmd
aber dafür, dass so zahlreiche Schüler den Gymnasien und Real-
gymnasien zugeführt werden, die niemaU die Elemente des lateini-
schen und Griechischen überwinden, liegt darin, d:iss der l'nter-
richt in diesen Sprachen zu früh beginnt, ehe sieh erkennen lässt,
-ranz ähnliche Ycrhältniszahlen. In dem jener Rerechmmj: zu U runde ge-
legten Schuljahre lSS'i «ki Itelru^ <lie < ;esamtfie.|iienz der |.reii*>i-eiien Uvm-
nusial-Anstaltcn ('Uyinmisieti und rrngynmasicii) S.'iS'j7. der ( iesanitabgang
]">:!J5, mit Ausnahme derer, die auf ( ivtnnasial- Anstalten übergingen oder
sturlien. Von den Abgehenden erreichten :;.">Nh !»:{,: 5 v. H. da* Zeugnis der
Reife; H-IJ — J7 v. II. tra(en nach Kihingung des Zeugnisse* zum einjähri-
gen Dienst ins lx-ben über; 7'»"_':i 19,7 v. II. verliessen entweder vorzeitig
die (tymnftsicn, um auf Real- oder sonstige Schulen überzugehen i.i'.tslj, oder
sie traten ins l>eben, ohne selbst das Zeugnis zum einjährigen Dienste er-
langt zu haben (:to4'2). (Nach dem ( entralblatf für di<* riitcrriehtsv. i waltung
in l'ruuwten, IS'mi Heft 7. S. Uff.)
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Reinhardt, hin Schulonlnmifr in ('omeniux' etc. Heft 1.
wohin Neigung und Begabung den Knaben weiht, und ferner darin,
dass unser Schulsystem den IJliergang vnn den lateintreibenden
auf die lateinlnsen Anstalten so sehr ersehwert.
Es muss also ein Mittel gefunden werden, wodurch die Nöti-
gung zu einer so vorzeitigen Entscheidung aufgehoben und eine
Seheidung der Geister zur rechten Zeit ermöglicht wird. Und
dieser Weg liegt in der Organisation, die schon C'onienius empfohlen
hat; er bezeichnet ihn mit den Worten: „alle Schüler müssen ge-
meinsam geführt werden, so weit sie gemeinsam geführt werden
können."
C'onienius verteidigt sieh nicht einmal gegen den Einwurf, den
Schülern, die erst mit dem dreizehnten Ijebensjahre das lateinische
beginnen, möchte es unmöglich werden, die nötige Beherrschung
dieser Sprache und des Griechischen zu gewinnen. In unserer Zeit
dürfte eine solche Besorgnis noch viel weniger begründet sein,
vorausgesetzt, dass in dem sechsklassigen Gymnasium die beiden
alten Sprachen den ihnen gebührenden Platz erhalten. Es kommt
mehr auf die Art und den Geist, auf die Anspannimg und den Eifer
an, womit eine Sache betneben wird, als auf die Zahl der Jahre.
Wo jene Eigenschaften fehlen, wo das Interesse sich zersplittert,
da hilft auch die Zahl der .Jahre nichts, wie wir dies ja erleben.
Die l'Veunde der humanistischen Bildung sollten vor allen
mit Hand anlegen, dass, wenn das alte Gymnasium sich gegen-
über der Macht der Thatsachen als unhaltbar erweist inzwischen
nach einem schon vor .Jahrhunderten vorgezeichneten Plane unter
günstigem Schutze ein Neubau entstellen kann, in dem die alten
Sprachen ein«' zwar weniger weitläufige, aber desto sicherere Stätte
finden zu künftigem erfolgreichen Gedeihen.
I
Die Schmid'sche Geschichte der Erziehung.
Dritter Hand.'
Kine Hcsprechung von
Rud. Hochegger,
t'iuv.i>itHi«-I,r<>f.M-.<r in I wrimwii/..
Das ausgezeichnete Werk K. A. Schunds schreitet unter
( i. Sclunids T^'ituiijr rüstig vorwärts. Die Bearbeitung des Werkes
ist freilieh infolge der verschiedenartigen Verfasser, denen die ein-
zelnen Abschnitte anvertraut sind, nicht «ranz glcichmässig, doch
war die Wahl der Bearbeiter eine glückliche, so dnss die einzelnen
Beiträge durchweg «1* treffliche und beachtenswerte Leistungen zu
bezeichnen sind.
Die erste Abteilung des dritten Bandes enthält folgende
Monographien: 1. Cnterrieht und Erziehung in der ( icsellschaft
Jesu während des Jahrhunderts. Von Prof. Dr. (Jcorg Müller
in Dresden. 2. Bildung und Bildungswesen in Frankreich während
des In. Jahrhundert*. Von Oberschulrat Dr. Ernst v. Sallwürk
in Karlsruhe. (Michel de Montaigne von (I. Schumi.) 'S. Das Schul-
wesen in England im Di. und 17. Jahrhundert von (ieorg Sc hin id.
(Francis Baeon von Pfarrer Karl Sandberger in Stuttgart.)
Müllers Abhandlung fusst durchweg auf eifrigem (.Quellen-
studium und verrät in deren Verarbeitung eine wohlthucnde
Objeetivität. Die Frage nach der Entstehung des jesuitischen
Schulwesens, nach den (Quellen der Pädagogik der Jesuiten, ist
bisher nirgends in befriedigender Weis«' gelöst worden. Müller
unterzieht sieh dieser wichtigen und interessanten, aber auch schwie-
rigen Aufgabe in dankenswerter Weise. Er zeigt einesteils, welch
mannigfaltigen Einiluss das Leben und die Erfahrungen des Ignatius
von Loyola auf die (iestaltnng der Ordensanschauungen bezüg-
lich der Erziehung ausgeübt haben, andernteils, wie die allgemei-
nen kirchlichen Einrichtungen, insbesondere die der Mönchsorden,
') Schumi, K. A. (icschichtc der Erziehung vom Anfang an bi* auf
unsere Zeit, bearbeitet in ( icmeiiiichaft mit einer Anzahl von ( !clehrten und
Schulmännern. Fortgeführt von Dr. (icoig Sehmid. III. Hand. I. Ablei-
tung. Stuttgart. .T. t;. Cotta'* Nachfolger, ls'.rj. VI — l:;«t S. III. Hund.
•_\ Abteilung. KUI. isirj. VI - :!! I S. gr s".
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Hix-Iu'^ger.
Urft 1.
w«'lch«' Ignatius genau studirt und die auc-h in den Bestimmungen
des Noviziates massgebend wurden, von Bedeutung waren. Als
heeinflussendt' Faetoren kommen fern«T in Betracht: die spanischen
Kitterorden, die Universität«!!, in oi-ster Linie die von Paris, der
stark religiös und kirchlich gefärbte Humanismus in den Nieder-
landen, das spanische Schulwesen. Die Jesuiten schlössen sich
mit kluger Politik an die bestehenden Einrichtungen an und bilde-
ten sie dann in ihrem Sinne um. Nur so war es ihnen möglich,
so weitreichende Erfolge zu erzielen. Der < )rden beschäftigte sich
vornehmlich mit dem höheren Schulwesen. Selten begegnen wir
Ansätzen zu Volksschulen, dagegen suchten die Jesuiten die Er-
ziehung der Fürsten in die Hände zu bekommen, wohl um dadurch
die leitenden Kreise für die Bestrebungen des Ordens zu gewinnen.
Es sandte namentlich auch der Adel seine Söhne in ihre Schulen.
Müller bespricht ziemlich eingehend die Ratio studiorum, die Or-
ganisation des Schulwesens, der Lehrbücher, der einzelnen Lehr-
fächer, die Erziehungspolitik, die Grundsätze der Erziehung und
des Unterrichtes. Der Verfasser anerkennt, dass die Jesuiten unter
Benützung der mittelalterlichen Überlieferung der humanistischen
pädagogisch« Mi Strömungen ein System geschaffen, das in seiner
Einheitlichkeit und Geschlossenheit sich eines kaum geahnten Er-
folges erfreut«'.
Hochbedeutsam und gelingen ist auch Sallwürks Abhandlung.
Im lb\ Jahrhundert gehen Bildung und Unterricht ganz und gar
von «ler Universität aus. Sie bestimmt nicht nur das höher«1,
sondern am-h «las ni«>«lere Unterrichtsw«'seii. Das Leben der Uni-
versitäten spielt«- sieh wesentlich in «len K<>llegi«'ii ab, die nicht
bloss Pensionat«-, son«lern wirkliche Untcrrichtsnnstaltcu darstellt«1!!.
Im Ui. Jahrhundert gelangte in ilineii d«>r Humanismus zur Gel-
tung. Man kam namentlich auf «lie Griechen zurück, die der
iK'iien Bihlung ihr besond«'r«'s Gepräg«' geben. Sallwürk bespricht
ausführlich «Ii«- wiss«Mischaftliehen Zustände Frankreichs zu jener
Zeit und den Einfluss «les Huinanismus auf Philosoph!»1, Theologie,
Kechtsgel<'hrsamk« it, Medizin und Sprachstudium. Er deutet zu-
gh'iVh an, wie mit «1er erst<-n Hälfte des 17. Jahrhundert« « ine
Reaktion eintrat, welch«1 die freie Gestaltung der Wissenschaft,
wie sie der Humanismus anbahnte, vernichtet«1, und zeigt uns die
Gründe, warum Fmnkni<'hs Secundaruntemcht lat«>iniseh blieb
und der Jesuitismus sich «h-sselben bemächtigen konnte und auf
zwei Jahrhunih'rte hinaus bestimmte. Bevor «lies«1 Reaktion «-in-
tnit, macht«' Petrus Raums den Versuch einer X«'ubegrün«lung
«les höher«1!! Unterrü-htes in freiem und nationalem Sinn«1. 7 Sall-
würk wi«lmet «lern Petrus Raums, als «ler glänzendsten Erscheinung
des französischen Humanismus, «'ine liebevoll ausgeführte Lcbcns-
b«'schr«'ibung und Würdigung seiner Verdienste als vielseitig«'!'
Gelehrte)1 und als Vorkämpfer einer modernen Unterrichtsweisc.
JS»4. !>'•• SchmMVlie Ci-M-hirlih- <l.r Knsichmip. X\
I>t»ii ersten Eingriff' in die mittelalterliche Ordnung des höheren
Studienwesens bedeutet dir Errichtung des College de* France durch
Kranz I. Erst die neuen- Forschung, besondere die Untersuchun-
gen Abel I^francs, bnt Lieht über die Entstehung und Einrich-
tung dieser Anstalt gebracht. Von grösstcr Bedeutung für die
Entwicklung des französischen Interriehtswesens waren die Be-
ziehungen der Jesuiten zu ihm. Der Orden wandte sich nach
Paris, dem glänzendsten Sitze des Humanismus, hier wuchs er
geistig heran und ward ein ebenbürtiger Gegner des letzteren.
Sallwürk schildert den Kampf zwischen der Pariser Universität
und dem Jesuitismus. Der Orden zeigte viel Geschick, fähige
Köpfe herauszufinden und seinen Zwecken dienstbar zu machen.
Von der Bedeutung der Gesellschaft Jesu für das französische
Bildung* wesen kann man sich nach Sallwürk kaum einen zu hohen
Begriff machen. Die St udienre forin Heinrich IV., welche die Schule
zu einer staatlichen Angelegenheit machte, bracht«' wohl eine ge-
wisse Ordnung in das französische Unterrichtswesen, regte aber
das wissenschaftliche Ix-ben nicht dauernd an.
Die Fülle von Leben und Hoffnung, mit welcher der Humanis-
mus in die geistige Bewegung des HJ. Jahrhunderts eingetreten ist,
drückt sich in Rabelais' Schriften aus. Sallwürk widmet ihm eine
ausführlichere Darstellung. Im Ansehluss daran lernen wir als päda-
gogische Theoretiker Frankreichs im 1(>. Jahrhundert Jacob Sado-
letus, Claude Baducl, Pierre Saliat und Gaucher kennen.
Michel de Montaigne findet im Werke besonders eingehende
Berücksichtigung, wohl wegen des Einflusses, den er auf die nach-
folgenden pädagogischen Theoretiker (J. I>oeke und Rousseau) aus-
übte. Der Abschnitt über Montaigne entstammt der Feder G. Schunds
und bildet eine wertvolle Ergänzung zur Charakteristik des franzö-
schen Bildungswesens in jener Periode.
Der letzte Teil des Bandes gibt uns ein genaues Bild der
äusseren und inneren Organisation der durch die „königlichen Inter-
junetions" von 151-15 im Sinne der neuen Zeit orgnnisirten eng-
lischen Universitäten. Wir bekommen guten Einblick in den In-
halt und die Methode des Unterrichts in jener Zeit. Der Verfasser
verwertet hierbei höchst interessante Quellen.
In dem Abschnitte „Granuuatikschulcn" zeichnet uns G. Schmid
auch mit grosser Anschaulichkeit ein Bild von dem Unterricht und
der Erziehung einer grossen Schule aus dem Jahn* 15H0, das bis
weit ins 17. Jahrhundert für England als typisch betrachtet werden
kann. Unter denen, welche auf dem neubelebten humanistischen
Boden erwuchsen, sind für die Geschichte der Erziehung Boger
Ascham, Richard Mulcaster und John Milton besonders be-
achtenswert. Francis Bacon dagegen sagte sich von der Autori-
tät des Altertums los und wurde der Verkünder der modernen
Weltanschauung. Bacon ist Herold des neuzeitlichen Realismus,
M.matslK fl.' «i. r C.iiR'iiiii-«!. -.11«, liaft. l-'.M. ;j
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:U H.K'hf(rPT. Heft 1.
«Irr Begründer einer selbständigen, auf inductiver ( irundlagc si<'li
erhellenden Wissenschaft. Sandhcrger gibt uns eine allgemeine
Würdigung ilc*r Baconschcn ( icsamtanschauung und ehanikterisirt
Wann die Stellung, welche Baron /u »Im Kragen der Krziehung
und des l'ntrrrichts »cininiiiuii hat. Baron zeigt sieh auch hierin
als (»eist von eigenartigem Gepräge: die Bedeutung seiner bc-
/ügliehrn Gedanken liegt im M et hodisehen. Kr vrrlangt dnreh-
wrg, dass in pädagogischen Dingen die gegebene Wirklichkeit
zum Ausgangspunkt genommen werde. Kr wurde hierin Vorläufer
des ('omenius. letzterer ist offenkundig von Baeo brrinflusst,
was rr anrh dankbarst anerkannte. Ks sind nach Sandberger nicht
nur einzelne Äusserungen, in weleheu ('«»menius seine Abhängigkeit
von Baeon bekennt, sondern seine pädagogischen Werke sind voll
von Anklängen; seine ganze < Tcdaukcnrichtung und Ausdrucks-
weise ist von Baeon brrinflusst; dies tritt namentlich in der „Pan-
sophiri libri Drlineatio" hrrvor.
Dir zweite Abteilung des dritten Bandes enthält: 1. Wolf-
gang Katkr (Rntichiu*). Von Schulrat August Isnirl. '_\ .Johann
Arnos ('omenius mit srinrn Vorgängrrn .1. II. Alstrd und
J. V. Audrrä. Kinlritung von Srminarrrctor Dr. Julius Brügrl.
Johann Ilrinrirh Alstrd. Von ( i. Srhmid. Johann Valen-
tin Andrea. Von Jnl. Briigel. Joh. Arnos ('omenius. Von
Jul. Brägel.
Isniel gibt uns eine durchgängig auf sorgfältigrr (^iielleii-
untrrsurhung fussrndr und durch Benutzung allrr rinsrhlägigrn
Literatur grklärtr Darstellung des lieben* und der Lehrart Ratkes.
Sie kann als die beste und vollständigste bezeichnet werden, die
wir besitzen, durch sie findet auch die Haumerschc manche Be-
richtigung.
Von grösstem Interesse ist der Abschnitt über ( 'omenius,
«lein mehr als zwei Drittteile des Bandes gewidmet >ind. Die
Kinleitung zeigt, wie dir Didaktik drs ('omenius in tiefem Zu-
sammenhang mit der rmwaiidlung der gesamten Weltanschauung
zu Knde des 15. und Beginn des 1(5. Jahrhunderts steht, (omenius
war sieh wohl bewusst, der Bannerträger einer neuen Zeit zu sein,
vergleicht er doch selbst sein rntcrneluueu mit «1er Thnt eines
Columbus. Mit Begeisterung schliesst er sich dem „grossen (ic-
dankenerreger meiner Zeit," Lord Baeon, an, von ihm erhält er die
Methode und Richtung für seine Bestrebungen. Neben Baeon war
auch Ludwig Vives. der sieh eb<*nfalls gegen die Autoritätsherrschaft
des Aristoteles erklärt, für ( 'omenius von Kinflnss. Nicht ohne
nachhaltend«' Anregung für letzteren zeigte sich auch das Studium
( 'ampancllas, besonders aber empfing er Kinwirkungen von Ratke,
Aisted uml Andre». In Betreff des Verhältnisses zu Ratke ver-
. weisen wir auf die Ausführungen, die Israel in den Monatsheften
der Comrnius- Gesellschaft Bd. 1 |1S«>l'| S. 17.! ff. gegeben hat.
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1 Sil 4 . I*'"' SrliniidVi li«' (!i M liir)itf der Kr/.ieluing. :\~)
Von ungleich grös>erer Bedeutung ist die Einwirkung Alsteds
und Andreas. Aisted beeinflusste ihn nämlich sowohl diux'h seine
Vorlesungen, die ( 'oinenius in Herborn zu hören ( Jclegcnheit hatte,
wie durch sein«- zahlreichen Sehriften, besonders dureh seine Uni-
vers4il-Encyklopädie. Zwischen I^chrer und Schüler herrschte eine
Übereinstimmung in den grössten Kragen, „in der Ableitung aller
Wissensehaft aus der göttlichen (Quelle und ihrer Beziehung auf
sie, in der Umleitung namentlich der Erziehung auf ( lott und dem
entsprechend in der hohen Schätzung der Schule als einer göttlichen
(d. h. gottgewollten) Hinrichtung und in dein warmen Herzen, das
beide ihr entgegen bringen. l>em entspricht auch die bei dem
Systematiker Aisted so auffallende W ärme der Spruche, die auch
in den oft sehr gelungenen Wortspielen und Vcrgleiehungen eine
nicht zu verkennende Parallele bei beiden Männern bildet . . . Die
Ausführung des Satzes vom Mensehen als Mikrokosmus ist bei
('omenius (in der Phvsicne Synopsis S. 208) eine ganz analoge,
wie bei Alstcd." Auch in der eigentlichen Didaktik finden sich
auffallende Übereinstimmungen zwischen beiden Denkern; was
Comenius voraus hat, ist nur der einheitlichere Aufbau, die folge-
richtigere Zusammenfassung, die ihm als durchaus pädagogisch an-
gelegter Natur eigen war.
Wenig oder gar nicht wurde bisher die pädagogische Be-
deutung Andreas gewürdigt, während der (benannte einen Ehren-
platz in der Geschichte der Pädagogik beanspruchen darf. Seine
„goldenen" Schriften bildeten insbesondere für ( 'omenius eine helle
leuchte. Manche sehen in Andrea geradezu die Wurzeln der Kraft
für Comenius. Brügel sagt in dem Ergebnis seiner Untersuchung
über Andren: „Es sind nicht nur einzelne Berührungspunkte, die
sich zwischen Andrea und ('omenius ergeben, sondern eine durch-
greifende Übereinstimmung ihrer ganzen Anschauung, dergestalt,
dass Andrea zuerst in genialem W urf die Grundgedanken aus-
spricht, welche ('omenius in einen gnVsercn Zusammenhang gefasst
und ausführlich begründet hat, welche darzustellen und praktisch
anzuwenden seine Lebensarbeit unter sechs Nationen gewesen ist.
Andrea hat den Grund gelegt, auf welchem ('omenius den be-
wundernswerten Bau seiner Didaktik aufgeführt hat." Brügel hat
sieh durch seine Abhandlung entschieden ein Verdienst erworben und
die Anregung zu weitergehenden Untersuchungen gegeben, welche
darthun werden, inwieweit sieh jenes bisherige Ergebnis, über die
Abhängigkeit des ('omenius von Andren aufrecht halten lassen
wird. Die Untersuchung ist erst angeregt, noch keineswegs ab-
geschlossen •).
't Vgl. L. Keller, Job. Val. Andreii und ( V.meiiius. Monatshefte «kr
t,oraeiinis-<if>. IM)«ft. B<1. I. S. _>J!» ff.
3*
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M Fkx ln gjn r. l>i< Schini«lVrlu- » iorhirlit«- <1< r Kiziduin^. Heft 1.
Dir Abhandlung über Comenius giebt ein auf Grund der
Quellen und besten Bearbeitungen entworfenes, mit Liebe auf-
geführtes I>>bensbild des Pädagogen, tritt dann der Pädagogik
desselben näher, bespricht anhangsweise dessen juinsophische Be-
strebungen und sehliesst mit einer Würdigung der Leistungen und
der Bedeutung des Comenius. Dir Darstellung ist klar und sach-
gemäss gelullten und gehört zum Besten, was über ihn gesehrieben
wurde. Es ist freilich zu bedauern, dass die Veröffentlichung
nicht bis nach der kurz naeh Ausgabe des Bandes abgehaltenen
Jubelfeier der dreihundertsten Wiederkehr des ( ieburtstages des
grossen Mannes verschoben wurde. S<» konnte die zahlreich« •
Literatur, manche Quellenergänzung und mancher dankenswerte
Beitrag zur EntMclnmgsgcsehichtc und zum Verständis der Come-
nianischcn Lehn*, nicht mehr benutzt werden. Der Verfasser
anerkennt rückhaltlos die Bedeutung des Comenius für die Gegen-
wart, er zollt auch den Bestrebungen der ( omenius-Gesellschaft
die gebührende Würdigung. Möge Niemand, der sieh für Comenius
interessiert, versäumen, vorliegenden Band des SchmidVchen Werkes
zur Hand zu nehmen.
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B. Litteraturbericht
Wir licahsichtigcn, «lie wicht igeren Krscli«.'iiiimgen unseres Korwhungs-
gebiet* durch kurze Hinweise an dieser Stelle der Aufmerksamkeit unserer
Leser zu empfohlen und bitten die Herren Verfasser und Verlepn tun Zu-
wendung der hierher gehörigen Litteratur.
1. Neuere Wiclif-Litteratur. Über die neueren Wiclif-Studicn
hat Prof. Dr. J. Ixiserth in (im/, seit dein .lubre 1 SS"» wiederholt be-
richtet, und wir können uns an dieser Stelle deshalb darauf be-
schränken (soweit es sieh um die bis Ende 1N92 erschienenen Sehrifteii
handelt), auf jene Berichte zu verweisen. Der erste findet sich in
der historischen Zeitschrift 1 HS"» Bd. 53. 13 — (»2, der zweite ebendort
1889 Bd. 02, JtJti 27S, der dritte und letzte in der deutschen Zeit-
schrift für Geschichtswissenschaft 1M93 Bd. 9, 111-113. Aus
diesen Berichten erhellt, welch' grossen Aufschwung die Wiclif-Literutur
seit der Begründung der Wiclif-Societv genommen hat. Die früher
sowohl in England wie anderwärts stark vernachlässigt« Wielif- For-
schung zählt jetzt eine Reihe angesehener Mitarbeiter, in England
die I>'itcr der (.Gesellschaft F. J. Furnivall. M. Burrow und F.
D. Matthew «owie die (Gelehrten Harris. Laue, Poole, Pollard.
Sayle, in Deutschland die Herrn R. Beer, Budtlciisieg, Herzberg- •
Frankel, Loserth und Schnabel, in Polen Dziewicki. in Böhmen
A. Patera. Wir können uns nicht versagen, den Eingang und den
Schluss des letzterwähnten I/oscrthschen Berichts hierher zu setzen.
.AVer jene Studien überblickt, >agt L., die seit den letzten vier .Jahr-
hunderten über da.- Leben und die Lehren Wiclifs auf englischer
Erde «Tsrhienen sind, der nui-s wohl sagen, dass Alt-England diesen
.Morgenstern der Reformation', wie es ihn heute gern nennt, bis
auf die letzten zwei .Jahrzehnte herab in einer geradezu seltsamen
Weis«- vernaebläs-igt hat .... Eist jetzt, nachdem «Ii«- Hauptmasse
der bahnbrechenden Werke Wiclifs gedruckt vorliegt, ist man in d«T
Lag«\ seine B<-<leutung vollktannicn zu ermessen, seinen Werdegang
zu schildern nn<l den Einfluss genau festzustellen, den er auf das
Husitentum gewonnen Es ergibt sich, dass Uns bis auf
die geringfügigsten Dinge «Ii«- Lehren seines Meisters wortgetreu auf-
genommen bat. Selbst «las national«- Element, das im Husitentum
• •ine s«> hcdcut«'U<lc Rolle spielt. g«»ht auf Wiclif zurück. Dass «lie
Tabnriten lehre im Wes«'iitliehen mit jener Wiclifs i«|.<ntisch ist.
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:>,S I Jiloratnrl^rifhi. Heft 1.
habe ich in meiner Ausgabe De Euchnristia nachgewiesen." Bei dem
nahen Zusammenhang der Tahoritenlehre mit der «Irr böhmischen
Brüder, haben die Arbeiten der Wiclif-Society für unsere Gesell-
schaft ihk'Ii ein gesteigertes Interesse. Die Thnt-iiche. dass sich durch
das angebliche „Sektenchaos" der Wiclefifen , Hiisiten, Taboriten,
böhmischen Brüder u. -. w. eine gemeinsame rbcrlieferun«: religiöser
Überzeugungen, die in allen wesentlichen Punkten überciiistimiiien,
wie ein rother Faden hindurchzieht wir fa--en sie unter dem
Namen der ..altevangeli-ehen Glaubenslehre" zusammen - tritt immer
deutlicher an das Licht. K.
'*. In Bd. I der American Society of Church Hi-tory — wir haben
die Arbeiten die-er Gesellschaft schon früher |s. M. H. der ('. G. \sUH
S. 97) erwähnt veröffentlicht Albert Henry Newman, Prof.
der Kirchengesehichte an der rniversität Toronto in Canada, eine sehr
interessante I bersicht über die neueren Forschungen zur Sektenge-
schichtc des Mittelalters unter dein Titel: Keccnt Rcscarches con-
cerning inediaeval sects. Ks i-t ein Vortrag, den Newmann zu
Ende 1S!>1 in einer Versammlung der oben genannten Gesellschaft
gehalten hat. Die Übersicht reicht daher nur bis zu dem genannten
Zeitpunkt. Der Vortrag enthält zugleich eine gute Orientirung über
die verschiedenen auf diesem Gebiet schwellenden Streit fragen und
U-weist, dass auf diesem (Jebiet seit zehn .Jahren mit grossem Eifer
und Erfolg «rearbeitet worden ist. So sehr auch die Ansichten über
den Wert der mittelalterlichen Keformparteien noch auseinandergehen,
so bricht sich doch idlmählich die Überzeugung immer allgemeiner
Bahn, dass ihre Bedeutung für das abendländische Geistesleben grösser
gewesen ist als man früher angenommen hat; -ie können daher die
erhöhte Anfiiierksamkeit weiterer Kreise mit Recht beanspruchen.
K.
:j. Kin Aufsatz, <len Wilhelm Dilthey in Steins Archiv Bd. IV.
(!<i4 ff. u. \'. :<:-t7 ff. unter dem Titel: ..Auffassung und Analyse
des Menschen im 1"». und 1 »!. .J n h rh u ndert " veröffentlicht hat,
verdient die besondere Auf rksamkeit unserer Mitglieder. Dilthey
will durch diese Erörterung sich einen Weg bahnen, um zu erkennen,
„wie die Menschheit aus der theologischen Metaphysik des Mittelalters
dem 1 7. Jahrhundert, der Begründung der Herrschaft des Menschen
über die Natur, der Autonomie des erkennenden und handelnden
Menschen, der Ausbildung eines natürlichen Systems1) auf dein
Gebiet von Recht und Staat. Kunst, Moral und Theologie entgegen-
geschritten ist" (V, ;U 1 ). Für diese Erkenntnis erscheint ihm das
Hervorbrechen des „religiös -universalen Theismus" am Beginn des
10. .Jahrhunderts besonders wichtig; wir müssen erkennen, „wie sich
Luther diesem Theismus entgegenwnrf , wie dieser Standpunkt aber
1 1 I ber dieses natürliche System selbst hiit Dilthey in einem beson-
deren Aufsatz gehandelt, den wir weiter unten erwähnen.
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1S1M. LitleraliliWeHcht. M)
von Zwingli in gewissen < «lenzen aufgenommen und von den Sekten,
zumul der reforniirlcn Kirche, f«>rt^-l>iUU-t worden ist; mit
diesen Sekten uixl «I c 111 reformierten ({eiste -teilt dann an
• I «• 11 meisten Stellen Wie Fortgcstnltuug dies,., Standpunkts
während des 17. Jahrhunderts in klar erkenn barem histo-
rischem Zusammenhang" (V, S. III, v«rl. S. :isu). Nach einer
Schilderung des italienischen und französischen Humanismus (Petrarca,
Montaigne n. s. w.) koinml Dilthev eingehender auf den deutsehen
Humanismus zu sprechen; treffend ist «las \Y\\<\ von Krusinus ge-
zeichnet; Dilthev zeigt, wie diesem Freigeist des 1 1i. Jahrhunderts doch
allmählich das grösstc Problem seiner Zeh, «las wahre Christentum,
zum Mittelpunkt der ( Jedankenwclt wurde, und wie er das Wesen des
Christentums in dein fand, (V. :UH; vjrl. f.» wa> Christus seihst
gelehrt hatte (Kra-ini Opp. eil. Clcrie. V, J">) oder wie geistesver-
wandte Zeitgenossen sagten, in den ..Herrnworten"; mit Keeht wird
aueh die Bedeutung Conrad Mutian- betont. Hei der Besprechung
der religiösen Figenart Luthers hemerkt Dilthev sehr richtig gegen -
üher den Anhängern Bit-ehls (V. :}">!>), da>s die Lehre von der Sünde
und dein l'nvermögeii de- Menschen zum (Juten ein mönchisches
Lehensideal zur Voraussetzung hat; auch auf die nachdrückliche Be-
tonung der eigenartigen Bedeutung Zwingli- machen wir aufmerksam,
der sich dann eine Würdigung Doncks und Fruncks (S. :{SS ff.)
anschliesst, die wohl mancher Ergänzung bedürftig wäre, aher doch
sehr beachtenswert ist. K.
i. Vornehmlich veranlasst durch die Mangel der panegyrischen
Lebensbeschreibung Vergerios von Chr. H. Sixt hat Friedrich
Unheil es unternommen, da.- liehen und Wirken dieses merkwürdigen
Mannes und früheren päpstlichen Nuntius einer kritischen Untersuchung
zu unterziehen. Das Buch liegt vor unter dem Titel: Vergerios
puhlieistische Thätigkeit, nebst einer bibliographischen
Übersicht (({öltingen. Vandenhoeck u. Ruprecht |s!j:{). Huberl
fand in den im vorigen Jahr von Friedeushurg herausgegebenen
Nunciaturherichten eine nützliehe V<»rarheit. Das Hauptgewicht hat
er auf die schriftstellerische Thätigkeit Vcrgcriös gelegt. Veigerio ist vor
allem Volksschriftst.ller. Als churnktrisiisrh kennzeichnet Hubert die
Bevorzugung der Muttersprache, die Einfachheit und Klarheit
des Ausdruck»' und namentlich die Frische und Lebendigkeit der
auf die Anschauung des Lesers wirkenden Darstellung den
Freunden des Comeiiius wohlbekannte Eigenschaften aller hervor-
ragenden Vertreter dieser ( ieistesriehtung. Fs ist bekannt, dass
Veigerio nach seinem ('beitritt (l"»ls) sieh innerlich den böhmischen
Brüdern besonders nah verwandt fühlte. Fine reiche Bücherkunde
von Vergerios Schriften, die meist als kleine Flugschriften erschienen,
lnschliesst Huberls verdienstliches Werk. Wir beabsichtigen, wenn
thunlich, die Beziehungen Vergerios zu den Brüdern gelegentlich
näher zu verfolgen. B. u. K.
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40
Literat urh«>rit-ht.
lieft 1.
.">. Die rniv< r-iläl-Hil»li«ith. k von Geiil luit «Im» dankenswert«-
Werk eim-r umfassenden Bibliograph»' «l«'s Erasmus unternommen.
Di«- bisherigen Resultate <Ims«t „Bibliotheca Erasmiana" liegen in
Listen vor, «lie gegenwärtig zur Verv«dlstän«ligung und ev. Berichtigung
an «lie Vorstand«« <l«t Bibliotheken n. <. w. uvsamlt worden sind.
B.
(\. In «len .J'hiloH.plnVrlun Monatsh.ft««ir (Bd. 20. 1*93. S. 129
bis 177) vcr<">ffentli«ht Hermann Heineok M elaneh t hont* Ethik
in ihrer ältesten Fa>>iin^ auf Grund «in«r Handschrift, «Ii«* aus
dem Naehla.-s des verstorl>en«'ii (irö)>er-Lasero\v durch Schenkung an
das städtische Museum in Nordhausen gck«»mmcn ist. Das Manuskript
»lammt aus dein .Jahn' 1.132. Di«' «Tst.- Ausgabe «rschien 1.13K.
Achtzehn Kapitel enthält diese ni<hr, als «lie Handschrift. zwölf ans
der Hamlschrift fehlen in ihr. . B.
7. Kinen kleinen Beitrug zur Charakteristik des Eobanus Hes-
sus, «h-r uns seiner r» forniatoris<-h«'ii Bestrebungen weg«*n hier ang«>ht.
liefert Eh wähl in einem Programm des Herzogl. Gymnasium Kniest i-
uum in Gotha (1*93) «Inreh Mitteilung eines Briefes von Hessns an
einen jungen Student«'ii Namens Mauri«ius Sydel aus einer Gothacr
Handschrift. Auch «ler grosse „Pnurcptor Germania«-" hat sich «lieses
„stmliosissimus iuveni-" in einem derselben Handschrift ungehörigen,
im Corpus Hefortnatoriun (II. S. I.lu ff.) .-« hon v.röff.ntlichten Sclnvi-
hen angenommen . da- Ehwald al> Gcgcnstürk zu Eobans Brief
wiederholt hat. B.
S. Di«- 2<i. Lieferung «les ,.Pä«lagogis<h«n Magazins," herausge-
geben von F. Mann (Langensalza 1*93) bringt bemerkenswert«' „Bei-
träg«- zur Geschichte «les rntorrichts und «l«-r Zucht in den Latein-
schulen des ](». Jahrluuuh rts" von E. Gchmlich. Pädagogisches
Interesse bietet auch «-in Aufsatz von Karl Wolke im 1. Hefte «ler
.,( )«'st« rr«'i« his« hen Mithlsehulc" (1N93) üb«-r «l«-n cinfltissrcichen Gna-
rino von Wrnn« als Lehrer. B.
9. In einem Aufsatz „Zur (Ich hrtengeschiehte Heidel-
bergs beim Ausgang «!«•.- Mittelalters" (Gymnasial-Prograinm v«»n
Wilhelmshaven 1K93) lenkt Hugo Holstein unser«' Aufmerksamkeit
auf «lie «-ist«' IVriode <l«s Heidelberger Humanismus (14.16 1 4N0),
i im Uli i er «Ii«- Persönlichkeiten hervorhehl, «lie damals in «ler altbe-
rühmt«'n Neckarstadt voruherg«h«n«l oder «lauerml für «Ii«- neue Rich-
tung thätig g«'W«'-cn sind. Aus ihn-r Zahl seien hier wegen ihrer
Wrdicnste auf pädagogischem Gebiete genannt: Stephan Hoest. Pallas
Spangel und bcsomlers der «'ifrig«« Vorkämpb r «les deuischen Huma-
nismus Juk«d> Whnphling, «ler duivh s«-in Auftreten gegen d«'ii <in-
s« itigcn Formalismus so segeiisrei« h für «lie Verbesserung «l« s Jugend-
unterricht«'s gt-wirkt hat. B^
Kl. Es ist erfreulich, <lass der vierhundertjährige Geburtstag
Hohenheims «>r ist bekannter unter «lein Namen Para««'lsus ■-.
d.'s-en Wiederkehr uns das Jahr 1 «93 gebracht hat. von eim>r Anzahl
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Littoi-aturbf-rkhl.
41
angesehener Organe der » »ff«*t i 1 1 i« *lt« *ti Meinung in gebührender Weis«-
beuchtet worden ist. In der Beilage Nr. 2(il zur AI lg. Zeitung
vom 10. Nov. 1 s«»:j h»t Dr. Karl Sudhoff, der heute wohl der )*•-
kunnteste l'uracelsu»-Forscher sein dürfte Dr. Sudhoff ist Diplom-
Mitglied der ('.-(!. einen Aufsatz gebracht, und in der Illustrir-
ten Zeitung vom !). Dez. 1*0:? (Xr. 2W2) findet, sich ein Bilil um!
ein Artikel von Dr. A«l. Kohut. Ebenso bringen die National-Zeitung
in ihrer Sonntags- Hei Inge zu Nr. 7<>s vom 17. Dez. 1S0.*{ um) Vom
Fels zum Meer Heft I (Ludwig Kareil) freiimllieh gehaltene Artikel.
In dem Arbeitsprogramm der i>l der Name Hohenheims
ausdrücklich genannt, und wir beabsichtigen unsere I^cser über den
Fortgang der I'aracelsiis - Forschungen regelmässig zu unterriehten.
K.
11. Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Männer,
• lie die exakten Wissenschaften von den mitikcn ('herlieferungen befreit
haben, und die mithin die Begründer der heutigen Mathematik. Astro-
nomie, Botanik, Chemie u. s. w. geworden sind, gerade unter den
historischen Persönlichkeiten zu suchen --ind, die wir zu den Geistes-
verwandten des Comenius zahlen. Zu jenen Wissenschaften gehört
auch die Geographie. Der Nestor unter den heutigen < ieographeli.
.lulins Löwcnberg in Herlin (geb. ISOü), hat soeben eine kleine
Schrift veröffentlicht {Sammlung gemeinverständlicher wiss. Vorträge,
hrsg. v. Virchow und Wattenbach, Neue Folge, Heft 177). die in
mehrfacher Beziehung für uns von Interesse ist; der Titel lautet:
„Das Weltbuoh 8ebastian Prancks. Die erste allgemeine Geographie
in deutscher Sprache von J. Löwenberg." Ks handelt sich um das
zuerst im .1. 1 ."» 1 1 1 erschienene „Weltbuch, Spiegel und Bildnis des
•ranzen Erdbodens" . . .. da- rasch vier deutsche Auflagen und drei
holländische Übersetzungen erlebte, bereits nach zehn Jahren 1 4 4
:iber durch die bekannte (osmographie des Seb. Münster eine sach-
lich nicht begründete Zurückdrängung erfuhr, um später in unver-
dienter Weise vergessen zu werden. Wie hoch Seb. Frnueks Leistung
über derjenigen Münster- steht, hat vor .fahren bereits H. W. v. Riehl
(Freie Vorträge I, ]S7:!, l:..~>ff.) in sehr treffender Weise dargelegt.
Dass Franck jetzt mehr und mehr unter den Geographen diejenige
Würdigung findet, die er verdient, ist um -o erfreulicher, als ihm
• Ii«* Historiker (wie die ( beschichte der deutschen Historiographie von
F. X. Wegele beweist) die ihm gebührende Wertschätzung immer noch
vorenthalten. Wir verweisen in Betreff .Julius Löwenbergs und seiner
kleinen Schrift auf den Aufsatz eines ungenannten Verfassers in der
Leipziger III. Ztg. Xr. vom U. Dezember 1 St>.'{. Einige
andere Seiten Franck scher ( Jeistesarbeit haben H. Wiskemann (Dar-
stellung der in Deutschland zur Zeit d. Ref. herrschenden national-
ükonomischen Anschauungen. Lpz. 1 Stil) und Friedr. Latendorf (Seb.
Franci de I'vthagora disjait. illustrata ISGS u. S. F.'s erste namen-
lose Sprüchwürtersannnlung 1S7<>) behandelt. K.
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42
IJtternturhcricht.
.Heft. 1.
l'J. Dr. Beruh. Becker hat im theologischen Seminar der
Brüdergemeine zu Gnndenfeld, dessen Direktor er ist, zwei Vorlesun-
gen über ilie „Christliche Volksunterweisung als Bindeglied
zwischen <ler Reformation un«l Wein Pietismus" gehalten, die hei
C. Bertelsmann in Gütersloh (1H91. S. ">4 S.) als hcsomlere kleine
Schrift erschienen sind. B. hat damit auf eine Seite der Entwicklung des
Pietismus hingewiesen, die noch nicht genügend gewürdigt worden ist.
B. knüpft an die mit Göhels Gesch. des ehristl. Lehens in der rhein.-
westf. Kirche 1s4it — übereinstimmende Auffassung Alhrecht
Ritschis an, wonach der Pietismus nichts ist als eine a h geschwächte
Form derselben Richtung, wie sie im Ii». .Jahrh. unter dem Namen
des Anahaptisnuis aufgetreten ist und die (iöhel als eine Fortsetzung
mittelalterlicher Reformbestrebungen ansieht. Während Göbel den
.Pietismus" als einen Fortschritt evangelischen Lehens het rächtet hält
Ritsehl ihn für einen Rückfall, für halhkatholisch und für eine Ent-
artung der Reformation. Dem gegenüher sucht Becker nachzuweisen,
dass zwischen dem älteren sog. Pietismus Andreas, S|K*ners, Francko
und der deutschen Reformation ein positiver Zusammenhang besteht, und
er zeigt ihn auf in der Geschichte der Vol ksunlerweisung und
Volkserziehung. „Mit der pietistischen Bewegung," sagt Beeker
S. 'Mi, „traf jene von Baco und Montaigne her angeregte Schulreform
zusammen, deren Tendenz im Allgemeinen dahin ging, die Schule zur
Schule für das Lehen zu machen. Männer wie Kalke. Helwich,
Jung sind die Vertreter dieser Reform, ilie schon in Andrea und
namentlich Comeniua sich innerlich nahe mit dem Pietismus berührte.
. . . Er, ein Vertreter der Aufklärung im edelsten Sinn des Wortes,
der von sich sagte: „rationalis sum, iioii ratinnalisla" ist der eigentliche
Führer jener Schulreform und vertritt zugleich in seiner Frömmigkeit
den Herzensernst des Pietismus" ... B. Wendet sich entschieden
gegen die neueren (iegner dieser sog. „Pietisten," als deren Kennzeichen
mit Vorliebe ein Spiel mit der Josiisliebe, eine mönchische Askese
und quietistisehe Beschaulichkeit hingestellt werden. „Wenn solche Er-
scheinungen bei Einzelnen bemerkbar sein mögen an wem lag die
Schuld? Die l'nterdrückung und Verfolgung war es, die die .Recht-
gläubigen' ihnen nngedeihen Hessen . durch welche hier und da ein
engherziger Methodismus grossgezogen ward. Seinem Stern und Wesen
nach ist der sog. Pietismus weiter nichts als ein ernstes Streben
nach einer sittlich- religiöser» Reform der Gesellschaft auf
dem Wege der Volkserziehung" |S. .">."{>. Die Vorträge sind
in den Jahren iss«) und 1 N'm gehalten und können warm empfohlen
werden. K.
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.S.U.
Inhalt ni-ii. ivr ZeiJM-hnl'li-ii.
j:;
C. Inhalt neuerer Zeitschriften.
Ailu<-m«'in<- /.«itnnc. Ifc-iiiip- Nr.
.'?". JN*;. T nli-.il I : Kuk<> Itreniiili... Miin-
. Ii. ner v..lk-w irlli«<-lialtli<-li« Mmlieii. A u u*
• '•■iiru.lr. I>i>- < i. -eliirlite >l«r >i«iin-.ii.
I»>t HyiHioti.nnu» im Kerht Kr. I'. i lit.
Zur Kriniu ninc an .1 1 1 Ii •■ ■> Kr.l»l Aiiimi
K>- 1 1 .• I h •• i m . Zu Klin-H v.in Hermann Kur/.
Kirn- <»rietitr> i-. A. Iln-rina , iiU r
in Hin- M«Hi>riti ri. K W.rnet. I»i:uuanl
iiml Kiihin. Her Koinnll einer Kai- nu
II. .1 a n - «• ii . Miir»>kkuiii-ehe Kramn. I. mi-
ni K HliHse, II ,i Ii s V :i i h i n ff r » I 'im iih ii-
Uir 7ii Knill« Kiilik <|.i n-inen Wimmfi.
-V Bei. Hii)!» Atn.il.l. \ ..lk-ki km
■au der l>.irv im II. it.»i 1">7'\ Max l>i>-i/. ,
«Ipmli.. Mtiiili'v.'iili. A'lnlf Hii-tian,
t'lwr Ki'ti'cliiMiiu» V.ilk-wirtli-i-liafilii li>-
Literatur. Mitli'iliniki-ii , Na.liri. Im-t, . IV-
s|>rvrliuiiK.ii.
Hu Hol In d«- I* »m-illl d*Mftlolr«>
Yandolxw i l>i Tom InliaW IX Mai Juni
l-'.i'.M K. Arnaiul, lli.ii.m <l<- |.remi.' n»
|« r>iVnlii.ii> .Iii Vhii.I.ii- lnlli. ri.il> <lu r..in-
liil V. |MI*r<ili .1 «|.- Iii l'mv.-nn- .l'.i|in > .1.
ikmutuiix (l.«.uni.iit> I'. Hiv.iii. . Mi»-i..ii.
•M S nahiiv diiili.. ('.-.an- l!ail..-n ii.-ll.- «»Iii
Valcl«'!»i, Ii;.1,". li.-.'T. K d.- I>i<.|e. S.j •
<l» - Vanrlni- «tu l'i.'riM.iii .-n Sni— e I "•.»!» IT:Si.
W. M<-ille, I n niiie.- .in -iijet .1. .1« an
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(•n-enr-i.re .Irl |»ux-i»iii.i pelle Valli :<l -.-ei.!..
XVII. Ktillelm X: i.V. nit !-',(; AI. um
<l<K-ntii>-ini nlaiivi allu |»-r«.vin i>>ii.- >«al«l> -. i
• I* -I tiV'rf! I.Vtil. I!. I. V. in. -nl III. IUI. •Iltail.' .''
>xtinrti..ti .1. » Kl-Ii»'-- Vaiu|.ti-e. .lau- I.- Val
lYnjp-la, fl'a|ir. > <!<•- um. iit- ifn-.lii*
LiMe .le« Viili.l.ii- .-Ml.'.« . 'Ii Iii'.»«* .'» 1<.'»:i.
tir.V <!«•. Ar« luv. - Na!i..ual<- .1. la Hat.
Vainli.il. n IL uiali.l- . Ii Boheme v. r- l au I I In.
Trsulueti.iii «U- raU. niiimh Zeil«. In ( K -<.. >. 1.
XIV. Ii IVt-ul«*-. li.mninn.iiil. .|. Van-
«|..i» i n Wui l-iiiU rv' Tn«.|n< li I.' I'nll. nian.l
iliMioRraplii.'
MllfoHuiiKoii d«>r <»«*M<>llM*han
fllr d«-*il«.«-h«' l-.rxit'hiiiiif«- iiml
H<hiilKi'1"lil»-hto. (Berlin. A llolinaiin
A Co i. III. 2 II. K. Watrn. i . « •-• Iii» ht.
••••!« Volk-*<'liul«.'»-n- im Lrz-nlt.- •».il/lmi^
K. W K. It..ili. i »r.liuiiii:» n und Nori/eii
zur Hrlinlkf xi lnrli!.' >|.« Uh.-imsn.e- • r.'.N' l>i»
MITi. Lm-i l.. I.Iii Ii. Ii. Z.iih» trir
I/>'liliT .Irr I> I|./U'. | KpliMii.' ml- .l. ii .laiin n
ITIW, IT".'. !7">7 »nid l-»C. Hut"- I >. ti -
I. arl, .lu«ui> Mn«-t> Hii.'l au W. v..u K.I.N-
ln-im lil»'r Ki/i.'huii^ lurV |>nikliM'li< l^ l«n
F. rn«l < i >• Ii m 1 1 < Ii , Zur I ..'-«-lurlilc .1. r
Srliiile »|.-« Milflrrhi'n« Tiint lia l» i l^ tn/i^-
II. Kaim.'r. In-irnkii.iii für »l'ii >■« liiiini'i»(rr
in Srh«*T vrnn Jahn' lii»4. ■ K, A .* »■ h .• r >.<. n.
Vniliüuiipoii ul» r i|. iit»u.li.- Kivi.-Iuin>f>- un«l
S< liulk!. «. liirli1. an >|. iii-i li. n Kiuv. r>i1a(< n im
Wiiil. r» in. >(« i' IVil '.i.( iiml S..iiuu. i-"*«-iii.--i. i
l«rj. ii. •..•►lafilu li. i Tln-il. I', Ital.l-
in an n. Schill"-!- - K.i;.'lii au- il.'tn Kinli- <)> -
I .lalirliun.l. n> II H.-i k. i . I >i> Z« rl.-t. »
Ijiii.U. li.il. n um .Ii.- Milt.- <!.". IT. .lalnli
It. I'alin.-i . I» r V.i^u.li .1.-- Il. r/..^ Km-'
.1.- I'r..iuiii. n v..n «...ilia zur i iriin.liiiiK . in. -
a.|.ln."U I- i:iu|.iii-lilli um l'.T" K. Ma> ,
>.lmlk ...lull ilir I.Miitfii in N.i«H- ilTi».
I. i- IT'ü'i. K"l.l ••»•«'> . >< Inilonlnuii^. ii
.1.1 Sia.ll K"Uii;vluil<-i I. für .l.ii
>.liiil. nli.ir »..in .lalir 17J». M hulinlin/iii-
II. -. Ii'-niil' unik"'. Zur i i-u>janu--l.ill. nitiM ,
I '.-l»'i -iclil .|«t in .luhr« IVH im l'.u« li-
liaml. l . iMlii. ii.-ii. il W. ik.- /ui" 1 i.-M'lii.-lii.- .|. t
Ki/i.-liim»; iiml .1.- I ui. riiolil-, ii.--.i)i;lf i-
li. li. r I ii. il
Ki'i n«. iiil4-rnnlioiiMl<* d<- r«>niM*lK-
114'IIK-lll. K- .l KiIiiixikI 1 1|. > Ins - l!ri-a.-.
I:!i- : 1 1 1 1 « Nr, |»i : K-l I > i .- \ I n - - B 1 i - a . ,
.|>- la in* iIkkI.- ä ,i|i)m.i1. i .Inn» l'.'lu.l. .1. -
<|ii.->ii..ri» .r. n*. iu'n''in.'iit. Krank .l'Arv. ^i.
I'.'ilni aii. <n nati.'iial. . I -> i i .. |.< n ... In>l.>ii>
.l ull. . «..Ii- .. titr.il.', A|M-ri n -ur I'.>r)jaiii-
•ali.jii «I.. I uniM i-il. 'k < ..(.. nliau-u-'. * >.r-
iv»|...n.laii. •• int. Tiniti.. null-. Il. sui- r. Ii«.-
-|» i liv. .!«■- ..iiMav'. - <l"' l'. iix iijrni-rri. iil.
rhii.iii.|ii«' -I- IVu-.-un.-in.-nt . N..in. l'..- . t
iiif.iriiiaiu.il-, V.l. - . r .|..r.iui. ui> i.ffi.i.l-
HiMm-ianliii-.
JühroolM'Hfhl ttlM-r du» hAlicro
S»-lnilw«'«wn . Ii.'i aii-k-' Ih-ii v.in r..ni
IC-tliM i~i-lt 7. .lahrn, l-.'J. II lt.ii.|.i.
>i-liiili^--i hii lil«-. i Ii-- 1 1. tt i -i Ii , >clnil-
\.r|j--iini;. \,. Witt«-, K»an«, l:>-lit;ii»>—
U-IiIt. .1. N Hiiinn. r. K jlln.li-«li. !!•-
lik.'i"ii-!< lin 15. .li.na-, l».ul«<li. II.
Zi.iii.i, Kanin. A. \ i»n II a in !> .• r u ,
l .r].i Iiis« Ii. II. I, •". - . Ii Im i n , l*ian/..si-rli
(iini Kiiyli-i Ii. I). >> Ii mit h-, (n -t-liirlil.
1» It.. Im . Ia.lk |. A. 1 l.a.-i , Ma-
IlKinatil. K. Ni.ark. V. Ilin.-r ui«l
A I Ii a. r , Nanu m i--i iim dafl K KlillX»-!.
Z. i. liii.-n. II. Ii.- II«- 1 in a ii n , i;.--ant-
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r» H-h- /u d.'n I K ■ 1 1 1 -4 -Ii* -ii Slaal. ii unter Maria
Tlieiv-ia.
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4»
Zur Nachricht.
Heft 1.
D. Zur Nachricht
Aus dem Erschein ungsplan der Monatshefte 1S94.
Ein*r«>jtinlt oder zujrc-ajrt -ind unter and< r< n folgende Aufsätze:
H. Aron i Berlin). Comenius im l'rleil seiner Zeitgenossen. Hcrnh. HnchriujT
Minfeld;. Zur Kiinneruiijr sm Jach Frohschaininer. Kornh. Kerker
rii;nl. nt- Id i. Sehlejerinncher un.l die Brüd. TtM in. in. . - W ilhelm Hegemanu
i Rostock i. I'Imt den ( iehniuch und die Bcdciituuj: des Wortes „Fansophie".
tiennr Klllsson l F.inl>eek \ Friedrich Allvert Lunp« als I 'hili>-<>|>h und
l'ädnjrojr. Wendelin Foerster (Bonn). I Im r «Ii«- \ erhandlunpcn der
Walden-er mit Occolnmpnd und ltni/er im Jahre l.'i.ls. Ludwig Keller
i Mi'm-tert. I >ie Akademien und Sodalifäten der Xaturphilosophcn des 1 7. Jahrh.
!*i> zur KnlsielinriL' der Royal Society in London. llackenbcnr fHotten-
Wachi. F. W. horpf. lds h t/ies Werk. Fr. Hummel (Schwaigern), Zur
-ozial|K.|iiis<hen Kr/iehunjr des enirlisehen Volkes im 11». Jahrhundert.
Iluiro Landwehr (Berlin». Johann I Hirnen* und die l'nions- Bcstrchunjrcn
■ les 17. Jahrh. Friedlich Albert Lautre, I'Ut den Zu<«nmiiicnhaii)»' der
l]i zieliiiii'!ss\ sinne mit ilen herrschenden Wcltnuschauuujrcn der verschiedenen
Zeilalter laus dem Nachlas«'!. K. Melchers (Bremen!, l'omenius und
Pestalozzi. Paul Natorp i Marlninri. Fiter Condorcet. tiraf Leo Tolstoi,
I >ns Kaffeehaus von Snral. Aus dem Russischen übersetzt von K. von lioev.
Jacob Wvehcxnni ( L« i|«/i>r) , Ludwi<r Vives als Vorlauter des Comenius.
Aus «lein Inhalt des ersten und /weiten Haiides.
Fnser Arbeit^plmi <S. III Villi. I». Ilohireld, J. A. Comenius
mid K. C. F. Krause. K. MHinpel, Die interkonfessionellen Friedens-
ideale des J. .\. Comenius. A. Israel. Da.«« Verhältnis drr »rossen l'ntcr-
richtslehre des C. mienius /u der Didaktik Ratkes. Ludwig Keller, Johann
Valentin Audivac und ('niui niiis. 4ns. Müller, Zur Büchcrktinde des
< omeniiis. Kd. Hodemnnii. Hin (iedieht von Lcilmiz auf Comeuius.
Jos. .Müller, Die Bilder des ( onienins. Litteratur- Berichte: Die
C eniiis- Litteratur in allen Sprachen seit Ml Jahren. Die jredruckte
Litteratur ül*-r Wolfjrani« Ratn-hiiis. Kritiken, Besprechiineen, Nach-
richten (darin die Snt/.un«:en der C.C.i.
Ludwig Keller (Münsten, Die Comenius-( icscINchuft. < ieschichtliches
und ( ii undsntzliches. M. A. X. Hövers il'trechn, F.in Friedeusspruch.
W. lleiti/clmaiin. Coeihi s religiöse l'.ntwieki lunjr. Johann LoMerth
Hirazi. Die kirchliche Befoi inlM we^nnir in Kurland im XIV. Jahrhundert
iiihI ihn- Aufnahme und Durch fiihiuuj; in Böhmen. Akademische Antritts-
rede. Lettnil iKönieslierir i. l'r.K Johann ( Seorir Hamann, als tieistes-
wrwandter des Comeniu-. Hernil. Hiichrlnir i Minfeld). Christian Karl
Josin«*, Freiherr von Bimsen. Friedlich Albert I*anire, tieschichte und
Bedeutung rlcr Sehn Ikr <tii< m Ii. •• vor und nach Comenius. Zur Uilchcrkundc:
Die neuere Litteratur ülsr K. Chr. Fr. Krause ilLdilfeld). Litteratur
ü I« r Valentin Andrea' s,.jr )imi Jahren. Quellen und Forschungen.
Kleinere Mitteilungen. Kritiken und Besprechungen. Xaclirlchten.
i »«♦♦«
llit. k. i- i v>ii .t.ilviniivs Iii. .Ii, Müii-ht i. W.-sf.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft
III. Hand. 181)4. Holl t> u. :i.
Schleiermacher und die Brüdergemeine.
Von D. Bornh. Bockor.
I.
In der Nacht vom 2t. Mai 1770 ging <*■ n preussiseher
llusarcnleutnant mit seinen Leuten über die Weielisel, um aus dem
polnischen (Jrcnzort Seitersdorf eine von römiseh - katholischen
Gutsherrn schwer bedränge Gemeinde reformierter Pfälzer auf
preussisches Gebiet herüber zu holen. Kr folgte dabei einem Be-
fehl Friedrichs des (i rossen, der durch den schlesischen Feld-
prediger .loh. (.iottlieb Sehleiermacher auf jene Glaubensgenossen
aufmerksam gemacht worden war. So entstand die Kolonie Anhalt
bei l'less in Obersehlesien, denn kirchliche Bedienung .Sehleier-
macher selbst übernahm, indem er 177S tlahin übersiedelte. Sein
Sohn Daniel Ernst stand damals im 10. Lebensjahr. In diese
Zeit fällt der Anfang der Beziehungen seiner Familie zur Brüdcr-
gemeinc.
Sein Vater trat aus Anlass einer Kollekte, die er für jene
(iemeinde sammelte, in Verbindung mit angesehenen reformierten
Männern; einer derselben, der Antistes Fmanuel Mcrian in Basel,
übersandte ihm eine im Jahr 17(>!l erschienene Schrift: La saine
doetrine, tiree des ecrits des plus eclebres doeteurs de l'cglise
reformee. Verfasser derselben ist der Prediger der Brüdergemeine
Jeremias Bisler, ein Mann, der nach Zinzendorfs Tode dessen nur
zu bald vergessene theologische Grundauschauungcn hochgehalten
und auf den Synoden der Brüdergenieine mit Nachdruck vertreten
hatte.
M>jn:it.sli<-(ti- tU-t <'<>iii--riitis-<;<'.-4'll»tlialt. ls<>j. «
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Bocker,
Heft 2 u. X
Jene Auszüge aus den Schriften reformierter Theologen lassen
deutlich erkennen, dass er sich bei der Auswahl von Zinzendor-
h'sehen Anschauungen, namentlich bezüglich der Autfassung der
christlichen Gotteserkenntnis, leiten Hess. Von da an begann die
Sehleierniachcr'schc Familie auf die Brüdergemeine aufmerksam zu
werden, in der sie „ein singulare* Phänomen in der Christenheit"
zu erkennen glaubte. Der dem Prediger Schleiermacher unterstellte
Lehrer Christoph Pauli war ein Vertreter brüderischen Christen-
tums; seine »Söhne gehörten der Brüdergemeine an; er selbst stand
in Verbindung mit dem Gcmcinort Gnadenfrei in Schlesien.
Die Familie Sehleiennaehers, nicht am wenigsten die Kinder,
wünschten diesen Ort kennen zu lernen. Als die Mutter mit ihnen
dort einen längeren Besuch machte, erhielt ihr Sohn, namentlich in
religiöser Beziehung, so tiefgehende und entscheidende Eindrücke,
dass er sieh entschloss, der Brüdergcmeinc auf alle Fälle als Mit-
glied anzugehören, auch wenn er nur ein ehrsames Handwerk in
derselben erlernen könne.
Thatsächlich trat er in seinem lö. Iicbens jähre in das Päda-
gogium der Brüdergemeine zu Niesky in der Oberlausitz ein. Er
bietet das Bild eines Pädagogisten , wie er sein sollte, im Sinne
der damaligen Zeit. In edler Freundschaft, mit dem späteren
Brüderbischof von Albert ini verbunden, giebt er sich als achter
Schüler des Neuhumanismus mit frischer Begeisterung dem Studium,
namentlich der griechischen Klassiker, hin und pHegt zu gleicher
Zeit ein inniges religiöses Leben, das seinen einzigen Beziehungs-
punkt in Christus hat. Nicht im mindesten wird dadurch seine
jugendliche Frische und Fröhlichkeit im Kreise der gleichgestimm-
ten Kameraden beeinträchtigt Jm Gegenteil ermahnt er seine
im Gnadenfreier Sehwesternhausc lebende Sehwester Charlotte, ja
nicht zu melancholisch zu seiu, damit die Leute nicht in der An-
sicht bestärkt würden, dass die Ilcrmhuter sämtlich Kopfhänger
seien.
Der Umgang mit dem Heiland ist es, der ihm zu harmo-
nischem inneren Leben verhilft. Nur wenn dieser gestört wird,
fühlt er sich innerlieh bedrängt. „,,leh will sie alle zu mir ziehen,
hiess es in der gestrigen I/>sung", schreibt er an seine Schwester;
„das wird er in Gnaden auch an mir erfüllen ; er ist auferstanden,
zu helfen allen Elenden auf Erden, das giebt mir auch ein Recht
au ihn; er ist meine Zuvci>icht alleine, der Gott, für mich am
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■
1894. SohU'icrmacher und die Briidergemoino. 47
Kreuz erblasst." — „Ach erfüllte Jesu Liebe unsere Herzen Tag
und Nacht! Wären wir ihm nur ganz zur Freude, stünden wir
initiier in einem ganz ungestörten Umgang mit ihm, könnte uns
nichts auch nur einen Augenblick von ihm abbringen".1)
In seinem „vergnügten Gange" fühlt er sich nur dann ge-
stört, wenn er sieht, er „liebe den Heiland nicht genug"; er sei
ihm nicht ganz zur Ehre, und „wenn der tägliche Umgang mit
ihm nicht ungestört und ununterbrochen fort geht Aber, so oft
man zu ihm kommt, als ein Sünder, der blos aus seiner Gnade
selig ist, so oft man sich einen Gnadenblick von ihm ausbittet,
so geht man nie leer von ihm, er wird nie untreu, so oft wir es
auch -werden". -)
Bei dieser inneren Gesinnung ist ihm auch „der Schritt in
ein anderes Chor" (d. h. seine Aufnahme in den besonderen Rund
der „ledigen Brüder") „nichts Geringes, sondern vielmehr ein An-
lass ernster religiöser Selbstprüfung, die ihn zu dem Bekenntnis
treibt: „Niemand ist seliger als ein Sünder — hört es und glaubt
es, ihr Menschenkinder — der Gnade hat".1)"
Nachdem Schleiermacher in das theologische Seminar der
Briidcrgcmeinc in Barby eingetreten war, erfolgte bald ein voll-
ständiger Umschwung seiner Anschauungsweise; von tiefgreifen-
den Zweifeln wurde er heimgesucht; in den stillen Räumen des
Brüderseminars kämpfte er einen schweren Kampf durch, dessen
letzte Entscheidung von durchgreifender Bedeutung für die Ent-
wiekelung der evangelischen Kirche des 19. Jahrhunderts wurde.
Durch die eigentümliche Art der brüderischen Frömmigkeit
und der auf derselben ruhenden humanistischen Bildungsweise ist
er nicht verursacht worden. Dieselben waren vielmehr im stände
gewesen, dem von Haus aus kritisch gerichteten Knaben zur vollen
innen) Befriedigung zu verhelfen. Jene Zweifel waren schon in
den Kinderjalireu aufgetaucht; durch gewisse überlieferte kirchliche
Lehrsätze wurden sie angeregt, mit denen das Nachdenken des
Knaben sieh nicht befreunden konnte.
Es handelt sich namentlich um die Lehre von den unend-
lichen Strafen und Belohnungen, von dem genugthuenden Straf-
leiden Christi, von dem natürlichen Verderben und den über-
') Au* Sclilcicniiiichois l^l>cn in Briefe». Berlin ISfJO. I, .T_\ *> a. a.
u 1, js. 'i a u. <). I.
4*
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4S
Herker,
Heft '2 ii. X
natürlichen Gnaden Wirkungen. Dio Frage nach den letzteren war
in ihm allerdings erst durch die von ihm besuchten Gnadenfrcier
gottcsdienstliehen Versammlungen angeregt worden. Während
seiner Studienzeit im Pädagogium waren diese Zweifel vollständig
verschwunden; nun erst im Zusammenhang mit dem beginnenden
theologischen Studium tauchten sie wieder auf und störten die
innere Ruhe seines Jugendlebens. Es handelte sich namentlich
um zwei Punkte der überlieferten kirchlichen Lehre, um die Be-
hauptung einer metaphysischen Gottheit Christi und um die seines
genugthuendeu Straflcidens.
Schleiermacher war im Pädogogium durch Kohlreif zu
einer nüchternen Betrachtung religiöser Fragen angeleitet worden.
„Ich war damals lauter glühende Phantasie und hoffte, er werde
mein Feuer noch feuriger blasen, aber nein, er führte mein Gemüt
an der Hund der Geschichte und verständiger Vorstellungen zu
einem stillen Emst und zu ruhigen Überlegungen zurück.*") Im
Seminar sah er sieh gehindert, diesen Weg selbständig weiter
zu gehen. Er klagt über die „etwas zu grosse Eingeschränktheit
in der Leetüro"; mau könne sich über den gegenwärtigen Stand
der Exegese und Doginatik nicht genügend unterrichten.-) Schliess-
lich sali er sich zum völligen Bruch mit den angezweifelten Lehren
der Kirche getrieben. „Ich kann nicht glauben, dass der ewiger
wahrer Gott war, der sich selbst nur den Mensehensohn nannte,
ich kann nicht glauben, dass sein Tod eine stellvertretende Ver-
söhnung war, weil er es selbst nie ausdrücklich gesagt hat, und
weil ich nicht glauben kann, dass sie nötig gewesen; denn Gott
kann die Mensehen, die er offenbar nicht zur Vollkommenheit,
sondern nur zum Stieben nach derselben geschaffen hat, unmöglich
darum ewig strafen wollen, weil sie nicht vollkommen geworden
sind/'1) So sehreibt er an deu bekümmerten Vater und fügt
später noch hinzu, er „habe Zweifel gegen die Versöhnungslehre
und die Gottheit Christi", sie seien natürlich aus seiner Lage ent-
standen. „Wie konnte ich auf's blosse Wort glauben, dass an
allen den Einwürfen unserer Theologen, die von kritischen exe-
getischen und philosophischen Gründon unterstützt sein sollen,
nichts, ganüchts sei*.'" Er könne selbst nicht untersuchen, in-
wiefern neuere Einwürfe ungegründet seien, weil er nichts der-
\ a. u O I, I 1 J ■■) a. a (>. I, ;'.». ) a. a. O. I, I.' Ii.
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ls!>».
SchlcienmicluT und «lic llnMiYrp-mciM'.
gleichen lesen dürfe und man sieh nicht einmal damit einlasse,
ihm seine eigenen Zweifel zu widerlegen. Was die Gottheit Christi
betreiTe, so koiiiinc es darauf an, was man damals für einen Be-
ginn" mit den Worten rin* ihor verband. „Dass man wenigstens
nicht immer die Kinli<>it mit dein göttlichen Wesen meint«-,
sieht man daraus, dass die Apostel diese Worte auch häutig von
den Christen gebrauchen". ')
Es handelt sieh hei diesen Erlebnisse?» des geistig reich be-
gabten Jünglings nicht blos um theoretische Zweifel, sondern um
unabweisliche Forderungen seines religiösen Lebens. Es galt das-
selbe» „zu retten irrten <lie vereinigte Macht der Welt uml des
skeptischen Verstandes'*; es handelte sich um eine „Wirkung des
Wahrheitsgefühls ohne alle Lust oder Unlust zu dem, was nun
kommen würde". Das eitle Wesen in der Welt fürchtete er, und
hätte er einen ähnliehen Winkel gewus-t, wie die Herrnhuter, er
wäre lieber dorthin (als nach Halle) gegangen.-) Seine in der
Brüdergenicinc entbundene und entwickelte Frömmigkeit war es,
die ihm half, als er „anfing den väterlichen ('Hauben zu sichten
und Gedanken und Gefühle zu reinigen von dem Schutt der Vor-
welt". «)
Her Christus, mit dem er täglich als mit seinem Heilande
verkehrt hatte, erschien ihm fremd, wenn er sieh ihn unter dem
Gesichtspunkt der metaphysischen Gottheit vorstellen sollte; der
Gedanke, dass der Heiland als der Unschuldige um der Unvoll-
kommenheit der übrigen Menschen willen von Gott abgestraft
worden sei, kränkte ihn in seinen religiösen Gefühlen. Weil er
die Religion als Sache des Gemüts keimen gelernt halt«', als engstes
Angcschlosseusein an die acht menschliche, geschichtlich offenbare
Person des Heilandes, den Träger der gottliehen Liebe, konnte er
sich mit Vorstellungen nicht zurecht linden, welche die lebendig«'
nahbare Person dieses Heilandes in 'inen metaphysischen Begriff'
aufzulösen schienen und ihn als einen solchen hinstellten, dessen
Hauptaufgabe in diesem Leben es gewesen »ei, einem blossen Ge-
reehtigkeitsbedürfnis zum Opfer gebracht zu werden. Er glaubte
mit diesen Vorstellungen brechen zu müssen. Schon damals bahnte
sich in ihm eine andere Anschauungsweise an. Wohl wäre es die
Aufgabe der leitenden Männer des Seminars gewesen, dein inner-
') ». ». o. I, r,;j t\. -i ». a. o. 1. ais. > sämtliche W. iko i, ■_»<>-_>.
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50
Becker,
Heft 2 u. H.
lieh Kämpfenden nicht nur mit seelsorgerlichem Rat zur Seite zu
stehn, sondern ihm auch die nötige wissenschaftliche Anleitung
zu gewähren, um ihm zum rechten Verständnis der religiösen
Bedeutung jener Lehren zu verhelfen auf Grund der von ihm
namentlich gewünschten exegetischen Arbeit
Es war dem theologischen Seminar der Brüdergemeine nicht
beschieden gewesen, die von Zinzendorf teils dargebotene, teils
angeregte grundsätzliche Auffassung der christlich -theologischen
Fragen wissenschaftlich fortzubilden und den Versuch zu machen,
die auf dem Boden der „Herzensreligion" mögliche Ein-
heit und Einigung zwischen dem christlich -religiösen
Glauben und der philosophischen Bildung ernstlich zu
suchen. Indem man fest auf jenen überlieferten kirchlichen
Lehrsätzen stand, suchte man sich gegen die Wirkungen der (am
Ende des vorigen Jahrhunderts) mächtig emporstrebenden deutschen
Bildung, die auch auf theologischem Gebiet einen durchgreifenden
Einfluss äusserten, streng abzuschliessen, indem man die Erträge
derselben lediglich für verbotene Frucht erklärte. Man sah in
Schleiennachers Anschauungen ein „schädliches Gift" und sagte
ihm, dass er, im Fall eine Änderung nicht einträte, „auf kein
längeres Hiersein, keine Schonung, kein Mitleid zu hotf'cn hätte".1)
Schleiermacher musste das Seminar verlassen. Sein Freund Alber-
tini behauptet, dass man ihn nicht edelmütig behandelt habe, sein
Oheim Stubenrauch klagt darüber, dass man bei den Brüdern
nicht verstehe, einen Zweifelnden richtig zu behandeln, und der
ehrwürdige Direktor des Pädagogiums Zembsch äusserte später,
dass sein Kollege am theologischen Seminar nicht genug bedacht
habe, „dass ein Theologus nicht anders wird, als durch den Zweifel".
Diese Männer weisen in der That auf einen vorhandenen Mangel
hin. Im Pädagogium der Uuität hatte man es vermocht, die Ein-
heit zwischen der brüderischen Herzensreligion und dem uneinge-
schränkten humanistischen Studium zu finden; darum entwickelte
sich Schleiermacher zu einem geistesfrischen innerlich harmonischen
Jüngling; noch im höheren Alter sah er mit Freude auf die drei
„seiner schönsten Jugendjahre"-) zurück. W ie viele alte Schüler
dieses Instituts können ihm das von Herzen nachfühlen! Dem
Barbyer Seminar war die ungleich schwerere Aufgabe gestellt,
') a. a. O. I, ">'-'. •) a. a. O. II, 21.
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8cIiIouthiikIioi- und die Briiderpcini-inc
öl
«einen humanistisch gut gebildeten Schülern gegenüber die rechte
Vermittelung zwischen der neuen plülosophischen Bildung der Zeit
und dem Brüderglauben zu finden. Ks vermochte diese Aufgabe
nicht zu lösen; daran scheiterte damals nicht nur Schleiermachers
Bildungsgang, sondern auch der manches anderen trefflichen Jüng-
lings in seinem Freundeskreis.
Wenn Schleiermacher sich später als Theolog die Aufgabe
gestellt hat, die rechte Verbindung zu finden zwischen dem christ-
lichen Glauben und der neuen Kultur, so war das der unmittel-
bare Ertrag seiner Jugendentwickelung in der Brüdergemeine, in
der er trotz aller Kampfe diejenige Auffassung des Christentums
sich angeeignet hat, die allein jene Verbindung wirklieh ermöglicht,
der zufolge Christ nicht derjenige ist, der eine bestimmte Summe
vorgeschriebener Dogmen annimmt, sondern derjenige, der von
Herzen bekennen kann: Ich weiss, dass mein Erlöser lebt.
IL
Schleiermaeher erkennt in den Erlebnissen, die er als Mit-
glied der Brüdergemeine gemacht hat, die für sein geistiges lieben
e u t s c h e i d e n d e n Vorgänge.
In Gnadenfrei wurde der Grund zu einer Herrschaft der
Phantasie in Sachen der Religion gelegt, die ihn bei etwas weniger
Kaltblütigkeit wahrscheinlich zu einem Schwärmer gemacht haben
würde, der er es aber verdankt, dass er seine Denkungsart , die
sich bei den meisten Menschen unvermerkt aus Theorie und Be-
obachtung bildet, weit lebendiger als das Ergebnis und den Ab-
druck seiner e i g e n e n G e s e h i c h t e anseilen kann l). „Es giebt
keinen Ort," bezeugt er, „der so wie dieser die lebendigt» Er-
innerung an den ganzen Gang meines Geistes begünstigte, von
dem ersten Erwachen des Bessern an bis auf den Punkt, wo ich
jetzt (1802) stehe. Hier ging mir zuerst das Bewusstscin auf von
dem Verhältnis des Mensehen zu einer höheren Welt, — hier
entwickelte sich zuerst die mystische Anlage, die mir so wesent-
lich ist, und die mich unter allen Stürmen des Skepticisinus ge-
rettet und erhalten hat Damals keimte sie auf, jetzt ist sie aus-
gebildet, und ich kann sagen, dass ich nach allem wieder ein
') a. u. O. I, 7.
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n«'<-k«T.
Urft 2 n. :J.
Herrn hutcr geworden bin, nur von einer höheren Ordnung." M Auf
der „Hemihutischen Universität" gedieh „sein inneres JW>en zu
der Freiheit von den Fesseln des Buchstabens". '-') „Es ist mir doch
giinz eigen zu Mute," sehreibt er von Ebersdorf aus {'Mi. Aug. 1S05),
„wenn ich in einer Brüdergemeine bin ; der grösste Teil meiner
Jugend und der entscheidende Moment für die ganze Entwickelung
meines Lebens steht vor mir. Dieser Durchgangspunkt erseheint
mir, wie zufällig er auf der einen Seite zu sein scheint, auf der
andern so notwendig, dass ich mich gar nicht ohne ihn denken
kann." 3)
Diese Überzeugung begründete eine persönliche Anhänglich-
keit Schleiermachers an die Brüdergemeine, der er zum öftem
lebendigen Ausdruck verlieh. Es freut ihn, dass der Bekannten-
kreis seiner Schwester Charlotte in Gnadenfrei auch ihm vertraut
ist. Er hört gern von all' den lieben Mensehen, die er dort kennt.
„Diese sehlesisehen Gestirne tragen nicht wenig bei , mir meinen
hiesigen (Berliner) Himmel zu erheitern, und des Abends im Freien,
wenn der Mensch gestimmt ist, in ferne Welten zu schauen, seh
ich gar oft nicht weiter als nach Gnadenfrei und was daran liegt,
nicht ohne Wünsche , denen ich gar oft die Flügel besehneiden
muss. Durch das Teleskop, womit Du meine Sternwarte aus-
rüstest und unterhältst, mache ich immer neue Entdeckungen in
jenen liebliehen Sternbildern, neue Vollkommenheiten gehen mir
oft auf, wie ungesehene Nebelflecke bisweilen vor das Kohr treten,
und Stunden ausgezeichneter Glückseligkeit nehme ich wahr, wie
der Beobachter das wachsende Licht mancher Sterne sieht." ')
Auch an Herrn hut erinnert er sieh gern, an den Ort selbst,
an den Anblick der ehrwürdigen Männer der Fnitäts- Ältesten-
Konferenz und an die herrliche Umgebung. „Doch alle Xatur-
schönheiten sind nichts gegen die Menschen, und wie viele liebe
Leute hast Du in Xiesky und Herrnhut nicht gesehen. Es ist alles
zu wenig, was Du sagst, und ich mik'hte alles weit ausführlicher
und detaillierter wissen." ) Viel Freude machte es ihm, als er zu
Ostern 1S05 den ehrwürdigen Direktor Zern bsch in Barby wieder
sah, der ihn höchst liebreich aufnahm und ihm gestand, „dass
unsere Zeiten doch die brillantesten des Pädagogiums gewesen
') a. a. O. I, JIM. ') a. a. < ). II. 21. :ll a. a. < >. II. ') a. a.
<>. I, 11!» ilWlin Au«-. I7!»7>. ) a. a. < >. 1. B. _\ Atiir. KW.
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Schliiciiiinrlior und die Brii<lcrj.'emcine.
wären".1) Er gedenkt des alten Lehrers nach dessen Tode mit
dem schönen Wort : „Nächst einem Staatsmann wirkt doch nicht
leicht jemand mehr als ein tüchtiger Schulmann, und in einer so
langen Ijaufbaltn." 2) Vor allem war es aber der ihm eng ver-
bundene Jugendfreund Albertini, der dauernd der Gegenstand
seines liebevollen Gedächtnisses bleibt. Im Jahre 171IS schreibt
er an seine Schwester Charlotte : „Dass Du Albertini nicht gesehen
hast, thut mir sehr weh ; gar zu gern wüsst' ich, wie er lebt mit
seinem Amt, mit seiner Frau, und ob er Kinder hat, und ob er
noch an mich denkt. Wie oft erinnere ich mich bei meinen ge-
meinschaftlichen Lesereien mit Schlegel und mit der Herz an
unsere nieskv'schen Studien. Weit auseinander sind wir freilieh
jetzt und ausser aller Verbindung; aber wie es im Grunde seines
Herzens aussieht, das weiss ich doch recht genau, und sein ganzes
Wesen kann ich mir, wie es jetzt sein muss, sehr lebhaft denken.
Er möchte seinen alten Pvlades mehr verändert finden, wenn wir
noch einmal zusammenkämen." ) Als Dichter ist Albertini in der
Familie seines Freundes geschätzt. Die Gattin liest mit den
Kindern nach dem Frühstück ein Kapitel aus der Bibel und einige
Lieder aus Albertini '). Sie sieht in ihm den „heiligen Sänger',
ans dessen Liede „Nimm der Morgenröte Flügel" sie zitiert. ')
Ihr Gatte urteilt über diese religiösen Gedichte, die Versiiikation
sei in denselben „gemeinmässig vernachlässigt" ; „aber es sind die
geistreichsten Sachen und wahrhaft lyrische Kompositionen darin,
so dass ich sagen möchte, einen solchen Dichter hat diese Form
des Christentums noch nicht gehabt"').
Nachdem ihm Bischof Christlieb Reichel den Tod seines
Freundes gemeldet hatte, schrieb er an jenen: „Es ist ein herber
Verlust für die Gemeine und für gar viele liebe fromme Seelen
ausserhalb derselben. Aber es geht ja immer wieder eine neue
Saat erfreulich auf, und das Werk des Herrn, wenn es auch nicht
zu allen Zeiten gleich fröhlich zu gedeihen scheint, kann und wird
auch nicht darunter leiden, wenn einzelne Arbeiter oft mitten aus
der kräftigsten Wirksamkeit abgerufen werden. Namentlich ist
mir das schon lange klar, dass in der Gemeine, wie in der Kirche
überhaupt, weit weniger auf dem Hervortreten einzelner beruht,
') a. n. <). IV, 11.!. i n. ji. <>. IV. "i a. a. <>. I. |su. '( a. a.
o. II. ;:<.»<;. s) a. a. o. II. m:;. -\ a. a. o. IV. -jmo.
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54
Hocker,
Heft 2 n. X
als auf der Treue und dem richtigen Verstand am Evangelium in
der Masse, ja das« das Bedürfnis einzelner ausgezeichneter Rüst-
zeugs immer mehr abnehmen muss. Noch mehr gilt das freilich
in der Brüdergcmeine , wo gewisse Maximen einmal feststehen
und, Gott sei Hank, die inneren Reibungen nicht so heftig sein
können. Indessen dieser Glaube stillt doch das schwer betroffene
Herz nicht gleich, sondern es will sein Recht haben, und so habe
ich dem geliebten Freunde schon manchen Seufzer nachgeschickt,
und in jedem Heft der Gemeinnachrichten freue ich mich, wenn
ich noch ein Wort aus seinem lieben Munde finde, und fürchte
zugleich, es möchte das letzte sein." — An die gemeinsamen
Jugcnderlebnisse mit Albertini zurückdenkend versichert er: „ich
kann nur sagen, dass uneraehtet aller skeptischen Anregungen,
die sich in uns entwickelt hatten, ihm doch bei unserer Trennung
sein Bleiben in der Gemeine unerschütterlich gewiss war." —
„Was nun in eben dieser Beziehung mich betrifft, so ist es nur
in den mancherlei Kämpfen, die ich auf meiner Baiin nicht ver-
meiden kann, und bei den vielfältigen Miss Verständnissen der
Exaltierten von beiden Seiten, zwischen denen ich mich durch-
winden muss, jedesmal eine kräftige Ermunterung, wenn ich irgend
eine Ahnung davon merke, dass wir ein Ziel vor Augen haben
und für dasselbe Werk arbeiten." ')
III.
Auf der Grundlage dieses lebendigen innem Zusammenhangs
mit der Brüdcrgemeiiie hat Schleiennaehcr sein grosses Lebens-
werk gethan, und es ist unverkennbar, wie dabei allenthalben
Gedanken und Gesichtspunkte hervortreten, die deutlich genug
den brüderischen Einlluss erkennen lassen. Namentlich ist es dus
zentrale Gebiet der Kirche, das des Gottesdienstes, an das
er mit einem durch die Anschauung brüderkirchlicher Kultus-
formen geschärften Auge herantritt.
„In der Jahrhundertnacht," schreibt er an seine Schwester,
„habe ich besonders viel an Dich und an die Geineine überhaupt
gedacht, wie ich allemal in der Xeujahrsstunde und am Ostcr-
morgen besonders thue, wegen der schönen und allein zweek-
') n. a. O. II, 40."».
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1S04.
Sdileicrmncher u\\<\ dir Itn'Mlcrpriiirino.
massigen Art, wie beides bei Euch begangen wird." Kr hörte
nach der Predig im Dom das von Niemcver veränderte „Herr
Gott Dieh loben wir" singen; „aber da dachte ich wieder mit
Seufzen an die Gemeine zurück. Weil das so selten gesungen
wird, wusste kein Mensch Bescheid; die Leute walteten immer
erst auf die Musik, und die meisten wurden durch die Wieder-
holungen und Nachspiele so konfus, dass sie um ganze Zeilen vor
oder zurück waren." ') Ks fehlt ihm der schöne geordnete Ver-
lauf der liturgischen Gottesdienste, an die er in der .lugend ge-
wöhnt war, in denen die G e m eine als s o 1 c h e zu gemeinsamer
und wechselseitiger Thatigkeit gelangt.
Im Jahre ISO") beschäftigte er sich mit dem Plan, in Halle
einen akademischen Gottesdienst einzurichten, der zugleich muster-
giltig für die spätere gottesdienstliche Thatigkeit der jungen Theo-
logen sein sollte. Kurz vorher besuchte er Barbv und feierte
dort das Osterfest „Schöne heilige Tage waren das für mich,
voll merkwürdiger Erinnerungen und unmittelbaren schönen Ge-
nusses." Kr preist „die herrlichen Gottesdienste am Charfreitag,
das mit schöner sinnvoller Kirchenmusik und wenigen Lieder-
versen unterbrochene Ablesen der Passionsgeschichte ohne alle
Rede, nur zuletzt in der Todesstunde Christi ein kräftiges Gebet,
ganz auf die grosse Idee der Versöhnung gegründet. Am Sonn-
abend das Liebesmahl am Grabe Christi und am Ostenuorgen beim
Aufgang der Sonne die Feier der Auferstehung auf dem Kirch-
hof. - - Wahrlieh, liebt» Charlotte, es giebt in der ganzen Christen-
heit zu unserer Zeit keinen öffentlichen Gottesdienst, der acht
christliche Frömmigkeit würdiger ausdrückte und sichrer erweckte,
als in der Brüdergeincine ! Und indem ich mich ganz in himm-
lischen Glauben und Liebt; versenkte, musste ich es recht tief
fühlen, wie weit wir andern zurück sind, bei denen die armselige
Rede alles ist, und diese noch an ärmliche Form gebunden, allem
Wechsel der Zeit sich unterwerfend und so selten von dem rechten
lebendigen Geist beseelt." In Bezug auf die Abendmahlsfeier er-
klärt er: „man feiert kein Abendmahl als nur dort". Der Gedanke
der „Gemeinde" lebt fort in Sehleiermacher, und darum fühlt er
sieh so tief befriedigt von einem Gottesdienst, der diesen Gedanken
zur kultischen Darstellung bringt, in einer Weise der Feier, die
') a. h. (). I, *>1.
*
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lieoker,
Heft •> n. ::.
den Höhepunkten christlicher Anbetung das belehrende Wort
dos Predigers gänzlich zurücktreten lässt hinter das Moment ge-
meinsamer I Jet rächt un^ ', Anbetung und Lobpreisung, in der
alle selbstthatig zu einem Akt lebendiger Gottesverehrung sich
Zusammenschlüssen.
Im Blick auf den in Halle einzurichtenden Gottesdienst
muss er sich sagen : „wie unselig beschränkt bin ich in ineinen
Mitteln, und wie innig bedauere ieb, dass ich nicht das Schönste
und Beste von dort mit hinüber nehmen kann".1) In seinem
späteren „( iutaehten über die Mittel, dein Verfall der Religion
vorzubeugen" macht er diesen Gesichtspunkt für die ganze Kirche
geltend, indem er allenthalben die Gemeinde zu grösserer Selbst-
bethätigung am (iottesdienst, namentlich in der Form des gemein-
samen Gesangs, heranziehen möchte. Er verweist auf das Beispiel
der Brüdergeiueine. „Das.-, in dieser besonders der Vortrag des
gemeinschaftlichen religiösen Gesang* in einem solchen Grade wie
sonst nirgends bedeutend und ausgebildet ist, das gesteht un-
bedenklich, wer nur Gelegenheit hatte, den Versammlungen einer
wohlorganisicrten Gemeine von dieser Kirch«' beizuwohnen. Schon
dies ist eine gute Bürgschaft dafür, dass sie auch mit der religiösen
Poesie selbst auf dem rechten Wege sein werden. Noch gewisser
offenbart sich dieser Vorzug dadurch, dass sich der Gesang bei
ihnen zur Selbständigkeit emporgearbeitet hat und nicht nur der
Rede zur lTmi£ebunj> dient, sondern «ranze Zusammenkünfte allein
ausfüllt. Ihre Singstunden, wo Verse aus verschiedenen Liedern
zu einem Ganzen zusammengenäht werden und unter einem ver-
ständigen A nordner auch der Wechsel der Melodien einen dem
poetischen angemessenen musikalischen Eindruck hervorbringt,
machen einen grossen religiösen Kindruck, und ist eine solche
mehr wert als viele Predigten. Doch die Aussicht, dergleichen
in uiisern öffentlichen (iottesdienst zu übertragen, liegt allzu fern,
und vergebliche Wünsche beschweren nur d:is Herz".-) Seine
Äusserung, dass man kein Abendmahl feiert- als nur dort, ist wohl
auch nur daraus erklärlich, dass ihm in der Brüdergeiueine eine
Feier vor Augen trat, die unbecinflusst durch dogmatische Diffe-
renzen die allein sachgemässen Gedanken der christlichen xoivomn
zum vollen liturgischen Ausdruck bringt.
') u. n. O. II. > .Sin.tl. Wt-rke V. ins.
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1*1)4.
Schleiermachcr und die MnkU'rgetneine.
57
Der Gedanke der freien und selbsttätigen Gemeine ver-
anlasste Schleiermachcr ferner schon UW.i gegen seinen Oheini
Stubcnraueh die Forderung einer vom Staat freien Kirche
auszusprechen. Der Oheim konstatiert, dass das gegenwärtige
Kirclientuin „der uispriingliehen Abzieht Jesu «rar nicht entspreche.
Wenn man dieser treu geblieben wäre, so würden, wie in den
ersten Zeiten vor Konstantin, lauter einzelne hie und (Li zerstreute
christliche Gemeinden auch jetzt noch sein; und dann könnte und
würde jede Gemeinde selbst sieh ihre Lehrer bestimmen, so wie
es auch in den folgenden Jahrhunderten an allen Orten, wo
ecclesia pressa war, geschehen ist, und noch jetzt bei den Dis-
senters in England und bei den Brüdergemeinden aller Orten ge-
schieht, ohne dass sich der Staat darum bekümmert oder Gefahr
leidet".1) Her Oheim hält die Lockerung der Verbindung, die der
Staat mit der Kirche eingegangen ist, gegenwärtig für unthunlich.
Schleiermacher dagegen beharrt auf seiner Ausicht und bezeichnet
in den „Heden über die Religion" 17115 jene Verbindung als „die
Quelle alles Verderbens" -.) „Hinweg also mit jeder solchen Ver-
bindung zwischen Kirche und Staat ! Das bleibt mein katoniseher
Ratsspruch bis ans Lude, oder bis ich es erlebe, sie wirklich
zertrümmert zu sehen" '). Kr verlangt die Aufhebung des Gegen-
satzes von Geistliehen und Laien, den Wegfall des Symbolzwangs.
Bis eine Neubildung erfolgt, tröstet der Blick auf die schon vor-
handene Geineinsehaft wahrhaft religiöser Menschen, die schon
jetzt untereinander „ein Bund von Brüdern" sind *). Kr musste
sieh wohl später überzeugen, dass eine solche vollständig»' Trennung
der Kirche vom Staat zunächst nicht mitglich sei; um so mehr
wandte er sieh mm der Aufgabe zu, die evangelische Kirche unter
dem Gesichtspunkt ächter christlicher Gemeinschaft innerlich aus-
zubauen.
Schon ISO:! forderte er eine Union der evangelischen Kirche,
die nicht auf dogmatischem, sondern auf kultischem Wege er-
folgend wesentlich in der Gemeinschaft des Abendmahls bestehen
sollte, von dem er mit Recht sagte, dass es widersinnig sei, das-
selbe als ein „dogmatisches Abzeichen" zu betrachten :").
') Ans Schkierm. \aU u in Hin ten III, ,,;>,. | Sämtliche Werke I, ÜIO
i u. u. O. I. ::IS vgl. .tso und die spatere .Milderung S. f»sj. «i n. a. O. I,
Vgl. sein«- li „unvurirreilliehei, ( iutaehlen". S. W. V. Im-. S. 7(K S. 7:{
unten n. S. TS.
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liecker,
Heft 2 u. H.
Auch in den 1803 auf offizielle Aufforderung hin entworfenen
Vorsehingen zu einer neuen Kirehenverfassung dringt er auf I.«os-
lösung von der Bevormundung des Staates und auf Herstellung
einer neuen Kirchen vcrfassimg auf Grund einer „den Bedurfnissen
der Gegen wart angemessenen Erneuerung des gesamten kirchlichen
Gemeinschaftslebens". Die Gemeindeglieder sollen zur kirchlichen
Verwaltung herangezogen werden. Der Staat solle wenigstens die
inneren kirchlichen Angelegenheiten freigeben, damit die Kirche
unter diesem Gesichtspunkt „als ein sich selbst regierendes Ganzes"
dastehe. Die Gemeinde lässt er insofern zu ihrem Recht kommen,
als ihr die freie Wahl von Kirchenältesten zusteht; die Kirchen-
zucht, die „als etwas schlechthin Freiwilliges der bürgerlichen
Freiheit oder Ehre keinen Eintrag thun darf", soll von der Ver-
sammlung der Kommunikanten ausgeübt werden; aus .'i von der
Synode oder ihrem Ausschuss vorgeschlagenen Geistliehen soll
die Gemeinde ihren Ix'hrer wählen. Vorausgesetzt ist auch hier
wieder „Union der protestantischen Kirche im preussischen Staat".
Der Gemeinde wünscht er ferner einen Anteil an der Gestaltung
des Gottesdienstes zu sichern. „Denn was ist auch natür-
licher, als dass in den Grenzen des Hechten und Schickliehen
jede Gemeine sieh ihr Gotteshaus einrichte" u. s. w., ') aber frei-
lich, wenn dies geschehen soll, müssen auch die Gemeinen gehörig
organisiert sein. Es rauss vor allem „eine neue lebendige Ver-
fassung der Kirche" gegründet werden, „aus welcher das andere
alles von selbst, wie und wenn es recht ist, hervorgehen wird."2)
Er wünscht eine Prcsbyterial- und Synodal Verfassung, durch welche
die Gemeinde wenigstens annähernd zu ihrem Hechte kommt
Als er sich davon überzeugen musste, dass auf eine Durch-
führung seiner kirchlichen Verfassungsgedanken nicht zu rechnen
war, wurde in ihm der Gedanke an die Brüdergemeine, in der er
verwirklicht sah, was der Landeskirehe fehlte, wieder sehr lebendig.
Jn seinem „Gespräch zweier selbst überlegender evangelischer
Christen" 1827 äussert er sich darüber rückhaltlos. A. hält es für
unwahrscheinlich, dass B. (Sehleiermacher) die evangelische Kirche
je verlassen könne. B. antwortet: „Vollkommen richtig! Auch
mochte ich aus der evangelischen Kirche so eigentlich nicht aus-
') Seheiik.l, Kr. Sclil. i. niiach. !. Kll>, rf. 1,1 isiiS. S. ::|7 it. "j S. W.
V, isi; II. VVI. auch S. W. V, 21U II.
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lSf»4.
Sehleiermncher und dir Briidoi^moine.
50
ziehn, nur aus dieser Gestaltung derselben hei uns u. s. w." A.
Wie willst Du das ohne auszuwandern bewerkstelligen? und aus-
wandern kannst Du doch in Deinen Verhältnissen nicht! Ii. Die
Losung des Rätsels liegt Dir doch ziemlich nahe: Die Briider-
geineine gehört ja zur evangelischen Kirche, sie ist in unserem
Umd einheimisch und wohl ungesehen und hat doch mit unsern
allgemeinen kirchlichen Einrichtungen nichts zu thun. A. Das
heisst freilich, sich in Ruhe begeben; aber das ist nicht Dein
Ernst. B. Warum nicht? Was mich betrifft, ich könnte mit den
Meinigen sehr gut unter ihnen leben. Aber freilich geht das nicht
für alle die, denen es bei uns zu stark zu rauchen anfängt; denn
ein so stm'ker und plötzlicher Zuwachs und auf solche Meise
wurde dort keine Aufnahme rinden. Auch meinte ich das ja
nicht, sondern nur, um Dich durch die Ähnlichkeit auf das zu
führen, was ich meinte, zog ich sie herbei.
A. Also doch eine Sekte, eine Spaltung?
B. Eine Spaltung? Kaum. Eine Sekte? Gar nicht
A. Nimm es mit den Worten nicht so genau! Sind sie
doch kaum in der katholischen Kirche recht genau bestimmt.
Aber sollte Dich nicht gerade das Beispiel der Brüdergen icine
von solchem Vorhaben gänzlich abbringen? Hast Du nicht die
Klagen über den dortigen Verfall laut genug von allen Seiten
gehört? und ist es nicht auch natürlich, dass auf solcher Tren-
nung von der grossen Gemeinschaft mannigfaltiger Unsegen ruhen
muss?
B. Lass Dir doch nichts einreden von Verfall! Wo ein
solches Werk blüht wie das Missionswesen der Brüder, wo ver-
hältnismässig so viel klare und tiefe religiöse Gemüter gefunden
werden, wo solche Erzeugnisse zum Vorschein kommen, wie
Albertinis geistliche Lieder und Garvcs christliche Gesänge und
seine neuen Liturgien, da ist kein Verfall. Den Unsegen einer
gänzlichen Trennung von der grossen öffentlichen Gemeinschaft,
wenn auf irgend eine Weise ein separatistisches Wesen daraus
entsteht, gebe ich Dir gern zu. Dergleichen mochte ich nicht
stiften oder herbeiwünschen; aber eben so wenig ist dergleichen
auch dort vorhanden. Bekennen sie sich nicht wie wir zu dein
augsburgischen Symbol? Haben sie nicht die lebendigsten Ver-
bindungen in unserer Kirche selbst? Sehen sie es als eine
Glaubonsveränderung an, wenn jemand in ihre Gemeinschaft zu
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«0
I lecker,
Urft 2 u. :{.
treten begehrt., oder nur als ein Verlangen nach einem bestimmten
Zusammenleben und einer eigenen Anfassung und Führung?"
Sehlciermachcr denkt an die Bildung einer staatsfreien Kirche
in der Weise der Brüdergcmeine. Es ist ihm Gewissensforderung,
diesen Gedanken im Knist auszusprechen, da bei den gegen-
wärtigen öffentlichen Zuständen „der Geist der evangelischen Kirche
nicht bestehen kann". „Wir sagen es unserm Herrn und König
rein heraus, ebenso unumwunden als unterthänig, dass, wie wir
ihm auch von Herzen zugethau wären und ihm mit Leben und
Blut ergeben in allem, was zum weltliehen Regiment gehört, so
sei es doch gegen unser Gewissen, und nach langem Kampf sei
unser Herz darin fest geworden, dass wir in einer kirchlichen
Verfassung nicht bleiben können, wo die beiden Schwerter so
wenig gesondert seien. Denn die Hülfe, welche, um Ordnung zu
erhalten, nachdem die Bischöfe das Werk der Reinigung der Kirche
nicht mit angreifen wollten, von den weltlichen Herrn, ohncrachtet
diese, wie Luther selbst sagt, nicht berufen seien, geistlich zu
legieren, doch begehrt werden inusste, sei durch die Länge der
Zeit zn einer Vermischung beider Regimenter gediehen, welche
unser Gewissen beschweren. Und nachdem nun durch Gottes
Hülfe nach mehr als :{ Jahrhunderten das Werk der Kirchen-
verbesserung auf der einen Seite, auf der andern aber die all-
gemeine menschliche Entwickelung soweit gediehen sei, dass solche
Hülfe hie und da könne entbehrt werden, so bäten wir nur um
den vom Gesetz verheissenen Schutz des Gewissens und um die
Vergünstigung, eine solche evangelische Gemeinschaft unter uns
aufzurichten, in welcher alle Ordnung und alles positive Regiment
nur von der Gemeine selbst ausgehe und durch ihre Selbst-
bevollmächtigten verwaltet werde.
A. Und Du bist sicher, dass Du nicht zweifelst, die Re-
gierung werde eine solche Spaltung genehm halten?
B. Ich darf nicht zweifeln, denn das Gesetz ist da. Und
warum sollte die höchste Gewalt nicht einer andern kleinen Anzahl
evangelischer Unterthanen dasselbe gestatten, was doch jenen, die
zur evangelischen Brüdergemcinc gehören, schon eingeräumt ist?
Ich darf nicht zweifeln, denn die väterliche Billigkeit des Königs
steht neben dem Gesetz.
Schleiermacher führt bis in einzelne Züge lünein aus, wie
er sieh diese neue Biüdergemeine denkt, indem er unter andern
1KJU.
Sehleierinnrher und <lio Hnnlergonipine.
01
auch clio Befreiung von der Eidespflicht (abgesehen vom Diensteid)
in der Weise der Mennoniten fordert Der Staat soll das Recht
lies Einblicks in die inneren Verhältnisse derselben haben. „Wir
stellen ihm also, auch wenn er nach den andern Mitgliedern gar
nicht fragt, doch nnsern Geistliehen, oder wenn es auch mehrere
sind, alle und ein Paar Altesten. Ich weiss nicht einmal, ob die
Brüdergemeinen dies thun, und mit denen vergleiche ich meine
(iemeinschaft geradezu, wenigstens was unsern Staat betrifft." Er
setzt die Möglichkeit näherer Verbindung mit ähnliehen Gemeinen
im Ausland; „ich glaube, die Regierung wird davon gar keine
Notiz nehmen, auch wenn wir einen Zentralpunkt errichteten, der
im Ausland seinen Sitz hätte ; denn mit den Brüdergemeinen ist
es ebenso. .Jedoch wollten wir nichts dagegen haben, jeder be-
treffenden Regierung von allen Verhandlungen und Beschlüssen
Kenntnis zu geben u. s. w.; ich glaube aber nicht, dass die
Brüdergemeinen ihn- Synodalvcrhandhnigen jemals der Regierung
mitteilen14. Je mehr die Reformation sieh in Deutsehland aus-
wirkt, um so notwendiger ist „die Trennung der beiden Regimente."
„Bewusstlos in der tiefsten Unschuld aber aus dem richtigsten
Geistcsautrieb hat vor 100 Jahren die evangelische Brüdergemeine
sich zu einer solchen freien gestaltet. Jetzt und in unsern Ver-
hältnissen kann dasselbe nur mit dem klarsten Bewussteein ge-
schehen." „Aber," setzt er hinzu, „eben deswegen auch nur,
wenn einer hinreichenden Anzahl evangelischer Christen diese
Freiheit eine wahre Gewissenssache wird geworden sein. Ohne
ein solches Fundament, ohne die innere Notwendigkeit, bei der
gar keine Willkür mehr ist, sondern das acht reformatorische
,hier stehe ieh, ich kann nicht anders' allein hervortritt, der-
gleichen unternehmen zu wollen, wäre sträflicher Vorwitz und
würde sich auch strafen. Damin ist es auch besser zu schweigen
und unsere heutige Rede nicht auszubringen." ')
Schleiermaeher hat so wenig wie Luther2), an dessen Ge-
danken über eine ächte Christengemeine die seinigen erinnern,
daran gedacht, diesen Plan auszuführen, aber ebenso steht fest,
dass ihm die Brüdergemeinc stets als das Ideal einer staatsfreien
Gemeinde- und Synodalkirchc erschienen ist. Sie war auch in
') S. Bd. V, (HO ff. -) Vjr|. Kolil.-: Luihn* (ieilnnkcn von tU r cidoiula
in «rcleHu in Zeil-4-hrifi für Kiri'heiigt'schk'hlc Vi. BuinI 1. Heft. K ."»."> 2.
M»nat»h«fti< <1«r Comi'niu«-(i.>-,.-ll=<-l.nfl. H'il. r,
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»>2
Bocker,
Heft 2 u. 3.
dieser Beziehung seine geistige Heimat, deren Schätze er ver-
geblieh für die Umgestaltung der Grosskirehe zu verwerten ge-
sucht hat. Seine Darlegungen in jenem „Gespräch" sind die
letzte Konsequenz des Gedankens, den er schon im Jahre 1811
ausgesprochen hatte, dass die Brüdergemeine „dem Geist der Zeit
gemäss umgebildet etwas ganz Herrliches und Beneidenswertes
sein"') könnte. Der Mann, der der evangelischen Kirche zuerst
die Anregung zu einer sachgemässen Verfassungsbildung gegeben
hat, war in der That in höherem Grade .,Herrnhuter", als seine
Zeitgenossen annahmen.
IV.
Sehleiermaehcr nennt sich einen „Ex-Herrnhuter" -), der aber
wieder ein „Hernihuter" geworden sei, wenn auch „von einer
höheren Ordnung". ;!) Er sucht das, was er in der L'm-
sehränkimg dieser kleinen Gemeinschaft gelernt hat, in die Potenz
des allgemein Gültigen zu erheben. Es war das Eigentümliche
jener Gemeinschaft in den Zeiten ihrer ersten Kraft gewesen, dass
sie das in ungewöhnlicher Stärke sich geltend machende religiöse
Leben herausgehoben hatte aus seiner Veri|iiickung mit einer alt-
überlieferten, schliesslich auf dem Nieänum ruhenden Dogmatik,
um es rein an sich selbst und für sich selbst zu besitzen. Des-
halb hatte man dasselbe lediglich an die Heilandsperson ge-
bunden, in der die Liebe Gottes sich voll offenbart. Auf diesem .
Boden war es auch dem wissenschaftlich forschenden und philo-
sophisch gebildeten Manne möglieh, wenn er anders ein über-
zeugter Christ war, zur harmonischen Einheit des inneren geistigen
Lebens zu gelangen, die einen Zwiespalt zwischen Kopf und Herz
nicht kennt. .Je mehr innerhalb der Brüdergemeine die statutarische
Form des evangelischen Christentums Kinfluss erlangte, um so
näher trat die («»fahr an sie heran, grade dem geistig bedeutenden
Mann die Freiheit der Lebcnsbcwcgung zu beschränken, und
Sehleiermacher frohlockt in seinen Monologen darüber, dass er im
schönen Genus» jugendlicher Freiheit „hinweggerissen" habe „die
falsche Maske, frevelnder Erziehung langes mühsames Werk."4)
Es handelte sich bei jenen jugendlichen Kämpfen in der That um
) Brief«- IF, ) a. n. O. IV. ') a. a. O. 1, JIM. 'l S. W. I, .t'.is.
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1SJM.
Sclileierniueher un<l <\'w HriiiU'ijrt'ineiiK'.
die Wiedergewinnung eines unschätzbaren Gutes, um die Freiheit
eines Christtnenschcn, seine geistige Hube so zu gestalten, dass
kein hemmender Zwiespalt das auseinander rcisst, was eng zu-
sammengehört, die Festigkeit des auf persönlicher Überzeugung
ruhenden Glaubens und die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung.
Sehleiermaeher entnahm aus jenen Kämpfen die grosse acht brü-
derische, schon von Zinzendorf in Angriff genommene Aufgabe
der Versöhnung zwischen Glauben und Wissen.
Nach seinem Austritt aus der Brüdergeincine gab ihm sein
Barbycr Jugendfreund von Brinkmann bald Gelegenheit, sich über
diese Frage auszusprechen. Brinkmann vertrat insofern den da-
mals herrschenden Standpunkt, als er von einer gegenseitigen
Beziehung der Theologie und Philosophie überhaupt nichts wissen
wollte. Der fromme Christ, meint er, brauche die Philosophie
nicht, und der philosophische Kopf gehe seinen eigenen Weg.
Sehleiermacher kann dem nicht zustimmen und hält dem Freunde
vor: „Aber hast Du denn vergessen, dass es zwischen beiden
noch ein Mittelding gebe, einen frommen Kopf oder einen philo-
sophischen Christen'.'" Er weist Brinkmann auf einen andern von
diesem selbst erwähnten Barbver Jugendfreund Clrich von Sprecher
hin, der ein solcher philosophischer Christ gewesen sei. Er tritt
unter diesem Gesichtspunkt für die Notwendigkeit einer philo-
sophisch orientierten Dogniatik ein.1) Indem er selbst an einer
solchen später arbeitete, gelangte er für sich zur vollen Klarheit
über diesen Punkt. Jaeobi hatte an Heinhold geschrieben: „Gern
tausehte ich mein gebrechliches philosophisches Christentum gegen
ein positives historisches und begreife nicht, dass es gleichwohl
bisher nicht von mir hat geschehen können. Du siehst, lieber B.,
dass ich noch immer derselbe bin. Durchaus ein Heide mit dem
Verstände, mit dem ganzen Gemüte ein Christ, schwimme ich
/wischen 2 Wassern, die sieh mir nicht vereinigen wollen, so
dass sie gemeinschaftlich mich trügen, sondern wie das eine
mich unaufhörlich hebt, so versenkt zugleich auch unaufhörlich
mich das andere."2)
Sehleiermacher, dem dieser Brief mitgeteilt wurde, erwidert:
„Sie sind mit dem Verstände ein Heide, mit dem Gemüte ein
Christ. Dagegen erwidert meine Dialektik: Heide und Christ
') llrieiY II, _N. •) a. a. ( >. II. :!»<• (ohne l>atum'.
o4
Becker,
Heft 2 u.
sind als solche einander entgegengesetzt auf demselben Gebiete,
nämlich dein der Religion; haben auf dieses Verstand und Gefühl
so gleiche Ansprüche, dass sie sich teilen könnten in die entgegen-
gesetzten Können? — Die Religiosität ist Sache des Gefühls; was
wir zum Unterschied davon Religion nennen, was aber immer
mehr oder weniger Dogmatik ist, das ist nur die durch Reflexion
entstandene Dolmetschung des Verstandes über das Gefühl; —
wenn Ihr Gefühl christlich ist, kann dann Ihr Verstand heidnisch
dolmetschen? Darin kann ich mich nicht finden. Mein Satz
dagegen ist also der: Ich bin mit dem Verstände ein Philosoph;
denn das ist die ursprüngliche und unabhängige Thütigkeit des
Verstandes, und mit dem Gefühl bin ich ganz ein Frommer und
zwar als solcher ein Glinst und habe das Heidentum ganz aus-
gezogen oder vielmehr nie in mir gehabt." Jakobis Zustand habe
darin seinen Grand, dass sein Verstand nicht über die Natur
hinaus wolle. „Meiner will aber auch nicht dariiber hinaus, --
aber weil ich durchaus in keinen Widerspruch hinein will, so habe
ich mich auf den Fuss gesetzt, mir von einem andern nachweisen
zu lassen, wo die Natur ein Ende hat. Wenn nun mein christ-
liches Gefühl sich eines göttlichen Geistes in mir bewusst ist,
der etwas anderes ist, als meine Vernunft, so will ich nie auf-
geben, diesen in den tiefsten Tiefen der Natur der Seele aufzu-
suchen, und wenn mein christliches Gefühl sieh eines Gottessohnes
bewusst wird, der von dem Besten unser eines anders als durch
ein noch besser unterschieden ist, so will ich nie aufhören, die
Erzeugung dieses Gottessohnes in den tiefsten Tiefen der Natur
aufzusuchen und mir zu sagen, dass ich den andeni Adam wohl
eben sobald begreifen werde, als den ersten oder die ersten Adams,
die ich auch annehmen muss, ohne sie zu begreifen. Dies ist
meine Art von Gleichgewicht in den beiden Wassern." Kr giebt
zu, dass diese Art des Gleichgewichts auch nichts anderes sei,
„als ein wechselweise von dem einen gehoben, von dem andern
gesenkt werden; aber, Lieber, warn in wollen wir uns das nicht
gefallen lassen? Die Oseillation ist ja eine allgemeine Form alles
endlichen Daseins, und es giebt doch ein unmittelbares Bewusst-
sein, dass es nur die beiden Brennpunkte meiner eigenen Ellipse
sind, aus denen dieses Schweben hervorgeht, und ich habe in
diesem Schweben die ganze Fülle meines irdischen Lebens". Kr
schliesst mit den Worten: „Verstand und Gefühl bleiben auch
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1S!I|.
Scldrioriuadior und dir Hrüdor^riiicinr.
»»•>
mir nebeneinander, aber sie berühren sieh und bildet» eine gal-
vanische Säule. Da« innerste Lebeu des Geistes ist für mich nur
in dieser galvanischen Operation, in dem Gefühl vom Verstände
und dem Vei-stande vom Gefühle, wobei aber beide Pole immer
von einander abgekehrt bleiben."1)
Es kann sich unter dem Gesichtspunkt der wünschenswerten
Einheit von Glauben und Wissen nie um die Vereinerleiung
zweier Vermögen handeln, von denen jedes sein eigentümliches
Gebiet ein für allemal inne hat. Derjenige aber, der sich von
Christus dem Erlöser hat weisen lassen, „wo die Natur ein Ende
hat", gelangt zu einer lebendigen Personalunion beider Vermögen,
welche die schlechthin einheitliche und harmonische Fülle seines
inneren Lebens bedingt. Wie der galvanische Strom, obwohl aus
der Berührung zweier ungleichartiger Körper entstehend, als
schlechterdings einheitliche Kraft sich offenbart, so ist das Werk
des christusgläubigen Denkers aus einem Guss; einen „Zwiespalt
von Kopf und Herz" kennt er nicht. Unter diesem Gesichtspunkt
erklärt Schleier macher mit Beziehung auf ein Wort seines ver-
ehrten Lehrers Zcnibseh in Niesky: „Ein Theologus wird nicht
anders reif, denn durch Zweifel und Anfechtung; das ist ein altes,
wahres, herrliches Wort. Die Zweifel entstehen in einer von dem
Ganzen der jedesmaligen wissenschaftlichen Forschung mitbewegten
Theologie, wie Gott sei Dank unsere protestantische immer sein
und bleiben muss, doch von selbst, und daher ist nichts wünschens-
werter, als dass eine jede Ansieht vorgetragen, und zwar der
theologischen .lugend gerade in jenen .fahren der lebendigsten
Erregung mit aller Schärfe und Strenge, deren sie fähig ist, vor-
getragen werde, so es nur ernsthaft und treu von ernsten „gewissen-
haften wahrheitliebenden Männern geschieht."-)
Allein auf diesem Wege einer energischen, aber von treuen
Männern geübten Wissensehaftspflege, die nicht zu dem „Gelichter"
der „leichtsinnigen Frevler und ungründlichen Wort -Krämer" ge-
hören,') kann das Ziel erreicht werden, das der evangelischen
Kirche gesteckt ist. „Wenn die Reformation, aus deren ersten
Anfängen unsere Kirche hervorgegangen ist, nicht das Ziel hat,
einen ewigen Vertrag zu stiften zwischen dem lebendigen Glauben
und der nach allen Seiten frei gelassenen, unabhängig für sich
') a. a. O. II, Mi» (ohiif I »utiim. ISIS). ) S. W. V, J Iii. ") a. a. O. 2lli.
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Beeker.
Urft 2 U. A.
arbritendrn wissenschaftlichen Forschung, so dass jener nicht diese
hindert, und diese nicht jenen ausschliesst: so leistet sie den Be-
dürfnissen unserer Zeit nicht (»einige, und wir bedürfen noch
einer andern, wie und aus was für Kämpfen sie sich auch ge-
stillten möge. Meine feste Überzeugung ist, der Grund zu diesem
Vertrage sei schon damals gelegt, und es thue nur Not, dass wir
zum bestimmteren Bewusstsein der Aufgabe kommen, um sie auch
zu lösen."1)
Schleiermacher selbst isl sich dieser Aufgabe gerade durch
seine brüderische Herkunft mehr als die meisten seiner Zeitgenossen
bewusst gewesen. Kr macht den Versuch, zu einer christlichen
Gesamtanschauung der Dinge zu gelangen, deren Grundzüge schon
in den „Reden über die Religion" (17JW) vorliegen. Sehleier-
maeher trat während seines Berliner Aufenthalte in rege Beziehung
zu den Kreisen der Romantiker, deren Weltanschauung allerdings
dem religiösen Glauben der Brüdergemeine sehr fern stand. Seine
Reden über die Religion sind unverkennbar beherrscht von der
Reflexion auf den Gegensatz des Unendlichen und des Endlichen,
welcher das Denken der romantisch gerichteten Zeitgenossen in
massgebender Weise beherrschte. Indessen, Schlciermnchcrs Fröm-
migkeit hatte damals noch „den fatalen Anstrich von herrn-
hutianischer", die einem Manne wie Niemever in Halle „herzlich
zuwider" -) war, und als die Reden erschienen waren, meldete der
Verfasser seinem Freunde Brinkmann : „Da giebt es in Königsberg
einen Kriegsrat Scheffher, dem man als einem vertrauten Freund
von Hippel lange Zeit an den Werken des letzteren einen be-
deutenden Anteil zugeschrieben hat, der hat in den Reden neben
allem Übrigen auch herrnhu tische Ideen gespürt. Das ist
doch von einem solchen Weltkinde wirklieh sehr scharfsichtig." 4)
Man kann in der That jene Reden ebenso gut als den ersten
kräftigen Ansatz dazu auffassen, dem schimmernden Lande der
Romantik den Rücken zu kehren, um wieder die sittlich-religiöse
Gesinnung der »Jugendzeit zur herrsehenden Geltung kommen zu
lassen. Die Romantik keimt nach Sehlciermachers Auffassung
nur die „Naturreligion"; „meine Religion ist so durch und durch
Herzreligion, dass ich für keine andere Raum habe."4) Indem er
diese Herzreligion aussprechen will, greift er in der ersten Rede
') S.\V.V,«ils. -•> Briefe I, 1U*. ) a.a.O. IV, »ii. ') a.a.O. I, '202 (17! »IM.
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IK94.
SihleHTniiKher iiihI «lio Krii«I<>rgriiipiue.
<i7
zurück auf seine religiöse Erfahrung in der Jugendzeit, <lie er
innerhalb der Brüdergemeine gemacht hatte. „Frömmigkeit war
der mütterliehe Leib, in dessen heiligem Dunkel mein junges
Leben genährt und auf die ihm noch verschlossene Welt vor-
bereitet wurde; in ihr atmete mein Geist, ehe er noch sein eigen-
tümliches Gebiet in Wissenschaft und Lebenserfahrung gefunden
hatte; sie half mir, als ich anfing, den väterlichen Glauben zu
sichten und Gedanken und Gefühle zu reinigen von dem Schutt
der Vonveit; sie blieb mir, als auch der Gott und die Unsterb-
lichkeit der kindliehen Zeit dem Auge verschwanden; sie leitete
mich absichtslos in das thätige lieben; sie zeigte mir, wie ich mich
selbst mit meinen Vorzügen und Mängeln in meinem ungeteilten
Dasein heilig halten solle, und nur durch sie habe ich Freund-
schaft und Liebe gelernt." ') Dieser Frömmigkeit verdankt er
sehleehterdings alles, was sein lieben wertvoll macht Wenn
er nun daran geht, das Wesen dieser Frömmigkeit zu zeichnen,
den Charakter wirklicher religiöser Vergesellschaftung nachzuweisen,
sind es wieder die Brüdergemeinen, auf denen sein suchendes
Auge ruhen bleibt. „Vielleicht ist sogar nur in einzelnen ab-
gesonderten, von der grossen Kirche gleichsam ausgeschlossenen
Gemeinheiten etwas Ähnliches in einem bestimmten Kaum zu-
sammengedrängt zu finden." -')
In der That hat er dasselbe Interesse, das dieser und be-
sonders ihrem Stifter ursprünglich eigen war. Es kommt ihm
darauf an, die Religion in ihrem reinen ansieh zu begreifen,
indem er sie aus der Verzückung mit jeglicher bestimmten Dog-
matil« herauslöst. Das ist die leitende Tendenz seiner Reden;
sie entstammt nicht der Romantik, sondern ist dieser an sieh
entgegengesetzt und auf eine ursprüngliche Wirkung seiner „herrn-
hutisehen" Frömmigkeit zurückzuführen. Die Religion ist eine
Angelegenheit des Gemüts, die allem reflektierenden Denken
gegenüber in absoluter Selbständigkeit verharrt. Der alles be-
herrschende Grundsatz lautet: „Unmittelbar in der Religion ist
alles wahr, denn wie könnte es sonst geworden sein? Unmittelbar
aber ist nur, was noch nicht durch den Begriff hin-
durchgegangen ist, sondern rein im Gefühl erwachsen." ')
Vi S. \V. I, I .Y_\ •) S. \V. |. ::_N. v^l. <li<- -päi.r<- Krklsiriuijr S. :\<>l.
') S. W. I, -2ÜU
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lfcvker.
Heft 2 u. 3.
Dcmgcmäss erkennt Sehleiernmeher seine Hauptaufgabe darin, „in
dein gegenwärtigen Sturme philosophischer Meinungen die Unab-
hängigkeit der Religion von jeder Metaphysik recht darzustellen
und zu begründen". l) Andrerseits ist dieser reinen Religion eigen-
tümlich , unersättlich zu sein und alle Ix'bensbcwegungen des
Menschen zu begleiten. „Jede Unterbrechung der Religion ist
Irreligion; das Christentum hat zuerst und wesentlich die Forderung
aufgestellt, dass die Frömmigkeit ein beharrlicher Zustand sein
soll im Menschen und versehmäht auch mit den stärksten Äusse-
rungen derselben zufrieden zu sein, sobald sie nur gewissen Teilen
des Lebens angehören und nur diese beherrschen soll. Nie soll
sie ruhen, und nicht« soll ihr so schlechthin entgegengesetzt sein,
dass es nicht mit ihr bestehen könne; von allem Endlichen sollen
wir aufs Unendliche sehen, allen Empfindungen des Gemüts, woher
sie auch entstanden seien, allen Handlungen, auf welche Gegen-
stände sie sich auch beziehen mögen, sollen wir im stände sein,
religiöse Gefühle und Ansichten beizugesellen. Das ist das
eigentliche höchste Ziel der Virtuosität im Christentum."2) Die
Religion, sobald sie sich ausgestaltet, bewegt sich durch Willens-
entecheid ungen hindurch zu Begriffsbildungen und schafft dadurch
eine alles umfassende sittlich-religiöse Lebenshaltung, die in allen
nur möglichen Erfahrungen und laugen sich als stets parat erweist.
Schon Zinzendorf hatte seinerzeit den Gedanken ausgesprochen,
dass der Religion allen antlern Erscheinungen des geistigen Lebens
gegenüber eine eigentümliche Selbständigkeit zukomme, dass die-
selbe ferner eine Äusserung des Gemütslebens sei, die zunächst
mit den Bedürfnissen der philosophischen Denkweise nichts zu
thun habe. Auch im Christentum handelt es sich um den Gemüts-
eindruck, den die Pereon Christi als des Heilandes, in welcher die
entscheidende Offenbarung Gottes vorliegt, im Frommen hervor-
bringt. Unbekümmert um den Beweis dafür und die Einwendungen
dagegen wendet sieh diesem das ganze Gemüt zu; damit ist die
Grundlage für Willensentscheidtingen und religiöse Erkenntnis
gelegt. >)
Sein geistvoller Schüler und Biograph, Ludwig von Sehrauten-
bach, der Freund Karl August's von Weimar, geht in seinen
') Brief»- III. L'Sl. ■■> S. W. I, ll'.K ■') Vjrl. Ifcvkrr: Zinxemlorf. Leipzig
jss<j. s. :w fi: <;j ir.
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1N!U.
Selileiermnelier iiihI «lie Briiilei^emeino.
„Religionsideen eines rngelehrten" J) verwandt« Wege. Kr hat sieh
das Selbstzeugnis ausgestellt: „Wenn ielj kein Herrnhilter wäre,
wäre ieh ein sehr elender Mensch". Daraus lässt sieh sehliessen,
woher seine religiöse Gedankenbildung den entscheidenden Kiufluss
erfahren hat. Auch er lässt die Religion dadurch zu stände
kommen, dass die Gottheit den Menschen in der Tiefe seines
Wesens, im Gemüt da, wo „das kostbarste menschliche
Selbstbewusstsein" ruht — wirkungskräftig berührt. Da
thun sich „die Genusswerkzeuge des Geistes" auf, ein „erstes
Wollen" entsteht, das sieh fortentwickelnd zu dem entscheidenden
Willensakt der Hinwendung zu Gott werden muss, in welchem
„der höchste Punkt menschlicher Erschliessung" vorliegt. Die
Verwirklichung derselben kann freilieh nicht des Menschen eigene
That sein. „An dieser Stelle scheitert die natürliche Religion."
Auch Sehrautenbach hat sich wie Zinzcndorf und Schleiermacher
von Christus weisen lassen, „wo die Natur ein Ende hat". „Das
menschliche Gemüt bedarf der wirksamen Thatsaehe", und diese
liegt vor in Jesu Christo, der die Menschen mit Gott versöhnte.
Was diese „Herrnlinter" aussprachen, hat der Herrnhuter
von einer höheren Ordnung, ohne ihre Gedanken zu kennen, that-
sächlich in die Höhe einer an Kant geschulten umfassenden
wissenschaftlichen Weltanschauung erhoben, die den («'bilde-
ten unter den Verächtern der Religion zeigen sollte, welches hohe
Gut sie verworfen hatten. Indem Schleiennacher seine wissen-
schaftliehe Anschauung weiter ausbildete, verfolgte er immer ent-
schiedener die Hahnen jener „vornieänischen Denkart", die er so
gern zum Allgemeingut gemacht hätte; diese verziehtet darauf,
„an Bestimmungen zu binden d. h. die Kirche danach öffnen
und sehliessen zu wollen, welche im Streit die Majorität ge-
habt haben, da doch in diesen Dingen der Streit, wenn er einmal
entstanden ist, als ein unendlicher gesetzt werden muss, und jede
Majorität nur momentan ist" '). Er war sich vollkommen klar
darüber, dass auch in der Brüdergemeine die „nieänische Denkart"
bis auf einen gewissen Grad Platz gegriffen hatte; war er doch
selbst in Konflikt mit derselben geraten.
An der sonst vielfach angefochtenen Eingeschränktheit der
') im Auszug hnausjrcj;. Im n von I>. Hermann IMiti. (intim 1*7(1.
■) Briefe IV, :\TA.
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70
Rrck»T.
Heft 2 u. X
gesellschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Brüdcrgcmeinc findet
er nicht» Erhebliches zu tadeln. „In der Gemeine," schreibt er
an seine Schwester Charlotte, „wird der Mensch gebildet durch
Einsamkeit und stilles Nachdenken ; in der Welt kann er es nur
werden durch die mannigfaltigste und zusammengesetzteste Thätig-
keit. Es sind zwei verschiedene Weg«', aber beide sind gut, und
jeder Mensch hat nur darauf zu sehen, dass er den einschlage,
der Keiner Natur am angemessensten ist, und dass er sieh auch
dann hübsch dahin stelle, wo er diesen verfolgen kann.'* Kleinig-
keiten, die der Mensen in der Welt gar nicht wahrnimmt, „bringen
Euch schon zum Nachdenken und decken Euch etwas auf, — was
allerdings ein grosser Vorzug ist — und ich danke es meinem
Aufenthalt in der Gemeine, dass ich ihn in einem höheren Grade
besitze, als irgend ein Mensch vielleicht, den ich in der Welt
kenne; bei ihm muss alles erst in eine merkliche Thätigkeit
versetzt werden, ehe er es wahrnehmen soll".1) Was er diesem
Ix'ben in der Gemeine verdankt, bezeichnet er seinem Freunde
von Brinkmann noch näher: „Insofern man irgend etwas Inneres
kann äusseren Umstanden zu verdanken haben, glaube ich, dass
wir hiervon immer etwas auf Rechnung der Gemeine setzen
können. Das zeitige Insiehselbstschauen und in einem solchen
Detail, wie es fast nur dort möglich ist, bildet gewiss den reifsten
Menschcnbcobaehtcr. Es scheint mir gewissermassen eine Pesta-
lozzisehe Anstalt zu sein; die Verhältnisse sind sehr einfach und
nur wenige, in die man gesetzt wird ; aber man lernt sie gründlich
behandeln und gelangt zur Fertigkeit und zur Besonnenheit, die
hernach mit dem vermehrten Stoff' in der Welt bald ebenso sieher
umzugehen weiss." Er hätte gern mit einer ihm bekannten Dame
in Schlesien, v. Tsehiersky, davon geredet, wie viel wert es ihm
sei, in der Gemeine gewesen zu sein; er stiess aber bei ihr auf
grosse Hartnäckigkeit, „Sie wollte alles nur auf das gute Lernen
beziehen und auf die Bewahrung vor dem Bösen; und dies war
doeh offenbar das Wenigste. Nicht einmal so weit konnte ich
mit ihr kommen, dass ich sie aufmerksam darauf machte, wie viel
wert es wäre, dass man zeitig lernt«;, die Welt von einer Idee
aus zu betrachten, sondern sie meinte, dabei könnte wenig Gewinn
sein, wenn man die Idee hernach fahren Hesse."
') a. a. O. I, l'os ff.
1MM.
S-l)loicrmach«;r nn<l ilic Brü<lergoaii>inp.
71
Iiier traf Sehleiermacher stuf diu Widerspruch, der in der
Gemeine gegen ihn erhoben wurde; da* war ihm sofort klar.
„Hier hätte es nun gegolten," führt er fort, „ihr mein Glaubens-
bekenntnis abzulegen über das eigentliehe Esoterische des Heilandes
und der Gemeine, wenn ich Zeit gehabt hätte. Wirklich bin ich
überzeugt, dass die Ilcrnihuter, von denen der Mühe wert ist
zu reden, recht guten Grund haben in der Religion, nur frei-
lieh in der Theologie und Christologie ist er sehr sehlecht;
aber das ist ja das Exoterische. Dass sie beides nicht voneinander
trennen können und, um mit Zembsch zu reden, die Sohlen doch
immer für den Grund und Boden halten, ist schlimm, und ich
glaube nicht, dass es mir, wie Dir, hätte gelingen können, zwischen
der Scylla und Charybdis hindurch zu kommen, am wenigsten im
Gespräch. Billige ich von dem, was sie sagen, den esoterischen
Gehalt, so ziehen sie es mit auf das Esoterische, und es wird
wenigstens eine genommene Heuchelei, wenn auch keine gegebene.
Wollte ich ihnen aber mein Exoterisches geben, in einer andern
als ihrer exoterischen Sprache, so ist ja der offenbar gegebene
Skandal der Freigeisterei gar nicht zu vermeiden." „Ich gestehe
Dir gern, der Brüder nnmässiges Anhängen an ihrem Exoterischen
und meine eigene Unfähigkeit, unter dieser Bedingung zwischen
der Heuchelei und dein Anstoss hindurch zu kommen, ist das
Einzige, was meinen Wunsch, einmal wieder unter den Herren-
hutern zu leben, zurück hält. Denn das auf allen Seiten so er-
bärmliche Wesen in der Welt, dem ich zwar ruhig und ohne
A nsteekung zu fürchten zusehe, aber das mich doch auf mancherlei
Weise stört, und in das ich nicht thätig eingreifen kann, wäre
sonst für mich ein mächtiger Bewegungsgrund dazu." ') Wenn er
später (180ö) an denselben Freund sehreibt, dass ihm bei einem
Besuch in Gnadenfrei „das zerstörende Prinzip in der Gemeine
stärker als sonst entgegengetreten" sei, meint er wohl das Über-
handnehmen der „nieänisehen Donkungsart", die den Nachdruck
auf das Exoterische legt, denn er knüpft diese Bemerkung un-
mittelbar an die Erwähnung eine> „alten nieskyschen Schul-
kameraden" an, „aus dem, ohncraehtet er mit Albertini und mir
wetteiferte, nicht recht viel geworden zu sein scheint".-) Hier
wird deutlieh, was ihn von der damaligen Brüdergemeine schied:
') a. a. O. IV, S7t (II. Dez. ISO.!). | u. tu (). IV, 1 7:*.
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<
72 Hocker, Heft 2 U. .I.
dir in derselben herrschende dogmatische Auffassnngswcise. Mim
lässt diese mit der Sache selbst, mit dem christlich -religiösen
(Hauben, unmittelbar zusammenfallen, sodass die Verständigung mit
einer anders gearteten erkenntnismässigon Auffassung des Christen-
tum* ausgeschlossen ist. Das ist die Kluft, die Schleiermacher
von der Brüdergcinoine schied, sodass er danin dachte, eine neue
Freikirche zu bilden, die bei aller innern Verwandtschaft mit der
der Bruder doch nicht mit ihr zusammenfallen sollte.
Sehleiermacher hat trotz dieser Differenz seine innere Stellung
zur Briidergemeine nicht geändert. In seiner „Weihnachtsfeier"
(180o) ist Josef offenbar der „hormhutisch" Fromme, der als
Vertreter eines unbefangenen Gemütschristcntums die wissen-
schaftlichen Erörterungen der Freunde ablehnt zu Gunsten eines
unmittelbaren Genusses der Weilmaehtsfreude. „Ieh bin nicht
gekommen, Reden zu halten, sondern mich zu freuen mit Euch;
und Ihr kommt mir, dass ieh es ehrlieh sage, wunderlich und fast
thöricht vor, dass Ihr dergleichen treibt, wie schön es auch mag
gewesen sein." Das „schlechte Prinzip" ist nämlich anwesend,
„dieser Leonhard, der denkende reflektierende dialektische über-
verständige Mensch". „Und die armen Frauen haben sieh das so
müssen gefallen lassen", während sie mit schönem Gesang hätten
die Herzen der Hörer erquicken können, der die Frömmigkeit
weit inniger zum Ausdruck gebracht hätte, als lange Reden das
je vermögen. „Kommt denn, und das Kind vor allen Dingen mit,
wenn es noch nicht schläft, und lasst mich Eure Herrlichkeit
sehen und lasst uns heiter sein und etwas Frommes und Fröh-
liches singen." l) Vorher hatte Eduard einen Satz ausgesprochen,
der den versöhnenden Gedanken enthält: „Wohl aber können in
der Kirche sein, die nicht die Wissenschaft in sich haben; denn
sie können jenes höhere Selbst bewusstsein in der Empfindung
besitzen, wenn auch nicht in der Anschauung".-)
Als Schleiermncher daran ging, sein Hauptwerk, die Glaubens-
lehre, zu entwerfen, hat er einen Gedankenzusammenhang aufge-
stellt, der sieh von dem, was das „Exoterischc" der Brüder war,
allerdings weit entfernt. Richtet man dagegen sein Hauptaugen-
merk auf die Konzeption der theologischen Grundgedanken, so sieht
man sieh zu der Behauptung veranlasst, dass er auch in diesem
') S. \V. I, V3J ff. ) a. 11. O. S. .V>:
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1894.
Schloimiiaeher und die HrüdcrKcmeino.
Werke Erkenntnisse erneuert hat, die seit den Tagen Luthers und
Melanehthons niemand mit solcher Energie vertreten hatte, als der
Stifter der Brüdergemeine, Zinzendorf.
Seine Theologie hat bei allem Widerspruchsvollen ihrer Fas-
sung im ein/einen einen Gedanken zur prinzipiellen Grundlage,
der mit folgerichtiger Konsequenz in fast allen seinen Schriften
wiederkehrt.
Das Christentum ist ihm die auf Grund des von Christus
her gewonnenen entscheidenden (iemütseindrueks sieh bildende
Ijebensgemeinschaft mit der Person des geschichtlichen und ver-
klärten Heilands. Christliche Gotteserkenntnis kann daher mit
innerer Notwendigkeit nur aus der Person dieses Heilandes ge-
wonnen werden, und zwar ausschliesslich von einem, der als Mit-
glied der christlichen Gemeine in Gemeinschaft mit ihm steht.
Wenn er von diesem Hoden aus eine Theologie anstrebt, so kann
das nur „Gemeintheologie" sein, d. h. eine Theologie, welche ihre
Erkenntnisse auf Grund der religiösen Erfahrung der Gemeine aus
der Person des Heilandes herleitet. Ihr Inhalt wird bezeichnet
durch die Formel: Lamm, Blut und Gemeine, d. h. sie entfaltet
den Umkreis der Heilswahrheiten, die durch den Zusammenhang
der drei Grundfaktoren, des Heilandes, der Versöhnung und der
in der Versöhnung stehenden Gemeine gebildet wird. Indem die
Gemeine den Zusammenhang dieser Hcilswahrheiten vertritt, ge-
langt sie zur vollen Erkenntnis der Gottheit und wird zu einer
Lebensmacht, die befähigt ist, eine sittlich-soziale Erneuerung der
ganzen Menschheit bis in die Gebiet«' der ungeschichtliehen Völker
hinein zu unternehmen.
Schleiennacher hat schon in seiner „Kurzen Darstellung des
theologischen Studiums" tSlO den Satz aufgestellt, dass jedenfalls
unter dem Gesichtspunkt der exegetischen Theologie die normale
Dignität im schlechthinnigen Sinne nur Christus zugesprochen
werden könne.1) Später stellt er fest, dass die Person Christi als
die „wahre Offenbarung*' die einzige Erkenntnisquelle im Christen-
tuni ist. „Das Wort . loh. 1, 14: Wir sahen seine Herrlichkeit u. s.w.
ist der Keim alles Dogmas und giebt. sich selbst für nichts
anderes, als für die in Rede übertragene Affektion. Ja, auch was
Christus von sich selbst sagt, wäre keine christliche Wahrheit ge-
I S. W. I.. r,S.
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71
Hocker,
Heft 2 u. :?.
worden, wenn es sich nicht sogleich durch diese Affektion be-
wahrt hatte. Diese ist also und bleibt mir das Ursprüngliche im
Christentum, und alles andere ist nur von ihr abgeleitet. Die
wirksame d. Ii. auf eine bestimmte Art afficicrende Erschei-
nung Christi ist die wahre Offenbarung und das Objek-
tive. Von jedem andern Zeugnis gilt dasselbe, was die Samariter
von der Krau und ihren Worten sagen. Wer eben nicht glaubt,
dass ich an dem historischen Christus festhalte, hat auch
kein Wort von meinem Buche (Glaubenslehre) und von
meiner Methode verstanden."') Auch Lücke gegenüber
wiederholt er den Grundsatz, „dass der Spruch .loh. 1, 14 der
Grundtext der ganzen Dogmatik" sein solle.-) In dem Disscnsus,
in welchem er mit Sack über dessen Apologetik geraten ist, giebt
er den Grund „aus dem sich, wie mir scheint, alles entwickeln
lässt, was zwischen uns streitig ist" in folgenden Worten an: „Ich
nehme nämlich nur eine göttliche Offenbarung au in der Person
Christi, sie nehmen auch eine besondere an in der Schrift, die
für mich in dieser Hinsieht gar nichts Primitives ist. Auf diesem
Punkt aber stehe ich nicht nur für mich unerschütterlich fest,
.sondern ich möchte auch alles Mögliche thun, um ihn andern so
klar zu machen, wie er mir selbst ist, weil ich überzeugt bin, dass
wir dann erst auf dem rechten Fundament der evange-
lischen Theologie feststehen."')
Es ist demnach nicht zu bestreiten, dass für Sehleieruiacher
die Gotteserkenntnis aus der Person Christi das allein brauchbare
Fundament der evangelischen Theologie war.
Warum, fragt mau, hat er seine Glaubenslehre so entworfen,
dass dieses Fundament als solches nicht ohne weiteres von vorn-
herein kenntlich gemacht wurde? Eben diese Frage ist es, mit
der sieh Schleiermacher in seinem zweiten Sendschreiben an Lücke
vom Jahr 1823 beschäftigt. Schon als er zuerst die Glaubens-
lehre ausarbeiten wollte, hat er lange gesehwankt, ob er den ein-
zelnen Teilen die Stellung geben sollte, die sie nun haben, oder
ob er sie umkehren sollte, mit dem zweiten Teil (Entwiekelung
der Thatsachen des frommen Selbstbewusstscins, wie sie durch
den Gegensatz Jvon Sünde und Gnade] bestimmt sind)
') Aus ScIiKi.iin. Ia-Uu in »riefen IV. «lv_T... -i S W. II.
tili (ISJ'iV ) Aus Sclileierm. LIhmi IV, JO-'iff.
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Sehloiermncher und die Brfiderfremeinr.
75
anfangen, und mit dem ersten (Entwickelung des frommen Selbst-
bewusstseius, wie es in jeder christlich-frommen Gemütserregung
immer schon vorausgesetzt wird, aber auch immer mit
enthalten ist") schliessen. Das Grundgefühl jedes mündigen
Christen müsse doch dieses alte sein, dass in keinem andern Heil
und kein andrer Name den Mensehen gegeben sei, als der Jesu
Christi. Wäre nicht hiervon auszugehen das ( )rdnungsmässigste
für ihn gewesen, da er so bestimmt ausgesprochen hat, dass Christen
ihr gesamtes Gottesbowusstsein nur als ein durch
Christum in ihnen zu stände gebrachtes in sich tragen?
In Folge davon wäre der Vater zuerst in Christo geschaut
worden. Die ersten bestimmten Aussagen über Gott hätten die
spezifischen Heilslehren enthalten, und die sogenannten metaphy-
sischen oder natürlichen Eigenschaften Gottes wären zuletzt ab-
gehandelt worden. Er hat sein Werk nicht so entworfen, und in
Folge davon ist er in der Weise missverstanden worden, dass seine
Dogmatik eigentlich Philosophie sei, und dass sie das Christentum
demonstrieren wolle. Er selbst hatte das nicht erwartet, da er
deutlich genug gesagt zu haben glaubte, dass der eiste Teil zwar
zum Gebäude selbst gehöre, aber nur als Eintritt und Vorsaal;
die dort gegebenen Sätze seien nur unausgefüllte Rahmen und
bekämen ihren wahren Gehalt nur durch die Beziehung auf das,
was erst hernach vorgetragen werde. Bei der umgekehrten Auf-
einanderfolge der Teile wären diese Missverständnisse nicht mög-
lich gewesen, denn keiner hätte dann verkennen können, dass die
Darstellung des eigentümlich christlichen Bewusstseins wahrhaft
und wirklich der eigentliche Zweck des Buches sei. Wäre nament-
lich die Einleitung noch schärfer von der eigentlichen Glaubens-
lehre gesondert worden, „so wurde dann gewiss dem schlimmsten
und grellsten Missverständiiis, dass nämlich weine Glaubenslehre
eine spekulative Tendenz habe und auf einem spekulativen Grunde
ruhe, möglichst vorgebeugt worden sein." Er gesteht, dass er
durch die gegenwärtige Gestalt des Buchs seiner ursprünglichen
Neigung ein grosses Opfer gebracht habe. Er hätte dasselbe
lieber so eingerichtet, „dass den Lesern möglichst auf jedem
Punkt hätte deutlich werden müssen, dass der Spruch .loh.
1, 14 der Grundtext der ganzen Dogmatik ist, so wie er
dasselbe für die ganze Amtsführung des Geistlichen sein solle.
Wie es jetzt ist, gehören hier/u Kombinationen, die ich, so ein-
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7r,
IWkor,
Heft 2 ii. :»,.
fach sie auch sind, doch, wie ich leider sehe, nicht von allen
erwarten kann."
Zwei Gründe haben ihn davon abgehalten, jene andere an
sich richtigere Anordnung zu treffen; da indessen der eine nur
eine Grille sei und der ander«' nur eine Unfähigkeit, „so tröste
er sich um so leichter damit, dass früher oder später ein anderer
kommen wird, der diese bei weitem vorzüglichere Stellung mit
Lust und Glück durchführt."')
Die positive Begründung des thatsnehlich befolgten dogma-
tischen Verfahrens kann hier nicht weiter erörtert werden. Ks
genügt noeh einmal festzustellen, dass er in der That in Joh. 1, 14
den „Keim der Dogmatik" sah und damit feststellte, dass alle
christlichen Glaubenssätze nur aus der Wirkung hergeleitet werden
können, welche die Person des Heilandes auf den Frommen ausübt.
Es gehören, seinem Urteil zufolge, „Kombinationen" dazu,
um darzulegen, dass er selbst diesem Grundsatz gefolgt ist.
Versuchen wir in der Kürze wenigstens eine solche Kom-
bination, indem wir feststellen, was, abgesehen von dein philosophi-
schen Unterbau, der eigentlich theologische Ertrag seiner Glaubens-
lehre ist.
Offenbarung ist nie irgend welche Lehrmitteilung, sondern
vielmehr die Selbstdarstellung einer von Gott erfüllten Persön-
lichkeit, die durch ihn- geschichtliche Erscheinung auf das fromme
Selbstbewusstsein in massgebender Weise einwirkt. Innerhalb der
christlichen Religion ist es die Person Christi als des Erlösers, die
den gesamten Offenbarungsinhalt an die Menschen heranbringt.
Das Christentum ist daher diejenige Glaubensweise, in welcher
alles bezogen wird auf die durch Jesum Christum vollbrachte
Erlösung; sein Zweck erschöpft sich in der lediglich von Christus
her sich vollziehenden Auswirkung des Erlösungsprinzips in und
an der Menschheit.
Wie alle Religionen, so kann auch die christliche nur in der
Form der Gemeinschaft zur Darstellung kommen. Demgemäss
bezieht sich die erlöserische Thatigkeit Christi zunächst auf die
christliehe Gemeinde, deren Aufgabe auch nur wieder in der Ver-
breitung dieser erlösenden Wirksamkeit bestehen kann. Indem
das Christentum in dieser Weise Christus- und Erlösungsreligion
') s. w. Ii, i;o:, ff.
1HJM.
SchlriorniHilicr und die Briiderpcmeiiic.
ist, stellt es sieh zu gleicher Zeit stets in der Form des Bewußt-
seins der Gemeinsehaftlichkeit aller Erlösten dar.
Innerhalb der Gemeinde erkennt der Gläubige auf Grund
der durch sie vermittelten ursprünglichen Wirkung des Erlösers
und aus der Selbsterfahrung derselben, was Sünde und 17 bei zu
bedeuten haben; hier ergreift er die Kraft der erlösenden Gnade
und erkennt, dass sein Leben im Zusammenhang mit allem Ge-
schehen in der Welt im Ratschluss des Gottes, der die Liebe ist,
beschlossen liegt. Hier erfasst er im Glauben die Wahrheit, dass
auch mitten in dem grössten Zerfall der öffentlichen Verhältnisse
doch eine von Christi Vollkommenheit ausgehende stets gleich-
artige Wirkung durch Vermittelung der Gemeinde der Erlösten
sich auslebt, der schliesslich der Erfolg der Weltüberwiudung nicht
mangeln wird.
Auch bei Schlciennachcr bilden daher der Erlöser, die Er-
lösung und die in der Erlösung hergestellte, auf ihr ruhende und
durch sie wirksame Gemeinde einen schlechthin unauflöslichen
Zusammenhang, der als solcher den Kern der di >gmatiseh-thc< »lo-
gischen Gesamtanschauung bildet und aus dem Keim von Job. 1, 11
erwachsen ist
Es begegnet uns hier dieselbe Tendenz, zu einer schlechthin
ehristo-centrisehen Fassung der Glaubenslehre zu gelangen, die
auch in Zinzendorfs theologischen Gedanken die treibende Kraft
bildete. Seine Begriffsbildung im Einzelnen ist eine andere, in-
sofern namentlich, als er als Lutheraner nicht den Gedanken der
Erlösung, sondern den der Versöhnung in den Mittelpunkt stellt
Unter den zahlreichen Verdiensten Schleiermachers ist das
nicht das geringste, dass er von seiner „vornieänischen" Denkweise
aus wieder ein besseres Verständnis der sogenannten „Neben-
parteien" in der Kirche und ihrer Bedeutung für die Gesamtent-
wickelung erschlossen hat, die dem spezifisch nieänischen Stand-
punkte des Symbolzwangs verborgen bleiben muss; wo dieser sich
geltend macht, erscheinen jene kleiner» Kirchengemcinschaften meist
als unbotmässige, Verwirrung stiftende Sekten, wahrend thatsäch-
lich häufig in ihnen Wahrheiten zum Ausdruck kommen, denen
die Grosskirehe, sei es widerwillig oder nicht, doch einmal gerecht
werden muss, zum Heil für die Christenheit.
Gnaden leid, im -Juli 1S!»:J.
Munal* Ii. It. J. i C.(iii. iiuiK-ii, « II-., tiuft. l-'fl.
Digitized by Google
Comenius' Studienzeit in Herborn.
Neue Beitrüge zur Geschichte seiner Geistesentwicklung
von
Dr. A. Nebe in Elberfeld.
„Ew. Gnaden, erhaltende diese Akademie, thun der {ranzen
reformierten Christenheit einen grösseren Dienst, als wenn Sie
etliehe tausend Reuter und Kneehte /u Felde hielten,"1) so sehrieb
1590 Johann Fontanus aus Arnheim dem Gründer der hohen
Sehule zu Herborn, dem Grafen Johann dem Alteren von
Nassau-Katzenellenbogen. Das war keine leere, ungeschickte
Schmeichelei für den edlen Fürsten, der einst als würdiger Mit-
arbeiter seines grösseren Bruders Wilhelm von Oranien für
die Befreiung der Niederlande gekämpft hatte und nun seit einer
Reihe von •Fahren seine reiche Kraft auf enger begrenztem Gebiet
in der Verwaltung seiner nassauischen Stammlande bethätigte. Seine
hochherzige Schulgründung in Herborn hatte trotz ihres erst acht-
jährigen Bestehens einen schönen Aufschwung genommen, waren
doch in der letzten Zeit jährlich an 00 lernbegierige Jünglinge der
Johannea zugeströmt, nicht nur ans allen Gauen Deutschlands,
sondern auch aus Böhmen, Mähren, Ungarn, Dänemark, Friesland,
Holland, Frankreich und der Schweiz. -'} Man kannte und schätzte
damals überall, wo die reformierte I^ehre festen Fuss gewonnen hatte,
das bis dahin fast unbekannte, kleine Landstädtchen im anmutigen
Dillthal, das von bewaldeten Ausläufern des Westerwalds umgeben
') vgl. .1. H. Steuhing, OSe.sch. «1. hohen Schale Herhoni, Hadamar
1S2:5, 8. l'JS; wichtige Ergänzungen zu diesen» Wi rk bietet die Topographie
der Stadt Herhoni, Marburg !7Li_' von demselben Verfahr; einen Neudruck
der Schulgesetze von 1 .»84 und hm giebt F. Zimmer in der Festschrift
zur Feier de* Coinenius-.Iubiläums. Herborn ISU'J.
'•') vgl. die Matrikel in A. v. d. Linde 's Katalog der Nassauer Drucke
T, Wiesbaden. 1SS1\ S. :t 10 ff.
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1S!M.
Nebe. Coincnius' Studienzeil in Heiborn.
7i>
und von einem stattlichen Schloss überragt wird. Ohm» jode Ein-
schränkung nennt ein Kenner wie Tholuck (Akad. lieben II,
Herborn „unter den reformierten hohen Schulen bei weitem die
bedeutendste." Durch den in allen Verfolgungen bewährten Caspar
Olevian, der bei der Gründung Graf Johanns rechte Hand ge-
wesen war, hatte die Schule ihr für alle Zeiten charakteristisches
Gepräge aufgedrückt erhalten, sie war eine Schule „um Fort-
pflanzung der reinen Lehre und unserer christlichen Religion an-
gerichtet." Selbst als sich eine besondere juristische Fakultät
entwickelte und in der philosophischen Fakultät auch medizinische
Professoren thätig waren, blieb die Theologie die beherrschende
und für die Entwicklung der ganzen Schule entscheidende Wissen-
schaft.
Die hohe Schule war aber nur ein Teil der ganzen Gründung;
in enger Verbindung mit ihr stand das Pädagogium,1) welches in
fünf (zeitweise sechs) Klassen zerfiel, die denkbar günstigste Vor-
bereitungsstätte für die Hochschule, deren Einrichtungen vielfach
als mustergültig angesehen und z. H. in Hanau und Bremen nach-
gebildet wurden. In der untersten Klasse spielte die Muttersprache
noch die Hauptrolle, während sie in den beiden folgenden all-
mählich zu Gunsten der lateinischen zurücktrat, die in den beiden
höchsten ihre Alleinherrschaft nur mit dem Griechischen teilte.
Das Lob, das ein dankbarer Schüler des Pädagogiums aus dem
Anfang des 17. Jahrhunderts, Caspar Sibel,-) ihm zollt, war wohl-
verdient. Fleiss und Lehrgesehiek der Lehrer, eine milde und
doch ernste Schulzucht verliehen ihm hohes Ansehen und ver-
schafften ihm zahlreiche Schüler von nah und fern; die erste
Klasse, die unter Leitung des Pädagogarchen stand, der zugleich
') Die Gesetze desselben bei Zimmer a. 0. 8. S) ff. und 21 ff., eine
kurze Beschreibung de* L'hrplan» bei A. Nebe, Vives, Alstcd, Comcnius
in ihrem Verhältnis zu einander. Progr. Elberfeld 18!»'J.
'•') vgl. die von L. Scheibe veröffentlichte Probe au« C. Silx-ls Lebens-
beschreibung in der Festschrift zur Feier fies 300jährigen Bestehens des
Gymnasium* zu Elberfeld. IS! »3 S. 70: Paedagogeura illud Herbornensc tum-
tempore (U>or>) udmodum florebat praceeptoruin eruditormn diligentia, diw.i-
|iidoriun tum frequentia, tum jiraeclani laudabilique institutione ac disciplinae
schobist icac obwrvatione atque exercitio. »Sola classic prima ab octoginta
diseipulis frequenlabatur , quorurn plcrorumrpie geni* baiha inerescehat ; ac
haud facile quis ex illa classc ad publica* lectionc* promovebatur et admitte-
balur. qui pure et ciucndatc n<>n scrilieret Latinc et Graeee.
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NYlu-,
Urft 2. u.
eint» Professur bekleidete, zählte in manchen Jahren SO Schüler,
um dt ren Lippen, wie Sibel hervorhebt, zumeist der erste Flaum
sichtbar ward. Das ist keine müssige Bemerkung, sondern ein
bedeutsamer Hinweis darauf, dass es hier nicht auf die Erziehung
frühreifer Wunderkinder abgesehen war, wie sonst oft, sondern
auf Erziehung und gründliche Bildung des Geistes durch religiöse
und sprachlich -humanistische Unterweisung, mit der Kräftigung
des Körpers in „ehrlichen" Spielen und Leibesübungen Hand in
Hand ging. Erscheinungen, wie die des Heinrieh Dauber, der Hi2l
in seinem elften Jahre zur Hochschule entlassen eine hebräische
Dissertation geschickt verteidigen konnte, und des Johann Heinrich
Aisted, der 11 jährig H>02 Student wurde, waren in Herborn nur
vereinzelt und bestätigten als Ausnahmen die Regel. Schon da-
durch, tlass der Pädagogarch zugleich Professor war, wurde der
Gefahr vorgebeugt, dass nur unvollkommen vorbereitete Zöglinge
zur hohen Schule übergingen.
Das Eigentümliche der Herborner Schulanstalten war, dass
sie „gleichsam in zweyen gliedern vertheilct", dennoch ein um-
fassendes System bildeten, das den Schüler von den) Abc bis zu
den Geheimnissen der vier Fakultäten zu führen geeignet war.
So war hier im Keime das Ideal vorhanden, das der berühmteste
Schüler der Herborner Hochschule mit kühnem Seherblick als die
Schule der Zukunft erkannte und mit geschickter Hand in seinen
Grundzügen zu zeichnen verstand.
Das bis jetzt vorhandene Material über die Anwesenheit des
Johann Arnos Comenius in Herborn, das J. Kvaesala in seinem
Werke (S. 16 ff.) mit gewohnter Umsieht und Gründlichkeit aus-
genutzt hat, wird durch einen glücklichen Fund wesentlich be-
reichert. In dem Königl. Staatsarchiv zu Wiesbaden befindet
sich nämlich die bisher ganz unbekannte älteste Schrift des
Johannes Arnos Marcomanno-Xiwniezenus, wie er sieh da-
mals noch nennt, ein zierliches Quartheft von *> Blatt, das in
Christoph Corvins Druckerei UU2 gedruckt wurde und Proble-
mata miscellanea behandelt: und auch die zweite Herborner
Disputation, von der man nur den Titel: Sylloge Quaestionum
eoutroversarum , Plülosophiac viridario depromptarum (Resp.)
Johannes Arnos, e Marcomannis Niunieenus. Hcrhoruac
Iii 13" kannte, ein 21 Seiten starkes unscheinbares Schriftchen in
12"' hat sieh in der Königl. Laudcshibliothck in Wiesbaden er-
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Is91.
Comonius' Studienzeit in Herborn.
Sl
halten (bei v. d. Lind«' n. O. Xo. 599 und 58). Beide Schriften
verdanken ihre Entstehung der in Melborn sehr geschützten Ein-
richtung öffentlicher Disputationen, die wöchentlich am Samstag
stattfanden (Zimmer a. O. 15, 19, 31); ausdrücklich war in den
Schulgesetzen bestimmt, „die öffentlichen und privaten Disputa-
tionen solle man nicht leicht versäumen, da dort die Urteilskraft
vor allem geschärft und eine klare Ausdmcksweise erlernt werde,"
ja die Stipendiaten waren im Falle des Fernbleibens mit Sperrung
der Freitische bedroht. Unterscheidet sich auch der Inhalt der
beiden Disputationen nicht wesentlich von dem der gleichzeitigen
Herborner Schulschriften, und kann die spitzfindige Behandlung
aller mögliehen philosophischen Fragen kaum auf allgemeineres
Interesse rechnen, so erfreut doch die gewandte lateinische Form,
die in ihrer anschaulichen Bildlichkeit und ihren geschickten Wort-
spielen manchmal lebhaft an die späteren Schriften des Comenius
gemahnt; auch lassen die Widmungen und die beigefügten Lob-
gedichte ««in schönes Streiflieht auf die persönlichen Beziehungen
des jungen Studenten zu seinen Genossen und Lehrern fallen, so
dass wir jetzt ein ziemlich klares Bild von dem Aufenthalt des
Comenius in Herborn gewinnen.
„Joannes Arnos Nivnizensis" wurde am 30. März Hill von
dem damaligen Prorektor Joannes Jaeobus Hermannus in die Ma-
trikel der hohen Schule eingetragen (v. d. Linde a. O. S. 389), an
demselben Tage wie Daniel Thelermcnus a Zhorze Satecenus,
Matthaeus Titus Straznieensis und Joannes Litomil Litomislenus.
Der Xame des jungen Grafen von Kunowitz, als dessen Begleiter
und Ratgeber Comenius im Dezember 1610 aus seiner mährischen
Heimat nach Herborn gezogen war, findet sich nicht in der Ma-
trikel, wohl deshalb, weil er das Pädagogium besuchte. Wie wir
jetzt aus der Widmung der Schrift Sylloge etc. erfahren, hatte
sieh der edle Bischof der böhmischen Brüder, Dr. Johannes
Lanceius (Lanetius) den ausziehenden hoffnungsvollen Jünglingen
als treuer Berater und woldwollender Gönner erwiesen und ver-
folgte ihre Studien auch fernerhin mit ermunternder Teilnahme, so
dass Comenius ihm die erwähnte Disputation „als Zeichen seiner
Dankbarkeit und Beweis seiner dauernden Hochachtung" widmet und
sein Landsmann Matthaeus Titus in dem beigefügten Glückwunsch-
gedicht ihn geradezu als den Beschützer ihrer Studien bezeichnet,
der an dem Streben des Arnos besonderes Wohlgefallen finde. Auf
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KL'
Ncoo,
Heft 2. ii. :t.
die zarteren Beziehungen, dir sieh zwischen dem jungen Studenten
und der Familie des Laneeius zu knüpfen begonnen hatten, weist
der Sehluss des Widmungsschreibens, in dem er den Ijanceins
„mit seiner süssen Gemahlin und Tochter" der Hut des Heilands
empfiehlt.
Der glückliche ('instand, dass mehrere böhmische Brüder
zugleich in Herborn studierten, und die väterliche Fürsorge, die
ihnen ihr Bisehof ans der Ferne angedeihen Hess, mussten be-
wirken, dass Comenius bei seinen Studien nie den Zusammenhang
mit seiner Heimat und seiner Mutterkirehe verlor, deren Diener
er werden wollte, und „treu die Wege einhielt, die ihm durch die
eignen Überlieferungen gewiesen waren", die Richtung auf das
„Praktische." Von dem festen Zusammenhalten der jungen Tsche-
chen, die zusammen nach der nassauischen Schule gezogen waren,
zeugt ausser dem von Kvacsala (.1. A. Comenius, Anm. S. U4) ver-
öffentlichten Gedichte des Comenius auf Johannes Litomil vom
Jahre 1012 das oben erwähnte I*>bgedieht des Matthaciis Titus auf
„seinen Landsmann und engverbundenen Freund" Arnos IUI 8, in
welchem im Wortspiel mit diesem Namen seine Liebe zur Weis-
heit gefeiert wird, die ihn wiederliebe und ihm die Liebe aller
verschaffe.
Aber es war nicht zu befürchten, dass im engen Kreise der
Sinn sich verengerte; ein äusseres Gegengewicht dagegen bildete
schon eine eigentümliche Einrichtung der Herborner Hochschule,
die sog. gräfliche Communität. Dies war eine öffentliche Speise-
anstalt für die Studenten, die unter Aufsicht des Senates stand.
Hier speisten nicht nur die Stipendiaten, sondern auch die Mehr-
zahl der übrigen Studenten in drei nach der Höhe des Kostgelds
verschiedenen Abteilungen. „Über einem Tisch sollen 10 Personen
sitzen," so bestimmten die Convictsgesetze (vgl. Steubing, hohe
Schule S. 7() ff., .'H9 ff.), und natürlich genug war es, dass zwischen
den Tischgenossen sich schnell ein engeres Verhältnis entwickelte.
Auch Comenius gehörte der Communität an. Heinrieh Pithan nennt
ihn in dem Gedicht, welches am Sehluss der Problcmatn von IUI 2
steht, seinen „höchst erwünschten Tischgenossen" und feiert ihn
dann wegen seiner Frömmigkeit , Gelehrsamkeit und Treue, wegen
seines reinen Herzens, seines glühenden Wissenstriebes und seiner
liebenswürdigen Bescheidenheit und bittet ihn zum Sehluss um
seine fernere Freundschaft, die er von Herzen zu erwidern ver-
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Comenius' Studienzeit in Herhorn.
spricht. Dieser Pithan aus Siefen, der drei Jahre vor Comenius
in die Hcrborner Matrikel eingetragen worden war, hat sich später
seines Freundes würdig gezeigt und glaubensiuutig die schweren Ver-
folgungen getragen, die von den Katholiken über ihn verhängt wurden,
als er 1020 Kaplan in seiner Vaterstadt geworden war: er musste
fliehen, hatte aber später die Gcnugthuung, nach kurzer Wirksam-
keit in Dillenburg und Herborn als erster Kaplau nach Siegen
zurückkehren zu dürfen (vgl. Steubing, Stadt Herborn S. 107).
Auch die Widmung dieser Krstlingsschrift lässt uns erken-
nen, wie leicht es Comenius gelang, Ansehluss zu gewinnen: als
„Zeugnis seiner Hochachtung und Dankbarkeit" überreicht er die
Disputation zwei jungen polnischen Adligen, Stanislaus und Andreas
Jahodinskyni (in der Matrikel 1. Aug. IG 10: Jahodniski) de Matcze
und deren gelehrtem und erfahrenen Erziehe r Daniel ßresler aus
Dauzig, „seinen Freunden und Gönnern," die er in einem geschick-
ten lateinischen Gedichte feiert.
liegreiflich ist es, dass der hochbegabte, vielseitig angeregte
und rastlos arbeitende junge Student gerade die tüchtigsten, gleich-
st rebendeii Genossen unwiderstehlich an sich zog; was sein Lands-
mann Titus rühmte, dass die sicheren Zeugnisse seiner Studien der
ganzen Schule sichtbar seien, war ja keine hohle Schmeichelei.
Kincr der bedeutendsten seiner Mitschüler, Justus (in der Matrikel
I. Okt. 1010: Jodocus) Reiffenberger, ein Pfarrersohn aus dem
nahe bei Herborn gelegenen Haiger, der ein halbes Jahr vor Co-
menius' Ankunft aus dem Pädagogium zur hohen Schule überge-
gangen war, seheint sich ihm besonders eng angeschlossen zu haben,
obwohl seine eigentlichen Studiengebiete, Rechtswissenschaft und
Politik, von denen des jungen Tschechen weit ablagen. Kin
„niveum pectus," wie Comenius selbst, hat er nach Beendigung
seiner Studien in Bremen und Heidelberg, wo er 1010 zum Doctor
juris promoviert wurde, durch seine juristische I>'hrthätigkeit in
Herborn, Rinteln, Bremen und Franeker ebenso grossen Ruhm
erworben, wie durch seine auf umfassenden Studien beruhenden
Werke (vgl. Allg. Deutsche Biographie 21, S. 085). Der zweiten
Disputationssehrift des Comenius fügte dieser Reiffenberger 101. "5
ein schwungvolles Lobgedicht auf ihn, „den einzig treuen Freund,"
bei, in das er die beiden Anagrammc auf den Namen des Johannes
Arnos Moravus: „Amas Musas. Inde honor" oder „Ova: ornas
online Musas" geschickt zu verweben weiss.
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Heft 2 u. :\.
Bei clor verhältnismässig geringen Zahl clor Studenten konnte
es kaum ausbleiben, das* sieh fast alle gegenseitig kannten, selbst
wenn sie nur kurze Zeit zusammen in Herborn studiert hatten.
Als Comenius auf seiner Orientierungsreise naeh Polen 1H24,
angelockt durch die Naehrieliten von dem neuen Propheten Christof
Kotter, Sprottau besuehte und zufällig den Namen des dortigen
Pastors Mag. Menzel vernahm, wurde trotz 1.5 jähriger, erfahrungs-
reicher Zwischenzeit sofort in seinem Geist die Krinnerung an die
Studienzeit in Herborn wachgerufen. Zwei Sehlesier, Joachim und
Abraham Menzel, hatten nämlich, wie er sieh entsann, gerade um
die Zeit, wo er dorthin kam, sieh zur Heimreise angeschickt.
Der Sprottauer Pastor war wirklieh sein Studiengenosse, und als
willkommener Gast seines Hauses verlebte Comenius in frommen
Gesprächen einige Tage in einer namenlosen Seligkeit, die er noch
nach 30 Jahren mit der „Wonne der Unmittelbarkeit" besehreibt
(vgl. Kvacsala a. O. :W und Monatshefte I, 117).
Wohl möglich, dass sie in den Gesprächen mehr als einmal
die alten Hcrbornor Erinnerungen aufleben Hessen, wurzelte doch
Comenius wenigstens mit seinen chiliastischcn Anschauungen
durchaus in den Eindrücken, die er von seinen zwei bedeutendsten
Hcrbornor Lehrern während seiner zweijährigen Studienzeit em-
pfangen hatte. „Von dem frommen Theologen Piseator und
dem grossen, aber christlichen Philosophen Aisted" hat er, wie
er später in seiner letzten Schrift (de zelo sine seientia et char.
p. 8) am Rande: des Grabes erklärt, zuerst diesen Trost der Kirche
sich angeeignet, „dass dem Volke Gottes noch eine Ruhe vor-
handen sei" (Hehr. 1, 9); ein Trost, der ihm ein Stocken und Stab
für seine ganze Lebenszeit sein sollte.
Schon aus dieser Stelle konnte man erkennen, dass Comenius
nicht einseitig theologisehe Studien in Herborn getrieben hatte:
jetzt tritt aus seinen Disputationsschriften das mit voller Klarheit
ans Licht, dass er sich den philosophischen Studien im Um-
fange und Sinne der damaligen Zeit mit einem ungewöhnlichen
Eifer ergeben hatte, als könne er das ganze Meer der Wissen-
schaften mit einem Male erschöpfen. Das beweist zunächst das
Vorhandensein der Schriften selbst, da naeh den Schulgesetzen
(Zimmer a. O. S. 19) in der Regel von den Professoren eine Auf-
forderung zur Abfassung einer Disputationsschrift erging; der Fall,
dass zwei verschiedene I/'hrer der Philosophie denselben Schüler
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1S<M.
Comoimis Studienzeit in HpHkh-ii.
Sö
erwählten, scheint nicht allzu häufig vorgekommen zu sein. Zudem
wird fast in allen Lobgedichten auf (omcnius gerade dies«. be-
wundernswerte Vielseitigkeit seiner Studien immer wieder betont:
Der Vorsitzende bei der ersten Disputation, Prof. Gutberleth, be-
ginnt sein Gedieht mit einem Hinweis darauf, wie Comcnius gerade
dadurch sieh wertvolle Schätze zu eigen mache, das« er huma-
nistische und theologische Studien zu verbinden fortfahre, und
sein Lieblingslehrer Johann Heinrich Aisted, unter dessen Vorsitz
die zweite Disputation stattfand, leitet gar in seinen geschmack-
vollen Distichen in dorischem Dialekt den Ruhm des jungen
Arnos, der einst zum Himmel emportonen werde, davon
ab, dass er nach süssem vielseitigen Wissen dürste.
„Jhm war der lieblichste Frühling des ganzen I^cbcns, die
blühenden Jahn* der Jugend, in unnützem Schultreiben elendiglich
verkommen", wie er selbst später klagt (Did. mag. XI, H). Als
ihm nun in Herborn vergönnt war, Besseres zu schauen, mochte
ihm die Erinnerung an die unwiederbringlich verlorene Lebenszeit
wohl „Seufzer aus der Brust emporsteigen bissen, Thränen aus
den Augen pressen und Kummer im Herzen wachrufen", aber
ebenso verstand es sieh für ihn, dass er mit dem Feuereifer und
der Zähigkeit des slavischen Naturells nun beharrlieh „den Schaden
der verlorenen Zeit auszufüllen" strebte. In der That waren die
philosophischen I^ehrer, die während seiner Studienzeit in Herborn
wirkten, wohl geeignet, diesem Streben entgegenzukommen und
ihrem Schüler bleibende Anregungen für die Zukunft zu geben.
Der 1572 in Hersfeld geborene Heinrieh (iutberleth war seit
1()01 in Herborn thätig, anfangs an dem Pädagogium, seit HiO")
an der hohen Schule, wo er mit kurzer Unterbrechung bis KiDl
Logik, Physik, Geschichte und die Ars oratoria vertrat. Wie
man ihn schätzte, zeigte sieh darin, dass er IfiOfi an das nach
Herborner Muster eingerichtete akademisehe Gymnasium in Hanau
berufen wurde, wo er zwei Jahre blieb, und dass er 1(U9 als
Rektor der lateinischen Schule nach Deventer kam, wo er bis zu
seinem Tode H»35 wirkte, zuletzt als Professor der Philosophie
am neugegründeten Athenaeum. Seine Hauptthätigkeit suchte
und fand er in der Anleitung seiner Schüler zu philosophischen
Studien; wir kennen nicht weniger als 38 Disputationsschriften,
die unter seiner Anleitung entstanden sind; durch fortwährende
Übung und Anwendung der Aristotelisch-Ramischen Dialektik auf
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80 Nein», Heft 2 Ii.
philosophische Fragen aller Art suchte er seine Schüler zum
wissenschaftlichen Denken zu befähigen. Seine schriftstellerische
Thätigkeit besehriinktc sich auf haiulliehe Auszüge der von ihm
vertretenen Wissenschaften; so ersehien ein Diseursus logieus, »ine
Kthik und eine Physik, daneben schrieb er eine Pathologia, d. h.
eine Lelire von den meuschliehen Affekten, und vollendete kurz
vor seinem Tode seine Chronologie, die HKJ9 in Amsterdam ge-
druckt ward. (Vgl. de Wal in der Deutseh. Biogr. 10, 2LJ und
v. d. Linde a. (). 148 ff.)
Viel bedeutsanier für des lotnenius gesamte (ieistesent-
wicklung wurde aber der jüngere Vertreter der Philosophie,
Johann Heinrieh Aisted, der kurz zuvor wie ein leuchtendes
Meteor neben den alten Sternen der Herborner Schule erschienen
war. Durch mehrere völlig unabhängig von einander fast zu der-
selben Zeit entstandene Untersuchungen über diesen weniger durch
Tiefe als durch Vielseitigkeit ausgezeichneten Manu ist jetzt der
massgebende Einlluss, den er auf Comenius geübt hat, festgestellt
und wohl allseitig anerkannt1) 1588 in Ballersbach nahe bei
Herborn geboren, hatte er schon Hi02 die Hochschule seiner
Heimat bezogen und nach einer ausgedehnten Studienreise seine
schnell gereiften Kräfte in den Dienst der Anstalten gestellt,
denen er die Anfänge seiner Bildung zu verdanken hatte. Nach
zweijähriger Wirksamkeit als Ijcitcr des Pädagogiums wurde er
HilO ausserordentlicher Professor der Hochschule und entwickelte
als solcher vermöge seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, seines
umfassenden Wissens und seines anregenden Unterrichts eine
ungemein fruchtbare Lehrthätigkeit , mit der eine ausgedehnte
Schriftstellern Hand in Hand ging. Schon 1018 wurde er ordent-
licher Professor der Philosophie; vier Jahn- später, nachdem er
sieh auf der grossen Dordrechter Synode bewährt hatte, bekam
er den Auftrag, neben seinen philosophischen auch theologische
Vorlesungen zu halten. Nachdem der greise Piscator H>2"> ge-
storben war, wurde die Theologie sein eigentliches Lehrfach; aber
nur noch kurze Zeit wurde seine unschätzbare Kraft der Heimat
erhalten; die furchtbaren Verheerungen, die der grosse Krieg auch
') Vgl. .1. Kvncsnla, l'njnir. Krviir |xs«i, 'i'N ff.: ,\. Nr he, Vivo.
Alstcil, Comenius u. s. w.; (J. Schmitt in «Irr Geschichte der Krzii -hang
IS! 12, ino ff.
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IS!)|.
('omeniii*' Studienzeit in Herhorn.
87
über Herborn hereinbrechen lies«, vertrieben ihn Hi29; aber in
Stuhl- Wcissenburg in Siebenbürgen fand er eine neue Stätte für
^eine akademische und littenirisehe Wirksamkeit, die er bis zu
seinein Tode in alter Kraft fortführte. Ks war bekannt,
wie Comenius von ihm auf den verschiedensten (Jebieten Ann'-
ptii}! empfangen hat, und noch hat sieh ein Brief des einstigen
Schülers an seinen Ix»hrer aus dem Jahre \WA erhalten (vgl.
Kvaesula a. (). 179), der Rest eines ursprünglich wohl regeren
Briefwechsels, der beweist, wie innig das Verhältnis der beiden
im Alter nur wenig verschiedenen Männer auch noch nach Jahren
war. Nun liegt in den Disputationen des jungen Annw ein neuer
Beweis für diese Thatsaehe vor, der zugleich davon zeugt, wie
übermächtig anfangs der Eindruck des Lehrers war, und wie
knift ig er seinen Schüler in seine Kreise zu bannen verstand.
Seine Werke hat der Schüler gründlich studiert und holt aus ihnen
sein Rüstzeug, auch seine Neigungen haben sich übertragen, nicht
nur sein Gefallen an den logischen Spitzfindigkeiten und Spielereien
in der Art der Ars magna des Lullus finden wir bei ihm wieder,
nicht nur gelegentliche etymologische Wortspielcreien wie „men-
dacium . . . est quasi ad versus meutern ire", was doch recht an
die von Aisted gegebenen Deutungen lepus, lapis und vulpes als
levi-pes, lacdi-pes und voli-pes erinnert, kehren bei ihm wieder,
sondern auch er schwört wie jener auf Keckermann und weiss
den Spanier Vives zu schätzen wie sein Lehrer, der gelegentlich
das rühmende Wort sprach: „Vives <jiii vivet, «juoad litenie vivent."
Wie Aisted wiederholt ein M'ort des Vives als Motto oder Schluss-
wort einer Schrift gebraucht hat, so setzt Comcnius auf den Titel
seiner Erstling*sehrift einen Ausspnich aus dem Hauptwerk des
grossen Spaniers De diseiplinis. Da bei dem Ausspnich das Buch
genau angegeben ist, in dem sich die Stelle findet, wird man
nicht zweifeln dürfen, dass damals schon Comcnius Vives kennen
und schätzen gelernt hatte, obwohl man nach der Vorrede zur
Physik annehmen zu müssen glaubte, dies sei zuerst 1H28 üi der
Verbannung geschehen (vgl. Kvascala a. O. Anm. S. lö). That-
säehlich sind auf der Herborner Bibliothek noch jetzt eine Anzahl
von Schriften des Vives vorhanden, und dass der junge Herborner
Student diese Bibliothek, die nach wie vor in dem alten Raum, auf
dem Sehl obs, aufbewahrt wird, eifrig benutzt hat, zeigt seine grosse
Belesenheit, die in den beiden Disputationsschriften schon hervortritt.
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«SS
Urft 1' u. :i.
Um wenigstens einen allgemeinen Kindtuck von dem zn
verschaffen, womit sieh der (»eist des Comenius in Herhorn
beschäftigte, lassen wir du- in den I)is|>ntationen behandelten
»|uaestioncs folgen.
In der unter < iutberleth's Vorsitz abgehaltenen sind es
folgende:
1. Quomodo verum nit : Ars imitatur Xaturam, eum tarnen
alihi Ars Xaturae opponatur?
2. Quuestio Mctaphvsica: An idem ens possit realiter
a se ipso ditt'erre?
'■>. Quaestio Mctaphvsica: An eausae possint produeere
effeetum se praestantius? Neg.
4. Quaestio Logieo-Phvsica : An anima rationulis sit forma
hominis? Affir.
.">. Quaestio I^ogica: An in hoc versu Martialis: Kbrius es,
nee enim faeeres hoc sobrius uii(|uam, cbrius sit ha-
bitus, sobrius privatio? Affir.
Ii. Quuestio IüOgiea: An dentur syllogismi proprii? Affir.
7. Quuestio Rhetoriea: An prineipalis et proximus Hnis
Rhetorieae sit bene dieere an bene pcrstiadere?
5. Quaestio Kthica: An omnis, <pii falsum dieit, men-
tiatur? Xcg.
Die unter Alsted's Vorsitz abgehaltene Disputation behandelte:
1. Universaliane cognoscat intellcctus tantum an singula-
riu etiam?
2. Omnisne eognitio a sensu ineipiat?
:\. An inter Substantiam et Aeeidens detur medium? Eo
infieias.
1. Quid sit locus?
."). Uttum angeli sint in loco?
Ii. Mundusnc (juoad essentiam in mente sit divina, extra
autem quoad existentiam?
7. Au dentur in euelo orbes reales?
S. Per etnissionemne Hat visio an per immissionem?
Als Beigaben sind ausserdem angehängt folgende Thesen:
(irain. Optativus modus Latinis superfluus est et inutilis.
Ivhet. 1. Rhetoriea, Oratoria, I'oetica diversae sunt artes. Male
ergo eonfunduntur. 2. Hyperbolen, quod Keck, uffirmut,
tropum esse negumus.
1
1K94. CoiiH-niiis' Studienzeit in Horliorn. N!)
lyig. Praedieamentnles tahulac lumen sunt Ijogicne ideo<pie inibi
tolerandac.
Phys. 1. Corpora caelestia non sunt calida nee frigida formaliter
sed virtualiter. 2. Ixicatio potius (jimin locus est cnqiorut
aH'ectio. A. Cor}>us donee venun nisi uno loeo esse ne<püt.
4. Proprietatcs <|tii tollit, naturam tollit.
Metaph. I. Kntis dari priiieipia asseverantcr asserhnus. 2. Ut
accidcns sine substantia, sie substantia sine aeeidentibus
subsistere non potest. 3. Maximum et minimum naturale
non datur. Jae. Mart. Met. Kx. p. ^572.
Aritli. 1. Unitas est numerus et non est numenis. Reete intellige,
utniiii([nc verum erit. 2. Denarius numerus est perfectus.
Continet enim omnes numeroruin formas: purem, imparem,
(|uadratum, cubieum, linearem, planum primum, compositum.
Dn. Praeses Flein. Math.
Geomet. Punctum est principium lineae: idcmquc ejusdem est ad-
jnnetuin: divers« » respeetn.
Geograph. Paradisum in sphaera obliqua positum fuisse, plausibile:
nee tarnen in aeris regionc.
Astron. Lunae motus omnium planetarum perplexissimus.
Astrol. Astrologinc seientiam «jiii vanum putant, vani ipsi putandi.
Ktli. Virtus lieroiea a eonununi speeie non difl'crt: «piia fuükuv
xal t/rrov non variant speeiein.
Unverkennbar spiegelt sieh in diesen Fragen und Sätzen
Alsteds eneyklopädische Richtung wieder, und sie zeigen von neuem,
wie tief Comenius nicht nur auf dem Gebiet der Theologie,
Pädagogik, {Sprachvergleichung und Physik, sondern auch in seinen
«ncyklopädiseh -pansophischen Bestrebungen, deren Anfänge er
selbst nach Herborn legt, von seinem „überaus teueren und hoch
zu verehrenden Lehrer", wie er ihn auf dem Titel der Sylloge
nennt, beeinflusst wurde. Aber der verwandte Zug zwischen diesem
und jenem zeigte sieh auch darin, dass beide alles Wissen und
Forschen in den Dienst der Theologie stellten. Für Aisted hätte
es kaum der ausdrücklichen Weisung der Schulgesetze an die
philosophischen Professoren bedurft, „sie sollten zeigen, dass die
Philosophie der Theologie als Dienerin untergeordnet und nicht
als Herrin vorgesetzt sei", und ebenso wenig war für ihn die
Mahnung nötig, „dass sie vielmehr auf das Praktische in den
Wissensehaften ihr Augenmerk zu richten hätten, als dass sie sich
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lieft 2 u. :{.
mit frivolen Spitzfindigkeiten und Erfindungen, bei denen man sieh
nur zu leielit in ein Nichts verliere, abgäben" (vgl. /immer a. O.
S. 18). lind wir können uns denken, mit welcher Bewegung der
geistverwandte Arnos vor der Immatrieulation dem Rektor Ilermannus
das in den (iesetzen vorgeschriebene heilige Gelübde ablegte, „er
werde etwas dem wahren (Hauben von Gott und d«>r h. Trinitat,
wie es in der Schrift und dem apostolischen Glaubensbekenntnis
(Mithalten sei, Entgegeng« 'setzt« is weder öffentlich noch privatim
lx*k<Min<'Ti , auch sein lieben nach dem im I)ekalog zusainmen-
gefussten (iebote Gottes richten und nüchtern, gerecht und fromm
leben". (Vgl. /immer a. (). S. 18.)
Ijcider ist es uns immer noch nicht vergönnt, zu erkennen,
wie weit er von den theologischen Professoren in Herborn Ein-
wirkungen zu erfahren hatte. Bedeutend genug waren sie, um
ihn zu fesseln, vor allem der trotz seines Alters noch jugendlich
frische und unermüdlich tlmtigc .loh nun es I'iscator (154ti bis
li»2ö), aber auch sein Stnissburger Luidsmann, Johann Jakob
Ilermannus (1558 1 1>:>0), der zugleich Pfarrer in Herborn war
und die praktische Theologie vertrat, und der bedeutend jüngere
Georg l'asor (1570 — lt>87), der durch seine „grosse Gabe im
Unterrichten" und seine „ausgezeichnete Kenntnis der alten
Sprachen" «'ine hoch angesehene Stelle in Herborn einnahm und
sich durch di«' Erforschung d<is Sprwhidioms des neuen Testa-
mentes nach wissenschaftlichen Grundsätzen bleibenden Ruhm er-
warb (vgl. Deutsch«' Biographie 25, 104). Ks seheint sehr wohl
möglich, dass dieser Mann, dessen Lexikon zum N.T. allerdings
erst ein Jahrzehnt später erschien, mit dazu beitrug, in dem selbst
vor den schwersten Aufgaben nicht zurückschreckenden Geist«'
d«-s A mos, den Enteehluss n'if«m zu lassen, «'inen Thesaurus d«r
böhmischen Sprache zu schreiben, d«-r ein vollständiges Lexikon,
eine genaue Grammatik, sowie die Eh-gantias und Emphase* der
Idiotismen und die Adagia umfassen sollt«', — <>in Entsehluss,
der nach C«»menius' eigner Angabe s«*hnn in Herborn gefasst wurde.
Wenn, wie anzunehmen ist, Ilermannus in di<- Fusstapfin
seines Vorgängers Wilhelm /epp«T getn*ten war, so widmet«* <>r
auch dem Schulwesen eingehend«' Aufmerksamkeit, wozu er als
Inspektor <1<t H«'rborn«T I>iöz«*s«' auch fint» ausser«' Nötigung fand.
S«-it Wilhelm il<T Reiche 1580 in den nassauischen I^andcn «Ii«'
R«'fonnation eing«'führt hatte, war die Besserung des Schulwesens
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1891.
Cnmenins* ^tnnirnzeil in Herhorn.
<>1
eine der Ijebensnufgabcn dieses Fürsten geworden, du er in ilun
eine der Hauptgrundsäulen der Kirehe und einen wahrhaft religiös-
sittlichen Lebens sah. Die Visitationsordnung des Graten Johann
de« Alteren bestimmte daher geradezu: „Die Befehlshaber und
Superintendenten sollen in alle Städte, Kleeken und Dörfer selbst
reisen und unter anderem aueh die Schulen besichtigen" (vgl.
('. W. I^orsbaeh, Beitr. zur (ieseh. d. ehemaligen lat. Schule zu
Siegen, Progr., Siegen 1849, 9). Für den praktischen Theologen in
Herborn war es mithin Pflicht, aueh pädagogische Fragen in den
Bereich seiner Vorlesungen zu ziehen, und Zopper unterliess es
nicht, in dem Werke De politia eeclesiastica, in dem er „das Bild
einer nach dem Worte Gottes verfasston Kirche in sehr an-
sprechender und beherzigenswerter Weise" ausführte, auch das
Schulwesen eingehend m behandeln. Möglich ist es, dass des
Comenius Bekanntschaft mit den Plänen des Hatiehius durch
Hormannus' Vorlesungen vermittelt wurde.
Ein sicheres Zeugnis für bleibende Einwirkung liegt aber
nur für den edlen, tiefgelehrton und in mancher Prüfung be-
währten Johannes Piscator vor; auf ihn führt Comenius seine
chiliastischen Anschauungen zurück. Die jungen Böhmen und
Mähren seheinen sich ihm besonders eng angeschlossen zu haben,
von Comenius Freunde Matthaeus Titus wurden zwei Disputationen
unter seinem Vorsitz abgehalten, ausserdem je eine von Elias
Aeontius Trebiensis Moravus, Jacobus Junior Petrozelinus e Marco-
mannis Budvicenus und Johannes Philemou Lovosicenus Bohemus
(vgl. v. d. Linde a. (). 151:$, 1514, 1411, 14K;{, 14S4). Über-
haupt war ja in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts
gerade Piscator der Hauptanziehungspunkt für die in Herborn
studierenden Jünglinge, mit dem der Ruhm der Schule aufs engste
verknüpft war.
Dunkburen Herzens hat Comenius Zeit seines I^cbcns die
reichen Anregungen anerkannt, die er in dem unscheinbaren
Städtchen an der Dill empfangen hatte. Unbewusst hat er die
oft ausgesprochene Dankbarkeit aueh bethatigen können. IGöl
erschienen in Herborn „apud haeredes Christophori Corvini" die
Uudimenta Grammatieae Latinae Philippo- Hamaeae : nna cum
Vestibulo Joan. Arnos Comenii (vgl. v. d. Linde u. (). 1009),
ofl'ciibar für den Unterricht am Pädagogium bestimmt. So kamen
die Verbesserungen des I^'hrbetriebs, zu denen Comenius einst
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92
Nel»c.
Heft 2 u.
selbst in Horborn angespornt worden war, nach Jahren <len dortigen
Anstalten wieder zu gute. Wohl mochten Schüler und Lehrer
nicht ahnen, dass der Verfasser des Büchleins einst in den engen
Mauern der Stadt geweilt hatte, um reiche Wissensschatze ein-
zusammeln, die er zum Wohle der gesamten Menschheit und auch
zum Ruhme der Hcrborncr Schule verwendete: aber für uns bleibt
es ein eigentümlich anmutender Gedanke, dass an der Statt*', wo
sich Comenius gebildet hatte, er andere bilden half.
Zum Schluss mögen die Titel, Widmungen und Gedichte
der beiden Disputationsschriften folgen:
Titel der Schrift vom Jahre 1 b' 1 2 :
Zbv Tfj ror f)eov ankauft
Rroblemata haee miseellanea, fretus auxilio et patrocinio
clarissimi viri, Dn. M. Henri ei Gutberlethi, in inclvto in-
elvtorum ac generosiss. Comitum Xassoviomm Athenaco Herbor-
nensi Logiees et Phvsiees Professoris ordinarii, IVaeeeptoris sui
honorandi, publicitus veritatis lance pensiculandum studiosis off ort
Johannes Arnos Marcoman no-Niwniczenus.
Lud- Vives lib. I. de causs. com art. Xulla est tarn facilis
aut humilis ars, in qua non infinita occultantur, quae niulta acuta
ingenia diutissima exereere possunt,
Ilerbornao Nassoviorum, Ex officina tvpographica Christo-
phori Corvini MDCXII.
W i <1 m u n g.
Magnifica strenuitate, generis et natalium sj)lendore nobilissiinis
dominis, Stanislao et Andreae Jahodinskym de Matezc,
cquitibiis l'olonis etc. fratribus gerinanis ut et viro cruditione solida,
humauitate eximia, rerum<jne usus experientia praestantissimn,
Dn. Danieli Breslero Dantiscano, illorum ephoro meritissimo,
dignissimo: Dominis, Ainieis, et Factoribus suis peramanter colendis
in perpetnum observantiae et amoris uaiiTi'otov, L. M. Q. (lubens
nn-rito(jiie) inseribit et dedieat Author et Respondens.
l'raeclaro, o juvones, virtntum nomine clari
Quosquc ornat vcrue nohilitatis honos.
Kn vobis nun Musa ofterf, quae, inunera mentis,
() utiiiam ve*tri« digna fim-nt meriti*.
At mihi cum desint dona aurea, chnrteiun honorN
Signum et piT|)<-tui W mumi> amoris »rit.
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1891.
Comeniti*' Studienzeit in Herborn.
9:i
Sed peto, non donum, a*t menUmt fqicctatc ferontis,
Vile ilhul: vestro haoc digna favorc venit.
Sumite jam donum hoc et laoto sumite vultn,
Quurn vires «li^irit, saltem animus placeat.
Gutberloths Gedicht auf Arnos.
Praoscs ad Du. Respondentem.
Hiuuanain sophiam t um sacrae jüngere |»ergi«,
Pu lehnt paras anirno munera, Amoso, tuo.
Quill mclin« vera sophia suh solo? quid, inquam,
Nobilins? vol quid dignius esse polest?
E mundo sophiam qui tollit, Imnini* expers
In densis tenebris palputat illo minor.
Ergo noster Arnos reite sibi consulit, omni*
In sophia Studium dum po*uis*e juvat.
Heinricli Pithans (icdicht auf Arnos.
Ad lnorum suavitato ot eruditionis splendore ornatiss. Dn.
Kospondontem ainieum et conunensalem cxopüitissiinuni.
Si quem eonimendat pietas, doetrina, fidesque:
Coiumondandus orit comprimis noster Aniosiis.
Si quem eondeeorat sineerum poetn*, et ardens
In Uteri* Studium, laudalque inodestia grata:
Non erit immerito celohrandiis noster Amosus.
Hino te eoiumondo: dignis hinc laudibu.« orno:
Ilinc et amicitiao connecto vineula nostrae.
Fiu- maneas talis mihi, qualis, aiuicc, f n ist i :
Hm- eg.» sincero promitto eonle vicissim.
Ap|)onebat (fikiac trrxu
Henricus Pilhan Nassovius.
Titel der Schrift vom Jahre Kilo*.
Sylloge ijiiaestionuin controversarum e Philosophiae viridario
dopmmptaruni : Pro quamm veritate sub clypoo doctiss. viri
Johannis Ilenrici Alstedi, Philosophiae in inoluto Naxsovi-
oruni Lyceo Profossoris solcrtissimi, Praeeeptoris sui eharissimi,
lmiltuniquo honorandi, in pnhlico philosophantium acroaterio pug-
nabit
Johannes Arnos, e Marcomannis Xiwnicenus.
Ad quam pugnam omnes sanioris Philosophiae eastra seijucntes
perainanter invitat
Tov rpiloaoyelv av&iv "jdiov h fi'uo.
Herbornae Xassoviorum, CID I.) CXI1I.
.\|<>nat»l»-fi<- ,V r < ..inriiiii"« .. Mm linft , 7
94
Nebe,
Heft 2 u. 3.
Widmiin g.
Viro revcrendo, clarissimo, Dn. Johanni Lanecio, ecclesi-
arum orthodoxarum , quae per Moraviam, Antistiti gravissimo,
dignissimo, fuutori benigno, salutem et observantiam.
En tibi, optimc Maccenas, grati animi Signum, peq>etuae
observantiae monumentum. Bencfactoribus deberi gratiam) vctus
ist verbum. Sed tibi quid a nie, qui ine dudum, (}ui nunc etiam
promoves, diJigis, ornas, et in futurum quoque studiis meis pro-
spicis, reddi potcst? Praeter verba nihil. Non nuda tarnen verba,
sed cum verbis animum, et sie nie ipsum tibi offero. Exhibeo
nunc etiam pagellas hasce philosophieas, ingetüi exercendi gratia
a me conscriptas : ens grati animi publicum testem exstare volo.
Demitte ergo te, magne Maccenas, et hoc quiequid est muneris,
manu benevola aeeipe; sed non nisi ut pignus, ut certi obsequii
arrham. Me etiam in posterum provehere, studia mea animare, et
currendi addere calcar ne desiste. Sic te duleissima cum conjuge
Hliaque sospitet aeterna salus Christus, inque suae Ecclesiae bonum
et nostrtim solatium Nestoreos in annos conservet »Sic voveo
et opto.
Tuae qui Reverentiae observantiss.
Johannes Arnos.
Alsteds Gedicht auf Arnos.
Iwdwtjs "Eggtxo; 6 'AÄaiyAios Aootori noostfoivti /ü>aif# uo A/itoi
xarTodcvril ugrtfl ififievorxi axovoif.
AvTOJiauoQ ßaoütvg xgadiav fieQÖxtooir cdaixe
diyaXeav yXvxrgds ^ovlvfta&tfftoavva?.
"Öx/Jioc iaa ovta>i apftiv xttpüafitvoe 'Afia>s
diyxodrjg ylvxeoäi ^ovivfia&Tjftoavrai.
'flgaros uoTcgöttt, xai yä jiolvdaidaXog, v&u>g,
Meraero? r' amöv vvxra xai ijftat) fy«.
'A/tuK, torofia atio xat wgavov dvußodatr
TIo6ooo> yaQ Kpdius xav Optra* igaxdv.
TSV 'EQßÖQvq rovftqvia 'lavovagiov hn
rv odgxov oixorofiiac
Titus' Gedicht auf Arnos.
Ad pietate et eruditione ornatiss. juvenem, Dn. Johann cm
Arnos, sympatriotam et amicum conjunetissimum.
Non (juod anicf« Sophiam mimm c«t, Amoae, vemudam:
Pulchrior haee Venen; est, digna et amore tuo.
Innumeroaque suis fruetu.« eultoribus adfert.
Dum redauiut mirit* nmdecoratque uiodk
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1894. ("omeniua' Studienzeit in Horboni. 95
Place quoque te redamat, facit ac, ut ameris ab Uli»,
A quibu» aswiduo culta labore fnit.
Haec te Lanetio »tudiorum sane patrono
No*trum commendat de meliorc nota.
Hincquo place» alii», Htudii qui pignora eernunt
Oerta tili, toti compicienda scholac.
Tc complector ob hanc ego nee minu» ipsus Am ort?
Magno, do*i»tam nee memor cs«e tui.
Tu tSophiam pergas modo condecorare nitentem:
Sic collu»trabit toque nitore »uo.
Dona tVac VI tat- Contlngant prospera fatIM
AnnVs et Is faVste (Vl)at AMosc tibi.
Gratulabundu» apponebat Matthacu» Titus Moravu».
Reiffenbcrgers Gedicht auf Arnos.
Sortilcgiu Lycophrontica Johanui Arnos, Juveni insigniter
litt-mto et venustate monim politissimo, amico unico eharo, amoris
testüicandi gratia composita a Junto Reif f enbergero Xassovio.
.Johannes Arnos Moravus, AmyQaftfjuina9tk
1. Amas Mnsas. Inde honor. (v. in d. verso.)
2. Ova: orna« ominc Musas.
Sit laus, ingenui» artibu» addero
Linguarum Studium, quanta decentium
O Arno«? tibi constat, ut arbitror,
Iucundi**imc: Sedulo
Nam conjungis amico quoque foedere
Linguarum Studium notitiac artium,
Imbutus quibu» es non »ine gloria
Et cultu» »atis artibus.
Hoc nostrac cathedrac pulpita non negant,
Kt novere, quibu» mens calet, optima»
Scrutari et variaa res studioeiu»,
Pracsentesque docent these»,
Sublime» quibu» in re» »crupulooius
Indaga», nitido et commemora* »tvlo,
Quae multo» alio» latent.
Macte acri studio ac ingenio tuo,
O Amosc, quod inquirit in ardua
Reruni; te juvenem sie comitabitur
Non vili» sed Honos deinen»:
Munas quandoquidem (nomine proprio
Sic to*tante) sacra» promptu» ovausque ama».
Ae orna» Claria» ominc nominis;
(JaunV vi lactns ob hoc ovn.
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Johannes Bündeiiin von Linz.'»
Eint* Besprechung von
J. Loserth,
l'niv.-rrt.fesNor in (im.
Dr. Alexander Nieoladoni in Linz hat das vorliegend««
Buch allen denen /um Dank geschrieben, die sich über die* Anfange
der Reformation in Oberöstcrreieh eingehender zu belehren wünschen,
und da man bisher ülwr die Wirksamkeit Bündcrlins und über die
Entstehung der oberösterreiehisehen Täuferbewegung von den
Arbeiten Becks und /um Teil auch .läckels abgesehen kaum
etwas Ausreichendes wusste, so werden auch die Faehgenossen das
Buch willkommen heissen. Schon die in der zweiten Hälfte mit-
geteilten Aktenstücke bringen nach mehreren Seiten hin Belehrung.
In ihrer Mitteilung liegt vornehmlich der W ert der Nicoladonischen
Arbeit. Indem ich «leren Verdienste willig anerkenne, kann ich
nicht verschweigen, dass ich ihren Standpunkt nicht ganz zu teilen
vermag. E* scheint mir immer noch zu gewagt, das Täufertum
an die älteren, dem katholischen Kirchcutiun widerstrebenden Rich-
tungen in dem Sinn«' anzuknüpfen, als wären sie einfach eine
Fortsetzung dieser. Zu verkennen ist ja nicht, dass an einem und
dem anderen Orte alte Strömungen mit den neuen zusammen-
flössen, aber verallgemeinern darf man da nicht. Es kommt ge-
legentlich der Fall vor, dass die älter«4 Oppositionspartei sich in
hewusstem Gegensatz zu allen kommenden Neuerungen hält. Und
dann, nirgends ist das Täufertum tiefer ins Volk gedrungen, als
in Tirol, w«> man von alten Oppositionsparteien bisher noch nichts
entd«'ckt hat. Ein anderer l .'beistand li«gt meiner Ansicht nach
in der Abgränzung «les Stoffes überhaupt. Di«' Täuferbewegung
iu Oberösterreich lässt sich nicht gut von der in den anderen
Ländern Österreichs abtrennen; si«- gehört vielmehr als ein Teil
zu diesem Ganzen; «*rst wenn sie in s« »Icher Weise dargestellt
wird, erscheint manches jetzt noch Dunkle hell und deutlich. Erst
') A. Nicoladon i, Johanne» Btindi'rlin von Linz und «lie oberöster-
reiehisehen Tiiufergoiueintkn in den Jahren ir»L'."» -1. ">:',]. Berlin 1S»»:{. tiürtiier»
Verlagsbuchhandlung.
18!>1.
I»*erili, .!ohiuuir> ltiindcrlin von Linz.
!>7
dann nicht man, dann, was hier geleugnet wird, die < »beröster-
reiehische Bewegung mindestens mittelbar mit der in Oberdeutseh-
land beziehungsweise der Schwei/ zusammenhängt. Stand ja doch
der vornehmste Dogmatiker der Partei leilv- und lebhaft im Kampfe
mit Zwingli selbst, und sind die spateren Ijchrsätze zum grossen
Teil eine Frucht dieser Kämpf«' gewesen. Endlich finde ich eine
Anzahl verein/elter Irrtümer; leider bin ich nicht in der U»ge,
über sie förmlich Buch zu fuhren und Rede zu stehen, da es mir
hier in Rom an den allcrnotwcndigsten Behelfen fehlt und ich mich
da, wo ich einzelnes vorbringe, auf mein (iedäehtnis verlassen muss.
Doch zunächst einiges über den Inhalt: Wie billig, geht der
Verfasser zunächst auf die Anfänge Bünderlins ein, behandelt
dessen Namen in den verschiedenartigen Fassungen und schildert,
soweit dies überhaupt möglich ist, Bünderlins Studien in Wien.
Die Hochschule hatte hier durch die Bemühungen Maximilians I.
einen mächtigen Aufschwung genommen, der freilich nicht anhielt.
Als Maximilian starb, dasselbe Jahr, da Bünderlin aus Wien ab-
zog, trat ein Rückgang ein. Bünderlins Studien dürften kaum
gelehrte Zwecke verfolgt haben: Wir finden, dass er niemals die
Doktorwürde erlangt hat. Ob er dann, wie Nicoladoni meint, seit
lf>H> als fahrender Scholar in Oberösterreich herumzog, ist freilich
nicht sieher. Gewiss ist, dass wir ihn 152b" im Lande treffen.
Hier hatte die neue Richtung allerorten Wurzel geschlagen: in
den Schlössern des Adels, den Mäusern der Binger und nicht am
wenigsten in den Hütten der Bauern. Bald sah man unter diesen
die ernsten Gestalten einhergehen, die durch eigentümliche Gruss-
und sonstige Zeichen vor den übrigen auffielen - die sogenannten
Wiedertäufer , denn wie in Oberdeutschland, so erschien auch
hier vielen die Tagesarbeit eines Luther und Zwingli nur als
Stückwerk. Man müsse dem Volk die Bibel in die Hand geben
und ein Leben wie das der Christen in den Zeiten der ersten
Kirche beginnen. Was Häusscr einstens irrtümlicher Weise von
Zwingli gesagt hat, da wo er den Gegensatz zwischen diesem und
Luther heraushebt: Zwingli verwerfe alles das, was sich nicht auf
die Bibel stützen und aus ihr erweisen lässt, das gilt in Wahrheit
von den sog. Wiedertäufern. Hie Schrift, Hie Schrift, ruft Zwingli
höhnend ihnen zu und wurde zu einem Verteidiger der Kinder-
taufc, von der die Bibel ausdrücklich nichts erwähnt. Diese
Partei gewann in allen deutschen landen mächtig an Boden.
Die Spättaufe war ihnen nicht der Endzweck, sondern nur das
Bundeszeichcn und das Mittel, um diesen Endzweck, nämlich die
Herstellung der alten Kirche, zu erreichen. Wie die Apostel, so
ziehen nun ihre Sendboten aus, und so entstehen in Steyer und
Frei stadt, Linz und Wel>, Enns und Gallneukirehen,
Guiunden und Grein, Perg und Lembach kleine Gemeinden,
über die der Verfasser schätzenswerte Mitteilungen beibringt. Dann
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ns
Ivoserth,
Heft 2 u. H.
trat die schwere Verfolgung der Jahre 1527 und 1528 ein. Bün-
derlin tritt verhältnismässig wenig hervor. Wir finden ihn in
Augsburg, begleiten ihn nach Nikolsburg, wo er auf Huts Seite
gegen Hubmaier stand; dann zog er nach Strasburg; von dort -
ausgewiesen — ging er nach Constanz. Über seine letzten Schick-
sale ist nichts Näheres bekannt
Am eingehendsten hat der Verfasser die litterarische Wirk-
samkeit Bünderlins behandelt: „Dessen Gott ist der Gott der
Mystiker, ein transcendentaler Gott, den man nicht mit den Sinnen
erschauen, nicht mit dem Verstände erfassen kann, der sich aber
der Intuition, dem innersten Herzensgefühl, der frommen sehn-
süchtigen Betrachtung offenbart; er ist das All, aus dem alles
geflossen ist, das alles umfasst, in das alles zurückkehrt. Die
Gabe, der Gottheit auf intuitivem Wege inne zu werden, sei ur-
sprünglich jedem Menschen eigen, denn er ist ja ein Teil der
Gottheit, ihr Wesen lebt auch in seinem" etc. In dieser Art
zeichnet der Verfasser die Ideen Bunderlins, von denen er dar-
thut, dass durch sie Sebastian Franck ') und Theophrastus
Paracelsus angeregt wurden. Mehr noch find«' ich sie in den
theologischen Schriften Ascher harn h wieder.
Im einzelnen finden sich einige seltsame Vorsehen und
Irrtümer. Wie kann Hubmaier vor Ferdinands I. Verfolgungen
in Stoyer in Österreich Schutz gesucht haben? Da wärt' er ja,
man erlaube den Ausdruck, dem Löwen in den Rachen gefallen.
Hubmaier weilt nur als Durchreisender in Stoyer. Seine Absichten
waren auf Mähren gerichtet. Dort herrschte bis zur Schlacht
bei Mohacs Ferdinand I. noch nicht, und dort konnte ein „jeder
unbehelligt nach seiner Weise seinem Glauben leben. In Öster-
reich war Hubmaier immer in grosser Gefahr nicht als Tauf-
gesinnter oder als Zwinglianer, wofür man ihn damals noch hielt,
sondern als Rebell, der dem Kaiser die Stadt Waldshut, wie seine
Feinde sagton, habe abwendig machen wollen. Dass die Ge-
schichtsbücher so wenig von Oberöstorreich melden, ist ja natür-
lich: es hoisst ihre Natur verkennen, wenn man übersieht, dass
sie das offizielle Buch nur einer Partei der Wiedertäufer sind
der Hutcrischen Brüder.
') Es ist ein besonderes Verdienst Nicoladonis, da.<s er fftr den geisti-
gm Zusammenhang zwischen Bfindcrlin und Seh. Franck zuerst die Beweise
beigebracht bat. N. druckt einen Teil des Briefe« ab iS. I2li ff.!, den Franek
im Jahre 1M1 an Joh. Campanus geschrieben hat, au« dem sich klar ergiebt,
wie hoch Franck selbst die Bedeutung Bunderlins für seine eigne Oeistcs-
entwicklung schützte. Franck nennt den Bünderlin reinen „Bruder im
Glauben." Leider enthält der Alxlruck des Briefes viele offenbare Druck-
fehler. Für die Würdigung Francks ist damit ein wichtiger neuer Faktor
gewonnen. Die Schriftleitung.
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Johann«* Hündcrlin von Linz. 00
Die Aktenstücke, die den zweiten Teil den Buehes füllen,
stummen aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchive, den Archiven
des Unterrichts- und Finanzministeriums, den l'assauer Akten des
Münchener Reichsarehivs, dos Nürnberger Kreisarchivs (Ansbaeher
Akten), den Archiven von Steycr und Freistadt und dem Stntt-
haltcreiarchiv in Innsbruck.
Rom, am 2K. November 1893.
J. Losorth.
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B. Litteraturbericht
Wir l>cahsiehtigeii, ehe wichtigeren Erscheinungen unseres Forschungs-
gebiets durch kurze Hinweise an dieser Stelle der Aufmerksamkeit unserer
Ixser zu empfohlen und bitten die Herren Verfasser und Verleger um Zu-
wendung der hierher gehörigen Litteratur.
18. „Das deutsche Kirchenlied der bö h m i s c h e n
Brüder im XVI. Jahrhunderte" von R. Wolkan (Prag, A.
Hmw, 1H91) will niu'hweisen, da.*s Michael Weisse, der löUl «las
erst«; Gesangbuch der deutsehen Gemeinden unter den böhmischen
Brüdern herausgab, zugleich auch der Verfasser der in dein Gesang-
buche von 1:V4-1 enthaltenen Lieder und Job. Horn, der Herausgeber
dieser neuen Ausgabt', aus der Reihe deutscher Liederdichter zu
streichen sei, und «lass die Lieder Weisses mehr, als bisher auf Grand
der Angaben des Lissaer Gesangbuchs von 10!):i angenommen wurde,
den Anspruch haben, als originelle deutsche Dichtungen zu gelten.
Den Schluss dieser Untersuchungen bildet ein Verzeichnis der deut-
schen Kirchenlieder der böhmischen Brüder mit Angabe jener prote-
stantischen Gesangbücher, in welche jene Aufnahm«- gefunden haben.
Auffallend ist «lahei, «lass die niederdeutschen Gesangbücher die
Lanier «ler böhmischen Brü«ler besonders bevorzugen. Di«' Schrift
bat den B«'ifnll katholischer uml protestantischer Fachgenossen, wie
Baumker, Kawerau, Achelis u. a. gefumlen; nur Truhlaf w«n«l«'t
sich im l'asopi* eeskeho inusea 1*91 (p. ">27 — "»:J2) gegen ehe Aus-
führungen des V«»rfassers, namentlich in «ler Abhängigkeitsfrag«- «ler
«leutscheu Lieilcr von «Ion tschechischen, ohu«- wirklich sachliche
Gegengriindc vorzubringen. Wie wir hören, wir«l W«dkan in citn'in
demnächst ers«'hein«'nden Buche: „G«'schieht«' «ler «leutscheu Litteratur
Böhmens bis zum Ausgange des XVI. Jahrhundert.*" g«gen Truhlaf
»Stellung nehmen und die Frage neuerdings erörtern.
14. Wichtig für die Frag««, ob «Ii«1 «leutscheu Kir»'henli««ler «ler
böhmischen Brü<l«T Übers«'tzunge»i aus dem Tschechischen sind, ist
«Ii«' Untersuchung Müllers, «lie «lers«lbe im „Dictionary of Hvmno-
logy, edite«! by J. Julian" (I^onelon, John Murray 1892) veröffentlicht
hat; sie giebt zunächst eine kurze* Übersicht «ler Geschichte eler
iKibinischen Brüder bis zum Jahre 11)21, verz«>ichn«'t «Ii«- «h'Utscben
und tschechischen Gesangbücbe>r eler Bri'nlcrge'meinden vom Jahr«' 1501
bis 1039 und ende t mit «'iner Wrgleichung der «leutscheu G«'snng-
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1S«M.
Litterutnrherkht.
101
hüchcr mit don tschechischen. Unabhängig von Wölkau kommt der
Verfasser zu dem Ergebnis, dass in Weisses Gesangbuch nur
12 Lieder sich finden, die als Übertragungen bezeichnet werden
können, wobei es oft schwer, ja unmöglich ist, zu entscheiden, ob
Weisse direkt das tschechische oder da* auch dem tschechischen Liede
zu Grunde liegende lateinische Original übersetzt habe; in dem
Hornschen Gesangbuche von 1544 finden sich nur 7 Lieder, die als
Übertragungen betrachtet werden können, während das grosse Gesang-
buch von 1 öOO 07 Lieder aufweist, die in eine Parallele zu tschechi-
schen oder lateinischen Kirchenliedern gebellt werden können.
W.
15. Eine Übersicht fiber die Geschichte der böhmischen Brüder
giebt O. Barkhardt im ersten Teile seines Buches: Die Brüder-
gemeine (Gnadau, Unitüts-Buchhdlg. 1803, Preis 2 M.), da* sich als
S. Auflage der zuerst 1774 erschienenen „Kurzgefassten Nachricht
von der evangelischen Brüder -Unität" Itczcichuct. Bei dem rein
praktischen Zwecke, den die Schrift verfolgt, und dem geringen
Seitenausmass, welches der älteren Geschichte der Brüdergemeinden
zugedacht ist, dürfen wir darüber hinwegsehen, wenn manche neueren
Forschungen wenig beachtet sind und auf die Darstellung wichtiger
Abschnitte in der Lehre der böhmischen Brüder, wie der Abend-
nmhlslehre, ganz verzichtet wird. In den Kreisen der heutigen
Brüdergemeinde wird die Übersicht das Interesse für die „alte
Unität", wie Burkhurdt die böhmischen Brüder im Gegensatz zu der
seit 1722 entstandenen heutigen Unität nennt, hoffentlich von neuem
anregen. Das Archiv der Unität in Hermhut besitzt viele wichtige
Aktenstücke, die, wie wir hoffen, allmählich zur Veröffentlichung
gelungen werden. W. und K.
lti. A fonnularv of the papal penitentiarv in the thirteenth
eenturv. Edited bv Henry Charles Lea» LL. I). Philadelphia, Lea
Bmthcrs and Co." 1802. 8° XXXVIII und 1S-* SS. Der Ver-
fasser hat Recht, wenn er in der Vorrede bemerkt, das* ihm wenige
mittelalterliche Dokumente begegnet seien, die in so mancher Beziehung
unterrichtend sind wie dieses. Es ist eine Smnmlung von :{">8 päpst-
lichen Entscheidungen in Rechtsfällen der verschiedensten Art. die
uns nicht nur einen Blick in die rechtlichen und sittlichen An-
schauungen und die Kulturzustände des 1 Jahrhunderts, sondern
auch in die Mittel und Wege bieten, mit denen die Curie die von
ihr erworbene Machtstellung zu sichern suchte. Das Buch enthält
(S. 50 ff.) einige Abschnitte, die auch für die Geschichte der In-
quisition wichtig sind. Eine ausführliche Einleitung des Herausgebers
erleichtert die Benutzung.
17. Das Umfassendste, was bislang über Ix>renzo Valla ge-
sehrieben, war Poggialis „Memorie intorno alla vita e agli seritfi di
Iyorenzo della Valle. Piacenza 1700". In neuerer Zeit hatten vor
allen Vahlens epochemachende Untersuchungen wertvolle Ergänzungen
Digitized by Google
1<>2 Littoratmben'cht. lieft. 2 U. .'i.
geliefert. Gegenwärtig liegt »-in«' zusammenfassende Arbeit von Max
von Wolff vor: „Lorcnzo Valla. Sein Leben und seine
Werke. Eine Studie zur Literaturgeschichte Italiens
im XV. Jahrhundert. Leipzig, Seemann 1893." Valla war
ausgezeichnet als Philolog, Philosoph und Kritiker. Uns interessiert
er in den beiden letztgenannten Eigenschaften als „einer der ersten
und kühnsten Pioniere des modernen Geistes in der Wildnis des
sinkenden Mittelalters", der in seiner Schrift über die Lust den
offensten Naturalismus gepredigt, im Dialoge über die Freiheit des
Willens der mittelalterlichen Dogniatik ins Gesieht geschlagen und in
der bekannten Kritik der Constantinisehen Sehenkungsurkunde durch
die aus iler Nichtigkeit des Schriftstücks gegen die Hierarchie über-
haupt gezogenen Folgerungen in nicht geringem Masse der Reforma-
tion den Weg zu bahnen geholfen hat. Die jüngste italienische Valla-
Litteratur, namentlich Mancinis „Vita di Lorenzo Valla. Firenze 1892",
hat Wolff leider nicht mehr benutzt. B.
18. Auf Anregung unseres leider zu früh für unsere Gesell-
schaft verstorbenen Diplom-Mitgliedes, Prof. Dr. A. v. Kluekhohn in
Göttingen, hat Dr. Georg Ladewig die Politik Nürnbergs im
Zeitalter der Reformation (von 1520 — 1584) einer neuen
Untersuchung unterzogen (Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht 1803).
Es kommt dem Verfasser vornehmlich, wie der Titel besagt, auf die
Haltung an, die die Stadtregierung in den politischen Händeln jener
Zeit zu den Nach harn und den grösseren Mächten eingenommen hat;
immerhin kann der Verfasser nicht umhin, auch die religiösen Be-
wegungen in der Stadt wenigstens zu streifen und da Nürnberg
längere Zeit auch ein Sitz der religiösen Volksbewegungen war, die
zum Forschungsgebiet unserer Gesellschaft gehören, so wollen wir
die Aufmerksamkeit unserer Leser auf diese sorgfältige Arbeit und
auf die massvolle und unparteiische Darlegung der betreffenden
Strömungen lenken. Sehr richtig bemerkt der Verfasser, dass sich
die Stadtregicrung als Vertreterin des strengsten Luthertums be-
trachtete und dass ihr die Reformierten für nicht besser als Wieder-
täufer und Sektirer galten; gleichwohl hielten sich Nachwirkungen
aus der vorreformatorischen religiösen Bewegung sehr lange in Nürn-
berg und im 17. Jahrhundert waren die Zweifel, die in Wittenberg,
J/eipzig und anderwärts an der luth. Rechtgläubigkeit des nürn-
bergischen Ministeriums auftauchten, sehr begründet. Die Männer,
die um 1524 das Stadtregiment leiteten die Seele aller Mass-
regeln war der Ratsschreiber Lazarus Spengler — haben auf die
religiöse Entwicklung nicht nur Nürnbergs, sondern ganz Oberdeutsch -
lands einen grossen Einfluss ausgeübt. K.
19. In einer Haller Doktor- Dissertation behandelt Edwin
Tausch „Sebastian Pranck von Donauwörth und seine Lehrer"
(Verlag von Mayer u. Müller in Berlin l S93. Preis 1.50). Tausch
weist mit Recht nachdrücklich auf die Verwandtschaft Francks mit
Digitized by Google
1894.
Litternturberieht.
loa
dem Gedankenkreiso der Humanisten hin, wobei freilich die Frage
offen bleibt, ob Franek von den Humanisten abhängig ist; ebenso
nachdrücklich betont Tausch aber auch die Ideengemeinschaft Francks
mit den deutsehen Mystikern, mit Tau ler, Staupitz, und der
deut sollen Theologie; auch die Zeitgenossen Denek, En tf eider
und andere sind nach Tauseh nicht zu übersehen. Die Bedeutung
Bünderlins als Lehrer Francks (s. oben S. 90 ff.) hat Tausch noch
nicht hinreichend hervorgehoben. Wir ersehen aus der der Schrift
boigogeboiicn Nachricht, dass Herr Dr. Tausch ein grösseres Werk
über die* religiöse Weltanschauung der Reformation vorbereitet. K.
20. Vor kurzem hat Dr. Joseph Beber, Direktor der höheren
weibl. Bildungs-Anstalt in A schaffen bürg, einen Beitrag zur Comenius-
Litteratur veröffentlicht unter dem Titel: Dos Johann Arnos Co-
menius .Sitten Vorschriften für die Schule zu Saros-Patak,
mit einem einleitenden Berichte über des Comenius Thätigkeit in Un-
garn vom Jahre 1050 -1054 ( Asohaffenburg, Wailandtsche Druckeroi
Akt.-Gesellsohaft 1893. 11 SS. 8°. Preis 00 Pf.). Die Schrift ent-
hält eine Ausgabe und eine wohlgelungene deutsche Übersetzung
der Praecepta inorum in usum juventutis eolleota, die in der Amster-
damer Ausgabe von 1057 abgedruckt sind, und die Comenius während
seines Aufenthalts in Ungarn im Jahre 1053 verfasst hat. Die Ein-
leitung (S. 1 — 19) zeigt uns in Reber einen in der Comenius-Litteratur
wohl bewanderten Gelehrten, dessen Name, wie wir hoffen, auf fliesein
Gebiete von uns nicht zum letzten Mal erwähnt wird. K.
21. Valentin Andrea ward von den Zeitgenossen, die sieh im
Besitz des rechton Glauhms wussten, vielfach und nachdrücklich der
Heterodoxie beschuldigt. Er hielt es für notwendig, sich in einer
besonderen Schrift gegen diese in jener Zeit äusserst gefährliche
Anklage zu verwahren und schrieb im Jahre 1022 eine Schrift
Theophilus, seil de Christiana Religione sanetius eolonda, Vita tom-
perantius instituenda, et Literatura rationahilius docenda Consilium.
Erwägungen verschiedener Art bestimmten ihn, die Drucklegung hin-
auszuschieben und die Abhandlung zunächst handschriftlich näheren
Freunden mitzuteilen. Da geschah es, dass das eigne Exemplar dem
Verfasser hei dem Brand von Calw verloren ging, so dass er wähnte,
das Büchlein sei ganz verloren. Da brachte ihm um das Jahr 1015
(genauer zwischen 1042—1049) sein Freund Magnus Hesenthaler
(vgl. über ihn M.H. der CG. 1892 S. 237 ff.) ein Exemplar dos
Theophilus von einer Reise mit; der Besitzer war kein nnderer als
Comenius gewesen. (Näheres bei Hülle mann, Val. Andreae als
Pädagog, Teil II, Leipzig 1893, S. 8.) K.
22. In der „Ztseh. für die Geschichte des Oborrheins" Bd. 47 (Jahrg.
1893) Heft 1 bringt Fr. v. Weech einen Aufsatz über die Erziehung
der Kinder dos Kurfürston Karl Ludwig von der Pfalz; o* finden
sich darin die ausführlichen Anweisungen, die der Kurfürst den Er-
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Littcraturltcrictit.
Heft L> ii. :?.
zichcrn im« I Erzieherinnen -t iix-r ht'idt-n Kinder. «le> Kurprinzen Kail
imil der Prinzessin Elisabeth Charlotte (der berühmten Liselotte), in
«len Jahren lfiaT — 106S erteilte. Kiner »ler Kr/.ieher war Ezechiel
Spanheini (r 1710), der als Diplomat und Gelehrter bekannt genug
ist (s. über ihn den Aufsatz von H. v. Petersdorf in der A. I). B.
35, 50 ff.). K.
23. Wie eine Fortsetzung und Weiterführung des (unter Nr. 3)
besprochenen Aufsatzes liest sich die Abhandlung, die Dilthey unter
dein Titel: „Das natürliche System der Geisteswissenschaften
im siebzehnten Jahrhundert" in Steins Archiv f. Gesch. d. Philo-
sophie V. (1892), 4 SO 502 veröffentlicht hat. Dilthey versteht unter
jenem „natürlichen System der Gcistcswisseiischaftei ben die Denk-
weise, wie sie in Leibniz, Grotius und anderen lebendig war, mithin
gerade »las System, dessen Vorkämpfer und Vertreter für unsere
Gesellschaft im Mittelpunkt des Interesses stehen. „Bewundert und
viel gescholten," sagt Dillhey S. 4SI. ..ist dies System doch der gross-
artig«' Ausdruck der nunmehr erreichten Mündigkeit des menschlichen
Geistes in Religion, Recht und Staat." „Wo die neue Ordnung «ler
Dinge zu fester Gestalt hat gebracht werden sollen, v<m der Errich-
tung der selbständigen niederländischen Föderalion bis zur Ausarbei-
tung des Lniidrcchts Friedrichs des Grossen, da hat es mitgeholfen."
E> bestätigt, nach Dillhey, «Ii»' Macht, «Ii«* «ine in sich geschlossene
Weltanschauung gewinnen kann. „Die Abwendung des lu-utigcn
Beamtentums und unserer Bourgeoisie von «l«'ii Ideen und ihrem
philosophischen Aus«lruck mag sich so vornehm geber«len, als sie
wolle: si«' ist nicht «in Z<ich»'ii des Thatsacheiisiuns, sondern «l«r
Geistesarmut: nicht nur natunnächtige Gefühl«-, sond«'in auch ein
geschlossenes Gcdankcusystem g«'b«-n «ler SoziaMeinokmtic uiul «h'in
Ultramontanismus vor «l« n anilern politischen Kräften unserer Zeit ihr
Übergewicht." Die Schilderung des Ursprungs «lieser Weltanschau-
ung, wie sie Dilthey gieht, ist sehr anziehend ; wir mach«-u besonders
auf «Ii«- Schilderung Coorn h«'i-t s aufmerksam (S. 4S7 ff). „Der erste
Schriftsteller," sagt er mit R«rht, „welcher nach dem einsamen Sc-
bastian Franck diisem («»fühl «l«r Sehnsucht nach Frie«len uml «ler
«lurch dasselbe bedingten Hingabe der G«'ister an die gemeinsame
moralische Grundlage alh-r C'onfessionen einen wirksamen Ausdniek
gab, war der Nie«lerländer Coornhert." Es ist erfreulich, dass Dilthey
hier wie in seinem früheren Aufsatz manch«' Namen wieder in ihn-
Rechte setzt, «Ii«' ihm'ii ni«- hätt«'ii verloren gehen sollen; wir ver-
weisen auf die Schihleruiigeii von Koolha«'s, Arminius, Epis-
copius, Chillingworth, Jer«'iny Taylor, Roger Williams, Jean
Bodin und amlere heut«' halbverg»ss«ne Männer. K.
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1M94. Inhalt neiuTcr Z<*it»**hrifton.
C. Inhalt neuerer Zeitschriften
105
Archiv «ttr •Uewrh lohte 4er IMillo-
•ophlc. IW. VII, M. ft 1>'>1: Ferdinand
Dil in ml er. Zur <»rphi».-h.-n KiMunnloific. -
H. Diel», (Vr IVmokrit.» I>!lmoiieni;laul.en.
Johulin.» Diilscke, Pntri»ti«-he ll.-ra-
k|i'ilx»>-S|>unii. Hurulil Hi.ffdinK, Die
Kontinuität im pliilowiphiai-hrn Kniwii-kluiiK«-
ganip- Knut». A. K-.pina«, Ijl phito»ophii-
de I'actiuii nu V. sieclc av. J. Cti. Paul
Tanni'ry, Sur lu <'<iiripo»ition de la Phy»it|iii
d'Arir<toto. Dowen h.-i m . IV-r Kinflu.-.»
Demokrit» auf «.alilei. Wilhelm Pilth.y,
(iiordam. Brunn und Spinoza. .lahn-»herlcht
ni«T sämtlich." Kri»cln'inunp<n auf dein (..-lii.-tc
der <.c!..hichte .ler Fhilo-ophie.
l*rciiMMlN4'h«> Jahrburher. ti.V Bd.,
I. lieft . Januar IWii : (i. v. S <• h 11 1 r..'-
(i «<■ v <• m i t /. , lVr NaliimaliMiiii« iu Kur-
land und «.in.- wirt«ohufllich«n Tränr.r.
CivU, Ein katholi-ohe- Kl.wt.-r. Wil-
helm l>ilth>'y, Die i;|aiihcii«l.-hr<> d.-r Re-
formatoren. Illtn llnrn:i<-k, Kim- neue
I":iii.«t-Krklßriiin;. Th. Frantc, l«t der
Kechuanwiilt . in Zwi»ch.-iih;iii.ller * Sehif-
Ii-r, H.-|»lik. A. v. Krie», l:.t ht».iiihcii
und <<cri.-ht!>vi-rfn»i>nii|{. Paul Sohl.-n-
tln-r, Aus den Berliner Tln-at.-rn. Hopu-oh-
tinu-n und |M>liri»ch<- C«rrv!»|K>nil<-nz.
Arehlcr \ oor XcdcrlMndHrhe Kork-
e<'<M>hlcdonl«i. I. di-cl. Afl.-v.-nm;. I. IWt:t:
I*. I'ypi-r, Ken ovorMyfsel van »Ii- ^mmImwu--
ilWI.-n in Ni-U.-rland. !•'. I,. Kut^i-r*. |v
N<derland»che vcrtuline van t'ulvyn» in--<chiift-ii
t.irvii d<- P»u«lo-Nii-odemietcn. HC. Kokk«*.
Na»chrift. J. .1. van T.mi ri-in- 11 In- igen ,
Ii.- Iir>< \- nsclutl d«-r N'-d'-rlandv-hr Il.-ivnrnide
K'-mit-nl.- Ii- IjhiiL-ii. Ovcrzit-hl van jjc-
'. Iii ilt.-ii iM-tii ffi nd.- .1.- .Wd-rland«. In- K> rk-
ü.-«-lii<iii>niN ov. r .1.- jan n !*»'• | *<,;•.
KellM-hrin flir exwkle Phllo-
Mophlc. K.I. IM, lieft t. \*x\: Ali-xi>
So h «arii-. Am Au-gann de» |!>, .lahrliniidi-rt.-..
Fin Ib-itrtuc zur Z>'itphiloMi|>(iif>. I,. I'ri'i»,
Kritixli.- Bcilrihco zur Analyw d.-r ('.»fühle.
Theodor Simon. Wid.-r.prii. In- und
Schwankungen in Ix.tzo'« Ulm- von d«-n
Diiir-ii B.-Hpr.chunK«-n.
Revue International de Tennelcne«
menl. Red. Ixlinond Drvyfui« - Brisac. V.lv
annce Nn \2: Somuiaire : H. Schiller, la
refornie d.- IVnsclKnement »*<»ondaliv <-n Prüm*.-
, <-n |s!»2. Charle» Dupiiix, la loi inili-
lain- et Ii- liecnce i-n droit. Sur la ncco»»iie
d'un (-n<H-ii(n.-ui.-iit national en Sui*»e tm.'-moirv
im-dit du eointo d'Autrnitpji'i.), puhli.'- |>ar
M. 1/ono.» Pingaud. Cir.ulair.» du _M
I uovriuliM- rvlativc mix corps de fucult.'-s.
Climtii.pu- di- l'.-iis.-i({n.-m.-nt. Nouvclles <-t
1 inforiuutions. Ac t.-» et dociimcnt» offici«-U.
HiMioüraphi.-.
Xeiie Jahrbücher fllr Phllwlovle
und PMdacoBlk. Hn-ü. von A If r. Fl.-rk-
( i-«.-!! 11. K. Kioliti-r. H7. u. HS. Bund.
II. Il-ft. Inh.: ('. Schirl! Iz, IM> K.-ih.-n-
I. ili»«' ili-r fünf .-rst.-n K.-di-n in Platmix Sym-
ponion iS.-hlnj.fi). O. K.'ll.-r, Zu Strahn»
(XIV. ti-Vt,. I HultKch, Zur Syntax b.
Ui-K. l'tol.-iuaios. .1. O.-ri, Zu iN-MioMhcnri.
(Olynth. 1 5 7i. Kraut h, Vi»rju-holt.-ii<-
Uind-r .1--. Alt. 1111111*. I. Iii.» ()»t|<r.-n»- d< r
Oikuiu.-n<- und d.-r Arax.'r» iS.-hliiMs». M.
K 11 b<- n s o h 11 , .-in.- i/lM-nu'tzuiig <!<•« Pauli!»
liiiikoniif 1111* d.-r (pi<»rhi!«-h<-n AiKhologi.-.
II. I. >•«■)-, Zu ll.-wi.ido*. K. V\" i I In- 1 111 ,
, Zu Tihiillns (KyrxdaniiifiHltl. <l.l W. Sti-rn-
kopf. Zu Cin-p» P<iiiip.-iann (S :ti|. K.
Poll.-, Zu Phädrii!. KaUdti IV. T. I.). f.
K. W. Müll-i-, Z11 Pomponiiis M.-la. - P.
I>. i'h. IL-nnitiR!«, Zu Cicvro» falo major
_'M. - K. tio. l.i-l, Zu Ovidiu» M'-ta-
iiiorph.'fn-ii iXV KR!) uihI ( o-rmiink'ux (Ptia>-n.
"i.V»i. — Int»., IV ti.-rmaiii.-i plia^iioim-ii.in
pr>H.-ini... Fr. Spiro, Hin It.- forma tor d.-u
tUili.-nifii hi-u Fnu rriihtsw.-p«.-!!-.. — Hartz,
I li<-r < ■«injum-tivu« diil.iUitivuH in di-r
itnaiiimalik. F r i 1 r. N o w uc k , ZuMtmnii-n-
| haiwiiil.- Strick.- ..di r »innclnc Sät*«- im la-
ii-iiii-><'iivii Kl.-iii.-ii tainiut.-rriolit ? Fi-rd.
liroiiiu-r, tMK-thi-'» römlfilu- Kl<»K>'-n und
1 ihn- Hui-lli-n (Sehl.). Otto Franke, An»
.Inn Na.lil; de» l«.-s»au.-r I'liiliiinliiopinn.
Kinr- \ii.»walil von Briefen iFoit».). K.-
ivnfoon.n.
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Hu. lnlnjrk. n l von Johann.-» Knill, Mßn*t<r i. W.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft
III. Band. < 1S!>4. > Hoff 4 11. 5.
Ueber den Zusammenhang der Erziehungssysteme
mit den herrschenden Weitanschauungen
verschiedener Zeitalter.
■
Von
Friedrich Albert Lange. ■)
Die Krziehung lebt in jedem Volk«- als die einfache That-
sache seiner sittlichen Fortpflanzung. Intcr der Pflege staatlicher
Ordnungen uml eines erziehenden Standes liebt sie sieh zur Kunst.
]>iese Kunst hat zu ihrem (i<igcnstande den Menschen in seiner
natürlichen E n t w i c k I u n g ; als Ziel den Mens e h e n in seiner
idealen Vollcndu ng. Als die höchste menschliche Kunst
wird sie somit auch wohl mit Recht die verachtetste sein; denn
ein jeder ist berufen sie zu üben und k e i n e r vermag es; der
grosse Hanfe aber ist in seiner Weise berechtigt, den Weit einer
Kunst nach den Leistungen ihrer Virtuosen zu messen. Trotz
ihres unvollkoinnmeii Zustandcs muss nun diese Kunst, wie jede,
«ine Wissensehaft als ihre Theorie er/engen, die Pädagogik.
Anthropologie und Kthik sind Voraussetzungen derselben; also
'> Der vorliegende Aufsatz . der da* Datum des 2A. Oktolwr 1n.m
träjrt, ist oftcnhai identisch mit der Aufzeichnung, die Innige seiner An-
t rit t svorlesung als Privatdoccnt in Houm zu (öiind gelegt hat; Ltiu^e
Ix-jraiiii seine Vorlesungen oln-n im Oktotar IN."«. Dies hat aueli schon
(). A. Ellissen < Friedrich A liiert Imlage, Leipzig IS1»1. S. !»1 » vermutet.
Flüssen hat aueli mit H«rht aut dm reichen Inhalt d< - Auf>at/.> auf-
merksam gemacht, der hier zum eisten Mal gedruckt wird. - Die entschie-
dene Ifei \orliel)iing der Itedeiitun^ der F.|-/iehun^lehiv als Wissenschaft.
M.m.n-ii.fi- il.-r e.itin iiiii--i ;. s, ii.< ii;i(t |S'.t|. ^
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los
Heft 4 ii. 5.
kann sie erst mit der Philosophie und durch dieselbe wirklich
entstehen. Aber sie miiss auch mit der Philosophie entstehen;
denn weder ist eine Anthropologie vollständig, welche den Menschen,
wie er in der ( Jcscllschaft loil>l i<*li und geistig t*ic*li heranbildet,
nicht beachtet, noch eine Ethik befriedigend, welche keine Mittel
zur Erreichung ihrer Ideale kennt, noch endlich eine Politik
zweckdienlich, welche es vergisst, den für gut erkannten Zustand
des Staates durch eine weise Ordnung der Erziehung erhalten und
fortbilden zu lassen.
Wie steht e> nun aber mit dieser Notwendigkeit der Philo-
sophie und der Pädagogik in der Geschichte? Bekanntlich fügt die
(lese Iii chte sich oft weit schwerer noch in einen dialektischen
Rahmen, als etwa die lebendige Natur sich in den Systemen der
Botaniker und der Zooingen unterbringen lässt. Und in der That
sehen wir z. B. Kant, der alles kritisierte, lediglich ex officio
Pädagogik lesen nach einem ljcitfndcn seines Vorgängers. Fichte
fällt völlig aus dem Himmel seines idealistischen Systems, wo er
die Pädagogik zum (iegenstande hat. Sendling hat dieselbe ver-
gessen und Hegel, der als ( iymuasialrektor seine I^ogik schrieb,
wurde als Professor der Philosophie von der Cholera dahingerafft
über dem Vorsatze auch eine Pädagogik zu schreiben. Freilich
ist «lieser Vorsatz allein, \<>n dem ^uis Thaulow berichtet, mehr
als Alles, was Kaut und Fichte gethan haben, weil er den (Je-
danken an die Notwendigkeit dieses Stückes für die Philosophie
selbst bei einem Manne wie Hegel war, voraussetzen lässt. Im
auffallendsten Gegensatz zu «lieser allgemeinen Unterlassungssünde
der Philosophie sehen wir auf der andern Seite ein Heer von
Atitixlidukt.cn in verschiedenen Stämmen, Rousseau, Basedow,
Pestalozzi an der Spitze, gegen Alles auf dem Felde der Erziehung
und des rnterrichts Bestehende mit schonungsloser Energie an-
rennen. Niemand war unerzogener als Basedow, niemand ungelehrter
die «Irr Anfall/, enthält, verdient ebenen sehr Beachtuiig, wie der richtige
(iednnkc, das« die < it^fhic-lit** der KrzichungsMire da* Thor sei, durch das
sie allein ihren würdigen Kinzug in den Kreis der älteren und bevorzugten
Wissenschaften halten kunne. Auf das interessante Urteil über Conicnius
machen wir besonder* aufmerksam: Uomcniiis ist der einzige, dessen System
Lange ein „eigne-, wahrhaft philosophisches Prinzip" zuerkennt.
Wir liahen die licchtschrcihung. wie sie «ich in Langes Urschrift findet,
beibehalten zu sollen ««'ghuibt. Anmerkung der Schrift leitnng.
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1S!)4. f ''*'»' 'I«'« Znsammeiihang «W KrzH'hunp<8\>1iim- .«t<\ | 0}t
als Pestalozzi, und welche Kollo spielten diese Männer in der Er-
ziehung und I>ohrc, ohne die Philosophie nur im mindesten um
Erlaubnis* zu fragen-!
Nachdem gegenwärtig der Sturm unserer Idealphilosophie
mit seiner berauschenden Wirkung vorüber ist, dürfte es zur Ab-
rechnung mit der Vergangenheit vor der Eröffnung neuer Blätter
wohl einer der wichtigsten Punkte sein, die Philosophie für die
Vernachlässigung der Pädagogik, diese hinwiederum für das Wagnis
ihres selbständigen Auftretens zur Rechenschaft zu ziehen, indem
wir erforschen, welche inneren oder äus.>eren Verhältnisse diesen
Erscheinungen zu Grunde liegen. Eine vollständige I^ösung dieser
Frage setzt freilich eine Geschichte der Pädagogik vonms, zu der
auch von Räumer nur das Titelblatt und die sehätzenswerthesten
Beiträge geliefert hat. Für die heutige T ntersuehung kann es
sich daher nur um die Andeutung der ( irundansohaunng handeln,
von der wir ausgehen.
Wenden wir uns nun zur Gewinnung des richtigen Aus-
gangspunktes zu den Völkern der alten Welt, insbesondere den
Griechen und den Hebräern, so zeigt sich hierauf jeder Stufe
eine völlige Harmonie der Erziehungsprinzipien mit der gesaiumtcn
Weltanschauung, und die Philosophen auf der einen Seite, die
Propheten auf der andern sind vor Allem auch I^ehrer und Erzieher.
Bei den Hebräern war es bei völliger Einheit des religiösen
und des nationalen Bewusstschis das Gesetz Gottes, was die Welt-
anschauung des auserwählten Volkes in allen Peilen bestimmte
und durchdrang. Die Erziehung der Kinder war, wie auch Pahncr
in seiner Pädagogik sehr richtig bemerkt, im Ganzen keineswegs
ein Hauptaugenmerk der Einrichtungen des alten Hundes; aller-
dings giebt «las Gesetz nirgendwo spezielle Vorschriften über
Sehuleiurichtungen und Methoden; aber wenn Palmer diese Bo-
merkung dadurch erklärt, dass er sagt, „weil alle sieh Gott gegen-
über im Stande der Erziehung wissen, so kommt es zu keiner
wirksamen Tutei-scheidung zwischen Mündigen und rnmündigen
innerhalb des Volkes", so kann man wohl kaum mehr irre gehen.
Vielmehr niuss derselbe Geist der Erziehung durch das Gesotz,
der eben das ganze Volk als unmündig erscheinen lässt, in der
Erziehung sich wiederum als Faktor vorfinden; daher denn die
.lugend, man könnte sieh fast mathematisch ausdrücken, in einer
H
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110
Heft 4 u. 5.
potcnzirtcn rnmündigkeit unter einer potcnzirtcn Zucht des
Gesetzes stehend erscheinen muss. Dass mit diesem Charakter
einer züchtigenden Erziehung dir einschlagenden Stellen dos alten
Testamentes vollkommen übereinstimmen, bedarf gar keines Nach-
weises. I'almer liat sieh, indem er naeh lTnterwcisungslehren und
Schulmethodcn aussehaute, verleiten lassen «'inen Theil für das
Ganze /u nehmen. Das Moment der Bildung ist hei den Hebräern
noch nicht ausgebildet, wenigstens noch nicht in der Zeit der
Gesetzgebung; daher der Mangel jeuer speziellen Vorschriften ;
das Moment der Zucht aber, das erste, wodurch die Erziehung
sds bewusste Kunst sich übei das natürliche Wachsenlassen erhebt,
«his Fundamentalelement wirklicher Erziehung, ist bei den Hebräern
bedingt durch den (lang der göttlichen Führung in ihrem ganzen
Volksleben hell ans Licht getreten.
Im Gegensatz hiezn zeigt sich nun leicht das Element der
Bildung als das eigenthümlich hellenische. Man wende uns nicht
die Strenge der spartanischen Zucht ein, als ob diese uns vielmehr
die Erziehung der hellenischen .lugend von der entgegengesetzten
Seite zeige! Kraft, Schönheit, Kriegstüchtigkeit und Gewandtheit
in den Künsten der Musen, das waren die Zwecke der Spartaner
wie der übrigen Hellenen in der Erziehung; also wesentlich
Bildung, bildnerische Vervollkommnung des rein Menschlichen
in I^'ib und Seele. In dem Vorherrsehen dieser Weltanschauung
von »1er Kallokagathie als dem wahren und höchsten Ziel aller
Erziehung beruht in Wahrheit mehr als in allem Andern die
Einheit der griechischen Stämme. Häher war dieses I^and ein
wahres Ijjmd der Gymnasien, an deren gemeinsame Bestrebungen
sich die gemeinsamen Nationalspiele, die Blütenfeste der ge-
wonnenen Bildung, verherrlichend anschlössen. Der rauhe Charakter
des dorischen Stammes, der alles beherrschende Staatszweck modi-
heirten die Bildimgsweise Spartas, aber der Gnmdeharaktcr blieb
derselbe. Das Vorherrschen <les Staats/.weckes ist übrigens ein
zweiter, den Griechen mit den Hörnern gemeinsamer ( 'hamkterzug,
während bei den Hebräern im Grunde der Staat selbst in der
Heligion aufgeht. Ganz analog damit entspricht dem religiösen
Element der Hebräer auch wieder die eigentliche Familien-
erziehung, die bei den Griechen völlig zurücktritt. Dem staat-
lichen Prinzip entspricht die Sehulerziehung, die hinwiederum
bei den Hebräern erst spat in einiger Ausdehnung sieh findet.
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] SS) i. I'Iht iIpii ZiHnmmenhuiig der Krzichun{r*y*U'tni' etc. 1 1 |
Aber wir haben die Griechen neben dieser nationalen Be-
deutung noch in einer zweiten wichtigen Hinsieht zu betrachten:
als die Träger der alten Philosophie. Wir brauchen kaum zu
erinnern, dann bei einem Volke, wo so vollkommen die äussere
Form der Entwicklung dem inneren treibenden (leiste entsprach,
auch hinsichtlich des Verhältnisses der Philosophie zur Pädagogik
dieselbe Harmonie stattfindet. »So lange die Philosophie in ver-
einzelten Aussprüchen der Weisheit auf einer vorbereitenden Stufe
sieh fand, war es nicht anders mit der Pädagogik ; die physischen
und metaphysischen Knigen der ersten Systeme berührten die Er-
ziehung wenig, weil sie das geistige Ix-ben des Mensehen noch
wenig berührten; ein Philosoph wie Pythagoras über widmet«' dem
Erziehungswerke seine wärmste Sorge, Als eigentliche Wissen-
sehaft wird sodann die Pädagogik vorbereitet und gleichsam
ins Dasein genötigt durch die Sophisten; allseitig bearbeitet und
theoretisch wie praktisch begründet durch Sokrates; ausge-
führt in wirklichen lichtvollen Systemen durch Pluto und Ari-
stoteles. Freilich büsste, seit die Sophisten die Erziehung von
dem Standpunkt unbewuwster Sicherheit verrückt hatten, die Praxi*
derselben ihre urwüchsige Gesundheit mehr und mehr ein. Aber
das Prineip der Subjectivität, eine nothwendige Krrungensehaft fin-
den ferneren Fortseh ritt der Menschheit, war einmal gewonnen
und wurde durch Sokrates Hand aus dem Wüsten gezogen und
zum (inten gewendet. Die griechische Nation eilte der Erfüllung
ihrer Aufgabe entgegen.
Eine Verfolgung unserer Frage durch die Systeme des Pluto
und Aristoteles hindurch würde lediglieh einer Darstellung der-
selben gleichkommen; dazu aber reicht für uusern heutigen Zweck
die Zeit nicht hin. Hat. doch Kapp in seiner gründlichen Dar-
stellung der Erziehnngslehre Piatos diese schon von vornherein
für identisch erklärt mit der praktischen Philosophie desselben,
ein ähnliches Verhältnis aber für Aristoteles nachgewiesen, der
nur das Ideal der Ethik und Politik in strengerer Sonderung von
den pädagogischen Mitteln zur Erreichung desselben aufstellt.
Das aber mag noch hervorgehoben werden, das* gerade die Staats-
pädagogik dieser beiden Philosophen in ihrem umfassenden Begriff,
sich gegenseitig ergänzend, den eigentlichen Gipfelpunkt der philo-
sophischen Arbeit Griechenlands überhaupt bildet, liier zeigen
sich die beiden Ideale, denen Hellas nachgerungen, die Kallokugathic
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Heft J u. r».
als Ziel einer vollendeten Bildung, die Glückseligkeit der Einzelnen
und Harmonie des Ganzen als Folge eines vollendeten Staats-
lebens, mit wissenschaftlichem Bcwusstsein erfasst, in Eins ver-
schmolzen und als möglich gedacht durch den Begriff einer voll-
endeten Pädagogik. Auf dieser Höhe angelangt staunt man mit
Recht, wie die durch Jahrtausende sich hinziehende Bewunderung
für die Griechen so selten bei diesem Brennpunkt«' ihres geistigen
Ix'beiiH verweilt hat. Hegel gedachte die Pädagogik wieder in
diesen» umfassenderen Sinne einer Staatspädagogik zu nehmen ;
aber unserer neuereu Idealphilosophie war es nicht vergönnt, sieh
mit dieser letzten Krone zu schmücken.
Wie in seiner ganzen Entwiekelung, so ist Hellas auch noch
gross und vorbildlich schöpferisch in seiner Deereseenz. Vom
t hat kräftigen Leben zur Kunst, von der Kunst zur Philosophie,
von der Philosophie zur Gelehrsamkeit , von dieser endlich zur
auflösenden, aber auch aussäenden Popularisirung seiner Schätze
zieht sich ein Kreislauf für die Nachwelt gleich wichtiger Er-
scheinungen. Die Stiftung gelehrter Schulen zu Alexandria war
noch eine letzte volle I/ehensäusseruug des in so vielen Stadien
bewährten Geistes. In Bvzanz und besonders in Korn fand die
Aussaat statt, von deren Ernte wir zehren. Die eigenthümliche
Entwiekelung Horns wird durch dieses Ferment so bestimmt, dass
sie nur nach der Versetzung mit demselben direkte mal ent-
scheidende Bedeutung für die späteren Nationen hat, obwohl gar
manches hier noch zu verfolgen von Interesse wäre.
AVir eilen dazu, die Bedeutung des mm sich verbreitenden
Christenthums für die Entwickelung der Pädagogik zu be-
trachten und nach einem Blick auf den allgemeinen Charakter
des Mittelalters zu dem schwierigeren Thcile unserer Frage über-
zugehen.
Im Christentum stellte sieh die Verschmelzung der Ideen
des gereiften .Itulentliunis mit den Schätzen des klassischen Altcr-
thuins dar; teils in der einfachen Form ihres ursprünglichen Wesens,
teils in i'iner transscendenten Idee der Verklärung: das Gesetz
wird Freiheit, der Gehorsam Liebe, als des Gesetzes Erfülluny;.
Die reine Menschlichkeit bestimmt sieh zur Gottmcnschlichkcit ;
die Bildung zur Heiligung des ganzen Daseins.
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ISO 1. C Wer den ZiisantiiH-nhaiig der Er/.irhuiij.'ssYMc h<\
Ii:?
In Uebercinstinunung mit dieser Verschmelzung ersieht min
das Christenthum für die Kntwickelung der pädagogischen Idee
von vornherein dir Synthese der beiden oben getrennt erkannten
Momente, der Zneht und der Bildung. Die Zucht selbst wird als
die wahre Bildung und die Bildung als eine neue Zucht des
Geistes erkannt. Die Familie und die Sehlde, das religiöse und
das staatliehe Element, erhalten in gegen seither Bedingung und
harmonirender Ergänzung ihre wahre Bedeutung. Wenn aber
mit dieser Synthese zugleich gesetzt und gcfonlcrt wird, dass die
Zucht zur Freiheit, die Bildung zur Heiligung wenle, so ist doeh
nicht gesagt, dass diese vollendeten' Korm auch historisch gleich
gegeben sei. Bedenkt man, dass dieser ganze neue Kcichthum
entwicklungsfähiger Keime, diese Welt neuer Ideen, die nach
Können zu ihrer Ausprägung drängten, nicht auf einem schon
gebildeten und vorbereiteten Boden sieh entfalten, sondern viel-
mehr unter einer Reihe von neuen, ungebändigten Völkern all-
mählich aufgehen sollten, so begreift man leicht, dass als Duivh-
gangsform ein neues Gesetz und neue Bildungssehulen das ganze
Leben dieser Völker tunspannen und durchdringen mussten, wähivnd
die Vollendung des Christcnthums nur im Mysterium dem Glauben
geboten war. So sehen wir wieder das ganze Mittelalter im
richtigen Lichte nur unter dem Gesichtspunkte der Pädagogik.
Hier könnte man vielleicht wieder mit Bahner sehliessen, „dass
es eben desshalb, weil Alle sieh Christus gegenüber im Stande der
Unmündigkeit fühlten, es zu keiner wirksamen Unterscheidung
zwischen Mündigen und Unmündigen gekommen sei"; aber davon
weiss die Geschichte anders zu erzählen.
Der Ritterschlag, das Meisterstück, die Priesterweihe, die
Doktorwürde — lauter Doeuineute einer scharfen Sonderung der
relativen Mündigkeit auf den verschiedensten Gebieten. Bei dem
naiven Charakter dieser Zeit, dem Vorwalten der gegebenen ob-
jektiven I^ebensverhältnisse war die Philosophie selbst nicht frei
und daher nicht auf dem Standpunkt der Wissenschaft. Trotzdem
dass sie in der Krarbcitiuig neuer Können und Begriffe für die
überlieferten Ideen und Anschauungen ein ungeheueres Kehl durch-
pflügt«', blieb sie dennoch wesentlich eine Kunst. Auf demselben
Standpunkt der naiven Kunst Huden wir somit auch die .Jugend-
erziehung. Alles hatte seine fest bestimmten liegein, mit denen
der Meister handlieh umzuspringen wusste, ohne das Bcdürfuiss
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III
Heft I u. ö.
einer wissenschaftlichen Begründung derselben zu empfinden. Wir
können diese Stuf«' etwa mit «lein Zustand der Krziehung in Spart»
oder in Griechenland überhaupt vor dem Auftreten der Sophisten
vergleichen. Aber auch da.«* Mittelalter sollte dem Durelibruch
der Siihjcctivität entgegcm'eifcn, und es erfolgte die Reformation.
Längst schon war ein Seufzen nach ihr duivh alle edleren Gc-
mütiier gegangen. Kein«' Sitten in der Kirche, 'reines I^itein in
den Schulen wünschte man mehr und mehr. Her von Italien
über Frankreich her sieh verbreitende Humanismus begegnete
namentlich in Deutschland, wo ein Tauler und Geiler prophetisch
redeten, dem Mvstieismus. An allen Orten bildeten sich in
steinender Klamme neue l "ebei-zeugungen. reberzeugungen , die
mit unmittelbarer < ilnuhensgewisshcit die Seele von Männern er-
griffen, welche in der Schule des Gehorsams gereift und gestählt
waren.
Neben dem humanistischen und dem religiös-philosophischen
Klctncnte machte sieh als ein drittes «las politische geltend. Im
Volke verlangten indessen alle edleren Kiemente vorab nach
liiutcrung der Sitten und grösserer Innigkeit des Gottesdienstes.
Die Mvstiker, welche dies vor Allen zu gewähren schienen, fanden
deshalb grossen Anhang; aber gerade sie waren es auch, in denen
das philosophische Bcwusstsein von der Geltung des Subjectes
am meisten zu Tage kam. l'nter ihnen entwickelte sieh, wie gar
manche Stellen ihrer Schriften beweisen, ein Hass gegen die Ge-
lehrsamkeit, die an sieh charakterlos und zum Dienste des Stärkeren
geneigt schien. Kine Krschütterung der damals herrschenden
Gelehrsamkeit war also von dieser Seite gegeben. Die Scholastik
und das Monopol des* Lateinischen erlitten « inen zweiten Stoss
von der entgegengesetzten Seite, durch die Humanisten. Diese
entdeckten das Griechische wie eine neue Welt, zogen den wahren
Aristoteles ans Lieht, und weiter sehreitend kamen sie dazu, den
Gegensatz ihres eigenen Treibens, den Realismus selbst ans Licht
zu fördern. Denn wer lebte mehr in der Natur selbst als die
Alten? Wer hatte ein offeneres Auge für alle Dinge des I^chcns
als namentlich die Griechen'.' Von diesen selbst lernt»' man es,
die Physik, die Geographie, die Astronomie und vor Allem die
Mathematik zu schätzen. Ks gab jedoch unter den Humanisten
eine äusserste Rechte, die ( 'iceroninnor, welche schon Krasmus
bekämpfte. Diesen gehörte im Wesentlichen Johannes Sturm an,
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IM» l. f'lwr ilt d Zii-aiiuiit nliuiij: «Um* Kr/.i( luiii<r->y-t» iiU' « i«*. | 1
während Mclanchthon der Hauptvertreter der freieren Richtung
war. Wir werden nun der Keilie nach sehen, wie die verschiedenen
Riehtungen und Bestrebungen auf dein (iehiete der Pädagogik,
und naiuetitlieli in den Schulen, ihren Ausdruck fanden.
Wir herinnen billig mit den eigentlichen Schulmännern und
unter diesen mit dem berühmten Johannes Sturm. In diesem
Manne Huden wir das am wenigsten fortgeschrittene Klemmt der
Reformation, den Gedanken einer grossen Verbesserung und
Läuterung ohne wesentlich neue I'rincipicn auf das Schulwesen
angewandt. Zu bemerken ist hier gleich, was bei Trotzendorf uns
wiederum begegnen wird, dass im Gegensatze gegen die classische
Kinfachheit der Kutwieklung keineswegs jeder Hauptvertreter einer
Richtung diesellx- durch alle I«ebens<rebiete klar und conseiment
durchführt. Im Grossen und Ganzen aber gleicht sieh diese In-
conseipienz aus. So ist hier gleich Sturm auf pädagogischem
(«•biete Vertreter der äusscrstcn Rechten in der Bewegung, wäh-
rend derselbe Mann in seinem hohen Alter noch als Kämpe gegen
den überhandnehmenden Dogmatismus mit Heftigkeit auftritt und
darüber seines Amtes entsetzt wird. Sein Ideal als Zweck aller
Schulbildung war Frömmigkeit, Kenntnisse und Kunst der Rede;
aber das letztere unter diesen ist es, was ihm ans Herz gewachsen
ist, die Kunst der Rede, näher bestimmt als ciceronischc Gewandt-
heit und Eleganz im Schreiben und Sprechen, v. Raumer hat
trefflich nachgewiesen, wie sehr dieses Streben all seine Ein-
richtungen und Bemühungen lenkt und bestimmt, wie gering in
der Thnt das scheinbare Streben nach Realismus war, wie ver-
nachlässigt der Unterricht in der Muttersprache. Aber gerade
durch diese C'oneentration seines Strebens leistete Sturm Be-
deutendes.
Meister in seinem Störte, uucrmüdlieh im Amte, geschickt
und erfinderisch in belebenden Methoden, war er zugleich der
Träger einer der grossen Bestrebungen seiner Zeit, der Reform
der barbarischen Latinität, und dadurch wuchs sein KinHuss ins
rnenncssliche. Zahllose Schüler strömten ihm zu; manche Schulen
musste er einrichten, andre kamen an seine Schüler, andre nahmen
seine Ordnungen /.tun Muster; der Einfluss derselben erstreckte
sich über ganze Länder.
Die fortgeschrittenere Richtung des Humanismus, zu der
Erasmus in Deutschland den Hnuptanstoss gegeben hatte, Huden
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11«
Hoft -i 11. r>.
wir, wie schon erwähnt, in Melau cht hon rcpräscntirt. Obschon
dieser Mann das Reetornt de« Xürnlierger Gymnasiums ausschlug,
weil er einer solchen Holle nicht gewachsen sei, wird doch er
mit. Recht als der praeeeptor Gcnnaniac gefeiert, und sein direkter
und indirekter Kinthiss auf die ganze Natur des Gynmasialwcsens
war wohl der grösste und entscheidendste, der von einer einzigen
Persönlichkeit ausgeübt wurde. Sein«' Schöpfungen waren nament-
lich auch desshalb so dauerhaft, weil die grosse realistische Bildung,
die er als achter Humanist sieh erworben hatte, ihn ein festes
Verhaltiiis« zwischen diesen Elementen durch eine freilich ent-
schieden subordinirendc Anerkennung der Realien finden Hess.
Dadurch wurde die Autorität des lateinischen in der That gegen
die Augritte, die in der Zeit lagen, mehr gesehfitzt als geschwächt.
Die Einführung des Griechischen war, namentlich als Keim für
die Zukunft, wichtiger, weil diese Sprache, indem sie die wahren
(.Quellen der Bildung eröffnete, die römische Schulform von Seiten
der Wissensehaft ebenso uberflüssig zu machen drohte, wie dies
in andern Zweigen des Ijchcus bereits geschehen oder ebenfalls
vorbereitet war. Man sehreibt sogar «lein Melanchthou nicht mit
l'nivcht die Absieht zu, durch eine Herausgäbe des Aristoteles
eine ähnliche Reformation zu Stande zu bringen für die Philo-
sophie, wie Luther sie für die Theologie durch seine Bibelüber-
setzung zu Stande gebracht. Jedenfalls hat sein Wirken einen
ilauptanthcil an der Beseitigung der pseudoaristotelisehen Scho-
lastik. Unter den Männern, die Melanchthons Richtung in der
eonsequenten Wirksamkeit eines langen Lebens verfolgten und
ausbildeten, war Michael Neun der der bedeutendste; bei ihm
findet sich eine gründliche Betreibung der Realien mit Virtuosität
im sprachlichen rnterricht verbunden.
Vielleicht die merkwürdigste aller Erscheinungen auf dem Ge-
biete der neueren Pädagogik bildet die Schule Tro tzendorfs zu
Goldberg in Schlesien. Hier haben auf die eigenthümlichstc Weise
die politischen Ideen der Zeit, mitten in einer rein pädagogischen
Welt, einen Ausdruck gefunden. Der Grundgedanke, die Schule
als eine Republik zu organisiren, die unbedingte Gleichstellung
der vornehmsten adeligen mit den geringsten bürgerlichen Schülern,
die spezielle und sorgfältige Gesetzgebung, die Benutzung der
Schüler, nicht mir, wie auch Sturm es that, zu Dccurioncn und
Monitoren, sondern zu einer grossen Reihe der mannigfaltigsten
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]N!M. * I'Imt <1<-ii Zu^aiiniH iilianj; «Ii i- Kr/.icliini)rr.-v-tciur «■)«•. 1)7
Acniter, ja <-ntlli<-h dir Einsetzung förmlicher Gerichtshöfe, in
denen Schüler über Schüler ohne Ansehen der Person zu Recht
süssen alles das konnte nur unter dein Einfluss einer so all-
seitig und namentlich auch politisch so bewegten Zeit sieh gestalten
und Anerkenn im«; Huden. Kreilich war die politische Richtung
des Geistes bei Trotzendort' in die Pädagogik nicht nur ein-
gegangen, sondern auch völlig in derselben aufgegangen ; sein
ganzes lieben, namentlich auch sein hartnäckiger Kampf gegen
Sehwenkfcld zeigt ein treues Halten mit der soliden Krönt der
Reformation gegen Abwege und Extreme. Dennoch that er in
seinen Schuleinriehtungcu , was er that, mit gutem Bewusstscin
und Hess als gewaltiger dictator perpetuus in seiner Republik
keine seiner Einrichtungen zum Schein oder gar zum Spott weiden.
Ks wird als seine ausdrückliche Absieht erwähnt, durch diese
Können die Schüler für das politische I>eben vorzubilden und
ihnen Ehrfurcht gegen Gesetze und Behörden zur Gewohnheit zu
machen. Auch war in der That Trotzendorf jedenfalls ein wenn
auch für die Staatswirksamkeit verlornes politisches Talent. Zu
der grossartigen Gabe der Organisation, die sich in seinen Ein-
richtungen zeigte, gesellte sich ein solches Herrsehertalent, dass
Mclanehthon von ihm sagte, er sei zum Regieren einer Schule»
wie Seipio zum Regieren eines Iglgeis geboren, und in der That
mochte bei einer so grossartigcii Anstalt die erforderliche l>eitungs-
fähigkeit der eines Kcldhcrrn nicht so unähnlich sein. Trotzendorf
soll sich gerühmt haben, wenn er einmal alle seine Scholaren
zusanmienberiefe, wollte er ein Kriegsheer zusammenbringen, das
auch wider die Türken genug sei. Oer charakteristische Irrthum
eines späteren Lehensbeschreibers zählt zu Trotzendorfs Schülern
den grossen Wallenstein. I>as Lateinsprechen trieb übrigens
Trotzeudorf in seiner Anstalt bis zum Extrem, so dass es ihm
fast gelungen scheint, die Muttersprache aus seinem schlesischen
Uitium zu verbannen. ]>ies ist um so merkwürdiger, da es au
sich ganz gewiss in den ( 'onsei|Uenzcn der Reformation lag, die
Autorität der lateinischen Sprache von ihrer Höhe zu stür/en und
die Muttersprache zu pflegen und hervorzuziehen. Ebenso inusste
es mit dem Geiste der (Quellenforschung und des selbständigen
rntei-stiehens übereinstimmen, an die Stelle der ganzen Wort-
gelehrsamkeit und des vermittelten Realismus sofort eine wirk-
liche- Rückkehr zu der Natur selbst und zu den hingen des Lebens
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Urft M Ii. f>.
zu setzen. Die grammatische Methode als eine künstlieh ver-
mittelnde musstc derselbe Angriff' treffen. Und in der That finden
sieh Element«' zu all diesen Augritten wirklieh in der Kcfornintions-
zeit vor und zwar besonders bei Luther. Die Ausführung dieser
Angriffe hatten jedoeh dem linken Flügel, den Mystikern, nach
dem naturgemüssen Zusammenhang mit deren Weltanschauung
müssen anheimfallen. Aber theils die Verfolgungen, welehe diese
Männer zu erdulden hatten, theils ihr sehon erwähnter Hass gegen
die Gelehrsamkeit überhaupt Hessen sie zur Gründung eigner
Schulen nicht kommen. Das Nachwirken ihrer Ideen aber, die
nie ganz erloschen, war ohne Zweifel eins der wichtigsten Elemente,
aus denen nach fast einem vollen Jahrhunderte das Wirken des
Katich und des Comenius hervorging. Dass insbesondere Katich
nicht bloss so blindlings auf seine didaktische Methode verfallen,
zeigt unter Andern» der dritte Punkt seines Memorials an das
deutsche Keich, in «lein er zu zeigen verspricht, wie im ganzen
Reich einträchtige Sprache, Regierung und Religion einzuführen
und zu erhalten sei. Noch deutlicher ist der allgemeine religiös-
philosophische Ausgangspunkt bei Comenius, der theils als ein
Kind der mährischen Brüdergemeinde von vornherein auf einem
der Mystik genäherten Boden stand, theils bei Aisted. seinem Ix'hrer
zu Herborn, chiliawtische Ideen einsog und in der That durch
seine Pausophie nichts geringeres l>eabsichtigte, als der Zeit der
allgemeinen Erlösung und der Ruhe von allem Streit und Hader
Bahn zu machen. Ratichs ganzes didaktisches Wirken ruht auf
zwei Angelpunkten: die Begründung alles Unterrichts auf die
Muttersprache und die radieale Umstossung der grammatischen
Methode. Sein Radicalismus in letzterer Hinsicht verbunden mit
seiner persönlichen Ungeschicklichkeit Hessen seine Pläne allent-
halben seheitern und die grammatische Methode besteht in Deutsch-
land unangefochten bis auf den heutigen Tag: denn von Hamilton»
Erfolgen kann man, was die Erziehung im grossen Ganzen betrifft,
absehen. Der Irrthuin, der hier zu Grunde lag, bestand darin,
das» in der alten grammatischen Methode das wesentlichste Ele-
ment, die grammatische Bildung, übersehen wurde. Sollte jene
Methode nur zur Erlernung der Sprach«' an sieh dienen, so hätte
Ratieh recht gehabt, trotz seines Misslingens; ab«*r was man ihm
und ähnlichen Theoretikern niemals klar entgt-gnen konnte, sagte
ein fester Instinct j«MiVin Schulmann um so deutlicher. Da»
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1S*)1. I * I M-r fl«-n ZiiHainiiieiiliHiur der Kraiehiin^systeiiie Hr. 1 \ \)
bessere, geistige Theil der Sprnchhildung, das bewusste Ergreifen
der Formen übersah Katich gegeu das materielle Element, dos
blossen Anlernens. Wir können somit das l 'nzeitgomässo, welches
von Knumer bei Katich findet, ganz specicll bezeichnen und bo-
stinnnen als ein Element des Materialismus, in das der gute Katich
unversehens !>ei seinen Koformen verfiel. .Katichs Verfahren würde
daher zeitgomäss sein in keiner andern Sphäre als in einer
materialistischen »»der wenigstens einer rein materiellen, d. Ii. einer
solchen, die das geistigere Princip in naiver Absiehtslnsigkeit
unangebaut lässt, wie vermnthlich die Sphäre der kaufmännischen
Schiller des glücklicheren Hamilton, der nach zwei Jahrhunderten
mit derselben Methode viel (ich! verdiente.
Comenius, Katichs glücklicherer Nachfolger in der Theorie
der Didaktik, war eine grosse Persönlichkeit. Seine reichen
I^'benserfahrungen, sein tiefes (iemüth, seine umfassenden Studien
verbanden sieh mit dem tiefsten Nachdenken, das in der Noth
der Zeiten stets einen neuen Sporn und Antrieb fand.
Das grösstc Ziel seines Strebens war, die Pansophie, ein
allumfassendes religiös philosophisches Werk, zu schreiben, dessen
Titel, wie er ihn im prodromus pnnsophinc aufstellt, zugleich wohl
am prägnantesten seine Ideale darstellt. Das Werk sollte heissen:
„Pansophiae Christinnnc templum, ad ipsius supremi Architeeti,
Omnipotentis I>ei ideas, normas, legos<|iie exstruendum ; et usibus
katholieac Jesu Christi Keclesiae, ex omnibus gentibus, tribubus,
populis et liuguis, collcctac et colligendae, conscernndum." Das
immer zusammenhanglosere Auseinandergehen der Wissenschaften
sollte hier durch Aufstellung eines neuen auf die ewigen Funda-
mente alles Wissens gegründeten Systems für immer wieder in
Einheit verwandelt werden, in dieselbe Einheit, die er für Nationen
und Confessionen so heiss ersehnte, und deren Verwirklichung er
sieh je länger je mehr in baldiger Zukunft dachte. ( omonius geht
somit bei allem Zusammenhange mit der Koformationsbewegung und
mit Baeo von Verulam w<'sentlieh doch von einem eignen, wahrhaft
philosophischen Princip aus, von der Setzung der Einheit
in dem ursprünglichen Wesen aller Wissensehaft und alles geistigen
J^ebens. ') Dieses Bestreben der Einigung ist es nun auch, was
'l Wie in«»? rs sein, tl;i*f> tmlzdein (.'oiuenius in der ( JcM-liirhto «l<*r
Philosophie kriiie-wep« die ilim jrehnhrende Heaehtunjr gefunden hat?
Anm. iler Sihriftleitunjr.
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1J0
Lllljre,
Heft 4 Ii. •">.
seine hoehberühmt gewordenen didaktischen Leistungen charak-
terisirt. Durch Baeo mächtig «l«ac«i angeregt, über den alten ver-
mittelten Realismus, den wir bei Melanehthon fanden, hinauszu-
gehen und die Dinge aus der Natur selbst zu entnehmen, blieb
er doch nicht dabei stehn, diesen wahren Realismus in die Schulen
auf/uuehmen, sundern der Aufgabe von Jahrhunderten voraus-
greifend, suchte er sofort eine Synthese der streitenden Richtungen.
Denn es ist keineswegs eine äusserliche Nebeneinanderstellung und
( Jleichbereehtigung der Sachkenntnisse und der Sprachen, sondern
ein einheitlicher Ciang des l "nterriehts, durch Sachen die Sprachen
und durch Sprachen die Sachen, was er in seiner janua reserata,
«lein orbis pictus und andern Jahrbüchern bezweckt. Das viel-
bewegte lieben und die pmktische Natur des Comenius hemmten
die ideale Ausbildung seines Systems, zu der es seiner Anlage
nach allein fähig gewesen wäre: dennoch blieb sein Einthiss auf
die Schulen ein höchst bedeutender und weit über Deutschlands
( irenzen hinausreichender.
Die sänuntlichen theoretischen und praktischen Refonn-
veiNuche und System«1, die wir bisher im (iefolge der Reformation
auftreten sahen, bezogen sieh mit Ausnahme des Trotzendorfsehen
auf die Didaktik, also auf das Schulleben. Nachdem somit
das ( 'hristeiithum eine Synthese der (»rundcleniente der allge-
meinen Pädagogik gegeben hatte, treten seit der Refnrmationszeit
die Motive der angewandten Pädagogik der Reihe nach historisch
auf und zwar beginnend nicht etwa vom Familienverhältnisse,
sondern vom Schulverhältni*se ; bei I/»eke und Rousseau tritt
Malaiin das einfache Erzicherverhältniss, bei Basedow die Erziehungs-
anstalt, bei Pestalozzi die Familie in den Vordergrund; eine auf-
steigende Linie, in der das einfachste aber auch am höchsten
stehende Verhältniss zuletzt kommt. — Das Familienverhältniss
fand übrigens, wenn auch noch nicht in principieller Ausführung,
«•ine besondere Berücksichtigung durch Luther. In \aA\vv und
Beispiel wirkte dieser kräftig für den wahren neutcstamentliehen
(ieist der Faniilienzucht, wonach die Liebe im (iegensatz zur
strengen ( Jeset/.liehkeit in den Vordergrund treten soll. Werfen
wir nun noch einen Blick auf die Erziehung der Jesuiten, deren
Schulen gleichzeitig mit denen der Reformation einen grossen Ruf
erlangten! Man thut diesem Orden Int-ccht, wenn man seinen
Eifer für die Schulen lediglich in dein Zweck der Ausbreitung
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lKiH. t'lwr «Im Xus;iminonlmn^ der Krzieluuiirssystfmr <'<•.
121
seiner I'rineipien will begründet finden. Die katholische Kirche
hatte ihrerseits die Notwendigkeit einer Reformation auch an-
erkannt und als Haupttriiger dieser Gegenreformation wurden die
Jesuiten von selbst zu berufenen Pflegern der Wissenschaften.
Das Streben, der Reformation hierin den Rang abzulaufen und zu
zeigen, wie eine Reform der Sitten und der Bildung bei einem
verschärft hierarchischen Grundprincip bestehen könnte, gab ihnen
doppelte Knergie. So sah man bald das Schauspiel, dass Jesuiten
die elegantesten Ijateiner wurden, während die kölniseheu Scho-
lastiker kurz vor der Reformation einen I^ehrer nach dem andern
verjagt hatten , weil er ihr barbarisches Ixitein angriff'. Selbst in
den Naturwissenschaften, namentlich grade in der Astronomie,
gehölten bald Jesuiten mit zu den berühmtesten Namen. In dieser
Richtung auf Restauration der Wissenschaften lag der positive
Beruf der Jesuiten für das Sehnlichen, daher auf diesem Felde
auch ihre U»istungen so glänzten, dass Sturm alles andre über-
sehend sie fast wie < iesinnungsgenossen begrüsst und Rae«» von
Verulam nichts B<'sseres in Hinsicht des l "nterrichtes zu empfehlen
weiss als Nachahmung der Jesuitensehulen. Die südlichen macehia-
vellistisehen Prineipien dieses Ordens machten jedoch seine sitt-
liche Krziehung um so verdächtiger; namentlich sieht der ger-
manische Stamm sein Ideal der Sittlichkeit so bestimmt in einem
entgegengesetzten Licht«', dass eine Schrift wie die Apologie
Macehiavellis durch Macaulay mit allem Appelliren an die Ver-
schiedenheit der Nationalitäten nur unsern Verstand bewegen kann;
auf dein religiösen Gebiete aber erseheinen diese Kiemente mit
Recht noch schwärzer als auf «lern politischen.
Während so die sämnitlichcn Grundideen, die in der Rcfor-
niationszeit lagen, früher oder später, dauernder oder vorüber-
gehender auf dem pädagogischen Gebiete ihren Ausdruck fanden,
begann schon die neuere Philosophie sich zu entfalten. Zwei
Richtungen lassen sieh unterscheiden, von denen die eine mit
einem Glanzpunkte anfangend sieh in einen schmählichen Ausgang
zu verlieren scheint, während die andere immer höher und breiter
anwachsend erst in der nächst vergangenen Generation mit einem
Lichtpunkte endigt.
Baeo von Verulam, ein ehrwürdiger Name, trotz der irdi-
schen Mängel, die dem Chanikter dieses Mannes anklebten, schrieb
in den ersten Jahren des 1 7. Jahrhunderts seine instauratio magna.
1_'_>
Lui^-.
Heft 4 II.
Die Philosophie wuixle durch ihn zum ersten Male seit Aristoteles
mit rinnii grossen entscheidend«'!! Erfolg«« auf «Ii«* br««itc realistisch«-
Basis gesetzt; seine Pyramide der Philosophie, die von der un-
zähligen Vielheit der irdischen Dinge ausgeht und sich mit all-
niählig««r Verjüngung his zu der Gottheit seihst als ihrer letzten,
einheitlich sehliesscndcn Spitz«- erheben soll, gleicht dem babylo-
nischen Thurmbau, der von der Knie in den Himmel ragen und
den Geschlechtern der Sterblichen ein Symbol ihrer Einheit sein
soll. Und es fanden sich bald die Titanen, welche Berge ver- .
setzten, um den gewaltigen Grund zu legen. Galiläi und Kepler
waren Zeitgenossen Bucos, und von ihnen bis auf unsere Tage
zieht sieh eine Kette von riesigen Arbeitern, das Fundament jenes
Baues zu errichten. Die exaeten Wissenschaften traten ins liehen
und das Studium der Xatur gewann eine Bedeutung, die die Alten
nicht geahnt hatten. Aber auch Baeo hatte keinen Massstab für
diese Ausführung des Gebäudes. Die Geschichte entwindet ihm
Titel und Rechte des Baumeisters, so sehr auch seine Weiherede
ihm das Andenken und den Dank einer fernen Zukunft sichert.
Die ganze wahrhaftige Bedeutung Baeos liegt daher in den Prin-
eipien der Rückkehr zur Xatur, in der Erfindung der lnduction
und in alle dem was auf das Fundament seines Baues, zu dem
allein die I'rineipien aus der Zeit konnten mit Sicherheit gegriffen
werden, Beziehung hat. Wer wird bei dieser I^age der Sache
eine Pädagogik von ihm fordern? Die Philosophie spricht ihn
frei, und nur der gemeine Verstand und das allgemein menschliche
Gefühl der Sittlichkeit haben es mit ihm zu thun, wenn er über
das Ideal der .lesuitenschulen nicht hinausgeht.
Anders steht es mit Locke. Bacos Philosophie enthielt
immerhin in ihrer gigantischen Tendenz, in der Setzung der blossen
Möglichkeit, auf menschlichem Wege aus der Xatur zu Gott zu
steigen, den Keim einer Afterphilosophic, den später die Materia-
listen zur Xothreife brachten. Durch die rächende Ironie der ( u-
sehiehte sollte ein Pygmäenthuui daraus werden, und hier bildete
Locke «'in Mittelglied; selbst noch eine stattlich«' Erscheinung.
Seim- Empirie hat der W«>lt ihre Dienst«- getlum und den gesunden
M<'ns<«h<,nverstan<l gefördert; aber während die lvinc Empirie g»--
duldig und bescheiden ist, indem sie tlie InVhstcn Resultate findet,
wird «ler Empirismus zum Usurpator, intlem er siYh als letztes
philosophisches Princip constituirt. Im Fortschritt g««gen Baeo
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1894. Ob*>r don Zusammenhang der Erziehungwyetemc etc. 123
wandte sieh übrigens Locke vorwiegend dem Reiche des Geistes
zu, und die Pflicht Pädagoge zu werden, die ihm daraus erwuchs,
hat er treulich erfüllt Auch ist der Zusammenhang seiner Ge-
danken über Erziehung mit seinem philosophischen Standpunkte
überhaupt klar und leicht zu übersehen. Wie der Empirismus
nur das nächste Resultat des Forschens will und anerkennt, so
entspricht ihm auf dem Gebiete der Ethik das Nützlichkeits-
prineip, welches nur ein nächstes, relatives Gut als Gegenstand
des menschlichen Willens begreift. Daher denn das letzte Ziel
der Erziehung hier bei Gesundheit, äusserlichem Glück und mög-
lichst freiem Gewissen stehen bleibt, wahrend in den Mitteln eine
sündliche Verlockung zum Guten durch Ehrgeiz und äusseren
Vortheü vorherrscht
An Locke reihen sich die Materialisten mit einer Synthese
von Menschcngeist und Natur. Sie haben die Philosophie schon
fertig, wahrend die Geschichte, oft durch den Arm derselben
Manner, noch immer Bacos Fundamente legt Ihre Systeme sind
daher wie ein Strohdach über dem Sockel eines Domes, wodurch
dann freilich aus dem Ganzen eine Scheune wird. Ihre pädago-
gischen Consequenzen tauchen in dem Strudel der französischen
Revolution am offensten auf.
Legte nun Baco von Verulam eine Art von babylonischem
Thunnbau an, so ist es dem zweiten grosseren Stamme der Philo-
sophie eigenthümlich, mit der Spitze zu beginnen und so, nicht
wie irdische Bauleute pflegen, aus der Wolkenhöhe des Princij>s
zu der irdischen Vielheit der Dinge hinabzusteigen. Betrachten
wir aber diese Principien näher, die Sclbstgewissheit bei Cartcsius,
die Substanz bei Spinoza, die Urmonade bei Leibniz, das Ich
bei Fichte, das Absolute bei Schölling und Hegel, so sehen
wir in ihnen allen einen Geist der abstrakten Theorie vorwalten,
der von vornherein die praktische Philosophie als einen äusseren
Anhang, eine nur gezwungene Folgerung, überhaupt als Nebensache
erscheinen lässt Auf diesem Standpunkte muss die Pädagogik
zwar für eine vollkommene Durchführung des Systems bis auf
den Boden der wirklichen menschlichen Existenz im Leben immer
noch als ein nothwendiger Theil erscheinen, sie kann jedoch, in-
sofern sie lediglich als Theil der praktischen Philosophie be-
trachtet wird, ebenso wie diese überhaupt Nebensache sein
und im Nothfalle den Fachmännern zur Bearbeitung überlassen
Monatah<'fU> d«>r Conwniu<»-0!K'll*cbafi. lSfll. Ii
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121 Ungc. Heft 4 u. ä.
werden, wie etwa eine Rechtsphilosophie den Juristen. A1>er die
Pädagogik ist auch als eine rein theoretische Wissenschaft
denkbar, indem die Entwickelnng des Bewusstscins durch die Alters-
stufen des einzelnen Menschenlebens nicht nur an sich, sondern
in ihrer Wechselwirkung mit einem l>ercits gereiften Selbstbewnsst-
sein unter den verschiedenen pädagogischen Grundverh:iltniHsen
verfolgt und wissenschaftlieh dargestellt wurde. Die Hegclschc
Philosophie in ihrer allumfassenden Tendenz wäre zu diesem Stück
Arbeit verpflichtet gewesen, und die Nachfolger jenes Meisters
hatten an der Ausfüllung dieser Lücke eine würdigere Aufgabe
gehabt, als am Zurückgehen auf die gewohnte Form einer prak-
tischen Kunstlehrc. letztere hätten wir unter allen am ehesten
von Kant erwarten dürfen; die praktische Richtung seiner Philo-
sophie verpflichtete ihn nicht weniger dazu, als sein Amt ihn ver-
anlassen musstc. Die Aufregung der Zeit in pädagogischer Hin-
sicht forcierte ebenfalls heraus; aber Kant mochte es nicht lieben,
sich in den lürm der streitenden Parteien zu mengen.
Andere Gründe dieser Versäumnis* der Philosophie liegen
in Thatsaehen, die in ihrem historischen Zusammenhange so weit
greifen, dass sie hier höchstens angedeutet werden können. Die
höheren Schulen und die Universitäten standen zur Reformations-
zeit in einem weit näheren, innigerem Zusammenhang als jetzt. Der
ungeheure Fortschritt der Wissenschaften, insbesondere auch ausser
den Naturwissenschaften der klassischen Philologie in Deutschland,
erzeugten einen Standesunterschied, eine um so grössere Gcsehieden-
heit, je weniger die Schuhnethoden trotz aller Verbesserungen
Schritt zu halten vennoehten. - Man beilenke nur das eine Bei-
spiel: das trefflichste Gymnasium würde sieh nicht nur gegen die
grosse Masse seiner Schüler, Mindern auch gegen den Wortlaut
bestehender Gesetze versündigen, wenn es in der Mathematik
Kapitel berühren würde, bei denen die Wissenschaft, wie sie von
Fachmännern getrieben wird, ihre ersten Anfänge hat. Wie aber
einem Schüler keine Ahnung davon gegeben werden kann, was
die Mathematik seit Newton und Ix'ibni/. eigentlich ist, so müssen
ihm, wenn anders überhaupt noch ein Zweck erreicht werden soll,
die wahren Geheimnisse fast aller Wissensehaften noch vorent-
halten bleiben. Die menschliche Schwachheit hat es herbeigeführt,
dass von diesem relativen Sinken des Stoffes unserer Schulen eine
gewiss«- vornehme Geringschätzung die Kunst des Tittei-richts und
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I'Imt «l«>n Xunimnicnhaiig <U*r KrziehHiijrssy^n'rur Hr.
12f>
<l«-r Erziehung seihst hetn»fl*en hs>t. Indein «He Meister dieser
Kunst ans Wirkung alter Tradition naeh wie vor ihre wahre
Wurzel in der Wissensehaft seihst suchen, die sie vertreten, wird
einerseits der tiefen- Kall der öftentliehen Hochschätzung mit oft
bewundeningswünliger Anstrengung gehemmt; andererseits aber der
Kunst die letzte Knift entzogen. S<» kam «'s, dass im Laufe des
vergangenen Jahrhunderts die Pädagogik, von der Philosophie so-
wohl wie von den Kachgenossen im Stieh gelassen, Abenteurern
in die Hände fiel, wie eine i*cs nullius, mit der man naeh Gut-
dünken schalten kann. Ks hat dies in etwa sein Gutes gehabt,
da das Hessen* einmal doch nicht sein sollte. Je mehr man ohne
die Voraussetzungen irgend einer philosophischen oder gelehrten
Schule an die Sache gieng, desto sicherer bemächtigte sich ihrer
der herrschende Geist der Zeit und prägte ihr seinen Stempel auf.
Insbesondere gilt dies von Basedow und Pestalozzi. Rousseau
als Pädagoge bleibt in mancher Beziehung eine räthselhafte Er-
scheinung. Ebenso wie Basedow und Pestalozzi ohne bestimmten
philosophischen Ausgangspunkt, wollte er sich nicht dem Geist
seiner Zeit überlassen, sondern erklärte derselben im Gegentheil
auf allen Punkten den Krieg. Nicht nur fand er, wie auch Ba-
sedow und Pcstnllozzi, die Erziehung verkehrt, sondern er macht«'
«•s förmlich zum Princip, die l'ebel alle in dem Abfall der ganzen
Gesellschaft von d«*r Natur und die Heilung einfach in der totalen
Umkchrung des l'eblichen zu suchen. Rousscnus Hass der G<i-
sellschaft, sein Princip «1er Natürlichkeit, sein Pelagianismus waren
vi«'l zu originell in ihrer Entstehung, zu unrein in ihrer l>m*eh-
führung, als dass ihm eine bestimmte St«-!!«', die Vertretung einer
bestimmten Stufe in «1er Entwicklung der Pädagogik g«'bührt«',
und doch war sein Einfluss vielli-ieht grösser, als «h-r irgend eiius
pädagogischen Theoretikers. In ihm eoncentrirt«' si«'h Manches,
das theils auf einer früheren Stufe d«>r Erkenntniss versäumt, tlieils
andenveitig schon vorb«'r«'it«'t war. So wurde z. B. di<> Natürlich-
st ein Schlagwort von mächtiger Wirkung, w«'il <*s einers«-its
an die Gultur der Lciblichkcit anklang, die b«i einer praktischeren
Richtung der Philos«»phie schon von Spinoza hätte gepredigt werden
können und die Locke nicht v«>i*gess«»n hatte, anderseits an di«'
Vcnumftcr/.iehung Based«»ws, die dun'h d«'ii deutscheu Rationalis-
mus im W«'s«MitIi<'!u ii gefördert wnnle. „Natürlich'' ist im l'cbrigen
j«'de Zeit, di<' ihre Aufgab«- «'rkennt, und diese Aufgab«- war damals
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126
Laiige,
Heft 4 u. 5.
nicht« weniger als ein Rousseau'sehcs Aufgeben der Civilisation.
In Deutschland hatte sich aus den nie erloschenen Elementen der
subjectiven Mystik einerseits der Pietismus entwickelt, den A. H.
Francke in imposanter Weise pädagogisch vertrat, anderseits der
Rationalismus, der jedoch erst durch sein Zusammentreffen mit
der Wolf sehen Philosophie und mit der französischen Aufklärung
zu jenem breiten Strome wurde, der ganz Deutschland über-
schwemmte. Ihn vertrat in der adäquatesten Form Basedow und
mit ihm der ganze Philanthropismus. Diese beiden Richtungen,
die Franckesche sowie die philantropischc begegnen sich in Beför-
derung des Realismus, dessen Ueberhandnehmen durch die Bedurf-
nisse des Lebens noch täglich neue Nahrung erhält. Als principielle
Vertreter der Bürgerschulen kann man besonders A. H. Francke
und den Prediger Seniler zu Halle ansehen; neben ihnen eine
Reihe verdienter Männer aus der ersten Hälfe des vorigen Jahr-
hunderts. — Auch die Volksschule sollte sodann einen be-
sonderen Aufschwung erhalten durch Pestalozzi, der zugleich als
Vertreter des Familienverhältnisses in der Erziehung schon oben
erwähnt wurde. Pestalozzis Wirkung auf die Erziehung war wesen-
hafter und dauernder, als die seines Vorgängers. Sein Streben
statt des Scheinwissens ein achtes, statt eines Wustes unverarbei-
teter Kenntnisse die wahren Elemeute und durch diese eine un-
trügliche Methode zu finden, erinnert schlagend an Kants Unter-
nehmen auf dem Boden der Philosophie. Und in der That, um
hier Zusammenhänge anzunehmen, muss man sich nicht dadurch
beirren lassen, dass Pestalozzi die Kant'sche Philosophie niemalK
studirt hatte. Die gewaltig treibende Kraft seiner Liebe zum Volk
hatte Pestalozzi zum Pädagogen gemacht; sein Ideal schwebte ihm
anfangs so undeutlich vor, dass er sich freute über jede Hülfe
zur Verdeutlichung und allmählich kam eine solche Menge viel-
seitig gebildeter Männer mit ihm in Berührung, dass er in der
That der treibenden Feder eines Uhrwerks zu vergleichen ist,
dessen Gang ein mannigfaches Räderwerk regelt. Am eigentüm-
lichsten gehört ihm eben seine Hervorhebung der Familiener-
ziehung, und wenn auch die stille Wirkung derselben weniger
öffentlich beachtet wurde, als seine übrigen Leistungen, so ist sie
vielleicht nur um so tiefer gegangen.
So wären denn auch die Hauptmomente einer angewandten
Pädagogik trotz aller Unbilden der Zeiten historisch ans Licht
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1H94. Cl\»r den Ziixummenhang der ErziehuntfsMViMeme oh-. 127
getreten, einer organischen Synthese nwh harrend. — Es ist ab-
sichtlieh geschehen, dass wir Herbarts in dieser Untersuchung
keine Erwähnung gethan. Ueber das System dieses Mannes ist
noch nicht abgeschlossen.
Die Gegenwart mit ihren Arbeiten und Aufgaben tritt hier
in unmittelbare Verbindung mit dem bereit« Geleisteten. Diese
Aufgaben sind gross, in der Theorie wie in der Praxis. Sie be-
dürfen daher eines kleinen Anfangs, stillen Schaffens und schwei-
gender Aufmerksamkeit auf die Zeichen der Zeit, Die Geschichte
der Pädagogik aber ist das Thor, durch das die Wissenschaft
selbst in den Kreis der grossen Wissenschaften einzig wieder
einen würdigen Einzug halten kann.
Bonn, den 24. Oktober 1855.
Fr. Albert Lange.
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Condorcefs Ideen zur Nationalerziehung.
Ein Sehulgesctzentwurf vor hundert Jahren.
Von
Dr. Paul Natorp,
i:niv«'r!iiUllJt-Pn»f<'*M>r in M«rl»urK.
„Jeder, der als Mensch geboren, ist zu demselben vornehm-
sten Zweck geboren: Mensch zu sein/4 Dieser Satz der Didnctica
magna, als Grundsatz aufgestellt, um das uneingeschränkt allgemein«'
Recht auf Bildung „zu allem Menschlichen" darauf zu gründen,
scheint er nicht die „Erklärung der Menschenrechte" voruuszu-
verkünden?
In der Thut, nirgend in der seitherigen Geschichte finden
Comenius' organisatorische Forderungen für das Bildungswesen
genauere Analogien, als in den grossen schulpolitischen Entwürfen
der französischen Revolution. Dieselben Grundgedanken begegnen
uns da: streng allgemeiner, auf den unteren Stufen auch gemein-
samer und inhaltlich gleicher Unterricht für die ganze Nation,
gemeinsam und gleich auch für beide Geschlechter; Aufhebung
jedes Klassenvorrechts in Bildungssachen. indem nicht, wer mehr
aufwenden kann, von Anfang an eine bessere, auf höhere „Zielleistun-
gen" hinaussehend«', höhere „Berechtigungen" gewahrende Bildung
beanspruchen darf, sondern die gleichen Bildungswege Allen ohne
rntersehied des Standes und Vermögens, lediglich nach dem Masse
der Befähigung offen stehen, die allemal höhen- Stufe nur dem
zugänglich ist, der die unteren zuvor ordnungsmässig durchlaufen
hat; »lein Stoff nach möglichst allseitige Gestaltung gerade des
grundlegenden l'nterrichts, damit jeder besonderen Begabung Ge-
legenheit geboten sei, sieh rechtzeitig kundzugeben und die ihr an-
gemessene Entwicklung zu finden; daher Berücksichtigung auch der
Bildung zur physischen Arbeit; endlich Einführung einer allge-
meinen, vom religiösen Bekenntnis unabjiängigen sittlichen, des-
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1S!U.
Natorp. (•(»iidon-rtV Idnen zur Nntioimlcr/.iiliung.
gleichen wirtschaftlichen, rechtlichen, politischen Unterweisung, als
für Alle gleich unerlässlich.
Ob hier ein Einfluss des ('omcuius vorliegt, und wie dieser
vermittelt ist, oder ob selbst ohne einen solchen das gleiche sichere
Vertrauen auf die Macht der Vernunft im Menschen zu den
gleichen demokratiehen Folgerungen in der Bildungsfrage geführt
hat, wim' wohl der Untersuchung wert; zunächst ist gewiss die
ersterc Annahme die wahrscheinlicher«'. Hier soll darauf nicht
weiter eingegangen, sundern nur einer jener Knt würfe, der zugleich
hochsinnigste, wissenschaftlich durchdachteste und für die Bildungs-
fragen unserer Zeit belehrendste, vorgeführt werden, der des be-
rühmten Mathematikers, Enevklopädistcn und (Girondistenführers
Condoreet, der Nationalversammlung vorgelegt am 20. und 21.
April 1792.
Die Forderung einer umfassenden Organisation der „Xational-
erzichung" gehört zum eisernen Bestand des revolutionären Pro-
gramms. Eine Reihe darauf zielender Entwürfe ist schon vor
dein Ausbruch der Revolution zu verzeichnen, wie ja alle ihre
Hauptideeu lange vorher fertig waren. Xoeh sehr bescheiden ver-
langt der durch Rolland 176K dem Parlament vorgelegte Bericht
(Oompte rendu ou plan d'education) für jeden Franzosen, selbst
für den Handarbeiter, „eine gewisse" Bildung, d. h. wenigstens
Ijesen und Schreiben. Helvetius und Diderot arbeiteten in den
siebziger Jahren theoretische Entwürfe in ziemlich radikaler Rich-
tung aus. Endlich Turgot stellt in dem durch Dupont de Xeinnurs
nach seinen Weisungen etwa 1775 ausgearbeiteten Verfassungs-
entwurf Forderungen für das Unterriehtswesen, die denen seines
Freundes und (Gesinnungsgenossen Condoreet Ix-greiflich sehr nahe
stehen. Xur zehn .Jahre, meinte Turgot, brauche das von ihm
aufgestellte System in Wirksamkeit zu sein, um die Nation auf
eine Stufe zu erheben, dass sie nicht wiederzuerkennen sei.
Die Revolution gab der so in allen Edlen schon lebendigen
Begeisterung für die Sache der Nationalerziehung neue Nahrung;
schien sie doch berufen, jene Idee aus dem Stadium des frommen
Wunsches und der akademischen Krortcrung in das der organisa-
torischen That überzuführen. Die Forderung Rousseaus, die Volks-
souveränität, war mit einem Schlage zur Anerkennung gelangt;
man gab sieh keiner Täuschung darüber hin, dass sie. samt Frei-
heit und (Gleichheit, ein leeres Wort blieb, so lange nicht der
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130
Natorp,
Heft 4 u. 5.
ganzen Nation auch der Anteil an Bildung vorliehen war, der
allein sie in stand setzte, die ihr zugebilligten Rechte in Besitz
zu nehmen und sie zu ihrem Heil, nicht zu ihrem Verderben zu
gebrauchen.
So formuliert die Konstitution vom August 1791 unter ihren
Grundartikeln die Forderung: „Es soll ein öffentlicher Unterricht
geschaffen und eingerichtet werden, gemeinsam für alle Bürger,
unentgeltlich für die allen Menschen unerlasslichen Unterrichts-
gegenstande; die dafür bestimmten Anstalten sollen in einer der
Einteilung des Königreichs entsprechenden Anordnung stufen-
mässig verteilt werden." Kaum einen Monat später legt bereits
Talleyrand einen umfassenden Organisationsplan der Konstituieren-
den Versammlung vor. Er bezeichnet klar den Nationaluntcrricht
als notwendige Ergänzung zum allgemeinen Stimmrecht Die Un-
gleichheit soll von Seiten der Erziehung zuerst, zwar nicht auf-
gehoben, aber gemildert, die Freiheit des Individuums erst dadurch
begründet werden, dass man ihm ein Bewusstsein, dass man ihm
eine Vernunft giebt. Daher sind allenthalben bis zum kleinsten
Dorf Schulen zu errichten. Der Unterricht muws auch dem Gegen-
stand nach allseitig sein; jeder muss, zwar nicht alles lernen,
aber die Möglichkeit haben, alles zu lernen. Für den Unterricht
der weiblichen Jugend ist auf gleicher Linie, wie für den der
Knaben, Sorge zu tragen. Auch Einrichtungen zur Fortbildung
für die Erwachsenen werden ins Auge gefasst
Der Entwurf kam nicht zur Durchberatung und Bcschluss-
fassung; die Konstituierende hinterliess die Aufgabe ungelöst der
Gesetzgebenden Versammlung, welche alsbald Condorcet mit der
Ausarbeitung eines neuen Gesetzentwurfs betraute. Er war ge-
rüstet; seine leitenden Grandsätze hatte er soeben in fünf Ab-
handlungen (Sur Pinstruetion publique) in der Bibliotheque de
l'homme public 1791—92 ausführlich dargelegt; es kam nur noch
auf eine knappe, eindringliche Fassung an, die ihm vorzüglich
gelungen ist •)
Die wesentlichen Vorzüge dieses Entwurfs, durch die er
seine zahlreichen Vorganger und Nachfolger überragt, bestehen,
') Man findet jene Abhandlungen sowie den Entwurf, dem eine ein-
gehende Begründung vorangeht, im T.Bande «einer durch Condorcet O'Connor
und Arago herausgegebenen Werke, S. 100 ff.
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1K94. Condorcet's Itloen nur Xationalerzit'hunjr- 131
abgesehen von der fast mathematischen Strenge und Eleganz de*
Aufbaus, in drei Dingen: in der entschlossenen Durchführung der
Idee einer völligen Gleichheit, einer thatsächlichen Aufhebung,
nicht bloss Milderung der Klassenunterschiede im Bildungsweseu ;
in der Behauptung seiner strengen Unabhängigkeit von staatlicher
wie kirchlicher Gewalt und Begründung auf die einzige Grundlage
der Wissenschaft und Pädagogik; endlich in der umfassenden
Berücksichtigung des Unterrichts der Erwachsenen, des Fortbil-
dungswesens.
Diesem Manne ist die Gleichheit etwas mehr als ein tönen-
des Wort. Er begreift, was so allgemein damals übersehen wurde,
dass die blosse Rechtsgleichheit eine leere, unrealisierbare An-
weisung bleibt, so lange die dop]>elte Ungleichheit des Besitzes
und der Erziehung imgeschwächt fortbesteht Die erstere zwar
hält er für unüberwindlich; aber eine grössere Ausgleichung des
Besitzes, meint er, werde sich eben dann ergeben, wenn die gleichen
Bildungswege ohne Rückhalt Allen, einzig nach dem Masse der
Befähigung, erschlossen werden. Gesetze vermögen die Gleichheit
nicht zur Wahrheit zu machen, Bildung allein vermag es. Ihre
möglichste Verbreitung wird, so glaubt er, nicht allein den Fort-
schritt der Wissenschaft und damit der Technik in ungeahntem
Masse beschleunigen, sondern ihn zugleich für immer weitere
Kreise nutzbar machen und so von selbst dahin wirken, die Un-
gleichheit zu verringern. Sie wird eine grossei* Gleichheit der
Erwerbstüchtigkeit und damit des Besitzes zur Folge haben (Oeuv.
VI 250), während ohne diese Voraussetzung die Wirkung der
freien Konkurrenz die gerade entgegengesetzte sein muss. Das
Elend ganzer Klassen wird nicht mehr möglich sein, der extreme
Vermögensunterschied, der notwendig den Einen in die Gewalt
des Andern bringt, von selbst verschwinden, die Zahl derer, die
für ihre Existenz nicht auf die tägliche Arbeit angewiesen sind,
wird sich so verringern, dass nur gerade genug Personen übrig
bleiben, um sich ganz den Wissenschaften oder solchen Berufen,
die eine lange Ausbildung fordern, zu widmen (VI 527 ff. 592).
So hält der begeisterte Anhänger von Locke, Smith und Turgot
am Individualismus grundsätzlich fest, ohne der wirtschaftlichen
Ungleichheit ein Loblied zu singen. Allerdings eine völlige Auf-
hebung der sozialen Unterschiede vermag er sich nicht zu denken.
Die Alten, bemerkt er einmal (VII 197), konnten von einer voll-
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1 :L>
Natorp.
H«'ft 4 U. ").
kommencn < ilcichhcit (Irr Krzichuug träumen, j:i sie zum Teil
durchführen, aber nur auf der (irundlagc <l«'s Sklaventums; in
einer (iesellsehaft, \vn aueh die Arbeit freien Menschen zufällt,
ist eben damit eine l "ngh-ichheit der I.rf'bcusstelluiig gegeben, die
eine völlige (ileiehlieit der Erziehung ausseldiesst.
Soweit es aber in den (irenzen ilieser ungemeinen Anschau-
ung möglich ist, niaelit er Krnst mit der Beseitigung jedes Klassen-
vorrecht»« im Bildungswesen. Die durchs Gesetz ausgesprochene
Gleichheit der politischen Hechte kann allein zur Wahrheit werden
durch einen öffentlichen Unt«rrieht, der möglichst glcichmassig
und allgemein, zugleich möglichst vollständig ist; der Allen die
für Alle mögliche, allen Befähigten die höhere Erziehung bietet,
(iemeingut muss zum wenigsten die Bildung sein, die einen jeden
in den Stand setzt, seine bürgerliche Unabhängigkeit zu behaupten;
deren Mangel ihn der Gewalt des hesser Unterriehteten schutzlos
preisgäbe. Ohm* das bleibt die (.tlcichhcit «'in trügerisches Wahn-
gebilde und lurrscht in Wahrheit eine sehr reelle Ungleich-
heit, indem die (iewalt in den Händen weniger Unterrichteter, die
ununterrichtete Masse ein Spielball wüster Agitatoren bleibt.
Weiter ist die (iesellsehaft aueh schuldig, den zu den einzelnen
Berufsarten vorherciU-iiden Unterricht möglichst jedem dazu Be-
fähigten zugänglich zu machen, also auch diesen Unterricht m«">g-
lichst zu verallgemeinern.
Wenn dnher schon die Verfassung di<> Unentgeltlichkcit für
die erste Unterrichtsstufe feststellte, so schreibt Conrinrcct sie für
alle Stufen vor, ausdrücklich in der Absieht, „die Ungleichheit,
die aus dem Besitzinitersehied stammt, zu mildem, und <lie Klassen,
die er zu trennen die Tendenz hat, unter einander zu mischen44
(VII 1!»1). Begabte, aber unbemittelte Schüler, sollen überdies,
als eleves de la patric, in cigucn (übrigens aueh für Andere zu-
gnuglichcn) Anstalten auf Staatskosten unterhalten werden, um di«'
höheren Unt«*rrichtsstufcii durchlaufen zu können (27:». I!l.»>. Olm«'
solche Massr«'geln, ineint «t, würd«' man zwar auch (iclehrtc,
Philosophen, aufgeklärte Staatsmänner haben, aber «Ii«' Masse des
Volks wird allen ihren Irrtümern preisgegeben bleiben, und so,
mitten auf «ler Höhe der Aufklärung, «las Vorurteil «Ii«' Ihrrsehaft
führ<-n; „man wird innner zw«'i Völker haben, vct^'hu'd«'!! an
Bildung. Sitten, Charakter und politischer Überzeugung.44 Fast
«lasselbe hat einst l'lato als die unausbleibliche l'olge der grossen
1KJM.
Comlon-efV Moon zur Natiniuilcr/.irhuii^.
Besitzuugleichheit, der Entblüssung der Arbeitenden vom Besitz
der Arbeitsmittel, erkannt; wir hüben uns überzeugt, wie aueli
Condortet sieh auf den Einfluss diese* letzten Grundes der Un-
gleichheit auf Sehritt und Tritt hingewiesen sah. Ks ist der Punkt,
wo er über den Liberalismus fast schon hinaus und «Inn Sozialis-
mus ganz nah ist.
Das Streben nach möglichster Ausgleichung der sozialen
[ 'utersehiede bestimmt nun auch seine sehr beachtenswerten Vor-
schläge inbetreff des Unterrichts der Erwachsenen. Denen vor-
züglich, die, durch Armut verhindert, »'inen über die untersten
Stufen hinausgehenden Unterricht nicht gemessen durften, sollen
zum Ersatz allsonntägliehe Unterrichtsstunden geboten werden, an
denen alle Erwachsenen, vorzugsweise die heranwachsende, nicht
mehr die Schule besuchende Jugend unentgeltlich teilzunehmen
berechtigt ist; als«» eine organisierte Kortbildungsschnlc, ange-
schlossen an sinnt liehe vorhandenen Untcrrichtsanstaltcn , zuerst
und hauptsächlich die der beiden ersten, etwa unserer Volks- und
Bürgerschule entsprechenden Stufen. Dieser Unterricht soll nicht
bloss dazu dienen, die in den entsprechenden Schulen gewonnenen
Kenntnisse zu befestigen, sondern sie in jeder Richtung weiterzu-
führen, .sowohl in gemeinnützigen Gegenständen aus dem natur-
wissenschaftlich-technischen Gebiet, als in den Grundlagen der Ge-
sundheitspflege, der Moral, der Staats- und Keehtskunde, endlich
ein besonders glücklicher Gedanke in den Elementen der
Erachungslehre. Voraussetzung dazu wäre eine sehr gründliche
und umfassende I^ lncrvorbildung; über dieses erstwesentliche Er-
fordernis geht ('ondorcet offenbar zu leicht hinweg. Er glaubt, es
genügten zu seiner Absicht gute Hülfsbücher, die dem Lehm- in
die Hand gegeben werden; aber mit den besten Büchern und
sonstigen Hülfsmitteln wäre offenbar nicht geholten ohne eine grosse
Selbständigkeit des Lehrers, die nur durch gründliche Vorbildung
erreicht werden kann. Kür die höheren Lehranstalten schlägt
('ondorcet, ausser ebensolchen bloss für Erwachsene bestimmten
öffentlichen I^'hrstunden, noch die einfache Einrichtung vor, dass
an den gewöhnlichen Unterrichtsstunden der einzelnen Kücher
jeder Erwachsene (ohne Verpflichtung die Aufgaben mitzumachen)
teilnehmen darf.
Ohne Zweifel hat die Organisation des Unterrichts der Er-
wachsenen ein«' grosse Zukunft. Wie imim-r man über das Ideal
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IM Xnlorp, Hoft 4 u. 5.
des Ausgleichs, ja der völligen Gemeinschaft des materiellen Be-
sitzes denken mag: dass eine möglichst weitgehende Genieinsehaft
des geistigen Besitzes der Nation nicht ein utopische» Ideal, son-
dern eine unumgängliche Notwendigkeit ist, wenn es überhaupt
eine Nation geben soll, dürfte nachgerade von allen Seiten zuge-
standen sein. Wir haben nun zwar Fortbildungsschulen, hier und
da selbst obligatorisch für die Heranwachsenden. Aber dass sie
dem vorhandenen Bedürfnisse in keiner Weise genügen, darüber
herrscht wohl kaum Meinungsverschiedenheit. Die in England,
Nordamerika, Australien und anderwärts mit gutem Erfolg ins
Werk gesetzte, täglich wachsende Bewegung für „Ausdehnung
des Universitätsunterrichts" versucht dieselbe Aufgabe in wirk-
samerer Weise zu lösen.1) Und schon wäre eine wenn auch bis
jetzt nicht grosse Partei deutscher Hochschullehrer bereit, diese
Einrichtung, mit den durch die Eigenart unserer Zustände
bedingten Änderungen, auf heimischen Boden zu verpflanzen.
Allein, denken wir uns auch alle die Schwierigkeiten glücklich
überwunden, die sich der kraftigen und allgemeinen Durchführung
einer solchen Einrichtung gerade bei uns entgegenstellen werden,
immer bliebe sie, selbst bei so umfänglicher privater oder öffent-
licher Unterstützung, wie man sie heute kaum zu träumen wagt,
eine vereinzelte, unregehnassig und ungewiss wirkende Massregel.
Ein Gutes würde sie immerhin stiften: sie würde den Universi-
täten und sonstigen Hochschulen die ihnen zur Zeit fast aus den
Augen entschwundene Aufgabe der Nationalbildung mahnend ins
Gedächtnis rufen ; sie würde die Lehrer der höheren und höchsten
Stufe an den Gedanken einer Verpflichtung gegen die gesamte
Nation, nicht bloss gegen den verschwindenden Bruchteil, der in
der bevorzugten Lage ist, ihren Unterricht aufsuchen zu können,
wieder gewöhnen. Allein die thatsächliehe Wirkung auf die Er-
höhung des Bildungsstandes der Nation würde immer eine gering-
fügige bleiben. Nicht leicht aber wird man sich ein System aus-
denken können, welches eine zugleich einfachere und umfassendere
Möglichkeit der Fortbildung für alle einer solchen bedürftigen
Erwachsenen böte, als das von Condorcet vorgeschlagene. Selbst
die schon bezeichnete Schwierigkeit: das Erfordernis einer weit
') Vgl. den Artikel „VolkdiocWniilon" in den M.M. der CG. 18!W
8. 78 ff. Die Schriftleitnng.
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1894.
CnmlorcrtV Ideen zur Nntionalorziehnng.
höheren als der bisherigen Lehrerbildung, ist an sich nicht un-
überwindlich; ja es darf ein besonderer Vorzug dieses Systems
genannt werden, dass es Anforderungen an die Bildung des Volks-
lchrers stellt, deren Erfüllung ihn erst auf eine dieses schönen
Namens ganz würdige Höhe stellen würde; dass es nötigen würde,
den Volksschn Hehrer mindestens zu der Stufe der Allgemeinbildung
zu erheben, die heute vom Geistlichen verlangt wird. Merkwürdig
ist, dass Condorcet nicht darauf gekommen ist, die Lehrer der
höheren Stufen für die Volksbelelirung mitheranzuzichen. Das Zu-
sammenwirken der Lehrer aller Kategorien an derselben grossen
Aufgabe und eine entsprechende Gemeinsamkeit oder doch enge
Verbindung ihrer pädagogischen Vorbildung würde weitere unbe-
rechenbare Vorteile mit sieh bringen, es würde vor allem dahin
wirken, den jetzt so verderblichen Kinfluss des Standes- und
K lassen Vorurteils auf unser Bildungswesen zu verringern und end-
lich ganz zum Verschwinden zu bringen.
Man kann heute nicht umhin, bei dem allen vorzüglich an
die Aufgaben der Arbeiterbildung zu denken. Es bestätigt von
neuem den Scharfblick Condorcets für die soziale Seite der Bil-
dungsfrage, dass auch er dies Ziel hauptsächlich ins Auge fasst»
Er geht von der Ansicht aus, dass gerade die Handarbeit eines
Gegengewichts in gehaltvoller geistiger Beschäftigung dringend
bedarf. Diese hat für den Arbeiter ganz so die Bedeutung der
Erholung, wie körperliche Anstrengung für den vorzugsweise geistig
Beschäftigten. Gerade der Industriearbeiter wird dazu lebhaftes
Interesse mitbringen, vielleicht mehr als der mit Bildung schon
übersättigte Sohn der besitzenden Klassen. An sieh fördert gerade
die grössere Einfachheit der Ix'bensweise den natürlichen Einklang
des leiblichen, seelischen und geistigen Lebens (344). Allein die
höhere Entwicklung der Industrie zwingt zu immer weitergehender
Arbeitsteilung, sodass für den Einzelnen zuletzt nur rein mecha-
nische Verrichtungen übrig bleiben, die keinerlei geistige Anregung
bieten; so würde die Vervollkommnung der Technik für einen
grossen Teil der Menschen zu einer Ursache der Verdummung
werden ; sie würde eine Menschenklasse erzeugen, unfähig sich über
die gröbsten Interessen zu erheben; sie würde eine erniedrigende
Ungleichheit nach sich ziehen, die zu einer Saat beständiger, ge-
fährlicher Unruhen wird, wenn nicht ein starkes Gegengewicht
in einer ausgedehnteren Erziehung geschaffen wird, die gegen die
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Natorp,
Heft 4 U. 5.
unrettbare Wirkung der Eintönigkeit der täglichen Beschäftigung
kräftige Hülfe bietet {-Ui'A). Die Weckung geistiger Interessen
wird den Arbeiter anregend beschäftigen, iiiin reinere Sitten, rich-
tigeren Verstand, gesunderes Crteil beibringen. Der freie Mensch,
der sich selber leitet, bedarf mehr der Aufklärung, als der Sklave,
der sich der Führung Anderer überlässt. Findet man nicht den
Weg, die Massen aufzuklären, so sind alle Anstrengungen ver-
geblieh. Nur der Moment des Übergangs bietet Schwierigkeiten;
denn man möchte das Volk in Unwissenheit erhüben, um es besser
zwingen zu können (HKKf.). — - Auf die Bedeutung dieser Erwägungen
für unsere Zeit braucht wohl nicht erst aufmerksam gemacht zu
werden. Leider sind wir, trotz so dringender Mahnungen, wie
die Ereignisse jedes Tages sie an uns ric hten, von durchgreifenden
Massregeln zur Höherbildung der arbeitenden Klassen noch weit
entfernt, ol)gleich weder die starke Nachfrage auf seiten des
Arbeiterstands länger bestritten werden kann, noch etwa an ver-
wendbaren Kräften auf seiten der höher gebildeten Schichten
Mangel ist. Es ist fast die letzte Hoffnung, dass endlich der
Zwang des Wettbewerbs mit den Nachbarvölkern uns über die
Notwendigkeit einer besseren Arbeiterbildung gründlicher aufklären
wird, als die sonnenklarsten theoretischen Gründe es vermögen.
Zu wenig beachtet, obwohl nicht ganz vergessen ist bei
Condorcet die Arbeit selbst als ein Faktor und zwar ein
(irundfaktor aller Bildung, ihr wesentlicher Einfluss auf die leib-
liche und sittliche Ausbildung des Individuums wie die gesunde
Gestaltung des gesamten sozialen Ernähmngsj>rozesscs. Darin
steht die klassische deutsche1 Pädagogik : Pestalozzi, Fichte, seihst
Sehlciermaeher auf höherer Stufe. Diese Männer begriffen ganz,
dass eine wahre Natioiialerziehuug sieh nicht anders als auf dem
Grunde der Arbcitsbilduug aufbauen kann. Condorcet ist hier
noch in der einseitigen Schätzung der Kopfbildung befangen, die
das Erbteil des Aufklärungszcitalters war.
Dagegen bewährt sich sein Sinn der Gleichheit wieder aufs
beste in der grundsätzlichen Forderung der gleichen und wenigstens
für die erste Stufe auch gemeinsamen Bildung beider Geschlechter.
Die Frau bedarf der gleichen Bildung wie der Mann, l. um auf
gleicher Linie mit ihm für die Erziehung der Kinder ausgerüstet
zu sein, J. um die Ungleichheit in der Familie (zwischen den
Eheleuten, den Geschwistern, zwischen Mutter und Sohn u. s. f.)
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1894.
CiHidonvlV Ideen zur Njttioniilorzw-hun};.
1.57
zu beseitigen, 'A. die Gemeinschaft unter den Ehegatten zu fördern,
4. ganz an und für sich, weil nun einmal beide gleiches Hecht
auf Bildung haben (2 1 K ff.)- Ursprünglich dachte sieh wohl Con-
doreet den rntenicht auch auf allen .Stufen gemeinsam. Der
Verein der Geschlechter im rntenicht seheint ihm nicht bloss
unbedenklich, sondern in mancher Hinsicht sogar höchst förder-
lich ; die Trennung ist für die grosse Masse des Volkes auch im
übrigen Leben nicht vorhanden, und in den (»bereu Ständen hat sie
nicht etwa sittliche, sondern /.um Teil recht unsittliche Gründe,
wie die Besorgnis vor Mesalliancen. Sein Gesetzentwurf bleibt
jedoch hier bei sehr bescheidenen Forderungen stehen; er ver-
langt lediglich Teilnahme der Mädchen am Unterrichte der ersten
Stufe und fasst auch da die Gemeinsamkeit des Unterrichts nur
für solche kleinere Orte ins Auge, wo nur eine Schule unterhalten
werden kann.
Eigenartig und bedeutend ist ferner die grundsätzlich strenge
Durchführung der Unabhängigkeit der gesamten Unterrichts Ver-
waltung von der öffentlichen Gewalt. Nicht nur sorgt sein Ent-
wurf auf jede Weise für eine anständige soziale Stellung des I/ch-
rers; nicht nur sichert er ihm volle Unabhängigkeit der politischen
Thätigkeit zu, sondern die ganze Schulverwaltung, wie Coiidoreet
sie plant, ist eine nach jeder Hichtung selbständige; das Schul-
wesen wird in höchst kühner und origineller Weise ganz auf eigene
Fasse gestellt. .Jede höhere Stufe des Lehrstandes wählt entweder
geradezu die Tichrcr der folgenden Stufen, nämlich jede der vier
Klassen der „Nationalgesellschaft der Wissensehaften und Künste"
(Akademie) die Lvceal- (Ilochschul-) Professoren der entsprechenden
Fächer, diese die Professoren der Institute (höhereu Schulen); oder
sie bestimmt wenigstens die Liste der Wählbaren, nämlich die In-
stitutsprofessoren für die Sekundär- und Priinürschulen (Elementar-
schulen höherer und niederer Ordnung), während die Wahl im
ersteren Falle den Gemeinden, im letzteren den Familienvorständen
zufällt. Ebenso steht die Aufsieht über die Schulen einer jeden
Ordnung den Professoren der nächst höheren Ordnung zu. Da
die centrale Behörde, die Xatinnalgcscllsehaft, sich mit völliger
Freiheit selbst ergänzt, so ist damit das ganze System auf eigene
Grundlagen gestellt, einzig der öffentlichen Meinung verantwortlich,
«leren Kontrolc nach Uondoreets Meinung auch genügt. So soll die
Denkfreiheit unverkürzt bleiben, die luldungsangelegenheiten von
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138
Natorp,
Heft 4 u. 5.
den wechselnden politischen Einflüssen, von der Vormundschaft
der Unbildung, von der Herrschaft der besitzenden Klassen frei
erhalten werden (498 Anm. 512 ff. 321). Eine ziemlich weit-
gehende Lehr- und Lernfreiheit (320. 322) soll in gleicher Rich-
tung wirken.
Vollends die bedenklichste Antastung der persönlichen Frei-
heit, ja eine wahre Tyrannei würde Condorcet darin sehen, wenn
der Staat, nach den extremen Vorschlägen damaliger Revolutionäre,
die ganze Erziehung der Bürger selbst dem Inhalt nach bestimmen,
wenn er die politische, moralische, religiöse Uberzeugung autori-
tativ vorschreiben wollte. Die religiöse Unterweisung soll ganz
der Familie überlassen bleiben, die Moral völlig von Religion
unabhängig und nur so weit gelehrt werden, als sie beweisbare
Wahrheiten enthält; die Verfassung soll einen Gegenstand des
Unterrichts zwar bilden, aber sie soll nur als thatsächlich geltend
mitgeteilt und erklärt, nicht als ewige Vernunftwahrheit, als eine
Art politischer Religion, als „Tafeln, die vom Himmel gefallen
sind, die man anbeten und an die man glauben muss" (455) über-
liefert werden. „So lange es noch Menschen giebt, die nicht aus-
schliesslich ihrer Vernunft gehorchen, die ihre Meinungen auf
fremde Meinung hin annehmen, hätte man umsonst alle Ketten
zerbrochen, umsonst auch würden die autoritativen Meinungen
nützliche Wahrheiten sein; das Menschengeschlecht bliebe nichts-
destoweniger in zwei Klassen geteilt: die, welche ihre Vernunft
gebrauchen, und die, welche glauben; Herren und Sklaven." Mit
der ganzen Kraft seiner Beredsamkeit tritt er besonders für die
strenge Unabhängigkeit des Moralunterrichts von jeder besonderen
religiösen Lehrmeinung, überhaupt gegen jeden Anteil des öffent-
lichen Unterrichts an der letzteren ein (besonders 203 ff, 483 ff.).
Meint man selbst, dass die Moral der Stütze der Religion bedarf,
so will man doch nicht sagen, die Wahrheit der sittlichen
Grundsätze hänge vom religiösen Dogma ab; man meint vielmehr
nur, die Religion biete mächtigere Beweggründe, um rechtschaffen
zu sein. Nun denn, lasse man diese Beweggründe (durch den
Gottesdienst) ihre ganze Kraft entfalten; sie werden darum nicht
geringere Wirkung thun, weil sie nur verstärken, was Vernunft
und innerer Sinn ohnedies gebieten (vgl. 254). Als uncrlässlich
könnte mau höchstens die gemeinsamen Bestandteile aller Religion,
den Glauben an ein höchstes Wesen und die religiösen Emptind-
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18t» 1.
( niKlum-tV Iilorn zur NiitioniilcrzH'huiifr.
untren gegen dieses in Anspruch nehmen, nieht die religiösen
Mythologien. Aber auch das Ersten- einzuräumen trügt er be-
denken ; die deistischen Philosophen oder Vertreter der natürlichen
Religion sind über den Begriff Gottes und seines sittlichen Ver-
hältnisses zum Men9chen nieht einiger als die Theologen ; also sei
es am Ende besser, diese ganze Angelegenheit, ohne irgendwelche
äussere Beeinflussung, der Vernunft und dem Gewissen jedes
Einzelnen zu überlassen.
Diese Ansicht ist bekanntlich in der Schulgesetzgebung der
dritten Republik zum Siege gelangt; sie zählt auch in Deutschland
viele und achtbare Anhänger. Doch wird man, bei voller An-
erkennung ihrer leitenden Gründe, sich ihr anzuschliessen Bedenken
tragen. Indem man das trennende Dogma aus der Schule ent-
fernt, meint man einen wesentlichen Zweck der Schule, die Pflege
des Gemeinsinns, zu fordern. Man übersieht, dass das Dogina,
aus der Schule verwiesen, nur desto nachdrücklicher ausserhalb
seinen trennenden Einfluss geltend machen wird, zumal es \n
solcher Ausweisung nur Feindseligkeit erkennen kann. Man ver-
gisst, dass Religion, wenn überhaupt noch eine thatsächliche Macht,
ihrer Natur nach einen bestimmenden Einfluss auf das ganze
geistige und sittliche Leben des Menschen beansprucht, folglieh
sich dem Ausschluss von einem so wichtigen Lebensgebiet wie
die Schule nur mit aller Kraft widersetzen kann. Also erreicht
man gerade nicht eine Stärkung, sondern nur eine weitere
Schwächung des Gemeinsehaftsbewusstseins. Man verkennt andrer-
seits die sehr entschiedene Wirkung aller echten Religion gerade
auf die Schaffung und Erhaltung innerer Gemeinschaft. Religion
hat von jeher nicht die Trennung, sondern die Gemeinschaft
zwischen Mensch und Mensch, ohne jede weitere Bedingung, ver-
treten. Die christliche Religion zumal, die es vermag, ihren Gott
geradezu durch die Liebe, d. i. die Gemeinschaft, zu definieren,
durch :die Gemeinschaft, die wir allein kennen als die Gemein-
schaft zwischen Mensch und Mensch, diese Religion darf man
doch nicht beschuldigen, dass sie wesentlich und notwendig
trennend, nicht einigend wirke. Was trennend gewirkt hat und
fortwährend wirkt, ist das Dogma, nicht die Religion. Giebt es
also irgend eine Möglichkeit, das Dogma aus der Schule fernzu-
halten, ohne die Religion zugleich über Bord zu werfen, so ist
offenbar dies der richtige Weg und nicht die Verbannung der
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140
Natorp. Urft 4 u.
Religion. Das hiesse, nach dem allen, immer noch zutreffenden
Bild, da« Kind mit dem Bad ausschütten.
Gerade Condorcet, meine ich, hätte das einsehen müssen,
stände ihm nicht die persönliche Erfahrung eines edlen Einflusses
der Religion allzu fern. Er denkt doch nicht daran, die Moral
und die Politik aus der Schule zu verbannen, trotzdem er sich
gegen ihre autoritative Beibringung, als für die Überzeugung des
Einzelnen verbindlich, mit so grossem Recht verwahrt. Die Schule
darf nicht Überzeugung fordern oder gebieten, sie soll vielmehr
die Kräfte entwickeln und die Mittel an die Hand geben sich
selbständig zu über/engen. Das gilt gleichen nassen für die drei
Gebiete: Moral, Politik, Religion, die alle aus demselben letzten
Quell: Wille und Gemüt des Menschen und zwar des gesellten
Menschen, unter der I^eitung selbsteigener Einsicht erwachsen
müssen, wenn sie etwas wert sein sollen. Was immer aus diesem
Gninde naturgcinäss hervorspriesst, das und nicht mehr darf die
Schuh' lehren; „lehren", das heisst ja, wie wir seit Plato wissen
sollten, aus dem eigenen Bewusstscin des Zöglings entwickeln,
nicht wie aus einein Gefäss in ein andres einschütten. Was sich
äusserlich mitteilen lässt: die überlieferten, historischen Fonneln
der moralischen, der religiösen Uberzeugung, die geltenden Be-
stimmungen einer gegebenen politischen Verfassung zu gegebener
Zeit, das soll die Schule zwar mitteilen, aber, wie Condorcet im
letzteren Fall richtig sagt, nicht „als vom Himmel gefallene Tafeln,
die man anbeten und an die man glauben niuss", sondern als
etwas, wovon sieh zu über/engen oder nicht in die Freiheit eines
Jeden gestellt ist, immerhin mit der warnenden Erinnenmg, es
ernst damit zu nehmen, sich nicht früher, weder für noch
wider, zu entscheiden, als man sieh die volle Reife dazu zu-
trauen darf. Die Kenntnisnahme von den wichtigeren religiösen
Lehrmeinungen ist unentbehrlich, schon um die Geschichte, aber
auch um die Gegenwart in irgend welchem Masse zu verstehen;
aber die Schul«' soll auch so viel als möglich verständlich
machen, wie man zu solchen Anschauungen gekommen ist, und
was man daran zu haben glaubt. Mau sollte in religiösen ebenso
wie in mondischen und politischen Ansichten, die man sich selber
nicht anzueignen vermag, dennoch den Andern verstehen lernen;
nur dann wird die Verschiedenheit der Überzeugung in diesen so
tief ins Leben greifenden Gebieten nicht das Bewusstscin der
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1S94.
( 'ondorcet's Ideen zur Nntioiialcrziohnug.
141
Getueinsehaft aufheben, sondern es, wie das unter Freunden oft
der Fall ist, eher stärken; denn nichts kraftigt sosehr das Gefühl
des unzerstörliehen Zusammenhangs des Lebens jedes Einzelnen
mit dein Leben Aller, als das Hingen an gemeinsamen Aufgaben
von dieser Tiefe der Bedeutung, und zwar auch, wenn man nicht
in der schlicssliehcn Entscheidung einig gehen kann. Also auch
das Dogma ist nicht in dem Sinne ans der Schule zu verbannen,
dass man von seiner Kxistenz überhaupt absehen dürfte; das wäre
den Thatsachen gegenüber nicht wahr und würde überdies nichts
helfen, da es sich auf anderen Wegen doch, ja dann erst recht
Gehör verschaffen würde. Dagegen muss der Unterricht aufhören
dogmatisch in dem Sinne zu sein, dass die Uberzeugung vom
Dogma Ziel des Unterrichts wäre').
Ganz davon zu trennen ist die Forderung eines von Re-
ligion unabhängigen Unterrichts in der Sittenlehre.
Einen Milchen hat selbst Conienius, der fromme Zögling der
Brüdergemeinde, verlangt, wie denn Luther und im Grunde alle
grossen Kirchenlehrer die Unabhängigkeit der sittlichen Erkenntnis,
in weiten Grenzen auch des sittlichen Lebens von der Religion
unbefangen anerkannt hüben. Auch das Eigentümliche der Religion
selbst wird fühlbarer, wem» die rein human begründete Sittenlehre
in ganzer Unabhängigkeit daneben steht. Iiier also wird man
Uondorcet nur beitreten köunen. Auch von der Art des geplanten
Moral Unterrichts giebt er (234 ff. 409) eine nicht unrichtige, nur
allzu skizzenhafte Vorstellung.
Zu schroff erklärt Condorcet: die Aufgabe der Schule sei
Unterricht und nicht Erziehung. Gewiss liegt die Erziehung
nicht ebenso wie der Unterricht in der Hand der Schule. Aber
wiederum sind die menschlichen Kräfte auch nicht so getrennt,
dass ein richtig geleiteter Unterricht überhaupt ohne Einfluss auf
die Erziehung bliebe, oder umgekehrt eine Erziehung völlig ohne
Verstandcsunterrieht auch nur denkbar wäre. Die Schule trägt
demnach immerhin das Ihrige zur Erziehung bei, nicht bloss durch
die Disziplin und den stillen aber dieneren Einfluss der Arbeits-
') Ausführlicher findet man die Frage behandelt in meiner soeben
liei .1. C. Ii. Mohr (1*. Sielx-cki in Freiburg i. B. erscheinenden Schrift:
„Religion innerhalb der (5 l enzen der II u man i t ä t. Hin Kapitel zur
(.iruadlegung der Sozialpädagogik."
10*
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112
Natorp,
Heft 4 u. :").
Gemeinschaft, sondern auch, obwohl mehr mittelbar, durch den
Gehalt des Unterricht« selbst.
Wir würden ii(»eh Manches auszusetzen Huden, wollten wir
auf das Einzelne des Unterrichtsplanes, wie Uondoreet ihn ent-
wirft, näher eingehen. Vor allein tritt uns überall eine doch sehr
«■inseitige Geringschätzung des humanistischen Faktors der Bildung
entgegen, während nach der realistischen Seite von ihm, der ganz
in diesem Gebiete zu Hause ist, gewiss zu lernen wäre. Ich geht«
darauf, wie gesagt, nicht ein, sondern gebe nur noch, um eine
etwas lebendigere Anschauung vom Ganzen seiner Absieht zu
liefern, einen kurzen Abriss seines Systems.
Das gesamte Bildungswesen gliedert sich nach diesem Ent-
wurf in fünf Stufen. Primär schulen sollen an jedem Ort von
•100 Einwohnern errichtet werden. Man lernt darin in vierjährigem
Kursus Lesen, Schreiben, Rechnen, Anfangsgründe der Naturkunde
und Ökonomie in enger Beziehung, in den Dorfschulen zum Land-
bau, in den Städten zu Gewerbe und Handel. Die Element«' der
Messkunde und Maschinenkunde sind darin einbegriffen. Dazu
kommt Moral nebst Elementen der Politik.
Eine Sekundärschule erhält jeder Distrikt, überdies jede
Stadt von 4000 Einwohnern. Sie führt den Unterricht in den-
selben Fächern fort, namentlich mit Rücksicht auf die weiter-
gehenden Bedürfnisse des Handwerks und des Handels. Zeichnen,
tieschichte und Geographie Frankreichs und der Nachbarländer
kommt hinzu, der Mond Unterricht erweitert sich bis zu den An-
fangsgründen der Sozial Wissenschaft, insbesondere Verfassungs-
knnde. Der Physikunterricht soll auf dieser Stufe bereits die
Hohe erreichen, das» er „das majestätische Ganze des Systems
der Naturgesetze vor unseren Augen enthüllt, enge und irdische
Vorstellungen von uns fernhält, die Seele zu unsterblichen Ideen
emporhebt, und sich so noch mehr zu einer Schule der Philo-
sophie als zu einer bloss wissenschaftlichen Lehre gestaltet" (204).
Eine sehr einfache I»gik, nämlich einige Beobachtungen über die
Form des Schlussverfahrens, über die Natur wissenschaftlicher
Sätze und die Grade der Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit,
deren sie fähig sind (200), schliefst sich an den Mathematik- und
Phvsikunterricht an.
Die dritte Stufe bilden die Institute, deren jedes Departe-
ment mindestens eines erhalten soll. Sie behandeln in vier
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18!>4.
CondorvetV IuVen zur Xationalerziehung.
I4:t
getrennten Kursen, unter denen man nach Bedürfnis und Fähig-
keit wählen, aber auch mehrere oder selbst alle verbinden
darf, l. Mathematik und Naturwissenschaften: reine Mathematik,
mathematische Physik, Experimentalphysik und Chemie, Natur-
geschichte der drei Reiche; 2. moralisch-politische Wissensehaften :
Philosophie („Analyst' der Empfindungen und Begriffe, Moral,
wissenschaftliche Methodenlehre oder Logik, allgemeine Prinzipien
der Staatsverfassungen"), Gesetzkunde nebst Staatsökonomie und
Handel, Geographie und Geschichte; '-(..„Anwendung der Wissen-
schaften auf die Künste", nämlich Medizin, Kriegskunst, Techno-
logie, graphische Geometrie; 4. Litteratur und schone Künste:
allgemeine Theorie der schönen Künste, allgemeine Grammatik,
Latein (nur ausnahmsweise auch Griechisch), neuere Sprachen nach
lokalem Bedürfnis. Ausführlich rechtfertigt er die starke Bevor-
zugung der exakten Wissenschaften, die Zurückstellung der Sprachen.
Ihm will nicht einleuchten, dass das tiefere Studium der alten
Sprachen, der Schönheiten des Stils der Klassiker u. s. w. zu
den Dingen gehöre, deren Kenntnis für jeden Gebildeten, für
jeden, der sich den leitenden Berufen widmet, unerlässlich sei;
die dafür sonst aufgewendete Zeit scheint ihm nicht länger ver-
fügbar, seitdem es so viel wichtigere Dinge zu lernen giebt. Wir
wollen darüber nicht mit ihm rechten, auch das Urteil über das
System der getrennten Kurse lieber den Praktikern überlassen.
In dieser Allgemeinheit ist das System für uns sicher unverwend-
bar; dagegen Hesse sich eine gewisse Annäherung daran unch
ohne Bruch mit unsern Überlieferungen wohl denken. Es ist nicht
einzusehen, weshalb nicht ein begabter Gymnasiast an dem besseren
mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht einer realistischen
Anstalt, ein begabter Realschüler am klassischen Unterricht des
Gymnasiums sollte teilnehmen dürfen. Umgekehrt könnte der
weniger Befähigte bei Beschränkung auf eine kleinere Zahl von
Fächern wenigstens in diesen Ordentliches leisten, während er
jetzt durch die Vielgestaltigkeit der Anforderungen verwirrt und
gedrückt wird, so dass er schliesslich in keinem Fach mehr etwas
Erträgliches zu stände bringt. Immer aber müsste ein Grund-
stock gemeinsamen Unterrichts bleiben; die freie Auswahl dürfte
sich nur auf solche Fächer erstrecken, die nicht als allgemein
verbindlich gelten können. Wenn aber, so wäre es denkbar, die
höhere Schule auf einer anständigen Höhe zu erhalten, ja über
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III
Natorp.
Heft 4 u. .").
ihren heutigen Stand in allen wesentlichen Fächern emporzuheben
ohne die befürchtete Überbürdung; wälircnd man jetzt z. B. in
Preusscn die Anforderungen fast in allen Fächern ermässigt, da-
durch alber die höhere Schule und damit unausbleiblich auch die
Universität, also überhaupt das ganze Unterriehtswescn um eine
Stufe herabdrückt.
Jede der genannten drei Schulen hat einen vierjährigen
Kursus; sie sollen regelrecht vom neunten bis einundzwanzigsten
Jahre durchlaufen werden können. Die vierte und höchste Stufe
des Unterrichts bilden die Lyccen. In dieselben vier Klassen
geteilt wie die Institut«', umfassen sie in möglichster Vollständig-
keit den ganzen Umkreis der Wissensehaften. Noch über ihnen
steht, als letzte Staffel des ganzen Systems, die National-
gesellschaft der Wissenschaften und Künste, die centrale
Vertretung der nationalen Wissenschaft, der zugleich die Ober-
leitung des gesamten Schulwesens zufällt, ohne das« sie selbst am
Unterricht beteiligt wäre. Sie zerfällt wieder in dieselben vier
Klassen wie die Lyccen und Institute. Sonnt entspricht sie in
jeder Hinsicht dem, was wir eine „Akademie" nennen.
Als seine letzte Absicht bezeichnet Condorect: die Gleich-
heit zu verwirklichen durch Verbreitung der Aufklärung. Wenig-
stens im achtzehnten Jahrhundert, fügt er hinzu, habe er wohl
keinen Tadel deshalb zu besorgen, dass er lieber alles auf eine
höhere Stufe bringen und befreien, als durch Xiederhaltung uud
Zwang habe gleichmachen wollen. Schliesslich erhebt er sich zu
dem für ihn höchsten Standpunkt der Betrachtung: dem des un-
begrenzten Fortschritts des Menschengeschlechts. „Ist diese un-
begrenzte Vervollkommnung unserer Gattung, wie ich glaube, ein
allgemeines Naturgesetz, so darf der Mensch sich nicht länger als
ein Wesen betrachten, das auf ein vorübergehendes und vereinzeltes
Dasein beschränkt, das bestimmt ist, nach einem Wechsel von Glück
und Unglück für sieh, Nutzen und Sehaden für die, die der Zufall
neben es gestellt hat, zu verschwinden; er wird zu einem thätigen
Glied des grossen Ganzen, zum Mitarbeiter an einem ewigen Werk.
In einem Dasein eines Augenblicks, an einem Punkte des Raumes,
vermag er, kraft seiner Arbeit, alle Käume zu umspannen, mit allen
Zeitaltern in Verbindung zu treten und noch lange, nachdem sein
Andenken von der Erde verschwunden ist, zu wirken."
Es ist die Begeisterung desjgrossen geschichtlichen Moments,
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ComlonH V M'«n zur Ntitiunalcr/irhutijr.
II")
die ihn zu solch kühnem Zutrauen fortreisst. „Ein glückliches
Ereignis hat auf einmal den Hoffnungen des Menschengeschlechts
eine unabsehbare Laufbahn eröffnet; ein Augenblick hat den
Abstand eines Jahrhunderts zwisc hen den Menschen von gestern
und den von heute gesetzt. Sklaven, zum Dienst oder Vergnügen
eines Herrn abgerichtet, sind erwacht und sehen mit Erstaunen,
dass sie keinen mehr haben, empfinden auf einmal, das» ihre
Kräfte, ihr Fleiss, ihre Gedanken, ihr Wille fortan nur ihnen
selbst gehören ... Es ist nicht die Revolution einer Regierungs-
form, es ist die Revolution der Überzeugung und des Willens;
nicht den Thron eines Gewaltherrsehers stösst sie um, sondern
den des Irrtums und der freiwilligen Knechtschaft; nicht ein Volk
hat seine Kette zerbrochen, die Freunde der Vernunft in allen
Völkern haben einen grossen Sieg errungen: das sichere Vorzeichen
eines allgemeinen Triumphes . . . Das Reich der Wahrheit
naht; nie ist die Pflicht sie zu sagen dringlicher gewesen, weil
es nie nützlicher gewesen ist; darum müssen, die ihr Leben ihr
geweiht haben, Allem mutig entgegen gehen lernen . . ."
Solcher Glauben gab noch dem Verfolgten, dem als Opfer
der Tyrannei des „Schreckens" Fallenden erhabenen Trost und
Hess ihn bis zum letzten Atemzug an der hohen weltgeschicht-
lichen Bedeutung der Revolution nicht im- werden. Als Ge-
ächteter in mühsam bewahrter Verborgenheit brachte- er noch
seineu kühnen gcschichtsphilosophischen Entwurf (Esquisse d'un
tableau historique des progres de l'csprit humum, Ocuv. VI) zu
Papier, dessen stark ungesehiehtlieher Charakter durch die Umstände
seiner Entstehung doch einigermnssen erklärlieh wird. Endlich
auch in seinem Versteck nicht mehr sicher, begab er sich auf
unstete Irrfahrt, wurde jedoch bald aufgefunden und als verdächtig
festgenommen. Ein nischer, wie angenommen wird, sclbstgesuchter
Tod im Kerker am 2S. März 1704 ersparte der Revolution für
diesmal die Schande, einen ihrer glühendsten, hoehsiimigsten
Gläubigen in unbegreiflicher Verblendung hingemordet zu haben.
Sein Entwurf blieb, gleich so vielen nachfolgenden, ohne prak-
tische Folge. Verdient er darum, ja verdient die ganz«' Schul|>olitik
der Revolutionszeit die harten Vorwürfe, die man wider sie ge-
schleudert hat?') Es ist hier nicht vom politischen Standpunkt
') SIm-v Alli. Dum v, LuiMriK'tiuii publique <t In ri-voluiiun, I\ui> ]sv_\
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U<» Natorp, 0.n<l..rLTf* M.en . tr. J|,.ft 4 u. 5.
darüber zu urteilen. Jedenfalls für die (ieschiehte der pädagogi-
schen Ideen bleibt diese Zeit und bleibt insonderheit C'ondoreet
hueh wichtig. Hat doch die dritte Republik fast in jeder Hin-
sicht auf die Entwürfe dieses Zeitalters, nicht zuletzt auf C'ondoreet,
zurückgegriffen und manche seiner (Jedanken mit unstreitigem
Krfolg in die Wirklichkeit übertragen. Aber auch unmittelbar ist
ihre Fortwirkung wohl zu spüren. Deutschland hat die Idee der
„Natioinderziehuug" aufgenommen, fast von dem Augenblick an,
wo in Krankreich das Todesurteil über sie gesprochen schien.
Name und Begriff" begegnet bei Pestalozzi schon vor der Revo-
lution; selbst in einem preussisehen Miuisterialberieht von 17911
taucht er auf; und in Fichte* Reden an die deutsche
Nation erreicht er seinen Höhepunkt.
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Thomas Carlyle
und der Umschwung der Gesellschaftsauffassungen des
englischen Volkes im 19. Jahrhundert.
Von
Lic. theol. Friedrich Hummel.
Wer der l»sung „Menschenbildung und Volkserziehung"
folgt, wird nicht fernab vom Schauplatz den thätigen Ix*bens einen»
lehrhaften Wissenschaftsbetrieb huldigen, sondern, so oft er kann,
auf die btintbewcgtcn .Pfade der Menschen- und Völkei-gesehichtc
treten. Kr wird auf alle Kräfte des Volkslebens achten, welche
als Mitbildner für seinen Zweck in Betracht kommen. Wenn er
dann innerhalb eines bestimmten Volkes und in einem überseh-
baren Rahmen die Bedeutung und Einwirkung dieser Mitbildner
besonders eigenartig vor Augen gestellt sieht, so wilti er diesem
Bilde besondere Aufmerksamkeit zuwenden. So geht es heute
manchem in Beziehung auf England. Die Eigentümlichkeit des
englischen Volkes ist so ausgeprägt, die politischen und gesell-
schaftlichen, vornehmlich aber die geistigen Bewegungen sind so
lehrreich, dass wir ein Recht haben, gerade auch von dem Boden
unserer Bestrebungen aus in jenes Kehl hinüberzublicken. Eben-
dort liisst sich im einzelnen die Probe dafür schauen, wie ein
umfassendes Bildungsstieben auf private und auf (JemeinHchaftshilfe
sich stützen, wie es mit dem Genossenschaftswesen Fühlung haben,
und wie es die versehiedenai-tigsten Kräfte und Kreise in den
Dienst am grossen „Tempel der Weisheit und Liebe" nehmen
kann. Oder betonen wir ausdrücklich die sittliche Seite, welche
in unserem Eintreten für Menschenbildung und Volkserziehung
enthalten ist, so ist es «loch wohl die Bekämpfung «1er Selbst-
sucht, was den innersten Trieb im lieben der Einzelpei-sönlichkeit
wie in dem I/Vn des Volkes ausmachen soll. Nun aber sehen
14K
HlllllMliI.
Heft 4 u. •"».
wir dort ein Land, wo deutlicher als anderwärts die Losung
fruchtbar geworden ist: Heraus aus Eigennutz und Schlaff-
heit zur Arbeit an Menschen wohl und Menschenbildung!
Darum thun wir wohl, auf diese Thatsache zu achten.
Mit solchen Gedanken betrachten wir einige Blätter aus dein
klar und tief angelegten, hochbedeutsamen Werk des Professor
Dr. Gerhard von Schulze-Gävernitz „Zum sozialen Frieden.
Eine Darstellung der sozialpolitischen Erziehung des englischen
Volkes im neunzehnten Jahrhundert." (2 Bde. I^eipzig, Verlag
von Duneker und Hutnblot. 181M). ) Wir entnehmen demselben
einige hauptsächliche, mit unseren Bestrebungen sich berührende
Gedankenreihen.
Durch die Einführung der Großindustrie war die Umge-
staltung der englischen Gesellschaft in den ersten Jahrzehnten
unseres Jahrhunderts vollendet worden. Jene hatte zunächst die
alte gewerbliche, dann die politische und soziale Gesellschafts-
ordnung ins Wanken gebracht. Der Kampf tun die Macht ent-
brannte zwischen der bisherigen Aristokratie und der neu auf-
kommenden Grossindustrie. Die Demokratisierung der Verfassung
fand in der Reformbill des Lord Rüssel (1831) ihren Stützpunkt.
Die „klassische Nationalökonomie" der Smith, Ricardo und
Malt Ii Iis aber hatte die Wirkung, die Herrschaft der Arbeitgeber
zu begründen. Man dachte sich da die Menschen ausschliesslich
von egoistischen Trieben, dem Erwerbstrieb und dein Geschlechts-
trieb, beherrscht und in eben diesem Stück alle ganz gleichartig.
Deswegen erwartete man von der Kreigebung des Wettbewerbs
die schönste gesellschaftliche Harmonie; man fasste eine Ein-
mischung in das Arbeiterwesen als Eingriff in das „Eigentum des
armen Mannes" und hielt schliesslich gar die Unterstützung der
Armen für /.weckwidrig, weil durch sie die „überschüssige Be-
völkerung" aufrecht erhalten werde. Eine solche Denkweise mtisstc
die oberen und unteren Klassen in der Tiefe trennen. „Zu keiner
Zeit und an keinem Ort haben Besitz und Bildung und zwar
bona fide ihre Pflichten gegenüber den unteren Klassen in
gleicher Weise abgelehnt wie die Mittelklassen des englischen
Volkes in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts" (I. S.
Eine äusserliche und innerliche Entartung der Nation drohte. Der
Klassenkampf loderte wild auf. In den dreissiger Jahren erstand
die erste sozial-revolutionäre Arbeiterpartei auf dem Boden Eng-
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1804.
Thomas Ciirlvl«« und der l uiM-hu unjr ete.
140
lands, die der Chartisten. Die Cni-ulien wurden so stark, dass
Engels in seinem Buch über die taigc der englischen Arbeiter
(1S48) „einen Krieg der Annen gegen die Heiehen" prophezeite
und meinte, das Jahr 1K.VJ oder 1S5H als das Jahr seines Aus-
bniehs bezeichnen zu können. Eine friedliche Lösung schien kaum
mehr möglieh.
Aber schon bahnte sieh eine bessere Zukunft an. Infolge
der Erhebung des Arbeiters zu gesellschaftlicher und politischer
Gleichberechtigung mit den oberen Klassen erwachsen die äusseren
Formen für die Neugestaltung des Lebens der Nation. Daneben
vollzieht sich «'in gewaltiger Umschwung des Denkens. In
Thomas Carlvle tritt zum ersten Mal die neue soziale Gcsell-
schaftsauffassung in Gegensatz zu der herrschenden individualisti-
schen. Diese äusseren und inneren Entwicklungsreihen beeinflussen
sich gegenseitig ursächlich. lTnd diese ganze wechselseitig ge-
ordnete Entwicklung geht, sagt Schulze -Gävernitz, dem Ziele
entgegen, an Stelle des sozialen Krieges den sozialen Frieden
treten zu lassen.
In seinem ersten Buch behandelt Schulze-Gävernitz „Themas
Carlvle als Theoretiker und Sozialpolitiker"1). Dieser
Mann war in Wahrheit, wie schon Goethe erkannte, „eine
moralische Macht von grosser Bedeutung". Carlvle war der be-
herrschende Geist der ganzen Aeru. Er hat die Gedanken und
den Willen seiner Volksgenossen beeinflusst wie seitdem kein
zweiter. Das Auftreten der Sozialrevolutionären Partei bildet den
Hintergrund für sein Wirken. Dort in gährender Zeit kämpfte
er wie ein Jesujas des neunzehnten Jahrhunderts gegen die indi-
vidualistische Weltanschauung und «leren Zuspitzung in der
„klassischen Nationalökonomie". lud in seiner Gcscllschafts-
anschauuug verkörpert sich die heraufschrcitende Zukunft. Auf
Carlvle gehen alle diejenigen zurück, welche die Beurteilung der
Erscheinungen vom kapitalistischen Standpunkt verwerfen und
durch eine solche vom Standpunkt der Arbeit ersetzen. Er ver-
anlasst den Cmschwung der Geistesbewegung, welcher die neuen'
') Verpleiehe von deiu«ell»en Verfasser „Thonia* Carlvle* Weil-
and ( JeselUchafl-aiischauiinjr." Mit Porträt. IJand V der Sammlung von
Biographien: Führende (Deister, herauspepelien von Dr. Beltelheitn (Prexlen,
L. Khlermann. ISM.T).
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150
Hummel,
Heft 1 U. 5.
Genossenschaftsbewegung, die Universitätsbewegung, den englischen
Positivisiuus und Sozialismus trägt. So «ehr aber bei ihm die
sozialpolitische Seite im Vordergrund steht, so tief wurzelt er
in einer umfassenden Lebens- und Weltanschauung, Und
diese ist eine originale. Von der deutschen Philosophie, von
Kant, den Kantianern, besonders von Goethe nimmt er Formen;
aber der den Engländern augeborne Sinn für die „positiv" festr
gestellte Thatsaehe bewahrt ihn vor unpraktischer Füllung. Am
ehesten kann man sagen, das« sich Inhalt in jene Formen aus
der Quelle des Puritanisinus ergiesst, welcher in Carry lc den
zeitgemässen Ausdruck findet. Sehauen wir aber auf jene Formen,
so begegnet uns der entscheidende Begriff des Organismus, welchen
deutsches Denken in die europäische Gedankenwelt eingeführt hat.
Diesen Begriff benützt Carlvlc, um von seinem Standort aus zu
zeigen, wie der Mensch als Einzelwesen durch die Selbst-
sucht, als Teil eines Organismus durch Glaube und Liebe
geleitet werde. „(Haube" ist ihm die „Annahme", „Liebe" das
„Erfassen" eines ausserhalb des einzelncu Individuums liegenden
Wertes. Als gesellschaftliches Wesen, ruft Carlvlc, lebt der
Mensch nur dadurch, dass er (ilauben hat! Dieser Glaube allein
ennoglicht die altruistische, d. h. die nicht auf das eigne,
sondern auf fremdes Wohl gerichtete I Lebensauffassung, den
Grundgedanken des Christentums; denn er ist ja an sich
die dem Individualismus entgegengesetzte Weise, zu wollen und
zu wirken.
„Zu wollen und zu wirken" - wir halten inne. Nicht an
der christlichen Glaubenslehre wollen wir die Anschauung Carlylcs
messen. Wir möchten aus dem Gewebe seiner Gedanken nur
einige Fäden für die psychologische l>ezw. pädagogische Betrachtung
herausnehmen und einen Augenblick festhalten. Es ist wirklich
so, wie Carlvlc sagt, und durch ihn selbst bewährt: In der
Wissenschaft wie im praktischen Leben sind diejenigen die Führer,
welche, am meisten von altruistischen Grundlagen ausgehend, um
einer Sache willen erkennen, um eines Wertes willen handeln!
l'ns tritt ein Grosser vor «las Geistesauge, aus welchem diese
Wahrheit in besonderem Sinne helle leuchtet: Com en ins. Dieser
Mann hat denselben Gedanken in die Pädagogik eingeführt.
I nd merkwürdig, auch bei ihm hing das zusammen mit seinem
Begriff des Organismus, mit seiner Forderung der „Entwicklung".
1K<)4.
Thoimi* ('Hrlyle mid der riiiKchwun^ rtc.
151
Kr hat gelehrt, «Iii* Teile «'in«*!- Gruppe als abhängig und wechsel-
seitig sich ergänzend anzusehen, l'nd vor ihm stand ein Organis-
nius des Wissens, da bei jeder Wissenschaft das Dreifache sein
soll: die idea das Urbild, das Objekt der Wissenschaft; ideatum
<las Abbild, das Produkt der Wissenschaft; ideans das produ-
zierende instruiuentum, der Geist, die Hand und die Zunge. Damm,
weil er die letztgenannten organisch zusammennahm, fasstc er das
Wissen mit der bildenden und mit der Redekunst in einen Be-
griff' des Bildens zusammen. Er wollte auch hierin Wort und
Sache nicht trennen. Kr wollte um der Sache willen er-
kennen. L'nd um des Wertes willen handeln. Das kam
zuletzt von seiner Forderung her, die jungen Ebenbilder (imagun-
cnlos) Gottes zu erziehen und sie, den in ihnen durch göttliche
Kunst gezogenen Umrissen von Güte, Macht uud Weisheit gemäss,
zu vollenden. Bei Coinenius heisst wissen etwas bilden können,
und darum lautet seine Ix>suug: „Durch Thun gelangt der Mensch
erst zum wahren Sein". „Die That ist das Ziel des Menschen",
sagt Curry le, und es giebt „keine wahre Erkenntnis ohne altruisti-
sches Wollen"! „Das Thun aller muss zusammengeordnet werden
durch die Liebe", ruft Conienius. Die Idee des Organismus
treibt aus der systematischen und praktischen Pädagogik des
Coinenius Blüten und Früchte hervor. Die Idee des Organismus
führt von Carlyle aus, indem dieser vor allem auf den Mensehen
als gesellschaftliches Wesen schaut, zu den Forderungen einer
praktischen Sozialpolitik und weiter zu einer sozialen Pädagogik.
Nun ist nach Carlyle die Geschichte der Menschen von dem
Gegensatz zwischen Geineinsinn (Altruismus) und Eigensucht
(Individualismus) beherrscht. Auf „positive" Zeiten folgen „nega-
tive", auf solche des Glaubens und der Hingebung Zeiten des
Unglaubens und der Selbstsucht. Den ersteren verdanken die
gesellschaftlichen Erscheinungen ihre Entstehung, den letzteren
fällt ihre Auflösung anheim. Erfolg hat allein das soziale Handeln,
d. h. die Arbeit. Das innere Wesen des sozialen Missstandes
aber ist das, dass an die Stelle des gesellschaftlichen Thuns das
ungesellschaftliche, eigensüchtige getreten ist. Besonders der freie
Arbeitsvertrag, ruft Carlyle immer wieder, erschöpft die Beziehung
zwischen dem Arbeiter und dem Arbeitgeber nicht Im Blick
auf den „Pauperismus", „die sichtbare Erscheinung der Sünde des
sozialen Systems", verteidigt Carlyle die damals auftauchenden
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1 ,v_>
HUIIIIIH'I,
Heft i u. 5.
Arbeiterorganisationen. Er achtet es für seine Lebensaufgabe,
soziale Gesinnung zu predigen und die Gewissen wachzurufen,
damit die zerrissenen Bande zwischen den oberen und den unteren
Klassen wieder geknüpft werden. W ir können nicht alles einzelne
anführen. Auf dein Gebiet des äusseren und inneren Geschehens
ist dort ( arlyle der Vater jener grossen Bewegungen geworden,
welche seit Mitte des Jahrhunderts den Besitzenden ihre Pflichten
gegen die unteren Klassen ans Herz legten und auf die Her-
stellung eines friedliehen Verhältnisses hinstrebten. Carlvle hat
den Anstoss zu dem rmschwung gegeben, welcher seitdem in
England erfolgt ist.
In seinem /.weiten Buch, das „die sozialen Richtungen
der (regenwart" behandelt, schildert Schulze-Gävernitz, wie von
diesem Umschwung nicht nur die konservativen und gemässigt
liberalen Richtungen erfasst wurden, sondern wie auch die Radi-
kalen ihm ihren Zoll bezahlten. An die Stelle des älteren Radi-
kalismus, wie er theoretisch durch Bcntham, politisch in der
I>'hre vom Geschehen-I^asscn durch John Bright, ("obden u. a.
vertreten wurde, tritt der Positivismus und der Sozialismus. Seit
den siebenziger Jahren hat letzterer einen Vorsprung vor dem
ersteren gewonnen. Aber in nächster Zukunft erwarten die Posi-
tivisten eine den Sozialismus in gutem Sinn überholende Weiter-
entwicklung und messen hiefür vornehmlich den Gewerkvercinen
die gnisste Bedeutung bei.
Obwohl diese letzteren neuerdings gewisse Fühlung mit der
Sozialdemokratie genommen haben, fällt Schulze-Gävernitz doch
mit Bestimmtheit sein Gutachten dahin, dass in England der
Sozialismus ein Mittel der friedlichen Fortentwicklung abgiebt.
Der Grund hiefür liegt nach ihm in folgenden Thatsachen:
„1. Die englischen Arbeiter befinden sich seit fünfzig Jahren
wirtschaftlich in einem Aufschwung, welcher ihnen die Grundbe-
hauptung sozialrevolutionärer Bestrebungen unannehmbar macht,
die nämlich, dass die Lage des Arbeiters unabänderlich schlecht
sei und nach Naturgesetz immer schlechter werden müsse.
2. Sie besitzen zudem die Macht und sind daran, die poli-
tische Schulung zu erwerben, mittelst deren sie mögliche Forde-
rungen auf Cirund des Bestehenden verwirklichen können.
.'{. Die öffentliche Meinung, insbesondere ihre
Führer in Universitäten und Kirche, betrachten infolge
1S<H.
Tlumiais Carlylo und der rmschwuiig etc.
des von Carlyle und der Meng»' seiner Nachfolger ein-
geleiteten Umschwungs die sozialen Verhältnisse nicht
iiH'hr vom Standpunkt des Kapitals. S'w neigen vielmehr
eher einer Betrachtung vom Standpunkt der Arbeit zu, welche in
Bezug auf die Gesetzgebung Sozialismus heisst, ebenso wie eine
von den besitzenden Mittelklassen ausgehende Betrachtung zu der
Jx'hre vom Gesehchen-Lanseu führte. Ih'es beseitigt Klassengegen-
»ätze und erhöht die Aussicht friedlicher Fortschritte."
Diese Punkte sind wert, dass auch unter uns viele, und nicht
bloss die. Führenden im Volk, genau darauf achten. Sie kommen
eben thatsäehlich ernstlich in Betracht; in naheliegendem Sinn
auch für die Fragen der Volksbildung und Volkser-
ziehung. Gehen die beiden erstgenannten Punkte uns mehr
mittelbar an innerhalb des Kähmens unserer Gesellschaft, so legt
sieh der letzte uns unmittelbar nahe, manchem unter uns sehr
nahe. Durch Venuittclung der geistigen Erzieher des Volks,
unter welchen wir z. B. noch die Kingslcy, Hughes, Maurice,
Lud low nennen, hat in Kngland jene sittlich«', im Kern anti-
individualistische, Reformbeweguug immer weitere Kreise gezogen,
und kraft dieser Wirkung wird nirgends vou den gebildeten
Klassen so umfassend und besonders so planmässig er-
zieherisch auf dem sozialen Boden gearbeitet wie heut«'
in Kngland. „Drei Gebiete sind es," sagt Schulze -Gävernitz
(I. S. 4.'5u), „auf welehen die höchst praktischen Bestrebungen
.sieh bewegen: Einmal Sorge für angemessene Unterhaltung der
arbeitenden Klassen an Abenden und Feiertagen; sodann Sorge
für die körjH'riiche Ausbildung durch Beförderung der nationalen
Spiele, Anlag«' von Spielplätzen und Parks, durch Besuch der
Wohnungen und Anzeige von Übertretungen der sanitären Gesetze.
Am wichtigst«'«! aber sind die zahlreichen Bemühungen um Er-
ziehung und Fortbildung, wodurch der Volksschulunt<'rricht <>r-
gänzt, die geistig«- Stufe gehoben und damit auch das äussere
Fortkommen erleichtert wird."
Es ist schon früher in den „Mitteilungen" der Gunenius-
Gesellschaft (1K9'5, I. II.) auf jene Erzieh«»r in England hingewiesen,
W«'lche „innerlich d«'ii Gedanken der eonu-nianisehen Gcistcsrich-
tung nahe standen." Und mit Bezüdumg auf die sog. englische
Universitntsbewi'gung ist uns «Ii«- Sache «ler „Volkshochschulen"
ebeudort die vor Augen gistellt worden („Mitt«'ilungeu" lSM.'i,
154
Hummel.
Heft 4 u. i>.
JV.). ') Wir können wirklich von der Probe auf England* Boden,
bei aller Verschiedenheit der Verhältnisse, vieles lernen. Ks be-
reitet sieh ja in der That eine gesellschaftliche Ordnung vor,
welche die Entfernung zwischen den verschiedenen Klassen ver-
mindern will. Es hat vor allein die allgemeine Schulpflicht, sowie
das allgemeine und gleiche Wahlrecht den unteren Ständen ein so
grosses Gewicht gegeben, dass notwendig auch der Bildungsdrang
emporgeht und nach Teilnahme am geistigen Besitz der Mensch-
heit strebt. Da ist es thatsäclüich im («eist des Comenius, wenn
die nach ihm sich nennende Gesellschaft auf eine grossere G leich-
massig keit der Geistesbildung hinarbeitet. Es ist feiner eine
Forderung ebenso der Liebe wie der Weisheit, dass die Oben-
stehenden mehr und mehr auch Vergnügungen und Erholungen
mit den Geringeren teilen lernen. Und es ist eine nicht zu unter-
schätzende Aufgabe, die Pfleg»- der köqjcrliehen Übungen im Dienst
der Volkserziehung fruchtbar zu machen. Hoffentlich lässt sich
die freiwillige Mitarbeit der Comcnius-Gesellsehnft so organisieren,
dass sie in vereinbartem Anschluss au andere Kreise und Ein-
richtungen, vornehmlich an die Universitäten, willige Kräfte für die
Hebung der Bildung im Mittelstand und in den unteren Ständen
zur Verfügung stellt. Können nicht auch wir wahr machen und
bethätigen, dass die Arbeit der Volksbildung daran mit-
hilft, die Kluft zwischen den Oberen und Unteren
innerlich zu überbrücken? Sollte nicht allmählich ein Teil
des Wissensehaftsbetricbs durch den Umschwung heilsam beein-
flusst werden, der seit Thomas Carlvles Wirken von der indi-
vidualistischen zu der sozialen Gesellsehaftausehauung sich voll-
zieht? Wenn wir auch auf diesem geistigen Gebiet unser«'
Sehuldigkeit thun, tragen wir mächtig dazu bei, dass die Zeiten
naher rücken, da wir vom sozialen Frieden reden dürfen.
In seinem dritten Buch verfolgt Schulze - Gävernitz die
Äusserungen des in England bewirkten Umschwungs im Umkreis
des gesellschaftlichen Lebens und zeigt, wie die Entwicklung auf
den sozialen Frieden hinausweise. Verfasser hat diese Hoffnung
in seiner erwähnten Schrift über Arbeiterbildung (S. 22) einen
') Verfasser darf vielleicht auf die Ausführung in seiner Schrift „Wh*
):"i*st xieh zur Pflege einer gediegenen , .-eht volk-tüinlichen Bildung in den
Arbeiterkreim-ii thun?'1 iHeilhnmii, Kug. Salzer IS!»:: Seile KM t. hinwei*>u.
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1S!)4.
Tlmmu* Citrlvl«' und <l<-r rm«-hwitnp vW.
„allzu sicher blickenden < )ptimismus" genannt. Schulze-Gävernitz
hat «lagern erwidert („Christliehe Welt", 1K!»3, Nr. 47, S. 112»):
Dass England die Gefahr eines gewaltsamen sozialen Zusammen-
bruchs überwunden habe und, seiner Ansieht, nach, in friedlicher
Fortentwicklung begriffen sei, sei ja noch nicht das ferne Endziel,
sondern eine Etappe, von welcher aus nur um so schwerere Ziele
sichtbar werden. Den Sozialpolitikern Englands, erklärt Gävernitz,
thun sich sofort auf der geöffneten Bahn friedlicher Entwicklung
die schwersten Probleme auf, wie etwa das der Iiohnstcigerung
gegenüber dem ausländischen Mitbewerb, das der ungelernten
Arbeit u. s. f. Verfasser gesteht, dass diese Auffassung ihn über-
zeugt hat. Denn wirklich wird in England der Damm sichtbar,
welcher die revolutionäre Sturmflut aufhalten kann. Mag er
Jahrzehnte lang von dem Wogenprall umtost, in manchen Teilen
gar von demselben bedeckt werden, er ist da und hält fest Wir
müssen betonen, dass seine unerschütterlichen Grundlagen in der
sittlich -religiösen Persönlichkeit ruhen. Aber wir wissen auch,
dass das Aufführen desselben nicht am wenigsten jenen Bestre-
bungen zu verdauken ist, die im Sinne Carlyles und Kingslcys
in uneigennützigster Weise und ohne Parteigeist für Menschen-
bildung und Volkserziehung gearbeitet haben. Das ist eine
Leuchte auf den Pfaden derjenigen, die im Sinne des
„Weckrufs" des Conicnius alle Parteien, Konfessionen
und Stände aufrufen, echt sozial zu denken und zu han-
deln und mit ernsten Bild ungsbestrebungen an das Volk
heranzugehen.
Aus der Idee des Organismus hat Carlyle soviel Kraft ge-
holt für Gedanke und That Er wollte ein organisches Volks-
leben. Auch wir dienen der Sache des organischen Volkslebens
mit unseren Bildungsbestrebungen. Zu den Lebensbedingungen
dieses Organismus gehört auch die Anwendung einer echt sozialen
Erziehungslehre, wie sie in dem „Tempel der Weisheit" eines
Coincnius mitbefasst ist. Von der auf englischem Boden geschauten
Probe aus strahlt die Hoffnung, dass die Besitzenden lernen werden,
auf fremdes Wohl zu denken, und dass die unteren Klassen dahin
gelangen, das hohe Gut der Freiheit gegen alle, auch gegen die
revolutionäre, Vergewaltigung zu verteidigen.
Mormts.li. fu il. r r.,m. niu*-(;.-.., IK. hurt. |wu.
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B. Litteraturbericht.
Wir beabsichtigen, die wichtigeren Erscheinungen unsere« Forschungs-
gebiets, durch kurze Hinweise an dieser Stelle der Aufmerksamkeit unserer
t/wer zu empfehlen und bitten die Herren Verfasser und Verleger um Zu-
sendung der hierher gehörigen Littcratur.
24. Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, genauer seit
dein Jahn- 1885, haben die Forschungen über die Geschichte der
Katharer und Waldenser einen grossen Aufschwung genommen. Es
ist nicht ohne Interesse, zu sehen, unter welchen Xanieti und Titeln die
betreffenden Schriften an das Lieht treten. Es ist sonst üblich, dass
die Geschieh tsforscher, gleichviel welcher Kirche oder Partei sie an-
gehören, zur Bezeichnung einer Richtung oder Gemeinschaft, deren
Geschichte sie schreiben, diejenigen Namen wählen, die sich jene
Richtungen oder Gemeinschaften selbst gegebeu haben, und es gilt
als Anstandspflicht, Scheltnamen, wie sie in heftigen Kämpfen
von der siegreichen Partei leicht in Umlauf gesetzt werden, zu ver-
meiden. Zu solchen Parteibezeichnungen und Scheltnamen gehören
die Namen „Ketzer" und „Sekten", in denen die denkbar schärfste
Ablehnung im Sinn der mittelalterlichen Kirche ausgesprochen wird;
selbst die Namen „Katharer" und „Waldenser" sind in jenen Jahr-
hunderten Scheltnamen gewesen, da es bis zum l(J. Jahrhundert nie
eine Gemeinschaft gegeben hat, die sieh so genannt hätte. Es ist
ganz erklärlich, wenn diejenigen neueren Historiker, die die altkirch-
liehe Beurteilungsweise der Ketzer teilen und beibehalten, auch die
von der überlieferten Streittheologie gebilligten Kunstausdrücke bei-
behalten; wer als unparteiischer Geschichtsschreiber sich weder auf die
eine noch auf die andere Seite stellt, sollte es sich hier wie anderswo
zur Pflicht machen, entweder solch«1 Bezeichnungen zu wählen, die
neutraler Art sind oder die von jenen „Ketzern" selbst gebraucht
wurden. Oder wie würden heutige Protestanten es bezeichnen, wenn
römisch-katholische Schriftsteller Bücher unter dem Titel: „Geschichte
der lutherischen Ketzerei" u. s. w. veröffentlichen wollten? Da zu
den satzungsgemässen Aufgaben der CG. die Erforschung der Ge-
schichte der böhmischen Brüder und ihrer Vorläufer — das sind
eben die sog. Ketzer des Mittelalters - gehören, so werden wir noch
oft Veranlassung haben, auf diese Xamcnfragc zurückzukommen. Wir
werden aber selbstverständlich die wissenschaftlichen Anstandsregeln.
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1X94.
Litteraturhcricht.
157
die sonst gelten, auch auf die „Ketzer" ausdehnen und keinen Sehelt-
nanien ohne ei-ninteruden Zusatz gebrauchen oder zulassen.
25. Kine Geschichte der altevangelischen Gemeinden in den
Niederlanden oder wichtige Beiträge dazu liefert Prof. Dr. Paul
Prederioq (D.-M. der CG.) in seinem Werk: „Geschicdcnis der In-
»juisitie in de Ncdcrlandcn tot aau hare Hcrinrichting onder Keizer
Karel V (1025 1520), Eerste Deel, Oe Ncdcrlandschc Inquisitie
tydens de elfdc, twaalfdc en dertiende eeuwen. Met twee Kaarten.
Gent, J. Vuylsteke 1«!)2." Fre<lerieq hat im Jahre 188« die Ur-
kunden und Akten zur Geschichte der Kctzerverfolgung in den
Niederlanden (1025 — 1520) herausgegeben, und auf der so gewonne-
nen Grundlage haut sieh jetzt die Gesehiehte der Inquisition auf,
•leren erster Teil unter obigem Titel vorliegt. Die Arbeit hat, wie
F. im Vorbericht selbst bemerkt, eine erhebliehe Förderung durch
das grosse Werk von H.G.Lea,1) History of the Inquisition in the
Middle Ages, New- York 1««« ff., das gerade während der Aus-
arbeitung ersehien, erfahren. Sie ist dein hervorragendsten heute
lelnrnden Vertreter der niederländischen Kirehengesehiehte, Herrn Prof.
Dr. Acquoy in Leyden, gewidmet und verdient die Aufmerksamkeit
nicht bloss der holländischen Geschichtsforscher. Sie kann in der
Fassung wie in der Bearbeitung des Themas als Vorlage für Be-
arlM'itungen der Inquisition in anderen Ländern und Provinzen dienen,
wie denn z. B. eine nach ähnlichen Gesichtspunkten bearbeitete Ge-
schieht*' der südfranzösisehen oder auch der oberrheinischen und nieder-
rheinischen Inquisition sehr interessant*- Ergebnisse liefern würde.
Nur müsste mau der Gcsehiehts-Darstellung ebenso, wie es Frederieq
gethan hat, die Herausgabe der Urkunden vorausschicken.
2fJ. Unter den humanistischen Reformatoren auf dem Gebiete
de- Schulwesens um die Wende des 15. Jahrhunderts hat hellen
Klang der Name des Alexander Hegius, des langjährigen Vorstehers
der Schule von Deventer. ÜImt 2000 begeisterte Jünglinge haben
dort zu seinen Füssen gesessen und die empfangenen Lehren weithin
getragen, nach des Meisters Beispiel mit der herrschenden Schul-
methode brechend und frisches neues Leben in die mittelalterlichen
Formen bringend. Die zerstreuten Nachrichten über diesen zwar
nicht hervorragend begabten, aber um so unermüdlicheren Schulmann
hat Joseph Wiese in einer Erlanger Dissertation zusammengestellt:
„Der Pädagoge Alexander Hegius und seine Schüler. Berlin
1«92." Nach Darlegung des meist auf die Schulstube liesehränkten
Ijehens seines Helden giebt Wiese einen kurzen Auszug aus seinen
philosophischen, didaktischen und pädagogischen Werken, die 150M
zusammen unter dem Titel „Dialogi" von Jakob Fabri herausge-
') Inzwischen ist von H. C. Lea (der unserer (icsellschaft ebenfalls
angehört) iax*h erschienen: Chapter from the religious historv of Spain,
connected wirh the Inquisition. Philadelphia, Lea Brothers aad'Co. 1S1H).
11'
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158 Utteraturbericht. Heft 4 u. 5.
frühen uihI ziemlich seilen geworden sind. Besondere Erwähnung
verdient die den Dialogen angehängte „Invectiva in modos signifieandi,"
ein Pamphlet gegen die damaligen sogenannten Modisten, die, anstatt
sich an «las Thatsäehliche zu halten, mit spitzfindigen Reflexionen
Grammatik triehen. B.
27. Unter des Hegius Schülern hat am wirksamsten Johannes
Murmellius in Münster diesen Kampf fortgesetzt. Seine erbittertste,
aus einstiger Hochachtung langsam umgeschlagene Feindschaft galt
dem „Doctrinale" des Alexander de Villa Dei, dem Kanon der
hisherigen Grammatiker. Dasselbe ist neuerdings von dem bekannt. Mi
Murmcllius-Biographen D. Reich ling mit einer sehr bemerkenswerten
Kinleitung über Umfang, Ziel und Methode des grammatischen
Unterrichts im Mittelalter, sowie das Lehen und die Schriften Alexan-
ders als 12. Band der Mo 11 innen tu Gerina niae paedagogica
(Berlin, 1S»:{) abgedruckt worden. Murmellius drang gegenüber «liesein
weitschweifigen Lehrbuch überall auf natürliche Gestaltung und Be-
lebung des Unterricht*, und wenn er auch seiner Zeit gemäss über
die Begeisterung für das Lateinische eine gesunde Pflege der Mutter-
sprache vergessen hat, so erinnert er doch in der genannten Beziehung
und wegen mancher übereinstimmenden Lehren im einzelnen, auf die
ich hier nicht näher eingehen kann, schon an Uomenius und seine
Anhänger. Ich habe vor kurzem mit einer neuen Ausgabe der vor-
züglichsten seiner grösstenteils äusserst selten gewordenen Werke
begonnen. (Ausgewählte Werke des Münsterischcn Huma-
nisten Johannes Murmellius. Herausgegehen von A. Börner.
Heft 1 ff. Münster, Regensberg 1*92 ff.) Das 1. Heft hat
eine für „verschollen" gehaltene kurze Sammlung von Epigrammen
über die Pflichten des Lehrers und der Schüler gebracht. Heft 2
enthält das treffliche „Enchiridion seholastieorum", in dem von Mur-
mellius die Grundsätze aufgezeichnet sind, nach denen er mit so
grossem Erfolge an der Domschule zu Münster unterrichtet und er-
zogen hat. Eben finde ich eine Übersetzung der pädagogischen
Werke des Murmellius von J. Freundgen angekündigt, in der
„Sammlung der bedeutendsten pädagogischen Schriften
aus alter und neuer Zeit (Paderborn, Sehöningh)", auf die
bei dieser Gelegenheit nochmals aufmerksam gemacht sei. Die im
'.i. Hefle meiner Ausgabe veröffentlichten „Elegiae morales" kommen
für uns höchstens wegen ihres ethischen und didaktischen Charakters
in Betracht. Das nächste Heft wird mehrere Kapitel aus der be-
kannten „Pappa puerorum" bringen. Was Coineuius im 10. Ab-
schnitt seiner grossen Unterrichtslehre ( Übersetzung von J. Beegcr
und F. Zoubek S. 141 f.) lebhaft empfiehlt, dass Bücher in Gesprächs-
form verfasst werden möchten, davon finden sieh hier die Anfänge.
Nachdem im 1. Kapitel nach Stoffen geordnet die gebräuchlichsten
lateinischen Wörter mit deutscher Übersetzung und hier und da mit
veranschaulichenden Erläuterungen zusammengestellt sind, folgen im
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Litteraturl>e rieht.
2. Kapitel „Omtiunculne variae puerorum usui <-xposita«\ Mancherli'y
redlin zu gebrauch «ler Kimler ausgelegt." Teils in einfaeher Redt-,
teils in Form von Re«le und Antwort, werden die den Knaben zu-
nächstliegenilen Stoffe der Unterhaltung behandelt. Dureh solebe
Gespräche ist es, wie Conienius an der bezeichneten Stelle näher
ausführt, möglich, Inhalt und Darstellung der kindliehen Auffassung
anzupassen, denn „nichts ist vertraulicher und natürlicher, als da-
Gespräch." An «lie „Omtiunculae" scbliessen sich in den beiden
folgenden Kapiteln der Pappa bemerkenswerte „Pnucepta moralia"
und „Protrita quaedam proverbia." Noch im Lauf«' des Jahres soll
das Büchlein herausgegeben werden. B.
28. „Die Ansichten des Desiderius Erasmus über die
Erziehung und den ersten Unterricht der Kinder*« untersucht
Richard Becher in einer verdienstvollen Leipziger Dissertation von
1S00, über deren Ergebnisse wir einig«' berichtende Worte nicht
schuldig bleilM ii dürfen. Erasmus selbst hat ein System seiner Er-
ziehungslehren nicht g««geben, Becher musste sein Bild nach 5 ver-
schiedenen Schriften des grossen Pädagogen entwerfen; es sind «lie
Werke: „De ratione stiulii" ( 1 f> 1 H ), „Declumatio de pueris ad virtutem
ac literas liberaliter instituendis idque protinus a nntivitate" (1529),
„De institution«' matriinonii christiani" ( 1 52ü) und „De eivilitatc monun
puerilium" (1530), von denen «>r das bislang am wenigsten beachtete
zweit«' für «las be«leutendste hält. Nach Darlegung dessen, was Eras-
mus von «1er IVrstm <l«*s Erziehers und «l«'s Zöglings verlangt, geht
Bacher üb«ir zu «lein Erziehung-- und Untcrriehtswerke selbst, in dem
Erzieher und Zöglinge zu einander in Beziehung treten. In seiner
Anschüttung, »lass «las Lat«'iitische und Griechische der Mittelpunkt
«l«»s Unterrichtes sein und sich mit «lein scheuten Jahn' sogh'ieh an
die YorlK'reitungsperio«le, «len Spnn'h-, Lese- und Schreibunterricht,
anschliessen müsse, zahlte Erasmus der herrschenden humanistischen
Bewegung seinen Tribut, in vielen Teilen «ler Unterrichtsmethode aber
war «t stjner Zeit voraus und zwar so weit, «lass ihn «lie Mitlehenden
nicht verstanden haben. Seine «»indringlich«' Mahnung, «len Unterricht-
freundlich ZU gestalten, «len Kindern nur Angenehmes ZU bieten, sie
«lurch Zuhülfenahme des Spiels «lie Schwierigkeit ihrer Aufgabe nicht
verspüren zu lassen, machen ihn zum Vorläufer I.,ockes und «ler
Phihinthropiuistcn. Die Betonung «les Anschauungsunterrichtes st«>llt
ihn Conienius an die Seite. Damit Erzählungen im G«'iste der Kinder
haften bleiben, s«dl ihiu'it «ler L«'hrer d« n Inhalt «lersclben auf «'iiu-in
Bihl«' vor Augen führen, die einzelnen Gegenstände mit lateinischen un«l
griechischen Namen nennen, auch eine kurze Beschreibung derselben
hinzufügen. Es ist «lie-elbe Ide«-, «lie «len Orbis pictus «l«-s Comciiius
ins Leben g«'rufen hat. Den Schluss von Bechers Arbeit bilden
«Ii«' Ansichten des Entsmus über «lie moralisch«' Erziehung «I<t Jugend,
bei d«-n«'ii sieh «-in«' besondere Fürsorg«- für «las weiblich«' G«'s«'hl«-chl
vorteilhaft bemerkbar macht. B,
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Hin
Litt4*raiurlM'rielit.
Heft 4 u. 5.
29. Das Nachspiel der /.wischen Knwmi' und Hutton ent-
brannten litterarischen Fehde ist der Gegenstand eines Aufsatzes von
Karl Hartfelder im 4. Hefte, der Zeit schritt für die Geschichte des
Oherrheins von 1S93: „Otto Brunfels als Verteidiger Huttens"
(S. 5Gö — 57.H). Auf Huttens leidenschaftliche „Expos tulatio" gegen
den Abtrünnigen der evangelischen Sache hatte Erasmus schlagfertig
mit seiner „Spongia adversus aspergines Hutteni" geantwortet, aber
seine wohlgezielten giftigen Pfeile hatten den Gegner nicht mehr
Ichend erreicht. Die Sache de* Toten machte einer seiner Schuler,
Otto Brunfcls aus Mainz, damals noch Pfarrer zu Neuenburg am
Rhein, aber im Herzen schon der neuen Lehre zugethan, zu der
seinigen. Er blieb eine „Responsio pro Ulrieho Hutteno defuneto
ad Erasmi Roterodami Spongiam" nicht lange schuldig. Hutten ist
ihm ein leuchtendes Ideal, Erasmus der Inl>cgriff aller Untugenden.
„Erasmus ist treulos, Lug und Trug geht von ihm aus, aus seinem
Munde kommt es warm und kalt zu gleicher Zeit, mit der einen
Hand hält, er ein Brod hin, während er mit der anderen einen Stein
verbirgt u. s. w.u Trotz aller Mängel verfehlte die Schrift ihn; Wir-
kung nicht. Der tiefgekränkte Erasmus hat sie Brun fei» nie ver-
gessen können, auch nicht als »lieser später im Auftrage des Rates
zu Strassburg, wo er eine lateinische Schule errichtet hatte, sich mit
ihm auseinanderzusetzen suchte. — Hartfehlers Hoffnung, an anderem
Ork* das Lehen Brunfels' einmal ausfuhrlicher behandeln zu köiuien,
hat sein zu früher Tod vereitelt. B.
30. Eine Skizze von der Bedeutung und dein lieben Thomas
Campanellas (f 1039) bringt die Zeitschrift für Kulturgeschichte
4. Folge Bd. I S. f.O— 92 aus der Feder Eberhard Gotheins in
Bonn, «Iii* wie alles, was Gothein schreibt, in anziehender Weise
und aus einer Fülle reichen Wissens heraus den gewählten Vorwurf
behandelt. Herder war es (wie Gothein hervorhebt), der vor fast
100 Jahren eine Reihe von Sonetten des grossen italienischen Natur-
philusophcn unter uns von neuem bekannt machte, nachdem sie
zuerst von Valentin Andreae (der auch Campnncllas Sonnenstaat
nachgeahmt hat) ins Deutsche übertragen worden waren. Herder
berief sich für seinen Versuch, den vergessenen Dichter Italiens von
neuem zu beleben, auf das Urteil von Leibniz, der Campanella
als Philosophen neben Baco und weit übei Dcseartes und Hobbes
gestellt hatte. Es ergiebt sieh hieraus wie aus der ganzen Schilderung
Gotheins, dass wir mit gutem Grund den Namen Campanellas in
dem Arbeitsprogramm der CG. genannt haben. Campanclla, der
sowohl den Vertretern voltärianischer Aufklärung wie der kirchlichen
Rechtgläubigkeit unsympathisch war, ist hing«' Zeit in seiner Heimat
wie anderwärts vergessen gewesen; heute feiert man in ihm neben
Bruno einen der hervorragendsten Vertreter italienischer Philosophie
im 17. Jahrhundert und einen Märtyrer der Gedankenfreiheit. Es
verdient erwähnt zu werden, dass Campanella ein Schüler des
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Litterat urltcricht.
Bcrnnrdino Telesio war, der in Coscnzn und in Neapel sog. Akn-
«I <-in tcn (Sodalitaten) jr<*f*tifit*t hntte, die sich der Pflege philosophi-
scher Studien widmeten. Als CnmpaucHu in »panischer Gefangen-
schaft als „Revolutionär" schmachtete, waren es zwei Deutsche,
Rudolf von Birnau und Tobias Adami aus Weimar, die sieh
des Gefangenen und seiner Schriften annahmen, und die seinen
Büchern in Deutschland eine Zuflucht verschafften. Campniiclla hat
seinen Freunden, die Evangelische waren (der Mönch kannte für
diese nur den Namen „Lutheraner"), in mehreren Sonetten seinen
Dank abgestattet, deren eins folgende Strophen enthält:
Von Rom auch Ostia ging ein alter Munn,
Den Räuber überfallen und verwunden.
Ihn traf ein Mönch. Der betet seine Stunden
Und geht, als ob er tief im Buche sann.
Hin Bischof kam, sah ihn von oben an
Und segnet ihn, statt das« er iha verbunden.
Ein Cardinal, der heuchelnd Leid empfunden:
Er folgt dein Diel), des* Beute er gewann.
Ein deutscher Lutheraner nahte jetzt,
Der nicht von Worten, nur vom Glauben hält.
Der hat ihn aufgehoben und geletzt.
Wer war sein Nächster wohl in dieser Welt?
So ist die Hand mehr. als der Mund geschätzt,
Die Einsicht sei dem Wollen nachgesetzt,
Es ist die That, die jedem wohlgefällt.
Du weisst nicht, ist dein Glaube andern wahr.
Die gute That nur stellt Gewissheit dar.
Es ist eigentümlich, das* das Naturerkennen dieses Mannes,
der doch innerlich Galilei, Kepler, Gilbert und andern so nah stand,
so sehr gering war; er berührt sich in diesem Punkt«' mit dem
gleichen Mangel bei Comcniu». Gleichwohl veröffentlichte Tobius Adami
Campanellas Schriften mit den höchsten Lobsprüchen derselbe
Adauni, der zugleich ein Schüler Bacos und ein Bewunderer von
Galilei, Kepler und Paracelsus war. „Unter den vielen, die Ivcibniz
Monudenlehre becinflusst haben, gebührt Campanellu «loch wohl der
erste Platz", sagt Golhein.
Wie sehr Campanella von den Ideen und Hoffnungen des
Urchristentums erfüllt war, zeigen folgende schöne Strophen:
Kehrt zur Vernunft! Dann könnt ihr innig lieten:
„Es komme uns dein Reich, darin dein Wille
„Auf Erden wie im Himmel sich erfülle,
„Wo alles reift, was wir in Hoffnung säten.
Und vor der Dichter Auge wird dann treten
Die dunkle Zeit aus dunkler Zukunft Hülle;
Das Unschuldsalter kehrt, in heiliger Stille,
In frommer Kraft, um das die Väter flehten.
Dann freut der Philosoph sich jenes Staates,
Den er beschrieh als beste Republik,
Um den die Erde immer noch betrogen.
Auf Zion schauen, froh des Gottesrate»,
Dann die Propheten Israel im Sieg.
Frei, wie es aus Egypten einst gezogen.
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Ib2
LitlrratiirlMficht.
Heft 4 u. 5.
Man sieht, wie auch bei (ampnnclln «Ii»- I« lf «• des „Reiches
Gottes" oder, wie anilcrc Zeitgenossen sagten, des Tempels 4er
Weisheit, ebenso im Mittelpunkte des Gedankenkreises steht, wie
bei allen Münnem, die zum Forschungsgebiet unserer Gesellschaft
im engeren Sinn gehören. K.
31. In der Unterhaltungs- Beilage der Täglichen Rundschau
vom 20. u. 27. Januar d. J. findet sich ein längerer Aufsatz eines
„»Uten Nieskyers" über die Universitäts • Anstalten der Brüder-
gemeinde EU Niesky, die wir der Beachtung unserer I> ser empfehlen.
Die Praxis der brüderischen Erziehung beruht auf einer Jahrhunderte
langen Erfahrung, und die Grundsätze haben sieh an denjenigen jungen
Leuten, die den brüderischen Anstalten anvertraut worden, in hohem
Grade bewährt; die bedeutendste und wichtigste Anstalt ist aber
diejenige in Niesky. Der ungenannte Verfasser des Aufsatzes nennt
unter den Männern, die sich um das Er/.iehungswesen der Brüder-
gemeinde besonders verdient gemacht haben, August Göttlich
Spangenberg (+ 1702) und Gottfried Polycarp Müller (r 1 7 47),
den der Verfasser als Freimaurer bezeichnet. Über Polycarp Müller
hat Otto Kaetnmel in der Allg. I). Biographie XXII, <>(i9 gehandelt;
Kaenunel nennt ihn einen entschiedenen Vertreter des Naturrecht*
und kühnen Neuerer auf dem Gebiete des Schulwesens; er war am
14. Juni 1 «>S4 geboren, studierte in Leipzig und Altdorf bei Nürn-
berg, wurde Mitglied des Blumenordens, den Harsdorf er 1*>44
errichtet hatte, und übernahm im Jahre 1713 die Direktion des
Gymnasiums in Zittau. Von hier wegen seiner religiösen Anschau-
ungen durch die Lutheraner verdrängt (173S), siedelte er nach
Herrnhut über, wo ihn die Gothaer Synode von 1740 an Zinzen-
dorfs Stelle, der damals nach Amerika ging, zum Bisehof wählte.
Er hat dann auf das Erziehungswesen der Brüdergemeinde einen
grossen Einfluss gewonnen, und wir werden gern gelegentlich in
unseren Monatsheften das Andenken des merkwürdigen Mannes
erneuern. K.
32. Die „Roligiöse Volksbibliothek", die vom Bibliographi-
schen Bureau zu Berlin unter Redaktion von C. Wcrckshagen
seit 1.892 herausgegeben wird es sind bis jetzt sechs Bändchen
erschienen beabsichtigt, dem neuerwachten religiösen Interesse
dadurch entgegenzukommen, dass sie versuchen will, das beste der
religiösen Litteratur der verschiedenen Zeiten und Richtungen der
Gegenwart von neuem zugänglich zu machen. Es sind in der Samm-
lung bisher folgend«' Schriften erschienen:
I. 1. Dr. Rudolf Schramm, weil. Domprediger zu Bremen, Zur
Erneuerung des Christcnthums. Eine Auswahl aus seinen
Schriften. Berlin. Verlag des bibliographischen Bureaus.
1892. II — 97 S. 8".
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1X94.
LittcrnturlKTu-ht.
I. 2. Charles K ingsley. Kin ndigiös-M>zialcs Chhrakterhild von
Dr. A. Kalthoff, Pastor an Si. Martini in Bremen. Ebd.
1X92. It — «!!) S.
I. A. Dr. Eduard Reilos, weil. Prof. der Theologie zu Stras-
burg. Geschichte Israels bis zum Exil. Rede über den
Wahlspruch. Ebd. 1 SM2. II — 7X S.
I. 4. Blaise Pascal. Reden und Aufsätze von Dr. M. Schwalb.
Ebd. 1*92. 02 S.
I. ">. Srhleiermaehe r, Eine Auswahl aus seinen Predigten,
Reden und Briefen. Zusammengestellt und eingeleitet von
Gurt Stago. Ebd. 1X93. IV - 05 S.
I. <i. Wie Jesus von Nazareth der Messias oder Christus wurde.
Fünf biblische Betrachtungen von E. Zittcl. Ebd. 1 SfKt.
II - »4 S.
Di«' ausgegebenen Hefte sind sehr wohl geeignet, dein Unter-
nehmen Freunde zu gewinnen. Die Schriften sind gut gewählt und
mit trefflichen Einleitungen versehen. In Rudolf .Schramm lernen
wir einen Geistlichen kennen, der die Gedanken der Hegcl-Schleior-
macbersehen Schule volkstümlich zu gestalten versucht hat, in
Charles Kiugsley den christlichen Sozialismus in eigenartiger Ge-
stalt, in Eduard Reuss den ausgezeichneten theologischen Historiker.
Das Heft über Pascal bringt namentlich auch eine charakteristische
Auswahl von Originalstellen aus Pascals „Gedanken". Dass Schleier-
macher in der „Religiösen Volksbibliothek" Berücksichtigung ge-
funden hat, hegrüssen wir vom Standpunkt unserer (Gesellschaft aus
mit besonderer Genügt huunif. Es wäre nur zu wünschen, dass der
Genannte, von dem so tiefe religiöse Anregungen ausgingen, auch
noch durch seine religiösen Hauptwerke in obiger Sammlung die
gebührende Vertretung finde. Hochegger.
:?3. Zur Würdigung von Herders bahnbrechender Bedeutung
auf pädagogischem Gebiete, welcher zuletzt Dr. Fr. Kötz, Scminar-
oberlehrcr in Waldenburg, in einer Leipziger Dissertation (Die päda-
gogische Bedeutung Herders. Waldenburg 1S91. 99 S. S") eine
ausführlichere Darstellung gewidmet hat, tragen zwei kürzlich er-
schienene kleinere Schriften bei: Dr. Otto Franoke, Herder und
das Weimarische Gymnasium. Sammlung gemeinverständlicher wissen-
schaftlicher Vorträge, begründet von Rud. Virchow und Fr. von
Holtzendorff, herausgegeben von Rud. Virchow und Willi. Wattcnbneh.
Neue Folge. Achte Serie. Heft 1 Slj (Hamburg, Verlagsanstalt und
Druckerei A.-G. |vonn. .1. F. Richter), 1 Sft-J. SU S. X« Preis öl» Pf.)
und Dr. Horst Keferstein, früher Seminnrohcrlehrer in Hamburg,
jetzt in Jena: Eine Herder- Studie mit besonderer Beziehung auf
Herder als Pädagog. Pädagogisches Magazin. Abhandlungen vom
Gebiete der Pädagogik und ihrer Hilfswissenschaften. Herausgegeben
von Friedrich Mann. Heft. (Langensalza, Druck und Verlag
von Hermann Beyer & Söhne. 1x92. Hl S. X°). Francke's im
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HU
Littcrnturtaricht.
Heft 4. ii 5.
Weimarer Volksbildungsvcrein lsl)2 gehaltener Vortrag gieht nach
einer Skizzierung «U»r schon in Herder'.-* Rcisetagehuch (1709) ent-
haltenen Rcformgcdankcn eine Darlegung seiner Reform de* Weimar-
schen Gymnasiums mit besonderer Berücksichtigung des Unterriehts-
plancs im An.-<-hluriH tm die Sehulreden. Kefersteins Studie ent wirft
in umfassenderer Weise »-in Bild der von Begeisterung für ein hohes
Krziehungsidenl erfüllten uml in seinen Ideen vielfach mit Männern
verwandter Geistesrichtung wie ( omenius, Schleiermachcr etc. .«ich berüh-
renden Persönlichkeit Herders, entwickelt sodann seine Anschauungen
über die erziehlichen Aufgaben des Staates, der Kirche, Schule, Kunst
und Wissensehaft (S. 11 ff.) und charakterisiert endlich (S. 2öff.) die
wichtigsten seiner didaktischen Grundsätze und methodischen Ansichten
im allgemeinen wie hinsichtlich der einzelnen Fächer nach ihrem Wert
auch für die gegenwärtige Bewegung auf «lein Gebiete der Schulrefonn-
l>cstrebungen. Wie Francke einleitend betont, dass Herder „in seinen der
Bildung unseres Volkes dienenden Schriften zwar nicht die heutzutage
bestehende Gährung in Sachen der höheren Schulen voran sverkündet
hat, dagegen — was viel mehr ist — die brennenden Fragen unserer
Zeit in einem der seinigen entsprechenden Umfange mit einer un-
endlichen Fülle von Gedanken geradezu vorweggenommen hat" (S. 4),
st» bemerkt Keferstein: „In seinem 'Ideal einer »Schule* ist die
Grundlegung des Unterrichts durchaus auf vaterländische Sprache
und Littcratur, Geschichte, Naturwissenschaften und Mathematik ge-
richtet; darnach tritt erst der fremdsprachliche Unterrieht und zwar
mit Französisch als der vorangestellten Sprache ein. Man meint
.-ich in Gesellschaft durchaus moderner didaktischer Bewegungen zu
licfinden, wenn man sowohl auf Herders Gesamtprogramm des Unter-
richte, als auf die Reihenfolge sieht, in welcher er die Fächer uml
wiederum einzelne Teile derselben im Lchrplanc auftreten lassen
will . . . Wenn gegenwärtig selbst auch für Gymnasien der deutschen
Sprache und Littcratur, wie der Geschichte ein grösserer Raum zu-
gewiesen werden soll, wenn man den Beginn mit dem altsprachlichen
Unterricht weiter hinausriieken und diesen selbst von einer vorwiegend
grammatisch-philologischen Richtung befreien, dagegen die aus reich-
licher Lektüre zu gewinnende Kenntnis des Inhalts altklassischcr
Autoren zur Hauptsache machen will, so darf man getrost die didak-
tischen Anschauungen Hertiers in alle dem wieder erkennen und
denselben auch in diesem Bezüge als einen Bahnbrecher bezeichnen".
|S. 2i; f.) O. Kemper.
'M. I. ZKAATZOYXfl, Ikot ytveotuK Tut* uvüqumov. 'Ag/tovini
jroiannvtouov xai fmartfßttj^. Athen lNf*8. Gewiss hat es für
manchen deutschen Gelehrten Reiz, die modernsten Streitfragen der
Philosophie und Naturwissenschaft, die sich freilich mit den ältesten
berühren, in der Sprache des Platt» und Aristoteles erörtert zu sehen.
Dazu giebt das Buch Skaltsunis Gelegenheit. Wem das Altgriechische
geläufig ist, der wird sich in die Schriftsprache der hellenischen Ge-
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1HP4.
LitUraturiVrieht.
lehrten unserer Tag«- sehr rasch hincinlcscn, und es ist nur zu be-
dauern, «lass griechische Bücher noch s«» schwer ihren Weg nach
Deutschland finden. Umgekehrt geht es, was freilich leicht erklärlich
ist, hesser. So haben die Bücher und die Theorien eines Höckel,
Molesehott, Büchner in Griechenland Einzug gehalten und Anhänger,
Übersetzer, Verbreiter gefunden. Der Zweek des Buches „Von der
Entstehung des Menschen" ist es, diese materialistische Schule in
Griechenland zu bekäm]>feii. Skaltsuni stützt sich dabei vielfach
wieder auf deutsch«- Gelehrte, so auf Kant, Fr. A. Lange, Du Bois
Keymond; aber auch Franzosen, Engländer, Italiener werden herbei-
gezogen. Der Verfasser selbst hat früher schon in italienischer
Sprache eine Streitschrift gegen den Materialismus (L'uomo ed il
Matcrialismo) veröffentlich|. Sein Standpunkt ist der christliche, den
er, wie «1er Nebentitel andeutet, für wohlvereinbar mit einer wissen-
schaftlichen Weltnuffassung hält. O. A. Ellissen.
.{."». Unter dem Titel: „Dogmenlose Sittenlehre für Schule
und Haus" veröffentlicht F. P. Huber im Verlag des biblio-
graphischen Bureaus (Berlin, 1S92. N°. VII — l(jö S.) eine Schrift,
deren Standpunkt sich als der der sogenannten Aufklärungszeit kenn-
zeichnet. Das oberste Gesetz des Sittlichen ist die allgemeine Wohl-
fahrt und das Grundgebot desselben, unter den möglichen Hand-
lungen immer nur diejenige zu wählen, welche, alle Folgen erwogen,
das Wohl des Ganzen tun meisten befördert. Dies«' Obcrsätzc der
Sittenlehre ergeben sieh aus «ler Natur des Menschen und sind für
jeden gesunden Menschenverstand einleuchtend. Nur das, was alle
Mensehen ohne weiteres einsehen, kann für sie verpflichtend s«-in.
Ein Sittengesetz, «lesseii Obersätze auf Voraussetzungen beruhen, «Ii«'
nicht bewiesen wenlcn können, fällt und .-teht mit der Annahme
oder Verwerfung jener OI>ersätze. Die Autorität, nicht «Ii«- Über-
zeugung «-ntschei«l«-t. Damit erstirbt aber «lie wahre Sittlichkeit, «leren
Lebeushauch ja «Ii«' innen* Fn-iheit ist. Der Verfasser bespricht im
einzelnen die wichtigsten Problem«* der Indiv'nlual- und Sozialethik.
Man würde vielleicht Hubers Ethik am besh-u als Ethik «les ge-
sumlen Menschenverstandes kennzeichnen. Sie t«*ilt «lie Vorzüge und
die Mängel eines naiven Empirismus. Wer noch auf «lern Stand-
punkte der Auffassung <!«•* Zeitalters der Aufklärung steht, wer noch
den Menschen einseitig als Verstau« Icswcseu betrachtet un«l vom
vernünftigen Denken allein alle- Heil sowohl in intellektueller wie
auch in sittlicher Beziehung erlmfft, wer ferm-r noch an die Möglich-
keit eines allgemein gültigen Systems eines Xatursystems! - der
Ethik glaubt, der winl Hubers Büchlein mit grösstem Interesse h'scn
un«l Befriedigung «laraus schöpfen. Der Beurteiler und wohl viele
andere, «lie den Ideen <le> neueu Zeitalter», «las hereinbricht, sich
nicht verschluss«!), halxn mit «ler in Huber verkörperten Welt-
anschauung gehnx-hen. Hochegger.
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1«(>
Nachrichten.
Heft 1 u. 5.
C. Nachrichten.
Die von Adolf Harnack (Berlin) und K. Schürer (Kid) heraus-
gegebene Theologische Literat arzeituiitr — sie vertritt die Auffassungen
Albrecht. Ritschis — beschäftigt sich in ihrer Nr. '.I vom Ii. Fel)rnar d. .1.
eingebender mit unseren Monatsheften. Es ist erfreulieh, da**» der Bericht-
erstatter, Prof. G. Kawerau (jetzt in Breslau), im Ganzen da»* günstige
Urteil teilt, das vor ihm die Theologen anderer Richtungen -■ wir ver-
weisen auf die früheren Besprechungen in dem Theol. Literaturblatt
Luthardts vom IU. August und 2. Dezember 1802 sowie vom 7. Juli IH'X),
auf den Theologischen Jahresbericht, Bd. XII, S. 347, die Theolog.
Tydschrift, Bd. '27 (18U3). S. 4M— 45S, die Zeitschrift für praktische
Theologie, Jahrgang XV, S- SU u. s. w. — ausgesprochen halnm. Das
Hauptbedenken, da*« Kawerau hegt, ist diu*, das* „die Tlieologen unter den
Mitgliedern der CG. sehr verschiedene Richtungen repräsentieren" —
bezeichnend genug für ihn selbst wie für die G.G., der der Herr Bericht-
erstatter dies zum Nachtnil anrechnet. Wir sind vielmehr der Ansicht,
das»» darin ein Lob unserer Haltung liegt, da wir, wie die oben er-
wähnten Besprechungen beweisen , trotz dieser Verschiedenheit der Rich-
tungen allen zu Dank gearbeitet haben. Wenn man uns vorwerfen könnte,
das« wir eine einseitige Richtung vertreten, würden wir bedenklich
sein und uns fragen, ob wir wirklich auf den Wegen des Gomenius uns
befinden; jetzt gehen wir über dies „Bedenken" der Ritschl'schen Schule
ruhig zur Tagesordnung über, obwohl wir ganz genau wissen, dass diese
Weitherzigkeit an sich Vielen zuwider ist und dass jenes „Bedenken" genügt,
um gar Manchen von unsrer Schwelle fern zu halten. Hiervon abgesehen,
meint Kawerau, sei nicht zu verkennen, dass „für streng geschichtliche
Gomen ins- Forschung hier bereits ein sehr erfreulicher Anfang gemacht sei."
„Bis jetzt haben sich", fährt er fort, „der jungen Gesellschaft kundige Mit-
arbeiter und mit ihnen neue Themata so reichlich eingestellt , das* muti ihr
zu diesem Anfange von Herzen Glück wünschen darf " .... „Es nnis*
genügen, darauf hinzuweisen, dass der Theologe nelwn dem Interesse, welches
er der Geschichte der Pädagogik ohnehin zuwenden muss, auch für seine
besonderen theologischen Interessen in mannigfaltiger Weise hier des Anre-
genden und Belehrenden in reichem Masse findet. Der Kirchenhistoriker
speziell wird an den Arbeiten der Comcnius-Gcsellschaf t nicht
vor ü hergehen d ii r f e n ."
1 S!»4.
Nachrichten.
1(57
Die theologischen Urleile Hber unsere Schriften, die wir oben zu-
sammengestellt haben, stammen aus evangelischen Zeitschriften. Wir linden
es ganz natürlich, dass die katholischen Blätter einstweilen zurückhalten-
der sind. Cm so erfreulicher ist es für uns gewesen, dass die wissenschaft-
liche kaiholische Presse — die katholisch - pädagogische Presse im engeren
Sinn war liereit* früher damit vorangegangen und hatte sowohl Comenius
selbst wie der C G. freundliehe Worte gewidmet — jetzt die Arbeiten
unserer Hefte in sympathischer Weise begrüsst und bespricht. Wir
verweisen in dieser Beziehung auf die Besprechung, die P. Usw. Mannl,
(). Praem. zu Pilsen, in dem von der Leo-Gesellschaft unter Redaktion von
Dr. Fr. Scluiürcr herausgegebenen Österreichischen Litteraturblatt vom
15. Februar d. J. Xro. 4 über die akademische Antrittsrede Prof. J. Loserths
in Graz veröffentlicht hat, die wir in den M.H. der CG. 189U, Seite 151 H*.
abgedruckt haben. Mannl empfiehlt den Aufsatz auf da« wärmste:
In den Sitzungsberichten der Königlich Preußischen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin (XXXV. l'.t. Juli IHS8, Berlin 1S88, S. 807 — SiJ'J)
hat Wilhelm Dilthey einen Aufsatz über „die Möglichkeit einer allgemein-
gültigen pädagogischen Wissenschaft" veröffentlicht, der einige Urteile Uber
Coinenlus, Fröbel und Pestalozzi enthält, die für uns von Interesse siud.
Dilthey sagt (Seite 825): „Auch in dem pädagogischen Genius ist etwas
Ursprüngliches. Seltener vielleicht als der Dichter oder der bildende Künstler
ist er in der beschichte aufgetreten. Sokrates, Plato, Comenius, Pest alozzi,
Herbart, Fröbel sind unzweifelhaft von dieser Art. Sie treten nel>eu
die Dichter als Personen desselben Ranges, aber von einer ganz anderen
(»cnuitsbescbaflenhcit. Die geschichtliche Kenntnis von ihnen schöpfen wir
mehr aus Schilderungen Anderer über sie als aus Selbst Zeugnissen. Man
bemerkt, dass die Atiziehungskraft, die ein Mensch auf andere ausübt, durch
die impulsive Macht bedingt ist, mit der er sich äussert und hingiebt.
In dem pädagogischen Genius herrschen daher Gemüt und Anschauungs-
kraft vor, gar nicht der Verstand . . . Wir verstehen nur durch Liebe . . .
Kine ungebrochene Naive tat im Grunde der Seele nähert den päda-
gogischen Genius dem Kinde. Pestalozzi in seiner Schulst übe, Fröbel
in den Thüringer Bergen, Kinderspiele erfindend und Kinderlieder, zeigen
solche Gabe wie in einem Urphänomen. . . . Auf dem Grunde naiven Ver-
stchens "entspringt dann ein Sinnen über Seelenleben, so lebendig, so
voll Kealitätssinn, dass es gegen die wissenschaftliche Analysis widerspenstig
verbleibt. Ans solchem Sinnen sind die herrlichen Jünglingsgestalten Plato 's
entstanden als ein einziges Denkmal des pädagogischen AHects, dann
Pestalozzi'* Menschenbilder in dein Lienhart, dem schönsten Volksronian
aller Zeiten, und seine wie Fröbel 's Phantasien über die Menschenseele
und die Entwickelung der Menschheit: tiefsinnig, elementar, concret, wahr-
haftig, nicht nach «lein Rieht mass wissenschaftlicher Analyse zu messen, ein
Ding für sich in der Welt des Grübelns über Menscbennatur. . . . (Seite 82«».)
Und nun entspringt in dein |widagogischcn Genius aus immer neuer Be-
schäftigung mit Menschen- und Kindcrscelen grübelnde Elf indsamkeit
IHK
Nachrichten.
Hoft 4 u. "1.
mit Bezug auf die Kunstgriffe zu bilden, zu unterrichten. In der Schulstube
entspringen diene Erfindungen, Kinder vor den Augen, und da? l'rpbänomen
«wichen Erfinder« ist, wie Pestaltw.zi, verwahrhwtc Kinder um pich, mit den
einfachsten, elementarsten Auf galten ringt und die Kleinen tarmefhode erfindet.
Welch ein Kontrakt: Die Aufklärung der Salon* in Frankreich und dort
Rousseau phantasierend, «ein Buch auf den Tischen der Weltfrauen, seine
Kinder im Findelhause, sein liehen einsame Träumerei, und die Pädagogik
der deutschen Aufklärung, das goldene Zeitalter genialer Erziehungs-
versuche, Fürsten und Minister, die helfen wollen, ein Publikum, das mit
Begeisterung folgt, und die A ufopf erung echt pädagogischer Naturen,
wie Pestalozzi, Salzmann, Campe, Fröbel, welche unter Kindern in einfachsten
Verhältnissen ihr Leben mit dem mächtigen Gefühl des Fortschrei-
tens der Mensehenbildung als der wichtigsten Angelegenheit
unseres Geschlechtes erfüllen. . . . (Seite S27.» Das oberste Prinzip
des Anschauungsunterrichts i*t unter der Einwirkung Bacos von
Conienius und seinen Nachfolgern formuliert worden. Der l'nterrieht
niuss dem Gang der Natur folgen, dieser aber geht von der Anschauung
zu Begriff und Wort, und zwar von dem (tanzen, da» in der Anschauung
l>efa*st ist, zu den Teilen. Die von diesem Prinzip aus gefundenen Methoden
bilden einen Hnuptteil der pädagogischen Rcfomithiitigkeit im 17. und 1K.
Jahrhundert. Dann ist ein zweites Prinzip von Comenius gesehen, von
Rousseau durchgeführt worden. Der Anschauungsunterricht hat von der
nächsten Umgebung des Kindes aus das Ganze der umgebenden Welt zu
beschreiben. So ergänzt er das der kindlichen Erfahrung Gegebene vermittels
der dem Kinde geläufigen Operationen in den ihm geläufigen Richtungen.
Ein drittes Prinzip war ebenfalls von Comenius aufgestellt und ist von
Basedow durchgeführt worden. Auffassen der Objcctc und Bezeichnung
derselben ist einzuüben. Viel tiefer aber reicht das von Pestalozzi auf-
gestellte vierte Prinzip. In aller Anschauung wiederholen sich Elemente.
Dass jedes dieser Elemente in höchster Energie, Reinheit und Sicherheit
hervorgebracht werde, ist die Voraussetzung, unter welcher dann die An-
schauung ihre höchste Vollkommenheit erreicht. Diese Elemente treten in
dem Anscbauungsk reise de» Räumlichen, der Zeitbestimmungen, der sinnlichen
Qualitätcnkrcise, der Tonreihe und der Spraehlaule auf. Übungen, welche
die vollkommene Ilcrvorbringung dieser Elemente zum Ziel haben, sind von
Pestalozzi erfunden und von llcrbart , Fröbel und vielen anderen durch-
geführt worden. Eine Ergänzung finden diese Prinzipien darin, dass auch
die Erweckung, die reine und energische Darstellung von Elementen der
inneren Erfahrung vermittels des dugang* und der Poesie, der Religion
und der Geschieh tserzühlung eine wichtige Unterlage des höheren Soelcn-
lchcnt» bildet."
Comenius war, wie bekannt, im «fahre l(>28 gleichzeitig mit dem
Schotten Joh. Johnston und den Gelehrten Urainus und Stadius Mitglied
der SoeleU* Christlania geworden, an deren Spitze Val. Andreae stand;
diese Societät oder Brüderschaft stand auf der gleichen Stufe wie jene zahl-
reichen Akademien und Sodalitüten der Naturphilosophen, die das 17 Jahr-
1894.
Nachrichten.
1<»<)
hundert könnt. Sehr merkwürdig ist nun C.'s Schrift Via luchs, die im
Jahre 1G41 in England geschrieben und im Jahre 1608 zum ersten Mal zu
Amsterdam bei Christoph Conrad im Druck erschienen ist (s. M.H. der
CG 181»2, S. 34). Der volle Titel lautet: Via luci«, vestigata et vestiganda,
h. c. Rationabilis disquisitio, quibus modi» intellectualis aniinormn lux,
sapicntia, per omnes omnium homimun mentes et gentes, iam tandcm sub
mundi vesperam fcliciter spargi possit.
Die Schrift ist der Societas Londincnsis, die im Jahr der Drucklegung
bereite zur Regia Societas (der heutigen Royal Society) geworden war,
gewidmet und enthält ein Vorwort an diese „Akademie", das unterzeichnet
ist: Unus ex humilibus Viris desideriorum ( 'omenins senex. Amsterdami
idibus Aprilis UKW. — Als einen Weg, um das „Licht" unter allen Völkern
zu verbreiten, empfiehlt Comenius eine einheitliche Organisation der
über alle Lander verbreiteten Akademien und schlägt vor, dass die englischen
Brüder sich an die Spitze stellen. Leider ist die Schrift äusserst selten und,
soviel uns bekannt, nur in einem Exemplar vorhanden. Wir haben den
Wunsch, einen Aufsatz über sie zu veröffentlichen, und würden gern einem
unserer Mitarbeiter den Raum, den er dafür nötig hat, zur Verfügung stellen.
Am besten wäre es freilich, recht bald einen Neudruck zu veröffentlichen.
Einige Nachrichten giebt Kvacsala in Dittex' Pädagogium, 18S8, Seite M.
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17(>
Inhalt iieneivr Zeitsrhrifu n.
Hoff 4 U. Ti.
D. Inhalt neuerer Zeitschriften.
I'll do Ki-monilmiiliu Iii' ItrtMMJor-
M-hap. iM<|>|w l, II. t.-n Brink. i I. .Inlir>c.
•4. Hill. Inhalt : .1. II. Maronirr, .Inn
H. -rman dr Ridtlrr. In Mrmoriam. H. T hl «• -
man jr. (h-duld. Jahr*. 1 . Ii. 2. Urft,
luitall : J. II. .Min imier, l*r> onlwikktlinK
van h.-t ln-jnip d.-* ktIooi» in »l<- rrr»tc i«ru»«-n
van Ik-I Chrt»trndom. .1. A. Kim o riiuin ,
Simon K|ii»cnfiiiiH. IN- Altf-mi-ritr V.-r-
Kad.ring. Onw» L<v*taf«'l. Wneur-k van
Dr. M. ('. Tidruian. Hrrichlfn. (i. van
tiorkon, Alijrd h.lz.lfdr. IV Kid «Irr,
Wuarüiu |<<Kl<<ai«-ii!>l ^ Hey er man, l>n
drorf heiduit. - IN- Kidiler, Knenott» Munal.
Oll»- I>»-«tairl. Hrrirhtin. — Urft H.
Inhalt: IKM1 <".. Novrinh-r I««. I>r
Kriiintir>lnuiL«rh>> Hru»ih'r»rhu|i in haar lirtjitiwl
i'ti « I. Fr*tredr U't hrrdi-nking van l«»j;irip'
i:vant<rlirlw<|ioiiing van Fmf. ('. F. Tirlr.
Ilrt Wrivldjcrrirlil I, door I>r. .1. Ilrrdrn>«-he«\
De wm-ldtnitoon-t'-llinR rn hrt pniVnimt
••■ ■',Hl-li'-n<'t<'n diHir Dr. .1. A. Hey.-riuan.
u \- -»«.iM. Rrriehtrn. M>-«l><l«'rlinic
!• !•■ i «". Tidrnian. FryovnuiK vmi <!••
">«jik- M.hIm luipp> .
XHtftchrin «Ir lMilloftophl«' und
phllo*ophl»ch<> Kritik, int. IM. .V lieft
l«M: Kd. Holder, Fr. .Jo.ll'» Vortrag lihrr
das Natum-rlit. Thrnliuld Zirnh-r,
lh-liginn!ipliilo*ophi»ihe... <i. Kohf.lih.
Zur Aathrtik «Irr Metapher. K. (ii Dnci-i ii,
Zur Kririnrmnn an Ih-rmann l'lriii. !{<•-
nticionrn.
FhlltMwphlM-hri« Jahi-hut'h. 7. IM.
I. Urft. 1MM. Ahliandliinipn ; T ihn I*. >< h,
Sx h- und I/il. nl» He»iandl<-il<- der .inm
MrnwhriiMibMali/. p-niih>» tln hrhn- d<» hl.
TIioiiiu* von Ai|iiin. n Ihi-rh-l , Vtm-r
ih n 1'rs.pi'unj; der Spraeh«-. v. N i > •» t i i z -
Itirnrik. hihtuz und dir S«-h..lantik.
A<ilho«-h, llrr.lrr und lirw hicht-»philo.«..|ihir
i .»■ililiiv»). Hoivn»ionen und Ref.-rate.
I'liilir*..|ihi«. h. r Spr>-rh*Aal : Mnthildr v. II.,
Ilir tmdlticinrllr AuftasiMHIK de« Weih.-*.
Z' it.irhrifK UM hau. Mi«<vlleii und Nach-
rii'lili'ii.
Xeiif Jahrbücher Htr Philologie
und PttdiiK«»Klk. I'^i. IM. i I'Sidagoif. Aht.i
I. lieft 1MU: |-iii,l |.,.iw:<l.l. Di |'ala»t
di u Ody^i'ii». ('. Slegmann , Zur latoini-
i«:hrii SolitiliriKinnintik. II o i n rh-h \V ei » .« ,
Blinuo und Hlutr, Kinr sprachliche Flage au»
«Inn Grhirt «Irr thron-li-oln-n llotanik.
Krn*l IIjmi', Zum doittK-hr-n l'nterriolil
iu IIa. Allri'd Bio».-, Kiti AufhlDln-n
«Irr l'hili»M>|ihir. O » k a r .1 a ge r und Franz
Muhl «-Ii ha tu i , An»wabl wirlni«.-! Akten-
»liickr zur (»•tx-liicliu- d<s Hl. .Iithrhunileit«.
(Berlin IVtti, anp-zrigi von Alfml Bal-
dauiu». - Onkar JüKrr: Flu dum».
K«Mk«n und Aufoiktz« (Hirlin lslKii. twwiti
vun Richard Kii htrr.
C!«*«chlrht4> d«H» Prot«*«ttantl»niiiH In
O^nt^rrolrh. (Wirii und hip«g, Klink-
luudt.i XIV. .lahru. »IHlKti. IMl 1 4: Fr.tr
Fi iIi Irr, Km «iclir.iKljlKiK'T Frldzu^.
Karl lli inji'iilHTKi'i-, Zur (■«•«•hichu> d«-r
ifliyi<"'M'n Urwrjiiinjj in flluTcwiiwu-h, Kflmlni
und St.-h-imark um dir Miltr dr* XVIII. .lahr-
hurulrrl-. K Si hatzmayr, .li>hann>->
Itiipli^t tininiNi und *«'itgm;i>!«i!i«-h«- Anhaiwr
der l{r('<rniali«ui in Ktrirn iiii«J Trirnt.
Th. Klzr, l>ir iduvi tiifHlwn |irutrsiantiM'lM>n
Katrchiiiiurn drs XVI. .Ialnhundrrt.1.
I »rlii', Kililio|rn>|ihir ülirr dir rin<chl!kK'K,'n
Frsoh'-inunj;«'!! dri» .lahn-i« isirj mit kury/n
Xailirichlrn. B«richt dr» IVnlrnlTorwtand«-*
fil.rr.laj. Vrr.-ins.jahr IS'.ct. Frz. Si-hrit hl,
tilaiilH-uxfliK-htliiiK'' au» «l«-n iV>trnvichi*<-ln-n
tirl.irtm in drn Irt/lrn virr .1 uhrhiiinl.rt. ti
- Il. inri. lt (i radl. I>i<- Information «In«
Kip rlanilr» iS-lilu«-.!. — Burh « nlil , Kin>-
vrriurintlirhr ud.-r al»)«i'lrhnlr Ib'rufuUf; in «la>
Joa«-himi>tliaior I'larrnint vmn .lahn- IV.'K.
\V. A. Sihiiti.lt, Notizrn üh r dir It<-
formation und tirjjeni'-forinati.in rinzi-ltirr
Stiidtr NoMlwrcllN.limrnfi. - l'. i>.>nrnrc){i>.t.T.
OrtMvKhlrr.
MltlrllunK^n der Clt>»«>lli»chafl ftlr
dviitufh«* ErslrhuiMCM- und Mrhul-
KVM-hlt'lltO. Im Aultrajp- drr Crx-Ihrhaft
li.-rauüp ^rlN-n von Karl K. hrharh .lahrK. III
MKtS'i. Schlu>s. Urft I. Inhalt: Konrad
Kol ho (Zfil/., StiftuiiK-urkiindr ih r Srliuli-
nnd dr- «;viuniis.iitnt«. zu lu-uihm ». t». au»
drm Juhir Hill.. Namrii und Sarin ■<>ni«t«-r
zu .hility. III. — t irM'häftlirh' r Tril.
ltiirhdiurkrn'i von .lohultno Hr. dl, Miiu»trr i. \V.->I(.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
III. •Band. ~b 1894. s~ Heft 6 u. 7.
Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
Von
Ludwig Keller.
In der „Geschieht«- der böhmischen Brüder", welche Oomeiüus
im Jahre 1 (>49 herausgegeben hat,1) finden sich über den Ursprung
und die Zusammenhänge dieser Religionsgemeinschaft einige Mit-
teilungen, die zur Kennzeichnung der Geistesrichtung, aus welcher
Comenius' Eigenart erwachsen ist, von Bedeutung sind.
Die Sehritten Wiclifs, so erzählt die erwähnte Geschichte,
hätten auf die Bewegung, welche unter Führung des Joh. Hus in
Böhmen ausgebrochen sei, einen grossen EinHuss ausgeübt; nach
den Husitenkriegen sei unter den Gegnern Koni» ein grosser Zwie-
spalt entstanden, da die einen nur auf den Kelch drangen, auf die /
übrigen Lehren dos Hus aber wenig Wert legten, während die
Taboriten, die in Wenzeslaus Koranda und Nicolaus Episcopius
ausgezeichnete Führer besassen, mit wenigen andern anfingen, auf
') Di«- „Historia fratrum Boheinonun" — icli benutze hier, da die
ersten Ausgaben «ehr selten sind, die Ausgabe, welche von .1. F. Buddcus
unter dem Titel: Jo. Arnos (Vnnenii, eccl. F. F. Hob. Kpiseopi, Hist. fratrum
floh. etc. Halac 1702 besorgt worden ist — ist nicht von Comenius, sondern
von Joh. Lasitiuä seit etwa lf>80 verfasst. Sie ist deshalb sehr wertvoll
(leider hat Comenius die ersten sieben Bücher nicht vollständig, sondern
nur im Auszug herausgegeben), weil Lasitius bei der Abfassung von den
nmt liehen Organen der Brüder mit Material n. s. w. unterstützt worden ist ;
der Senior Tumovius (f UM*»» hat das ganze Werk vor der letzten Bear-
beitung einer Durchsicht unterzogen.
MuiuilMii'fk' il.-r eoiii. iiiu-.-U» !.. Il-x lmll. In*»!. 10
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172 Keller, Heft 6 u. 7.
-
Einfachheit und Reinheit in allen Glaubenslehren und
Kirchengebräuchen zu dringen. Geflissentlich ward von
den Gegnern der Hass geschürt und das Volk aufgereizt gegen
die, welche „dem reineren Glauben" anhingen, indem man ihnen
den verhassten Namen der Pikarden beilegte; Pikarden aber war
ein Scheltname der Waldenser, die als die allerechändlichsten
Ketzer galten.1)
Es gelang den Bemühungen der Kurie im Jahre 1433, so
fährt der Bericht fort, diejenigen, „die nur auf den Kelch drangen",
zur röinischcu Kirche zurückzuführen und mit deren Hilfe die
jetzt alleingelassenen Taboriten oder Pikarden gänzlich niederzu-
schlagen. So schien es, als ob die evangelische Lehre in Böhmen
vernichtet sei; aber im Stillen gab es viele Männer, welche ihr
Ziel fest im Auge behielten und nur auf den rechten Augenblick
warteten, um hervorzutreten und den Kampf von neuem aufzu-
nehmen; einer der vornehmsten unter diesen war Bruder Gregor,,
ein Neft'e des Erzbischofs von Prag, Rokyeana, der unter König
Georg von Podiebrad der einflussreichste Mann im Lande war.
Bruder Gregor und seine Freuude hofften lange, dass Rokyeana
selbst ihr Führer werde, und in der That unterstützte er die
Brüder, indem er ihnen in den schlesischen Gebirgen ein Gebiet
anwies, wo sie unbehelligt wohnen konnten, aber die angetragene
Führerschaft lehnte er ab, ja allmählich ging er in das Lager derer
über, welche die Brüder hassten und verfolgten.
König Georg erliess strenge Befehle gegen die Brüder,
welche man ebenfalls mit dem verhassten Namen der
Pikarden belegte, und eine schwere Zeit der Verfolgung brach
für die Brüder an; in Wäldern imd Höhlen mussten sie sich ver-
bergen und erhielten den Spottnamen Jamnici oder Grubenheimer.
Trotz dieser Hindernisse hielten die Brüder in den Bergen Zu-
sammenkünfte und Synoden ab und errichteten eine feste Ord-
nung, indem sie Senioren wählten, denen sie Gehorsam versprachen.
Da aber unter den Brüdern die Überzeugung lebte, dass für
die ordnungsmässige Ausübung des geistlichen Amtes die Hand-
auflegung eines Bischofs erforderlich sei, der innerhalb der apo-
stolischen Succession und Bischofsfolge steht, so sandten sie zu
') Man beachte das günstige Urteil der Historia über die Taboriten;
die hier angeführten Stellen finden sieb in der Ausg. v. 1702, S. 11 f.
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1894.
Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
173
dem Bischof der sogenannten Waldens er, Namens Stephanus,
der mit seinen Gemeinden an der Grenze von Österreich und
Mähren lebte. Die Gesandten liatten den Auftrag, dem Bischof
über die Brüder in Böhmen und ihre Schritte Bericht zu erstatten
und sein Urteil darüber einzuholen;1) „sie fanden den Bischof
Stephan und dieser legte ihnen in Gegenwart eines zweiten Bischofs
und einiger Diener (nuuistri) den Ursprung der sog. Waldenser
dar, dio Satze ihrer Lehre und alle die schweren Schicksale, die
sie bisher in Frankreich und Italien erduldet; darauf hörten sie
den Bericht der unsrigen über ihre Ix>ssagung vom Papst und den
Calixtincrn an, sprachen ihre Billigung aus und wünschten ihnen
Glück; nach Übertragung der Vollmacht, Diener (Prediger) zu
wählen, machten sie jene drei Abgesandten durch Handauflegen
zu Bischöfen und sandten sie zu den ihrigen zurück."2)
Es begannen darauf Verhandlungen über eine förmliche Ver-
schmelzung, d. h. über Einrichtung einer Verfassung und Organi-
sation, welche die Brüder in Österreich und die „Brüder des
Gesetzes Christi" in Böhmen — so nannten sich die Brüder nach
dem Zeugnis imsercr Quelle m-sprünglich 3) — in gleicher Weise
umfasste. Die Brüder in Böhmen waren in Bezug auf die Lehre
und den Eifer des christlichen Lebens im höchsten Grade mit den
Brüdern in Österreich einverstanden, doch missfiel ihnen, dass die
letztem die Wahrheit im Verborgenen übten und dass sie aus Furcht
vor Verfolgungen die päpstlichen Kirchen besuchten.4) Die öster-
reichischen Brüder, hierauf hingewiesen, erkannten an, dass sie
') Ausg. v. 1702 S. 18: Qui quid actum esset explicarent, judicium-
que de co petcrent.
*) Nach Adr. Regcnvolseius, .Syst. Eccl. Slav. Lib. III Cap. X (1G52)
beginnt die Bisehofurcibe der bübmmchen Brüder folgendermaßen :
„1467 wurden von «lern Waldenser -Binchof Stepbanu« in Österreich
ordiniert :
1. Michael Bradaciua von Zainberg.
2. N. N., ein alter Waldenser-Prediger.
3. N. N., ein Priester aus dem Papsttum."
Wenn dieser „alte Waldcnser-Predigcr" nicht unter den Brüdern eine ange-
sehene Stellung besenscn hätte, würden sie ihn wohl nicht zuerst haben
ordinieren laswen. — Hier nach Cranz, Brüder-Historie 1772, S. 1)1.
") A. O. S. 15.
4) A. O. S. 18: „Placuit doctrinae puritas vitaeque Christianae Studium
ftumme, displieuit autem, quod voritatem occultarent nec profitcrentur libere:
quin evitandi persecutioncs studio papistica tcmpla frequentarent etc.
12*
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Keller,
Heft 6 u. 7.
nicht richtig handelten und unter dem Eingeständnis, dass sie von
der Reinheit der Vorfahren sich entfernt hätten, versprachen sie
Besserung. Es ward ein Termin festgesetzt, an welchem nach
Beseitigung der Anstände die Verschmelzung weiter betrieben
werden solle.
Aber noch ehe der Termin herangekommen war, ward von
den „Papisten", welchen die Pläne der Bruder verraten worden
waren, die Sache durchkreuzt Bischof Stephan ward verhaftet
und zu Wien verbrannt, und seine Gemeinden flohen, zum Teil
in die Mark Brandenburg, zum Teil nach Fulnek in Mähren.
Das Zustandekommen der Verschmelzung ist nach unserer
Quelle lediglich an der Vernichtung der österreichischen Gemeinden
gescheitert Wenn die Brüder in Böhmen gleichwohl den Namen
„Waldenser" allezeit zurückgewiesen haben, so haben sie damit
nur das Beispiel befolgt, welches die Brüder in Österreich und
alle anderen sog. Waldenser der älteren Zeiten ihnen gegeben
hatten. Tnser Bericht aber kennt noch zwei andere Gründe der
Abweisung des Namens, nämlich eimnal die Thatsachc, dass die
Brüder in Böhmen ihren Glauben nicht ebenso wie die Handauf-
legung von den sog. Waldensern Österreichs geholt hätten (was
gewiss richtig war, aber die oben betoute wesentliche Überein-
stimmung in der I^chre nicht aussehloss) und sodann die Erwägung,
dass sie es für klug hielten, die Anweudung der von den Obrig-
keiten gegen die „Waldenser" erlassenen Gesetze nicht
herbeizuführen, sondern vielmehr abzuwenden.1)
Diese Darstellung, wie sie sieh in der Brüderhistorie findet,
wird in wertvollster Weise bestätigt und ergänzt durch Urkunden
und Briefe, welche in neuerer Zeit über diese Vorgänge aufgefunden
worden sind.2) Durch sie erhalten wir auch Auskunft über die
Gründe, welche die Brüder bestimmten, sich gerade an den Bisehof
der „Waldenser" zu wenden, und gerade diese Gründe sind für
uns deshalb vom grössten Interesse, weil die Quelle, die sie uns
l) A. O. S. 1!»: „quia lata et publica (taj in Waiden** a maxist rat ibus
decreta in «• non derivanda, vitanda pntius prudenter exisliraabant. Ordi-
nandi tarnen potextatom eoque extemani »«uecosionem a Waldenhibu* sc*
aeeepiftse, nunquam negabant; licet et haue aliquando prudenter, pro
tempuris rationc, «ilentio praeteribant,"
*) S. Göll, Quellen und Unhrambungen zur Gesch.* d. böbmiacben
Brüder. Prag 1S78 I, 17 ff.
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1894.
Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
175
berichtet, gleichsam amtlicher Natur und von der Bruderschaft
als solcher ausgegangen int. Im Jahre 1468 nämlich sandten die
Brüder ein Schreiben an den Erzbisehof Rokyeana, welches be-
stimmt war, den Sehritt, den sie mit der öffentlichen Loslösung
von der römischen Kirche durch die Aufrichtung einer eignen
Hierarchie und die pjnführung der Taufe der Erwachsenen gethan
hatten, zu rechtfertigen. Ihr Vorgehen, heisst es, sei lediglich eine
Rückkehr zur wahren Kirche der ersten Christen, welche sich
bei den Waldensern erhalten habe. Um diesem Schreiben
noch grösseren Nachdruck zn geben, ward es im Jahre 1471 in
umgearbeiteter Form von den Brüdern veröffentlicht Auch hier
versichern sie, dass sie durch "Wahl eigner Bischöfe und Prediger
nichts Neues begonnen, sondern sich lediglich nach dem Vorbild
der ersten Kirche gehalten hätten; mit dieser Kirche seien
sie durch die Waldenscr verknüpft; „es ist ein grosses Volk
(die sog. Waldenscr) in vielen Ländern, und sie besitzen Bischöfe
und Prediger."1)
Die Überzeugung der böhmischen Brüder von ihrem Zu-
sammenhang mit den altchristlichen Gemeinden ist einstweilen
ebenso unbewiesen, wie die gegenteilige Annahme mancher katho-
lischer und protestantischer Geschichtsschreiber der neueren Zeiten.
Sieher aber ist, dass die gleiche Überzeugung bei den Vorläufern
der Brüder in allen Jahrhunderten des Mittelalters* wiederkehrt*)
Wir wollen und können an diesem Orte nicht in eine wissen-
schaftliehe Prüfung der Ursprungsfrage eintreten. Wohl aber
können wir auf die Ergebnisse hinweisen, welche einer unserer
') (loll, a. O. I, 93. — Im März 1471 waren die vornehmsten Verfolger
der Brüder, König Georg und Kokycana, gestorben ; unter Georg Wladislaus,
König von Polen, begannen bessere Zeiten, sodass sie die Ketzergesetze nicht
zu furchten brauchten. AU um 1503 die Verfolgung wieder anbrach, ward
der Zusammenhang mit den Waldensern absichtlieh verschwiegen.
*) Ausser den Stellen, auf die ich früher hingewiesen habe (vgl.
Keller, Joh. v. Staupitz und die Anfänge der Reformation. Lpz. 1SKS S. 252 f.),
verweist« ich hier auf den Briefwechsel zwischen den Österreich, und lombnrd.
Waldensern von 130JS in der Deutschen Zeitsch. f. Geschichtawiss. 1890S. 3(iSf.
Ferner auf das Schreiben des HÜdfranzösischcn Waldensers (J. Morel von 1530
bei Dieckhoff, Die roman. Waldenscr S. 3<>3 f. Dieselbe Überzeugung spricht
Rob. Oli veter in der Vorrede zur wald. Bibelübersetzung aus (153üj.
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Keller,
Heft 6 u. 7.
bedeutendsten Kirchenhistoriker — J. von Dölb'nger — neuerdings
der Öffentlichkeit übergeben hat.1)
Döllinger ist zu der Überzeugung gelangt, dass die „Sekten"
des Mittelalters durch eine Reihe von Mittelgliedern mit den
Sekten des ersten und zweiten Jahrhunderts verbunden sind,
und er glaubt, dass am Anfang dieser Entwicklungsreihe jene
Systeme stehen, welche als gnostische bezeichnet zu werden pflegen.
Diese Mittelglieder sind nach Döllinger die sog. Bogomilen
sowie die Paulicianer gewesen, welche nachweislich bis minde-
stens in das 4. und 5. Jahrhundert hinaufreichen. Auch ist Döl-
linger ganz anderer Meinung, als die, welche in den mittelalter-
lichen Ketzern lauter verschiedenartige Sekten sehen; nach ihm
sind vielmehr die Priscillianisten, Paulicianer, Bogomilen u. s. w.
„überall nur Verzweigungen einer einzigen grossen Sekten-
Familie, welche, wenn auch in einzelnen Meinungen von einander
abweichend, doch in allen Hauptpunkten übereinstimmen." Aber
Döllinger geht noch weiter; er halt- nicht bloss die genannten
Sekten für eine Sekte, sondern behauptet im bewussten Gegensatz
gegen die weit überwiegende Zahl der neueren Kirchenhistoriker
— Gieseler, J. J. Herzog, 0. Schmidt, Guericke, Engelhardt — ,
dass die Petrobrusianer und die Henricianer des 12. Jahrhunderts
gleichfalls nur Zweige jener einen Sekten- Familie seien; es sei
durchaus willkürlich, Peter von Bruys imd Heinrich von Toulouse
als Stifter besonderer Sekten anzusehen; von eignen, getrennt be-
stehenden Gemeinschaften der Petrobrusianer u. s. w., finde sich
keine Spur; vielmehr stimme ihre Lehre in allen Punkten mit der
der Bogomilen u. s. w. überein, und Peter bezw. Heinrich seien
lediglich berühmte Wortführer einer alten und weitverbreiteten
Religionsgemeinschaft Es darf ja heute aber wohl als allgemein an-
erkannt gelten, dass wir in den Petrobrusianern und Heinricianern
die Vorlaufer der Waldenser zu erkennen haben. Dieser Zweig
der mittelalterlichen Ketzer, fährt Döllinger fort, hatte unter den
Webern zu Toulouse und in der Umgegend, die in der dortigen
Volkssprache Arriens Messen, seinen stärksten Auhang.
Ebenfalls ein Zweig dieser Sektenfarailie sind nach Döllinger
die Katharer, oder doch der grössere Teil derselben. „Die Ähn-
') Döllinger, J. v., Beiträge zur Ketzergeschichte des Mittelalter».
2 Bde. München 1890.
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1894.
Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
177
lichkeit des Lchrbegriffs der monarchischen Katharer in Italien mit
dem der Bogomilen (sagt Döllingcr I, 114) ist so auffallend, dass die
direkte Abstammung der enteren von den letzteren als unzweifel-
haft gewiss betrachtet werden kann." Dieser bestimmte
Ausspruch eines Kirchenhistorikers von Döllingers Bedeutung fällt
um so mehr ins Gewicht, als er damit lediglich bestätigt, was
bereits im 12. Jahrhundert ein Mann ausgesprochen hat, der die
Dinge sicher besser beurteilen konnte, als irgend ein späterer
Forscher oder Ketzerrichter, nämlich Bernhard von Clairvaux.
Die Lehre der Katharer, sagt dieser, enthalte nichts Neues,
sondern wiederhole lediglich das, was die älteren Häretiker vor-
gebracht hätten. Döllingcr hält es für notwendig, manche bis-
herige Ansicht über die Glaubenslehre der Katharer zu berichtigen;
während man bisher den sog. Dualismus, d. h. die manichäische
Lelire von einem bösen und guten Gott, als das wesentlichste
und unterscheidende Merkmal der Katharer hingestellt hatte, weist
Döllingcr nach, dass diese Lehre von einem grossen Teil der
Partei zurückgewiesen worden ist und mithin keineswegs als unter-
scheidendes und wesentliches Kennzeichen gelten kann. Er ist
geneigt, diesen Dualismus lediglich als eine Schulmeinung mancher
Katharer zu betrachten.
Und nicht bloss in Bezug auf die Zusammenhänge, sondern
auch in betreff der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung weichen
Döllingers Ansichten von den landläufigen Meinungen weit ab.
Von der Lehre, in welcher er die Wurzel des mittelalterlichen
Sectenwescns sieht, vom Gnostizismus, sagt er, dass derselbe sich
um die Mitte des 2. Jahrhunderts über das ganze römische Welt-
reich, ja über dessen Grenzen hinaus ausgebreitet hatte. „Obwohl
vielfach unterdrückt", sagt er, „verbreitete sich dieses System im
Osten wie im Westen, von Persien bis nach dem römischen Afrika
und behauptete sich Jahrhunderte lang mit zäher Dauer-
haftigkeit" Er wiederholt damit nur, was Zeitgenossen wie
Cäsarius von Heisterbach (f um 1230) und der Abt Joaclum
(f 1202) gesagt hatten; der letztere zählt die Katharer mit den
Juden, Heiden, Arianern, Mohamedanern und den deutschen
Kaisera zu den sechs Hauptfeinden der Kirche; sie seien um so
gefährlicher, weil sie im Geheimen thätig seien; ihr Mittelpunkt sei
Oberitalien, von dort aus würden alle übrigen Länder angesteckt
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178
Koller,
Heft 6 u. 7.
Seitdem unter Kaiser Constantin die Kirehe zur Staatekirchc
geworden war und der Grundsatz Gesetzeskraft gewonnen hatte,
dass jede bewusste Abweichung von dem Glauben und der Lehre
der Staatskirehe ein staatliches Verbrechen sei, war im Abend-
land ein friedliches Nebeneinanderleben zweier grosser religiöser
Körperschaften unmöglich: nur im Kampf konnte sich jede selb-
ständige Strömung religiösen Leiwens behaupten, und es lag in der
Natur der Verhältnisse, dass diejenige Richtung, welche über die
Machtmittel des römischen Reichs und seiner Nachfolger verfugte,
eine erdrückende Übermacht mitbrachte. Die römische Kirche
war entschlossen, diese Überlegenheit zur Geltung zu bringen:
ein Kampf auf Leben und Tod war die Folge.
Die Geschichte der Kirche ist von ihren Anhängern ge-
schrieben, und wie stets die Partei, die äusserlich siegreich aus
solchen Kämpfen hervorgeht, ihrer Auffassung der Dinge und
Personen Geltung zu verschaffen pflegt, so ist es auch hier ge-
schehen. Wir kennen die Kämpfe, die sich zwischen der römischen
Kirche und ihren Gegnern abgespielt haben, nur oder fast nur
aus den Berichten derer, welche auf der Seite des siegreichen
Teiles fochten, und es ist ganz natürlich, dass diese Berichte sehr
viel Schlechtes von ihren Feinden zu erzählen wissen, ja dass
ihnen jedes Verständnis der gegnerischen Anschauungen fehlt, und
dass sich die Wildheit jener grossen Kämpfe in der Härte des
Urteils und der gänzlichen Verdammung des besiegten Feindes
wiederspiegelt
Glückb'cherweise trifft dies in vollem Umfange mehr die-
jenigen Berichterstatter, die unter dem unmittelbaren Eindrucke
der sieh vollziehenden Kämpfe schrieben, als die wissenschaftliche
Geschichtschreibung der neueren Zeiten, die sich innerhalb aller
Kirchen eines ruhigeren Urteils zu befleissigen strebt Man kann
sogar beobachten, dass schon in früheren Zeiten die Urteile
katholischer Autoritäten wenigstens in betreff der böhmi-
schen Brüder viel von der Schärfe verloren haben, die in der
Zeit der Religionskämpfe selbst uns begegnen; es würde nicht
schwer sein, eine Reihe freundlicher Stimmen über sie aus älterer
und neuerer Zeit auch ausser den Äusserungen Anton Gindelvs
(dessen strengkatholische Gesinnung ja bekannt ist) zu sammeln
— ganz zu geschweige!!, dass einzelne hervorragende Vertreter
der Brüder, wie Comenius und andere, stets auch unter gläubigen
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1894.
Die höhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
170
Katholiken Freunde besessen haben. Freilieh, was von den
böhmischen Brüdern gilt, kann nicht in gleicher Weise von der
Beurteilung ihrer Vorläufer gesagt werden, und doch sollte die
einfache Folgerichtigkeit diesen Geschichtschreibern gesagt haben,
das« man Manner und Richtungen nicht zu Verbreehern und
Bösewichten^ stempeln kann, deren Nachfolger man mit Ehren zu
nennen gezwungen ist
Je mehr sich die römische Kirche seit dem 12. Jahrhundert
von der religiösen Opposition bedroht sah, um so unbedenklicher
wurde sie in der Wahl der Kampfmittel. Allmahlich bildete sieh
die Ix'hre aus, dass jede bewusste Abweichung von der römischen
Glaubensregel etwas Sündhaftes sei, und unter dem Einfluss
des Thomas von Amuno1) gelangte der Satz zu kirchlicher An-
erkennung, dass jede derartige Abweichung strafwürdiger sei als
Moni, Ehebruch, Diebstahl oder irgend eine fleischliehe Verünmg.
Jeder Getaufte, der in Fragen der Religion trotz empfangener
Belehrung der römischen Kirche den Gehorsam verweigerte, war
nach den Rechtsbegriffen, wie sie damals ausgebildet wurden, recht-
los. Wer einen solchen aus Eifer gegen die Kirche tötet, begeht
keinen Moni, kein Eid und keine Zusage braucht ihm gehalten
zu wenlen ; er ist nicht fähig, Vermögen zu besitzen oder ein öffent-
liches Amt zu verwalten, ja selbst seine Kinder gehen des Erb-
rechts verlustig; ganze Orte können, wenn sie Ketzern Herberge
gewähren, zerstört und eingeäschert werden.
Auch wenn man annimmt, dass die Inquisitoren und Kleriker,
auf deren Berichten unsere Kenntnis beruht, von dem Streben nach
Billigkeit und Unparteilichkeit erfüllt waren, so muss man die
Schwierigkeiten ins Auge fassen, die sieh einem solchen Bestreben
entgegen stellten. Diejenigen, welche sich mit Religions- und
Völkerkunde beschäftigen, wissen es, wie schwer sich zwischen
Gegnern die Verständigung über den wahren Sinn religiöser
Meinungen zumal mit einfachen Mensehen vollzieht. Diese Menschen
') Thomas von Aquilin, Summa II, 2. Qunestio XI, Art. A: ("irea
haeretieon duo mint ennaideranda, nimm quideut ex parte ipsorum, aliud
vero ex parte eccle«iae. Kx parte ip*orum est peceatum, j>er quod iiieru-
erunt non «dum ab eeele*ia per exeommunieatinnem neparari, wd etiain
per mortem a mundo ex ein dt. Kx parte antem ecdodne «tat im ex
quo de haeretd convineuntur , po^unt non Holum exeommunicari , *ed et
juste oecidi."
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180
Keller,
Heft 6 u. 7.
pflegen Fremden gegenüber mit Mitteilungen über Dinge, die ihr
Heiligste» betreffen, sehr zurückhaltend zu sein, weil sie Ver-
höhnung desselben fürchten ; Feinde aber, die ihnen Strafe drohen,
pflegen sie durch dunkle und vieldeutige Antworten absichtlich
irre zu leiten. Es ist nicht schwer, gerade in den Kämpfen
der Kirche mit den „Ketzern" solche absichtliche Irreleitungen
nachzuweisen
Gewiss ist dies Verfahren nicht billigenswert, aber es ist
menschlich begreiflicher, wie das Verhalten unserer Berichter-
statter, die in vielen Fällen, wo ihnen der Sinn einer religiösen
Meinung unerklärlich blieb, den Aussagen eine Wendung gaben,
die nicht zu Gunsten des Angeklagten sprach, und die in anderen
Fällen allerlei verkehrte Meinungen, die einzelnen Gefangenen
sei es mit, sei es ohne Folter abgepresst waren, zu I^ehren und
Grundsätzen der Gesamtheit stempelten oder Anschauungen, die
lediglich aus einer Anpassung an die herrschende Theorie erwuch-
sen, als wesentliche Merkmale der Partei hinstellten.
Man wird über das Wesen der nüttelalterlichen Ketzer-
gemeinden und Vorläufer der böhmischen Brüder nie zu einem
sicheren Urteil kommen, wenn man nicht gerade die letzterwähnten
Punkte, nämlich die Scheidung dessen, was lediglich Anpassung
war und die Trennung der eigentlichen Lehre von den ver-
breiteten M ei min gen sich zur Pflicht macht Religionsgemein-
schaften, welche Lehrgesetzen oder Bekenntnisschriften ablehnend
gegenüberstehen, auch unfehlbare Lehrautoritäten nicht besitzen,
werden stets sehr mannigfachen Lehrmeinungen unter sich Raum
gestatten müssen; gerade in solchen Gemeinschaften aber darf
nicht jede beliebige Ansicht, selbst wenn sie nicht vereinzelt vor-
kommt, zum wesentlichen Kennzeichen der Partei gemacht
werden, sondern es ist sorgfältig zu prüfen, ob anerkannte Wort-
führer sie vertreten, und ob sie eine vorübergehende Meinung oder
eine durch die Jahrhunderte sich fortpflanzende Uberzeugung
darstellt. Selbst in festgeschlossenen Kirchen hat es trotz strenger
Lehrgesetze oder unfehlbarer Ix'hrinstanzen allezeit verbreitete
Meinungen und Schulen gegeben, ohne dass es jemanden ein-
gefallen wäre, solche Schulmeinungcn als unauslöslichc Bestand-
teile der Glaubensregel zu betrachten; wird doch in der römisch-
') Vgl. Döllinger, Beiträge zur 8ekU>nge*chichtc I, 1)5.
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1S04. Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 181
katholischen wie in der protestantischen Kirche behauptet, dass
lehren wie die von den Hexen und der Hexerei ') oder von
der Sklaverei2), bezw. Leibeigenschaft3) trotz der Thntsaehe,
dass sie die förmliche Billigung der höchsten kirchliehen
Autoritäten gefunden haben, nicht als wesentliche Stücke
der römisch-katholischen, bezw. protestantischen Kirchenlehre be-
trachtet werden dürfen.
Keine Beurteilung kann der Entwicklung wie der Eigenart
der ausserkirehlichen Christen-Gemeinden der älteren Zeiten gerecht
werden, die den schweren Druck ausser acht lässt, unter dem sie
zu leben und zu wirken gezwungen waren. In einer Gemeinschaft,
die der freien Entwicklung beraubt ist, werden die Fanatiker
stets leichteres Spiel haben als sonst. Wer die Geschichte der
römischen Kirche kennt, der weiss, dass sie Jahrhunderte hindurch
an schweren Verirrungen gelitten hat, und dass z. B. im 9. und
10. Jahrhundert die Geliebte des Markgrafen Adalbert von Tos-
kana ein halbes Jahrhundert hindurch den Stuhl Petri mit ihren
unehelichen Söhnen und ihren Buhlen besetzte. AVenn Cardinal
Hergenröther in seiner berühmten Kirchengesch iehte die Zustände
dieser Zeit, die er „eine Zeit der tiefsten Erniedrigung für den
päpstlichen Stuhl" nennt, da Stephan VII. „nicht aus Irrtum,
sondern aus fanatischer Bosheit" gehandelt habe, aus der Unfrei-
heit erklärt, in der sich die Kirche damals befand1), so mag
daran vielleicht etwas Wahres sein. Aber die Entschuldigung,
') Die Bulle Innoeenz VIII. Sunnnis desidernntes vom 5. Dec. 1181
gab «lein Hexenprozess als solchem die höchste kirchliche Sanktion.
-) Die Bulle Nicolai)* V. v. K. Jan. 14 '»4 erklärt, das.- et* erlaubt sei,
„alle Sarazenen, Heiden und andere Feinde Christi in ewige Sklaverei
zu verkaufen". Diese* zunächst den Portugiesen gewährte Recht ist durch
Sixtus IV. (1471 UM), Innoeenz VIII. (14S4 14!>2) bestätig und von
Clemens VII. ( l.VJ.'t— 1.V14) dahin erweitert worden, da<s es erlaubt sei, auch
alle Ketzer in die Sklaverei zu verkaufen. Weiteres bei Keller, die Re-
formation S. 480.
:,j über die ausdrückliche Billigung der Leibeigenschaft durch die
Reformatoren s. Keller, Job. v. Staiipitz, S. M2.
*) J. Hergenröther, Cardinal, Handbuch derallg. Kirchengeschichte.
Freiburg i Br. ISTil. _\ Aufl. IM. I, S. ."»«»7. H. sagt: „Der päpstliche Stuhl
glich einem Gefesselten, dein die Schmach nicht zugerechnet werden darf,
die er erdulden mus», so lange er der Freiheit beraubt ist".
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Kollor,
Heft 6 11. 7.
die in dieser Erklärung liegt, trifft in viel höherem Grade auf
eine Gemeinschaft zu, deren Mitglieder von der herrsehenden
Mehrheit nieht nur der Freiheit beraubt waren, sondern wie ge-
meine Verbreeher behandelt wurden. Es war gar nieht zu ver-
wundern, dass in der Enge, in die sieh diese verfolgten Männer
gedrängt sahen, viele Verirrungen reiften, und dass ihnen die
Förderung und Anregung völlig verloren ging, die aus der öftent-
liehen Bethätigung des religiösen Glaubens erwächst. Die Ver-
irrungen, die zweifellos vorgekommen sind, sind weniger zu ver-
wundern als die Thatsaehe, dass es trotz des schweren Drucks
i
nie gelungen ist, diese Gemeinden gänzlich zu vernichten.
Immerhin hatte die Inquisition wenigstens den Erfolg, dass
die wissenschaftliehe Fortbildung und Ausgestaltung des Systems
unterbrochen und der äussere Zusammenhang der Gemeinden
zerrissen wurde. Nachdem dies erreicht war, war eine einheit-
liehe und gleichmäßige Weiterentwicklung der Partei völlig
unterbunden und die Zersplitterung in eine Reihe von kleinereu
Gruppen, die von örtlichen oder provinziellen Wortführern geleitet
wurden, war fast mit Notwendigkeit gegeben. Nieht darum konnte
es sieh, so lange der Druck datierte, handeln, diese Entwicklung
ganz zu hindern, sondern nur darum, die Versehiedenartigkeit
nicht bis zur völligen inneren und äusseren Trennung ausarten
zu lassen.
Es ist ganz natürlich, dass unter den gegebenen Verhält-
nissen die sog. Ketzer auf die Chronisten einen buntfarbigen Ein-
druck machten, und wo man mehr das Trennende als das Ver-
bindende suchte, mochte man leicht ebensoviel Sekten unter ihnen
finden als es Schulen und Schulmeinungen unter ihnen gab.
Dieser Eindruck musste durch mehrere Umstände verstärkt
werden. In den Verhören nämlich, die vor den Tribunalen er-
folgten, tritt ein erklärliches Bestreben vieler Angeklagten zu
Tage, die Unterschiede ihrer Auffassungen von den herrsehenden
Kirchenlehren und Gebräuchen abzuschwächen. In der Lage, in
der sie sieh bc landen, mussteu die Gemeinden ihren Angehörigen
manche Anpassung erlauben, die sie, obwohl sie den Überliefer-
ungen der Gemeinschaft nicht entsprach, nicht hindern konnten.
Dadurch kommt es, dass manche Angeklagte sowohl ihren damaligen
Richtern wie den heutigen Forschern römischer erscheinen als sie
es in Wirklichkeit waren.
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Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
183
Ferner aber waren den Berichterstattern , auf die wir an-
gewiesen sind, nur in einzelnen Fällen die Unterschiede klar, welche
in diesen Geineinden zwischen der I^bensordnung und den Brauchen
der „Gottesfreunde" (Wanderprediger) wir werden diese
Einrichtung unten naher kennen lernen — und den „Gläubigen"
vorhanden waren. Je nachdem sie ein Mitglied der Gottesfreunde,
die unter sich ein geschlossenes Ganze bildeten, oder ein einfaches
Genieindeglied vor sich hatten und schilderten, inusste bei den
mannigfachen Besonderheiten, die jene von diesen trennten, ein
ganz anderes Bild der Partei entstehen, und die Versuchung lag
nahe, eine „Sekte" der Gottesfreundc und eine „Sekte" der
Gläubigen zu konstruieren.
Ks kann an sieh gar keinem Zweifel unterliegen, dass diese
Christen niemals im Sinn der römischen Kirche eine Einheit
dargestellt haben. Es waren nicht bloss die Verhältnisse, die
eine einheitliche und gleiclunässige Entwicklung und die Her-
stellung grösserer Verbände hinderten, auch ihre Prinzipien machten
es ihnen unmöglich, eine äussere Einheit als Ziel und Ideal zu
betrachten.
lTm so beachtenswerter ist es, dass die urteilsfähigsten Zeit-
genossen und Chronisten sich mit Päpsten und Coneilien in der
Überzeugung begegnen, dass die Mehrheit der mittelalterlichen
Ketzer, unter welchen Namen sie auch auftraten, sich in den
gleichen Grundgedanken begegnen1).
In der That zeigt sich unter ihnen trotz der Kämpfe, die sie
') In finer Bulle Papst Gregors IX. vom 2.">. Juni 12:iJ heix*t in:
„Kxcomiminicnmu.s et anathetnutiy.amui> universos haeretieos Cut hure-,
Patarenos, Paupen* de Lugduno, Passagi n <>s, Joseppi nos,
Arnuldirftas, Speronista« et aliw, quibnscunqiie nominibus eenseantur;
faeies quidcni hubente*» diversa*, seil cauda* ad inviieiu i-olligata*« de varie-
tate eonventunt in id ipsum". Boehmer, Acta imp. sei. II, (!<ir>. —
Vgl. ilcn ähnlich lautenden Bcschluss in den Canoner» Com-ilii Lat. vom
::<». Nov. 121'* Ini Mansi, Coli. Conril. XXII, !»H<; ff. In dem Traktat
des David von Augsburg De inquisitionc baeretieorum (S. XlIIl heisst es:
„Cum olim una seeta fui«*e dieantur Pouvcr l>un et Ortidicbarii (Ortli-
haiii) et Arnostustc i Arnoldistac) et Kuneharii et Waltenws et alii ex
ambieione primntus et erroris eoutrarietate diwrsis inter *c opinionum alter-
cationibuH conscissi in di versa*« benies divisi sunt et detiominati ab illanuu
autoribus opinionum cujiislibet hornm seetatores." Abhandlungen d. bist.
Kl. d. Kgl. B. Ailad. d. Wiss., Bd. XIV Abtl. 2 S. 2Hi
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184
Keller,
Heft 6 u. 7.
unter sich ausfochten, zu ollen Zeiten, wo sie von Gefahren bedroht
waren, ein sehr starkes Bewusstsein der inneren Zusammengehörig-
keit, und jede vorurteilslose Prüfung lehrt, dass sie durch alle
Jahrhunderte und in allen Ländern ihre vornehmsten Grundsätze
— wir werden sie unten kennen lernen — mit ausserordentlicher
Zähigkeit festgehalten und in einer Leidensgeschichte ohne Gleichen
gegen ihre Gegner verteidigt haben.
Diese innere Verwandtscliaft ist so auffallend, dass man sich
dieselbe nur dann hinreichend erklären kann , wenn man ein ge-
meinsames Entstehungsgebiet für alle diese Richtungen an-
nimmt. Es ist bei dem heutigen Stand der Forschung nicht
möglich, dies Gebiet bestimmt zu bezeichnen, aber die Richtung,
in welcher die Ixisung zu suchen ist, wird durch die Thatnache
augedeutet, dass diese ausserkirchlichen Christen in vielen ihrer
wichtigsten U-hren sich an die Vorstellungen anschliessen, welche
von den ältesten griechischen Kirchenvätern, vor allem von
Origenes, vertreten worden sind. Und eben auf den Orient
weisen alle frühesten Spuren, soweit wir sie verfolgen können;
über Kleinasien, Bulgarien, Dalmatien, Oberitalien und Südfrank-
reich kommen sie nach Deutschland, Böhmen, Polen und England,
bald hier, bald dort zurückgedrängt, bald verschwindend, bald
wiederauftauehend, bald in kirchlichen Formen, bald als Bruder-
schaft in weltlichem Gewände kämpfend, oftmals scheiternd, nie-
mals untergehend durchdringen sie mit einzelnen ihrer Ideen zeit-
weilig gerade dann die ganze Christenheit, wenn sie dem äusseren
Anschein nach als Gemeinschaft völlig besiegt am Boden liegen.
Bei der Beurteilung ihrer Ausbreitimg wie ihrer Erfolge
musB man die Thatsache im Auge behalten, dass ihr Kirchenbo-
griff — wir werden ihn alsbald kennen lernen — es ihnen er-
möglichte, den Sakraments -Kultus zeitweilig ruhen zu lassen,
ohne den Charakter als Gemeinde damit aufzugeben, und dass sie
daher stets im stände waren, ihre Wirksamkeit in Form einer
Bruderschaft fortzusetzen, wenn die Verfolgung sie zwang, den
Dienst der Sakramente oder, wie sie sagten, der „heiligen Hand-
lungen" zeitweilig einzustellen. Damit besassen sie die Möglich-
keit, sich in derselben Weise in der Form heimlicher oder ver-
borgener Gemeinden fortzupflanzen, wie die ältesten Christen unter
der Verfolgung der Cäsaren diesen Weg besessen und beschritten
hatten. Diese Art der Fortpflanzung ist seit dem 4. Jahrhundert
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1894.
Die böhmischen Brüder und ihre Vorlaufer.
isr,
für sie im grossen und ganzen sogar die Regel gewesen; nur in
kürzeren Zeitabsclinitten und in einzelnen Ländern bezeichnen
die grossen Ketzerkriege und Religionskämpfe die Versuche, die
öffentliche Übung ihres Kultus und ihrer Gemeinde- Verfassimg
durchzusetzen.
So trägt diese Gemeinschaft in grossen Zeiträumen und in
viekm Ländern in derselben Weise die Kennzeichen eines Gc-
heimbundes an sich wie die ältesten Christengemeinden. Es wurde,
um nur einiges zu erwähnen, eine Anpassung an die Gebräuche
der herrschenden Kirche üblich, wie sie eine religiöse Gemein-
schaft, sobald sie sich öffentlich bethätigen darf, ihren Angehörigen
niemals gestatten wird und kann. Man hielt es für erlaubt, durch
den Besuch der Messe und durch Handlungen kirchlicher Devotion
den Verdacht der Verfolger von sich abzulenken, wie es ja auch
bei den sog. Waldensern Österreichs, mit denen die böhmischen
Brüder in Verhandlung traten, noch im 15. Jahrhundert (wie
oben bemerkt) üblich war. Für gewisse religiöse Ceremonien, wie
die Lehre Christi sie vorschrieb (z. B. für die Taufe und das
Abendmahl), suchte man symbolische Einkleidungen oder verdeckte
den religiösen Brauch durch die Annahme weltlicher Formen.
Uberhaupt nahm der Gebrauch symbolischer Zeichen und Formen
stark zu, und mannigfache altchristliehe Symbole, die der römischen
Kirche verloren gegangen waren, erhielten sich hier in Übung.
Auch eine verabredete Bildersprache und geheime Erkennungs-
zeichen (z. B. beim Handgeben) begegnen uns frühzeitig bei
diesen „Ketzern"; ') besonders aber wurde es üblich, den Mit-
gliedern bei der Aufnahme einen Brüdern amen zu geben, den
in der Regel nur die Wissenden kannten, und der ein wichtiges
Mittel darstellte, um den Gegnern die Entdeckung der Bundes-
') Döllinger, Beiträge II, 254 giebt eine Urkunde über einen Waldcn-
sor-Prozoss von 1387/88 in der Lombardei; darin lieisst es: „Frater Antonius
respondit, quod fuerunt duo nomine«, qui duxerunt euni ad locum Macbia-
rum, quorum unus ei tetigit digituin auriclarem more Valdensium.
Ib. S. 255: Interrogatus, quomodo sciebant, ipr*am esse haereticam, respondit,
quod ipsa tetigit sihi duos digitos, videlicet in acie digitorum,
dicens ipsa sibi: vos l>ene veneritis. Kgo credo, quod voa estis de seeta
nostra . . . et quia de more ipsorum est, quod mulieres tungunt duoe
digitos, et bomincs digitum auriclarem ad cognnscenduui se
ipso« haereticos inter se."
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ist;
Koller,
Heft 6 u. 7.
Angehörigen zu erschweren.') Es war Aufnahme -Brauch, dass
die Bibel bei dem Evangelium Johannes aufgeschlagen war; der-
jenige, der die Aufnahme vollzog, verlas die Stelle Joh. 1, 1:
„Im Anfang war das Wort" bis Joh. 1, 14: „Und das Wort ward
Fleisch und wohnte unter uns" oder auch bis 1, 17: „Die Gnade
und Wahrheit ist durch Jesum Cliristum geworden."2)
Jahrhunderte hindurch sind Südfrankreich und besonders
Oberitalien die Hauptsitze und die Hauptstützpunkte der ausser-
kirchlichen Christengemeinden gewesen. Das damalige Zunftwesen
(sagt Döllinger I, 92) mit seiner engen und organischen Verbin-
dung bot der Verbreitung einer Lehre, die sich einmal in eine
solche Innung eingeschlichen hatte, einen Rückhalt und ein Ver-
breitungsmittel, und es lag daher nah, dass dort, wo die Gilden,
Werkbruderschaften und Zünfte zu besonderer Kraft und Blüte
gediehen waren (wie es in den grossen stadtischen Gemeinwesen
der Lombardei und Venetiens der Fall war), auch die in dieselben
eingedrungenen religiösen Ansichten und Formen zu besonderer
Ausbreitung gelangten.
So gewiss nun aber die romanischen Völker lange die vor-
nehmsten Träger waren, so hat doch der Glaube dieser Christen
niemals irgend eine Spur nationaler Ausschliesslichkeit an sich
getragen wie z. B. der Utnujuismus der Böhmen. So sehr sie die
nationale Eigenart und namentlich die Volkssprachen überall
wo sie uns begegnen in ihren Gottesdiensten wie in .den Schulen
pflegten, so .sind sie doch nirgends die Träger eines nationalen
Fanatismus gewesen; ihr Streben umfasste die Menschheit, nicht
diese oder jene Kace und Nationalität. So tief und ernst sie von
dem Wunsche durchdrungen waren, die Lehre Christi, wie sie sie
fassten, allen Menschen nahe zu bringen, so wollten sie die Herr-
schaft Christi über die Welt doch nicht durch den Arm irgend
einer Nation oder der Staatsgewalt, sondern auf dem Wege
freier Überzeugung erreichen. Der Grundsatz der freien Selbst-
bestimmung, mit dem die Gewissensfreiheit steht und fällt, tritt
uns in allen Absclmitten ihrer Geschichte entgegen. Die Freiheit
') Döllinger a. O. I, 21.r>: Interrogatu* de nominibus dictoruni hae-
ntioorum de novo iveeptnrum , dixit, quod in tliita reeeptinne fuerunt ei»
nomina mutata et uni fuit hnpositiun nomtn Petrus et alii Paulus.
•) Döllinger a. Ü. II, ."> und öfter.
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1804.
Die böhmischen Hrüder und ihre Vorläufer.
1*7
war nach ihrer Überzeugung die Vorbedingung für das Wachs-
tum de« Senfkorns, mit dem Christus das Gottcsreieh ver-
liehen hatte.
Man würde die innere Ubereinstimmung aller ausserkirehlichen
Christen der mittleren Zeiten schon längst viel klarer erkannt
haben, als es der Fall gewesen ist, wenn nicht die Verschieden-
heit der Namen, unter welchen sie erscheinen, den Einblick in
ihr wahres Wesen erschwert hatte.
Der Missbrauch, welcher mit der Erfindung von Sekten-
Namen getrieben worden ist, hat die wahre Geschichte der Brüder
in schlimmster W eise verwirrt und verdunkelt, und es ist eine
sehr schwierige Aufgabe, heute hierin Wandel zu schaffen.
, Gerade die Namen frage aber ist von der grössten Wichtigkeit
und bietet den Schlüssel für Erscheinungen, die sich bisher als
ganz rätselhaft dargestellt haben.
In meiner Geschichte der Reformation und der älteren Re-
formparteien (1885) habe ich zum ersten Mal nachdrücklich auf
die Wichtigkeit der Nameufrage hingewiesen und unter anderem
dargethan, dass alle die bekannten Ketzernamen Scheltnamen
waren, welche von den Gemeinden, die mau so nannte, stets
zurückgewiesen sind und die etwa wie die Namen Sakrameutierer
und Papisten dem Bedürfnis der Streittheologie ihren Ursprang
verdanken. ')
In allen Jahrhunderten des Mittelalters findet sich die That-
sache, dass diejenigen ausserkirehlichen Religionsgemeinschaften,
welche in den apostolischen Zeiten ihr Vorbild und ihre reinste
') Sehr bezeichnend für «He Sucht, Ketzernamen zu erfinden und nie
al»* Kampfmittel zu verwerten, sind die Klagen Zwingiis au» der Anfangszeit
der Reformation, So protestiert, er in seiner Schrift „Wer Ursache gebe zu
Aufruhr" l:YJ4 wider seine Gegner, welche „das Gotteswort mit Kctze.r-
nanien verunwerten" und dem Volke verdächtig machen. Was er damit
meint, erhellt aus einer anderen Schrift vom Jahre 1~>22, wo er gesagt hatte,
man suche das Evangelium mit Ketzernamen wie husi tisch etc. zu ver-
unglimpfen. Banr, Zwingli I, 112. — Später hat Zwingli übrigens dasselbe
Kampfmittel gegen seine evangelischen tiegner sehr nachdrücklich in An-
wendung gebracht ; er hat den Ketzernamen „Wiedertäufer" in Umlauf gesetzt.
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188
Keller,
Heft ß u. 7.
Ausprägung erkannten , sieh einfueh C bristen und Brüder
nannten1) und das* die Wanderprediger, welche sie unter sich
besassen — wir werden auf diese wichtige Eigentümlichkeit zurück-
kommen — den Namen Gottesfreunde oder Gute Leute (boni
homines) trugen; auch sind die Namen „Brüder des Gesetzes
Christi", sowie „evangelische Christen" 2) als selbstgebrauchte
Namen unter ihnen nachweisbar.
Es ist ein ganz ausgesprochener Widerwille, der in allen
ihren Äusserungen gegen Sonder- Namen, sei es, dass sie von
einzelnen Männern, sei es, dass sie von »Sonderlehren hergenommen
waren, zu Tage tritt, und selbst der Name Walde nser, der für
sie im späteren Mittelalter am üblichsten wurde, ist erst von der
Zeit an unter ihnen in Aufnahme gekommen, als sich die Nach-
kommen der alten „Christen" seit 1538 der reformierten Kirche
angeschlossen hatten 3).
') Bei Reinem*, Adversus Catharos etc. heisst es nach einer
Schilderung der Perfecti: „Ceteri, qui sunt sine online, inter eos vocantur
Christiani et Christianae". (Max. bibl. Patrum XXV, 27S.) — Von den
Ketzern am Rhein heisst es im Jahre 1163: „Primus eoruin fuit error, quod
.... sc sol«»s christianos et veros Catholicos arbitrantes , cactero* omnes,
qui tum essen t in secta eorum, hacreticos, schismaticos et infideles, Dcoque
odibiles praedicabant. Fredericq, Corpus Doc. etc. I, 41. — Li m horch,
Lib. inquis. Tolos. Anist 1 692, S. 300 f. : „Vocabant st; illi, qui erant de illa
socictatr, f rat res." Kbenda: „Gentes prrsequebantur cos (d. h. fratres) et
vocabant eos Valdcnses et reputabant eos bacretieos." Die Aussagen stam-
nien an« den Jahren 1307— 1.5 J3. — Da** alle „Patarcner", soweit nie nicht
Bischöfe , Diakonen u. s. w. waren, „Christen" hicssen s. l>ei Dölliiiger
Beiträge II, 324. Döllinger a. »>.; „Diaconi cliguntur a christiani« et
ordinantur ab episcopo" etc.
') Die Beweise bei Keller, Joh. von Staupits, Lpz. 1888 S. 103 f. -
Über den hingerichteten Ketzer Albert aus dem Langau (öntlich von (tastein),
der »ich im Jahre 1285 einen „evangelischen Lehrer" (Prediger) nannte, wiche
Mon. Germ. Hist. SS. XI, 810.
:') Herzog, Die roman. Waldenser S. SO: „Wir wissen aus den Be-
richten der katholischen Schriftsteller selbst, dass die Wählender »ich diesen
Namen nicht selbst gegeben haben; sie nannten «ich Arme, Anne von
Lyon" u. s. w. — .Selbst noch im Jahre 1535 wird die Bezeichnung „Wal-
denser" von den provcnzalisch.cn Waldcusem als noinen invidiosum ab-
gewiesen. Histor. Zts. 1885» 8. 57. — In Frankreich, rler Schwei/, und den
Niederlanden kommt der Name Vaudois seit etwa 1450 ausschliesslich zur
Bezeichnung von Hexen und Zaulx-rern vor ( Vauderic!). Deutsche Zts. für
Geschichtswk«. 1*1)0. S. 3SJ f. - Dass der verketzerte Name „Waldenser"
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1894.
Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
189
Bis zum Ende des Mittelalters, ja bis in die Ueformations-
zeit hinein, haben diese Christen die Unterschiede, die unter ihnen
vorhanden waren, nieist lediglich dadurch gekennzeichnet, dass sie
sieh nach den Uindern, wo sie ihre Hauptsitze hatten, als „lom-
bardische Bruder", „ r < > m a n i s c h e Brüder", „böhmische Bruder",
„Schweizer Brüder" bezeichneten1).
Es war im Grunde ganz natürlich, dass die herrschende
Kirche und ihre Vertreter den Religionsgemeinschaften, die sie
sich gegenüber fand, den Namen Christen nicht zugestehen
wollte; abgesehen davon, dass sie geneigt war, den Gegnern,
die das Christentum ganz anders verstanden als sie selbst, die
Eigenschaft von Clmsten überhaupt streitig zu machen, hatte in
jenem Zugeständnis unzweifelhaft eine Beeinträchtigung des eignen
Christen - Namens gelegen. Die Aufbringung neuer Namen
wurde durch diesen Umstand für die Gegner geradezu zum
Bedürfnis.
So begreif lieh dies ist, so stark ist für die Geschichts-
schreibung die Nötigung, zur Kennzeichnung der Partei, um die
es sich handelt, einen gemeinsamen Namen in Gebrauch zu
nehmen. In der That ist in bestimmten Epochen jedesmal ein
bestimmter Sekten -Name in überwiegendem Gebrauch gewesen,
und Jahrhunderte lang haben die Namen Manichäer, Katharer,
Wal denser alle Sekten zusammenfassend bezeichnet
Für eine Geschichtsschreibung indessen, deren Grundsatz es
ist, die Ketzer wie die Kirchen in gleicher Weise unparteiisch zu
behandeln, ist jeder Sekten-Name unbrauchbar; so wenig sie für
von deren Freunden überall vermieden zu werden pflegte, auch wo man
eine Bezugnahme bestimmt erwarten sollte, hat schon Preger nachgewiesen
(Verhältnis der Taboritcn zu den Waldesiern etc. München 1887 8. 1UÖ f.).
') Von den vielen Beweisstellen, die sich dafür l>eil>ringen liesscn, soll
hier nur eine erwähnt werden. In einer Handschrift d. Staate-Bibliothek zu
München (Clm. 223U3 f. 241) aus dem 15. Jahrb.. steht aus gegnerischer
Quelle folgender Berieht: „Inio ijwi Waldcuses coustituunt monstrum in
natura, qui diennt, so faeere verum eorpus (die wahre Gemeinde Christi) et
tarnen haben t tria eapita: aliqui enim suorum haeresiarcharum dieuntur
romani (die französischen Brüder), alii pedemontani (die italischen), alii
vero alemunniei, neque aliquis ab altcro jurisdictionem sive auetoritatem
siiseipit neqne alterius sc snbüitum confitetur." Hier nach Preger, Das
Verhältnis d. Taboriten zu d. Waldeaiern des 14. Jahrb. 1.M87. 8. 3ü.
13*
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190
Keller,
Heft 6 u. 7.
die katholische oder protestantische Kirche Namen gebrauchen
darf, welche diese selbst zurückweisen, ich erinnere nur an die
eben erwähnten Namen Papisten oder Sakramentierer, so
wenig ist sie berechtigt, die Ketzer anders zu nennen als diese
sich selbst genannt haben und genannt wissen wollten. Eine un-
parteiische Geschichtsschreibung darf nur solche Namen wählen,
welche die wesentlichen Charakterzüge möglichst treffend zusammen-
fassen, unter den Ketzern selbst wenigstens gelegentlich nach-
weisbar sind und niemandes Hechte beeinträchtigen.
Unter diesen Gesichtspunkten ist für die mittelalterlichen
Ketzer kein Name zutreffender und berechtigter als die Bezeich-
nung altevangelisehe Gemeinden: denn mit Grund heisst es
in jenem bekannten Artikel der sog. Wikletitcn des Ii. Jahr-
hunderts: „Das Evangelium int die alleinige Norm unseres Glaubens
und Lebens mit Verwerfung der alttestamcntlichen (mosaischen)
und nachevangelisehen Vorschriften", und die Katharer sagten von
sich aus, dass sie die Beobachtung „der evangelischen und
apostolischen Walirheit" sich zur Pflicht gemacht hätten1).
Auf diese Gemeinden pflegt in alteren wie in neueren kirchen-
gesehichtlichen Werken katholischer und protestantischer Herkunft
fast durchweg derjenige Begriff' der Kirche Anwendung zu finden,
welcher im eigenen Hause üblich ist- Kirche und Gottesdienst
sind für diese Betrachtungsweise unzertrennliche Begriffe, und es
erscheint daher bei gegnerischen Berichterstattern allgemein die
Vorstellung, dass die „Häretiker" eine Kirche gebildet hätten, die
nach ihrer Ansieht als wesentliche Kennzeichen ein Lehrgesetz
(Symbol) oder Bekenntnis und bestimmte Sakramente besessen
haben muss. Diese Ansieht trifft nicht zu. Die ausserkirchlichen
Religionsgemeinschaften waren keine Kirche und wollten keine
Kirche im Sinn des alten Bundes oder der romischen Kirche sein;
sie bildeten vielmehr einen Bruderbund oder eine Brüderschaft,
deren Glieder sich zwar im Sinn des Evangeliums als eine Ge-
meinde betrachteten, die aber mehr eine GeMimungs-Gemein-
schaft als eine Bekenntnis -Gemeinschaft darstellten und
') Dülliiijrer, Beitrag II, 2*7.
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1S1M.
Die böhmischen Brüder uiul ihre Vorläufer.
daher auch den Namen und den Begriff der Kirche nicht auf
ihren Bund anzuwenden pflegten1).
So grossen Nachdruck diese Christen jederzeit auf ein reges
Gemeindeleben legten, so ausgesprochen ist ihre Abneigung gegen
die von Menschen aufgesetzten Symbole und Bekenntnisschriften2)
sowie gegen die Anknüpfung der Heils Vermittlung an Kirche oder
Sakramente von jeher gewesen. So sehr ihnen dies von vielen
Seiten verdaeht ward, so sicherten diese Auffassungen ihnen doch
den doppelten Gewinn, dass sie der Heuchelei und Verstellung
weniger Vorschub leisteten, und dass sie ihr Gemeindeleben inner-
halb der Kirchen im Stillen fortzupflanzen im stände waren.
In den Verfolgungszeiten wurde von dieser Möglichkeit, wie
wir sahen, gern Gebrauch gemacht, und unsere römischen Bericht-
erstatter sind voll von Klagen über diese „Füchse", welche nicht
wagten, an die Öffentlichkeit zu treten. Nur wenn sie sich
stark genug fühlten, heisst es, träten sie aus der Verborgenheit
heraus3).
') Besondere häufig begegnet in den Quellen, welche eine genauere
Kenntnis verraten, der Name Soeietas sowohl zur Bezeichnung der Einzel-
Gemeinde wie der Gesamt* Gemeinde. Vgl. Pöllinger, Beiträge II, 8. 95.
!w>. {»£». — Die Gegner nannten natürlich die Gemeinden auch nicht Kirchen;
wohl aber finden -ich ausser «lern Namen „Sekte" andere merkwürdige
Bezeichnungen, nämlich die Namen So ho In (Ketzerschule) (»der Synagoge.
Ausser den Beweisen, die ich früher beigebracht habe («. Keller, Job. von
Staupitz, Register s. v. Schule u. Ketzer schule) verweise ich auf Mansi,
Concilia Germaniae P. XXIII S. 244 (Scholae hereticorum in Trier VJ'M),
auf Hefele, Coneilien-Gcsch. V, 1»01» f. (12:14), Deutsche Zts. f. Gesch. 188!»
S. JliKf., Döllinger. Beiträge II, 255.
''l Dies erstreckte »ich in den älteren Zeiten - sj)äter trat in diesen
wie in anderen Punkten eine Annäherung an die Grundsätze und Gewohn-
heiten der herrschenden Kirchen ein auf alle Lchrgesetze und Sakra-
mente. Über die Stellung zum Symholum Apostolicum s. die Aussagen Ihm
Dnilinger II, II. Iöl. 2M; Bibl. Max. Patrum XXV, 2ti<iG und 2fi7K. Vgl.
zu dieser Frage weitere Beweisstellen Iwi Keller, Joli. v. Staupitz 1SSS
S. !»!) f. u. M'.i f. Sicher ist, das» die Waldenser um 1500 das Credo an-
erkennen. Döllinger II, Wü. Im 14. Jahrh. und früher ist der Wider-
spruch dagegen nahezu allgemein; eine vereinzelte Zustimmung beweist so
wenig wie die vereinzelte Übung des Ave Maria, die auch vorkommt.
') Mansi, Coli. Conciliorum XXII, 232: Invaluit damnata |>ervcrsitas,
nt jam non in oeculto nequitiam suam exerceant, sed errorem publice mani-
festem. Die Notiz findet sieh zum Jahre 117!». In dieser Zeit hatten die
„Ketzer" in Petrus Wnldus einen angesehenen Wortführer gefunden. Klagen
Koller,
Heft fi u. 7.
Mnn hat wohl gesagt und gemeint, dass dort, wo kein be-
rufsmässiger Geistlicher und keine Sakramente vorhanden waren,
auch keine kirchliche Gemeinde in rechtlichem Sinn vorhanden
gewesen sei; eine kirchliche Gemeinde im Sinn des kanonischen
Hechte war allerdings nicht vorhanden; aber nach den liegritfen
und Rechtsanschauungen dieser Richtungen war die Übung des
Sakramente -Kultus eben kein unentbehrliches Kennzeichen einer
christlichen Gemeinde; wo man sie zwang, Taufe und Abendmahl
einzustellen, war das gemeinsame Gebet der einzige, aber auch
ausreichende Kultus ').
Es hing diese Auffassung mit ihren wichtigsten Prinzipien
eng zusammen. Denn ganz im Unterschied von denen, welche
der Ansicht waren, dass die Beziehungen zu Gott nur durch
Priester und Sakramente hergestellt werden, waren sie durch-
drungen von der Überzeugung, dass es einen innerlichen Ver-
kehr der Menschenseele mit Gott giebt, für dessen Herstellung
zwar die Reinheit des Herzens, aber nicht die Sakramente die
Voraussetzung bilden. Mochten im Alten Testament die Begriffe
der Kirche ihre Begründung finden, ho waren sie doch der An-
sieht, dass Christus der Welt die höhere Einheit des göttlichen
und des menschlichen Daseins verkündet habe, und dass seitdem
der Zugang zu Gott jedem reinen Herzen offen stehe, das im
Geiste Christi sich ihm naht
Es ist nicht ohne Interesse, zu beobachten, in welcher Weise
die Vertreter der verschiedenen Kirchen und Religionsgemein-
schaften diese Christen im Lauf der Jahrhunderte beurteilt haben.
Je ablehnender die gesamte Stellung der Beurteiler ist, um so nach-
drücklicher pflegen ihnen von diesen gerade solche Eigentümlich-
keiten beigelegt zu werden, die den Anhängern der letzteren jeweilig
besonders verabscheuenswert erschienen. Dabei ist es denn nicht
zu verwundern, wenn im Laufe der Zeit gerade entgegengesetzte
Urteile und Ansichten zu Tage gebracht sind und Eigenschaften,
über die „Simulatio" der Ketzer, ülier ihren Kirchcnbcsnch n. s. w. bei
Martenc, Thcs. Aneedot. p. ITK'J sowie in d. Max. Biltl. l'atruiu XXV,
') Bei den südfranzösisehen Waldrnscrn ruhten die „heiligen Hand-
lungen" lange Zeit vollständig; gleichwohl betrachteten nie sieh al* christ-
liche Geineinden. Vgl. den Bericht des Barben Moni v. Vi. Üct. 15W bei
Dieckhoff, Die Waidenoer S. Mi ff.
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1S04. Die böhmischen Hrtidcr miil ihre Vorläufer.
die sich auszuschliessen pflogen, als allgemeine und wesentliche
Kennzeichen der beurteilten Partei hingestellt werden. Je nach dein
Bedürfnis der Polemik glaubt der eine Kritiker das Wesen der
,,Ketzer" dadurch bestimmen zu können, dass er sie als IVlaginner
und Asketen und ihre Gemeinschaft als einen entarteten Mönchs-
orden bezeichnet, der andere glaubt alles Wesentliche gesagt zu
haben, wenn er sie als Libcrtiner und froigoistige Lüstlinge hin-
stellt1); der eine wirft ihnen revolutionäre Tendenzen vor, die auf
den gewaltsamen Umsturz aller staatlichen und sittlichen Ordnung
in der Welt abzielten, der andere erklärt sie für quictistischc Mysti-
ker, die in tadelnswerter Weltflucht nur dem eignen Seelenheil
nachtrachten; der eine sieht in der Absonderung von der allgemeinen
Kirche die Verführung des Satans und charakterisiert sie zusammen-
fassend als Luciferianer, der andere glaubt sie genügend gekenn-
zeichnet zu haben, wenn er sie Maniehäer oder Arianer nennt. Es
liegt am Tage, dass in allen diesen Urteilen mehr der ablehnende
Standpunkt des Sprechenden als die Kennzeichnung des eigent-
lichen Wesens zum Ausdruck kommt, und dass jeder Versuch
einer gerechten Beurteilung sich von den theologischen Kunst-
ausdrücken und schematiseher Einschachtelung fern halten und
vielmehr die wesentlichen Ideen und Grundsätze im einzelnen
prüfen muss.
Wenn man auf den gemeinsamen Besitz religiöser Uber-
zeugungen, welcher bei allen Zweigen dieser Christen und in allen
Jahrhunderten wiederkehrt, das Augenmerk richtet, so wird jedem
Beobachter zunächst die Thatsache auffallen, dass alle diese ansser-
kirchlichen Christen-Gemeinden von dem Streben erfüllt sind, das
Wesen des ursprünglichen Christentums zur Darstellung
zu bringen. Das Vorbild der apostolischen Zeit, wie es in den
Evangelien und Episteln seinen Ausdruck findet2), ist ihnen die
') In der Streitschrift de.« Keinem* Advorsus Catharos heilst es
(p. 280): „Sunt in moribus eompositi et modesti, eavent a seurrilitate, ver-
bonim levitato, niendacio et jurameuto, casti sunt et temperati in eibo et
potu." Ähnliche günstige Urteile liefen sich viele zusammenstellen ; natür-
lich gab es auch schlechte Menschen unter ihnen.
7) Döllingcr II, .">. 2*7. — Petrus Venernbilis wirft den „I'etro-
brusianern" vor: Nullos vos libros, nullos vos traditioncs Ecclcsiac ab ecelesin
praeter Evangelium susoiperc, sed illi tnntum, hoc est Evangelio, fidein
vos firinissimam conservare. Max. Ribl. Patr. XX III p. 107-*.
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194 KclW, Heft .6 u. 7.
oberste Richtschnur für ihr Denken, Thun und Lassen,1) und der
Vorwurf, den sie der Hitnischen Kirche machen, besteht darin,
dass die Päpste eine neue Kirche an die Stelle der alten gesetzt
hätten — eine Kirche, die sich in wichtigen Teilen mehr auf das
alte Testament als auf die Evangelien stütze.
Man weiss, welche Bedeutung seit dem 3. und 4. Jahrhundert
jene Lehrgesctze und Symbole in der herrschenden Kirche ge-
wonnen hatten, die unter den Namen des apostolischen, rncänischen,
athanasianischen u. s. w. Gesetzeskraft erlangt hatten. Ks war ja
sehr naheliegend, dass die Vertreter der Kirche bei den Verhören
bestrebt waren, diese Symbole in die Angeklagten hineinzufragen,
aber es zeigte sich regelmässig, dass sie von den Verhörten über
die Begriffe und Vorstellungen von der Trinität, der Homousie und
Homoiusie u. s. w. wenig erfuhren, was sie befriedigt hätte. Die
Betonung dieser dogmatischen Fragen, wie sie in der Kirche
üblich geworden war, kannten die Verhörten eben nicht, und die
Ablehnung solcher Begriffsbestimmungen lag keineswegs an ihrem
Mangel an Gelehrsamkeit, sondern floss aus der Überzeugung
dass das Wesen des Christentums nicht in der Lehre von der
Trinität und überhaupt mcht in irgend einem System von Glaubens-
sätzen, sondern in dem Streben nach dem Aufbau des Gottes-
reichs im Sinne Jesu beschlossen liege.
Das W erk Christi bezog sich nach der bei ihnen überwiegend
vertretenen Ansicht nicht bloss auf die Änderung des Verhältnisses
der einzelnen Menschenseele zu Gott, sondern auch auf die Be-
ziehungen von Mensch zu Mensch und auf die Durchdringung
der menschlichen Gesellschaft mit dem Geiste Cluisti. Sie glaubten,
dass eine I^ehre, die die Erreichung der individuellen Seligkeit
im Jenseits zum höchsten Zweckbegriff der christlichen Religion
macht, dem frommen Egoismus wie dem PharisäLstnus Thür und
Thore öffne und das Streben nach der Erreichung des allgemeinen
Heils oder dem Aufbau des Gottesreichs naturgemüss zurückdränge
und abschwäche. Und doch hatte Christus das Reich Gottes als
') ,,E« giebt vielleicht keine einzige »Schrift »m «len M-rh* letzten
Ix>hcn*jahrcn Wiclif.-", *agt Lodert h iGött. Gel. Anz. KS'.» Nr. 12 8. 4!»7),
„in denen nicht die unbedingt«» Forderung der Zurück führung der Kirche
auf den apostolischen Zustand gestellt wurde." L'l>er die Bedeutung dieser
Forderung in den Tahnritcnkämpfen Pregcr, t"lx>r die Verh. der Tabo-
riten etc. 1SS7 S. Hfl ff.
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1894. Die böhmischen Brüder und ihre Vorlaufen 195
den vornehmsten Inhalt seiner Botschaft bezeichnet und das
Trachten danach zu den wichtigsten Aufgaben derer gezählt, die
er als seine Jünger erkannte.
I>ieses Reich, dessen Bau sie beginnen wollten, war nach
der Lehre Christi, wie sie sie fassten, in seinen Einrichtungen
denjenigen der Familie gleich, und in ihm gab es keine
andere Zwangsgewalt, als die, welche der Vater gegen seine Kinder
zu üben berechtigt und verpflichtet ist. Es war ein Grundgedanke
ihrer I>ehre, dass wahre Glieder der Gemeinde nur die sein könn-
ten, die aus freiem Entsehluss und kraft selbständiger Wahl l) ihr
beigetreten waren; weder Unmündige noch zwangsweise zugetretenc
Personen, noch die, die das Gesetz der Bruderliebe offenkundig
brachen, waren volle Glieder der Kirche Christi, wie sie sie ver-
standen.
Diese Grundsätze machten es ihnen unmöglich, irgend eine
Person auf dem Wege der Gewalt, sei es unmittelbar oder durch
die Hilfe des Staates ihrer Kirche zuzuführen, und damit fiel für
sie die Theorie wie die Auwendung des Glaubenszwangs von selbst
hinweg; ja, sie mussten folgerichtig in einer Kirche, die diesen
wesentlichen Teil der Lehre Christi verleugnete, eine Gegnerin
des Christentums, wie sie es fassten, erkennen.
Sie hielten daran fest, dass Christus eine sichtbare Gemein-
schaft behufs Stiftung des Gottesreichs gegründet habe und die
erziehende und erleuchtende Kraft der Gemeinschaft haben sie
stets betont. Aber der Satz, dass die Hoffnung der Seligkeit im
Jenseits an die Zugehörigkeit zu ihrer Kirche oder an irgend eine
äussere Anstalt oder Veranstaltung gebunden sei, lässt sich bei
ihnen als autoritativer Ausspruch nicht nachweisen.2)
So sehr der Grundsatz, dass die h. Schriften die höchste
Richtschnur für Glauben und Leben bilden, all ihr Denken be-
herrscht, so finde ich doch, dass sie über den Begriff des „Kanons"
wie er seit dem dritten .Jahrhundert uns entgegentritt, sieh selten
in dem gleichen Sinn wie die römische Kirche ausgesprochen
haben. Wenn hierin, wie in anderen Punkten, im Lauf der Jahr-
') Die Aufnahme in die Gemeinde erfolgte im 14. Jahrh. in Süd
frankreieh nicht vor dem IS. Leliensjahr; Pöllinger, Beiträge IT, 2M\.
') S. Preger, n. a. Ü. 1887 S. 54.
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Keller,
Heft 6 u. 7.
hundorte sich eine Annäherung an die herrschende Theologie voll-
zieht, so tritt in den Auffassungen der frühmittelalterlichen Ketzer
doch noch ein starker Gegensatz klar zu Tage. Nach der Lehre
jener „Gottesfreunde", die man Bogoimlen nannte, ruhte das „von
der Weisheit gebaute Haus" d. h. die Gemeinde Christi, auf
sieben Stutzen, nämlich den Psalmen, den Propheten, den
Evangelien, apostolischen Schriften, Briefen, der
Apostelgeschichte und der Offenbarung Johannis.1) Hier
fehlen also die historisehen Bücher des alten Testaments, und es
ist deutlich, dass sie darin eben eine Stütze ihres Hauses nicht
erkannten. *)
Die Berichte der römischen Chronisten erzählen wohl, dass
die „Waldenser" alles „für erfunden halten, was nicht durch den
Text der Bibel bewiesen werden könne;" aber soviel ich sehe,
berufen sich diese Gemeinden, wenigstens in der älteren Zeit, dort
wo sie von ihrer obersten Autorität als Ganzem sprechen, selten
auf die „Bibel", häufig aber auf das „Gesetz Gottes" ') oder die
„Kegel Christi" oder das „Evangelium" und das „evangelische
Gesetz" oder auch auf die „göttliche Schrift" (scriptum divina)
und das „Neue Testament",1) welches sie, wie die Gegner be-
haupten, wortlich auswendig können und bis auf den Buchstaben
beobachtet wissen wollen mit Hintansetzung wichtiger Teile des
Alten Testaments, der Dekretalen und der Kirchenväter.
Neben diesem sog. „Evangelium expressum" erscheint aber
als Richtschnur ihrer Überzeugungen auch das „Gesetz des
') Pöllinger, Beiträge I, 4fJ.
*) Über die gleiche Anficht der Priscillianisten vgl. Döllinger a. O. 55;
derselben Meinung waren nach Dnllinger 1, 83 Petrus v. Bruys und Heinrich
von Toulouse, und die Katharer in den slavischen Ländern (a. O. I, 24. 5).
Vgl. den Tractatus de heresi Paujteruin de Lugduno l>ei Marlene , Thes.
Anecdot. V, 1780. — Bei Ebrard, Contra Waldenses (Gretser, Opp. XII,
135) heisst es: Vcstrac orationes execrabile» sunt, quuni Moysi legem non
reeipiatis.
") Vgl. das Sendschreiben über den Konvent zu Bergamo (abgedruckt
in den Abhdlg. d. K. Bair. Akad. d. WLw. 1H77 8. 231) Nro. 10 u. 13, wo es
hetsst, die betr. Frage sei zu bestimmen seeundum Deum et ejus legem.
') Das« die Paulicianer einen anderen „Kanon" kannten, als die
römische Kirche (ihr Neues Testament enthielt u. a. auch den Brief Pauli
an die Lnodicäcr, der sich auch in den vorlut herischen deutschen Bibeln
findet), darüber vgl. Düllingcr, Beiträge I, 21.
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18<W.
Die Im »h mischen Brüder un<l ihre Vorläufer.
197
h. Geistes", d. h. das dem Herzen innewohnende Gesetz, und
damit tritt schon hier ein Grundsatz zu Tage, der später in der
Lehre vom inneren Wort grosse Bedeutung gewinnen sollte.
Es ist kein Zweifel, das« für diese zurückgedrängten und
schwer verfolgten Männer die Versuchung zu allen Zeiten nah ge-
legen hat, sich von der Welt grollend abzuwenden oder aus der Ent-
sagung, die ihnen aufgezwungen war, eine Tugend zu machen, die
ihnen im Himmel sichert«», was die Erde ihnen vorenthielt. In der
That sind wcltfluchtige Neigungen unter ihnen häufig aufgetreten,
und es wäre wunderbar, wenn es andere gewesen wäre. Die Frage
ist nur, ob es nicht solche Neigungen in jeder Kirche giebt, und
ob diese „gesetzliche Richtung" ein wesentliches oder ein zu-
fälliges Merkmal bildet. Was die erste Frage anbetrifft, so hat
es noch nie eine grössere Religionsgemeinschaft gegeben, die nicht
in den bei ihr üblichen Formen ihre Konvente oder ihre Kon-
ventikel gehabt hätte; selbst die Kirche Luthers, dessen Lehre
der „Weltflucht" am schärfsten gegenüber steht, hat in ihrem
Schoss zahllose weit flüchtige Gemüter besessen und wird sie stets
besitzen, zumal in den Zeiten und den Ländern, wo äusserer Druck
auf ihren Bekennern lastet. Es würde also darauf ankommen,
nachzuweisen, dass die „gesetzliche Richtung" den älteren Evange-
lisehen als wesentliches Kennzeichen anklebt, und dieser Nachweis
wird nicht gelingen. Schon unter den sog. ßogomilen findet sich
die Lehre, dass die Gnade Gottes nicht nach den Werken,
sondern nach dem Mass des Glaubens gegeben werde1), und die
Katharer lehrten, dass j<*dermann durch und in seinem Glauben
die Seligkeit erwerbe. Uber den Begriff des „Gesetzes Christi"
aber finden sich sowohl bei Wiclif, der den Ausdruck oft und
mit Nachdruck gebraucht,2) wie namentlich bei Joh. von Goch,
so unzweideutige Bestimmungen, dass für den unparteiischen Be-
trachter jede Möglichkeit verschwindet, aus diesem Wortgebmueh,
auf den wir nuten zurückkommen werden, den Vorwurf der
') Didlinger, IVitrÜge I, 50.
?) Wiclif, Sermone* Hc. Ixmdon ISS!» III,:i."»0: „Lex Christi, expressata
in Kvangclio (cum sit ossentialiter Den* ij>so) est jn>r sc stifficiens etc., vgl. III,
:5.">1. -- Sehr eingehend handelt W. aber das (icsetz Christi in seiner Schrift
De civili Dominio, hrsg. v. R. L. Pooll 1SS.1. Kg heisst darin u. a. : „Ks
steht dem Christen nicht zu. drin Gesotz Christi andere Satzungen hei/u-
mengen, denn diese sind nur eine Last für die Kirche."
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198
Keller,
Heft (i u. 7.
„Möncherei" zu begründen. „Gehen wir", sagt O. Lcchler, „auf
(He ethische Anschauung Gochs über, so fasst er das Evangelium
als sittliches Gesetz auf, und insofern scheint er ganz auf dem
romisch-katholischen Standpunkt zurückgeblieben zu sein. Das ist
aber nur Schein. Sobald wir der Sache näher treten, entdecken
wir hier echt reformatorische Gedanken. Das evangelische
Gesetz (oder das „Gesetz Christi") ist nach Goch ein Gesetz der
Freiheit und hiermit zugleich der Liebe, ein Gesetz des Her-
zens, d. h. der inneren Willensbestimmung und nicht ein Gesetz
der Werke, wie (bis mosaische." ')
Gleichwohl mag, wie schon bemerkt, eingeräumt werden, dass
für diese Christen die Versuchung nah lag, mehr den Gebotswillen
Gottes, als seinen Heilswillen zu betonen und das Evangelium oder
den Glauben und seine Bedeutung für das Seelenheil des einzelnen
nicht immer mit dem Nachdruck hervorzuheben, der z. B. bei
Paulus dem Glauben gegeben wird. Indessen ist es ja bekannt
genug, dass die Zurückstellung des Gebotswillens Gottes hinter den
Glauben ebenfalls Versuchungen aller Art mit sich bringt, und
der Satz, dass „gute Werke schädlich sind zur Seligkeit", ist auf
diesem Standpunkt in der Theorie zwar nur vereinzelt, aber in
der Praxis um so häufiger nachweisbar; die Gefahr des Manichäis-
inus ist bei dieser Auffassung ebenso nahe liegend, wie bei der
andern der Ebionitismus und die Werkgerechtigkeit
Es ist ein vergebliches Bemühen, das kennzeichnende Merk-
mal dieser Christen in irgend einem Svmbol oder I^ehrsystem zu
suchen; Glaubensbekenntnisse, von denen wir überhaupt erst am
Ende des 15. Jahrhunderts (und zwar zuerst unter den böhmischen
Brüdern) etwas hören, haben, wo sie aufgestellt wurden, eine ge-
wissenbindende Kraft nicht besessen, sondern nur als Zeugnisse
des Glaubens gegenüber denjenigen staatlichen und kirchlichen
Autoritäten gegolten, die von ihnen Bechenschaft über ihre Mein-
ungen verlangten. Der Anspruch, dass die Seligkeit an diesen
oder jenen Glaubenssatz gebunden sei, ist von ihnen als Gemein-
schaft, soviel ich weiss, niemals erhoben worden. Ilaben sie aber
keine wesentlichen oder kennzeichnenden Grundsätze, an die sie
') Joh. von Wielif, Lpz. 1873. II, all).
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1894. böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 109
die Mitgliedschaft der Gemeinde banden, besessen? Es wäre sehr
verkehrt, dies anzunehmen.
Es ist innerhalb der bestehenden Kirchen ein anerkannter
Satz, dass der Begriff der Kirche einen der wesentlichsten, wenn
nicht den wesentlichsten Teil eines jeden Systems bildet, An-
gesichts dessen ist es doch eine wichtige Thatsache, dass der
Hegriff der Gemeinde und die mit ihm zusammenhängenden
Grundsätze der Gemeinde- Verfassung in ein und derselben
Gestalt seit den ersten Jahrhunderten bei ihnen wiederkehren, s<>
dass eben dieser Begriff die Eigenart derjenigen Christen bildet,
die wir unter dem Begriff der altevaugelischen Gemeinden zu-
sammenfassen — gleichviel ob sie in den Streitschriften der Gegner
unter den Namen der Gnostikcr, Manichäcr, Paulicianer, Bogomilen,
Katharer, Waldenser u. s. w. auftreten. Mit dieser Begriffs-
bestimmung wird zugleich ein sicherer Massstab dafür gewonnen,
wie weit die „Ketzer" des Mittelalters, deren es ja verschiedene
gegeben hat, als Zweige eines Stammes zu betrachten sind und
wie weit nicht
Im allgemeinen lässt sich der Gemeindebegriff und die Ge-
meinde-Verfassung der altevangelisehen Gemeinden daran erkennen,
dass in ihnen dieselben Grundsätze und dieselben Ordnungen fest-
gehalten sind, wie wir sie heute im Anschluss an die apostolischen
Konstitutionen und die „I^ehre der zwölf Apostel" als die Ein-
richtungen der ältesten Christen-Gemeinden kennen.
Einer der unterscheidenden Sätze, auf die sieh ihn' Eigen-
art gründet, war die Überzeugung, dass die Worte Christi die
Herrenworte — , in denen sie die Norm ihres Glaubens erkannten,
nicht blos Zusagen und Verheissungen oder Kegeln des religiösen
und sittlichen l^ebens, sondern auch unabänderliche Anweisungen
in Sachen der Gemeinde-Ordnung enthielten. Dass das Neue
Testament an allen den zahlreichen Stellen, wo von den Aposteln,
Bischöfen, Diakonen u. s. w. die Hede ist, eine abgethane alte
l'rkunde sei, konnten sie nicht einsehen; sie hielten sich an die
h. Bücher nicht blos in Sachen der Lehre, sondern auch in betreff
der von den ältesten Christen beobachteten und von den Aposteln
nach Christi Weisung angeordneten Gemeinde-Verfassung gebunden.
Es ist in den Schriften dieser Parteien oft von der „rechten
Gemeinde oder Kirche" die Hede; aber wo dieser Ausdruck vor-
kommt, deckt er sich weder mit dem Begriff der „alleinselig-
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200 Keller, Heft (i U. 7.
machenden Kirche" noch der „rechtgläubigen Gemeinde", sondern
die rechte Gemeinde ist einfach die, die die Gemeinde-Ordnung
halt, wie sie in den Befehlen Christi und der Apostel gegeben
ist, und die mit den ältesten Gemeinden durch ununter-
brochene Gemeinschaft oder die rechtmässige Folge der
Bischöfe in thatsäch lieber Verbindung geblieben ist
Das war eine rechte und vollkommene Gemeinde, die im Verbände
der altüberlieferten Verfassung stand und gegründet war.
Der Natur der Sache nach kam es dabei nicht sowohl auf
die Beibehaltung gewisser Namen, als auf die Sache an, und in
den Zeiten der Verfolgung blieb auch in diesem Punkte die Mög-
lichkeit offen, weltliche Formen zu finden, sobald nur das Wesen
der Sache gewahrt wurde.
Zunächst stand es nun auf Grund der h. Schriften für sie
fest, dass es nicht in Christi Absicht gelegen habe, im Sinn des
Alten Testamentes eine Priesterkirche, noch im Sinn des
Heidentums eine Staat skirchc zu begründen, dass er vielmehr
die universitär fratrum (wie sie sagten), d. h. die Gemeinde zur
Trägerin der Verfassung und zur Inliabcrin der leitenden Gewalt
bestimmt liabe. Unabhängig von ilu* und als Gegengewicht gegen
demokratische Willkür bestand nur das Kollegium der „Gottes-
freunde", das sicli durch Zuwahl ergänzte; alle anderen Stufen der
geistlichen Amter gingen aus freier Wahl der Gemeinde oder ihrer
Vertreter unter Mitwirkung der Bischöfe hervor.
Wahrend, wie wir sahen, bei diesen Christen in Fragen der
Glaubenslehre grosse Weitherzigkeit herrschte, ist in Sachen der
Organisation eine feste und kunstvolle Gliederung des Ganzen
nachweisbar.
Auf der untersten Stufe der hierarchischen Ordnung standen
die Beamten der Einzelgemeinde. Die Stufenleiter begann mit
dem Amt der Diakonen, die von den „Christen" gewählt wurden.
Aus ihrer Zahl gingen die „Ältesten" (Presbvteri) oder „Diener"
(Ministri) hervor, sofern sie mindestens sechs Jahre Diakonen ge-
wesen waren, d. h. die Ix'hrer und Prediger, die aber das Recht zur
Vollziehung der h. Handlungen in der Hegel nicht besassen *). Die
') Pödinger II, „Qui presbyter, sie onliiiutu?, non jurtest eelebrare
niissum M. h. «las Aliemlmulil austeilen i, se<l soluin nutlire eonfei-eione.«, nec
|KMiias i*reatoriun miiiltere."
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18JU. Dio hfthmfechcn Brüder und ihre Vorlauf«*. 201
Mitglieder der früheren Stufen wählen den Bischof oder Senior,
der gelegentlich aucli wohl Major genannt wird und der alle
Ritual fonneln der gottesdienstliehen Handlungen kennt und übt.
Die Bisehofe waren, sofern sie nicht dem grndus apostolicus
(s. unten) angehörten, ebenfalls Beamte der Einzelgemeinde1) oder
eines Bezirks von Kinzelgemeinden.
Ausserhalb dieser Stufenleiter standen die Beamten der
Gesaintgeineinde, die ein in sich geschlossenes Ganze bildeten,
die s<»g. Gottesfreunde.
Keine Hinrichtung dieser Christen ist merkwürdiger, keine
auch ist den Gegnern zu allen Zeiten unverstandlicher und auf-
fälliger gewesen als diese. Die Gottesfreunde besassen ihre
besondere Ixbcnsordtiung und ihn* besondere Tracht, sie hatten
eine feste „Regel" und strenge Vorschriften in Bezug auf
Fleischgenuss , Ehelosigkeit und Armut; sie waren verpflichtet,
vor dem Eintritt in das Collegium oder die Sodalitat der
Apostel all ihr Gut den Armen zu geben und auf die Gefahr
der Tötung hin die Pflichten ihres Amtes zu erfüllen. Während
die „Brüder" im Fall der Not und des Zwangs im Stillen leben
konnten, mussten die Apostel als Bekenner und Märtyrer alle
Not und Verfolgung über sich ergehen lassen. Was Wunder,
dass den Gegnern die „Gottes freunde" als die eigentlichen
Ketzer erschienen, und dass man alle Gewohnheiten und Pflich-
ttin dieser Wauderprediger als Sitten und Rechte der „Katharcr"
und „Waideuser" überhaupt zu betrachten sich gewöhnte. Eine
unglaubliche Verwirrung ist dadurch in den älteren Berichten
entstanden und ohne klare Scheidung und Trennung des Ver-
schiedenartigen ist hier, wie ich bereits früher betont habe*), kein
sicheres geschichtliches Ergebnis zu erzielen.
Es ist kein Zweifel, dass mancherlei äussere Ähnlichkeit
zwischen dem römischen Mönchtum und dem Apostcl-Colleg dieser
Christen vorhanden war; ebenso gewiss aber ist, dass ein tiefer
') Epiwopus unuw|uiH<|ue j>or singulas tivitates constituitur, qui viriH
et mulieribus suae seetae prueest, ipso* seeiindum arbitrium «uuiu di*|>onendo
(Döllinger II, 270). — Übrigens werden in den Quellen die I Beamten der
Kinzelgenieinde öftere mit denen der (iesamtgeincinde zusammengeworfen;
auch bei den letzteren gab es Diakonen und Presbyter (*. unten).
*) Vgl. Keller, Die Reformation cte. 1SSÖ (Register unter Apostel);
dazu Keller, Jobann v. Staupitz isss 8. s:{ f.
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202
Keller,
Heft 0 u. 7.
grundsätzlicher Unterschied bestund, der in ihren besseren Zeiten
den wandernden Predigern völlig klar gewesen sein dürfte.
Wir wissen aus der „Lehre der zwölf Apostel", dass das
zweite Jahrhundert die uralte Einrichtung der wandernden
Apostel noch kannte, dass mithin die Apostel von diesen
Christen als dauernde Einrichtung der Kirche betrachtet wurden.
In der That ist es klar, und die ältesten Ausleger der
h. Schriften haben es wohl gewusst, dass ein bestimmter Unter-
schied zwischen denjenigen Befehlen zu machen ist, welche Christus
an alles Volk gerichtet und denen, die er seinen Jüngern im engeren
Sinne gegeben hat. Anweisungen wie sie Matth. 10, 1 ff., Marc.
0, 7 ff., Luc. 0, 1 ff. und 10, 1 tf. vorliegen, können unmöglich für
alle Christen bestimmt sein, und wir sehen denn auch, dass die
Apostel Christi danach strebten, genau zu erfahren, was Christus
für sie allein gesagt, und was er allem Volke befohlen hatte.
Nachdem die römische Kirche die alte Gemeinde- Verfassung
und mit ihr zugleich das altchristliehe Apostolat aufgegeben und
eine der Verfassung des römischen Staates nachgebildete Organi-
sation eingeführt hatte — eben hiermit konstituierte sie sich als
die römische Kirche — war für sie die Möglichkeit verschwunden,
die apostolische ltegcl, wie sie sich Matth. 10, 1 ff. findet, in der
Weise der alteren Zeiten auszulegen. So wurden aus den be-
treffenden Geboten des Evangeliums die evangelischen Rat-
schläge, die angeblich für alle diejenigen gegeben waren, welche
einen höheren Grad der Vollkommenheit als die übrigen sich
erwerben wollten. Damit war die Id(»e des Mönchtums gegeben
und die altchristlichen Grundgedanken verlassen.
Im Gegensatz hierzu hielten die Brüder daran fest, dass die
bezüglichen Anweisungen Christi Befehl«' seien, die für einen
bestimmten Grad der hierarchischen Ordnung bestimmt waren,
dessen Vertreter jene» Pflichten freiwillig auf sieh nahmen — nicht
weil sie darin ein gerecht machendes Werk erkannten, sondern
weil die Pflichten des Amtes, welches Christus eingesetzt hatte, es
so mit sich brachten.
Ebenso wie die Fcsthaltung der uralten Einrichtung des
Apostolats ein kennzeichnendes Merkmal der Christen ist, deren
allgemeine Charakteristik wir hier zu geben versuchen, so ist auch
die I>ehre von den drei Wegen oder Gesetzen und den drei
1S94.
Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
208
Stufou eine eigenartige, nur liier vorkommende Eigentümlichkeit,
die wir hier freilich nicht im einzelnen erörtern, sondern nur
berühren können.
Die drei Wege «der Gesetze sind das Gesetz der Natur, das
Gesetz Mose und das Gesetz Christi. J)
Das Gesetz der Natur umfasst die Gebote, die in aller Men-
schen Gewissen sich ankündigen und offenbaren ; auch die Heiden
kennen dies Gesetz und die Besseren unter ihnen befolgen es.
Das Gesetz Mose ist nicht in unserem Sinn das „mosaische
Gesetz", sondern es ist ein anderer Ausdruck für die zehn
G e b o t e.
Ausser diesen Gesetzen hat Christus seiner Gemeinde noch
besondere Anweisungen gegeben und alle, die derselben als Brüder
angehören, sollen dasselbe erfüllen: Gal. 6, 1 steht geschrieben :
„Liebe Brüder . . . Einer trage des anderen Last, so werdet Ihr
das Gesetz Christi erfüllen," d. h. das Gesetz der Bruderliebe
in dem Sinn, In welchem es Christus gelehrt und verkündigt hat.
Dieser eigentümliche Ausdruck bildet eines der wichtigsten
Kennzeichen dieser Christen, und welchen Wert sie ihm beilegten,
erhellt aus dem Umstand, dass sie sich, wie wir sahen, noch im
15. Jahrhundert Brüder des Gesetzes Christi nannten.
Es konnte nicht ausbleiben, dass ihre Gegner dieses leicht
misszuverstehende Wort benutzten, um ihnen die Absicht unter-
zulegen, dass sie aus dem Evangelium und der frohen Botschaft
ein neues Gesetz machten — ein Vorwurf, der in dieser All-
geineinheit ausgesprochen ganz unrichtig ist und mit ähnlichem
Kecht auch Paulus gemacht werden könnte.
Wie sich die Entwicklung der Menschheit in den Stufen
der drei Gesetze vollzieht, so bestimmen sie auch den Entwick-
lungsgang der einzelnen Menschenseele, der durch drei Stufen
oder Grade gekennzeichnet wird.
Über diese Einteilung findet sich die erste bis jetzt be-
kannte ausführliehe Nachricht in einem Schreiben des Klerus von
Lüttich an Tapst Julius' II. aus dem Jahre 1145.?) Dort heisst
es, dass die Sekte der Katharer „abgeteilt sei in Grade"; der
') Eine Beschreibung findet sieh z. B. in der Noble Leyczon; dazu
vgl. G. Glanz, Du* Alter der Waldenxcr-Scktc IS7S 8. 2.").
■) Abgedruckt bei Fredericq, Corpus documentoriun inquisitioni*
Neerlamlieae. Gent 1&S!t JS. .'{] f.
MoimLih.-ft.' ilor CunH'niiis-Uvw-INHiaft. 1H!>1. J4
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204
Keller,
Heft 6 u. 7.
erste Grad umfasse die „Hörer", der zweite die „Glaubenden", der
dritte die „Christen."1)
In Bezug auf die Namen und die Begriffsbestimmung der
drei Grade begegnen uns mannigfache Schwankungen und Ab-
wandlungen; im allgemeinen aber bezeichnet der erste Grad die-
jenigen Personen, die zur Gemeinde in einem rein äusserlichen
Verhältnis stehen, keinen Anteil an den heiligen Handlungen
besitzen und lediglich die Predigt hören; dies können sowohl
Kinder der Gläubigen wie aussenstehende Personen sein. Der
zweite Grad umfasst diejenigen, die nicht bloss am Gebetekultus,
sondern auch am Sakraments -Kultus der Gemeinde teizunehmen
berechtigt sind, die Glaubenden; der dritte die Christen im
engeren Sinn.
Ebenso wie die Brüder waren auch die Beamten der Einzel-
gemeinde in drei Stufen gegliedert, die, wie wir sahen, in der
Kegel als Diakonen, Diener des Worts und Bischöfe be-
zeichnet zu werden pflegten.
Endlieh gab es auch unter den Christen, die die „Kogel
Christi" angenommen hatten, drei Staffeln, die unter wechselnden
Namen in den Quellen erseheinen. Die Gesamtheit dieses Grades
wird als gradus apostolicus (Döllinger II, 100. 289) oder gradus
perfeetiönalis (II, 98 f.) bezeichnet. Mitglieder desselben konnten
nur diejenigen sein, die sich den strengen Vorschriften des aposto-
lischen Lebens unterwarfen und damit in den Grad der Perfecti
eintraten. Die erst«' Stufe hiess Perfecti Novellani (Döllinger II,
92), die zweite Perfecti Sandaliati (Döllinger a. ().); an der Spitze
des Ganzen stand der Major oder Majoralis. Auch wird dieser
') Hacre*is haec divereis distineta est gradibiw; habet enim auditores,
qui ad errorem iuitinntur, habet credentes, qui jam deeepti sunt, habet
chrislianos suoa; habet sjwerdotcs, habet et eaeteros praelatos sicut et tu».
1 1 ujn> haeresis nefandae bla*phcmiao sunt, quod in baptismo peccata remitti
negat, quod saerameiitum corporis et sanguinis Christi inane reputat, quod
|>er imj>ositioiicm jxintificalis nianus eonferri nil asseverat, quod neminem
Spiritum Sanetum aeeipere credit nisi bononim openun praeeedentibus incriti«,
quod conjugia daninat, quod apud sc tantuni ceclcHiam catholieam ejwm
praedieat, quo«! onme jununentuni velut crimen judicat. Et tarnen, qui huju»
sceleris seetatores sunt sacratnentis nostris fiete eommunieant ad nequitiae
suae velanientuin. In dieser Schilderung sind wie gewöhnlich die „Hegeln"
der (Jottesfreunde (Ehelosigkeit et«-.) mit der I>ehre der „Christen" zusammen-
geworfen.
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1S94.
Die böhmischen Hrflder und ihre Vorläufer.
205
Grad zusammenfassend als Sandaliati oder Magistri bezeichnet1)
und die erste Stufe heisst Magistri minores, die zweite Magistri
majores oder auch Filii majores und Filii minores, während der
Majoralis Pater heisst
Aus diesem Grade gingen die Beamten der Gesamt-
gemeinde hervor und die Capitula generalia, die von diesen
gehalten zu werden pflegten2), bildeten die höchste Instanz der
Gemeinschaft Die Hierarchie dieser Grossbeamten 3) hatte natur-
lich mancherlei Ähnlichkeit mit der hierarchischen Ordnung der
Einzelbeamten und wie der Bischof auch wohl Major hiess, so
wurden die Magistri minores auch wohl Diaconi und die Magistri
majores Presbvteri genannt In der That waren die „Diakonen"
die Diener und Begleiter der Majores4), besonders auf ihren
Wanderfahrten und Reisen, die den vornehmsten Teil ihrer
Thätigkeit bildeten.
Das Wahlsystem der Grossbeamten war, wie es scheint, das-
selbe, wie bei den Einzelbeamten; insbesondere steht es fest, dass
der Majoralis aus der Zahl der Presbyter dieses Grades gewählt
wurde, dass er aber der Handauflegung eines in gleichem Range
stehenden Beamten bedurfte. „Nach der Wahl" — so erzählen
') Döllinger II, 1*2: Sandaliati sunt illi, qui sacerdotes, magistri et
reciorcs dicuntur totius hacrcticac prari tätig . . . Item sandabati nun tenent
tKcuniam et sotularc* decollntos seil perforato* super pedes in dictis sandaliis.
Et quodquod |>er qwos aandaliatos ordinatur ... ab omnibu» inferioribus
irrefragibilitcr observatur et eisdem tainquani capitibus obediunt.
?) Döllinger II, !)5: Quarto sciendum est, quod praedicti haeretici
perfecti scinel in anno in quadragesiina vel circa celebrant eoncilium vel
eapitulum generale in aliquo loco Ixanbardiac vcl Provinciae ... In quo
i tinm capitulo credentes non admittuntur, nec perfecti bacretici juvenes nec
mulicre* quanivis »int perfectae et antiquac ....
:') Döllinger II, 104: Majoralis ubiqtic potent praedicarc et alia
«aeramentn minist rare soeiis suis. Der Name „socii" und „societas" scheint
hier der gebräuchlichste gewesen zu sein.
') Döllinger II, 28!) : „Diaeonus efficitur de corum statu (d. h. des
unmittelbar vorher genannten Ördo et gradus apostolorum) cum voto quod
fneit paupertat is, castitatis et obedientiac, nec ante reeeptionem dicti ordinis
aliquis est perfeetu* in corum statu, sed alii , qui non ordinantur, vocantur
credentes et amici corum, a quibus ctiam reeipiunt (seil, perfecti) siiaten-
tationem; ad diaconuui autem perl inet, ministrarc tarn Majori quam
Presbytern neecssaria corporis, non tarnen habet potestatem audiendi con-
fessiones."
14«
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206
Keller,
Heft 6 u. 7.
unsere Quollen1) „knieten die Wähler nieder und beteten das
Vater Unser und während des Gebets hielten sie die Hände ver-
schlungen, so dass jedesmal die Daunienseite der Hand unter dem
Kinn lag."
Wenn auch in Bezug auf Namen und Zuständigkeit der
Glieder dieser hierarchischen Ordnung bei der Natur unserer
Quellen, denen meist die klare Einsicht in die Zusammenhänge
fehlt und bei dem Dunkel, mit dem die Bruder selbst sich um-
gaben, noch Manches unklar ist, so steht doch fest, dass die
Verfassung sich in neun Stufen aufbaute und dass die oben
geschilderte Teilung zwischen den Beamten der Einzelgemeinde
und der Gesamtgemeinschaft der einzelnen Länder und Stämme
vorhanden war. Sie sind, wie es in einem alten waldensisehen
Gedieht heisst, die „Träger des Lichts" und die „Säulen der Kirche",
auf denen der Tempel der Weisheit ruht. Auch kehrt die Idee
der neun Stufen gerade in den bekanntesten Selirifton der Partei
an manchen Stellen wieder3).
Von dem unbekannten Verfasser der sog. „deutsehen Theo-
logie", deren Zusammenhang mit den älteren religiösen Volksbe-
wegungen des Mittelalters anerkannt ist und schon dadurch be-
wiesen wird, dass sie in Übereinstimmung mit den „Ketzern" die
Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen bezweifelt, werden (im
XIV. Kapitel) die drei Stufen folgendenuassen beschrieben: „Nun
soll man wissen, dass Niemand kann erleuchtet werden, er sei
denn zuvor gereinigt oder geläutert und geledigt. Auch kann
Niemand mit Gott vereinigt werden, er sei denn zuvor erleuchtet.
Und darum giebt es drei Wege: zum ersten die Reinigung,
zum andern die Erleuchtung, zum dritten die Vereinigung.
Die Reinigung gehört dem anfangenden oder bussenden Men-
') Döllinger II, 11t f.: „Quo facto omne* genua fleetunt dieentes
Pater noster; et dum dicunt l'atcr nostcr terient manu* juneta* po*iti*
pollicibu* *ub nieiito. (Urkunde auc Südfrankreich, Anfang de« 14. Jahrb.).
— Diese Vcrwblingnng der Hände war auch bei feierlichen Aufnahme-
Handlurigeii üblich (Döllinger II, 5), wobei der Leiter des Aufnahme-Akte*
da* Evangelium Jobanni* 1,1 verlas von „In prineipio" bi* „caro factum
e*t et babitavit in nobi»."
v. Zezschwitz, Die Katechismen der Waldcnser etc. ISO.'i, S. 205 f.
') z. Ii. in dem Inichlein „Von den neun Felsen"' (*. Keller, Die
Reformation S. VXi)\ auch in einein Strasuburger Edikt von 1.117 gegen die
„Bethanien" kehren sie wieder {Reformation K 201).
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189-1.
Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
207
scheii zu und geschieht auch auf dreifache Weise Die
Erleuchtung gehört dem zunehmenden Menschen zu und ge-
schieht auch in dreifacher Weise . . . Die Vereinigung betrifft
die vollkommenen Menschen und geschieht auch in dreierlei
Weise «
Dreimal drei Stufen waren es also, die die Grundlage
in der äusseren Verfassung und Ordnung der Bruderschaft bildeten
und die für die einzelne Menschenseele die Leiter der Vollkommen-
heit darstellten. Unzweifelhaft spiegelt sieh hierin der Glaube
an die besondere Bedeutung der Dreizahl, wie ihn schon die älte-
sten Christen kannten.
Diese Dreiteilung ist für die Organisation wie für die
Glaubenslehre der altchristlichen und altevangelischen Gemeinden
aller Jahrhunderte von grundlegender Bedeutung geworden. Wir
besitzen einen sog. Waldenser- Katechismus aus dem 15. Jahr-
hundert in böhmischer Sprache, der den Titel führt: „Schrift der
dreierlei Fragen, die ersten für die Anfangenden, die zweiten
für die Fortschreitenden, die dritten für die Vollkommeneren
u. s. w." Es sind dies drei Katechismen, deren erster unter dem
Namen der „Kinderfragen" ins Deutsche übersetzt und in mehreren
Auflagen als „Katechismus der böhmischen Brüder" bekannt ge-
worden ist1).
Es trifft sieh glücklich, dass es gerade Oomenius gewesen
ist, der uns in einer der von ihm herausgebenen Schriften folgende
Darstellung der drei Stufen erhalten hat: „Das Volk oder ihre
Zuhörer haben unsere Vorfahren dreifach . . . zu teilen gepflegt:
nämlich in die Anfangenden (Incipientes), die Fortschreiten-
den (Proficientes) und die Vollkommenen (Pcrfecti) oder die
auf dem Weg dahin Begriffenen (s. Hebr. 5, Iii; 1. Cor. 2, b und
Isid. Lib. 2 Eccl. c. 21 -')."
') Vgl. Jos. Müller, Die deutschen Katechismen der böhmischen
Brüder (Mon. Germ, Paedagogica IV) 1*S7 8. 77.
■) Die Stelle findet sich in der zuerst in Lissa (1032) zum Druck be-
förderten Schrift: Ratio diseiplinac ordinfcquc ccelesiiwtici in I'nitatc Fralrttm
Bohcmorom, die nicht von Coincnius verfaßt, sondern von der Brüder-Synode
zu Zerawic entworfen worden ist; sie lautet: „Populum seu auditores isuos
majores nostri .... trifariam juxta gradus lal>orum, circa illos iustituendos,
partiri soliti sunt: nempe in Incipientes, Profieicutes et Perfecto»,
»ive ad perfectionem tendeutes (vid. Ilebr. 13 f.; 1. Cor. 2, G et Isid. IIb.
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208 Kelle r, Heft 6 11. 7.
Der Gedanke, der dieser Einteilung zu Grande liegt, ist der,
das« der Mensch der Entwicklung zum Guten fähig und be-
dürftig ist und dass eine Hauptaufgabe der christlichen Gemein-
schaft in der Beförderung dieser Entwickelung gelegen ist. In
jedem Mcnscheiiher/en schlummert nach dieser Anschauung ein
Funke des ewigen Lichts, der, wie verschüttet er auch durch
Sünde und Schuld sein mag, zur reinen Flamme oder zur inneren
Erleuchtung (wie sie sagten) emporgehoben und entzündet werden
soll und kann.
Der Weg, der nach ihrer Auffassung zu dieser Erleuchtung
führt, ist oft und vielfach von ihnen beschrieben worden : es ist
der Weg, den Christus gegangen ist, der Weg der Demut, der
Nächstenliebe und der Gelassenheit, & h. der leidenswilligen Er-
gebung, die jede persönliche Rache ausschliesst und verbietet
Aus diesen Auffassungen erklärt sich auch die besondere
Betonung, die sie der Entwicklung und Erziehung der einzelnen
wie der Menschheit beilegten, und die Thatsache, dass die Brüder
seit alten Zeiten sich der Erziehung und der Erziehungslehre
eifriger angenommen haben als irgend eine andere Religionsge-
meinschaft
Tief durchdrungen von dem Wert jeder Menschenseele wie
sie es waren, waren sie erfüllt von dem Streben, den Weg des
Lichtes allen Menschen zu zeigen, gleichviel ub die Irrenden wie
die Heiden nur das „Gesetz der Natur" oder wie die Juden nur
das „Gesetz Mose" kannten.
Die Ziele, welche sie zunächst im *Kreise der „Brüder" der
Verwirklichung zuführen wollten, galten ihnen im weiteren Sinn
2 Eccles. cap. 21). Incipientes sive Initialen sunt, qui Catechesin et prima
Rcligioni» clemcnta discunt; ut sunt pueri, Paatorum jam onrae a ParcntihtiM
traditi. Nee non adulti ab Idololatris accedentes vel alias neglocti, qui, si
Miniritroruw interFratres curat- ae permittunt, inetitui prius probarique solent.
(Hohr. 5, v. 11, 12, 13, M.) Proficicntcg sunt, qui rcligiuniH eleinenta
jam edocti, in pastoralem curam nuseepti ad umnium in Kccle»ia niysteriorura
participatiüncm adniis»i, mag« rnagfeque in agnitione voluntatis Dei, ejusque
practica oboervatione *e exercent; atque in ecclesiae ordine so continentox
ganetificationom suam custodiunt (2. Cor. 7, 1; Hebr. <», 1). Perfcc tos
appellarunt rorum divinarum cognitionc notabiliter auetoe inque Fide, Chari-
tate et Spc adeo rolxiratot?, at alios jam quoque illuminare, illUquc in online
continendis praefici potent (Rom. 15, 14; 1. Cor. 2, 6; Phil. 3, 1">). Hier
nacb Müller a. O. S. 77.
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1894.
Die böhmischen Hrmler und ihre Vorläufer.
200
auch für die ganze Menschheit. Die Erkenntnis der christlichen
Wahrheit, wie sie sie fassten, sollte ihrem Wunsche nach allen
zugänglich werden, und es ist sehr merkwürdig, dass bei diesen
„Ketzern" durch alle Jahrhunderte hindurch ein ökumenischer, die
ganze Menschheit umfassender Zug nachweisbar ist, der sie in
ihrer grossen Mehrheit über jeden Sektengeist erhob. Seit alten
Zeiten war es ihre Freude gewesen — wir sehen diesen Zug an
allen ernsten Geistern dieser Richtung, auch an Comenius — im
Streite der Parteien mehr das Verbindende als das Trennende
zu betonen; bei allem Nachdruck, mit dem sie ihre Eigenart ver-
treten und festhalten, war ihnen doch eine Weitherzigkeit eigen,
die stets auf das Wesentliche der Religion, nicht auf Nebenpunkte
gerichtet war; wenn irgend eine Religionsgemeinschaft so sind
gerade sie der Losung der schwierigen Aufgabe näher gekommen:
religiöse Wärme mit freisinniger Duldung zu verbinden.
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Friedrich Albert Lange als Philosoph und Pädagog.
Von
O. A. Elli88en.
I.
In den zwanziger und dreissiger Jaliren unseres Jahrhunderts
stand die Idealphilosophie in der Gestalt des Hellsehen Systems
auf der Hohe ihres Ansehens und hatte in Prcussen die Geltung
einer Staatsphilosophie. Plülosopheme, in welchen nicht das Sein
durch das Nichtsein gesetzt und das Positive aus der Negation
gewonnen wurde, hiessen in offiziellen »lassen „seicht und ober-
flächlich",') und ein ähnliches, wenn auch nicht so unbestrittenes
Ansehen wie Hegel auf dem politisch-historischen Gebiete, genoss
Schelling beim Publikum eine Zeitlang auf dem naturwissenschaft-
lichen. Aber der masslosen Uberschätzung folgte rasch eine ebenso
masslose Untersehätzung. Von sehr verschiedenen Seiten erfolgten
die heftigsten Angriffe. Kein Ausdruck war Schopenhauer stark
genug, wenn es galt die Universitätsphilosophie und ihre drei
Koryphäen Fichte, Schelling, Hegel zu verunglimpfen; aber der
letztere mit seiner „Bierwirtsphysiognomie" war der bestgehasste,
während Schelling wenigstens eine gewisse Begabung nicht abge-
sprochen wurde. Dieser umgekehrt war die rechte bete noire für
die jüngeren Vertreter der Naturwissenschaft, die ihrerseits von
dem freundlichen Frankfurter Philosophen als Apothekergehülfen
und Barbiergesellen charakterisiert wurden. Schopenhauer blieb
bekanntlich Jahrzehnte hindurch unbeachtet, während die Chemiker
und Physiologen populär wurden und unter lautem Beifall des
Publikums die „Kelle der Metaphysik" ergriffen, indes» die paten-
') Langr, (Jf-M-h. dos Materialismus II, j>. 7.'t.
1S94.
Friedrich Alliert Lango als Pliil(*oph und Padagog.
211
tierte Baumeisterin schlief oder zu schlafen schien. ') Hasch folgten
sich in den fünfziger Jahren die Werke von Moleschott (Kreislauf
des Lebens), Vogt (Bilder aus dem Thierleben), Büchner (Kraft
und Stoff); und welche zünftigen Philosophen hätten sich ähnlicher
litterarischer Erfolge rühmen können? Wer nicht mit den Mate-
rialisten ging, war ein wegen seines „Köhlerglaubens" bemitleidens-
werter Obscnrant. Jede epochemachende naturwissenschaftliche
Entdeckung wie die Darwinsche Entwicklungslehre und die mecha-
nische Wännethcorie (die ja erst lange nach ihrer Entdeckung zur
Anerkennung gelangte), konnte Büchner mit gutem Recht als Be-
stätigung seines Programms in Anspruch nehmen. Muss also dies
Programm nicht ganz voitref flieh sein?
„Ja und nein" werden wir antworten, wenn wir in drei Worte
fassen wollen, was Friedrich Albert Lange in den zwei Bänden
seiner trefflichen „Geschichte des Materialismus und Kritik seiner
Bedeutuni; für die Gegenwart" ausführt. Der Materialismus ist
ebie durchaus berechtigte und höchst brauchbare naturwissen-
schaftliehe Maxime eine Maxime, die denn auch Lange
selbst in Psychologie, Pädagogik und sonst so weit immer möglieh
befolgt; aber er erhebe nicht den Anspruch, das letzte Wort der
Philosophie zu sein! In der That macht I^ange dem Materialismus
so grosse Zugeständnisse, dass ein Kritiker der Saturday Review
ihn seiner Zeit als „ardent defender of matcrialism" bezeichnete.
Schon vor dem Erscheinen seines Hauptwerkes, am 27.
September 1858 schrieb unser Philosoph an seinen Freund Kambli:
„Meine Logik ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung, meine Ethik
die Moralstatistik, meine Psychologie ruht durchaus auf der
Physiologie; ich suche mit einem Worte mich nur in exakten
Wissenschaften zu bewegen. Eine Kritik der Psychologie, in
welcher der grösste Teil dieser Wissensehaft als Geschwätz und
Selbstbetrug nachgewiesen würde, und die sich der Tendenz nach
als zweiter grosser Schritt an Kants Kritik der reinen Vernunft
anschliessen sollte, wäre das Buch, das ich am liebsten schreiben
möchte."
Aber so sehr Lange die materialistische Methode billigt
und befolgt, so entschieden missbilligt er denn doch die materia-
listische Philosophie. Nach ihm widerlegen Kant und die Physio-
') (Wh. d<s Ma». II, ]». HS.
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212
Kllitigpii,
Heft (i u. 7.
logie der Sinnesorgane dieselbe endgültig. — Und die Systeme
der Idealphilosophie? Sie zerstören einander, die Zeit geht fiber
sie hinweg, sie haben gar keine objektive Geltung. Per Mensch
begreift und versteht immer nur Bruchstücke, nur ein/eines; ver-
sucht er die Welt als Ganzes zu verstehen, so schafft er — Dich-
tungen. Religion, Kunst, spekulative Philosophie gelwren in eine
Gruppe und stehen alle drei mit ihrem Streben nach dem Abso-
luten der schlechthin nur relativistischen Wissensehaft gegenüber.
Nur diese hat einen objektiven, jene haben einen subjektiven
Charakter.
Und so wäre1 auch hier der Schluss, dass der Mensch auf
sich zurückgewiesen wird. Gegen diese Auffassimg der Philosophie
erhob sich öffentlich und brieflich mancher Widerspruch, und ein
Brief von Professor Hülsmann1) veranlasste Lange zu einem aus-
führlichen Schreiben, in welchem er noch einmal den Kern seiner
Ansicht so kurz und klar darlegt, dass wir nichts besseres thun
können, als diesen Brief hier einzuschalten, der ganz gewiss die
Veröffentlichung verdient, welche Lange auch, irren wir nicht,
dabei von vornherein im Auge gehabt hat In diesem Briefe also
schreibt unser Philosoph:
„Was heisst es, wenn ich die > Religion < zur Dichtung
mache? Zunächst brauche ich nicht zu erinnern, dass in
dieser Beziehung eine sehr radikale Kritik und eine sehr
tiefgehende Anerkennung Hand in Hand gehen, ja Eins sind;
denn aus meinem ganzen Werk muss zum mindesten so viel
klar werden, dass ich die Dichtung nicht auf einen niedrigeren
Rang setze, sondern umgekehrt, auf einen höhern, als man
gemeiniglich pflegt. Ich brauche Ihnen gegenüber nicht an
die kulturgeschichtliche Bedeutung Homers, der Nibelungen,
des griechischen Dramas, des deutschen Liedes zu erinnern.
„Klar ist ferner ohne weitere Erläutcnmg, dass diese
Definition mich in gleichem Grade den Mystikern näher rückt,
in welchem sie mich von den Orthodoxen und Dogmatikern
entfernt
„Ebenfalls leicht einzusehen ist, dass ich von meinem
Stundpunkt aus in direktem Gegensatz zu den Rationalisten
') Abgedruckt in den Philosophischen Monatsheften von Bcrgrninnn,
II. IW. I. u. >. Heft S. S3.
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IHO-I . Friedrich Albert Iaw^c aU PhiloM>ph und l'ädngng. 21'»
(deren Bestrebungen teh gleichwohl in anderer Hinsieht hoch-
schätze) das Wesentlichste und Wertvollste am Christentum
nicht sowohl in den abstrakten lehren als vielmehr in der
Verkörperung dieser Lehren und — um mich so auszudrücken
in der Tragödie desselben finde, dass ich auch durchaus
nicht glaube, Alles dies liegt im Begriff wahrer Dichtung
— dass eine zersetzende Kritik der angeinassten historischen
Geltung die Wirkungslosigkeit oder gar völlige Nichtigkeit
der religiösen Uberlieferungen nach sich ziehen müsse.
„Endlich glaube ich das von jedem Leser meiner Ge-
schichte des Materialimus * erwarten zu dürfen, dass er das
Wort Dichtung , wo es in Beziehung auf Religion (und auf
Metaphysik) erscheint, nicht schlechthin in gewöhnlichem, son-
dern in einem etwas weitern Sinne verstehe, sodass darin mit
einer a potiori hergenommenen Bezeichnung eine Geistesfunktion
allgemeiner Art verstunden wird, welche die wesensverwandten
»Schöpfungen (mit einer nach der andern Seite neigenden, aber
im Grunde dasselbe meinenden Bezeichnung könnte man sagen
Offenbarungen) von Kunst, Religion und Philosophie zusammen-
fasst Ich hätte die Hegeische Zusammenfassung im Begriff
des ,Absolutcn' beibehalten können, wenn ich nicht dann
sicher eigentliche Missverständnisse in Folge der an dies Wort
sich anheftenden Ideenassoziationen hätte erwarten müssen.
Die Hernähme des Wortes für den erforderlichen Übergriff
von der Dichtung erfolgte aber auch grade deshalb, weil
sich in diesem Wort in der klarsten unzweideutigsten Weise
die Unabhängigkeit des ideellen Gehaltes der Religion von
der historischen Wahrheit ihrer Überlieferungen ausspricht.
Das aber schien mir grade der Punkt, auf welchen es in
unserer Zeit überhaupt und zumal bei einer Beurteilung des
Materialismus ankommt. Dieser hat seine Stärke in der Ne-
gation dessen, was wirklich nicht zu behaupten ist, verbunden
mit dem Ignorieren jenes idealen Kems der Religion, dem
keine Kritik und keine Skepsis etwas anhaben kann, und der
durch eigene innere Lebenskraft unter wechselnder Form des
Mythus und des Dogma weiterlebt.
„Das Schwierige meines Standpunkte», die Unzugäng-
lichkeit für jeden, der sich nicht in ähnlicher Weise gewöhnt
hat, unbefangen und mit rücksichtsloser, weil sorgloser, nichts
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214
Eiligen,
Heft 6 u. 7.
fürchtender Kritik alles vermeintliche Wissen auf die Wag-
schale zu legen und dabei doch gleichzeitig sich ebenso harm-
los der unmittelbaren Wirkimg jeder Art von Dichtung und
Offenbarung, die aus den unergründlichen Tiefen des Geistes-
lebens quellen, hinzugeben, liegt auf einem andern Punkt, und
grade hier habe ich mich auch in meinem Werke vielfach,
bald mit Bildern, bald mit möglichst scharfem Ausdruck ab-
gemüht, mich verständlich zu machen, ohne das beruhigende
Gefühl, es müsse nun gelungen sein.
„Es betrifft die alte Frage: Was ist Wahrheit? Nach
meiner Ansicht ist nicht nur die .absolute* Wahrheit materiell
unbekannt und hinsichtlich ihrer materiellen Erkennbarkeit
mindestens in unendlicher Ferne liegend, sondern es ist auch
in formeller Hinsicht zu fragen, ob jene bruchstückweise, aber
objektive und mit logischer und mathematischer Sicherheit
fortschreitende Naturerkenntnis (im weitesten Sinne des
Wortes) wirklich allein Anspruch auf den Namen der ,Wahr-
heit' hat
„Ich leugne die Möglichkeit einer ebenso sichern oder
noch gewissem, ebenso objektiven oder noch objektivern Er-
kenntnis auf den Gebieten der Metaphysik und Kcligion; ieh
sehe die vermeintliche Erzielung einer solchen durch Ver-
standes- oder Vernunftgebrauch als Selbstiiuschung an; aber
ich spreche damit den geistigen Gebilden auf diesem Gebiete
noch nicht jeden Anspruch auf , Wahrheit* ab. Nicht in
ihrer vermeintlichen Objektivität, sondern in ihrer Subjek-
tivität, in ihrem lautern Hervorquellen aus dem Innersten des
Individuums als Quintessenz und Gesjuntrcsultat, sowie höchste
Selbstverwirklichung seines geistigen Seins, liegt ihr Wert
und ihre Wahrheit, wie die Wahrheit der Naturerkenntnis
— die im strengen Sinne allein Erkenntnis ist — grade
umgekehrt in der Sclbstentäussemng des erkennenden Indi-
viduums ruht. Ich will damit bedeutend mehr sagen, als
etwa eine blosse Verallgemeinerung des ästhetischen Hegriffs
der »poetischen Wahrheit*. Ich weiss ja, dass die ganze
Naturerkenntnis mit all ihrer .Objektivität', mit all ihrer
(stets relativistisch zu fassenden) Nichtigkeit und Sicherheit
doch im letzten Grunde auch nur ein Produkt der geistigen
Organisation des Individuums ist, also derselben
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1894. Friedrich Altwrt Lange als Philosoph und Paltlagog. 215
Quelle entstammt, wie jener Krystallisationsprozcss im
Gemüt, der uns auf dem Wege der Kunstschöpfung, der
religiösen Ideenerzeugung (Offenbiunmg) ein Ganzes Vollen-
detes hinstellt
„Die unbekannte wirkliche volle Wahrheit — ich kann
sagen ,die ewige Wahrheit* — denken wir uns als 1) gewiss
und 2) vollendet. Unser Geist. zerlegt seiner ursprungliehen
Organisation gemäss diese beideu Elemente und giebt uns
auf dem Wege der Erkenntnis zwar aHerdings Gewiss-
heit, aber nur hinsichtlieh der Art, wie ein Bruchstück aus
dem andern folgt, und wie diese Bruchstücke durch die Art
ihres Zusammenhangs, durch das Prinzip ihres Ineinander-
greifens auf ein unendliches und dennoch einheitliches Ganze
hindeuten. Die unmittelbare Produktion des Geistes
giebt uns statt dessen die Vollendung, aber freilieh nur
auf Kosten der Gewissheit und selbst der Richtigkeit (er-
keimtnismässigen Objektivität) liinsiehtlieh des Stoffes, in
welchem diese Vollendung sich ausdrückt Sie hat daher
stets nur den Wert eines Bildes, aber dieser Wert kann
bei richtiger Auffassimg seiner Bedeutung für unser ganzes
Geistesleben nicht leicht hoch genug veranschlagt werden.
„Wir dürfen glauben, können sogar nicht umgehen, zu
glauben, dass wir in diesen Bildern ein fortschreitendes mit
jeder auf höherer Stufe erneuten Produktion wahreres Er-
fassen der Form des Ewigen und Unendlichen haben, wahrend
uns gleichzeitig die fortschreitende Wissenschaft die Materie
desselben in immer grösserer Ausdehnung erfassen lasst,
wobei immerhin vorbehalten bleibt, dass diese ganze Unter-
scheidung nach Form und Materie nur eine Folge unserer
endlichen Organisation ist."1)
Hatte also Professor Hülsmann, wie sich ergiebt, Einwendun-
gen in Bezug auf die Keligion erhoben, so Stadler, der bekannte
damals noch ganz junge Züricher Philosoph in Bezug auf die Ethik.
Er schrieb im Jahre 1875 an Innige, er könne sich vorläufig
davon nicht überzeugen, dass Moral als „beweisende Wissenschaft"
nicht notwendig und nicht möglich sei. Er möchte gern an Stelle
der Begriffsdichtung eine Begriffsverfassung festhalten, eine ethische
') Iiier bricht che im Xuchlaw bcfimlliche Alwchrift den Hriefes ab.
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216
Kllisscn,
Heft 6 u. 7.
Konstitution , von welcher er beweinen könne, dass sie für die
menschlich«- Natur unerlasslich, und dass nur eine bestimmte Form
derselben die richtige sei.
Nun hüben wir oben gesehen, wie I^ange schrieb: „meine
Ethik ist die Moralstatistik." Damit ist aber zusammenzuhalten,
was Lange in seiner Mondstatistik (Vorlesungen 1857 — 58) sagt,
dass nämlich diese Wissenschaft statt die Moral aufzuheben, sie
nur auf eine solidere und breitere Basis setzen solle, als die ge-
meine Erfahrung" gebe. Die sittliche Kraft des Menschen sei
ausserlieh und naturhistorisch betrachtet stets endlich und habe
einen bestimmten Wert, der sich in den Zahlen der Moralstatistik
handgreiflich darstelle. Das Schuldbewusstsein aber messe sich
gar nicht an dieser empirischen Kraft, sondern an einer idealen,
die grösser gedacht werde als jedes mögliche Hindernis, an dem
kategorischen Imperativ, der seine Gebote stelle, ohne nach der
Möglichkeit ihrer Idealisierung zu fragen. Hier giebt sich also
Lange in Bezug auf die Ethik durchaus als Kantianer, wie er ja
in der Erkenntnistheorie beständig einen modifizierten Kantianis-
mus vertrat. Spater hat er sich in der Ethik Kant gegenüber
wiederholt auf Schiller berufen und gelegentlich die Äusserung
gethan, Kant und Schiller verhielten sich wie Gesetz und Er-
lösung. ') Was aber das eigentlich Materielle der Ethik betrifft,
so scheint es uns, dass auf den letzten Seiten der Gescliichte des
Materialismus mehr Christliches als Schillersehes zu finden sei.
Freilich sieht Innige eben in Schillers Gedichten, insbesondere in
dem herrliehen Hymnus „Das Ideal und das Leben", mehr dem
Christentum Wesens verwandtes, als gewöhnlieh darin gefunden wird.
Jedenfalls ist es nach Longe eine Aufgabe empirischer
Wissenschaft, dem sittlichen Handeln des Menschen und der
') Cohen (Kant* Begründung der Ethik p. "J8K) leugnet den zwischen
Kant und Schiller gewöhnlich angenommenen Gegensatz, der, wie wir sehen,
Lange so gross erscheint, und wünscht, dass aus unseren Littcraturgeschichtcn
die bequeme Verhältiiisbestimmung zwischen Kant und Schiller, nach welcher
der letztere des erstcren Rigorismus ästhetisch gemildert habe, endlich ver-
schwinde. Kr beruft sich dabei auf den Brief Schiller» an Kant vom 13. Juni
17!»4; aber im Musenalmanach für das Jahr 17'.t7 finden sich die bekannten
Epigramme „(Jewissenssmipcl'' und „Decisum", die «loch bis jetzt meines
Wissens allgemein als eine Ironisiernng der Kantischen Tugendlehre betrachtet
worden sind: doch lassen sie sich allenfalls auch als eine Verspottung un-
verständiger .Jünger Kants auffassen.
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1894.
Friedrich Altert I,ange ab* Philosoph und Pädagog.
217
Menschheit gleichsam entgegenzukommen, ihm die Stätte zu be-
reiten, mag uns nun als ethisches Ideal das pf Ii cht massige, das
schöne oder das liebevolle Handeln erseheinen.
Damit haben wir denn auch, wie wir sehen werdet), den
Ausgangspunkt für langes Ansichten über wissenschaftliche Päda-
gogik gewonnen.
IL
Die Pädagogik Ist bekanntlich mehr eine Kunst als eine
Wissenschaft und zwar eine Kunst, die mit der des Mimen die
Schwierigkeit und die Vergänglichkeit gemein hat. Hier stirbt
der Zauber mit dem Künstler ab. Oder hat Schiller darin Un-
recht? Wohl bleibt kein Werk zurück wie das Gebild des
Meisseis, der Gesang des Dichters; aber der Eindruck, den der
Virtuose macht, kann doch bei den Zeitgenossen ein unvergäng-
licher sein und sie zu Schildeningen veranlassen, durch welche
auch für ferne Zeiten „stat nominis unibra".
Lange muss ein Virtuose in seiner Kunst gewesen sein.
Man hört wohl die Klage, dass die Schule uns den Schiller ver-
leitle. Das muss bei ihm nicht der Fall gewesen sein. Auch
nüchterne Naturen werden heute nach 80 Jahren warm, wenn sie
sich mit freudiger Rührung der Augenblicke erinnern, da Lange
ihnen das Lied auslegte von der Sehnsucht aus des Thaies
Gründen, die ein feuchter Nebel drückt, und ihnen das schöne
Wunderland deutete, in das nur Wunder tragen können. Lange
sagt einmal:
„Die höchste Aufgabe der Erziehung ist ohne Zweifel, dem
Kinde das Gute in charaktervoller Form nahe zu bringen;
daher denn auch die ungemeine Überlegenheit des persönlichen
Beispiels über abstrakte lehren sich erklärt"1)
Dafür nun, dass Lange selbst eine Persönlichkeit war, die
von vornherein auf Jung und Alt den entschiedensten Eindruck
eines bedeutenden Menschen machte, sind in seiner Biographic
manche Zeugnisse angeführt, tauige absolvierte sein Probejahr
am Friedrich-Wilhelms-Gvmnasium in Köln. Der Nationalökonom
Professor Ia'x'is war damals in Köln Primaner und hatte als solcher
'! Artikt-I StfU nhhrc in S-hinid* Kncyklopiidie.
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218
Kinasen,
Heft C» Ii. 7.
.selbst keine Stunde bei Lange, aber lebhaft erinnert er sich, mit
welcher Hochachtung seine Schüler von ihm sprachen, und wie er
schon damals den Eindruck erhielt, das» es keine gewöhnliche
Persönlichkeit sei. In dein Osterprogramm 1S53 heisst es: „Es
wäre als ein erfreulicher Gewinn anzusehen, wenn Dr. Ijungc
dauernd an die Anstalt gefesselt werden könnte." In der zweiten
Hälfte des Probejahres wurde ihm ein andrer Kandidat zur
Ausbildung anvertraut, tauige selbst verfasste noch als Kandidat
eine Denkschrift über den Turnunterricht, welche ein anerkennendes
Schreiben des Ministers und Lauges Berufung nach Berlin zum
Zweck einer Besprechung mit dem Unterriehtsdirigenten der
Zentralturnanstalt veranlasste. Das Probezeugiiis, welches Lange
erst im August 1854 erhielt, lautet : „Hatte Herr Dr. Lange schon
wahrend seines Probejahres in allen ihm anvertrauten Lehrobjekten
wolilbegründete Kenntnisse, ein richtiges Urteil und entschiedene
Lehrgaben an den Tag gelegt, mit liebevollem Ernst eine gute
Zucht aufrecht erhalten und sich sowohl das Zutrauen seiner
Schüler als die achtungsvolle Teilnahme aller Lehrer der Anstalt
zu gewinnen gewusst, so hat er im zweiten Jahre seiner Wirk-
samkeit diese guten Eigenschaften in erfreulichster Weise weiter
entwickelt und sich als einen denkenden und für seinen Beruf
mit Hingebung lebenden Lehrer, der zu den schönsten Hoffnungen
berechtigt, erwiesen."
Auch Wiese hat sich, wie aus einem Brief des Schulrats
Ijandfermann vom 9. August 185H an Lange hervorgeht, über
diesen mit besondrer Anerkennung ausgesprochen.
Wir dürfen also sagen: I^ange war ein vorzüglicher Lehrer.
Dies kann man bekanntlich sein, ohne dass man ein grosser
Theoretiker der Piidugogik ist. I^ange selbst hielt auch durchaus
nicht für nötig, dass alle Lehrer theoretisch geschulte Pädagogen
seien; kaum hielt er für bedauerlich, dass so wenige es sind.
„Wer in diesem Sachverhalt," sagt er1), „lediglich eine Unvoll-
kommenheit oder gar ein Unglück erblickt, der übersieht eben,
dass ganz dieselben Grundsätze, welche sieh in dem philosophi-
schen Kopfe zum Bcwusstscin entfalten, unbewusst auch in den
übrigen wirken und walten ; ja dass sogar diesem instinktmässigen
') In Fleckeisena Jjihrbüeherii IUI. TS: Das Studium und die
IVinzipii h der (.iyiiitinsiiilpädugogik.
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1894.
Friedrich Allwrt Lange als Philosoph und l'äilngog.
und rein natürlichen Thun erfahrungsmässig meist eine grössere
•Sicherheit und Taktfestigkeit zukommt als dem durch Bcwusstsein
vermittelten. Die eine Weise findet an der andern Ferment oder
Korrektiv, und es giebt keinen Stand, der nicht beiderlei Köpfe
zur Erreichung seiner praktischen Ziele bedürfte."
Kr selbst freilich beherrschte auch die Theorie und die
Geschichte des Unterrichts und musste sie beherrschen als Dozent
der Pädagogik und als pädagogischer Schriftsteller. Da er als
Privatdozent nach Bonn ging, hatte er mit in erster Iänie das
Halten pädagogischer Vorlesungen ins Auge gefasst, aber es wurde
aus diesen nicht viel. Die Philologen waren durch ltitschls
energische Wirksamkeit ganz in Anspruch genommen, und die
Psychologie wurde hier langes Hauptvorlesung. Später hat er
pädagogische Vorlesungen in Zürich und Marburg gehalten, und
eine umfangreiche schriftstellerische Thätigkeit hat er über ein
Jahrzehnt für die Schimdsche Eneyklopädie des Erzichungs- und
Unterrichts wesens ausgeübt, welcher seine Artikel zur besonderen
Zierde gereichen.
In dem schönen inhaltreichen Aufsatze „Seelenlehre" heisst es:
„Man darf nie vergessen, dass in der Pädagogik stets zwei
Faktoren in Frage kommen: 'der ethische, welcher uns das
Ziel der erziehenden Thätigkeit giebt und gleichsam den Stil be-
stimmt, in welchem der Erzieher bauen will, und der psycho-
logische, welcher das technische Material beherrschen lehrt."
Leider steht es nun mit der Wissenschaft der Psychologie,
wie gerade dieser ganze Artikel zu zeigen bemüht ist, noch sehr
schwach. Wissenschaftliehe Ansätze finden sich aber wenigstens
in der Psychophysik einerseits und andererseits in der Moral-
statistik, an deren Stelle für «las pädagogische Gebiet eine um-
fangreiche Schulstatistik zu treten hätte.
In seinen eigenen Vorlesungen über Psychologie befolgt
Lange eine möglichst -„somatische" Methode, d. h. er sucht mög-
lichst viel von der Psychologie auf die Physiologie zurückzuführen,
und auch die Pädagogik kann sich nach Lange physiologischen
Beobachtungen nicht entziehen, eine Erkenntnis, die ja in der
Forderung der Anstellung von Schulärzten vielfach von einem
andern Gesichtspunkt aus zur Geltung gekommen ist. In seinen
Vorlesungen über Pädagogik (Winter 1S71 — 72) macht I^inge
ausführliehe Mitteilungen über Wachstum, Gewichtszunahme, Zu-
MunaL-lioft.- »kr CuinvuliiH-OfwIlwhaft. 15
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220
Heft G u. 7.
nähme der Muskelkraft u. dgl. und kommt auf Grund dieser
statistischen Beobachtungen zu folgendem praktischen Resultat:
„Die im vorigen § dargelegten Verhältnisse der natürlichen
Entwicklung geben für die Erziehung den deutliehen Wink, dass
das Kind bis zum vollendeten 5. Ijcbcnsjahrc der vollen Sorgfalt
mütterlicher Pflege und häuslicher Erziehung bedarf; das darauf
folgende Alter bis zum 12. hin eignet sich l>ei abnehmenden und
glcichmassig fortschreitenden Ansprüchen der körperlichen Ent-
wicklung mit schneller Befestigung der Gesundheit vorzüglich für
die allmählich steigenden Ansprüche der Schule. Vom 12. Jahre
an ist unsere gegenwärtige Erziehungsweise wahrscheinlich falsch,
und dürfte es der Natur am besten entsprechen, unter Beschränkung
des gewöhnlichen Schulunterrichts auf das Notwendigste vorzüg-
lich die gy mnas tisch e Bildung zu pflegen. Dagegen «eignet
sieh wieder das Alter vom IG. bis 20. Jahre bei Knaben, vom
14. oder 15. bis zum 17. oder 18. bei Mädchen vorzüglich für
den höhern Schulunterricht und die spezielle Berufsbildung
und soweit ein solcher nicht allgemein durchführbar ist, für
Unterweisung in den Pflichten des Bürgers und der Hausfrau
neben der speziellen Berufsbildung."
Selbstverständlich wird auch "im einzelnen die Beachtung
körperlicher Einflüsse nicht fehlen dürfen, so wenig in der häus-
lichen Erziehung als in der Schule. Über den Unverstand mancher
Lehrer und Mütter gegenüber verdrossenen, unlustigen Kindern
linden sich in dem Artikel „Seelenlehre" sehr verständigt; Be-
merkungen, denen die allgemeinste Beachtung zu wünschen wäre.
Durchaus nicht ist es Inniges Meinung, dass hinter der rationellen
körperliehen Erziehung die ethische zurücktreten solle; diese wird
aber nach ihm durch jene gerade gefördert; sie ist schon im
frühesten Kindesalter nicht zu versäumen.
„Nichts ist verderblicher, sagt er, als die Meinung, dass in
den ersten Jahren nur für das körperliche Wohl der Kinder zu
sorgen sei und die eigentliche Erziehung erst später zu erfolgen
habe. Vielmehr soll man schon aus dem Tempo und Ausdruck
des Gesehreis und der Gliederbewegungen eines Säuglings auf die
innere Form seiner Empfindungen und Stimmungen zu schliessen
suchen, wobei man schön in den frühesten Wochen eine über-
raschende Bestimmtheit der ursprünglichen Charakteranlage er-
kennen wird. Jeder zärtliche Blick, mit dem einer offenbaren
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1894.
Friedrich Allwrt Lunge als Philosoph und Pndagog.
221
Unart begegnet wird, jede .stumpfe Gleichgültigkeit gegen die ersten
seelenvollen Äusserungen kindlicher Dankbarkeit und Zuneigung
stört die geistige Entwicklung des Kindes in ihren ersten folgen-
reichen Anfängen." (Seelenlehre.)
Und bei dem Zweige des Schulunterrichts, der zunächst
ganz dem körperliehen Wohl gewidmet zu sein scheint, bei dem
Turnen, weist Lange mit Entschiedenheit auch auf dessen geistige
und sittliche Bedeutung hin in der trefflichen Schrift „IjeibcH-
übungen" (Separatabdruck aus der Encyklopädie) und auch schon
in der oben erwähnten Denkschrift über diesen Gegenstand aus
der Kölner Zeit, aus welcher ein Auszug in der Biographie mit-
geteilt ist.
Lange schrieb nicht nur der gesamten psychologischen, sondern
auch der speziell pädagogischen Litteratur seiner Zeit nicht viel
wissenschaftlichen Wert') zu, und es wird wohl zuzugeben sein,
dass auf wenigen Gebieten ein redseliger Dilettantismus sich so
breit gemacht hat wie auf pädagogischem. Darum ist der Wert
des Studiums dieser umfangreichen Litteratur problematisch. Aber
auch offizielle Anordnungen zum Besuch pädagogischer Vorlesungen
hielt Irrige für verwerflich. (Auch Schräder, Verfassung der
höheren Schulen, 2. Aufl. p. 117, spricht sich ziemlich unumwunden
gegen Universitätsstudien in der Pädagogik aus.)
Kür um so wichtiger aber hielt Lange eine praktische An-
leitung während des Vorbereitungsdienstes. Lange selbst war ein
Meister der Disziplin; aber er war weit davon entfernt, solche
Meisterschaft für eine mystische Himmelsgabe zu halten. In
mehreren Artikeln der Encyklopädie (bes. Oppositionsgeist) giebt
er vortreffliche Winke, und im Artikel „Schülerzahl" spricht er
scharf aus, man sollte „streng daran festhalten, dass die Aufrecht-
') Am Schlug* der Einleitung zu den Vorlesungen über Pädagogik
sagt Lang*?: „Während die (tesehichle der Pädagogik in neuerer Zeit sieh
einer streng wissenschaftlichen Behandlung «ehr genähert hat, schwankt die
Behandlung der Krzichungslehre noch zwischen sehr verschiedenen Ziel-
punkten und Methoden. Die berechtigte Zurückweisung der Metaphysik
und die Fortschritte der anthropologisehen und politischen Wissenschaften
sollten jedoch dazu führen, die Pädagogik schon jetzt unter Benutzung der
StaatMvissensehnftcn, der Physiologie und der neueren empirischen Psycho-
logie zu einer empirischen Wissenschaft von der Volkserziehnng
zu machen."
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222
ElhWn,
Heft 0 u. 7.
erlialtung der Disziplin in grossen wie kleinen Klassen eine lehr-
bare Kunst ist, die jeder Fachmann, möge er nun etwas mehr
oder weniger Xaturanlagc dazu mitbringen, sieh aneignen kann
und soll. An der Volksschule hat man diesen Satz längst be-
obachtet, und die Zöglinge guter Seminare bringen es auch durch-
schnittlich so weit, dass sie in jedem Wasser schwimmen können;
an den höhereu Schulen dagegen ist die eitle und selbstgefällige
Verachtung aller pädagogischen Hegeln und Fertigkeiten leider
noch so vorherrschend, dass es rein dem Zufall überlassen bleibt,
ob sich ein Lehrer in dieser Beziehung das Erforderliche aneignet
oder nicht".
Seit Lange dies schrieb sind über zwanzig Jahre vergangen,
und man wird nicht leugnen können, dass es inzwischen besser
geworden ist. Interessant ist und wir dürfen auch hier nicht
übergehen, was wir schon in der Biographie Langes (p. Iu9 f.) mit-
teilten, dass ganz ähnliche Reformen im Vorbereitungsdienst für das
höhew Schul fach, wie sie jüngst zur Durchführung gekommen sind,
reichlich dreissig Jahre früher von Lange beantragt waren in einem
Gutachten „über eine wünschenswerte Modifikation des Prüfungs-
reglementa für da* höhere Schulfach". Und wenn Direktor Hütt
in seiner trefflichen Abhandlung „Zur Vorbereitung auf das höhere
Sehulfach" (Beilage zum lU. Jahresbericht des Realgymnasiums zu
Bernburg) ausreichende Kenntnis der Schulgesetzgebung, der
Rechtsverhältnisse des Lehrerstandes und der Formen des amt-
lichen Verkehrs verlangt, so hat auch er in Lange einen Vor-
gänger, der nachdrücklieh ähnliche Fordeningen aufstellte.
Auch der Ruf nach grösserer Freiheit im Unterrichtswesen,
wurde von Lange mit Entschiedenheit erhoben. Er erkannte sehr
klar die Schattenseiten des burenukratischen Schematismus gerade
auf diesem Gebiete. AVie vortrefflich ist z. B., was er in dem
Artikel „Oppositionsgeist" sagt:
„In unserer Zeit der Schulräte und Cireularverfügungen, der
vorgeschriebenen Ix'hrmittcl, genehmigten Ix-hrpläne, höheren Orts
festgesetzten Klassenziele, Reglements, Prüfungsordnungen, In-
spektionen, Gutachten, Berichte u. s. w. ist es der herzlose
Mechanismus, welcher an so vielen Anstalten trotz aller äusseren
Regelung in der ,Haltung* der Schulen einen schlimmen Oppo-
sitionsgeist erzeugt. Die bureaukratisehe Ordnung bringt es leider
mit sieh, dass das Schicksal der Lehrer und die Gunst, welcher
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■
1894. Friedrich Albert Lange aU rhiloHoph und Psidagog. 22:5
sich ganze Anstalten erfrouen, viel zu sehr von den ostensiblen
Resultaten abhangt. Bringen doch ganze Provinzen dem leitenden
Schulrat mehr Ehre ein, wenn alle Anstalten nach dem Sehnurehen
geregelt sind und alles handwerksmässig klippt und klappt, als
wenn so viel Freiheit gelassen wird, dass der Stümper offen
stümpern und daneben der ernste denkende Arbeiter in sicherer
Ruhe ein Samenkorn für das Gedeihen kommender Generationen
ausstreuen kann! Je mehr die französische Ccntrulisntionswut in
Deutschland eindringt, desto ausgebreiteter und desto gefährlicher
wird auch der Oppositionsgeist werden, der auch dann, wenn er
geschickt und kräftig niedergehalten wird, immer noch den ganzen
Segen der Erziehung in Fluch zu verwandeln droht." Und in
demselben Artikel heisst es noch: „Der Erzieher, dem die Pflege
einer Menschenseele anvertraut ist, soll sieh nicht auf eine herz-
lose Sicherheit in der Handhabung der Amtsgewalt verlassen,
sondern er soll sieh fragen, ob er fest im Geist der Wahrheit
und der Liebe steht, und ob er auch der zarten Keime des Guten
wartet, die in keiner Prüfung, bei keiner Inspektion nachweisbar
und doch in ihrer zukünftigen Entfaltung oft wertvoller sind als
alle ostensiblen Resultate."
Auch im Artikel „Schülerzahl" spricht Lange den Wunsch
aus, „dass den einzelnen Ix'hrern, sofern sie einen pädagogisch
richtigen Gebrauch davon zu machen wissen, eine grössere Frei-
heit in der Behandlung der Klasse erlaubt und zugemutet werde,
als sie bis jetzt meist üblich ist".
Weit grössere Freiheit innerhalb ihrer Kreise Hesse sieh
Direktoren und Ix-hrern natürlich auch in der staatliehen Schule
gewähren; wie aber Lange in einem Briefe an Dörpfeld vom
4. Dezember 181)3 l) ein Programm für das Unterrichtswesen auf
Grund völliger Unabhängigkeit der Schule vom Staat aufstellt,
ist in der Biographie p. 120 ff. mitgeteilt worden. Indem der
Verfasser die betreffende Stelle wieder durchsah, erkannte er
übrigens, dass seine Darstellung auf S. 1 21) geeignet ist, das Miss-
verständnis hervorzurufen, als seien die Unterschiede der Dörp-
feldschen und Langeschen Anschauungen grösser als das beiden
Gemeinsame. Das ist nicht der Fall, und es ist hier wohl der
') Er beabniehtigte übrigens auch ein Buch über den Gegenstand zu
«•hreiben.
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224
KUWn,
Tieft (i ii. 7.
Ort, noch Hintes aus dem dort schon zitierten Briefe Dörpfelds
aus dem Jahre 1890 mitzuteilen. Dörpfeld sehreibt:
„Unsere Anschauungen hatten zwei starke Wurzeln gemein-
sam : einmal die freiheitlich gerichteten kirchlichen und bürger-
lichen Zustande unserer niederrheinischen Ileimath mit ihrer
eigenartigen Geschichte, und sodann unsere beiderseitige Liebe
zur Freiheit." Auf die in der Biographie mitgeteilte Brief stelle,
wonach Döq>fclds praktische Überlegung vom Gegebenen, Lange
dagegen von dem abstrakten Begriff der Freiheit ausgegangen sei,
heisst es in dem Briefe weiter:
„Allerdings bestanden auch noch einige andere Differenzen
zwischen uns. Einmal in unseren religiösen Ansichten. Das
hing wieder zum Teil damit zusammen, dass ich auf dem philo-
sophischem Gebiete aus einem frühem Benekianer ein eifriger
Herbartianer geworden war, während Lange mit seinem Freunde
Ueberweg (und vielleicht auch durch denselben) — unter dem
Kinfluss der Katheder- Philosophie an Herbart vorbeilief und
in eine andere philosophische Strömung geriet. Das hing wieder
damit zusammen, dass ich mir rechtzeitig und fleissig die Schriften
unseres beiderseitigen Landsmannes Dr. Mager (früher enragierter
Hegelianer, später entschiedener Herbartianer) zu Nutze gemacht
hatte, während Lunge dieselben wohl erst spät und nur unzuläng-
lich kennen gelernt hat. Diese Differenzen erwähne ich deshalb,
weil sie es grade bewirkten, dass ich bei den praktischen Über-
legungen den Freiheitsbegriff' nicht als Ausgangspunkt, sondern
als Ziel nahm. Hätte Lange schon in den jüngeren Jahren die
Schriften Magers kennen gelernt und nach Gebühr beachtet
der die Schweiz weit besser kannte als er — , so würde er später
in Duisburg vor den politischen Verwickelungen bewahrt geblieben
sein. Übrigens begann zu jener Zeit (1S0H) das Verhältnis zu
seinen bisherigen politischen Parteigenossen („Fortsehritt") sich zu
Iockern — wovon auch eine Andeutung in seinem Briefe vor-
kommt — ; mir gab sieh diese namentlich darin kund, dass er
damals anfing, auch die Anliegen des vierten Standes (soziale
Frage) schärfer ins Auge zu fassen — , was ich auf Magers und
Herbarts Anregung schon längst gethan hatte."
Dies bringt uns auf die Frag«', was nach I Tinges Ansicht
Erziehung und l'nterrichtswcsen zur Besserung der sozialen Zu-
stände leisten können. Hierüber hat sich unser Philosoph besonders
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1894.
Friedrich Albert Lan^e als Philosoph und rfiilagog.
225
in derjenigen seiner Schriften ausgesprochen , die wohl von allen
die geringste Verbreitung gefunden hat „John Stuart Mills An-
sichten über die soziale Frage und die angebliche Umwälzung der
S >zialwisscnschaft durch Carey" 18ü*ti. Von unsrer Volksschule
sagt Lauge hier p. 75:
„Unsere deutsche Volksschule hat ihren Mittelpunkt
in der religiösen Erziehung, und diese Erziehung ist auf der einen
Seite eben so reich an Elementen, welche das Genifit bilden, die
Phantasie beleben und das Herz bereichern, als sie auf dir andern
Seite eine beständige Schulung zur Unterwürfigkeit ist, und zwar
zu einer Unterwürfigkeit gegen Mächte, welche selbst nach durchaus
anderen Grundsätzen handeln, und welche den Einfluss, den sie
durch die allgemeine Schulung der Gemüter gewinnen, haupt-
sächlich zur Befestigung einer Herrschaft verwenden, die mit tler
Entwürdigung der Erwachsenen dasjenige zwiefältig wieder ver-
dirbt, was mit der Pflege der Jugend gut gemacht wird. Die
Kinder werden fromm, edel und duldend gemacht, damit die
Männer duldend, gemein und frivol werden; ein Kreislauf, der
aus denselben Bedingungen sich innner wieder aufs Neue erzeugt.
Unendlich viel Gutes gedeiht hier schliesslich zu übler Wirkung,
weil es mit Üblem ungünstig zusammenwirkt.
Vieles würde von dieser verderblichen Nachwirkung unseres
mit so vielen Vorzügen ausgestatteten Schulwesens verschwinden,
wenn wir ein System völliger Unterriehtefreiheit hätten, ohne das
Wesen unserer jetzigen Volksschule aufzugeben. Es wäre für die
geistige Freiheit in jeder Beziehung gefährlicher, ein Staatsschul-
wesen, wie etwa das preussische, unter die energische Leitung
ei nes konstitutionell - monarchisch - deistisch - rational istischen Schul-
mannes zu stellen, als die Volksschule den Kirchengesellschaften
völlig zurückzugeben - unter der Voraussetzung einer wirklichen
Keligious- und Lclirfreiheit."
Lange redet weiterhin der Einführung eines ernstlichen
naturwissenschaftlichen Unterrichte in die Volksschule das "Wort
und bemerkt:
„Wenn wir einen Arbeiter nehmen, der seinen Namen mit
drei Kreuzen schreibt, und der dagegen einige richtige und klare
Grundbegriffe von den Gesetzen des Hebels, von der schiefen
Ebene und dem Parallelogramm der Kräfte hat, der die Aus-
dehnung der Körper durch die Wärme, die Brechung des Lichts,
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22<>
Ellison,
Heft 6 n. 7.
die Expansionskraft der Dampfe kennt, und wir stellen einen
deutsch geschulten Arbeiter daneben, der von all diesen Dingen
gar nichts weiss, so ist der Vorsprung des erstercu unverkennbar."
Einen einzigen Zweig menschlichen Wissens halt Lange fiT
ebenso wichtig wie die Bekanntschaft mit den Naturgesetzen,
die Kenntnis der Landesgesetze und des öffentlichen Rechts. Den
Unterricht hierin zählt er zu den notwendigsten Forderungen der
nächsten Zukunft. Wann mag wohl diese Zukunft Gegenwart
werden ?
Der Vergangenheit des Krziehungswesens hat Ijtngc fort
und fort, am intensivsten als Privatdozent in Bonn, Aufmerksam-
keit und Studium gewidmet. Er beabsichtigte damals unter dem
Titel „Beiträge zur Geschichte der Pädagogik" eine Reihe von
Monographien über diesen Gegenstand herauszugeben. Der erste
Aufsatz sollte Ludwig Vives und seine Bedeutung schildern. Dies
Projekt kam, wie so viele andere Langes, nicht zur Ausführung,
doch waren die damals gemachten Studien, wie wir gleich sehen
werden, keineswegs verloren.
Die Aufforderung der Buchhandlung von B. G. Teubner,
selbst eine kompendiöse Geschichte der Pädagogik zu schreiben,
lehnte Lunge aus Gründen, die in der Biographic (p. 108) an-
geführt sind, ab. In Jahns (Fleckeisens) Jahrbüchern rezensierte
er die einschlägigen Arbeiten von Raumers, Schmidts (über Sturm)
und Koroers in einem vortrefflichen, heute noch höchst lesens-
werten Aufsatze. Ferner lieferte er weiterhin mehrere geschicht-
liche Artikel für die Eneyklopädie, so über Calvin, Erasmus,
Errichtung und Erhaltung der Schulen»), Friedrich den Grossen,
die Schule zu Sehlettstadt, vor allem aber über Vives, dessen
Bedeutung für die Geschichte der Pädagogik nach Luigc darin
besteht, diiss sich in ihm die gesamte Opposition der beginnenden
Neuzeit gegen die pädagogischen Missbräuche des späteren Mittel-
alters konzentriere, und dass sich bei ihm in gleicher Weise die
Keime der wichtigsten Reformen von Sturm bis auf Rousseau
hinab vereinigt und in ein Ganzes verschmolzen finden. Es ist
bezeichnend, dass Vives, wie sich aus den zu Anfang versandten
Programmen und Entwürfen zur Eneyklopädie ergiebt, ursprünglich
') Diester wichtige Aufsatz, enthält langes Ansichten ültor das Ver-
hältnis von Staat nml Kirche zur Vulkr^elmle.
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1K0I. Friedrich Albert Lange aln Philosoph und 1'iUlugog. 227
gar kein Artikel zugedacht war, während nun der Langesehe Auf-
satz von ungefähr 80 Seiten zu den umfangreichsten Artikeln
derselben gehört. Wir können im« nicht versagen, aus dieser
vortrefflichen Arbeit, die Schmid geradezu als eine neue Ent-
deckung für unsere Zeit bezeichnete, zum Schlüsse das mitzuteilen,
was Lange über das Verhältnis Vives' zu dem Manne sagt, dessen
Namen diese Zeitschrift trägt, und dessen Andenken sie in erster
Linie gewidmet ist.
Nach einer kurzen Bemerkung über das Verhältnis Hatiehs
zu Baeo heisst es:
„Bei Comenius wissen wir sieher, dass Bacon grossen Ein-
fluss auf ihn hatte; gleichwohl bezieht sich gerade auch Comenius
auf eine von Vives erhaltene Anregung. Beiläufig sei hier be-
merkt, dass Comenius Vives keineswegs nur seinen Realismus
verdankt, sondern dass er ihn vielfach, namentlich auch in ethi-
schen Fragen, benützt und zitiert. Besonders merkwürdig ist
darunter eine Stelle aus dem Anfang des 5. Kapitels der „didaetica
magna" (bei Lcutbccher, Comenius Lehrkunst S. '20), wo Comenius
entwickeln will, dass der Mensch von Natur zur Gelehrsamkeit,
Tugend und Pietät angelegt sei. Er bemerkt hier, dass er unter
Natur die erste ursprüngliche Anlage verstehe, wie sie vor dein
Sündenfall war, und zu welcher wir wieder zurückkehren müssen.
Dabei beruft er sich auf eine Stelle bei Vives, de concordia et
discordia I. 1. (die Stelle findet sich V, S. 201, ed. Mag.), in
welcher es heisst, der Christ sei nichts anderes, als der seiner
Natur wiedergegebene Mensch. In der That redet Vives, wie
nach ihm Comenius, in diesem Sinne öfter von der Naturanlage
des Menschen zum Guten, und wiewohl beide dabei die Lehre
vom Sündenfall und der Erlösung vorbehalten, so liegt darin doch
in etwas eine Vorbereitung des später von Rousseau eingenommenen
Standpunktes."
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Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des grossen
Kurfürsten. l)
Eine Besprechung von Julius Heidemann.
Unter den rühmlichen Eigenschaften der Fürsten aus dem
Hause llolicnzollcrn ist als eine <ler erfrciüiehstcn mit Recht «Ii*«
Toleranz in religiösen Dingen gepriesen worden. Der grosse Kurfürst
uml der grosse König, welche sie in vollem Masse übten, verdankten
ihr einen nieht geringen Teil ihres Ansehens und ihrer Erfolge.
Dabei ist freilieh der Ausgangspunkt der Toleranz hei beiden ein
wesentlich verschiedener gewesen. Fried rieh II. betrachtete von dem
Standpunkte seiner Philosophie aus die Dogmen der verschiedenen
Konfessionen als gleich wertvoll oder gleich wertlos; und daher fiel
es ihm nicht schwer, „zwischen Genf und Koni neutral zu bleiben".
Der grosse Kurfürst dagegen stand inmitten erregter konfessioneller
.Streitigkeiten, selber lebhaft durchdrungen von der Wahrheit der
reformierten Lehrsätze, welche er auch bei höchster Wertschätzung
der Augustana als den rechten Ausdruck der christlichen Lehre be-
trachtete. Wenn er Duldung gegen Andersgläubige übte, so müssen,
von dem ihm angeborenen Gerechtigkeitsgefühle abgesehen, besondere
Gründe dazu vorhanden gewesen sein. Diese lagen in der Mannig-
faltigkeit der christlichen Konfessionen in den verschiedenen Landes-
teilen seines Kurstaates, in denen Katholiken, Lutheraner und
Reformierte neben einander wohnten. Daraus ergab sich für ihn die
Notwendigkeit, die Parität der Konfessionen zum Ausgangspunkte
seiner Kirchenpolitik zu nehmen. Allein gerade die Geltendmachung
der Parität auch für die Reformierten rief in Brandenburg und
Preussen, wo das strenge Luthertum herrschte, Misstraucn und Oppo-
sition bei den Lutheranern hervor, welche er andererseits mit den
Reformierten als ihren Konfessionsverwandten zu einer evangelischen
Partei zu vereinigen suchte. Der Versuch seheiterte und es erfolgte
ein scharfer kirchlicher Streit, welchen nach Anlass und Verlauf
eingehend auf Grund langjähriger Forschungen und neuer Archivalien
H. Landwehr in seinem obengenannten Werke dargestellt hat. Der
Verfasser hat dazu die gesamte KiivhenjMjlitik Friedrieh Wilhelms,
wie er sie als Reichsfürst und als Landesherr geübt, zum Gegen-
stände seiner Erörterungen gemacht und, indem er uns das Wirken
des toleranten und thatkräftigen Fürsten in grossen Zügen schilderte,
ein Lebensbild desselben von dauerndem Werte geschaffen.
') Auf Grund arehivalischer Quellen von Hugo Landwehr. Berlin,
Ernst Hofniann & Co.. IbMI.
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1894.
Die Kiroh.'i.politik Friedrich Wilhelm* etc.
Zunächst ist es die verdienstvolle Reichspolitik des Kurfürsten,
mit welcher der Verfasser uns bekannt macht. Als jener 1 (540 zur
Regierung kam, war die Lage der Evangelischen in Deutschland eine
überaus traurig«'. Kursachsen, i icr von zweifelhafter Haltung
während des Religionskrieges, hatte einseitig 1035 mit dem Kaiser
den Prager Frieden geschlossen, ohne die Aufhebung des Restitutions-
ediktes von KJ29 und eine allgemeine Amnestie zu erlangen.
Brandenburg unter Sehwarzenbergs Leitung war ihm beigetreten; der
«bitte evangelische Kurstaat, die Pfalz, lag in Trümmern; Hessen,
Braunschweig und ander«» kleine evangelische Länder waren nicht im
stand«', den Evangelisch«*!! zu helfen. Da erstand ihnen ein
Retter in Friedrich Wilhelm. Er war es, w«*lcher v«*rhindcrt<*,
«las* auf dem Reichstag«* zu Regensburg 1040 die vagen Bestim-
mungen des Prager Friedens zum Reichsgesetze «*rhoben wurden; er
setzt«* «'s durch, «lass im westfälischen Frieden auch «lie Reformierten
«Ii«* ftlei«*hb«*r<'«*htigiing mit den Lutheranern zuerkannt erhielten, ob-
gleich «lie letzteren nicht minder dagegen waren als die Katholiken.
Dann kamen «Ii«* Z« it«*n unerhört«*!- Bedrückungen und V«'rfolgung«'n
<l«*r Evjingelischen in «h-n katholischen (»«'bieten, in welchen die
katholiscln'n Fürsten «las jus reformandi in Anwendung brachten.
Da war es wiederum Fri«*«lrich Wilhelm, welcher mit unermüdlichem
Eifer «Icr Verfolgteu sich annahm, hier prot«*sti<*rend, dort Fürbit t«'
«'inl«*gen«l, «len Flüchtigen aber Unterstützung, Hülfe und Aufnahme
in seinem Lande gewähreml. Landwehr hat umfangreiche Kapitel
mit Schilderungen «ler thatkräftigen Fürsorge des grossen Kurfürsten
für s«'iue verfolgten Glaubensgenossen angefüllt, un«l «lennocli kann
sein«* Darstellung noch ergänzt werden. Uni den Evangelischen in
Schbsicn, welchen «l«*r Kaiser «lie Kirchen entzogen hatte, «lie M«">g-
lichkeit zu g«*währen, an einem evang«*lis«*h«'n G«>ttesdi«'iist«* teil zu
nehmen, fönlerteu «ler Kurfürst und seine Mutter, die verwittw«!«*
Kurfürstin Elisabeth Charlotte, d«'ii Bau von Grenzkirchen im
Bramlenburgischcn nahe «ler sehlesischen Grenze, in welchen evan-
gelische Geist lieh«* für «lie Schlesier Gottesdienst hielten. Von «l«*n
2H Grenzkirchen, zum t«*il nur kleinen Gebäud«'n, lagen <> im Ge-
biete von K rossen und Züllichau, über welche «lie Geschichte des
Lamlc.-* Sternbeig von W. un«l B. Freier (S. ö(J«J u. fg.) nähere
Angaben enthält. Als emlhVh in Öst«>nvi«*h «Ii«* Be«lrü«*kung «Icr
Evangelischen und in Frankreich «Ii«* Verfolgung «ler Reformi«*rt«*n
unter Ludwig XIV. si«*h steigert«*ii, in England aber Jak«>b II.
katholisieren«le Tendenzen verfolgt««, da schloss «ler grosse Kurfürst
1(JS~> mit Holland einen Allianzwrtrag, weh her auch «lie Vertei«ligiing
«ler Evangelischeu ins Auge fasste. Vom Frühjahr 1087 an for<l<«rt«'
er unausgesetzt Wilhelm von Oranien zur Erhebung gegen Jakob II. auf,
d«*r«*n glücklichen, folgenr«*ichen Ausgang er freilich nicht mehr erlebte.
Von d«*m Streben, das Wohl der Evangelischen zu fiinlern,
war au«h s«>ine Kirchenpolitik in seinem eigenen Lande beherrscht;
aber hier traten ihm, wie schon aiig«*«lciitct, Sehwi«*rigk«*iu*n entgegen,
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230
Heidemann,
Heft 6 il 7
die in den eigentümlichen Verhältnissen des Kurstaates begründet
■waren, und deren er nieht vollständig Herr werden konnte. In der
Mark Brandenburg, in Preußen und Pommern hatte sieh die Kirchen-
reformatio!! unter der Führung Wittenl>orgs vollzogen. Die Ke-
vrdkerung war im strengsten Sinne des Wortes lutherisch gesinnt und
die Augustana und die Konkordienfonnel bestinimten die Glaubens-
richtung. Katholikin und C'alvinisten waren nur in verschwindender
Minderheit vorhanden.1) Während des 16. Jahrb. lehten Kurfürsten,
Stände und Volk auf Grund der gleichen religiösen Ansehauung in
vollem Einvernehmen. Diesen Zustand der Ruhe unterbrach 1013
der Übertritt Johann Sigismunds zur reformierten Kirche, den Berlin
mit einem Aufstande beantwortete. In der Thnt war die Aufregung
der Lutherischen nicht unbegründet, denn der Kurfürst besass das
jus reformandi in seinem Lande, und die Möglichkeit der Anwendung
desselben schien nicht ausgeschlossen zu sein. Indessen Johann
Sigismund dachte nicht an die Anwendung jenes Rechtes, sondern
forderte nur die Gleichberechtigung seiner Konfession neben der
lutherischen; aber der dogmatische Streit der Parteien, welcher nun
entbrannte und mit einer uns heute kaum noch begreiflichen Heftig-
keit geführt wurde, liess es dazu nicht kommen. Selbst der Religions-
krieg drängte ihn nur zurück, aber beendete ihn nieht. Der
Regierungsantritt Friedrich Wilhelms entfachte ihn von neuem l>e-
sonders in Preussen, wo die politische Opposition der lutherischen
Stände gegen die kurfürstliche Autorität durch ihn ein neues Reiz-
mittel gewann. In Brandenburg, Pommern und den anderen Landes-
teilen wuchsen Unruhe und Unfrmlen mit den Jahren. Die Ein-
führung eines reformierten Gottesdienstes, die Anstellung von Beamten
des reformierten Bekenntnisses, ja selbst die Beförderung friedliebender
lutherischer Geistlichen an Stelle übereifriger Persönlichkeiten auf
Grund des Paritätsprinzipes, welches der Kurfürst proklamierte, er-
schienen den Lutheranern als unberechtigte Übergriffe der C'alvinisten
in ihren Besitzstand. Der Kurfürst suchte die konfessionellen Gegen-
sätze durch Veranstaltung von Religionsgesprächen, wie das Thorner
vom Jahre 164ö und das Berliner vom Jahre 1662, zu mildem,
erfuhr aber zu seinem Leidwesen die alte Wahrheit, das.* religiöse
Disputationen sie nur verschärfen. Als die friedlichen Mittel zur
Versöhnung ohne Erfolg blieben, griff die Regierung, freilich nicht
immer mit dem richtigen Takte, zu amtlichen Verordnungen. So
wurde der Exorcisnius bei der Taufe verboten, die Verbindlichkeil
der Konkordienfonnel für die Theologen aufgehoben und den Stu-
') Die von Landwehr S. 3o8 geäusserte Ansicht, dass in den Marken
der römische Glaube keine Anhänger mehr besass, bedarf doch der Ein-
schränkung. Nicht alle Adeligen waren 1;>39 zum Luthertum übergetreten,
unter anderen z. B. nieht Busso und Hans von Bertenslel>en auf Wolfsburg
in der Altmark. Vcrgl. Danneil: Gesch. d. Geschlechtes derer v. d. Schulen-
burg, I, S. 421.
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1894. Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms etc. 231
diereinlen «ler Besuch »1er Universität Wittenberg, des Sitzes der
streng lutherischen Lehre, untersagt. Als die Streitigkeiten dennoch
formulierten, erliess «1er Kurfürst, um wenigstens den äusseren Kirchen-
frieden zu erzwingen, am IG. Sept. 1G04 »las scharf«' Tolcmnzcdikt,
welches «len Parteien «las gegenseitige Schmähen und Verketzern Ihm
Strafe verbot un«l von «len Geistlichen einen Revers tlarüber ver-
langte, «lass si«> d«ni E<likte Folge leisten wollten. Damit trat der
kirehlieh«' Streit in eine neue Phase: es entbrannte «ler Kampf gegen
«l«Mi Revers, welchen Paul Gerhardts charaktervolle Opposition und
Amtsentsagung für all«- Zeiten denkwürdig gemacht haben. Auch
«las E«likt führte nicht zum Zieh', entzündete vielmehr in Wahrheit
«■inen Kampf zwischen Staat und Kirch«', der die Gemeinden aufregte
und die Kinmisehung «ler Stände herbeiführt«', so dass d«-r Kurfürst
sich veranlasst sah, IGGS die Schärfe seines Ediktes zu mildern.
Die Geschichte dieses kirchlichen Streites bildet «len Haupt-
gc gen stand »ler Darstellung in Laudwehrs Buche. Der Verfasser hat
durch dieselbe wohl für immer die landläufige, durch Herings „Neue
Beitrüge" verbreitete Ansicht beseitigt, «lass die Lutheraner die eigent-
lichen Fri«'<l«'nsstörcr g«-wes«'ii seien ; denn er hat «len Nachweis geführt,
«lass die Reformierten nicht minder kampflustig waren als ihre G«-gner.1)
Von hervorragendem Einflüsse in dieser Beziehung war «ler kurfürst-
liche Hofprediger Bartholomäus Stosch, welchem «ler Verfasser eine
besondere Monographie in den Forschungen zur brnmlenburgischen
uml preussischen G«'schichte ( VI, 1) gewidmet hat. Stosch war nicht
eig<'iitlieh streitlustig, ab«T ein Hauptvertreter «l«*r Vermittlungs-
theologic, welch«' den scharfkantigen Lutheranern, wie einem Paid
Gerhanlt, als Synkretismus erschien. Seine Bestrebungen fanden
eine Stütze an dem Staatsmanne Otto von Schwerin, dessen Bedeutung
als Ratgeber des Kurfürsten Landwehr je« loch nicht eingehend «lar-
gelegt hat Das Nachgeben «les Kurfürsten in «ler Reversfrnge hatte
auch zur Folg»', dass «Ii«; Einwirkung jener Männer auf «Iii' Kirehcn-
politik mehr und mehr zurücktrat. Von allgemeinen Erlassen und
«ler Veranstaltung von Colloquien der Geistlichen nahm der Kurfürst
fortan Abstand. Er entschied die Streitigkeiten zwischen Lutheranern
uml Reformierten nur noch von Fall zu Fall auf Grund «ler lie-
stehi'nden Gesetze, womit er weiter kam. Das Hauptziel seiner
Kircheiipolitik aber, die Versöhnung uml Einigung «ler hadernden
Parteien, hat er nicht »^reicht. Erst eine spätere Zeit uml eine
andere Geistesentwieklung vermochten «lie konfessionellen Gegensätze
zu mildem.
l) Wir verweisen hi»-r auf die Bemerkungen, »Ii«; wir zu Landwehrs
Aufsatz über St<*sch in den Nachrichten dieses Heftes gemacht halten.
Die Schriftleitmig.
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Deutsche Erziehung.1)
Eine Besprechung von Bud. Hochegger.
Eine mächtige pädagogische Strömung geht durch Deutsch-
land. Wie zu Ende des vorigen Jahrhundert« bekunden alle
Gesellschaftskreise lebhaftes Interesse für pädagogische Fragen.
In den Verhandlungen der Parlamente, im öffentlichen und privaten
Leben, in einer reichen Litteratur, in Hunderten von Flugschriften,
in wissenschaftlichen und politischen Blattern wird über die Er-
ziehung gesprochen und gestritten, man hofft von einer Keforni
des Unterrichtes und der Erziehung eine ideale Wiedergeburt
unseres Volkes, täglich tauchen neue Vorsehläge zur Umgestaltung
der Erziehungsverhältnisse auf. Den Verfasser bedünkt es, dass
wir Deutschen zwar äusserlich gross geworden sind, aber auf dein
besten Wege seien, innerlich klein zu werden. „Das fachmännische
Spezialistentum verdrängt immer mehr die idealen1 Allgemein-
bildung; Uniformierung und Sehablonisierung verhindern die Ent-
faltung kräftiger Sondernaturen, die ihren eigenen Weg zu gehen
wagen ; sittliche Charakterlosigkeit, aus körperlichen Ursachen und
naturnotwondiger Vererbung erklärt uud entschuldigt, gilt kaum
noch als Sehmach, wenn nur (Jcld dabei verdient wird. Ein Volk
bleibt aber gross nur durch die Erhaltung der Eigenschaften, durch
welche es gross geworden ist. So müssen wir uns denn die All-
gemeinbildung, die scharf geschnittenen Individualitäten, die starken
Charaktere unserer Eltern zurückerobern, wollen wir auf der
äusseren Höhe bleiben, auf der wir stehen, denn nur durch innere
Grösse wird äussere erzeugt und bewahrt." Schnitze entwirft von
diesen Gesichtspunkten ans ein System der Erziehung und des
erziehenden Unterrichtes. Das Ideal der „Deutschen Erziehung"
besteht nach ihm in der ebenmässigen Vereinigung einer reichen
Allgemeinbildung mit einem festen Charakter in einer
starken und urwüchsig ausgeprägten Individualität Seine
Ijcitbegriffe und einzelnen Darlegungen stehen unter dem Einflüsse
Herbart« und Zillers, jedoch tritt in Inhalt und Form auch die
Eigenart und Selbständigkeit des Verfassers hervor. All die Vor-
züge, welche den übrigen Schriften des bekannten Schriftstellers
eigen sind, kommen auch seinem neuesten Werke zu: strenge
Wissenschaftlichkeit verbunden mit der Gabe, die schwierigsten
Probleme spielend zu behandeln und auch dem Laien verständlich
') Schnitze, Fritz. Drtitwlu- Erziehung. I/tMpzig, Ern*t Günther.
18! tt S. 8°.
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1894.
Pout8che Erziehung.
233
zu machen, feine psychologische Analyse, objektives Urteil, Ver-
ständnis für die Wirklichkeit bei einer durchwegs idealen Welt-
auffassung, glänzende Schreibweise. Das vorliegende Werk birgt
auch einen Schatz von pädagogisch - didaktischen Erfahrungen.
Letztere werden in einer so anschaulichen, anregenden Forin ge-
geben, dass dadurch der Praxis mehr gedient ist als durch abstrakte
Theorien, die oft auf Grund eines unhaltbaren psychologischen
und ethischen Systems mit Vernachlässigung der erfahrungsmässig
gegebenen Bedingungen aufgebaut werden. Allerdings zeigen sich
infolge des Mangels einer einheitlichen systematischen Grundlegung
manche Ungleichheiten und Widersprüche. Der Verfasser ist z. B.
im Ganzen Anhänger der Ziller'sehen Kulturstufen, wonach der
historische Vorgang der Geistesentwicklung auch bei der Ent-
wicklung des Einzelnen einzuhalten wäre, fordert aber in seinem
speziellen Kcformplanc dem entgegen, dass der sprachliche Unter-
richt in der Stufenfolge Englisch, Französisch, Lateinisch, Griechisch
erteilt werde. Solche Widersprüche würde der Verfasser ver-
mieden haben, wenn er von seinem Standpunkte als Neukantianer
und Anhänger der Entwicklungslehre ein System der Pädagogik
folgerichtig entwickelt hätte. Schnitze ist ein durchaus moderner
Denker und hätte schon deswegen sieh an kein älteres, unter
anderen Voraussetzungen entstandenes System anlehnen sollen.
Doch soll durch die Erwähnung dieser Schwäche nicht das Treff-
liche, welches das Werk sonst bietet, geschmälert werden. Sehultzes
Werk zerfällt in folgende Abschnitte: 1. Das Hauptziel aller
erzieherischen Thätigkeit. 2. Die Bedeutung und Pflege der
Individualität des Zöglings. 3. Die angeborenen Anlagen des
Zöglings. 4. Die erworbenen Vorstellungen. 5. Der Begriff der
pädagogischen Regierung. Die leibliche Pflege des Zögling«.
t>. Uberbürdung, Bewegung und Beschäftigung. 7. Die Bestrafung
der Kinder im allgemeinen. 8. Die erzieherischen Strafmittel im
einzelnen. 9. Achtung und Liebe als wirksamste Mittel der Leitung
der Kinder. 10. Die Bildung des Charaktere und Gemütes.
11. Der erziehende Unterricht: Methoden, Unterrichtsfächer, Schul-
arten. 12. Die methodische Behandlung eines Lehrstoffes im er-
ziehenden Unterricht. Schnitze findet den allgemeinen Zweck der
Erziehung in der harmonischen Ausbildung aller Fähigkeiten des
Geistes (Verstand, Wille, Gemüt, Gefühl, Phantasie) und ihrer
steten Unterordnung unter den starken Willen eines echt sittlichen
Charakters. Als Gegenstand der Erziehung tritt uns aber nie ein
allgemeiner Typus entgegen, sondern stets eine Individualität, so
diiss die Erziehung stets individualisierend verfahren muss. Jenes
allgemeine Ziel muss mit kluger Vorsicht in der Individualität
zur Durchführung gebracht werden. Die Erziehimg des Mannes
und der Frau kann z. B. nicht nach einerlei Gesetz erfolgen. Um
der Individualität gerecht zu werden, bedarf es einer gründlichen
Erforschung der Eigenart des geistigen Wesens überhaupt wie des
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25U
Hoehejnjer, Deuteln- Erziehung. Heft 6 u. 7.
einzelnen Zöglings. Um den Kern des Mensehen zu erkennen,
timss man die angeborenen Anlagen und die durch Beeinflussung
von aussen erworbenen Vorstellungen in Betracht ziehen. Der
Rest macht den innersten Wesenskeru, die eigentliche Individualität
des Mensehen aus. Gegenüber der Maeht der ererbten Anlagen
und dem individuellen Wesenskern des Ich zeigt sieh die Er-
ziehung oft ohnmächtig, doch bilden die angeborenen Anlagen
keineswegs ganz unabänderliche Hindernisse. Der individuelle»
Wesenskern ist freilieh das Irrationale im Mensehen. Die Haupt-
macht der Erziehung liegt in der Beeinflussung durch erworbene
Vorstellungen. Die innere Harmonie der Persönlichkeit, welche
die Erziehung erzielen soll, muss bereits in der Ordnung der
äusseren Lebenshaltung vorgebildet sein. Da erweist sieh nament-
lich eine vernünftige Körperpflege als die Vorbedingung zur Er-
haltung der äusseren Ordnung. Nie darf auch über der geistigen
die leibliche Ausbildung übersehen werden oder gar auf Kosten
dieser jene erzwungen werden. Nicht bloss aus organischen,
sondern auch aus psychischen Zuständen erwachsen Unordnung
und Störung für die Harmonie der Persönlichkeit. Den daraus
sieh ergebenden ungeordneten Handlungen begegnen wir durch
Gewalt nmssrcgeln und Strafen. Die wirksamsten Mittel für die
Leitung der Kinder sind jedoch Achtung und Liebe. Ihre Voll-
endung erreicht die Erziehung in der Charakterbildung, d. h. in
der Erreichung eines steten, von sittlichen Grundsätzen geleiteten
Willens. Uber der Bildung des Charakters darf aber die des
Gemütes nicht in den Hintergrund gedrängt werden. „Das Gemüt
ist der warme Sonnenschein, der sich auf die rauhen Felsen des
Charakters legt, sie erwärmt und mit lieblichem Pflanzenwuchs
bekleidet. Gemüt ohne Charakter bedeutet einen Schwächling . . .
Charakter ohne Gemüt einen Starrkopf, ein versteinertes Herz;
Charakter u n d Gemüt den gefühlswarmen, liebevollen und darum
wahrhaft liebenswürtligen Menschen. Allein aus dieser Verbindung
von Charakter und Gemüt entspringt die rastlos thatige und er-
folgreich wirkende Menschenliebe." Es sind beherzigenswerte
Worte, die Schnitze den Erziehern und Lehrern zuruft: „Niemals
vergesse man in der Erziehung, dass tausendmal mehr als alle
gelehrten Kenntnisse und alle künstlerischen Fertigkeiten die
lautere sittliche Gesinnung und das liebevolle Gemüt wert ist.
Es steht nicht geschrieben: Selig sind die Wissenden! - auch
nicht: Selig siud die Könnenden! sondern einzig und allein:
Selig sind, die reinen Herzens sind!" In dein didaktischen Teile
fasst sich der Verfasser kurz, da er nicht so sehr die Absieht
hatte, in vorliegendem Werk ein Buch für den Lehrer in der
Schule als für den Erzieher in der Familie zu schreiben; doch
entwickelt er immerhin allgemeine Grundlagen des erziehenden
Unterrichtes.
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1894.
Nachrichten.
235
C. Nachrichten.
Am 14. April WM ernannte Kurfürst Friedrich III. von Branden-
burg den von der Universität Leipzig ab „notorischer Erzbösewicht" ver-
triebenen Christian Thomasius zuni kurf. brandenburgischen Rat und
ermächtigte ihn, „sich in unserer Stadt Halle im Herzogthum Magdeburgk
zu setzen und der studirenden Jugend, welche sich allda bei ihm ein-
finden möchte, mit Lectionibus und Collegiis, wie er bishero zu Lcipzigk
getban, an die Hand zu gehen". Es war der erste Schritt zur Errichtung
der Universität Halle, die am 11. Juli 16&4, dem Geburtstag des Chur-
f Arsten, feierheh eröffnet wurde. Dieser erste Sehritt kennzeichnet zugleich
die Geistesrichtung, aus der heraus der kühne Entschluss entstand, in der
Nähe von Leipzig, Jena und Wittenberg eine neue Hochschule zu gründen,
— es war der Geist der religiösen Toleranz, wie er den Kurfürsten
und nachmaligen ersten König von Preussen und seine nächste Umgebung,
den Kanzler Frhru. Paul von Fuchs und den Hof- und Domprediger Daniel
Ernst Jablonsky, den Enkel des Comenius und Mitbegründer der Kgl.
Akademie der Wissenschaften, beseelte — der Geist, «1er im Jahre 1091
auch die Berufung des von den Lutheranern aus Dresden verdrängten
Philipp Jacob Spener nach Berlin veranlasste. Keine deutsche Hoch-
schule hat im ersten Jahrhundert ihrer Wirksamkeit mehr für die Ausbrei-
tung der comenianischeu Geistesrichtu ng gethan als die Universität
Halle; nirgends haben die von dem schroffen Confessionalismus der lutheri-
schen Territorien verdrängten und verfolgten Vertreter des Unionsgedankens
eine kräftigere Stütze gefunden als hier, und keine deutsche Hochschule hat
mehr dazu beigetragen, die in äusseren Formen und Formeln verknöchernde
Kirchlichkeit zu lebendigem religiösen Empfinden zurückzuführen. In Rück-
sicht auf diese Bedeutung hat gerade die Comenius -Gesellschaft alle Ver-
anlassung, die bevorstehende Jahrhundertfeier der Universität Halle mit
ihren besten Wünschen zu begleiten.
Die „geistigen Begründer der Universität Halle" waren, wie
Wilhelm Schräder in seiner soeben erschienenen Geschichte der Friedrichs-
Universität zu Halle (Berlin, Ferd. Dümmler 1894 I, 8) sagt, Thomasius
und Francke. „Wir empfinden es fast als eine Ironie der Geschichte (sagt
Schräder), dass diese beiden, welche nicht nur die junge Universität, sondern
die Hochschulen überhaupt mit neuer Kraft füllen sollten, um ihres
freien Geistes willen von Leipzig ausgestoßen wurden, demselben Leipzig,
dessen Anfänge doch auch einer Befreiung von fremdem Drucke ent-
stammten Die neue Universität ist durch den Kurfürsten Friedrieh
von Brandenburg gestiftet; aber diese Universität wäre nicht ohne Thomasius
entstanden, noch ohne Francke zu ihrem gewaltigen Einfluss gediehen."
Monatshefte der Coroenius-ücscllMihaft. IWrt. 1<5
236
Nachrichten.
Heft (i u. 7.
Sehr merkwürdig ist da* Urteil Friedrichs des Gräften ül>er Tho-
masius. Er sagt:
„Do tou»* les savans, cpii ont illustre! l'Allemagne, Loibniz et Thnmasius
feudi rent les plus grands Services ä 1'esprit humain."
Oeuvres, 1788, 1, 37«.
Treitschko, Deutsche Geschichte I, 3« und Wilhelm Roscher
(Prcnns. Jahrb. XIV, 28 j nennen Leibolz, Thoma*iuH, Spener und Pain-
dorf die vier grossen reformatorisohen Denker des 17 Jahrhunderte. Wie
kommt es, da*« hier Comcniua fehlt, der doch auf die drei erstgenannten
so grossen geistigen Einfluss geübt hat? Sehr richtig alier machen beide
neuere fielehrte auf die Tbatsachc aufmerksam, da*s die vier genannten
grossen Männer, von dem lutherischen Sachsen abgewiesen, in Branden-
burg Aufnahme und einen grossen Wirkungskreis gefunden haben. —
Für das Forschungsgebiet der CG. kommt gerade der hrandenburgisch-
preussiache Staat neben dem englischen und hollandischen in erster
Linie in Betracht.
In den Forschungen zur brnndenburgiseben und preussischen Ge-
schichte«. 1 giebt H. Land wehr eine Lebensbeschreibung des knrfürstbchen
Hofprediger» Bartholomaens 8to*eh (1«04— 1«8«). Die brandenburgisebe
Kirchciiftolitik unter Friedrich Wilhelm dem Grossen Kurfürsten ist gerade
für das Forschungsgebiet unserer Genellschaft von Iwsonderem Interesse, und
in der That berührt der Aufsatz eine Reihe von Fragen, die für unsere
Zwecke wichtig sind. Die Schrift, die auch als SonderaMruek ersehn n
ist1), ist um so wärmer zu l>ogrüssen, al* es bisher an Arbeiten über den
merkwürdigen Mann fast ganz fehlt. Stosch war in Reuthen von Männern
de« comenianischen Freundeskreises (s. unten) unterrichtet worden und
hatte dann (1«2«) die Universität Frankfurt a. O. besucht, deren Theologen
damals durchweg der reformierten Lehre zugethan waren und unter denen
hier nur Konrad Bergius, Christoph Pelargus und Benjamin Ureinus genannt
sein mögen. Unter den vielfachen Beziehungen, die Stosch auf seinen zahl-
reichen Reisen anknüpfte, war die zum Grafen Achati us III. von Dohna,
der sich damals unter allen Adligen Otproussens durch seine wissenschaftliche
Bildung und seine ernste religiöse Lebensrichtung hervorthat, (s. filier ihn
Beiheft 8 zu „Die Dohnas", Berlin 1882 S. 10) für seine spätere taufbahn
die wichtigste. Im J. 1«40 begab sich Stosch, der damals bei dem genannten
Grafen auf Dönhofsstädt (damals Grosa-Wolffdorf genannt) weilte, nach Lissa,
um sich von den böhmischen Brüdern zum Geistlichen ordinie-
ren zu lassen; dass dieser auffallende Schritt keiner Laune entsprang,
sondern seine Geistesrichtung kennzeichnet, liegt auf der Hand. Dann wurde
er Pfarrer in dem Dönhoff 'sehen Dorfe Pilten in Livland, um durch den
Hofprediger Johann Bergius, den Bruder Konrads, im J. 1«44 als Hofprediger
nach Berlin zu kommen. Wir müssen im übrigen an dieser Stolle auf die
interessante Schrift verweisen, die namentlich der geistigen Bedeutung von
') I/'ipzig, Duncker und Humblot is'Xi.
1894.
Nachrichten.
237
Stosch, der zugleich einer der hervorragendsten Kanzelredner seiner Zeit war,
vollkommen gerecht wird. Landwehr ist hei seinen Veröffentlichungen, wie
er selbst erklärt, von dem Bestreben geleitet, „der lutherischen Richtung
gerecht zu werden", der man nach seiner Ansicht bei der Darstellung
dieser Zeiten und Verhältnisse bisher nicht genügend gerecht geworden ist.
Dies Bestreben ist gewiss zu billigen und zumal bei einem Gelehrten, der
sich selbst zu den Lutheranern zählt, durchaus begreiflich. Wenn er aW
sagt, d&ss so „herrliche Typen", wie sie sich damals im lutherischen
Lager finden , „vergebens im reformirten Lager gesucht werden", so mu*s
man doch fragen, oh ihn dies Bestreben nicht hier und da doch dazu vertührt
hat, in denselben Fehler zu verfallen, in den die bisherigen Darsteller nach
seiner Uebcrzeugung gernthen sind, nämlich den einen Teil der streitenden
Parteien zum Nachteil des anderen zu bevorzugen. Immerhin ist es wert-
voll, da«s wir nunmehr auch eine Darstellung besitzen, die uns die Kehrseite
der Ereignisse nicht verschweigt.
In den UnionslK-strebungen di* 17. Jahrhunderts, zumal im östlichen
Deutschland, spielt das (iyinnasium Schonalehlanuin zu Beuthen a. (>.,
das vom Freiherrn Georg von Schönaich um 1614 gegründet war, keine un-
erhebliche Rolle. Die Anstalt hatte viel Ähnlichkeit in ihrer Einrichtung wie
in ihren Zielen mit der hohen Schule in Herborn, und wenn auch die Ge-
schichte der letzteren durch Comenius' Aufenthalt von grösserer Bedeutung
für unser Arbeitsgebiet ist, so haben wir doch alle Veranlassung, auch den
berühmten Beuthcner Schulen unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden; denn
ausser dem Gymna*ium, das mehr den Charakter einer akademischen An-
stalt besass, hatte der genannte Freiherr v. Schönaich auch ein Pädagogium
in Beuthen errichtet. Die Schulen haben viele hervorragende Vertreter der
reformierten Kirche gebildet — die Freiherrn von Schönaich waren reformiert
unter anderen auch den Mann, der auf die Kirchenpolitik des Grossen Kur-
fürsten lange Zeit den wesentlichsten Einfluss geübt hat, Bartholomaus Stosch.
I-eider fehlt eine Geschichte dieser Schulen, die den Anforderungen der
Neuzeit entspräche. Eine ähnliche Bedeutung besass übrigens in Nordwest-
deutschland das Gymnasium illustre, das die Grafen von Bentheim in Burg-
steinfurt errichtet hatten. Bemerkt sei noch, dass sowohl die Hern» von
Schönaich, wie die Professoren den Anstalten (cIhmiso wie die Oranier in
Herborn und anscheinend auch die Grafen von Bentheim) rege Beziehungen
zu den böhmischen Brüdern Insassen, und dn&s, als YVallcnstcin» Scharen
die Beuthener Schulen schlössen, verschiedene Professoren sich zu den
Brüdern nach Lissa begaben. Von den Beuthener Lehrern ist Georg Vechner
durch seine |>er9Önlichen Beziehungen zu Comenius bekannt (vgl. M. H. der
CG. 1892 S. 118 u. 185)3 S. 102); ausser ihm sind aus älterer Zeit Jeremias
Golems, Adam Liebig, Johannes Scultetus und Martin Fussel, der Sohn des
bekannten brandenburgischen Hofpredigers, zu nennen.
16"
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238
Inhalt neiurer Zeitschriften.
Heft 6 u. 7.
D. Inhalt neuerer Zeitschriften.
HIMorlM-hoN^ Jahrtoueh^ der
Auf »atze: Schinitz, <iro»»*iegcll>ewahrer
Kauffman* und die l'niversitat Köln.
Rattingcr, lvr Uber provisionuni praela-
lorum l'rbani V. - Kleinere Ili-itr5lif«>.
Rezensionen und Referate. Zeilsehrlften-
schaii, Novitatenseluui. - Nachrichten.
Heft 2. Aufsätze: Rauschen, Nnw
l'ntersuchiiiigeii DImt die |fc-»criptio der Re-
liquien ku Aachen und St. Denis. - Sag-
müller. Die Anfange der diplomatischen
Korrespondenz. K a y se r , Johann« » Ludwig
Vin» (145r2 -l.'4t». — RÜchl, (ieorg von
Wys». Kleinere Beitrage etc.
Rrvar Internationale de l>n-
Miencnn-nt. 14. aunee. No. J: Mau riet*
Vi'rni'ii, I/cnscigncmcnl de la republique
«•l la restauraüon de* etudi-s n'ligieuses. —
Theodore Kein ach, I/histoire greeuue
et la nuinüuiiatique. - Con »eil genersl de»
fatult.s de Pari». Rapport u M. h- miniatru
de I' Instruction publique et de» Beaux-Arts.
- Chroniquc de I Vnseigiiemcnt. — Nouvclk'S
et inlonnation». Bibliographie.
No. 3: Cimi I le Bloch , I.'iiistniction
publique dan» l'Aude prndant la Revolution.
II. L'iiistniclioii sreondaire; l'ccoie centrale.
— d 'Antruignes, Sur la ni'-cessite d'un
enseignemciit national eii Ku»»ie. Memoire
inedit. Publie par M. Ei'once Pingaud
(SiiiU'i. - H. Eenionuicr et F. Kenoit,
Elements de hibllogniphic |Kiiir l'hi»toire de
l'art moderne. — ('hronique etc.
Archiv fllr ©»terreiehl-Mhe €*>•
»rhirnte. Ml. Bd. .' HftUte. 1«M : Hanna
Schiitter, Die Stellung der österreichischen
Regierung cum Te»taniente Napoleon Bona-
parte'u. — B. Jtretholx, IHe Übergabe
Mahren» an Herzog Albrecht V. Ton Öster-
reich im Jahn- 1423. (Beitrage zur ( Geschieh te
der Hiisitenkriege «n Mohren.) — Franit
von Krone», Zur (ieschichie Ungarn»
tl«»7t — lOKli. Mit besonderer Rück»icht auf
die Thätigkcit und die (ieschiehle de» Jesuiten-
orden». Max Dvorak, Briefe Kaiser
!>>o|iold I. an Wenzel Kuseb, Herzog in
Schlesien zu Sagsui , Fürsten von LohkowiU
il<>ö7--l*>74). Nach den Originalen de« Forst-
lich von Ixibkowitx'schen Familienarchive» gu
Raudnilz an der Klbc in Böhmen.
Mitteilungen de» Verein« für
UeNehlchte d. Ueulwehen |n«ohm< n.
:rJ. Jahrg. Heft ■>: Hermann Hall wich,
Böhmen, die Heimat Walther» von der Vogel-
weide. - A. I*. v. Schlechtn-W»sehrd,
l'ntpmng und Bedeutung der historischen
Bezeichnung zupa und zupan. (Schluss.) —
J o b. Ma t th. K Ii tue»c h,(fVKchicbt**chreiber
de» ehemaligen t'istereienserstift» ttoldcnkron.
K. Huyer, Die Budwel» • Linzer PferuV-
clscnbahn. H.Lumhel, IHc Auffuhrungen
de» Horilzer Pasaionaspicl».
Heft 3 : J u 1. L i p |>e r t , Die Wyscbehrad-
frage. Joh. Matth. Kliuie»ch, iiv-
»chichtsschrcllier de* ehemaligen t'isterzienaer-
»tifts (Soldenkron. (Schill»*.) B. Wolkan,
l>ie Anfänge der Reformation in Joachimathal.
II. La tu bei, Die Aufführungen de»
Horitzer Passionsspicles. (Schluss.) An ton
Re I» h a n n . Elisabeth Johanna Westen. Kine
vergessene Dichterin de» IC. Jahrhundert«.
Schlesinger, Bemerkung.
1'lillonophUrhe Honat»h»ne.
:*>. Bd. Heft I u. .»: W. Schuppe, Die
natürliche Weltansieht. B. Erdniann,
Theorie der Typen - Einteilungen. (I.) — J.
Du hoc, In Sachen der Trieblehre. — K.
Vorl linder, Ein lucher noch iinentdeckter
Zusammenhang Kant« mit Schiller. — Re-
zenaionen. - Neu eingegangene Schriften. -
Au* Zeitschriften.
Vlerteljanrsmrhrirt fllr wlatven-
wehnn Hellt- l*ht looophle. IS. Jahrg.
Heft 2: R. A vena riu», Bemerkungen zum
Begriff de» tiegenstandes der Psychologie.
1. Art. — W. J eru »ale in , Glaube und Urteil.
- J. Petzoldt, Einige* zur t rrundlegiing der
Sittenlehn\ 3. Art. (Schiusa.) - Anzeige. —
Selbstanzeigp. -- Philosophische Zeitschriften.
Bibliographische Mitteilungen.
Mitteilungen der Cleselliiehafl
fllr deut»< he Krzleliunn» n. Hehul-
re*ehlehte. Jahrg. IV. Tieft 1: Otto
örilluberger. Eine Disziplinarordnung
für Bunisten. Wilhelm Richter,
Paderborner JeeuiU-ndramen in den Jahren
16:r_' 1770. -- M. Wehrmann, Die Schute
cu Stargard In Pommern unu-r dem Rektor
Thomas Reddemer tl6<»4 10181. Hans
Heiniseh, Ausgaben der Stadt Regensburg
fOr ihr (iymnasium Poeticum in den Jahren
1018-1647. Franz Brummer, Zur
Schulgeschichle der Stadt Nauen (Provin*
Brandenburg). — Holstein, 2 Schriftstücke
zur Hebung des P&dagogitims zu Ilfeld und
de« hannoverschen höheren Schulwesen» aus
dem Jahn- 177<l. - (ieschaftlicher Teil.
Biichdruckerei von Johanne« Brt'dt, Münster i. Westf.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
III. Band. ~s 1894. e~ Heft 8.
Die Anfänge der Universität Halle.
Von
Dr. Waldemar Kawerau.
Der 11. Juli lß94 war ein hoher Festtag für Halle, denn
an diesem Tage, dem Geburtstage ihres kurfürstlichen Stifters,
erhielt die neugegründete Hochschule ihre feierliche Weihe. Der
Festakt vollzog sich mit all der Pracht und all dem Pomp, die
dem nachmaligen ersten preussischen Könige Bedürfnis waren. Nach-
dem er selbst tags zuvor von 150 berittenen adeligen Studenten
in feierlichem Zuge eingeholt worden war, ging am 11. Juli, einem
Sonntag, in der Domkirohc der eigentliche Weiheakt vor sich. Der
Hofprediger Ursin us hielt die Festpredigt über Jesajas 49,23:
„Und die Könige sollen deine Pfleger und ihre Fürstinnen deine
Saugammen sein ... da wirst du erfahren, dass ich der Herr bin,
an welchem nicht zu Schanden werden, so auf mich harren,"
worauf der Geheime Rat Paul von Fuchs die Eröffnungsrede
hielt und darin nach des erlauchten Stifters Willen den Kurprinzen
als Rektor, den Professor Bai er als Prorektor der nunmehrigen
Friedrichsuniversität einsetzte. Am nächsten Tage, dem 12. Juli,
folgten in der Marienkirche am Markte die Ehrenpromotionen und
eine Dankrede des Professora Cellarius, wahrend überdies an
beiden Tagen an festlichen Gastereien und Volksbelustigungen kein
Mangel war.
Der 12. Juli ist seitdem als eigentlicher Geburtstag der
Hochschule festgehalten worden, die somit eben jetzt zwei Jalu*-
hunderte ihrer ruhmreichen Geschichte vollendet hat Sie selbst
hat sieh die wertvollste Festgabe in der in ihrem Auftrage von
Monal-tli)-fu> «Irr tOinciiius-CvÄ-llschalt. 181*4. i 7
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240
Kawcrau,
Heft 8.
dem Kurator der Universität, Herrn Geh. Oberregierungsrat D. Dr.
Wilhelm Sehrader verfassten Geschiente der Fridericiaim1) dar-
gebraeht, einem durchweg aus den Quellen geschöpften, durch
Umfang und Tiefe der Gelehrsamkeit imponierenden Werke, in
dem der Schöpfung des Thomasius das schönste und dauerhafteste
Denkmal erriehtct ist Es ist ein monumentales Werk, aufgebaut
auf einem Material von ausserordentlicher Breite und Tiefe, das
der Verfasser, wohlvertraut mit den Grundbedingungen jeder histo-
rischen Arbeit: der richtigen Wertmessung, dem sichern Blick
für Höhen und Tiefen und dem feinen Gefühl für Abstufungen,
lichtvoll zu gruppieren und anschaulich zu gestalten verstanden
hat Allenthalben tritt aus seinem Bericht der Geschehnisse die
volle geistgessittigte Anschauung der Wirklichkeit hervor und macht
jene Geschehnisse begreiflich, glaubwürdig und überzeugend. Und
es ist ein ebenso reichhaltiges wie glänzendes Kapitel aus der
Geschichte der deutschen Wissenschaft, das sich in den zwei
stattlichen Bänden vor uns aufrollt, und es ist eine lange Bcihe
berühmter Gelehrten von Christian Thomasius und August Her-
mann Francke bis zu Schleiermacher und Tholuck, die uns hier
in scharf umrissenen, lebensvollen und farbenreichen Charakter-
bildern vor Augen treten. Aber auch unerquickliche Partien
durelimisst der Verfasser mit gleichem Bedacht und in gleichem
Tempo wie die fruchtreichen und erhebenden und bringt uns nicht
nur deutlieh zum Bewusstsein, was fördernd, sondern auch alles
das, was jeweilig hemmend auf die Entwicklung der Universität
einwirkte und ihre Blüte zeitweilig verkümmern Hess. Doch ist
es fiberwiegend ein glänzender Ausschnitt aus der Geschichte
deutscher Kultur und deutsehen Geisteslebens, der uns in diesem
Buche geschildert wird, denn es bleibt der Ruhm der hallischen
Hochschule, dass sie, so wechsclrcieh auch ihre Schicksale sich
gestalteten, doeh nie aufgehört hat, an der Entwicklung des deut-
scheu Geistes erfolgreich mitzuarbeiten und sich allezeit als das
') Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle, von D. Dr. Wilhelm
Sehrader, (ich. Oherregierungsrat und Univcrsitätskurator. Zwei Bände,
Berlin, 1SÜ4. Einen |x»pulären Auszug daraus veranstaltete Prof. Dr. Gustav
Hertzberg: Kurze Übersieht über die Geschichte der Universität zu
Halle a. S. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts. Halle a. S., 1804. Ausser-
dem verweis*- ich auf meine, vorzugsweise die Anfänge der Universität be-
handelnde Schrift: Aus Halles Littcraturlchen. Halle ISNS.
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1H94. Die- Anfänge der Universität Halle. 241
zu bewahren, wozu ihr Schöpfer Thomasius sie bestimmt hatte:
als eine Alma mater der freien Forschung und des geistigen
Fortschritts; es bh'ibt ihr Ruhm, dass sie allezeit in ganz beson-
derem Masse au allen Geistesbestrebungen den wärmsten Anteil
genommen und sie aufs Treueste wiedergespiegelt hat, wodurch
sie mehr als die meisten andern deutschen Hochschulen immerdar
auch für die allgemeine Bildungsgeschichte fruchtbar und segens-
reich geworden ist.
Es ist natürlich unmöglich, hier an dieser Stelle von dem
ganzen reichen Inhalt dieser Wechsel vollen Geschichte auch nur
in knappsten Timrisslinien eine Vorstellung zu geben, doch mag
uns wenigstens bei den Anfangen der Friedrichs-Universitat ein
verweilender Blick gestattet sein. Auch liegt ja ohne Frage eben
in diesen ihren Anfängen der Schwerpunkt imd der Hauptreiz
ihrer Geschichte, da sie damals als Trägerin eines durchaus neuen
Geistes sich in entschiedenem Gegensatz zu den älteren Univer-
sitäten durchsetzen und behaupten musste, während in der Folge-
zeit natürlich auch sie mehr und mehr das allgemeine Gepräge
deutscher Hochschulen gewann, wodurch ihre Geschichte in ihrem
weiteren Verlaufe den fesselnden Heiz einbüsst, der ihr in jener
ersten Werdezeit eigentümlich ist
Bekanntlich reichen die Anfänge der jungen Hochschule
über das offizielle Gründungsjahr hinaus, denn schon im Jahre
lüOO hatte Christian Thomasius, den das eifernde Leipzig von
sich gestossen hatte, in Halle seine Vorlesungen eröffnet und da-
mit den Grund zu der neuen Schöpfung gelegt, die dann vier
Jahre später ihre feierliche Weihe erhalten sollte. Es waren hier,
merkwürdig genug, Professor«'!» und Studenten schon vorhanden,
bevor überhaupt noch „eine gewisse Resolution gefasst worden,
eine Universität zu stabilieren", und man begreift angesichts dieser
eigentümlichen Entstehung der Fridericiana das bekannte Wort des
Thomasius, dass diese nicht als ein Werk menschlicher Klugheit,
sondern als ein Werk göttlicher Vorsehung zu betrachten sei
Denn in der That ist es wunderbar genug, wie im Grunde ein
Zufall, oder sagen wir lieber mit ihm die „göttliche Providern?",
entscheidend über den Anfängen dieser Hochschule waltete. Das
altgläubige Ixnpzig liatte den jungen temperamentvollen Professor,
der selbst ein gutes leipziger Professorenkind war, weil er den
dortigen Orthodoxen allzu empfindlich ihre Kreise gestört hatte,
17*
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242
Kawerau,
Heft 8.
von »ich gestossen, so dass er, gebrandmarkt als „notorischer Erz-
bösc wicht", wie ein Flüchtling au« der Heimat hatte entweichen
müssen; da bot dem am Markte müssig Stehenden der Kurfürst
von Brandenburg in seinem Lande eine Heimat, indem er ihm
unterm 14. April lf>90 den Ratetitel verlieh und ihm unter Be-
willigung eines ansehnlichen Gehalts gestattete, „sich in Unserer
Stadt Halle im Herzogtum Magdeburg zu setzen und der studi-
reuden Jugend, welche sich allda vielleicht bev ihm einfinden
möchte, mit I>>ctionibus und Collegiis, wie er bisshero zu Lcipzigk
gethan, an die Hand zu gehen." Damit war der Grundstein zu
der neuen Hochschule gelegt, die zwar als ihren Stifter (Linkbar
den Kurfürsten Friedrich von Brandenburg feiert, aber doch nie
.vergessen wird, dass der eigentliche Anstoss zu dieser einem neuen
Geiste Gestalt und Zusammenhang verleihenden Ncnschöpfung in
dem ganz persönlichen Geschick jenes Mannes lag, der als kecker
Neuerer und nicht zuletzt als warmer Verteidiger des vervehmten
Pietisten Francke dem Hass des orthodoxen Leipzigs hatte weichen
müssen, worauf nun ihm, dem obdachlosen Vertreter der Aufklärung,
Kurbrandenburg eine neue Statte der Wirksamkeit eröffnete.
Freilich waren auch eben jetzt und grade auf hallischem
Boden die äusseren und inneren Bedingungen für das Gedeihen
der jungen Hochschule so günstig wie nur möglich: die äusseren
in der l^age der Stadt, in ihrer als Pflegstätte des jungen Adels
dienenden Ritterakademie, in dem geistigen und gewerblichen Auf-
schwung, den sie durch die Niederlassung der französischen und
pfälzer Reformierten erfahren hatte; die inneren in den sich vor-
bereitenden geistigen Wandlungen, die eine so eigenartige geistige
Schöpfung geradezu zu fordern schienen. Allerdings hatten die
Hallenser selbst zu dem „tollkühnen Unternehmen" nur wenig
Vertrauen, und der Bedenklichkeiten und Zweifel war kein Ende.
Während die Stände des Herzogtums — nicht mit Unrecht —
für ihren Geldbeutel fürchteten besorgte der städtische Rat von
') Wonig bekannt um! auch bei Schräder nicht erwähnt i*t die That-
xaehe, dann sich der Kurfürst , um dii« Mittel für die neue Hochxchule auf-
zubringen, zeitweilig auch mit dem Gedanken trug, das Kloster U. L. Frauen
in Magdeburg nach Halle zu verlegen und mit der Universität zu ver-
schmelzen, wobei dein fehdelustigen Propst Philipp Müller eine theologische
Professur zugedacht worden war. Die Akku darüber hat G. Herta im
Beiblalt zur Magdeb. Zeitung IMH, S. JJ» f. mitgeteilt,
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1894.
Pio Anfänge oVr Universität Hallo.
243
dem Zuzug ungeberdiger »Studenten nichts als Störungen der öffent-
lichen Ordnung, wie nicht minder die verdrießlichsten K«>mpetenz-
konflikte mit den akademischen Behörden, und selbst der Rektor
des städtischen Gymnasiums stand grollend abseits, weil er sich
wohl durch die neue Universität in seiner wissenschaftlichen Allein-
herrschaft bedroht fühlen mochte — aber Thomasius lies« sich
durch alle diese Bedenkliehkeiten nicht beirren, sondern schritt
mutig vorwärts in jenem unbeirrbaren Gott vertrauen, von dem sein
ganzes Leben durchleuchtet war. Und der Erfolg sollte den Klein-
mütigen bald genug zeigen, wie begründet sein Vertrauen gewesen
war. „Er (Thomasius) — so schilderte er später selber in einer
„Anrede an seine Feinde" die Anfänge der Akademie1) — „er
kam her nach Halle und fand keinen Auditorcm hier . . . Wie
schmählich lachtet Ihr damals Thomasium aus und wie höhnisch
8|>ottetet Fhr seiner. Thomasius aber vertraut« Gott und setzte
sich hierher; er warb keine Studenten hierher zu kommen, sondern
notificirte nur seine Ankunft erst privatim seinen Auditoribus
privatissimis, worüber Ihr ein gräulich Lärmen anfinget, hernach
Jedermann publice durch s«»in l'rogramma, das der Oberhofprediger
Carpzovius ein marktschreierisches Programma schalt. Ihr machtet
ihm vor dem Anfang seiner Ix'ctioucn durch Eure C'rcaturen, die
Ihr, wie bekannt, auch in andern Ländern habt, so viel Hindernis«
und Verdruss, als Ihr nur konntet; er fand sehr Wenige, die
ihm zu helfen und Sr. kurfürstlichen Durchlaucht gnädigste Inten-
tion zu befördern angelegen sein Hessen, ja es waren Etliche so
offenherzig, dass sie ihn fragten, ob er denn bei Anfang seiner
Lectionen etliche Auditores im Vorrath hätte, denn hier in Halle
würde er keinen bekommen. Thomasius aber Hess sich durch
nicht* abschrecken, sondern fing seine Leetiones in Gottes Namen
den Montag nach Trinitatis anno 1690 an. Er hatte das erste
mal über fünfzig Auditores und hat sie von da an, so lange er
allein hier und noch keine Resolution von Aufrichtung einer Uni-
versität gefasst gewesen, nie unter zwanzig gehabt. . ." Bald
verstummte denn auch der Spott d«-r Leipziger über die verwegene
Gründung, und der giftige Hass, der mit einem wohlfeilen Wort-
witze Carpzows die Universität Halle als die „höllisch«;" anrüchig
zu machen suchte, erwies sich als ohnmächtig; vielmehr mussten
') Vgl. Aus Hallt's LittcraturMwn. S. 18 f.
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244
Kn woran,
Heft 8.
die alten rechtgläubigen Hoehsehulen bald genug mit Schrecken
wahrnehmen, wie frisch und kräftig die junge Sehwestoranstalt
aufblühte, und wie der von ihr gepflegte Geist bald über den engen
Bezirk der Hörsäle hinausdrang und allenthalben ein neues Leben,
insbesondere ein neues Leben für die evangelische Kirche ent-
stehen Hess.
Hierfür waren, wie gesagt, eben jetzt auch alle inneren
Bedingungen in reichstem Masse vorhanden. Es war jetzt am
Ausgange des 17. Jahrhunderts ein kritischer Wendepunkt für
.das geistige Leben eingetreten, da die lähmende Nachwirkung
jener unseligen Zeit, in der in einem Kriegselend ohnegleichen
die beste Volkskraft zerstört und der Wohlstand zerrüttet war,
trotz aller staatlichen Zersplitterung nachzulassen, die Volksseele
allmählich wieder aufzuathmen begann und allenthaben die Keime
eines neuen geistigen Lebens und einer neuen Bildung ans Licht
drängten. Die warme Sehnsucht eines Spener lehnte sieh auf gegen
die unfruchtbare Scholastik in der Theologie, und vor dem Ideen-
reichtum des grossen Leibniz, in dem der deutsche Geist zum
erstenmale zur Conception eines allgemeinen Weltbildes sich erhob,
musste die nicht minder unfruchtbare Scholastik in der Philosophie
zurückweichen; zugleich war auch, worauf der Geschichtsschreiber
der halligchen Universität nachdrücklich hinweist, für das öffent-
liche Recht das Bedürfnis neuer Gestaltung in der Wissenschaft
durch Grotius und Pufendorf, im Leben durch die Ausbildung
des Fürstenrechts und durch die lebhafteren Berührungen der
Staaten seit dem westfälischen Friedensschlüsse wach geworden:
für diese ganze neue« Gedankenbewegung aber reichten die Formen
und Uberlieferungen der alten Hochschulen nicht aus, sondern es
bedurfte eben eines völlig neuen Gebildes, das diesem neuen
Geiste Gestalt und Zusammenhang zu geben im stände war.
Doch das wesentlichste Motiv, das zu dem kühnen Ent-
schlüsse führte, hier in der unmittelbaren Nähe von Leipzig, Jena
und Wittenberg eine neue Hochschule zu gründen, war kirch-
licher Art, da im eigenen Interesse des Staates die Errichtung
einer neuen lutherischen Universität, in der Mitte der kurfürst-
liehen Lande gradezu zu einer Notwendigkeit geworden war.
Frankfurt und Duisburg waren reformiert, jenes seit KU 4, dieses
seit Gründung der Hochschule im Jahre Ki54; das lutherische
Königsberg lag zu weit ab und war überdies nach langen zerrüt-
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1894. l>i« Anfang« der Universität Hall»-. 245
tenden Streitigkeiten innerlich aufs äusscrste geschwächt worden;
so zogen Wittenberg und L<'ij)/ig die Landeskinder au sieh, die
beide zu Hochburgen eines engherzigen, streit- und vordammungs-
süehtigen Luthertums geworden waren. Hier herrsehte eine
Theologie, die die religiösen Wahrheiten in ein umfangreiches
Gefüge von Formeln verwandelt hatte, gezimmert von einer neuen
scharfsinnigen, haarspaltenden Scholastik, in der je länger desto
mehr das intellektuelle, das doktrinäre Interesse überwog, während
das religiöse völlig verkümmerte. Sollte der Einfluss dieser so
leidensehaftlichen wie unfruchtbaren Streittheologie gebrochen
werden, so bedurfte das konfessionell gemischte Preussen einer
neuen Universität, die den jungen Studierenden eine Stätte fried-
licher und inniger Gotteserkenntnis zu bieten im stände war, so
bedurfte es einer Hochschule, auf der lutherische Prediger er-
zogen werden konnten, die „nicht so sektiererisch und gegen
anders denkende Bürger kriegerisch und einer reformierten Obrig-
keit abgeneigt" waren, wie die sich. meist noch lutherischer als
Luther selbst geberdenden Theologen von Wittenberg. Und es
entsprach ganz der duldsamen Kirchenpolitik des preussischen
Staates, dass er zu diesem Behuf nicht nur den obdachlosen Ver-
tretern der Aufklärung, sondern auch denen des Pietismus seine
Arme öffnete und dieser sonst überall verfolgten um! vervehmten
Theologie hier in Halle ein sicheres Asyl bot. Schon der Grosse
Kurfürst hatte diese duldsame Kirchenpolitik deutlich genug vor-
gezeichnet.') Wie er in der Reichspolitik überall der Hauptv
Vertreter der evangelischen Interessen war, wie er mannhaft für
seine Glaubensgenossen in den österreichischen Erblanden und
in anderen deutschen Gebieten, namentlich in Jülich-Berg, ein-
trat, ja gar eifrig, wenn auch erfolglos, auf eine Allianz aller
evangelischen Mächte hinwirkte, so war auch seine Landespolitik
ganz und gar von «lern Bestreben beherrscht, das Wohl der
Evangelischen zu fördern und die konfessionellen Gegensätze nach
Möglichkeit auszugleichen. Nicht zwar, als ob er direkt eine
Unionspolitik verfolgt hätte; wohl aber war seine ganze Kirchen-
politik unverkennbar von dem Motiv geleitet, ein friedliches Ver-
') Vgl. Hugo Landwehr, Die Kirehenpolitik Friedrieh Wilhelms,
den Grossen Kurfürsten. Berlin IS'.U und .1. H e i d ein a n n Anzeige in
diesen Monatsheften 3, L'L'S f.
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f
24« Kawerau, Heft 8.
hältnis zwischen Lutheranern und Reformierten herzustellen und
auf Grund des von ihm proklamierten Paritäteprinzips den leiden-
schaftliehen Kämpfen der hadernden Parteien ein Ziel zu setzen.
Von dem gleichen Bestreben war auch der nachmalige erste
König von Preussen erfüllt, der, wie Schräder feinsinnig hervor-
hebt, mit seinem milden kirchlichen Sinne eine unverkennbare
innere Verwandteehaft mit dem unionsfreundlichen Könige Fried-
rich Wilhelm III. besass, mit dem ihm die stille überzeugte
Glaubenstreue und der Wunsch nach einer Versöhnung der beiden
evangelischen Kirchen gemeinsam war. Es war dabei gewiss
nicht zufällig, dass, worauf neuerdings schon von andrer Seite
hingewiesen worden ist, ') zu des Kurfürsten nächster Umgebung
neben dem weitherzigen Kanzler Paul von Fuchs auch der Hof-
und Domprediger Daniel Ernst Jablonskv, ein Enkel des
Comcnius, gehörte, der von Haus aus jedem schroffen Konfes-
sionalismus abhold und ganz im Geiste seines grossen Ahnen
von friedlichen Unionsgedanken durchdrungen war. Und ganz
aus dieser Geistesrichtung heraus erwuchs der Entsehluss, der
die Universität Halle ins Leben rief: eine Universität, durch-
waltet von einem ökumenischen Zuge, der ihre Glieder auch in
dem Streite der Konfessionen über dem Trennenden das Einigende
nicht vergessen Hess, die Pflegstätte eines Geistes religiöser Wärme
und weitherziger Duldsamkeit.
Eben dadurch bedeutete denn auch die Gründung dieser
Universität eine neue Epoche des deutschen Hochschulwesens,
denn ein neues Prinzip gewann hier unter dem Schutze des hohen-
zollernschen Herrscherhauses sein erstes akademisches Bürger-
recht. Die junge Hochschule stand eben von vorneherein in
einem entschiedenen Gegensatze zu den älteren Universitäten ;
sie tnig ein durchaus modernes Gepräge und verdankte grade
diesem Gegensätze ihr Dasein und ihren Glanz, ihr unvergleich-
lich rasches Aufblühen und den nicht minder unvergleichlichen
Einfluss, der ihr in ihrer eisten Blütezeit auf das gesamte geistige
Leben des Volkes beschieden war. Der Kurfürst war sich daher
auch der Wichtigkeit dieser neuen Schöpfung voll bewusst; sie
verstärkte Ruf und Einfluss des Staates nach aussen und gab
ihm im Innern Halt und Festigkeit; sie war in jedem Betracht
') Monatshefte der Comcniu»-Ge*cll*ehait. 3, 2:$f>.
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1894.
Die Anfänge der Universität Halle.
247
ein beredtes Zeugnis für die geistige Kraft des friseh aufstrebenden
Staates, der sieh tüeht lange darnach in ein Königreich wandelte.
Aber so hoch wir auch des Kurfürsten Verdienste um die
Stiftung der hallischen Universität anschlagen müssen - diese
Universität, so bemerkt Schräder mit Recht, wäre doch nicht
ohne Thomasius entstanden und hätte ohne August Hermann
Franc ke nicht den gewaltigen Einfluss erlangt, kraft dessen sie
von Anbeginn an alle ihre älteren Schwestern überflügelte. Und
auch in diesem Umstände, dass gleichzeitig jenes frische und
freie Weltkind und der fromme Pietist hier an dieser Stätte
sich zusammenfanden, waltete in der That mehr „göttliche Pro-
videnz" als menschliche Klugheit, und es bleibt eine so über-
raschende wie wunderbare Erscheinung, dass diese auf den ersten
Blick so gegensätzlichen Naturen hier zu einträchtigem Wirken
sich vereinigten, und dass grade in ihrer gemeinsamen Arbeit die
erste und reichste Blüte der jungen Hochschule begründet war.
Auch dem jungen Gottesgelehrten hatten unmittelbar zuvor die
Leipziger Orthodoxen übel mitgespielt, so dass er gleich Thomasius
das Feld hatte räumen müssen. Er hatte sich von Leipzig nach
Erfurt gewandt, aber auch dort hatte der Hass seiner Feinde nicht
eher geruht, als bis der anrüchige Pietist seines Amtes wieder
entsetzt, ja wie ein Verbrecher aus der Stadt vertrieben worden war.
Da traf ihn in Gotha ein Ruf in die Pfarretelle zu Glaucha bei
Halle, mit deren Annahme sich ihm zugleich die Aussicht auf eine
Thätigkeit an der zu gründenden Hochschule eröffnete; er nahm
in gläubigem Gottvertrauen diesen Ruf an, siedelte in den ersten
Januartagen des Jahres 1692 nach Glaucha über und begann hier,
nicht ohne mancherlei schwere Kämpfe und Anfechtungen, seine
stille, aber unermesslich segensreiche Wirksamkeit, aus der bald
ein völlig neues Leben für die evangelische Kirche erwachsen sollte.
Auf den ersten Blick ist es in der That ein wunderlicher
Bund zweier geistiger Mächte, der in den beiden anscheinend so
gegensätzlichen Persönlichkeiten des Aufklärers Thomasius und
des frommen Waisenhausstifters verkörpert ist» Jener frisch und
keck, ein geschworner Feind aller Vorurteile und aller Pedanterie;
kein genialer, selbstschöpferi scher Geist, aber ein rühriger, uner-
müdlicher Agitator der Aufklärung; kein beschaulicher Gelehrter,
sondern der Weltmann auch auf dem Katheder; eine ganz auf prak-
tische Thätigkeit gestellte Natur, die unglaubliche Zähigkeit mit
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248
Kawcrau,
Heft 8.
ebenso grosser Elasticität in sich vereinigte. Mit starkem Menschen-
verstand paarte sich in ihm ein gesunder Mutterwitz, und seine
kriegerische Natur fühlte sich am wohlsten in der Polemik, in
der seine derb -satirische Schreibart sich am freiesten entfaltete.
Dramatische Bewegimg war sein Element, sowohl im mündlichen
Vortrag wie in all seinen Schriften, und wenn er auch später
unter pietistischem Einfluss zur Einsicht in die „Eitelkeit der
satirischen Schreibart" gelangt sein wollte, so blieb sein Stil doch
bis zuletzt „unerfahren in der Traurigkeit" und „zu betrübten und
ernsthaften Sachen ganz ungeschickt". Er war der Vertreter eines
Bildungsideals, das bewusst mit der Renaissance brach, indem es
von den Büchern weg- und auf das Leben hinwies, das huma-
nistische Interesse an den klassischen Sprachen zurückdrängte und
auch für die Wissenschaft das Xützlichkcitsprinzip zur Geltung
brachte. Er war der akademische Vertreter des „homme de cour" ')
und zugleich der Begründer des wissenschaftlichen Journalismus,
der unbekümmert um die wackelnden Zöpfe der gelehrten Philister
die wissenschaftliehe Prosa in Deutschland begründete, nachdem
einhundert und siebzig Jahre zuvor Luther die deutsche Sprache
für den Glauben und Gottesdienst erobert und genau hundert
Jahre nach ihm Opitz als Seitenstück zu der lateinischen Poesie
der Humanisten eine Renaissancedichtung in deutscher Sprache
geschaffen hatte. s)
Wie anders dagegen August Hermann Franc ke, dieser
Mann des Gebets, der in einem, man möchte fast sagen verwegenen
Gottvertrauen seine Riesenschöpfungen der Nächstenliebe aus dem
Nichts hervorrief; dieser Priester und Prophet voll heiligen Eifers,
dem nach schweren inneren Kämpfen der Frieden, der höher ist
als alle Vernunft, zu einem unverlierbaren Besitztum geworden
war! Thomasius streitsüchtig, unerschrocken und rücksichtslos,
ein heiter um sich blickendes Weltkind voll lebhaften Tempera-
ments und scharfen Witzes: Francke ipmz ein Mann des religiösen
Enthusiasmus und unbeirrbar zäher Glaubenskraft, ganz und gar
durchdrungen von dem Gefühl der Gotteskindschaft, aber dabei
doch fest mit beiden Füssen auf dem Boden der Wirklichkeit
') Hein WrhültniH zu Graeian ist neuerdings von Karl Borini»ki in
der Schrift : Ilaitasur Graeian und die Hoflitteratur in Deutschland, Halle
IS'Jl, geistvoll erörtert worden.
'-') Vgl. J. Minor in der Vicrteljahrwhrift für Litterai Urgeschichte 1,5.
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1894.
Die Anfänge der Universität Halle.
249
stehend und sein Christentum allezeit bethätigend in werkthätiger
Liebe, die sieh im Dienst für andere nimmer genug that. Tho-
masius scharf ausgreifend, ein stürmischer Neuerer; Francke als
Mann des Gemütes nur bestrebt, das geistige und religiöse Leben
zu verinnerlichen und zu vertiefen und die durcli eine erstarrte
Orthodoxie verschütteten Quellen des Innenlebens wieder auf-
sprudeln zu lassen.
Aber so gegensätzlich ihre Naturen auch erscheinen mögen,
doch gab es zwischen ihnen des Gemeinsamen genug, das ihr
Bündnis für die neu gegründete Hochschule zu unennesslichem
Segen gestaltete. Und nicht nur für die Universität Halle selbst,
sondern für das gesamte geistige Leben Deutschlands, das durch
ihr Zusammenwirkan verjüngt und gekräftigt und auf lange Zeit
hinaus aufs Reichste befruchtet ward. Dieses Gemeinsame lag
nicht nur in der gleichen Negation, d. h. in der gleichen Kampf cs-
stellung wider die verknöcherte Orthodoxie und den Gelehrten-
pedantismus des 17. Jahrhunderts, sondern auch in den gleich-
artigen positiven Zielen, die den Bahnbrecher der Aufklärung
und die glänzende Lichtgcstalt des Pietismus zusammenführten.
Gemeinsam waren ihnen beiden die tiefinnerliche Frömmigkeit,
denn nur Kurzsichtigkeit kann leugnen, dass auch Thomasius eine
religiöse, von schlichtem, felsenfestem Gottvertrauen erfüllte Natur
war, und eben von diesem gemeinsamen Ausgangspunkte aus
strebten sie, wenn auch auf verschiedenen Wegen, doch auch
einem gemeinsamen Ziel zu. Der Aufklärer Thomasius kämpfte
für Freiheit der Wissenschaft von dem Joche der Theologie und
innerhalb der Wissensehaft selbst wider jede scholastische Über-
lieferung; den Pietisten Francke führte die unbefriedigte Sehn-
sucht nach der Versöhnung mit seinem Gotte in den gleichen
Kampf hinein; beide, jener aus Freiheitsliebe, dieser aus einem
ganz persönlichen religiösen Bedürfnis, strebten heraus aus der
Enge und Leere der bisherigen Erkenntnisformeln und lehnten
sieh auf wider den Zwang, der mit jedem Autoritätsglauben ver-
bunden ist. „Freiheit erwacht in jeder Bnist, wir protestieren all
mit Lust", das war die Parole des Thomasius, mit der er keck
und frohgemut wider die dürre Scholastik zu Felde zog, während
Francke, überzeugt, dass in unsres Vaters Hause viele Wohnungen
sind, das Joch des allein seligmachenden Dogmas zerbrach, das
dem evangelischen Glauben den angeborenen freien Atem ver-
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Kaworau,
Heft 8.
kümmerte. lTnd wie Francke einen Glauben wollte, der nicht
blosse Ix'hre, der nicht nur ein Bekenntnis der Lippen war, son-
dern sieh im Leben praktisch bethätigte, so wollte Thomasius
eine praktische Bethätigung der Wissenschaft und ein Nieder-
werfen der Schranken, die bis dahin Wissenschaft und Leben wie
eine clünesische Mauer von einander getrennt hatten. Beide
bahnten sich somit den Weg von den Hörsälen in das öffentliche
Leben, und wie des Thomasius Gedankeufrische auf dieses um-
gestaltend einwirkte, wie er tapfer und beherzt mit einer Unmenge
alter und durch das Alter geheiligter Vorurteile aufräumte, so
entwand sieh durch Franckes Wirksamkeit die Kirche mehr und
mehr den Fesseln der scholastischen Theologie, verjüngte sich in
Ix'hre und Predigt, befreite das so lange gefesselt gewesene Ge-
fühl und läuterte und adelte die Sittlichkeit»
So fand der eine an dem andern seine Ergänzung: Tho-
masius befreite die weltliche Wissenschaft von der Vormund-
schaft der Theologie; Francke flösste dieser Theologie selbst ein
neues lieben ein, indem er dem sittlichen Gehalte des Christen-
tums wieder zu seinem Hechte verhalf und durch Erwecknng
eines innigen, in der Liebe sich bewährenden Herzensglaubcns
das gesamte kirchliehe und religiöse Leben von Grund aus er-
neuerte. Und dieser Aufgabe gegenüber war natürlich die Auf-
klärung des Thomasius allein ohnmächtig, da religiöse Mächte
nur wiederum durch religiöse Mächte zu überwinden sind. Nicht
theoretisch konnte die Allmacht der orthodoxen Theologie gebrochen
werden; das konnte nur eine so übermächtige, durch und durch
religiöse Persönlichkeit wie die Franckes, der der verknöcherten
theologischen Scholastik sein praktisches Christentum entgegen-
setzte und durch handgreifliche Beweise des Geistes und der Kraft
den Zusammenbruch jener alten Orthodoxie zum Heile der Kirche
beschleunigte. Weniger freilich als der Professor, denn als der
fromme Stifter des Waisenhauses und all der übrigen „Sieges-
denkmäler des Gottvertrauens und der Menschenliebe", wie denn
überhaupt der eigentliche Schweipunkt seiner Wirksamkeit nicht
innerhalb, sondern ausserhalb der Fakultät lag. Denn um die
naehlutherische Dogmatik, dieses kunstvolle Produkt einer über-
aus scharfsinnigen neuen Scholastik, wissenschaftlieh zu über-
winden, dazu fehlte es ihm selbst wie dem gesamten Pietismus
an der genügenden wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit, so dass
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Die Anfänge der Universität Hallo.
251
os ihm überhaupt versagt blieb, dem von ihm verkündeten Herzens-
glauben die entsprechende theologische Ausgestaltung zu geben.
Ja, der von ihm immer wieder betonte Satz, Glauben sei mehr
wert als Wissen, musste sich je länger desto mehr für die theo-
logische Wissenschaft geradezu als verhängnisvoll erweisen, und
es war an Francke selbst ohne Frage die bedenklichste Ein-
seitigkeit, dass er den Erwerb theologischer Kenntnisse immer
wieder durch asketische Forderungen einzuengen beflissen war.
Insofern konnte der Pietismus die Theologie unmittelbar nur wenig
fördern, sondern eben nur mittelbar konnte auch sie des »Segens
teilhaftig werden, den diese eigentümliche religiöse Bewegung in
Haus und Gemeinde und in unser gesamtes geistiges Leben aus-
strömte. Nur mittelbar, indem der Pietismus gegenüber den in
starre Formeln verwandelten religiösen Wahrheiten wieder und
wieder die Ausprägung des Christentums im Leben betonte, indem
er das verkümmerte religiöse Interesse wieder zur Geltung
brachte und so die streitmüde Christenheit von dem unfrucht-
baren Dogmengezänk ab- und einem innigen, auf eigne Erfahrung
begründeten Herzensglauben zuführte. Er verpflanzte das religiöse
Leben aus den Grenzen des Verstandes auf den Hoden des Gemüts,
und wenn auch in der Folgezeit die gewaltsame Steigerung der
Phantasie und des Gefühlslebens, mit der er die beseligende Er-
fahrung des Christentums erzwingen wollte, nicht ohne bedenk-
liche Folgen blieb, so war doch zunächst diese gesteigerte religiöse
Temperatur für die Kirche von unermesslichem Werte und gegen-
über dem dürr verstandesmässigen Zuge der alten Rcchtgläubig-
keit ein Fortsehritt, der gar nicht hoch genug zu bewerten ist
Und diese Wärme sollte auch sobald nicht wieder erlöschen,
auch nicht in der Zeit des Kationalismus, wo immer noch selbst
die schärfste Kritik von warmer Religiosität und Gefühlsinnig-
keit durchleuchtet und allenthalben noch der vom Pietismus er-
weckte sittliche Ernst deutlich erkennbar war.
So sehen wir also hier thatsächlich eine innere Bundes-
genossenschaft zwischen Thomasius und Francke, die für die
L niversität, wie für unser ganzes geistiges Leben von heilsamstem
Einfluss gewesen ist. Doch auch die wirklich vorhandenen
Gegensätze zwischen beiden mussten sich, worauf Schräder mit
Fug und Recht aufmerksam macht, für die junge hallische Hoch-
schule als segensreich erweisen: des Thomasius übersprudelnde
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Kawcran, Die Anfänge der UnivorHität Halle- Heft 8.
Keckheit wurde durch die mahnende Stimme Franckes heilsam
gemässigt, während andrerseits die frische Lebens- und Thaten-
lust jenes ein wohlthuendes Gegenmittel gegen die kopfhängerische
Neigung der Pietisten war, die gerne alles irdische Leben als ein
Elend und Jammerthal anzuklagen pflegten.
So brachte die junge Friedrichs- Universität der Wissen-
schaft, der Kirche und dem Staate reiche Frucht und zwar nicht
zuletzt dank der Eigenart, die ihr durch jene beiden Männer,
die als Thorwächter an der Pforte ihrer Geschichte aufragen,
aufgeprägt worden ist. Zu des Thomasius innerer Freiheit und
Unbefangenheit, zu seiner ehrlichen Wahrheitsliebe und seinem
rückhaltlosen Wahrheitsinute gesellte sich Franckes tiefinnerliche,
in der Liebe sich bewährende Frömmigkeit, und dieser mehr durch
„göttliche Providenz" als durch „menschliche List" gestiftete Bund
machte von Anbeginn an die Stellung der neuen Hochschule
glücklich und siegverheissend. „Fromm und frei" — dieses Wort
leuchtet gleichsam als Motto über den Anfängen ihrer Gescliichte,
und diese Verbindung von warmer, innerlich freier Herzens-
frömmigkeit mit unbefangener Forschung und weitherziger Duld-
samkeit, sie hat die junge Hochschule zu reicher Blüte geführt
und war allemal die innere Voraussetzung ihrer glänzendsten
Epochen. Und sie ist das Zeichen, unter dem die Fridericiana
auch in Zukunft stehen und sich immerdar als ein reicher Segens-
quell für die Wissenschaft, die Kirche und unsere gesamte geistige
Kultur erweisen möge!
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Zu Herders Schriften.1)
Von
Beinhold Steig.
1. Zur Überlieferung der Vorlesung „Über die
menschliche Unsterblichkeit".
Die Vorlesung „Uber die menschliche Unsterblichkeit" wurde
von Herder in der Freitagsgesellschaft vom 4. November 1791
gehalten; sie erschien gedruckt das Jahr darauf im 4. Bande der
Zerstreuten Blätter.
Als ich 1886 den Text des 16. Bandes der Suphan'schen
Ausgabe bearbeitete, lag nur Herders erste Niederschrift (a) vor, fast
überfüllt mit Korrekturen, Streichungen, Zusätzen. Aus ihr, ergab
sieh, war die (uns verlorene) Druekvorlage geflossen, deren in den
Originaldruck übergegangene Fehler zu einem guten Teile aus a
erkannt und gebessert werden konnten. Reichliche Proben der
allerfrühesten Gedankenbewältigung wurden in den Noten gegeben.
Kin paar Jahre später fiel mir zufällig im Schau räum der
Königlichen Bibliothek Berlin eine wunderschöne Handschrift Her-
ders in das Auge: sie enthielt die „menschliche Unsterblichkeit."
Wegen ihrer besonderen Schönheit zur allgemeinen Ansicht aus-
gelegt, und so von dem Hauptstamm der Herder- Papiere abge-
trennt, war sie der Verwertung für den Text der Sämtlichen
AVerke entgangen.
Diese Handschrift (b) ist direkt aus a geflossen, wie die
Druekvorlage; b steht als« dem diese letztere ersetzenden Original-
druck parallel. Ahnlich liegt das textgeschichtliche Verhältnis bei
den „Ursachen des gesunknen Geschmacks". Nun wäre freilich
durch b die Grundlage des Neudrucks nicht verschoben worden:
man hätte trotzdem vom Text der Zerstreuten Blätter ausgehen
') Am 25. Anglist. 1804 *ind 150 Jahre verflossen, seitdem Johann
Gottfried Horder ab« Sohn de« Lehrern Gottfried Herder und dessen zweiter
Khefrau Anna Elisabeth Pelz zu Mohrungen geboren wurde. Wir haben
es ab Pflicht der C. G. betrachtet, diesen Tag nicht vorübergehen zu lassen
ohne de« growen Manne« zu gedenken, indem wir einen Baustein zur näheren
Kenntnis seiner Schriften beitragen. Die Schriftlei tuug.
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254 Steig, Heft 8.
müssen. Auch in schwankenden Eigenheiten der Herderischen
Rechtschreibung, Interpunktion wie des Satzgefälles wäre der Hand-
schrift b nicht ohne weiteres zu folgen gewesen. Trotzdem hätte
eine damalige Kenntnis ihrer Eigenart auf die Textgcstaltung
eingewirkt. Mehrfach bestätigt sie erfreulich aus a in den Text
eingeführte Verbcsserungen, in einem Falle wäre die Entscheidung
zuversichtlicher ausgefallen. Indem ich alles bloss Formale über-
gehe, verzeichne ich die irgendwie für den Text wichtig erscheinen-
den Varianten von b:
S. 283. des kalten Wissens und der noch kälteren Erfahrung
„ 29 Z. 9. das Band einer blühenden, ewigen Sprache
„ 301. kein Zcuxis und Apelles — die bereits aus a in Note 1
angemerkte Lesart wäre in den Text zu setzen.
„ 31«. „Eines Theils" fehlt auch in b.
„ 3l7. Die Ergänzung „der cilfte" durch b bestätigt
„ 3P. Die Tafel der Muse ist fast mehr schon beschrieben
— a stimmt dagegen zum Originaldruck.
„ 32 Z 9. Theilnehmung »)
„ 32 Z. 12. in einen fernen Charakter — a stimmt zum
Original druck.
„ 32 Z. 20. hinter so vielen andern — a stimmt zum Original-
druck.
3(>5. ist nichts Grab
373. ehemals eigner jetzt fremder Gedanken — trotz der
Übereinstimmung zwischen a und b ist der Text nicht
zu ändern.
„ 39 3. Die Ergänzung „von immer neuer Kraft" durch b be-
stätigt.
„ 404. habe ich einmal die Ehre — wie a.
„ 11 Z. 3. steht nur in b: Die Kunst als ßczeichnerin des
Ewigwahren
„ 42*. unserm Ohr
Die Handschrift b, in Quart, ist durch alte Faltung zu
Taschenformat zusammengelegt; die Königliche Bibliothek erwarb
sie vom Major von Knebel, einem Verwandten Karl Ludwigs.
Allem Anschein nach besitzen wir an ihr jenes Manuskript, das
Herder in der Freitagsgesellschaft aus der Tasche zog und vorlas,
und das er damals seinem Freunde Knebel überlassen haben mag.
Dass es für die Gesellschaft bestimmt war, beweist die hoflich
gewählte Form (40') „habe ich einmal die Ehre", die zum Druck
in „habe ich einmal die Gelegenheit" verwandelt wurde. Herder
hielt also seiner Zeit die Vorlesung wesentlich so, wie wir sie jetzt
in Suphans Ausgabe gedruckt vor uns sehen, und die umfassenden
Änderungen der Urschrift a wurden unmittelbar nach der ersten
') Die Zeile vorher i*t „Menge" Druckfehler für „Menschen".
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1894.
Zu Herden* Schriften.
255
Niederschrift, nicht erst spiitcr für die Drucklegung vorgenommen.
Der Handschrift b fehlt die am Schlüsse von a gegebene Hin-
weisung auf Franklins Junto- Fragen (vgl. Bd. 16, 43 % Es ist
daher nicht wahrscheinlich, dass Herder sie — wie nach a allein
geschlossen werden konnte — noch in der Sitzung vom 4. November
1791 zur Sprache brachte; auch Bottiger, in dessen „litterarischen
Zuständen" ein genaues, frisch nach der Sitzung niedergeschriebenes
Referat uns aufbewahrt ist, erwähnt der Junto-Fragen nicht.
2. Zu dem Gespräch „Iduna, oder der Apfel der
Verjüngung".
Das Gespräch „Iduna, oder der Apfel der Verjüngung" ist
der letzte von Herders Aufsätzen für Schillers Hören (1796). Er
behandelt den Gedanken, welche Bedeutung die nordische Mytho-
logie für die gegenwärtige Poesie gewinnen könne. Alfred spricht
für die nordische Mythologie, Frey gegen sie. Man einigt sich
dahin, dass, unbeschadet der als überlegen anerkannten griechischen
Mythologie, aus der nordischen zwar nicht das Rohe und uns
Entfernte, wohl aber das Schone und Ideale einer durch den Apfel
Idunens verjüngten Nachbildung wert und fähig sei.
Das Gespräch verläuft in drei Unterredungen. In den beiden
letzten liegt die Hauptkraft der Gedanken. Was Frey in der
zweiten Unterredung (S. W. 18, 494) gegen den poetischen und
sittlichen Gehalt des nordisch -germanischen Ix»bens einzuwenden
hat, widerlegt Alfred Punkt für Punkt in der dritten Unterredung
(S. 496). ') So wenigstens ist die Abfolge der Gedanken von Herder
angelegt. Thatsächlich aber hat eine Verschiebung des Ursprüng-
lichen stattgefunden. Freys Gründe lauten in Kürze:
1. Die Naturdichtungen der Edda beruhen auf einer für
uns unmöglichen Physik.
2. Die Sitten dieser Helden sind nicht für uns, ihr Witz
nicht fein, Gewalt entscheidet. I>as asotische Helden-
leben ist nicht zu preisen.
3. (durch „oder endlieh" eingeleitet:) Die Form dieser Ge-
dichte und Sagen ist nicht zu empfehlen.
4. Desgleichen nicht die allegorische Rätsel Weisheit der
Buchstaben, noch die ungeheuren Umschreibungen für
Schwert, Schiff, Schlacht etc.
Dagegen Alfred:
1. Bezeichnung des poetisch Verwendbaren aus den Dich-
tungen der Edda.
2. „Du sprachst, Frey, auch gegen die Sitten dieser
Männer" etc.
') S. W. 18, 4iK» sind die Namen Alfred* und Frey* zu vertauxchen.
MormUlffte d,.r (•ouH-ni.iMi.-nfllacha/t. im. jy
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25(5
Steig,
Heft 8.
3. „Du sprachst weiter, Frey, gegen die Sitten der
Weiber" etc.
4. „Du sprachst ferner vom rohen Witz dieser Völker" etc.
5. „Du spottetest über diese Verse und nanntest sie Buch-
staben wahlerinnen" etc.
ß. „Endlich spottetest Du über das Register von poetischen
Beinamen und künstlichen Umschreibungen der
Dinge" etc.
7. „Geschmack sollen wir von den Nordländern nicht
lernen, Frev" etc.
Es bedarf nur dieser Gegenüberstellung, um zu zeigen, dass
hier kerne Ordnung herrscht. Alfreds Antworten setzen zu einem
Teile anders geartete und mit andern Stichwörtern versehene
Einwürfe Freys voraus; Freys Einwurf gegen die Sitten der
Weiber fehlt ganz. Handschriftliches, woraus man die Natur der
stattgefundeuen Veränderungen ersehen könnte, hat sich zu dem
Horen-Aufsatze nicht erhalten. Unzweifelhaft aber ist in der dritten
Unterredung die ursprüngliche Reihe der Gedanken erhalten, wäh-
rend in der zweiten eine nachträgliche Verkürzung eintrat. Ausser-
lich verrät sich dies noch durch das „endlich" der dritten Frage
Freys (S. 495), das an seiner ursprünglichen Stelle wohl am
Platze war, an seiner gegenwärtigen Stelle aber verfrüht erscheint
Wir haben also, technisch ausgedrückt, von der zweiten
Unterredung eine spätere Redaktion als von der dritten. An sich
bei Herder nicht ohne Beispiel. Sein Jimarbeitender Eifer nimmt,
nach Ausweis der Handschriften, regelmässig gegen das Ende hin
ab. In einzelnen Schriften, wie beim „Ursprung", bei der „Offen-
barung", verbleiben die letzten Teile gegenüber den ersten auf
einer früheren Stufe der Gestaltung, und kleine Unebenheiten
werden nicht abgeglichen. Mit dem Horen-Aufsatz steht es ähnlich.
Bei der Herrichtung des Druckmanuskripts hatte Herder den
Aufbau des ganzen Gesprächs nicht mehr im Kopfe, die Ände-
rungen wären sonst auch auf die dritte Unterredung auszudehnen
gewesen. Eine Korrektur der Druckbogen hat er schwerlich ge-
lesen. Auch Schiller bemerkte den Kompositionsmangel nicht,
ob er gleich über den Inhalt des Aufsatzes seine abweichende
Meinung Herder gegenüber ausführlich begründete.
3. „Nach Ponce de Leon."
In den dritten. Band der Adrastea (S. W. 23, 516) legte Herder
die dreistrophige Übersetzung eines spanischen Gedichtes „nach
Ponce de Leon" ein. Eine andre, bisher nicht bekannte Nach-
bildung Herders fand ich im Vaterländischen Museum 1810 (Ham-
burg, bei Fr. Perthes) Heft 5, S. 595, wieder. Sie ist so grund-
verschieden von jener, dass wir fast ein neues Gedicht Herders
vor uns zu haben glauben.
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1894.
Zu Herder* Schriften.
257
Nach dem Spanischen:
Quando contcmplo el Cielo —
Erheb' ich meine Blicke
Zu euch, ihr hellen, schönen Himmelssternc,
Und wende sie zurücke
Zu meinem Erdenthal, von euch so ferne,
Und fühle hier die göttlichste der Gaben
Tief in Vergessenheit, in Schlaf und Nacht begraben:
Ach Lieb' und Kummer theilen
Mein Herz alsdann mit bangem süssen Schncu,
Und meine Augen weilen
Entzückt an euch, und leise stille Thränen,
Entrollend auf die trauernd blassen Wangen,
Enthüllen euch mein seufzendes Verlangen.
O! Sprech' ich, lichte Höhe,
Du Tempel aller Herrlichkeit und Schöne,
Den ich dort glänzen .sehe,
Und hör' im Geist den Einklang deiner Töne —
O welch ein Schicksal bannte meine Seele,
Für dich gebohren, fern in diese Erdenhöhlc!
Herder.
Voransteht im Vaterländischen Museum ein Gedicht Schön-
borns, dessen Beziehungen zu Friedrich Perthes wie zu Herder
bekannt sind. Es ist daher wahrscheinlich, dass die hier mitge-
teilte Übersetzung aus dem Besitze Schönborns herstammt
4. Herder und Gerning.
Im Jahre 1889 erschien das schöne Buch der Frau Henriette
von Bissiug über „das Leben der Amalie von Imhoff". Amalie
von Inihoff, eine Verwandte der Frau von Stein, stand in Ver-
kehr mit den grossen Persönlichkeiten der Goethischen Zeit, Ihre
Blicke blieben auch auf Weimar gerichtet, als sie es längst ver-
lassen hatte. Aus Heidelberg schrieb sie (S. 279) die ihr wichtige
Bemerkung, dass in dem Taschenbuehe für das Jahr 1810 un-
gedruckte Gedichte Herders enthalten seien. Auch den jungen
schwäbischen Dichtern waren diese „Nachlässe von Herder" be-
merkenswert (Mayer, Unland 1, 193). Ich ging diesen Spuren nach
und fand das Folgende.
Der Herausgeber des Heidelberger Taschenbuches war der
Ästhetiker Alois Schreiber. In der Vorrede des Jahrganges 1810,
S. VIII, schreibt er: „Nicht ohne Rührung werden die Leser er-
blicken, was ich von Herder, Schiller . . mitthcile. Es sind heilige
Gaben der Todten, Blumen von ihren Grabhügeln, die ihren be-
sondern Werth haben durch das Andenken, welches sie erneuern."
18*
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25S
Steig, Zu Herders Schriften.
Heft 8.
Doch nur ein Gedicht Herders brachte der Almanach, wahrschein-
lich rechnete Amalie von Inihoff die tabula votiva betitelten Verse
von Dr. Herder mit hinzu. Jenes eine Gedicht Herders wendet sich
An Gerning.
Weimar 1802.
Seit wir zuerst uns sahn, als uns Venusiums Dichter
Unter der Leier Klang näher und näher verband,
Sind zehn Jahre dahin! Nach zehn durchlebeten Jahren
Scheiden wir liebend und treu, bleiben uns inniger nah.
Glücklicher Freund ! Geneuss mit der Muse das Leben, du kannst es !
Lebe den Freunden und dir, lebe den Edelsten froh.
J. G. Herder.
Diese Distichen, zu denen auch Carl Redlich (Goedeke 4,
297) auf anderem Wege gelangte, felüten bis jetzt den Schriften
Herders. Dagegen sind sechs weitere Gedichte, die die Jahrgange
auf 1811 und 1812 als ungedruckt brachten, nach anderen Vor-
lagen bekannt geworden; wir lernen nur das eine hinzu, dass die
Strophen „aus dem Ital. des M. Augelo" (S. W. 27, 355) bereits
im Jahre 1779 entstanden sind.
Die Gedichte Herders sind ohne Zweifel von Johann Isaak
von Gerning in die Heidelberger Taschenbücher geliefert worden.
Gerning, ein reicher Frankfurter, aber massiger Poet, gehörte zu
den jüngeren Freunden Herders in seinem Alter. Nach Düntzers
Buche „zur deutschen Litteratur und Geschichte" hätte sich
Gerning Ende 1794 an Herder angeschlossen. Unsrc Distichen
verlegen also den Anfang der Bekanntschaft in das Jahr 1792
zurück, als „sie Venusiums Dichter unter der Leier Klang näher
und näher verband". Eine handschriftliche Ubersetzung der Oden
des Horaz hat sich wirklich im Naclüass Gernings gefunden ; Herder
mag ihm damals schon wie später, als er zur Wende des Jahr-
hunderts sein neues „Carmen sacculare" verfasste, den Text ver-
bessert haben. Die Distichen schrieb Herder wahrscheinlich auf
ein Stammbuchblatt, herzlich froh, dass Gerning im Februar 1802
endlich aus Weimar schied. Ein undatierter Entschädigung«- und
Abschiedsbrief Herders an Gerning wurde in den „Blättern zur
Erinnerung an die Feier der Enthüllung des Göthe-Monuments zu
Frankfurt am Main, am 22. Oktober 1844" veröffentlicht, am
Schlüsse heisst es dort: „Reisen Sie glücklich in Ihr Akademisches
Museum, und leben daselbst herzlich und Musenhaft wohl." Das
ist ein unverkennbarer Anklang an unsre Distichen. Die Datierung
des Briefes wäre somit gewonnen.
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Bemerkungen
der Fürstin von Gallitzin und Bernhard Overbergs
zu einer Abhandlung des Abbe Marie über Kindererziehung.
Von
Bibliothekar Dr. P. Barilmann in Münster i. W.
Zwei hervorragende und bekannte Personen sind die Ver-
fasser des hier zum erstenmal veröffentlichten Schriftstückes : die
eine eine hochgeborene Frau, die sich selbst wohl „die Schul-
meisterin Westfalens" nannte, ») die andere ein schlichter Priester,
der aber als „Lehrer der Lehrer der Wohlthätcr des ganzen
Münsterlandes" wurde.2)
Die Fürstin Amalie von Gallitzin3) hatte mit Zustim-
mung ihres Gemahls beschlossen, ihren Aufenthalt von der Haupt-
stadt Haag nach einem stilleren Orte zu verlegen, um sich ganz
der Erziehung ihrer beiden Kinder Marianne (geb. 17C9) und
Demetrius (geb. 1770) zu widmen. Von dem ihr befreundeten
Philosophen und Staatsrat Hemsterhuis auf die hervorragenden
Schulreformen des mfinsterischen Ministers imd Generalvikars
Franz v. Fürstenberg aufmerksam gemacht, suchte sie diesen auf
und liess sich im August 1779 dauernd in Münster nieder,1) wo
sie den Unterricht ihrer Kinder zum grossen Teil selbst leitete,
eifrig an ihrer eigenen Fortbildung arbeitete und an allen pada-
') Vgl. H. Herold, Fr. v. Fürstenberg u. Beruh. Overberg. Münster
1893, pag. 33—36.
*) Vgl. die Inschrift des 1828 im Hofe de« Priester - Seminars zu
Münster errichteten Overberg-Denkmak
*) geb. 1748 zu Berlin ab Tochter des prouss. General-Feldmarschalls
Reichsgrafen v. Schrocttau.
*) Sie wohnte im Winter in dem von ihr angekauften Hanne an der
Grünen Gasse (jetzt Nr. 32), im Sommer in dem vom Grafen v. Mervcldt
gemieteten Landhaus Angelmodde, 1 St. von der Stadt entfernt.
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260
Kahlmann,
Heft 8.
gogischen Bestrebungen ihrer Umgebung, besonders Fürstenbergs,
den lebhaftesten Anteil nahm.
Der Kaplan Bernhard Overberg (geb. 1754) war von
Fürstenberg im Frühjahr 1783 als Nonnallehrcr nach Münster
berufen worden und unterrichtete dort bis zu seinem Tode (f 1826)
jährlich in den Herbstferien (vom 21. August bis Anfang Novem-
ber) die ihm zugewiesenen Lehrer der Diözese, sowie angehende
Theologen und junge Leute, die sich dem Lehrfache widmen
wollten. Im Jahre 1789 erwählte ihn die zum positiven Glauben
zurückgekehrte Fürstin von Gallitzin zu ihrem geistlichen Vater
und Berater und bewog ihn, in ihrem Hause zu wohnen, das er
erst nach ihrem Tode (f 1806) wieder verliess, als er 1809
Regens des bischöflichen Priester-Seminars wurde.
Während der siebzehn Jahre, welche Overberg in der Nähe
der Fürstin verbrachte, bestand ein reger wissenschaftlicher Ver-
kehr zwischen beiden. Unter anderem begutachteten sie auch
gemeinschaftlich die Abhandlung über Kindererziehung, welche
der Abbe" Marie, ein in Hamm lebender französischer Emigrant,
dem Frhrn. von Landsberg -Velen auf dessen Wunsch 1796 über-
sandt hatte; ihre Bemerkungen darüber1) lauten:
Ce trait£ fait preuve de la litterature etendue, de l'erudition, de
l'eloquence et de la longue pratique de son auteur. II nous semble,
en general, excellent. On y trouve partout l>eaueoup de beaute, de
profondeur et de conformite au but, que s'est propose l'auteur. II
n'y a point de doute, que dans tout ee qu'il propose par rapport ä
la partie de Induration, qui concerne les sciences, il ne supposc, que
Tedueation physique aie atteint le degre de perfeetion, dont il fait
mention auparavant: car on concevra aisement, qu'un enfant, dont
le corps sentit faible, n'est point eajmble du memo degre d'application
dans ses Stüdes, que eelui qui doit a son edueation un corps plus
robuste. II faut donc beaueoup de prudence et un examen bien
refleehi, pour proportionner de la nianiere la plus convenable, ee qui
est dit dans le traite, dont nous pnrlons, nur lu partie scientifique
de Induration au degre de force physique qu'auront atteint les
enfants.
Au reste voici les rlflcxions principales, que nous nous sommes
cru obhge. de faire.
') Abschriftlich in der Königl. Paulinischeu Bibliothek zu Münster
(Mrc 93), welche auch eine aus der Bibliothek des verstorbenen Pfarrer»
Niewirt stammende Abschrift der Abhandlung des Abbe" Marie (M»c. 436)
besitzt.
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1894.
Bemerkungen der Fürstin von Gallitzin etc.
261
Pag. 8. ') L'auteur dit „Je prßfdrerai toujours dans un village
un bon Chirurgien au meilleur maitre d'ecole." I>e Chirurgien prend
soin de la santS du corps; le maitre d'ecole de celle de l'äme. II
est donc juste de preferer celui, qui remplit dignement le dernier de
ces emplois a celui, qui ne n'omupe que du premier. A moins qu'on
ne veuille soutenir, que la santl du corps ne soit un objet d'une
plus grande importance que Celle de Tarne; que l'acquisition des forces
physiques ne soient preferable« a celle de la erainte de Dieu.
Main peut-etre l'auteur attache-t-il au mot de maitre d'ecole
d'autres idees que edles, que nous y attachons dans le pays de
Münster. — Nous ne saurions souserire non plus a l'opinion enoncee
peu auparavant qu'il serait nuisihlc aux enfants de la classe du
peuple d'apprendre autre chose a l'eeole qu'a lire et a ecrire.
Certainemcnt ce serait a tort quon pretendrait faire des Docteurs
de tous les enfants. Mais aussi quelle distanee n'y a-t-il pas d'un
enfant, qui ne sait que lire et ecrire mechaniquement a un Doeteur!
En verite un enfant, qui auniit appris autant d'Arithmetique, qu'il
en faut pour exercer son attention et le mettre en etat de savoir
faire les caleuls dont chacun peut so trouver dans le cas d'avoir
besoin: un enfant, qui aurait et£ instruit assez solidement de l'histoire
et de la morale de la sainte Ecriture pour que les grands motifs,
qu* ils fournissent a 1'homme, puissent emouvoir sa volonte, et pour
que cet enfant soit en £tat, comme l'exige saint Paul, de rendre couipte
a un chacun de la foi, qu'il eonfesse, et de l'csptfrance qu'il nourrit
dans son coeur, im tel enfant, dis-je, serait encore bien 61oign£ d'ßtre
un Doeteur! Certainemcnt bien loin d'£tre prejudicinble ou inutile ä
qui que ce soit de savoir ces choses la necessite d'£tre bien instruit
de sa Religion, et l'utilite au moins de l'ArithmStique se fait sentir
a tout le monde: et surement l'auteur en demeure d'aecord avec nous.
II dit ensuite Pag. 33 -') „La piete de vos enfants ne doit pas
etre une pidU? de cloitre, encore moins une piet£ de beguineg; franehe,
sincere, gaie et surtout chari table, tels doivent etre ses prineipaux
attributs." Mais ces attributs ne doivent-ils pas etre les attributs
aussi de la piete des cloitres? Oerait-on soutenir, que la vraie piete
soit etrangere ä tous les cloitres? En distinguant, comme il faut,
sans doute, les distinguer, la pi6t£ des pratiques de piet£, ne serait-il
pas a souhaiter, que tous les enfants nourrissent dans leurs coeurs
une piete, teile qu'dle devruit se trouver dans tous les cloitres, et
que, grace a Dieu, eile sc trouve encore en effet dans plusieurs?
Les pratiques de pi£t£, en usagc dans les cloitres, ne doivent pas etre
les memes pour les seculiers, que pour les pretres, j'en conviens,
quoiqu'il y en ait grand nombre, qu'il serait au moins bien utile,
') Abschrift pag. 13: Je louc l'institution des ecoles normales; mais
je preiererai . . .
?) Abschrift pag. f>ü.
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262
Bahlmann,
Heft 8.
si non necessaire d'admettre hors de* convent*, par exemple cclle
d'interrompro do temps en temps son travail pour se reoucillir et so
remettre en la presence de Dieu ete.; mais le signe de frapper des
main*, dont se servent les Superieurs ehez los Peres de la Trappe,
pour en determiner le* moinents, ne peut etre pratique avee sueees,
que dans une compagnie, dont la plupart des membres soient anim&s
par le memo e*prit. Mai» s'il est vrai, qu'au nioins 1'esprit du plus
grand nombre des pratique» de cloitre est un esprit de püHe, il ne
nous semble pa* k propos de hlämer, en presence des enfants et
san* distinetion, la piete des eloitres: et eneore moins de vouloir la
rendre ridicule. On empe'cherait, par la, absolument, tout le fruit, que
pourrait produire en eux l'cxetnple de bons Religioux. II pourra.t
meine se faire, que les enfant* de peur de so rendre ridicule*, par
l'apparenee d'une piete de cloitre, resistoraient aux mouvonients de
la grace, qui les j)orterait a la piet£, et so tourneraient du cöt6 de
l'irreligion.
L'auteur conseille Pag. 35 M „de faire elcver les enfants hors
de la maison paternelle, aussitot qu'il» auront dix ou douae ans."
II est a presumer qu'on no pourra point suivre ee eonsoil a la lettre.
Mais peut-etre pourrait-on arranger le* choses de maniore a reinplir,
du moins en partie, le but que l'auteur parait avoir en vue, en cedant
entierement a l'instituteur et ä se* eleves une des partie* de la maison,
qu'on jugerait la plus convenable: il y eoueherait, y dejeunerait, y
dinerait etc. avec ses eleves. On en dofondrait l'entree a tout
domestique dont le service n'y sorait pa* absolument necessaire. On
ne ferait jamai» paraitre les enfants, lorsqu'il y a des etrangers,
excepte dans quelques oceasions bien particulieres. On parerait ainsi
aux dangers, aux quel* l'auteur avec rai*on croit le* enfants expose*
du c6t£ des domeatiques, des parents, de* etrangers etc. Et les
enfants ne perdraient rien du commeree si preeieux pour eux avec
leurs parents, si coux-ci fixaient de eertaines heures, auxqucl* on leur
amenerait leurs enfants, pour leur donner leur benediction et leur
dire, ce qu'il* trouveront bon.
L'auteur conseille Pag. 372) de faire lire aux enfants des le
commencement les meilleurs auteurs. II nous parait. necessairo
d'observer ici, que les auteurs, qui effectivement sont le* meilleurs,
ne doivent pas pour cela toujours etre eonsidere* comme le* meilleurs
aussi pour les enfants. Ce qui est dostine aux enfante doit etre
analogue ä leur capaeite et ä leur goüt: et ce n'est pas toujours le
cas des auteurs, qui ont le plus de valeur intrinseque. Outrc cela
') Abschrift pag. 60.
*) Abschrift pag. C3: Quintilien conseille de faire lire d'abord et tou-
jours aux jeunes gen« les meilleurs ecrivain* - ego optimos quidem et statini
et semper — II a grandement raison; car rien n'est plus propre a fonuer le
gout, que la Ieeture assiduc et ri-fleehie des beaux modele*.
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1894.
Bemerkungen der Fürstin von (inllitzin etc.
im>:?
quand on fftit lire hux enfants ecs nuteurs, nvant qu'ils pui««eut les
comprendre en quelque facon au moin«, et avant que d'etre en 6tat
d'en trouver eux-m£mes avec un peu de secours les beautes, il en
resulte plusicurs ineonvenients : 1. I1h «'aceoutument a admirer une
chose, non parce qu'il« la trouvent belle, mai« paree que d'autres
l'admirent, e'e«t-a-dire, a admirer ou plutot a imiter comme des pcrro-
quets l'admiration des autres. 2. Iis perdent Tenvie de lire res autcurs
a un ftge, oü cette lecture pourrait veritablement leur ötre utile, paree
qu'ils croient le« connaitrc assez et qu'ils s'imaginent, qu'ils ne con-
tiennent pas plus de lieautf}« et de choses utile«, que Celle« qu'ils se
souviennent y avoir trouvl ei-devant.
L'auteur conseille encore Pag. 37 ') „de faire Studier ä foud par
les enfants Horace lui-meme, quand il« seront en etat de l'entendre."
Cepcndant il dit lui-meme du memc Horace Pag. 57 2) „mais ne vous
y fiez pa«: focnum habet in coniu." II faut en eonclure, que «on
opinion u'e«t pa«, de mettre Horace tout entier entre le« mains <le«
enfants et de« jeunes gen«, mai« qu'il pen«e avec nous, qu'il «era a
propos d'en faire des extrait«, pour les donner aux Cleves.
L'auteur dit aussi Pag. 'M 3) „faites les Studier aussi et apprendre
par coeur les plu« beaux endroit« de Virgile, de Hallustc, de Tacite etc."
Ceci «era ccrtainement fort utile, pourvu que cela ne «e fa««e que
bien a propo«, tant j>our la quantite que pour le choix du temp«.
Quand on occupe trop la memoire, l'entendement dort; il faut donc
de quelque utilite- que «oit l'exercice de la memoire n'en pa« trop
faire. Quant ou temp« le plu« favorable, pour faire apprendre par
coeur aux enfants le« plu« beaux endroit« des autcurs susmentiones,
il «emble qu'il ne faudrait point commencer cet exercice, avant que
les enfant« n'eussent appri« par coeur les endroits pour eux le« plus
interessante* et le« plu« aises a comprendre et les plu« analogue« h
leur äge du meilleur de tout les livres, de rEcriture sainte; et «'il
fallait absolument negliger Tun ou l'autre, il «erait plu« desavantageux
«an« doute pour les enfants, qu'il« n'eu««ent point la memoire meublee
de« preeeptes de« exemplcs et de« ventes admirable« contenu« dans
le« Ii vre« saints, que «i l'on avait negligC iui peu plus de la leur
remplir de« auteurs profanes.
L'auteur parait Pag. 47 4) trouver les premiers chapitre« de la
Genese difficiles pour de« enfants. En effet il« le seraient, si on
voulait exiger que leur raison comprenne tout ce qui y est dit; ou
bien encore si on voulait leur faire part des explications mystiques
') Abschrift pag. 64.
') Abschrift pag. 97 : On le prendrait pour un petit Saint, taut il fait
la chattemite et Socraticis madot «ertnonibus! mai« ne vous . . .
s) Abschrift pag. 64.
4) Abschrift pag. 77: Ce n'cst pas que 1'expUcation de« premiers
chapitres de la Genese «oit ais^e; tant s'cn faut!
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264 Bahlmann, Heft 8.
ou d'autres explications fort rocherches, quo quelques savante ont
hasardes sur ces chapitres. Mais il n'est ni neoessaire ni m£me bou
den user ainsi. II est meme inqiossible d'expliquer entierement le
(.'omment de ce qu'il y a de mysterieux dans res chapitres; la meme
difficult6 se trouve dans tous les mysteres, que Dien nous a revele.
Mais si on n'exige des enfants que de bien retenir le* faits, qui y
sont enonces et de les eroire eonime ils y sont racontos, en souinet-
tant leur raison a la Foi, commo il est toujours convenable de le
faire a moins qu'il ne soit bien elair que teile ou teile expression
ne puisse pas etre prise a la lettre, toute difficulte s'evanouit, et ees
chapitres n'ont rien que d'interossant pour eux. Je ne snis point,
quel droit nous aurions d'en exiger davantage des enfants? Que les
savants se hasardent de donner, inquirendi causa, conune dit saint
Augustin, des explications snvantes, qui s'eloignent du sens litteral
a la bonheur; mais elles ne sont pas faites pour les enfants, et
les savants aussi bien que ceux, qui ne le sont pas, evitent le plus
surement le danger de s'ecarter de la verit6, en ne s'eloignant du
sens litteral, que lorsqu'il est bien elair, qu'il ne saurait 6tre pris ii
In lettre.
Ce que l'auteur dit Pag. 46 et suivantes1) sur le sublime et
les beautes oratoires de la sainte Venture est surement bien vrai;
mais qu'on aie soin de ne pas trop reeommander aux enfants et aux
jeunes gens la sainte ßoriture par ce cAto-la, et de ne point exiter
en eux le d£sir de la lire, sous ce point de vue si toutes fois on
veut, qu'ils en retirent le fruit, que Dieu veut que nous en retirions.
Gr, eile nous a ete donne pour nous faire parvenir a la eonnaissance
de la verite et au saint amour: mais pour y parvenir il faut que
nous la lisions en vue d'atteindre au but, e'cst-a-dire, en vue d'ae-
querir la connaissance de la verite et le saint amour. Quiconque
cherche autre cho.se en etudiant la sainte Venture, comme le feraient
les enfants, auxquels on aurait cherche a la rendre interessante en
dirigeant principalement leur attention sur la beaute de l'enveloppe,
sous laquelle eile nous presente la verit£, sera ebloui par cette
enveloppe; s'y arretera, en l'adminint, et n'appercevra que difficilement
ou peut-ßtre meme n'appercevra-t-il jamais le tresor cache sous cette
enveloppe. Mais si d'un cAte il semble important de diriger en
preinier lieu toute l'attcntion des enfants et des jeunes gens au but
essentiel des saintes ßcritures, parce que 1'homme surtout a oet äge
n'est que trop naturellement }x>rte a amuser son imagination de ce
qui lui phiit plutAt, que de se nourrir de ce qui lui est salutaire;
il n'est pa* neecssaire non plus de leur cacher les beautes, dont nous
parlons. On peut leur dire, que la sainte ficriture, meine prise de
ce eote-la, ne le cede ä nueun livre au monde, mais que c'est surtout
par l'avantage inestimable de nous presenter les titros de notre
») Abschrift pag. 7ti-S3.
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1894.
Bemerkungen der Fürstin von (iallitzin etc.
265
bonheur et les marques de nous en assurer, qu'elle est preeieuse et
preferable a tout autre livre et que la connaissanee de la verite et
l'augmentation de Pamour en nous doit toujours £tre ce que nous
reeherchions principalement en la lisant.
La mauiere, dont l'auteur conscille Pag. 50 — 51 l) de faire
apprendre aux enfants la geographie, est exeellente. Mais il ne faut
pas s'imaginer que tous leg enfante ou m£me la plupart seulement
v6rifieront ce que l'auteur dit „laissez les faire, ils auront bientAt
imit£ ce modele." La plupart des enfants doit etre exeites et en-
courag£s de differentes manieres, pour aller au bout d'un ouvrage,
qui dure quelque temps, et pour y mettre le soin et l'attention ne-
cessaire.
Pag. 5U — 57 2): Je nous scmble, que le mcilleur usage, qu'on
pourrait faire de la morale des plus sages philosophes de l'antiquite
') Abschrift pag. 86 f. : La geographie et la Chronologie passen t avec
raison pour les deux yeux de l'histoire. Je conseille surtout l'tftnde de la
geographie, non pas commc on la fait apprendre ä la jeunessc dans des livre«
mortellenient ennuyeux, raais en faisaut travailler vos enfants eux-memes ä
la confection d'un globe terrestre de deux ou de trois pieds de diamMre.
On leur donnera seulement ev globe en blanc, avec les me>idiens et le« cerele*
de latitude trac«5s de dix en dix degres. Qu'ila acint avec cela un autre glolw
terrestre sous les yeux, entierement desxinc' ou grav<?; et laissez les faire:
ils auront bientot imite* ce modMe, et pour peu qu'ils sc sentent d'attrait
pour la geographie, vous les verrez travailler avec ardeur ä cette espfece de
creation.
Lea eartes geographiques doivent succe<ler ä ce premier travail; pro-
posez leur d'abord la carte de leur pays ä faire sur une cchellc differente
de celle que vous leur aurez mise entre les mains. Demandez leur en suitc
Celles des quatre partie« du inonde. Vous finirez par en obtenir et leur faire
comprendre la projeetion de la mappemonde; ce qui suffira pour les eclairer
dans l'eiudc de l'histoire et pour leur faire lirc avec fruit jusqu'ä la plus
miserable gazette.
Un atlas geographique est un bon meuble d'«?ducation ; je n'en connais
point de comparable ä celui de üanville [i. e. .1. II. d'Anville t 1782J.
*) Abschrift pag. 95 f.: Tous vos soins, tous vos efforts doivent se
borner alors ä en faire un parfait honnetc bomme.
LY'tudc de la morale peut seul atteindre ce but essentiel, pourvu que
cette ötude, encore une fois, soit prec£dce, aecompagnee et suivie de bons
exemples dans toute l'atmosphere de 1'eVlucation t et que parents, maltres,
condisciples et domestiques soient tous gens de bien.
Or la morale chr^tienne l'emportant infiniment »ur celle des plus sage«
philosophes de l'antiquite, on peut ä la rigueitr pour la premfrre jeunosse
s'en tenir aux preeeptes de PEvangilc, et dire avec Rousseau „Philosophe,
tes raaximes sont belle'S, ruais muntre m'eu la sauetion", cn comparant les
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266
Bahlmann, Bemerkungen der Fürstin von Oallitjrin etc. Heft 8.
»erait d'en mettre les plus beaux endroits sous les yeux den enfants,
pour leur prouver par lä, qu'aucune sagesse humaine n'a jamais pu
atteindre ä 1 Valvation et a Li simplicit£ du saint Ävangile, que les
Philosophes ne nous out rien dit de vrai et d'interessant, qui ne se
trouve aussi dans le »aint ßvangile, qu'on trouve dans les Philosophen
* des verites entremelees de mensonges, au lieu que le saint ßvangile
ne contient que la verite toute pure, qu'enfin les vertus, que le snint
ßvangile nous recommande le plus, parce quelle« nous sont le« plus
necessaires pour parvenir au vrai bonheur et parce que sans elles il
n'existe point d'autres vertus veritables, l'humilite et la charite, teile*
que le saint ßvangile les presentent, [sie!] etaient des vertus tout a
fait inconnues aux philosophes.
Auf die Abhandlung des Abbe" Marie1) selbst naher einzu-
geben, verbietet uns leider der Raum. Sie enthält weit mehr,
als die einleitenden Worte des Verfassers „Ce n'est pas un traute"
dV»dueation, que j'ai pr&endu faire, c'est une simple lettre que
j'adresse a un pere de famille que j'honore et que j'aime; il m'a
consult<5 sur l'dducation de ses enfants, je voudrais bien lui etre
utile'" vermuten lassen.
ouvrages de l'ancienne philosophic avec l'Evangile, dont il dit »i profondd-
ment, que l'invcntour eerait plus puiasant que le hen*.
Quiconque a dejä aequis unc certaine expönence, doit eependant lire
quelques-unn des philosophes les plus renommes, parmi les Stoiciens sur-
tout. [etc.]
') in der Abschrift 121 Seiten 4°.
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B. Besprechungen.
Natorp, Religion innerhalb der Grenzen der Humanität.
Ein Kapitel zur Grundlegung der Sozialpädagogik. Freiburg i. Br.
u. Leipzig 1894 (120 S.).
Die »ehr beachtenswerte Schrift Natorp« möchte dem Frieden
dienen, dem Frieden nicht nur zwischen den verschiedenen Bekennt-
nissen, sondern auch zwischen Religiösen und «Irreligiösen ; aber der
Verfasser verhehlt sich nicht, dass er einstweilen von beiden Seiten
scharfe Angriffe zu gewärtigen hat. Er ist ein Bürger der Zeiten,
welche kommen werden. Durchaus Optimist in Bezug auf die Zukunft
des Menschengeschlechtes, kann er die bestehenden Zustände weder
auf religiösem noch auf sozialem Gebiet gut finden. Dass die
Menschheit zerrissen ist, sollte nach ihm nicht sein. Die Menschheit
soll eine Einheit sein. Eine solche das ganze Menschendasein
umspannende Gemeinschaft ist aber nur möglich durch die Gemein-
schaft der Bildung. Der Unterschied der Klassen entbehrt auf dem
(iebiet des Bildungswesens jeglichen logischen und sittlichen Rechtes.
Das Ideal des Comenius ist hier dus des Verfassers. Harmonische
Ausbildung aller Kräfte wird gefordert. Bildung zur Arbeit, also
physische Bildung soll der gegebene Ausgangspunkt für alle sein.
Mit Recht findet anderseits Natorp das Mass der heute den Arbeitern
im Volksschuluuterricht gebotenen geistigen Bildung viel zu gering
und verlangt insbesondere gründlichen naturwissenschaftlich-technischen
und soziologisch-historischen Unterricht, und ein solcher umfasst eben
die wesentliche Grundlage der intellektuellen Bildung für alle. Wna
die sittliche Bildung betrifft, so spricht Natorp goldene Worte gegen
die leider noch immer vorherrschende Meinung, „dass sich Moral
einpredigen oder, wenn die Predigt leider wirkungslos verhallt, durch
Zucht und Strafe aufzwingen lasse. Gehorsam, Disziplin, das scheint
fast das vornehmste sittliche Ideal des Zeitalters zu sein. Dass
solche Ansicht von moralischer Erziehung aller edleren Sittenlehre
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208
Besprochungen.
Heft 8.
iii'n Gericht schlägt, kann man nicht wohl übersehen, aber diese
edlere Sittenlehre, denkt man wohl, gelte nur für die Auserlesenen,
für die Massen wird davon einfach abgesehen". Nicht Gehorsam,
sondern Gerechtigkeit ist die Kardinaltugend des Gemeinschafts-
lebens, und sie wird immer nur durch Einleben in die sittlichen
Formen menschlicher Gemeinschaft, nicht durch Lehrt« gewonnen.
Aber mit diesen Formen eben steht es noch sehr übel nach Natorp,
und er verhehlt nicht, dass er ihre völlige Umgestaltung erwartet
und für geboten hält — eine Auffassung, die doch in letzter Zeit
wahrhaft reissende Fortschritte tu machen scheint, und der auch die
Kirchen sich nicht mehr völlig verschliessen. Aber auch eine völlige
Umgestaltung eben der Kirchen schwebt Natorp als Ideal vor, doch
eine solche, dass dabei von dem, was der Kern der Religion in ihren
besten Vertretern zu aller Zeit gewesen ist, nichts verloren gehen
solle. Dieser Kern aber ist der Glaube an die unbedingte Realität,
die unüberwindliche Kraft, folglich den unausbleiblichen Sieg des
sittlichen Ideals in der Menschheit; anders ausgedrückt die Begrün-
dung des Reiches Gottes auf Erden. Geistreich wird erörtert,
wie das Christentum, durch die Nichtwiederkunft Jesu m seinem
Grundcharakter verändert, zu übertriebener Weltverachtung kam, und
wie erst die Reformation die Welt gleichsam rehabilitiert, wie durch
Luther in Anlehnung an die Gleichstellung der beiden gross ten Gebote
das GelK)t der Liebe Gottes ganz und gar in die Liebe des Nächsten
gezogen wird. Da* ist aber der Punkt, den alle gelten lassen können,
ja müssen. Auch «lern Gott über den Wolken will durch Liebe des
Nächsten gedient sein, und auch der irreligiöse, aber gute Mensch
wird die Macht der Liebe als etwas Göttliches empfinden. Darum
können und sollen den Satz „Gott ist die Liebe" wirklich alle Zungen
bekennen. Aber diesem Herrlichsten, das der Geist empfangen,
dränge auch hier fremd und fremder Stoff sich an. Die Wurzel der
Religion sieht Natorp mit Schleiermacher im Gefühl, einem Sonder-
gebiet des Bewusstseins neben Erkenntnis, Wille und schaffender
Phantasie. Schlimm ist es nun, dass die Religion diese Gebiete
beherrschen, ihnen Gesetze vorschreiben will, dass sie - man könnte
sagen: in dopj>cltem Sinne — transsceudent wird. Möchte sie doch
über alle Erfahrung hinausgehen , wenn sie sich nur nicht mit aller
Erfuhrung in Widerspruch setzen wollte! Möchte sie sich statt der
Dogmen mit Symbolen begnügen! Dann fielen die Sehrauken, nicht
nur zwUchen den Andersgläubigen, sondern auch für die heute
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1894.
Besprechungen.
2I»9
„Ungläubigen", mindestens für die, welche jetzt aus Religion keine
Religion bekennen , wäre Raum in den Kirchen. Welch ein Ziel
auf's innigste zu wünschen! Aber unerreichbar fern, werden die
meisten hinzufügen. Und doch ist nicht neben andren Erscheinungen
der Widerhall, den v. Egidys naives Büchlein in Tausenden von
Herzen gefunden hat, ein Sympton dafür, dass der Zustand faulen
Friedens, in dem die Mehrheit der Gebildeten mit ihren Kirchen lebt,
je mehr und mehr als unerträglich empfunden wird? Wahrhaftigkeit,
die reine soll uns alle, die welterhaltende erretten. Wahrhaftigkeit
denn vor allem in der Erziehung! Mit überzeugender Kraft schildert
Natorp das Verderbliehe des bestehenden dogmatischen Religions-
unterrichts, der bei Unzähligen das Gegenteil des Gewollten bewirkt
und fordert einen undogmatischen , confessionslosen Unterricht. Mit
Recht, bedünkt uns, ist er der Meinung, dass kein Moralunterricht,
wie man ihn in Frankreich eingeführt, den unvergleichlichen Wert
des Evangeliums ersetzen oder erreichen könne; aber nicht der Glaube
an die buchstäbliche geschichtliche Wahrheit, sondern der Glaube an
den sittlichen Wert des Evangeliums sei Seele und Ziel des -Unter-
richte! Viele werden die Möglichkeit solchen Unterrichte bestreiten,
Natorp betont, dass er in England bestehe. Welche befreiende
Wirkung, besonder* auch für unzählige Lehrer seine Einführaug
haben würde, liegt auf der Hand; aber dass sie in absehbarer Zeit
bei uns erfolgen werde, kann man kaum hoffen. Dass ein Vorschlag
Grosses verspricht, ist ja nach John Stuart Mills bitterwahrer Bemer-
kung für die grossen Realpolitiker schon Grand genug, ihm nicht
näher zu treten. Man soll deshalb doch nicht verzagen. „Der
Realpolitiker behält für den Augenblick Recht, den Ideen folgen die
grossen Zeiträume." Die ideenreiche Schrift Natorps sei denn allen
Freunden der Wahrheit und des Friedens wann empfohlen. Bezie-
hungsvoll erinnert, sie im Titel an die vor 100 .fahren erschienene
Schrift der Königsberger Weisen; sie darf daran erinnern.
Einbeck. Dr. O. A. Ellissen.
Comenii Leanae excidium und Vindicationis famue et con-
scientiae calumnia tertia et quarta. Herausgegeben von Prof. Dr.
Franz Nesemann, Oberlehrer am Königl. Gymnasium zu Lissa i. P.
Beilage zum Programm des Königl. Gymnasiums zu Lissa i. P.,
Ostern 1894. Lissa, Buchdruckerei von O. Eisermann.
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270
Besprechungen.
Heft 8.
Zwei geschichtliche Quellen von hohem Werte sind durch diese
Arbeit allen denen zugänglich gemacht, welche über die Frage, ob
und in welchem Masse Comenius an dem Unglück von Lissa schuld war,
zur Klarheit kommen wollen. Noch vor zwei Jahren hatte Oindelv,
weiland Professor an der deutschen Universität in Prag und Landes-
archivar von Böhmen (gest. 1893), gegen Comenius die Anklage erhoben,
dass er die Polen gegen die Stadt Lissa aufgereizt habe, indem er,
der Bischof der böhmischen Brüder, von welchen ein grosser Teil
dort Zuflucht gefunden hatte, im schwedisch- polnischen Kriege ein
Beglückwünschungsschreiben an den Sieger, den König von Schweden,
richtete, auch die Prophezeiungen eines Geistlichen der Brüder, der
in den schwedischen Siegen eine Erfüllung derselben erblickte,
während jener Zeit zum Trost der unterdrückten Glaubensgenossen
veröffentlichte (vgl. Monatshefte II, Heft 8 u. 9, S. 239 ff.). Es ist sehr
zweifelhaft, ob Gindely diese Anklage erhoben haben würde, wenn
er jene beiden nunmehr von Dr. Nesemann herausgegebenen Zeug-
nisse des Comenius über die Sache gekannt hätte. In dem ersten
erzählt Comenius als Augenzeuge die Zerstörung Lissas noch in dem-
selben Jahre lo'öö, in welchem sie erfolgt war, also noch unter dem
frischen Eindruck des Unglücks, das auch ihm und seiner Familie
alles geraubt hatte. Er hat noch in lebhafter Erinnerung alle die
Umtriebe, Verleumdungen, Verschwörungen, in welchen sich der Hass
der katholischen Polen gegen die Evangelisehen, besonders gegen das
aufblühende Lissa schon seit vielen Jahren kund gegeben. Er erzählt
uns, wie man, während der schwedische König in Preussen weilte,
Jesuiten und Mönche nach allen Richttingen aussandte, um das Volk
gegen die Evangelischen aufzuhetzen, bis es zu blutigen Verfolgungen
an verschiedenen Orten kam und zuletzt auch zur Zerstörung Lissas.
Das zweite Zeugnis ist so, wie es lateinisch lautet, herausgehoben
aus einer Schrift, in welcher Comenius Ehre und Gewissen verteidigt
gegen die Verleumdungen eines polnischen Professors der Theologie,
Namens Nieolaus Arnold. Zwei von ihnen betreffen nämlich das
Unglück von Lissa; es sind gerade die, auf welche auch Gindely
seine Anklage gegen Comenius stützte. Das Beglückwünschungs-
schreiben an den schwedischen König soll die Fackel zum Brande
von Lissa gewesen sein. Wie war dies möglich, da er ja nur dem
Beispiel der Katholiken folgte, welche bereits Lobgedichte auf den
Sieger veröffentlichten? Zudem kann Comenius beweisen, dass den
polnischen Geistlichen nicht bloss vor der Zerstörung Lissas, sondern
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1894.
Besprechungen.
271
auch noch hing«' nachher der Verfasser jeneg Bcglückwünschunga-
schreibens gänzlich unbekannt gewesen sei, ja noch mehr, da*» sie mit
seinem wesentlichen Inhalt einverstanden gewesen bis auf die Forderung
gleichen Rechtes für alle ohne Unterschied des Glauben». Die zweite
Anschuldigung gründet sich auf die von Comenius veröffentlichten
Weissagungen. Durch sie sollen die Bewohner von Lissa sicher und
sorglos gemacht worden sein. Dagegen macht Comenius geltend,
dass fast niemand in Lissa jene Weissagungen gekannt habe, und
dass er selbst öffentlich wenigstens die Deutschen und Polen zur
Flucht nach «lern benachbarten Schlesien angetrieben habe, wo sich
Bekannte und Verwandte ihrer annehmen würden. Für sich und
die Seinigen freilich habe er es fürs Beste gehalten, sich in Gottes
Hand zu geben, denn sie hätten niemand gekannt, der für sie, die
Fremden, die Verbannten, eintreten würde. Wir wissen freilich aus
Briefen des Comenius, dass er sich zuletzt doch genötigt sah, sein
Heil in der Flucht zu suchen.
Bei der Herausgalie der beiden Schriftstücke ist mit peinlichster
Sorgfalt zu Werke gegangen. Das gilt nicht bloss von der Her-
stellung des lateinischen Textes, sondern auch von der Fülle histo-
rischer und philologischer Anmerkungen, welche das Verständnis
wesen Üich erleichtern .
Hagen (Westf.) Prof. W. Bötticher.
Dem in Lebensbeschreibungen und Einzelschriften auf dem
Gebiete der Comenius - Forschung bisjier Geleisteten reihen sich
„Zwei Abhandlungeu des Johann Arnos Comenius" (Hannover-
Linden 1894) in sehr zweckdienlicher Weise an, deren Übersetzer
Prof. Dr. C. Th. Lion ist. Das von Comenius in seinen Opp. did.
omn. III, p. 75S — 775 gezeichnete Musterbild eines guten Lehrers
möchte der Übersetzer in der ersten der beiden Abhandlungen „Über
die Vertreibung der Trägheit aus den Schulen" der Lehrerwelt
jeglicher Schulgattung zur Nacheiferung vor Augen halten, zugleich
zu seiner Übersetzung durch mancherlei Unrichtigkeiten einer früheren
von J. Beeger und Dr. .1. Leutbecher (Leipzig 1874) besorgten
veranlasst. Es ist die ernste und mühsame „Hebammenenkunst für
die Geister", deren Arlx'it erfordernde Regeln der für Verwirklichung
seiner Theorien unermüdlich thütige Meister der Didaktik hier in
dieser ersten der beiden Abhandlungen in Anknüpfung an das
bekannte sokru tische Bild entwickelt und neu einschärft. Es handelt
sich ihm um nichts Geringeres als um die Entbindung alles Hohen
MunaUUfW ihr Cotiu-iüus-UcaillwIuift. l«Jl. i<>
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272
Besprechungen.
Heft S
und Guten der noch bildsamen Mensehennatur durch die Lehrerhand,
in die er diese Hebainmendicnste gelegt sieht, „um glücklich die
schöne Gehurt der Weisheit, die gestaltreiche der Beredsamkeit, die
lelM ii^frische und lehenskräftige der Tugend an's Licht zu fördern".
Die Sehlde — eine Arbeitsstätte, ein Schauplatz frischer geistiger
Bewegung, der lehrende ein Mann von Kenntnissen, von aus-
gedehnter Weite des Gesichtskreises, mit regsamer eigener Lebendigkeit
und voller Hingabe an die klar erfasste Berufspf licht die lernenden
mit sieh fortreissend. Das sind die schlichten Forderungen, die
Comenius erhebt, denen er dann noch andere, an die Schul Vorsteher
und an die Eltern gerichtete, anreiht. — „Aus den Sehul-Lahv-
rinthen Ausgang in's Frei«;" betitelt sich die zweite von Lion
übersetzte Abhandlung, eine gedrängte Cbersicht der das geeignetste
Lehrverfahren erhellenden Pläne und Anschauungen des Comenius, —
daher auch der charakteristische Nebentitel: „Mechanisch kon-
struirte Lehrmaschine, um (bei den Lehr- und J^crnobliegenhciten)
ferner nicht stecken zu bleiben, sondern vorzuschreiten". Als da*
Ziel der Schulen bezeichnet Comenius dies, „das* sie den Menschen
seinem Ziele anpassen, d. h. durch alles, was die menschliche Natur
vervollkommnet, ausbilden", und aus allen Labyrinthen, in die er
das Schulwesen verirrt sieht, zeigt er den einen Ausweg: „Weniges,
aber für das Leben (das diesseitige wie das jenseitige) Notwendiges"
soll die Schule darbieten; „Weniges, aber durch Übungen gut
befestigt; Weniges, aber dessen Nutzanwendung man beherrscht" —
Wir bemerken noch, dass der Phantasie- und Bilderreichtum, der «lern
Comenius zu Gebote steht, der dichterische Zug und der plastisch
ausgestaltende Trieb feiner Natur, den er nicht verleugnen kann,
mich seine Neigung zu biblischen Anklängen zumal in der ersten
Abhandlung stark zu Tage tritt, In betreff der Genauigkeit der
Wiedergabe haben wir Grund, dem gerade auf diesem Gebiet be-
währten Chcrsetzertalcnte Lions zu vertrauen; wir sind ihm dankbar,
dass er die beiden kleinen und interessanten Schulabhandlungcn
einem erweiterten Leserkreise auf's neue zugänglich gemacht hat.
Möge <lieser Leserkreis sich finden vor allem innerhalb „der gesamten
Lehrcrwclt jeglicher Schulgattung".
Seebach bei Eisenach. K. Mämpel.
Uphues, Goswin K., Über die verschiedenen Riehtungen
der psychologischen Forschung der Gegenwart. (Introspective
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1894.
Besprechungen.
27H
und physiologische Psychologie und die Überschätzung der letzteren.)
Vortrag, gehalten in der Versammlung des Lehrervereins zu Halle a. S.,
den 17. April IS94. (Halle 1894.) 11 8.
Die ältere Psychologie ist durchwegs beherrscht vom Substanz-
begriff. Wie man in der Naturwissenschaft die Substanztheorie auf-
gegeben hat und die Naturerscheinungen nicht mehr mit Hilfe von
elektrischen, magnetischen und anderen Vermögen und Kräften er-
klärt, sondern dieselben aus allgemeinen Bewegungsgesetzen ableitet,
so kam man auch in der Psychologie von der Substanzciitheoric ah,
welche die Erscheinung des seelischen Lebens als die Äusserungen
einer metaphysischen Seelensubsianz zu erklären trachtet, und be-
schränkt sich auf die Anulysis des erfahrungsmässig Gegebenen. Er-
fahrungsmässig gi geben ist uns eine Gruppe zusammengehörender, ein
Ganzes bildender (vergangener, gegenwärtiger, zukünftiger) Bewusst-
seinsvorgänge. Man kann nun die Bewusstseinsvorgänge rein für
sieh oder in ihrer Beziehung zum Leibe untersuchen; das erste thut
die introspektive, das letztere die physiologische Psychologie. Die
Vertreter der letzteren behaupten zuweilen, dass nur die physiologische
Psychologie eine wissenschaftliche Erkenntnis gewähre, jedoch mit
Unrecht. Demi die Untersuchung der Abhängigkeit der Bewusstseins-
vorgänge vom Leibe ist ohne vorhergehende Kenntnis und Analyse der
Bewusstseinsvorgänge für sich nicht möglich. Auch ist das Körper-
liehe nicht der nächste Gegenstand unserer Erfahrung, sondern ein
Jenseits unseres Bewusstseins. Da-* unmittelbarste und daher sicherste
Wissen gewähren uns offenbar die Bewusstseinsvorgänge selbst. Wenn
wir auch dem Bewußtseinsinhalt und insbesondere der Vorstellung
der Aussenwelt die Realität absprechen wollten, das Vorstellen selbst,
der Bewusstseinsvorgang, liesse sich nicht leugnen. Von den That-
sachen des Bewusstseins aus hat somit alles Wissen seine Begründung
zu erfahren. Wenn wir ein Wissen von unseren eigenen, insbesondere
von den gegenwärtigen Bewusstseinsvorgängen nicht zu gewinnen ver-
mochten, dann tniissten wir überhaupt auf die Erlangung desselben
verzichten. Duraus ergibt sich die Möglichkeit, Berechtigung und
Notwendigkeit der introspektiven Psychologie. Die Untersuchung über
die Grenzen, den Umfang und die Tragweite unseres Erkenntnisver-
mögens hat die introspektive Psychologie zur Voraussetzung. Letztere
ist. auch die Grundlage der physiologischen Psychologie und schliefst
diese ein. Denn unser I^eib ist für unser Bewußtsein etwas Trnns-
cendentes, wir haben von ihm nur Vorstellungen. Insofern handelt
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274
Bespn rhunjfon.
Heft 8.
es pich auch in der physiologischen Psychologie nur um Untersuchun-
gen über unsere Bewusstseinsvorgänge, die physiologische Psychologie
wird somit zu einem Teil der introspektiven. Sofern man das Trans-
cendente als Vorstellung nuffasst, vermag man nicht zu erklären,
wie ein kausaler Zusammenhang zwischen den an sich wirklichen
äusseren Vorgängen und den Bewusstseinsvorgängen stattfindet. „Wenn
wir von einer Entstehung der Bewusstseins Vorgänge aus körperlichen
Vorgängen und umgekehrt reden, so verstehen wir unter den körper-
lichen Vorgängen nicht die Vorstellungen, die wir davon haben, son-
dern wirkliche körperliebe Vorgänge, also etwas Transcendentes."
Körperliches und Geistiges stehen nicht in einer derartigen Verbin-
dung, dass eines aus dem anderen hervorgeht, sie bedingen jedoch
einander gegenseitig. Die grosse Verschiedenheit der beiderseitigen
Vorgänge drängt uns anzunehmen, dass ihre Zusammengehörigkeit
nicht in ihnen selbst den Grund haben kann, sondern in einem zweiten
über beiden bestehenden Transcendenten. „Dieses zweite Transcendente
ist freilich nur ein Postulat, ein theoretisches, durch unser
Denken gefordertes Postulat, das wir aufstellen, um uns die
Entstehung gewisser Bewusstseinsvorgänge insbesondere
der Empfindungen und weiterhin die Beschaffenheit unseres
Bewusstseins, die Richtung desselben auf das Transcen-
dente und den unaufhaltsamen Drang desselben zum Trans-
cendenten hin zu erklären." Die Theorie des Parallelismus zwischen
körperlichen und seelischen Vorgängen wäre demnach abzuweisen.
Dies in Kürze der Inhalt des verdienstvollen Vortrages von
Uphues; derselbe ist der Ausfluss einer berechtigten Gegnerschaft
gegenüber der herrschenden Überschätzung der physiologischen Rich-
tung der Psychologie. In der Psychologie zumal thut auch erkenntnis-
theoretische Besinnung not, wie sie Uphues übt.
Univ. Czernowitz. R. Hochegger.
Stötzner, Paul, Dr. phil., Beiträge zur Würdigung von
Johann Balthasar Schupps lehrreichen Schriften. Leipzig, Ver-
lag von Richard Richter, 1891. Preis 2,40 Mk.
Stötzner verziehtet auf eine eingehende Darstellung von Schupps
Leben und beginnt sein Buch mit einer erspriessliehen Kritik der
seit 1857 merklich zunehmenden Schupplitteratur. Die in den ein-
zelnen Arbeiten sieh vorfindenden Irrtümer werden auf Grund selb-
ständiger Forschung und unter Benutzung der gesamten einschlagenden
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I
I
1894. Besprechungen 275
Veröffentlichungen berichtigt. An der Hand «lei fünf Gesamtausgaben
der lehrreichen Schriften aus den Jahren 1003, 1077, 1084, 1701
und 1710 bespricht er nach einander die von Schupp ursprünglich
lateinisch geschriebenen Traktate, die von ihm selbst veröffentlichten
deutschen, die nach seinein Tode gedruckten und die in den gesammel-
ten Schriften nicht von ihm verfaßten. Ober seine Quellen und deren
Bearbeitung durch ihn, über die Entstehungszeit, den Zweck und die
Bedeutung jeder Schrift und über ihre Beziehungen zur zeitgenössischen
Litteratur verbreitet sich Stötzner mit l>ewundcrn*wertcin Scharfsinn.
Im Anhange befindet sich der von Lambecius stammende Lebenslauf
Schupps. Nach meiner Meinung ist es Stötzner gelungen, durch
beweiskräftiges Material innerhalb der Reihe sogenannter Schuppscher
Schriften die echten von den unechten zu scheiden und somit einen
wichtigen Beitrag zur Lebensgeschichte eines bedeutenden Mannes des
17. Jahrhunderts zu liefern.
Berlin. R. Aron.
C. Nachrichten.
Zu Crossen a. O. residierte seit 1(550 die Mutter Friedrieh Wil-
helms, de« Grossen Kurfürsten, Elisabeth Charlotte von der Pfalz, dio
Tochter des Winterkönigs und Gemahlin Georg Wilhelms, der da« Fürstentum
Crossen als Lcibgeding überwiesen war. Die Fürstin, die dort oft die Besuche
ihres Sohnes empfing, liess sich das Wohl ihres Fürstentums sehr angelegen
sein und widmete namentlich auch der I^ateinschule zu Crossen ihre Auf-
merksamkeit. Da ist es nun interessant, dass wenige Jahre nach ihrer
dortigen Niederlassung ein Mann an die Spitze der Schule trat, der uns
an dieser Stelle besonders interessiert — der Konrektor (seit 1651) und spätere
Rektor Gottfried Rothe (t U. April 1605), über den Direktor Dr. Friedrieh
Berbig in Crossen in seinen soeben erschienenen „Nachrichten aus Urkunden
der lateinischen Schule zu Crossen" (Wiss. Beilage zum Programm des
Realgymnasiums 1894, II. Teil, S. 15 f.) uns Mitteilungen macht. Der
gelehrte und friedfertige Rothe hatte seine Vorbildung in der Brüderschule
zu Lissa erhalten und bezeichnet Comenius als seinen Lehrer, den
er in seiner selbstverfassten Lcbensl>cschreibung einen „weltberühmten Mann"
nennt. Dann war er nach Freistadt in Schlesien gekommen und hier wegen
seiner Religions-Anschauungen vertrieben worden; in ihm hatte die Kurfürstiii
den geeigneten Mann für ihre Schule erkannt, und seine mehr als 40 jährige
Wirksamkeit hat ihr Recht gegeben. Es wäre von Wichtigkeit, wenn man
den Einfluss näher untersuchen könnte, den die Brüderschulc in Lissa durch
ihre Lehrer und Schüler gewonnen hat; da*s auch das s. Z. berühmte
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276
Nachrichten.
Heft 8
Gymnasium Schonaich ian um in Beuthen zur Brüderschule Beziehungen
besass, hal»en wir bereit« früher erwähnt (M.H. der CG. 1894, S. 237».
Ein interessantes Urteil Uber die böhmischen Brüder in der Zeit, wo
Coracnius seine Laufbahn begann , findet sich in dem soeben erscheinenden
zweiten Bande der „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Gegen-
reformation und de« dreissigjiihrigen Krieges" von Moritz Ritter
(Bibliothek deutscher Geschichte, hrsg. von Zwiedineck-Südcnhorst, Stuttg.,
J. G. Cottas Nachfolger, Lief. 75 ff.). Dort heisst es (II, 271) bei Besprechung
der Lage der Protestanten in Böhmen: „Die Gemeinden beider Teile (der
Lutheraner und der Brüder) bliel)en in der alten Trennimg bestehen, wolx-i
diejenigen der Brüder durch den Krnst ihrer Sittenzucht, die Wärme des
Gottesdienstes, die Blüte ihrer niederen und mittleren lTnterrichtsan8talten
weitaus hervorragten. In der gemeinsamen Oberbehörde des Konsistoriums
musste durch Vereinbarung der Stände innerhalb der zwölf Mitglieder eine aus
drei Angehörigen der Brüdergemeinschaft bestehende besondere Abteilung
geschaffen werden; vor dieser und zwar von einem ihr angehörigen Senior
(Bischof) empfingen die Geistlichen der Brüder ihre Ordination. Nicht zur
Milderung der Gegensätze konnte es denn auch dienen, dass der Lehrstreit
über das Abendmahl nach Böhmen ubergriff. Während in dieser Frage die
Brüder, dem verwandtschaftlichen Zuge ihres alten Bekenntnisses folgend, sich
mit Vorliebe der calvinischen Lehre zuwandten, hielt sich der andere Teil
der böhmischen Protestanten, wenn auch nicht mit l)esonderem Eifer, zur
lutherischen Auffassung. Dem Zahlenvcrhaltriis nach waren diese Lutheraner
die weitaus stärkere Partei; die Brüder erscheinen, besonders innerhalb des
Adels, als eine kleine Minorität. Aber einmütig und an Zucht gewöhnt,
wie diese Minderheit war, ging aus ihrer Mitte, wie in Mähren der Herr
von Ze rotin, so in Böhmen als der umsichtigste und kräftigste Führer
der protestantischen Partei Wenzel von Budowec hervor. Solchen
Männern gegenüber bildete der lutherische Adel, wenn er auch von den etwa
1400 Familien des böhmischen Adels über 1000 zu den seinigen zählen
mochte, eine hin und her wogende Masse, die gleich ihren österreichischen
Genossen über ihren Gelagen den Emst der Sache, ül>er gewaltthätigen
Antrieben das Gebot politischer Zucht übersah; hinterlistige Streber wie
Wenzel Kinsky und kopflose Männer wie Matthias Thum übten in diesem
Kreise schon damals einen bedeutenden Einfluss aus." — Das Rittersehe
Buch enthält auch an anderen Stellen Schilderungen und Nachrichten, die
für unser Forschungsgebiet von Wert sind. Wir können die Lesung des
Werkes unseren Mitgliedern umsomehr empfehlen, weil dasselbe unzweifelhaft
zu den bedeutendsten historischen Erscheinungen der jüngsten Zeit zu zählen
ist, und weil jeder, der von comenianischer Geistesrichtung berührt ist, in der
Art der Darstellung und Auffassung einen verwandten Zug entdecken wird.
In Melle lebte um das Jahr lb'OO als fürstlich Osnabiückseher Münz-
meistcr Hermann v. d. Hardt, der einer niederländischen, nach Deutschland
eingewanderten Familie angehörte. Dessen Sohn Hermann v. d. Hardt (geb.
lö. Nov. UM)) gehört zu den Männern, deren Geschichte für uns ein bc-
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1894.
Nachrichten.
277
sonderet» Interesse besitzt. II. v. d. Hardt der Jüngere besuchte die Gym-
nasien zu Osnabrück, Herford, Bielefeld und Coburg und bezog dann die
Universität Jena, wo er »ich im Jahre 1683 alt* Privatdozent niederließ, um
nach 3 Jahren nach I/eipzig überzusiedeln. Hier schloss er sich an die
Vertreter des sog. Pietismus an, trat mit A. H. Franc ke in Beziehung und
lebte einige .Zeit in Dresden in vertrautem Verkehr mit Phil. Jac. Spener.
Im Jahre 1088 nahm er einen Ruf als Gehcimsekretiir des Herzogs Rudolf
August von Braunschweig an und wurde WM Professor der orientalischen
Sprachen in Heimstellt, wo er am '28. Febr. 1740 starb. — Der merkwürdige
Mann hat einen umfassenden Briefwechsel unterhalten, mid es ist ein
glücklicher l' instand, dass derselbe erhalten ist. Er ruht in der Hof- und
I^ndesbibliothck zu Karlsruhe, und Ferdinand Lamey hat im Jahre 1891
bei Ch. Tb. Gro<w in Karlsruhe als Beilage I zum Verzeichnis der Hand-
schriften der genannten Bibliothek eine Übersicht über die Adressaten u. s. w.
unter dem Titel veröffentlicht: „Hermann van der Hardt in seinen
Briefen und seinen Beziehungen zum braunschweigischen Hofe,
zu Spener. Francke und dem Pietismus." — Es sind nicht weniger
als 17 Foliobände, um die es sich hier handelt, und die zur Geschichte des
sog. Pietismus ein reiches Material liefern. Wir nennen aus dem Verzeichnis
der Briefschreiber und Adressaten die Namen: E. Anckchnann, Paul Anton,
Daniel Arvidson, J. W. Baji r, H. Berckau, J. N. Blanek, B. Botsac, Aug.
Wilhelm, Herzog v. Braunschweig, Rudolf August v. Braunschweig, G. H.
Bredeholl, J. H. Burckhard, J. B. Carpzov, Colbius, C. Corber, J. C. Dej>en-
brock, H. J. Ehlers, A. H. Francke, G. B. Glcyncr, A. H- Gloxin, J. V.
Grossgebauer, Jo. Jac. Haak, Job. Heinr. Horb, H. Huthmann, Chr. Kort-
hold, C. Lange, J. v. Lavitensac, Gottfr. Wilh. Leibniz, J. H. Lerche,
J. H. Leukefeld, W. M. Leukcfeld, N. Lindenberg, P. C. Martini, J. H.
Matthai, Sophie v. Mecklenburg, B. Mejer, C. Möller, H. G. Neuss,
'/,. Noltenius, Joh. Wilh. Petersen, J. E. Petersen, Andr. Reinl>eck, C. Sagit-
tarius, C. H. Sandhagen, Veit Ludw. v. Seckendorff, P. J. f>pener, Frhr.
v. Stain, Joh. E. Thilo, H. Weiss, Eborh. Zeller.
Im Jahre 1K04 wird zu Nürnberg ein Erinnerungsfest gefeiert werden,
das uns naher angeht, als es auf den ersten Blick scheint; es ist das 2fH>jäbrige
Stiftungsfest des „Bltunciiordens" durch Phil. Harsdörffer und Joh. Klaj.
Wir lassen das geringschätzige Urteil, das heute über diese „Sprachgesell-
schaften", üblich ist, auf sich beruhen; obwohl es sich nicht ganz mit derThat-
suche zu reimen scheint, dass viele hervorragende Männer Mitglieder dieser
Societät oder Akademie an der Pegnitz waren, so mag ja doch sein, dass sie
ihren Gegnern viele Angriffspunkte boten. Sicher ist, dass gerade solche
Männer, die zu den Gesinnungsgenossen des Comenius zählten, und zwar
nicht nur „Sprachreiniger" Mitglieder gewesen sind, wie denn auch Hars-
dörffer selbst Comenius innerlich nahe stand. Das feste Gefüge, das der
„Orden" im Jahre 1044 erhalten hat, hat ihm eine mehrhundertjährige Ge-
schichte gesichert. Wir werden auf die Gedenkfeier zurückkommen. Der
eigentliche Grüuduugstng ist der 28. Oktober.
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278
Inhalt neuerer Zeitschriften.
Heft 8.
D. Inhalt neuerer Zeitschriften.
Hi«torU<-he Z«>ltM4'hrift. Heraus-
gegeben von Heinrich v. Svbel und Friedrieh
Meinecke. N. F. Bd.:fT. Erstes Heft: Hein-
rich v. Sybel, Friedrich der Grosse im
Jahre 17<il. F. Bailleu, Kurl August,
Goethe und der FOrstenbund. Denkschriften
Theodor von Bcrnhardi». III. Zum polnischen
Aufstande vou l^-i. ■- Miscclleti. — Literat ur-
hcrieht. Notiren und Nachrichten. — Er-
klärung. Zweite» Urft: R. Koser, Die
preiissische lleformgcsetxgchiing in ihn'm Ver-
hältnis zur französischen IteVolutioii. K.
Witticli. Wallenstein» Katastrophe. Zweiter
Teil. MiMvIlen. - Lituruturliericht. -
Notizen und Nachrichten.
Archiof voor Xcderlandiuche
liorli^fM'lile<l<«nl». ">. di'-l. Aflevcring
1. IH'.U : U. Fruin, I>e voorbereiding in de
hallingschap van de Gcreforiin*erdc Kerk in
Holland. L. W. link hu ixen van den
Brink, Hit recht op de kcrkelijkc goedereli
der Ili rvormde gem^nte te Bn-edevoort in
17!«S bewezen en gehandhaafd. - James de
Fre tnery , IK Naaldwijksche pracbeiidcn indc
St. Pancra» of Hooglaiidsche Kerk tc W-iden.
- .1. M. WUstenhoff, ,,Florentii parvum
et »implex exereilium" , naer een Berlijnsch
linndr-i hrift inedegedevld. W. P. C. Kniittel,
Veruader-plaatsen der Katholiekcn tc V-Gra-
vi-nhage in de wxetitii-nde eeuw. H. C.
Kogge, Brie! van I). Bandiu» aan J. Wlcu-
III»U>rl»rhc% Jahrbuch der
Ottrre»K*ftelUrhiitri. 1.'.. Jahne. Heft H,
Aufsätze: v. Funk. Kriti»chc Be-
merkungen zu dogmatischen Itcflexioncn, -
Falk, l*T iiiitudrbeiidschc Freundeskreis des
Heinrich von I^ngenstcm. — Weiss, Beitrüge
zur Geschichte d<T Wahl Lcopold's I.
Kleinere Beiträge: Gietl, Hincinar's
( olliilio di- ccclcsiis rt capctli». — S a u e r 1 a l) d,
Eine pn'l' r!«»rni-i Handschrift de» l'i. Jahr-
hundert« in der valiranischcn ItiMiinliek. --
Paulus, Wolfgang Mayer ein bayerischer
('islercicnscrahl de» 10. Jahrhundert». —
Notizen. Ili-c« nsioneji um) Heferate.
Zeiigchrifteii»chaii. NovitflU-nschau. - Nach-
richten. P. Uosler-Filike, KrkUlrungcn.
Archiv fnr «ctM-hlchtc drr Fhl-
IfHMtpblr. Bd. VII. Heft 3. 1KU: Zelter,
Aininoniii* Sakkus und Plotin. l»ie|», Au»
dem 1-els n de» Cyuiker» Diogenes. I>ilthey,
An» der Zeil der SpitlO/JI-Sludietl tioethe'».
l.l d in a n n , Zur Methode der Geschichte der
Philosophie mit Is-sondercr Rücksicht auf die
Metaphysik de« ('artcsiiis, — Stein, Das
ernte Auftreten der griechischen Philosophie
unter den Arabern. Land, Bibliographische
Bemerkungen. — Hof f ding. Die Cotilinuilat
im philosophischen Entwicklungsgänge Kants.
- W e n d I a n d, Jahresbericht Über die Kirchen-
vater und ihr Verhältnis xu
Erlliarhrirt für 1'hilokophic und
piillohophUelie Kritik. N. F. 104. Bd.
Heft •>. 1WU: A. Döring, Das Weltsystem
de» Parmenides. — Jacob Kolubowsky,
Die Philosophie in Btissland. Studie (Schi.)
- (tust, Glogau, Kunte Kennzeichnung
meine» philosophischen Standpunktes.
Ad. La»»on, Jahresbericht über Erschei-
nungen der Lillcralur in Frankreich aus den
Jahren 18«J1— *.Ö. — Beccnsionen und Biblio-
graphie.
:*). Bd. Heft 3 u. ». 18f»t: Lipps, Sub-
jective Kategorien iu ohjectiven Frieilcn.
E r d m a n n , Theorie der Ty pcn-Einteilu
(Hl. Husscrl, Psychologische Stti
mir elementaren l/.gik. Utterariscbes.
l'liilooophiM he« .
f.«rrr«««>»<>llMhan. 7. Bd. II. Heft. 181M :
(iutberl.t, Über den Frspning der Sprache.
(Schi.) Reit*, Die ari»totcli»che MaU.rial-
ursache. Schirottky, Zu Kants Schrift
„Die Beligion innerhalb der (ireruten der
blossen Vernunft". - ■ T. Pesch, AI. Schmid
Ober die Erkenntni»lehre. — Itecensiunen etc.
it< rnutloniilede
14. annee. No. t>. \b\M : An-
toine Pillet, I>es modifiraüons qu'ü con-
viendrait d'npporter aux programmes du
doctorat endn.it. --Jacques Parmentier,
Ijk litti'ratun- j>edagogii|iie en Anglelerre :
John Brinsley. Charles Dyob, L'u
honime d'eUit »pirituc! et cttevaleresque :
.Ma?^iitm d'A/eglio.
No. 7. Emile Bourgeois, La rclorme
de l'agn'gation d'htstoire. — (iabriel Alix,
Bap|Mirt fuit ä la faculte libre de Pari» sur la
n'forme de« elude» de la lieence et du doctorat
en droit. - A. (taxier, DiH-umiiiU iniklits
|Miiir wrvir ä l'histoire de l'iintniction puldi-
ijue |M'tidanl la revolution (171H -ISUl l, (Sulu-).
l.u licviu-c des leitr»-». (.'orrespondanee
internationale. ( hronique de l'rnseigne-
uient. - Nottvelles et inforiiiutions. Bib-
liographie.
>♦♦»<
Bin lidrm ken i v..u J<dialiiie» Bredt, Münsti-r i. Westf.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
III. Band. ~s 1894. e~ Heft 9 u. 10.
Hans Sachs und die Reformation.
Von
Dr. Alexander Nicoladoni
in IJnx an iI<t Ihmmi.
Anders spiegelt «ich die Welt im Kopfe des Gelehrten,
anders im Herzen des Dichters!
Pflegt der Gelehrt« die Strömungen, die eine bestimmte Zeit
bewegen, zusammenzufassen, sie auf ihre Griinde und Veran-
lassungen zurüekzuf ühren , nach einem bestimmten Ziele hin auf
ihnen weiter zu bauen, und sie mithin als ein Ganzen zu betrach-
ten, so interessieren den Dichter die einzelnen Gedanken, ihr
Kommen und Gehen, ihre formelle und inhaltliche Erscheinung,
das Bild der Manigfaltigkeit und Abwechslung.
Hans Sachs, dessen 400 jähriges Geburtsfest wir in diesem
Jahre feiern, hat die gewaltigste Idee, die seine Zeit bewegte, die
Reformation, vom Standpunkte des Dichters aus betrachtet!
Nicht zu jenen Geistern ist er zu zahlen, die die religiöse
Bewegung mit in Fluss brachten, ihr Ziel und Richtung gaben oder
sieh die Erforschung ihrer Eutsteliungsgründc und Zwecke ange-
legen sein Hessen, wohl aber finden wir kaum irgendwo die Ein-
drücke der sieh drängenden Entwicklungs-Abschnitte der Refor-
mation, der wechselnden Stimmungen des Volkes lebendiger sich
spiegelnd, als in seinen Schriften, in Versen und in Prosa, in
seinen Sprüchen und Dialogen. Hat ihm auch, sowie der ganzen
Zeit, das Gefühl für Schönheit der Form, wie es einer späteren
Periode, der klassischen, eigen war, gefehlt, so lebt doch in allen
Erzeugnissen seiner Muse ein packendes, dramatisches Element,
das überall an die Stelle der Schilderung die Handlung setzt, der
Monatsheft»- <l. r Coiwnins-0.-*'ll-fh»ft. I S** t . • -jq
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280
Nicoladoni ,
Heft 0 u. 10.
Sinn für das Naive und Volkstümliche, sowie die Absicht, zu
bilden und zu verbessern, die Tugend zu verherrlichen und das
Laster zu brandmarken. Es war deshalb besonders die sittliche
Seite in der religiösen Bewegung, die ihn anzog, es war die Ver-
breiterung und Vertiefung des Reformationsgedankens im Volke,
was ihm einen bleibenden Platz unter den Förderern der Refor-
mation sichert.
Des Hans Sachs dichterische Begeisterung hat sich ursprüng-
lich an den Eindrücken seiner Wanderjahre im deutschen Vater-
lande, das er als Sehustergcselle durchzog, entzündet Erlebtes
und Bcobachtungsergchnissc an Land und Leuten bilden den Inhalt
seiner ersten Gedichte. Schon frühzeitig aber zogen ihn religiöse
Stoffe an.
Seine ersten Versuche dieser Art sind dem Boden seiner
Heimat entsprossen. Sie sind der Dolmetsch der religiösen Re-
gungen und Strömungen des deutschen Volkes in den beiden
ersten Jahrzehnten des 10. Jahrhunderts, standen demnach zwar
auf dem Standpunkte der katholischen Kirche, verrieten jedoch
nicht undeutlich die mystischen Neigungen ihrer Verfassers.
Das Nürnberg des IG. Jahrhunderts war der Spiegel der
Welt. Alle Faden, aus denen die Geschieht«' der damaligen Zeit
gesponnen wurde, liefen hier zusammen. Von Nürnberg sandten
Humanismus, Renaissauce und Reformation ihre Strahlen aus.
Viele dieser Strahlen hat unser Dichter aufgefangen und sich an
ihnen sein dichterisches Feuer in der ihm eigenen Weise entzündet
Dadurch hat er zur Bekräftigung und Verbreitung der die Zeit
bewegenden Ideen viel beigetragen. Volkstümlich, ja nicht selten
spieKsbürgerlich, geben sich alle Kinder seiner Muse; deshalb
wurden sie aber auch vom Volke verstanden und gesucht
Bereits im Jahre 1Ö23 finden wir unseren Dichter von der
gewaltigen Persönlichkeit des Wittenberger Mönches mächtig er-
griffen. In einfachen aber zu Herzen gehenden Worten feiert er
Luther als den Apostel der Deutschen und den Lehrer seines
Volkes. Zeit seines Lebens war nunmehr Sachsens ganze schrift-
stellerische Thätigkeit der Anpreisung und volkstümlichen Dar-
stellung evangelischer Gedanken gewidmet. Alle die Kämpfe und
Stürme, welche diese Gedanken im Laufe der nächsten Jahrzehnte
zu bestehen hatten, alle Stimmungen des Volkes, welche diese
Kämpfe begleiteten, finden in Sachsens poetischen und prosaischen
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1801. Hau* Sachs und die Reformation. 2fll
Schriften ihren getreuen Spiegel. Und als es dann galt, das neue
Glaubensbekenntnis gegen die Schlage der alten Kirche zu schützen,
da stand Saehs in den vordersten Reihen der Kampfer. Aber
auch gegen den Übereifer und die Thorheiten seiner eigenen
Gesinnungsgenossen fand er kräftige Worte der Mahnung, der
Beruhigung und Beschwichtigung. Gegenüber den sieh bildenden
I'arteiungen erhob er das Panier der Einheit Diejenigen, die —
insbesondere nach Luthers Tod — - mutlos an dem Gelingen der
Reformation verzweifeln wollten, wies er auf Gott und die gött-
liche Sache und ermutigte zum festen Ausharren auf dem als
richtig erkannten Standpunkte. Bis er im Alter von mehr als
70 .Jahren für immer die treuen Augen sehloss, ist er ein eifriger
und wirksamer Vorkämpfer der evangelischeu Sache geblieben.
Am 31. Oktober 1 ö 1 7 hatte Martin Luther seine Thesen
wider den Ablast* an die Thüre der Schlosskirche von Wittenberg
geheftet.
Wie andere deutsche Reichsstädte hat auch Nürnberg die
Tragweite dieses Ereignisses und der daran sich entzündenden
Kämpfe alsbald begriffen. Der Boden war gerade hier wohl vor-
bereitet „Dort besassen Weiber, Knechte und Handwerker mehr
Kenntnis der Bibel", sagt Heinrich v. Kettenbach, „als anderswo
die Mitglieder der gelehrten Schulen."
Seit Beginn des Jahrhunderts stand .loh. v. Staupitz, der
Luther in das Evangelium der deutsehen Mystik eingeführt hatte,
in engen Beziehungen zu dem Nürnberger Humanistenkreise. 1512
hat er das erste Mal dort gepredigt und war seither in den ersten
Familien der Stadt ein gern gesehener Gast. 15] (i war er wieder
in Nürnberg und bereits im Jahre darauf hören wir von einer
Gesellschaft (Sodalitas), die sich nach Staupitz nannte, in der eine
Reihe der vornehmsten Männer, so Christof Seheurl, Anton,
Andreas und Martin Tücher, Hieronymus Ebner, Casp. Nützel,
Hierou. Holzschuher, Sigismund und Christoph Fürer, Lazarus
Spengler, Albrecht Dürer und Wolfgang Hoffmann vereinigt waren.
Dass nicht nur die humanistisch gesinnten Gelehrten und die
Würdenträger der Stadt, sondern auch der minder gebildete Teil
der Bevölkerung religiösen Fragen ein lebhaftes Interesse ent-
gegenbrachte, beweist der Umstand, dass bereits im Jahre 1517
"20*
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282 Nicoladoni, Heft 9 u. 10.
•
eine von Casp. Nützel veranstaltete deutsche Übersetzung der
lutherischen Ablassthesen in Nürnberg erschien. Bereits 1518
nennt Christof Scheurl den Wittenberger Mönch den berühmte-
sten Mann Deutschlands, eine Posaune des Evangeliums und einen
Herold der Wahrheit! In Nürnberg hat Willibald Pirkheimer
den „gehobelten Eck" verfasst, in Nürnberg erschien die Schutz-
wehr und christliche Antwort des Stadtsehreibers Lazarus Speng-
ler, eines der frühesten evangelischen Bekenntnisse.
Hans Sachs nahm an allen diesen Erscheinungen lebhaften
Anteil. Bereits zu Anfang der zwanziger Jahre hat er seiner
eigenen Erklärung zufolge an die 40 lutherische Traktatchen
gesammelt Von seiner erstaunlichen Kenntnis der Bibel geben
alle seine nach 1523 erschienenen Schriften Zeugnis.
Am Frohnleichnamstag des letztgenannten Jahres, wahrend
der Reichstag in Nürnberg tagte, wahrend dort die Geister scharf
auf einander platzten und die evangelisch Gesinnten aus dem
Verlauf der Verhandlungen neue Hoftuungen für den Sieg ihrer
Sache gewannen, erschien sein erstes von evangelischen Ideen
durchtränktes Gedicht: „Die Wittenbergisehe Nachtigall".
Es singt auf 12 mit einem Holzschnitte geschmückten Quartblättern
das Lob des Wittenberger Mönches.
Er vergleicht Luther in einer breit ausgesponnenen, aber
poetischer Schönheiten nicht ermangelnden Allegorie mit der
Nachtigall, die mit der aufsteigenden Sonne ihren Gesang ertönen
lässt und dadurch die durch den fahlen Schein des Mondes
(der alten Kirche) verfinsterte, den Nachstellungen des Löwen
(des Papstes) und der Wölfe (der Clerisei) preisgegebene Herde
rettet An diese Allegorie reiht sieh eine heftige Polemik gegen
den römischen Gottesdienst, gegen die „sogenannten" guten Werke»
gegen die Aufführung der Geistlichkeit, die Habsucht der Kirche
und gegen die faulen Haufen der Mönche und Nonnen, die ihre
guten Werke um Geld verkaufen. Das Gedicht sehliesst mit
dem Glaubensbekenntnis des Dichters, welches mit dem Luthers
übereinstimmt
Darauf, dass sich der wahre Glaube allein in der Liebe
äussert, wird dabei das grösste Gewicht gelegt. Der Wert und
die Bedeutung des Gedichts liegt darin, dass es, indem es alles
theologische Selmlgezänk vermeidet und nur die gemütliehe Seite
des neuen Evangeliums betont, so recht dem Gesichtskreis der
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1894.
Hans Sacht« und die Reformation.
283
Mafuwn angepasst war. Es hat desshalb aucli in kürzester Zeit
weit über Nürnberg hinaus zahlreiche Verehrer und Freunde
gefunden.
Im Jahre 1524 veröffentlichte Sachs vier Zwiegespräche,
(er selbst spricht von 7 Dialogen, von denen uns jedoch nur 4
gedruckt vorliegen die des Dichters damalige Stimmung deutlich
wiederspiegeln. Sie sind in Prosa geschrieben und zälden zu den
bedeutendsten Erscheinungen der volkstümlichen Reformations-
Litteratur. „Disputation zwischen einem Chorherren und
Schuhmacher, darin das Wort Gottes und ein recht
christlich Wesen verfochten würdt" betitelt sich die erste.
Ein Schuhmacher (der Dichter selbst) verteidigt die Witten-
bergischen Lehren von der Freiheit des Evangeliums, von dem
allgemeinen Christentume, von dem Rechte der Laien auf die
Bibel und von der Nutzlosigkeit der äusseren Werkheiligkeit, des
Fastens, Betens, der Beichte etc. und schliesst mit der Ausführung
des Satzes, dass ein wahrhaft Christglaubiger nur der ist, der
wiedergeboren ist aus dem Wasser und dem Geiste, Gott allein
im Geiste und in der Wahrheit und seinem Nächsten mit den
Werken der Liebe dient
Die besonnene Milde, die von eingehender Kenntnis der
Bibel zeugende Auffassung und das dramatische, des Humors nicht
entbehrende Gewand, in das der Dichter dieses Zwiegespräch
gekleidet hat, insbesondere aber die schalkhaften Züge, mit denen
er den Sehluss ausgestattet hat, hat ihm zahlreiche Freunde in
weiten Kreisen der Bevölkerung verschafft.
Der zweite Dialog führt den Titel: „Ein gesprech von
den Scheinwerken der Geistlichen und ihren Gelübden."
Wie schon der Titel andeutet, richtet sich der Inhalt gegen das
Unwesen der Bettelmönche.
In beweglichen Worten wird diesen vorgestellt-, dass Betteln,
Niehtsthun und Kasteien keinen Wert vor dem Herrn haben,
und wird ihnen das Wort der Bibel entgegengehalten: „Im Schweisse
Deines Angesichtes sollst Du Dein Brot essen". Als sprechende
Personen sind wieder Hans der Schuhmacher, dann Peter ein
*) Es wäre »ehr erwünscht, zu erfahren, ob sich von den drei anderen
Dialogen keinerlei Spur etwa in Handschriften erhalten hat und die Gründe
zu kennen, die Sachs von der Drucklegung abhielten.
Die Schriftlcitung.
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284
Nicokdoni,
Heft 9 u. 10.
Bäcker und 2 Barfussermönehe eingeführt. Schon in diesem
Dialoge zeigt der lutherisch gesinnte Peter in polternder, ja fana-
tischer Derbheit die Bethiitigung seines evangelischen Eifers,
während Hans auf die gegnerischen Gründe geduldig eingeht und
mit Milde und Sanftmut ihre Schwächen darthut und sie mit
Sprüchen aus der Bibel zu widerlegen sucht.
Der Zweck des dritten Dialoges: „Ein argument der
Römischen wider das christlich Häuflein, den Geytz
auch andere öffentliche Laster betreffend", ist, wie schon
die Vorrede sagt, auf die Beleuchtung des Lebenswandels seiner
Gesinnungsgenossen gerichtet
Weil die Römischen, sagt er dort, auf der Kanzel und
überall sonst auf den verfluchten Geiz — es ist die Habgier und
Geldgier gemeint — und andere Laster, welche bei uns im
Schwange gehen, mit viel Geschrei hinweisen und daraus folgern,
dass unsere I^chre falsch sei, deshalb will er den Lutherischen
in s Gewissen reden. Würde unser Leben besser, so könnten die
Römischen nichts mehr gegen uns haben.
Die Strafpredigt des Dichters ist voll sittlichen Ernstes»
ein Zeugnis klarer Beurteilung der wirkliehen Sachlage und
deutschen Mannesmutes. Die Figuren des Gespräches sind diesmal
der Junker Reich enberger, ein Anhänger Luthers, und sein Gast
Romanus, ein katholischer Priester. Unter dein Geiz, den Romanus
den Evangelischen vorwirft, und dessen Existenz Reichenberger
zugiebt, versteht Romanus den Wucher, das Zinsetinehmen, die
Übervorteilung im Handel u. s. w., die mit dem Mangel an Werken
echter christlicher Nächstenliebe Hand in Hand gehen.
Der vierte Dialog betitelt sich: „Ein gesprech eines
Evangelischen Christen mit einem Lutherischen, darin
der ärgerlich Wandel etlicher, die sich Lutherisch nen-
nen, angezeigt und brüderlich gestraft wird."
Während der Zweck dieses Dialoges mit dein des vorigen
vielfach übereinstimmt, sind die Ausführungen desselben insbe-
sondere deshalb interessant, weil sich in ihnen Hans (der evan-
gelisch gesinnte Dichter) gegen den polternden übereifrigen Peter
(den Lutherischen) und gegen alle diejenigen wendet, die durch
ihr Hetzen gegen die römische Kirche, gegen den äusseren Gottes-
dienst und die guten Werke, Dinge, die für die Beurteilung der
Wahrheit des Glaubens gleichgiltig seien, und durch ihr Schimpfen
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1894.
Hau» Sach* und die Reformation.
285
über Papst und Pfaffen die Schwachen abschrecken und aus den
Keinen der Evangelisehen vertreiben.
Hans mahnt zur christlichen Milde und Duldung. Nicht
an dem Toben und Schreien gegen ausserliehe Dinge, sondern
allein an der Liebe und dem christlichen Lebenswandel in der
Nachfolge Christi seien die wahren Kinder Gottes, die Evan-
gelischen, zu erkennen!
Peter erzählt dem Hans, dass er seinen Schwiegervater aus
dem Hause geworfen habe, weil dieser sich darüber aufhielt, dass
er (Peter) an einem Freitag Sehweinebraten gegessen habe. Er
nennt ihn einen Romanisten-Hund.
„Du hast Unrecht gethan", antwortet Hans, „Du weisst
doch, dass Deiu Schwäher evangelischer Freiheit noch unbc-
richtet ist"
Peter versucht darauf mit einer Reihe von Bibelsprüchen
zu beweisen, dass das Fleisehessen am Freitag keine Sünde sei.
„Du hast Recht", sagt Hans, „Fleisehessen ist keine Sünde,
aber nicht alles, was erlaubt ist, ist nützlieh. Jeder hat zu achten,
dass seine Freiheit nicht zu einem Anstoss für die Schwachen
• werde. Es ist viel besser, Du issest kein Fleisch und trinkst
keinen Wein, als dass daran Dein Bruder Anstoss nimmt, sieh
iirgert und schwach wird. Nicht, was Dir zuträglich, suche,
sondern was vielen zuträglich ist, dann wirst Du selig werden."
Peter lässt sich nicht bekehren, er häuft Bibelsprüche auf
Bibelsprüche, um darzuthun, dass das Meiden der Fleischspeisen
Götzendienst sei. „Was ist unsere Freiheit nutz", poltert er,
„wann wir sie nicht gebrauchen dürfen?"
„Sie i*t soviel nutz", meint Hans, „dass wir wissen, dass uns
alle Speis unschädlich ist, aber um der Schwachen willen sollen
wir's meiden. Es sind ihrer gar viele, die Fleisch essen am
Freitag aus Frevel, Fürwitz oder Wollust und haben doch keinen
Grund im Glauben und werden zuletzt wanken in ihren Gewissen."
Und als Peter unwillig fragt, wie lang sie denn an der römischen
Kette liegen sollen und ihre christliche Freiheit nicht gebrauchen
dürfen, da mahnt Hans zur Geduld.
„Sei zufrieden", spricht er, „dass wir in unserem Gewissen
frei sind von solcher menschlicher Satzung und lass uns um
unserer Mitbürger willen solch ausserliehe Dinge tragen, wie
andere Statuten und bürgerliche Sitten; das Reich Gottes ist nicht
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286
Nieoladoni,
Heft 9 u. 10.
erstanden aus Trinken, sondern aus Gerechtigkeit, Friede und
Freude im heiligen Geiste. Essen wir, so werden wir nicht besser,
essen wir nicht, nicht schlechter. Würden wir aber das Fleisch,
um unseres Nächsten Unwissenheit zu schonen, nicht gemessen,
dann gehet solche Enthaltsamkeit aus Glauben und Liebe und
ist Gott gefiillig."
Er erinnert an die Worte Christi: „Ein neues Gebot gebe
ich Euch, dass ihr Euch liebet untereinander, wie ich Euch ge-
liebet habe. Dabei wird Jedermann erkennen, dass ihr meine
Jünger seid."
„Hörst Du", fügt Hans diesen Worten bei, „die Liebe ist die
rechte Probe eines Christen und nicht das Fleischessen, denn das
können die Hund und Katzen auch."
In wenigen aber treffenden Worten hat der Dichter mit
diesem Zwiegespräch den Kern des evangelischen Christentums
aus der äusseren Umhüllung losgeschält.
Nachdem sich Hans und Peter in betreff des Fleischessens
geeinigt haben, tritt Ulrich, der Schwiegervater, ein.
Hansens Aufforderung, mit ihnen in die Predigt zu gehen,
lehnt jener mit den Worten ab: „Ich wollt eher, dass Euer
Prediger gehängt würde, er ist ein Ketzer. Sagte mir doch mein
Schwiegersohn, der Prediger lehre, man dürfe nicht mehr beten,
nicht den Heiligen dienen, nicht fasten, beichten, wallfahrten,
nicht mehr die Messe hören, keinen Jahrtag stiften, keinen Ab-
lass lösen und es sei kein gutes Werk zur Seligkeit nutze."
„Ei", wendet sich darauf Hans an Peter, „Du thust Unrecht
Du und Deine Gesellen, dass Du den Prediger solches sagen lässt,
aber die Gründe vorenthältst, die er dafür anführt. Mit solcher
Art entfernst Du die Einfältigen von der wahren Lehre. Saget
diesen die tröstliehen Worte Christi, die Ihr von dem Prediger
gehört habt, saget ihnen, dass der Tod Christi das einzig Werk
unserer Erlösung und dass Christi Wort allein zu hören sei.
Wenn Ihr solches den Leuten vorsagt, so wird dies die Herzen
der Unwissenden erweichen, dass sie dann auch in die evangelische
Predigt kommen und dadurch werden sie zur wahren Erkenntnis
der Wahrheit Gottes gelangen." Dem stimmt auch Meister Ulrich
zu. Wenn man aber, fährt er fort, von den Lutherischen kein
gutes christliches Wort höre, wenn sie nur Mönche und Pfaffen
ausrichten, dann gelüste ihn die lutherische Weise gar nicht
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1894.
Hans Sachs und die Reformation.
287
Peter meint, die Mönche und Pfaffen verdienten es nicht besser,
sie seien verstockte Sünder, mit den Künsten müsse man drein-
schlagen, mit Gewalt das Unkraut ausreissen.
Hans mahnt auch hier zur Geduld und Sanftmut. Kr beruft
sich auf den Apostel Paulus als seinen Gewährsmann. Der Weg
der Gewalt gebare nur Feindschaft, die Kotzer bekehre nur,
wer dem Evangelium Christi nachfolgt, und einen christlichen
Wandel führt, wie sichs gebührt. Die rechten Kinder Gottes
erkenne man allein an der Liebe. „Peter", schliesst Hans seinen
Sermon, „merk' Dir meine Rode um Gottes willen und sag' es
Deinen Mitbrüdern (d. h. den Lutherischen): Wenn sie mich einen
Heuchler und Abtrünnigen heissen, da Hegt mir nicht ein Haar
breit daran, ich habe ihnen die Wahrheit gesagt, welche immer
verfolgt wird von den Gottlosen. Ich wollt, es hätten sie alle
gehört, die sich lutherisch nennen, vielleicht würden sie dann
rechte evangelische Christen werden."
Und darauf Meister Ulrich: „Peter! wie dünkt Dich? Wann
Ihr Lutherischen solch züchtigen und evangelischen Wandel führen
würdet, so hätte Eure Lehre ein besseres Ansehen vor allen
Menschen. Die Euch jetzund „Ketzer" nennen, würden zu Euch
,,Christen" sagen. Die Euch jetzt fluchen, würden Euch loben.
Die von Euch jetzt übel reden, würden von Euch wohl sprechen,
die Euch jetzund fliehen, würden Euch heimsuchen, und die Euch
jetzund verachten, würden von Euch lernen! Aber mit dem
Fleisehesson, Rumoren, Pfaffenschänden, Hadern, Verspotten, Ver-
achten und allem unzüchtigen Wandel habt Ihr Lutherischen selber
der lutherischen Ixhre grosse Verachtung gebracht"
Schliesslich gelingt es den besänftigenden Worten Hans',
Meister Ulrich zum Anhören der lutherischen Predigt zu bewegen.
Die Personen , die in diesem Dialoge auftreten , charak-
terisieren sieh schon durch die logische Darlegung einer in sich
geschlossenen Ansicht und das folgerichtige Festhalten und Ent-
wickeln derselben als Vertreter streng geschiedener Rieh-
tu ngen1).
') Nähere* ülier diese merkwürdige- Schrift den Sachr* gehen wir am
Schluss diese« Hefte« unter den „Nachrichten".
Die Schriftleitung.
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288
Nk-oladoni,
lieft <> n. 10.
Seit dem Jahre 15*24 hat Hans Sachs es aufgegeben, sieh
in der bisherigen Weise an den kirchliehen Kämpfen durch selbst-
ständige polemische Schriften zu beteiligen. Nicht einmal die
drei weiteren Dialoge, die er bereits gesehrieben oder wenigstens
entworfen hatte, sind im Druck erschienen. Abgesehen von etlichen
Reimen und Gedichten sind es meist Arbeiten erbaulichen Inhalts,
die er veröffentlichte.
Im Jahre 1527 Hess der Magistrat der inzwischen lutherisch
gewordenen Stadt Nürnberg dem Meister Sachs sagen, er möge
seines Handwerks und Schuhmaehens warten, sich aber hinffiro
enthalten, „Büchlein oder Heimen" erscheinen zu lassen.
Diese Anweisung lässt erkennen, dass der Rat an dem
„Büchlein" Sachsens kein Gefallen hatte; die nächste Veranlassung
zu dem obrigkeitlichen Einschreiten scheint aber die Herausgabe
einer alten Weissagung in dreissig Bildern gegeben zu haben, die
Osiander veranstaltet und die Sachs mit doppelten Reimpaaren —
„Vierzeilern" — versehen hatte. Das sind die „Reime", auf die
der Ratserlass Bezug nimmt.
Die im Jahre 1527 von Osiander besorgte, mit Holz-
schnitten verschiedener Nürnberger Künstler geschmückte Publi-
kation hat den Titel: „Eine wunderliche Weissagung von
dem Bapstumb". Es liegen dem Buche, dem der Herausgeber
Deutungen beifügte, die auf die Reformation Bezug nahmen,
Weissagungen des Abtes Joachim von Floris zu Grunde. Sie
veranschaulichen in Wort und Bild die allmähliche Vcrwelt Hebung
des Papsttumes bis zu seinem Untergange. Diese Publikation
gab dem Rate von Nürnberg Ursache zu einer Verwarnung
gegen all«» diejenigen, welche sich an der Herausgabe beteiligt
hatten. Das Werk sei geeignet, lautete der Beschluss, den Frieden
unter den Genieindegenossen in empfindlicher Weise zu stören.
Sachs nahm sich die obrigkeitliche Rüge sehr zu Herzen.
Jahrelang schwieg seine Muse gänzlich; erst im Jahre 1529
veröffentlicht er wieder ein Gedicht religiösen Inhaltes: „ Die
sieben Hindernisse, die den Weg zum Berge Sion versperren".
Unter diese Hindernisse zählt der Dichter auch die weltlichen
Obrigkeiten, welche Gottes Wort Ketzerei schelten und durch
ihre Massregeln und Verfolgungen die Ausbreitung der geistlichen
Lügen befördern.
Hans Sachs sollte die Freude erleben, dass er auf Einladung
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1H«»4.
Hans Sachs und die lteforniation.
289
Luthers an der Herausgabe eines evangelischen Gesangbuches
mitwirken konnte Er verfasste geistliche Lieder, in denen er
in glaubenswannen und naiven, wenn auch oft holperigen Versen
das Lob der Herrlichkeit Gottes und seines Wortes zum Himmel
sandte.
In zahlreichen, in epischer Breite dahinfliessenden, stets
moralisierenden, aber doch des Mutterwitzes und der Erfindungs-
gabe niemals entbehrenden Erzählungen, Legenden, Anekdoten,
Schwänken und Abhandlungen hat Sachs im Laufe seines langen
Lebens eine schier unzählbare Heihe biblischer Themen umschrieben
und behandelt. Mit den auf dem Titelblatt seiner Gespräche
stellenden Worten, dass sie alle förderlich seien zu Gottes I/»b
und Ehre, auch dem Nächsten dienlich zu einem bussfertigen
christlichen Leben, hat er die Natur aller dieser Dichtungen
treffend gekennzeichnet.
Im Jahre 1527 erschien „Die Klage Gottes über seinen
Weinberg, verwüstet durch menschliche Lehren und Gebote",
1537 „Die Historie von der erbärmlichen Belagerung und Zer-
störung Jerusalems", 153}) „Die gemarterte Theologie", 1540 „Das
klagende Evangelium" und 1541 „Der klagende Waldbruder".
In allen Schriften fasste er seine Betrübnis über die vielen Sekten,
die im Besitze des reinen Evangeliums sein wollen, und über
die scholastischen Haarspaltereien der Theologen in beweglichen
Worten zusammen und mahnt dringend zur Einigkeit.
Ungebeugt ist aber auch das Vertrauen des Dichters in die
Unbesiegbarkeit der lutherischen Sache. Gerade in der schwersten
Zeit der protestantischen Kirchenreformation im und nach dem
Jahre 1546, nachdem Luther gestorben war, hat er dieser seiner
glaubensstarken Zuversicht in seinem „Epitaphium" oder
»,Klagrede ob der leich Dr. Martin Luther" die rührend-
sten und ergreifendsten Töne geliehen. In dieser besten aller
seiner allegorischen Dichtungen ruft der Dichter der trauernden
Theologie* die Worte zu: „Dawider hiltt't kein gewidt noch list;
dich sollen die pforten der hellen nicht überweltigcn noch feilen!"
Auch noch in den letzten Jahren seines Lebens verfolgte
Sachs die keineswegs erfreulichen Ereignisse im religiösen Ix'ben
Deutschlands mit wachsamem Auge. Alle wichtigen Begebnisse,
die verderbenbringenden Zettelnngen der Lutheraner mit den
Katholiken, der schmalkahlische Krieg, der Verrat des Herzogs
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2!)0 Nicoladoni, Hau» 8aeb* u. <1io Reformation. Heft 0 u. 10.
Moriz von Sachsen und das Konzil von Trient regten ihn zur
schriftstellerischen Thätigkeit an.
Nebst anderen Schriften verfasste er 1546 eiuen nicht ver-
öffentlichten Dialog, der alle diese Dinge in prosaischer Form
behandelt
Am 19. Januar 1576 ist Hans Sachs gestorben.
Das Werk aber, für welches er Zeit seines Lebens gearbeitet
hatT blieb bestehen.
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Abälard und Lessing.
Eine religionsgoHchichtliche Parallele
Von
Karl Mämpel,
Den Nathan des zwölften Jahrhunderts haben zwei Kirchen-
historiker, Reuter und Hansrath, die eine kleine Schrift des grossen
Scholastikers genannt, dessen geistiges Bild eint? immerhin so
bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem streitbaren und gedanken-
scharfen Dichter der deutschen Aiifklä'ruugsperiode aufweist, dass
ich den Lessing der Scholastik überhaupt Peter Abälard neuneu
möchte.
Es sind gewiss sehr verschieden geartete ZeitverhiUtnisse,
deren Söline die beiden gewesen sind, Peter Abälard und G. E.
I^essing. Und man kann zweifelnd fragen: was haben Dogmen-
geschichte und Emilin Galotti, die von Abälard ausgearbeiteten
Klosterregeln für St. Paraklet und die von Lessing aufgestellten
Kunstgesetze des Lnokoon, die tiefere Begründung scholastischer
Wissenschaft und die Reformation der Schauspielkunst gemeinsam?
Hat nicht der eine seinen Platz unter den deutschen Klassikern,
auf der Sonnenhöhe allgemeinster Geistesbildung, und sind seine
Streifzüge in das Gebiet der Religionsgesehiehte, ihrer Probleme
und Kämpfe nicht etwa nur Episoden, während sich der andere
offenbarungsgläubig ein Leben laug abmüht, die Glaubenslehre
seiner Kirche mit den Mitteln wissenschaftlichen Denkens zu stützen?
Die Antwort auf die Frage, welches Gemeinsame sie den-
noch dicht an einander gerückt uns erscheinen lässt, soll das
') Die Abhandlung verdankt ihr Entstehen, wju* des erstgenannten
Lebenshildes wegen hier besonders erwähnt sei, hauptsächlich den durch
A. Hausraths farbenreiche Monographie „Peter Abälard" (I/cipzig IHM)
gewonneneu Eindrücken, sowie einer alten Hinneigung d«-s Verfasser» zu
dem „tapferen Irsing". M.
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292
Mampel,
Heft 0 u. 10.
Folgende bieten, und wenn wir eine kurze Formulierung dieser
Antwort vorausschicken dürfen, so ist uns das eine gewiss: beide
gehören jener wahrheitsliebenden, durch alle Jahrhunderte ver-
streuten Gemeinde von Geistesfürsten an, welche einem erkenntnis-
mässigen Gottes verlangen (Dei anior intelleetualis) über alles sieh
verpflichtet und um so eher in ihrem Elemente sieh fühlen, je
freier sie die Schwingen dialektischer Bewegungslust des Geistes
in kühnem Aufflug prüfen können.
Wir fürchten jedoch nicht den Schein willkürlichen Spiels
auf uns zu laden, wenn wir auch äussere Zufälligkeiten der Erden-
balm, die doch zu einem guten Teile mehr als Zufälligkeiten sind,
neben einander halten und in I^essings Ix'benserfahnmgen nur eine
Abwandlung jenes anderen Gelehrten lebcns des zwölften Jahr-
hunderts erblicken. Dieselben nicht immer heiteren Sehicksals-
sterne leuchten nicht selten den durch Jahrhunderte getrennten
Berufs- und Geistesgefährten, zumal wo ihre gemeinsamen Wege von
der Heerstrasse der Vielen abseits über die Höhen menschlicher
Erkenntnis und des Talentes oder des Genius sie geführt haben.
Ein frühreifer Kopf wird der junge Kamenzer in fast allen
Literaturgeschichten genannt, und als ein Pferd, das doppeltes
Futter brauche, ist der Fürstenschüler in Meissen seinem Rektor
erschienen. Von der väterlichen Burg in der Bretagne aber nimmt
das Ritterkind des Mittelalters Abschied in dem stolzen Selbst- und
Siegesgefühl, trotz seiner jungen Jahre den gefeierten Häuptern
der Disputierkunst bereits gewachsen und ebenso geistesmächtig
wie an Körpergestalt unansehnlich zu sein. Die ähnliche reiche
Mitgift der Naturen springt in die Augen gleich in den Anfängen
Abälards und Lessings. Sein Geburtsort Palais in der Bretagne,
dann Paris und die verschiedenen Orte der Pariser Umgebung,
Sammelpunkte der gelehrten Jugend, Laon und Soissons, weiter
das Kloster von St. Denis, das stille Waldthal am Flüssehen Ar-
duzon in der Diöccsc von Troyes, und dann wieder der in den
atlantischen Ocean vorgeschobene Felsriegel mit der Abtei St.
(üldas, hierauf eine erneute Pariser I^ehrthätigkeit auf dem Hügel
der heiligen Genovefa, endlich die Kreuzgänge der Benediktiner
von C'lftny — das sind die Lebensstationen Abälards, des
Peripatetikers von Palais. Der Ix-ipziger Student Lessing gerät
zunächst in ein Berliner Litteraten leben hinein, dann ist Witten-
berg sein Aufenthalt, hierauf Berlin wieder, Potsdam, Leipzig
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1804.
Abiilanl und Lewing.
293
folgen, er taucht in Breslau als Sekretär eines Generals auf, er
kehrt zum dritten, zum vierter) Mal nach Berlin zurück, er wird
der Hamburger Dramaturg, er stirbt als Wolfenbüttclcr Bibliothekar.
So teilen die verwandten Naturen sich in das gleiche Iiuos un-
steten Umherziehcns, wie rastloser Forsehergeist die gleiche trei-
bende Macht ihres Philosophierens war. Die Entwicklung von
Heloiscns und Abfdards Roman hat den bekannten tragischen
Verlauf, reich an Schuld und reicher noch an Sühne der Schuld
für die Liebenden; der Zusammensturz seines flüchtigen Eheglucks
an der Seite einer Eva König stimmt Lessing zu dem resignierten
Klagelaut: „er habe es auch einmal so gut haben wollen wie andere
Ix'utc". Der tiefste Schmerz ihres Ix'bens, der sich in die Seelen
der Denker bohrt, ist mit zwei Frauengcstalten verknüpft. „Gratias
ago Deo meo, quod dignus sum, quem mundus oderit", das Wort
des Hieronymus kann Abälard auf der letzten Seite der Geschichte
seines Unglücks auf sich anwenden, zwei Synoden haben seine
Sätze und Gedanken verdammt, seine eigene Hand hat zu Sotssons
eines seiner Bücher den Flammen preisgeben müssen, ewige Kerker-
nacht ist drohend ihm aufgestiegen. Der hierarchischen Gegner-
schaft dort eines Bernhard von Olairvaux und seiner Mönche, die
sich über Abälard entlud, entspricht hier der heilige Zorn des
Hamburger Hauptpastors Göze, dessen volle Schalen sieh über
Lessings Haupt ergossen.
Deckt sich, wie wir sehen, das Gewebe des äusseren Ixibens-
ganges dort wie hier so ziemlich, so mnss in verstärktem Masse
aber von gleich laufenden Gcdankenfäden in dem philosophischen
( 'harakterbilde Abälards und Lessings die Rede sein, und den
breiteren Raum des Bereiches unserer Aufgabe bildet der Nach-
weis dieser vielfachen Harmonie ihrer. Anschauungen, die eigent-
liche religionsgesehiehtliche Parallele, die Wiedergabe des über-
einstimmenden Kindrucks, den die theologische Stellungnahme der
beiden um G Jahrhunderte ans einander gerückten Kämpfer für
den „Anspruch der menschlichen Vernunft auf ein vernünftiges
Dogma", für die „Rechte des menschlichen Geistes, für Freiheit
und Wahrhaftigkeit" hinterlässt.
„Ich habe es längst für meine Pflicht gehalten, mit eigenen
Augen zu prüfen, quid liquidum sit in causa Ohristianorum", hat
Ivessing von sieh geschrieben, und er ist von dem festen Punkte
selbständigen, ungetrübten L'rteils aus ein scharfer Kritiker der
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294
Mämpcl,
Hoft 9 u. 10.
Kirchenlehre und der rechts und links herrschenden theologischen
Meinungen geworden, ein starker Verächter aller geschwätzigen
Aufklärnngsreden um ihn her, wie er ebensowenig den orthodoxen
Systemen einen besseren Geschmack abzugewinnen vermochte.
Er hat in dem bekannten Briefe an seinen Bruder Karl vom
2. Februar 1774 unsere neumodische Theologie als Mistjauehc,
die alte Orthodoxie als unreines Wasser gebrandmarkt. „In jungen
Jahren", so besehreibt Erich Schmidt in seiner vorzüglichen
Lessingbiographie die Taktik seines Helden in dessen theologischem
Feldzuge, — „in jungen Jahren, da er alle Schriften für und wider
das Christentum heisshungrig versehlang, hatte der beweisende
Apologet seinen selbständig prüfenden Sinn in die Arme des
Zweifels gestossen, und der triumphierende Läugner ihn wiederum
angestachelt, das Christentum als Herzenssache zu erlialten. Vor
allem verhasst war ihm das Schaukeln zwischen Orthodoxie und
„vernünftiger" Religion. Er selbst stand nach seinem witzigen
Vergleich unter den Gläubigen und Rationalisten, wie er als Dichter
der Minna unter den Sachsen und den Preussen gestanden, für
sich allein, mit eignen Augen forschend, quid liquidum sit in causa
Christianonim." l)
Man muss sich zurückversetzen in die Zeit, die eines Abä-
lard glänzende Beredsamkeit vom Katheder dringen hörte und
ihn seine Bücher schreiben sah, während die spitzen Gegensätze
des Realismus und des Xomiualismus mit einander rangen, als
noch Klosterluft die Welt erfüllte und die Forschenden an Hand
und Fuss gebunden waren von einer kirchlichen Bevormundung
aller Wissenschaft, man muss die Tage der alles beherrschenden
Bischofssitze und Kathedralschulen, der Kreuzzüge und der Mystik
vor sieh erstehen lassen, dann erst hat man den rechten Mass-
stab gewonnen für die Beurteilung der Einzigartigkeit einer solchen
Persönlichkeit in solcher Zeit. Und wie sehr beide dasselbe ge-
than haben, ein anderes ist es, wenn I/essing, ein anderes, wenn
Abälard mit eigenen Augen prüft. So unendlich schwerer es dem
letzterem im Vergleich mit jenem gemacht war, er hat dennoch
diese aus eigenen Mitteln schöpfende Prüfung unternommen mit
einer der iA-ssingschen Methode wenig nachstehenden Klarheit
und IJrsprünglichkeit des Erkenntnistriebes.
') L\ SehniMt, Les*injr. ( Jothicht« .-. iius 1/ lx ns und meiner Schriften.
Leipzig ISS-I und IS!»J. II, H7S.
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1894.
Almlanl und Lcsfting.
295
Vor seinem Kichtcrstuhlc sieht Abälard in einer näehtlieheu
Vision den Juden, den Philosophen und den Christen sich zu-
sammenfinden, und er sehreiht, indem er mit der Erzählung dieser
Vision beginnt, seinen Dialogus inter Philosophum, Tudaeum
et Christianum das Seitenstück zu Leasings dramatischem Lehr-
gedicht. „Sag mir d<K'h einmal: was für ein Glaube, was für ein
Gesetz hat dir am meisten eingeleuchtet?" — was Sultan Saladin
von Nathan hören will, was Nathan diesem mit der Geschichte
von den drei Hingen, jedoch mit Hinaussehiebung des letzten
Spruches auf eine sehr späten- Gelegenheit, deutlich zu machen
sucht, dasselbe erörtert Abälards Dialog im Wortgefechte des mit
den vernünftigen, natürlichen Religionswahrheiten der Mensehen-
brust ausgerüsteten Philosophen, des im Besitze einer göttlichen
( )ffenbanmgsurkunde sich befindenden Juden und des auf zwei
göttliche Schriften sich berufenden Christen. Das Gespräch ist
Fragment geblieben, ob durch Verlust und Verstümmelung der
Handschriften, ob infolge davon, dass der Verfasser es unvollendet
Hess, steht dahin. Auch ist der Ausgang und die Schlichtung
des Streites, in welchem der Philosoph und der Christ sich iu der
Frage über das höchste Gut zuletzt doch einigen, für uns hier
von geringerem Betracht als die letzten Gründe dieser Entschei-
dung und die Kampfesweise, die in dem Dialog für seine Zwecke
gebilligt und gehandhabt wird. Der Vertreter des Christentums
ergreift die dargebotene Hand des Jüngere der Philosophie, und
sie schliessen für den einzuschlagenden Gang ihrer Auseinander-
setzungen den Vertrag, dass sie einmal absehen wollen von
allen massgebenden Stimmen und Gründen von aussen, von
allen Zeugnissen philosophischer Grössen und göttlicher Offen-
barungsträger der Vergangenheit, sie wollen auch in den Fragen
der Religionswissenschaft den Menschen zum Wort kommen
lassen, der unverfälschten Stimme der menschlichen Vernunft
allein Gehör schenken, weil der Mensch, wie er ist, mit dem
Willen nach Wahrheit auch die Kraft, sie zu finden, von Gott
empfangen habe. Vor unsere Seele aber tritt die Gestalt Nathans,
„dem sein Gott von allen Gutem dieser Welt das Kleinst'
und (irösste so in vollem Mass erteilet Das Kleinste:
Reichtum. Und das Grösste: Weisheit." Er besitzt eine Ab-
') Abacl. op. ed. Cousin Tom. II. j»ag. (>tl ff.
MoiiuUh. fU- tl. r ('oiii.-niiix-O. H. ll.^ lnft. 1K!>1. .jj
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29G Mämpel, Heft ö u. 10.
ncigiing gegen kalte Buchgclehrsamkeit, er hat weine Tochter Recha
die beste Religion in keinem Wähnen über Gott, wohl aber iu
Ergebenheit in Gott finden gelehrt, und er weiss, wie viel andächtig
schwärmen leichter als gut handeln ist; wir bewundern immer
wieder die edle innere Klarheit des Denkens in dieser Dichter-
gestalt, den hohen geläuterten Sinn Nathans, der nicht nach Racc
und nach Bekenutniszugehörigkeit fragt, der nach dem Menschen-
werte misst, die ihm begegnen: „Wir haben beide uns unser Volk
nicht auserlesen. Sind wir unser Volk? Was heisst denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch? Ah,
wenn ich Einen mehr in Euch gefunden hätte, dem es genügt
«♦in Mensch zu heissen." Es ist der Ijessing'sehc Geist der Frei-
heit von allen ererbten Ijchrstüekcn und aller aufgezwungenen
Autorität, der Geist seiner Vorliebe für alles einfach menschlich
Wahre und Hohe, der Geist der Humanität, der auch den Dialog
Abälards durchdringt und ihm das Gepräge einer freien Betrach-
tungsweise der Dinge giebt.
„Denn für den Aufbau des Glaubens fällt weniger ins Ge-
wicht, was thatsächlich wahr ist (quid sit in rei veritate), sondern
was in die Meinung der Mensehen eingehen kann (quid in
opiniouem possit venire), und die meisten Streitigkeiten erheben
sich über die Lehrsätze der Autorität selbst, so dass über diese
eher als mittelst derselben ein Urteil zu fällen ist"1), —
wir dürfen gewiss in diesem Ausspruche des Christen seines
Dialogs Abälards eigenste Anschauung wahrnehmen, dessen eigen-
tümlichen religionsphilosophischen Standpunkt in seiner Zeit man
darin hat erkenneu wollen, dass er vor allem der Verfechter
eines hinreichend motivierten Glaubens gewesen sei. Iu
ihm kämpft durchaus keine etwa verneinende, grundstürzende
Persönlichkeit gegen die Mauern der Kirchenlehre an; wohl
aber hindert ihn in ihrem Schatten die Ruhe zu finden, welche
die anderen dort fanden, seine ausserordentlich kritisch ver-
anlagte Natur. Und es mag sein, dass das wenige, was ihm
zu einem wirklich reformierenden Eingreifen, zu einer weltge-
schichtlichen Rolle fehlte, der noch tiefere religiöse Ernst, die
Wärme des Gefühls und insbesondere die eiserne Festigkeit der
Thatkraft war. In diesen Stücken blieb ihm sein Schüler aus
') Abael. op. cu. L'miKin. Tom. II. pug. HT.'l.
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1804.
Abälard und Lessing.
'207
Italien, der Breseianer Arnold, der geborene Freiheitskämpfer und
Volkstribun, überleben, der französische Gelehrte, Studenten-
lehrer und Publieist aber, dessen Stärke eben seine kritische Ader
war, hat kaum einen grösseren Geistesverwandten gehabt, als den
Herausgeber des Wolfenbütteler Fraginentisten und den Schreiber
des Autigöze. Dein „quid sit in rei veritate" gegenüber das Recht
des „quid in opinionem possit venire" hochzuhalten, das war auch
Lessings Sache, Lessings lx'idenschaft, der Ansporn seines Ritter-
tums im theologischen Meinungsstreit»': ihm können zufällige
Geschichtswahrheiten nie den ausschlaggebenden Wert von
ewigen, notwendigen V ernunf twahrheiteu beanspruchen, nie
ihr Beweis sein.
AbäJard hat weiter ein „Sic et Non" gesehrieben, eine Auf-
zählung widerstreitender patristiseher Stellen, sowie aller offen-
kundigen Widerspruche der Kirchenlehre unternommen, ohne damit
die Geltung ihres Inhaltes auflösen zu wollen, vielmehr um in
geistvoller Weise in seinen Vorlesungen1) die Brücke zu schlagen
von hüben nach drüben und eine geschickte Synthese zu voll-
führen ganz in kirchlich unanstössigein Sinne, der wissenschaftliche
Bearbeiter, nicht der ketzerische Zerstörer des Glaubensgebictes.
Er beruft sich auf Lue. 2'2, HO, er meint: „Wenn die Christen
dereinst die Welt richten sollen, warum sollten sie nicht auch
über die verschiedenen, widerspruchsvollen Worte der Heiligen
urteilen?", und Ahälard betont u. a. in der Vorrede zu diesem
seinem Sic et Non in offener Aussprache, dass nicht alles Prophetie
sei, was die Propheten geschrieben haben, dass der Geist der
Weissagung nicht immer den Propheten innewohnte. Es ist von
hier aus, überhaupt von diesem Gesichtspunkte einer Anerkennung
biblischer, nicht bloss kirchenväterlicher, Kontroversen und Mängel
aus gewiss nur ein Schritt zu den jedem Letzten unter den Ge-
bildeten unserer Tage geläufigen Behauptungen Irsings: „Die
') Hausrath a. a. (). S. <>0. Auch war es, was bei Hausrath weniger
ausdrücklich zum iiewusstsein kommt, der /weck der im Sie et Non be-
liebten Methode und der darin zusammengestellten dissonnautia, dass sie
„teneros lectores ad maximum inquirendae veritatis exercitium provocent
et aeutiorcs ex itumisitione reddant." Sie et Non (Prolog) pag. 13!M edd.
Mignc. Diese* Streben nach genauester Untersuchung und nach einer da-
durch zu erzielenden Schürfe des (iei*tes seiner Leser ein gewiss echt Les-
sing'sehcr Zug in Abälanl!
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20«
Mämpel,
Heft 9 u. 10.
Bibel enthalt offenbar mehr, als zur Religion gehört .... Folg-
lieh sind die Einwürfe gegen den Buchstaben und gegen die Bibel
nicht eben auch Einwürfe gegen den Geist und gegen die Religion."
Abälard und Lessing — sie haben, jeder in «einer Zeit und auf
seinem Posten, die blinde Anbetung der Tradition in ihrer Dumpf-
heit zu durchbrechen und an deren Stelle die eigene nicht ge-
bundene, sclbstgefundene Uberzeugung aufzurichten sich bestrebt,
wie sie dem ohne Fesseln sieh fortbewegenden Forschergeiste eine
Gasse haben machen wollen, sie waren beide die geschworenen
Feinde geistiger Erstarrung.
In Gottes Plan lag es nach Abälard von Anbeginn au als
letztes Endziel, dass alle Menschen zur Teilnahme an einem gött-
lichen Leben, zu einer Seligkeit gelangen: er wäre ja nicht der
vollkommen Gute, wo nicht sein ganzer Wille gerichtet wäre
auf die Vervollkommnung aller durch ihn. Allen hat Gott
seinen Geist eingehaucht, der Seelen eigentliche Seele und
wahres Leben, die innere Macht, die sie zur Erkenntnis des
Rechten und zum Thun des Guten leitet, allen das natürliche
Sittengesetz gegeben, das auch die Heiden erleuchtete. Es ge-
schah daher die Menschwerdung Gottes und die mit dein Christen-
tum erfolgende Reformation einzig, um die alten Wahrheiten
dieses Sittengesetzes zu erneuen und zu vertiefen, — ad jmt-
feetam et integrum summi boni eommendationem, — damit, wie
Abälard weiter ausführt, die klare Erkenntnis des höchsten Gutes
und 'des Wege« zur Vollendung sich in desto ausgedehnterem
Umfange ausbreite und eine um so lebendigere Gottesliebe in
der Menschheit entfacht werde1).
Es sind wiederum Lessing'sche Gedanken, die wir hier bei
Abälard ausgeprägt finden können. Das Alter der Wahrheit ent-
spricht für beide dem Alter der Welt, dem einen wie dem andern
ist das Christentum wesentlich Reformation des Sittengesetzes,
und so hat Lessing in seinem Bruchstücke „Gedanken über die
Herrnhuter" die Absieht Christi hauptsächlich darin erkennen
wollen, die Religion in ihrer Lauterkeit wiederherzustellen und sie
zu befähigen zu einem Hervorbringen desto heilsamerer und allge-
meinerer Wirkungen, je enger ihre Grenzen sind, — diese Grenzen
aber sind ihm identisch mit denen des Bereichs der sittlichen
') lntrodiutio in thvol. (Op. wl. Cousin II, 120 ff.)
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1894.
Abälard und Lewing.
299
Pflichten, der gottgewiesenen Aufgaben menschlichen Handelns,
der Mensch ist ja zum Handeln da, nicht zum Vernünfteln, das
Wesen und der Wert der Religion geht Lessing auf in ihren sitt-
lichen Wirkungen.
Das Ethische tritt ebenso sehr in den Vordergrund, wenn wir
uns einer Betrachtung der besonderen Gotteslehre Abalards und
Lessings nunmehr weiter zuwenden. Haruack erwähnt mit Nach-
druck in seiner Dogmengeschichte1) das ethische Interesse, das
Abälard beherrscht habe, sein starkes Interesse für die Moral-
philosophie, das nach seinem Vorgange im 13. Jahrhundert über-
haupt dazu diente, den mystischen Aufriss der Glaubenslehre zu
berichtigen. Eine hohe Zuversicht ist ihm eigen, dass, was im
menschlichen Sittengesetze enthalten ist und in seinen Forderungen
sich unabweisbar uns aufdrangt, auch das Heilige und Gute in
Gott sei. Wohl ist nach einer gewissen Richtung hin der Gottes-
begriff Lessings anders gefärbt, als der Abalards, und in dieser
andereu mehr ins Pantheistisehe hinüberspiel enden Farbe bietet
sich uns vielleicht das einzige dar, was man als ein wesentlich
unterscheidendes Moment in der Denkart beider Männer hervor-
heben könnte. War Lessing rundweg Spinozist? — es ist viel
über diese Frage hin- und hergestritten worden seit Lessings,
Mendelssohns und Fr. H. Jacobis Tagen. Man darf jedenfalls
nicht verkennen, dass ein Ijcssing dem Spinozismus ungleich näher
steht2), als ein Abälard, dem es gerade darauf so sehr ankommt,
den Standpunkt der Immanenz mit dem der Transcendenz zu ver-
einen und die scharfe Linie hervorzuheben, die das kreatürliche
Dasein von dem Wesen der Gottheit in seiner eigentümlichen
ethischen Bestimmtheit trennt. Aber Lessing hat doch eine „Er-
ziehung des Menschengeschlechts" geschrieben, und Lessing
hat gehofft, dass, was erzogen wird, zu etwas erzogen werde, und
er hat den Zweifel danin, dass die Menschheit noch die höchsten
Stufen der Aufklärung und Religion erreichen soll, für Lästerung
erklärt. Eine Erziehung, ein Erzieher ohne sittliche Absichten ist
nicht zu denken. Lessing sieht von seiner Höhe aus eine Voll-
kommenheit des Wcltplanes vor sich, deren Verwirklichung, wenn
') Karnack, I>ehrbuch d. DogmcngcHchichtc II, 328 Anm.
*) Vgl. Lewing* Gespräch mit Jacobi vom Sommer 17S0: "Ev xai
.tär\ Ich weiss nicht« andere44, und vgl. ferner 73 der „Erziehung44.
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:$oo
M simpel,
Heft !> U. 10
auch in Wellenbewegungen vorlaufend, doch auf den « inen End-
zweck einer allgemeinen Wirkung des Guten hinausläuft Selbst
die Haniburgische Dramaturgie spiegelt die hohe ethische
Färbung weder, die der Gottesbegriff in Ix'ssings Vorstellung
und Denken trotz seines er xni ttüv am Knde doch gewonnen
hat „Es sei mir erlaubt, den Schöpfer ohne Namen durch sein
edelstes Geschöpf zu bezeichnen" — und das höchste Genie
wagt Ijessing Gott zu nennen, ein Name für den Unnennbaren,
der gewiss die höchsten sittlichen Gedanken und Werte ihm bei-
misst, und zwar auf die eigentümliche Art, in welcher eben ein
Genie Gedanken zu haben pflegt und sie aus sieh hervor-
strömen lässt, und alles wahre Genie ist sittlich in seinen
eigenen schöpferischen Tiefen und wirkt versittlichend in seinem
nach aussen tretenden Schaffen. Lessing weist darauf hin,
— es handelt sich um Fabel und Charaktere in Favarts Stück
„Soliman"1), — dass die dramatischen Charaktere zu einer Welt
gehören müssen, „in welcher Ursachen und Wirkungen zwar in
einer anderen Reihe folgen (als in fieser wirkliehen Welt), aber
doch zu eben der allgemeinen Wirkung des Guten abzwocken,
kurz zu der Welt eines Genies, das — (es sei mir erlaubt, den
Schöpfer ohne Namen durch sein höchstes Geschöpf zu bezeich-
nen!) - das, sage ich, um das höchste Genie im kleinen nach-
zuahmen, die Teile der gegenwärtigen Welt versetzt, vertauscht,
verringert, vermehrt, um sieh ein eigenes Ganze daraus zu
machen, mit dem es seine eigenen Absichten verbindet." Und
einen gleichen Einblick in den tief sittlichen Gehalt der I^'ssing'-
schen Gottes Vorstellungen vergönnt uns die Kunstf orderung an den
dramatischen Dichter, die der Hamburger Dramaturg an anderer
Stelle gelegentlich seiner Kritik über Weisses Richard den Dritten
erhebt2): Das Ganze eines sterblichen Schöpfers solle ein Sehatten-
riss vom Ganzen des ewigen Schöpfers sein, alles einzelne Ge-
schehen aber wurzle im ewigen unendlichen Zusammenhang aller
Dinge, dem es an Weisheit und Güte, Rundung und Befriedigung
durchaus nicht fehle. So hat dieser Mann seinen ethischen Gottes-
glauben bezeugt auch mitten im Gange seiner kunstkritischen
Untersuchungen.
') Vierunddrci.ssigstes Stuck der Dramaturgie..
■) Neunundsiebzigstes Stück der Dramaturgie. Vgl. Schmidt, a.a.O.
II, 649.
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ikh4.
Abülard und Lewing.
:;oi
Was Abalard anrüchig gemacht und den Anlass gegeben
hat, ihn zu verketzern, ihn vor zwei Synoden zu schleppen, was
nach Hausraths neuester trefflicher Schilderung dieser Vorgänge
den Adler der Mystik in immer engerem Bogen sein Opfer um-
kreisen und dann auf den Hügel der heiligen Genovefa, auf den
dort lehrenden Dialektiker herabstossen Hess, war nicht zum wenig-
sten Abiilard8 ketzerische Behauptung, dass der Begriff der All-
macht in Gott doch eine gewisse Einschränkung erfahre. Diese
Einschränkung aber leitet er — ganz in Lcssing'scher Weise — von
Gottes Heiligkeit und von seinem zwecksetzenden Handeln her.
Was im Widerstreite steht mit den Normen einer höchsten Ver-
nunft nnd was seinem heiligen Wesen zuwiderlauft, das sehliesst
Gottes Erhabenheit, Gottes Wirksamkeit von sich aus, das beides
kann Gott in keinem Falle thun. Wenn somit Abalard an ver-
schiedenen Orten seiner Tntroductio und seiner Theologia
Christiana ausführlich darlegt, dass Gottes Wirken im Weltlaufe
unter so viel Möglichkeiten immer die beste wähle und seine gött-
liehe Allmacht nur insofern einer gewissen ethischen Eingrenzung
unterliege, als er nie etwas seinem Wesen Zuwiderlaufendes, nie
etwas l'nheiliges sieh zum Zwecke setzen könne, und dass Gott,
wo er vielleicht auch einen Menschen gerechter und begabter und
stärker hätte schaffen können und doch das Gegenteil des Ideals
habe eintreten lassen, doch immer seine höheren Zwecke verfolge,
von der Rücksicht auf das Beste des Ganzen, auf die Bestimmung
der Welt in ihrer Totalität geleitet, — auch liessing ruft: „Geh
deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung. I^ass mich an dir
nicht verzweifeln. Es ist nicht wahr, dass die kürzeste Linie immer
die geradeste ist Du hast auf deinem ewigen Wege so viel mit-
zunehmen, so viel Seitenschritte zu thun."
Mehr jedoch als alles dieses einzelne, mehr als der Einklang
zahlreichster Gedanken und ihrer Prinzipien überhaupt überzeugt
uns eine von vornherein blutsverwandte Geistesart, die in Abalard
und Lessing Verköq>erung gefunden hat, von Recht und Mög-
lichkeit, dem einen dicht bei dem anderen seinen Platz in der
Geschichte des religiösen Geistes und seiner Entwickelimg zuzu-
weisen.
Es muss eine hinreissende Persönlichkeit, eine Erscheinung
von akademischer Vornehmheit und von wirkungsvollster Art ge-
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302
Mäinpe],
Heft 9 u. 1 0
wesen sein — dieser König der Dialektik, der auf der Seineiusel
im lateinischen Viertel von Paris Scholaren aller Länder zu .seinen
Füssen gesammelt sah, der es verstand, mit umfassender Gelehr-
samkeit, mit Feinheit und Schärfe des Geistes, mit keckem Urteil,
mit Klarheit des Vortrags, mit flicsscndem Wort, dessen Anmut
das Kind der Bretagne, den Spross des immer eleganten Francien
verriet, die Gedanken seiner Jünger an die Lehrentwiekelung des
Meisters zu fesseln. „Das entlegene Britannien wies seine Söhne
dir zum Unterrichte zu", schreibt Abt Fulco in einem Briefe an
Abälard, und er führt ein ganzes geographisches Register von
Ruhmesblättern auf: aus der Gegend von Anjou seien die Schüler
zugeströmt, „Piktaver, Wasgonen und Hiberer, Xormannien, Flan-
dern, der Theutone und der Sueve, .... die Einwohner von Paris,
wie die der nahen und der fernen Teile Galliens, welche nach
deiner Lehre so sehr dürsteten, als könne nirgends als bei dir
Belehrung gefunden werden"1).
„Jeder Deutsche, wenn er Lessing nennen höret,
fühle Stolz!" so hat Rückert dem grössten deutschen Genius
zwischen Luther und Goethe gehuldigt. Und noch der letzte der
Lessingbiographen, der in seinen geistigen Ansprüchen so sehr
verwöhnte Erich Schmidt, bekennt, dass immer Ansporn und Segen
es sei, bei diesem Geiste dienend zu hausen-).
Wir haben nichts philosophisch Abgerundetes, keine abge-
schlossene Weltanschauung vor uns, sei es dass wir nach den
letzten Folgerungen suchen, die Abälard aus seinen leitenden
Sätzen zieht oder vielmehr zu ziehen sich scheut, sei es dass wir
Lessings Gedankengängen folgen. Das Unfertige ihres Gedanken-
aufbaus aber scheint einen doppelten Grund zu haben: den an
der Schwelle der deutschen Sturm- und Drangperiode Stehenden
machen sein Temperament, sein rastlos schweifender Feuergeist,
sein nie befriedigter Wahrheitseifer unfähig, ein tadelloses System
aus einem Gusse hinzustellen, ein Ganzes im Reiche des philo-
sophischen Gedankens zu zimmern, — dem Sohne des kirchlichen
Mittelalters ist seine Theologie, der er Rednergabe und Feder
leiht, ein Hemmschuh seiner Philosophie, und darum gelangt
auch der kirchliche Scholastiker zu keiner allseitig lücken- und
*) Kpfet. FuleoniM, Ab. op. ed. Com. I, 703—707.
") Schmidt, a. a. ü. Vorrede pag. IV.
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1894. Abälard und I/\*.*ing.
widerspruchslosen Weltanschauung. Aber kritische Geister und
kraftvolle Denker sind Abälard und Irnsing wie nur wenige ge-
wesen.
Es ist dem einen* jener feinere, einsiehtigere Skepticismus
zugeschrieben worden, „der nicht meint, dass man überhaupt nichts
wissen könne, wohl aber bei lebendigem Streben nach Erkenntnis
und bei unermüdlicher geistiger Arbeit doch einsieht, wie vieles
sich überhaupt nicht, wie noch viel mehreres sich nicht leicht
und zur Zeit nicht entscheiden lässt" AVie unser Abfdard eben
eine Faustnatur war, die von dem Himmel die schönsten Sterne
und von der Erde ihre schönste Lust für sich begehrte, wie nichts
befriedigen mochte die tiefbewegte Brust, so mag er nicht minder
seinen Mephisto an der Seite gehabt haben, der ihn rechtzeitig
über die Unverdauliehkeit des alten Sauerteigs belehrte und ihn
zu der Erkenntnis führte, dass dieses Ganze nur für einen Gott
gemacht sei, und dass uns ewig Tag und Nacht bleibe.
Und wie er diese Einsicht in die lTn Vollkommenheiten
menschlichen Wissens insgemein und so auch menschlichen Wäh-
nens über Gott, die Ahnung, dass der echte Ring vermutlich
verloren ging, mit Lessing teilt, so steht der gelehrteste Kenner
der Schriftsteller des klassischen Altertums und der Kirchen-
väter, den das zwölfte Jahrhundert besessen hat, dem grossen
Polyhistor des achtzehnten fast ebenbürtig nahe. Dass sie selber
Schriftsteller ersten Ranges waren und auch vielfache Stil-
verwandtschaft zeigen, — Abälards I^atein erinnert nicht selten
an das knappe und klare Deutsch Lcssings, berühren wir nur
beiläufig.
Mit einer Mühle hat Lessing sich, seine Bestimmung und
seine Geistesarbeit einmal verglichen: er steht auf seinem Platze,
ganz ausserhalb des Dorfes, auf luftiger Höhe, er kommt zu nie-
mand, er bekümmert sich um niemand, er verbittet sich aber sehr
energisch die Hand, die es gelüstet, den Umlauf der Windmühlen-
flügcl zu hemmen, „die nicht starker ist als der Wind, der mich
umtreibt". Genau dasselbe hätte Abälard von sich bekennen
dürfen, Ähnliches hat er von sich bekannt. Er will von rechts
und links ungehindert nur munter seine Lanze brechen für seine
') Deutsch, P. Abälard, ein krit. Thcol. dos zweiten Jahrhundert«*,
Leipzig 1883, S. 107.
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MünijM-l,
Heft 9 u. 10.
Sache auf dorn Turnierplätze philosophischen Scharfsinns. Das
ist seine Lust, mit Ajax über die Gegner alle zu triumphieren:
si «luaeritis hujus fortuuam pugnae, non sum superatus ab illo.
Er ist in den Augen des Heiligen von Clairvaux der Ketzer, „dein
(iott selbst ein verdächtiger Zeuge ist, und der nichts glauben
will, was er nicht vorher mit der Vernunft untersucht hat." Dem
Winde gehorchen sie, Abälard und I^essing, der sie umtreibt, dem
zwingenden Drang«', zu untersuchen, Dunkles zu klaren, verwickelte
Probleme zu entwirren, die logischen Kons«'«juenzen eines Ge-
dankens rückhaltlos zu verfolgen1). Keiner darf ihnen ein Halt
zurufen in ihrem Hingen nach einer befriedigenden Losung der
Welträtsel. Und wir kennen alle das charakteristische Wort
des deutschen Geistesheldcn, das nicht minder die Unterschrift
des französischen Scholastikers tragen k<~»nnte: er schätzt weniger
hoch den vermeintlichen Wuhrheitsbesitz, «1er ruhig, träge, stolz
macht, er preist die aufrichtige Menschenmühe, die allein in der
Nachforschung nach der Wahrheit ihr Genüge find«'t um! ihre Kräfte
crw<'itert, worin die immer wachsende Vollkommenheit b«'steht, er
fällt mit Demut in «lie linke Hand seines Gottos, die den einzigen
immer r«»gen Trieb nach Wahrheit umschlossen hält, obschon mit
dem Znsatz, mich immer und ewig zu inen, — „und Gott spräche
zu mir: Wähle! ich fiele mit Demut in seine Linke und sagte:
Vater, gi«'b! die reine Wahrheit ist ja «loch nur für dich allein!"
Seinen 4. Antigöze aber schliesst I^ssing fragend: „Weiss
der Herr Hauptpastor wohl, dass selbst in diesen barbarischen
Zeiten" — nämlich v«»m neunten bis zum fünfzehnten Jahrhundert
„doch noch mehr Einwürfe geg«'n «lie christliche Religion ge-
macht wurden, als die Geistlichen zu beantworten Lust hatten?
Jiedenkt er wohl, dass diese Zeiten nicht darum der christlichen
lU'ligion so verderblieh wurden, weil niemand Zweifel hatte, son-
dern darum, weil sich niemand damit an «las Licht getrauen durfte?
Darum, weil «-s Zeiten war«-n, wie der Herr Hauptpastor will, daxs
') Vgl. übrigens olwn «lie ausdrückliche Betonung der Grenzen , dir
Abälards Krkenntnistricbe und Geistesarl>cit gezogen waren. — Jene Rück-
halt losigkeit , die doch als Wunsch und Trieb in seiner Natur lag, wurde
eben bei Abälard durdi die von der kirchlichen Tradition ihm aufgezwungene
Keserve und die damit verbundene Furcht vor den Traditionswiichtcrn und
ihren Angriffen einigermaßen beeinträchtigt. Das Tragische in seinem I^ebens-
bilde ist, «lass dieser freie Geist ein Mann der Kirche war.
I
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1894.
Abälard und Losging.
305
unsere worden sollen." I'nd im 7. Antigözo fahrt Ixssing fort:
„Abälard ist der Mann, den ich oben im Auge hatte, als ieh
sagte, dass selbst in jenen barbarisehen Zeiten u. s. w." Er be-
dauert, dass uns noeh dasjenige Work des Abälard mangelt, aus
welchem tue Keligi(»nsgesinnungen desselben hauptsächlich zu er-
sehen sein mussten. Er wünscht sich in den Besitz dieser ver-
lorenen Handschrift, er ruft aus: „Anne Scharteke! Gott führe
dich mir in die Hände, ich lasse dich so gewiss drucken, so ge-
wiss ieh kein Benediktiner bin."
Der Verfasser des Antigöze giebt uns damit selber ein
Recht, ihm die Bundesgenossenschaft mit den Religionsgcsinnungen
eines Abälard, wie wir es unternommen haben, zuzuschreiben.
* *
*
Das Suchen des Menschengeistes nach einer lichtvolleren
Erkenntnis seiner transcendentalen Verankerung in Gott und ihrer
Gesetze dauert fort.
Dieses ernsthafte Suchen wird immer nur mit denselben
wissenschaftlichen Waffen freier Forschung zum Austrug gebracht
werden können, mit denen einst IVtms Abälardus und G. V,.
Lessing sich gegürtet hatten, der unglückliehe Abälard und der
tapfere Ecssing, — umhergeworfene Philosophen, fahrende Ge-
lehrte, kühne, spekulative Naturen beide, Zeugen beide der Ver-
söhnung, zu welcher Christentum und vernünftige Geistesschulung,
religiöse und sittliche Uberzeugung und ungeminderte Freiheit des
Denkens berufen sind, Propheten beide einer fernen Stunde geist-
erfüllter und wahrhaftiger Gottesanbetung, Herolde beide der
anima naturalitor ehristiana und Wortführer eines den Gedanken
einer Menschheitserziehung rechtfertigenden göttlichen Funkens,
einer göttlichen Anlage in aller Menschennatur, auch der vor-
christlichen, wie der eine von ihnen seinen Nathan vor Saladin
das Rätsel der drei Ringe deuten Iässt und den Schiedsspruch
des Riehters über den Erbstreit der drei Religionen in den milden
Rat umwandelt, die Kraft des Steines im eignen Ring nach Kräften
zu entfalten zum Beweis seiner Echtheit.
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Comenius, Duraeus, Figulus.
Nach Stammbüchern der Familie Figulus-Jablonski.
Von
F. Sander,
Schulrat der fivien HantcsUiH Rtvni'fi.
In der Nachkommenschaft des Comenius durch seine Tochter
Elisabeth, Gattin seines Pflegsohnes Petrus Figulus Jablonaeus
( Jablnnski), deren gegenwärtiges Haupt, Herr M. Jablonski zu
Berlin, Mitglied des Vorstandes der Comenius-Gesellschaft ist,
haben handschriftliche und litterarische Schätze des XVII. und
des XVIII. Jahrhunderts sich erhalten, die der vollen Würdigung
und Verwertung noch harren. Das meiste rührt her von Comenius^
bekanntem Enkel Daniel Ernst Jablonski (1660— 1741), dem
Berliner Theologen, einiges von dessen Bruder Johann Theodor
(1654 -1731) und von Daniel Emsts Sohne Paul Ernst (1693—
1757).
Hier sollen uns zunächst nur zwei Stammbücher aus diesem
Familienschatze beschäftigen: das des Stammvaters Petrus Figulus
und das seines Sohnes Johann Theodor, unter denen jenes ältere
an Reichtum und an Wert des Inhaltes dies jüngere weit überragt.
Aus beiden Büchern tritt uns vor allen anderen die hehre
Gestalt des Patriarchen Comenius entgegen. In das Stammbuch
des Petrus Figulus schreibt dessen Pflegvater während des ge-
meinsamen Aufenthaltes in London auf einem Qucroktavblatte,
mit dem etwa das letzte Drittel des starken Bandes beginnt,
wie folgt:
Ab UNO, per UNUM, ad UN UM,
OMNES, OMNIA, OMNINO,
ni perire ac evanescere volumus in aoternum.
Hoc tibi crebrae recordationis ergo, nt cjuo vita et omnia
tua dirigenda sint non inimemor vivas, Petre Figule, <juem a puero,
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1894.
Comeniu», Dunums, Figului*.
307
proptcr Patris tui pietatem et de futura tua pietate spem, dilexi
et filii loco habui, jara adscribo, Londini hospes,
Anno UUl, Octobris 5./ 15.
Johan. Arnos Comenius. in. p.
Dem Enkel Johann Theodor widmet der greise Grossvater
auf dem zweiten Duodezblatte seines Albuins diesen Seheidegruss :
Etiamne cum tua Philotheca ine aeccdis, dileete nepos, ((|iiem
Patri tuo filia inea Elisabetha primogenitum tulit), ut a me abi-
turus, nee me forte in hae mortnli vita eons|>eeturus amplius,
manus et mentis nieae monumentum aliquod auferas? Fiat in
nomine Domini. Relinquo Tibi benedietionem , qualem Jacob
senex moribundus dileetissimo iuter fiüos suos Joscpho, dieens:
Ben cdictiones patris tui validae sint prae benedietioni-
bus progcnitoruni meorum, usque ad fines collium seeuli
(Gen. 49, vers. 2b). Et admonitionem, qualem Timotheo ex fide
filio suo dedit Paulus: Iuveniles eupiditates fuge, sed
sectare justitiam, fidem, charitatem pacctuquc cum
omnibus, qui invoeant Christum ex eorde puro (2. Tim.
2, 22). Hoc fac, dileete nepotule, et vives, propitio Tibi aeterno
patre Deo, propter Christum Dominum nostrum: cujus 8. Spiritui
Te commendo. V|ale!|.
Ita habes avitum votum, avita senili manu expressnm
Job. A. Comenii Moravi, Amstcrd. hospitis.
1. Junii, 1(>69, aetatis 7S. m. pp.
Übrigens zeigt die Handschrift nichts Greisenhaftes. Sie
ist besser lesbar und geistvoller, klarer ausgeprägt, als im Jahre
Hill.
Vor diesem Eintrage des Grossvaters enthält das Stamm-
buch des Johann Theodor Eigulus, wie ihn die eintragenden Freunde
nennen, Jablonski, wie er selbst später zeichnet, einen wortreichen
Abschied des Vaters vom 12. Juli 16(»H, unterschrieben: „Petrus
Fignlus Pastor Ecclae. Reformatue novellae demumque colligi
eoeptac Memmelae in Pmssia Ducali. M. p." Hiernach werden
die bisher üblichen Angaben über den Jugendgang J. Th. Jab-
lonskis zu berichtigen sein. Das väterliche Wort ist offenbar bei
dem Geschenke des Büchleins, wie jeder unbefangene Tx'ser er-
kennen wird, gemeint als Mitgabe für den bald vierzehnjährigen
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Lander,
Heft 0 u. 10.
Sohn bei dessen erstem selbständigen Ausflüge aus dein Eltern-
hause. Johann Theodur war demnach gewiss nicht in Amsterdam
bei Comenius erzogen, wie nach Jöehers Angabe im Gelehrten-
lexikon noch K. Schwarze in der Allgemeinen deutsehen Biographie
berichtet, sondern kam erst jetzt auf längeren Besuch zum Gross-
vater. Am 12. Juli 1008 aus Memel vom Vater feierlich ent-
lassen, ist er bereits am 27. August (0. September) in Amsterdam
soweit eingerichtet, um Magnus Hessenthaler sein Buch zur Ein-
schritt vorzulegen. Noch am 2. Juni 1000, einen Tag nach Oomc-
nius, tragen in Amsterdam der Mähre Jan Paskowsky und Petrus
Serrarius sich ein, und bereits am 14. Juni eröffnet in Danzig
Johannes Starkiiis, Scholae Petro-Paulinae Kcetor, eine ganze Ueihe
Danzigcr Inschriften, unter denen noch mehrere von Lehreren der-
selben Anstalt herrühren. Wahrscheinlich hat Joh. Th. Jablonski den
Winter über (1000 auf 1070), während dessen — am 12. Januar
1070 - sein Vater in Memel starb, die Peter-Paulsehule zu
Danzig besucht. In Memel schrieb seines Vaters Nachfolger im
Pfarranite D. Paulus Andreas Lubicwski sich am 1. Mai 1070
ein. Von da wird Johann Theodor das Joachimsthalsehe Gym-
nasium zu Berlin l>czogen haben, dessen Besuch Jöchcr zwar auch
1070 beginnen lässt, aber unmittelbar an den Amsterdamer Jugend-
aufenthalt reiht Nach einem ziemlich bewegten Leben er
war Lehrer und Erzieher an verschiedenen Fürstenhöfen — und
nach Herausgabe mancher Druckschriften starb Johann Theodor
als preussischer Hofrat und (seit 1700) ständiger Sekretär der
Akademie der Wissenschaften am 28. April 1 7)ü in Berlin. Sein
Stammbuch hat er nach des Vaters Tode nicht weiter gepflegt.
Nur ein Frankfurter Studiengenosse hat sich noch eingeschrieben.
Wunderbar reich ist das Stammbuch seines Vaters Petnis
Figulus, ein schwarzer Lederband mit zierlichem Goldschnitte, der
Spur von sechs blauseidenen Schnüren, die es ehedem schlössen,
und der in Gold aufgedruckten Inschrift: „P.[etrus| F.|igulus|
J.|ablonaeus| B.|ohemus| 10,'tO." Vorläufige Ubersicht über seinen
Inhalt erschiep bereits in der Beilag«! zur Allgemeinen (Münchener)
Zeitung vom HJ. und 14. Dezember 1892; woraus natürlich hier
einzelnes zu wiederholen sein wird.
Eine kurze Iicbcusskizzc des Petrus Figulus giebt zu An-
fange seines Aufsatzes über Daniel Ernst Jablonski H. Schwarze
in der Allgemeinen deutschen Biographie. Danach ist Figulus,
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1804.
('omcniu», Duraeth«, Figulus.
300
wofür Rhesus Presbyterologie von Ostpreussen als Quölle bozeiohuot
wird, aus Jabloni, Jablonka oder Gabel im böhmischen Kreise
Chrudim gebürtig und hat 1027 im Gefolge des Comenius neun-
jährig Böhmen verlassen, um nach Lissa /u siedeln. Es heisst
dort weiter: „Wie Comenius am Gymnasium /u Lissa alsbald
seine Lohrtlmtigkeit wieder aufnahm, so wird Figulus daselbst
seine Schulbildung erhalten haben. Sodann bereiste er zu weiteren
Studien von 1030 1048 (naeh Ausweis seines noeh erhaltenen
Stammbuehes) die berühmtesten rniversitätsstädte des protestan-
tisehen Kuropa. Xach Lissa zurückgekehrt, vermählte er sieh am
10. Oktober [ November? | 1(540 mit des Comenius einziger |?)
Tochter KlisalR'th, begleitete 1050 seinen Schwiegervater naeh
Ungarn, ward 1 054 als Prodiger naeh Danzig vozicrt, 1057 aber
in die Paroehie Nassenhubcn-Hochzeit, deren Kirche in jener, das
Pfarrhaus in dieser Ortschaft gelegen war. Unter Zustimmung
des Kammerherrn von Prönen als Patrons vereinigte Figulus 1059
seine Gemeinde mit der Hrüderunitat eine Verbindung, welche
jedoch nur bis 1700 gedauert hat, — und ward 1002 auf der
Synode zu Mieltschin zu deren Senior geweiht. 1007 folgte er
einem Rufe des Kurfürston Friedrich Wilhelm von Brandenburg
als Hofprediger nach Memol und starb daselbst am 12. Januar
1070."
Teils ergänzt, teils berichtigt sind diese Angaben durch die
neuere Comeuiusforsehung, namentlich die gründliche Biographie
des Comenius von Kvacsala. Wir finden nach ihr Figulus 1042
bei Comenius in Kl bitig, ferner 1043 und 1040 vom Meister ge-
sandt, 1040 mit ihm in Schweden, endlich 1050 samt Familie,
von Ivorenz de tieer berufen, bei Comenius in Amsterdam. Ausser-
dem fungiert Figulus mehrmals als Mittelsmann zwischen Comenius
und den englischen Freunden, namentlich mit «lern Friedensmantie
.Johannes Duräus, so besonders 1047; und es erhellt aus Kvac-
salas Zitaten, dass Figulus an Duräus englisch schrieb. Per
Amsterdamer Aufenthalt des Figulus und der Seinen von 1050
bis 105S wird ferner noch bezeugt durch die Widmung einer
Predigt: „Kim* rechtschaffenen Christen Kmausgang", von Petrus
Figulus am anderen Ostcrtage 1058 zu St Petri-Pauli in Danzig
gehalten und bei Christof fei Cunradus in Amsterdam gedruckt,
an „den Wohl-Kdlen, Gestrengen und Vesten, Herrn Luirons de
Geer, Herrn auf Östcrby u. s. w. Vnd den Khrenvesteu, Wohl-
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310
Sander,
Heft 0 u. 10.
fürnehmen, Grossaehtbaren Herrn Antonium de Kuvper, Vor-
nelimen Kauffman in Dantzig, Beydcrseits seine hochgeehrten
Herren und selirgünstigen Beförderer und Wohlthättcr". Die
Vorrede des Büchleins, das Herr M. Jablonski besitzt, ist (wahrend
eines abermaligen Besuches? bei Abholung der Seinigen?) am
2S. Januar 1059 in Amsterdam unterschrieben und enthält die
Worte: „Dieses wohlmeinende Werklein — wird meincsteils
E. E. (iestrengen zugeschrieben, hiemit vor der Ehrbaren Welt
öffentlich zu bezeigen, wie ich dem löblichen Hause de Geer und
dann auch insonderheit E. E. (iestrengen wegen ihrer alten und
neuen, au mir und jetzt auch au den Meinigen beschehener, grosser
und unzählbarer Wohlthaten, zum höchsten mit alledem, was ich
kann und vermag, pflichtig und schuldig bin, und meine gebühr-
liche Dankbarkeit jederzeit gern zu erkennen zu geben gefliessen."
Wesentlich helleres Licht fällt nun auf die Jugendgeschichtc
des Petrus Eigulus durch sein Stammbuch. Dans es «einem über-
wiegenden Inhalte nach nicht das eines fahrenden Studenten sei,
zeigt gründlichere Betrachtung bald. Der Schlüssel zu seinem rich-
tigen Verständnisse liegt in folgendein, unscheinbar zwischen den
anderen versteckten Eintrage: „Hebr. 12, 14 (griechischer Wort-
laut; darunter:) Haee paueula in gratiam ornatissimi optimaeque
spei juvenis, Domini Petri Figuli, sui «piondam in peregiinationibus
conenrdiae ecelesiasticae causa suseeptis septennio toto amanuensis
<-t cominilitonis lubcns adscripsit Johannes Dunums prineipissac
Mariae a eoncionibus. Hagac Comitis Anno 1013. Octobris 1020."
Petrus Figulus reiste demnach vor 1043 sieben Jahre
lang als Begleiter und Gehilfe mit dem Friedensapostel
Du raus. Wenn man die Eintrag«' der sieben Jahre von 103(5
bis 1043 mit dein vergleicht, was aus dem Wanderleben des
Duriius sonst bekannt ist, der allerdings seit 1041 im Haag als
Hofprediger der mit Wilhelm II. von Onniien vennählten Prin-
zessin Henriette Maria Stuart, Karls I. Tochter, eine kurze Ruhe-
station gefunden hatte, so trifft man fast durchweg Figulus an
des schottischen Theologen Seite.
John Dun- war 1595 oder 1590 in Edinburg als Sohn eines
presbvterianischen Geistlichen geboren, der später, als Jakob I. in
der reformierten Kirche Schottlands das Bischofsamt wieder ein-
führte, auswanderte und eine Gemeinde gleichgesinnter Flüchtlinge
in leiden geistlich bediente. Der Sohn studierte zwar auscheineud
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1894.
O'omcnius, Ihiraeu», Pigulus.
311
auf höhnischen Universitäten: 1U24 hat er in Oxford auf der
Bibliothek gearbeitet, fand jedoch seine erste geistliche Stelle bei
den sog. englischen Adventurers zu Elbing im polnischen Preussen,
das Gustav Adolf von Schweden seit der Eroberung von lt>21
besetzt hielt. Der dortige schwedische Oberrichter Kaspar Godc-
lnann hatte 1028 in einer Schrift versucht, die lutherische und
die kalvinische Abendinahlslehre zu vereinigen, und sein Werk
auch Duraus zur Begutachtung vorgelegt. Dieser wurde dadurch
für den Gedanken der Union sämtlicher evangelischer Parteien
so völlig gewonnen, dass er besehloss, ihr fortan sein Leben zu
widmen. Seine ersten Gönner für dies Unterfangen fand er ausser
Godemann an dem grossbritannischen Gesandten Sir Thomas Howe
und dem grossen schwedischen Kanzler Axel Oxenstierna, die
1080 in Elbing zusammentrafen. Auf ihren Rat reiste Duräus
zunächst nach England, wo er mit Zustimmung seiner angesehen-
sten Parteigenossen um den Beistand der anglikanischen Bischöfe
warb. Nur wenige Förderer seiner Sache gewann er. Unter ihnen
war zwar der damalige Erzbischof von Gnnterbury, George Abot.
Allein dieser edle, milde Prälat hatte teils durch Ungnade des
Königes Karl, teils durch unglückliche Tötung eines Menschen
auf der Jagd fast allen Einfluss verloren. Ausserdem billigten
das Unternehmen nur die Bischöfe Joseph Hall von Exeter und
Johannes Davenant von Salisburv. Dieser hatte bereits selbst
den Vorschlag litterarisch verfochten, das Symbolum Apostolicum
als Grundlage eines allgemeinen Kirchenfriedens zu verwerten.
Gleichzeitig fand — März 10HI — in Leipzig „bei währendem
der hochlöblichsten und hochlöblichen evangelischen und prote-
stierenden Kurfürsten und Stände hochansehnlichem Konvente"
ein Gespräch zwischen den reformierten Hofpredigern D. Johann
Bergius von Brandenburg, I). Johann Gmeins und Thoophilus
Neubörger von Hessen - Kassel einer-, den kursächsischen luthe-
rischen Theologen D. Matthias Hoc von Hohenegg, D. Polykarp
Lyser, D. Heinrich Höpfner andrerseits statt. Man kam zu keiner
vollen Einigung. Doch wollte man „hoffen und dahin sich durch
fernere, der mehreren friedliebenden Theologen Konferenz, zu-
forderst auch christlicher hoher Obrigkeiten Auktorität bemühen,
damit eine nähere Zusammenhaltung an- und aufgerichtet und durch
solches Mittel die wahre Kirche Gottes erweitert und vermehret,
den Papisten auch die Hoffnung, welche sie bishero wegen fürge-
Mouaulafu- «k-r Comi-iiins-<i. * IK-.Llmfi. iv.u. oo
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312
Bander,
Heft 9 u. 10
gangener Spaltung gehabt, in etwa» benommen werden möchte";
und „imnittels sollten beiderseits Theologi einander christliehe
Liebe inskünftige erzeigen; alles treulieh und ohne Gefährde". Da
auch Gustav Adolf selbst samt seinem Kanzler Oxenstierna und
seinem Hofprediger D. Matthiä den Unionsbestrebungen günstig
gesonnen war und dies dem schottischen Vermittler bei einer
Begegnung in Nürnberg personlich aussprach, schien des Duräus
Weizen zu blühen. Indes die theologischen Vorurteile der luthe-
rischen Seite standen ihm schroff gegenüber; nur die Helmstädter
sog. Synkretisten, deren Haupt Georg Callxtus war, ausgenommen.
Auch traf wohl nicht ganz grundlos den Friedensapostel selbst
der Vorwurf, welchen Vermittler so leicht auf sich laden, dass
er, ganz hingenommen vom christlichen Eifer der Vereinigung,
unter Lutheranern lutherischer, unter Anglikanero bischöflicher
und unter Kalvinisten kalvinischer auftrat, als er eigentlich ver-
antworten konnte. Nach Gustav Adolfs Tode setzte Oxenstierna
auf den Konventen zu Frankfurt a. M. 1633 und 34 die Uiiions-
versuche vom politischen Standpunkte aus eifrig fort. Duraus
war beidemale zugegen. Dazwischen ging er nach England, wo
sein Gönner Abot gestorben war, und gewann — allerdings gegen
den Preis der bischöflichen Priesterweihe und des Ansclüusses
an die anglikanische Kirche — Urlaub, Vollmacht und Geldmittel
vom mächtigen Erzbischofe Laud, sowie Beifall und Beihilfe des
irischen Primas Jakob Ussher von Armagh und anderer Kirchen-
fürsten. Aber die schwedische Sache in Deutschland erlitt gerade
damals einen furchtbaren Schlag durch die Schlacht bei Nörd-
lingen (4. u. 5. September 1634) und den Prager Separatfrieden
von 1635 zwischen Kaiser und Kursachsen. Dem Duräus hatten
die Gesandten auf dem zweiten Frankfurter Tage vor dem Aus-
einandergehen (14. September 1634) noch versprochen, seine Vor-
schläge ihren fürstlichen und städtischen Auftraggebern vorzulegen
und für deren Förderung thätig zu sein. Aber es war ein Wechsel
auf unbestimmte Zukunft Duräus beruhigte sich dabei nicht
lange. Im Jahre 1636 unternahm er von den Niederlanden aus
einen neuen Vorstoss — ■ schriftlich und persönlich. Auch die
Unitat der böhmischen Brüder bot er zur Mithilfe auf. Ihre
Synode zu Thorn (Juli 1636) beschäftigte sich unter Coinenius'
persönlicher Mitwirkung in entgegenkommendem Sinne mit seinen
Anträgen. Besonders beschloss Duräus, — man sagte, auf Rat
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1894.
Coineniu*, Duraous, Figiilun.
313
des Hugo Grotius, den er als schwedischen Gesandten in Frank-
furt kennen gelernt, — nach dem lutherischen Schweden zu reisen
und dort in mündlicher Verhandlung sein Heil zu versuchen.
Mit dieser Reise beginnt — soweit das Zeugnis des Stamm-
buches entscheidet — die Gefolgschaft des Petrus Figulus. Seine
Einträge stimmen bestens zu den geschichtlichen Angaben und ur-
kundlichen Belagen in Karl Jesper Benzelius' „Dissertatio historico-
theologica de Johanne Duraeo pacifieatore eelebcrrimo" (Helmstädt
1744). Die Verhandlungen liefen seit August 1636 durch ver-
schiedene Stadien, aber trotz des Kanzlers Gunst zuletzt so un-
glücklich, dass am 7. Februar 1638 auf Antrug des Klerus die
Königin Duraus aus Schweden verbannte. Nur durch Krankheit
ward er noch bis Juni in Stockholm festgehalten. Nicht ganz
scheint Axel Oxcnsticrna ihm seine Gunst entzogen zu haben,
und treu ergeben blieb ihm Johann Mutthiä, später Bischof von
Wexio und als solcher wegen Kryptokalvinismus 1664 entsetzt
Beide finden sich in Figulus' Album, — Axclius Oxenstierna uus
dem April des Jahres 1637 mit dem Spruche: Moderuta durant,
— in dem fast kein Name der bei den hin- und herflutenden
Verhandlungen beteiligten Männer, selbst der Gegner, wie des
streitbaren Bischofcs Johannes Rudbcck von Westcras (Arosia),
fehlt. Auch mit dem dänischen Gesandten Petrus AVibe müssen
die Reisenden nach dessen sehr freundlichem und vertraulichem
Fintrage aus Stockholm (Juni 1 638) schon dort nähere Beziehungen
geknüpft haben.
Einstweilen ging die Reise nach Lübeck (August 1638) und
über Lübeck nach Hamburg, das einige Jahre hindurch Durys
Hauptquartier gewesen zu sein scheint. Dort traf er Sir Thomas
Rowe, den alten Gönner, der die Verbindung mit England für-
sorglich im Gange erhielt und die Bekanntschaft mit dem dänisch-
deutschen Kanzler Dietloff Reventlow zu Glückstadt verurittelte.
Beide Männer haben sich in das Stammbuch eingetragen, das als
Ertrag manchfachcr Reisen der nächsten Jahre aus Hamburg,
Lübeck, Bremen und anderen norddeutschen Städten zahlreiche
Denkblätter aufweist, sowohl von Mitgliedern des böhmisch-
mährischen Refuge, auch den Sozinianern, wie von mehr oder
weniger bekannten und bedeutenden Einheimischen. Die örtliche
Gelelirtengeschichtc kann da noch manche Ausbeute finden. Ich
will aus dem nordalbingiseheu Gebiete nur zwei bedeutende Namen
22*
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314 Sander, Heft 9 u. 10.
nennen: Joachim Jungiiis (1587 — 1657), den berühmten Rektor
den akademischen Gymnasiums zu Hamburg, und den liederrciehen
Elbschwan, Pastor Johannes Rist (1607 — 1067) zu Wedel. Des
letzteren Gast war Figulns am 13. November 163». Der red-
selige Poet beschreibt zum Abschiede ein ganzes Blatt des Albums
mit Zitaten aus der Bibel und aus Dantes Holle nebst beigefügter
eigner Übersetzung.
Im Dezember 1639 brachen Duraus und Figulus zu einer
Reise nach Braunschweig und Hildesheim auf, die jenem später
als eine Art Glanzzeit seines an Täuschungen überreichen I^'bens
erschien, und die auch dem jungen Begleiter hochinteressant ge-
wesen sein wird. Der Besuch galt den beiden weifischen Fürsten-
höfen Augusts des Jüngern in Braunschweig und seines Vetters
Georg in Hildeshehn, der Stammväter der herzoglich braun-
sehweigischen und der späteren Kur- und königlichen Linie. Beide
genossen nicht mit Unrecht den Ruf bedeutender Fürsten: jener
noch heute berühmt als Gründer der Wolfenbütteler Bibliothek
und als Gönner Johann Valentin Andreas wie so manches anderen
Gelehrten jener Tage; dieser damals wohl berühmter durch seine
kriegerische I^aufbahn, der er nur zu bald (1641) durch plötzlichen
Tod entrissen ward.
Vor wenigen Jahren erst (1635) hatte man nach dem erb-
losen Tode Friedrich l Iridis von Braunschweig-Wolfenbüttel in
einer jeuer unbegreiflichen Teilungen, durch welche Fürsten und
Stände in deutschen Tjanden ehedem ihre Macht selbst zu schwächen
pflegten, den weifischen Gcsanitbesitz in drei thunlichst gleiche
Lose zerlegt, deren drittes, man meinte damals: bestes, Georgs
älterer, unstandcsgeiuäss vermählter Bruder Friedrich von Lüne-
burg-Celle inne hatte. Gemeinsam verwaltete das „löbliche hoch-
fürstliche Haus Braunschweig- Lüneburg" unter anderem Besitze
die im protestantischen Deutschland hochangesehene Juliusuniver-
sität zu Hehnstädt Ihr berühmtester Lehrer war damals der
Theolog Georg Calixtus (1586—1656), Abt von Königslutter,
ein weitblickender Mann, der an Einigung der ganzen Kirche
auf Grund der vermeintlichen Lehrciultcit des kirchlichen Alter-
tumes (consensus <piinquesaecularis) zu denken wagte und zunächst
wenigstens die Pflege eines freundnachbarliclien Einvernehmens
unter Lutheranern und Kalvinisten als Pflicht erkannte. Von
vielen angefeindet und verketzert als Haupt der Synkretistcn,
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1894.
C'omenins, Durarus, Figulus.
315
hatte er daheim doch Schule gemacht. Eine Schar tüchtiger
jüngerer Theologen umgab und unterstützte ihn mit Verständnis.
Ans ihrer Zahl ragt hervor Justus Gesenius (1601- -1(571), damals
Hofprediger und Konsistorialrat in Hildesheim, später General-
superintendent in Hannover. Den Theologen nahe befreundet
waren tüchtige Staatsmänner wie Dr. Jakob Lampadius, ehedem
Calixts juristischer Amtsgenoss an der Universität, jetzt Ge-
heimer Rat Herzogs Georg, sein Braunsehwciger Kollege Dr.
Kipius und David Denicke, mit Gesenius Herausgeber des bis in
unsere Tage benutzten vortrefflichen hannoverschen Kirchengesang-
buches.
Dass von hier aus das leipziger Gespräch wie die weiteren
von Oxenstierna begünstigten kirchlichen Unionsversuche sorg-
fältig beachtet und nach Kräften gefördert waren, versteht sich
von selbst Dem Duräus waren die Doktoren Lampadius und
Kipius schon lti.'M in Frankfurt näher getreten. Ihrem damals
noch lebenden Herzoge Friedrich Uliich gutachteten sie: „Weil
die Kalvinisten, mit deren Irrtümern wir doch nichts zu schaffen
und selbige verwerfen, uns viel näher kommen und in wenigeren
Artikeln diskrepieren als die Papisten, wird von und mit ihnen
billig der Anfang (der Einung) gemacht und, wie nahe ein Teil
dem anderen treten möge, mit gebührlicher Sorgfalt versucht."
Die Theologie des befreundeten Galixt klingt dabei fiberall durch.
„Das Fundamentum und via regia ist — — , dass neben der heiligen
Schrift auf den übereinstimmenden Konsens der werten und un-
zweifelhaften Antiquität, welcher aus den uralten Symbolis erhellet,
das Absehen genommen und dagegen alle den lieben Alten un-
bekannte zum wahren Christentum unnötige, hohe, subtile und
gutes Teiles ganz ungewisse Nebenfragen beiseits gesetzet oder in
die Schulen verwiesen werden." Durch das Unglück der schwe-
dischen Waffen, das schwedisch -französische Bündnis und die
ganze veränderte Weltlage waren diese Interessen freilich auch
hier inzwischen zurückgeschoben worden.
Den Einheitsversuchen neuen Antrieb zu geben, ward Johannes
Duräus Hi30 von Herzog August in Braunschweig und Herzog
Georg in Hildesheim eingeladen. Am 5. Dezember beriet man
in Braunsehweig, um die Jahreswende in Hildesheim. Duräus
erntete alles Lob für sein bisheriges Wirken und die Zusage, dass
man ihm fortan bestens zur Hand gehen und seine christlichen
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316
Garnier,
Heft 9 u. 10.
Plane nachdrücklich fördern wollte, wenngleich mit aller Prudenz
und Zirkumspektion, deren Notwendigkeit in jenen geschwinden
und bösen Zeitläuften dem Pektoraltheologen nicht immer so gegen-
wärtig sein mochte, wie den gewiegten Politikern. Nach Dunnis'
eigenem späteren Zeugnisse fand er an den weifischen Höfen
und besonders in Hildesheim eine über alles Erwarten huld- und
ehrenvolle Aufnahme. Freien Eingang muss auch überall Petrus
Figulus mit seinem offenen Stammbuch« gefunden haben. Die
neuen Braunschweiger und Hildesheimer Bekannten stehen zahl-
reich darin. Neben Herzog August sein Sohn und Nachfolger
Rudolf August; alle vier Söhne Herzogs Georg: Christian Ludwig,
später in Celle, dessen holsteinische Witwe Dorothea des grossen
Kurfürsten zweite Gemahlin ward; Georg Wilhelm, später letzter
Herzog in Celle, Gemahl der hugenottischen Eleonore d'Olbreuse
und Vater der unglücklichen Prinzessin von Ahlden; Johann
Friedrich, Herzog von Hannover, der später katholisch gewordene
Gönner Leibniz'; Ernst August, später erster Kurfürst von Han-
nover und Stammvater der englisch - hannoverschen wie durch
seine Tochter Sophie Charlotte und seine Enkelin Sophia Dorothea
der preussischen Könige. Dazu haben alle die genannten be-
deutenden Männer an beiden Höfen, zumal in Hildesheim, dem
jungen dominus possessor mit freundlichen Wünschen und guten
Sprüchen sich gefällig erzeigt. Bis zum Februar 1640 blieben die
Reisenden — mit einem kurzen Absteeher nach Hannover — in
Hildesheim und kehrten dann über Celle, wo sie — wohl beide
— nur karge Ausbeute gewannen, und Lüneburg nach Hamburg
zurück. Dauernde Fmcht hat die Anwesenheit des Durfiiis in
Braunschweig und Hildesheim nicht getragen. Wenngleich die
friedliehe Theologie der Calixtc, des Vaters und seines Sohnes
Friedrich Ulrich, lange in den landen beider weifischer Linien
vorherrschte, so war doch für eine wirkliche kirchliche Union die
Zeit noch nicht gekommen. Immerhin bildet diese Reise des
Dnräus an die braunschweig-lüneburgischen Höfe ein ansprechen-
des Kapitel in der Vorgeschichte der evangelischen Union und
ist als solches aufgefasst und dargestellt in des jüngeren Calixt
„Via ad pacem" (Helmstädt 1701) und in Henkes trefflichem
Werke über „Georg Calixt und seine Zeit" (Halle 1853—1860).
Die Leser des Aufsatzes von Radlach im Märzhefte 1893
dieser Zeitschrift über den Aufenthalt des Comenius in Lüneburg
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1891.
Comenhw, DuracuB, Figulu».
317
(1647) wird es erfreuen, aus dem Stammbuche seines Pflegsohnes
zu vernehmen, dass dieser bereits sieben Jahre zuvor in derselben
Stadt nicht nur, sondern in demselben Hause freundliche Auf-
nahme gefunden hat: bei dem frommen buchhändlerischen Brüdcr-
pare Hans und Heinrich Stern. Hoffentlich geht Radlachs Wunsch
einer würdigen Geschichte ihres Verlagshauses bald in Erfüllung.
Da noch kurz vor 1866 der Name von Stern in Lüneburg persön-
lich vertreten und die 'von Sternsehc Druckerei* im Besitze alt-
verbriefter Verlagsrechte (Lüneburger Gesangbuch, Landeskatechis-
mus ete.) war, die Dnickerei auch noch heute unter der alten
Firma fortbesteht, so kann wohl das urkundliche Material noch
nicht unwiederbringlich verstreut sein; und in Lüneburg hatte man
— ehemals wenigstens — regen geschichtlichen Sinn.
Wenig Glück hatte Duräus im weiteren Verlaufe des Jahres
1640 in Dänemark. Christian IV. selbst, damals zwei und sechzig-
jährig und schon über 50 Jahre König, war — so berichtet Benzelius
— - dem Friedensgedanken des Schotten geneigt. Zum Danke
ziert sein Bildnis den inneren Deckel und der zugehörige Eintrag
aus dem Jahre 1640 das erste Blatt des Albums des jungen Be-
gleiters. Nur glaube ich kaum, dass Name und Wahlspruch
(Kegna firmat pietas), in tadelloser Fraktur geschrieben, von des
Monarchen eigener Hand sind. Aber Christian wies vorsichtig
das kirchliche Anliegen an seine lutherischen Theologen, und bei
denen half hier sowenig die königliche Huld, wie in Schweden
die Gunst des Kanzlers. Schon an der Vorfrage, ob Duräus von
allen kalvinistischen Kirchen Vollmacht hätte, scheiterte alles.
Auch dachten die gnesiolutherischen Dänen gar nicht an Entgegen-
kommen ihrerseits. Der einzig mögliche Weg zur Annäherung
war in ihren Augen förmlicher Verzicht der kalvinischen Sakra-
mentarier auf alle ihre Irrtümer. Kein Beitrag zur Philotheka
des Amanuensis ausser dem huldvollen des Königs lässt auf freund-
lichere Momente dieses dänischen Unternehmens schliessen.
Im Spätherbste 1 640 ging die Reise rückwärts über Hamburg
(November, Dezember), Bremen, Gidenburg, Emden nach Groningen.
Duräus und Figulus blieben nun in den Niederlanden bis Juli
1641. Hier — in Franeker, Amsterdam, Haag, Leiden u. s. w.
hielt dieser die reichste Ernte für seine Autographensammlung.
Es lohnt aber kaum, dem Hin und Her auf dem engen Räume
vermutend nachzuspüren; ich werde die bedeutenderen der in den
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318 Sander, Heft 9 u. 10.
Niederlanden erbeuteten Namen lieber gruppenweise zusammen-
stellen, ohne die Zeitfolge ängstlich zu wahren.
Unter den reformierten Theologen der Zeit traf Figulus in
Groningen den Ostfriesen Heinrieh Alting (158H— 1644). Einst
des Pfalzgrafen und spateren böhmischen Königes Friedrieh Hof-
meister, hatte er später auf dessen Wunseh auch seines ältesten
Sohnes Erziehung geleitet. In dieser Eigenschaft traf ihn Comenius
1626 am Hofe des Königs im Haag. Seit des Zöglingcs Tode
war er zum akademischen Lehramte zurückgetreten. In Franeker
lernte der junge Reisende Johannes Koch oder Coeecjus (1603
bis 1669) aus Bremen kenneu, dessen Föderaltheologie unter den
Reformierten ebenso berühmt und ebenso umstritten war, wie im
lutherischen Lager Calixts consensus <prinquesaecularis. Zu den
beiden eingebürgerten Deutschen trat im Haag der Franzose
Andreas Rivetus (157H — 16">1), einst Zierde der Universität Leiden,
dann Erzieher, jetzt väterlicher Vertrauter des Prinzen Wilhelm II.
von Uranien (1620 — 1650), dem er eben die englische Braut ge-
worben hatte. — Heller noch fast als der Rilhm der Theologen
strahlte in den damaligen Niederlanden der der Philologen. Figulus
ist an ihnen nicht vorbeigegangen und von ihnen nicht abgewiesen.
Daniel Heinsius (1580- 1655), der viclbcwundcrtc Polyhistor,
schrieb in sein Buch »zum Zeichen seines ganz besonderen Wohl-
wollens* den Seufzer: Quantum est, quod neseimus! Heinsius'
feindlicher Kollege an der Leidener Universität Klaudius Salmasius
bezeichnet sich stolz als Konsistorialrat des allerchristlichsten
Königes; und doch lautet sein republikanischer Wahlspruch: Könige
und Herren zu haben verdient, wer sich selbst nicht hat ! Aus-
führlich variiert der Pfälzer Gerhardus Johannes Vossius (1577 bis
1649) das Thema: Ars longa vita brevis. Man sagt ihm nach, dass
er nur einmal im Leben ein paar Arbeitsstunden seines streng
geregelten Tages versäumt habe: aus Anlass der eigenen Hochzeit.
• - Den gelehrten Männern gesellt sich mit zierlicher hebräischer
Inschrift („Der Herr mein Lieht!") die Kölnerin Anna Maria von
Sehurman (1607 — 1678), damals wegen ihrer vielseitigen Begabung,
Gelehrsamkeit, Kunstfertigkeit als eines der Wunder der Zeit
angestaunt. Sie sprach, las und schrieb, wie man ihr nachrühmt,
fertig in sieben Sprachen und war bei aller Verehrung, die sie
unter Frauen und Männern genoss, ein Muster jungfräulicher Be-
scheidenheit und Strenge. Noch ahnt«' die Vierunddreissigjährigo
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»
1894. Compnim», Duracn*. Fibuln«. 319
nicht, dass sie einst als Diotima oder Kgcria Jean de tahadicfl
ihre glänzende Laufbahn in Quid und limine enden und samt ihren
verbannten und gehetzten Freunden bei der geistverwandten fürst-
liehen Freundin und Schülerin sehutzf lebend anklopfen sollte, der
Pfnlzgräfin Elisabeth, die eben in jenen Jahren gern und oft mit
ihr verkehrte. Ihr Kinfluss hat sieh bei der Pfalzgräfin dauern-
der erhalten, als der eines anderen, berühmteren Freundes, dem
wir gleichfalls im Stammbuche des Petrus Figulus begegnen: Rene"
Descartes oder, wie er selbst sieh unterschreibt: Renatus des Cartes.
Bekanntlich bestand zwischen Cartesius und Comenius kein freund-
liches Verhältnis. Der Franzose scheint von des Mähren hoch-
fliegenden Plänen kaum mehr als oberflächliche Kunde genommen
zu haben; dieser hat des anderen Philosophie stets von sich ge-
wiesen und geradezu bekämpft. Des jungen Figulus Annäherung
dagegen muss der philosophische Einsiedler sehr freundlieh auf-
genommen haben. Sein Spruch klingt geradezu schmeichelhaft
für den jungen Fremdling, dein er am 18. Juli 1H41 in Leiden
einschreibt: Philosophandum sed cum paucis! eine feine l'm-
biegung des durch Cicero bewahrten Wortes des Ennius: Philoso-
phari est mihi neeesse, sed paucis. Xam omnino haut placet:
degustandum ex eat non in eam ingurgitandum eenseo.
Schon die beiden letzten Namen führten darauf, dass in
jener Zeit die Familie des unglücklichen Friedrichs von Pfalz und
Böhmen in den Niederlanden Obdach und Zuflucht genoss. Er
selbst war 1032 kurz nach Gustav Adolf, seinem Retter, wie er
gehofft hatte, in Mainz, fern von den Seinen, gestorben. Gattin
und Kinder behielten ihre niederländischen Wohnsitze im Haag,
in Leiden, in Rhenen. Die Geschichte nennt den Gescheiterten
unbarmherzig spottend den Winterkönig. Den vertriebenen Böh-
men blieb selbstverständlich seine Person und sein Haus ehrwürdig,
seine Sache heilig und ernst. Wie schon Comenius 1(>2<> dem
Könige Friedrieh im Auftrage seiner Mutter, der oranisehen I^ouise
Juliane, die wunderlichen Orakel des Sprottauer Seilers Christoph
Kotter überbracht und ihm dabei als seinem rechtmässigen Könige
gehuldigt hatte, so könnt«' auch sein Pflegsohu Petrus nicht anders
zu dem kurpfälzischen Hause sich stellen. Friedrichs hoffnungs-
vollen Ältesten, Kurprinz Heinrich Friedrich, den der Vater HI29
im Hafen von Amsterdam ertrinken sehen musste, zeigt sein
Album wenigstens im Bilde. Von den übrigen Gliedern des
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320 Sander, Heft 9 ll. 10.
Hauses finden wir folgende durch Namenszug und teilweise durch
Denkspruche vertreten. In einsamer Majestät, wie ihre Art,
zeichnet sich nur mit dem Namen des Winterkönigs Wittwc
„Elizabeth" ein. Der Namenszug ist offenbar dem der Elisabeth
Tudor, der jungfräulichen Königin, nachgebildet und gehört zweifel-
los der Kurfärstin und Königin Elisabeth Stuart an. Karl Ludwig,
der nunmehrige Kurerbe und demnächstige Kurfürst, als solcher
spater auch Gönner der Comenischen Ijchrart (1617 — 1680), hatte
schon 1639 sein „Deus providebit" eingetragen. Petrus Figulus
wird ihm in Hamburg aufgewartet haben, wo er nach dem Miss-
lingen seines kriegerischen Unternehmens und besonders nach
der Niederlage von Gohfeld (17. Oktober 1638) Zuflucht fand.
Wechsel volle Bilder ruft der Name seines Bruders Ruprecht (1619
bis 1682) oder, wie er selbst schreibt, Rupert vor die Seele. Ge-
fangen bei Gohfeld war er drei Jahre in kaiserlicher Haft zu
Linz, von wo er gegen Urfehde 1641 nach London entlassen ward.
Da ihm das Stammbuch 1642 vorgelegen hat, wird es dort ge-
wesen sein. In den bald ausbrechenden inneren Kämpfen der
Engländer und Schotten erwarb er im Dienste seines Oheims
Karls I. Stuart den Ehrennamen des Kavaliers und den Ruf eines
wetterfesten Seehelden. Nach 1660 war er Admiral von England:
zugleich bekannt durch seine physikalischen Forschungen und seine
Überführung der Schabkunst aus ihrem Geburtslande Hessen in
die neue Heimat Der Greis Uomenius widmete ihm später sein
Unum neeessarium. Wahrend Karl Ludwigs und Ruprechts
jüngere Brüder, Moritz, Eduard, Philipp, fehlen: ein abenteuerlich
Völklein! — haben 1641 die drei alteren Schwestern Elizabeth,
Louise, Henriette sich eingeschrieben. Von allen dreien Hesse sich
viel sagen. Von der geistvollen und gelehrten Elisabeth (1618 bis
1680), die bereit« damals des Glaubens halber des Polenköniges
Wladislav Hand fest und entschieden abgelehnt hatte, wurde
oben angedeutet, wie sie in jungen Jahren mit Deseartcs philo-
sophierte, mit A. M. Schurinan Kunst und Wissenschaft trieb und
dann im Alter nls reformierte Äbtissin von Herford mit Hilfe
ihres Vetters, des grossen Kurfürsten, die von Ort zu Ort ge-
scheuchten Labadisten schützte. Louise ist jene Pfalzgräfin Louise
Hollandine, die man einst dem Vetter Friedrich Wilhelm von
Brandenburg als Braut zugedacht hatte, als dieser in Leiden
studierte. Später katholisch geworden, waltete sie bis ins hohe
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1894.
Coiiieniu», Dunums, Figulus.
321
Alter als Äbtissin zu Maubuisson: eine Prälatin von wunderlich
formlosen, wenn nicht gar ungastlichen Sitten; in der Malkunst
nicht unbegabte Schülerin Gerhard Honthorsts. Henriette heiratete
1650 den Fürsten Sigismund Rrfköczy von Siebenbürgen, starb
aber nach einer Ehe von wenigen Monaten am 28. September d. J.
in Saros Patak, wie Nikolaus Drabik es vorausgesagt, gerade als
Comenius im Dienste des Fürsten und seiner Mutter Susanna
Lorandfy dort weilte. — Die berühmteste der zahlreichen Kinder-
schar: Sophie (1630—1714), später Kurfürstin von Hannover,
Ahnfrau der Könige von Grossbritannien und von Preussen, Leib-
niz* Freundin, war wohl noch zu jung geachtet, um das Stamm-
buch vorgelegt zu erhalten. — Neben der böhmisch -pfälzischen
Dynastie sind endlich auch als nahverwandte das Haus Stuart
durch ein Bildnis Jakobs I. und das Haus Oranicn durch Denk-
spruch und Namen Wilhelms II. (1626 — 1650, folgte seinem Vater
Friedrich Heinrich 1647) vertreten.
Der August des Jahres 1641 führte Duraus und Figulus
nach I^ondon. Dass auch auf dieser Fahrt Figulus in Duräus'
Gefolge reiste, bezeugt, das Stammbuch ergänzend, Comenius' be-
kannter Brief vom 8./ 18. Oktober 1641 an die heimischen Freunde.
Denn am 2 1 . September d. J. langte dort Comenius an und blieb
die ganze Zeit bis zur gemeinsamen Reise am 10. Juni 1642 mit
Duraus und Figulus vereint Nach Ausweis seines Stammbuches
ging dieser im Freundeskreise der beiden • älteren Männer aus
und ein und durfte seine herrliche Sammlung stattlieh bereichern.
Unter denen, die während dieses englischen Aufenthalts eigen-
händig als seine Freunde und Gönner sich bekannten, steht billig
voran der ehrliche Makler im damaligen geistigen Leben des
protestantischen Europas Samuel Hartlib aus Elbing. Sein Ein-
fluss auf des Comenius' Lebensgang ist bekannt; hatte er ihn
doch eben nach I^ondon berufen. Duräus stand Hartlibs Herzen
gleich nahe. Welcher bedeutende, strebende Mann der Zeit hätte
dem wannen Herzen und dem feinen, umfassenden Verständnisse
des trefflichen Anglo-Borussen ferngestanden? Ihm widmete 1644
John Milton seinen Aufsatz „Of Education", zu dem er durch
einen Fremdling, Freund Hartlibs, angeregt zu sein bekennt, ohne
dessen Januis und Didactieis in allem folgen zu können. „Die
Liebe sucht nicht das Ihre" ist das bezeichnende Stichwort,
mit dem der edle Hartlib im Stammbuche des jungen Freundes sich
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322
Sander,
Hof t 9 u. 10.
einführt. Xelnm ihm nenn«1 ich Theodor Haaek, den Pfälzer,
der 1645 in I^undon das Collegiuni invisibile oder philosophieum
begründete, woraus 1662 die königliehe Gesellschaft zur Be-
förderung der Xaturwissensehaft hervorging. Ieh nenne ihn des
saelüichen Zusammenhanges wegen hier, obzwar der Kintrag seines
Namens und seines Sprüchleins erst 1643 bei einer Begegnung in
Amsterdam geschehen ist. Tutor den eigentliehen Briten sticht
eine Gruppe friedliebender Prälaten hervor, die meist in vor-
nehmer oder bescheidener Würde sich sehr kurz fassen, wie der
greise Thomas Morton ( 1 564 — 1659), Bischof von Durham, und
sein Freund Joseph Hall (1074 — 1656), Bischof von Kxeter, der
lakonisch als ,Josophus Exoniensis4 sieh einzeichnet. Mehr Worte
liebt der hochgelehrte Erzbisehof von Armagh und anglikanische
Primas von Irland, James I ssher (Jaeobus I sserius, 1581-1656).
In fester kleiner Perlschrift giebt er aus Anlass seines eben vol-
lendeten sechzigsten Ix»bcnsjahres das Wortspiel zum besten: „Qui
senescit et se nescit, miser est." Diese vornehmen Prälaten
stehen fast verstockt im hintern Teile des Stammbuehos. Anders
der grosse Demokrat oder — nach damaligem Ausdrucke —
Bundkopf (round head) John Pvm (1581 — 1643), Hampdens un-
zertrennlicher Kampfgenoss in den damaligen inneren Streitigkeiten.
Während des Parlamentes von 1642 (Comitia regni Westmonaste-
riensia), also kurz vor dem gegen ihn erlassenen Haftbefehle, nennt
er sich: „durch Liebe zu Gott und Vaterland über Furcht und
Hoffnung erhaben; für die öffentliche Freiheit Knecht des Volkes,
allen anderen gegenüber frei!44 Dass ein paar „Novangli", doch
wohl Angloamerikaner, unter den Kinzeiohnern sind, findet be-
kanntlieh aueh im lieben des Conienius seine Anknüpfung.
Im Juni 1(542 reisten Conienius, Duräus und Figulus zu-
sammen von London naeh Holland, Comenius und Figulus weiter
durch Xorddoutsehland nach Schweden. Das Band zwischen Figulus
und Duräus lockert sieh allmählich. Bremen, Humburg, Lübeck
wurden naeh den vorhandenen Einträgen berührt. Dass nach
Kvaesalas Vermutung damals in Hamburg Conienius mit Joachim
Jungius persönlich bekannt geworden, ist sehr wahrscheinlich.
Doch bietet das Stammbuch keinen Beweis dafür, da die Einträge
von Jungius und Tassius, die darin sich finden, bereits aus dem
Spätherbste 16-10 datieren. Im August und September wird Figu-
lus durch die Einträge in sein Stammbuch als mit Conienius in
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18<»4.
Conicniut«, Durami», Figulus.
323
Schweden anwesend nachgewiesen. Diener schwedische Aufenthalt
knüpfte enger das Band, das beide fortan an das grosse nieder-
ländische Handelshaus van Geer oder de (ieer unauflöslich fesseln
sollt«'. Damals durch seineu Reichtum und seine grossartige Wohl-
thätigkeit weltberühmt, ist das Haus de (ieer heute hauptsächlich
durch seine Fürsorge für I^ benswerk und Person des Comenius in
weiteren Kreisen bekannt. Zwei (ilieder der jüngeren Generation
hatte Figulus bereits in seiner Philotheka stehen, bevor er Schweden
zum /weiten Male betrat. Jn Amsterdam hatten Juli Kill Laurent
de Geer, HU2 Emauucl de Geer sieh eingeschrieben. Nun traf
er in Schweden, wo die Geers Herrschaften von fürstlichem l"m-
fange besassen, zu Stockholm und Orebro Ludwig, Vater und
Haupt des Hauses, und dessen gleichnamigen Sohn. Eigen b«*-
rührt des älteren „Louys de (ieer", des Fürsten der Kaiiflcutc
und (jJrossalmoscnicrs von Europa, mit fester Hand eingetragener,
schlichter Wahlspruch: „Or la pie"t«? avecij eontentcinent d'esprit
est ung grand gain!" (1. Tinioth. I), (>).
Vom November Ki42 bis Juli lo'43 hat Figulus laut seines
Stammbuches teils in Lissa, teils in Elbing bei Comenius geweilt.
Dann folgte seine dritte, auch aus dem Ix'ben des Comcnius be-
kannte schwedische Reise. Er ist in Schweden während des Juli
und des August zu verfolgen; worauf im September KM 3 die
Rückreise über Seeland mit Ruhepausen in Helsingor, Kopenhagen,
Roeskild, Sorö nrfolgte. Diesmal fand sich unter den Dänen doch
eine Reihe freundlicher Anknüpfungen. Auch der Bischof von
Seeland, Kaspar Erasmus Brochmann, ist durch Konterfei und
eigenhändige Widmung dem Reisenden zu Willen gewesen. In
Roeskild muss das Stammbuch in seinem äusseren Bestände sach-
kundiger Nachhilfe bedurft haben. Wenigstens hat es hier der
Buchbinder Matthias Peters unter Händen gehabt und diese Ge-
legenheit benutzt, um am Schlüsse des Buches dem „Ehrbarn
Studioso Theologiae I). Petro Figulo in sein Stammbuch zhu gueter
(iedechtnus" einen schwülstigen, frommen Sermou einzutragen.
Figulus selbst scheint damals nicht zu Comcnius zurückgekehrt,
sondern sofort über Hamburg (September) und Ostfriesland (Okt<h-
ber) nach den Niederlanden gereist zu sein, wo er von Oktober
KM3 bis April KM4 im Haag wie in Groningen, Franeker, Amster-
dam, Leiden neue Beitrag«' für sein Schatzkästlein sammelt«'. Aus
der damaligen Anwesenheit im Haag stammt der Eintrag des
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324
Sander,
Heft 9 u. 10.
Johannes Duräus vom 16./26. Oktober 1643, von der diese Be-
trachtung des seltenen Kleinodes ausging.
Das herzliche Wort des damaligen Hofpredigers Duraus als
ehrenvollen Abschied für seinen jungen Begleiter au deuten, legt
ausser den Worten selbst, namentlich der ausdrücklichen Begren-
zung ihres Verhältnisses auf ein Septennium, der Umstand nahe,
dass nun wirklich Figulus zunächst den Winter 1643/4 über in
Groningen und den nächsten Winter auf der hugenottischen Uni-
versität zu Saumur als ruhiger akademischer Bürger studiert zu
haben scheint. Die Reise von Groningen nach Saumur ging über
Franeker nach Amsterdam und von da zu Schiffe nach Dieppe.
Selbst unterwegs auf dem Meere hatte er seine Philotheka zur
Hand, in der Johannes Henck und Antonius Lodemann als ,comites
itineris* verzeichnet stehen, ebenso in Dieppe. Landeinwärts ginge
über Konen und Paris nach Saumur. Hier eröffnet das merk-
würdige Buch uns den Blick in eine ganz neue, aber allem Bis-
herigen durchaus ebenbürtige Welt. Es war die Glanzzeit Sau-
murs, dessen Ruhm damals das theologische Dreigestirn bildete:
Moise Amyraut (Moses Amvraldus 1596 — 1664), Vertreter der
gemässigten Prädestinationslehre oder des Universalismus hypo-
theticus, Louis Cappel (Ludovicus Cappellus 1585—1658), Vater
der wissenschaftlichen Bibelkritik, und Josua La Place (Josne
Placaeus; er selbst schreibt: Placcus, 1606—1655), damals viel-
genannter Dogmatiker. Alle drei und mit ihnen eine stattliche
Anzahl anderer damaliger Lehrer und Studenten — darunter Eng-
länder, Schweizer, Deutsche aus Emden, Nürnberg, Danzig etc. —
haben mit freundlichen Denksprüchen ihre Namen dem Stamm-
buche des jungen Figulus anvertraut, der hier wirklich einmal
Monate lang, vom August 1644 bis Februar 1645, mit Ausnahme
eines Abstechers nach Anjou im September 1644, stillgesessen zu
haben scheint. Im Februar freilich brach er schon wieder auf,
um über Tours, Orleans, Paris und so den alten Weg nach den
Niederlanden zurückzureisen, die ihm schon zur zweiten Heimat
geworden waren.
Besonders ergiebig war auf dieser Rückreise der längere
Aufenthalt zu Paris während des Aprils 1645. Jenen grossen
hugenottischen Namen aus Saumur reihten sich hier würdig an
die der hochangesehenen reformierten Geistlichen zu Charentou-
Paris: Jean Daille (Johannes Dallaeus 1594—1670), Charles Drelin-
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1894. ComcnhiH, Duraeua, Figulus. 325
court (1595—1669) und Joaii Mcstrecat. Zu einigen in Pari»
lebenden Engländern führten unseren Petrus seine und seiner
beiden Gönner, Comcnius und Duräus, vielfache Verbindungen
mit dieser Nation. Die mehr und mehr hervortretende Richtung
seiner Studien auf das Alte Testament und die morgenländisehen
Sprachen, die auch auf Sohn und Enkel später forterbte, hiess
ihn wohl bei Gabriel Sionita anklopfen, dem syrischen Zöglinge
des Collegium Maronitamm, das Gregor XIII. i. J. 1584 in Rom
gegründet hatte, damals und bis zu seinem Tode (1648) könig-
lichem Professor der orientalischen Sprachen und Mitarbeiter an
der grossen Pariser Polyglottenbibel. Indes alle diese Namen
verschwinden gegen die zweier grosser Gelehrter und Philosophen,
die gewiss schon den» Figulus als besondere Juwele seiner Samm-
lung erschienen: Hugo Grotius und Pierre Gasscndi. Von Hugo
Grotius (1583 — 1645) ist schwer zu sagen, ob Rechts- und Staats-
wissenschaft wegen seiner Begründung des wissenschaftlichen
Natur- und Völkerrechtes oder Theologie und Philologie wegen
seiner vorurteilsfreien, kritischen Bearbeitung biblischer und christ-
licher Fragen ihm mehr zu danken haben. Er lebte damals seit
zehn Jahren als schwedischer Gesandter in Paris. Eben jetzt
stand er im Begriffe, Paris und seinen Posten altersmüde zu ver-
lassen. Er reiste, wie in der Allgemeinen deutschen Biographic
Haelschner berichtet, 1645 von Dieppe zu Schiffe nach Holland,
wo er in Amsterdam und Rotterdam ehrenvolle Aufnahme fand,
dann wieder von Amsterdam zur See nach Hamburg, von da über
Lübeck nach Wismar, um mit Oxenstierna, dem Sohne des Kanz-
lers, zusammenzutreffen und endlich nach Stockholm. Auf der
Rückreise von da nach Lübeck litt er 17. August an der pom-
merschen (Jöcher: kassubi sehen) Küste Schiffbruch, langte nach
mehrtägiger I^andfahrt in offenein Wagen und bei Regenwetter
am 26. in Rostock an und starb dort am 28. (Jöcher: 18.) August
1645. Er muss fast schon den Fuss im Wagen gehabt haben,
als er, der Bitte des Figulus willfahrend, am 18. April 1645 in
Paris mit zierlicher Hand schrieb: „Ad turbas et motus pessimo
euique plurima uis, pax et quies bonis artibns indigent. Scribebam
et omnia amicitiae testimonia offerebam lubens Lutetiae XVIII.
Aprilis MDCXLV. Hugo Grotius R.[eginae| S.[ueeiae| L.|egatus]."
Stand Grotius gerade auf dem Sprunge, Paris zu verlassen,
als ihn Figulus mit seinem Stammbuche aufsuchte, so muss wohl
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326
Sander, — Comeuiiw, Duraeu*, Figulus. Heft 9 u. 10.
Gasscudi (1592 — 11)55) die königliche Professur der Mathematik
in Paris, die der Probst von Digne während des letzten Jahr-
zehntes seines Lebens bekleidete, damals erst eben angetreten
haben. Der berühmte Erneuerer der antiken Atomistik, naeb
Jöeher „ein übenius tugendhafter, bescheidener und gelinder Mann,
der sieh über nichts erzürnte", schreibt nach einem griechischen,
früher schon ins Stammbuch von einem englischen Arzte einge-
tragenen, also wohl damals beliebten Spruche über Selbst- und
Gotteserkenntnis als Grundlage aller Tugend: „Studiosissimo ami-
cissimoque Juveni Petro Figulo Bnhcmo discedenti in Patriam|?|,
et ob eximiam iudolem desiderium sui magnum reliiu|ucnti. In
affeetus sineeri Pignus | adponebam Lutetiae XII. Apr. A°
MDCXLV| P. Gassendus m. pr." r> will mir scheinen, als wären
die geklammerten Worte von Figulus selbst, da Gassendi das
Datum zu schreiben vergessen, nachgefügt. Di«' Angab«' ist darum
gewiss nicht minder zuverlässig. Ob Gassendis so warm ausge-
sprochene Freundschaft schon von früherer Begegnung in den
Niederlanden stammte oder auf des gemeinsamen Freundes Hartlib
Empfehlung hin so rasch erblüht war, kann ich nicht entscheiden.
Nach dieser Pariser Ernte ist der eingeheimste Schatz von
reichlich 400 Autographen nicht mehr wesentlich bereichert. Nur
einzelne Einschritten belegen des Figulus vierten und fünften
schwedischen Aufenthalt (September und Oktober 1()40, Oktober
1049), einige andere dazwisehen (1047, 104S) sein Weilen in Elbing.
Doch hat noeh der jüngste Eintrag (Kodolphus Keller Turicensis.
Holini;«' 1. Octobr. 1049) chronologischen Wert. War Figulus
noeh 1. Oktober. 1049 in Stockhohn, dann kann er nicht (nach
Kvacsala) am H. Oktober heimgekehrt, zum Priester geweiht und
kaum am 19. Oktober mit Elisabeth ( omenius getraut sein. Statt
Oktober wird es in diesen Angaben heissen müssen: November,
wie denn auch nach anderer Lesart die Hochzeit am Namenstage
der Braut (19. November) stattfand.
B. Besprechungen und Litteraturbericht.
Krause, K. C. F. Abhandlungen und Einzclsätzc über Erziehung
und Unterricht. Aus dem handschriftlichen Nachlasse des Verfassers
hcrausgegel>eii von R. Vetter. I. Band. Berlin, Verlag von Emil
Feiher, IS 94. 8. VIII u. 170. S".
Krause als Erzieher! Nicht ohne Rührung können wir eines
Mannes gedenken, dessen unablässiges Ringen nach dem ideale seiner
Zi-it nicht verständlich war. Seine gottinnige Seele schaute «las „Urbild
der Menschheit", frei von allen Erdenmalen, im himmlischen Gefilde,
wie es uns Schiller im Symbole (vergl. das Ideal und das Lehen)
gezeigt hat Seine trotz widriger Schicksale nicht gebrochen!» Thatkraft
suchte dieses Urbild herunterzuzwingen, um es im Irdischen lebendig
werden zu lassen, wie es uns Goethe in seiner pädagogischen Provinz
(vergl. Wilhelm Meister'* Wanderjahre) in behaglicher Breite schildert.
Mit Recht eröffnet der Herausgeber der pädagogischen Werke
Krause's den ersten Band mit einem Ausschnitte aus dem „Urbild
der Menschheit". Der „Bund für Menschheitbildung", den Krause
zu stiften erstrebte, soll alle umfassen, er soll alle Bildungsnnstalten,
als ihm untergeordnet, organisch in sich begreifen bis zur Selbst-
bildung herab, weil jeder eigene Mensch sich selbst vollendet, er soll
ein gereiftes lieben vermitteln als ein Gleichnis der Fülle, Wohl-
ordnung und Schönheit des Weltlebens in Gott. Von diesem Ideale
aus ist Krause's ganzes Wirken zu beurteilen: er war ein Mann,
der „Alles" im tiefsten Grunde in ungebrochener „Harmonie"
erschaute und der dieser Harmonie durch eine umfassende „Organi-
sation" der „Einzelnen" zu wirklichem Leben verhelfen wollte.
Wie dieses Wollen in Thülen umgesetzt werden sollte, zeigt uns
zunächst eine Reihe von Protokollen, die Berlinische Gesellschaft
für Erziehung betreffend (Nr. G in «liesein Bamle). Mit den Professoren
(i rashoff, Piamann und Zeune, welche sämtlich praktische Pädagogen
sind, grüwlct Kraus«« (April 1815) «'in Vierer- Kollegium, um für
Erziehung in ihrem ganzen Umfange als Wissenschaft und als Kunst
zu wirken und vor alh-iu auch «lein Problem eim-s .Ehnnentarhuches'
näWrzutreten. Krause's Übersie<lelung von Bvrlin na<*h Dresd«»n
Munalf.b.-ft.. a.r ( uiJM'nius-«i. «'llMliult. Is'Jl.
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32«
liesprcchiingen und Litteraturberieht. Heft 9 u. 10.
(Herbst 1815) ist die Veranlagung, dass der kleine Kreis nach einer
kurzen, aber energischen Arbeit zerfällt. Ein weiterer Beitrag für
die Art und Weise, wie sich Krause die Verwirklichung seiner Pläne
gedacht hat, giebt das Sendschreiben, den würdigen und hochver-
dienten Brüdern Vorstehern des Friedrichstädter Erziehungsinstitutes
in brüderlicher Ergebenheit überreicht (Nr. S in diesem Baude).
„Allgcmeinniensehliche Bildung" soll die Anncnsehulc zu Fried rieh stadt
für Knaben und Mädchen vermitteln, und darum soll sie auch
mit der ganzen übrigen Menschheit in Verbindung gesetzt werden
und zwar sowohl, das* -die Welt Anteil am Institute, als auch, da>s
die Kinder und das Institut Anteil an allen Wohlthaten des öffent-
lichen Lebens nehmen (S. 150). Die Zöglinge sollen aller Vorzüge
des aufgeklärten Zeitalters, in welchem sie leben, soweit solches in
den Kräften der Gesellschaft steht, teilhaft werden, das Publikum
soll jederzeit in je* ler "Weise Zutritt haben und prüfen dürfen, was
geboten wird. Über die Pflichten und Rechte des Direktors und
über andere einzelne Fragen verbreitet sich Krause in eingehender
Weise und schliesst mit der Hoffnung, dass die Menschen, vom
Menschlichen gerührt, was sich vor ihnen fröhlich entfaltet, an der
Anstalt wannen Anteil nehmen und derselben zu neuer Blüte verhelfen
möchten. Besonders charakteristisch für Krause's Stellung innerhalb
der Pädagogik sind auch die beiden sieh mit Pestalozzi beschäftigenden
Rezensionen (Nr. 7 in diesem Bande), deren zweite Joseph Schmid's
Erfahrungen aus Herten bespricht, und die Bemerkungen zu Friibel's
Abhandlung über Deutsche Erziehung (Nr. 4 in diesem Bande).
Das Bild, welches wir von Krause als Erzieher gewinnen, wird
ferner belebt durch eine Reihe von Einzelsätzen über Erziehung und
Unterricht (Nr. 2 in diesem Bande) und durch eine (bereits in den
von P. Hohlfeld und A. Wünsche ISMO herausgegebenen „Philo-
sophischen Abhandlungen" abgedruckte) Arbeit (Nr. 3 in diesem
Bande) „Vom Unterrichte als Ziel der Erziehung".
Schliesslich wird uns noch (Nr. 5 in diesem Bande) eine, aus
dem Jahre 1H08 stammend*-, „Skizze über Bildung (Erziehung und
Ausbildung)" geboten, welche als ein ziemlich vollständiger Entwurf
zu einem Systeme der Pädagogik bezeichnet werden kann. Sie ent-
hält, neben späteren Zusätzen und neueren Ansätzen, folgende
Fünfteilung: I. Idee «ler Bildung. II. Hauptteile und innere Organi-
sation der Bildung. III. Mittel «ler Bildung. IV. Bildungsanstalten.
V. Würdigung des gegenwärtigen Zustnndes der Erziehung.
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1804.
Besprechungen und Liüeraturbericht.
Wir empfehlen das Werk einem weitvren Kreise auf's wärmst«1. D«t
Geist <l«T Harmonie, welcher Kraus««'* ganzes Streben beseelte, machte
ihn auch /.um Erzieher im Sinne eines Comenius und eines Pestalozzi.
Er hatte den Glauben an das Ideal und die Zuversicht, dass dieser Glaube
wirken könne und müsse. Mag ihm die Nachwelt den Kranz reichen,
den ihm die Mitwelt versagte, indem sie, eins mit ihm in selbstloser
Liebe, an <l«'in grossen Erzichungswerke der Menschheit arbeitet.
Braunschweig. Alex. Wernicke.
Vogel, August. Systematische Darstellung der Pädagogik
Job. Heinrich Pestalozzis mit durchgängiger Angabe der quellen-
massigen Belegstellen aus seinen sämtlichen Werken. Zweite AufInge.
Mit einem Porträt mich Diogg nebst Facsimile Pestalozzis. Hannover.
Carl Meyer |G. Prior |. 1893. Pädagogische Bibliothek. 10. Band.
VIII u.*270 S. 4".
— Hcrhart oder PesUdoz/.i. Eine kritische Darstellung ihrer
Systeme, als Beitrag zur richtigen Würdigung ihres gegenseitigen
Verhältnisses. Zweite Auflage. Hannover. Ebd. 1893. 103 S. 8°.
Der als pädagogischer Schriftsteller bestens bekannt«' Verfasser
ist begei.-tert<'r Anhänger Pestalozzis. Das System des letzteren gilt
ihm als «las jMulagogisehe System xm /so///»-, IVstalo.zzi habe die
Pä«lagogik auf unwrgängliche Grundlagen gestellt. Pestalozzi für
immer! so lautet «las Ergebnis der VogePsohen Untersuchung. Her-
barts Bestrebungen haben zwar einen gewaltigen Anstoss zur Ver-
tiefung der pädagogischen Pmbleme g«'g«ben, Pestalozzis Pädagogik
wunle auch durch sie befruchtet und gefönlert, aber eine Pädagogik
nach seinen Grumlsätzt'ii muss nach <!«•> Verfassers Worten einem
mechanischen, kalten Schematismus anheimfallen, während Pestalozzis
pädagogisch«' Grundsätze aus «lein lebenswarmen ewigen Quell des
Glaubens und der Liebe fliessen. Der Beurteiler obiger Schriften
hat kürzlich in ehmr Arbeit (Die Bedeutung «1er Philosophie der
(regenwart für die Pädagogik. Gotha. Behrend. 1893.) dargethan,
dass die Pädagogik eim*r erkenntnistheoretischen Besinnung bedürftig
sei. Es geh«' kein allgemeingültiges System der Pädagogik, die ein-
zelnen Systeme stehen immer unter historischen Bedingungen und
können nicht mehr als den Ausdruck' eines bestimmten Denkers,
Volkes und Zeitalters darstellen. Jene Vergötterung einzelner Systeme,
der Glaulie an ihr«; absolute Geltung ist unberechtigt. Von diesem
Stamlpuukte aus kann sich der Beurteiler daher zu Vogels Ansicht
nicht bekennen. Er anerkennt jedoch «lavon abgesehen gern«*, dass
2.5 *
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3:50
Besprechungen und Litternturbericht. Heft 0 u. 10.
<li<' vorliegenden trefflichen Arbeiten sehr geeignet sind, «las Ver-
ständnis Pestalozzis zu fönlern und zu verbreiten. Eine quellen*
massige, systematische Darstellung der Pestalozzischen Anschauungen
that wirklich not, und wir haben Vogel nur zu danken, dass er in
so vorzüglicher Weise die Lücke ausfüllte. Mit feinem Takte wusste
der Verfasser gerade die wesentlichsten Stellen aus Pestalozzis ver-
schiedenen Sehriften zu einem einheitliehen Ganzen zu verschmelzen
— eine Arbeit, die grosse Belesenheit und Bienenfleiss zur Voraus-
setzung hat. Vogel schloss sieh mit Recht auch im Wortlaute
möglichst an Pestalozzi an, so das* die Zusammenstellung geradezu
einer Originalschrift des letzteren gleichkommt. Es dürfte nun wohl
keine Darstellung der Pestalozzischen Lehre so geeignet sein in die
Tiefe derselben einzuführen wie die Vogels. Auch die Darstellung
der Grumlauschnuungcn Herbarts ist meist zutreffend, die Kritik
klar, der Vergleich der beiden Systeme wirkt sehr erhellend für die
richtig«' Auffassung derselben. Der Beurteiler ist überzeugt, duss
auch die neuen Auflagen «1er zwei Bücher gleich freundliche Aufnahme
finden werden, wie «lie erste.
Czernowitz. Prof. Hochegger.
Gille, A. Aufgaben un«l Methode der Pädagogik als Wissen-
schaft. Beilage zum Programm der Lateinischen Hauptschule zu
Hailea. S. Ostern 1S91. L«ipzig. Verlag von Gustav Kock. HG S. 4°.
Der Verfasser ist «'ins mit Wilhelm Dilthey, indem er mit
der hergebrachten Ansicht bricht, dass man ein für alle Zeiten uml
Völker gültiges System der Pädagogik schaffen könne. Die Ethik
vermag nämlich das Ziel «1er Erziehung nie allgemeingültig zu be-
stimmen. J«'des ethische I«l«'al ist historisch bedingt uml begrenzt.
Wohl aber vvrnnigcn wir nach Gille durch «las Studium «1er Anthro-
]H>logie, besoud«>rs aber der Entwicklungsgeschichte «les Menschen-
geschh'chtes gewisse Grundwahrheiten <l«'s Menschenlebens zu erkennen
uml damit einer Bestimmung «les Erzichungsziides näherzukommen.
Diesen Bestimmtheiten nachzuspüren, bezeichnet der Verfasser als
s«'ine Aufgabe. Di«' wichtigste <1«t ^tatsächlichen Bestimmtheiten ist
«lie d« s Seihst -Interesses. Lelzlcivs würde aber zur Auflösung «ler
Gesells«-haft führen, wenn «ler Mensch nicht ges«dls«>haft lieber Natur
wäre. Die unmittelbarste Folge «les geselligen Wesens war «lie
Erweiterung «les selbstischen zum ges«dlsclmft liehen Interesse. Als
dritte ^tatsächliche Bestimmtheit «les Mensehen muss nach Gille
da-jenigc zur religiösen Weltanschauung hingestellt werden. Wo
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1894.
Besprechungen und Litterat urbericht.
immer wir Mönchen treffen, finden wir in irgend einer Form religiöses
Fühlen. Diese drei Bestimmtheiten des menschlichen Wesens bedingen
alle Äusserungen desselben, Kunst, Wissenschaft, Sitten, Recht u. s. w.
In ihnen niuss auch eine auf realer Grundlage ruhende Pädagogik
das Ziel der Erziehung suchen. „Diese seihst ist auch ein Produkt
derselben, denn sie ist dem echt sozialen Streben entsprungen, das
künftige Geschlecht besser zu machen. Damit ist die Aufgabe der
Erziehung gekennzeichnet. Sie hat vor allem stets die natürlichen
Bestimmtheiten des Menschen im Auge zu behalten, und da in ihrem
Begriffe ein thätiges Eingreifen liegt, so kann ihr Ziel nur die För-
derung derselben sein." „Förderung und Vervollkommnung der
obigen drei Bestimmtheiten des Menschen ist das Ziel der Erziehung
und zwar, insofern als dieselben umfassend und allgemeingültig sind,
das allein umfassende und allgemeingültige. Ziel der Erziehung." Die
Pädagogik muss auch über die Mittel klar sein, wie sie ihr Ziel
erreicht. Die Methode der Pädagogik ergiebt sich scheinbar leicht.
Denn ist die Erziehung nichts anderes, als die körperliehe oder
geistige Beeinflussung des menschlichen Wesens, so muss sich aus
den Wissenschaften, welche sieh mit dem Menschen in jener doppelten
Hinsicht beschäftigen (Physiologie und Psychologie), die Art der
Beeinflussung ergeben. Da Hber sowohl die Physiologie wie die
Psychologie noch so wenig ausgebildet sind, so wäre es um die
Pädagogik schlecht bestellt. Letzterer bleibt nichts anderes übrig,
als sich möglichst auf eigene Füsse zu stellen. „Sichere Resultate
kann die Pädagogik nur erzielen durch die sogenannte „naturwissen-
schaftliche Methode" d. h. durch Beobachtung und Experiment. Ver-
gleichende Beobachtung eines möglichst grossen Bereichs von Menschen,
gross in räumlicher und zeitlicher Ausdehnung, hinsichtlich des Masses
ihrer Thätigkeit, das ist die erste Aufgabe." Gille sucht auch gewisse a
priori sichere methodische Gesichtspunkte für die Pädagogik zu gewinnen.
Die vorliegende Abhandlung zeichnet sich namentlich auch
durch die gründliche und weitgehende Kenntnis der einschlägigen,
oft ziemlich entlegenen Litteratur aus.
Czernowitz. Prof. Hochegger.
Christoph, Karl, Wolfgang Ratkes (Ratichius) pädagogisches
Verdienst. Inaugural- Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde.
Leipzig 1892. 52 Seiten.
Christoph hat lediglich nach den bereits — besonders von
Gideon Vogt und Johannes Müller — über Ratichius veröffent-
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332
Ilcsprcchungcn und LiUeniturhericht. Heft 9 U. 10.
lichten Arbeiten das pädagogische Verdien.-» diesem Neueren* einer
Betrachtung unterzogen. Die Abhandlung ist eine geschickte und
fleissige Kompilation, welche wohl im stände ist, über die pädagogi-
sehen Bestrehungen eines Ratiehius zu orientieren. R. Aron.
Pietro Paolo Vergerio, dem zur evangelischen Sache über-
gegangenen päpstlichen Nuntius und Bischof, über welchen wir in
einem der letzten Hefte das Werk von Hubert verzeichnet haben, ist
neuerdings ein kleines Schriftchen von Adolf Henschel gewidmet.:
Petrus Paulus Vergerius. Halle a. S. 1893. In Conunissions-
Verlag von Max Niemeyer. (32 S.) Dieses kurze Ijchenshild
«les merkwürdigen Mannes ist aufgenonnnen in die vom Verein für
Reforinationsgesehichte herausgegebenen „Schriften für das deutsch«'
Volk" (Nr. 20) und demgeinäss populärer Natur. B.
Der wegen seiner Bestrebungen für die Wiedererweckung der
klassischen Studien gefeierte gleichnamige Ahne diese* Vergerio, welcher
unter anderen einen für uns bemerkenswerten Tractat über Kinder-
erziehung geschrieben hat, ist behandelt worden von K. A. Kopp:
„Pietro Paolo Vergerio, der erste humanistische Pädagoge."
Der Aufsatz bildet einen Teil der Festschrift zur Eröffnung des
neuen Cantonsehulgebäudes von Luzern. Luzern 18!)3. B.
Mit dem älteren Vergerio zusammen lehrte in Padua Giovanni
«Ii Conversino, schriftstellerisch ziemlich unbedeutend, aber von regem
Eifer für die Verbreitung der humanistischen Ideen erfüllt. Das
vorigjährige Programm des Kneiphöfischen Stadt-Gymnasiums zu
Königsberg hat eine Abhandlung von Max Lehnerdt gebracht: „Zur
Biographie des Giovanni di Conversino von Ravenna. Ein
Beitrag zur Geschichte des Humanismus in Italien." Dass
die Nachrichten, welche G. Vogt (Wiederbelebung etc. 18Ö9. S. 12« ff.)
über den Magister Giovanni da Ravenna gebracht , auf 2 Männer,
unsern Giovanni und einen Giovanni Malpaghini, zu verteilen sind,
hatten Sahbadini und Klette schon nachgewiesen. Neu liefert Lehnerdt
gegenüber Klette den Beweis, dass ersterer es gewesen, der von 1304
bis 1307 in Petrarcas Hause gelebt hat. Für die von Lehnerdt be-
sorgte neue Bearbeitung von Vogt (Berlin 1X93) sind diese Resultate
natürlich verwendet worden (vgl. Bd. 1. S. 212 ff.). B.
Karl Wotke feiert im 1. Heft des S. Jahrgangs (1894) der
„Oesterreichischen Mittelschule" in einem Aufsatz über „Die päda-
gogischen Grundsätze des Johannes Murmellius" (S. 95 bis
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1894.
Bespreehungrn und Litteraturhericht.
333
9S) diesen Humanisten als den „ersten deutschen Schulmeister", der
für unser Unterrichtswesen geworden sei, was Guurino von Verona
für Italien gewesen ist. B.
Bei der Verpflanzung des Humanismus von Italien nach
Deutschland ist aueh auf das am Wege liegende Tiroler Land ein
fruchtbares Samenkorn gefallen. Die in seinen Beiträgen zur Ge-
schieht«? der Philologie (Innsbruck 1880) eingeleitete Untersuchung
über die dortige Verbreitung der classischen Studien hat Anton
Zingerle ausgeführt in einem Aufsatz: „Der Humanismus in
Tirol unter Erzherzog Sigmund dem Münzreichen." (In:
Festgruss aus Innsbruck an die 42. Versammlung deutscher Philo-
logen und Schulmänner in Wien. Innsbruck. Wagner'sehe Buchh.
1893. S. 21—42.) Drei Männer lernen wir bei Zingerle kennen, die
unter dem Mäcenate des kunstsinnigen Erzherzogs führend für die
neue Richtung thätig gewesen sind: Bischof Johann Hinderbach von
Trient, Abt Caspar Augsburger von Georgenherg bei Schwaz und
Johann Fuchsmagen aus Hall. B.
Eine gleich liebevolle Betrachtung widmet der verstorbene
K. Hartfelder in einem Aufsatz der Zeitschrift für die Geschichte
des Oberrheins (N. F. 8. 1S93. S. 1 — 33) unter dem Titel „Der
humanistische Freundeskreis des Desiderius Erasmus in
Konstanz" den Gelehrten, welche die Verehrung des Erasmus im
nahen Basel zu Konstanz zusammenführte und einmütig verbunden
hielt, bis «lie lfcrcinhrcchendcn religiösen Wirren den Kreis zer-
sprengten. Es sind Jobann von Butzheim, Johann Jakob Menlis-
hofer, Michael Humnielberg, Johannes Faber und Urhnnus Rhegius.
Bei der Bedeutung, die, Konstanz in der refornintorischeii Bewegung
gewonnen hat, verdienen seine hervorragenden Persönlichkeiten in ihrer
verschiedenen religiösen Stellungnahme besonder«' Beachtung. B.
Wenn wir von den Pflegern humanistischer Bildung im Re-
naissaneezeitalU'r hören, denken wir mit Reeht in erster Linie an
die Philologen von Beruf, aber wir dürfen nicht vergessen, dass aueh
die übrigen Gelehrtenklassen vom Zuge der Zeit mitergriffen sind
und das Ihrige beigetragen haben zur Wiederbelebung des klassischen
Altertums. Belehrend in dieser Beziehung ist ein Aufsatz im 20.
Bande der Zeitschrift des Historischen Vereins für Sehwaben und
Neuburg (Augsburg 1S93). Max Radlkofer untersucht dort (S. 2">
bis 02) „die humanistischen Bestrebungen der Augsburger
Ärzte im 16. Jahrhundert" und weist zur Erklärung ihres regen
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334
Besprechungen und Litteraturberieht. Heft 0 u. 10.
Eifers für «lit» neue Richtung darauf hin, dass sie, zumal ihn* Wissen -
sehaft grösstenteils noch auf <len Ueberlieferungeti der griechischen
und römischen Ärzte beruhte, um ihres eigenen Studiums willen eine
grossere Ausbreitung der alten und eine Ersehliessung neuer un-
bekannter Quellen mit Freuden begrüssen mussten. Er berichtet
kurz über da* lieben und Wirken von 10 Ärzten der Stadt, von
denen wir hier nur die Namen aufzählen können. Es sind: 3 Adolf
Oeco — Vater, Sohn und Enkel — , Josef Grünpeck, Sigmund
Grimm, Christoph Wirsung, Aehilles Priminius Gasser, Jo-
hannes Moibanus, Leonhard Rauwolf und Georg Heuisch.
— In demselben Bande derselben Zeitschrift (S. 173 — 227) hat ein
Augsburger Gelehrter geistlichen Standes eingehenden' Behandlung
gefunden: „Der Humanist Veit Bild, Mönch bei St. Ulrich."
Verfasser des Aufsatzes, Dr. Alfred Schröder, bischöfl. Archivar,
konnte für seine Aufzeichnungen aus bester Quelle schöpfen, da
ihm im Archive des bischöflichen Ordinariates Ausgsburg die 3 Bände
umfassenden wichtigen Briefe Bilds zur Verfügung standen, welche
zum grössten Teile noch unged nickt und für die Biographie ilm's
Verfassers bislang nicht in gebühnMider Weise ausgenutzt worden
sind. 1481 zu Höchstädt geboren, machte Bild seine Studien in
der Vaterstadt und sodann auf der Universität Ingolstadt, wo er
Jakob Locher und Johann Stabius mit Stolz zu seinen Lehrern
zählte. Nachdem er 3 Jahre eine Pfarrschreiberstelle in Augsburg
bekleidet, trat der bis dahin etwas leichtlebige Jüngling, durch ein
Traumgesicht geschreckt, 1 503 in dem dortigen Kloster zu St. Ulrich
als Novize ein und legte im folgenden Jahre die bindenden Gelübde
ab. Mit Spalatin und Oekolampad stand er in brieflichem, mit
Peutinger in persönlichem Verkehr. Er starb in der 2. Hälfte des
Jahres 1529. — In den Sprachen trotz allen Eifers ziemlich unbe-
deutend, angesehen als Mathematiker, hat Bild seine Stärke auf
theologischem Gebiete. Obwohl begeistert für Luther, der ihm ein
neuer Elias ist, hat er mit seiner Kin'he doch niemals ganz gebrochen.
— Von den zahlreichen unged nickten Briefen von und an Bild, soweit
sie von Bedeutung sind, giebt Schi öder am Schlüsse seiner Arbeit
kurze Regesten. Als Anhang sind 18 der wichtigsten in ihrem voll-
ständigen Wortlaut abgedruckt B.
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C. Nachrichten
Der Aufsatz von Nicoladoni über „Hans Sachs und die Refor-
mation", den wir in dienern Hefte abdrucken, stellt den Dialog des Sachs
vom Jahre 1524 „Ein gesprech eyncs Evangelischen Christen mit einem
Lutherischen, daryn der Ergerlicli wandcl etlicher, die sych Lutherisch
nennen, angezeigt und bruderlich gestraft wirt. Hans Sachss. MDXXIIII.
Sccunda Corinth. IV. Ijisst uns niemand yrgend ein ergennüss geben auf
das unser ampt nicht verlestert werd, sondern yn allen Dingen lasst uns
beweysen wie die Diener Gottes" — so lautet der genaue Titel — mit
Recht in den Mittelpunkt der Erörterung. Von dieser Schrift, die zweifellos
nelien der „Wittenbergischen Nachtigall" die interessanteste und wichtigste
unter den polenuschen Refonnationssehriften des Sachs ist, muss die
Beurteilung der Stellung ihren Ausgang nehmen, die Sachs bis zum
Jahre 1525 stur Reformation eingenommen hat. Aber während die „Witten-
bergischo Nachtigall" in der älteren und neueren Litteratur sehr vielfach
ltcsprochen worden ist, auch Neudrucke und Ausgaben zahlreich vor-
liegen, ist der obige Dialog bisher wenig dachtet worden und Ausgaben
dessell>en sind selten. Ein Exemplar findet sich in der Königl. Paulinischen
Bibliothek zu Münster (2 Bogen 4°). Ein Auszug, der denjenigen Nieoladonis
in wesentlichen Punkten vervollständigt, findet sich bei Keller, Johann von
Staupitz und die Anfänge der Reformation, Lpz., S. Hirzel 18HS S. 183 ff.
Man weiss, dass Hans Sachs bald nach seinem Tode der Vergessen-
heit und im Laufe des 17. Jahrhunderts wenigstens unter den Vertretern
der kunstgelehrten Dichtung völliger Missachtung anheim fiel, derart,
dass ein Hamburger Epigrammendichter ihn im Jahre 1 702 in einem komisehen
Heldengedichte als ersten unter den schlechten Reimern und Schwachköpfen
verhöhnen konnte. Da ist es nun für uns sehr beachtenswert, dass die
Männer, die ihn wieder zu Ehren brachten, Vertreter comenianischer Denkart
waren: Christian Thomasius und Gottfried Herder. Thomasius
sprach es zu Anfang des 18. Jahrhunderts ans, dass Sachs mit Recht den
Titel eines deutschen Homers für sieh beanspruchen könne, und Herder war
es, der Göthe auf ihn hinwies, der 1775 das Ehrendenkmal von Hans Sachs
poetischer Sendung stiftete. Hiermit stimmen folgende Thatsachcn merk-
würdig überein. Ebenso wie Hans Sachs waren die Meistersinger überhaupt
der Vergessenheit oder völliger Missachtung anheimgefallen. Als nun im
Jahre 1097 Wagenseil in Folge beabsichtigter obrigkeitlicher Massregeln
gegen die in Nürnberg erhaltenen Reste dieser Einrichtung sich veranlasst
sah, die Geschichte der Meistersinger zu untersuchen — W. veröffentlichte
seine Ergebnisse in seinem Buch De Civitate Norimbergcnsi Commcntatio,
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Nachrichten.
Heft !> u. 10.
Altdorf l»il>7 - , da war es nach W.'s <'ig«'ii«'r Aussage (a. a. O. p. 50h
Gotfried Thomasius, der ihm einen Toil den für »eine Zwecke erforder-
lichen handschriftlichen Material* aus eigenen Sammlungen zur Verfügung
stellte. - Die einzigen Männer, die sich außerdem in wohlwollendem Sinne
mit den Meistersingern während des 17. Jahrhunderts lieschäftigt haben,
sind die Mitglieder der sog. Sprachgesellschaften gewesen, besonders (Jeonr
Philipp Harsdürffer (t 1G58), der Gründer des Pegnesischen Blumenordens,
der im 4. Teil seiner „G««sprächspi<'le" der Meistersinger freundlich gedacht«-.
Unter Hinweis auf den Aufsatz K. Mämpels über Abälard und Lewing,
den wir in diesem Heft veröffentlichen , wollen wir nicht unterlassen , zu
Iwmerken, das* ein anderes Mitglied der O.G., (»abr. Coiupayr6 in Poitiers,
kürzlich eine interessante Schrift, über A. veröffentlicht hat; sie führt den
Titel „Abälard und der Ursprung und die früheste G<>scbichte der Universi-
täten" (London 189.L 8°. VIII, 2M> u. 53 SS.). — Kin anden-s neueres
Huch: „Abälards 1121 zu Soissons vcrurtheilter Tractatus de unitate et
trinitate divina. Aufgefunden und erstmals herausgegnben von Dr. R. Stölzle.
Freiburg i. Br. Herder 18!H. XVI u. 101 SS." wird der Mehrzahl unserer
L«>ser liekannt sein. - Unter den zahlreichen Schülern, die zu A.'s Füssen
gesessen haben, findet sich auch der Name des Arnold von Brcsci«.
Soeljon ist mit Ausgabe des 12. Heftes die seit 1S82 im Erscheinen
begriffene Geschichte «1er Stadt Siegen von Dr. H. toii Achenbach,
Staatsminister und ()t>erpräsident in Potsdam, zum Abschluss gekommen.
Die Ges<'hichte, «lie nach und nach in der „Siegener Zeitung" zum Abdruck
gekommen ist (Druck von W. Vorländer in Siegen), bautet mehr als der
Titel sagt: sie bringt zugleich wichtige Beitrage zur Geschichte, bcsomlcrs
«ler Cult Urgeschichte, der nassau-oran isehen Lande überhaupt und hat
bei den nahen Beziehungen dieses Hauses zum Forschungsgebiet der CG.
auch für uns Interess«>. Wir verweisen in «lieser Beziehung unter anderem
auf den Abschnitt, der in Heft 0 S. 1 1 ff. über die Grafcnsehule , die
h«»he Schule und die Kriegsschule handelt. Graf Johann von Nassau
(g«'b. am 22. Nov. 1530), der Bnuler des Prinzen Wilhelm von Oranien, des
Befreiers der Niederlande, und Begrfuuler d«-s ref. Bekenntnisses in «len
nassau-oranischen Gebieten (1578). war ein whr thätiger Beschützer und
Freund des Schulwesens; besonders besaasen auch die Volksschulen in
ihm einen eifrigen Fönlerer. Seine Pläne, eine hohe Schule zu errichten
sie trat am 1. Juli 1584 zu Herboni ins IaIm'u sollen bis in das
Jahr 1 5#»<i zunickreichen; es gelang ihm, für die Anstalt hochberühmte
Männer zu gewinnen, und schon in den Jahren 1585 und 1580 studierten
ni«-ht weniger als 15 IbMchsgrafen zu Herbom, nämlich Wilhelm und Ludwig
von Say n - Wi 1 1 gens t ein , Ernst, Philipp, Wilhelm, Reinhard von Solms,
Frnst Casimir und Ludwig Günther von Nassau, Ludwig und Alliert von
Hanau, Kberwein Wirich, Adolph und Arnold Jodocus von Bentheim,
Johann Wilhelm und Hennann von Wied. Später mehrte sich die Zahl
der Ausländer; aus Schlesien. Böhmen, Mähren, Polen, Ungarn, Schottland
kamen sie — darunt<-r auch Job. Arnos l'omenius. — Das Achenbachsche
1M94.
Nachrichten.
Werk ist auf Grund sorgfältiger Quellenstudien hearlicitct ; der Umfang
dessen, was hier zum ernten M»d ans den Urkunden ans Licht tritt, ist «ihr
bedeutend, und er* wäre sehr zu belauern, wenn das Buch nicht durch den
Buchhandel allgemein zugänglich werden sollte.
Herr Professor J. Kvacsala hat seit seiner Ohersiedelung an die
Universität Dorpat seine Oomenius-Studien mit bestem Erfolge fortgesetzt.
Auf grosseren Reisen, die ihn bis nach den Vereinigten Staaten führten, hat
er die von ihm angelegte Brief- und l'rk unden -Sammlung sehr er-
heblieh l>erciehert. Da** die Briefsamiulung, die Patera im Jahre lN'.U
herausgegeben hat (s. M. H. der O.G. 1H02 S. 2S1H, wesentliche Lücken bot,
war bekannt; es ist daher sehr erfreulich, das* Kvacsala noch im Laufe
dieses Jahres den Druck seines Ergänzungsbandes wird l>eginnen können.
K.'s Biographie des ('., die zuerst in deutscher Sprache erschien, wird jetzt
auch ins Russische übersetzt. — Herr Prof. Kvacsala ist der CG. als Stifter
auf Lebenszeit beigetreten.
Prof. Dr. Frz. von Krone* in Graz veröffentlicht in der von Dr.
G. Steinhansen herausgegebenen „Zeitschrift für Kulturgeschichte" (1. Folge
Bd. II, Heft 1 S. 1—31) eine Studie unter dem Titel „Karl von Zierotin
und sein Tagebuch vom Jahre 1591", die uns hier wegen der Person des
Verfassers interessiert. Es ist derselln? Karl von Zierotin (geb. am 11. Sep-
tember 1501 zu Brandeis an d. Adler), der durch seine nahen Beziehungen
zu Comenius bekannt geworden ist (s. M.H. der CG. 1 K'.)2 S. 'JO. 2'2. 19f>.
201 u. 1893 S. 05), und der im öffentlichen Iielwn Mährens eine grosse Be-
deutung gewonnen hat. Er war ein eifriger und einflussreicher Anhänger
der böhmischen Brüder, ebenso wie sein Vetter Friedrich von Zierotin
um dieselbe Zeit der Beschützer der „mährischen Brüder*', d. h. der Täufer-
gemeinden in Mähren war (s. n. A. Lottert h, der Communismus der
mährischen Wiedertäufer, Wien 1S94 S. 08 f.». Karls Vater, Johann von
Zierotin, gründete die berühmt gewordene Brüderschule zu Eibenschülz und
schuf die Druckerei zu Kralitz, an die sich eine neue Littcratiirc]tochc
Mährens knüpft. An der Brüderschulc zu Eibenschütz, wo damals u. a.
der wegen seines „Kryptoealvinismus" aus Wittenberg verdrängte Professor
der Theologie Erasmus Rüdiger wirkte (t 1501), erhielt Karl seine Vor-
bildung und setzte dann seine Studien auf deutschen ref. Hochschulen in
Genf, Basel, Heidelberg fort , wo er u. a. dauernde Freundschaft mit .loh.
Jac. Grynaeus <t lbl7) anknüpfte. „Der Humanismus (sagt Frz. von Krones
a O. S. 3), welcher die damalige Bildung des mährischen Hochadcls durch-
drang und nährte, beseelte auch unsern Zierotin, ohne die starke religiöse
Empfindung abzuschwächen, welche ihn, den Genossen der Brüdergemeinde,
mit der reformierten Kirche innig befreundete und mit dem Ideale eines
alle Glaubensverwandten umfassenden Bundes erfüllte." Diese
Schilderung passt genau auf den 30 Jahre jüngeren Comenius. Man muss
da* Wesen und die Art solch ausgezeichneter Männer studieren, um zu be-
greifen, wie es möglich war und ist, zugleich Weltbürger zu sein und doch
ein starkes Nationalgefühl zu besitzen, zugleich für die Einigung der ge-
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338
Nachrichten.
Heft 9 u. 10.
trennten Bekenntnisse zu wirken und doch ein eifriger Anhänger ßeiner
besonderen Religionsgemeinschaft zu sein. Es ist ein Verdienst von Krone»
und von der Zeitschrift für Kulturgeschichte, dass sie neuerdings die Auf-
merksamkeit weiterer Kreise auf diesen seltenen Mann gelenkt hat. Die
Conienius-Gesellschaft , der ein Nachkomme Karls, Herr Graf Zierotin
auf Blauda in Mähren, seit ihrer Begründung angehört, wird gern alle
weiteren Bemühungen unterstützen, die Geschichte des berühmten Ge-
schlechtes weiter aufzuhellen.
Wir haben schon früher (s. M.M. der CG. 1894 B. 07) Gelegenheit
genommen, die Schrift von W. Tangermann, Natur und Geist. Speku-
lative Erörterungen zur Erläuterung und Erweiterung kosmologischer und
anthropologischer Begriffe. Gotha, Fr. A. Perthes 1804 (XIV und 01 S.
Preis M. 1.60) den C.Z.G. und C.K. sowie den Mitglied- Vereinen der CG.
zur Anschaffung und Besprechung zu empfehlen. Der hochbetagte und
ehrwürdige Verfasser tritt hier wie in allen seinen Schriften für die sieg-
hafte Macht des Idealismus in die Schranken, den er mit gutem Grund
durch mächtige negative Strömungen unserer Zeit bedroht sieht. Obwohl
Tangermann an sich selbst, ebenso wie Comenius, die vielgestaltige Bosheit
der Menschen hinreichend erfahren hat, will er doch, ebenso wie jener, den
Glauben an die Menschen nicht aufgeben und er ist von der Hoffnung
erfüllt (S. XIII), es werde die gegenwärtige, offenbar einseitige Zeitströmung
ihren Lauf vollenden, so das« wieder eine tiefere, edlere und trost-
vollere Welt- und Lebensanschauung in die weitesten Kreise dringt. Freilich
erwartet er diese Erneuerung nicht von den überlieferten Schnltheorien,
sondern von Ideen, die die Gemüter der Menschen in ihrer Tiefe ergreifen.
— Wir wiederholen unseren Wunsch, dass unsere Mitglieder und Freunde
sich mit dieser Schrift Tangemianns bekannt machen.
Wir hallen bereite früher (s. M.H. der CG. 1804 S. 237 und 275)
an einzelnen Beispielen gezeigt — es wurde namentlich auf das Gymnasium
Schönaichianum in Beutben und auf die Lateinschule in Crossen hin-
gewiesen — , wie viel die Schulen Schlesiens, der Lausitz und der Mark den
böhmischen Brüdern und insbesondere Comenius verdanken. Wir möchten
heute auch auf die Geschichte des Gymnasiums in Lauban hinweisen.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderte reorganisierte die Stadt ihre höhere Schule
und berief zuerst als Rektor den M. Georg Wende und sodann als dessen
Nachfolger M. Gottfried Hoff mann, der aus Plagwitz bei Löwenberg
stammte und das Rektorat der Laubaner Schule 1605 antrat. Hoffmann
gehörte zu den gediegensten Schulmännern jener Zeit; er war im Geist des
Comenius erzogen und befolgte dessen Grundsätze in der Leitung seiner
Anstalt. Sein Ruf als Sehulmann verschaffte ihm 1708 einen Ruf nach
Zittau, wo er 1712 starb. (Näheres in der Beilage zum Laubaner Tage-
blatt vom 12. Okt. 1803.) — Es ist erfreulich, dass man in jenen Städten
anfängt, sich der Verdienste dieser Männer zu erinnern, und wir begrüssen
es, dass die Anstalten (wie z. B. Crossen) ihrem Wunsch, die alten Über-
lieferungen zu pflegen, durch ihren Anschluss an die Conienius-Gesellschaft
1894.
Nachrichten.
33Ö
Ausdruck geben; hoffentlich werden andere, wie Lauban und Beuthen,
darin hinter den kleineren Anstalten nicht zurückstehen.
Das Antiquariat von Albert Cohn in Berlin (\V. Mobrenstr. 53) zeigt
in Kat. 204 einige Schriften an, die für unser Forschungsgebiet von Interesse
sind. Eine kleine Schrift „I^ehr-Gcsänge von Kristus Nachfolgung4' (nach
Thomas von Kempen), erschienen bei Johann Hofmann in Nürnberg 1075,
gewährt Kinblick in die religiöse Gedankenwelt, wie sie von Angehörigen
des „Palmenordens" damals gepflegt wurde. Sie beweist zugleich, dass
diese Gesellschaften und Orden sich keineswegs bloss mit der Pflege der
deutschen Sprache und der Pnesie beachnftigt haben; die Gesänge sind ver-
fasst von Philipp von Zesen, in Musik gesetzt von dem Mitgenossen der
höchst preiswürdigen „deutschgesinnten Genossenschaft" und Predigern der
„Gemeine Gottes" zu Magtieburg Malachias Siebenhaar, gewidmet dem
Herrn Georg von Schöbe! und Rosenfeld, Mitglied der „Fruchtbringenden
Palmengescllsehaft" und der „deutschgesinnten Genossenschaft". — Den
Liedern sind die Noten beigegeben; sie waren also zum praktischen Gebrauch
in den Zusammenkünften bestimmt.
Es ist wiederholt hervorgehoben worden, dass Conienius freundschaft-
liche Beziehungen zu (Jeorg Philipp Harsdiirffcr (geb. 1. Nov. 1007,
gest. 22. Sept. 1058), dem Gründer des Blumenordens gehabt hat. Weniger
bekannt scheint die Thatsache zu sein, dass auch Philipp von Zcseu
(geb. zu Priorau bei Dessau 8. Okt. 1010), der Gründer der deutschgesinnten
Genossenschaft, zu Conienius und dessen Freundeskreis Beziehungen freund-
schaftlicher Natur besessen haben muss. In dem soeben ausgegebenen
Katalog von M. Spirgatis in Leipzig findet sieh folgende Ausgabe des
Vestibulum angezeigt :
Joh. Arnos Comeni Portael der Saeckcn en Spraecken. Vestibulum
rerum et linguaruni. Die Vortühre der Sachen und Sprachen. Arastelo-
dami. Apud Joannem Ravesteinium 1073. 8".
Aus dein Untertitel und der Vorrede ergiebt sich, dass der Veranstalter
der Ausgabe Johannes Seidelius in Amsterdam und Jacob Redinger waren,
dass der Verfertiger der deutschen Übersetzung Philipp von Zesen ge-
wesen ist. Die von Jacob Redinger (s. über ihn M. H. der CG. 1803
S. 51 ff. und S. 147) liesorgte holländische Ausgabe des Vestibulum erschien
zuerst, soviel mir Inkannt ist, im Jahre 1058. Dass die deutsche Über-
setzung erst in der späteren Ausgabe beigefügt ist, ergiebt der I ntcrtitel
durch den Zusatz: Atque nunc Germanica versione donatum opera Philippi
Cacsii a Zesen. Die Zesenschc Übersetzung ist übrigens allen zur Beachtung
zu empfehlen, die die Verdeutschung der Schulsprache erstreben.
Es wäre von Interesse, über die persönlichen Beziehungen des Conienius zu
den Führern der deutschen Sprachbewegung weiteres zu erfahren. Vielleicht
ist einer unserer Leser im stände, hierüber nähere Aufklärung zu geben.
Derselbe Katalog von Spirgatis enthält verschiedene Bücher, die für
uns von Interesse sind, z. B. die äusserst seltene zweite englische Ausgabe
840
Nach rieh ton.
Heft 0 u. 10.
der Porta linguarum trilinguis reserata von Comenius, die Joh.
Anehnr besorgt und Thomas Cotes sumptibus Michaeli» Sparkes London 1633
gedruckt bat (Preis 24 M.). -•- Auch einige ältere Ausgaben von Scb. Francks
Schriften, nämlich einen seltenen Mülbäuser (im Eis.) Druck von lööl der
Schrift De arborc scientiac boni et mali und eine Ausgabe der Übersetzung
von Erasmus Enconiium Moriae und Agrippaa Lob des Esels aus lOttb* finden
sich dort, besonders, sei hingewiesen auf die zu Augsburg l»ei Othmar im
Jtdire 15i'7 erschienene Ausgabe der von Denck und Hätzer veranstalteten
Übersetzung der Propheten, »leren Treue und Fleiss von Luther ausdrücklieh
anerkannt worden ist (Preis 140 M.).
Die Reste der böhmischen Brüder hatten sich seit der Zeit, wo der
Westfälische Friede ihren Untergang als Gemeinschaft l>esiegelte, meist den
]{e formierten angeschlossen, denen eben jener Frieden ein rechtliche»»
Dasein gesichert hatte. Die Reformierten zeigten sich weitherzig genug, um
den Brüdern auch dann Aufnahme zu gewähren, wenn diese die Anerkennung
streng calvinistischer Grundsätze ablehnten. Die Erneuerung des Andenkens
an Comenius hat nun, wie zu erwarten war, das Bewu&stsein der Verwandt-
schaft zwischen den heute noch vorhandenen Reformierten und den Über-
lieferungen der böhmischen Brüder von neuem gestärkt und in ver-
schiedenen Erscheinungen tritt der Wunsch zu Tage, an die«? Überlieferungen
wieder anzuknüpfen. Am 1.1. -1"». März d. J. hat zu Prag der IX. l'onvent
der böhmischen ev.-ref. Diözese getagt. Der Convent (Synode) fasste mit
Einhelligkeit den Bescbluss, auf der nächsten Generalsynode die Wieder-
einführung des Katechismus der Böhmischen Brüder von 100*3
und löOS in den Gebrauch der ref. Kirche und Sehlde zu beantragen und
es scheint alle Aussicht vorhanden zu sein, das» dieser Antrag zur Annahme
gelangt. Ferner hat am 3. Mai ds. Js. zu Berlin eine Versammlung der
ev.-ref. Bethlehems -Gemeinde stattgefunden, die beschlossen hat, den An-
spruch auf alle ihr durch Königliche Gnade einst verliehenen Rechte, soweit
sie verloren oder verdunkelt wurden, wieder zu erheben, und unter diesen
Ansprüchen wird an erster Stelle die Forderung erholen, «läse der Gemeinde
ihr ursprünglicher Namen: „ev. -reformierte böhmische Kolonie-Ge-
meinde4* wiedergegeben werde. Die Gemeinde ist eben von eingewanderten
böhmischen Brüdern und Reformierten gegründet worden, denen der Grosse
Kurfürst ein Asyl in seiner Residenz geboten hatte. Dieser war es ja auch,
der im Jahre 1648 die Aufnahme der Reformierten in den Rcligionsfrieden
durelisetzte und damit verhinderte, dass ihnen in Deutsehland das gleiche
Schicksal widerfuhr wie den Brüdern in Österreich und Polen.
Ad. Ilarnack hat in seinem Buch über die „Lehre der zwölf Apostel",
Leipzig 1SS4 S. 2(it) ff., auf die merkwürdige Verwandtschaft lungewiesen,
die sich zwischen der Kirchen -Verfassung der sog. Waldenser des Mittel-
alters und den in der „Lhre" (Didaehc) geschilderten altchristlichen Ein-
richtungen finden, und betont, dass nach Wiederauffindnng der Didaehc die
Frage ernstlich erwogen wenlen müsse, ob bei den Waldensern und denn
Kirchenordnung nicht vorkatholische Überlieferungen aus alter Zeit eine
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1891.
Nachrichten.
:i41
Hollo gespielt hal>en (A.a.O. S. 27:5). Hilgen fohl hat, wohl im Ansehluss
an diesen Hinweis, die lateinische Form der Didache, von der O. v. Gebhard
ein Bruchstück auffand und die Prof. Funk später in einer Handschrift des
Klosters Melk wiederentdeckte, die „ wnldensische Form" genannt (Ztseh.
f. wiss. Theologie 1KS5 8. 1UU). Vielleicht wollte Krawutzky, der die
Didache in d. Theol. Quartalschrift 1SS4 S. 547-607 von römisch-katholischem
Standpunkt aus besprach, etwa« Ähnliches andeuten, wenn er sagte, dass
sie in „häretischer Weise1- bearbeitet sei. Wie dem auch sein mag, so steht
doch fest, dass es von grossem Interesse wäre, den Beziehungen der Didache
zu den ausserkirehlichon Christen-Gemeinden einmal genauer nachzugehen
und dass diese Aufgabe durchaus in den Rahmen unseres Arl>eitsplanes
fallen würde. Vielleicht könnte man dadurch der schwierigen Frage nach
dem Ursprung jener (.'bristen um einen Schritt näher kommen Wir wollen
bei dieser Gelegenheit auf die Schrift von Gotthold Victor Lechler
Urkundenfunde zur Geschichte des christliehen Altertums (Leipzig, A. Edel-
mann 18*0), verweisen und l>emerken, dass IxM-hlcr zu den Begründern der
G.G., bis zu seinem am 20. Dezember 1888 erfolgten Ableiten in sehr freund-
lichen Beziehungen stand. Kein neuerer Forscher wäre mehr als Lechler im
stände gewesen, die oben erörterte Frage in die Hand zu nehmen.
Das Antiquariat von Ludwig Kosentbai hat als Katalog 70 eine
Bihliothcca Evangelico-Theologica — bisher sind K.) Hefte mit 18104
Nummern erschienen — herausgegeben, den wir der Aufmerksamkeit unserer
Leser mit dem Bemerken empfehlen , dass er kostenlos gegen Einsendung
des Portos ißO Pfg. in Deutschland) versandt wird. Es sind namentlich
Schriften des 1*5. bis 18. Jahrhunderts darin enthalten; der Katalog ist reich
an Schriften der Kirchenväter, Vorrcformatoren und deren Gegner; Sekten
(Böhmische Brüder, Hussiteu, Jansenisten, Quäker, Schwcnek fehler, Soci-
nianer, Wiedertäufer etc., Kirchenordnungen, Gesangbücher, Bibeln); exe-
getischer, systematischer und praktischer Theologie. Als besonders gelungen
müssen wir einige Abteilungen hervorheben, die von dem Sammelfleisse der
Firma ein Bild liefern, so z. B. enthalten die Nr. 1502— ,'JlOOa Bibelsamm-
lung in allen Sprachen, die ersten lateinischen und deutschen Ausgaben sind
besonders reich vertreten. Nr. 7227—7717 enthalten eine ausführliche Lite-
ratur von und über Erasmus von Rotterdam (und Portrait» desselben); Nr.
n:W0 11020 eine solche von Ulrich von Hutten; Nr. 1447!»— 14007 eine
solche von Luther (ab Supplement zum Lutherkatalog Nr. .'tSl; Nr. 150M
u. f. eine solche über Melauehthon (hierin ein Authogrnphen- Album mit
Mclanchthons Beitrag); Nr. 117.").') -12271 enthält eine reiche Litteratur über
den Jansenismus; Nr. 12354 — 1250K verzeichnet eine interessante Sammlung
der „Indices libronim prohibitorum" und „Schriften der Inquisition"; Nr.
13031 — 131*7 Kirchenoniniingen und Agenden et«-, etc. Bemerkt sei noch,
dass der Katalog nicht in trockener Weise wie die gewöhnlichen Antiquar-
katalogc l>earbeitet ist, sondern eine Unmasse von litteraren Notizen, biblio-
graphischen Hinweisen etc. enthält, die ihn dem Bücherlichhabcr sowohl als
auch bewjndcrs dem Gelehrten und Forscher interessant machen
342 Inhalt neuerer Zeitschriften. Heft 9 u. 10.
D. Inhalt neuerer Zeitschriften.
Ill»tari»>ch< 7,<-lt»clirin. N. F.
Hil. :C. :i. Il.ft. Auf»!ltzc: Kohert l'ölil-
in ii ii Ii, Zur (o «clii<-litli( Iwti Beurteilung
Homer». M. Philipp»on, Philipp II.
vnti Spanien «iinl die letzten l.el«eti»jahrc
Murin Stuart*. Mi»«i-I|eu : B. liehhardt,
Wilhelm v. Humboldt Dher die »panischen
Crt«-». — l.illimturlwrit'ht. Notizen und
Nu.hriilit.il.
Archiv ntr PhlloMophle. I. Ah-
t«-iliing Archiv für <t.-»chicht>- «ler Phllo-
»ophi.-. Itd. VIII. Il.ft 1. N. K. I. H.I..
Heft 1. IXtl: .loh. F. I.initcr. Her Begriff
d.M'tn iguoninliu in i«.-r g«-»chichili<-h«-n Ent-
wicklung. — I'aill !.<• n <• k f «• I d , Zur logi-
schen U-lire von d«-r lndiu ti'.n. <te»<hi«'htliche
f " n tcr- ii. Iiiii^.-ii. — Kmil Arleth, I'ie l^-hre
«l>-» Anaxagoras vom <»ci»t und «h-r Seele. —
.hilin-sls-richl filier »Jlmtlichf Eivchcinungon
»Iii «h-m li.-l.icie «h-r to-schichte «h-r Philo-
sophi.-. I. Ih'e |Milni»ch<- I.ittcralur zur tio-
»chichle «l< r Philosophie von Hr. Heinrich
von Struv«. II. Iii.- deutsche l.ittcratur
filx-r di<- »okratischo. platonisch«* und aristot«*-
lis.he Philosophie, lsw.'. Von K. Zeller.
N'i-iicsto Erscheinungen auf dem tichiete der
(önhichte «Li FhiMoophip.
Phllo«ophl»4-h«:-«i JiihrbtM'h der
UorreiMrcMcIlM-liHit. 7. Kd. 4. Il. ft. l«i» :
.1 . Nausen. ( her den platonischen lioltc»-
l»-griff. i Forts.) C. (i uthe riet, V\«r
M' >«lisuki Ii psychischer Acte. (Forts. i T.
Posch, AI. Schiiiid Qhcr die Erkenntnis)«- hn-,
(Sehl.l - «". Th. 1 » e ii kru Ii <• , l>io 1 'o|K-rili-
kunisih.- II vpoth.'w und «lieSinncstlliis« hungen.
Ih-censioiien und IMemle. Philosophi-
sch, r Spnchsaal. Zeitschriftetischaii.
M iscellcn und Naehrichteii.
Zett»ehrlf. Ihr Philosophie und
phlloftoplil*. he Kritik. N. F. |u.. Itd
lieft I. IS'.M: Wilhelm Enoch. Zur
Svstflliatik de« tieftihl». A. I'.'irillg, l>a»
Weltsystem der. Eui|>c<loklcs. .lohanil
I' «• I. i n g o r . I»ie philosophisch«-!) S.-lirift.-u
«l<» Nikolaus Cusumi«, II. A. C. Arm-
* l r«.n g j u Ii. , Die Philosophie in den Ver-
einigten Stauten. Übersetzt von F. Koeiiig. -
He.vii«ionen. Noti/.i u. Neu ■•higogntigeiie
S'hriften. Bibliographie. - Au» Zcitschrifti-n.
Mitteilungen der •J«Ie»cII«>«littrt
fllrdcutNchc Kr*ichiirtgw- und Mchul-
|rc«chtchlc. Jahrg. IV. lieft 2: I'. Bruder,
Das Scliulw«-.«en xii Bingen am Khcin willin-iul
de« Mittelalters. Ii. II o c Ii e g g e r , ('her
Itl.M -khficll-r. W. Sch«. necke, l.iinehiirger
Schn-ih- und ILclieuineist« r. Hans U e i -
nisch. Instruktion für die l^hn-r «h's Gym-
nasium» in Keg.nshnrg au» dem Jahn- IV>7.
K. lieh m I i c h , 2 Stundenpläne der l.alcin-
whiile in Wolken»!, in im Frr.p hiw an« den
Jahren 17« und ITH«;. Kold. w. y. Schul-
«irduiinp-ii der Sladt K<iniu«liilter II. Plan
für die Errichtung '1er lteaKhule aus dem
Jahn? 1746. - B. Kai Huer, Beslallunif!.-
urkunde für den Me»»iier J. J.1«er i» N«-u-
iliri|i«-ii , iiliernint Tuttlingen, au» dein Jahre
> (ie«häftlicher Toit.
Hell :\: Krnnt Voigt, Kin unl»'-
kannh'» I^dirhuch d«T Metrik au» dem XI.
Jnhrhuu.hTt. Otto Mayer, Zwei Em-
pfehlung«»chreilM'n für den M. titurg JegiT
zur ltewerhimg um da» Scliul-Itektorat der
freien lti'ich»<itJidt Esslingen von dein lleku.r
und einem Lehrer «h-r Artisten- und Medi-
riner-l'niversittlt in l'iulua au» dem Jahre 1 1.VJ.
Friedrich Schmidt, Eine cpist.da
*uii»oria «le» Prinzen Wilhelm von Hävern au»
dem Jahn* IÖ62. Ein Beitrag zur Charak-
teristik verschiedeniTTnivernitilten und lJinder.
— M. Wöhrmann, I>ie Uinputatioiien am
Päilagogiuin (akailemiwhen <iynina«inm i in
Stettin. <i. Seil«», Zur Üenchicht«? «ler
Schuh- in Wilde«hau»eu im Herzogtum Olden-
hurg vom Mittelalter hia in da» In, Jahr-
hundert n«'l>»t urktinillic-h«-n Iteitragi n uu» den
I .lahnu I.ViS und V*l. - Hichard Pahn. r,
i Ein Itevisionitlx-richt Oln-r «Ii.- im llallise|Mn
| Viertel zu J<eipzig lK slehend. il Wink. Ist holen
, und «in«- »•.-iteren Folgen (1711«. Zur »ie-
»chichte «ler Schulhihel. - Verw-ii'hni» «ler
im Jahr«- 1K!«2 erschienenen Verfiffentlichiiug<-ii
xnr deutJ»ch« u Erziehung»- und S<*hHlge»chichU-.
(i. »ihflfüich. r T. il.
Revue Internationale de Pen-
«eignenient. 14. ann.V. No. U. lieorge»
l.ufay, U-s gr» « » pnif«-».si-ur» de |Ma'-»ie « h.-z
I,-» Komain». Ulli 30 av. J.-C.i (Fin.l A.
«iaxier, I»ociiinent» im-dits |>«.ur su-rvir .\
l'histoin- de l'inütnicti.m piihli«|ue (icndaiil la
rev.iluti 17^1 1H02). (Fin.i All., de
Berzeviczy, Ui «piestion «le lVtliicaü.ili
phy xii|ue.
Bulletin de la Moelltl d'hlMolre
Vaudoline. Nr. It. Avril-Aoüt 18" '4
Tour, Impriimrie Alpina): Storia d«-i Signori
«Ii l.usernu. Parte la. M«-dio Evo f P. Ki v <• i rei.
l(ihlio^ni|ihi«- I. ui gl Amahile, II siuito
officio d. lla iiKpiifizione in Naptdi i P. Itivoin t.
A r t u r.. M u » t oti , tiiovan Luigi Pa-»ch»l«-.
P. Font an a, Hoouincnti Vnlicani ruiitm
r.n-sia lulerana in lUilin (1». Jahnri. -- A.
Bei 1..1..I ti . Martiri dcl liher» j«-!i»iero .-
vittime «L ila f*. In«iui»i/i.»ne nel #-c. l.V a 1?'
(1>. Jahi. n. N.-en.h.gH-. BihliotlKHpi.- et
Anhiv.*.
Jahrbuch der («teftellMehafi flir
die «UeM-hiehle «le» l»r<»l«-%t«ii« imnii««
In <>»lerreleh. I'.. Jahrg. tlrtilh lieft 11.
Inhalt; Ui.- ••vungi-lim-hcii Kirch«nordnung<-ii
Dstern i. h». Von Prof. I>r. Eoe «c h e. Bei-
trilge zur (i«-»ehichte d«-» Prol.-sUintisinu» in
Istrien und Triest Von Hr. E. Srhatzinay r.
- l»ie IniivhfQhrung «h-r < .. gi-iic fonualion in
l'ugan im Jahn- PK*;. Mitgeteilt von Hugo
W. ig.-I. B.-richl <!«•!« Central vorKUiulr«
' lils-r «la» Yeti iiisjuhr ls!«.!.
Buchdntck.-ivi v„n Johanne» Bn-dl, Münnter i. Wcslf.
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Personen- und Orts-Register
zum dritten Band (1894) der Monatshefte der C. G.
IW H^iM. r ist im IFinl.lick auf .Ii.- >Wn pwhichillrlirr IV™,m-n und Ortsnamen ImrMt-t.
Hi.- HiirhmalM>n C und K, V und V, I und .1 nind yi-i-ImiiimVii.
Ahälard, p. 2Ü1 ff. 33<L
Abot, Li. 8LL 212i
Aehelis, E. C. Hill
Achenbach, IL v. 33(i.
Acontius Trebiensis, E. Iii.
Acquoy, Dr. lüL
Adalbert v. Toacana lfiL
Adami, T. 1ÜL
Albert inj, Bruderbischof iHäliäX
äü. IL
Alexander de Villa Dei Liü
Aisted, J. iL ILL 3JL Iii ff. 1 1 st
Altdorf IRL
Alting, iL HS.
Altona HL IL
Amsterdam S£L ff.
Amyraut, M. Ü2L
Anchor, J. 341L
Anckelmann, E. 27 7.
Andrea, .T. V. 3L £L Li 1ÜL LÜÜ
Mi 3_LL
Angelmodde 259.
Angelo, M. ?-rift
Anhalt, Kolonie bei Plcss LI
Anjou 302, 32L
Anton, P. 211.
Arminius J.
Arnold, N. 2_7jl
Arno hl von Brescia 2Ö7. 33<i.
Aron, R. 275. 332.
Arvidson, D. 277.
Aschaul, B. 3JL
Aseherham ÖS.
Augsburg «JH. Ü3L
Augsburger, C. 333.
August, Herzog v. Braunschweig
315. 3 Di.
August Wilh., Herzog v. Br. 27_L
B.
Baco von Verulani, R. LL llil ff.
160. IUI. UiH. 307
Baeon, F. 3L 3iL 3L
Baduel, C. 23.
Baumker, Wilh. UM!
Bahlmann, P. 2')!».
Bajer, J. W. 2IZ.
Baier, Prof. 23JL
Ballersbach SIL
Barby :iL 5Q. 52* ftL G3.
Basedow, J. B. IQtL 120. L2IL 1 "<;
Basel 3JLL
Bau mann, J. JiL
Beck, Jos. v. ÜiL
Becher, R. IML
Beeker, B. LL LL üiL
Bceger, J. löiL 2iL
- 344 -
Beer, R. 32.
Bentham
Bentheim, Graf von 2H7.
Bentheim, Ad. v. 330.
Bentheim, A. J. v. 330.
Bentheim, E. W. v. 330.
Bcnzclius, K. J. 3LI 312*
Berbig, F. 27JL
Berckau, IL 222.
Bergamo 10ß-
Bcrgius, J. 230. 31L
K. 230.
Bergmann, Jul. 212.
Berlin Dil 102. 10L 2M 230. 230,
253. 2Q8. 322. 310.
Bernburg 222.
Bernhard von Clairvaux 112 304.
Bertensieben, B. v. 230.
IL v. 230.
Bcuthen 230. 232. 210, 328, 330.
Bild, Veit 33L
Bissing, H. v. 2f>7.
Blunck, J. N. 212.
Bodin, J. 1QL
Boehmer 183.
Böhmische Brüder s. Brüder.
Boemer, A. LOB.
Bottichcr, W. 22L
Böttiger 205.
Bogomilcn 120.
Bonn 210. 220.
Borinski, K. 24&
Botsac, B. 22L
Butzheim, ,T. v. 333.
Bradacius, M. 173.
Brnunschweig 314. 310. 310.
Brcdeholl, G. IL 222.
Bremen HL 83. 102. 101 313. 312.
Breslau 100.
Bresler, D. 83. 02.
Bright, J. 102.
Brinkmann v. 03. 00. 20.
Brochmann, K. K. 323.
Brüder, Böhmische etc. 38. 30. 40 ff.
m ff. 08. loa 1QL IIS. 100. 102.
III ff. 100. 230. 23L 220. 27JL-
■U2. 310.
ßrügel, J. 34, 30.
Brunfels, O. 100.
Bruno, G. 100,
Bruys, P. v. 120. 100.
Buddensieg, R. 3L
; Buddeus, J. F. 12L
Budowcc, W. v. 220.
! Büchner 100. 21L
Bünau, R. v. 10L
! Bündcrlin, J. 00 ff. 103.
Burckhard, J. IL 222.
Burgsteinfurt 23L
Burkhardt, G. I0L
Burrow, M. 3_L
C. K.
Kacmmel, O. 102.
Caesar i us v. Heisterbach 177.
Calixt, G. 312. 3LL 310* 310. 318.
F. U. 310.
Calixtiner 173.
Kalthoff, A. 103.
Calvin, J. 220.
Kambli 21L
Campanella, T. 3L 100 ff.
Campanus, J. 08.
Campe 108.
Kant, J. 00. 100. 12L 120. 100. 100.
211. 210.
Kapp 11L
Cappel, L. 024,
Karell, L. IL
Carey 220.
Karl V., Kaiser 102.
Karl August v. Weimar tüL
Karl Ludwig v. d. Pfalz 103.
Karl, Kurprinz v. d. Pfalz HM.
I Carlyle, Th. U2 ff.
Carpzow, J. B. 222.
Carpzovius, Oberhof prediger 243.
Carte« in* s. Descartes.
Katharer lfifl. 120. 177. ISO. U»:L 101L
Kawcrau, G. 100. 100.
W. 230.
Keckermann 82.
Kefersiein, IL 103, 104.
i Cellarius, Prof. 20k
— 345 -
Keller, Ludw. L 35, 171. 1 7~i. 181.
188. litl. 2ÜL 2iäL 33iL
Koller, R. 32Ü,
Kemper, O. 1ft4.
Kepler, J. L&L lüL
Kettenbaeh, IL v. 2äL
Chillingworth LÜL
Christian IV., König v. Danemark
Hl 7.
Christoph, K. 33 1 .
Kingsley, Ch. LL 1 •~>3. 15">. 1 Ü3.
Kinsky, W. 2I1L
Kipius, Dr. 31">.
Klaj, J. '277.
Klette, Th. 332.
Kluckholm, A. v. 102.
Knebel, v., Major 2äL
Cobden, R. L52.
Coceejus, .7. (Koch) 318.
CO In 2LL
König, E. 2Ü3.
Königsberg 6Ü 24-1.
Kötz, F. LÜ3.
Cohen, IL 2LG.
Kohlreif 4JL
Cohn, A. 33iL
Colbius 277.
Colcrus, J. 237.
Compayre, G. 33<i.
Condoreet 128 ff.
Constantin, Kaiser 17S.
Constanz Q8_. 333.
Conversino, G. di 332»
Koolhaes 104.
Coornhert 1QL
Kopenhagen 323.
Kopp, K. A. 332.
Koranda, W. HL
Corber, C. 2IL
Korthold, C. 21L
Cosonza 161.
Kotter, C. 8L 31iL
Cousin 2üü ff.
Cranz, D. UJl
Krause, K. C. F. 10. 327. 32S. 32».
Krawutzky 3LL
Crocius, J. 3_LL
Kronen, F. v. 337.
Crossen a. O. 2ZIL 338.
Kunowitz, Graf v. 8_L
Kuyper, A. de 310.
Kvacsala, J. fiQ ff. ML 4ML 322.
32iL 33L
D.
Daill«?, J. 32L
Danneil 230.
Danzig 83. 3üfcL 3ÜÜ.
Darwin, Ch. 21L
Dauber, IL ߣL
Da von an t, J. 31 1.
David von Augsburg 183.
Dcnck, Job. 3iL LQ3. 34JI
Den icke, D. 31.*>.
Depenbrock, J. C. 277.
Descartes, R. 123. ltiü. 3ÜL 32U.
Deutsch, S. M. 3Ü3.
Devcnter Öä, l.fi7.
Diderot LEI.
Dieckhoff 17n.
Dieppe 32L
Diestcrweg, M. LL
Dillcnburg 83.
Diltbey, W. .TS. 30. 10L 107. 330.
Diascntcr* üL
Dittes liüL
Döllinger, J. v. LTJi ff.
Dörpfeld, Fr. W. 223. 22L
t>ohna, Achati u» III. v. 23<i.
Dordrecht SiL
Drabick, N. 32L
Drelincourt, C. 32L
Dresden 23i 2IL 22L
Dürer, A. 28L
Duisburg 22L 24L
Dupont de Nemours 1 21).
Du raeus, J. (Duruy) 3QÜff.
Duruy, A. 1 lf>.
Dziewieki 3_L
E.
Ebersdorf f>2.
Ebner, iL 281.
Ebrard liÜL
Eck 282*
Ehler*, IL J. 2IL
Ehwald 4iL
Eibenschütz 337.
Elbing 3Ü1L 31L 323, 32lL
Elisabeth Charlotte, Kurfürstin
IM. 220. 2ÄIl
Ellipsen, O. A. 1QL KüL 2KL 200.
Emden Hl 7.
Engelhardt, J. G. V. 17r>.
Engel« 149.
Ennü ÖL
Entfelder, Chr. W3.
Epiacopius, N. 104. 171.
Erasmus, D. 311» 40. LLL llä. LÜL
1ÜLL 220. 333. 31L
Erfurt 21L
Ernnt August, Kurfürst von Hau- 1
nover 31(>.
Ernst Casimir, Graf v. Nassau 331L '
P. V.
Faber, .7. m
Fabri, J. 157.
Vahlen, J. UiL
Valla, L. ELL 102.
Favart 300.
Vechner, G. 23L
Ferdinand L 08.
Vcrgerio, P. P., der Ältere 332»
Vergerio, P. P.. der Jüngere 30. 332.
Vetter, R. 32L
Fichte, J. (}. KL Lü. 131L ,
14t». 2KL
Figulus s. .Tablonski.
Virchow, R. 4L 103.
Vivcs, L. 3L HL SIL 8L U2. 220. 22L
Floris, J. v. 288.
Vogel, A. 320. 33LL
Voigt, G. 33L 332.
Font an ut*, .1. Iii.
Vossiua, G. .1. 318»
Franck, Seb. 3!«. 41. !>H. 102. 1Q.{.
104. 340.
Franeke, A. IL Li 121L 23iL 24Q.
242. '247. ?4M, 'MU. ^.'0 2.M . 'AY>. 277
Franeke, < >. H>3. Ki4.
Francker 83. 3LL 3ÜL 323, 32L
Frankfurt a. M. L 10. LL 18. 20.
2L 312. 313.
Frankfurt a. ü. 230. 2LL 308. 31Ü.
Franz 1^ Kdnig v. Frankreich 33.
Fredericq, P. lüL 188. 203.
Freier, Ii. 221L
Freier, W. 22iL
Freistadt OL 00. 213,
Freund gen, J. lftS.
Frey 2f,.r>. 2~>(>.
Friedensburg, W. 3iL
Friedrieh III., Kurfürst von Bran-
denburg, spät. Konig v. Preußen
23a. 212. 210. 21L 300.
Fried rieh II., König v. Preussen
Ii 1QL 221L 228. 230.
Fried rieh von Lüneburg-Celle 314.
Fried rieh V. von der Pfalz, König
von lähmen 318. 31iL
Fried rieh Fl rieh von Braun-
schweig- Wolfenbüttel 3LL 31Ü
Friedrieh Wilhelm III., König
von Preusaen 24) i.
Fried rieh Wilhelm, Kurfürst von
Brandenburg KL 228. 220. 230. 230.
24'). 27Ö. ML 320. 310.
F rubel, F. H>7. H88. 328.
Fuchs, P. v. 233. 230. 240.
Fuehsmagen, .T. 333.
Fürer, C. 28L
Fürer, S. 28L
Fürstenberg, F. v. 2.">'J. 2i>0.
Füssel, M. 23L
Fuleo, Abt 302,
Fulnee 171.
Furniwall, F. ,T. 3L
G.
(ialiliii 122. lliL
Gallitzin, A. v., Fürstin 2.r>'.». 2t »0.
Gallneukirchen Ü7_.
Garve 30.
Gassendi, P. 323. 320.
Gasser, A. P. 33L
Gaueher 33.
Gebhard, O. v. äiL
Gi« er, E. de 323.
Geer, L. de 3QSL 32X
Gehmlich, E. 4fL
Geiler von Kaisersberg IM.
Genf 22L
Gent 40.
Georg, Herzog v. Braunschweig 31 ö.
Georg von Podiehrad 172. 1 7f>.
Georg Wladislnus, König von
Polen 17*).
Gerhardt, P. 2^L
(ierning, J. J. v. 2~>S.
Geaenius, .T. Hl~>.
Gie*eler, .1. K. L. 1 7<i.
Gilbert ML
Gille, A. ML 32L
Gindely, A. LIiL Ülil
Glanz, G. 203.
Glaucha 247
Glevner, G. B. 27_L
Gloxin, A. iL 277.
Gliiekstadt A\A
G munden OL
({nndenfeld LL LL
( i rinden frei 4iL HL iL ZlL IL
Goeh, J. v. IHL LÜH,
Godcmann, K. 31 1.
Göbel Li.
Gödeke 2ä>L
Görren-Ges. L
Göxe, Hnuptpa*tor 2!>.'t.
Goethe, J. W. v. L LÜL LtLL 2ÜI
2äli. ML A2L [HL
Gohfeld 320.
Goldberg LliL
(Soll, S. 171.
Gotha ML U±L 2LL
(iothein, E. ILili 1ÜL
Gracinn, B. 2JiL
(ircgor, Bruder 1 7°
Grein ÜL
(irimni, S. 334.
G röper- I.aserow 1D_
(ironingen 317. A\H. 323. 324.
({ rossgebauor, J. v. 2ZL
Orot in*, IL 1ÜL 2LL liLL IL2IL
Griinpeck, ,T. 331.
Gry ii neu«, J. 337.
' Guarino von Verona 10. 333.
Gucricke, IL E. F. 17JL
Gustav Adolf, König v. Schweden
31L 012, äüL
Gutberleth, M. iL Sä. SiL iLL iLL
IL.
Haaek, Th. 2Ü,
Haag Uli 3LL ILM. LliL 1LLL
Haak, J. .T. 2J^L
Häekel IOll
Hüls ebner 32~i.
Hätzer, L. 1L40.
Haiger &L
Hall, .1. äLL 32^L
Halle 41L ÜIL äiL 2JÜ. 2illi f f. 2I± m
Haniburg 1ÜIL 3LL ULL 1LLL üü.
ij^^^j, iij^fij «i^j.^^
Hamilton LliL Uli.
Harn pden* 322.
Hanau HL Sä.
Hau hu, A. v. 3.' i) i.
Hanau, L. v. -i'tii
Hannover 3lf>. .{Iii.
Hardt, IL v. d. 2.7JL 27_L
Harnaek, A. litü. 2ÜÜ. 3JLL
Harris
Harsdörfcr, G.P. I(V> 277 3:tr, :t:t'i
Hartfelder, K. lülL ia
Hart lieb, S. 321.
Hnusrath, A. 2iiL 21»7. 3HL
Hegel ÜJS. LLL LLL ULI 2ÜL 2_LL
Hcgius, A. 1*i7 1 ~>8,
Heidelberg ML SIL 2JiL X1L
Hei dem an ü, J. 22S.
Heineck, iL ML
Heinrich IV., König von Krank-
reich XL
Heinrich von Toulouse 1 7ti. HMi.
Heinsins, |). Iliü.
Hcliustädt 2ZL 1LL lliL
Hclsingör 323.
, Helvetius L21L
Hei wich, Christoph LL
Henisterhuis, Struitsrnt 2.*>'.>.
Heniseh, G. 3.'M
, Hcnschel, A. ILLL
— 348 -
Hrrhart, J. F. 12L lüL U£L 221,
232. 3211 am
He rborn 35* IS ff. IIS, 231, 33JK
Herder, G. 253.
Herder, J. G. Iii llüL Hü IM,
25a ff. aaä.
Hergenröther, .1. 181.
Hering 231.
Hermannus, J. J. &L U£L HL
Herrnhut 4<>. 40. ~>2. <V2. ffli. Hfl.
IL 1ÜL 1Ü2, 2ÜS,
Herold, H. 2aiL
Hersfeld 85.
Herta, G. 212.
Hertzberg, G. 240.
Herzberg-Friinkel 3L
Herzog, J. J. HiL IM
Hcsenthaler, M. 103. 306.
Hcssus, E. 1&
Hildesheini 314, 3JJL 3J1L
Hinderbaeh, J. 333,
Hippel üfi,
Hobbes lfili.
Hoehegger, R. 3L 1Ü3, 1U5. 232,
2LL 33Ü, 33L
Hm" von Hohenegg, M. 31 1.
Hopfner, IL 'ALL
Höst, .St. HL
Hoff mann, M. G. 33Ü.
Hoffmann, W. 2S1.
Hohenheim s. ParaceUus.
Hnhlfeld, P. m
Holstein, IL 1Ü,
Holtzendorff, F. v. Hi3.
Holzschuher, IL 2S1.
Honthorst, G. 32L
Horb, J. iL 22L
Horn, J. löli 101.
Huber, F. P. 1Ü5.
Hubert, F. 35K 332,
Hubtnaier, B.
Hüllcniann, Carl 1 ( >3.
Hülsmann, Prof. 212, 215»
Hughes 1")3.
Hummel. F. 147,
Hummelberg, M. 33.3.
Hu», J. LÜL
] I u s i t e n 3Ü
Hut, J. Ütf.
Huthmann, iL 277.
Hütt, Director 222.
Hutten, U. v. URL 31L
J. Im
Jabloni 30i».
Jablonsky, I). E 235, 2iü. 3Uli ff .
Jablonsky, J. T. Figulus 3(Hi ff.
Jablonsky, M. 3Qti ff.
J a b 1 o n s k y , P. K. 3ÖÜ, Figuhu 30t) ff.
Jäekel
Jacob Lj König von England 310.
Jacob II., König von England 221».
Jaeobi, F. H, 03, iii, 2ÜJL
Jahodinskym deMatcze, A.83.02.
J ahodinsky m dcMatcze,M.83.i)2.
Jamnici (Grubenheimcr) 172.
Jena 103, 235. 214. 2IL
Jesuiten 1 20. 121.
Ignatius von Loyola iL 32,
Im hoff, A. v. 2f)7. 2öS.
Ingolstadt 334.
In nocen z VIII., Papst, IM .
Innsbruck UÜ. 333.
Joachim, Abt 177.
Jöcher 3Q& 321L
Johann der Altere, Graf v. Nassau -
Kntzenellen bogen I&. Iii. ÜL 331? .
Johann Sigismund, Kurfürst von
Brandenburg 230,
Jobnston, J. 108.
Israel, A. 31,
Julian, J. L0&
Jungius, J. 12. 314. 322.
I,.
Lamey, F. 277.
Lampadius, J. 31*).
Landfcrmann, Schulrat 218.
Landsberg-Veleu, FreihciT v. 2<i>>.
Landwehr, H, 228, 22IL 230, 231.
23li. 237. 24f..
Lane 37.
Lanecius, J. KL 82, IM, 05,
Lange, C. 277.
-
349
Lunge, F. A. 1ÜL 1ÖÜ 12L 105.
210 ff.
La Place, J. 324.
Lasitius, J. 171.
Lateiidorf, F. 4L
Lauban 338. 339.
Laud, W.f Erzbischof 312,
Lautensac, .T. v. 277.
Lea, H. C. 101. 157.
Lcchler, G. 198.
Lechler, G. V. 34L
Lefranc, A. 33.
Lchnerdt, M. 332,
Leibniz, G. W. 4. 10. 104. 123. 124. 1
lüli ML 230. 24i. 2IL 310. 32L
Leiden 31L 318. 312, 320. 323.
Leipzig 102, 102. 235. 241 ff. 22L
Hl I - 315.
Lembach OL
Lerche, J. IL 277.
Leasing, G. E. 2£H ff. 3HK.
LcBsing, K. 294.
Leukefeld, J. iL 2IL
Leukefeld, W. M. 2IL
Leutbccher, J. 222. 2IL
Liebig, A. 23L
Limborch INS.
Linde, A. v. d. 18. SL 80. SiL
Lindenberg, N. 277.
Lindner, G. A. HL
Linz a. Donau 92. 320.
Lion, C. T. 22L 222.
Lissa I0L 201. 230. 23L 209. -'To.
2iL 215. 309. 323,
Litomil, J. 8L 82,
Locher, .T. 334.
Locke, J. 33. 120 122, 123. 125.
131. 150.
Löwenberg, J. iL
London 320. 32L 322.
Lorsbnch, C. W. ÜL
Lonerth, J. 32. M, 99. ÜiL 1Ü4. 331.
Lovosieenus, J. P. ÜL
Lubiewski, P. A. 308,
Ludewig, G. 102.
Ludlow 153.
Ludwig XIV., König v. Frankr. 220. [
Ludwig Günther, Graf v. Nassau
330.
Lübeck 313. 322. 32,*>.
Lüneburg 317.
Lullus, R. SL
Luther, M. 38. 39. 00. OL 23. ÜL
LUL HL 118. 120. ML 1112. 208.
280. 281. 2H2. 289. 302. 334. 340. 341 .
Luxem 332.
Lyser, P. 311
JH.
Macaulay 121.
Macchiavelli 121.
Mämpel, K. 222. 2ÜL 33ji
Magdeburg 212.
Mager, Dr. 224,
Mainz 319.
Malpaghini, G. 332.
Maneini 102.
Manichäer 189.
Mann, F. 40. 103.
Maunl, O. 1ÜL
Marburg 212.
Marie, AbW 200, 200.
Martini, P. C. 22L
Matthai, J. IL 222.
Matthew, F. 1). 3L 118.
Matthiii, D. 312. 313.
Matthia, J. 313.
Maurice IL 1 ">3.
Maximilian 1^ Kaiser 92.
Mecklenburg, v., Herzogin 277.
Mejcr, B. 277.
Melancbthon, Ph. 4J1 23. IIS, 110.
112. 120. 31L
Memel 3ÜL 308, 309.
Menlishofer, .1. 333.
Menzel, A. 84.
Menzel, J. 84.
Mcrian , E. 45.
Mcrveldt, Graf von 250,
Mestrecat, J. 325.
Mieltschin 302.
Mill, J. S. 225, 209.
Milton, J. 33. 32L
Minor, .T. 218,
350
Möller, C. 2IL
Mohrungen 2"»,L
Moibanus, J. 334.
Montaigne, M. de 3L 33. 30. 42.
Morel, G. v. IIa. 102.
Moriz, Herzog von Sachsen '21)0.
Morton, T. 322,
Müller, G- 3L 32. Mii
Müller, J. IM 2ÖL 20Ü
Müller, P. 2=12.
München 00.
Münster (Westf.) 1*8, 2ö0. 2üiL
Münster, S. 4L
Murmelliu», J. 158. 332.
Mntian, ('. 31L
Natorp, P. 128. 20L 2Ü8. 2U0.
Nassenhubcn 3t Kl.
Neander, M. 1 H».
Neapel 1(>1.
Nebe, A. IM. Ii*. 80.
Nescmann, F. 200. 210.
Neubörger, T. 311.
Neuen bürg 1 CiO.
Neuss, G. iL 2IL
Newinann, A. H. 38.
Newton, J. 124.
Nieoladoni, A. 00. 07. i>S. 271 >. 33Ö.
Nicolai!* V., Papst 1SL
Nicolsburg ütL
Nicmeyer, A. H. üü. äü.
Niesort, Pfarrer 2tiÜ.
Niesky 40. 02. H3. Oll IL JüiL
Nördlingen 312.
Nolteuius, Z. '277.
Nordhaunen 40.
Nürnberg Oi». 102. LUL 1112. lILL
m 28L 283. 288. 312. 330.
Niitzol, C. 28L 282.
O.
Occo, A. 334.
Oekolampadius 334.
Oercbrö 323.
Olevian, C. HL
Oli veter, R. 1 7;"i.
Opitz, M. 248.
Osiander, A. 288.
Ostia Hü,
Overberg, B. 2Ü0. 200,
Oxonstierna, A. 3LL 312.313.31').
Oxonstierna, Sohn 32i
Oxford 31L
P.
Padua 332.
Palmer, Ch. 100. LUl LUL
Paracclsus, T. 40. iL 118. 10L
Pari« 302, 324, 320. 320.
Pascal, B. liLL
Paskowsky, .T. 308.
Pasor, G. 00,
Passau, 30.
Patera, A. 31.
Pauli, C. 40.
Paulicianer LTiL
Paulscn, F. lfi.
Polargus, C. 2311
Pelz, A. E. 2äX
Perg OL
Perthes, F. 20L
Pestalozzi, J.H. 7JL 108, 100. 120,
120. 12ü. 130. 140. 10L 1H8. 328.
320, 330.
Petersdorf, IL v. 1ÖL
Petersen, J. K. 2L7_
Petersen, ,T. W. 2IL
Petrarca 3il
Poutinger, C. 33L
Philanthropinisten 1 ">0.
Pikarden s. Taboriten.
Pilsen Hi7.
Pirkheimer, W. 282.
Piscator, Job. SL 8ü. 00, OL
Pithan, H, 82. 83. 113.
Plitt, iL 00,
Podiebrad, G. v. 112.
Poggiali 10L
Ponte de Leon 200,
Prag 220. 210= 312. 340.
Pro gor, Wilh. ISO, 104, 100,
Prönen, Kamraerherr v. 300.
Piifondorf, S. 230, 244,
Pym, J. 322,
v. 34. KÄL HIL
R.
Rabelais 33.
Radlach, (). 3HL 311.
Radlkofer, M. 333.
Rakoczy, & Fürst 2h, 32L
Rain vi*, V. 32»
Ratichiu», W. 2lL 24- 34. 42. 1LL
1 LS. 110. 22L 33L
Räumer, J. K.
119. 22JL
Kauwolf, L. 33 1 .
Reber, .1. 1Ü3.
Redinger, J. 3jÜL
Redlich, (*. 2ÜH,
Regen* bürg 221».
Regen volhcius, A.
Reichel, Ch. 5JL
Reichling, IX KüL
Reif fenberger, J. fcüL UZL
Reinbeck, A. 277.
Reinerur* UiL IBS.
Reinhardt, K. KL
Reu*», E. Iti3.
Rcventlow, D. 3K1
Rhegius, u. m
Rhenen 31ü.
Rhesa ML
Riehl, IL W. v. IL
Rinteln Ü3.
Risler, J. Hl
Rist, J. 2LL
Ritsehl, A. 31L 12. UüL 2J1L
Ritter, M. 27JL
Rivetu», A. 3 IS.
Roeskild 323.
Rokycana, Erzbischof 172. 1 7.r>.
Rom Ü7. »Ii. Hil. 228.
Roscher, \V. ^IÜL
Rosenfeld 33LL
Romenthal, L. 341.
Rostock :!2ö.
Rothe, G.
r
Di
Rotterdam 325.
Rotten 324
Rousseau, J. J. iL! lüü. 12U
L2IL L2JL Hi& 22ü,
Rowe, T. 3LL 313.
Rudbeck, .1. 313,
Rudolf August, Herzog v. Urämi-
sch weig 277. 31<>.
Rüdiger, E. 3;i7.
Rüssel, IiOrd 14S.
Sahbadini 332.
Sacbs, iL 27J) ff. &ÜL
Sadoletus, J. 33,
SaggitariiiB, C 277.
Saliat, V. 3IL
Salhvürk, E. v. 3L 32. 33.
Salma»ius, K. 318.
Salz mann l'is,
Sandberger, K. 31. 3L
Sander, F. 30<L
«Sandhagen, C. H. 277.
Sairos-Patak 2£L KL3»
Saumur 324.
Sayle 32.
Hayn-Wittgenstein, L. v. 33(j.
Sayn-Wittgenstein, W. v. 33t i.
Schcffner, Kriegsrat <KL
.Scheibe, L. HL
Schelling IM. 123, 2KL
Schenkel, F. 5£L
Seheurl, C. 2£L 2Ü2.
Schiller, F. v. 4. 21(i. 217. 2'ü.
2üiL 2üL 32L
Schlegel Ü3,
Schleiermacher, J. G. KL lü ff.
L31L 1Ü3. 1Ü4. 2KL 2öS.
Schleicrmacher, Ch. 46. r>2. 53.
ü HL
Schleicrmacher, I). E. ->.">.
Sehlcttstadt 22Ü.
Sc hm et tau, Reichsgraf v. 2*>H.
Schmid, G. 3L 33» iL Sil
Schmid , J. 328.
Schmid, K. A. 3L 2_LL 2KL 22L
Schmidt, C. 176, 22JL
Schmidt, E. 2!i4. 3Ü2.
Schnabel 3L
Schnürer, F. 1H7.
Schöbel, G. v. 331L
Schönaich, G., Frhr. v. 23L
— 352 —
Schonborn 2ri7.
Schopenhauer 210.
Schräder, W. 22L 23ä. 241L 2i2.
24(i. 2.r)l.
Schramm, R. LÜ3.
Schrautenbach, L. v. täL lilL
Schreiber, A. 2"> 7.
Schröder, A. 3iL
Schfirer, E. JülL
Schulenburg, v. der 2H0.
Schulze-Gävernitz, Gl. v. liS ff.
Schnitze, Fritz 232* 233. 23L
Schupp, J. B. 21L 27JL
Schurmann, A. M. v. 3J& 32CL
Schwalb, M. HkL
Schwarze, R. 3ÜSL
Schwenkfeld, C. v. LLL
Schwerin, O. v. 23L
Scultetus, J. 23L
Seckendorf, V. L. v. 277.
Seidcliuts J. 33k
Seitersdorf
Seniler, Prediger 12i>.
Serrarius, P. xos.
Sibel, C. HL MO.
Siebenhaar, M. HH'.t.
Siegen 83. 1>L 33ü
Sigmund der Münzreiche, Erz-
herzog 333.
Sixt, C. iL 3iL
Sixtus IV., Papst LHL
Skaltsuni lüL HÜ
Smith L3L liH.
Sohn», Graf, E. v. '.V.M.
Solms, Graf, P. v. 33(i.
Solms, Graf, R. v. 33K.
Solms, Graf, W. v. 33JL
Sophie, Kurfurstin v. Hannover. 321.
Sorö 32,'i.
Spalatin, G. AU,
Span gel, P. 1LL
Spangenberg, A. G. 1(>2.
S p a n h e i in , E. 104.
Spener, P. J. Li 23i Zill 211 277.
Spengler, L. LU2. 2HL 2S2,
Spinoza 123, 1 2"i.
Sprecher, V. v. LÜL
I Sprottnu 8L
Stabius, J. AAl
Stadiue lüS.
Stadler 2_Lü
Stagc, c. m
Stain, Freiherr v. 277.
Starkius, J. 30ÜL
Staupitz, J. v. 10JL LZö_. iüL 188.
191. 201. 281. m
Steig, R. 2ä3.
Stein, Frau von 2ÜL.
: Stein, L. U.U.
Steinhaufen, G. 337.
Stephan VII., Papst 181.
Stephan U8, Bischof 17H. 17 <•
Stern, Hann 317.
Stern, Heinr. Hl 7.
Stcubing, J. IL H2. &L
Steyer 07. 98. WX
Stockholm 313. 323. 325.
Stölzle, R. 33fi
Slötzner, P. 274. 27'>.
Stosch, B. 23L 23Ö,
Strassburg ÖiL ÜKL 1£3,
Stuart, Prinzessin, IL M. Ali).
St uben rauch ML ÖL.
Stuhl- Weisscnburg HL
Sturm, J. LLL LUL LÜL L2L 22JL
Sudhoff, K. iL
Suphan, Beruh. 25H. 2~>4.
Sydel, M. LÖ.
T.
Taborhen 31 ff. L7_L 112. 181L
Talleyrand 130.
Tangermann, W. 338.
Tassius, Joh. Ad. 322»
Tauler, Joh. 1DJL LLL
Tausch, E. 1Ü2. LÜ3.
Taylor, J. LÜL
Telesio, B. 1«1.
Tcubncr, B. G. 22Ü
Thaulow 108.
Thelermenus a Zhörze, 1). HL
Thilo, J. E. 2ZL
Tholuck 7JL 240.
Thomas von Aquino 1 71».
353
Thomasiua, (Jb. 235. 2.TG. 240. 241.
243. 21L 210.250, 23L 252. 335. 330.
Thorn 2311 312.
Thum, M. 2IiL
Titus, M. SL 82. 83. OL Ol.
Trient 230.
Trotzcndorf Iii IUI LLL 120.
Truhlaf 100.
Tschiersky, v. IQ.
Tucher, Aiidr. 28L
Tucher, Ant. 28L
Tücher, M. 2S1.
Turgot 123. L3L
Turnovius, Senior 171.
r.
Uphues. O. K. 212.
Ursin Iis, B. 108. 230. 230.
Ussher, J. 312. 322,
W.
Wagenseil 335.
Wal, de 80.
Waldenser 130. 112. 113. LLL lü
lSü. IBS. 183. 203. 34Ü
Waldshut 08.
Waldus, P. LQL
Wallcnsteiu LLL 23L
Wattenbach, W iL 103*
Weech, F. v. 1Ü3.
Weimar lf»3. 104. 2'»7.
Weiss, iL 277.
Weisse, M. IM HiL 'ML
Wels OL
Wende, G. 338,
Werekshagen, C. 132.
Wernicke, A. 323,
Wibe, T. 313.
Wiclif, Joh. 37. 171. 1<I4. 107 1<>S,
Wied, Graf von, IL 333.
Wied, Graf von, ,T. W. 330.
Wiedertäufer OL 08. 1*7
Wien HL LLL AXL
Wiesbaden SO.
Wiese, J. LÖL 218. *
Wilhelm der Reiche v. Nassau 00.
Wilhelm II. von Oranien, Prinz
18. 220. 310. 318. 3311
Williams, R. ÜJL
Wimpfeling, J. 10.
Wirsung, C. 33L
Wiskcmann, iL IL
Wismar 323.
Wittenberg 102. 230. 23L 230.
211. 215. 28L 282. 33L
Wolf 126,
Wolfenbüttel 3LL
Wolff, M. v. 102.
Wolkan, R. 100. 10L
Wotkc, K. 40. 332.
Wünsche, A.
Z.
Zeller, E. 2IL
Zembsch SOi 32. 05. IL
Zeppor, W. 00. OL
Zerawic 2ÜL
Zesen, P. v. 330.
Zezschwitz, v. 20*: i.
Zicrotiu, Herrn von 27r>.
Zierotin, F. v. 332.
Zicrotin, Graf 33H.
Zierotin, K. v. 337
Ziller 232. 233.
Zimmer, F. 18. 20. Üü.
Zimmermann, Ph. iL
Zingerle, A. 333.
Zinzendorf 15. 4JL 50. 03, US. 03.
13. IL 102.
Zittau 102. 33Ö.
Zittel, E. 103.
Zoubek, F. 138.
Zürieh 2111.
Z w i <m1 i n e c k - S ii d e n h o r s f 27« i.
Zwingli, U. 30. OL LSL
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