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Full text of "Die Reformation in ihrer Wirkung auf das Leben, 6 VolkshochschulVorträge"

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Die 

Reformation in 
ihrer Wirkung 
auf das Leben, 
6 




Albert Hauck 



//OS 



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Hlbert f)audt 



ic Reformation 

in ihrer Cdirhung auf das Leben 



49 



B. 6. "Ceubner in Leipzig und Berlin 

® 




<Dte ^eformafton 

in ijirer ^Birtung auf bas £eben 



oon 



9Werf ^aucf 

ptoftffot in fidpjlfl 




Verlag unb <Drucf oon 8. (5. Zeubncr • £eip?ig unb Berlin J 9 ) 8 




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@c(>u$formel für bic T3crcinifltcn Staaten oon Amerita: 
Copyright 1918 by B. G. Teubner in Leipzig. 



3UU 1Hed>tc, einf(t)liej)Ha) 6es Oberfeftungsrecb», oorbebalttn. 



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» 





3nf>alt6überfid)t. 




1. 


T>ie Deformation unb bie -$römmit}feit 


. . i 


2. 




. . 22 


3. 




. . 39 


4. 


Die Deformation unb ber Staat 


. . 56 


5. 


Die Deformation unb bei ©ottesbienft ...... 


. . 76 


6. 


Die Deformation unb bas Kulturleben 


. • 0) 



■ 



I 



I 

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!. <Dte Deformation unb btc ^römmtgfeit. 

DieTBelt ftcf)t an einem ber SDenbepunfte ber ©ef4>icbte. TGer 
fid> je toünfcfjte, ©roßes ju erleben, (>eute erlebt er es. Denn in 
unferen Xagen fällt bie <Entf<r)eibung über bie 3wfunft ber VölUx 
ber alten D3tU. H3as werben fie in ben näcbften Oajjrbunberten 
bebeuten? DQerb^n fie groß unb blübenb bafte^en ober ©erben fie 
in ibrer ßebensfraft gefnitft bem Untergang entgegenftnlen? Tüel« 
<r)em @cr)itffal ge(>t unfer geliebtes beutfefces TJaterlanb entgegen? 
5üf>rt fein TBeg empor ober bfoab? Das flarere ober trübere ¥>& 
töuj}tfein oon ber ungeheuren Eebeutung ber CJabre feit J9J4 erfüllt 
uns alle. Ttiemals &at bas beutfefre Volt fo ausf<j>liej)li<r) in ber 
©egentoart gelebt tote heutigen Xags, niemals roar fein ©innen 
unb Denten fo ausf<j>lief)li<b oon ben friegerifcfKirunb oolttiföen 
CEreigniffen gefangengenommen roie jetjt. ©o t>erfcr)teben bie äußere 
£age, fo oerfefrieben bie ©eftnnung, fo oerfa^ieben bie Uberjeus 
gungen ber Millionen oon THenfa^en finb, aus beren bunter THenge 
bas beutföe Volt fi$ erbaut, ni<r)t einer fommf, fei es Xag ober 
7la<r)t, los oon ber £rage: Ufas geföiejjt in ber ©egenroart unb 
toas bereitet per) in i&r oor? Ufte ftefct es um Deutfölanb unb 
toas toirb aus Deutfölanb? 

516er neben ben ber)errf<r)enben ©egentoartsgeban!en ergebt 
fia) im proteftantifcr)en Seile unferes 13aterlanbs immer toieber bie 
(Erinnerung an bie T3ergangenbeit. Das 33ilb ber CEreigniffe, bie 
fi<r) oor 400 Oabren in Deutf<j)lanb oolljogen, laßt f)cr) aucr) bura; 
bie 7ßucr)t ber (Ereigniffe ber ©egentoart ntd>t gan? in ben Qinter* 
grunb brängen. 7Hit 9lecr)t. Denn jene roaren in ibrer Jlrt ntcf)t 
mtnber inbaltsreicfr unb fofgenfcjuoer roie biefe. K3as Deutfa)lanb 
ift unb toas es in ber Wtlt bebeutet, berubt ?um großen Xeil auf 
bet Deformation, ©elänge es ben £einben, ben Dftberftanb ber 



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2 



l. Die Tieformüticm un5 bie ^tömmlgEcit 



beutfcben Qeere ?u brechen unb bas beutfche Uolf ?u oernichten, fo 
wäre auch bem Protefrantismus in bec Tüelt eine unheilbare, eine 
töbliche Utonbe gefchlagen. 

Der (frnft ber 3*tt verbietet, bie T3ierjahrhunbertfeier ber De* 
formation bura) laute ^reubenfefte }u begeben. 10er hätte in biefen 
Sagen, ba ber @chnitter Xob eine (Ernte hält wie nie ?uoor, ben 
leisten 6mn, )u jubeln? Äber gerabe ber (frnft ber 3«t hängt 
baju, )ü fragen: löas bot bie Deformation bem beutfcben 13oIfe 
gegeben, was war ihr wefentlicher ©ehalt? Dauert bie Töithmg, 
bie oon ibr ausgegangen ift, nocb fauin in unfere Sage? ©inb 
bie ©ebanfen, für bie ßutber unb feine ©enoffen arbeiteten, 
lämpften unb litten, noch (ebenbig ober finb fie burcj) anbere oer* 
brängt unb erfe&t roorben? Tlur biejenigen (freigniffe ber T3ev 
gangenbeit, beren löirfung ungebrochen fleh auf bie fpätere Qtxt 
erftrecft, finb Kräfte bes gegenwärtigen ßebens. ftlfe anberen ftnb 
totes ©eftein, ber Tlieberfcfrlag ber 0ahrhunberte, über ben bas neue 
ßeben binwegfhttet. Unb nur biejenigen Perfonen ber Vergangen* 
beit, beren ©ebanfcn nocb unmittelbar auf uns wirfen, bebeuten 
in löabrbeit etwas für uns: fie baben ein @tücf irbifcber Unfterb« 
Itcbfeit. Die anberen ftnb, fo begannt ihre Tlamen fein mögen, 
tatfächlicb tot. THan fann ben fterbenben @o£rates berounbern; 
aber was ift uns ©otrates? 3ft 4 s mit ßutber unb ber Tieformation 
ebenfo? 3ft er nur einer ber ©roften ber TSergangenbeit, bie für 
ibre Seit etwae waren, über bie aber bie weitere (fntwtctlung bin- 
ausgeführt bat? Unb roenn nicht: K3ie unb worin fmb feine ©e* 
banden noch Wette für bie ©egenwart, wirb feine Grimme noch 
in ber ©egenwart gehört, wie unb woburch ift bie Deformation 
noch «n THoment unferes eigenen perfönlichen ßebens? 

Diefe ISorlefungen follen nicht eine fttappe ©efebtebte ber De« 
formation geben, meine Abftcbt ift vielmehr, eine öanbfeitung 
}ü bieten ?ur Beantwortung ber eben aufgeworfenen fragen. 

So tief bie Deformation auf bie politifchen 73erhä(tntffe (Europas 
eingewirkt hat, fo war fie boch in feiner Qinficht eine politifche, auch 



I. 'Die Deformation unö bie jrömmigtcit 3 

triebt eine fitcbenpolitifc|>e Bewegung. Dabutaj) (Reibet fie jtcf> tlaz 
unb f4>atf ab oon ben Tlefotmbetoegungen bes ausgebenben 7Hittels 
alters. €5ie ade entflammten ber Spannung, bie bura) bie öerr« 
fcf)aftsanfptücbe bes Papfttums auf bem Üra>enpoIitifa)en unb rein 
politifcf)en ©ebiet bet ootgetufen war unb bie Je länget, je unetttäg* 
liebet toutbe. 3Hoa)ten aua) bie <£übtet im öinblia* auf bie ßttcbe 
reben unb banbeln, fo ftanben boa) gan? ober bolb politifa)e $r& 
gen im T3otbergtunb. 3ft ber Papft bei obetfte §ert in bei TOelt, 
besfwlb aua3 bet obetfte ßeitet bes ftaatlicben £ebens? 3ft bet 
€>taat eine an flcb betecjitigte Otbnung obet etbält et fein 3le4)t 
etft buta) bie Jlnerfennung bet 5tircr)e? Tüet ift bet Stöger bet 
ftaatlicben ©ewalt, $ütft obet Uoie? 3ft bie ftiraje im ttecfjt, 
inbem fie irbifcj>es Out unb itbifaje ©etoalt ibt eigen nennt, obet 
ift fie oetbunben, atm unb beftylos ?u fein wie einftmals tytiftu* 
unb bie Äpoftel? Tüelcbe T3etfaffung bat dbtiftus feinet Hircbe 
gegeben? ßiegt bie obetfte ©etoalt in ber ©efamtbeit unb ibtet 
Vertretung, bem allgemeinen ilon?Ü, obet eignet fte bem Papft als 
bem ©telloertreter (£brifti, ja bes a((mäcf)tigen ©ottes? Diefe unb 
äbnliebe fragen bewegten bie reformatorifeben THännet bet beiben 
legten Cfabtbunbette oot £utber: bie ftibnen Denfer, bie als 35unbess 
genoffen £ubtoigs b. 33. im ftampf toiber bie tömifa)e Kurie ftan« 
ben, ben trotzigen CEnglänber UJiclif unb fein unoollfommenes 
tfcbecf>ifc(>es Tlacfcbilb, 3obann ©uß, ben tiefetnften 3taliener @a* 
oonatoia unb bie mancherlei Vertretet bet fonjiliaten 3bee. ftbet 
als ßutbet am 3). Ot tobet )5)7 feine Xbefen an bet @cbloß!itcbe 
?u Wittenberg anfcf>lug, (ag ibm niebts feinet als bie (Erörterung 
biefet Probleme. Die £rage, oon bet er ausging, toat tein religiös. 
6te (ag auf bem ©ebiete bes innetften perfönlicben £ebens: W\t 
erlangt bet THenfcf) Vergebung feinet @änbe unb feinet «Scbulb 
oot ©ott? Daß £utber }u bet flbetjeugung gefommen toat, baß 
bieTHännet, bie im Tkmen bet Kirche tebeten, bura) bie ftnttoott, 
bie fte auf jene £tage gaben, bas Volt ittefübtten, ließ ir>n nicjjt 
febtoeigen. CEt wollte ?unä<bft bas (f infaa>fte, toenn man Will, bas 



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4 I. Di« tteformollon unb Die Srömmiatelt 



ftleinfte: feine Xf>efen follten fttrfaf) geben }ix einet ernften, ein« 
bringenben (Erörterung bes motten Qeiferoegs für bie fünbtge 
7Hcnf4>^eÜ. (Es ift nia)t ba?u gefommen. ftber fc&toeigen tonnte 
ßutfcer ni(f>t. Sein ©emiffen brängte i&n, inTBort unb ©<fcrift oon 
ber H3af>r&eit, bie ifcm aufgegangen toar, 3*ugnte ?« geben. Dar* 
übet geriet et in 3miefpalt mit ber 9ierara>ie, bet 3»iefpalt führte 
jum Eruaj unb bet 33ruaj> ooüenbete pa) in bet 35ilbung einet 
neuen, oon ber papft(ia)en Qenf^aft foegelöften, ber eoangelifa^en 
Kirche. 'Die Bewegung, bie im Ottober 15)7 einfette, (>atte ein 
(Ergebnis bas bei i&rem beginn niemanb a&nte. ftber i&r toefent« 
lieber (Öefjalt entfpracfc i&rem Ausgangspuntt. Döir merben uns 
?u oergegentoärtigen fraben, mfe rei<^ i^r ©ejialt ift: er umfponnt 
eine U3elt. IRber fein (Srunbelement ift religiös. Da» beutföe Uol! 
oerbanft ber Deformation fefrr oiele ©aben: aber bas (Erfte, bas 
<Entfa3eibenbe, mas pe if>m braute, mar eine neue Frömmigkeit. 

TBill man ir>ce (Eigenart erlernten, fo fann man pefr barauf 
bef fronten, ßut&ers Frömmigkeit }u unterfuefcen« 'Denn pe ift 
bie $rommigteit ber Deformation gemorben. (Semiß fügten unb 
bauten fcj>on feine beutfcjjen Mitarbeiter ni<j)t in jebem einzelnen 
Punhe genau fo mit er. "Das liegt im K3efen ber ^rommtgfeit: 
pe ift fa)le<{>t&in perfdnß<t>. Sie toieberfrolt p$ a(fo genau ge« 
nommen fo menig, ab es ibentifa)e Perfonen gibt. Doüenbs bie 
6d)u>eijer Reformatoren fcaben ber eoangelifajen Ffömmfgteit in 
mancher öinp<j>t eine eigenartige järbung gegeben, bura) bie fta) 
tr>tc Frömmigkeit War oon ber £utf>ers ab&ebt. ftber mie bie 73er* 
fa)ieben{>eit ber Snbioibuen bie (öemeinfamfeit ber TJoltsart ni4>t 
auflöft, fo fa)(ieftt jene Mannigfaltigkeit in ber ©eftaltung unb 
•Durc^bilbung ber Frömmigkeit einen gemeinfamen £#pus eoan* 
ge(ifaj>er Frömmigkeit niefrt aus. (Er aber gebt auf £utf>er juxüd. 
$er toefent(i<j>e (Sefjalt feiner Frömmigkeit ift gemeineoangelifa) 
geworben. 

TOir oerfucj>en, t(>n in feiner 33e?fe(>ung ?u ber Frömmigkeit bes 
Mittelalters unb in feinem Unferfa)feb oon tyr ju oerfte(>en. 



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5 



Die Qtitt in ber man geringfügig auf bas Mittelalter ber* 
abfab, iß in Deutfcfrfanb oorüber. 733it fraben gelernt, unfetc Vtu 
gangenfceit ?u oerfteben unb ij>r in t^cer Uerföfcbenbeit oon bet 
©egenwart geregt ?u werben. Das gilt aua> in be?ug auf bie 
mittelalterliche £römmtg£eü. ©ie mar oon bet unfeten meit ©et* 
fd)ieben. Ulber wer fie fennf, wirb nid)t geneigt fein, fie ?u oer* 
aalten ober aud; nur gering }u fcbätjen. Sie ftatte w\zU\d>tn TJßtxt 
£ebenbige £rommigfeit bemeift fld) ftets im Witten unb im 13er« 
?icf>ten. Die ^rdmmia!eit be$ Mittelalters aber war ebenfo fräftig, 
ju mirfen, wie fle ftarf mar, ju oer?iä)ten: fie b<*f ben Golfern 
bes nörblid)en Europas ben dhriftliäjen ©fauben gebraut; fie bat 
in ber 33egränbung bes Pfarrwefens bie tird)(fä)e Arbeit an allen 
T3olfsgenoffen in einer Tüeife burd)gefübrt, bie bie alte 5liraj>e 
niü)t fannte. ©e bat eine a)riftlia;e itulmr oon gan? eigenartigem 
©epräge gefajaffen, ?u ber bie alte Äird)e ebenfalls feine Parallele 
fennt. Unb oor allem: fie bat ungeteilten Xaufenben ben ^rieben 
bes Qer^ens unb bie 3lia)tung für ibr Qanbem gegeben. Das finb 
Stiftungen, alles Tlubmes wert, (fbenfo ftarf mar fie, ?u oer?id)ten. 
H3trProteftanten baben gegen bas ülön^tum unb bie ©ebanfen, 
oon benen es beberrfd)t mirb, febr oie( ein?umenben. Jlber trofc 
bem ernennen mir eines obne 3?orbe^att an: bie Äraft bet 6elbffc 
entfagung, bie in taufenben unb abertaufenben oon 7ttond)en unb 
Tlonnen lebte, benen es mit ibren ©elübben ernft mar, ift eine 
in ber ©efa3id)te ungewdbnlia;e <Erfa)einung, ein beweis für eine 
berounberungsmürbige ftraft bes religiöfen <f mpfinbens. Unb wie 
mann unb innig tonnte biefe ftarf e £rommigteit fein) Qeute noa) 
erbauen flcf> eoangelifcbe ©emeinben an manchem ßieb, bas aus 
bem Mittelalter ftammt. U3o flingt bie D3eibnad)tsfreube fallet 
unb jubelnber als in bem Siebe: In dulci jubilo? D3o ift bas 
TGeibnadjtsgebefmnis harter ausgefproa)en, als in bem anberen: 
(Es ift ein"Xof entfprungen? Wie fräftig fr äfft bie Ofterbotfa)aft 
wieber in: dbrift ift erftanben, unb mit meld) tiefem (Ernft finbet 
bas Pfmgfteoangelium feine CErwiberung in bem bofren ßiebe: Tlun 



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1 

6 i. Die Tieformaiion uno Die ^tömmigteit 



bitten mir ben h« (Seift. Wet bat £eben unb Sterben in feinem 
3neinanber tiefer erfaßt ab ber Diopter bes alten Schlacht« 
gefangs, ben uns ßuther oerbeutfcht j)at: Media vita in morte 
sumus? 10er hat bie nie oerlöfchenbe (Ihriftenfehnfucht, baheim ?u 
fein bei ©Ott, fehlster unb tiefer ausgefproa)en, ab ber Sänger 
bes ßiebes: 3ch u>oüt\ baß ich baheime u>är\ Heinrich oon 
ßauffenberg? 

Diefe parte unb jarte, tätige unb hingebenbe ^römmigfeit aber 
hatte eine ber 18ur?eln ihrer Kraft barin, baß pe per) nl<f>t über 
ben ftbgrunb täufchte, ber im menfchlichen Qer?en liegt: pe mar 
auf Sünbenerfenntnb unb Sünbenfcfjmer? aufgebaut. Qu biefer 
(Einflickt führte bie Kirche nicht nur burch ihre Prebigt, fonbern 
mehr noch burch ihre Seelforge, tr>ve deicht* unb Eußjucht, felbft 
burch (Einrichtungen, bie vir ab IHißbräuche oerurteilen, wie ben 
ftblaß. Unb fte arbeitete nicht oergeblia). Die Klage über bas 
(Elenb ber Sünbe burcfoieht bie gan?e mittelalterliche TOeit. TRan 
hört fte aus bem Stöhnen ber 7Hona>e: Mea culpa, mea maxima 
culpa. Sie fchallt uns entgegen in bem ©rauen ber Qtit oor bem 
jüngften Xag, bem Xag bes 3oxn*. Dasfelbe ©efühl führte bie 
bitter jum Kampf um bie Befreiung bes Seifigen ©rabes unb 
deiche toie Bettler ?ur Htallfahrt nach Wont ober nach St. Oafob: 
fte hofften in ber <$erne ber ßaft lebig }\i werben , bie fich in ber 
öetmat brücfenb auf ihr Qtt} unb ihren Sinn gelegt hatte. 

3n bem allen tritt uns eine (Generation entgegen, empfänglich 
für jebe religiofe CEmpfmbung, groß in bem tiefen <£ rnft ber Selbft* 
beurteilung unb erfüllt oon ber Sehnfucht nach ungetrübtem ^rieben 
bes öerjens. ftber mar nun bie ftnttoort, bie bie Tttännet ber 
Kirche bem nach 9*H fragenben T3ol6e gaben, in jeber ©inficht 
echt unb mahr, ungetrübt burch menfchliche, burch abergläubifche 
©ebanlen unb (Einbilbungen? T3erfagte bie Kirche nicht gerabe 
an bem Punft, an bem pe per) bewähren mußte, ba pe auf ihn 
alles jugefptyt hatte? 

£romm fein heißt ©emetnfehaft mit ©ott fuchen, ©emefofehaft 



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I. Die Tteformation unb bie ^lömmigteü 7 

mit ©ott f>oben. 'Das war bas Qtel ber mittelalterlicben §xöm* 
migtett. CEs gibt ein ergreifenbes ßieb aus ber legten Seit oor bet 
CKeformation oon einem THenfcben, ber ©ottes £ulb oerloren bot 
unb ber fte toteber fuebt. <£r (lagt: 

3a) fcab feine O^eu, bas ift ntä)t gut, 
betrübt finb mir mein (Sinn unb THut, 
3d> tonn, id) tonn 
©ott nimmer rufen an. 

Das ift bas <£ lenb beffen, ber bie ©ottesgemeinfebaft für fein ßeben 
m<f>t entbehren tann unb ber fie boa) niebt bat Roleber gab es 
Xaufenbe. Unb melden 3üeg mied fie bie ilirebe, um ju ©Ott ?u 
fommen? Sm jenem £ieb mabnt ber Priefter ben armen ©ünber, 
bie Tüelt }u oerlaffen, er erinnert tbn an bie ©nabe, bie bureb bes 
Priefters §anb allen mirb, bie fi<b oon 8ünben tebren. (Er oergißt 
niebt, auf bas Uerbienft CJefu (Ebtifti binjutoeifen. Aber bas alles ift 
niebt genug. @o läuft fein O^at fcbließlia) aus in bie Tttabmmg: 

Otof an THaria, bie THutter fein, 
©ott bat fie auserkoren, 
baß fie uns bebüt oor ber ©ollen Pein: 
©ott ift oon ibr geboren. 

3*uf fie an mit rea)ter 'Xeu, 
fie ?eigt bir mütterliche Xreu. 
$o\q mir, folg mir, 
fo roirb gebolfen bir. 

Töar bas toirtlicb ber rea)te 9kt? Ulan tonnte noeb anbere 3Hab* 
nungen boren. 3n einer Tttufterrebe für ftblaßprebiger i>äit ber 
Tlebner feinen Hörern bie ©röße ber ©ünben oor: löte oiele 
Xobfünben, ruft er aus, gefebeben an jebem Sag, mie oiele in 
einer löocbe, einem THonat, einem Oabr, mie oiele in ber ganzen 
ßebensjeitl €>ie finb beinabe unjäbltg, unb unenblicbe Strafe folgt 
ibnen in ber ©lut bes purgatorfums. Unb toelcbe Qilfe weiß nun 
ber Tlebner? CEr fäbrt fort: THit biefen Ablaßbriefen aber tonnt 
ibr auf einmal oollen (Erlaß aller bisber oerbienten ©trafen er« 
langen unb im ganzen wetteren ßeben, fo oft ibr belebten wollt, 



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g f. Dl« ^efonnallon M« $r5mmi8feü 



ben gleiten (Erlaß erhalten; fchließlich ober im JlugenMicf bes 
Xobe* volle Vergebung aller ©trafen unb 6ünben unb bie Xeil* 
nannte an allen geiftfichen ©ütern, bte ber ftreitenben Hirche unb 
ihren Dienern eignen. Das roaren, auch mit mittelalterlichem 
'Jttaße gemeffen, angreifbare 6ä$e. ftber ihnen (aufarten Xaufenbe 
unb folgten Xaufenbe. Äamen fie auf ben TUeg ?um fjeil? Doch, 
man mag oon folgen 3*iterfcheinungen abfegen. $bcr auch wenn 
man fleh auf baa befchränft, was bie itirche bem Xolt als bie an« 
ernannte unb unbebingt notroenbige Tüahrheit vertünbete, fommt 
man nicht barfiber f)inu>eg t baß fie bem fjeileverlangen nicht genug 
tat. Jtof bem IDegtveifer ?um ©eil ftanb ba$ alte Tüort: Extra 
ecclesiam nulla salus, außer ber ftirche fein £eill Denn in ihr 
vermitteln Prieftertum unb Hierarchie burch ihre ©aframente unb 
Eenebiftionen ben fünbigen Tttenfchen bie göttliche ©nabe, in i hr 
tritt ba* Prieftertum bura) bas ohne Unterlaß für ßebenbe unb 
Xote bargebrachte Opfer ber Treffe für alle it>re ©lieber ein, ihnen 
©nabe, ßeben, ©eil, Vergebung ber ©ünben erflehenb unb er* 
roirfenb, in ihr belehrt bat Prieftertum bie ©laubigen Aber bie 
Tüerfe, bie fie ju vollbringen haben, um fla) bie Uerbienfte }u er* 
ro erben, bie ibnen ben £oj>n bea eroigen £eben& flchern. Deshalb 
ift nicht* fo notroenbig unb nicht* fo heilfam, ab ©ehorfam gegen 
bie Kirche unb fr)te JlnOrbnungen. 

Da« mar ber Qeilsroeg, ben bie ftirche verffinbete. fjieß &ann 
aber fromm fein noch ©emeinfehaft mit ©Ott haben? TXtor nicht 
vielmehr an bie ©teile ber gegenwärtigen ©emeinfehaft mit ©Ott, 
bem ewigen unb unßchtbaren fjerrn bee ©immels unb ber (Erbe, 
bie ©emeinfehaft mit ber ßira)e getreten, bie bem ©laubigen bie 
Hoffnung eröffnete, im CJenfeit* ©orte* teilhaftig ju ©erben? 

3n biefen ftnfchauungen ift £utr)er aufgewachten. <fd mar ihm 
voller CErnft mit ihnen. Sie haben ben freien, jugenblichen ©tu* 
benten in bie (Enge unb ©ebunbenheit bes )t (öfters geführt: fie 
haben ben TRönfy gebrängt, ßcb allen 33ußübungen ju unterziehen, 
bie bas Wofterleben fannte. <Zt machte fie nicht, wie mancher 



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t Xt, \ IIA I t " — "---1 1 i 



I. Die Otcformorton unb We ^tömmlgfett 



9 



anbete Tlooije, oberfläcbltcb ob, um über jie b«ro>eg?utommen, 
fonbetn mit ber ganzen 3nbrunft einer u>aM>aftiaen Seele oer« 
fentte er fta) in tfe: er wollte ein echter TRöna) fein. 3n monomer 
Qinjt4>t war er es aua). CEs gab Stunben, in benen er ßa) im 
ftfafter wobf, faft glüa*ua) füllte. Da* ^at er fe(bft gelegentlich 
ausgefproa)en. Halbem er langer als ein 0af>r?ef>nt bie THönc&ss 
futte getragen j>atte, betannte er, er trifte, baß bie Orbensleute 
bie glütflicbften 7Henfa)en fein tonnten, wenn jie nur bie ßiebe 
Ratten, ftber am rea)ten Plafce befanb er ftcf> gleia)wobl imHlofter 
niefrt. Denn bas, was er fua)te, ab er um (Einlaß in ben ftuau* 
ftinerfonoent ju (Erfurt bat, oermoa)te er bort nia)t ?u pnben. (fr 
batte ben inneren ^rieben gefugt. ftber ftatt baß er i(m gefunben 
bätte, rourbe bie Spannung feiner Seele immer großer. £uu)er 
batte in feftenem Tttaße bas ©efül>l für bie 7Bir!(ia>eeit, bas Äuge 
für bas £atfäcbli<be im £eben. Den freunb(i<ben Schleier ber Selbft* 
täufebung, mit bem bie *2Renf<ben fia3 über fkb felbft }u betrügen 
pflegen, jerriß er rürfftcjitslos, obne Sa)eu oor bem Sommer?, ben 
er babei empfanb. (fr war immer toabr gegen fia) felbft. lOorte, 
überlieferte ©ebanten unb ftnfajauungen tonnten ibm nie r>e(fen y 
wenn fte ben borten £atfa4>en, an benen fein ©ewiffen Jlnfioß 
nabm, wtberfpraa;en. Diefe <E rfabrung mußte er gerabe im ftlofter 
maa^en. Sein Oer? „gitterte unb zappelte", wie ©Ott ibm gnäbig 
©erbe. So fa)ien er rea;t geeignet für bie 3ufage ber Jtira)e, baß 
er bura) 33uße, bura) mona)if4>en ©eborfam ©ort oerfbbnen 
Sünbenoergebung, 73erbienft erlangen fönne. IRber fein ©ewiffen 
erbob CEinfpra<be: es fagte ibm, baß feine 35uße unoolltommen, 
baß alle feine £eiftungen wertlos feien. Das 33etennrnts Mea 
culpa, mea maxima culpa bejog er gerabe auf fle. Die Strebe 
oerß<r)erte ibm, baß fte bura) bas 35ußfatrament feine Sünben 
tilge, ftbet fein ©ewiffen wiberfpraa)? er fanb fta) na<b ber 33uße 
fo fünbig wie oorber. Die Hirdje oerbieß ibm, baß er in THaria 
unb ben ©eiligen bie barmberjigen Mittler unb ifürfprea)er oor 
©ott ftnben werbe, ftber ibm feblte bie ©ewäbr, baß ibm trgenb* 



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10 1- Vit TUformotion unb bie $t5mmfflMt 



ein 'JHenfcf) belfen tonne. Unb bie i)auptfacj>e: er fucbte je länget 
je mebr bie perfönlicbe (Öemeinfcbaft mit ©ottj ober ftatt näber 
fa)ien et ibm nut fetner ?u kommen. Denn fein ©ewiffen fagte 
ibm, bo(J et ben geregten ©ort, bet bie ©ünben fttoft, ntcf>t liebe, 
fonbern ibn baffe. 3vifcf)en ibm unb ©Ott lag bie furchtbare, nta>t 
?u leugnenbe unb nicbt }ü befeitigenbe £atfacr)e bet @ünbe. 

Der ß^tefpalt, bet bas religiöfe ßeben bes QtMUu ?erfer)te, 
ging burcj) ßutbers ©eele. (Er tourbe von ir)m in feiner ganzen 
Unerträglicbteit empfunben. Jlber £}*Hung faxten es nicbt }u geben : 
bas ©tubium ber fcbolafttfcjjen Xbeologie oerfa)ärfte bie ©egen* 
fäfce, ^tatt fte ?u oerföbnen. 6e(bft bie ©eilige @<r)rift (>aif ibm 
?unä$ft in feinem fingen ntcf>t weiter, benn aua) in ibr glaubte 
er ben jürnenben ©oft ?u boren, ber ibn fcbrecfte unb ?urü<fftief), 
nicbt aufrichtete unb tröftete, oon bem et ftcj) fa)auernb abwanbte. 

9$ fann n un bie perfönlicbe (Entwicklung ßutbers, bie ibn 
aus biefem unbeiloollen 3uftanb bewusfübrte, nicbt im einzelnen 
oerfolgen. Tftir lennen fie jumeift aus eigenen Äußerungen ßutbers 
in feiner fpäteren Seit Ober manage (Etn^elbeiten fann ibn babei 
feine (Erinnerung getäufebt buben, bas innere (Erlebnis bat er obne 
3weifel riebtig ge^eiebnet. 3cb bebe bie ©auptpuntte b'toor. 

THan !ann oft bie 35emerftm,g macben, baß löabrbeiten, bie 
man längft fennt, mit einem 7RaIe gleicbfam lebenbig werben: nun 
erft Wirten ße auf bie 6eele, toäbrenb fie bis babin wie ein tötet 
Eefifc mitgefcfrleppt würben. Das erfuhr ßutber. Der etfte ßiebt* 
febimmet, bet bem in bet ^infternis etorenben unb 6ua)enben auf« 
leuchtete, war bie (Erinnerung eines ftlofterbrubers an eine ftinber* 
wabrbeit, baf) wir im ftpoftolitum betennen: 3cb glaube an bie 
Vergebung ber 6ünben. £Jef}t oerftanb ßutber basTüort: 3cb glaube, 
nicbt: ia) erwerbe bureb 35uf)e unb T3erbienfte. IGeiter ffibrte ibn 
ber 3ufprucb Oobanns o. @taupty. (Er oerwies ibn auf (Ebriftus 
unb feine Tüunben unb (>telt ibm oor: 78tr muffen beim Tftorte 
bleiben, in bem uns ©Ott geoffenbart unb bas ©eil bargeboten 
wirb, wenn wir batan glauben. Dann griff bas @tubium Äuguftins 



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I. "Die Deformation un& fcie |rommigfeit jj 

ein. 3n bet ©ünben* unb ©nabenletjte bes großen a(ttttd)li$en 
Xtjeologen fanb £utj>et eine* teligiöfe ftnfööuung, bte et oon ben 
GEtfa&tungen aus oetfterjen konnte, bie et felbft gemaa)t ^a«e, unb 
bte totebet £t<fct auf bie Kämpfe unb Tlöte feinet eigenen Seele 
toatf. 35efonbets ftugufttns CErtlärung bes Pau(inif4>en Jtosfptuctjs : 
Die ©ete<j>ttg!ett ©ottes toitb geoffenbatt im GEoangeltum. Det ©e« 
rechte lebt feines ©laubens, Tlom. 1,17, machte ben tiefften CEinbturf 
auf tjm. <£r r)at fpätet toiebetjjolt ben entfcjjeibenben Umfcf)lag feines 
inneten £ebens auf fie ?utüa*gefür)tt. 3cj> leinte, baß ©ottes ©es 
tea)tigfeit ift feine 33atmbet?tgteit, butcr) toelaje et uns gerecht 
aaltet unb &ält. Da teimte ia) ©ete<i)ttgreit unb ©eteefrtfetn ?u* 
fammen unb toatb meinet Sad>e getoiß. 3um ftbfa)luß tarn bte 
ganje <E nttoitflung buta) bie Vertiefung in bie ©ebanfen bes ftpoftels 
Paulus. £ut{>er t)at fie fo gefaßt, tote fie utfprfingltcr) gemeint 
maten. Dabutct) tont et auef) übet ftugufttn f>maus. Von Paulus 
leinte et bie ©nabe oetftetjen als bie gnäbige ©eftnnung, bas (Et* 
batmen ©ottes, oon tr)m (etnte et, baß glauben beißt, bie ©nabe 
©ottes etgteifen unb auf fie oertrauen. 

Das alles toat nt<f)t ein £ottfcf)titt in tj>eologifcj>et QEtfenntnis, 
fonbetn ein <f rieben , bas £utr)ets ganzes religiöses Dafein um« 
©anbelte. ein bet <£tfaj>tung bet im ©lauben ergriffenen fünben* 
oetgebenben ©nabe fanb et ©ott unb in ©Ott ben Stieben bet 
Seele. Die bisherigen Kämpfe totalen ber froren 3uoetfict)t, baß 
bas 3Ui erteilt toat, etteicjjt auf einem neuen Tüege. ©ünben* 
f<j>met? unb Sajmlbgefübl, 6er)nfucr)t naa) bem geil unb fingen 
um ben inneten Stieben, Scfjrecren oot ©ott unb 3uoetfi4>t auf 
©ott — bas alles j>atte bie 45tömmtgiett bes Mittelalters aud) 
getannt. ftbet eines kannte fte ntet)t: baß bet K3eg }\x ©ott in 
bet einfachen, petfönlia^en Xat bes ©laubens liegt, bet bie ©nabe 
bet Sünbenoetgebung etgteift, of>ne ber Vermittlung buta^ Kirche 
unb ptieftettum jn bebütfen unb ofme fta) bas 9lecr)t baju buref) 
oetbtenfttt<t)e IBette ?u ettoetben. Denn bet Dienft bet Kitct)e 
mag ben 7ttenf<j>en auf ben teerten 7Ueg toeifen; et fann tr)n bis 



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)2 )• Die TUformorton un& Me jrömmioNtt 

an bie £üre gefeiten. ftbet burct) bie Xfire tritt nur bet ©laube. 
9m ©tauben aber franbelt bet THenfä) mit (Sott adein unb (Sott 
allein mit bem 3ttenfa)en. 

Daß biefe <£infta)t fia) ßutber in ben faseren Seelentämpfen, 
bura) bie er fia) ^inburcfrrang, erfa)loß, befäftfgte i(>n, bet (Erneuerer 
bet <r)rfftli<t)en Srömmigceit ja werben. Tüir oergegentoärtigen 
uns, toe(a)en (Schalt fte t)atte. Dabei ift es ma)t bie Aufgabe, 
einen turnen Jlbriß oon £utf>ers Dogmatil }\x geben. (Jebes 3*it* 
alter f>at feine eigene Dogmatil: aua) bie £utbers ift nia^t bie 
unfere. Die Aufgabe ift oielmebr, ju geigen, wtld)t Qualitäten für 
bie reformatorifa)e jfrbmmigteit maßgebenb traten unb wie ße in 
ir)r gefaßt würben. 

#ier ftebt obenan: ©Ott. 3a) will ni<r)t oon £utj>ers ©ottes* 
begriff teben. (Es (ommt oielme&r batauf an, wie et ©Ott gegen* 
übetftanb. Aajtet man batauf, fo bemettt man fofott, baß et oom 
Eewußtfetn bes unenblia)en ftbftanbs ?roiföen ©Ott unb ben 
Kreaturen tief burdjbrungen war. 3n feinem oft wieberbolten @afc 
oon ber Unerfennbarteit ©ottes fpria)t fia) biefe» ©efüf)l lebbaft 
aus. Um t&m geregt }u werben, fteigerte er ben Jlusbrutf über 
bas gerod(>n(icr)e IHaß: löir tonnen bie unbegreifliche Ulajeftät 
bes unbegreiflichen £ta)tes bet TDunber ©ottes toebet erforfa)en, 
nocf> oerffeben. (Es büntt i(m faft freoetyaft, fta) beffen ju unter* 
fangen. 9a) pflege, gefte&t er, an mia) ju galten unb mir f elber 
?u fteuern mit bem Tüorte bes £errn ?u Petrus: Döas gejjt's bia) 
an? Solge mir naa), £Joj>. 21, 22. ftber biefer unerfaßlta)e ©ott 
war ibm niemals ferne: bas ©effibl ber unmittelbaren Häbe ©orte* 
war in ibm unoerg(eicr)lia) (ebenbig. <£r rang banacr), bie göttliche 
©eroalt, «bie in allen Kreaturen, oor bir unb hinter bir" ift, jtcj> 
oorftellig yu machen. „@ie ift unbegreiflich unb unmäßlich, außer 
unb über alles, bas ba ift unb fein tarnt. Töfeberum muß ße in 
allen Orten wefentlicb unb gegenwärtig fein, auch in jebem 33aum* 
blatt. (Er muß in einer jeben Kreatur, in ihrem JUlerinwenbtgften 
unb Äuswenbigften, um unb um, bura) unb burch, unten unb oben, 



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I. t)ie Deformation un& W< itimmltfelt 



)3 



oorn unb hinten felbft ba fein, baß nickte ©egenwärtigeres unb 
ctonerltcheres fein tarnt, benn ©oft felbft mit feinet ©eroalt. * 

Diefelben 3lnfcf>ammaen erfüllten ßutber, wenn er übet bas 
©eheimnis bes göttlichen Döthens nachfann. 3n feiner unbebingten 
^rei^eit büntte er ihn unerfaf)(tcr) unb unerforfchbar: H3tt tonnen 
innewerben, was ©ott will, aber nimmermehr, warum er bies ober 
bas will ober tut. 'Denn für ben lötllen ©ottes gibt es feine 
Tiegel, ©äbe es eine folche, fo ftünbe fie über ihm unb er wäre 
nicht bad Qochfte oon allem, ßutber fuchte auch hl« ftärtften 
ftusbruef , inbem er bas Verhältnis ©ottes ?um ©uten als 53ei* 
fpiel benu^te: lüas er will, ift nicht beshalb gut, weil er es fo 
wollen müßte, fonbern gut ift, was er will unb weil er es will. 
T3on biefem Willen fühlte fia) ßuther getragen $ benn er ift all* 
mächtig. Das bebeutete für ßuther, baß er alles in allen wirft, 
fo baß alles, was geflieht, feine UKrfung ift. 

UJenn man biefen ©ebanf en nachbenft, fo oerfteht man, warum 
£uther bie furcht ©ottes fo vielfach unb nachbrücflich betonte. (Es 
hätte ihm grauen müffen oor biefem 0?ean ber THacht, wenn fein 
©efühl bafür, baß ©ott fleh ben Wengen als bie £iebe offen* 
bart, nicht ebenfo (ebenbtg gewefen wäre, ©ott, fo höten wir oon 
ihm, ift nichts als ein ftbgrunb ewiger £iebe, unb wieberum bie 
ßiebe ift nichts anberes, benn eitel ©ott. Darum wer bie £iebe 
hat, ber muß auch «Itel ©ott höben unb besfelbtgen ooll fein. 
Die £iebe ©ottes fanb er überall, nicht nur auf bem ©eilsgebiet: 
TOenn man ©ott anfehen will an feinen Ifterfen, auch bie er 
leiblich unb zeitlich tut, ift nichts anberes, benn eitel unausfprecb* 
liehe £iebe, großer unb mehr, benn jemanb erbenfen fann. Diefe 
£iebe richtet ftch auf eine unbanfbare TBelt. ©erabe bann fah 
ßuther ben beweis ihrer Unenblichfeit: fie ift unüberwlnblich. ©ott 
hört tro^ bes Unbanfs, ben er flnbet, nicht auf jü lieben unb wohl* 
?utun. 

Die ganje ©röße ber £iebe ©ottes erfcf>lteßt fich &em Wen* 
fchen in (Jefus (Ehriftus. £uü)er hol ben ©ebanfen oielfach aus» 

ßautf, Die Reformation 2 



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14 



!. Die Deformation unb bie ^römmigfeit 



gcfpro(f>en, baß wir nur in tj>m ©Ott ftnben tonnen: Si vis pa- 
trem invenire, nihil spectes in coelo, in terra, quam illum 
filium. <£s ift eine feine Eegrünbung, wenn et boron erinnerte, 
baß wir "öerttouen nur ?u bem baben tonnen, ben wir tennen. 
60 tonnen wir niebt auf ©Ott oertrauen, es fei benn, baß und fein 
Qexj unb fein Uftlle betannt ift. Das aber gefebiebt in (Ebriftus. 
Denn in ibm betoeift ftcfr bie £iebe als bie rettenbe, fünbenoer* 
gebenbe ©nabe. ßutber b*bt i)eroor: 3nbem ©Ott im 7Henf4>en 
CFefus ficb }\i uns ^erabge(affen bat, in ibm (lein unb gering ge* 
toorben ift, offenbart ficb bie Unenblicbteit ber bingebenben gött« 
lieben £iebe. Denn es genügt niebt, ?u toiffen, baß ©Ott £iebe iftj 
es tommt barauf an, baß ber Tttenfcb es erfahrt Das tann er in 
dbriftus, feiner Tttenfcbmerbung, feinem £eiben unb ©terben: 
Daran fannft bu gewiß ©Ott ergreifen unb ftebft, baß er niebt 
üerbammen t»tU, fonbern bas eroige £eben febentt, tote dbriftus 
bir fagt: ftlfo bat ©Ott bie Töelt geliebt, baß er feinen einzigen 
@obn gab. @o tann ber TKenfcf) innetoerben, baß bie ewige gött* 
liebe Kraft unb Tttacbt nicf>ts anberes ift ab eitel TBobltätigteit 
unb eitel £iebe. 

Ulan muß biefe ©ebanten im Sinne baben, um ?u oerfteben, 
wie £utber alles auf ©ott ftellen tonnte. Kein ftusbruet war ibm 
ftart genug, wenn es ftd> um biefe TGabrbeit banbelte. 3cb geftebe 
oon mir, lieft man in ber 6cbrift De servo arbitrio, aua) wenn 
es moglicb wäre, wollte icf) niebt, baß mir freier löille gegeben 
ober baß irgenb etwas in meine Qanb geftellt werbe, woburef) icj> 
bas ©eil erftreben tonnte. Titelt nur, weil icb außerftanbe wäre, 
es feftjubalten, fonbern weil icb oann beftänbig im Unftcbern mieb 
abmüben müßte. Denn nie würbe mein ©ewiffen barüber ?ur 
^Hube tommen, wieoiel gegeben muß, um ©Ott genug ?u tun. 
Tlun aber, ba ©ott mein §eil meinem lOillen endogen unb in 
feinen geftellt bat, unb niebt bureb mein löirten unb £aufen, fon* 
bem bureb feine ©nabe unb (Erbarmen oerbeißen bat» mieb 
retten, bin icb getroft unb ffcf>er. Denn er ift treu unb wirb mir 



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I. Die Ofoformatfon un5 bie ^tömmigtcil 



15 



nid)t lügen, er ift ftarf unb gemaltig, baß fein Xeufel unb feine 
TBibermärtigfett u)n überminben ober micb ij>m rauben (onn. 

(Sott gegenüber ftef>t ber TRenfcf). Oebermonn meiß, mit wel« 
d>tm 7laa)brua* ßutber betonte: Der fünbli<be, ber 5reu)eit ?um 
©uten entbebrenbe IRenfcb. ftber man muß ficf>roieber erinnern: 
er mieber^olte babet nicfrt irgenbein Dogma oon <Sünbe unb (frb* 
fünbe unb oom TJerluft ber $mfait. Die £atfaaj>e ber @ünbe mit 
i^ren folgen mar nicfjt nur eine £rage für feinen T3erftanb unb 
ein Tlätfel für fein TIacbbenfen, fonbern bie bitterfte (frfabrung 
feine» perfö'nlicben ßebens: ben großen 35ru<r), ber burcf) bas Da« 
fein bes einzelnen unb burcb bie (f ntmitflung ber Tüelt unb 7Henfa> 
beit gebt, battc er am eigenen £eibe gefpürt. 3a) babe, fagt er 
einmal, folgen @taa)el, ©pieß unb ©ift im ©emiffen oft für>(cn 
unb fa)merfen müffen, baß mir ber ftngftfajroeiß barüber ausge* 
brocken ift. (fr mußte benn aua) jn fcbilbern, mie bie Xatfaa)e ber 
(Sünbe für bas 35emußtfein bes THenfcfcen (ebenbig mirb, ibn in 
ijerj unb ©emiffen nagt, fo baß er nicbt y\x bleiben weiß. (Er 
fpricbt besbalb oon ber macf>enben, (ebenbigen €>ünbe. (fr mebrt 
es ab, baß nur bie fogenannten groben ©ünber biefen 6tad)el 
fügten ; im Gegenteil, gerabe bie garten, furcfctfamen Oerzen emp* 
finben, baß fie ©Ott nicbt gefürchtet, ibm nicf>t geglaubt unb ©er* 
traut, i&m nia)t gebtent baben. Das ©efübl, oon ©Ott oerftoßen 
ju fein, quält fte, fte möchten oerjmeifeln an ©ottes ©nabe. fiutber 
f Gilbert: Da muß ber THenfa) miber feine @ünbc, miber fein eigenes 
©emiffen unb bas ^üblen feines Qer^ens, miber ben Xob unb 
miber ©ottes 3<>rn ?ugleicj) auf einmal festen : ba bängt bie ©eele 
an einem €>eibenfaben über ber öölle unb ber emigen13erbammnis. 

(fs ift ber tiefe 3wiefpalt bes menfeblicben Dafeins, baß ber 
}ü ©ott gefefcaffene THenfcj), ber ibn nicfjt entbebren (ann, ibn boa) 
nia)t bat, fonbern buraj bie ©ünbe oon if>m ferne gehalten ift. 
löte fann biefer 3a>iefpalt übermunben merben? 

ßutber gab bie Antwort: ©laube nurl (fr nennt bamit bie 

britte, für bas TBefen ber reformatorifeben Srömmigfeit entfebei* 

2* 



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J6 



I. Die Oleformatfon un& bfe Srömmlgteit 



benbe ©roße. Xöie backte er fte? TBie oerftanb et ben ©lauben? 
©äs beutfcbe TBort „glauben" ift mebrbeutig. CEs fann bebeuten: 
eine Xatfaej>e ober eine Vermutung für mabr boltenj fem ©Inn 
tonn fieb aueb bem begriff löäbnen ober @icf>einbilben näbern. 
Döer ßutbere ©laubensbegriff oerfteben will, muß oon biefen *33e* 
beutungen bes Töortes obfeben. Hiebt nur bas löäbnen, fonbern 
aueb ber bifarifebe ©laube, bie Jlnnabme irgenbeiner mebr ober 
weniger gut bezeugten Xatfaebe, log für ibn ouf einer gan? onberen 
ßinie ab ber ©laube im religiöfen §inne. Denn biefer ift nie 
auf ein biftorifebes (Ereignis ab folebes gerichtet, aua) niebt auf 
bie wicbttgften: (Cbtifti Xob unb Jluferftebung. Der ©egenftanb 
be$ ©laubene ift ftets junäcbft ©Ott, ©Ott, ab mit ben Wengen 
banbelnbe Perfon, ©Ott, fo toie er fi<b in Oefu <£|>rtfto geoffen * 
bort bat. 5)edba(b Hegt im ©lauben allerbing* CErtenntnb ©ottesj 
aber es b<"tbe(t P4> babei niebt um eine tbeorettfe(>e CErtenntnb, 
fonbern um bas praftifebe Kennenlernen. Die ©laubenserfenntnb 
ift ©laubenserfabrung. Der 3)lt bes ©laubens felbft aber fällt 
niebt junäcbft in bas ©ebiet be$ CErtennens, fonbern in bae bes 
TBollens: ©lauben beißt* Xrauen, T3erlaffen, Tüarten, Marren auf 
©ott. OEr ift nuda fiducia misericordiae Dei. £utber tonnte ge= 
rabeju fagen, ©tauben fei velle et aeeipere, ber ©laube ftebe im 
Tlebmen. 60 begrünbet ber ©laube ein perfönliebeö ©emeinfebaftö* 
oerböltnis ?wifeben ©ott unb bem THenfeben. 

TBenn £utber ben ©lauben auf (Ebnftuö be?og, fo backte er 
ibn niebt anbete: auf bie perfon (Ebrifti, nicj>t ?unäcbft auf fein 
10er! ift ber ©laube gerietet: Fides apprehendit Christum et 
habet eum praesentem, inclusumque tenet ut annulus gem- 
mam. (£(>rtftu9 ruft }um ©lauben, inbem er fpriebt: Kommt ?u 
mirl 3cb will eueb tränten, b. i. in mir unb burefc mieb werbet 
ibr bie löorte unb fiebre ftnben, bie euer fyi} ttöften wirb. <$o(gt 
ber THenfeb bem 9tufe bes fyxxn, fo füblt er niebt nur ben Xroft, 
ben dbriftus perbeißt, fonbern ibn felbft £utber fagt: Dein §er? 
füblt ibn wobl, baß er geroißlieb ba ift buref> bie Grfabrung bes 



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I. Tieformation unb öle ^römmiQfdt 



©lautend. Jluch (>ter ift bas 3i*l perfonliche ©emeinfehaft: ber 
©laube pereinigt bie €>eele mit d^rtftud tote eine Eraut mit ij>tem 
Bräutigam. 

lüirb ba$, was ©oft unb (Ejmftus an ben Tttenfchen unb für 
bie Tltenföen getan t>aben unb ftetig tun, als ©egenftanb bes 
©lauben* genannt, fo tommt für ßuther nicht bie Xatfache als 
folche in Betracht, fonbern ihr 35e?ug auf ben ©laubigen, man 
tonnte fagen: bie Seele ber Xatfache. Daß ©Ott Gimmel unb 
<£rbe gef Raffen j>at, bebeutet für ben ©lauben, baß et mich ge* 
fchaffen ()at. ©o auch bei bem Weih 0efu. fiuther fagt, ber 
©laube fei nicht, baß man miffe, es fei mahr, u>a* man oon (£()tifto 
prebigt. CEr fei pielmehr ein ^et^Iia^eö Vertrauen, baß bu bich's 
annehm eft, baf) es um beinetroillen unb bit ?ugut gefchehen fei. 
DDer folgen ©lauben nicht hat» baf) er fann fprechen: d&riftue ift 
für mich geftorben, ber ift ein Unchrift. 

Da ber fünbige THenfch ©ott unb <£r>riftuö gegenüberfteht, fo 
tritt für ßuther ftets bas (Erbarmen ©ottes unb bementfprechenb 
bie Vergebung ber @ünbe unb bie Rechtfertigung in ben TJorber* 
grunb. Darüber brauet man nicht ?u reben; es ift allbekannt. 
Vielleicht barf ich aber ermähnen, baß £ut{>er ficf> einmal bie Stage 
oorlegte, was großer fei, bie 6ünbenoergebung ober bie (Erneuerung 
bes Utenfchen, in ber bie 6ünbe ganj unb gar aufgehoben toerbe. 
(fr antwortete: T3iel btttli&x ift bie Vergebung. Denn in ihr 
beweift ©ott, baß feine ©eroalt unb ©tärfe fo mächtig ift, baß 
mitten im Xob bas ßeben fommt unb ben Xob erfäuft. 60 tonnte 
er urteilen, weil ihm in ber Vergebung ber 6ünbe bas gan?e ©eil 
befchloffen war. 3cf> erinnere an bas ftatechismuswort: lOo 13er* 
gebung ber Sünben ift, ba ift auch £tbtn unb ©eligteit. gut 
£uther roar bas felbftoerftänblich , ba in ber Vergebung bie ©e* 
meinfehaft mit ©ott h^gefteüt mar: in ihr aber liegt alles. Unb 
?war ab gegenwärtiger 53cfi t>, nicht nur als Qoffnung auf bie 3u* 
fünft, ©erabe biefenPuntt hatßuther außerorbentlia) ftar! betont. 
Von ber johanneifchen ©teile: U3er an mich glaubt, ber hat bas 



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J8 I. Die Deformation unb bie ^römmffltett 

eroige ßeben, fagt er: Von btefen löorten follte man bunberttaufenb 
Qabre prebigen unb es füt unb für auspreisen. Titan tonn nicf>t 
genug baoon reben. 'Denn djjrifruö fpric^t ftracte ?u bas etDige 
£eben bem, ber ba glaubt, unb fpricfct ntc^t : DOet an mi<b glaubt, 
t»wb bas etDtge £eben bflbenj fonbem: £l$balb ba bu an mia> 
glaubft, fo baft bu es fcfjon,- rebet nia>t oon jufünftigen ©aben, 
fonbem oon gegenwärtigen ©efc&enfen, nämlicf): kannft bu an 
mic& glauben, fo bift bu feiig, unb ift bir bas ewige £eben fa>on 
gefc&entt. Die U3orte, bie bu börft unb glaubft, fügten bief) nir* 
genbs j>in, benn auf bie ßerfon Ctyrifrutn, oon ber (Jungfrau THaria 
geboren, weiter tommft bu nicf>t. 60 bu ü>m glaubft unb an tjm 
bicf> Rängen fannft, fo bift bu erlöft 00m leiblichen unb getftltcben 
Xob unb baft föon bas eroige £eben. ©laubft bu an (Ebriftum, fo 
baft bu es alles Innweg, fo ift bie QbiU febon gebämpft, bie ©änbe 
binweg, ber Xob überwunben unb r>aft bie eroige ©erea)tig(eit, 
©eligfeit unb £eben. TDer roill ben <ScM ausmeffen? Da follft 
bu benn in ber Döa&rbeit befinben, baß ia> bia) mit ©lauben nicf>t 
oerfübrt f>abe. 

3n biefer Tüeife roirb bie unbeiloolle itluft jroifa^en ©Ott unb 
THenfa) überbrüht 3n ber ©nabenoer&eißung unb ber ©naben« 
oerfünbigung neigt fieb ber eroige ©Ott berab ?u feinem gefallenen, 
gefundenen ©efcbbpf, unb im ©lauben erbebt fia) ber THenfcj) ju 
bem ©ott, ben er oerloren batte. (fr finbet ibn roieber. Das ganje 
£eben gewinnt babura) neuen ©ebalf. 6ein Unbeil beftebt ja 
mcf>t in ber 7Hübe unb Arbeit, in ber Tlot unb bem £eib, bas 
jeber ?u tragen bat. <£s beftebt barin, baß ber QHenfcf) oon ©ott 
getrennt, ben ©inn be$ £cbens nia^t pnben fann: wo?u benn all 
bad Qualen, fingen unb Kämpfen, ba$ boa) bie Weit nicj>t 
änbert? Dies aufreibenbe ©efüf>l ift für ben ©laubigen über« 
rounben. Aber feinem £eben ftebt ba« fcj>öne £ut()erwort: ©ei guter 
Dinge unb freue bicj)l ©ott ift bein «Jreunb. 

Das ift ber ©ebolt ber reformatorifcjjen Frömmigkeit, £eben« 
bige ©ottesgemeinfc&aft im ©lauben allein. 3b* Unterfa)ieb auefr 



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I. DU Deformation unb bie $rbmmifltejt 



19 



von ber ^ödjften unb reinften ^3Iütc bet mittelalterlichen Ftbntmig« 
feit fft groß unb tief tote eine U3elt. Denn in if>r ift alles abge* 
frreift, roas menfcf>liche, oollenbs toas bingliche Vermittlung ber 
©ottesgemeinfchaft {>etf}t. }5efeittgt ift nicht minber jeber Tieft 
mpt()olo0tfierenber Uorftellungen. Tlur bie großen H3irflio)!eiten 
ber btesfetttgen unb ber jenfeitigen Tüelt kommen ?ur ©eltung: 
@ünbe unb ©nabe. Unmittelbar ftefrt bie enblicj>e Perfönltchfett 
oor ber unenblichen? fie, bie fchtoache, oerlorene, finbet in ber ©e* 
meinfchaft mit bem allmächtigen ©ort alles, roas fie bebarf: ©e* 
rechtigfett, triebe, ßeben, @eligfett. 

3ft bas noch unfere Frömmigkeit? 

3n allen eoangelifcfjen fiänbern gibt es Xaufenbe, bie biefe 
Frage mit einem freubigen £Ja ertoibern werben. IRber bamit ift 
bie aufgeworfene Frage nicht erlebigt. Denn fann man überhaupt 
oon ber proteftantifd>en F^mmig!eit unferer 3*it als oon einer 
gleichartigen ©röße reben? £ier beginnen bie 33eben!en. 3a) 
zweifele nicht im mtnbeften, baß mir, bie mir hier oerfammelt fmb, 
über Diele reltgiöfe Fragen fehr oerfa)teben bencen. Unb jebermann 
weiß, baß bas ©ebtet bes Proteftantismus feit feiner (Entftebung 
oom Streit ber Meinungen über £ircf>licbe Glaubenslehren unb 
religiöfe @ä^e erfüllt ift. Die ©egenfäfye hoben fleh im £auf bes 
legten CW>rhunberts nicht abgefchliffen, fie ftnb größer unb tiefer 
geworben als je oorber. 3m fech?e{mten unb fieb^ehnten (Jahr* 
hunbert ftritten bie (belehrten über einzelne bogmatifche £ehrpun(te, 
bie auseinanberftrebenben Dichtungen ber ©egenwart entfernen ftch 
ooneinanber auch ta ben grunblegenben T3orausfer)ungen bes ©lau« 
bens. Unb ber €>treit trennt nicht mehr nur bie Xheologett, er 
jerflüftet bie Kirche. 

3ft uns trofcbem noch «toas ©emeinfames geblieben? 3a) 
glaube nicht ?u irren, menn ich biefe Frage bejahe. 

Das gegenwärtige ©efchlecht hat fich mit mehr ober weniger 
(Entfchiebenbeit oon allen bloß überlieferten religtb'fen Formen unb 
Formeln abgetehrt. CEs fteht ihnen teilnahmlos, felbft mit einem 



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20 



I. Tie Otcformation unb bit ^tömmigteif 



gewiffen THißtrauen gegenüber. Mes ©pmbolifche in ber TöejeU 
gung ber frö'mmigfeit ift ihm faft unoerftänblicb, minbeftens fremb 
geworben. 'Die Schätzung tix6)lid)tt Oanblungen, wie bet ©afra* 
mente, unb fachlicher ©runbbegriffe, tote Woxt ©ottes, leibet unter 
biefem 3uge ber 3«**- & ff* H*t unb bort fef>r oerfchieben ftort; 
ober ganz fehlt er nirgenbs. ftuch ber bewußte £ut(>eraner ftef>t 
„bem löorte ©ottes" nicht mehr genau fo gegenüber wie ßutber. 
U3ie mächtig in ben ©emeinben bie (Sntfrembung oon ben über* 
lieferten formen ift, ?eigt bie weitgebenbe (Enthaltung oon ber 
Seilnabme am ^eiligen Äbenbmabl. (Es ift nicht ?u oerfennen, 
baß in biefer 3^ü"aj)tung etne gemiffe ©efabr für ben proteftan* 
tismus liegt. Denn bie einer ©emeinfehaft eigentümlichen ftn« 
fdjauungen unb Überzeugungen erhalten fich im TXfcchfel ber ©es 
fcr)(ecr}ter nur, wenn fie in fefte formen geprägt fmb. Jln biefen 
unb buref) biefe bUbet ßch, bem einzelnen faft unbewußt, bie alle 
©lieber ber ©emeinfehaft befeelenbe ©efamtüberzeugung. @ie ift 
bie Parallele zur ©itte auf bem ©ebiet bes fiebens. Töeber ofme 
biefe, noch ohne jene fann eine ©emeinfehaft in ihrer geflieht* 
liehen Eeftimmtbeit fortbeftejjen: fie bilben ihren (Ebarafter. 

ftber fo berechtigt biefe 35ebenfen finb, fo wenig barf man 
bod) oerfennen, baß bie 3*b!ebr oon allem formelhaften in ber 
Frömmigkeit ber ©egenwart großen IGert bat. Denn jugrunbe 
liegt ihr bie Überzeugung, baß, wenn irgenbwo, fo in ber front« 
migfeit bie Töaf>rf>cit unb TDa^rbaftigfcit allein j>errfcf)en müffen. 
Deshalb feine formet, bie ben Inhalt nicht ganz berft, unb fein 
6pmbol, bas über bie U3irr1ich?eit hinausgeht. Die IGahrheit 
aber muß berrfeben, weil ber THenfcb in feiner frömmigfeit ©Ott 
unmittelbar gegenüberftef>t: alles ©cheinwefen ift eine Scheibe* 
wanb zwifa)en ihm unb bem THenfchen. THan hat in ben legten 
Jahrzehnten bas Tüort „©ottfueber" gebilbet, um bas Streben ber 
(frnfteften unferer 3eit zu bezeichnen. Das Töort fagt zu wenig 
für bie proteftantifche frömmigfeit. Denn fie hat ben ©Ott ge* 
funben, ben fie fucht. Jlber bie fich }\i bem löorte benennen, fprechen 



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I. Die Ttefotmatton unb bie £römmfg?cit 



2) 



bamit aus, baß fie basfelbe fua^en, was einft £utf>er gcfunben bat: 
©oü allein. Das ift bas (Etbe bct Deformation aua^ in ber ^tom* 
mtafoit betet, bie fia; ?um Xeil fe^t weit oon tjjtet ©efamtanföauung 
entfetnt ^aben. CEs ift in ifcnen lebenbig, tote in benen, bie ben 
©tauben £utj>et9 noa) ab ifcten ©lauben benennen. (Ss nMtb 
lebenbig bleiben. @eit ßutfcet unb naa; £utj>et tonn bie 5tommig* 
feit nichts fein ah bie ©emeinfa;aft mit ©ott allein. 



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2. ©te Deformation unb bte fittlidjen &nfcf)auungem 

DerTRenfcj) gebort ?weiTüeltenan: bcr (tc{>tbarcn, biesfefttgen, 
ber er entflammt unb mit ber bura; taufenb Däfern oerwaaMen ift, 
in bet et arbeiten unb Wirten, aber aua) tragen unb bulben muß, 
unb ber jenfettigen, bie er nicfrt fennt unb ber er boa> unmittelbar 
entgegengebt, für bie er frier nickte erarbeiten fann unb für bie 
er bocf) fia) felbft bereiten unb geftalten muß. Geine Aufgabe ift 
es, biefem Doppelleben genug ?u tun, ofrne baß bie eine @eite 
bie anbere ausfließt, ojme baß bie eine unter ber Eingabe an bie 
anbere oerfümmett ober oermelft. 

3ft bas eine mögliche Aufgabe? THan ftmnte an ifrrer ßöfung 
oerjweifeln, wenn man ftcf> oergegenwärttgt, tote groß bie IHenge 
berer ift, bei benen bas ßeben unb UJirfen, bas ©enteßen unb 
£etben in ber btesfeitigen Welt ben Gebauten an bie jenfeitige 
ntcfrt aufkommen (aßt, unb wenn man ftcf> bem gegenüber erinnert, 
baß bei anberen, einer frei(ia) oiel geringeren Qafyl, ber ©ebante 
an bas 3enfeits ben Tüillen unb bie Uraft, frier bas Tlotwenbige 
unb CErfprfeßlicfre }\i (eiften, !nta*t unb bricht. Den einen ift bas 
3et}t alles unb bas CEinft nichts \ ben anbern frat nur bas (finft 
©ewiefrt unb bas 3e^t erfefreint fo bebeutungslos roie bie löelle, 
bie auftauet unb roieber verrinnt. 

(Eine ftfrnung oon biefem Doppelleben ber Ulenfcfren fratte 
fefron bie alte lUelt. ftber erft burefr bas (Efrriftentum ift biefe 
"öorftellung in bas allgemeine 35ewußtfetn eingetreten. <£rft für bie 
cfrriftlicfre ©ittenlefrre mürbe bas 3nsbersU3elt5unbsboa>midbtsoon 
bersDöeltsfetn ?u einem Problem, bas gebietertf<fr bie £öfung 
freifefrte. 

Die ßöfung toar niefrt leicfrtj fie würbe baburcr) noa) erfefrwert, 
baß als CErbe aus ben religiöfen TJorftellungen bes Oftens bie 



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2. Die Deformation unb ofe ftftlitfren Änföxraunaen 23 



asfetifcbe Beurteilung bet ©innenweit unb bes £ebens in ibt in 
bei c^riftHc^en Ktrd)e früj>?eitig IRufnabme fanb. 'Denn nun et* 
föienen bie btesfeitige unb bte jenfeiHge Töelt nia)t nur als oer* 
Rieben, fonbem als etnanbet feinblicr) entgegengefe^t, es fcfjien, 
als fönne man nicbt ?ugleicf> beiben angehören, als müffe man 
ficf) für bie eine ober bte anbete entfcfreiben. 

gerrfa)enb würben bie ©ebanfen bet astetifcfren Sfttlicbfeit 
im THittelalter. @te geftalteten bas ftttlid>e 3beal biefet 3eit: noll* 
kommen ift, wet nur bem f}etl feinet <SccIe febt unb besjwlb bem 
tpeltlt<f>en ßeben, foweit als es möglich tft, entfagt. *Det ©oll* 
fommene (Ebrift tft bet THona). Denn um feines &tmmlif<j>en 35e* 
tufs willen t)at et bie U3elt oerlaffen. <£s bleibt ibm, mit £ran? 
t>on Jlfftft }\x teben, nicbts ?u tun übrig, als baß et eifrig ift, 
©ottes lOillen yu befolgen unb ibm }\x gefallen, (fr foll nichts 
begehren, nichts wollen, nichts foll ibm gefallen unb etfteuen, als 
bet, bet fein Schöpfet unb (ftlöfet ift, bas oolltommene, mabre, 
böcfrfte ©ut. (Eckten lltöncben, toie £tan? oon Äffift obet bem 
jungen £utber, toat es bittetet CErnft mit bem ©rieben naa) biefem 

Jlbet wenn bies bie ^olttommenbeit toat, bann beftanb ein 
um>etföf>nlia)et ©egenfatj ?wifcf>en bem ßeben, in bas ©ort ben 
7Henfcr)en butcr) ©ebutt unb (Erhebung, butcb feinen Beruf unb 
feine mannigfaltigen Pflichten btneingeftellt bat, unb bem £eben, 
bas ibm betfelbe ©Ott als bas oollfommene ßeben ootbält unb 
?u bem et ijm einläbt. THan fann noa) tiefet geben: bann beftanb 
ein unoerförjnlicjjet ©egenfaf} ?wtfcr)en bem auf bet göttlichen 
@a)öpfetorbnung berur)enben natürlichen ßeben mit feinen Ottilien 
Aufgaben unb bem aus bet göttlichen Qeilsotbnung folgenben 
oollfommenen ßeben mit feinen as{ettfd)en ^otbetungen: was 
jenes bem T!tenfcr)en als Pflicht auflegte, bas ?u (äffen unb baoon 
ftd) ab?utebten gebot ibm biefes, wäbtenb jenes tr)n mit anbeten 
Q3Ienfcf>en in £tebe unb Eingebung oetbanb, jettif) biefes alle folcbe 
Banbe: pe follten ben 3Kenfa)en nicfrt feffeln. (Es ift nicfrt un* 



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24 



2. Die tteformafton unb bie flulhfren Änfdjauungen 



geteert, meun man urteilt: eö lag etwas Unnatürliches in bet mittel* 
altetlichen Uotftellung be$ oolKommenen £ebens. Tliemanb ^at 
bie* fchätfer empfunben unb beftimmter auagefprocfjen als £uther. 
Die Tttönche, fagt et, matten einftmate aue ben THenfchen um 
emppnbliche ftlö'^e unb Steine. Der hW* 9luhm bet ^eiligen 
fehlen, bafj pe nicht oon irgenbeiner Rtt ber (Emppnbungen bemegt 
mürben. 

Die ?erpotenben folgen be* mtfte(alter(i4)enl3o[(!ommenbettds 
begriffe matten pch noch nad) einet anbeten Seite hin bemetflid). 
Die asfetifche T3olltommenheit fonnte nicht oon allen dfmffen 
gefotbett metben. Die THenfchheit hätte pch felbft oernichtet, menn 
e« gefchehen märe. Die itirche ttug bem Rechnung, inbem fie 
unter ^ottbilbung t>on ttnfchauungen, bie pe aus bet alten Httdjje 
übetfommen hotte, eine boppelte Sittlichkeit Iei>rte: bie eine, ?u 
bet alle oerbunben finb, bie Sittlichfeit bet gemeinfamen Stiften* 
Pflicht, bie anbete, bie nut oon menigen etfttebt unb erreicht mirb, 
bie Sittlichfeit ber 'Eollfommenen. 3ene forbert ©Ott burch feine 
allen gültigen ©ebote, biefe empfiehlt er benen, bie baju imftanbe 
finb, butch bie eoangelifchen 9tatfa)(äge. Die ©ebote ©ottes 
müffen erfödt merben, ba ohne ij>re Befolgung bas Qiel ber emigen 
Seligfeit nicht erreicht metben fann. Dagegen ift bie Beobachtung 
bes Ttates bet (fntfeheibung bes Tttenfchen anheimgegeben. 38er 
i^n nia>t befolgt, begeht feine Sünbe? met ihn abet erfüllt, ber 
gelangt pcherer, gemiff ermaßen auf gerabem Tüege ynm Siel bes 
emigen ßebens. Denn betrat meift jum ßeben berTJollfommenen 
im Bruch mit bem meftlichen ßeben. Äls grunblegenbe Ttatfchläge 
galten bie THönchsgelfibbe Ätmut, fteufchheit unb ©ehorfam: 
b. h. T3et?icht auf itbifchen Eep$ unb auf jebe Xätigfeit um irbi* 
fchen Eejtyes mülen, T3er?icht auf bie ©emeinfehaft ber <Eh« unb 
bes jamilienlebend unb bamit auf bie (finglieberung in bie fokale 
unb ftaatliche ©emeinfehaft, unb 73er?icht auf bie perfönliche £rei* 
heit unb bamit auch <wf bie berechtigte ©eltenbmachung bee eigenen 
3ch innethalb bet menfchlia)en ©emeinfehaft. 



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2. Di« Tfcfoimation un& Me pttli<t>en Änföauuna« 25 

War bura) bie mittelalterli<r)e Dorfteüung oon T3olI£ommen* 
{>eit ein unheilbarer ßwiefpalt in bie fittlia)en Pflichten gebraut, 
fo würbe burefc bie ftnnabme einer boppelten @ittlicj>feit ber Oe= 
ban!e bes Outen in ft<f> gefpalten unb bie 3bee ber Pflicht um 
tyre Unbebmgtbeit gebraut. Out ift, wenn i<r) fo fagen barf, ein 
(Enbbegriff; es tonn nichts barübet binaus geben, Oibt es jen* 
feit» bes Outen etwas, bas beffer ift, fo (>ört bas Oute auf gut 
?u fein. 3m Tttittelalter aber fpraef) man oon Outem, bas beffer 
fein follte, ab bas Oute. 'Dabura^ würbe biefes bcwbgebrärft, 
in feinem Töerte jerftört. OEs liegt im Tüefcn bes Outen, baß es 
für ade gilt? bie Pflicht ?um Outen binbet besfcalb alte gleicher* 
maßen: fpricj) einen oon ij>r frei unb bu (>aft bamit allen bas 33anb 
gelöft. 3m Tttittelalter aber fpraa) man oon Outem , bas nicf>t 
alle banb, oon einer Verpflichtung ?um Outen, bie man je naa) 
£uft ober TIeigung übernebmen ober ?urüctweifen tonnte. Dabura) 
war bie <£in(>ettÜa)Ceit bes fttt(ic$en Gebens aufgelöft. 

'Daran fnüpfte per) fofort ein weiterer 3rrweg. *Die Kirche 
feuerte ynt Befolgung ber eoangelifchen Ofatfcbläge an, inbem ftc 
lehrte, baß bie <£r)rtften burch ifw Erfüllung ficr) Uerbienfte oor 
Oott erwürben. Diefe Hoffnung würbe ?um ftärfften 33eweggrunb 
für ihre Beobachtung. U3ie £ut(>er THönch würbe, um fich burch 
bie ßeiftungen ber flöfterlichen CEntfagung unb bes flöfterlichen 
Oej>orfams bas r>tmm(tfcr>e ßeben ju oerbienen, fo finb Saufenbe 
unb Äbertaufenbe allerorten in bie ftlöfter gegangen. Unb bie 
fo franbelten, waren keineswegs bie fchlec(>teften (Ebfiften: es war 
ihnen tiefer CErnft mit ihrem Streben unb fingen nach Uerbienft. 
Dies Tttotio wirfte nun aber nicht nur im IHoncrjtum ; es brängte fid) 
in bas gan?e Oebiet bes fittlichen f>anbelns ein unb raubte ibm 
feine Feinheit unb Wahrheit. 'Das tritt am oerle^enbften ba ju« 
tage, wo ber Oebanfe an bas eigene 3er) am oolfftänbigften bätte 
oerfchwinben follen, bei ben Öanblungen ber TGobltätigreit. Oebem 
fagt bas unmittelbare Oefübl, baß fie nur bann Tüabrbeit haben 
unb wertooll fmb, wenn fie allein um bes armen Tiächften willen 



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2. Die Deformation unb bie flttll<&<n 3lnfa>auungen 



gefcf)ej>en, um ir)m aus feinet Hot ju Reifen 3m TKittelalter aber 
unterfcf)ieb man: bas Älmofen ift balb ein TUerf bes (Erbarmens, 
balb ein löer! bet (öerea^tigteit; im etften £all fpenbet es bet 
©eber, um bem Häuften ?u bienen, im anbem, um für eigenes 
Unre<f)t Genugtuung ?u leiften; fo ober fo ertoirbt er fta> babura) 
ein TSerbienft, bas i(>m getarnt mirb, fei es buref) (Erlaß ber Strafe, 
fei es buref) €>egen im biesfeitigen ober jenfeitigen ßeben. 3nbem 
bie Jlusfiaj>t auf £o(m ?um Ittotio für bas ©penben oon ftlmofen 
mürbe, brangfe fi<f> ber (Egoismus in bas pttßc^e öanbeln ein; 
um feine 7tein(>eit unb U3af)r()ett mar es gefcj>er)en. 

Diefe Slnfcjjauungen fanb bie Deformation oor. ©erabe meil 
£utr)er unb feine ©efinnungsgenoffen jahrelang in ijmen gelebt 
Ratten, oon i(>nen in i^rem ganbeln beftimmt morben maren, waren 
fie bura)brungen baoon, baß fie oerroerflia> feien. £utf>er ift, ben 
eoangelif<f)en Daifc&lagen folgenb, ins ftlofter gegangen. ftber 
fpäter (onnte er ni<f>t TOorte genug ftnben, um bie Xeilung bes 
(Eoangeliums in ©ebote unb Däte ?urüa*?utoeifen: er meint, fdwb* 
liefere, oergiftetere ©prücjje feien auf (Erben nierjt aufgenommen; 
fte Ratten baslüoet (Rottes aus ber Welt oertrieben, baß man nicf)t 
mer)r miffe, mas ©ebot ober (Eoangelium fei. (Ebenfo entfa^ieben 
trat er ber Uorftellung oon einem ©tanb ber T3ollfommenf>eit ent* 
gegen: 55linb, blinb, blinb, toll, toll, toll, töriajt, töri<f)t, törta)t 
unb unfinnig ÜJolf, ruft er einmal in einer Prebigt aus, als er 
auf biefen Punft ?u reben fam. ll\d>t ?um minbeften fpraef) er 
gegen bie egoiftifajen THotioe beim fittlicfren Qanbeln. (Er beforge, 
baf) menig Xeftamente unb Stiftungen cjjriftlia) feien. Denn in 
benfelben fucfje jeber bas ©eine, inbem er meine, bamit feine 
Sünben ju büßen unb feiig jvi werben. Denn meines Tßtxt nia;t 
bar)m gerietet fei, bem anbern yu bienen, bas fei nicj>t ein gutes 
<j>rtftlt<f)es TRexl 3cf) rate btr, fagt er, millft bu etmas ftiften, fo 
tue es nicf)t ber 7üeinung, baß bu mollteft bir etmas Gutes tun, 
fonbern gib's bafjin frei, baß anbere £eute besfelben genügen 
mögen unb tue es if>nen ?ugut. 60 bift bu ein redetet (Ebrift. (Er 



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t 

2. Die Ofofotmation unb bfe fittll^en Änf^auungen 



27 



urteilt, alles fei beinahe geftiftet um bes Fegefeuers unb ber goKc 
willen. Jlber frei, frei follft bu geben, nicfjt angefeben, no(j> ge* 
fua;t, noa) begehrt, benn bafj es ©ott woblgefällt unb bie ßeute 
es bebürfen. ßutber bat ben 78iberfprua> gegen bie 7Uufft4>t auf 
bas eigene 3a> beim ftttliajen f)anbeln bis an bie äußerfte ©ren?e 
getrieben: aua) bie 7lüa*fiaj>t auf bie eigene ©eligfeit barf nidjt 
bas 7ttotio bes cbriftlia^en Qanbelns fein. Derjenige betrügt fia; 
felbft, ber fiaj> für einen fiiebbaber (Rottes (>ält, wa(>renb er nicj>t 
©Ott um (Rottes willen, fonbern um feiner felbft willen bient unb 
fromm ift, b. b. roäbrenb er aus Fura)t oor ber QöiU ober aus fjoff* 
nung auf ben Qimmel unb nia)t um ©ottes willen fromm ift. 
!Äu<b unfer eigenes ©eil bürfen mir nur fua^en ?ur CEbre ©ottes $ 
benn bas (Eigene fua)en, ift aua) babei unrea)t. ßutber fa)eute 
fia) nia;t, bie £iebe, bie (Sott liebt um bes eigenen Tlufcens willen, 
„Öurenliebe" jn fabelten. (Er fanb fie bei benen, bie nur benfen, 
rote fie motten ber Strafe unb Pein entlaufen, obne bana<b jvl 
fragen, roo ©ottes Tlame unb OieicJ) bleibe. 

Der Uerbienftbegrtff enblicf) unb bie bamit ?ufammenbängenbe 
T3orftel(ung bes £obnes warf er oöllig über 33orb. Diejenigen, 
bie mit ibrer Frömmigkeit etwas oerbienen roollen, ftnb THietlinge, 
ftneajte, Xaglöbner. Freiwillige ftinber unb (Erben bagegen pnb 
biejenigen, meiere nur um ber F*ömmigfeit felbft willen fromm 
finb, b. b. um ©ottes willen allein. Denn ©ott ift bie ©erea)tig* 
feit, Tüabrbeit, ©utbeit, Weisheit, Ftömmigfeit felbft. Wer ma)t 
mebr fucf>t benn Ftömmigfeit, oer fua)t unb pnbet ©Ott. Wenn 
ber (Seift fommt, fo maebt er ein reines, freies, luftiges, fröblicbes, 
(iebliajes Qer?, bas (auter umfonft fromm ift, feinen £obn fucj)t, 
feine Strafe fürchtet, nur um ber Frömmigkeit ober ©ereefctigfeit 
felbft willen fromm ift unb tut es alles mit <$reuben. 

ßutbers polemif gegen bie fittlicben $nfa;auungen bes TUttte!« 
alters wirb im allgemeinen weniger beamtet, als fein Auftreten 
gegen bie religiöfen THißftänbe. ftber fie ift oon nia>t geringerem 
Töert. 6ie wirfte wie ein Tleinigungsbab. Für bie eoangeliföe 



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28 



2. Die Tleformatfon unb 6te fMH<t)en ftnföauunflen 



Sittlichfeit mar es unenblich ()cüfam, baß fte oon Anfand an un* 
oermorten blieb mit bem täufcbenben 3bealasfetifcberT3ollfommens 
beit, mit bcr in bie Store fübrenben 73orftellung einet boppelten 
©ittlicbfeit, mit bem trügerifcben Verbienftbegriff unb bem egoifti* 
fa>en ßobnftreben. 'Daburcb mürbe ber cbriftlicben 6ittlicbfeit if>re 
fiauterfeit jurücfgegeben. 

Öaben mir uns bisher oergegenmärtigt, mas ßutber ablehnte, 
fo ift nic^t minber mistig, meiere fittlichen ftnfchauungen er felbft 
entmicfelte. 

Ufte für bie religibfen Überzeugungen ßutbers bie Xatfad>e 
ber 6ünbe unb @ünbbaftigfeit TJorausfetmng mar, fo auch für 
feine fittlichen ftnfcbauungen. IRxt unerbittlicher Klarheit brong 
fein Elia* in bie ftbgrünbe, bie im menfa;Iio>en Döefen liegen. 
(Er oerfannte nicht, baß im 7Henfcj>en mancherlei natürliche Antriebe 
?um Outen mirffam finbj aber er mar überzeugt, baß bie Neigung 
jum Verbotenen meit mächtiger ift: fie führt ba?u, baß ber THenfcr), 
mie er ift, nichts als ^3öfcö tun fann. ftueb bas (Gute, bas er 
oollbringt, ift nicht mirflieb gut. 71un greift jvoat bie Onabe ret« 
tenb unb erneuernb in bas £eben bes (Eb"ften ein. Jlber £utber 
täufchte ftch nicht barüber, baß auch im (Gerechtfertigten unb 
TBiebergeborenen bie THacbt bes Eöfen, ber böfen Neigungen unb 
Xriebe feinesmegs entmurjelt ift. 6ie ift oorbanben unb mirft. 
fiuther hatte feine $reube baran, baß man oon „fyiliQtn" fpracb 
unb biefelben fo hoch erhob, ab mären fi« etmas anberes unb 
befferes benn bie übrigen (0)riften. T3ollenbs bie UorfteKung, baß 
irgenbetne kirchliche Qanblung 1)kt eine Unberung b"beifübren 
tonne, mied er meit oon fich. Sls^er, fagt er einmal, finb mir ge* 
(ehrt morben : menn man gebeichtet hätte ober märe in einen geift* 
liehen €>tanb getreten, fo mären mir gar rein unb bürften nicht 
mehr mit ben ©ünben ftreiten. *Da?u haben fie auch Ö*faöt> baß 
bie Xaufe alfo lauter unb rein mache, baß fein Eöfes im TRen* 
fchen bleibe. Das alles bünfte ihn eine gefährliche 6elbfttäufchung. 
3br bürft nicht benfen, mahnt er, baß es mit (Spielen unb Schlafen 



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2. Die Deformation unb bie flttll<fren Änfäauimflen 29 



werbe jugehen. TBeil if>r an <£briftum glaubt, ift eua) bie Sünbe oer* 
geben} fie ift aber nicht tot, regt fleh noch, weil ihr lebt. OEs wirb 
mit ©ewalt jugehen müffen, baß if>r bie ßüfte bedingt unb bämpft. 
Je größer euer ©laube ift, je größer roerben auch bie Jlnftöße fein. 

@o lebte er in bem Eewußtfem, baß bie flttlicbe Aufgabe bes 
Tttenfchen bie größte unb fchwerfte ift, bie ihm in biefem £eben 
gefterft wirb. Darüber fodte fs4> niemanb tauften, am wenigften 
bie ©laubigen: fie follten wiffen, baß auch in ihnen Unglaube, 
Ungebulb, böfe ©ebanfen noch oorbanben unb eine THacht finb. 
ßutber t>at beshalb bas <f>ctftltcf>e ßeben gerne ab einen Kampf 
bezeichnet, (fr fagt: OEs ift nichts artberes, benn ein Streit unb 
ein Heerlager, ftber nia)t minber naa)brüc?ltch betonte er, baß bie 
Kraft, um btefen Streit }u beftehen unb in ihm ?u ficgen, oor* 
banben ift. 

(fr (>at, tote gefagt, nicht beftritten, baß es natürliche $ln* 
triebe jum ©uten gibt, bie man überall mit mebr ober roeniger 
"23eftimmtr)eit wahrnehmen tonn. (Er bat ?. 35. bas Uorbanbenfein 
ber natürlichen IHenfchenliebe bei ben meiften, um nicht jü fagen, 
allen 7Renfcj>en anerkannt. Unb wer möchte auch fo Minb fein, 
bas natürliche Utitleib, bie natürliche Sreunblicbfeit u. bg(. nicht 
?u fehen? ftber £utf>er urteilte, baß alles bas nicht weiterführe. 
Denn abgefehen baoon, baß bie natürlichen Antriebe jnm Outen 
gegenüber ber ©ewalt bes (Egoismus im THenfchen oerbältniss 
mäßig fchwach finb, werben fie auch &urcf> bie 73ermifchung mit 
felbftifchen 35emeggrünben entftellt, verunreinigt. £uther fagt oon 
ber natürlichen 7Henfcj>en liebe, fie erlahme am Kreu?, b. h* f" 
werbe matt unb fchwach, wenn fle Schwierigkeiten, Döiberftanb, 
oollenbs Unheil ftnbet. Denn fie liebe nicht eigentlich ben Ttächften, 
fonbern bas ©ute bes Tlächften: fte wolle füß unb frieblich fein. 
Sie fuche alfo im legten ©runbe bas (Eigene. 

Wenn fomit ber THenfcb bie Kraft ?um ©uten nicht in 
feinem natürlichen Töefen pnben (ann, fo heftet er fte bagegen 
im ©lauben. 



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30 



2. 'Die Deformation unb7bie fittild>en $nfdwuunfien 



Das war einer ber 5unbamenta(fät>e £utbers. IZicbts war if>m 
gewiffer, ob baß ©ittficbteit unb <£römmigteit untrennbar ?ufam* 
menbängen: fo wenig es £römmigteit gibt, bie fia; nicht betätigt, 
fo wenig gibt es echte @ttt(t4>Eeit, bie nicht ihre Wurzel tn ber 
Frömmigkeit, nad) Durbers Spraye: im ©tauben hätte. 3" feinen 
betannteften ftusfprüchen gehört bas fa)öne Wort über bas Wefen 
bes Glaubend aus feiner Uorrebe ?um 3tomerbrief oon J522: 
(Stauben ift ein göttliches Werf in uns, bas uns wanbelt unb neu 
gebiert aus (Sott unb macht uns gan? anbere THenfcben oon Qer« 
?en, THut, ©inn unb allen Kräften unb bringt ben ^eiligen ©eift 
mit fia). O, es ift ein (ebenbig, fchäftig, tätig, mächtig Ding um 
ben ©(auben, baß unmöglich ift, baß er nicht ohne Unterlaß follte 
©utes Wirten. (Er fragt auch nicht, ob gute Wert yn tun finb, 
fonbern ehe man fragt, bat er fie getan unb ift immer im Xun. 
Wer aber nicht folcbe Werfe tut, ber ift ein glaubenslofer IHenfd), 
tappt unb fiebt um ficb nach bem Glauben unb guten Werten unb 
weiß weber, was (Staube, nod) u>as gute Werte finb. (Ein anberes 
THal oergletcht ßutber ben ©tauben mit bem THenfchen: Wie ein 
lebenbiger THenfcj) ficb nicbt enthalten tann, er muß ficb regen, 
effen unb trinten unb yu fcbaffen haben, unb es nicbt möglich ift, 
baß fo(a)e Werfe tonnen außen bleiben, weil er lebt, baß man 
ibn nicht barf beißen unb treiben, folche Werte ?u tun, fonbern 
wenn er nur lebenbig ift, fo tut er l s, alfo auch bebarf man nicht 
mehr ba?u, baß man gute Werte tue, benn baß man fagt: 
©laube nur, fo wirft bu es alles oon bir felbft tun. Denn ber 
©(aube (ehrt es ihn alles, unb bann ift alles woblgetan. Weil 
menfchtiche llatur feinen ftugenblicf fein mag ohne Xun ober 
£affen, ßeiben ober fliehen - benn bas £eben ruht nimmer, wie 
mir fehen - wohlan, fo heb 1 an, wer ba will fromm fein unb ooll 
guter Werfe werben unb übe (ich felbft in altem ßeben unb 
Werfen jn alten 3eiten an biefem (Glauben, lerne ftetiglich alles 
tun unb (äffen in folcher 3uoerficht, fo wirb er finben, wieoiel er 
yu fa>affen hat 



2. Die Reformation unb bie ffltlicben ftnfdjauutiflen 



3! 



Tlaa) ßutber ift bemnaa) bas ftttltche ganbeln für ben ©lau« 
btgen unbebtngt notwenbtg. Äber btefe 7lotwenbtg!eit tft nicht 
äußerer, gefeilterer 3t»Gng, fonbern ^ofge beffen, was ber ©lau« 
bige tft. (Er fagt: bie ©onne teuftet mit Tlotwenbigteit, unb 
boef) leuchtet fte nt<|>t auf ein ©ebot bin, fonbern traft ihrer Harur, 
man (önnte fagen: auf ©runb eines unoeränberltdjen Tßillens, 
ba fte gefd>affen ift, um ?u leuchten. €>o oollbringt bie neue 
Kreatur bie guten Itterte traft unoeränberltcher Tlotwenbigteit. 
60 wirft ©ott felbft notwenbtg nur bas ©ute unb wirft er es 
boa) obne ©efefj. 

Diefe Kraft beftyt ber ©laube, ba er nicht menfeblicber Wahn 
ober Xraum ift, fonbern ein ©otteswerf im Tttenfcben. Denn gut 
tft nur, was ©ott in ber 6eele wirft. Uon biefem ©eftchtspunft 
aus tonnte £uu)er gerabe?u fagen: Unfere TBerfe ftnb ©ottes 
TUerfej gut nur, tnfofern fte oon ©Ott gewirft ftnb. 

Tlacb einer anberen Seite bin erläuterte £utber ben pftjd)o(o= 
gifeben Vorgang, ber 00m ©lauben yum Qanbeln führt, inbem er 
baran erinnert, baf) ?wifcf>en betben in berTItftte bie £iebe ftebt: 
löer ber göttlichen T3erbetf)ung unb bem göttlichen Xroft glaubt, 
ber gewinnt baburch ©Ott lieb. Die $olge tft, baf) er ein fröhlich, 
fteber, frieblich Oer? gewinnt: barnacb wirb fo(cf>er ©laube wohl 
Werfe tun. Ober: Der ©laube bringt mit ftcb £iebe, triebe, 
©offnung. (Ja, toenn wir's recht anfeben, fo tft bie £iebe bas (Erfte 
ober je zugleich mit bem ©lauben. Denn ich möcbte ©Ott nicht 
trauen, wenn ich nicht gebächte, er wolle mir gfinftig unb ho(b fein, 
baburch ich >h m wieber b<>Ib toerbe unb bewegt, ihm \)tx)iid) ju 
trauen unb alles ©ute ?u ihm }u oerfehen. 

Töenn man bie 33ebeutung bes ©laubens für bas ftttltche 

Öanbeln im 6tnne hat, oerfteht man, warum £utber nichts baoon 

wtffen wollte, baf) ber THenfch burch fein TBirfen unb Ö<wbeln 

gut, gerecht, fromm werbe, (fr (ehrte ben @afc um: ©ute fromme 

Töerfe machen nimmermehr einen guten frommen THann, fonbern 

ein guter frommer THann macht gute, fromme 7Uerfe. £öfe lüerte 

9* 



32 



2. Die Deformation unb bie Rüll^en ^nförniunflen 



machen nimmermehr einen bbfen THann, fonbern ein böfer THann 
macj>t böfc Werfe, ftlfo baß alle löege bie Perfon muß gut unb 
fromm fein oor ollen Töerfen, unb gut* Werfe folgen unb aus« 
geben oon ber frommen guten perfon. (fr erinnert an bas ©leicfcnis 
bes Qerrn oom guten unb faulen 35aum unb folgert: Töte bie 
Zäunte eber ba finb als bie £rüd)te unb biefe bie 35äume toeber 
gut noef) fa)lec()t machen, fo muß ber 7ttenfcf> in ber Perfon ?uoor 
fromm ober böfe fein, ef>e er gute ober böfe U3erfe tut. 3tocf> bie 
löeisbeit oon ber ©äffe mußte ibm ?um ^3eu>eife bienen: er führte 
bas @pricj)toort im THunbe: Ufte ber THeifter, fo bas Werf. 
Tüabrbaft ©utes fommt nur oom Ttfiebergeborenen: Non iusta 
agendo iusti effieimur, sed iusti fiendo et essendo operamur 
iusta. 

K3te geftaltet fia) nun bas rea)te T3err)alten im einzelnen? 
Das Tttittelalter toußte eine Ulenge ^anblungen aufeu?äblen, bie 
oor ©ott gelten, an benen er, wenn ber THenfa) fie oollbringt, 
fein TDoblgefalien bat: oft toieberf)oltes *)lofenfran?gebet unb Pfal* 
mengefang, allerlei ©elübbe, Wallfabrten, Stiftungen ber oerfefrie« 
benften ftri u. bg(. £utj>er fcj>ob all bas, bas ©roße unb bas 
Kleine, beifeite, inbem er erflärte, baß toir ©Ott gegenüber nur 
eine Pflia)t baben, nämlta): baß toir ibm feine CE^rc geben. Das 
geflieht aber, inbem toir ibm glauben unb trauen. 3n biefem 
3ufammenbang fam ber ©laube für ßutber naa) feinem ftttli<j>en 
©efwlt unb U3ert in 33etracbt. (fr erinnerte: ©ott fann niefrt geebrt 
»erben, es toerbe ibm benn UJabrbeit unb alles ©ute ?ugefcf>rieben. 
Das tun aber feine guten TUerfe, fonbern allein ber ©laube bes 
Qer?ens. Denn barin befielt ©ottes (fbre, baß er uns nia^t buref) 
unfer TBerf, fonbern buref; fein gnäbiges Tftort umfonft unb aus 
lautet ^armber^igteit feiig maebt. (f s ift ein feiner ©ebanfe, toenn 
£utl)er barlegt: Wer einem anberen THenfcjjen glaubt, ber tut es, 
toeil er ibn für einen frommen, roabrbaftigen THann aa)tet. Das 
ift bie größte <f(>re, bie ein THenfcfc bem anberen tun fann. Um« 
gefe&rt ift's bie größte Scjunaa), toenn er tyn für einen (ofen, 



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2. Dfc Deformation unb bit fittfid>en Änfd>auungen 33 



lügenhaften, leichtfertigen THann achtet. IRlfo, auch, wenn bte €>eele 
©ottes TBort feft glaubt, fo hält fte ihn für wahrhaft fromm unb 
gerecht. Damit tut fie ihm bie allergrößte <£(>"» bte fie ihm tun 
tann. Denn ba gibt fle ihm recht, ba ehrt fie feinen Tlamen unb 
läßt ihn mit ihr (wnbeln, rote er rotll. Denn fie zweifelt nicht, er 
fei fromm unb wahrhaftig in allen feinen löerfen. 

ftus ber jerftreuenben T3telgefchäfttg!ett mit Äußerlichkeiten 
unb Tüchtigkeiten, oon benen man roähnte, baß ©Ott fein TBobl* 
gefallen baran höbe, führte £utber ?urüa* }ü bem fcblicbten, ein«, 
fachen unb boch unenblicb roertoollen Kernpunkt: unfer Qanbeln 
©ott gegenüber rann nur in bem geiftigen ftlt beftehen, in bem 
wir uns gan? unb gar in bas ergeben, roas er ift unb roas er uns 
ift: ©tngabe an ihn, ben gnäbtgen, bas ift alles. 60 follte bas 
fromme £eben roteber ftill, einfach unb groß werben. 60 roie es 
fein muß, roenn man beben!t, roas bas TBort „©o'tf enthält. 

Tieben bem ganbeln ©Ott gegenüber ftanb für £utber bie 
Arbeit an bem eigenen 3cr). 3" feinen fchönften Schriften gehört 
bas Büchlein oon ber Freiheit eines (Ehnftenmenfchen aus bem 
(Jahre )520. 3n ihm fommt er auf btefen Puntt ju reben. (fr 
geht baoon aus, baß ber (Ebfift, b.er im ©lauben alles heftet, roas 
er für feine €>ee(e bebarf, boch n °ch im leiblichen £eben auf (Erben 
fteht. Da heben fich nun bie TBerfe an: hie muß er nicht müßig 
gehen. Da muß fürroahr ber £eib mit haften, TÖachen, Arbeiten 
unb mit aller mäßigen Qud>t getrieben unb geübt fein, baß er bem 
innerlichen THenfchen unb bem ©lauben gehorfam unb gleichförmig 
©erbe, nicht habere noch rotberftrebe, roie feine ftrt ift, roo er 
nicht gezwungen roirb. Denn ber innerliche THenfch ift mit ©Ott 
eins, fröhlich unb luftig um $b"fti willen, ber ihm footel getan hat, 
unb fteht alle feine £uft barin, baß er roteberum möchte ©Ott auch 
umfonft bienen in freier £iebe. <So ftnbet er in feinem ^letfch 
einen roiberfpenfttgen TDtllen, ber ber Weit bienen roill unb fuchen, 
roas ihm lüftet. Das mag ber ©laube nicht leiben unb legt fich 
mit £uft an feinen öals, ihn ?u bämpfen unb ?u roehren. Das 



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34 



2. Die TUformatlon unb 6le ftft(id)en 5)nf^auungen 



3te( ift bte innere (Einheit bes ©eins: bie €>eele ift bur<f) ben 
©tauben gereinigt unb liebt ©oft. @o roill fie, baß alles rein 
»erbe, befonbers ber eigene £eib, baß alles mit tf>r ©Ott liebe 
unb lobe. 

Was £utf>er forberte, ift bie »Übung bes cf>riftlicf)en tyataU 
ters: ber unfelige 3öMefpalt ?roifa;en ben trieben unb ben ©runb* 
fetyen, jroifdben bem ^mräefn un b ber Überzeugung , an bem fo 
viele jugrunbe geben, foll übermunben roerben. 'Der (Ebrift muß 
in fta) einig fein. Die Aufgabe ift unenblia). Tlua) baran erinnerte 
£ut(>er: Der Tttenfcf) muß immer oon neuem anfangen, benn es 
bleibt immer etwas übrig, roorin er roacfcfen fann. Deshalb ift er 
immer in Beroegung unb ftebi er bo<(> immer am Anfang. 3n 
biefer nie ?u (fnbe fommenben Arbeit an bem eigenen 3cf> beftebt 
bie nad)fte unb unmittelbarfte Aufgabe bes frbtfcf>en £ebens. ©ie 
lo&nt fia) barin, baß ber THenfcf) ftärfer roirb ?um fabeln unb 
Dötrten in ber Jlußenroelt: je mebr man bie geiftige Kraft übt 
unb treibt, um fo mebr erftarft fiej fie nimmt ab, wenn man fie 
nicf>t treibt. ©aMießlicf) fü(>rt biefe Arbeit ba?u, baß alles menfa> 
licfje im (£(>nften }\i feiner T3ollenbung fommt. Denn ber ©laube 
unb ber 0ei(ige ©eift oerberben unb jerftören bie Hatur nia)t, 
fonbern fie feilen bie oerberbre unb ?erftorte unb ftellen fie roteber 
r)er. Darin erfüllt ficf> ©ottes Wille: ber @d)öpfer ber Tlatur roi(( 
bie Tlatur nicj>t ausgelöst, f>abenj fie foll reiner unb barmonifefrer 
roerben, als fie im natürlichen Tttenfcjjen ift. 

Kaum jemals ift ber U3ert ber Arbeit an bem eigenen 3er) fo 
treffenb geroürbigt roorben, als es oon £utf>er in biefen ©ätyen ge* 
febab. 3ugleicr) aber roebrte er jebe falfcrje Beurteilung berfelben ab. 
6ie barf nicr)t gefd>cf)eti in ber THeinung, baß baburcr) ber 1Hettfd> 
fromm roerbe oor ©ott. Das roäre geroiffermaßen ein (Eingriff in 
bie 9lecr)te bes ©laubens: bas fann ber ©laub' nierjt leiben, ber 
allein ift unb fein muß bie <$rö'mmigtett oor ©Ott. 

3nbem £utber bas Qanbeln auf bie angegebenen 3**1* richtete, 
maa>te er ben d&riften innerlich frei oon ber THenge oon T3or* 



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2. Die Deformation unb Me fltflicben ^nfrf>auungen 35 

fcf>riften unb (Geboten, bie ibm bie mittelalterliche Kircfce entgegen« 
bielt. Den Tüert ber cf>rift(i4>en ^reibeit wußte niemanb (>öf>er ?u 
fcfcctyen unb (outet ?u rübmen, als er: Der (Djrift ift frei oon allen 
©eboten, bas ©ewiffen ift errettet oon ben THenfcfcenfatjungen unb 
allem QwatiQ. ftus lauterer £reibeit, umfonft tut er altes, was er 
tut, obne baf> er bamtt feinen Tlufcen unb feine ©eligfeit fuebt. 
Denn er ift fd>on feiig burefr ben ©lauben unb (Rottes ©nabe: 
er (>anbelt nur, um ©Ott ju gefallen. Daß bie cf>riftlic(>e Sretyeit 
burc(> bie Ttücfftcfct auf ben 7Iäc(>ften, befonbers ben <Scj>wacf>en, 
eingeföränft wirb, beffen war er fid) wobl bewußt. ftber bas 
binberte ibn niebt, ernftlicfr unb bringenb ?um Kampfe fär fie auf« 
?uf orbern: roir müffen biefe jreibeit feftbalten unb uns niebt baoon 
bringen (äffen. Die (Ebnften foKen toiffen, baß fiie im ©lauben 
alles böben, was ?ur @eligfeit bient, unb fortbin feines Dinges 
ba?u bebürfen, unb baß fte nichts me(>r fcfculbig finb ju tun, benn 
©ott ?u (oben unb }\i preifen unb bem 7läa)ften ju bienen unb 
?u r)e(fen mit aKern, was fle jjaben. (fr tonnte gerabe?u ?um Un* 
geborfam gegen fircf>licj>e ober bürgerliche ©ebote aufforbern, bie 
angeblich religiöfe Qanblungen forberten. „Tüenn bicj> ein ^3ifcf>of 
ober £ürft wollt* zwingen, bie Kappe - bas THöncbsaeroanb - 
?u tragen, follft bu fte tf>m ?um Xro^ über ben Kopf berabwerfen, 
bie ^reibeit ?u erretten." 

73on ber Arbeit am eigenen 3<f> jum Witten für anbete führte 
£utber bie Reflexion barüber, baß fein Wenfcf) für ficb lebt? er 
lebt unter anberen THenfcjjen auf CErben. Darum fann er nicf>t 
obne Werfe gegen biefelben fein: er muß ja mit ibnen ?u reben 
unb ?u fcjwffen baben, wiewobl tr>m berfelben KJerf feines not ift 
jux Srommigfeit unb ©eligfeit. 

(Es ift ber ©ebanfe ber Verflochtenheit jebes einzelnen in bie 
große fokale ©emeinfebaft ber THenfcbbeit, wooon er ausgebt, 
fjiefür \>atte er bas lebbaftefte ©efübl. (fr fonnte gerabeju fagen, 
jeber THenfch fei um bes anbern willen gefchaffen unb geboren. 
Darin liegt nach ber einen @eite eine Eefchränfung. ßutber bot 



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36 2. TNe OUformatfon unb bi< fluiden $nfd>auungcn 



fie ftai! empfunden unb naa>brüa*liO) betont: in ber großen ©e* 
mcinfcf)aft bat jebet einen Plafy, ben t^m ©ort angetoiefen bat. 
3fw foH er ausfüllen, inbem er bas tut, ums fein piat} in ber TOelt 
oon ibm forbert. Das meinte ßutber, wenn er fagte, ein jeber 
folle tun, was ir)m befohlen ift, ober: es fo((e fi(f> (einer etwas 
unterfteben, er fei benn ba?u berufen. Denn jü jebem guten TCer! 
gebore ein geroiffer göttlia)er 35eruf. Die Eerufserffillung in erfter 
©nie gibt bem gonbein bes Triften in ber Welt feinen 3nf>alt: 
„U3ir botten genug unb gar fatt ?u fcjwffen, ein jeber in feinem 
£eruf unb 6tanb: ein Prebiger mit feinem ßebren, ein Amtmann 
mit feinem Regieren, ein ©cbulmeifter mit feinem Unterroeifen, bie 
Knaben in guter 3u<b< unb im ©ejjorfam ju erbalten". £ut(>er 
meinte, wenn ein jeber auf feinen 33efebl Äa^tung j>at, wirb et 
alle fjänbe ooll jn tun finben, baß er fi<b mit bem, fo ibm ntcr>t 
befoblen, niebt bürfe bekümmern. 

THan (ann btefe $nf4>auung oon ber Eerufserfüllung faum 
boa; genug werten j benn bura> fie tourbe jener 3«>iefpalt ?t»if<ben 
ber irbifeben Arbeit unb ber <£bnftenpflia)t, an bem bas THitielalter 
frantte, überwunben. £eibe laufen ni<f)t auseinanber: benn in ber 
Eerufserfüllung oollbringt ber (E^rift feine <Ebrift«npfli<bt: er leiftet 
©Ott ©eborfam. 

TtJer bie (Einfügung in ben fokalen Körper naa) ber einen ©eite 
bas 4>rift(icbe £)anbeln einfa^tänh, fo eröffnet fte ibm nacr) ber an« 
beren Seite ben weiteften Spielraum; benn fie ftellt ibn allen als 
71ä<r)ften, als trübem gegenüber. £utber beruft ft<j> auf Pbil.2, !. 
Da bobe Paulus bas cbriftlicbe £eben babin geftellt, baß alle Werte 
follen gerietet fein ben Häuften ?ugut. Sür fia) felbft f>at jeber 
genug an feinem ©lauben. Me anberen K3erfe, bas gan?e £eben 
finb ibm übrig, feinem 71äa)ften bamit aus freier £iebe ?u bienen. 

fiutber bat biefen ßiebesbienft im allerweiteften Umfang ge* 
faßt: Reifen y retten, febüfyen, alles tun, toas ?ur (frbalrung ber 
(fbre unb 3\xd)t bes Hätten bient. (fr faßte bas ©roßte ins 
Jhige: bie Sorge für bas ©eelenbeil bes 71ä<f>ften unb bie offene 



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2. Di« Tteformatfon unb bie flttH^en Änföauunflen 37 

ber?licj>e £eilnabme an feinem (Ergeben, bie mit ben 5röbli<b*n 
fid) freuen unb mit ben TKeinenben meinen fann. Unb er flotte 
ben 33lia* für bas Kleinfte, mie, baß bet ^rembe ftcb ben ßanbes* 
fitten anpaffen foll, bamit Qaber unb Uneinigfeit üetmieben merbe. 
Den Quellpunft für bas ©roßte mie für bas ftleinfte fanb er im 
©lauben. „Denn aus bem ©lauben fließt bie £iebe unb £uft ?u 
(g>ott unb aus ber ßiebe ein frei, miliig, fröbli<b £eben, bem 
Tläcbften }ü bienen umfonft. Denn mie uns ©oft burcf) <Eb"ftom 
umfonft geboffen b<*t, alfo foKen mir bem Tläcr)ften belfen." 

3nbem ber dj>riff bas tut, erreicht er bas Öba)fte, mas ftcf> 
benfen (aßt: er nimmt teil am Härten ©ottes. ßutber mirft bie 
5tage auf: lOarum tut's ©Ott niefct allein unb felber, fo er boa^ 
roobl tann unb meiß einem jeben ?u belfen? ©eine Jlntmort ift: 
0a, er fonn 4 s mobl, er mill es aber ntcf>t allein tun. (Er mill, baß 
mir mit ibm mirfen unb tut uns bie <E(>re, baß er mit uns unb 
bura) uns fein Wtxt mill mirfen. 

Das Qki ber f$licf>ten, anfprua^slofen unb bo<f> fo oielgeftal* 
tigen Sätigfeit ber (Ebriften ift, baß bas gan?e ßeben ber THenfcfc 
beit eine ©eftalt geminne, bie bem göttlichen lötüen entfpri<bt. 
U3as in ber @a;öpfung angelegt mar, foll bur$ bas Qanbeln ber 
THenfcben ?ur (Erfüllung, j\xx CHeife kommen. 

Töie bie ^römmigteit ßutbers oorbitblid) für bie ^römmigteit 
ber eoangelifa^en ftirebe mürbe, fo baben aueb feine J)nf<bauungen 
über bie fittlicbe Betätigung bes ©laubens bie ©efamtüber?eugung 
beftimmt. Unb aua) biet tft !aum ein Unterfcfcieb ?mifcj>en ben 
beiben Hirzen ber Tieformation. Die reformierte ftir<j>e Ubrt 
ebenfo beftimmt mie bie eoangelifebe, baß alles ©ute £rua;t bes 
©laubens ift unb notmenbig aus bem ©lauben folgt. ftuej) ftc 
lebnt bie felbfterba<bte TJolttommenbeit unb bie felbftermäblten 
Pflichten ab: ber 7Henfcb b^t }u tun, mas ©Ott oon ibm forbert. 
ftueb fle meiß niebts oon Uerbienften, bie ber THenfcb fieb er* 
merben rann, lim in ber THotioierung bes Qanbelns macjjt fid> 
eine gemiffe 13erf4>iebeit^ett bemerfli<j>: man liebt es, ftärfer }u 



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38 



2. Die Tieformolion unb bie fltrltd>en Jlnfcbauungen 



Betonen als es oon £ut(>er gefcf>a(>, baß gute U3er(e bie oon ©oft 
gebotenen TBerfe pnb, unb man fü(>lt fiefc oerpflicfctet, fie zu oolU 
bringen nicf>t nur um ©ottes willen unb (Sott zu Dienft, fonbetn 
au<j> um ber eigenen <Erwäf)lung gewiß ?u werben. 

Das pnb fleine T3erfd>iebenf>eüen. Aber bas pttlicj>e 3beal tft 
basfelbe: ein THann, ber fepgegrünbet im ©lauben, besfratö pcj>er 
bura) bas irbifcjje £eben (>inbutd)fcf)reitet, ber, frei in [einem ©es 
wiffen, ben 33eruf, ben i(>m ©Ott gegeben fjat, dar ernennt, willig 
aufnimmt unb treu erfüllt, ber, inbem er in allem ©Ott bie <E(>re 
gibt, nicf>t mübe toirb, an pd> felbft }u arbeiten, unb ber zugleich 
all fein äußere» Rubeln in ben Dienft ber großen ©emeinfefjaft 
pellt, in bie er oon ©ott (>ineingepflanzt tft. 

©ibt es ein anberes, ein (>ö{>eres pttlia>es 3beal? 

3n ben Sauren bes Deicj>tums unb bes äußeren ©lüefs, bte 
hinter uns Hegen, ift manches anbere 3beal für ben „mobernen" 
7Henfcj>en aufgeftellt worben unb nirgenbs fehlte es an ©laubigen, 
bie ben neuen 3bealen zujubelten. ftber mia^ bün!t, baß ber 
furchtbare Kampf, in bem bas beutfcj>e Holt gegenwärtig ftebt, 
mit feinen alles früher ©efonnte überbietenben ftnforberungen an 
ben einzelnen wie an bie ©efamtfreit, einbringlicj) zurütfruft zu 
ben pttltcjjen Überzeugungen ber Deformation, }\i einem ßeben, 
bas parf ift im ©lauben, willig in ber 35erufserfüllung unb (un* 
gebenb im $ienfte ber ©efamt^eit. Unb (>ätte Deutfcfrlanb biefe 
Oa^re überpe&en fönnen, wenn im beutfa>en Volk bie 6ittlia> 
feit ber Deformation nia>t bod) noch oorfcanben wäre? Deutfcf)* 
lanb fte&t aufregt, weil es im beutfa)en Volt ntaj>t an feften unb 
freien Htännern fe&lt, bie ber Pflicht zur TJerteibigung bes freimi« 
fcf>en Kobens, bie jebes ©lieb bes Uoltes £at, treulief) naefc 
tommen, bie pcj> fo ganz in ben 'Dienft ber ©efamtf>eit peilen, 
baß pe bereit pnb, alles bem TJaterlanb zum Opfer zu bringen. 

TBir pnb über bas fittlicfje 3beal ber Deformation nicj>t bin* 
ausgenommen, ©erabe in ber ©egenwart beweift es feine unge* 
broa)ene ßebensfraft. 



3. ©ie Deformation unb bie jltrcfre 

Srömmigfeit unb Sittlichkeit finb geiftige ©rößen, benen bas 
allgemeine Sntcreffe fielet ift. Jluch wer fleh felbft nicht ?u ben 
frommen ?äj)lt unb es ablehnt, }\x ihnen gewählt ?u werben, er« 
fennt ben unvergleichlichen CEinfluf) an, ben bie Frömmigkeit ftets 
auf bas ßeben ber einzelnen u>ie auf bie (Entwicfelung ber TSöitex 
ausgeübt hat. 13ollenbs ben TUett unb bie 71otwenbtg!eit ber fltt* 
liefen Tiegel für bas ©ebeihen ber 7Henfa;^eit beftreiten auch bie« 
jenigen nicht, bie in ihrem £eben bie ©runbfäfce ber Sittlichfett 
oerleugnen. ftnbers fteht es, wenn man bas löort Kirche aus« 
fpricht. Das Smtereffe an ber Kirche ift gegenwärtig auf bem ©e« 
biet bes Proteftantismus fer)t gering. Qwat Religion wollen bie 
meiften 3 e ^öenoffen noch !>aben unb feftf>alten ; aber bie Kirche 
ift unzähligen gleichgültig geworben. @ie nehmen an ihrem ßeben 
unb Qanbefn nicht teil, ba fie ir)r, obgleich fie ihre ©lieber finb, 
innerlich fremb gegenüberftehen. 

(Es hat manches ?ufammengewirft, biefen wenig erfreulichen 
3uftanb herbeizuführen. Da?u gehört auch, &af) bie Uorftellungen 
oon ber Kirche, oon bem, was fie ift, fein foll unb fein will, oiel* 
fach wenig tfa unb treffenb fmb. ©erabe beshalb wirb es nicht 
überflüffig fein, ?u fragen: lüte backte bie Tieformation über bie 
Kirche? Töas machte fie aus ihr? 

9nbem wir bie Antwort fuchen, vergegenwärtigen wir uns ?u* 
nachft, wie bie Tieformation bie Kirche oorfanb. 

Die Kirche ift bie ©emeinbe ber ©laubigen £Jefu (Ehriflt» ©« 
ift eine Stiftung bes Qerrn unb fie ift es nicht. Sie ift es, weil 
ber ©laube, in bem bie ©lieber ber Kirche miteinanber oerbunben 
fmb, burch ihn unb fein Witten gefcf>affen würbe; man tonnte 
fagen: bie Seele ber Kirche ift fein Werf. Äber fie ift es nicht, 
ba Oefus nie einen Schritt getan hat, um feine Anhänger irgenb* 



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40 



3. Vit Ttefortnatfon unb bie Rixi>e 



toie, fei es aua) in ber freieften U3eife, äußerlia; ^ufammenjuf abließen, 
um biejentgen, bie ibm ibren ©lauben oerbanften, ?u einer blei« 
benben ©emeinfcbaft ?u oereinigen. Töcnn bie 6eele ber Kirche 
bas Tüer! bes fjerrn ift, fo nicfct ebenfo i(>r £eib. 9ft et t^r 
Stifter, infofern fie eine geiftige ©emeinfajaft ift: ©emeinfcbaft 
bes gleiten ©laubens, ber gleiten Hberjeugungen unb ber gleiten 
ftttlicfcen ©runbfctye, fo ift fie, infofern fie eine äußerlia; oerfaßte 
©emeinfcbaft ift, nia)t fein H3ertj fie ift erft nac(> feinem Xobe 
entftanben. Solange 0efus lebte, gab es feine Kirche, feine ©e= 
meinbe feiner jünger, (fr war ben ©einen alles: ber ©crr, um 
ben fte ficb fd>arten, ber THeifter, beffen löorten fie laufcjjten, ber 
Qirt, burcr> ben fie geleitet unb geführt rourben. 3n ber T3erfün« 
bigung 0efu ftebt be$(>alb ber ©ebanfe an bie Kirche oöllig im 
©intergrunb. Das griecbifcf>e Utfort AexA^a, bas toir mit Kirche 
ju überfein pflegen, fommt in allen oier (Eoangelien nur ?roeimal 
oor: bas eine THal THattb. )6, J8 in einem ftusfprucb, ber fia) 
auf bie ßufunft begebt, bem befannten TCJort an Petrus: $uf 
biefen Reifen toill icb meine ftircbe bauen, bas anbere THaf 
THattb. 18, ) 7 ift es nia)t im @inn oon Kirche gemeint. (Erft nad) 
bem Xobe CJefu enoies jicb bie Tlotroenbigfeit eines äußeren 3" s 
fammenfcbluffes feiner Oünger. 

Die öeimat ber Kircbe ift ijerufalem. "Dort traten bie ©lau* 
bigen ?uerft yu einem Uerbanb, man fann noa) faum fagen: ju einer 
Ortsgemeinbe ?ufammen. $ua> bas ooll?og ficb nicbt mit einem 
6cf)(ag. Das näa)fte, unmittelbare roar, baß bie ibres TReifters 
entbebrenben ©laubigen gemeinfame (Erbauung fugten. (Erft bar« 
nacb traf man bie erften organifatorifcben THaßregeln: fie belogen 
ficb auf bie 13erforgung ber Firmen. T3om übrigen T3olf fcbieben 
ficb bie )3etenner Qefu (Ebrifti Mar ab, inbem fie oon Anfang an 
einen beftimmten IRufnabmeritus in ibre ©emeinfd>aft galten, bie 
Xaufe. Die ©laubigen in Oerufalem - bie 35e?eicbnung (Ebriften 
ftammt befanntlicb nicbt oon bort, fonbern oon ftntiocfcia - bil* 
beten fomit eine gefcbloffene religiöfe Bereinigung, eine exxlyöta. 



3. Die Tieformation unb bie ftirdje 



41 



Das war ble erfte 5orm, in ber bie Kirche ?u äußerlichem 33e* 
ftanbe (am. Diefe Uereinsbilbung mieberbolte ficb alsbalb auf 
bem ganzen toeiten paufinifchen THiffionsgebiet. 6a;on menige 
CJahre nach bem Xobc 3efu gab es chriftliche ©emeinben, Kirchen, 
bura) bas gan?e römifche bleich, im borgen* unb ftbenblanb: 
in @prien, in faft allen (leinafiatifchen £anbfa>aften, in 7tta?e* 
bonien, ©riecbenlanb, auf Kreta, in Statten. Die 7Hitglieber aller 
biefer ©emeinben füllten ficj) als?ufammengebörig: fie bezeichneten 
ftd) als trüber. 3)ber es gab (eine georbnete, irgenbmie geregelte 
TJerbinbung ?mifchen ben ©emeinben. Diefe maren gleichartige 
Vereine, aber fte ftanben felbftänbig unb unabhängig nebeneinanber. 
Die (Ebrif^nbeit bes erften Jfabrbunberts t»ar in Ortsgemeinben 
jufammengefaßt, aber als eine, alle ©emeinben umfpannenbe Kirche 
mar fie noch nicht organifiert. 

Daß feit bem jmeiten Oahrjmnbert bie T3erfaffung ber Orts* 
gemeinben tf<h änberte, führte nicht fofort ?ur Organifation ber 
Kirche, aber es fchuf bie Uorausfefyungen für fte. 

Die ursprüngliche chriftliche ©emeinbeoerfaffung , tote mir fie 
befonbers aus ben paulinifchen Briefen (ennen, mar, mie es im 
TXJefen bes Vereins liegt, bemoftatifcf). Die gefamte 35rüberfchaft 
beriet unb befa)loß in offener ©emembeoerfammlung über alles, 
mos ?u entfeheiben mar, mochte es ftch um perfbnliche ober fach« 
liehe fragen, um ©roßes ober Kleines hanbeln. UJoj>( hatten bie 
©emeinben ftänbige Beamte: bie Älteften oberftuffejjer, iniexonoi; 
fie bilbeten ben (eitenben ftusfcfmß. ftber fie hatten ber ©emeinbe 
gegenüber (ein eigenes stecht* fie maren ihre Vertrauensmänner, 
oon ihr gemäht unb ihr oerantmortlid) : entfeheibenb mar bie ©e* 
famtheit. Diefe Uerbältniffe mürben burch bas $uf(ommen ber 
bifchöf liehen Uerfaffung geänbert: an bie ©teile ber Leitung 
burch cme " ^usfehup trat überall bie Leitung burch einen Nlann, 
ben ^3ifa)of. @cf>on baburch mürbe bie ©elbftoermaltung ber ©e« 
metnben befchrän(t. <Sfe mürbe befeitigt, als bie (egenbarifche 
TJorfiellung h«nfchenb mürbe, baß bie Eifajofe Nachfolger ber 



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42 



3. Die Deformation unb ofe Kirche 



Jlpoftel feien. Denn nun (>atten fie ber ©emeinbe gegenüber eine 
oon ©ort oerliebene Autorität: fie waren bte Xräger unb @<bür)er 
bet eoangelifcfjen KJabrbeit. Jl(s 7Ia4>folger bes J)pofto(atd tourbe 
?ugleia> bet <Epif!opat ?u einem ftmt für bie ©efamt£tra)e. Diefe 
erfaßten nun nicj>t me()r nur als bie ©efamtbett aller ©laubigen 
unb ifrrer ©emeinben auf (Erben, fonbern ab bie gb'ttlia) georbnete 
Jlnftalt ?ur £ortpflan?uug unb (Erbaltung ber 4>riftHc|>en IDabr* 
f>eit unb bamit als „bas ©cfäf) bes Qeiligen ©eiftes". Dabei 
fe^te junä^ft immer noeb ber oerfaffungsmäßige 3ufammenfcf)(uf) 
ber einzelnen bifd)öfli4>en ©emeinben )u einem großen lircr)(icr)en 
Uerbanb. CEr bahnte fücf) babura) an, baß bie 53tfcr>öfc begannen, 
in ®r)noben ?ufammen?utreten unb auf ibnen gemeinfam ?u ban* 
beln, unb baß im ftnfcbluj) baran nacb Analogie ber politifeben 
Prooinjen bes Ofacbs ftcf> fircf>It<f>e 6prengel bilbeten, in benen 
bie fämt(ia)en ©emeinben ber berreffenben £anbfa)aft ?ufammen* 
gefaßt roaren. CE inen getoiffen ftbfcjjluß erregte bie Organifarion 
ber ©efamtt*iur)e, als Honftantin ber ©roße ?um erftenmal bie 
fämtlicben 33ifd>öfe ber dr)tifienbeit }\x einer großen @pnobe nacr) 
Ttkäa berief. Denn bort r)anbe(te ?toar niebt bie ©efamrtir(i)e, 
aber ber ©efamtepiftopat als ibr göttlia^ beoollmäc&tigter Leiter. 
3nbem er Eefcblüffe faßte, bie re(r)tsfräfrige Eefttmmungen für bie 
ganje Äirc^e trafen, trat jum erftenmal bie allgemeine ftirebe felbft 
ah ein gefa>loffenes ©an?e in bie C£rfa)einung. 

Töäbrenb fia> biefe G£nttoia*elung oolljog, batU bereits eine 
anbere eingefetjt, bie an Ufccbtigteit bie ebenge?eia)nete weit übers 
treffen follte. Das Papfttum nabm feinen Urfprung: eine ber ge* 
toaltigften gefcf)i<r)t(i<ben CErfcbeinungen, aufgebaut auf bem un* 
ficf>erften junbament. 

Die ©efcbictjte toeiß toenig oom £eben unb TJßxxUn ber Jlpoftel, 
abgefeben oon Paulus. ftueb bie fpätere fiebensjeit bes !Apoftels 
petrus, bie jenfeits ber CJabre fällt, bie in ber ftpoftelgef<bic&te 
anfa>aulicr) gefcjjilbert finb, liegt faft oollig im Dunfel. Kaum baß 
man mit einer getoiffen iOabrföeinlia)feit CHom als eine ©tätte 



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3. Die Deformation unb ble ftircfce 



43 



längerer ober förderet TGklfamlett bes Jtyoftels in IRnfprud; 
nehmen !ann. Sicher ift nur fein THärtprertob in ber UJeltbaupt* 
ftabt. Jlber bec liebeooll btcf>tenben £egenbe genügten biefe beiben 
£atfad)en, um aus ibnen eine britte b«aus?ufpinnen: Petrus war 
ber erfte £if<bof non %>m. Unb n>e(4>e Stellung nobm nun biefer 
JJünger unter allen übrigen ein! Die bemunbernbe TJerebrung 
oerfenfte fieb in bie menigen Tladjricbten ber CEoangelien über ben 
Xahf)t bes §errn mit Petrus unb in bie <E Gablungen ber JtyofteU 
gefaxte über fein Auftreten in ber jerufalemifcben ©emeinbe unb 
geftaltete aus ibnen einen 6trablentran?, ben fte um bie perfon 
bes Gängers legte: er mar ber jürft ber Jlpoftel, bem Cbriftus 
alle feine @d)afe }u meiben übergeben bat, er ift ber £els, auf 
bem bie Hirdjje erbaut ift. Tlad) biefen TJorftellungen bemaßen 
bie römifeben Eifcböfe feit bem britten 0abrbunbert ibre ftnfprüa)e 
auf ©eltung in ber Kira)e: fie nannten fia) bie Tlacbfolger bes 
Petrus unb bebaupteten, baß ibnen als folgen bie Leitung ber 
ganzen Kira)e gebübre. "Die T3erflea)tung ber Geblieben unb ber 
politifd)en 73erbältniffe in ber untergebenben Tlömermelt führte 
ba?u, baß biefe $lnfprüdj>e oom abenblänbifdjen 9leid; mie t>on 
ber abenblänbifdj>en Kircbe anerkannt mürben. Der Papft galt als 
ber Uninerfalbifcbof. Unb nia)t genug baran. Jlus ben 3uftänben 
unb Slnfcbauungen ber mittelalterlichen Tüelt mud)s ein neuer 3ta* 
fprua; b*n>or: ber papft ift niebt nur Xräger eines geiftlid)en 
ftmtesj uielmebr überragt ber 71ad>f olger bes Petrus unb ber 
6telloertreter CJefu dbnft», ja bes allmäd)tigen Rottes traft feiner 
geiftlid)en (Semalt jebe irbifa)e Tttacbt Vom $errn felbft ift ibm 
bie oberfte ©emalt über bas K3elt(id)e unb über bas <&eiftlia)e 
übertragen: er ift, mie man im THittelalter ?u fagen pflegte, ber 
Dnbaber ber beiben @d)merter. 

Diefe ©ä^e maren am Ausgang bes THittelalters nid)t erbabene 
ftnfprüdje, bie t>on meltfremben 3bealiften erboben mürben, fie 
bilbeten bas anerkannte Dogma ber !atbo(ifd;en ftirajje. "Hiebt 
ganj ein £Jabr i>°t bem erften Auftreten ßutfcers, am J9. De« 



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44 



3. Die Deformation unb 6te Äird>e 



?ember )5)6, erMärte Papft £eo X. ?um heften bes Seelenheils 
ber ©laubigen bie Konftitution Eonifa? 4 VIII. Unam sanetam für 
erneuert unb beftattgt. (Es ift berjenige päpftliche (Erlaß, in bem 
bie Unterorbnung oon Kirche unb löelt unter bie päpftliche CKegte* 
rung fo fcharf tote nirgenbs fonft ausgefprochen ift. Diefe Unter* 
orbnung aber ift bie unerläßliche 33ebingung bes öeils: U3ir er* 
Mären, fagen unb beftimmen, mit biefem Safye fchließt bie 35ulle 
fo naebbrüeflieb als möglich, baß bem römifchen 33ifd>of unter* 
roorfen }\i fein für (ebe menfcf>liche Kreatur burebaus ^etlenot* 
menbig ift. 

$us einem freien T3erbanb ©leiebgefinnter hatte bie Kirche 
fief) in ein großes, ftreng monarchifch geleitetes, geiftlicb*meltlicbes 
Tieich umgemanbelt. ftber biefes geiftlich^meltliche Tieich betrachtete 
fich nach wie oor als bie oon ©Ott gegrünbete fjeilsanftalt für bas 
gefallene menfcblicbe ©efcblecbt. 3n ihm maltet bas neuteftament* 
liehe prieftertum feines $mts, ben Tttenfcben ben 3 u 0öng © ott 
jn erfcbließen. *Das Prieftertum ift bie banbembe Kirche: es rettet 
bie Verlorenen, inbem es fie in ben Schoß ber Kirche aufnimmt; 
es erhält fie im ©nabenftanb, inbem es ihnen bie Satramente ber 
Kirche fpenbet; es geleitet fie burch biefes £eben unb führt bie 
Sterbenben aus ber 3*it hinüber in bie CEmigteit. 

THan fann es oerftehen, baß jeber Schritt weiter auf bem 
Töege, ben Papfttum unb Kirche gingen, für bie TRänner, bie ihn 
taten, unb für alle, bie ihnen nachfolgten, ein ©eminn erfchien: 
immer höh« erhob fich &ie Kirche, bie THenfchheit fehlen ?u ihren 
5üßen ?u liegen; mer tonnte bie Erfüllung ihrer religiöfen J)uf* 
gäbe hebern? ftber nicht minber oerftänblich ift, baß, roer bas, 
toa5 bie Kirche geworben mar, einfach an ihrem Urfprung maß, 
oon (Entfetten über bie eingetretene Deränberung ergriffen merben 
mußte. Anfang unb (fnbe lagen unenblich meit auseinanber. 

Diefes (Entfern bat fchon im THittelalter einzelne THänner 
erfüllt, ßuther mar es urfprünglia) fremb. Daß er gegen ben Äb* 
laß auftrat, mar oon ihm nicht als Angriff auf bie Kirche gebaut. 



3. Die Deformation unb 6te ÄtTct>e 



45 



freilich, oöllig unerf4>ättett war bei tf>m bie fatt>oltf4>e Oberjeugung 
oon ber Kirche im (Jahre )5J7 nicht mehr. 35eben£en bitten ihm 
längft bie Folgerungen erregt, bie ficb aus ber apoftoIif4>en Y auch 
oon ber mittelalterlichen Xj>cologic nicht oergeffenen Uorftelluna 
üon ber Kirche als bem £eibe <E(>rtfti ergaben. Dann bemerk man 
auch an biefem Pun!t ben (Einfluß auguftinifcher ©ebanfen. (Enb* 
Ha; blieb bas 6tubium bes Tleuen Xeftaments nicht obne Töufung. 
Titan fann fa)on in ben Pfalmenoorlefungen aus ben (Jahren )5J3 
bis 1515 wahrnehmen, baß fia) etmas Tleues regt, ftber ?um 
Erucb mit bem mittelalterlichen ©ebanfenfreis über bie Kirche ift 
£utj>et nur febr allmählich, man möchte oermuten, nicht obne 
inneres lüiberftreben gekommen. Hoch im (Jahre 15)6 ftanb er 
bem päpftlicben Primat anerfennenb gegenüber, noch in ben 
95 Xbefen oon J5J7 erbob er ficb nicht gegen bie päpftltche ©es 
malt als folcbej fie galt ibm als ju *Xea)t beftebenb. (Erft feit bem 
(Jahre J5)8 mürbe er frei oon ben jeffein bes mittelalterlichen 
ftirebenbegriffs. ^eroorgetreten ift ber oolljogene 33rucb, mie be« 
rannt, in ooller Öffentlichkeit ?uerft auf ber £eip?iaer Disputation 
oon 1519. 

Tlun ergriff aueb ibn ber immer tiefer merbenbe Sngrimm über 
bie Uertebrung ber Kirche in ein weltliches Tieich. (£s bünfte 
ihn, baf) bie reformatorifche Arbeit mit bem Angriff auf ben Jlbs 
(aß eigentlich noch nicht begonnen hatte: fie begann erft mit bem 
Angriff auf ben Papft. Unter biefem ©efichtspunft betrachtete er 
fpäter fein Auftreten. Daß ich, fagte er in ben £ifcf>reben, bas 
Papfttum angegriffen, mar erftlich biefe oornehmfte Urfache, baß 
ber Papft fia) rühmte, er märe bas Qaupt ber Kirche unb oer* 
bammte alle bie, fo unter feiner Autorität unb ©emalt nicht fein 
unb leben mollten. 

3rre mürbe er oor allem an ber biblifchen (Örunblage für ben 
römifchen Primat, (fr machte bie treffenbe Bemerkung: 3n ber 
ganzen 35ibel mirb oom Papfttum nichts öffentlich gefunben, mäh« 
renb bie Römifchen es boch für bas ©roßte, Tlötigfte unb 8onber« 

Qa ud, Vit ^tfotmürion 4 



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46 3- Vit Tteformatfon unb Me Ätr#e 

lichfte in bec Kirche wollen gegolten haben. <fs ift 00$ perbä<f>Hg 
imb böfen Tüabnes würbig, baß oiel geringere Dinge in ber 
6cf)rift fo oielmal, fo tlar unb fo ftarf gegrünbet ftnb unb biefem 
großen Ding tonn ntemanb auf ben beutigen Sag einen einigen, 
Waren <&runb aufzeigen, 3nbem er alles bas ablehnte, was bas 
THittelalter aus bem Heuen Xeftament über bie 35ebeutung bes 
Petrus für bie Kirche entnommen hatte, befeitigte er bas $unba* 
ment, auf bem fia) bie 3bee bes Papfttums erhob: Petrus war 
nicht ber ^arft ber ftpoftel, er ift nicht über ihnen, fonbern unter 
» ben übrigen; er ift nicht ber Seit, auf bem bie Kirche gebaut ift; 
er ift nicht ber Statthalter dr)rifti. Daraus ergab fia) bie ©eitere 
Folgerung, baß ber päpftliche Primat feine göttliche, ber Kird>e 
urfprünglicbe unb alfo für fle notwenbige Einrichtung ift: er be« 
ftef)t nicj)t traft göttlichen Rechtes, fonbern er ift eine menfehliche 
Einrichtung, eine gefd)icf)tlich geworbene ©rope 5 feine Urheber 
finb Konftantin unb bie fpäteren ftaffer. 

9m Verlauf hat ßuther ben Tttiberfprud) gegen bas Papfttum 
noch fchärfer ?ugefptyt. (fs ift aua> nicht traft natürlichen unb 
menfehlichen CHechts eingefe^t, fonbern es beruht auf ©ewalt. 
Ulan tann es nicht folgen gefchichtlichen ©rößen gleichftellen, 
benen man fich ?ur Hot fügen tann unb fügen muß. @e(bft wenn 
ber papft zugeben würbe, baß er nicht traft göttlichen Rechts 
Qerr fei, wäre feine (Gewalt fchäblich unb unmöglich. (Es ift ein 
(Gewächs ber Sünbe, bas göttliche unb menfehliche Orbnungen 
?erftört. (Es übt (ein christliches 3lmt in ber Kirche: alles, was 
ber Papft aus feiner angemaßten ©etoalt getan hat, gereicht nur 
jü Herberbung ber Kirche; es oerbreht bie ©chrift unb fchäbigt 
ben (Glauben. Deshalb ift es teuflifch, antia>riftlich. CJefct tonnte 
fich ßuther feine (Entftebung unb feine Qerrfchaft nur als ein 
(Gottesgericht über bie (Ehriftenheit ertlären: (Gott ift wegen un* 
ferer Unbantbarteit abgetreten, fo ferne unb fo ganj unb gar in 
aller Kielt oerlaffen, baß fem (Gotteswort noch Regiment blieben 
ift, fonbern eitel Xprannei päpftlid>er (Gefefje. Da?u hat er fta) 



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. Die Deformation uno bie ftinfre 47 



oer borgen, baf) er titelt allein uns oerläßt, fonbern läßt ftc|> auch 
nicht pnben noch erbitten in ber greulichen H3ibertoärtig!eit. (Ja 
ift auch niemanb, ber gebeten bat. 

9nbem £utf>er bas Papfttum oertoorf, biacij> er ben erften Stein 
aus ber mittelalterlichen ftnfchauung oon ber Kirche. Dem erften 
folgten fofort anbere: 35eftel)t bas papfttum nicht traft göttlichen 
fechte, fo auch nicht bie Hierarchie, beren €>ptye es bilbet, fo aua) 
nicf>t bas tirchliche Prieftertum, feine erfte Uorausfe^ung. fiuther 
toar ber Überzeugung, baß bas Tleue Xeftament ein Prieftertum 
nicht !enne. Jluch biefes ift feine ber Kirche öffentliche GEinrkh* 
tungj es ift babura) entftanben, baj) altteftamentliche Orbnungen 
in bie Qtit bes CEoangeliums übertragen rourben. 

3n biefer Polemi! !ommt ber unoerfobnlicbe ©egenfafc jroifchen 
ber eoangelifchen Heilsprebigt unb ber mittelalterlichen T3orftellung 
oon ber Kirche ?ur Jlusfage. Hier klafft ein Spalt, ber nicht über* 
brüeft toerben !ann. Doch auch h*« toar bie Polemi! nicht bie 
Öauptfache. ßutber toar besbalb groß, weit er ftets neben bas 
Tiein ein Oa yu ftellen wußte. HJobura) hat er ben mittelalter* 
liehen Kirchenbegriff erfefct? 

CEr ging jurtic! auf bie nie gan? oergeffene ftnfchauung, baß 
bie Kirche bie ©emeinbe ber ©laubigen fei. THit bem Srembtoort 
„Kirche" toar er nicht aufrieben, er tabeite es ab ein unbeutliches, 
blinbes IGort; man folle bafür fagen: eine cfjriftliche ©emeinbe 
ober Sammlung, ober aufs allerbefte unb flarfte: eine fyeiliQt 
dhtiftenheit. CEbenfotoenig gefiel ihm bie „©emeinfehaft ber Hei* 
ligen" im brüten ©laubensartüel. CEr meinte, fo rebe unb bas oer* 
ftehe !ein Deutfcher. IRan müffe oielmeht fagen: eine ©emeinbe 
ber Heiligen ober eine heilige ©emeinbe. Demgemäß befinierte 
er ftets, too er oon ber Kirche fprach: bie ©emeinbe, bie 3ah^ 
bie Uerfammlung ber (Eh^iftgläubigen auf CErben. 

Der Unterfchieb ift üar: bie Subje!te, bie bie Kirche bilben, 

fmb oerfchieben: bort ber h^rarchifche Organismus, ber über ben 

einzelnen fteht unb mit ihnen hanbelt, h«t 0« THenge ber ein* 

4* 



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48 



3. t)le Ofaformetfion unb Die JTircfce 



feinen, bte bura) ben gleiten ©lauben oerbunben finb. £ut(>er 
betonte bebet mit abfichtlichem Tkchbrutf bte Ausbreitung ber 
Kirche über bie gan?e TBelt: bie <£(>riftenheit ift nicht allein unter 
ber rdmtfcjjen Kirche ober bem Papft, fonbern in oller H3eli, baß 
alfo unter papft, Sürßen, perfern, Xatern unb allenthalben bte 
(£(>riften!)ett ?erftreut tft leiblich. Auch ^ter leuchtet ber Unterfcfneb 
fofort ein: bort ein genau oerfaßtes ©emeinwefen unter beftimmten, 
febermann betannten ßettern unb hier eine Wenge, bie fcj>on burch 
ihre Verbreitung in ber ganzen Tüelt jebe berartige Organifation 
ausfa;loß: fie läßt fich nicht auf einen Raufen ?ufammenbringen, 
fagte £ut(>er. 

Aber baburej) wollte er nicht behauptet haben, baß bie Kird>e 
eine lebtglich gebaute ©emetnfehaft fei; fie ift ein wtrfliches, in 
biefer K3elt ejeiftierenbes ©emeinroefen. Tlur ift bas, was ihre 
©lieber eint, nichts äußerliches: ber gleiche Tttohnplatj, bie gleiche 
Sprache, bas gleiche riecht ober begleichen. Das, was fie oerbinbet, 
ift, baß fie alle an (Ehriftus glauben unb feiig ©erben wollen. 
TBenn man fich erinnert, welche 33ebeutung ber ©laube für £uther 
hatte, fo oerfteht man, baß er oon ber Kirche fagte, fte fei ein 
Königreich ber©naben. Denn, fo begrünbet er bieslüort, bafelbft 
tft bas (foangeltum, Saufe, 6arrament bes Altars, unb ift auch 
dhriftus unb fein (Seift unb (Sott bafelbft. ßutber trug fein 33e* 
benfen, ben epprtantfehen 6afy, baß außer ber Kirche fein f}eil 
fei, auch auf bte Kirche in feinem €>inn an?uwenben: außer folcher 
(Ehriftenheit ift fein Qeil, noch Vergebung ber ^ünben, fonbern 
ewiger Xob unb Verbammnis. freilich bebeute er für ihn etwas 
gan? anberes als für ben Katholizismus. §üt biefen machte er bas 
Qeil abhängig oon ber Qeilsanftalt ber Kirche, in Rüthers THunbe 
fagt er nur bas 6elbftoerftänb liehe, baß alle ©laubigen bes Qeifs 
teilhaftig finb: fie insgefamt hüben bie Kirche. 

K3ie ßuther ihre Verbreitung in ber ganzen 7Helt hervorhob, 
fo auch ihre Dauer burch alle Szit: Ecclesia foll Reißen bas 
chrift(id)e Volf, nicht allein ju ber ftpoftel 3*tt> &f* nun längft 



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3. Die OWormation unb Me Äir^e 



49 



tot pnb, fonbern bte an ber Welt (Enbe. Daß alfo immerbot auf 
(Erben im ßeben fei ein cj>riftlicbes, Seifiges 73olr\ in meinem 
(Ebriftus lebt, toirft, regiert bureb ©nabe unb Vergebung ber 
@ünben unb ber ^eilige ©eift bureb tägliches Ausfegen ber 6ünben 
unb (Erneuerung bes ßebens. 

Das ift nach ßutber bie Kirche: bie über bie lüelt bin unb 
bureb bie Qtxt l)in oerbreitete Tttenge alter bercr, bie an (Ebriftuö 
glauben unb an ibm fangen. Da ber ©laube eine geiftige ©röße 
ift unb ba Vergebung ber ©ünben unb (Erneuerung bes ©etftes 
©üter ber Seele finb, fo fonnte £utber fagen, bie ftirebe fei un* 
ficrjtbar. Aber baburef) follte nicht gefagt fein, baß fie nicht in 
biefe TGelt gebort. Daran bkit er burcjjaus feft: bie Kirche ift bie 
(Ebriftenheit auf (Erben. Döie er oon ber geiftltchen, innerlichen 
(Ebriftenheit fpracb, fo auch oon ber leiblichen, äußerlichen. Die 
$rage ift nur, roie ftcr> beibe oerbalten. ßutber fagt in einem 
niebt ganj einroanbfreien ©leiebnte: toie £etb unb €>ee(e. 3ur 
(eiblicben (Ebriftenheit geboren alle, bie im äußeren Kiefen für 
(Ehriften gebalten werben, ?ur roabren (Ebriffenbeit nur bte roabr? 
baft grünblicben (Ebriften. Tlun maebt niebt ber £eib, baß bic 
@ee(e (ebe, fonbern bie €>ee(e lebt im ßeibe, roob( auch obne ben 
£etb. Ulan oerftebt feinen ©ebanfen, roenn man ftcf> erinnert, 
baß bie ©emeinfehaft bes ©laubens nicht untätig fein fann. Dura; 
ibr £anbeln wirb fie ?u einer leiblichen äußern ©emeinfehaft. 
Denn obgleicb basfelbe ftets auf eine innerliche geiftlicbe TCHrfung 
jielt, fällt es boa) in ben Eereid) bes finnlich lüabrnebmbaren. 

Demgemäß ftellte ßutber feft, woran man bas cbriftlicbe beilige 
'Volt ernennen t önne. (Er nannte juerft bas Tüort ©ottesj babei backte 
er nicj)t an bte 35ibel, fonbern an bie Prebigt, bas äußere U3orf, 
bureb THenfcben münblich geprebigt. (Er erinnerte: Diefe Tßextün« 
bigung ift febr oerfebieben: etliche bäben's gan? rein, etliche niebt 
gan? rein. Aber mag fie fo ober fo fein; immer ift fie ein äußer« 
liches 3«M><n bafür, baß frier bie Kirche ift: roer wollte prebigen 
ober böten, roo fein T3olf ©ottes ba roäre? Tieben ber Prebigt 



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50 3. Die ^Reformation unb Die fftrct>e 

jäblte et auf bie Sakramente, bie ftbfolution, enblicb bie 35e* 
rufung oon &iraj>enbienern. Durcb bas alles tritt bte Kirche als 
eine {>anbelnbe ©emeinfcbaft in bie <£rfd)einung. 

3Ws fo(4>e fann fte ntcf>t obne eine gemiffe Organifation fein. 
Das bat flcj> £utber nia)t oerbeblt. ftber fooiel ia> fe()e, reflek 
tierte er nie über bie Uerfaffung ber Ktra)e als folc^er« Selbft 
eineT3erfaffungsbtlbung, bie ade eoangeltf<f>en Territorien Deutfcfc 
(anbs umfoannt unb baburd) geeint bätte, lag außerhalb feines 
(£>eftd)te£reifes. lüas t'bm oon Organifation als noftoenbig erfd)ten t 
befc()rän!te ftcj) im mefentltcfjen auf bie Orbnung bes !ira)(ia)en 
Dtenftes ober Hintes in ber (£in?e(gemeinbe. 

Seine 13orausfetjung babei toar bie eoangeltfcf>e Hber?eugung 
oon bem allgemeinen Prieftertum aller ©laubigen. 3n ber Schrift 
an ben a^riftHc&en Jlbel beutf<f>er Tlatton aus bem £Jaf>re 1520 
bat er fte in einigen fcbarfgefa)nittenen Sctyen ausgefprocfcen: ftlle 
dbnften finb toa(>rbaftig geiftltcf>en ©tanbes unb ift unter tynen 
tein Unterfcbteb, benn bes ftmts falber allein. Das macf>t alles, 
baß mir eine Xaufe, ein (foangeltum, einen ©lauben baben, unb 
finb gleite Triften. Denn bie Xaufe, CEoangeltum unb ©laube, 
bte mac&en allein geiftlicf) unb (Ebnftenoolt. DOir allefamt werben 
burcb bie Saufe ?u prieftern gemetbt, rote <§t. Peter fagt: 3b r 
feib ein t"öntgltcbes Prieftertum, unb Offenb. 5: Du böft uns ge* 
macj>t burcfr betn 33lut }u Prieftern unb Königen. !Rus ber ©leic(>* 
beit aller ©lieber ber Ktrcbe folgt, baß fie alle gleiches ttecfrt unb 
gleite ©emalt baben. Desbalb eignet an unb für ficb jebem 
(Ebriften bie $äbigt*ett, bie blieben ^anblungen 5" oolljteben. 
Äber mit tbrem 33oll?ug tft bte Kira)e, b. b. bte ©efamtbeit ber 
©laubigen beauftragt. 7hm forbert bie Orbnung, baß bie ©emalt, 
bte alle (>aben, feiner fonberlicb für fief; in !Anfprucb nebme, es fei 
benn aus 33etotllfgung bec ©emeinbe ober 35eruf ber Oberen. 
(Ruf biefe UJetfe tommt es ?ur CErricbtung bes fird>ltd>cn 3)mts: 
bte ©efamtbeit betraut , einzelne bamtt, bas auszurichten, too?u 
alle befäbtgt unb mas ibnen insgemein geboten ift. 3n einem an* 



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■ 

3. Die Deformation und bie Jtlr<fre 5J 



fcf>aultcf>en Vergleich fagt £utber: ab menn JO trüber, Königs* 
tinber, gleich <£rben, einen ermäblten, bas (Erbe für fte ?u regieren. 
Ober er fe^t ben Sali, baf) ein Qäuffein frommer (Ibtifteulaien 
mürbe gefangen unb in bie Döfifte gefegt, bie nicht bei ftcb Htttn 
einen gemeinten Priefter unb mürben a((ba ber Sachen ein», er* 
mäblten einen unter ihnen, er märe ehelich ober nicht, beföhlen ihm 
bas Ämt }ü taufen, 7He(fe ?u Raffen, ?u abfofoieren unb }tx pre* 
bigen, ber märe mabrbaft ein priefter. 

'Das ftrcblicbe ftmt in biefem Sinne, als ein Dienft, ber in 
Uollmacbt ber ©efamtbett ponogen unb burcb ben ber Auftrag, 
ben fte oon ©oft bat, ausgeführt mirb, ftellte ßutber bem (ira> 
lieben prieftertum gegenüber. So notmenbig bas erftere, fo über* 
flüfftg ift bas (entere: moju bebarf man eines Priefters, menn man 
eines Mittlers ntcf>t bebarf? Sollen mir Priefter fe&en unb haben 
ohne ihre TUerfe unb ihr Ämt? 

Das fjanbeln ber Diener jeber ©emeinfebaft bebarf einer be« 
ftimmten Siegel. Die mittelalterliche Kirche hatte ein eigenes Ttecbt 
ausgebilbef, an bas fte alles (trcr>(tcr>e Qanbeln banb. ßutber brach 
mit ber T3orftellung eines oerpfliebtenben (fachlichen Rechts} in ber 
fd)ärfften D3eife lehnte er bas päpftfiebe Tlea^t ab. Denn bie einzige 
7Ud)tfd)nur für bas ftrcblicbe Qanbeln ift bie Qeilige Schrift. 3n* 
bem ßutber biefen Satj erneuerte, machte er zugleich bie 33ibel 
unabhängig oon ber ftrcblicben Autorität: nicht meil biefe ihre 
©eltung gemährleiftet, r>ot ber dhrift ihr jn glauben unb ju ge* 
horchen, fonbern meil fie (Rottes TXtort ift unb fich als folches am 
©emiffen bes THenfchen bemeift. 

3n biefer Tüeife mürbe alles Kirchliche umgeftaltet: an Stelle 
ber btetarebifeben Qeilsanftalt trat bie ©emeinbe ber ©laubigen, 
an Stelle bes Prieftertums ber kirchliche Dienft, an Stelle ber 
Unterfcheibung jmifchen bem geiftlichen unb roeltlichen Stanb bie 
Ober?eugung, baß alle ©laubigen mahrhnft geiftlichen Stanbs unb 
bemgemäß einanber gleich f e > en ? <* n Stelle bes Ürchlichen Rechts 
bas TDort ber Eibel. Än feinem Pun!t bot bie Tleformation eine 



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52 



3. Die Tleformafion unb bie Kixd>e 



fo burchgreifenbe Umgeftaltung alles Uberfommenen oolljogen, ab 
hinficbtlicb ber T3orftellungen oon ber Kirche. 

©erabe ^ter abet tft unbestritten, baß bas, was £utf>er in 
feiner füfjnen rücrTichtsIofen U3eife ber TBelt oortrug, gemein* 
eoangelifcbe flberjeugung geworben ftobet feine ©es 

banden in allem toieber, was bie lutberifchen ©pmbole über bie 
Kirche unb bas ruchliche Amt fagen. 3n oölliger flbereinftimmung 
mit ihnen befinben fi<h bie mancherlei Eefenntniffe ber reformierten 
Kirche, mag es fid) um folcfje bes beutfehen ober bes franjöfifchen 
(Sprachgebiets banbeln. ^ür bie eoangelifcbe Kirche genügt es, an 
bie berühmte Definition ber Kirche ?u erinnern, bie THe(ancf>tj><m 
in ber Auguftana gibt: bie Kirche ift bie 'XJerfammlung aller 
©laubigen, bei welchen bas (Eoangelium rein geprebigt unb bie 
©atramente bem göttlichen IDort gemäß gereicht ©erben. 3n ber 
Apologie erläutert er biefe 6ä$e: bie chriftlicbe Kirche fteht für* 
nehmlich in ©emeinfehaft intoenbig ber etoigen ©üter im &er?en, 
als bes beigen ©eiftes, bes ©laubens, ber furcht unb ßiebe 
©ottes. Das war alles (utherifch gebaut. Glicht anbers ift es, 
toenn man bie Ausfagen ber reformierten Kirche oerfolgt, löte 
bei £utber tommt bie Kirche in Betracht als ©emeinfehaft ber 
©läubigen; tote bei ihm wirb baran erinnert, baß biefe ©emein* 
fchaft geiftliche ©emeinfehaft ift; toie bei ihm wirb heroorgehoben, 
baß biefe geiftliche ©emeinfehaft wirfliebe giften? auf (Erben hat; 
wie bei ihm werben ber Kirche bie (Eigenfchaften ber (Einheit, 
$eiligteit, Allgemeinheit ^ugefebrieben. 7üie ßuther nicht fetten 
heroorhebt, baß ber fichtbaren ©emeinfehaft ber Kirche auch Mm 
gläubige angehören, fo begegnet biefer @a^ auch bei ben Tlefor* 
miertenj toie enblich oon ßuther TCJort unb ©atrament als Kenn« 
^eichen ber Kirche betrachtet toerben, fo auch wn tbn*n- «nem 
Tüort: bie flbereinftimmung ift oollftänbig. Kaum baß bie refor* 
mierten Ausfagen unter ber (Einwirkung ber Präbeftinationstheorie 
ba unb bort eine abtoeichenbe <$orm erhalten. Auch Oerein« 
fpielen neuer ©ebanfen ift nicht gerabe häufig. (Ein $eifpie( bietet 



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9. Die TteformaHon unD b\t Älnfr* 



53 



bie Ttorftellung , baß bie Hird>e als eine <2cbule für bie d^rtften 
?u bienen bat. THan ftnbet fte bei dabin, (fr fagt: ©Ott fönnte 
bte ©einen in einem Jlugenblia* oollenbenj aber es ift fein lÖille, 
baß fle nut bur<f> bie (f rjiebung bet Kirche ?um männlichen eiltet 
gelangen. Darin lag bie (Erneuerung ber ftnfcbauung, bie ftir6e 
fei fieilsanftalt. Jtber in eoangelffcbem 6inne. Dafür mar aua> 
bei ßutber %uim. 

Unb boa) bat bie CKeformation es nid)t ?u einem gemein« 
proteftantifeben ilircjjentum gebracht. Der ©runb hegt barin, baß 
bie ftnroenbung ber gleichen ©runbfärje fer)r oerfebieben mar. 

£utf>er mar in feinem 0anbe(n nie rabifal. (fr füllte ftcf) nicr)t 
nerfucr)t, einen !ircr>(icr;en Tleubau auf ber ©runblage ber Qeiligen 
6cf>rift ?u planen, (fr lief) bas gefcj)icf>tlicr) ©emorbene befter)en, 
foroeit es niebt mit ber ^eiligen 6cr;rift in 3toiefpaft ftanb. ftber 
es ift bod) ?meifellos, baß er oon feinem ftirebenbegriff aus, rote 
oon ben $nfcj>auungen aus, bie er über bie Orbnung bes (irej)* 
lieben Dienftes begte, ba?u bätte tommen muffen, bie Kirche unb 
Kirnen als flcf> felbft uermaltenbe ©emeinben ?u organifieren. $m 
fäfje ba?u fehlten in feiner erften 3*tt nic^t. dm CJabre )523 bat 
er eine Meine Scbrift ausgeben laffen: Daß eine cj>riftltcbe 13ers 
fammlung unb ©emeinbe *Recbt unb THacbt b^be, alle £ebre ?u 
urteilen unb £ebrer }\x berufen, ein« unb ab?ufer*en. (fr gebt b"* 
baoon aus, baß gläubige CEbnften nad> ben U3orten (fbtifti unb 
Pauli imftanbe feien, Tüabrbeit unb Unmabrbeit jn unterfebeiben. 
(fr maebt ibnen besbalb ?ur Pflicht, bem Regiment ber ratbolifeben 
*5if<böfe entgegenzutreten. ftber bas ift nia)t genug. Da eine 
<j>riftlicbe ©emeinbe obne ©ottes TGort niebt fein folle noeb fb'nne, 
fo forbert er, fie foUten fieb felbft eoangelifcbe prebiger mäblen 
unb berufen; bas fei ibr 'Xecbt, ja ibre Pflicht, ßber er befcfjränft 
bas ^eebt ber ©emeinbe nia)t auf biefen Notfall, ftua; menn 
bie geiftlicbe Obrigfeit eoangelifcb toäre, fo fonnte unb follte fie 
Prebiger obne ber ©emeinbe D3i(len, (frmäblen unb berufen nicr)t 
fe^en: fie foll bie ©emeinbe mäblen laffen unb bie oon ibr (fr« 



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S4 



3. Die Deformation un6 bie ftirc&e 



toäblten unb berufenen betätigen. Dafür beruf fid> £ut(>er auf 
bte Paftoralbriefe unb bie ftpoftelgefd>icbte. 

Jlber es tarn ni<f>t ba?u, baß bie eoange(ifaj)en ©emeinben 
auf biefem Töege organiftert rourben. Die Durchführung ber 
CKeformation rourbe oon ben dürften in bie öanb genommen. 3m 
3ufammenbang bamit rourbe bie gan?e äußere Organifation bes 
ftirebenroefens oon (anbesberr(icf>en Eebörben burcf)gefübrt. £ut(>er 
konnte ftch barein fügen, weil es if>m nur auf bas für bie Religion 
TUefentlicbe antam. Da für Prebigt unb ©atramentsoerroaltung 
geforgt toar, erfc^ien ifrtn alles anbere ab nebenfda)licb. Die 
jo(ge roar aber, baß bie Iutberifcj>ert Kirnen eine febr unoolk 
tommene tferfaffung erhielten. @ie tarnen, obgleich ßutber mit 
allem Haajbrua* bie ^eibftänbigt'eit ber ftirebe bem Staate gegen; 
über forberte, in oöllige Jlbhängigteit oon ber ftaatlicf>en ©eroalt: 
fe(bft }ü banbeln toar ihnen oerfagt. 

ftnbers enttoitfelten fieb bie Dinge auf bem reformierten ©es 
biet. (Ein ©runb lag f<f>on barin, baß bie reformierten Kirnen 
fia) oielfacj) im ©egenfarj }\ix Staatsgewalt unb unter einer in 
in ihrer THebrbeit tatbolifcb bleibenben Eeoö'lferung bilbeten. <8ie 
mußten neue ©emeinben fd>affen unb organifieren. Dann griff ber 
oorbin erroäbnte ©ebanfe ein, baß bie (Ebriften unter Leitung ber 
Kirche ?um oollen Ulannesalter (Ebrifti h*ramoacf>fen follen. Da?u 
genügte bie Prebigt nicht: es erfd)ienen (Einrichtungen fürbiefjanb* 
babung fachlicher Q\iö)t im roeiteften Sinne bes löortes als not« 
toenbig. 3nbem man enbltcf) noeb ben Dienft ber Ärmen unb Un* 
glücklichen ?u ben Pflichten ber ©emeinbe bin^unabm, ergab fieb 
für bie reformierten Kirchen eine ^ülle oon Aufgaben, bie nur 
burch bie 33eftellung eines geglieberten Ämts gelöft toetben tonnten. 
Demgemäß rourbe ein breifacfjes fachliches ftmt errietet: bas ber 
Pafroren, ber ftlteften unb ber Diafonen. Dura) bie Xräger biefer 
Ämter banbelten bie ©emeinben: fie roaren, roas bie Iutf>ertfcben 
?unächft niebt toerben tonnten: felbftänbig fwnbelnbe ©enoffen* 
fchaften. ftls folebe beroiefen fie fieb auch barin, baß fie entroeber 



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3. Die tteformaHon unb bie Äirche 



55 



unmittelbar ober burch bas Presbpterium bie Paftoren erwählten, 
bie bann in ©ottes Tkmen unb Auftrag ihren Dicnft an ben 
©emeinben ausrichteten. 

Der näcf>fte Schritt mar, baß in ähnlicher Tüeife über ben 
(Einzelgemeinben bie £anbesfirchen organifiert mürben. (Es gefchah 
baburch, baß fich bie fämt(tc(>en ©emeinben eines £anbes yu einem 
frjnobalen Körper oerbanben. Dura; bie <E inrichtung ber ßanbes* 
fpnoben erhielten auch bie größeren Verbänbe bie 7Höglich!ett, 
über tr^te gemeinfamen Angelegenheiten ju beraten unb zu be* 
fchließen unb bas 33efchloffene auszuführen. Der ^ortfchritt im Ver* 
g(eief> mit ben 3uftänben auf lutherifchem (Gebiete ift unverkennbar. 
Aber folgerichtig burchgeführt mar ber©eban£eber©elbftoermaltung 
auch in ber reformierten ©emeinbe« unb Sijnobaloerfaffung nicht, 
dahin hatte nichts bagegen einzumenben, baß bie TÜteften zunächft 
oom ©enfer Cftat beftimmt mürben. Aua) fpäter mar bielüahl ber« 
felben burch bie ©emeinben feinesmegs allgemeine "Regel, bie Pres« 
bf)terien ergänzen fia) oielfach felbft. Die Spnoben oollenbs maren 
feine Vertretung ber ©emeinben. Da fie nur aus Paftoren unb 
THteften zufammengefefyt maren, fo maren fie otelmehr Vertretung 
ber ©emeinbeleitungen unb als folche Xräger bes Kirchenregiments. 
Auch in ber reformierten Kircf>enoerfaffung 6amen alfo bie urfprüng* 
lieh reformatorifchen ©ebanfcn nicht oöllig zur Vermirdichung. 

(Es ift ber 9luhm bes neunzehnten Oahrfjunberts, fie mieber 
aufgenommen zu haben. 3n allen beutfehen £anbesfirchen ift bie 
©emeinbe* unb bie Kirchenoerfaffung burch (Einfügung presbr> 
teriaUfönobaler (Einrichtungen umgeftaltet unb fortgebtlbet morben. 
Daburch h«^n auch bie eoangelifchen Kirchen bie THöglichfeit, 
felbft zu honbeln, mieber erlangt. Die Aufgabe ber ©egenmart ift 
nicht nur auf bem gelegten ©runbe fortzubauen unb bas begonnene 
meiter auszugeftalten, fonbern oor allem bie neuen Verfaffungs* 
formen mit bem rechten £eben zu erfüllen. Denn bie befte T3er« 
faffung ift mertlos, menn fich bie THänncr nicht ftnben, bte auf 
bem oon ihr geebneten H3eg zu mtrfen unb zu arbeiten miffen. 



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4. 3)ie Deformation unb ber Staat. 

Die T3erfcbiebenbeit ber mittelalterlichen unb bet neuzeitlichen 
TGelt tritt taum an einem anbeten Puntt in fo greller Schärfe 
an ben Xag als bei ber ©egenüberftellung bes mittelalterlichen 
unb bes gegenwärtigen &taat$. U3ir haben beobachtet, baß ber 
mitte(a(ter(iaj>e Katholizismus in feinem religiöfen (fmppnben, 
Denten unb Qanbeln in oieler §inftcbt ganz onbers gerichtet war 
als ber Proteftantismus. ftber beibe finb boch nur oerfchiebene 
Jlrten bes dhnf^ntums. Die Qauptfache ift in beiben gleich: bie 
Anbetung ©ottes burch 0efum (Ebnfrum im ^eiligen ©eift. Äuch 
bie Kunft ift im Mittelalter unb in ber fpäteren Qcxt (ehr oerfchie* 
bene löege gegangen? aber es führt eine ungebrochene (fntwicte* 
(ungslinie oon ber einen zur anberen. THißt man bagegen ben 
mittelalterlichen (Staat an bem mobernen Staatsbegriff, fo tann 
man zweifeln, ob fo lofe ©ebilbe tote bas Deutfche Tieich bes 
Mittelalters unb feine einzelnen Xerrttorien überhaupt als Staaten 
betrachtet werben tonnen. 

Der ©runb ber Derfchtebenheit liegt toentgftens zum Xeil in 
bem großen CEinfluß, ben bie Kirche im Mittelalter auf alle Än* 
fchauungen unb bas ganze ßeben ber Hölter ^attc. 3h« Ober* 
macht binberte ben (Staat, (ich oöllig feinem Tüefen gemäß aus* 
ZUtoachfen. (fr oertümmerte. (frft ber ^5rucr> mit ben tircblicben 
J)nfchauungen, ber in ber IKenaiffance fich oollzog, ebnete ben 
©runb, auf bem ein Tleubau bes Staats aufgeführt werben 
tonnte unb wirtlich aufgeführt würbe* 

^Ausgang ber antiten Qeit war biefe CEntwictelung nicht 
oorauszufehen. So hoch bie Kirche in ber allgemeinen ftnfcbauung 
ftanb, nicht minber hoch buchte bie untergehenbe alte UJelt oon 
ber Eebeutung unb bem Tüerte bes Staats. Der Katfer, ber fn 



4. Die Deformation unb bet Staat 57 

mehr ab einer Qinfic^t ben (Epilog ?ur (Öefchichte bes Altertums 
fpracb, Ouftinian, j>at in einem (Erlaß an ben Patriarchen oon 
Konftantinopel bie f>errfa;enbe ftnfcbauung in bie löorte gefaßt, 
bas sacerdotium unb bas imperium feien bie größten ©aben, 
roelche oon ber göttlichen ©üte ben 7Henfa)en gefpenbet feien j 
aus einem unb bemfelben ßrin?ip entfproffen, fchmütftcn fie ba* 
menfd)ltcbe £eben. §ier roaren ®taat unb Kirche ab oöllig gleich« 
berechtigt nebeneinanber geftellt, man barf toor)I fagen: fie toaren 
als gleichwertig gebaut: beibe göttlichen Urfprungs unb beibe be* 
ftimmt, bem £eben ber THenfchbeit ?u bienen. Da» toar bie berr* 
fchenbe Überzeugung ber H3elt. 

Die Kirche hat biefe unb ähnliche Sä^e nicht beftritten. ftber 
gan? aufrichtig unb oorbehaltlos roar ihre 3uftimmung nicht. 
Kirche unb Staat nebeneinanber }\x ftellen in ber KJeife, rote es 
CFuftinian tat, roar nichts TJeues. Schon ein THenfchenalter oor 
Quftiman t>at es ein römifcher Eifcbof, ©elaftus I., in einem 
Schreiben an einen Kaifer, IRnaftafius, getan. Unrolllfürlich fallen 
bem ßefer feiner Sätye bie IDorte bes Kaifers ein: fo ähnlich 
Hingen beibe unb boch finb fie außerorbentlicb oerfchieben. Qwci 
finb es, fchreibt ber römifche 35ifcbof, burch bie in erfter £inie 
biefe TCelt regiert roirb, bie f>etftge Autorität ber Priefter unb bie 
königliche ©eroalt. T3on ihnen ift bie 13erantroortung ber priefter 
um fo fchroerer, ba fie oor bem göttlichen ©ericht auch föt bie 
Könige ber Tttenfchen Tlechenfchaft geben roerben. gier finb (Staat 
unb Kirche nicht mehr gleichberechtigt unb gleichwertig ? ber £eiter 
ber Kirche ift über ben bes Staats erhoben: ba er für ihn oer* 
antroortlich ift, bat er ihn ?u beaufsichtigen : neben ben (Epilog ber 
antÜen Töelt tritt ber Prolog bes Mittelalters. 

Das THißtrauen gegen ben Staat, bas in ben TUorten bes 
römifchen 33ifchofs als linterton beutlich }u oernehmen ift, roar 
bem urfprünglichen (Eb*iftentum fremb. Die Sä^e (Ebrifti unb bes 
ftpoftels Paulus, bie ben Staat oorbehaltlos anerfennen, finb 
jebermann betannt. ftber fehr frühzeitig ift es in ber Kirche 



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58 



4. Die Tteformation unb ber Staat 



beimifcf) gemorben. 33et Xertullian, bem frübeften <Scf>rtftfteHcr 
ber lateinifcben (£(>riftenbeit, crf4>ctnt bei ©egenfa^ bes Staats 
gegen bie ftirebe als naturnotmenbig. (Er !>telt es für unmöglia), 
baß |e ein römifcf)er ftaifer (Ebrift werben fb'nne. (Er jog bie um 
ausmeicblicfje «Solgerung aus biefer Überzeugung, inbetn er erklärte, 
nichts Hege ben Triften fo fem, ob bie Polin?, ftber bie romi* 
fcr)en ftaifer würben (Ebriftenj fie förberten bie Jlnnabme bes 
(Ebriftentums burcr) bie römifefre ^eoölferung mit allen Mitteln 
ber ftaatlicben ©emalt; fie überf4>ütteten bie ftircr)e unb ibre£eiter 
mit ©unft unb ©ütern, (E (>ren unb K3o(>ltaten jeber JUt. THan 
follte meinen, baß bas THtßtrauen ber Tttänner ber Ätrcf>c gegen 
ben Staat nun oerfcf>minben mußte, ftber es blieb unübermunben. 
Das tritt bei bem größten ber ßebrer ber alten Kircj>e, Jlugufrin, 
unoerbüllt ?utage. (Er fanb bie ßöfung bes großen Tlätfels ber 
78eltgefcf>icj>te barin, baß in ij>r ?mei einanber entgegengefe^te 
(Öemetnfcbaften, bie civitas Dei unb bie civitas diaboli, ft<f> neben* 
einanber unb ?ugleicb im Olingen miteinanber enrmicfeln: als bie 
civitas Dei betrachtete er bie Kirche, als bie civitas diaboli bie 
großen K3ef treibe, befonbers bas letzte, ben rbmifcjjen Staat. 
Unb er mar ber Ober^eugung, baß biefer ©egenfa^ nur baburej) 
äbermunben merben tonne, baß ber Staat in ben Dtenft ber 
Kircr)e trete, baß er oon ibr fieb feine Sielt unb Aufgaben ftellen, 
aua) bie ÜUege ju ibrer £bfung meifen laffe. ©efa)ebe bas, bann 
fei bas ©ottesreicj) auf (Erben oermirflia)t, <£f>rifti ^errfebaft auf* 
gerichtet ftus bem Mißtrauen gegen ben Staat entfprang bie 
Uorftellung ber öerrfcfjaft ber ftircjje über ben Qtaat ©ebadn 
mar fie bei Jhtguftin als geiftige Qerrf4>aft. 

Kein £ebrer ber alten Kircfje hatte einen äbnlicfjen (Einfluß 
auf bas Mittelalter, mie ftuguftin. Die (Öebanfen, an bie td> 
eben erinnerte, finb benn aucr) nie mteber oergeffen morben. Sie 
mürben jugleicb ermas oergröbert. $us ber geiftigen Qenfcr)aft 
ber Kira)e mürbe bie Bereinigung ber bö<bften geiftlicben unb ber 
böcbften me(tlia>en (Semalt in ber 9<mb & e s rdmifa)en ^3ifa)ofs. 



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4. Die Ofaformatlon unb ber Gtaat 



59 



THan tft überrafcf>t, baß biefer ©ebanfe ?um erftenmal in einer 
3eit unoergleicblicher THachtlofigfeit ber römifeben Päpfte er!enm 
bat beroortritt. <Er flingt in bet im achten Oabrbunbert an ber 
Kurie (>erdefte((ten falfchen Scbenhingsurfunbe Konftantins beut? 
(id) burej). ftber gerabe bas tft be?eicj>nenb: auch im Verfall bes 
äußeren änftituts würbe bie 9bee besfelben unmanbelbar feft« 
gehalten, im achten 0ahrf>unbert ein g(än?enbes pbantafie* 
bilb o(>ne Hoffnung auf 73erwirHicbung febeinen tonnte , würbe 
bureb bie großen Päpfte ber näcbften Oa(>r^unberte oerwirMicbt. 
Sie höben ben 53au ber römiföen H3elt(>ettf4>aft begrunbet. Der 
erfte große THctftct biefeö Eaues, ©regor VII., roar tief bureb« 
brungen oon jenem alten THißtrauen gegen ben Staat. Die Ee* 
grünbung ber weltlichen ©crrf4>aft erfa^eint bei if>m bebingt bureb 
bie Sünbe. Schon in ber Xatfacbe, fo urteilte er, baß ein THenfch 
fief) bie Qerrfcbaft über feinesgleicben ?ufcf>reibt, liege eine uner* 
fragliche Anmaßung. Qocf>ftend auf bie göttliche ßulaffung, aber 
nimmermehr auf bie göttliche Stiftung fei bie CEntftebung ber 
(öniglicben ©eroalt ?urücf?ufübren. Demgemäß fteben beibe ein« 
anber nicht gleich * oie geiftliche ©eroalt ift unenblicf) erhaben über 
bie weltliche. Jluch ihr geringfter Vertreter ift gewaltiger ab ber 
mächtigfte weltliche fymfött. Tlux baburch wirb bie irbifche ©ert* 
fchaft berechtigt, baß bie Kirche bie dürften ?ur Regierung beruft 
unb baß biefe ihre ©ewalt in ben Dienft ber Kirche ftellen. Tüa* 
©regor erfrrebte, hat Stonojen? III. aufgenommen unb geftetgert. 
TIach ihm ift ber römifche )3tfcf>of nicht nur ber Tlacbfolger bes 
üetrus, nicht nur ber Stelloertreter £!*fu (Ebrifti, fonbern er oer« 
tritt bie Stelle bes wahrhaftigen ©ottes auf (frben. Der papft 
ift nicht mehr in erfter £inie ber oberfte Priefterj er ift ber DÖelt* 
herr, bas Töefen ber päpftlichen ©ewalt ift bie Bereinigung oon 
Prieftertum unb Kaifertum. Deshalb ift ber Papft ber ßebnsberr 
bes Katfers, ber Konige unb Surften. @j C regieren unter tr>nt; 
aber ber heilfamfte 3"ftanb für bie Töelt wäre bie unmittelbare §ttt* 
fchaft bes Papftes auf (Erben. Tßäxc in feiner Qanb bie weltliche 



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50 4. *Die Oteformatton un6 ber 6taat 



mit ber geiftÜ4>en ©emalt oeretntgt, fo märe bet füt bte QHcnf4>* 
beit naturgemäße ßuftanb bergeftellt. §ter ersten btc 35efeitigung 
öes Staats als letztes 3\tl So meit fmb bte fpäteren Päpfte 
nicht gegangen: ober bie Unterotbnung bes Staats unter bte Ober* 
gemalt bes Papftes mürbe fatboltfches Dogma. Die ftets feft* 
gehaltenen Wormeln prägte 33onifa? VIII. bura) bte 35ulle Unam 
sanctam. Qter oerfünbete er ber H3elt: 3n ber Qanb bes Papftes 
ftnb bie beiöen Scj>merter, bas geiftlicbe unb bas meltlicbej fo 
lehrt bas CEoangelium. Das (entere muß für bie Kirche, bas erftcrc 
oon ber Kirche geführt toerben, btefes oon ben Prteftern, jenes 
oon ben Königen unb Kriegern, aber rote ber Prtefter es mill 
unb ?uläßt. Die geiftlicbe ©eroalt ifr über bie Wölbt unb König« 
reiche gefegt, fie ift, obgleich ein 7Henfa> fie t>anbr>abt, nicht 
menfcbltcb, fonbern göttlich- U3er if>r miberftrebt, ber miberftrebt 
ber Orbnung ©ottes. 

löte (teilte ffcf> bie Deformation }u biefer öerabbrürfung bes 
Staats, bie t(m jeber Selbftänbigfett beraubte, ihm alle jreibett 
}\x ^anbeln entzog? 

£utber roar tein 7Hann bes Staats. CEr roar nichts anberes 
als ein Xbeolog unb ein Prebtger. Unb er roollte nichts anberes 
fein. Stovern bat er ficb mteberbolt beffen gerühmt, baß er aud> 
bem Staat gebtent unb genügt habe. Seit ber ftpoftel 3*ttcn, fagt 
er einmal, habe fein Doftor noch Sfribent, fein Xbeologus noch 
Ourift bte ©emiffen ber meltltcben Stänbe fo herrlich unb tlärlia> 
beftätigt, unterrichtet unb getröftet, roie er es getan, burcb fonber* 
liebe ©nabe ©ottes. CEr begrünbet biefen Duhm, inbem er er* 
innert, als er auftrat, {>abe niemanb etroas oon ber meltlicben 
Obrigkeit gemußt: mober fie tarne, mas ibr ftmt ober U3erf fei 
unb roie fie ©Ott btenen folle. Die ©elebrten Ratten fie für etmas 
Tttenfcblicbes, Qtibntfd)**, Ungöttlicbes gehalten* fie hätten geur* 
teilt, fie fei ein für bie Seligkeit gefährlicher Stanb. 

CEs mar jenes TRißtrauen ber Kirche gegen ben Staat unb 
beffen Organe, bas ßutber bemerkte. CEr hat in ber Xat bas 



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4. Die Otyormatton unb bei 6taat 



6) 



Verbienft, mit ihm oölltg gebrochen jn haben. CEs war fein um 
berechtigtet CHuf>m, wenn er ben (apibaren Satj prägte: TBir 
lehren unb geben ber n>e(t(icben Obrigfeit all tf>c Tlecbt unb ©es 
walt, welches ber Papft noch nie getan bat mit ben ©einen unb 
noch nicht tun will. Die oorbebaltlofe ftnerfennung bes Staats 
als einer ©ottesorbnung, bas war ber Ofabm, ben er für fia) in 
$nfprua> nabm. 

£utber gebrauste babei, wenn er beutfeh fpracr> ober febrieb, 
nie bas U3ort Staat. Der Sprachgebrauch bes J6. CJabrbunberts 
fannte es in bem Sinne, in bem toir es gebraueben, noeb niebt. 
ßutber fprach oom Tletcf). Die Wormeln Queich ©ottes unb weife 
ltd>es Oieicb entfpreeben bei ibm niebt feiten bem, was mir mit 
Kirche unb Staat bezeichnen* nod> geläufiger mar ibm oon geiffe 
lieber unb weltlicher Obrigteit ober oon geiftlicbem unb weltlichem 
Regiment ?u reben. Der begriff Staat fehlte ibm jeboeb niebt. 
IDenn er lateinifcf) fpraeb ober febrieb, fo oermanbte er bas löort 
politia. Die Vorftellung, bie er babei hatte, berfte ftd) mit ber 
oon Staat in unferem Sinne. Daneben gebrauste er bas Tüort 
respublica. 

(Eine Definition oon Staat gab er in feinen Vorlefungen über 
bie ©enefis. Qier hört man: Der Staat ift ein bureb ©efetje an 
einem geroiffen Ort errichtetes ©emeinmefen, ausgerüstet mit allem, 
was }\im Xolt fomie zur Leitung unb Verwaltung besfelben ge* 
bort. £utber oergleicbt ben Staat mit bem menfeblichen Körper, 
löte in biefem ficf> oerfebiebene Verrichtungen unb mannigfache 
Dienfte finben, bie alle ben Qwcd haben, bafj ber Korper beftebe 
unb gefunb fei, fo fei es auch im Staate. (Ein in feine Xeile auf* 
gelöfter Körper, wo weber Qanb noch 3toö* noch $uß bas aus« 
richten, wozu fte ba fmb, fei ein £eicj>nam, als Körper fönne man 
ihn genau genommen nicht bezeichnen. So feien bie Guben ber 
©egenroart ber ßeichnam eines Volts. Der ©ebanfe ift dar: eine 
zufällig ?ufammenge?ommene THaffe oon CEinjelinbioibuen ift fein 
Staat, auch u>?nn f" etwas ©emeinfames hoben, bas fie ?u* 

©au et, Vit Tlrfotmation S 



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62 



4. Die Ofafomrntion unb ber Staat 



fammenhält. Denn ber Staat ift ein lebenbiger, mannigfach ae* 
glieberter Organismus, ber ficj) burcf) bie oerfchiebenartige Xätig« 
fett feinet ©lieber felbft erhält: btx®taat ift bas organifierte TS olt\ 

Daß ber Staat in biefem Sinne, ober, mos für £utf)cr gleich* 
mertig mar, baß bie bas ßeben bes Staats regelnbe Obrigfeit 
göttlichen Urfprungs unb göttlichen Rechts fei, bafür boten ihm 
Schriftfteüen mie CKöm. 13, J f . unb ). Petri 2, J 3 ff. unb zahlreiche 
altteftamentliche Jlusfprüche einen bequemen ^emeis. Dabei lehnte 
er jebe mpthologifierenbe 13orftellung ab: ber ^taat ift „ohne 
fonberlichen Befehl oom Gimmel" entftanben. Daß bie ftaatlid>c 
Orbnung gleichmohl auf bem Haren, unbeftrittenen H3illen ©ottes 
beruht, folgte für £uther baraus, baf) fie in ber menfchlichen 
Hernunftanlage begrünbet ift. Diefe ift bie oon ©Ott bem THen* 
[eben gegebene Jlusftattung: mie mit ihr bem THenfchen CKecht 
unb TBiffenfchaft, Verbau, Qeiüunbe unb bie oerfchiebenften 
Wertigkeiten eingepflanzt pnb, fo auch &ie Bilbung bes Staats. 
Deshalb ift er ein ©ottesmerf : £ut(>er meinte, ©efe^e unb Künfte 
feien mit ben Tttenfchen zugleich gefchaffen. (Es mar nur folge* 
richtig, baf) er urteilte, auf ben legten 3wtd gefehen biene auch 
ber Staat bem Tluhme ©ottes. 

Durch otefe Ableitung bes Staats mar bem alten THißtrauen 
gegen ihn jebe ©runblage entzogen: ift ei eine ©ottesorbnung, 
fo ift er gut, fo ift bie Xeilnahme am ftaatlichen £eben eine Pflicht, 
ein ©ottesbienft. 

Doch oerfolgen mir Rüthers ©eban!en meiter: als natürliches 
(Öebilbe ermächft ber Staat aus bem ©ausftanb. £utf>er backte 
bie natürlichen ©emeinfehaften als eine CHeihe, mobei immer bie 
folgenbe bie oorhergehenben oorausfe^t: fyaus, ©emeinbe, ©er« 
Zogtum, Königreich, bas £aus unb ber Staat göttlichen 
Urfprungs fmb, fo ift auch bie (finzelgemeinbe ©ottes löert unb 
©ottes eigen: er bringt fie zufammen, nährt, mehrt, fegnet unb 
erhält fie. J^nbererfeits feljt ber Staat bie ©lieberung bes T3olt*es 
in bie oerfchiebenen 35erufsftänbe ooraus. £ut(>er bot gerabe r>iers 



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4. Die TUformalion unt> ber Staat $3 

auf ben größten H3ert gelegt, (fr urteilte: U3ä(>renb Oiccf>t unb 

©efe^ fid) änbern, bleiben bie natürlichen 8tänbe bis an ber TUelt 

(fnbe unb geben burch a((e Königreiche, foroeit bie IDelt ift. 

Obne fie befreit roeber ®tdbt noa) £anb. Denn ihnen oerbanft 

es bie IHenfcfcbeit, baß es unter ihr nicht ?ugej)t toie unter ben 

roilben Sieren, ba immer eins bas anbere frißt. Der ©ebanfe ift 

alfo, baß bie Orbnung unb ber 3ufammenbalt ber ©efamtbeit 

burch ben Beftanb ber Beruf sftänbe gefiebert ift; er führt ba?u, 

baß ade ©lieber ber Tttenfcbfwt einanber bienen. früher backte 

bei ben Stäuben nicht nur an bie befannte Dreibeit, fonbern es 

ftanb ibm gerabe fax bie T3olfsgemeinfchaft in ber Tttannigfaltigs 

feit ibrer Betätigungen cor ber ©eele. ftls ©runblage betrachtete 

er aucf> ^ier ben ^öu^ftanb in feiner ©lieberung: Qerr unb £rau, 

Knea>t unb 7Hagb. 3f>t entfpricht im 6taate ber @tanb ber 

Obrigfeit unb ber Untertanen, Weiter führen bie für bie (ErhaU 

tung ber ©efamtbeit notroenbigen ^unftionen ?ur (fntftehung ber 

bürgerlichen ©tänbe: ©e lehrte, Bürger, Bauern, öanbroerf unb 

Qanbel. CJebes <8tanbes Aufgabe ift es, ben anberen }u bienen. 

Daraus folgerte ßuther, baß, obgleich bic ©tanbesoerfebiebenbeit 

unoermeiblich ift, alle <5tänbe gleiche C£f>rc unb gleichen Ufert oor 

©ott haben. 9m ©egenfat? ?ur mittelalterlichen £lnfcbauung be« 

tonte er befonbers, baß bie weltlichen @tänbe unb ihre Arbeit 

oor ©ott bem prieftertum unb beffen Xätigfeit gleichgeachtet finb. 

«£aßt man bie bargelegten ©ebanfen ?ufammen, fo roirb fich 

ber 6afy: £utber bachte ben ®taat als bas organifierte TJolf, be* 

roährt haben. Die Organifation ift oerroirflicbt burch ben Beftanb 

ber Obrigfeit. Dabei legte £utber nur barauf ©eroicht, baß eine 

georbnete Obrigfeit beftebe; bafür, tote biefe Orbnung im einzelnen 

geftaltet toar, fannte er feine CHegel. ftusgefd)loffen fein mußten 

feiner Überzeugung nach bk beiben (Extreme ber Anarchie unb ber 

Xprannis. Das löefen beiber fanb er barin, baß nicht bas ©efefy 

henfeht, fonbern bie U3illfür: bort bie UMIlfür ber THenge, baß 

jeber nach feinem KJillen fährt, hier bie TÜillfür bes einzelnen, 

5* 



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64 



4. 'Öle Oteformotfon unt> &er Staat 



ber fernen Ttufy unb TüÜIfür an ben Untertanen fuc|>t. $)ie tüur^ef 
ift hier n>ie bort ber (Egoismus, alfo bte 6ünbe. ftber oerflucht 
ift alles £eben, bas ihm felbft ?u Hu$ unb ©ut gelebt unb ge* 
fu<f>t toirb. 

TBaren biefe beiben (Ejrtreme oermieben, fo aalten ßut&er alle 
13erfaf[ungsformen als juläffig unb berechtigt. £utber oertrat feines« 
toegs bas ausfchließltcbe 9lecht ber monarchifchen 73cr f affung j im 
(Öegenteil: er hielt es für bas 9lecbt jeber (Semeinfchaft, fleh felbft 
fo oiele Oberberren yu geben, als ihr gutbünfe. £Ms ber fieipjiger 
THinorit JUoetb ben €>a$ aufftellte, es muffe jebe ®emeinfa)aft 
auf (Erben ein einiges leibliches Qaupt haben, oerfpottete bas 
fiutber a(s bare Sorbett. (Er erinnerte batoiber nicht nur an bie 
THb'glicbfeit bes ftonbominiums mebrerer trüber, fonbern auch 
an bie CKepublifen bes Altertums unb ber ©egentoart, CHom unb 
bie (Eibgenoffen. (Er hatte gegen bie republiranifcbe T3erfaffung fo 
wenig ettoas ein?utoenben, baß er feiner Eetounberung ber romi* 
fchen 'Xepublif fein fyty batte: 9lom fei obne THonarcben auf 
bas befte regiert geroefen. $Us eine (Scbufjtocbr gegen bie 3*us« 
artung ber Monarchie in bie Xprannis betrachtete er bie 33e* 
fcbränfung ber dürften burch oerfaffungsmäßige 33eftimmungen: 
baß fie (ich oerpflicbteten, nach oorgeftellten ftrtifeln ?u regieren 
unb nicht nach eigenem THuttoillen. 

@o unbefangen £ut(>er ben fragen ber ftaatlichen Uerfaffung 
gegenüberftanb, ebenfo frei buchte er über bie ftaatliche Uertoal« 
tung. 'Das ttecbt ber Kritif an 9legierungsmaßregeln, am per* 
fönHchen Verhalten ber dürften galt ihm als unbeftreitbar. Die 
Anregung unb Durchführung oon Reformen er in jeber 
Qinficht für berechtigt. 3)ber, be^eicjmenb für ben <&ealiften: eine 
gute 73enoaltung bünfte ihn toertooller als bie *Xeform ber ©c= 
fetjgebung, unb nur toarnen fonnte er oor ber (Gleichmacherei. 
@ie biene (ebiglichi ben ^rieben ?u ftören. 

Wenn ßutber in biefer Ttfeife ber größten Freiheit in bejug 
auf bie ftaatliche 13erfaffungsbilbung bas Tüort rebet, fo beftimmte 



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4. t)ie Deformation unb ber Staat 



65 



if>n baju ni4>t nur bie oerftanbtge flberfegung ber tatfäcbHchen 
UerbältnifTe. (Es mirtten religiöfe THotioe mit: et betrachtete es 
ob einen fa)Itmmen Mißbrauch ber TBorte dbtifti, wenn man aus 
ihnen ?u entnehmen fucbte, baß (Ebnftus eine Reform ber irbifcben 
unb ftaatlichen 3uftänbe erftrebt höbe, „baß er über bie trbifcfjen 
Dinge etwas anberes, mehr ober befferes hübe lehren motten". 
Daoon, mie bas meltliche Regiment ?u haften fei, enthalte bas 
(foangelium nichts. £uther mollte <£r)rtftu$ unb fein löerf rein 
erhalten: man foüte ibn nicht als itbifeben Reformator benfen. 
THan oerftefjt oon ba aus, baß er bie ftaatlichen fieiftungen bes 
Oeibentums ?u mürbigen mußte: tro$ feinet bekannten ftbnei* 
gung gegen ftriftoieles r>at et beffen Staatslehre (einesmegs ab« 
gelehnt. Das römifche Recht bat et gerabeju bemunbett. <£r hatte 
nichts bagegen einjumenben, baß bas römifche Reich auch in ber 
©egenmatt nach ibm tegiett metbe, ja et fagte ihm auch für bie 
3utunft bleibenbe ©elrung ooraus: es metbe bleiben bis an ben 
jüngften £ag$ bie (Jutiften bet ©egenmatt tonnten es nicht beffer 
machen. 

JWs 3u>erf bes Staates unb bet ©errfchaft befrachtete ßutber 
bas Eefte bes T3ol(es unb ßanbes. (Er gitterte Preb. 5, 8: Die 
Könige fmb Bauleute, bie bas £anb bauen. 3b« öerrfcj>aft ift 
alfo mie bie Arbeit jebes Bürgers Dienft bes Häuften. Sie 
letfien ibn junächft, inbem fte ben öffentlichen ^rieben mabren. 
Darin fah ßutber ben erften unb oornebmften 3»ea* bes Staats: 
bie Obrigfeit ift bas Tüerf?eug, bura) bas ©Ott triebe unb Recht 
erhalt; beshalb fmb bie dürften Amtleute ©ottes. fiuther (am 
immer mieber auf biefen Punft jurütf. (fr tannte für bie ©efamfs 
heit nichts Tlotmenbigeres, nichts Segenbringenberes als ben 
^rieben, mie er gerne fagte, ben „lieben" ^rieben. Unter ben ?eit* 
liehen ©aben ©ottes büntte er ihn bie größte: „Döer mi(( aus« 
fprechen, mas ber liebe triebe für ein unausfprech(icj>es ©ut ift, 
toieoiel er in einem Oahre allein beibes gibt unb erfpart." „Wo 
(ein triebe märe, (önnten mir nicht bleiben. Denn roo fein triebe 



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4. Die Deformation unb 6er Staat 

ift, ba bleibt auch (eine Nahrung unb fann feiner oor bes anbeten 
Sreoel (eben ober etwas behalten." (Erinnerte ßuther in btefen 
ftusfprüchen an ben ©egen bes Sriebens für bas irbifche fieben, 
fo war feinet Hber?eugung nach bei triebe nicht minber nötig für 
bas geiftliche £eben: wo fein triebe ift, bleibt fein 'Kaum, ©ottes 
Tüott }ü lebten, unb bie Kinber ?ur (Gottesfurcht unb 3ucj>t 
Rieben. 'Denn es muß juerft Stiebe auf (Erben fein, fonft fann 
man nicht prebigen, man (mbe benn "Xaum unb 3*i* b<*?u, &öß 
es ftille unb guter triebe fei. 

Die angeführten Steden zeigen, baß £utber bei bem ^rieben 
nicht in erfter £inie bie ©icherbeit oor äußeren jeinben, a(fo bas 
(Gegenteil bes Kriegs, im ©inne ^atte. (Er buchte oielme(>r an 
ben inneren ^rieben, bie ftufrecbterbaltung ber öffentlichen ©icher« 
beit unb Orbnung. Deshalb legte er ben größten 7laä)bxu& auf 
bie ernfte £)anbbabung bes ©trafrechts. Das paulinifche U3ort, 
baß bie Obrigfeit bas ©chwert nicht umfonft tragt, mar ibm recht 
aus ber ©eele gefprocben. 3)ber oon rober ©ewalttätigfeit wollte 
er nichts miffen. ©ein ©runbfaty mar: Titelt Sauftrecht, fonbern 
ftopfrecht, nicht ©ewalt, fonbern IDeisbeit unb Vernunft muß 
regieren. Äber auch babet follte ber HJillfür bes einzelnen eine 
fefte ©cjjranfe gefegt fein. Deshalb betonte £utf>er bie Tlormenbig« 
feit bes gefchriebenen Rechts, bes „Euchrechts". Das "Xea^t in 
biefem ©inne betrachtete er als bie ficherfte ©chufywebr bes Staats: 
es ift ber rechte Oarnifa) unb Tüaffen, bie £anb unb ßeute, ja 
bas bleich unb weltliches Regiment erhalten unb formen. 

DDenn man oon ben Aufgaben bes ©taates fpricht, fo benft 
gegenwärtig jebermann neben bem ©chufc bes Rechts an bie große 
Arbeit, bie ber ®taat auf bem (Gebiete ber Kultur unb bes wirt* 
fcf>aftltcj>en ßebens ?u (eiften bat. 9cf> glaube nicht }ü irren, menn 
ich fage, baß im Urteil ber ©egenwart bie ledere an TGichtigfeit 
bie Qanbhabung ber ©trafgemalt weit ubertrifft. Das entfpricht 
ber (Entwicfelung bes ©taates oornehmlich im oergangenen (Jahr? 
hunbert. Das feefoebnte Oabrbunbert fannte baoon nur bie ftn* 



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4. Die Deformation unb oet ©taot 



67 



fange. Um fo bemerkenswerter ift, baß für £utber mit ber löa^ 
rang bes Sriebens unb bes 3lecbts bie Aufgabe bes Staates 
keineswegs erfa)öpft marj feine ©ebanken eilten ber fpäteren (Ent* 
mitfelung ooraus, inbem et bie Kulturaufgaben roie bie mirtfefcafts 
liefen Aufgaben bes Staates ins 3)uge faßte. 

(Er ging oon einer 3*nf<j>auung aus, bie bem THittelalter nic&t 
fremb mar: ber König ift ber @d)ü$er aller Qilfsbebürftigen. Bei 
fiutber lautet ber €>at> allgemeiner: Die Obrigkeit ift ber Xox* 
munb aller 6cf>maa3en, ber (Jugenb unb aller, bie es bebürfen. 
ftus biefem @a0e ?og er bie ungemein mia)tige Folgerung: Die 
Sorge für bie <E rjiebung ber Ougenb gebort ?u ben grunblegenben 
Pflia^ten bes Staates. Tßo bie CJugenb oerfäumt unb unerzogen 
bleibt, ba liegt eine Sa;ulb ber Obrigkeit oor. 9n einer für i^n 
ungemein <j>arakteriftifa)en Töeife begrünbete er bie Tlotmenbigfeit 
ber ftaatlia)en Sürforge für bie (Erhebung nia)t junäcf>ft bur<j> ben 
Qinmeis auf bie Übeln folgen, bie ficj) aus ber T3ernacf>(äffigung 
bes 0ugenbunterricj>ts für bas einzelne Kinb ergeben, fonbern bes 
fonbers burcj> bie CErroägung, baß bas ©ebenen bes öffentlichen 
£ebens auf ber fittli<j>en unb intellektuellen Bilbung ber Bürger 
bes Staates berube. (Er erinnerte, es komme für eine Stabt nicjjt 
barauf an, baß man große Sa)ctye fammle, fefte IHauern, fd)öne 
Käufer, oiel Büa)fen unb £armf(j> ?euge, fonbern bas fei ber 
Stabt beftes unb allerreicfjftes ©ebeiben, ©eil unb Kraft, baß fie 
oiel feine, gelehrte, oernünftige, ebrbare, moblerjogene Bürger 
babe. Deshalb fein Salj: Ulan muß 3ucj)tmeifter unb ScjmU 
meifter b<*ben, fo man anbers etmas TlebH^es aus einem Volte 
maa)en mill. 

(Es mar nur konfequent, baß £utber }ux ^orberung bes ftaat* 
liefen Sa)ul?mangs tarn. (Er (>ielt ibn in boppelter £)infic(>t für 
notwenbig: einerfeits ben Kommunen gegenüber: Stäbte unb 
Dörfer, bie unmillig feien, für bas Scbulmefen ?u forgen, feien 
oon ber ßanbesobrigkeit ba?u }u fingen? anbererfeits ben (Eltern 
gegenüber: oerfäumten biefe ibre Pflia)t, fo fei bie Obrigfeit 



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68 



4. Die Deformation unb ber 6taat 



i 



fcbulbtg, ?u Urningen, baß fte ihre Ktnber ?ur ©cfmle galten. 
3m elfteren £all begrünbete er feine £orberung aus ber Analogie 
ber Bereits üblichen ©emeinbeleiftungen: nötige ber ®taat bte 
©emetnben 53rüc£en, TBeg unb @teg jn bauen, um rote otel mehr 
follte er fte nötigen @cj>ulen einzurichten. J^ua> im ?n>eiten $ail 
rotes er auf bereits übliche £etftungen fy\ti: fann bte Obrigkeit 
bie Untertanen, bie tüchtig ba?u (tnb, ?roingen, baß fte müffen 
(Spieß unb 33üajfen tragen, auf bie ^Hauern laufen unb an* 
beres tun, roenn man frtegen foll, um tote oiel mehr !ann unb 
foll fte bie Untertanen Urningen, baß fte ihre jttnber jut ©cjmle 
halten, roetl l>tex ein ärgerer Ärteg oorhanben ift. ©erabe biefe 
Begrünbung ?etgt t rote ernft es ßutfcer bamit mar, baß bte 6orge 
für bas ©cfmlmefen ju ben orbentltchen Aufgaben bes Staates 
gehöre. 

<£r backte babei an bas @a)ufa>efen im roeiteften Umfang oon 
ber GElementarfchule bis ?ur Unioerfttät. 'Daß auch für ben Unter? 
rieht ber THäbcben geforgt roerben müffe, oerhehlte er ftcb nicht: 
TEollt <9ott, rief er einmal aus, eine jebe <§tabt hätte auch eine 
Hläöcbenfcfmle, barinnen bes Xags bte THäbcben eine @tunb bas 
CEoangelium börten, es märe beutfeh ober lateintfeh. 

*Daß fiutber bei bem, mas er für bie Schule plante unb for* 
berte, ?unächft ben Unterricht in ber Religion im Äuge batte, ift 
Celc^t oerftanblicj). Das ergab fta> aus bem Smbalt feines ßebens 
unb Tüirtens. ftber fein Smtereffe befchränfte (ich fetnesroegs auf 
ben Religionsunterricht? er bacj>te bie CElementarfchule als not* 
toenbig für bie Qeranbilbung eines tüchtigen Jauerns unb Bürger* 
ftanbs, bie 7Hittelfchule befonbers als bie Pflanjftätte einer gebil* 
beten unb pflichteifrigen 33eamtenfchaft. 7ftc()t nur roetl ßrebiger 
unb Pfarrer notmenbig feien, babe ber ©taat für bas @cf>u(roefen 
}\i forgen, fonbern auch, weil man ber Ouriften, Schreiber, ftr?te, 
@cj>ulmeifter u. bergl. nicht entbehren tönne. 

£ür bie Untoerfitäten hielt fiuther oor allem notroenbtg bas 
Stubium ber 6praa)en, bann ber ßogtf, Ufatoxit unb Poettf, 



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4. Die "fleformalfon unb bet Staal 



69 



baju bet THatbemari! unb <Sef(f>i<f>te. ^Hon flebt, baß et ben 
Kreis bet Untoerfität9toiffenf4>aften but<j> bie f)in?ufügung bei 
©ef<f)i<bte bereicherte, ein ©ebanfe, betn bie 3u!unft geborte. Den 
beiben oberen §at\i\täten mies et bas ©tubium bet 35ibel unb bes 
meltli(f>en 3U4>ts ?u. Dabei münfebte et aber eine Reform bes 
3tecj>ts in nationalem Sinn: TDoIIt ©ott, baß tote jebes £anb 
feine eigene ftrt unb ©aben bot, alfo au<r) mit eigenen furjen 
9lecr)fen regiert mürbe. Daß et oom tanoniföen 9lecbt ni<bts 
toiffen mollte, ift begannt, flbet bie Aufgaben bet mebi?inifa)en 
^afultät ficr) ?u äußern trug et Eebenfen: „Die Jltjte laß i<j> ibre 
Safultäten reformieren." Det 3ubrang ?um Unioerfltatsftubium 
mar ibm menig etmünfa^tj et baa)te an bie !Rusma()l bet £üa> 
tigften: „man foltte auf bie bob*n 6a;ulen niebt jebermann febiefen, 
u>ie je^t gefebiefrt, ba man nut fragt naa; bet Wenge unb ein jebet 
toiH einen Dottor baben, fonbein allein bie a(tergefcr)itfteften, in 
ben Meinen ©acuten not moj)I erlogen, batübet ein £ütft obet 
9tat einet @tabt follt aefct b<*ben unb niebt ?ulaffen jn fenben, 
benn mobfgefcbitfte", 

TBie ßutber bie Pflege bes @4>ufmefens ab eine unerläßlia^e 
Pflia;t bes Staate* betrachtete, fo mied et ibm au<j> eine febt 
meitgteifenbe fojiafe Aufgabe ?u. Jlucr) babei mat et oon bem 
©ebanfen be(>errfcbt, baß ber6taat bet TJormünber bet €>a;macben 
ift. Desbalb richtete et feine Jlufmetffamfeit ?unä<bft auf ba» 
ftrmenmefen. (Et bot bie ptioate TUobltärigfeit ?u febä^en gemußt; 
et betrachtete fie als bas befte untet allen äußerlichen Uferten, 
benn fie fei bas TRetf bet ^3atmbetjigfeitj nut müffe fie im 
testen @inn, um (Softes millen, geübt metben. ftbet et oermied 
bie ftrmen niebt auf bas JUmofen. Denn biefes oermag ber 13er« 
armung niebt }\x mebren. Das aber mollte ßutbet: es follte nie« 
manb untet ben (£(>nften betteln geben. 

Wenn man ficr) bie mittfebaftlicben Uerbältniffe bes feefoebnten 
Oabtbunbetts oeigegenmättigt, fo mo'cbte man fagen: ein faft über« 
eübner ©ebante. THöglicb mar bie ftusfübrung nur, toenn bie bürget* 



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70 



4. Die Deformation unb ber ©toat 



ltd>e ©ewalt: hier bie ©emeinbe, bie 6ad)e in bie Qanb nahm. "Dem« 
gemäß wünfebte ßutber bie T3erforgung ber Ernten burcf> ben polt» 
tifchen TJerbanb, bem fte angehörten: jebe @tabt folle für t(>ce 
Armen 6orge trogen unb frembe Bettler nicht ?u(affen. Die Aus* 
fübrung backte er fo, baß allerorts „ein Vermefer ober TJormunb" 
befteKt werbe, ber bie Armen fenne. (Er höbe, was jebem not fei, 
bem 3lat ober bem Pfarrer ?u melben. (Es follten a(fo fowobl 
bürgerliche roie fachliche Tttittel für bie Armenpflege in Anfprucb 
genommen werben, ©ereilt »erben follte nur bas Tlotwenbige: 
„baß fie niebt Jüngers ftürben ober erfrören". An bie TIlöglicb* 
feit, ?um ?u kommen, zweifelte fiutber nicht, wenn fieb nur 
bet Tttut unb ber (Ernft ba?u finbe. Tlur mußte ficf> bie Sürforge 
auf bie wirflieb Armen befcbrän!en. Deshalb wünfehte ßutber 
rüctficbtslofes (Einfehreiten gegen bte Arbeitsfcbeuen: unmtye£eute, 
bie weber jn roebren noeb ?u näbren bienen, fonbern nur ?ebren, 
faulenden unb müßig geben fönnen, foüe ber <£ürft niebt im ßanbe 
bulben, fonbern fie aus bem £anbe jagen, ober ?um U3erf galten, 
gleichwie bie Lienen tun unb fteeben bie fjummeln weg, welche 
nicht arbeiten unb anberen Lienen ihren Qoniq wegfreffen. 

TGir berühren ein neues (Öebiet ber ftaatlichen unb fornmu* 
nalen Aufgaben, inbem ich erwähne, baß ßutber bie Aufrecht* 
erbaltung ber öffentlichen Sittlichkeit ?u ihnen rechnete. Die 
befonbers in ben 6täbten fieb breit macbenbe Unzucht gereichte ihm 
}um größten Anftoß. (Er wünfehte, baß bie öffentlichen Käufer 
oon Obrigfeits wegen befeitigt würben. Aber er war fieb bewußt, 
baß er bamit eine ber febwierigften fragen bes fokalen £ebens 
berühre, unb er oerbeblte fieb nicht, baß mit ber (Entfernung bes 
äußeren Anftoßes wenig getan fei. Deshalb fein Ttat, bureb 
^örberung unb (Erleichterung ber (Ebefcbließung ber Verbreitung 
ber Unzucht entgegenzuarbeiten. (Er fagt: D3enn bie Obrigfeiten 
barauf bächten, wie man bas junge Volt ehelich ?ufammenbrächte, 
würbe einen jeben bie goffnung ehelichen 6tanbes bie Anfech- 
tungen ?ur Unzucht beftehen helfen. 



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4. Die Deformation uno 6er Staat 



71 



THit ber Unzucht pflegt ber £ujms £anb in öanb ?u gehen. 
£utber betrachtete aud> ben (enteren als öffentliches Unrecht, bas 
oon Btaats wegen unterbrüctt »erben follte. Die £ujmsoer£ote, 
bie man in ben beutfa)en Stäbten längft konnte, billigte et aus* 
brücfUcf). J^ber fie genügten ihm nichts er münfcbte, baß fie all* 
gemeine ©eltung erhielten. Deshalb fehlen ir)m ein Tleichsgefefc 
gegen ben £u?us nottoenbig, „ein gemein <&ebot unb 35emilltgung 
beutfeber "Kation miber ben überfebmenglicben Überfluß unb Hoft 
ber ftleibung, baburch fo oiel ftbel unb reifes Volt oerarmt." 
71icj)t minber münfcbte er }3efcf>ränr*ung bes £u?us ber £afel: „es 
märe not toeniger Spejereien, bas aueb ber großen Schiffe eines 
ift, barinnen bas ©elb aus beutfcf>en £anben geführt mirb." 

(Enblich regnete £utber auch bie <$ö'rberung unb Regelung 
bes toirtfehaftlichen £ebens ?u ben Aufgaben bes Staates. (Er 
buchte auch hier fotoohl an bie Unferbrücftmg oon ftusmüchfen, 
toie an bie Pflege bes ©efunben unb Tlottoenbigen. Unreeller 
Qanbel unb unreelle ©efchäftsfübrung bünfte ihn einfach Diebs 
ftahl: „heutiges Sogs roirb oiel betrug mit ftaufen unb Der* 
taufen gebraucht oon allen fjanbmerteleuten. Die Obrigteit foll 
folches mehren unb mit (Ernft ba?u tun. (Es märe oonnöten, baß 
eine rechte Orbnung gemacht mürbe in einer ^tabt unb folches 
Scbinben unb Schaben abgeftellt, alfo baß ber arme TRann }\x* 
fommen tonnte/ (Er meinte, baß oon 5kits megen ?unäcj>ft burch 
gütliche Uorftellungen eingegriffen toerben müßte? nü^ten biefe 
nicht, fo habe bie Obrigteit bie T3erforgung ber Stabt felbft in 
bie Qanb }\x nehmen unb burch ?uoer(äffige Vertrauensmänner 
burefoufübren. 5Ms einen fcblimmen Schaben betrachtete er ben 
3instauf: er fah in ihm TÜucber. 35e?eicbnenb ift, baß er auch 
gegen ihn bas (Eingreifen bes Staates münfehte. (fr fabelte, baß 
es baran fehle: bie meltliche Oerrfchaft fei laß unb faul, ?um Seil 
auch ?u fchmach, folgern CJammer ?u mehren. 

Die £ürforge für bas mirtfehaftliche £eben buchte £uther im 
meiteften Umfang: (Erleichterung unb ^orberung bes T3ertehr*,' 



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72 



4. Die Deformation uno ocr 6taat 



Regelung bes $5<mbels entfprecfjenb ben nationalen 33ebürfniffen, 
Pflege ber £anbmirtfa;aft. Ufte ber Staat £anb unb £eute fa>ü&t, 
3o(( unb ©teuer ergebt, fo bat er aua> bas ©täbtemefen ?u forbern. 
dürfen ju bauen, ©eleit }\x galten u. bergL Daß £ut(>er bem 
Öanbel babei nicj>t aan? geregt würbe, ift begannt. Aber es mag 
baran erinnert ©erben, baß er ber internationalen 9tia)tung bes 
Qanbeld gegenüber bie nationalen ©eficf>tspunfte j>eroorl)ob: ©Ott 
(>at uns genug gegeben K3olle, $aar, <$lacf>s unb alles, mas }u 
?temhcf>er ef>rltd)er Reibung einem jeben <3tanb reblia) bient, baß 
wir nic&t bebürfen, fo greulichen großen @cj>at> für ©eibe, ©amt, 
©olbfcfcmua* unb mas ber auslänbifcfcen Ktore ift, fo geubifa) 
oerfcfmtten. (Es mäa>ft uns me(>r (Effen unb Xrtnfen fo föftlicb 
unb gut als irgenb in einem anbern £anb. £utf>er mfinfcfcte ¥>i* 
fc&ränfung ber (Einfuhr $um heften ber nationalen Probuftion. 
6eine oolle £iebe geborte ber £anbn>irtfcf>aft. Den ©ebanten ber 
inneren Kotonifation tann man fa)on bei i(>m finben. (Es ift noa> 
oiel £anbes, bas niefct umgetrieben ift, fagt er einmal, unb er be* 
grünbet barauf bie THabnung, bas AtfertoerE ?u mebren. 

So umfaffenb unb fo mannigfaltig, fo fegensreicj) unb fo not* 
roenbig backte £utf>er bie Xätigteit bes Staates $ fte regelt bie 
ganje £ebensbetätigung ber ©efamtbett. Von bem alten Argmo&n 
gegen ibn unb fein £anbeln mar ni4>t eine 6pur me&r oorbanben. 
Aber bie ganje ftaatlicj>e Xätigfeit baa>te er als auf bem melt* 
(ia>en (Sebiet fta) ooltye&enb, tote bie Xätig!eit ber Kita)* aus« 
fcj>ließlicf> bem geiftlicben angehört. Daraue folgte, baß er mit 
ber 'Xtorftellung oon ber Tlotmenbigfeit ber gerrföaft ber ilirebe 
über ben @taat oollftänbig braej). An bie Stelle biefes ©ebanfens 
trat ber anbere ber Haren Xrennung ber beiben ©ebiete. „Eis 
ans (Enbe ber Tüelt follen bie ?mei Regiment nicj>t tneinanber ge« 
mengt merben, mie ?ur 3*it bes Alten Xeftaments im jübifa)en 
T3ol£ gefefrafr, fonbern ooneinanber gefonbert unb gefcf>ieben bleiben. 
Die ?toei CKuten unb Scfcmerter muffen untertrieben merben, auf 
baß einer bem anbern nia)t in fein Amt falle." Dabei mirtte ni<j>t 



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4. Die Tleformaflon unb ber 6laot 



73 



etwa bas THißtrauen gegen ben «Staat unbewußt fort, fonbetn bie 
Srennung ergab (tcb für £utf>er aus ber Derfcbiebenbeit bes 
Tüefens ber beiben ©emeinf<baften. <£r betonte: Das dS>ttft(t<f>e 
Regiment ift nicbt wiber bas weltlicbe, no<f> bie tx>elt(tcf>e Obrig* 
feit wiber (Ebriftum. Äber er erinnerte ?uglei<J>: Das weltlia)e 
Regiment gebort in £brifti ßntf gar nt(j)t, fonbern ift ein äußer* 
lieb Ding, roie alle anberen Ämter unb 6tänbe. Unb tote bte« 
felben außer <Ef>rifti ftmt fmb, alfo baß fte ein Ungläubiger eben« 
fogut fübrt ab ein (E^rift, alfo ift aueb bes weltlia^en <Sa3wertcs 
J)mt, baß es bie £eute toeber (Ebriften noeb Uncbriften ma<bt. 

Tlur ^olgefätje aus ber Xrennung ber beiben ©ewalten waren 
es, baß fiutber einerfeits oon einer (Exemtion ber ©eiftlicben oon 
ber Unterorbnung unter bie weltlicbe ©ewalt nichts roiffen roollte 
unb baß er anbererfeits ber Betätigung ber ftaatlicben ©ewalt 
eine febr beftimmte ©renje ?og: fle bort ba auf, too es fia> um 
Dinge bes ©laubens unb ©ewiffens banbelt. 3n erfterer £)inficbt 
betonte er, baß fieb bie toeltlicbe ©eroalt in allen ?eitli<f>en Din* 
gen, Pflichten unb jorberungen über alle ©lieber bes Staats er« 
ftrerfe, unangefeben, ob fie ©eiftlicbe ober löeltlicbe feien, unb 
bies naa) gbttlicbem Decbt Demgemäß feien bie Priefter in allen 
?eitlicj>en Dingen ber ©eroalt bes Schwertes unterworfen. Das 
gelte aueb in bejug auf bas €>trafrecbt: roer fcbulbig ift, ber leibe. 
3n legerer ©infiebt (>ob er bie Unmbglicbteit, ben ©lauben }\x 
gebieten, btroor, ba er ein gb'ttlicbes TCert im ©eift ift. Des* 
laib fann unb foll man ?um ©lauben niemanb fingen, ßutber 
roar es fo ernft mit biefem @afy, baß er aufforberte, roenn bie 
roeltlicben dürften in bas geiftlidbe Jlmt greifen wollen unb bie 
©ewiffen fangen, barin ©ott allein ftyen unb regieren muß, ibnen 
niebt }ü geborgen: man follte eber ben f)als barüber (äffen. 

60 baebte ber ^übrer ber Deformation über ben @taat, fein 
K3efen unb feine Aufgaben, über bie ftusbebnung unb bie 
<Sd>ranfen feiner ©ewalt. TOas ift baoon geblieben? 

THan brauet nicbt }ü fagen, baß bie Deformation einen un* 



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74 



4. ©ie Deformation un6 &er Staat 



mittelbaren (Einfluß auf bie ©eftaltung ber ftaat(tc|>en Verhalt* 
niffe nicbt gehabt bat. £utber mar fein Politiferj feine reformato* 
rifcbe Arbeit galt ber Kircbe, nid)t bem Staat. Die Umbilbung 
bes mittelalterlichen Staates in ben gegenwärtigen Staat fefytc oor 
ber Deformation ein unb ooll^og ficf> nid>t oormiegenb auf bem 
proteftantifcben ©ebiet. Sie ift bas (Ergebnis eines fe{>r tompli* 
gierten Projeffes, auf ben ßutber unb feine ba unb bort binge= 
ujorfenen, nirgenbs im 3«föntmenbang entmirfelten (Öebanfcn 
feinen (Einfluß gebabt boben. 

J)ber mirfungslos finb feine Jlnfcbauungen nicbt gemefen. Sie 
mürben oom ganzen eoangelifcben Deutfcblanb aufgenommen. 3n 
ber reformierten Kircf>e aber bilbeten ficf> mefentlicb gleiche Uber? 
Beugungen. THan mar einig in ber ftnerfennung ber 33ered)tigung 
bes Staates unb in ber llnterfcbeibung ber Aufgaben unb Qkk 
von Staat unb Hircbe. (Ein Unterfcbieb beftanb nur barin, baß 
man reformierterfeits geneigt mar, bie £ätigfeit bes cbriftlicben 
(Staats für bie (Erbaltung ber äußeren (Ebrbarfeit bes £ebens 
fo meit ausjubebnen, baß fie auf bas ©ebiet ber Kirche übergriff. 
Doeb mar bas mebt eine T3erfa>iebenbeit in ber ftnmenbung ber 
©runbfätje, als in biefen felbft. 

&uf bem ganzen proteftantifcben ©ebiet oerfcbmanb bas mittel« 
altcrlicbe Mißtrauen gegen ben ®taat unb bie ftaarlicbe Jätigfeit. 
Die Deformation bat bas 73erbienft, ben 3roiefpalt jmifcben ftaat* 
lieber unb ftrcblicber Xätigfeit grunbfätjlicb befettigt }\i baben. 
Sie bat babureb bie Harmonie bes öffentlichen £ebens bergeftellt. 
3a) glaube nicbt ?u irren, baß bie Solgen baoon fiel) felbft auf 
bem fatbolifcf>en ©ebiet bemerkbar macben. Die Uorftellung, baß 
ber Staat an unb für fieb etroas Ungöttlicbes ift, ift aueb für ben 
Katbolifen ber ©egenmart übermunben. 

33efeitigt ift ferner für ben gefamten Proteftantismus bie 7}ox- 
ftellung, baß es bie Aufgabe ber Kircbe fei, ben Staat ju be* 
berrfeben. ftuf ber fatbolifeben Seite ift fie. als (Erbe aus bem 
THittelalter nod) oorbanben. Daber ber TSerfud), bureb ftrcbltcb 



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4. "Die Deformation unb Der Btaat 75 

geleitete Parteien bte Qerrfcrjaft über bie 6taatsoerroaItung in bie 
Öänbe ju bekommen. CEtn proteftantifcfres ©egenftütf ?um poltti* 
fd>en Ultramontantsmus ift ein 'Ding bec Unmögltcfrfeit. ©erabe 
00m !irct>licr)en <5eficj)tspunft aus müßte man ftcf) bagegen erMären. 

3ur öecrfcr>aft gekommen tft enblicj) bie Uberjeugung, baß ber 
Staat tDeber im eigenen 3led>t nocj) im 'Dienft ber Kirche einen 
3t»ang über bte ©eroiffen auszuüben f>at. 'Das CHect>t ber ©e* 
tDiffenöfteibeit tft allgemeine Überzeugung ber Tüelt geworben. 
CEtner ber t»ta>ttgften ©runbfctye ber Tieformatton ift bamtt ?ur 
Oerrfcjwft gelangt. 



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5. 3)ie Deformation unb ber ©ottesbknft. 

ftatfrolifcfrer unb eoangelifcfrer ©ottesbienft. Qebermann weiß, 
toie oöllig oerfajieben beibe fmb. betritt man eine fatf)olifcbe 
Ältere, fo !>ört man eine frembe ©prac&e, bie Iatetntfcf>e. 3n 
bunten, golb* unb feibegefritften ©etoänbern walten bie Priefter 
ibres Dienftes im (Ebor. 33alb raufc&enbe, ba(b ?arte THufi! be* 
gleitet ibr ^anbeln, fter^enfc&immer ftrafjlt oom ftltarj TBeib* 
raud>toolfen fteigen not ibm auf. Daju eine Sülle ber mannig* 
faaj>ften 3^<nonien: jetyt Tlieberfnien, jefyt Verbeugen, jetjt ftreu?» 
(ablagen, enbltcb bas (Erbeben oon Qoftie unb ftelcf). Die toeibe* 
oolle Seierlicj>feit wirb nur unterbrochen bureb ben fcbrtllen Xon 
ber 6c£elle, bie auf bas lüicbtigfte, was am Jlltar gefefciebt, 
aufmerffam maa)t. 3m 6cbiff ber Ktrcbe ift bie fc&weigenbe ©es 
meinbe oeffammelt; fie ift nicf>t Xeilnebmerin an bem, was ge* 
fefriebt, nur 3*ugin besfelben. 2Mof) burej) ibr Knien unb Kreu?* 
fcf)Iagen beweift fie, baß fie ber am Elitär ficj> oolljiebenben 
priefterlichen Qanblung folgt. Die reiche ftusftattung ber Kircbe 
mit ?ablreicj)en Altären unb anberem Kirc&engerät, mit mannig* 
facbem 35ilbwerf gibt ben würbigen Tlabmen für bas religiöfe 
©cbaufpiel, bas täglich in jeber *ftircf>e oolljogen wirb. 

3m proteftantifc&en ©ottesbienft nichts oon bem allen. Die 
beutfc&e €>pracf>e (>ertf4>t ausfcf>ließlic(> j !aum baß einige £or« 
mein in ben @praa)en ber Eibel übernommen ftnb: bas ftprie, 
Öopanna, galleluja, ftmen. Der ©ottesbienft oolljiebt ficj> im 
roefentlic&en in ©emeinbegefang, ©cfcriftoetlefung, ©ebet unb 
Ptebigt. 7lur ba unb bort gemabnt ein oom (Ebor gefangenes £teb 
baran, baf) aucf> ber Proteftantismus ben Dienft ber ftunft in ber 
Kirche niebt ablehnt. Die ©emeinbe ift niebt nur 3«ugtn bes 
©ottesbienftes? fie ift bie Xrägerin besfelben: im ©emeinbelieb 



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5. Di« Deformation unb ber ©oäcsbienfc 



77 



brücft (tc bic (fmpfinbungen aus, mit bencn fie, je nacj> 5er Qtit 
bes Kircjjenjabrs, ?ur Kir<f)e (ommtf fie ermibert bie Segens« 
n>ünf4>e v bie if>r oom JUtar aus bargeboten merbenj im K3ecf)fel 
mit bem ©eiftliajjen fingt fte bas £ob ©ottes unb bas 35er?enntnis 
ifrres ©laubensj bie Prebigt enblicf), bas ^auptftüa* im eoangeli* 
fd>en ©ottesbienft, ift bie i(>r bargebotene ©nabenoerfünbigung 
unb ?ugfeicr) ein 3*ugnis bes ©laubens, ber fie erfüllt. 

löäfrrenb ber 6atr>oÜfcf>e Kultus für ben ^rernben, ber nichts 
oon if>m toeij), etwas ©e&eimnisoolles, man barf fagen: Rätfei* 
Saftes (>at, »f* *m proteftantiföen ©ottesbienft alles oerftänblid), 
tlar unb burcf>fia)tig. ^ucj> biejenigen, benen ber Proteftantismus, 
feine ftnfc&auungen unb Überzeugungen, feine fielen unb ©runb* 
fäfce oöllig fremb finb, tonnen allem, toas gefcj>ief)t, folgen unb 
alles oerfte&en. 

Unb bocf> (>abe f cf> mit bem ©efagten ben tiefften Unterfd>ieb, 
ber ben ©ottesbienft ber beiben cj>riftlicf)en Kirchen trennt, nocf> 
nicf>t ausgefprod)en. (fr gebt toeit tiefer als bie 'öerfc&ieben&eit 
ber äußeren 5orm, bie ?unäcf)ft auffällt 

Die Religion JJefu df)rifti unterfcfjieb ftd) oon allen oor* unb 
auj)ercj>riftlicr)en Religionen, au<j> oom CJubentum, aus bem fie 
(jeroorgeroadrfen ift, oornef>mlicj> in einem Punkte: fie fannte !eine 
ftrt oon Opferbienft. Me anberen Religionen ofjne ftusna&me 
waren Kultusreligionen: ber Dienft ©ottes ober ber ©ö'tter eneiefrte 
feinen Qöfjepuntt in ber Opferbarbringung an ©Ott ober bie 
©otter. Das mar im Oubentum ber «$a(l. Der Xempel }\i JJeru* 
falem mar bie Opferftätte bes jübif4>en Volt* - y oor feinem (Eingang 
ftanb ber 35ranbopferaltar, auf bem ununterbrochen bas <$euer 
züngelte, in bem bie Opfer ber "Oolfsgenoffen ©ott bargebraef)* 
mürben? bas 33lut bes ©üfrnopfers am großen T3erf6(>nungstag 
mürbe oom gofrenpriefter in bas 2U(erf>ciligfte gebracht, um bie 
6ünben bes ISolts ?u beefen. 6o unerläßlich erfüllen ber ifraeli* 
tifcj>en §xbmmiQkit bas Opfer, baß man fia) bas £eben unb ben 
Uerte&r mit ©ott ofmc basfelbe überhaupt nicj>t oorftellen tonnte. 

&aurf, 1>U fleformatfon 6 



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73 5. Die Deformation unb ber ©otte»blenft 



Die Gagen über ben Urfprung bes 7Henf4>cngcfd>fcd)tö (äffen fcj>on 
bie @6(>ne ber Protoplaften ihre Opfer barbringen, b. (>. man war 
ber Überzeugung, baß bas Opfer fo alt ift wie bie 3Henfchh«lt. 

Tlicht anbers war *s auf bem unermeßfa&en ©ebiete ber ^eib* 
ntf4>en Tieligionen. 3n ihnen allen ift bie Opferbarbringung an 
bie ©ötter etwas ©elbftoerftänbliches, ohne baß bie Religion 
überhaupt aufhören mürbe. Die ßateiner bezeichneten bas Opfer 
ab sacrificium, b. f>. wörtlich: ^eiltge Qanblung; es ift bie ^ct* 
lige Qanblung fchlecf>thin. Denn nicht eine gewiffe ©efmnung, 
auch nicr)t TOorte bes Preifes unb Dantes h*lf<h*n bie ©ötter in 
erfter ßinie, fonbern ©aben. Durch bie ©aben, bie man ihnen 
barbringt, mirb bemiefen, baß bie ©efmnung, bie man ihnen 
gegenüber hegt, baß bie Verehrung, bie man ausfpricht, echt unb 
wahrhaftig ift. Deshalb ift bas ©ebet ohne Opfer unjureichenb: 
erft burch bas begleitenbe Opfer erhält es ben rechten TOert unb 
üaehbruef; ber Opfernbe tann auf bie (Erhörung feiner bitten 
rechnen. Eefonbers muß jebe Verfehlung gegen bie ©ötter burefe 
bas füfmenbe Opfer ausgeglichen werben. Der bem unbekannten 
©Ott in ftthen geroeihte (Altar, ber bem ftpoftel Paulus auffiel» 
ift ein 3*uge beffen. Solche Altäre mürben errichtet, wenn öffent* 
liches Unheil, oon bem man nicht wußte, welchem ©ott ober 
welchen ©öttern man es zuzutreiben ^abe 9 auf eine Verfehlung 
hinwies, bie ber 6ühnung noch beburfte. Die ßuflöfung ber alten, 
ooltstümlichen Frömmigkeit unb im ©efolge beffen ber tiefgehenbe. 
Umfchwung in ben ftnfchauungen über bie ©ötter im beginn l>et 
christlichen 3eirrechnung brachten h^r (eine Änberung hewor* 
3war hielt fein ©ebilbeter mehr an ber naioen Vorftellung feft, 
baß bie ©ötter hungerten unb bürfteten wie bie THenfchen unb 
beshalb ber ©aben, bie biefe ihnen fpenben, bebürften unb fid) 
an ihnen erfreuten. (Aber bie Überzeugung ftanb bem göttergläu« 
bigen Reiben ftets feft, baß bie Qimmlifchen an ben Opfern ber 
cJrbifchen ihr Tüohlgefallen höben unb fie burch frhörung ihrer 
©ebete unb (Erfüllung ihrer Tttünfche lohnen. 



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5. Die Deformation unb btt ©ottes&lenft 



79 



Qkz machte bas (Ebriftentum ben tiefften (Einfcbnitt. Der f)txx 
bat bfe gefe$H<b*n Opfer nicht oerworfen, aber bas (Enbe ber* 
felben flar porausgefeben unb porausgefagt. ©einem Seifpiel fol* 
genb erhob bie ältefte ©emeinbe in JJerufalem (einen Tölberfprucb 
gegen ben Opferbienft im Xempel; ober in ihrer Tttttte würbe 
niemals ein Xiet gepachtet ober ein 33rot gebacken, um perbrannt 
unb babureb ©ott beigebracht }\x werben. Als pollenbs bie erften 
(Ebriftengemeinben' auf ^eibnifc^em ©ebiete entftanben, bebeutete 
bas jwat bie ßoslbfung ihrer ©lieber pon jeglichem Opferfult 
ihrer (>eibntfcf>en Uolfsgenoffen, aber nicht bie Aufrichtung eines 
neuen Opferbienftes. Der ©ebanfe baran tag oöllig außerhalb 
bes Anfcbauungsfreifes ber älteften (Ebriftenbeit. TCJenn Paulus 
bie dpriften in 9tom aufforberte, ft4> felbft, ibre ßeiber ab ein 
lebenbiges unb heiliges Opfer ©Ott bar?ubringen, unb wenn er 
bartn bie pernünftige ©ottesperebrung ernannte, fo lag in biefen 
©äljen bie febärffte itritif jeglichen Opferbienftes. Der ©ottes« 
bienft ber älteften (£^tiftenrj>eit war pon bem aller ebriftlicben Kirchen 
ber fpäteren Qtit weit perfchieben. (fr fannte in feiner Qinftcbt 
fefte formen unb Wormeln $ auc j> ^atte bie ältefte (Ebtiftenbeit 
feinen berufsmäßigen ßebrftanb. Der löecbfel pon 9lebe, ©ebet 
unb £ieb war a(fo piel freier als in ben je^igen Kirchen. Um fo 
unmöglicher war jeber ©ebanfe an Opferbarbringung: es fehlte 
ber Priefter, ber ein Opfer polljiehen, es fehlte bie ©abe, bie 
bargebracht werben tonnte. 

Tlichts erregte bei ben b'ibnifcben 3"tgenoffen folches 33e* 
fremben unb folchen Anftof), wie biefe Xatfacbe: fie hüben feine 
Altäre unb feine Heiligtümer: bas war bas Unoerftänblicbfte an 
ber neuen Religion. (Es lief) ben Argwohn, bie (Ehriften feien 
Atbeiften, nicht perfchwinben: ba fie feine Opfer hatten, fcf>ienen 
fie auch feinen ©Ott ?u perehren. 

Aber bei biefem ßuftanbe blieb es nicht: bie Opferpprftellung 
unb bamit ber Priefterbegriff brangen in bie chriftlichen Anfchauungen 
ein unb gewannen bort i)eimatrecbt. Daburch würbe ber chriftliche 

6* 



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80 5. Die OfcformaHon unb b<r ©ottcsblenfl 



©ottesbienft oöllig umgeftaltet: bas fatF>ofifd>c (£f)tiftenrum toutbe 
?u einer Kultusreligion unb näherte fieb babureb ben oorcbtiftltd)en 
Religionen toiebet. 

Der Anfang tpat fo unf<beinbat unb unfa)ulbig als möglieb. 
Töas tpat angemeffener, als baß bie ©emeinbe, toenn ftc bas 
THabl bes öerrn feierte, £rot unb Töetn niebt taufte, fonbern baß 
tyre ©Heber fieb beetfetten, bas für bas ©emeinbemabl Tlottoem 
bige freiwillig unb reia^(icf) ?u fpenben? Uber biefe ©aben tourbe 
beim beginn ber ftbenbmablsfeier ein Danfgebet gefproerjen, bie 
Bv%ttQi6Tia, nacb ber im Verlaufe bie ganje Seier genannt toorben 
ift. Töir befifyen uralte Formulare für bie Danfgebete bei ber 
ftbenbmablsfeierj fie mögen ber Seit um bas £Jabr )00 angeboten, 
finb jebenfalls nicf)t bebeutenb jünger. 6ie enthalten lebiglicb ben 
Dan! für bie geiftlicben unb (etbltä>en ©oben ©ottes. Der ©e* 
banfe, baß biefe ©penben ©Ott als Opfer bargebraa)t tourben, 
ift nia>t ausgefproa;en, dingt niebt einmal an. ftber es unterliegt 
feinem 3w«ifel t baß er fia) fcr>on febr früb?etti0 an bas Dank 
gebet über bie ftbenbmablselemente anfcf)loß. Titan !ann ibn fefcon 
in bem ©emeinbefebreiben ftnben, bas gegen CEnbe bes erften 
Oabrbunberts oon Rom nacb Korintb gerietet tourbe. 9m jtoeiten 
Oabrbunbert begegnet man tbm bei ben oerfa)iebenen ©ebrift« 
ftellern: er toar allgemein angenommen. Die Uorftellung toar nun, 
baß bie <£b"ften^ett im Unterfcbieb oon ben falfcben Opfern ber 
Reiben bas rea;te Opfer befitjt, inbem fie in ber (Eucfwriftte unter 
Dant für bie leiblichen unb geiftlicben Wohltaten ©ottes Erot unb 
U3ein ©ott barbrtngt. Der Erucb mit ber älteren flbetjeugung 
toar ponogen: bie <£f>riftenbett ^atte gleich ben Reiben unb Ouben 
ein binglicbes Opfer, ^rcilic^ follte es ben b*ibnifcben Opfern 
niebt gleicbgeftellt werben. 3n ibnen tourben bie Opfergaben im 
eigentlicben ©inne ben ©öttern bargebraebtj bagegen tourbe bie 
Darbringung oon 33rot unb Tßein als ©innbilb bes geiftlicben 
Dantopfers bes ©laubens unb ber ßiebe betrautet. Damit oer? 
banb fidb balb noch ein ?toeiter ©ebanfe: 35rot unb TBein bes 



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litt I tu 



5. Die OUformation unb bet ©ottcsöienft 



8) 



ftbenbmabls finb 6innbilber bes ßeibes unb SMuts bes Qetrn. 
3nbem bie ©emeinbe fie barbringt, erinnert fic ©Ott an bas fü> 
nenbe Opfer (E^rifH unb ertoirbt bamit bie göttliche ©nabe. 

3n biefer Tüeife tourbe ber Opfergebanfe aufgenommen unb 
follte ?ug(eicrj baran feftgebalten toerben, baß bie Triften bett (ein 
Opfer bat toie bas Omentum. 

TUtt ber flbernabme bes Opfergebanfens erhielt noa) eine 
jroeite außercbriftlicbe 13orftellung Qetmatreaj)t in ber Hira^e: ber 
Priefterbegriff. Opfer unb Priefter forbern fia; gegenfeitig. Denn 
ber priefter ift ber THittler, burej) beffen Oanb bie Opfergaben 
ben ©Ottern bargebraa)t toerben. Demgemäß tonnte bas ältefte 
€f;riftentum feine Priefterfcfcaft: Ctyriftus ift ber einige Mittler 
?tötf<j>en ©Ott unb ben THenfcfcen, ber einige Priefter in alle 
<£ toigfeit. THenfcblicbe Priefter neben if)m gibt es nia)t unb fann es 
n\d>t geben. 6praa) man oon ben ©laubigen ab einem taabrbaft 
bof>enpriefterlia3en ©efcblecbt ober fagte man, baß alle ©laubigen 
Priefter feien, fo bebeutete bas nia^ts anberes. Denn finb alle priefter, 
fo gibt es (einen, ber Priefter in fonberlia^em @inne toäre. 

ftber auej) f>icr behauptete fid> bas Urfprünglia^e niebt. @d>on 
in bem oorbin ertoäbnten römifeben ©emeinbefebreiben finb bie 
cbrtftlicben ©emeinbebeamten mit ben altteftamentlicben Prieftern 
jufammengeftellt. Das toar ?unäa>ft nur ein T3ergleicb, ber be* 
grünben follte, baß in ber ftirebe alles na<b ^Hegel unb Orbnung 
}\i gefebeben babe. ^ber bie 3ufammenftellung toar oon Übel. 
Denn nun getoö'bnte man fkb, in ben ©emeinbeleitern, bie bas 
Danfgebet über 35rot unb Döein ausfpracben, Priefter }u feben. 
Damit runbete fia) bie Opferoorftellung ab: nun r>atte man ein 
oon einem Priefter für bie ©emeinbe bargebraebtes Opfer. Die 
Uorftellung bes finnbilblicben Danfopfers ließ fi<b je^t nia;t mebr 
feftbaltenj fie toieb ber anberen eines oerfö'bnenben Opfers, bas 
ber Priefter als THittler für bie 6ünben ber ©emeinbe unb ibrer 
©lieber barbringt. 3nbem er es tut, abmt er bas naa), toas 
(Ebtiftus getan bat: er toieberbolt fein Opfer. 



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82 



5. Die Deformation unb ber ©ottcsbienft 



Dabei galten junäcbft bte (Elemente nocb ab ©innbilber bes 
£eibes unb Blutes (Ebrifti: in ibrer Darbringung ooltyebt bet 
Priefter bas ©ebäc&tnis bes großen Opfers CE^rtftt. Aber auf biefem 
Pun!te blieb bie (EntmicHung nfct>t fte&en. Das THttfelatlet fa;uf 
bte £ef)te oon ber Tkrmanbeiung bet ftbenbmabbelemente in 
£eib unb Blut (Ebrifti. ®eit fte ab Dogma ber eat{>olifa)en ftircfre 
anerkannt mar, hatte bte Kirche bae er^abenfte, mertoollfte Opfer: 
jeber priefter opferte täglicb am J^Itar 9 mas einftmab (Ebfiftus 
auf ©olgatba geopfert ^atte, feinen ßeib unb fein 33(ut. Diefes 
Opfer bringt bie Kirche ofme Unterlaß für ßebenbe unb Xote bar, 
buraj> basfelbe etmirbt unb oerfia;ert fie ibren ©Hebern £)eil für 
3ett unb (Emigfeit. Die Xeilnabme an biefem Opfer begrünbet 
ein Derbienft, bas Anfprua) auf göttlichen £obn gemalt. 

60 fanb fiutber ben fira)Iicben ©ottesbienftj er mar ?u einem 
Opferfult umgeftaltet morben, ja ber Opfergebanfe fyatit in ibm 
feine fonfequentefte Durc&bilbung erhalten. 

ßutber bat oiele £Jabre btobureb bie Uleffc in aller Xreue unb 
Eingebung gefungen. 3n feiner fpäteren 3*i* urteilte er, bie größte 
€>ünbe feines vergangenen ßebens fei, baß er ein fo beiliger THoncf) 
getoefen unb mit.fo oielen THeffen über fünfreb" £fabw bng feinen 
lieben Qerrn fo greulich erzürnt, gemartert unb geplagt babe. (fr 
mürbe irre an ibr, ba er feinen ©runb für fie in ber ^eiligen 
6d>rift fanb. Eefonbers ber Opfergebanfe gereifte ibm ?um 
Anftoß. (Es bünfte ibn, barin liege eine (Entehrung (Ebrifti. 
(Ebriftus, fo bidt er feinen ©egnern oor, l>at einftmab fieb felbft 
geopfert? er mill oon feinem anberen hinfort geopfert merben. (Er 
mill, baß man feines Opfers gebenden fo(l. TOe feib ibr benn fo 
(übn, baß ibr aus bem ©ebäa)tnis ein Opfer maefrt? ©ollt ibr 
aus eurem eigenen Hopf of>ne alle ©ebrift, fo töricht fein? (Er 
fragte, ob bas Heue Xeftament ermas oon einem tir$licf>en Opfer 
miffe, unb er (am ?u einer oerneinenben Antwort: Das Heue 
Xeftament tenne fein anberes Opfer ab bas bes Kreuzes unb bes 
£obes, fjebr. 10, JO } ttöm. 13, 15. Uollenbs baß bie THeffe ab 



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5. Die Otefotmattwi unb 5r 

ZI - — — i ©otteebienft $3 



octbf cttftlf 4) . öl» « ln f k? r * •< DCtrö *W rourbe, baburaj man 
fta) ©oft« ©nabe unO Die % e(tgfcü cnperben f5mie> bünfte ij)n 

ber ©ipfcl bes mprau u;ö & fagt: $ a ift bet @(aubc untcr , 

gegangen unb bat V ermann ;u Äircben geben Stiften, Pfaft, 
'3Röncf> unb Tkttr e m{kn 

Der bisfrer' tflen ^ n f^ auU ng D om $riftli<ben (&öfteöbtenft fteUte 
.er eine fric^^i entgegengefefcte gegenüber: fm ©ottesbienft gibt 
unb feilet ber 7ttenf<b nic^t ©ort etwas, fonbern er empfängt 
oon ©Ott. $enn bas §auptftütf bes ©ottesbienftes ift 
. göttlicbe ©nabenoerftrnbigung. Opfer unb 3ufagung - eben 
^bie ©nabefioerfürtMgung - ift weiter ooneindtiber, benn Auf* 
gang oon 13icb«rgäng. (Ein Opfer ift ein Itter?, bas roir ©ott 
oom imferen teilen unb geben. Aber bie ßufagung ift ©ottes 
3öort, roel$es bem THerifeben ©ottes ©nobe unb 33armber?igreit 
» gibt. Dkfe ftnfajautmg v roonbte er gerabe auf bie ftbenbmablß« 
f feter «n: fle ift ©ottes Tüort unb Sakrament, bas er und barbietet 
vunb gibt, affo v Mf$t ein Opfer, bas ber Qttenfö barbringt. 3nbem 
>«t an ben35eria)t über bie CEtnfe^ung bes Jlbenbmabfs erinnert: 
CJefus'rtö^m bas 33rot, bantte unb gab es ibnen, ruft er aus: 35ei 
• biefeu^Gorten bleiben roir, auf biefen Uferten fteben roir, in biefen 
3Ü$tten rooMen roir, ob ©Ott roill, (eben unb fterben. 

'Die für ben ©emeinbegotresbfenft unerläßlicben 6tüa*e roaren 
bemnad) nacb ßutbers ©ebanten bie T3ertünbigung bes gottlicben 
TBortes, bte TSerroaltung bes ©eiligen !AbenbraabIs, baju bas 
©ebrt. 

€s fcfinfte tb« ber grofrte TRiftbraua) im ©ottesbienft feiner 
3eit, baß «an ©ottes Tftort gefa)roiegen babe unb allein gelefen 
unb gefangen in ber fttabe, 'Demgegenüber freffte er ab ©runb* 
fa| auf, bie (briftlicbe ©emeinbe folle nie jufammenfommen, es 
aerfee benn ©ottes Töort geprebigt unb gebetet, fei es aud> aufs 
fürjeffe. U3enn ©ottes TGort niebt geprebigt toerbe, fei es beffer, 
baf) man u>eber finge, no<b lefe, no<b jufammentomme. 

'Die 5>urcfrfübruna biefes ©runbfa^es baa)te er per) in fol* 



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84 



5. Die Deformation unb ber ©otlesbienft 



ncnber TBeife. dm täglichen THorgen* unb ftbenbgottesbienft folle 
?unäcj)ft ein J^bfc|>nitt aus bec ^eiligen 6<brift oerlefen toerben. 
Dann folle ber prebiger eine Auslegung bes t>er(efenen €>tüa?es 
geben, „baß bie anbern alleoerfteben, lernen unb ermabnt toerben*. 
©efefrebe bas ni<bt, fo werbe bie ©emeinbe bureb bie Cebion 
adein md)t gebeffert. (fr berief fieb ?um Beleg auf bie (Erfabrung, 
bie man im ftlofter* unb 6tiftsgottesbienft mit ben ungemein 
?ablreic(>en fieftionen gemalt babe, „ba fie nur bie Töänlie baben 
angebläbet". Durcb biefe tägliche Übung ber 6<f>rift follten bie 
(£{>iiften in ber ©ebrift oerftänbig, läuftig unb hmbig toerben. 
£eftion unb Auslegung follten ertoa eine bölbe €Stunbe bauern. 
Darauf folle man insgemein ©ort banfen, loben unb bitten um 
^ruebt bes lUortes. Daju follten bie Pfafmen unb etliche gute 
9Ufponforien unb Antipbone in biefen ©ottesbfenften benäht 
toerben. Die Dauer berfelben follte eine @tunbe nicr)t überfteigen: 
„Denn man muß bie 6eelen ni<fct überf^ütten, baß fte nia^t mübe 
unb überbrüffig toerben." 

Daß an biefen täglichen ©ottesbienften bie ©emeinbe als 
folebe nict>t teilnebmen tonnte, barüber täufebte ftcr; ßutber niebt. 
Dagegen ferjte er an ben ©onntagsgottesbienften bie Beteiligung 
ber ©efamtgemeinbe ooraus. ^ür fie toünfcbte er an jebem ©onn* 
tag )toei Prebigten, bes THorgens unb Abenbs. 

3ur UJortoerftinbigung foüte bas ©ebet Einzutreten, ßutber 
ftellte nebeneinanber ©Ott reben böten unb mit ©Ott reben. (Es 
finbe im ©ottesbienft ein Qcxab* unb 5»nauffteigen ^tait. Dur<b 
ben 6egen, bie Prebigt, bie Austeilung bes ©atraments fteigt 
©Ott b«nieber ?u uns unb rebet mit uns unb mir boren ibm ?uj 
bann fteigen toir binauf unb reben ju ©Ott, ber unfer ©ebet bort. 
Demgemäß forberte ßutber, baß auf jebe Prebigt ein Uaterunfer 
folge. Docb foüte ftcb bas ©ebet niebt barauf befebränten. 3m 
©ottesbienft ^anbett es ftcf> um bas ©ebet ber ©emeinbe. Dar« 
auf legte £utl;er ben Xon: toobl fönne unb folle man überall, an 
allen Orten unb ju allen ©tunben beten. Aber bas ©ebet fei 



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5. Die Ttcformaffon un& 6cr ©ottesblenft $5 

nirgenbs fo fräftig unb ftarf, als wenn bec gan?e ©aufe einträchtig 
miteinonber bete. A(s Snbalt bct ©emeinbegebete backte er, baß 
toir ©ott unfere unb anbere gemeine unb fonberlicfre Hot oor* 
tragen, aucj) miteinanber ©ottes Tüobltat mit Danffagung rübmen 
unb preifen. 

Eei ber Äbenbmabfsfeier ffeHte £urr>er, u)ie bemerft, ben ®e* 
banden in ben Uorbergrunb, baß in if>r eine gbttli<j>e ©nabengabe 
bargeboten wirb. Sc(>on i. 0. 15)9 äußerte er: 3n biefem Safras 
ment toirb bem 7Henfcj>en ein gemiffes Qtidpen von ©Ott fefber 
gegeben bura; ben Priefter, baß er mit <£f>rifto unb feinen ©eiligen 
fo(! alfo oereinigt unb alle Dinge gemein fein, baß <Er>rifti ßeiben 
unb ßeben foll fein eigen fein, ba?u aller ©eiligen £eben unb 
£eiben. Daran bat er ftets feftgebalien: jebermann fennt bie 5\nU 
roort, bie er im Meinen ilatecbismus auf bie £rage gibt: löas 
nüfct benn folcb Cfffcn unb Srinfen? Das geigen uns biefe löorle: 
„§üx eucf> gegeben unb oergoffen ?ur Vergebung ber Sünben". 
Tlämlid), baß uns im Saframent Vergebung ber Sünbe, £eben 
unb Seligfett burcj) fo(a;e TUorte gegeben roirb. Denn roo 13er« 
gebung ber Sünben ift, ba ift aucf> ßeben unb Seligfeit. 

Ober bie $oxm bes ©ottesbienftes $at ficf) £utf>er ?unäd>ft 
roenig ©ebanfen gemacbe. Töie frei unb unbefangen er biefer 
ganzen Srage gegenüberftanb, ?eigt ficb h barin, baß er bie 
Iftusgeftaltung ber THorgen* unb Jlbenbgottesbienfte ben einzelnen 
Pfarrern überlaffen wolftej fie foüten beftimmen, roel<j>e Pfahnen, 
CKefponforien unb KoKeften gefungen unb gebetet roerben foüten. 

Die weitere CEnttoirfelung fübrte jeboa) baju, baß in ben oer* 
fcbiebenen beutfcfcen ßanbesfircben fefte Orbnungen für bie ©ottes* 
bienfte getroffen mürben. Das mar fc(>on aus praftifcben ©rünbcn 
notmenbig. £utj>er felbft bat in feiner Deutfcben Hleffe unb Orb- 
nung bes ©ottesbienftes 00m (Jabre 1526 ein Uorbilb für bie 
©efta(tung eines eoangelifcben ©ottesbienftes bargeboten. Daß 
er fi<b babei an bie b*r£ömmlicj>e ^orm bes ©ottesbienftes enge 
anfcf>loß, mie er au<j> ben Hamen 7Heffe noa) bereit, entfprac^ 



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5. Die Deformation unb ber ©otte&blcnf* 

%er fonferoatioen Jlrt, bie biefem Tleueter überhaupt eignete. (Et 
'äntotte nur Me ©pracbe unb Befehle alles, toas nach eoangeli* 
$ben Überzeugungen un?uläff!g mar. 3m übrigen Heß et bie über* 
fommenen formen unbebenMicb begeben. Damit fanb et in ben 
eoangelifa)en ßanbesfircben oielfacb TIacbfolge. Die $oim bes 
Sonntagsgottesbienftes im größten Seil bes eoangelifcben Deutfcb* 
lanb oerleugnet benn auch bis auf biefen Xag ibten Mrfprung aus 
ber «nttelalterlicben TRcffe (einesmegs. 

<jür fiutbers Jlnfcbauungen ift inbes ntcf>t bas JlnfnÜpfen an 
fcas flbertommene bas eigentlich Eejeicbnenbe. Denn bas nimmt 
man überall bei ihm roabr: im großen, ber ©eftaltung bes Dog* 
mas, toie im einzelnen, ber (Einführung bes beutfcben Hirzen* 
liebsj feine fiieber finb ?um Xeil nur Umbicbtungen lateinifcber 
öflmnen. Eejeicbnenb ift oielmebr ein anberer Punft. ©eine 
Deutfcbe IReffe unb Orbnung bes ©ottesbienftes fangt ßutber 
mit folgenben ©ä$en an: T3or allen Dingen will ich gar freunblid) 
■gebeten haben, auch um ©otfes mitten, alle biejenigen, fo btefe 
*infere Orbnung im ©otfesbienft feben ober nachfolgen motten, 
4>af> fie ja fein nötig ©efe$ baraus machen, noa) femanbes ©es 
totffett bamit oerftricfen ober fangen, fonbem ber christlichen £rei* 
$eit nach ibtes ©efallens braueben, toie, too, toann unb toie lange 
es bie ©acben febiefen unb forbern. ©ein 35eben(en mar alfo 
nicht, baß an bie ©teile ber einheitlichen mittelalterlichen ©ottes* 
bienftform eine THenge nicht übereinftimmenber neuer fleh bilben 
würbe, fonbern fein 35ebenten mar, baß bie (Eoangelifcben oerfuebt 
fein tonnten, bie oon ibm, bem Führer, aufgehellte £orm als not* 
matio ?u betrauten unb ibr gefetjliche (Geltung )\x oerleiben. Darin 
mürbe er einen Uerftoß gegen bie cbriftlicbe Freiheit gefeben haben. 
Denn gebunben foll ber (Ebrift fein nur bureb bie göttliche Offen« 
barungj alles, mas niebt yu ibr gebort, muß frei bleiben. 'Eon 
biefem ©runbfa^e aus erklärte er fleh ausbrüettieb bagegen, baß 
überall ©leicbb<it ber 3*remonien burebgefübrt merbe. Denn alle 
3eremonien geboren in bas ©ebiet ber Äbiapbora, ber THittel« 



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5. Die Deformation unb 5er ©oltesbienft $7 



binge, bte roeber gut noch fc^fecf>t pnb, beö&alB an ftcf> n>eber 
Graben noc|» (öeroinn bringen. Um ber 6cf>a>a4>en willen, um 
ihnen feinen Jlnftoß ?u geben, tonn man besf>a(b bas an fich 
TUertlofe, an bas man gewöhnt ift, beibehalten. Dazu regnete 
ßutbet bie Märe, ßrieftergemänber, ilerzen u. bergl. $ber ein 
<5efe^ barf es nicht geben. 

3n biefer Überzeugung fonnte ßutber fo bulbfam gegen mittel« 
alterliche formen fein, baß mir barüber erftaunen. JMs ber Kur« 
fürft (Joachim II. oon Branbenburg bie Tieformation in ber THart 
burchfübrte, roünfcbte er boeb bie Beibehaltung mancher Äußerlich* 
feiten. Die eoangelifchen ©eiftlichen roaren nicht obne Bebenten, 
fiutber bagegen fchrieb im Qabre ) 539 an ben Berliner propft 
©eorg Buchholzer, roenn nur ber Tttartgraf bas (Eoangelium 
(auter, Mar unb rein prebigen unb bie ©aframente nach ^hrifti 
CEinfefcung reichen (äffe, fo möge fia) Buchholjer an ben 3ere* 
monien, auf bie ber THarfgraf Ufert (ege, ruhig beteiligen: (Seht 
in (Softes tarnen mit herum unb tragt ein fUbernes ober go(benes 
Kreu^ ober tyoxtappe unb <£fyoTxo& oon (Samt, Seibe unb £ein* 
roanb. Unb h<*t ber Kurfürft an einer <£(>orfappe nicht genug, fo 
Zieht beren brei an. Qat er nicht genug an einer ProjeffHon* baß 
ihr umhergeht, Hingt unb fingt, fo geht fiebenma( mit herum. 
Denn fo(cj>e ©rfiefe, roenn nur ber ftbufus baoon bleibt, geben 
ober nehmen bem CEoangefium nichts. 

ftber irgenbroelche Bebeutung fchrieb er ben 3eremonien nie 
?u. 9ch barf zum Beleg noch ™ eine Satfache erinnern* bie nicht 
allgemein betannt ift. 

ßuther trug fich jahrelang mit bem ©ebanten, einen boppelten 
©ottesbienft einzurichten, ben einen für bie bewußten unb geför* 
berten fyxtftcn, ben anbern für bie ber jörberung noch bebürfttgen. 
Die erfteren, bie mit (Srnft (Efmften fein unb bas (foangelium mit 
Öanb unb THunb benennen wollten, müßten fich namentlich in 
eine ßifte einzeichnen. Der ©ottesbienft für fie follte bann nicht 
öffentlich unb jebermann zugänglich fein, fonbern fie follteu fich ta 



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$g 5. Die Deformation unt> bet ©ottesbienft 

einem ö<* u f* für fl<b oerfammeln ?um ©ebet, yux Sa^rifroerlefung, 
?ur TJermaltung bet Satramente unb jux Übung anbetet griffe 
Heber lüerte. 3n biefem engeren ftreife b**lt £utber bie £anb* 
Labung bes Cannes im bib(ifa>en Sinne für möglich Denn biet 
tonne man bieienigen, bie ftcf> ni<f>t ebriftlicj) Rieften, fennen, bem* 
aemäß ftrafen unb beffern ober ausftoßen. (Ebenfo glaubte et, baß 
biet gemeinfa^aftHcbes Qanbeln bura)fü(>rbar fei: bi" tonne man 
allen „ein gemeines JWmofen" auflegen, bas miliig gegeben mürbe, 
unb bas bann untet bie ftrmen oerteilt werben folle. Uber ben 
©ottesbienft in biefer engeren ©emeinbe bemertt er: §ier be« 
bürfte es nicfjt oielen unb großen Singend; man tonnte eine tur?e, 
feine löeife mit Saufe unb Satrament balten unb alles auf bad 
Wort unb ©ebet unb bie ßiebe rieten. <£s ift roieber erfid)tlicf>, 
mie unbetümmert er um bie äußere $orm mar. TOenn man, fagt 
er, bie £eute unb Perfonen bö«e, bie mit (Srnft d^rlften ?u fein 
begehrten, bie Orbnungen unb löeifen mären balb gemalt. Der 
©ottesbienft für bie 'Wenge ber Unfertigen mar oorhebmlicr) als 
Ptebigtgottesbienft gebaut. (Es mar bie CHü<ffic^t auf bas f) eilige 
2lbenbma()l, bie ßutber ben ©ebanfen eines Sonbergottesbienftes 
für bie gereiften (Ebriften nabe legte, (fr berief ßa) auf bas 33ei* 
fpiel (Ebriftt unb ber Jlpoftel. Die Prebigt babe ber Qztx in ben 
Qaufen ge&en iaffen, baß alle, ©läubige unb Ungläubige, fte 
boren tonnten: mer es ermifa)te, ber ermifebte es. (Ebenfo bie 
ftpoftel. Jlnbers fei es mit bem ftbcnbmabl gemefen. ßutber 
folgerte: Töir müffen au<b alfo tun: für jebermann foKen unb 
motten mir prebigen. Jlber bas Satrament foll man nicr)t alfo 
unter bie £eute in Raufen merfen. Tüenn ict) bas (Eoangelium 
prebige, meiß i<b nt<bt, men es trifft, öier aber foll ia) bafür 
balten, baß es ben getroffen babe, melier jum Satrament tommt. 
Da muß ia) 4 s nia)t in 3weifel fragen, fonbern gemiß fein, baß 
ber, bem ia> bas Satrament gebe, bas (Eoangelium gefaßt (>abe 
unb recbtfa)affen glaubt. 

So münzte ßutber bteßbenbrnafrlsfeier: in aller Stille, obne 



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5. Die Deformation im& &et ©ottesblenft 



jeben Prunf, im Kreife ber gleicbgefmnten ©laubigen, (Es ift bas 
gerabe ©egenteil bes fatbolifa)en öc^amte mit feiner einbrutfs* 
oollen Pracht. 

ßutbers ©ebanfen fmb nia)t jm ftusfübrung gekommen. 3m 
0abr 1523 urteilte er, es r>abe ftcf> niebt wollen leiben* benn es 
fei noa) nicj)t genug geprebigt unb getrieben morben. (Ein paar 
3a(>re fpäter äußerte er, jene engere ©emeinbe fbnne er niebt 
orbnen noeb einrichten j es fehlten ibm bie Perfonen ba?u; er febe 
auej) nia)t oiele, bie ba?u btingen. Iftber bas bebeutete feineswegs 
ben 73er?icbt auf feine ©ebanfen j im ©egenteil, ßutber fäbrt fort: 
Kommt 4 » baju, baß icr)'s tun muß unb ba?u gebrungen merbe, 
baß icr/s aus gutem ©ewiffen niebt (äffen tonn, fo will tcf> bas 
THeine gerne baju tun unb bas Eefte, fo ia> oermag, Reifen. 

THan tonnte fagen: H3o?u folebe unausgeführte ©ebanfen er? 
mäbnen? 3a) glaube boa), baß fie es oerbienen, baß man an fie 
erinnert. Denn fie geigen ßutbers 3beal oom ©ottesbienft. (Es 
ftebt unenblicb roeit ab oon ber mittelalterlichen D3eife; er toünfcbte 
altes abgetan, roas 3"cnionie obex bloße $oxm f roenn auch tünft« 
lerifebe 5orm mar. Das mar ftets feine ©eftnnung. Tloch im 
CJabre oor feinem Xobe febreibt er: 9a) bin notmenbigen 3** es 
monien abgeneigt, unb ein ^einb ber nicht notmenbigen. Denn es 
gefebiebt leicht, baß bie 3^remonien fieb ?u ©efefyen ausmaebfen. 
@inb fie erft ©efe^e, bann werben fie ?u Sallftricfen für bie ©e= 
wiffen unb bie reine ßebre mirb babureb oerbunfelt. CEr argroobnte, 
baß bie meiften gottesbienftlicben 3«"nionien aus bem CJubentum 
ober Öeibentum übernommen feien. 3m ©ottesbienft follte bas 
Töefentlicbe allein gelten, nirgenbs eine übernommene Formel, 
nirgenbs ein leeres U3ort, jebes TOort follte toaf>r fein im ftrengften 
6inn. Unb ift bas nicht mirflieb bas 3beal für ben T3erfebr bes 
Wenfcben mit ©Ott? 

Töenn ßutber gleicbmobl in Anlehnung an bas Oberlieferte 
feftc formen febuf, mar bas feine 3nfonfequen?. (fr mürbe bureb 
bie 9tücf ficht auf bas Eebürfnis ber ©emeinbe, befonberS ber 



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90 



5. t)le Deformation unb ber ©ottesMcnft 



CJugenb unb ber (Einfältigen, ba?u bewogen. Die formen, bie bie 
TUformationsjeit in biefem ftbfeben bilbete, haben ftc^ bewährt: 
fie bebenden ben lutherifchen ©emeinbegottesbienft im wefent* 
liefen bis auf bie ©egenwart. 

(Eine weit abweiebenbe ©eftalt gewann ber ©ottesbienft auf 
reformiertem £oben. ©ier finb alle Eeftanbteile, bie aus ber THeßs 
liturgie ftammen, befeitigt. !Aber biefe T3erfcbiebenheit barf nicht 
baräber tauften, baß in ben grunbfätjlicben ftnfcbauungen jwifchen 
£utf>er unb (Ealoin, ber eoangelifcben unb ber reformierten 5lir<b*, 
oolle tlbereinftimmung (enf^t: auch bie (entere fiebt im 7üort, 
im ©ebef unb im ©aframent bie wefentlichen Eeftanbteile jebes 
©ottesbienftee. TJur bie ftnwenbung bes ©runbfatjes mar mieber 
oerfebieben. Deformierterfeits gab man bem ©ottesbienft eine neue 
©eftalt, inbem man bas formelhafte unb baa TJachbiblifche mb> 
lichft entfernte, Töährenb ßutber ber 6a>öpfer bes beutfehen, 
euangelifchen Kirc^enliebd würbe, f4>affte 3wing(i in 3ü"<f>> of>ne 
ben ©efang gtunbfätjlicb ?u oerwerfen, ibn bennoej) ab. (Ealoin 
bat bie THacht bes ©efangs, bie Tttenfcben j\xt Anrufung unb 
jum £obe ©otteö }u entflammen, mit nad)brüa*licben Trotten an« 
ertannt. iftber bas neue ftirchenlieb (ebnte er ab; nur ber ©efang 
ber altteftamentlichen Pfalmen festen ij>m im ©ottesbienft ?uläffig. 
£ei ben Presbpterianern führte bie Überzeugung gegen bas formet 
bafte ba?u, baß fie bie (Einführung jeber feften ©ottesbienftorbnung 
unterließen. 

Die folge ift, baß bie ©ottesbienfte ber beiben ftireben ber 
Deformation ein febr oerfebiebenes Eilb jeigen. ftber gerabe 
oom Ctanbpunhe ßutbers aus ift bas nicht ju tabeln ober }\i 
bet lagen: es ift ein beweis für bie Qerrfcbaft ber eoangelifcben 
Freiheit. @ie foll unoerfümmert bleiben, wenn nur baran feft* 
gehalten wirb, baß ber ©ottesbienft nicht ein Tüerf ift, bas ber 
THenfch ©ott leiftet, fonbern eine fircblicbe (Einrichtung, um immer 
oon neuem bie oielfältige ©nabe ©ottes allen ©liebern ber ebrifts 
liehen ©emeinben nabe }\i bringen. 



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6. <Die ^efotmation unb ba$ Kulturleben. 

Tteligion unb Kultur finb tyrem Töefen na<£ burcfraus per« 
fätcben: bie eine fua)t ein TJerbältnis ?u bem flberweltlicbeni bie 
onbere arbeitet nur an ber Jlusgeftaltung bes Ttfeltlia^en. Slber 
bae Kulturleben ber THenfa^beit {>at ftcf> ftets in enger ^üblung 
mit ber Religion enträtselt. Der 'Dichtung wie ber bilbenben 
unb ber bauenben ftunft bat ber Dienft ber ©ötter i(>re erften 
unb ij>re größten Aufgaben geftellt. 3m ßpmnus, im ©otterbilb, 
im Xempel erreichte bie Kunft ber alten TCJelt ben 9dj>epunft 
ibrer füeiftungen. Jlua) tote ©pätgeborenen abnen noefc etwas oon 
bem erbebenben ©efäbl, bas ben antifen 7Henfcf>en beim Änblitf 
feiner religiöfen ftunftwerfe ergriffen baben muß, roenn mir bie 
li<j)tgefa)wängerte Tlotunbe bes Pantbeon betreten ober roenn toir 
oor ber bas Tttaß bes 3Renfcf>lia)en übetbietenben 3*usbüfte oon 
Otricoli fielen, mir füllen etwas oon bem frommen Cajauer, ber 
ibn erfällt j>aben muß, wenn er fingen (>örte: 

Ifta) ©ürb 4 id) tetl|>aft bes £o|e$, 

Tletn ju roabren fromme @4>eu in jebem löort unb jeber Oonblung» 

£reu ben Urgefefjen, 

Die in ben £)Öt>en toanbelnb, in Himers 

£)immlifd)em ©ebiet, ftammen aus bem <§d)of)e 

Des TJoters Olpmpos, ntc|>t 

ftus fterbli<ber THanner Kraft 

(öeborenj niemals ^ü((t fte bie 3eit, rraun, in Tkrgeffenbeft} 
& belebt fte mä<btig ein ©Ott, ber nie altert. 

Die (Erhebung ?um ©öttlia>en war ftets bie £öfung bes 3«09 
?um 9bealen. 

Das <£(>riftentum ift nia>t als Hu(turmaa>t in bie Döelt ein« 
getreten. CEntfprungen unter einem T3ol(e, bas am geiftigen ßeben 
ber alten löelt einen fef>r geringen Anteil nabm, blieben bie 



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92 



6. Di« Deformation unb bas Kulturleben 



3been ber Kultur feinem Stifter unb bem gongen Kreis feiner 
erften Eefenner fremb. (Es gibt wenig fittlicbe fragen, bie in ben 
hieben CFefu nidpt Ictfcr ober beftimmter berührt werben $ er bat 
?u allen Stellung genommen unb niebt feiten mit einem IGort 
ober Safc Scbmierigfeiten gelbft, an benen CJabrbunberte ficb ab* 
müßten. ftber bie Probleme bes Kulturlebens lagen außerhalb 
feines <Öefict)tsfreifes. 60 offen fein Sinn unb fo fein feine (Emp* 
ftnbung für bas Sd>Öne in ber Hatur maren, für bas Schöne in 
ber Kunft t>attt er (ein ftuge. THan ftmnte ficb oorftellen, baß 
er, ber in ben ©ebanfen bes JKten Xeftaments lebte, toie unmill« 
fürlicb bem £ob ©ottes bie §oxm eines ßiebes gegeben hätte. 
Jlber in ber ganzen Überlieferung beutet nichts aua) nur entfernt 
barauf bin, baß es ber §aU mar: bem, ber gan? in ber Sache 
aufging, lag es fcbließlicb bocp ferne, auf bie §oxm unb ibre ein« 
fcbmeicbelnbe Schönheit UJert }\x legen. Die Religion obne Xempel 
unb obne Mar mar aua) eine Tieligion obne Kunft: fie fucpte nur 
bie Wahrheit, nicpt bie Schönheit. Diefe blieb ber jufünftigen 
Töelt oorbcbalten. 

Hiebt anbers mar bie Stellung bes (Ebriftentums ?u ben 
übrigen Seiten bes Kulturlebens. <E s brachte Töabrbeit, aber nur 
religiöfe Wahrheit. Daß es ?u ben Aufgaben ber THenfcbbeit 
gebort, bas TXJefen ber natürlichen Dinge ju erfanben, bie Welt, 
in ber fie lebt unb fief) entmiaMt, ?u ernennen, bas roaren für bas 
urfprünglicbe (Ebriftentum frembe, abfeits liegenbe ©ebanten. 

Äber ber neuen Religion mar buref) ibren Stifter bie Aufgabe 
gefterft, bie Welt }\i erobern. Wie fonnte fie es, menn fie fia) 
gegen bas geiftige £eben berfelben abfcploß? 3m Weftberuf bes 
(Ebriftentums lag bie Tlotmenbigfeit, auf bie Weltfultur ein^u- 
geben. Das ^aben feine 53e!enner ficf> nicht mit beftimmten 
Worten gefagt, aber in ber (Empfinbung baoon hoben f!e, ber 
Xragmeite ibres Xuns febmerlicb gan? bemußt, gebanbelt. Sie 
baben alsbalb, mie menn ficf> bas oon felbft oerftebe, bie Kultur* 
formen ber alten Töelt aufgenommen unb es bauerte nicht lange, 



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6. Die TUformotion unb bos Kulturleben 03 

bis fte aucj) auf bem Kulturgebiet Heues fc^ufen. 'Elan tonn bas 
erftere fcj)on an ber ftrt ernennen, wie bie (öebantenentmiaMung 
pa> bei bem ftpoftel Paulus oolljiebt. (Ein ©eiteret Eeleg ift bie 
Übernahme ber bia)terifcj>en £orm: bas geiftlia)e £ieb ift faft fo 
alt wie bie Kirche: fcj>on Paulus fannte hiebet, bie im Greife bei 
<£(>nften gefunden mürben. 3n ber a)riftha)en Eafilito fcjmf fo* 
bann bie Kirche bie entmicflungsfäbigfte 35augeftalt, bie bie antüe 
Kunft überhaupt berootgebracht (>at. 3n berfelben 3*1* begannen 
bie 33etenner ber Religion, bie (eine (Öötterbilber tonnte, einen 
religibfen 33ilberfreis }ü geftalten, ber an ©ehalt unb Umfang 
bem ^Übertrete ber antifen Kunft ebenbürtig ift, wenn er ihn 
x\\d)t übertrifft. Tlacj) einer anberen 6eite tommt in Betracht, bafj 
bas (Ebriftentum, toum in feinem 35eftanbe einigermaßen gef eftigt, 
ben ©runb }\x einer ber TBelt neuen 3üiffenfcj>aft legte: bie Töur* 
?eln ber Xbeologie laffen ficj) bis ins jmeite Oabrjmnbert, ja höher 
binauf oerfolgen. Hlit einem TCJort: bie Religion, bie nichts als 
Religion fein mollte, ermies ficj) als außerorbentlia) empfänglich 
für alle (Elemente bes Kulturlebens; fie rourbe ?u einem mistigen 
Xröger besfelben. 

Diefe (Erfcheinung mieberbolte fich in oerftarftem 7Haße im 
Mittelalter. 'Das (Ebriftentum bat nicht oermocj>t, bie ausgelebten 
antifen Vöittt }u oerjüngen. Die alte IDelt ging, obgleich fie 
cj>riftlicj> mürbe, ibrem unoermeiblicben (Enbe entgegen: auf ibren 
Xrümmern erftanb bie neue germanifcb«romanifa>e 30elt, in beren 
Kreife bie (EntmicHung ber Tttenfcbbeit ficj) nun burcj) ein 0aj>r* 
taufenb blnburcj) oo((?og, bis enbltcf) bie £üj>ne ber löeltgefchicbte 
ficj) mixtU^ ?ur Welt erweiterte. 

7ttit bem Untergang ber alten IDelt oerfcj)ob ficj) bas Her* 
bältnis oon Kultur unb (Ebriftentum. 3n ber alten 3*it mar bie 
Kirche oornej)mlicb empfangenb gemefen: fie hatte bie (Ergebniffe 
einer taufenbjäbrigen Kulturarbeit übernommen, fie ibren 35ebürfs 
niffen angepaßt unb mit ibren 3)nfcj>auungen burcbbrungen. 0e$t 
mürbe bie Kirche jur micj)tigften Kulturträgerin: ben jungen ger* 

$au<f, Vit TUfpnnation 7 



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94 



6. Die Tteformatlon unb bad ftulturleben 



manifchen Nationen übermittelte fie if>re gefamte 35ilbung: nicht 
nur olles, was man ab DOiffen unb (Ernennen bezeichnen fann, 
fonbern auch einen großen £eil ihrer te<^t(tcr)en unb ftaatlichen 
Jlnfchammgen, überbies alle technifchen 5*rtig£eiten oom betrieb 
ber Baufanft unb THolerei an bis f)inab ?ur täglichen Arbeit bes 
Öanbtoerfs. 60 würbe bie Kirche ?ur Schöpferin ber mittelalter* 
liehen Kultur. ftn ©efa>loffcnf>eit unb (Eigenart läßt fi<f> biefe 
mit ber amiten Kultur oergleichen, an Reichtum unb THannig* 
faltigfeit ber formen fibertrifft fie biefelbe. 60 unoerfennbar es 
ift, baß fie auf bem 35oben erwuchs, ben jene geebnet hatte, fo 
flar \>ebt fie fich boch überall oon ihr ab; benn fie ift burchweg 
oon firchlichen ©ebanfen beberrfcj>t. 3fm*n gemäß ift bas alte 
CErbe umge* bilbet, i(>nen entfprechen bie neuen 3l*fe» benen bas 
Kulturleben ?uftrebt, unb oor allem: aus ihnen ftammt bie CEmp* 
fiinbung, bie bie mittelalterliche Kultur befeelte. 

Die oon ber Kirche gefchaffene Kultur (>at ja(>rhunbertelang 
geberrfcht. Die abenblänbifche THenfchfxit fanb in i(>r Sefrie* 
bigungj benn fie bot ihr ein 3beal, an bas fie fia) Eingeben 
tonnte. Jlber im fünfzehnten unb beginnenben fecfoehnten £Jahr* 
hunbert mürbe ihre Qerrfchaft erfchüttert, enblich befeitigt. 13or 
ben ^Mieten ber Ulcnfc^^ctt erhoben ftcf> neue, anbersgeartete 
Kulturjiele: man a(mte bie Tttöglichfeit einer weltlichen, oon ber 
§errfchaft ber fachlichen ©ebanfen gelöften Kultur, löie in biefer 
3eit bie Bilbung bes mit ber ßapft; unb Kaiferibee unoertoorrenen 
neuen Staats begann, fo fugten bie THänner ber Tlenaiffance 
naa> einer Kultur, bie, im Diesfeits wurjelnb, bem natürlichen 
bas blecht gab, bas ihm bie Kirche oenoeigerte. 

Doch öös Tleue bilbete fich nicht in fajarfem 53rucf> mit bem 
Bisherigen. Die 9lenaiffance ift minbeftens halbwegs ein ©ebilbe 
bes THittelalters. Jim wenigften toaren bie ©ebilbeten Deutfch* 
(anbs geneigt, einer Kultur ?u bienen, bie fich * n ©egenfaty ?ur 
Kirche ftellte. DOie bie beutfehe Kunft biefer Qeit nach wie oor 
ihre Vorwürfe bem firchlichen (öebanfenfreis entnahm, fo gab 



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6. Die Deformation unb ba$ Kulturleben 



95 



ben beuifa)en öumaniften als bas (>öd)ftc 3*el aller lüiffenfdjaft 
fcbließlia) ni<j>ts anberes, ob baß ibre Xräger, um mit benTUorten 
eines if)rer heften ?u rebeit, geretniat t>on ben ßeibenfcfcaften in 
©ebet unb ©lauben an bem großen Eau mitarbeiteten, beffen 
8a>öpfer unb Eaumeifter ©ott felbft ift. Das öeroortreten ber 
neuen 3been, bas 3ufammenfließen unb bie Reibung bes Heuen * 
mit bem 3Wten Ratten nur ?ur £oIge, baß bas Kulturleben im 
beginnenben fecb?ebnten Qabrbunbert eine Kraft unb eine £eb* 
baftigfeit gewann, roie feiten porber. Das 0abrj>unbert, in bem 
„bie ©elfter erroaebten", batte feit bem Äugufteifcben 3«talter 
feinesgleicfjen niefct gebabt. 

Diefes JJabrbunbert fob bie Deformation. TUie ftellte fie fi# 
?um Kulturleben ibrer 3eit? 

ßutber ift für uns nia)t nur groß als ber Anfänger ber De« 
formation unb ber Eilbner bes eoangelifc&en (Ebnftentums; aua> 
ber THenfcb ßutber bat für uns IDert: mir freuen uns, fein 35i(b 
uns oor?ufte(len im Kreife oon 5rau unb Kinbern, für jeben ein 
freunblicbes KJort, einen gutmütigen Geber? auf ben £ippen unb 
bo<b ben (frnft bes THenfcben, bem bie Qtit roie bie (froigtett 
ift, nie oerleugnenb. Tüir ftellen ibn uns gerne oor im lebbaften 
©efpräcf) mit feinen Xifcbgenoffen: fieb unbefangen äußernb über 
Tttenfcben ber TSergangenbeit unb ©egenroart, über CEreigniffe in 
Kircbe unb Staat, über frembe unb eigene ©ebanfen unb Rn* 
febauungen, immer freimütig, mancbmal nia>t ojme eine geroiffe 
übertreibenbe 3ufpi$ung, aber niemals fleinlicb, enge, befebränft. 
löir oerfolgen feinen brieflieben T3erfebr mit Eetannten unb Un* 
bekannten unb freuen uns aueb bi" feiner freien, großen ftrf, bie 
ben THäcbtigen biefer TBelt roie ben ©eringen gegenüber ftets 
ben rechten Xon pnbet. @o geftaltet tfcj> uns bas ^3i(b bes Hlen« 
fa)en ßutber immer plaftifcber unb anfcbaulicjjer: roir berounbern 
bie D3eite feines Jlnfcjjauungsfreifes, bie Tttannigfaltigfeit, Xiefe, 
3artbeit feines (Empfinbungslebens, ben männlichen CErnft bes 
(Efrarafters, bie geroiffen&afte 3ut«^a(tung bem gegenüber, roas 

7* 



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96 6. T>it Deformation unö oas ftulturleben 

if>m oerfagt mar, unb bie ©röße unb (Entfa)ieben(>eit feiner ©e= 
bonfen: mir lernen oerftef)en, baß er ©roßes tvtr^en fonnte, ba 
er groß mar. 

Sragt man nun aber nacf> fetner (Stellung ?um Kulturleben 
feiner 3tit t fo finbet man oerfjältnismäßig menig Eerüfrrungs* 
punfte mit bemfelben. 

©emiß, £utf>er gehörte ju ben (öelefcrten. THan ftaunt immer 
mieber über ben Umfang feine* TBiffens, über feine fcj>arfe 3tof* 
faffung bes (begebenen, über fein treffenbes Urteil. Jlber niemanb 
fann ifcn für einen Vertreter ber tj>eoIogif4>en K3iffenfcf>aft galten. 
Die Khffenfcfcaft (>at nur ein Qitl: ?u erkennen unb fefouftellen, 
mas ift unb mas mar, unb bie 35e?ief)ungen darzulegen, bie ifrre 
Objefte tatfäcjjlia; oerbinben. Jlber biefe, icf> mö'a)te fagen: ruhige 
ftbfia)t lag £ut(>er ftets fern. (Er mar ein Kämpfer, jebes feiner 
33üa)er mar eine Xat, beftimmt unb geeignet, auf ben Äugenblitf 
}\i mir!en, in bie tatfäa;lia)en 73erj)ältniffe einzugreifen, bie ßefer 
für bies ober für jenes ?u geminnen. U3as £ut(>er fpraef) unb fajrieb, 
fpraa) unb fa)rieb er um ber praftifajen Döirfung ©illen. 

£utj>er f<j>ätjte bas ©tubium ber alten @praa)en. Jlber er ftanb 
ijmen nid>t gegenüber mie ein Philologe. 3j> te Kenntnis mar ij>m 
mert als THittel ?um 3t»ea\ nia)t um ij>rer feibft millen. (Er kannte 
bte antifen P!)ilofopf)en $ aber es f enn?eia)net feinen 6tanbpun£t, 
baß er (Eiceros 33ua) De off ieiis j>öj>ct als alle anberen Werte (>eib* 
nifa>er löeifen ftellte: er nannte es ein !öftlia)es Eua). "Das, mas 
er fa)ä$te, maren bie et(>if4>en ©runbfätje, nicj>t bie pf>ilofopl)if4>en 
(öebanten. Uber bie Pf)üofopf)te als fola)e backte er anbers als 
über bie £f>eologie unb bie (Sprachen. (Er oer(>e()lte (aum, baß er 
35ebenten gegen bie pf)ilofopf>ifaj>e (Erkenntnis j>egte: es bünft i(m, 
baß bas (Erforfajen ber THittelurfaa^en ber causae secundae ben 
TOeg )ut (Einfielt in bie ©laubensma&rfreiten efrer oerf4>ließe, als 
eröffne. Deshalb fein Urteil über bie p(>ilofop(>if4>e (Erkenntnis: 
if>r Ding ift gering Ding, unb feine J^ufforberung: gebrauten 
mir fie fo, mie einen @a)atten, ein ©piel, mie bie bürgerte 



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6. Die Deformation unb bos Kulturleben 97 

(berechtig feit. Dies ging fo roeit, baß et ben $ratr>of)n gegen 
bas £orfcf>en nach ben Urfachen nicht überroinben tonnte. „3Ws 
ber Seufel ?u (Eoa tarn mit bem quare, ba mar es aus. Drum 
foll man fieb hüten 1 «$a(( bieroeil auf bie Knie unb bete ein 
T3aterunferl 3ft bir oie( mtyer." güx bie Tlaturtoiffenfcbaften, „bie 
natürliche Äunft, fo man lernt ber Tlatur Kräfte unb TDerf er« 
fennen", hatte er, biefer TRann mit bem ausgeprägten IGirtfich* 
teitsfinn, oon Qaufe aus eine getoiffe (Empfänglichkeit? auch hat 
er i^re Berechtigung ftets anerkannt. Jlber feine fraufen Dorftel« 
(ungen über ben (Sehalt ber natürlichen ftunft bemeifen, baß ihm 
bie Fühlung mit ihr abging. 

Köllig außerhalb feines ©efichtstreifes lag bas gan?e ©ebiet 
ber btlbenben fünfte. THit £u!as (Eranach, bem löittenberger 
TReifter, mar er befreunbet; aber er fchätfte mehr ben tüchtigen 
Tltann, als ben ftünftler. Der Uerfehr mit ihm führte ihn ber 
Kunft nicht nahe. 3cf> meiß nicht, ob er Wibrecht Dürer je ge* 
fehen ho*> aber feinen Hamen tonnte er unb oon feiner ftunft 
mußte er. Doch oergeblich fucht man ein 3*ugnis bafür, baß 
feine D3er?e ihn ergriffen. (Er toi eberholt einmal eine Äußerung 
Dürers, nach ber biefer bie fchftchte *3Halroeife ber farbenprächtigen 
oorjog. 3)ber er tat es, um eine Hu^ancoenbung auf bie Prebigt 
?u machen. ftuch DOerfe ber Italiener unb Tlieberlänber hatte er 
gefehen. ftber er beurteilte fie lebiglich nach bem 7T?af)ftab ber 
Tiaturtreue, unb bie (Etnftcht in ben Unterfchieb ber norbifchen 
unb ber füblichen THalerei mar ihm fo oerfcbloffen, baß er bie 
Ttteberlänber für Tlachabmer ber Italiener halten tonnte. 3bea* 
lifierenbe Sübnismaleret ftanb für ihn in bebentlicher 71är>e bei 
ber £üge. 

Tlur bas £ieb um"* bie THufif waren nicht ausschalten bc 
(Elemente in feinem geiftigen £eben: im ©aufe tote im ©ottes* 
Menft höt er *Xaum für fie gefchaffen. 9n ihnen fuchte unb fanb 
er (Erfrifchung? aber auch fie ?roang er in ben Dienft feines großen 
fachlichen Tüerfes. 



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98 



6. 'Die Tieformotion unb ba§ Kulturleben 



£utf)et mar fein 7ttann bes Kulturlebens: ihm, ber eine Welt 
aus ben Ingeln hob, fehlte ber 3Mia* für bie 9lanb?eichnungen 
im Buche bes TBeltgefcbebens. 

Um fo bemerfensmerter ift es, baß bie Xräger ber Kultur, 
foum baß Me reformatorifche Bemegung tj>rcn erften engen Kreis 
Übertritten hatte, auf fie aufmerffam mürben, ?um nicht geringen 
Xeil if>r zufielen, fie förberten unb oon if>r $örberung ber eigenen 
Begebungen ermarteten, Sie ernannten, baß bie (Erreichung ber 
reformatorifchen QieU Tlaum für bas Kulturleben fdjaffen merbe. 

JUs ßuther mit feinen Xfrefen gegen ben ftblaß b^toortrat, 
fanb er im Kreife ber JJumaniften ntc|>t oiel Beachtung, unb mo 
feine !üt)nen Särje beamtet würben, ba oermochte man fie tDeber 
?u oerftehen, noch )\x mürbigen. Der Jlblaß mit allem, mas brum 
unb bran fjing, mar in ben Jlugen ber bumanifrtfcb ©ebitbeten 
längft gerietet. 73erf>anb(ungen über ir>n etfehienen tute eine Xor* 
beit, ein Streit um ben ftblaß fonnte nichts anberes fein ab 
1Höncf>sge?änfe. So betrachtete Ufrich r»on Kütten ben Anfang 
ber reformatorifchen Bewegung: er mußte nichts Befferes ju fagen, 
als: in Kattenberg fei ein Kampf um ben ftblaß ?mif4>en raffen 
unb f>i^tgen THönchen ausgebrochen : fie fernen unb (tagten miber 
emanber, begännen auch bereits ?u fchretbenj er hoffe, baß fie ftd> 
gegenfeitig ?ugrunbe richten mürben. So buchten auch anbere. 
Unter ben £eip?iger Qumaniften nahm ber ßehrer bes ©rtechifchen, 
peter Tttofellanus, eine h^uorragenbe Stellung ein: auch er fah 
im Streit jmtfehen ßuther unb dd nur eine geiftfiche Lauferei 
ohne ernften ©ehalt. 3Us bie beiben ©egner fich entfchloffen, 
ihren Streit auf einem öffentlichen (Sefpräch in £eip?ig ?um ftus* 
trag ?u bringen, bemerkte er fpbttifch, bas merbe ben feltfamften 
Streit gebenj ?efm Demotrite mürben genug beCommen, um fia) 
fatt }u lachen. 

ftber fo blieb bas Urteil nicht. Schon in ber nächffen Qext 
nach ßutbers fjeroortreten bahnten fich Beziehungen ^mifchen 
Wittenberg unb ben humaniftifchen Kreifen an. Durch &fc Be« 



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6. Die Deformation unb öas ftulrurle&en 



99 



rufung Tttelanchthons an bie bortige Qoa^fc^ute fam einet ber 
jüngeren fjumaniften in bie nächfte Umgebung ßuthers. £J«ber* 
mann weif), baß THelanchthon fich ^unächft oorbehaltslos bem 
beherrfchenben (Einfluß bes um eineinhalb CJahr?ehnte älteren 
£reunbes fcmaab. (Seine gelehrte Xätigtett fehlen nur noch ben 
3u>erf }\x haben, bas oon jenem begonnene Wext }\x förbem. 3n 
ber Umgebung bes fäcf)ftfcf>cn Hurfürften hatten bie humaniftifchen 
©ebanfen einen frillen, aber einflußreichen Anhänger an ©eorg 
6pa(atin. (Sine auf gegenfeitiger Achtung beruhenbe <$reunbfchaft 
oerbanb £utf>er auch mit biefem manne. 5Ms einige 0ahre fpäter 
ber aus bem THutianfchen Greife heroorgegangene (Jufrus 0onas 
nach Attenberg !am, gewann ber Humanismus einen weiteren 
Vertreter in ber ®tabt unb an ber Unioerfttät fiuthers. Äuch er 
ftellte fich unb feine Arbeit in ben Dienft bes größeren $reunbes. 
60 entftanb in ßuthers Tlähe ein Äreis oon humaniftifch ge* 
(hinten THännem, bie zugleich überzeugte Anhänger ber Tlefor* 
mation waren. 

ßuther ftrebte barüber hinaus: er fuchte Fühlung mit ben öfteren, 
oon ber ganzen TBelt als Führer ber neuen 35ilbung5beftrebun£jen 
anerkannten ©elehrten. J)m )4. Dezember 15)8 fchrieb er an 
Tteuchlin: er glaubte in ihm einen Vorgänger auf bem eigenen 
Tüege erblichen yu bürfen. ©ein 3ufammenftoß mit ben Kölner 
Dominicanern erfchien ihm rote bas Uorfpiel ?u feinem eigenen 
@treit um ben Jlblaß. ftber }\x gewinnen oermochte er ben alternben 
(belehrten nicht: fein ^3rief blieb ohne Antwort. (Ein Vierteljahr 
fpäter, am 28. TRat) JSJ9, richtete er eine 3ufcf>rift an (Erasmus, 
ooll ftnertennung ber Verbienfte biefes dürften ber Qumaniften, 
„oon bem alle lernen unb ber über alle herrfcht". (Erasmus bat 
ßuther freunblich geantwortet j aber feine Jlbpcht (>at biefer aud) 
bei ihm nicht erreicht. (Erasmus blieb beifeite ftehen. Der 13er« 
fehr ber beiben THänner enbete fchließlid) in einem offenen 35ruch 
unb heftigen 6treit. 

Dagegen wirfte bie £eip?iger Disputation mächtig auf bie 



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JOO Tteformafion unb bös ftulhirlefrcn 

jüngeren ©umaniften. 3n großer 3abl traten fie nun offen auf 
bie Seite ber Deformation. Hod> in ber Debe, mit ber Tttofel« 
Ianus bie T3erj>anb Jungen eröffnete, jjatte er faum oerbüllt feine 
Sebenfen ausgefprocf>en. Nacj> bem ©efpräcj) urteilte er gan? 
anbers über £utber ab oorber. 9m Oftober 15 1 9 fnüpfte <£roms 
Dubeanus, auf ber Dürfreife oon Italien naa> Deutfcblanb be* 
griffen, briefliche Schiebungen ?u ibm an: inbem er i(m ?ur$ort* 
fe&ung bes Kampfes gegen Dom brängte, fa>ien er gan? auf 
£utbers Seftrebungen einzugeben. Der Nürnberger f)umaniftens 
treis teilte trofy naber 35e?iebungen j\x (Erasmus beffen Qutüd* 
baltung nicbt. Humaniftifcfre 35eftrebungen maren in Nürnberg 
langft r>ctmtfcf>: fcbon ©regor Heimburg batte für fie gemirft. Der 
fcbneibige ©egner päpftlicber Übergriffe mar faft brei 0abr?ebnre lang 
6pnbi!us ber ©tabt. TCas er angeregt batte, forderten THänner 
mie ber Kircbenmeifter bei 6t. 6ebalb, ©ebalb ©freier. Sm 
fiutbers 3eit maren £a?arus ©pengier, dr>riftof ©cfreuerl unb 
mebr nocj> TöÜibalb Pirfbeimer meitbin angefeben als TSorfämpfer 
ber neuen Silbung. 6ie alle aber ergriffen lebbaft Partei für bie 
reformatorifcbe Bewegung. Unb menn es Pirfbeimer unb ©cbeuerl 
im Verlauf immer fernerer mürbe, flc(> in ben (Sang yu finben, 
ben fle nabm, fo blieb bocf> ber Nürnberger Humanismus als 
fol<j>er ber @ac(>e ßutbers treu. 

ftm micjjtigften mar, baß Ulricf> oon Hutten ficfc für pe ent* 
fcbieb. Den ritterlicben ßiteraten machte fein lebhaft entmirfelter 
Patriotismus ?um $tmb ber Kurie: er fab bas beutfcbe Volt bura) 
taufenb Sanbe an bas Papfttum gefeffelt unb baburcj) in feiner 
freien (Entmirfelung gebemmt. ©ein baffes 3lel mar längft |ebe 
ftbbängtgfett oon Dom }\x brechen. 0c^t mirften fiutbers füfme, 
in £eip?ig ausgefprocbenen 6ä>e auf ibn mie Xrompetenftöße, 
bie jut ©cblacjrt rufen. Der Ditter f>atte (einen böseren 3Bunfd>, 
als bem THöncbe mie ein ©cf)ilbtoappe in ben entfcbeibenben 
Kampf miber Dom jn folgen. (Einen J)ugenblirf lang zögerte 
Hutten offen ben>or?utreten$ er mar bur<J> feine 33e?ie(>ungen ?um 



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6. Die Deformation unb oa$ ftullurleben 



ftaifer unb ?u Jllbrecbt r»on IRain} gebunben. Dann aber ftellte 
er ficf> tütm unb frei auf ßutbers 6eite. 3m £aufe bes Oabres 1520 
begann ber briefliche Uerfebr jroifcben beiben THännern. Die 
©eflnnung, in ber er banbelte, ?eigt fein föönes £ieb aus bem 
CJabre J52): 

3d) J)ab5 geroagt mit Sinnen 
unb trag bes nod) (ein 3leu. 
7üüq ia) nit bron geminnen, 
nod; muf) man fpüren Xreu. 
Damit id) mein: Tlit einem allein, 
wenn man es wollt ertennen, 
bem ßanb ?u gutl tpica>of)l man tut 
einen Pfaffenfeinb mid) nennen. 

(fr oerftc&ert weiter: 

Daneben mid) ?u tröffen 
mit gutem ©eroiflen bob, 
baf) (einer oon ben böften 
mir &f)t mag bred)en ab, 
nod) fagen, baft auf einig maß 
id) anbers fei gegangen, 
benn <£b«n nad), bab biefe @ad) 
in gutem angefangen. 

Tßil\ nun ibr felbft nit raten 

bies fromme Nation 

ibrs @d)abcns fid) etgatten , 

als id) oermanet bo»f 

fo ift mir leib. Oiemit id) fd)eib, • 

mill mengen baft bie ftarten, 

bin unoerjagt, id) böbs geroagt 

unb ©ill bes (Enbes marten. 

Jlfe 35unbesgenoffe ßutbers nabm nun ber 6cj>riftfteller Hutten 
bae Tttort. 9m IHat J520 gab er eine (Sammlung oon §4>riffc 
ftütfen aus bem oierjebnten CJabrbunbert über bie 35efethgung bes 
6cbismas unb bie £reibeit ber Kirche mit einer an alle freien 
in Deutfa)lanb gerichteten TJorrebe heraus, ©ier lieft man: 6a;on 



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102 



6. Die Deformation unb bas Kulturleben 



ift ben Räumen bie 3)?t an bie 3tfur?el gefegt unb jeber 33aum, 
ber mö)t gute ^ruct>te bringt, wirb ausgerottet. Der Weinberg 
©ottes toirb gereinigt. 71ta>t mebr hoffen follt ibr bas* ibr werbet 
es in kurzem mit Äugen feben. ©eib gutes THuts unb muntert 
euer) gegenfeitig aufl Wd>t unerfabren, nicbt fcbtoacr) finb bie 
jflbrer ?ur TDiebererlangung ber ^reibeit. 3m Anfang bes Oabres 
J520 fyattt Hutten feinen Dialog T3abishis ober bie rö'mifcbe 
Dreifaltigkeit oollenbet. CEr ift einer ber föneibenbften Angriffe 
auf bas römtf<r)e UJefen. Hutten gab ibm ben erroäbnten Heben- 
titel, toeil er feine TJortoürfe gegen 9lom, bie Börner unb bas 
Papfttum immer }u breien ?ufammenorbnete: brei Dinge erbalten 
'Xom in feinen TBürben: bas Jlnfeben bes Papfts, bie Reliquien 
ber Qeiligen unb ber QanM mit ftb(af). Drei Dinge bringen bie 
Tlomtoanberer nacb Deutfölanb juxüd: ein fa>lecbtes ©eroiffen, 
einen oerborbenen Wagen unb einen leeren Eeutel. Drei Dinge 
werben in %>m umgebracht: bas gute ©etoiffen, bie ©ottesfura>t, 
unb ber <£ib. Ober brei Dinge Iacr)t man in Tlom: über bas 35ei* 
fptel ber ftlten, bas Papfttum €>t. Peters unb bas jungfte ©ericbt 
unb bergleicben. flutten mar überzeugt, baß bie 3*1* päpft- 
(leben Qerrfcbaft oorüber fei: bem beutfcr)en!3o(!e geben bie Äugen 
auf; es erkennt, roie fömäblicb es oerböbnt unb betrogen toirb. 

Der T3abis!u5 roar lateinifeb. Hutten bötte fcf>on oorber 
bas eine unb bas anbere beutfeb getrieben. Tlun entfcblof) 
er fia), ber beutfa>en ©pra<r# ficb überhaupt )u bebienen. (fr 
ruft aus: 

ßatein ia) oor gefd)rieben i>ab t 
Das mar eim jeben nit betannt. 
0efct fd)rei id) an bas 'Xtoterlanb, 
Xeutfcf) Nation in ibrer <5praa), 
ju bringen biefen Dingen 9taa). 

©einen Tkbisfus unb anbere @cr)riften übertrug er felbft ins 
Deutfcbe. U3as er gegen Ofom auf bem Oerzen hatte, faßte er 
noef) einmal jufammen in feinem umfänglichen ©ebiebt: Klag 



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6. Die Deformation unb bas Kulturleben 



)03 



unb T3ermaf)nung gegen bie übermäßige uncbriftliche ©eroalt bes 
papfts. 

Der Öumanismus war ber Vertreter ber lateinifchen TRtlU 
bilbung, bie ftcj> über bem Nationalen als gemeinfamer Eefty ber 
abenblänbifa>en Golfer erhob. Das ift einer ber mittelalterlichen 
3äge an ihm. K3ie er oon ben refotmatorifchen ©ebanten er« 
griffen tourbe, fo in noch ()öberem 7ttaße bie oolfstümlicbe beutfcfje 
Literatur. 3n Biebern, bie man auf ben ©äffen fang, Mingen bie 
©ebanfen ber Deformation roieber. Ulan fann auch jefyt noch 
ettoae oon bem (finbrucf empfmben, ben ber pacfenbe Aufruf an 
bas beutfcf>e T3oI£ „bas freubige ßieb oon Töorten unb THelobie", 
roie es in bem alten Drucr* bezeichnet toirb: «^rifcb auf in ©ottes 
Hamen, bu toerte beutfche Tlation, auf bie 3«*0*noff«n gemacht 
haben muß: 

3br banbefeffe TTlänner, 
habt eines £öroen THut 
bes rechten löege 33etenner, 
beren r)er? leud)t roie ein glut ? 
U3as und ©ott hie oerlieben, 
umb feinetrotllen alles roagt, 
£eib, <&ut unb <£t> c bran fernen! 
<£r tanns uns roofcl ergeben, 
r^et, ber, frifö) unoerjagt! 

60 toerben hier bie Deutzen jum (Eintreten für bie Deformation 
gemahnt. 

Diefelbe ©efinnung fpricht aus anbern fiiebern, toie: £obt 
(Sott, iht frommen (Ehtiften, ober (Es ift oiel Ktonbers in ber IGelt, 
obet bem fronen £ieb auf £utbers lob: Tlun hört, ihr dhriften, 
neue lUäx. 

Tlicht minber routbe bas §pie( - bas 5aftnachtsfpiel toie bas 
eigentlich geiftliche ©piel, - ?um Xräger reformatorifcher ©ebanfen. 
@d>on J522 ließ Tlttolaus Tttanuel in 33ern „bie Tüabrbeit 00m 
Papft unb feiner priefterfchaft in Schimpfes 1öets w barftellen, 
„nämlich tote auf einer Seite ber ©äffe ber einige ©eilanb ber 



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J04 



6. Die Olcformation mit» t>as Kulturleben 



Töelt, Oefus d^nftus unfer Heber §err, ift auf einem armen CEfe* 
lein geritten, auf bem f)aupt bie Dornenfron, bei ibm feine 
(Jünger, bie Armen, SMinben, £abmen unb mancherlei 35reftr)aften, 
auf ber anberen ©eite reit ber papft im Öarnifa> unb mit großem 
Kriegsjeug." ftnbere wagten ficr) an bie innerften ©ebanten ber 
Deformation. 60 bietete ßeonbarb Kulmann „(Ein cbrift(ict> 
beutfefces €>piel, roie ein 6änber jux Euße befer)rt roirb, oon ber 
6ünbe, ©efe^ unb CEoangeliunT, Peter THetfel „ein f<r)ön ©e* 
fpräa^e, barinnen ber (Satan AntMäger bes ganzen menfd)Iicf)en 
©efa)fe<bts, ©Ott ber TSater Dieter, (Ebriftus ber THittler unb 
^ürfprecb ift". (Ertoas jünger ift bas ©piel, bem man oielletcrjt 
ben erften Pia*} in biefer ganzen ßiteraturgattung ^u?ufprecr)en 
bat, bes 33artboIomäus Krieger „&d>öne unb luftige neue JUtion 
00m Anfang unb (Enbe ber UJelt". (Es beginnt mit bem Salle 
£u*ifers unb fließt mit bem Weltgericht, ein K3er! oon fübn* 
ftem TDurf, }\x beffen Durcbfübrung freilicb ber ©eift Dantes ge* 
bort bätte. 

(Enblicb barf ber Ttteiftergefang ni<bt unerroäbnt bleiben. Die 
Tttetfterfcbufen waren Bereinigungen bes ftäbtifeben Qanbwerfer« 
ftanbs. 9bre b<M>f** Elüte fiel in bas feefoebnte Oabrbunbert. 
Die größten unb angefebenften fanben ficb in proteftantifeben 
<Stäbten, tote Tlürnberg unb lüm. Kein TDunber, baß bie refor* 
matortfebe Eetoegung in ibnen fofort einen lauten TBiberball fanb. 
(Es genügt ?um Belege an fjans 6acr)s ?u erinnern. @cbon im 
(Jabre J523 oerfaßte er auf ßutber unb fein Tüerf fein 6prucb* 
gebiet oon ber U3ittenbergifa>en 7lacr>tigalf, bie man jefct boret 
überall; es entbcUt eine knappe 3ufammenfaffung ber eoangelifa)en 
ßebre unb bas freubige 33e!enntnts ?u ibr. Unb noeb im lüäxj 
J546 febrieb er fein CEpitapbium ober KTagreb ob ber £eicb Dr. 
THartini £utberi: ein febönes 3^ugnis beffen, roas »ber treue unb 
tübne fjelb, oon ©ott bem Qerrn felbft erroäblt, für bie cbriftlicbe 
U3abrbeit ritterlicb ju tämpfen", bem Dieter unb bem beutfcf>en 
Volte geroefen ift unb ?ugleia> bie mutige (ErMärung, baß ber 



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6. Die Tlcformotion unb bas Äullurieben J05 

35eftanb ber 7üoj>tj)cit niebt am ßeben ßutbers bange: fte merbe 
bleiben trofc feines £obe$. 

DOie fia) ber (Einfluß ber Tieformation in ber ßiteratur $)eutfa> 
lanbs oerfolgen läßt, fo aua) in bet ftunft. THit Pirtbeimer unb 
feinen bumaniftifepen ©efinnungögenoffen lebte Albrea)t Dürer in 
oertrauter £reunbf4>aft. Ulit ganzer @eelc gab er fid> ben eoange* 
lifdjen Überzeugungen bin; man bat ben CEinbrua*, baß er in ibnen 
bas feinem DOefen <f ntfprea^enbe fanb. <£$ gibt faum ein ferneres 
3eugnis für bie Jlnbänglicbfeit bes beutfepen T3olr*s an £utber 
ab bie @<tye, bie Dürer in fein CReifetagebucj) einfa)rieb, ab ibn 
auf feiner nieberlänbifeben 3Uife bas (öerüa^t erreichte, £utf)et fei 
auf ber Dütffebr oon TBorms oon feinen $einben gefangen ge* 
nommen, oielleicpt getötet roorben: £ebt er noa), ober baben fie 
ibn gemorbet - mas ia; niebt roeiß - bann b<" er bas erlitten um 
ber a>riftltcben U3abrbeit millen, weil er ge?üa)tigt bat bas um 
4>riftlicbe papfttum, bas ba mit feiner ferneren £aft oon menfd)« 
liefen ©efefyen ber jreilaffung CE^rifH wiberftrebt. Unb insbefonbere 
ift mir no<b bas 6d)u>erfte, baß und ©Ott oielleicbt noeb länger 
unter ibrer falfd>cn, blinben £ebre will bleiben laffen, welcbe bo<j> 
nur bie 7Jlenf<ben, bie fie T3äter nennen, erbietet unb aufgefegt 
baben, unb wobura) uns bas tbftlicbe TCtort (Rottes an Dielen 
Orten fälfeblicb ausgelegt ober gar niebt oorgetragen roirb. O ©Ott 
im Gimmel, erbarme bia) unferl O £err CJefu (Ebnfte, bitte für 
bein T3ol!, erlöfe uns ?ur rea)ten O ibr frommen <Eb#en* 
menfcj>en alle, belft mir fleißig beweinen, biefen gottbegeifterten 
Hlenfcf)en, unb ©ott bitten, baß er uns einen anbem erleuchteten 
THann fenbe. 

ftua) bie Unterfc(>rift bes fa)önen Porträtfticf>s bes Hurfürften 
^riebriebs bes löeifen oon )523 entbält ein 35efenntnis ?ur 
Deformation: 

Ille Dei verbo magna pietate favebat 
perpetua dignus posteritate coli. 



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106 



6. Die Deformation unb ba$ Kulturleben 



Do4> bte Qauptfac^e ift, baß bte eoangelifd>en ©ebanfen einen 
unoertennbaren (Einfluß auf Dürers ftunft getoannen. Als bte 
Deformation einfette, ftanb er auf bem $öf>epunlte feines ßebens 
unb feiner Sätigfeit. Aber fein fünftlerifa)es ©Raffen roar im 
legten £fabr?ebnt feines ßebens eingefa>rän(ter als oorfjer. Äußer 
einigen, mit 9Ucj>t berühmten 33ilbniffen finb bie beiben £afeln 
mit ben fogenannten oier Apofteln bie einzigen ©emälbe oon feiner 
Qanb aus biefer 3"t: fl* pnb bas letzte, roas er gemalt r)at. TRan 
fief)t in engem 9tar)men, or)ne irgenbein Weimer! je ?roei über« 
lebensgroße männlicbe Figuren, ^eilige bes Tleuen Xeftaments: 
Oobannes unb Petrus, Paulus unb THarfus. Aber ntcf>t ein 3ug 
erinnert an bie ©etligenmalerei ber früheren 3*it. Diefe THänner 
f!nb 3Renfcr)en biefer TUelt, man barf fagen: Kämpfer in biefer 
H3elt. Als fo(a>e, als bie 3cuQtn ber 1Ua^rf>eit unter einem ©e« 
fd>fea>t, bas bie Tüafrrbeit oon ftöfjt, bat fie Dürer gebaut. 
Die beiben ©emälbe bt (beten ein ©efc(>enr\ bas er feiner 'XJater* 
ftabt für ibr ^Ratbaus roibmete. HUas er mit ibnen fagen roollte, 
jeigen bie Unterfcfmften, bie er ibnen beigab: Alle weltlichen 
Regenten in biefen fäf>rlicf)en Qtittn nehmen billig aefrt, baß fie 
nicjjt für bas gött(t<f>e löort menfcf>licf)e 13erfüj>rung annehmen. 
Denn (Sott will nicht }\i feinem Tttorte getan, noch baoon ge= 
nommen haben. Darauf hört biefe oier trefflieben IHänner petrum, 
CFobannem, Paulum, TRarfum. 3b « Tarnung. (Es folgen bie 
Stellen 2. Petr. 2, ) ; ). £Job. 4, Jj 2. Sim. 3, ) ; Tltarc". J2, 38. 
Das roar bie proteftanrifcjje Auffaffung ber ©roßen ber Eibel. 
Aber biefe formgetoaltigen oier ©eftalten überragen in ibrer 
fcf>licf)ten ©röße bas geiftige Durchfchnittsmaß ber THenfcben fo 
toeit, baß fie aus ber QteijK aller anberen TBa^rbeits^eugen heraus* 
gehoben finb. Auch bas entfprach ber euangelifcben Überzeugung. 
(Es roar besbalb nicht unberechtigt, toenn man geurteilt bat, bie 
oier Apoftel feien bas erfte oollenbete Hunftroerf, bas ber Prote* 
ftantismus ()eroorbracr)te. 

©leich Dürer ftellte auch fein größter ©enoffe unter ben 



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6. Die Tieformation unb ba$ Kulturleben 



J07 



beutf4>en THalern, öans Qolbein, feine itunft in ben Dienft ber 
reformatorifchen ©ebanfen. 3" &tn Tkcbbrucien bes Deutzen 
Tleuen Xeftaments, bie J 522 unb J 523 in Bafel erfcfnenen, ?eicr> 
nete er bie Xitelbilber, ?ur Oftaoausgabe pon 1523 aua) bie 
Gilbet im Xejte. Den Kampf gegen ben ftblaß fötberte er bura) 
einen fatirifchen ©oltfchnitt, in bem er bem Xreiben ber IRblaß* 
trämer©ott gegenüberftellt, ber bie 35ußf ertigen : Daoib, THanaffe, 
ben offenen ©ünber, annimmt. 9m ©eifte ßutbers ift bas Blatt 
gebaut, bas man als v Christus vera lux yu bezeichnen pflegt: 
auf ber einen @eite (£b"ftu6, ber ben ßaien bas mar)re £icr)t 
Zeigt, auf ber anberen <Seite Klerus unb THöncbe, bie oon plato 
unb ftriftoteles bem Jlbgrunb entgegengefübrt werben. (Eines ber 
fcf)önften Reformatorenbilbniffe ift bas (leine Runbbilb 7Helancr> 
tbons oon öolbeins £)anb. «Sollte ber Qo^fc|>nttt bes Hercules 
Germanicus ibm angeboren, fo hätte er aua) £utber ben ßoli 
feiner T3erebrung gejablt. 

Jlls ben eigentlichen THaler ber Deformation pflegt man 
ßufas (Eranacb zu betrachten. (Er mar feiner ber großen IHeifter, 
benen es oerlieben ift, Wate oon unoergänglicbem HJcrte zu 
[Raffen. Unb bocj> mirb bas eoangelifche Hol! ir)m unb feinem 
gleichnamigen €>obne ftets ein bantbar es ©ebächtnis bemahren. 
Denn ibnen oerbanfen mir es, baß mir eine lebenbige 73orfte(« 
lung oon ben 3ügen bes Reformators, oon feiner ganzen äußeren 
©eftalt befugen. 6ie mürben nicht mübe, in ©emälben, Kupfer* 
ftia>en unb Qo(zf<hnitten bas Eilb £utbers mieberzugeben. JUicb 
feine ©enoffen beim Reformationsmerf: Tttelancbtbon, ©palatin, 
Bugenbagen, £Juftus CJonas, ba?u bie gleichzeitigen fächpfchen 
dürften haben fte oielfach bargeftellt. Jlls 3^ugntffe oon ben 
Xrägern ber Tieformation bebalten biefe Bilbniffe ibren DOert, 
obgleich es ben (Eranachs oerfagt mar, ihre U3er(e zu befeelen, 
fo baß bas Bilb zum Spiegel bes ©eiftes bes Dargeftellten mirb. 
Tlicht minber michtig ift, baß bie beiben KHttenberger THeifter 
bie ©ebanten ber Deformation in ibren Werten mieberzugeben 



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JOS $1« Deformation unb Das Kulturleben 

beftrebt waren, ©efron im Qajjre )52) erf<j>ten bas Pafßonal 
(E(>rifti unb ftnttcfrrifti, eine ©egenüberftellung bes ßebens unb 
ßeibens (Efmfti unb bes Treibens am päpftlicfren $ofe in J3 9ofc 
fdjnittpaaren. (Es ift ein gemeinfames Wext bes älteren (Eranaa) 
unb lHeiana>tbons. Der Tltaler zeichnete bie Silber, unb ber <5e* 
lehrte ftellte bie Unterf4>riften baju aus bem Tleuen Xeftament 
unb bem päpftlia>en 9lea)t ?ufammen. 7üie golbein, fo wanbte 
fid> aua) (Eranaa) fofort ber 3lluftration ber Bibel }u> bie £ofc 
fcf>nttte ?u ben erften Drutfen ber £utr)enfcr)en Hberfefyung finb 
aus feiner IGerfftatt (jeroorgegangen. (Es f>at Diel H3af)rfd)einlid)= 
feit, baß £utf>er felbft tyn babei untetftütjte, inbem er angab, was 
bar?uftellen mar. Die eigentlich ftrcf>li<j>e Kunft ber Deformation 
enblid; fetyt mit ben großen Altarwerfen ein, in benen bie (Era* 
naa)s ber 4>rtft(ic^en ©emeinbe oor Augen ftellten, mas fie an 
ber Tieformation (>at. 

Dürer, ©olbein, (Eranaa) maren bie $ü!>rer. (Es ronnte neben 
ifmen noa> ein unb ber anbere Künftler biefer 3eit genannt werben. 
Befonbers in ben ooltstümlia;en 9oljf<j>nitten fpiegelte fid) ber 
Kampf bes Alten unb bes Tleuen in feiner ganzen ©rbße unb 
6a)roff(>eit. 

9n biefer lüeife mürben im ßaufe weniger CJaf>re alle leiten 
bes beutfcj>en Kulturlebens in ben @trom ber reformatorifa)en 
Bewegung hineingezogen. Keine oerfjielt ficf> gegen fie ablefmenb. 
dnbem fie fie fbrberten, erhielten fie felbft neue Anregungen in 
£ülle: bie Berührung ber beiben Bewegungen entbanb neue Kräfte, 
werfte neues £eben. (Es gibt faum eine friftorifcK Parallele ju 
biefer großartigen löirfung ber Deformation auf ein 71a<j>bargebiet. 

Öat fia) biefe Tüirtung aua) auf bie <$olge?eit erftrerft? 

(Eine $atfacf>e ftej)t oollfommen feft: bie Kultur ber ©egen« 
wart ift nid)t proteftantif<j>e Kultur, wie bie bes Mittelalters 
!ircj>lid)e Kultur war. @ie ift eine fej>r komplizierte, aber burdj>* 
aus felbftänbige ©rbße, bie fieb nicjjt oon geiftigen Kräften, bie 
außerhalb t(>res ©ebtets liegen, bej>errfa)en läßt. Aber bas fd)ließt 



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6. Die Tieformotion unö bas Kulturleben 



109 



nid>t aus, baß man überall noa) ben lüirfungen ber Deformation 
auf ben ilu(tur?uftanb unferes 13olfed begegnet. 

3a) erinnere an etwas Äußerliches , bas boa) bie größte 33e« 
beutung (>at. Deurf<f>lanb befaß weber im Ittittelalter no<b in ber 
Deformationsjeit eine gemeinfame @a)riftfpraa)e. Die iJerfajMe* 
benbeit ber Dialefte beberrfa)te nia)t nur ben münblicben ftus* 
brua\ fonbern aua) bas gefa)riebene unb gebrutfte TCtort. TUenn 
bas gegenwärtig anbers ift, fo oerbanten mir es ?um großen 
Seil ber Deformation. £ut{>er mar nia)t ber ©cfjöpfer ber jetzigen 
beutfefren @a)riftfpra<be. (Er felbft bot liefen Dubm abgelebnt. 
(Er fagt, er bobe feine gemiffe, fonberlicbe, eigene ^pracbe im 
Deutfcjjen, fonbern er gebraute bie gemeine öeutfdje Sprache, 
bamit ibn beibe, Ober« unb Tiieberlänber, oerfteben mögen. Dabei 
batte er jene @pracbform im 6inne, bie, oon Oberfacfcfen aus* 
gegangen, fa)on im fünfrebnten Qabrbunbert in ben Kan?(eien 
ber dürften unb 8täbte üb(icj> geworben mar, bie allmäblia) öb 
Degel für bas @a)riftbeutfa) galt, ftber mar yu erwarten, baß 
bie @praa)e ber ftan?(ei je bie wirtliche Oeicfc^aft in ber beut* 
)a)en Literatur erlangen werbe? Tüte mia; bünft, b*iß* bitft 
Srage ftellen fie oerneinen. Qut Qerrfa)aft (am fie bureb ßutber, 
befonbers bura) feine 35ibelüberfefyung, bas 33u<j>, bas balb in 
aller Qänben war. £utber war ein £)errfa;er über bie €>praa)e; 
für jeben ©ebanfen niajt nur, fonbern aua> für jebe (f mpfinbung 
fanb er bas reebte löort unb traf er ben rea)ten Xon: er fonnte 
alle» fagen. Diefe 1Heifterfa)aft bewäbrte fieb befonbers in feiner 
35ibelüberfe$ung. (Es gelang ibm, @a)riften, bie in ben 6praa)en 
gan? anbers gearteter Uölfer oerfaßt, ni<j>t nur ber bewußten 
Dentweife, fonbern aueb ber unbewußten (Empfinbungsweife ber 
Deutfa>en fremb waren, fo oöllig ins Deutfcbe umzugießen, baß 
ber ßefer nirgenbs bura; ben Qaua; bes Sremben erfüllet wirb. 
6 eine Überfettung maa)te bie ^3ibe( )ü einem beutfcjjen U3ert. So 
tonnte fie ?um THufter ?unäcf>ft für bie @a;riftfpra(j>e unb bamit au<b 
in weitem THaße für ben "öcr!ebr ber literarifa) ©ebilbeten werben. 

Qautf, DU Ttcfoanatien £ 



■ 



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||0 Deformation uno bas flutoitleben 

(Es ift ein in bei Sprachgebiete faft einzig baftehenber Xot* 
gang, baf) bie Sprache eines THannes im £auf weniger Qahr* 
zehnte ?ur Degel füt bie Sprache eines großen Rottes würbe. 
<£r fe&te noej) ?u £utf>ers £eb?eiten ein. 'Damals würbe ein 
löunfch oerwirHicht, ben fa)on Äarl bet ©roße gehegt jjatte: bie 
grammatifche Bearbeitung ber beutfehen Sprache. Sofort aber 
wiefen bie 73erfaffer beutfcjjer Sprachlehren auf £utf)ers Sprache 
als Uorbilb hin. Das tat bereits jabian prangt in feiner Schrift: 
2eutfa>er Sprach ftrt unb CEpgenfcfjafft oon J53J. Hoa) entfehie* 
bener ge|ct>a(> es oon £Jof>. (Elajus in feiner Grammatica Ger- 
manicae linguae oon )578? fcjjon bem Xitel fügt er bei ex Bibliis 
Lutheri Germanicis et aliis eius libris collecta. Qiefe ©ram« 
mattf hatte einen außerorbentlia) großen (Einfluß. Sie beherrfchte 
ben beutfehen Sprachunterricht länger als ein Oahrhunbert: noch 
im Qahre J720 erfa>ien eine neue Auflage. Seibft in totholifchen 
Schulen roar fie in ©ebraua). 

3ch fabt oorhin an ben THeiftergefang erinnert ftua) für bie 
Sprache ber Ttteifterlieber galt ßuthers Bibelüberfetymg als^egel. 
3n ber Nürnberger Xabulatur hieß es: (Ein fehler ift, wenn etwas 
nicht nach ber h°f> en teutfehen Sprach gewichtet unb gefungen 
wirb, rote folche in Dr. TXL ßuthers teutfeher flberfefcung ber Bibel 
bepnblich unb in ber Surften unb Herren (Eanjleien üblich unb 
gebrauchlich ift. T3or bem piafc bes älteften THerfers in Tlürn* 
berg lag eine Bibel: er follte in jebem Jtagenblicf feftftellen 
Kinnen, ob bas (öefungene mit ßuthers „reinen Worten" ebenfo 
übereinkomme, wie es inhaltlich mit ber ©eiligen Schrift überein* 
juftimmen hatte. 

(Erft im £aufe bes achtzehnten Oahrhunberts ift bie ausfajließ* 
liehe §ert[d)aft ber Sprache ßuthers in unferem Schrifttum ein« 
gefchränh worben; aber eine ber toichtigfien ©runblagen bes 
Schriftbeutfeh bilbet fie bis jefct. 

T3on ähnlicher Tüichtigceit ift ber Einfluß ber Deformation 
auf bas Unterrichtswefen. 



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6. Di« OWormotion unb bo» Kulturleben 



MI 



ßutbers weitgreifenbe ©ebanfen übet ben TJottsunterricbt 
würben in feinet 3"* n!4>t oerwirtficbt. IHcn tonn bS<hftens 
fogen, baß Ulonnet wie 33ugenbagen im Tlorben unb 35ren? im 
6üben Deutfcblanbs if>re Uerwirtficbung anbahnten. Jlber bie 
fpätere Qt\t bat fie ausgeführt. Deutfcblanb mar unter ben großen 
£änbem ber Tüelt bas erfte, bis oor fur?em bas einzige, bas ben 
allgemeinen Ütolfsunterrfcbt (annie. TBas ihm Deutfcblanb oer* 
banft, brauet man beute nicht }\i fagen. Unfere Überlegenheit 
über bie anberen Nationen ber TOeft beruht ?um großen Xeil 
barauf. Das 3iel für bas Tnitteffcbulwefen bes proteftantifchen 
Deutfchlanbs bot THefancbtbon im Änfcbfuß an bie ©ebanfen 
bes beutfcben öumamsmus beftimmt. (fr fanb es in ber T3ermä> 
(ung ber am @tubium bes Altertums genährten 35i(bung mit 
4>tiftÜ4>eT ©efmnung. Die Aufgabe, bie bie Schule }\x löfen bat, 
ift, ut mores litteris ad virtutem, ad humanitatem, ad pietatem 
excitentur ac formentur. 35is tief in bas oorige CFahrbunbert 
hinein blieb bies bas CErjiebungsibeal ber beutfchen ©pmnatfen. 
(Erft bie 33ebürfniffe ber ©egenwart, bie mächtige (Entwicklung 
ber Tkrurwiffenfcbaften unb ber tecfmifcben 5erfig!eiten haben es 
jerfprengi. (Es mar für bie (Gegenwart ?u eng geworben. Jlber 
bU ungeheuren ftnforberunge«, bie biefe Oabre bes Kampfes nicht 
nur an bas ftellen, was bie 7Henf<f>en fönnen, fonbern auch an 
bas, was pe fmb, fmb eine ctnbrtng(tcr)e THafmung baran, baß, 
wenn auch eine breitere ®runb(age als bas @tubium bes JMter« 
tums für ben Unterricht in ben IHittelfchulen notwenbig ift, boch 
bie (Erziehung jut virtus, humanitas unb pietas nicbt ju tut} 
fommen barf. Die Uerbfnbung ber formalen 35ilbung mit ber 
djaratterbilbung muß bem THittelfcbulwefen erhalten bleiben, 
wenn aus ihm bie THänner bttoorgeben follen, beren bas T3ater* 
lanb bebarf. 

über bie THittelfcbule erbebt (ich bie Unioerfttät. TGir benten 
Deutfölanb unwfllfürlich als bas rechte £anb ber, Unioerfitäten. 
Das ift es in ber (Gegenwart, aber bas war es nicht immer. 

8* 



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6. Die Deformation unb oas Kulturleben 



Die ältefte beutfcfce Unioerfität, bie Präger, ift im Oa(>re J347 ge* 
grünbet, bie ältefte italienffcj>e, Bologna, DJ 9, bie ältefte fran« 
?öfif<he, Tflontpellier, 1)80, bie ältefte englifcbe, Orforb, )206. 
Selbft Spanien unb Portugal !amen Deutfcfclanb in ber ©rün* 
bung ber Unioerfi täten juoor. <£rft mit ber Deformationsjeit unb 
feit if>r holte Deutfcblanb bcn Uorfprung, ben bie übrigen Ha= 
tionen (>atten, ein: aber bis ?um <£nbe bes achtzehnten CJahrjmn* 
berts toaren es faft ausfchließlich proteftanrifche Unioerfitäten, bie 
neu begrünbet tourben. Daß Deutfcf>lanb ?um ßanbe ber Unioerfi* 
täten geworben ift, ift eine TBirrung ber Deformation. 

Sie ift aua) auf bem ©ebiete ber Kunft nicht gebrochen. Die 
beutfcj>e 7Hufir* fann man ftcf> nicht benfen of>ne bie proteftantifche 
Kirchenmufir": Sebaftian Bach ift ein (Epigone ber Deformation. 
3n ber bilbenben Kunft aber finb bie THotioe, bie juerft auf bie 
Ulaler ber Deformationsjeit toirften, immer noch unoergeffen. 
(Es toef>t noch proteftantifche £uft überall im beutfchen Kulturleben. 

Doch fo getoicf)tig biefe C£in?eltatfachen finb, größere 35ebeu* 
hing fommt, tpte mich bünft, bem allgemeinen Verhältnis bes 
Proteftantismus ?um Kulturleben ?u. 

Die Kultur ber ©egentoart ift im Unterfchieb oon ber bes 
Mittelalters Diesfeitseultur. Sie erftrebt nicht, toie jene, ben 
Ulenfchen burcb Jlfrefe unb mijftifcbe (Erhebung aus ben Beziehungen 
)\i biefer Tüelt mb'glichft }\i löfen, fonbern ij>r 3^1 ift, alles, roas 
oon Anlagen unb Kräften im THenfcrjen unb in ber 7Henf4>r)ett 
oorbanben ift, jut (fnttoirfelung ?u bringen, bamit jeber imftanbe 
fei, in biefer Tüelt }u toirfen, unb bamit bie 7ttenfchb*it je länger 
je mebr biefe UJelt, mit all bem ©roßen unb Schönen, bas ©Ott 
in fie gelegt f>at, (ich jueigen mache, fie bebende. Dies Kultur* 
?iel ftebt in unlösbarer Spannung ?ur mittelalterlichen «Jrömmig* 
reit. 9m Proteftantismus Dagegen ift biefe Spannung gelöft. 
3n feiner Schäfcung bes Natürlichen als eines ©ottestoerrs liegt 
bie Behauptung bes Dechts bes TRenfchen an biefe TBelt, in feiner 
^orberung ber Arbeit am eigenen 3ch liegt bie Verpflichtung yux 



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6. 'Die Deformation unb bas Kulturleben 



Ausbübung bet natütlicfcen Begabung, in feinem ßtefe bet TJer« 
nunft als bes Tttuttetfcfjojjes oon 9te(j>t, löiffenfcfraft unb ftunft 
unb in ber ^efcfctänfung bet Kirche, i(>tet £ef>ren unb T3otfcj>tiften 
auf bas tefigiöfe ©ebtet Hegt bie ftnertennung bes 3lecf)ts bet 
itultut, fief) naa) ben if>r immanenten ©efetjen ju enttoitfefo, bie 
Anerkennung bet ^ret^ett bet Tüiffenfcfcaft unb ber Kunft. 

Die Arbeit bet Religion unb bet ftultut Hegen auf t>etf<f>ie* 
benen ©ebieten. ftbet ein facj>li<f>et ©egenfa^ ?wif<j>en beiben 
befielt nia;t. Das fieben füt jene TBelt fa)lief)t bas TBixUn in 
biefet löelt ni<j>t aus: es leinigt unb oettieft basfelbe. THögen 
einzelne Xtäget bet ftuitut obet ganje Tlia^tungen innetbaib bet« 
felben ficf> gegen ben religiöfen ©ebanfen abfließen obet fid> 
if>m fetnb(icr) entgegenftellen, mögen umgekehrt manche Vertretet 
bes fetteten bas "Xea^t bet Tüeltkultut oerkennen - bas finb Qttt* 
erfa^einungen, bie oorüberge(>en. Der Ptoteftanrismus als folget 
kann, toenn et feinem reformatorif<f)en Ausgangspunkt tteu bleibt, 
nie kulturfeinblicfc fein. (Et muß bie Äuitut afs beteiligt an* 
erkennen, meif fie gottgewollt ift. 



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Martin Cutter unb bie beutfdje «Reformation 

35on «Krofeffor Dr. SB. Böbfer. 2.,t>erb. Auflage. *2Ittt 1 9*tlbniS CutberS. 
©ebeftet *33TT. 1.20, gebunben SBL 1.50, in ^afbpergament 2.25 

„IMe mit unerf(bütter(id)er gef<bid)tlid)er ^SJabrbaftigfeit fdbaffenbe, in ber SDarfteHung 
bilblieb fnappc unb flate grorfd>erarbeit wirb ber fd)arf fantigen toirfungSfräftigen ^Jer. 
licftfeit Cutber« ebenfo geredet, wie fle ein farbenprädjrige* 9JUb ber bamoligen Reit, 
efonbere ber feftgefdjloffenen mittelalterlldjen Äird)e gibt.« (VoIfSbitbung.) 

3)ie SBebeutung b. <Ref ormation f. b. poüt gntoief fang 

SBon ©er). §ofrat ^Prof. D. Dr. ©. t>. ^cToto. ©er), co. 'Kl. 1.— 

Cutter im ßidf)te ber neueren 5 ör f^ UTt 9 

<£in fritifd>er 93ertd)t üon ^Jrof. Dr. £>einr. 93oebmer. 5. Auflage. 
21. unb 22. Saufenb. mit 4 SBUbn. Cutber«. ©eb- 9H. 4.—, geb. <3Zt. 5.— 
<Pa« biäber in ber ©ammlung ,9lu* «otur unb <8eifie«tt»elt' erfd)ienene «ud) ift feit 
ber 4. Auflage, unter SJerücfflcbtigung ber neueften 3forf(bungen, warf erweitert morben. 

<Muf ben Quellen unb ber flberlieferung fugenb, fud)t ber SJerfaffer be« in oierter, t>5Hig 
umgearbeiteter unb erweiterter Auflage erfd)ienenen <ZDerfed ein toabrbeiiSgetreueS ßutber- 
bi(b 3U getoinnen, bie $)erfönlid)feit ßutberS au* (einer Reit fierauä 31t petitchen unb 3u« 
q 1 et et) beffen CHnflufj auf bie getarnte materielle unb geiftige Kultur fetner Reit ba^utun. 
ffinige Porträts, baninter ein iüngft entbedted, bereid)ern ba8 feffelnb getriebene SRncf) 

, 3>lefe« Qucb fteQt ohne 3»etfel b. 3 u r 3 e 1 1 befte SDerf über ßutber bar." 08 r e m. Je t r d) e n b I.) 

£ u t $ e r 8 Sifdjreben 

in ber 9natf)eflfd)*n ©ammfung. 9lu3 einer §anbfd)rift ber Pelziger 
©tabtbtbliotbef br8g.rjon^rof.Dr.(£.Ärofer. ©eb.^n.12.— ,geb.9Zt.14 — 
„Tic Seytfonftitutton, bie «Datierung unb Gruppierung ber ein3e(nen ©tücfe, bie 9ta$- 
toeife ber ^)rot>enien3, bie Ctinleitung, bie 91nmerfungen, bie parallelen unb ttegifter — 
aQeä befunbet bie größte Sorgfalt unb öauberfeit SEDir »ünfeben bem 5Bud)e Meie auf» 
merffame ßefer. 9Denn toir groben barau9 geben trollten, mir toüfjten ntd)t, »0 anfangen unb 
aufboren. 0d)ter ber ganje ßutber tritt unS biet entgegen." (<HUg. 3eitung, OTünd&en.) 

©oftor Sttartin ßutber 

(Sin CebenSbUb für bag beutfdje fjau« toon ©utoerintenbent D. Dr. ©. ^ u d) ■ 
toalb. < 2Ztit $aWr. 2lbb. im SerJ unb auf 16 Däfern nad) ftunfttoerfen 
ber 3«r. 3., tooHtg umgearb. Auflage, ©eb. «31t. 10.—, in £>albtoerg. 9B. 12.— 
.(Sine ber pra"d)tigften Gaben ffir ba* beutfd&e $au£t Qer3)erfafTer beberrf<bt u>ie faum ein 
3U>eiter ben ©egenftanb unb »arber^erufenfte,bembeutf(ben*Ootre feinen ßutber in mabrbaft 
t>o(f8tümttd>er SEDeife nahezubringen. <S8 ift ihm uortreffii* gelungen; mir hohen nun eine 
ßntberbiograpbie, bie 3ut>erta'ffig attcb bie (Srgebniffe ber neueften ßutberforfebung Dertoertet 
unb in ber ßutber felbft breit 31t Worte fommt. (Sbarortertfrifdje Snuftrationen fdhmflrfen 
ba* In mürbigem ©ewanbe fid) 3eigenbe SBu<6 Portreff tid). (3>ie SED ort bürg.) 

Cutter. g=eber3et(bnung Don Ä. "Sauer. (28x36 cm.) 9luf Karton 
«BT. —.85, etebbaberauSg. «52t. 1.25, in £einto.-<£tnf. unt. ©fa8 92t. 3.10, in 
(Erlenrabmen unt. ©fa8 (3. 'SHugtoecbf.) ^It. 3.85, in fd)toar3 pol. l?eifte (3. 9lu«- 
toedbf.) unt. Cblaü 921. 5.35, in fd)b>ar3 pol OüaIra5m cn unt. ©fa£ 9TT. 5.85 

gn.ö.ßd^toinbö^artburgo^SJanbfriefe 

©ieff riefe geben in fünftlerifd) mertooHer farbiger WuSfübrung oollfommen getreu ben Ccin« 
bruc! ber Originale toieber. Sä fhtb 3unäd)ft folgenbe ff rief e erfebtenen i 1. StDart -^erg, bu fodft 
mir eine «urg »erben. 2. ßanbgraf, merbe bartt 3. Sreue Tllannen finb bie befte^Hauer. 4. 3)er 
geredete ßanbgraf. (Titelblatt (Format Mx 93cm) <m. 5.—. Weitere «Wtter in Vorbereitung 

Seuerung^ufcbidge auf fämtllcbe ^DerFe einfd>r. be« 3ufd)fag« 
für bie 95ud)banblungeu 30%- 

Verlag toon SB.©.$eubner in 2cip^iQ unb Berlin 



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3ur ®efd)icftte be3 SReformationgaeitalterg 

Quellen unb ^orfc^ungen 3ur <&efd)id)te be$ 2lug3» 

burgifd>en <5lauben3betenntniffe3. «Bon Pfarrer 33). ©ufj- 
mann. 2 35be. I. 35anb: 3)ic Ratfc&läge ber ebang. «Xeid)gftanbe 
«um «Äeid)gtag öon Sluggburg 1530. 2 Seile. («2tta)t einzeln fäufüd).) 

I. Unterfud>ungen. II. Sejte. ©e&. 3K. 28.—, geb «Jtt. 32.— 

Deformation. Von <Profeffor Dr. Äur3e. ©e&. . . . m -.60 

(Segenreformation unb 30jäl)riger Ärieg. Von «Profeffor 
Dr. % flu^e. ©er) 3K. —.60 

3of)ann <£alt)tn. «mit einem 35ilbniffe Safoing. (3lug Statur unb 
©elfteSiodt 35b. 247.) Von Pfarrer Dr. ©. 6 0 b e ur. ©e&. «m. 1.20, geb. 3K. 1.50. 

3)e3 furfäd)fifd)en 9tate3 §an8 oon ber 'iplanitj 33eria)te 
au3 bem «Reid^regiment in Dürnberg 1521 — 1523. «Bon 
©. SDÖültfer. §rgg. oon «Prof. Dr. Söircf. ©e&. «211. 26—, geb. 32t. 28.— 

Siittcn unb Briefe 3ur Äirdjenpolitif ©er3og (Beorgg oon 

6 a d) f e U. «Bon ©e&. §ofrat Vrof. Dr. $ e l i c i o n © e &. 1. 35anb : 1517—1524. 
3ß. 29—, geb. «Bt. 33.—. II. Vanb: 1525—1527. 32t. 44.—, geb. SOI. 52.— 

TOori£ Oon 6ad)fen. Von©e$.-3tat Vrof. Dr. ©. Vranbenburg. 
2 Vänbe. I. Vanb (big 31U SBittenberger Kapitulation Don 1547). 3HU 
Sitelbüb. ©ef). «HT. 12.—, geb. TO. 14.—. II. Vanb. [3n Vorbereitung.] 

^olitifc^e ^orrefponben3 be£ §er3og£ unb ^urfürften 

Sttlori^ bon 6aa)f en. §rgg. oon ©e&yRat 33rof. Dr. <£. Vranben- 
burg. 1. 33b. ViS 3um <£nbe beä 3af>reg 1543. ©e&. «JZt. 24.—, geb. sm.26.— . 

II. 35b. 1544 bi« 3um ©nbe beg Sa&reg 1546. ©e&. m 34.—, geb. SOL 38 — 

^3auemfriegga(ten. §rgg.o.3lr(fcioratDr.3fterr.. I.Vb. (lt.b.<pr.J 

(Sefd)id)te ber #ird)enoerf affung 3>eutfa)Ianb3 im 

Mittelalter. «Bon 33rof. Dr. 31. SBermingfjoff. I. 35b. ©ej>.«at.7.— 

^erfaffungSgefc&id&te b. beutfd)en#ird)e im Mittelalter. 
Von <prof. Dr. 31. «iöerming&off. 2. 3lufL ©e&. 3K. 5.—, geb. 31t. 5.60 

(Sefd)id)te ber proteftantifd)en Äirdjenoerfaffung. 35on 

^rofeffor Dr. ©. ©e&ling. 2. «Auflage, ©eb. 32t. 1.20, geb. «211. 1.80 

$Deltanfd)auung unb Slnalrjfe be3 'Stenfdjen feit 9le- 
naiffance unb Deformation. 3lb&anblungen 3ur ©efd)iä)te ber 
«P&ilojop&te u. Religion. Von toelL ©ef). <Reg.-«Kat «Prof. Dr. 333. 3>iUJ)et). 
(2. Vanb feiner gefammelten ©Triften). ©e&. 32t. 12.—, geb. 32t. 14.—, 
in ^albfran3 geb «Bt. 16.— 



Verlag oon 93. <ö. Seubner in ßeij^ig unb Berlin 



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©efd)icf)te ber d) r i ft l i cf) e n ^Religion 

< 32Tit (Einleitung: 3>ie ifraelitifcf)-jübifd)e Religion. Ote Kultur ber 
©egenumrt, rjrög.bon ^rof.^.^inncbcrg. Seil I, 9lbt.lV,l.) 2., ftarf berm. 
uni> üerbefferte <U U fI. ©et). "321. 18—, geb. «3K. 20.— in £)atbfran3 SOI. 22.— 
SJndoIt: Die iiraelitifa>iübiiche «Religion: 3. 9Delll>auf en. «Die Religion gefu unb 
bie 9lnfdnge bei (S&riftentumS bi* 3um 9ttcaenum (325): 91. gültd)er. «ird>e unb ©taat 
big 3ur Qrünbung ber ©taatäf ircrje : 91. öarnacf. ®rierf)ifd)*ortf)obo{eö CXfjriftentum unb 
Äirdje in Mittelalter unb 9leu3eit: -ll. 93 o n u> t t i d). CXbriftentum unb Ä'irchc 9Defteuropae im 
Mittelalter: St. Müller. Äatholtfcheä (S&riftentum unb fttrd>e in ber 9leu3eit: 91. (S&r&arb. 
<$roteftantifche3 (Sbrtftcntum unb Jttrche in ber 9?eu3cit: <S. Sroeltf <h. 

S^ftematifdje d) r i ft l i d) e Religion 

(3>ie Äuttur ber ©egentoart, fjrSg. t>. ^rof. «p.^inneberg. Seil I, Slbt. IV, 2.) 
2. Slufl. ©et). SSO.. 6.60, geb. m 8.—, in Sjalbfran3 geb. 90. 10.— 
Output: SEDefen ber Religion unb ber 9teligionän>iffenfchaft: S.Sroeltfd). dljnfihd)- 
fatboli(4)e Dogmatil: 3. <Poblc. Chriftliä>fatl)oliia)e TO': 3-Mauäbach. <St>rtftlict>- 
fatt>. praft.S^eologie: CS. Krieg. <$briftl.«protcftant. Dogmattt: 9JJ. fccrrmanu. <Sl>riftlid3- 
pro teil mit. Crtbif: 91. ©eeberg. CSt>riftlid[) - proteftantifetje praft. S&eologie: 9D. Araber. 
Die 3ufunftdaufgaben ber 9tcltgion unb bie Weligionätoiffenfchaft: f>. 3. ftolgmann. 

91u8ben Urteilen über beibe 99anbe: .3ch finbe bie 3ufammenfteUung Don 91 r- 
beiten ber Äatbolifen, benen ti met)r um bie Jtirche, unb »on 9Jrotcftanten, benen eS mehr 
um bie 9leligion 3U tun ift, fc&r tnftruftio, um bie 9Jerfdbiebenartigfcit ber tfreologiichen 
9lnfd)auungen unb 9lrbeit$u>eife fennen $u lernen. . . . Die 9lrbeiten finb {amtlich, bafür 
bürgt fd)on ber 9lame ber 93crfaffcr, erften 9tangcä. 9lm meiften 9luffeben 3U machen »er« 
fprid>t Sroeltfd), 9lufrig ber Gefliehte bea 9Jrotefiantiämuä unb feiner 93ebeutung für bie 
moberne Kultur. 3$ betounbere bie eminente Sülle ber Cöeficfttäpunfte, von benen auä Sr. 
arbeitet, unb bie Crnergie, mit ber ber ©üftematiter bie gefctjichtlichen 9)orgänge 311 bunt). 
bringen oerfudjt t>at." (3eitfa>rift für »ircr>eugef d) i ctjt e.) 

3 e f u 3 im Urteil ber 3al)r&unberte 

SHe bebeutenbften ^luffajfungen 3efu in St)eo(ogie, ^Pf)ilofopt)ie, Ctteratur 

unb Äunft biß 3ur ©egentoart. 35on £)ofbibliott)ef ar Lic. theol. ^rof. © u ft a t> 

^fannmüller. < 3Kit 33ud)fcf)mucf unb 15 äunftbeüagen. ©eb. SttL 5 — 

. . . . Cfi fann für ben 9Uenfd)en ber ©egentoart u>ohl faum ein eigentümlicheres, an» 
regenbere* unb ergreifenbere* ©cbaufptel ber ©eiftesJgejchichte geben al« biefe metftcrltd) 
georbnete unb erläuterte ©alerie oon <Xl>riftuöbiIbern faft jmeier gafcrtaufenbc. 3n ber 
Xat ein 9Derf, ba£ ben SEDünfchen beS L'efepublifumd aller ftonfefftonen in jeber §iufid)t 
geredet mirb unb fomit feinem 93erfaffer unb bem 93erfag, ber eä aufä toürbigfte audgeftattet 
hat, 3ur hod)ften Cf^te gereicht." (». «on&off in ben C5ren3boten.) 

Sefuö ber (Ef)riftu3 

«erid)t unb «otfe^aft in erfter ©eftalt. ^on Oberlehrer Dr.cjrifc «Refa. 
Äart. SM. —.80. ©efdjenraugg. in 3toeifarb. 3)rucf mit ^ucfofc&mucf «321. 2.60 

SReligion unb 92lagie bei ben SKaturöölfern 

©in re!igionggefcf)id)tIid)er Beitrag 3ur 5 ra 9^ nad) ben Anfangen ber 
Religion. 'Öon sprof. Dr. Äarl ^öetb- ©et). 5.—, geb. St. 6.— 

. . 95etb^ 93eherrfd>ung biefed bisher fremben CBebieted, feinem burd)gehenben ©d)arf- 
finn unb feiner ®eftaltungd> unb DarfteÜungägabe gebübrt uneingefdjränfte 93ea>unberung." 

(Deutfd>e Citeratur3eitung.) 
.Ohne 3B>eifel haben mir e£ hier mit einem auf grünblidber toiffenfchaftlicher beutfeher 
?orf<hung ruhenben 9Derf 311 tun, an bem bie religiondpfochologifche 9Di{Tenfd)aft ber 
Cöegenteart unb 3ufunft nicht borübergehen fann unb wirb." (9Ui<hi boten.) 



Verlag öon ^3. @. Scubner in2eti)3ig unb Berlin 



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