\
i
Biographische blätter. Jahrbuch für
lebensgeschichtliche kunst und ...
*
Digitized by Google
WiSCLSOPAFTLiCO CLUB
Escheiibachga^Ec 9,
Digitized by Google
Digitized by Google
biographische glätter.
Jahrbuch
für
lebensgeschichtliche Kunst und Forschung.
Unter ständiger Mitwirkung
von
Michael Bernays, F. von Bezold, Alois Brandl, Aug. Fournier,
Ludw. Geiger, Karl Glossy, Eug. Guglia, Sigm. Günther, Ottokar Lorenz,
Karl von Lützow, Jacob Minor, Friedr. Ratzel, Erich Schmidt,
Anton E. Schönbach u. A.
herausgegeben
von
Anton 13 c tt c 1 h c i m.
Erster Band.
Mit vier Bildnissen.
BERLIN.
ERNST HOFMANN & Co.
1895.
WlSSENSCHAmiCIiCn CLL'3 * r ,
j — » 1 Digitized by CiOOgle
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung und Nachbildung,
vorbehalten.
■
Digitized by Google
Inhalt.
— v> -
I. Zur Theorie und Entwicklungsgeschichte der Biographie. MUs
Ludwig Stein, Zur Methodenlehre der Biographik 22
Anton E. Schönbach, t her den liioLTaphisrhfn (! fhalt dos ul t de u t srlicn
Minnesanges 39
Peter Rosegper, Eine Meinung über Autobiographieen 53
Richard M. Werner, Biographie der Namenlosen 114
F. v. Bezold, Cber die Anfänge der Selbstbiographie und ihre Ent-
wicklung im Mittelalter 180
Rndolf Beer, Der Stand der biographischen Studien in Spanien . . . 304
II. Charakteristiken nnd Kritiken.
Alfred Oove, Rnnke's Verhältnis zur Biographie 1
Albert Sorel, Taine 103
III. Biographische Aufsätze.
Michael Bernaya, Rede auf Scheffel 68
Karl von Lützow, Anselm Fcucrhach sl
Friedrich Ratzel, Leonhard Kauwolf 90
G. F. Knapp, (ieorg Hanssen 96
Max Haushofer, Karl von Haushofer 101
Erich Mareks, Xarh den Bismarck tagen 1 ■ »<>
Hans Kraemer, Bismarck'« Schuljahre. Mit Bildniss 140
Georg Ebers, Chediw Isma il 151
Georg Jellinek, Adolf Kxner 222
Ernst Roth, Natanacl l'i inirslicini 227
Conrad Varrentrapp, Gneisenau 243
Adolf Fick, Karl Ludwin Narhrut 265
Robe rt Tigerstedt, Karl Ludwig. Denkrede 271
Malcher, Erzherzog Albrecht 279
Franz Muncker, Moritz Carriore 298
Hermann Helferich, Adolf Menzel. Mit Hildniss 362
lataf Redlich. Rudolf von (iueist 364
Cenrad Varrentrapp, Heinrich von Syhel 376
H. Holland, F. Bonn |v. Miris] 391
Julius Wiesner, .löset' Hohm :',i)s
Wilhelm Bolin, Georg von Gizvcki 406
Leon Kellner. Oliver Wendoll Holmes 113
IV. Selbstbekenntnisse und Denkwürdigkeiten.
Aus dem Leben armer Studenten 117
Rudolf Lehmann, Aus den Krinnerungen eines Künstlers. M. Bildniss 206. : 331
Aus dem Reisejournal eines sächsischen Landgeistlichen (mitgethoilt
von dessen Urenkel Erich Schmidt i 214
0. Frhr. v. Voelderndorff, Familiengeschichtliches 325
Eugen von Phlllppovich, Hin Auswandererbrief aus dem Jahre 1817 . 130
V. Urkunden und Briefe.
Seite
Joseph Schreyvogels Entwurf einer Wiener Hof- und Staatszeitunj:
(mit jrc t heilt von Karl (ilossy) 51
StammbuchblStter von Goethe, Lessing, Wieland 10-s
Vier Briefe Böckh's an A. v. Humboldt (mitjrethcilt von Alfred Dove).
Mit Bildnis* Ion
Ein Brief Grillparzers an Paul Heyse onitiretheilt von Max Kallin-k) IJ:i
Ein Besuch in Potsdam im Jahre 1809 (nach Wcssenln-rir mit<:etheilt von
Alfred Ritter von Arnethl 2(>1
Stadion über Gentz imit^etheilt von Auirust Fournier» 2<)G
Gustav Freytag als Ehrendoktor der berliner Universität (Adresse und
Antwort) 2.T>
Aus dem Briefwechsel von Hermann Orges onitgothcilt von Ottokar
Lorenz) .V-VJ
Briefe Leopold von Ranke's an Varnha?en von Ense und Rahel (mitire-
theilt von Theodor Wiedeinann) . . .• 4:?")
Fünf Briefe Ernst Moritz Arndt's iniit»etheilt von L. v. Renda) . . . 44 s
Karl Hillebrand üher da» Lesen als llildunirsmittrl (mit^etheilt von
Sigmund Schott) 4.V2
VI. Anzeigen.
Arneth's .Schinerlin-- 110
Münchener Klnstler-Nekrologe 120
Französische Memoiren 121/2
Laues -Ehrcnberg" 2"W
Schiller s Briefe (ed. Jonas) :"HV2
Rieh. M. Meyers's Jloothc- :^<5
Briefe von Carl Benedict Haase (cd. Heine) . . . .MO
Grillparzer-.Iahrliuch. V MM
Mollat, Redner der Paulskirche 460
Arn. E. Berger, Die K ulturaufjraben der Reformation. — Luther. . . 40:1
Mich. Bakunin's soeialpolitischer Briefwechsel (ed. Drajromanow) . . 4(15
A. Oncken, Francis (^uesnay 4<M
Schfiffle's .Cotta" 4b7
VII. Bibliographie, verzeichnet von V. Hantzsch und R. Beer . 12.'J. 2:5S. ;\]:\
VIII. Nekrologie, verzeichnet von Max Laue Hill
IX. MisceUen.
Joh. Jureczek, Die l>ortrHtsammlun<r der k. u. k. Familien-Fideikommiss-
Bihliothek I"»"»
Aus dem Stammbuch eines Biographen 12*. 211. iso
Digitized by Google
Namen -Yerzeichniss,
(In liegender Schrift erscheinen die Namen der Verfasser.)
Seite
Seite
all Ii 1
. 119. ,200
. . 54. 301
i * * r t
109. 128. 350
T > — 1* 1 I T~* J J
/'«Iii £ *
(»omperz. Theodor . . .
. . . 33
113. 241. 301
. . . 128
. 119. 405
1 ■ *- *
. 121. HM
. . . 180
130. 140
. . . 3<u
Holmes, Oliver W. . . .
. . . 413 •
T » II ■ i III • •
Burckhardt. (Im. st. Ilnnr.
. . . 121
■>•>»)
Kaiekreuth, St. (iraf von
. . . 121
•244
. . . 413
Ihn'*-, Alfred
1. 209. 300
. . . 95
. 122. 151
Fahrenberg, Christ, (Jottfr.
. . . 230
. . . 222
. . . 81
. . . 2l>0
Fiele. Adolf
. . . 205
. . . :139
. 205. 271
. . . 27»
Digitized by Google
Seite
Merimee 1*2*2
Meyer, Conr. Ferd 24*2
Meyer, Kich. M 350
Minor, Jakob 352
Miris, v 391
Moleschott 123
Muncker, Franz 298
Oncken, A 400
Orges, Hermann v 341
Pecht, Friedr 122
Petzet, Erich 467
Pliilippovich, Eng. v 430
l'ietseh, Ludwig 122
l'iglhein, Bruno 120
l'io Nono 330
l'ringsheiiu. Xatanacl 227
Ranke, Leop. von 1. 43")
Ratzel, Friedr 90
llauwolf, Leonhard 90
Redlieh. Josef 304
Kenan, Ernest 122
llodowe 109
Uoquette, Otto 122
Rosegger. Peter 5.1. 123
Roth. Ernst 227
Sauer, August 3(31
Schllffle, A 407
Scheffel. .1. V. v (58
Schiller 139. 352
Seite
Schmerling. A. Kitter v. ... 119
Schmidt. Christ. Gottl 214
Schmidt. Erich 214
Schönbach. Anton E 39
Schopenhauer 129
Schott. Sigm 452
Sehreyrogel. Jos 58
Seaiiles, Gabriel 122
Seidel, Heinr 123
Siemens, Sir William 212
Sord. Albert 163
SUulion. Graf 234
Stein. Ludwig 22
Steiner, Kilian v 109
Sybel, Heinr. v 370
Taine 122. 108
Tigerst edtf Robert 271
t'nger, Eduard 120
\arrentrapp, Conrad .... 213. 37G
Yoeldemdorff. Otto Frhr. r. . . 325. 400
Vahlberg Max Frhr. r .350
W'erncr, Rieh. M 114
}\'esseuberg, J. r 203
Wiedcmann, Th 435
Wieland 109
Wiemer. Julius 398
Windel band, W 33
Zetsche. Eduard 122
Zola. E 422
■i*>
Digitized by Google
Ranke's Verhältniss zur Biographie.
Von
ALFRED DOVE.
Erstreckt man den Namen Biographie in lässlicher Ausdehnung' auf
alles, was zur historischen Kunde des Einzellehens irgend beigetragen wird:
wo fände sich dann ein reicherer biographischer Schatz, als in den Werken
Ranke's? Ebendort aber erkennt man. neben vielfacher Abstufung im Zu-
sammenwirken biographischer und historischer Thätigkeit, auch deutlich den
tiefgreifenden Unterschied, der zwischen reiner, nur ihrer eigenen Bestimmung
geweihter Lebensbeschreibung und jeglicher Art von geschichtlich ange-
wandter Biographie besteht.
Was Ranke selbst, immerhin mit einseitiger Betonung, gelegentlich
ausspricht: „die Mannigfaltigkeit der Geschichte beruht in dem Hereinziehen
der biographischen Momente" — das gilt unbedingt wenigstens von seiner
eigenen Weise, Geschichte aufzufassen und zu schreiben. Unablässig be-
schäftigt sich sein Geist mit dem Allgemeinen, aber es entspringt ihm
niemals aus leblos abgezogenen Begriffen; er gewinnt es aus der klaren
Anschauung des menschlichen Gesammtlcbens selbst, worin ja zugleich das
persönliche Dasein, soweit es in äusserer Wirklichkeit fassbar erscheint,
enthalten ist. Gleich die erste Ahnung seines dauernden Berufs, die in
dem Vierundzwanzigjährigen aufblitzt, enthüllt den Charakter seiner ganzen
Historiographie: eine Universalität, die sich möglichst unmittelbar aus in-
dividuellen Elementen zusammensetzt. Im Zusammenhang der grossen
Geschichte will er Gott erkennen, die Mär der Weltgeschichte auffinden,
jenen Gang der Begebenheiten und Entwicklungen unseres Geschlechts,
der als ihr eigentlicher Inhalt, als ihre Mitte und ihr Wesen anzusehen sei
— wie aber gedenkt er dahin zu gelangen? Er möchte schwelgen in dem
Reichthum aller Jahrhunderte, all die Helden sehen von Aug1 zu Aug',
mitleben noch einmal, und gedrängter, lebendiger fast; alle Thaten und
Leiden dieses unendlich vielseitigen Geschöpfes, das wir selber sind, wünscht
er in ihrem Entstehen und in ihrer G estalt zu begreifen und festzuhalten,
lu solchem Sinne hat er dann sein erstes Buch verfasst, die Geschichten
Biographische Blatter. I. 1
Digitized by Google
2 Bioirraphisrho lililttor.
der romanischen und germanischen Völker. Eine univei*salhistorischc Idee,
die der geschichtlichen Einheit dieser Nationen, letrt er ihm zugrunde und
fuhrt sie einleuchtend durch. Allein die Schilderung überrascht uns ausser-
dem durch das lebhafte Zusammenspiel einer grossen Menge von Figuren,
die zwar kurz angebunden in Wort und That, jedoch immer eigenartig
auftreten. Auf manchen Leser mag dies Schauspiel geradezu verwirrend
wirken: man glaubt in ein Vivarium hineinzusehen, in welchem es hundert-
fach durcheinander wimmelt. Die biographischen Momente entbehren noch
der übersichtlichen Entfaltung: aber Aver solch einen Lobensbehältcr anzu-
legen versteht, sollte der nicht am Ende noch zum eigentlichen Biographen
werden ?
Eine Zeitlang schritt der junge Hanke wirklich in dieser Richtung
fort. Die erstaunliche Empfänglichkeit, die ihn besonders auszeichnet, äussert
sich auch in einer gewissen Anpassung seiner Kunst an die Form seiner
(Quellen. Mit Recht ist von jenem Erstlingswerke gesagt worden, er habe
darin, während er die (Jeschichtschreibung der Renaissancezeit wissenschaft-
lich aus dem Felde schlug, an naivem Reiz der Darstellung mit ihr ge-
wetteifert. W ieviel bedeutsamer noch traf ihn gleich darauf die Berührung
mit den (icsandtschaftsrelationen der Venetianer! Es sind, wie man weiss.
(Jcneralberichte der heimgekehrten Ambassadoren Uber die Summe der auf
ihrem diplomatischen Posten gemachten Wahrnehmungen. Ausser statistischen
Angaben und politischen Betrachtungen erscheinen darin auch psychologisch
feine Personalbeschreibungen der fremden Fürsten und Staatsmänner, bestimmt
zu weiteren Anschlägen für die Rechenkunst der klugen (Jeschäftslente von
San Marco. Auf solche Relationen gründete nun Ranke seine ..Fürsten
inid Völker von Südeuropa **, deren erster Theil Osmaneu und spanische
Monarchie behandelt. Schon der Titel des W erks verräth eine halbe
Wendung zu isoliHer Betrachtung der historischen Einzelgestalten. Und
so linden wir in der That neben erörternden Abschnitten über Verfassung,
Verwaltung, Wlrthschaft und öffentliche Zustände eine Reihe von eigens
umrahmten Charaktorgemälden der Sultane und W esire, Könige und Minister,
unter denen die Bildnisse der drei ersten spanischen Habsburger als Kabinet-
stücke berühmt geworden sind. In die volle Farbcngebung der Schule von
Venedig bringt die höhere historische Auffassung eine stilvolle Zeichnung
hinein. Jeder Biograph kann von diesen geistreichen Studien lenien: den
selbständigen Zweck persönlicher Lebensgesehichte verfolgen sie gleieh-
wohl nicht. Als geschichtliche Skizzen nach dem persönlichen Leben sollen
sie vielmehr im Verein mit den Ausführungen über die Lage der Provinzen.
Stände, Finanzen u. s. f. eine Sammlung von Ansichten des historisch
Merkwürdigen in beiden Reichen bilden. Ab und zu begegnen dabei wohl
auch woitergreifende biographische Reflexionen, wie z. B. angesichts der
unerwarteten individuellen Entwicklung Sultan Murads III. Eine Ausnahme
macht dagegen einzig die ..Digression über Don .Johann von Österreich";
Digitized by Googl
I tanke's Verhältnis* zur Bioirraphie.
allen Krnstcs ein Schritt vom Wege der Historie in den Bereich der echten,
unabhängigen Biographie. So kurz bliese Abschweifung ist, so leicht um-
rissen das Lebensbild erscheint: hier empfängt man wirklich den Kindruck
einer zentralen Versenkung des Autors in die verborgene Kinheit des
Subjekts, zu deren Darstellung er die Mittel ans der Krfahrnng der eigenen
Seele schöpft. Hier allein weht jenes innige biographische Mitgefühl, das
der Historiker als solcher, indem er uns die Menschen als Krschcinungen
der Aussenwelt anschaulich gegenüberstellt, seinen (i estalten zu widmen,
seinen Lesern für sie einzuflössen nicht in der Lage ist. Eben hier aber offen-
bart sich Hanke zugleich als geborener Historiker, der er ist und bleibt; denn
was hat ihn eigentlich dazu vermocht, von seiner geschichtlich objektiven
(Gewohnheit doch einmal abzuweichen? Nicht der Sieger von Lepanto er-
weckte seine rein menschliche Sympathie, sondern der ergreifende Umschwung
und Niedergang in Don Juans Schicksal: das historisch verfehlte Leben
stimmt ihn unwillkürlich biographisch. ..So aber ist diese W elt", ruft er am
Schlüsse wehmüthig ans; „sie reizt den Menschen, alle seine Fähigkeiten
zu entfalten, sie treibt in ihm alle Hoffnungen auf. Dann miissigt er sich
nicht: seine Kräfte fühlend, jagt er den stolzesten Kampfpreisen der Khre
oder des Besitzes nach. Sie aber gewahrt ihm nicht: sie sehliesst ihm ihre
Schranke zu und lässt ihn untergehen!"
Äusserlieh hat sich Hanke von dem Vorbilde venetianischer Bericht-
erstattung über Personen und Zustände alsbald wieder losgesagt; was er
ilim innerlich verdankte, die Technik in sich geschlossener Charakteristik,
bildete er seitdem durch beständige Übung im Dienste seiner (ieschicht-
schreibung aufs vollkommenste aus. In die erzählende Form historischer
Darstellung verwebt er nunmehr die biographischen Momente in entwickelter
(Gestalt. Die „serbische Revolution", in der sich vor unseren Augen ein
halb barbarisches Volk auf noch wenig individualisirter Höhe bewegt, bot
dazu geringe (ielegenheit: doch wird niemand, wenn er die paar Seiten
über Kara (!eorg gelesen hat, die Physiognomie dieses Nationalhelden, «lei-
den Vater, um ihn zu retten, erschiesst, so leicht vergessen, (ianz anders
steht es um die ..römischen Päpste", mit denen „Fürsten und Völker" zum herr-
lichsten Abschluss gelangten. Wie mancher deutsche Historiker hätte nicht statt
der Päpste lieber das Papstthum genannt und in der That beschrieben!
Bei Ranke fehlt es nicht etwa an universalhistorischem Schwung, im ( Jcgen-
theil: zu fast verwegenem Fluge reisst er uns über die weite Krde hin.
Dazwischen aber blicken wir ausruhend bis in die Kleinigkeiten einer mehr
oder minder apostolischen Hagestolzenwirthsehaft hinein. Denn bei ihm
löst auf der Felsspitze Petri ein Mensch leibhaftig den anderen ab; im
Reiz kontrastirenden Wechsels gefällt sich ein immer sich selbst gleiches
plastisches Vermögen. Schon beim Beginn seiner Vorstudien war der
Autor selber von dem Anblick dieser „merkwürdigsten (ialerie von Charak-
teren" betroffen. Aber ebenso frühzeitig wirft er die Bemerkung hin: .,es
r
Digitized by Google
4 Biographische Blätter.
sind einige erhabene Naturen unter ihnen; doch in ihrem Thun und Treiben
sind sie nicht frei, sondern von der Lage, in der sie sich befinden, völlig
bestimmt, von dem Beispiel der Früheren, das sie nicht verlassen dürfen,
abhängig**. Eine Ansicht, die dann im Buche selbst zuweilen kräftig vor-
getragen wird. ,,Ein Mann", heisst es von Paul III.. ,,voll von Talent
und (-Seist, durchdringender Klugheit, an höchster Stelle! Aber wie un-
bedeutend erscheint auch ein mächtiger Sterblicher der Weltgeschichte
gegenüber! In all seinem Dichten und Trachten ist er von der Spanne
Zeit, die er Übersicht, von ihren momentanen Bestrebungen, die sich ihm
als die ewigen aufdrängen, umfangen und beherrscht: dann fesseln ihn noch
besonders die persönlichen Verhältnisse an seine »Stelle, geben ihm vollauf
zu thun, erfüllen seine Tage zuweilen, es mag sein, mit Genugthuung, öfter
mit Missbehagen und Schmerz, reiben ihn auf. Indessen er umkommt,
vollziehen sich die ewigen Weltgeschicke.'* Bei derartigen sententiösen
Betrachtungen ist vieles eigentlich individuell gemeint; anderes bezieht sich
wenigstens direkt auf den besonderen Standort des römischen Stuhls unterm
festen Gewölbe tausendjähriger Überlieferung. Trotzdem erhellt daraus zur
Genüge, warum ein Ranke niemals den Antrieb empfand, die wirkliche
Biographie, nicht bloss eines Papstes, sondern Überhaupt eines ähnlich in
die grossen geschichtlichen Verhältnisse eingreifenden Menschen zu unter-
nehmen. „Wie unbedeutend erscheint auch ein mächtiger Sterblicher der
Weltgeschichte gegenüber!4* Dieser Satz gilt ihm schon damals ganz all-
gemein, und wir dürfen wohl gleich hier die Kolgerungen daraus in seinem
Sinne ziehen. Verliert sieh im öffentlichen Leben selbst das gewaltigste
individuelle Dasein, so dienen also die biographischen Momente nur vor-
übergehend, zur Speisung sozusagen, dem historischen Gesammtverlauf.
Dem Geschichtschreiber liegt daher ob, seine Figuren biographisch einzu-
führen, das Zustandekommen des Einzelcharakters unterm KinÜuss von Zeit
und Welt in der Entwieklungsperiodc des Privatlebens darzuthun: die
fertige Individualität überlädst er dem Strom der Geschichte, wo sie. wie
lebhaft sie auch ringen mag, verglichen mit der ungeheuren Übermacht des
Allgemeinen, dennoch mehr und mehr \ ei-schwindet. Man erkennt den
vollkommenen Gegensatz zur echt biographischen Leine Oarlyle's vom
lleroenkultus. Für Bänke wird gerade der Held am entschiedensten histo-
risch zu behandeln sein, weil der sich am tiefsten einlässt auf die objektive
Welt. Unzählige male hat er ihn später dargestellt, mit königlicher Geberde
zwar, aber doch nur eben als ersten Diener der thatsächlich herrschenden
„allgemeinen Interessen**. Biographie ist für Ranke Geschichte der Sub-
jektivität, hervorstechende Subjektivität im Öffentlichen Leben Eigensinn.
Höchst bezeichnend enthalten deshalb auch seine "Päpste eine ungemein an-
ziehende biographische „Digression" — über wen? Über Königin Christine
von Schweden!
Vollständig reimt sich damit, dass er gleichzeitig an einer Lebens-
Digitized by Google
Ranke's Verhältnis* zur Biographie.
beschreibung des Don Carlos gearbeitet hat. Was ihn dazu bewog, war
keineswegs Vorliebe für den zumtheil, wie er selbst gesteht, doch allzu
„pathologischen" »Stoff. Man darf nicht vergessen, dass er vor allen Dingen
Forscher war: und so kam es ihm nur darauf an, das gangbare falsche
Bild, auf neues Material gestützt, durch ein richtiges zu ersetzen. »Sofort
gab er eine kritische Abhandlung heraus, in welcher er den Wandel der
Auffassung in der bisherigen Tradition aus den hereinspielenden politischen
Gegensätzen begreiflich macht und sodann die wichtigsten Streitfragen scharf-
sinnig erörtert. Kin klassisches Muster für die Vorbereitung zur Biographie,
die ja wissenschaftlich keine andere Methode kennt, als die übrige Geschichte.
Die Darstellung selbst behielt er damals unvollendet im Pult, weil sie hie
und da noch weiterer urkundlicher Aufklärung bedurfte. Erst nach Jahr-
zehnten ist sie. ergänzt und zugleich entstellt, in seinen ..historisch-bio-
graphischen Studien" ans Licht getreten: ursprüngliche und spätere Partien
lassen sich jedoch noch überall mit Sicherheit unterscheiden. Der alte
Eingang enthält das halb verhüllte Geständniss, dass diese Ranke sche, tragisch
sentimentale Art von Biographie, die Beschreibung des verfehlten Lebens,
des verkehrten Eigenwillens unter Umständen geradezu die (beschichte
des schlechten Subjekts doch höchstens ein Nebenschössling der litte-
rarischen Gattung sei. ..Wie ein edler Mensch sich entwickelt", so hebt
er an, „wie der Keim des eingeborenen Antriebes sich zu einer grossartigen
Thätigkeit ausbildet: wie der Geist von schüchternen Anfängen aus immer
sicherer wird, bis er die Welt ungetäuscht in ihrer rechten (bestalt anschaut:
wie endlich die Seele, das Eine ergreifend, dem Anderen entsagend, zu
Harmonie und Schönheit gedeiht dies zu betrachten, ist gewiss ein er-
hebendes Geschäft und zugleich einer der grössten Genüsse. Ein solches'
Schauspiel wird uns hier nicht dargeboten. Das Leben des Principe Don
Carlos zeigt keinerlei Vollbringen, sondern nur Wollen, wenn wir es so
nennen dürfen, und Begehren: es verschafft sich keinerlei selbständigen Ein-
flussauf die Welt; es ist, sich in sich selbst verzehrend, aufgegangen. Und
leluTcich ist auch, wahrzunehmen, wie die rechte Entwicklung nicht vor sich
geht: wie die Thätigkeit hintertrieben, der Geist von Wahn betätigen wird."
Lehrreich? Man staunt, einen Ranke auf dem fahlen Pferde didaktischer
Gcschiohtschreibung zu ertappen; immer besser jedoch, als wenn er für einen
Carlos biographisches Mitgefühl erheuchelt hätte! Vierzig Jahr später be-
sann er sich auf eine würdigere Entschuldigung. Denn greisenhaft int Tone
fährt die gedruckte Bearbeitung fort: ..Dies psychologische Moment ist
nun aber bei Don Carlos mit einem anderen von grossem historischen
Interesse verbunden. An den Principe Don Carlos knüpften sich die Schick-
sale der spanischen Monarchie; die allgemeinen Konflikte, welche die Welt
bewegten, berührten den Kern seines Daseins; seine Entwicklung hätte
welthistorisch werden müssen, wäre sie eine glückliche gewesen." Es war
die Zeit, wo sielt Ranke wir kommen darauf zurück in seiner histo-
Digitized by
f» liioirraphische UIUUjm-.
rischen Cesinnung bis nahe zu antibiographischcr Stinimiin^r verhärtet hatte;
niemals aber ist er so weit gegangen wie hier, auch dein verfehlten ge-
schichtlichen Beruf statt des rein biographischen Interesses lieber ein po-
sitiv historisches anzudichten Ceschiehte war ihm doch sonst allemal
das Reich der Wirklichkeit. Die Darstellung selbst nun ist in den unver-
änderten Theilen von echt biographischem Wurf: von den Ehen der Ahnen
ausgehend, endet sie mit der Todtenklage. Mitteninne jedoch tauchen ge-
schichtliche Cbcrsiehten störend auf: darunter eine ..Digression (Iber die
kirchliche Politik Philipps II." der historische Einschub als Abschweifung
charakterisirt: ein Zugeständnis.« an die ursprüngliche Tendenz der Arbeit.
Die folgenden Hauptwerke Ranke s über deutsche, preussische. franzö-
sische und englische Ceschiehte lassen sich für unseren Zweck zu gemein-
samer Envägung zusammenfassen: denn das Verhältniss zwischen historischen
und biographischen Bestandteilen ist in ihnen im ganzen das gleiche, und
zwar gegen früher abermals etwas moditizirt. Die Päpste überragten in
einsamer Höhe einen unermesslichen Horizont: in dem engeren Umkreise
von Nation oder Staat erscheint kein ähnlich grosser ( Jegcnsatz: Frankreich
und sein Ludwig XIV.. Friedrich der Crosse und sein Preussen lassen sicli
niemals ganz, mitunter garnicht von einander scheiden. Ranke flicht des-
halb in diesen Huchem die individuellen Motive noch unlöslicher in das
Cewebe des geschichtlichen Canzen ein und verringert so wiederum ihren
selbständigen biographischen Eindruck. Die Komposition ist strenger, Ab-
schweifungen kommen nirgend vor: selbst die erste Einführung der Figuren
geht geräuschloser von statten. Was fordert so stark zu biographischer
Behandlung heraus, wie der religiöse (Jeniiis, der doch mehr als jeder
andere die Aussenwelt durch die Kraft seiner Innerlichkeit bewegt? Erst
mit den Evangelien ist Lebensgeschichte zu einer tiefen Strömung in der
allgemeinen Litteratur geworden. Ranke sagt fast entschuldigend: „Es ist
nothwendig. dass wir einen Augenblick bei den Jugendjahren Luthers
stehen bleiben". Noch in den Päpsten war er der Entwicklung Loyolas
ohne alle Einstände nachgegangen. Alsdann wird er freilich dem öffent-
lichen Bezeigen des Reformators völlig gerecht: so. wie er ihn gezeichnet,
haben wir ihn insgesamnit in der Wormser Abendstunde vor Augen. Noch
auf sein Ende wirft er einen kurzen biographischen Scheideblick: allerdings
vornehmlich, um die geschichtliche Lücke zu ermessen, die durch seinen
Tod gerissen ward durch sie hin nimmt das allgemeine Schicksal seinen
Lauf. Biographie klingt in Sehnsucht aus: Historie kehrt vom Crabe ge-
fasst und rüstig in die Welt zurück. ..Ein grosses Leben, einzig in der
(ieschichte. war geendet", ruft Ranke Friedrich dem Crossen nach: dann
führt er uns ans Paradebett und vergisst der Thräncn der Veteranen so
wenig, wie Carlvle. Allein Carlvlc fügt hinzu: ..Ich erkläre ihn mir als
den letzten der Könige, bis jetzt wann der nächste kommen wird, ist
eine sehr lauge Frage". Ranke macht uns alsbald mit den begründeten
Digitized by Google
I tanke's Verhältnis* zur ÜioLrraphie.
7
Forderungen einer über die fridericianischen Formen fortschreitenden
Zeit bekannt. „Ein Mann weniger war in der Welt", heisst es bei ihm
nach dem Ausgang Heinriclis IV.. ..der Mann, der den bürgerliehen Kriegen
der Franzosen ein Knde gemacht, die auseinander strebenden elementaren
Kräfte ihres Reiches zusammen^ efasst und. frei von dem Wahn und der
Gewaltsamkeit seiner letzten Vorfahren, der höchsten Macht ein Dasein
gegeben hatte, welches auf dem einfachsten G runde, dem Rechte der
Geburt, bernhend alle grossen Interessen der Nation in sich aufnahm
dieser Mann war plötzlich ans ihrer Mitte verschwunden. Mnsste man
nicht fürchten, dass der ganze Hau des Staates, den er aufgerichtet hatte,
mit ihm zusammenstürzen würde?" Schon der nächste Satz beruhigt den
Leser damit, dass gerade die französische Nation sich durch Geistesgegen-
wart über die Momente der schwersten Verwirrung hinwegzuhelfen pflege.
Jeder Mensch ist unersetzlich, klagt die Biographie; unentbehrlich keiner,
tröstet die Historie.
Man könnte fragen, ob es für den historischen Standpunkt dann über-
haupt noch Menschengrösse gebe; mit solchem Zweifel würden wir indessen
Ranke gröblich missverstehen. In der Geschichte ruhen die Todten früh
von ihrer Arbeit, aber sie lassen ihre Werke der Folgewelt zurück. Ks •
ist wahr: heroische Zeiten, in denen Einzelne für lange .Jahrhunderte Un-
wandelbares schufen — ..diese Zeiten", sagt Ranke, „wenn sie jemals
waren, sind längst vorüber". Noch eben hat er von Richelieu bezeugt:
..es war ein Mann, der das Gepräge seines Geistes dem .Jahrhundert auf
die Stirn drückte". Wir wenden das Blatt und vernehmen, dass bereits „in
den letzten Lebensmonaten dieses Mannes alles eine starke Reaktion vor-
aussehen Hess". Allein getrost! Das jüngere Geschlecht vermag von der
Hinterlassenschaft des alteren doch allezeit nur das Beschränkte. Zufällige
hinwegzuräumen. Die wesentliche Leistung bedeutender Menschen, eben
das. wodurch sie „die allgemeinen Interessen, in deren Mitte sie erschienen
sind, gefördert haben", lebt unsterblich in der Nachwelt fort: dadurch
bleiben sie unvergesslich. wie Elisabeth, darum heissen sie. wie König
Alfred, mit Recht die Grossen. Ein rein ethischer Massstab wird bei
solcher historisch individuellen Schätzung natürlich nicht angelegt. ..Der
Historie kann es nicht allein darauf ankommen, nur immer nachzuweisen,
wie weit die grossen Persönlichkeiten die Ideale, die dem menschlichen
Leben vorschweben, erreicht haben, (»der davon entfernt geblieben sind.
Fast noch mehr liegt ihr daran, ob ihre ursprüngliche Kraft den Elementen,
die sich ihr entgegensetzten, gewachsen war. oder nicht, sich von ihnen
besiegen Hess, oder nicht". Einem Ludwig XL ..fehlte es an höheren sitt-
lichen Eigenschaften", aber „ohne alle eigene, persönliche Grösse hat er ein
Königreich gross gemacht". Der Biograph darf seine eindringende Theil-
nahme der Seele des vollendeten Schurken schwerlich weihen; Maeaulay's
Essay Über Barere wird verzeihlich allein durch die kritische Absicht, eine
Digitized by Google
s
-
Biographische Blttttor.
thörichte Rettung schlafend zu widerlegen. Der Historiker muss seine
Sonne scheinen lassen über Gute und "Böse: Cesare Borgia, „der Virtuos
des Verbrechens", und „das Ideal von Güte und innerem Adel*, das in
Pius VII. lobte, finden bei ihm den gleichen Raum, sich auszuwirken.
Allerdings soll der Geschichtschreiber die wahre Natur des einen wie des
anderen dem Leser nicht verhehlen; und bekanntlich zeiht man Rankes
ethisches Urtheil oft genug, nicht sowohl parteiischer Unbilligkeit im
einzelnen, als im ganzen übertriebener Milde. Pessimisten konnten ihren
Unwillen darüber wohl mit der Erwägung beschwichtigen, dass dein kritischen
(^uellenforseher, wenn er die Menschen verständiger und besser findet, als
ihren Ruf, die nämlichen Menschen als Verleumder und Leichtgläubige
um genau so viel alberner und schlechter vorkommen müssen, als zuvor —
der mittlere Unwerth der Menschheit bleibt derselbe. Allein woher stammt
doch im Grunde die unleugbar weitgehende Gutmüthigkeit der Ranke schen
Historie? Sie ist die Verallgemeinerung einer biographischen Tugend.
Man hat den Glückwunsch bisweilen ironisch ausgelegt, den Mommsen einst
dem Neunziger zum Geburtstag darbrachte: „Wie man den besten Porträt-
malern nachrühmt, dass sie die Menschen der Wahrheit gemäss darstellen
und doch liebenswürdig erscheinen lassen, so haben auch Sie es verstanden,
die Menschen darzustellen, vielleicht nicht immer wie sie waren, sondern
wie sie hätten sein können. Ihnen darin nachzuahmen, ist vielleicht noch
schwerer, als auf jedem anderen Gebiete, darin übertreffen Sie uns alle
ohne Zweifel*. Aber Mommsen bringt in vollem Ernst dies ..seltene
Talent, an jedem Menschen das Beste zu linden und das herauszufinden,
was ihn liebenswürdig macht", mit „einer der hervorragendsten, schönsten
Eigenschaften" Ranke s in Verbindung: mit „dem lebendigen, tiefen Sich-
versenken in das Individuuni". Was im Einzelfalle den Biographen zu
der ebenso natürlichen, wie gewöhnlichen Uebersehätzung seines Helden
führt, davon macht Ranke historisch universellen Gebrauch. Alle einzelnen
Rechenfehler ausgleichend, übersehätzt er bei eingehendem Studium einfach
jeden Menschen in demselben Mass. Seine berühmte historische Milde ist
die Gemütsverfassung einer Allerweltebiographie.
überhaupt, sowie man nur wieder einmal von dein strengen Begriff
der reinen Biographie absieht und die Erkundung des besonderen Lebens
in ihrer Anwendung auf die Erkenntniss des allgemeinen ins Auge fasst,
so bewundert man immer von neuem die individualisirende Kraft der
Rankeschen Geschichtschreibung. Mitten im Fluss der Begebenheiten
behaupten seine Gestalten, gross und klein, ihre volle Eigenart. Er liebt
keine Parallelen und vergleicht meist nur, um den Unterschied erst recht
herauszukehren. „Man schwächt fast den Eindruck", rügt er, „den diese
in engen und schwierigen Anfängen bedeutende Persönlichkeit macht, wenn
man sie mit glänzenden Namen des Alterthums zusammenstellt. Ein jeder
ist, was er ist, an seiner Stelle". Da begegnen ferner keine soziologischen
Digitized by Google
Ranke s Verhältnis.« zur Biographie.
9
Typen und Klassenschemata, wodurch die Charakterkopfe der Geschichte
bei Neueren so häutig in Gesichter eines Modejournals verwandelt werden;
noch sehen wir uns durch die ermüdende Wiederkehr epischer Beiwörter
auf vermeinte dynastische Erblichkeit oder traditionelle Fortpflanzung der
Gesinnung hingewiesen. Höchst selten, dann aber wirksam, wird auf den
einzelnen persönlichen Akt in der Schilderung* seiner ganz speziellen Natur
beiläufig eine generelle Bestimmung übertragen, wie bei Katharina von
Medici gegenüber Coligny: „sie war eine Italienerin, sie hatte noch nicht
mit ihm abgerechnet". Das schlagende Epigramm: „10s erinnert an Goethes
Charaktere, wie Karl II. das Leben nahm und genoss", dient doch nur zur
Einleitung, nicht zum Ersatz einer reizenden Ausmalung des Wandels, dem
.«ich der restaurirte Stuart mit den Seinen ergab. „Das ist der Charakter
dieser Epoche überhaupt", sagt Ranke in seiner preussischen Geschichte
von der Zeit vorm Ausbruch des dreißigjährigen Krieges: „die grossen
Gegensätze streben einander entgegen, aber sie treffen noch nicht unmittel-
bar auf einander; sie sprechen sich in allgemeinen Verbindungen aus. bei
denen religiöse, politische und dynastische Verhältnisse einander durch-
dringen". Das klingt abstrakt genug; aber sofort bittet der Gesehieht-
schreiber um die Erlaubniss, dem Leser ein Dokument vorzulegen, das nicht
gerade zu denen gehöre, ans welchen man historische Belehrung zu schöpfen
gewohnt sei. Es ist das Stammbuch eines brandenburgischen Prinzen jener
Tage. Da erscheint nun diejenige allgemeine Verbindung, zu welcher das
Haus Brandenburg hielt, in konkretester Anschaulichkeit. Die Personen
der Einzeichner, über den ganzen Nordwesten von Europa verbreitet,
werden uns einzeln vorgestellt, die Beziehungen der gewählten Sprüche zu
ihrem Schicksal, ihrer Bildung und Sinnesalt dargethan. zum Schluss der
gemeinsame Grundzug hervorgehoben, der dies echt biographische Allerlei
zum historischen Ganzen macht. Und das alles mit einer leichten und
schlichten Anmuth, als verstünde es sich ganz von selbst.
Noch mitten in frischer Übung dieses durchgebildeten Talents ergriff
Ranke von neuem ein entschieden biographisches Problem, weit wichtiger,
schwieriger, beliebter, umstrittener, als Don Carlos: die Katastrophe
Wallensteins. Auch diesmal beseelte ihn vor allem der wissenschaftliche
Trieb, die Wahrheit endlich an den Tag zu bringen; daneben zog ihn je-
doch auch „die ausserordentlichste Gestalt inmitten einer weitausgreifenden
Bewegung" als solche an. Aber welche Form sollte er für die Darstellung
wählen? Wallenstein gehört zu den ausgesprochen subjektiven Naturen, wie
sie ihn ehedem zu biographischer Behandlung angereizt; aber derselbe Mann
hat zugleich aufs gewaltigste positiv in die allgemeinen Weltgeschicke ein-
gegriffen und erschien dem Historiker Ranke auf seiner Höhe darum ge-
schichtlich noch ungleich interessanter. Ranke entschloss sich daher zu
einer „Geschichte Wallensteins", die er im Vorwort zugleich für eine ..er-
weiterte Biographie" ausgiebt. An dieser Stelle Hess er sich überdies
Digitized by Google
10
HioLTHphisrh«' Blatter.
theoretisch folgendermassen aus: „Wenn Plutarch einmal in Erinnerung
bringt, dass er nicht ( ieschichte schreibe, sondern Piographie, so berührt er
damit eine der vornehmsten Schwierigkeiten der allgemein historischen so-
wohl, wie der biographischen Darstellung. Indem eine lebendige Persön-
lichkeit dargestellt werden soll, darf man die Bedingungen nicht vergessen,
unter denen sie auftritt und wirksam ist. Indem man den grossen (iang
der welthistorischen Begebenheiten schildert, wird man immer auch der
Persönlichkeiten eingedenk sein müssen, von denen sie ihren Impuls empfangen.
Wieviel gewaltiger, tiefer, unifassender ist das allgemeine Leben, das die
Jahrhunderte in ununterbrochener Strömung erfüllt, als das persönliche,
dem nur eine Spanne Zeit gegönnt ist, das nur dazusein scheint, um zu
beginnen, nicht um zu vollenden! Die Entschlüsse der Menschen gehen
von den Möglichkeiten aus, welche die allgemeinen Zustände darbieten: be-
deutende Erfolge werden nur unter Mitwirkung der homogenen Weltelemente
erzielt; ein jeder erscheint beinahe nur als eine (ieburt seiner Zeit, als der
Ausdruck einer auch ausser ihm vorhandenen allgemeinen Tendenz. Aber
von der anderen Seite gehören die Persönlichkeiten doch auch wieder einer
moralischen Weltordnung an. in der sie ganz ihr eigen sind; sie haben ein
selbständiges Leben von originaler Kraft. Indem sie, wie man zu sagen
liebt, ihre Zeit repräsentiren. greifen sie doch wieder durch eingeborenen
inneren Antrieb bestimmend in dieselbe ein. So bin ich." heisst es s<»-
dann nach einem Bericht Uber den Gang seiner Forschung, „auf den Ver-
such einer Biographie geführt worden, die zugleich (ieseliichte ist: eins
geht mit dem anderen Hand in Hand. Nur in fortwährender Thcilnahme au
den allgemeinen Angelegenheiten kann der Mann reifen, der eine Stelle in,
dem Andenken der Nachwelt verdient. In Zeiten gewaltsamer Erschütterung,
in denen die Persönlichkeit am meisten ihr eingeborenes Wesen entwickeln
und die Thutkraft sich ihre Zwecke setzen kann, verändern sich auch die
Zustände am raschesten: jeder Wechsel derselben beherrscht die Welt oder
scheint sie zu beherrschen: jede Stufe der Weltentwicklung bietet dem
unternehmenden ( iciste neue Aufgaben und neue ( iesiehtspunkte dar: man
wird das Allgemeine und das Besondere gleichmässig vor Augen behalten
müssen, um das eine und das andere zu begreifen: die Wirkung, welche
ausgeübt, die Bückwirkung, welche erfahren wird. Die Begebenheiten ent-
wickeln sich in dem Zusammentreffen der individuellen Kraft mit dem ob-
jektiven Weltverhältniss; die Erfolge sind das Mass ihrer Macht."
Man wird sich dem Tiefsinn dieser bedächtig abgewogenen Wahrheiten
nicht verschliessen: allein es könnte noch lange so fortgehen, ohne dass
man etwas anderes vernähme, als den in seiner Freiheit unanfechtbaren
Entschluss des Historikers, die (ieseliichte Wallensteins zu schreiben und
nicht dessen Leben. Denn wenn es sich um weiter nichts handeln soll, als
um die stete Wechselwirkung des allgemeinen Lebens mit dem besonderen,
woraus für Historie wie Biographie die Notwendigkeit einer gegenseitigen
Digitized by Google
Iiank»> 's Verhältnis.« zur Hioirniphio.
11
Handreichung in Wissenschaft und Knust entspringt, so tritt diese Er-
selieinung ja in der ganzen Gosehiehtsehreibung Hauke s genau in der hier
theoretisch geschilderten Weise praktisch (Iberall zutage. Die „zur Ge-
M-Iiiehte erweiterte Biographie" einer historisch bedeutenden Persönlichkeit
bildet danach im wesentlichen einen blossen Ausschnitt aus der grossen
Historie. Wie man etwa aus einem modernen Kongressbilde einzelne Haupt-
tiiriiren aussehneiden könnte, um sie durch ein geringfügige* äusseres
Arrangement Abtönung der Fläehenränder. passende Umrahmung u. dgl.
in ebensoviele „historische Porträts" zu verwandeln (die denn freilich
den Namen eigentlicher Bildnisse sicherlich nicht verdienten): so Hessen
sich auch aus einzelnen Huchem der umfassenden Gesehiehtswerkc Ranke s
mit leichter Mühe besondere Geschichten der Fürsten und Staatsmänner von
Frankreich, Kurland, Brandenburg- Preussen u.'s. w. herrichten, die von
der Fassung und Haltung der Hanke'sohen Geschichte Wallensteins geistig
nicht verschieden Mären. Und umgekehrt würde es wiederum lediglich
äusserer Kunstgrifte bedürfen, um diesen Wallenstein, wie er bei Hanke
leibt und lebt, in eine Geschichte des dreissigjährigen Kriegs von der Hand
desselben Autors einzufügen. Worauf es aber für die reine Biographie
zuoberst ankommt, das hat unser Historiker in .jener Vorrede nur leise ge-
streift mit dem Hinweis auf eine moralische Weltordnung, in der die Per-
sönlichkeiten ganz ihr eigen sind, auf ein selbständiges Leben, das sie
haben, von originaler Kraft. Dies Leben rückt der echte Biograph nicht
bloss äusserlich in den Mittelpunkt einer historisch ausgedehnten Welt, er
ordnet ihm vielmehr diese ganze Aussen weit als inneres Krlebniss ein und
nntcr. Kr erreicht damit allerdings nur eine subjektive Wahrheit; allein
diese giebt der objektiven Wahrheit der Geschichte an Notwendigkeit und
s»mit an Wirklichkeit ebenso wenig nach, wie die Thatsacbe des Sonnen-
anf- und -Untergangs für unser Auge im geringsten durch die Anerkennung ver-
kümmert wird, welche unsere wissenschaftliche Einsicht dein kopernikanischen
Weltsysteme zollt. Ks wäre lächerlich. Hauke s Geschichte Walleusteins zu
tadeln, weil sie ein solches Werk der reinen Biographie nicht ist. „Ich
denke", sagt er ein andermal mit vollem Hecht, ..auch ein historisches Werk
darf seine innere Hegel aus der Absicht des Verfassers und der Natur der
Aufgabe entnehmen." Die Natur der Aufgabe ward in diesem Falle durch
seine eigene Natur bestimmt: er konnte und wollte dies Leben nicht anders,
als historisch beschreiben. Die deutsche Nation hat das Buch als ein will-
kommenes Geschenk begrüsst. von .lahr zu .Jahr wird es mit gleicher Dank-
barkeit gelesen: ohne Schillers Wallenstein würde jedermann schlechthin
den Hanke schen im Gcdüehtniss gegenwärtig haben. Denn ..so ist es nun
einmal mit historischem Hornau und Schauspiel", klagt Hauke in seiner Ab-
handlung über Don Carlos. ..Die Leser wissen wohl, dass man sich nicht
verpflichtet, ihnen die Wahrheit zu berichten. Abel- von der eigentlichen
Historie gewöhnlich ohne Anschauung, ohne die Illusion des theilnelnnenden
Digitized by Google
12
Biographische Blötter.
Gefühls zurückgelassen, ergreifen sie mit Begierde den Kindnick, den ihnen
Roman und Schauspiel machen, und an die Namen, die ihnen die erste ge-
geben, knüpfen sie unwiderruflich die falsche Vorstellung der letzteren".
Und so reich und klar auch immer die Anschauung ist, die uns der Ranke sehe
Wallenstein gewährt, die Illusion theilnehmenden Gefühls wird er schwer-
lich einem aufmerksamen Leser bereiten. Oder besser gesagt : das Herz des
Verfassern ist auch hier bei den „allgemeinen 1'ntcresseir der deutschen
Nation. Ks ist merkwürdig, dass er seinen Helden gerade dadurch objektiv
überschätzt, während er der verschlagenen Selbstsucht, der unergründlichen
Subjektivität des Friedländers in seiner Darstellung nicht ganz gerecht
wird. Ranke nimmt die gemeinnützige Seite in Wallensteins toleranter
Friedenspolitik aus historischer Sympathie zu ernst; die neuere Forschung
hat unzweifelhaft erwiesen, dass dieser weltgeschichtliche Abenteurer ein
grösserer Kgoist und als solcher zugleich ein schlimmerer Verräther ge-
wesen. Kin Mangel an biographischer Anemphndung ist hier dem be-
trachteten Subjekt historisch zugute gekommen.
Indem wir von einem Mangel an Anempfindung reden, berühren wir
einen der tiefsten Gründe für die Abneigung unseres Meisters gegen reine
Biographie. Ranke verhält sich aus wissenschaftlicher Behutsamkeit skeptisch
gegen ihre ideale Forderung. Man weiss, dass er für seine ganze Ge-
schichtschreibung den Grundsatz ausgesprochen, dass „deutlich wiederzuer-
kennen doch allein derjenige Theil des Lebens sei. der in Schritten aufbe-
wahrt worden'1; er schöpft daraus die Lehre, „bei dem stehen zu bleiben,
was wörtlich überliefert ist, oder was sich daraus mit einer gewissen Sicher-
heit entwickeln lässt." Was enthalten nun aber unsere schriftlichen Quellen,
das uns Aufschluss geben könnte über die innerste Natur des Individuums?
„Wie die lebenden Mensehen einander berühren, ohne einander gerade zu
verstehen, oder auch verstehen zu wollen, so erscheinen die vergangenen
Geschlechter in den Archiven, die gleichsam ein Niederschlag des Lebens
sind." Zumal der Staatsmann fährt auf solche Weise in der Überlieferung
schlecht; „denn die Elemente des öffentlichen Lebens sind so mannigfaltig
und für einen jeden so gewichtig, dass sie in der Regel eine bei weitem
grössere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als die darin thätigen Persönlich-
keiten, es wäre denn, dass man für deren Mängel ein scharfes Auge hat."
„Zeitgenossen", heisst es ein andermal, „pflegen einander doch nur äusserlich
zu kennen. Die wirksamen Männer folgen allezeit ihren eigenen Impulsen
und suchen dieselben, soviel möglich, zur Geltung zu bringen. Von den
inneren Antrieben anderer, besonders derer, mit denen man in Gegensatz
geräth, bildet man sich gewöhnlich nur einen sehr oberflächlichen Begriff.
Und die Miss Verständnisse, die hieraus entstehen, hören nicht mit dem Leben
auf; sie gestalten sich vielmehr nicht selten zu einer Tradition, welche in
die historische Auffassung eindringt und dieselbe solange beherrscht, bis der
Forscher auf Dokumente stösst, welche ihm in dem Gewirre der einander
Digitized by Google
Rankes Verhältnis* zur Biographie.
13
widersprechenden Überlieferungen ein sicheres Urtheil an die Hand geben."
Welches sind nun diese Dokumente? Memoiren natürlich nicht. In ihnen
..walten die Erinnerungen des Autors vor. und es ist ihres Amtes, die per-
sönlichen Verhältnisse zu erläutern. Der Gesehichtschreibcr muss dagegen
auf seiner Hut sein, sich von diesen Erinnerungen fortreissen zu lassen.
Denn in dem Persönlichen liegt es. dass es häufig nicht einmal verilizirt
werden kann : der Eindruck, den der Handelnde von Freunden oder Gegnern
erfuhr, ist dabei immer im Spiele; selbst wenn man beide Parteien hört,
wird es nur selten möglich, ein Urtheil zu fällen. Auch ist das nicht der
Beruf des Gesehichtschreibers. Kür die Muse der Geschichte, wenn ich sie
recht kenne, giebt es Dinge, welche sie unbekümmert auf sich beruhen lassen
kann. Die Memoiren haben ihre besondere Stellung in der Litteratur; von
den Zufälligkeiten des persönlichen Lebens, das sie mittheilen, kann der
Geschiehtschreiber abstrahiren: sein Augenmerk ist vor allem auf die all-
gemeinen Angelegenheiten gelichtet." Der Geschichtschreiber und immer wieder
der (Teschichtschreiber um so dringender fragen wir nach wahrhaft zuver-
lässigen biographischen Dokumenten. Wir werden alsbald einen Fall er-
wähnen, in welchem Ranke solche als vorhanden anerkannt und verwerthet
hat. „Es sind nicht diplomatische Aktenstücke", sagt er von ihnen, „welche
mit allseitiger Umsicht erwogen werden; es sind Briefe, d. h. momentane
Ergüsse der Stimmungen und der Anschauungen, wie sie einem Freunde
gegenüber aus vollem Herzen hervorquollen." Aber selbst da glaubt er
vorsichtig hinzusetzen zu müssen: r nicht jede Äusserung würde man als
definitives Urtheil betrachten dürfen; man darf das Wort sozusagen nicht
allezeit beim Worte nehmen." Und nun gar einer so doppelzüngigen, hinter-
haltigen Seele wie Wallenstein gegenüber, welch ein Eiertanz der Kritik!
«Wenn man die Intentionen eines bedeutenden Mannes, die nicht aufge-
schrieben worden, und wenn sie es würden, vielleicht auch dann nicht un-
bedingt angenommen werden dürften, aus seinen Äusserungen, seinen Präce-
denzen und seiner Lage abnehmen darf — denn etwas Hypothetisches bleibt
in dem Dunkel menschlicher Antriebe und Ziele immer übrig — so wage
ich dies als die vornehmste Absicht Wallensteins zu bezeichnen." Man be-
greift, warum sich ein Ranke an die Muse der Geschichte hielt; an eine
eigene Muse der Biographie hat er nicht geglaubt, aber er kannte andere,
denen er zutraute, woran die seine verzweifelte. Wie er von Goethe rühmt:
„die Tiefen der menschlichen Natur erschlossen sich der unmittelbaren An-
schauung eines grossen Poeten", so noch eingehender von Shakespeare:
„Er belebt die Handlung mit Beweggründen, welche die Geschichte nicht
linden würde oder annehmen dürfte; die Charaktere, die sich in der Über-
lieferung nahe stehen und in der Wirklichkeit wahrscheinlich nahe standen,
treten bei ihm auseinander, ein jeder in seinem besonders ausgebildeten, in
sich homogenen Dasein; natürliche menschliche Momente, die sonst nur in
dem Privatleben erscheinen, durchbrechen die politische Handlung und ge-
Digitized by Google
14
Jtiojrraphist'ho H lütter.
langen dadurch zu verdoppelter poetischer Wirksamkeit. Shakespeare ist
eine geistige Naturkraft, die den Seideier wegnimmt, durch welelien das
Innere der Handlung und ihre Motive dem gewöhnlichen Auge verborgen
werden. Seine Werke bieten eine Erweiterung des menschlichen Gesiehts-
kreises Uber das geheimnissvolle Wesen der Dinge und der menschlichen
Seele dar." Hanke selbst hielt sich scheu zurück von dem ..geheimniss-
vollen und unbewussteu Dasein, auf dessen (i runde die historischen Er-
scheinungen beruhen": das strenge Gelübde seiner kritischen, auf die schrift-
liehe Offenbarung eingesehworenen Wissenschalt verbot ihm. jenen Schleier
überm Inneren der ITandluiitr und ihren Motiven mit dichterischer Ahnung
zu lüften.
Ks waren Zufälle, die ihm Gelegenheit zu weiterer biographischer
Thätigkeit geboten haben, und zwar in einer neuen Holle: als Herausgeber.
Mit der grössten Freude widmete er sich diesem Geschäft bei den Briefen
Friedrich Wilhelms IV. an Bunseu. Eben dies sind die Briefe, deren wir
bereits oben gedachten. Mit Hecht meint Hanke, es werde kaum andere
geben, welche unumwundener und beweglicher den innersten Gedanken aus-
drückten: allenthalben tindet er darin den Geist und die Gesinnung des
Königs und zugleich die Eindrücke des Momentes ausgeprägt. Wie dies
Lob, so trägt denn auch der umfassende historische Kommentar, durch den
er sie zu einem Ganzen verknüpft, den entschiedensten biographischen
Charakter. Hier kam alles zusammen, um den grossen Historiker wider
Willen zum liebevollen Lebensbeschreiber zu macheu; wider Willen, denn
er dachte damit vielmehr eine unparteiische geschichtliche Würdigung seines
Helden zu begründen, was ihm nicht gelungen ist. Friedrieh Wilhelms
Dasein war abermals eine jener subjektiven Existenzen wider den historischen
Strich, mit denen er es schon mehr als einmal biographisch zu thun gehabt.
Aber Hanke war zugleich der bewundernde persönliche Freund dieses
Königs gewesen, in dieser Seele las er mit innerer Übung. So hat er ihn
denn aus voller Überzeugung in seinem Eigenwesen und Eigenwillen gegen
die objektiven Milchte der Zeit in Schutz genommen und damit das am
wenigsten klassische, aber das persönlich am wärmsten empfundene seiner
Werke geschaffen. Diesmal ist selbst der übliche historische Schlusssatz —
..denn nur einen Moment in der Geschichte bildet ein einzelnes Leben"
aus biographisch betrübter Stimmung geflossen; Hanke beklagt dadurch, dass
es Friedrich Wilhelm nicht beschieden war. seiner vermeinten Absicht ge-
mäss noch selbst mit Österreich über Deutschland abzurechnen. Vier .fahr
später entledigte er sich mit ganz entgegengesetztem Gefühl des Auftrags,
die Denkwürdigkeiten des Fürsten Hardenberg zu veröffentlichen. .Bei
diesem Anlass sprach er jene historisch abweisenden Worte über den
Charakter aller Memoiren aus. Persönlich vermochte er sich für Harden-
berg erklärlicherweise nicht zu begeistern, desto höher schlug er seine ge-
schichtliche Leistung für Preusscn an. Nur in solcher Hinsicht stellt er
Digitized by Googl
H.inko's \>rh!tltniss zur Htoirraphi«'.
15
in über Stein: ..Wenn in den Alliren der Nachwelt Stein als der grössere
«'ivheint. so rührt das daher, dass er sich weniger auf den gewohnten
Hahnen beweirte und einen monilisehen Schwuntr besass. welcher Khrfurcht
«•weckte: es war etwas in ihm, was den grossen Mann cliarakterisirt
von Hardenberg lässt sich das nicht sagen." So entsc bloss sich denn Hauke
in einer wunderlichen Komposition. Kr gesellte den Memoiren vier Bücher
fL'ener Darstellung zu. deren erstes die ebenso iredieirene. wie kühle Bio-
graphie des jungen Hardenberg bis zu seinem Kintritt in den preussischen
Dienst enthalt, wahrend die folgenden sich mit einer Geschichte der
\m-u>sischen Politik im napoleonischen Zeitalter belassen, wobei nur noch
wenii.' Rücksicht auf Hardenbergs Person genommen und schliesslich langt;
v«'nn Knde seiner staatsniännisehen Laufbahn an einem weltgeschichtlichen
Wendepunkt Halt gemacht wird. Zur Kutschuldig-ung dient die Betrachtung:
.Was man in Biographien der (belehrten bemerkt, dass hauptsächlich die
Z*it ihrer Bildung Theilnahme für ihre Person enveckt und ihr Sein und
Uesen später nur in der Wirksamkeit hervortritt, die sie in ihrem Fache
entwickeln, sodass die Lebensireschichte eines (ielehrten die (ieschichte
seiner Wissenschaft werden muss. das ist auch und zwar in noch höherem
(trade bei den Staatsmännern der Fall." Ks ist die alte historisch-unbio-
irraphische Ansicht, der wir schon so oft begegnet sind. Was soll man
aber dazu sajren, wenn am Kingang' des zweiten Buchs die Abkehr von den
„biographischen Momenten" mit Worten gerechtfertigt wird, die den Helden
menschlich geradezu vernichten? ..Was läge an sich so Grosses an Harden-
berg-? Kr ist nur dadurch einer historischen Darstellung würdig, dass er
um die Befestigung" und Wiederherstellung" der preussischen Selbständigkeit
das grösste Verdienst hat"? Die unbiographisehe Stimmung ist in eine
antibiographische übergegangen. Zur selben Zeit geschah es, dass Ranke
für die Sammlung seiner Werke einen Band ..historisch-biographischer
Studien^ zusammenstellte, in welchem er mit der ergänzten («estalt seines
Carlos drei andere Arbeiten, über Cardinal Consalvi und seine Staatsver-
waltung, Savonarola und die tiorentinisehe Republik, Filippo Strozzi und
Cosimo Mediei. vereinigte. „Als eigentliche Biographien'*, schreibt er selbst,
diesen Titel ablehnend, an seinen Verleger, ..können die darin enthaltenen
Aufsätze nicht betrachtet werden: ich würde damit die Rücksicht verletzen,
die ich dem gelehrten Publikum schuldig bin". Die Vorrede wiederholt in
etwas anderen, aber schwächereu Wendungen den ( irnndgedanken über die
Notwendigkeit, mit der Biographie die Historie zu verbinden, aus dem
Vorwort zum Wallenstein. An dessen Manier erinnern denn auch die auf
älteren Studien beruhenden Stücke italienischen Inhalts; es sind persönlich
bemessene Ausschnitte aus der allgemeinen (ieschichte von Neurom und
Altflorenz, an sich höchst werthvoll, doch für unseren Gegenstand ohne
tiefere Bedeutung.
Mittlerweile hatte er der Sache der Biographie Überhaupt durch mächtige
Digitized by Google
IG
Bioprraphische Blätter.
Anregung längst den denkbar grössten Vorschub geleistet. Der durch König-
Max auf seinen Rath gestifteten Münchener historischen Kommission nannte
er als vornehmste Aufgaben für ihre Thätigkeit: allgemeine Jahrbücher
deutscher Geschichte und die Geschichte der Wissenschaften in Deutsch-
land. „Die beiden vorgeschlagenen Arbeiten umfassen den Staat und die
Wissenschaft; wäre aber nicht auch für die Persönlichkeiten, die in den-
selben wirksam gewesen sind, eine besondere Berücksichtigung nützlich oder
noth wendig? Ich schlage jedoch erst an dritter Stelle eine allgemeine Lebens-
beschreibung der namhaften Deutschen vor, ein Werk, vielleicht in lexikalischer
Form, welches in einer beschränkten Anzahl von Bänden sichere und partei-
lose Auskunft über alle der Erwähnung würdige Namen darböte." In diesem
echt Ranke'schen Sinne ist das gemeinschaftliehe Riesenwerk der ..Allge-
meinen Deutschen Biographie" entstanden: Biographie erscheint darin als
Hülfswissensehaft der allgemeinen Geschichte nach ihren beiden Seiten, der
politischen nnd der geistigen. Dass mau in den weiten Hallen dieses ge-
waltigen Gebäudes hie und da auch auf litterarische Leistungen stösst, die
durch Forschung und Kunst, in Anlage und Bedeutung dem Ideal selb-
ständiger Lebensschilderung im kleinen nahe kommen, lag eigentlich nicht
im Plan des historischen Meisters. Kr selbst war beim Anblick der An-
fänge betroffen, wieviel gründlicher und lehrreicher die litterargeschiehtlichen
Gestalten behandelt seien, als die des öffentlichen Lebens, was ihn bei seiner
eigenen Einsicht in die Schwierigkeit politischer Biographie doch kaum be-
fremden konnte. Audi er trug, wiewohl nicht ohne Zaudern, ein paar
Artikel bei: Über Friedrich den Grossen und Friedrich Wilhelm IV. Der
erste bleibt weit davon entfernt, dem Zweck des Unternehmens zu genügen;
von grossartiger Beherrschung des Stoffes zeugend, bringt er eine politisch -
historische Gesaiumteinsehätzung des Helden, weiter nichts. Der andere
leidet vor allem an höchster Ungleichheit in der Komposition. Die Charak-
teristik der kirchlichen Bestrebungen Friedrich Wilhelms, seiner dilettan-
tischen Berührung mit Wissenschaft und Kunst, lauter Dinge, worin seine
Seele mit Vorliebe lebte, wird übers Knie gebrochen. Persönlich Neues
erfahren wir besonders über seine Erziehung; politisch ausführlich und unter-
richtend wird die Geschichte der Berufung des Vereinigten Landtages ab-
gehandelt. Es sind wichtige Partien aus dem Privat- und dem öffentlichen
Leben des Königs, aber doch nur Bruchstücke: auch zu der Einheit hoher
biographischer Temperatur erhebt sich der ganze Essay bei weitem niHit
in dem Grade, wie jene Ausgabe des Briefwechsels mit Bimsen. Ranke
selbst verhehlte sich und anderen diese Mängel keineswegs: allein er war
doch „nicht unzufrieden damit, dass die historische Forschung, insofern sie wirk-
lich Platz greifen konnte, auf diesem Wege in die Geschichte unserer Tage
eindringe.''
Von jeher war die mündliche Gedächtnissrede einer der stärksten
Hebel der Biographie: auch Ranke sollte als Vorsitzender der historischen
Digitized by Google
Ranke'* Verhältnis zur Biographie.
17
Kommission dessen Kraft an sich erproben. Da hat er dein königlichen
Freunde Maximilian ein rhetorisches Denkmal gesetzt in einer persönlichen
Charakterschilderung von herzlicher Treue und doch frei von snbjektivem
Vorurtheil. gemttthlich bewegt und künstlerisch zusammengenommen. Die
anderen Ansprachen galten den lieimgegangenen Fachgenossen. Für Litteratur-
nnd Kunsthistorie bildet, andei"s als für die politische, die biographische
Betrachtung den natürlichen Ausgangspunkt: denn auf geistigem (Gebiete
dauert die schattende Individualität in ihren Kinzelwerken greifbar fort.
Es ist daher bezeichnend für Ranke, dass er auch auf diesem Boden, wo
er ihn in seinen Schriften betritt, doch meist weit lieber der allgemeinen
Ideenverbindung nachgeht, als den persönlichen Umständen der Produktion:
selbst in seinen litterargeschiehtlieh so reichhaltigen Untersuchungen zur
Kritik der historischen Überlieferung widmet er den Autoren wesentlich
nur um der Sache willen Theil nähme. Auch in jenen Ansprachen redet
er sozusagen im Namen der deutschen Wissenschaft. Aber er hat diese
Savigny und .Jacob (Jrimm, die Böhmer, Häusser, Gervinns u.a. m., deren
Bild seine Elogien ausfuhren, sänuutlieh von Angesicht gekannt, sie persönlich
geschätzt und bei ihrer Lebensarbeit sinnvoll begleitet. Kein Wunder, dass
sich scharfe Beobachtung, reifes Urtheil und zarte Pietät hier zu kurzen
Biogrammen von unübertrefflicher Feinheit verbinden. Zudem schwebt
darüber der frische Hauch naiver Hingebung des Augenblicks. „Schon
erlaubte ihm der Arzt, das Bert zu verlassen", heisst es von Jacob Grimm;
„er that es mit einiger Hülfe und setzte sich auf einen Stuhl nieder — da
hat ihn der Tod gleichsam mit der Hand berührt. Kr antwortete plötzlich
auf keine Frage mehr: er hat kein Wort mehr geredet. Nach nicht viel
mehr als vierundzwanzig Stunden ist er in der Betäubung, die dem Tode
vorauszugehen pflogt, ohne Schmelz gestorben. Das letzte Wort des
Wörterbuchs, welches er bearbeitete, ist das Wort „Frucht" gewesen.
Möge es vorbedeutend sein für die befruchtende Wirksamkeit seiner Werke
und des Geistes, der in ihnen lebt, in allen künftigen Zeiten!" Die Bio-
graphie verstummt, die Historie meldet sich zum Wort : „Ohne ihn schreiten
wir nun zu den Arbeiten fort, die wir mit ihm unternommen haben".
Selbstbiographie ist das persönliche Bekenntnis.«, dass man sachlich
nichts von Belang mehr vorzubringen hat. Unser Ranke, der als Neunziger
mitten im Wagniss seiner Weltgeschichte abgerufen ward, hat sich zu
solchem Bekenntniss ernstlich niemals angeschickt. Kleine Vorbereitungen
dazu erwecken unser Interesse hauptsächlich dadurch, dass sich aus ihnen,
wie freilich noch deutlicher aus seinen Briefen, ergiebt, wie er vom Wesen
des Lebens aus eigenster Erfahrung dachte; denn erst hierin liegt doch
der rechte Schlüssel für das Verständnis« seiner Ansicht vom Kinzelleben
überhaupt, mit anderen Worten: seiner inneren Stellung zur Biographie.
Wer ihn irgend kannte, weiss, wie lebendig er allezeit war und erschien:
jeder Satz seiner Schriften verräth eine höchst ursprüngliche, in sich
Hin(fTaj.hl!»che Blatter. I. 2
Digitized by Google
18
Biographische Blatter.
beständige, unnachahmliche geistige Individualität. Und dennoch war jene
Lebendigkeit auf der Flucht vor dem Anblick des eigenen Lebens; diese
Individualität suchte ihren eigentümlichen Beruf darin, sich selber zu ver-
leugnen. Unruhiges Selbstgefühl behelligt ihn nur in den letzten Jahren
der Entwicklung, bevor ihm der Zweck seines Daseins durch den
glücklichen Wurf einer ersten Leistung völlig klar geworden. Da steht
wohl einmal hart neben dem ahnungsvoll befriedigten Satze: „ Täglich
erweitert sich Kenntniss und Aussicht über die Weltgeschichte" — der
Ausruf des Zagens und der Sehnsucht: „Wer enthüllt Kern, Natur, lebend
Leben des Individuums? Ich bin jetzt einer von denen, die am meisten
bald verzweifeln, bald Hoffnung fassen, an sich, an anderen, an allem.
Lieber Bruder, leb wohl! Wollte Gott, wir wären Ein Herz; der starro
Reifrock der Persönlichkeit, so hart wie Fischbein, fiele ab und Hesse
Leben an Leben!" Dann aber, sowie er sich in fruchtbarem Thun zurecht-
gefunden, drückt und hemmt ihn der Reifrock der Persönlichkeit nicht
mehr. Kern und Natur des Individuums, unenthüllbar wie sie ihm bleiben,
legt er getrost in Gottes Hand; eine höclist einfache Religiosität, gegründet ■
auf „die un verkümmerte Wahrheit des inneren Sinns*, beruhigt seine Sorge
um eine ewige Bestimmung der menschlichen Eigenart. Ohne weiteres
Grübeln wirft er sich in die Welt, das bedeutet für ihn eine Welt der
Arbeit. „Freilich heisst leben: dasein, athmen, Sonne und Luft gemessen.
Wenn es aber allein Leben ist, seine Kräfte entwickeln, ihrer im Yer-
hältniss zu der Welt in grossen Thätigkeiten sich bewusst werden", so
verdankte er „dies sein eigentliches Leben" seiner Historie. „Dann erst
lebt man, wenn man von sich selber nichts weiss". „Mir kommt oft vor,
wie ich bin und denke, wie ich will und wünsche — das ist gar kein
Wille, es ist wenigstens keine Willkür, es Ist ein Muss. Diese nicht von
uns gemachte Natur, so und nicht anders, von dieser nicht von uns gemachten
Welt berührt, getrieben und erniedrigt und erhöht — wer kann sie ändern,
wer kann ihre Äusserungen beherrschen? Da es ein Muss ist, wie man
ist, ist es auch ein Soll?" Anfangs „schwärmt" er wohl noch in der
„Hoffnung", gerade im forschenden Anschauen der geschichtlichen Menschen-
weit auch „der hinter der Erscheinung thätigen Lebensquelle Verstand,
Liebe, Seele der Welt noch einmal beizukommen! Dort, wo der Born
quillt, der den Geschöpfen Leben, Wesen, Gestalt, Innerlichkeit giebt. wo
kein Lob und Tadel, wo die allgemeinen Begriffe hinsinken vor der
Idealität einer ursprünglichen und allemal gott verwandten Existenz!" Bald
aber findet er in der reinen Anschauung de* sichtbaren Ganzen völliges
Genüge. „Mein Glück ist, von diesem Punkte, auf dem ich stehe, die
Welt zu beobachten, vergangene und gegenwärtige, sie in mich aufzunehmen,
inwiefern sie mir homogen. Alles was sie Schönes und Grosses hervor-
gebracht hat, möchr ich an mich heranziehen und mir aneignen und den
Gang der ewigen Geschicke mit ungeirrtem Auge ansehen, in diesem
Digitized by Google
1 tanke's Verhältnis« zur Bioprraphie.
19
< reiste auch selbst edle und schöne Werke hervorbringen. Betrachtet,
welch ein Glück, wenn es auch nur in geringem Grade erreicht wird!
Man lebt mehr in dem Ganzen, als in der Person. Glaube mir, die Ein-
samkeit ist auch nützlich. Oft weiss man kaum mehr, dass man eine
Persönlichkeit hat, man ist kein Ich mehr. Der ewige Vater aller Dinge,
der sie alle belebt, zieht uns ohne allen Widerstand an sich". Diese Selbst-
entäusserung in einem schaffenden, den Geist wohlthätig ans Objekt
bannenden Beruf — „bin ich nicht im Flug und Feuer der Arbeit, so
fohle ich, ich will es nicht leugnen, etwas Unbefriedigtes, liege es worin
es wolle, in meiner Existenz" — diese vollständige Hingabe an die Sache —
«denn man muss in dem Gegenstand leben, für den man etwas leisten
will* — dies allmählich entwickelte Gefühl, dass man nicht bloss fUr,
sondern „eigentlich durch die Arbeit lebe": alles das ist ja eine besonders
im Dasein des grossen Gelehrten ungemein häufige, man darf sagen:
normale Erscheinung. Was aber Ranke vor anderen auszeichnet, ist die
bewusste Absicht, mit der er dies Geschäft der thätigen Selbstentäusserung
• betreibt, die Beziehung, in die er es setzt zu der inneren Natur seiner
besonderen wissenschaftlichen Aufgabe. „Das Ideal historischer Bildung",
schreibt er an König Max, „würde darin liegen, dass das Subjekt sich rein
zum Organ des Objekts, nämlich der Wissenschaft selbst machen könnte,
ohne durch die natürlichen und zufälligen Schranken des menschlichen
Daseins daran gehindert zu werden, die volle Wahrheit zu erkennen und
darzustellen. Dieses Ziel muss sich der Historiker um so mehr setzen, da
persönliche Beschränktheit ihn doch hindert, es zu erreichen : das Subjektive
giebt sich von selbst". Nur als frommer Wunsch tritt deshalb der berühmte
Ausruf in Ranke's englischer Geschichte auf: „Ich wünschte mein Selbst
gleichsam auszulöschen und nur die Dinge reden, die mächtigen Kräfte
erscheinen zu lassen, die im Laufe der Jahrhunderte mit und durch einander
entsprungen und erstarkt, nunmehr gegen einander aufstanden und in Kampf
geriethen." Aber soviel ist klar, dass eine so angestrengt nach aussen
gekehrte Beschaulichkeit auch ihr Objekt, die geschichtliche Welt, vor-
nehmlich im Schauspiel äusserer Bewegung ergreifen und festhalten musste;
dass die Gewöhnung, des eigenen Individuallebens einzig in selbstver-
leugnendem Thun gewahr zu werden, sich nothwendig auch auf die Auf-
fassung und Schilderung des fremden Einzeldaseins übertrug; dass ein
Historiker, der die eigene Subjektivität nur als einen leider unvertilgbaren
Rest von persönlicher Beschränktheit empfand, dem tiefen Wesen der
Subjektivität überhaupt nur ausnahmsweise und unwillkürlich gerecht werden
konnte — mit einem Wort: dass er eben als Historiker von Gottes Gnaden
ein von Gott und sich selbst verordneter Biograph nicht war.
Auch seiner Selbstbiographie konnte ein solcher Mann nicht das Ziel
stecken, seinen inneren Lebensgang, die Bewegungen seines Geniüths, die
Entfaltung seiner Weltansicht an den Tag zu fördern. „Die allgemeine
Digitized by Goögle
20
Biographische Blatter.
Idee würde sein", sagt eine Notiz, „indem der Faden der Studien immer
die Hauptsache bleibt, doch zugleich den einzelnen Kreisen gerecht zu
werden, in welche das Leben mich geführt hat; sie sondern sich immer
von einander ab". Also ganz historisch: Bericht Uber die eigene Berufs-
thätigkeit. Schilderung der umgebenden Welt; wobei in den entworfenen
Grundrissen noch ein drittes, universelles Moment hinzutritt: Hereinleuchten
und -wirken der allgemeinen, zumal der politischen Verhältnisse des Zeit-
alters. Was wir posthum Uberkommen haben, sind durchweg Privatauf-
zeichnungen aus den 'Pagen des höheren Alters, bescheiden „entschuldigt4*
durch den Wunsch, etwaige Nachfrage überlebender zu befriedigen. Zu-
nächst ein paar kleine Kapitel über Herkunft, tleimath, Schulzeit und
ferneren Bildungsgang bis an die Schwelle der eigenen wissenschaftlichen
Produktion. Von der bezaubernden Einfalt der Darstellung vermag nur eine
Probe den rechten Bcgrifl" zu geben. Ks ist die Rede vom ersten Schul-
aufcnthalt des Knaben im Kloster Donndorf: „Ein noch eindringenderes
Gepräge trugen die abendlichen Gebete, welche der Rektor an den Sommer-
abenden, wenn wir vom Spaziergang nach Haus kamen, im Holz auf einem
dazu eingerichteten Platz oder auf einem anderen, der sich gerade darbot,
mit uns hielt. Wir stellten uns dann um ihn her; er sprach ein Abendlied
versweise und iutonirte den Gesang desselben, dein wir dann mit hellen
Stimmen folgten. In dem Waldesdunkel unter den glänzenden Sternen,
nach ihnen emporschauend, werden wir gehört worden sein, oder wenn nicht,
so gingen wir doch mit erhobenem Gefühl von dannen". Ebenso harmlos,
hie und da mit naivem Humor, verläuft die Schilderung Uberhaupt: von
sich selbst nimmt der Kr/Uhler nur in der schlichtesten Weise Notiz, desto
eingehender von dem Eindruck der jugendlichen Lektüre und den ferneren
Studien, was jedoch alles von der Höhe des Alters herab beurtheilt wird,
so dass man, genau wie in Dichtung und Wahrheit, statt des werdenden
den gewordenen Geist vernimmt und bewundert. Für das spätere Leben
liegen gar nur zwei summarische Rückblicke des Achtzigers und des
Neunzigers vor, knappe Übersichten über den Gang der eigenen Produktion,
ihre wissenschaftlichen Motive und ihre Beziehung zu den Zeitbegeben-
heiten; einige Ergänzung bieten Tagebuchblätter der letzten Jahre, auf
denen bei Gelegenheit des Todes merkwürdiger Zeitgenossen Erinnerungen
an die pei^önliche Begegnung mit ihnen, zu geistvoller Charakteristik ent-
wickelt, niedergezeichnet sind. Darf man sich aus diesen geringen An-
fängen und Anzeichen ein Bild machen von einer Autobiographie, wie sie
Ranke als mögliche Abschiedsarbeit vorgeschwebt hat, so ist gewiss, dass
wir sein inneres Wesen aus seinem Berichte direkt nicht entfernt so deutlich
kennen gelernt haben würden, wie aus seinen Briefen. Alle übrigen Fi-
guren hätte er von aussen anschaulicher gezeichnet, als sich selbst, und
zugleich die Geschichte seiner Wissenschaft im Rahmen seines .lahrhunderts
Digitized by Google
Ranket Verhältnis» zur Biographie.
21
durch eine neue Reihe gediegener Crtheile bereichei*t. Historische Denk-
würdigkeiten einer Gelehrtenlauf bahn, vom Standpunkt des erreichten Zieles
ans mit objektiver Zurückhaltung verfasst, hat das Schicksal uns damit
vorenthalten.
Wenn der Greis bei näherer Prüfung dem Plan einer Weltgeschichte
den Vorzug gab, so verfuhr er in seinem Sinne eigentlich noch entschiedener
autobiographisch: er zog so die Summe seines in historische Ideen um-
gesetzten 'Lebens. Das Werk ist abstrakter, grauer, lebloser, als die Ge-
schiehtsehreibung seiner frischeren Zeit ; aber immer noch regt sich das Streben
nach voller Würdigung der biographischen Momente. Mit wahrer Freude
begrttsst der Verfasser die individuelle Erscheinung des Themistokles: „er
ist vielleicht einer der ersten Mensehen von Fleisch und Blut, die in der Universal-
geschichte hervortreten - keineswegs immer rühmenswerth, aber immer gross.
In den Konflikten der Weltkräfte wollte er herrschen, niemals beherrscht
werden, aber sie waren zu stark: er ging in ihnen unter, er selbst persön-
lich, aber sein Werk überdauerte die Jahrhunderte: er ist der Begründer
der historischen Grösse von Athen**. Das alte Todtenlicd der Ranke schen
Muse, oder wenn man lieber will, Parze der Geschichte. Die Charakteristik
Alexanders des Grosssen verräth noch die vielgeübte, hohe Kunst. Mit
einer Art von historisch-biographischer Leidenschaft heisst es am Ende von
der Büste im Louvre: „Sie athmet Seelenstärke. Feinheit und Geinüth —
der Beschauer kann sich kaum von ihr losreissen, wenn er dabei der Thaten
und Eigenschaften des Mannes gedenkt, den sie vorstellt". Wie schlagend
hebt das menschliche Motiv zu der geschichtlichen Rolle des Agathokles
der Satz hervor: „Was könnte einen emporstrebenden jungen Mann tiefer
kränken, als die parteiische Versagung einer Ehre, nach welcher seine
Seele dürstet!" Und so geht es eine Weile fort. Selbst die fratzenhaften
Masken der römischen Cäsaren, wie sie der litterarische Karneval noch
heute leihweise von Sueton bezieht, gewinnen unter Ranke s Händen den
Anschein möglichen Lebens: in die „Manie" Caligulas fügt er mildernd
einen Zug von „bizarrem Humor". Allmählich erlahmt die Kraft. Die
Gestalten Mohammeds und zumal Karls des Grossen sind schon weit-
schwächer umrissen. Mit Rührung liest man das letzte, verworrene Diktat
vom Schmerzenslager des sterbenden Geschichtsehreibers: „Auf der Höhe
tiefer, die Welt umfassender, stürmischer Bewegungen, welche die Gemüther
von dem Standpunkt ihrer Überzeugung aus mit den grttssten Aussichten
erfüllen, erscheinen wohl auch grossartig angelegte Naturen, die die Auf-
merksamkeit der Jahrhunderte fesseln". Man sieht: mit dem dichter
hereinbrechenden Nebel des Allgemeinen ringt noch immer der Wunsch, das
menschlich Besondere fasslich zu erkennen. Ks folgen ein paar halbdunkle
Sätze über die deutschen Kaiserhäuser, bis zum Schluss: „Man empfing
doch in jedem der einzelnen Gewalthaber eine neue Gestalt". Ks ist das
Digitized by Göogle
22
Riographische Blatter.
Epigramm der Rankesehen Muse auf sieh selbst. „In jedem Einzelnen
eine neue Gestalt!" Da* Individualleben eine ewig flüchtige, ewig wieder-
kehrende Erscheinung in der geschichtlichen Welt die Historie schaut
Ulm ins Antlitz, die Biographie ins Herz.
c£>
Zur Methodenlehre der Biographik.
Mit besonderer Rücksicht auf dio biographische Kunst im Dienste der
philusophicgeschiehtlichen Forschung.
Von
LUDWIG STEIN in BERN.
I.
Die biographische Kunst galt bisher als herrenloses Gut. Das litte-
rarische Kreibeuterthum, das ohne äussere Schulung oder inneren Beruf
dankbaren Stoffen auflauert, um sie — entweder zur Stillung der Lebens-
nothdurft, oder, was noch bedenklicher, zur Befriedigung schriftstellerischen
Eitelkeitskitzels — mit ihren plumpen Federn meuchlings zu Uberfallen,
hat sich von jeher mit Vorliebe an biographischen Stoffen vergriffen. Ein
paar rasch zusammengelesene Jahreszahlen, einige flüchtig zusammengestop-
pelte Urtheile (Iber die Thaten und Werke der Helden, dazu ein vollgerüttelt
Maass von verhimmelnden Epithetis und verschnörkelten Superlativen —
und die Dutzend-Biographie ist fertig. Der also Überfallene kann sich, da
es sich ja meist um die Lebensbeschreibung Verstorbener handelt, nicht
wehren und muss sich daher die frevle Plünderung seines Namens, des
einzigen Guts, das ihm geblieben und für welches seine volle, grosse Per-
sönlichkeit einzusetzen das ganze Leben nur Sinn und Werth hatte, stumm
gefallen lassen. Und warum wird diese Herrenlosigkeit, diese rückhaltlose
Preisgebung des Köstlichsten, wonach die begnadetsten Naturen aller Völker
und Zeiten ringen: ihr Leben der Nachwelt als Vorbild zu hinterlassen,
um in deren Gedenken beispielweckcnd fortzuwirken, heute noch allgemein
geduldet, ja von den Wenigsten auch nur in ihrer ganzen Schimpflichkeit
empfunden? Doch wohl nur, weil es eine nach bewussten Regeln arbeitende,
an bestimmte Normeu und Kriterien gebundene biographische Kunst noch
gar nicht giebt! Das Willkürliche und Zufällige, sonst ein mit Recht gefürch-
tetes Brandmal unwissenschaftlichen Verfahrens, stellt fast den einzigen
Rhythmus dar, der die Mehrzahl der Auch-ßiographen auszeichnet. Was
ihnen von ihrem Helden an Zahlen. Thaten und charakteristischen Zügen
durch Dame Zufall zufliegt, das erhaschen und verarbeiten sie mit Behagen;
aber sie besitzen, falls sie nicht geborne Biographen sind, deren natürlicher
Takt alle Technik ersetzt, keinen Kanon dessen, wonach der Biograph zu
Digitized by Google
Zur Mefchudenlehre der Biographik.
23
suchen hat, kein 'Kriterium dafür, worauf es in der Biographie entscheidend
ankommt, mit einem Worte kein Gesetz der biographischen Technik.
Gewiss können Viele sich in ihrer Sprache leidlicli korrekt ausdrücken,
ohne Grammatik zu kennen, eine Rede halten, ohne Rhetorik zu studiren,
einen Gedankengang folgerichtig entwickeln, ohne die formale Logik zu
verstehen, eine gute psychologische Beobachtung machen,, ohne die Gesetze
der Psychologie auch nur zu ahnen, ein gesundes Kunsturtheil fällen, ohne
Aesthetik zu treiben, sogar einige Melodien erfinden, ohne Kenntniss vom
Wesen des Contrapunkts zu haben. Aber eine Abhandlung aus einem
dieser Wissensgebiete zu schreiben, wird sich Niemand unterfangen, der
sich nicht zum Mindesten mit den Rudimenten des betreffenden Fachgebiets,
und sei dies auch noch so fluchtig, vorher vertraut gemacht hat. Nur eine
Biographie zu schreiben, hält sich Jeder für befugt, der seine Sprache
grammatisch richtig schreibt — und auch diese elementare Forderung
wird nicht immer eingehalten. Und woher dieser Unfug? Dort fürchtet
man das Urtheil der Grammatiker, Logiker, Psychologen usw.: hier kann
man sich ungestraft als Franctireur herumtummeln, da es kein berechtigtes
Forum giebt. das kecken Übergriffen entgegentreten könnte — es fehlt der
Berufsbiograph, die Biographik als eigenes Fachgebiet, jene entscheidende
Instanz, die das biographische Stümperthum als solches zu brandmarken
die allgemein anerkannte Berechtigung hätte. Der Mangel einer biogra-
phischen Kunst mit fest ausgebildeter Technik ist um so auffälliger und
bemerkenswerther, als die Biographie, bei Lichte besehen, die älteste
Litteraturgattung darstellt. Die Hieroglyphen in Egypten, die Keil-
inschriften in Assyrien und Babylonien bieten .ja im Wesentlichen nur
Biographien — zumeist sogar Autobiographien — mehr oder minder ruhm-
reicher Könige und Feldherren. Die Odyssee ist ihrem Kerne nach eine
poetische Biographie des Helden Odysseus. Das alte Testament bietet in
der Genesis ein förmliches biographisches Lexicon der Urmenschen, Patri-
arehen und Religionsstifter dar, wie sie die semitische Volksseele in ihrer
üppig wuchernden mythenbildenden Phantasie ergriffen und wie sie der
Griffel des Erzählers mit herzerfrischender, ewig junger Naivität und
unerreichter schriftstellerischer Grazie festzuhalten verstanden hatte.
Und die frühesten Rcligionsurkunden der übrigen alten Völker? Ob
sie uns das Leben des Confucius, Laotse. Zoroaster, der Brahmanen,
Buddhisten (besonders Säkjamunis) u. A. schildern; einerlei: ihre littera-
rische Kunstform ist meist die Biographie. Dieser litterarische Consensus
gentium, der sich in den ältesten schriftlichen Denkmälern aller Kultur-
völker dahin kundgiebt, dass sie sämmtlich wie instinktiv das Bedflrfniss
empfinden, das Leben ihrer grössten Männer — sei es der wirklich
existirenden, sei es der aus der Volksphantasie herausgebomen Typen —
schriftlich zu fixiren, deutet auf die völkerpsychologische Thatsache hin,
dass das Interesse am Biographischen schon der werdenden Kulturmensch-
Digitized by Google
24
Biographische Blätter.
heit förmlich im Blute steckt. Die Volksphantasie vollzieht in ihrem in-
stinktiven Verlangren nach ständiger Yerpersönliehung nicht bloss die Per-
sonifizirung der meisten beobachteten Eigenschaften und Zustände, deren
die griechische Götterwelt z. B. voll ist, sondern sie interessirt sich auch
gewaltig für die erdichteten Erlebnisse der von ihr lingirteu Gütterwelt.
Die griechischen und nordischen Götter- und Heldensagen spiegeln so recht
die Volksseele in ihrer schwelgerischen Freude am Biographischen wieder.
Und schliesslich entspringen die ersten tastenden Versuche einer Welt-
entstehungslehre, wie sie unter den Griechen in der Theogonie des Hesiod,
bei den Orphikern und Pherekydes von Syros hervortreten, dem gleichen,
nur potenzirten und auf das All übertragenen biographischen Bedürfniss:
man konstruirt sich eine Biographie des Kosmos.
Wenn nun trotz dieses hohen Alters der Biographie als litterarischer
Kunstgattung sich eine eigene Technik — wie sie etwa das Drama und
die Rhetorik seit Aristoteles bereits besitzen — noch nicht herausgebildet
hat, so trägt vielleicht gerade ihr hohes Alter die Schuld daran. Das
Alter einer Kunstform ist eben durch ihre Einfachheit bedingt, da ja die
Kultur immer erst durch das Einfache zum Komplizirtcren schreitet. .Je
einfacher aber eine Kunstform ist, desto geringer ist der Anreiz zu ihrer
theoretischen Formulirung und methodischen Ausbildung, zumal nach der
communis opinio alles Einfache etwas Selbstverständliches, einer wissen-
schaftlichen Formulirung also gar nicht Bedürftiges an sich hat. An diesem
Fluche der Selbstverständlichkeit scheiterte bisher wohl jedes einstliche
Beginnen zur Aufstellung einer Methodenlehre der biographischen Kunst.
Seit Comte hat sich indess die Philosophie daran gewöhnt, gerade das
Einfache. Elementare, von allen übrigen Wissenschaften als Selbstverständ-
lichkeit stillschweigend Vorausgesetzte einer erneuten Prüfung zu unterziehen.
Und so mag denn hier eine kleine Untersuchung über Berechtigung. Form,
Umfang und Grenzen der Biographik — zunächst als ] Hilfswissenschaft
der philosophiegeschichtlichen Forschung — eine Stelle linden.
II.
Jede Wissenschaft hat mit dem Nachweis ihrer Existenzberechtigung
und der Formulirung ihrer Existenzbedingungen zu beginnen. Handelt es
sich nun gar um eine werdende, sich nur mühselig eniporringende Wissen-
schaft, wie die Biographik sie in dieser Zeitschrift darzustellen bestrebt ist,
so muss dieser Nachweis um so kräftiger geführt werden, als sie sich von
dem Odium einer mehrtausendjährigen, sei es unbewussten, wie Freunde,
sei es geflissentlichen Vernachlässigung und Hintansetzung, wie Gegner
der Biographik behaupten werden, zuvörderst, gründlich zu reinigen hat.
Die Berechtigung der Biographik darzuthun und ihre Erhebung zu
einer eigenen Disciplin zu fordern, ist ein müheloses Beginnen. Denn
angesichts des Unistandes, dass die ältesten auf uns gekommenen Denkmäler
Digitized by Google
Zur .Methodenlehre der Biographik.
25
der Litteratiir mit Biograplüen einsetzen, bedarf es keiner einlässlichen
Erörterung darüber, dass die Volksseele aller Zonen und Zeiten nach bio-
graphischer Verarbeitung ihrer jeweiligen Helden gedürstet, ja förmlich
gelechzt hat. Wie tief muss dem Mensehen, der in begreiflicher Selbst-
liebe sein eigenes Ich im Leben seiner Helden spiegelt und in seiner
Phantasie zarte, vergleichende Fäden zwischen der Psyche jener und seiner
eigenen spinnt, der Hang zum Biographischen in die Seele gegraben sein,
wenn die Biographie die einzige Litteraturgattung darstellt, die nicht ver-
altet und die keinem Wandel der Geschmacksrichtung unterworfen ist! Ob
die Hieroglyphen dem Volke das idealisirte lieben seiner Könige künden
oder eine Gruppe Wilder, um das nächtliche Feuer gelagert, der Erzählung
der Heldenthaten seiner Götter und Vorfahren lauscht, ob in der Spinn-
stube der Bauernhütten interessante Räubergeschichten den Gegenstand der
Abendunterhaltung bilden oder unsere Jugend Robinson Crusoe verschlingt,
ob die gottergebene Nonne sich am lieben der heiligen Jungfrau berauscht
oder die Salondame fin de siede nach der Lektüre von „Lourdes" im Buch-
staben Z ihres Konversations- Lexikons fieberhaft blättert, um sich den
Lcbensgang Zola s fest einzuprägen, ob endlich der gelehrte Mönch des
10. Jahrhunderts etwa sich am „Heliand" erbaut oder ein mönchischer
Gelehrter der Gegenwart an Straussens oder Renans „Leben Jesir sich
ergötzt; einerlei: das diesen Allen gemeinsame tiefere Grundmotiv ist
immer das gleiche: freudiges Interesse für alles Biographische. Wo aber
nachhaltiges und intensives Interesse vorhanden ist, da stellen sich auch
unfehlbar Solche ein, die jenes Interesse zu befriedigen suchen. Die Noth
erzeugt und zeitigt den Retter. Selbst im dunkelsten Mittelalter, da alle
Musen verstummt waren, rettete sich der letzte verglimmende Funke der
Poesie in die Biographie. Das Leben der biblischen Heiden dichterisch zu
gestalten, wie es in dem jüngst im Vatikan aufgefundenen ergänzenden
Text des „Heliand" geschieht, oder die Lebensschicksale irgend eines
späteren Heiligen poetisch zu fassen und zu verklären, dazu ratfte sich
selbst in der litterarisch ärmsten Epoche der Kulturmenschheit irgend ein
anonymer Dichterling auf. Wenn nun solchergestalt die Litteraturgattung
der Biographie sich nicht blos als die älteste, sondern auch als die dauer-
hafteste, allem Wandel des litterarischen Geschmacks trotzende erweist, so
kann ihre Existenzberechtigung gar nicht mehr in Frage kommen. Ist
auch nicht alles Bestehende, wie Hegel meint, vernünftig, so giebt es doch
wohl keinen höheren Rechtstitel auf Existenz, als den einer mchrtausend-
jährigen Thatsächlichkeit. Was die Flucht der Zeiten und den Wechsel
des Gescliraacks konsequent überdauert, das hat unzweifelhaft ein Recht
auf Existenz.
Aus der Notwendigkeit der Biographie als eigener Kunstform wird
sich die einer Biographik mit Leichtigkeit folgern lassen. Wie jede Kunst-
form ihren eigenen Rhythmus, ihre besonderen, nur ihr eigenthümüchen
Digitized by Google
26 Biographische Blätter.
Gesetze und ihre spezielle Technik hat, so können und müssen sich auch
bestimmte Regeln der Biographik aufstellen lassen. Ihre bisherige Nicht-
beachtung oder mangelhafte Ausbildung sind kein Gegenargument gegen
ihre Möglichkeit. Es verhält sich eben mit der Biographik wie etwa mit
der Pädagogik. Man hat Jahrtausende hindurch erzogen und dabei sogar
v ielfach eine erziehliche Kunst praktisch geoffenbart, lange bevor man an eine
theoretische Formulirung der Erziehungsgrundsätzc gedacht hat. Ja, es gab
bei den Griechen z. B. ein ausgebildetes Lehrsystem, die epcuxXioc; -a>Ma,
bevor Sokrates, Piaton und Aristoteles die Grundlinien einer Theorie der
Erziehung festgestellt haben. Und so haben denn auch, abgesehen von den
unbewussten Biographen, als welche ich vor Allem die Dichter der Vorzeit
begreife, auch bewusstc Darsteller von Biographien, wie Hekataeos, Herodot
und Thukydides. die eine Fülle von Lebensbeschreibungen in ihre Geschichts-
darstellung verflechten, und Berufs-Biographen, wie Plutarch, Diogenes
LaPrtes, Cornelius Nepos u. A. vortreffliche biographische Skizzen verfasst,
ohne sich davon Rechenschaft zu geben, nach welchen Gesichtspunkten und
Methoden eine Biographic zu schreiben ist. Wie der Lehrer der Vorzeit
unterrichtete und erzog, ohne Pädagogik zu verstehen oder auch nur ihr
Vorhandensein zu ahnen — nur nach Instinkt und Naturell - , so schrieb
und schreibt der Biograph heute noch seine Lebensbeschreibung, ohne sich
um etwa vorhandene Regeln und Gesetze der biographischen Kunst
zu kümmern, und meist auch ohne sich die Frage vorzulegen, ob eine
Biographik möglich und wünschenswerth sei. Temperament, Laune,
Geschmack, litterarischer Takt und Bildungsumfang ersetzten den Biographen
bisher die Stelle der ernsten Schulung und fachtechnischen Übung.
Wird es nun heute, da wir eine Pädagogik als regelrecht ausgebildetes
Lehrfach besitzen, Jemandem ernstlich beifallen, einem Kandidaten des
höheren Lehramts eine Schule anzuvertrauen, der nichts von der Pädagogik
verstände? Gewiss macht die Pädagogik noch nicht den Lehrer, so wenig
eine Biographik schon durch ihr Dasein nur tüchtige Biographen hervor-
bringen wird. Sicherlich giebt es heute noch geborne Lehrer, die mit
pädagogischem Takt und ererbter Lehrbefähigung ohne intensives Studium
der Pädagogik praktisch mehr und besseres leisten, als selbst der tüchtigste
Systematiker oder gediegenste Kenner der Pädagogik. Ebenso haben Macaulay,
Vasari, Muratori, St. Beuve. Taine. Grimm, Dilthey (in seinem Leben Schleier-
machers) u. v. A. mit intuitiver künstlerischer Gestaltungskraft biographische
Kunstwerke geschaffen, welche auch die ausgesuchteste Technik nicht zu
erreichen, geschweige denn zu überbieten vemiöchte. Aber wie verschwin-
dend gering ist die Zahl der gebornen im Verhältniss zu den wirklichen
Lehrern — ungefähr so gering, wie die der gebornen. von der Natur
dazu begnadeten Biographen im Verhältniss zur erschreckenden Fülle der-
jenigen, die sich dafür halten und — ausgeben!
Aber auch der beste Berufs- Biograph kann von einer systematischen
Digitized by Google
Zur Methodenlehre der Biographik.
27
Biographik so manchen Fingerzeig entnehmen, so manche technische Finesse
ablauschen, auf die er sonst kaum verfallen würde, wie denn auch der raffinirteste
Schulpraktikus vom pädagogischen Theoretiker mancherlei Anregung dankbar
entgegen nimmt.
Die künftige Biographik wird dämm gut thun, aus der Geschichte
der Pädagogik sich darüber Winke zu holen, wie sich der allmähliche
Übergang von einer Praxis in die Theorie anbahnt uud vollzieht. Auch
die Pädagogik hat trotz der Vorarbeiten der Alten und ungeachtet der
bemerkenswerthen Leistungen eines Katichius, Comenius, Locke, Ronsseau,
Pestalozzi, Basedow und Kant sich erst in unserem Jahrhundert als wirk-
liche Wissenschaft konstituirt. Das malitiöse Spottlächeln, mit welchem ernste
Gelehrte früherer Generationen die Ansprüche der Pädagogik, als eigene
Wissenschaft aufzutreten, konsequent zurückgewiesen haben, wich in dem
Augenblick, da es der Pädagogik geglückt war, in Herbart ihren ent-
scheidenden philosophischen Theoretiker zu finden. Die leise, aber eben
darum tödtliche Ironie, mit der man noch vor einem halben Jahrhundert
die stillen Aspirationen der Pädagogik in die Schranken wies, jener Hauch
wissenschaftlichen Altjungfernthums, der Jahrhunderte lang über dieser
Disziplin gelagert war, das Alles zerschmolz wie junger Schnee vor dem
sieghaften Sonnenstrahl, sobald Herbart mit dem vollen Rüstzeug des ganzen
Kopfes die Pädagogik als Wissenschaft geschaffen hatte. Heute hat sich
dieses einstmalige Aschenbrödel unter den Wissenschaften einen Lehrstuhl
nach dem anderen errangen oder besser durch die Wucht ihrer Bedeutung
allmählig mühsam erzwungen.
Geschichtliche Beispiele und Analogien haben nun vornehmlich einen
negativen Werth; sie zeigen, welche Fehler Andere begangen haben und
wie man es daher anstellen müsse, auf kürzerem Wege zum gleichen Ziele
zu gelangen. Den weitläufigen Zickzack der Geschichte der Pädagogik
wird die auf dieses Vorbild hinblickende künftige Biographik zu umgehen
haben. Ihre ganze Kraft hat sie jetzt daran zu setzen, ihrem künftigen
»Systematiker das Material vorzubereiten. Zu ihrer wissenschaftlichen
Mündigkeitserklärung fehlt der Biographik heute vorerst noch Eines, freilich
das Entscheidende: ihr Herbart.
III.
Alles ernsthaft Biographische hat einen doppelten Zweck: einen histo-
rischen und einen pädagogisch-ethischen. Einmal soll es erklären, wie die
grosse Persönlichkeit— und vornehmlich eine solche ist ein adaequates Objekt der
biographischen Kunst — gewachsen und geworden ist, wie ihre Thaten und
Werke entstanden sind und gewirkt haben, welche Seiten ihrer Eigenart
ihre geschichtliche Stellung bedingen und die Bedeutsamkeit ihrer
Leistungen ausmachen, ob und in welchem Umfange sie den Gesammtfort-
schritt der Kulturmenschheit gefördert haben, andermal soll es jene Züge
Digitized by Google
28
Biographische Blatter.
kräftig hervorheben und mit Licht Übergiessen, die etwas Vorbildliches,
Beispielweckendes, die Epigonen zu gleicher Leistung Anspornendes an
sich tragen. — Ein drittes, minder vornehmes Ziel des Biographik, dessen
Werth in umgekehrtem Verhältniss zu seiner Verbreitung steht: die
Befriedigung der Neugierde eines anekdotenhaschenden, sensationslüsternen
LesepöbelK, kann hier, wo es sich um die wissenschaftliche Seite der
Biographik handelt, füglich übergangen werden.
Der historische Werth der Biographik ist nun allen ernsthaften
Biographien — unabhängig von ihrem Objekt — gemeinsam. Ob die ge-
schilderte grosse Persönlichkeit ein Monarch, Feldherr oder Staatsmann,
Künstler, Gelehrter oder Erfinder ist, gleichviel: sobald ihre Leistung einen
merklichen Einschnitt in den Kulturverlauf bedeutet gehört sie der Ge-
schichte an, und die Schilderung ihres Lebens und Wirkens hat historischen
Werth. Anders verhält es sich jedoch mit dem pädagogisch-ethischen oder
didaktischen Werth der Biographie. Nicht jedes Leben politisch oder
künstlerisch überragender Individualitäten hat nothwendig ethischen Gehalt
oder gar vorbildlichen Werth. Eine Biographie Cesare Borgias kann
beispielsweise von hervorragendem historischem Werth sein, sofern sie das
ganze Zeitalter im Lichte dieser Persönlichkeit grell beleuchtet, aber vor-
bildliche Züge wei den da kaum zu Tage treten, zumal diese Persönlichkeit -
selbst als abschreckende Kontrastwirkung gedacht gar zu absonderlich
geartet war. Umgekehrt ist das historisch Bedeutsame an einer Figur wie
Sokrates ihr Leben und mir dieses. Das Welthistorische au der Persönlich-
keit des Sokrates ist nicht etwa seine Lehre, die ja nur in unsicheren, noch
dazu häufig einander trübenden, weil entgegengesetzten Filtrationen auf uns
gekommen ist, sondern sein Leben und — sein Tod. Dieses Leben
repräsentirt aber eine fleisch gewordene W eltanschauung, die seither Unzählige
aufgerichtet und mit einem idealen Lebensinhalt ausgefüllt hat: eine der
Individualität des Sokrates vollauf gerecht werdende, sich als Kunstleistung
zu der Höhe ihres Objektes erhebende Biographie dieses einzigen Mannes
raüsste zugleich ein ethisches System in sich bergen. Und nicht blos bei
Sokrates war das Leben (sein o5ö; toO ß-oa) zugleich die höchste geschicht-
liche Leistung: auch ein Diogenes von Synope, diese lebendig gewordene Karri-
katur des Oynisnius. mit dessen Volkstümlichkeit als vermeintlichem Typus
eines Philosophen sich noch heutigen Tages nicht leicht Einer messen kann,
hat nur gelebt, und nichts gelehrt. Bei einzelnen Religionsstiftcrn. kirch-
lichen Heiligen, berühmten Anachoreten und Mystikern, die vielleicht keine
Zeile schriftlich hinterlassen haben, und dabei doch auf Millionen Gläubiger
eine bestimmende, ja zwingende, ihren ganzen sittlichen Lebensinhalt aus-
füllende Wirkung ausgeübt haben, erschöpft sich ihre historische Bedeutung
in ihrem Leben d. h. in der Heiligkeit ihres Lebenswandels. Einzelne
Märtyrer des freien Gedankens wie Wielen7, Huss, Savonarola, Hoger Bacon,
Vanini u. \. haben durch ihre Lebensschicksale den Lauf der Kultur
Digitized by Google
Zur Metbodenlehr« der Iiio?mphik.
29
vielleicht entscheidender bestimmt, als die imposantesten philosophischen
Systeme ihrer Zeit. Ja, selbst eine so tragende geistige Persönlichkeit wie
Giordano Bruno map vielleicht durch sein tragisches Geschick und seinen
Märtyrertod den Kulturfortschritt mit einem mächtigeren Ruck gefördert
haben, als durch die gewaltige Geistesthat seines naturalistischen Pantheismus.
Und so ist noch bei manchem Denker sein Leben ein Stück — mitunter
selbst das beste Stück — seiner Philosophie.
Das«? nun aber ein solches Leben nach völlig anderen Gesichts-
punkten und unter Hervorhebung und Herausarbeitung ganz andersartiger
Momente dargestellt sein will, wie das irgend eines Heerführers oder
Künstlers, leuchtet ohne Weiteres ein. Koramt es hier mehr auf die Thaten
an. so dort vornehmlich auf die Gesinnung, zumal diese zuweilen die
höchste That ist. Daraus folgt, dass sich für die historische Seite der
Biographik allenfalls ein allgemeiner, für alle Biographien gültiger, vom
behandelten Objekt unabhängiger Kanon aufstellen lässt. dass hingegen mit
Rücksicht auf die ethische Wirkung der Biographie eine Scheidung nach
Objekten erforderlich ist. Besteht die psychologische Kunst des Biographen
in der feinsinnigen Herautfhebung derjenigen Eigenschaften seines Helden,
die diesen zu einem solchen stempeln, so ist es klar, dass bei der Biographie
eines Philosophen z. B. völlig anders geartete Eigenschaften in Betracht
kommen, als bei anderen Berufsarten, ja dass die gleichen Eigenschaften
in verschiedenen Berufen verschiedenen, häutig sogar einen entgegengesetzten
Werth haben. Wollte Jemand in der Biographie Descartes' z. B. sein Ver-
halten als Militär ins Auge fassen, so müsste er zu einer Vcrurtheilung
seines Charaeters gelangen. Denn beherztes Zugreifen, rasch entschlossenes
DrauHosfahren — sonst die auszeichnenden Merkmale des tüchtigen
Militärs — waren Descartes' Sache nicht — zum Schaden seiner militärischen,
aber zum Glück seiner philosophischen ( Karriere. Jeder Beruf hat wie seine
eigene Moral, so auch seine eigene Psychologie. Was am Lebensgang eines
Goethe packt und interessirt, das lässt uns an dem des ebenbürtigen deutschen
Geistes Leibniz völlig kalt. Ueber die Sesenheimer Friederike erscheinen
dicke Bände, entspinnen sich noch jetzt ernsthafte litterarische Fehden, die
von den Besonnensten vielleicht belächelt, aber doch immerhin geduldet
werden. Jedenfalls gilt es als zulässig, dass diese oder jene Jngendttamine
eines grossen Dichters den ( Gegenstand ernster litterar-historiseher Forschung
abgiebt. Wie würde es nun aber ein Historiker der Philosophie aufnehmen,
wenn ihm eine dickleibige Monographie über die romantische Vorgeschichte der
natürlichen Tochter von Descartes oder des natürlichen Sohnes von Leibniz
zugemuthet würde? Eisiger Hohn und die untcrete Schicht des Papier-
korbes wären die typische Antwort darauf. Keinem Historiker der
Philosophie fällt es bei. den .Liebesverhältnissen seiner Helden, die in den
Biographien der Dichter einen so berechtig breiten Baum einnehmen, auch
nur nachzuspüren. Was für die Psychologie des Dichtere und für die
Digitized by Google
Biographische Blatter.
Vertiefung des Verständnisses seiner Werke von fundamentaler Bedeutuni?
sein mag, da« sinkt unter Umständen in der Lebensbeschreibung: des Philo-
sophen zur quantite negligeable herab.
Damit soll keineswegs ausgesprochen werden, dass in der Biographie
des Philosophen intim Persönliches oder kleinliche, alltägliche Lebensvor-
gänge überhaupt keine Stelle einnehmen dürfen. Es ist vielmehr auch der
umgekehrte Fall denkbar, dass ein so unscheinbarer Vorgang, wie beispiels-
weise die Aufzählung der Lieblingsgctränke und Leibspeisen, die in dei
Biographie des Dichters belanglos ist. in der des Philosophen von piquantesteni
Reiz und würzigstem Duft sein kann. Was liegt nicht alles für bitterer Humor
und feine Psychologie in jenem Faustischen Zug. den uns die Biographen
Schopenhauers breitspurig schildern, wonach dieser capricitt.se Wcltverneincr,
der in der Ertödtung aller Fleischeslust und gewaltsamen Niederringung des
Willens zum Leben Sinn und Ziel der Menschheitsentwicklung erblickte, täglich
Wein- und Speisekarte des „Englischen Hofs" — des damals vornehmsten
Restaurants Frankfurts — mit Kennerblick musterte und so den Willen
zum Leben in der denkbar gröbsten Form, der der Gourmandise. unge-
brochen perpetuirte! Oder wie charakteristisch für die Weltanschauung des
Pessimismus ist der Umstand, dass die Dichter und Denker grossen Stiles,
die den Weltschmerz künden, wie Petrarca, Pascal, Rousseau, Leopardi,
Byron, Heine, Schopenhauer, Hartmann. Mainlaender. Nietzsche sammt und
sonders entweder direkte Epileptiker und sonstwie geistig hereditär Be-
lastete, oder von einem chronischen Leiden befallene Individuen gewesen
sind. Und endlich noch ein letztes bezeichnendes Beispiel, welche Schlüsse
sich aus einem sonst untergeordneten biographischen Detail auf die Welt-
anschauung eines Denkers ziehen lassen. Wenn wir z. B. vom Arzt
G. H. Schuller, dem Intimus Spinozas, durch seinen jüngst publizirten
Briefwechsel mit Leibniz authentisch erfahren, dass Spinoza erblich belasteter
Phthisikcr war — B. de Spinoza vereor. ut brevi nos derelicturus sit. cum
phthisis (morbus ipsi haereditarius) in dies ingravescere videantur,
schreibt Schuller an Leibniz , dann erklärt sich so Manches in der
Handlungsweise sowohl als auch in der schriftstellerischen Eigenart dieses
Denkers, und dieser erst jetzt bekannter gewordene Umstand wirft ein
neues, überraschendes Licht auf das herrliche Charakterbild dieses erhabenen
Weisen.
Die Hervorhebung dieser für die Biographie eines Philosophen charakte-
ristischen Details, die sich nur auf einzelne typische Beispiele beschrankte,
die aber bei einer erschöpfenden Behandlung des Gegenstandes ins Unge-
messene weiter geführt werden könnte, sollte nur an einigen besonders in
die Augen fallenden Momenten darthun. dass neben den allen Biographien
gemeinsamen methodischen Regeln und Forderungen sich auch spezielle, mit
dem Objekt der Biographie wechselnde Normen aufstellen lassen. Die
rudimentäre, an alle ernsthaften Biographen zu stellende, unabweisliche
Digitized by Google
Zur Metiiodenlehre der BioLrraphik.
31
Forderung ist natürlich diese, dass sie die fach technische Vorbildung,
die zum vollen Verständniss und zur erschöpfenden Würdigung der Leistung
ihres Helden unumgänglich ist, sich in möglichst hohem Grade aneignen.
Wie man ohne gewisse kriegstechnische Kenntnisse niemals die abschliessende
Biographie eines grossen Feldherrn verfassen könnte, so ergeht es den
Biographen aller höheren Berufe: sie müssen sich in den oder die Berufe
ihrer Helden ganz hineindenken und, wo es erforderlich, technisch hinein-
arbeiten, um ihrer grossen Aufgabe ganz gewachsen zu sein. Indem ich es
nun den kompetenten Biographen anderer Berufsarten anheimgebe, die auf
ihrem Gebiet sich ergebenden eigenartigen Schattirungen und spezifischen
Forderungen an eine biographische Kunst zu forrauliren. sei hier der Ver-
such gemacht, einige Hauptpunkte über den Werth und die Weise der
biographischen Kunst im Dienste der philosophiegeschichtlichen Forschung
herauszuheben. Weit davon entfernt das Schema einer „Philosophen-
Biographie" aufstellen zu wollen, sollen die nachfolgenden Bemerkungen
vielmehr nur dazu dienen, eine Frage in Fluss zu bringen, die für den
litterarhistorischen Wissenschaftsbetrieb, der durch eine empfindliche Anzahl
von Auswüchsen und bis zur Karrikatur herabgesunkenen Übertreibungen
dem täglich wachsenden Vorwurf des öden Alexandrinismus ausgesetzt ist,
von nicht zu unterschätzender Bedeutung und Tragweite sein dürfte.
IV.
Die Anfänge einer Historiographie der menschlichen Gedanken liefern
uns ein warnendes Beispiel dafür, wie farblos und blutleer die geschicht-
liche Darstellung philosophischer Theoreme bleibt, wenn sie, auf den intimen
Reiz des Persönlichen verzichtend, nur abstrakte Gedankengänge reproduzirt.
Die ersten Anläufe zu einer philosophiegeschichtlichen Darstellung, wie sie im
ersten Buch der Metaphysik des Aristoteles, in den erhaltenen Trümmern der
18 Bücher O'joixaw do£oiv seines Nachfolgers Theophrast, und in den von
Hermann Diels in seinem grundlegenden Werk „Doxographi graeei" zu-
sammengestellten philosophicgeschichtlichen Überresten der bezüglichen
Werke des Aetius, Arius Didymus. Plutarch, Galen u. A. vorliegen, ent-
halten so gut wie nichts Biographisches. Aber die mangelnde Beachtung, welche
dieDoxographenbei ihren Zeitgenossen und der nächsten Folgezeit gefunden haben,
— sie sind ja zum grössten Theil verloren gegangen und nur fragmentarisch
erhalten — , zeigt zur Genüge, wie fehlerhaft ihre methodische Anlage
war und ein wie geringes Interesse sie infolgedessen einzuflössen vermochten.
Und dies mit vollem Recht. Die chronologische Aneinanderreihung und
statistisch trockene Vorführung abstrakter Gedankengebilde wirkt auch auf
den geduldigsten Leser auf die Dauer ermüdend und abspannend. Die
schematisch aneinandergereihten Gedanken erscheinen matt und blass; sie
kreuzen und verwischen sich, und dies schon aus mnemotechnischen Gründen.
Unser Gedächtnis« fordert Anhaltspunkte, verlangt Ruhepausen zum Atliem-
Digitized by Google
32
Biographische Blatter.
liolen. Wenn aber die abstrakten Gedanken in monotonen Linien, gleichsam
im geschichtlichen Gänseschritt, wie leblose Drahtpuppen von gleicher
Grösse und Farbe an uns vorübertrippeln, dann fehlen jene charakteristischen
Kinschnitte, deren das Gedächtniss zur Einprägung der Differenzpunkte so
dringend bedarf, und die vorgeführten Gedanken verschwimmen in einander
und zerttiessen zu einem gedanklichen Urbrei. Dieser Beobachtung wird
sich Niemand entziehen können, der nicht mit dem Auge des grüblerischen
Forschers, sondern mit dem des unbefangen geniessenden Lesers beispiels-
weise die Ekloge oder Florilegien des Stobaeos neben den Apophthegmen
des Diogenes Laörtes liest. Dort der solide, zuverlässige Bericht über
Gedanken, hier die mit spielerischer Freude eingestreuten, in das Gedanken-
gewebe eingeflochtenen biographischen Skizzen; dort dürre Schemen, hier
warm pulsirendes Leben. Die Forschung mag ja Stobaeos ebensoviel oder
noch mehr verdanken als dem Laertier Diogenes; aber für die Weckung
des Interesses an der Philosophie und ihrer Geschichte hat Diogenes,
dessen Buch im dreizehnten Jahrhundert von Walther Burleigh und im
fünfzehnten von Boninsegnius und Arzignano aufgefrischt worden ist,1)
sicherlich mein- geleistet, als alle Doxographen des Alterthums zusammen-
genommen. Und schliesslich kommt ja auf die Weckung eines solchen
Interesses Alles an. Was nützen dem Forscher seine Resultate, wenn sie
Niemanden interessiren? Das wäre ein Fahren auf todtem Geleise — ein
wissenschaftlicher König Johann ohne Land!
Abgesehen aber von den äusseren Vortheilen, die das Biographische
der philosophiegeschichtlichcn Forschung gewährt: — die Belebung und
Yerpersönlichung der Gedanken, die schärfere Ausprägung der Gedanken-
u nters.ehiede und die damit verbundene mnemotechnische Erleichterung,
die Weckung und Förderung philosophiegeschichtlichen Interesses — , kommen
noch eine Reihe innerer Gründe für den Werth des Biographischen im
Dienste der philosophiegeschichtlichen Forschung und Darstellung in Betracht.
Der Philosoph ist eben keine blosse Gedankenmaschine, in dessen Gehirn
die Gedankenfäden mechanisch ineinandergreifen und sich von selbst zu
einem Gewebe verknüpfen. Hinter dieser Maschine steht vielmehr als
ständiger Dirigent das Ich des Philosophen, das die Fäden nach Aus-
wahl sorgsam scheidet und sichtet, damit das ihm vorschwebende Muster
im gewünschten Farbenton zu Stande kommt. Dieses Ich ist aber allerlei
Strömungen, Stimmungen und ihren Einflüssen unterworfen. Geistige Ver-
erbung, natürliche Anlagen, Lehrer und Mitschüler, Lebenserfahrung und
Lektüre konstituiren eben dieses Ich, das überdies ein ttiessendes ist. Eine
neue Bekanntschaft, sei es die einer Persönlichkeit, einer Wissenschaft,
eines Buches oder einer technischen Erfindung kann diesem Ich unter Um-
ständen eine völlig andere Biegung geben, zuweilen sogar eine entgegen-
r) \V|. meine Abhandlung „Die erste Geschichte der antiken Philosophie in der
Neuzeit" in m. Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. I, 534 ff.
Digitized by Google
Zur Methodenlehre der Biographik.
gesetzte Richtung des Denkens vorzeichnen. Um also die tragenden Ge-
danken der Philosophen nicht bloss in ihrer Genesis zu begreifen, sondern
in ihrem natürlichen Zusammenhange zu erfassen und in ihren Folgen
zu uberschauen, muss das ökonomische, geistige und sittliche
Milieu, aus welchem der grosse Denker hervorgewachsen ist, zunächst
festgestellt werden. Denn vielfach ist es ja nur das geistige Milieu, das
im Philosophen als seinem typischen Repräsentanten denkt. Und gerade
die volkstümlichsten Denker, die ihrer Zeit gleichsam die Zunge lösen,
die nur in eine knappe Formel pressen, was aller Welt längst auf den
Lippen geschwebt hat, ohne dass sich vorher der erlösende Ausdruck dafür
eingestellt hätte — gerade solche Denker sind ja nichts weiter als das
personifizirte Milieu. Einzelne überragende Geister wachsen ja über ihr
Milieu hinaus und schaffen ein neues. Aber selbst dieses ihr Hinaus-
wachsen über ihr Milieu kann nur begriffen werden, wenn zuvor dasjenige,
in welchem sie geworden sind, in seiner Wesenheit festgehalten und in
seiuer Wirkung auf den betreffenden Denker analysirt wird.
Glückliche Beispiele zur Illustrirung dieses Gedankenganges liefern
uns zwei hervorragende philosophiegeschichtliche Publikationen der jüngsten
Zeit: die im Erscheinen begriffenen Griechischen Denker von Theodor
Gomperz nach der positiven, die Geschichte der Philosophie von
W. Windel band (1892) nach der negativen Seite. Bei dem gesicherten
Credo Willielm Windelbands, der durch seine zweibändige Geschichte der
neueren Philosophie und die in zweiter Auflage erschienene Geschichte der
antiken Philosophie, in denen er das biographische ebenso wie das im
weitesten Sinne kulturgeschichtliche Material mit feinsinnigem Verständniss
herbeizuziehen und mit erlesenem Takt auszumünzen verstanden hatte, konnte
er vor einiger Zeit das gewagte Experiment machen, einmal einen historischen
Querschnitt durch die philosophischen Probleme ohne Berücksichtigung des
Biographischen zu versuchen. Er schrieb eine „ Geschichte der Probleme
und Begriffe" und verzichtete geflissentlich auf den „ästhetischen Zauber,
welcher dem individuellen Eigenwesen der grossen Träger jeher Bewegung
innewohnt, und welcher dem akademischen Vortrage wie der breiteren
Darstellung der Geschichte der Philosophie seinen besonderen Reiz verleiht."
Ist nun dieses Experiment geglückt? In den Augen des Forschers vor-
trefflich, in denen des Lesers wohl kaum! So werthvoll und anziehend
dem Kenner der Probleme die geistvolle Zusammenfassung Windelband's
auch ist, so wenig eignet sich das treffliche Buch zur Einführung in das
Studium der früheren Denker. Der allen Menschen eigene Trieb nach
Substanzialisirung und Personifizirung fordert instinktiv zu jedem GJedanken
die Persönlichkeit des Denkers hinzu; der abstrakte Gedanke erhält erst
Leben und Farbe, wenn er in einer grossen Persönlichkeit verkörpert
erscheint. Und schliesslich klebt ja so manchem grossen Gedanken noch der
Erdgeruch seines Entstehnngsortes, das eigenthümliclie Aroma seiner Ent-
Blographische Blatter. I. 3
Digitized by Google
34
Biographische Blatter.
stehungszeit und der persönliche Zauber seines Hervoruringers an. Man
spricht mit vollem Recht von grossen Gedanken, die echt griechisch, römisch,
deutsch, englisch, französisch sind, weil sie nur vom betreffenden Volk zu
einer gegebenen Zeit von einer bestimmten Persönlichkeit erzeugt werden
konnten. Es giebt gewisse geistige Atmosphären, litterarische und künst-
lerische Milieus, die ihre typischen Repräsentanten mit der Gewalt einer
Naturnotwendigkeit hervortreiben. Empfindungen und Gedanken haben
vielfach gewisse vom Klima, von der Bodenbeschaffenheit und der historischen
Tradition abhängige nationale Schranken. Der gebildete Engländer denkt
im Durchschnitt Anderes und anders als der dem gleichen Bildungsniveau
angehörende Franzose — von Deutschen und Franzosen im gegebenen
historischen Augenblick gar nicht zu sprechen. Das Alles zeigt, dass
gewisse Gedanken nicht „zollfrei", nicht von selbstverständlicher Welt-
bürgerlichkeit sind, vielmehr ihr „Ursprungsattest" unverkennbar mit sich
tragen. Die volle Eigentümlichkeit eines grossen philosophischen Ge-
dankens kann daher nur dann durchgreifend erfasst werden, wenn er von
der Persönlichkeit des Trägers dieses Gedankens durchsonnt und der
Schilderung des Milieus, in welchem dieser Gedanke entstanden ist, durch-
leuchtet wird. Wie man den Mann nur innerhalb seiner Kulturbedingungen
begreift — Windelband hat dies in seinen früheren Schriften glänzend
gezeigt — so den Gedanken dieses Mannes nur im Zusammenhange der
Zeit und ihrer Strömungen.
Nimmt man nun aber die drei bisher erschienenen Hefte von Theodor
Gomperz' „Griechischen Denkern" zur Hand, dann begreift man psychologisch
die warme Zustimmung der Fachkreise,1) wie den jubelnden Wicderhall, den
diese neueste „Geschichte der griechischen Philosophie" bei hervorragenden
Männern anderer Berufskreise — man denke an Speidel und den unvergess-
lichen Billroth — geweckt hat. Dass dieses Buch ein litterarisches Ereigniss
geworden ist, verdankt es nebeu seinen vielen sachlichen und stilistischen
Vorzügen nicht zuletzt seiner ebenso feinfühligen wie diskreten Herbei-
ziehung und Ausgestaltung des biographischen Materials. Schon der Titel
„Griechische Denker" deutet die enge Zusammengehörigkeit von Gedachtem
und Denkendem leise an. Wie glücklich ist nun Gomperz in der Durch-
führung dieser durch den Titel sich stillschweigend kundgebenden Absicht,
die Persönlichkeit der Denker schärfer hervortreten zu lassen. Aber
auch die Schilderung des Milieus, das diese Persönlichkeiten gezeitigt hat,
ist eine dermassen gelungene und für die Anlage des ganzen Buches
charakteristische, dass ich in ihr die hervorstechendste schriftstellerische
Eigenart dieser Meisterhand zu erblicken geneigt bin.
Schon die einführenden Bemerkungen über „Land und Leute" ent-
rollen ein stimmungsvolles Kulturbild des alten Hellas. Neben der Hervor-
') So neuerdings K, Wellmann. Arohiv für Oschkhte der Philosophie. Band VIII,
1895, S. 2*4 -2U0.
Digitized by Google
Zur Methodcnlehre der Biographik.
hebang der politischen und sozialen Zustände gelangen auch — und das
ist ein eminent wichtiges Novum — die ökonomischen Bedingungen in
ihrer Wirkung auf die Gesammtkultur zu ilirem Recht. Wenn von Böotien,
der Heimath Hesiods, berichtet wird, dass dort „die Luft minder leicht
und der Menschensinn minder heiter war als in allen anderen Theilen von
Hellas", und dass „Bauernkraft und Bauernverstand das gewaltige Werk
— die Theogonie ist gemeint — verrichtet haben", so steht die kernhafte,
kraftstrotzende Figur dieses „Römers unter Griechen" so lebendig und
plastisch ausgemeisselt vor uns, dass wir ihm förmlich zusehen, wie er
mit „strenger Ordnungsliebe und peinlichem Sparsinn" es anstellt, „das
Inventar der Götterwelt" aufzunehmen (S. 31 ff.). In wenigen Strichen
wird hier ein Milieu gezeichnet, das sich als wahre Fundgrube charakte-
ristischer Züge offenbart. In einem einzigen Satz werden die gegensätzlichen
Charaktere von Homer und Hesiod aus ihrein respektiven Milieu erklärt
und in packendster Anschaulichkeit einander gegenüber gestellt: „Die
fessellos waltende, durch Widersprüche der Sage wenig beirrte Phantasie
jonischer Sänger ist der hausbackenen, systemisirenden Weisheit des
böotischcn Landmannes nicht weniger entgegengesetzt, als der stolze, ge-
hobene Lebensmuth ihrer adligen Hörer sich von dem düstern Sinn der ge-
drückten Bauern und Ackerbürger abhebt, für welche Hesiod gedichtet hat".
überhaupt versteht es Gomperz meisterlich, aus der Schilderung der
I Landschaft, die den grossen Denker erzeugte oder beherbergte, reiches
Material für die Artung seiner Gedanken zu gewinnen. Einem Heraklit,
der eigenartigsten Denkernatur des Alterthums, ersetzt die Landschaft den
Lehrmeister. „Einsamkeit und Naturschönheit waren die Musen Heraklits".
„Wenn der sinnende Knabe auf den zauberisch schönen, von beinahe
tropisch üppigem Pflanzenwuchs bedeckten Höhen umherschweifte, die
seine Vaterstadt umkränzen, da stahl sich manch eine Ahnung des All-
liebens und der in ihm waltenden Gesetze in seine wissensdurstige Seele"
(S. 50). Die geistvolle Rückkonstruirung der Biographie Heraklits aus
seinen deutungsreichen Fragmenten S. 51 ff. sei nur im Vorübergehen mit
einem Worte gestreift. Ebenso sei auf die effektvolle schriftstellerische
Gegenüberstellung von Einst und Jetzt, welche die Darstellung zu künst-
lerischer Wirkung erheben, nur kurz verwiesen. Bei Elea, der Heimath
der elektischen Philosophie, wird S. 127 daran erinnert, dass „der alte Name
heute nur mehr an einem einsam ragenden Thurme haftet", bei Kroton, der ehe-
maligen Pflanzstätte der pythagoreischen Philosophie, wird S. 82 hervorgehoben,
dass „diese Stätte heute verödet daliegt, während sein Name an dem arm-
seligen Fischerdorf Cortona haftet", während die Topographie von Abdera,
das man mit, demselben Recht die Stadt des Atomismus nennen könnte
wie man Königsberg die der reinen Vernunft betitelt. Gomperz heute noch
gestattet. Hippokrates bei seinen Krankenbesuchen zu begleiten, die ihn
einmal zum „Thrakischen Thor", ein andermal in die ..heilige Strasse" und
:{*
Digitized by Google
36
Biographische Bllittor.
in die „Hochstrasse" geführt haben!" Wer sieht nicht das von der Legende
überlieferte Zusammentreffen des Hippokrates mit Demokritos leibhaftig
vor sich, wenn der neckische Pinsel des mit Worten malenden Gomperz
diese einzige Szene wie folgt festhält: „Und so mag auch jenes Gartenhaus
hinter einem Thurm der Stadtmauer und die schartenreiche Platane, unter
deren Laubdach der abderitische Weise mitten unter Schriftrollen und
geöffneten Thierleibern auf seinem Knie schreibend von dem grossen Arzt
angetroffen ward — dieses Bild der Legende mag sich von der Wirklich-
keit nicht allzuweit entfernen", S. 254.
Neben der Schilderung der Landschaft kommt bei der Feststellung
des Milieus die Ermittlung der Rasse wesentlich in Betracht. Da wir,
bei den antiken Denkern zumal, von dem Klternpaar des Denkers in der
Regel nichts erfahren, so müssen zum Mindesten die Rassenmerkmale,
soweit sie sich rekonstruiren lassen, kräftig betont und herausgearbeitet
werden. Als ein glückliches Beispiel der Kennzeichnung dieser
Seite des Milieus greife ich bei Gomperz die knappe Charakteristik von
Thaies, dem „Ahnherrn" der griechischen Philosophie, heraus. „Dieser
ausserordentliche Mann war das Produkt einer Rassenkreuzung: griechisches,
karisches und phönizisches Blut floss in seinen Adern", S. 39.
Für die Bildung des geistigen Horizonts eines Denkers ist auch
die Stellung von Kunstfleiss, Gewerbe und Handel zur Zeit seines
Auftretens nicht ohne Belang. Wären nicht auf der Insel Samos. dem
Geburtsland des Pythagoras, im sechsten Jahrhundert „Schifffahrt, Handels-
betrieb und Kunstfleiss" heimisch gewesen, S. 81, so hätte Pythagoras wohl
kaum so leicht den weiten geographischen Gesichtskreis erlangt, in ent-
legene Fernen zu schweifen, um in fremden Ländern verborgene Wissens-
schätze zu heben und nach Hellas zu verpflanzen. So absonderlich es
auch klingen mag, so bleibt es darum nicht weniger wahr, dass der
Gedankenaustausch der Völker erst ihrem Warenaustausch auf dem Fusse
zu folgen pflegt. Die geistige Zurückgebliebenheit einzelner Völker lässt
sich nicht selten an ihrem Abstände von der Küste messen. Je weiter
eine Kultur von der unsrigen. im „Zeichen des Verkehrs" stehenden zeitlich
zurückliegt, um so mehr Gewicht ist bei der Feststellung des Milieus wie
auf die klimatischen, somatischen und terrestrischen Bedingungen, so be-
sonders auch auf die geographische Lage, auf Kunstfleiss. Gewerbe und
Handel zu legen.
Das Temperament des Volksthums, dem der zu behandelnde Denker
angehört, das freilich vielfach Produkt des Klimas und der terrestrischen
Lage ist, darf bei der Abschätzung der geistigen Individualität des be-
treffenden Denkers nicht ausser Acht gelassen werden. Einem nordischen
Denker kann gar leicht etwas als Fehler vorgerückt werden, was bei einem
südländischen natürlich erscheint, ja ihm unter Umständen sogar vortrefflich
zu Gesichte steht. Selbstgefälligkeit und Ruhmredigkeit würden wir
Digitized by Google
Zur Methodenlehre der BiogTaphik.
bei einem Kant gar nicht begreifen, bei einein Cointe fast vermissen.
Auch dafür möge ein prächtiges Beispiel von Gomperz* glücklicher Er-
fassnng des Milieus hier eine Stelle finden. Um der Persönlichkeit des
Empedoeles gerecht zu werden, in welcher „das echte Gold gediegenen
Verdienstes mit dem Flittergold wesenloser Ansprüche so seltsam gemengt
ist", wird das Temperament seiner Landsleute wie folgt eharakterisirt:
„Ein Hang zur Schaustellung und zur Äusserlichkeit scheint den Bewohnern
der Insel, welche die Wiege der Rhetorik gewesen ist, von altersher
im Blut zu liegen. An den Trümmern der Tempel, welche die Hügel um
Girgenti krönen, befremdet uns ein Zug zum Grellen, zum Effektvollen und
übertriebenen", S. 185. Wie feinsinnig ist hier Sicilien als die Wiege der
Rhetorik zur Entschuldigung der überbeweglichen Psychologie des Empedoeles
verwerthet, und wie diskret sind hier die reichen archäologischen und
kunstgeschichtlichen Kenntnisse, die der Gompcrz sehen Darstellung so sehr
zu statten kommen, im Dienste der philosoplüegeschichtlichen Forschung
herbeigezogen!
Endlich sei noch die Wiclüigkeit der Betonung der Berufe, denen
das Privatleben des Denkers gewidmet war, flüchtig hervorgehoben. Dass
dem „Wasserträger" Kleanthcs gewisse rauhe, herbe Züge eignen, die ihn
auch gedanklich von seinem geschmeidigen, nur zu elastischen Nachfolger
im stoischen' Lehramt Chrysipp scheiden,1! dass der ehemalige „Sklave"
Epictet eine härtere Gedankenbiegung vertritt, als sein Vorgänger, der
aalglatte und geschniegelte Höfling Seneca, und sein kaiserlicher Nachfolger
Marc Aurel, dass der „»Sackträger" Amnionitis wuchtiger und entschlossener
vorgegangen ist, als sein feingebildeter, alle Denkelemente der Vorzeit in sich
aufnehmender Schüler Biotin, dass der Görlitzer Schuster Jakob Böhme die
Mystik markiger zusammengehämmert und schärfer zurechtgespitzt hat,
als seine kantianisirenden Verwässerer Baader und Schölling, sieht man
wohl ohne Weiteres ein. Und so lassen sich die Einflüsse der Sonderberufe
der Denker, sofern solche vorhanden waren, wohl durchgängig nachweisen.
Der „kirchliche" Beruf der mittelalterlichen Denker, der „ärztliche" Beruf
bei Renaissancedenkern wie Cardanus und Paracelsus, der „staatsmännlsehe"
Beruf bei Macchiavelli, Morus, Bacon, der „Erzieher- und Reisebegleiter-
Beruf" bei Hobbes, Locke und Hume, das Brillenschleifen Spinoza s u. s. w.,
das Alles ist nicht spurlos an den Systemen der betreifenden Denker
vorübergegangen. Leise und unvermerkt schleicht sich so manche im Beruf
erlangte praktische Erfahrung in das theoretische Denken ein, um dort zu
einer generellen Wahrheit umgestempelt zu werden. Und gar oft überträgt
man auch im Beruf erworbene Charakterzüge auf das theoretische Denken.
Wenn Gomperz beispielsweise dem Eleaten Melissos Unerschrockenheit des
Denkens nachzurühmen hat, „gleichviel ob ihn am Ziel Hohngeschrei oder
') Vergd. die Charakteristiken dieser lieiden stoischen Schulhliupfer in meiner
Psychologie der Stoa I, S. 168- 178 und Krkenntni.s-stheorie der Stoa II, 8. 316—348.
Digitized by Google
38
Biographische Blätter.
.Jubelrufe erwarten", so konnto dies kaum glücklicher als durch die Be-
rufung auf die nautische Thätigkeit des Melissos geschehen. „Der beherzte
Admiral war ein Denker von vollendeter Furchtlosigkeit" (S. 156). Durch
diese Heraushcbnng des Admirals in Melissos tritt uns diese absonderliche
Denkergestalt menschlich näher. Seine dialektischen Spiegelfechtereien
verlieren den ihnen sonst anhaftenden ominösen Beigeschmack, als handle es
sich dabei um lustige Capriolen eines geistigen Jongleurs und Viertelskopfes
oder gar um geflissentliches Falschmtinzerthum; sie erscheinen vielmehr im
weit milderen Lichte des dialektischen Husarenstttckchens oder des kecken
Säbelhiebs, den der thatenlustige Berufssoldat der Vernunft versetzt Er
befiehlt seinen Gedanken mit kurz angebundenem Commandowort, wie etwa
seinen Matrosen, sich an einer bestimmten Stelle zu gruppiren und zum
Angriff überzugehen, ohne zu erwägen, dass es in keiner Armee so schwierig
ist, stramme Disziplin aufrecht zu erhalten und seinen Befehlen strikte
Nachachtung zu verschaffen, als im Heer — der eigenen Gedanken.
Und noch ein Weiteres! Je grosser der zeitliche Abstand ist, der
uns von einem Denker trennt, und je winziger und unzuverlässiger das über
ihn vorhandene biographische Material ist, desto schwieriger wird es, seine
Gestalt festzuhalten und sich einzuprägen. Wenn wir nicht viel mehr von
ihm wissen als den blossen Namen, so verflüchtigt sich dieser sehr bald
zum blossen Begriff von schattenhafter Unbestimmtheit. Glückt es nun
aber, einen charakteristischen Zug aus seinem Leben, insbesondere seinem
Berufsleben, aufzuspüren und mit dem Charakter seines Denkens unge-
zwungen zu verweben, dann belebt sich sofort das schattenhafte Gebilde,
und die Persönlichkeit des Denkers geht unverlierbar in unsern geistigen
Besitz über.
So haben wir eine Reihe von Momenten gefunden, die bei der
Schilderung des Milieus, das den Denker erzeugt und trägt, nicht ausser
Acht gelassen werden sollten. Dass daneben und vor Allem auch die
politischen, sozialen, rechtlichen, moralischen, künstlerischen und allgemein
litterarischen Faktoren Berücksichtigung finden müssen, versteht sich von
selbst. Kein moderner Darsteller der Geschichte der Philosophie wird sich
diese Faktoren entgehen lassen oder sie ungestraft auch nur vernachlässigen
dürfen, seitdem der Altmeister Eduard Zeller ihre Unentbehrlichkeit für
das intime Verständniss grosser philosophischer Bewegungen für immer
dargethan hat.
Warum die allseitige Kennzeichnung des Milieus gerade bei der Dar-
stellung eines Philosophenlebens von besonderer Wichtigkeit sein soll,
lässt sich unschwer aufzeigen. Ist es doch die Aufgabe der Philosophie,
die Elemente aller Wissenschaften und Künste aufzudecken, mit einander
in Verbindung zu setzen, etwaige unter ihnen sich ergebende Unebenheiten
oder logische Widersprüche zu glätten und auszugleichen, um solchergestalt
eine einheitliche Weltanschauung zu ermöglichen, einen leitenden Faden
Digitized by Google
Über den biographischen Gehalt des altdeutschen Minnesanges.
39
durch den chaotischen Wirrwarr dieser kaleidoskopisch bunten Mannigfaltig-
keit, die sich Welt nennt, herauszufinden! Wie nun der Philosoph grössten
Stiles Alles überblicken muss, um es in eine oder wenige Formeln zu
fassen, so muss auch sein Biograph alle Elemente aufzuspüren suchen, die
dieses gewaltige Ich konstituiren. Jede andere Berufsart hat es nur mit
einem Ausschnitt des Universums zu thun; der Philosoph allein mit dem
Universum selbst! Die Allseitigkeit des Objekts, mit welchem sich der
Philosoph zu befassen hat, heischt gebieterisch eine möglichste Allseitigkeit
in der psychologischen Analyse jenes Subjects, welches das All begreift —
oder doch zu begreifen vermeint.
Der einzelne biographische Forscher kann indess kaum übersehen, ob
und welchen Werth diese oder jene Notiz aus dem Leben eines Denkers
für den künftigen berufenen Biographen desselben haben könnte. Darum muss
in mühsamster Kleinarbeit Alles, aber auch Alles, zusammengetragen werden,
dessen man nur irgend habhaft werden kann. Hier und nur hier liegt die
wissenschaftliche Berechtigung des biographischen Details und des litte-
rarischen Krimskrams! Es muss auch Spreu angesammelt werden, sintemal
man nicht wissen kann, ob nicht ein künftiger grosser Forscher daraus ein
Goldkörnchen wird herauspicken können. Man kann auch im Gebiete der
Wissenschaft nicht ökonomisch genug verfahren. Nichts ist zu geringfügig,
als dass es nicht gelegentlich von einem überlegenen Geiste glücklich ver-
werthet und ausgenützt werden könnte. Wie man jetzt aus Lumpen und
Abfällen werthvolle Gewebe fabrizirt, so mag vielleicht ein grosser litterar-
historischer Konstrukteur aus litterarischem Kleinkram dereinst ein prachtiges
Ganzes zusammenstellen. Das rastlose Aufzeichnen von litterarhistorischen
Notizen und sorgfältige Registriren aller erreichbaren biographischen Details
wäre öder Alexandrinismus nur dann, wenn dieses Ansammeln Selbstzweck
bliebe. Heute ist sich indess jeder ernst zu nehmende biographische Detail-
forscher darüber wohl klar, dass diese seine Thätigkeit nur Kärrnerarbeit
ist. Doch muss diese mühselige, geduldheischende Kärrnerarbeit unweigerlich
verrichtet werden, sollen künftige Könige mit Erfolg bauen können.
*
Ober den biographischen Gehalt des altdeutschen
Minnesanges.
Von i
ANTON E. SCHÖNBACH.
Es ist eine besonders während der letzten Jahrzehnte vielberegte
Frage, die auf den folgenden Blättern erörtert werden soll. Nicht bloss,
wer es sich vorsetzt, die geschichtliche Entwicklung des altdeutschen
Minnesanges überhaupt zu erforschen, sieht .sich gcnöthigt, mindestens für
Digitized by Google
40
Biographische Blätter.
sich nach einer beruhigenden Lösung zu streben, sondern auch die grosse
Zahl jüngerer Gelehrter, die sich mit einzelnen Dichtem dieser Gruppe
befassen, Texte kritisch herausgeben, Zusammenhänge feststellen, Charak-
teristiken liefern, findet sich immer wieder vor dem einen grossen Problem:
in wie weit ist es möglich, aus den Liedern der altdeutschen Lyriker auf
ihre Lebensverhältnisse zu schliessen, in wie fern entsprechen sich da
Dichtung und Wahrheit und welche Methoden besitzen wir, um aus den
überlieferten Versen die Schicksale ihrer Verfasser zu ermitteln? Schon
der Umstand, wie hartnäckig diese Frage am Horizont der deutschen
Literaturgeschichte bleibt, belehrt uns, dass sie mit ganz eigentümlichen
Schwierigkeiten behaftet sein muss. Das ist wirklich der Fall und zwar
in solchem Maasse, dass durch einen ausgezeichneten Kenner dieser Studien
(Burdach, Anzeiger f. d. Altcrth. 12, 190 ff.) sogar von Bemühungen abgerathen
wurde, mittelhochdeutsche Lieder biographisch auszudeuten, das sei un-
fruchtbar und aussichtslos. So berechtigt mir diese Abwehr unreifer
Untersuchungen an sich scheint, so vermag ich solcher Skepsis doch nicht
ganz zuzustimmen. Ich sehe vorläufig davon ab, dass die Frage nach dem
biographischen Werth der altdeutschen Lyrik auch im Zusammenhange mit
einer ästhetischen Theorie der Lyrik überhaupt behandelt werden kann,
ich fasse den Minnesang zunächst nur als historische Erscheinung. Dabei
nehme ich Biographie fürs erste einfach als Lebensbeschreibung, als
Schilderung des äusseren Verlaufes eines Dichterdaseins.
Wir besitzen über die deutschen Minnesänger so gut wie gar keine
biographischen Nachrichten. Einzelne von ihnen werden gelegentlich in
den litterarischen Stellen höfischer Epen rühmend genannt, im Tristan
Gottfrieds von Strassburg, bei Rudolf von Ems. Heinrich von dem Türlin
und sonst noch, aber ohne dass dem meist allgemein gehaltenen Lobe That-
sächliehes könnte entnommen werden. Die ungeheuren Massen von Urkunden,
die besonders in unserem Jahrhundert gedruckt wurden, hat man auf diese
Dichter hin bereits eifrig durchforscht, und es sind auch in der That viele
Namen, hauptsächlich in den Scharen der Zeugen, zum Vorschein gekommen.
Doch sind das eben nichts als Namen, und so wichtig es unter Umständen
sein mag, zu wissen, wo ein Sänger, dessen Leben wir genauer kennen,
zu einer bestimmten Zeit sich aufgehalten hat, (wofern nämlich die Urkunde
darüber sicheres Zeugniss ablegt, was bei den Rittern, die zum gewöhnlichen
Gefolge eines Fürsten gehörten, keineswegs immer der Fall ist), so gleich-
gültig ist es, wenn diese Erwähnung das einzige Datum seiner geschicht-
lichen Existenz ausmacht oder eines aus ganz wenigen, weit von einander
abhegenden. Das ist alles. Wer da weiss, dass wir mehr als hundert
Biographien provenzalischer Troubadours in Aufzeichnungen aus der ersten
Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts besitzen, dass uns geschichtliche Er-
läuterungen zu einer. Anzahl ihrer bedeutendsten Gedichte aufbehalten
sind, der wird verwundert fragen, weshalb diesem Keichthum gegenüber der
Digitized by Google
Über den biographischen Gehalt des altdeutschen Minnesänge*.
41
deutsche Minnesang im Gedächtniss der Nachfahren so übel weggekommen
ist. Wollen wir darauf ausreichend antworten, so ist es erforderlich,
genauer aufzuklären, unter welch verschiedenen Umständen die Lyrik der
Provence und die mittelhochdeutsche sieh entwickelt haben.
Es ist ein arger Irrtum, und doch begegnet man ihm oft, wenn an-
genommen wird, dass die süd- und nordfranzösische sowie die deutsche
Minnepoesie nur unwesentlich unterschiedene Gestaltungen ein- und des-
selben Phänomens des mittelalterlicben Geisteslebens darstellen. In Wahrheit
ist ihnen nichts gemeinsam als der Stoff, die Liebe, und in Form und
Ausdruck, was die Deutschen von den Romanen entlehnt haben. Das
Minnewesen findet sich im zwölften und dreizehnten Jahrhundert bei allen
Kulturvölkern des Abendlandes, es giebt eine Lyrik dieses Inhaltes auch
in Italien, Spanien und Portugal, sogar in der englischen Litteratur. Aber
indess man die letztgenannten Erscheinungen in ihrer Besonderheit wohl
auseinander zu halten versteht, giebt man sich meines Eraehtens noch immer
Täuschungen über die enge Verwandtschaft zwischen den Hauptgruppen
hin. Die Minnedichtung entspringt bei Provenzalen, Franzosen und Deutschen
aus verschiedenen Gründen und entfaltet sich auch anders bei jedem dieser
Völker.
Uns allen ist die Thatsache geläufig, dass die Anfänge des Minne-
wesens bei den Provenzalen bis ins elfte Jahrhundert zurückreichen und
dass dämm die Lyrik, die es littcrarisch abspiegelt, nicht sehr viel jünger
sein wird. Wie es kam, dass gerade dort zuerst die ..Frau" zu einer so
beherrschenden Stellung in Leben und Poesie gelangte, scheint in der
Hauptsache klar. Die Provence, von der Natur aufs glücklichste aus-
gestattet, ist deshalb auch der Sitz einer uralten Kultur. Weit über die
Romer hinaus, zu Griechen und Phöniziern, reicht unsere Kunde über
blühende Niederlassungen und reiche Handelsstädte am mittelländischen
Meer, Massilia zuvörderst. Wer das vielfarbigo und bewegte Bild im
Gedächtniss hat, das der Historiker der Merowinger, Gregor von Tours,
von dem Leben der südfranzösischen Städte entwirft, wie es nach den
Gräueln der Völkerwanderung bestand, den wird die Fülle des Glanzes
nicht erstaunen, der sich bei dem Adel und den Kaufleuten des gesegneten
Landes im zwölften Jahrhundert aufthut. Das ganze Gebiet ist in viele
kleine, aber intensiv bewirthschaftete und darum erträgnissreiche Güter ge-
spalten, die Zinsungen fliessen zum Theil an prunkvollen Höfen zusammen,
in den Städten bewegt sich ein internationaler Verkehr, ganz insbesondere
mit dem benachbarten hochstehenden Italien. Dem äusseren Leben ähnlich
entwickelt sich das geistige, das nun freilich bis ins zwölfte Jahrhundert
mehr in der lateinisch-kirchlichen Litteratur als in dem Schrittthum der
klangvollen Volkssprache an den Tag tritt. Ks giebt eine vornehme Ge-
sellschaft, die sich am Spiele des Witzes und in feinen Umgangsformen
ergötzt, ganz von selbst nehmen da die Frauen den vordersten Rang ein,
Digitized by Google
42
Biographische Blatter.
und man braucht gar nicht daran zu denken, dass ihr Emporsteigen etwa
als ein Überlebsel aus alten Antrieben, vergleichbar dem Hetärenwesen
der Blüthezeit Athens oder dem verliebten Treiben in dem Rom des Catull
und Horaz, anzusehen wäre. „Frauen" im engeren Sinne des Wortes
waren es, die für die Gesellschaft der Provence den Ton angaben (wie
heute in Frankreich und Italien), die Mädchen hielt häusliche Zucht oder
klösterliche Erziehung ferne von dem Geräusch der Welt. Daher sind
auch nur reife, vermählte Flauen die Heldinnen der provenzalischen Minne-
poesie, ganz selten ereignen sich Fälle, in denen der Sänger um die Liebe
eines Mädchens wirbt. Nimmt man dazu, dass die Heirathen in den wohl-
habendsten Familien der Grundherren kaum je aus persönlicher Neigung
geschlossen, sondern durch die Interessen des Besitzes bestimmt wurden,
dass also das Eheband nicht sehr eng geschlungen war, hingegen eine
neue romanische Tradition der vermählten Frau grössere Freiheit gestattete,
so sind die Verhältnisse der Damen zu den Sängern auch trotz der vor-
kommenden Standesunterschiede wohl zu begreifen. Die Gefahr, der die
Heiligkeit der Ehe dabei [ausgesetzt war, darf man freilich nicht gering
anschlagen, in den Augen einer grossen Zahl von Männern galt sie so viel
nicht, weil doch sie selbst sich nicht weniger ungenirt bewegten. Aus-
nahmen, wenn den erfolgreichen Troubadours ein böses Geschick strafend
widerfährt, werden mit solchem Lärm in der Überlieferung hervorgehoben,
dass sie die Regel deutlich durchblicken lassen. Trotzdem glaube auch ich,
die provenzalische Liederkunst sei so schlimm nicht gewesen, als sie uns
heute scheint: Gesellschaft und geselliger Verkehr waren bereits hoch aus-
gebildet, als sie aufkam, deshalb durfte sie ihnen als ein willkommener
Schmuck dienen, die Seufzer und Werbungen der Troubadours erfreuten
mit ihren wohlklingenden Strophen den Kreis der Hörer und ehrten die
gepriesenen Damen. Gerade dass so häutig, man darf vielleicht sagen,
meistens, der Sänger den Namen seiner Herrin oflen nennt oder wenigstens
die Schönheit ihres Leibes, ihrer Gowänder, ohne Scheu vor Erkennimg
rühmt, scheint mir ein sicherer Beweis, dass die provenzalische Minne-
dichtung wahrhaft und mehr als irgend anderwärts eine gesellige Kunst
gewesen ist. Deshalb kann ich auch dem neuesten und erprobten Schilderer
dieser Verhältnisse (Stiinming in Gröbers Grundriss für roman. Philolog. II
2, 15) durchaus nicht beifallen, der von dem Frauendienste der Provence
meint, „er danke seine Entstehung wesentlich dem gewaltigen Aufschwünge
des Marienkultus im elften Jahrhundert". Das ist, näher überlegt, nicht
denkbar. Wofern man nicht Frauendienst und Marien Verehrung als zwei
Ausdrucksformen derselben Lebensanschauung in gegenseitige Wechsel-
wirkung setzen will, ist man gezwungen, das Minnewesen für älter und
für einen Impuls zu halten, von dem der kirchliche Kultus Marias stark
gefördert wurde. Da er so alt nicht ist, als man gemeinhin annimmt,
empfiehlt sich diese Auffassung, obgleich schon das Hervortreten des
Digitized by Google
Über den biographischen Gehalt des altdeutschen Minnesanges. 43
Gottessohnes in der französischen Theologie des elften Jahrhunderts not-
wendig" auch eine Steigerung des Ansehens der Gottesmutter zur Folge
haben musste. Andere Antriebe für die Marien Verehrung Sudfrankreichs
hat die kirchliche Archäologie in bisweilen sehr seltsamen Beziehungen an
den Tag gebracht
Diesem Ursprünge gemäss sind auch die Eigentümlichkeiten des pro-
venzalischen Minnesanges beschaffen. Das Lob der geliebten Frau konnte
in einem kleineren Umkreise auch die höfische Gesellschaft interessiren,
die ja die vornehme Dame mindestens dem Namen nach kannte; und war
solches Lob ohne erkennbaren persönlichen Bezug ausgesprochen, dann zog
es an, weil die anwesenden Ritter darunter ihre Schönen, die Frauen aber
sich selbst verstehen durften. Es ist wenig echte, tiefe Leidenschaft in
diesen Liedern zu spüren, deren Ausdruck für geselliges Vergnügen über-
dies kaum passlich gewesen wäre. Dafür ist der Minnetheorie, den all-
gemeinen Erörterungen über die Liebe, ihre Macht und Eigenschaften, der
Liebesdialektik, weiter Raum gegönnt. Und endlich der "Reflexion, der
Analyse der eigenen Empfindung, dem Urtheile darüber, Leistungen prak-
tischer Psychologie, die sich in jener Zeit sehr wohl begreifen, wenn wir
uns des eingehenden Studiums erinnern, das die Theologen, besonders in
asketischer Betrachtung der Sünde, auf die Zerlegung und Erkenntniss der
Vorgänge des Seelenlebens gewandt hatten. Alles Übrige der Lyrik der
Provenzalen ist politisch und didaktisch. Es darf jedoch nicht verab-
säumt werden, die hohe Bedeutung hervorzuheben, die dabei der „Kunst"
als solcher, der Formengebung, zugestanden war. Ist das feine Ohr der
Romanen allenthalben empfänglich für den Reiz des Verses an sich, für
Rhythmus und Reim, so war die Form in dem provenzalischen Minnesange
besonders ausgebildet. Dagegen trat sogar die Musik zurück, denn, soweit
wir es wissen, waren selbständige neue Melodien bei neuen Liedern dort
durchaus nicht nothwendig, die Weise wich dem Text, die Musik brachte
rieh beim Vortrage mehr begleitend als führend zur Geltung.
Ein anderes Bild gewährt die altfranzösische Lyrik. Zwar ist sie
anter dem unmittelbaren Einfluss der provenzalischen entstanden, aber sie
hat es nicht entfernt zu deren Erfolgen gebracht. Ihre Lieder sind un-
persönlich, mehr sentimental als gefühlvoll, die Reflexion wiegt vor. Sie
war auch stets ein Stiefkind und galt im französischen Hoflebon nur so
viel, als der gute Ton ritterlicher Unterhaltung begehrte. Weit über sie
hinaus ist die höfische Epik gewachsen, die in einem fruchtbaren Grunde
nationaler Überlieferung wurzelte. So hat sich denn auch eine Misch-
gattung, die zwischen Lyrik und Epik mitten inne steht, die Romanzen
und Pastourellen, aufs glücklichste entwickelt: ihr kam es noch zu gute,
dass sie aus der Volkspoesie selbst schöpfen durfte. Trotz dieser un-
günstigen Umstände hat die altfranzösische Lyrik doch eigcnthttmliehe
Formen hervorgebracht und hat der altdeutschen die wesentlichsten
Digitized by Google
44
Biographische Blatter.
förderndsten Anregungen gegeben. Da sie hauptsächlich in den nord-
französischen Landschaften betlieben wurde, so waren der Vermittlung
nach dem deutschen Boden, zunächst an den Niederrhein, die Wege geebnet
und gewiesen, und wie die französische Theologie seit dem Anfange des
zwölften Jahrhunderts durch den Verkehr der Klöster und die politischen
Verbindungen der Kirche auf die deutsche geistliche Litteratur befruchtend
eingewirkt hat, so ist mit den äusseren Formen der Ohevalerie die französische
Epik und Lyrik im Geleite des Verkehres vor allem der Höfe, im diplo-
matischen Austausch, in Deutschland eingezogen.
Die Blüthe des deutschen Minnewesens, ungefähr von 1170 — 1230, weist
nun wieder ganz andere Zöge auf als die romanischen Vorbilder. Zwar
hat es im Südosten, in Oesterreich und den anstossenden Gauen Bayerns,
wie es scheint, eine bodenständige volksthümliche Liebeslyrik schon früher
gegeben, allein auch sie unterliegt bereits, dem Einflüsse der neuen gesell-
schaftlichen Bildung, des Ritterthums. Ganz von diesem erfüllt ist die Lyrik
des deutschen Westens, der in der Aufnahme der Ohevalerie, so weit sich
das aus der Bewaffnung, den militärischen Einrichtungen, dem Wappcnwesen
u. a. erschliessen lässt, dem Osten um ein paar Jahrzehnte voraus war.
Prüfen wir nun die Eigenheiten des deutschen Minnesanges, so fällt uns
zunächst der stark persönliche Charakter dieser Lyrik auf: die eigensten
Empfindungen des Sängers bilden den Hauptstotf seiner Kunst. Und diese
Empfindungen sind echt, nicht gemacht und auf dem Wege der Reflexion
gewonnen. Dafür spricht nachdrücklich das von allem Anfang an durch-
wegs festgehaltene Gebot, den Namen der Geliebten zu verschweigen.
(Vgl. Uhland? Schriften 5, 142. Wackernagel, Altfranz. Lieder u. Leiche
S. 208. Litteraturgesch. 2 1,305.17. Nicht einmal die provenzalischen Um-
schreibungen finden sich, Diez, Poesie des Troub.2 s. 132.) Das kann
nicht darin begründet sein, dass die Lieder, durch Fahrende verbreitet
oder von den Verfassern selbst vorgetragen, mit den Namen der ange-
sprochenen Frauen ausgestattet, weitere Kreise der ritterlichen Gesell-
schaft nicht interessirt haben würden; ist ja trotzdem genug Persönliches
vorhanden gewesen, das doch die aufmerksame Theilnahmo der Hörer
errang. Freilich, lebendiger, anschaulicher, frischer in der Darstellung der
Situationen ist der deutsche Minnesang durch diese Enthaltsamkeit nicht
geworden. Mussten doch bei Schilderungen alle ^tatsächlichen Einzelheiten
vermieden werden; dämm vermisste Uhland in seiner meisterlichen Ab-
handlung über die Lyrik sogar die Kleiderbeschreibungen (Schriften 5, 134).
Wichtiger ist ein Anderes: das stärkste Motiv für die Ausbildung des
.provenzalischen Minnesanges war der Ruhm, der durch die Lieder der
Sänger für die Frauen zu erwarten war, deshalb begünstigten sie die Dichter,
schmeichelten ihnen und gaben sich sogar lieber hin, bevor sie auf das
öffentliche Lob verzichteten. Dieser mächtige .Antrieb fehlte in Deutschland
fast ganz, denn dass die Frau in stiller Kemenate wusste, das durch den
Digitized by Google
über den biographischen Gehalt des altdeutschen Minnesanges. 45
Boten überbrachte oder durch den Spielmann ihr vorgetragene Prcislied
beziehe sich auf sie selbst, diese bescheidene Genugthuung vermochte jene
Impulse nicht zu ersetzen. Eine weitere Folge solcher Umstände ist, dass
der deutsche Minnesang keine Dichterinnen mit Namen kennt wie der
provenzalisehe : wurde wegen der Wahrheit der Liebesverhältnisse die
Person der Geliebten in Dunkel gehüllt, so durfte die Frau nicht offen die
Gefühle des Sängers erwiedern. Dass es heimlich geschah, wissen wir.
Die sogenannten „Frauenstrophen" der altdeutschen Lyrik (in der Regel
durch die Verwendung der Pronomina im Eingange kenntlich gemacht) sind
zum Theile gewiss von den Frauen selbst gedichtet, zum Theil von den
Sängern nach Botschaften und Mittheilungen ihrer Damen bearbeitet und
zum geringen Theile (häufiger erst in späterer Zeit) von den Männern zum
Ausdruck ihrer Wunsche frei ersonnen. ( Vgl. Burdach, Reinmar u. Walther
S. 75 ff. Zeitschr. f. d. Altert. 27, 367. Mein Buch „über Hartmann von
Aue" S. 370 ff.; dagegen Weinhold, Deutsche Frauen2 1, 147 ff.); aber die
Namen der Verfasserinnen durften in keinem Fall preisgegeben werden.
Es würde hier zu weit fuhren, wollte ich noch andere Unterschiede
des Inhaltes- zwischen der deutschen und romanischen Minnedichtung be-
handeln (irrig Gervinus, Gesch. d. d. Dicht.5 1, 479 ff. 486 ff.). Äussere
Differenzen hat einst schon Diez klar gelegt ( Poesie der Troub. 2 S. 243 ff.).
Vielleicht ist am wichtigsten, dass trotz der Entlehnungen des deutschen
Strophenbaues von den Romanen doch die technischen Ausdrücke der
Romanen nicht mit Übernommen worden sind, ja es hat sich überhaupt
eine Terminologie der poetischen Formen in Deutschland gar nicht aus-
gebildet (die schwachen Anläufe dazu hat Wackernagel verzeichnet Littgesch.8
1. 303 Anm. 33,34). Das wird ebensowohl aus der geringeren Kunst in der
guten Zeit der deutschen Minnepoesie wie aus der grosseren Bedeutung
der Musik in Deutschland zu erklären sein.
Aber enthält denn in der That der altdeutsche „Minnesang", wie wir
zu sagen uns angewöhnt haben, nur Liebeslieder wie der französische?
(Das nimmt Gervinus an a. a. O. 483 ff. 499 ff.). Mit richten. ( Vgl. Wacker-
nagel. Altfranz. Lieder u. L. S. 208 f.). Unter den 854 Strophen, die in
der klassischen Sammlung „Minnesangs Frühling" (5. Auflage, 1888) von
Lachmann und Haupt herausgegeben wurden, gehören 582, also beiläufig
zwei Drittel, wirklich der Minne im engeren Sinne an, das heisst, sie be-
fassen sich mit den persönlichen Liebesverhältnissen der Dichter; 272 nicht,
und darunter entfallen 157 auf unpersönliche „Minnetheorie", die verhandelt
werden könnte, ohne dass wahre Liebe in Frage kam, 80 Strophen sind
didaktischen Inhaltes, 35 religiösen. Noch bezeichnender gestaltet sich das
Verhältnis« bei einzelnen hervorragenden Sängern: unter 52 Strophen
Heinrichs von Veldeke gehören 29 der Minne, 22 der Minnetheorie, 1 der
Religion. Und der Meister der älteren Lyrik, Reinmar von Hagenau, hat
unter 259 Strophen 167 der Minne selbst gewidmet, in 76 unpersönlich
Digitized by Google
4«
Biographische Blätter.
(Iber sie reflektirt, dazu kommen 13 didaktische, 3 religiöse Strophen.
Schlagend tritt dieses Verhältniss heraus bei dem Klassiker des altdeutschen
Minnesanges, VValther von der Vogelweide: von seinen 455 Strophen wendet
er nur 137 auf seine persönliche Liebe, 127 erörtern Minnelehre (diese
(Gruppe ist nicht immer gut von der folgenden abzusondern). 157 be-
schäftigen sich mit Didaktik, worunter ich die Politik einbegreife, 34 mit
Religion. Und in der späteren Entwickelung des Minnesanges mehren sich
die Gedichte, die Reflexion und Theorie enthalten, dessgleichen die lehr-
haften, es vermindert sich die Zahl der Lieder, die der persönlichen Lyrik
angehören, ebenso rasch als die Echtheit der ausgedrückten Empfindungen
schwindet.
Wie verstehen sich die Verschiedenheiten zwischen Deutschen und
Romanen, die bei einer ihnen gemeinsamen Erscheinung, dem Rittcrthum
und dem Gebrauch seiner Lebensformen im Minnedienste, hervortreten? Not-
wendig müssen die historischen Zustände und Verhältnisse, unter denen diese
Entwickelung stattfand, in deutschen und romanischen Ländern verschieden
gewesen sein. Irre ich nicht, so lässt sich das beweisen. Vor allem mache
ich aufmerksam, dass bei den Provenzalen fast ganz, bei den Nordfranzosen
grossentheils eine Standesschicht fehlt, die vom elften Jahrhundert an durch
das zwölfte und dreizehnte in Deutschland zu grosser Redeutung gelangt
ist: die Ministerialen oder Dienstmannen. Ursprünglich unfreie Leute, sind
sie durch Tüchtigkeit, wohl auch durch Bildung ausgezeichnet, zunächst
als Verwaltungsbearate ihren adeligen Herren unentbehrlich geworden, sind
allmählich aufsteigend neben sie getreten und sogar über sie hinaus gelangt.
Insbesondere im Reichsdienste und wieder vornehmlich unter den Staufern
haben diese Ministerialen die angesehensten Stellungen eingenommen.
(Das hat \V. Nitzseh dargethan, vgl. noch Waitz, Verfassungsgeseh. 2 5 ed.
Zeumer, v. Zallinger: Ministeriales und Milites, Lamprechts Wirthschaft*-
geschichte durchweg; falsch Gervinus a. a. 0. 509.) Trotzdem blieb bis weit
ins dreizehnte Jahrhundert hinauf ein gewisser Makel der Unfreiheit an
ihnen haften: Ehe zwischen Adeligen und Ministerialen setzte nach alter
Volksanschauung den besser geborenen Theil dauernd herab und wurde
deshalb gemieden. Nun gehören, wie ich gefunden habe und anderwärts
vielleicht noch ausführlich darlegen werde, die Minnesänger der ersten
Epoche zum grössten Theile diesem Stande der Ministerialen an, unter den
älteren bedeutenderen linden sie sich, in der behandelten Periode der
deutschen Lyrik machen sie gut zwei Drittel der Gesammtheit der Dichter
aus. Sie sind um die Wende des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts
schon alle mit dem Rittergurt ausgestattet. Nun bedenke man, dass diese
hervorragenden, gebildeten, zu Hof- und Staatsämtern verwendeten Mi-
nisterialen in der ritterlichen Gesellschaft der Zeit den deutschen Frauen
adeliger Abkunft entgegentraten, mit denen sie die Vorzüge der Bildung
geraein hatten (vgl. Wackernagel. Littgesch. - 1, 134 und Anm., S. 306,
Digitized by Google
Über den biographischen Gehalt des altdeutschen Minnesanges.
47
Anm. 22), von denen sie aber noch immer durch Standesunterschiede
getrennt waren. Ergaben sich da die thatsächlich vorhandenen Be-
ziehungen der Minne nicht von selbst, nmssten die Frauen nicht häutig
ihre Gemahle ungünstig mit den Dienstmannen vergleichen, musste da nicht
von vorneherein in diese Poesie der Ton der Sehnsucht dringen, der innere
Zwiespalt eintreten, der sie charakterisirt? Die Werbung, muthiges Zu-
gestandniss und ängstliches Versagen, die Bedeutung der ere in diesen
Kämpfen des Gemüthes, die Rolle der merka're, begreift sich das nicht
alles sehr wohl unter diesen Voraussetzungen? Wäre auch die Leidenschaft
der Deutschen goringer gewesen als die der Provenzalen, was man nach
meiner Kenntniss (gegen Gervinus) nicht annehmen darf, so erklärt doch
der Umstand, dass die Frau durch ihre Beziehung zu dem Sänger oft nicht
bloss in der Khe, sondern auch in der Standesehre geschädigt zu werden
fürchtete, das Scheue, Unsichere, vor allem aber die Heimlichkeit des
ganzen Verhältnisses. Von Jahrzehnt zu .Jahrzehnt milderten sich die
Gegensätze und später, als der Minnesang wirklich zur geselligen Kunst
geworden war, hatte diese ganze Kunst ihre Form schon fest aufgeprägt
erhalten, war der Rahmen gezogen, ausserhalb dessen sie sich nicht mehr
bewegte, bis sie beim Übergang in die Kreise des Bürgerthums ihren sach-
lichen und persönlichen Inhalt vollkommen einbüsste und zu blossen me-
trischen Übungen sich erniedrigte. So, denke ich, erklärt sich die
besondere Art der altdeutschen Lyrik, wobei ich natürlich andere Momente,
wie die Verschiedenheit der Begabung derVölker u.s.w. zwar nicht unterschätze,
hier aber nicht verhandeln will. Ich bemerke nur noch, dass man das Kindringen
der Chevaleric und des Minnewesens meines Eraehtens jetzt noch immer
um einige Dezennien zu spät ansetzt. Wenn in den Liedern des sogenannten
Kttrenbergers, öfters bei Meinloh von Sellingen, der Begriff des merkapre
schon um 1170 ganz feststeht, wenn Friedrich von Hausen in den acht-
ziger Jahren bereits über eine ausgebildete Terminologie für die huote
verfügt, dann müssen die den Worten zu Grunde liegenden Sachen doch
wenigstens durch ein Menschenalter vorher aus dem Westen eingedrungen
und geläufig geworden sein. Ganz abgesehen davon, dass wichtige Funkte
der ritterlichen Lebensordnung sich auch selbstständig in Deutschland mögen
festgesetzt haben (Steinmeyer im Anzeiger f. d. Alterth. 2, 144). Das stimmt
mit den Beobachtungen Uberein. die wir an der Geschichte der höfischen
Epik raachen, und mit den Zeugnissen, die uns die kirchliche Litteratur
der Zeit über die sittlichen Zustände Deutschlands gewählt.
So weit sind wir nun. dass wir erkennen, weshalb der altdeutsche Minne-
sang so arm ist an Erwähnung äusserer Thatsachen: damit wird es auch zu-
sammenhängen, dass die Lebensschicksale der Sänger selbst nicht mit der Sorgfalt
aufgezeichnet wurden, wie das in der Provence geschalt : sogar der Manessische
Digitized by Google
48
Hiographische Blätter.
Kodex, dessen Herstellung ein bleibendes Denkmal des Interesses für die
Minnepoesie bildet, enthält zwar die Texte, giebt ihnen selbst in Gemälden die
ideal aufgefassteu Sänger und ihre grossentheils phantastischen Wappen bei.
berichtet aber mit keinem Worte über die Geschicke der Dichter, von
denen doch manche dem kunstsinnigen Sammler oder seinen Helfern noch
bekannt sein mussten. Und diese Texte, enthalten sie denn ausser den
Liebesgeschiehten keinerlei Andeutung Uber Leben und Wirken der Ver-
fasser? Im ganzen keine — soweit nicht politische Anspielungen von uns
wahrgenommen und gedeutet werden dürfen — obwohl ich nicht bestimmt
in Abrede stellen mochte, dass es nicht doch gelingen könnte, ihnen noch
dieses oder jenes Ergebniss abzulocken. Ich meine, auf dem Wege eines
tieferen Kindringens in die realen Lebensverhältnisse der Zeit, aus dem
sich uns dann wohl ein besseres Verständniss einzelner Stellen der Über-
lieferung eröffnen wird, als wir heute besitzen. Gleichnisse, die jetzt be-
deutungslos sind, können noch historische Züge gewinnen; Verse, über die
wir gleichgültig hinweglesen, mögen sich als Anspielungen erweisen. Das
Liedchen des Kitters. an die Dame gesandt, stellt sich als ein Ueirathsantrag
dar, weil die damals in der Kirche gebräuchlichen Formeln des Ehever-
löbnisses darin gebraucht werden. Bestimmte äussere Lebensverhältnisse
werden klar, wenn sich zwischen den Worten des Dichters und dem
Sprachschatz der Kirche (Gervinus leugnet das vergebens a.a.O. S. 503).
der Verwaltung, des Rechtes, des Krieges u. s. w. Beziehungen aufthun.
Der Wort- und Ph rasen vorrath eines Sängers kann — sofern nur das
Material ausreicht — zu Schlüssen auf seinen Bildungsgang benutzt werden,
die sich dann wieder zu geschichtlichen Thatsachen verdichten. Man
braucht also die Hoffnung nicht aufzugeben, dass aus ihren Strophen selbst
für die Biographien der altdeutschen Minnesänger noch manche Punkte
ihres äusseren Lebens möchten festgelegt werden.
Höher wird man für die Biographie die innere Entwicklung des
Dichters anschlagen. Und haben wir nicht wenigstens dabei in* der
deutschen Minnepoesie sicheren Boden unter den Füssen? Verschiedene
Forscher urtheilen darüber verschieden. Wer diese Lyrik ohne Vorein-
genommenheit studirt. weder um jeden Preis Resultate erlangen will, noch
allzu bequem auf jegliches positive Ergebniss verzichtet, der wird vor allem
bald sehen, dass die einzelnen Abschnitte des altdeutschen Minnesanges,
wie sie der Zeit nach auf einander folgen, auch verschiedene Stufen in
dem Verhältniss zwischen Wahrheit und Dichtung des Inhaltes bezeichnen.
Ich für meine Person kann nicht einsehen, warum jener ersten Epoche,
etwa von 1170— 1230. in Bausch und Bogen der Glaube in Bezug auf das
Thatsiichliehe des Inhaltes der Liebeslieder versagt werden sollte; sobald
dieselben Dichter lehrhaft werden oder religiöse Stoffe behandeln, glauben
wir ihnen ja ohnediess und beurtheilen sie anders. Ist meine früher dar-
gelegte Anschauung richtig und wohnt der Poesie dieser Zeit ein wohl
Digitized by Google
über den biographischen Gehalt des altdeutschen Minnesangos.
49
erklärbarer persönlicher Charakter inne, dann wird man die darin vor-
getragenen Ereignisse des Liebeslebens doch mit Vertrauen aufnehmen
dürfen (vgl. Burdach, Anz. f. d. Altert. 9, 350 ff.). Es bleiben dann noch
genug Schwierigkeiten übrig: einmal solche, die überhaupt bei aller Lyrik
auf dem Wege zwischen Erlebniss und Dichtung liegen; ferner die, welche
für die Rekonstruktion einer Liebesepisode in dem Zustande der hand-
schriftlichen Überlieferung begründet sind; auf beide Gruppen von Pro-
blemen lasse ich micli nicht ein. Allerdings muss ich hinzufügen, dass auch
meiner Ansicht nach schon in dieser ersten Epoche des7 Minnesanges
wänwisen vorkommen, Gedichte, die keine anderen Thatsachen voraussetzen,
als die Spiegelungen in der Einbildungskraft ihrer Verfasser. Ich meine
aber doch, dass aus einem nur einigermaassen genügenden Vorrathe von
Liedern der Charakter des Sängers bestimmt genug erschlossen werden könne,
um zu beurtheilen, ob solche Gedankenspiele ihm zuzutrauen sind oder nicht.
In den späteren Abschnitten vermehren sich auch die Gedichte, die auf
blossen „Gedankenerlebnissen" (wie das Werner in seinem Buche „Lyrik
und Lyriker", 1890, nennt) beruhen, ungemein im Verhältniss zur Gesammt-
zahl. Es kommt dann die Menge der Lieder hinzu, die den bereits ge-
läufigen Stoff nur fortdichten, — galt ja erst dieser Zeit die Dichtkunst
als lehrbar (Wackernagel, Littgesch. 2 1, 138 und Anm. 51. 52, ferner S. 303)
— diese Poesie ist somit für biographische Untersuchungen überhaupt
unbrauchbar. Das hängt aber damit zusammen, dass, wie bereits gesagt,
sie eben nun erst wirklich zu einer geselligen Kunst geworden ist, eine
Eigenschaft, die ich der ersten Epoche abspreche, indem ich ihren lyrischen
Schöpfungen nur so viel Rücksicht auf das Publikum zugestehe, als jeder
Dichter allzeit nehmen muss. Für sich allein hat noch keiner gesungen.
Das Alles ist wenig genug, immerhin aber mehr, als heute von manchen
Litterarhistorikern eingeräumt wird. Vergleicht z. B. Gervinus (a. a. 0.
S. 489 ff.) die lateinische Vagantenpoesie mit dem deutschen Minnesange
zu dessen Ungunsten, spricht jener eine Echtheit und Lebendigkeit zu, die
dieser gänzlich fehle, so vergisst er dabei Eines: die Goliarden durften
ihre übermüthige Üppigkeit unverholen, ohne jegliche Scheu, realistisch
aussprechen, weil man nur im Kreise ihrer gebildeten Standesgenossen, des
Klerus, Latein verstand und ein Dichter in dieser Sprache sehr wenig
genirt war. Aus den Briefwechseln französischer und deutscher Kleriker
im zwölften und dreizehnten Jahrhundert lernt man erstaunt, wie andere
und rücksichtsvoller wichtige Dinge des Lebens in den Nationalsprachen
verhandelt wurden denn in der lateinischen Standessprache.
Es giebt aber noch andere Zugänge in das innere Leben der Minne-
sänger. Wilhelm Scherer hat zuerst (1870 — 1874) Beobachtungen über den
Stil einzelner von ihnen angestellt, sie zu einer Charakteristik ihrer Kunst
verbunden, chronologisch zu ordnen versucht und dadurch eine ganze Reihe
von Forschungen angeregt. Von Konrad Burdach ist dann die Stilgeschichte
Biographische Blätter. I. 4
Digitized by Google
50
Biographische Blätter.
zu einer Geschichte der inneren Entwickelung der Dichter verarbeitet
worden in seinem Buche „Reinmar der Alte und Walther von der Vogel-
weide" (1880), das sogar ganz zuverlässige Ergebnisse für das Leben
Walthers geliefert, bekannte Thatsaehen in anderer Weise gedeutet und
wesentliche Charakterzüge erkennen gelehrt hat. Die von Burdach an-
gewandten Methoden werden mit Nutzen auch für die anderen Sänger in
Bewegung gesetzt werden dürfen, von denen noch manche, weil ihnen zu-
fällig gute Ausgaben bisher nicht zu Theil geworden sind, unverdient im
Hintergrunde stehen. Sie können dabei jeder für sich betrachtet werden
oder in ihrem Verhältnis^ zum Ganzen des Minnesanges: endlich wird doch
auch einmal die Zeit kommen, die uns eine wissenschaftliche Geschichte
der altdeutschen Lyrik darbringt. Wortschatz, Syntax, poetische Motive,
ihre Auswahl und ihr verschiedener Gebrauch, die Beziehung der Form
zum Inhalt, das Alles muss in einer fortschreitenden Entwicklung bei dem
Dichter beobachtet und erklärend verknüpft werden, denn es stellt in sich,
als ein integrirender Theil seines Geisteslebens, dessen Werden dar. Den
Gedanken vorrath des älteren Minnesanges hat Wilmanns im dritten Ab-
schnitte seines schönen Buches „Leben und Dichten Walthers von der
Vogel weide" (1882), vielleicht nach den Vorbildern von Diez und Uhland,
zusammengetragen; diese Übersicht erleichtert es ungemein, das persönliche
Eigenthum der Dichter von der geistigen Überlieferung ihrer Zeit abzu-
scheiden. Das wird noch mehr der Fall sein, wenn es gelingt, den
Gedankenkreis des Minnesanges mit dem der Kirche des zwölften Jahr-
hunderts zu vergleichen: die Berührungen sind überraschend zahlreich und sehr
ergiebig für ein genaueres Urtheil über die Leistung der altdeutschen Lyrik.
Mit vielen Forschern linde ich mich gewiss einig, wenn ich, zumal
bei dem bescheidenen Stande unserer historischen Kenntniss. als das höchste
Ziel, das von dem philologischen Studium des Minnesanges angestrebt
werden muss, die Konstruktion der Dichtercharaktere bezeichne. Mir
persönlich scheint dies eine der vornehmsten Aufgaben unserer Wissenschaft
überhaupt, vielleicht aus einer gewissen Einseitigkeit heraus, weil ich es
nie vermocht habe, mich für eine Dichtung zu interessiren, sofern es mir
nicht gelang, den Menschen mir vorzustellen, der sie geschaffen hatte.
Wollen wir das Leben einer vergangenen Zeit unseres Volkes mit ein-
dringendem Verständniss in uns wieder erwecken, um es emeut vor die
Augen der G egenwart zu stellen, — und darin begreift sich für mich die
ganze Arbeit der deutschen Philologie — so kann das ja doch nur geschehen,
indem die einzelnen Persönlichkeiten, wie sie von uns erkannt worden sind,
zu einem Gesainintbilde ihrer Epoche an einander gefügt werden. Nun
verkenne ich freilich nicht, dass wir bei diesem heiklen Werk mit sehr
groben Mitteln arbeiten. Schon die wesentlichsten Definitionen, deren wir
uns bedienen, sind keineswegs fest umschrieben und werden auch nicht
einheitlich verwendet. Was ist Charakter? Eine Summe von Eindrücken
Digitized by Google
Über den biographischen Gehalt des altdeutschen Minnesanges.
51
einer Persönlichkeit, die ich dadurch gewinne, dass ich ihr Denken und
Handeln im Verhältniss zu den wichtigsten menschlichen Dingen, zu Gott,
Welt und Leben, hinreichend oft in Einzelfällen beobachten konnte, um
darin gewisse Linien eines gewohnheitsmässigen Verfahrens wahrzunehmen.
Und das Maass dafür? Ich entnehme es doch zunächst meinem eigenen Wesen,
der Erfahrung meiner Zeit, und muss die Abstände dieser von der Art
des Vorgängers, mit dem ich mich beschäftige, genau schätzen können,
will ich nicht den Fehler des unkundigen Fisclyägers begehen, der die
Gesetze der Brechung des Lichtes im Wasser praktisch nicht handhaben gelernt
hat. Die moderne Psychologie bietet zur Bewältigung solcher Probleme
noch wenig brauchbares Werkzeug dar, weder ist es fein noch zuverlässig,
und wir sind darum von einer sicheren Methode historischer Psychologie
noch weit entfernt. Was sich uns heute als „Experimentalpsychologie"
präsentirt, das steht noch in seinen allerersten Anfängen, und ich theile
durchaus nicht die Zuversicht mancher Philologen (z. B. Roetteken in
der Vierteljahrsschrift für vergleichende Littgesch. 1895), die schon jetzt
von den Studien auf diesem Gebiete Förderung der Litterarhistorie erhoffen.
Um so weniger sehe ich mich veranlasst, von meiner Zurückhaltung abzu-
gehen, wenn ich merke, wie ausserordentlich rasch eine persönliche Er-
fahrung, unter bestimmten singulären Umständen einmal zu Wege gebracht,
sich den gelehrten Philosophen unter der Hand in eine „praktische That-
sache" verwandelt, aus der dann Schlüsse deduzirt werden, die sich sofort
zu „Gesetzen" zusammenfügen, indess es noch durchaus an einer zu-
reichenden Induktion gebricht. Da werden wir uns denn doch lieber in
Geduld fassen und abwarten.
Vielleicht können wir aber für die praktische Psychologie, die wir an
den altdeutschen Texten treiben müssen, anderswoher ein wenig Unter-
stützung erlangen. Darf man nicht bei der Rekonstruktion eines persönlichen
Charakters die Charakterqualitäten seines Volkes oder Stammes als einen
Faktor unter anderen mit in Betracht ziehen? Da fragt es sich zu-
vörderst: existirt das überhaupt, was wir Nationalcharakter nennen, und
wenn, ist das nicht auch eine wechselnde Grösse in verschiedenen histo-
rischen Zeiträumen? Ich bejahe beide Glieder dieser Frage unbedingt.
Für die Entstehung des ,, Volkscharakters" ist mir die Analogie der Sprache
maassgebend. Wir wissen heute Folgendes: die Sprache eines grossen
Volkes, z. B. der Germanen, unterscheidet sich von der ungeheuren all-
gemeinen Einheit, innerhalb deren sie sich befindet, durch eine Reihe von
Besonderheiten. Nenne ich das Gemeinsame Bekannte a, die Besonder-
heiten x, so geben a-rx zusammen den Charakter der Volkssprache. Das
Volk zerfällt in Stämme: die Eigenthümliehkeit. durch die sich eine
Stammessprache von der Volkssprache unterscheidet, heisse x1, so formulirt
sich der Charakter der Stammessprache zu a-^r-x1. Steige ich nun durch
die verschiedenen dazwischen liegenden Einheiten — Gau, Dorf, Familie,
4*
Digitized by Google
52
Biographische Blätter.
Haus — herab bis zum Individuum, so stellt sich mir die Summe des
Bekannten Allgemeinen nebst allen dazu gehörigen Besonderheiten dar als
a+x -rji-L-a- Jrxr; das ist die Individualsprache. Gleicher-
weise verhält es sich meines Erachtens mit dem Charakter des Individuums,
der ebenso aus den allgemeinen Qualitäten des Volkes, hinzugenommen die
Besonderheiten der niedrigeren Einheiten bis zur einzelnen Persönlichkeit
herunter, sich zusammensetzt, wie das bei der »Sprache der Fall war. Will
ich also den Charakter eines Menschen ermitteln, so darf ich die mir be-
kannten Eigenschaften seines Volkes als bestimmte Addenda in der Zu-
sammensetzung seiner Persönlichkeit annehmen. Die von Bertillon begründete
Anthropometrie bietet, wie ich glaube, ein weiteres schlagendes Analogon
dar : elf Körpermerkmale genügen nach ihm zur absolut sicheren Feststellung
eines Individuums. Wie es gelingt, indem bei jedem Merkmal eine Anzahl
von Individuen ausgeschaltet wird, zur Begrenzung einer einzigen Persön-
lichkeit absteigend zu gelangen, so müssen auch die addirten Besonderheiten,
z. B. innerhalb der Bevölkerung Frankreichs, zu einer Summe verbunden
werden können, welche diese Nation körperlich charakterisirt.
Kann es denn überhaupt anders sein? Das Individuum ist das Produkt
von zwei Eltern, die von vier Menschen ausgegangen sind, und
so fort: Uberall her erben sich die allgemeinen und die besonderen Qualitäten
zusammen: in letzter Linie sind ebenso gewiss alle Menschen unter einander
blutsverwandt, als jeder für sich eine Siunme von stufenweise immer kleiner
werdenden Gruppen übereinstimmender Merkmale bildet. Beim Charakter
kommen allerdings ausser den angeborenen noch erworbene Eigenschaften
in Betracht, die ihrerseits wieder in solche zerfallen, die bewusst beigebracht
werden, und solche, die unbewusst angewachsen sind. Darum ändert sich
ja auch der Charakter eines Volkes im Laufe seiner historischen Entwicklung,
und ich glaube es nicht nur, ich meine es zu wissen, dass die Deutschen um
1200 andere Charakterqualitäten und in anderer Mischung besessen haben
als die Deutschen von 1900.
Kehren wir zurück zur biographischen Forschung über den altdeutschen
Minnesang, so dürfen wir diese Studien nicht mit Siegcsgewissheit betreiben,
brauchen sie aber auch nicht resignirt bei Seite zu legen. Indem wir die
Persönlichkeit des Dichters, wie sie aus seiner Schöpfung uns entgegentritt,
in Bezug setzen zu dem Charakter seines Volkes, erhellen wir eines der
beiden durch das andere, vermindern die Zahl der unbekannten Grössen in
den zusammengehörigen Gleichungen und gelangen somit vielleicht doch zu
einer für unseren Erkenntnisstrieb ausreichend genauen Vorstellung von
beiden. In diesem Betrachte fördern und ergänzen sich, wie ich denke,
Biographie und Völkerpsychologie: Einblicke in die Persönlichkeit, Aus-
blicke über das Ganze des Zusammenhanges, in den sie gestellt ist, verbinden
sich zu einem klaren Bilde altdeutschen Geisteslebens.
c£> _
Digitized by Google
Eine Meinung über Autobiographien.
53
Eine Meinung über Autobiographien.
An den Herausgeber dieser Blätter schrieb gelegentlich der Einladung
Peter Rosegger den folgenden Brief:
Sehr geehrter Freund!
Ihre Absicht, eine Zeitschrift fOr Biographien herauszugeben, gefällt
mir. Keinem Literaturzweige verdanke z. B. ich so viele Belehrung und
Anregung, als biographischen Werken. Bei der Beschreibung der Helden,
Erfinder, Entdecker ist man mir zwar manchmal zu sehr äusscrlich, zu
wenig innerlich; jeder Mensch interessirt mich vor allem als Mensch. Es
kommt nicht immer darauf an, dass der Held einer Biographie ein mannig-
faltiges, thatenreiches Leben geführt; seine Entwickelung, sein Wollen,
Streben, Kämpfen und Leiden, seine Glückseligkeitsanlage sind mir oft fast
noch wichtiger. Und derlei schreibt freilich Jeder am besten selbst. Der
Selbstbiographie sollten Sie viel Baum geben. Bei der schreibseligen
Gegenwart wundert es mich, dass so Wenige daran denken, ihr eigenes
lieben aufzumerken. Das kennt doch Jeder von sich am besten, sollte
man 'meinen, und jedes Menschen Leben ist wichtig. Freilich auf die
Art der Darstellung kommt es an, auf den Charakter des Darstellenden.
Nicht Jeder verfügt Uber die Ilanptbedingungen des Selbstbiographen:
Wahrheit und Klarheit. Klarheit Uber sich selber, Klarheit für Andere,
das ist viel verlangt. Dann Aufrichtigkeit und Strenge, ohne Eitelkeit und
ohne falsche Bescheidenheit — das ist noch mehr verlangt. Leider kennen
wir uns selbst lange nicht so gut, als wir glauben, darum ist für den Auto-
biographen strenge und unausgesetzte Selbstprüfung nöthig. Man hüte sich
vor Stimmungen und werthe sich vor allem nach seinen eigenen Hand-
lungen, wenn es überhaupt darauf ankommt, sich zu werthen, was aber bei
einer objektiven Sclbstbesehreibung fraglich bleibt. Ich habe zu sagen,
wie ich bin; wie viel ich werth bin, sollen Andere schätzen. Der Mensch
ist interessant als Schändender, Ringender, Siegender, interessanter als
Irrender, Fehlender, am interessantesten als Sünder. Aber nicht etwa dass
er als frivoler, selbstgefälliger Sünder auftrete, vielmehr als redlicher Wahr-
heitsucher soll er seine Bekenntnisse der Welt darlegen, ohne Umschweife,
ohne Beschönigung und ohne Entstellung. Wenn er freimüthig sagt, wie er
ist, wie es so mit ihm ward und wie er sich des Besseren bestrebt, dann
wird er gerechtfertigt- sein. Solche Selbstbeschreibungen und Selbstbekennt-
nisse wären nach meiner Meinung von grossem Werthe. sie würden uns —
immer vorausgesetzt die Wahrhaftigkeit — in der Menschenwissenschaft
weiter bringen als Philosophie. Wichtiger als die Meinung der Menschen
ist ihr Sein.
Freilich, zu früh darf man nicht anfangen mit der Beschreibung
seiner selbst. Als ich in früher Jugend meine Selbstbiographie dem Dichter
Digitized by Google
54
Biographische Blatter.
Robert Hamcrling vorgelegt, sagte er lächelnd, das wäre ja sehr schön,
nur pflege man seine Biographie nicht zu Anfang des Lebens zu schreiben,
vielmehr gegen Ende desselben. Er selber hielt es so und seine „Stationen
meiner Lebenspilgerschaft" sind ein Beispiel, wie ichs meine. Hamerling
schrieb nicht Wahrheit und Dichtung, sondern lautere Wahrheit; vielleicht
hatte er hiervon nur noch zu wenig gesagt. Kunstwerk wird eine Biographie
selten sein, und warum? weil das Leben des Menschen selbst so selten ein
Kunstwerk ist.
Halten Sie einmal Rundfrage an hervorragende Charaktere: Was war
in Ihrem Leben das Entscheidende? Was war in Ihrem Dasein das wichtigste
Ereigniss? — Sie werden Beiträge erhalten, die für Biographie, Philosophie
und Literatur gleich werthvoll sind. Das „Dekorum" soll abkommen, der
Freimuth soll aufkommen. Hinter dem sechzigsten Lebensjahre hinauf
verliert der Mensch die Lust am äusseren Schein, er sieht freier den
Gehalt des Lebens, er verfügt über in der Schule des Schicksals hart errun-
gene Selbsterkenntniss, und wenn zu seiner grösseren Mittheilsamkeit auch
die Aufrichtigkeit kommt, dann ist für ihn Zeit, die Selbstbiographie zu
.schreiben. Wer jedoch einen schönen Roman daraus machen will, dem danken
Sie höflich und sagen Sie, schöne Romane hätten wir ohnelün schon genug,
aber ernste, tiefgründende Biographien und Selbstbekenntnisse hätten wir
noch zu wenig. Und wenn Einer selbstgefällig mit seinen Tugenden oder
prahlerisch mit seinen Lastern kommt, dann deuten Sie an, dass an Heuchlern
und Cynikera auch gerade kein Mangel wäre, dass Sie hingegen ein
Schätzer des echten Mannesmuthes seien, der in Selbstachtung und Demuth
zugleich für sich einsteht und sein Wähnen und Wirken offen dem Urtheil
der Menschheit zu unterbreiten wagt.
Also frisch ans Werk zum Blatte für Biographie und Selbstbiographie!
Mit aufrichtigem Glückwunsch
Ihr ergebener
Peter Rosegger.
Graz, am 11. Febr. 1895.
❖
Joseph Schreyvogels Entwurf einer Wiener Hof- und
Staats-Zeitung.
Mitgetheilt und eingeleitet von
KARL GLOSSY.
Schreyvogels Thätigkeit als Schriftsteller ist bisher noch immer nicht ein-
gehend gewürdigt worden. Der künstlerische .Huf des Burirtheaters. von Schrey-
vogel begründet, hat ihm ein unverfängliches Andenken in der Geschichte des
deutschen Theater» gesichert und seinen Namen über das heimathliche Gebiet
seines "Wirkens verbreitet. Als Schriftsteller hingegen war er nahezu vergessen,
Digitized by Google
Joseph Schreyvogels Entwurf einer Wiener Hof- und Staats-Zeitung.
55
und erst in unseren Tagen ist die Forschung auch seinem litterarischen Wirken
gerecht geworden. Seine Schriften, die bei ihrer geringen Auflage heute bereits
sehr selten sind, vor Allem aber sein „Sonntagsblatf* reihen Schreyvogel in
litterarischer Hinsicht zu den Besten seiner Zeit, und Aufgabe der Literatur-
geschichte wird es sein. Schreyvogels grosse Verdienste in das richtige Licht zu
stellen. Dies kann jedoch nur im Zusammenhange mit der Geshichte »einer
Zeit erfolgen, mit der Darstellung jener Verhältnisse, gegen die Schreyvogel
nicht minder, ja noch weit mehr zu kämpfen hatte, als in seiner Eigenschaft
als Dramaturg und Leiter der ersten deutschen Bühne. Schreyvogels Anfang
als Schriftsteller fällt in den Beginn der nachjosephiniscben Periode, in welcher
der kürzlich noch lebhafte Pulsschlag der öffentlichen Meinung bereits in eine
bedenkliche Trägheit verfallen war.
Seine ersten Schriften sind politischen Inhalts und mit jener Vorsicht ab-
gefasst, die durch die Strenge der Zensur bedingt war. Eine Reihe von Be-
schränkungen der Pressfreiheit, mit denen übrigens schon Joseph II. in den letzten
Jahren seiner Regierung begann, «um der unsinnigen Schreibsucht nach und nach
am sichersten ein Ende zu machen**, drängte das freie Wort in streng gemessene
Schranken und hemmte das Aufklärungswerk in empfindlicher Weise. Die Vor-
gänge in Frankreich vermehrten die Ängstlichkeit der Alachthaber gegen das
geschriebene Wort. Nicht einmal eine objektive Darstellung der Zeitereignisse
sollte stattfinden. Man ging im Staatsrathe von der Ansicht aus, dass, so wie
man sich hüte vor jungen Leuten von Lastern zu sprechen, auch die politischen
Gräuel der Kenntniss des Volkes entzogen werden müssen. Es durfte daher
nicht mehr gedruckt werden, als in der Wiener Zeitung publizirt wurde. Da
aber diese ausser Berichten über Hoffeste und Mittheilungen über die Vorgänge
in der Türkei sonst keine anderen, weder inländische noch ausländische Nach-
richten enthielt, so blieb dem Wiener Publikum kein anderer Ausweg übrig, als
durch ausländische Blätter sich über die Ereignisse in- und ausserhalb des Vater-
landes unterrichten zu lassen. Das ging aber nur kurze Zeit, da nach und nach
die meisten Blätter verboten wurden, darunter auch die Allgemeine Zeitung,
deren Eigenthümer Cotta lauge Zeit hindurch vergeblich dagegen Vorstellungen
erhob. Die Ängstlichkeit beschränkte sich aber keineswegs auf politische
Zeitungen, sie erstreckte sich auch auf die philosophischen und schöngeistigen
Zeitschriften, die, als im Dienste der revolutionären Grundsätze verdächtig, strenge
tiberwacht wurden. Besonders lenkte sich die Aufmerksamkeit auf Nicolai"»
-Allgemeine deutsche Bibliothek", hauptsächlich aber auf die Jenaer Litteratur-
zeitung, der man in Folge ihres Eifers für die kantische Philosophie den grössten
Antheil an dem sittlichen Verderben beimass. Noch 1789 hatte Kaiser Joseph
die Litteraturzeitung wegen ihrer Gemeinnützigkeit von der Stempelung befreit,
drei Jahre danach war sie verboten. Mit der Begründung, dass dem Staate
nicht nur die Obsorge über die physische, sondern auch über die geistige Wohl-
fahrt des Volkes zustehe, wurde nach und nach die Presse als ein Ül>el be-
trachtet, gegen deren Verbreitung ein umfassender Apparat von Präventiv- uud
Prohibitivmassregeln in Anwendung kam. Nur wenige Beherzte, darunter auch
Joseph Schreyvogel, bewahrten den Muth, in der Zeit des üppig blühenden
Denunziantenwesens als Apostel der Aufklärung in wahrhaft patriotischem Sinne
aufzutreten. Wir finden seinen Namen zu dieser Zeit in zwei Zeitschriften ver-
treten, die nahezu das Um- und Auf der damaligen periodischen Litteratur aus-
machen: in „der Wiener Zeitschrift- und in der,, Österreichischen Monatsschrift1*.
Erstere, von dem berüchtigten Hoffmann 1792 begründet, enthält 2 Aufsätze von
Schreysogel und zwar (1. Band): -Ein Vorschlag, den Streit über das Recht
Digitized by Google
56 Biographische Blatter.
der Konstitution betreffend, mit einer kurzen Prüfung der neuesten Äusserungen
des Herrn Justus Moser über das benannte Recht- (gez. : .T. Svl.). ferner im
2. Band 4. Heft : „Hat vor dem Hochgerichte der französischen Nation eine
nächtliche Klage gegen die ausgewanderten Franzosen statt? u (Gez. : Svl.) Den
ersten Aufsatz, eine vornehm gehaltene Polemik gegen Mosers Aufsatz in der
Berlinischen Monatsschrift (1791), hat Hoffmann hinterlistig mit spöttelnden Be-
merkungen versehen. Eine weit umfassendere ThHtigkeit Äusserte Sehreyvogel in
der -Österreichischen Monatsschrift *, die sein Freund Alxinger 1703 begründet
und bis zum Ende dieses Jahres geleitet hatte, worauf Sehreyvogel.- Ehrenberg,
Leon, Ratschky und Schwandner abwechselnd die Herausgabe der Monatschrift
übernahmen, deren letztes Heft im Juni 1704 erschien. Im ersten Jahrgange
dieser Schrift hat Sehreyvogel ein Trauerspiel: «Die eiserne Maske" veröffentlicht,
und im Dezemberheft ist ein von ihm unterzeichneter Aufsatz erschienen, betitelt:
„Ein Beitrag zur Geschichte der Proscriptionen". Weit umfassender ist Schrey-
vogels Thätigkeit im Jahrgang 1794. Die meisten seiner Aufsätze sind hier voll
gezeichnet, einige nur mit dem Anfangsbuchstaben seines Namens; ausserdem wird
derjenige, der mit Schreyvogels Stileigenthümlichkeit vertraut ist, mit Leichtigkeit,
auch noch eine Reihe nicht signirter Aufsätze von ihm rinden. Viele derselben
sind polemischer Natur, gegen Hoffmauu und den Herausgeber des Magazins Hof-
stäter gerichtet, der gleich dem ersteren ebenfalls eine denunziatorische Thätig-
keit entfaltete und mit jenem wiederholt den Vorwurf der Geheimbündelei gegen
Sehreyvogel erhoben hatte, den dieser mit den Worten abwehrte: rIch habe keine
IKTsiinliche Ursache, gegen die geheimen Gesellschaften Geliudigkeit und Schonung
zu empfehlen. Sie gehen mich nichts an. Ich stehe mit keiner derselben in
Verbindung und habe auch nie mit irgend einer in Verbindung gestanden." Trotz
dieser offenen Erklärung dauerten die Anfeindungen heimlich fort, und obwohl es
unrichtig ist. dass Sehreyvogel in den damaligen Wiener Jakobinerprozess ver-
wickelt wurde, so ist es anderseits richtig, dass er, müde der hässlichen An-
feindungen und überzeugt von der Nutzlosigkeit seines Wirkens in der Heimath,
es vorgezogen hatte, eine freiere Luft in Jena zu athmen, wo er im Verkehr
mit hervorragenden Geistern neuen Lebensmuth schöpfte. Ein herzlicher Brief
Wielands, der sich im Nachlasse Schreyvogels vorgefunden, bezeugt die gute
Aufnahme, deren sich der Österreicher im Auslände zu erfreuen hatte. In
Wielands deutschem Merkur hat Sehreyvogel, der sich auch an der .lenaer
Litteraturzeitung betheiligte, seinen Roman ä la Riehardsoii, betitelt: „Der
deutsche Lovelaeeu. anonym veröffentlicht. —
1706 nach Wien zurückgekehrt, verkehrte er häufig mit dem von Sonnen-
fels hochgeschätzten Professor der allgemeinen Weltgeschichte an der Wiener
Universität Mumelter von Sebenthai und dem schwarzenbergischen Hofrathe
Leopold Pliieh von Seinsberg, im Kreise dieser Männer scheint die Idee zu
einem gemeinsamen Wirken an einer Wochenschrift gefasst worden zu sein, deren
Plan uns erhalten geblieben ist. Handschrift und Papier dieses nicht datirten
Schriftstückes weisen auf diese Zeit zurück. Das Projekt, das sich streng an
englische Muster anschliesst, führt verschiedene Titel: »Der Stammler", „Die
Invaliden14. „Die Müssiggünger** , „Die Untauglichen". Es stellt eine Gesellschaft
von o 6 Personen vor, die eine Art von Club bilden, worin sie Nützliches und
Angenehmes verhandeln. Der Wunsch, auch das Publikum daran theilnehmen zu
hissen, führt zu der Idee eines Wochenblattes in Form eines Rulletins über ihre
Versammlungen. Die Wochenschrift soll in Wien erscheinen und von Österreichern
gelesen werden; Gegenstand das bürgerliche und häusliche Leben und alles sein, was
die Angelegenheiten eines Privatmannes, seine Pflichten und Obliegenheiten im Staate
Digitized by Google
Joseph Schreyvogels Entwurf einer Wiener ITof- und Staats-Zeitung.
57
und Kirche, in seinem Stande und in der Gesellschaft betrifft. Alles in Allem
der Vorbote des späteren Sonntagsblattes, wodurch Schreyvogel seine litterarische
Meisterschaft bekundete. Warum der Plan damals nicht zur Ausführung kam, ist
aus Schreyvogels Aufzeichnungen nicht zu ersehen. Als wahrscheinliche Ursache
kann das Projekt eines neuen grossartigen Unternehmens angesehen werden, das
Schreyvogel damals in Gemeinschaft mit Professor Mumelter entworfen hatte,
dessen schriftliche Darstellung aber, wie urkundlich nachgewiesen ist, von Sehrey-
vogel allein ausgeführt wurde. Der Plan betrifft die Umänderung der
-Wiener Zeitung*1 in eine .Hof- und Staatszeitung nach englischem Muster. Die
Wiener Zeitung war seit langer Zeit an die Erben des Johann von Ghelen
verpachtet, der bereits 1678 von Kaiser Leopold ein Privilegium zur Herausgabe
einer Zeitung erhalten hatte. Anfangs wurde der Familie Ghelen der Verlag der
Wiener Zeitung unentgeltlich, spater gegen einen Beitrag zum Hofbibliotheks-
fond und zum Wiener Versatzamte überlassen, der 1775 bereits 9210 Gulden betrag.
Als 1787 der Termin des Privilegiums zu Ende ging, Wirde durch eine öffent-
liche Versteigerung der Pachtschilling auf 17*200 Gulden erhöht und das
Privilegium auf weitere 12 Jahre ausgedehnt. Als Bewerber für die neue
Pachtung meldeten sich 1798: Schreyvogel und Mumelter, der Hofbuchdrucker
Schönfeld, der Buchdrucker Salzer und die Ghelenschen Erben. An Mumelters
Stelle, der im selben Jahre plötzlich starb, traten der ftechtsgelehrte, als Ver-
fasser des bürgerlichen Gesetzbuches wohlbekannte Professor Zeiller und
Hofrath Plach ein, die in einer Eingabe an den Kaiser erklärten, «sich mit dem
Verfasser des Entwurfes und eigentlichen Urheber der Unternehmung Josef
Schreyvogel** vereinigt zu haben, um den Plan auszuführen. Ein Mann von so
hervorragender Bedeutung wie Zeil ler. der damals bereits Mitglied der Gesetz-
gebung-Kommission war und als Reehtsgelehrter im besten Kufe stand, an einem
journalistischen Unternehmen in Gemeinschaft mit einem Schriftsteller tbätig,
dessen Talente auch von den Behörden anerkannt wurden, Hess einen völligen
Umschwung im österreichischen Zeitungswesen erwarten, das damals tief im Argen
Iii?. Wie das einzig bestehende politische Matt, die Wiener Zeitung, schon in
der josephinischen Zeit im Ansehen stand, ist aus einer Stelle in der -Wiener
Kronik* (1784, IT. 343) zu entnehmen, wo es unter Anderem heisst: ..Man
sollte doch wenigstens eine richtige, reine Sprache und weniger Unsinn fordern
dürfen, womit fast jedes Blatt dei*selben gleichsam gestempelt ist. Öfters liest
man einen und denselben Artikel zweimal im nämlichen Blatte, und nicht selten
kommt vier Wochen nachher die nämliche Nachricht wieder vor, die schon
ehedem darin stund.** Das Gleiche galt auch in der nach josephinischen Periode,
in «ler das Wort noch enger in Fesseln geschlagen wurde.
Unter solchen Umstanden wirft sich die Frage auf, mit welchen Mitteln die
Regierung dieser Zeit auf die Volksstimmung eingewirkt hatte? Die Antwort,
ist nicht schwer zu finden, wenn man einen Blick auf die zahlreichen Broschüren
wirft, die zu jenen Zeiten, zumeist von der Begierung veranlasst, erschienen
sind. Dazu kam noch, dass sich das Augenmerk mehr auf die volkstümliche
Schreibweise lenkte, und nur so erklärt es sich, dass der Verfasser der viel-
genannten „Eipeldauer- Briefe" im Grunde einer der ei-sten offiziösen Journalisten
war und als Vorläufer des Wiener Hans Jörgeis die Bestimmung hatte. Meinungen
und Ansichten der Begieraug im Lokaltone zu propagiren.
Erst in späteren Jahren hatte der aufgeklärte Stadion, den moralischen
Werth einer gemässigten Volksaufklärung durch die Presse erwägend, die Be-
strebungen derselben auch wirksam unterstützt. Wie sein Nachfolger Metternich
Uber die Wichtigkeit der Zeitung dachte, ist wohl hinlänglich bekannt. — Zu
Digitized by Google
58
Biographische Blätter.
bedauern ist, dass Schreyvogels Plan eines alle Zweige des staatlichen Lebens
umfassenden publizistischen Organs am massgebenden Orte nicht jene Aufmerksam-
keit fand, die einem solchen Unternehmen gebührt hätte. Man nannte Schrey-
vogels Idee neu, kühn, gross, man erklärte den Vortrag und die Darstellung als
einnehmend und verführerisch, aber man bezweifelte zugleich, dass der Entwurf
in seinem „gigautesken** Umfange verwirklicht werden könne. In einem Vortrage
an den Kaiser Franz vom 26. März 1795 erklärte die Hofkanzlei; dass Schrey-
vogels Zeitung das vollständigste encyclopädische Journal sein würde, aber die
Zeitung zur Stimmung des guten Publikums für diesem oder jenes zu gebrauchen,
wäre nicht nöthig, da ohnehin die Folgsamkeit und gute Denkart des Öster-
reichischen Unterthanen bekannt sei. Überdies würden Abhandlungen im ge-
lehrten Fache in einem täglichen Blatte dem grössten Theil der Leser nicht lange
behagen. Auch im Staatsrathe. der letzten Instanz vor der kaiserlichen Ent-
schliessung, fand Schreyvogels Entwurf wenig Anklang. Auch hier wurde das
geringe Interesse des Publikums an einem gelehrten Journal betont und die Be-
fürchtung ausgesprochen, dass die Leser nach auswärtigen Zeitungen greifen würden,
was bedenklich wäre, da man diese nicht in der Macht habe. Man verkannte im
obersten Rath der Krone nicht, dass die „Wiener Zeitung" lückenhaft sei, aber
die Schuld wurde nicht dem Herausgeber, sondern dem Censor zugemessen, „der
vieles aus politischen Rücksichten hinwegstreicht, das man auswärts aus Mangel
an Aufsicht und mit Beseitigung aller Delikatesse ungescheut zu Papier bringt. **
Es sei überhaupt nicht leicht, einen Wiener Zeitungsschreiber abzugeben, da dieser
ungemein behutsam vorgehen müsse. (Haus-, Hof- und Staats - Archiv : Staats-
raths-Akten.) Nach alledem wird es nicht überraschen, dass Schreyvogels Plan,
den er handschriftlich hinterlassen hat, nicht zur Ausführung kam, und die Ver-
pachtung der Wiener Zeitung auf weitere 12 Jahre an die Ghelenschen
Erben erfolgte. Immerhin erfordert es die Gerechtigkeit festzustellen, dass
der erste Plan zur Organisation der modernen Zeitung das Werk eines Oster-
reichers ist. Was hätte man von dem Publizisten Schreyvogel Gutes für sein
Vaterland erwarten dürfen, von dem Manne, dessen Grab Grillparzer mit den
Worten zierte: „Stand Jemand Lessing nahe, so war er'stt!
Schreyvogels Entwurf lautet:
Die politische Wichtigkeit der Zeitungen scheint in unseren Tagen keines
Beweises zu bedürfen. Sie sind die einzige Art Schriften, von denen es gewiss
ist, dass sie auf die öffentliche Meinung gewirkt haben. Kein Buch wird so all-
gemein, noch so zur rechten Zeit gelesen. In Verbindung mit den Posten gehöi*en
die Zeitungen zu den sinnreichsten Anstalten der neueren Staatskunst. Sie sind
das Organ der Gesetze; es giebt kein kräftigeres Mittel, ein ganzes Volk für
grosse Maassregeln zu vereinigen und schnell in Bewegung zu setzen. Auch
haben sich die streitenden Parteien in allen Ländern einer so wirksamen Maschine
zuerst zu bemächtigen gesucht.
Überall haben Zeitungen die Revolution angekündigt; hier und da haben
sie alleine Revolutionen gemacht. In anderen Verhältnissen ist dadurch dem Geiste
der Neuerungen glücklich entgegen gearbeitet worden. Das glänzende Beispiel
von Geineingeist und patriotischer Anstrengung, wodurch Grossbritannien die Be-
wunderung der Welt auf sich gezogen hat, wäre ohne die Mitwirkung seiner
öffentlichen Blätter nicht möglich gewesen.
Die Bemühung der Regierungen, der Ausbreitung fremder Zeitungsblätter
durch Verbote und Auflagen Abbruch zu thun, zeigt hinlänglich, dass ein so
vielseitiger Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit in keinerlei Betrachte entgangen ist.
Digitized by Google
Joseph Schreyvogels Entwurf einer Wiener Hof- und Staats-Zeitung. 59
Aber Verbote und Taxen sind kein Ersatz für ein entbehrtes Bedürfniss. Sie
begünstigen oft nur den Schleichhandel mit der beliebten Waare, der, da er im
Verborgenen um sich greift und keiner Berechnung unterliegt , nicht selten be-
denklicher ist als die unbeschränkte Freiheit des Gebrauches selbst. Die Zeitungen
enthalten ausserdem so manches, dessen öffentliche Mittheilung nicht zu hindern,
einer weisen Verwaltung angelegen sein inuss. Sie stellen gleichsam das all-
gemeine Komptoir der grossen Handlungsverbindung der Welt vor. Die Industrie
und der Erfindungsgeist suchen darin einen fortdauernden Anreiz und eine stets
bereit« Unterstützimg. Vielleicht sind mehr nützliche Entdeckungen und brauch-
bare Kenntnisse durch Zeitungen in das Publikum gebracht worden, als durch
alle Handlungs-Akademien und ökonomischen Gesellschaften zusammengenommen.
— Ein Volk, wie ein einzelner Mensch, darf in dem Fortgange zur Kultur nicht
ungestraft hinter seinen Zeitgenossen zurückbleiben. Es soll sich selbst kennen
und die Stelle, die es in der Reihe der Nationen einnimmt, würdigen lernen.
Alle seine Anlagen soll es entwickeln und jedes Gut ergreifen, das ungenützt in
ihm liegt, oder ihm von Aussen dargeboten wird.
Wenn es in dieser Hinsicht möglich ist, die öffentliche Meinung einem
strengeren Systeme der Staatskunst zu unterwerfen, ohne den Umlauf nutzbarer
Begriffe und Wahrheiten zu hemmen, so kann dieses nur durch die Veranstaltung
einer vaterländischen Zeitung geschehen, die darauf angelegt ist, die politischen
Blatter des Auslandes entbehrlich zu macheu. Eine solche Zeitung wird einen
weiten Plan umfassen und auf alle Bedürfnisse eines ausgebreiteten Gemeinwesens
berechnet sein. Sie wird die Vorzüge der Vollständigkeit, der Auswahl und des
guten Geschmackes mit dem Verdienste der Neuheit und einer schnellen Beförderung
vereinigen. Es ist wesentlich, dass die Zeitung einen gewissen Charakter der
Unabhängigkeit behaupte : sie wird in den Grundsätzen der Regierung, aber nicht
in ihrem Solde geschrieben sein.
Es hat nicht das Ansehen, dass bei der gewöhnlichen Einrichtung der
Zeitungsblätter eine ganz deutliche Vorstellung von dem Zwecke derselben zum
Grunde gelegt werde. Nicht bestimmter scheinet der Begriff zu sein, unter dem
man sich das Publikum solcher Blätter gedacht hat. Die Leser der Zeitungen
sind Menschen in bürgerlichen Beschäftigungen, selten Staatsmänner und fast immer
ünterthanen. Welchen Nutzen soll die grössere Zahl derselben aus Nachrichten
schöpfen, die sich beinahe ganz auf den Gang des Krieges und der diplomatischen
Unterhandlungen beschränken? Diese Einseitigkeit hat die Zeitungen zu einem
Spielwerke seichter Köpfe und politischer Schwätzer herabgewürdigt, anstatt dass
sie bestimmt wäre, die Künste des Friedens zu beleben und alle geselligen
Tugenden in den Gemüthern der Bürger anzufachen.
Ein öffentliches Blatt, das den Absichten einer thätigen Verwaltung und
den Bedürfnissen eines grossen und gebildeten Publikums zugleich angemessen
sein soll, wird auf folgender Grundlage beruhen müssen.
Es wird fürs erste das Tagebuch der Gesetzgebung enthalten. In dieser
Eigenschaft wird es der obersten Gewalt den Dienst eines Vehikels leisten, ihre
Beschlüsse und Anordnungen, ohne Verzug, mit Sicherheit und in grösster Aus-
breitung, zur Kenntniss des Volkes zu bringen.
Hiernächst wird es das Zentral-Bureau der Privat-Angelegenheiten vor-
stellen, welche vor dem Publikum verhandelt werden. Als ein solches wird das
Blatt der Betriebsamkeit und dem Vortheile der Einzelnen einen Vereinigungs-
pnnkt darbieten, und indem es die Wege der Mittheilung erleichtert, die Wirkungen
eines schnellen Umlaufes der Geschäfte an seinem Theile befördern.
Es wird endlich den Zustand und die Geschichte des Landes in ihrem ganzen
Digitized by Google
60
Biographische Blatter.
Detail, die allgemeine Lage der Welthandel aber in einem pragmatischen Auszuge,
und in steter Beziehung auf den Gehrauch des bürgerlichen Lebens, darlegen.
Tn dieser Rücksicht wird sich darin die Kunst entwickeln, den Geschmack der
Menge von der Tändelei mit politischen Neuigkeiten und Meinungen, auf das. was
den Menschen und den Bürger zunächst angeht und was ihm nützt, zu leiten;
auf den Fortgang der Gewerbe, des Ackerbaues, der Handlung, der Künste und
der Wissenschaften.
Ein solches Blatt wird dann zugleich ein schickliches Werkzeug der Politik
abgeben können, die Unternehmungen der Regierung, wo es nöthig ist. vorzu-
bereiten, zu erklären, zu unterstützen: richtigere Vorstellungen über die ver-
wickelten Zweige der Verwaltung, über das Finanzwesen, den Staatskredit, das
allgemeine Handlungsinteresse, die öffentliche Erziehung, zu verbreiten; den Ton
gegen auswärtige Mächte nach den Berechnungen des Kabinetes zu stimmen, und
die Sache der Nation und des Regenten, in jedem Falle, mit Nachdruck und
Würde zu führen.
Ein mächtiges Reich von so gemischter Zusammensetzung als die öster-
reichische Monarchie, und auf einer gleichen Stufe der Kultur, scheint einer Anstalt
dieser Art vor andern zu bedürfen.
Sie vereinigt die Triebwerke der Publizität und der Meinungen in den
Händen der obersten Macht, und sehliesst zugleich eine reiche Quelle des Gemein-
geistes und der National-Thätigkcit auf. Das verschiedene, oft sich durchkreuzende
Interesse der Provinzen erhält dadurch neue Punkte der Annäherung. Die Be-
wohner entfernterer Himmelsstriche t heilen einander ihre Vortheile, ihre Einsichten,
ihre sittliche Bildung mit. Das Nützliche wird unvermerkt herrschend. Alle
Measchengattungen haben ein Vorbild der Eintracht, der Ordnung und des
Wetteifers vor den Augen, zum Besten des Ganzen nach ihren Kräften mitzu-
wirken.
Ks verdient kaum angeregt zu werden, wie sehr der gegenwärtige Zustand
der inländischen Zeitungen von den Eigenschaften abweicht, die wir als die Be-
dingungen der Brauchbarkeit solcher Blätter vorgestellt haben. Nirgends entdeckt
sich in dieser Art Schriften die Spur eines durchdachten Entwurfes. Der öffent-
liche Dienst leidet unter der Langsamkeit, die dabei herkömmlich ist: nur mit.
Mühe empfangen die Industrie und das Privat-Tnteresse ihren kümmerlichen Bei-
stand. Aus Einrichtungen von so schwachem Charakter geht kein des Vater-
landes würdiger Gedanke hervor. Nicht einmal dem gemeinen Bedürfnisse der
Neugierde haben unsere politischen Blätter abzuhelfen gewusst. Schwerlich ver-
liert ein anderer Staat so beträchtliche Summen an das Ausland, für einen so
zweideutigen Artikel des Luxus.
Die bevorstehende Erneuerung des Kontraktes der Wiener Zeitung lässt die
Möglichkeit absehen, mit einem Gegenstande von solcher Wichtigkeit eine Ver-
änderung zu treffen. Der unternehmende Geist des Zeitalters scheint eine Ver-
anstaltung dieser Art mehr als sonst zu erheischen, er scheint sie dringend zu
machen. Die Unterzeichneten haben den Plan umständlich überlegt, wie dieselbe
bewerkstelligt werden könnte. Sie sind bereit, und es ist ihr angelegener Wunsch,
die übrige Zeit ihres Lebens, welches dem Studium der Geschichte und der nütz-
lichen Kenntnisse bestimmt ist, der Ausführung eines Werkes zu widmen, das
der Theilnahme des Patrioten vor anderen werth zu sein scheint. — Hier ist
ihr Plan.
Das Öffentliche Blatt, das nach der Absicht der Unterzeichneten an die
Stelle der jetzigen Wiener Zeitung treten soll, wird eine National-Zeitung unter
dem Schutze und der unmittelbaren Leitung der Verwaltung sein. Bei der strengsten
Digitized by Google
Joseph Schreyvogels Entwurf einer Wiener IM- und Staats-Zeitung.
61
Abhängigkeit von den Grundsätzen der Regierung, wird es den Anschein eines
freien Institutes für den Dienst des Publikums haben. Zu diesem Ende muss die
offizielle Beschaffenheit seines Inhaltes sorgfältig unterschieden und durchaus be-
obachtet werden. Dies ist ein Hauptumstand und von durchgängiger Anwendung
in dein folgenden Detail.
Die Unterzeichneten schlagen den Titel:
W i e n e r Hof- und S t a a t s z e i t u n g
für das neue Zeitungsblatt vor. — Das Blatt wird enthalten:
I. Die Gesetze und Anordnungen der höchsten Macht und der abhan-
gigen Gewalten, in ihrem ganzen Umfange und ohne Ausnahme des
«lustizfaches.
Die möglichst schnellste Verbreitung allgemein verbindender Gesetze ist eine
der wesentlichen Obliegenheiten der Zeitung. Als das einzige öffentliche Blatt
der ersten Provinz und der Hauptstadt der Monarchie, wird sie zugleich die Ver-
ordnungen, welche diese beiden vorzüglichen Bestandteile des Staates insbesondere
betreffen, in voller Ausdehnung liefern. Die Beschlüsse aller übrigen Provinzial-
und Distrikts-Yerwaltuugen gehören zur Geschichte des Innern, und finden daselbst
ihren Platz, nach Massgabe ihrer Wichtigkeit, entweder auszugsweise oder auch
vollständig.
Die Verfasser der Zeitung führen selbst das "Wort, so oft es die Natur
einer Anstalt nöthig macht, sich der Mitwirkung der Nation, auch ausser dem
gesetzlichen "Wege, zu versichern. Durch diese Einrichtung erlangt die Admini-
stration den Besitz eines Mittels, die Stimmung des Publikums für weit aussehende
Maassregeln zu prüfen und auf mancherlei Welse vorzubereiten. Einzelne Punkte
rcrwiekelter Unternehmungen können hier in das Licht gestellt, und die Pflicht
und das eigene Interesse der Unterthannen dringend eingeschärft werden, den Ab-
sichten der Verwaltung in jeder Rücksicht Genüge zu leisten.
In allen angeführten Beziehungen Ist die Zeitung lediglich im Dienste der
obersten Gewalt. Die Herausgeber treten dadurch in die allgemeine Verpflichtung
wirklicher Staatsdiener; sie sind in Ansehung der empfangenen Aufträge be-
sonders verantwortlich. Das Stillschweigen über jede Art des Zusammenhanges,
worin die Zeitung mit der Staatsaufsicht steht, ist ein wesentlicher Theil jener
allgemeinen Verpflichtung.
IL Die Aufträge und Verhandlungen der Pri vat-Personen unter ein-
ander und in ihren Verhältnissen mit dem Publikum überhaupt.
Hierunter Ist der einfache Inhalt des bisherigen Intelligeiizblattes begriffen. —
Die Unterzeichneten halten für zweckmässig, einen Theil desselben mit der
Zeitung selbst zu vereinigen. Dies wird, in dringenden Fällen, die Schnelligkeit
und Allgemeinheit der Mittheilung möglich machen. Es wird eine geschickte
Stellung der Materien begünstigen, wodurch mancher Umstand der Bemerkung
derer, welchen er wichtig sein kann, näher gerückt wird. Tn Bezug auf das
Ganze wird es den Reiz der Mannigfaltigkeit zu erhöhen dienen, und es zu-
gleich dem Beobachter nie an Stoff und Anlass zu fruchtbaren Betrachtungen
fehlen lassen.
Die Herausgeber werden Sorge tragen, die Übersicht der hierher gehörigen
Artikel durch eine lichtvolle Anordnung zu erleichtern. Es wird ihre besondere
Angelegenheit sein:
1. Den Umsatz der Güter im Grossen, der Ländereien, Häuser, Kapitalien
und öffentlichen Fonds, mit Hintanhaltung des Wuchers und der Agiotage, zwischen
den Parteien selbst zu betreiben.
Digitized by Google
V>'2
Biographische Blatter.
2. Die Nachfrage nach Verdienst und Arbeit, durch eine bessere Ein-
richtung der Koraptoirs- Anzeigen, in einen regelmässigen Gang zu bringen.
3. Einen tauglichen Plan zu Unterzeichnungen ftlr patriotische Anstalten
und für Werke der Wohlthätigkeit , auf dem Wege der Publizität einzuführen.
Die gewohnte Ordnung der gerichtlichen, und ähnlicher Kundmachungen,
bleibt hierbei ungestört. Diese erscheinen wie sonst anfangsweise, an den üblichen
Tagen wöchentlich zweimal.
III. Die Begebenheiten der Zeit, in einer, für den Gebrauch des
bürgerlichen Lebens und aus einem patriotischen Gesichtspunkte
behandelten, Darstellung.
Diese Hauptabtheilung zerfällt in drei besondere Abschnitte. Wir verstehen
darunter :
1. Geschichte des Hofes und der Regierung.
Es hängt, allein von dem Ermessen der Staatsverwaltung ab. welchen Umfang
und welche Fruchtbarkeit dieser wichtige Abschnitt erhalten soll. Die erhabenen
Gegenstände, womit er sich beschäftigt, sind den Augen und der Verehrung der
Nation vielleicht zu sehr entrückt worden. Die Vortheile einer wohlverstandenen,
von der Administration selbst geleiteten Publizität, finden von Zeit zu Zeit einen
weniger gegründeten, und sogar einen weniger hartnäckigen Widerspruch.
Es ist nützlich, es ist vielleicht nöthig, dass die Triebfedern einer gerechten
und weisen Verfassung an den Tag gelegt werden, damit die Machinationen der
Ehrsucht und der Volksverführung in dem vollen Kontraste ihrer Nichtswürdigkeit
erscheinen.
Schon jetzt gehört übrigens hierher: Alles was die Person und die Familie
des Monarchen betrifft. Der Hofstaat; das Ceremoniell; Gnaden- und Ehren-
bezeigungen: Collegial- Verfassung; Veränderung in denselben, mit Einschluss
dessen, was die Verwaltungskörper der Provinzen angeht. Der äussere Dienst;
Gesandschaften ; Konsulate. — Amtsberichte, den Krieg und die Unterhandlungen
mit auswärtigen Mächten betreffend.
Die neue Einrichtung der Zeitung giebt zugleich die schicklichsten Formen
an die Hand, dasjenige in Umlauf zu setzen, was die Politik von dem Gange und
den Resultaten der äusseren Geschäfte, ohne den Charakter einer ministeriellen
Mittheilung, bekannt werden zu lassen für gut achten möchte. Es ist einleuchtend,
dass die Pflicht der Geheimhaltung, in Ret rächt der Quelle, hierbei noch unver-
brüchlicher ist als in dem oben berührten Falle.
2. Die Geschichte des Landes und der Nation.
Wir sind bereit in ein weites Feld überzugehen, dessen trockene Ansicht
die Aufmerksamkeit zu ermüden scheinet. Der grösste Theil der Gegenstände,
welche wir in dem gegenwärtigen und in den» folgenden Abschnitte aufzuzählen
bemüht sind, hat bis jetzt selten oder nie eine Stelle in den Zeitungen gefunden.
Es sind gleichwohl Dinge, von denen unterrichtet zu sein den Meisten nütz-
lich und allen anständig ist. Sie machen vereint die Denkwürdigkeiten des Zeit-
alters aus, welche zu sammeln und für die Nachwelt aufzubewahren, eine Be-
stimmung der Zeitblätter sein sollte. Der Punkt der Schlachten und Staats-
aktionen fängt nach und nach an in der älteren und neueren Geschichte dem
Nützlichen und Lehrreichen Platz zu machen. Die Zeitungen, welche die Ge-
schichte der Gegenwart enthalten, sollen in einer so lobenswerthen Reform nicht
zurückbleiben. Die Idee des Ausserordentlichen hat eine grosse Gewalt über die
Einbildungskraft der Menschen; man sollte nichts unversucht lassen, was fällig Ist
eine so gefährliche Macht zu schwächen. Dem Menschen gefällt, was er treibt,
Digitized by Google
Joseph Schreyvogels Entwurf einer Wiener Hof- und Staats-Zeitung-.
63
und er unterhält sich gerne von dem, was ihm Vortheil bringt. Man führe den
Bürger in sich selbst, zu seinen Geschäften, zu seinen Bedürfnissen zurück: man
lehre ihn sein eigenes Land und dessen Vorzüge kennen; man zeige ihm das
Bild der Gesellschaft in ihrem Wohlstände, in der sittlichen Ordnung, und er
wird den zerstörenden Übermuth der Zeit verabscheuen, den ein unverwahrtes
Auge zu bewundern geneigt ist, wenn er sich ihm in seinem falschen Schimmer
zeigt.
Es sind ungefähr folgende Rubriken, worunter sich der statistisch-historische
Theil des Inhaltes der Zeitung zusammenfassen lässt.
Physischer Zustand.
Messungen und nähere Aufschlüsse über das Innere des Landes; Ver-
änderungen des Klima; meteorologische Beobachtungen; Bemerkung des Einflusses
der Witterung auf die Organisation; Beiträge zur natürlichen Geschichte der
Gebirge, der Gewässer, des flachen Landes; Fruchtbarkeitstabellen; Merkwürdig-
keiten der animalischen Natur; Beobachtungen über den Gesundheitszustand einzelner
Gegenden; Epidemien; Sterblichkeit unter Mensehen und Thieren; physikalische
Entdeckungen ; Naturseltenheiten.
ökonomischer Zustand.
Fortschritte in der Urbarmachung des Lindes; neue Anpflanzungen; Fort-
gang. Stillstand und Verfall der Bauten in Städten und Dörfern; Strassenbau:
Versuche zur Schiffbarmachung und ökonomischen Benutzung der Flüsse und
Landseen; Kanäle; jährlicher Ertrag der Ländereien und Bergwerke: Verhältnis
des Ackerbaues zur Viehzucht, zum Wein- und Flachsbaue, etc.; Zustand der
Forste, der Steinkohlengruben und Torfgräbereien: bemerkte Miingel in der
Ökonomie des Landes und Vorschläge zur Verbesserung derselben; Zustand
des Landvolkes. — Städtisches Gewerbe. Verhältnisse der Industrie zum Land-
baue; Geschichte der Zünfte; Listen über die Erlangung des Meister- und Bürger-
rechtes, Fabriken; Fortgang der grossen Manüfakturgeschäfte einzelner Dist riete,
des Leinengewerbes, der Eisenwerke, Glashütten, Papiermühlen etc. , Aufkommen
neuer CJewerbszweige; Technische Erfindungen; Steigen und Fallen des Handlohnes;
Wohlstand und Lebensart der Unternehmer; Preise der Fabrikate; Moden. —
Öffentliche Bildungsanstalten, Frequenz derselben; Zustand der Kunst- und
Konimerzial-Schulen , Gelehrte Institute; Pflanzschulen für die Geistlichkeit, für
das Militär, für die Staatsämter.
Freie gelehrte Gewerbe; Promotions-Listen. - Berechnung des Verlustes
der industriösen Klasse, durch das Zudrängen der Bürger zu den höheren Ständen:
Erhebungen in den Adelsstand. Bemerkungen über den Fortgang des Luxus in
ökonomischer Hinsicht. Handel. Überfluss oder Abgang der ersten Bedürfnisse
für den eigenen Verbrauch der Provinzen: Eröffnung neuer Kommerzialstrassen
und Verbesserung der alten; Ausbreitung der Schiftfahrt und des Schiffbaues:
Zustand des Fuhrwesens; Chronik der .lahrmlirkte ; Zollregister; Hauptzug - des
inneren Produkten- und Manufakturhandels; Tabellen über die Ein- und Ausfuhr:
Geschichte der grossen Markt- und Seeplätze der Monarchie; Österreichisches
Küstenland; Seefahrt: Assekuranz-Kompagnien. Zustand der Kaufmannschaft ;
Bankerotte. Veränderungen und Kurs der Münzen, der Wechsel und der öffent-
lichen Fonds. Inländische Banken. Stand der Geldzinsen. Werth der Landgüter
und Wohnhäuser. Wuchergeschäfte und Künste der Agioteurs. .lährliche
Handlungs-Bilanz der Provinzen gegen einander und der Monarchie gegen das
Ausland. — Verordnungen und Anstalten der Provinzial- und Distrikts-Ver-
waltungen, in Betreff aller benannten Gegenstände.
Digitized by Google
tu
Biographische Blätter.
Sittlicher Zustand.
Verhältnis der ehelichen Geburten zu den unehelichen; Ehestands-Prozesse:
Trauungslisten, nach deu Ständen und Glaubensbekenntnissen, Herrschende Krank-
heiten. Stand der Spitäler, Zucht- und "Waisenhäuser; politische Rechnungen aus
den Todtenregisteru, Sanitätsanstalten; Polizeistrafen; Kriminal-Fälle; Konsurations-
Tabellen.
Verbrauch geistiger Getränke; Anzahl und Zustand der Wein-, Bier- und
Kaffeehäuser. Aufwand in Kleidern und Ameublement. Equipagen; Lohukutschen.
Preise der Arbeiten für den Luxus. Pferde- und Hundeliebhabereien. Menge
des Gesindes. Lohn und Zustaud des Dienstvolke«. Häuslichkeit. Hang zum
"Wohlleben; schneller Glücks Wechsel; Konkurse. Lotto; Bettelei, unerlaubte Ge-
werbe. Anstalten zur Beschäftigung brodloser Menschen. Milde Stiftungen;
Rechnungen der Annen- Institute. — Öffentliches Leben. Unterhaltungen des
Volkes; Feiertage. Frequenz der Theater. Gärten, Tanz- und Spielhäuser. Vor-
nehme Welt; Landleben; Chronik der Bäder und Gesundbrunnen. Bemerkungen
über den vermuthlichen Absatz einzelner Luxusartikel, als der Spielkarten, der
Zeitungen und Modebücher. — Denkungsart der Nation in religiösen und politischen
Dingen. Bereitwilligkeit der Unterthanen zu den Lasten des Staates beizutragen:
patriotische Gaben; Rückstände in der Zahlung der Abgaben: Betrügerische Be-
einträchtigungen des Fiskus; Schleichhandel. Militär-Dienste; freiwillige Werbungen.
Gegenseitige Verhältnisse der Stände und Volksklassen unter einander. Justiz-
Verfassung; Zivil-Prozesse. — Seminarien der Klerisei. Zustand der Landpfarrer.
Anordnungen der Bischöfe und Konsistorien. Verdienste der geistlichen Orden
um die Kultur des Landes, den öffentlichen Unterricht und die Gelehrsamkeit.
Bilduni: des Geschmacks und des Verstandes. Kultur der Sprache. Gelehrte
Gesellschaften. Buchhandel: Schriftstellern, Ausbreitung des Lesens : Volksschriften:
wissenschaftliche Werke. — Allgemeiner Nekrolog der österreichischen Nation.
3. Geschichte der Welt.
Geographische Entdeckungen, Kolonien; Veränderungen in der ökonomischen
Verfassung besonderer Staaten; Geschichte des Ackerbaues und der Nutzung des
Bodens im Allgemeinen. Fortgang und Zug der Industrie und des Wohlstandes
unter den Bewohnern des Erdbodens. Beitritt einzelner Völker zum Welthandel.
Neue Städte. Eröffnung von Schiffshäfen und inneren Kommunikations-Strassen.
Geschichte der Posten. Veränderungen in Maassen und Gewichten. Münz-Politik.
Verhältnisse des Goldes und Silbers. Zustand der öffentlichen Banken. Geschichte
des Wechsels in grösster Ausbreitung, mit Erläuterungen über das Schwanken
der Handlungs-Bilanz im Allgemeinen. — Finanz- Verwaltung einzelner Staaten.
System der Auflagen, Staatsschulden, Stand der Zinsen und des Profites der Stocks
in allen Tbeilen der Welt. Geheime Finanz - Verbindungen in Europa, Be-
merkungen über die Geldherrschaft überhaupt. — Geschichte der politischen Ver-
fassungen; der Gesetzgebung; der Regierungen. Politische Kräfte der Staaten;
Kriegsmacht; Marine. — Verhältnisse der Regierungen untereinander. Öffentliche
Unterhandlungen. Bündnisse. Kriegs-, Friedens- und Handlungstraktate. — Ge-
schichte der Meinungen, Religiosität. Geist der Reformen; ihr Gutes und Böses.
Fortgang und Flor der Wissenschaften ; Mathematik. Chemie, Kriegskunst, Nautik,
Künste des Genies. Veränderungen in dem geselligen und sittlichen Zustande der
Welt überhaupt.
Die Quellen, woraus die Verfasser der Zeitung schöpfen, müssen zum Theile
ganz neu eröffnet, und in vielerlei Betracht erst recht . nutzbar gemacht werden.
Sie sind indessen wirklich vorhanden, und es bedarf nur des ordnenden Fleisses,
damit ihr ganzer Reichthum angewendet werden könne. Die Wichtigkeit des
Digitized by Google
Joseph Schre-yvogels Entwurf einer Wiener Hof- und Staats-Zeitung. 65
Endzweckes scheint einer beharrlichen Anstrengung werth zu sein. Jene Quellen
sind überhaupt : 1 . Die urkundliche Mittheilung der nöthigen Actenstttcke aus den
Archiven uud Registraturen des Staates; 2. ein ausgebreiteter und lebhaft unter-
haltener Briefwechsel mit den Hauptplätzen der Monarchie; 3. die öffentlichen
Blätter aller Lander und Sprachen; 4. eine gewählte Korrespondenz mit dem
Auslande, vornehmlich mit den Gegenden, welche bis jetzt des Vortheiles ordent-
licher Zeitungen entbehren: 5. alles, was von Zeit zu Zeit in Journalen, Flug-
schriften und grösseren Werken erscheint und irgend etwas enthält, das für die
Absicht der Verfasser brauchbar ist: 6. die Anzeigen der Privat-Personen in
ihren eigenen Angelegenheiten.
Die Unterzeichneten gründen den vorzüglichsten Werth der Zeitung, in
Ansehung der Materien, auf die Erwartung einer unmittelbaren Unterstützung
von Seite der obersten Staatsverwaltung. Sogleich nach der Übernahme des
Kontraktes sollen übrigens die vorläufigen Anstalten zu einem so weit aussehenden
Unternehmen in Gang gebracht werden.
Die Herausgeber werden weder Mühe noch Kosten sparen, die guten Köpfe
der Nation und die unterrichteten Leute in den Provinzen in das- Interesse der
Zeitung zu ziehen. Es soll eine allgemeine Instruktion für die Korrespondenten
aufgesetzt werden. Man wird, zur Beschleunigung der auswärtigen Nachrichten,
frühzeitig alles nöthige besorgen und überall den kürzesten Weg zu den eigent-
lichen Quellen einzuschlagen suchen. Es soll insbesondere eine weitläufige und
kostbare Korrespondenz mit dem ganzen Osten eingeleitet werden. Von diesem
Theile der Welt wird das ganze gebildete Kuropa die ersten, zuverlässigsten und
vollständigsten Berichte in Zukunft über Wien erhalten.
Um dem schnellen Fortgänge der Expedition kein Hinderniss zu verursachen,
wird es dienlieh sein, für die laufenden Artikel der Zeitung einen besonderen
Censor zu bestellen, dessen Honorar aus den Fonds derselben bestritten werden
kann.
Das Bureau der Zeitung wird in einer leicht zu übersehenden Ordnung er-
halten werden. Es sollen nur sichere Menschen zu den untergeordneten Arbeiten
gewählt werden. Die Einrichtung des Werkes in allen seinen Verhältnissen steht
der Einsicht der Staatsverwaltung jeder Zeit offen. Die Herausgeber sind zur
Geheimhaltung der summt liehen Papiere und Hilfsmittel, deren Gebrauch ihnen zu
ihrem Zwecke gestattet wird, vor Jedermann ohne Ausnahme, aufs strengste ver-
pflichtet.
Diese Verbindlichkeit ist allgemein, und erstreckt sich zugleich auf die
Pflicht des mündlichen Stillschweigens.
Die Zeitung erscheint im grössten Formate täglich, vor dem Abschlüsse der
inländischen. Posten.
Die bisherige Einrichtung des Intelligenz- und Kundschaftsblattes wird auf-
gehoben. Von den darin enthaltenen Anzeigen werden die, welche dringend oder
durch irgend einen Umstand auffallend sind, nach Ali der englischen Blätter mit
der Zeitung vereinigt. Die Masse der gewöhnlichen Bekanntmachungen wird, in
zwei wöchentlichen Beilagen, ordnungsmäßig nachgetragen.
Die Gattung und der verschiedene Gehalt der aufgenommenen Artikel werden
durch dreierlei Arten des Druckes unterschieden, die offizielle Eigenschaft jeder
Nachricht wird ausserdem besonders bemerkt.
Am Schlüsse jedes Quartals wird ein allgemeines Register geliefert, welches
nach vier Hauptabteilungen die merkwürdigsten Sachen nachweiset. Die Rubriken
sind: Gesetzkunde; gerichtliche Verhandlungen; Gescliichte des Innern: Gegen-
stände der allgemeinen Zeitgeschichte.
Biographische Blatter. I. 5
Digitized by G&Ogle
60
Biographische Blatter.
Der Preis der Zeitung ist für die ganze Monarchie sechszehn Gulden jahr-
lich. Diess ist der jetzige Preis der Wiener Zeitung, mit Einschluss des Kund-
schaftsblattes, welches nach der projektirten Einrichtung mit der Zeitung selbst
verbanden wird. Die Erhöhung ist daher nur scheinbar.
Sie wäire indessen in jedem Falle nothwendig, um die beinahe dreimal ver-
mehrte Ausgabe an die Posten zu decken, wovon wieder ein Theil dem Aerarium
zu gute kommt.
Alle übrigen noch weit ansehnlicheren Kosten der neuen Einrichtung lallen
den Unternehmern allein zur Last, und das Publikum geniesst den ganzen Vor-
theil derselben, ohne mehr als sonst zu bezahlen.
Hierbei darf auch die Verminderung der allzu kostbaren Extrablätter in
Kechuung gebracht werden, ein Gewinn für das Publikum, der zugleich einen be-
trächtlichen Abgang der Einnahme für die Unternehmer der Zeitung zur
Folge hat*.
Wir bemerken noch, dass es von Nutzen sein wird, die Gebühr für Inserate,
nach einer anderen Norm als bisher, zu bestimmen: so zwar, dass auch küraere
Anzeigen, für die Hälfte und das Drittel der gegenwärtigen Taxe, aufgenommen
werden können. Das Zweckmässigste wäre vielleicht, die Taxe nach der Zeile
festzusetzen, wodurch zu gleicher Zeit der unangenehmen Weitschweifigkeit
mancher Privat-Kundmachungen abgeholfen würde.
Die Unterzeichneten sagen nichts von den Vortheilen, welche sich der Staat,
in ökonomischer Hinsicht, von der Einfühlung der in Vorschlag gebrachten Zeitung
zu versprechen hat.
Der wahrscheinliche Belauf der Summe, die Oesterreich jährlich für aus-
wärtige Blätter bezahlt, muss dem Finanz- und Kommerz- Kollegium bekannt sein.
Es ist sichtbar, dass der unverhältnissmässige Aufwand des Landes für dieses be-
denkliche Fabrikat der Fremde, vornehmlich in der unvollkommenen Beschaffen-
heit der inländischen Produkte gleicher Art. seinen Grund hat. Schon die Ver-
besserung der vaterländischen Zeitungen allein muss diesem National- Verluste
Grenzen setzen. Es übersteigt die Kompetenz eines blossen Privat-Urtheilcs. die
weiteren Maassregeln anzugeben, welche, nach richtigen Grundsätzen der Staats-
wirthschaft, mit einer solchen Anstalt zu verbinden sein möchten. Die Unter-
zeichneten erwarten die Festsetzung derselben von der Weisheit der Staatsver-
waltung, indem sie nur noch bemerklich machen, wie wichtig es in jedem Falle
sein wird, den Kredit des neuen Institutes möglichst zu schonen.
Der vorliegende Plan ist schwerlich ohne erhebliche Fehler. Noch ist das
(ianze der Betrachtung der Verfasser zu nahe, als dass nicht mancher Umstand
von ihnen sollte übersehen worden sein. Ein Mangel anderer Art ist indessen
ihrer Bemerkung nicht entgangen. Dieser Mangel liegt in der Natur eines Gegen-
standes von so grosser Ausdehnung. Um nicht allzu weitläufig zu werden, haben
sich die Verfasser genöthigt gesehen, ganze Abtbeilungen vielmehr nur anzudeuten
als umständlich ins Licht zu stellen.
So bedarf jede Nummer, die das Tnteiligenzblatt betrifft, beinahe eines neuen
erläuternden Planes, wenn die Absicht derselben durchaus deutlich werden soll.
Die Verfasser glauben jedoch bewiesen zu haben, dass sie mit ihrem Gegenstande
hinlänglich bekannt sind. Sie setzen die Grundsätze fest: es kann ihnen vielleicht
zugetraut werden, dass sie fähig sind, den noch unvollständigen Entwurf in seinen
einzelnen Theilen zu ergänzen.
Eine Zeitung ist ein Kunstwerk der historischen Gattung. Die Art. welche
sie ausmacht, hat viel besonderes und geniesst einer grossen Freiheit der Form.
Digitized by Google
Joseph Schrey vogels Entwurf einer Wiener Hof- und Staats-Zeitung. 67
Alle Gaben der Darstellung und des kritischen Geistes sind dabei beschäftigt; der
reichste Vorrath wissenschaftlicher Begriffe kann darin eine Anwendung finden.
Eine Welt voll Mannigfaltigkeit und Abwechslung ist der Stoff, den die
Kunst hier verarbeiten soll. Der herrschende Charakter einer solchen Komposition
wird ernst und ein ruhiger Berechnungsgeist sein; aber sie verschmäht den Schmuck
der Beredsamkeit nicht, und sogar der Witz wird ihr verziehen. Alles, selbst
eine Zeitung, erkennt die Gesetze der Einheit und Ordnung. Sie wird sich nie
erlauben, was einen feinen Geschmack, oder das richtige Gefühl für das Schick-
liche, beleidigen könnte.
Eine Regung der Bescheidenheit hält die Unterzeichneten zurück, da sie im
Bogriffe sind, von den Eigenschaften des Zeitungsschreibers zu sprechen. Der
Verfasser einer allgemeinen Zeitung ist der Geschichtschreiber seiues Zeitalters.
Mit einem ausgebreitetem Wissen und einer unermüdlichen Arbeitsamkeit
soll er die lebhafteste Fassungskraft und eine volle Reife des Urtheils verbinden.
Er soll den Lauf der Dinge mit leichter Hand verfolgen, ohne doch minder nach-
drücklich, edel und zierlich zu schreiben. Die Verfasser kennen ihre eigene Un-
zulänglichkeit, der ganzen Strenge dieser Forderungen ein Genüge zu leisten.
Was mehr ist, — und hier erhalten die Unterzeichneten ihre Zuversicht wieder:
— der Verfasser der Zeitung soll ein durchaus rechtschaffener Mann, und von
der Liebe zur Wahrheit, Ordnung und Sittlichkeit durchdrungen sein.
Er soll das Glück der Menschen in seinem Herzen tragen, aber die Gesetze,
über seine eigenen Begriffe von öffentlicher Wohlfahrt, verehren. In diesem
Geiste wird er der Verfassung seines Landes anhangen, weil sie rechtlich ist, und
weil ihm die Pflicht ihrer Verteidigung obliegt; er wird den Absichten seiner
Regierung ehrenvolle Dienste leisten, ohne sich von dem Bewusstsein gedrückt
zu fühlen, eine knechtische Feder einem fremden und unlauteren Interesse geweiht
zu haben.
Wenn jemals eine Zeit war, wo die Uberzeugung denkender Männer im
Privat-Stande mit den Maassregeln erleuchteter Kabinette in völliger Eintracht er-
schienen ist, so muss es die gegenwärtige sein. Das Gefühl der Menschlichkeit,
der gesunde Verstand und die Berechnungen der Politik führen insgesammt auf
einerlei Resultat. Es giebt unter den Redlichen keinen Unterschied der Mei-
nungen mehr.
Das System der Treulosigkeit, der Zwietracht und der blutigen Ehrsucht,
welches die Ruhe und Glückseligkeit von Europa bedroht und zum Theile ver-
nichtet hat, muss alle empfindenden Herzen und alle Menschen von Einsicht um
die erschütterte Grundfeste der Staaten versammeln. Die Verfasser wiederholen
es: Die Unternehmungen der Mächte und die guten Wünsche des gebildeten
Bürgers können in diesem Augenblicke nur auf Einen grossen Zweck gerichtet sein.
Es ist der Zweck, die betrogene Einbildungskraft der Menge aus dem leeren
Raum politischer Träumereien und Parteiungen auf den festen Boden der gesell-
schaftlichen Bedürfnisse und Obliegenheiten zurückzuführen. Seiner ganzen Anlage
nach soll das angekündigte Werk einen bleibenden Werth für die jetzigen und
künftigen Zeiten erhalten. Es soll ein Denkmal des österreichischen Gemeingeistes
und der Nationalehre sein. Denkmäler dieser Art sind so viele feste Punkte
in der Verfassung eines Landes, die sich dem Einbrüche der Haibaren und der
Herrschsucht entgegen stellen. Sie verbürgen dem Volke, unter dem sie ent-
stehen, die. Dauer seiues Glückes und seiner Grösse, indem sie den Beweis seiner
Macht und Wohlfahrt in einem gegenwärtigen Beispiele an den Tag legen.
*
Digitized by Google
68
Biographische Blatter.
Rede auf Scheffel.
Gehalten am Tage der Enthüllung seines Denkmals
In Karlsruhe, 19. November 1892.
Von
MICHAEL BERNAYS.*)
Von dem Denkmal, das wir dem Dichter aufgerichtet, soll bald nun
die Hülle sinken. Er, in allen (Tauen Deutschlands heimisch und geliebt,
wird wie zu einem neuen, dauernden, vergeistigten Dasein von seinen
Volksgenossen in den Umkreis der Vaterstadt zurückgeführt. Das Antlitz,
dem die sicher bildende Künstlerhand die sprechenden Züge des Lebens
aufgeprägt, wird von den Lüften der Heimath umspielt, der Heimath, die
ihm den nahrungsprossenden Boden für das kraftvolle Gedeihen seiner
Dichtung gewährte. Und wie das Haupt, auf dem freudig stolz und weh-
muthsvoll unsere Blicke weilen, von freier lichter Anhöhe sich emporhebt,
so fällt alles von ihm ab, was der irdischen Erscheinung anhaftete, und
ledig wird er alles dessen, was dem Bereiche des Vergänglichen entstammt.
In der ursprünglichen ungebrochenen Tüchtigkeit seines Wesens steht
er vor uns da. Nicht mit anmasslichem Urteilsspruch sollen wir hier
die Grenzen festsetzen, die seinem Streben und Können gezogen waren ;
nicht wollen wir erörtern, wie innere Erlebnisse, wie äussere Ereignisse
sein Schaffen bedingten, seinen künstlerischen Drang erregten, leiteten oder
beschränkten; nein, vergegenwärtigen wollen wir uns ihn, wie er, dem wan-
delbaren Erdendasein enthoben, in gefesteter Gestalt der Nachwelt sich zeigt.
Aber hat denn auch wirklich fUr ihn die Nachwelt schon begonnen?
Die Meisten derer, die sich vereinigen, ihn zu feiern, fühlen sie sich ihm
gegenüber nicht als Mitlebende? Noch klingt ihnen seine markig eindring-
liche Stimme, noch ist ihnen der Blick vertraut, in dem bald die Herzlichkeit
warmen Mitempfindens sich kundgab, ans dem bald die Schalkheit geistreich
keck hervorbrach; noch erneuert sich ihnen der Eindruck seines Gesprächs,
das durch sein anschauliches Wort sich so eigenartig belebte; sie glauben
noch seine gemüthvollo Erzählung zu vernehmen, die sich unwillkürlich zu
einer fast dichterischen Darstellung umbildete, in der sich der Urheber des
Ekkehard, der Säuger des Gaudeamus nicht verleugnete, und in der. wie in
seinen Werken, die Gegensätze von Scherz und Ernst leicht in einander
*) Genau so, wie sie gehalten worden, erscheint hier diese Hede. Freunde und
Lebensgenossen Scheffels hatten mich durch danken« werthe vertrauliche Mittheilungen in
den Stand gesetzt, mir von der Persönlichkeit des Dichters, den ich niemals mit Augen
gesehen, ein anschauliches Bild zu entwerfen. Den reichsten Dank jedoch schulde ich dem
trefflichen Biographen Scheffels, Johannes Proelss. Kr*t seine zuverlässige, liebevoll
eingehende und lebendig anregende Darstellung gewährte mir die Möglichkeit, Wesen und
Schaffen des Dichters deutlicher zu überblicken.
Digitized by Google
Hede auf Scheffel.
69
überspielten, so dass man auch hier unmittelbar die Wahrheit des Ausspruchs
erkannte, mit dem er die einheitliche Doppelnatur seiner Poesie bezeichnete:
seine Komik sei nur die umgekehrte Form der inneren Melancholie.
Und wie Manche unter denen, die sein Andenken werth und theuer
halten, können ganz eigentlich als seine Lebensgenossen gelten, denen noch
in lebendiger Erinnerung vorschwebt, wie er seinen Erdengang durchmass.
Sie sehen ihn als den durch vielerlei Preise ausgezeichneten Schuler des
vaterstädtischen Gymnasiums, das schon damals der Pflege der edelsten
Studien sich erfolgreich befliss; unter seinen Kameraden that er sich als
der Erste hervor. Schon regte sich in ihm der dichterische («eist, der,
wie er in kindlicher Zärtlichkeit behauptete, ihm von der poetisch gestimmten
und befähigten Mutter als köstlichstes Gut angeerbt war; doch übermächtiger
noch als das dichterische Streben beherrscht ihn der Hang zur bildenden
Kunst. Indess weder der Dichtung noch der Malerei darf er sich zu eigen
geben. Mit jenem Pflichtgefühl, das er als einen der GrundzUge seines
Wesens festhielt, und das er später aucli den höheren Aufgaben der dich-
terischen Kunst gegenüber bewährte, fttgt er sich dem väterlichen Willen:
der zur Kunst Berufene ergiebt sich den strengen Meistern des römischen
Rechts. Aber weder Gaius noch Ulpianus und am wenigsten der Kaiser
Justinianus können den Muth ihm wirren oder den Dämon der Poesie
bannen. So sieht ihn München, Heidelberg, Berlin und dann wiederum
das theure Heidelberg als heiteren und erheiternden Studenten. Doch darf
man aus manchen frisch übermüthigen Äusserungen eines Welt-, Kunst-
nnd Natur-frohen .lugendsinnes keineswegs schliessen, dass er einer allzu
leichten Auffassung des Lebens und der Lebensforderungen sich zugeneigt.
Gerade seine jugendlichen Verehrer, denen sein Lied immer von Neuem
die Lust am Dasein weckt und stärkt, gerade sie mögen erwägen, dass,
wenn der widerwillige Jurist, gleich seinem Jung-Werner, in gewissem
Sinne sich hernach seines corpus iuris entäusserte, er diesen immerhin be-
denklichen Schritt doch dann erst wagte, nachdem er es gründlich durch-
studirt hatte.
Gestützt auf die Ergebnisse dieser Studien, macht er sich eben bereit,
den ordnungsgemässen Weg des nach höherer Stellung stiebenden Staats-
dieners anzutreten: da findet sich der 23jährige einem unterwühlten, im
tiefsten Inneren erschütterten Staats- und Gesellschaftsleben gegenüber.
Bei dem Zusammenbruch alt überlieferter Zustände blieb er kein theilnahm-
loser Zuschauer. Durch die Sturme, die mit mächtigen Schwingen über
die Völker Europas, die auch über unser Vaterland einher fuhren, liess er
sich nicht blindlings in das wogende Getriebe der Zeit fortreissen. Was
er beobachtete, was er erlebte, konnte die Unbefangenheit seiner An-
schauungen nicht beeinträchtigen; sicherlich ging er aus diesen Bewegungen
mit neu bestärktem vaterländischem Sinne hervor. Unmuths- und hoffnungs-
voll zugleich, hie und da von einem Gefühl der Bitterkeit übermannt, blickte
Digitized by Google
70
Biographische Blätter.
er hinaus in eine Zeit, da unser Deutschland durch eiserne That wieder
jung werden sollte.
Inzwischen, während die vaterländischen Geschicke noch im Ungewissen
schwankten, sollte sein Geschick sich Glück verhcissend entscheiden. Die
Muse, die sich einmal ihn erkoren, gesellte sich eben dann zu ihm, als die
Schranke der Wirklichkeit sich trennend zwischen ihm und ihr zu erheben
drohte. Eben der Ort, wo der Meister Josephus vom dürren Ast als armer
Schreiber — so nennt er sich wohl selbst — gewissenhaft seines ersten
bescheidenen Amtes im Dienste des Staates waltete, eben dieser Ort ward
ihm, wie durch die Einwirkung des heiligen Fridolinus, die geweihte Stätte,
auf der ihm wie von selbst der Stoff der ersten Dichtung entgegenwuchs,
durch die er alsbald so vieler Menschen Herzen gewinnen sollte.
Wie überall, wohin er sein Auge wandte, das Geringfügige Bedeutung
erhielt, das Unscheinbare bezeichnende Gestalt annahm, — wie er aller
Orten sicheren Schrittes den Spuren nachging, die aus einer mehr oder
minder verbildeten Gegenwart in die Fülle des freien und doch gesetz-
mässigen Naturlebens. in die lebendige Wahrheit der Geschichte zurück-
leiteten, das bewiesen seine Säckinger Briefe, die Schilderung des Hauen-
steiner Schwarzwaldes und jene Berichte aus den rhätisehen Alpen, zu
deren Abfassung er sich mit Ludwig Häusser vereinigte — wie gern ergreift
man jeden Anlass, des theuren Namens zu gedenken! — Während er aber
so schon halb unbewusst von der Vorahnung seines ersten grossen Gedichtes
umfangen war. schien die bildende Kunst ihn endgültig für sich gewinnen
zu wollen. Aus den bedrängenden Zweifeln, mit denen der Widerstreit der
beiden Künste in seinem Innern ihn peinigte, konnte er nur durch eigene
künstlerisch erlösende That befreit werden. War er ins Land Italia ge-
pilgert, um dort unter der Führung deutscher Meister mit Inngebendem
strengem Fleiss sich die technischen Mittel der malerischen Darstellung- zu
erringen, so ward ihm dort, wie in plötzlich aufstrahlender Umleuchtung,
das Ziel deutlich erkennbar, dem sein künstlerisches Sinnen und Trachten
in Wahrheit zustrebte. Als er in froher Frühlings-Ahnung auf Capri's
Klippen den Sang von der stillen Schwarzwald- Lieb" anstimmte, als er mit
dem beginnenden Mai 1853 das Lied von Werner und Margaretha vollendet
hatte, da wichen alle Zweifel: er wusste nun, welche holdselige Kunst
fortan als leitendes Gestirn über ihm und seinem Leben walten sollte.
Das Bündniss mit der Dichtung, das in der Fremde so schön besiegelt
worden, konnte nun in der lleimath sich nicht mehr lockern. Mochte er
in die Vorbereitungen zu einer reehtsgeschichtlichen Abhandlung sich ver-
tiefen, durch die er den Zugang zur akademischen Lehrtätigkeit sich er-
öffnen wollte. — umsonst! er ward in andere Tiefen gezogen, zu anderen
Höhen hinangeführt. Indem er den Keehtszuständen der Vergangenheit
nachforschte, gewann der Gesamuitifcist der Vergangenheit Macht über ihn;
oder vielmehr, er befreundete sich in innigem Einverständniss mit dem
Digitized by Google
K<<de auf Sdieffol.
71
Geiste, der einst den vielgestaltigen Lebensreiehthum entschwundener
Menschenalter erzeugt. Wie unter der Leitung dieses Geistes fügten sich
im Ekkehard die Einzel-Erscheinungen zu einem mit künstlerischer Weisheit
geordneten Ganzen zusammen - ein Zeitenbild, in festen, wenn aucli nicht
eng uinschliessenden, Rahmen gefasst — das Leben des zehnten Jahrhunderts
scheint sieh dem neunzehnten zu offenbaren.
So früh — der Dichter stand noch vor seinem 30. Jahre — war so
Hohes erreicht worden. Sein Schaffen auf solcher Hohe zu erhalten,
empfand er als Verpflichtung' gegen sich und seine Kunst. Wenn er aber-
mals Italien durchwandert, wenn er auf südfranzösischem Hoden das Wehen
des Petrarcaschen Dichtergeistes empfindet — es sei an die belebte
Schilderung des in Vaucluse verbrachten Tages erinnert! — wenn er vater-
ländische Fluren durchstreift, oder wenn er im Verkehr mit edel strebenden
Künstlern den Sinn erfrischt und das Auge stärkt, immer begleiten ihn die
vorwärts treibenden Gedanken an vielumfassende Entwürfe, in deren Aus-
führung er von Neuem die Fähigkeit hätte bewähren müssen, die Gestalten
und Zustände versunkener Zeitalter, in denen das Leben , der Menschheit in
folgenreicher Entfaltung sich machtvoll ausgebreitet, durch dichterische That
ans Licht der Gegenwart heranzuheben. Da ward das Nächste in das
Entlegenste verwebt. Der Schmerz um die eben entrissene herrliche, auch
künstlerisch verwandte Schwester kam in dem düster ergreifenden Bilde
des Hugideo zum Ausdruck, das uns noch um ein halb Jahrtausend hinter
den Ekkehard zurück versetzt. Dann wird er heimgesucht von der Ober-
fülle der Erscheinungen, die aus dem Bereicho des 12. und 13. Jahrhunderts
auf ihn eindrangen, und die, wie um einen hochragenden Sitz, um die
Wartburg" sich sammeln sollten. Sie umschwärmen ihn, sie bringen ihm
geheimnissvolle Mären, wohl auch verwirrende Kunde zu, selbst während
er in der fürstlichen Bibliothek zu Donaueschingen jenes Verzeichniss der
altdeutschen Handschriften herstellt, das allein schon, gleich einem ehrenden
Zeugniss, uns die Keife seines Wissens wie seine wissenschaftliche Sorgfalt
verbürgen könnte. Innerhalb welcher weitgeschwungenen Umrisse sich das
prosaische Wartburg-Gedicht ausgestalten sollte, — eine Vorstellung davon
mag der Juniperus in uns wachrufen. Die Kleinodien erlesener Lyrik,
welche die schmuckreiche Ausstattung der geschichtlich dichterischen
Darstellung bilden sollten, hat uns Frau Aventiure glücklich aufbehalten.
Die tiefen Töne dieser Lieder erfassen das Geinüth mit um so grösserer
Macht, wenn wir bedenken, dass sie demselben Dichtermund entschweben,
der alle Höhen und Abgründe der bis ins Gigantische anwachsenden ger-
manischen Zecherwonnen so hinreissend überzeugungsvoll zu besingen
wusste. Wohl darf man dem Dichter die Klage darüber nicht verargen,
dass man über jenen Liedern, welche den allersonnigsten Sonnenschein über
ein genussfrohes Leben zu breiten scheinen, nur allzu leicht solcher melodisch
gedämpften Schmerzenslaute vergisst. wie sie auch seiner Brust entsteigen,
Digitized by Google
72
Biographische Blatter.
wenn des Daseins unentwirrbares Geheimniss ihn anstarrt, wenn der Blick
der Geliebten ihm erlöschen will:
So, nachdem er in abgeklärter Form seinem Volke sein Bestes dar-
gegeben, sammelten sich aus den Kreisen der Nation und über die Grenzen
Deutschlands hinaus in immer fester geschlossenen Massen die Scharen
derer, die seiner tiefernsten Dichterrede hingegeben lauschten, die an seinen
heitersten Sängen zur Lebensfreude sich begeisterten. Lagerte sich auch
umschattendes Dunkel Uber so manche seiner Tage, so blieb doch an jener
Lebensfreude, die er so Vielen schuf, ihm selbst ein reiches Maass gesichert.
Und musste er, der dem Leben des alten Deutschlands mit der Liebe des
Künstlers so emsig nachgespürt, musste er es nicht mit innerer Erhebung
wahrnehmen und mit lautem Freudenruf begrüssen, als die vaterländischen
Geschicke sich endlich glorreich erfüllten und auch so mancher seiner Jugend-
Hoffnungen die unerwartete Erfüllung brachten? Und vernahm er in dem
Zujauchzen der Jugend nicht den weithin fortgesetzten VViederhall seiner
eigenen Jugendlust?
In seiner wahrhaft männlichen Bescheidenheit — gewiss blieb ihm
jede Selbstüberschätzung fremd — hätte er sich dem geräuschvollen An-
dringen der Bewunderer hie und da wohl lieber entzogen; doch durfte er
mit heiterer Befriedigung die gehäufte Ehrenlast tragen. In wie liebevoller
Erinnerung hegen Alle, die sich in den letzten Jahren ihm nähern konnten,
das Bild des ehrenfesten deutschen Mannes, der auf dem Stück heimischer
Erde, das er freudig sein eigen nannte, wirthlich waltete. Hartnäckig,
aber niemals böswillig, hielt er fest an dem, was er einmal als Recht er-
kannt hatte. Vertraut mit den alt hergebrachten Lcbens-Zuständen des
Volkes, verschmähte er den Prunk, verachtete er die Ziererei. Er selbst,
ein ausdauernd treuer Freund, erfuhr sein ganzes Leben hindurch an edlen
Freunden die deutsche Mannestreue. Und dankbar empfanden und empfinden
wir mit ihm, dass sein Dichterleben gehoben und durchleuchtet ward von
der Huld des hochsinnigsten und gelicbtesten Fürstenpaares, das durch
seine Anerkennung allein dem wahren Verdienste die schönste der Kronen
reicht.
Können wir aber den Dichter vor unser geistiges Auge rufen, ohne
dass unwillkürlich die Gestalten um ihn sich sammeln, die seine Künstler-
hand geformt, denen sein Geist ein selbständiges Leben eingehaucht?
Selbständig überdauern sie ihn, wie gänzlich losgelöst vom Dasein ihres
Urhebers; und doch untrennbar bleiben sie ihm vereint. Ihn schauen wir
Nur wer sehnend in der Sonne
Untergchnde Gluthen späht.
Auch Dein Scheiden glich dem ihren.
Denn sie scheidet, weil sie muss. — —
Läutet, Glocken, dumpfen Schalles
Einem armen Mann zu Grab:
Hier war's, o mein Eins und Alles,
Wo ich Dich verloren hab'!
Kennt die schnierzenxbittre Wonne
Die aus solchem Blick erweht.
War Dich finden, Dich verlieren
Nicht wie kurzer Sonnenkuss?
Digitized by Google
Rede auf Scheffel.
73
in diesen Gestalten: in ihnen thut sein eigentliches Wesen sich uns auf.
Der Reichthum seines inneren Lebens ist in sie hintlbergeströmt : sie tragen
in sich, was er sann und schaute. Welche eindrucksvollere und des
Dichters würdigere Feier könnten wir erdenken, als wenn wir, statt Uber
ihn zu reden, — immer ein gewagtes Unterfangen! denn das Grundge-
heimniss alles Dichtens bleibt unausdeutbar — welche schicklichere Feier
also könnten wir ihm bereiten, als wenn wir ihn selbst durch die Gestalten,
mit denen er seine Dichtungswelt bevölkerte, zu uns reden Hessen. Ganz
anders als wir es vermöchten, würden sie, jedes in seiner Sprache, das
Lob ihres Schöpfers und Bildners austönen. Werner und Margaretha,
Hadwig, Ekkehard und Praxedis mit ihrer ganzen höfischen und klösterlichen,
kriegerischen und bürgerlichen Umgebung, das ans lieblich kindlicher Be-
fangenheit zum lieben und zur thätigen Liebe aufblühende Paar Audifax
und Hadumoth, Juniperus und Rothtraut von Almisshofen, und jenes in
antiker Marmorschönheit leuchtende Schwesterbild Benigna Serena — und
dann jene andere Reihe, aus der neben dem Mönch von Banth und den
fahrenden Leuten Reinmar, Wolfram und Heinrich von Ofterdingen hervor-
ragen. — Aber wnndersam! während vor dem musternden Blicke diese
Gestalten wie im anmuthigen Reigen daherziehen, überkommt uns die Be-
trachtung: sie Alle entstammen der Vergangenheit. Was haben sie der
Gegenwart zu künden? Wie gelang es ihnen, sich so innig einzuleben in
die Anschauungen, in die Gefühlswelt dieser Gegenwart, die in der Kunst
nur ihr eigenes Abbild sucht, die in allen Bezirken der Kunst nur sich
selbst wieder finden will?
Den Poeten bindet keine Zeit. Im freien Fluge überschwebt er mit
seinem Geiste die Weltaltcr. Durch allen Wandel der Zeiten hindurch
vernimmt er die ewig lebendigen Stimmen der Menschheit, und wo sie mit
lieblicher Gewalt verheissungsvoll ihn locken, da, wie in einer neu gefundenen
Heimath, lässt er sich nieder. Wie mit seinem Eigenthum schaltet er mit
dem Vorrath der Geistesschätze, die frühere Menschengeschlechter gesammelt:
da bietet sich ihm der gefflgige Stoff, aus dem er seine Schöpfungen er-
stehen lässt
Aber der Dichter ist auch der Sohn seiner Zeit. Aus ihrem ge-
sammten Sein heraus schafft er; zu ihr allererst muss er reden, und sollte
sie auch nicht gleich ihn zu fassen vermögen. Sind es nicht eben die
grössten, deren Wort nie veraltet, deren Einwirkung auf die Menschheit
durch keine Grenze von Zeit und Ort beschränkt erscheint, — Geister wie
Aeschylos, Dante, Cervantes und wer noch gleichberechtigt ihnen zur Seite
tritt, sind sie nicht auch die ewig redenden Zeugen ihrer Zeit, deren
lebevollste Verkörperung sie uns in ihren Werken bieten? Dieser Zeit, aus
der sie hervorgegangen, angehörig, und nur durch sie verständlich, greifen
sie hinaus hVs Künftige, wenden sie sich rückwärts in s Vergangene. Die
Menschheit steht vor ihnen wie ein grosses, nur scheinbar in sich ge-
Digitized by Google
74
Biographisch© Blätter.
schiedenes Wesen, dessen Gesaiumt-Dasein sie mit allumfassender Empfäng-
lichkeit durchleben. Die innere Feinheit alles menschlich Gewordenen stellt
sieh vor ihrer Einbildungskraft her. Der Dichter, sagt uns ein grosser
Poet, lebt den Traum des Lebens als ein Wachender, und das Seltenste,
was geschieht, ist ihm zugleich Vergangenheit und Zukunft. So be-
währt er sich als der aussöhnende Vermittler der Zeiten. Und war nicht
vornehmlich der Dichter des Ekkehard zu einem solchen Vermittler- Amt
erkoren?
Wie Vieles und Vielartiges muss doch zusammentreffen, damit ein
Kunstwerk von echtem Gehalt entstehe! Als im Beginn des Jahrhunderte
der Druck fremder Gewalt auf Deutschland erniedrigend lastete und innere
Spaltungen längst die Volkskraft zersplittert hatten, da suchte der deutsche
Geist in der Erforschung des vaterländischen Alterthums das Bewusstsein
der angestammten Grösse wieder zu gewinnen. Das Wissen vom deutschen
Alterthuni war eben zur gediegenen Wissenschaft herangereift, als unser
Dichter emporwuchs. Zwei Jahre nach seiner Geburt traten Jacob Grimms
deutsche Reehtsalterthumer hervor, aus denen seine Poesie hernach wahre
Lebensnahrung ziehen sollte; ein Jahr darauf folgte Wilhelm Grimms
deutsche Heldensage. Um die Zeit, da er seine akademischen Studien be-
gonnen, erschien in erneuter Ausarbeitung Jacob Grimms deutsche Mytho-
logie, die ihm den ahnungsvollen Natursinn der Vorväter, wie das uralt
Sinnbildliche in Sitte und Brauch deutete, und ihm die religiöse An-
schauungswelt der Germanen eröffnete. In der grossartigen Sammlung der
Monumenta zeigte das Mittelalter sein wahres Antlitz, das früher bis zur
Verzerrung entstellt oder von Nebeln phantastischen Wahnes verhüllt
worden.
So sprach aus unverfälschten Urkunden unmittelbar zu ihm die Vorzeit ;
und neuere Forschung lichtete und erleuchtete ihm den Pfad, auf dem er
zum Anblick der Vergangenheit vordringen wollte. Und wie versenkte er
sich in diesen gleichsam eroberten Anblick! Durchliest man die dem
Ekkehard beigefügten gelehrten Quellen- Angaben, so könnte man wohl
irrthümlich glauben, der Stoff hätte dem Dichter bereit vor Augen gelegen,
es hätte nur eines kecken Zugreifens bedurft, um ihn zu erfassen und zu
bewältigen. Aber man wende sich doch einmal selbst unmittelbar an eine
der Hauptqucllen. aus denen er für seinen Ekkehard so reichlich schöpfte,
an die Geschichte der Vorfälle im Kloster St. Gallen, die casus Sancti
Galli von Ekkehard IV, die in deutscher Übertragung nun einen Jeden
belehren können, der vor mittelalterlichem Kloster - Latein zurückschreckt.
Da wird man sich überzeugen: schon das Finden des Stoffes war eine
entscheidende dichterische That. Ehe unter einer wirrevollen Masse von
Einzelheiten der Forxeherblick brauchbare Bestandteile einer dichterischen
Darstellung entdecken konnte, musste der leuchtend eindringende Dichter-
blick das Ganze schon ergriffen und verklärt haben. So aus innerer
Digitized by Google
} teile auf Scheffel.
75
Notwendigkeit heraus schloss sich der Bund zwischen Forschung und
Dichtung.
Gänzlich sondert sich der Dichter des Ekkehard von der Zunftgenossen-
schaft derer, die uns in graue Jahrtausende zurück zu täuschen wähnen,
wenn sie die schwächlich gearteten Tagesgeschöpfe, die ihrem von der
Gegenwart befangenen Sinne entsprungen, mit alterthüralich fadenscheiniger
Gewandung kümmerlich umhängen; und ebenso getrennt hält er sich von
Denen, die von der bannenden Gewalt der geschichtlichen Überlieferung
so unterjocht und gelähmt werden, dass sie den freien Schritt in die Gegen-
wart nicht mehr zurückthun können, und ihnen jedes Gefühl für Forderungen
und Bedürfnisse ihrer Zeit schwindet. Er vielmehr — und dabei kam ihm
die juristische Schulung wohl zu Statten — er sieht die Zustände der Ver-
gangenheit in schärfster Umgrenzung; zugleich sieht er innerhalb dieser
Grenzen Alles in lebendiger geschmeidiger Bewegung; nichts bleibt starr; im
Bereich der Vergangenheit regen und tummeln sich dieselben Lebenskräfte,
die auch unserem Dasein Schwung und Erhebung verleihen, es mit Genuss
und Wonnen, mit Herzensweh und Geistesqualen überfüllen. So lässt uns
der Dichter unsere Verwandtschaft mit dem Gewesenen empfinden. Ilim
droht nicht die Gefahr, dass die Geschichte die Poesie übermeistere.
Mochte auch späterhin die allzu enge Nachbarschaft des Gelehrten und des
Dichters dem Künstler zu hemmender Bedrängniss gereichen — so lang
ihm seine Vollkraft ungeschmälert blieb, bezwang er die Geschichte, anstatt
sich von ihr in Bande schlagen zu lassen: er verfügte über ihren Gehalt,
als ob er ihn nicht dem Buche, als ob er ihn dem Leben entnommen. Er
gleicht den Gegensatz der «Jahrhunderte durch dichterische Vermittlung aus,
ohne doch die schroffen Eigenthümlichkeiten der alten, längst geschwundenen,
ja. längst unmöglich gewordenen Zustände abzuschwächen. Das wissen-
schaftlich Ergründete wird zum dichterisch Geschauten. Versprengte
Trümmer fügen sich an einander, wie zum Wieder- Aufbau einer alten Welt,
nnd über ihr leuchtet eine ewig junge Sonne, welche die Menschheit, die
uns hier begegnet, mit J^ebcnswärme und .jugendfrische durchströmt.
Ja, so nahe tritt sie im Panzer oder Kutte, in höfischer Zier oder
bäuerlicher Schlichtheit zu ihm heran, dass er, wie in einem mühe-
losen Verkehr, mit ihr umgehen inajj. Da hat er Acht auf ihr Thun
im Grossen, auf ihr Behaben im Kleinen; da verräth sich ihm ihr
Sinnen und Fühlen; er erlauseht die edlen Kegungen wie die klein-
lichen Gedanken. Muss da nicht ungemfen der sich einstellen, der im
Geistesgebiete unseres Dichters sich gleichsam ein eigenes Reich ge-
gründet hat, der Humor? Er schwebt verbindend über den Gegensätzen,
lösend Über den Widersprüchen, die im Menschendasein aneinanderstossen
und sich durchkreuzen. In fast unbemerkbaren Übergängen leitet er vom
Würdigsten zum Alltäglichen, vom Freudenjubel zur herzzerschneidenden
•Trauer; und indem er bezeugt, dass der teste Dichtersinn unberührt bleibt
Digitized by Google
76
Biographische Blatter.
von der kränklichen Sehnsucht nach vergangenen Lebens- und Gesellschafts-
formen, verbreitet er durch Darstellung und Sprache eine Würze, die den
alterthttmlichen Inhalt vor dem Veralten bewahrt.
Und doch — wenn auch, wie vor dem Blicke eines rückwärts-
gewandten Sehers, vor dem Dichter das Bild jener fernen Menschheit
in Lebensfülle und Lebensfarbe hell emporstieg, dennoch wäre es ihm
kaum gegluckt, diese unwiederbringlich entschwundene Welt Uber die Kluft
der Jahrhunderte auch der empfänglichsten Einbildungskraft so deutlich
entgegenzubringen, wenn er seinen Gestalten nicht in der vertraulichsten
heimathlichen Nähe den Boden bereitet hätte. Hier erkennen wir eine gewiss
halb unbewusste Meisterthat des Dichters, die dadurch nichts von ihrer
Bedeutung, geschweige denn von ihrer Wirkung, einbüsst, dass sie durch
die Wahl des Stoffes schon gefordert ward. Was in der Zeitenferne
geschah, wird uns im Räume nahe, ganz nahe gerückt. Das Thun und
Dulden der längst vom Zeitenstrudel verschlungenen Menschen, ihr An-
kämpfen gegen den äusseren Feind und gegen den gefährlicheren, der im
Innern sich aufbäumt, ihre Alltags-Sorgen und ihre ausserordentlichen
Wagnisse, ihr Triumphiren und Unterliegen, das Alles wird angeknüpft an
die vaterländischen Bezirke, die schon mit ihres Namens Klange in allen
Deutschen eben so liebliche Anschauungen wie theure Erinnerungen hervor-
rufen, und über die unser Auge ergötzt und entzückt hinschweift. Da
liegt es vor uns hingebreitet, das schone Stück deutscher Erde, „was dort
zwischen Schwarzwald und schwäbischem Meer sich aufthut" — da wallt
der See, da hebt sich der Hohentwiel — bald blinkt von ferne die Rheines-
welle, bald trägt vor unseren Augen der deutsche Strom zwischen Uferfels
und bebuschten Höhen seine Wogen mächtig daher. Der Säntis ragt auf
neben seinen hochgipflichten Genossen — und Flur und Trift, Waldes-
dnnkel, Ackerfeld und schattige Halde — da haben sie gehaust und ge-
waltet, die urväterlichen Geschlechter! Warum sollen sie nicht zurück-
kehren auf diesen heimischen Boden, der sich unverändert vor unsern
Blicken dahinstreckt? Im hallenden Klostergang sammeln sich die Mönche,
die arbeitsamen, und die beschaulich stillen; die heilige Einsiedlerin
psalmodiert und kasteit sich in ihrer ummauerten Zelle, die Waldfrau in
ihrer steinernen Hütte am steilen Fels treibt ihr heidnisches Werk. Hadwig
herrscht auf ihrer Burg, wo von den Lippen des heimlich Geliebten und
unselig Liebenden die berückende Versmelodie des seelenvollsten der römischen
Dichter tönt:
Infelix Dido, longumque bibehat amorem!
Zeitenferne — räumliche Nähe — aus der Verbindung Beider entspringt
die sinnliche Täuschung, aus der die künstlerische Wahrheit siegend hervor-
geht. Da sinkt gänzlich die Scheidewand, die sonst die Menschenalter von ein-
ander abtrennt. Folgte der Dichter doch selbst seinen Gestalten unmittelbar
an die Stätten, wo sich das begeben, was er in künstlerischer Ausführung'
Digitized by Google
Rede auf Scheffel.
77
wiederholte. Erst siedelt er am Hohentwiel sich an, dann am Waldkirchlcin
beim Säntis. Was er einst in der bildenden Kunst so gern geleistet hätte,
das überträgt sich auf sein bildendes Wort, so bald er die Natur-Erscheinung
erfasst und wiedergiebt. Begleitet man in Gedanken Hadumoth auf ihrer
Wanderfahrt, auf der sie Gott vertrauend dem geraubten Gespielen endlich
wieder begegnet, so wird man nachfühlen, wie die wechselnden Gegenden,
die sie durchzieht, sich beleben, ja. mithandeln und mitsprechen. Vor ihm,
in dem rege Wanderseligkeit und strenge Forschungslust sich einen, lag das
Buch der Geschichte und das Buch der Natur aufgeschlagen: nicht todte
Buchstaben, nicht unbelebte Können fand er in ihnen; aus Beiden vernahm
er lebendige Laute, die weckend und erhebend an Geist und Seele drangen.
Wenn er der offenkundigen Schönheit und Majestät der Natur preisend und
huldigend sich hingiebt, so lockt es ihn doch vielleicht mit noch lebhafterem
Reiz. Sinn .und Ahnungsvermögen in das geheime Weben, in das leise
Wirken der Erdenkräfte zu versenken. Er ist es,
Der zu hören weiss in frommem Lauschen,
Wie, herrlicher als Lied und Kunstgedicht,
In stundenlangem, leisen» Wipfelrauschen
Des Waldes Seele mit sich selber spricht.
Aber nicht nur aus dem, was er erlerat, erlauscht und erwandert,
fügt er die Elemente seiner Dichtung. Die Gestalten und Anschauungen,
die er von aussen und aus der Ferne empfängt, werden doch nur dadurch
sein eigen, dass er sein inneres Leben — soll ich sagen — in sie einarbeitet oder
gelind in sie einflösst. Und so wird ihm das eigene Sein zum Urquell
seiner Dichtung. „Es kam Alles von Innen heraus" — so erklärt er selbst
in späteren Jahren die Entstehung seiner Gebilde; oder, wie er es dem
Parzival-Dichter in den Mund legt:
Des eignen Herzens räthseldunkle Ziele
Entwirren sich im hönsch-bunten Spiele.
Aus seinen eigenen Stimmungen erhebt sich Werners kräftiger Sang
und sein Sehnsuchtslied; Selbsterlebtes führt zu der schmerzlich-ernsten,
aber nicht unmännlichen Ergebung, welche die Lieder des stillen Mannes
athmen; der Nachhall solcher eigenen Stimmungen zieht wohl auch durch
die mürrische, stets zur Kritik bereite, Weltweisheit des sinnschweren
Katers, dessen Stammbaum man nicht bei älteren Literatur-Katern suchen
darf, der vielmehr leibhaftig aus dem Leben sich würdevoll in die Poesie
hinüber begeben hat. Der Dichter selbst leidet, verzweifelt und läutert
sich mit seinem Ekkehard. Er ist es, der mit dem Regensburgcr Bischof
in die Bergeseinsamkeit hinaufsteigt, wo er im erhabenen Sturmes-Ungewitter,
das ihn umtost, und in dem nocli erhabeneren Schweigen, das auf dem erd-
überschauenden und himmelanstrebenden Gipfel lagert, sein eigenes, von
Stürmen durchwühltes, Gemüth zur Ruhe schwichtigt, und im Anblick
dieser ragenden Schöpf ungs-Wun der den schwer wuchtigen Feier- Psalm zu
Digitized by GöOgle
78
■-
Biographische Blatter.
dem empor sendet, der die Tiefen gegründet und in unnahbarer Höhe Uber
allen Erdenhöhen thront. So tritt der Dichter auch in ein durchaus
persönliches Verhältnis» zur Frau Aventiure, der spröden Unholdin. um
deren Gunst er mit den gehaltreichsten und ausgebildetsten seiner Lieder
wirbt. Wohl hat er ganz und tief sich eingelebt in die Gemeinschaft der
Meister mittelalterlicher Dichtkunst; was in Kitterburgen und an Fürsten-
höfen gesagt und gesungen worden, was im Waldesgrün und auf lichter
Haide erklang und sich mit den Naturlauten der beschwingten Waldes-
sänger mischte, — das war ihm, seinem eigenen Worte nach, wie ein Ab-
glanz der unsterblichen Jugend unseres Volkes, über diesen Lebens-
und Dichtungs-Kreis jedoch, in den Literatur-Geschichte und Kritik ihn
eingeführt hatten, wie bald schwingt er sich unabhängig über ihn empor!
Reinmar, Walter, Wolfram und, den er aus Sagendunkel zuerst hervortreten
lässt, Heinrich von Ofterdingen — sie Alle werden ihm brüderliche Sanges-
genossen; durch ihren Liedermund macht er uns vertraut mit seinem
Gcmtith, mit seinem Geschick — sind beide nicht Eins? Aus den zarten,
aus den erschütternden Tönen der alten Meister müssen wir erfahren, wie
er mit den höchsten Aufgaben der Kunst, bald hoffend, bald in düsterer
Verzweiflung, ringt :
Im Sturra-durchbraustcn Lenze
Fahr' ich dahin und suche meinen Stern.
Gewiss, das treuestc Abbild seines Inneren zeichnet er uns in den
Liedern, in denen lyrische Stimmung mit epigrammatisch geschärftem Aus-
druck auf eigene, oft überraschende, niemals beleidigende Weise zusammen
trifft. — Und niemals darf ihn die lyrische Stimmung ins Unbestimmte, ins
Form- und Haltlose hinein verleiten. Nur Gestaltetes und Festgefügtes
darf von ihm ausgehen. Unwiderstehlich drängt ihn seine Künstlernatur
zu Geschichte und Sage, wo schon das innere Leben sich verdichtet und
verkörpert hat, so dass es der sinnlichen Anschauung fassbar geworden.
So erblüht selbst seine Lyrik, die Trägerin seines Seelenlebens, am
günstigsten auf episch - sagenhaftein Boden. Behält man diesen epischen
Hintergrund im Auge, so versteht man vielleicht, warum der Zugang zum
Drama ihm stets verschlossen blieb und seine Poesie auf die Beweglichkeit
dramatischer Charakter- Entwickelung verzichten musste. Er bedarf für
seine Dichtung ganz eigentlich festen Grund und Boden. Im Säckinger
Gedicht und im Ekkehard bot sich ihm dieser von selbst, wie eben nur
dem geborenen Dichter sich so etwas bietet. Vergebens strebte er ihn für
seine Viola, für sein prosaisches Epos von der Wartburg zu finden. Uner-
müdlich forschend wanderte er am Rhein, an der Donau auf den Nibelungen-
Pfaden; umsonst! Die Welt, die Gestalten, die hier vor ihm schwebten
und schwankten, sie wollten sich nicht verdichten. Der gewissenhafte
Künstler jedoch — gleich jedem echten Dichter näherte er sich der
künstlerischen Arbeit mit strengem Ernst und verschmähte jedes Spielen
Digitized by Google
Hede auf Scheffel.
79
mit der Kunst — der gewissenhafte Künstler mochte seinen Bau nur auf
ireschichtlich gesichertem Boden errichten. In Wahrheit, er konnte nicht
eher ruhen, als bis alle Abstraktion in einen bildlichen Kindnick verwandelt
worden. Der Mythus wächst ihm so zu sagen unter den Händen; seine
ausgelassensten Scherze kleiden sich in historisches und mythisches Gewand,
mag er nun, in graue Schöpfungsdänimerung zurückblickend, den Basalt und
den erratischen Block, oder in bildungshellcr Gegenwart das Heidelberger
Fass besingen, das für die germanische Menschheit leider nicht mehr
sprudelt. Auch die Zechlust darf nicht im Abstrakten verharren. Aus
ihr erwächst im Rodensteiner die kolossal heroische Verkörperung eines
Dörfer verschlingenden und dennoch unstillbaren, Zeit und Ewigkeit trotzig
überdauernden Durstes.
Überall ist es deutsche Geschichte und Sage, denen Sehefielsche
Dichtung sich anschliesst, mit denen sie zusammenwächst. Kaum mag man
sich denken, dass sie in einem anderen als dem vaterländischen Boden
purzeln könnte. Durch einen Stoff, der ihn in die Fremde lockte, wie
Tizian und Irene di Spielimbergo, konnte er wohl auf lange hinaus gefesselt
werden, aber nicht konnte er mit dichterische!- Kraft ihn befruchten. Nur
heimische Sitte, heimisches Heldenthum, heimische Geistesthat kann seinen
(ieist zu schöpferisch gestaltender Thätigkeit entzünden. Und scheint sich
nicht etwas von der kernhaften Gesundheit der deutschen Heldendichtung
seinen Kunstgebilden mitzutheüen? Man darf es betonen — und dasselbe
gilt von den Erzeugnissen seines alemannischen Kunst genossen, des einzig
unvergleichbaren Hebel, zu dem Scheffel so liebevoll aufblickte und den er
in dessen eigenen Tönen so anmuthig zu rühmen musste — man darf es
betonen: nie hat sich eine unlautere Zeile schändend in seine Werke ein-
geschlichen. Dies wahrhafte Leben, das er im Bilde vor uns auseinander
faltet, ist gesäubert von den Schlacken gemeiner Wirklichkeit. Die Luft
weht rein, wo er schafft. Unverhohlen blieben ihm die Schäden, die jetzt
am Körper der Menschheit nagen und zehren. Der zweiten Autlage seines
•lugendgedichtes gab er die Geleitswortc mit:
Die Welt von heut ist dienstbar falschen (itttzen.
Die Wahrheit schweif, die Schönheit seufzt und klatrt,
Nur Unnatur und Lüge schafft Kratzen.
Gott ist vergessen, Mammons Standbild ragt.
Um so höher ist die sittliche Tüchtigkeit dieser Bocsie anzuschlagen,
da der Poet die unbedingte Freiheit seiner Kunst un verringert behauptet,
und sich in seinem Schäften und Bilden niemals durch die Rücksicht auf
andere, wenn auch noch so edle, Zwecke beengen oder beirren lilsst. N'icht
an einen parteimassig abgegrenzten Theil des Volkes wendet sich diese
Dichtung: zum ganzen Volke spricht sie. Ganze Menschen stellt sie vor
uns hin. von deren Urkraft eine einseitige Bildung noch nichts abgebröckelt
hat In ihr ergeht eine milde Friedensbotschaft an eine in trostlosem
Digitized by Google
Biographische Blätter.
Zweifel mit sich selbst ringende, in sieglosen Kämpfen sich aufreibende
Menschheit.
Als eine Genesung spendende Heilsgöttin, so tritt die Poesie selbst in
den Werken unseres Dichters auf. Von sehnender Verzweiflung Pein muss
Ekkehard genesen, da er den Erzklang des germanischen Heldenliedes vom
Waltharius in Virgilischen Maassen nachtönen lässt. Auf ähnliche Weise
sollte in jenem grössten unvollendeten Werke Heinrich von Ofterdingen von
bedrängender Qual sich erlösend befreien, indem er das Lied von der
Nibelungen Noth zu seiner endgültigen Gestalt ausbildet. Als entschlossener
Vorkämpfer deutscher Dichtung war er den künstlerisch überlegenen
Meistern der nach französischem Muster entwickelten höfischen Poesie zu
gefährlichem Wettkampf entgegen gestellt worden. Wie einen schmählich
Überwundenen treibt man ihn davon: aber Leben, Zorn und Kunst sind
ihm noch frisch geblieben. Der Glaube an deutsche Dichtung hält ihn
aufrecht. In arbeitseliger Einsamkeit wächst er, genest und erstarkt am
dichterischen Schaffen. Triumphirend kehrt er zurück auf den Schauplatz
der früheren Niederlage. Mit sich bringt er als höchste Gabe das ewige
Lied von des strahlenden Siegfrieds Tod und Kriemhildens Rache-heischender
Liebe, von Dietrich von Bern und Rüdiger von Bechelaren:
Der Ahnen Geister steigen aus den Grüften,
Ein rauh Geschlecht erprobt in Grenzmark Streit;
Noch rauscht ihr Schlachtruf mächtig in den Lüften,
Die Enkel mahnend alter Tapferkeit.
Es war das dreizehnte Jahrhundert, das unser Nibelungenlied ent-
stehen sali; dasselbe Jahrhundert, in dem alle deutsche Dichtung zu so
wundersamer Blttthe gelangte, dasselbe Jahrhundert, das unser Dichter im
Beginn der Aventiure mit dem Weiliespruch begrüsste:
Schwingt Euch auf, Posaunen-Chöre,
Dass in sternenklarer Nacht
Gott der Herr ein Loblied höre
Von der Thürme hoher Wacht;
Seine Hand führt die J'laneten
Sichern Laufs durch Raum und Zeit,
Führt die Seele nach den Fehden
Dieser Welt zur Ewigkeit. —
Ein Jahrhundert will zerrinnen,
Und ein neues hebt sich an —
Auch wir harren einem neuen, allgemach aufdämmernden Jahrhundert
entgegen. Als ein Lebendiger wird unser Dichter die Schwelle eines neuen
Zeitalters überschreiten, im Gefolge jener gewaltigen und reinen Genion,
deren Deutschland, ohne sich selbst aufzugeben, nie vergessen darf, und
denen er, seiner vollen Selbständigkeit in seinem Kreise sich bewusst, eine
wahrhaft männliche Verehrung widmete. Wir wagen zu erhoffen, dass er
in der kommenden Zeit Geistesgenossen wecken wird, nicht solche, die in
Digitized by Google
Anselm Fauerbach.
81
knechtischer Nachahmung unwirksam wiederholen, was er wirkungsvoll
gesagt — möge die trübselige Reihe seiner Nachahmer abgeschlossen sein
für immer! — solche vielmehr, die seinem Sinne gemäss, aber ohne die von
ihm erborgten Kunstmittel, auf das ewig Menschliche gerichtet und des
Göttlichen eingedenk, in ihren Werken selbständig des deutschen Geistes
immer neu erstehende Herrlichkeit bekunden und Deutschlands ewig
strebendes Volk mit herzergreifenden Klängen an seine heiligen Pflichten
mahnen.
Was hier mehr unvollkommen angedeutet, als kunstgerecht ausgefülirt
worden, soll keineswegs als Gedächtnissrede gelten. Das Gedächtniss dessen,
der unter uns aus eigener Kraft fortlebt, bedarf keiner Auffrischung durch
ungenügende Rede. Das bescheidene Wort, das hier vernommen worden,
sollte uns nur vor die Seele führen, was sein badisches Land, das er so
geliebt und liebend verherrlicht, was sein ganzes grosses Deutschland, ja
was jeder, der durch deutsches Dichterwort die Macht des Deutschen
Geistes an sich erfahren, unserm Dichter innig zu danken hat und auch in
Zukunft treulich danken wird.
&
■fi
Anselm Feuerbach.
Von
KARL VON LÜTZOW.
Drei Mal erscheint auf den Stufengängen der modernen Kulturgeschichte
Deutschlands der Name Anselm Feuerbach. Und immer ist es das gleiche
silberhelle, milde licht, was von ihm ausstrahlt: von seinem ersten Träger,
dem humanen Kriminalisten, wie von dem zweiten und dritten, dem geist-
vollen Deuter klassischer Bildnerkunst und dem Maler der „Iphigenia".
Von allen Dreien besitzen wir biographische Darstellungen, die zugleich
mit dem geistigen auch das menschliche Wesen der edlen Männer der Nach-
welt überliefern; von keinem eine schönere als das ergreifende Bild der
eigenen Seele, das Anselm Feuerbach der Maler in dem bald nach seinem
Tode von pietätvoller Hand herausgegebenen „Vermächtniss" uns hinter-
lassen hat.*) Die Bedeutsamkeit dieser merkwürdigen Schrift reicht weit
über den Kreis der aufklärenden Wirkung hinaus, die sich der Verfasser
davon für das bessere Verständniss seiner künstlerischen Schöpfungen
erhofft hatte: sie zählt überhaupt zu dem Besten, was je ein Künstler über
Kunst geschrieben hat. Auch der äussere Lebensgang des Meisters ist in
ihr, wenn auch nicht erschöpfend, so doch grundlegend festgestellt.
*) Ein Vermächtnis« von Anselm Feuerbach. Wien, C. Gerold s Sohn. 188*2;
3. Aufl. 1890.
Biographische Blatter. I. 6
Digitized by Google
82
Biographische Blätter.
Den Versuch, die Lücken zn ergänzen und uns ein vollständig ab-
gerundetes Bild von dem Leben und Schaffen Anselm Feuerbachs zu bieten,
konnte nur ein Mann wagen, der sich ganz in die Natur des Kunstlers
versenkt, der durch Miterlebtes und von Nächststehenden Dargebotenes einen
freien Überblick über das Wesen und die Entwickelung seiner Kunst gewonnen
hatte. Wir müssen bereitwillig zugestehen, dass in dem vor einigen Monaten
erschienenen Buche von Julius Allgeyer die schwierige Aufgabe glücklich
geliist erscheint.*) Deckt sich unsere Auffassung von der Eigentümlichkeit
der Kunst Feuerbach s auch nicht vollkommen mit derjenigen des Biographen,
so begrüssen wir doch sein Buch als ein durchaus würdiges Denkmal des
Dahingeschiedenen mit lebhafter Freude. Die kleine Zahl guter deutscher
Künstlerbiographicn ist damit um eine der gelungensten vermehrt.
Besonders reichhaltig erweist sich Allgoyers Darstellung für die reife
Zeit des Künstlers, vom siebenundzwanzigsten Lebensjahre an bis zn seinem
Tode. Vier Jahre hindurch war er der tägliche Zeuge seines Schattens
und stand auch in der Folge mit dem Künstler im regsten persönlichen
Verkehr. Dazu boten ihm die Briefe Feuerbach 's und die von dessen
Stiefmutter Aufschluss über alle wichtigeren Vorgänge des inneren und
äusseren Lebens. Obschon das in der Berliner Nationalgalerie bewahrte
handschriftliche Material aus dem Nachlasse Feuerbach 's dem Biographen
aus bisher unbekannt gebliebenen Gründen vorenthalten wurde, dürfen seine
Quellen für die wichtigste Periode von Feiierbachs Leben doch als voll-
kommen ausreichend betrachtet werden.
Auch für die Kindheit und Jugend Anselms, die im „Vermächtnissu
mit festen Strichen gezeichnet sind, fehlt es nicht an neuen, fesselnden
Zügen. Vornehmlich zur Charakteristik von Feuerbach s Vater, mit dessen
„plastisch weicher Art" die seinige wesensverwandter war, als man bei
ihren sonstigen Verschiedenheiten zugestehen möchte. Eine Briefstelle möge
hier wiederholt werden, weil sie ein wenig bekanntes Gocthebildniss enthält,
von der Hand des Verfassers des „Vatikanischen Apollo" entworfen. Dieser
befand sich in jungen Jahren in Begleitung der Frau von der Recke,
Tiedge's und der Herzogin Dorothea von Curland einmal zur Herstellung
seiner erschütterten Gesundheit in Karlsbad und sah dort seinen glühenden
Wunsch erfüllt, mit Goethe in Berührung zu kommen. „Ich habe Goethe
gesellen und gesprochen"; — schreibt er am 11. Mai 1820 an den Vater
„die Herzogin, die meinen Wunsch errathen, schickte mich zu ihm. Mit
klopfendem Herzen stieg ich die Treppe hinauf und bat stotternd vor Angst
und Freude den Bedienten, mich zu melden. Ich ward vorgelassen, und
besänftigend überraschte mich die grosse Freundlichkeit, mit der er mir
entgegentrat; und gar bald waren die Schreckbilder von der Aufnahme, die
*') Anselm Köllerbach. Sein Leben und seine Kunst. Mit einem in Kupfer ge-
stochenen Selbstbiltlniss des Künstlers und 38 Text- Illustrationen in Autotypie. Bamberg,
Büchner s Verla-: 18!>4. XIV u. 4*2 S. *°.
Digitized by Google
Anselm Feuerbaoh.
83
Bürger und Rückert bei ihm gefunden, aus meinem Sinne entschwunden.
Er nöthigte mich zu sich aufs Sopha. Welch* ein Kopf! Wie eines
Tempels Gewölbe hebt sich die Stirn. Die Augen treten licht und klar
wie strahlende Heroen im dunkelglänzenden Waffenschmuck mit ernstem,
gemessenem Schritte aus der gewaltigen Wölbung. Ruhig und doch so voll
Feuer. So gebieterisch und doch so milde. Im seltsamen Kontrast mit
der Ruhe seiner Felsenstirne steht die gefällige Beweglichkeit des Mundes,
durch dessen freundliches Iitcheln nicht selten eine gewisse Ironie durch-
blickt. Rulle haben diese Lippen nie: auch wenn sie schweigen, sind sie
beredt".
Wie klar anschaulich und zugleich feurig bewegt ist diese Schilderung,
völlig im Stil des „Vatikanischen Apollo"! Der Maler Anselm hätte sie
kaum wesentlich anders geschrieben. Seine ganze Art wurzelt in der des
Vaters, nur hatte die Natur ilim noch eiu Organ mehr als diesem verliehen,
sich auszudrücken.
Bald nach jenem Besuche in Karlsbad lernte der Vater das weibliche
Wesen kennen, welches unserm Anselm das Leben schenken sollte, Amalie
Keerl aus Ansbach, „ein Mädchen von so seltener Anmuth, Schönheit und
Lieblichkeit des äusseren und inneren Wesens", — heisst es von ihr ~-
„dass, hätte Jean Paul sie gekannt, als er seinen Titan schrieb, Niemand
gezweifelt haben würde, Liane sei Ainaliens Porträt". In der Idylle des
Speyerer Häuschens, das Feuerbach mit der glückselig Heimgeführten im
Herbst 1826 bezog, ist als „mächtiger Penate" der „Vatikanische Apollo"
und wenige Jahre vor dessen Erscheinen, am 12. September 1829 Anselm,
der Maler, der Welt geschenkt worden. Wer kann sich darüber wundern,
dass sie mit einander wesensverwandt sind? Beide zugleich ganz modein
und doch voll hellenischen Geistes!
Die „schöne, stille" Amalie starb früh. Der kleine Anselm kam für
kurze Zeit zu dem Grossvater nach Ansbach. Als er in die Geburtsstadt
heimkehrte, war dort eine Stiefmutter eingezogen, jene verehrungswürdige
Frau, welcher der Künstler für sein ganzes weiteres Leben das Meiste zu
danken hatte. Sie war hochgebildet, namentlich in Musik und Sprachen,
selbst des Lateinischen und Griechischen „in einem für eine deutsche Frau
unseres Jahrhunderts höchst seltenen Grade mächtig". Rührend ist, wie
der Künstler im „Vermächtniss" den Eintritt der Stiefmutter in das Vater-
haus begrttsst: „Grenzenloses Mitleid mag unsere zweite Mutter zu diesem
gesegneten Entschluss veranlasst haben".
Die Knabenjahre verlebte er in der Universitätsstadt Freiburg im
Breisgau, wohin der Vater 1836 als Professor der Philologie und Alteiv
thuraskunde berufen war. „Der schöne Schwarzwald mit seinen Felsen-
schluchten und stürzenden Bächen ist von da an neun Jahre lang der
Hintergrund meines kindlichen Denkens und Empfindens geworden", heisst
es im „Vermächtniss". Unter den Gestalten des Hauses, in dem ein reger
6*
Digitized by Google
84
Biographische Blatter.
Verkehr bedeutender Persönlichkeiten herrschte, tritt Anselm1« phantasie-
begabte Schwester Emilie in den Vordergrund, „ein zartes Geschöpfchen,
fcinglicdrig, voller Beweglichkeit": wir „spielten mit einander ein phan-
tastisches Märchenleben". Dazu kam die Pflege der Musik; mit Haydn,
Mozart, Beethoven wurde Anselm früh vertraut. Über dem Allen waltete
der liebevoll sorgende Vater; er hatte, wohl in der Erinnerung an Amalie,
„eine Art von geheiligter Rücksicht für seine Kinder". Anselm mag sie
oft genug erfahren haben; denn er war ein wilder, von allerlei schlimmen
Fährlichkeiten bedrohter Strassenjunge; dabei übrigens im Gymnasium immer
der Erste -in der Klasse. Als der Vater 1840 von einer ergebnissreichen
Studienreise nach Italien heimkehrte, vermochte der Knabe schon aus der
Anschauung der mitgebrachten Gipse, Münzen und Stiche seinen Gewinn
zu ziehen. Allein die antike Kunst war es nicht, die das Malerauge damals
zumeist entzückte; Rubens und van Dyck waren Anselm s erste Lieblinge.
Das Talent zum Künstler zeigte sich früh. Mit der linken wie mit
der rechten Hand wurde alles mögliche Papier mit Kreide oder Kohle be-
kritzelt. Auch Versuche mit Plastik fielen leidlich aus. Der Widerwille
des Vaters, die Einreden des Zeichenlehrers wurden überwunden. Mit der
Unterstützung der Freunde setzte es Anselm durch, Maler werden zu dürfen.
Sein künstlerischer Bildungsgang begann in Düsseldorf, wo damals
Wilhelm Schadow ein weitverbreitetes Ansehen als Lehrer besass. Kaum
sechzehnjährig, in Wahrheit noch ein Kind in seinem ganzen Wesen, kam
Anselm auf die rheinische Akademie. Das „Vermächtniss" bringt köstliche
Schilderungen des dortigen Treibens und der leitenden Persönlichkeiten, zu
denen Allgeyer uns den kunstgeschichtlichen Hintergrund bietet. Der
zornige Lessing behagte dem jungen Akademiker immer noch besser als
Schadow „mit seiner Güte und seinem Unverstand". Anselm hat so gut
wie nichts bei ihm gelernt. Aber einen guten Rath gab Schadow dem
Scheidenden: zu Delaroche nach Paris zu gehen. Bevor wir ihn von Düssel-
dorf weiter begleiten, sei in Kürze der um jene Zeit entstandenen Werke
des Künstlers gedacht. Es sind darunter mehrere vorzügliche Selbstbild-
nisse. Eines derselben, klein, mit Hut, ist Eigenthuin der Frau Rosa
v. Gerold in Wien. Ein grösseres Brustbild, in schwarzem Sammetroek,
besitzt Herr Fabrikant Riedinger in Augsburg. Die feinen, plastisch edlen
Züge strahlen darin im Glänze der ersten Jugend.
Der Sturm des Jahres achtundvierzig verwehte den Akademiker von
Düsseldorf für zwei Jahre nach München. Dort war. nach dem Abgänge
des Cornelius, inzwischen Karl Schorn (seit 1847 Professor an der Akademie),
„der richtige Stammvater der Piloty-Schule", am Kunsthimmel aufgegangen.
Feuerbach urtheilt Uber ihn mit schonungsloser Schärfe. Schorn versprach
den Schülern, sie Bilder malen zu lehren, die sich „sofort verkaufen". —
„Schorn s Schüler werden Maler, ich will ein Künstler werden". — Ähnlich,
dem Sinne nach, nur mit andern Worten pflegte M. v. Schwind zu unter-
Digitized by Google
Anselm Feuerbach.
85
scheiden zwischen Malern und blossen „Malen-Könnern". — Auch zu Rahl,
der sich damals zeitweilig in München aufhielt, fand unser Künster kein
geistiges Verhältnis^. Er blieb bei ihm wohl „anstandshalber" einige Wochen
im Atelier; aber — sagt er — Rahl „verpfuschte nur" so ziemlich die
Zeichnung einer Penthesilea „durch seine reflektirte Korrektur". — Noch
entschiedener ist seine Abneigung gegen Cornelius. Die „groben Zeichnungs-
fehler", der Mangel jeden Colorits in dessen Wandgemälden erregten in
Feuerbach ein förmliches Entsetzen. Nirgends ein Lehrer für ihn, ein be-
geisterndes Vorbild!
Es wundert uns nicht, wenn dem jungen Künstler unter solchen Um-
ständen der innere Halt verloren ging. „Meine Stimmung in München" —
schreibt er — „war launisch, faul, spaziergängerisch, vergnügungssüchtig",
als Rückschlag gegen die „Düsseldorfer quälerische Gewissenhaftigkeit".
Dazu forderte die Natur stürmisch ihr Recht; .Tugendneigung, dichterischer
Drang bewegten die Seele; unter den Verwandten in der Heimath, welche
zeitweilig besucht werden, wie unter den Freunden in München findet der
verwöhnte Liebling seine schmeichlerischen Bewunderer. Bei einem Fest er-
scheint er als „Wappenträger der Kttnstlerschaft" mit einem Kranz von
wildem Wein um das Haupt, wie ein Vorbild seines Alkibiades auf dem
„(Tastmahl des Piaton". — „Ich kam mir eines Tages" — heisst es im
„Vermächtniss" — „in meinem malerischen Sammetkostüm vor wie ein
Pfau, der nichts hat als sein glänzendes Gefieder."
Um sich in eine „grenzenlose Arbeit" zu stürzen, entfloh Feuerbach
dem gefährlichen Münchener Treiben und bezog im Winter 1849 — 50 die
Antwerpener Akademie. Im Verein mit heiteren Freunden aus der Düssel-
dorfer Zeit begann er hier ein reges praktisches Naturstudiuni. Aber es
war das doch nur die Brücke, die ihn zum eigentlichen Ziele geleitete, „die
• richtige Vorbereitung für Paris".
Hier, unter dem unmittelbaren Einflüsse eines Delacroix und Decamps,
eines Rousseau und Troyon, hat Feuerbach den Emst des rechten Studiums,
das zur Vollendung führt, wie so viele andere deutsche Künstler vor und
nach ihm, erst kennen und schätzen gelernt. Gleich „vom ersten Tage an
fühlt er sich dort heimisch". Auch nach Paris folgten ihm lustige Genossen,
treue Freunde. An mancherlei Mnthwillcn und frohem Lebensgenuss fehlte
es nicht. Abends erfreuen sicli die Vereinten an dem Gesänge deutscher
Lieder. „Ohne meinen Tenor können sie nicht auskommen", schreibt Feuer-
bach. Aber die Grundstiramung ist einst und arbeitsam. Die Überzeugung,
dass das Höchste nur durch mühevolles Ringen zu erreichen sei, erfüllte die
Seelen der Genossen. „Wir athmeten die kräftige Luft einer echten
Kunstblüthe".
Noch einmal ertönt die milde, mahnende Stimme des Vaters in dieser
Zeit der energischen Sammlung. Dann verstummt sie für immer. Der
Tod des innig Verehrten (9. September 1851), der dem Künstler gemeldet
Digitized by Google
86
Biographische Blätter.
wurde, als er eben an einer „Italienischen Begräbnissskizze" malte, be-
zeichnet einen verhängnisvollen Abschnitt in seinem Leben. „An der Stätte
dieses theuren Grabes liegt auch meine Jugend eingesargt", schreibt Anselm.
Nach einem kurzen Besuch bei der Mutter in Heidelberg im Sommer
1852 Huden wir den nach Paris Zurückgekehrten im Atelier von Couture.
Dieser ist als der eigentliche Lehrer Feuerbach s zu betrachten. Endlich
hatte er einen „Meister" gefunden, der ihn „von der deutschen Spitzpinselei
zu breiter, pastoser Behandlung, von der akademischen Schablonen-
komposition zu grosser Anschauung und Auffassung führte." Feiierbach
malte bei Couture lebensgrosse Akte. „Der Meister" — schreibt er —
„behandelt meine Mängel mit medizinischer Genauigkeit. Alles bis aufs
Kleinste giebt er an, jede Mischung".
Mit dem sicheren Fundament für seine künstlerische Bildung ver-
dankt Feuerbach den Jahren des Pariser Aufenthalts auch die Festigung
des Charakters und der Lebensführung. Die Briefe aus jener Zeit spiegeln
das innere Werden seiner Natur in bedeutsamen Äusserungen wieder. Sie
athinen fast alle die frohe Zuversicht des Auserwählten. „Ich weiss, dass
alle Diejenigen, die ein ernstes Streben haben, gefeit sind", heisst es einmal.
— Nur hin und wieder lagert eine Wolke über der hellen Stimmung, die
uns die Veränderung in Feuerbach 's materieller Lage, welche mit dem Tode
des Vaters eingetreten war, nur zu deutlich erkennen lässt. — „Es giebt
Eines", — schreibt er — „was ich fürchte, das Gespenst, das uns auf den
Fersen folgt". — „Es ist der dunkle hässliche Schatten, die Sorge". —
Und in einem folgenden Briefe spricht er von dem „Fluch der Arnmth",
da keines der von ihm geschaffenen Werke sich verkäuflich erwies.
An der Spitze der in Paris entstandenen Werke Feuerbach's. von
denen es sicli verlohnt zu sprechen, steht der „Hans in der Schänke"
(Frülijahr 1852). In der „selig von Liebe und Wein" lächelnden Gestalt .
und ihrer rührenden Arnmth, aus deren zerrissener Kleidung „zu jedem
genialen Loch der echte Dichter herausschaut", hat uns der Künstler ein
Bild seines eigenen Wesens vor Augen gestellt. Das Bild wurde in der
Heimath mit „Hohn und Spott" empfangen. Ebenso erging es den Werken,
die der 1854 nach Karlsrulle zurückgekehrte Künstler persönlich den
Gönnern und Kollegen vorführte. Den „Tod des l'ietro Aretino" und die
„Versuchung des heiligen Antonius" wies die Karlsruher Jury für die
Pariser Weltausstellung jenes Jahres einfach zurück. Namentlich Lessing
entpuppte sich mehr und mehr als Feuerbach's ausgesprochener Gegner.
Man mochte fast sagen, zum Glück. Denn aus dem Zwiespalt mit den
Kunstmächten der Heimath entwickelte sich des Künstlers Anwartschaft
auf einen mehrjährigen Aufenthalt in Koni. Ausgestattet mit der Bestellung
einer Kopie von Tizians „Assuata" für den ihm wohlgewogenen Gross-
herzog von Baden, unternahm Feuerbach am 4. Juni 1855 in Begleitung
.Joseph Victor v. Scheffel s seine eiste Italienfahrt.
Digitized by Google
Anselm Feuerbach.
87
In Rom. dieser „gottbegnadeten Insel des stillen Denkens und Schaffens",
fand unser Meister seine „zweite Heiniath". Wenn Paris ihm das Fundament
seiner künstlerischen Bildung gegeben hatte, so empfing er dort den ihm
völlig homogenen geistigen Gehalt; es befreite sich seine hellenisch ge-
stimmte Seele. Die Stationen der Reise, Venedig, Parma, Florenz stellen
die Vorstadien seiner Selbstbefreiung dar. Die Venetianer, diese „Bruder-
schaft der echten Farbe", bringen dem trüben, zerrissenen Gemüthe Klar-
heit und Ruhe. Beim Anblick der Werke des Correggio in Parma war es
ihm, als „sähe er Musik mit den Augen". Die Gemälde in der Tribuna
der Uffizien sind ihm „eine Offenbarung".
Aus Nachklängen der Tribuna und Eindrücken der Umgebung von
Rom sind eine ganze Anzahl der „bei aller Strenge doch weichen Werke"
entstanden, welche Feuerbach am Beginn seines römischen Aufenthalts ge-
malt hat. Vor allen das erste (gegenwärtig in der Galerie zu Karlsruhe
befindliche), im März 1858 in Rom ausgestellte Bild: „Dante, mit edlen
Frauen Ravenna's lustwandelnd1*. Den „Dante" empfand der Künstler in
seinem stillen Wandeln wie ein „Mozartsches Andante". Dazu gesellt sich
ihm eine Erinnerung an Frascati, durch dessen dunkle Laubgängo ver-
schleierte Frauen schreiten, und „schöne Gedanken ziehen wie Musik ihm
durch die Seele".
Diese Worte sind ungemein bezeichnend für die Art und Entstehungs-
weise von Feuerbaclfs Schöpfungen. Äussere Anschauung und innere
Stimmung messen darin stets harmonisch zusammen; es lebt in Urnen ein starkes
persönliches Element, ihr Stil ist lyrisch, elegisch. Vornehmlich die römischen
Bilder, die erste wie die zweite Iphigenia, die Pietä, Francesca da Rimini,
Petrarca in der Kirche, die Madonna mit den musizirenden Kindern und
die verschiedenen genreartigen Variationen dieses familienhaft-idyllischen
Gegenstandes tragen sämmtlich ein ausgesprochen subjektives Gepräge,
bei aller Poesie und Hoheit ihrer Erfindung. Die Gestalt, die als persön-
liches Leitmotiv in allen Werken Feuerbachs aus jener Epoche wieder-
kehrt, ist Nanna, seine römische Geliebte. Der Biograph, der dem Künstler
damals täglich zur Seite war, schildert uns den Augenblick, in dem sich
die Beiden zuerst sahen: „In dieser Zeit (1859) geschah es, dass wir eines
Tages in der Via Tritone eine junge Frau erblickten, die mit einem Kinde
auf den Armen unter einein offenen Fenster stand, dessen Rahmen den
natürlichen Abschluss um den reizvollsten Vorwurf bildete, welchen der
Zufall einem Künstler für eine Madonna grössten Stils liefern konnte. Die
Frau, eine Erscheinung von geradezu imponierender Hoheit, mochte Mitte
der Zwanzig sein. Eine Last von dunkeln Haaren lunrahmte die strengen,
von einem melancholischen Ausdruck gemilderten Züge, deren Schnitt von
der reinsten römischen Abstammung zeugte. Von dem wundersamen Bilde
überrascht und gefesselt, zögerte Feuerbach einige Augenblicke im Weiter-
schreiten, und über das ernste Antlitz der stattlichen Frau glitt ein flüchtiges
Digitized by Google
88
Biographische Blätter.
Lächeln, als empfinde sie recht wohl die dem Weibe wie der Mutter un-
willkürlich gezollte Huldigung".
Das Heroinenhafte in der Gestalt der Römerin ist künstlerisch nieder-
gelegt in den Feuerbachschen Medcabildem. Das liebende, sehnsuchtsvolle
Weib fand seine Verklärung in den beiden Iphigenien. Als Feuerbach den
ersten Keim zu diesen hellenischen Frauenbildern in sich trug, beschäftigte
er sich mit der I^ektüre von seines Vaters hinterlassener Geschichte der
griechischen Plastik und sah sich selbst vorbereitet in dessen Geist. Das
Streben nach der höchsten Einfachheit, bei starker Empfindung und Fülle
des Naturgehalts, leitete ihn bei seinem Schaffen. Als er einst das geliebte
römische Modell der Iphigenia in dem von dem Bildhauer Cardwell zuge-
schnittenen griechischen Gewände sich bewegen sah. erschrack er, weil er
„eine Statue von Phidias vor sich zu haben glaubte". In der ersten Ge-
stalt hat das hellenische Wesen jenes Bildes noch einen Zug von sentimen-
taler Schwärmerei; die Wendung des Kopfes und die Bewegung der rechten
Hand sind ausgesprochen modern. Die zweite Iphigenia giebt den Ge-
danken schlichter und vergeistigter. Sie ist die schwer zu übertreffende
malerischo Verkörperung des „Liedes von der ewigen Sehnsucht".
Drei Mal hat Feuerbach während seines langen römischen Aufenthaltes
von Deutschland aus einen Ruf als Professor bekommen, — nach Weimar,
München und Karlsruhe. Die Scheu vor dem akademischen Lehramt, sowie
seine Anhänglichkeit an Rom und was es für ihn Liebes barg, hielten ihn
ab, einzuwilligen. Da kam die Berufung nach Wien, unter dem Ministerium
Stremayr, auf Eitelbergcrs Betreiben ergangen. Jetzt lagen die persönlichen
Verhältnisse günstiger: Feuerbach nahm an und kam im Weltausstellungs-
jahre 1873 nach Wien.
Der Künstler hat sich hier nicht heimisch gefühlt. Treffliche Kollegen,
zahlreiche begabte Schüler umgaben ihn, bei der Unterrichtsbehörde fand
er das freundlichste Entgegenkommen. Aber was Feuerbach in Wien an
bedeutenden neuen Schöpfungen der Öffentlichkeit vorführte, der „Amazonen-
kampf" und die zweite Fassung des „Gastmahls", stiess auf mannigfachen
Widerspruch, wie er ihn früher und später bekanntlich auch in Deutsch land er-
fahren hat. Dazu kamen finanzielle Misshclligkeitcn. Aus Kränklichkeit
und Reizbarkeit entwickelte sich allmälig eine tiefe Verbitterung. Feuer-
bach fühlte sich berufen, der „veralteten Konventionskunst" entgegen zu
arbeiten; aber seine Kraft erlahmte, bevor der Sieg errungen war. Im
Frühling 1876 verliess 'der Künstler Wien, schwer krank, eilte zunächst
nach Nürnberg zu der Mutter, nahm dann einstweilen einen längoren Urlaub
und endlich seine definitive Entlassung aus dem Amte.
Feuerbach schied von uns, zum Glück nicht ohne einen grossen Auf-
trag von der österreichischen Regierung, an dessen Verwirklichung er auch
bereits in Wien seit 1874 arbeitete: es ist der „Titanensturz" mit den ihn
umgebenden Deckenbildern für die Aula der damals im Bau begriffenen
Digitized by Google
Anselm Feuerbach.
89
Wiener Akademie. Während der Herbstferien des Jahres 1875, die der
Meister in Kom verbrachte, war die Arbeit so weit vorgeschritten, dass er
voll Selbstgefühl darüber berichten konnte. Früher heisst es in den Briefen:
»Mein Mittelstück ist glücklich erdacht. Wenn es mir gelänge, wollte ich
gerne sterben". Jetzt kann er froh versichern, „dass alle Gestalten Natur-
laut haben", wie er stets nur aus der Natur heraus Empfundenes zu schaffen
bestrebt gewesen sei.
Der erste, vom «Fahre 1874 datirte Entwurf zum „Titanensturz" (Öl-
skizze, neue Pinakothek in München) ist ein schmales Oblongum, mit dem
verglichen das ausgeführte Deckenbild wesentliche Abweichungen aufweist.
Nicht nur in der ovalen und mehr in die Breite gezogenen Gesammtform,
sondern auch in fast sämmtlichen Hauptgruppen der Komposition selbst.
Allgeyer analysirt dieselben vortrefflich, und wir können dem Biographen
nur darin nicht beipflichten, dass er in der endgültigen Gestalt des Werkes
durchgängig ein höheres Stadium desselben erkennt. Die Modifikationen,
welche Feuerbach mit dem Bilde vorgenommen hat, sind durch den Raum,
d. h. durch die Gliederung der Decke nothwendig gewordene Veränderungen,
aber nicht sämmtlich Verbesserungen der ursprünglichen Komposition.
Besonders der untere Theil des Bildes hat in der ersten Fassung einen ent-
schieden dramatischeren Charakter. Man fühlt es überhaupt dem ganzen
Werke an, dass wir in der ursprünglichen Gestalt die völlig freie Schöpfung
des Malers, in der späteren Form dagegen ein Kompromiss des Malers mit
dem Architekten vor uns haben. Bei den Seitenfeldem, von denen Feuer-
baeh bekanntlich nur vier eigenhändig ausgeführt hinterlassen hat, kommt
dieser unvermeidliche Zwang nicht als solcher zum Ausdruck. Sie sind,
verglichen mit der kampfbewegten Hauptkomposition, durchweg ruhige
Existenz- und Stimmungsbilder, deren Einfügung in die Linien der Um-
rahmungen dem Künstler keine wesentlichen Schwierigkeiten bereitete. Im
Allgemeinen hat Feuerbach das Verdienst, darauf hingewirkt zu haben, dass
die ursprünglich vielgetheilte, in eine grosse Anzahl kleiner Felder zer-
legte Decke nach den Ansprüchen seiner Kunst im grösseren Stil umge-
arbeitet wurde.
Am 26. Oktober 1892 wurde das von erprobten Händen fertig ge-
stellte Deckenwerk feierlich enthüllt, und Wien darf sich rühmen, in ihm
die erhabenste Schöpfung des gottbegnadeten Meisters und eines der
gedankenreichsten Werke moderner Monumentalinalerei in edler Umgebung zu
bewahren. Durchaus eigenartig in der Erfindung wie im Stil, in jedem
Zuge der Ausdruck einer kühnen, naturgewaltigen Künstlerkraft, gleich
weit entfernt von gedankenloser Konvention wie von der Modekunst des
Tages, wetteifert Feuerbach's Titaneneyklus an seiner kunstgeweihten Stätte
würdig und ernst mit den klassischen Gebilden hellenischer Kunst. In
malerischer Hinsicht, sagt Allgeyer mit Recht, „entspricht das Werk dem
hellen, durchleuchteten Tone guter Frescoiualerei". So hatte es der Künstler
Digitized by Google
90
Biographische Blätter.
dem Kaum für am entsprechendsten erachtet; diesem hat er sich malerisch
aufs glücklichste angepasst.
Ausser dem Titanenbilde fallen noch zwei grosse Schöpfungen in die
letzten Jahre Feucrbach's: „Kaiser Ludwig der Bayer, Privilegien ertheilend*4
(im Justizgebäude zu Nürnberg), und das „Konzert" oder „Quartett" (in der
Nationalgalerie zu Berlin). Das Bild „grossartiger Heiterkeit", das der
Meister in jener Ceremonienscene entfaltete, steht in eigentümlichem Kon-
trast zu dem schwerniüthigen (Tange seines eigenen Lebens, das gegen den
Schluss immer tiefer in Einsamkeit und Melancholie versank. Wie eine
Verklärung seiner weichen Kttnstlersecle erscheint hingegen das „Konzert4*:
vier musizierende weibliche Gestalten in einer venetianischen Bogenhalle.
Mit der Verherrlichung des altpersischen Dichters, des Sängers der Liebe
und des Weins, hatte der feurige Jüngling inmitten des rauschenden Pariser
Lebens einst seinen Künstlergang angetreten. „Tiefe, seelische Versenkung
in das überirdische Reich des Klanges und der Harmonieen" ist der Inhalt
des letzten Bildes, das aus der müden Hand des reifen Meisters in der
feierlich stillen Lagunenstadt hervorgegangen ist.
Sanft und friedlich, wie dieser sein Schwanengesang, klang auch
Anselm Feuerbach 's Leben aus. Am Morgen des 4. Januar 1880 fand man
ihn im Albergo della Luna zu Venedig entseelt im Bette. Vom Herz-
schlage getroffen, war er, allem Anscheine nach, schmerzlos verschieden. —
Auf dem Johannisfriedhofe zu Nürnberg, der auch Dürer's sterbliche Über-
reste birgt, fand er seine letzte Ruhestätte.
cfc
Leonhard Rauwolf aus Augsburg.
Von
FRIEDRICH RATZEL.
■
Unter den deutschen Reisenden und Reisebeschrcibcrn des 16. Jahr-
hunderts nimmt Leonhard Rauwolf aus Augsburg eine hervorragende Rolle
ein. Das ist zu seinen Lebzeiten anerkannt und auch später nicht ver-
gessen worden. Besonders seine Verdienste um die Pflanzenkunde sind in
allen «Jahrhunderten durch hervorragende Fachgenossen gepriesen worden.
Dabei blieben aber einige Punkte in dem bewegten Leben des merkwürdigen
Mannes so dunkel, wie sie schon kurz nach seinem Tode gewesen sein
müssen. Durch die Güte des Herrn Stadtarchivars Dr. Buff in Augsburg ist
es mir gelungen, für die ohnehin ziemlich gut bekannte erste und glück-
lichere Hälfte des Lebens Rauwolf s einige neue feste Punkte zu gewinnen.
Was aber Rauwolf s Leben in der zweiten Periode anbetrifft, die eine Zeit
tragischen Niederganges gewesen zu sein scheint, so haben wir darüber
nur ziemlich unklare Nachrichten, deren Bestätigung aus den Urkunden
Digitized by Google
Leonhard Rauwolf aus Augsburg.
91
mir bisher nicht möglich gewesen ist. Als ich die Einladung zur Mitarbei-
tung an den Biographischen Blattern erhielt, schöpfte ich neue Hoffnung,
dass es gelingen möchte, für die noch zu lösenden Probleme dieses Lebens
Interesse zu wecken und Mitarbeit dafür an entscheidenden Punkten zu finden.
Gestatten Sie daher, dass ich Ihren Lesern eine kurze Schilderung des
Lebens und Wirkens von Rauwolf vorlege. Wenn ich dabei besonders jene
Punkte hervorhebe, die noch nicht aufgeklärt sind, so leitet mich die unbe-
stimmte Erwartung, dass es anderen, an anderen Orten und mit anderen
Mitteln besser damit gelingen könnte.
Leonhard Rauwolf aus Augsburg, Sohn eines Kaufmanns, ging 1560
nach Frankreich, erwarb in Valence 1562 den Doktorgrad und beschäftigte
sich in Montpellier mit Botanik. Den berühmten Rondelet pries er gern
als seinen Lehrer. Auf seinen Wanderungen in Südfrankreich war sein
Bepleiter Jeremias Martius (Mertzl aus Augsburg, der später ein berühmter
Arzt in seiner Vaterstadt wurde. Rauwolf ging 1563 nach Italien und der
Schweiz, wo er die Bekanntschaft von Konrad Gcsner machte, und liesa
sich 1563 als Arzt in Augsburg nieder, wo er auch einen Pflanzengarten
begründete. Am 26. Februar 1565 hat er sich mit Regina Jung ver-
heirathet. Vom 12. Oktober 1563 ist ein Gesuch Rauwolf $ an Stadt-
pfleger, Bürgermeister und Rath von Augsburg datirt, worin er um An-
stellung oder Verwendung „in diesen schwären und sterbenden leufen" (die
Pest war damals in Augsburg) bittet. Er ist Anfangs 1571 mit einem
Jahrcsgehalt von 100 Gulden angestellt worden. Wahrscheinlich war er
vorher einige Zeit in Aichach und in Kempten Arzt gewesen, aber schon
1573 trieb Um der Wunsch, die unbekannten Heimathsorte wichtiger Arznei-
pflanzen des Orients zu erkunden, in die Feme. Er selbst giebt an, er
habe mit Zustimmung und Erlaubniss der Seinigen die Reise angetreten und
sein Schwager Manlich, der ein Haus in Marseille hatte, habe ihn ausge-
röstet. Rauwolf reiste im Mai 1573 mit seinem Landsmann Friedrich Rentz
über den Splügen und Mailand nach Marseille, von wo er am 1. September
mit dem durch eine gute Reisebeschreibung bekannten Ulrich Krafft aus
Ulm nach Tripolis in Syrien fuhr. Dann verweilte er längere Zeit in
Aleppo, von wo er im August 1574 im Gewand eines armenischen Kauf-
manns nach Bagdad ging. Rauwolf s Plan war gewesen, von hier nach
Indien weiter zu reisen, und er erkundigte sich genau nach allen dahin
führenden Wegen. Aber nach wenigen Wochen rief ihn ein Brief nach
Aleppo zurück. Ulrich Krafft war in türkische Gefangenschaft gerathen,
und Rauwolf inusstc sich Monate hindurch still im Fondo der Franzosen in
Aleppo aufhalten, fand aber später Gelegenheit, mit einem Patriarchen der
Maroniten den Libanon zu besuchen. 1575 verliess er Tripolis und kehrte
nach einem kurzen Besuche Jerusalems tlber Venedig nach Augsburg zu-
rück. Hier hat er nun eine seiner Erfahrung und Wissenschaft ent-
sprechende, angesehene Stellung eingenommen. Vom letzten Quartal 1577
Digitized by Google
92
Biogrraphische Blätter.
an wurde sein Gehalt auf 250 Gulden hinaufgesetzt. Er scheint in dieser
Zeit dem Pestspital vorgestanden zu haben. Aus den Sämereien, die er
von seiner Reise mitgebracht hatte, zog er fremde Pflanzen, mit denen auch
die Gärten der Augsburger Patrizier bereichert wurden; er selbst nennt
besonders den Garten des Rathsverwandten Herwart. Seine zuerst 1582
erschienene Reisebeschreibung brachte ihn mit weiteren Kreisen in Ver-
bindung, wie er denn den vierten aus 42 schön ausgeführten Pflanzen-
bildern in Holzschnitt bestehenden Theil den Leibärzten des Königs von
Württemberg gewidmet hat. Von dem in Lauingen erschienenen Original
wurde im gleichen Jahr zu Frankfurt a. M. ein Nachdruck veranstaltet und
1583 erschien eine vergrösserte Titelausgabe. Aber seine Wirksamkeit in
Augsburg wurde jäh unterbrochen, als er sich in die Unruhen mischte, die
dort durch die Einführung des gregorianischen Kalenders entstanden waren.
Am 9. März 1588 wurde ihm zum letzten Mal sein Gehalt ausgezahlt. In
Paul von Stettens Geschichte der Reichsstadt Augsburg (I. Theil S. 705)
lesen wir: „Weilen auch ein grosser Theil der Evangelischen Bürgerschaft
noch immer der neuaufgestellten Geistlichen Predigten zu besuchen sich
nicht bequemen wollen, wurden alle Stadt-Beamte, oder welche sonsten von
der Stadt Besoldungen genossen, sowohl, als diejenige so Hänser, Kram-
Läden und andere zu der Stadt gehörige Güter in Bestand gehabt, theils vor
den geheimen Rath, theils vor die Bau-Meister gefordert, und befraget, ob
sie hinfürd die Predigten besuchen wollten oder nicht? Als nun einige von
denen, so in der Stadt Diensten stunden, sonderlich zwey Stadt -Physich*
und medecinae doctores, nehmlich Leonhard Ranchwolff und Adolph Occo . . .
sich hiezu nicht bequemen wollen, wurden sie ihrer Bedienungen entsetzt
und ihnen ihr Besoldungen genommen." Von hier an ist das Schicksal
Rauwolfs dunkel. Es wird angegeben, dass er mit seiner Familie nach
Linz gezogen sei, und dass er dort von den oberösterreichischen Ständen
als Poliates et Ordinum Archiducatus Austriae Medicus angestellt worden
sei. Meine Nachforschungen in Linz haben seinen Namen in der Liste
der dortigen Arzte nicht auflinden lassen. Er soll später die oberöster-
reicliischen Streitkräfte in den Türkenkrieg begleitet haben und, von häus-
lichem Unglück bedrückt, 1596 bei der Belagerung von Hatvan gestorben sein.
Die Angaben des Tobias Coberus in den 1604—6 erschienenen Obser-
vationum castrensium et hungaricarum Decades tres1). scheinen darüber keinen
Zweifel zu lassen. Coberus war Feldarzt in Ungarn und erzählt in der
dritten Observatio der dritten Dekade, dass er im Juli 1596 mit Rauwolf
zusammengetroffen sei, den er als einen bereits alternden, von den Strapazen
des Feldzugs stark mitgenommenen und ausserdem von häuslichen Sorgen
„quae vel ipsa morte graviores" bedrückten Mann schildert. Coberus schreibt
es einem ungesunden Trünke zu, dass Rauwolf von der Dysenterie befallen
») Mir licjrt eine Ausgabe von Heinrich Meibom von 1685 (Heinistadt und fiarde-
le»-eri) vor.
Digitized by Google
Leonhard Kauwolf aus Augsburg.
wurde, die ihn im September 1596 hinraffte. Dass Einige seinen Tod auf
das Jahr 1606 vorlegen, mau damit zusammenhängen, dass dieser Bericht
des Coberus 1606 veröffentlicht wurde. Wie das Leben des einst so viel
genannten Mannes von seinem Weggang von Augsburg bis zu diesem ein-
samen Sterben so tief ins Dunkel tauchen konnte, ist räthselhaft. Augsburg
scheint er nicht mehr besucht zu haben. In Wien fand ich seine Spur so
wenig Wie in Linz. Seltsam muthet eine Eintragung in einem Exemplar
der 1582er Ausgabe der Rauwolfschen Reise in der Universitätsbibliothek zu
Leipzig an. Eis heisst darin, R. sei wenige Jahre nach seiner Rückkehr
von der Reise zu Augsburg beim Wettspringen in einen Brunnen gestürzt
und dadurch ums Leben gekommen. Nach dem Urtheil meines schrift-
kundigen Kollegen Wilhelm Arndt gehört die Eintragung wohl noch dem
16. Jahrhundert an. Die Angabe Ist unglaubwürdig, ich konnte auch in
Augsburg nichts über den Vorfall erfahren, der doch damals Aufsehen
erregt haben müsste.
* *
*
Die Reisebeschreibung, die den Namen Rauwolfs unter den Namen her-
vorragender deutscher Reisenden nie vergessen lassen wird, erschien 1582 zu
Lauingen und im selben Jahre in Nachdruck zu Frankfurt a. M. Einer
1583er Titelausgabe von Lauingen ist jener 4. Theil angehängt. Während
die Reisebeschreibung noch einmal 1609 in Prankfurt aufgelegt und mehr-
mals (so 1693, 1707 und 1738*) ins Englische und Holländische tibersetzt
wurde, fand der vierte Theil nach einer Mittheilung von Albrecht Haller
eine Übertragung ins Lateinische durch Danty d'Isnard zu Paris. Es ist
mir nicht bekannt, ob diese tTbcrtragung mit der verkleinerten Ausgabe
der Rauwolfschen Pflanzenbilder in dem zweiten Bande von Dalechamps
Historia Generalis Plantarum (1586) zusammenhängt. Diese hat nämlich
ausführliche Pflanzenbeschreibungen, die kaum ein andrer als Rauwolf
selbst angefertigt haben kann. Die Aufmerksamkeit Rauwolfs ist auch in
der eigentlichen Reisebeschreibung mit rührender Beständigkeit dem Pflanzen-
reich zugewandt. Von den Ranunkeln und Saxifragen, die er auf dem
Weg von Bregenz nach Feldkirch findet, bis zu den sorgfältigen Neu-
beschreibungen der zuerst von ihm bei Tripolis und um Aleppo gesammel-
ten Pflanzen, deren Aufzählung das ganze 4. und 9. Kapitel des ersten
Tlieiles füllt, bleibt nichts unerwähnt. Die Banane, das Zuckerrohr, der
Kaffeebaum werden beschrieben. In der Schilderung des Greifs zahlt
Rauwolf der Leichtgläubigkeit seiner Zeit Tribut. Was er aber mit be-
sonderer Vorliebe über Krankheiten, Heilmittel, Bäder, Speisen und Ge-
tränke, und alle möglichen Gewerbe sagt, das muss er aus einem sorgfältig
geführten Tagebuch genommen haben. Nur so erklärt sich die Fülle genauer
*) Dieso Ausgabe ist von llay besorgt, dio Übersetzung von Nicolas .Staphorst nach
dem „original high dutch", und ist als 2d Editon bezeichnet.
Digitized by Google
94
Biographische Blätter.
Kinzelangaben. Die Völkerbesehreibuugen sind eingehend, besonders die der
Trachten und Sitten. Die l^age grösserer Städte ist sorgfältig angegeben.
Aber geradezu ärmlich ist die Geographie des Natürlichen: von den Ge-
birgen und Flüssen ist wenig die Rede. Es ist als ob Alpen, Libanon,
Taurus, Sinai gar keinen Eindruck auf ihn gemacht hätten. Das Land-
schaftliche hat Kauwolf offenbar der Erwähnung noch unwerther gehalten,
als viele seiner Zeitgenossen. Die Reste alter Grossstädte am Euphrat. die
er mit unter den ersten erwähnt, beschreibt er leider auch nur oberflächlich.
Grösseres Interesse gewann ihm das moderne Städteleben in Aleppo, Bagdad,
Jerusalem ab, und er schildert es auch von der handelsgeographischen und
politischen Seite mit Vorliebe. In Jerusalem hat er den verschiedeneu
Arten von Christen, die er an den heiligen Stätten vertreten fand, besondere
Beachtung gewidmet ; . seine Schilderungen sind genau und werthvoll, abge-
sehen von einigen Parteilichkeiten, gegen die von katholischer Seite Er-
innerungen erhoben worden sind.
Das Deutsch des Buches ist schwerfällig, die Darstellung ungleich.
Sie zeigt einen fleissigen Mann voll Wissenstrieb, aber ohne tiefen und
selbständigen Geist, Nur das Mannigfaltige und wissenschaftlich Neue,
was es bringt, erklärt den Erfolg des Buches, das einst so weit verbreitet
war, dass es noch heute in fast jeder grösseren Bibliothek Deutschlands
gefunden wird.
Rauwolfs Verdienste als Botaniker sind von vielen bereitwillig aner-
kannt worden. Sie werden erhöht durch den musterhaften Fleiss, mit dem
er (mit Hülfe seines Gefährten Ulrich K rafft) sein Herbarium von 972 Pflanzen
anlegte, in dem er zahlreiche Vulgärnamen aufgezeichnet hat. Als Breynius 1663
dieses Herbarium benützte, fand er die Pflanzen darin so frisch, als ob sie eben
erst gesammelt worden seien. Ich hatte Gelegenheit, das Herbarium 1889 in
Leyden zu sehen, wo es sich bis heute in dem Botanischen Institut lim
Besitz der Universitätsbibliothek) befindet. Diese vier imposanten sauberen
Bände sind trotz ihres Alters und trotz ihrer wechselnden Schicksale auch
heute vortrefflich erhalten. Einen eingehenden Bericht über diese Pflanzen-
sammlung bringt nach der Angabe Boerlages, des Konservators des Staate-
herbariums zu Leyden, Saint Lager s Histoire des Herbiers, 1885 S. 69 u. f. Die
Pfianzensamnilung soll nach dem Tode ihres Besitzers in die Bibliothek des
KiirfQrsten von Bayern, aus dieser nach Schweden und von dort durch Isaac
Vossius1) nach Holland gekommen sein. Sie muss aber zeitweilig auch in Eng-
land gewesen sein, wo u. A. Ray und Breynius sie benützt haben. Gronovius
hat über 300 Pflanzen dieses Herbariums nach dem Linne sehen System be-
schrieben und 1755 herausgegeben. Wenn auch Rauwolf mit den Mitteln der
l) Aus dessen Bücherei das Exemplar der 1583 er Ausgabe der U/sehen Heise in der
Leyden« Universitätsbibliothek stammt. Ebendort trütrt ein Exemplar der 1582 or Ausgabe
auf den letzten l1/« Seiten botanische Auszüge in einer der des Vossius ähnlichen
Handschritt.
Digitized by Google
Georg Hanssen.
95
Wissenschaft seines Jahrhunderts nicht das leisten konnte, was Kämpfer und
Toumefort später gelang, wenn er nicht die Vertiefung des wahren Forschers,
vielleicht auch nicht dessen Müsse besessen hat, und wenn es besonders zu
bedauern sein wird, dass er die im vierten Theil seines Reisebuchs be-
gonnene systematische Verwerthung nicht fortgesetzt hat, so bleibt doch
dieses Herbarium ein hervorragendes Denkmal der jungen Wissenschafts-
pflege des 16. Jahrhunderts. Als ich die ehrwtlrdigen Bände vor mir
liegen sah, gemahnten sie mich an ein anderes Monument, ein noch älteres
diesen wissenschaftsfreudigen Zeitalters, Martin Behainfs Erdkugel in Nürn-
berg. Diese Pflanzensaramlung ist bis in imser Jahrhundert eine wichtige
(Quelle für die Flora Westasiens geblieben. Sie ist jetzt überhaupt die
älteste der wissenschaftlich noch verwerthbaren Sammlung ihrer Art. Durch
sie allein schon verdiente Leonhard Rauwolf in die Erinnerung späterer
Geschlechter zurückgerufen zu werden, auch wenn er nicht in seinen Thaten
und Schicksalen sich als ein so echtes Kind seines Jahrhunderts erwiese.
- ----- <8> — —
Georg Hanssen.*)
Geboren 31. Mai 1809: gestorben 19. Dereniber 1894.
Von
G. F. KNAPP.
Als vor einigen Jahren der Gottinger Nationalökonom Soetbeer starb,
wnsste Jedermann in Deutschland, wer das war, denn eine wahrhaft erstaun-
liche Thätigkeit für die Neuordnung des deutschen Geldwesens hatte seinen
Namen jedem Zeitungsleser geläutig gemacht.
Nun ist in Göttingen ein anderer Nationlökonom, Georg Hanssen. ge-
storben, ebenfalls wie Soetbeer ein Hamburger von Geburt. Aber kennt
Jedermann Hanssen? In weiteren Kreisen fast Niemand. In engeren Kreisen
wird er desto höher verehrt, ja gefeiert. Alle "Pfleger der agrarischen
Nationalökonomie kennen seinen Namen und nennen ihn stets mit Ehrfurcht,
heute so sehr wie ehemals.
Das hohe Alter von 85 Jahren, das er erreicht hat, könnte zur Ver-
muthung führen, dass Hanssen seinen Ruhm überlebt habe. Das ist aber
ganz und gar nicht der Fall, im Gegentheil, die Anerkennung ist stets im
Steigen gewesen und wird nie zurückgehen; nur war sie von jeher auf die
Kreise der Wissenschaft beschränkt.
Seit 1862, also etwa seit seinem 53. Lebensjahr, war Hanssen Mit-
glied der Berliner Akademie: und in Göttingen hat man seine Marmorbüste,
gleichzeitig mit dem Bildniss des grossen Physikers Wilhelm Weber, in der
*) Mit Genehmigung des Herrn Verfassern, sowie des Herausgeber* der „Beilage-, Herrn Dr. R. Otto,
au* der Monchener „Allgemeinen Zeitung- wiederholt
Digitized by Google
96
Biographische Blatter.
Bibliothek aufgestellt, als er noch lebte — eine Büste, die, beiläufig gesagt,
von geistreichster Ähnlichkeit ist.
Eis kann also nicht die Rede davon sein, dass er unerkannt geblieben
wäre, nur in die Zeitungen kam er nicht, und das rührt von allerlei per-
sönlichen Eigenschaften her.
Es fehlte ihm vor allem jede Art der Betriebsamkeit. Mit völliger
Gemüthsruhe Hess er sich gehen; seines eigenen Werthes gewiss, ging er
seinen Lieblingsgedanken nach ; was er da an Beute erhaschen konnte, nahm
er mit, und was auf der Seite lag, das liess er liegen. Schüler hat er nie
ausgebildet, und dass er trotzdem Anhänger hat, das ist nur dem Inhalt
seiner Werke, nicht aber seiner Lehrkraft zu verdanken. Man inusste ihm
sogar zureden, bis er sich entsehloss, seine sehr zerstreuten agrarhistorischen
Abhandlungen zu sammeln, die jetzt in zwei Bänden (1880 und 1884) vorliegen.
Nur einmal hat er eine äussere Gelegenheit ergriffen, um eine grössere
Arbeit abzuschliessen. Die St. Petersburger Akademie hatte im Hinblick
auf die Reformen Alexanders II. eine Preisaufgabe gestellt, und Hanssen
reichte seine Schrift Uber die Aufhebung der Leibeigenschaft in Schleswig
und Holstein ein. Natürlich wurde sie gekrönt und 1861 von der Akademie
herausgegeben. Es handelt sicli dabei in der Hauptsache um die östliche
Ecke von Holstein, fast nur um etwa 40 Rittergüter, während Sugenheim
— der mit Recht ebenfalls einen Preis erhielt — .Vlies aus Bibiotheken
zusammensuchte, was unter dem Stichwort „Leibeigenschaft" aus allen Staaten
Europas aufzutreiben war. Aber aus welchem Werke lernt man mehr?
Zweifellos aus dem Hanssens, der eine erschöpfende Darstellung der Sache
und nur dieser Sache gab.
Während seiner Berliner Zeit (1860 bis 1869) waren seine Vorlesungen
nicht gerade sehr besucht, auch eigentlich nicht beliebt. Er trug nach
einem sorgfältig ausgearbeiteten Hefte vor, brachte sehr viele Thatsachen
zu Gehör, war Überaus vorsichtig im Urtheil, beinahe zweifelsüchtig, und
deutete stets auf die tausend Schwierigkeiten der Praxis hin. Nie war er
parteilich und nie beredt. Es kam Alles gewissenhaft, aber kühl heraus.
Man vermisste bei ihm etwas Freudigkeit und Wärme. Dazu sprach er das
Deutsche aus wie ein Schleswiger aus dem höchsten Norden — denn daher
stammten seine Eltern — , und der Mitteldeutsche glaubte in ihm einen
Dänen vor sich zu haben. Der erste Eindruck aus seinem Hörsaal — es
war an einem frostigen Vormittag Ende April 1863 — ist mir noch lebhaft
in Erinnerung: das Bild des stimmungslosen Professors. Der Gegenstand
war theoretische Nationalökonomie, aber alle allgemeinen Gedanken waren
überwuchert durch zahllose Beispiele, und jeder an dogmatischen Vortrag
gewöhnte Hörer fühlte sofort, dass hier kein Dogmatiker sprach. Das wäre
ja an sich kein Unglück gewesen — aber warum musste gerade er Dogmatik
vortragen wollen? In München so kam es mir vor — war doch dies
Fach ganz anders vertreten gewesen.
Digitized by Google
Georg Haussen.
97
Seine Sprechstunden zu Hause — er wohnte in der Grabenstrasse —
hatte er auf 8 Uhr Morgens angesetzt. Harmlos ging man hin: aber das
Erstaunen der Dienstboten verrieth, dass ein solcher Besuch fast unerhört
sei. Es dauerte eine halbe Stunde, bis er kam, sichtlich gestört und wenig
geneigt, auf die persönlichen Verhältnisse des rathbedürftigen Zuhörers einzu-
gehen. Die gelbliche Gesichtsfarbe und die dunkelbraunen Augen erweckten
die Vorstellung eines Leberleidenden. Sein Rath war: „Lesen Sie Raul",
das damals verbreitetste, allgemein bekannte, jedem Studenten selbstver-
ständliche Handbuch. Mit dem Zweifel, ob es weise gewesen sei, nach
Berlin zu gehen, stieg man die drei Treppen wieder hinunter.
Und dieser Mann war, freilich an andern Orten, ein vorzüglicher Ge-
sellschafter. Von seinen guten Geschichten, die er stets vorräthig hatte,
mag sicli der gcistvollo Ihering manche aufgeschrieben haben, wie das so
seine Gewohnheit war. Und auch Wilhelm Weber ging mit Niemandem
lieber als mit seinem alten Freunde Hanssen, als sie wieder in Göttingen
vereint waren, Nachmittags auf die benachbarten Höhen spazieren. Wenn
er nicht erzählte, pflegte Hanssen endlos auszufragen, nie nach persönlichen
Verhältnissen, denn er hatte die Zurückhaltung des Niederdeutschen an sich,
sondern immer nach Sachen, die der Hegleiter oder Besucher etwa aus
eigener Erfahrung kennen mochte: Arbeitslöhne, Getreidepreise und der-
gleichen merkte er sich gern.
Im Winter 1863/04 wurde ein neuer Versuch gemacht, Um zu hören.
Er las Finanzwissenschaft, und diesmal ging es besser. Wir waren etwa zwanzig
Mann und haben tapfer ausgehalten. Man fühlte durch, dass er in seinem
Fahrwasser war : die festen, sicheren Kenntnisse des ehemaligen Kopenhagener
Kanimerraths wirkten mit. Noch besser gefiel uns die andere Vorlesung,
genannt praktische Nationalökonomie: trotz des unfreien und etwas steifen
A'ortrags hatten wir den Eindruck des Mannes, der seine Sache vorzüglich
verstand und der uns Anfängern furchtbar überlegen war. Einmal, so um
Weihnachten herum, wurde er sogar lebhaft ; er schilderte den Zustand der
holsteinischen Gutsunterthancn im 18. Jahrhundert; offenbar hatten sich seine
monographischen Erinnerungen von 1861 zwischen die Blätter seines Heftes
gedrängt; es war, als ob auf einen Augenblick die Sonne durch die Wolken
bräche. Wie dankbar waren wir — denn er hatte uns nicht verwöhnt!
Und nun gar im Februar 1864 geschah das Unerhörteste: er trat am
P^nde der Stunde vom Katheder herunter, stellte sich vor die erste Bank,
und sagte mit sichtlicher Aufregung : „Bei Eckernförde hat eine preussische
Batterie den Rolf Krake vertrieben. u Dies dänische Panzerschiff kannte
damals Jedermann. So erfreulich die Nachricht war — noch mehr wirkte
auf uns, dass der zugeknöpfte ältere Herr Empfindungen hatte. Nicht als
ob er die Dänen als solche gehasst hätte — dazu kannte er sie viel zu
gut; aber der alte Schleswiger regte sich in ihm. er sah die Zeit der Un-
abhängigkeit herannahen: er hatte schleswig-holsteinisches Blut.
Biographische Blatter. I. 7
Digitized by Google
Biographische Blätter.
Später, im Winter 1865/66, habe ich Vorträge von ihm im Künigl. Preuss.
Statistischen Bureau gehört, wo der Direktor, Dr. E. Engel, sehr zeitgemäss
einen Lehrkurs eingerichtet hatte. Hanssens Heft war freilich wiederzuer-
kennen, aber als Mensch war er wie ausgewechselt: unter Doktoren, Asses-
soren, künftigen Dozenten, mitten am Tisch — ohne Katheder — fühlte er
sich behaglich, war redselig und zugänglich und ging auf alle Streitpunkte
des damaligen politischen Konflikts mit Wärme, oft mit schonungsloser Leiden-
schaft ein. Olfenbar war also das studentische Publikum nicht sein Fall,
er wollte von reiferen Hörern umgeben sein. Wir thaten ihm innerlich Ab-
bitte: welche reiche und lebhafte Natur! Welch ein selbständiger Geist,
welcher scharfe Beobachter! Es war nun Jedem klar: liier lag die
ursprünglichste Begabung vor; eine ganz eigenartige Persönlichkeit, kein
(ieschöpf des blossen Fleisses und der Beharrlichkeit. Nicht die Spur vom
trockenen Gelehrten bei allem Reichthum des Wissens.
Wenn er Briefe .schrieb, so waren sie von ungezwungener Fein-
heit und Anrauth; schrieb er aber Abhandlungen, so waren sie schwer,
von einiger Härte, ein cykiopischer Gedankenbau — lauter Blöcke ohne
Mörtel.
In einer Tischrede, die er bei seinem Jubiläum hielt, kam auch der
feine Humor zu Tage, den er sonst aufs Zwiegespräch versparte. Er
erzählte da von seinem Doktorexamen vor 50 Jahren: „Von dem Vielen,
was die Herren Examinatoren wussten, wusste ich wenig; und von dem
Wenigen, das ich wusste, wussten die Examinatoren nichts!" Wie Iiat
die Tafclrundo von etwa 50 Theilnehmern damals über diese Scliilderung
gelacht, die er mit köstlichem Mienenspiel seines faltenreichen Gesichtes
begleitete. Das war er selbst, wie er leibte und lebte. Ihn hat es nie
bekümmert, ob er alle Bücher gelesen habe oder nicht. Denn wohin er
griff — wenn er griff — , da hatte er stets etwas Eigenartiges in
der Hand.
Sein schlichter Lebenslauf enthält eine Wendung, die nicht Jedem
sofort verständlich ist: im Jahre 1860. als der Güttinger Lehrstuhl wieder
frei wurde, erbat sich II aussen die Gunst und erlangte sie, von Berlin
dorthin zurückzukehren; also von Herlin. wo er wohlbestallt als sechzig-
jähriger Ordinarius und als Mitglied der Akademie in der Preussischen
Hauptstadt sass, nach Göttingen, dessen Wall damals noch stand und dessen
Ländlichkeit und Bescheidenheit als Wohnort geradezu rührend waren.
Warum? Offenbar weil ihm Güttingen besser gefiel; dort waren alte Freunde,
dort ging es ruhiger her; der grössere Wirkungskreis Berlins war für ihn
keine Lockung. Eine Dozentennatur war er nicht, er wählte, wie ein
stiHer Gelehrter wählt, und bereute es nie. Denn er war eben ein stiller
Gelehrter, ein Mann, wie sie früher häufiger heranwuchsen als jetzt. Was
Andere darüber denken mochten, das war ihm einerlei.
Seine Arbeitsweise war ganz anders als die seiner Fachgenossen.
Digitized by Google
Georg Hanssen.
99
Der geistvoll konstnürendc I^orenz v. Stein in Wien ist sein G egenpol,
denn Hanssen systematisirte nie und war gross in der Einzelforschung, von
der jener nichts wissen wollte. Der Münchener Staatsrath v. Hermann war
ein ganz hervorragend dogmatisch angelegter Kopf: Hanssen war es, wie
erwähnt, gar nicht. Wilhelm Roscher in Leipzig, mit seiner Alles
berührenden Belesenheit, schrieb grosse, vielbändige Werke: „dazn bin ich
nie gekommen*, pflegte Hanssen zu sagen, und man wusste nicht, ob es
nur Bescheidenheit war oder auch ein wenig Schalkheit, wenn er dies so
ruhig zugab. Eine gewisse Ähnlichkeit hat er mit H. v. Thünen. nur
war dieser ein Autodidakt, und Hanssen war ein Gelehrter; aber . Beide
arbeiteten mit Vorliebe über landwirtschaftliche Betriebssysteme, Beide
thaten*es monographisch, Beide standen durchaus auf deutschem Boden,
ohne Abhängigkeit vom Auslande.
Hanssens liebstes Forschungsgebiet war die Dorf Verfassung und ins-
besondere die Gemengelage der Äcker auf der Flur. Dazu hatte ihn früh
ein Däne, Olufscn. angeregt, dessen Ergebnisse er mitgetheilt und dann
weitergeführt hat. Von hier aus wagte er die sonderbare Agrarverfassimg
der sogenannten „Gehöferschaften" im Regierungsbezirk Trier zu schildern.
Es sind dies Bauernschaften an der Saar, die noch inmitten unsres Jahr-
hunderts periodisch ihre Äcker und sogar ihre Feldgärten neu vertheilten,
freilich nur im Umkreise der Berechtigten. Für den Landwirth Schwerz
war dies nur eine Seltsamkeit gewesen. Hanssen schilderte die ganze Sache
aus dem Vollen, so dass man sie begriff und vernünftig fand; dass er diese
Verfassung für älter hielt, als sie zu sein scheint, bedeutet nicht viel; die
Hauptsache war, dass er den fremdartigen Zustand in seiner Ganzheit fasste
und völlig zur Anschauung brachte. Die Abhandlung hierüber wird stets
eine Quelle der reichsten Belehrung bilden: wer sie nicht versteht, der hat
noch etwas zu lernen: sie ist sozusagen der Prüfstein, ob man die Anfänger-
schaft hinter sich hat oder nicht.
-
Ein anderes seiner grossen Themata war die Frage nach dem ältesten
System des landwirthschaftlichen Betriebs. Man glaubte früher, diese*
älteste System sei die Drcifelderwirthsehaft -- Avas aber schon Roscher
mit Recht bezweifelte. Haussen zeigte nun den richtigen Weg: es war die
wilde Feldgraswirthschaft. Regellos wurde ein Fleck Landes aus der Weide
herausgenommen 'und, solange es ging, mit Getreide bestellt. War das
Land erschöpft, so fiel es wieder in die Weide zurück, und anderswo wurde
ein neuer „Schlag"4 für den Getreidebau ausgesondert. Hanssen wusste
dies dergestalt aus der Natur der Sache zu begründen, dass er alle dio
endlose Anslegerei alter Schriftsteller siegreich zur Seite schob. Dieser
kühne und glückliche Versuch, aus reiner Sachkenntniss heraus zu
sagen: „so rauss es gewesen sein", trägt ganz und gar den Stempel seines
Geistes.
Endlich hat Hanssen unstreitig das Meiste gethan, um die Natur des
7*
Digitized by Goögle
JOO
Biographische Blätter.
Rittergutes unsror Ostsee-Länder zu erschliessen. Wie dieser Grossbetrieb
anwuchs durch „Legen" von Bauerngütern; wie die übrig bleibenden
Bauern zu immer steigenden Frohndiensten für den Gutsherrn genöthigt
werden: das haben wir von ihm gelernt. Und nicht minder dies: die
Befreiung der Bauern aus der sogenannten „Leibeigenschaft" konnte nur
geschehen unter tiefgreifender Änderung der Wirthschaft. Im östlichen
Holstein sind damals die Gutsbetriebe meistens zerschlagen und bäuerlichen
Pächtern zugetheilt worden, die nun allerdings frei sein konnten. Dabei
haben auch die landwirtschaftlichen Betriebssysteme sich mannichfaeu ver-
ändert, und so hängt diese ganze Neuordnung aufs engste mit den Fragen
zusammen, die für Hanssen im Vordergrund standen: er zeigte stets mit
Vorliebe die Bedingungen auf, durch welche die Wandlungen in der*Ijand-
wirthschaft herbeigeführt werden; natürlich sind hier nur die gesellschaft-
lichen (nicht die naturwissenschaftlichen) Bedingungen gemeint, die auf die
Technik der Landwirtschaft zurückwirken.
Geradezu unbegreiflich war es, wie wenig Hanssen in seinen Vorlesungen
das zur Geltung brachte, was er selbst erforscht hatte. Er fühlte sich an
die herkömmliche Form des Unterrichts, etwa im Sinne der Rau'sehen Werke,
innerlich gebunden. So klar und kraftvoll, so reich und so gedrängt er
schrieb, so war dies nur ein unbewusster Nebenerfolg seiner scharfen Auf-
fassungsgabe und nicht eigentlich künstlerisches Wollen: sonst wäre der
redende Lehrer dem schreibenden Forscher ähnlicher gewesen. Aber es
giebt eine unfehlbare Probe auf die Echtheit des Gedankengehaltes: wenn
ein Dozent viele Wochen lang das vorträgt, was bei Hanssen steht, und
wenn dabei die Zuhörer bis auf den letzten Mann beisammenbleiben und
mit nie nachlassender Spannung bis in die entlegensten Gebiete folgen: dann
weiss man, was die Quelle wert Ii ist: und dieser Beweis wird Jahr für Jahr
geführt - nur darf ich leider nicht verrathen. an welcher Universität es
geschieht.
Dem alten Herrn ist dieser Umstand nicht verborgen geblieben, und
er müsste von Stein gewesen sein, wenn er sich nicht darüber gefreut hätte.
Er fürchtete einmal, den zweiten Band seiner Abhandlungen nicht mehr
fertig herausgeben zu können, und bat damals seinen jüngeren Verehrer,
im Nothfalle für ihn einzutreten. Glücklicherweise ist es nicht nöthig ge-
wesen.
Schon um Ostern 1893 war der hochbetagte Forscher schwer bedrückt
durch die Leiden des Alters. Er sass in Kissen eingebettet auf dem Sopha.
erkundigte sich aber voll Theilnahme nach jüngeren Fachgenossen, sogar nach
den allerjüngstcn; er klagte nur, dass ihm das Ausgehen schwer falle und
dass er längere Schriften nicht recht bewältigen könne. Beim Abschied
wollte er aufstehen, aber es ging nicht ohne Hülfe: man musste ihm beide
Hände reichen, und so schwang er sich in die Höhe, wurde wieder der
Alte, als er stand, und konnte nicht genug Glück auf den Weg wünschen.
Digitized by Google
Karl von Haushofer.
101
Er schlang zum Abschied die Arme um seinen Besucher und drückte ihn
an sich.
Unten auf der Strasse war es einem zu Muthe, als wäre man schon
Zeuge seines friedlichen Hingangs gewesen; auch die friedlichste Trennung
erschüttert, und man suchte Trost in dem Gedanken, dass er wenigstens
wisse, wie sehr man ihn geliebt habe.
Hanssen stammte aus einer Zeit, in der es auf deutschem Boden noch
keine Sozialpolitik gab. Die grossen Gegensätze der gesellschaftlichen Klassen
schlummerten in seiner Jugend noch. Er schrieb zunächst nur die Ge-
schichte der Wirthschaft, aber indem er dies that, ebnete er einer jüngeren
Generation den Weg. Seine Schüler, die der zweiten Hälfte des lfl. Jahr-
hunderts entstammen, haben die sozialpolitische Seite der Geschichte des
Ritterguts hinzugefügt. Der Meister hat sie hier/u nicht aufgefordert und
nicht angeleitet: aber ohne ihn, das heisst ohne seine grundlegenden, ge-
dankenreichen Schriften, wäre das nie unternommen worden. Deshalb nennen
wir den Namen unseres Lehrers stets mit Dankbarkeit und Ehrfurcht, denn
er ist als Forscher gross gewesen; und vom Forschen allein lebt schliess-
lich doch die Wissenschaft.
c§> —
Karl von Haushofer.
Von
MAX HAUSHOFER.
Es ist eine weitverbreitete Klage, dass das der Gegenwart eigenthüm-
liche Spezialisiren nicht geeignet ist, die Erkenntniss der Einheit der
Wissenschaft zu fördern, und dass selbst bedeutende Talente durch den
beständigen Blick in ein engumschriebenes Fach einseitig werden. Noch
seltener als wissenschaftliche Vielseitigkeit ist aber wohl jene Geistesanlage,
welche wissenschaftliche und künstlerische Befähigung zu vereinigen weiss.
Und zwar so zu vereinigen, dass nicht blos die eine dieser Befähigungen
als Dilettantismus neben der andren einhergeht, sondern dass sie sich gegen-
seitig durchdringen und adeln.
Solch ein zwiespältiges Talent ist der deutschen Gelehrtenwelt in dem
am 8. Januar 1895 dahingeschiedenen Direktor der Mttnchener technischen
Hochschule, Dr. Karl v. Haushofer, entrissen worden.
Seine künstlerische Anlage beruhte theils auf Vererbung, theils auf
Erziehung. Sein Vater war der Münchener Landschaftsmaler Max Haus-
hofer, ein Künstler aus der eornelianischen Zeit, der ursprünglich die
Kechte studirt, aber während des stolzen Aufschwunges der Münchener
Kunst unter König Ludwig I. das Corpus Juris mit der Palette vertauscht
hatte. Noch während seines Münchener Aufenthalts hatte der Maler Haus-
Digitized by Google
102
Biographische Blatter.
hofer eine Familie begründet; zwei Söhne waren ihr entsprossen. Die
Rücksicht anf diese Familie bewog ihn, aas dem Münchener Künstlerkreise
zu scheiden und eine Professur an der Prager Akademie der Künste anzu-
nehmen — ein Wechsel, den der fein und tief empfindende Mann mit
zwanzigjährigem Heimweh bezalüen musste. So kam es, dass K. v. Haus-
hofer, der am 28. April 1839 geboren war, kaum fünf Jahre alt, nach Prag
übersiedelte, wo er an dem trefflich geleiteten deutschen Gymnasium auf
der Kleinseite seit 1850 seine Ausbildung erhielt. Es waren fast durchweg
einsichtige und warmherzige Schulmänner, die damals an dieser Anstalt
wirkten ; Haushofer vergass auch nie, wieviel er ihnen verdankte. Schneller
als der Vater, welcher sich an den Ufern der Moldau zeitlebens als ein
vereinsamter Pionier deutschen Kunstlebens fühlte, lebten sich die Söhne
in die Prager Verhältnisse ein; trotzdem fühlten sie sich als Ausländer,
um so mehr, da ihnen fast in jedem Sommer zwei Ferienmonate an den
Ufern des Chiemsee's beschieden waren. Eine heisse, ja leidenschaftliche
Liebe zur heimischen Berglandschaft ging aus der Seele des Vaters als
Erbtheil in die des Sohnes über; aber nicht blos der Sinn für landschaft-
liche Schönheit, sondern auch das zeichnerische und malerische Talent Es
hing an einem Haare, dass K. Haushofer auch, wie sein Vater, Maler
geworden wäre. An der Befähigung dazu hätte es ihm nicht gefehlt.
Aber manche trübe Erfahrung, die der Vater während einer Reihe von
Jahren hatte machen müssen, veranlassten denselben, nicht blos auf einer
Vollendung des Studiums seiner Söhne zu beharren, sondern auch dieselben
zu diesem Ziele wieder nach Deutschland zu schicken. So bezog K. Haus-
hofer 1856 das Maximiliansgymnasium zu München und absolvirte dasselbe
im Jahre 1857. Einigermassen ohne bestimmten Lebensplan, noch schwankend
zwischen künstlerischen und wissenschaftlichen Anregungen, ward er
zunächst Hans von Hopfen s Leibfuchs beim Korps Franconia, warf sich
mit jauchzendem Cbermuth in den Strudel des Studentenlebens und schlug
sich schneidig mit seinen Gegnern herum.
Er war indessen doch eine zu ernste Natur, um mehr als ein paar
Semester den akademischen Freuden zu widmen. Angeborne Liebe zur
anorganischen Natur hatte ihn bestimmt, sich hauptsächlich dem Studium
der Mineralogie und Geologie zu widmen; und da er zunächst nicht blos
an die wissenschaftliche Theorie, sondern auch an die Praxis des Berg-
und Hüttenwesens dachte, für welche nur eine Bergakademie als vor-
bereitendes Arbeitsfeld erschien, wandte er sich nach einem noch in Prag
zugebrachten Semester nach der altberühmten Bergakademie zu Freiberg,
wo damals v. Beust, Weishaupt u. A. als Leiter und Lehrer wirkten. An
dieser Hochschule des Unterirdischen herrschte ein flotter, internationaler
Ton, wobei aber doch tüchtig gearbeitet ward. Eine Franconia war auch
vorhanden, die den wafienkimdigen jungen Bergmann in ihren Kreis zog.
Dass er das Zeichnen und Malen von Kinderjahren an getrieben hatte,
Digitized by Google
Karl von Haushofer.
103
kam ihm auch hier zu statten; nicht blos, dass es ihm half, elegante
(irubenrisse zu Papier zu bringen; auch manche Lebenserinuerung illustrirte
er für sich und für seine Lieben.
Als er die Frciberger Studien vollendet hatte, trat die ernste Lebens-
frage an ihn heran: Was nun? Aus den Kreisen böhmischer Gross-
industrieller war ihm eine Anregung zugekommen, sich dem Eisenhutten-
wesen zu widmen. Die Hoffnung, auf diesem Felde bald zu selbständigem
Erwerb zu kommen, führte ihn dahin; er trat in die Dienste der Prager
Kisenindustriegesellschaft, und zwar zunächst als Arbeiter im Werk Her-
mannshtttte, unweit Pilsen. Es war 1861.
Hier herrschte nun freilich ein ganz andrer Geist, als ihn der Frei-
berger Student in den alten sächsischen Silbergruben, in den Zeichnungs-
sälen und Laboratorien seiner liebgewonnenen Akademie kennen gelernt
hatte. Hier hauste jener mächtige, dröhnende und stahlklirrende Zug, der
in jener Zeit bestrebt war, Österreich mit einem Schlage aus einem Acker-
baustaat in einen Industriestaat zu verwandeln. Da rauchten die Hochöfen;
die Puddler fluchten; zwischen riesigen Walzen hindurch zwängten sich
weissglühende Eisenbahnschienen; gigantische Dampfhämmer gingen auf
und nieder und in die stille Nachtluft hinauf sprühten Funken aus den
Schloten. Es war eine harte Schule, durch welche Haushofer in dieser
Zeit seines Lebens getrieben ward, eine Schule, die etwas Infernalisches
an sich hatte.
Zum Walzmeister vorgerückt, war ihm nun freilich ein stattlicher
Wirkungskreis gegeben; hatte er doch manchmal drei- bis vierhundert
Arbeiter zu leiten, die ihre Anweisungen in deutscher und böhmischer
Sprache empfingen. Aber wie ein Märchen lag hinter ihm eine sonnige
Jugend mit einem Schatz von klassischen und künstlerischen Erinnerungen,
die allmählich verblassen und zerrinnen wollten, weil sie in dieser Gegen-
wart keine Anregung mehr fanden; weil der junge Techniker, wenn er
schweisstriefend, mit Kohlenstaub bedeckt und mit Brandwunden an den
Händen aus seiner Hütte kam, zu todmüde war, um noch ein Buch zu
lesen. Er fühlte mit Schmerz einen geistigen Rückgang in dieser Be-
schäftigung, ein tiefes Heimweh. Sein Vater durchschaute ihn und rieth
ihm, die Stellung an der Hütte aufzugeben. Er that's, nicht ganz leichten
Herzens; musste er doch wieder in eine unsichere Zukunft hinein. Aber
diese empfing ihn wenigstens liebenswürdig. Als er wieder nach München
Übergesiedelt war, um nunmehr die akademische Laufbahn zu beschreiten,
fand er nicht nur in dem Mineralogen Kobell1) und dem Physiker Jolly
gütige Lehrer, die ihn nach Kräften förderten; seine persönliche Welt-
gewandtheit und ein sprühender Humor führten ihn auch als gerngesehenen
Gast in jene akademischen Kreise, die ihre Mittelpunkte in den Häusern
>) Als dankbarer Schüler setzte H. ihm ein Denkmal in Form einer Abhandlung
„Franz v. Kobell*. Abh. d. bayr. Akademie d. Wissenschaften. 1883.
Digitized by Google
104
Biographische Blätter.
von Liebig, Jolly und Bischoff hatten. Nach einjährigem Aufenthalt an
der Universität gelang es ihm 1864 eine von der pliilosophischen Fakultät
gestellte Preisfrage (physikalischen Inhalts) zu lösen, sein Doktorexamen zu
machen und sich bald darauf als Privatdozent zu habilitiren. Der genittth-
volle alte Kobell nahm ihn zum Assistenten. In dieser Eigenschaft und
als Privatdozent war er bis zum Jahre 4868 thätig. Leider verlor er im
Jahre 1866 seinen Vater, der ihm immer der treueste und liebevollste Kath-
geber gewesen war und den er mit leidenschaftlicher Liebe verehrte.
Als im Jahre 1868 die Technische Hochschule zu München gegründet
ward und der geniale Bauernfeind, die Seele dieser Anstalt, die schwere
Aufgabe hatte, den Lehrkörper derselben zusammenzusetzen, wählte Bauern-
feind ohne Zögern für die Professur der Mineralogie den Privatdozenten
Haushofer und schlug ihn im Hinblick auf seine technische Vergangenheit,
auch für das Fach des Eisenhüttenwesens vor. So erhielt Haushofer diese
beiden Fächer zngetheilt und trat, nachdem er noch vorher seine Jugend-
geliebte an den Altar geführt hatte, im November 1868 sein Lehramt an.
Neben seinen Vorlesungen hatte er eine mineralogische und hüttenmännische
Sammlung zu schaffen und ein mineralogisches Laboratorium einzurichten.
Seine Schüler waren Ingenieure, Chemiker und Maschinenbauer, aber auch
Kandidaten des Lehramtes. Im Lehrkörper der Hochschule gewann er sich
bald allseitig Freunde; ein besonders inniges kollegiales Verhältniss knüpfte
ihn an den ausgezeichneten Chemiker E. Erlcnmcyer, welchen leider sein
Gesundheitszustand viel zu früh der Münchener Thätigkeit wieder ent-
fremdete. Aber auch mit seinen Gönnern an der Universität, mit Kobell
und Jolly blieb Haushofer im herzlichsten Einvernehmen.
Auf Grund krystallographischer Untersuchungen2) ward er von der
bayrischen Akademie der Wissenschaften als Mitglied aufgenommen. Eine
von Jugend auf geübte Naturbetrachtung, ein vorzügliches Auge und ein
Talent, Schwierigkeiten der Beobachtungstechnik spielend zu bewältigen,
Hessen ihn niemals im Stiche.
Aber er sah und liebte die Natur nicht blos im Laboratorium. Nach-
dem er als Knabe schon seinen Vater auf beschwerlichen Hochgebirgs-
wanderungen begleitet und dabei mit dem Hammer des Naturforschers wie
mit dem Stift des Künstlers gearbeitet hatte, blieb die Anhänglichkeit an
die ewige Schönheit der Bergnatur auch dem Manne. Während er in
jungen Jahren einer jener muthigen Pioniere war, die als solche in der
Geschichte der Erschliessung der Ostalpen verzeichnet sind, widmete er
späterhin ein treues Interesse dem Deutschen und Österreichischen Alpen-
verein. Er war einer der Mitgründer des Deutschen Alpen Vereins und
redigirtc lange Jahre hindurch dessen Zeitschrift, wobei sein vollendeter
2) Krystallo£raphi<che Untersuchungen in der „Zeit>chrift für Kristallographie u.
Mineralogie": Jahrg. 1877 tf. — Auch eine Reihe von mineralogischen Arbeiten in den
Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften, seit 1S75K
Digitized by Google
Karl von Hausbofer.
105
künstlerischer Geschmack wohl das Meiste dazu beitrug, die bildliche Aus-
stattung der Zeitschrift zu veredeln. Zahlreiche kleine Skizzen von seiner
Hand in jenen Blättern geben Zengniss von seiner feinen Auffassung der
Alpenlandschaft, von einer Auffassung, die eben so sehr das künstlerisch
wie das geologisch Interessante mit wenigen scharfen Strichen zu geben
wusste. Auch die Hochgebirgskarten, die von ihm für diese Zeitschrift
gezeichnet wurden, beweisen dieses künstlerische Empfinden, nicht minder
die von ihm entworfenen geologischen Wandtafeln3) und manche Skizze,
mit welcher er seine Vorträge zu illustriren wusste.
Ausserhalb seines Berufes bethätigte er sein künstlerisches Können
dnrch manches Albumblatt, das nur für Freundeskreise bestimmt war;
durch scharf zugespitzte Karrikaturen; jene feinen Miniaturen nicht zu
vergessen, mit welchen er die berühmte Künstlerchronik von Frauenwörth
in frohen Sommertagen schmückte.
Immer seltener freilich ward ihm die Müsse gegeben, solcher Phantasie
Zugang zu gewähren. Die Berufspflichten häuften sich. Da er schon seit
dem Antritt seiner Lehrthätigkeit auch für die Verwaltungsangelegenheiten
der technischen Hochschule lebhaftes Interesse gehabt hatte, ward er länger und
häufiger zu denselben herangezogen; und als der hochverdiente Geheimrath
v. Bauemfeind im Jahre 1889 vom Direktorium zurücktrat, war Haushofer der
Vertrauensmann, dem die Staatsregicrung die Stellung des Direktors übertrug.
Feurige Beredsamkeit und praktischer Blick, unerschütterliche Pflichttreue und
eine Vereinigung von klassischer Bildung und von technischer Erfahrung Hessen
ihn diese Stellung voll und ganz ausfüllen. Die mit derselben verbundene
Arbeitslast und Repräsentationspflicht störte freilich Hanshofens wissen-
schaftliche Thätigkeit, für die ihm nun neben seinen Direktorialgeschäften
und neben seinem Lehramte nur eine Spanne Zeit noch übrig blieb. Auch
diese hätte er bei seiner unermüdlichen Arbeitskraft noch ausgenützt, wäre
nicht schwerer Familienkummer hinzugekommen. Seine überaus geliebte
Gattin ward von langwieriger Krankheit ergriffen und starb, nachdem sie
ein halbes Jahr lang von ihm auf's zärtlichste gepflegt worden war. im
Jahre 1890 in seinen Armen. Die lodernde Leidenschaft, die in Haus-
hofer s Jugendjahren so oft emporgeflackert war, wurde nun. nachdem der
gereifte Mann sie Jahrzehnte hindurch in strenger Zucht gehalten hatte,
zur still veraehrenden Flamme, die seine Lebenskraft zerfrass. Wohl
häuften sich Ehren auf sein Haupt; er erhielt den persönlichen Adel und
ward zum Mitgliede des obersten Schulrathcs ernannt; aber diese Aus-
zeichnungen brachten ihn nur dahin, in verstärkter Arbeitsthätigkeit ein
Vergessen seines Kummers zu suchen. Zwei Jahre später warf ihn ein
heftiger Anfall von Influenza auf ein Krankenlager; er erholte sich, aber
nur scheinbar. Nach wie vor arbeitete er in seinem Laboratorium und
3) Dieselben erschienen bei Fischer, Kassel, seit 1*7*.
Digitized by Google
100
Biographische Blätter.
leitete den immer umfangreicher gewordenen Organismus seiner geliebten
technischen Hochschule; aber man sali es ihm an, dass er im innersten
Kern seines Wesens getroffen war. Noch zweimal hatte er im Herbste des
Jahres 1893 Gelegenheit, seine Rednergabe vor grosser Zuhörerschaft zu
entfalten; und namentlich in seiner letzten Rede bei einem grossen Kommerse
der sämmtlichcn Studirenden der technischen Hochschule zeigte er ein hin-
reissendes Feuer, so dass wohl Niemand glauben mochte, einen todgeweihten
Mann sprechen zu hören.4)
Es war das letzte Aufflackern seiner Lebeoskraft. Im Winter musste
er, um Heilung für seine leidende Brust zu suchen, an die Riviera; aber
die lauen Lüfte des Mittelmeeres brachten ilim keine Genesung mehr. Die
fand er auch nicht an den Gestaden des heimischen Chiemsees, wo er seit
länger als einem Vierteljahrhundert die Sommermonate zugebracht und oft
mit starkem Arm sein Segelboot durch den Sturm gesteuert hatte. Nach
München zurückgekehrt, war er ein Sterbender, den nach einem leidvollen
Herbste der Tod ans dem Leben riss zu einer Zeit, in welcher dasselbe
erst anfangen sollte, die Ernte edelsten Strebens zu tragen.
So war er dahingegangen. Das Beste, was er hatte leisten können,
blieb nicht er der Welt schuldig, sondern jenes Schicksal, das ihn zu früh zu
den Schatten senkte. Es ist sicher ein tragisches Verhängniss, wenn, wie
es hier geschah, weder der Grossvater, noch der Vater, noch der Sohn ihr
Leben voll ausleben dürfen, sondern mitten aus der Fülle der Lebenspläne,
von der Schwelle der Erfolge hinweggerissen werden.
Es ist von ihm weniger an wissenschaftlichen Werken geblieben, als
man bei seiner rastlosen Arbeitsthätigkeit vermuthen sollte5). Umfangreichere
Bücher wurden durch seine Amtsgeschäfte und sein frühes Ende unmöglich
gemacht. Um so reicher ist die Erinnerung an seine mächtige Persönlich-
keit, welche die ganze Stufenleiter menschlichen Empfindens, die seltenste
Vereinigung von künstlerischer und wissenschaftlicher Begabung zum Aus-
druck brachte0). Die steinerne Natur war sein Arbeitsfeld; aber nicht blos
in ihrer Eigenschaft als abgrundtiefes Räthsel, sondern auch als tausend-
gestaltige Schönheit. Und wo sie nicht blos Aufgaben an den forschenden
Gedanken, sondern gleichzeitig an künstlerisches Verstandniss stellt: da ging
er ihrem Wesen am liebsten nach. Die Verbindung der Thätigkeit des ex-
perimentirenden Gelehrten mit jener des frei schaffenden Künstlers verlieh
*) Von seinen Reden erwähnen wir die Antrittsrede „über die Aufgaben der tcvhn.
Hochschule auf dem (Jebiet allgemeiner Bildung". Enthalten im Jahresberichte der techn.
Hochschule für 1889/90.
*) (ienannt werden müssen; »Die Constitution der natürl. Silicate". Braunschw. 1874.
-- „Mikroskopische Lleactionen". Ebenda. 1885. - „Leitfaden für Mineralienbestimmung
Ebenda 189'2.
6) Wir erwähnen hier auch zahlreiche kunstkritische Besprechungen, die er seit 1880
für die „Tllustr. Zeitung" lieferte: sowie kunstgewerbliche Vorträge, wie solche u. A. in
den Jahrgängen l*s<| u. 1889 der Zeitsehr. d. bayr. Kunstgew erbe Vereins enthalten sind.
Digitized by Google
Karl von Haushofer.
107
seiner Hand eine besondere Art von Meisterschaft, die eigentlich nur der-
jenige benrtheilen kann, der ihn experimentiren oder zeichnen sah und ihn
beobachtete, wenn er sich den einen oder andren Experimcntir- Apparat selbst
konstruirte. Alle die Erfahrungen, die er hinsichtlich dieser Fähigkeit
erwarb, sind mit ihm zu Grabe gegangen. Wer heute noch einen Einblick
in diese Mischung künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit gewinnen
will, erhält ihn nur annäherungsweise durch eine Betrachtung von Haushofers
geologischen Wandtafeln, durch seine charakteristischen Darstellungen in dem
kleinen Werke „Die Mineralien" 7) oder durch seine Hochgebirgskarten, welche
bei aller kartographischen Genauigkeit einen eigenartig landschaftlichen Ein-
druck hervorbringen; endlich durch seine landschaftlichen Zeichnungen,
welche zeigen, wie er mit einem untrüglichen Scharfblick das Wesentliche
jeder Art von Erdrindenbildung zu erfassen wusste. Wenn jemand berufen
war. ein Buch zu schreiben über „Phantasie und Experiment" oder über
rKünstlerhand und Forschungsgeist*, so wäre er der Mann dazu gewesen.
Nur selten war ihm Veranlassung gegeben, mit rhetorischer Kunst
oder gar in gebundener Sprache zu schreiben. Aber wenn er es that, dann
wusste er zu zeigen, dass ihm der höchste Adel sprachlichen Ausdrucks
ebenso geläufig war wie das trockene präzise Wort des Facligelehrten.
Und was er trieb und that; ob ihn ein winziger Kristallsplitter beschäftigte
oder ein in die Wolken ragender Hochgebirgsgipfel8): stets wusste sein
geistiges Auge jene Fäden zu finden, welche die leblose Natur mit dem
Menschen und seiner Geschichte verbinden und darüber hinaus in das Ent-
legenste führen9).
Er ging durch ein kurzes Leben, aber als ein ganzer Mann, mit blanker
Ehre, mit heiss fühlendem Herzen, mit hellem Blick und von rastlosen Ge-
danken beschwingt.
7) Verl. v. Kaiser, München, 1871.
*) Vgl. hierfür seine Abhandlung „Über die Entstehung der Alpen" in der Zeitschr.
d. D. u. Ö. Alpenvereins, 1886.
*) Fein durchgearbeitete Vorträge über Manches sind uns gedruckt noch nicht zu
Gesicht gekommen: zur Charakteristik von Haushofer s Gedankenwelt diene aber noch eine
Arbeit „Über das Weitende" in der Deutschen Revue (1884).
Digitized by Google
108
Sta:
Hill
Die Autogramme von Goethe, Lessing, Wieland
sind einem (gegenwärtig im Besitz des Geh. Commercien-
rathes Dr. Kilian Steiner in Stuttgart befindlichen)
Stammbuch des stud. jur. Wilhelm Lud. Rodowe ent-
nommen. Lehrern und Gönnern, Berühmtheiten und namen-
losen Kameraden hat der Osnabrücker, wie der Schüler im
Faust, das Anliegen vorgetragen: ..Gönn* Eure Gunst mir
dieses Zeichen,1' und manches gereimte, manches im Zeit-
geschmacke gemalte und gezeichnete Blatt ward dem Bitten-
den gewahrt. Leipziger und Göttinger Professoren (Böhmer,
Clodius, Ernesti, Kästner, Platner, Pütter etc.) sind in dem
Bande vertreten. Leasings Gegenüber ist Nicolai mit dem
Eintrag: „wer frey darf denken, denket wol. Zum Andenken
geschrieben von Fr. Nicolai. Buchhändler ausTJerlin, Leipzig
26. März 1775." Weisse. Ilagedorns Bruder und C. G. Körner
seien noch genannt von den Beiträgern zu diesem (in Albert
Cohns Katalog, Auktion vom '27. 1. 1891, näher beschrie-
benen) Stammbuch. Es heisst dort:
buchblätter von
(Mit Silhouetten von
Digitized by Google
•
Goethe, Lessing, Wieland.
Goethe und Lessing.)
109
^-^^ Lessing verweilte auf seiner Heise nach Berlin
AU|t.r.m im Februar 1775 eine Woche in Leipzig. Die
*^ ^ liegende Eintragung scheint das einzige Produkt
M ' L Feder während des Leipziger Aufenthalten zu sein.
M ' A Er wählte eine Stelle aus den Adelphi des Terenz,
k^:'^ m auf die er nach Mittheilung von Dr. Fritz Jonas schon
MEL jt*3 17f»2 bei der {Versetzung von Huartes Prüfung der
M ■ 5w V köpfe zu llen Wissenschaften gestossen war.
I m\&^M Goethe verliess am 24. März 1776* Weimar, um
jSg l | JfMW über Auerstadt. Saumburg, Kippach nach Leipzig zu
Ä/^M ~jf&&M*t reisen, wo er bis zum 31. blieb.
^^ÜEfc IV I))'' beigezeichneten, nicht eingeklebten Silhouetten
j|| ^1 Leasings und Goethe« sind als Originalbildnisse der
^^?jSL^jJ^ beiden Dichter von Werth. Man kannte bisher nur
^^^^^^^^^^^^^m ZWci Originalbildnisse Leasings: das Oelgemälde von
firaff. einer viel früheren, und den aus Fritz Jacobis Nachlass stammenden Schattenriss,
einer viel späteren Epoche angehörend als unsere Silhouette. Wahrscheinlich hat Lessing
dazu gesessen, da von einem Schattenriss. den er Rodowe als Vorlage gegeben haben
könnte, nichts bekannt ist. Die Silhouette Goethes stellt den Dichter im 27. Lebensjahre
dar. in jugendlicher Schönheit und Anmuth. Sie erinnert an diejenige, welche Goethe am
3t. Aug. 1774 an Lotte Kestner sandte, doch ist sie mit dieser nicht identisch, u. A. auch
bedeutend grösser, von ungewöhnlicher Grösse überhaupt.
<8>
Vier Briefe Böckh's an AI. v. Humboldt
a T). Über das vertraute Verhält niss Böckh's zu AI. v. Humboldt giebt die von
K. Bruhns 187*2 herausgegebene „wissenschaftliche Biographie1* des letzteren im
zweiten Hände hinreichende Auskunft. Zugrunde gelegt wurden dabei gegen
300 im Besitze von Böckh's Schwiegersohn (.ineist befindliche Briefe Humboldts
an den Freund und philologischen Berather aus den Jahren 1831 -1859, sowie
dxs wenige, was von Anschreiben und Antworten Böckh's im Nachlasse des Em-
pfänger* noch übrig war. Der weitaus grösste Theil des Inhalts dieser BöckhVhen
Digitized by Google
t
HO Biographische Blatter.
Briefe besteht aus eingehenden Belehrungen über Fragen zur Geschichte der
Naturwissenschaft bei den Griechen und ist, soweit es sich um die Resultate
handelt, von Humboldt in den Anmerkungen zum Kosmos getreulich benutzt und
somit in gewissem Sinne veröffentlicht worden. Eine philologische Lebensbe-
schreibung Böekh's. zu der es K. B. Stark (Verfasser des Artikels in der Allg.
Dtsch. Biogr.) trotz langjähriger Vorbereitung leider nicht gebracht hat, müsste
immerhin von den methodisch und sachlich interessanten Briefen selber Kenntnis*
nehmen. Allgemeinere Theilnahme dürften inzwischen wegen ihres persönlichen
Gehalts die nachstehenden Stücke aus der letzten Zeit der Korrespondenz er-
regen.
1.
Ew. Excellenz
wissen, dass ich Ihrer stets in Verehrung und Dankbarkeit gedenke; unter
so vielen, die hierzu verpflichtet sind, bin ich nicht einer der letzten, und unter
den vielen, die dies auch innig empfinden, bin ich gewiss einer der ersten. Darum
darf ich es nicht unterlassen, Ihnen von ganzem Herzen Glück zu wünschen zu
der erfreulichen "Wiederkehr Ihres Geburtstages, die Sie übermorgen erleben.
Mögen Sie den "Wissenschaften und dem Vaterlande noch viele .lahre in unge-
seh Wächter Gesundheit erlmlten bleiben! Ew. Kxc. Leben und Wirken wirft noch
einen heiteren Schein und Hoffnungsstrahl in die umdüsterte Zeit, und ich kann
mir kaum eine Vorstellung von dem Zustande und der Stimmung machen, welche
eintreten werden, wenn auch dieser Stern unter Preusscns Horizont hinabgegangen
seyn wird. Möge ein göttliches Geschick seinen Ablauf verzögern!
Tch habe zwei Wochen in Carlsbad in nicht unerquicklicher Unthätigkeit.
gelebt, und setze diese hier fort; auch Ihnen ist. soviel ich weiss, der hiesige
Aufenthalt nicht unangenehm gewesen. In Carlsbad wurde ich von der Nach-
richt des Todes von Sendling überrascht. Wenn der bombastische Artikel der
Kreuzzeitung über ihn Ekel erregt, so finde ich die ganz wegwerfenden der
Vossischen doch auch widerlich, und dass Schopenhauer, den Ew. Exe. auch kennen,
der Messias der Philosophie seyn soll, wird wenigen einleuchten. Wie gross auch
die Fortschritte sind, welche die Empirie gemacht hat. so scheint mir doch der
Verlust der ideellen Biehtung zu beklagen, die die letzten Jahn* des vorigen und
die ersten des laufenden Jahrhunderts auszeichnete; zu dieser hat Schelling un-
geachtet aller seiner Mängel und Fehler wesentlich beigetragen. Den christlich-
heidnisch-mythologisirenden Schelling, wie er in der letzten Zeit war. gebe ich
freilich völlig preis.
Auch ohne diese Bemerkung über eine zu Grabe gegangene Grösse, die
sich schon bei Lebzeiten selbst vernichtet hat. wäre der Zweck dieser Zeilen er-
füllt gewesen, und ich will Ew. Exc. um so weniger bei diesen festhalten, da Sie.
viele dergleichen Zuschriften wo nicht zu lesen, doch zu überblicken haben werden.
In der Hoffnung. Ew. Exc. nach meiner Rückkehr frisch und wohl zu finden,
wiederhole ich meine besten Glückwünsche.
Ew. Excellenz
stets dankbarster inniger Verehrer
Teplitz, d. 12. Sept. 1854.
2.
Wenn Ew. Excellenz diese Zeilen an einem Tage erhalfen werden, an
welchem Sie durch vielfältige Beglückwünschungeu werden überhäuft und belästigt
seyn. so mögen Sie dieses Briefchen, mehr verlange ich nicht, nur eines Blickes-
würdigen und dann ungelesen bei Seite legen: denn auch ohne dass Sie es lesen.
Digitized by Google
Vier Briefe Böckhs an AI. v. Humboldt.
111
wissen Sie, dass sein Zweck kein anderer aeyn kann, als Ew. Exe. meine innigste
Anhänglichkeit und meine Freude über Ihr heiteres, möglichst rüstiges und wohl-
getnuthes Befinden in hohem Alter zu erkennen zu geben. Es giebt der Wünsche
für das letzte Lebensziel zwei, dass es spftt komme, und dass es, wie Pindar sagt,
«httpst ouv eqaoY;> komme. Beide sind bis jetzt für Sie in Erfüllung gegangen,
und wir hoffen, dass sie sich noch fernerhin erfüllen mögen.
"Wiewohl ich hier sehr abgeschieden lebe und selten eine Zeitung zu Ge-
sicht bekomme, so habe ich doch erst hier gelernt, dass Ew. Exe. bei der Kais.
Leopoldhüschen Akademie als Timaeus Locrensis eingetragen sind. Das hatte ich
damals wissen sollen, als ich es wagte, an Sie den Brief über das kosmische
System des Piaton, namentlich des Platonischen Timaeus zu richten1); zu dem
ernsthaften Motiv, welches mich dazu legitimirte, Witte ich dann noch hieraus ein
^herzhaftes entnehmen und hinzufügen können. Als ich jene Notiz las, fiel mir
aber auf, wie schön und treffend die Wahl dieses Namens war, in welchem die
Idealität Ihrer Naturansicht, bei aller Verschiedenheit derselben von den Träumen
der Alten. Ihre Liebe zum Alterthum, endlich divinatorisch die Vollendung der
Erkenntniss des Kosmos, den die Pythagoreer ahneten, glücklich ausgedrückt sind.
Mit innigster Verehrung
Ew. Excellenz
stets dankbarster
Friedrichroda bei Gotha, Böckh.
d. 12. Sept. 1855.
3.
Ew. Excellenz
stehen mir auch in der Entfernung stets vor. Augen, und es vergeht ge-
wiss kein Tag. dass ich Ihrer nicht mehr als einmal gedachte, sei es bei mir
xelber. sei es gegen andere. Denn so abgeschieden von der grossen Welt auch
das Örtchen ist, aus welchem ich schreibe, kommen doch immer Personen in
meinen Bereich, denen Bildung und Litteratur und die Beziehungen auf die
höchsten Angelegenheiten der Menschheit nicht fremd sind. Heute stehen wir
am Vorabend Ihres neunzigsten Geburtstages: wie könnte ich den Tag vorbei-
lassen, ohne wenigstens im G eiste Ihnen zu nahen? Wenn irgend jemandem Glück
dazu gewünscht werden kann, ein so hohes Alter erivicht zu haben, so kann es
K\v. Exe. gewünscht werden. Die Gründe dieses Urtheils zu analysiren ist Über-
fluss: doch will ich einen Grund nennen, der für das Ganze der wichtigste ist:
Zu wessen möglichst langer Erhaltung sich der wissenschaftliche oder um mich
umfassender auszudrücken der geistige Staat, und der politische Staat und der
Staat der gesummten Menschheit, der kosmopolitische, soweit er jetzt schon ver-
wirklicht ist, um seinetwillen Glück wünschen muss, der Mann ist der hochbe-
glückteste. Indem ich dies ausspreche, muss ich Ihnen das Pindarische zurufen:
y\zfk ev wjto) ~£&Xo> £a».|tov'.ov -oö* syojv. Möge uns lange noch dieses Glück bleiben,
welches uns heute erfreut.
Dass die Tage von Jena'2) (sit venia verbo. da mau sonst damit wohl eher
sehr trübe Tage zu bezeichnen gewohnt, ist) auch Ew. Exc. geweiht wurden, lag
iu mehr als einer Beziehung sehr nahe. Mir gereichte es zu besonderer Befriedigung,
r) Untersuchungen über das kosmische System des Platon, Sendschreiben an AI. v.
Humboldt. 1852. worin O. F. Kruppe'* verfehlte Schrift über die kosmischen Systeme der
(i riechen widerlegt ward.
*) Feier des HOOjÜbrigcn .lubilttums der Universität. Humboldt hatte seines l'ralters
weyen der persönlichen Einladung nicht folgen können: Böckh. als Festabgeordneter für
Berlin, gedachte sein in einer Ansprache im Hinblick auf seine Bezieliun<ren zu Jenas
klassischer Zeit.
Digitized by Google
112
Biographische Blätter.
dass gerade mir die Gelegenheit vergönnt war, meine Liebe, Verehrung und Be-
wunderung für Sie auszudrücken; war vielleicht ein anderer wissenschaftlich
würdiger dies zu tliun, so gestatte ich hierin keinem den Vorrang, wenn die
Würdigkeit nach Herz und Gemüth geschätzt wird. Was die Überreichung des
Bildes Ihres Bibliothekszimmers betrifft, so wird Hr. Seifert3) wohl darüber be-
richtet haben, was ihm von nur darüber geschrieben worden.
Von der Jenaer Feier habe ich mich hierher begeben, wo ich mit meiner
Familie zurückgezogen lebe; doch kommen ab und zu Gelehrte und Studiengenossen
hierher, da das Städtchen sehr beliebt ist. Ein permanenter Genosse meines Land-
lebens ist der General v. Olberg, ein sehr kenntnisreicher und angenehmer Mann,
der Ew. Exc. nicht unbekannt seyn wird. Eine einzige Ausnahme von unserer
Abgeschiedenheit fand sich ein, indem ich mit meinem Schwiegersohn bei dem
Hrn. Herzog in Reinhardsbrunn zur Tafel war; es war daselbst auch der Mark-
graf Max von Baden, ein sehr liebenswürdiger Landsmann von mir. Ich studire
sehr wenig, und meistens nur Unsinn, den man am besten in solchen Tagen ab-
macht, die man ohnehin verloren geben will. Zufälliger Welse sind mir in Jena
mehrere Sachen der Art in die Hände gesteckt worden. Dahin gehört die Ab-
leitung des Etruskischen aus dem Semitischen von Stickel in Jena, ein nicht un-
methodisches Buch, aber doch unmöglich ein vernünftiges; desgleichen die Proben
Homerischer Arithmetik von Hrn. v. Hahn auf Syra. Uterque insanit cum ratione.
Auch aufs Land verfolgt mich die Chronologie. Denn unerwartet habe ich in
dem letzteren Buche gefunden, dass der Urkern der Ilias das Sommersolstitium,
der Urkern der Odyssee das Wintersolstitium sei, und dass die Homerischen Epo-
poeen die Attische Oktaeteris darstellen. Hierzu gesellt sich die Römische Chro-
nologie von Theod. Mommsen. wonach die feste Ägyptische Zeitrechnung nicht
30 Jahre vor der Christlichen, sondern den '2\). August 1483 a. Chr. beginnt,
andere Entdeckungen abgerechnet, die auf Missverstand der Stelleu und auf un-
haltbaren Combinatiouen beruhen. Es ist in der That zu beklagen, dass so viele
schöne Kräfte in verkehrten Richtungen in Bewegung gesetzt werden.
Verzeihen Ew. Exc. diese Expectorationen, die zwar an sich unschuldig sind,
aber zur unrechten Zeit kommen, da Sie mehr zu lesen haben werden als solche
Sachen, wie ich sie hier sehreibe. Ew. Exc. werden aber gleich sehen, was Sie
davon ungelesen lassen können.
In der Hoffnung, dass diese Zeilen Sie im besten Wohlseyn treffen mögen,
empfiehlt sich Ew. Excellenz
Ihr stets getreuer und dankbarer Verehrer
Böckh.
Friedrichroda bei Gotha,
13. Sept. 1858.
4.
Ew. Exeellenz
habe ich sehr lange nicht aufgewartet. Kurz nach dem Schluss meiner
Vorlesungen, den ich etwas spät gemacht hatte, wurde ich von einem heftigen
Husten und Katarrh befalleu. der mich nöthigte das Zimmer zu hüten, und ich
bin davon noch nicht wiederhergestellt . so dass ich es nicht wagen darf einen
grösseren Ausgang zu machen. Daher entledige ich mich schriftlich der Pflicht,
Ew. Exc. das einliegende Sammelwerk4) vorzulegen. Ich habe das Unglück.
3» Humboldt' s Kammerdiener Seifert vertrieb mit Erlaubnis« seines Herrn zu eigenem
Nutzen die farbige Lithographie nach Kd. Hildebrandt's Aquarellbild des Bibliothekzimmers
und ersah auch in der Jenaer Feier eine günstige Gelegenheit für dies Geschäft.
4> Sammlung der „kleineren Schriften ' UoVkh's.
Digitized by Google
Ein Itrit'f (i rill parzers an l'uul Heyse.
dass mir nichts gefüllt was ich gesch riehen habe, zumal nachdem es gedruckt ist;
da aber so viele, die nieht besser sind als ich, ihre Saehen gesammelt heraus-
gegeben haben, so wird diese Sammlung auch mit drunter durch gehen können.
Die drohenden Zeit verhält ids.se verstimmen mich sehr. Ich sehe keinen Aus-
weg fiir uns aus diesen bedenklichen Wirren.
Mögen Kw. Exe. noch lautre zu aller Freude und Frommen sich Ihrer
Thätigkeit. die unermüdlich ist. hingeben können*). Dies wünscht von ganzein Herzen
Ihr innigster und dankbarster
Verehrer
Berlin, d. 3U. April 1850. IJöckh.
c£>
Ein Brief Grillparzers an Paul Heyse.
Mitgetlu-ill von
MAX KALBECK in WIEN.
Vorbemerkung. (nillparzers Novelle „Der arme Spielmann1- erschien zuerst in dein
von .1. (J raten Maihith für das Jahr 1S4S bei (inst. Herkenast in Pest herausgegebenen
.Deutschen Almanach: Iris". Ohne nach seinem wahren Werthe gewürdigt worden zu sein,
gerieth dieses Meisterstück der erzählenden Poesie bald wieder in Vergessenheit. Wer be-
kümmerte sich im Sturmjahre 1*18 viel um Kunst und Litteratur!? Kiner der Wenigen,
die das köstliche Werk des grossen Dichters schützen leinten und in treuem Andenken
behielten, war Paul Heyse. Als er um zwei Decennien später mit seinem Freunde
Hermann Kurz die (1871 erfolgte» Herausgabe des „Deutschen Novellenschatzes vorbereitete,
wandte er sich sogleich an ( «rillparzer. mit der Bitte, ihm den armen Spielmann zum Ab-
drucke zu überlassen. Darauf erfolgte der in dem unten mitgetheilten Briefe*1 > begründete
abschlägige Bescheid. Am 11. .luni 1S71 erneuerte? Heyse seine Bitte (siehe .lahrbuch der
(irillparzer-l iesellsehaft I. p. *J4<» l. Als Votstand der in Nürnberg zusammengetretenen
NenossenM-haft dramatischer Autoren fühlte ersieh verpflichtet, dem _allveiehrten Altmeister
der dramatische» Dichtung" ein Kxemplar der neuen Statuten zu übersenden, und erinnerte
Itei dieser Gelegenheit wieder an den noch immer der Auferstehung harrenden armen Spiel-
mann. Zwischen den beiden Briefen Hevsc's aber lag die Feier von l J rill parzer' s achtzigstem
'ichurtstage. und Heyse hatte zu dem festlichen Tage in feurigen Huldigungsstrophen, die
eine Münchener Adresse begleiteten, seine Glückwünsche dargebracht. (Das (Gedieht ist unter
dem Titel „An Grillparzer" im ersten Bande der gesammelten Heyse schen Werke zu linden.)
Die ehrliche Begeisterung, welche aus jeder Zeile des formschönen, sinnigen Carmens her-
vorbricht, mag den Alten erwärmt und zur Nachgiebigkeit bestimmt haben, ( berdies
konnte Grillparzer aus dem einleitenden Vorwort des bereits bis zum dritten Bande
gediehenen Novellenschatzes entnehmen, dass Heyse's Versicherung, gerade der arme
Spielmann hal>e ihm zuerst den Gedanken dieser Sammlung eingegeben, keine blosse
Artigkeit war. Von dem Vorhaben, den Spielmann zugleich mit dem Kloster bei Sendomir
und dem Ksther- Fragment als Buch erscheinen zu lassen, war < Irillparzer ohnehin abgekommen,
und so konnte Heyse nach empfangener F.rlaubniss den fünften Band des Novellenschatzcs
mit dem ersehnten Beitrage zieren. Die Novelle, von welcher der Herausgeber als kundiger
Altmeister der Gattung in einer charakteristischen Vorrede voll Bewunderung spricht, über-
raschte das deutsche Publikum fast noch mehr, als Gottfried Kellers Meistemovelle „Komeo
und Julie auf dem Dorfe", die im dritten Bande der HeyseVhen Sammlung ebenfalls von
den Todten zu unsterblichem LcImmi erstanden war.
•i HiimboI.il marb wenige Tap« darauf, am »V Mai.
*) Da« Original befindet sieh in Max Knibeck's AuioirrayluMisaMimluiijr.
Htograj.li Ische Blatter. I. s
Digitized by Google
111
Biographische Blätter.
Bmlen 16. .Juni 1870.
Hochgeehrter Herr! .
Ihr geehrtes Schreiben hat mir, alles abgerechnet schon darum grosse Freude
gemacht, weil es mir den Eindruck Ihrer Hebenswürdigen Persönlichkeit wieder
erneuert hat.
Was den Wiederabdruck der Novelle „Der alte Spielmannu betrifft, so
steht dem im Wege, das« die mir nächst Stehenden verlangen, dass ich eben diese
Novelle zugleich mit dem dramatischen Fragmente Esther und (zur Raumausfüllung)
mit noch einer andern Almanach-Novelle in einem eignen Hündchen drucken lassen
soll. Und dieses zwar des Fragmentes Esther wegen, das wunderlicher Welse in
der Aufführung auf dem Theater grosses Glück gemacht hat. so dass ich von
allen Seiten um Mittheilung des gedruckten Textes bestürmt werde, den ich doch
selbst nicht besitze, so wie Keines der Meinigen, worüber letztere sehr ungehalten
sind. Ich bin dem Plane sehr entgegengesetzt, werde aber doch schwerlich aus-
halten können.
Von einer Ausgabe meiner sämtlichen Arbeiten kann nur die Hede sein
nach meinem Tode, oder wenn Deutschland wieder poetisch geworden sein wird,
welche zwei Zeitpunkte so ziemlich zusammenfallen dürften.
Verzeihen Sie wenn ich nicht länger schreibe, denn die Schwäche meiner
Augen und meiner Hand machen mir das Schreiben peinlich, was wohl auch die
Beschaffenheit meiner Handschrift kund gibt.
Freundschaftlichst
G rillparzer.
■
Biographie der Namenlosen.
Von
R. M. WERNER
I. Eine Anregung.
Wer hat sieh nicht schon einmal in einer schönen Sternennacht dem er-
hebenden und doch furchtbaren Gedanken hingegeben, dass alle die ungezählten
Lichter, die so unfassbar weit von uns liegen, grösser und mächtiger sind, als
das Fleckchen, auf dein wir leben. Schwindelerregend, vernichtend könnte der
Kontrast zwischen jenen fernen mächtigen Welten und unserem unscheinbaren Ich werden,
wenn nicht der glückliche Egoismus käme und uns rettete. Viel weniger leicht
werden wir auf den Gedanken geführt, dass Milliarden Menschen mit uns gleich-
zeitig auf dieser unserer Erde leben, von deren Lebensführung wir keine Ahnung
haben; sie mühen sich, sie freuen sich, sie machen Qual und Freude durch und
legen sich abgehetzt oder mit ungestillte!- Lebenssehnsucht zum ewigen Schlafe
nieder, und keine Spur bleibt von ihnen übrig. Und doch war die Spanne Zeit,
die ihnen gegönnt war. ihr Lebensreichthum, und doch waren sie vielleicht, wie
wir mit Ibsen sagen müssten. „Stützen der Gesellschaff4, freilich ihrer Gesell-
schaft. „Wie gering ein Mann, wie ich, auch ist. so bin ieji doch immer ge-
wohnt gewesen, als das Haupt meiner Familie betrachtet zu werden. Mein
bescheidenes Daheim bildet auch eine kleine Gesellschaft. Und dies«' kleine Ge-
sellschaft hab' ich nur stützen und aufrecht erhalten können, weil meine Frau
und meine Kinder an mich glaubten. ..." Diese Worte sind dem alten Arbeiter
Auler in den Mund gelegt. Nur selten wird uns eine Kunde von solchem Leben,
trotzdem es vielleicht verhältnismässig reicher an Inhalt war, als das vieler
Anderer.
Digitized by Google
Biographie der Namenlosen.
115
Hat ein solches Leben Anspruch auf Beschreibung, oder gilt wirklich das
Wort Hebbels: „Wenig Menschen haben ein Recht auf eine Biographie"1? Ein Unter-
nehmen für biographische Kunst und Forschung wäre bald zu Ende, wenn nur
die führenden Geister, „nur diejenigen- in Betracht kamen, „die bei einer ent-
schiedenen Wirkung nach aussen in dem Kreise ihrer Thätigkeit keine Gelegenheit
fanden, ihr Inneres befriedigend und genügend darzulegen-. Jedes Menscheuleben
verdient eine Erzählung, wenn sich nur der Erzähler Rechenschaft giebt, was er
erreichen will. Die Menschen sind selten, deren Schicksale durchaus merkwürdig,
durchaus originell sind, und auch die Leasing"' sehe Formel: «Er ward geboren,
nahm ein Weib und starb" , kann einen Reichthum an interessanten Ver-
wickelungen umschliessen. Eines allerdings steht fest, jede Zeit und in ihr wieder
jeder Stand hat einen Typus des Lebens, so dass eine Biographie mit geringen
Modifikationen für viele Menschen passen würde. Diese Gewöhnung der Lebens-
führung scheint bisher noch viel zu wenig berücksichtigt, Es lässt sich nicht ver-
kennen, dass auch hier der Mode eine nicht unbedeutende Rolle zufallt. Wie
verschieden ist z. B. der Typus einer Dichterbiographie im 17., im 18. und im
19. Jahrhundert ! und wie viele Züge wiederholen sich doch im Leben jedes
Dichters, je nachdem er einem dieser Jahrhunderte angehört. Warum fehlt denn
im 18. Jahrhundert die „grosse Tour11, die einen Dichter des 17. Jahrhunderts
in die Niederlande, nach England, Frankreich und Italien führte! Die Mode ist
eine andere geworden, oder wenn man lieber will, die Gewöhnung. Und mit
den kleinen Tauten ist's ebenso, auch in ihrem Leben entscheidet die Mode.
Ein recht* auffallendes Beispiel einer typischen Biographie finden wir bei
den „ Grund wirt hen" der deutschen Kolonien in Galizien. Die Söhne erhalten in
der deutschen Privatschule, die jede protestantische Gemeinde mit schweren Opfern
errichtet, um ihre Kinder nicht in die benachbarte öffentliche Volksschule mit
ruthenischer Unterrichtssprache schicken zu müssen, bis zum vorgeschriebenen
Lebensjahre den nöthigen Schulunterricht, dann kommen sie nach Lemberg in ein
Gasthaus und steigen nun vom Messerputzer zum Bierjungen und endlich zum
Kellner auf. In dieser Stellung bleiben sie bis zum 20. Lebensjahre, dienen dann
ihre Zeit meist bei der Artillerie ab und bringen es fast immer bis zum Unter-
offizier, weil sie der Landessprache, wie des Deutschen mächtig sind, auch
lesen und schreiben können, dann aber kehren sie entweder zum Pflug und
Handwerk (raeist der Tischlerei) zurück, oder aber sie werden Zahlkellner und
endlich Wirthe. Die Mädchen aber suchen einen Dienstposten, den sie treu und
fleissig erfüllen, bis sie heiraten. Hier haben wir einen Typus der Lebensführung,
dem sich aus den deutschen Provinzen kaum etwas vergleichen ÜLsst. Die Söhne
der deutschen Schulmeister in Galizien dagegen bilden sich in Biclitz wieder zu
deutschen Schulmeistern aus, obwohl sie die kümmerlichen Verhältnisse ihrer Väter
zur Genüge kennen und die Noth als stete Begleiterin im Leben haben. Warum
diese Gleichmässigkeit? Die Gewöhnung hat sie mit sich gebracht.
Die Söhne von Beamten pflegen wieder Beamte zu werden, wie früher der
Sohn eines Kaufmanns sich abermals dem Kaufmannsstande zu widmen pflegte.
Freilich sehen wir allmähliche Umgestaltungen, ein Streben nach aufwärts, und es
ist merkwürdig genug zu beobachten, wie seit noch nicht allzulanger Zeit dein
Ofhzierseorps Söhne aus Kreisen zuwachsen, die bisher andere Laufbahnen ein-
schlugen. Auch hier zeigt die Mode ihre Macht.
Wo wir hiublicken, können wir solche Typen der Lebensführung erkennen:
es wiire wichtig, hier durch reiches Material festen Halt zu gewinnen. Mitunter
kommt es nämlich auch anders, und dann erhalten die Hiogruphien ein weiteres
Interesse. Marie von Ebner-Eschenbach sagt von dem Helden ihrer tiefempfun-
s*
Digitized by Google
116
Biographische Blatter.
denen Novell«* „Nach dem Tode": „In seinem Leben war Alles anders ge-
wesen als in dein der meisten seiner Standesgenossen. Kine .luvend voll Arbeit
und Miiben lag binter ihm. Kr hatte als Kind die öffentlichen Schulen besucht
und dann eine deutsche Universität bezogen." Dieser Bildungsgang des österreichischen
Aristokraten Paul Sonnherg entsprach dem Typus seines Standes und seiner Zeit
nicht, obwohl er dein Typus anderer Stände gleicht. Dafür ging ihm. wie die
Dichterin sagt. ..der Ruf eines Mannes voran, der zu einer grossen Lautliahn be-
stimmt sei."
Dieser Satz giebt zu denken, man kann ihn nämlich erweitern und geradezu
behaupten, jene Männer pflegen es am weitesten zu bringen, welche den Typus
des Lehens in ihrer Zeit, ihrem Stande durchbrechen und nach einem andern
Typus sich entwickeln. Man nehme nur einmal das Leben eines Künstlers, der
etwa aus einer ücnmtcnfnmilte hervorgeht. Auf die normalen Anfänge einer He-
amtenlaufhnhu folgen die Kämpfe mit Litern uud Lehrern, mit Umgebung und
Tradition, vielleicht die (iefahr. einen -verloreneu Sohn*, der „es zu nichts
bringen wird", aufwachsen zu sehen. Man voi-sucht alles Mögliche, dem Unglücks-
menschen einen Posten im Leben zu verschalten, nur das eine wagt man nicht,
ihn sich seiner Kunst widmen zu lassen, (ielingt es der Kraft schliesslich, alle
Hindernisse zu überwinden, dann staunt Alles, wie der Unbegabte, als faul Ver-
schriene plötzlich der Fleiss und die Ausdauer selber wird und in dem neuen
linden überraschend schnelle Fortschritte macht, ohne zu wanken arbeitet, mit
Lntbehruugen sich zum (Jipfel emporriugt. Auch diese Ausnahmsmeiischen zeigen
einen Typus des Lehens, den einmal der sinnige Schweizer Karl Spitteier für den
Dichter entworfen hat.
Wir sind damit aber zu einem Punkte gelangt, wo sich das Menschenleben
mit einem „(iesetzc- berührt, das in der Naturwissenschaft bei der Kntstchung
neuer Arten von einzelnen (ielehrteu als ruaassgebeud angesehen wird. Bekannt-
lich steht, der Darwinschen „Selectionsthcorie" die sogenannte .. Migrationstheorie"
Moriz AV agners gegenüber: nach ihr entstehen neue Alten dann, wenn Individuen
unter geänderten Lebensbedingungen existieren müssen. Man braucht nicht weiter
auf diese Lehre einzugeben, um zu erkennen, wie sehr sie auf die Biographie passe.
AVie häutig knüpfen die bedeutendsten Fortschritte nicht au ..zünftige" Vertreter
des betreffenden Faches an. sondern an Leute, die auf anderem tiebiete ausge-
bildet, in eine neue Atmosphäre veisctzt werden; wie häutig gehen grosse Künstler
aus Familien hervor, in denen der Kunstsinn bis dahin ganz versteckt war. Der
Sohn eines armen Maurers wird ein grosser Dichter, nachdem er in der .lugend
selbst die Kelle gehandhabt bat. Der Sohn eines Offiziers und Hufschmiedes
kann seinen Wunsch nicht erfüllen. Theologe zu werden, sondern wird zum
.Juristen, dann zum Mediziner gepresst. aber er wird doch einer der grössten
deutschen Dichter und Denker. Dies ist eine so merkwürdige F.rscheinung. dass
mau darin den Zufall wirksam sehen könnte, wenn sich nicht dem tiefer Blicken-
den ein auch auf anderen (> ebieten der Natur waltendes (Josetz darin enthüllte.
Was den Typus durchbricht, ringt sich zu Neuem empor.
Wir dürfen Hebbels Ausspruch umkehren und sagen: „Alle Menschen
haben ein Recht auf eine Biographie-, wenn gleich die Biographien von uns
kleinen Leuten einander ähnlich sind, wie ein .Japanese dem andern. Ks ist eine
schöne Aufgabe des Kulturhistorikcis. diesen Typus des Lebens herauszuarbeiten.
.Ja es ist der schönste Beruf dos Dichters, in „dieser Armuth welche Fülle" zu
zeigen! Derselbe Hebbel, der nur wenigen Menschen das Recht auf eine Bio--
grapliie zuerkennt, hat das Leben, das alltägliche Leben kleiner Menschen zum
Uegeiistande seines schönen F.pos ...Mutter und Kind" genommen, hat in „Maria
Digitized by Googl
Biographie der Namenlosen.
117
Magdalena u leider gewöhnliehe Schicksale gewöhnlicher Leute behandelt, hat in
seinen Novellen, besonders im -Schnock-'. das typische Leben nicht verschmäht.
Wie wunderbar versteht es eine Kbner-Eschenbach. das Leben eines armen (Jemeinde-
kindes zu erzählen, eine Th. Justus, in die Räume des Armenhauses, in die
Schifferhäuschen zu fuhren und dort das (Jold der Poesie im alltäglichen
Lebenslauf der Unbekannten, der grossen Menge aufzudecken! Wie hübsch schildert
uns ein K. Reichenau -unsere vier Wände- oder eine Ch. Niese die dänische
Zeit Schleswig-Holsteins !
Man vergleiche nur einmal den «alten Thurmhahn* des Schwaben Eduard
Mörike mit „Rothkehlehens Neujahrs betrarhtung" des Tyrolers Anton von
Schullern! Dort das Leben des protestantischen Pfarrers, hier der Tageslauf
eines altösterreichischen Beamten; in beiden (redichten das Leben einer jener
Familien, die sich scheinbar durch nichts von den übrigen unterscheiden und uns
doch zwei Typen verschieden nach Stand und (iegend darstellen.
Es wiire höchst erwünscht, wenn das neue Unternehmen für biographische
Forschung solche Tyiien aus den verschiedenen Zeiten. Ständen und Gegenden zu-
sammenstellte und durch solche Biographien der „Namenlosen- dem Völkerpsycho-
logen reiches Material zuführte.*)
IL Aus dein Leben armer Studenten.
Als Obmann eines Wiener Studentenuntersttttzungsvereines hatte ich einmal (ielegen-
beit, einen besonders armen Collegen zur Unterstützung zu empfehlen. Mir liegt sein Ge-
such noch immer vor, weil ich mich nicht ents«- hl Jessen konnte, dieses bereits zerrissene
Aktenstück zu verbrennen; es zeichnet einen einfachen Lebenslauf, der sich leider nur zu
oft wiederholt Ich lasse das Wesentliche daraus folgen. Der Bittsteller schreibt:
»Ich beendigte im Jahre 187* meine (lymnasialstudien zu Czernowitz in der Buko-
wina, und nachdem ich ein Maturitätszeugnis* mit der Note .reif' erhalten, ging ich, ob-
wohl aller und jeglicher Mittel entblösst. jedoch gedrängt vom Streben nach Wissen in
meiner jugendlichen Unbesonnenheit nach Wien, um hier das Studium der Philologie und
Geschichte zu beginnen. Mit vier/ig Kreuzern nach Wien gekommen, gab mir eine längere
Periode von Noth und Entbehrung die Gewissheit, dass man von Begeisterung allein nicht
leben könne, und dass unter solchen Umständen ein so weites («ebiet. wie das der Philo-
logie, sich nicht gehörig und gewissenhaft bearbeiten lasse. Daher begann ich auf das
Anrathen vieler Collegen und in der Hoffnung, dass mir so mehr Zeit bleibe und mehr
Gelegenheit geboten sei, auf die eine oder die andere Weise meinen Unterhalt zu finden,
das juridische Studium. Von» halben < 'ollegiengelde für beide Semester befreit, gelang es
mir durch eine Unterstützung, die ich vom Bukowiner Studentenverein erhielt, das Colle-
giengeld für das erste Semester zu bezahlen, im zweiten Semester konnte ich es jedoch
nicht, infolge dessen wurde mir dieses Semester nicht angerechnet.
Im zweiten Jahro kehrte ich zun» philologischen Studiuni zurück, weil ich einerseits
erwog, dass ich vom ('ollegiengelde nicht wieder werde befreit werden, da ich nicht in der
Lage war. ('olloquienzeugnis.se vorzulegen, bei der Philologie aber mich vorderhand mit zehn
bis zwölf Stunden begnügen konnte, wofür das Collcgiengeld ungefähr die Hälfte des von
den .Juristen zu entrichtenden ('ollcgiengeldes betrog; andererseits auch bedachte, dass das
philologische Studium nebstdem, dass es mein Lieblingstudiuni sei. eine weit kürzere Zeit
in Anspruch nehme, als das juridische, zumal ich das zweite Semester verloren hatte, das erste
mir aber in das philologische Triennium eingerechnet werden musste. Ich ward demnach
studiosus pbilosophiae. Aber das verhängnissvolle (.'ollegienL'eld schlug allen meinen Kr-
*> Loredan Larchey hat Ähnliches versucht: vgl. Anatole Trance. La vie litterai re
(Paris. I. 1S88): a propos du journal des üoncmirt (S. «M ff.) A. d. II.
Digitized by Google
118
Biographische Blatter.
wägungen ein Schnippchen: so gering es war: ich konnte es nicht erschwingen; wieder war
ein Semester vorbei, ohne das« ich irgendwie vorwärts gekommen wäre.
Zwei Semester waren verloren ! Ich gehörte durch zwei Semester hintereinander dem
Verbände der Universität nicht an. musste daher erst durch neuerliche Immatrikulation das
akademische Bürgen-echt erwerben, was mitten im Jahre nicht recht anging, was ich aber
auch nicht anstrebte, weil ich wohl einsah, das« ich, der ich heute nicht wusste. wie ich
morgen leben werde, das ('ollegiengeld als etwas Unerreichbares betrachten müsse.
So waren anderthalb Jahre verstrichen, ohne dass ich in die Lage kam, irgendwie
geistig thätig zu sein, anderthalb Jahre, in denen ich mich mit einer gewissen Consequenz
im Hungern übte, in denen ich gleichsam zur Ergänzung des Ganzen mehrmals erkrankte.
Unter solchen Auspizien begann das vierte Halbjahr. In diesem erging es mir. so
unglaublich es auch scheinen mag, bedeutend besser: ich wurde endlich emstlich krank,
musste ins Spital transportirt werden und brachte daselbst zwei Monate zu, während welcher
ich mich endlich doch auch ausruhen konnte von den furchtbaren Strapazen, die mir Xoth
und Elend auferlegt hatten: zwei Monate, in welchen ich fortwährend hoffen konnte, dass
ich endlich ein Leben voll Noth, Elend und, was wohl am meisten drückte. Nichtsthun be-
endigen werde! Vollkommene liuhe winkte mir. aber ich wurde nach zwei Monaten als
— geheilt entlassen! (.tanz schwach, ohne Kreuzer Geld, in defekter Kleidung, was wohl
die Ursache war, dass ich schon früher keine Beschäftigung erhalten konnte, blieb mir
scheinbar nichts übrig, als meine Todeshoffnungen durch eigenes Zuthun zu realisiren. Der
Schein hat jedoch getrogen, ich fand rechtzeitig einen anderen und besseren Ausweg. Ich
erinnerte mich, dass dem damaligen Deean. Herrn Professor Dr. S., viel Güte und Menschen-
freundlichkeit nachgesagt werde, ich beschloss daher, den letzten Versuch zu machen und
mich an ihn zu wenden. Und siehe da, ich täuschte mich nicht, das erste Mal, dass meine
Hoffnungen mich nicht im Sticho Hessen!
Dieser edle Menschenfreund befürwortete, nachdem ich mich bei dem gegenwärtigen
Decan, Herrn Professor Dr. H., einer kleinen Prüfung aus dem Lateinischen und Griechischen
unterzogen und dieser ausgesagt hatte, dass ich in beiden Sprachen so viele Kenntnisse
habe, um das philologische Studium beginnen und mit Erfolg betreiben zu künnen, ein Ge-
such an das Unterrichtsministerium um eine ausserordentliche Unterstützung sehr warm. Ich
erhielt binnen zehn Tagen eine Unterstützung von fünfzig Gulden. Mit wanner Freund-
lichkeit benachrichtigte mich Herr Prof. S. hiervon, ermahnte mich, die Summe für das
('ollegiengeld, das ich im nächsten Semester zu bezahlen hatte, bei Seite zu legen, damit
ich dann, wenn ich tolloquirt haben würde, eine Staatssubvention erhalten könnte.
Und wie ein einziger Sonnenstrahl auch einen grösseren Kaum zu erleuchten und zu
erwännen vennng. so machte dieser edle Zug eines edlen Mannes mein durch die frostige
Außenwelt fast erstarrtes Herz wärmer und freudiger dem Leben entgegenschlagen. Ijebe
und lerne und werde ein tüchtiger Mann und zeige denen, die dir Gutes gethan, dass sie
ihre Güte nicht an einen Unwürdigen verschwendet haben. Das sagte ich mir damals und
sage mir's noch, und so will ich es auch halten.
Von den mir angewiesenen fünfzig Gulden legte ich siebzehn bei Seite, schaffte mir
etwas Kleidung und lebte mit dem Beste und mit einigen kleinen Verdiensten über die
Ferien. Mit Anfang dieses Schuljahres inskribirte ich mich, erlegte sogleich das ("ollegien-
geld. studirte tieissig und schien in ein halbwegs ruhigeres Fahrwasser gelangt zu sein.
Aber das Schiffchen schlug noch einmal um, ich ward wieder ins allgemeine Krankenhaus
gebracht das ich erst, nach einer scehswüehentlichen Krankheit verliess. Aber nicht mit
schwarzen Gedanken gt>h* ich umher, wie im vorigen Jahre, denn ich habe die glänzende
Seite des menschlichen Herzens kennen gelernt, und ich hoffe vertrauend auf weitere Unter-
stützung, die es mir möglich machen soll, drei oder nur dritthalb Monate zu leben, auf dass
ich studiren, colloquircn und endlich eine stündige Subvention erhalten könnte."
Mündlich ereiinzte der Student noch das Ganze durch seine Fr/ühlungen. von denen
Digitized by Google
Anzeigen.
119
mir einiges im Gedächtnis geblieben ist. Er kam nach Wien mit vierzig Kreuzern, aber
auch mit grosser Zuversicht, hatte er sich doch bisher in Czcrnowitz mit .Stundengeben er-
halten, führte er doch eine Reihe von Empfehlungsbriefen mit sich, die ihm einer seiner
Uzernowitzer Lehrer mitgegeben hatte. Zum ersten Mal war er nun in der grossen Stadt,
die ihn verwirrte. Ungewandt und unerfahren, wie er war, glaubte er. seine Empfehlungs-
briefe sofort abgeben und daraufhin augenblicklich Unterhalt finden zu können. Aber er
traf die Adressaten nicht gleich an, nur Wenige versprachen dem etwas linkisch aussehenden
jungen Menschen ihre Hilfe, eigentlich that keiner etwas Hechtes für ihn. Nun begann
die Suche nach Lektionen. Auch hier ging es nicht leicht, er bekam nur ganz schlecht be-
zahlte, von deren Ertrag er sich nicht zu erhalten vermochte, trotzdem er fast nur trockenes
Brot ass und auch das nicht immer in ausreichendem Masse. So viel ich weiss, hat er die
Noth auch nicht aushalten können, sondern ist bald nach der günstigen Wendung seines
Schicksals gestorben.
Das ist die Biographie oines Namenlosen.
ANZEJJGEN.
Anton Ritter von Hrhmerlinff. Episoden aus seinem Leben. 1835, 1848 1849.
Von Alfred Kitter von Arneth. Mit zwei Heliogravüren. Prag und Wien. F. Tempsky.
1895. XII u. :m S.
Eine Biographie Schmerlings, verfasst von einem, der ihn kannte, der mit ihm lebte,
vielleicht auch mit ihm handelte, wäre ein sehr erwünschtes Buch. Arneth trug sich einen
Augenblick mit dem Oedanken, diese Biographie zu schreiben. Dann aber bedachte er sich,
es sei noch zu früh dazu, sie würde nicht objektiv genug ausfallen, auch seien ihm zu
wenig Materialien - was der belehrte Materialien nennt. Dokumente, Akten — zugäng-
lich. Und so erzählt er denn nur zwei Episoden aus dem Leben Schmeiling's. für die ihm,
auch nach seiner strengen Ansicht, (Quellen genug zur Verfügung standen. Er erzählt sie
sehr einfach, sehr klar, sehr objektiv — so objektiv, dass er sich selber auch dort nicht
einmengt, wo sein eigener Lebensweg sich mit dem seines Helden kreuzte. Strenge be-
folgt er das erste Gesetz des höheren Stils: alles Überflüssige wegzulassen und nur zu
sagen, was zum Gegenstand gehört. Nirgends geräth der ruhige Fluss der Erzählung in
leidenschaftliche Bewegung, wohl aber hält er öfters wie in sinnender Betrachtung inne,
wenn sich aus Gegenwärtigem Zukünftiges vorzubereiten scheint und bedeutsame Züge des
Werdenden die spätere Vollendung errathen lassen.
Die Theorie vom Milieu zu illustriren, ist Schmerling s Lebensgesehichto nicht ge-
eignet. Aus der österreichischen Beamtenschaft des Vormärz ist er hervorgegangen , sein
Vater reicht in die der josephinischen Periode hinauf; einen Anton Albrecht von Schmer-
ling finden wir schon 1708 als Hofkammerrath und Sekretarius. Dieser Lebenskrois
umschloss gewiss ehrenhafte, tüchtige, pflichtgetreue Männer genug, aber Selbstständigkeit
im Handeln zu erzeugen, war er nicht geeignet. Und dann gehörte Schmerling einer
ständischen Körperschaft des alten Oesterreich an, den niederösterreichischen Landständen.
Wohl regten sich da in den zehn Jahren vor der Revolution Keime des Widerstands gegen
die verrottete Ordnung des Staates, und guter Willen, Hand an eine Reform zu legen,
war auch vorhanden. Aber eine .Schule für werdende Staatsmänner wird man die nieder-
österreichischen Landstände doch nicht nennen wollen. Und von da, aus diesem engen
Kreis, wo kaum frei zu reden, geschweige denn frei zu handeln gestattet war, tritt Schmer-
ling auf einen fremden Schauplatz, unter fremde Menschen; hier genügt es nicht, tüchtige
Beamtenarbeit zu thun oder über Keforniplanen ruhig zu brüten; hier gilt es Verworrenes
zu schlichten. Widerstrebende zu gewinnen. Drohende zurückzuweisen, vor dem Kntschluss
nicht zu scheuen, der den Streit der Geister in einen Streit der Watten wandelt. Und
Digitized by Google
120 Biographische Blätter.
i
Schmerling behauptet sich, l>ewährt sich auf diesem Schauplatz, vor solchen Aufgaben.
End nicht durch Leidenschaft, nicht in Aufwallungen eines heissen Blutes, sondern kühl
und besonnen, .vor Schürfe starrend", verächtlich, gleichgültig, wo ungestüme (iegner ihm
Zugeständnisse ertrotzen, ihn durch Schmähuniren einschüchtern wollen. Da offenbart sieh
einmal wieder das (Jeheimniss der Persönlichkeit : er hat es nirgends «relernt, er konnte sich
nirgends vorbereiten — über Nacht musste er es können oder ablassen von» Werk. Und
so wie sein erstes Auftreten auf der Bühne der Welt war — sicher, frei, stolz — so auch
sein Abgang. Ein herrischer .Minister glaubt ihn. der gar wohl weiss, wie viel er geleistet,
wie sehr er sich um das weitere und entere Vaterland verdient gemacht hat. als willen-
loses Beamtenwerkzeug wieder brauchen zu können, als die Stunde der (Jefahr vorüber ist
und die (icspenster der Revolution fernali ziehen. Aber Schmerling widerstrebt, er entsagt
einer glänzenden Stelle, um in die Dunkelheit seiner früheren Jahre zurückzukehren; er
opfert ein Amt. das dreissigtausond (iulden jährlich eintrug, um bich mit einem von drei-
tausend zu bescheiden. Hier musste sich die ruhige Darstellung des Biographen freilich
einen Augenblick zu poetischem Schwünge erheben: „. . . es muthet wie der Anblick
quellendurchrieselter Matten, wie das Athmen würziger Waldluft einen aus öder Sandwüst«
Kommenden an. wenn man aus der Reihe diplomatischer Alltagsmenschen Einen sich
emporheben sieht, der nicht nur eigene l berzeugung hegt, sondern auch, um ihnen treu
zu bleilien und seine Ehre zu wahren, den äusseren Vortheilen einer glanzvollen Stellung
in raschem und selbstlosem Entschlüsse entsagt. . . .*
Die Episode von is.ir> eigentlich 1 *:?."> 1S40 enthält die „Idylle von Scbmer-
ling's kurzer Ehe". Auch hier erkennen wir etwas Eigenartiges in ihm: noch in jungen
Jahren, im Bräutigams- und Elitterwochenglück ein maassvolles Wesen, einen gereiften Heist.
In der geliebten Erau bewundert er nicht nur „den zartesten Sinn, das höchste (iefUhl für Kunst,
tiefe Empfindung und treueste Liebe", sondern auch „ruhige Haltung und verständiges Wesen" ;
in „noch grünender Liebe" ist er ihr zugleich auch ..der treueste Freund". Der Tod schied sie
von ihm, da er kaum fünfunddreissig Jahre zählte, aber er dachte niemals daran, ihr ein«
Nachfolgerin zu geben, dreiundfünfzig Jahre hat er noch einsam in ihrem Andenken gelebt.
Höchst erwünscht sind die zwei Heliogravüren, die das Buch Arneth's schmücken:
die eine stellt Schmerling dar. wie er etwa in den vierziger Jahren war, die andere
1 'auline. seine (icmnhlin. Wir brauchen es nicht zu sagen: gute Portrait* unterstützen
unendlich das Verständnis* biographischer Werke. So manches, was der Biograph nicht
ausspricht, nicht auszusprechen vermag oder nicht aussprechen will, erkennen wir da auf
einen Blick. Dieses Bild von Schmerling, und wir sehen ihn auf der Tribüne der Pauls-
kirche um so viel deutlicher als in Laubes ausführlicher Schilderung; dieses Bild von
Pauline. und sie steht lebendiger vor uns, als die gute Karoline Pichler sie uns mit ihren
beredtesten Worten zu zeigen vermochte. Eugen (Juglia.
MUnchener KUnstler-Nekrologe. Der neueste Kcchenschafts-Bericht des Münchener
Kunstvereins bringt kurze biographische Erinneruniren an die im Jahre IS! 14 verstorbenen Künstler.
Diese sind: Franz Amling (geb. IS'iJ zu Trier, gest. 2*. August 1S94 zu Sehleissheim bei
München), welcher das Soldatenleben im Krieg und Frieden und ausserdem auch allerlei
Staatsaktionen und Szenen aus dem Sport- und Volkstreiben schilderte: dann der durch viel-
seitige und grossartige Schöpfungen berühmte Bruno Piglhein (geb. 19. Februar 1*48 zu
Hamburg, gest. IT». Juli 1*!>4 zu München), dessen vielgefeiertes „Kundgemälde von Jeru-
salem" am '27. April lS'J'2 zu Wien verbrannte: der Kupfersteeher (Jeorg ( Joldberg (geb.
1*2. Mai IS: 10 zu Nürnberg, gest. '2*>. Juli 1*!*4 zu München), welcher sowohl durch seine
Karton- wie Farbenstiche (nach Vautier. Kur/.l>auer. (Iriitzner u. s. w.l als feinfühliger
Künstler sich bewahrte; der heitere Eduard Enger (geb. 4. Februar 1*.">:1 zu Hofheim
in l'nterfranken, gest. 4. August 1*!»4 zu Oberaudorf), der erst als Landschaftsmaler,
dann aber insbesondere als Illustrator durch seine putzigen Amoretten, lustigen Zwerge
und Heinzelmännchen, mit einer Enzahl von Kopfbogen und Zierleisten einen vor-
Digitized by Google
Anzeigen.
121
zöglicben Namen errang. Dazu kommt der Landschaftsmaler Graf Stanislaus von
Kalckreutb, ( yeb. 24. Dezember 1821 zu Kozmin in Tosen), welcher, erst ein Schüler von
Krause und Schirmer in Düsseldorf und Karlsruhe seine idealen Bilder malte, dann einem
ehrenvollen Hufe nach Weimar folgend daselbst 1860 die Kunstschule gründete und als
Direktor und Lehrer bis 1876 wirkte, endlich aber nach München übersiedelte und bis zu
seinem am 25. November 1804 erfolgten Ablel>en als unermüdlicher Maler auf neuen
Wegen sich möglichst zeitgemäss in der Technik förderte und weiter bildete. Nachträglich
beigegeben ist eino biographische Skizze üher den Historienmaler Christian Heinrich
Burekhardt (geb. 16. April 1824 zu Kisfeld in Thüringen, gest. 14. September 181i:{ zu
München), welcher seine eigenen, meistenteils biblischen Kompositionen in Glasgemäldon
zur Ausführung brachte, die nach der Schweiz, nach Krankreich. Kngland. Amerika, sogar
räch China gingen und ihrem Meister und Schöpfer durch ihre sorgfältige Ausführung und
harmonisch-kräftige Farbenstimmung viele Khrenauszcichnungcn erwarben. H.Holland.
bm. Südfranzösisches Bauernleben schildert als Autobiograph ein Schützling von A 1 p h o n s e
Daudet in der heimischen Mundart: Batisto Bonnet: Un paysan du midi. Traduction
et presentation par Alphonse Daudet. Taris. Dentu o. J. (Daudets Vorrede, ist vom
1. Oktober 1894). Der erste vorliegende Band bringt Kinder-Kindrucke (Vie denfant».
Zwei Folgebände Le valet de forme und Le pacan de Paris werden angekündigt.
Bonnet der heute die Mitte der Vierzig übersehritten hat. ist in der ('legend von Bellegarde,
zwischen Nimes und Beaucaire geboren; bis zu seinem 20. Jahre schlug er sich als Hirt
und Bauernknecht durch; dann musste er Soldat werden, der fünf Jahre in Algier diente.
Den Abschied in der Tasche, kehrte er wieder in die Heimath zurück, als Säemann und
Pflüger. den erst das Jahr Siebzig wieder unter die Waffen rief. Während der Belagerung
von Paris verwundet bleibt er nach dem Friedensschluss in der Hauptstadt, in der er sich
schlecht und recht durchschlägt. „Geschmeidig, findig, zu allem nur nicht zum Aufgeben
seines provenzalischen Accentes — geschickt, vertreibt er Wein. Ol, Bücher". Kr verliebt
sich, heirathet und sucht seine sehr mangelhaften, daheim und in der Kegimentsschulc ge-
sammelten Kenntnisse zu ergänzen. Sein Lehrer, ein kleiner Journalist aus der Lands-
mannschaft, giebt ihm Mistrals „Mireille" zu lesen. Diesem Wink und diesem Vorbild hat
es Bonnet nach seinem eigenen Bekenntnis zu danken. d*ss er es wagte, in der Mundart
seiner Kinder- und Jünglings- Jahre die Kindrücke seiner Frühzeit aufzuzeichnen. «Der erste
Band, Vie d'enfant, den ich" so schreibt Daudet — „mit Henri Ner übersetzt habe,
vergegenwärtigt in einer Keihe von Bildern und Kpisoden das Leben eines Kleinbauern mit
all seinen Plagen. Mühen und Freuden: schlicht und wahr, kindlich, nicht kindisch, ab und
an von einer Milde und Grösse, die uns ergreift, wie ein Blatt des Evangeliums." „Im
Gegensatz zu den trostlosen grossstädtisehen Souvenirs d'enfance von Jules Valles'
Doppelgänger Jacques Vingtras. wirken Bonnet's bitterste Krlebnisse erquicklich: ein
doppelter Regenbogen von Güte und Zärtlichkeit spannt sich von der ersten bis zur letzten
Seite seines Buches, allen Jammer der Wirklichkeit verklärend." Und weiter: „ein Bauern-
tolpatscb, der Sohn von Bauemkerlen, der mit solcher Achtung und Rührung von seinem Vater
und seiner Mutter spricht, fahrt uns weitab von den wilden Bestien in Zolas „Terre". Und
dennoch sind die Bauern Bonnets ebenso wahr, wie die Bauern Zolas. Kr hat sie nur unter
andern Breitegraden (nicht nur der Geographie) gewählt: Bonnets Weltansicht ist von der
Zolas grundverschieden. Kr wuchs mit sieben Geschwistern in der Hütte eines Tagelöhners
auf. der, wenn's gut ging, Abends 40 Sous heimbrachte und aus so trübseligen Verhältnissen
ging1 dies Buch des Frohsinns und der Zuversicht hervor." Bonnets Sprache preist Daudet
als saftige Prosa, geschöpft aus dem Urquell der Mundart, reich an urwüchsigen Aus-
drücken, frei von Alterthümelei und Künstelei, une prose. quo Mistral seul. peut-etre
encore Charles Kieu, l'humble terrassier du Paradou auraient ete capable
d'ecrire. l'un plus lyriquement, l'autre avec moins de seve et d'abondance. Aus
dem Ertrag dieser ländlichen Trilogie will Daudet seinem Musterbauern ein Gütchen in
Digitized by Google
1 22
Biographische Blatter.
der Provence kaufen, auf dein dieser tagsüber schanzen, abends schreiben soll. So lieb-
lich das klingt, glaubhaft wird diese andere Idylle erst sein, wenn sie Jahr und Tag ge-
wahrt haben wird. Sachliches Frtheil über Beiz und Werth von Bonnetö Autobiographie
verschieben wir bis nach der Veröffentlichung der angekündigten Bände: dann wollen wir
sie an dem „armen Mann im Tockenburg", an Gotthelfs „Uli" und Hoscggers ,.Als ich
jung noch war" messen. * *
Baum-Noth zwingt uns. eingehenden Bericht Uber wichtigere Neuigkeiten der
französischen Biographik auf eine s}>ätere Nummer zu versparen. Einstweilen genüge der
Hinweis auf das (1887 in der Bcvue internationale erschienene, nun von derselben
feinen, doch leider mitunter zimperlichen Damenhand, 1). Melegari, in Buchform heraus-
gegebene) Journal intime de Benjamin Constant (Baris, Ollendorff. 1895). Nur
Überschätzung preist es als le plus beau document humain du siecle; als bedeutenden
Beitrug zur Charakteristik dieser merkwürdigen Persönlichkeit als werthvolles Zeugniss für
C.'s Verkehr mit (ioethe, Schiller, Herder, dem Kreis der Stael. der Uecamier, als un-
ersetzliche Urkunde zur Vorgeschichte des Adolphe wird man den reichhaltigen, mit
Familien- und Freundesbriefen. Bildnissen und Schriftproben ausgestatteten Band dankbar
willkommen heissen. Neue Aufschlüsse über Merimee giebt Augustin Filon's an-
inuthig geschriebenes, anekdotenreiches Buch Merimee et ses umis avec une bibliographic des
oeuvres completes de Merimee par le vicomte de Spoelberch de Lovenjoul ( Paris. Hachetto,
1*94). Gefördert durch Mittheilungen ungedruckter Briefwechsel Merimee 's (zumal mit der
(iräfin Montijo 1839 — 1870 und seinem Jugendfreund Albert Stapfer 1825—70) war der
Verfasser auch durch seine Vertrauensstellung am Hofe Napoleons III. in der Lage, manche
Eiirenheiten und Heimlichkeiten Meriniee's zu erfahren, deren Offenbarung dem (von Tarne
in einem Meister-Essay mit Becht als Charakter gerühmten) Mann zu neuer Ehre gereicht
Ein abschliessendes Werk über Merimee hat Filon nicht gegeben, wohl auch nicht geben
wollen: seine litterarischen l'rthcile zumal sind mitunter gar zu weltmännisch. Der
Heimgang von Benan und Taine erinnert wieder einmal daran, dass die Stunde nach
Sonnenuntergang am kühlsten ist oder scheint. Der Autor der Origines du christia-
nisme beginnt merklich im Ansehen seiner Landsleute zu sinken. Vogue's Losungswort:
oeuvre de Mr. Henau souffrira peut-etre une longue eclipse sucht der Professor
der Philosophie an der Pariser Faculte des lettre*. Gabriel Seaillcs, in einem Essai
de biographie psy chologiq ue zu erhärten: Krnest Henan. (lief, hat das bereits in
zweiter Auflage bei Perrin & Cie. erschienene Buch in der Beil. zur Allg. Ztg. 1895,
9. Febr.. No. ,*W angezeigt.) Taine's „Derniers essais* (Paris, Hachette, 1894) haben
nicht so viel Glück gehabt wie Seailles' Untersuchung, und doch zahlt dieser dem Maler
Bonnat gewidmete Nachlassband nicht nur zuui Besten, was Taine je geschrieben: die
letzten Essais bieten auch dein Biographen (den wir baldigst in Octave Greard zu begrüssen
hoffen) sehr bezeichnende .Selbstbekenntnisse. Seiner Kindhoits-Findrücke gedenkt Taine in
dem Krinnerungsblatt Les Ardennes, Hinblick in seine Studentenzeit und in die Mitarbeit
an der Vie parisienne gewährt der Versuch über Marcelin: seinen Beziehungen zum
Journal des Debats dankt die französische Litteratur die einzigen Bildnisse von Sacy
und Kduard Bertin. Das Bedeutendste, was seit Taine's Tod über ihn gesagt wurde Albert
So reis' Hede auf seinen Vorgänger in der französischen Akademie - werden die
Biographischen Blätter nächstens mit Genehmigung des Verfassers unverkürzt wiedergeben-
Kine Heihe bemerkenswerther deutscher Autobiographien sind im vorigen Jahre er-
schienen. Selbsterkenntnisse im eigentlichen, strengen Wortsinn, wie Gcrvinus' bisher
noch nicht genugsam gewürdigtes Werk; Arneth's gehalt- und geschmackvolle Denkwürdig-
keiten „Aus meinem Leben"; Hanslick's, Friedrich Pocht's und Pietsch feuilleto-
nistische Plaudereien: Uoquette's reichhaltige Hiickblicke »Siebzig Jahre"; Ebers' und
Da hn's Mittheilungen: Moleschot t 's Confession - Für meine Freunde" u. A.m.. von denen
Digitized by Google
Biographische Bibliographie.
123
in den Bio«r. Bl. noch die Hede sein soll. Genrehaft hübsch sind Heinrich Seidels
Kinder- und Lehrjahre geschildert in dem Bündchen „Von Perlin nach Berlin", und aller-
hand neue, stets willkommene Idyllen und Grotesken aus seiner unerschöpflichen Knaben-
zeit bescheert Boseggcr in dem Sammelband „Als ich jung noch war".
c8>
biographische Bibliographie 1894.
Zusammengestellt von VlOTOR Hantzsoh (Dresden).
I. Deutschland.
Januar bii
Acta martvrum et sanctorum. Svriace ed.
Bedjan. * T. IV. XV. 66S. Paris. Lpz..
Harrassowitz.
Thiel«-, Und., Ernst Moritz Arndt Sein
Leben und Arbeiten für Deutschlands
Freiheit, Ehre. Einheit und Grösse. VI1.210.
Gütersloh. Bertelsmann.
Steiir. IL. und Grimm. H.. Achim v. Arnim
und die ihm nahe standen. B. I. IX, :i70.
Stg.. Gott».
Irmer. G.. Hans Georg V. Arnim. Lebens-
bild eines prot. Feldherrn u. Staatsmannes a.
d. Zeit d. 30jähr. Krieges. XII. 397. Lp/..,
H irzel.
Born hak. F.. Kaiserin Auguste Viktoria
(Neue Volksbücher II. 4) IUI). Berl.. Ev.
Vereinsbuchh.
Bruder. S.. Aurelii Augustini confessiones.
Ed. ster. (.'and. Tauchnttii. Lpz., Bnnlt.
Pestalozzi-Wiser. U.. Leben des Malers
und Schriftstellers Auguste Bachelin. Neu-
jahrsblatt d. Künstlergesellschaft in Zürich.
Die ehrwürdige Dienerin Gottes Magdalena
Sophia Birat .Stifterin der Gesellschaft d.
heiligsten Herzens Jesu. Ein Lebensabriss.
4K |je<rensb.. Pustet.
Werchshagen. C, Michael Baumgarten, ein
tbeol. Gharakter f. unsere Zeit. 2l>. Berl..
Wiegandt.
Martens. A., Nachruf auf .1. Bauschinger.
München. Ackermann.
Wolff. M. v.. Leben und Werke d. Antonio
Beccadelll genannt Panormita. VII. l)S.
Lpz.. Seemann.
1 1 i p 1 e r . F.. Geheimrath Joseph Bender. Ein
Lebensbild. 23. Breunsberg. Huye.
Kiepert. A.. Zum 70. Geburtstage Rudolf
v. Bennigsens. 144. Hann.. Meyer.
Schreck. F.. Kudolf V.Bennigsen. Ein lebens-
gescbichtl. Charakterbild. f)0. Hann., Ost.
Butler. I'.. Abt Berchtold v. Falkcnstein.
1244-1272. 63. St. Gallen. Huber & Co.
Ball mann, d. histor. Götz v. Berlichingen.
I^uellcnstudie. 44. Berl., Gärtner.
Lüning. O., Hector Berlioz. 24. Zürich,
F'äsi & Beer.
Ii i n ir h o 1 z , ( ).. der selige Markgraf Bernhard
v. Baden. VI. 93. Freih.. lienler.
Aus dem Leben Theodor v. Bernhardis. Lpz..
Hirzel. Theil 1-3.
Juni 1894.
Allg. deutsche Biographie. B. .'Mi, 4SI 71)0;
37. 1 4SU. Lpz., Duncker «Sc Humblot.
B I u in. 1 1 .. Fürst Bismarck u. s. Zeit. 1.11 alb-
band. München, Beck.
Lowe. Gh.. Fürst Bismarck. Deutsch v.
Alb. Witte. 31T>. Lpz., Wigand.
Kohut. A., Fürst Bismarck u. d. Frauen.
1. V). Berl.. Stibn.
Fürst Bismarck, Leben und Wirken. 4SI}.
Lpz.. Henger.
Furre. K.. Francis Bociow. Neujahrsblatt
d. Künstlergesellschaft in Zürich.
Traub. G.. Bonifatius. Ein Lebensbild.
VII, 223. Lpz.. Buchh. d. Ev. Bundes.
Poschinger, H. v., Lothar Buchers Leben
und Werke. B. 1—3. Berl., Heymann.
Huppenbauer, I).. Karl Buck. Ein afrik.
Missionslcben. 2. A. 4S. Basel. Missions-
buchh.
Gabriele v. Bulow, Tochter Wilhelms v.
Humboldt. Ein Lebensbild. 3. Aufl. XI,
Ö72. Berl., Mittler & Sohn.
Zabel. F.. Hans v. BfilOW. Gedenkblütter a.
seinen letzten Lebensjahren, öii. Hb«,'.,
Gräfe & Sillem.
Brugsch, IL. Mein Leben und mein Wandern.
2. Aufl. 396. Beil.. Verein f. deutsche
Litteratur.
Thelemann. O.. Calvins Leben. 3. Aufl.
104. Bannen. Traktates.
Zahn. A.. Studien über Johs. Calvin. VII,
111). Gütersloh. Bertelsmann.
Fröhlich. F.. Lebensbilder berühmter Feld-
hemm d. Alterthums. I. Die Homer.
2. Heft : Gajus Julius Cäsar. UM). Zürich,
Schulthess.
Knörich. W., Kim,«- Charles the First von
David Hume. ( Knglish Authors Lfg. 04.)
XVI. 173,21. Bielef., Velhagen & Klasing.
Der h. Petrus Claver, Apostel der Neger-
sklaven. (Kath. Fluirschr. z. Wehr u. Lehr.
IL 8;?.) f)2. Beil.. Germania.
Josaphet, 1).. D. h. Papst Cölestin V.
IV, 71. Fulda. Actiendruckerei.
Thiergen. O., Lord Clive by Thomas Ba-
bington Macaulay. ( Fnglisk Authors Lfg. f>2.)
138. Bielef.. Velhagen & Klasing.
Conrad, G., Wahl-Fahrten. Erinnerungen a. m.
Reichstags- Kandidatenzeit. 114. München,
Albert & Co.
Digitized by Google
124
Biographische Blätter.
Branscheid, I'.. Lebensbild von Charles
Dickens. Pro«rr. 17. Meininjren.
Meier. Karl Wilhelm v. Dieskau. (52. Herl.,
Fiscnschmidt.
Breyniann. H.. Friedrich Diez, s. Leben u.
Wirken. f>4. Lp/.. Deiehert Nacht*.
Förster. W.. Freundesbriefe von Friedrich
Diez, Projrr. .{5. Bonn.
Tick. A.. Professor .lakob Dominikus, der
Freund des Coadjutors v. Dalberg Samm-
liinir iremeinverstandhVher wiss. Vortrage.
lieft 1SJI, 44. Hamh<r.. Verlajrsanst.
Pa.se h. K.. Kdmund Dorer. Hin Lebens- u.
Charakterbild. 47. Wien. Austria.
Herbert. L.. Heinrich Dorie, ein kon>anischer
Mürtyrer. A. d. Fntrl. v. 11. Hut»ei1. HKl.
Steyl. Missionsdruckerei.
Merkle, .f.. Se<renswerthe Wirksamkeit
durch 4 < Jenerationcn. 4 Lebensbilder i. Vor-
trügen: Dorothea, Herzogin v. Wilrtembir.,
Maria Feodorowna. Kaiserin v. Kussland.
Katharina Powlowna. Ol^a Nikolajewna.
Königinnen v. Würtemberjr. M». St «f.,
.Malcomes.
Hindrichs. K. . Fr. Wilh. Dörpfeld. Sein
Leben und Wirken u. s. Schriften. P2S.
Gütersloh, Bertelsmann.
Ca thi an. Freiherr Karl Fried r. Drais von
Sauerbronn, «frossh. Forstmeister u. Prof.
d. Mechanik, und das zweiachsige Dreirad.
Hl. Karlsr.. Bielefeld.
Iken. F., I). Wirksamkeit d. Pastor Dulon
in Bremen. (1H4S .Vi.) IV. 4*. Bremen.
Heinsius Nachf.
Disselhoff. .F.. Albreiht Dürer, Luthers
Freund u. Mitstreiter. 2. A. 2S. Kaise'rs-
werth. Diakonissenanstalt.
Weher. A.. Albrecht Dürer. Sein Leben,
Wirken und (ilauben. IV. ll.">. Iteirens-
bury. Pustet.
Eckart, lt., (iesch. d. Familie Eckart. XI,
VIII. :fc>0. Nörten.
C. de Klpidio Janctschek. O. S. A.,
NccroIo<ria patrum et fratum ( Minis Eremi-
tarum calceat S. Auirustini in vicariatu
Moraviae ab a. I ;«}.*{ 1SSK defutu torum.
:«>. Brünn. Winiker.
Ohorn. A.. Herzog Ernst I. von Sachsen-
Koburir-(Jotha. Hin Lebensbild. VI. 2W.
Lp/.. Kenner.
Das Alfred Escher- Denkmal. Bericht der
Centnilkommission nebst Beitrügen zu e.
Biüfjr. v. Dr. A. K. III. IM. Zürich. Müller.
Vulpinus. Th.. der lateinische Dichter .lohs.
Fabricius Montanus l.V>7 (>(». < Beitr. z.
Landes- und Volkskunde von FJsass- Loth-
ringen.» Heft IS. 27. Strasshir.. Heitz.
Schnyder. Aloys Feldmann. Kunstmaler.
Neujahrsblatt der Künstleive>ellsrhaft in
Zürich.
Wir/.. C.. Knnio Filonardi, d. letzt«» Nuntius
t. Zürich. V. 114. Zürich. Füsi & Heer.
Hermann. W.. I). Johann Forster, d. Henne-
hcrirische Reformator. ( Neue Heitr. z. »be-
schichte d. deutschen Alterthums. H. 1'2.)
VIII. 4(iS. 1P2. Meininjren.
Secberjr, lt.. Franz Ueno. Iteinhold v. Frank.
Hin (iedenkblatt. 24. Lp/... Dörfrlinir &
Franke.
Mayer. C, Benjamin Franklins Auto-
hiojrraphv. IX. 1">2. ( Kn<rlish Authors
Lfir. 4S.'> Hielef.. Vclha-ren & Klasimr.
Edle Frauen. Acht Frauenbilder m. Vorwort
v. It. Itoehnll. Fiberfeld. HUdeker.
Prejrer. K.. Pankraz v. Freyberg auf Hohen-
aschau, e. bair. Kdelmann a. d. Refy.eit.
(Sehr. d. V. f. Itefireschichte.» Heft 4t).
"il). Halle. Niemeyer.
Dittrich. Prinz Friedrich Aujrust. Her/oy
zu Sachsen. "»4. Itathenow. Balienzien.
j Friedrich Kuyon. Herzojr v. Würtemherir.
4S. Herl.. Fiscnschmidt.
Frensdorf f. F.. Briefe Könijr Friedrich
Wilhelms I. v. Preussen an Hermann Itein-
hold Pauli. *»S. (iöttimren. Dieterich.
| A. Fritzen, Bischof v. Strassbunr. Hin Lebens-
bild. P2. Reircnsb., Pustet.
, (2 am per. D.. Otto Frölicher. Neujahi sblatt
d. Künstlertresellschaft in Zürich.
I I). sei. Leopr. v. Gaiche a. d. Franziskaner-
onlen. IV, IIS. Innsbr.. Itauch.
v. Braunmühl, TJalileo Galilei. (Samml.
pop. Sehr., hir. v. d. (Gesellschaft l'rania.
2">. Beil.. Paetel.
v. Wö rz, (!., Johann Gänsbacher. ">7. Inns-
bruck. Wajrner.
Schullerus. A.. Gelierte Leben u. Werke.
44. Lp/... Biblioirr. Institut.
Schmidt, F.. Joh. 6erhardt in Heldbuiy.
:M>. Meininiron. Eye.
P. Geyser. S. Persönlichkeit u. s. Schriften.
21. Bern.
Schreck. F.. Lebensbilder aus Hannover-
land. 2. Heihe: Karl GÖdeke. Ludwig
Harms, Joh. Hch. Schüren. Fr. Kohlrausch.
Joh. Fr. Wilh. Jerusalem, Fürst Karl Auir.
v. Hardenberg. Hann., Ost.
(irimm, IL. Goethe. f>. A. XXVI. 542.
Berk. Besser.
Prem, M.. Goethe. 2. A. 474. Lp/... Fock.
v. Küirelgen. W., Rudolf Grau. e. akad.
ZeiiL'e d. luth. Kirche. 11). München. Beck.
Truxa, M.. 4 Decennien Arzt, Menschen-
freund. Schriftsteller u. Patriot, Oedenk-
hlütter /.. 40j. Doktorjubilüum d. Med.-Dr.
Alois Gruber. 2. A. öl). Wien.
William Barstov v. Günther. Kin Lebensbild.
IS. Posen. Jolowicz.
K a i se r . C, Gustav Adolf. Kin christl. Helden-
leben. SD. Bielef.. Velhayen & Klasiny.
ltoir«j-e. B., Gustav Adolf- Büchlein. IHK
WitN'nliL'.. Hcrrosö.
v. StenL'lin. F.. Gustav Adolf, Köniir v.
Schweden. (Neue Volksbücher H. Vi).
HD. Berk. Kv. Vereinsbuehh.
Hase, K. v.. Ideale u. Irrthümer. Ju-j-end-
erinneruniren. ">. A. IX. 2.&0. Lpz.
Breitkopf.
Digitized by Goog
Mendhoim. M.. Hauffs Leben u. Werke.
Lp/... Jiihlioirr. Institut.
«iilhne. F.. Studien über Job. Peter Hebel.
."»4. Würz!«.. Stuber.
SrhiiMiiann. Tb.. Viktor Hehn. Kin Lebens-
bild. VIII. :Ms. St ir.. Cotta.
IManek. M.. Heinrich Hudolf Hertz. 2.!.
Lp/... Harth.
Fache, o.. Max Hirsch. Fin Bild s. Löbens
ii. Wirkens. 'Iii. Bremerhaven. Tienken.
Ohorn. A.. Andreas Hofer. (Sammlung v'«'-
meinnütziirer Vorträge, Urft 1S2.» 1">.
Pray. Hiirpfer.
Hoffmann v. Fallersleben. Mein Leben. In
verkürzter Form h«r. u. bis zu d. Dichter*
Tod«- fortgeführt v. H. <; ersten he rsr. Bd. 2.
VIII. 4-.il». Merlin. Fontane & Co.
.1. Lippcrt. 2'>.lahre des Streitens f. Volks-
bildung, .loset' Holzamer. (Sammlung ire-
nteinriiitzitrcr Vorträge. 11. isä. lsfj.) ;16.
Pia-. Hiirpfer.
Humboldt, W. v.. Briefe an (ieorjr Heimich
Ludwig Nieolovius. hir. v. U. Hayn». XI.
14«». Herl.. Felbcr.
Mann. IL. Ludw. S. Jacoby, d. 1. Prediger
d. bisch. Methodistenkirche v. Deutschland
u. d. Schweiz. XL 'IIA. Bremen. Traktat-
haus.
Schn1*,..'iss. F. (5.. Friedr. Ludw. lahn.
Sein Leben u. s. Bodciituny. Preistrekr.
Arlteit. i Bettolhcim. Ocistesholden (Füh-
rende Deister). It. 7.) VII. 10S. Herl..
Krn-t llofmann & Co.
«Jebhardt. lt.. Deutscher Kaiser-Saal, (losch,
d. deutschen Kaiser in Biographien. 2. l*t.
Lfir. Sty.. l'nion.
Fromm. F.. . Iiiunanuel Kant u. die preiiss.
Censnr. Neb>t kleineren Beitr. '/. Lebens-
ye-»ehichte Kants. Hamb.. Voss.
C a r I s ri n . Köniy Karls XII. eiyenhandiye I triefe.
Auf. deutsche Plicrs. v. F. Mewius.
XL VI II. 4.V.. Iterl.. Ueinier.
« i ra ii 1 . IL. Fritz August v. Kaulbach. 20.
Wien.
Itaecht nid. .1.. liottlried Kellers Leben.
Seine Briefe u. Tayebüehcr. lt. 2. VII.
."44. Herl.. Hesser.
Schäfter. <;.. Adolf Kolding, der «Jesellen-
vat"r. :t. A. VIII. 'VW. I 'aderb.. Schüninyh.
Krevenbcrir. <i.. Karl Theodor Körner.
Kin Lebens- u. Charakterbild. 2. A. V.
71. Dresden. Khlerniann.
Michels. F.. Theodor Körner. ir,. Kl)-.
Hartuny.
/im tner. IL. Theodor Körners Leben und
Werke. «Meyers Volksbücher Nr. UKW).
Somoyyi. F.. Ludwiy Kossuth. Sein Leben
u. Wirken. I\'. 214. Lp/... Wigand.
Deyenkolb. IL. Jobs. Fmil Kuntze. 11.
Lpz.. Hossbcry.
Seraphim. A.. Kur-Liv- Fstländor auf d.
Cniveis. Köniysltenr. Hiya.
Biblioyraphie. 125
Mayr. M.. Wolfynny Lazius als CJosehiehts-
scbreiber Ocsterre ichs. IV. 91. Innsbr.,
Wayner.
Brandes, C. Ferd. Lassalle. Kin litterar.
Charakterbild. A. V1L 100. Lp/..,
Jtarsdorl'.
v. Destouches, F.. Orlando di Lasso. Fin
Lebensbild /.. A. Centenarium s. Todestayes.
77. München. Lentner.
Hautr. F.. Aus dem Lavaterschen Kreise.
Proirr. IN'. 60. Schatfh.
Wilkens, A.. .lenny Lind. Fin Cäcilienbild
a. d. cvany. Kirche. 66. Cütcrslob. Bertels-
mann.
David Livingstone, d. yrosse Missionar u. Fr-
forscher Afrikas. (Kleine Hermannsburyer
Missionss« hriften Nr. 2.» :{6. I Icrmannsb.,
Missionsbuchh.
C. Oenelli. Leben d. h. Ignatius v. Loyola.
Stifters d. < lesellschaft Jesu. In neuer
Bearheituny hy. v. V. Kolb. XVI. 4«>4.
Wien. Mayer.
, < i u <: I i a . F.. . Kaiserin Maria Ludovica von
Oesterreirh. (Oesterr. Bibliothek B. :t.) XI,
HM». Wien. (Milser.
Dilirskron. <".. Lehm d. sei. (Jerard Majella,
Profoss u. Laienbruders d. Conyreyation d.
allerh. Filoscrs. .;. A. VIII. ">i>4. Dülmen,
Laumann.
Prölss. |{„ Küniyin Maria Antoinette. Bilder
a. ihrem Leben. III. 244. Lpz., Boissner.
Fürst. IL. Auyust < iott lieb Meissner. Line
Daist, s. Lebens ii. s. Sehr. m. (Quollen-
unter>uc|iutiiren. XV. :l."»6. Sty.. < Wischen.
Schllfer. IL. Philipp Melanchthons Leben,
a. d. Quellen daryestellt. VIII. 2SS.
< J iitersloh. Bertelsmann.
Keiner. .1.. Franz Anton Mesmer aus
Schwalten. Fntdecker d. thierischen Mayne-
tisinu-.. Krf.
(irimm. IL. Leben Michelangelos. VIII,
470. IV. 171. Her!.. Hess,.,-.
Mitscherlich, Kilhard. Frinnerunyen. V, 26.
Beil.. Mittler.
.Hilms. M.. IVl,ln.ai>.hal] Mottke. I.Theil:
Lehr- und Wander jähre. ( ( Jeisteshelden
| Führende «!eister|. Itd. 10. 11.) XVI. 2">1.
Beil.. Frnst llolmann \ Co.
Thomas Morus, Lordkanzler v. Fnyland. Fin
kl. Lebensbild d. irros-en Mannes. trezeich-
net v. e. Priester d. Fizdüi-eso Köln. Steyl.
v. Miilinen. W.. Bitter Kaspar v. MÜlinen.
Neujahr.-blatt d. bist. Vereins v. Bern.
Müllensiefen. P. . Julius Müllensiefen,
weil. Prodi ycr an St.. Marien in Berlin.
.51. Halle. Strien.
Niyyli. A.. Karl Munzinger. Biographien
schweizeiiseher Tonkiinstler. 2.\ Zürich,
Hu-
Fbelin-. A.. Napoleon III. u.sein Hof. Bd. :t.
2. A. :is4. Köln. Ahn.
v. II i'iissuii. M.. d. Kaiserl. Prinz.
(Napoleon IV.) XVI.ÖLS. Au-sb.. Beichel.
Digitized by Google
126 Riocrmphi
Zielinski. Th., August Mauck. Ein Bild
s. Trebens u. s. Werke. 05. Berl., Calvary.
Andreas -Salome. L.. Friedrich Nietzsche
in s. Werken. V. 203. Wien, Konegen.
Franz Nissel. Mein Leben. Selbstbiographie,
Tagebuchblatter u. Briefe. V, 310. Stg.,
Cotta.
N onnen mache r, F.. die h. Ottilia, Schutz-
patronin d. Elsasses. VII, 76. Strassb.,
Le Koux.
Kahl bäum. A., Theophrastus Paracelsus
70. Basel. Schwabe.
Altherr, A., Theodor Parker i. s. Leben u.
Wirken. IX, 404. St. Gallen, Wirth & Co.
Krebs. A., Kurze Lebensgesch. d. Dieners
Gottes P. Joseph Passerat, VIII. 124.
Dülmen, Laumann.
PelHco, S., Meine Kerkerhaft. Lpz., Bib-
liogr. Institut (Mevers Volksbücher Nr.
10:U 0. )
Pfau, F.. Krinnerungen e. Buchhändlers. 70.
Lpz., Pfau.
Keller. .1., Michael Traugott Pfeiffer, der
Musiker. Dichter u. Erzieher. IV, 139.
Krauen fei d, Huber.
Albrecht. K., .loh. Georg Pfranger. Sein
Leben u. s. Werke. Progr. 28. Wismar.
Pirogow, .7., Lebensfragen. Tagebuch e. alten
Arztes. (Bibliothek russ. Denkwürdigkeiten
B. 3.) IX, 500. Stg.. Cotta.
J. v. M., Zur Erinnerung an den Landrath
Josia-s v. Plüskow auf Kowalz. 15. Lud-
wigslust, Hinstorft*.
Plutarchs Biographien. Deutsch v. E. Eyth.
10. u. 20. Lfg. 3. A. Beil.. Langenscheidt.
Handmann, It.. Pakianada Pülleis Selbst-
biographie (Palmzweige a. d. ostind. Mis-
sionsfelde Nr. 8.) 3. A. 21. Lpz., Nau-
mann.
Ledderhose, F., Lebensbild Dr. Johann
Jakob Rambachs. Basel, Jäger & Kolter.
Pawlicki, S., Leben u. Sehr. Ernest
RenaiM. 53. Wien, St. Norbert u*.
Albrecht. Adam Ries u. d. Entwickelung
unserer Bechenkunst. (Sammlung gemein-
nütziger Vorträge II. 184.) 18. Prag,
Härpfer.
Panzer, F., Meister Rumzlants Leben u.
Dichten. Diss. 7(5. Lpz., Kock.
D i s s e 1 Ii o f f. J., Ernst Rietschel, der Schöpfer
d. Lutherdenkmals. 2. A. 72 S. Kaisers-
werth.
Gedenkschrift an d. 50. Geburtstag Peter
Rosegger8. 111. Graz. Lcykam.
Wahner, .1.. Dichtung u. Leben «I. Minne-
sangers Budolf v. Rotenburg. Diss. 114.
Greifsw.
Vogt. Th.. J. J. Rousseaus Biographie < Bib-
liothek plidag. Klassiker B. Ol CXX1V.
Langensalza. Beyer.
Leiten u. Tugenden d. ehrwürdigen Mutter
Maria Mechtilde v. Roziers. Ä. d. Franz.
IV. 110. Dülmen. Laumann.
che Blätter.
: Suppe, C„ Friedlieb Ferd. Runge, Prof. d.
Gewerbekunde. 15. Oranienb., FreyhotF.
I (Prieger, E.) Fr. Wilh. Rust, ein Vorgänger
Beethovens. Köln, Tonger.
Jonas, Schillers Briefe. Stg., Deutsche
Verlagsanst.
Müller, E., Schillers Mutter. E. Lebens-
bild. VIII. 208. Lpz., Seemann.
Johann Heinrich Schmölen aus Cassebruch.
E. Erstling unter den hannov. Missionaren
in Südafrika. ( Kleine Hermannsburger Mis-
sionsschr. H. 0 )30. Hermannsb.. Missions-
buchh.
Dübi, H., 2 vergessene Berner Gelehrte a.
d. 18. Jh. (Samuel Schmidt u. Friedr. Sam.
Schmidt.) Neujahrsblatt d. litt. Gesellschaft
in Bern.
Settegast, II.. Rosalie SchÖnfliess. Cha-
rakterbil»! e. deutschen Frau. 34. Lpz.,
Hesse.
Baur, W.. Lebensbild d. weil. 1. General-
superintendenten d. Prov. Sachsen Dr. th.
Leop. Schultze. 55. Magdeb., Baensch.
, Zum Gedächtnis an S. Leopold Schnitze. 20.
Magdeb., Heinrichshofen.
Graul, R., Hans Schwaiger, 13. Wien.
; v. (ieyso, A.. Feldhauptmann Siegfried
Schweppermann. E. biogr. Studie. 10. Berl..
Mittler.
Pater August Schynse u. s. Mission?reisen
in Afrika. VU1, .'WO. Strassb. Le Koux.
Seeland, L. , Erinnerungen a. d. poln. Revo-
lution v. 1830 1. (Bibliothek russ. Denk-
würdigkeiten Bd. 2. ) VII. 138. stg. Cotta.
Seidensticker, ().. Prof. an d. l'niv. v. Penn-
sylvanien. Ein Lebensbild. 72. i'hilad..
Schäfer & Koradi.
Piltz, F.. zur Erinnerung an Ferd. Senft in
Eisenach. 14. Jena, Mauke.
Brandl. A., Shakspere. (Geisteshelden. |Füh-
rende Geister.] B. 8.) VIII. 232. Berl.,
Krnst Hofmann & Co..
v. Bergmann. E.. Worte d. Erinnerung an
A. W. v. Hofmann und Werner v. Siemens,
14. Lpz. Vogel.
v. Siemens, W. Lebenserinnerungen. 3. A.
31 7. Berl., Springer.
Mark scheffel. K.. Leuthold Siegismund.
Sein Leben und Schäften als Arzt. Pädagog.
Dichter u. Volksschriftsteller. Progr. 54.
Jena. Mauke.
Bolin. \V„ Spinoza. Ein Kultur- u. Lebens-
bild, i Geisteshelden. | Kührende Geister.]
B. O.) VIII. 170. Beil.. Ernst Hofmann. & Co.
K n Ibeek. M..< harakteristik v. I )aniel Spitzers
Leben u. Werken. (Spitzer. Letzte Wiener
Spaziergange. ) XLV, 310. Wien. Litt,
G eselisch.
W i 1 h e I tu i . H .. Maurice Reinhold v. Stern, e.
socialdemokr. Dichter. 2(J. Gütersloh.
Bertelsmann.
Stolz, Alban, Kalenderschreiber f. Zeit u.
Ewigkeit. 2. A. 00. Steyi. Missions-
druckerei.
Digitized by Google
Biographische Bibliographie.
127
K 1 e i n e c k e. It., Johann Strauss ( Uni versalbibl.
f. Musiklitt. Hoft 8.) VI, 4«. Berl..
Schulz.
v. Strombeck, H., 50 Jahre aus in. lieben.
188. Lpz., «Grunow.
Herfurth, F., G. D.TeutSCh. 53. Hermann-
stadt Krafft.
t Thiköffer, J.) Jugcuderinnerungene. deutschen
Theologen. V., 278. Bremen. Heinsius
Nachf.
Nostitz-Riencek, R., Kpisode a. d.' Leben
den Grafen Leo Uran. Graz, Styria.
Krinnerungen a. d. Knaben- u. Junglings-
jahren e. alten Thüringer». 106. Lpz.,
Grunow.
Klee, G.. Hecks Leben u. Werke. (Mevers
Volksbücher, Nr. 1028 9.)
V. Tkaiac, G.. Jugenderinnerungen ans Kro-
atien. XV, 390. Lpz.. Wigand.
IMech anow, (!., X. G. Tschernischewsky.
K. litt.-hi.st, Studie. III. 388. St«:.,
üietz.
Daudissin, A., Peter Ttiti. Krlebnis.se e.
Schlesw. - holst. Offiziers in Nordamerika
1851— «1. Altona, Reher. VI, 273.
Frankel, L.. Ludwig Unlands Leben u.
Werke (Meyers Volksbücher Nr. 1038).
Haccius, G., Lebensbe.schr. d. Urbanus
Rhegius. (Rhegius, Seelenarzenei.) 82.
Hcnnannsburg.
Pestalozzi - Wiaer, R., Ijouis August
VeUton. Neujahrsblatt d. Künstlergosell-
scbaft in Zürich.
Henschel. A., Petrus Paulus Vergerius (Sehr.
f. d. deutsche Volk Nr. 20). 34. Halle.
Niemeycr.
Disselhoff, J., Lcbensgesch. d. Oberprasi-
denten Ludwig v. Vincke. 3. A. 62.
Kaiserswerth.
Becher, W.. Rudolf Vlrchow. K. biogr.
Studie. 2. A. IV, 110. Berl., Karger.
Kl Iis. A., 1849. Kin gesch. Rückblick z.
Rechtfertigung Riehard Wagners. Deutsche
AusgalM? v. Hans v. Wolzogen. 64. Lpz..
Reinboth.
Kngl. K.. Alois Walter. Kin Gedenkblatt.
11. Salzburg, Kerber.
Hoeber. K., Fr. Wilh. Weber. . . Leben
u. s. Dichtungen. 108. Faderb., SchOningh.
Keiter. H. . Fr. W. Weber, d. Dichter v.
J)ivizehnlindon'\ 4. Aufl. 64. Paderborn
SchOningh.
(Wedde. .T.) Wie kam Jobs. Wedde zur So-
zialdemokratie? 31. Hbg., Grüning.
Bofheim. W., Philippine Weiser. K. Schil-
derung ihres Lebens u. ihres Charakter-.
VI IL. 67. Berl., Lipperhcide.
Ftth. F.. Joh. Rudolf Wettstein. Neujahrs-
blatt, hg. v. d. Gesellsch. z. Beförd. d.
G uten u. Gemeinnützigen. 53. Basel.
Reich.
K a i nd 1 . F.. Franz Adolf Wickenhauser. ( Der
Buchenwald Nr. 7.) Czernowitz. Pardini.
Paulus. N.. Johann Wild, e. Mainzer Dom-
prediger d. 16. Jh. IV, 79. Köln. Bachem.
Hengst, II.. Unser Kaiser Wilhelm 25 Jahre
Soldat. 79. Berl.. Mittler.
Meister. Fr.. Kaiser Wilhelm II. VIII.
398. Berl.. Ernst Hofmann & Co.
v. S ten gl in. F.. Kaiser Wilhelm II.
Fahre
Soldat. Kleine Soldatenbibliothek H. 4.
94. Berl., Ev. Vereinsbuchh.
v. Wi lmow.sk i, G.. Feldbriefe 1870—71
v. Karl v. Wilmowski. 106. Breslau. Tre-
wendt.
Pruxa. M.. Hedwig Wolf. K. litt. Frauen-
gestalt Oesterreichs. 81. Wien.
Graf. N.. Prof. Dr. Rudolf Wolf 1876 93.
41. Bern. Wyss.
Schweizer, F., u. Kscher, H„ Georg v.Wyss.
2 Nekrologe. IV, 70. Zürich. Fäsi &
Beer.
v. Natzmer. E.. die Jugend Zinzendorfs im
Lichte ganz neuer (Quellen. XII. 264.
Eisenaeh. Wilckens.
Digitized by Google
1-28
Biographische Blätter.
Aus dem Stammbuch eines Biographen.
I.
Dieses scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in
seinen Zeit Verhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihm das (ianze
widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschen-
ansieht daraus gebildet und wie er sie. wenn er Künstler. Dichter. Schriftsteller
ist. wieder naeb aussen abgespiegelt. Hierzu wird aber ein kaum Krreichbares ge-
fordert, dass nämlich das Individuum sich und sein .Jahrhundert kenne, sich, wie-
fern es unter allen Umständen dasselbe geblieben, das .lahrhundert . als welches
sowohl den Willigen als Unwilligen mit sieb fortreisst, bestimmt und bildet, der-
gestalt, dass man wohl sagen kann, ein .leder, nur zehn .lahre früher oder
später gohoivn. dürfte, was seine eigene Bildung und die Wirkung nach aussen
betrifft, ein ganz Anderer geworden sein.
(Joethe: Dichtung und Wahrheit, Vorwort.
Litteratur ist das Fragment der Fragmente; das Wenigste dessen, was ge-
sehah und gesprochen worden, ward geschrieben; vom geschriebenen ist das Wenigste
übrig geblieben. Und doch bei aller Unvollstündigkeit des Litterarwesens finden
wir tausendfältige Wiederholung, woraus hervorgeht, wie beschränkt des Menschen
(Jeist und Schicksal sei. (ioethe: Sprüche in Prosa.
j_
Alle Menschen, von welchem Stande sie auch seien, die etwas Tugondsames
oder Tugendähnliches vollbracht haben, sollten, wenn sie sich wahrhaft guter Ab-
sichten bewusst sind, eigenhändig ihr Leben aufsetzen, jedoch nicht eher zu einer
so schönen Unternehmung schreiten, als bis sie das Alter von vierzi? .lahren
erreicht haben. Beuvenuto Cell ini.
Ich muss sogar, in Hinsicht auf die Krkenntniss des Wesens der Mensch-
heit, den Biographien, vornehmlich den Autobiographien, einen grösseren Werth zu-
gestehen, als der eigentlichen (iesebiehte. wenigstens wie sie gewöhnlich behandelt
winl. Theils nämlich sind bei jenen die Daten richtiger und vollständiger zu-
saminenzubHiiiren. als bei dieser, teils agiren in der eigentlichen (iesebiehte nicht
sowohl Menschen, als Völker und Heere, und die Einzelnen, welche noch auftreten,
erscheinen in so grosser Kntfernuiig mit so vieler Umgehung und so grossem (ie-
folire. dazu verhüllt in steife Staatskleider oder schwere uuhiegsame Harnische, dass
es wahrlich schwer hält, durch alles dieses hindurch die menschliche Bewegung
zu erkennen. Hingegen zeigt das treu ireschildcrte Leben des Kinzelnen. in einer
engen Sphäre die Handlungsweise der Menschen in allen ihren Nuancen und (Jo-
stalten, die Trefflichkeit, Tugeml. ja die Heiligkeit Kinzelner, die Verkehrtheit,
Krbärmlichkeit. Tücke der Meisten, die Ruchlosigkeit Mancher. Dabei ist es ja,
in der hier allein betrachteten Rücksicht, uiimlich in Metren"* der inneren Hedeutung
des Krscheineiiden. ganz gleichgültig, ob die ( iegenstände. um die sich die Handlung
dreht, relativ betrachtet. Kleinigkeiten oder Wichtigkeiten, Mauernhöfe oder König-
reiche sind: wie ein Kreis von einem Zoll Durchmesser und einer von 10 Millionen
Meilen Durchmesse!- die selben geometrischen Kigenschaften vollständig haben, so sind
die Vorgänge und die (iesebiehte eines Dorfes und die eines Meiches im Wesentlichen
dieselben; und man kajtn am Kinen. wie am Andern, die Menschen studieren um!
kennen lernen. Auch hat man Unrecht zu meinen, die Autobiographien seien voll
Trug und Verstellung. Vielmehr ist das Lügen (obwohl überall möglich) dort viel-
Digitized by Google
Aus dem Stammbuch eines Biotrraphen.
120
leicht schweivr als irgendwo. Verstellung bd J»n leichtesten in der blossen Unter-
redung; ja. sie ist. so ]>anulox es klingt, schon in einein Briefe im Grunde schwerer,
weil da der Mensen, sich selber überlassen, in sich sieht und nicht nach aussen, das
Fremde und Ferne sich schwer nahe bringt und den Maassstab des Eindrucks auf
den Andern nicht vor Augen hat ; dieser Andere dagegen, gelassen, in einer dein
Schreiber fremden Stimmung, den Brief Ubersieht, zu wiederholten Malen und ver-
schiedenen Zeiten liest und so die verborgene Absicht leicht herausfindet. Einen
Autor lernt man auch als Menschen am leichtesten aus seinem Buche kennen,
weil alle jene Bedingungen hier noch starker und anhaltender wirken; und in
einer Selbstbiographie sich zu verateilen, ist so schwer, dass es vielleicht keine
einzige giebt, die nicht im Ganzen wahrer wäre, als jede andere geschriebene
Geschichte. Der Mensch, der sein Leben aufzeichnet, überblickt es im Ganzen und
("i rossen, das Einzelne wird klein, das Nahe entfernt sich, das Ferne kommt
wieder nah. die Rücksichten schrumpfen ein; er setzt sich selbst zur Beichte und
hat sich freiwillig hingesetzt. Der Geist der Lüge fasst ihn hier nicht so leicht,
denn es liegt in jedem Menschen auch eine Neigung zur Wahrheit, die bei jeder
Lüge erst überwältigt werden muss und die eben hier eine ungemein starke
Stellung angenommen hat. Das Verhältnis* zwischen Biographie und Vblkergeschichte
lässt sich durch folgendes Gleichniss anschaulich machen. Die Geschichte zeigt
uns die Menschheit, wie eine Aussicht von einem hohen Berge die Natur zeigt;
wir sehen Vieles auf ein Mal, weite Strecken, grosse Massen, aber deutlich wird
nichts, noch seinem ganzen eigentlichen Wesen nach erkennbar. Dagegen zeigt
uns das dargestellte Leben des Einzelnen den Menschen so, wie wir die Natur
erkennen, wenn wir zwischen ihren Bäumen. Pflanzen, Felsen und Gewässern um-
hergehen.
Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. § ;">].
Hab* ich des Menschen Korn erst untersucht.
So weiss ich auch sein Wollen und sein Handeln.
Biographische Kunst.
Kennest du auch dich selbst und dein eigenes innerstes Schicksal?
Prüfe dich, eh du der Welt deutest ein Menschengeschick.
Auch eines sterblichen Mannes tiefinnerstes ewiges Wesen
Auszusprechen es bleibt sterblichen Lippen versagt.
Sinnend in Schauen vertieft, entdeckst du mit zweifelnder Ahnung,
Dass er so liebt', wie er litt, das« er so litt, wie er schuf,
Dass er so schuf, wie er starb an Werk und That und Krlebniss
Ahnest beglückt du das Ich. welches dies Lehen beseelt.
Jeglicher, kannst du malen dein Schau' n mit innigen Worten,
Fühlt es. so war dieser Mensch, dieser nur einzig allein -
Und doch muss, so dein Werk dir gelang, ein jeglicher 1 lorer
Meinen, du hal>est ihm nur seine Geschichte erzählt.
Alfred Freiherr von Berger: Gesammelte Gedichte.
Druck fchler-Uerlchtl«nnif.
Seite 58, Zeile 7 von oben, liee: Si. Marz 171)«* (statt 17<C>).
Verlag: Ernst Holmann k Co. in Berlin. Druck: Felaentreff & Co. in Berlin
Für die Redaktion verantwortlich: Or. Anton Bettel he im in Wien.
Unberechtigter Abdruck aus «iem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt,
übersetz ungerechte vorbehalten.
Biographische Blatter. I. 9
Digitized by Google
Goethe.
Preisgekrönte Arbeit.
600 Seilen Üroasokt&v. Mit einem Stahlstich.
Von
Dr. Richard JI. Beyer,
l'rivauiosent a. d. Unlvers. Berlin.
. r>roit>An<lig:o AuHtfab»'.
(Ausstattung der „GeiHteshelden".)
M. 7,20. Geheftet.
M. 9.60. Leinenband iroth u. blau).
M. 11,40. Halbfranzband (dunkel».
I. ü:iiit>fiii<lier<» A.iiwy:»»l>o.
M. 7.20. 6eheftet.
M. 8,20. Original-Leinenband
(seeBrfln und bordeaurot. mit
Medaillon).
M. 9. --. Halbfranzband (dunkel).
in Subskription auf zusammen 6 Hände der Sammlung „Oeistesholdeir M. 1,*JU billiger.
Ein Preisrichterkollegium, bestehend aus Schriftsteller Dr. Ad. Wilbrandt. Kegierung.s-
rath Professor Dr. A. K. Sehönbach, Schriftsteller Dr. Anton Bettelhcim u.a., hat dem
Werke den ersten Preis von :i< MH) Mark zuerkannt. Wie aus den nachstehenden Auszügen
aus Besprechungen hervorgeht, haben die Herren Preisrichter da.s richtige Urteil gesprochen.
Das Buch macht seinem Urheber und der deutschen Literaturgeschichte Ehre. Ks
ist fesselnd, persönlich, ohne Manier geschrieben, die Schöpfung eines selbständigen Kopfes,
einer gewandten Hand. Erich Schmidt in der „Deutschen Rundschau44.
Line deutsche vollwerthige Biographie Goethes gab es vor dem Erscheinen des Buches
von It. M. Meyer nicht. Alfred Biese im „Deutschen Wochenblatt44.
.... wir dürfen uns zu einer gelungenen deutschen Goethe-Biographie Glück
wünschen, die mit Iiecht einer Preiskrönung gewürdigt worden.
Wilhelm Boiin in der „Nation".
In der genauen Wiedergui w des Standes der Forschung kann sich keine andere
Goethe- Biographie mit der Meyerschen messen. Alexander Tille in der „Zukunft".
.... ein lebendig und fesselnd geschriebenes Buch, das eine Fülle von Anregungen
bietet und den Leser mehr befriedigt, als irgend eine der bisher von einem Deutschen ge-
schriebenen Biographieen des Dichters. Frhr. von Biedermann in der „Leipziger Zeitung44.
Und was nun wiederum erfreut, so nimmt des Verfassers Energie, seine Theilnahme
nicht, gegen den Schluss hin ab. sondern sie steigert sich. . . So sind die Schlusskapitel
des Buches zu ergreifenden Beden an die Nation geworden.
Ernst Goetzinger in den „St. Galler Blattern44.
In einer genaueren Besprechung werden wir lest zustellen haben, dass das Buch keine
der üblichen leichtfertigen Kompilutionen ist. sondern eine Arbeit, die auf der Höhe der
Forschung steht. Paul Schienther in der „Vossischen Zeitung44.
Unter den populär-wissenschaftlichen Goethe-Biographien wird das Buch für lange
den ersten Platz behaupten, und Absrhnitte. wie der über das Verhflltniss des < ioetheschen
und Schillcrschen Genies zu einander bedeuten eine Klärung und einen Fortschritt der
ästhetischen Rrkenntniss in jeder Beziehung. Neue Preussische (Kreuz-) Zeitung.
II. M. Meyers „Goethe" erfüllt die Anforderungen, die man an eine für das gebildete
deutsche Publikum bestimmte Biographic unseres grössten Dichters zu stellen berechtigt
ist. in der denkbar glücklichsten Weise. Ks ist eine Uicsenaufgahe. eine erschöpfende Dar-
stellung von Goethes Leben und Schaden zu bieten: Meyer ist es gelungen, sie zu lösen.
„Breslauer Zeitung44.
Ausgerüstet mit einer genauen Kenntnis* der Guethe-Litteratur. hat der Verfasser
in seiner Goethe-Biographie weit mehr geboten, als eine fleissige Gelehrtenarbeit. Wenn
seiner Zergliederung der Hauptdii htungen wie der kleineren Schriften Goethes auch durch-
weg die strenge Methodik der Schule Wilhelm Scheren» zugute kommt, so bezeugt, die
künstlerische Bewältigung des Kiesenstotfcs. dass der Verfasser durchtränkt ist mit dem
Geiste Goethes. „National-Zeitung" (Berlin).
Meyers Werk ist ersichtlich eine durchaus neue und selbständige, als Ergebnis* lang-
jähriger Studien von innen heraus erwachsene Schöpfung . . . Der Verfasser hat ein lebens- und
ausdrucksvolles, zu schöner Einheit sich abrundendes Gemälde entfaltet und da.s künstlerische
lliesenmaterial mit künstlerischer Hand auf dem knappen Baum eines einzigen Bandes be-
wältigt .. . Jede wichtige Thatsaehe. jede bedeutsame Wendung im Lebens- und Werdegang
Goethes ist in markigen Strichen geschildert, in ausführlicher Charakteristik und kritischer
Zergliederung aller Werke die emporsteigende Lntwickclung seiner Gedankenwelt aufgezeigt
u. s. w. Leipziger ..Illustrierte Zeitung".
Verlag von Ernst Hofmann & Co. in Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 122.
Digitized by Google
Digitized by Googl<
Oito v. Bismarck als Abiturient.
Von v. Kessel.
(Nach einer Photographie von Loe.scher & Pctsch in Berlin.)
Digitized by Google
Nach den Bi.smarcktagen.
130
Nach den Bismarcktagen.
Eine biographische Betrachtung.
Von
ERICH MARCKS.
Die Biographischen Blätter haben den 80. Geburtstag des Fürsten
Bismarek nicht schweigend an sich vorübergehen lassen wollen. Und gewiss
haben sie ihr besonderes Recht, dieses Mannes auf ihre Weise zu gedenken
und ihn für sich in Anspruch zu nehmen: sie dürfen es wohl empfinden
und ausdrücken, wie er nicht nur der vornehmste Gegenstand biographischer
Betrachtung ist, den unsere heutige Welt kennt, sondern zudem die lebendige
Rechtfertigung biographischen Denkens und Auffassens überhaupt. Das
letzte Jahrzehnt hat jawohl einen neuen Ansturm jener Auflehnung der
fessellosen Persönlichkeit erlebt, wie sie sich einst im Sturm und Drange,
in den Anfängen der Romantik, im jungen Deutschland gegen den Druck
der Regel, der Gesellschaft, der Masse erhoben hat. Aber die Führung
fordert, im innerlich schroffen Gegensatze zu diesem Extrem, doch allzu
sichtbar der soziale und sozialistische Geist für sich, der die Persönlichkeit
gering schätzt: eine aufstrebende Richtung auch unter den Historikern —
weniger die Meister sicherlich als die Lehrlinge — erklärt ihr den Krieg.
In diese Kämpfe haben die Bismarcktage ihr Wort hineingesprochen. Das
Wehen des Genius hat uns Alle wieder einmal berührt: in seiner einzigen
Fülle und Grösse stand wieder einmal der Mann uns dicht gegenüber, dessen
starke Wirkung einem Menschenalter selbstverständlich geworden war und
der nun nur noch aus der Ferne den Weitergang der Zeiten begleitet. Den
Tausenden, deren brausende Liebe ihn überall gefeiert hat, die er in Weihe
und Glut über ihr Alltagswcsen hoch emportnig. ist er das Symbol einer
unvergleichlichen Geschichte und das Symbol ihres Vaterlandes, ihres Staates
und ihrer Nation; bewnsst oder unbewusst ist er ihnen doch zugleich das
Sinnbild eines heroisch grossen Menschenthums. Ich denke mir, dass Kürst
Bismarck selbst der eigentlichen Heroenverehrung sehr kühl gegenübersteht:
er müsste weder der Christ sein, der er ist, noch der politische Genius, der
die Welt der Wirklichkeit zu durchschauen und anzupacken gewohnt ist
und der alle Kleinheit und Kleinlichkeit menschlicher Kämpfe in harten
Jahrzehnten immer wieder an sich und um sich erfahren hat, wenn er die
Daraonisirung sterblicher Menschen, die Konstruktion des schöpferischen
Genius nicht ein wenig belächeln sollte als Konstruktion, als mystische
Träumerei. Sollte dem so sein — den Historiker würde es dennoch nicht
beirren. Der Genius braucht von der Wunderart seines Wesens selber
nichts zu wissen: eine Wirklichkeit ist sie darum doch. Sie soll hier keines-
UioKraphische Blatter, f, 9*
Digitized by Google
131
Biographische Blätter.
wegs erörtert werden, etwa gar im Systeme — das wäre die Sache des
Vorlassers nicht. Nur dieses und jenes sei es ihm erlaubt in dieser
biographischen Zeitschrift andeutend zu berühren, was der 1. April 18i)ö
den Zeitgenossen Bismarcks vor die Seele rufen konnte und sicherlieh Vielen
vor die Seele gerufen hat.
Und da bleibt es doch der beherrschende Kindruck: wenn noch der
Wiederschein seines Abendrothes, wie er uns heute bestrahlt, unser Wesen
zu steigern scheint, wie gewaltig hat erst in den Stunden ihrer Vollkraft
die Sonne dieses Einzelnen sein Volk durchglüht! An den grossen histo-
rischen Inhalt dieses Lebens ist hier gar nicht zu erinnern: nur an die
eine Wahrheit, die Alle kennen, wie es eben «loch Sein Zeitalter war. was
hinter uns liegt, wie doch eben nach langer und wirrer Vorbereitung und
aus der halben Verzweiflung heraus nur er diese Zeit heran friss und zu
sich emporhob, Iiisend und erlösend und dann rastlos thätig in allumfassender
Arbeit, in Kämpfen, deren natürlicher (Jegensehlag Zorn und Widerstand sein
nuisste und deren würdigende Kritik hier keine Stätte findet, die aber fast
alle schöpferisch gewesen sind und alle gipfelten in ihm. Über all den ver-
worrenen Kräften hat. seit sie überhaupt an das volle Licht trat, diese eine,
höchste, persönliche aufrecht gestanden: in ihr fand alle Bewegung der
Epoche zuletzt ihren stärksten Ausdruck, mit ihr musste sich Alles aus-
einandersetzen, sie schliesst die Einheitsbestrebungen der Vergangenheit ab
und beschreitet als rnhrerin die Hahnen neuer, innerlicher Aufgaben der
Zukunft. Zeiten, die derart ein gewaltiger Einzelner überragt, pflegen der
Nachwelt in einheitlicher und dämonischer Beleuchtung dazuliegen: kein
Zweifel, dass dereinst auch die Epoche Bismarcks sich ihnen einreihen
wird. Wir sind ihr noch zu nahe, als dass sich ihr Lebensinhalt bereits
so in einfache Können zu gliedern und der gemeinsame Zug klar auszu-
prägen vermöchte, und ahnen nur erst, wie auch in vielen Erscheinungen
der Kunst und des (iedankens die Eigenart und die Einwirkung der be-
herrschenden Persönlichkeit sich wiederholt, wie dieser harte Lehrer des
Staatsbewusstseins und der Staatsmacht mitten in seinem Ringen für die
soziale Idee zugleich auch, durch sein Dasein selber, das subjektive Leben
befruchtet haben muss.
Man hat längst der Verwandtschaft Bismarcks mit den zentralen Menschen
früherer Zeiten nachgespürt. Das ist. wenn es richtig geübt wird, nichts
weniger als eine Spielerei. Die wechselseitige Aufhellung von Vergangen-
heit und (legen wart, wo jedesmal das Verständniss der einen durch die,
Kenntniss der anderen gew innt, gilt ja durchaus auch für die grosse Per-
sönlichkeit. Wie viel unmittelbarer schauen wir. die wir das Walten des
Einen, die unwiderlegliche Thatsache eines grossen Daseins mit all ihren
erleuchtenden Lehren vor Augen gehabt haben, das liild der Älteren, ihrer
Wirksamkeit wie ihres Wesens! Selbst wo wir im (iroben nichts Neues
für ihre Auflassung gelernt hätten, hat sich unser Verhältniss zu ihnen ver-
Digitized by Google
Nach den Bismarcktagen.
132
tieft und belebt. Die Geschichte der Geschiehtsehreibuug und der Gc-
schielrtsbetrachtung wird einst davon zu reden haben. So ist es ausgesprochen
worden, wie Friedrichs des Grossen innere Staatspolitik, sein .Merkantilismus,
erst wieder ganz lebendig begriffen worden ist, seit Bismarck in den
siebziger Jahren seine neue Wirtschaftspolitik eröffnete. So hat es sich
angedrängt, wie vielfältig die Linien der späteren Jahrzehnte Friedrichs
denen der Zeit nach 1871 parallel laufen, und man wird der feineren
Eigenthümliehkeit der beiden Gewaltigen nicht leicht besser nahekommen,
als wenn man den erstaunlichen Ähnlichkeiten des greisen Königs und des
preisen Kanzlers und zugleich den tiefen Abweichungen ihres inneren
Lebens nachgrübt. Ks ist überaus interessant, sich die Unterschiede der
luMung und Stellung, der Bewegungsmöglichkeit, und auch der Kmpfindungs-
weise zu vergegenwärtigen, die zwischen dem gekrönten absoluten Könige
und dem einfachen märkischen Edelmanne mit seiner durch die Verhältnisse
gebundenen Herrschernatur schon durch die Geburt bedingt waren; politisch
und psychologisch wird es ja eines der anziehendsten Probleme sein, das
dadurch charakteristisch beleuchtet würde, das Problem des innerlichen Ver-
hältnisses dieses (oder auch jedes) majestätischen Dieners zu seinem Fürsten-
hause. Und wie überraschend vollends klingen die ersten grossen Aktionen,
mit denen sich die drei staatsmännischen Bildner der preussischen Gross-
inaclit in die europäische Welt eingeführt und in ihr durchgesetzt haben,
an einander an, die Politik des grossen Kurfürsten im nordischen Kriege,
Kiedrichs 11. in den schlesischen Kriegen, Bismarcks in Schleswig-Holstein!
Man kann die Anfänge des Mannes hinzunehmen, den man oft, schon von
der äußerlichsten Anschauung aus, den französischen Bismarck genannt hat
und dessen Geschichte und Gestalt wirklich, bis in das Tiefere hinein, für
die unseres Reichsgründers überaus fruchtbar sein können, ich meine das
Spiel Richelieus mit den protestantischen Mächten um lG*2ö. Es kommt bei
alledem nicht darauf an, den Einen mit dem Anderen seinem Wert he nach
abzumessen — obgleich Bismarck auch das vertragen würde*) — : der
Gewinn der Vergleichung ist sachlicher, ist, wenn man das viel missbrauchte
Wort benutzen will, wirklich wissenschaftlicher Art. Und dichter noch an
den Kern der Persönlichkeit führt es heran, wenn man mit Bismarck die
im vollsten Sinne germanischen Genien zusammenhält, Oliver Cromwell,
Martin Luther. Wir Deutschen haben das Glück, den vier Männern, die
uns die entscheidenden Bewegungen unserer neueren Geschichte verkörpern,
Luther, Friedrich, Goethe und Bismarck, weit in die vertraulichen Äusse-
rungen ihrer Seele hineinblicken zu dürfen, wir besitzen die Fülle ihrer
Briefe, ihrer Gespräche. Und augenscheinlich sind es da der Bauernenkel
*> -Wie denn auch der grOsste Bewunderer des grossen Kimii's nicht wird laugnen
wollen, da«* Friedrich als Staatsmann in Bismarck den Mei>ter gefunden hat", urtheilt der
Historiker Friedrichs (K. Koser, Fürst Bismarck. Bede. Bonn 189*2. S. 20». indem er an
die Durchführung des Friedensprograiumes seit 1*71 erinnert.
9**
Digitized by Google
133
Biographische Blatter.
und der Gutsherr, die einander über die Kluft der Zeiten hinweg die Hände
geben und deren Eigenart am breitesten und am tiefsten in den allereigensteu
Besitz des germanischen Volksthumes hineinreicht: nur eben der englische
] .andedelmann könnte sich ihnen als Dritter zugesellen. Ich will hier nicht
wiederholen, was man von der ' ungetheilt einheitlichen, erdentsprossenen,
grossartig elementaren Weise des Bismarekschen Genius oft beobachtet hat;
ein geistreicher Historiker hat meinen wollen, um seines Gleichen zu linden,
müsse man in die naiven Jahrhunderte des hohen Mittelalters hinaufgreifen.
Mir scheint doch immer Luther der eigentlich Verwandteste zu sein. Nicht
im Werke allein weil Keiner uns so Unvergleichliches geschenkt habe
wie sie, weil im Urthcile Uber keinen Dritten sich der Gegensatz der
Geister so unvermeidlich und sichtbar scheide; am meisten in der Grund-
lage der Individualitäten selbst. Denn wohl sind der Verschiedenheiten
ganz gewiss viele, und wieder tritt gerade, wenn man die beiden an einander
erleuchtet, jede Besonderheit erst doppelt stark heraus, auch im Persönlichsten:
neben dem vornehmen Manne, dem sicheren Aristokraten, der auf den Höhen
zu schreiten gewohnt ist. und neben dem Diplomaten des politischen Jahr-
hunderts mit seiner schwertesscharfen Beherrschung jedweden weltlichen
Kampfesmittels, mit seiner souveränen und durchdringenden Erfassung der
Welt, der Macht, der härtesten Wirklichkeiten, der knorrige Reformator, der
das theologische Zeitalter gebildet und vertreten hat wie kein anderer, der
die Klugheit dieser Eide so gering hielt und sie so wenig erlernt hat. dass
er gerade dann seine Unfähigkeit zu ihr am derbsten an den Tag legt,
wenn er ,,als ein roher »Sachse und ein Bauer" einmal recht bitter weltklug
sein und sich „einer guten starken Lüge" vermessen möchte. Trotzdem
sind diese zwei Naturen einem und demselben ^iiell entströmt. Schöneres ist
nie Uber Martin Luther gesprochen worden, als die ergreifenden Sätze in
H. v. Treitschkes 1S83 er Gedenkrede,*) die in Luther die Verkörperung
..des innersten Wesens seines Volkes'* feiern und die Gegensätze zermalmenden
Zornes und einfachen Glaubens, hoher Weisheit und schlichter Einfalt,
tiefsinniger Mystik und strahlender Lebenslust, ungeschlachter Kampfes-
freude und zarter Herzensgüte, die Gegensätze riesenhaft sclbstbcwusster
Kraft und selhstentäussemdcr Demuth in diesem „ungeheuren Menschen"*
einfach in dem Bekenntniss autlösen: da ist für uns kein Räthsel, das ist
Blut von unserem Blute. Fast jedes Wort dieser Charakteristik trifft
Bismarck zugleich. Und vielleicht nirgends wird man so deutlich, als wenn
man dieses Paar zusammennimmt, das Verhältniss der persönlichen Kraft
des höchsten Genius zu den ausserhalb wirkenden Kräften der Zeit an-
schauen können: seine naive Selbstherrlichkeit und wenn man will. Selbst-
sucht, die Durchsetzung seiner Persönlichkeit, den Emen zum Jubel und
den Anderen zum Ärgcrniss: wie der riesige Einzelne - - natürlich nur
*) Luther und die deutsche Nation '25 f. (ainh IV. .Jahrb. Rd. 52).
Digitized by Google
Nach den Bismarcktagen.
134
wenn er im innerlichen Zusammenhange, im Bunde mit den Ideen und
Idealen, den tiefen Bedürfnissen der Epoche steht — auch auf die Ideen
zurückwirkt, sie weiterbildet, befruchtet oder auch zersetzt, durch die
Macht seines, Daseins, seiner Führung. Wie Viele haben das an dem Luther
wie der Mannesjahre so der Greisenjahre, wie Viele an dem Bismarck der
letzten Jahrzehnte bekämpft und beklagt! .Jene zwei aber sind dem An-
triebe ihres Wesens gefolgt; sie schweben mit weitgebreiteten Flügeln über
dem Volke, dem Zeitalter; zu Heil oder Unheil oder beidem — aber sie
wirken tief und beherrschend in alles Leben hinein, auch kein Einzelner kann
an ihnen vorbei, Jeder muss mit ihnen abrechnen, in Gegnerschaft und Hass
oder in ehrfürchtiger Liebe. Und was auch die Feinde oder die Maassvollen
und die Weisen über den Sturmwind urtheilen mögen, der die Welt so
erschütternd durchbraust: krank und halb bleibt die Zeit doch, die für die
grössten Aufgaben ihres Lebens den Genius nicht gefunden hat.
Indessen das Alles sind Betrachtungen, die Manchem banal, Manchem
phantastisch vorkommen mögen, jedenfalls nur Hinweise auf allerlei Ge-
dankenketten, und nicht mehr. Fragen von anderer Art noch stellt das
Fest, das wir erlebt haben, an den Historiker. Wie hat die Geschichts-
forschung* diese Tage gefeiert? Wieviel aus dem unerschöpflichen Inhalte
dieses achtzigjährigen Daseins liegt uns heute bereits in deutlicher Darstellung
oder doch in wohlbearbeiteten Stoffsammlungen vor Augen?1)
Natürlich: nur Vorläufiges können wir, namentlich auf dem Gebiete
der Darstellung, heute bereits besitzen und fordern. Um Bismarck mit
historisch richtigem Augenmaasse zu sehen, dazu haben wir den Kiesen
eben noch zu dicht vor uns, seine Gestalt wie sein Werk werden sich erst
späteren Geschlechtern in die lange Reihe der Entwickelung regelrecht ein-
ordnen. Aber wie eine jede künftige Generation ihn wieder mit anderen
Augen schauen, ihn nach anderen Dingen fragen, das Problem seines
Daseins neu ergreifen wird, so müssen auch wir ihn unvermeidlicher Weise,
von unserem heutigen Standpunkte her, betrachten und müssen uns die grosse
Erscheinung auch bereits zu deuten suchen. Wir haben dabei den Vorzug des
unmittelbaren Mitempfindens, in welchem keine Nachwelt, so viel günstiger
sie sonst auch gestellt sein mag, die Zeitgenossen ganz erreicht. Auch dem
späteren Historiker bleibt die zeitgenössische Biographic für das Wesen
des Dargestellten und für das Verhältniss seiner Mitwelt zu ihm eine
unersetzliche Quelle. An Äusserungen der Mitlebenden über Bismarck,
auch an Biographieen wird dieser Historiker nun wahrlich nicht Mangel
leiden: aber ein Buch, das ihm als „die" zeitgenössische Darstellung Ottos
von Bismarck erscheinen könnte, giebt es meines Wissens bisher noch
nicht. Den grössten Werth von Allem, Avas heute vorliegt, wird ihm viel-
l) Einige Bemerkungen bereits in der .Zukunft" vom 30. Marz 1S!)5 (S. 620 ff)
Digitized by Google
J35
Biographische B lütter.
leicht Hesekicls Buch vom Grafen Bismarck behalten, das den eben Ent-
deckten im Jahre 1M>9 warm und naiv geschildert hat, und dessen gesegneter
Eigenmächtigkeit wir die „Bismarckbriefe" verdanken, bis zum heutigen
Tage unter allen persönlichen Zeugnissen dieses reichen und schlichten
Seelenlebens das tiefste und schönste: Tausende haben daraus das gefühls-
mäßige Verständnis* für das Innere dieser Natur geschöpft, deren dämo-
nischer Gang sich ihrem begreifenden Verstände so manchmal entzog.
Andere Schriften, von Küssler und Bamberger an, haben Bismarck und
seine Politik immer wieder zu erläutern gesucht; Lebensbeschreibungen sind
einander gefolgt, etwas innerlich Grosses findet sich darunter nicht. Die
umfassende Erzählung von Hans Blum (Fürst Bismarck und seine Zeit,
seit 1N94 erscheinend) ist doch mehr breit als tief und eigen. Die englische
Darstellung von Charles Lowe (die ich in der bis 1890 geführten Über-
setzung von Witte gelesen habe: Fürst Bismarck, eine historische Biographie.
Leipzig, G.Wigand 1894 M hat das Lob sachkundiger Kritiker gefunden: ich
bedauere, mich ihm bei aller Hochachtimg doch nicht ganz anschliessen zu
können. Es ist ein nüchtern verständiges und dabei wohlwollendes Buch,
und als die Kundgebung eines Ausländers dem Deutschen lehrreich, aber
weder im Stoffe noch etwa gar im (-»eiste dringt es tiefer, und für eine
Biographie - ich denke mit Freuden an Alfred Doves Abhandlung im
eisten Hefte dieser Zeitschrift — kann ich es trotz seines einschränkenden
Titels ganz und gar nicht halten. Die kleinen Festschriften zum 80. Geburts-
tage - populäre Lebensbilder wie das von B. Kogge — werden ihren
Zweck gewiss erfüllen: hier sind sie nicht anzuführen. H. v. Sybels
„Begründung des deutsehen Reiches" hat H. Kohl (in seinem Littcratur-
berieht. Bismarekjahrbuch I, 499) ..gleichzeitig die beste Biographie
Bismarcks" genannt. Lud das Eine, Wesentliche ist an diesem l'rtheil
richtig, dass wirklich Sybel zuerst eine, oder auch: die entscheidende Kraire
aus Bismarcks bedeutsamster Wirkenszeit scharf und klar in s Auge gefasst
hat: die Frage nach den Absichten, mit denen er 1862 sein Ministerium
antrat, nach der eigentlichen Natur seiner Staatsmannschaft. Kam er mit
fertigem deutschem Biogramme? Hat überhaupt der wahre Staatsmann ein
genaues Programm, das er nun durchführen will? Wieweit meistert und
leitet er die Dinge, wieweit folgt er ihnen nur nach? Die Betrachtung
seiner fertigen Thaten zeigt, dass er Einen Weg gegangen ist. Musste er
diesen gehen? Wollte er es? Lagen nicht viele Wege vor ihm und war er
nicht vielleicht bereit, sie alle zu gehen, je nach den Ereignissen? Hätte
er nicht vielleicht sogar ein anderes Ziel, ein niedrigeres, für genügend
erachtet, wählend wir zurückschallend jeden seiner früheren Schritte un-
willkürlich bereits auf das eine Ziel beziehen, das er wirklich zuletzt er-
reichte? Das sind psychologische Fragen, die über den einen Fall hinaus
l) Ich >«'lif nacht ili-luh. da>* da» Original (..iss,j) immerhin woher greift.
Digitized by Google
Nach den Bismarck ta<.'cn.
13«;
für die allgemeine Auffassung des Staatsmannes, ja des Genius über-
haupt — ihr Interesse haben; Sybel hat sie mit meisterhafter Feinheit
erörtert. Bismarck selber hat es ja oft abgelehnt, dass ein Staatsmann im
Stande sei, die Geschichte zu machen: abzuwarten, aufzupassen, sie zu
vollziehen sei die einzige Aufgabe. Das hat er in immer neuen Formen
ausgedrückt, am wuchtigsten vielleicht in einem erhabenen Bilde ganz
bismarckischer Art, das er. wenn ich recht berichtet bin. einmal im
(iespräch gebraucht hat, etwa so: man kann nicht selber etwas schaffen:
man kann nur abwarten, bis man den Schritt Gottes durch die Ereignisse
hallen hört; dann vorzuspringen und den Zipfel seines Mantels zu lassen
— das ist Alles. Freilich, so wird man hinzusetzen dürfen, das ist auch
ziemlich viel! Das kann nur, wer den Schritt Gottes zu hören vermag,
d. h. wer gut weiss, was er selber für das Gebot und Ziel der Dinge hält:
er" muss mit dem feinsten Sinne für das im Augenblick Mögliche und Not-
wendige, und der Bescheidung auf das Erreichbare allezeit zugleich das helle
Bewusstsein des Hohen und Letzten, das er erstrebt — und somit doch
auch eine schöpferische Geistesart verbinden. Desshalb wird die streitende
und prüfende Forschung nicht aufhören, doch stets wieder die letzten Ge-
danken des grossen Staatsmannes zu suchen, und jede vertiefte Kcnntniss
seines ganzen Wesens und seiner ganzen Entwickelung wird doch immer
wieder die Fragen auch für die Deutung seiner einzelnen Bestrebungen und
seiner einzelnen Thaten neuer und tiefer stellen.
Auf diesem eigentlich persönlichen Gebiete aber liegen noch offene
Probleme die Menge: Keiner ist ihnen bisher so, wie H. v. Sybel jenem
staatsmännischen Probleme, auf den Leib gerückt. Die Stadien der per-
sönlichen Entwickelung Bismarcks hat man, über das Handgreifliche hinaus,
noch kaum angefangen recht zu untersuchen, und hat es wohl auch nicht
thun können. Welch ein Reichthum gewaltiger Aufgaben! denn gewiss,
dieses Leben umspannt äusserlich und innerlich das ganze Jahrhundert,
von jener Stunde an. da am 1. April 1815, mitten in den hundert Tagen,
sich der Purpurmantel des politischen (ienius. der Kapoleons Schultern
entsank, über die märkische Wiege des Kindes breitete, das dereinst grösser
werden sollte als jener. Wir wissen noch wenig von den persönlichen Be-
dingungen, unter denen Bismarck aufwuchs, sein Biograph hätte diese
ganze Welt erst zu erwecken und ihn selber aus ihr. innerhalb ihrer, im
Gegensätze zu ihr zu begreifen: die Welt seines Geschlechtes und seiner
Eltern, die Berliner Umgebung, die Einflüsse der Grossstadt und zumal
die des Landlebens, all das Ererbte und Altpreussische. das In ihm persön-
liche Gestalt gewann und behielt und sich in ihm weiterbildete und über-
wand. Heute führt da noch jeder Schritt ins Dunkel, in der Vorgeschichte
Bismarcks wie in der Geschichte seiner inneren und äusseren Bildung. Wann
und wie traten ihm die Probleme und Gewalten zuerst in den Weg. denen
später seine Lebensarbeit gehört hat? Wir erfahren aus seinem Munde, dass er
Digitized by Google
137
Biographische Blätter.
gutdeutsch gesinnt die Universität bezog. Wie lange behielt dies Ideal
in ihm die Oberhand? Derjenige Mann, der unter allen Lebenden zu der
zeitgenossischen Bismarckbiographie, wie ich sie vermisst habe, der eigent-
lich Berufene wäre, und der sie uns bei seiner Art doch wohl auch beinahe
ganz ersetzen wird, wenngleich nur im Zusammenhange seines allgemeineren
Werkes — Heinrich von Treitsehke hört aus Bismarcks Beden auf dem
Vereinigten Landtage von 1847 das laute „Deutschland über Alles"
heraus.*) Ich weiss nicht, ob mit Becht. Ich denke mir nach Allem, was
uns vorliegt, schon den Bismarck jenes Jahres als den ausschliesslichen
l'reussen. Und so würde man hundert Schwierigkeiten berühren können:
die Entwickhing der philosophischen und religiösen Weltanschauung Bis-
marcks inmitten der Strömungen seiner Jugend, und ihr Verhältniss zu seiner
Staatsmannschaft ; späterhin die Stellung zu seinem Könige mit ihren einzig-
artigen inneren Gegensätzen, die doch stets wieder ihre höhere Lösung fanden,
und zum Konflikt; die lange Vorgeschichte seiner wirtschaftlichen und
sozialen Politik, und Anderes mehr, ganz abgesehen von der Überfülle an
strittigen und unbekannten Einzelheiten, die noch wichtig genug sind.
Alle Welt weiss, dass die Zahlen 1847 und 1851, 1859, 1862, 180«, 1870,
1878 Stufen in Bismarcks Lebensgange bezeichnen, Veränderungen seiner
Wirksamkeit, mannigfach auch seiner Ansichten und Absichten; dass er sich
immer entwickelt habe, hat er selber oft und mit stolzer Bescheidenheit
betont. Es ist das Merkwürdige in diesem Emporsteigen, wie er stets genau
den ganz bestimmten und begrenzten Kreis ausfüllt, den er eben einnimmt,
wie er als Breusse unmittelbar nichts erstrebt als preussische Zwecke
allein; aber sogleich im Kampfe von 1866 wächst er über diese Zwecke
weit hinaus; er erhebt sich immer höher und höher und wird zum In-
begriff der deutschen Nation. Wieweit lag das Spätere bereits im Früheren
vorgebildet? Wieweit ist anderseits der Reichskanzler, der Deutschland und
die Welt überragt, doch immer noch der Breusse, der Konservative, der
Landedelmann seiner früheren Tage? Alles Fragen, die aufzuwerfen selbst-
verständlich ist und deren Beantwortung vielleicht sehr einfach erscheint.
Man versuche sie immerhin! Es Hesse sich noch Mancherlei anschließen.
Reizvoll wird es sein, den Eindruck und Einfluss näher nachzuweisen, den
Bismarcks Erscheinung und Wirksamkeit auf seine Zeit, auf die politische
Anschauung und Methode insbesondere der Deutschen geübt hat, auf ihre
Weltanschauung überhaupt. Dem Biographen wird über dieser mehr ob-
jektiven innner jene subjektive Seite, die Wandlung des Helden selber, das
Wichtige sein. Wie wird Fürst Bismarck selber uns darüber belehren?
Seine Denkwürdigkeiten liegen, so vernimmt man, fertig da; sie sind mit
peinlicher Sorgfalt wieder und wieder durchgearbeitet worden. Werden sie
*l „Alter so kühn, so sicher, mit einem solchen Teutonen trotze wie dieser verrufene
niHrki-elie Junker *;i<rte doch Niemand sonst: Deut- hland iilier Alles!" (Deutsche beschichte
V. H;if>).
Digitized by Google
Nach den Bismarcktagen.
138
jene Fragen seines inneren Werdens behandeln, und wenn das, sie lösen?
Oder werden sie, wie es die besten Selbstbiographieen zu thun pflegen,
neben vielem bedeutsamen Lichte zugleich neue Zweifel schaffen, ein neues,
grosses, innerliches Problem allen bestehenden noch hinzu fügen?
Vorläufig stehen wir in allen innerlichen Hauptsachen kaum am Beginne
der Erforschung dieses Lebens. Und dennoch strömen dessen Zeugnisse,
gewaltige Thaten, die wir gesehen haben und die unsere Welt gestalten
halfen, gewaltige Schriftwerke, aus denen die Thaten und ihr Vollbringer
unvergänglich reden, in breiten Wogen vor uns dahin. Auch ehe wir
seine (ieheininisse durchdringen können, dürfen nnd sollen wir — das
versteht sich von selbst — uns an dem Reichthum seines Wirkens und
Wesens nähren, wie er in der Masse seiner Lebensäusserungen vor uns
ausgebreitet liegt. Nicht etwa ein Überblick über all die Quellenwerke,
die wir bereits besitzen, soll hier versucht werden.*) Nur auf die Ver-
öffentlichungen sei noch hingewiesen, die sich zu diesem Gedenktage ein-
gestellt haben. l>a hat Herr v. Poschinger verschiedene Sammlungen dar-
gebracht (Kürst H. und die Parlamentarier Bd. 1. und IL; die Ansprachen
des F. B.; neue Tischgespräche und Interviews): nicht eben kritisch ganz
zuverlässig oder durchgearbeitet, aber immer eine sehr angenehme Be-
reicherung des Stoffes. Da hat hauptsächlich Horst Kohl, der mit dem
rastlosen Fleisse des Sammlers und der vollen Ergebenheit einer selbst-
losen Treue überdies die erwünschte Schulung wahrhaft wissenschaftlicher
Arbeit vereinigt, seine monumentale Ausgabe der Politischen Reden des
Fürsten Bismarck mit dem zwölften Bande zum Abschluss geführt: das
stattlichste und bleibendste aller (iesehenke, das seinen unvergleichlich werth-
vollen Stoff, ein erstes Meisterwerk unserer Litteratur, zum ersten Male in
iL'anz würdiger Form, in der möglichst reichen und sicheren Gestalt dar-
bietet. Kohl hat daneben sein Bismarckjahrbuch begonnen, welches den
Mittelpunkt künftiger Forschung zu bilden bestimmt ist; es veröffentlicht
Urkunden und Briefe sowie Abhandlungen zur Geschichte des Staatsinannes
und somit zugleich zur Geschichte seiner Zeit, und will alljährlich die neuen
Äusserungen des Fürsten in einer Chronik zusammenstellen. Ich glaube, dass
man das Unternehmen nur freudig begrüssen kann. Kinige Mängel des ersten
Anfanges, wie sie dieser Band neben vielerlei Schönem wohl aufweist, kommen
kaum in Betracht; wie glücklich aber, wenn wirklich ein Organ besteht, das
aus den Schätzen des Bismareksehen Archives so viel als nur möglich an das
Licht fördert und das wohl auch manchen Anderen, der Bisniarcksche Papiere
*) loh verweise auf das nützliche bibliographische Händchen „Bismarrk-Litte-
ratur*. das die Leipziger Buchhändler 1\ Schulze und 0. Koller (Leipzig, (iraeklauer,
1*9*>. 70 S., M. 3) soeben herausgegeben haben und da.s man mit Dank hinnehmen wird,
obwohl sich gegen Einteilung und Auswahl der Schriften und allerhand Einzelnes, sowie
?egen die Vorbereitung der Verf. zu ihrem „nicht nach Autopsie", einseitig buchhändleri-ch,
gearbeiteten Werke naturgemäß mancherlei einwenden Hesse.
Digitized by Google
VW)
Biographische Blätter.
besitzen mag. zu deren Herausgabe ermuntern wird! Eine jede Gabe werden
wir ihm danken. Und der Gegenstand ist - wie unser Bedürfnis* —
doch wohl wirklich gross genug, um die anspruchsvolle Form eines eigenen
Jahrbuches zu ertragen. Dass Fürst Bismarck selber, wie man erfahren hat.
dem Plane abhold war, ist schon: möge Horst Kohl, mit seines Helden
freigebiger Hülfe, die Hedenken, die jener erhob, und die Bedenken der
weisen Leute, denen die Thatsache des Jahrbuches selber einen gefährlichen
Heroenkult bedeutet, durch glückliche Leistungen vollends überwinden!
Inzwischen hat der Fürst seinen Herausgebern in erfreulicher Hart-
herzigkeit ihre Sammlungen wieder unvollständig gemacht. Der Meister
des Tischgespräches und der Rede hat in diesen wundervollen Festtagen,
auf dem Erdenwinkel, dem sein gastlich einfaches Haus und seine Gestalt
den Weltruhm verliehen haben, in unerschöpflich vielseitiger Spannkraft
Woile gesprochen, aus denen die Feier erst ihre höchste Weihe empfing:
für jede Ansprache eine eigene Antwort, leise und laute Mahnungen an
den Höchsten und an den Geringsten, und über allem der stille Zauber
ehrwürdigen Greisenthums, von dem so Mancher nicht gedacht haben wird,
dass diese stürmische Seele es je erwerben werde. Der alte Kämpfer, der
noch jetzt so gern seine Gedanken warnend und tadelnd in das staatliche
Leben hinaussendet, hat hier in reiner Betrachtung auf sein Dasein und sein
Werk zurückgeblickt, im Scheine seiner Abendsonne — so hat er es selber
ja gesagt — , die ihm die Höhen golden verklärte, zu seinen Füssen eine be-
ruhigte Welt. Er hat mit Bescheidenheit seiner Thaten, mit Liebe seiner
Mitstreiter gedacht, mit Gerechtigkeit seiner notwendigen Gegner; er, den man
so oft angeklagt hat, als ob er ein Verächter der Ideen sei, hat eindringlich
auf die geistigen und sittlichen Gewalten hingewiesen, deren Diener auch er
sich bemüht hat zu sein. Es drang manchmal ein Klang von leiser Wehmuth,
von der Resignation des Achtzigers und des einsam Übriggebliebeneu hin-
durch, aber das Auge richtete sich immer wieder empor, mit heller Zuversicht,
mit unzerstörbarem Glauben an sein Werk, sein Volk, an die Zukunft. Fast
genau hätte man das alles in goethisehen Worten wiederzugeben vermocht.
Tn den Tagen des schmerzensreichen Überganges aus dem grossen
litterarischen Zeitalter in das grosse politische hat in einem Werke, das
jetzt gerade ein halbes Jahrhundert alt ist, seiner Politischen Wochenstube.
Robert Protz eine der vielen Prophezeiungen undeutlicher Sehnsucht
gewagt und seine Germania, ..die Mutter des kommenden Königs", trauernd
nach ihrem Befreier rufen lassen:
J)och kommt er einst; Aus allermeister Mitternacht.
Wo wir umsonst nach eines Sternhilds 'Froste spähn,
Die Sonne -< hweht j;i dennoch endlich himmelan . . .
Woher du kommst, willkommen immer sollst du sein.
Ol» du von Thronen niederstei^en wirst zu mir.
(»I» du. ein Bettler. Mitternachts ireschlichen kommst:
Ich kenne dich! Dich kennen lehret mich mein Herz.
■
Digitized by Google
Bismarcks Schuljahre.
140
Als er kam. hat es lange gedauert, bis ihr das Herz sprach, aber es
hat gesprochen. Das haben ihm die Feierstunden von 1805 bezeugt.
Diese Zeitschrift verneigt sieh heute huldigend wie vor dem grossen
Deutschen, so vor dem grossen Menschen, der auch ihr beim Eintritt in ihr
Dasein unwissentlich das (icleit giebt. «Sie erwartet seinem Namen und
seinen Zügen in ihrem eigenen Arbeitskreise immer von Neuem zu begegnen.
Auf lange hinaus aber wird er der Zunft der Biographen, wenn es eine
jriebt. den besten Dienst thun, indem er nur sein eigenes Leben fortsetzt,
aus der Fülle seiner noch heute ungebrochenen Kraft, freier und heiterer
als Luther und Friedrich, das Kunstwerk seines Lebens vollendend, das er.
der Staatsmann, niemals bewusst zum Kunstwerke hat ausgestalten wollen
wie sein letzter Vorgänger. Goethe der Humanist: ein Kunstwerk ist es
dennoch geworden, dank den gestaltenden Kräften seines (ienius und seines
Glückes; möge er es nun, nach seiner Art, als der, der er ist und bleiben
wird, reich und goethiseh ausleben bis über die Grenzen des menschlichen
Alters hinaus!
. c£>
Bismarcks Schuljahre.
Von
HANS KRAEMER (Berlin).
Kein Zweiter unter den Crossen der Neuzeit. Shakespeare und Göthe nicht
ausgenommen, hat eine so umfangreiche Litteratur hervorgerufen, wie der erste
Kanzler des neuen deutschen Meiches; keine zweite Krscheinung der. an genialen
Miinnern so reichen, letzten beiden .Jahrhunderte ist so off wie Otto von Bismarck
zum Mittelpunkt grösserer und kleinerer, lohender und gehässiger, ziemlich guter
und erbärmlich schlechter Schriften gemacht worden. Und doch werden künftige
Geschlechter, denen einst die hehre Aufgab»* gestellt sein wird, ein umfassendes,
vom )Hilifischen Tagesgezänk nicht mehr becinflusstes 1UU1 dieser wundervollen,
unleiitx hen Heldengestalt zu schaffen, wieder weit zurück auf die ersten Quellen
yebeii müssen, weil nur ein winziger Bruchtheil dessen, was zu Lebzeiten des
Kimmen entstanden ist, den bescheidensten Ansprüchen fach- und sachkundiger
Forschung entsprechen kann; denn, so seltsam und beschämend es auch klingen
mag. das deutsche Volk besitzt zur Zeit- auch nicht eine einzige Biographie seines
Kiljigers, die vor ernster Kritik zu bestehen vermöchte. Soweit die politische
Thatigkeit in Frage kommt, mag dies noch einigennaassen begreiflich erscheinen,
weil von den kostbaren Schützen der meisten Archive die Siegel noch nicht gelöst
werden konnten und persönliche Krinnerungeii vielfach noch ängstlich behütet werden:
aber erstaunlich bleibt es. dass auch über das private Leben, über den Fntwick-
lungsgang des märkischen .Junkers fast nur „Anekdoten für die reifere .lugend"
bekannt geworden sind, die vor dem Auge des nachprüfenden Korse he in in Nichts
zeitlattern, oder im günstigsten Falle auf einen minimalen Kern zusannnenschwinden,
der für die Charakteristik des genialen Mannes fast jeden "Werthes entbehrt.
Für grosse bedeutsame Perioden liegt leider nur solches Material vor. da>
• ist in späteren Jahren, als aus dem einfachen (infsbe-.it zer von " Bismarck-Schön-
hausen ein weltbekannter tiraf. ein weltbezwingender Kürst geworden war, aus
Digitized by Google
141
Biographische Blätter.
den unklaren Erinnerungen einzelner Zeitgenossen geschöpft und meist mit starker
Ketouehe bekannt gegeben wurde. Angesichts der Thatsache aber, dass das urkund-
liche oder überhaupt handschriftliche Material aus der ersten Hälfte des begnadeten
Lebens nur ein ganz minimales ist. gewinnen die Mittheilungen der mit ihm in
nähere .Beziehungen Getretenen einen nicht unbeträchtlichen AVerth. Die wichtigste
Aufgabe der Bismarekforschung scheint es mir deshalb vorerst zu sein, aus den
Erinnerungen der nicht mehr allzu zahlreichen und meist schon hochbetagten
Herren, die Bismarck in irgend einer Weise nahe standen, all Das zu retten,
was das Gedächtniss noch treulich bewahrt hat.*) Zwei nicht unwichtige 'Punkte
gelang es mir, auf diesem Weg«; aufzuklären und damit zahlreiche lrrthfimcr zu
zerstreuen, die bisher aus einem Bismarckbuch in das andere gewandert waren;
einmal konnte ich auf Grund der Berichte von Augenzeugen und des amtlichen
Materials ein«' authentische Darstellung der beiden Mordanschläge auf den Minister-
präsidenten (Cohen-Blind in Berlin. Kullmann in Kissingen) geben,**) und dann war
es möglich, an .Stelle der zahllosen Anekdoten Uber die Göttinger Studentenzeit
Thatsaihen zusetzen, die zum Theil früheren Darstellungen direkt widersprachen.**'*)
Vielleicht gelingt es. unter eifriger Mitwirkung geübter Forscher, so zeitig den
gewaltigen StoU' zu sammeln und zu sichten, dass der alte Kecke im Sachsenwald noch
selbst das Ganze prüfen und, wo es Xoth thut, verbes>ern und ergänzen kann . . .
* *
Ober den Schüler Otto von Bismarck wusste man bisher nur das, was ein
ehemaliger Mitschüler nach etwa fünfzig Jahren niedergeschrieben, was ein Lehrer
nach ebensolangcr Zeit und endlich der Kanzler selbst erzählt hatte und
das war herzlich wenig: denn es umfasste fast nur die Zeit, die der blonde Knabe
auf der Vorschule, in der Plamannschen Erziehungsanstalt verbracht hat. Uber
seine Gvmnasialzeit fehlten dagegen alle näheren Angaben, kaum dass die Daten
des Kin- und Austritts annähernd genau bekannt waren.
Der ei-stc April lHi)"» hat nun die Forschung auf diesem Gebiet um »-in
gewaltiges Stück gefördert, aus den Archiven der Mittelschule, an der Bismarck
•«ein Beifezeugniss erwarb, sind alle auf den .lubilarcn bezüglichen Aufzeichnungen
gesammelt und auf den Geburtstagstisch niedergelegt worden. Dadurch wird es
möglich, obwohl über den Aufenthalt auf dem Friedrieh-Wilhelmsgymnasium noch
genaue bezw. authentische Angaben fehlen, eine zusammenhängende Darstellung der
elf Schuljahre, von Ostern 1M*21 bis zum 14. April 1HH2 zu geben.
Zur Erziehung ihrer Knaben Bernhard und Otto hatte Frau von Bismarck
eine vielgerühmte Berliner Erziehungsanstalt gewählt, die Piamann, der Freund
und Schüler Pestalozzis, des Vaters des modernen Erziehungswesens, leitete.
Die kluge Tochter Anastasius Ludwig Menkens vertraute dem Urtheil ihres Vaters,
der wie aus den Akten des königlichen Oherschul-Kollegiunis hervorgeht -
einst seinen ganzen Einfluss aufgeboten hatte, um. bei der von Friedrich Wilhelm III.
geplanten Verbesserung der Schulen, der Methode des grossen Schweizer Pädagogen
zum Siege zu verliehen, ..weil dieselbe die Selbsttätigkeit des Geistes erhöhe,
den religiösen Sinn und alle edleren Gefühle des Menschen anrege, das Leben in
der Idee befördere und den Hang zum Leben im Genuss mindere und ihm ent-
gegenwirke."
*) Mittheilungen der Art würden die „Biographischen Blfttter* mit besonderem Dank
entgegennehmen. A. d. II.
Unser Bismarck. Stuttgart. Union deutsche Verlagsgesellschaft. S. 61 Ii.
• i A. a. O. S. 141 tV.
|i Se. Durchlaucht Fürst v. Bismarck hat >ich in einem Briefe vom 7. Mai d. .1. mit
der Ven'illentlichung »einer Schulzeugnisse einverstanden erklart.
Digitized by Google
Bismarcks Schuljahre. 142
Ostern 1821 wurde darum auch der sechsjährige Otto in die Anstalt
aufgenommen, der sein vier Jahre illterer Binder Bernhard bereits seit elf Monaten
angehörte. ( ber die strenge Erziehungsmethode und das Verhältnis» des schlanken
Knaben zu seinen Mitschülern hat einer der Letzteren*) vor etwa 25 Jahren eine
ausführliche, hier im Wesentlichen wiederholte. Darstellung niedergeschrieben:
«Die Erziehungsmethode, sowie der Unterricht in der Plamannschen Anstalt
waren so abweichend von anderen derartigen Lehranstalten der damaligen Zeit,
dass Vieles oft seltsam erscheinen muss. und dennoch war diese Methode, sowohl
von seinem Gründer, als seinen Lehrern eine wohl überlegte und trug auch, wie
die Folge gelehrt hat, fast immer die besten Flüchte. Es war, wenigstens in den
Jahren 1822 — 1820, kein „Experimentiren" mit den Schülern und deren Auf-
fassungsgabe erforderlich, wie vielleicht bei Errichtung der Anstalt, wo Piamann
selbst wohl in der Theorie seiner Erziehungsart hingst das Richtige gefunden hatte,
jedoch in der Praxis manches mit den Jahren noch einer Abänderung unterworfen
werden lnusstc. Der Unterricht, sowie die sittliche Erziehungsweise wurde nach
bestimmter Disziplin, wie es die Erfahrung mehrerer Jahre gelehrt, gehandhabt,
und eine Abweichung vom Hergebrachten nur in den allerseltensten Fällen ge-
duldet. Wo sein Freund und Lehrer Pestalozzi die schönsten Ideale als Ziel
seines Lebens vor sich sali, dagegen aber blind war. wenn er den Weg zu diesen
Idealen linden und zeigen sollte, so wurde bei Piamann im Gegentheil alles durch-
geführt, was er im G eiste verarbeitet und als das Richtige anerkannt hatte. Es
konnte bei diesem oft starren Festhalten an der einmal für gut befundenen Methode
nicht ausbleiben, dass dennoch manche Irrt Immer, namentlich bei einigen l'nter-
richtsgegenständen, sich geltend machten, die die Knaben freilich damals, in der
Kraehung selbst begriffen, nicht so beurtheilen konnten, wie später, als sie höhere
l^hranstalten besuchten. Bei allen diesen Mängeln hatte jedoch die ganze Er-
ziehung*- und I'nterrichtsweise der Plamannschen Anstalt die segensreichsten
Folgen für die Schüler und war als Vorbereitungsanstalt für die Gymnasien in
damaliger Zeit, in hohem Grade beachtungswert, daher auch der ZuHuss von
Söhnen gebildeter Stände ein so grossei-, und der Ruf der Anstalt ein weit über
die Grenzen Berlins verbreiteter war. —
Die Anstalt war im Jahre 1821 bereits von der Lindenstrasse nach der
Wilhelmstrasse Nr. 13t) verlegt worden, welches Haus Piamann angekauft und
für seine Zwecke hergerichtet hatte. Das Grundstück war für eine Erziehungs-
anstalt wohl geeignet. Ein Vorder- und Quergebäude gab hinlänglich Raum für
Klassenzimmer, Lehrerwohnungen, so wie zur Aufnahme einer grossen Anzahl von
Pensionären, auch fehlte es nicht an Turn- und Fecbtsälen. Ein geräumiger Hof
trennte Vor- und Quergebäude, und ein dahinterliegender grosser Garten mit Obst-
und anderen Bäumen war als Turn- und Erholungsplatz für die Anstalt von
grüsster Wichtigkeit. Die Schüler waren in sogenannte ganze und halbe Pensionäre
eingetheilt. Die ersteren wohnten beständig in der Anstalt, wofür jeder Schüler
nn Schul- und Pensionsgeld jährlich 300 Thaler zu zahlen hatte; ein Preis,
welcher zur damaligen Zeit für hoch gehalten wurde, für die jetzige jedoch als
gänzlich imzureichend angesehen werden müsste. Die sogenannten halben Pensionäre
wohnten bei ihren Eltern in der Stadt, blieben jedoch den ganzen Tag in der
Anstalt und betheiligten sich auch beim Mittagessen. Von den Lehrern wohnten
ausser dem Direktor in der Regel noch drei in dem Institut, welche die spezielle
Aufsicht über das Verhalten der Knaben ausserhalb der Lehrstunden hatten. Sie
beaufsichtigten die Arbeiten, führten die Zöglinge im Summer nach den Schwimm-
) Ernst Krigar.
Digitized by Google
1 4-5
Biographische Blatter.
und Ünde-Anstaltou und machten mit ihnen sonstige kleine Exkursionen und Turn-
fahrten. Diese Lehrer, mit denen die Knaben in beständigem Verkehr waren,
standen ihnen natürlieh Jiälier als die übrigen; es herrselite demnach auch ein
mehr ungezwungener Ton. daher die meisten Lehrer, auf ausdrückliches Verlaufen,
nach alter deutscher Art, mit „Dir angeredet wurden. Von den alten Sprachen
wurde im (iriechischen und Lateinischen unterrichtet, die übrigen Lehrgegenstände
waren die gewöhnlichen. Der Turnunterricht wurde ganz besonders gepflegt, schon
ans dem (I runde, weil der alte .lahn selbst früher Lehrer der Anstalt war. Zu
Bismarcks Zeit leitete den Turnunterricht und das Fechten Jahns Freund und
Nachfolger, der bei allen Turnein in hohem Ansehen stehende Ernst Eiselen, dessen
Schriften über Turnwesen die weiteste Verbreitung gefunden haben.
Des Morgens winden die Zöglinge durch das Lauten einer kleinen (Jlocke
Funkt <• Uhr geweckt. Das Frühstück bestand aus Milch und etwas Brod. L'm
7 Uhr begannen die Lehrstunden, jedoch fand zuvor 4iiglich eine kur/.e religiöse
Krbauung statt. Sänuntliche Schüler und die in der Anstalt wohnenden Lehrer
waren versammelt; es wurde ein Choral von dem Kantor auf einem alten Flügel,
welcher zwei Klaviaturen übereinander hatte, begleitet, gesungen. Hierauf hielt
der Direktor Piamann einen kurzen Vortrag und nach diesem begannen die Lehr-
stunden, die bis 10 I hr dauerten. Jetzt konnten die Knaben sich eine halbe
Stunde im (iarten. beim zweiten Frühstück erholen, das täglich aus trockenem
Brod mit Salz bestand. Im Sommer erhielten sie noch etwas Obst dazu. Mittags
12 L'hr wurde zu Tisch geläutet. Alles strömte nach dein grossen Saal, wo
Frau Direktor Plamann und eine Nichte derselben jedem Lehrer und Schüler
selbst die Portionen auftrugen, die von einem Diener der Anstalt herumgereicht
wurden. Das Essen war überaus einfach, aber kräftig und gut zubereitet. Wer
noch Verlangen nach einer zweiten Portion hatte, musste mit seinen» Teller selbst,
zu Frau Plamann gehen und darum bitten. Wer seine Portion nicht aufessen
wollte oder konnte, musste muh Tische im (Jarten auf der Terrasse mit seim-m
Teller so lange stehen, bis der Pest vollständig verzehrt war. Täglich bot sich
das Schauspiel, dass 3 4 Schüler dort aufgestellt wurden. Von 2 I hr Nach-
mittags dauerten die Lehrstunden wieder bis 4 Uhr. Dann war Vesper, es gab
wieder Prot mit Salz. Iiis 7 Uhr wurde weiter unterrichtet. Von dieser Stunde
an wurden die aufgegebenen Arbeiten ausgeführt oder Spiele im Freien vor-
genommen. Das Abeudbrod bestand in der Kegel in Warmbier oder belegten
Butterbroten. Die Unterrichtszeit wäre der jungen Welt oft recht lang ge-
worden, wenn sie nicht durch wenigstens zwei Stunden Turnen verkürzt worden
wäre. Diese Stunden waren stets die grösste Erholung und ganz besonders fesselte
der Fechtunterricht bei Fisolen.
Die ( Vnsuren. welche jedem Schüler halbjährig ertheilt wurden, behandelten
in solcher Ausführlichkeit sowohl den sittlichen Charakter, als den Fleiss und die
Kort schritte des Schülers, dass sie wohl als Muster aufgestellt werden könnten.
Die Celisur füllte in der Kegel fast einen ganzen Bogen aus und enthielt als Ein-
leitung eine Charakteristik des Schülers, sowie Bemerkungen über seinen Fleiss
und die Fortschritte im verflossenen Halbjahr. Der zweite Theil derselben be-
handelte die speziellen Lehrfächer in eben solcher Ausführlichkeit. Eine grössere
Prüfung fand im Jahre nur einmal, gewöhnlich im September statt. Mit welcher
Ausführlichkeit auch hierbei zu Werke gegangen wurde, beweist die lange Dauer
derselben; sie betrug nicht weniger als zwei und einen halben Tag. und zwar
von Morgens 8 1*2. Nachmittags von 2 t> Uhr. Von welcher Ansicht. Plamann
dabei geleitet wurde, ist schwer erklärlich. Welcher Vater konnte wohl so viel
Zeit darauf verwenden, sich von den Kenntnissen und Fortschritten seines Sohnes
Digitized by Google
Bismarcks Schuljahre. .
14 4
in allen Färbern zu überzeugen: er war deshalb gezwungen, we Hiltens einen
Tasr seinen Bemfsgeschäften zu entsagen, um nur einem geringen Theil der
Prüfung beiwohnen zu können. Diese Prüfungszeit war jedoeh immer ein kleines
Fest für die Knaben, sie konnten sich während derselben besser kleiden, erhielten
Inneres Essen und hatten in den Freistunden grössere Freiheiten, die dann auch
Iltens benutzt wurden. Ein grosser Theil der Schüler, namentlich der sogenannten
«ranzen Pensionäre bestand aus den Söhnen adliger (Jutsbesitzer von ausserhalb,
von denen einige Namen hier angeführt seien: v. Puttkammer, v. Wolzogen.
v. Gottberg, v. Balan. v. Bismarck, v. Hagen, v. Bredow, v. Trützsrhler und
Falkenstein, v. (i essler. v. Briesen. v. Schmalensee u. A.
Die neuaufgenommenen Schüler liatten ihren iilteren Mitschülern gegenüber
anfänglich einen ziemlich schweren Stand. Fanden sie sich bald in die herkömm-
lichen Ein weihungsgeb rauche und zeigten sie sich nachgiebig und freundlich zu
den sogenannten Alten, so wurde ihre Aufnahme in den bestehenden Freundschafts-
kreis wesentlich erleichtert. Doch webe denen, die sich störrisch zeigten und den
-Alten" nicht den gebührenden (iehorsam leisteten, sie waren auf lang»- Zeit die
Zielscheibe des SjMittes und mussten sich allerlei Zurücksetzungen gefallen lassen,
ha (.tanzen hatten die Knaben ein ziemlich rauhes "Wesen gegeneinander, es war
dies damalige Turnerart und wurde von den Lehrern nicht ungern gesehen.
Daher ein tüchtiger Puff, dem Mitschüler gelegentlich versetzt, nicht so genau ge-
nommen wurde. Eines Tages erschien unter den Neuaufgenommenen ein für sein
Alter ziemlich hochgewachsene!" Knabe, welcher, da man sich für die mit ihm
zugleich aufgenommenen Neuen anfänglich mehr interessirte. vorläufig unberück-
sichtigt gelassen wurde. Als jedoch die Zeit kam. dass auch er sich den kindischen
Gebräuchen der übrigen Zöglinge fügen sollte, setzte er dem einen "Widerstand
entgegen, der bisher unerhört war. Kine solche Ablehnung, den hergebrachten
Sitten Folge zu leisten, machte Alle anfänglich stutzig: der Spott verstummte!
Dafür trat aber bei dem grössten Theil der Knaben ein Hachegefühl hervor,
welches bei der eisten (ielegcnheit drohte, sich um so nachdrücklicher gegen den
Widerspünstigen Luft zu machen. Kine kleine Minorität überdachte die Worte
des hochgewachsenen Knaben mit der hohen Stirn, sowie die Gründe, welche er
ihnen entgegensetzte und ihn bewogen, dem allgemeinen Willen nicht Folge zu
leisten. Diese Minorität interessirte sich sogar von nun an für den neuen An-
kömmling, welcher sich .,0t to Bismarck" nannte, ungemein. Es zeigte sich auch
sehr bald, dass derselbe durchaus nicht unverträglichen Charakters war, sondern
nur einen festen, imponirenden Willen zeigte. —
Es war gerade in den Sommermonaten, und die Knaben wurden von den
Lehrern sowohl bei gutem, wie bei schlechtem Wetter nVissig zum Baden nach
dem damaligen Schafgraben geführt, wobei die neuaufgenommenen Schüler immer
einen schweren Stand hatten, denn hierbei hiess es vor allem Muth zeigen. Wer sich
nicht freiwillig Hals über Kopf in's Wasser stürzte und nur die geringste Furcht
zeigte, hatte es schwer zu Wissen. Der Lehrer nahm einen solchen Zaghaften
auf seine Schultern und warf ihn an der tiefsten Stelle, natürlich kopfüber in's
Wasser; nachdem er wieder aufgetaucht, hatten die ('brigen die Erlaubniss, dem-
selben noch mehrere Male beim Untertauchen auf das Nachdrücklichste behülflich
zu sein, bis er alle Furcht überwunden und sich nicht mehr wasserscheu zeigt«-.
Die Feinde Otto Bismarcks, der sich ihren kindischen Gebräuchen nicht gefügt
hatte, freuten sich auf den Augenblick, wo er zum ersten Mal seine Taufe im
Schafgraben erhalten sollte; alle seine Gegner hatten sich vorgenommen, ihn im
Wasser tüchtig zu bearbeiten! Alle standen schon gerüstet im Graben, als
Bismarck mit der grössten Kaltblütigkeit an den Hand desselben trat, sich hineiu-
Digitized by Google
145
.Biographische Blatter.
stürzte, untertauchte und am jenseitigen L'fcr wieder empor kam. Ein allgemeines
rAh!" folgte dieser Überraschung, keiner wagte es, den kühnen Taucher auch
nur zu berühren, sein kleiner Anhang sammelte sich um ihn und machte ihm
Lobeseihebungen über seine Fertigkeit im Tauchen, welches Otto wahrscheinlich
schon auf dem „Kniephof-% dem Gut der Familie Bismarck, geübt haben mochte. —
Die Balgeivi im Wassel- wurde aber nicht ausgesetzt. Zwei Parteien bildeten
sieh und Bismarck war nicht der Letzte, der sich daran auf das Lebhafteste be-
theiligte.
Die Spiele in den Freistunden waren vorher mehr Turnübungen zu nennen:
seit Otto v. Bismarcks Erscheinen in der Anstalt, dessen Anhang unter den Mit-
schülern mit jedem Tage gewachsen war, bekamen diese Vergnügungen einen
ganz anderen Charakter. Da fing man an, sich nach und nach in zwei Parteien
zu theilen und kriegerische Übungen vorzunehmen, Otto v. Bismarck entwarf die
Schlachtpläne und bebandelte die Sache mit solcher Wichtigkeit, dass er ein Tage-
buch führte, worin er alle für die Knaben wichtigen Ereignisse sorgfaltig ver-
zeichnete. Die Veranlassung dazu entsprang wohl nicht allein grosser Ordnungs-
liebe, man könnte vielmehr daraus den Schluss ziehen, dass Bismarck schon als
Knabe für Alles ein offenes Auge hatte und über seine Aufzeichnungen, mochten
sie nun für Andere noch so unwichtig erscheinen, reiflich nachgedacht hatte. -
AVer näher mit ihm verkehrte, musste über seine ausgezeichnete (ieschichtskenntniss,
worin er alle Mitschüler übertraf, staunen. Seine l'rtheile über die griechischen
und römischen Helden und seine Vergleiche derselben waren oft so treffender Art,
dass sich selten .lemand fand, der eine andere Ansicht der seinigen entgegenhalten
konnte. — Dieses oben erwähnte Tagebuch hat Otto v. Bismarck noch lange Zeit
nach seinem Abgang von der Anstalt besessen, und es wäre nicht unmöglich, dass
dasselbe vielleicht noch jetzt vorhanden ist. Es ist nicht zu leugnen, dass Bismarck
bei diesen kindlichen Spielen schon als Knabe ein ausgezeichnetes Talent zur Orga-
nisation zeigte und. was Flelss und Kenntnisse anbelangte, zu den hervorragendsten
Schülern der Anstalt gehörte. — Zu Weihnachten hatte einer der Schüler von
seinen Kitern „Beckers Erzählungen aus der alten Welt" zum Geschenk erhalten;
dies Buch lasen die Knaben so flcissig. dass das eine Exemplar lange nicht aus-
reichte, die Wissbegierde Aller zu stillen. — Bald hatte sich denn auch eine
grössere Zahl Schüler jenes Buch von ihren Eltern schicken lassen. Nun wurde
der Trojanische Krieg vorgenommen; der Erste, welcher diesen ganzen Theil des
Buches auswendig konnte, war Otto v. Bismarck. Er übernahm in der Begel das
Vorlesen, und wählte sich dazu häufig seinen Lieblingsplatz auf einer, am Ende des
Gartens nach der Königgrätzcr Strasse zu stehenden, schön gewachsenen Linde,
dem einzigen .Baum, auf den es erlaubt war. hinauf zu klettern. Die Zuhörer,
soweit sie Platz hatten, bestiegen ebenfalls den Baum, die Übrigen lagerten sich
unter denselben. Mit welcher Aufmerksamkeit folgten sie dem Vorleser, mir
welcher Begeisterung wurden die Heldenthaten der Griechen vor Troja aufge-
nommen: es dauerte auch nicht lange, so hatte .Jeder der Knaben den Namen
eines dieser Helden. Bismarck konnte kein anderer als der Telamonier Ajax
sein! - Wie dieser Held sich oft bei Angriffen der Trojaner grosser Steine, die
er vom Boden aufraffte, bediente, um sich damit zu vertheidigen, so warf Bismarck
einst bei einem der Kämpfe, die kein Ende und keine Entscheidung absehen Hessen,
seinen Tornister dazwischen und befahl mit gebietender Stimme, vom ferneren
Kampf abzulassen. Seinem Befehl wurde sofort Folge geleistet und ihm war es
zu danken, dass nur Wenige bei diesem Kampfe unbedeutende Verletzungen
davontrugen. Wie das Abhärtungssystem, welches man iu der Anstalt streng
durchflihrte, beim Baden gehandhabt wurde, ist oben schon erwähnt worden. Es
Digitized by Google
Bismarcks Schuljahre.
146
sollt* das Baden nicht allein füglich der Reinlichkeit wegen geschehen, die Knaben
sollt»'!» auch lernen, die Körper zu dem spateren Sehwimmunterricht gehörig vor-
zubereiten. Dieser wurde in der alten Pfuhlsehen Schwimmanstalt am Schleichen
Thore ertheilt. In mehreren "Wagen wurden die Knaben von der "Wilhelmstrasse
aus dorthin gefahren, und es war nicht zu verkennen, dass die Plaiuaner schon
eine gute Vorbildung zur Krlernnung der Schwimm kunst mitbrachten. Den schon
an Abhärtung Gewöhnten kamen die damals wegen ihrer Grobheit bekannten
Schwimmlehrer nicht so furchtbar vor. Fast Alle zeigten sich furchtlos und
machten den ersten Sprung von der sogenannten Ablichtung mit grosser Virtuo-
sität. Da entstand nun ein grosser Wetteifer, es handelte sich darum, wer
zuerst den sogenannten Spreegang machte, und dnnn als sicherer Schwimmer dem
w\\ höheren Ziel eines sogenannten Fahrtensehwimmers zueilen konnte. Otto
v. Bismarck war auch hier wieder mit einigen Wenigen der erste Spreegänger, so
dass er nach kurzer Zeit au« h bald das Diplom als Fahrtensch wimmer erhielt.
Das Shwimmen gehörte zu den grössten Vergnügungen, aber es hatte auch seine
Schattenseiten. Ks ist allbekannt, dass sich nach jedem Bade der Hunger mehr
"der weniger fühlbar macht. Die armen Schüler, die kein Geld bei sich führten,
und erst den weiten "Weg vom Sclüesischen Thore nach der Wilhelmstrasse zurück-
legen mussten, ehe sie etwas zu essen erhielten, wurden oft vom Hunger so übermannt,
dass >je es nicht verschmähten, auf dem damaligen Köpenicker Felde sich von dem
Feldhüter ein Paar Stauden Kohlrabi zu erbitten, welche mit grosser Gier ver-
schlungen wurden und wenigstens augenblicklich den Heisshunger stillten. Bei
diesem Zigeunermahl betheiligten sich die Söhne hochadliger Gutsbesitzer, welchen
zu Hause Alles in Hülle und Fülle zufloss, ebensogut wie die Kiemente aus den
bürgerlichen Ständen. Die langen "Winterabende verkürzten bei schlechtem Wetter
die in dem Institute wohnenden Lehrer theils durch Vorlesen aus guten, meist
ireschielit liehen Werken oder einigen Romanen von Walter Scott, theils wurde beson-
ders in dieser Zeit das Fechten kultivirt, und Kiselen verstand es aus dem Grunde,
dasselbe in jeder Weise interessant zu machen. Dass Otto v. Bismarck als Knabe
schon in der edlen Fechtkunst grosse Fertigkeit zeigte, wird nur Wenigen bekannt
sein, dass er später in seinen Studentenjahren ein Meister darin war. werden Viele
wissen, welche seine Klinge gefühlt*). Die Grundlage zu dieser Meisterschaft hat
er jedoch unzweifelhaft von Kiselen in der Plamannschen Anstalt empfangen.
Nichts wurde im Winter sehnlicher erwartet, als der erste Schneefall. Da erhielten
die sogenannten Neuen ihre erste Taufe; sie mussten durch zwei Reihen den
'i arten mehrere Male auf und ablaufen. Jeder hatte das Recht, mit Sehneebällen
tapfer auf sie zu werfen, auch wohl Einzelne, die sieh widersetzten, mit Schnee
tüchtig zu waschen. Der alte Schreiblehrer Markwordt. ein Veteran aus den
Freiheitskriegen, nahm sich in der Regel der Zaghaften au, indem er einen oder
zwei bei der Hand nahm und mit ihnen die Reihen durchlief. Kr empfing dabei,
als bessere Zielscheibe, natürlich mehr Bälle, als diejenigen, für die sie eigentlich
bestimmt waren. Sobald diese Taufhandluug vorüber war, sammelten sich die
Sehaaren, ein Theil besetzte die am Hause, nach dem Galten zu gelegene Terrasse,
thürinte hier mächtigen Vorrath von Schnee auf, während der andere Theil sich
zum Sturm anschickte. Die Lehrer waren dabei immer nur indirekt thätig.
F.inen solchen Angriff zu befehligen, verstand nun Niemand besser, als Otto
v. Bismarck, hierbei war er in seinem Element! Kr wusste bald die Stellen aus-
findig zu machen, wo die Terrasse nur schwach vertheidigt wurde, und nachdem
In Güttingen hatte Bismarck, wie ich aus den (unterlassenen Papieren seines
Leihburschen Wuthmann und alten Dokumenten des Korps „Hannovera" feststellen konnte,
in 18 Monaten nicht weniger als 25 Mensuren, wurde aber niemals „abgeführt".
Biographische BUtter. I. 10
Digitized by Gqagle
147
Biographische Blätter.
nun ein allgemeines Bombardement den HnuptangritT noch verdeckte, sammelte
Bismarck seine zum Sturmlaufon auserlesene Schaar, und mit lautem Hurrah und
einem grossen Schneeballregen drang er au der Spitze treten die Terrasse vor. . ."
* *
Mit wahrhaft .spartanischer Strenge wurde, wie man sieht, der junge Adelige
auferzogen; früh ward er an absolute Anspruchslosigkeit gewöhnt, und vor jeder
Verweichlichung des Körpers, vor jeder schädlichen Beeinflussung des jugendlichen
(Gemüthes mit rauher Hand bewahrt. Aber gerade eine solche harte Erziehung*-
methode scheint, wie der Vergleich mit der .lugend anderer grossen Staatsmänner
beweist, eine treffliche Schule für geniale Naturen zu sein, denen das Schicksal
die Leitung grosser Lander und Völker anvertraut. . . .
Nach .sechsjährigem Aufenthalt verHess Otto v. Bismarck die Plamannx he
Anstalt und trat im September 1827 in die Lnter-Tertia des Friedrich -AVilh« lin>-
( Gymnasiums ein. Über den Eindruck, den der Knabe damals auf seine Lehrer
machte, berichtet Professor Bonneil in den a. O. bereits mifgetheilten Auf-
zeichnungen über sein Leben:
..Meine Aufmerksamkeit zog Bismarck schon am Tage seiner Einführung
auf sich, bei welcher (Gelegenheit die neu Aufgenommenen im Schulsaale auf
mehreren Bänken hintereinander sassen. so dass die Lehrer während der Einleitungs-
feier (ielegenheit hatten, die Neuen mit vorahnender Prüfung durchzumustern.
Otto von Bismarck sass. wie ich mich noch deutlich erinnere, mit sichtlicher
Spannung, klarem, freundlichen Knabengesicht und hell leuchtenden Augen, frisch
und munter unter seinen Kameraden, so dass ich bei mir (lachte: Das ist ja ein
nettes .lungchen, den will ich besonders in's Auge fassen! Er wurde zuerst,
mein Schüler im Lateinischen, als er nach Ober-Tci-tia kam. Michaelis Iseji»
wurde ich an's Berlinische (Gymnasium zum (Grauen Kloster versetzt, an das auch
Bismarck im folgenden .lahre überging. Ostern 1*31 kam er als Pensionär in
mein Haus, wo er sich freundlich und anspruchslos in meiner einfachen Häuslich-
keit, die sich damals auf meine Krau und meinen einjährigen Sohn beschränkte,
und durchaus zutraulich bewegte. Er zeigte sich in jeder Beziehung liebenswürdig
und ging des Abends fast niemals aus: wenn ich zu dieser Zeit zuweilen nicht zu
Hause war. so unterhielt er sich freundlich und harmlos plaudernd mit meiner
Krau und verrieth eine starke Neigung zu gemüthlicher Häuslichkeit. Er hatte
unser ganzes Herz gewonnen und wir brachten ihm volle Liebe und Sorgfalt,
entgegen. ..."
.Jener von Bonuell erwähnte Übertritt Bismarcks in das Berlinische (Gym-
nasium zum (Grauen Kloster hatte seinen (Grund darin, dass die Eltern ihren Berliner
Haushalf < Behrenstrasse Nr. M(.». später Nr. Tri), den bisher ein altes Faktotum
Trine Neumann verwaltet hatte, auflösten und Otto zu dem Professor Prevost
(Königstrasse Nr. Ol) in Pension gaben, wo er jedoch nur ein .lahr verblieb.
Am I. Mai ISMO winde nach Ausweis der Dokumente ..Leopold Eduard Otto
v. Bismarck, geb. 1. April IHK) zu Schönhausen bei Tangermünde im Magde-
burgischen. Sohn eines Rittmeisters a. D.. evangelisch" in das. damals schon Uber
•J-*)0 .lahre bestehende. (Gymnasium in der Klosterstrasse aufgenommen, und zwar
trat er in die (Gross- (Ober-) Sekunda ein. deren Ordinarius Professor Bellennann
(zugleich Lehrer des (Griechischen) war, während Professor Wendt Latein und
(Geschichte. Professor ( G icsehrei ht Deutsch. Professor Fischer Mathematik und
Physik und ein gewisser Klings den Bismarck aus tiefster Seele hasste
Französisch leinten. Zu Profosor AVcndt fühlte er sich am Meisten hingezogen,
während Bcllermaim und Fischer ihm unsympathisch waren.
Digitized by Google
Bismarck« Schuljahre.
1 -IS
An zahllosen Beispielen ist. schon oft bewiesen worden, dass nur in den
seltensten Fällen die Leistungen eines Schülers einen richtigen Schluss auf das
spätere Leben gestatten; eine lang«* Reihe hervorragender Männer, deren Namen
mit ehernen Lettern auf den Tafeln der Geschichte verzeichnet sind, konnte nie
da* Prädikat eines Musterschülers erringen, und manchem Oisteshelden haben
• inst pedantische Lehrer die Jugend durch die Phrophezciung verbittert: „Aus
Dir wird niemals etwas Rechtes!" Auch Bismarck zeichnete sich weder durch
tadellosen Fleiss, noch durch immer einwandfreie Aufführung aus, und seine
Leistungen entsprachen meist gerade den Anforderungen, die an einen mittelguten
Schüler gestellt werden können. Dass ferner sein Schulbesuch kein allzu regel-
mässiger war. bezeugen die Vermerke über 13H versäumte Lehrstunden im zweiten
Vierteljahr seiner Sekundauerzeit; in Prima hat er sogar 1 1»S Stunden in einem
Quartal versäumt — allerdings zum grössten Theil krankheitshalber (er war
Unter den Linden, vor der Neuen "Wache, mit dem Pferd gestürzt). Johannis 18ü0
erliielt er das erste Zeugniss, das seinen Fleiss also charakterisirte:
„Regelmässig und durch gute Vorbereitung auf die Autoren bewährt.
Auch regelmässig in der Mathematik, nur muss er noch mehr Sorgfalt auf
das Äussere wenden. Nicht vermisst im Deutscheu und im Französischen. u
Über die Fortschritte hiess es:
„Zeigen sich in den alten Sprachen zu seiuem Lobe, ebenso in der Ge-
schichte. Bemerkt in der Mathematik, einige in der Physik. AVerden
erwartet im Deutschen. Einige im Französischen."
Bedenklicher lautete schon das Urtheil (Iber die Aufmerksamkeit:
..Meistens theilnehmend, aber in den französischen Lchrstunden plaudert
und unterhält er sich nicht selten mit seinem Nachbar Ross."*)
Direkt getadelt wurde aber die Aufführung:
„Im ganzen gut; um so befremdender war ein einmaliger Ausbruch
höchster Unbescheidenheit. Auch scheint er überhaupt die seineu
Lehrern schuldige Achtung aus den Augen setzen zu können."
Diesen Ausbruch höchster Unbescheideuheit dürfte wohl der schon erwähnte
Herr Frings provozirt haben; wenigstens berichtet Koppen, dass „besondeis der
französische Lehrer durch seine Behandlung den Trutz des Knaben herausforderte
und ihn zu Äusserungen reizte, die ihm einmal einen ernsten Tadel des Direktors
zuzogen, ohne dass indess das Verhältnis zwischen Bismarck und jenem Lehrer
gebessert wurde a. Die Spannung blieb auch noch in Prima bestehen, und Bismarck
-Uchte deshalb und fand auch einen Ausweg, um dem chikanösen Herrn den
Einfluss auf die Zensuren seines Reifezeugnisses zu entziehen; da er nämlich die
Wahl hatte, entweder eine französische oder eine englische Prüfungsarbeit einzu-
reichen, so suchte er vor dem Examen mit aller Kraft seine Kenntnisse im
Englischen zu vervollkommnen -- er nahm an dem im Gymnasium selbst ertheilten
Unterricht Theil und erhielt dabei das Prädikat „sehr gut*- - und erreichte
dadurch, dass er nun beide moderne Hauptsprachen gut beherrschte; perfekt
französisch sprach er schon von Jugend auf.
Die Michaelis-Zensur war etwas günstiger, sie nannte den Fleiss „regelmässig-,
die Aufmerksamkeit „stets theilnehmend", die Aufführung ,.gutu, obwohl es bedauer-
lich sei, „dass er durch seine Reisen grosse Lücken bekommen", und konstatirte
Fortschritte im Griechischen, im Latein und in der Geschichte, nannte sie in der
Mathemathik sogar „merklich", während sie im Deutschen „nicht vermisst" und
*) Graf Friedrich Ross, ein vier Jahre älterer Mitschüler Bismarcks, Sohn des
HUchofs Koss k Berlin.
Digitized by Google
140
Biographische Blatter.
auch im Französischen vorhanden seien. Bismarck war dabei der fünfzehnte unter
achtzehn Schülern, also der — drittletzte, wurde aber nach Prima versetzt,
deren Ordinarius ein Professor Giesebreeht war, während Direktor Köpke Ge-
schichte und Professor Heinsius Deutsch und Philosophie lehrten.
Die erste Zensur in der obersten Klasse fiel kaum besser aus als die
früheren. Die Aufführung war zwar ..gut'1, aber von der Aufmerksamkeit hiess
es, dass sie ..im Ganzen theilnehmend14 sei, jedoch „zuweilen durch Mittheilungen
an seine Nachbarn unterbrochen44 werde. Kbenso wurde der Fleiss zwar als regel-
mässig bezeichnet, doch hätte er nach Ansicht des Lehrers in den lateinischen
Aufsätzen ..noch angestrengter44 sein können. Von den Fortschritten wurde gesagt,
dass sie sich im Lateiu und in der Geschichte „erhoffen*4 Hessen, desgleichen im
Sophokles, dass sie aber „nicht bedeutend genug-4 in der griechischen Grammatik*),
dagegen ..wohlbemerkt im deutschen Stil1* seien und sich in Mathematik.
Physik und Geographie erhoffen Hessen.
Ostern 1831 fand man die Aufführung „regelmässig und gut44, die Aufmerk-
samkeit „theilnehmend11, den Fleiss „nirgend vermisst", auch bemerkt im Deutschen,
nur wurde die sehr schlechte Handschrift getadelt. Die Fortschritte im
Latein und Griechisch waren ..merklich44 geworden und wurden auch in den
griechischen Dichtern, im Demosthenes und der Grammatik, „nicht vermisst".
f her die übrigen Fächer ward das gleiche Urtheil gefällt, wie in der vorher-
gehenden Zensur.
Jn jene Zeit fiel au oh Otto von Bismarcks Konfirmation; am Tay. da er
sein 1(5. Lebensjahr vollendete, am 31. März 1831 wurde er in der Dreifaltigkeits-
kirche eingesegnet, und zwar durch keinen Geringeren als Friedrich Schleier-
macher, der ihm den Spruch auf den Lebensweg mitgab: „Alles, was ihr thut,
das thut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen."**)
Auch an Johannis erschien die Aufführung ..regelmässig und frtit . «lie Auf-
merksamkeit „ungestört nicht ohne meistens lebhafte Theilnahme". doch genügte
der Fleiss zwar für den Horaz, nicht aber für den Tacitus, gleichwie er im
G'riechischen „noch angestrengter hätte sein dürfen." Fortschritte zeigten sich
in Geschichte, im lateinischen Stil, im Cicero und (^uintilian und wurden
auch im Homer erwartet. — Im nächsten Quartal versäumte er, wie schon
erwähnt, sehr viele Lehrstunden und erhielt desshalb nur eine «ranz kurze Zensur, die
von der Aufführuni: sagte: „Gut. Ks ist zu bedanern, dass er im letzten Viertel-
jahr eine bedeutende Lücke bekommen.14 Die Aufmerksamkeit war „ungestört-,
der Fleiss „durch Versäumnisse unterbrochen11, und die Fortschritte „würden
überall sichtbarer sein, wenn er nicht zum Schlüsse des Vierteljahrs viel versäumt
hätte."
Am Schluss des .lahrcs 1831 erhielt er die letzte Zensur, die ebenfalls
nur mittelgut war: Aufführung ».regelmässig und gut", Aufmerksamkeit „von
Theilnahme zeugend44; Fleiss „bemerkt im Plautus und in der Geschichte, aber
zu vci-stärken im Quintilian; auch in der griechischen Grammatik nicht immer
sorgfältig genug, bemerkt im Plato. nicht vermisst in den griechischen Dichtern:
nicht vermisst im Deutschen, desgleichen in der Mathematik.1* Fortschritte zeigten
*) Für die griechische Sprache schwärmte Bismarck nie, in Versailles sagte er einmal
i Herbst 1870): .Als ich 1'riinaner war. da konnte ich recht gut lateinisch schreiben und
sprechen: jetzt sollte es mir schwer fallen, und das (iriechische habe ich ganz vergessen.
Ich begreife überhaupt nicht, wie man das so eifrig betreiben kann. Es ist wohl bloss,
weil die Gelehrten nicht im Werth« mindern wollen, was sie selbst mühsam erworben
haben. u
**) Kolosser 3, 23. Schleiermachers Bede bei der Konfirmation ist soeben im Druck
erschienen (Berlin, Georg Beimer, 1H<»5>.
Digitized by Google
Bismarcks Schuljahre.
150
sieh in der Geschichte und im Latein, fehlten nicht in der griechischen Grammatik,
wurden in den griechischen Dichtern nicht vermisst und zeigten sich auch im
Deutschen, in Mathematik und Physik. —
Wenige Wochen später, in der zweiten Hälfte des Monats März, unterzog
sich Otto von Bismarck mit Mitschülern der schriftlichen Maturitäts-
Priifuug; die von den Abiturienten gefertigten Arbeiten sind leider nicht mehr
erhalten, nur die gestellten Aufgaben waren noch zu ermitteln: 1. Latein,
zugleich alte Geschichte: Bella Romanoruin adversus Macodonum reges gesta.
'2. Neuere Geschichte: Über die politischen Verhältnisse der Hauptstaaten
Kuropas im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. 3. Deutscher Aufsatz:
Wodurch erlangte und bewahrte sich Europa die Überlegenheit über die übrigen
Weift heile? 4. Mathematik: Den Inhalt einer Figur, die von einem Parabel-
bngen und mehreren geraden Linien beliebig begrenzt wird, zu finden. 5. Griechisch:
Übersetzung und grammatischer Kommentar von Sophokles „Ajax-, V. 040 070,
Kdit. Brauck (oi S'ouv yzLilw-on-MZzzz oüv \izLv. . .), und ein Kxercitium. — Von
den Urt heilen über diese Arbeiten kennt man nur noch dasjenige, welches Hesekiel*)
ül>»rliefert hat. Danach soll die lateinische Arbeit die Note erhalten haben:
-Oratio est lucida ac latina. sed non satis castigata."
Der schriftlichen Prüfung folgte am 3. April 1832 die mündliche, der als
Hegierungskommissar der Wirkliche Oberkonsistorialrath Nolte beiwolinte. Ans
dem Protokoll geht hervor, dass Direktor Köpke in lateinischer Sprache Fragen
aus dem Gebiet der ägyptischen, persischen und griechischen Geschichte stellte,
und daran eine Prüfung der Kenntnisse in der mittleren und neueren Geschichte,
vom Ende der Kreuzzüge bis zur Zeit Napoleons I. knüpfte ; Bismarcks Antworten
gehörten zu den besten. Auch seine flicssende Übersetzung aus den Annalen des
Tacitus wurde lobend erwähnt; in der Mathematik, dem Griechischen und der
Philosophie — über die „Kräfte der Seele" — ei-schien sein Wissen «genügend*.
Auf Grund der günstigen Ergebnisse der Prüfung wurde zwanzig Primanern das
Zeugniss der Keife ertheilt. davon erhielten acht die Nummer eins, die rest-
lichen zwölf, zu denen auch Bismarck gehörte, die Nummer zwei. Am 14. April
fand dann die feierliche Entlassung statt, bei welcher dem siebenzehnjährigen Junker
Otto folgendes Dokument überreicht wurde:
Nummer zwei.
Entlassungszeugniss.
1. Xame des Goprüften und Stand seines Vaters:
Leopold Eduard Otto von Bismarck, 163/4 Jahre alt, evangelischer Konfession,
aus Schönhausen in der Altmark, Sohn des Gutsbesitzer* auf Kniephof in
Pommern.
2. Zeit des Schulbesuchs:
Er war 2 Jahre, von Sekunda an, Schüler des Gymnasii und Jahr in
Prima.
3. Aufführung gegen Vorgesetzte und Mitschüler:
Stets anstandig und wohlgesittet.
4. Fleiss:
War zuweilen unterbrochen, auch fehlte seinem Schulbesuche unausgesetzte
llegelnitissigkeit.
5. Kenntnisse:
Sind im Lateinischen gut, sowohl im Verständnis der Schriftsteller als in
seinen schriftlichen Übungen; im Griechischen ziemlich i,'ut; im Deutschen
*) George Hesekiel. das Buch vom Fürsten Bismarck, Bielefeld 1*73.
Digitized by Google
151
Biographische Bititter.
besitzt er eine sehr erfreuliche Gewandtheit, und in der Mathematik. Geschichte
und CJeographie ein befriedigendes Maass von Kenntnissen. Von den neueren
Sprachen hat er die französische und englische Sprache mit besonderem Er-
folge getrieben.
Kr wird in Bonn, Genf und Berlin Jura und Camcralia studiren. und wir
entlassen diesen fähigen und wohlvorbereiteten Jüngling mit unseren besten
Segenswünschen und der Hoffnung, dass er mit erneutem Eifer an seiner ferneren
wissenschaftlichen Ausbildung arbeiten werde.
Berlin, den .'i. April 1N:V>.
Verordnete Prüfungskommission
des Berlinischen Gymnasiums zum grauen Kloster.
Unter den 20 Abiturienten waren die künftigen Theologen am stärksten
vertreten (t>), dann kamen die Juristen (•">) und Mediziner (ö). und endlich die
Philologen (3) und ein Naturwissenschaftler.
Seinen Plan, in Bonn, Genf und Berlin Jura zu studiren. hat Otto
v. Bismarck den Wünschen der besorgten Mutter opfern müssen; an die Stelle
von Bonn trat die ..Universität der vornehmen Welt" Güttingen , und (.ienf
wurde ganz gestrichen. — —
Soviel über die Schulzeit Ottos von Bismarck, von deren Einfluss auf seiu
Leben der Achtzigjährige am '21. April ]8(.ir>, beim Empfang der Abordnung der
alten Burschenschafter sagte:
„Ich war von den Berliner Gymnasien mit nationaler G esinnun?.
ja ich muss sogar sagen, mit ziemlich republikanischer abgegangen, ohne
dass irgend eine Absichtlichkeit im Unterrichtsplan dahin zugespitzt
war; aber in uns jungen Leuton wirkte der ganze Strom, den wir aufnahmen,
dahin, dass wir für Harmodios und Aristogeiton eine gewisse Sympathie übrig
behielten und es schwer verständlich fanden, warum so viele Leute Einem ge-
horchten, wenn er ihren Wünschen und ihrer Geschmacksrichtung als Herrscher
nicht entsprach . . .
Aus der Erinnerung an den Chediw Isma'il.
Von
GEORG EBERS.
Die Biographie eines Morgenländer* für einen Leserkreis zu schreiben,
der grösstenteils dein Orient fern steht, ist ein missliehes Unterfangen.
Ganz verdeutlichen liesse sich in einer solchen die zu schildernde Persön-
lichkeit nur. Avenn es gestattet wäre, der Umgebungswelt, in der sie erw uchs
und wirkte, ein tieferes Eingehen zu sehenken. Dies ist uns in diesem
Kalle versagt. Ks würde sieh übrigens aueh durch die Bedeutung des
Mannes, dessen wir hier zu gedenken haben, kaum rechtfertigen lassen.
Zu den Uorrschergestaltcn. die ihrem Lande und Volke den Stempel ihres
Wesens aufdrückten, darf man ihn nicht zählen. Dennoch verdient der
Chediw Tsma'il wohl, dass seiner, nachdem er in der Verbannung die Augen
schloss. gedacht wird: denn seine guten Eigenschaften und verdienstlichen
Thaten wogen gewiss nicht leichter als seine Fehler und Vergehen. Zeiht
Digitized by Google
Aus der Erinneninsr «n den Chediw Ismail.
152
mau ihn auch mit vollem Rechte maassloser Verschwendung', wurde er
auch von besonnenen Männern beschuldig, niedere Habsucht und das eitele
Verlangen, von Kuropa aus Lobsprüche zu ernten, hätten ihn zu seinen
nützlichsten und erfolgreichsten Unternehmungen veranlasst, soll man sich
doch hüten, den Stab vorschnell über ihn zu brechen. Jedenfalls war ein
grosser Theil der ungeheueren Summen, die er verausgabte, fruchtbringenden
Unternehmungen gewidmet, und darunter auch nicht wenigen, die erst den
Kindern und Enkeln zu Gute zu kommen verhiessen. Seines lebhaften
Interesses auch an geketigen Bestrebungen horten wir nirgend gedenken.
Helten aach wurde anerkannt, dass er zu den fleissigsten Arbeitern gehörte.
Dennoch war er ein rastlos thätiger Mann, und das sollte ihm um so höher
angerechnet werden, je seltener orientalische Fürsten dies Lob verdienen.
Sein Anrecht darauf bleibt, denken wir, bestehen, wenn auch der Löwenpart
seiner Thätigkeit der Vermehrung des eigenen Vermögens und der Steigerung
des Ansehens seines Hauses gewidmet war.
Den Lobrednern, die ihn vor der Thronbesteigung einen heldenhaften
Heerführer sein lassen, der den Muth und andere Eigenschaften seines
tüchtigen Vaters, des grossen Feldhcrrn und Siegers von Nisibi, erbte,
meinen wir dagegen ebenso bestimmt den (Hauben versagen zu müssen,
wie wir den Schmeichlern widersprechen, die ihn bald nach Eröffnung des
.Suezkanals als den grossmüthigsteu aller Sterblichen priesen. Der Chediw
lsiua'il war vielmehr, wie diejenigen, die ihm nahe standen, versichern,
ein furchtsamer Mann, und wo er sich am grossmüthigsten zeigte und eine
allerdings ans Unglaubliche grenzende Freigebigkeit tlbte, veranlasste ihn
dazu entweder das dem Verschwender eigene Wohlgefallen an grossen Aus-
gaben oder auch — und dies in erster Reihe - ■ manche sehr nüchterne
geschäftliche oder staatsmännische "Erwägung. Dass sein gutes Herz ihn
auch bisweilen veranlasste, aus freiem Antrieb tief in den Beutel zu greifen,
soll darum ebenso wenig geleugnet werden, wie dass er für die Wohlfahrt
seines tandes zu grossen Opfern bereit war.
Wenn er Millionen auf Millionen steuerte, um es F. von Lesseps zu
ermöglichen, die Durchstechung der Landenge von Suez, die schon unter
seinem an (.-Seist und Gaben weit hinter ihm zurückstehenden Vorgänger
Sa id Pascha in Angriff genommen worden war. fertig zu stellen, und auch
andere Millionen willig hergab, um die Eröffnung des vollendeten Unter-
nehmens mit märchenhafter Pracht und maasslosem Aufwand zu feiern, darf man
nicht daraus schliessen, dass ihn die geniale Sorglosigkeit eines ungezügelt
hoehfliegenden Geistes dazu veranlasst habe. Vielmehr erwartete er von
«lern Kanal selbst zunächst nur eine wachsende Vergrösserung seiner Ein-
künfte: Avas aber die Eröffnungsfeier angeht, deren glänzendste Momente aller-
dings in das Reich der Wunder gehörten, so darf man sie eine Pyramide
nennen, die lsiua'il der eigenen Eitelkeit errichtete, und dazu eine wohl-
gelungene Spekulation. Wie der kluge Geschäftsmann und grOsste Zucker-
Digitized by Google
Biographische Blütter.
fabrikant auf Knien vorausgesehen hatte, kam sein Kntschluss, bei dieser
Feier die orientalische Gastlichkeit auf die Spitze zu treiben, der neuen
Wasserstrasse aufs Wirksamste zu Gute. Aus je weiterer Feme nämlich
der glänzende Riesenbau dieses Festes sichtbar war, je fester er den Blick
aller Zeitungsleser der Welt, Wochen, ja Monate lang auf sich zog. desto
besser erfüllte er seinen Zweck, jede weitere Reklame unnöthig zu machen.
Wahrend jener Feiertage sondergleichen war der maritime Kanal
ausserdem noch keineswegs völlig vollendet; ein grosser Theil der Gäste
des Chediw gehörte aber der Tagespresse an, und es war darum zu horten,
dass diejenigen, die es sich gefallen Hessen, wochenlang auf Kosten des
freigebigsten aller Wirthe das Meer und den Nil zu befahren, sich be-
herbergen zu lassen, zu tafeln und zu zechen, wenn auch nicht falsche so doch
nachsichtige Berichterstatter sein würden. Der Dampfer, der den Schreiber
dieser Zeilen aufgenommen hatte, war, wie fast alle grösseren Schilfe, bei der
Fahrt durch den Kanal mehrfach auf den Sand gerathen und hatte einmal
erst nach stundenlangen Anstrengungen wieder Hott gemacht werden können;
doch war dieser Aufenthalt weder ihm noch seinen Reisegefährten be-
klagenswerth erschienen, während der Champagner tloss und eine auserlesene
Gesellschaft aus allen Ländern der Erde in hochgehobener Stimmung sich
aufs Beste unterhielt. Wie oft bekam man das Wort rewablv" zu hören!
Es hatte indess einen heiteren Klang, und eine Sammlung von Euphemismen,
mit denen man den Begriff des „im Sande Festgefahrenseins* mehr umging,
als zum Ausdruck brachte, würde ergötzlich genug ausgefallen sein. Was
noch nicht vollendet war, konnte ja auch bald mit Hülfe der grossen
Baggermaschinen, an denen es nicht fehlte, fertiggestellt werden. Dass die
Mittel dazu sich beschaifen lassen würden, bezweifelten wenige der Gäste.
Sie fanden sich auch in der That, weil es der neuen Wasserstrasse von
Anfang an nicht an Dampfern fehlte, die sie passirten und den hohen
Durchgangszoll bezahlten. Dennoch ist bei dem damaligen Stand der
Finanzen des Unternehmens die Frage, was aus dem unfertigen Kanal
geworden wäre, wenn ihm die Schiffe der seefahrenden Völker noch lange
fern geblieben wären, keineswegs müssig. Die Ungeduld des Chediw, deren
wir noch zu gedenken haben, hätte das grossartige, unendlich wichtige Unter-
nehmen auf Jahre hinaus dem Weltverkehr vorenthalten können, wäre nicht
in Folge seiner schnellen Benutzung die drohende Gefahr von ihm abge-
wendet worden. Der riesenhafte Reklameakt, der auch der Eitelkeit Ismails
schmeichelte, machte zugleich wieder gut, was seine Hast zu verderben drohte.
Waren es also auch nichts weniger als selbstlose Beweggründe, die
Tsma'il veranlassten, so grosse Opfer für die Herstellung des Suez-Kanals
und für seine glänzende Eröffnung zu bringen, so möchten wir dennoch mit
aller Entschiedenheit behaupten, dass es weder allein der leidenschaftliche
Wunsch, auch in Europa für einen hervorragenden Staatsmann und für einen
weitsichtigen, allen Anforderungen der Kultur seiner Zeit gewachsenen
Digitized by Google
Aus der Erinnerung an den Chediw Ismail.
154
Regenten gehalten zu worden, noch ausschliesslich das Verlangen, seine Ein-
künfte zu vergrössern, war, was ihn veranlasste, diejenigen Einrichtungen ins
Leben zu rufen, die seinem Volke am meisten zu Gute kommen sollten. Kr
liebte vielmehr sein Land, und es lag ihm aufrichtig am Herzen, ihm zu
nützen und auch Ägypten mit den Errungenschaften der europäischen Kultur,
zu denen er mit Bewunderung aufschaute, zu beschenken, als er es unternahm,
das Delta mit einem Netz von Schienen zu überspannen, eine Eisenbahn
den Xil entlang — zu seiner Zeit bis nach vSiut und ins Fajjüm — zu fuhren und
den Telegraphendraht von Stadt zu Stadt, am Ufer des Stromes bis nach
Chartum und am Strande des Rothen Meeres hin, durch das Fruchtland
und auf langen Strecken auch durch die Wüste zu leiten. Ebensowenig
glauben wir, dass es nur Kegungen der Eitelkeit und materielle oder
geschäftliche Erwägungen waren, was ihn bewog, den Hafen von Alexandria
mit einem ungeheueren Kostenaufwand zu vergrössern, zu sicheln und sanunt
anderen Plätzen am Mittelmeer mit Befestigungen zu verseilen, seine
Residenzen mit Gas zu beleuchten, das Kanalnetz des ganzen Landes zu
verbessern und für die .Pflanzung schattenspendender Bäume zu sorgen.
So gewiss er bei der Anlage der vielen Zuckerfabriken, deren Schorn-
steine sich jetzt an beiden Ufern des Nils in grosser Zahl erheben und an
Höhe die Obelisken Uberbieten, die seine Vorfahren errichteten, nur an
Gelderwerb dachte, so sicher er besonders, um in Europa die Angriffe der
Menschenfreunde zum Schweigen zu bringen und den Beifall der christ-
lichen Welt zu ernten, die Zwangsarbeit wenigstens im Prinzip aufhob,
gegen den Sklavenhandel einschritt und den Missionsgesellschaften manchen
Vorschub leistete, ebenso gewiss veranlassten ihn reinere und höhere Beweg-
gründe, den öffentlichen Unterricht zu heben, das Medizinalwesen zu ver-
bessern und vielen seiner Unterthanen europäische Bildung zugänglich zu
machen. Dabei griff er freilich zuweilen fehl und suchte Edelreiser in
Wildlinge zu propfen, die zu ihrer Aufnahme noch nicht fähig waren.
Auch hier verdarb die ilmi eigene Ungeduld Manches. Bevor das Fundament
befestigt war, sollten dem Bau Thürme aufgesetzt werden. So ist es wohl
begreiflich, dass er, der sich als Nachfolger der Pharaonen fühlte, junge
Äegypter mit der Glanzzeit ihres Volkes im Alterthum vertraut zu machen
wünschte. Statt die Auserwählten jedoch zunächst mit der nöthigen Vor-
bildung auszurüsten, entnahm er sie arabischen Schulen und trug Heinrich
Brugsch auf, sie zu Ägyptologen zu machen. Wenn einem, so hätte unserem
gelehrten und lebensvollen Landsmanne dies Werk gelingen können: doch
bald genug zog er sich davon zurück, weil er einsah, dass die handwerks-
mäßig erlernte Wissenschaft auch die begabtesten seiner Schüler nur
ich bediene mich seiner eigenen Worte — nur zu ..Fabrikanten von falschen
Skarabäen" gemacht haben würde.
An das Werk der Reorganisation der Gerichtsbarkeit ging Isnnril mit
Unlust, weil er fühlte, dass sie bei seinem Unvermögen, den Forderungen
Digitized by Google
1 55
Biopraphisclie Blätter.
der europäischen Mächte Widerstand zu leisten, mehr den Fremden als
seinen Unterthanen zu Gute kommen würde. Mit welchen Gefühlen er es
that. mag" dahingestellt bleiben, doch ist es gewiss, dass er auch christliche
Glaubensgeuossenschaften beim Bau neuer Kirchen freigebig unterstützte.
Was die Forderung von Europa ausgehender wissenschaftlicher Unter-
nehmungen angeht, an der lsma'il es nicht fehlen Hess, fühlen wir uns
berechtigt, denen mit aller Bestimmtheit entgegenzutreten, die auch noch in
jüngster Zeit behaupteten, Jsma'il habe ihnen aus kluger Berechnung und
ohne sich auch nur um die Ziele zu bekümmern, die sie verfolgten. Vor-
schub geleistet. Diese Beschuldigungen sind grundfalsch. Sie wenden indess
eher auf oberflächlicher Kenntniss des wahren Sachverhalts nnd auf einer
leicht erklärlichen Verwechselung beruhen als auf übelem Willen: denn
man konnte den Verstorbenen während seiner Kegierungszeit allerdings
manches Projekt unterstützen sehen, das ihm nicht nur gleichgültig, sondern
widerwäl tig sein musste. Zur Erklärung dieser befremdlichen Thatsache und zur
Begründung unserer Überzeugung sei uns das Folgende zu bemerken gestattet.
Selten wurde ein Herrscher von einer übel gesinnten, beutegierigen
Umgebung so hartnäckig umdrängt und schamlos ausgebeutet wie der Uhediw
Ismail. Aus allen Ländern Europas kamen diese Parasiten an seinen Hof.
um bei ihm das tägliche Brot oder neue Mittel zu finden, die Aus-
schweifungen fortzusetzen, die sie daheim zu Grunde gerichtet. Ver-
wegene, schlaue und dazu geschäftskundige Abenteuerer wussten sich mit
dem Vorsatze, ihm ein Vermögen abzulisten, Einlass bei ihm zu verschaffen.
Waren die Eindringlinge, die dem geschäftlichen Leben fern standen, und
unter denen manche stolze Namen trugen, von liebenswürdig-einschmeichelndem
Wesen, warf er ihnen, wie ein fürstlicher Herr im Mittelalter dem Schalks-
narren, zum Dank für die Unterhaltung, die sie ihm gewährt, Gold in den
Schooss oder vor die Füsse. Manche konnte er indess, auch wenn sie ihm
misslielen, nicht von sich abschütteln: denn sie waren ihm von hohen
Gönnern, oft sogar von regierenden Häuptern, die ihm Gegendienste leisten
konnten, empfohlen worden. Besonders aus dem napoleonischen Frankreich
wurden ihm verkommene Wüstlinge, die den vornehmen Familien, denen
sie angehörten, auflagen, nachdem sie die Möglichkeit eines ehrlichen
Fortkommens daheim verscherzt hatten, als wohlverwendbare Leute mit
dringenden Empfehlungen — wenn der Ausdruck erlaubt ist — auf den
Hals geschickt. Bald genug bildete sich um ihn her eine Uamarilla. in
der diese Elemente das grosse Wort führten, und die immer stärkeren Ein-
fluss auf den wenig muthigen und viel zu sehr von Rücksichten jeder Art
beeiutlussten Fürsten gewannen. Warum er, trotz des bitteren Tadels und der
zahlreichen Angriffe, die er sich um ihretwillen irefallen lassen musste. an
ihr festhielt, ist schwer begreiflich. Ibrahim Pascha Taufiq*). der dem
) Nicht zu verwechseln mit dorn Chediw T.iufiq, dem vordem Vater und Vorgäng-er
verstorbenen Sohne Ismails.
Digitized by Google
Aus der Krimionuig' an den Chodiw Isma il.
15«
Verstorbenen zwanzig- Jahre lang nahe stand, sucht es in der Zeitschrift
-L'Et/t/ptr" zu erklären, indem er mittheilt, dass der Uhediw, wenn redliche
Freunde es wagten, ihn auf die Unwürdigkeit seiner Umgebung hinzuweisen,
keineswegs für sie eingetreten sei. sondern nur gefragt habe: „Was soll
ich tliun? Die ehrenwertben Leute verlangen, dass ich sie am eigenen
Herd aufsuche. Das lässt sich nicht immer machen. So bin ich denn
genöthigt. mich derer zu bedienen, die mich nun einmal umgeben. ...Je suis
.«mimt mal nervi, c'est rrai, rn<m ettfin je sim servil
Die Resignation des Morgenlanders und Muslim! Logischer wär es
gewesen, hätte Ismail gesagt, er sehe sich diejenigen zu benutzen gezwungen,
die er um ihrer Empfehlungen willen in seiner Nähe dulden mOssc. Damit
wäre auch die Antithese, die denjenigen, die erst aufgesucht werden wollten,
die anderen gegenüberstellt, die man ihm aufgedrängt hatte, besser zum
Ausdruck gekommen.
Wer die Umgebung dieses Herrschers kennen lernte, der wird leicht
begreifen, dass sie ihn misstrauisch machte, und den Ausruf Ibrahim
Pascha Taufiqs verstehen: ..Que de tr'qmUtyes, que de <jem farfa a rti
U- rhjne d' Ismail l"
Diese Leute nun, die sämmtlich nichts als schnöde Habsucht ihm zuge-
führt hatte, wussten ihn oft genug zur Unterstützung irgend eines Unternehmens
zu bestimmen, von dem sie allein Vortheil erwarteten. Was aus solchen
abenteuerlichen Projekten wurde, kümmerte Ismail dann natürlich nicht im
geringsten. Wie oft erthcilte er den ..gut Empfohlenen" sogar Konzessionen
zu Vorhaben, von denen sein Scharfblick voraussah, dass sie unausführbar
wären. Andererseits bemühten sich auch gewissenlose Abenteuerer. in der
Hoffnung auf unüberwindliche Hindernisse zu stossen, obrigkeitliche Er-
laubnisse zu erhalten, um. sobald sich die Unmöglichkeit, das bewilligte
Unternehmen durchzuführen, eingestellt hatte, Schadenersatz zu fordern.
.Schadenersatz!" Wie oft bekam auch der Unbetheiligte dies Wort in
Kairo zu hören. Wie viele Geschichten und Anekdoten knüpften sich
daran. Im Schatzamte wurde es wie kein anderes gefürchtet. Es war
auch in der That ein Moloch, der Millionen auf Millionen verschlang. Auf
-Schadenersatz" spekulirten die grossen Glücksritter bei ihren kühnsten
Anschlägen, um ..Schadenersatz" zu erlangen, übten Kleine die unwürdigsten
Listen. Der Uhotograph. der seinen Apparat mitten unter den Pilgern in
Thätigkeit setzte, die in gehobener Stimmung am Hirket el-Hagg bei Kairo
vor dem Aufbruch der von Engeln begleiteten Karawane nach Mekka
lagerten, und dafür, wie er vorausgesehen hatte, überfallen und durchgebläut
wurde, trug seine brauneu Flecke in der Hoffnung auf ..Schadenersatz" zu-
frieden nach Hause. Er winde denn auch. Dank den Bemühungen seines
Konsuls und dem Wunsche des Uhediw. das angenehme Verhältniss mit
der Obrigkeit seines Heimathstaates nicht getrübt zu sehen, bewilligt.
Diesem wie manchem ähnlichen Anschlage der Kleinen wohnt wenigstens
Digitized by Google
157
Biographische Blätter.
ein Beigeschmack von Humor inne. Audi daran fehlt es denen der Grossen,
die dem gemeinen Betrug ähnlieh sehen wie ein Giftpilz dem anderen. Nur
einer dieser üblen Streiche kann kaum verfehlen, durch seine eigenartige
Frechheit erheiternd zu wirken. Ein bedeutender Kaufmann in Triest. der
für den Hofhalt des Vizekönigs Sa'id Tafelobst geliefert hatte, sandte nach
dem Tode dieses Fürsten, des Vorgängers Isiua4ils, eine Rechnung ein. deren
Höhe von dem Schatzamte des neuen Kegenten beanstandet wurde, weil sie
wir behielten die Zahl im Gedäehtniss — mit 85.000 Francs oder gar
Gulden abschloss. Der Triestiner bestand indess auf seiner Forderung und
begründete sie durch einen Brief aus dem Küehendepartement des ver-
storbenen Sa'id, in dem er ersucht wurde, künftig weniger, aber besseres
Obst zu schicken. Aus diesem Schreiben sollte hervorgehen, eine wie
grosse Menge Früchte er geliefert. Obgleich dies wunderliche Argument
kaum als entscheidend angesehen werden konnte, wurde dennoch Zahlung
geleistet; denn derjenige, der sich seiner bedient hatte, gehörte zu den
einflussreicheren Finanzmännern Österreichs, und seiner Mitwirkung bei der
nächsten Anleihe zu Liebe, biss man weiter in seine saueren Äpfel.
Diese Anekdoten, für deren Wahrheit wir übrigens einstehen, genügen,
um es begreiflich erscheinen zu lassen, dass Ismail oft nicht nur gleichgültig,
sondern mit einein Fluch auf den Lippen den Unternehmungen der Fremden
in seinem Reiche zusah. Dennoch öffnete er bei mancher Gelegenheit den
Beutel mit aufrichtigem Vergnügen, um eine Sache zu unterstützen, die
ihm um ihrer selbst willens seines Beistandes werth schien. Dass er aber
gerade denjenigen Bestrebungen, die nicht nur der Mehrzahl seiner Glaubens-
genossen, sondern auch den niedrig gesinnten Glücksrittern und Genuss-
menschen, die seine Umgebung bildeten, höchst gleichgültig waren, ja ihnen
sogar verächtlich erschienen, sein Interesse zuwandte und ihnen auch frei-
gebig Vorschub leistete, das gereicht ihm zu besonderer Ehre. Es berechtigt
uns daneben auch denjenigen zu widersprechen, die Lsma'il .gerade wegen
seines Verhaltens gegen jene Parasiten für einen charakterlosen Mann
erklärten. Gewiss wäre der Gleichmuth, mit der er sich von diesem
Gesindel ausplündern Hess, für einen Europäer unverzeihlich gewesen: der
Uhediw lsma'il war jedoch ein Orientale. Um sich die Ruhe zu wahren,
Hess er sich's willig etwas kosten.
Gegenüber manchen Angelegenheiten, die ihm am Herzen lagen, be-
stand er dagegen, wie gesagt, jedem Einsprüche zum Trotz, auf dem eigenen
Willen. In unserem „Cicerone durch das alte und neue Ägypten" zeigten
wir. wie selbst gelehrte Muslimen auch nicht die geringste Theilnahiue
für das Alterthum und die Denkmäler der Vorzeit besassen. Ja sie er-
schienen ihnen als 1 leidenwerk so verächtlich, dass sie sich schämten, auch
nur von ihnen zu reden. Dies ging so weit, dass wohlunterrichtete
( ieographen und Reiseschriftsteller in ihren ausführlichen Werken zwar
jedes lleiligcngrabes erwähnen, dagegen aber der grossartigsten Reste der
Digitized by Google
Aus der Erinnerung' an den Chediw Isma il.
158
altägyptischen und griechischen Kunst mit keinem Worte gedenken. Noch
vor wenigen Lustren schienen selbst die Pyramiden den muslimischen
Kairenern nicht werth. sie, die für sie auf einem kurzen Kselritt erreichbar
sind, aus der Nähe zu betrachten. Als der Chediw Ismail nun den Denk-
mälern aus der Pharaonenzeit ein lebhafteres Interesse zuzuwenden und
bedeutende Summen für Ausgrabungen u. s. w. aufzuwenden begann, hatte
er darum gegen den lebhaften Einspruch hochstehender Muslimen zu kämpfen.
Die europäischen Parasiten belächelten seine Opferwilligkeit für diese Dini:e.
von denen nur insofern ein materieller Vortheil zu erwarten stand, als sie
einige Fremde mehr nach Aegypten zu ziehen und den Hotels u.s.w zu (inte
zu kommen verhiessen. Doch Ismail Hess sich in diesem Kalle nicht irre
machen, und wenn er Auguste Mariette die Mittel in die Hand gab. seine
seltene. Findigkeit als Ausgrabe!' zu bewähren. Tempel freizulegen, und die
Fellachen, die sich mit Weib und Kind. Vieh und Ackergeräth in ihnen
eingenistet hatten, aus ihnen zu entfernen und für die Erhaltung der Denk-
mäler Sorge zu tragen, so that er es. weil der französische Chef der Alter-
thümer in Ägypten, es in seiner jovialen und dazu fesselnden Weise ver-
standen hatte, ihm das Verständniss für ihre Bedeutung zu erschliessen
und ihn mit Achtung vor ihnen zu erfüllen.
Auch was sonst auf wissenschaftlichem Gebiet in seinem Reiche unter-
nommen werden sollte, förderte er mit offener Hand, sobald ihm erklärt
worden war. was es bezweckte und dies seine Theilnahme wachrief. So
Hess er z. B. der von G. Kohlfs geleiteten Expedition, aus der Carl Zittels
schöne Briefe aus der Libyschen Wüste. Paul Aschersohns botanische
Studien etc. hervorgingen, eine reiche Subvention zu Theil werden, weil
man es verstanden hatte, ihn für ihre Aufgaben zu interessiren. Das
Gleiche dürfen wir von der Hereitwilligkeit behaupten, mit der er Ernst
Häckel für die Erforschung der Fauna des Kothen Meeres einen Dampfer
zur Verfügung stellte, und glauben es gegenüber den Erleichterungen an-
nehmen zu dürfen, die er Georg Schweinfurth und anderen europäischen
Gelehrten bei ihren Forschungsreisen gewährte. Auch noch in der Ver-
bannung als Privatmann, dem die Gunst der abendländischen Fürsten wenig
mehr zu gewähren vermochte, geizte er nicht, wo es galt, idealen Bestre-
bungen, die ihm sympathisch waren, mit seinen immer noch reichen Mitteln
Vorschub zu leisten. Wie hoch er die Kultur des Abendlandes und seine
Bildungsmittel hielt, das bewies er auch durch die Erziehung, die ei-
sernen Söhnen angedeihen Hess. Der eine. Ibrahim Hilmy, der ihm ins
Exil gefolgt war, ein wohlunterrichteter Mann, fand den Vater freudig
bereit, ihm die Arbeit mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu er-
leichtem, als er es unternahm, ein grosses bibliographisches Werk zu ver-
fassen. In zwei fürstlich ausgestatteten Foliobänden umschliesst es die Titel
sümmtlicher als Bücher oder in Journalen erschienenen Schriften über
Ajrypten und den Sudan und zeugt aufs Lebhafteste für den Sammeltieiss
Digitized by Google
159
Biographische Bliitter.
und den wissenschaftlichen Sinn des Verfassers. In der Widmung au den
Vater, die der Sohn diesem Werke voransehickt, heisst es: „In den tinsteren
Tagen, die über die Ägypter kamen, setzen die Nachkommen Mehenied
Alis immer noch ihre Hoffnung und die Hoffnung ihres Landes auf den,
der achtzehn Jahre lang so angestrengt arbeitete, um seine Wohlfahrt und
Fruchtbarkeit zu steigern, und der ohne ein murrendes Wort die .Bitternis*
der Verbannung* trug."
Die Warme dieser Anerkennung darf der Pietät des Sohnes zugeschrieben
werden, doch lubt Hiliny nichts an dem Dahingegangenen, was nicht wirklich
zu rühmen gewesen wäre. Ja es könnte Ismail noch manches andere ( Jute
nachgesagt werden. So hatte er sich gezwungen gesehen, seinen ihm feind-
lich gesinnten Bruder Mnstapha in die Verbannung zu schicken. Von
dort aus horte der gekränkte Mann nicht auf, ihm mit seltener Gehässig-
keit Steine in den Weg zu werfen, ja ihm nach dem Leben zu trachten.
Als Mnstapha aber völlig verarmt die Augen schloss, gab Isma'il seinen
Nachkommen reichlich zu leben und nahm sie unter die Seinen auf, obgleich
er sie im Elend hätte zu Grunde gehen lassen können.
Dieser gütigen Gesinnung entsprach auch sein äusseres Wesen. Die
wohlgebildetcn, angenehmen, nur etwas zu vollen Züge des kaum mittel-
grossen, breitschulterigen Mannes zeugten für sein freundliches Geniuth;
daneben aber für einen zwar geweckten, doch etwas nüchternen (»eist.
Ohne den Tarbnsch, den er zu tragen pflegte, hätte man ihn für einen Deut-
schen oder Holländischen Kaufherrn in günstigen Verhältnissen halten können.
Ks lag etwas Beilagliches in seiner ganzen Erscheinung, die in nichts der
Vorstelluug entsprach, die der Europäer sich von dem Morgenländer bildet.
Das Gleiche galt auch, trotz des stattlichen weissen Bartes, der ihn im
Alter schmückte, von seinem berühmten Grossvater, dem Macedonier Mehenied
Ali. Das Haar wie der kurz gehaltene Bart Ismails waren braun, seine
Augen, deren Farbe ich nicht mehr zu bezeichnen wage, keinenfalls von
glänzendem Schwarz. Sie konnten bei öffentlichen Empfängen und wo es
zuzuhören galt, recht müde und gelangweilt dreinschauen. Ward er zum
Widerspruch gereizt oder gab er gar einer zornigen Erregung lebhaft Aus-
druck, so gewann nicht nur sein Blick, sondern seine ganze Persönlichkeit
etwas so leidenschaftlich Bedrohliches, dass ich meinem französischen Tisch-
nachbar Hecht geben musste, als er mir zurief: „Da haben Sic ihn ohne
die Pariser Tünche! Der Mamlukensultan, dem es auf ein paar Dutzend
Köpfe nicht ankommt." Auch der Fluss seiner liede er sprach gern
und geläutig französisch — wurde von der Bewegung seiner Seele eiiren-
thumlieh beeinflusst, indem sich dann die Gewohnheit, den sonderbaren .Satz
..rowwr vi, coimnr vä et ertrra" - - als Gedankenpause recht oft in die Hede
zu mischen, zur schwererträglichen l'nart steigerte. Wir begegneten dem
Verstorbenen zu selten, um uns, wie ihm näher Stehende, an diese Wunder-
lichkeit zu gewöhnen.
Digitized by Google
Aus der Erinnerung an den Chediw Ismail. KJ(>
Es lag, wie gesagt, etwas Bedrohliches in dem ganzen Wesen des
Chediw Isma'il, während er seinem Unwillen Ausdruck verlieh, und doch
war er nichts weniger als ein grausamer Tyrann. Das beweist schon das
Verhalten gegen seine feindlichen Anverwandten, dessen wir gedachten.
Dennoch wurde ihm in Kairo nachgesagt, er hätte sich mehrere ihm miss-
liebige Würdenträger ohne Untersuchung und Kichterspruch, ganz in der
Weise morgenländischer Despoten, ans dem Wege räumen lassen, und in
Ober-Ägypten hörten wir von Anverwandten der Verfolgten und Hingerichteten,
mit wie blutiger Strenge noch unter Isma'il nicht nur die Anhänger eines
gewissen Achmed Taijib, der zu Gau el-Kebir einen Aufstand gegen die
Regierung angezettelt und geleitet hatte, sondern auch die gesammten, meist
anschuldigen Sippen der Betheiligten, verfolgt, gefangengesetzt und getödtet
worden wären. Die furchtbaren Grausamkeiten, die in diesem Falle sicher
vorkamen, sind indess, wie wir versichern horten, mehr den ausführenden
Behörden als dem Fürsten zur Last zu legen. Was die getödteten Würden-
träger angeht, darf man wohl Ibrahim Pascha Taufki glauben, wenn er
nach dem Tode Isma'ils — versichert, dass sie niemals auf Befehl des Chediw
oder überhaupt getödtet worden wären. Der Muffetisch, von dem alle Welt
sieh erzählte, er sei auf Wunsch des Chediw erdrosselt oder wohl anch ver-
iriftet worden, soll nach diesem zuverlässigen Gcwährsmanne, auf seiner
Dihnbye nach einigen Anfällen von Geisteskrankheit eines natürlichen Todes
gestorben sein. Nur in einem Falle, giebt unser Zeuge zu, habe Isma'il
einen hohen Beamten - und zwar durch Stockprügel ums Leben
bringen lassen. Kine harte Strafe! Und doch gereicht sie dem orientalischen
Machthaber, der sie vollziehen Hess, kaum zum Vorwurf; denn derjenige,
den sie ereilte, hatte Isma'il, nachdem er ihn. seinen früheren Kammerdiener,
zur hohen Würde eines Pascha erhoben und mit dem höchsten Vertrauen
geehrt, aufs Schnödeste hintergangen und an der empfindlichsten Stelle ver-
wundet, indem er schöne Sklavinnen, die des besonderen Wohlgefallens seines
Gebieters genossen, zur Untreue verleitete. Dergleichen nicht blutig zu
rächen, wenn es in seiner Macht stand, wäre schimpflich für den Morgen-
länder gewesen. Gerade solchen Anlässen gegenüber darf man nicht ver-
gessen, wo der Thron des zu Beurtheilenden steht und Über welches Volk
er gebietet.
Der hochbegabte Grossvater Isma'ils, Mehemed Ali, dessen wir schon
gedachten, fand — und in mancher Hinsicht mit vollem Hechte — be-
geisterte Lobredner auch unter hervorragenden Europäern, die ihm persönlich
nahe gekommen waren, und doch Hess er beinahe ein halbes Tausend (480)
Mamluken, die er zu Gast geladen, an der nämlichen Stelle und zur gleichen
Stunde niedermetzeln. Diese Greuelthat, die au der Nibelungen Tod erinnert,
wurde in unserem Jahrhundert, am 1. März 1811, auf der Citadelle von Kairo
begangen. Nachdem sie gelungen war. Hess Mehemed Ali sicli von seinem
italienischen Leibarzte ein G las Wasser reichen, trank es aus und setzte es
Digitized by Godgle
161
Biographische Mütter.
mit einem langgedehnten ,,ah" nieder. Er war sieh bewusst, das einzige
Mittel angewandt zu haben, das seinem Lande die Ruhe wiederzugeben
verhiess. Das Blut, womit der Grossvater sieh damals betleckt hatte, indem
er auch noch in der Provinz an 600 Mitglieder des stolzen und übermUthigen
Mamlukenadels ermorden liess, machte es seinem Enkel möglich, ein milder
Herrscher zu bleiben.
Der Vorfall, der in unserer Gegenwart den Zorn des Chediw Isma'il
erregte, galt einer Störung der öffentlichen Sicherheit, die er in einer Weise
befestigt hatte, die sie nach seiner Vertreibung, auch nachdem die Engländer
die Leitung der Polizei übernommen hatten, nie wieder erreichte. Als es
uns gestattet war. an seinem Frühstück theilzunehmen, durfte er sich mit
vollem Recht rühmen, dass es sich in seinen Staaten nicht weniger
sicher weilen und wandern lasse als in England, in Sachsen oder Baden.
Dennoch war eine freche Räuberbande durch einen unterirdischen Gang, den
sie heimlich gegraben, in einen .luwelierladen gedrungen und hatte ihn völlig
ausgeplündert. Eben war die Nachricht zu Isma'il gelangt, dass man der
Thäter noch nicht habhaft geworden. Aufs tiefste erregt, verlangte er ihre
Einbringung, ihre Bestrafung. Die öffentliche Sicherheit, sein bestes und
liebstes Werk, sei geschändet worden. Er werde sie indess herzustellen
und jedem, der sie störe, den Kopf vor die Füsse zu legen wissen. Dabei
leuchteten die matten Augen ihm feurig auf, und die kleine fleischige Hand,
die mir eben noch wie ein Sinnbild der Gleichgültigkeit vorgekommen war.
ballte sich energisch zur dreinschlagenden Faust. Aber dieser Ausbruch
des Zornes machte bald einer anderen Regung Platz. Immer noch lebhaft
genug unterbrach er sich selbst mit dem Rufe: „Doch ineine Augen setze
ich zum Pfand, dass kein einziger Ägypter an dieser Schandthat theilnahm.
Europäer waren es. die sie begingen: Griechisches, Italienisches Gesindel!" —
Dann flog ihm ein halb wehmüthiges, halb höhnisches Lächeln um die
bärtigen Lippen, und mit einem vielsagenden Achselzucken fuhr er fort:
,,Sehe hieb recht, so nöthigen mich die hohen Regierungen der räuberischen
Schurken schliesslich noch, ihnen für die kostbare Zeit, die sie im Gefängniss
verloren, Schadenersatz zu zahlen. Was meinen sie, Herr Consul?" Damit
wandte er sich an den Vertreter des Deutschen Reichs ihm gegenüber.
Von diesem wohl unterrichteten Manne erfuhr icli später mancherlei,
was die Befürchtungen des Chediw bis zu einem gewissen Grade zu recht-
fertigen schien. Mit seiner Bestimmung der Nationalität des Raubgesindels
hatte Isma'il ins Schwarze getroffen.
Ein anderes Mal sah ich seinen Blick in ruhigerem Glänze aufleuchten.
Auguste Mariette gehörte mit zu denen, die das Frühstück theilten. Was
dabei aufgetragen wurde, vergass ich. Nur den köstlichen Chateau d'Yqem.
dessen Genuss auch er, der Muslim, nicht verschmähte, und ein von ihm
selbst angeregtes Gespräch, behielt ich im Gedächtniss. Es war von den
im Museum zu Bulaq — - sein Werk — neu aufgestellten Alterthttmern ge-
Digitized by Google
Aus der Krinnerung an den Chediw Isma'il.
1G2
redet worden. Nachdem Mariette ihm dies und das erklärt hatte, warf er
die Frage auf. wie es komme, dass die ältesten Skulpturen aus der
Pharaonenzeit die schönsten wären. Alles auf Erden schreite fort oder
gehe zurück. Nur die plastische Kunst der Ägypter scheine ihm eine
Ausnahme zu bilden. Dabei wandte er sich auch an mich, und die
Bemerkungen, mit denen er meinen Erklärungsversuch unterbrach und die
eigenen Meinungsäusserungen, die er an die unseren schloss, bewiesen, dass
er sich aufmerksam mit diesen Dingen beschäftigt. Der berühmte französische
Ausgräber, der ein scharfes Auge auch für die Schwächen Isma'ils hatte,
gestand mir später willig zu, dass der Chediw, der anfänglich wenig
Interesse an den Denkmälern gezeigt, jetzt mit wahrer Theilnahme seinen
Arbeiten folge. Mit dem lebhaften Wunsche sich zu unterrichten, lasse er
sieh erklären, was seine Wissbegier erwecke. Flösse das ( luld ihm nicht
so schnell für andere Dinge durch die Finger, würde er die Summen gern
verzehnfachen, die er für die Ausgrabungen, das Museum und das Instand-
halten der Monumente bewilligte.
Was zu ihren Gunsten dem liebenswürdigen französischen Gelehrten
gelang, das glückte auch den Vertretern der Europäischen Staaten, wenn
sie es nur verstanden, ihm die Wichtigkeit des zu fördernden Unternehmens
deutlich zu machen und ihn dafür zu erwärmen. Diese Aufgabe war, auch
wenn es sich um Bestrebungen der Wissenschaft handelte, keineswegs
schwierig; denn das Auffassungsvermögen des Chediw war gut und wohl
geübt. Dies Urtheil gründet sich keineswegs allein auf seine Äusserungen
über die Denkmäler, die uns selbstverständlich besonders zusagten; man konnte
es vielmehr von jedem,der persönlich mit ihm in nähere Berührung gekommen
war. auch wenn er zu seinen Gegnern gehörte, bestätigen hören. Wer wie
wir mit zuhörte, wie er dem Schweizer Dur, den er zum Direktor des Unter-
richtsweseus ernannte, einem wohlgeschulten, feinsinnigen Pädagogen, beim
Gedankenaustausch über die Noth wendigkeit, auch den muslimischen Frauen
die Wohlthat einer guten Schulbildung zu gewähren, die Stange hielt, der
wird unserer Behauptung zustimmen, dass es auch andere als materielle
Rücksichten waren, die den Dahingegangenen veranlassten, für das geistige
Leben der Unterthanen das Seine zu thun und sich wissenschaftlichen Be-
strebungen förderlich zu erweisen. Nur jene Ungeduld, deren wir schon
gedachten, verdarb manches klug und mit gutem Willen eingeleitete
Unternehmen.
Hätte der Chediw Ismail dieser unseligen Hast und dem ihm eigenen,
mit Genusssucht gepaarten verschwenderischen Sinne Zügel anzulegen ver-
standen, wären diese gefährlichen Eigenschaften nicht von denen, die ver-
pflichtet gewesen wären, ihnen Schranken zu setzen, fortwährend in selbst-
süchtiger Absicht zu neuer Bethätigung angefeuert worden, hätte er es
verstanden, muthig zu widerstreben und scharf abzulehnen, statt sich vor
den Leitern der europäischen Grossstaaten zu beugen und nach ihrer Gunst
Biographische Blatter. L 11
Digitized by Google
163
Biographische Bliitter.
und der Zustimmung der öffentlichen Meinung des Abendlandes zu trachten,
so wäre der Biograph berechtigt, von den Vorbehalten abzusehen, die er
auch der Erwähnung* seiner vortrefflichen Patenschaften, seiner rühmlichen
Thaten und nützlichen Anordnungen voranschicken muss.
Jedenfalls hat sein Land ihm die meisten Einrichtungen zu danken,
die heute noch gedeihlich fortwirken, schuldet sein Haus ihm, der ihm das
p]rb recht vom Vater auf den Sohn mit schweren Opfern und mit grossem
diplomatischen Geschick erkämpfte, seine fürstliche Stellung, darf auch die
Wissenschaft mit Achtung und Erkenntlichkeit seiner gedenken.
Was er fehlte, hatte er schwer in der Verbannung zu büssen. Als
Mensch gehörte er weder zu den grossen, noch zu den besten, doch ebenso
wenig zu den schlechten und kleinen. Was uns das Recht giebt. ihm gern
einen Kranz auf das (trab zu legen, ist die Überzeugung, dass diesen
arbeitsamen. Mann der Wille, sein Land und Volk glücklich zu machen,
jederzeit beseelte, sowie die (Jewissheit, dass er den Einwänden einer un-
würdigen Umgebung zum Trotz, auch geistige Bestrebungen mit wahrer
Theilnahme förderte.
Nach seiner Vertreibung ist er auch von manchem, der ihm Alles
verdankte, geschmäht und verlästert worden. Mit bewunderungswürdigem
(Jleichmuth Hess er es über sich ergehen. Nun er nicht mehr ist. sind
diejenigen, die ihn kannten und darum wissen müssen, wie sehr viel besser
er war als sein Kuf, verpflichtet, die Stimme für ihn zu erheben.
— <s>_
Taine.
Uerie, gehalten am 7. Februar lS!)f> von
ALBERT SOREL
bei seiner Aufnahme in die französische Akademie.
Durch meine Berufung in Ihren Kreis haben Sie meinen Ehrgeiz im
Übermaass befriedigt. Wäre es möglich gewesen, diese Auszeichnung zu
erhöhen, so hätten Sie das gethan durch die Aufforderung, Ihnen von einem
Manne zu sprechen, den ich sehr bewunderte, solang ich ihn nur aus seinen
Schriften kannte, und den ich noch weit mehr bewunderte, als ich den
seltenen Vorzug hatte, seiner Freundschaft theilhaftig zu werden.
Hippolyte Taine war eines der mächtigsten Originale unseres Jahr-
hunderts. Kein Lebenslauf war gradliniger, kein Werk einheitlicher, kein
Charakter beständiger, als der seinige. Und doch scheint dies Werk und
dieser Charakter voll von (lCgensätzen. Systematisch bis zur Symmetrie in
der Architektur, liebt er in der Ausschmückung verwegene Ausladungen
und gluthvolle Ausmalungen. Im gesellschaftlichen Verkehr der zurück-
haltendste, duldsamste aller Menschen, ist er als Autor schroff und
Digitized by Google
Taine.
104
absprechend: er verblüfft, er stösst vor den Kopf, er fiberrennt und zer-
malmt. Seine Auffassung des Universums wurzelt im unbedingten Deter-
minismus: seine Ordnung der menschlichen Dinge gipfelt in der Gerechtig-
keit und Freiheit. Dennoch greift in diesem Gewebe alles in einander,
dennoch stimmt jede Schrift Taine s zu der anderen. Er hat sein Leben
— und welch ein Leben rastloser, fruchtbarer Arbeit! der Ergründung
nnd Erweisung der ursprünglichen Lieblingsgedanken geweiht, die er in
seiner Jugend gefasst hatte. In seiner Methode liegt die geistige Einheit
und Herrlichkeit seines Lebenswerkes beschlossen.
Diese Methode ist bei ihm eins mit dem Menschen selbst. Sie wirkt
in ihm, noch bevor er sie kennt, und seine nachmalige Darstellung derselben
ist im Grunde nur die Zergliederung der naturgeinässen Thätigkeit seines
eigenen Geistes. „Jeder", so hat er selbst gesagt, „schreibt der Wissen-
schaft die Gewohnheiten seiner Denkweise vor." „Meine Geistesart ist
französisch und lateinisch: Eingliederung der Ideen in regelrechte Klassen,
gepaart mit dem steten Aufsteigen der Naturforscher von Reihe zu Reihe."
Im Dienst dieser Geistesart steht eine ausserordentliche Kraft der
Fassung und Anpassung. Er häuft die gesammelten Thatsachen und
Kenntnisse aufeinander, verknetet sie und presst sie aus. Dann lässt er
die Lösung sich setzen, klären und nach einem Gesetz der Wahlverwandt-
schaft, das das Gesetz seiner eigenen Intelligenz ist, zu strengbestimmten
(iebilden zusammenschiessen. Sein Gedanke formt sich, wie sich ein
Krystall formt.
Und dieser Krystall ist durchsichtig: wundervoll glatt an der Ober-
fläche, schlüpfrig und kalt bei der Berührung, spitz und schneidig an den
Ecken, scharf, doch niemals giftig verwundend; fällt Licht auf seine
Kanten, so zerstreut es sich in regenbogenfarbigen Garbenbündeln; trifft es
seine Prismen, so ergiesst es sich in bunter Strahlentluth. Taine ist ein
Gelehrter, der die Natur mit den Augen eines Malers sieht, ein Dialektiker,
der wie ein Dichter schreibt.
Er wurde am 21. April 182H zu Vouziers in den Ardennen geboren.
Seine Mutter war die Zärtlichkeit und Vernunft selbst; sein Vater, ein sehr
feiner und gebildeter Geist, brachte ihm die Elemente des Lateinischen bei.
•So empfing Taine gleich bei Beginn seiner geistigen Entwicklung das Ge-
präge dieser Sprache, die er „als die lebendige Kunst zu schreiben und zu
denken" ansah. Ein weitgereister Oheim lehrte ihn das Englische. Von
seiner Kindheit an wurde die Seele Englands seine zweite Seele. Shakespeare
offenbarte ihm später das von Leidenschaften bewegte Weltgetriebe. Er
enthüllte ihm auch den Geist der Renaissance. Taine wurde — und für
immer — sein glühender Anhänger.
Der erste Natureindruck, „derjenige, welchen das folgende Leben nur
vollendet und nicht verschwendet", kam ihm aus den benachbarten, feuchten,
stillen, von seltsamen Traumgesichten erfüllten Wäldern. Im Wald ertönte
ir
Digitized by Google
1(55
Biographische Blatter.
das grosse, stete Wiegenlied seines Lebens. Sehr früh schon suchte er
liier unter Moos und Felsen bei ihrem Ursprung und in ihrer Heimlichkeit
rdie grossen Quellen, neben denen unser kleines Dasein nur eine Welle ist'*.
Hier bildete er auch eine besondere Neigung aus, die Ur- Mythen in ihrer
(ienesis aufzuspüren, „unter der menschlichen Legende die Majestät der
natürlichen Dinge" zu enträthseln, den Welt-Chor von Bäumen, Flüssen und
Meeren ahnend zu erhorchen. Das war sein Bindeglied mit Goethe; auf
diesem Umweg kam er zur Seele der Antike, und nicht ohne Absicht hat
er in einer Studie, in der er sein Innerstes crschloss, Visionen des Vogesen-
waldes zugleich mit dem reinsten Heidenglauben heraufbeschworen: Sa inte
Odile et Iphigenie.*)
Die arbeitsame, geachtete Lebensführung des elterlichen Hausstandes
beschied ihm auch Respekt vor dem gesunden Menschenverstand, Liebe
zur Ordnung und zu alledem, was er „die heilsamen, notwendigen Dinge"
nannte: Familie und Khc; Achtung der persönlichen Freiheit und den
Wunsch nach einem gemässigten, berufenen und weisen Leuten anvertrauten
Regiment.
1848 wurde er in die Ecole normale aufgenommen, als Erster einer
berühmten Schaar von Prüflingen. In dieser Anstalt fand er alle Gluthen
des Geistes, alle Freuden der Freundschaft. Er las alles, aber ..der
ursprüngliche, fortdauernde Zug seines Geistes" verleugnete seine Richtung
nicht. „Guizots Geschichte der Civilisation", sagte er späterhin, „hat mir
die erste grosse literarische Anregung verschafft, Dank ihrem systematisch
aufsteigenden Vorgehen."
Eine Schulfreundschaft bot ihm Gelegenheit, dem berühmten Historiker
vorgestellt zu werden. Guizot war nachsichtig und aufmunternd gegen die
.lugend. So viel Kraft des Geistes im Verein mit solcher Seelenreinheit
machte ihm Taine werth. Er bezeugte ihm eine Achtung, die — wie die
Akademie weiss — sich niemals verleugnete. Ich habe das Glück gehabt,
in gleichem Alter, ohne gleichen Antheil zu verdienen, dasselbe Wohlwollen
zu gewinnen; ich habe dieselbe Gastlichkeit des Gedankens, kostbarer und
freigebiger noch als die Gastlichkeit des Hauswirtlies, kennen gelernt:
so ist es mir, der als Schüler den Spuren dieser Meister von ferne folgt,
süss, Beider zusammen in gleicher Dankbarkeit zu gedenken.
Die Generation von Taine kam an einem beunruhigenden Wendepunkt
der Geschichte. Diese tapferen Neulinge begannen ihren Wattengang am
Tag nach einer Niederlage. „Die landläufige Demokratie erregte ihren
Ehrgeiz, ohne ihn zu befriedigen, die geltende Philosophie weckte ihre
Wissbegier, ohne ihr zu genügen." Dann kam die in diesem Alter — wo
der Mensch noch ungeduldiger nach Glück, als nach Ruhm verlangt —
quälende Frage: Avas wird das Leben für uns sein? Wenn sie die Dichter
■
') Sainte-Odile et Iphigenie en Tauridc. L'idcal et les dieux. Essais
de critique et d'histoire, 3. Auflage, 1874. Vgl. Goethe-Jahrbuch, 1886, S.297. A. d. Ü.
Digitized by Google
Taine.
1(5«
von Chateaubriand bis Lamartine, von Byron bis Heine zu Käthe zogen,
hörten sie nur einen Chor von Wellklagen : „das Gluck wurde als unmöglich,
die Wahrheit als unerreichbar, die Gesellschaft als uiissrathen, der Mensch
als fehlgeboren bezeichnet". Taine schlug andere Bahnen ein, Bitterkeit
im Herzen. Er verwünschte die Begeisterung, er verwarf die Beredsamkeit,
all das Blendwerk, durch das die Vernunft ewig von den Leidenschaften
bethört wird. Ausser Stande, sich selbst in das Getümmel des Lebens zu
stürzen, fragte er dem Roman seine Geheimnisse ab, und je trostloser oder
schmachvoller der Roman für die Menschheit war, desto wahrhaftiger dünkte
er ihm. Dazumal bemächtigte sich Stendhal seiner, den Taine „den grössten
Psychologen dieses Jahrhunderts und aller vorangehenden Jahrhunderte*'
nennen wird; in derselben Zeit erscheint ihm Balzac als „der lebende,
moderne Shakespeare", der ihm „die grösste Yorrathskaramer von Urkunden,
die wir über die menschliche Natur besitzen", öffnet. Seine Kenntniss des
Mensrhen geht von dieser furchtbaren Pathologie aus, ebenso wie seine
Kenntniss der Politik von dem Zusammenbruch von Charakteren und Ideen
ausging, der sich dazumal in Paris abspielte. Daher stammt sein grund-
mässiger Pessimismus; daher die Formeln, die den Schlüssel zu seiner
^esellschafts- Ansicht bilden: der Mensch ist von Natur aus toll, wie der
Leib von Natur aus krank ist; die Wahrnehmung ist eine echte Hallncination;
die Gesundheit unsres Geistes ist, wie die Gesundheit unsrer Organe, nur
ein schöner Zufall; eine gute Regierung ist nur eine Ausnahme, eine Halte-
stelle im Gang der menschlichen Dinge.
Dazumal stieg er in „die Tiefen des Skepticismus" nieder. Aber er
war durch und durch Willenskraft, durch und durch Intelligenz. Das
Nichts vermochte ihn nicht lange festzuhalten, und er raffte sich auf,
wesentlich gestärkt. Spinoza gab ihn sich selbst zurück. Er begeisterte
sich mit einer Art von düsterer Frömmigkeit für einen Gott, der mit dem
Universum zusammenfällt und der sich auf geometrische Art beweisen lässt.
Es gab keine andere Wahrheit für ihn als diese Weltordnung; seine ganze
Aufgabe war es, sie zu verstehen, seine ganze Pflicht, sich ihr anzupassen.
Nur in dieser Überzeugung, so sagt er sich, findet man „die volle Seelen-
ruhe, die jeden Zweifel ausschliesst und den Geist wie mit ehernen Banden
umklammert". Er war 21 Jahre alt, als er diese Zeilen schrieb. Die
ehernen Bande lockerten sich nicht mehr. Er schloss sich in seinem
trranitenen Thurm ab, Hess darin nur einen schmalen, umschleiertcn Aus-
blick gegen den Himmel offen und vergönnte sich nur ab und an in sehr
hellen, reinen Sommernächten den Schleier zu lüften und jenseits von Raum
und Zeit der „glcichgiltigen, unbeweglichen, ewigen, allmächtigen" Schöpi'er-
formel nachzusinnen, vor der sich der Geist des Menschen, wenn er sie in
ihrer erhabenen Klarheit entdeckt, in Bewunderung und Grauen zugleich
beugt. Spinoza gebot ihm Ergebung; Marc Aurel lehrte ihm Entsagung.
Jch lese Musset und Marc Aurel", schrieb er einem Freund. ..Ich finde
Digitized by Google
107
IHoffraphische Blatter.
bei dem einen allen Überdruss, bei dem andern das Allheilmittel . . .
Er ist mein Katechismus, unser eigenstes Wesen . . . Das Lieht des
Geistes bringt die Heiterkeit des Herzens hervor . .
Kine solche Lebensanschauung führt zu einem Leben im Dienste der
Wissenschaft. Die »Seele erforschen in ihrem Kern, in dem Werk genialer
Naturen, in der Geschichte der menschlichen Gesellschaften; den Menschen
erkennen, so wie er ist, weder als Missgeburt, noch als Ungeheuer, ein
Wesen, das weder zu preisen, noch zu verleumden ist; ihm die rechte
Stelle in der Natur zuweisen; zeigen, dass alles in ihm und um ihn auf ein
Bündel von Gesetzen zurückführt und dass das Ideal, auf das all seine
Ansprüche hinwirken, auch das Ziel ist, nach dem alle Kräfte des Universums
hinstreben: das war die Aufgabe, die sich Taine seit seinem Scheiden aus
der Ecole normale stellte.
Allein es hiess auch leben, und für diejenigen, die frei denken wollten,
war in jenen Jahren das Leben im Lehramt eine schwere Sache. Taine
erfuhr das in allen Abstufungen: skandalöse Zurückweisung von derDocentur:
dann Verbannung in die Provinz, die nur die Lehrzeit der Ungnade war.
Kr lernte die Dummheit in der Ungerechtigkeit, gleissnerische Verfolgung,
„diese ersten Herzkränkungen der Jugend* kennen, die sein Leben für alle
Zeit verdüsterten und die ihn späterhin zu dem Satz ,.von der gewöhnlichen
Härte des Umgangs mit Menschen* veranlassten. In weniger als einem
Jahre degradirte man ihn von einer Supplentur der Philosophie in Toulon zu
einer Supplentur der Sexta in Besancon. Dagegen lehnte er sich auf: ohne
ein anderes Hilfsmittel, als .seine Feder, kehrte er nach Paris zurück.
Dies lernbeliisscne Paris von l.s">.3, das sozusagen in dumpfer Berg-
werks- und Laboratoriums-Schwüle eine Revolution der Wissenschaft und
Litteratur ausbrütete, war dazu geschaffen, den Geist von Hippolyte Taine
zu entwickeln, doch auch zu dem Extrem seines natürlichen Hanges
zu treiben. Man arbeitete und dachte hier nur um der Wahrheit willen,
unbekümmert um die praktischen Folgen, genauer gesagt, voll Verachtung
für diese Konsequenzen.
Damals schloss sich Taine an Woepke an, der seine mathematischen
Kenntnisse ergänzte und ihn in die Philosophie einführte; an Dore, der ihn
mit Künstlerkreisen in Berührung brachte, indess ihm sein Jugendgespiele
Marcelin leinte, Geschichte aus Bildern und Stichen zu lernen.*) Er trieb
Physik und Chemie, besuchte die Salpctriere, bemüht, inmitten aller Ver-
zerrungen und Entartungen der kranken Vernunft den geheimnissvollen Über-
gang von der Empfindung zum Bild, vom Bilde zur Wahrnehmung zu
ergründen. Inzwischen begann er auch für die Revue de l instruction
publique, die Debats und die Revue des deux mondes zu schreiben.
Und überall Hess er sich, mit voller Hingebung an jede gerade vorliegende
) Wl. Taing s « liarakf i*ri>t ik von YVo»'pke in <ion Nouvcaux K.>>ais \:tt! ti'.t. st-inen
Na. hrui' ttir Martcliii-I'lanat in ileji Demkis K>>ais rilo lt.). A. d. ('.
Digitized by Google
Taine.
1G8
Arbeit, angelegen sein, Fachmänner, lebendige Zeugen auszuholen, mit Vor-
liebe Diejenigen, denen er grossen Scharfsinn und ausgesprochene Neigung
zur Skepsis zutraute: auf der Suche nach der bestbewiesenen Meinung in
der bündigsten Form, „nach persönlichen, genauen, grellen Eindrücken",
nach charakteristischen Worten bedeutender Männer, nach kleinen bezeich-
nenden Einzelnheiten glosser Ereignisse. Gleichwohl drängte es ihn nach
seiner Einsiedelei auf der Ile Saint-Louis. Den widerspänstigen, unbequemen
Menschen zog er die weniger schwerfälligen, leichter aufzublätternden Bücher
. vor. Das wirkliche, das brutale Leben zog ihn nur als Schule der
Krlahrung, als Klinik der Gesellschaft an. Am liebsten studirte er es jedoch
nur in Saint-Simon oder Balzac, wie die Ungeheuer, die reissenden Thiere
und Kaubvögel im Museum, hinter den Gitterstäben, des Morgens, wenn die
bäume noch thaufrisch und die Laubengänge noch nicht von Müssiggängern
heimgesucht sind. Er fürchtete seine Zeit zu verlieren und sein Gedächtniss
zu beschweren. Er mochte sich überhaupt nicht langweilen. Wenn er dem
Geheimnis* der Dinge nachging, verstand er sich nicht dazu, ihm lange
aufzulauern an den einzigen Stellen, wo sich solche Geheimnisse möglicher-
weise verrathen: in beiläufig hingeworfenen Worten, wiedergekäuten Anek-
doten, falschen Vertraulichkeiten, im Getratsch von sich selbst besessener
Menschen, die bestrebt, die Zeit todtzuschlagcn, langweiliges Warten zu
verkürzen, sich vor einander aufzuspielen, misstrauisch gegen unmittelbares
Ausfragen, bisweilen in unbewachter Kitelkeit oder Leidenschaft unversehens
mit dem Wort der Offenbarung herausplatzen: in den Vorzimmern der Würden-
trager. in Zeitungsstuben, in den Wandelgängen der Volksvertretung, in
Theaterfoyers, in allen Gelassen zwecklosen Bummelns.
Und wie er in Paris sammelt und prüft, Umschau hält, analysirt und
notirt, hält er es auf Reisen in England, Italien, den Niederlanden und
Frankreich. Eifrig in den Archiven, bei Gelehrten und Fachmännern vor-
sprechend. Musetunsbesuche durch Bibliotheksgänge erläuternd.
Er übt und vertieft sich in der neuen Wissenschaft. Hier als Historiker,
der mit wuchtigen Axthieben die Heerstrasse, die Denkmäler der römischen
Geschichte aus dem spröden Erdreich herausgrabt im Essai sur Tite-
Live. Anderwärts als Psycholog, der sich in seinen Philosophes bestrebt,
die unter ofliziellen Lehrprogranimen verschütteten Spuren Uondillacs bloss-
zulcgen. Dies Buch war sein Bastillesturm. 'Paine hat nichts geschaffen
i nicht einmal in den Aufzeichnungen von Thomas Graindorgc, diesem
positivistischen l*i Bruyere des Pariser Lebens), wo er mehr Humor, in
gleich ungebundener Darstellung, entfaltet hätte. Verwegener Schwung,
ein Gemisch von spöttischer Irrevcrcnz und dichterischem Feuergeist : ein
in unserer Litterat ur noch unbekanntes Talent. Abstractionen zu versinn-
üchen. Analysen farbenprächtig, die Dialektik malerisch, das Selbstverständ-
liche geistreich zu gestalten; die Gabe, köstliche Landschaftsskizzen einzu-
schalten und mit dunklen ireometrisehen Zeichnungen zu umrahmen. Line
Digitized by Google
169
Biographische Blätter.
ganze Psychologie, die sich ankündigt, eine ganze Philosophie der Geschichte,
die überströmend sich ergiesst , eine ganze Metaphysik, die auffliegt ;
vor Allem das überschäumen, die Flugkraft der Jugend. In diesen in der-
selben Zeit entstandenen, Schlag auf Schlag veröffentlichten Schriften giebt
er in den Hauptzügen die Hauptideen seiner Werke. Er wirft sie ohne
Umschweife hin, fällt den Leser mit seinen Thesen an und überrumpelt
ihn durch schlüssigen Beweis. Damals, ja jederzeit, liebte er gebieterische
Einsätze ä la Beethoven.
Im Verlauf seiner Studien über Racine, Saint Simon, La Bruyere,
La Fontaine, Mme. de La Fayette bildet er sich eine Anschauung des
französischen Charakters, die er unablässig aufnehmen, erweitern und ergänzen
wird. Auf den Rhythmus seines Lebenswerkes übt sie denselben EinÜuss,
wie seine Grundansicht des von Geburt kranken Menschen und der von Natur
gebrechlichen Gesellschaft. Es ist der klassische Geist; aus ihm wird er
seine Theorie der französischen Revolution ableiten und diese Idee wird die
Hauptidee der Origines de la France contemporaine werden.
Daraus ergiebt sich zum Voraus, was er in dieses Buch aufnehmen
und was er davon ausschliessen wird. Man sieht gleichen Schrittes, sieh
wechselseitig voraussetzend, die klassische Tragödie und die Menschenrechte,
die absolute Monarchie und die Demokratie kommen. Ks ist die grosse
königliche und nationale Heerstrasse durch die Fluren und Weingärten des
landläufigen Frankreich; aber diese Heerstrasse hört auf am Fusse der mit
ewigem Schnee bedeckten Gebirgszüge; am Strande, wo der Ozean, der sich
in die Unendlichkeit verliert, seine Wogen auf den Dünensand spült; an den
Felsen, wo die sich unablässig brechenden Wellen unter einem gewitter-
schweren Himmel in Schaum zerstieben. Frankreich ist das Land der
Gegensätze. Seine Heldenlieder strotzen von Wundern. Heisst es nicht
seine Geschichte mit allzuschnell fertiger Hand zerstückeln, wenn man soviel
ruhmvolle Abenteuer und heroische Prüfungen, diesen Heisshunger nach
dem Unmöglichen und diese langen von Fiebern unterbrochenen Abspannungen,
den Rausch der Kreuzzüge und den Freiheitsrausch, die epische Hochstrasse,
die von Jerusalem nach Fleurus, vom Kreis Karls des Grossen zu dem
Napoleons führt, als Abweg abthut? Für Taine sind all das nur Ab-
lenkungen. Er versagt sich, ihnen zu folgen, wie er sich die Erhebung
zum Mysterium und den Aufstieg zur Metaphysik versagt.
Er hatte es unternommen, seine Methode im Grossen anzuwenden, die
Geschichte einer Litterat ur zu schreiben und dabei die Psychologie eines
Volkes zu suchen. Er hatte England gewählt, weil er in der englischen
1 jttcratur zu allen Zeiten den leidenschaftlichen, innerliehen, in sich gekehrten
Menschentypus des heutigen Engländers wiedergefunden hatte. In diesem
Buche gab Taine das Maass seines Könnens. Mit dieser Meisterleistung
stellte er sich nicht nur in die erste Reihe unserer Schriftsteller, er machte
der französischen Litteratur grosse Ehre in Europa.
>
Digitized by Google
Taine.
170
Die Methode hatte ihre Probe bestanden : in der Einleitung zur Litte-
rature anglaise gab Taiue ihre mustergiltige Darlegung. Sie führt in der
That auf wenige einfache Ausgangspunkte zurück : alle menschlichen Dinge,
das Genie eines Künstlers oder das Genie eines Staatsmannes, die Litteratur
eines Volkes oder seine staatlichen Einrichtungen haben ihre Ursachen,
Bedingungen und Abhängigkeiten. Für den Menschen und für das Volk
siebt es eine ursprüngliche, führende und herrschende Anlage, die alle Ideen
und Handlungen lenkt. Sie stammt aus drei Urkräften: der Race, der Um-
gebung, dem Zeitpunkt. Taine hat Sainte Berne» viel zu danken und er
bekannte das gern. Für diese Grundanschauung war er jedoch einem anderen
-Meister verpflichtet: „Meine Idee", sagte er, „schleift seit Montesquieu auf
dem Boden hin, ich habe sie aufgehoben, das ist alles."
Wir erkennen die berufenen „nothwendigen Beziehungen" wieder, „die
ans der Natur der Dinge fliessen"; aber indem wir sie feststellen, wollen
wir nicht vergessen, dass „die Natur der Dinge" hier die menschliche Natur
ist. In der Geschichte muss man den Menschen überall aufsuchen und
(Iberall an die rechte Stelle rücken, denn allerorten erkennt man ihn wieder.
Was ist in der That die Raee in der Entwicklung der (Zivilisation, wenn
nicht die Gcsammtheit der erblichen, von der Familie den Generationen ein-
geprägten Eigenschaften? Was ist die Umgebung (le milien ). wenn nicht
von den Anfängen aufgespeichertes Menschenthum, die Tradition, der Volks-
glaube, die Volkslieder, die Gesetze, alles, was das Individuum modelt, die
Vergangenheit mit der Zukunft verknüpft, den Tod innerhalb der Nationen
aufhebt und bewirkt, dass der Mensch an seinem Vaterland hängt, wie die
Pflanze am Boden haftet, aus dem sie Saft, Blttthe und Keimkraft zieht?
Das Schicksal eines Volkes beschränkt sich unter diesem Gesichtswinkel auf
die dauernden Thatsachen seiner Geschichte. Die Völker bleiben in den natür-
lichen dem Menschenleben auferlegten Bedingungen die Werkmeister ihres
Geschickes. Die Formeln, die wir davon geben, sind blosse Schöpfungen
unseres Geistes, und sie lenken die Welthändel nicht mehr, als die Formeln
der Astronomen den Lauf der Gestirne lenken. Aber in dem Schauspiel
der irrenden Menschheit, die unablässig dafür leidet und arbeitet, besser zu
sehen, besser zu denken, besser zu handeln, die Gebrechlichkeit des mensch-
lichen Wesens zu vermindern, die Unruhe seines Herzens zu besänftigen,
entdeckt die Wissenschaft einen Leitfaden und einen Fortschritt: sie fügt
dem bewegten Interesse an dem Schauspiele die Gewissheit einer höheren
Harmonie hinzu, deren Ausdruck dies Drama ist.
Um die Thatsachen zu erklären, verknüpft sie Taine miteinander: um
sie zu beweisen, hält er sie fest. Seine derart verkettete und gegliederte
Geschichte ist unbeweglich: aber durch die Lebhaftigkeit des Stils ersetzt
er die unterdrückte Bewegung der Erzählung. In Betreff seiner Methode
schwankte er niemals: in Betreff seines Stils kannte er dagegen Schwankungen
und Rückfälle. Die Fähigkeit, die Dinge darzustellen, war ihm eins mit
Digitized by Google
171
Biographische Blätter.
dem Denkvermögen. In diesem Geist arbeitete er in seiner ersten Zeit mühe-
los, ohne vorgefasste Meinung; späterhin bewusst und mit Anspannung' aller
Kräfte. Zwischen seiner ersten Manier, den rein geistigen Metaphern, den
hellfarbigen Aquarellen des „La Fontaine'' und der Philosophes und
der stürmischen Einbildungskraft der „Italienischen Reise" besteht nicht nur
ein Unterschied der Grade. Man geht von einer Schule zur andern Uber.
In dem Paris, wie es das moderne Leben herausgestaltet hat. citirt mau
»Stendhal, ohne ihn zu lesen. Condillac wird weder gelesen noch citirt,
Montesquieu in die Mexlaillensammlung verwiesen. Tainc erklärt sich für
die Coloristen. In grellen, bisweilen wehthuenden Tönen fixirt er auf seinen
Blättern „die Flecken, welche die Gegenstände auf seiner Netzhaut machen".
Aber er würde es sich vorwerfen, den Eindruck um des Eindrucks willen
zu suchen. Er will, dass die Darstellung der Idee, so intensiv sie auch
sein mag, eine deutliche und vertiefte Idee bleibe; bezeichnender, eindring-
licher für den Geist, weil sie die Sinne stärker trifft; immer aber beweis-
mässig, niemals phantastisch, noch weniger ungenau. Mehr als einmal legt
er über diesen ihn beunruhigenden Punkt seine Reichte ab: „Seit zehn .Jahren",
so schreibt er 1S«2, „war mein Grundgedanke der: man muss den Menschen
malen in der Art der Künstler und zugleich konstruiren in der Art der
Denker; die Idee ist richtig, sie bringt mächtige Wirkungen hervor, ich
danke ihr meine Erfolge, aber sie zerstückt das Gehirn. Ich bin im Kampf
zwischen zwei Richtungen, der früheren und der heutigen". . . . Er schied und
entschied sich denn auch: „buchstäbliche unmittelbare Übertragung der
Empfindungen" für die englischen Reiseeindrücke und die Pariser Auf-
zeichnungen; farbige Klassiiikation für Philosophie und Geschichte. In dieser
letzten Manier schreibt er seinen „Versuch über die griechische Skulptur"
von so leichter Verve, von so durchsichtigem Licht; die Abhandlung Über das
..Ideal in der Kunst", so gesund durch die stete Erhebung zu der wahren und
schönen Lehre vom Segen der Charaktere; seinen Traite de 1' Intelligence.
wo er die in den Philosophes skizzirte Psychologie vervollständigt und
zum Abschluss bringt. Es ist sein durchdachtestes und vielleicht sein voll-
kommenstes Werk.
Dies Buch bezeichnet den Höhepunkt seines Talentes und vielleicht
auch seines Einflusses. Fortan ist er mit seinem Freund Renan einer der
anerkannten Führer des nachwachsenden Geschlechtes. Taine war ein Vor-
läufer gewesen. Nun war sein Publikum gekommen. Die jungen Leute,
die dazumal zwischen dem 20. bis :3<). Jahr standen, urfranzösisch in ihrer
eigenen Entwicklung, müde »1er hohlen Scilla gworte. der Autoritäts- und
der Import- Philosophie, der gefesselten und der abgetakelten Luftballons,
heisshungrig nach Wissenschaft, die ihnen Ersatz bieten sollte für den ge-
sammten Thatendramr. forderten in Kunst und Forschung eine positive Be-
trachtung der Dinge, realistisch durchsättigte Deutlichkeit. Sie waren die
Schüler von Pasteur in der Ecole normale, von l^uicherat in der Ecole des
Digitized by Google
Taine.
17l»
(.'hartes, von Claude Bernard, Berthelot, Havet im (College de France;
Leser von Toefruevilles Ancien regime, von der Oite antique von
Kustel de Coulanges; Lcconte de Lisle erschloss ihnen die Poesie ent-
schwundener Raeen, die Seelen der Barbaren; mit dem Roman schritten sie
von Balzac zu Flaubert weiter fort; im Theater beklatschten sie Demi-monde
nnd die Effrontes; dann fühlten sie bei der Heimkehr in ihre Behausung
ihr Herz höher schlagen, ihre Seele erhoben durch die Stances von Sully-
hudhomme. Zwischen all diesen Menschen und Werken gab es Bande
nnd Beziehungen, welche diese junge Leute ahnten, sich jedoch nicht er-
klärten. Taine machte ihnen diesen Zusammenhang begreiflich. Er wurde
ihr geistiges tiewissen, ihr Meister im Denken und Schreiben. Er lehrte
sie schauen und wollen, tief schürfen und aufbauen. Ein strenger Führer
in seinen strengumschlossenen Horizonten, doch männlich und erkräftigend
in seinen edlen Mahnungen zu selbstloser Kulturarbeit.
Die Fachmänner stritten noch mit einander, ob er zu den Positivisten
oder Pantheisten zu rechnen, ob er Comte oder Spinoza anzureihen, unter
welchem Namen er anzuerkennen oder mit welchem Schulhaupt er zu ächten
sei. als seine Methode schon — und wäre das nur durcli den Widerhall
oder Gegenstoss der ..Vennahnungen" und Widerlegungen — das grosse
l^iblikum gewonnen hatte. Seine oft missverstandenen und verzerrten
Formeln — Milieu, Race, Zeitpunkt. Hauptidee, Gruppenreihe, Seelenzustände,
echte Hallucination — verbreiteten sich in Schulen, Revuen, Ateliers.
Zeitungen. An dieser Art von Pegel misst man die Alluvien grosser Denker.
Psychologie. Geschichte, Kunst- und litterarische Kritik, Studien nach der
Natur und I^andschaftsschilderungen; der Roman als Urkundenwerk zu Rath
gezogen und fortan auf Grund von Urkunden aufgebaut; die sorgfältige Er-
forschung des Individuums von seiner Geburt, in seinen Gewohnheiten und
L'nigebungen ; die Beschreibung, selbst die Inventarisirung des Hausratlies
und allen Zubehörs menschlichen Lebens, man kann sagen, überall, von den
Lehrkanzeln der Hochschulen bis in die Mode- Presse machte sich Taines
Kinfluss fühlbar: auf keinem Gebiet geistiger Thütigkeit hat er die Dinge
an der Stelle belassen, auf der er sie vorgefunden.
Sein Lebenswerk sollte nach seinem Vorhaben auch noch Religions-
und politische Studien umspannen. Er war schon weit entfernt von der
Zeit, in der er in der Religion nur ..ein schönes, für wahr gehaltenes",
einzig und allein in die Litteratur einschlägiges Poem erblickte. Seit
seiner Reise nach England dämmerte ihm in einem sehr weitherzigen, ganz
von modernem Geist durchtränkten Christenthuiu die Möglichkeit einer Ver-
söhnung zwischen dem wissenschaftlichen Geist und einer sittlichen Zucht,
die ihm als beste Moral erschien, um durch unmittelbare Berufung auf das
Gewissen im Menschen ..freiwillige Reformation und die Herrschaft über
sieh selbst" zu entwickeln. Mit solchen, oft erwogenen Gedanken über dies
Kapitel stand er jedoch der Mehrheit seiner Mitbürger zu ferne. ..Ich
Digitized by Google
173
HioCTuphixche Blatter.
habe wohl ein politisches und religiöses Ideal," schrieb er 1862, „aber ich
weiss, dass es in Frankreich unerreichbar ist, und desshalb führe ich ein
spekulatives, kein politisches Dasein. Ja wenn," setzte er hinzu, „der freie
Protestantismus, wie in Deutschland unter Schlcicnnacher oder ungefähr im
heutigen England; wenn die lokalen Freiheiten, wie heutzutage in Belgien,
Holland. England, mit einer centralen Vertretung sich vereinigen Hessen. . . .u
Gleichwohl hatte er den „Entwurf eines Buches über Religion und Gesell-
schaft" in Frankreich skizzirt. Er wollte es schreiben „in der Art
Macchiavel s, ohne nach der einen oder der anderen Seite sich zu neigen,
die ganze Sache nur wie physiologische Zustände beschreiben". Er vertagte
diesen Plan. Als er ihn wieder aufnahm, hatten sich die Zeiten gewandelt
und diese Zeiten tragischer Prüfung hatten Taine weitab geführt von
Macchiavel's Geistesart.
Er sah, was mit Ausnahme weniger, in die europäische Geheimpolitik
eingeweihter Leute unserer Generation als unmöglich erschienen war. Wir
waren genährt mit der auswärts sogenannten grossen französischen Illusion.
Die Ausländer verspotten sie, aber wir sprechen von ihr nur mit Thränen
in den Augen, weil diese Illusion das Gesetz unserer Geschichte, das Band
unserer Gesellschaft, unser Prinzip und unsere Sendung in der Welt ist.
In diesem Jahrhundert der Nationalitäten ist Frankreich, das die Aufer-
stehung der Völker mit seinem Blute bezahlt hat, in seinem nationalen
Bewusstsein getroffen worden. Auf seine hergebrachten Grenzen zurück-
geführt, schien es uns doppelt geheiligt durch das Recht und die Geschichte:
denn Diejenigen, die innerhalb dieser Wahlgrenzen lebten, hatten sich in
freier Zustimmung zu einer gültigen Ehe voreinigt, bereit, Glück und
Unglück, Krankheit und Tod zu theilen; denn Frankreich hatte als Staate-
maxime die Erklärung gewählt, die es über allen Hader hinausheben sollte:
..Ich liebe, also bin ich", und damit der Nation eine Seele geschaffen, die
immer auflebt und sich niemals thcilt. Es genügte Taine nicht, gegen die
Fliedensbedingungen zu protestiren und dem „Frankreich der Deutschen
das wirkliche Frankreich" entgegenzusetzen.*) Er fühlte, dass fortan der
Gelehrte dem Politiker, auf den Vorwurf, im Geist der Franzosen Auf-
lehnung oder Verzweiflung einzunisten, nicht mehr wie ehedem erwidern
konnte: „(üebt es denn Franzosen?" Es gab Franzosen und sie waren
unglücklich und in den ärgsten Wirren. Jeder Einzelne schuldete der
Gesammtheit seine volle Kraft. In unserer Demokratie hängt Alles von
der Bewegung der Massen ab, und die Massen werden nur durch die un-
scheinbaren Wandlungen des unendlich Kleinen bewegt. Nur in diesen
Tiefen lassen sich wirksame Reformen, die elementaren Maassnahmen vor-
bereiten, die in ihrem langsamen steten Gange allmälig die allgemeinen
*) L'opinion cn Allemayne et les conditions de Li paix (9. Octobre 1S70).
Ks>iiis de eritique et d histoirc 1874. S. 41 »I IT. Taings Polemik sreiren Syhel und
David Strausv macht dem Patrioten mehr Khre. als dein unbefangenen Politiker. A. d. I".
Digitized by Google
Taine.
174
Bedingungen der Geschichte, das gesellschaftliche Milieu und die erblichen
Anlagen der Raee umzugestalten vermögen. In dieser Absieht die Wege
urbar zu machen und Pionniere heranzubilden, förderte Taine mit Feuer-
eifer seinen Freund Boutmy, diesen grossen Erzieher, bei der Begründung
der Ecole des sciences politiques.*) „Um abzustimmen", schrieb Taine
184'.), „müsste ich den Zustand Frankreichs, seine Ideen, »Sitten, Meinungen
and seine Zukunft kennen". Derselbe Gedanke hat 25 Jahre spater die
Origines de la France contemporaiue hervorgebracht. In der Er-
wägung, dass die Gefährdung Frankreichs von einer grossen Verirrung. der
abstrakten Konzeption der Menschenrechte, und von einer verhängnissvollen
Verfassung, den Einrichtungen des Jahres VIII, beides aber von einem
aus dem ancien regime stammenden Erbschaden herrühre, entschloss sich
Taine beide zu bekämpfen: durch die Widerlegung ihrer Prinzipien und
durch das Schauspiel der Übel, die sie verursacht haben.
Von Anfang an umschreibt er die Grenzen seines Werkes sehr be-
stimmt. Er vermisst sich nicht, die Gesammtheit der französischen Dinge
während der französischen Revolution zu erklären. Er sieht ab von den
Finanzen, der Kirche, den Kongressen, vom Rückschlag der Drohungen
und Begehrlichkeiten Europas, von den Notwendigkeiten und der fort-
wirkenden Gewalt des Krieges, welche die Franzosen von dem Kampf um
die Unabhängigkeit zur Propaganda und zur Eroberung treibt. Kr über-
liess anderen die Sorge, diese Geschichten zu schreiben.
Ich gehöre zu Denjenigen, die sich auf ein von Taine unbetretenes
Gebiet dieses weiten Feldes gewagt haben. Meine Untersuchungen haben
mich aber auch in Punkten, die Taine selbst behandelt hat, zu Urtheilen
geführt, die wesentlich von den seinigen abweichen. Sie wussten da.s,
meine Herren, als Sie meinem Buch denjenigen Ihrer Preise zuerkannten, den
ein französischer Historiker mit besonderem Stolz empfängt.*1') Taine zählte
damals zu den Ihrigen, und Niemand schloss sieh mit grösserer Unbefangen-
heit des Geistes Ihrer weitherzigen Sinnesart an. Ich wäre erstaunlich
vergesslich, wenn ich heute nicht daran erinnern wollte; nur würde, ich
durch längeres Verweilen bei dieser häuslichen Frage die Diskretion
verletzen.
Taine hat nur einen Vorwurf: er will an der Geschichte des öffent-
lichen Geistes und der öffentlichen Gewalten zeigen, wie aus dem Franzosen
der alten Zeit der Franzose der Gegenwart geworden ist. Dieser Letztere
ist in seinen Augen ein Kranker durch erbliche Anlage, krank auch durch
seine Ärzte, die ihn mit ihrem Aderlassen, ihrem Apothekerkram und
Militärlazareth entnervt und heruntergebracht haben. Taine führt Klage
*) Vgl. Taine, Derniers e.s.sais (1894): Emile Boutmy G3 ff. Fondation do
l'Ecole libre des sciences politiques. 77 ff. A. d. ü.
**) Sorel's Hauptwerk: L'Europe et la revolution fran«.aise wurde 1SS7/88
mit dem grossen Preis Gobert ausgezeichnet, A. d. Ü.
Digitized by Google
175
Biographische Blätter.
wider diese jämmerliche Behandlungsweise ; er sucht die Hygiene der Zu-
kunft und nach seiner Methode sucht er sie im Studium des Kranken. Kr
^reht in den Jacobinerklub, wie er ehedem in die Salpetriere ging. Er be-
schäftigt sieh nicht mit dem, was die Franzosen während dieser Krise
leben Hess; er beunruhigt sich nur über das. was sie hätte tödten können.
Er schreibt nicht die Geschichte der französischen Revolution, er giebt die
geistige Krankengeschichte des Franzosen während der Revolution.
Mit welcher Geduld und Gewissenhaftigkeit er seine ungeheure Unter-
suchung verfolgt, vermögen nur Diejenigen zu sagen, die ihn bei der Arbeit
gesehen haben, Diejenigen unter ihnen, die ihm ihre Schatzkammer geöffnet
haben, und Niemand, ohne ihm seine Achtung zu bezeugen. Aber je tiefer
sich Taine in diese tolle, unheilvolle Wirklichkeit versenkt, desto mehr
ereifert er sich, regt er sich auf, lässt er sich hinreissen. Er entäussert
sich der stolzen Überlegenheit des Gelehrten; er sprengt in das Kampf-
getümuiel, wie in den Zeiten seines Strausses wider die Eklektiker; nur
noch düsterer, ungestümer, ausgerüstet mit allen modernen Wurfgeschossen
und Sprengstoffen. Mitunter glaubt man sich vor das Schwurgericht, was
sage ich, vor das Revolutions-Tribunal am Morgen nach den Proscriptionen
versetzt. Alle Faktionen drängen sich vor diesem Richtersitz und alle
ersticken einander fast. Taine leitet das Verfahren ein, verhört Zeugen
und Parteien, richtet und verdammt immer. Der Glanz des Stils verzehn-
facht die Wirkung der Gemälde: Metaphern steigen auf, leuchtend und ver-
grössernd wie die Projektionen der Physiker, zugleich von ungemessener
Zornglut erfüllt. „Der Künstler", meinte er, „ist eine geladene Elektrisir-
Maschine; seine Grösse beruht auf der Stärke seiner Entladung; je mehr
seine Nerven vertragen können, desto mehr kann er leisten".
Das ancien regime, in dem die Explosion brütet, ist mit der
englischen Littcraturgesehiehte und der Abhandlung über die Vernunft sein
drittes Hauptwerk; die Akademie hiess es durch seine von dem ganzen
litterarischen Europa bestätigte Erwählung zu ihrem Mitglied willkommen.
Die .Räude der „Revolution", wo die Mine springt, erregten ebenso viel
Be wunderung, aber weit mehr Einwendungen. Das Buch war voll Leiden-
schaften, demgemäss bemächtigten sich seiner auch die Leidenschaften. Im
Publikum kam es. nach jedem Abschnitt des Werkes, zu Kundgebungen,
vergleichbar den Äusserungen des Chores in der griechischen Tragödie.
Im Vollgefühl seiner Wahrhaftigkeit als Denker, seiner Klarheit als Schrift-
steller war Taine erstaunt, in dem. was er gesagt, so arg verkannt, und um
derentwillen, was er nicht gesagt hatte, so heftig angegriffen zu werden.
Wenn man ihm vorwarf, dass er die grossen Seiten der Epoche ver-
nachlässige, hätte er nur die Seiten seines Buches aufschlagen brauchen,
in denen sich der Aufschwung der Nation im Jahre 1702 entfaltet, eine
Art von heldenhaftem, heiligem Aufmarsch unter Glockengeläute, Feierklang
und Trompetenschall. Er hätte auch nur auf die (in der englischen Litte-
Digitized by Google
Taine.
17l>
raturgesehichte an einen berühmten Verkleinerer unseres nationalen Genius
irerichtete) Apostrophe zu verweisen gehabt: „Diese Arbeiter, diese Hunger-
leider sehlugen sieh halbnackt an der Grenze um die Interessen der Mensch-
heit. Sie sind der abstrakten Wahrheit so zugethan, wie Eure Puritaner
der göttlichen Wahrheit; sie haben das Übel in der Gesellschaft bekämpft,
wie Eure Puritaner das [bei der Seelen; sie haben, gleich ihnen, ihren
Heroismus, der jedoch wohlwollend, menschenfreundlich, zur Propaganda
geneigt, Europa umgewandelt hat. während der Kurige nur Euch selbst
gedient hat."*) Er beschied sieh, statt solcher Selbstverteidigung, mit dem
Worte: „das ist nicht meine Sache". Im Hinblick auf seine neuen, bis-
weilen übereifrigen Bewunderer, die ihm sein Sturmlauf gegen die Menschen-
rechte, seine Keulcnschliige gegen die .lacobiner zuführten, sagte er mit
seinem feinen, sicheren Lächeln, in seiner in mildem und doch unabweis-
liclien Tone abschliessenden Weise, jeden Satz bestimmt heraushebend, jedes
Wort scandirend: „Ich erwarte sie bei Napoleon."
Er wartete nicht lange, und die Wirkung übertraf seine Erwartung.
Bisher, so lange er mit einem Denker, einem Dichter, einem Künstler zu
schaffen gehabt hatte und zu einem unauflöslichen Element, dem Übergang
von der Formel zum Leben gekommen war, ergänzte Taine, der selbst
Denker und Dichter war, die Unzulänglichkeit der Analyse durch die
Schöpfergabe des eigenen (ienius. Iiier aber Hess ihn diese Intuition im
Stich. Mit Beziehung auf Guizot und Cromwell hatte er gesagt: ..Em
politische Geschichte zu schreiben, muss man sich mit Staatsgeschäften
befasst haben. Ein Schriftsteller, ein Psycholog, ein Künstler fühlt sich da
nicht zu Hause". Der Staat war für Taine das letzte der scholastischen
Ungeheuer, deren Vernichtung er sich vorgesetzt hatte; gegen die Staats-
räson war er unbedingt widerspenstig. Desshalb blieb ihm Napoleon so
fremd, wie zuvor der Sicherheits-Ausschuss. Er mochte den Schmelztiegel
noch so sorgsam füllen, umrühren und zur Siedhitze bringen: das Aufflammen
zeigte überraschenden Glanz, aber die Wahlverwandtschaft fehlte, und die
rechte Erzmisehung kam nicht zu Stande.
Mit dem Regime moderne kehrt Taine zu seinem eigentlichen
Gegenstand zurück. Mit dem verhängnisvollen Erbe der Vergangenheit
hat er abgeschlossen; nun rechnet er mit der Gerechtigkeit ab. Sociale
Gerechtigkeit ist für ihn gleichbedeutend mit bürgerlicher und politischer
Freiheit, und es giebt keine fruchtbare Freiheit ausser derjenigen, welche
die Rechte des Individuums verbürgt. Die Worte Freiheit, Gerechtigkeit
schliessen, so verstanden. Freiheit des Handelns und Verantwortlichkeit des
Handelnden ein. „Die Überzeugung, dass der Mensch vor Allem ein mora-
lisches und freies Wesen sein und da.ss er. nachdem er allein in seinem Gewissen
und vor Gott die Norm seiner Lebensführung festgesetzt hat, unbedingt, nach
*) Taine, 1 1 ist. de lu litt. anirl. Carlylc (V. Hand. S. 3121 tU A. d. V.
Digitized by Goögle
177
Biographische Blätter.
innen und aussen, beharrlich, unbeugsam daran festhalten müsse, in ausdauerndem
Widerstand gegen die anderen, in beständiger Beherrschung des eigenen Ich:
das ist", nach Taine, „die grosse englische Idee". Wir sagen: es ist die
grosse Idee jedes Volkes, das leben und weder in der Wüste verdorren, noch
im Schlamm versinken will. Ohne diese Voraussetzung, ohne dasjenige, was
'Paine die beiden Hauptideen der modernen Civilisation nennt, ohne die Ehre,
kraft deren der Mensch sich Rechte beilegt, deren Um nichts berauben
kann, und ohne das Gewissen, worunter er die absolute Gerechtigkeit versteht,
wäre das Buch der Origines nur eine Apokalypse unseres A'erfalls und
das Buch vom Regime moderne nur eine unfruchtbare Lamentation.
Weder das Eine, noch das Andere trifft zu.
Als der zartfühlendste aller Menschen in Ehren-, als der heikelste
in Gewissensfragen, hat Taine als freier und verantwortlicher Mensch gelebt,
hat er geschrieben für freie und verantwortliche Menschen, fähig, ihn zu
verstehen und aus seinen Lehren Nutzen zu ziehen. Denjenigen, die ihn
anklagen, dass er die menschliche Seele in eine Reihe auf- und abschwankender
Seelenzustände auflösen will, kann man mit seiner Doctrin von der Haupt-
fähigkeit antworten, die die ganze Seele während der ganzen Lebensdauer
zusammenfasst und beherrscht, sodann durch das J Beispiel seiner eigenen
Seele, der selbstgetreuesten, die es jemals gab. Er hat Besseres gethan.
als die Abhandlung über den Willen zu schreiben, welche die Ergänzung
seines Buches über die Vernunft bilden sollte; er hat durch seine Handlungen
gezeigt, was gegen die Prüfungen der Aussenwelt und für die gesunde
menschliche Thatkraft ein beharrlicher und überlegter Wille bedeutete.
Zu den Stützen, welche die menschliche Gebrechlichkeit in diesem
tagtäglichen Kampfe heischt, war er in den letzten Lebensjahren mehr und
mehr geneigt, die christliche Religion zu zählen. Erfahrung und Geschichte
hatten ihn vom Verständniss des Christenthums zur Sympathie und Achtung
geführt. Er sagte nicht mit den Libert iiiern des Staatsgedankens: man
braucht eine Religion für das Volk. Er duldete diesen Anflug von Ver-
achtung nicht in einer Angelegenheit, welche die geheimste des menschlichen
Herzens ist. Er wusste, dass alle Welt „Volk" ist vor dem Leiden, vor
dem Räthsel des Geschickes, dem herzzerreißenden Tode und der unsicheren
Hoffnung. Wenn er aber auch für die Gläubigen die weitestgehende Gewissens-
freiheit mit all" ihren Folgen und Bedingungen verlangte; wenn er auch
im Evangelium „den besten Bundesgenossen des socialen Instinktes" erkannte:
wenn er soweit kam, den Glauben als ein alle Vernunft Überragendes zu
bewundern, so kann doch Niemand sagen, dass er die ehernen Bande
zerbrach, die er sich freiwillig geschmiedet hatte. Hat er jemals den
Abgrund übersetzt, den der Gläubige mit einem Flügelschlag übersetzt,
den Abgrund, der die Unterwerfung unter allgemeine und nothwendige
Naturgesetze von dem Vertrauen auf die unendliche Güte eines Vaters
scheidet? Wenn er für seine Person Stoiker blieb, that er das in wohl-
Digitized by Google
Taine.
178
überlegter Absicht, aber auch aus Bescheidenheit. Man muss sich zu be-
schränken wissen, sagte er: „man muss zufrieden sein, dass man die Welt
betrachten und durchdenken konnte und glauben, dass das der Mühe lohnt,
zu leben". Was er sich selbst aber verwehrte, versagte er sich nicht, von
anderen zu erwarten, ^iede Generation." schreibt er. ..wird einige Seiten
des grossen Buches lesen, das kein Ende hat". . . . „Wenn ich innehalte,
so geschieht das im Gefühl meiner Unzulänglichkeit: ich sehe die Grenzen
meines Gedankens, nicht aber die Grenzen des menschlichen Geistes".
In diesem Zeitpunkt hat ein grosser Künstler, der die Menschen zu malen
weiss, wie Taine sie zu erfassen vermochte, ihn dargestellt:*) schon alternd,
doch in der Vollreife seines Wesens : imposant, wie er den Fernstehenden
erschien: ehrwürdig, wie er es für Diejenigen war, die ihm nahten, und voll-
kommen liebenswürdig, wie er es für Diejenigen war, die er in seinem Heim
erapting. Eine Lichtgestalt, löst er sich von sehr dunklem Hintergrunde ab
und scheint mit seinem gemessenen Schritt zu uns heranzukommen. Die Stirn
frei, gewölbt, gleichsam übervoll auf dem Körper lastend: das Antlitz ein-
gefallen und bleich: aller Drang, aller Strom des Lebens emporsteigend zu
dieser majestätischen, unersättlichen Stirne: der gerade, gern schweigsam
geschlossene Mund öffnet sich auf deutlich bestimmte Fragen, lieber noch
zu einem Lächeln der Freundschaft, wohlwollend für die .Jugend, hart nur
gegen die Lüge und unerbittlich gegen die Anmaassung. Die Augen
halbgeschlossen unter den Brillen, die sie verdecken. Der Blick, wenn er
ihn erhebt, durchdringend, wie ein Blitz, der über eine blankgeschliffene
Klinge zuckt; gewöhnlich aber unischleiert. Mau fühlt, dass Taine trotz
seiner leidenschaftlichen Freude an der Farbe der blendenden Vision der
Welt, doch lieber den Blick nach innen wendet zur Linkehr, die ihn ein-
für allemal auf grossen, genauen, ununterbrochenen Linien zu grossen,
einfachen Ideen geführt hatte.
Er hatte seine Aufgabe umgrenzt und dennoch hatte er seinen Kräften zu
viel zugemuthet. In den letzten Jahren verbrachte er nur wenige Monate in
Paris, ungeduldig, in sein Haus am See von Annecy zurückzukehren, neben
dem er für immer auszuruhen beschlossen hatte: dort hatte er das einzig wahre
Glück gefunden, so wie er es verstanden hatte, so wie er es verdiente.
Er ging, so lang er gehen konnte: dort an dem beständig von Bergluft
gekühlten Seegelände, in Paris, an den l'fern der Seine, wo seine .lugend
die Angst zu leben und ..die Verzückung des Denkens" kennen gelernt hatte:
mit Vorliebe in seinem theuren botanischen Garten. Hier verspürte er die
gleichsam wiederbelebten Eindrücke der Maimorgen von ehedem, da er
20 .fahre alt war: „ Die Sonne leuchtete über die Rasenflächen, und ich sah
das innere Leben, das in den dünnen Zellgeweben sich regt und sie zu
kräftigen, saftigen Stengeln aufrichtet: der Wind erhob sich und bewegte
*i Leon Boanat. D. t.\
biographische Blatter. I. 1-2
Digitized by GdOgle
179 Biographische Blatter.
diese ganze Ernte dicht aneinander gedrängter, wundersam durchsichtiger
Halme; ich fühlte, wie mein Herz schlug und meine ganze Seele in Liebe
erbebte fOr dies so schöne, stille, seltsame Wesen, da« man die Natur nennt;
ich liebte sie, ich liebe sie noch; ich spürte sie überall, in dem lichten
Himmel, in der reinen hilft, in diesem regen Wald lebendiger Pflanzung
und vor Allem in dem frischen, ungleichen Hauch dieses Frühlingswindes".
Aber von einer Jahreszeit zur andern wurde das Leben beschwerlicher,
der (iang mühseliger; die Wegstrecken wurden kürzer, die Haltestellen
länger. Und doch war sein Gedanke niemals lebendiger, seine Einbildungs-
kraft niemals fruchtbarer. „Dies Gedankenleben, auf das Du" (wie ihm
vormals Brevost Paradol sagte) „so stolz bist, dass Du es von einheitlicher,
dem Universum überlegener Natur wünschtest", dies Gedankenleben mit
seiner verschwenderischen, rastlosen Schöpferkraft rieb ihn auf. Statt sie
mit Heiterkeit zu verfolgen, musste er fortan die Verkettung seiner Ideen
unterbrechen und den Reigen seiner Bilder verscheuchen. Kr kannte die
Qual, die grausamste Qual für einen Mann von Genie, dies Genie zügeln
und knebeln zu müssen. Aber er fluchte und murrte niemals. Tber allen
.lammer der menschlichen Hinfälligkeit erhob sich dieser grosse schmerzen-
reiche Denker noch durch sein Leiden: „Die ganze Würde des Menschen
wurzelt im Gedanken u.
Dann kam der Tag. wo er überhaupt nicht mehr ausging und nur
wenige Vertraute für wenige Augenblicke empfing: immer liebenswürdig,
stets voll Antheil für ihre Arbeiten, sorglieh für ihre Hoffnungen, nur von
ihren, niemals von seineu oder gar der wichtigsten seiner Angelegenheiten
sprechend. Man sah. wie er abmagerte, wie seine Haltung gebeugt wurde:
das innere Wesen des Mannes aber schien nur immer zu wachsen. Und wenn
die pietätvolle Hand, die über seine abnehmenden Kräfte wachte, andeutete,
dass die Zeit gekommen sei. ihn zu verlassen: wenn man schied und sieh
fragte, ob man ihn am nächsten Tage wiederfinden würde; wenn man mit
Verzweiflung an dies grosse, auf die Welt fallende Licht dachte, dessen
Quelle versehwinden sollte, dann stärkte man sich mit der Erwägung, dass
man einem grossen Schauspiel beiwohne und dass in Wahrheit kein Ver-
hältniss und kein gemeinsames Maass bestände zwischen diesem Gedanken,
der sich immer kraftvoller, heiterer, freier zum Ideal aufschwang, und diesem
Leib, der stets kraftloser, immer mehr zur Erde hinabgezogen ward.
Er las, er las bis ans Ende: Cäsar oder Sallust, zum Lateinischen
zurückkehrend, wie der erschöpfte Mensch zur Milch zurückkehrt, die seine
Kindheit genährt hat, seine nicht zu bändigenden Gedanken verruhen lassend
auf diesen klaren deutlichen Worten, inmitten des Geleises nach der Schnur
gezogener Ideen. Er Hess sich Sainte- Beine vorlesen, der ihm die Illusion
des Lebens wachrief, die ihm im Weltgetriebe besonders genussreich ge-
wesen: freies Gespräch über das Reich des Geistes mit Leuten von Geist.
Endlich sann er über Marc Aurel, der sein Lieblingsbuch geblieben war.
Digitized by Google
Über die Anlange der Selbstbiographie und ihre Entwicklung1 im Mittelalter. 180
Ans seinen Aussprüchen, „erstickten Ausbrüchen eines verhaltenen Enthu-
siasmus . „halben Worten, die man mit leiser Stimme ausspricht", hatte
er sicli eine Art von Liturgie gemacht. Im Verkehr mit dieser Seele, seines
Kruchtens rder edelsten, die je gelebt", ermahnte er sich selbst zur Ent-
sagung: „Tröstet Euch, arme Menschen, mit Eurer Schwäche und mit Eurer
(irösse, durch den Anblick des Unendlichen, von dem Ihr ausgeschlossen,
und durch den Anblick des Unendlichen, in dem Ihr einbegriffen seid."*)
Also starb Hippolyte Taine. Er ist einer der seltenen Menschen, die
dazu beigetragen haben, die Gestalt ihres Jahrhunderts zu ändern, seinen
geistigen Charakter zu modih'ciren. Er hat durch seine Methode die
Forschung und durch seine Bücher die Kenntniss der menschlichen
Dinge vorwärts gebracht; er hat unvergleichlichen Glanz über unsere
Litteratur verbreitet und, nachdem er einige der schönsten Bildsäulen der
französischen Kunst gegossen, hinterlässt er seinen Nachfolgern die tiefe,
gediegene, feine Gussform; endlich hat er durch seine bewunderungswürdige
Lebensführung ein Muster der Lebenskunst aufgestellt für Jeden, der sich
vorsetzt, für die Wissenschaft und für die Wahrheit zu leben.
• <S> —
Ober die Anfänge der Selbstbiographie und ihre Entwicklung
im Mittelalter, v)
iKede beim Antritt des l'rorektorats der Kirl. Bayerischen Friedrieh -Alexandere-Universität
Krlaniren am 4. November 1*5)3.)
Von
FRIEDRICH VON BEZOLD.
Wenn ich es unternehme, dem Ursprung der Selbstbiographie und ihrer
Kntwicklung bis in die späteren Jahrhunderte des Mittelalters nachzugehen,
so irilt dieses Bemühen einer Litteraturgattung, die allerdings in den weitesten
Kreisen eine rein menschliche Theilnahme erweckt, von der historischen
Forschung aber mit sehr berechtigtem Misstrauen betrachtet wird. Man
hat sie wohl als psychologische Poesie bezeichnet, um ihren geringen Werth
neben andern Formen historischer f'berlieferung hervorzuheben. Inwieweit
freilich und ob überhaupt eine Selbstbeobachtung im streng wissenschaft-
lichen Sinn möglich sei, darüber zu entscheiden ist nicht unsere Aufgabe1).
Taine: Marc-Aurele (Nouveaux essais S. 2M/U1). A. d. Ü.
t> Mit Genehmigung der Verlagsbuchhandlung Emil Feiher in Weimar ans der Zeitschrift für
Kulturgeschichte wiederholt.
' ) V*rl. W. Wundt, Kssays (Leipzig 1 p. 1 :!.">. Kim» so feine Kennerin wie
<i. Sand urteilt (Histoire de ma vi«\ l'aris |S70, 1. 2): .l/etiide du coeur humain est de
t.-lle natura que plus qu'on s'y ahsorlie, moins on y voit elaire\ Ülier den modernen
_roman d'analyse" und die „memoire* d'analyse" (Selhstliioirniphien) v«rl. 1\ Hourget, La
teriv pmniise (lSi)->) p. IV f. Viel zu <_niiiNtiir eharakterisirt die Wahrhaftigkeit der Seihst-
l.ioirraphien H. Gottsehall in Unserer Zeit X. 2 < IST 4 i. U01 f.. daire^en sehr richtitr das
ihnen anhaftende pathologische Klement.
12*
Digitized by Google
181
Biographische Blätter.
Für uns «rennet es, dass eine Reihe auserlesener Geister sieh damit befasst
hat. vor sieh und andern ihr eigenes Denken und Fühlen zu offenbaren, ihr
eignes Herz und seine Geschichte zu enträthseln. Ich brauche nur an
Namen wie Petrarka, Rousseau, Goethe zu erinnern. Denn hier soll eben
nicht die gewaltige Litterat unnasse der Memoiren oder Denkwürdigkeiten ins
Auge gefasst weiden, die sieh vornehmlieh mit den äusseren Schicksalen
ihrer Verfasser, mit ihrer Theilnahme am öffentlichen Leben, mit den Per-
sönlichkeiten bedeutender Zeitgenossen beschäftigen. Die Selbstbiographie
im engeren Sinne hat es vor allem mit der inneren Entwicklung ihres Helden
zu thun; sie ist nicht nur Rückschau auf das Durchlebte, sondern zugleich
und vorwiegend Innenschau. Kiner ihrer berühmtesten Vertreter, J. .1. Rous-
seau, hat es gewagt, sich geradezu als ihren Urheber vorzustellen. Aber
seine Bekenntnisse, die er als ein Werk ohne Beispiel und ohne Nachahmer
einführt, verrathen schon in ihrem Titel und vollends in ihrem Grund-
gedanken die Abstammung von den Konfessionen des heiligen Augustinus.
Also hätten wir die Entstehung einer Litteratur, die neben Augustin einen
Petrarka, Rousseau, Goethe aufweist, zunächst iu der Jugendzeit des Christen-
thums zu suchen. Dabei bleibt vor allem zweierlei zu erwägen. Einmal
die Frage, ob denn vor Augustin gar keine Spuren oder Ansätze zu er-
kennen sind; sodann die zweite Frage, ob wirklich, wie man oft angenommen
hat. eine Kluft von tausend Jahren ohne alle Zwischenglieder die Bekennt-
nisse des lateinischen Kirchenvaters von den Pekenntnissen des italienischen
Humanisten trennt. Dass die zweite Frage zu verneinen ist. kann ich hier
gleich vorausschicken. Aber man hat meines Wissens auf diese mittelalter-
lichen Nachfolger Augustins und Vorläufer Petrarkas bisher nur hier und
da, nicht im Zusammenhang aufmerksam gemacht.
Aus dem klassischen Altcrthuni sind uns Selbstbiographien nicht er-
halten, obwohl wir von so manchen hellenistischen und namentlich römischen
Berühmtheiten hören, dass sie ihr Leben oder besonders bedeutsame Ab-
schnitte desselben beschrieben haben. In den letzten Zeiten der römischen
Republik und in den ersten Jahrhunderten der Kaiserherrschaft muss die
Mcmoirenlitteratur eine reiche und interessante gewesen sein, denn wir greifen
wohl mit der Annahme nicht fehl, dass es sich dabei wesentlich um res gestae,
um politische und militärische Dinge, um die Aktion der Verfasser auf der
grossen Weltbühne gehandelt haben wird. Als die erstarkende Monarchie
der Caesaren dem öffentlichen Leben immer mehr Licht und Luft entzog,
sahen sich gewiss viele tüchtige Klüfte, die bisher nur dem Forum und
dem Lager gedient hatten, auf das stillere Feld künstlerischer oder wissen-
schaftlicher Thätigkeit gewiesen. Nicht zu verkennen ist auch ein gewisser
Zug zur Beschaulichkeit und zur psychologischen Beobachtung, die uns an
einem der grössten Künstler der Gcschichtschrcibung. an Tacitus so be-
Digitized by Googl
tvbor die Anfange der Selbstbiographie und ihre Entwicklung im Mittelalter. 182
sonders fesselt2). Aber die antike Auffassung des Individuums war doch
noch zu mächtig, als dass sieh ein solches Belausellen und Aushorchen des
eignen Herzens in allen seinen Regungen hätte entwickeln können, wie es
die augustinisehen Konfessionen voraussetzen. Noch war die Abkehr von
dein unfrei gewordenen Staat meist keine freiwillige, sondern von Empfindungen
des Grolls und der Sehnsucht nach der guten alten Zeit begleitet. Selbst
bei den Philosophen, die sich Über die Lockungen und Stürme des äusseren
Lebens erhaben fühlten, tritt vor dem Bedürfniss zu allgemein gültigen und
sehulmässig formulierten Sätzen zu gelangen, das Interesse an der Eigenart
des einzelnen Menschen völlig zurück. Das schlagendste Beispiel hierfür ist
der kaiserliche Stoiker Mark Aurel; trotz eines Anlaufs das eigne Leben
zum Ausgangspunkt der Betrachtung zu machen, vermeidet er es in seiner
Schrift si; scotov ängstlich, sich von dem wohl vertrauten Boden der Gemein-
plätze weg in die dunkeln Tiefen des eignen Ich zu verirren.
So blieb es der christlichen Welt vorbehalten, die Selbstbiographie in
einem ganz neuen, von der Aufzeichnung der eigenen Leistungen und äusseren
Schicksale ganz verschiedenen Sinn zu erzeugen. Die wichtigste formale
Voraussetzung war längst gegeben. Denn die ausgebildete Icherzählung
reichte bereits nicht nach Jahrhunderten, sondern nach Jahrtausenden zurück,
bis in die Urzeiten alles Schriftthums. Die ruhmredigen Inschriften der
ägyptischen Herrscher und Beamten, der babylonisch-assyrischen Könige er-
zählen grossentheils in der ersten Person, nicht ohne manchmal die seltsame
Form der Selbstbiographie eines Verstorbenen anzunehmen. In einzelnen
Fällen gestalten sich solche Inschriften zur Legende oder zum Zwiegespräch
des Erzählers mit den Göttern, so wenn König Sargon I. redend eingeführt
wird, um die höchst wunderbare Geschichte seiner eigenen Geburt zu be-
richten, oder wenn König Naboned eine Unterredung mit dem Gott Merodach
wörtlich wiedergiebt. Daneben entwickelte sich in Ägypten frühzeitig eine
Art von Ichroman in Gestalt von Abenteuern und Märchen, die ein Weit-
gereister als eigene Erlebnisse zum Besten giebt3). Man fühlt sich hier un-
willkürlich zu einem Seitenblick verlockt auf die Perle aller Schiffersagen,
die unsterbliche Erzählung des Odysscus von seinen Irrfahrten. Ohne auf
die Wandlungen der griechischen Reisepoesie und Xovellistik einzugehen,
muss ich doch zweierlei hier hervorheben. In der römischen Kaiserzeit
linden wir einmal die Ichcrzählung in vollendeter Gestalt vor, so z. B. in
dem genialen Sittenroman des Petronilla. Dann aber verbindet sich im
griechischen Roman der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung das stoff-
-) Vgl. F. C. Baur in der Zeit-chr. für wissenseb. Theologie 1, 4f>9 11'.; Teuft el,
Geschichte der rötu. Litteratur (.r>. Aufl.) § 272.
Ä) Vgl. A. Wiedemann, Agvpt. Geschichte I, 07; A. Eriuan. Ägypten p. 41*4 ;
H71 ff.: F. Hommel, Geschichte Habyloniens p. 7S0; (J. 1'. Tiele. babyl.-;i>syr. Geschichte
p. 112 ff.
Digitized by Google
183
Biographische Blätter.
I
liehe Interesse jener alten Reisegesehiehten mit der Erotik4). Damit tritt
ein psychologisches Element in den Vordergrund, das freilich jene sophistisch
geschulten Prosadiehtcr keineswegs mit grosser Feinheit oder Mannigfaltigkeit
zu behandeln verstehen. Auch hier begegnet uns der Ichroman oder wenig-
stens die Kintlechtung von kleineren Erzählungen in der ersten Person.
Dieser wirksamen Kunstform bemächtigte sich nun das Ohristen-
thumt um die heidnischen Liebes- und Abenteuergeschichten durch Romane
mit religiöser 'Pendenz zu verdrängen, so dass nicht etwa eine Abnahme,
sondern nur eine Umwandlung der erzählenden Litteratur unter christ-
lichem Eintiuss zu verzeichnen ist5). Anstatt der oft sehr langathmigen
Gespräche und Ausführungen über die Liebe erscheinen jetzt erbauliche
oder lehrhafte Auseinandersetzungen über religiöse Fragen, während im
Übrigen namentlich das phantastische Element seinen unverkttmmerten
Platz behauptet. Es herrscht geradezu in den Mönchsromanen, die seit
dem IV. Jahrhundert aus den über die heiligen Väter der Wüste um-
laufenden Geschichten und Fabeln entstanden sind. Ihr eigentlicher Zweck,
die Verherrlichung und Empfehlung der Askese, verbirgt sich manchmal fast
ganz hinter der möglichst anziehenden und aufregenden Einkleidung. Wenn
schon in einem der ältesten Stücke, in dem von Hieronymus verfassten Leben
des Anachoreten Paulus, dem heiligen Antonius ein Kentaur und ein bocks-
füssiger Satyr als Wegweiser durch die furchtbare Einsamkeit dienen und
dem dahingeschiedenen Paulus zwei Löwen das Grab bereiten, so steigert
sich diese Belebung der Wüsten- und Höhlenscenerie durch Dämonen und
wilde Thiere immerzu bis zum Ungeheuerlichsten. Es ist orientalische, ägyp-
tische Phantasie, die den Ton angiebt. Zumal die Löwen bilden ein stehendes
Requisit; sie schützen wohl den Kohlgarten des Einsiedlers vor den Ziegen,
begleiten seine vor Angst zitternden Besucher, dienen sogar als Werk-
zeuge der Busse; dem römischen Makarius, der sich einmal von sündlicher
Lust überwältigen lässt, drehen sie erst verächtlich den Rücken, um ihn dann
bis zum Hals einzugraben und ei*st nach Verlauf von drei Jahren wieder aus
dieser Lage zu befreien. Hier befinden wir uns überhaupt in einer reinen Fabel-
welt: da geht die Reise zum heiligen Mann durch Völkerschaften von Mohren,
*) K. Ilohde. der grieeh. Konian und seine Vorläufer, Leipz. 1876; l\ Wilcken
(Hermes XXV III ): F. de Salverte. In ronian dan.s la (Jrcee antique. I'ar. 1894; Uber die
Existenz von (nicht erhaltenen) psychologischen Romanen im modernen Sinn in der helle-
nistischen Zeit vgl. (i. Thiele. Zum grieeh. Ronian (Aus der Anomia. Archäolog. Rei-
trftge. Berlin 1S1»(). p. ]-_»4 tt'.l: F. Suscmihl. ("Jeschichte der grieeh. Litt, in der Alexan-
drinerzeit I (18!)V,. f>74.
•"') Vgl. den Artikel von S. Raring-(M»uld. Early Christian greek romances. in der
Contemporary Review XXX. 1877: V. Schnitze. Artikel „Legende*1 bei Ersch u. (..' ruhe r
II. 4*2 ( 1 sss » ; Derselhe. ( '«'schichte de* l'ntergangs des grieeh. -röm. I leidenthunis II i lSJrj )
7Ü H. : die Praxis dieser Rnmandichter sehr gut auseinandergesetzt bei Th. Zahn. Acta
Joannis (18*0) ji. XL1X tt*. Näheres Uber den Mönehsroman l»ei H. Weingarten (Zeitschr.
f. Kirchengesch. T. 1877): H. l'sener. der heil. Theodosius (1890): W. Israel in der
Zeitschr. f. wis.Pn>ch. Theol. XXIII. 14:» h".
Digitized by Google
Über die Anfänge der Selbstbiographie und ihre Entwicklung im Mittelalter. 184
Kynokephalen und Pygmäen, durch Herden von Schlangen und Basilisken,
Büffeln und Klephanten. vorbei an der Hülle und am Paradies, in dessen
Nähe Makarius haust, ganz in sein schneeweisses Haupt- und Barthaar ein-
gehüllt, die Haut zum dürren Fell eingetrocknet, die Augen unter den Brauen
nicht mehr sichtbar, mit entsetzlich langen Nägeln und kaum noch vernehm-
licher Stimme. So erzählt er den wissbegicrigen Pilgern seine Schicksale.
Denn die Icherzählung spielt in diesen seltsamen Kr/eugnissen christ-
licher Belletristik eine sehr grosse Rolle. Mit viel Geschick fasst z. B. Hie-
ronymus die Geschichte des Einsiedlers Malchus in eine zierliche kleine
Novelle, die er seinen Helden selbst und zwar äusserst anschaulich vortragen
lässt; da fehlt es nicht an Beduinenüberfall und Gefangensehaft, an einer
Scheinehe, die dem vormaligen Münch aufgezwungen wird, mit der Frau
eines anderswohin in die Sklaverei gerathenen Mannes, an einer aufregenden
Flucht. Die Sammler solcher Mönchsgeschichten, wie Rufinus, Palladius.
Cassianus u. a., legen grosses Gewicht darauf, als Augen- und Ohrenzeugen
zu berichten; sie haben die heiligen Büsser selbst aufgesucht, zuweilen unter
l^ebensgefahr, und geben ihre oft sehr langwierigen Reden im Wortlaut
wieder, nicht ohne von Zeit zu Zeit ihre eigene Glaubwürdigkeit oder die
ihrer Gewährsmänner in starken Ansdrttcken zu betheuern. Theodoret meint,
wer seinen Erzählungen nicht glauben wolle, der werde vermuthlich auch die
YV linderberichte des Alten und Neuen Testaments für Fabeln halten; die
Zuverlässigkeit sei bei ihm ebenso über allen Zweifel erhaben, wie in der
Bibel. Jenes phantastische Märchen vom römischen Makarius giebt sich als
Reisebericht dreier Mönche Theophil us, Sergius und Hyginus; sie berufen
sich frech darauf, dass es ja viel sicherer für sie gewesen wäre zu schweigen
als den Schein und Vorwurf des Betrugs auf sich zu laden0).
Auch an andern Können des christlichen Romans fällt die Neigung
auf. in der ersten Person zu erzählen, entweder die eigenen Schicksale zum
Hauptgegenstand zu machen, oder sich wenigstens als Freund und Begleiter
der Hauptpersonen einzuführen. Dies geschah besonders gern mit Bezug
auf die Apostel; so in jenem berühmten Roman, der unter dem Namen des
Römers (Meinens in verschiedenen Fassungen auf uns gekommen ist, oder
°) Vgl. die Stelle de* Theodoret u* in der Vorrede zu seiner tpiXrJftao; bTopta (Migne.
Patrol. series graeca LXXXI1 col. 12!«. hiezu vgl. ebd. col. 1448 ff.: 14(55); die V. Macarii
liomani in latein. Übersetzung bei Hos w evtl e. Vitae patrum (Antw. 1628) p. 224 ff. Über
die Rolle der Löwen vgl. ausser den oben angef. Beispielen die Legenden der Maria
Aegyptiaca. des Cyriakus. Georgias Chozebita u. a. m. Sprechende Vögel in der Lebende
des Makarius Konianus; in der Gesch. des Zosimus (bei Ilohinson, Texts am! studies II.
:i. Camhr. 1898, p. 86 ff.) werden selbst Wolke und Wind redend eingeführt. In den leh-
erzfthlungen tritt der wirkliehe oder angebliche Verf. bald mehr bald weniger mit seiner
Person hervor; manchmal dient sie nur zur leichten Hinkleidung und Verbindung des Kr-
zählten, in andern Fallen weiden wieder zusammenhangende KrzUhlungen in der ersten Person
eingeschoben, wie in den Legenden der ägyptischen Maria, des Cyriakus, des Maearius
Komanus. vielfach in den Sammlungen der Biissergeschiehten (Unnaus. Palladius u. s. w.).
Digitized by
185
Biographische Blätter.
in den ..Thaten dos Evangelisten Johannes"; der Verfasser, der wahr-
scheinlich im V. oder VI. Jahrhundert eine ältere Vorlage bearbeitet hat,
stellt sich als einen der siebzig Jünger und als Reisegefährten des Apostels
vor. Wie die Phantastik der antiken Schift'ermarchen auf die Mönchsireschichten,
so hat das Schema des griechischen Liebesromans auf diese theologischen
Tendenzdichtungen eingewirkt. Wir linden das beliebte Motiv der Trennung
und wunderbaren Wiedervereinigung von nahen Verwandten z. B. in den
Klemcntinon und später in einer ganzen Reihe von Legenden. An den
Gaunerroman erinnern manche derbkomische Züge in den Acta .loannis,
wenn etwa der Apostel als Iiadehcizer Unterkunft sucht und sich unter
die gewaltigen Fäuste und nicht minder gewaltigen Schimpfreden seiner
Herrin, des kampflustigen schielenden Mannweibs Romana beugt7). Ganz
besonders charakteristisch aber ist die Herubernahme und Umgestaltung des
erotischen Elements, dem man doch keineswegs ganz entsagen wollte. Da
wird z. B. der vielgelesene heidnische Liebesroman von Klitophon und
Lcukippe mit einer christlichen Fortsetzung1 versehen oder in der Geschichte
vom Magier Cyprian die Bedrängniss einer edeln Jungfrau durch Zauber-
künste, zu denen der verschmähte Liebhaber eine Zuflucht nimmt, aus-
führlich geschildert oder dem Apostel Paulus eine jugendliche Schülerin
Thekla angedichtet, die ihm in Männerkieidern nachzieht. Die bis in s
Ungesunde gesteigerte Verherrlichung der Virginität erzeugte dann ein
Raffinement gefühlvoller Romantik, das bei aller Entfernung von der un-
verhttllten Sinnlichkeit der Antike doch dem Wohlgefallen an verfänglichen
Schilderungen reichliche Nahrung bot. Zahlreiche Geschichten von schonen
bussfertigen Sünderinnen und von ebenso schönen jeder Versuchung
trotzenden .Jungfrauen bezeugen die grosse Beliebtheit solcher Stoffe. Es
erhöht natUrlic-h den Eindruck, wenn uns der Verfasser einer Legende
den frechen Durchzug einer reichgeschmückten Tänzerin durch den Kreis
berathender Bischöfe als Augenzeuge beschreibt oder wenn die nackt in der
Wüste hausende, einem wilden Thier ähnliche ägyptische Maria ihr früheres
Lasterleben selbst erzählen muss. Manche heidnische Göttin mag in der
Gestalt einer christlichen Romanheldin fortgelebt haben, wie ja die heilige
Pelagia nach Useners Darlegung nichts anderes ist als die meerbeherrschende
Aphrodite selbst im Gewand des neuen Glaubens8).
Tl Vgl. Baring-t!ouldp.S()7ft".; Zahn, Acta Joannis: Ii. A. Lipsius, die apokryphen
Apostelgeschichten I. (1SS3).
8I Aus der grossen Zahl verwandter legenden seien ausser Pelasria (lf. Uscner,
Legenden der I'elagia. Bonn 1*79) nur die ägyptische Maria (vgl. II. Knust, Legenden
der h. Katharina und der h. Maria Aogyptiaca« Halle IS'JO) und die Büsserin Pansenine
beispielsweise hervorgehoben, llliutig ist. die männliche Verkleidung, wie bei I'elagia, Thekla,
Kujihrosyne. Susanna, Apollinaris Syncletica. Die .theil weise lüsterne Färbung*" begegnet
sowohl in den Münchsromanen (K. Müller. Kirehengeschichte I, 1*92, p. 213) als auch
anderwlirts; über das l'ngesunde in dem übertriebenen Kultus der YirginitJlt A. Harnack,
I >ogmengesch. III (1S9U). 1U8 A. 1. Anknüpfung der Märtyrergeschichte von Ualactio u.
Episteme an einen Roman von Achilles Tat ins: Raring-Gould p. S71 f.
Digitized by Google
tvber die Anfange der Selbstbiographie und ihre Entwicklung im Mittelalter. 1 86
■
Ob nun das starke Hervortreten der wirklichen oder fingirten Persön-
lichkeit einfach aus den heidnischen Vorlagen herübergenoninien oder in der
christlichen Unterhaltungslitteratur doch noch weiter entwickelt worden ist.
darüber kann ich sicheren Anfschluss nicht geben. Dass aber die neue
Weltanschauung des Christenthuins eine neue Schätzung des Kinzelmenschen
nicht gerade allein geschaffen, aber doch in einem bisher unbekannten Maass
zur allgemeinen Geltung gebracht hat. das darf wohl als eine kaum be-
strittene Thatsaehe bezeichnet werden. In diesem Sinn konnte man vielleicht
das vielberufene und vielkritisirte, immer etwas bedenkliche Wort vom
ersten modernen Menschen, das ja mit Vorliebe von Petrarka gebraucht
wird, schon auf den heiligen Augustinus anwenden9), .ledcnfalls ist er
einer der gewaltigsten Mitbegrflnder der christlichen Weltanschauung und
der katholischen Kirche und in ihm gipfelt jene vom Neuplatonismus an-
gebahnte GefUhlsphilosophie, die es unternimmt, aus den innersten und
verborgensten Regionen des Seelenlebens die Losung aller Käthsel zu holen.
Seine Konfessionen besitzen doch wenigstens unter den uns bekannten
Schriften auch der ersten christlichen. Jahrhunderte keinen wirklichen Vorläufer.
Gewisse Anklänge finden sich wohl in den merkwürdigen Selbstbekennt-
nissen, in denen jener Magier Cyprian von Antiochia seinen Durchgang
durch alle geheime Weisheit. Zauberkunst und Christen feindschaft des
Heidenthnms, seine Verzweiflung* und Bekehrung drastisch genug darstellt,
alles in Form einer vor den Gläubigen abgelegten, von ihren Trostreden
unterbrochenen Beichte, deren Verlauf Cyprian selbst im Wortlaut mittheilt10).
Ein faustischer Zug ist dieser Gestalt mit dem Kirchenvater gemeinsam,
nur dass er bei dem abenteuerlichen Adepten der Mysterien und Dämonen-
beschwörungen in ungleich gröberer Weise sich kundgiebt. Sonst besitzen
wir noch zwrei ebenfalls dem IV. Jahrhundert angehörige voraugustinische
Selbstbiographien. Die eine, dem Heros der syrischen Kirche Ephraem in
den Mund gelegt, giebt nur eine Episode seines .Tugendlebens; die andere
ist in verschiedenen echten Gedichten Gregors von Nazianz enthalten, die
sich in einer Fülle von langweiligen und selbstgefälligen Versen doch mehr
über seine äusseren Schicksale und dogmatischen Kämpfe verbreiten11).
9) Vgl. Uarnack III, 97 A.: Uber die Anwendung aufPetrarka A. Lassan in den
Preuss. Jahrbüchern LXU (1888). 431. Die höhore Werthung des Einzelnen als ein«' Folge
de.«? Christenthunis charakterisirt vortrefflich Lutze, Mikrokosmus III3, 301.
w) Von so sehwachen heidnischen Ansätzen zu religiöser Selbstbiographie wie bei
Apuleius, will ich ganz absehen. Vereinzelte Mittheilungen Uber den eignen Lebensgang
*>ei Porphyrios und Runapios. — Vgl. Zahn. Cyprian von Antiochien und die deutsche
Faustsage, Krl. 1882; bes. p. 18 ff.; 73 ff.; 103 ff.
n) l ber Ephraem'* (in verschiedenen Fassungen Uberlieferte) autobiographische Er-
zählung- vgl. Le Blant, les actes des martyrs (1872) p. 170 ff.: die 99 Gedichte des
Tregor von Nazianz. die sich auf seine Person beziehen (darunter namentlich zu beachten
-zy »w zv'j-vj fStov), bilden das 2. Uueh seiner Poesien: nicht wenig«? tragen apologetischen
Charakter. Die „Memoiren" des Üioskuros (Mittheilungen aus der Sammlung des Papyrus
Digitized by Google
187
Biographische Blätter.
Immerhin haben wir ein paar Belege dafür, dass in der damaligen
christlichen Welt ein gewisser Hang zur Selbstschilderung in erbaulicher
Absicht vorhanden war; auch' die unechten Stücke wollen ja durch die
Fiktion eigner Bekenntnisse wirken. Diesen Gedanken hat nun Augustiu
in wahrhaft genialer Weise ergriffen und verwirklicht. Die Konfessionen,
die er als fertiger Mann im .Jahre 397 verfasstc, stellen eine doppelte
Beichte vor Gott und den Menschen dar; „wem erzähle ich dies'*, ruft
Augustin, ,,nicht Dir, mein Gott, sondern vor Dir erzähle ich dies meinem
Geschlecht, dem Menschengeschlecht; und sollten auch nur Wenige mit
dieser meiner Schrift bekannt werden". Trotz aller litterarischen Schwächen,
die aus der Rhetorenbildung des Verfassers und aus der ungestümen
Beweglichkeit seines Temperaments sich ergeben — die fortwährenden
Apostrophirungen Gottes, die Eigentümlichkeiten des ..Gebetstils4* ermüden
den modernen Leser nicht minder wie der Luxus an Bibelstellen und
Antithesen — trotz alledem werden gewisse Partieen der zehn ersten Bücher
kraft ihrer psychologischen Feinheit und ihrer wahrlich nicht erkünstelten
Gefühlswänuc noch heute und wohl zu allen Zeiten jeden Unbefangenen
fesseln und ergreifen. Schritt für Schritt werden wir durch die tastenden
Anfänge des kindlichen, durch die stürmische Gährung des jugendlichen
Seelenlebens bis in die entscheidenden inneren Kämpfe der Reifezeit geführt,
Augustinus würdigt die öffentlichen Dinge überhaupt keines Blickes und
benutzt auch den äusseren Verlauf seines Daseins nur dazu, die göttliche
Führung in helleres Licht zu setzen und aus einem reichen Schatz von
Erfahrung Stoff für die Betrachtung- und Zergliederung psychischer Vor-
gänge zu gewinnen. Dabei bleibt — und das ist eben das Charakteristische
das Individuum, der einzelne Mensch Augustinus mit all seinen Besonder-
heiten und individuellen Erlebnissen stets im Mittelpunkt; die äussere Welt
um ihn herum scheint mehr und mehr zu versinken und er steht, allmählich
dem bösen und guten Eintluss der Mitmenschen entrückt, allein seinem
lange gesuchten und endlich gefundenen Gott gegenüber. Das quietistische
Element dieses Gefühlslebens "hat erst kürzlich Harnack scharf hervor-
gehoben; auf einen weiblichen Zug in Augustins Natur ist schon früher
aufmerksam gemacht worden l2). Der schroffste ( Jegensatz zum althellenischen
und altrömischen Wesen spricht aus jeder Zeile der Konfessionen wie aus
jeder Zeile des Buchs vom Gottesstaat. Wenn der letztere zum Evangeliuni
der mittelalterlichen Theokratie geworden ist, so liegt die Vermuthung nahe.
Kr/.h. Kainer IV, ii'i ff.>. der Kuchari-sticos des Paulinus von Pella (Kbert I2. 405 ff.) und
die sogenannte „Trai^oedie" des Nestorius (hei lrenaeus Coines). alle nachaugustinisch, fallen
nicht in den Kähmen dieser Darstellung.
,-) Jlarnack III. &i: vgl. seinen Vortrag über die Konfessionen. Giessen 1*88;
ferner Zeitschrift f. Philosophie Xl'lll, 170 ff.; XCIX. 124 ff; histor. Zeitsehr. XXXII,
271 : 27S; Dilthey. Kinleitunv in die Geisteswissenschaften I. :V2(> ff.: :W7 A 1 : G. Koissier.
la tin du pa<;anisnte 1 (lS9lt. f.; A. Kbert, Gesch. der Litteratur des M. A. I2
USSiM. 218 ff.
Digitized by Google
Über die Anfange der Selbstbiographie und ihre Entwicklung im Mittelalter. 188
dass die Konfessionen als erste grossartige Verkörperung' religiöser Selbst-
biographie im Mittelalter nicht ohne Wirkung geblieben sein werden. Nicht
als ob sie etwa immer als unmittelbare Vorlage gedient haben mtlssten; die
augustinischen Gedanken und Stimmungen besassen gar viele Kanäle, um
zu gleichgestimmten Seelen späterer .Jahrhunderte zu gelangen und dort die
Lust zur Innenschau und Selbstschilderung zu erwecken und zu steigern.
Dies geschah nun freilich unter Hinzutritt eines wichtigen Elements,
dessen zwar nicht alle Schriften Augustins, aber doch die Konfessionen völlig
ermangeln. Hier fehlt das Wunder im eigentlichen Sinne so gut wie ganz;
Augustin warnt gelegentlich vor der „Begierde nach seltsamen Gesichten"
und erzählt von Enttäuschungen, die seine visionsbedürftige Mutter erlebte.
Denn das Visionäre spielte allerdings längst im Leben und in der Litteratur
des Christenthums eine wahrhaft gewaltige Rolle. Auch der hellenischen
Welt war ja das vom gewöhnlichen Traum unterschiedene Schauen über-
sinnlicher Dinge und Hören Ubermenschlicher Worte keineswegs fremd; es
knüpfte sich entweder an die Vorstellungen von einem Dasein nach dem
Tode oder an das Verlangen, den Schleier der irdischen Zukunft gehoben
zu sehen, manchmal an beides zugleich. So lässt schon Homer die abge-
schiedenen Seelen im Hades dem Odysseus Rede stehen, was später Vergil
auf seinen Helden Aeneas übertragen hat, und Piaton giebt am Schluss
der Republik jene Erzählung eines vom Scheintod Erwachten, die mit Recht
als eine Vorstufe der christlichen Höllenvisionen in Anspruch genommen
wurden ist13). Aber weit mächtiger noch strömte auf das Christenthum
die hebräische Prophctie und Apokalyptik ein, wie sie schon bei Arnos
und Hesekiel in der wirksamen Korm der Icherzählung auftritt. Diese
begegnet uns auch z. B. in den Apokalypsen des .Johannes, Petrus, Paulus
u. a. sowie in dem „Hirten" des Hermas. Nachdem der starke eschatologische
Zug der urchristlichen Zeit sich überlebt hatte, blieb doch das Bedürfnis*,
die Gegenwart im Licht des Wunderbaren zu sehen und immer von Neuem
das Hereinragen des Übernatürlichen zu spüren. Es kann nicht über-
raschen, dass eine bisher noch nicht berührte Gattung der christlichen
Er/iihlungslitteratur, das Überreich bebaute Feld der Märtyrergeschichten,
eine Menge von Visionen aufweist. Das gespannte Interesse, womit man
früher die kommende ungeheure Umwälzung aller Dinge zu erspähen suchte,
wandte sich jetzt den einzelnen Persönlichkeiten der Blutzeugen zu. Gerade
die älteren Märtyrcrakten lassen uns den hohen Werth erkennen, den man
vor allem auf die Überlieferung der Kerkervisionen solcher Helden und
Heldinnen des Glaubens legte: sie bilden z. B. den Hauptinhalt einer
Erzählung, die in die Akten der heiligen Perpetua als Aufzeichnung von
w) (Jute Zusammenstellung antiker HfMen fahrten bei Kohde. der grieeh. Hornau
ji. ->»J0 A. 3; vgl. K. Norden in der Allerem. Zeitung 1SU.S. Heil. Nr. SO; Uber eine heid-
nisch«» Apokalypse E. Zeller, Vorträge III USS4). .Vitt'. Kinen bekannten heidnischen
Visionär charakterisirt H. Ha umgart. Aelius Aristides (1S74).
Digitized by Google
180
Biographische Blatter.
ihrer eigenen Hand cin^efü^t ist. Nachdem Perpetua in ihrer letzten
Vision in Manns&rcstalt verwandelt und mit Öl gesalbt den Ringkampf mit
einem widerliehen Ägypter d. h. mit dem Teufel ^lüeklieh bestanden und
vom Lanista den Zweier als Siegeszeichen erhalten hat, schliesst sie mit den
Worten: „Soweit habe ich geschrieben bis zum Vorabend der Spiele: wie
es aber im Amphitheater (bei der Hinrichtung) ergehen wird, das soll
schreiben wer da will". Der Verfasser, der die Krzählungr zu Knde fuhrt,
erklärt, er thue dies im Auftrag der Verstorbenen. Ks erweckt den Kin-
druek des Ursprünglichen und Echten, dass die Gesichte der tftit be-
glaubigten Märtyrerakten sich meist auf ihren eiimen Prozess und nahen
Kiriiran«r zur Seligkeit oder auf kurz vorher Geschiedene beziehen. Das
»renu*rtc nun später nicht mehr; wie die Ausmalung der Torturen winde
auch die völlig dramatische Darstellung der Wechselreden vor Gericht und
der himmlischen Tröstungen während der Qual bis ins Maasslose und Ver-
zerrte getrieben. Timotheus und seine siebzehnjährige Gattin Maura hängen
nach allen erdenklichen Peinitriinjfen einander jrejrcnttber am Kreuz, neun
Taire und neun Nächte hindurch: Maura sucht ihrem Gatten den Schlaf
zu verscheuchen, indem sie ihm ihre Visionen erzählt, und hält noch vor
dem Verscheiden mit lauter Stimme eine Ansprache an die Umstehenden14).
Wie sehr die Gewöhnung der Geister an das Wunderbare als an
etwas Selbstverständliches nicht nur den historischen Sinn, sondern das
Verhältniss zur Wahrheit überhaupt bei «ranzen Generationen beeint rächt itrt-
hat, das kann hier nur angedeutet werden15). Wir dürfen irewiss nicht
den einzelnen Schriftsteller des Mittelalters für das Maass von Leichtgläubig-
keit verantwortlich machen, das er sich zu Schulden kommen liess. Und
wie das «reistitre Sehen war auch das sittliche Gefühl in gewissen Be-
u) Darüber, dass der ..Hirt" des Hermas nicht den Bomanen beizuztthlen ist. Zahn,
der >l irt dos Hermas (18H8) p. 80: auch Bariner-ttnuld p. Sltö. Über die Akten der
Perpetua u. Felicitas vgl. die Ausgabe von Harris und OGifford (1890) sowie (in der
Hauptfrage abweichender Ansicht) Bobinson, Text* and studio« 1 (.18111) Nr. 2. Ausser-
dem z. B. die Acta SS. Montani, Lucii. Juliani u. s. w. (vgl. Harris u. (Gifford p. 27),
die passio SS. Jacobi. Mariani et aliorum. die vita et passio S. Caecilii Cypriani episcopi
tvirl. Elarnaek. (Gesch. der altchristl. Litteratur I, 729 f.: 820): über Timotheus und Maura:
Le Blant p. 239 f. Über den Eindruck der Visionen Harris u. Gifford p. 6: ..it is
the visions that have impressed the Cburch"'. Auch in den apokryphen Apostelgeschichten
mit Vorliebe das visionüre Kleinent gepflegt (Lipsius a. a. 0. p. 8).
15 1 Virl. hierüber z. B. .T. Bernays, (Gesammelte Abhandlungen II (188.V), 24"» t*. ;
l'sener. Theodosius p. XX ff.: K. Zeller in der deutschen Bundschau LXXIY ilsö:J\
11*"»: 214 ff.: (namentlich auch über die (Gewohnheit pseudonymer Veröffentlichung, die ja
eine uralte ist und z. B. in der ägyptischen Litteratur die Beirel bildet. K. Meyer. (Gesch.
des alten Ägyptens. 1887. p. 128); auch Zahn, der Hirt des Hermas p. 88 ff.; Harnack.
altchri>tl. Litt. -< Jesch. 1. XXVI. t'ber die Kntwicklunir der Legende, namentlich ihrer
Verwendung im (Gottesdienst. v<_'l. Kbert bei Krsch u. (Gruner I. 341 ff.: C. Horst-
mann, altenirl. Lebenden ( 18*1 >. Einleitnnir. Auf ihre Weiterbildung nach der phantastischen
Seite hin sind besonders die Kelten von Einfluss.
Digitized by Google
Über die Anfänge der Selbstbiographie und ihre Entwicklung im Mittelalter. 190,
Ziehungen gestört, abgestumpft. Dieses T'rtheil ist durcliaus nicht zu hart,
wenn wir uns daran erinnern, wie selbst hoehangesehene und zweifellos
fromme Männer der Kirche damals sich kein lie wissen daraus machten,
ihrem (Gotteshaus oder ihrem Schutzheiligen zuliebe erfundene Thatsachen
zu erzählen und sogar Urkunden zu falschen. Die gleiche rberzeugung
einem höheren Zweck, nämlich der Erbauung- zu dienen, liess es als etwas
vollkommen Berechtigtes erscheinen, wenn man in den Legenden, die sich
allmählich im (Gottesdienst einen wichtigen IMatz eroberten, die Farben
immer dicker und schreiender auftrug16). Seit dann die Visionen als
selbständige Litteraturgattung gepflegt wurden, missbrauchte man auch dieses
Mittel lingeseheut, um heilsamen Schrecken zu erregen oder gelegentlich
sehr bestimmte materielle Forderungen durchzusetzen; man erblickte welt-
liche und geistliche Fürsten und Herren in den (Qualen der Hölle oder des
Fegfeuers und brachte die besonderen Ursachen ihrer Peinigung in Er-
fahrung, bei Karl Martell die Säkularisation der Kirehengüter. bei Karl
dem Kahlen die Unfolgsamkeit gegen den Erzbischof Hinkmar von Keims
u. s. w.17).
Hei solcher Richtung der Geister konnte die feine Selbstbeobachtung
eines Augustin sich nicht unmittelbar fortpflanzen. Während Koryphäen
der Kirche und der Literatur wie Papst Gregor der (i rosse, Heda,
Bonifatius Visionen sammelten, finden wir Jahrhunderte hindurch kein auch
noch so dürftiges Seitenstuck zu den Konfessionen. Denn die sogenannte
Confessio des heiligen Patrick, die von der neueren Forschung mit grosser
Wahrscheinlichkeit für unecht gehalten wird, giebt allerdings eine Mischung
von Lebensbeschreibung. Reichte und Apologie, aber in unbeschreiblich
ruher und verwirrter Gestalt, natürlich nicht ohne die Würze der Visionen.
Doch ist es allerdings charakteristisch, dass selbst in einer litterarisch so
tiefstehenden Periode die Neigung, über die eigene Person Mittheilungen zu
machen nicht ganz verloren gegangen ist: bei Sulpicius Severus, dem
Freund des heiligen Martin, bei Gregor von Tours, dessen Frankengeschichte
zum Theil Memoirencharakter trägt, bei so manchen andern begegnen uns
autobiographische Nachrichten ls). Erst nach langer Unterbrechung, im
w) Für die Fälschungen dos M. A. braucht wohl nicht er-t auf einzelne Beispiele
verwiesen zu werden. Vgl. U. Kllinger. Das Verhältnis* der Offen tl. Meinung zu Wahr-
heit und EUgc im X.. XI. und XII. Jahrh.. Herl. Diss. 1SS4: H. Lasch. Das Erwachen
und die Entwicklung der historischen Kritik im M. A. Breslau 1SS7.
J~) Vgl. C. Fritzsche. die latein. Visionen des Mittelalters bis zur Mitte de>
XII. .Inhrhundert.s: ein Beitrag zur Kulturgesch. (in Vollmöllers Hornau. Forschungen
Bd. II. III.: 1880,87).
lsj t'ber die ConlVssio des hl. Patrick vgl. Zimmer in der Zeitschr. für deutsch«*-*
Alterthum XXXV. 7!»Anm.: J. von I'flugk-Harttung in den Neuen Heidelberger Jahr-
büchern III ^lSÖ-Tt, 71 ff. Über die an den Heist französischer Memoin*n gemahnende Alt
des Sulpieio Severus: Ebert I-, .*$.'$u'; über (ireg«»r von Tours ebd. "»70 f. Llregor giebt
hist. Frane. VIII. 1"» die kurze Selbstbiographie des Diakons V ullilaich, den er zum Erzählen
Digitized by Google
191
Biographische Blatter.
X. Jahrhundert treffen wir wieder auf den Versuch eingehender Selbst-
sehilderung. Es ist das Zeitalter der mönchischen Reform, die zunächst
hauptsächlich Herstellung der arg- gelockerten klösterlichen Disziplin be-
zweckte, dabei aber doch auch das Geftthl sittlicher Verantwortlichkeit
beim Einzelnen belebte und den Blick nach innen wies. Dass sie mit einer
Neublttthe der materiellen Kultur Hand in Hand ging und mit einem ge-
wissen Aufschwung der klassischen Studien zusammentraf, darf nicht über-
sehen werden10). Freilich grundverschieden von Augustin tritt uns jener
ehrgeizige und streitlustige Mönch Katherius entgegen, der es in der Zeit
Heinrichs I. und Ottos des Grossen unternahm, sein eigenes Ich vor der
Welt aufzudecken und zu zergliedern20). Mit einer unerhörten Rücksichts-
losigkeit hat dieser äusserst belesene und geistig bewegliche Mann früh
begonnen und bis ins Alter nicht aufgehört, nicht nur seine wechselnden
Schicksale, sondern vor allem seinen Charakter in allen Eigentümlichkeiten
sich selbst und der Mitwelt klarzulegen, in einer langen Reihe von Schriften,
die dem Augenblick entstammend und sprunghaft abgefasst eben dadurch
wirkliches Leben in sich tragen. Er hat viel erlebt, dreimal den Rischol-
stuhl zu Verona, einmal den zu Lüttich bestiegen und immer wieder räumen
müssen; weder mit seinen Gegnern noch mit sich ist er jemals fertig ge-
worden. Von der innern Ruhe, womit der ihm wohl vertraute Augustin
bei aller Ruhelosigkeit des Stils auf überwundene Stürme zurückschallt, ist
hier nichts zu spüren: die Art und Weise, wie Ratherius sich ohne Er-
barmen herunterzieht und blossstellt, erinnert zuweilen mehr an Rousseau.
Auch Ratherius verfolgt gelegentlich den Zweck unter dem Schein von
Sündenbekenntnissen, unter lauten Selbstanklagen gerade seine guten Eigen-
schaften hervortreten zu lassen, wobei er aber nicht wie Rousseau sentimental
beschönigend, sondern scharf ironisierend verfährt. Er war ein Meister
der verlm otiosa. der schlagenden Einfälle, durch die er ein gesuchter
Gesellschafter wurde und zuweilen im hitzigsten Wortgefecht seine Gegner
selbst zum Lachen und auf seine Seite brachte. Das Weinen, meinte er.
sei nicht seine Sache: nur wenn er andere weinen sehe, werde er sofort
angesteckt, aber es gehe nicht tief. Und dennoch sind auch seine ver-
zweifelten Stimmungen echt: diese Mischung von Tönen der Ironie und der
niJthijrt. im Wortlaut. Autobiographische Notizen z. B. Hei dem Byzantiner Menander Pro-
rektor ( virl. Krumbarher. beschichte der bvzantin. Litteratur p. f»l f.l. bei Beda. bist, eccles.
V. 24. bei einer vornehmen Dame der Karolin<.r«'r/eit in den tür ihren Sohn bestimmten Aut-
/.«•i<hnuiii.ren (virl. Bondurand, le manuel de Dhuoda. 1SS7). bei Liutprand von Cremona n. a.
«•> Sarkur. die < Muniazenser 1 <1S1H>) p. V.
Cber H. virl. A. Vo«rel. U. von Verona u. das X. .Jahrhundert. 2 Bde. 1S.VI :
Kbert III. .1*0 ff.: A. Hauek, Kirchengeseh. Deutschl. III. 2*5 ff. Die „praeloquia-. in
denen er bereits mit seinen (JestHndnissen beginnt ( Yo^el 1. Sui, sind c. 93(1 vert'.. der „dia-
lo<_'iis confessionalis cuiusdam sceleratissimi — Uatherii" 957 (ebd. 22(i ff.), die „qualitativ
eonieetura cuiusdanr 9tio (ebd. .129 t\\). Auch in der „phrenesis" 9f>2 und in .de proprio
lap>o" und ..de otioso sermone" JIÖ4: (ebd. 200; 25)8 ff.) findet sieh Hierhergehörte*.
Digitized by Googl
Über die Anfänge der Selbstbiographie und ihre Entwicklung im Mittelalter. \ 92
Herzensangst enthüllt uns einen ungewöhnlichen, wenn auch innerlich
friedlosen Menschen. An den Emst seiner Besserungsabsichten will er
selbst nicht glauben. Wenn er z. B. die Psalmen singt, so geschieht das
nicht in der Zuversicht, dass sie erhört würden, da er ja dabei an ganz andere
Dinge denkt; aber er hofft, dass vielleicht gerade der Umstand, dass er sie
wider Willen singt, etwas Verdienstliches haben und den innerlichen Trotz
gegen Gott wettmachen könnte. Ebenso gesteht er, dass er seine Bekennt-
nisse eigentlich doch nur aus Selbstgefälligkeit und des Beifalls wegen
niedergeschrieben habe. „Wer ihn kennen lernen will", sagt er von sich,
„der versuche einmal sein Buch des Bekenntnisses ganz durchzulesen; ist
er so, wie er sich schildert, so giebt es keinen schlechtem Menschen unter
der Sonne; spricht er nicht die Wahrheit, so ist er der allergrösste Lügner".
Wenn Rousseau mit seinem Buch in der Hand getrost vor den Richter
treten will, meint Ratherius umgekehrt, ihm brauche man nach seinem
Tode nur das eigene Buch vorzuhalten; damit sei er schon vcrurtheilt. Er
fharakterisirt sich einmal kurz als einen Menschen, der weder Gott noch
auch dem Teufel treu sein könne.
Wie die höchst merkwürdigen Ergüsse des Ratherius schon der Forin
nach keine wirkliche »Selbstbiographie darstellen, so ist auch der originelle
Mann keineswegs als ein Typus der regelrechten mönchischen Reform anzu-
sehen. Neben anderem fehlt ihm ein uncrlässlichcs Element dieser asketischen
Bewegung, das visionäre. In den Klöstern hatte es seine Heimstätte und
seinen Nährboden gefunden; die Zelle, nicht nur des Einsiedlers, sondern
auch des Mönchs wurde, wie Petrus Damiani, der Freund und Gehülfe
Gregors VII., sagt, ein Zelt heiliger Ritterschaft und ein gottgeweihtes
Schlachtfeld21)- Es hat etwas Rührendes, wenn streng sittliche Naturen
wie Damiani oder der Abt von Cluny, Peter der Ehrwürdige, sieh ernst-
hafte Mühe geben, die Glaubwürdigkeit ihrer zahllosen Mittheilungen über
Wunder und Visionen ausser allen Zweifel zu setzen. Aber sie lassen
doch ihre Gewährsmänner, die sie oft mit Namen anführen, stets in der
ersten Person sprechen, und nicht allein ihre Gewährsmänner, sondern auch
Verstorbene, Dämonen und Engel, die .Jungfrau Maria und Gott selber.
Der Leser sollte, wie Peter der Ehrwürdige ausführt, nicht mir den Sinn
der Worte mitgetheilt erhalten, sondern die Worte selbst zu hören glauben.
Es war die alte Praxis der Legende. Abt Peter meinte schon viel für die
unverfälschte Echtheit eines solchen Berichts gethan zu haben, als er eine
um Weihnachten in Frankreich vorgekommene Geistererseheinung noch vor
Pfingsten in Spanien schriftlich tixirte; dabei giebt er die längere Rede des
Geistes, eines erschlagenen Kitters, im Wortlaut Dichtung und Wahrheit
21 ) Petrus Damiani, Opuseula XI. 19.
45 1 Vf^. ebd. passim: Petri Vonerabilis abb. Cluniuc. de mirarulis libri 11 <z. H. 1.2
ti: 10: 23: 27; 11. 32). Der beil. Dunstan Uisst >;ine in einer Vision irehbrte Antiphonie
gleich nach dem Erwarben aufzeichnen, sammt der Melodie ( V. Dunstani S 2iJ(.
Digitized by Google
Iii:] liioirraphischc Blatter.
(Iure) id rangen sich eben unlösbar nicht nur in der Litteratur. sondern auch
im Leben selbst, das für manchen Klosterbewohner sich halb zum Traum
verwandelte. Nüchterne Naturen, wie der Cluniazenser Rodulfus Glaber23).
bekamen so gut wie andere den bflsen Feind zu sehen; dem Rodulfus. der
möglichst genau zu schildern sucht, erschien er als ein überaus häßliches
Mannlein, das habere (Besicht von kohlschwarzen Augen belebt, mit ge-
furchter Stirn, dicken Lippen und zurücktretendem Kinn, mit Bocksbart,
spitzem Hinterkopf und gesträubtem Haar.
In dieser Atmosphäre ist die erste rein mönchische Selbstbiographie
entstanden, eine (Jcschichte voll seelischer Selbstpeinigung und überirdischer
Eingriffe. Der liaier Otloh, der in Tegernsee erzogen, später in ver-
schiedenen Klöstern, am Längsten bei S. Emmeram zu Regensburg sieh
aufhielt und im letzten Drittel des XL .Jahrhunderts gestorben ist. war
nicht allein ein berühmter Schreiber, sondern auch ein äusserst fruchtbarer
Schriftsteller-4). So einfach sein äusserer Lebensgang sich abspielte, so
stürmisch ging es in seinem Innern her: des Münehthnms ganzen Jammer
hat er durchgekostet und theils zu eigner Erbauung, theils zu Nutz und
•■») Rodulfus (.laber, historiarum libor V. 1: hiezu K. Oebhart. lerat däme d un
meine de Inn 1000 (Hex. des deux mondos III. 107. 1*91, p. 600 ff.). Zahlreiche Visionen
schon in der Vita S. Odonis (des ersten Abts von l.'luny, •}• 942) von seinem Schüler
Johannes, der sowohl seinen Helden seihst z. Ii. seine .lujrendtreschichte er/Jthlen Hisst als
auch eigne TCrinnerun<_'en {rieht (virl. Mnhillon, Acta Sanctorum ordinis S. Itenedieti.
saec. V.. pajr. 14** ff.: HU ff.: 172; 178 ff. 1: er snjrt: „ea nimimm scribere bene romplaruit.
ouae quasi de alio narrante e\ eius ore sumpsi et nieae menioriae commendavi".
-*) Cber Otloh und seine Schritten v«rl. H. Fez im Thesaurus aneedotorum III,
X ff.. Mon. Cierm. SS. IV. f>21 ff; XI, 377; S. Hiezler. Osch. Haiern» I (187SI. 45)7 ff.:
Lasch a. a O. p. f>2 f.: 02 f.; auch K. Werner, (Jerbert (1H7S) p. 240 ff. und K. Lanip-
rei-ht Deutsche (Jesch. II (1S92), 197 f.: über s««ine Visionen Fritzsche a.a.O. III.
:U9 ff. Seine Theilnahme an den zu S. Emmeram verübten Fälschungen vennuthet H eine-
m nun (Neues Archiv XV. iWG ff ). Nach G. Gröber (firundms der roman. Philologie II.
1.270) beirinnt mit O. die sreistliche Selbstbiographie naeh dem Muster von August ins
Konfessionen. Stilistisch berührt sich je<loch O. mit diesem kaum; er citirt überhaupt die
Vütcr nur selten. Au<r. z.B. im dialogus de tribus quaest. prolojr: Cap. 4: V. S.W oll' -
kaniri prolo<_r: sonst ein paar Mal ("ireiror den Grossen und die Vita patrum (Le«jrende>.
Autobiographisches enthalten folgende von seinen Schriften: de spiritali doctrina, das sich
inhaltlich (virl. Cap. 14: 17) mit Stücken des über visionum und des libellus de tentationibu»
deckt: über visionum (zw. 1O02 und 10*50); seit 1007: de confessiono aetuum suorinu
(— de tetitat. 1): de cur.su spirituali (Cap. 21 de tentat. I, mit «rerinjren Abweichungen ) :
libellns de suis tentationibus, varia fortuna et scriptis ( pars I und II). Nicht uninteressant
i-t. da»«. O. sein«1 Interre«! unyen mit «lein Ileiehenauer Mönch Heinrich zuerst ohne Nennung
ihrer Namen niederschrieb, der andere ihn aber bat. ..ut «'t causam seribendi illustrarom
proloiro et utriusqu«» persona««, meae videlicet ne sui. menioriam patefaoerem in dialoero":
di«** geschah dann auch im dialogus de trilms quaestionibus ( vgl. de tentat* II). -- Der Probst
Armdd. mit dem O, noch ein«« Zeit lang zu S. Hmmeram zusammenlebte, hatte in der Vor-
red«« «-eines Werks über den Klosterhoiligen ebenfalls eine freilich kurze Selbstbiographie
L" ir« l»en: auch er wird von der Vorliebe für die heidnischen Autoren {reheilt, durch den
To«! eines Freundes (M. (J. SS. IV. M:{ ff.: virl. Kiezler 1. 495 ff); Autobiographisches
auch II. ,V2, Visionen in der Wirrede und II. 47: 04 ff.
Digitized by Google
IMier die Anföngfl der Selhntbiosraphie und ihre Entwicklung im Mittelalter. 194
Frommen anderer mönchischer Leser auch zu Pergament gebracht. Ob er
Augustins Konfessionen gekannt hat. vermag ich nicht zu sagen. Seine
wichtigsten Erlebnisse schilderte er erst in poetischer, dann wiederholt in
prosaischer Form. J bezeichnend ist gleich die Art und Weise seines Eintritts
ins Kloster. Er hatte ihn als Knabe ans dankbarem Herzen wegen seines
guten Erfolgs in der »Schule gelobt, war aber nachher anderen Sinnes ge-
worden und trieb als künftiger Weltgeistlicher mit Enthusiasmus die
klassischen Studien. Da kam, als er eines Tages zu Regensburg in seinen
Lieblingsdichter Lukan vertieft war, die Krisis, eingeleitet durch einen
dreimaligen heissen Windstoss. der ihm das Lesen verleidete. Weil er
diese Mahnung noch nicht genügend verstand, erschien ihm eines Nachts
im Traum ein furchtbarer Mann, der ihn derart durchpeitschte, dass er
im Blut zu schwimmen glaubte. Nach dem Erwachen fand sich sein Kücken
mit einem Ausschlag bedeckt, aber trotzdem mussten noch wiederholte
heftige Erkrankungen mit beängstigenden (Besichten hinzutreten, um ihn
von seinen Klassikern weg und in die Mönchskutte zu treiben. Kein
Wunder, dass Otloh zum Visionensammler wurde und dass die Visionen
auch seinen autobiographischen Mittheilungen die charakteristische Färbung
geben. Manches erinnert an die alten Teufelskämpfe der Einsiedler. So
wird er einmal des Nachts durch einen unheimlichen Ranch aus dem Bett
getrieben, schleppt sich voll Todesangst in die Kirche und wieder zurück;
vergebens sucht er mit den Händen seinen widerspenstigen Mund zum
Psaluiodiren aufzusperren. Da fallen die Dämonen schaaremveise über ihn
her und reissen ihn so windschnell mit sich fort, dass ihm der Athem
ausgeht, bis vor einen gähnenden Abgrund. Zweimal erscheint ein himm-
lischer Tröster, um zweimal zum Jubel der Dämonen zu verschwinden, bis
endlich das Glücklein zur Nocturn erschallt und den Gequälten erlöst.
Aber Otloh schildert auch feinere Formen der Anfechtung: wie ihn der
Teufel durch Zweifel erst am Erbarmen, dann an der Gerechtigkeit, emilich
selbst am Dasein Gottes und an der Wahrheit der Schrift fast zum Wahn-
sinn treibt. Während sein Gesicht und Gehör wie verschleiert waren,
g-laubte er jemanden ganz nahe in sein Ohr flüstern zu hören. Er befreit
sich durch ein Stossgebet, das wunderlich genug anhebt: „Wenn Du existirst,
Allmächtiger, und wenn Du allgegenwärtig bist, wie ich oft in vielen
Büchern gelesen habe, so zeige, wer Du bist und was Du vermagst". Die
Krhörung folgt auf dem Fuss und fortan war jeder Zweifel gewichen, sein
Verständnis.«« aber wuchs zu solcher Klarheit, dass er, wie er gesteht, es
kaum mehr verbergen konnte; er musste es „infolge eines unaussprechlichen
Triebs und ungewohnten Feuereifers" litterarisch zum Ausdruck bringen.
Denn auch der Himmel hatte ihn unmittelbaren Zuspruchs gewürdigt ; diese
Einflüsterungen von oben gestalten sich ihm dann freilich zu seitenlangen
Auseinandersetzungen, worin niemand anders als Gott selbst sich mit reich-
lichen Citaten aus der Bibel und aus der Legende über Zulässigkeit und
Biographische Blatter. I. W
Digitized by Google
195
Biographische Blätter.
Wirkung" der Anfechtungen ergeht. .Ja, in seinen Visionen erseheint ihm
Gott wiederholt leibhaftig, als greiser Priester im rothen Messgewand; er
hält längere Reden an Geistliche und Laien und kann einmal vor Rührung
über Otloh's beweglichen Psahnengesang die strömenden Thränen nicht
zurückhalten, die er sich langsam mit der Hand abwischt.
Otloli ist gewiss mit Recht als typisch für seine Zeit aufgefasst
worden; während er in seinen historischen Arbeiten ein gewisses Maass
von Kritik zeigt, haben wir in seinen persönlichen Krinncrungen nur
mönchische Selbstbeobachtung und Selbstquälerei, krankhafte Aufregungen
und gratia lacrimarum vor uns. Dagegen zeigt die Selbstbiographie des
französischen Abts Guibert von Nogent (f 1124)SA), obwohl zumal ihr
erstes Buch in bewusster, auch stilistischer Nachahmung Augustins abgefasst
ist, neben maassloser Selbsterniedrigung und einer Unzahl von Visionen doch
schon manche Keime einer andern Weltanschauung. Denn die triuniphireiKle
Kirche des XII. und XIII. Jahrhunderts trägt ein Doppelgesicht: die
Kreuzzüge, die ja grossentheils aus der mönchischen Reformbewegung her-
vorgegangen sind, brachten wohl dem asketischen Idealismus erneute An-
regung, aber zugleich eine mächtige Belebung der wissenschaftlichen und
ästhetischen Triebe. So verlässt auch Guibert von Nogent zuweilen den
streng mönchischen Standpunkt, wenn er z. B. sich nicht versagen kann,
neben den christlichen Tugenden seiner Mutter ihre leibliche Schönheit zu
preisen; sei diese doch ein Spiegel der ewigen Schönheit und trügen doch
nicht ohne Grund die Kngel stets annwthige. die Dämonen aber hässliche
Züge. Kr vergisst nicht anzuführen, dass sie ihm auf die eigne schöne
Erscheinung wirft er einen kurzen Seitenblick in seiner Kindheit nicht
nur gute Lehrmeister gegeben, sondern auch wahrhaft fürstliche Kleider
angeschafft habe. Das sichtliche Bemühen, dieser Mutter ein littemrisches
Khrendenkmal zu stiften, ist vielleicht der erfreulichste Zug an einem
Schriftsteller, dessen Eitelkeit sich nur schlecht hinter der Maske der
Deinuth verbirgt. Denn auch jenes fortwährende himmlische Kingreifen,
das sich in den Visionen Gniberts und seiner Mutter kundgiebt, war doch
sehr geeignet, das Selbstgefühl der Begnadigten zu heben: sogar der erste
Lehrer des Knaben wurde durch eine Vision veranlasst, seine Krzieherstelle
2ft) (iuiberti <lc Noviirento de vita sua sive monodiarum libri III; v«rl. über ihn
d' Achery. der bereits die Nachahmung Auq-ustins hervorhebt (hei Mi«rne. 1'atrnl. lat.
( IA'l. 1047 f.): Wajrennuinn in llerzo;r*s Uealcneyklopadie V2. 4114: Hist, litter. de la
France X. 4:1!» tf. Autobiographische Notizen bei dem englischen Chronisten (— 1141)
< »rderious Vitalis, hist. cedesiast. V. 1: XIII. 22 (wo er die Hauptdaten seines Lebens in
Form eines (Jebcts zu (iott wiederholt). Die (Jesohichte seiner liekehrun^ erzählt lebendii,»
unil mit KinhVehtuni: bedeutsamer Visionen der ehemalige .lüde und nachheriye I'rämon-
stratonser Hermann (Mi«rne CLXX. SOf> ti*.). Die KrzHhlunjr des Abts Rupert von Deutz
i \- \\:\~>) von seinen eigenen Visionen, wobei er einmal auf Augustins Konfessionen llezujj
nimmt iMiirne l\ L. ClAVlll. l.V.H'l. fuhrt mit ihren reichlichen Küssen und l'in-
ainiun^en bereits in die Zeit der mystischen Imiphndsamkcit hinüber.
Digitized by Google
Über die Anf&nge der Selbstbiographie und ihre Entwicklung im Mittelalter. 19(j
bei einem jungen Vetter Guiberts aufzugeben und sieh dem neuen Schuler
zu widmen. Ohne religiöse Einkleidung, mit voller Offenheit tritt uns das
Wohlgefallen an der eignen Person in den autobiographischen Schriften des
ehrgeizigen Wallisers Giraldus entgegen26). Wenn er von sich meistens in
der dritten Person spricht, so geschieht es nicht aus Bescheidenheit, sondern
um diesen dritten recht unverschämt herausstreichen zu können. „Ich
habe**, sagt er, „Sorge getragen, die hervorragenden Leistungen eines Zeit-
genossen, die ich theils als Augenzeuge miterlebt, theils nach seinem Bericht
aufgezeichnet habe, dem ewigen Gedächtnis zu Uberliefern". Sein heiss
ersehntes Ziel, Bischof zu werden, hat er allerdings nicht erreicht, aber in
seinen kirchenpolitischen Kämpfen gereichten ihm, wie er selbst mittheilt,
zwei Dinge zum Trost, „erstlich seine Verdienste um Gott und sodann die
Gunst und der Beifall der Menge". Der Gedanke an die Nachwelt ist bei
ihm der treibende; man muss ein Denkmal des eignen Ruhms hinterlassen.
-Sehr viele Gelehrte", sagt er, „altern, ohne sich selbst zu kennen; indem
diese Seelen ohne Feuer die Kräfte ihres Geistes nicht erproben, gehen sie
zu Grunde wie das Vieh und ihres Namens wird nicht mehr gedacht".
Giraldus brauchte sich wegen solcher Unterlassungssünden keinen Vorwurf
zu machen. Auch die Visionen, die es aufgezeichnet hat, beziehen sich
insgesammt auf die erhoffte Standeserhöhung und auf seine Gegner; Mönche
und Einsiedler, Magister und Ritter, Frauen und Kinder sahen ihn und
immer wieder ihn. Ks ist nur eine andere Form der Ruhmgier, die sich
bei ihm abwechselnd in christlicher oder klassischer Tonart äusserte.
Wie hoch einzelne bevorzugte Geister des XII. Jahrhunderts über
die mönchische Einseitigkeit des gregorianischen Zeitalters hinauswachsen
konnten, dafür bietet uns die Geschichte der Selbstbiographie wenigstens
ein Beispiel, die berühmte „Geschichte meines Unglücks" von Peter Abälard
(7 1142 ) 27). Nur leicht eingekleidet in die Form eines Briefs an einen gleich-
falls vom Schicksal getroffenen Freund, giebt sie eine Selbstzeichnung mit
so sicherer Hand und in so markigen Strichen, dass sie ästhetisch betrachtet
unverkennbar über den augustinischen Konfessionen steht, während auch
nicht die leiseste Spur von der visionären Überschwenglichkeit des Zeit-
alters hier zurückgeblieben ist. Und doch hätte jene entsetzliche Katastrophe,
die Abälards Leben in zwei Hälften zerriss, einem rein mittelalterlichen
Menschen das tröstliche Versinken in die Tiefen mystischen Traumlebens
nahe legen müssen. Wie einfach erscheint das äussere Dasein Augustiiis,
*) Über Giraldus Cambrensis (f nach 115)2) vgl. Lappenberg- Pauli, (iesch. von
Kngland II. "28*2; III, 880 f. Ausser den libri III de rebus a sc Pestis (in der Ausgabe
-einer Werke, Lond. 1801 ff., IM. I; vgl. Kinleitung p. I, XX XIX) und den inveetmnes
L'pbon auch verschiedene andere seiner Schritten Autobiographisches, meist in der dritten
Person (im speculum ecclesiac dist. III. <i spricht er in der ersten Person). Für seine
klassische Bildung und Ruhmeslicbe vgl. namentlich Opp. V. :{ ff.: VI. 7 ff.
sl Historia calamitatum; vgl. S. M. Deutsch. Peter Abälard (1*8:{> p. 20 f.; 42 ff.;
A. Hausrath, P. A. Ein Lebensbild {l«\)A) p. V; 1 f.; 120 ff.
I.i*
Digitized by Google
107
Biographische Blatter.
wie gelinde selbst seine seelischen Kämpfe neben den Erschütterungen, die
der geniale Franzose durchlebt und Uberlebt hat! Mit allen Vorzügen des
(ieistes und Körpers ausgestattet, von der gebildeten Welt als Fürst der
Wissenschaft angestaunt, dazu ein berückender Meister des (Jesangs und
im Besitz jener schonen und hochbegabten Krau, die lieber mit ihm zur
Holle fahren wollte als ohne ihn zum Himmel eingehen und dann mit
einem Schlag ein armer verstümmelter Mönch, für den alle Lust und aller
(ilanz der Erde verschlossen war. der nicht nur mit sich allein, sondern
mit einer wachsenden Schaar von Feinden fertig werden sollte, vor geist-
liches (i dicht gezogen, gezwungen, ein gefeiertes Werk mit eigner Hand
in die Flammen zu werfen, zur Klosterhaft verurtheilt. Die Selbstbiographie
des »Schwergeprüften lässt trotzdem das Hochgefühl der früheren Zeiten
noch durchklingen; sie ist eben keine Beichte im Sinne Augustins. sondern
ein Appell an die Theilnahme der Mitwelt, der durch die ergänzende Ver-
öffentlichung seines Briefwechsels mit Heloise noch verstärkt werden sollte.
Die rücksichtslosen Enthüllungen dieser Briefe sind ebenso wohl berechnet
wie die vorsichtige Zurückhaltung, die Abälard bei aller Schärfe der Selbst-
anklage gelegentlich in der Biographie beobachtet. Von der grossartigen
Unbefangenheit Augustins ist nicht die Rede. Hier spricht kein grosser
Mensch, wohl aber ein Aristokrat des Geistes, um den bereits eine Ahnung
von wirklich humanistischer Luft weht.
Ein gewaltiger Zug zur Welt, zur Macht, zum Wissen, zum Lebens-
genuss geht durch die Kirche des XII. und XIII. Jahrhunderts. Und
doch bezeugen eben damals grossartige mönchische Reformbewegungen die
noch vorhandene Lebensfähigkeit des alten asketischen (ieistes. Und .schon
ehe die Bettelorden in einer bisher unerhörten Weise die Laienwelt zu
selbsttätiger, nicht nur empfangender Theilnahme am religiösem Leben auf-
geregt hatten, war bereits jene Entwicklung der kirchlichen Frömmigkeit
zur Mystik eingeleitet, deren geistiger Inhalt der theologischen Wissen-
schaft und deren Erscheinungsformen der Jahrhunderte lang gesteigerten
und verfeinerten Askese entstammen. Ein so ungestörtes Ausreifen des
< iemüthslebens von der zarten frischen Blüte bis zum Überreifen. Süsslichen
und zuweilen auch Fauligen war noch niemals dagewesen. Charakteristisch
ist für diese Periode geistigen und moralischen Raffinements wie für die
viel spätere und reichere der modernen Romantik die höchst bedeutende,
oft führende Rolle der Frau2*». Seit dem XII. Jahrhundert nimmt die
religiöse Selbstbiographie in den Kreisen der berühmten Visionärinnen und
ihrer mitfühlenden Vertrauensmänner, die meist die Aufzeichnung besorgten,
innner mehr einen ausgesprochen weiblichen Charakter an, indem an die
Stelle der früheren Dämonenkämpfe und Höllenphantasien allmählich eine
geistliche Erotik empfindsamster Art gesetzt ward und neben den weicheren
ft) Was <;. Brandes < Litt, des XIX. .lalirh. VI. 1SJ»1. p. :U1) in Bezug- auf die
Periode der Iiumantik «igt. gilt ebenso für die Mvstik des XIII. und XIV. .Jahrhundert*.
Digitized by Google
Über die Anfänge der Selbstbiographie und ihre Entwicklung im Mittelalter. 198
< ieftüilen auch ein gewisses SelifmheitsbedUrfniss, eine naive Freude an
liebliehen (Gestalten, sehiinmernden Farben, reichen (Jewändern und Kleinodien
sich offenbarte. Das Zeitalter der ritterlichen Kultur mit ihrem Minnedienst
und ihren starken künstlerischen Xeiirunjren ist bis in die Visionen hinein
deutlich zu spüren, selbst bei der im (Manzen noch sehr herben und
apokalyptisch gerichteten Hildegard von Bingen (*J- 1170). Die umfänglichen
Schriften, die unter ihrem Namen auf uns gekommen sind und in denen
sich auch Ansätze zu einer Selbstbiographie finden, rubren in der uns
vorliegenden (i estalt keinenfalls von der hochire feierten Visionärin selbst
her. sondern sind durch männliche Vermittlung aufgezeichnet und zum
Mindesten beträchtlich umgemodelt worden. Von ihrer Zeitgenossin Elisabeth
von Schönau besitzen wir wieder durch Vermittlung ihres Bruders, des
Abts Kekbert. ein förmliches Tagebuch über ihre Visionen mit genauer
Angabe der Daten20). Später tritt die hier noch vorhandene Theilnahine
an den grossen Kämpfen der Zeit immer mehr vor den rein persönlichen
Beziehungen und Erlebnissen zurück: die Freundinnen und Freunde
mystischer Beschaulichkeit spinnen sich förmlich ein in ihren engsten
Kreisen, und damit nehmen auch die autobiographischen Aufzeichnungen
vielfach einen geradezu pathologischen Charakter an30). Die Heldinnen
sind, sehr verschieden von jenen Frauen der Märtyrerzeit, in der Uejrel
krank und schwach oder wenigstens durch Askese heruntergebracht; sie
schildern oft ihre körperlichen Leiden mit peinlicher Sorgfalt. Durchaus
weiblich ist dann das Schwellen in bräutlichen und mütterlichen Gefühlen;
denn neben Christus dem Bräutigam, zu dem ihr Verhältnis* sich jranz
nach dem Muster des höfischen Minnelebens gestaltet, beansprucht das
Christkind, seine Pflege, seine kindliche Antnnth und Schalkheit einen grossen
Platz in dem Traumleben seiner Verehrerinnen. Es wird von ihnen mit
einer manchmal reclit raffiniert anmuthenden Xaivetät gebadet, getränkt und
»reliebkost und bezeichnender Weise auch ausirefra^rt : wie es sich denn bei
-J) Die in die V. Hildeirardis aufgenommenen IcherzHhlungen der Heldin trafen,
A\ie l'reger (Deutsche Mystik I. HD mit Hecht bemerkt. ..das Oprlige von Stücken einer
Selbstbiographie der Hildegard". Ihre (iepflogenheit z. R im Scivias die himmlische
Stimme «ranze Abhandlungen vortragen zu lassen, erinnert an Otlob (s. o.). Die Frage
nach der Entstehung bez. Echtheit ihrer sehr umfänglichen Schriften ist noch keineswegs
endyiiltisr gelöst Die Visionen Elisabeths von Schönau herausgegeben von F. W C. Roth
ilss4). Cber die Art der Aufzeichnung vgl. Hildegards Briet' ;in Cuibcrt von («embloux
'l'itra. Analecta saera VIII. 1SS-J. p. :W1 ff.»: hiezu A. von der Linde, die Harnische,
der I^indesbibl. in Wiesbaden (1S77) p. 4-J A. 1: SO IT.: HU: allg. d. Uioirr. XII. 407 f..
I'. Wein hold, die deutschen Frauen. 1-, Sl ff.
30 > Vgl. K. Müller in der Zeitschr. f. Kiivheniresch. VII. 12*2: Heispiele in Menge
bei ('. («reith. die deutscho Mystik im l'redigerorden. Freib. 1 S(i ] : bei Breuer, deutsche
Mystik I: II. Einen wesentlich andern, nichts weniger als weiblichen Charakter trafen
tmtz der visionären und erbaulichen Kinschaltumren ilie autobiographischen Mitthoilungen
des Minoriten Salimbene von Parma: vgl. A. Dove. die Dnppelchronik von Keggio ilS7:{)
p. 1: 4; Michael, Salimbene <l$s«)> p. 22 f.: 41» : !r_\
Digitized by Google
li)9
Bioifrnphisehe Blatter.
seiner Geburt und in den ersten .Taliren «refühlt und betragen habe, ob es
wahr sei. dass .loseph es in seine Hosen eingewickelt oder dass es einem
der drei Könige ins Haar gegriffen habe, wohin denn die von den Königen
geschenkten Kostbarkeiten gekommen seien31). Diese spielende Art Über-
trügt sich auch auf die Manner. die in solchem Verkehr sich wohl fühlten.
Ks ist charakteristisch für die Umkehr des Verhältnisses, dass die Lebens-
erinnerungen Heinrich Susos zuerst nicht von ihm selbst, sondern nach
seinen Gesprächen, ohne dass er es wusste. von seiner geistlichen Tochter"
Klsbeth Stapel aufgezeichnet worden sind. Was sollen wir aber davon
urtheilen. dass Meister Heiniich von Nördlingen sich von seiner abgöttisch
verehrten Freundin Margarethe Kbner einen ihrer abgelegten Schlafrocke
erbat und auch Avirklich trug? Denn das gegenseitige Anschwärmen und
Verherrlichen ist hier unter anderen Formen eben so stark ausgebihlet wie
nachmals bei den Humanisten. Die Verfeinerung und Vertiefung des
Gemüthslebens. die sich ja von der Starrheit und Derbheit des früheren
Mittelalters deutlich abhebt, war mit einer gefahrlichen Verweichlichung
erkauft worden. Heinrich von Nördlingen fühlt beim Schreiben an
Margarethe einen sanfttlicssenden Brunnen in seinem Herzen entspringen:
er weint mit Genuss. Und der Kaie Hulman Merswin von Strassburir
verirrte sich bis zur völligen Erdichtung eines angeblichen grossen Gottes-
freundes, den er zum Theil unter wirksamer Anwendung autobiographischer
Erzählung zum Helden eines mystischen Kornaus inachte82). Unnatur und
Unwahrheit waren das Ende der mystischen wie der ritterlichen Empfind-
samkeit.
Und doch war damals schon jene Bewegung der Geister in vollem
Anzug, die zur Genesung führen sollte. Eine Wiedergeburt freilich nicht
der Antike allein, aber für die Hefreiung der europäischen Menschheit aus
den beengenden Banden einer überlebten Ordnung der Dinge hat doch der
neuerwachte Glaube an die Schönheit und Grösse des griechisch-römischen
Alterthums unschätzbare Dienste geleistet. Nirgends tritt uns das Hingen
und die allmähliche Mischling des Alten und Neuen, des mittelalterlichen
und des klassischen Geistes anziehender vor Augen als in den Werken
Dante s, der ja gewiss nicht zu den Humanisten gezählt werden darf, aber
doch wie ein Prophet der kommenden Weltanschauung mitten in scholastischer
Denkarbeit und mystischer Sehnsucht die erhabenen Gestalten der
antiken Dichter auf sich zuschreiten sieht und sich ihnen anreiht.
11 ) V-l. Ph. Strauch. Margarethe KWr und Heinrich von Nördlingen <lsS-_>>
p. XXXVI f.: SO f.; 00 ff.: hiezu Lochner. Leben und Gesichte der Christina Klmerin
(1*7-» > p. K>.
Yl'1. H. Dcnille in der Zeitsihr. f. Deutsches Alterthum XXIV: XXV:
Strain-h in der A1L'. Deutschen Hinirniphie XXI, 4."«0 ff. ('her die ungesunde Sentimen-
talität der n»\ stischen Kreise: Ii. Sech. m it. Kin Kampf um jenseitiges Leben tls^l»)
p. ,">0 f.: 11: iiher die unverkennbnre He reichen im: um! Verteinerumr des ( iefühlslcben-:
H arniick III. :isu t.
Digitized by Google
Cber die Anßlnge der Selbstbiographie und ihre Entwicklung im Mittelalter. 200
Denn an stolzer Selbstherrlichkeit und Ruhmesliebe konnte es der gewaltige
Florentiner des XIV. Jahrhunderts mit den Alten wie mit den Grössen
der Renaissance aufnehmen. Nach Jahrhunderten geistlicher Wissenschaft
trat endlich wieder ein Laie auf den Plan, der die Bildung seiner Zeit voll
und ganz beherrschte. Wenn seine Divina Commedia den würdigen und
alles frühere unendlich überragenden Abschluss in der Entwicklung der
Visionslitemtnr darstellt, so führt die Vita Nuova, deren Gegenstand seine
Liebe zu Beatrice ist, trotz ihrer mittelalterlichen Einkleidung in eine neue
Welt33). Im engsten Zusammenhang mit der Mystik, überall mit scholastischen
Spitzfindigkeiten und wunderlichen Gesichten durchsetzt, athmet doch diese
kleine Krstlingsschrift Dante s eine natürliche Warme der Empfindung und
eine Freude an feiner Beobachtung des eignen Herzens, wie sie uns seit
Augustin nicht mehr begegnet sind. Nur dass bei Dante das alles nicht
einer Beichte ttbenvundener Verirrungen gilt, sondern die Geschichte seiner
.lugend uns menschlich so nahe bringt, dass davor die konventionelle
Schwärmerei der ritterlichen Minnedichter nicht minder verblasst wie die
sinnlich-übersinnliche Erotik der mystischen Klosterfrauen und Beginen.
Freilich wirkt das Mittel der Vision, dessen sich Dante noch nicht zu ent-
schlagen vermag, trotz der Milderung zur Allegone auf den modernen
Leser fremdartig, aber der Kein, den diese krausen Traumspiele und künst-
liehen Allegorien nur halb verhüllen, ist höchst persönlich, individuell und
darum allen Zeiten zugänglich.
Das Fehlen jeder Beziehung auf die öffentlichen Dinge in der Vita
Nuova erinnert uns zurück an die Konfessionen Augustins. an die Knt-
stehung der Selbstbiographie. Mit Dante und mit Betrarka, der seine
Epistel an die Nachwelt schreibt, tritt sie in ein neues Stadium. Ihre
ausschliesslich religiöse Zeit war vorüber wie das Monopol des Klerus auf
die Wissenschaft. Sellen wir doch, wie schon im XII. Jahrhundert bei
dem einen und andern geistlichen Schriftsteller das asketische Ideal abge-
schwächt oder fast ganz zurückgedrängt erscheint. Aber es ist kein Zufall,
dass Fetrarka, der Vater des Humanismus, sein Buch de contemtu mundi.
auch eine Art von Beichte, in die Form eines Zwiegesprächs mit Augustinus
gebracht hat. wobei er freilich auf seine Liebe und seinen Ruhm trotz
aller Bemühungen des Kirchenvaters nicht verzichten will. Die Belauschung
des eignen Herzens ist christlichen Ursprungs. Was sie aber zu Tage
gefördert hat und stets zu Tage fördern wird, ist - - Dichtung und
Wahrheit.
co,
-1 . .
®) Vgl. F. X. Wegele. Dante (3. Ann. 1871» S. 11"»: 122.
Digitized by Google
201
Biographische Blatter.
Ein Besuch in Potsdam im Juli 1809.
Von
ALFRED RITTER VON ARNETH.
Unter der fast unabsehbaren Diplomatensehaar, welche sich wohl niemals
früher oder später irgendwo in so grosser Anzahl versammelte, als dieses
in den Herbstmonaten des Jahres 1814 in der Kaiserstadt an der Donau
geschah, wird Freiherr Johann von Wessenberg als einer der am seltensten
genannten und doch gleichzeitig auch als einer der am meisten beschäftigten
bezeichnet werden dürfen. Als einer der am seltensten genannten, weil
der kleine, unscheinbare, unelegante und wenig gesellige Mann, der trotz
seiner adeligen Geburt einen unverkennbar demokratischen Zug an sich trug,
an dem glanzvollen »Schaugepränge aller Art, an den rauschenden Vergnügungen,
an dem rastlosen Jagen nach Freude und Genuss, wodurch die übrigen fast
durchwegs hocharistokratischen Mitglieder des Kongresses vielleicht noch
mehr in Anspruch genommen wurden als durch die von Urnen zu verrichtende
Arbeit, sich nur wenig betheiligte. Kiner der am meisten beschäftigten aber
war Wessenberg, denn als zweiter Bevollmächtigter des Kaisers von Österreich
hatte er nicht nur zahlreichen Sitzungen beizuwohnen, sondern e.s wurde ihm
auch eine Menge der schwierigsten Ausarbeitungen übertragen. So war
fast alles, was, als von Österreich ausgehend, sich auf die zukünftige Gestaltung
Deutschlands bezog, ausschliesslich sein Werk, und obgleich man heut zu Tage
nicht eben geneigt sein wird, ihm das zum Verdienste anzurechnen, so wurde
doch damals hierüber ein anderes Urthcil gefällt. In der allgemeinen Gährung,
in der man sich befand und welche bald so weit führte, dass die kurz zuvor
so einigen Bundesgenossen sich fast schon mit gezücktem Schwerte gegen-
über standen, war man schliesslich froh, eine Grundlage gefunden zu haben,
auf der sich die widerstreitenden Interessen noch leidlich vereinbaren Hessen.
Nicht so sehr die deutsche Bundesaktc, für deren Autor Wessenberg galt,
als die jämmerliche Art, in der sie gehandhabt wurde, war es, an welcher
Deutschland so lange Zeit hindurch krankte, bis endlich durch Österreichs
gewaltsame Ausscheidung und die Übertragung der Kaiserkrone an das
preussisehe Königshaus eine völlige Umgestaltung der durch die Bundesakte
begründeten Verhältnisse herbeigeführt wurde.
In den Jahren des Wiener Kongresses wäre ein Gleiches oder auch
nur Ähnliches ganz unmöglich erschienen. Dass der Staat, dessen Kaiser
noch vor weniger als einem Jahrzehnt allseitig anerkanntes Oberhaupt des
deutschen Keiches war, ganz aus demselben austreten sollte, wäre für die
damalige Zeit ein ungeheuerlicher, ein unausführbarer (Tedanke gewesen.
Verblieben aber, und das war ja die Voraussetzung, von welcher Jedermann
ausging, beide deutschen Grossmäehte. Österreich und Preussen in dem Ge-
Digitized by Google
Ein Besuch in Potsdam im Juli 1S09.
202
sammt\ erbande Deutschlands, dann war wohl nur eine von drei verschiedenen
( Gestaltungen möglich. Entweder man trachtete, so viel es nur anging, zu
dem Einheitsgedanken zurückzukehren, und der Kaiser von Osterreich wurde
auch derjenige Deutschlands. Das rastlose Einporstreben Preussens, durch
seine historischen Erinnerungen und durch den von ihm soeben in ruhmvoller
Weise geführten Krieg hinreichend begründet, stand jedoch in grellem Gegen-
sätze hierzu. Die volle politische Selbstständigkeit Preussens, welche schon
seit den für diesen Staat so glorreichen fridericianischen Jahren bestand,
iimsste vielmehr, durch die ihm jetzt zuwachsende Machtvergrösscrung noch
verstärkt, jede wirkliche Unterordnung Preussens unter ein nicht dessen
eigene Königskrone tragendes Reiehsoberhaupt von vorneherein unmöglich
und daher auch die deutsche Krone auf dem Haupte des Kaisers Franz
zu einem Schattengebilde machen. Es diesem zum Vorwurfe anrechnen,
dass er hierauf nicht einging, und es gleichzeitig fast wie einen Verrat h an
Deutschland betrachten, wenn Österreich nicht zu Allem bereitwilligst die
Hand bieten wollte, was von Seite Preussens zur Vermehrung seiner Macht-
stellung begehrt wurde, zeugt von einer Verwirrung der Begriffe, auf welcher
niemals ein ernstlich begründetes Urtheil sich aufbauen kann.
Die zweite Modalität aber, und sie war es, welche von offizieller
preußischer Seite mit dem meisten Nachdrucke in den Vordergrund gestellt
wurde, bestand in der Einführung eines rein dualistischen Systems in
Deutschland. Für Preussen den Norden und für Österreich den Süden, so
lautete diese Devise, deren Durchführung jedoch eine völlige Zweitheilung
Deutschlands und eine gänzliche Zerschneidung jedes, beide Theile etwas
fester verknüpfenden, einheitlichen Bandes zur notwendigen Folge gehabt
haben würde.
Dieses Band schon von vorneherein loser zu schürzen und dadurch
ebenso die Wiederherstellung eines machtlosen Kaiserthums als eine Zwei-
teilung Deutschlands zu verhüten, blieb also, wenn man nicht in eines
dieser beiden Extreme verfallen wollte, der einzige noch mögliche Ausweg.
Und selbst wer zugiebt, dass er von Wassenberg und dessen Meinungs-
genossen nicht gerade mit glücklichem Erfolge betreten wurde, wird doch
einräumen müssen, dass dies wenigstens von dem ersteren in gutem Glauben
geschah. Schrieb er ja doch noch mehr als drei Jahrzehnte nach der Auf-
lösung des Wiener Kongresses und inmitten der Wirren des .Jahres 1H4H an
•len Österreichischen Bundes-Präsidialgesandten Schmerling die für ihn selbst
so bezeichnenden Worte: „Teh werde immer behaupten, dass die Bundesakte
und die Bundesversammlung praktischer waren als Alles, was noch erfunden
werden wird. Die Erstere enthielt Alles, was Deutschland Noth that."
Jedoch nicht zu den Arbeiten W assenbergs bei dem Wiener Kongresse,
sondern in die Stellung wollten wir ihn begleiten, welche er etwas mehr als
fünf Jahre früher am Berliner Hofe einnahm. Zu Anfang des Jahres 1S09
war er mit dem Auftrage dorthin abgesendet worden, den König von Preussen
Digitized by Google
•203
Biographische Blätter.
zu aktiver Thcilnahme an deui Kriege zu bewegen, welchen Österreich damals
gegen Napoleon zu führen unternalnn. Gessenbergs rastlose Bestrebtin gen.
<lie ihm gestellte Aufrabe zu erfüllen, wurden von der zahlreichen Schaar
edeldenkender und tapfergesinnter Männer, welche das unter Napoleons
< Gewaltherrschaft von Seite Pieussens erduldete Missgeschick wenn auch nicht
grossgezogen, so doch in den Vordergrund gestellt hatte, mit Nachdruck
unterstützt. Dennoch scheiterten sie, und zwar ausschliesslich an dem
Kleinmuthe und der Unentschlossenheit des Königs Friedrich Wilhelm III.,
welche von Niemand schmerzlicher empfunden und bitterer beklagt wurden
als von der ihm am nächsten Stehenden im Leben, der feecngleichen
Königin Luise. Denn dass die ablehnende Haltung des Königs dadurch
herbeigeführt worden sei, dass er die politische Lage richtiger als die besten
seiner Staatsmänner, die militärischen Verhältnisse aber zutreffender als ein
Scharnhorst, ein (ineisenau beurtheilte, ist eine Behauptung, die wohl aus-
gesprochen wurde, aber auch bald wieder in ihrer ganzen Grundlosigkeit
erkannt werden wird.
Kin Wiederschein der trüben Stimmung, in welche Wessenberg durch
den schleichenden Gang seiner niemals abgebrocheneu, aber auch nie zu einem
befriedigenden Ergebnisse gelangenden Unterhandlungen mit dem preussischen
Minister Grafen (Goltz versetzt wurde, wird auch in dem Aufsatze gefunden
werden, den er nach einem Besuche in Potsdam und Sanssouci zu Papier
brachte. Derselbe lautet wie folgt:
Potsdam, den 1. Juli 1809.
Was würde wohl Voltaire sagen, wenn er heute die Residenz jenes grossen
Königs, der sich vermag*, gleichzeitig Achill, Hutner und Thukydides sein zu
wollen, in Ruinen zerfallen und von Bettlern erfüllt sehen würde? Diese prächtigen
Strassen, dieser schöne Kanal, diese zahlreichen Gebäude sind nichts mehr als
traurige Denkmäler seiner Prachtliebe und dazu verdammt, uas die Vergänglichkeit
der menschlichen Dinge recht vor die Augen zu führen.
Mein erster Besuch galt der Gruft, in welcher der Leichnam des Helden
des achtzehnten Jahrhunderts ruht. Diese schmucklose Gruft und der kupferne
.Sarg, der die sterblichen Überreste des grossen Mannes birgt, scheinen das
Ende darzuthun, auf welches die Grösse dieser Welt hinausläuft. Was soll man
aber von jener undankbaren Nachwelt sagen, die es bis auf diesen Augeubliek
versäumte, dem Andenken des Helden ein Monument zu errichten, welcher sein
Leben damit zubrachte, sein Volk mit Ruhm und mit Wohlthaten zu überhäufen,
und der seinen Wartengefährten noch bei ihren Lebzeiten Statuen setzen liess,*)
um damit öffentlich Zeugnis* abzulegen für den Antheil. den sie an seinem Ruhme
gehabt und an seinen Erfolgen.
In dieser Gruft war es. wo sich im November 180ö der Enkel Katharinas
und der Grossneffe Friedrichs unverbrüchliche Freundschaft gelobten. Dennoch
hat sie ein Ende gleich jener der Spieler gefunden, welche der Erfolg vereinigt,
das Unglück aber trennt. Der Gcschiehtschreiber Preussens wird übrigens den
Vi-isnch machen können, die Manen des grossen Friedlich durch die Betrachtung
zu versöhnen. Friedrieh Wilhelm habe einen Tbeil seiner Staaten geopfert, um
*) Auf dem Wilhclmsplatze in Berlin.
Digitized by Google
Ein Besuch in Potsdam im Juli 1809.
204
nicht den Verdacht des Eidbruches auf sieh zu laden, wahrend sein Alliirter ihn
seines Eigenthums berauhte, um jenen Vorwurf nicht fruchtlos zu verdienen*).
Per Palast des Königs besitzt eine schöne, ja sogar imponirende Aussen-
s»ite. aber in seinem Innern nichts. was einer besonderen Aufmerksamkeit werth
wäiv. In den Gemächern des Königs findet man kein werthvolles Einrichtungs-
stück, ja selbst kein schönes Gemälde. Der König besitzt kaum ein Zimmer, in
welchem er einen hervorragenden Fremden in anständiger "Weise zu empfangen
vmnag. Auch in den Wohnräumen der Königin findet, man nur Zeugen der
Kinfachheit ihres Geschmackes und der Gewissenhaftigkeit, mit der sie ihre Pflichten
als Gattin und als Mutter erfüllte.
^ In diesem Schlosse wurden die Zimmer, die der grosse Friedrich bewohnt«',
in den» Zustande belassen, in dem sie sich im Augenblicke seines Todes befanden.
Bildet man sich vielleicht ein. das Andenken des Mannes, welcher Preussen zu dem
Kaiige einer G rossmacht emporhob, hinreichend zu ehren, indem man eine lächer-
liche Ehrfurcht für einige Trümmer von Stühlen oder für Vorhäng«' in Fetzen
zur Sehau trägt? Empfindet man denn gar nicht, dass diese zertrümmerten
Mr.bel ein trauriges Bild jenes dereinst so berühmten Königreiches Preussen dar-
bieten, «las jetzt gleichfalls in Ruinen zerfallen ist?
Am folgenden Morgen durchwanderte ich beim Aufgang d«T Sonne die
t« arten von Saussouci. Sie sind jetzt verlassen und leer: umsonst rufen sie den
Namen ein«ks Fürsten in die Erinnerung zurück, welclu-r mehr war als ein König.
Das Schweigen und die Einsamkeit in «Uesen prachtvollen, von seiner Hand
^•pflanzten Alleen stimmten mich traurig, und ich beeilte mich, nun jenen Zauber-
luhist zu besuchen, in welchem Friedrich von Zeit zu Zeit den Glanz sein«*r
königlichen Würde entfaltete, in dem er aber auch die Tage der Ruhe im Ver-
kehr mit d«*n grössten Dichtern und Philosophen fröhlich verlebte.
Hier war es. wo Voltaire an der Seite des liebenswürdigsten und geist-
vollsten Eroberers, welchen die Geschichte kennt, seine Tragödien dichtete und
wine Annaleu Ludwigs XIV. schrieb, wo jener Held, mit Ruhm und mit Lorbeer n
bedeckt, seiner Eroberungen vergass. um den Musen zu opfern. Bis zur letzten
Stunde seines Lebens strebt«' er nach der Gunst dieser himmlischen Schwestern,
und man kann von ihm sagen, er habe allzeit nur sie geliebt.
Nur mit tiefer Bewegung vermochte ich die schöne Terrasse zu verlassen,
von der aus jener glorreiche Sterbliche der Welt, die er mit seinem Namen und
seinem Ruhme erfüllt hatte, sein letztes Lebewohl zurief. Mir schien, als sähe ich
ihn. sitzend in seinem mit abgebrauchtem Leder überzog«'nen Lehnstuhl, und
fühlend, dass der Mensch, so gross er auch sein mag, doch dazu bestimmt ist,
zurückzukehren in das Nichts.
Kaiser Napoleon kam, die Buhestätte des Helden zu besuchen, wehher ein
halbes Jahrhundert vor ihm mit weit geringeren Mitteln als den seinigen die Welt
in Erstaunen versetzte, der aber zum Unglück für sein Reich ihm nur den Auf-
schwung zur Macht zu geben vermochte, ohne ihm das Genie zu vererben, dessen
es zu ihrer Aufrechterhaltung bedurft hätte. Das ist ja d«-r i-Yhler der Mehrzahl
grosser Menschen, dass sie. erfüllt von ihrem eigenen Glücke, ihre Nachkommen
vem.-u'hlassigen. So vermochten auch diejenigen Friedrichs ihn selbst nicht zu
ersetzen, und ohne die schönen Denkmäler, mit denen er die sandigen Landstrassen
sein«-s Königreichs geschmückt, wird man jetzt dort kein Zeugniss dafür finden,
dass dasselbe gleichfalls seine Zeit der Grösse gehabt hat. Ks ist so wie in
' I Nach der Hinnahme von Merlin und der Schlacht liei Kvlau lehnte der König von
I'reus-en die Friedensverhandlung ah. nur um seinem Verbündeten treu zu Weihen, der ihn
hierfür durch den Vertrag von Tilsit belohnte.
Digitized by Google
205
Biographische Blätter.
Egypten, wo kaum einige gigantische Pyramiden Aufsehluss geben über die .Jahr-
hunderte der Cheops und der Ptolemäer.
Kaiser Napoleon nahm aus dem Paläste von Sanssouci nichts als einen Band
der Dichtungen des grossen Friedrich mit sich, korrigirt von der Hand Voltaires.
Aber der Kommissär, der beauftragt war. die Trophäen seiner Eroberungen zu
sammeln, war nicht so bescheiden. Herr Denon führte sä mint liehe Büsten der
grossen Männer, mit denen Friedrieh seine Einsamkeit geziert hatte, und mehrere
ausgezeichnete Statuen mit sich fori, welche an die Liebe und den Geschmack
dieses Fürsten für die schönen Künste erinnerten. Diese Plünderung kann nicht
nach dem Sinne des Helden des neunzehnten Jahrhunderts sein. Cäsar würde
überall die Statue Alexanders respektirt haben, schon um nicht allzu schlagend die
Vergänglichkeit aller Eroberungen darzuthun.
Von dem schwerinüthigen Heize dieser Erinnerungen riss ich mich los, um
jenen anderen Garten zu besuchen, welcher der Schauplatz der Ausschweifungen
des dicken Königs Friedrich Wilhelm Tl. war. Hier ist es. wo der bekannte
Marmorpalast sich über schönen von der Havel gebildeten Bassins emporhebt. Der
ganze Galten sieht aus. als ob er auf eine glänzende Wasserfläche gestellt wäre.
Er ist in gutem Geschmack angelegt, besitzt prächtige Alleen, wohlgepflanzte
Baumgruppen und eine grosse Menge der verschiedensten Aussichtspunkte. Das
Ganze bildet eine reizvolle Wohnung für einen Fürsten, der von den Mühen
seiner königlichen Stellung im Schoos«11 der Wollust ausruhen will. Das war aber
bei König Wilhelm der Fall, und man zeigt noch den Lehnstuhl, in welchem er
aufhörte, dies zu thun.
Der Marmorpalast ist kein in grossen Verhältnissen angelegtes Gebäude, aber
er gleicht der Villa eines reichen Homers. Das Innere zeigt den Mann von Geschmack
und einen Eigenthümer. der das Schöne zu schätzen verstand. Die Aussenseite
ist jedoch durch zwei Flügel verunstaltet, welche der König kurz vor seinem Tode
anbauen Hess, um dort derjenigen eine Wohnung einzuräumen, welche die leitende
Holle bei seinen Vergnügungen spielte.
Die französischen Kommissäre haben die Wohnräume wenigste!» zum Theile
geplündert. Fünf schöne Statuen und einige Vasen wurden für würdig erachtet,
den Hanl) zu vervollständigen. Noch blieben sieben Kamine von sehr reiner
Zeichnung und vollendeter Ausführung. Zwei sind aus Mosaik, die anderen aber
aus den Werkstätten von Cavaceppi und Trippel hervorgegangen, und insbesondere
die letzteren von seltener Schönheit. Man sieht dort ausserdem noch eine
äusserst gelungene, gleichfalls von Trippel angefertigte Büste und eine pracht-
volle Vase von Oanova. Alle diese Gegenstände wurden von der Gräfin Lichtenau
während ihres Aufenthaltes in Horn angekauft. Das ganze Gebäude wird von
einer Laterne gekrönt , von der aus man eine so herrliche Aussicht geniesst . als
eine aus Sandboden bestehende Ebene nur immer darbieten kann. Hings umher
sieht man eine weithin sich ausdehnende, wohlbepflanzte Landschaft, welche jedoch
jenes pittoresken und grossartigen Charakters entbehrt, die ein bezeichnendes
Merkmal einer malerischen Gegend bildet, Die Linien des Horizonts verlieren sich
unter einem farblosen Himmel in eine weite Fläche ohne abgrenzende Umrisse, so
dass das Auge fruchtlos nach einem Kuhepunkte sucht.
In diesem Palaste Hess der gegenwärtige König die Geliebte seines Vaters
in dem Augenblicke verhaften, in welchem derselbe in ihren Armen verschieden
war. Der bekannte Graf Haugwitz wird allgemein beschuldigt, den König zu
diesem entehrenden Verfahren verleitet und ihn veranlasst zu haben, der Gräfin
Lichtenau alle die Geschenke wegnehmen zu lassen, welche sie von ihrem erlauchten
Liebhaber während dessen Lebzeiten erhielt, und die sie nach allen Kechtsgrund-
Digitized by Google
Aus den Erinnerungen eines Künstlers.
206
sitzen als ihr Eigenthuin anzusehen befugt war. Es scheint, dass dieser Minister
es sieh zur Aufgabe stellte, die letzten Spuren einer Frau zu verwischen, die
ihm den Weg zu der Gunst seines Herrn gebahnt hatte, einer Frau, welche übrigens
weder die Bedeutung besass. die man ihr beimaass. noch die Vorwürfe verdiente,
die man wider sie erhob. Sie hat weder den verstorbenen König, wie man wohl
eesajrt hat. zu thörichten Ausgaben verleitet, noch ihre Gewalt über ihn zu ihrer
eigenen Bereicherung mlssbraucht. Die Mnitrerae gar manche» grossen Herrn in
Wien ist besser dotirt, als sie es jemals gewesen, aber es ist demüthigend für die
Nation . die Freundin ihres früheren Königs ohne gerechte Beweggründe von
(iefängniss zu Gefängniss geschleppt, und schliesslich dem Elende preisgegeben zu
sehen. Solche Vorgänge sind um so erstaunlicher in einem Lande, in welchem
Ausschweifung der Sitten eine so gewöhnliche Erscheinung ist.
.1. v. Wesse nberg.
cs>
Aus den Erinnerungen eines Künstlers.
Von
RUDOLF LEHMANN (London).
I.
Franz Liszt 1836-1887.
Ich bin Liszt in längeren oder kürzeren Zwischenräumen in Paris.
Helgoland, Weimar. Rom und schliesslich ein .Jahr vor seinem Tode in
Lmdon begegnet. Widersprechendste Eigenschaften stritten sich in seinem
Charakter. In jeder Hinsicht, nicht nur musikalisch, hochbegabt, intelligent
und rasch auffassend, beredt und von grosser Herzensgüte, litten alle diese
Eigenschaften einigermaassen durch die Folgen des Virtuosenthums, dem er
seine besten Jahre gewidmet hatte. Es ist kaum zu erwarten, dass eine
so lange, ununterbrochene Folge eklatantester persönlicher Triumphe, wie
er sie gefeiert, auch in dem stärksten Charakter nicht ihre Spur zurück-
lassen sollte. In der Intimität konnte er hinreissend liebenswürdig sein
(nicht allein für das weibliche Geschlecht, das in seiner Biographie eine so
bedeutende Rolle spielt), wenn ihn eine gewisse Selbstbcwnsstheit, das
französische „poser", ausnahmsweise verlies«. Dem magnetisch-dämonischen
Zuge seines Wesens hat Ary »Scheffer in dem bekannten Bilde „Christus
und der Versucher in der Wüste", für welch Letzteren er als Modell ge-
dient, beredten Ausdruck gegeben. Dieser ist Liszts getreues Portrait.
Seine Erscheinung, in der .lugend sehr schlank und zart, war elegant und
einnehmend. Seine sehr beweglichen Gesichtszüge voll Charakter und Leben,
die nicht sehr hohe Stirn an den Schläfen, wo die Phrenologen den Sinn
für Musik hinvcrlegen, durch ungewöhnlich scharfe Kanten bezeichnet.
Von Natur sehr kurzsichtig, waren seine grauen, von starken Brauen be-
schatteten Augen voll lieben und wohlwollendstem Ausdruck. Die Naso
länglich leichtgebogen, die Nasenflügel in steter nervöser Bewegung. Stark
Digitized by Google
•207
Biographische Blätter.
accentuirte Mundwinkel und eine leicht hervorstehende Unterlippe be-
zeichneten den feingeschnittenen Mund, ein wohlentwickeltes Kinn endigte
das bartlose Gesicht. Das bräunliche Haar, von der Stirn nach zwei
Seiten aufwärts und zurück gekämmt, fiel in glatten, weichen Massen rück-
wärts tief in den Nacken. Wie vielen Ungarn, waren ihni mehrere fremde
Sprachen geläufig, Französisch am meisten. Deutsch sprach er fliessend
mit entschieden österreichischem Aecent. Mit feiner Ironie1 wahrt« er seine
Stellung in der Gesellschaft den Grossen gegenüber, auch während seiner
Virtuosenkarriere, und seine witzig-scharfen Antworten gingen von Mund
zu Mund. Hier eines als Beispiel: Die alte Fürstin Metternich, die ihm
nicht wohl wollte, fragte ihn bei Hofe, wo er gespielt, absichtlich laut:
„Avez vous fait de bonnes affaires ä Vienne, Mr. Liszt"? Worauf seine
Antwort: „Moi Princesse, je fais de la inusique, je laisse les affaires aux
diplomates et aux marchands".
Ich sah und hörte ihn zum ersten Male im Jahre 1836, in einem
Morgenkonzerte für einen wohlthätigen Zweck im Hotel de Ville in Paris.
Seine Erscheinung war äusserst schmächtig, und mitten im Spiele fiel er
leichenblass ohnmächtig vom Stuhl, zum grossen Schrecken des Publikums,
und musste hinausgetragen werden.
Persönlich lernte ich ihn erst viel später kennen, aber hörte viel von
ihm und über ihn, durch meinen Bruder Heinrich, der in Rom im .Tahre
1838 intim mit ihm befreundet war, und im Sommer sein und der Gräfin
d'Agoult Portrait in ihrer Villa bei Lucca gemalt hatte. Diese Dame hatte
Mann und Kinder in Paris verlassen, um mit Liszt zu leben. Von den
zwei Mädchen, die dieser Verbindung entsprossen, und deren Erziehung
Liszts Mutter wahrnahm, heirathete die älteste Mr. Emile Olivier, der als
Minister Napoleons IU. den deutsch-französischen Krieg „d un coeur legeru
befürwortete. Sie starb jung; die Andere, Cosima, ist jetzt, nach dem ihre
Ehe mit dem bekannten Musiker v. Bülow geschieden, Richard Wagners oft
genannte Wittwe. Ein drittes Kind war ein Knabe, der, als die Eltern
1839 Rom verliessen, zu jung zum Reisen, bei seiner Amme in Palestrina
im Sabinergebirge zurückgelassen wurde, um später abgeholt zu werden.
Als mein Bruder, der nach dem Kinde zu sehen übernommen hatte, auch
Rom verliess, übertrug er mir, dem Zurückbleibenden, diese Pflicht, deren
ich mich gewissenhaft entledigte, indem ich das Kind in dem etwa 20 Miglien
entfei nten Orte von Zeit zu Zeit in einem Einspänner besuchte. Es gedieh
anscheinend vortrefflich in der Obhut seiner bildschönen Amme, der Frau
eines Tischlers. Ich greife vor und füge hinzu, dass ich ihn erst im Jahre
1860 bei einem Besuche bei Frau v. Bülow in Berlin wiedersah. Ein
schöner blasser Jüngling. Liszts Ebenbild, lag in ihrem Salon todt krank
auf dem Sofa. Er starb bald nachher an der Schwindsucht. Man rühmte
ihn als hochbegabt.
Kehre ich in meiner Erzählung nach Rom zurück, so niuss ich nicht
Digitized by Google
Aus den Krinnerungen eines Künstlers.
20K
zu berichten vergessen, dass ich raeine erste geschäftliche malerische Thätig-
keit dort Liszt verdankte, indem er bei seiner Abreise im Jahre 183« für
mich den Auftrag hinterlassen hatte, für ihn die Köpfe von Dante und
Savonarola aus der Kaphaelschen Freske „der ,I)isputa' del Sacramento im
Yatican* auf einer Leinwand zu kopiren. — Im Jahre 1846 führte mich mein
Bruder in Paris bei der Gräfin d'Agoult ein. Ihr Verhältnis» zu Liszt war
längst gelöst und sie lebte als „femrae libre", von einem intimen Kreise aus-
gezeichneter Männer verschiedener Nationalitäten umgeben: unter ihnen Odo
Russell (Lord Ampthill, nachheriger englischer Gesandter in Berlin), und
Herwegh. Unter dem Pseudonym Daniel Stern hatte die noch schöne Frau
sich in der Litteratur durch Romane wie durch politische Schriften einen
Xanien errungen. Auch ist es ihr gelungen, ihre einzige Tochter aus der
Ehe mit dem Grafen d'Agoult ihrem Rang gemäss zu verheirathen.
Erst im Jahre 1849 machte ich Liszts persönliche Bekanntschaft in
Helgoland, dem rothen Felsen in der Nordsee, wo wir einige für mich an-
genehmste Wochen zusammen zubrachten. Kr lebte damals mit einer Fürstin
Sayn-Witgenstein, eine andere, von seiner dämonischen Natur hypnotisirte
Dame, aus den höchsten aristokratischen Kreisen. Wie ihre Vorgängerin
hatte sie ihren Mann, ihre hohe gesellschaftliche Stellung und ihr kolossales
Vermögen aus Liebe zu Liszt in Russland im Stich gelassen, aber ihre
allerliebste, etwa zwölfjährige Tochter begleitete sie, nebst ihrer Gouvernante.
Die Fürstin war klein und keineswegs schön zu nennen, aber geistreich
und sehr lebendig in der Unterhaltung. Sie rauchte mit Liszt um die Wette
die stärksten Helgoländer Schiffer-Cigarren, von diesem scherzweise „Luderos
Canaglios* getauft.
Ein ozonreicheres Seebad als Helgoland lässt sich kaum denken.
Auf dem, durch 180 Stufen mit dem Unterlande verbundenen Oberland
lebt man wie auf dem Verdeck eines grossen Schiffes mitten im Ozean,
ohne die Gefahr seekrank zu werden. Jeder Luftzug ist Seewind. Auf
der nahen Sanddüne, wo gebadet wird, ist immer kräftiger Wellenschlag.
In diesem Sommer war ein angeregter Kreis von bedeutenden Menschen
auf der Insel vereinigt. Franz Dinge Lstedt, Adolf Stahr, Fanny Lewald,
Ernst Meyer, der originelle dänisch-römische Maler, Liszt und die Fürstin
Witgenstein unter Andern. Zu ihnen gesellte sich Julius Fröbel, der, nach
Unterdrückung des badischen Aufstands, fliehend sich von dem damals noch
englischen Helgoland aus nach Amerika einschiffen wollte. Er erzählte
uns, wie er in Wien mit Robert Blum mit den Waffen in der Hand gefangen,
mit ihm zum Tode verurtheilt worden. Wie man ihm, nachdem Blum er-
schossen worden, das Todesurtheil verlesen, den Stab über seinem Haupte
gebrochen und ihm in demselben Augenblick seine Begnadigung notirizirt
habe, mit dem Bedeuten, dass er Österreich auf der Stelle zu verlassen
habe. „Ich hatte keine Furcht verspürt." fügte er hinzu, „aber ich fühlte
das Blut wie Feuer in meinen Adern zirkuliren'*. Als der Kerkermeister
Digitized by Google
209
biographische Blatter.
den I laibbetäubten in seine Zelle vor dem Abschiede zurückführte, .stand
noch ein unberührtes Cotelett auf dein Tisch, für das der eben Begnadigte
jetzt grossen Heisshunger spürte, aber der Kerkermeister kam ihm zuvor,
indem er es seinem grossen Hunde zuwarf, mit den Worten: „Sie werden
auch jetzt mit dem Essen keine Zeit verlieren wollen", und so wurde er
halbverhungert über die Grenze gebracht. Ich benutzte die vielen freien
Stunden, um fast alle Obgenannten für mein Album zu zeichnen.
Das mehrwöchentliche Zusammenleben mit Liszt, auf so engem Räume,
brachte uns einander näher, als wenn wir jahrelang in einer grossen Stadt
nebeneinander existirt hätten. Er wohnte damals in Weimar, ein intimer
Freund des jungen Grossherzogs, der für sein Hanptstädtehen eine erneute
Glanzperiode und in der Intimität mit Liszt eine Wiederholung des Ver-
hältnisses Carl August s zu Goethe träumte. Wohl einsehend, dass das in
der Litteratur nicht möglich, versuchte er seine Absicht durch Förderung
von Musik und Malerei zu erreichen.
Wie bei Goethe s Fall, setzte man sich bei Liszt über die Formen,
die die bürgerliche Gesellschaft regeln, hinweg, und Liszt wurde mit der
Prinzessin in der Altenburg, einem Schlösschen in nächster Nähe Weimar s,
installirt. Dorthin lud er mich ein, um von Hamburg aus, 1850, den Fest-
lichkeiten beizuwohnen, mit denen die Enthüllung der Rietschelschen
Doppelgruppe des Goethe- und Schillerschen Monuments gefeiert werden
sollte. Hof-Galadiners, Hof-Gala-Theateraufführungcn, Ausflüge nach der
Wartburg u. s. w. füllten die Festtage. Die kleine Stadt war voll von Gästen,
und alles in gehobener Stimmung. Der G rossherzog, den ich, als Erbprinz,
in Koni für mein Album gezeichnet hatte, erinnerte sich, wie er. im offenen
Wagen von einem tropischen Platzregen überrascht, so durchnässt zur
Sitzung zu mir kam, dass ich ihm trockene Kleider leihen musste, bevor
ich ihn zu zeichnen anfangen konnte.
Die verwittwete russische Grossfürstin lud mich mit dem alten Fürsten
Pückler-Muskau zur Tafel um 1 Uhr. Obgleich stocktaub und kaum hörbar
leise redend, war sie augenscheinlich bemüht, uns zu unterhalten, indem
sie allerlei interessante Goethe -Reliquien herbeibringen liess. Das Diner
war einfach und mein verwöhnter Begleiter hörte nicht auf. während der
Rückfahrt sich über die ..Piquette" zu beklagen, die man ihm als Wein
vorgesetzt.
Während dieser Tage war ich Liszts und der Fürstin Gast auf der
Altenburg, wo von früh bis spät ihm Weihrauch gestreut wurde. rCher.
bon, grand", war die gewöhnliche Anrede. Dass diese tägliche und stünd-
liche Adulation ihm nicht gänzlich den Kopf verdrehte, ist ein Wunder und
spricht sehr zu seinen Gunsten.
Nachdem ich den alten Eckermann und den jungen Joachim, damals
Direktor des Orchesters, für mein Album gezeichnet, verliess ich Weimar
und sah Liszt und die Fürstin erst in Rom wieder, wo ich mich mit meiner
Digitized by Google
Aus den Erinnerungen eines Künstlers.
210
jungen Frau im Jahre 1861 von Neuem niederliess. Die ungewöhnliche
musikalische Begabung meiner- Frau war der Mahnet, der Liszt häufig- in
unsere bescheidene Wohnung zog, in der er manchen gemUthlichen Abend,
abwechselnd Musik spielend und hörend, zubrachte. So. in der Intimität,
konnte er, wie schon erwähnt, von hinreissender Liebenswürdigkeit sein.
Das Bewusstscin eines Publikums aber, selbst eine Katze, die das Zimmer
durchschnitt, konnte ihn steif, bewusst, förmlich machen. Der „charme"
war verschwunden. Unser römischer Diener, der mit der. dieser trefflichen
Klasse in Italien eigenen Vertraulichkeit, unsern Freunden Beinamen zu geben
pflegte, hatte Liszt wegen der feierlichen Förmlichkeit, mit der er einzutreten
pflegte, den Namen „l'Inamidato" (der mit Stärkemehl (iesteifte) beigelegt.
Die Fürstin Witgenstein lebte in einer bescheidenen zweiten Etage
in der Via del Baboino. Der russische Kaiser hatte, wohl zum Theil auch
um sie zur Rückkehr zu ihrem Mann zu bewegen, die Konfiseimng ihres
kolossalen Vermögens zu Gunsten ihrer Tochter befohlen, mit dem Bedeuten
ihr eine Pension auszuzahlen, die anzunehmen ihr Stolz sie verhinderte.
Das Geld häufte sich in der Bank, während sie Bücher zur Vertheidigung
des katholischen Glaubens schrieb, dessen fanatische Bekennerin sie war.
die aber nicht in den Handel zu kommen bestimmt waren. Sie sprach
geläufig französisch, mit polnischem Aecent und mit lauter, scharfer Stimme.
Eine Ehescheidung zu erlangen, um Liszt heirathen zu können, schien
der Zweck ihres Aufenthalts in Rom. Dies war für sie mit besonderen
»Schwierigkeiten verknüpft, da die katholische Religion, die Ehe als Sakrament
betrachtend, nur zwei Ausnahmen von dem absoluten Verbot einer Ehe-
scheidung kennt. Auf die eine: „dass die Ehe thatsäehlieh nicht vollzogen
worden", musste, da derselben ein Kind entsprossen war, von vorn herein
verzichtet werden. Aber die andere: „Dass die Fürstin gegen ihren Willen
zur Heirath gezwungen worden", wurde mit Erfolg geltend gemacht. Die
Ehe wurde aus diesem Grande von Pius IX. für geschieden erklärt, und
nur eine Bedingung an die Wiedcrvcrheirathung geknüpft: „dass dieselbe
nicht in Rom stattfinden sollte''.
Zur allgemeinen Verwunderung erklärte nun Liszt, dass er nicht
ausserhalb Roms heirathen wolle, und eines schönen Morgens wurde die
römische Gesellschaft durch die Nachricht überrascht, dass Liszt in den
l*riest erstand getreten sei. Bei Monsignor (nachmals Cardinal) Hohenlohe,
dem Bruder des Schwiegersohns der Fürstin, trat er im Vatikan sein Noviziat
an. Vorher aber hatte er versprochen, zum Abschied in einer der all-
wöchentlichen brillanten Soireen des bekannten amerikanischen Bildhauers
Story im Palazzo 'Harberini sich noch einmal auf dem Klavier hören zu
lassen. Erst nach dreimaligen vergeblichen Versuchen Hess die Fürstin
sich bewegen, den Flügel herzuleihen, auf dem allein er spielen zu können
behauptete. Nachdem er in gewohnter Weise sein Auditorium entzückt,
verschwand er auf mehrere Wochen.
Biographische Blauer. I. 14
Digitized by Google
211
Biographische Blätter.
Man zerbrach sich die Köpfe, die Gründe für die anscheinend so
plötzliche Sinneswandelung zu finden. Es boten sich deren zwei. Der eine
war, dass er nie wirklich die Absicht gehabt, sich durch die Khe für immer
an die höchst geistreiche, aber äusserlich wenig anziehende Frau zu fesseln,
und dass er durch die schliesslich erreichte kirchliche Ehescheidung peinlich
überrascht worden; der andere war, dass möglicherweise der Schwiegersohn
der Fürstin, der später am österreichischen Hofe eine der höchsten Chargen
bekleidete, die Aussicht, Liszt zum Schwiegervater zu haben, nicht freudig
begrüsste, und die hohe Stellung seines Bruders am päpstlichen Hofe be-
nutzt habe, um durch seinen Einfluss den Plan zu hintertreiben. Wie mir
Liszt selbst mitgetheilt, war man zu einer Zeit in Wien bemüht, sein
Anrecht auf einen Adelstitel festzustellen. Wie dem auch sei, nach einigen
Wochen „Ritiro's" erschien Liszt als Abbe, in langem Priesterrock mit
unzähligen Knöpfen, der ihn sehr wohl kleidete, und nahm seine frühere
Lebensweise wieder auf.
Nicht lange nachher zog er sich zeitweise in das Kloster Santa
Francesca Romana im Forum zurück. Ich besuchte ihn und fand ihn in
einer Zelle, leidend, im Bette. Er sprach erbittert über den Undank der
Welt, die ihn als Virtuosen auf den Händen getragen, aber seinen Leistungen
als Komponist keine Art von Anerkennung zollen wolle, als ob er sich
etwas anmaasse, wozu er kein Kocht habe.
Ich sah die Fürstin wieder in Rom, als ich dort mit meiner Familie
den Winter 1882—83 zubrachte. Sie war noch in ihrer alten Wohnung,
sie selbst, ihre Möbel und Umgebung, sichtlich gealtert und verkommen.
Sie klagte, dass sie am römischen Fieber litte; man wurde erst vorgelassen,
nachdem man an einem eisernen Ofen im Vorzimmer durchgewärmt worden,
aber ihre Unterhaltung war so frisch und lebendig wie immer. Liszt war
nicht in Rom, ihn sah ich zuletzt in London im Jahre 1887.
Sein Schüler Walther Bache, der mit rührend dankbarer Treue, aber
mit zweifelhaftem Erfolg alljährlich seine Ersparnisse durch Klavierunterricht
zu einem Konzerte zur Verbreitung von Liszt's Kompositionen verwendete,
hatte eine grosse Rezeption zu Ehren seines Meisters in der Grosvenor-
Gallerie veranstaltet. Liszt erkannte mich nicht, bis ich mich nannte.
„Je n'y vois plus!" sagte der Halberblindete und verlangte zu meiner Frau
geführt zu werden. Kr ward sehr gefeiert. In dem Konzerte, ausschliess-
lich von Werken seiner Komposition, sang meine Tochter Liza sein Lied
die ..Loreley" und hatte die Ehre, dafür von ihm geküsst zu werden.
Bei einem Festessen, das der deutsche Klub „Athenäum" in London ihm zu
Einen veranstaltete, sprach er beredt und messend, entzückte uns auch
später durch sein Spiel, zu dem niemand ihn aufzufordern gewagt hatte.
Er starb in demselben Jahre.
Digitized by Google
Aus den Erinnerungen eines Künstlers. 212
Sir William Siemens.
Ich habe Sir William (früher Mr.) Siemens zweimal gemalt. Auf dem
eisten Bilde (1869) ist auf seinen Wunsch ein Modell seiner damals neuen
Krlindung angebracht: „direkt aus dem Eisenerz Stahl zu gewinnen". Auf
dem zweiten Bilde (1881) ist er mit einem Zirkel in der Hand sitzend dar-
gestellt, beschäftigt, einen Plan auf dem Tisch vor ihm auszuarbeiten. —
Seine Eltern, die auf dem gepachteten Gut Menzendorf bei Katzeburg
in engen Verhältnissen lebten, müssen beide treffliche, ausgezeichnete
Menschen gewesen sein, denn fast alle ihre zahlreichen Söhne haben es auf
eine oder die andere Weise, meistens als Erfinder und Elektriker zu hohen
Ehren und Reichthum gebracht. Nach dem rasch aufeinander erfolgten
Tode der Eltern vertrat der älteste Sohn Werner mit musterhafter Pflicht-
treue und Aufopferung ihre Stelle bei seinen jüngeren Geschwistern. Mit
besonderer Vorliebe nahm er sich seines Bruders Wilhelm an, in dem er
früh die Keime der grossen Fähigkeiten entdeckte, denen derselbe später in
England seine hohe Stellung in der wissenschaftlichen Welt verdankte.
Wie mir Sir William während der Sitzungen erzählte, hatte Werner,
damals in militärischen Diensten, ihn erst zu sich genommen und selbst
fleissig in der Mathematik unterrichtet, bevor er ihn in der Stolberg'schen
Maschinenfabrik in Magdeburg in die Lehre gegeben*). Von dort machte
der junge Wilhelm sich etwa siebzehnjährig aus dem Staube, in der Hoffnung,
einige seiner Erfindungen in Hamburg und in England zu verwerthen. Das
Solingen des Ersteren gab ihm die Mittel zur grösseren Reise nach London.
Dort angekommen und in einem Hotel dritten Ranges in Leiccster Square
abgestiegen, machte er sich alsbald auf den Weg, um sich in der Riesenstadt
einigermaasscn zu orientiren. Im nahen „Strand", dieser lärmendsten, immer
überfüllten Strasse, begann er seine Studien. Absolut fremd, der Sprache
nur sehr unvollkommen mächtig, fing er an, als erste Lektion die Schilder
mit den Namen der Kaufläden zu studieren. Bald frappirte ihn eines, welches
in grossen, schwarzen Buchstaben das Wort „Undertaker" (zu Deutsch:
-Unternehmer") trug, und er ist zu entschuldigen, wenn er den Laden in
der Idee betrat, dass der Inhaber seine Erfindung zu verwerthen „unternehmen"
konnte. Er fand einen älteren Herrn im Begriff einen Sarg zu bestellen,
und versuchte, ihn unterbrechend, sein Anliegen in gebrochenem Englisch
vorzubringen, natürlich ohne allen Erfolg. Der „Undertaker" verstand ihn
nicht. Endlich erbarmte sich seiner der alte Herr, der ihm lächelnd zu-
gehört, indem er ihn auf Deutsch nach seinem Anliegen fragte. Er erklärte
ilim dann, dass dieser Laden nur „ Begräbnisse" unternehme, und mit
*> Seit diese Zeilen gps<*h rieben worden, sind mir Werner von Siemens' Lebens-
erinnerungen zu Besicht gekommen, in denen die von mir erzählten Vorglinge in London
und Birmingham sich nicht befinden. Mein Berieht giebt aber treu Sir Williams eigene
Worte wieder und mag somit als Ergänzung jener höchst interessanten Autobiographie
dienen.
14*
Digitized by Google
213
Biographische Blatter.
„Elektroplasting" höchstens etwas zu thun habe, in der Form von Schildein
mit den Namen des Verstorbenen; „Elkingtons in Birmingham" fügte er
hinzu „sind die Leute, an die Sie sich mit Ihrer Erfindung zu wenden haben,
Sie haben noch Zeit, den Nachtzug dorthin zu erreichen". Nachdem unser
energischer junger Freund ihm seinen wärmsten Dank ausgesprochen, sein
Geld gezählt und es hinreichend befunden hatte, holte er sein nicht volu-
minöses Gepäck und machte sich stracks auf den Weg zur Eisenbahn nach
Birmingham, das er früh am nächsten Morgen erreichte. In der Elking-
ton'schen, der damaligen grössten elcktroplastischen Fabrik der Welt, wo er
sich alsbald meldete, ward er von dem Geschäftsführer mit zu erwartender
Kühle empfangen. „Täglich", so hiess es, „werden uns sogenannte neue
Erfindungen augeboten, die sich meistens als werthlos erweisen, auch haben
wir ein Patent, das uns das ausschliessliche Recht sichert, elektrische Ströme,
die durch galvanische Batterion oder durch Induktion erzeugt sind, zu Gold-
und Silberniederschlägen zu verwenden." „Da wir dazu thermo-elektrisehe
Ströme benutzen", erwiderte Wilhelm unbeirrt, „Verstössen wir nicht gegen
Ihr Patent." Der Mann stutzte, fuhr aber fort: „Erst vor wenig Tagen
haben wir uns zu unserm Bedauern verleiten lassen, eine Erfindung zu
kaufen, die sich als ganz unbrauchbar erwiesen hat." Worauf der junge
Siemens sagte: „Darf ich fragen, welchen Preis Sie dafür bezahlt haben?",
und als man ihni denselben genannt, rief er aus: „Was können Sie für eine
so lumpige Summe erwarten?" Als er auf die Frage, was er denn für sein
Patent verlange, 1500 Pfund St. nannte, rief der sichtlich überraschte:
„Eine solche Summe für ein Patent, das nicht einmal erprobt worden!?",
worauf Wilhelm um die Erlaubniss bat, ihm am nächsten Tage Proben vor-
zulegen, und sich empfahl. In seinem Hotel angelangt, machte er sich in
seiner Dachstube ans Werk und vergoldete seinen ganzen Waschapparat,
Becken, Kanne und was sonst zur Toilette gehört, und präsent irte die
Resultate seiner Arbeit pünktlich am folgenden Tage zur verabredeten Stunde.
Der Werth der Erfindung bestand hauptsächlich darin, dass sie das bisher
nothwendige, nachträgliche Poliren der unebenen vergoldeten oder versilberten
Flächen unnöthig machte und somit eine grosse Zeit- und Geld-Erspamiss
erzielte. Man zahlte ihm den verlangten Preis für sein Patent. Es war
der Anfang einer glänzenden Carriere, deren Resultate dem Erfinder wie
der Welt zu Gute gekommen sind.
Digitized by Google
Aus dem Reisejournal einen sächsischen Geistlichen.
214
Aus dem Reisejournal eines sächsischen Geistlichen.
Mitgetheilt von
ERICH SCHMIDT.*)
1. Bei Salonion Gessner.
Züreh, 8. August 1786. Im Gessnerischen Hause war alles schon aufs
Land in den Sihlwald gezogen, daher logire ich im Gasthof zum Schwert, der die
romantischste Lage von der Welt hat. Er steht nämlich an der Limmat, welche
einige hundert Schritte weiter oben aus dem Ziirchersee heraus kommt. Aus den
Fenstern des Hauses hat man die frappanteste Aussicht, die den höchsten Reiz der
Schönheit dadurch erhält, dass man über die mit Weinbergen und schönen Dörfern
bedeckten Ufer hin am Horizont die glänzende Reihe der Glarner Schneeberge
erblicket, welches zusammen ein unnachahmliches Gemälde ausmachet.
Sihlwald, d. 9. Nachts. Romantischer lässt sich nichts denken als der
Aufenthalt in dieser angenehmen Eremitage mit einer Familie wie die Gessnerische,
mit der ich heute den Tag zugebracht. Ich ging den Weg hierher in vier
Stunden, ganz frühe am rechten Ufer des Sees hinauf durch lauter Weinberge
und Gärten bis Thalweil, so dass diese ganze Strecke nur ein einziges schön ge-
bautes Dorf auszumachen schien. Nie habe ich einen so schönen Spaziergang
gemacht : man denke sich linker Hand den stillen See, dessen Wasser so rein und
helle war. dass man die Fische konnte spielen sehen, mit dem jenseitigen, nicht
minder schönen in eine flache Landschaft auslaufenden Ufer, dahingegen das dies-
seitige sich sogleich zu Rebhügeln erhellt, hinter welchen das lange Sihlthal hin-
weg geht und die Scene mit einer hohen Reihe malerischer Berge schliesst. Bis
Thalweil gings immer flach weg hart am Ufer des Sees. Auf einmal rauss man
sich rechts den Berg hinan in einen Wald schlagen, der von so vielen Fusswegen
durchkreuzet ist, das man sich nothwendig eines Wegweisers bedienen muss, wenn
man nicht lange darinnen herum irren will. Mau steigt eine gut« halbe Stunde
immer bergan, und eben so lange äusserst steil wieder hinab, dass man meint zu
den unterirdischen Göttern zu kommen, so furchtbar wild wird der Auftritt,
besonders durch das hell tönende Rauschen der ganz unten fliessenden Sihl. Ver-
schiedene uns begegnende Bauern, welche unter Vergiessung vieles Schweisses
auf dem Buckel das Holz den Berg hinauf schleppten, versicherten, dass sie
wenigstens etliche und vierzigmal ruhen miissten. Als ich hinab und über die
hohe Brücke kam, stand jenseits ein einzelnes ganz simples Haus, das einer Ein-
siedelei nicht unähnlich sah, und dies war die Wohnung des Idyllendichters, der
sich eben deswegen die Sihlherrnstelle, welche mit der Oberaufsicht über den
Wald und das Flössholz zu thun hat. von dem Magistrat ausgebeten, um hier
*) Aus dem stattlichen Quartanten, dem mein Urgrossvater Christian Gottlieb Schmidt
zuletzt Superintendent in Weissen fels. auf seiner Bildungsreise jeden Abend treufleissig die
Kindrücke des Tages anvertraut hat, habe ich schon vor zwanzig Jahren die Schilderung
La vaters veröffentlicht. Ein reines naturfreudiges Behagen, wie es dem Kreise des Idyllen-
dichters ziemt, athmen die harmlosen Blätter über Salomon Gessner; zahlreiche saubere
Radirungen von seiner Hand illustriren den Hericht über die von dem jungen Sachsen, mit
einer unverkennbaren Scheu vor den Hochalpen, durchstreiften Landschaften. Spater nimmt
er als kühler Rationalist, nicht ohne Sehalkheit. den grossen Schwindler Cagliostro aufs
Korn, in demselben Jahre, da Goethe die Familie Ralsnmo besuchte und zuerst an den
-Grosskophta" ging, und prüfte mit Zweifeln, denen erst die heutige Wissenschaft begegnen
kann, unterwegs das Modetreiben des Magnetismus. Ein Portrait Cagliostros liegt bei:
Brustbild, das Jabot am offenen Hals über die Relzvorhrämung zurückgeschlagen, die Lippen
wollüstig geschürzt, die Augen schwimmend und verhimmelt.
Digitized by Google
215
Biographische Blatter.
alle Jahre einige Monate mit seiner Familie und seinen Freunden in stillen länd-
lichen Freuden zu durchleben und seinem einzigen Lieblingsvergnügen, dem Malen
schöner Naturseenen, nachzuhängen. Diese liebe Familie, die schon durch ihren
Sohn, meinen Freund, in Briefen von mir unterrichtet war, nahm mich mit einer
Herzlichkeit auf, die mich an die patriarchalischen Zeiten erinnerte. Man sagte
mir mit liebenswürdiger Offenheit, wie zu Hause zu thun und in allem nach
meinem Gefallen zu handeln. Der alte Gessuer ist ein 55 jähriger kleiner massig
starker Mann mit einem freundlichen Gesicht und hellen durchdringenden Augen.
Sein Haupt ist mehr als zur Hälfte von Haaren entblösst und die übrigen sind
kraus; in welcher Gestalt er sieh gewöhnlich malen lässt, da er sonst eine Perücke
trägt. Ohnerachtet er äusserlich kraftlos seheint, so ist ers doch nicht, indem er
noch Tage lang mit bergauf bergab steiget, nur sein Geist hat zwar nicht mehr
das alles um sich her erhitzende jugendliche Feuer, aber doch die belebende Wärme
und Munterkeit der ruhigen gesetztem .lahre. Er sehei-zt gern, und in seinem
"Witz sieht man immer noch den Dichter. Nie ist er vergnügter als wenn er mit
den Seinen diesen ländlichen Sitz beziehen kann. Er macht alsdann alle jugend-
liche Spiele des Kegelns. Scbeibenschiessens u. s. w. unter lustigen Gesprächen
mit. Tm Winter soll ihn manchmal eine hypochondrische Laune anwandeln. Die
Frau Gessuer (denn hier sagt man nicht Madame oder Mademoiselle, sondern auch
bei den Vornehmsten „Frau", „Jungfer"), die sich dem fünfzigsten .fahre zu
nähern scheint, ist eine eben so gefällige als beliebte Wirthin, eine Mutter, die
sich um das Wohl ihrer Kinder angelegentlich bekümmert, eine Gattin, die ihres
Mannes Wünsche zu erfüllen sucht, wenn sie auch nur erst auf seinem Gesiebt
zu lesen sind. Ihre Gespräche verrathen einen ausgebildeten Verstand und viel
Herzensgüte. Wäre es bei solchen Eltern anders möglich als das* Jungfer G..
von etwa zwanzig Jahren, sich zu einem verständigen, artigen, unschuldsvollen
Mädgen gebildet habe? Sie spricht wenig aber gut, und sucht überhaupt mehr
durch innere Vorzüge sich einen Werth zu verschaffen, als sie Ansprüche auf
äussere zu machen scheint; ob mau gleich nicht sagen kann, dass sie zu den
ungestalten gehöre, da sie proporzionirt gebildet ist. Mich wunderte, dass in
einem solchen geschmackvollen Hause keine Musik gangbar war, allein der Alte
versicherte mir, er habe bei seinen Kindern kein Talent dazu verspüret, und wo
nichts drinnen sei, könne man nichts ausbilden. Ausser dem Sohn, der in Dresden
die Malerei studiret hat und nun nach einer dreijährigen Abwesenheit in dem
Schoos« seiner Eltern sich wohl sein lässt, ist noch ein jüngerer da. welcher jetzt
studiret, um alsdann den Buchhandel fortzusetzen, den die Gessnerische Familie
mit Gesang- und Gebetbüchern und mit der Bibel ausschliessend in dem ('antun
Zürch treibt. In der Orellischen Buchhandlung, welche aber alles bei Gessuer
muss drucken lassen, ist G. nebst noch einigen andern nur assoziirt. Ausser
diesen fünf Personen und mir sind noch ein Ingenieur Feer aus Zürch, der
vor eiuigen Jahren in Dresden Mathematik studirte. und die beiden Dresdener
Maler Graff und Zink, geborene Schweizer, der eine aus Winterthur, der
andere aus St. Gallen, hier zum Besuch, welche ganze vergnügte Gesell-
schaft den Tag unter mancherlei Gesprächen, Zeitvertreiben und Spazier-
gängen in dem einsamen, schmalen, hinten und vorn mit hohen waldigen Bergen
eingeschlossenen Thale zubrachte. Ober eine halbe Stunde hat man. ehe man von
diesem einsamen Forsthause zu Menschen gelangen kann; ein einziger Mann mit
seiner Familie, der Mannwart, ein unterer Forstbedienter, wohnt zunächst, an
G essners an.
Den Ilten. Da seit einigen Tagen das herrlichste Wetter ist, das man sich
nur denken kann, so ward auf gestern eine Mergreise veranstaltet. Früh um 7
Digitized by Google
Aus dem Reisejournal eines sächsischen Geistlichen.
216
setzte sich der Zug in Bewegung und so gings -zwei Stunden unaufhörlich so
benran. als wenn man ein schräges Dach hinan stiege, durch den schatteten Wald
nacli dem Attlisberg und auf dem Kücken desselben fort auf deu noch ungleich
reizenderen Birkeli. Unsere Mühe ward auch reichlich belohnet. Himmel! welche
Aussicht! Nie verpes.se ich das Bild der herrlichen Landschaft, die vor uns
lasr . . . G essner behauptete selbst, dass er keinen schöneren Standpunkt in der
Schweiz wisse, da hier das Fürchterliche, Rauhe mit dem Kultivirten, Gefälligen
vereint zu finden sei. Wir lagerten uns alsdann an einem bequemen Orte unter
schattete Bäume, um mit dem vorausgeschickten Transport an Braten, Brot. Käse
und Wein unsere hungrigen Mägen zu befriedigen und die erschlafften Kräfte zu
stärken. Das pociilum hilaritatis ging, wie fast immer in der Schweiz, tüchtig
herum und gesellige laute Freude heri*schte allgemein; selbst der alte G cssner
schämte sich nicht mit jungen Leuten einen jugendlichen Kälbersprung zu machen,
und eben dies war mir etwas Karakteristisches an ihm. Die Frau G. sang ohne
viele Kunst mit natürlicher Anmuth die kleine gefällige Arie vom ersehossnen
Hänfling „Ach, Schwester, die du sicher dich auf den Ästen wiegst-', die ich, da
sie mir bekannt war. mitsingen konnte. Ich rezitirte hierauf dem alten CI. den
Gesang „Wie schön, o Gott, ist deine Welt gemacht, wenn sie dein Licht umfliesst.
ihr fehlt's an Engeln nur und nicht an Pracht, dass sie kein Himmel ist", welchen
er ausserordentlich schön fand, so dass ich ihn singend wiederholen musste . . .
Wir kamen endlich ganz ermüdet nach Sonnenuntergang nach Hause. Heute ist
viel über den Plan meiner Reise durch die obere Schweiz gesprochen worden.
Ich bin heute den 1*2. ganz frühe aus dem Sihlwald wieder herein nach
Zürch gegangen . . . Nichts als enge und holprige Gassen, die von den hass-
lichsten antiken Häusern veranstaltet sind, stossen einem auf. und nur wenige vor
Kni-zem erbaute einiger Kaufleute, ein paar Zunfthäuser, das Rathhaus und Waisen-
haus machen hiervon eine vorteilhafte Ausnahme. Man scheint durchaus allen
äussern Glanz vermeiden zu wollen, um desto mehr innerlich zu gläuzen. Statt
der Tapeten finde ich in allen Häusern, wo ich noch gewesen, gehöhnte Bretter-
wände, sogar gehöhnte Decken, und alle Meuhles. besonders die zahlreichen
Schränke glänzen von Spiegelglätte. In Aufputzung der Küche mit. recht blankem
Geräthe sucht man einen vorzüglichen Staat, fast ebenso wie in dem steifen und
ehi-enfesten Nürnberg. . . . Unter den Leuten hier finde ich viel geraden offenen
Sinn, wenig Komplimente und eine Art von Traulichkeit, die mir sehr gefallen
hat. Man spricht erstaunlich fehlerhaft deutsch, und selbst das Gessnerische
Haus spricht nicht rein, so dass ich oft habe zweimal fragen müssen. Die Sprache
der Landleute klingt fast ganz fremd. —
2. Cagliostro. Mesmerismus.
Basel, Dezember 1786. An Herrn Jakob Sarasin war ich von Lavater
und Breitinger mit Rekommandazionen versehen. Dieser reiche und gelehrte
Banquier, der eines der geschmackvollsten Häuser bewohnet, nahm mich so auf,
wie man es erwarten kann, wenn man von einem Lavater empfohlen ist. Das
Oritrinellste an ihm ist seine Anhänglichkeit an den berühmten Wundermann
Cagliostro, und zwar bloss aus schwärmerischem Dankgefühl für die Wieder-
herstellung seiner Frau, welche an den schrecklichsten Nervenzufällen mehrere
.lahre gelitten, ohne dass ihr ein Arzt, als »Midlich C. hätte helfen können. Kr
zeigte mir die schöne zu Paris gearbeitete Büste dieses Äskulaps, die er in einem
besonderen Kabinett als in einem Tempel aufVestellet hat. Ich habe lange Zeit
keinen frappanteren ausdrucksvolleren Kopf als diesen gesehen; schon der Uinriss
und Knochenbau in der todten Büste kündigen einen ausserordentlichen Mann an,
Digitized by GÖOgle
217
Biographische Blätter.
und die Portrait*, die man mir von ihm zeigte, sammt den Erzählungen, die man
mir von ihm machte, scheinen dasselbe zu bestätigen. Mein Herz will aber
demohngeaehtet nicht dran, ihn für einen ehrlichen Mann zu halten. Kr ist jetzt
in London, und Sarasin hat einem dortigen Banquier Auftrag gegeben, ihm soviel
Geld auszuzahlen, als er verlange: und er braucht viel, denn in Engelland mögen
seine Künste nicht gehen. Künftiges Frühjahr kommt er wieder in die Schweiz.
Sarasin hat die ganze Nachricht von der Kur seiner Frau ins Journal de Paiis
1781 einrücken lassen, und sie war so freundlich mir das Blatt zu suchen und
zu geben [es Ist beigeheftet!. Sie ist eine Dame zwischen Vierzig und Fünfzig,
von vieler AVeit, und spricht mit erstaunendem Enthusiasmus und Herzlichkeit von
der AVohlthat ihrer wiederhergestellten und seither unerschütterten Gesundheit.
Ihre Kinder erziehen sie nach strengen Grundsätzen; sie sind aber auch alle artig
und wohlgesittet, welcher Anblick mir lieber war als alle kostbare Meubles,
Tapisserien und dergleichen; denn da er durch den Bandhandel ein Millionair
geworden, so sind sie fürstlich eingerichtet . . .
7. Mai 1787. Meine ehemaligen Bekanntschaften habe ich meistens wieder
aufgesucht, und ich ging gleich nach meiner Ankunft zu Herrn Sarasin, an den
ich etwas abzugeben hatte. Dieser lud mich auf den folgenden Tag zum Diner
ein. wo ich einen merkwürdigen Mann würde kennen lernen. Heute den 8. zu
Mittage habe ich daher bei ihm in Gesellschaft eines französischen Generals, einiger
Domherren und Damen und Cagliostro's gespeiset. Dieser räthselhafte Mann
logiret seit seiner Zurückkunft aus Engelland wieder bei S. und wird nun nach
Biel ziehen. Er ist eine kleine sehr dicke Figur, an welcher der Kopf das
Frappanteste ist, der der marmornen Büste ganz gleichet. Wenn ich einen Zauberer
malen sollte, so würde ich diesen Kopf zum Ideal nehmen. Sein Blick ist drohend,
verschlingend und flüchtig, denn man kann nicht dazu kommen ihm nur einige
Momente fest ins Auge zu sehen. Sein dünnes Haar trägt er hinten in einer
runden Locke, und auf dem Wirbel hat er entweder eine Platte oder wohl «rar
eine Tonsur. Sein Anzug bestund in einem ziemlich abgetragenen grünen mit
Gold einge fassten Tuchrock, rothseidener Weste und Beinkleidern, weissen Strümpfen
und Schuhen. Sein Gang war trotzig und etwas tanzmeisterlich. Die erste Zeit
bei Tische sprach er gar nicht, hernach aber heftig und viel wider die Franzosen
und Engelländer, im gebrochenen Französisch (denn Italienisch und Lateinisch sollen
seine Hauptsprachen seyn), redete und that mancherlei Narrenspossen, und sein
weniger männlicher Ernst, sein grosser Leichtsinn mit dem vielen Marktschreier-
mässigen setzte ihn um vieles in meiner ohnedem schon geringen Meinung herab.
AVie es scheint, gelingt es ihm meistens eine gewisse Superiorität über alle Menschen
zu behaupten, daher auch selten Jemand in der Gesellschaft für ihn zum AVorte
kommen konnte. Als er das vorige Mal hier gewesen, war der Zulauf der Kranken,
die man auf AVagen aus allen Orten hergebracht, so gross, dass man fast nicht
an d.as Sarasinsche Haus hat kommen können, und vielen hat er wirklich geholfen.
Jetzt giebt er sich wenig damit ab: auch scheint der Glaube an seine AVunder-
kraft ziemlich erloschen zu seyn. Dagegen hat er hier im Sanisin'schen Hause
eine Loge Egvptienne errichtet, wo er vermuthlich als Oberpriester präsidiren wird.
Dass er ein Jesuit und seine Sache auf geheime Proselytenmacherei abgesehen Ist,
scheint mir nun selbst fast ausser allem Zweifel zu seyn. A'iele behaupten auch,
S. stecke selbst mit unter der Decke und habe grosse Summen der Jesuiten, die
sie öffentlich nicht administriren dürfen, in seinen Händen. In London haben die
Masons den Graf Cagliostro ausgepfiffen und nicht in die Loge gelassen. Der
Courier de l'Europe erzählt die hässlichsten Dinge von ihm, er habe seine Seraphine
(seine Frau) in London bcstohlen und sitzen lassen, und hier sagt er, er erwarte
Digitized by Google
Aus dem Reiscjoamal eines sächsischen Geistlichen.
•218
sie alle Tage. Kurz, es ist ein unerklärlicher Mann, von dem man nicht einmal
wissen kann, wovon er lebet, denn bezahlet nimmt er nichts für seine Kuren. Wenn
er auch nicht Jesuit ist, so ist er doch gewiss der verschmitzteste Charlatan unter
der Sonne, der mehr als irgend einer jemals versteht die Welt am Xarreuseil
herum zu führen und sich auf ihre Unkosten lustig zu machen. Über seine Kuren
urtheile ich nicht, ob es gleich gewiss ist. dass sie weder alle die Probe aus-
halten, noch auch zu den übernatürlichen dürfeu gezählet werden. Es ist wahr,
die Frau des Herrn S., die von den grössten Ärzten für inkurabel gehalten ward,
hat er wieder hergestellt, allein ich habe doch darüber meine eigenen Gedanken
und ich glaube, wenn ich ihr Mann wäre, ich würde so intolerant sein, mir diesen
Hausarzt zu verbitten. Ich halte nichts von ihm; inzwischen ist's mir sehr lieb,
dass ich ihn persönlich habe kennen lernen. Die Zeit wird noch vieles aufklären.
Er sass bei Tische zur Hechten der Madame S. und ich zu ihrer Linken. Sein
Alter scheint etwa 45 bis 50 Jahre zu seyn (geb. 1743], er soll sich aber für
2000 Jahre alt ausgeben. Ein Basier Bürger fragte einst Cagliostro's Bedienten,
der eben so abgefeimt als sein Herr ist, ob's denn wahr sei, dass sein Herr
2000 Jahre alt sei? Ja. antwortete dieser ganz ernsthaft, das weiss ich so ge-
wiss nicht, denn ich bin erst 500 Jahre bei ihm in Diensten. —
Strassburg. 18. Mai 1787. Den Magnetismus treibt hier als ein die
Menschheit interessirendes und den Laien zu den wichtigsten Folgen enthaltendes
Geschäfte (eigne Worte dieser Herren) eine Societe harmonique des amis reiinis,
fondee sous les auspices de M. Mesmer, President perpetuel, par M. le manpüs
Puysegur, Directeur, en 1785. Solche Societes oder Logen hat Mesmer wohl
dreißig in Frankreich etabliret, und jede soll ihm hundert Louis d'or für das
Geheimnis* l)ezahlet haben, daher er ein reicher Mann worden und nun nach
seinem Vaterland, Wien, zurücke kommen wird ; jetzt soll er in einem Bade, Pfaffe rs
in der Schweiz, seyn. Die Ntrassburger Gesellschaft, deren Mitglieder auf einer
iroldenen Tafel verzeichnet im Saal hangen und die Piinzen unter sich hat, besitzet
einen ordentlichen Fond, aus welchem sie die Unkosten des Zinses für ein ganz
darzu gemiethetes Haus, der Pensionen für den Medikus I). Ehrmaun und Chirurgus
Ziegenhagen und dergleichen mehr bestreitet; die Patienten werden umsonst
magnetisirt. Das, worauf sich diese sonderbare Wissenschaft, mit der man das
ganze bisherige medizinische Studium umzustürzen glaubet, gründet, ist ein ange-
nommenes durch das ganze Universum verbreitetes fluidum magneticum, durch dessen
nähen* Application auf einzelne Personen die hartnäckigsten Krankheiten sollen
gehoben werden. Jeder Mensch habe solches fluide magnetique, womit er seinen
Nebenmenschen heilen könne; es sei sehr fein, ströme vornehmlich aus den Spitzen
der Finger aus, folge jeder Bewegung und dringe in die Substanz der Nerven ein.
Die Behandlung selbst war folgende: Der Patient sitzt in einem Lehnstuhle mit
etwas hinterwärts gebogenem Oberleibe, die Beine zwischen denen des vor ihm
sitzenden Magnetiseurs (und die Hände auf seinen Knieen), welcher nun seine
Manipulationen anfängt, in die Hände haucht und es alsdann mit denselben gegen
das Gesichte zu macht, als wolle er das Fluidum darauf ausschütten, feiner an der
Stirae, den Achseln, Armen und über die Kniee herunter sanfte streichet und an
gewissen Stelleu, z. B. oben an der Achsel, im Gelenke beim Ellenbogen und an
den Daumen etwas verweilet und einen Druck gieht. Auf der Brust und um
den Nabel herum machte man ein kreisförmiges Beiben, das mir bei den Weibs-
personen äusserst unschicklich zu sein schien; doch muss ich gleich noch im Vor-
beigehen sagen, dass alle diese Patienten, deren immer gegen zwölf da waren, die
über Nervenzu Hille. Podagra, Beissen u. s. w. klagten, in ihrem ganzen Anzüge
blieben. Durch dieses Manipuiiren, das wohl eine halbe Stunde und länger währet,
Digitized by Google
Biographische Bl&tter.
geräth der Patient in die Krisis. d. h. Zuckungen und konvulsivische Bewegungen,
die «inen Schweis* hervorbringen, während welcher Krisis ei- gewöhnlich die
Aiiiren verschlossen hat. Manche sollen unter dieser Krisis in einen divinatorischen
Schlaf gerathen, in welchem sie elair-voiant werden, Gewöhnlich sind dies Weibs-
personell wegen der grösseren Reizbarkeit ihrer Nerven, und man nennt eine solche
Person eine Somnambule, wovon ich aber keine gesehen habe, weil die harmonischen
Freunde selten jemand darzu lassen. Dieser Somnambulismus soll nach der Be-
schreibung, die mir ein Erzmagnetiseur darvon gemacht hat, ein ekstatischer Zu-
stand der Seele seyn, vermöge dessen sie durch Einschläferung des Körpei-s in
eine Art von Freiheit versetzet werde und zu den sublimsten Wirkungen fähig
sey. Diese AVirkung nennen sie clair- voiance, und es soll der sechste Sinn des
Menschen seyn. durch welchen ein solcher Patient gleichsam in sich selbst und in
andere hinein sehen, Medikamente verordnen welche die Krankheit erfordert, mit
Pünktlichkeit vorher bestimmen was ihm in Ansehung seiner Krankheit oder
Besserung oft erst nach zehn Tagen begegnen wird, durch s Gefühl Farben unter-
scheiden und eben so geschriebene oder gedruckte Worte lesen, ja auch von ab-
wesenden und künftigen Dingen nicht selten richtig urtheilen können soll. Die in
diesem divinatorischen Schlummer liegende Somnambule soll niemand als ihren
Magnetiseur verstehen, mit dem sie en rapport ist, mit Scharfsinn auf seine
Fragen antworten, das deutlichste Bewusstseyn von sich haben und mit ver-
schlossenen Augen wissen, was um sie her geschieht. Da ich nach meiner
Philosophie, wo alles hübsch natürlich hergeht, kein Freund von den qualitatibus
occultis bin, so kann ich das ganze somnainbulistische Wesen nicht leiden und
halte es für phantastische Einbildung und dummen wundersüchtigen Aberglauben.
Ob durch den Magnetismus etwas ausgerichtet werden könne, lasse ich jetzt noch
an seinen Ort gestellet seyn; als Wissenschaft wäre wenigstens nur erst das a. b. c.
davon bekannt. In dem Buche Extraits des journaux dun magnetiseur, welches
in dem salon magnetique lag, sind zwar eine Menge Kuren angeführet; ob sie
aber auch probehaltig seyn mögen? — Ich sah auch noch zwo andere Arten zu
magnetisiren : am Baquet und im Hofe unter grünen Bäumen. Das Baquet ist
ein grosser runder Kübel, der mit Eisenfeilspänen, gestossenem Glas, Salz u. s. w.
angefüllt ist ; durch den Deckel gehen stählerne runde Stäbe in . der Figur eines
Winkelmaasses, die man Cowlueteui's nennt, deren aussen befindliches Ende der
Patient an den leidenden Theil hielt, und mit den Fingern an demselben nach sich
zu strich, um dadurch magnetisches Fluiduin in sich zu leiten. An diesem
Baquet macht alle Tage die ganze anwesende Gesellschaft die chaine. und weil
ich gerne wissen wollte, ob ich den Einfluss des fluidi auch empfände, so inachte
ich sie auch mit. Die ganze Gesellschaft legte sich nämlich um das Baquet
herum, jeder wickelte den aus der Mitte herausgehenden magnetischen Strick um
den Leib, Arm oder Bein, fasste den Nachbar bey dem Daumen der auf dem
Knie liegenden Hand an, und wenn ich vom Nachbar zur Hechten einen Druck
bekam, so gab ich ihn sogleich zur Linken weiter und so immer fort. Das
Frauenzimmer, das mich bevm Daumen angefasst hatte, fragte mich, ob ich schon
in Itapport gesetzt sei? Ich wusste viel, was die unter dem Kapport verstund.
Sie winkte dem Magnetiseur. welcher kam und mir eiu paar Mal über Gesicht
und Anne herunter manipulirte, und nun war ich im Rapport; dies sollte also
hei-x n. das magnetische Fluiduin sei in mir aufgeredet worden. Wir s;issen wohl
• ine Viertelstunde ganz stille, druckten einander an den Daumen, und ich fühlte
nichts, als das mich das Frauenzimmer ziemlich stark drückte und zuweilen be-
deutend ansah. Ich verstund aber nichts sagte auch laut, dass ich nichts
empfände; ein Beweis, Iiicss es. dass sie gesund sind; taut micux, sagte ich.
Digitized by Google
Aus dem lleisejournal eines sächsischen Geistlichen.
220
Andere zuckten, bewegten siclf, schlössen die Äußren u. s. w. und dies soll dann
einen heilsamen Einflnss auf den Kranken hüben, ja einige sollen sogar am Baqnet
clairvoiant werden. Einen andern Tag druckte ich die Augen auch mit zu. und
da ich eben bey dem Herrn v. Türkheim |Lilis Gatten] eine tüchtige Mahlzeit
jrethan und ein gut Glas Elsasser "Wein getrunken hatte, so wandelte mich auch
eine .Schläfrigkeit .an, allein ich bin nicht clairvoiant worden! — ■ Von diesem
l>nuken des Daumens am Baqnet hat die Societe harmonique ihr Motto: d'un u tous.
Der magnetische Strick aus dem Baquet wird auch durch die "Wand in den Hof
gleitet und um die daselbst stehenden Pflaumenbäume gewickelt. I>er Patient
setzt sich alsdann unter dieseu Baum, windet den Strick um sich herum und
melkt daran, reibt auch mit den Händen an dem Baume und soll auch magnetischen
Einflnss spüren. Dass man hauptsächlich auf die Imagination zu wirken sucht,
scheint mir aus einer der regle« pour la police du traitement magnetique zu er-
hellen, die im Saale aufgehänget sind, wo es heisst: chaque malade, ]iendant la
cluine soccupant interieuroment de son mal, gardera le plus profund silence. Da
ich ferner höre, dass die Herren Magnet iseurs ihren Patienten festen Glauben
empfehlen, so wundere ich mich gar nicht mehr, wie sich der gute Lavater für
den Magnetismus so sehr gewinnen lassen, da dieses in sein bekanntes System vom
Wunderglauben passt. Die fleissigsten Magnetiseurs auf dem Saal waren ein
Graf Lützelburg, ein Herr v. Landsberg und ein lutherischer schöner Pfarrer
Kaimhold, der ein artiges Mädgen magnetisirte, die mit verschlossenen Augen lauter
süsse wollüstige Empfindungen zu athmen schien. "Wenn ich nach dem Anschein
bei dieser Person den Magnetismus definiren sollte, so wäre es eine neue feine
Art Wollust zu geniessen. Aufs gelindeste davon zu urtheilen. ist es eine sehr
unzuverlässige, auf schwankenden, vielleicht auf gar keinen (Tininden beruhende,
zweideutige und zu allerhand besondern Yermuthungen Anlas« gebende Beschäftigung,
über die in kurzer Zeit bald Aufklärung erfolgen mus«. — Auch magnetisches
Wasser macht man durch Bestreichung, Reibung und Anhauchung der Boutcille,
welches nun die Kraft zu laxiren haben soll — Ohe! jam satis est. —
Beweis der Herren Magnetiseurs, dass Jesus durch den Magnetismus Kranke
gesund gemacht: Jeder Mensch hat fluide magnetique, womit er seinen Nehen-
inenschen heilen kann; Christus war Gottmensch — als Mensch musste er also
diese Kraft haben, und als Gott in einein alle Menschen übersteigenden Grade.
Beim Somnambulismus (Worte eines Initiirten) kommt es darauf an, dass
körperlich schwache Personen in einen Zustand versetzt werden, wo sie sich in
einer dem Schlummer der Ohnmacht, ähnlichen Verzückung befinden, durch die sie
ohne selbsterworbene medizinische Kenntnisse im Stande sind, ihren eignen oder
fremder Personen Krankheitszüstand anzugeben und wirksame Heilmittel dagegen
zu verordnen.
Formular eines Initiationspatentes, das mir von einein vertrauten Freunde
am Khein, der es von einem andern Freunde bekommen, welcher sich aus Spiouir-
sucht bei der Societe harmonique initiiren lassen, mitgetheilet worden und das ich des
Zusammenhanges wegen nach geendigter Heise hier bey füge. ,,Da durch die Herren
Fundateurs de la Societe . . . der N. X. nach einem mir vorgezeigten Patente vom
2o. Nov. 1780 Vollmacht erhalten, diejenigen so sieh ans gutem Hei zen entschliessen,
zum Kesten der leidenden Menschheit den thierischen Magnetismus zu erlernen, in die
Geheimnisse desselben initiiren zu können, so verspreche ich als ein Mann von Ehre
uud Gewissen, dass, überzeugt von dem Dasein eines uncrschafl'enen "Wesens —
von Gott. »1er den Menschen mit einer unsterblichen Seele begabt und ihm Kräfte
verliehen hat, durch seine Zulassung auf den Xehenmenschen zu wirken, ich von
den Kenntnissen und Mitteln, die mir nun ins Künftige zur Ausübung des
Digitized by Google
221
Biographische Blätter.
thierisehen Magnetismus anvertrauet werden, nie einen andern Gebrauch machen
will, als meinen Nebenmenschen nützlich zu seyn und der leidenden Menschheit
beizuspringen; dass ich nie einen Kranken, der somnambule werden kann, an-
nehmen oder dazu machen will, ohne vorher den festen Vorsatz gefasst zu haben,
solchen, so lange er sieh die magnetischen Kuren verordnet, jedes Mal nur
die von ihm bestimmte Zeit wieder zu mahnet isiren, dass ich mich während der
Krise aller neugierigen Fragen, die iiiclit. zum Nutzen und Heilung des Knmken
abzwecken, enthalten will, das mir Anvertraute geheim halten, auch nie zugeben
werde, dass er ohne sein Yorwissen und Erlaubnis* in der Krise von Neugierigen
gesehen und befragt werde, er habe denn nicht allein in seinem natürlichen Zu-
stande, sondern auch in der Krisis die Einwilligung dazu gegeben, vielmehr ver-
hindern will, dass eine Somnambule, so lange sie nicht clairvoiant ist, nieinalen
von Leuten, die sie theils noch nicht bestimmen kann, oder die gar nicht zum
Nutzen der Kranken gehören, besucht werde: dass so wie mich der N. N. frei und
unentgeltlich initiiret hat, ich auch um so mehr niemalen aus Interesse oder für
einige Belohnung magnetisiren werde, sondern uneigennützig den meist leidenden,
am wenigsten unterstützten, verlassnen Kranken beispringen will; dass ich ohne
eine Eingangs berührte Vollmacht zu haben unter keinerlei Vorwand irgend
jemand das Magnetisiren lehren oder Gelegenheit geben will, dass er durch zu
viele Fragen iu den magnetischen Krisen oder durch Nachahmung meines Ver-
fahrens Gelegenheit bekomme, zum Nachtheil des Magnetismus eüi Stümper in der
Sache zu werden; dass ich niemand meine Meinung über den wirklichen Nutzen
des M. aufdringen, alle Spöttereien und Verleumdung wo möglich unbeantwortet
lassen und wo es seyn muss kurz und nachsichtsvoll ohne Bitterkeit widerlegen,
auch verhindern will, dass jemand aus Scherz inagnetisire, weit weniger aber
mich selbst vergessen, sondern die Sache so feierlieh behandeln als sie verdienet;
dass ich endlich über geheilte Krankheiten und besondere die an Somnambule
gethane Fragen, die zu richtiger Vervollkommnung des Magnetismus dienen
könnten, ein richtiges Protokoll führen und von den mir nützlich scheinenden an
den N. N. einen Aufsatz, sowie über die Heilung der Krauken ein wo möglich
von Zeugen unterschriebenes Attestat schicken will. Alles Vorhergehende habe
ich wohl durchdacht, und mir zu meiner Erinnerung eine Abschrift davon ge-
nommen. Mit Mund und Herzen bekenne ich mich der verehrungswürdigen
Gesellschaft dankbar zugethan. die mich als ein Glied an ihrer Kette der Geheim-
nisse des Magnetismus würdig macht, wiederholt; meine heiligen Verbindungen
und unterschreibe mich eigenhändig.'*
Karlsruhe, D. .luni 18N7. Bökmann [den von Klopstock und Goethe her
bekannten Professor] traf ich nicht, weil er mit dem Prinz Friedrich nach der
Schweiz gereiset war, seine Frau unterhielt mich aber eine Stunde sehr angenehm
und erzählte mir, dass sie sich alle Tage durch den Herrn von Rosenfels
magnetisiren lasse. Ihr Mann ist der grösste theoretische Magnetiseur iu Teutsch-
land und giebt jetzt ein Archiv für Magnetismus und Somnambulismus heraus.
Der gedachte Herr v. K. ist ein natürlicher Sohn des vorigen Markgrafen,
Kaiserl. Hauptmann und der stärkste Magnetiseur allhier. Er kam eben zur
Madame B. und ich lernte ihn also kennen; da ich nichts wider den M. sprach,
sondern alles ad referendum nahm, so will er mich morgen und so oft ich will
darzu nehmen, wenn er magnefisiret.
11. .luni. Ich ging um zehn Uhr zur Madame B.. um des Herrn v. H.
seine magnetistisehen Operationen zu sehen. Die Behandlung war grösstentheil*
wie ich sie in Strasburg beobachtet, denn dort ist Herr v. H. initiirt. Sie legte
sich im Neglige in einen etwas hinterwärts gebogenen Lehnstuhl und hatte uuter
Digitized by Google
Adolf Exner. 222
dem Kopfe ein Kissen; der Magnetiseur sass oder stund theils vor theils neben ihr und
und machte seine Manipulationen. Zuweilen lehnte er seinen Kopf an den ihrigen,
damit (so hiess es) das magnetische Fluidium recht in Kreislauf komme. Diese
Stellung düuchfe mir etwas wollüstig, eben so auch die. da er ihre Beine zwischen
deu seinigen eingeschlossen hielt und über Brust und Nabel hin sanft strich oder
krabbelte. Das Gefühl der Scham und Anständigkeit empörte sich wider diese
Attitüde, und das ganze Wesen verlor in dem Augenblicke fast allen Kredit
vollends in meinem Herzen. Herr v. R. ist ein schöner wohlgeinachter junger
Mann, quod bene notandum! Nachdem er sie einige Minuten magnetisiret. gerieth
sie schon in die Krisls, schloss die Augen, ward elairvoiant und antwortete auf
alle vorgelegte Fragen wie eine Pythia; welche Fragen und Antworten ich
sogleich ad protocollum nehmen und die Wahrheit mit meines Namens Unter-
schrift bestätigen musste. Ich Hess mich alsdann mit ihr in Rapport setzen und
frairte sie einiges, z. E. was machen meine Freunde in Sachsen, die ich am
meisten liebe? Sie antwortete: „Wenn sie gut für Magnetismus denken, so
bleiben Sie bei seiner Absicht!*' Bin ich gesund? «Ja, nur Schürfe im Magen
haben Sie.u Was ist zu brauchen? rCremor Tartari.*' Nach einiger all-
gemeinen Stille fing die Somnambule von selbst wieder an: «Sie haben ein vor-
treffliches Herz und Anlage ein guter und nützlicher Magnetiseur zu werden:
unterrichten Sie sich mehr und handeln Sie zum Nutzen ihrer Nebenmenschen. -
Also auch ins Herz wollen sie andern im Schlafe sehen kommen? Das ist zuviel!
Sie wusste, nachdem sie Fünfviertelstunden in der Krisis gewesen und zuweilen
kleine Verzückungen gehabt, zuweilen bei gewissen Berührungen schalkhaft ge-
lächelt, und nun wieder calmirt (aufgeweckt) worden, von allem dem Gesagten
nichts. Ich will das Wesen, da man mir willig die Hände darzu bietet, noch
ferner beobachten und prüfen. Noch will ich hersetzen, was man nach des
Herrn v. R. Versicherung vom Magnetismus und Somnambulismus erwartet: voir
?on mal, celui des autres, les remedes, les objets les plus eloignes. —
Adolf Exner.
Ein Wort zu seinem Geilttchtniss.
Von
GEORG JELLINEK.
Dem ausgezeichneten Civilrechtslehrer der Wiener Universität, der im ver-
flossenen Herbste so jäh und unvennuthet aus dem Lehen schied, sind bisher von
zwei Männeru tiefempfundene Worte des Andenkens gewidmet worden: von seinem
Meister Joseph Unger und von seinem Schüler Ludwig Mitteis.*) liesseivs
und Treffenderes über ihn zu sagen, ist wohl nicht möglich. Wenn daher an
dieser Stelle auch ein Kollege des Verblichenen, der an seiner Seite Jahre lang
gewirkt hat, das Wort ergreift, so vermag er dem lebensvollen Bilde, das von
kundigen Händen gezeichnet wurde, nur noch einige Striche hinzuzufügen. Nach
dem Lehrer und dem Schüler soll nun auch ein Genosse Exmrs die Gestalt des
vorzeitig Dahingegangenen festzuhalten versuchen, wie sie sich ihm in lebendigem
Umgänge erschloss und darstellte.
*) l'ngers Nachruf ist bei Holder. Mittels" CJedenkrede bei Manz in Wien erschienen.
Digitized by Google
223
Biographische Blatter.
Wäre mit Exner nur ein bedeutender (belehrter gestorben, so würde damit
allein kein Anlass gegeben sein, das Bild des Verblichenen grösseren Kreisen zu
zeichnen und aufzubewahren. Der Gelehrte tritt hinter sein "Werk zurück, das
Beste, was er wollte und konnte, ist in ihm aufbewahrt, es ist das Denkmal, aus
dem sein innerstes "Wesen zur Mit- und Nachwelt spricht, je mehr es gelungen
ist, desto weniger darf es von äusseren Schicksalen und inneren Kämpfen ver-
ratheu. Dem Freunde, den» Fachgenossen, dem Schiller mögen die Einzelheiten
seiner Entwicklung von hohem Interesse sein, nicht aber dem Fernestehenden.
In seiner ursprunglichen Art aufbewahrt zu werden, verdient nur das. was grösser
ist als Alles von ihr Geschaffene, was nicht ganz in ihren "Werken sich objektiviren
und ausleben kann: die Persönlichkeit. Eine solche Individualität, die bedeutender
war als ihre Schöpfungen, die über eine grosse Zahl der ihr durch gleiche Stellung
Verbundenen hinausragte und, das sicherste Zeichen ihres Werthes, selbst ihren
Gegnern imponirte. war Adolf Exner.
Den Schlüssel zum Verständniss dieser Persönlichkeit bieten zunächst ihre
Lebensschicksale. Eine Individualität wie Exner konnte sich in ihrer Eigenart
nur entwickeln dank der hohen Gunst der Umstände, unter denen sie entstand.
Wenn irgend Jemand ein Liebling der Götter genannt zu werden verdiente, so
war er es. Das lehrt schon ein flüchtiger Blick auf sein Werden und Wachsen. Am
3. Februar 1841 zu Prag als ältester Sohn Franz Exuers geboren, der im Vereine
mit Bonitz die grosse Beform des österreichischen Unterrichtswesens anbahnte, die an
den Kamen des (trafen Leo Thun geknüpft ist, kam er bereits 1848 nach Wien,
so dass er sich stets als Wiener betrachten und fühlen konnte. Dass er, erst
zwölfjährig, den Vater verlor, ist wohl der einzige schwere Schicksalsschlag
gewesen, der ihn während seines ganzen Lebens getroffen hatte. Das Andenken
an den ihm so früh Entrissenen blieb in ihm stets lebendig, in seinem Geiste zu
wirken und zu schaffen, war ihm nicht nur Familientradition, sondern auch
innerstes Bedürfnis» des Herzens. Trotzdem seine Familie nun des Hauptes beraubt
war, blieben ihm schwere Sorge um Gegenwart und Zukunft dennoch fern. Er
genoss die gründlichste Erziehung, vollendete seine Studien in Wien, besuchte
die Universitäten Berlin und Heidelberg, und 1866 bereits konnte er sich an
der Wiener Universität als Privatdozent des römischen und österreichischen (Zivil-
rechtes habilitiren, und zwar unter den Auspicien Ungers. des Mannes mit dem
warmen Herzen und dem kühlen Kopfe, wie Exner selbst seinen Lehrer und
Freund eharakterisirte. Unter der liebevollen und ermuthigenden Leitung Ungers,
der ihm schon als Studenten Aufmerksamkeit und Förde rang zugewendet hatte,
war er rasch und sicher die erste Staffel zu einer glänzenden akademischen Lauf-
bahn emporgestiegen. Die Zeit des Bangens und Kämpfens um eine sichere
Stellung, die so Manchem die besten Jahre jugendfroher Thätigkeit vergällt, hat
er kaum kennen gelernt. Während in Österreich in der Kegel viele Jahre
peinigender Ungewissheit verstreichen müssen, ehe dem Dozenten die Aussicht auf
einen festen, unentziehbaren Wirkungskreis winkt, ist er nach blos zweijähriger
Thätigkeit als Privatdozent, die Zwischenstufe des Extraordinariats überspringend,
sofort als ordentlicher Professor nach Zürich berufen worden. Dort verlebte er
vier behagliche Jahre stiller Arbeit, und 1872, nach dem Abgänge Iherings
nach Göttingen, wurde ihm. dem Einuuddreissigjährigen. der erste und ange-
sehenste Lehrstuhl zu Theil. den die österreichischen Juristenfakultäten zu vergeben
haben. Hier hat er nun alsbald die höchsten Erfolge als Lehrer errungen. l>en
so abstrakten Stoff seines Faches mit anschaulicher Klarheit darstellend und be-
lebend, wusste er die Zuhörer umsomehr zu fesseln, als er das absichtlich Lehr-
hafte in seinem Vortrage so viel als möglich zu vermeiden strebte. Die sorgfältig
Digitized by Google
Adolf Exner.
224
vorbereiteten Vorlesungen machten den Eindruck des Extemporirten, sie schienen
auf dem Katheder selbst zu entstehen, so dass der Zuhöi-er den Geist des
Lehrers in seiner unmittelbaren schöpferischen Thätigkeit zu belauschen vermeinte.
Zur Befriedigung über eine grosse und tiefwirkende akademische Thätigkeit und
der steigenden Anerkennung, die dem Schriftsteller zu Theil wurde, gesellte sich
bald der Besitz idealen Familienlebens. Im Verein mit einer liebenswerthen und
geliebten jugendlichen Gattin schuf er sich ein stilles, mit vornehmem künstlerischen
Sinne geschmücktes Heim, wo er im Kreise der Seinen und weniger erlesener
Freunde edelsten Lebensgenuss fand. Als einem Auserwählten unter Zahllosen war
rs ihm vergönnt, das Leben selbst zum Kunstwerke zu gestalten, mit apollinischer
Heiterkeit die Schwere des Daseins sich zu verklären.
Unter solchen seltenen Lebensbedingungen allein konnte die Natur Exners
nach ihrem inneren Gesetze sich frei entfalten. Klarheit und Schärfe des Geistes,
(ileichmaass des Empfindens, Sicherheit im Entschliessen , Ruhe im Handeln,
Behagen im Geniessen, Gleichmuth im Ertragen waren ihr zu eigen. Ein Hauch
antiker Lebensfreude war über diese Gestalt gebreitet, die mit epikureischer
Alaraxie durch ein unbefriedigtes, in sich zerrissenes Zeitalter schritt. Frei von
Leidenschaft hatte er einen seltenen Sinn für die Realität der Dinge: für das
Wirküche im Erkennen, für das Mögliche im Erreichen. Sein klarer, durch-
dringender Verstand wurde in seinem Urtheile über Menschen und Situationen
niemals durch Liebe und Hass getrübt. Er war Meister in der schweren Kunst,
Fühlen und Denken gänzlich auseinanderzuhalten. Darum hat er niemals einen
(iegner unter-, einen Freund überschätzt. Mit dieser Eigenschaft verband er
eine Fähigkeit der Selbstbeherrschung, wie ich sie in ähnlichem Maasse niemals
bei einem Anderen angetroffen habe. In der Zeit, während welcher ich neben ihm
der Wiener Juristenfakultät angehörte, war dieses Collegium mit erbittertem Zwist
und Kampf erfüllt; da sprach er denn selbst während der heissesten Debatten
stets kühl, sachlich und mit der ihm eigentümlichen epigrammatischen Schärfe
und zwar auch dann, wenn er im innersten Herzen an dem Gegenstände des
Kampfes betheiligt war. Er hat niemals ein heftiges oder auch nur ein starkes
Wort gebraucht, ja er besass die fast unbegreifliche Fähigkeit, die gröbsten
persönlichen Angriffe schweigend hinzunehmen. Gerade aber dieser Gleichmuth
machte ihn gefürchtet und gab ihm eine unvergleichliche Überlegenheit in der
Diskussion. Dabei war es sein unverrückbares Prinzip, alles Amtliche rein sach-
lich zu behandeln, und er zeigte daher niemals Gereiztheit oder auch nur Ver-
stimmung im persönlichen Verkehr mit Gegnern, wie er denn überhaupt .ledermann
unter allen Verhältnissen in der gleichen ungezwungenen Weise zu behandeln
wusste. Seine Ruhe und Klarheit, seine Menschen- und Sachkenntniss bewährten
sich am glänzendsten, wenn er akademische Geschäfte zu leiten hatte. Das hat
sich während seines Dekanates 1HH3 H4 gezeigt, wo er unter schwierigen Ver-
hältnissen meisterhaft die Angelegenheiten der Fakultät verwaltete. Dass er
später als Rektor seinen feinen Takt und sein grosses administratives Talent in
hervorragendem Maasse bethätigte, hat mir ein hoher Beamter des österreichischen
Unterrichtsministeriums mit bewundernder Anerkennung erzählt.
In Deutschland und der Schweiz hat Exner seine idealen Anschauungen
von den Aufgaben und der Stellung der Universitäten, von den Rechten und
Pflichten der akademischen Lehrer gewonnen. Die österreichischen Universitäten
haben zwar durch das grossartige Reformwerk Leo Thuns einen gewaltigen
Aufschwung genommen, allein das Vorbild der deutschen Hochschulen Ist nicht
in allen Stücken glücklich kopirt worden. Vor Allem ist die Selbständigkeit
der österreichischen Universitäten gegenüber der Regierung weitaus geringer als
Digitized by Google
225
Biographische Blätter.
die der deutschen, der Professor viel mehr durch Rücksichten nach Oben in
seinem ganzen Auftreten gehemmt, als sein deutscher Kollege. Dass die Universi-
täten als Korporationen sich an die Spitze einer grossen öffentlichen Aktion stellen
könnten, wie es jüngst in Preussen während des Kampfes gegen das Zedlitzsehe
Volksschulgesetz der Fall war, das wiire in Österreich ein ausserhalb des Bereiches
jeder .Möglichkeit liegender Vorgang. So sehr Exner nuu als Professor in politischen
Dingen eine reservirte Haltung einnahm, so hat er es doch stets für seine Pflicht
gehalten, wo die Umstände es erforderten, mit seiner ganzen Person für das öffent-
liche Ansehen und die Würde der Universität einzutreten, unbekümmert darum,
ob ihin daraus Widerwärtigkeiten haben erwachsen können. Der einzige i>olitische
Sc hritt der Wiener Univei-sität in den letzten Decennien. ein Protest gegen das
Verhalten eines für das Taaffesche System begeisterten Rektors im niederöster-
reichischen Landtage, Ist von ihm ausgegangen und hat ihm heftige Gegnerschaft
mancher Genossen und das äusserstc Missfallen der Regierung zugezogen, das er
in seinem unerschütterlichen Gleichmuthe ruhig ertrag.
Das Blühen und Gedeihen der Universität lag ihm sehr am Herzen. Hier
war der Punkt, wo die scheinbar so kühle Natur Exners die ganze ihr inne-
wohnende Wärme offenbarte. Bei seiner genauen Kenntnis* der akademischen
Verhältnisse wusste er, dass in Österreich das Wachsthum der Universitäten von
der Qualität ihrer Lehrer viel unabhängiger sei, als in Deutschland, wo im
eigensten Interesse Regierungen und Fakultäten wetteifern, die tüchtigsten Männer
auf die Lehrstühle zu berufen, wo weite Kreise der Nation sich dauernd und
lebhaft für die Universitäten interessiren. In Deutschland ist es Regel, dass der
Student von Universität zu Universität wandert, um den oder jenen hervorragenden
Lehrer zu hören, ein bedeutender Mann sieht die Schüler aller Culturnationen zu
seinen Füssen. Das gehört in Österreich vorderhand zur Ausnahme, da ent-
scheiden fast immer ganz andere Rücksichten bei der Wahl einer Universität.
Damm klagte auch Exner unaufhörlich, dass es in Österreich keine öffentliche
Meinung in Sachen der Wissenschaft und ihrer Männer gebe, dass häufig der
richtige Maassstab, manchmal sogar der gute Wille zur sicheren Beurtheüung der
neu zu beratenden Dozenten in den entscheidenden Kreisen inangle. Er war nun
sorgfältig darauf bedacht, nur den Würdigsten z,im Genossen zu wählen, und
niemals hat er den Bequemsten und Nächsten mit dem Besten verwechselt. Vor
Allem war er ein energischer Vertreter der Zusammengehörigkeit der öster-
reichischen und deutscheu Universitäten, er fürchtete den Verfall der heimischen
Hechschulen, wenn man es nicht verstände, über der staatlichen Spaltung die alt*'
nationale Einheit der Universitäten deutscher Zunge zu erhalten. Noch als ich
ihn das letzte Mal sah. sprach er mit mir lebhaft davon und zwar dies Mal mit
einem Zuge schmerzlicher Resignation. Die politischen Verhältnisse Hessen ihn
düster in die Zukunft der heimischen Universitäten blicken. Diese Sorge und
dieses Weh sind meine letzten Erinnerungen an den persönlichen Verkehr mit ihm.
Mit ihm ist auch ein wichtiges persönliches Bindeglied zwischen den akade-
mischen Lehrern Österreichs und Deutschlands dahingegangen. Durch seine liebens-
würdige, geistvolle, ungezwungene Art hat er sich an den deutschen Universitäten,
wo man ja lange dem Österreicher mit einer, noch heute nicht überall ganz ver-
schwundenen Reserve gegen übertrat, viele warmen Freunde erworben. Als ich im
Summer 18H(5 mit ihm gemeinsam dem Jubiläum der Universität Heidelberg bei-
wohnte, da konnte ich beobachten, wie sehr ihm die Kunst zu eigen war, Menschen
zu gewinnen und zu fesseln, und manchem Mitgliede jener erlauchten Fest Ver-
sammlung, die ihres Gleichen noch nicht gefunden hat. ist er dauernd in freund-
lichster Erinnerung geblieben. Nachdem er vor einigen Jahren eine Anfrage der
Digitized by Google
Adolf Exner.
22C>
leipziger Juristenfakultät, ob er Windscheids Nachfolger werden wolle, ablehnend
beantwortet hatte, wurde einmal vor mir im geselligen Kreise die Frage aufge-
worfen, ob er, der Wiener, wohl in die ganz anders gearteten akademischen und
sozialen Verhältnisse der nordischen Universität gepasst hätte. rl)er passt Uberall
hin-, ertönte es sofort aus dem Munde Theodor Mommsens, der, im Lobe sonst
karg, mit grosser Wärme Exners Vorzüge pries und den ausserordentlich günstigen
Eindruck schilderte, den er nicht lange vorher in der Berliner Gesellschaft bei
Gelegenheit eines kurzen Besuches gemacht hatte.
So gesättigt an Gaben der Natur und des Schicksals liess er Dinge und
Menschen ruhig an sich herankommen. Kr suchte Niemanden auf, sondern zog
die. welche ihm zusagten, durch die Macht seines Weesens an sich. Die einzige
Ausnahme vielleicht, die er darin machte, fand vor vielen Jahren auf einem
bayerischen Bahnhofe statt, wo er mit dem Fürsten Bismarek zusammentraf.
Von dem Verlangen getrieben, dem gewaltigen Manne zu nahen, wagte er es, dem
Fürsten eine Zigarre anzubieten, die dieser mit der grössten Liebenswürdigkeit
aeeeptirte. Unvergesslieh war ihm der sich tief in die Seele bohrende BWek ge-
blieben, mit dem ihm der Fürst ins Antlitz sah, bevor er die dargereichte Gabe
entgegennahm; das Lächeln, das diesem langen Blicke folgte, bewies, dass er vor
diesem grossen Menschenkenner in heikler Situation die Probe bestanden hatte.
Zu näherem Umgänge und gar zu Freunden wählte er die Besten und
darum nur Wenige aus; wer ihm nicht durchaus zusagte, den wusste er von
sich fern zu halten. Die dem Wiener Volkscharakter so zusagende Allerwelts-
freundschaft, in der leider so häufig Schwäche mit Tücke sich paart, hat er stets
verachtet. Trotz eines ausgesprochenen diplomatischen Zuges in seinem Wesen
wusste daher .leder, woran er mit ihm war. Den Freunden war er ein treuer
Berather, man vertraute sich ihm gerne an, da seine überlegene Ruhe und sein
praktischer Scharfblick auch die dem Nächsten vorgezeichnete Bahn oft besser
erkannte als dieser selbst. Er war auch stets zu freundschaftlicher That bereit,
wenn ihr nach seinem Ermessen ein möglicher Erfolg beschieden war. Für das
Unmögliche und das Unnütze hat er sich nie eingesetzt, weder für sich, noch für
Andere.
In politischen Dingen war er einem maassvollen Fortschritt zugethan. Alles
Radikale war ihm durchaus unsympathisch, im Sinne der extremen Parteien war
er daher eher als konservativ zu bezeichnen. Auch politischen Einfluss hat er
niemals gesucht. Ein Mandat für das Abgeordnetenhaus hat er zurückgewiesen.
Aber auch eine hervorragende politische Stellung wurde ihm schliesslich ungerufen
zu Theil. Er ward Mitglied des Reichsgerichtes und des Herrenhauses. In beiden
Kollegien stellte er sofort seinen Mann. Im Reichsgericht imponirte er, wie der
Präsident dieses Tribunals bezeugt hat . durch die siegreiche Klarheit seiner
Argumentation, die nicht leicht mit ebenbürtigen Waffen zu bekämpfen war. Im
Herrenhause, dem er erst seit dem Ende des Jahres 18t»2 augehörte, hat er sich
in kurzer Zeit die höchste Achtung erworben, namentlich seitdem er das Referat
in der Kommission zur Berathung des Gesetzes über das Urheberrecht erhalten
hatte. Er schrieb mir damals mit hoher Befriedigung, Arie es ihm gelungen sei,
die ersten praktischen Juristen der Monarchie zu seinen Ansichten zu bekehren,
— es war das erste Mal. dass er selbst mit Stolz eines seiner Erfolge erwähnte.
Seitdem er Mitglied des Herrenhauses geworden war, hatte ich die Uberzeugung,
dass er zu einer leitenden Stellung im Staate berufen sei. Als ich ihm gegenüber
dieser Überzeugung Ausdruck gab, hat er sie nicht abgewiesen, der Ehrgeiz
schien nun doch in ihm envacht zu sein. Er wäre sicher ein ausgezeichneter
Minister geworden: seine Kunst, Menschen zu erkennen und zu behandeln, sein
Biographische Blatter. I. 15
Digitized by Google
227
Biographische Blatter.
Talent, zu organisiren und zu verwalten, hatten »ich in solcher Stelle erst recht
entfalten können. Und doch war es vielleicht auch eine Fügung der ihm so gnädig
gesinnten Götter, dass sie ihn scheiden liessen. bevor sein Lebensweg in neue
Kuhnen eingelenkt hatte. In einem so schwer zu regierenden Staate wie Öster-
reich verlassen die leitenden Personen ihre hohen Stellungen selten ohne tiefe Ent-
täuschungen, ohne bittere Opfer an Ansehen und allgemeiner Werthschätzung.
Das ist ihm erspart geblieben, mit ihm ist eine reiche Zukunft ins frühe Grab
gesunken, er hatte niemals eine Vergangenheit zu beklagen.
Als bleibendes Denkmal seines Namens stehen seine Werke da, die zu
wttrdigen liier nicht der Ort ist. Seine Lehre vom Rechtserwerb durch Tradition,
sein österreichisches Hypothekenrecht., seine Abhandlung über den Hegriff der
höheren Gewalt haben in der juristischen Litteratur ihre bleibende Stelle ge-
funden. Von seinem vielseitigen, über sein Fach weit hinausgreifeuden Wissen hat
seine vielumstrittene Rektoratsrede über politische Bildung glänzendes Zeugnis*
abgelegt.
Unter den mächtigen Arkaden des Hofes der Wiener Universität, wo vor
Kurzem die Höste Franz Exners enthüllt wurde, wird wohl bald auch das Hild
seines Sohnes eine Stätte finden, der die väterlichen Traditionen in Pietät und aus
eigenem Antriebe fortgesetzt hat. Dort soll es auf die einander ablösenden
Generationen der Lehrer und der Lernenden blicken, sie mahnend, die echte
akademische Freiheit zu wahren und zu bethätigen, die in der Abwehr
banausischer, in der Pflege reiner und hoher Gesinnung besteht. Der alte
Segenswunsch, der auf die ehrwürdige Alma mater Wachsen, Blühen und Gedeihen
herabfleht, kann nur dann erfüllt werden, wenn der Geist lebendig bleibt, von
dem auch Adolf Exner beseelt war.
■ <S=
Natanael Pringsheim.
Von
E. ROTH (Halle).
Mit Natanael J'ringsheim ist ein Fürscher dahingegangen, dessen Andenken allein
desshalb niemals verlöschen wird, weil es ihm als ersten vergönnt war, im Pflanzenreiche
die Vereinigung des mitnnliehen Bcfruehtungskörpers mit dem weiblichen Ei zu beobachten
und nachzuweisen. Diese Entdeckung, diese fundamentale Wahrnehmung, welche man bis
dahin nur zu ahnen vermochte, sichert ihm für alle Zeiten einen Ehrenplatz unter den » ie-
lchrten, ihm, welcher mit zu den Begründern der modernen Botanik zHhlt und dieselbe in
so hervorragendem Maasse förderte. Oeboren wurde N. Pringsheim am 30. November 1823
zu Wziesko in Oberschlesien als Sohn eines begüterten Industriellen, dessen Kinderschaar
bis auf neunzehn anwuchs. Die Schule besuchte er zuerst zu Oppeln, um dann auf das
Friedrichs-! iymnasium zu Breslau überzugehen, wo er sich das Zeugniss der Beife erwarb.
Die eisten Universitiitsstudien Hessen den AnfUngcr sich den philosophischen Disziplinen
in Breslau zuwenden, doch bald trat er zur medizinischen Fakultät über, die er dann mit
der in Leipzig vertauschte. Nach einem abermals nur kurzem Aufenthalte wandte er sich
Berlin zu, wo er sowohl medizinischen wie philosophischen Studien oblag. Als Frucht der
letzteren, die hauptsächlich der Botanik galten, entstand seine Dissertation, mit welcher er
lS-ls in Berlin den philosophischen Doktorgrad erwarb. O einstige materielle Umstände
verstatteten es dem jungen Oelehrten. sich zuerst in der Welt etwas umzusehen, und so
finden wir ihn denn in Paris mit botanischen Arbeiten wiihrend eines Jahres beschHft igt ;
Digitized by Google
Natanael Pringsheim.
•228
dort schloss er ein intimes Freundschaftsbündniss mit K. Hörnet, welchen er die Freude
hatte in der zweiten Generalversammlung der Deutschen botanischen ( Jesellschaft im Jahre
1884 zum Ehrenmitgliede der letzteren erwählt zu sehen.
Gerade die niederen Pflanzen zogen Pringsheim an, und ihnen hat er denn fast seine
ganze so unermüdliche Arbeitskraft während seines thatenreichen Lebens gewidmet. Bereits
1*50 hat er die Entwicklungsgeschichte von Achlya prolifcra studirt. eine Untersuchung,
welche von der Kais. Tjeopold. Akademie der Naturforscher zum Druck befördert wurde.
Ihr folgten bald algologische Mittheilnngen in der Flora, bis sich der Arbeitsplan
mehr und mehr dem Bau und der Bildung der Pflanzenzelle überhaupt zuneigte; als Nieder-
schlag dieser Studien erschien 1852 ein umfangreicheres Werk. Nunmehr wandte sich Pringsheim
der Entwicklung der niederen Algen zu, wobei er 1855 die geschlechtliche Fortpflanzung
von Vaucheria torrestris nachwies. Ci rosse Aufregung rief diese Entdeckung hervor, zum
ersten Male gelang es. im Pflanzenreiche darzuthun, wie die Sperma tozoen. denen jetzt erst
diese Bezeichnung mit Recht zukam, bei der Berührung mit der weiblichen Eizelle
ihr Protoplasma mit der letzteren vereinigten. Wohl hatte Thuret die vorbereitenden
Schritte gethan und die geschlechtliche Befruchtung geahnt und vorausgesehen, aber das
Verdienst, dieselbe zuerst sinnlich beobachtet zu haben, gebührt unserem Pringsheim voll
und ganz. Was Wunder, dass dieser so wichtige Fund seinen Entdecker mit einem
Schlage berühmt machte, und nur als eine wohlverdiente Anerkennung vermag man es zu
bezeichnen, dass die Berliner Akademie Pringsheim 1860 zu ihrem Mitgliede wählte.
Bereits vorher hatte aber unser Gelehrter ein Unternehmen ins Leben gerufen, welches
"einen Namen ständig auf den Lippen aller Botaniker erhält: es war die Schaffung der
Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik, welche er 1858 gründete, sie, welche
als Pringsheim's Jahrbücher überall kurz zitirt weiden. Welche Füllo von Be-
obachtungen liegt in dieser Zeitschrift, welche jetzt bis zum 28. Bande gediehen ist nieder-
gelegt welch' reiche Anregung ging von ihrem Inhalt aus. und wie besorgt war der Her-
ausgeber stets für diese seine Schöpfung, damit die Wissenschaftlichkeit nicht sänke und
gefährdet werde.
Lange freilich blieb Pringsheim zunächst nicht im Schoosse der Berliner Akademie,
•ienn 1864 folgte er einem Hufe nach .Jena als ordentlicher Professor der Botanik an dieser
Hochschule, obwohl Berlin bereit« damals Anstrengungen machte, sich diesen Forscher zu
erhalten: so wollte man ihn an die Spitze eines pflanzenphysiologischen Laboratoriums
stellen, doch die Unterhandlungen zerschlugen sich. Was aber in der Hauptstadt Preussens
damals nicht möglich war. vollzog sich in dem kleinen thüringischen Städtchen, dem denn
die Ehre zufiel, dass in ihn» das erste botanische Lal>oratorium begründet wurde, welchem
spater derlei Institute an allen deutschen Universitäten und Hochschulen folgten, meist als
Kopiecn jener ersten Anstalt Nur vier .Jahre lehrte Pringsheim in Jena, wo ihn eine ge-
wisse Kränklichkeit an einem behaglichen Arbeiten hinderte und die Lehrtätigkeit eine
dauernde Unterbrechung seiner Untersuchungen forderte. So kann man es denn nur als
eine vortheilhafte Wendung seines Lebens bezeichnen, dass er 1868 wieder als Mitglied der
Akademie nach Berlin zurückkehrte, wo er sich ein eigenes Laboratorium in eigenem Hause
schuf und nie mehr die Lehrkanzel betrat. Schwer ist es. in einem kurzen Hahmen die
I/eistungen unseres Gelehrten zusammenzudrängen, zumal sich dieselben auf so verschiedene
Gebiete erstreckten. Wir wollen desshalb nur bei einigen Einzelheiten verweilen und im
Eitrigen auf die am Schluss folgende Zusammenstellung seiner Arbeiten verweisen, welch«
bibliographisch genau durch Angabe der Seiten auch den jeweiligen Umfang erkennen lassen.
Von dem zweiten Berliner Aufenthalt nn treten hauptsächlich physiologische Studien
in den Vordergrund von Pringsheim's Arbeiten, die Assimilation beschäftigte ihn dauernd
und namentlich die Zersetzung der Kohlensaure durch die Thütigkeit der (Jewüchse. ( bor
das Chlorophyll veröffentlichte er mehrere Schriften, welche sKmmtlich den subtilen Arbeiter,
den überaus sorgfältigen Beobachter und fesselnden Darsteller verrathen. Freilich haben
15*
Digitized by Google
220
Biographische Blätter.
«eine Resultate nicht stets die Zustimmung der anderen Botaniker gefunden, doch ist die
Anerkennung seiner Forschungen Uber den Hinttuss des freien Sauerstoffes auf die Ro-
tation und Cirkulation des Protoplasmas seitens der Fachgenossen wohl ohne Ausnahme
gesichert Nicht so unbestritten ist seine Ansicht, dass das Chlorophyll als Schutz für das
Protoplasma gegen das Licht hauptsächlich wirke.
Dauernd wird der Name des Gefeiorten auch in der Pringsbeim'schen Gaskammer
fortleben, eine Frucht seiner langwierigen Untersuchungen, welche leider nicht zu einem
umfassenden Werke zusammengefaßt sind, wenn auch werthvolle Vorarbeiten, einzelne
fertige Abschnitte, wie sie in den Veröffentlichungen vorliegen, und eine grosse Anzahl
Zeichnungen in groben Umrissen eine Pbytophysiologie erwarten Hessen.
Daneben gingen Pringsheims Bestrebungen, eine Deutsche botanische Gesellschaft in
das Leben zu rufen, ein Plan, welcher auf der Naturforscher- und Arzte -Versammlung zu
Eisenach im Herbst 1882 verwirklicht wurde. Wahrlich, nur einem Pringsheim haben wir
es zu danken, dass dem Anfangs Juni versandten Aufruf zur Gründung einer derartigen
Gemeinschaft so zahlreich entsprochen wurde, nachdem er so manches widerstrebende
Urtheil bekämpft und so manchen lauen Fachgenossen zur eifrigen Botheiligung angestachelt
hatte. Bereits bis zum 1. Juli 1882 hatten 288 deutsche Botaniker ihren Beitritt an-
gemeldet, während heutzutage die Zahl auf Über 400 gestiegen ist und sich nicht auf die
deutschen Grenzen beschränkt Die Gesellschaft ehrte dann auch den geistigen Gründer
dadurch, dass sie ihn stets bis zu seinem Hinscheiden zum Präsidenten wählte, als welcher
er die Generalversammlungen jährlich zu leiten hatte. Aber auch andere Ehre ward dem
Forscher zu Theil. So sei darauf hingewiesen, dass er bei der Kaiserlich Leopoldino-
Carolinischen Deutschen Akademie der Naturforscher Mitglied des Vorstandes der Fach-
war; so sei daran erinnert, dass viele andere Akademieen wie wissen-
schaftliche Gesellschaften es sich zur Ehre schätzten, ihn unter ihren korrespondirenden,
auswärtigen oder Ehren-Mitgliedern zu führen. Stattlich war die Zahl dieser Vereine,
welche dem Jubilar zu seinem 70. Geburtstage ihre Huldigung am 30. November 1893 dar-
brachten, von dem es in einer Adresse so richtig hiess: «Ein Leben wie das Ihrige, das
in selbstloser Hingabe einzig und allein der Wissenschaft geweiht ist geniesst seinen Lohn
in der allgemeinen Verehrung, die demselben in den weitesten Kreisen der wissenschaft-
lichen Welt entgegengetragen wird." Was will es dagegen sogen, dass die Königliche
Regierung ihm 1888 den Titel eines Geheimen Regierungsrathes verlieh, ihm, der niemals
nach äusseren Ehren geizte.
Am 6. Oktober 1894 raffte den greisen Gclohrten, dessen letzte Veröffentlichung
bereits aus dem Jahre 1888 stammt, eine Bronchitis hinweg; freilich haben wir die Hoffnung,
aus seinem Nachlass noch eine Arbeit über das Wachsthum der chemischen Contactmem brauen
zweier sich berührenden Flüssigkeiten zu erhalten.
Was Pringsheim's sonstiges Lehen anlangt, so vermählte er sich am 20. Mai 1851
nach langer Verlobungszeit mit Henriette Guradze. deren Heimath ebenfalls Schlesien war.
Das Familienleben war äusserst glücklich; drei Töchter entsprangen der Ehe, deren mittelste
bereits als Kind starb; die lilteste ist an den Chemiker Ladenburg in Breslau verheirathet
die jüngere folgte einem Cohn als Gemahlin. Wer einmal da* Glück gehabt hat, in der
Priugsheimsehen Familie näher zu verkehren, wer ausser den grossen Gesellschaften im
kleineren Cirkel die Vorzüge des Hauses gemessen durfte, wird sich stets der immer gleich-
bleibenden Güte des Khepaares mit Dankbarkeit erinnern, welches trotz der oft so be-
deutenden Unterschiede in den Lebensjuhren sich in die Seele der jüngeren Generationen
zu versetzen verstand und sich in den Herzen derselben eine bleibende Stätte schuf. Den
Tod seiner Frau konnte Pringsheim nicht verschmerzen, er verwand den Schlag nicht mehr.
Namentlich Fachgenossen gegenüber war Pringsheim in jeder Weise gefällig; gern stellte
er sein Laboratorium zur Verfügung, seine Bibliothek mit ihren reichen Schätzen konnte
nachhaltig benutzt werden, werthvolle Fingerzeige halfen dem nicht so bewanderten oftmals
Digitized by Google
Natanael Pringsheim.
230
rascher vorwärts, als mühsames Experimentiren und Lesen von allerhand Büchern: kurz in
jeder Weise war 1 Pingsheim bemüht. Mittel und Wege anzugeben, um jüngere Forscher zu
unterstützen und ihnen zu helfen.
Selbst Uber das Ural» hinaus wird dieser Fürsorge noch Rechnung getragen, insofern
die Krten in richtiger Erkenntniss der Sachlage die Bibliothek des Verewigten der deutschen
botanischen Gesellschaft als beschenk anboten, zugleich mit einer Summe, aus welcher die
fortlaufenden dauernden Ansgahen zu bestreiten seien. Obwohl statutengemäß diese Ver-
einigung nicht den Besitz einer Bibliothek erstrebt, wurde dennoch beschlossen, von dem
hochherzigen Anerbieten Gehrauch zu machen und das Geschenk anzunehmen.
Die .Jahrbücher werden el»enfalls im alten bewahrten Sinne fortgeführt, und es ist
desshalb nicht zu befürchten, dass selbst in unserer schnellebigen Zeit, wo der Blick für
eros.se und l»edeutungsvolle Errungenschaften der Vergangenheit so leicht getrübt ist und
gilnzlich verloren geht, ein Name vergessen wird, dessen Träger uns zu Thatsachen verhalf,
welche heutigen Tages Allgemeingut geworden sind, vorher aber unbekannt waren.
Selbststandig erschienene Werke.
De forma et increniento stratorum crassiorum in plantarum cellula observationes quaedam
novae. Halae 1848. 8°. 36 S. 2 Tafeln. Inaug.-Diss. von Berlin. (S.-A. aus Linnaea.)
Untersuchungen Uber den Bau und die Bildung der Pflanzenzelle. 1. Abth. Grundlinien einer
Theorie der Pflanzenzelle. Berlin 1*54. A. Hirschwald. 4°. VII u. 91 S. 4 Tafeln.
Ueber die Befruchtung und Keimung der Algen und da« Wesen des Zeugungsaktes.
Ebenda 1855. 8». 33 S.
Zur Kritik und Geschichte der Untersuchungen über das Algengeschlocht Ebenda 1854.
IV u. 75 S.
Cher Richtung und Erfolge der cryptogamischen Studien neuerer Zeit. Jena 1865.
F. Frommann. 8°. 29 S. Öftentliehe Rede zum Eintritt in die philosophische 'Fakultät
der Universität Jena, gehalten am 20. Okt. 1864.
Abhandlungen der Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
1S62. S. 1—37. 8 Tafeln. Beitrüge zur Morphologie der Meeresalgen.
1873. S. 137 191. 11 Tafeln. Über den Gang der morphologischen Difterenzirung in
der Sphacelarien-Keihe.
Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der
Kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
1855. S. 133—165. 1 Tafel. Über die Befruchtung der Algen.
(Forts, als Monatsberichte.) Aus dem Jahre:
1856. S. 225 - 237. 1 Tafel. über die Befruchtung und den Generationswechsel der Algen.
1857. S. 315— 330. Über die Befruchtung und Vermehrung der Algen.
1*60. S. 397—401. Antrittsrede in der Akademie. S. 775—794. 1 Tafel. Über die Dauer-
schwärmer des Wassernetzes und einige ihnen verwandte Bildungen.
1862. S. 5 * Beiträge zur Morphologie der Meeresalgen. S. 225 - 231. Über die Vorkeime .
der ('hären.
1863. S. 168— 177. Über die Embryobild uns der Gefüsskryptogamen und das Wachsthum
von Salvinia natans.
1869. S. 92 116. 1 Tafel. Über die Bildungsvorgänge am Vegetationskegel von Utri-
eularia vulgaris. S. 721 738. 1 Tafel. Über die Paarung von Schwarmsporen, die
morphologische Grundform der Zeugung im 1 Pflanzenreiche.
1871. S. 240—255. 1 Tafel. Über die männlichen Pflanzen und die Schwarmsporcn der
Gattung Brvopsis.
1*72. S. 242*. Beiträge zur Morphologie der Sphacelaceen.
* Nur Titelangabe.
Digitized by Google
231
Biographische Blätter.
1873. S. 483*. lvher den Gang der morphologischen Differenzirung in der Sphacelarionreihe.
S. 484-485. Über die neueren Resultate seiner Untersuchungen an den Saprolegnieen.
1874. .S. 628-659. 1 Tafel. Über die Absorptionsspectra der Chlorophyllfarbstofl'e.
1875. S. 725—759. 1 Tafel. Über natürliche Chlorophyllmodifacationen und die Farbstoffe
der Florideen.
1876. S. 425 429. 1 Tafel. Über vegetative Sprossung der Moosfrüchte. S. 869-911.
Über den Generationswechsel der Thallophyton und seinen Anschluss an den Genera-
tionswechsel der Moose.
1877. S. 447*. Über die Bedingungen, unter welchen phanerogamo Pflanzen im Licht ergrüneu.
1878. S. 532- 546. Über Lichtwirkung und Chlorophyll-Funktion in der Pflanze. S. 860— 878.
über das llypochlorin und die Bedingungen seiner Entstehung in der lHanze.
1881. S. 117—185. Zur Kritik der bisherigen Grundlagen der Assimilationstheorie.
S. 504— 535. 1 Tafel. Ueber die primären Wirkungen des Lichtes auf die Vegetation.
Sitzungsberichte der Kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
1882. S. 855- 890. Neue Beobachtungen ül>er den Befruchtungsakt der Gattungen Achlya
und Saprolegnia. 1 Tafel.
1883. S. 213*. Nachträgliche Bemerkungen zum Befruchtungsakt von Achlya.
1S84. S. 85*. Über die Sauerstoffabgabe im Spektrum.
1886. S. 137—176. über die Sauerstoffabgal>e der Pflanzen im Mikrospektrum. 2 Tafeln.
S. 651—662. Über die vermeintliche Zersetzung der Kohlensaure durch dun
Chlorophyll farbstofl'.
1887. S. 763 777. über die Abhängigkeit der Assimilation grüner Zellen von ihrer
Sauerstofl'athmung. und den Ort, wo der in» Assimilationsaktc der Pflanzenzelle ge-
bildete Sauerstoff entsteht.
1888. 311*. Über die Entstehung der Kalkincrustationcn an Süsswasserpflanzen.
1889. S. 319*. Über alkalische Ausscheidungen der Pflanzen im Licht.
1891. S. 991*. Über die Wachsthunisi ichtung chemischer Niederschläge. Ein experimenteller
Beitrag zur Theorie der Lösungen.
1892. S. 967*. Über Wachsthum chemischer Niederschläge in Gallerte.
Annalen der Landwirthschaft.
Band 44. (Jahrg. 22.) 1864. S. 97— 132. General-Bericht über die von den landwirt-
schaftlichen Akademieen und Versuchsstationen eingereichten Spezialberichte, ihre in
den .fahren 1862 und 1863 ausgeführten Untersuchungen über Kartoffelkrankheit und
das Kartoffelwachsthum umfassend, erstattet von der Central-Konimission für das
agrikultur-chemische Versuchswesen ( Berichterstatter Prof. Dr. Pringsheim). 5 Tabellen.
Band 57. (.Jahrg. 29.) 1871. S. 1— 28. Dritter Bericht der Central-Kommission für da>
agrikultur-chemische Versuchswesen über die in den landw. Akademieen und Versuchs-
stationen eingereichten Spezialberichte, ihre in den Jahren 1868 und 1869 aufgeführten
l'ntersuchungcn über die Kartofl'elkrankheit uud das Kartoffelwachsthum umfassend,
(lief. Prof. l'ringsheim).
Archiv für die gesammte Physiologin des Menschen und der Thiere.
Band XXXVIII. 1886. S. 142-153. Über die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikro-
spectruni. Nach einem Vortrage in der botanischen Section der Naturforscher-
Versammlung in Strassburg am 19. September 1885.
Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft.
Band I. 1883. S. 2*8—308. 1 Tafel. Über Cellulinkorner. eine Modifikation der Cellulose
in Körnerform.
Band III. 1885. S. LXXII- LXXX. Über die Sauerstoffabgabe der Manzen im Mikro-
spektrum.
* Nur Titelangabe.
Digitized by Google
Natanael Pringsheim
232
Band IV. 1886. 8. LXXIX— XC. Über die chemischen Theorien der Chlorophyllfunktion und
die neueren Versuche die Kohlensaure ausserhalb der Pflanze durch den Chlorophyll-
farbstoff zu zerlegen.
S. XC— XCVII. Zur Beurtheilung der EngelmannschenBakterienmetkode in ihrer Brauch-
barkeit zur quantitativen Bestimmung der Sauerstoffahgal>c im Spektrum.
Band V. 1887. S. 294- 807. Über Inanition der grünen Zelle und den Ort ihrer Sauer-
stoffabgabe.
S. IX— XXXIII. Jean Baptiste Boussingault als Pflanzenphysiologe.
Biologisches Centralblatt.
Band VII. 1887. S. 129-132. Abwehr gegen Abwehr.
Botanisches Centralblatt
Band XIV. 1883. Jahrgang 4. Quartal 2. S. 378- 382. Über die vermeintlichen
Amöben in den Schlauchen und Oogonien der Saprolegnieen.
( «mptes rendus hebdoniadaires des seanecs de 1'academie des sciences (de Paris).
Tome XC. Janvier— Juin 1880. S. 101— 165. Remarques sur la chlorophylle.
Landwirtschaftliche Jahrbücher.
Band II. 1873. S. 1— 5 bezw. 106. ( Referent Pringsheim : Aus dem Berichte der Centrnl-
Kommission für das agrikulturchemische Versuchswesen Uber die von Dr. Müller in
Lippstadt ausgeführte botanische Untersuchung der Boker Haide und dessen sich
anschliessende Folgerungen über die l.'rsacho der Knochenbrüchigkeit des Viehes.)
Band V. 1876. S. 1129—1141. (Referent Pringsheini: Vierter Bericht der Centrai-
Kommission für das agrikulturchemische Versuchswesen . . . Uber die von den land-
wirtschaftlichen Akademieen und Versuchsstationen eingereichten Spezialberichte, ihre
in den Jahren 1871—1873 ausgeführten Untersuchungen über die Kartoffelkrankheit
und das Kartoffelwachsthum umfassend.)
Flora.
1852. Neue Reihe Jahrgang X oder der ganzen Reihe Jahrgang XXXV. S. 465—480,
481—492. Algologische Mittheilungen. 2 Tafeln.
Linnaea.
Band V. 1848. S. 145—180. 2 Tafeln. De forma et incremento stratorum crassiorum in
plantarum cellula observationes quaedam novae.
Verhandlungen der Kais. Leopoldiniscb-Carolinisehen Akademie
der Naturforscher. (Nova acta . . .)
Band 15. 1851. S. 395—460. 5 Tafeln. Die Entwicklungsgeschichte der Achlya prolifera.
Verhandlungen des botanischen Vereins der Provinz Brandenburg.
Jahrg. 17. 1875. S. 4*. über die Absorptionsspektra der Chlorophyllfarbstoffe.
. 18. 1876. S. IIIL*. Über Sprossung der Moosfrüchte.
. 21. 1879. S. 121 122. Mikroskopische Photochemie.
Botanische Zeitung.
Jahrg. 9. 1851. S. 97— 103, 113—120. 1 Tafel. Entwicklungsgeschichte des Stempels,
des SamentrHgers und der unbefruchteten Samenknospen von Mereurialis annua.
, 11. 1853. S. 241-244. 1 Tafel. Notiz über die Sehleuderer von Equisetum.
. 13. 1855. S. 302-304. Erklärung.
, 28. 1870. S. 265—272. Einige erläuternde Bemerkungen zu den Folgerungen aus
seinen Beobachtungen über Schw'lrmsporen-Paarung.
. 37. 1879. S. 789—797. 811 815. Über die Liehtwirkung und Chlorophyll-Fiuiktion
in der Pflanze. ( Aus dem Monatsbericht d. Kgl. Ak. d. Wiss. zu Berlin 1879.)
- 45. 1887. S. 200—204. Abwehr gegen Abwehr.
Digitized by Google
233
Biographische Blätter.
Jahrbücher für wissenschaftliche Betanik.
Bd. 1. 1858. S. 1— 81. 6 Tafeln. Beiträge zur Morphologie und Systematik der Algen.
1) Morphologie der Oedogonien. S. 284—306. 3 Tafeln. 2) Die Saprolegnieen.
S. 189—192. 1 Tafel. Cber das Austreten der Sporen von Sphaeria Scirpi au*
ihren Schläuchen.
„ 2. 1860. S. 1-38. 6 Tafeln. Beiträge zur Morphologie und Systematik der Algen.
3) Die Coleoehaoton. 4) S. 205 -236. 4Taf. Nachträge zur Morphologie der Saprolegnieen.
S. 470—481. Nachtrag zur Kritik und Geschichte der Untersuchungen über das
Algengeschlecht
„ 3. 1863. S. 294 -324. 5Taf. Über die Vorkeime und die nacktfüssigen Zweige der ('hären.
S. 484—541. 6 Tafeln. Zur Morphologie der Salvinia natans.
m 9. 1873/74. S. 191-234. 5 Tafeln. Weitere Nachträge zur Morphologie und Systematik
der Saprolegnieen.
, 11. 1878. S. 1—46. 2 Tafeln. Ober Sprossung der Moosfrüchte und den Generations-
wechsel dor Thallophyten.
* 12. 1879/81. S.288-437. 16Taf. Über Lichtwirkung und Chlorophyllfunktion in der Pflanze.
„ 13. 1882. S. 337—488. über Lichtwirkung und Chlorophyll funktion in der Pflanze.
Offenes Schreiben an die philosophische Fakultät der Universität Würzburg zur Abwehr.
„ 14. 1884. S. 111 — 131. Nachträgliche Bemerkungen zu dem Befruchtungsakte von Achlya.
. 17. 1886. S. 162— 206. 2 Taf. Über die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
. 19. 1888. S. 138—154. über die Entstehung der Kalkincrustationen an Süsswasserprlanzen.
C§3
Stadion über Gentz.
Eine Mittheilung.
Von
AUGUST FOURNIER.
Der Berieht über das Jahr 1807 ist einer der kürzesten in den sogenannteu
Tagebüchern Friedrich von Gentz', gleichwohl nicht ohne Inhalt. Eine leidenschaft-
liche Schwärmerei für die Herzogin .leannc von Kurland eröffnet den Heigen. Sie
wird abgelöst, von einer denkwürdigen Zusammenkunft mit dem Grafen Goetzen, dem
heldenhaften Vertheidiger Schlesiens gegen die Franzosen und die Rheiubunds-
truppen, in Nachod, aus der eine Denkschrift resultirte, in welcher Gentz dem
Minister des Äussern Grafen Stadion die Besetzung der schlesischen Festungen
empfiehlt, wozu Preussen seine Zustimmung nicht verweigern würde*). Das
Unternehmen erschien dem Wiener Hofe zu abenteuerlich; Österreich hlitte Partei
gegen Napoleon nehmen müssen, und dazu fehlten Muth und Kraft, wenn auch
Kaiser Franz schon im Oetober 1806 vorahnend gefürchtet hatte, „dass auf die
letzt Frankreich und Kussland gar über eine Theilung Europens unter ihrer
Gewalt einig werden dürften", und obgleich sein Minister die entschiedenste
Gegnerschaft wider Napoleon als Österreichs wichtigste Pflicht bezeichnete. Gentz,
der als Kaiserl. Rath dem auswärtigen Amte zugetheilt war, lebte damals in
Prag, denn in Wien wäre sein Aufenthalt zu koinpromittirend erschienen. Kr
war trotz Austerlitz und Jena noch immer erfüllt von der Notwendigkeit, alle
Kräfte in Europa zu sammeln gegen den grossen Eroberer und unterhielt deshalb
eifrigst seine Beziehungen zu Engländern und Russen, Beziehungen, die sich für
*) Diese Denkschrift ist von mir im Feuilleton der „Neuen freien Presse" im März
1882 auszugsweise veröffentlicht wordon.
Digitized by Google
Stadion Ober Genta.
234
ihn in klingender Münze ausdrückten. „In der Zwischenzeit " — sagt das Tage-
buch — „hatte ich von Adair (dem englischen Botschafter) aus Wien ">O0 L. St.
erhalten*. Und kuiv. darauf: „Am 14. Mai erhielt ich vom Fürsten Czartoryski
ans Petersburg, ziemlich unerwartet, 500 Dukaten, und nicht lange nachher einen
Brillanten-Ring, der ungefähr 400 Dukaten werth gewesen zu sein scheint".
Dazu kam Verkehr mit deutschen Malcontenten. ..Kine Entrevue in Peterswalde
mit Buol und Boseu, heisst es an einer andern Stelle.
Vou alledem erhielt die Geheimpolizei in Böhmen Kenntniss, und Gentz
wurde dem Oberstburggrafen, zu jener Zeit war es Graf Wallis, interessant und
verdächtig zugleich. Kr Hess den genialen Publizisten genau beobachten und
erfuhr, zumeist durch dessen Freund, den PolizeikommissJir Eichler. bei dem der-
selbe in Prag wohnte. Genaues von jedem seiner Schritte: was in Nachod
gesprochen worden war. was den Gegenstand der Unterredung in Peterswalde
gebildet hatte, mit wem Gentz in Teplitz und Karlsbad, wo er den Sommer ver-
brachte, verkehrte u. dgl. m. So interessant war Gentz den politischen Behörden
geworden, und so verdächtig ei*schien sein Benehmen, dass der Oberstburggraf
sich an den Polizeiminisrer und dieser an den Minister des Äussern wandte, um
-bestimmte Gesichtspunkte'', wie man es nannte, für die weitere geheime Beob-
achtung zu gewinnen.
Graf Stadion kannte Gentz von Berlin hei-, wo er ihn im Jahre 1802 für
Osterreich geworben hatte. Beide hatten in der Auffassung der politischen Lage
Europas sich gefunden, und der Minister war nicht andern Sinnes geworden als
dazumal der Botschafter gewesen war*). Nur der Zwang der Umstände legte
ihm jetzt Rücksichten auf, die der Publizist nicht kennen wollte und nicht zu
nehmen brauchte. Es ist deshalb von nicht geringem Interesse, zu erfahren,
in welcher Weise (iraf Stndion die von ihm geheischten Auskünfte gab. Sie
sind namentlich dadurch vou Bedeutung, dass sie Gentzens vielgerügte Käuflich-
keit in ein milderes Licht rücken und seine Beziehungen zum Auslande als dem
österreichischen Staatsinteresse nicht widerstreitend bezeichnen. Das betreffende
Schriftstück lautet:
An
des K. K. Obersten Polizey-Hofstelle-Pritsidenten
Freyherrn von Summeraw
Excellenz.
Um einen bestimmten Gesichtspunkt festzusetzen, nach welchem die Beobachtung des
Kais. Raths v. Gentz eingerichtet werden mllsste. ist es nöthig vors erste seine persön-
lichen Verhältnisse sowohl als seine Dienstverhaltnisse gegen den allerhöchsten Hof fest-
zustellen.
Der Rath Gentz war bis zum Jahre 180.5 in Preussischen Diensten. Er gab sich
aber schon damals sehr wenig mit seinen BerufsgeschJU'ten ab, sondern verwandte seine
litterarischen Talente für die Sache Englands und der damals gegen Frankreich interessirten
Höfe, und genoss schon von dieser Zeit an eine Pension vom Englischen Hofe.
Als er in hiesige Dienste genommen ward, so war die Absicht nicht, ihm eine be-
stimmte Anstellung zu geben, sondern man wollte sich seine Feder zum Dienste des
Wiener Hofes versichern. Er wurde als Rath mit 4000 fl. Besoldung ernannt, und man
machte ihm keineswegs zur Pflicht, seinen übrigen Verhältnissen mit dem Auslande zu
entsagen. Er war auf eine gewisse Art bloss von hieraus pensionirt, um auf zukünftige
Falle Dienste zu leisten.
*) Über die Anstellung Gentz' in Wien und Stadion s Antheil daran, habe ich in
meinem Buche „Gentz und Cobenzl*. CJeschichte der üsterr. Diplomatie von 1800—1805.
S. 61 ff. ausführlich berichtet.
Digitized by Google
235
Biographische Blätter.
Der Zufall hat gewollt da** eben seit dieser Zeit die Umstände sich so verwickelt
haben, dass seine wirklich ausgezeichneten Talente nicht angewendet werden kounten. Dies
änderte aber nichts in seinen Verhältnissen gegen den allerhöchsten Hof. Rath Gentz hat also
wirklich mehrere Connexionen mit dem Auslande, sio sind aber dem Staate nicht gefährlich,
sondern vielmehr im allgemeinen dem Sinne unsorcr eigenen Politik nicht entgegen.
In seinem Karakter aber liegt viel Leichtsinn, Mangel an Lebensweisheit und dann
und wann Febercilung in seinem gewöhnlichen Betragen. Hindurch ist es möglich, dass
er Uns in gewissen kritischen Augenblicken durch einzelne Handlungen kompromittiren
konnte, wenngleich seine Gesinnungen und Grundsätze keineswegs für Uns gefährlich sind.
Es ist also nothwendig. dass Gentz einer fortdauernden, aber nicht dass er einer
ängstlichen Beobachtung unterworfen werde. Ich glaube sagen zu sollen, dass die l'olizey
ihm als Vormund dienen, ihn aber nicht als eine verdächtige Person behandeln sollte.
Auch in dem gegenwärtigen Falle scheint mir der Kifer des H. Grafen von Wallis
etwas zu weit gegangen zu seyn. und da der Rath Eichler durch die zwey Rescripte des
H. Oberstburggrafen etwas irre gemacht worden seyn dürfte, wäre es vielleicht nicht
unplatzgreifend ihn in dem Sinne der gegenwärtigen Krlüuterungen anzuweisen.
Die Communicaten folgen danknehmig zurück.
Wien, den 27. Juny 1807. Stadion.
<&>
Adresse der philosophischen Facultät der Universität Berlin
an Gustav Freytag.
Hochgeehrter Herr!
Sie haben den lauten Huldigungen Ihrer begeisterten Leser sich immer be-
scheiden entzogen. Darum begnügt sich auch unsere Faeultüt an dem Tag/e, da
ihr die Freude wird, Ihnen da» vor fünfzig Jahren ertheüte Doctor-Diplom zu er-
neuem, mit einem kurzen warmen Grusse.
Er gilt dem Dichter, der einst in Tagen verwilderten Geschmacks den
Wohllaut und die Fortnenreinheit unserer elasslsehen Dichtung zu erneuern, in
Zeiten der Tendenz und der Parteisucht wieder Menschen von Fleisch und Blut
aus der Fülle deutschen Lebens heraus zu schaffen wagte und seitdem den Deut seilen
das Vorbild eines denkenden Künstlers geblieben ist. Er gilt dem Historiker, der,
schwere Forschung hinter lieblicher Hülle verbergend, sinnig wie kein zweiter den
"Werdegang des deutschen Gemiiths durch die Jahrhunderte verfolgt hat. Er gilt
dem Publicisten, der vielverkanut unter den Fahnen des schwarzen Adlers tapfer
gefochten hat, bis Preussens Geschicke sich erfüllten.
Was Ihnen auf allen diesen Gebieten Ihres Schaffens an edlen Früchten
herangereift ist. gehört der Nation.
Uns aber gestatten Sie noch ein Wort persönlichen Dankes. Sie haben
uns unseren Beruf verklärt durch den anheimelnden Zauber Ihrer goldenen Laune.
Sie wissen, wie viel Mühsal und Versuchung: , wie viel Kuhin und Forseherglück
um die einsame Lampe des Gelehrten webt; und wenn die Deutschen kommender
( i (schlechter aus Ihren Dichtungen dereinst lernen werden, wie den Söhnen des
neunzehnten Jahrhunderts zu Muthe gewesen, so werden sie auch verstehen, warum
es in unseren Tagen ein Stolz und eine Freude war. ein deutscher Professor zu sein.
Mögen Sie noch lange Jahre, uns zur Ehre, den deutschen Doctorhut
trairen. der Ihnen so viel verdankt!
Berlin, 30. Juni 1888.
Die philosophische Facultät der Friedrieh-Wilhelms-Universität.
Digitized by Google
Antwort des Herrn Dr. Gustav Freytag an den Decan.
236
Antwort des Herrn Dr. Gustav Freytag an den Decan.
Hoch wohl geborener Herr!
Hochverehrter Herr Decan!
Für die ehrenvolle Krneuerimg meines Doctordiploms durch die philosophisrhe
Facultät der K. Friedrich- Wilhelms-Universität zu Berlin, welche mir den 30. .Juni
zu einem Tage froher Erinnerung gemacht hat, sage ich Ihnen, hochverehrter
Herr Decan, und der philosophischen Facultät grossvn und innigen Dank.
Den grössten Dank aber Ihnen und unserer Facultät für die Adresse, mit
welcher Sie mich beehrt haben. Die giltige Würdigung meiner Lebensarbeit durch
die stolze, gelehrte Körperschaft, welcher eüie Reihe unserer erlauchten Namen
aufhören, und der ich selbst in meiner Jugend die Anfange gelehrten Wissens
und die Ehrfurcht vor wissenschaftlichem Forschen verdank«*, war für mich, den
bejahrten Mann, weit mehr, als ein froher Gruss. Ihre feierliche Zuschrift ist
mir ein Zeugniss meiner Standesgenossen, dass ich, nach dem Maasse meiner Kraft,
redlich und nicht fruchtlos für das deutsche Volk gelebt hal>e. Ein ehrenvolleres
Zeugniss giebt es nicht.
Sie. hochverehrte Heiren. danken dem Dichter auch, dass er unternommen
hat. die krause Art und den edlen Idealismus deutscher Professoren seiner Zeit
in leichten Bildern abzuschildern. Manches davon mag schon der nächsten Folge-
zeit fremdartig erscheinen. Aber, liebe, hochverehrte Herren, so lange es ein
deutsches Yolksthum giebt, wird es auch deutsche Professoren geben, Männer,
driien das eigene Leben wenig bedeutet im Dienste ihrer Wissenschaft; oft wird
den Helden und Opfern unendlicher Arbeit ein kleiner Zopf im Nacken hängen,
und immer, so vertraue ich. wird das Volk der Deutschen mit Neigung, Ehrfurcht
uud zuweilen mit guter Laune auf sie schauen.
In Hochachtung uud Verehrung verharre ich Ihnen und der philosophischen
Facultät dankbar ergeben
Siebleben 10. Juli 1888. Dr. Gustav Frey tag.
An in. d. H. Die Biographischen Blätter bescheiden sich einstweilen mit dem Abdruck
des anmuthigen Briefwechsels zwischen der philosophischen Facultät der Berliner Hochschule
und »iustav Freytag bei Gelegenheit seines Doctorjubiläums. Das letzte Wort Uber den
Biographen von Karl Matthy, Otto Ludwig, Jacob Kaufmann, Wolf Baudissin, Kaiser
Friedrich usw., der auch als Selbstbiograph nicht viele seinesgleichen hat. ist damit in diesen
Blättern selbstverständlich noch lange nicht gesprochen.
cfc
ANZEIGE.
Christian Gottfried Khrenberg, ein Vertreter deutscher Xaturforschung im 19. Jahr-
hundert (17Ö5— 1876). nach seinen Reiseberichten, seinem Briefwechsel mit A. v. Humboldt,
v. f'hainisso, Darwin, v. Martius u. a.. Faiuilicnaufzeichnungen, sowie anderem handschrift-
lichen Material; von Max Laue. Mit dem Bildniss Fahrenbergs in Kupferätzung. Berlin.
Julius Springer. 1895. 8°. "287 Seiten.
Zu der vorliegenden Biographie Fahrenbergs von der Hand eines Familienmitgliedes
ans der zweiten Generation hat die hundertste Wiederkehr seines Geburtstages — am
15». April d. J. — den Anstoss gegeben. Khrenberg hat in ungewöhnlichem Maasse den
Kath Schillers befolgt: wer etwas Treffliches leisten will, hätt" gerne was (.! rosse*, geboren,
der sammle still und unerschlatft im kleinsten Funkte die höchste Kraft! Indem er die
Welt der Infusorien und der ihnen verwandten Gebilde unermüdlich mit dem Mikroskop
durchforschte, zog er nicht allein die Fülle der niederen Organismen an sich in ihrem
Digitized by Google
237
Biographische Blätter.
Formen reicbthum ans Licht: er enthüllte zugleich die Bedeutung, welche -der Organisation
in der Richtung des kleinsten Raumes-, wie er es in seinem wunderlich verschrobenen
Deutsch nennt, für die tiesanimterscheinung der irdischen Natur von frühen geologischen
Krochen an bis beute zukommt, .Ja noch mehr: er half dadurch überlieferte Wahnvor-
stellungen vom Werden und Wesen des Lebens überhaupt beseitigen um! bahnte so der
modeinen Biologie entschieden den Weg: auch für die praktisch so wichtig gewordene
Lehre von den Bakterien bildete seine Forschung eine theoretisch nothwendige Vorstufe.
Eine so eigentümliche, so ergebnissreiche wissenschaftliche Lebensarbeit verdiente gewiss
eine besondere Betrachtung, die ihr denn auch bereits 1877. ein .Jahr nach Ehrenbergs
Tode, durch «Jessen Schwiegersohn, den Botaniker Hanstein, zutheil geworden ist. Kinen
Auszug aus dieser ausführlichen Darstellung gab derselbe fielehrte sodann in dem betreffenden
Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie, in dem Umfange, wie er dort für Gestalten
zweiter (J rosse vorgesehen ist. Schon aus diesen Veröffentlichungen konnte selbst der Fern-
stehende deutlich abnehmen, wie überaus schlicht Charakter um! Treiben Khrenbergs ge-
wesen; sodass man im Publikum nach einer eingehendere!) Schilderung seiner Lebensum-
stände schwerlich Verlangen trug. Auch Khrenberg selber hiitte eine solche vermuthlic h
nicht gewünscht: denn neben tiefer Bescheidenheit bethütigte er in dieser Hinsicht eine
fast .ängstliche Scheu: er allein unter den Freunden Humboldts verweigerte 1X70 jegliche
Hinsicht in die von diesem empfangenen Briefe zum Nutzen der von Bruhns unternommenen
wissenschaftlichen Biographie des grossen Kosmologon. Immerhin hiitte er gegen ein so takt-
volles Werk der Pietät, wie das vorliegende, vernünftigerweise nichts einwenden können.
Dr. Laue hat sich mit Recht nicht auf blosse Ergänzung der Darstellung Hausteins
beschränkt: er bringt vielmehr, auf dessen Leistung gestützt, auch die wissenschaftlichen
Bemühungen und Verdienste Khrenbergs. soweit es gemeinverständlich geschehen konnte,
von neuem zur Anschauung. Wir erhalten auf diese Weise das menschlich abgerundete
Vollbild eines (jelehrtenlehens. das in seiner einfachen Lauterkeit jeden Leser ansprechen
tnuss: nicht ohne Wehmuth fühlt man sich bei seinem Anblick in jene goldenen Tage
unserer nationalen (Jeistesarbeit zurückversetzt, wo der Forscher, noch kaum von politischen,
gar nicht von sozialen Sorgen bedrangt, seine (iedanken stillvergnügt in dies oder jenes
J'roblem der reinen Erkenntnis* versenken durfte. Auf der anderen Seite erwarte Niemand
von dieser Lektüre starke Kindrücke geistiger oder gemüthlicher Art. Allgemeinere Ideen
kommen, abgesehen von der Darwinschen Hypothese, welche Khrenberg mit guten Mrilnden
bekämpft hat. fast nirgend zur Sprache: mit Philosophie hat sich der emsige Mikroskopiker
gleich den besten seiner Zeit- und Fachgenossen glücklicherweise nicht beschäftigt: seine
gediegene Religion war ihm Privatsache des Herzens. Von seiner poetischen Empfindung
ist zwar bei Dr. Laue häufig die Rede, ohne dass wir indes* mit vielen Proben seiner ver-
meinten Dichtkunst behelligt würden. „Immer war's bisher der junge Morgen, dem ich
meinen ersten firuss vertraut: immer meines Tages erste Sorgen wärest du. geliebte, holde
Braut" - .Meistergesang von dieser Art erregt in der That keine weitere Wissbegier.
Dass Khrenberg zu den unbeholfensten Schriftstellern deutscher Nation gehörte man
bedenke z. B. den Titel einer Abhandlung von 1*70: -über die wachsende Kenntnis* des
unsichtbaren Lebens als felsbildende Bacillarien in Kalifornien" das hatte sein Biograph,
der selber eine gute, bequem lesbare Prosa schreibt, gerechterweise ausdrücklich hervor-
heben müssen. Aus dem Briefwechsel mit Humboldt, ('haniisso. Darwin und Martins, den
der Fmschlag des Buches einladend zur Schau stellt, sollte man hiernach merkwürdigere
Mittheilungen erwarten: allein er scheint dergleichen nicht enthalten zuhaben. Anekdoten-
hafte Züge von harmloser Natur begegnen hie und da; iM'sonders gestaltete Schicksale wird
man. von der grossen Südreise abgesehen, nicht antreffen. Allerdings hat der Verfasser den
ersten Abschnitt, der die jugendliche Entwicklung seines Helden umspannt, mit der (vl «Ur-
schrift „Lernen und Leiden* versehen: aber das Leiden besteht, wie man enttäuscht und
beruhigt zugleich erfährt, doch nur darin, dass der junge Khrenberg eine Zeitlang wider
seine Neigung Theologie treiben muss, dass er beinah zum Militärdienst herangezogen wäre,
Digitized by Google
Biographische Bibliographie. 238
das.« der Vater sich vorübergehend verstimmt zeigt, weil der Sohn die statt der Theologie
erwählte Medizin auch bloss als Il.ill tVf a<*h neben der Naturwissenschaft betrachtet und
behandelt - wie man sieht: von Tragik weit entfernt!
Anders steht es mit dem zweiten. „Wandern und Werden" ül>«rschriebenen Ab-
srhnitt. der die ihrer Zeit lierühmte fünfjährige Forschungsreise Ehren hergs in die Nillande
und das rothe Meer, zum Sinai und Libanon, auf hundert. Seiten anziehend darstellt. Wie
er äußerlich mehr als ein Drittel des Mürbes umfasst. so lic-rt auch innerlich in ihm der
Kern der Laueschen Publikation. Hier erhalt man neue Aufklärung aus unbekannten
Akten, hier erhebt sich der Gegenstand selbst zu wahrhaft biographischem Interesse: an
wirklichen Leiden, eigentümlichen Erlebnissen ülierhaupt ist hier kein Mangel. Denn
niemals vielleicht ist ein ahnliches Unternehmen auf eine so ununterbrochene Kette von
schwerstem Missgeschick gestossen. dem gegenüber die ruhige Thatkraft des Reisenden
desto rühmlicher hervortritt. Minder vorbildlich erscheint dessen V erhalten hernach bei
der Verwerthung der gewonnenen Ergebnisse; Laue's umsichtig entschuldigende Erörterung
loscht doch den Eindruck nicht aus. als habe sich Harenberg dabei durch äussere Schwierig-
keiten zu leicht entmuthigen. durch innere Vorliebe für andere Arbeiten von einer wissen-
schaftlichen Verpflichtung ablenken Immen. Dass er sodann über den Ertrag seiner zweiten,
mit Humboldt und Hose nach Sibirien unternommenen Heise. Beobachtungen über „das
kleinste Leben" ausgenommen, seinerseits so gut wie nichts publizirte, hat man ihm in
betbeilisrten Kreisen oft genug verdacht. Die Erklärung liegt in der zunehmenden, freilich
höchst fruchtbaren Einseitigkeit seiner spateren Jahre: auch sein geistiges Auge erblickte
die Welt mehr und mehr allein im Gesichtsfelde des Mikroskops.
Seinem im besten Sinne populär gehaltenen Text hat Dr. Laue gewissenhaft gegen
-HK) belebende Anmerkungen beigegeben, in denen sogar so Kusserliche Kleinigkeiten, wie die
Tagesdaten der Patente zu den an Ehrenberg verliehenen Orden, nicht vergessen sind.
Ausserdem folgt ein Schriftenverzeichniss. das, da jede akademische Mittheilung darin ge-
bucht wird, nicht weniger als 24 Seiten füllt: es wäre wohl ehedem in dem Werke
Hansteins besser am Platze gewesen, als gerade in dieser, dem persönlichen Dasein
gewidmeten Biographie. Geringe Irrthümer wird der Kenner der benutzten Litteratur
gelegentlich wahrnehmen. So war der Leipziger Professor, der S. 17 nach dem Vorgange
Ranke's spöttisch geschildert wird, kein „Gottesmann" auf dem Katheder, wie Laue meint,
sondern der Historiker Wieland: ihm darf man es also nicht zur Last legen, wenn der
junge Ehrenberg am theologischen Studium keinen Geschmack fand. Dass S. 2<> in einem
Briefe Ehrenbergs nicht „indische", sondern „irdische Silberlingc"" zu lesen ist. erhellt aus
dem Sinn der Stelle. Doch genug davon! Denn die litterarische Kritik hat nicht nOthig,
mit dem Mikroskop nach biographischen Infusorien zu spähen. Im ganzen darf man die
Arbeit Laue s, <lie sich selbst bescheiden nicht als bedeutende Erscheinung giebt, als ihrem
/wecke durchaus angemessen bezeichnen. u D.
c&>
biographische Bibliographie 1894.
Zusammengestellt von ViOTOR HANTZ80H (Dresden).
I. Deutschland.
Juli bis Dezember 189 4.
Lorenz, F., Job. Baptist v. Albertini. E. j Gebert. F.. Bartholomaus AI brecht. Der
Lebensbild. Dish. VIII. S!>. Graz. Ilitz. | Nürnberger Münzer und ErzkUufer. 38.
Memorabilia Alexandri Magni et aliorum Nürnh., Schräg,
virorum illustrium. Hsg. v. K. Schmidt u. Wehofer, M.. Die Apostel Chinas. Der
0. Gehlen. 6. A. IX, 98. Wien, Holder. sei. Bischof Petrus Sanz u. s. Gefährten.
Notovitch, N., Alexander III. u. s. l'm- j 1">5. Wien, Herder,
gebung. übertr, v. Oskar Marschall von j Uertzog. A.. D. h. Franz v. Assisi, der Gründer
Bieberstein. VII, 244. Lpz., Schmidt & G. J des Franziskanerordens. 14. Zabern, Fuchs.
Digitized by Google
239 , BiographLscl
Augustinus, A.. Confessionum libri XIII. 389.
Regensb., Verlagsanst.
Kaufmann. D.,Z. (losch, jüdischer Familien.
II. R. .Tair Chajjim Bacharach u. s. Ahnen.
VIII, 139. Trier. Mayer.
Eisberg. A.. v., Die BlutgrJlfin Elisabeth
Bathory. E. Sitten- u. Charakterbild. 204.
Bresl., .Schottländer.
Behr, U. Graf, Urkunden u. Forschungen
z. Gesch. d. Geschlechts Behr. XI, 133.
Berl., Stargardt
Allg. deutsche Biographie. Lfg. 182-86.
Lpz., Duncker n. H.
Blum. H., Fürst Bismarck u. s. Zeit. E.
Biogr. f. d. deutsche Volk. 2. Halbbd.
München, Beck.
Bülow. W. v., Neue Bismarck-Erinnerungen.
V, 311. Berl., Steinte.
Sutter, C, A. Leben u. Schrr. d. Magisters
Boncompagno. E. Beitr. z. ital. Kultur-
gesch. d. 13. Jh. V, 128. Freib., Mohr.
"Willibald us, vita s. Bonifatii. Hsg. v. A.
Nürnberger. 69. Bresl., Müller u. Seiffort.
Suetonius Tranquillus. C, D. Leben d.
Cajus Cäsar Caligula. A. d. Lat. übers.
n. m. Anm. vers. v. .T. Dietze. XVT, 56.
Lpz., Milde.
A rnold, F., Cäsarius v. Arelate u. d. gallische
Kirche s. Zeit. XII, 607. Lpz., Hinrichs.
Caspari, Karl Heinrich. K. Lebensbild. 70.
Stg.. Steinkopf.
Gen sei, W.. .Toh. Fr. v. Cronegk, s. Leben
u. s. Schriften. VII. 106. Lpz., Hinrichs.
Dahn, F.. Erinnerungen. -4. Bd. 612. Lpz.,
Breitkopf & Härtel.
Favrot. A.. Ktudo sur Casimir Delavigne.
89. Bern, Körbor.
Herbert, L., Heinr. Dorie, ein korean.
Märtyrer. A. d. Engl. v. R. Hubert, 109. j
Steyl, Missionsdr.
Knackfuss, H .. Dürer u. Holbein d. Jüngere.
76. Bielef., Velh. & Klasing.
G erstenbergk, .1. v., Anna v. Eichel, die
Stifterin d. Diakonissenhauses z. Kisenach.
K. Lebensliild. Kisenach, Wilckcns.
C ramer. W., Leben d. h. Elisabeth von
Thüringen. 2.A. 200. I 'aderb.. Bonifaciusdr.
Beyer, ('.. I). Vorkämpfer deutscher Grösse
Herzog Ernst II. K. biogr. Volksbuch.
XII. 158. Berl.. Siegismund.
Ernsthausen, E. v., Erinnerungen e. Preuss.
Beamten. V, 432. Bielef., Velh. & Kinsing.
Allgeyer. J.. Anselm Feuerbach. S.Leiten
u.s. Kunst. XIV. 432. Bamb., Buchner.
Michaelis, W., Charles G. Finney, s. Leben
u. s. Wirken. ± A. 24. Bonn, Scherirens. j
Ilg. A., die Fischer v. Krlaeh. XII 1. 819.
Wien. Konegen.
Kuller. F., Gesch. Friedrich d. Gr. 4. A.
Lpz.. Mendelssohn.
R o y ir o . B.. Friedrich III., deutscher Kaiser
u. K. v. I'reussen. K. Lebensbild. 3. A.
159. Lpz.. Hirt.
e Blätter.
Münz, B., .Jakob Frohschammer, d. Philosoph
d. Weltphantasie. 113. Bresl.. Schles.
Buchdr.
Tschirch, 0., Tägl. Aufzeichnungen des
I'farrherrn Joachim Gerius in Sorau und
Brandenburg a, d. J. 1617 — 32. 98.
Brandenburg, Häckert.
L e i m b a c h, C, Fmanuel Geibels Leben. Werke
u. Bedeutung f. d. deutsche Volk. 2. A.
VI. 344. Wölfl).. Zwissler.
Gerhardt, D. v. (G. v. Amyntor). Das
Skizzenbuch m. Lebens. T. I. 2. A. 300.
Breslau, Schles. Buchdr.
R untre, M.. Ludwig Giesebrecht u. Carl
Loewe. 34. Berl.. Duncker.
Buchner. W., Gneisenau. E. Lebensbild.
2. A.. III. 119. Lahr, Schauenburg.
Delbrück. H., I). Leben d. FeldmarschalLs
Grafen Xeidhardt v. Gneisenau. 2 Bde.
2. A. XIV, 212, IV, 371. Berl., Walther.
Gneisenau, Graf X. v.. Briefe an Dr. Joh.
Blasius Sietrlong. Hsg. v. A. Pick. 88.
Krfurt, Villaret
Meyer. Rieh. M., Goethe. PreLsgekr. Arbeit
(Geistoshelden. (Führende Geister.) Bd.
13 -15.) XXXI, 628. Berl., Ernst Hof-
mann & Co.
Hartleben, F.. Goethe -Brevier. Goethes
Leben u. s. Gedichte. XVI, 408. München,
Ackermann.
Weissenfeis. R., Goethe im Sturm u. Drang.
XV. 519. Halle. Xiemeyer.
Lange. E.. Franz Grillparzer. Sein Leben.
Denken und Dichten. VI, 16*. Güters-
loh. Bertelsmann.
Geiger. L., Karoline v. Günderode u. ihre
Freunde. 193. Stg.. deutsche Verlagsanst.
W. B. v. Guenther. Fin Lebensbild. 18.
Posen, .lolowicz.
6u8tav Adolf, K. v. Schweden. ( Kathol.
Flugschrr. z. Wehr u. Lehr. H. 85.) 64.
BerL, Germania.
Jordan. R.. u. Totzkc, A., Gustav Adolf.
VII. 96. Neuwied. Heuser.
Fischer, G.. Gustav Adolf od. „Jeder ZoM
ein König." 48. Herb.. Colportasjevor.
Ree höhl. P. Gustav Adolf, e. Christ u. Held.
32. Kssl., Lung.
Rogge. Gustav Adolf- Büchlein. 2. A. 96.
Wittenb.. Herrose.
Rofrire. 6ustav Adolf, Deutschlands Erretter
nicht Froherer. 20. Dresd..G.-A.- Verla-:.
Säuret. I'.. u. Stein. F.., Gustav Adolf.
Deutschlands Eroberer — nicht Erretter.
110. Osnab.. Wehberg.
S p n r f e 1 d . Gustav Adolf, König v. Schweden.
481. Lpz., Friese.
Thoina. A.. I). Leben Gustav Adolfs fürs
deutsche Volk. 110. Karlsr., Reiff.
Bercer. L.. Der alte Harkort. K. westfü).
Lel)ens- u. Zeitbild. 3. Aufl. XVI. 65«».
1 ,pz. , Bädeker.
Sc hie mann. Th.. Viktor Hehn. E. Lebens-
bild. VII. .US. Stg.. Cotta.
Digitized by Google
Biographische Bibliographie.
240
Maurer, .T.. Tiroler Helden. 117. Münster.
Russell.
Engelmann. Th.. Gedaehtnissrede auf
Hermann v. Heimholt!. 34. Lpz.. Fngelm.
kühnetuann, E., Herders Leben. XIX, 414.
München, Beck.
Peiser. K., .Toh. Adam Hiller. E. Beitr. z.
Musikgesch. d. 18. Jahrh. 137. Lpz., Hng.
.Sauer. A.. Friedr. Hölderlin. (Samml. gemein-
nützigerVortr., H. 189.) 19. Prag, Härpfer.
Baue hinger, M.. Der sei. Clemens M.
Hof bauer. K. Lebensbild. 3. A. XIII, 904.
Wien, Norbertus.
Ell inger, G., E. T. A. HofTmann. S. Leben
u. s. Werke. XII, 230. Hamb., Voss.
Steinhauser, W.. D. Abenteuere, deutsch.
Orgel - Virtuosen. Aus Joseph Maria
Homeyers Leben. 265. Milhlh., Andres.
Pastor, L., Johs. Janssen. E. Lebensbild.
VIU. 152. Freiburg. Herder.
Haffter. E., Georg lenatsch. IV, 17a
Chur, Hitz.
Obert, F., Therese Jikeli. Umrisse z. d.
Lebensbild e. sächs. Frau. 21. Hermann-
stadt, Krafft
Xorrenberg, P., I). h. Irmgard it v. Süchteln.
VI, 64. Bonn, Hanstein.
Warschauer. A., D. Posener Goldschmied-
fanülie Kampe. 26. Posen, .lolowicz.
Schaffer. G.. Ad. Kolping, d. Gesellenvater.
K. Lebensbild. VIII, 336. Paderb..Schöningh.
Degenkolb. H., Johs. Emil Kuntze. 11.
Lpz.. Hossborg.
Lagarde, A. de, Paul de Lagarde. Er-
inner, a. s. Leben. 191. Gött.. Dieterich.
Ellisen, A., Friedr. Albert Lange. Eine
Lebensbeschreibung. 271. Lpz.. Baedeker.
Rügamer. P., Leontius v. Byzanz, e. Pole-
miker a, d. Zeitalter Justinians. VIU, 176.
Würzb.. (iöbel.
Helmes, W„ D. ehrw. Diener Gottes Franz
M. P. Libermann. 30. Münster. Schöningh.
Lud wich, A.. Ausgewählte Briefe von u. an
Chr. A. Lobeck u. K. Lehrs. nebst Tagebuch-
notizen. XII. 1049. Lpz.,Duncker& Humbl.
Meer, A., Domherr Dr. Franz Lorineer.
E. Lebensbild. 76. Bresl., Aderholz.
Forst er. M„ Ludwig, kgl. Prinz v. Bayern.
96. München. Pohl.
Berger. Arnold E., Martin Luther in kultur-
gesehichtl. Darstell. I. Th.: 14K3 1525.
(Geisteshelden (Führende Geister). Bd. 16
17). XXII, 506. Berl., E. Hofmann & Co.
Dazu: ders.. Die Kulturau fgahen der
Reformation. Einleitung in eine 1 viither-
biographie. VIU, 300. Berl., F. Hofmann
& Co.
Key. C. Trierer lutberstudien. F. Beleucht.
d. neuesten röm. Angrifft! gegen Luther.
Lpz.. Braun.
Lösche. G.. Johs. Mathesius. K. Lebens-
u. Sittenbild a. d. Reformationszeit.
XXI. 639. Gotha. Perthes.
Amelung, K.. M. Johs. Mathesius, e. luth.
Pfarrherr d. 16. Jahrb. VIU, 284.
Gütersloh, Bertelsmann.
Back, S.. K. Meir ben Baruoh aus Boten-
burg. S. Leben u. Wirken, s. Schicksale
u. Schrr. VII. 112. Frankfurt, Kauffmann.
Kraus, E., Friedr. Meyer, Pfarrer u. Rektor
d. Diakonissen in Xeuendettelsau. K.Lebens-
bild. IV, 350. Gütersloh. Bertelsmann.
Grimm. H.. Leben Michelangelos. 2 Bde.
7. A. VIII. 470. IV. 474. Berl.. Besser.
Friedrich. J.. Johann Adam Möhler, der
Symboliker. V. 139. München, Beck.
Krau ss. R., Ed. Menke als Gelegenheits-
dichter. A. s. alltagl. Leben. XI. 18S.
Stg., Deutsche Verlagsanstalt.
Morus, Th., Lordkanzler v. Kngland. E. kl.
Lehensh. d. gr. Mannes, gezeichn.v. e. Priester
d. Erzdiözese Köln. 97. Steyl, Missionsdr.
Suttner, G. v.. Daniel Ritter v. Moser.
Georg v. Gertner. E. Beitr. z. Geschichte
Wiens im 17. Jahrh. 25. Wien. Gerold.
, Schulz, R.. Peter v. Murrhone (l'apst Cü-
lestin V.). Diss. 48. Berl.. Weber.
Herisson. M. v.. Der kaiserliche Prinz
(Napoleon IV.). XVI. 518. Augsb.. Reichel.
Natorp. O.. Ludwig Natorp. VII, 259.
Stg.. Bibelanst.
Duruy. V„ Nero in Wort u. Bild. A. d.
Frz.* v. G. Hertzberg. 106. Lpz.. Schmidt
& Günther.
Türck, H„ Fr, Nietzsche u. s. philosoph.
Irrwege. 72. Jena. Mauke.
Khull, F., D. Lel»en König Olafs d. Hei-
ligen. 156. Graz. Styria.
Ompteda, L.v., Irrfahrten u.Abenteuer e. mittel-
staatl. Diplomaten. XIV. 435. Lpz.. Hirzel.
Herbord, Leben des Bischofs Otto v. Bam-
berg. Deutsch v. H. Prutz (Gcschicht-
schreiber d. deutschen Vorzeit. Bd. 55».
XVI. 200. Lpz., Dyk.
Hartmann. F.. Theophrastus Paracelsus als
Mystiker. III, 55. Lpz.. Friedrich.
Trusea, M., Maria Kdle v. Petzeln. E. Beitr.
z.Litteraturgeseh.Üsterr. 87. Wien. Kirsch.
Boll. F.. Studien über Claudius Ptolemäus.
198. Lpz., Teubncr.
Pietsch, L., Wie ich Schriftsteller geworden
bin. Rd. 2. 430. Beil.. Fontane.
Putlitz. K. zu, Gustav zu Putlitz. Ein
Lebensbild. Th. 1. III. 332. Berl., Duncker.
Knackfuss. H.. Raffael. 112. Bielefeld.
Vellingen «Si Klasing.
Miklau. J., Franz II. Räköczy. K. Lel.cn*-
u. Charakterbild. Progr.48, llrünn. Knauthe.
Knackfuss. H.. Rembrandt. 160. Bich f..
Velhagen Kinsing.
Reutern, Gerhard v.. E. Lebensbild, dar-
gestellt v. s. Kindern. VI. 176. IVtersb.
Kutscher, L.. Hermann Rolletts Leben u.
Werke. -17. Wien, Teiles.
Kogge. J.. Gedächtnis* des Hrn. D.Wilhelm.
22. Altenb.. Runde.
Römheld, F.. Carl Julius Römheld. Kine
LelM-nslM'sehr. VI. 94. St»., G reiner K Pfeiff
Digitized by Google
241
Biographische Blätter.
Rosegger, P., (Jedenksehrift a. d. 50. (»eburts-
tag. 111. Hraz. Leykam.
Hoy, B., Kind, Jüngling, Mann. Selbsterlebtes
aus Kriegs- u. Friedenszeiten. XVI, 363.
Beil., Liebel.
Amerlan. F., Hans Sachs. Ein Lebensbild.
1«. Nürnb., Raw.
Mum menho ff. F., Hans Sachs. Z. 400jähr.
Geburtsjub. d. Dichters. 142. NUrnb., Korn.
S t r e f e 1 , L„" Hans Sachs-Forschungen. VII,
471. Nürnb., Raw.
Suphan, B.. Hans Sachs in Weimar. 44.
Weimar, Bühlau.
Buchner. W., Scharnhorst. Ein Lebens-
bild. 2. A. III, 111. Lahr, Schauenburg.
Fischer. K., Fr. Wilh. Joseph Schölling
(Gesch. d. neueren Philosophie. Bd. 6).
400. Heidelb.. Winter.
Wychgram, J.. Schiller. Dem deutschen
Volke dargest. Bielef.. Velhagen & Klasing.
Schlesinger, C G rosse Manner e. grossen
Zeit (Mallinckrodt, Windthorst, Frankenstein,
Reichensperger). 281. Münster, Russell.
Arneth, A. v., Anton Kitter v. Schmerling.
Episoden a. s. Leben. XVI, 343. Wien
u. Prag, Tempsky.
Bendel, J., Dr. Franz Schmeykal. Ein
Gedenkblatt. 16. Trag. Härpfer.
Schmeykal, F.,E. Gedenkschrift 147. Prag, Kuh.
Solger. H., Schubart, d. Gefangene auf
Hohenasperg. E. Bild s. Lebens u. Wirk.
56. Bamb., Handelsdr.
Ehrhard. Eulogius Schneider, s. Leben u.
s. Schriften. XVI. 223. Strassb.. Herder.
Bahr, K.. Gespräche u. Briefwechsel m. Arthur
Schopenhauer. XVI. 90. Lpz., Brockhaus.
Schweinichen, H. v.. Merkbuch. heraus«regeb.
v. K. Wutke, XXXVIU, 273. Berlin,
•Stargardt.
Schindler, K., Baron Albert v. Seid, ein
treuer Königs- u. wahrer Volksfreund. Ein
Lebenau. VII, 293. Basel, Jaegcr & Kober.
Spörr, M., Lebensbilder a. d. Samariter-
orden. B. 3. V. 656. Innsbr., Vereinsbuchh.
Pisko, .1., Skanderbeg. Histor. Studio.
162. Wien. Frick.
Hirschmann, A.. D. b. Sola. Ein histor.
Versuch. -S4. Ingoist.. Ganghofer.
Spies, Hermine. E. Gedenkbuch f. ihre Freunde
v. ihrer Schwester. VII. 300. Stg.. Göschen.
X e u Ii auer. Fr. . Frei herr v. Stein. Preisgekr.
Arbeit (Gcisteshelden [Führende Geister].
IDoppel-jBd. 12). VII. 204. Berl., Krnst
Hofmann & Co.
Wilhelm i. H., Maurice Beinhold v. Stern,
ein Sozialdemokrat. Dichter. 26. Güters-
loh, Bertelsmann.
Blennerhasset. L., Talleyrand. E. Studie.
VU, 572. Beil.. (iebr. Paetel.
Dümmler, E., üb. Leben u.Schrr. d. Mönches
Theodorich v. Amorbach. 38. Berl.. Heinier.
Petersdorff, H. v.. General .loh. Ad. Frhr.
v. Thielmann. E. Charakterbild a. d. napoleon.
Zeit. XVI, 352. Lpz.. Hirael.
Landsberg, E., Zur Biogr. von Christian
Thoma8ius. 36. Bonn, Cohen.
Tümpling, W. v.. Gesch. d. Geschlechtes
v. Tümpling. 3. Bd. VI, 385, 42, 167.
Weimar. Böhlau.
Wattendorff. Walther v. d. Vogel weide
(Frankfurter zeitgemäße Broschüren. Bd. 15.
Heft 6). 32. Frankf., Fösser.
Voss, M.. Gräfin v.. 69 Jahre am preuss. Hofe.
6. A. 440. Lpz.. Duncker & Humblot.
Wagner, It.. Briefe an August Höckel. Ein-
geführt durch La Mara. Vitt, 84. Lpz..
Breitkopf & Härtel.
Wagner, K., Hebte Briefe an Ferd. Praeger.
Kritik d. Praegerschen Veröffentlichungen
v. Houston Stewart Chamberlain. Vor-
wort von Hans v. Wo) zogen. IX, 124.
Bayr., Grau.
Wagner, R., 15 Briefe. Heraussregebeu von
Eliza Wille. 163. Berl.. Gebr. Paetel.
Keiter. H.. Fr. W. Weber, der Dichter von
, Dreizehnlinden". Eine Studio. 4. A. 64.
1 'aderb.. Schöningb.
Firnstein, J., St. Wolfgang, Bischof v. Re-
gensburg. IV. 80. Regensb., Verlagsanst.
Mehl er, B.. D. h. Wolfgang in Wort und
Bild. IV, 108. Regensb., Pustet
Mehler, 1). hl. Woifgang, Bischof v. Regens-
burg. XIV. 416. Regensb., Pustet
Maurer, .1., Anton Wolfrade, Fürstbischof v.
Wien u. Abt d. Benediktinerstifts Krems-
münster. 3. Abt 80. Wien, Hölder.
Truxer. M., Hedwig Wolf. Ii. litt. Frauen-
gestalt Österreichs. 81. Wien, Selbstverl.
Vor et seh. M.. Zur Krinnerung an Prof. Dr.
Karl Eduard Zetsohe. 24. Altenb.. Selbstverl.
Zender, P.. .loh. Ambrosius Zobel, Prie.-ter
d. Hedem ptoristenordens. Ein Lebensbild.
2. A. 255. Dülmen. Laumann.
Wernly. R.. Vater Heinrich Zschokke. E.
Lebens- u. Charakterb. 67. Aarau, Sauerland.
Stiihelin. A.. Huldreich Zwingli. S. Leben
u.Wirken nach den (juellendnrgestellt. Bd.l.
Vni. 256. Basel. Schwabe.
Aus dem Stammbuch eines Biographen.
II.
„Ce n'est qu'en laissant s'eeouler un long espace de temps que Ton arrivo ä eonnaitre
k fond la personne qti'on etudie." C'est ce que dit le poete persan Sc'edi (vulgairement
Sadi) dans le Bous tan, poeme traduit par M. J. B. Nicolas, 1869. p. 31.
Les cahiers de Sainte-Beuve.
Digitized by Google
Aus dem Stammbuch eines Biographen.
242
So schön die Biographicen Plutarchs sind, so leuchtet doch häufig eine derbe Pedanterie
durch. Nebst dem. das* er in den (5 eist der Sagen beschichte durchaus nicht einzugehen
vermag, leuchtet dieser Fehler am deutlichsten aus den den Lebensbeschreibungen beige-
fügten Vergleichungen hervor. Das Gewöhnliche lässt sich wohl und leicht vergleichen,
a!«?r gros.se Männer intere-ssiren gerade durch ihre Eigentümlichkeit und man tödtet gar
iu leicht den Geist ihrer Handlungen, wenn man die Leiber derselben nach Zoll und Fuss
gegen einander abschätzen will . . . Grillparzer: Stoffe und Charaktere.
Der Mann und das Volk! In dem unaufhörlichen Einwirken des Einzelnen auf das
Volk und des Volkes auf den Einzelnen läuft das Leben einer Nation. Je kräftiger, viel-
seitiger und origineller die Individuen ihre Menschenkraft entwickeln, desto mehr vermögen
sie zum besten des Ganzen abzugeben, und je mächtiger der Einfluss ist, welchen das Leben
des Volkes auf die Individuen ausübt, desto sicherer wird die Grundlage für die freie
Bildung des Mannes.
Gustav Frey tag: Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Wie ich es nehme, ist die allgemeine Geschichte die Geschichte dessen, was die
Menschen in der Welt vollbracht haben, im Grunde die Geschichte der grossen Menschen,
die hier wirksam gewesen sind. Sie waren die Führer der Mensehen, diese Grossen; die
Bildner, Muster und in einem weiten Sinne die Schöpfer von Allem, was die Gesammtheit
der Menschen überhaupt zu Stande gebracht hat. Alles, was wir in der Welt fertig da
stehen sehen, ist eigentlich das äussere leibliche Ergehniss. die thatsächliche Verwirklichung
und Verkörperung von Gedanken, welche den in die Welt gesandten grossen Menschen inne
wohnten: die Seele der ganzen Weltgeschichte, so dürfte man füglich annehmen, wHre die
C.escbichte Dieser. Cnrlyle: über Helden, Helden Verehrung und das
Heldcnthümliche in der Geschichte.
♦
J5ei den Hottentotten ist nicht einmal Napoleon berühmt.
Marie v. Kbner-Kschenbach: Aphorismen.
Chor der Todten.
Wir Todten, wir Todten sind grössere Heere
Als ihr auf der Erde, als ihr auf dem Meere!
Wir pflügten das Feld mit geduldigen Thaten.
Ihr schwinget die Sicheln und schneidet die Saaten,
Und was wir vollendet und was wir begonnen,
Das füllt noch dort oben die rauschenden Bronnen,
Und all unser Lieben und Hassen und Hadern,
Das klopft noch dort oben in sterblichen Adern,
Und was wir an gültigen Sätzen gefunden
Dran bleibt aller irdische Wandel gebunden.
Und unsere Töne, («eliilde. Gedichte
Erkämpfen den Lorbeer im strahlenden Lichte.
Wir suchen noch immer die menschlichen Ziele ■
Drum ehret und opfert! Denn unser sind viele!
C o n r a d F v r d i n a n d M e y e r : (j e dichte ( V 1 1 1. ( l enie).
Verlan: Ernst Hotmann & Co. in Herl In. Druck: Felo entreif & Co. in Herl in.
FOr die Redaktion verantwortlich: Dr. Anton Bettel heim in Wien.
Unberechtigter Andruck hiih dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Obersctzungsrechtc vorbehalten.
Biographische Blatter. I. 1<>
Digitized by Gqpgle
l\Aai°tj]n Dr Arnold°E. Berfer,
«III Privatdojtont ». <i. Unlvorn. Bonn.
Luther
I. Teil (1-tftt iaS5>. XXXII u. .V» Seiten
( } r o c s f> k l a v. Mit einem ]t i 1 d n i s.
(Band 16 17 der .Oeistesdieldeii- (Führende
Gebier).!
in kulturgeschichtlicher Darstellung. ™» J»?* £
In Subskription auf zusammen 6 Bande der Sammlunp „Geint eshelden* M. 0,80 billiger.
Hingerissen von dieser Schöpfung', eile ich noch mitten im Losen unsern Losern
Bericht zugeben . . .: wa-s er. der Litteraturhistoriker uns schenkt, ist. soweit ich bis jetzt
sehe, etwas so Vollendetes, eindringende Forschung, weitester Blick, lebendige Darstellung
und schone Sprache geben einen so herrlichen Zusammenklang, dass ich nicht anstehe, dies
Werk die vollkommenste Frucht zu nennen, die unsere Lutherwissenschaft bisher gebracht hat.
Martin Rade in der „Christlichen Welt**.
Es erwachte in uns beim Lesen seines Buches das erhebende Gefühl, dass wir durch
seine Kunst zu wahrem Miterleben eines so reichen Menschendaseins gelangten.... Mögen
unsere Worte schlichter Anerkennung darum zugleich von dem Biographen Luthers als ein
Theil des Dankes hingenommen werden, zu dem er uns als Spender so hoher geistiger
Freuden verpflichtete. M. Schwann in der „Frankfurter Zeitung**.
Der Fachmann würdigt hier die Arbeit eines mächtig eindringenden, geschicht-
forschenden Geistes; der Laie geniesst die FrUchte davon in einer wahrhaft epischen .Dar-
stellung ohne Unterbrechung, ohne ermüdende Stellen, scharf im Ausdruck, tief in der
Auffassung.
Rudolf Pfleiderer in der „Literar. Rundschau für das evangel. Deutschland**.
Die Darstellung verdient vollste Anerkennung um folgender Vorzüge willen: erstens
der mustergültigen, stellenweise geradezu hinreissenden Sprache, zweitens der psychologischen
Vertiefung der Vorgänge u. s. w. Durch diese Mittel wird die Biographie zur Vorführung;
eines gewaltigen weltgeschichtlichen Dramas u. s. w.
„Blätter für litterarische Unterhaltung**.
Mit grosser Spannung haben wir dieses Work erwartet, seit es durch Bergers
umfangreiche geistvolle Untersuchung über .,die Kulturaufgabcn der Reformation"' an-
gekündigt und eingeleitet worden ist, und wir müssen in dankbarer Freude über den ge-
habten (ienuss bekennen, dass es als ein Buch von hervorragender und bleiliender Bedeutung
schon in dieser seiner unvollendeten Gestalt erscheint. „Leipziger Zeitung*4.
Die Kraft und Wärme der Empfindung, die der Verfasser bekundet, die Fülle und
Beredsamkeit seiner Darstellung machen das Lesen des Buches zu einem wahren < Ienuss.
„Schwäbischer Merkur*».
Wer uns. wie hier, einen dieser Helden in diesem Kampfe zeigt, wer also sozusagen
diese führenden Deister bei ihrer Wurzel gefasst hat. mit der sie im deutschen Volksleben
haften, der darf stets auf den Dank seiner Leser rechnen.
„Hamburger Fremdenblatt*4.
In manchen Einzelheiten divergirt unsere Auffassung von der des Verfassers, im
Ganzen aber müssen wir bekennen, dass wir es mit einem unstreitig neue Wege bahnenden
Werke gründlichsten deutschen Gelehrtenfleisses zu thun haben, das auch in der Art der
Darstellung zu den Besten auf dem Gebiete der (Jesehichtschroibung zahlt.
„Leipziger Tageblatt'4.
Das Werk, in dem ein erstaunlicher Fleiss eine Fülle von Material zusammengetragen
und die Forschungen der Reehtshistoriker. der Philosophen und Nationalükonomen in gleicher
Weise zu berücksichtigen verstanden hat, wlichst üher den Rahmen der Biographie hinaus:
es wird zu einem umfassenden Kulturgcmalde, das das grosse Problem von der Auseinander-
setzung germanischer und romanischer Kultur zu lösen sticht.
Berliner „Neueste Nachrichten44.
Allen ernst denkenden Protestanten, besonders der wissenschaftlich heranreifenden
.lugend bietet sich das Buch zum Führer durch eine der grüssten Epochen unserer (Jcschichte
an; wird es doch infolge seiner ( Iriimllichkeit und seiner überzeugenden Darstellung sich
dem besten historischen Werken gleichstellen lassen. Leipziger „Illustrirte Zeitung1.
Verlag von Ernst Hofmann & Co. in Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 122.
Digitized by Google
Google
(ineisenau.
24.3
Gneisenau.
Ein Vortrag,
in S t r a s s b u r g gehalten von
C. VARRENTRAPP.
( ioetlie hat einmal zu Kckermann ^csatrt. erst die Kriege Napoleons
hätten jene Caesars rocht aufgeschlossen; noch bestinnnter wird man hier
und heute betonen dürfen, dass unser Verständnis* für die Sieire Napoleons
und noch mehr für die Siejre Uber ihn erhöht ist. seit wir selbst wieder
erlebt haben, was Krie«r und Siey bedeutet, seit wir hier erfüllt sehen,
wonach auch die Helden der Jiefreiuiipskricv'e strebten, was durch sie vor-
bereitet wurde, (iewiss nur bei oberflächlicher Betrachtuinr könnte man
meinen, ihre Thaten seien in den Schatten gestellt durch den (ilanz der
Sieire von 1870: gerade wer diese recht würdigen will, wird in ihnen einen
neuen Antrieb sehen, sich die Zeit zu vcr.L'ejrenwärtijreii. in der «las Heer-
system beschatten und der (Jeist erweckt ist. durch die auch jene Sichre
ermoirlicht sind: klarer und anschaulicher treten bei einer Betrachtum: beider
Zeiten uns die KL'enthumliehkeiteii einer jeden von ihnen und ihrer führen-
deu Männer vor die Seele. Dass unter ihnen dem Ycrtheidiirer Kolbcnrs.
der dann zusammen mit Scharnhorst die Watten zum Kampf der llcfreiuuir
L'esch miedet und zusammen mit lilüehcr sie siegreich iieführt hat, eine der
ersten Stellen gebührt, ist seit lauere namentlich durch die (iedichte Arndts
und Schenkendorfs den weitesten Kreisen verkündet: das hierdurch für ihn
erregte Interesse zu befriedigen, einen genaueren Hinblick in sein Thun
und Wesen zu gewinnen, ist aber erst durch neuere Publikationen ermöglicht,
und der Heiz, mit ihnen sich zu beschäftigen, ist noch »rcstcijjcrt. seit nun
auch über seinen grossen Nachfolger, seit über Moltke seine nach seinem
Tode veröffentlichten Schriften und I '»riefe uns genaue Aufklärumr gebracht
haben. Kin bedeutende]* Mitarbeiter Moltkcs in den letzten irrossen Kriegen,
der nach ihnen eben hierher nach Strassbury an die Spitze des XV. Corps
berufen wurde, (ieneral Kransecky. hat zuerst, schon 1N.">» den Anfanir einer
wissenschaftlichen Hioirraphie von < inciscuau erscheinen lassen. Dass er seine
sorgfältige und anziehende Arbeit nur bis /.um Kriege von l.snii herabführte.
erklärf sich mit daraus, dass (ineisenaus Familie die von ihr gesammelten
Materialien nicht ihm. sondern «lein liioirraphen Steins, (;. II. IVitz. über-
leben hat: in fünf starken Händen sind daraus von diesem und nach seinem
Tode von Hans Delbrück wichtige Mitthcilumreii über ( ineisenau und seine
Zeit veröffentlicht: das bedeutsamste aus ihnen hat Delbrück issj in einer
kleinen zweibändigen Ausgabe der ( lueisenau- iSneraphie zusauimeuirestellt
und hier zuerst eine einheitliche wissenschaftliche Darstelluni: des Lebens
BioBraphische «latter. J. I»»-
Digitized by Google
244
Biographische Blatter.
und Wirkens (Weisenaus geliefert, in welcher scharfsinnig die grossen Pro-
bleme der politischen und namentlich der militärischen ('beschichte seiner
Zeit erörtert sind. Aber keineswegs ist mit diesem anregenden Buch die
Forschung1 über (Jneisenau abgeschlossen: wie über seine Zeit sind auch
Ober seine persönliche Thätigkeit uns neue wichtige Aufklarungen ge-
worden; besondere Verdienste hat auch um ihre genauere Erkenntniss sich
der Biograph Scharnhorsts Max Lehmann envorben, und die Ergebnisse
der von ihm und Anderen angestellten Forschungen hat dann Delbrück in
der /weiten Autlage seines Werkes verwerthet. die eben in dem letzten
Winter erschienen ist. Auch bei der einschneidenden Neubearbeitung seines
Buches kam es Delbrück vor Allem darauf an, die allgemeinen Weltver-
haltnisse, in die seines Helden Leben und Wirken verflochten ist. und seine
Strategie verständlich zu machen; nicht die (irossthaten des Feldherrn, sondern
die Entwickelung und die ethische Bedeutung des Menschen kurz zu schildern,
hatte ich in einem populären Vortrag versucht, den ich 1892 in Strassburg
hielt: weil ich in ihm die für die biographische Würdigung wichtigsten
Punkte besonders betonte, glaubte ich einer freundlichen Aufforderung des
Heiausgebers dieser Bliitter folgen und ihn ihren Lesern vorlegen, dadurch
auch sie auf die erwähnte neue wichtige Bereicherung unserer biographischen
Litteratur hinweisen zu dürfen1).
Dass der Erinnerung werth ist nicht bloss, was (incisenau that. noch
mehr, was er war, das hat schon vor einem halben Jahrhundert Ernst
Moritz Arndt betont, als er seinen Schriften für seine lieben Deutschen
einen Aufsatz über ihn einfügte, (incisenau hatte, als Arndt ihn kennen
lernte, schon die Fünfzig überschritten; aber er war, wie Arndt sagt, „in
Haltung, Schritt und (Jeberde einem Dreissiger ähnlich. Sein Bau war
stattlich und seine ( nieder löwenartig; er stand und schritt wie ein geborener
Held. Diesen Leib kräftigsten Wuchses, etwas über Mittellänge, krönte ein
priiehtiger Kopf: eine offene breite heitere Stirn, volles dunkles Haupthaar,
schönste grosse blaue Augen, die eben so freundlich als trotzig blicken und
blitzen konnten. Ausdruck von Männlichkeit und Schönheit in allen Zügen".
Was Arndt am meisten auftiel. war. wie in den leichtesten beweglichen
Wechseln sich alle (Jefühle und Stimmungen der Liebe und des Zornes,
der Freude und des Fnmuths auf dem Antlitz spiegelten und wie doch bei
gewaltigem Ungestüm und unendlicher Beweglichkeit ( incisenau seine Triebe
zu meistern wusste. Welche (Jcdanken und Sorgen diesen erfüllten, als
M In zwei Künden ist diese zweit«» nach den Krir<'l missen der neueren Forschungen
umgearbeitete Auflage des Lehens des Feldmans« halls (Malen Neidhardt v. (ineisenan von
Hans Delbrück. Kerlin 1SJ>4. im Verlane von Hermann Walther. veröffentlicht. Seite V
bis VIII des er-ten Kandes ist hier auch ein Verzeichnis» der seit dem Jahre. 1SS-J t'v-
sfhienenon und für die neue Mearbcitumr heranuc/<»;jencn Schritten abgedruckt. Auf einigt'
von Delbrück nicht beriicksichtiirte Schliffen ist in den nachfolgenden Anmerkungen hin-
gewiesen.
Digitized by Google
Hnt'ispnau.
245
1K12 Arndt ihn sah. wie verschiedenartige Kindrttcke er erfahren und wie
er unter diesen an seiner eigenen Bildung gearbeitet hatte, darüber können
wir heute mehr, als Arndt wusste. aus den uns neu erschlossenen Quellen
entnehmen. Was lehren sie uns zunächst Ober sein Werden?
Allerdings nicht soviel als wir wünschten: aber doch <renn«r, um zu
bestätigen, was Oneisenau später selbst hervorhob, wie wunderbar er geführt sei.
Kreilich hänirt damit zusammen, dass deich die erste Fra<re. die sich uns
aufdrängt, schwer zu beantworten ist. die Frajre: Welchem deutschen Stamm
L'ehürt (ineisenau an? Nur ein beachtenswerthes negatives Resultat tritt
uns hier sofort entirepen. Auf dem Hoden des preussischen Staates allein
hat (ineisenau die Thätiirkeit entfalten kennen, die ihm seine nationale Be-
ileutuntr sichert: aber für die reformirende Aufgabe, die er hier zu voll-
bringen hatte, war von Wichtigkeit, «las« er wie der Nassauer Stein und
der Mecklenburger Blücher, wie die Hannoveraner Hardenberg und Scharn-
horst nicht in einem altpreussischen i lause geboren ist. Er entstammte der
Familie Neidhardt, die zuerst in Schwaben nachweisbar, in Österreich das
Sehluss (ineisenau erworben hatte. Kin Zweiir von ihr hatte der Reforma-
tion sich zugewandt: er war dann durch die (ie«renreformation vertrieben
und hatte, wie Gneisenau sajrte. Lrehunirert. In der Zeit des siebenjährigen
Krieges tritt uns so als ein vermöirensloser sächsischer Lieutenant auch
(iueisenaus Vater entsrepen: er kam in (Quartier nach Würzbur«/ und lernte
dort die Tochter des Obersten Müller kennen und lieben, und trotz des
Widerstandes der wohlhabenden katholischen Kitern yeiien den armen
protestantischen Lieutenant reichte sie ihm ihre Hand. Sie folirte ihm 17<>(>
auf den Kriegsschauplatz; dort jrebar sie einen Knaben, der bei der Taufe
die Namen Anton Wilhelm Aujrust emptinp, am 27. Oktober — es ist ein
erfreuendes Zusammentreffen, dass eben an diesem Tape HO .fahre später
die Kapitulation von Metz unterzeichnet wurde. Weniirc Ta«re später kam
es zur Schlacht bei Torirau; bei dem Anrücken der Preussen be«/ab sich
«ler noch in Schiida betindliche Tross der Reichsarinee auf eiliiro Flucht,
die selbst in der Nacht fortgesetzt wurde. Auch (Jneisenaus Mutt*T hatte
einen Wapen bestieiren: bei den Fährlichkeiten der nächtlichen Flucht ver-
lor sie «lie Besiiinnnir. und so entirlitt ihr «las Theuerste. was sie besass.
ihr Kind. Kin Soldat der Kskorte fand es auf und brachte es am andern.
Molden der verzweifelten Mutter zurück. „Hätte joner < Jrenadicr. erzählte
Gneisenau später, mich nicht aufgehoben, so würde ich unfehlbar in der
Kinsteniiss von «lein nächsten Waüvn totlt ire fahren worden sein. Aber es
sollte nicht sein. Meine Mutter hat sich nie von der beschwerlichen Reise
und dem Schreck, mich verloren zu haben, erholen können und ist nicht
lamre darauf pestorbeir'. So wurde dem Knaben die Mutter «reraubt, und
auch den Vater riss der Krii\Lr weiter fort und auch nach dessen Kode hat
er weniir für den Sohn irethan. Kr brachte ihn für «.'erinires Kostgeld bei
armen Leuten unter; so wuchs (ineisenau auf hei Fremden in dürft iiren
Iii' *
Digitized by Google
24«
BiojjraphiMrhe Blatter.
Verhältnissen: „ich habe, sayte er. immer ein Stuck Sehwarzbrod. aber
nicht inuner Sohlen unter nieinen Füssen trelmbt". Endlich erfuhren die
Kitern seiner Mutter, wie es ihm «rinjr, und erbarmten sich seiner Not: in
einer Kutsche Hessen sie ihn nach Würzbun,' holen. Wie Zauberei, erzählte
er später, sei es ihm vorgekommen, als er in hell erleuchtete Zimmer «reführt
wurde und Offiziere in glänzenden Uniformen vor sich sah. Aus äusserer
Dürftigkeit wurde er so befreit: auch jetzt aber wurde ihm nur ein ireistii:
dürftiger rnterrieht in der .lesuitensehule zu Theil, in welche die (iross-
*eltern den bisher aus Luthers Katechismus unterrichteten Knaben schickten.
Dankbar erinnerte er sieh daireiron eines Freundes und Mitbewohners seines
trrosselterli eilen Dauses, des Professor Herwig, welcher seiner WissbeLrierde
und Phantasie fruchtbare Xahrunir bot: er &r«»b ihm neben anderen Bitehern
einen deutsehen Homer zu lesen, und als der .fiunre. ihm erzäldte. was er
in den Hücheln gefunden hatte, sairte er ihm: „Komm tätlich zu mir. ich
will Dir rnterrieht ^reben. in Dir steckt mehr." Andere «reistiire Anreirumren
empfing (ineisenau dann, als er nach dem Tod seiner ( irosseltern zu seinem
Vater nach Krfurt kam, wo dieser inzwischen als Jiauinspektor eine An-
stellung ircfundcu hatte: hier wurde er 1777. also 17 .fahre alt, auch als
Student imniatrikulirt. Leitler wissen wir weni«r wie über die vorhergehen-
den, so über die nächstfolgenden .fahre seines Lebens: mannigfache Schwieriir-
keiten brachten (ineisenau eine zweite Vcrhciratliiin*r seines Vaters und
seine Stiefgeschwister: er spriclit von selbst verschuldeten ökonomischen
Uedräny nissen. Sie haben mitgewirkt wohl auch zu seinem Kntsehluss. das
akademische Studium aufzugeben: der schöne, kräftige, muthiire .Jüiurlinir. der
sich besonders für militärische Mathematik inteiessirt hatte, wurde Soldat,
zuerst in österreichischen, sodann in Anspachischen Diensten. Ks war die
Zeit, da auch dieser deutsche Kleinfürst seine Truppen den Kn^ländern
zum Kampf Lrc<ren die Amerikaner verhandelte: als Anspacher Lieutenant
leinte so auch (ineisenau die neue Welt kennen. Als er dorthin kam.
war der Friede im Anzuir: so konnte er nicht mehr selbst im Kampf
mit den dort oiuanisirten Volksaufyeboten ihre Kraft erproben: aber wie
lebhaft sie ihn interessirten . wie er die hier erworbenen Kenntnisse für
Kuropa nutzbar zu machen dachte, zeii:t. dass er eine Denkschrift über sie
ausarbeitete. In Anspach wurde er deshalb als neueruuirssüehtitr bezeichnet:
ei sehnte sieh in grössere Verhältnisse zu kommen: auch ihn wie den
juniren Stein zoy es zu Friedrich den (i rossen, und wirklich nahm ihn der
Kömir in seinem letzten Lehensjahre auf in seine Armee.
Ks leuchtet ein. dass nur eine ungewöhnlich kräftige Natur durch
eine solche .luvend sich so hiiidurchschlaircn. so die Anreirun*ren. die sie
ihm bot. benutzen konnte. Durch die Pesiev/uuLr der Schwierigkeiten, mit
denen er zu riiiLcn hatte, winde, wie Frau von Beiruelin hervorhebt, seine
Streitkraft so entwickelt, dass er sich im Kampf uanz in seinem Klemcnt
fühlte. ...\l»er. setzt sie hinzu, nicht im -erin-sten war er Zänker und
Digitized by Google
(ineisenau.
247
Händehnacher: nie rühmte er sich, noch weniger prahlte er", und wie sie
betont auch Möfflin^r, der vielfach uiiirereeht (ineisenaus einzelne Thaten
beurtheilt hat, dass er unfähii: war einen selbst bei« an treuen rehler auf Andere
y.u wälzen und immer bereit fremdes Verdienst anzuerkennen. Konnte er mit
leidenschaftlicher Sehrotfheit auftreten, wenn er die I)urehführun«r «lor grossen
Ideen gefährdet sah, die ihn erfüllten, so war ihm, wo er Helfer für sie
fand, wo er auf gleichgestimmte Seelen traf, warmes Kiit&re«ren kommen ein
inneres Bedürfnis*. Wohl ist es beachtenswert!!, dass der wesentlich aus
eiirener Kraft emporgekommene Mann mit eiserner Kner«rie solche Ke-*
scheidenheit und solche Menschenfreundlichkeit verband, dass er. obgleich
luelancholischen Stimmungen nicht, unzugänglich, doch vorwiegend eine
Heiterkeit des (iemttths und eine Zartheit der Kmptindun<r zei«rte, die ihm
schon früh die Herzen gewannen. So hat er schon in Krfuit und 'Bayreuth
enjre Freundschaftsbeziehun«ren geknüpft, an denen er dauernd festgehalten
hat2!.
Diese Eigenschaften Hessen ihn nicht verkümmern, er entwickelte sie
weiter in den mannigfach drückenden Verhältnissen der nächsten zwei Jahr-
zehnte. Denn keineswegs glänzend war der Anfanir seiner militärischen
I .auf bahn in Preussen. Kr hatte trehotft. in die Suite des Köniirs, d. h. zu den
Offizieren zu kommen, die eine höhere Ausbildung irenossen: statt dessen
wurde er zu den Füsilieren nach Schlesien versetzt. Zwanzig Jahre lanir
hat er bei ihnen erst als Lieutenant, dann als Hauptmann in Löwenberir
und Jauer in (iarnison gestanden. Kr wurde in dieser Stellung 4(5 Jahre
alt, Vater von fünf Kindern, ei4 lebte ohne Berührung mit bedeutenden
Menschen, mitten im Zeitalter der Kevolutionskrieiic ohne ( «elcirenheit
kriegerische Erfahrungen und Lorbeeren zu sammeln. Natürlich haben diese
Verhältnisse auf ihm gelastet und nicht minder die allgemeinen Verhält-
nisse des preussischen Staates und Heeres. Immer mehr verbreitete sich
das (Jefühl, dass in ihnen schwere ('beistände vorhanden seien, vieles
-I Dass (ineisenau bis an sein Lebensende die in Krfurt begründeten Beziehungen
zu dem Haust* Sie^l in«,' und namentlich seinem Schul- und rnivcrsitlitsfreund Johann Blasius
Sieclin*.' festgehalten hat, zeigen seine Briefe an diesen, die neuerdim/s im l'i. Heft«* der
Mittheil unj/en des Vereins für die Geschichte und Alterthumskunde Krfurts veröffentlicht
sin«l. nachdem einzelne von ihnen schon früher von den .Biographen (ineisenaus mitiretheilt
und benutzt und sechs weitere von Lehmann in der Historischen Zeitschrift ."»!). ff.
publizirt waren. Tick hat seiner Publikation auch mehrere Schreiben von (ineisenaus
Frau, von Karoline von Humboldt und von Sie^lin-r selbst hinzuL'efiiL't: unter diesen ist
Ijcsonders lesenswerth dessen Bericht, wie (ineisenau seinen alten Jugendfreund 1SIJ) in
Berlin aufnahm. — Für (ineisenaus Beziehungen zu seinen Bekannten in Bayreuth und
zugleich für seine Bestrebungen im Marz 1S1:{ ist ein von ihm damals an seinen alten
Kameraden Waidenfels gerichtetes Schreiben interessant, indem er diesen und andere ihm
bekannte Franken aufforderte, die dortige Bevolkerim«/ zur Krhebuny geyen -Ii** Fran-
zosen anzuregen. Siehe dies Schreiben und einige Notizen über (ineisenaus Aufenthalt in
Bayreuth bei Julius Meyer. Krinnerungen an die Hohenzolleruhorr-chaft in Franken
(Anspach 1*1)0) S. HM) ff.
Digitized by Google
248
Biographische Blatter.
namentlich den Ideen widerstritt, die damals so wirksam unsere grossen
Dichter vertraten; aber bei dem engen Zusammenhange aller militärischen,
politischen und sozialen Einrichtungen waren Reformen im einzelnen
schwierig, und vor einer gründlichen Umgestaltung, vor einem Bruch mit
den Traditionen Friedrichs des (i rossen scheute sein Grossneffe zurück: so
erklärt es sich, dass im ersten Jahrzehnt Friedrich Wilhelms III. viel über
Reformen geschrieben, manches für sie vorgearbeitet, aber wenig von ihnen
praktisch durchgeführt ist. Sie herheizuführen, daran konnte natürlich der
Hauptmann Gneisenau in seinem schlesischen Stadtchen nicht denken; aber er
konnte sich auf sie vorbereiten. Und das that er — nicht durch theoretische
Spekulation, sondern indem er in seinem amtlichen und Privatleben zugleich
Empfänglichkeit für die humanen Ideale Kants und Schillers und echten
militärischen Geist bewies.
Seine Neigung und Fähigkeit, Menschen zu helfen und Menschen zu
erziehen, hat Gneisenau nicht nur in der Sorge für die Seinen, für seinen
Vater und seine Geschwister und seine eigene Familie bewährt, die er
sich 36 Jahre alt durch seine Verbindung mit Karoline von Kottwitz
begründete, auch im Verkehr mit Freunden und Kameraden und in der
Einwirkung auf die ihm unterstellte Mannschaft. Nicht in den damals
üblichen Prügelstrafen sah er das Hauptmittel für die Disziplin; er suchte
sie durch Belebung des Ehrgefühles zu heben, lebhaft interessirte er
sich für das Wohl der Einzelnen und ihrer Hintcrlassenen. Dabei er-
reichte er. dass sie den hohen Anforderungen nachzukommen strebten, die
er an ihre Leistungen im Dienste stellte; unermüdlich thätig für ihre Ein-
übung bildete er seine Kompagnie zu einer Musterkompagnie aus. Aber
nicht minder hielt er sich verpflichtet, für seine eigene Ausbildung zu
sorgen. Er war nicht ein Gelehrter und wollte es nicht werden: aber für
seinen Beruf hielt er für nöthig. seine Kenntnisse zu mehren; so hat er
sprachliche und historische Studien getrieben, in Bücher und Karten sich
vertieft; er lernte nicht nur aus eigener Anschauung das schlesische Umd
und die Verhältnisse des benachbarten Polen gründlich kennen, er wusste
auch aus den Zeitereignissen im westlichen Europa Nutzen für seine mili-
tärische und politische Bildung zu ziehen: mit verständnissvollem Interesse
folgte er namentlich den Feld/Ilgen Napoleons. ..Bonaparte. schrieb er.
war mein Lehrmeister in Krieg und Politik". Aber grundverschieden von
denen Napoleons und der ihm vorangegangenen Leiter der französischen
Revolution waren seine ethisch-politischen Grundanschauungen; sie hat er
damals auch in Gedichten ausgesprochen, die eben desshalb, nicht wegen
ihres ästhetischen Werthes unsere Beachtung verdienen. Ist neuerdings
mit Recht der Kintiuss betont, den auf seine späteren Arbeitsgenossen
Hoven und Clauscwitz die Kant'sche Philosophie ireübt hat. so bemerken
wir hier eine Einwirkung von ihr auch auf Gneisenau; erfüllt von der
Gesinnung, der Kant den klassischen philosophischen Ausdruck gegeben
Digitized by Google
One wenau.
249
hat, rief er in einem Gedichte 3)t in dem er bei Absetzung Ludwigs XVI.
den französischen Jakobinern entgegentrat, der Göttin zu:
Begeistre Du das das menschliche Geschlecht
Für »eine Ifiicht zuerst, dann fllr sein Hecht!
Es gab wohl Kameraden, die Uber den Poeten und Uber den Magister
spotteten: die ihn näher kannten, wussten, dass sein idealistischer Enthusi-
asmus nicht die Schwärmerei eines Phantasten, dass er die schöne Pluthe
einer durchweg gesunden, einer im höchsten Grade zu praktischer Leistung
befähigten Natur war. Als er um seine Krau warb, trug ihre Mutter,.
Bedenken, dem vermögenslosen Hauptmann die Tochter anzuvertrauen: da
bestimmte sie sein Chef, Major von Puttlitz, zu der Einwilligung durch
seine entschiedene Erklärung: rEs ist wahr, er besitzt nichts, aber er
kommt doch durch die ganze Welt".
Der Welt zu zeigen, was in ihm war, seine Gaben zu voller Ent-
faltung zu bringen, sie im Dienste des Vaterlandes zu verwerthen, sollte
dem lang in kleinen Verhältnissen Zurückgehaltenen der Sturz des alten
preussischen Staates die Gelegenheit bieten. Wohl hatte er schon früher als
Patriot geseufzt Über manche Gebrechen seines selbst gewählten Vater-
landes, hatte er schon die Ansicht entwickelt, dass man der Verbreitung
des revolutionären Geistes durch weise Gesetze begegnen müsse: aber wie
tief diese greifen müssten, wie berufen er selbst zur Mitarbeit bei den
Reformen sei. das machte auch ihm erst die Katastrophe von 180« klar.
Noch im Sommer dieses Jahres hatte er einmal den Gedanken hingeworfen,
den Soldatenrock auszuziehen und sich ganz dem Berufe des Landwirths
zu widmen, in dem er besser für die Seinen sorgen könne: wenige Wochen
darauf stand er mitten im Kriegsgetümmel. Gleich in dem ersten Treffen
bei Saalfeld leicht verwundet, focht er doch bei Jena mit unter den letzten
Kämpfern; auf dem Kuckzuge lernte er dann das Elend des preussischen
Heeres kennen. „Das waren Gräuel: tausendmal lieber sterben als das
noch einmal erleben". Nach dem Osten vorausgesendet und so der Gefangen-
sehaft entgangen, fasste er in einer Denkschrift die Gründe der Niederlage
zusammen. „Viel ist. schrieb er, von Verrätherei die Rede gewesen"; er
aber wies solche Ansicht zurück: er suchte und fand eine tiefere und
3) Aus dein von Portz in der grossen Ausgabe der (ineisenau- Biographie 1. 648 ff.
»bsredruckten (Jedicht hoben die beiden im Text angeführten charakteristischen Vers«» auch
Treitschke. Deutsche «Jeschichte 1. "JSH und Lehmann, Scharnhorst. 2. 12 hervor. Auf
di« Kinwirkung der Kant'schen .Philosophie auf Hoven und ('lausewitz wies nachdrücklich
H. Cohen in seiner 1MS.1 veröffentlichten Hede über Kant s Kinfluss auf die deutsche
Kultur S. MO ff. hin. Dass (ineisenau sich dann auch mit Fichte beschäftigte, beweist das
interessante Blatt, das Delbrück zuerst in der neuen Auflage 2, -J-J5> ff. abgedruckt bat; auf
ihm hat (ineisenau Fichtes Appellation an das Publikum gegen die Anklage des Atheismus
exr-erpirt. In den Mittheilungen zur (ieschichto Krfurts 10. .14 hat Pick die Vermuthung
geäussert, dass (ineisenau. der mehrere (iedichte Schillers sich abgeschrielien hat. den Dichter
ls»W auch persönlich in Krfurt kennen lernte.
Digitized by Google
250
Biographische Blatter.
richtigere Erklärung für das Unglück in der Verblendung Über den Feind
und vor allem in den scharf charakterisirten Mängeln der Heeresverfassung
und dem vorherrschenden Kleinmnth. Wohl war es wichtig, dass er mit
solcher Klarheit den Sitz des Übels erkannte; wichtiger war die Frage, ob
die Kraft zur Besserung vorhanden war. Seine praktische Tüchtigkeit
hatte (ineisenaii schon bei »Saalfeld bewährt, als er seine Füsiliere tirailliren
Hess; jetzt entwarf er den Plan, mit Hülfe Englands im Rücken der feind-
lichen Hauptarmee eine Volksbewegung gegen sie zu envecken. Aber
dieser IMan wurde nicht angenommen, ebensowenig seine Vorschläge, die
von ihm einexerzirten Rekruten schon früh im Kriege zu verwenden: es
war (iefahr vorhanden, dass seine Kraft in Danzig unter unfähiger Ober-
leitung nutzlos verbraucht wurde da wurde er im Frühjahr 1807 zum
Kommandanten der für die Verbindung mit England besonders wichtigen
Festung Kolberg ernannt. Er fand eine schwere Aufgabe vor. Waren
von den Franzosen zunächst nur geringe Streitkräfte gegen die pommersche
Festung verwendet, so waren diese nun verstärkt, und (ineisenaus Vor-
gänger hatte wenig gethan, genügende Vertheidigungsmittel herbeizuschaffen:
ja er war in Konflikt gerade mit Männern gerathen. die besonder energisch
gegen den Feind auftreten wollten, so dem alten mutlugen Seemann Nettel-
beck, der den patriotischen ( i eist in der Bürgerschaft zu beleben suchte.
Abel- mit dem Tage von (ineisenaus Ankunft, sagt eben Nettelbeck. ,.kam
ein neues Leben und ein neuer (ieist in alles, was um und mit uns vor-
ging''. In der That hat sich hier zuerst gezeigt, was für das Vaterland
(ineisenaus zielbewusste Energie und seine begeisternde Einwirkung auf
deutsche Herzen zu leisten vermochte. Sofort verkündete er seinen Ent-
schluss, die Festung nicht zu übergeben. Er seihst empfand aufs Leb-
hafteste, welche Leiden die energische Durchführung dieses Entschlusses
der Bürgerschaft brachte. „Meine Stadt ist verwüstet, schrieb er im
Juli 1S07, 63 Bürger, Frauen und Kinder sind tot und verstümmelt, eine
Menge sind Bettler: ich habe ihre Häuser anzünden, ihre Obstbäume nieder-
hauen lassen müssen, das Los eines Kommandanten in einer belagerten
Stadt ist hart". Aber nie hat dies warme Mitgefühl ihn zu schwächlicher
Haltung bestimmt: im (iegentheile, wie er selbst keine (iefahr für sieh
achtete, vor keiner Anstrengung zurüekschente. so forderte er (Deiches
auch von seinen Untergebenen: er wusste einen Hauch seines Geistes auch
ihnen und den Bürgern, einzuHössen, sie alle zu vereinen zur mutlivollen Ver-
teidigung. ..Ich nahm, schrieb er einem Kameraden, alles auf meine
Hörner. kassirte feigherzige Offiziere, lebte fröhlich mit den Braven und
Hess brav donnern". Er beschränkte sich nicht auf die Verteidigung der
Festungswerke; in einer interessanten Aufzeichnung über die Belagerung
von Valenciennes hatte er schon 1 7i>:5 dem Kommandanten einen Vorwurf
daraus gemacht, dass er sich auf die Festung habe beschränken lassen und
nicht einen Aussenkrieg geführt habe, hatte er schon damals für die neuen
Digitized by Google
(ineisenau.
251
Ideen Uber den Festungskrieg sieh erklärt, die Montalembert gegenüber
Vauban vertreten hatte. Wie diese in der Praxis zu realisiren. wie die
belagernden Feinde durch Offensive der Belagerten zu schädigen seien, das
hat er nun bei Kolberg gezeigt. Lange hinderte er die Kranzosen sie]] der
Festung zu nähern, indem er die Schanze des Wolfsberges anlegte und sie
mit höchstem Muthe vertheidigte; durch Ausfälle vermehrte er seine Ver-
theidignngsmittel und schwächte die (Gegner: wie durch Kener suchte er
sie auch durch Wasser, durch Überschwemmung zu bekämpfen. Kreilich
auf die Dauer konnte er die weitere Annäherung der verstärkten Feinde
nicht hindern: da sie erfahren hatten, dass ein Waffenstillstand abgeschlossen
sei, machten sie am 1. Juli die grössten Anstrengungen, noch ehe er bekannt
wurde, durch ein Bombardement die Festung zur Kapitulation zu bringen.
Furchtbar verwtlstend wirkte ihr Keuer; wie es nur durch (uieisenaus
persönliches Kingreifen gelang, ihm ein Ziel zu setzen, hat dankbar Nettel-
beck anerkannt. „So besonnen, wo es handeln galt, so allgegenwärtig
gleichsam, wo eine (iefahr nahte, und so beharrlich, wo nur die unab-
pespannte Kraft zum Ziele führen konnte, wie der Kommandant in dieser
furchtbaren Nacht sich zeigte, hatte er immer und überall seit dem ersten
Augenblick seines Auftretens sich erwiesen. Seit Wochen schon war er
so wenig in ein Bett als aus den Kleidern gekommen. Nur einzelne
Stunden ruhte er auf einer Pritsche in einem armseligen (iemach über dem
Uuenburgcr Thor, einem (iefängniss, aber jeden Augenblick bereit, mich
oder andere anzuhören, wenn wir ihm etwas von Wichtigkeit zu melden
harten. Vater und Freund des Soldaten wie des Bürgers hielt er beider
Herzen durch den milden Krnst seines Wesens wie durch theilnehmende
Freundlichkeit gefesselt". Auch am 2. Juli wurden die wiederholten An-
griffe abgewiesen; die Kräfte auf beulen Seiten waren auf's Höchste
gespannt da kam die Nachricht, der Waffenstillstand sei abgeschlossen,
dem bald der Kriede folgte, (ineisenau ahnte, wie schwer die Abmachungen
auf Preussen drückten, er war desshalb nicht freudig erregt, als er die
Nachricht empfing: aber natürlich athmete die 'Bürgerschaft, auf. und weit
Ober die Mauern von Kolberg hinaus wirkte der moralische Kindruck der
Thatsache. dass, während so viele preussische Kestungen den Kranzosen sich
ergeben hatten. Kolberg trotz aller Anstrengungen siegreich vertheidigt
war. Was das Wichtigste, dieser Krfolg war erzielt durch Weckung der
moralischen Kräfte der Kinzelnen im Dienste des Vaterlandes. Ks war
hier im Kleinen geleistet, was im (i rossen der preussisehe Staat bedurfte.
Kein Wunder, dass man zu der grossen Aufgabe, die hier zu lösen war.
auch den Vertheidiger Kolbergs heranzog. Noch im Juli 1S07 wurde er
zum Mitglied der neu eingesetzten Kommission zur Keorganisation der
Armee ernannt.
Ihr Vorsitzender war Scharnhorst: nur kurz brauche ich an seine und
(incisenaus gemeinsame Thätigkcit in den folgenden Jahren zu erinnern, da
Digitized by Google
•252
Biographische Blatter.
davon jede prcussische und deutsche 'Geschichte berichtet: deutlicher noch
als zuvor es mißlich war, haben die Denkwürdigkeiten ihres Mitarbeiters
Hoven und Lehmanns archivalische Forschungen uns erkennen lassen, wie
wichtig und schwierig diese Thätigkeit war. Um so werthvoller war, dass
beide in der Forin ihres Auftretens und der Art ihrer Äusserungen so ver-
schiedenen Männer durchaus Ubereinstimmten in ihren Grundanschauung/en,
der Arbeit für sie alle ihre Gedanken und Kräfte unbekümmert um Gunst
und Abgunst der Menschen widmeten. Bewundernd sali Gneisenau zu dem
älteren Freunde empor; wollte man diesen bei seinem vorsichtig zurück-
haltenden Wesen nur als Theoretiker gelten lassen, so hob er treffend und
nachdrücklich hervor, wie sehr gerade auch durch praktische Tüchtigkeit
Scharnhorst ausgezeichnet sei; andrerseits hat dieser der schwungvoll feurigen
Natur des .lungeren die Wirksamkeit gesehaö'en, in der sie den reichsten
Nutzen für ihre gemeinsamen Pläne bringen konnte. Kr setzte durch, dass
Gneisenau Mitglied der Untei"suehungs-Kommission wurde, die streng die
Kapitulationen des letzten Krieges prüfte. War es wichtig, dass dadurch
unfähige Elemente aus dem preussischen Heere entfernt wurden, wichtiger
war natürlich dessen Neugestaltung. Viele bedeutsame Vorschläge hat dafür
Gneisenau in einzelnen technischen Fragen gemacht; aber nicht auf einzelne
Reformen wollten und konnten Scharnhorst und er sich beschränken. Dass
ein vollständig neuer Hau in einem neuen (reiste nöthig sei, das hatte ja
eben die Niederwerfung des Fridericianisehen Preussen durch die Franzosen
gezeigt ; wollte man wirksam ihnen entgegentreten, so musstc man von ihnen
lernen, alle Kräfte der Nation zu wecken und ihnen den angemessenen
Wirkungskreis zu geben. Ausdrücklich hat dies Gneisenau in beredten Worten
betont. Auf sie hat neuerdings ein angesehener französischer Politiker,
Cavaignac4! hingewiesen, derauf Grund eifrigen Studiums der neuen deutschen
historischen Forschungen in einem umfänglichen Buche eingehend die
.Bildung des modernen Preussen geschildert hat; er sieht in ihnen einen
frappanten Beweis für seine These, dass diese preussischen Feinde Frank-
reichs doch von Frankreich ihre Gedanken über die neue Gestaltung ihres
Vaterlandes entnahmen. Und gewiss, wenn auch mehr, als Cavaignac meint,
schon vor 1800 geschehen war, um solche vorzubereiten, so bedurfte es
doch erschütternder Schläge um sie in das Leben zu führen; sicherlich
waren die Niederlagen von 1800 und 1807. die Lostrennung der polnischen
Gebiete von Preussen, die Krfolge der französischen Revolution und Napoleons
wichtigste Voraussetzungen für die Umbildung des preussischen Staates und
*) Cavaignac. La Innnation de la Crus>c contemporaine (Carls 1SU2) zitirt S. -UM
die auch von Lehmann. Scharnhorst. 2. l.'t f. hervorgehobenen Worte (ineisenaus ül»er «Ion
Kinriuss der französischen Revolution. Yirl. über und yoiren Cavaignaes Auffassung von
«Ictn Verhältnis* der preußischen Ketonn^esetzirebuntr zu die>or auch Koser in iler Histo-
rischen Zeitschrift 7:1. \U:\ H'. und Kailleu in der Deutschen Literatur -Zeitung vom
21. April 1*94.
Digitized by Google
Uneisenau.
253
Heeres, die unter Steins und Scharnhorsts Leitung vollzogen wurde
aber nicht minder nachdrücklich ist zu betonen, dass sie von anderen Ge-
sichtspunkten geleitet wurden und andere Ziele erstrebten als die Führer
Frankreichs in ihrer Zeit, dass sie von jenen nicht weniger sich unterschieden
als Kant und Fichte von Voltaire und Rousseau. Deutlich zeigt uns dies
gerade ein Blick auf die neue Bildung des Heeres in beiden Ländern.
Scharnhorst und (ineisenau wandten sich wie die Leiter der französischen
Revolution gegen die Privilegien des Adels, aber sie bekämpften auch die
egalitären Tendenzen, die Einführung des auch in Deutschland gerühmten
freien Avancements der Offiziere. Sie wollten dem Ofhzierkorps seinen
aristokratischen Charakter, seine korporativen Gefühle wahren aber nicht
Standesvorrechte, Bildung und Leistungsfähigkeit sollten fortan die Besetzung
der Offizierstellen bestimmen. Und wie bei dieser und bei Beförderung der
Offiziere leitete sie auch bei ihren Vorschlägen über die Zusammensetzung
des Heeres und die Behandlung der Soldaten überall der gleiche ethisch-
pädagogische Grundgedanke: alle Klassen der Nation nicht nur heranzu-
ziehen und zu verwerthen, sie zu erziehen durch den Dienst und im Dienste
für das Vaterland, sie zu begeistern für ihre PÜicht. dadurch die Klüfte
des Staates und der Bürger zu heben. Heinrich von Sybel hat einmal die
Ansicht Steins vom Staate dahin zusammengefaßt, dass er den Staat be-
trachtete als eine Schule für den Charakter der Menschen — zu einer
grossen Erziehungsanstalt für die Nation, zu einer Schule der Zucht der
Ehre, des freudigen Opfermuthes wollten ganz im Einklänge mit ihm Scharn-
horst und (ineisenau das von ihnen neu gebildete Heer gestalten. In solchem
Heere war kein Platz mein- für geworbene Ausländer, in ihm sollten alle
Bewohner des Landes die Pflicht der Vaterlandsvertheidigung Üben; so be-
kämpften die Führer der Reform wie die Werbung so die Exemptionen und
die in Frankreich cingef Ohrte Stellvertretung; treffend widerlegten sie die
Hedenken. die gegen den Heeresdienst der gebildeten Klassen wegen ihrer
(iefahr für die Kultur damals auch in Preussen hervorragende Zivilbeamte
wie neuerdings Taine in Frankreich vorbrachten; eben mit Rücksicht auf
diese Ausdehnung der Wehrpflicht aber verlangten sie auch Abschattung
der entehrenden Strafen, die man im alten J leere bei seiner Zusammen-
setzung für unentbehrlich gehalten hatte. „Wenn ein gerechtes Gesetz,
schrieb (ineisenau 1808 in einem glänzenden Zeitungsartikel, Pflichten und
Ansprüche mit Unparteilichkeit über alle Stände vertheilt und den Sohn des
Königlichen Käthes ebensowohl den Reihen der Vatcrlandsvertheidiger bei-
gesellt als den Pflüger und Tagelöhner, so wird es nöthig. die für rohere
Naturen und für ein roheres Zeitalter erfundenen Strafarten der fortgeschrittenen
Bildung mehr analog abzuändern." So fordert er. dass die Proklamation der
Freiheit der Rücken der Verallgemeinerung der Watfenpflichtigkeit" vorangehe.
Auf das engste hingen seine und Scharnhorsts Keformgcdanken mit
denen Steins, mit den Ideen zusammen, die gleichzeitig Fichte und Schleier-
Digitized by Google
254
Hiojrraphische Matter.
macher für die ethische Erziehung der Nation verkündeten: wohl war es
für unsere ganze Zukunft von segensvoller Bedeutung, dass von solchen
idealen (Jcsichtspunkten aus der (irund zum Neubau unseres Heeres und
Staates gelegt ward. Aber sehr begreiflich ist. dass ihre Verwirklichung
auf grosse Schwierigkeiten sticss, dass sie lebhafte Opposition nicht nur bei
denen erregten, die Interesse und Tradition an die alte Ordnung banden.
Ihr gegenüber war es von höchstem Werthe. dass die Leiter der Hefonn,
so hoch ihre (Jedankcn flogen, bei ihren Vorschlägen überall auf ihre
praktische Erfahrung sich stützten, dass sie, wie Beguelin Stein nachrühmt,
die grossen leitenden Ideen mit der genauesten Fachkcnntniss verbanden:
treffend wies eben (ineisenau nach, wie unleugbare vSchäden der alten Praxis
die Reformen forderten, wie sehr diese die Leistungsfähigkeit des Heeres
steigerten. Und gewiss war nur bei Aufbietung aller Kräfte das praktische
Ziel zu erreichen, dem alle ihre Anstrengungen dienten: das .loch abzu-
schütteln, das Napoleon auf Preussen «relegt hatte, .le schweier er den
preussischen Staat und die deutsche Nation bedrückte, um so dringender
schien es ihnen zu sein, den Kampf gegen ihn bald zu führen. Aber frei-
lich gerade in diesem Punkte stimmte Konig Friedrich Wilhelm III. nicht
mit ihnen überein. Auch er litt schwer unter Napoleons ( beimacht: auch
er hatte sich von der Notwendigkeit von Reformen überzeugt und es selbst
ausgesprochen, dass der Staat durch geistige Kräfte ersetzen müsse, was er
an physischen verloren habe. Deshalb hat er wie Stein und Hardenberg
auch Scharnhorst und (ineisenau berufen und wirken lassen: aber die
grössten Schwierigkeiten bereiteten ihnen sein .Misstrauen in die eigene und
in die Kraft seines Volkes, seine bis zur Ängstlichkeit gewissenhafte Kr-
wägnng aller Hindernisse für einen kühnen Kntschluss und seine daraus
entspringende Unentschlossenheit: nur zu oft erschien ihm als zu gewagt
für seinen Staat, was diese eifrigen deutschen Patrioten in ihrem heisseu
Kampfeseifer gegen Napoleon ihm vorschlugen. So gab er den Bedenken
(iehor, die gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht erhoben
wurden, so konnte er sich auch nicht entschliessen den Krieg gegen
Napoleon aufzunehmen, weder als lso!) Osterreich mit ihm kämpfte, noch
als es Inn zwischen ihm und Russland zum Bruche kam. Niemand hat
schmerzlicher diese Haltung des Königs beklagt, niemand energischer sich
bemüht sie zu ändern als (ineisenau. Mit Feuereifer betrieb er 1S11 um-
fassende Rüstungen, schlug er eine grossartige Volksbewaffnung vor. in den
bewegtesten Worten bat er den König sie zu bewilligen. Kr rief ihm
Matthissons:>) Worte zu:
Lass den Sch\vHrhlin£r angstvoll zaL'en!
Wer um Hohrs kUinpft. inuss wairen;
Leiten i.'ilt es oder Tod.
■•i In der zweiltjindiiren Angabe von Matthissons < Jedirhten . dir 1SH bei Cotta
er-chien. sind unter dm (iedichten des vierten Zeitraums von 1T!>9- 1S11 im zweiten Theil
Digitized by Google
(ineisenau.
250
Aber der König fand diese Vorschläge, wie er zu einem von ihnen
ausdrücklich bemerkte. „gut als Poesie". Hierauf antwortete Gneisenau in
einem neuen Sclireiben bei ähnlichen Ausführungen: rKw. Majestät werden
mir. indem ich dieses sage, abermals Poesie Schuld geben, und ich will mich
ircrn hiezu bekennen. Religion. Gebet. Liebe zum Regenten, zum Vaterland,
zur Tugend sind nichts anderes als Poesie. Keine Herzenserhebung ohne sie.
Wer nur nach kalter Herechnung seine Handlungen regelt, wird ein
starrer Kgoist. Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet. Wie
so mancher von uns. der mit Hekümmernis auf den wankenden Thron blickt,
würde eine ruhige glückliche Lage in stiller Abgezogenheit tinden. wie
mancher selbst eine glänzende erwarten dürfen, wenn er. statt zu fühlen,
nur berechnen wollte. Jeder Herrscher ist ihm dann gleichgültig. Aber
die Hände der Geburt, der Zuneigung oder der Dankbarkeit fesseln ihn an
seinen alten Herrn: dessen 1'nglück kettet ihn noch mehr an selbigen; mit
ihm will er leben und fallen, für ihn entsagt er den Familienfreuden, für
ihn giebt er Leben und (iut Ungewisser Zukunft preis. Dies ist Poesie
und zwar von der edelsten Art: an ihr will ich mich aufrichten mein Leben
laug. Zur Line will ich mir es rechnen, der Schaar jener begeisterten an-
zuschüren, die alles daransetzen, um Kw. Majestät alles zu retten: denn
wahrlich zu einem solchen Kntschluss gehört Begeisterung, die jede selbst-
süchtige Berechnung verschmäht. Viel sind der Männer, die so denken,
und weit stehe ich ihnen an Adel der Gesinnung nach: ich werde mich
bestreben, ihnen ähnlich zu werden".
Nie wohl hat Gneisenau seiner Gesinnung einen charakteristischeren
und beredteren Ausdruck gegeben, als in diesen Worten: sehr verständlich
aber ist es. dass sie den König nicht umzustimmen vermochten. Dass je-
doch auch bei sachlicher Krwägung der realen Verhältnisse Gneisenau und
seine Freunde wichtigste Gründe für ihre Ansicht geltend machen konnten,
dass es sich bei ihnen nicht nur um eine Aufwallung heroischer Gefühle
handelte, «las scheint mir durch Lehmanns Forschungen bewiesen und durch
die Publikation von Hovens Denkwürdigkeiten bestätigt zu sein. Freilich
erkennt indess auch 'Hoven an. dass nicht unerhebliche Bedenken für Friedrich
>. l'ii't unter der f'hersehrift .Zuruf" die Verse zu lesen, iluivli welche «Jneisennu 1*11
•!pu K i'miir zu kühnen L'ntschlüssen anfeuern wollte. Nur klingt kräftiger gleich am Anfang
f Jneisenau's Fassung: .l'lötzl ieh kann sich s umgestalten." statt «ler etwas matten Wen-
'hm«.', die hei Matthisson gedruckt ist: .Alles kann sich umgestalten." und ebenso schrieb
jf-ni-r: .Lehen gilt es oder Tod", wühlend man dort liest: „Lehen gelt es „der Tod".
Auf meine Anfrage hatte der genaue Kenner Matthis>ons. Herr lieh. Hofrath
Dr. Hosaeus in Dessau die (Mite, mir mitzutheilen. das* auch ihm nichts von persönlichen
Hezichungen Matthissons zu (ineisenau und ebensowenig etwas He-timmtes über den
Anlüss bekannt sei. bei welchem .Matthisson diese Yer>e verfaßt habe: nicht unwahr-
xh'-inliih sei ihm. dass da> bctreUende (Jedicht wahrend de- früheren Aufenthaltes
«les Dichters in Stuttgart, wenig glaubhaft, dass c> in llcziehutig auf öffentliche Verhält-
nisse geschrieben sei.
Digitized by Google
256
Biographische Blätter.
Wilhelm III. vorhanden waren, den Hund mit dem russischen Kaiser «reifen
Napoleon abzusehliessen, zu dem Scharnhorst' und (Weisenau und auch der
damals von Gneisenau stark beeintiusste Hardenberg ihn zu bestimmen
suchten0). Gewichtige sachliche Grunde machten sie dafür geltend; «loch
gehörte zu solchem Kntschluss ein Heroismus, wie ihn Scharnhorst und
Gneisenau, aber nicht Friedrich Wilhelm III. bcsas,s. zu dem sieh emporzu-
schwingen diesem König nach seiner Anlage, seinen Lebenserfahrungen und
seiner Stellung besonders schwer fiel - aber eben desshalb ist auch der
Kampf und Sie*r von 1813 nur dadurch herbeigeführt, dass neben dem
Kimig Männer standen, die auch in den bedrangtesten Tagen nie ihren
patriotischen Glauben verläugnet, die auch in ihnen solchen Schwung der
Seele bewährt hatten. Für sie war es selbstverständlich, dass nach dem
Gottesgericht, das Napoleon IN 12 in Kussland getroffen hatte, sie jetzt alle
Kräfte anspannten, die alten Pläne zu verwirklichen, die patriotische Kr-
hebung gegen ihn zu siegreichem Ende zu leiten. Und jetzt ist bekanntlich
wirklich die Volksbewaffnung zur Ausführung gebracht, die (Jneisenau
schon Inn vorgeschlagen hatte, die allgemeine Wehrpflicht zunächst für
den Kampf der Befreiung eingeführt. Uni an ihm Theil zu nehmen kehrte
Gneisenau heim nach Deutschland.
Kr war i. .1. 1KD2 wie schon früher i. .7. 1809 auf Reisen gegangen,
um, da es ihm in Preussen nicht mehr möglich war, in anderen Länden)
für die Befreiung Europas vom .loche Napoleons zu arbeiten7), .letzt
°> So halte ich mich, abweichend von der Ansicht, die auch ich im Anschluss an
Duncker und Treitschko in den Preussischcn Jahrbüchern 45, .'15") tf. vertreten hatte, schon
1S0*J geäussert und hin in dieser Auffassung- durch Delbrücks Ausführungen in der neuen
Auflage seines Buches 1. 254 ff. bestärkt. In der gleichzeitig mit dieser erschienenen
5. Auflage seiner Deutschen (ieschirhte hat auch Treit.schke anerkannt, dass Scharnhorst 1S11
von den Küssen ein Zugeständnis* erreichte, ausdrücklich aher dessen (Jeringtügigkeit nach-
zuweisen versucht und sein l'rtheil üher die Haltung der wichtigsten Persönlichkeiten hei
der Krisis dieses Jahres festgehalten. Bedeutsame Änderungen hat er dagegen hei seiner
Darstellung ihrer Politik im Dezemher und im Anfang des Jahres 1S1J vorgenommen,
doch auch jetzt eine von der Lehmanns wesentlich ahweiehende Auffassung vertreten: die
wichtigen .Mittheilungen, die Heide aus den bezüglichen Akten gegehen hahen, lassen
deren vollständige Puhlikation. namentlich zur richtigen Würdigung I lardenberg 's. sehr
wilnschenswerth erscheinen. Sollten interessante Äusserungen tJneisenaus aus diesen Jahren
nicht auch noch in Dürnberg sehen Faiuilicnnapieren zu finden sein?
") Iber <ineisenaus Plan. ISO!» eine preussische Legion in Österreichischem Dienst
zu errichten, vgl. auch Dohner in den Forschungen zu Deutschen Geschichte *25. .'J.'M ff.:
seine Plane und Peisen von ISpJ sind, wie Delhi iick hervorhebt, uns erst völlig deutlich
geworden durch die Lehmann zu verdankende Kntzifferung und Veröffentlichung bisher un-
hekannter in ('hitlern geschriebener Briefe im ii'2. Bd. der Historischen Zeitschrift. Kben
deshalb hätte ich gewünscht, dass aus ihnen Delbrück mehr in seine neue Auflage aufge-
nommen und sie hier einer noch tiefer greifenden l'mgestaltung unterzogen hiitte. bin aber
auch bi«*i" mit seinem von Lehmann abweichenden l'rtheil über die Stimmungen des Königs und
Hardenbergs im Wesentlichen einverstanden. Für den ( harakter < ineisenaus ist besonders W-
zeichneud seine Äusserung in einem dieser Briete an Hardenberg vom Dezember 1SP2. er wolle
Digitized by Google
Uneisenau.
257
betrat er im Februar 1813 in Kniberg- wieder deutschen Boden. Er be-
stimmte den dort kommandirenden (General Borstell, seinen alten politischen
Gegner, sich der Erhebung gegen Napoleon anzuschließen: dann ging er
nach Breslau. Hardenberg wollte ihn zu einer diplomatischen Mission ver-
wenden. Kr aber verlange und erreichte seine Anstellung im Heere. „Vier
Jahre lang-, schrieb er. habe ich den Kampf gegen Frankreich gepredigt
und nun wir durch überirdische Hilfe endlich dahin gekommen sind, ihn
fOlnen zu können, sollte ich mich vom Kriegsschauplatz hinweg/begeben,
um diplomatische (iesehilfte zu übernehmen? Meine Anstellung soll keine
Schwierigkeit haben. Ks soll mir eine Khre sein und es macht mein
(Jlück aus. für die Sicherheit des Königs und für die Unabhängigkeit seiner
Monarchie in jeder Eigenschaft zu dienen. Ich verlange nicht Khren, nicht
Würden."
Ihm wurde aufgetragen, die Geschäfte des Generalquartiermeisters im
Bluehef sehen Korps neben Scharnhorst zu besorgen. Als dieser bei Lützen
verwundet wurde, trat er an seine Stelle. Er stand schon seit 1807 mit
Blüeher in Verbindung: bei den Kriegsplänen von 1811 hatte er besonders
auf Blüchers Thätigkeit gerechnet, der damals alles aufbot, ein festes Lager
bei Kolberg in vollkommenen Stand zu bringen. „Es soll'*, schrieb er an
»ineisenau „demjenigen, der es angreift, Kopf und Herz beschäftigen, und
ich hoffe, man soll saircn. die alten Trcnssen sind bei Kolberg wieder auf-
gestanden wohl verstanden, wenn man meinen Vorschlägen Gehör giebt."
Blücher freute sich, dass Gncisenau in Berlin war. „denn ich weiss, wo
Sie sind, da herrseht Thätigkeit. und wie nothwendig es ist. keine Stunde
zu verlieren, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Die Zeit der Delibe-
ration und des Knnferirens muss nun verschwinden und das Handeln miiss
an die Stelle treten und zur Tagesordnung werden." „Machen Sie doch,
dass der König alle die Sicherheitskommissare und Faulthiere von sich ent-
fernt. Das Achselzucken und Seufzen verrät h fast allemal einen Schuft/'
Deutlich spiegeln diese Äusserungen Blüchers Wesen und Streben wieder:
man begreift danach auch, wie gnit er und Gncisenau trotz ihrer grossen
Verschiedenheit sich verstanden. Als nach dem im Sommer geschlossenen
Waffenstillstand Rlücher an die Spitze der schlesischcn Armee gestellt
wurde, wünschte er deshalb lebhaft, dass auch Gncisenau ihm wieder zur
Seite trete, (,'ni die preussischen Streitkräfte zu erhöhen, hatte Gncisenau
während des Stillstandes eifrig die Landwehr in Schlesien organisirt : ./Land-
treu dem Köniire „dienen. so lanirc (■'efahr da ist: hört diese Hir ihn auf. so nützen andere im
Sonnenschein des (ilücks um seinen Thron sich warmen: ich ziehe mich zurück. Ich mair
nicht mit so vielen Klenden nach Beförderum: ringen, liefen sie zu kilmpfen. so lanire es
des Königs Sicherheit irilt. war mir Pflicht: um ihrer persfinlichen Zwecke willen alter
Dienste zu thun. ist mir zu niedre.'". "Wie Cneisenau den . l'ntcrwerfunvsvertra^'" von
lSl'2 hcurtheilte. zeiirt auch sein Schreiben vom PJ. März 1S|*J an Herzoir Friedrich Wilhelm
von Uraunschweiir. auf dessen Mitwirkuni.'' er mich l>ci ilcn Plänen von 1SI1 'gerechnet
hatte: es ist von P. Zimmermann in der Historischen Zeitschrift <5.{. 4.">4 fl'. veröffentlicht.
Digitized by GoOgle
Biographische Blatter.
wehren Sie man immer drutf. schrieb ihm Rlücher. ich hüre viel guts da-
von, aber wenn die Fehde wieder beginnt, dann gesellen Sie sieh ja wieder
zu mich : es ist in aller Hinsieht nothwendig. dass wir zusammen sind.4*
Wie nothwendig und erfolgreich ihr Zusammenwirken gewesen ist,
das hat die (iesehiehte der nächsten Monate gezeigt. Wohl empfand
(ineisenau das Opfer, das für ihn mit der Cbernahme dieser Stellung ver-
bunden war. Für ihn. der so befähigt zu unmittelbarer Mitwirkung auf
die Truppen sich gezeigt hatte, war es schmerzlich, dass er jetzt auf solche
verzichten musste; aber bei ihm überwog die Freude, wie trefflich sein
Feldherr sich gerade darauf verstand. „(Hauben Sie denn, sagte er zu seiner
rmgelning. dass einer von uns den Alten im Heer hätte ersetzen können?
Sein Vorwärts blitzt in seinen Augen und ist in die Herzen unserer Soldaten
eingegraben." s) lud nicht minder sehätzte (ineisenau, mit wie frohem Wage-
mut]* lilüeher immer für die kühnsten Pläne sich erklärte, die (ineisenau ihm
vorlegte, und sie hindurchfühl te trotz aller Schwierigkeiten und Reibungen,
welche die Verbündeten und t'ntergebenen ihm bereiteten. So haben sie
mit einander ihre Truppen geführt von der Uder an die Mibe, von der Klbe
an den Rhein und über den Rhein bis auf die Hüben des Montmartre.
..Was Patrioten träumten, schrieb (ineisenau 1S14 nach der Hinnahme von
Paris" >, und Kgoisten belächelten, ist geschehen. Das allgewaltige Schick-
Diese AusM'ruiii.' (Weisenaus üher Blücher (heilte Arndt in seinem Aufsat/, üher
»ineisenau in seinen Schriften für seine lieben Deutschen .1. 404 mit. Fein und trehVml hat
Delbrück die Schwierigkeiten entwickelt, die für (ineisenau sich aus seiner Verschiedenheit
von Blücher und aus seiner Stellum.' als < icneralstabschcf ergehen; sie wurden dadurch ije-
steiiMTf. dass er. wie er in dem von Bolorl' in den Forschungen zur hrandenhurLrischen und
IjreusMxchen 'iesehiehte <i. UO*J rt". veröffentlichten Brief vom :]. September 1*1:5 lienierkte,
zwischen einem ( iherfeldherrn stand. ..der mich stets vorwärts führen will, um zu sefilatren,
und zwischen zwei Futenreiieralen. die mich Hir einen Verwegenen halten, der. um seinen
Khrireiz zu befriedigen, die Armee in Gefahr bringt". Dass er andererseits wie die Vor-
züge Blüchers. «.<> auch die Bedentuni: der Thilt i«_rkt'it eine«. ( iencralstabschefs voll würdigte,
das beweist auch der für die Verhältnisse im Schlesischen Heer interessante Brief, den er
im .Innuar 1S14 an (Ihorst von Kndc richtete, um ihn zu bestimmen, in seiner undankbaren
und schwierigen Stell unir hei l.an-eron auszuharren, weil er in ihr dem Küni^. dem Staat,
der ■juteii Sache uml dem Fcldmai schall in hohem Krade die eminentesten Dienste leiste.
..(Mine Sie hätte die Schlacht an der Katzbach nicht eingeleitet und dureh<_'eführt werden
können. (Ihne Sie wäre mi manches andere schief oder <:ar nicht ausgeführt worden. Wenn
Sie. mein lieber < »berster. an der Spitze einer Truppen-Ahthciluntr stehet;, so haben Sie aller-
dings einen angenehmeren Wirkungskreis: aber auch einen nützlicheren? Das muss ich ab-
leugnen. Dort erwerben Sie -ich Zeitun'_rsi uhm : hier, an der Stelle, wo Sie stehen, in
uiiM-ren .Militärarchiven einen iinvci'janL'iichen. Aus diesen wird dereinst ilie (iesehiehte
schöpfen, und Sie weiden als der Mann erscheinen, der dem (i raten Lan-eron die Sie-jes-
palme. die die>er nicht den Mutli hatte zu fassen, aufzwang." Siehe die aus Varnhairens
Nachlass lSf>7 heiaiis«_-e^eheiicn Briel'e von ( hainis-o. (ineisenau. Ilauiiwitz. W. von Huiu-
lml.it. Prinz Louis Ferdinand. Band. Bi'ukert. Tieck u. A. 'Jii*.
'■') In dem theilw eise -chon von llüusser i Deutsche «iesehiehte 4. *>01h vollständig
•von Bnloff in den Forschungen zur htandonhui fischen und preus.sisehen (iesehiehte (5. (»00
jmhlizirten Brief an Bntterihurir vom -js. April J s 1 4 . (ianz ähnlich schrieh (inei-enau nm
Digitized by Google
Gneisenau.
259
sal stand uns zur Seite und liess unsere Fehler dem Tyrannen zum Ver-
derben gereichen." Und als ein .fahr darauf Napoleon von Elba zurück-
kehrte, da waren es wieder Blücher und Gneiscnau, die zu seiner Nieder-
werfung das beste gethan haben: wieder wie 1814 ist es entscheidend, ist es
fflr Napoleon verhängnissvoll geworden, dass er die moralische Kraft ver-
kannte, die in ihnen und in ihrem Heere lebte. Dass sie trotz der Nieder-
lagen, die er ihnen zugefügt hatte, dem englischen Verbündeten, der die
von ihnen erhoffte Unterstützung ihnen nicht geleistet hatte, zu Hilfe zogen,
dass und wie sie den Feind angriffen, der sie weit entfernt glaubte: das
hat Napoleons Sturz besiegelt.
Für ihn hatte noch zuletzt (incisenau persönlich auf das bedeutendste mit-
gewirkt, indem er die Verfolgung ohne gleichen in der Nacht vom 18. Juni
leitete10); auf das äusserste waren nach seinem Wunsche die preussischen
4. Oktober 1814 an Hüchel, als er ihm über den Feldzug von 1S14 berichtete: »Die Vor-
sehung hat Alles zum Messern gewendet. Napoleon hat uns bessere Dienste geleistet durch
>eine Hartnäckigkeit, womit er alle Friedensantrüge. dernüthige sogar, verwarf, als das
?anze Beer der Diplomatiker, und alle Memühungen Metternichs zu Frankfurt und zu Cha-
tillon. den Frieden zu unterhandeln, scheiterten an «lern (%bermuth des Korsischen Fmpor-
kömndings. So sind, die Begebenheiten oft grösser als die Menschen, die sie leiten wollen,
und diese werden unaufhaltsam in jenen Strudeln fortgerissen."* Siehe Jahrbücher für
Deutsche Armee und Marine 27 (1878), .12.1.
,w) Schon Treit-schke hat für seine Schilderung von Gneisenaus persönlicher
Thätijrkeit am 16. u. 18. Juni die Krinnorungen von Manieleben benutzt, auf die sich
Landfermann in seiner diesem IStiO gewidmeten Schrift stützte: in dieser ist S. ~ \ auch
Brief Gneisenau's an Banleleben mitgetheilt ; könnten nicht auch die anderen Stücke
dieses vertraulichen Briefwechsels, die Manleleben als »thoures Besitzthum" aufbewahrte,
zugänglich gemacht werden? Addern lStiO in Merlin bei Heimer veröffentlichten Lebens-
bild von Karl Wilhelm Kortüm ist zu ersehen, welche Sensation der bei Delbrück 2, 2*27 ff.
gedruckte Brief Oneisenaus über die Sehlacht von Melle-Alliance an Frau von Glause-
witz und Frau von Dohna in Düsseldorf, wo damnls Meide sich aufhielten, erregte — ».schon
ehe er geöffnet war: denn Gneisenau hatte auf die Adresse geschrieben : -man bittet das
Siegel zu betrachten", und siehe, der Brief war mit Napoleons eigenem Fetschaft gesiegelt,
welches in seinem Wa^en gefunden war.1- — Spütere beachtenswerthe l'rthoile Gneisenau's
über den Feldzug von 1815 linden sich in seinem von Sybel in der Hist. Zeitschrift 09.
281 f. gedruckton Brief vom 8. .luni 18:51 an den G raten Mrühl. dem gegenüber er betonte,
dass Napoleon allein die Schuld an dem verzögerten Abmarsch von Grouchy habe, und in
>eineni Schreiben an Menzenberg vom 1. November ISKt (im 2. Md. des Jahrgangs 1SH0
der Grenzboten 0 ff.), in dem er von »Wellingtons Blutschuld am ltt." spricht. Indem er
Denzenberg darauf hinweist, dass sich in dessen Schlaehtberieht um Rheinischen Merkur,
wie aus Benzenbergs in der grossen Ausga be der < ineisenau-Miographie 5. 1.">S abgedruckten
Antwort sich ergiebt) Irrthilmer fänden, fügt (incisenau hinzu: »Wenn ein so heller Kopf
dem Einflüsse der historischen Irrthümer nicht entgehen kann, ich hatte beinahe gesagt der
konstanten Grösse historischer Irrthümer. wie konnte es ein anderer. Darum gehe ich so
ungern an Niederschreibung dessen, was ich gesehen habe, denn ich steh»' unter demselben
Kinfhissc, und bei mir. als handelnder Person, kommt mich die Leidenschaftlichkeit hinzu,
womit ich erfüllt bin gegen Indolenz, Furchtsamkeit, (politische) Selbstsucht. Mangel an
Vaterlandsliebe. Franzosensinn, Zaudern. I'nents. .■hlo— enheit . Falschheit. Gleichgültigkeit
gc>.'en die grossen Zwecke des Lehens. Ich werde demnach mit dieser Arbeit warten, bis
i'b durch da.s Landleben etwas l>eslinftigt sein werde."
Hiojjraphiöclie Blauer. I. 17
Digitized by Google
260
Biographische Blatter.
Kräfte angestrengt, um Europa von dem Dränger zu befreien, dessen Macht
auf Preussen und Deutschland am schwersten gelastet hatte. Aber eben da-
mit hing zusammen, dass die Wünsche, die Gneisenau und seine Gesinnungs-
genossen fflr Deutschlands Neugestaltung hegten, zunächst sich nicht erfüllten.
Das erschöpfte Preussen war nicht im Stande, den europäischen Mächten
gegenüber die Rückgabe des Elsass an Deutschland, die vor allem Gneisenau
1814 und 1815 forderte, dessen Wiedergewinn er für so wichtig hielt, dass
er 1814 rieth, lieber halb Belgien Frankreich zu lassen, durchzusetzen und
befriedigend die deutsche Verfassungsfrage zu lösen.
Heute erkennen wir klar, wie schwere Arbeit vorangehen musste, ehe
unter Preusscns Führung das neue deutsche Reich gegründet und die alte
deutsche Westmark wieder gewonnen werden konnte, und wie manche Vor-
arbeit dafür in Gneisenaus letzter Lebenszeit geleistet ist. Aber nicht
minder begreiflich ist uns, dass ihn vieles trübe stimmte, was er in dieser
Zeit der Abspannung gethan und unterlassen sah: er verabscheute alle
revolutionären Agitationen, aber nicht minder die Thorheit und den Fanatis-
mus der Demagogenjäger, die auch gegen ihn Argwohn zu erwecken suchten,
ihn bekümmerte die Gährung, die beide Parteien wetteifernd förderten. Um
so mehr hielt er sich verpflichtet, festzuhalten an den ethisch-politischen
Grundanschauungen, von denen die Gesetze der Reformzeit datirt waren,
die zwischen den Extremen die positive Mitte hielten, und in engem Zu-
sammenhang damit steht, dass er sich treu blieb auch in den Empfindungen
seines Gemüthslebens. Mit grösster Bescheidenheit sah er auf die Erfolge,
und die Stellung, die er errungen hatte. Seinem alten Jugendfreunde Siegling
schrieb er11): „Wohl hätte ich mir es nicht träumen lassen, zur Zeit als
wir mit kaum einigen Groschen in der Tasche in der schönen Liegend
Erfurts herumwanderten, dass ich bis zum Feldmarschall dereinst aufsteigen
würde. Aber so waltet das launige Glück! So mancher, der es weit eher
als ich verdient hätte, musste fallen, während ich erhalten wurde." Natür-
lich lebte der Feldmarschall anders als der Hauptmann: trefflich verstand
sich Gneisenau darauf, seine Gäste in dem schlesischen Gute Erd-
mannsdorf, das er sich erworben hatte und auf dem er mit Vorliebe in
seinen letzten Jahren sich aufhielt, durch schöne Feste zu erfreuen. Aber
für sich selbst blieb er einfach und bedürfnisslos. Er wohnte dort in einem
Mansardenzimmer, das ihm wegen der Aussicht besonders lieb war. Alles
prunkende Scheinwesen war ihm verächtlich: er sprach stets gegen den
Tal'elluxus, von dein nichts für die Nachwelt übrig bleibe: jeden anderen
n> Am Anfange des in der Uist. Zeitschrift fn>. 30"» und in den Mittheiluneen zur
< ie.schielite Krfurt.s 10, 75 abgedruckten Briefes vom 2i». .Juni 1S2*». Kbenso schrieb
(ineisenau in dem a. a. < K ;">!). 300 ff. und 10. S2 tf. publizirten und auch von Treit.schke
in seiner Schilderung von < Weisenaus letzter Zeit (I). <;. 4, 202) benutzten Brief vom
21. Mai 1*31 dem alten .Jugendfreund: „Du bist ein Sohn Deines I-'lcisses, ich ein Sohn
des (Uiicks.-
Digitized by Google
Gneisenau.
261
fand er ersprießlicher für den Staat, den der Tafel ganz todter Natur und
selbst Geist und Unterhaltung erttfdtend. Und geistige Anregung ver-
schiedenster Art suchte und gab Gneisenau besonders auch im geselligen
Verkehr. So ist heute erst recht erkennbar die Bedeutung seines Uniganges
mit seinen schlesischen Gutsnachbarn, der Familie des Prinzen Wilhelm,
bei dem er in dessen Sohn, dem Prinzen Adalbert, das Interesse für die
Gründung einer Flotte erweckt hat12): deshalb pflegte er auch die Verbindung
mit Schriftstellern und Künstlern. Mit Hecht pries die Berliner philo-
sophische Fakultät, als sie ihn zusammen mit den andern Feldherrn im
Befreiungskrieg 1814 zum Doktor promovirte, neben seinen kriegerischen
Verdiensten auch den Mann von Geist und Wissen13): eifrig betrieb er
im folgenden Jahre in Paris die Rückgabe der von den Franzosen ent-
führten Kunstschätze und Handschriften; sehr lag ihm dann am Herzen die
„kostbare Gemäldesammlung" der Brüder Boisserte für Berlin zu gewinnen,
damit sie „von da aus Kunstsinn und Enthusiasmus für Kunst" verbreite. An die
preussischen Universitäten rieth er „die eminentesten deutschen Gelehrten zu
ziehen", und so bescheiden er stets über seine Kenntnisse sprach, deutlich
traten doch in seinen Gesprächen die Vielseitigkeit seiner Interessen und
seine Schätzung jeder höheren Bildung hervor. Auch im Feld hat er sich
deshalb gern mit Karl von Räumer und Steffens unterhalten; einen brief-
lichen eingehenden Gedankenaustausch hat er mit Niebnhr und Benzenberg
gepflogen, manche Stunde in Berlin mit der alten Genossin des Weimarer
12 ) Ausdrücklich hebt Batsch in seinem Buch über Prinz Adalbert von Preussen
(Berlin ISMO) 8. 30 u. 45 hervor, dass „die eigentliche Grundlage, für das. wa.i Prinz
Adalbert erstrebte, von Gneisenau .stammte", dass „für des Prinzen jugendliches Dichten und
Trachten nach Ozean, Weltverkehr und Flott*1 er in dem Feldmarschall den eifrigsten ernst-
haftesten Freund und Berather fand". Auch die Gräfin Beden erkannte in ihren Briefen
an. wie anregend und liebenswürdig (ineisenau in dem gutnachbarlichen Verkehre war: sie
fand durchaus bestätigt, was ihr Stein geschrieben hatte, dass ihr der Umgang mit diesem
geist- und thatenreichen Mann manche interessante Stunde gehen werde; gross und allgemein,
bemerkt sie. war die Trauer um seinen Tod. S. ('. Reuss, Grtlfin Friderike von Reden
I, 2*1 ff. 4i>f>.
9) In den von Tieck und Raumer herausgegebenen nachgelassenen Schriften
Solgers sind 2. 705 ff. auch die Klogia mitgetheilt. die er als damaliger Dekan der Berliner
philosophischen Fakulttft bei der Ehrenpromotion von Hardenberg. Blücher, Tauentzien, York,
Kleist. Bülow und Gneisenau vom 3. August 1814 verkündete. ('her Gneisenaus Be-
mühungen um den Rückgewinn der nach Paris entführten Kunstsehtttzc s. namentlich
Reifferscheids Aufsatz über K. v. Groote in der Monatsschrift für rheinisch-westfälische Ge-
schi«htskunde 1. 30 ff.: die angeführten Äusserungen Gneisenaus über die Boisseree'sehe
Sammlung Sulpiz Boisserce (Stuttgart 18(52) 1. 322. Sein Interesse für die Kölner Kunst-
sammlungen sprach Gneisenau auch Benzenberg gegenüber aus, den er auch an den „liebens-
würdigen Künstler" Schinkel empfahl. Leider sind von dem Briefwechsel Gneisenaus mit
Benzenberg Delbrück nur die Schreiben des Letzteren bekannt geworden; Gnciseimus Briefe
an ihn sind schon 1800 im 2. Bd. der Grenzboten gedruckt: unter ihnen sind ausser den»
whon oben in Anmerkung 10 angeführten besonders lesenswerth die Schreiben vom
II. Dezember 1817. vom 19. Januar und vom 23. September ISIS und vom 30. Mürz 1*20.
17*
Digitized by Google
262 Biographische Blätter.
Dichterkreises Amalie von Helvig-Imhof und mit Bettina14) verplaudert.
In solchem Verkehr, in lebendiger Theilnahme an den öffentlichen Ange-
legenheiten und durch ernsthafte Leetttre strebte er auch jetzt sich weiter
zu bilden. Was er seiner Tochter Agnes empfahl, das übte er selbst, „die
Kultur seiner Seele denjenigen Zerstreuungen vorzuziehen, die man Ver-
gnügungen nennt und die es eigentlich nicht sind".
In solcher Stimmung bestärkte ihn der schwere Schlag, der ihn 1822
traf, als seine eben genannte geliebte Tochter ihm, ihrem Mann, dem
ältesten Sohn von »Scharnhorst, mit dem sie in glücklichster Ehe lebte, mid
drei kleinen Kindern durch plötzlichen Tod entrissen wurde. In ergreifenden
.Briefen hat ihr Vater seinem tiefen Schmerze Ausdruck gegeben. Doch
sti ebte er danach, sich durch diese Schwermuth nicht Überwältigen zu lassen.
„In (Gesellschaft, schrieb er, lasse ich mich nicht von meinen Kummer
beschleichen, aber in der Einsamkeit überlasse ich mich ihm gerne
und fühle mich durch ihn veredelt. Diese stille Trauer ist mir lieb ge-
worden und ich möchte sie gegen keinen anderen Zustand vertauschen."
So sprach er sich gegenüber den Freunden aus, mit denen er am innigsten
in diesen Jahren verkehrte, dem Clausewitz sehen Ehepaar, dem grossen
militärischen Denker, dessen Talent er über das seinige setzte, den er
als Scharnhorsts Johannes bezeichnete, während er nur sein Petrus ge-
wesen sei, und seiner Frau Marie, der geborenen Gräfin Brühl; wer ihren
14) Über < ineisenaus Vorkehr mit Amalie von Hei vig-Imhoff siehe Henriette von
Bis sin •:. das Lolion der Dichterin Amalie von II elvi«? geb. Freiin von Imhoff. Berlin 1889,
S. 221 ff. J7.1 ff. Zwei Briefchen (ineisenaus an Bettina von Arnim sind in der oben
erwähnten Sammlung aus Varnhagens Nachlas* 2. 27b* ff. gedruckt. „Auch ich. schrieb
er ihr 1820, theilte die Yorurtheile. die gegen Sie in der Gesellschaft umhergehen. Ihr tiefer
philosophischer Blick. Ihr fertiger und leichtfertiger "Witz, fesselten endlich nieine Aufmerk-
samkeit. Die edle Art wie Sie von Ihrem Mann mündlich und schriftlich redeten, gewann
Ihnen endlich mein Vertrauen und ich legte jedes Vorurtbeil gegen Sie ab und hatte meine
Freude an Ihnen, wie ein Vater an seiner geistreichen Tochter, wenn ich auch nicht immer
Ihre Vernachlässigung der konventionellen Formen zu vertheidigen vermochte und Urnen gern
zuweilen eine väterliche Yennahnung gegeben hatte, wozu ich jedoch des Hechtes sowie der
Hoffnung des Erfolges entbehrte." In dein folgenden Billet aus dem Marz 1827 meldet
(Jneisenau an Bettina, er trage die Umrisse ihres Kntwurfes zu einem Basrelief filr das
Monument zum Andenken des Königs von Baiern noch immer in angenehmer Erinnerung1
mit sich herum und werde sich auch nicht von ihnen tn-nnen. „Sie sehen, wie sehr ich der
Künstlerin huldige: die Philosophie vermag ich nicht zu erreichen, sie steht mir zu hoch.4*
rnmittelbar darauf sind ebenda eine poetische Einladung von (Jneisenau aus dem Jahre
1828 an Julie von Kgloffstein und ihre Antwort gedruckt; nach (ioethischem Muster begann
hier (inei>enau:
Kennst Du das Land, wo Dein < iedachtniss blüht?
Durch dunkles L.iub die Abendsonne glüht?
Dass am h (Joethe selbst im Juli 1819 ein < Jodieht an ("Jneisenau richtete, hat Burdach s
Ausgabe des westiistlichen Divan gezeigt: es ist das im Buche der Betrachtungen zuerst
1827. jetzt in der Weimarer Ausgabe (5.73 gedruckte, das mit den Worten anfängt:
Den (Jruss des Unbekannten ehre ja!
Kr sei Dir werth als alten Freundos (iruss.
Digitized by Google
Gneisenau.
263
köstlichen Briefwechsel mit ihrem Manne gelesen hat. wird es voll verständ-
lich linden, das* Gneisenau ihr aus dem Kelde geschrieben hatte: „Ftlr
solche Frauen schläft man sich gern." Sonnige Tage haben sie zusammen
in Koblenz15) verlebt, wo unmittelbar nach dem Frieden Gneisenau das
Generalkommando übernahm und um ihn ein Kreis hochbegabter Patrioten
sich scharte. Sehr verschieden unter einander, waren sie einig in dem Be-
streben, auch im Frieden den (reist zu bewahren und zu bethätigen, in dem ihr
Haupt kühn das Vaterland befreit hatte, mit deutschem Geist das Deutschland
wiedergewonnene I>and zu erfüllen. «Ks lag. schrieb Frau v. Clausewitz
später an Gneisenau, ein ganz eigener Zauber darin, gerade mit Ihnen dort
zu sein, jede Freude Uber die himmlische Gegend, jeder frohe Gedanke an
die Befreiung schien neuen Dank, neue Verehrung für den Befreier zu heischen."
Freilich trat schon IN 16 Gneisenau von dieser Stellung zurück: aber als er
dann zum Mitglied des Staatsrates und zum Gouverneur von Berlin ernannt
nach der Hauptstadt kam, war es ihm eine besondere Freude, dass auch Clause-
witz dorthin berufen und auch ein Verwandtschaftsband zwischen ihnen ge-
knüpft wurde, indem der jüngere Bruder der Frau v. Clausewitz Gneisenaus
dritte Tochter Hedwig heirathete. Und wie in Koblenz, trat (Mausewitz ihm
dann auch in Posen als Chef des Gencralstabes zur Seite, als Gneisenau nach
dein polnischen Aufstande von lH.'iO mit dem Oberbefehl Über die desshalb an
der polnischen Grenze mobilisirten Armeekorps betraut wurde. Mehr als die
Sorge um die Polen beschäftigte beide Freunde der Gedanke an die von
Frankreich drohende Gefahr. Da näherte sich von Osten der Grenze ein
,5) Über Gneisenaus Koblenzer Tage uml seinen dortigen Kreis vsrl. ausser den
Schilderungen von Delbrück und Treitschke I D. G. 2. 190 f.) die Litteratur, die ich
in meinem Buch über Johannes Schulze S. 178 zusammenstellte. Hier hob ich S. 180
auch Äusserungen Gneisenau* aus seinen Gesprächen mit Schulze und besonders das im
letzten Absatz dieses Vortrage« eitirte l'rtheil hervor, das Gneisenau über ilen Grund von
Napoleons Sturz fftllte. Auch der Gräfin Heden sprach (Jneisenau mit Bewunderung von
•Napoleons Genie1* und el>enso betonte er in einem Brief an seinen Schwiegersohn Brühl (H.
Z. 69. 252) die „grossen Geistesmittel des ausserordentlichen Menschen für Heerführung
und Staatenverwaltung'4, nachdem er die ihn in hohem (irade fesselnden Memoiren von
Bourrienne gelesen hatte. Besonders anschaulich führen uns den geselligen Verkehr in
Koblenz und die Bewunderung uml Liebe, die Gneisenau dort gezollt, wurden, die von
Meusebach gedichteten , Kintags-Sehünchen auf- und abgeblüht zu Koblenz am lihein 1814
bis 1818* vor Augen, die der Dichter als Manuskript für nähere Freunde drucken liess und
von denen da* Sixt von Annin geschenkte Exemplar jetzt auf der Berliner Königlichen
Bibliothek aufbewahrt wird. Hier ist S. 41 auch zuerst das an den Schluss dieses Vortrages
wie der Vorreden von Pertz und Delbrück gestellte Gedicht von Meusebach mitgetheilt,
das er mit Gneisenaus Bild an seinen Freund Dr. F. Hofmnnn geschickt hat. und ebenso
S. 21 ff. der Prolog, den bei einer Mensebach'sehen Abschiedsgesellschaft zu Fhron Gneisenau*
Kmma von Jasmund sprach. Schon hieraus und aus den» hei Delbrück 2, 330 f. gedruckten
Brief an Stosch ergiebt sich, dass Gneisenau nicht schon im Juni 1816 Koblenz verlassen
hat: nach den als Manuskript für seine Freunde is.">7 von Barsch gedruckten _ Erinnerungen
aus seinem vielbewegten Leben" ist (Jneisenau am 1:1. Juli von dort abgereist; auch in
dieser Schrift sind einige Briefe Gneisenaus mitgetheilt.
Digitized by Göbgle
2G4 Biographische Blätter.
schlimmerer Feind als Franzosen und Polen - - die Cholera. Auch vor ihr
zitterte (Jneisenau nicht. Am 9. August 1831 schrieb er seiner Frau:
..Wenn mir die Wahl gelassen würde, welcher Todesart ich sterben wolle,
so würde ich mir nächst einer Kanonenkugel oder einem sanften Schla.gHu.ss
die Cholera wählen. Wenn man 71 .lahre alt geworden ist. die geistige
und die Kiirperkraft sich gemindert haben, dann kann man wohl wie ich
mit Ruhe in Hinsicht auf sich selbst inmitten der Seuche diese mit
(ileichgültigkeit betrachten und seine Besorgniss nur den andern Bedrohten
widmen." In der Nacht vom 22. auf den 23. August ergriff ihn die Krank-
heit, in der folgenden Nacht ist er ihr erlegen.
Wer den Lebensgang, den ich hier kurz zu skizziren versuchte, mit dem
Moltkes vergleicht, dem treten auf das deutlichste die Verschiedenheiten
Beider, ihrer Zeit und ihrer Aufgaben, ihrer Naturen und ihrer Bildung
entgegen. Abel* nicht minder lehrreich und besonders erfreulich ist es. sich
zu vergegenwärtigen, worin Beide sich glichen. Heider Lehrmeister in der
Strategie ist Napoleon gewesen, und niemand hat entschiedener seine geniale
Kraft anerkannt, als der Feldherr, der zu seiner Besiegung das Beste g"ethan
hat. „Unsere Klugheit, sagte er, hat ihn nicht überwunden, sondern die hohe,
ihm unverständlich gebliebene Begeisterung und Vaterlandsliebe des preus-
sischen Volkes."* Stets hat Gneisenau seine Hoffnung, dass Napoleon gestürzt
werde, eben darauf gegründet, dass er in seiner masslosen Selbstsucht die
Hechte und (iefühle der Nationen verletzte und jeden Verständnisses; ent-
behrte für die idealen Kräfte im Leben der Individuen und Völker. Dass
und wie (liieiscnau und Moltke ihre in Napoleons Schule geübte Kraft in
den Dienst ihrer Nation gestellt und bei ihr und im eignen Inneren die
idealen Kräfte gestärkt haben, das hat nicht nur ihre Siege ermöglicht, das
macht auch die Beschäftigung mit ihnen menschlich so erquicklich. »Seine
Erinnerungen an Moltke hat (iraf Bethusy kürzlich mit den Worten «ge-
schlossen, dass er und die Seinen ihn nicht nur hätten verehren, sondern
auch lieben müssen. Ich weiss nicht, ob ihm bekannt war, dass genau mit
dein gleichen Ausdruck Meusebach die Stimmung von (Jneisenaus Verehrern
dahin zusammengefasst hat. dass sie nicht zu unterscheiden wüssten. ob sie
ihn verehren oder lieben müssten. Was sie an den Heiden fesselte, das
sprach ebenfalls Meusebach einem Freunde aus. als er ihm ein Bild (ineisenaus
übersendete. Ks solle, schrieb er,
Den Mann ihm zeigen, dess das Tier/, mir voll. , I)o<'h seine Würd" und Huld und klar« .Milde,
Wiewohl mein Lied nicht würdig, ihn zu
preisen.
Das ist er. sieh, der .Mann von Stahl und
Kisen.
So war er da. wo vom sein Schlachtruf scholl.
Vor seinem Kuhm dius eigene Errothen
l ud wie er heit re Ehrfurcht rings gebietet:
Das alles steht hier freilich nicht im Hildo;
Für uns auch, die ihn kannten, nicht von
Nöthen !
So da. wo Feindes Strom am dicksten quoll. Denn unsre Brust sein treustes Bild behütet,
Huld uiusst' ihm Feindes Fuss die Ferse
weisen.
Digitized by Google
Karl Ludwig.
265
Karl Ludwig.
A. Nachruf von ADOLF FICK.
Orr 23. April ist in diesem .Talire für die deutsche wissenschaftliche Welt
zu einem Gedächtnisstage der Trauer geworden, denn es ist an diesem Tage eine
ihrer hellsten Leuchten erloschen, durch den Tod des grossen Physiologen Ludwig
in Leipzig. Die zahlreiche Schar seiner dankbaren Schüler war gerade damit be-
schäftigt, eine würdige Feier seines 80. Geburtstages im nächsten Jahre zu planen.
Ludwig hat also das Maass der Jahre nahezu erreicht, das nach den Worten des
Psahnisten dem Menschen als höchstes zugemessen ist: er hat diese Jahre mit
einem Maasse von fruchtbarer Arbeit, erfüllt , wie es nur selten einem Menschen
besehieden ist. und dennoch waren wir" berechtigt noch eine Fülle von Leistungen
von dieser unerschöpflichen Kraft zu erwarten. Denn noch in der letzten Zeit,
ehe die für das höhere Lebensalter so verhängnissvolle Influenza ihn ergriffen hatte,
war er als Forscher und Lehrer mit gleicher Energie thätig wie in früheren
.Jahren. Schon wieder auf dem Weire der Genesung, dachte er keineswegs daran
auf seinen Lorberen auszuruhen, sondern nur an alsbaldige Wiederaufnahme der
gp wohnten angestrengten Thätigkeit. als ein plötzlicher Herzstillstand seinem Leben
ein sanftes Ende machte.
Ludwigs äusserer Lebenslauf ist ohne stürmische Wogen ruhig dahingeflossen,
wie das bei den Männern der Wissenschaft überhaupt meistens der Fall ist. Wie
die hexvorragenden Geister Deutschlands fast alle, entstammt er der mittleren
Gesellschaftsschicht. Carl Friedrich Wilhelm Ludwig ist geboren am 2VI. De-
zember 1810 zu Witzenhausen in Kurhessen als der Zweitälteste von fünf Söhnen
und zwei Töchtern eines pflichtgetreuen angesehenen Rentbeamten, vordem schnei-
digen Keiteroftiziers. Die Übersiedelung des Vaters nach Hanau hatte zur Folge,
dnss er in dieser Stadt das Gymnasium absolvirte. Er bezog die Universität
-eines engeren Vaterlandes Marburg und widmete sich dem medizinischen Studium.
Allen, die Ludwig im reiferen Alter gekannt haben, als einen geradezu auffallend
besonnenen, jeder Extravaganz in ungewöhnlichem Maasse abgeneigten Mann, wird
es überraschend sein zu erfahren, dass er sich als Student in den ersten Jahren *
mit grossem Eifer dem Korpsleben und selbst dem Mensurensport hingab, so dass
er sogar — wozu damals freilich wenig gehörte — mit dem Disziplinargerichte
in Konflikt geriet und für einige Zeit von der Universität Marburg verwiesen
wurde. Man kann unmöglich annehmen, dass eine so tief und zart angelegte
Natur wie Ludwig durch das Treiben der Korpsburschen an und für sich hätte
angezogen werden können. Immerhin lag es in seiner Art, sich in allem, was er
trieb, energisch und unerschrocken hervorzuthun. Für die leere Seite des studenti-
schen Treibens hat er übrigens im späteren Leben niemals auch nur die geringste
Sympathie gezeigt, was man heutzutage bei Männern, die als Studenten den Korps
angehört haben, nicht häufig wahrnimmt. Die Wegweisung von der Universität
Marburg veranlasste Ludwig zunächst an der Chirurgenschule in Hamberg und an
der Universität Erlangen seine Studien fortzusetzen. Nach Marburg zurückgekehrt,
kehrte er mit aller Entschiedenheit — nicht ohne dadureh in unliebsame Kon-
flikte zu kommen — dem Treiben seiner ersten Semester den Kücken und warf
sieh nun mit seiner ganzen Energie auf die wissenschaftliche Arbeit. Er wurde
1839 zum Doktor promovirt und 18-11 als Prosektor am anatomischen Institute
angestellt. 1842 erhielt, er die venia legendi flu- Physiologie und 18-ltf auf An-
Digitized by Google
266
Biographische Blätter.
trag des Professor L. Fick die Anstellung als Professor extraordinarius für ver-
gleichende Anatomie. Es war ein günstiger Zufall, dass in jenen .Jahren dieser
nur wenige Jahre altere intime Jugendfreund Ludwigs Vorstand des anatomischen
Institutes war, der ihm in liberalster Weise einen Theil der reichen Mittel dieses
Institutes für seine physiologischen Untersuchungen zur Verfügung stellte, für
welche in damaliger Zeit noch kein besonderer Etat ausgeworfen war.
Im Jahre 1840 wurde Ludwig als Professor der Anatomie und Physiologie
nach Zürich berufen, und er verheirathete sich kurz darauf mit der Tochter des
Juristen Professor Endemann, mit der er sich bereits in Marburg verlobt hatte.
Er hat in dieser edlen Frau eine seiner vollkommen würdige Lebensgefährtin
gefunden, die in wahrhaft idealer Ehe 45 Jahre lang Freud und Leid mit ihm
get heilt hat. und die noch in der letzten Krankheit bis zum letzten Athemzuge keinen
Augenblick vou seiner Seite gewichen ist. Die Ehe war durch zwei Kinder gesegnet,
einer Tochter, jetzt vermählt mit Alfred Dove, und einem Sohne, der schon in
frühem Knabenalter den Eltern durch den Tod entrissen wurde.
Im Jahre 1855 folgte Ludwig einem Hufe als Professor der Physiologie
an die medizinische Militärakademie (.losephiuum) zu Wien, wo er 10 Jahre
lang wirkte. In diese Zeit fallen mehrere Verhandlungen über Berufungen an
preussische Universitäten. Es ging damals in der wissenschaftlichen Welt das
Gerücht, die preussische Regierung habe seine Berufung nicht ausgeführt, weil
er der materialistischen Weltanschauung huldige. Im Jahre 1857 erging übrigens
an ihn eine thatsäehliehe Berufung nach Breslau, die er ablehnte. Im Jahre 1805
übernahm er als Nachfolger von Ernst Heinrich Weber die physiologische Professur
in Leipzig. Er war der Nachfolger dieses hervorragenden Mannes auch in dem
Sinne, dass dieser bis dahin der Führer der deutschen Physiologie gewesen war
und dass diese Stellung nun unbestritten von Ludwig eingenommen wuitle. Er
hehielt sie bis an sein Lebensende.
Diesen im Umriss gezeichneten Rahmen des Lebens hat Ludwig durch
wissenschaftliche Arbeit in einer Weise ausgefüllt, dass man — obgleich ja der
Rahmen ungewöhnlich weit ist — über die Fülle erstaunen muss.
Als Ludwig im Anfange der 40er Jahre seine wissenschaftliche Thätigkeit
begann, bereitete sich in der Physiologie eine vollständige Umgestaltung der
Grundauschauungen vor. Bis dahin hatte man für selbstverständlich gehalten,
• dass in den lebenden Wesen die Materie nicht ausschliesslich von den auch in
der unorganischen Natur wirkenden Kräften bewegt wurde, sondern daneben noch
von spezifischen Lebenskräften, die gleichsam mit Bewusstsein nach bestimmten
vorgesetzten Zwecken wirken sollten. Man pflegt diese Richtung der Physiologie
als die r vitalistische1' zu bezeichnen. Nur einzelne Probleme der Physiologie
waren bis dahin von hervorragenden Forschern als physikalische behandelt
worden, aber seihst diese, wie E. H. Weiter, Johannes Müller. Volkmann und
andere, hatten nicht die letzte Konsequenz gezogen, die in der Physiologie nur
eine Physik und Chemie oder eine Mechanik — im weiteren Sinn dieses Wortes —
der lebenden Wesen sehen muss, die eine Lebenserscheiiiung nur dann als erklärt
ansehen kann, wenn nachgewiesen ist, dass sie "hervorgebracht ist durch das
Aufeinanderwirken der materiellen Theilchen der lebenden Wesen nach den Gesetzen,
nach denen dieselben Theilchen auch ausserhalb lebender Wesen aufeinander wirken.
Ludwig war unter den ersten, die diese Konsequenz gezogen haben. Ef
gehört zu den Stiftern der mechanischen Schule der Physiologen. Mitstreiter
gegen die vitalistische Richtung fand er in dem glänzenden Berliner Dreigestirn
Brücke, du Bois-Reymond und Helmholtz, mit denen ihn auch iunige
persönliche Freundschaft verband. Diesen drei Physiologen war es wesentlich
Digitized by Google
Karl Ludwig.
267
leichter gemacht, sich von den Banden eines unklaren Vitalisinus zu befreien,
denn sie lebten in Berlin in einer Atmosphäre, die ganz von physikalischen
Anschauungen geschwängert war in täglichem Verkehr mit hervorragenden
Physikern wie Dove, Magnus, Clausius und Anderen. Ludwig entbehrte in
Marburg solcher Anregungen von aussen gänzlich, allenfalls könnte der berühmte
Chemiker Bunsen. der damals in Marburg wirkte, einigen Einfluss in der frag-
lichen Richtung auf ihn gehabt haben. Doch ist es wahrscheinlich, dass er das
Laboratorium Bunsens erst aufsuchte, nachdem er sich für die mechanische Auf-
fassung der Lebensvorgänge innerlich entscliieden hatte und nun das Bedürfniss
empfand, sich mit den exakten Methoden der unorganischen Naturwissenschaft
bekannt zu machen. Es giebt uns eine besonders hohe Meinung von der Energie
seines Denkens, dass er eben ganz selbständig die neue Richtung eingeschlagen
hat, die durch ihn im Verein mit den eben Genannten alsbald zur allein herr-
schenden gemacht wurde.
Es mag hier im Vorbeigehen bemerkt sein, dass sich in allerjungster Zeit
wohl in innerem Zusammenhange mit den rückläufigen Strömungen auf anderen
Kulturgebieten eine Reaktion gegen die klare und konsequente mechanische
Richtung der Physiologie bemerklich macht.
Zu dem Siege der mechanischen Richtung trug Ludwig am meisten bei
durch sein 1852 erschienenes den Freunden Brücke, du Bois-Reymoud und
Heimholt/ gewidmetes Lehrbuch der Physiologie bei. Es war das erste,
das konsequent im (reiste der mechanischen Auflassung geschrieben ist . und
brachte eine ausserordentliche Wirkung hervor.
Seine folgenreichste wissenschaftliche That vollbrachte Ludwig schon in der
Zeit seiner Marburger Wirksamkeit. Es war die Erfindung des Kymographion
(1847) — ein wahres Ei des Columbus. In dieser Beziehung lässt sich die
Erfindung des Kymographion mit der Erfindung des Augenspiegels vergleichen ;
aber auch noch in einer anderen Beziehung, denn wie mit der Erfindung des Augen-
spiegels eine neue Aera der Ophthalmologie beginnt, so beginnt mit der Erfindung
des Kymographion eine neue Aera der physiologischen Methodik, näinlieh die
der selbstregistrirenden graphischen Darstellung, die dann erst von der Physiologie
aus auch in anderen Naturwissenschaften verbreitet worden ist. Die Sache ist
einfach diese. Schon oft hatte man den Druck des Blutes in einem (iefasse
des lebenden Thieres gemessen, indem man den einen Schenkel einer U-förmigen
mit Quecksilber zur Hälfte gefüllten Röhre mit dem Inneren des Blutgefässes in
Verbindung setzte. Der Blutdruck trieb dann das Quecksilber im andern offenen
Schenkel so hoch hinauf, bis die Höhendifferenz der Quecksilberniveaus in beiden
Schenkeln dem Blutdrücke gleich ist. Nun kann mau meistens mit Auge und
Maassstab den raschen Schwankungen dieses Druckes nicht, folgen. Ludwig kam
auf den genialen Einfall, der einem hinterher allerdings unendlich naheliegend
vorkommt, auf den offenen Schenkel der Röhre ein Stäbchen mit einer seitlich
angebrachten Zeichenspitze zu setzen. Diese schwankt mit dem Quecksilber-
niveau auf und ab, und wenn sie an einer vorübergeführten Fläche gleitet,
an der sie eine Spur hinterlässt, so zeichnet sie eine wellenartige Kurve, aus der
man hinterher die zeitlichen Schwankungen des Blutdruckes, die durch die Herz-
kontraktionen hervorgerufen werden, in aller Müsse ablesen kann. Der Herzschlag
hat sich also selbst aufgeschrieben. Die erste so gewonnene Kurvcntafel, auf der
nach ähnlichem Prinzip auch noch die Athemzüge graphisch dargestellt waren,
hat Ludwig seinem Schüler Mosso geschenkt mit der für ihn charakteristischen
Aufschrift: „ der Sammlung des Freundes Mosso stiftet dieses erste Stammeln des
Herzens und der Brust, K. Ludwig". Es ist begreiflich, welcher vielseitigen
Digitized by Google
2«8
Biographische Blatter.
Anwendung solche graphische Methoden fähig sind. Man studirt heutzutage
«■ine ungeheure Anzahl von physiologischen Vorgängen, denen man mit dem
Auge nicht zu folgen vermag, indem man sie sich seihst aufzeichnen lässt. Die
suhtilen Arbeiten von Helmholtz und seinen Nachfolgern in der Muskel- und
Nervenphysiologic wären ohne die graphische Methode nicht möglich gewesen und
sind also mittelbar dem von Ludwig gegebenen Anstosse zu verdanken. Die
selbstregistrirenden Vorrichtungen bilden gegenwärtig wohl den raeistgebrauchten
Theil des Rüstzeuges unserer Laboratorien und es erscheint kaum eine Nummer
einer physiologischen Zeitschrift, in der nicht Tafeln mit graphischen Darstellungen
enthalten sind.
Ein anderes überaus sinnreiches Werkzeug zur Erforschung der Blut-
bewegung ist die von Ludwig ersonnene Stromuhr; sie gestattet das Blut aus
einem Gefässe des lebenden Thieres zeitweis«1 nach aussen und dann wieder in das
Gefäss zurückzuführen und auf diesem Wege kubikcentimeterweise abzumessen.
Von d«*n ^tatsächlichen Entdeckungen Ludwigs können hier nur einige wenige
namhaft, gemacht weiden, deren Bedeutung auch dem Laien ersichtlich ist. Da
sind vor Allem seine balmbrechenden Untersuchungen über den Einfluss de*
Nerveiisystemes auf die Diüsenabsonderung hervorzuheben. Bis daliin hatte man
die Drüsen für »-ine Art von Filtern gehalten, die von dem durchströmenden
Blute gewisse Theile durchtreten und aus den Ausführungsgängen ausfiiessen lassen.
Ludwig zeigte im Jahre 1851, dass die Zellen vieler Drüsen, insbesondere der
Speicheldrüsen, auf Xervcneinfluss in ähnlicher Weise wie die Muskeln thätig
werden, und durch chemischen Umsatz neue Verbindungen erzeugen, die sie mit
grosser Kraft aus dem Ausführungsgangc hervordrängen. Dass es sich hierbei
um chemische Prozess«' handelt, erwies er auch noch dadurch, dass dabei wie bei
der Muskelthätigkeit erhebliche Mengen von Wärme frei werden.
Eine stattliche Reihe von Arbeiten aus Ludwigs Laboratorium, die über
viele Jahre zerstreut sind, hat die sogimannten Blutgase zum G«*genstande. So
nennt man die im Blute locker gebundenen Mengen von Sauerstoff und Kohlen-
säur«-, die bei «1er Athmung mit der äusseren Atmosphäre ausgetauscht werdeu,
und die somit die Haupt posten thicrisebeu Stoffwechsels ausmachen. Die meisten
grundlegenden Thatsachen dieses wichtigen Gebietes verdanken wir Ludwig und
seinen Schülern.
Eine andere R«ihe von Arbeiten seines Laboratoriums beschäftigt sich mit
der Untersuchung des Xerveneiuflusses auf die Blutgefässe, der die Vertheilung des
Blutstromes in die einzelnen Orgaue beherrscht. Der grösste Theil unserer Kenntniss
dieses Gegenstandes, insbesondere die Kenntniss vom Zentrum des Gefässnerven-
sy stems im verlängerten Rückenmarke, ist durch diese Untersuchungen gewonnen.
Es giebt aber auch kein anderes Gebiet «1er Physiologie, das nicht durch
Arbeiten aus Ludwigs Laboratorium wichtige Bereicheningen erfahren hätte.
A »isser der Physiologie im engeren Sinne des Wortes wurde in diesem Labora-
torium die Erforschung des feineren Baues der Organe, die sogenannte Histiologie,
betrieben, die natürlich dann am fruchtbarst«'!! ist. wenn ihr der Physiologe die
Klagen stellt. Von den histologischen Leistungen Ludwigs mögen seine wichtigen
Arbeiten über d«'n Bau der Niere besonders hervorhoben werden.
Von dem Umfange seiner Forscherthätigkeit kann man sich eine Vorstellung
machen, wenn man si« h folgende Angaben vergegenwärtigt. In den ersten Jahren
seiner literarischen Thütigkeit veröffentlichte er in Henle und Pfeufers Zeitschrift
für rationelle Medizin, dann in den Berichten der Wiener Akademie, deren Mit-
glic«! er war. Je«ler Jahrgang dieser Zeitschriften von 1841 bis 1865 enthält
zahlreiche Abhandlungen aus Ludwigs Feder. Von 18fW> bis 187« veröffentlichte
Digitized by Google
Karl Ludwig.
269
er seine Arbeiten in den Berichten der sächsischen königlichen Gesellschaft, und
lies.« sie auch gesondert herausgeben, jedes Jahr einen Band von durchschnittlich
300 .Seiten. Seit 1877. also die letzten 17 Jahre, erschienen die Arbeiten des
Leipziger Laboratoriums in der physiologischen von du Bois-Reymond heraus-
gegebenen Abtheilung des Archivs für Anatomie und Physiologie. Sie machten
wohl etwa die Hälfte der 17 starken Jahresbiinde dieses Archives aus.
Die Forschung Ludwigs ist nicht blos durch die Gedankenfülle hervor-
ragend, sie ist noch besonders ausgezeichnet durch eine gewisse Kühnheit, die
nicht zurückschreckte vor Aufgaben, deren Lösung ganz unüberwindliche experi-
mentelle Schwierigkeiten zu bieten schien.
Die Forscherthätigkeit wurde bei Ludwig, wenn es möglich ist, noch über-
boten von seiner Thätigkeit als Lehrer. Hierin steht er geradezu einzig da, und
es wird schwerlich sobald ein ihm Gleicher erstehen. An gewandten und an-
regenden Kathederlehrern hat es wohl nie gefehlt, aber ihm erst ist es gelungen,
eine Schule selbständiger Forschung zu gründen, worin ihm die chemische Schule
Liebigs als Vorbild diente. In dieser Wissenschaft mit ihrem verhältnissmässig
gleichartigen und begrenzten Gebiete und ihren hochentwickelten Methoden ist
es ein Leichtes, die Kchülqr eines Laboratoriums zu selbständiger Forschung an-
zuleiten. In der Physiologie, die chemische, physikalische, vivisektorischc, ana-
tomische und andere Methoden zur Lösung ihrer ganz ungleichartigen Probleme
fordert, ist das offenbar unendlich viel schwieriger. Hier eine Schule selbst-
ändiger Forschung zu gründen*, erfordert eine ganz besonders beanlagte Per-
sönlichkeit. Die Grundbedingung ist natürlich die Liebe zur wissenschaftlich
strehsamen Jugend, die Ludwig im höchsten Maasse besass. Sie gewann ihm
die Herzen der Schüler. Dazu muss aber eine unerschöpfliche, vielseitige Ge-
dankenfülle kommen, aus der dem Lehrer jeden Augenblick Aufgaben zuströmen,
wie sie für die besonderen Fähigkeiten und Interessen der einzelnen sich zufällig
darbietenden Schüler angemessen sind. Selbstverständlich darf eine unermüdliche
Arbeitskraft nicht fehlen. Dank dem Verein jener Eigenschaften erzielte
Ludwig einen Erfolg, der in der Geschichte der Physiologie einzig dasteht. Das
Leipziger Laboratorium war das Mekka der Physiologen, dem die Jünger aus
beiden Hemisphären zuströmten. Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet,
dass kaum ein junger Mann in den letzten 30 Jahren die Physiologie zu
seinem Berufe gemacht hat. der nicht einige Zeit im Leipziger Laboratorium
gearbeitet hätte.
Obgleich es Ludwig in wirklich ungewöhnlichem Maasse verschmäht hat.
durch besondere Mittel die Aufmerksamkeit auf seine Leistungen zu ziehen, so
hat es ihm doch auch an äusseren Anerkennungen und Ehrungen nicht gefehlt.
Die meisten bedeutenden wissenschaftlichen Körperschaften aller Länder haben
sich die Ehre gegeben, Ludwig zum Mitgliede zu wühlen; insbesondere ist ihm
die seltene Auszeichnung zu Theil geworden, unter die Ritter des Ordens pour
le merite aufgenommen zu werden. Sein Landesherr und andere Fürsten haben
seine Verdienste durch Verleihung hoher Titel und Orden anerkannt. Die Stadt
Leipzig hat ihn zum Ehrenbürger gemacht. Am meisten Freude hat ihm selbst
wold die begeisterte Anerkennung seiner Schüler bereitet, die in mehreren gross-
artigen festlichen Veranstaltungen an besonderen Gedenktagen sichtbaren Aus-
druck gefunden hat.
Vor dem Leserkreise dieser Zeitschrift, der nicht aus Physiologen besteht,
ist es wohl am Platze, zur Rechtfertigung der vivisektorisehen Thätigkeit. die
gerade Ludwig in sehr grossem Umfange getrieben hat. ein Wort zu sagen. Er
hat diese Thätigkeit stets als eine schwere Pflichterfüllung angesehen . die eben
Digitized by
270
Biographische Blätter.
nicht zu entbehren ist, wenu unsere Kenutniss der Lebeuserscheinungen zum Segen
der leidenden Menschheit gefordert werden soll. Wie sehr Ludwig von Mitleiden
auch für die Thiere durchdrungen war. hat er durch aufopferungsvolle Arbeit für
den Thierschutzverein gezeigt , dessen langjähriger Vorsitzender er gewesen ist.
Im Laboratorium bethätigte er dies Mitleiden durch die peinlichste Schonung der
Thiere. soweit es mit dem Zwecke des Versuches verträglich ist. Wer an den
Leiden der Thiere bei Vivisektionen Anstoss nehmen möchte, der bedenke doch,
dass wohl jedes Thier in der freien Natur durch seine unerbittlichen Gegner im
grausigen Kampfe ums Dasein weit mehr leidet und unter viel schwereren Qualen
verendet, als ein Thier, das in tiefer Narkose auf dem Versuchstische des Labora-
toriums verblutet. Solange man noch ruhig zusieht, wie Tausende — nicht um
ihren Hunger zu stillen, sondern — zum Vergnügen Auerhähne hcschleiehen
und Rehböcke schiessen, hat man wohl überhaupt kein Recht, an der Thätigkeit
des Physiologen Anstoss zu nehmen, der ohne öffentliches Argerniss zu geben im
geschlossenen Laboratorium, um die Wissenschaft zu fördern, an lebenden Thieren
Vei-suche anstellt.
IXe glänzenden Geistesgaben können Ludwigs beispiellose Erfolge als Lehrer
allein nicht erklären, sie mussten getragen sein von einem edlen Charakter, denn
zu nachhaltiger begeisterter Arbeit wird der Schüler nur augefeuert, wenn er das
Vorbild selbstloser Begeisterung im Leben vor Augen hat. Sie fand bei Ludwig
nach ächt deutscher Weise nicht ihren Ausdruck in tönender Phrase und thea-
tralischer Pose, aber sie dämmte aus seinem schönem Auge, wenn er in den schlich-
testen Worten sprach, und in seiner ganzen Handlungsweise zeigte sich, dass sie
nie durch den persönlichen Vortheil bestimmt wurde. Da diese Uneigcnnützigkeit
in den für Universitütsangelegenheiteii maassgebenden Kreisen allgemein bekannt
war, wurde sein Rath namentlich bei Besetzung von Lehrstühlen vielfach eingeholt
und befolgt, am meisten natürlich in Leipzig selbst zum Segen für diese Univer-
sität. Dies bezeugt ihr Rector am Sarge Ludwigs mit den Worten:
„Ei» ist wohl kein Zufall, dass mit seinem Erscheinen unter uns der
Aufschwung beginnt, welcher Leipzig an die Spitze der deutschen Hochschulen
brachte. Dankbar erkennen wir aber auch an, dass eine erleuchtete Ntaats-
regiening, ein erleuchteter unvergesslicher Fürst, Ludwigs Anregungen auch
über die medizinische Fakultät hinaus Folge gab, dass man an maassgebender
Stelle erkannte, wie nur Rücksichten auf das allgemeine Wohl, nur grosse
Ziele ihn leiteten*.
Natürlich beschränkte sich Ludwigs ideales Interesse nicht ausschliesslich auf
seine Fach- Wissenschaft, auch die anderen Kulturgebiete in Wissenschaft und Kunst
verfolgte er mit wärmster Theiluahme, feinem Verständnisse, vor Allem lag ihm auch
das Wohl seines Volkes am Herzen. Da ihm aber der übernommene Beruf eiues
Forschei-s und Lehrei-s der Wissenschaft, wenn er ihn treu erfüllen wollte, wenig
Zeit liess, andere Beschäftigungen mit Ernst zu treiben, ist er im politischen Leben
nie aktiv aufgetreten, [m stunnbewegten Leben des Jahres 1848 hatte er sich
der Gruppe von Männern eng angeschlossen, die sich damals um Sybel in Marburg
schaarte, und deren politische Überzeugungen er theilte. In späteren Jahren folgte
sein Herz mit lebendiger Empfindung dem grossen Gange der vaterländischen Ge-
schicke. Was deutsch war an deren Neugestaltung, befriedigte ihn tief; dem
blossen Preussenthum wünschte er dagegen jederzeit durch selbständige, zumal
geistige Verdienste der übrigen Bundesstaaten die Spitze geboten zu sehen.
Einem Manne von so seltenen Geistesgaben und Charaktereigenschaften, zu
denen sich eine wahrhaft bestrickende Liebenswürdigkeit gesellte, konnte es nicht
fehlen, dass sich überall, wo er dauernden Aufenthalt nahm, hervorragende Männer
Digitized by Google
Karl Ludwig-.
271
an ihn anschlössen, mit denen er dauernde Freundschaftsbande knüpfte. Die an
anderer Stelle bereits erwähnte Freundschaft mit seinen Kampfgenossen gegen den
Vitalismus Brücke, du Bois-Reymond und Helmholtz entstand in der Marburger
Zeit. Du Bois-Reymond bezeichnet in einer brieflichen Mittheilung die Wochen,
die er im .Jahre 1847 mit Ludwig in Marburg zugebracht hat, als eine r herr-
liche Zeit-.
Von den Züricher Freunden Ludwigs sind besonders hervorzuheben der
Theologe Hitzig und vor Allen Mommsen, der mit ihm bis an sein Lebensende
innig verbunden geblieben ist. Ein bleibendes Denkmal dieser Freundschaft zweier
grossen Männer ist die Widmung des 2. Theiles der römischen Geschichte.
in Wien traf Ludwig mit seinem alten Freunde Brücke zusammen. Neue
bleibende Beziehungen hat er dort nicht angeknüpft. Sein eigenstes deutsches
Wesen: im Innern Idealitat. im Äusseren Solidität, fand Ludwig erst während
seines Leipziger Lebens um sich her nieder. Er lebte da, von den Kollegen-
kreisen abgesehen, in dem Kreise eines geistig und sittlich vornehmen Bürger-
thumes. dem unter Andern angehörten der Bürgermeister und Reichstagsabgeordnete
Stephani. der praktisch geniale Bankdirektor Rudolf Wachsmuth, der feinsinnige
hochgebildete Verleger Salomou Hinsel. Der Reiz des Umganges beruhte da
gerade auf der Verschiedenheit von Beruf und Lebenstellung bei gleicher Tüchtig-
keit und Empfänglichkeit auch für das Fremde, gemeinsamer Liebe zu allem
Echten und Hohen im öffentlichen Dasein, wie in Wissenschaft, Kunst und Gewerbe.
In diesem Kreise lernte Ludwig auch Gustav Freytag kennen, der sich an
ihn in inniger Freundschaft anschloss. Er giebt in seineu Lebenserinnerungen
seiner Bewunderung für den Freund und dessen Gattin Ausdruck in folgenden
Worten, in denen er ihn mit dem vorhin genannten Bankdirektor Wachsmuth
zusammenstellt: ..Der stolze Naturforscher, welcher sein Wissen und Können mit
einer auch bei uns unerhörten Selbstlosigkeit den Erfolgen seiner Schüler dienstbar
macht, und der uneigennützige Leiter grosser Geschäfte, der Berather und Ver-
trauensmann so Vieler, Stolz und Liebling seiner Mitbürger, beide leben in der-
selben hochsinnigen Hingabe für das Wohl Anderer. Sie haben oft dem Freunde
das Herz erhoben und durch ihre eigene Art sein Fi-tbei! über andere gerichtet.
Dasselbe gilt von den Frauen der Genannten. Weder Frau Ludwig noch
Franziska Wachsmuth sind in einem meiner dichterischen Versuche abgeschildert,
aber zu dem Idealbilde des liebevollen tapferen deutschen Weibes, welches in
meinen Erzählungen oft wiederkehrt, haben beide, ohne es zu wissen, reichlich
beigesteuert. -
Das Lebensbild Ludwigs lässt uns sehen, dass die uneifoi-schlicbeu Rath-
schlüsse des Schicksals, die so oft über die edelsten Naturen die schwersten
Leiden verhängen, doch zuweilen «inen bewundeniswcrthen Menschen ohne allzu
harte Prüfungen durch ein langes bis ans Ende glückliches Leben führen.
B. Denkrede von ROBERT TIGERSTEDT *>.
Wir müssen Denjenigen glücklich preisen, der so wie Ludwig bei unge-
schwächter Geisteskraft und bei Erhaltung von Lust und Fähigkeit zur geistigen
Arbeit ein hohes Alter erreicht, und dessen Tod tiefe Trauer und inniges Bedauern
erweckt, nicht nur bei den vielen, welche i»ersöiilich mit ihm in Berührung
*> Dem Nachruf eines deutschen .1 Untiers und Lebens freundes lassen wir die am
30. April 181>5 an der Universität Stockholm gehaltene, von einem Wiener < Jemianisten
verdeutschte Denkrede eines jüngeren .schwedischen Schülers von Ludwig folgen, die Wesen
und Wirken des Lehrers, des Forschers, des Freundes und Führers seiner aus aller Welt
zuströmenden Hörer in neues Licht rückt. Lelihaft zu wünschen wiire, dass eine berufene
Hand uns mit einem Lebensbilde der bedeutenden Persönlichkeit nach Familien-Erinnerungen.
Digitized by Google
272
Biographische Blatter.
gekommen sind, sondern auch in weiteren Kreisen, die ihn bloss durch seine Wirk-
samkeit schützen gelernt haben.
Ludwig war bei seinem Tode über 78 Jahre alt. Aber weder das hohe
Alter, noch die körperliche Gebrechlichkeit hielt ihn davon ab, bis zu dem
Augenblick, wo ihn die Krankheit, die Influenza, welcher er unterliegen sollte,
im Beginn des März auf das Totenbett warf, mit unvermindertem uud jugend-
lichem Eifer in seinem Laboratorium zu arbeiten, aus welchem er eine Arbeit
nach der andern in die Welt schickte, die auf seine Veranlassung, oder unter
seiner Mitwirkung zu Stande gekommen war.
Wenn eine so tiefe Neigung zur wissenschaftlichen Forschung schon an
und für sich uns Bewunderung abnöthigt, so wird dieselbe noch viel grösser,
wenn wir uns erinnern, zu welchen Resultaten diese Neigung führte, und wie der
Mann war. der diese Resultate gewonnen hat.
Ludwigs erste wissenschaftliche Arbeit ist, so viel ich weiss, eine Habili-
tationsschrift „Beiträge zur Lehre vom Mechanismus der Harnsekretion" , eine
kleine Broschüre vtm 42 Seiten Octav, welche er im Alter von 2» Jahren, Mar-
burg 1842, herausgab. Hier entwickelt er seine später so berühmt gewordene
Theorie von der Art und Weise, auf welche die Urinaussonderung vor sich geht.
Ex ungue leonem! Hier finden wir schon alle Hauptzüge, welche die ganze
spätere Forschung Ludwigs auszeichnen, sein Streben, eine rein mechanische
Erklärung der Lebenserscheinungen zu geben, und im Zusammenhang damit seine
hohe Werthschätzung der exakten Naturwissenschaften, seine lebhafte Opposition
gegen die vitalistischc Richtung in der Physiologie, sein scharfer Blick für die
Bedeutung der Erscheinungen im anatomischen Bau des Körpers und seiner Organe.
Man hat Ludwig oft unter den Schülern von Joh. Müller genannt , aber
mit Unrecht. Denn Ludwig war schon ein fertiger Physiolog, als er zum ersten
Male nach Berlin kam, und damals war Müllers physiologische Periode bereite
abgeschlossen. Aber die physikalische Betrachtungsweise der Lebcnserseheinungen.
welche die Grundlage der von Müllers Schülern, von einem Helmholtz, du Bois-
Reymond. Brücke betriebenen physiologischen Forschung bildet, war auch die
Ludwigs, und er hatte selbstständig und von diesen unabhängig diesen Gedanken
coneipirt. welchen er früher als einer der Genannten in seiner Habilitationsschrift
öffentlich aussprach.
Derjenige ältere Forscher, der, so weit ich urtheilen kann, auf Ludwig den
grössten Einfluss ausübte, war Ernst Heinrich Weber, und noch im hohen Alter
sprach Ludwig mit der grössten Bewunderung von diesem seinem Vorgänger auf
dem physiologischen Lehrstuhl der Leipziger Universität, und er konnte nicht
stark genug hervorheben, von welcher ausserordentlichen Wichtigkeit das Eili-
greifen Webers in die Entwicklung der Wissenschaft in diesem Jahrhundert war.
Lndwig sagte einmal: Wir, d. h. Helmholtz. du Bois-Reymond , Brücke
und Ludwig, stellten uns vor, dass es verhiiltnissmässig leicht sein werde, die.
ganze Physiologie auf eine rein physikalisch-chemische Grundlage zu stellen, und
sie der Physik ebenbürtig zu machen, aber die Sache war doch schwieriger, als
wir gedacht hatten. Ludwig war jedoch derjenige, der am ernstesten und tiefsten
in dieser Richtung eingriff mit seiner Arbeit. Während Helmholtz. der mit
Brieten und Zeugnissen beschenken würde. Da die Erfüllung dieses Wunsches leider noch
geraume Zeit auf sich warten lassen dürfte, sollten einstweilen alle bisher in Zeitschritten
zerstreuten Ueden und Nachrufe (von Iiis. Mosso etc.) satunit dem nur als Manuskript
gedruckten Heft „Karl Ludwig /.um Abschied* in einem »Sammelbuch vereinigt werden:
wir sprechen diese Anreirumr nicht nur für den einen Kall aus: ähnliche biographische
Denkmale wären auch den (.ictreuen von Helmholtz. Svhel, < ineist etc. willkommen.
A. d. H.
Digitized by Google
Karl Ludwig.
273
seinem ausserordentlichen Scharfblick die grossen Schwierigkeiten erkannte , mit
den damaligen physikalischen und chemischen Kenntnissen für die Lebensersehei-
nungen eine ganz exakte mechanische Theorie zu geben, sich so zu sagen nur an
die Aussenwerke der Physiologie hielt, und nur solche Gebiete dieser Wissen-
schaft bearbeitete, von welchen man mit Sicherheit behaupten konnte, dass sie
für die mathematischen und physikalischen Mittel der Zeit zugänglich waren;
während du Bois-Reyraond sich gleichfalls nur innerhalb eines engen Gebietes
bewegte, welches er immer mehr und mehr zu vortiefen suchte, und auf welchem
er vielleicht besser, als irgend ein anderer zeigte, dass physiologische Fragen mit
demselben Grad von Präcision behandelt werden konnten, wie rein physikalische,
warf sich Ludwig kühn und mit glühendem Eifer auf das weite Feld seiner
Wissenschaft, indem er durch fortgesetzte Experimente prüfte, in wie weit die
Physik und Chemie die zahlreichen Fragen beantworten könne, welche sich hier
aufdrängten. Und so entstand die lange Reihe von Arbeiten, welche, theils von
ihm selbst, theils auf seine Initiative von seinen zahlreichen Schülern ausgeführt,
von seinem Laboratorium in Marburg, Zürich, Wien und Leipzig ausgingen, und
welche die verschiedensten Theile der Physiologie, so wie auch rein physikalische
Fragen behandelten, die sich im Verlauf der physiologischen Untersuchungen
Ludwigs aufdrängten, und welche beantwortet werden mussten, bevor diese weiter
geführt werden konnten.
In der Zeit, welche dieser Gedächtnissrede gewidmet werden kann, ist es
unmöglich, auch nur in aller Kürze über die factischen Resultate zu berichten,
welche die Wissenschaft gewonnen hat durch diese unermüdliche Forschung
Ludwigs, und ich halte es auch nicht für augezeigt., die eine oder andere Arbeit
von den übrigen besonders hervorzuheben. Denn Ludwigs wirkliche Grösse und
Bedeutung als Physiolog liegt weder darin, dass er selbständig und unabhängig
vor anderen die graphische Methode erfand, welche seither das meist verwerthete
und unentbehrlichste Hilfsmittel der Physiologie geworden ist. oder darin, dass er
zeigte, welche Rolle die Nerven bei der Drüseasekretion spielen, wodurch er die
ganze Lehre von der Drüsenthätigkeit auf eine neue Basis stellte, oder darin,
dass er zuerst klarstellte, welche ausserordentliche Bedeutung die Gefiissnerven
haben für die Cirkulation des Blutes im Körper, oder in irgend einer von seinen
meistbekannten Arbeiten. Sie liegt, vielmehr im Ganzen in der seiner ganzen
Lebensthätigkeit zu Grunde liegenden Auffassung von der Erklärung der Lebens-
erscheinungen durch die Physik und Chemie, und in der fortgesetzten Prüfung
dieser Auffassung durch Experimente auf den verschiedenen Gebieten der Physio-
logie. Von dieser allgemeinen Anschauung ausgehend, stellte Ludwig seine Fragen
an die Natur, nicht aufs Geradewohl, oder nach einem flüchtigen Blick auf die
Erscheinungen, sondern jedes seiner Experimente war das Resultat eines intensiven
und streng logischen Denkens, und desshalb spielen auch Zufall, Glück, oder wie
man das nennen will, bei seinen zahlreichen Entdeckungen eine äusserst unter-
geordnete Rolle.
Unzählig sind die neuen Thatsaehen. welche so durch Ludwigs Arbeiten
gesammelt wurden, theils von ihm selbst, theils von Anderen, welche die Gebiete
weiter bearbeitet haben, die er zuerst eröffnet hat. Durch die Entdeckungen,
und durch die ihnen zu Grunde liegenden theoretischen Anschauungen hat die
moderne Forschung auf den Gebieten der Physiologie, welche Ludwig mit, beson-
sonderer Vorliebe behandelte, in der Physiologie der vegetativen Prozesse, in so
hohem Grade durch ihn ihr charakteristisches Gepräge bekommen, dass eine zu-
künftige Bearbeitung der Geschichte der Physiologie in den letzten 50 Jahren
ihn unwillkürlich als den hervorragendsten seiner Zeit auf diesem Gebiete der Physi-
Digitized by Google
274
Biographische Blätter.
ologie hinstellen muss. In der Physiologie der Sinne nimmt sein eben dahin-
gegangener Freund Helmholtz dieselbe Stellung ein, und beide sind der er-
schöpfendste Ausdruck für die physiologische Forschung in dieser Zeit.
Dass die rein physikalisch-chemische Richtung, von der hier die Rede ist,
ein notwendiges Glied in der Entwicklung der Physiologie war. darüber kann
es nur eine Meinung geben. Die Lebenskraft mit all ihrer Mystik und ihrer
Unwahrscheinlichkeit hatte ein für alle Mal ihre Rolle ausgespielt , und es galt
nun vor Allem durch Experimente auf alle mögliche Weise zu prüfen, in wie weit
die Physik auf dem Standpunkt, welchen sie bisher erreicht hatte, die Lebens-
erscheiunngen deuten konnte. Konnte die Physik und Chemie eine vollständig
zufriedenstellende Erklärung für dieselben geben, so war es um so besser. Konnte
sie es nicht, so hatte man doch auf jeden Fall eine Einsicht hierin gewonnen,
aber keine Einsicht a priori, sondern eine auf direkte Naturbeobachtung gestützte,
auf eine Menge neuer, bisher unbekannter Thatsaehen aufgebaute Einsicht.
In der allemeuesten Physiologie macht sich eine Unterströmung bemerkbar,
welche als ihre Auffassung mit immer weniger Vorbehalt hervortritt, dass nicht
einmal die allereinfachsten Lebensprozesse, wie z. B. der respiratorische Gas-
austausch und die Lymphbildung, auf ausschliesslich physikalisch-chemischem Wege
erklart werden können, sondern dass sie im Wesentlichen beruhen auf vitalen
Prozessen in den Zellen. Aber diese Auffassung stützt sich wesentlich eben auf
Ludwigs Arbeiten; man hat in der von ihm eingeschlagenen Richtung fortgesetzt,
oder besser gesagt, dort angeknüpft, bis wohin er seine Untersuchung geführt
hatte, und man hat dabei eine Reihe von Erscheinungen gefunden, welche nach
dem gegenwärtigen Stand der Physik und Chemie unerklärlich schienen, und man
hat sich desshalb zu der Lebeusthatigkeit der Zellen begeben.
Aber dieser neue Vitalismus unterscheidet sich in einem sehr wesentlichen
Punkt von dem alten. Er nimmt keine eigeuthümliehe, mystische Lebenskraft an
und bricht nicht mit der allgemeinen (irundanschauung, welche die letzten 50 Jahre
zum unveränderlichen Besitz der Physiologie gemacht haben, mit. dem Grundsatz
nämlich, dass das Prinzip von der Erhaltung der Kraft ebenso in der lebenden
Natur gilt, wie in der todten. T>a ist es von einer verhältnissmässig untergeord-
neten Bedeutung, ob die verwickelten Prozesse, welche in den lebenden Wesen
vor sich gellen, schon jetzt mit der Physik und Chemie unserer Zeit erklärt
werden können oder nicht. Sie folgen jedenfalls bestimmten Gesetzen und werden
nicht von einer launischen Macht hervorgerufen, welche in dem einen Augenblick
unendlich stark sein kann, in dem andern = 0 wird.
Wenn wir also sagen, dass dieser oder jener Prozess im Körper auf Zellen-
thätigkeit beruht, so besagt das nichts arideres, als dass unsere physikalischen
und chemischen Kenntnisse gegenwärtig noch nicht ausreichen, um diesen Prozess
vollkommen zu erkliiren. und dass die richtige Erklärung möglicher Weise erst
dann gefunden werden wird, wenn die in den Zellen wirkenden Kräfte klarer
vor dem Auge der Forschung liegen.
Und wenn es nun so wäre, dass verschiedene Theorien, welche Ludwig aus-
gesprochen bat, mehr oder weniger von der Wahrscheinlichkeit verloren hätten,
welche sie früher zu haben schienen, was thut das seiner Bedeutung für unsere
Wissenschaft? In allen Naturwissenschaften treffen wir die Erscheinung, dass
Theorien nur eine begrenzte Lebensdauer haben, dass die eine Theorie nach
längerer oder kürzerer Zeit einer anderen weichen muss. welche vollständiger
und besser als ihre Vorgängerin die Naturerscheinungen deuten kann, welche sie
erklären soll. Aber eine Theorie ist dann gut. und hat dann in der historischen
Entwicklung der Wissenschaft Bedeutung, wenn sie von der Art ist, dass sie zu
Digitized by Google
Karl Ludwig-.
275
neuen, auf direkter Naturbeobaehtung gegründeten Untersuchungen führt, durch
welche die Wissenschaft an Umfang und Tiefe gewinnt. Wenn dabei solche
Thatsachen entdeckt werden, welche nicht vereinbar sind mit der Theorie, welcher
sie doch ihre Entdeckung zu danken haben, so fallt die Theorie. Aber sie fällt
mit Ehre, denn sie hat zur Entdeckung neuer Wahrheiten geführt und hat ein
wichtiges Glied in der Entwicklung der Wissenschaft gebildet.
Und so verhält es sich mit Ludwigs theoretischen Anschauungen: Welches
Urtbeil auch die fortgesetzte Forschung über sie füllen wird — • und die Akten
siud hierüber noch lange nicht geschlossen — so viel können wir schon heute mit
vollster Sicherheit sagen, das* sie die Wissenschaft in reichem Maasse gefördert haben
und desshalb das Gepräge tragen, welches das Kennzeichen jeder guten Theorie ist.
Ausgebildet in einer Zeit, wo die physiologische Forschung noch in einem
innigeren Zusammenhang mit der anatomischen stand, als dies spater möglich war,
interessirte sich Ludwig lebhaft für die physiologische Bedeutung der Eigenthüm-
lichkeiteu, welche im Bau des Körpers und seiner Organe auftreten.
Von der Morphologie selbst hatte, er dagegen keine hohe Meinung. Bei
seinem Streben nach einer mechanischen Erklärung der Lebenserscheiuungen war
ihm das Studium der Form an sich nicht sehr sympathisch. Er erkannte selbst,
dass er hierin etwas einseitig war, und verlangte nichts mehr, als überzeugt
werden zu können von dem Werthe der reinen Morphologie als Wissenschaft.
Aber das hinderte ihn nicht , die lebhafteste Aufmerksamkeit und das
wärmste Interesse jeder anatomischen Arbeit entgegen zu bringen, welche auf die
eine oder andere Weise beitragen konnte zur Aufhellung der Verrichtungen des
Körpers, und er folgte mit regem Interesse der Entwicklung der anatomischen
Forschung. Dieses Interesse bezeugen besser als irgend etwas die Untersuchungen
über anatomische Fragen, die er selbst und seine Schüler auf seinem Laboratorium
ausführten. Aber alle diese Untersuchungen haben einen physiologischen Aus-
gangspunkt, sei es. dass es sich um die Bedingungen für den Her/schlag und die
Bedeutung der Ganglienzellen handelte, oder um die Sekretion der Niere, oder
um die Zusammensetzung der Nervenstämme aus Fäden von verschiedenem
Ursprung oder um den Verlauf der Blutgefässe in dem einen oder anderen
Organ, oder um sonst etwas, lud so wie die anatomischen Methoden sich aus-
bildeten, nahm er anatomische Untersuchungen vor. oder Hess dieselben auf seinem
Laboratorium vornehmen, auch solche, welche er früher schon gemacht hatte, und
die weiter zu bringen er sich jetzt im Stande sah. Wer da sah, wie er sieh
für anatomische Präparationen interessirte. und mit welcher Freude er ein auf-
klärendes anatomisches Präparat , oder eine anatomische Abbildung betrachtete,
welche eine wichtige Erscheinung klar machte, der gewann die Überzeugung, dass
Ludwigs abfälliges Urtheil über die Morphologie ihn durchaus nicht zu einer
l'nterschätzung des wirklichen Wert lies der anatomischen Arbeiten führte. Denn
ihm galt es von allen Seiten, woher Aufklärungen zu erhalten waren. Beiträge für
das zu sammeln, was er als das wissenschaftliche Ziel der Physiologie auf-
gestellt hatte : Die Verrichtungen des Thierkörpers festzustellen und sie mit Not-
wendigkeit aus ihren elementaren Voraussetzungen abzuleiten.
Schon während seiner ersten Jahre als Privatdozent in Marburg gab Ludwig
Proben seiner hervorragenden Befähigung zum Lehrer derjenigen, welche sieh zu
Korschern auf dein Gebiete der Physiologie ausbilden wollten, und je älter er
wurde, desto bedeutender war die Stellung, zu der er gelangte, desto grösser
wurde diese Befähigung und in desto höherem (trade eignete er sich zu seinem
Ijohrerberuf, bis er schliesslich der grösstt: Lehrer wurde, welchen die Geschichte
der Physiologie kennt.
Biographiucbe Blatwr. I. ]S
Digitized by (Google
276
Biographische Blatter.
Und diese Bedeutung kann nicht zu hoch geschützt werden. Als Ludwigs
Schüler, um ihrem Lehrer ihre Dankbarkeit zu bezeugen, bei Gelegenheit seines
25 jährigen Jubiläums als Ordentlicher Professor ihm unter Anderm auch mit einer
Festschrift huldigten, da wurde in diese Festschrift ei» Verzeiehniss aller Derjenigen
aufgenommen, welche bisher auf seinem Laboratorium wissenschaftliche Unter-
suchungen ausgeführt hatten. Ihre Zahl war 14*2. Für die seitdem verflossenen
20 Jahre kommen noch über 100 Personen hinzu. So haben nicht weniger als
ca. 250 Personen sich unter Ludwigs Leitung zu wissenschaftlichen Forschern
ausgebildet.
Was das bedeutet, ist nicht schwer zu begreifen. Diese jungen Forscher
kamen aus den meisten zivilisirten Landern zu Ludwig, und kehrten von ihm
wieder heim. Sie brachten in die Heimath nicht nur das Wissen mit, das sie sich
bei ihm erworben hatten, sondern auch die wissenschaftliche Schulung, die sie ihm
zu danken hatten, und sie verwertheten nun Jeder auf seine Weise dieses Wissen
und- diese Schulung.
Der Baum, dessen Wurzeln in Marburg. Zürich, Wien und Leipzig waren,
entfaltete so in so gut wie allen zivilisirten Ländern neue Zweige, manche
freilich schwach und wenig lebenskräftig, aber andere und zwar die meisten, stark
und mit reicher Frucht. So wurde Ludwig direkt oder indirekt der wirkliche
Lehrer für eine grosse Zahl von Physiologen, welche in den letzten Jahrzehnten
gewirkt haben, und wenn wir mit vollem Recht als einen gemeinsamen Zug in
den meisten modernen physiologischen Arbeiten Nüchternheit in der Auffassung,
Streben nach Genauigkeit im Resultat, Vermeidung allzuschwacher Argumentationen
bezeichnen, so beruht das im Wesentlichen auf der Ausbildung durch den grossen
deutschen Meister.
Unter denjenigen, welche im Laboratorium Ludwigs arbeiteten, gab es viele,
welche früher niemals eine experimentelle Arbeit gemacht hatten, und nahezu alle
widmeten sich bei ihm Theilen der Physiologie, mit welchen sie sieh bisher gar
nicht oder doch nur sehr wenig beschäftigt hatten, und wo ihnen also die Technik
ziemlich fremd war. Aber mit welcher Geduld lehrte er uns da nicht die kleinsten
Operationen, die einfachsten Handgriffe, ohne über die mitunter sehr grosse Un-
geschicklichkeit ärgerlich zu werden, welche wir an den Tag legten, sondern er
tröstete uns mit der Versicherung, dass wir die Operation oder das Experiment
bald viel besser machen würden, als er selbst.
Ludwig hatte keine sehr grosse Meinung von sich selbst. Ich habe mehr
Glück als Verstand gehabt, sagte er einmal und er meinte das auch aufrichtig.
In seinen jungen Tagen war er allerdings ein ganz eifriger Polemiker und konnte
mitunter recht harte Worte gebrauchen, aber man merkt nicht einmal in seiner
Polemik etwas, was auf eine persönliche Selbstüberschätzung deuten könnte, sondern
seine Polemik war bloss der Ausdruck für seine innige Überzeugung, dass der AVe?,
welchen die neue Physiologie eingeschlagen hatte, ein richtiger Weg war und dass
man die Art von Dilettantismus kniffig bekämpfen müsse, welche, ohne den wirk-
lichen Inhalt der vorliegenden Fragen zu beachten, die Schwierigkeiten umgehen
wollte, um zu Resultaten zu gelangen, welche beim ersten Anblick bestachen,
aber bei näherem Zusehen sich als unerwiesen, oder deutlich als unrichtig ergaben.
Den Widerwillen gegen Arbeiten dieser Art hat Ludwig sein ganzes Leben hin-
durch beibehalten.
Als die neue Richtung auf der ganzen Linie gesiegt hatte, da war es
auch mit. Ludwigs Polemik vorbei. Es geschah mitunter, dass Arbeiten, die aus
seinem Laboratorium hervorgegangen waren, einer nicht nur unfreundlichen,
sondern auch rein persönlichen Kritik unterzogen winden. Ludwig beantwortete
Digitized by Google
Karl Ludwig.
277
die Angriffe niemals. Es war nicht nach seinem Geschmack, mit einer noch so
scharfen Dialektik sich mit seinem Gegner auseinanderzusetzen; er wusste. dass
der Sieg für den Augenblick keine Bedeutung hatte, dass es nur Thatsachen
sind, die sprechen. Und wenn die Thatsachen, welche in einer früheren Arbeit
mitgetheilt worden waren, als unzureichend erkannt wurden, um einen Satz zu
beweisen, so wurden neue Versuche zur Beantwortung der Frage gemacht.
Die meisten, wenn nicht alle Arbeiteu, welche im Laboratorium Ludwigs
ausgeführt wurden, wurden auf seine unmittelbare Initiative vorgenommen. Er
legte den Gegenstand vor. diskutirte ihn, zeigte die Gesichtspunkte, von welchen
er behandelt werden sollte, gab die Methoden an, welche mit, grbsster Wahr-
scheinlichkeit zum Ziele führen würden. Aber nicht genug damit, er war bei
deu Versuchen immer gegenwärtig, machte einige seihst, assistirte bei anderen,
bis die Untersuchung so weit fortgeschritten war, dass es deutlich war, es würde
in der eingeschlagenen Kichtung gut geben. Sobald er aber merkte, dass einer
seiner Schüler die Tendenz hatte, seine Arbeit selbständig auszuführen, mit welch"
feinem Takt entzog er sich da jedem Einfluss auf dieselbe. Er sah nicht einmal
auf die Arbeit, so lange man ihn nicht darum bat. und dann erfuhr man, dass
er sich die ganze Zeit über lebhaft für dieselbe interessirt hatte, aber nichts
hatte sagen wollen, weil er glaubte, man wünsche sie ohne seine Mitwirkung
auszuführen.
Und wenn der experimentelle Theil der Arbeit fertig war. wie half er nicht
mit Kath und That bei der Ausarbeitung zur Publikatiou. Wie zahlreich sind
nicht die Abhandlungen, welche er entweder selbst vom Anfang bis zum Schlüsse
schrieb, oder welchen er eine wesentlich veränderte Form gab!
Aber er wollte so viel wie möglich den Schein vermeiden, dass er mit all
dem etwas zu thun habe, und uach 18f>8 giebt Ludwig sich bloss ein einziges
Mal als Verfasser einer wissenschaftlichen Arbeit an. Diese Arbeit erschien 1871.
Es war dies die zusammen mit Schweiger -Seidel ausgeführte und nach deren
Tod von Ludwig redigirte Untersuchung rdie Lymphgefässe der Fascien und der
Sehnen*4, welche bei Gelegenheit des 50 jährigen Professoren - Jubiläums von
Ernst Heinrich Weber als Gratulationsschrift im Namen der Leipziger medizinischen
Fakultät herausgegeben wurde.
Ja Ludwigs beinahe unerhörte Selbstverleugnung ging noch weiter. Es
war ja selbstverständlich, dass man bei «1er Veröffentlichung einer Arbeit, welche
auf seine Initiative ausgeführt worden war, das erwähnte. Aber zu mehr bekam
man nicht, leicht Erlaubniss. Ich hatte auf seinen Vorschlag eine Untersuchung
Uber die Bedeutung der Vorhöfe für die Bewegung der Kammern im Säugethier-
herzen gemacht. Nach meiner Kückkehr nach Stockholm schrieb ich einen Bericht
darüber und schickte ihn Ludwig zur Drucklegung ein. Als ich die Korrektur
bekam, sah ich, dass Ludwig nur eine einzige Änderung gemacht hatte. Ich
hatte geschrieben , dass die Versuche unter -stetiger Beihülfe von Herrn
Professor Ludwig" gemacht worden waren. Diese Worte hatte er gestrichen.
Körperlich war Ludwig nicht sehr stark und nach seinen Vorlestingen war
er in den letzten Jahren sehr ermüdet. Aber das hinderte ihn nicht, nach einer
kurzen Pause, die Arbeit wieder aufzunehmen, und früh und spät anwesend zu
sein, immer bereit zu helfen, und im Interesse an der Arbeit vorgnss er seine
Ermüdung.
Die Fäden zu all den verschiedenen Arbeiten, welche gleichzeitig auf seinem
Laboratorium vorgenommen wurden, hielt, er in seiner Hand, sofort bereit, in dem
«inen Augenblick über die Zuckerbildung in der Leber zu sprechen, um im
nächsten über die Innervation des Herzens zu handeln, einem zu helfen, der mit
Digitized by Google
278
Biographische Blätter.
Untersuchungen über die Verdauung beschäftigt war, und darauf sich in Experi-
mente über die Blut gase zu vertiefen u. s. w. u. s. w\, immer darüber unterrichtet,
wie weit die Untersuchung schon vorgeschritten war, und mit offenem Blick für
die Resultate, welche sie bereits ergeben hatte und welche noch zu erwarten
waren.
Er lebte mitten unter uns. ja man kann kaum sagen, dass er auf seinem
Laboratorium ein eigenes Zimmer hatte, denn dasjenige, welches dazu bestimmt
war, gehörte fast ebenso sehr uns allen. Es war ein grosses Eckzimmer, an
dessen Wänden die Instrumentenschranke standen, und innerhalb desselben war
auch die reiche, von uns fleissig benutzte Bibliothek des Laboratoriums. Ludwigs
Zimmer war also ein Durchgangszimmer, dessen Thüren immer offen standen, und
wo auch nicht selten einer von uns arbeitete.
Aber eben durch dieses intime Zusammenleben mit den Jungen übte Ludwig
einen Einfluss von der grössten Tragweite auf sie aus. Es war nicht nur der
grosse Forscher, der einzig dastehende Lehrer, mit welchem wir verkehrten,
sondern wir kamen auch in Berührung mit dem Menschen und seiner reichen
Persönlichkeit. Wenn Ludwig einen Augenblick frei war von den experimentellen
Arbeiten, und wir uns in grösserer oder kleinerer Zahl um ihn versammelten und
er seine Gedanken in dieser oder jener Frage entwickelte, geistreich, tief und
gedankenreich, da wurden in uns neue Gedanken geweckt, und der Keim zu
unserm besten Fühlen und Denken gelegt. Denn Ludwig war eine grossartige
Natur mit dem ganzen Widerwillen einer solchen gegeu alles Niedrige und mit
einem glühenden Enthusiasmus für alles Gute und Edle: er war zugleich ein un-
gewöhnlich vielseitiger Mensch mit einer umfassenden Bildung und mit grossen
Kenntnissen auf verschiedeneu Gebieten. Wenn man nicht gesehen hätte, mit
welcher Leichtigkeit und Sicherheit er in jeder Arbeit das Wesentliche und Be-
deutungsvolle erkannte, wäre es einem ganz un fassbar gewesen, wie seine Zeit
dazu ausreichte, um sich das Alles anzueignen, und auch, wenn man es wusste,
war man über sein tiefes Wissen erstaunt.
Vor Allem sind mir Ludwigs Gespräche an den Sonntag- Vormittagen in leb-
hafter Erinnerung. Natürlich wurde am Sonntag in seinem Laboratorium nicht
gearbeitet, aber es musste eine sehr wichtige Veranlassung sein, die Ludwig ab-
hielt, an Sonntag- Vormittagen herabzukommen, und da konnte er lange sitzen und
sich bald über den einen, bald über den anderen Gegenstand äussern, einen Augen-
blick tief ernst, im nächsten mit seinem seltsamen Lächeln ein charakteristisches
Geschichtchen erzählend. Von der Schwerfälligkeit, welche sonst in seinem Stil
zu bemerken war. fand sich hier keine Spur. Alles war Leben und Wärme. Ele-
ganz und Klarheit.
Er vertrug Widerspruch. Auch die Theorien, welche er selbst aufgestellt
harte, welchen er sein ganzes Leben lang gehuldigt hatte und welche durch
Jahrzehnte allgemein für das letzte Wort der Wissenschaft in einer Frage galten,
konnte er ohne eine Spur von Ungeduld mit uns Jungen discutiren. und er
konnte zugeben, dass eine seiner eigenen entgegengesetzte Ansicht Gründe für sich
habe, obwohl er selbst noch nicht überzeugt war. Auch über politische Fragen,
welche ja sonst so geeignet sind, beim Meinungsaustausch Streit zu erregen,
handelte er, ohne auch nur im Geringsten an dem Anstoss zu nehmen, was die
Gegenpartei sagte.
Wenn die schöne Arbeitzeit in Leipzig vorbei, und man wieder heimgekehrt
war, folgte Ludwig noch weiter mit dem grössten Wohlwollen dem Thun und
Lassen eines Jeden. Schrieb man ihm und sprach man von den Arbeiten, mit
welchen man beschäftigt war, und von den Resultaten, zu welchen man gekommen
Digitized by Google
Erzberzosr Albrecht.
279
zu sein glaubte, konnte man ganz sicher sein, dass man bald eine Antwort von
ihm bekommen werde, gütig, freundlieh und aufmunternd, ganz so wie seine Reden
im Laboratorium.
Kein Wunder. d;iss Diejenigen, welche das unschätzbare Glück gehabt haben,
unter seiner Leitung zu arbeiten, täglich aus der Nähe diese edle Persönlichkeit
kennen zu lernen, sich mächtig zu ihm hingezogen fühlten, und ihm ihre un-
beschränkte Ergebenheit und Liebe schenkten. —
Ludwig schloss seine Gedächtnisrede auf Ernst Heinrich Weber mit fol-
genden Worten:
-Jetzt, da er von uns geschieden, hat er uns wohl ein reiches Erbe
gelassen, aber auch unschätzbare Güter sind mit ihm ins Grab gesunken.
Auf wem sein seelenvolles Auge ruhte, wer dem Flusse seiner gedanken-
reichen Rede gelauscht, wer den Druck seiner Hand empfunden, der wird
sich immer nach ihm sehnen. Doch nicht bloss der Freund, ein Jeder,
den im Leben und in der Wissenschaft sein Walten berührte, wird den
Tod des Mannes beklagen, in dem zur vollen Harmonie ein Geist so klar
wie der seine und ein Gemfi th von so viel IMehthuin verschmolzen waren. u
Mit diesen Worten hat Ludwig sich selbst geschildert.
- <2>
Erzherzog Albrecht.
Von
ilegierungarath MALCHER.
Unweit vom Nordufer des Gardasoes, in dem lieblichen, von immer-
grünen Hügeln umsäumten Arco. wo er sich zur zeitweiligen Erholung ein
palmenumrauschtes Eden geschaffen, ist hoehbetagt Erzherzog Albrocht, der
»Senior der kaiserlichen Familie und zur Zeit der einzige Foldmarschall dos
österreichischen Heeres ausser seinem höchsten Kriegsherrn, am l s. Februar
1895 nach kurzer Krankheit aus dem Leben geschieden. — An seinem
Sterbebette standen schmerzbewegt seine Tochter Erzherzogin Maria Theresia,
vermählte Herzogin von Württemberg, deren Söhne Albrocht und Robert,
die einzige noch lebende Schwester Erzherzogin Kainer mit ihrem Gemahl,
die Gemahlin seines verewigten Bruders Erzherzog Karl Ferdinand, Erz-
herzogin Elisabeth. Erzherzog Friedrich mit seiner Gemahlin Erzherzogin
Isabella, die Erherzoge Eugen und Ernst. —
Mit Erzherzog Albrecht ist der letzte männliche Sprosse des gefeierten
Erzherzogs Karl dahingegangen. In ihm betrauert die österreichiseh-
ongarische Armee ihren hervorragendsten, stets sieggekrönten Führer, ihren
väterlichen Freund und unermüdlichen Werkmeister ihrer Ausbildung, verliert
die Gesamnitheit den Förderer alles (inten. Bei der Nachrieht von seinem
Hinscheiden wurden Alle von der Empfindung ergriffen, dass im Organismus
des österreichischen Heerwesens eine nur schwer ausfüllbare Lücke entstanden
m. Und diese Empfindung verbreitete sich weit über die Grenzen des
Digitized by 'Google
280
Biographische Bl&tter.
Kaiserstaates und fand einen würdigen Ausdruck in dem Armeebefehl des
deutschen Kaisers vom 18. Februar 1895: „Mein Heer", heisst es in demselben,
..hat mit Mir einen schweren Verlust zu beklagen. Aus der Zahl seiner
General - Felduiarsehälle (der Erzherzog- war am 27. September 1893 zum
preussischen General -Feldmarschall ernannt worden) schied durch den Tod
zu Meinem grossem Schmerze Mein treuer Freund Se. k. und k. Hoheit
Erzherzog Albrecht von Österreich. Chef des zweiten ostpreussisehen Gre-
nadier-Regiments König Friedrich Wilhelm I. No. 3. Mit ihm ist ein ruhm-
reicher, auf vielen Schlacht l eidem erprobter Führer und Held, ein leuchtendes
Vorbild aller soldatischen Tugenden, ein treuer Pfleger der Waffenbrüderschaft
zwischen der Österreichisch- ungarischen und Meiner Armee dahingegangen,
den wir mit Stolz zu den Unsrigen zählen dürfen!" — Die allgemeine
Theilnahme aber anlässlich des Ablebens des Erzherzogs Albrecht bekundete
sich bei dem imposanten Leichenbegängnisse, wie Wien ein solches noch nicht
gesehen hatte. Der Eindruck wurde erhöht durch die Anwesenheit des
deutschen Kaisers an der Seite des Monarchen Österreich- Ungarns, der
fremden Prinzen, der Oftiziersdeputationcn der ausländischen Regimenter,
deren Inhaber der Verewigte war, der Generale und Offiziere aus allen
Gegenden der Monarchie. In tiefen Gliedern standen zu beiden Seiten der
Strassen, durch welche sich der Zug bewegte, Truppen aller Waffengattungen.
Es war ein ergreifender Moment, als beim Herannahen des Konduktes sich
die schwarzumflorten Fahnen senkten und der Generalmarsch ertönte, um
dem todten Marschall die letzte Ehrenbezeugung zu erweisen, bevor er in
der kaiserlichen Gruft an der Seite seiner Kitern zur dauernden Rulle ge-
bettet wurde.
Im Alter von 44 Jahren war der grosse Gegner Napoleons, Erzherzog
Karl von Österreich, am 17. September 1815 der achtzehnjährigen Prinzessin
Henriette, Tochter des Herzogs Friedrich Wilhelm von Nassau- Weilburg, auf
dem herzoglichen Schlosse Weil bürg angetraut worden. Es war ein Herzens-
bund, der hier geschlossen wurde. Erzherzog Karl fand in dieser Ehe jenes
Glück, das er schon lange ersehnt hatte. Bereits im folgenden .Jahre (31. Juni
1816) beschenkte ihn seine junge Gemahlin in Wien mit einer Tochter,
die in der Taufe die Namen Maria Theresia Isabella erhielt und später die
Gemahlin Ferdinands II. von Neapel und Sizilien wurde. Und am 3. August 1817
wurde dem Erzherzog die Freude zutheil, sich Vater eines Sohnes nennen
zu können. Der neugeborene Prinz wurde von dem Oheim und Adoptivvater
Erzherzog Karls. Herzog Albrecht zu Sachsen -Teschen. aus der Taufe
gehoben und erhielt die Namen Albrecht, Friedrich. Rudolf. Dominik. Der
Freude über dieses glückliche Fainilienereigniss gab der achtzigjährige Herzog
dadurch Ausdruck, dass er in einer Zuschritt ddto. Wien den 30. Juli 1818
die seinem Neffen bisher gewährte Dotation auf jährlich 100.000 Gulden
Konventionsmünze erhöhte. Erzherzog Karl aber sehrieb an den damaligen
Digitized by Google
Erzhentog Albrecht.
281
Feldinarschall-Lieutenant Ludwig (trafen Folliot de Crenneville: ,.Ich hoffe,
dass er (Albrecht) sich würdig zeigen wird der Liebe und Achtung aller
Khrenmänner". Diese Hoffnung sollte in reichlichem Maasse in Erfüllung
<rehen. Erzherzog Albrecht zeigte sich als der würdige Erbe seines ruhm-
reichen und hochsinnigen Vaters. Er war nicht nur der Erbe von dessen
Thatkraft. sondern auch von dessen philosophischem, das Ganze und Allgemeine
umfassendem Geiste. Der kleine Prinz gedieh vortrefflich. „Albert Ist
seit Deiner Abreise von brillantestem Humor", schreibt Erzherzogin Henriette
ddto. Wien d. 26. August 1818 an ihren Gemahl, und es scheint, dass sich
die Lieblingsneigung seines herrlichen Vaters schon auf ihn fortpflanzt : denn
das erste Wort, welches er ausspricht, ist nicht „Papa" oder „Mama", sondern
seit gestern sagt er ganz deutlich, sowie er einen Soldaten am Fenster sieht,
.Dat" und zeigt mit dem Händchen nach. Wir sind alle einstimmig der
Meinung, dass du ihm en faveur des Wortes gern verzeihen werdest, wenn
er später „Papa" sagt, und glaube kaum, dass uns mein Engelsmann bei
seiner Rückkehr Lügen strafen wird'*. Erzherzog Karl hatte bald allen
Grund, seinem kleinen Sohne diese Bevorzugung zu verzeihen. Denn als
er sieh im Oktober 1820 in Holitsch auf der Jagd befand, schrieb ihm seine
Gemahlin: „Albert sagt ganz treuherzig: Der Papa ist nach Holitsch und
macht Buh! — Er will seit Deiner Abreise durchaus nicht zugeben mein
Gold -Sohn zu seyn — das bin ich nur vom Papa, sagt er ganz stolz."
Und ., Albert fragt sehr viel nach dem Papa" heisst es in einem Briefe aus
dem Jahre 1821. Diese kindliche Verehrung gegen seinen Vater hat Erz-
herzog Albrecht sein ganzes Leben hindurch bewahrt. Anderseits war
Erzherzog Karl der zärtlichste für das Wohl seiner Kinder besorgte Vater.
In der Kerne ist er glücklich, von seiner Gemahlin von ihnen Nachricht zu
erhalten. „Dass Du mir so im Detail von Dir und den Kindern schreibst,
macht mich glücklich. Küsse die Kinder und sage ihnen, Papa denkt oft
an sie". (Brief an seine Gemahlin ddto. Holitsch, den 15. Oktober 1K20I.
Und zwei Jahre darauf: „Küsse Therese. Albert. Karl (geb. 29. Juli 1818),
Fritz (geb. 14. Mai 1821) für mich. Diese lieben Wesen, wie sind sie mir
ans Herz gewachsen!" Am 1. Jänner 1823 wurde der aufgeweckte Prinz
männlicher Leitung übergeben. Sein erster Erzieher war Dr. Johann ] Uhler,
welchem seit 16. Jänner 1824 Dr. Ludwig Jakob Flury und, als die jüngeren
Prinzen den Unterricht begannen, J. U. Dr. Philipp Mayer als Lehrer zur
Seite standen. Frohzeitig entfaltete sich das Talent des IMnzen Albrecht.
Schon am 24. Mai 1824 konnte Erzherzogin Henriette an ihren abwesenden
Gemahl schreiben: .,Die Kinder sind gottlob sehr wohl und munter und
lernen recht fleissig. . . Ich habe neulich einer Rechen- Aufgabe von unseren
Engels- Albrecht beigewohnt, welche er prächtig gelöst hat". Das hochent-
wickelte Talent eines guten Rechners hat der Erzherzog sein ganzes Leben
hindurch bewahrt. Noch im hohen Alter multiplizirte er mehrzinrige Zahlen
mit Leichtigkeit im Kopfe. Die Unterrichtssprache war die deutsche. Daneben
Digitized by Google
282
Biographische Blatter.
wurde auf das Erlernen des Französischen und Italienischen grosses Ge-
wicht gelegt.. Erzherzog Albrecht beherrschte später diese beiden Sprachen
in Wort und Schrift. Mit dem 10. Jahre wurde der Unterricht auf die
lateinische Sprache, Geographie und Geschichte ausgedehnt. Auf den Re-
ligionsunterricht wurde grosser Werth gelegt; durch ihn sollte vorzugsweise
auf Herz und Gemüth eingewirkt werden. Durch häufige Bewegung im Freien,
durch Schwimmübungen während des Sommers wurde für die körperliche
Entwicklung reichlich Sorge getragen. Von der Weilburg bei Baden, welche
Erzherzog Karl nach dem 1822 erfolgten Ableben des Herzogs Albrecht
zu Sachsen-Teschcn nach dem Muster des herzoglich nassauischen Schlosses
gleichen Namens, gegenüber der Ruine Rauhenegg hatte erbauen lassen und
die seit zwei Jahren der ständige Aufenthaltsort der erzherzoglichen Familie
während des Sommers war, schreibt Erzherzogin Henriette ihrem in der
Feme weilenden Gemahl am 28. Juli 1828: ,. Albert lässt Dir sagen, er sei
gestern zum erstenmal frei auf dem Rücken geschwommen und das mit gutem
Erfolge". Den 1. November 1828 wird Dr. Bihler pensionirt und an dessen
Stelle Oberst v. Cerrini zum Dienstkämmerer und Ajo des elfjährigen Erz-
herzogs und seiner Brüder Karl Ferdinand und Friedrich ernannt. Cerrini
stand damals im 51. Lebensjahre. Bihler und Flury wurden durch Dr.
Ludwig Kochel und Dr. Franz von Scharschmid ersetzt. In ihrer Eigen-
schaft als Lehrer und Gehilfen in der Erziehung waren sie dem Oberst
Cerrini untergeordnet. Gleichzeitig wurde für die militärische Erziehung
Oberlieutenant Freyssautf berufen, der im Mai 1837 als . Hauptmann das
erzherzogliche Haus verliess. Das Ende des Jahres 1829 erfüllte das erz-
herzogliche Haus mit tiefer Trauer. Am 29. Dezember erlag Erzherzogin
Hildegarde einer tückischen Krankheit. Wie der Vater der unvergeßlichen
Gattin, so gedachte der Sohn seiner liebenden und aufopfernden Mutter
bis an sein Lebensende mit inniger Verehrung.
Der damaligen Sitte entsprechend, ernannte Kaiser Franz I. mittels
Handschreibens vom 11. Januar 1830 den kaum dreizehnjährigen Erzherzog
zum Obertsinhaber des nunmehr für immerwährende Zeiten seinen Namen
führenden Infanterie-Regimentes No. 44, und mittels Diplom vom 20. Mai
d. J. zum Ritter des goldenen Vliesses. Der junge Erzherzog hatte sich mit
Vorliebe den militärischen Disziplinen gewidmet: aber nicht geringer war
das Interesse, welches er den übrigen Wissenszweigen entgegenbrachte. Jede
Gelegenheit wurde benutzt, um den Kreis der Kenntnisse zu erweitern.
Scharschmid führte ihn in das Studium der Rechtswissenschaft ein. Für
das Spezialfach der Geniewatte wurde 1832 der Major Wilhelm Ritter von
Lebzelteru berufen, der in dieser Eigenschaft bis zum Jahre 1837 verblieb,
hierauf Erzherzog Friedrich, der sich dem Seewesen gewidmet hatte, nach
Venedig begleitete, an der Erstürmung Saidas (1840) theilnahm und bis zu
dessen Tode im .Jahre 1847 treu an seiner Seito ausharrte. Im Oktober 1835
wurde der Major Kranz Edler von Hauslab (zuletzt Feldzeugmeister} dem
Digitized by Google
Erzherzog Albrecht.
283
Erzherzog für den Unterrieht im Situationszeichnen und der Terrainlehre
zugetheilt. Mit Sorgfalt überwachte Kr/herzog Karl den Unterricht seiner
Sohne und überzeugte sich selbst von dem Fortgange desselben. Von dem
Grundsatze ausgehend, dass die Geschichte die beste Lehrmeisterin sei, hatte
er eine tibersichtliche Darstellung der Revolutionskriege von 1792 bis 17U7
in den Niederlanden, Frankreich. Deutschland, Italien und Spanien, des
Krieges auf der pyrenäischen Halbinsel (1808—1814). des russischen Feld-
zuges von 1812 und der Kriegsoperationen in Deutschland, Frankreich und
Italien während der Jahre 1813, 1814 und 1815 mit vorwiegend didaktischem
Charakter verfasst. welche als Leitfaden beim Unterrichte seiner Sohne
dienen sollte. Hier konnten dieselben eine Fülle von Belehrungen des Krieges
finden. Nach mehrjährige]- gründlicher theoretischer Vorbereitung für den
militärischen Beruf trat der neunzehnjährige Erzherzog am 18. April 1837
zur praktischen Dienstleistung in das zu Graz stationirte Infanterie-Regiment
Max Wimpffen No. 13 ( heute Starhemberg) und übernahm das Kommando
des 1. Bataillons. In wenigen Monaten hatte er durch seinen Pflichteifer
und seine Pünktlichkeit sich die allgemeine Anerkennung erworben. Dabei
war er von einer seltenen Bescheidenheit. Als der erzherzogliche Hofrath
Ritter von Kleyle, der als Freund des erzherzoglichen Hauses betrachtet
wurde, sich erbat, dass eine neu erbaute Hütte der erzherzoglichen Eisen-
werke nach seinem Namen benannt werden dürfe, nahm er zwar mit dem
Ausdrucke des Dankes diese Ehrung an, erklärte aber, dass sein unbedeu-
tender Name dies eigentlich nicht verdiene. Gleichzeitig bedauerte er den
Geburtstag seines Vaters (5. September) „nicht wie gewöhnlich in der Weil-
burg verbringen zu können", indem er „alle Hände vollauf zu thun habe,
da Musterung, Produktionen und Pettauer Konzeutrirung vor der Thür
seien'*. Übrigens sei er auch überzeugt, das ihm der Vater eine Dienstver-
säumniss übel nehmen würde. Dieser habe ihm jedoch versprochen, selbst
nach Graz zu kommen, und „er freue sicli von ganzem Herzen den lieben,
guten Vater zu sehen und durch acht Tage zu besitzen.*'
Erzherzog Karl traf am 7. September in (iraz ein und hatte Gelegen-
heit, seinen Sohn zum ersten Mal im Dienst zu sehen. „Mit Vergnügen",
hiess es in einem Briefe an Hofrath von Kleyle. „kann ich Ihnen schreiben,
dass ich mit Albrecht recht zufrieden bin. Sie werden es auch seyn, wenn
er mit Anfang November nach Wien kommt. Er behandelt Militaristen und
Civilisten gleich, hat beinahe alle öffentlichen Anstalten schon besucht und
ist überzeugt, dass es mit dem Schiessen allein nicht gethan ist. und dass er
nicht einseitig sein darf. . . Ich habe hier viel Tröstliches für die Zukunft
gegründet gefunden und dass mich das auch anspornen muss. Alles was ich
kann, zu thun, um einem guten Sohn seine künftige Stellung zu erleichtern".
In inniger Liebe waren die Mitglieder der er/herzoglichen Famile ein-
ander zugethan. Als im .Jänner 1H38 Erzherzog Friedrich in Venedig er-
krankte, eilte Albrecht sofort dahin und kehrte erst nach seiner Genesung
Digitized by Google
284
Biographische Blatter.
nacli Graz zurück. Indessen bekundete er auch während dieser Zeit das
lebhafteste Interesse für die Vorgänge im Regiment» und brachte dies in
einem Sehreiben an den Kommandanten Oberst Ruf zum Ausdrucke, über
welches sich der Inhaber Feldzeugmeister Baron Wimpfen, als er zu dessen
Kenntniss gelangt war, höchst lobend aussprach und dem Verfasser desselben
eine glänzende Zukunft prophezeite.
In Anerkennung des regen Diensteifers und der vortrefflichen Leistungen
als Bataillons-Kommandant wurde dem Erzherzog am 6. Mai das Kommando
des ganzen Regiments übertragen, das er im März des folgenden Jahres
niederlegte, um dem Wunsche seines Vaters entsprechend im Kürassier-
Regiment Baron Menshengen No. 4, das einen vorzüglichen Ruf genoss, und
dessen Inhaber er später wurde, den Reiterdienst kennen zu lernen. Nur
wenige Monate hatte sich Erzherzog Albrecht dem Dienste des in Ungarn
stehenden Regimentes gewidmet, als er zu einer ernst erfassten Mission an
den russischen Hof berufen wurde. „Da nach dem letzen Briefe des guten
Vaters," schreibt er am 29. Mai 1839 von Rösing an Hofrath von Kleyle,
„meine Reise nach Russland ganz bestimmt ist, so möchte ich doch früher
einige Bücher Uber dieses Land lesen und aus denselben das Interessanteste
ausziehen. Vorzüglich wären französische mir erwünscht, um zugleich eine
Übung in dieser dort unentbehrlichen Sprache zu haben. — Verzeihen vSie
mir daher, wenn ich Sie, als dem in Wien Residirenden, mit der Bitte be-
lästige, mir mehrere solcher Bücher zukommen zu lassen. Darunter wären
mir die ersten Theile des voyage du due de Raguse und dann eine vor einigen
Jahren erschienene Beschreibung der Feldzüge 1812—14 von einem russischen
Generale, dessen Namen mir nicht beifällt, sehr erwünscht. Auch eine Sta-
tistik dieses Reiches sowie eine Darstellung von dessen Civil- und Militär-
verfassung dürfte von Nutzen und interessant sein.44
Der Erzherzog fand am nissischen Hofe die freundlichste Aufnahme
und Hess den besten Eindruck zurück. ..Mein Sohn", schrieb Erzherzog
Carl an Kleyle (ü. Aug. 1839), „wurde in Petersburg mit Höflichkeiten über-
häuft. Nach seinen Briefen zu urtheilen hat er sich in verschiedenen Ge-
legenheiten mit Klugheit und dem gehörigen Maasse benommen.44 Kaiser
Nikolaus zeichnete den jugendlichen Erzherzog durch die Ernennung zum
Chef des kaiserlich russiseh-lithauischen Ulanen -Regiments und Verleihung
des St. Andreas-Ordens aus. Das kommende Jahr brachte dem Erzherzog die
Beförderung zum Generalmajor und Kommandanten einer Brigade in Graz.
Kurz nach dem Antritt seiner neuen Stellung fand er Gelegenheit, seine Kennt-
nisse durch die Theilnahrae an den von Feldmarschall Radetzky geleiteten
grossen Manövern in Italien zu erweitern. Erzherzog Carl hatte seinen Sohn
dem kriegserfahrenen Marschall ganz besonders empfohlen. Nach der Rück-
kehr aus Italien widmete sich Erzherzog Albrecht so ausschliesslich dem
Dienste, dass er nicht einmal Zeit zum Besuche seiner Angehörigen gewann.
Die Stellung eines Brigadiers war bald nicht mehr im Stande, seineu
Digitized by Google
Erzherzog Albrecht.
285
Schaffensdrang zu befriedigen. Er sehnt sieh naeh erweiterter Thätigkeit
Doch weiss er mit seltener Resignation seine Ungeduld im Zaume zu halten.
„Was sagen Sie", heisst es in einem Briefe an Kleyle (ddto. Graz am
2(i. Dezember 1842) „zu meiner (Geduld? Hat man je eine solche bei
einem jungen Menschen von 25 1 2 Jahren erlebt? Ich sitze nun schon
6 Wochen in meinem Neste mit der Aussicht, auf weitere 10- -12 Wochen
in Ungewissheit über mein Schicksal zu bleiben, und doch muckse ich nicht!
. . . Bis halben März, hotte ich. werden wir doch etwas erfahren, dann
sollen Sie mich auch sogleich in Wien sehen, um meinerseits alle mögliche
Beschleunigung ins Werk zu setzen, oder im entgegengesetzten Falle mich
philosophisch Ober das Nichtgelingen zu trösten."
Das Jahr 1843 barg in seinem Schoosse für Erzherzog Albrecht
einen seltenen Moment der Erhebung und eine Fülle von Glück. Am
11. April wurde das fünfzigjährige Jubiläum seines erlauchten Vaters als
Grosskreuz des Maria Theresien- Ordens festlich begangen und bald darauf
wird er am bayerischen Hofe von dem Liebreize der Prinzessin Hildegarde,
der vierten Tochter König Ludwigs 1., die er im vergangenen Jahre zum
ersten Male gesehen hatte, gefangen genommen. Von Norderney aus. wo
er sich im August zum Kurgebrauche aufhielt, hatte Erzherzog Albrecht
der Prinzessin seine Neigung kundgegeben; die Antwort machte ihn zum
Glücklichsten der Sterblichen. Von Aschaffenburg, wo sich damals die
königlich bayerische Familie aufhielt, berichtet er am 80. August an Kleyle:
..Wie gut es mir hier geht, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Ich
schwelge im reinsten Glück und in der Freude, täglich neue Vorzüge, neue
Tugenden in meiner Braut zu entdecken. Sie ist so gut, so einfach, natür-
lich und dabei wohlerzogen und sehr geseheidt, so dass sie wirklich nichts
zn wünschen übrig lässt. Seit vorigem Jahre ist sie sehr gewachsen und
hübsch geworden, hat aber dabei das Kindliche beibehalten. Leider wird
das Glück, hier zu sein, nicht mehr lange dauern, da ich noch den Hof
von Dannstadt, dann Mainz und Frankfurt besuchen rauss . . . Indessen
wird es vielleicht im Winter möglich sein, auf ein paar Wochen nach
München zu gehen, denn bis zum 1. Mai (der für die Vermählung fest-
gesetzte Tag) sind noch acht Monate, eine lange Zeit! — Das einfache,
gemüthliche Familienleben, das hier geführt wird, spricht doppelt an. da es
so an unsern Familienkreis erinnert.4' Die Hoffnung, im Winter einige
Wochen in München zubringen zu können, war in Erfüllung gegangen.
..Seit dem 3. Januar4, schreibt König Ludwig an seinen Sohn Otto. König
von Griechenland, „befindet sich Erzherzog Albrecht, der ein tüchtiger
•lüngling ist. hier. Eine Freude, ihn mit Hilda beisammen zu sehen! . . .
Es wird ein thränenreicher Abschied werden, denn Beide lieben einander
zärtlich, innig. Er ist aber auch recht gediegen. Je mehr Albrecht ge-
kannt wird, desto mehr gewinnt er." (Veröffentlicht im „Fremdenblatt" vom
Geh. Haus- und Staatsarchivar Dr. v. Trost.)
Digitized by Google
286
Biographische Blätter.
Voll Hoffnungen für die Zukunft hatte sich Erzherzog Albrecht im
Herbste 1843 zu den Manövern des 10. deutschen Bundes-Armee-Korps in
der Nähe von Lüneburg begeben, um neue Anschauungen zu gewinnen.
Bald darauf führte ihu die Ernennung /.um Feldmarschall-Lieutenant und
Adlatus beim mährisch -schlesischen General -Kommando einem Wirkungs-
kreise zu. in dem er bei der Ausbildung der Truppen seine bereits reichen
Erfahrungen zur Geltung bringen konnte.
Mitten unter der dienstlichen Thätigkeit weilten jedoch seine ( Wanken
oft bei den Seinigen. Jede Nachricht von ihnen ist ihm willkommen. Als
ihm die Reise seines Vaters zur Installation der Erzherzogin Maria Theresia
als Äbtissin des theresianisehen adeligen Damenstiftes am Hradschin in
Prag berichtet wurde, drückt er in einem Schreiben an Kleyle ddto. Brünn
am 2C>. März 1844 seine Freude über dessen „enthusiastischen Empfang
in Böhmen und das taktvolle Auftreten" seiner Schwester, der jungen
Äbtissin, aus. Den Emst seines Charakters kennzeichnet es. wenn er an
Kleyle schreibt: „Am 2. und 3. April hoffe ich das Vergnügen zu haben,
Sie zu sehen. Dabei möchte ich ein Geschäft vorläufig mit Ihnen besprechen,
welches ich bis zur Rückkehr von München vollenden möchte, nämlich die
Abfassuug eines Testamentes. Wenn man heirathet, halte ich es für meine
Pflicht, auch alle möglichen Fälle der Zukunft zu bedenken und daher auch
jenen eines plötzlichen Todes!" Am 1. Mai 1844 erhielt der aus gegen-
seitiger Neigung geschlossene Bund die kirchliche Weihe. Ein überaus
glückliches Familienleben war die Frucht desselben. Anfangs September
ist der Erzherzog vollauf mit den Vorbereitungen zu den demnächst be-
ginnenden 1 iagerübungen beschäftigt. Seine junge Gemahlin belindet sich
während dieser Zeit bei der erzherzoglichen Familie auf der Weilburg.
„Heute verliess mich", schrieb er den 4. September von Brünn an Kleyle,
„meine Frau auf 14 Tage. Sie werden selbe schon in Weilburg gesehen
haben. Ich selbst rieth zu dieser Strohwitschaft, da wir doch getrennt, ich
in Nennowitz, sie hier gelebt hätte, und die gegenseitigen Besuche zeit-
raubend gewesen wären. Und Zeit mangelt jetzt ohnehin. Heute machten
wir z. B. eine zwölfstündige Rekognoszirung zu Pferde; indess die angestrengte
Thätigkeit thut wohl und frischt G eist und Körper auf.4* Am 15. Juli des
folgenden Jahres beschenkte Erzherzogin Hildegarde ihren Gemahl mit
einer lieblichen Tochter. Erzherzogin Maria Theresia, aus deren Ehe mit
dem Herzog Philipp von Württemberg später dem Erzherzog hoffnungsvolle
Enkel entsprossten. Am 3. Januar 1K47 wurde das erzherzogliche Paar durch
die Geburt eines Sohnes beglückt, der ihnen aber bereits am 10. Juli 1848
durch den Tod entrissen wurde. Eine zweite Tochter. Erzherzogin Mathilde,
geboren am 25. Jänner 1K49. berechtigte zu den schönsten Hoffnungen,
erlag aber am 0. Juni 18(>7 den Brandwunden, die sie sich zugezogen
hatte. Zwei Jahre früher, am 2. April 18(34. wurde Erzherzogin
Hildegarde nach kurzer Krankheit ihrer Familie entrissen, beweint von
Digitized by Google
Erzherzog Albrecht.
287
den Ihrigen, beklagt von Allen, die ihre edle Gesinnung kennen gelernt
hatten. —
In den letzten .Jahren hatte Kr/herzog Albrecht so viele Proben selbstän-
digen Handelns und vielseitiger Verwendbarkeit abgelegt, dass seine am 15. De-
zember 1844 erfolgte Ernennung zum kommandirenden General in Ober- und
Niedcrösterreich und Salzburg nur allgemeiner Zustimmung begegnete. Hatte
er schon in seinen früheren Stellungen unermüdlich für die gründliche Aus-
bildung der ihm anvertrauten Truppen gewirkt, so geschah dies in dem neuen,
erweiterten Wirkungskieise in erhöhtcrem Maasse. Seine in dieser Zeit unter
dem Titel: Anweisung über den Betrieb des Feldzuges" veröffent-
lichte Schrift enthält in mustergiltiger Weise und präziser Form eine Fülle von
Belehningen über den praktischen Vorposten-, l^ager- und Felddienst, die in
ihren Grundzügen noch gegenwärtig zum Vorbilde dienen können. Nach den
vom Erzherzog aufgestellten Grundsätzen sollten im Gegensatze zu den bisher
üblichen „Lagern" die Feldttbungen, als Vorbereitungen zum Kriege, inner-
halb der Grenzen der Möglichkeit ein getreues Abbild desselben geben.
Am 2ö. April 1847 erkrankte Erzherzog Albrechts hochsinniger Vater,
Erzherzog Carl, und am 30. um die vierte Morgenstunde schloss er, um-
geben von seinen trauernden Kindern, für immer die Augen.
Mit dem Hinscheiden seines Vaters kam Er/herzog Albrecht als ältester
Sohn in den Besitz des grossen von Kaiserin Maria Theresia für ihre
Tochter Maria Christine bei ihrer Vermählung mit Herzog Albrecht zu
Sachsen-Teschen im April 17H« gestifteten und mittelst Eehnbriefes vom
23. Jänner 1825 für deren Adoptivsohn Erzherzog Carl und seine männliche
Deszendenz bestätigten Fideikommisses, welches im Verlaufe der Zeit manche
Vermehrungen erfahren hatte und aus dem Herzogthume (der Kammer)
Teschen, den Herrschaften Ungarisch -Altenburg und Bellye (im Komitate
Karanya) besteht. Gleichzeitig fielen ihm die Allodialgüter Saybusch in
(lalizien und Seelowitz in Mähren zu. Von nun an führte er auch den
Titel eines Herzogs von Teschen. Durch mancherlei Missgriffe in der Ver-
waltung war der Ertrag der Güter beim Ableben des Erzherzogs Carl sehr
gesunken. Es spricht für das Verstand niss und den richtigen Blick Erz-
herzog Albrechts auch für ausserhalb seines eigentlichen Berufskreises ge-
legene Dinge, dass dieser Übelstand unter ihm nicht nur behoben wurde, sondern
sich bald in allen Zweigen der Bewirtschaftung und des Betriebes ein
höchst erfreulicher Aufschwung bemerkbar machte.
In den Besitz des Erzherzogs Albrecht kam auch das Schloss Weilburg
bei Baden und das Palais auf der Augustinerbastei in Wien, welches Herzog
Albrecht zu Sachsen-Teschen aus dem vormals dem Grafen Sylva-Tarouca
gehörigen Gebäude in den Jahren 1K01 -1.S04 von dem belgischen Archi-
tekten Montoyer, dem Erbauer des königlichen Lustschlosses Lacken bei
Brüssel, hatte herstellen und ausschmücken lassen, während die herrlieh
gelegene Villa in Arco erst in den Jahren 1872—1874 erbaut wurde.
Digitized by Google
288
Biographische Blätter.
Zu dem voni Erzherzog übernommenen Fideikommissbesitz gehört auch
die von Herzog Albreeht zu Sachsen-Tesehen begillndete und nach ihm benannte
Sammlung von Handzeichnungen und Aquarellen. Kupferstichen, Radierungen.
Holzschnitten etc.. eine sehr wertvolle Bibliothek und eine Plan- und Land-
kartensanimlung von einer seltenen Vollständigkeit. Diese erfuhren unter
Erzherzog Albrecht eine reichliche Vermehrung, so dass die erzherzogliche
Kunstsammlung „A Ibertina" gegenwärtig einen hervorragenden Rang unter
den Kunstinstituten Europas einnimmt und eine Sehenswürdigkeit Wiens
bildet. Bezüglich der Zahl von Handzeichnungen wird die „Albertina"
von mehreren Sammlungen, z. B. denen von Paris und Florenz, übertroffen:
was aber den Werth derselben betrifft, dürfte sie den ersten Platz einnehmen.
Obenan stehen die Zeichnungen von Albrecht Dürer, welche nicht nur an
Werth die aller öffentlichen und Privatsammlungen Europas überragen, sondern
rücksichtlich ihrer Zahl von 1G4 Stücken in der „Albertina" selbst einen
besonderen Rang einnehmen. Für die Vermehrung der Sammlungen und der
Bibliothek war vorher und unter Erzherzog Albreeht jährlich eine bestimmte
Summe ausgeworfen. Indessen war der Erzherzog bei sich darbietenden
Gelegenheiten stets bereit, ausser der feststehenden Jahresdotation die Mittel
zum Ankaufe von werthvollen Handzeichnungen und Gegenständen der
graphischen Künste zu bewilligen. Um nur zwei Beispiele anzuführen,
widmete er, als im Jahre 1881 die aus dem Nachlasse des 1873 verstorbenen
Präsidenten der kais. Akademie der Wissenschaften und zweiten Vorstandes
der Hofbibliothek R. von Karajan stammende Sammlung von Viennensia
zur Versteigerung gelangte, einen namhaften Betrag zum Ankaufe solcher
Blätter, welche die „Albertina" noch nicht besass oder die einen besonderen
künstlerischen Werth hatten. Und ebenso bewilligte er im Jahre 18i»2
die Mittel zur Erwerbung einer Anzahl Handzeichnungen von Joseph
Führich. Beim Ableben des Erzherzogs Albrecht zählte die erzherzogliche
Kunstsammlung über 16 000 Handzeichnungen und mehr als 200.000 Kupfer-
stiche, Radierungen, Schabkunstblätter, Holzschnitte etc. Die Bibliothek
erfuhr in dem Zeiträume von 1847 bis 1895 einen Zuwachs von nahezu
20.000 Bänden, vorwiegend geschichtlichen und militänvissensehaftliehen
Inhalts, und beläuft sich gegenwärtig auf nahezu 50.000 Hände. Um dem
Publikum den Zugang zu den im obersten Stockwerke des angrenzenden Augus-
tinergebäudes untergebrachten Kunstschätzen zu erleichtern, hatte der Erz-
herzog vor dem Reginne der Weltausstellung im Jahre 1873 von seinem Palais
aus einen eigenen Treppenaufgang erbauen und die Aufstellung der Zeich-
nungen, Stiche. Radierungen etc. in Portefeuilles und starken Lederbänden
in Hol/schränken nach Nationen und Schulen chronologisch geordnet durch-
führen lassen. Den handschriftlichen Nachlass Herzog Albrechts zu Sachsen-
Teschen und seines Vaters liess er ordnen und in einem Lokale in seinem
Palais unterbringen.
Von der Bibliothek machte der Erzherzog einen umfassenden Gebrauch.
Digitized by Google
Krzherzog Albro«ht
289
Als ihn die Schwäche seiner Augen noch nicht daran hinderte, las er selbst
alle hervorragenden Erscheinungen auf dem Gebiete der Militärwissenschaft
und Geschichte und pflegte bei der I^ekttlre zahlreiche Randbemerkungen
zu machen, die von der Schürfe seiner Auffassung und der Richtigkeit
seines Urtheils Zeugniss geben. In den letzten .Jahren seines Lebens Hess
sich der Erzherzog in freien Stunden von seinen Adjutanten oder anderen
Personen seiner Umgebung vorlesen, wobei er den Vorlesenden durch sein
vortreffliches Gedächtniss oft in Staunen setzte. Kr pflegte im Winter um
6 Uhr und im Sommer zu noch früherer Stunde aufzustehen und bei zu-
sagender Witterung einen Ritt ins Freie zu machen. Gegen 8 Uhr Hess
er sich in der Regel über militärische Angelegenheiten Bericht erstatten
und erledigte die laufenden Schriftstücke. Cber die Vorkommnisse des
Tages machte er regelmässig Aufzeichnungen. Dieser Gewohnheit blieb er
bis zu seinem Ableben treu. Seine Gedanken «Iber bestimmte Fragen
brachte er früher selbst zu Papier, späterhin dikthte er sie im Zimmer
auf- und abgehend einem Herrn seiuer Umgebung.
An Tagen, an welchen Audienzen stattfanden, wurde diese Thätigkeit
zeitweilig unterbrochen. Bei diesen Gelegenheiten zeigte sich das vorzüg-
liche Personen- und Sachgedächtniss des Erzherzogs, sowie die Versatilität
seines Geistes.
Wie tief die Erinnerung an den Erzherzog bei Personen, welche mit
ihm zu sprechen das Glück hatten, nachwirkte, davon möge eine Stelle aus
einem Schreiben des Historikers Professors Dr. H. Httffcr Zeugniss geben.
„In den siebziger Jahren", heisst es dort, „hatte ich die Ehre, dem Erzherzog
einige Male mich vorstellen zu dürfen. Niemals werde ich den Eindruck seines
wohlwollenden, liebenswürdigen und zugleich Achtung und Verehrung gebieten-
den Wesens vergessen. * Die gastfreundliche Liberalität des Erzherzogs be-
kundete sich, mochte er in seinem Palais in Wien, auf dem ihm aus der
Jugendzeit liebgewordenen Schlosse Weilburg oder unter der milden Sonne
von Arco weilen. Bei den jährlichen instruktiven „Generdlsreisen", bei
den grossen Manövern, zeigte er sich stets als munitizenter Grandseigneur.
Zahlreich sind die Akte der Wohlthütigkeit während seines langen
thatenreichen Lebens. Als kurz nach seiner Übernahme der väterlichen
Guter im .Jahre 1847 nach einer Missernte eine Hungersnoth in Schlesien
ausgebrochen war, beauftragte er von Norderney aus den Hofrath v. Kleyle
nach Kräften zu helfen. Und auf dessen .Bericht, neben Lebensmitteln
öOOO Gulden CM. zur Unterstützung der Hilfsbedürftigen verwendet zu
haben, erwidert er: „Ich danke Ihnen recht sehr, dass Sie die Summe von
5000 Gulden unter Einem angewiesen haben. Bis dat. qui cito dat: es
wäre eine Sünde und eine Verantwortung, mit Schuld an dem Tode auch
nur Eines Nebenmenschen zu seyn."
Bleibende Denkmale der wohlwollenden Fürsorge des Erzherzogs sind
der seinen Namen fühlende Ufhzier-Darlehnsfond. zu dessen Krrichtuug er
Digitized by Google
200
Biographische Blätter.
100.000 Gulden spendete, die Vennehrung der von seinem Vater begründeten
Stiftplätze im Offizier-Töchter-Institut auf 32, die Errichtung von Stift-
plätzen am Taubstummen- und Winden-Institut und am Konservatorium in
Wien, von Stipendien am Franzisco-Josephinum in Mödling und der Landes-
winzersehule in Krems. Noch wenige Monate vor seinem Ableben hat er
durch Stiftungen im Betrage von 130.000 Kronen zu Gunsten der Regi-
menter, deren Inhaber er war (des 44. Infanterie-, des 4. Dragoner- und
des 5. Korps- Artillerie-Regiments), seinen stets regen VVohlthätigkeitssinu
dargethan.-
Die Bewegung des Jahres 1848, die Vorgänge in Wien am 13. März
brachten den Erzherzog namentlich wegen seiner Beliebtheit in der Armee
in Gegensatz zu der herrschenden Stimmung. Als Freund der Ordnung
und loyaler Charakter konnte er sich, obwohl von der Notwendigkeit zeit-
gemässer Reformen überzeugt, mit der Art, wie man die Umgestaltung der
bestehenden Verhältnisse ins Werk setzen wollte, nicht befreunden und
legte daher seine Stelle als kommandirender General am 14. März nieder,
nachdem er in einem Generalbefehl von den Truppen in dem Ernste des*
Momentes entsprechenden Worten Abschied genommen hatte. Durch eine
Bereisung seiner Güter suchte er fern vom öffentlichen Leben die unan-
genehmen Eindrücke der letzten Tage zu verwischen. Als jedoch der Krieg
mit Piemont ausbrach, nahm Erzherzog Albrecht freiwillig als Brigadier
an den Operationen Radetzky s Theil. In der donkwürdigen Schlacht bei
Santa Lucia am 6. Mai. wo 10.000 Österreicher gegen 40.000 Piemontesen
fochten, gab er zum ersten Male im Felde Beweise von seiner Unerschrocken-
hoit. und am Tage von Custozza, am 2ä. Juli, erwarb er sich die volle
Anerkennung Radetzky 's. der von ihm berichtete: ..Dass er nicht nur durch
persönlichen Muth das Erbthcil seines Hausos sondern auch durch die
Aufmunterung seiner Untergebenen, durch seinen militärischen Scharfblick,
seine glänzende Begabung für den militärischen Beruf erwiesen habe".
Im Dezember 1K48 mit dem Kommando einer Division beim 2. Armee-
korps betraut, stellte sich der Erzherzog, als die Operationen gegen Pie-
mont wieder begannen, unter den Befehl des Feldmarschall -Lieutenants
Baron d" Aspro. Seine Division bildete die Avantgarde. Beim Übergang
über den Ticino bei Pavia und bei Gravellone {am 20. März) kam es zu
harten Kämpfen, in denen sich Erzherzog Albrecht durch Muth und Um-
sieht hervorthat. Am folgenden Tage wurde zum Angriffe von Mortara
geschritten. An der Eroberung dieses Platzes gebührt dem Ei7.heiv.og ein
Hauptantheil. Den schlicsslichen Sieg und die Besatzung Mortara 's schreibt
Radetzky wesentlich „der umsichtigen Disposition des Feldzeugmeisters
Baron d Apre und seines tapferen Divisionärs Erzhrezog Albrocht
sowie endlich dem Muthe und der Geistesgegenwart des Obersten Benedek
zu". Glänzenden Ruhm erwarb sich der Erzherzog zwei Taue darauf (am
2o. März) bei Novara. indem er aus eigner Initiative die von Novara gegen
Digitized by Google
Krzherzog1 Albm-ht.
291
Nibbola seitwärts der Strasse sich hinziehenden Anhöhen durch ein Detache-
nient besetzen Hess und dadurch das Centrum der Österreichischen Stellung
vor der Gefahr der Umgehung- von Seite des Feindes bewahrte. Er selbst
behauptete die auf einer Anhöhe gelegene Häusergruppe von Bieoea — dem
wichtigsten Punkt der ganzen Stellung durch yollc « Stunden gegen
eine sechsfache Übermacht, bis durch das Eintreffen der Reserven das Gleich-
gewicht hergestellt und der Sieg entschieden wurde. „Seine kaiserliche
Hoheit Erzherzog Albrecht", berichtet Radetzky nach der Schlacht an das
Kriegsministerium, „bewies an diesem heissen Tage eine bewunderungswürdige
Standhaftigkeit und wich nicht einen Schritt aus seiner gefährdeten Stellung
zurück". Für diese entscheidende Waffenthat wurde dein Erzherzog auf
Antrag des Ordenskapitels am 29. Juli das Kommandeurkreuz des Maria-
Theresien-Ordens verliehen, wozu sich die höchsten militärischen Orden des
Kaisers von Russland, der Könige von Preussen und Hävern und das Gross-
herzogs von Toskana gesellten.
Nachdem hierauf Erzherzog Albrecht kurze Zeit als Kommandant des
3. Armeekorps in Böhmen gewirkt, wurde er am 11. Oktober zum Gouver-
neur der Festung Mainz ernannt und ihm am 4. September des folgenden
.lahres (1850) mit der Ernennung zum General der Kavallerie das Landcs-
Militär-Koramando in Böhmen übertragen, als wegen Kurhessen ein Konflikt
mit Preussen drohte.
Ein weites Feld der Thätigkeit eröffnete sich für den Erzherzog, als
es nach der Pacifikation Ungarns galt, die Gemüther zu beruhigen und gleich-
zeitig eine den übrigen Kronländern analoge Verwaltung sowie eine den
modernen Rechtsanschauungen entsprechende Justiz im Lande einzuführen,
kurz jene Umgestaltung der politischen Verhältnisse vorzunehmen, die ge-
eignet waren, das Königreich Ungarn in den Organismus des Gesammtetaates
einzufügen. Zur Durchführung dieses Werkes schien der Erzherzog- die
geeignete Persönlichkeit. In seinem Wesen vereinigten sich Festigkeit des
Willens und hoher Rechtssinn mit versöhnender Milde. Jeder dem Partei-
getriebe Fernstehende musste ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass
alle seine Bemühungen darauf hinzielten, die Gegensätze auszugleichen und
Ober unglückliche geschichtliche Ereignisse den Schleier der Vergessenheit
zu decken. In der Hebung des Volkswohlstandes durch Strassenbauten.
Kanalisirungen , Verbesserung des Unterrichtes u. s. w. glaubte der Erz-
herzog das beste Mittel gefunden zu haben, allinälig der Zufriedenheit mit
«ler neuen Ordnung Eingang zu verschaffen. J.sfio konnte der Erzherzog
aus seiner Stellung als Militär- und Civil-Gouverneur mit dem Bewusstsein
H'heiden, das Wohl des ihm anvertrauten Landes stets im Auge gehabt zu
haben: die Fortschritte, welche Ungarn unter seiner Verwaltung gemacht,
mussten selbst von politischen Gegnern anerkannt werden.
Mitten in die Thätigkeit des Erzherzogs als Statthalter von Ungarn fiel
der russisch-türkische Krieg im Jahre isö4. welcher bald durch die Theil-
Blographische Blätter. I. 19
Digitized by Google
2<>2
Biographische Bliitter.
nähme Kurlands und Frankreichs an Ausdehnung gewann. Österreich sah
sich veranlasst, an der Südostgrenze des Reiches ein Beobaehtungskorps und
später eine Armee in Galizien aufzustellen, deren oberste Leitung Erzherzog
Albrecht übertragen wurde. Der Krieg fand indessen, wie bekannt, durch
den Frieden von Paris <20. Februar 1S5«| seinen Abschlüsse ohne «lass
Österreich aus seiner bewaffneten Neutralität heraustrat.
Gerade ein .Jahr vor seinem Rücktritt von der Statthalterschaft in
Ungarn wurde Erzherzog Albrecht mit einer Mission nach Herlin betraut.
Österreich sah sich von »Sardinien und Frankreich bedroht und es iralt.
Preussen in seiner Eigenschaft als deutscher Bundesstaat zur Kooperation
gegen Frankreich zu bewegen. Das Kommando über das österreichische'
Kontingent am Rhein sollte der Erzherzog übernehmen. Erzherzog Albrecht
wurde in Berlin mit Ehrungen überhäuft. Wie Herzog Ernst II. von Sachsen-
Coburg-Gotha im 2. Bande seines Memoirenwerkes berichtet, hatte „sein
liebenswürdiges und vorsichtiges, dennoch aber Vertrauen erweckendes Auf-
treten überall den besten Eindruck hervorgebracht". Die „soldatische Be-
fähigung" des Erzherzogs, sein ..gerades und schlichtes Wesen wären sicher-
lich am geeignetsten gewesen, eine Verhandlung Über die militärische Basis
der Allianz zum Abschluss zu bringen". Dennoch führte die Anwesenheit
des Erzherzog zu keinem greifbaren Resultate. In der Bundestagssit/.ung
vom 3. -luli wurde Erzherzog Albrecht zwar zum Befehlshaber des öster-
reichischen Kontingentes ernannt, allein der Krieg war inzwischen aus-
gebrochen und das Glück hatte zu Gunsten Frankreichs entschieden, bevor
die Rüstungen der Bundesstaaten vollendet waren.
Die Verdienste des Erzherzogs als Militär- und Civil-Gouverneur hatte
der Kaiser in einem Handschreiben (vom H>. April IHfiO) anerkannt. Und
als neue Verwicklungen in Italien drohten, wurde ihm auf sein Ansuchen
das Kommando über das 8. Armeekorps in Vicenza übertragen. Alu
4. April 1863 erfolgte die Ernennung des Erzherzogs zum „Foldmarschall
unter gleichzeitiger Enthebung vom Kommando des 8. Armeekorps", womit
ihm auch das Präsidium im Marschallsrathe zukam. Eine ganz besondere
Ehrung ward dem Erzherzog im Herbste des Jahres 1803 von Seiten der
Armee zuteil. Am 18. Oktober überreichten Feldmarschall Graf Wratislaw.
Feldzeugmeister und Kriegsminister Graf Degcufeld und Generaladjutant
der Armee Graf von Crenneville dem Feldmarschall ein kunstvoll aus-
gestattetes Diplom, mit welchem die kaiserliche Armee ..dem würdig-en
Heldensprossen des unsterblichen Vaters, ihm gleich an inniger Zuneigung
für die Armee, so wie er ein leuchtendes Vorbild kriegerischer Tugenden,
als sprechendes Zeugniss der Verehrung ein Abbild des vom Kaiser vor
der Burg errichteten Denkmals" widmet und bittet, demselben „eine Stelle
in der von dem verewigten Helden <rcschanenen schönen Weilburg anzu-
weisen". — Das im verjüngten Maassstabe ausgeführte Monument bildet
nunmehr gegenüber der Schlosskapelle eine Zierde des erzherzoglichen Parkes.
Digitized by Google
Krzhcrzog A Unecht.
203
Die Ereignisse des .Jahres 18130 sind zu bekannt, als dass sie hier einer
weiteren Darstellung- bedürften. Das Vorhalten des Erzherzogs als Komman-
dant der Österreichischen Südarmee, seine Operationen gegen die mehr als
doppolt so starke italienische Armee, welche zu dem glänzenden Siege bei
(•ustozza (24. Juni) fahrten, sichern ihm einen Platz unter den hervor-
ragendsten Heerführern.
Mit dem Grosskreuz des Maria-Theresion -Ordens ausgezeichnet und
il.>. September 18fiß) zum Armee-Obor-Kommandanten ernannt, war fortan die
Reorganisation der Armee auf der Basis der allgemeinen Wehrpflicht die
unausgesetzte Sorge des Erzherzogs. In erhöhtem Maasse konnte Erzherzog
.Vlbrocht diesem Zwecke dienen, als ihm mit der Ernennung zum General-
Inspektor des Heeres (24. März 1H(5}»| „die Inspieirung des stehenden
Heeres in Bezug auf dessen Ausbildung und Manövrirfähigkeit sowie die
Überwachung und Leitung grosserer Truppenübungen" übertragen wurde.
Für die Zwecke dos Heeres war Kr/herzog Albrocht auch schrift-
stellerisch thätig. Schon im Jahre 18o« hatte er eine „Instruktion für die
Generalität" herausgegeben . welche an die im Jahre 180« veröffentlichte
Schrift seines Vaters: „Grundsätze der Kriegskunst für die Generalität der
(isteneichischen Armee" erinnert. Seine Godauken über die Reorganisation
iles österreichischen Heerwesens hat der Erzherzog in der Schrift: „Wie
soll Österreichs Heer organisirt sein?", die im Jahre 1808 im Drucke
erschien, niedergelegt. Ein Jahr später wurden seine (wiederholt ins
Französische übertragenen! „Gedanken über den militärischen Geist" ver-
öffentlicht.
Von ganz besonderem Interesse ist die im Herbste 1K70 erschienene
Schrift: „Das Jahr 1870 und die Wehrkraft der Monarchie". Sie enthält
neben einem Vorworte Betrachtungen über die Einleitungen und den Heginn
iles Feldzuges 1870, einen Vergleich der Streitkräfte Preussen- Deutsch-
lands und Österreich -Ungarns und Vorschläge zur Besserung dieses Ver-
hältnisses sowie weitere Bemerkungen zur Hebung der Wehrkraft der
Monarchie und die Mittel hierzu. Erzherzog Albrecht kommt in dieser
Schrift zu dem Resultate: dass die Sicherheit des Staates jetzt mehr denn
je in der Wehrkraft und in der Schnelligkeit, mit welcher dieselbe voll-
kommen organisirt und kampfbereit aufgestellt sein kann, beruhe . dass zur
nachhaltigen Verteidigung die eigene Wehrkraft weder quantitativ noch
qualitativ den möglichen Gegnern bedeutend nachstehen dürfe und das
ungünstige Verhältniss hierin durch ein starkes Befestigungssvstem. organi-
sirtes Volksaufgebot und dergleichen ausgeglichen werden müsse: dass die
Wehrkraft der Monarchie keineswegs jene Vollkommenheit erreicht habe,
um mit Beruhigung der Zukunft entgegensehen zu können, und man daher
mit einer den Zeitverhältnissen entsprechenden Organisation auf der Basis
des Vorhandenen und mit schonender Berücksichtigung der Keiehstinanzen
beginnen müsse. In einer Zeit, wo die Völker in Waffen stehen, müsse
Digitized by Google
294
Biographische Blätter.
die Überzeugung von der Notwendigkeit dio.ser Maassnahmen allmälig alle
Schichten der Bevölkerung durchdringen, der kriegerische Sinn in derselben
geweckt und gehoben, das Pflichtgefühl, die freudige Opforwilligkeit, kurz
der wahre Patriotismus bei allen Bewohnern der Monarchie ohne Unter-
schied der Nationalität schon im Frieden genährt und anerzogen, das
Zusammenstehen aller um den Thron in jeder Weise gepflegt werden. Erst
wenn diese Notwendigkeit allenthalben erkannt ist, werde man mit Beruhi-
gung in die Zukunft sehen können. Österreich -Ungarn sei noch reich an
schlummernden Kräften, diese müssen geweckt und zur Geltung gebracht
werden. Endlieh müsse die täglich um sich greifende Genusssucht und
Leichtlebigkeit durch sittlichen Ernst und festen Willen, der krasse Egois-
mus durch angestrengte Thätigkeit, die Korruption durch Ehrlichkeit, Ehr-
gefühl und moralische Haltung, der verflachende und alles zersetzende
Unglaube durch wahre Religiosität und Treue wieder verdrängt werden.
Im Winter des Jahres 1870 hatte der Erzherzog unter dem Namen
eines Grafen von Friedek eine Heise über Ober-Italien, wo er die Schlacht-
felder besuchte, nach dem Süden von Frankreich unternommen und war
auf der Rückreise nach Österreich anfangs Februar in Paris angekommen,
wo er mit besonderer Auszeichnung empfangen wurde. Nach einem fttnf-
wOchentlichen Aufenthalte kehlte er um die Mitte März über Chalon s./M.,
Darmstadt und Asehatt'enburg nach Wien zurück. Der Eindruck, den er von
der Schlagfortigkeit des französischen Heeres gewonnen, war kein günstiger.
Nach den epochemachenden Ereignissen des Jahres 1870 widmete
sich der Erzherzog mit dem Feuereifer eines Jünglings dem Ausbau
des österreichisch -ungarischen Heerwesens. Ein starkes Österreich galt
ihm als der sicherste Bürge des europäischen Friedens. „Eine fried-
liche Politik kann man nur behaupten" — sagt er in seiner Schrift: Wie
soll Österreichs Heer organisirt sein? — „wenn man stark genug ist,
sich zu aggressiven Allianzen nicht zwingen lassen zu müssen, und eingedenk
des „Seid stark im Flieden, damit Ihr den Krieg vermeidet", oder ,.Si vis
pacem, para bellum-4 so dasteht, dass kein Nachbar mit Aussicht auf Erfolg
einen Angriff wagen kann". Und überzeugt von der Wechselwirkung der
inneren geistigen und materiellen Entwicklung eines Staates und der im
Heere zum Ausdruck kommenden Machtentfaltung nach Aussen, suchte er
auch jene genügend zu fördern. Auf der Weltausstellung von 1873 in
Wien hatte er mit grossem Kostenaufwand in einem eigenen Pavillon eine in
dem Handschreiben des Kaisers vom 27. Oktober d. .1. als „mustergiltig-
bezeichnete Ausstellung von land- und forstwirtschaftlichen Produkten
und Industrie -Erzeugnissen" seiner Domänenbesitze veranstalten lassen, die
zugleich ein lehrreiches Bild wichtiger Zweige menschlicher Thätigkeit darbot.
Als im Dezember desselben Jahres das fünfundzwanzigjährige
Regierungsjubiläum des Kaiseis geleiert wurde, hielt der Erzherzog im
Namen des Heeres die Beglüekwünsehungsrede. War doch kein anderer
Digitized by Google
Erzherzog AU) recht.
295
berufen, die Gefühle der Armee gegenüber dem Monarehen würdiger zum
Ausdrucke zu bringen.
Auf den 21. März des Jahres 1874 tiel der 25. Jahrestag der Schlacht
bei Mortara, den der Kaiser zum Anlass nahm, den Erzherzog in einem
in den wärmsten Ausdrücken abgefassten Handschreiben zu beglückwünschen.
Im Sommer desselben Jahres weilte Erzherzog Albrecht am russischen
Hofe in Krasnoj Solo. Ein Aquarell aus dieser Zeit stellt den Kaiser
Alexander II. dar. wie er dem Erzherzog das lithauische Uhlanen-
Kfgiment Nr. 5 vorführt, dessen Inhaber er seit 1839 war. Die neuer-
lichen Verdienste des Erzherzogs um die Armee wurden vom Kaiser am
25. November 1875 durch dessen Ernennung zum Oberst - Inhaber des
Dragoner-Regiments Nr. 4 anerkannt.
In erhebender Weise wurde im April 1877 das fünfzigjährige Dienst-
jubiläuin Erzherzog Albrechts gefeiert. Der Kaiser als oberster Kriegs-
herr hatte angeordnet, dass am Festtage (d. 18.) in einem Armeebefehl
.allen Theilen der bewaffneten Macht" folgendes Handschreiben „in
entsprechender Weise*' kundgemacht werde:
, Lieber Herr Vetter, Feldmnrschall Erzherzog Albrecht! Kine erhebende Feier ist
<m. die ich in freudiger Erinnerung, dass Huer Liebden nunmehr ein halbes Jahrhundert
Meiner Armee angehören, zu begehen im Begriffe bin.
Das warme Soldatenherz, welches der Jüngling in fernliegender Zeit der Armee
entgegenbrachte. Sie haben es ihr bis zum heutigen Tage unverändert bewahrt.
In Zeiten des Friedens war Ihre hingebungsvolle ThJitigkeit. Ihr ganzes Sinnen und
Streben stets der Wohlfahrt und der tüchtigen Ausbildung des Heeres geweiht: galt es
aber in ernsten Tagen für Kaiser und Reich einzutreten, dann sind Sie - ein leuchtendes
Vorbild edler Selbstverläugnung und Aufopferung - freudig meinem Rufe gefolgt und
haben Oesterreiths Krieger zu Sieg und Ruhm geführt.
Die ri>erlieferung und Verherrlichung Ihrer Thuteti und Verdienste bleibt der vater-
ländischen Geschichte vorbehalten und wird gewiss in den schönsten Blatten» ihren würdigen
Platz tinden.
Ich aber will, dem Drange Meines Herzens folgend und mit dankbarem Rückblick
auf solch' eine ruhmreiche Vergangenheit. Huer Liebden Meine eigenen und die nicht minder
herzlichen und aufrichtigen (ilückwilnsche Meiner Armee darbringen.
Möge die (Jnade des Allmächtigen Kuer Liebden zu meiner Freude und zum Heile
des Vaterlandes noch lange Jahre in ungebrochener Kraft erhalten.
Wien am 17. April 1877. Franz Joseph m. p.
Im Namen der gesammten Armee brachte Kriegstninister FML. (iraf
Bylandt-Rheidt an der Spitze einer (ieneraldepntation die Glückwünsche
dar. Tiefergriffen sprach der Erzherzog „der gesammten Kriegsmacht"
seinen wärmsten Dank aus. Was er im Felde zu leisten, im Frieden der
Armee zu nützen vermochte, das sei hauptsächlich das Werk seiner braven
Waffengefährten. Im Feldherrn ehre und lohne man die Verdienste der
Armee, darum theile er auch mit jedem seiner Soldaten das Lorbeerreis.
Fortan war der Erzherzog in jedem Jahre für die grossen Manöver
thätig, deren Oberleitung in seinen Händen lag und für die er selbst die
Digitized by Google
-im
biographische Blätter.
Pläne ausarbeitete und die Vorbereitungen traf. Zu diesem Zwecke
nahm er regelmässig Bereisungen vor und war unermüdlich in der Visitation
der Truppen in allen Theilen des Reiches. Hei den Manövern sass er oft
10 Stunden im Sattel, jeder Witterung' trotzend, und unterzog dieselben
hierauf bei den üblichen Besprechungen einer eingehenden Kritik. Dem
Studium des Terrains und der strategisch wichtigen Punkte der Monarchie
waren die jährlichen Generalsreisen unter der Oberleitung des Erzherzogs
gewidmet. Auf der mühevollen Inspektionsreise in Bosnien und der Herzego-
wina im Jahre lss<> überzeugte sich Erzherzog Albrecht von den Leistungen
der daselbst dislocirten Truppen auf militärischem und kulturellem Gebiete.
Mit hoher Befriedigung vernimmt der Kaiser den Pericht hierüber.
An «lein seltenen Feste des sechzigjährigen Dienstjubiläums des Erz-
herzogs im Jahre 1887 gedenkt der Monarch „dankerfüllt" seiner ..glänzenden
Thaten". seiner ..edlen und selbstlosen Hingabe für die Armee und seine
Person". — ■ ..lTnvergesslieh möge seine warme Liebe und aufopfernde Für-
sorge für die Angehörigen der Armee bleiben!*
Im Frühling des Jahres gelangte ein langgehegter Wunsch des
Erzherzogs, dem Feldherrn, unter dessen Führung er die ersten Sieires-
loorbeern errungen und von dem der Dichter sang: .Jn deinem Lager ist
Österreich" in der Hauptstadt des Reiches ein sichtbares Denkmal errichtet
zu sehen, zur Verwirklichung. Am 24. April konnte die Reiterstatue des
gleisen Marschalls Radetzkv enthüllt werden und der Er/herzog in einer
Ansprache au den Kaiser des „treuen Dieners von fünf Monarchen, des
Helden und Patrioten, des Vaters seiner Soldaten, des greisen Siegers in
Entscheidungsschlachten" gedenken.
Am L April waren es dreissig Jahre, dass der Kaiser den
Marschallsstab in die Hände des Erzherzogs gelegt hatte. Dieses Tages
eingedenk beglückwünschte ihn der Monarch in einem Handschreiben ddto.
Wien am :$. April als den „Mitbegründer des gegenwärtigen festen Gefüges
der Wehrkraft". In voller Rüstigkeit beging der Erzherzog diesen Gedenk-
tag. End während der Herbstmanöver desselben Jahres in der Eingebung
von (iüns in Anwesenheit des deutschen Kaisers, des Königs von Sachsen
und des Herzogs von Connaught setzte er durch seine Elasticität und Aus-
dauer Alle in Erstaunen. Es war unter dem Eindrucke dieses vom Erz-
herzog geleiteten Manövers, dass ihn Kaiser Wilhelm H. von Schönbrunn
aus am 27. September zum pretissischen General-Feldmarsehall ernannte.
Dieselbe Rüstigkeit zeigte Erzherzog Albrecht noch im folgenden
Jahre bei den He. bstmanövern im Horster Comitate. Dieses Manöver
sollte für den Er/herzog das letzte sein. Der Wunsch des Kaisers in dem
bei diesem Anlasse erlassenen Handschreiben (vom 21. September), dass der
Er/herzog ..noch viele Jahre im Vollgenusse der Gesundheit dem Heere
den reichen Schatz seiner militärischen Erfahrung wie bisher widmen möge"
sollte nicht mehr in Erfüllung gehen. Mitte Oktober hatte sich Erzherzog
Digitized by Google
Frzherzo«: Albreeht.
297
Albrecht nach Arco begeben, um, wie seit einer Reihe von .lahren. die
rauhe Jahreszeit daselbst zu verbringen. Mit «/rosser Befriedigung- erfüllte;
es ihn. als ihm im November der sechste und letzte Band der in seinem
und seines verewigten Bruders Erzherzog Wilhelm Auftrage herausgegebenen
..Ausgewählten Schriften" Krz h erzog Karl s überreicht wurde.
Damit war der erste Theil des litterarischen Denkmals zum Abschlüsse
gelangt, welches die beiden erlauchten Söhne ihrem ruhmreichen Vater zu
errichten beschlossen hatten. Kinen Monat später erschien der erste Band
des von II. von Zeissberg verfassten Lebensbildes des Generalissimus, bei
dessen Entgegennahme der Erzherzog die leider unerfüllt gebliebene
Hoffnung aussprach, die Vollendung dieses Werkes sowie der «lern Ab-
schlüsse nahen Darstellung der Keldzüge seines Vaters noch zu erleben,
um sich an der Uditttre und an dem Erfolge dieser Schriften erfreuen zu
können.
Welchen schweren Verlust das Kaiserhaus. Österreichs Heer und Be-
völkerung durch den Tod Erzherzogs Albrecht erlitten, kommt in monu-
mentaler Weise in folgenden ergreifenden Worten zum Ausdrucke, die der
Monarch an die Armee richtete und die mit der Verewigung seines Namens
sehliessen :
l'nsere Fahnen senken sieh der letzt« (iruss der < ; «schütz.« ertönt für den (Jeneral-
Inspektor des Heeres, Feldmarschall Krzherzo<r Albrecht.
In schmerzerfüllter Trauer beulen sich die "•osammte Wehrkraft und das Vaterland
mit Mir und Meinem Hause vor dem unersetzlichen Verluste, welchen der Wille des
Allmächtigen I ns beschieden.
Die Hewunderung- eines mit erleuchtetem (leiste und warmfühlendem Herzen, iranz
und voll, dem Heere gewidmeten inhaltsreichen Lebens: die Begeistern n<r für den edlen
Prinzen, der, <_retreu sich selbst, in Stürmen und (Jefabren niemals wankte, der ein sieg-
reicher Feldherr die Zierde und der Stolz Meines Heeres war: alle (Jefiihle. welche
jetzt nach Ausdruck ringen: .sie verklären sich in tiefempfundener Dankbarkeit für den
Herrn der Heerschaaren, welcher den preisen Feldmarschall als einen seiner Auserlesensten
bis nahe der (irenze irdischen Daseins in aller Thatkraft erhalten hatte.
F.rzherzotr Albrecht s unverfängliches Andenken bleibt, wie der Lorbeerkranz, welcher
den Helden von Novara und Custozza schmückt, Meinem Heere, Meinen beiden Land-
webren und Meiner Kriegsmarine ein J'alladium der Treue. Sündhaftigkeit und Sieges-
zuversicht.
Ich bestimme: das Infanterie- lie<;iment No. 44. das Dra^oner-Ile^ iment Nu. !) und
«las ( Vpsartilleric-Kcfiment No. 5 haben fortan und auf immerwährende Zeiten den Namen
Foldniarschall Kr/herzog Albrecht zu führen.
Wien, am '26. Februar 1895. Franz .Io>ejih m. p.
Digitized by Gtfogle
298
Biographische Blatter.
Moritz Carriere.
Von
FRANZ MUNCKER.
Am 18. Januar 18JJ5 starb zu München in hohem Alter der Ästhetiker
Moritz Carriere. Cher ein halbes Jahrhundert lang hatte er ein ebenso mannig-
faltiges wie segensreiches Wirken als Lehrer und als Schriftsteller entfaltet, bis zu
seinen letzten Stunden unermüdlich im Dienste der Wissenschaft, ein nie entmuthigter
Streiter für Geistesfreiheit . für das. was er als wahr, gut und schön erkannte,
ein Denker und Forscher, der den Blick stets nur auf die edelsten Ziele gerichtet
hielt, zugleich aber ein wahrhaft vornehmer, liebenswürdiger Charakter, der im
milden, hilfreichen Handeln für diejenigen, an deren Tüchtigkeit er glaubte,
aufopferungsvoll sich nicht genug thun konnte. So folgt ihm denn auch die ver-
diente Verehrung, nwh mehr aber die dankbare Liebe aller, die ihn nicht bloss
oberflächlich kennen lernten, über das Grab hinaus.
Carriere wurde am ö. März 1817 in dem oberhessischen Dorfe Griedel bei
Butzbach geboren. Sein Vater war Kentamtmann daselbst. Seine erste Vor-
bildung erhielt der Knabe durch Privatunterricht bei dem später durch politische
Verfolgung in den Tod getriebenen Dr. Frd. Ludw. Weidig, der damals Konrektor
in dem nahen Butzbach war. Im Herbst 1832 wurde er in die Sekunda des
Gymnasiums zu Wetzlar aufgenommen. Unter seinen Mitschülern that er sich
rasch hervor. Schon im September 1*33 hielt der inzwischen zum Primaner
Beförderte bei der Sehlussfeier des Schuljahres eine deutsche Kede über das
Thema: Warum und inwiefern ist das jugendliche Alter das glücklichste zu
nennen? In denselben Tagen durfte er auch im Namen seiner Mitschüler beim
Abschiede des nach Ilfeld berufenen Professors E. W. Wiedasch dem verdienst-
vollen und geliebten Lehrer ein eigenes deutsches Gedicht in brav gereimten
Stanzen überreichen, wohl die erste seiner litterarischen Arbeiten, die zum Druck
gelangte (im Wetzlarer Gymnasialprogramm 1833). Die glatt fliessenden Vei-se
mit ihrer sauberen, schwungvollen Sprache enthalten zwar noch keine besonders
eigenartigen oder bedeutsamen Gedanken: immerhin aber muthet es uns wie eine
Vorahnung der Ziele an. die Carriere später unablässig verfolgte, wenn schon
der Sechzehnjährige dem scheidenden Lehrer begeistert dankte, dass er ihm „das
tiefversteckte Fliessen des Wahrheitsbornsu gezeigt, ihn zum „Heiligthum des
Schönen" geführt, sein Auge an das Ideale gewöhnt habe.
Seit 1835 studirte Carriere in Giessen und Göttingen, vom Herbst 1837
an in Berlin, bis er im Juli 1838 zum Doktor der Philosophie promovirte. Schon
vor diesem äusseren Abschlüsse seiner Studien aber war er als Schriftsteller
öffentlich hervorgetreten. 1H37 zu Güttingen mit einer umfangreichen lateinischen
Abhandlung „De Aristotele Piatonis amico ejus<pie doctrinae justo censore". Die
Schrift, einem Wetzlarer Lehrer Moritz Axt gewidmet, bekundet vor allem eine
aussergewöhnliehe Helcsenhcit nicht nur in der einschlägigen philologischen und
philosophischen Speziallitteratur, sondern auch in den philosophischen, historischen
und poetischen Werken der neueren Zeit. Schon hier beruft sich Carriere auf
verschiedene Geisteshelden des deutschen Volkes und des Auslandes, die ihm zum
Theil sein Leben lang als Führer und Vorkämpfer gegolten haben, auf Dante.
Bacon. Spinoza. Luther. Lessing. Schiller. Friedlich Schlegel. Schelling. Gervinus.
Dahlmann. Rosenkranz, I). F. Strauss und andere Geschichtschreiber und Denker
der Gegenwart, namentlich aber auf Goethe. Wilhelm v. Humboldt und Hegel.
Digitized by Google
Moritz Carriere.
209
die er als „summi nostrae cnlturae duces et auctores- begeistert preist. "Während
damals noch die grosse Menge der jüngeren deutschen Schriftsteller mit Börne
und Menzel sieh schroff ablehnend gegen unsern grössten Dichter verhielt, zeigte
Carriere bereits in dieser Erstlingssehrift überall die höchste Verehrung für
Goethe, für den ihm auch der bewundernde Beiname „ö xavya nicht zu über-
sohwänglich erschien. Im gleichen Jahre 1837 widmete er zusammen mit seinem
Freunde Theodor Oreizenach der Universität Göttingen als poetische Festgabe zu
ihrer Säkularfeier einen Kranz von Souetten auf die grossen Männer der Dicht-
kunst und der Wissenschaft, die in Göttingen studirten oder als Lehrer wirkten,
von Haller an bis auf die Brüder Grimm und andere Dozenten, die er selbst
gehört und persönlich keuuen gelernt hatt«, und bis auf Heinrich Heine, den er
bei voller Anerkennung seiner früheren Leistungen zürnend mahnte, aus dem
jetzigen Schlummer sich aufzuraffen und mit Ernst dem Höchsten nachzustreben.
Ein kühner, kampfesfreudiger Ton klingt überhaupt durch diese Sonette; Unter-
gang wird allen noch bestehenden Götzenbildern gepredigt. Freiheit, Recht und
Wahrheit als einziger Pol der Jugend im edlen Streite um die heiligsten Ideale
gezeigt.
Nach seiner Promotion verweilte Carriere noch ein halbes .labr in Herlin.
.letzt gelangte er auch in persönlichen Verkehr mit Bettina v. Arnim, und bald
verband ihn die innigste Gelstesharmonie mit der eigenartigen Frau, die mehr als
einmal das rechte Wort, fand für das Giihren und Ringen im Wesen des jüngeren
Freundes, bald anregend und zündend, bald klärend und beglückend auf sein
philosophisches Denken und menschlich-künstlerisches Empfinden einwirkte. Im
Frühling 183'J wandte sich Carriere über München, wo er Bettinas Bruder.
Clemens Brentano, aufsuchte, nach der Schweiz, dann nach Italien, das er bis
nach Neapel und Sizilien durchstreifte; den Winter verlebte er in Korn, dem
hauptsächlichen Ziele seiner Reise. Im Spätherbst 1K40 erst kehrte er aus
dem Süden nach Berlin zurück. Er versuchte nun hier und darnach in Heidel-
berg sich als Privatdozent für Philosophie an der Universität niederzulassen.
Sowohl das badische Ministerium wie die philosophische Fakultät in Heidelberg
kamen 1841 seinem Wunsche wohlwollend entgegen; dennoch nahm er schliesslich
die Lehrthätigkeit an der altberühmten Hochschule nicht auf. da eben damals in
öffentlichen Blättern und in den Sitzungen der zweiten badischen Kammer laute
Klagen über die willkürlich verletzte und aufgehobene Lehrfreiheit der hadischen
Dozenten ertönten. Er beschäftigte sich noch ein Jahr lang hauptsächlich mit
Kunststudien; dann habilitirte er sich 1H42 in Giessen für Philosophie: im
Wintersemester 1842/43 las er seine ersten Kollegien, darunter eines über
Schiller als Dichter und Denker, das er noch fünfzig Jahre darnach in seinem
hundertsten Dozentensemester in München unter dem begeisterten Beifalle einer
nach mehreren Hunderten zählenden Zuhörerschaft wiederholte. 1K41* wurde der
beliebte, littcrarisch sehr thätige Dozent, zu dessen ersten Hörern Männer wie
Ludwig Bamberger. Wilhelm Heinrich v. Riehl. Max Klinger. Karl v, Hofmann.
Wilhelm Baur zählten, zum ausserordentlichen Professor in Giessen befördert.
Der glänzendste Stern der Giesscner Hochschule war damals Justus v. Liebig.
Ihm trat Carriere bald in verehrungsvoller Freundschaft nahe: in seinem Hause
fand er die spätere, über alles geliebte Lebensgefährtin. Eben als Liebig einem
Rufe an die Münchener Universität folgte, wurde seine Tochter Agnes (geboren
am 6. Juni 1829 zu Giessen) Carrieres Braut : am 2H. September iH.Vi feierten
die Glücklichen zu Soden im Taunus ihre Verlobung. Im Winter darauf sahen
sie sich bei einem Besuche des Bräutigams in München wieder. Schon damals
wurde Carriere in den Kreis von Künstlern, Dichtern und Gelehrten eingeführt.
Digitized by Google
Riographisrhe RlHtter.
die König Maximilian H. an seine Residenz zu fesseln vor kurzem begonnen hatte.
\H'nl gesellte er sich seihst zu dieser Sehaar. als er einem Kufe an die Münchener
Universität als ordentlicher Professor der Ästhetik folgte.
l>as glücklichste Jahrzehnt seines Lebens begann, eingeleitet dnreh seine
Vermählung mit Agnes (am 28. Mai 1853 zu München). Was er .lahre lang
ersehnt und gehofft hatte, bot ihm nun die (Jegenwart in reicher Fülle. Der
seligen Lust reinster Liebe, die er auf einer italienischen Reise mit seiner jungen
< j attiti geuoss und in begeisterten (ledichten aussprach, folgte noch innigeres
Kntziiekeu. als ihm im Mär/ 1 sr»4 ein Sohn, Justus, im August 18">7 auch eine
Tochter. Elisabeth, geboren wurde. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in MfLnchen
gestalteten sich für den Neuzugewauderten ebenfalls behaglich, obgleich ihn die
ultramontane Partei zuerst mit einer Fluth von Schmähungen empfing und al*
Demagogen und Atheisten brandmarkte. Besonders war Carriere bald ein
geschätztes, regsames Mitglied des künstlerisch-littcrarisehen Kreises. der zum
grösseren Theil ja aus Nichtbavern bestand; an der Dichterfresellschaft der
..Krokodile" nahm er eifrigen Antheil. mit (Jeibel. Lingg. Heyse. Hertz. Melchior
Meyr und den übrigen älteren und jüngeren Poeten des damaligen München
ebenso befreundet wie mit Kaulbach. Schwind. Philipp Foltz. Piloty und anderen
Malern jener Epoche oder mit vielen seiner Kollegen von der Universität. Zu
den Vorlesungen au der Hochschule übernahm er im Januar lKf>»i auch Vorträge
über Kunstgeschichte an der Akademie der Künste sowie das Sekretariat der-
selben Anstalt; über dreissig .lahre lang gewann er als Dozent, als Schriftführer
und meistens auch Referent in den akademischen Sitzungen, überhaupt als iiniass-
gehnuder Reirath des Direktors bedeutenden Kinfiuss auf die Akademie, die
gerade in dieser Zeit einen mächtigen Aufschwung nahm. Aber auch die Ver-
anstaltung der Iiistorisehen deutschen Kunstausstellung von 18*>8 wie später die
Errichtung des neuen Akademiegobäudes iu den siebziger Jahren war seinein
eifrigen, durchaus initiativen Vorgehen im hohen (irade mit zu verdanken.
In dieser ausgebreiteten Auitsthätigkeit und im ununterbrochenen litterarischen
Wirken sucht«' und fand Carriere Trost, als sein häusliches (Jh'ick jäh zertrümmert
wurde. Am 20. Dezember 18t)2 raffte ein früher Tod Agnes weg; anderthalb
-lahre darnach, im Mai 18H4. folgte der Mutter auch das Töchterehen ins (irab.
Dem Vereinsamten führte seine Schwester Hertha das Haus: mit Ernst und Liebe
half sie ihm den Sohn erziehen, als treue, sorgsame Pflegerin stand sie ihm seihst
bis an seine letzten Tage zur Seite. Heilig hütete sie mit ihm die Erinnerung
an sein einstiges Familienglück. die ihm nicht nur für die ersten Zeiten der
Trauer, sondern für den ganzen, grossen Rest seines Lebens eine unerschöpfliche
Quelle wehmüthiger Freude war. Zur vollen frohen Regeisterung seiner früheren
.lahre schwang er sich erst wieder auf, als 1870 das deutsche Volk im Süden
und Norden wieder geeinigt dastand, bereit, seine alte Kraft aufs Neue zu
bewähren. Mit hellem Jubel verfolgte er die Siege Deutschlands, Schlacht für
Schlacht, bis zur (iründung des neuen Reiches und zum Friedensfeste 1871. in
München einer der rührigsten und edelsten Vorkämpfer deutscher Einheit und
Crosse, gegen die sich gerade hier zuei-st noch gar manche Anhänger einer ein-
seitig katholisch-bayerischen Partei heftig sträubten. Auch in die Cediehte. mit
denen er sich im August 187*2 an der Feier des vierhundert jährigen Bestehens
der M unebener Universität betheiligte, klang der patriotische Mahnruf mächtig
herein. Ebenso blieb Carriere später, als die erste vaterländische Begeisterung
des geeinigten deutschen Volkes verrauscht war, stets mit vollem Eifer der
nationalen Sache zugethan. immer liberal gesinnt in des Wortes edelster Bedeutung,
ein muthiger. aber vor allen extremen Rest rebungen sieh sicher bewahrender Ver-
Digitized by Google
Moritz Camere.
301
f heidiger wahrhafter Geistes freiheit. Ausserlith wurde sein Lehen immer ruhiger:
auch die Reisen, die er während der Ferien noch mehrfach unternahm, hielten
sich allmählich in «-ngeren Grenzen.
Im Anfang der achtziger .lahre kamen wieder trübe Zeiten: auf beiden
Anteil Garrieres bildete sich der grau«* St aar aus. und zu wiederholten Malen
wurde eine Operation nöthig, bevor der Alternde, dessen Körper und Geist sonst
freilich noch ganz die ehemalige Frische und lieweirlichkeit besass, die Sehkraft
wieder erlange; eine gewisse Schonung der Alicen mnsste er sich aber überhaupt
v<m nun an zum Gesetze machen. Zu Knde des Winters 1881 feierten die Pro-
fessoren und Schüler der Kunstakademie sein fiinfundzwanzigjähriges Wirken an
dieser Anstalt durch eine Deputation, einen Fackelzug und ein in gehobener
Stimmung fröhlich verlaufendes Kellerfest. Im Herbst 1887 gab der Siebzig-
jährige seine Thätigkejt an der Kunstakademie überhaupt auf: doch verblieb er
noch als Ehrenmitglied in der Körperschaft, deren Schriftführer er über drei
Jahrzehnte gewesen war. Im •! tili i «88 beging er sein Doktorjubiläum. Ein
Jahr später wählte ihn die philosophisch-philologische Klasse der bayerischen
Akademie der Wissenschaften zum ordentlicheti Mitgliede. Das Sommersemester
1 *'<»:>. srin hundertstes Dozentensemester, brachte ihm mehrfache herzliche II uldigungeu
der Münchener Dozenten und Studenten. Auch noch ein tiefer Schmerz suchte
ihn heim: im Juli 18»3 starb plötzlich nach «ranz kurzer Krankheit sein Sohn
Justus, der sich als Professor an der Universität Strassburg eine ehrenvolle
Stellung' in der irclehrten Welt erworben hatre. der Stolz und die Hoffnung des
greifen Vaters. Dieser nahm jetzt die Wittwe und die Kinder des Todteu zu
>u.h nach München, seine letzte Liebe und zärtliche Sorgfalt widmete er ihnen.
Munter und pflichteifrig wirkte Carriere in ihrer Mitte noch anderthalb Jahre,
an der Universität ohne Fnfe rbr«'cltung in der alten "Weise th;iti^. Noch am
17. Januar 18'.)."» hielt er in ungeschwächtcr Gesundheit seine Nachmittags-
vorlesung und verbrachte den Abend nach seiner Gewohnheit mit Freunden in
•ler Museumsgcsellschaft. In der Nacht darauf erlag er einem Schlaganfalle, der
ihn schmerzlos im Schlafe traf. Am "20. Januar geleiteten ihn seine Freunde.
Kollegen. Schüler und Verehrer zur Ruhe. Dichtgedrängte Schaaren aus den
verschiedensten Kreisen der Münchener Künstler-. Gelehrten- und Heamtenwelt.
Dozenten und Studenten aller Fakultäten umstanden das offene Grab, alle ein-
niüthig in «lein Gefühle vrchrungsvoller. aufrichtiger Liebe zu dem Verewigten.
In seinen grösseren rniversitätsvorlesungen behandelte Carriere bald die
goammte Ästhetik, bald das besondere Kapitel derselben über Wesen und Formen
der Poesie. In das eine, umfassender«' Kolleg flocht er Charakteristiken der
epochemachenden Werke aus den verschiedenen Künsten und ihrer Meister ein:
in dem anderen bemühte er sich zugleich die Grundzüge der vergleichenden
Litteraturgeschiehte zu entwerfen. Gelegentlich las er auch einmal ganz
speziell über die ästhetische Theorie und vergleichend«' Litteraturgeschiehte des
Dramas. Ungleich besuchter als diese ausführlicheren, vier- oder gar fünfstündigen
Kollegien waren seine einstiindigeu Publika über menschliche Freiheit und sitt-
liche Weltordnung, über Goethes ..Faust", Schiller als Dichter und Denker,
Shakespeare im Lichte «ler vergh-hheuden Litteraturgeschiehte. Zu ihnen strömten,
besonders in den letzten Jahrzehnten, die Zuhörer in Sehaaren herbei, un«l
Tausend«- erquiekten sich hier im Lauf«' der Jahre an der persönlichen Innigkeit
und froh«*n Begeisterung, mit der d«T Vortragend«', frei von aller äussetiich«'n
Rhetorik, nicht einmal von einer kraftvoll durchdringenden Stimme unterstützt,
ab«r selbst gehoben durch die Gewissheit seiner inneisten f berzeugung, für den
Sieg des Wahren. Guten. Schön«'!« im Leben un«l in der Kunst und Wissenschaft
Digitized by Google
30-2
Biographische Blatter.
einstand. In diesen Vorlesungren verdiente sich Carriere vor allem den Ehren-
namen eines Bannerträgers de* Idealisinus, mit dem ihn ein befreundeter Amts-
genosse in seinen» Nachrufe chai'akteristlscli schmückte.
Hand in Hand mit dieser Lehrthätigkeit ging' eine überaus fruchtbare
litterarische Wirksamkeit, auch sie durchaus dem Kampf für das Ideale und
gegen den Materialismus in jeglicher Form gewidmet. Mehrere von Carrieres
bedeutendsten wissenschaftlichen Werken erwuchsen ihm unmittelbar aus seinen
Vorlesungen, so das Buch über die philosophische Weltanschauung der Reforma-
tionszeit in ihren Beziehungen zur Gegenwart (1847), die religiösen Reden und
Betrachtungen für das deutsche Volk (1850), das Werk über Wesen und Formen
der Poesie (1854, ganz umgearbeitet 1884). die „Aesthetik" (1859). die fünf
Bände über die Kunst im Zusammenhang der Kulturentwicklung (18U3 — 1874»
und die Schrift über die sittliche Weltordnung (1877). In seinen philosophischen
Anschauungen ging Carriere von Hegel aus. dessen bleibendes Verdienst in der
Geschichte des menschlichen Geistes er wiederholt mit dankbaren Worten rühmte.
Aber schon frühzeitig wandte er sich auch gegen Hegels Einseitigkeiten, namentlich
gegen sein „Verkennen der Individualitat", gegen seine »Gewaltherrschaft der
abstrakten Gedankenallgetneinheit-. Aus sittlichen Lebenserfahrungen und natur-
wissenschaftlichen Studien schöpfte er die Einsieht, dass die Idee oder das All-
gemeine nicht das für sich Wirkliche sei. sondern des Individuellen, der Subjektivität
als Trägers bedürfe. So viel Wahres ihm auch die Philosophie Spinozas zu
enthalten schien, so erkannte er doch bald, „dass die Substanz als Subjekt
begriffen werden müsse, dass sie nicht erst i ri ihren Entfaltungen zum Bewusst-
sein komme, sondern ewig sich selbst erfassende Intelligenz und Persönlichkeit
sei-. So suchte er sich des im Pantheismus wie im Deismus liegenden echten
Gehaltes zu bemächtigen, die Einseitigkeiten und Gegensätze beider Lehren aber
durch eine theistische Weltanschauung zu überwinden, die er bei den deutschen
Mystikern und bei Giordano Bruno schon vorbereitet fand. Mit der Unendlich-
keit der Welt und der Ewigkeit der Substanz behauptete er zugleich die Einheit,
und Selbständigkeit der göttlichen Persönlichkeit. Auf Grund dieser Auffassung
von Gott und Welt bemühte er sich Wissen und (Hauben zu versöhnen, das
Evangelium mit den Natur- und Geschichtskenntnissen der Gegenwart in Einklang
zu bringen. Er hielt die Freiheit des Forschens und Denkens, aber nicht minder
den Glauben an die Grundlehren des C'hristenthums, an die Gottmenschheit und
die Erlösung fest; mit Hilfe der aus der Wissenschaft gewonnenen Vorstelluniren
vom Wesen Gottes und des Mensehen suchte er die religiösen Geheimnisse zu
begreifen, den Frieden zwischen Geist und Herz zu besiegeln und so die Philo-
sophie zur- wahren, beseligenden Lebenswissensehaft zu weihen. Immer wieder
bis zu seinen letzten Schriften fasste er dieses nämliche Ziel ins Auge; in der
schönen Abhandlung ,. Jesus Christus und die Wissensehaft der Gegenwart- (lssus)
und noch in der akademischen Festrede ..Erkennen. Erleben, Erschliessen- (1893)
fand er die Lösung des Welträthsels, durch die auch die Forderungen des religiösen
Gemüthes befriedigt und die Thatsachen des religiösen Lebens verständlich werden,
einzig in der auf Vernunft und Erfahrung, auf Natur und (ieschichte gegründeten
Gottesidee des Einen und Unendlichen, wie es zugleich Naturmacht und wissender,
wollender Geist ist. dem der als Naturkraft reale, sich selbst zur Geistigkeit
bestimmende und in seiner Innenwelt das 'Reich der Freiheit und der Liebe
erbauende gottinnige Mensch gegenübersteht.
Unter Carrieres wissenschaftlichen Werken nehmen seine mannigfaltigen und
umfangreichen ästhetischen Schriften einen hervorrairenden Platz ein. Sie sind
auf derselben antimaterialistischen Grundlage wie seine gesammte Philosophie, auf
Digitized by Google
Moritz Ciuriere.
303
der Weltanschauung des Ideal realismus aufgebaut. Das Schöne ist ihm die
Harmonie von Natur und Geist, die Ineinsbildung des Realen und Idealen, die
LebensvoUenduug im Einklang von Sinnlichkeit und Vernunft, das volle mangel-
lose Sein, die verwirklichte Weltharmonie in der Übereinstimmung des Innern
und Äussern. Die Kunst, die das Schöne um der Schönheit, willen schafft, wird
so „die Krystallgestalt des Lebens*. Sie stellt im Seienden das Seinsollende dar.
gestaltet das innere Leben des Geistes in den Formen der liussern Natur und
erfasst die Gegenstünde der sinnlichen Erscheinung, um in ihnen das ewige Wesen
der Dinge zu enthüllen. Tn den Grundsätzen seiner Aesthetik. den wichtigsten
Definitionen und Unterscheidungen konnte ('arriere sich mit Recht vielfach auf
Äusserungen Goethes, Schillers, Wilhelm v. Humboldts und ihrer gleichzeitigen
Geistesgenosseu berufeu. Nicht minder aber betonte er selbst, dass er sich nicht
auf den Boden einer vorgefaßten Theorie stelle, sondern im Einklang mit Feehner
und den Anhängern der psychologischen Richtung von unsern Empfindungen,
also von Thatsachen »1er Erfahrung ausgehe. Vor allem jedoch verband er
durchaus in seinen ästhetischen Schriften die theoretisch-philosophische Betrachtung
mit der praktisch -historischen. Oberall eröffnete er lehrreiche Ausblicke auf die
künstlerische oder überhaupt kulturgeschichtliche Entwicklung ältester und neuer
Volker, auf die sittlichen und ästhetischen Ideale, denen die Menschheit im
Wechsel der Zeiten nachstrebte, auf die Meisterwerke der verschiedenen Künste
in früheren oder späteren Jahrhunderten, auf die ewig gültigen Aussprüche der
grüssten Denker und Dichter aller Nationen. So bot er namentlich in seinem
grossen Werke über die Kunst eine Art von umf;issender Kulturgeschichte von
den ältesten Perioden orientalischer Geistesentwicklung an bis auf die Gegenwart.
Im engeren Rahmen führte er das gleiche Prinzip historischer Betrachtung in
dein Buche durch, das er seiner Lieblingskunst widmete, der Poesie, die er
pelejjentlieh mit unleugbarem Rechte, wofern man seinen Ausdruck nicht miss-
versteht, als die ihre Schwesterkünste beherrschende Kunst der Zukunft ver-
kündigte. Indem ('arriere den inneren Zusammenhang der Sagen und Mythen
verschiedener Völker, die künstlerische Behandlung derselben Stoffe in alter und
neuer Zeit beleuchtete und die bedeutendsten Dichterpersönlichkeiten der Welt-
literatur und ihre grössten Werke auf ihre geistige Verwandtschaft oder Gegen-
sätzlichkeit prüfte, gab er zugleich schätzbare Winke und Beiträge zur ver-
gleichenden Literaturgeschichte, unter deren Begründern er mit in erster
Reihe steht.
Aber auch speziell um die deutsche Litterat urforschung machte er sich
mannigfach verdient, sowohl durch Ausgaben von Goethes „Faust" und Schillers
-Teil- mit reichen Erläuterungen, wie durch mitunter vortreffliche Charakteristiken
deutscher Geisteshelden, namentlich aus den beiden letzten .Jahrhunderten. An der
neuesten Literatur unseres Volkes etwa seit 1*40 nahm er selbst unmittelbaren,
thiitigen Antheil. als Dichter und als Kritiker. Seine poetischen Versuche, durch-
weg dem Bereiche der Gedankenlyrik angehörig, zeichnen sich weniger durch
kräftige Eigenart und vollkommene künstlerische Gestaltung als durch den Adel
und Tiefsinn ihres Ideengehaltes aus; durchaus Produkte der Reflexion, spiegeln
*ie doch die geistige Persönlichkeit des für alles Grosse und Schöne in der
Geschichte der Menschheit begeisterten Verfassers vortrefflich wieder. Noch
emsiger aber griff ('arriere durch seine zahlreichen kritischen Aufsätze, die er in
allerlei Zeitschriften veröffentlichte, in den Entwicklungsgang unserer Literatur
ein. In den letzten fünfzig Jahren sind nur wenige wirklich bedeutende Schriften
auf dem Gebiete der deutschen Poesie. Philosophie und Literaturgeschichte
erschienen, die er nicht in ausführlichen, sorirfiiltig auf das Einzelne eingebenden
<
Digitized by Google
304
Biographische Bllttter.
Rezensionen besprochen hat, immer mild, liebevoll anerkennend, wo er eehte>.
edles Streben wahrnahm, nur dann schroff ablehnend, wenn er die von ihm heilig
gehaltenen Ideale durch einen geistlosen Mechanismus oder durch materialistische
Tendenzen bedroht, sah. Ungemein schnell und leicht scheint ihm die Arbeit bei
diesen Aufsätzen von der Hand gegangen zu sein; aber überhaupt alles, was er
sehrieb, auch seine grossen philosophischen Werke nicht ausgenommen, zeugt von
seltener Flüssigkeit und (iewandtheit der stilistischen Darstellung. Durch geistige
Tiefe und systematische Strenge, durch neue, wissenschaftlich bedeutsame Krgeb-
nisse vermochte Oarriere mit andern Denkern und Forschern seiner Zeit oft nicht
zu wetteifern: aber, wie wenige, verstand er populär im guten Sinne zuschreiben,
durch einen deutlichen, schmuckreieben, unter TTmständen auch breiten und oft
etwas rhetorisch gefärbten Vorträte anregend und zündend auf die weiteren Kreis,
der (Jebildeten zu wirken.
Höher aber als alle wissenschaftlichen Leistungen des Lehrers und Schrift-
stellers steht die persönliche Charaktertüchtigkeit Carrieres. ■ Kr war ein guter
Mensch, treu und unermüdlich im Dienste der Pflicht, vornehm in seiner Gesinnung,
rein in seinem Wollen, ehrlich in seinem Handeln, selbst liebenswürdig und mit
herzlicher Liebe seinen Nebenmenschen zugethan. Er glaubte an den edlen Kern
der menschlichen Natur und kam in diesem schönen Optimismus wohlwollend allen
entgegen, die seine Hilfe heischten. Besonders seinen Schülern und jüngeren
Kollegen war er immer nicht nur ein berathender. sondern auch ein selbstthätiger.
oft aufopferungsvoller Freund. Die Ideale, die er predigte, hat er im eigenen
Leben redlich zu verwirklichen getrachtet, stets und überall sich edel, hilfreich
und gut erwiesen, reichlich Liebe gesät und verehrungsvolle, dankbare Liebe
geerntet.
-fr
Der Stand der biographischen Studien in Spanien.
Von
RUDOLF BEER.
L
Es war in den heisseu Sommermonaten des Jahres 1HH7. als mir von Seite
des damaligen l'alastliibliothekars in Madrid, .Manuel Kemou Zarco del Talle, eine
Auszeichnung zu Theil wurde, die sich während meiner ganzen fast dreiviertel-
jährigen Thätigkeit in den Bäumen der königlichen Bibliothek nicht mehr wieder»
holte. Angeregt durch einige Bemerkungen von meiner Seite über spanische
Leistungen auf dem Gebiete der Bibliographie und Biographie führte mich Zaren
in einen sonst stets hermetisch verschlosseneu und für Profane völlig unnahbaren
Raum, in welchem die Karissima und Curiosa der Bibliothek geborgen waren. Auf
einein breiten Tische war eine umfangreiche Kollektion von Büchern, Broschüreu
und Schriften aufgestellt, auf die mich Zarco ganz besonders aufmerksam machte
und die. wie ich gleich sah. die eigentliche Veranlassung zu dem Besuche dc>
Sanctuariums bildete. Während eines vollen Menschenalters. so erklärte Zarco.
habe er Alles, was sich auf spanische Biographie beziehe, gesammelt. .Bücher. Aus-
schnitte, auch Manuskripte hier zusammengetragen: es wäre dies das Material zu
einer Bihliothcca biographica Hispauiensis. welche er in Bälde herauszugeben hoffe.
Digitized by Google
Der Stand der biographischen Studien in Spanien.
305
Mieser Zusatz verwehrte es mir, von deu einzelnen durch Znreo zusammengestellten
Werken Titelkopien zu nehmen — was ich vor mir sah, war eine fremde geistige
Arheit wie jede andere — aber dass ich es nicht durfte, halie ich gar oft bei
meinen Untersuchungen lebhaft bedauert.
Das von Zarco geplante Werk ist nie erschienen, und es ist auch sehr fing-
li«-h. ob der mittlerweile zum Palnstinspektor betorderte (ielehrte noch die Müsse
linden werde, es herauszugeben. Nichts destowen iger wollte ich mir es nicht ver-
sagen, auf diese erste, gewiss sehr werthvolle Materialiensammlung zu einem bio-
graphischen Lexikon Spaniens hinzuweisen.
Zarcos Arbeit ist übrigens charakteristisch für den Stand der biographischen
Stadien in Spanien überhaupt.
Ks giebt kein allgemeines biographisches Lexikon für dieses Land, und
schmerzlich empfindet diesen Mangel, wer des Nutzens «redenkt, mit. welchem man
die einschlägigen Werke für Deutschland, Osterreich, Frankreich. England, Holland
u. s. w. konsultirt. Noch viel mehr empfinden die Lücke die spanischen Forscher
selbst, «leren erfreuliche und erfolggekrönte Vorliebe für literarische und historische
Studien ausser Zweifel steht. Es ist daher doppelt auffallend, dass wir eines
solchen umfassenden Gesammtwerkes noch entbehren — vielleicht sind hierfür
(i runde maassgebend . die im Folgenden noch berührt werden sollen •— . und so
lange wir nicht einmal eine Zusammenstellung: dessen besitzen, was auf biographi-
schem Gebiete von Spanien in Kinzelarbeiten bisher geleistet wurde, dürfte jeder
einschlägige Versuch, den Besitzstand zu skizziren, willkommen sein und bei dorn
absoluten Mangel an Vorarbeiten auf nachsichtige Beurtheilung zählen.
Man trete nur an das eine oder andere Gebiet näher heran, beispielsweise
die Literatur. Trotz der hervorragenden Leistungen, die namentlich in den letzten
Jahrzehnten auf diesem Felde zu Tage traten, bleibt, Demjenigen, der sich rasch
über die yita eines spanischen Schriftstellers orientiren will, in den meist eu Fällen
nichts Anderes übrig, als die manchmal recht dürftigen Angaben zu benützen,
welche Nieolaus Antonio vor just i*« M l Jahren gesammelt. J'erez Häver (in der
/.weiten Ausgabe der Bibliotheea) mit anerkennenswerthem Verständnis* erweitert hat.
Seit dieser Zeit ist - es klingt fast unglaublich — keine zusammenfassende,
aas den Quellen dargestellte Geschichte der spanischen Literatur erschienen. Desto
wichtiger ist es, auf verschiedene Einzeldarstellungen und entlegenere Quellen hin-
zuweisen, die von Wenigen gekannt und noch Wenigeren benutzt, werthvolles
Material für die Biographien spanischer Schriftsteller bieten. Ich nenne hier Rodri-
iruez de Castro, der in seiner Hihlioteca vielfach aus heute nicht mehr zugäng-
lichen Quellen schöpfte und namentlich der so weit ausgebreiteten jüdisch-spanischen
Literatur zum ersten Mal die gebührende Aufmerksamkeit schenkte. Sein Ver-
dienst schmälert nicht der l instand, dass. was das letztgenannte Gebiet betrifft,
seine Arbeiten zum Theil durch Amador. weit mehr noch durch Moriz Steinschneider
in seinem monumentalen Werke überholt wurden. Ein überaus fruchtbares Gebiet,
das der spanischen Übersetzuugsliteratur in ihren Vertretern, ist durch den alten
Pellieer y Saforcado recht unzulänglich bearbeitet worden. Es giebt nicht leicht
♦•ine dankbarere Aufgabe, als die über alles Erwarten fruchtbar«' Thätigkeit spani-
scher Übersetzer in der Frührenaissance zu schildern. Das* diess weit mehr Sache
des Literarhistorikers als des Miographeu sei. kann nicht zugegeben werden. Nur
durchdringende Erfa-ssung der gesammten Zeitverhältnisse wie der Individualität
Digitized by Google
:i()6
Biographische Mütter.
der einzelnen Übersetzer wird es ermöglichen, diese merkwürdige Bewegung, dieses
Umpflanzen fremder Reiser auf den eigenen nationalen Boden richtig zu würdigen.
Ist eine solche Untersuchung einmal planmässig unternommen, so wird sich er-
geben, dass die Kulturgesihichte mindestens ebenso grossen Nutzen aus derselben
zieht als die Geschichte der Literatur.
Man wird mir einwenden, dass ich der grossen Verdienste vergesse, welche
Amador de los Rios sich um die Biographien spanischer Dichter und Schriftsteller
in seiner breit angelegten Historia critiea erworben. Ich bin weit entfernt, da-«*
was Amador geleistet, zu unterschätzen; sein Werk ist die Frucht bewunderns-
wertben Fleisses und unsäglicher (Jeduld. aber in seiner ganzen Anlage geradezu
dem widersprechend, was wir mit Recht von einem derartigen Handbuche zu for-
dern haben. Ganz abgesehen davon, dass es mit der Knoche der Heyes eafölicos
schliesst. also gerade die goldene Zeit spanischer Literatur nicht erreicht, wird es
für Denjenigen geradezu zur Qual, der sich über den einen oder den amiern Ver-
treter der altspanischen Literatur orientiren will. Die Auszüge aus Werken und
Stoffen erdrücken jede auch noch so markante Individualität, und noch nie ist zum
Y ortheil der Materie so viel an den Personen gesündigt worden. Erinnert man
sich noch, dass für die sieben starken Bände mit vielen tausend Seiten kein Index
angefertigt, dass nicht einmal der Versuch gemacht wurde, die Benützung des
Werkes, welches ein und dieselbe Persönlichkeit an den verschiedensten Stellen
behandelt, zu erleichtern, so wird man es begreiflich finden, dass Amador mit
seinem Werke lange nicht jenen fruchtbaren Einfluss geübt, den er unter anderen
Umständen hätte haben können, und dass selbst in Spanien fremdländische Dar-
stellungen der s|Kinischen Literatur, wie die von Ticknor. sich mit Erfolg ein-
bürgern konnten. Das Gleiche gilt von Werken über einzelne Zweige der Lite-
ratur, speziell von der dramatischen. Dass wir an erster Stelle der lebensvollen
und begeisterten Schilderung des Grafen Adolf Friedrich von Schack gedenken,
ist wohl selbstverständlich. Er ist es auch, welcher als Erster den Lebenslauf der
einzelnen Dramatiker wissenschaftlich, d. h. auf urkundlicher Grundlage darzu-
stellen versuchte, und wir würden ihm auch in dieser Beziehung die Palme unter
den Forschern auf dem Gebiet»' des spanischen Dramas zuerkennen, wenn er
nicht in Barrera «'inen bedeutenden Konkurrenten erhalten hätte. Sein Uatälogo
ist i'ine in jeder Beziehung respekteinflössende Leistung, und nicht das letzte Ver-
dienst des Autors ist es, dass er der biographischen Seite der Arbeit in hervor-
ragender Weise Rechnung getragen. Von diesem Werke hat auszugehen, wer
immer über spanische Dramatiker sich unterrichten will.
In zweiter Reihe kommen jene Werke in Betracht, welche nicht ausschliess-
lich biographische, ja zum Theil nicht, einmal literaturhistorische Interessen ver-
tilgen, gleichwohl aber für unsere Zwecke wichtig»' Materialiensammlungen bieten.
Vor allem Rivadeneyra's Biblioteca, dieses imponireude Denkmal Staunens werthen
Fleiss«'s. wie nicht mimler der Opferwilligkeit eines spanischen Verlegers. In den
71 starken Quartbünden, wehh»' die Sammlung umfasst, sind die Klassiker der
spanischen Litteratur in ihren vorzüglichsten, zum Theil mustergültig edirten
Werken vertreten und in den Einleitungen ist dem biographischen Moment meist
»li<» gebührende Stelle eingeräumt. Um die lirauchbarkeit »les grandiosen Werkes
zu erhöhen, ist im 71.. dem Srhlusshaude, ein vernünftig angelegter Index bei-
g«'geb«'n w»trd»Mi. d<-r rasche und sichere Aufschlüsse vermittelt. Den biographischen
Digitized by Google
Der Stand der bi*e.naphisehen .Studien in Spanien. .307
Apparat iür die Vertreter der spanischen Sprache und Litteratur vervollständigen
• iaiirt* in jüngster Zeit ••rschieiiene sehr verdienstliche Werke. Vifia/a's Bibliotcca
liistörica ist eine der bedeutendsten Erscheinungen auf dem Gebiete der Phihdoirie
überhaupt, nicht bloss auf dem der spanischen Sprachwissenschaft. Für unseren
Zweck jrenüfrt es. darauf hinzuweisen, dass in den /.ahlreichen Auszügen und
Rezensionen von Werken spanischer Linguisten seit dem sechzehnten Jahrhundert
»las persönliche Element keineswegs vernachlässigt ist. Man lese zum lieispiel die
interessanten Details über das Leben des Juan Vahles, des Verfassers des berühmten
Diälo^o de la lenirua. und des Antonio Bastcro, des Verfassers der (Vusca proven-
zale. Auf einem enteren Gebiete bewegt sieh die Arbeit von Sharhi: Monnyrafia
Mihre los refranes, etc.. aber innerhalb dieses Kähmens ist in gleichfalls verdienst-
licher Weise den Autoren der verschiedenen hochinteressanten Sprm hsainuilun^eii
— natürlich wo dieselben zu ermitteln waren Aufmerksamkeit geschenkt
«■onlen.
I
l»h könnte die Beispiele für derartige sekundäre Tlülfsmittel zur Feststellum:
der Biographien von Vertretern spanisc her Litteratur und LiiiLruistik beliebiir er-
weitern, aber schon aus den eben cbarakterisirten ist völliir klar, wie ausserordeut-
lieh vielyesialtiy «Ii«* Külfsmittel sind, welche sieh dem Biographen bieten, und mit
welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hat. um, bestimmte Daten ülter den Lebens-
lauf irgend eines Schriftstellers zu erhalten — von Darstellungen abireruudeter
Lebensbilder <jranz »u jres«:hw»*iyen.
t'nd «ranz ähnlich wie bei den Vertretern der Literatur verhält es sich bei den
Meistern der bildenden Kunst.
Noch bis in die allerjün«:ste Zeit mussten Bioyraphien spanisc her Künstler,
falls es sich nicht pei-ade. um Koriphncn bandelt»', auf den alten (Van Bermiidez
zurückgehen. Au<h Xairlcr und Müller haben mit keinem anderen Apparat ir«--
arbeitet. lud sajren wir es «rleich: (Van war einer solchen lienchtuiiff wert Ii. er
hat Trefflhhes geboten, sowohl an Material wie auch in der. .Anlage seines Werk«'s.
nicht zu mindest in seinen Indiccs. »Ii«* wir auch heute, flieht besser einrichten
könnten, l'nd doch bjetet er nur eine verschwindend kleine Zahl von Bi<><_rraphiccn
iia Vergleich zu den Meistern,! die Spanien . hervorgebracht. Das zeiirt am liest en
des unermüdlichen (-trafen Vinaza . yierbändijres Suplemento. dessen Studium wir
Kunst- und Kulturhistprik tu nicht angelegentlich «zeiiu^ empfehlen können, l'nd
doch hätte der fleissj«fe Biograph sein Kr^ünziuiirsmuterial verd»»ppeln. ja verdrei-
fachen könuen. wenn ihm die I>aten zur Vertli^un«/ ^«•standen hätteu. welche einzig
und allein aus den . zahllosen Kartularien der Kirchen und Klöster zu i:ew -innen
sind. Dass diese eine jzanz unabsehbar«' Fülle über Künstler und Kunst liaudw -erker
enthalten, ist, jedem, der einmal in ein solches kirchliches Grumlbmh Einblick jje-
iioinineii, zur. Genüge klar. Was aus ihnen in Zusammenhanir mit sc heinbar <:auz
?erin£fü£ijrt*n Notizen aus Handschriften und Urkunden fiir » inen cinziireu Zwei-.«
des Kunsttrewerbes. »lie Bü(h««rilluinitiation. zu «rewii n ist, habe ich in meinen
-Handschriftenschützeu Spaniens (Index 11)" zu zeiiren versucht. Dort
findet man etwa zehn Mal so viel Kalligraphen und Minintoren namentli» h ange-
führt, als in (Van und Viüaza zusammengenommen, l'nd «loch habe ich Voll-
Mändijrkeit Laufe nicht erreicht, überhaupt nur auf »inen Tbeil des publizierten
.Materials Rücksicht genommen.
Doch •r»,nu<r. Es ist v<dlstnndi:r. klar. das< die maa^uehemh-ti w -iv»eiis» liaftli« Ich
Hiojo-aphische Blatter. I.
Digitized by Goqgle
308 Biographische Blätter.
Kreise in Spanien noch weniger als die Fremden der Einsieht sich verschliessen konnten,
es sei dringende Notwendigkeit vorhanden, die Anlage eines universellen biogra-
phischen Lexikons auf diesem oder jenem Wege anzubahnen. Die Real Academia de
la Historia in Madrid hat denn auch wirklich schon seit Jahren einen daraufhin ab-
zielenden Plan gefasst. Obgleich derselbe, wie wir gleich sehen werden, bis zum
heutigen Tage nicht viel mehr als akademische Bedeutung erlangt hat. so wollen
wir doch bei der Organisation desselben kurz verweilen. Die Vorschriften für die
Abfassung des allgemeinen biographischen Lexikons Spaniens sind unter dem Titel:
Reglas aeordadas por la Academia de la Historia para la redaeeiön de papeletas
que hau de servir de materiales al diccionario biografico Espaiiol im Boletin de la
Real Academia de la Historia Tom. 7 (1HH5) Pag. 424 f. veröffentlicht worden und
lauten im Wesentlichen wie folgt:
1. Las noticias de los personajes historicos de cualquier epoca, dignas de mencion.
se escribiran en cuarto espanol, o sea cuarta parte del pliego del papel del sello oticial, con
el ftn de facilitar con la uniformidad el orden, clasiticacidn por alfabeto y consulta de las
que se vayan presentando. Estas papeletas estarän escritas en una sola cara del papel; y
siendo mäs de una, con relacion al misrao personaje, se comprenderän en carpeta, en cuya
parte exterior vaya escrito el nombre.
2. (Vorschriften Uber die Namensschreibung und Anordnung der Geschlechtsnamen)
. ... En h a casos da ambigUedad se prevendnin las dudas por medio de papeletas sueltas
de referencia, tantas como se crean necesarias. Tratando del gran duque de Alba, por
ejemplo, se escribirä en la magistral Alvarez de Toledo, y en las de referencia, Toledo y
Alba, Duque de
3. Despues del nombre contendran las papeletas los hechos culminantes de personaje.
prefiriendo siempre las fechas de naeimiento y defuncion y el lugar de naturaleza: ü la
concisiön de los sucesos suplira la mayor copia posible de autores que ban tratado de ello*.
4. Las papeletas asi redactadas se presentarän con firma del autor en las sesiones
de la Academia, para objeto de las deliberaciones.
o. Admitidas que sean las papeletas por las de cada persona, se abonarän al autor
dos pesetas para pago de amanuense.
6. Una vez al ano se publicarä en el Boletin lista alfabetica de las papeletas presen-
tadas en su transcurso, con objeto de prevenir las ropeticiones.
Man sieht, es finden sich in diesen Vorschriften einige Bestimmungen, die
Beachtung verdienen. Die äussere Anlage auf Zetteln in gleicher (Jrösse unter
strenger Beobachtung der alphabetischen Anordnung entspricht vollkommen unserem
bibliothekarischen Oebrauehe. Auch das Prinzip, bei einem so umfassenden Lexikon
nur die allerwesentlichsten biographischen Momente hervorzuheben, wird zu billigen
sein. Schwer wiegen aber die Bedenken, welche gegen andere Punkte der mit-
geteilten Keglas sprechen. Man vermisst die Grundlage, d. h. die Angabe der
Namensammlung, von welcher, sei sie auch unvollständig, jede derartige Arbeit
auszugehen hat, man vermisst zweitens einen Hinweis auf die Vertheilung der
Arbeit und die Hilfsmittel, seien es nun archivalische oder bibliothekarische, welche
zur Verwendung gelangen sollen. Jedermann, der Lust hat, darf mitarbeiten, darf
Artikel einsenden, und erhalt für jeden derselben den Betrag von 2 Peseta», d. h.
etwa 80 Kreuzer österreichischer Währung. Es springt in die Augen, dass eine
solche Art von Centraileitung nicht genügen kann. Auch ist der Probeartikel
über Juan de Austria, welchen Cesäreo Eernandcz Duro dem Reglement beifügt,
nicht geeignet, grosse Hoffnungen zu erwecken. Er enthält allerdings Alles, was
Digitized by Google
Der Stand der biographischen Studien in Spanien.
309
man billigerweise für 80 Kreuzer verlangen kann, aber von einer Persönlichkeit
wie Duro hatte man Anderes und Bessere» erwartet. Soll schon eine welthisto-
rische Persönlichkeit auf einer Druckseite in 8° biographisch gewürdigt werden — .
man erinnert sich da unwillkürlich der famosen Absehätzung der Personen nach
1, 2 und 4 Seiten, wie sie in der Einleitung zur „Deutschen Biographie" beliebt
wurde, dann aber selbstverständlich fallen gelassen werden musste — so darf man
doch beanspruchen, dass dann den Literaturangaben volle Aufmerksamkeit zuge-
wendet wird. Die Angaben sind aber bei Duro sehr mangelhaft, sowohl was die
gedruckten als was die handschriftlichen Quellen anlangt. (Man vergleiche meinen
Aufsatz: Die Galeere des Don Juan de Austria bei Lepanto, Jahrbuch der kunst-
historischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses Bd. XV.. wo übrigens
ein kleiner Theil der Quellen zur Besprechung gelangen konnte.)
Das Unternehmen der Akademie litt also von allem Anfang an an schweren
(lehrechen. sowohl in der Organisation wie auch in der Ausführung des Planes,
and die Konsequenzen haben sich auch dementsprechend eingestellt. Noch besteht
fort in der Akademie eine eigene Kommission für das Dieeionario biognitico - das
Almanach der Akademie führt für das Jahr 1891 (vgl. Boletin Tom. XV III. Pag. 97)
Paseual de Ga3'angos y Arce, Eduardo Saavedra y Moragas, Francisco Codera y
Zaidin. Fidel Fita y Colome und Cesareo Fernandez Duro als Mitglieder derselben
auf — , aber von der Thätigkeit der Kommission ist bis heute gar wenig bekannt
geworden. Der IX. Band des Boletin Pag. 396 hringt die Namen einiger Personen,
deren Biographieen von Duro geliefert wurden, hier und da stossen wir auf die
Anzeige der einen oder der andern biographischen Arbeit, das ist aber auch Alles.
Sehr charakteristisch für den Stand oder besser gesagt, Stillstand der von der
Akademie eingeleiteten Aktion ist die jedenfalls auffallige Erscheinung, dass in
einem der letzten Bände des Boletin, nach so langjähriger Existenz der biographi-
schen Kommission, nichts Zeitgemässeres geliefert werden konnte, als die Aus-
grabung von zwei längst vergessenen Gutachten, nämlich 1) Vidas de Espanoles
celebres, von Quintana, abgegeben von Martin Fernandez de Navarrete, Diego
Clemencin, Jose Musso y Valiente, ddo. 5. Mär/. 1830 und 2) Dieeionario biografico
de Espanoles celebres, abgegeben von .lose de la Canal, und .Tose Musso y Valiente
ddo. 15. September 1826 (vgl. Boletin Tom. XXIV p. 2ö5ff.); für das schon vor
mehr als einem halben Jahrhundert bestandene Interesse an der Anlage eines all-
gemeinen biographischen Lexikons Spaniens liefern diese Urkunden allerdings einen
beredten Beleg.
Weit fruchtbarer, weil auf praktischen (i rundlagen aufgebaut, erwies sich
ein anderer, mit dem Unternehmen der Akademie ].arallel laufender Plan, welcher
von der Nationalbibliothek, bekanntlich der ersten des ganzen Landes, unter that-
kräftiger Theilnahme der spanischen Regierung inaugurirt wurde. Das genannte
Institut betrachtet seine Aufgabe mit der Sammlung, Konservirung und Vermitte-
lung literarischer Schatze nicht abgeschlossen. Die Nationalbibliothek bildet, wenn
man will, einen wissenschaftlich schöpferischen Faktor im geistigen Leben Spaniens
und hat, wenigstens im vorliegenden Falle, der Akademie der Geschichte erfolg-
reich Konkurrenz gemacht. Seit dem Jahre 18")8 wurden von ihr alljährlich ein
bis zwei Preise für die besten biographischen oder auch bibliographischen Arbeiten
Tiber ein frei zu wählendes Thema, jedoch zu dem bestimmten Ende ausgeschrieben,
die Abfassung einer allgemeinen spanischen Biographie zu verwirklichen oder doch
20*
Digitized by Google
:U0
Biographische Blatter.
entsprechend vorzub«Tciton. Die stattliche Ji^ibe dir durch diese Initiativ«- •»■>•-
schaffenen Werk«- ht* weist, dass der «■iii'jres« blauem* Weg der richtig«' war. Natürlich
wurden nicht, wie bei uns /.u Lande, für Arbeiten, welche jahrelange opforvtdle
Mühe erheischen. Preise von HM» fl. oder iJ<X » Mark ausgesetzt; die preisgekrönte
Arbeit erhielt in der Kegel 1 öOO Francs, und der Staat gewährt was das
Wichtigste ist einen Druckkostenbeitrag nebst einer stattlichen Anzahl von
Freiexemplaren für den Autor. Das Krfrculichste an der Sache ist. das.« eine
grössere Zahl von Werken, die in früheren Jahrzehnten verfasst. jedoch bei der
(Jelduoth während der politischen Wirren nicht in Druck gelegt wurden, nunmehr
ihr Auferstehen feiern. Zu den wichtigsten in diese Kategorie gehörenden Werken
zählt natürlich in erster Linie (Jallardo's Bibliotecu Kspafiola. U$«V2 prämiirt. von
welcher Band I 1803. Band II !*♦><». Band III und IV jedoch unter der
energischen Mitwirkung Menendez-IVlayo's ,- erst IHmh zur Publikation gelangten.
Heilte ist die Heihc der von der Bibliotoca Nacional publizirten Werke selbst
bereits zu einer stattlichen .Bibliothek angewachsen, wie aus der im Folgenden
tnitzutheilenden Bücherliste, in welche wir die bezüglichen Daten aufgenommen
haben, leicht ersichtlich wird. ( « leichzeitig sieht man. dass es sieh — augefangen von
t'olineiro's Botanikerhiographh* hjs auf Allende Salazars, Martine/'s. Duro's und Per«*/
Pastor s biographische Arbeiten --, durchweg um vortreffliche Leistungen handelt.
Das lTutcrnehmeu der Bibtiotheca National wirkte aber nicht bloss virttite,
sondern auch exeinplo.
Verschiedeue Momente: der unter den Spaniern unleugbar wirk- und re^T-
>ame historische Sinn, ein i'ewhser Lokal -Patriotismus, das auch im politischen
Leben bedeutsame Zusammenhalten der maassgebenden Kreise innerhalb der ein-
zelnen Provinzen, in Spanien ngmimlismo genannt, nicht zum Mindesten aber «Ii«* Kr-
kenntniss des hervorragenden Nutzeiis der Werk«', webhe auf Veranlassung der
Niitional-Bihliothek in Madrid ins Leben gerufen würden, haben zum Kntstelieii
der verschiedenen biographischen Werk«' beigetragen, weh he in der am Schlüsse
beig«'gebenen Zusammenstellung angeführt erscheinen. Dem Werth«? mich ungleich,
sind si«> trotzdem überaus wichtige Materialien für den .Biographen, um so wich-
tiger, weil die (Quellen, ans denen sie geschöpft sind . sonst zumeist unzugänglich
bleilien. ja in mehrfachen Fällen nur für den bestimmten Autor bei bestimmter
i iele.gonheit «*rs«ddie»bar waren. , t >
Dass durch alle «lies«- später angeführten Werke selbst in, dem Falle., i wenn
sie durch «'in«> ordnende Hand zusamincng«'stellt. und in ein einziges (lenoral-Lexikon
vereinigt würden, schon eine allgemeine brauchbar«! Biographie Spaniens gewonnen
würde, wäre ich gleichwohl nicht zu behaupten. Di« W«'gr. auf welchen eine
soh lte zu erreichen wäre, sind so viel wrzwoig* und der Plan als solcher so aus-
greifend, das ich mich an dieser Stelle mit blossen Andeutungen begnügen muss
und zwar mit solchen, welche dem cispvrenäischen Forscher bei Arbeiten auf Im*.
>timmten (iebieteu vielleicht «'inen Finder/eis.' geben könnten. Das gesammte un-
geheuere Material s« •hcnh't si«-h naturgemäss in zwei Theile: In denjenigen. welcher
sich ans hauds<-hrift Indien (archi valiscben i (Quellen gewinnen lässt. und in «len zweiten,
für welchen die beivits im Drink publizirten bio- und bibliographischen Werke
«•inen leichter zugängludien Stolf darbieten.
I ber <l«'ii «'i'stcn Theil kann i«-b mi« h um so bündiger fassen, als ich glaub«-,
in iiiciiiein vor Kurzem «• rs«diieneiicu Bn«,-he: ..Handschrifteiischätze Spaniens- (Wien.
Digitized by Google
Der Stand der- biof_«raphis«-hen Studien in Sp-nten.
Tempsky 1*'.»4. h°) über all«* wi» htii:<'ren handschriftlichen Ih'stände Spaniens eim-n
Üb»'rblick ircireben zu haben, (ih'hhwnhl kann ich nicht umhin, auf di»* bereits
kurz (tbfii Erwähnten Kartularien der Klöster, Stifte und Kiivhen als die wichtigst«'
Quelle für mittelalterliche Biographie naehdrüeklirh hinzuweisen. Zum Zweeke
der vorliegenden Arheit wurden von mir die Daten üher dies»- Kartularien. welche
sich am Besten im Anuario del Cuerpo facultativ«) de Archiveros. Hihlioferarios y
Anticiiarios. Madrid. 1XK1 1KH2. *° (speziell im Artikel über das Arehivo historico
nacional zu Madrid. Band II, pa». Uli) vereinigt tinden. neuerdings verglichen.
Leider muss ich es mir versagen, den ireradezu stu]»enden Keichthum solcher ( opial-
Biicher aus Celannva. (iuadalupe. Leon. Luyo. Madrid. Mallorca. Mnnteara;rou.
Xajera. Ofia. Osera. l'ohlet, "Rueda. Sahai.'iin. San Juan de la Rena. Santiairo.
Seirovia. Sohnido. Toledo. Valencia und hundert anderen Städten auch nur an-
nähernd zu skizziren. Ich kann hier nur den Wutisch zum Ausdruck bringen,
es lnojrc die spanische Re«rierun«r ähnlich wie in rYankreich die Publikation dieser
eminent wichtigen Quellen veranlassen, freilich auch die eindringliche Mahnuni:
für jeden Knrseher auf dem (»einet»' spanischer Biographie, diese in einem wohl-
geordneten Archiv jetzt laicht zugänglichen rrkundensammluiuc bei jeder Arbeit
in erster Linie zu Käthe zu ziehen.1)
Unter den grossen «rednnkten Sammelwerken, welche für den iihurraphen
wünsch«Miswerthes Material bieten, findet sich eine iranze R«'ih«\ die hier trotz aller
gebotenen Kürze doch nicht gut tiborirauiren werden kann. Der grosse Reise-
bericht daime Villanueva s wie die von Florez begonnene und von verschiedenen
Fortsetzern jetzt bis zum f>*2. Bande weitergeführte Kspana Sairrada. sind auch
heut»* noch für den Biographen unentbehrlich«' Nachschlagewerk«'. Leider jrebeu
sie wi«- die m«'ist«'ii der späteren Samnndwcrke Aulass zur b«'rechtiirten Klage <d>
ihn-s Mangels an entsprechenden R«'gistern. Man darf unbedenklich die IMiauptung
wagen, dass die ganz«' spanisch«' Histori«»graphi«' und Biographie lu'Ute um ein
halbes Jahrhundert weiter wäre, als siY c« thatsächlich ist. wenn man zu beiden
eben genannten \Verk«'n «•ntsprtrlu'iid*' Indices Insasse.'-') Der iiäudichc V«»rwurf
mu^s auch den neueren Urkunden- Publikationen. d»*r ('«deeeiön de Docuin«'ntos
ine«litos para la historia de Espana. der ( '»decchui de Docunu'iitos im'ditos d«'l
Archivo general de la corona d»' Aragon, den Memorias und »lein Memorial historico
de la Real Academia de la Historia gemacht werden, während das Boletin derselben
Akademie, wi»- ich «-iner eben an mich gelangten Anzeige entnehme, einen Index
über die bis jetzt erschienenen 2~> Bände erhalten soll, über welchen ich noch kein
Crtheil fälh-n kann.
Um ein*1 Nuance besser ist es mit den spanischen Biographien b»st«'llt. unter
welchen jene von Hidalgo mit Hecht als eine sehr verdienstliche Arbeit angesehen
!) Sehr wichtig« Niichwei.se über handschriftlh'he Biographien lokaler (Jattung bieten
Munoz in seinem Din-innario hibliogrätini historico und Uallardo in seiner Bibliobva: letzterer
an einer Stelle, wo man solche Zusammenstellung«'!) nicht vermuthen sollt«', nihulich in den
Haiidschriftenverzcichnisscn der Biblioteca Nacional zu Madrid und der «heute nicht mehr
mstirenden) Biblioteca < Mivanv..
■-I Der nur wenig bekannte Index zur Kspana Sagnula. welcher im 22. Bande der
('««kveiön d«> Documentos ine<litos Aufnahme gefumh'n hat. zeugt zwar von iruter Altsicht,
kann aber auch br_»seh«'idenen Anfonh'rumreu kaum ernüfjfen. Die wichtig>te Aufgabe
l'ild«>t do«-h die Einbeziehung aller auch der in «h-n l'rkund«-!! vorkommenden Namen, und
diesen ist leider zum weitaus crossten Theil eine vnnndime Iirnorierumr zu thei! «/«'worden.
Digitized by Google
312
Biographisch«) Blatter.
wird. Man wird über die Anlage des Werkes, welches die Bücher zuerst nach
Titeln in alphabetischer Ordnung, dann die Autoren-Namen und zuletzt die einzelnen
Materien anführt, streiten können, aber derjenige, welcher irgend ein Datum inner-
halb des von Hidalgo beobachteten Kähmens sucht, wird dasselbe nach einiger
Orientirung finden, und das ist doch wohl die Hauptsache. So ist auch für den
Biographen eine eigene Abtheilung (Band VIT, pag. 458 tf.) vorgesehen worden. Sehr
wichtig, namentlich für ältere spanische Literatur im weitesten Sinne des Wortes
beziehungsweise für deren Träger ist Salva's bekannte Biblioteca, deren gelehrte
Noten auch dem Biographen wichtiges Material zur Verfügung stellen. Es wäre
dies bei Bartolome Jose (Jallardo's Ensayo de una Biblioteca Espafiola de libros
raros y curiosos in noch viel höherem Maasse der Fall, wenn dem Biographeu zu-
gemuthet werden könnte, wegen eines einzigen Namens, für den er sich interessirt,
vier mächtige Quartbände mit vielen Tausenden von Kolumnen durchzulesen. Ein
Index zu dem gesammteu Werke ist zwar versprochen, aber wir fürchten, er
werde nach berühmten Mustern — noch lange auf sich warten lassen.1) In-
zwischen kann man jedoch nur rathen. die leichter auffindbaren, weil fallweise bei
den einzelnen Autoren angeführten biographischen Daten (vergl. z. B. den Artikel
Yepes) eingehender Berücksichtigung zu würdigen. Die zahllosen Namen bei dem
Justas poeticas und den Listas de escritores (aus Sammelwerken) sind natürlich
heute so gut wie verloren.
Noch ein Wort über die laufenden bibliographischen Zeitschriften, welche
uns über die einschlägigen biographischen Publikationen au fait erhalten. Wie
grosse Verdienste sich in dieser Richtung Dionisio Hidalgo mit den verschiedenne
Serien seines Boletins erworben, ist bekannt. Die nach dem Aufhören derselben
von Murillo begründete und bis heute weiter fortgesetzte spanische Bibliographie
ist zwar werthvoll, steht aber gegenüber ihrer Vorgängerin durch den Mangel an
kritischen Erläuterungen und Aufsätzeu um ein Beträchtliches zurück. Als wesent-
liche Ergänzung haben hier das mehrerwälinte Boletin de la Real Academia de la
Historia, die gut geleitete Revista modern» — die Fortsetzung des Ateneo und der
Revista de Espana — einzutreten. Auch die von Roque Chabas mit unermüd-
lichem Fleisse geleitete Revue: El Archivo ihrerseits wieder eine Fortsetzung
der leider eingegangenen 'vortrefflichen Revista de Archivos — bietet manches
brauchbare Material auch für den Biographeu. Endlich geht mir, während ich dies
niederschreibe, der Prospekt über eine neu gegründete Revista cn'tica de Historia
y Literatuni Espanolas zu, welcher, nach den Namen der Mitarbeiter zu sehliessen,
günstige Auspicieu gestellt werden können. Hoffentlich wird sie die Revue critique
für Spanien, welche wir bis heute mit Bedauern venuisst haben.
Dies ist also, abgesehen von einer Reihe von Spezial-Zeitschriften , die ich
nicht namentlich anführe, weil sie. nur in Spanien cirkulirend, für uns unerreichbar
sind, ungefähr der Bücher-Apparat, mit welchem der Forscher auf dem Gebiete
1i Weil wir eben bei dem famosen Kapitel über die lndices angelangt sind, möchten
wir mit allem Nachdruck darauf hinweisen, dass es eine Ehrenschuld für die Trustees das
brittischen Museums bedeutet, für das Monumentalwerk von Pascual de Gayangos, <_'ato-
logue of tue Manusrript> in the spanish language in the British Museum, London 1875 ff.
einen den Anforderungen unserer Zeit entsprechenden Index ausarbeiten zu lassen. Dass
auch der Biograph aus demselben einen beute noch gar nicht abzuschätzenden Gewinn
ziehen würde, brauche ich wohl des Näheren nicht erst zu begründen.
Digitized by Google
Der Stand der biographischen Studien in Spanien.
der spanischen Biographie zu arbeiten hat. Von dem Wunsche geleitet, demselben
nicht bloss eine allgemein gehalteue Skizze über deu Stand der biographischen
Studien in Spanien zu liefern, sondern auch die bestimmten Hilfsmittel nachzuweisen,
welche bei Untersuchingen auf dem einen oder andern Theil des so grossen Ge-
bietes vorhanden sind, habe ich mich — nicht ohne längeres Bedenken — dazu ent-
schlossen, diese Hilfsmittel oder wenigstens die für die heutige Arbeit wichtigsten
in den folgenden Bibliographieen zusammenzustellen. Ich sage: Nicht ohne Be-
denken, denn ich bin mir bewusst, dass Vollständigkeit keineswegs erreicht wurde.
Ich habe sie auch gar nicht erstrebt, wohl wissend, dass ein lückenloses biblio-
graphisches Material über die spanische Biographie nur durch jahrelange Arbeit
im Lande selbst erreichbar gewesen wäre, und dass eine solche Publikation den in
diesen Blättern vorgezeichueten Kähmen weit überschritten hätte. Dass mir keinerlei
Vorarbeiten zur Verfügung standen, habe ich oben erwähnt. Die paar Biographien,
welche Elias de Molins, Diccionario biogräfico de eseritorcs catalanes. in der Vor-
rede anführt, können in keiner Weise genügen; auch was Fernäudez Vallin, Dis-
cursos etc. (Madrid 1893) p. 168 an biographischen Werken zusammenstellt, ist
eher irreleitend als nützlich. Weit mehr verdanke ich den reichen Daten, welche
Herr Dr. theol. et phil. Cornel August Wilkens in Kalksburg aus seinen grossen
Sammlungen mir einzusenden die Güte hatte, wofür ich an dieser Stelle meinen
herzlichsten Dank ausspreche.
Das in drei Theile: 1) Allgemeine Werke, 2) Fachbiographieeu , 3) Lokale
Biographien getrennte Verzeichniss bedarf wohl keines Kommentars. Ich bemerke
jedoch, dass ich nur für die Richtigkeit der Angaben über jene Werke einstehe,
die ich gesehen, d. h. solche, die an der k. k. Hofbibliothek in Wien vortindlich
sind. Diesen Ist auf Wunsch des Direktors, Herrn Hofrathes Wilhelm lütter von
Härtel, die Signatur, welche sie in der Sammlung führen, beigegeben worden. Die
Titel der andern Werke mussten nach den von mir benutzten bibliographischen
oder sonstigen Quellenwerken mitgetheilt werden. Selbstverständlich bleibt die
Garantie für die Richtigkeit derselben meinen Gewährsmännern überlassen.
II.
I. Allgemeine Bibliographien und Qiographien.
A. Bibliographien.
Meadez, Francisco.
Tipografia espafiola ö historia . . del Arte de
la Imprenta en Kspana. Segunda odieidn cor-
resida y adicionada por D.Dionisio Hidalgo.
Madrid. Imprenta de lau Kscuelas Pias I8b*l.
[H. B.: 144. C. 38).
Od Iva, VICOIHÜ.
A Catalogue of spanish and portugucse books,
with occasional literary and bibliographical
remarks.
Ixmdon 1826 1829. 2 toni. 8°.
[H. B.: 87. K. 13).
Catalogua librorum doctoris D. Joachimi (io-
mez de laCortina, Marchionis de Morante,
qui in aedibus suis extant.
Matriti 1854-1859. 8». 6 Voll, und Sup-
plementum.
[11. B. : S. A. 40. (J. 7U).
Munoz y Romen», Tomas.
Diccionario bibliogrätico-bistorico de los an-
tiguos reinos. provincias, ciudades. villas.
iglesias y >antuarios de K-spana. < >bra pre-
miada por la Biblioteca National en el con-
ourso püblico de Knero de 1858. t1 impresa
ä expensas del (Jobierno.
Madrid. Imprenta do M. Kivadeneyra. 1*58.
4°. VIII u. :W0 pp.
[II. 13.: C. (\ 24. B. 4].
Werthvoll durch den Nachweis lokaler
Biographien (auch in Handschriften1), doch
Digitized by Google
314
BioCTaphische Blätter.
vorzugsweise unter Hen'lcksichtiirun^ der
tbeoloL'ischen Schriftsteller.
Hidalgo, Oionisio.
Boletin biblioirrutico espanol y extranjero.
Madrid, Imprenta de J. Sancha etc. 1S40
isäo. Jl Tom. S°.
[H. Ii.: .1. S°. 1214].
Hidalgo, Oionisio.
Boletm biblioirrätico espanol.
Madrid. I Tiiprt'iita de las Kseuela.s Pias;
lSHu — 1SGS. ■ Tom. 1—9. 4°. <S°).
[II. Ii.: ,J. S». 1214. Ser. 11].
Hidalgo, Dionisio.
Diccionario <_reneral de Biblioi-rafia Fspanola.
Madrid. Imprenta de las F.sciielas Pias.
1SIÜ-1S79. Vol. I — VII. S0. Vol. (i.
Indiee de autores. Vol. 7. Indiee de
materias.
|H. B.: C. C. 21. C 7|.
Salvä y Mallen, Pedro.
CataloLro de la Biblioteca de Salvä. enri-
(|iifcido con la deseripeion de otras muchas
obras. de siis ediciones. etc.
Valencia, Imprenta de Ferrer de Orira.
1H72. 2 vol. N».
|H. B.: C. C. 11. I-. 4].
Catalogue de la Bibliothcque de M. Ricardo
llerodia, Comte de Benahavis.
Baris Em. Paul, L. lluard et Guilleinin
1891. 4 Vol. Cir. 8°.
|H. B.: 2:53. C. 3].
■
Gallardo, Bartolome Jose.
Knsayo de una Biblioteca espnnola de libn»*
raros y curiosos. fonnado con los apunta-
mientos de I). B. .1. «Jallardo coordinadoj
y aumentados por D. M. II. Zareo del Valle y
I). F. Saneho Bamön. Obra premiada por
la Hiblioteca Nacional eu la junta publica
del de Knero de lst»2 e impresa a e\-
pensa.s del (iobierno.
Tonm I.. II. Madrid, Imprenta de M.
Bivadenoyra 1SG3- 18t>6.
Tomo III v IV. Madrid. Manuel Teil«
1 ss.s. 4n.
fll. B.: 1 14. C. 17j.
Neben Salvä Hauptwerk für ältere
Literatur. V<jl. oben.
B. Biographien.
Pacheco, Francisco.
Libro de deseripeion de verdaderos retra-
tos de ilustres y memorables varones.
•Sevilla. K . Baseo. 1*S0. 2 vol. 4° u. fol.
üeproduetion des Oriirinalcs aus dem
Jahre 1"»99.
RetratOS de los Kspafmles ilustres. con un
epitome de sus vidas. De -orden superior.
Madrid. Imprenta Beal. 1791. Fol. IV u.
114 Blätter Text mit 114 Porträts.
|II. B.: ISS. B. 12|.
Von der Buchhandlung Murillo jiinj/st
um 12") Pesetas oti'erirt.
Biografia universal antiirua y moderna ....
traducida al castellano con muthas adi-
ciones y ret'undiciones por. I). Javier de
Balves.
Madrid, «ionzalez. 1*22.
Nur wenije Bände (1— III) erschienen.
Galerie der ire-jenwärtiv in Spanien lebenden
wirhtiir.sten Männer etc. In alphabetischer
(»rdimni:. Aus dem Französischen über-
setzt von Moritz Lam/e.
AuL'sbuiLr u. Leipzig. A. Bäumer. lS-_»4- S°.
|H. B.: 2<>. Z. VW].
Rezabal y Ugarte, Jose.
Biblioteca de los esi-ritores que hau sido
individuos de los >eis cole<rios mayores:
dt.* San Ildefons» de la l'niv eisidad d«-
AI. tl i. de Santa duz de la de \'alla<lolid.
de San Bartolome. De Ciienca. San Sal-
vador de Oviedo. y del Arzobispo de Sala-
manca.
Madrid, Imprenta de Sancha. ISO.".. 4°.
XVI u. 472 p. p.
Ochoa, Eugenio de.
Apuntes para una biblioteca de escritore<
espanoles contemporäneos en prosa y ver>u.
Paris. Bau.Irv. 1S40. 8°. 2 vol.
[H. B.: s;,. F. 1*»J.
Pastor Diaz. Nicomedes y Cärdenas Francisco.
CJalena dfi espanoles celebres contempo-
räneos ö bio^rrafias y retratos de todos !<»•«
persotiajes distimruidos de nuestros dia- en
las eiencia.s, en la politica. en las arnias.
en las lotras y en las artes. Colabova-
dores D.Antonio Alcalä ( ialiano. D.Joaquin
Francisco Pacheco, I). Juan Donoso Cortcs.
D. Pedro Pidal, D. Patrieio de la KscoMira.
D. Fermin de la Puente y Apeceehea y
D. Salvador Bermüdez de Castro.
Madrid. Imprenta de Lalama, 1*41 1S4H.
9 tomos. S°. Mit Abbildungen.
|ll. B.: <><). II. 17].
Die anirekündiL'te zweite Serie ist nicht
erschienen.
DiCCionario bio<_Mntico universal de miijeie>
celebres.
Madrid 1*44-1*46.
Quintana, Manuel Jose.
Vidas de espanoles celebres.
"'s
Digitized by Google
Der Storni der biographischen Studien in Spanien.
Paris, Baudrv. l*4.x 8°.
fH. B.: 48. F. 4»i (An-, v. 1S07>|.
Xeudruck 'oleeciön de los niejorcs autores
espaüoles).
;Asamblea Constituyente de 1854!
Bioirrafias de todos lo.s diputados y todos
los horubres cölebres que hau toniado parte
en el arzainiento nacional. por una Suciedad
literaria.
Madrid, Iniprenta de J. Pefia 1854. Tonil
<un.) 512 pa«j. 4°. Mit 22 Tafeln und
Porträts.
Carderera y Solano, Valentin.
lcono<rratia espanola. ('oleecion de retratos.
estatuas. . dereyes.reinas. «rrandes.capit.anes.
esf ritores etc. desde el sitrlo XI hasta el
XVII. Ton texto biotrnitico y descriptivo.
Madrid. Kanion Caiupuzano, 18.">"> 18<>4.
Fol. 2 Vol.
(H. B.: 2<>:l. A. 2(>|.
Biografias de personajes cölebres.
Madrid 1857.
l'n vollendet.
Ovilo y Otero. Manuel.
Manual de ' bio<rrafta y de biblioirrafia de
las »>?<critores espanoles del siirlo XIX.
Paris. 18")f>. 2 Vol. 2*8 u. 2">2 pp.
(11. B.: CC. 21. (i. 11).
Ovilo y Otero, Manuel.
Diccionario bio<rrätico eontemponineo de los
Kspafioles y Amerieanos que se hau distin-
I
jruido en todas las carreras. ( 'lero. Milicfa.
('ieneias. Literatur«. Altes. Adniinistracion.
Industria. Airriciiltura. Coniercio et«-. I)e-
dieado al Kx.mo Sr. I). Claudio Moyano y
Samanieiro.
Madrid. Iinprenta de K. Anvnrt. 1867.
Parada, Diego Ignacio.
ftseritoras y eruditas ospanolas ö apuntes
y noticias para servil a una historia del
insrenio y cultura literaria de las inujeres
e*ipanola.s desde los tieinpos mäs romotos
hasta nuestros dias.
Madrid, M. Minues;.. issi. s». V(d. l|un>.
|H. B.: lö<>. F. 2t>|.
Biografia contemporänea universal y cnlocciön
de retratos dp todos los personajes cölebres
de nuestros dias.
Madrid. Iinprenta v Libreria de 1. Boix.
1884. — 4 Toinos. 8». < \m Hl retratos.
Castelar, Emilio.
(Jaleria historica de innreres eelebres.
Madrid. ISSI! ISS!». 8 Vol. t. 31* ,,. II.
408p. UI.;t»8p. IV. :3!»!)p. V. 4I.lp. VI.
411 p. VII. :i!»2 p. VIII. :«>H p.
Diccionario enciclopedico hispano aiuerieano
de Literatura. ( 'ieneias y Artes por Ani-
niis, Barbieri. Azcarate. (.'osio, Beitran y
Kospide. ( 'astellanns. Castrohcza.
Barcelona (in Heften) |isss).
II. Biographien für
Agricultur.
Ramirez, Braulio Anton.
Dieeionario «le Biblioirrafia A<_rronömica y
de toda tlase de eseritos relacionados eon
la A<rrieultura. sejruido de uu indice de
autore.s y traduetores eon alirunos apuntes
bio«rratieos. Obra premiada por la Biblioteca
Xacional en eoncurso pühlico de "> de Knero
de 18f»2, e impre.sa ä expensas del (iobierno.
Madrid. Iinprenta v estereotipia de M.
Livadeneyra, 18(55. XV III u. IUI'» pp. 4".
(Vtrl. Allende Salazar. Biblioteca del
BaMÖhlo p. im.
Bildende Kunst.
Palomino de Castro y Velasco, Antonio.
Las Vida.s de los pintore.s y Kstatuarios y
eminentes Kspafioles.
Londres, IL Woodfall. 1742. 8«.
|II. B: IL K. s. X. 7.5|.
Ceän Bermüdez, Juan Agustin.
Diccionario historico de los miis ilustres
profesore-s de las Bellas Artes -en K*pana.
Publicado por la Real Academia de San
Fernando.
einzelne Fächer.
Madrid. Iinprenta de la viuda de Ibarra.
1800. 0 Tokios, s».
|ll. B: bU X. :«|.
Quillet, F.
Dictionnairc des peintres espa«_rnols.
Paris. lS]<i. 's».
|H. B: S. A. 04. IC. 2!)|.
Llaguna y Amlrola, Eugenio.
Noticias de los arquitectos y arquitectura
de Kspana desde su i estauracioti. lliustradas
y acrecentadas con notas. adicionox y docu-
nientos por .luau Airustin ( Van-Berniudez.
Madrid. Iinprenta real. 1S21I. 4 Vol. 1".
[II. B: >■< :ts. T. 20).
Huard, Etienne.
Vie coinplete des Peintres Espa ynoles et llis-
toire de la Peinture Kspairuole.
Paris. Ducessois. ls:{f> ls4|. S". 2 V.d.
[IL B: 4<i. X. 21.
Stirling-Maxwell, William.
Anuals of the artists of Spain.
( Witli portraits. )
London, .lohn Ollivier, 1S4S. ,s". ;i Vol.
[II. B.: S. A. 42. I). bsj.
Digitized by Google
316
Biographische Blätter.
Laforge, Edouard.
De« arts et des artistes en Kspagne jusquit
la tin du dix-huitieme siöcle.
Lyon, Louis Perrin, 1859. 8°.
(H. B.: 156. K. 1|.
Ossorio y Bernard, Manuel.
< ialeria biograhca de artistas espafioles del
siglo XIX.
Madrid, Ramon Moreno, 1868—1809.
2 Vol. 8«.
|H. B.: 161. D. 19].
Zarco del Valle, Manuel Remon.
Documentos para la historia de las Hellas
Artes en Espana. Coleccidn de documentos
incditos pura la Historia de Espaüa.
Madrid, tom. LV (1870) 'pag. 201-640.
[H. B.: 227. F. 1).
Enthalt sehr wichtige Nachrichten über
eine errosse Zahl von Künstlern. Index p. 629
bis 640.
Riano, Juan-Facundo.
The industrial arts in Spain.
London, Chapnian and Hall, 1879. 8°.
[H. B.: 208. (j. 152).
Vinaza, Conde de la.
Adieiones al diccionario historico de los mäs
ilustres profesores de las liellaH artes en
Ivspaha de .1. A. (J. Bermüdez.
Madrid 1894. 8». 4 Vol.
[H B.: 60. K. :13).
Davillier, Jean-Charles, baron de.
Kocherches sur l'orfcvrerie en Kspagne au
moyen age et ä la renaissance. Documenta
inedits tires des archives espagnoles. 19
planchcs ... et dessins dans le texte.
Paris. A. Quant in, 1879. 40.1)
[H. B.: 121. A. 7J.
Militärwesen.
Rioe, Vicente de los.
Diseurso sobre los ilustres autores e inven-
tores de Artilleria. quo han tiorecido en
Espana.
Madrid, .Joachim Il>arra, 1767. 8°.
(H. B: ( '. P. 1. K. 12).
Galeria militar contemporanea o sea coleeeiön
de biografias y retratos de los jefes quo
mas se han distinguido en amhas ejercitos
durante la guemi civil de 1833. ä 1840.
2 Tomas en 4°. con grahados y laminas.
Madrid. Hortelano-Sanehez, 1845.
') Das Werk desselben Verfassers: Le* arts
decoratift« en Kspatrne au moven Ate et a la renais-
sance Pari». Quanlin 187«. tf>. |If B.: 211. F.«).
enthalt nur unwesentliche biographische Daten; die
Recherche* hingegen wichtige Onldschmiedever-
zeiihnisse.
Estado mayor general del ejercito espanol.
Historia del iluatre cuerpo de oficiales ge-
nerales, formada con las biogratias de los
que mas se han distinguido, ü iluatrada con
las retratos de cuerpo entero, escrita y pu-
blieado bajo la direeeiön del oticial del arnia
de infanteria D. Pedro Chamorro y Baque-
ri/o; precodida de un prologo del Excmo
Senor Teniente general D. Evaristo San
Miguel. Segunda edieiön.
Madrid, Imprenta de T. Fortanet, 1851.
4 Tom. folio.
Tom. I. Seccion de capitanes generales.
Tom. II. Neeciön de teniente* generales.
Tom. III. Seeciön de mariscales de campo.
Tom. IV. Seeciön de brigadieres.
Ramirez de Arellano y Gutierrez.
Ensayo de un catälogo biogräfico bibliotrrä-
tico de los escritores que han sido individuos
de las cuatro ördines militares de Espana.
Coleceion de documentos ineditos para la
Historia de Espana, por ei Marques de la
Fuensanta del Valle. Tom. C1X.
Madrid. Murillo 1894 in 8°. XII u. 499 p.
(H.B: 227. F. 1).
Almirante, Jose.
Bibliogratia inUitar de Espana.
Madrid. M. Tello, 1876. 4°. CXXX n.
988 p.
Musik.
Soriano Fuertes, Mariane.
Historia de la müsica espaüola desde la
venida de los Fenicios hasta el aüo 1850.
Marid v Barcelona, Narciso Uamirez 185."»
-1859. 4 Vol. 8».
(H. B: 161. C. 2).
6uaza y Gomez Talavera, Carlos y Guerray
Alarcon, Antonio.
Müsicos, poetas y actores. Coleceion de
estudios critico-biogralicos de Sahnas, Mora-
les, Victoria, Eslava. Ledesma etc.
Madrid, Imprenta de F. Maroto. l^SA.
28:1 p. 4«.
' Riano, Juan Facundo.
Critieal and bibliograpbical notes on early
spanish music. With nuinerous illustrations.
London. Bernard (Juarich, 1887. 8°.
|H. B: 207. G. 77j.
I'ajf. 147 154 ein werthvoller Index
über die im Texte behandelten Musiker
und Musikschriftsteller.
Saldoni, Baltasar.
Diccionario biognifico-bibliogräfico de Efe-
merides de müsicos espanoles.
Madrid. Antonio Perez Dubrull, 1868-
1**1. 4 Vol. 8«.
[II. B: S. A. 93. C. 42].
Digitized by Google
Der Stand der biographischen Studien in Spanien.
317
Hrspaniae schola musica sacra, herausg. unter
Leitung von I»hilippo Pedrell. Barcelona,
Pujol & C^
Denkmäler span. Kirchenmusik vom 15.
bis 18. Jahrhundert. Eine Biographie jedes
Künstlers und ein kurzer kritischer Text
in spanischer und französischer Sprache
gehen jedem Buche voraus.
Prospekt der Verlagsbuchhandlung Breit-
kopf «Si Härtel in Oetolier-Xovember-Hefte
1894 des Centralblattes fürBibliothekswesen.
Naturwissenschaften.
Femändez de Navarete, Martin.
Bibliotecu maritima espanola
Madrid. Imprenta de la viuda de Calero
1851-1852. 2Tomos 4°.
"Es trabajo de gran importancia para
la bibliografia y biografia". Allende Salazar,
Biblioteca p. 117.
La Botänica y los botänicos de la Penüisnla
Hispano-Lusitana. Kstudios biogrnficos y
biblbnrraficos. Obra premiada en el coneurso
de 1857.
Madrid, M. Itivadeneyra 1858. 4°.
Tel y Rua, Figueroa.
Apunte.s para una biblioteca espanola de
libros . folietos y articulos, impresas y
manUMcritos. relativos al aumento y explo-
taeiön de la* riquexas minerales y a las
cienrias auxiliares. Acompafiadas de reseiias
biogrüheas y de un ligero resiimen de las
obra« que se citan.
Madrid, imprenta de .1. M. Lapuente. 1872.
2. Vol. 4°.
Menendez y Pelayo, Marcelino.
La ciencia espanola (polemic&s, proyectas y
bibliografia) con un prologo de (lumersindo
Laverde Huiz. Tercera edieiön refundida y
aanientada
Madrid. A. Perez Dubrull 1887-1889
8». 3 Vol.
[H. B.: 221. K. 20).
Der dritte Band enthält die sehr aus-
führliche Bibliographie.
Marti nez Reguera, Leopoldo.
Bibliogratia hidroldgieo medica espanola.
Obra premiada por la Biblioteca Nacional
en el coneurso püblico de 1888 e impresa
a expensas del Estado.
Madrid. Manuel Tello. 1892 4°.
Picatoste y Rodriguez, Felipe.
Apuntes para una Biblioteca cientifica
espanola del siglo XVI. Obra premiada
por la Biblioteca Nacional en el coneurso
püblico de 18(18 c impresa ä espensas del
Estado.
Madrid, Manuel Tello, 1891. 4°.
Iii. Ö.: C. C. 21. 9. 5*.].
Fernändez Valiin, Acisclo.
Discursos leidos ante la Keal
de Cieneias exaetas, tisicas y naturales.
Madrid. Sucesores de Rivadeneyra, 1893.
[H. B.: 281. K. 8J.
Bedeutendes, zusammenfassendes Werk
über die Vertreter der exaeten Wissen-
schaften Spaniens, vornehmlich im ld. Jahr-
hundert, mit vielen biographischen Daten.
Leider kein Namenindex.
Rechts- und Staatswissenschaften.
Cortes Constituyentes.
(taleria de los Representantes del pueblo,
1854.
Madrid, 1855-1856.
11 Bogen mit 176 Portrats (von Vallejo).
Torres Campos. Manuel.
Bibliografia espanola contemporänea del
Derecho y de la politica 1800— im)
obra que sirve de complemento ä los Estu-
dios de bibliografia espanola y extranjeni
del Üerecho y del Notariado. Memoria
premiada con medalla de oro en el certa-
men püblico de la Academia Matritenso
del Notariado en 1876. Parte primera Bib-
liogratia espanola
Madrid, Fortanet, 1883. 208 pag. 4°.
Sprache und Litteratur.
Rodriguez de Castro, Jose.
Biblioteca Espanola.
Madrid. Imprenta Real. 1781- 1786 fol.
2 vol.
[H. B.: C. C. 19. A. 8],
(Vgl. oben].
Pellicer y Saforcada, luan Antonio.
Ensayo de una Bibliotheca de traduetores
espanoles . . . preceden varias noticias literarias
para las vidais de otros escritores espanoles.
Madrid. Antonio de Sancha, 1778. 2 vol. 8°.
[H. B.: 61.1). 24].
Antonio, Nicolaus.
Bibliotheca hispana vetus sive hispani scri-
ptores qui ab Octaviani Augusti aevo ad
annum Christi MD floruerunt. Curante
Francisco Perezio Bayero, qui et prologum
et auctoris vitae epitomen et notulas adiecit.
Matriti, Joach. Ibarra 1788, 2 voll. fol.
Bibliotheca hispana nova sive hispani-
corum st-riptorum qui ab anno Ml) ad
MDCLXXXJ.V Homere notitia.
Matriti. 1783. 2 voll. fol.
(H. B.: C. C. 19. A. 6].
Diese Ausgabe wird heute alleinig be-
nutzt: die erste. Uomae 1696, umfasst nur
die Bibliotheca vetus.
Digitized by Godgle
3 1 S Biogmphte
l iier Adieiones /n Nicolaus Antonio, zum
Theil handschriftlich, zum Theil im Druck
erschienen, wl. A Hernie Salazar. Biblioteca
» del Bascofilo p. »0.
Bouterwek, Federigo.
Hisfnria de la liti»ratura espafmla . . . tra-
ducida al eastellano y adicionada |»or D.
Jose »«'ömez de la Cortina y . . . D. Nicolas
Huiralde y Mnllinedo.
Madrid. Imprcnta de K. Airua.lo 182}». 4°.
Nur der erste Hand erschienen: die Aus-
malte ist aber \ve«_'en der neu aulVrenom-
menen biographischen und bibliographischen
Daten yeschiltzt.
[H. 15.: ä«». K. ß.l].
Brinckmeier, Ed.
Die Nationalliteratur der Spanier seit dem
Anfange des Iii. Jahrhunderts.
(iöttin-en, 1*50. x».
Enthalten in Bouterwck. I,,riedrieh. (ie-
st hichte der Foesie und Beredsamkeit. Bd. IM.
[H. B.: I.. Z. :»4ü|.
Ticknor, Georg.
des« hu hte der schonen Literatur in Spanien.
Deutsch mit Zusätzen herausi.a-Lreben von
Nietdaus Heinrich Julius.
Leipzig RA. Blockhaus. 1*52. ,x". 2 Bde.
III. B.: L. Z. :U«»J.
Schack. Adolph Friedrich v.
tieschichte der dramatischen Literatur und
Kunst in Spanien.
Herlin. Dunrker & HumUot. IS-l"» - 1S-M5.
s«. :\ im,..
|M. H. : S. A. 15. ( i. 2*|.
Barrera y Leirado. Cayetano Alberto.
Catalotro biblioyr.'iheo y hioirnirico del teatro
antiiruo espanol. desde sus ori<;enes hasta
mediados del siirlo X V 1 1 1 . < )bra premiada
por la Biblioteca National en el enneurso
püblico de enero de IStiÖ e impresa a
expensas del (ioltierno.
Madrid. Impreiitade Uivadeneyra. IStiO. 4°.
|U. H.: S7. C. 11].
Hauptwerk für Biographien spanischer
Bühnendichter. Vyl. oben.
Amador de los Rio«, Jose.
Historia critiea de la literatura Kspanola.
Madrid. Imprcnta de Jose Kodriiruez. 1 st>l
bis 1S<55. 7 vol. S".
|H. B.: S5. D. lti|.
(Garcia?) Jcazbalceta (Joaquin?)
Apuntes para un Cataloiro de i>critoivs de
len<_ruas iwliirenas de America.
Na«ii Fernande/, Valiin. Dis«>ur<os p. 107.
Kayserling, Meyer.
Hiblioteea Msp;in<»la - Fortu-jcza - Judaica.
Dii-tionnaire bililiouraphiipie tles auteurs
die Blatter.
Juifs. de leurs ouvratres espa<_rno]s et portu-
irais. . . Avec un apercu >ur la litterature
de juifs opairnols.
Srrasslmnr. Charles .1. Triibner. lsftO. s".
|H. B.: 225. C. -25].
Schaeffer, Adolf.
<i'esclii( hte des spanischen Nationaldrauias.
Leipzig. F. A. Brockhaus. 1X90. S". 2 Bde.
1. Die Feriode Lope de Veya's. 2. Die
Feriode Calderon 's).
|H. B: 22!>. K. 11|.
Sbarbi, Jose Maria.
Monoirrafia sohre |<»s refranes. adayios y
proverbios eastellanos y las ohras ö fraennen-
tos ipie expresamente tratan de ello- e»
nuestia lonirua. < Mira premiada por la
Biblioteca National en el conciirso püblico
de 1*71 e impresa :i expensas del E-t;ido.
Madrid. Imprenta de los Huerfanos 1X{)1 4".
[H. B.: 2:11. C. .15).
Vinaza, Conde de la.
Kseritos de los portuirueses y ca>tellanos
referentes ii las leiiL-uas de China y el
Japön. Estudio bildioyratico.
Lisboa. M. tiomes. Madrid. M. Murillo.
Londres. H. (Juaiiteh. 1*92. l:«» p. 4°.
[H. 15.: lb:J. H. IS,}].
Vinaza, Conde de la.
Biblioirrafia espamda de leniruas intli'jeiuis
de America. ( >brn premiada pur la Hiblioteea
Nat ional en el Conciirso püblico de 1*91
e impresa ;i expensas del Estado.
Madrid. Estahl. tij»o«_rr. Sueesores ,le Ui-
vadeneyra, 1X92. X".
H.: 248. B. :$].
Vinaza. Conde de la.
Biblioteca historica de la filoloiria Castel-
lana por el Cond«* de la \ ina/.a. (Hin
premiada por voto unanime en pültlin»
Certameu de la Heal Academia EspafioU
y publicada :i su* exjiensas.
Madrid. Manuel Tello. 1S»3. 4". X\\IV
u. 1114 S.
|II. H.: 202. D. 241.
Vortrefflitdier Index.
Steinschneider, Moriz.
Die hebraeischen t'bersetzunire» tle- Mittel-
alters und die Juden als Dolmetscher. Ein
Beitrair zur Literaturyeschif hte des Mittel-
alters nieist nach handschriftlichen Quellen.
Berlin. Hiblio^raphisrlies Hureau. IS!»:'». 8"'.
|H. B. : 101». A. Fi).
V«_d. «dien.
I
Theologie.
Nieremberg, Juan Eusebio.
Claros varotie- <!«• la Compania de .lesuv
Digitized by Google
Der Stand der bioarraphisi
Madrid 1643-1(147. 4 tomos foliu.
t Kortsotzun'.' von Alonso de Antlrada und
Joseph (.'assani. Vol. 5 0. 1066 17:1(5).
[H. B.: 4:3. F. 4S (nur Bd. 1 4)|.
Gonzalez de Avila, Gil.
Teatro erclesiast'ieo de las Ldesias metro-
politanas y catedrales de los reynos de las
dos ( 'ustillas, vidas de stis arzobispos y
ohispos y eosas memorables de sus sedes.
Madrid. Francisco Martinez. 1 <i4."> -16f>0.
Fol. :\ vol.
[11. H.: 4:1. F. 42).
Varones ilustres Benedictinoe de la Conare-
tracii'in de Fspnnit. Ilamada de San Benito
de Valladolid. se<_'iin Memoria* existentes
en los archivos de sus monasterios, y no-
ticias saradas de Autores tidediirnos etc.
Madrid 17«*.
Manuscript in der Bibliothek Campo-
manes zu Madrid. Vir). (iallardo, Biblioteca
toni. 1, col. 393 396.
Muniz Roberto (Fray).
Biblioteca Cisterciensc Kspanola. en la que
se da noticia de los escritores cisteirienses
de todas las eon«m,araeiones de Ivspana y
de los de las ördeiies tnilitares que sia'uen
el niisnio institnto c<m la expresion (en la
niayor parte) del luarar de su nacimiento.
empleos. honores y diirnidades. iirualmente
t|iie el de sit«. oh ras tanto impresas como
nianuscritas.
III. lokale
Alava (Provinz).
Landazuri y Romarate, Joaquin Joseph.
. Los varones ilustres alaveses. y los fueros.
exeneiones. tranqueza« de que sienipre ha
cozndo la . . , Frovineia de Alava. Dedu-
cido de documentos anttatiros y autores
originales. •* ' >
Vitoria, Ualtasar Maubdi. 1790. XX u.
246 u. XII patr.
S. a. Vizcayu.
Albacete (Provinz).
Baquero Almansa, Andre«.
Hijos ilustres de la provincia «le Albacete.
Ivstudio bio-hiblio«rratico. Fröloiro del Mar-
ques de Molins.
Madrid. A. FMrez Dubrull. 1*84. *".
(II. B: JKI. II. 106|.
Alicante (Stadt und Provinz).
Rico Garzia. Manuel y Montero y Perez, Adal-
miro.
Kn&ayo bio«,'riihco-biblio^iatico de es.iitores
hon Studien in Spanien. 319
Hur-os. Joseph de Navas. 1793. 4". 16
u. 400 paar.
Biografias
de ohispos contemponineos.
Madrid. 1S.V2. Fol.
Nur zwei Liefern na-en erschienen.
Menendez y Pelayo, Marcelino.
liistoria de los beterodoxos Ivspanoles.
Madrid. F. Maroto, 1880 ff. Vol. 1 3. 8»
|H. B.: Sa. 90. <■. 47 1.
Perujo. Niceto Alonso, y Perez Angulo. Juan.
Diccionario de ciencias eclesiästicas.
Valencia. 10 Vol. (von je 600- 7(10 p.).
1**6.
Krithült viele Biographien.
Garron, Constantino.
(Jaleria de Keliiriosos ilustres. T. I.
Valladolid. (in Heften). 18*«.
Varones ilustres de la Compania de Jesus.
Sekunda Fdicion. Tom. 1. Bilbao 1**7.
ti70 p. II. 1**9. 066 p. III. 650 p.
Catälogo bioaratieo y hiblioarahco de escritores
naaistinos. espanoles portu-jueses y america-
nos. eu la Bovistu relitriosu. cipntitica y
literaria de la (iudad de Dios que publican
los lieverendos Fad res A<rustinos reichte am
i>0. A|.ril ls!KMS« h!uss d. Bd. XXI) bis zum
Artikel Fr. Miiruel Bartolome Salon und
dürfte die Liste daher schon abgeschlossen
sein.
•
Biographien.
de Alicante y su provjucia. Con una carta
jmdo'jd de lioque ('habas.
Alicante, 1*** jssp. 4°. '2 Vol. .
Alcalä.
Catalina Garcia, Juan.
Fnsayo de una tipoaratia complutense.
( Mira premiada jpor la Biblioteca Nacional
♦•ii el concu'rso pü'hlico de 1**7, e imjnesa
a costa del F>tado.
Madrid, M. Tello. 1SSD." yf».
|ll. B: J_»4. I). I9|.
ii
Almeria.
Langte, Placido.
Ksci itorcN Almarienses. Bucetos bioirnilin»-.
M.olrid. lss-_>. ll\ > p.
-
Aragon (Provinz).
Latassa, Felix de.
Bü'liotecas antiL'ua y nueva de escritores
Araironcses. aumentailas y refundidu> en
fonna de dicciunario biblioarräliet»-bio-_'rarico
j»or I). Mi-.'uel (ntmez l'riel.
Digitized by Google
320
Biographische Blätter.
Zaragoza. 1884 1886. 3 voll.
(H. H: 171. A. 58J.
Diese zweite beträchtlich vermehrte Auf-
lage wird heute ausschliesslich benützt.
Die erste, von Latassa selbst besorgt, er-
schien getrennt als Biblioteca antigua und
nueva 179« und 1798-1802.
Arcos de la Frontera.
Mancheno y Olivare«, Miguel.
Oaleria de Areobricenses ilustres, preeedida
de una carta misiva de el Dr. Thebussem.
Anos de la Frontera, Imprenta de „El
Arcobricense* 1892. 4».
Asturien (Provinz).
Couder y Camoyrän, Juan Geronirao.
Asturianos ilustres. Manuscript.
(Nach Angabe von t'iriaeo Miguel Vigil,
Asturias monumental I. p. 6*31).
Zapater y Gomez, Fraaobeo.
Apuntes histäriro-biogräticos acerca de la
Escnela aragonesa de pintura.
Madrid, 1859. Imprenta de Fortanet 4°.
42 pag.
Fuertes Acevedo, Mäximo.
Ensayo de una bibliotooa de Eseritores
asturianos 1867. Manuscript.
(Nach Angabe von Ciriaco Miguel Vigil,
a. a. 0).
Fuertes Acevedo, Maxime
Estudio biogräfieo erftieo de los Juriscon-
sultos ilustres de Asturias 1883. Manuscript.
(Nach Angabe von Vigil. a. a, O).
Fuertes Acevedo, Mäximo.
Bosquejo acerca del estado que alcanzö en
toda* epocas la literatura en Asturias, se-
guido de una extensa bibliografia de los
Eseritores asturianos.
Badajoz, Tipograha La Industria 1885.
378 pair. 4°.
Argaiz. Gregorio, Fray.
Teatro ruonästico de Asturias y Cialiciau
Catalogo de los Obispos de Oviedo.
(Nach Angabe von Vigil, a. a. O).
Vigil, Ciriaoo-Miaael.
Asturias monumental, epijrrütica y diplomä-
tica. Datos para la historia de la provin-
cia.
Oviedo, Imprenta del Hospicio Provincial,
1887. 4». 3 vol.
(H. H: 221. B. 4].
Sehr zahlreiche und neue biographische
Daten. Leider ohne Index.
Balearen (Inseln). I
Bover de Rosello, Joquin Maria.
Diccionario histörico treoirratico-estadistico
de las islas Baleares.
Palma, Felipe (iuarp, 1843.
Von diesem gross angelegten Werke
sind nur einige Hefte erschienen, auch
diese sind von grösster Seltenheit. Die
Angabe bei Mufioz y Iiomero. Diccionario
p. 47: „Tres tomos* beruht daher wohl
auf einen» Irrthume. Die Bedeutung des
Werkes für Bibliographie erörtert an einem
Beispiel Marcelino Menendez Pelayo in
seiner Kwension der Preisconcurrenz über
Jove-Llanos im Boletin de la Real Aca-
demia de le Historia Toni. XIX p. 264 f.
Bover. Joaquin Maria.
Biblioteca de eseritores baleares.
Palma, P. J. Oelabert 18(58, 2 Vol. 8°.
[H. B.: 93. C. 61].
Barcelona (Stadt).
Pi y Arimon, Andrea-Avelino.
Barcelona antigua y modema. Descripeiön
e historia de esta ciudad desde su funda-
cuin hasta nuestros Dias.
Barcelona. Imprenta de Tomas Gorcho,
1854. 2 Tom. 4°. 679 u. 1136 pag. Tom.
II. p. 258 286 (Articulo XIII):
Catälogo de Autores naturales de Bar-
celona y de las Obres que han escrito.
[H. B: 158. A. 5].
Burgos (Stadt und Provinz).
Goyri, Nicolas de.
Apuntes para las biografia* de algunos
Burgaleses cölebres.
Burgos, Imprenta de Tim. Arnaiz 1878.
VIJI u. 252 pag.
Martin« Anibarro y Rh/ea, Manuel.
Intento de un Diccionario biogiafico y biblio-
grafico de autores de la provincia de Burgos.
Obre premiada por la Biblioteca NacionaJ
en el coneurso püblico de. 1887 e impresa
ä expensas del Estado.
Madrid, M. Tello, 1890. 4°.
[H. B: 124. B. 40J.
Cartagena.
Vicent y PortiH«, Gregorio.
Biblioteca historica de Carta^ena. Oolee-
ciön de obras. memorias discursos folietos,
extractos, fragmentos, Codices y nianuscri-
tos de sus hijos mas ilustres desde sus
tiempos primitivos hasta nuestros dias.
Madrid, 1889. I. XVI u. 760 p.
|H. B.: 202. E. 51 j.
Castellon.
luan A (Cronista de Castellon).
Castollones ilustres. Apuntes biogrsiheos.
Castellon, Jose Armengot, 1883, 454 p. 8°.
Digitized by Google
Der Stand der biographischen Studien in Spanien.
:V2l
Las? mir nicht vor. Vgl. Holetin de la
Libreria X. 146.
Catalonien.
Torres Amat, Felix.
Memoria« para ayudar ä forraar un diccio-
nario critico de los escritores catalanes y
dar alguna idea de la antigua y nioderna
literatura de Cataluna.
Barcelona, Imprenta de .1. Verdaguer
1886, 8°, XLIV u. 720 pag.
[H.B.: C. C. 21. G. 10).
Corminas, Juan.
Suplemento a las memoria* para ayudar
a formar un diccionario critico de los escri-
tores catalanes .... que en 1836 puhlicö
Don Felix Torres Amat, obispo de As-
torga etc.
Burgos, 1849, 8«. 369 p.
[H. B.: C.C.21. G. 10].
Elias de MoHns, Antonio.
Diccionario biogrälico y bibliografico de
eseritorea y artiatas catalanes del .siglo XIX
Apüntes y dato». T. I.
Barcelona Imprenta de Fidel Giro, 1889.
XIV u. 688 pag. 4°.
[H. B.: 234. C. 36).
Der 2. Band ist im Erscheinen begriffen.
Denk, V. M. Otto.
Kinführung in die Geschichte der altca-
talaniscben Litteratur von deren Anfangen
bis zum 18. Jahrhundert. Mit vielen Proben,
bibliographisch-litterarisch-kritiachen Noten
und einem Glossar.
München, M. Poeasl, 1893, XXXVIII u
510 S. 8°.
(H. B.: 129. J. 114).
Enthält am Schluas ein Personen- und
Sachregister und p. IX — XIX ein recht
brauchbare« Verzeichnis der benutzten
Hilfsmittel.
Wichtige Daten speciell über die Ver-
treter der catalanischen Litteratur bietet:
Tubino, Francisco Maria.
Historia del renacimiento literario contem-
poraneo en Cataluna. Baleares y Valencia.
Madrid, M. Tello, 1880. gr. 8° 796 piig.
Mit 25 Porträte undl linguistischen Karte.
[H. B.: S. A. 91. B. 20).
Cordoba.
Ramirez de Arellano y fiutierrez, Teodomlro.
Escritores Cordobeses.
Nach Femandez Valiin, Discursos, p. 168.
Cuenca.
Caballero, Fermin.
Escritores conquenses.
Nach Fernandez Vallin, a. a. 0.
Extremadura (Provinz).
Barrantes, Vicente.
Aparato bibliografico para la historia de
Extremadura.
Madrid, Pedro Nufiez. 1875 -1877. 8°.
3 vol.; I: XVI u. 494. II: 512, III:
600 pag.
(98. D. 70).
Ks ist eine stark vennehrte und er-
weiterte Neuausgabe des Werkes desselben
Verfassers:
Catälogo razonado y critico de los libras,
memorias y papele.s, impresos y nianuscritos
que tratan de las provincias de Extrema-
dura. asi tocante ä su historia, rellgion y
geografia como a sus antiguedades. nobleza
y hombres cölebrea. öbra premiada por
la Biblioteca Nacional en el concurso
püblico de 1862 e impresa de real örden.
Madrid, Imprenta de Rivadeneyra. 1863.
4°. 8 u. 320 pag.
[161. C. 20).
In der Anlage dem Diccionario von
Mufioz y Rivero sehr ähnlich, auch insofern,
als auf Biographien nicht speciell Rück-
sicht genommen wird. Zum Schluss ( p. 315
ff.) wird übrigens eine Tabla de los varones
ilustres y familias extremenas, a quien se
refieren libros ö memorias en este catalogo
registradas gegeben.
Diaz y Perez, Nicolas.
Diccionario historico, biogrälico, critico y
bibliografico de autores, artistas y extre-
nienos ilustres, precedido de un prölogo de
1). Francisco Caöameque . . . y con noticias
del autor, por el Excmo S. D. Fernando
de Gabriel y Ruiz de Apodaca.
Madrid, Imprenta de Abienzo, 1884.
Galicien (Provinz).
Diaz de Robles, Domin|o.
("oleccion biogräfica de los tipos notables
de Galicia dexde los tiempos mäa remotos
hasta nuestros dias.
Madrid, Imprenta de la Viuda de Matute,
1853.
Bios zwei Lieferungen (.bis S. 47) er-
Murguia, Manual.
Diccionario de escritores gallegos.
Vigo, J. Companel, 1862.
Reicht nur bis zum Artikel Cornide
(p. 176).
Vesteiro Torres, Teodosio.
Galeria de gallegos ilustres.
Madrid, Imprenta ä carsro de Heliodoro
Perez, 1874- 1875. 8°.
5 tomas: 16S u. 192 u. 100 u. 176 u.
160 pag.
Digitized by Google
biographische Matter.
Villa -Amil y Castro, Jose.
Rnsayo de an cat;ilo-_ro sistemätieo y critieo
de aL'unos lihros tolletos y papeles asi
inipresos tmiKi manuscritos quo, traten en
particular de <ialieia.
Madrid. Jmprcnta de Fortanet, 1875.
XXIV u. :512 pa«r.
|ll. lt.: •-'•»7. 1). 42].
V-l. auch:
Besada. Auguslo 6.
Historia oitica de la literatura iialle<ra
Kdad antiirua. Tom. I.
La Curuüa ISST. H°. 272 pa«r.
(Soviel erschienen!. Ks ist ti*T Biblioteca
(Jalle-a V..I. S.
[II. II.: 2: $2. 15. 25J.
Gerona (Provinz und Stadt).
Girbai, Enrique Claudio.
Kscritore< L'cnmdenses o sea apuntes bio-
«jriitico- de los prineipalcs que han flore-
cido desde los pri moros siirlos hasta nuestros
dia>, noticia> de las ohras y de los difercntes
cstahiecimienlos de ensenaii/.a que lia tenido
i'sta ciudad.
(Jcrona. limiiani' 1S7G. 4'\
(Citiert nach Molins. Diceionario de escri-
tttre> y arti-tas Catalanes pret'. p. X. Kehlt
bei Muri Hot.
Girbai, Enrique Claudio.
Memorias literaria» do<ierona 6 sea suple-
mento ,i la obra del mismo autor: Kscritores
(ierundeiiscs.
N'ltI. die vorhergehende Annierkunjr.
Granada.
Riano, (Juan Facundo?)
J tibi lo^ralia urrana< 1 i tia.
Nach Fernande/. Vallin. Diseursos, p. H>S.
Guipüzcoa (Provinz) s. Vizcaya.
Jaen (Stadt).
Jimenez Paton. Bartolome (y Ordonez de Ze-
vallos, Pedro).
Ilistoria ile la aiiti'.nia y continuada nuble/a
de la ciudad de .laen. V de alLfimos Varones
famosos. hijos della.
Jaen, HWs. 4".
[II. lt.: It. K. (5. M. 42].
Leön (Provinz)..
Mingote y Tarazona. Policarpo.
Varones ilu-trcs de la provincia do Leun.
Kti-.i Vi» bi«i'_T:itic().
Leon l^sn. ;{7o
Madrid.
Alvarez y Baena, Joseph Antonio.
Ifi.jo- de .Madrid ilu-tre- en simtidad diir-
nidades. annas. ciencias y al tes. Diceionario
histörico.
Madrid. 17S0 91. 4°. 4 Vol.
|H. lt.: ":1S. T. 24].
Perez Pastor, Cristöbal.
Hiblio-j-rafia Madrilena d de«cripoiön de
las obras impresas en Madrid <si«;lo XVI i.
Obra premiado por la biblioteca naoional
en el eoneiirsn ptihliro de 1SSS c iiupre^.i
ä expensas del estado.
Madrid, 1891. K».
|H. lt.: 2:51. V. 2%
Hartzenbusch, Juan Eugenio.
Apuntes para im catalojro de periodico*
madrilenos. desde el uno U\(\l 1*70. ( Ibra
premiada por la llihlioteca Nat ional eil el
conciuso pühlico de 1*7:1 e impresa a ex-
pensas del Kstado.
Madrid. Sucesores de Uivadvnevra. 1*94.
4". XII u. 424 pp.
[II. R: -224. K. III].
Mallorca (Insel).
Bover de Rosellö Joaquin Maria.
Memoria bio«rrälica de los mallonjuines que
*e han distinvMiido en la antiirua y moderna
literatura.
Palma 1*42. Imprenta nacional. V\
'•Ol pair.
Bover de Rossellö Joaquin Maria y Medel, R.
Varones ilustres de Mallorca.
Palma 1*47. Pedro Jose (Wabert 7*4
pa<_r. 4°. Zahlreich*» Abbildungen. - Auto-
<_riaplieii. Kae.Miuilia und. Vignetten.
Bover de Rosellö, Joaquin Maria,
Xoticias hist.'uico-top«'iH-aricais de la isla
i de Mallorca, estadistica iruneral de clla y
periodos memorable.s de su historia.
Palma, .luan (ifiasp. lS.Ui.
|M. It.: SA. :»s. F.-6|.
Montana
(Santander, Stadt und Provinz).
Pedraja,
Ks»-ritore»i Montaneres.
Nach l'fMiiändez Vallin. Discursas p. \*\*.
Leguina. Enrique de.
Hijos ilustre*. dt» la Provincia de Santender.
Nach Menendez p. 7: vd. unten.
Menendez y Pelayo, Marcelino.
Kstudios ei iticns^oJireescritoresMontanese».
Santander. T. Mailinez. 1^70. S". Vol. 1
( un. ».
(II. It.: <;. 7:t].
Handelt ci<>entliidt übpr Travl» y Uo»io.
•riebt alter in der Kinleituntr eine irutc
all'jemeilH' Übersicht.
Digitized by Google
Der Stand der biographischen Studien in Spanien.
323
Navarra.
6>l y Bardaji, Panlino.
Memoria acerca de los hombres celebres
de Navarra. desde la antiyuedad haata nue-
stros dias. Premiada en el certanien lite-
rario celebrado en la ciudad de Pamplona.
el 13 de .lulio do 1882. Hajo los auspicios
del F.xcmo. Ayuntamiento.
Pamplona, Imprenta Provincial 1882. 4°.
103 pa«*.
Vargas, IN. F. M. de
La g-uerra de Navarra y Frovincia-s Vaseon-
gada*.
Madrid. B. Gonzalez, 1848. 2 ton». 4°.
344 u. 289 pa«r.
Der zweite Band enthält ausschliesslich
Biographien.
.S. a. Vizcaya.
Oviedo (Stadt).
Gonzalez Dävila, GH.
Teatro eelesiastico de la Santa I^lesia de
Oviedo. Vidas de sus Obispos y eosas
memorables de su Obispado.
Madrid. 1635. 4°.
[H. B: 31. H. 84).
Tamayo de Vargas, Tomas.
('atiUogo historiado de Ioh Obispos de la
Santa Igrlesia de Oviedo. 164«.
NaehVi<ril,Asturias Monumental. I p. (5-34.
Yepes. Antonio de, Fray.
Fatälog-o de los Abades de San Vicente de
Oviedo S. XVI.
Nach Viffil a. a. O.
Santander s. Montana.
Segovia.
Baeza y Gonzalez, Tomas.
Apuntes hiotrrafieosde escritoresSeirovianos,
puhlicados por la soeiedad Rconömica . . de
Amines del l'ais.
Seirovia 1877. 8°. .167 p. Imprenta de
la Viuda de Alba y Santiuste.
[H. B: 1 10. R 18|.
Sevüla.
Caro, Rodrigo.
Antiiruedades y prineipado de Sevilla y
choroirraphia de su convento juridicio <>
anti-.'Uii rhancilleria.
Sevilla. Andres (imnde. 1634. Fol.
|H. B.: 60. F. 25 1.
Die-es Werk scheint Vallin iDiscursos
1». 16* > zu meinen, wenn er von <\m>>
. F>critore> Se vi Hanns ' spriflit. Doch ist
der Katalny der hijo> ilusties < Fol. 7Ui\\ :
en santidad. en letras en armas y diirnidad
-<•■/!. irl sehr «li'n t'ti-j-. Na.-htivi'je im Mriiio-
Ktographifche Blauer. I.
rial histörieo de la Keal Academia de la
Historia Tom. I.. 347 ff.
Arana de Varflora, Fermin.
Hijos de Sevilla ilustres en santidad, letras.
armas o diyuidad, Colorados por orden
alfabetico.
Sevilla. Vasquez e Hidalero. 1791. 4°.
|JI. B.: S. A. 15. (;. 27).
Rrsehien in 4 Heften, jedes mit beson-
derer I'a<rinierun«\
Hijos ilustret de Sevilla, o coleceion de bio-
jrrafias de los naturales de esta ciudad
que hau sobresalido en santidad, ciencias.
armas y artes.
Sevilla 1850. Moyano- Monier. Madrid
8°. Con himinas.
|H. B.: S. A. 2. J. 98].
l'a«r. 1 — 248. Nicht mehr erschienen.
Lasso de la Yoga y Argüelles, Angel.
Historia y juicio eritico de la escuela poe-
tica sevillana en los siirlos XVI y XVII.
Memoria . . premiada por voto unanime de
la Ueal Academia Sevillana de buenas Le-
tras, impresa con auxilio del Ministerio de
Fomento y precedida de una carta de D.
.lose Amador de los Bios.
Madrid, Imprenta de la viuda c hijos de
lialiano. 1871. H». XX u. 352 p.
[11. B.: 99. <'. 62 j.
Von p. 173 bis Schluss: I'oetas Sevillanos
de los sipflos XVI y XVII. Sorgsame bio-
graphische Arbeit.
Metato y Garavia.
Adiciones y correcciones ä los hijos de
Sevilla ilustres en santidad. letras. arnias
y dijrnidad de I). Fermin Arana de Var-
flora. Las da a luz por primera ve/. el
Kxcmo Senor D.Juan Peres de Cuzman
y Bozu.
" Madrid 1886. 129 p.
Hazanas y La Rua.
La imprenta en Sevilla. Knsayo de una
historia de la tipoirraf'ia sevillana. y noti-
cias de aljrunos de sus impresores, desde
la introducciön del arte tipoirnihVo en e>ta
ciudad hasta el ano de 18(K).
Sevilla, imprenta de la Kevista de los
Tribunale* 1S92. I". 8 u. 142 u. 2 p.
Escudero y Perosso, Francisco.
Tipotriat'ia hi*palensc. Anales biblinLrräti<-n>
de la ciudad de Sevilla, de-de el estableci-
miento de la ini|>renta ha>ta tines del
sitrln XVIII. Obra premiada en com-urvi
piiblico por la Biblinteca Nacinnal en 186-1
e impre«a ä e\pen>a> <lel K*tadi». H <m [;i
bioLTafia del autor. por I). A. Maria Fabiei.
Madrid. Kivadcnrvia. 1*i»l. 4". XIX u.
»557 p.
III. B. : 224. K 1 H>!.
21
Digitized by Google
324
Biographische BlHtter.
Toledo.
Perez Pastor, Cristöbal.
La imprenta en Toledo. Deseripeiön biblio-
grafiea de las obras impresas en la imperial
eiudad desdo 14X3 hasta nuestros dias.
Ohra premiada por la Biblioteca Hacional
en i*l coneurso pühlico de 1880 e inipresa
ä expensas del Estado.
Madrid, 18*7, M. Tello, 8°. 392 päg.
|H. B.: 213. E. 2J.
Valencia.
Fuster. Justo Pastor.
Biblioteca Valenciana de los escritores que
tlorecieron hasta nuestros dias. Con adiciones
y enmiendas ä la de D. Vicente Ximeno.
* Valencia. .los. Ximeno, 1827-1*30, 2 Vol.
4°. XVI u. XXII u. 350 und VIII u. 548 p.
[H. B: 71. q. 84j.
Nach Hidalgo I. 282 selten geworden.
Ximeno, Vicente.
Kseritores tlel Reyno de Valencia.
Valencia 1747- 1749. 2 vol. fol.
(H. B.: 00. C, 31].
Rodriguez Jose.
Bihlioteca Valentina, L'on una rontinuaeiön
de la misma obra heeha por Fr. Ignacio
Savalls.
Valencia. 1747. fol.
[H. U: 79. B. 50|.
El teatro de Valencia desde su origen hasta
nuestros dias.
Valencia. .1. Ferrer de Orga. 1840. 8°.
|H. Ii: * (59. <>. 512|.
Valladolid.
Ortega Rubio, Juan.
Valisoletanos ilustres (Boeetosl.
Valladolid. Imprenta de Luis X. de Ga-
viria, 1S93. 4". 128 p. Mit Porträt*.
IH. B: 231. K. 17|.
Marcida.
Hibliogratia Vallisoletana: nach Fcrnändez
Vallin. Discursos. p. 108.
Vieh.
Biblioteca histörica de la diöcesis de Vieh.
Kpiscopologio de Vieh, escrito ii mediados
del siglo XVII por el Dean I>. Juan Luis
Moncada; puldieudo por vez primera con
un prölogu. notas y adiciones de 1). Jahne
l'ollell. Canönigo. Tomo 1 (del siglo VI al
Xlh.
Vieh. Ii. Aiv.da.la 1S9]. 4°.
Vitoria (Stadt).
Landazuri y Romarate, Joaquln Joseph.
Historia civil, eclesiastica. politica y lesrts-
lativa de la m. n. y m. 1. eiudad de Vito-
ria, sus privilegios. eseneiones, franquezas
y libertades, deducida de memoria.«« y docu-
mentos autenticos.
Madrid. Pedro Marin. 1780, #\ 402 p.
|IL M.: B. K. 7. Z. 01].
Werth volle biographische Daten. P.42* f.
Lista de los Alcaldes de Victoria (von
1479 an).
Vizcaya.
Rodrlguez-Ferrer, Miguel.
Los Vasron gados: su pais. su lengua y el
principe L. L. Bonaparte, con notas. ilns-
traciones y comprobantes sohre sus anti-
guedades, sus principales nomhres histo-
ricos. su literatura euscara. su bibliografia
vasea. sus artistas y obras de arte, su
müsiea. su.s danzas, sus supersticiones, su
organisaeion social antigua y modema etc.
Con una introdueeiön por el Excmo Sr.
D. Antonio Cänovas del Castillo.
Madrid, Imprenta de .1. Xoguera 187 !,
L1X. y 34S p. H».
[H.H.: 95. D.02].
Soraluce y Zubizarre ta, Nicolas de.
Müs biografias y catälogo de obras vast o-
navarras.
Vitoria. 1*71, 8«. 43 pag.
Allende Salazar, Angel.
Bildioteca del Bascofilo. Ensayo de un
catälogo general sistemätico y eritien de
las ohras referentes ä las proyim-ias de. Viz-
caya. (iuipu/.coa Alava y Navarra. Ubra
premiada por la biblioteca Nacional en el
coneurso pühlico de 1877 ö impresa ä
pensas del Estado.
Madrid, Imprenta .de M. Tello. 1**7,
4** nag. 4°.
III. B.: V. ('. 21. (i. 5].
Hauptwerk, vortrefflich ausgearbeitet und
angeordnet, leider erst nach dem Tode de>
Verfassers nicht genügend sorgfältig pueli-
ciert.
Zamora.
Fernändez Duro, Cesareo.
Coleceion bildiognitieo-biogräfiea de noti-
cias referentes ä la provincia de Zamora
ö materiales para su historia, reunidos.
Obra premiada por la Biblioteca Nacional
en el connirso pühlico de 187(5 e impresa
ä expensas del Kstado.
Madrid. Manuel Tello 1S91. 4'.
|H. B.: 233. <\ 22 1.
Digitized by Google
Familiengesehichtliches. 325
Familiengeschichtliches.
Von
OTTO FREIHERRN VON VOELDERNDORFF. *i
Das Leben des Einzelnen baut sieh auf (Iber dem, was seine Vorfahren erlebt
haben. Man kann sagen: «Weh1 Dir, dass Du ein Enkel bist!" Denn die Sünden
der Väter werden heimgesucht an den Kindern bis in s dritte und vierte Glied.
Man darf aber mit gleichem Hechte behaupten: -Wohl Dir. dass Du ein Enkel
bist!- Denn wir Nachkommen nach des grossen Darwins Lehre ist dies
unumstösslich — wir Nachkommen zehren von allem (Juten und allem Schönen,
was unsere Ahnen in sich ausgebildet und in der Form der Kaceiiveredlung auf
uns vererbt haben. Das heisst also; in keinem Menschen lebt nur seine eigene
Individualität ; das Individuum ist stets zugleich das Resultat einer Familie. Ebeu-
so lebt darum auch niemand nur für sich selbst; indem er lernt, arbeitet, strebt
und sich müht, thut er all das nicht für seine Person allein, sondern er wirkt
mittelbar auf das Leben seiner künftigen Geschlcchtsnachkommen ein, er schafft
geistiges Kapital für seine Familie. So leben in jedem Kinzelnen gleichsam seine
summt Hellen Vorfahren mit. Deshalb wird die Biographie des Einzelnen dessen
Entwicklung, abgetrennt von der Entwicklung seiner Familie, niemals richtig
behandeln können. Jeder Mensch wird nur verständlich aus dem Erbteile, das
er aus seiner Abstammung mitüberkommen hat. Und wie sein äussere]1 Lebensweg
meist von vorneherein bestimmt wird durch die Verhältnisse seiner Eltern, so auch
seine innere Ausgestaltung den Nährboden, den ihm die geschaffen haben, die vor
ihm gelebt.
Fnter diesem Gesichtspunkte rechtfertigt sich vielleicht der Versuch in den
, biographischen Blättern" etwas „ Familiengeschichtliches" der Öffentlichkeit zu
übergeben.
Ich und ein gleichfalls kinderloser Vetter sind die letzten Abkömmlinge des
(iescInVehtes der Voelderndorffer, welches seit nunmehr neunhundert Jahren über
sich urkundliche Notizen gesammelt hat.**) In meinem Besitz findet sich ein von
meinem Urgrossvatcr, dem Freiherrn Johann Martin von Voelderndorff im Jahre
17.'il verfasstes Manuscript, welches den Titel trägt:
„Begründete Nachrichten von der Frey herrlich von Voolderndorffischen
Familie, aus bewährten Auetoribus, Urkunden p. p. bewiesen und zusammen-
getragen.-
Diese Familiengeschichte beginnt mit den Worten:
-Dass von diesem Geschlecht bereits etwelche sub Alberto I Bambergensi
Anno ',»80 — 1)00. unter Henrico et Leopoldo I Anno 1040. unter Ernesto 1
et Leopoldo II biss 1075, und endlich sub Leopoldo III, sämmtlich regierenden
Herzogen von Oesterreich gelebet, und getreue Bitter- und Kriegsdienste
geleistet haben, solches bezeuget klährlich das von Leopolde» 1 lmperatore A.
1084 renovirte Baronats-Diploma, wie nicht weniger das in rotem Sammet
*) Zum 70. (teburtstage des verehrten Verfassers hat Louise v. Kobell in der
Heilatre zur „Allg. Ztg." vom 12. Juni d. J. knapp seinen Lebenslauf geschildert. Die
-Bio<_T. Kl." bringen im nächsten Helte einen weiteren Beitrag des Trefflichen : beule < laben
hoffentlich als Vorlioten einer 'geschlossenen Autobiographie Voelderndorffs. A. <1. II.
x*( Vgl. auch La/ius: Chronica Vientien-is Lib. IV Cap. IL l'ol. 11 u. Cap. III toi. IS.
Wiirmhrand: Collcctanea (ieneuN^ico-historica. (17i»"x p. i'S. (iauhens Adclslexikun
1 1719 1 p. 40ö. Fritchens Basaler Lexikon (47:><>> Bd. IV. p. :{<>.
Digitized by Google
326
Biographische Blätter.
mit Silber beschlagene Much, worinnen die würkliche Landes-Glieder in
Österreich unter der Ens* vom Herren und Ritterstand beschreibend sub
Lib. V in Parte I f. 13ü die Voelderndoerffer unter den ältesten vierund-
zwanzig adelichen (Geschlechtern aufgeführt sind.u
Mit ängstlicher Sorgfalt verzeichnet sodann der Verfasser, beginnend mit
Ulrich Velterndorffer, („lebte um 1200. und ist dessen Grabschrift in der Kirche
zu Tulln an der Donau zu lesen") alle Mitglieder des Geschlechts der Voeldern-
dorffer aus dem XllL, XIV. und XV. Jahrhundert, deren Grabsteine damals noch
exLstirten. (er reiste überall herum und zeichnete sie ab) oder welche in Urkunden
als Zeugen oder Beteiligte mitwirkten. Ich übergehe diese Reihe von Namen
(-Name ist Sehall und Rauch u) und springe sofort auf den im .lahre 1504 geborenen
Gotthard von Voelderndorff über, welcher der Familie die Signatur gegeben.
Schon Kusserlich: in meinem Zimmer hangt ein (offenbar von einem Cranach-
Schüler gemaltes) Bildnis*, das ihn in seinem fünfundsiebzigsten Lebensjahre darstellt,
und meine Freunde pflegen zu sagen: ..Du brauchst Dieh nicht portratiren zu lassen,
schreibe nur deinen Namen auf die Holztafel, denn Du bist zum Sprechen ähnlich."
Aber auch im Geistigen hat er die Bahn gewiesen, auf welcher fortan die Familie
gewandelt Ist. Das konfirmirte Freiherren-Diplom sagt von ihm Folgendes:
„Dem uralten Geschlechte Derer von Voelderndorff noch mehreren Ruhm
beizufügen hat Gotthard von Voelderndorff nicht ermangelt, indem er als
Stadt-Haiihtmaun zu Stuhlwcissenburg in Ungarn Seinem Heldenmut zum
öfteren wider den Erbfeind ganz unerschrocken und erspriesslieh hat vor-
führen lassen, derohalben ihm von Unseren G lorwürdigsten Vorfahren im
Römischen Reich schon vor einem Siiculo der Reichs-frey-Herrn Stand t
gnädigst verliehen worden, um welches Diplome aber das Voelderndorff" sehe
Geschlecht bey letzteren Schwedischen Einfall in Unter-Österreich und Ein-
nehmung unserer Stadt Crembs sammt vielen ihrer besten Sachen und alten
Docuinenten endtkommen ist."
Gotthard erwarb einen sehr grossen Güterbesitz, (die Familie soll unter ihm
fünfzehn Güter besessen haben), aber von grösserem Werte für uns Nachkommen
ist. dass er mit dem brennendsten Eifer der Reformation sich anschloss. und das»
dieser, sein evangelisch-freier (»eist über dreihundert .lahre hindurch in der Familie
fortwaltete. Bekanntlich wurde zu jener Zeit fast der gesammte österreichische
Adel protestantisch, aber es gelang der Gegenreformation, die mit allen Mitteln
der Herrschergewalt arbeitete, allmahlig durch Belohnungen und durch Zwang
nahezu alle Familien wieder „in den Schoss der alleinseligmachenden Kirche zu-
rückzubringen.- Die Voelderndorffer nicht. Höber als unser Adelsdiplom ist in
der Familie von jeher das Dorument geschützt worden, welches in Gottfried von
Meyera's: Actis publicis Pacis Westphalieae. T. IV. p. 177 enthalten ist. Im Mär/
1047 wurde dem Friedens-Cougress zu Münster eine Liste derjenigen vom ..löblichen
Hitter-Sfand" übergeben, welche ..noch dato- in Osterreich unter der Enns dein
evangelischen (Hauben anhängen. Darin sind sub Lit V fünf Voelderndorffer
( Voellendorffer) aufgeführt. Damals wurde ihnen wenigstens die ungefährdete
Ausübung ihrer Religion im hiiuslichen Kreise zugesichert. „Aber" — so spricht
unsere Familienclii'nnik :
..als die unerhörten Verfolgungen der l'rotestantischeti Religion unter dein
in allen Geschichtsbüchern deswegen sattsam hekanndteu Ferdiuandis Iinpe-
ratitrilnis bis auf d;is höchste getrieben, den Vasallen alle, auch >ogar sa< ra
jirivata wie nicht minder die Evangelische Erziehung ihrer eigenen Kinder
mit Gewalttätigkeiten verholten w in den. Sn fausten sie den schnieiv.li« -he:;
l-'.i it i 1 1 1 1 Ii- h.'f ihn k ■ i- 1 1 m : t-i i i .''HM utn .-in Geriuge> Io<ziim hlageti. d< n
Digitized by Google
Familiengescbichtliches.
327
Emigrantenstab zu ergreifen, und ihr durch so viele Saecula bewohntes
Vaterland mit dem Rücken anzusehen, als Ihre und der Ihrigen Seligkeit
in Gefahr zu setzen. So wanderte denn Hans Adam Eusebius Freiherr von
Voelderndorff auf Schirmannsreuth . Frabernreuth, Donaudorf und Krumm-
nussbaum ob der Erlaff (das waren damals seine iisterreichen Güter) mit seinen
Kindern aus, und wurde nach Erwerbung der immediatcn Rittergüter Dürn-
hof und Neuses am 6. (16.) November 1660 auf dem in Weissenburg im
Nordgau gehaltenen Rittertag von Einer löblichen Keyserlich unmittelbahren
freyen Ritterschaft Orts an der Altmühl zum Ritterglied aufgenommen."
Die Familienchronik bemerkt von den Voelderndorff. dass sie
„mehreuteils ohne höfische Gunst und Senken zu suchen als wahre Frey-
herrn schlecht und recht auf ihren Güttem gelebet, und andere als Kriegs-
dienste nicht wohl geleistet, inmassen ein Abtrehen von dieser Regel den
Voelderndorffern übel zu bekommen pflegte, wovon eben der voraufgeführte
Hans Adam ein Exempel gewesen."
Dei"selbe gab nämlich nach seiner Übersiedelung in den Fränkischen Kreis.
seinen ältesten Sohn, der gleichfalls den Namen .Johann Adam führte, und 1647
geboren war, wie die Chronik erzählt
rzur Erlernung der teutschen Hof- Lebensart als Pagen dem frommen Herzog
Eberhard von Württemberg, an dessen Hufe er sich dermassen wohl quali-
ficirte, dass er, da er noch dazu von sehr schöner I.*>ibesbeschaffenheit
war, von gedachtem Herzoge bey Vermählung dessen Prinzessin Tochter an
den Fürst von Ost -Friesland wehrhaft gemacht*) und auf ein halbes .lahr
als Cavalier, um die Prinzessin daselbst einzugewöhnen, mit nach Ost-
Friesland geschickt wurde, nach welcher Zeit er nach Stuttgart, retournirte
und seine Dienste treulich verrichtete. Als aber einsmals in dein Schloss einige
junge Cavaliere während der Sonntags-Predigt in dem nahe an der Schloss-
Capelle gelegenen Saal- oder Ball-Hauss eine partie Ballon schlugen, und
sich der fromme Herzog nach den Namen dieser Profanateurs erkundigte,
so vermeldete ein Feind und Verleumder: der Baron Voelderndorff sei es
gewesen, ohngeachtet er sich anderwärts befunden hatte. Demnach erhielte
Er unverschuldeter Weise seinen Abschied, und gelobte zugleich bey sich
selbst in seinem Leben keinem Hof mehr Dienste zu leisten." —
Man hat sich oft gewundert, dass weder ich noch einer meiner Brüder oder
Vettern um den Kammerherrenschlüssel eingekommen sind. Wir haben eben immer
an den jungen Hans Adam gedacht. —
Am 17. November 1676 vermählte sich .lohann Adam der jüngere mit
der siebzehnjährigen Erbtochter des alten Geschlechtes der Grafen von Rottal,
Sabina Isabella, und das Blühen der Familie Voelderndorff schien damit auf lange
Zeit gesichert. Aber ein böser Dämon in weiblicher Gestalt vernichtete diese Aus-
sichten alsbald. Bei der Auswanderung des Hans Adam Eusebius war eine Tochter
desselben in Österreich zurückgeblieben. Die Familien-Chronik sagt von ihr:
*) Dieses «Wehrhaftmachen " bezieht sich auf die vormals übliche ( 'ereinonie beim
Austritt aus der Pagerie. Noch zu meiner Zeit (lS4:i> erfolgte die „Ausmusterung" der
Hayrischen Edelknaben in folgender Weise: Der Oberstallmeister, unter welchem die I'agerie
stand, hielt an uns eine kurze Anrede, in der er zu ritterlichem Thun und Treiben und
zu einem ehrenhaften Leben ermahnte. Dann trat er zu .ledern der in dem Kreise Stehenden
und gab ihm einen leichten liackenstreich, indem er sprach: „Das leiden Sie von mir und
nun* hier überreichte er dem Angesprochenen mit der andern Hand «»inen Degen -
„von Niemandem mehr". Damit war der bisherige „ Kdel knabe " als wehrhafter Cavalier
erklärt, und erst von da an erhielt er sein Standes-I'riidikat als Anrede; bis dahin wurde er
nur beim Namen gerufen, niemals aber (Jraf oder Union genannt.
Digitized by Google
328
Biographische Blätter.
„Maria Anna Regina von Voelderndorff verehrte das Pabsttum mehr,
denn ihrer Seele "Wohlfahrt. Da sie dabei von ausnehmender Schönheit
und mit grossem Verstände begabt war, erwarb sie sich die Gnade des
Kay. serlichen Hofes ob ihrer Anhänglichkeit an die katholische Religion in
hohem Maasse. Sie wurde Hofdame und Sternkreuz-Dame und erzielte
grossen Einfluss. Nicht weniger als vier Männer nacheinander führten sie
zum Traualtare: .lohanu Caspar von Lindeck und Mollenberg. Hans Gottfried
Freiherr von Clam, Johann Anton Kollowrat Graf von Krakowsky, nnd zu-
letzt Anton Friedlich Graf von Aueralierg.*)
Als ihr Bruder, erst zwei und fünfzig Jahre alt, am 1«. Februar 1091* gestorben
war. scheint sie ihre jesuitische Intriguen zum Zwecke der Konvertirung ihres
Neffen begonnen zu haben. Vermuthlich durch ihren Einfluss winde als Erzieher
des Knaben ein gewisser Mügelein gewählt, von welchem die Familiengeschichte sagt :
..Dieser Mann ist ein Erzbösewicht gewesen, der auf den jungen Baron
von dem schlimmsten Einflüsse war, densclbigen zu Prozessen gegen seine
Frau Mutter pto. Wittumbs. gegen die Stadt Diukclsbühl ratione übel an-
gelegter, Kapitalien und verzögerter Zinsszahlung beredete, und dadurch die
die Familie in Zwistigkeiten und grossen Schaden brachte. Die Witwe
Voelderndorff schickte nunmehr ihren Sohn auf die neugegründete Universität
zu Halle in Brandenburg, aber der böse Hoffmeister reiste ihm dahin nach
und verwickelte ihn dortselbst in ein solches Leben und Häudel. dass der
junge Freiherr sich flüchten rnusste. Er ging nach Polen, wo er als gemeiner
Reiter in Dienste trat. Als solcher marschirte er mit der Annee nach
Schweden, allwo ihn (»brist Dalwig lieb gewann, und ihm eine Fähndrich-
stelle im dänischen Heere verschaffte. Sodann kam er als Lieutenant unter
des Generalmajors v. Hii-schligaus Infanterie-Regiment, von da in das Fränkische
Creiss-Regiment von Erffa und verrichtete als Capitain die Campagne am
Rhein. Anno 1712 ward er dänischer Oberst - Lieutenant unter Graf
Calenberg. Als solcher besuchte er wieder seine Frau Mutter und söhnt«'
sich mit deraelben aus. Aber die Eintracht währte nicht lange. Denu an-
statt eine vermögliche und den lustre der Familie verstärkende Mariage
aus einem adelichen Hause zu suchen, verliebte sich der junge Officier in die
am 10. Oktober 1094 geborene schöne Tochter des Brandenburgischen liates
und Fliegers. Herrn Faber von Allerheim. Rosina Magdalena, die er auch
allen Widerspruches ohngeachtet am 13. März 1713, da sie also erst 181/;»
Jahre zählte, zu Noerdlingen heiratete. Wenige Jahn* nur dauerte das
begonnene Eheglück. Als ihm im Jahre 1715 ein Sohn (eben der Verfasser
der Familiengeschichte, mein Urgrossvater) geboren war, litt es den unsteten
und an kriegerische Abentheuer Gewohnten nicht mehr in der Heimat.
Er trat als Brigadier in die Dienste der Durchlauchtigen Republique Venedig,
als welcher er nach Corfu geschickt ward, und mit grosser Bravour gegen
die Türken kämpfte. -
Nach beendigtem Feldzug ging er nach Wien, von wo aus er „zum beträcht-
lichen Schaden von Frau und Kind widerrechtlich" so sagt die Familienauf-
zeichnung seine Fränkischen Güter verkaufte und die Separation von der
lutherischen Beamtentochter betrieb, die er auch 1722 durchsetzte. Nun trat er
zum Katholicismus über — man verspürt, da deutlich den Einfluss der schönen
Hofdame, seiner Tante — und ging in die Dienste des Fürstbischofs vou Würz-
burg, der ihn zum Major ernannte und bald zum ( >berstlieutenant beförderte.
*) Derselbe war General und (ommaniiant »1er Festung .Sigeth in Ungarn, woselbst
beide Ehrgatten an der l'est starben.
Digitized by Google
Fainiliengeschichtlichefi.
329
Aber seine unbändige Wildheit brachte ihm neues Verderben. Hei einem scharfen
Ritte wich ihm ein daherfahrender Fuldalscher Bauer nicht schnell genug aus.
wesshalb er nach dem störrischen Landmann einen Hieb mit der Reitpeitsche
führte. Hierbei entfiel ihm diese, der Bauer hob sie auf, und da er sie auf An-
fordern nicht sofort zurück gab, sprang der Erzürnte vom Pferde; der Bauer
ergriff die Flucht , der Offizier rannte ihm mit gezogenem Degen nach, und als
der Flüchtende, an seiner Scheune angelangt, das Thor zuschlagen wollte, führte
der Verfolger in blinder Wuth einen Degenstoss nach den zufallenden Thürflügeln,
der unglücklicherweise durch die noch offene „Spalt" eindrang und den Bauer
mitten durch das Herz traf. Freiherr von Voelderndorff wurde verhaftet, entrann
aber aus der Feste Marienburg und ging nach Bayern, wo er in der Hartschier-
garde Aufnahme fand. In München endete er dann «sein krebsgängiges Leben"
— wie die Familienchronik sagt „am 3. November 1734, erst dreiundfünfzig
•lahre alt- an einem Schlagfluss und ward bei Unserer Lieben Frauen begraben.4*
Dessen Sohn Johann Martin versucht« durch eine grosse Heirath — er vermahlte
sich am 24. November 1757 mit Fräulein Maria Christine Sophie von Zettwitz
aus dem Hause Sorg, den Glanz der Familie wieder herzustellen, was ihm auch
theil weise gelang. Seinen Lebenslauf, mit welchem unsere Chronik endet, schildert
der Verfasser folgendermaassen:
-Der Studien halber befand ich mich zu Nürnberg sieben .Jahre lang bis
1732 und zu Bayreuth bis 1735. Zu Jena absolvirte. binnen drei Jahren
das Studium juridicum und ging sodann drei Jahre auf Reisen. Anno 1742
wurde Unterlieutenant unter dem Kayserlich Bayrischen Graf Seckendorffischen
Infanterie-Regiment, diente ip sechs Campagnen in Bayern, am Rhein und
drei Jahre in Holland, wurde aber 1749 nach geendigtem Krieg und Aachener
Frieden „als ein Protestant und Ausländer" — so steht im Abschiedsdekret
— als Haubtmann entlassen. Zu Anfang des 1752 .lahres wurde von
Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht dem regierenden Herrn Marggrafen
Friedrich zu Bayreuth mediante Decreto als Haubtmann und Kriegscommis-
sarius über die sechs Aembter in Dienst genommen. 17ßß wurde Obrist-
lieuteuant und Commandant des sechs Aemter-Landregiments.44
Johann Martin Freiherr von Voelderndorff löste seine letzten Beziehungen
zu Österreich und mit seiner Erzählung hierüber, die in mancher Hinsicht für die
damaligen Zustände charakteristisch ist, will ich schliessen:
-Weilen die zwei Stamm-Unterthanen in Unterösterreich zu Veldendorff
und Hötzelforst ohnweit St. Pölten wegen der in Kriegszeiten albzuhoch
gesteigerten Abgaben an das Landhauss kaum auf vierthalb oder vier p. Ct.
zu nutzen und benebstdem nur allzuviel entlegen waren, auch über dieses
nicht ohne Grund zu besorgen war, dass ein solcher aus bigotterie nach
erfolgendem Frieden die possession nur dürfte erschwert oder gar entzogen
werden, so habe solche beide Unterthanen nach beigebrachtem Consens des
Troppauischen Herrn Vetters als nächste Agnaten mit Kauffbrief dd. "Wunsiede]
den ß. November A. 1758 an das Hochfürstlich Trautsohn'sche Haus zu
Goldegg um 120 Creranitzer Dukaten verkaufet, den Kaufschilling aber in
hiesigem Fürstentum zu ß p. Cto. ausgeliehen.41
Johann Martin Freiherr von Voelderndorff hinterliess nur einen Sohn, dessen
Lebenslauf eine besondere Schilderung verdient, da er unter Hardenberg Präsident
der damals hinsichtlich der Verwaltung mustergültig regierten Fränkischen Provinzen
gewesen Ist. Dieser Friedrich "Wilhelm Freiherr von Voelderndorff hatte vier
Söhne, und jeder Dieser wieder Söhne, einer davon fünf, von web-hen der iiiteste
sechzehn Kinder erzeugte. Und doch stirbt jetzt die Familie aus!
O
Digitized by Google
330
Biographische Blatter.
Aus den Erinnerungen eines Künstlers.
Von
RUDOLF LEHMANN (London).
II.
Rom 1845 - 46. Papstwahl. Pio IX.
Wahrend des Winters 1845/46 beschäftigte mich fast ausschliesslich
die Förderung meines grossen Bildes: „Die Segnung der Pontinischen Sümpfe
durch Sixtus V."*). Aber ich fand es schwer, mich gegen den Zuttuss von
Fremden, deren viele an mich brieflich empfohlen waren, hinlänglich abzu-
schliessen, um für die mir so neue, schwierige Aufgabe die nöthige Sammlung
zu bewahren. Auch entsprach das Resultat nicht meinen Erwartungen. Ich
beschloss, in der Hoffnung das Versäumte nachzuholen, desshalb die Ruhe
des Sommers zu benutzen. Aber ich hatte die Rechnung ohne den Wirth
gemacht. Der ewig wolkenlose, tiefblaue Himmel, die monatelang von keinem
Tropfen Regen unterbrochene Dürre, der häutige Scirocco, das grellblendende
Sonnenlicht während des grössten Theils der 24 Stunden, und die dumpfe,
brütende Hitze brachten mich fast zur Verzweiflung. Indessen ward ich
einigermaassen entschädigt durch die seltene Gelegenheit, den interessanten
Ceremonien beizuwohnen, die den Tod und die Wahl eines Papstes begleiten.
Gregor XVI. und sein Staatssekretair Kardinal Lambruschini hatten
sich durch ihre Strenge gegen politische Verbrecher gründlich verhasst
gemacht, Mit schlecht unterdrücktem Lächeln theilten sich in den Cafös
die jungen Römer die Nachricht von des Papstes Tode mit. Nichtsdesto-
weniger strömten Tausende seiner Unterthanen andächtig herbei, die Leiche
erst in der Sixtinischen Kapelle, mit dem bedeutungsvollen Hintergrunde
von Michel Angelo s jüngstem Gericht, von Gnardianobili mit entblössten
Schwertern bewacht, zu sehen. Dann wurde sie in einer der Seitenkapellen
der Peterskirche hinter dem sie schlicssenden Gitter so ausgestellt, dass
nur die Füsse, deren Sohlen bald schwarz geküsst waren, zwischen den
Kisenstäben hervorsahen. Schliesslich wurde sie in Pontificalibus auf einem
kolossalen Katafalk im Mittelschiff ausgelegt, Unzählige Kerzen versuchten
vergebens den schwarz verhängten Riesenbau zu erhellen. Betende Priester
und Guardianobili hielten Wache. Andächtige Gläubige füllten, auf ihren
*) Die Beschattung der mannigfachen reichen Kostüme der liei diesem feierlichen
Akt ruinierenden war so schwierig wie zeitrauhend. Für die päpstlichen (lewändcr erlangte
ich durch besondere Vergünstigung den Zutritt in die „Floreria", wo sie im Vatikan auf-
bewahrt werden. Die dreifache päpstliche Krone lieh mir Dr. Alertz. dem sie sein Freund und
(Wmner (JregorXVI. /.um Dank für geleistete ärztliche Dienste geschenkt hatte. Sie war
mit unechten Kdelsteinen besetzt, und während der französischen < »ccupation unter Xa|»oleon I.
anstatt, der in Sicherheit gebrachten echten Tiara von l'ius VII. bei den Kirchen feierlichkeiten
getragen worden.
Digitized by Google
Aus den Erinnerungen eines Künstlers.
331
Knieen betend, den weiten Kaum. Plötzlich fiel von den den Katafalk um-
stellenden, die Tugenden des verstorbenen Pontifex darstellenden irapro-
visirten, allegorischen (Typsfiguren die „Religion" mit lautem Krachen von
ihrem Hedestal und zerbrach in tausend Scherben — dem abergläubischen
Volk ein böses Omen.
Dann begann das Interregnum, und ich sah erst die alten Kardinäle,
deren Einer als Statthalter Christi auf Erden wieder herauskommen musste,
zu Fuss paarweise ins Conclave in den Quirinal- Palast ziehen — dann ihre
Diener in altfränkischen Livreen (die Heilbuth in seinen geistreichen Bildern
verewigt hat), je zwei in einem Korbe ihnen ihr Mittagessen bringen. Ein
dritter mit einem langen Stabe ging ihnen voran. Die Schusseln werden
am Eingang in den Palast streng untersucht, aus Furcht, eine in ihnen ver-
steckte Kommunikation mit der Aussenwelt möchte den Kintiuss des heiligen
Geistes auf die Papstwahl beeinträchtigen.
Eine kurze eiserne Röhre, die aus einer Seitenraauer des (^uirinals
im Erdgeschosse unscheinbar genug hervorragte, war alimorgendlieh für die
Römer ein Gegenstand gespanntesten Interesses. Aus üir zieht der Rauch
der im Conclave verbrannten Stimmzettel, bis einer der Kardinäle die zur
Papstwahl nöthige Stimmeneinheit erlangt hat. Erscheint kein Raueh zur
gewohnten Stunde, so ist ein Papst gewählt.
Au einem tropischen .Tulimorgen sttirzte meine dicke Padrona di casa
athemlos in mein Studio mit den Worten: „E fatto il Papa!*4, und augen-
blicklich Pinsel und Palette niederlegend, eilte ich nach Piazza Monteeavallo,
den ich schon mit ungeduldig harrenden Neugierigen gefüllt fand. Die über
dem Eingangsportal auf den Balkon führende Fensterthür wird während
des Conclave zu grösserer Sicherheit vermauert. Mit Spannung hörte man
die Hammerschläge der Arbeiter, die ein Loch in diese Mauer brachen,
kaum gross genug, das ein Mann durchkriechen kann. Sobald das geschehen,
trat ein Kardinal heraus und las: „Annuncio vobis gaudium quod habemus
Papam. Eminentissimum Cardinalem Mastai-Ferretti, qui sibi nomen elegit
Pius IX.". Grosser .lubel begrüsste die Nachricht. Dann füllte sich der
Balkon mit Kardinälen, die ihre Taschentücher und. komisch genug auch
ihre Kappen schwenkten, das Volk zu erhöhten Zeichen seines Enthusiasmus
zu reizen. Endlich erschien, sein Croeifero voran, der neue Papst zum
ersten Male in päpstlichen Gewändern, und weinend, so dass er unablässig
die Augen mit dem Taschentuch trocknen musste. ertheilte er den Segen,
erst schüchtern, dann mit mächtiger, freier Bewegung.
Er erschien gross, stattlich, und sein Ausdruck wohlwollend. Dann
zerstreute sich das Volk. Schon füllte eine lange Reihe von reich ver-
goldeten und bunt bemalten Kardinalskutschen die Via del (Juirinale, um
die endlich erlösten alten Herren heimzuholen. Der dicke alte Kutscher
des neuerwähltcn Papstes, der durch die Erhebung seines Herrn eo ipso
zu hohen Würden in seiner Sphäre promoviit wird, war der Gegenstand
Digitized by Google
Biographische Blatter.
vielfacher neidischer Neckereien seitens seiner Kollegen auf ihren breiten
Prunksitzen.
Kurz darauf wohnte ich der Krönung in St. Peter hei. Unter den
endlosen damit verknüpften Ceremonien erinnere ich mich nur einer, da
eine Portion Werg am Ende einer langen Stange angezündet ward. Während
der kurzen Augenblicke des Verbrennen«' ruft eine Stimme dem dreifach
Gekrönten bedeutungsvoll zu: „Sic transit gloria mundi!" Dann erfolgte
der Segen von der Loggia — zuerst war der Papst ängstlich, weil in
Folge des ungewohnten Getragenwerdens, schwindlig, schliesslich aber be-
wegte er sich freier und gab den Segen mit dem bekannten grossartigen
Gestus beider zum Himmel erhobenen Arme.
Obgleich die Römer die schönsten Hoffnungen von der neuen Ordnung
der Dinge nährten, schien ihnen der Papst anfänglich zu bedächtig, und
auf seinen Familiennamen Mastai anspielend sagten sie; „Sei bello!" (Du
bist schön) „sei buono!,, (Du bist gut!) ,.Ma stai!" (Du stehst still).
Indessen können keine noch so beredten Worte von dem Enthusiasmus
einen Begriff geben, den die ersten liberalen Dekrete des Papstes erweckten.
Von dem weittragendsten derselben, der Amnestie für politische Ver-
brecher, möge mir erlaubt sein, den Eingang hier in der Übersetzung folgen
zu lassen.
Pius IX. seinen treusten Unterthanen
Gruss und apostolischon Segen
Gegeben zu Rom bei Sancta Maria
Maggiore den 16. .Juli 1846. dem
ersten Jahre unseres Pontilieats.
„In den Tagen, wo wir im tiefsten Herzen von den öffentlichen Frenden-
bezeugungen, auf Anlass Unsrer Erhebung zum Pontiticate, gerührt waren,
konnten wir uns eines schmerzlichen Gefühls nicht erwehren, in dem Gedanken,
dass nicht wenige unter den Familien unsrer Unterthanen verhindert waren
an der allgemeinen Freude theilzunehmen, weil sie durch Entbehrungen einen
Theil der Strafe zu tragen hatten, die eines ihrer Mitglieder sich durch
Vergehen gegen die Gesellschaft und die heiligen Rechte des legitimen Herr-
schers zugezogen hatte. Anderseits wendeten wir unsre Bücke voll Mitleid
auf so viele unerfahrene Jünglinge, die, obgleich in Mitten poütischer Auf-
regung von täuschenden Hoffnungen missleitet, uns mehr verführt als Verführer
erschienen. Aus diesem Grunde gedachten wir schon damals denjenigen
unter den verirrten Jünglingen eine versöhnende Hand zu bieten, die auf-
richtige Reue bezeigen wollten. Jetzo haben die Liebe, von der unsre treuen
Unterthanen uns täglich Beweise geben, und die Verehrung, die der Heilige
Stuhl fortwährend in unsrer Person von ihnen empfängt, uns überzeugt,
dass wir ohne Gefahr für das Gemeinwesen verzeihen können. Desshalb
Digitized by Google
Aus den Erinnerungen einen Künstlers.
333
verordnen und befehlen wir, dass der Beginn Unsres Pontifikats durch folgendes
Dekret fürstlicher Gnade bezeichnet werde.** — etc. (Folgt die Amnestie).
Allnächtlich zogen helle Haufen mit Musik, Fackeln und fliegenden
Bannern vor den Quirinal und ruhten nicht mit Kufen von: „Evviva il Santo
Padre!**, bis der Papst zwischen zwei Fackelträgern von Kardinälen begleitet
auf dem Balkon erschien, den erflehten Segen zu ertheilen.
Der Konig von Sardinien, damals noch ein getreuer Sohn der Kirche,
beauftragte einen piemontesischen Bildhauer, eine Büste des neuen Papstes
für ihn zu modelliren, und ich war hocherfreut, von einem mir befreundeten
höheren Hofbeaniten die Weisung zu erhalten, dass mir erlaubt sein würde,
während einer der Sitzungen zu diesem Behufe eine Zeichnung für mein
Albuni zu machen. In einem der weiten Sitle des (Quirinal- Palastes fand
ich auf einer mit grünem Tuch bedeckten Estrade einen vergoldeten Lehn-
stuhl zurechtgestellt. Kaum hatte ich Zeit, mit Hülfe eines gefälligen Dieners
den besten Platz dafür auszuprobiren , als seine Heiligkeit erschien, ganz
in Weiss gekleidet mit Ausnahme der rothen Pantoffeln, deren goldgesticktes
Kreuz Gläubigen mit Andacht zu küssen erlaubt ist. Ihm folgten zwei
violette Monsignori, deren einer das Breviarium hielt, das täglich einmal zu
recitiren jedem Geistlichen, mit Ausnahme des Papstes, Pflicht ist. Der
andere hielt eine geräumige Schnupftabaksdose, und nachdem seine Heiligkeit
Platz genommen, stellten sie sich rückwärts zu beiden Seiten seines Stuhles
auf. In Abwesenheit des noch nicht erschienenen Bildhauers machte ich
mich, nach eingeholter Krlaubniss mich zu setzen, an die Arbeit. Alsbald
fragte der Papst nach meinem Geburtsorte, und auf meine Antwort: „Hamburg**
meinte er gehört zu haben, dass dort nicht das rechte Deutsch gesprochen
werde. Als ich dagegen bescheiden zu protestiren wagte — wenn auch der
Hamburger Dialekt nicht der wohlklingendste sein mag - . korrigirte sich
Seine Heiligkeit: ..er habe an Ungarn gedacht*'. Der Bildhauer war
immer noch nicht erschienen. „Sara morto" — meinte im Vorübergehen
der Papst. („Kr wird gestorben sein**.) Indessen sprach er häutig der
Schnupftabaksdose zu und liess sich schliesslich das Breviarium reichen, das
er anfing mit ab und zu geschlossenen Augen halblaut, für meinen Zweck
nicht eben förderlich, zu recitiren. Wie er damit fertig war, liess er sich
eines Breiten Uber seine guten Absichten der Förderung der Künste, speciell
der vatikanischen Mosaikfabrik aus, als plötzlich der junge Bildhauer an
der offenen Thür erschien und, sich schweissgebadet an der Schwelle nieder-
werfend, mit erhobenen Armen die Verzeihung des heiligen Vaters erflehte,
dessen Befehl ihn in Folge eines Missverständnisses nicht rechtzeitig erreicht
hatte, und mit fieberhafter Eile machte er sich daran, einem auf einem
Modellirstuhl bereitstehenden Klumpen von Thoneide die Züge des Papstes
einzudrücken. Der aber sagte „A me non mi fa Diente'* und erhob sich
lächelnd nach etwa fünf Minuten, mit dem Bedeuten, er erwarte 1. K. II.
die Prinzessin Albrecht von Preussen, der er im Pavillon im Gurten eine
Digitized by Google
Biographische Blfttter.
Audienz versprochen (diese Prinzessin hat später ihren Kourier geheirathet).
Er trat von der Estrade herunter, sah sieh meine Zeichnung an und be-
merkte, wie gut ich beobachtet hätte, dass in Folge eines Schlaganfalls die
eine Seite seines Gesicht* auf der Reise nach Chili gelähmt gewesen sei,
ein zweifelhaftes Kompliment. Auf meine, wie ich später erfuhr, indiskrete
Bitte, schrieb er seinen Namen darunter, gab uns seinen Segen und verlies* uns.
Ehe ich ging, sammelte ich den Schnupftabak, der das grüne Tuch
um den Stuhl herum reichlich bedeckte, um diese kostbare Reliquie einem aller-
liebsten jungen Fräulein, einer enthusiastischen Verehrerin des neuen, liberalen
Papstes, zu bringen. Sie ward dankbarst angenommen und in ein Medaillon
gethan, das sie lange Zeit an einer Kette am Ilalse trug, vielleicht noch trägt!
Der alljährliche Besuch des Papstes, um in der Kirche Santa Maria
del Popolo (die unter vielem Interessanten auch Raphaels Jonas-Statue, seine
einzige, enthält) die Messe zu lesen, bot den enthusiastischen Körnern eine
erwünschte Gelegenheit, von Neuem ihre dankbaren Gefühle zu bethätiiren.
Durch den, wie zum Karneval festlich geschmückten Korso, über den mit
brauner Puzzolanerde bestreuten Boden bewegte sich langsam der feierliche
Zug. Von allen, mit den reichsten Teppichen geschmückten Baikonen wehten
von schonen. Händen Taschentücher, wurden Blumen geworfen, deren Masse
die reichvergoldete, von sechs schwarzen Rappen gezogene Staatskarosse
fast bedeckte. Weither erschollen die begeisterton Zurufe wie fernes Meeres-
brausen. Auf der Piazza del Popolo war ein kolossaler Triumphbogen mit
zahlreichen Statuen meisterhaft improvisirt worden. Der Papst war sichtlich
ergriffen und die Rührung eine allgemeine. Der Süden ist leicht erregbar;
in den „Cercoli" der jungen Römer wurde feierlich beschlossen, in der
kommenden „Stagione di Camevale'* keiner Primadonna Blumen zuzuwerfen,
nachdem oder weil sie die päpstliche Karosse geziert: für die bühnen-
begeisterte .lugend ein Opfer der Entsagung.
Wie oft habe ich dieses rührenden Triumphzugs gedenken müssen, als
derselbe Papst nach Verlauf von wenig . fahren, als der bekannte deutsche
Arzt Dr. Alertz verkleidet, im Wagen des bayerischen Gesandten Graf
Spaur aus Rom flüchten musste! Man warf ihm vor, die Fahnen der Frei-
willigen, die den aufständischen Mailändern gegen die Österreicher zu
Hülfe geeilt waren, erst gesegnet, dann die Heimkehrenden in den Kerker
geworfen zu haben. Man hatte ihm den als Patrioten verbannten, dann
von der französischen Republik als Gesandten am päpstlichen Hof aceredi-
tirten. schliesslich zum Chef des ersten päpstlichen liberalen Ministeriums
ernannten Grafen Rossi, auf den zum Parlament führenden Stufen auf Monte
Citorio meuchlings erdolcht. Er fühlte den Boden unter seinen Füssen
wanken, ward irre an sich und der Welt und Höh nach der neapolitanischen
Festung Gaeta, von wo ihn nach Jahr und Tag die Bajonette der franzö-
sischen Republik nach Rom auf seinen Thron zurückbrachten.
Digitized by Google
Aus den Erinnerungen eines Künstlers.
335
Robert Browning.
Browning Verdienst als Dichter uud Philosoph ist von kompetenten
Richtern so erschöpfend erwogen und festgestellt worden, dass es nicht nur
aninaassend von mir. sondern ohne Zweifel auch langweilig sein würde,
wollte ich versuchen diesem Urtheil, das wohl als ein endgültiges anzusehen
ist. etwas hinzuzufügen. Aber ich habe zweimal sein Portrait gemalt und
zweimal gezeichnet, habe viele Jahre hindurch freundschaftlich mit ihm
verkehrt, bin bei gemeinsamen Freunden sowohl, als bei meinen Geschwistern,
mit denen er intim war, allwöchentlich mehrfach mit ihm zusammengetroffen,
and so mag ich vielleicht im Stande sein, seinen fast typisch gewordenen Zügen
einige von jenen Details hinzuzufügen, die wie die Warzen, die (.'romwell,
als er einem Maler sass, mitgemalt haben wollte -- einem Bildniss Leben
und Individualität verleihen. In seiner persönlichen Erscheinung war wohl
das Gegentheil von Affektation, die ungezwungene Einfachheit, die hervor-
ragende, wenn auch negative Eigenschaft. Nichts in seiner Ausdrucksweise,
seinen Bewegungen oder seiner Kleidung, konnte einen Fremden vermuthen
lassen, dass der Mann vor ihm, so weit die englische Sprache reichte, als
einer der grössten lebenden Dichter anerkannt worden war. Urbanität.
Herzensgute und Wohlwollen, sowie völliges Beherrschen des Gegenstandes
charakterisirten seine Unterhaltung, gleichviel ob mit Fürsten oder mit
Kindern. Mit seinen mannigfachen, von einem fabelhaften Gedächtnis*
unterstützten Kenntnissen, war er in bescheidener, anspruchsloser Weise
jedem zu dienen bereit. Die Universalität seiner Studien war ein Gegen-
stand immer erneuter Bewunderung. In Florenz hatte er Anatomie studirt.
in Korn in Storys Studio modellirt. er spielte Klavier und pflegte in
Konzerten, die Partitur in der Hand, der Aufführung Beethovenscher
Symphonieen zu folgen. Cambridge s gelehrtestes Kollegium Balliol ernannte
Um zu seinem Ehrenmitglied« (Honorary Fellow) und die Universität zum
L. L. D., was wohl am besten durch ...Iuris utriusque doetor" übersetzt wird.
Kr sprach nicht ungern über seine veröffentlichten Werke. Ks ist
bekannt, dass das vielleicht bedeutendste unter ihnen: „The Ring and the
Book" seine Entstehung einem alten Pamphlet verdankte, das er zufällig
auf dem Trödel 'in Florenz gefunden. „Nachdem ich es gelesen", so erzählte
er mir. „stand mein Plan fest. Ich ging vor s Thor, sammelte spazierend
zwölf Steinchen und legte sie in gleichen Zwischenräumen auf die Mauer-
brüstung längs der Strasse. Das waren die 12 Kapitel, in die das linch
eingetheilt ist. und davon bin ich in der Ausführung nicht abgegangen."
Obgleich er eine unüberwindliche Abneigung gegen öffentliches Heden
hatte, so zwar, dass er Einladungen ablehnte, wo er die Möglichkeit eines
derartigen Ansinnens witterte, war er äusserst redselig und nicht im
geringsten wählerisch in seinem zufälligen Auditorium. Unzählige Male
habe ich ihn in längerer Unterhaltung mit kleinen .Mädchen in "kurzen
Digitized by Google
336
Biographische Blatter.
Kleidern vertieft gesehen, und ich kann dem Wunsche nicht widerstehen,
hier einen Brief herzusetzen, der ihn in diesem Bezüge eharakterisirt. Er
ist an meine jüngste Tochter gerichtet, die, damals noch ein halbes Kind,
sein besonderer Liebling war:
6. Jnli 18N9.
Meine geliebte Alma!
Gestern hatte ich die Ehre, mit dem Shah zu speisen, bei welcher
(Gelegenheit sich folgende Unterhaltung entspann: „Sie sind Poet?" ..Man
hat sich manchmal erlaubt, mich so zu nennen." ..Und Sie haben Bücher
geschrieben?" „Zu viele Bücher." „Wollen Sie mir eines geben, um mich
an Sie zu erinnern?" „Mit Vergnügen." — In Folge dessen bin ich heute
Morgen zur "City gegangen, wo man sich den Artikel verschaffen kann,
und als ich ein Buch wählte, dessen Einband das kaiserliche Auge auf
sich zu ziehen geeignet wäre, sagte ich mir: liier schenke ich meine (Ge-
dichte einem Manne, an dem mir nicht das geringste gelegen ist; warum
sollte ich nicht dasselbe für ein junges Mädchen thun, das ich herzlich
lieb habe, und das vielleicht dem Autor zur Liebe in künftigen Jahren
mehr Interesse für den Inhalt als für den äusseren Schmuck des Buches
haben wird? So nahm ich mir die Freiheit, einen Band zu wählen und
Sie zu ersuchen, ihn freundlichst von mir anzunehmen. Sie bittend, sich in
späteren Jahren zu erinnern, dass der Autor, mag er nun ein guter oder
ein schlechter Poet gewesen sein, immer war, meine liebe Alma,
Ihr aufrichtiger Freund
Robert Browning.
In Geldsachen war Browning in hohem (Grade uneigennützig. Er besprach
nie das Honorar seiner Bücher mit seinem Verleger, sondern nahm einfach
dankend an. was dieser ihm zu zahlen beliebte. Als der Kedakteur eines
Monatsheftes ihm einen offenen Ulieck schickte mit der Bitte, ihn beliebig
auszufüllen und ihm dafür ein wenn auch noch so kurzes Gedicht zu liefern,
schickte er denselben ohne Gedicht - dankend zurück, ungeachtet Tennyson
in einem ähnlichen Falle 100 Lstr. empfangen hatte.
Im (Gegensatz zu eminenten Persönlichkeiten, die. um Effekt zu machen,
bei festlichen Gelegenheiten absichtlich verspätet erscheinen, liebte er es.
sich vor der bestimmten Zeit einzufinden, um, wie er sagte, Gelegenheit zu
haben, sich mit den Wirthen zu unterhalten.
Bei Diners war er der liebenswürdigste (Gast. Seine Unterhaltung
verbreitete sich, ein nie versiegender Strom, über die verschiedenartigsten
Gegenstände, sprudelnd, lehrreich ohne Ostentation, immer wohlwollend.
In Folge der Taubheit seines Vaters, von dem er gern, und immer mit»
Verehrung sprach, war sein Organ laut und barsch. Wenn seine Freunde,
seine Vorliebe für Portwein kennend, ihm von Anbeginn des Diners eine
Flasche davon vorsetzten, hielt er sich ausschliesslich dazu, während, aber
nicht nach dem Essen — wie das sonst in England gebräuchlich. Kr
Digitized by Google
Aus den Krinnerungen eines Künstlers.
337
rauchte nicht, war aber liebenswürdig genug zu behaupten, das* er den
Geruch von Tabak liebe, um den Rauchenden nach der Mahlzeit Gesell-
schaft zu leisten.
Kein treuerer Freund lässt sich denken. Seiner Biographin, Frau
Sutherland-Orr, die augenleidend war, pflegte er stundenlang vorzulesen,
und nach dem Tode meines ihm nahebefreundeten Schwagers war er ein
tätlicher Besucher im Hause meiner veiwittweten Schwester. Mit grösster
Regelmässigkeit erklomm er allsonntäglich die fünf Stiegen zu seiner alten
Freundin Mrs. Prokter (des Dichters Barry-ComwalTs Wittwe}, bis zuletzt
den hydraulischen Aufzug verachtend.
Er war von mittlerer Grösse, untersetzt, mit wohl entwickelten Muskeln.
Als ich ihn sammt seiner Frau im .Jahre 1858 in Rom für mein Album
berühmter Zeitgenossen zeichnete, war sein Haar dunkel und sein Gesicht
bartlos.. Als ich ihn im Jahre 1875 und zum zweiten Male 1883*) in
London malte, waren Haar und Hart weiss. Aber er wies mit einigem
Stolz auf den neuen Nachwuchs einiger schwarzer Haare mit den Wollen:
„Ja. wir Poeten haben eigne Köpfe! Hier sehen sie den Anfang einer
zweiten Jugend. Er hatte ein kurzsichtiges Auge, mit dem er die kleinste
mikroskopische Schrift bequem lesen, während er mit dem anderen Gegen-
stände in weitester Ferne unterscheiden konnte. Kr kleidete sich einfach
aber geschmackvoll; besondere Sorgfalt legte er auf seine Wäsche.
Die angeborene Zärtlichkeit seiner Natur gipfelte in der leidenschaft-
lichen Liebe zu seiner Frau, der berühmten Dichterin Elisabeth Harret
Browning, zu seinem einzigen Sohn und seiner Schwester, mit der er als
Wittwer zusammen lebte. Als er zufällig in meinem Studio in London die
vorerwähnte Zeichnung sah, die ich von seiner Frau in Rom gemacht,
füllten seine Augen sich mit Thränen.
Im Jahre 1875 äusserte ein Münchener Verleger den Wunsch, aus
meinem Album ein Dutzend der bekannteren englischen Persönlichkeiten,
versuchsweise, als Autotypieen zu publiziren. Zu diesem Zweck schlug ich
Browning vor, sein vor zwanzig Jahren gezeichnetes, nicht mehr ähnliches
Portrait durch ein neues zu ersetzen, und erhielt folgende Antwort:
Lieber Lehmann!
Je mehr ich Ihren Wunsch bedenke, mein Portrait von 1858 durch
eines vom heutigen 1875 zu ersetzen, je weniger gefällt mir die Idee. Sie
zeichneten das Portrait meiner Frau, das nicht durch ein neueres ersetzt
werden kann, zur selbigen Zeit wie dasjenige, welches Sie eliminiren möchten.
Warum wollen Sie eine irrige Idee von unsern respektiven Altern geben?
und warum kann es für irgend Jemand, der sich für mich interessirt,
weniger interessant sein, zu erfahren, wie ich vor sechzehn Jahren aussah,
als jetzt, wo Ihr gemaltes Portrait so gut zeigt, wie ich heute bin? Natür-
lich, wenn es dem Verleger konvenirt, zwei Portrait* von mir zu geben,
*) Dieses Bild befindet sich in der „National J'urtraiM iallorV in London.
338
Biographische Blätter.
bin ich gern zu sitzen bereit, aber, bitte, trennen Sie nicht die lange
Kameradschaft, wie die bis dato existirende — lieber will ich mir morgen
den Bart abschneiden. —
Ks ist nicht die Absicht dieser Zeilen, ausschliesslich ein Lobgesang zu
sein : Licht und Schatten sind nöthig, um die Züge eines Bildnisses deutlich
hervortreten zu lassen.
Obgleich es Browning gelungen war, durch strenge Disziplin sein
leichterregbares Poeten-Temperament im gewöhnlichen Leben zu kontroUiren,
trug es sich doch wohl zu, dass in den langen Stunden des Sitzens oder
gar Stehens für sein Portrait, in der Unterhaltung ausnahmsweise Gegen-
stände berührt wurden, die, seine zartesten Familien-Ati'ektionen betreffend,
ihn seine Selbstbeherrschung verlieren machten. Dies geschah zum ersten
Mal, als ich zufällig in der Unterhaltung den schliesslich als Betrüger er-
kannten (ieisterklopfer Holme nannte. In einer von Mrs. Browning (deren
Ohr der neuen Lehre nicht so verschlossen war, wie das ihres Gemahls»
in Klorenz veranstalteten Geisterbeschwttrungs-Sitzung hatte dieser Gauuer
erklärt: „Die Geister hätten ihm mitgetheilt, Browning sei eifersüchtig auf
den litterarischen Ruhm seiner Frau!** Kr konnte nicht leicht eine empfind-
lichere Seite in dem vergötternden Gatten berühren. Das blosse Nennen
von Holme s verhasstem Namen machte ihn erblassen, gleich wie der einer
amerikanischen Bildhauerin, die, eine Schülerin Gibson s, in Rom einen
kurzen ephemeren Ruf genoss, aus anderen intimeren Gründen.
Browning s aufopfernde Liebe für seinen einzigen Sohn Ben, seine
triumphirende Freude über seine ersten Krfolge, als er, nach einigem
Schwanken, sich schliesslich für die Künstler- Laufbahn entschieden hatte,
war rührend. Kr hat es einem seiner ältesten, erprobtesten Freunde nie
verziehen, an Ben s Befähigung zu ernster, anhaltender Arbeit leise Zweifel
geäussert zu haben. Kr konnte tagelang in den unwirtlichen teppichlosen
Räumen eines unmöblirten Hauses zubringen, «las ein Freund ihm geliehen,
um seines abwesenden Sohnes Bilder vor ihrer Ausstellung (die sogenannte
..private viewi Freunden und Bekannten zu zeigen und zu erklären. Sein
Zorn war grenzenlos, als die Akademie einer nackten weiblichen Bronze-
Statue seines Sohnes die Aufnahme venveigerte. wofür er, wohl nicht mit
Unrecht, einen Akademiker im Verdacht hatte, der wegen seiner prinzipiellen
Abneigung gegen nackte Weiblichkeit die allgemeine Zielscheibe wohlver-
dienten Spottes war. Als einer Anomalie, im Widerspruch mit seinen
liberalen Prinzipien, mag der hohen Wichtigkeit gedacht werden, die er
der sogenannten Faniilienehre. der Reinheit des Stammbaums, beizulegen
schien. Als in einer allgemeinen Unterhaltung von Khen zwischen Leuten
von ungleicher gesellschaftlicher Stellung die Rede war. rief er aus: ..Wenn
ein Sohn v nir sich tiergleichen zu Schulden kommen Hesse, würde ich
ihn ohne Weiteres enterben!"
Ich >chlie>se die*e »Wichtigen Notizen mit eiin-ni edlen ( •ijiul>en<l>ekennt!ii»e:
Digitized by Google
Aus dem Briefwechsel von Hermann Oiges.
KW
„loh habe'*, so sagte er, „meiner Zeit an einer KxLstenz nach dem
Tode gezweifelt, ja, es leider öffentlich in meinen Schriften ausgesprochen.
Aber heute bin ich ebenso fest von dem (legontheil überzeugt! Wenn Sie
mich über das ..wie?*' befragen, so antworte ich Jhnen. dass ich nicht
mehr davon weiss, als mein Ilimd von mir. Er weiss, dass ich da bin.
und das genügt ihm.
i-3J
Aus dem Briefwechsel von Hermann Orges.
Von
OTTOKAR LORENZ.
Kiner von den vielen, welchen die Konversationslexika eine Zeitlang Artikel
widmen, die in spateren Auflagen dann weggelassen werden! Ihre Xainen werden
aber doch zuweilen in das Hauptbuch der (Jeschichfe übertragen und eine späte
Lercehtigkeit entdeckt, dass dieser oder jener unter den Vergessenen eigentlich
keine unbedeutende Rolle im Hintergründe der politischen Ereignisse gespielt habe.
Hermann Oeges ist zwar durch die Augsburger Allgemeine Zeitung, an deren
Hedaktion er von iHöt -<»4 bef heiligt war. gegen gänzliches Verschwinden
seines Andenkens gesichert, «loch mögen schon heute nur noch wenige Leute
wissen, dass er zu den Publizisten gehörte, die nicht bloss in den dumpfigen
Hedaktionsräumen des Augsburger Hauses, sondern auch in den Salons der ver-
schiedensten europäischen Ministerhotels aus und eingingen.
In der bewegten ("Jesehiehte des DJ. Jahrhunderts darf ohne Krage
als dasjenige .Jahr bezeichnet werden, in welchem die innert? Spannung der äusser-
lich noch friedlich scheinenden alten Mächte von Kuropa. der einstigen Verbün-
deten der Kongresse, den höchsten Orad erreicht hatte. Nachdem es dem Kaiser
Napoleon III. gelungen war, den Krisapfel von Villafranca unter die deutschen
llundes forsten zu werfen, und den Iteweis zu liefern, dass die Verträge von
1*1 f> wirklich nicht mehr haltbar seien, begann persönliches und politisches Miss-
trauen unter den gekrönten Häuptern einen Verheerungs- und Zerstörungszug
anzutreten; und wenn früher, in Metternich-Hardenbergscher Zeit, die Diplomaten
das Schauspiel feindseliger Brüder vor den Augen der Unterthanen darboten,
während die höchsten Herren ihrer in der gemeinsamen (iefahr erworbenen Liebe
und Kreundschaft sicher waren, so hatte sich in jenen .Innren das ganze Spiel
gewendet: die gekrönten Häupter trauten einander nicht mehr und die Diplomaten
hatten nur noch die Aufgabe mit (leschwk und öfter mit Ungeschick klaffende
Wunden zu heilen. Dies war die Zeit, wo sich wir wollen uns mythologisch
ausdrücken die Walküren rüsteten, um für Tausendc und Tausende ihrer
Helden im Himmel Klatz zu machen. JVlirant reges heisst es im Virgil, da
war der Krieg nur eine Krage der Zeit.
In den Kabinetten war man tun- besorgt zu erfahren und zu wissen, was
in den feindlichen Lagern gedacht oder geschmiedet wird. Der regelrechte (icsandt-
schaftsdienst wurde durch ganze Kompagnien von freiwilligen und halbofiiziellen.
heimliehen und oft auch unheimlichen Diplomaten ersetzt, oder ergänzt. Was
man zu lesen wünschte, wurde nicht in den Staatsarchiven gesucht und nicht aus
den Korrespondenzen der Minister geholt: auf hunderterlei Umwegen gingen die
Biographische Blatter. I. ±_»
Digitized by GoOgle
:J40
Biographische Blatter.
Botschaften zu den Personen, für die sie bestimmt waren; - es ist wohl Huer
der haarsträubendsten Irrthümer heutiger beamtenfrommer Archivare und (ie-
schichtschreiber. wenn sie versichern, die Geschichte der grossen deutschen und
französischen Kriege des siebenten Jahrzehnts Messe sich nach den -Akten", die
sie in Verwahrung haben, in der Tiefe der Sache erkennen!
Unter den Männern, die man im Jahre 18511. -'60 für geschickt und geeignet
gehalten hat. im freiwilligen Diplomatendienst gebraucht zu werden, befand sich
auch Hermann Orges. Gerade deshalb wol. weil gewisse kindliche Politiker in
München soeben mit dem Redakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung' einen
ethisch gehaltenen Zank geführt hatten, worin sie auseinandersetzten, dass kein
guter Preusse mit H. Orges ferner verkehren könnte, vielleicht gerade deshalb
wird es dem Ministerpräsidenten in Berlin, dem Fürsten Anton von Hohen/.nllern
zweckmässig erschienen sein, sich des Mannes, der durch seinen gegen den fnur/.ö-
sischen Imperator im Jahre 1H">9 glänzend geführten Zeitungskrieg sich ungemein
grosse Verdienste um Oesterreich erworben, zu bedienen, um abgebrochene Drücken
wieder herzustellen, oder über dunkle Gänge Licht zu gewinnen.
Im Beginne des Jahres 18(10 ging Orges nach Berlin und war, wie er
bald darauf einem Landsmann (Orges war ein Braunschweiger) schrieb, nicht nur
vom Fürsten von Hohenzollern, sondern auch vom Prinz Bogenten sehr freundlich
aufgenommen worden, obwohl er im Jahre 18-18 als preussischer Offizier ..aus den
Listen gestrichen" worden war. Ohne Zweifel hatte er sich durch seine glänzenden
militärischen Artikel über Frankreich in den Augen auch preussischer Offiziere
wieder einigermaassen rehahilitirt genug. Orges erhielt mancherlei Auftrage,
über welche indessen seine Briefe an seinen Braunschweiger Landsmann keineswegs
die volle und ganze Wahrheit enthalten dürften, weil dieser Landsmann wiederum
im Dienste eines anderen deutschen Fürsten stand, von dem es ganz bekannt war.
dass er auch seinerseits wieder eine besondere Auffassung von den Diugen hesass.
wenigstens nicht, in allen Stücken mit der Berliner Politik übereinstimmte und
ebensowenig als oosterreichiseh gesinnt galt.
Wie dem aber auch sei. der Inhalf der Berichte, welche Orges über seine
Fahrten nach Preussen. Ihissland und Oesterreich im Winter 1*00 verfaßte,
bieten eine Keihe von so interessanten Gesichtspunkten dar. dass sie ihre Ver-
öffentlichung verdienen.
Der ei-ste dieser vorliegenden Berichte ist nach einem Aufenthalte von einigen
Wochen in der preusslschen Hauptstadt in Warschau. 2H. Januar 1800 nieder-
geschrieben und enthält nicht lauter streng politische Mittheilungen , sondern
auch Darstellung von Kindrücken, die das Berlin der „neuen Aera" dem Driel-
schreiber überhaupt gemacht hat; der Aufschwung der Industrie und des Handels,
den er gegen 18 18 in der preußischen Hauptstadt wahrnahm und die unverhältniss-
mässige Zunahme der jüdischen Bevölkerung gaben ihm zunächst Aulass zu
allerlei allgemeinen Bemerkungen, auf welche hier kaum näher eingegangen zu
werden braucht, zumal sich Herr Orges dabei als schlechter Prophet in Bezug
auf Berlins heranwachsende politische Bedeutung erwies. In Bezug auf die
politische Lage versicherte er, dass er mit allen Parteien Fühlung gewonnen und
dass der Fürst von Hohenzollern ihm ein sehr ausführliches Bild seiues Strehens
gegeben hätte. Die demokratische Partei sei aber in Berlin die bei weitem über-
wiegendste, und habe sich bei den Wahlen und gegenüber dem Ministerium
Hohenzollern zurückgehalten, weil sie sich augenblicklich zu schwach fand und
überzeugt war. dass S. königl. Hoheit der Prinz Hegent doch nach rechts gehen
werde, wo dann ihre Opposition zur Bbitbe kommen könne. „Die Konstitutionellen
haben wenigstens die Absicht, nach Kräften dem Prinzen jede Verlegenheit zu
Digitized by Google
Aus dein Briefwechsel von Hermann ("»rares.
341
ersparen, doch fand ich Keinen, der glaubte. Se. königl. Hoheit erkenne die
ungeheueren Schwierigkeiten der Lage . . . Die Hauptzeitung in Berlin ist noch
immer die Vossische Weissbierzeitung, lt> 1 7* K M l Fxeniplare. die einflussreiehsfr
die Yolkszeitung; die Xutionalzeitung hat nur H 7<>U<> Abonnenten*'.
Alsdann t heilt (»rares mit. der Fürst von Hohenzollern halte ihm in Bezug
auf Wien s]tezielle Aufträge gegeben:
..Der Fiii-st <rab mir als Orundprinzipien seiner und des Prinz Regenten
äusseren Politik mit dem Auftrage weitläufig darüber in Wien betreffenden
Orts zu belichten:
1. Keinerlei ehrgeizige auf Yergrüsserung heniuslaiifende Pläne. Die Xutional-
partei sei ja Preussen feindlich.
2. Zusammengehen mit (»esterreich in allen grösseren entscheidenden Fragen,
da die Interessen gemeinsam. (Streit sei über untergeordnete Fragen.)
3. Bekämpfung der Uebergritl'e und der Präpondcranz Louis Napoleons und
deswegen :
a> bessere militärische ( »rganisation im Innern Preussons.
b) bessere militärische Organisation des deutschen Bundesheeres.
c) Vertrag mit Hussland (Rückendeckung) oder vielmehr Verständigung
mit demselben. Dieses sei der alleinige Zweck der Hreslauer Zusammen-
kunft gewesen. Diese Rückendeckung sei erreicht worden."
_S. Hoheit*) äusserte sich sehr grossdeutsch und sehr patriotisch und auch
die Frau Prinzessin von Preussen lies« mir den Auftrag zukommen, doch möglichst
auf Versöhnung hinzuarbeiten. Da Diskretion nicht verlangt wurde, sondern nur
die Weitermittheilung aufgetragen ward, erlaube ich Obiges mittheilen zu dürfen.
Weiteres später. Im Allgemeinen empfing ich den Findruck ausserordentlicher
Unklarheit. Unsicherheit. Unbestimmtheit in den konkreten Zielen. aber reichlich
guten Willen. Da ich noch mehrere Staatsmänner gesprochen habe, so muss ich
sagen, entweder ist die preussische Politik sehr versteckt, oder sie ist rein
abwartend. Uebereinstiunnende positive Ansichten sind nirgend zu linden und
daher sieher keine Disciplin. kein Zusammenwirken unter den eigentlichen Diplo-
maten, jeder scheint sein eigenes Programm zu haben. -
■„Ueber Polen aus Wien-.
Von Berlin war Orges inzwischen nach Warschau gegangen, um aus eigener
Anschauung sich über die dort sich vorbereitenden Dinge zu belehren und gleich-
zeitig Näheres über Hussland zu erfahren. In wessen Auftrag diese Fahrt
unternommen wurde, wird in den vorliegenden Berichten nicht mitgetheilt. Die
Beobachtungen sind iudesseu werthvoll genug: die Augsburger Zeitung bmchte
dem entsprechende Korrespondenzen, welche viel bemerkt worden sind, und in der
preussLschen Presse einen gewissen Widerspruch hervorriefen. Man hatte ja
Verständigung mit Bussland auf das Programm gesetzt! doch mag Orgcs
selbst sj »rechen:
Warschau, 27. Januar 1SW».
Übereinstimmend schildert man mir den Kaiser Alesander ;ils gutmüthig und gut-
willig, doch ohne die hiihere Begabung, welche die ungeheure Aufgab«', die ihm überkommen
zu ihrer Losung erfordert : da/u kommt, dass Seine Majestät leidenschaftlieh jagen und nach
dieser Anstrengung etwas sehr stark geistigen (ietrlinken /usjirechen m»11. Die dadurch be-
dingte K raftbindung soll so gross sein. da.s.s dem C/aren laut eignen Befehls nach der Jagd
keine Dekrete vorgelegt werden dürfen, da er /. B. einem ihm besonders lieben Of Ii zier,
•
* > soll heissen -S. 1 »urehl.ui -ht. Orges ist hier und an mehreren Stellen der folgenden
Briefe ungenau in Bezeichnung der Titel. Kr meint den Für-ten von Hohenzollern.
Digitized by Google
342
Biographische Blätter.
dem General Mingrot von den Garde-Ulanen, in einem solchen Augenblick den Abschied or-
theilt hatte. Wenn meine Gewährsleute, vornehme russische Adelige aus den Provinzen.
Hecht haben, so sind es besonders die Grafen Adlerberg. Vater und Sohn, welche den Kaiser
in der Kiehtung der Deliauche treiben. Seine Kaiserl. Majestät soll verschiedentlich versucht
haben, doch ohne Krfolg. Wandel zu schatten und ihre Einmischung- in die Staatswesen» ft«
.sogar ernste Konflikte hervorgerufen haben, da der Uzar dieses Einmischen nicht liebt. Die
ganzen ungeheueren Irrthümor des Nikolai sehen Kogierungssystems kommen jetzt in der
grellsten Weise zum Vorschein. Trotz aller formalen Bildung, die in militärischen Er-
ziehungsanstalten angeblich erzielt worden, fehlt es selbst daran vollständig. F.ine
Menge vornehmer M linner. unter denen ein Mitglied des Senats, kannte nicht eine Kapazität,
die einigermaassen für die grosse Aufgabe der Gegenwart genügte. Diese absolute Un-
fähigkeit. Träigheit. I nzuverliissigkeit geht bis in die untersten Kreise hinab. Die begüterten
Klassen kennen alle diese Zustünde und dadurch wird ihre Angst vor der Zukunft unend-
lich vermehrt, weil sie die Überzeugung hegen, dass wenn einmal ein Bruch erfolgt, keine
Hand vorhanden, die dem Sturme Malt gebieten kann. Desshalb. weil der Kaiser will. da>s
wir in eine neue Zeit hineinspringen sollen - zweifelt keiner, das«, eine Volksbewegung
im Innern über kurz oder lang erfolgen muss. Weil der Güteradel dies voraussieht und
den Umschwung für unvermeidlich halt, beutet er nun wieder zum Theil seine Leibeigenen
noch zu guter letzt auf das Schonungsloseste aus und steigert so wieder die Grösse der
drohenden Gefahr.
Diese Zustande haben als Folge einen völligen Gegensatz zwischen der ltegierung und
dem Beamtenadel einerseits und dem Güteradd andererseits, zwischen dem ausländischen
Ideen und Formen huldigenden Petersburg und dem russisch-nationalen Moskau zur Folge
gehabt. Ich wUre zu den ..Kontrakten" nach Kiew gereist, wenn nicht die hiesige deutsche
Zeitung unglücklicher Weise meinen Aufenthalt hier verrathen und den Zweck desselben
genannt hätte, so hat man mir überall abgerathen. Schon bei den vorjährigen „ Kontrakten"
(jährliche Abwickelung aller Geschäfte) zeigte sich die vollständigste Gcldehbe: dieses Jahr
fürchtet man den absoluten Stillstand der Geschäfte. Aller Kredit ist dahin; alle Vermögen
der Grundbesitzer gefährdet, nirgend Vertrauen. In ganz Kussland sieht man nur noch
Papier und schlechte werthlose Scheidemünze. Alle Beamten, Güterbesitzer. Geschäftsleute,
die ich gesprochen, stimmten in dem Finen überein: Auf Jahre hinaus ist jeder Krieg für
Kussland fast unmöglich, wenigstens so unpopulär, das« an denselben kaum iredaeht. jeden-
falls derselbe nur sehr schwach geführt werden kann, die Armee ist ganz gelockert . . . .
Die russische Armee ist nicht wieder zu erkennen. Kaiser Alexander hat die äussere
ktratte Form fahrenlassen und jetzt kommt überall der rohe Barbar zum Vorschein. Seit
hat keine Kekrutirung stattgefunden: ich sah fast keinen Soldaten ohne die Krimmedaille.
Exerzirt wurde schauderhaft, selbst der innere Dienst ist ganz gelockert. Bewaffnung herzlich
schlecht. Pferdebestand gut. Befestigungen gut im Stande, Vorräthe gering. Armeebestand
sehr schwach. Die Stimmung «1er Polen nationalaufgeregt doch ungefährlich, da der vor-
nehme Adel zum grossen Theil sich Kussland in die Arme geworfen hat. Graf Zamoyskis
Bestrebungen auf ökonomischer Grundlage den Adel zu regeneriren. werden bewundert, be-
jubelt, sein „landwirtschaftlicher Verein" umtasst den polnisch gebliebenen Adel Kusslands.
aber das ist auch Alles. Arbeiten und Sparen lernt der Adel darinnen doch nicht. Die
politische Bewegung kräuselt nur die Oberlliiehe. bringt es höchstens zu kleinen Demon-
strationen bei polnischen Künstlern, polnischen Gelehrten cte.
Uber Wien werde ich mir erlauben, aus Dresden zu berichten. Nur so viel, dass ich
den mir von Seiner Hoheit dem Fürsten von Hohenzollern gegebenen Auftrag, die Ge-
sinnungen des Prinz Kegenten, des Fürsten, der Frau Prinzess als zur Versöhnung und
Zusammengehen in allen grossen äusseren Fragen geneigt darzulegen und manchen Jrrthum
in der Anschauung zu berichtigen, nach besten Kräften entsprochen habe. Bei dieser Ge-
Wien. M. Januar.
Aus d»Mii Briefwechsel von Hermann ( »rge>.
legenheit konnte ich auch die durchaus falsche Ansicht widerlegen, die man hier zum Theil
über Seine Hoheit den Her/o«,' gehegt. ")
Ich habe wenigstens Herrn Grafen Rechberg und heute Seiner Majestät reihst aus-
führlich darüber berichtet, in wie hochpatriotischer rein deutscher Weise Seine Hoheit alle
Zeit die deutsehen Interessen gefeiert und getragen hat. Dass Seine Hoheit über den Par-
teien stehe und also der kleindeutschen Bewegung, als einer gesetzlich berechtigten, den
Schutz nicht habe verweigern können und wollen. Ks sei dies auch das einzige Richtige
und Wahre. Seine Majestät schien sichtlich erfreut darüber, dass ich von diesem Stand-
punkt aus über jene Vorgänge heriehtete. Hier ist alles voller Verwöhnung und vom besten
Geist beseelt.
Frei be rg an der Mulde, Jt. Februar.
Hochgeschätzter Herr Kabinetsrath !
Morgen werde ich nach Augsburg ahreisen. Jch bitte Kw. Hoch wohlgeboren, mich
gefälligst wissen zu lassen, ob alle meine Briefe richtiir in Ihre Hände gelangt. Der Aul-
trag des Herrn Fürsten von Hohenzollern betraf vor Allem Aufklärung über die Politik der
preussLschen Regierung, über ihre Neigung zur Versöhnung mit Österreich, die Absicht, jedem
ferneren C bergritte L. Napoleon ein Ziel zu setzen, die Zwecke, welche sie in Betreff der
inneren Reorganisation Deutschlands verfolge. Ihre Antrüge etc. hiltten in dieser Beziehung
keine ehrgeizigen Zwecke, sondern nur die Wehrkraft Deutschlands zu stärken. Leider
widerspricht diesem Programme vielfach die Handlungsweise der preussischen Diplomatie.
Ich bezweifle nicht, dass sie ohne oder vielmehr gegen den (Seist ihrer Instruktion gehandelt
haben, aber was ich in Wien erfahren, beweist, dass die österreichische Regierung den
Thatsachen nach an eine feindselige Absicht der preussischen Regierung glauben musste.
Ks liegt durchaus in der Macht des Grafen Rechberg, den Fricdensschluss von Villafranca
vollst Und ig zu rechtfertigen, es geschieht nicht — aus Stolz und vielleicht, weil man an-
steht, die öffentliche Meinung zum Schiedsrichter zwischen den (i rossmächten zu machen. —
Noch mehr, die Fortsetzung des Kampfes gegen Österreich habe keinen anderen Zweck
als das zu erzielen, was L. Napoleon nach dem Frieden von Villafranca erzielt glaubte: die
Trennung Österreichs von Deutschland und Preussen. Ks handelt sich jetzt wirklich um
die Rheingrenze. L. Napoleon glaubte Österreich soweit, gewonnen und gegen Preussen
erbittert zu haben, um dieses zu vermögen, einem Rheinangritt' zuzuschauen. Kr hat sich
geirrt und daher seine Wuth.
Ew. II och wohl geboren können sich darauf verlassen, dass dies der Kern der franzö-
sischen Politik ist und daher die lntriguen aus I ngarn und Italien stammen. Ich darf
auf diesen Punkt nicht weiter eingehen, aber so ist's!
Kräftigung der Wchrverfassung und Versöhnung des inneren Haders ist daher erste
Aufgabe einer vernünftigen patriotischen Politik. Ich habe Seine Majestät den Kaiser, den
Herrn (trafen Rechberg, die Generaladjutanten, Herrn von Meysenbug viel zugänglicher
und klarer in ihrer Weltanschauung gefunden, als ich zu hotten gewagt. Seine Majestät
liest jetzt alle Tage eine nach napoleonischem .Muster formirte Zeitungsrevue, kannte eine
Menge Details der politischen Bewegung in Deutschland, die Verluste, die seine Regierung
in der öffentlichen Meinung erlitten hatte, sprach von der Notwendigkeit, sie wieder-
zugewinnen, äusserte sich in feierlichster Weise über seine Pflicht, nie in einem Kampfe
gegen L. Napoleon Preussen und Deutschland im Stich zu lassen, erkannte die Not-
wendigkeit des politischen Parteilebens an. kurz, er zeigte eine ungewöhnliche Kenntniss
der Lage, der Bedingungen, sie zu bessern und einen sehr bestimmten Willen und Kifer.
mit Ausdauer zu arbeiten. Seine Hoheit würden wahrscheinlich den Kaiser nicht wieder
erkennen, wenn er früher so gewesen, wie man behauptet. Der italienische FVldzug hat
Wunder gewirkt: es ist offenbar in den höchsten Kreisen der beste und deutscheste Wille
*) Es« Ist der Herzog Krnst II. von Coburg gemeint.
Digitized by Google
344
Biographische Blätter.
vorhanden, nur fehlt es in ihm übrigen Kreisen. Fünfzigjährige (beistände bissen sich
nicht Uber Nacht abstellen und tüchtige Klüfte nicht aus dem Hoden stumpfen. Man muss
aber (Jeduld haben, nie milde werden anzuregen, die Ereignisse werden das Übrige thun. -
War bei der früheren Weltlage ein Kürst, wie Seine Hoheit, für Deutschland ein Kleinod,
so ist er heute gar nicht mehr zu entMiren. Nur Seine Hoheit steht ül>er den Parteien
und kann frei von allem Egoismus und jeder Eifersüchtelei das schwar/.-roth-goldenc Panier
tragen, der Ausdruck der möglichen konkreten Entwickelung Deutschlands in der Zeit
sein. Es heisut , sich ein Zeugni*s hig hster politischer l'nreife ausstellen . wenn man
darüber streitet, was einst aus Deutschland werden wird, ob ein Staatenbund, ein Bundes-
staat, ob die Hohen/ollem oder Habsburger mehr Anrecht auf die Führung haben. In
unserem Leben wird diese Frage nicht reifen; befassen wir uns zunächst mit den Bedürf-
nissen der (liegen wart, des kommenden Tages. Zunächst iril t es da offenbar den Kampf
gegen L. Napoleon vorbereiten, damit er uns nicht überrasche, und den Erfolg in demselben
möglichst zu sichern. Ich bitte Ew. II och wohlgeboren, mich gütigst wissen zu lassen, wie
ich am besten und nachhaltigsten dazu beizutragen vermag. Soweit mein Wille frei, stehe
ich «ganz zur Disposition Seiner Hoheit
Morgen Abend reise ich nach Augsburg ab, wo ich also am Ilten eintreffe.
Augsburg. 16". Februar 1S(50.
Wenn ich Ew. Hochwohlgehoren Aufforderung nicht umgehend nachgekommen, so
bitte ich das gütigst bei Seiner Hoheit entschuldigen zu wollen. Ich muss selbst diese
Minuten künstlich erübrigen. Wenn es in allen Hedaktionen so aussieht, wie bei der
Allgemeinen Zeitung, braucht man das Fegefeuer nicht mehr im Himmel zu suchen. Es ist
Deutschland, d. h. das politische Deutschland im Kleinen, Übelwollen, Misstrauen. Fanatismus.
Beschränktheit aller Orten. Ich bitte Sie dringend, hochgeehrter Herr, zu glauben, dass
Alles, was Sie in der Allgemeinen Zeitung Persönliches und Widriges finden, nicht von mir
und gegen meinen Willen geschieht. .Je ne suis pas le maitre und muss froh sein, wenn
ich nur einigermaassen harmonische Thätigkeit zu Stande bringe. — Täglich wächst die
Bedeutung der öffentlichen Meinung, aber diejenigen, welche wesentlich dazu beitragen, sie
zu bestimmen, sind Leute, welche keineswegs Anspruch haben, sie zu leiten.
Ich weiss nicht, wie weit ich Ew. Hochwohlgehoren Nachricht von dem Auftrage
gegeben, den ich in Berlin erhielt. Ich bemerke nur, dass ich ohne mein Zuthun von
Seiner Hoheit dem Fürsten empfangen wurde, und dass darin wohl der sicherste Beweis liegt,
dass ich nicht jener subversiven Partei angehöre, welche den Fortschritt nicht in organischer
Ausbildung, sondern im l'msturz sieht, und die nirgends fähig, sich dem Zwecke unter-
zuordnen, nach Kraft und Stellung dazu beitragen, sondern ihren Beruf darin findet, Alles
zu negieren, was an irdischer Un Vollkommenheit leidet. Ich hoffe, ein Exemplar meiner
Broschüre über meinen Austritt aus der preussischen Armee Ew. Hochwohlgeboren dem-
nächst Ubersenden zu können, woraus Sie sehen wenlen, dass ich mich nur der patriotischen
Übereilung, des Friedensstifters schuldig gemacht.
Wenn ein leidenschaftlicher Soldat, wie ich es noch heute bin, sein Leben und seine
Karriere an seine Überzeugung setzt, so ist das jedenfalls ein Beweis, dass diese Über-
zeugung eine warme und aufrichtige, dass meine fast meine Kräfte übersteigende und
schlecht belohnte Arbeit lediglich positive Ziele befolgt, dafür liefert jeder Tag den Beweis.
Ich bitte, diese Auslassungen gütigst zu entschuldigen, denn mir liegt daran, dass die Ver-
leumdungen der Tagespre>se mir nicht das Vertrauen Seiner Hoheit und das Ihre rauben.
Was die Verhältnisse in Wien betrifft, so will ich mit dem beginnen, was ich von
Seiner MajesUit gesehen und erfahren habe. Seine Majestät machte auf mich einen ausser-
ordentlich vortheilhaften Eindruck. Ich wurde zu besonderer Audienz nach Ein Uhr be-
fohlen. Ich begann sofort damit, eine scharf gezeichnete, aber di<« Hauptsachen richtig
wiedergebende Skizze der öffentlichen Meinung und der ganzen Lage Preussens zu geben,
ging dann zum Auftrage des Fürsten über, den (Münden der Nichtaktion Preussens während
Digitized by Google
Aus dem Briefwechsel von Hermann Orges.
des Krieges, dem Willen der Regierung, den Zusagen für die Zukunft. Seine Majestlt
unterbrach mich gelegentlich durch Äusserst korrekte Zwischenfragen, namentlich als ich
das eigentümliche, aus den Befreiungskriegen herstammende preussische Selbstgefühl und das
tief protestantische Wesen des östlichen Theiles der Monarchie schilderte. Als ich erwähnte,
wie dieses aus dem Verlauf der Ereignisse hervorgegangene Mißtrauen in Preussen bis
in die höchsten Kreise und so weit ging. dass man im Falle eines Angriffes am Rhein im
günstigsten Falle an die Neutralität Österreichs, wahrscheinlich aber an einen Angriff auf'
Schlesien glaube (so gross habe ich das Misstrauen in Herlin wirklich gefunden), flammte
das Gesieht Seiner Majestät auf und er sairte mit dem Ausdrucke lebhafter innerer Be-
wegung: „Wie kann man solche Schändlichkeiten von mir glauben. Deutschlands Grenze
zu vertheidigen, ist ja nicht bloss meine Pflicht sondern Österreichs eigenes Interesse".
I' h bemerkte, dass ich in Berlin dieser unsinnigen Annahme auch lebhaft widersprochen
und die Überzeugung zu schatten gesucht dass die Österreicher im Falle der Gefahr noch
eher an» Rhein als die i'reussen stehen würden, sagte Seine Majestät mit lebhafter Betonung
_.la. ja1* und drückte wiederholt und in wärmster Weise aus, dass Versöhnung mit Preussen
sein innigster Wunsch sei und, wie er stets gehofft, dass man endlich die Lage in Berlin
richtig ansehen würde. Ich berührte ausführlich den Punkt. da«s die guten Absichten durch
den Friedensschluss nicht hatten zur Verwirklichung kommen können. Seine Majestät
deutete dabei an. dass das gerade gefehlt, man habe aber von den guten Absichten Preussens
nichts bemerken können, sonst würde man ausgehalten haben.
Jen erlaube mir hier folgenden Satz einzuschalten: Ich habe mich selbst überzeugt,
dass die Noten des Herrn von Schleinitz und das Benehmen der Herrn von Usedom und
Graf Pourtales so zweifelhaft waren, dass man in Österreich eigentlich gar keine andere
Ansieht gewinnen konnte als die, Preussen habe sehr gefahrliche Hintergedanken und beab-
sichtige jedes Unglück Österreichs auf die egoistischste Weise auszunützen.
Ich gab dann die Erklärung, welche Seine Hoheit mir von der Breslauer Konferenz
gegeben und knüpfte dnnn daran eine Darlegung der inneren Zustände Polens und Russ-
lands. Die Breslauer Konferenz hatte nämlich, und ich glaube das, keinen anderen Zweck,
als I'reussen über den Rückenangriff zu beruhigen, obgleich dieses selbe I'reussen sich
geweigert, Osterreich darüber zu beruhigen, dass sich die »bewaffnete Yermittelung" nicht
auch möglicherweise gegen Österreich kehren könne. Seine Majestät schien jedes Wort zu
beachten und fragte mich ausdrücklich nach allen (Quellen und Gründen, hinzufügend: Glauben
Sie. dass man in Berlin die Lage Russlands kennt und richtig beurtheilt? Ich ging dann
auf die Stellung des südlichen Deutschlands während des Krieges über, auf das Vertrauen,
das allgemein Seine Hoheit der Herzog gerade in den reindeutschen Staaten genösse, dass
ich selbst jede wichtige Nachricht Ihnen. Herr Kahinetsrath einsende, in der festen l'ber-
zeug/ung, dass sie dort in den besten Händen sei. Ich entwickelte darauf, wie emsig und
ausdauernd gerade Seine Hoheit während des Krieges für den Anschluss an Österreich
thütig gewesen, wie ich namentlich immer von dem Herzoge durch Ew. Hoehwohlgeboren
angespornt worden bin, nicht in der Agitation nachzulassen. Ich legte darauf einen weit-
läufigen Bericht Uber die kleindeutsche Bewegung ab und namentlich über die Notwendig-
keit, der Bewegung der Geister nicht gewaltsam entgegen zu treten. Seine Hoheit hätten
deshalb der Bewegung in Gotha eine Stelle eröffnet, so gut wie sie jede andere gesetzlich
berechtigte Konföderation dort gefunden haben würde. Der Kaiser unterbrach mich hier
mehrfach und stets korrekt den Faden auffassend, sich erkundigend, was die Sympathieen
in Süddeutschland für Österreich hervorgerufen und wodurch sie verloren gegangen waren.
Ich nuisste dann antworten, welche Mittel es gäbe, diese Sympathieen wieder zu gewinnen.
Seine Majestät sagte dann: Es ist sehr Vieles und Grosses nachzuholen, der beste Wille
dazu ist vorhanden, aber bei allem Eifer ist es unmöglich, rascher damit vorzugehen, die
Hindernisse sind ungeheuer und die Arbeit sehr schwer. Dann wurde ich entlassen. -
Meine Audienz dauerte volle fünfviertel Stunden und ich habe *Veine Sekunde mit über-
Digitized by Google
Biographische Blatter.
flüssigen Redensarten verloren, sondern Alles so kurz, und entschieden entwickelt, als ich
es vermochte. Kin paar Mal, wo ich Dinge sagen musste. die Seiner Majestät sehr unan-
genehm, fragte ich. ob ich frei mich aussprechen dürfe, der Kaiser sagte jedesmal: „Nur
zu und ohne Scheu**. Ob ich auf Seiner Majestät Anschauungen einen KinHuss geübt,
kann ich natürlich nicht sagen, gewiss ist nur, da.ss ich freier gesprochen, als ich je in der
Augsburger Zeitung geschrielien habe; die Zwischenfragen des Kaisers waren so bestimmt,
dass ich keinen Augenblick darüber in Zweifel sein kann, dass Seine Majestät meinem Vortrage
mit gespanntester Aufmerksamkeit folgte. Alles was der Kaiser an positiven Dintren sagte,
war sehr deutsch und liberal. Ich weiss nicht, ob Seine Majestät früher ebenso gewesen,
aber ich muss doch bemerken, dass das kaiserliche Arbeitszimmer entschieden den Charakter
der emsigsten Tätigkeit trug. Ks wird jetzt jeden Tag für Seine Majestät eine grosse
.loumalrevue angefertigt, wie für Louis Napoleon, und ich sah auch, dass Seine Majestät
in der Tagespresse vollständig orientirt war. (ielegentlich einer Unterredung mit Herrn
(iraf Crenneville und Herrn (.traf von St. (juentin habe ich die Pberzeugung gewonnen,
dass Seine Majestät sehr fleissig arbeite, denn beide Herren wurden wiederholt unterbrochen,
durch Pahustgendarmen unterbrochen, die Mappen mit Berichten von Seiner Majestät brachten,
die sogleich beantwortet werden mussten. Wenn ich nicht irre, hingen von dem Kaiserliehen
Arbeitstische eine Spezialkarte von Venedig und eine von Suddeutschland herunter. Der Mann,
den» ich in Wien am meisten vertraue, Freiherr von Bruck, sagte mir wiederholt, dass man
Seiner Majestät Alles sagen könne und ich nur frei von der Leber weg sprechen sollte.
Das ist jedenfalls nicht gering anzuschlagen. Die Meneraladjutanten Seiner Majestät, die
also wohl am meisten in persönliche Berührung kommen, sind sehr tüchtige Köpfe und (iraf
St. (Jucntin von warmem Mensen. Sie liegen nicht auf Bosen, sondern sind fortwährend
in der angestrengtesten Thatigkeit Der Kindruck, den sie machen, ist sehr wohlthuend.
wühlend z. B. Herr (.iraf Mrünne schon durch sein Wesen dem Kaiser sicher sehr viel Feinde
gemacht hat. Herr (iraf von St. (Juentin hat ein sehr korrektes Urtheil über die («esainint-
lage und den Mang der Meister, das hat übrigens auch Seine Majestät. So sagte der Kaiser
z. B. wörtlich auf mein Bemerken, dass das lieferen mit ausgesprochenen Parteien stets
sehr schwierig, aber eben die Bildung von Parteien nicht mehr zu verhindern sei: .Ja,
wenn die Parteien sich nur erst gebildet hätten, dass man sie deutlich erkennen kann,
aber das ist nicht der Fall und das Schlimmste, wenn sie schweigen oder andere Ziele ver-
folgen als sie sagen", -- Ks ist möglich, dass mir noch mancher charakteristisch'1 Zug aus
der Hofburg einfallt - ich werde ihn nachtragen. Herr (iraf von Hechberg scheint mir ein
Diplomat alten Schlages zu sein, der den besten Willen hat, aber den (ieist, der seit 1*4*
durch die Welt geht, nicht mehr recht versteht. Ich war zwei Mal, das eine Mal über
zwei Stunden bei ihm, und es war kein Vortrag, sondern eine vollständige politische Dis-
kussion. Herr (iraf von Beehberg stützte sich stets auf Pegeln aus der Vergangenheit,
ohne, wie es schien, den ganz verschiedenen Verhältnissen Rechnung zu tragen. So igno-
rirte oder unterschätzte er offenbar die ungeheuere Bedeutung des Verkehrs. Ich kam
wiederholt darauf zurück, aber ich sah. dass ihm Alles, was in das eigentlich nationalökono-
mische Meldet fallt, unangenehm war: wahrscheinlich kennt es der Mraf nicht genau.
Als ich wiederholt hervorhob, wie sehr die öffentliche Meinung auf kleine Dinge
Werth lege. z. B. auf das bürgerliche Kleid (der Kaiser geht bekanntlich stets in I niform)
sagte er bestimmt: Man muss dieser Richtung keine Konzessionen machen! Kr betrachtet
das offenbar als reine Komödie. Dagegen ging (iraf Rechberg sehr tief darauf ein. was
ich Über die Diplomatie sagte. Ich suchte nämlich nachzuweisen, dass dieselbe für ganz
andere Verhaltnisse, die reine Kabinetsregierung. gegründet sei und seit der Zeit eine Menge
neuer Momente ins Spiel gekommen, ich wollte nur die Börse erwähnen. Der Kredit, die
Breese, die öffentliche Meinung, das Partei treiben, über welches eine < iesandtschaft nichts
erfahren könne. Nur wer selbst Parteimann ist. wisse was die Parteien wollen. Die>
Thema interes>irte ihn sehr und nachdem ich ihm früher Alles, was ich Seiner Majestät
Aus dem Briefwechsel von Hermann Orges.
347
mitgetheilt dargelegt, Hess er mich weitläufig Uber die Parteien in Deutschland. üU»r die
Bewegung- der Geister, die Ursache der Antipathie gegen Österreich, berichten. Kr ging
auf alle diese Sachen tief ein und wie gesagt, stets wie ein Mann, der den wahren Kern
der Sache doch nicht erfas.sk Ks war etwas Fremdes in seinen Anschauungen. Ich muss
es in die Worte fassen: er ist offenbar kein Kind der Zeit, in der wir leben, sondern ein
abgeschlossener Charakter, der seine Bildung, seine ganze Anschauung einer anderen Periode
verdankt Kr hasst offenbar das Parteileben, (ranz das Gegen theil von diesem Allen ist
Herr Baron von Bruck, der steht nicht blos in, er steht ilber seiner Zeit, erkennt das Spiel
der Krilfte, die Natur derselben, will nicht gegen sie, sondern durch sie und mit ihnen die
Welt vorwärts schieben. Dauns grosse Fehler gemacht, erkennt nicht bloss er, sondern auch
Graf Rechberg und selbst Seine Majestät an. aber Keiner fahrt die Fehler so klar und bestimmt
auf die wahren Grundursachen zurück. Da ist nirgends ein Sprung in den Gedanken,
daher auch nirgend Unruhe, nirgend falsche Zuversicht, und doch Vertrauen in den Welt-
rang. Der beste Wille ist da. sagte er mir wiederholt, aber hundertjährige Fehler lassen
sich nicht plötzlich lindern, dazu gehört eine Generation. Vielleicht wissen Herr Kabinets-
rath. das» das ganze (ieschrei von den 111 Millionen eine Absurdität. Die 111 Millionen
fanden sich als Defizit in den Staatskassen, da Reiehsscbatzseheino nicht mehr giltig. so wurden
als Dokument die Obligationen hineingelegt. In den Handel sind sie nie gekommen.
Montag, den 20.
Ich kann wohl heute die Zeit abmüssigen. um weiter zu schreiben. Sie werden
naebfragen, woher das Defizit? Kuer Hoch wohlgeboren wissen, dass Seine Majestät sich
selbst die Armeeverwaltung vorbehalten. In dem projektirten Budget stand sie mit KM) Mil-
lionen ausgeworfen, ich selbst habe ein Budget von 18f>7 gesehen, wonach sie 127 Millionen
gekostet. Das Defizit ist also leicht erklärbar, und wenn es dieser (Quelle entstammte,
entzog es sich der Kontrolle des Finanzministers. Freiherr von Bruck kennt alle Kräfte
des heutigen Volkslebens, unterschlitzt weder die grossen Schwierigkeiten, die sich der Knt-
wickelung entgegenstellen, noch Überschätzt er die Kräfte, über welche die Regierung dis-
poniert, trotzdem ist er vollständig ruhig und über den (Sang der Dinge ganz im Klaren.
Ich bemerke nur das eine, was für die Genialität dieses grossen Staatsmannes spricht, das.'.
er sich schon jetzt mit der Abschaffung der Tabaksteuer beschäftigt , die Krmassigung der
Zölle stetig im Auge hat und von der Kntwickelung der freien Thätigkeit der Kräfte das
Ziel der Zukunft erwartet. Kr ist der Hort Österreichs und vor allen» des Deutschthums
in ihm. Seine Thätigkeit wahrhaft ausserordentlich, denn ich habe um 10 Uhr Morgens
das Vorzimmer gefüllt gefunden und habe selbst nach 10 Uhr Nachts noch ihn an der
Arbeit gefunden. Kr hat mich immer spät in der Nacht empfangen, um sich weiter aus-
hissen zu können.
Weniger Hoffnungen durfte ich auf den Minister Goluekowski setzen: er ist Pole in
der ganzen Bedeutung des Wortes. Kr wird sich nicht halten können. Kr soll weder da*
staatsmännische Geschick haben, was seine Stellung erfordert, noch auch nur den nöthigen
Fleiss; auch wird ihm vorgeworfen, ich weiss nicht mit welchem Recht, des deutschen
Rechts- und Billigkeits-Gefühls vollständig zu ermangeln. Die allgemeine Stimme wünscht
Herrn von Schmerling an die Spitze der inneren Verwaltung. Kr geniesst das allgemeine
Vertrauen in den massgebenden Kreisen. Der Polizei-Minister Herr Baron von Thicrry
soll ebenfalls seiner Aufgabe nicht gewachsen sein, weil er der Staatsverwaltung fern ge-
blieben. Der Wille ist gut, das ist gewiss, und er ist ein wohlwollender, deutsch fühlender
Mann. Sein Vorgehen gegen die Presse, die durchaus in jüdischen llünden liegt, ist nicht
zu verwundern. Diese Leute sind ohne jeden Verlass und das werthloseste, haltloseste
Volk, was sich denken lässt.
Über die Armee ist wenig zu sagen. Die Missstimmung war gross: es wird allmalig
besser. Feldzeugmeister Benedek hat nur provisorisch den Gcneralstab. Feldmarsehall-Kieute-
nant Raming wird ihn erhalten. Benedek ist für jetzt für Italien nicht zu brauchen, weil
Digitized by Google
:U8
Biographische Blatter.
er zu schart* ist und Alles niederschlagen würde. Ks bedarf dort eines ruhigen systemati-
schen pedantischen Kommandeurs, der nicht leicht sich reizen lasst. Feldiuarschall-Lieute-
nant Hauslalt sagte mir. dass binnen einem .lahr das ganze österreichische Feldartillerie-
Material umgeändert sein würde, soweit es nüthig. Fr legte keinen grossen Werth auf die
gezogenen (Jeschütze. sie hatten «rar kein t "bergewicht gegeben, es würde nur Alles darauf
•reschoben, um andere Fehler zuzudecken.
Feldmarschall Lieutenant Ramming ist Generalstäbler von Fach, kennt das {ranze Per-
sonal, seine Übernahme des Stabs kann also ohne Nachtheil im letzten Augenblicke er-
folgen, wo Bcnedek zur Armee abgeht.
Was die äussere Politik betrifft, so ist der Kaiser und mit ihm das ganze Ministerium
fest entschlossen, unter keinen l'mständen sich von Deutschland zu trennen und auf franzö-
sische Anerbietungen einzugehen. Ks ist gewiss, dass Louis Napoleon gehofft hatte, nach
dem Frieden von Villafranca Österreich gewonnen zu haben und es bewegen zu können,
im Falle eines Angriffs gegen den Rhein neutral zu bleiben. Ja es scheint mir, dass man
noch weiter gegangen und grosse Anerbietungen, namentlich Zustimmung zur Annexion der
Walachai und Moldau gemacht, aber man hat in Wien Alles scharf und bestimmt abgewiesen.
.Man wird, hörte ich von den höchsten Militärs sagen, seine Khre darin setzen, nicht der Letzte,
sondern der Krste auf dem Kampfplatz zu sein. Ausserdem will man sich alier ganz auf
der Defensive halten. Was Kw. Hochwohlgeborcn mir über den Vertrag mit dem Papst
gesagt, dürfte wohl zu moditiziren sein, sicher hat man sich nur über die mögliche Organi-
sation ausgetauscht, nicht mehr, nicht weniger. Bestimmt und entschieden ist darüber Nichts.
Ich glaube nicht , dass man irgend eine Anbahnung ernstlich sucht, als die an Prenssen
und Deutschland, in der Überzeugung, dass nur dort eine Basis zu linden, die eine dauernde
Allianz sichere, während man weiss, dass Russland machtlos ist und England Sonderzwecke
verfolgt. Man erwartet die Allianz mit Deutschland aber weniger von der äusseren Noth.
sondern, wie ich bestimmt versichern kann, von der inneren Fntwicklung Österreichs. K>
führt mich dies auf die innere Politik. Die leitenden Grundsätze des Ministeriums finden
sich in den * * * Wien «zur Verfassungsfrage in < >sterreich". Im Allgemeinen kann ich
darüber Folgendes sagen. So klar die höchsten Persönlichkeiten im Allgemeinen über die
Bedürfnisse des Landes sind. .ebenso gewiss ist es, dass die Werkzeuge zur Ausführung der
Reformen ausserordentlich viel zu wünschen übrig lassen. Was nützen alle Bestimmuntren,
wenn die Ausführung überaus mangelhaft. Das jetzige Verwaltungssystem Österreichs war
auf schlechte Beamte berechnet: unendliche Kontrole: jedes bessere Yerwaltungssystem setzt
auch bessere Beamte voraus und sie fehlen. Jede Besserung muss mit grösserer Freiheit
und Selbstständigkeit der Verwaltung beginnen, aber wenn dann die Beamten nicht tüchtig,
werden die Fehler noch grösser werden als bisher, weil Willkür leichter. Trotzdem ist man
wirklich emsig bemüht, Wandel zu schaffen, aber man ist erklärlich gozwungen zu flicken,
weil zum Neubau das Material fehlt, es muss erst heranwachsen. Dazu kommt, dass der
neue Verkehr mit seinen ungeheueren Anforderungen an erhöhte Thätigkeit, die neue Politik
mit den ungeheueren Anforderungen an erhöhte Fnergie und Aktion des Volkes fast über
Nacht eingetreten. — Das sind die Österreicher nicht gewöhnt. Sie klagen und schimpfen,
aber Hand anlegen will Keiner. Der Adel war mit der Ablösung sehr zufrieden, er hat
dadurch grosse Mobiliarwcrthe in die Hand bekommen, zugleich ist das Figenthnm so ge-
stiegen, dass trotzdem der Werthverlust sich fast ausgleicht. Aber die Obligationen sind
versilbert, verjubelt, verspielt. Die Selbstverwaltung wird allo Tage schwerer, mühsamer.
Das Heranziehen der Arbeitskräfte ist eine Sorge, die man früher nicht kannte. Bessere
Bewirtschaftung verlangt Kapital, das nicht mehr vorhanden, weil vergeudet. Tiefe Miß-
stimmung daher überall, mau sehnt sich nach den früheren Zustünden zurück, ohne zu be-
denken, dass man gerade nur durch die damaligen Fehler die heutigen Vbel herbeiführte.
Jene früheren Zustande, die der haut« aristoeratie eine so besonders günstige abnorme Stellung
Aus dem Briefwechsel von Hermann Orges.
349
gaben, knüpfte an die nationale Selbstständigkeit an. daher ist die haute aristoeratie überall
Trauer der nationalen Opposition gegen den Einheitsstaat.
Für den freisinnigen Fortschritt, den Fortschritt im materiellen und geistigen Gilter-
lelien. fehlt die erste Grundbedingung: der Bürgerstand. Seine Hebung und Vermehrung
ist daher die erste Bedingung für den Fortschritt und der Kern des Programms des neuen
Ministeriums. Ausserdem fehlt noch jede Organisation und Konsolidirung der J'arteien und
Interessen: die Forderungen sind zum Theil ganz widersprechender Natur, weil Alles nur
bich und nirgend dem t'brigen und Ganzen Rechnung trügt. So schimpfen alle Tiroler
über die Kntwerthung des L'igenthums, Zurückgehen der Industrie, al>er keine Protestanten,
keine . luden! schreit gleichzeitig die ganze Provinz. Bei den Gefahren, die drohen, hat man
die Parteien nöthig. man muss sie also nach der Kraft, die sie gewähren, berücksichtigen.
Wäre Gleichgewicht unter ihnen vorhanden. so wäre der Fortschritt leichter, so kann man
nicht zu dunsten abstrakter Gerechtigkeit, in Betracht der drohenden Gefahr, sich entfremden,
was man morgen braucht. Parteien vor den Kopf stossen. von denen man vielleicht morgen
grosse Opfer beanspruchen muss, während die. für welche man die Konzession verlangt hat.
ganz unflihig sind diese ungeheure Schwierigkeit der Aufgabe ist nicht zu verkennen,
lud ferner werden Reformen verlangt, die theil weise die vorhandenen Kräfte todt legen,
rtatt sie neu zu gruppiren.
Kins ist gewiss, dass die Regierung nie Deutschland aufgeben wird. Emsig un»l
stetig voran arbeitet Österreich auf ein den deutschen Zuständen sich näherndes Niveau
hin um die Nationalitüten in ihrer Abgeschlossenheit durch die Macht des Verkehrs und
die Macht der Bildung zu besiegen.
Wo Nie Widerstand findet, wird sie jede thunliche Konzession machen, nirgend schroff
und gewaltsam auftreten, es sei denn, dass das Ganze dadurch gefährdet wird. In Italien
will man möglichst verhindern, dass Märtyrer entstehen, man will die äussersto Langmutb
üben. (vl»rigt?ns bereitet man sich andererseits zum Aussersten vor, da man überzeugt ist.
das* Louis Napoleon keinen Augenblick verlieren wird, um seine Pläne in Ausführung zu
bringen, doch hofft man. dass die gewaltsame Kntwickelung sich bis zum nächsten .lahre
verzögern lässt. Ich weiss nicht, hochverehrtester Herr, ob es mir gelungen, Einiges zu
Ihrer Kenntnis* der österreichischen Zustände hinzuzufügen, ich gebe den Eindruck wieder,
den das Ganze auf mich gemacht. Ks ist offenbar eine Weideperiode. Vieles natürlich
in der Aurlösung begriffen. Anderes chaotisch durcheinandergeworfen, Drittes noch fremd,
unbehaglich, unfähig in seiner neuen Form. Mangel ati Selbstvertrauen und Misstrauen
natürlich häufiger wie klares selbstbewußtes Walten, aber doch wieder manch volles kräftiges
Können und eine anwachsende Generation, deren Oeist unter dem Anstoss von innerer und
äusserer Gefahr erzogen wird, die sich beginnt durchzuringen und dem Schlimmsten ins
Auge, und zwar trotzig ins Auge zu sehen lernt. Hins ist unendlicher werth, Seine
Majestät gehört selbst dieser Generation an.
An diese Schilderungen aus dein .lahre 18(><> über die Lage Oesterreichs sei
noch aus gleicher Zeit ein Bericht über die Verhältnisse in Bayern und über eine
Unterredung mit dem Könige Max I I. aus der Correspondenz von Orges angeschlossen.
{>. März lK(iu.
. . . Am 7. liess mich S. Maj.* ) vor sich bescheiden, offenbar um nieine Ansicht über
die innere und äussere politische Lage zu hören. Ich habe dieselbe im Sinne der inneren
Kinheit und des Friedens und des Kampfes gegen Aussen entwickelt. Der König ging auf
Alle- tief ein und schien von der Notwendigkeit des Kampfes tief durchdrungen. Darauf
inusste ich zum Kriegsminister, der die Lage mit offenbarem Vergnügen als möglichst
gefährlich sich beschreiben Hess. General Lüder ist ein Mann zum Dreinschlagen. Er sagte
mir wörtlich: „Der Himmel hat mich zweimal na. Ii Paris geführt, ich hoffe er wird so
•) König Max II. v. Hävern.
Digitized by Google
350
Biographische Mütter.
gnadig -<oin. mich es noch einmal sehen zu lassen1". Kr ist. nach Amberg. wo binnen
S Wochen "24 000 Musketen gezogen weiden sollten, als momentaner Ersatz für die noch
fehlende Anzahl von l'odewils (iewehren. Von dem Podewils Massengewehro sind 5000
fertig, und 10000 werden noch bis Ende 18(10 fertig, mit l'odewils (iewehren etc.
. . . Sowie die Sachen liefen, können binnen 4 Wochen nach erfolgtem Befehl 70000
Mann schlagfertig sein und zwar 50000 Mann für das freie Feld, 40000 Mann Infanterie
und 15000 für die l'estungen. 50(K) Mann tür die Depots und (iaroison. Wenn man die
Chargen aus den vorhandenen Bataillonen flir die Errichtung 4. Bataillons nimmt, >o
können nach 3 Monaten abermals 20000 Mann aus allen Wallen durch Kinbenifung der
unmontirten Assortirten — entsprechend schlagfertig sein: die Ausrüstung ist dazu vor-
handen. Die Bataillone werden mit 5 Kompagnien ins Feld rücken, weil die 0. als Stamm
für die 4. Bataillone zurückbleiben soll. Ausserdem werden dann noch je 3 Kompagnien
pro Regiment als Ersatzbataillone errichtet Auch werden 2 neue Jagerbataillone er-
richtet . . . Unter der (ieneralitat ist kein einziger Divisioniir diensttüchtig und kein
einziger (Jeneralmajor befähigt, ein Kommando aus allen drei Waffen zu führen, mit Aus-
nahme des (Jen.-Maj. v. d. Tann, (ien.-Maj. Zeller und (ien.-Maj. Feder. Der tieist in der
Armee ist vortrefflich, die Ausbildung nicht schlecht.
(iestern war Baron Lerchenfeld, der Führer der Kammermajoritat. bei mir. An
Held soll es nicht fehlen, wenn man nur es für die richtigen Zwecke ausgeben will: die
sittliche Entrüstung des genannten Herrn über die Pariser Wirthschaft und die Gefahren,
die bloss durch die Korruption allein dem deutschen Volke von dort drohen, i*t bis zum
leidenschaftlichen Zorn gestiegen. Soviel ich höre, geht S. Maj. über Brüssel nach
England, um einen vollständigen Blick in die politische Lage thun zu können, auch ist
wohl Montreux nicht ohne Absicht gewühlt.
Die preussische Presse ist nicht müde geworden mich in dem Vogtschen Prozess
anzugreifen und zu begeifern und nun? (ilaubt man wirklich, das Professor Vogt natur-
wissenschaftliche Unterhaltung im Palais royal führt? In der That eine Politik, die ich
nicht hegreife: Vogt disponirt über Hunderttausende, er bat ein vollständiges Korrespondenz-
bureau. Seiner Hoheit wird die Einlage interessant sein und daraus erkennen, das- Louis
Napoleon wirklich mit der deutschen Demokratie angebKndelt hat. und dass Prof. Vogt einer
seiner Agenten. Die Leute dienen ihm natürlich um das altbegründete Restehende zu
stürzen; mit seiner ephemeren lastig aufgebauten Macht glauben sie leichteres Spiel zu
haben. Sie sehen. Herr Kabinetsrath, diese Demokraten vertrauen mir, d. h. meiner
patriotischen (Jesinnung. obgleich ich doch wahrlich nicht mit ihnen gehe, auch die
Augsburger Zeitung noch nicht in dein Kufe steht, ein demokratisches Blatt zu sein.
Es war die Aufgabe der preussischen Fresse, dies darzuthun — als ich durch den Konflikt
mit Vogt diese Intriguen im Keim zu ersticken suchte. Diese Art an der Bekämpfung
eines gemeinsamen Feindes zu arbeiten ist mir neu.
Aus einem Briefe s. d.
Man sollte mir dankbar sein nicht für das, was ich schrieb, sondern für das, was
ich verschwieg. Ich weiss sehr wohl, dass (Jraf l'ourtalcs, Herr von Usedom u. s. w. nicht
im Auftrag handelten und Vieles als persönliche Politik trieben, wofür die Regierung nur
insofern verantwortlich, als sie sie in ihren Aemtern liess. Aber wenn ich veröffentlichte,
was ich darüber weiss und belegen kann, würde die öffentliche Meinung auch diesen Unterschied
machen? Wird sie einen Augenblick zweifeln, dass wirklich Preussen doppeltes Spiel
getrieben und die Befürchtungen, die zum Frieden von Villafranca trieben, leider nur zu
begründet waren. Wenn man in Wien jetzt einen I nterschied macht zwischen dem. was
der Prinz Regent gewollt und dem. was seine politischen Agenten gethan. so ist da>
zum Theil wenigstens mein Verdienst und dafür muss mich zum Dank die Preussische
Zeitung mit Schmutz bewerfen und die königliche Regierung leiht, ihr dazu die Manual-
acten. denn der Vorname Henry, den ich auch führe, steht lediglich in meinem Curriculum vitae
Digitized by Google
Aus dem Briefwechsel von Hermann Orges.
351
von der Artillerieschule. Halt ich je in den 10 .lahren meiner Dienstzeit (ausser den
Dummheiten auf der Schule) mioh auch nur des mindesten Vergehens schuldig gemacht,
ja auch nur einen Verweis, geschweige eine .Strafe erhalten? Ich will den Schleier über
den IS. März nicht heben, aber wahrlich, wer dem ruhig zuschauen konnte, der musste kein
(Jefiihl haben, l'nd man macht sich noch breit, als wäre die Streichung aus den Listen —
eine Strafe: Wer hat mich angeklagt? Wer bat mich verhört? Wer gerichtet? Mir
ist von alledem nichts bekannt.
Der letzte in das persönliche (Jebiet übergehende Brief von Hennann Orges
ist für die Wandlung bezeichnend, die in den deutschen Verhältnissen nach 1 H»>0
mehr und mehr eintrat, und nun auch die Oegensätze mehr und mehr verbittert
erscheinen lässt. Die Vei-suehe zwischen Österreich und Preussen Brücken zu
hauen, woran Orges. wie man gesehen haben wird, mitzuwirken berufen wurde,
scheiterten, und auch die Augshurger Al)g. Ztg. hat im Laufe der nächsten
Jahre ihre Feindseligkeit gegen Louis Napoleon mit einer nicht minder heftigen
Sprache gegen die preussische Regierung, gegen Bernstorff. Bismarck u. s. w. zu
vertauschen begonnen.
Es ist nicht die Absicht hier ein ganzes Lebensbild zu zeichnen; die Episode,
von der die voranstehenden Brief»' Zeugniss geben, ist nur deshalb herausgehoben
worden, weil wichtige historische Persönlichkeiten hier in einer zum Theil un-
erwarteten Beleuchtung erscheinen. Was dagegen die politische Entwicklung des
ehemaligen preussischen Artillerie - Offiziers und Redakteurs der Augshurger
Allg. Ztg. in persönlicher Beziehung betrifft, so könnte sie fast ebenso tragisch
genannt werden, wie das Lebensende desselben, in Kolge eines unglücklichen Zufalls,
wahrhaft beklagenswerth war.
Orges. der noch im .Jahre 1 8«>(» das österreichische Bcamtenwesen und be-
sonders den Chef der auswärtigen Angelegenheiten. O raten Rechberg, ganz trefflich
zu charakterisiren wusste, verfiel seit 1803 fast ganz den Irrwegen der am
Wiener Ballplatzc herrschenden Parteipolitik, von denen zwar das vielbelobte Werk
des Herrn von Sybel nicht die leiseste Ahnung aus den „Akten des preussischen
Archivs- zu ziehen vermochte, von denen aber der treffliche „Lebenslauf" Julius
Fröbels eben genug enthüllt hat. um zu erkennen, um was es sich eigentlich handelte.
Orges vertauschte schliesslich seine Stellung bei der Hedaktion der Augsburger
Allg. Ztg. mit einem offiziellen Posten in Wien, der ihm zwar viel Beschäftigung,
aber wie man ihn klagen hören konnte, keine volle Befriedigung gab. Die Zeiten,
wo mau zu träumen vermochte ein neuer österreichischer Oentz zu werden, waren
längst vorüber, und die halb oder ganz konstitutionell gewordenen (Jentze waren
jetzt dutzendweise vorhanden. Als die (legensätze zwischen Österreich und
Preussen «'inen auch militärisch immer bedrohlicheren Charakter annahmen, hatte
man im Verkehr mit H. Orges den Kindruck, dass sich der ehemalige preussische
Offizier innerlich ejgcntlioh sehr unbehaglich fühlte, ohne es an entscheidenden
Stellen merken lassen zu können. Es war deutlich, dass er. wie so viele andere
deutsche Männer, in dem damaligen Wien eine Sache vertheidigte. an die er nicht
glaubte. Dem Biographen von Orges. wenn er sich finden sollte, der ich aber
nicht sein will, muss es als eine wahrscheinlich nicht erquickliche Aufgabe vor-
behalten bleiben, die psychologische Begründung für dieses Schicksal zu suchen.
Ohne Anspruch auf Oewissheit zu erheben, möchte ich immerhin die Vermuthung
auszusprechen mir erlauben, dass Orges. sowie mancher andere im .lahre 184s
verunglückte Offizier, auf die neue Aera in Preussen .Hoffnungen einer Rehabilitation
gesetzt hatte, die sich nicht erfüllten. Der Prinz Uegent blieb bekanntlich gegen-
über koinpromittirten Militärs unerbittlich wer möchte wohl wissen, wie viel
verlorene Hoffnungen in den Kämpfen von iHCri 1S70 gegenüber von Preussen
Digitized by Google
352
Biographische Blatter.
eine ethisch /.war nicht zu rechtfertigende, aber jedenfalls in allen .Jahrhunderten
der Weltgeschichte nicht man feinde Holle ^f>pi»*lt haben.
Dass unter der mit Orden sehwerbehangenen Bimst des ruhelosen, jetzt zwar
geritterten Redakteurs der Augsburger Allg. Ztg., der es. wenn ich nicht irre,
doch nicht weiter als zu einem einfachen Begieruugsrnth brachte, ein befriedigte*
Heiz geschlagen hätte, möchte ich mit Sicherheit zu läugnen aus meinen eigene»
Krinnerungen mich erdreisten.
Im Sommer 1874 traf den r>;j jährigen Mann ein ausserordentlich trauriges
Geschick. Kr war in einem überfüllten Tramwavwagen von Dörnbach nach Wien
gefahren und verlor, auf einer Stufe der vorderen Plattform stehend, seinen Stock,
den er nicht missen wollte. Bäsch entschlossen, wie er war. sprang er herab,
gerieth unter die Bäder und starb nach *_>4 qualvollen Stunden im Allgemeinen
Krankenhause, wohin man ihn sofort gebracht hatte, ohne dass er gerettet
werden konnte.
ANZEIGEN.
Schillers Briefe.*)
Briefpublikationen können aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten unter-
nommen worden. Je nach dem Gesichtspunkt soll auch die Methode eine ver-
schiedene sein.
Briefe sind zuvörderst die unmittelbarste und unwillkürlichste Form der
schriftstellerischen Thätigkeit. Insoweit er Briefe schreibt, ist jeder Mensch
Schriftsteller. Und nicht blos unbewusst. sondern sehr oft auch bewusst: die
einzige litterarische Ambition, auf welche Millionen gebildeter Menschen Ansprach
machen, besteht darin, hübsche Briefe zu schreiben und sieh als Korrespondenten
in ihrem Freundeskreise angenehm zu machen. Man darf im Allgemeinen be-
haupten, dass der briefliche Ausdruck der nicht schriftstellernden Menschen ge-
wählter und gesuchter ist als ihr mündlicher Ausdruck selbst, in der feinsten
Causerie; man hält etwas auf seinen Stil, wenn man sich au den Schreibtisch
setzt und etwas Schriftliches von sich giebt. Ganz ungekünstelte Briefe werden,
kraft Wirkung des Gegensatzes, fast nur von Schriftstellern geschrieben. Sogar die
Frau Bath ist feierlicher und umständlicher, wenn sie schreibt, als wenn sie redet.
Briefe sind also in erster Linie litterarische Produktionen, selbst bei Nicht-
Schriftstellern. Sie sind es um so mehr, je mehr Werth einer darauf legt. si. h
mitzutheilen und auszusprechen. Sie sind geschriebene Monologe, wobei man immer
einen Zuhörer, also ein Publikum, vor Augen hat. Ist ein Schriftsteller der Brief-
schreiber, dann stellen uns seine Briefe gleichsam die Urform seiner schriftstelle-
rischen Thätigkeit vor. sie führen uns in die Urzolle seines Talentes. Xämlich:
wenn er Werth darauf legt, sich mitzutheilen und auszusprechen.
Denn es kann auch das (iegentheil stattfinden. Ks kann ein Mensch nie-
mals Werth darauf gelegt haben, sondern es bloss als eine Last empfunden haben,
Briefe schreiben zu müssen. Künstler und Gelehrte, denen es vergönnt ist ihr
Inneres in grossen und unsterblichen Werken auszusprechen, verstummen oft im
Kritische <i»*s:uiimtau-;gabe . herausgegeben inul mit Anmerkungen versehen von
Fritz Jonas. .Deutsche \>rla<j>anstalt. Stuttgart. lS'.ej IV.
Digitized by Google
Schillers Briete.
brietliehen Verkehr. Auch äussert' Gründe können maassgebend werden: wer
eine schwer leserliche Handschrift schreibt oder wessen Hand leicht ermüdet, der
wird keine ausgebreitete Korrespondenz führen. Hier fehlt überall die Müsse
und das Behagen an dem brieflichen Ausdruck. Hier herrschen nicht freie Heiter-
keit und K\mst, sondern die blosse Nothdurft. Solche Briefe haben keine litte-
rarische Ambition und auch gar keinen litterarischen Werth.
Aber auch der eifrigste Briefschriftsteller und Brietliebhaber wird einen
grossen Theil seiner Korrespondenz ohne Weihe und ohne Liebe geschäftsmässig
abfertigen. Die äusseren Umstände werden ihn mit h igen, auf eine ]döt/liche An-
frage mit müdem Kopf postwendend zu antworten oder der dreisten Zumuthung
eines Fremden mit lästigen Wendungen auszuweichen oder mit einem (leschäfts-
manne in herkömmlichen Formeln zu verkehren. Goethe hat sich in seinem Alter
bekanntlich für alle diese Fälle einen typischen Stil zurechtgelegt. Es wird aber
selbst bei (Joethe schwerlich .lemand behaupten wollen, dass alle seine Briefe
aus späterem Alter literarischen Werth besitzen. Wer ein paar aus jeder Kubrik
gelesen hat, kennt sie eigentlich alle; ein einziger, gut ausgewählt, kann den
Typus der ganzen Gattung vorstellen. Man wird nicht zu viel behaupten, wenn
mau sagt, dass in unserem heutigen Briefverkehr zwei Drittel aller von einer
Person geschriebenen Briefe ohne litterarische Ambition und ohne litterarischen
Werth sind. Wir haben freilich kein Uecht. dieses Verhältniss auch auf die Ver-
gangenheit zu übertragen, in der man weniger hastig und mehr con amore kor-
respondirte. Auch darf nicht übersehen werden, dass hier die Zeit bereits ihre
Schuldigkeit gethan und von den Werth- und inhaltlosen Briefen selbst der her-
vorragendsten Männer. Gott sei Dank, eine gehörige Masse ausgeschieden hat.
Aber soviel ist klar: nicht alle Briefe, selbst des hervorragendsten Autors,
dürfen Anspruch auf litterarischen Werth erheben. Darum halte ich es für Un-
recht, wenn man heutzutage alle Briefe, die sich irgendwo von einem Schrift-
steller erhalten haben, ungesichtet und ohne Auswahl einfach in die Zahl der
.Schriften aufnimmt, deren Werth sie oft durch den Wust des Unbedeutenden
entstellen oder herabdrücken. Altere Herausgeber sind hier mit weit mehr Takt
und Feingefühl zu Werke gegangen; sie haben zwischen litterarisch bedeutenden
und zwischen litterarisch werthlosen Briefen wohl zu unterscheiden verstanden.
Aber noch aus einem andern Gesichtspunkt können Briefe der Öffentlich-
keit (ibergeben werden. Insofern sie nämlich autobiographische Dokumente sind,
die nicht blos werthvolles biographisches Material enthalten, sondern auch immer,
direkt oder indirekt, als die unwillkürlichsten und naivsten Offenbarungen der
Mensehenseele gelten müssen. Von dieser Seite haben sie gerade um so viel mehr
Werth und Interesse, je weniger sie litterarische Ansprüche machen, je unab-
sichtlicher sie sind. Für den Biographen, aber auch nur für ihn. sind alle Briefe
von Werth und Wichtigkeit. Enthalten sie keine direkten Mittheilungen, so
können sie indirekt für ihn von Belang sein. Der Biograph, der rechte nämlich,
wird weit Öfter in die Lage gesetzt sein, zwischen den Zeilen zu lesen, als fak-
tische Angaben in den Briefen wörtlich zu zitiren. Darin besteht seine haupt-
sächliche Aufgabe als Psychologen. Dazu muss ihm aber auch die Situation, die
Absicht, der Zweck des Schreibenden völlig klar sein. Aus dem biographischen
(Gesichtspunkte haben die Anworten oder Anfragen der Adressaten denselben
Werth wie die Briefe des Autors; als biographische (Quellen setzen die Briefe
an die Briefe von nothwendig voraus.
Das moderne Prinzip, die Briefe der Schriftsteller ohne die Briefe der
Adressaten in die Werke aufzunehmen . entspricht also auch nicht den biogra-
phischen Anforderungen. Für diesen Zweck wird wieder zu wenig geboten, denn
Digitized by Google
Biographische Mütter.
die Antworten können nicht entbehrt werden. Ich verlange dcsshalb noch nicht,
dass sie mit Haut und Haaren abgedruckt werden, wohl aber, d:iss aus ihnen
alles mitgetheilt werde, was zum Verständnis* der Briefe von nöthig ist.
Diese (iedanken auf die Schillerischen Briefe angewendet, so ist zunächst an-
zuerkennen, dass das Corpus der Schillerischen Briefe als ein selbstständiges Werk
erschienen und nicht der Gesammtausgabe der Werke einverleibt worden ist. ob-
wohl der litterarische Werth und Anspruch der Schillerischen Briefe grösser ist
als bei sonst einem von unseren Klassikern: denn wie sonst Keiner hat Schiller
zeitlebens das Bedürfnis* empfunden und Werth darauf gelegt, sich in Briefen
voll und rückhaltlos auszusprechen. Sogar neben seinen grossen Dramen laufen
lang ausgedehnte Briefe einher, in denen sich der Dichter gegen Freunde über die
Absichten und über die Methode seitier dichterischen Arbeiten ausspricht und die
auch als schriftstellerische Leistungen gelten wollen. Wir besitzen von Schiller
nur eine ganz verschwindend kleine Anzahl von Schreiben, die litterarisch werth-
los sind. Ganz unschätzbar aber ist der biographische Werth der Briefe: als
direkte und indirekte (Quellen sind sie gleich inhaltreich und sie gestatten einen
so tiefen Hinblick in die offene Seele des Dichters, wie er uns im gleichem Grade
kaum bei einem anderen ( leistesheros gegönnt ist.
Gerade indessen von der biographischen Seite lässt uns das Corpus von
.lonas die Hälfte zu wünschen übrig. Ks fehlen nämlich auch hier die Briefe
an. ohne welche die Briefe von doch nur durchlöcherte Brunnen sind. Gerade
mit Briefen an Schiller ist das Goethe- und Schiller- Archiv in Weimar reich
gesegnet: ich habe einen ganzen Folianten von Abschriften liegen, die ich seiner-
zeit von den Originalen habe anfertigen lassen. Auch im praktischen Sinne muss
man es bedauern, dass die Briefe an Schiller ausgeschlossen worden sind. Denn
die Sammlung von Jonas erspart dem wissenschaftlichen Arbeiter nur selten einen
Weg in die Bibliothek oder eine langwierige Postsendung; er muss sich in den
meisten Fällen, um die Briefe an Schiller zur Hand zu haben, dieselben Drucke
oder Zeitschriften kommen lassen oder holen, in denen er auch die Briefe von
Schiller findet. Wir sehen also, vom Standpunkt des Gelehrten und des Biographen,
in dem rnternehmen nur die eine Hälfte der eigentlichen Aufgabe, und erwarten
als nothweudige Frgänzuug der Sammlung die Briefe an Schiller.
Vielleicht wäre es von vornherein räthlicher gewesen, das Unternehmen
anders zu umgrenzen. Die Briefwechsel zwischen Schiller und den Körner.
Humboldt. Goethe u. s. w. . welche die Hauptmasse des Corpus bilden, liegen in
wiederholten und leicht zugänglichen Ausgaben vor. Der Text bei .lonas beweist
freilich . dass die älteren Herausgeber nicht immer mit der nöthigen Sorgfalt zu
Werke gegangen sind; aber solche vereinzelte Varianten und Korrekturen recht-
fertigen doch noch immer nicht den Wiederabdruck ganzer ungeheurer Briefmassen.
Das nächste und dringendste Bedürfnis* für die Wissenschaft wie für das grosse
Publikum scheint mir eine Sammlung der zerstreut gedruckten Briefe von und
an Schiller gewesen zu sein. Kleinere oder seltenere Einzeldrucke, wie die Briefe
an Fichte, an die Schlegel . an Fischenich u. a., hätten dabei immer in dem
Corpus aufgehen können. Nur die oft gedruckten und heiiuem zugänglichen
Sammlungen hätten als bekannt vorausgesetzt werden sollen: auf dem halben
Kaum hatten dann auch die zerstreuten Brief«' an Schiller Platz gefunden und
es wäre ein Ganzes geleistet worden, während jetzt auf dem doppelten Raum nur
die Hälfte der Aufgabe erfüllt. Ist. Kin vollständiges Corpus der Briefe von
Schiller verlangt auch wieder ein vollständiges Corpus der Briefe an Schiller:
aber auch wenn diese letzteren tbeilweisc nur in Auszügen mitgetheilt werden
sollten, wird sich schwerlich für eine so umfangreiche Masse ein Verleger finden
Digitized by Google
Schillers »riete.
355
lassen. Mau wird hier zuletzt doch bloss das Nothwendige thuu und einen
Krgünzuugsbaud zu den vorhandenen Sammlungen liefern können. Dann aber ist
wiederum der linke Fuss des ganzen Körpers um ein paar Schuh kürzer und die
Figur lahm.
Das, was sich der Herausgeber zur Aufgabe gesetzt hat. hat er freilich
in ausgezeichneter "Weise erfüllt, Ais er mir vor etwa sieben .lahren brieflich von
seiner Absicht Kenntniss gab. stützte er sich fast ganz noch auf fremde Vorarbeiten,
unter denen Boxbergers handschriftliches Verzeichnis*, der Briefe die wichtigste
war. Ich gestehe aufrichtig, dass ich damals im Stilleu wenig günstige Hoffnungen
für seine Sache hegte. Mit einer unermüdlichen Arbeitskraft hat er in diesen
wenigen Jahren wahrend der kärglichen Nebenstunden, die ihm ein verantwortungs-
voller und zeitraubender Beruf gönnte, eine ungeahnte Fülle von Handschritten
Schillenseher Briefe zum grossen Theil neu entdeckt, schwer zugängliche Drucke
herbei citirt und sorgfältig verglichen, und den Text der Schillerischen Briefe
zum ersten Mal auf eine gesicherte (irundlage gestellt. Diesem hervorragenden
Verdienst gegenüber fallen kleine Schrullen in der Wiedergabe des Originals, wie
die pedantische Beibehaltung der von Schiller oft auch innerhalb desselben Wortes
beliebten Vermischung der Kurrent- und der Antiquaschrift, die üi der Handschrift
natürlich viel weniger stört als im Druck, nicht ins Gewicht, Eher wäre die
geringe Übersichtlichkeit der Druckeinrichtung zu tadeln, bei welcher doch
Redlich* in dieser Hinsicht unübertreffliche Ausgabe der Briefe Lessings ein be-
quemes Muster hätte abereben können; nicht einmal Kolumnentitel erleichtern die
Benutzung. Leider sind auch hier wieder die Anmerkungen und die Lesarten an
den Schlus* der einzelnen Bände verwiesen, anstatt der bequemen Fussnoten. Auch
dieses Buch zwingt uns also zu dem nervös machenden Hin- und Herspringen von
vorn nach hinten und von hinten nach vorn, und zu dem beständigen Hinüber-
und Herüberschlagen mit wehenden Blättern. Will man die erkünstelte Be-
scheidenheit der Herausgeber durchaus nicht aufgeben und sich mit seinen An-
merkungen durchaus nur im Hintergrund blicken lassen, dann verweise man den
Apparat wenigstens in einen selbstständigen Band, damit aufmerksame Leser die
Varianten und Anmerkungen neben den Text legen und ohne das widerwärtige
Herumfuchteln mit dein ganzen Inhalt des Buches ruhig und gesammelt benutzen
k «innen; oder man lasse mit dem Apparat jedesmal einen neuen Bogen beginnen,
damit man die Lesarten von dem Text abtrennen kann, ohne den ganzen Band
zu zerschneiden.
Die Anzahl der zum ersten Mal publizirten Sehillersehen Briefe ist zwar
nicht besonders gross, doch sind einige sehr interessante und wichtige Sehrift-
>tücke darunter.
Jonas schreitet sehr rüstig fort und wird die Briefe Schillers bald gesammelt
vorlegen können. Die zuletzt erschienene 04. Lieferung reicht mit sechs Bänden
und 1703 Nummern bis in den Juni 1801. In sieben Bänden und ca. 80 Liefe-
rungen wird das Werk vollständig abgeschlossen sein und sich den Dank aller
Schillerfreunde erwerben.
Wir betrachten die Aufgabe auch dann nur als halb erfüllt, und wissen
auch für die Briefe an Schiller keinen willkommeneren Bearbeiter als Fritz Jonas.
Jac. Minor.
Kio«raiitiiMchp lUätt.'i I.
Digitized by Google
:35«
Biographische Blatter.
i
Rieh. M. Meyers „Goethe".*)
Von
MAX VON WALDBERG.
Wilhelm Scherer. dessen Schatten noch heute mahnend und aufmunternd hei
den grossen Prohlemen litterargesehichtlicher Forschung stellt, hat das grosse Ziel,
das er seinem schatfensreichen Lehen gesetzt hat. eine monumentale Gesammf-
darstellung von Goethes Scharten, von .Lahr zu Jahr verschoben. Aber während
er früher einen solchen Versuch nicht wagen wollte, weil das Detail nicht erschöpfend
durchforscht war. hat er später die Besorgnis» nicht unterdrücken können, dass er
vom schweren Gepäck, das ihm die rasch wachsende „Goethephilologio" auflud,
im leichten Aufstieg zu künstlerischer Darstellung gehemmt werden könnte.
Wenn nun jetzt ein jüngerer Forscher an ein ähnliches Unternehmen seine Kräfte
setzt, so darf er im Voraus auf jene nachsichtige Sympathie rechnen, die jedem
Kühnen, unabhängig vom Ausgang des Wagnisses, schon für die Bekundung des
Mutlies sicher ist. Dieses günstige Vorurtheil wird aber noch erhöht, wenn wir
sehen, wie der Verfasser mit weiser Ökonomie seiner Kräfte sich das Ziel etwas
naher streckt, als es dem weitausgreifenden G eiste Scherei-s vorschwebte.
Goethe hat hei seiner Neigung zu schematisiren, die Biogrnphieen in solche
für r Wissende" und andere für „Xichtwissende-1 geschieden. Wenn er dann
weiter ausführt, dass die erste Gruppe von der Voraussetzung ausgehe, dass dein
Leser alles bekannt sei. und der Autor nur daran denken müsse, auf geistreiche
Weise, durch Zusammenstellung und Andeutung an das zu erinnern, was j^ner
weiss, und ihm für das Bekannte. Zerstreute eine grosse Einheit zu über-
liefern und einzuprägen, so ist es, als oh Goethe selbst die Formel für die
Beurtheilung von Meyers Goethebiographie an die Hand gegeben hätte.
Es ist eine edle aher unberechtigte Bescheidenheit, wenn der Verfasser sein
Werk nur als ..ärmlichen Xothbehelf- ansehen will ..neben dem einzig wahren
Mittel, Goethes Leben und Schrift eu wahrhaft kennen zu lernen, neben der Lektüre
der Goetheschen Werke in chronologischer Folge". Die Filiation der unendlichen
Mannigfaltigkeiten von Goethes Leben und Schäften zu einer künstlerischen Kin-
heit, wie sie Meyer in seinem Buche anstrebt, ist selbst für den ..Wissenden"
ohne tüchtige Anleitung nicht leicht. Und auf dieses Ziel steuert er mit fast
rücksichtsloser Energie hin. es zu erreichen, setzt er alle seine Kräfte an.
Wenn er aber zu beweisen sucht, dass Goethe in Dichtung und Wahrheit
seine Erlebnisse „poetisch" mache, so lässt sich mit noch grösserer Berechtigung
nachweisen, dass Meyer Goethes Leben ..ästhetisch" gestalte. Er strebt dahin,
ein einheitliches „realistisch - idealistisches Kunstwerk" daraus zu formen, und mit
den Hülfsmitteln der romanhaften Technik, die er an den Wahlverwandtschaften
so meisterhaft analysirt, ist er ununterbrochen bemüht, die. goethische Entwicklung
zu einem ästhetisch erfreulichen Bilde zu gestalten. Mit einer Gewandtheit, die
fast auf eine produktive Begabung schliessen lässt. wird nun in kunstvoller
Steigerung die Vertiefung und Verinnerlichung der gewaltigen Persönlichkeit Goethes,
die allmähliche harmonische Ausbildung seiner Geisteskräfte vor Augen geführt.
Mit einem Eifer, dem man das freudige Mitgeniessen anmerkt, ist er bemüht, die
Anschauung seiner Leser von Goethe als Menschen und Dichter auf die apollinische
t ieistesheldeti (Führende Ueister). licrans'jvirohen von Anton Bettelheiin. l'l \~>. Bd.
iSoethe von Iii« liurd M. Meyer, Pms.'ckrünte Arbeit. Berlin. Faust llot'niann & Co.
Digitized by Google
I
K. M. Meyers Goethe".
357
Idealgestalt zu lenken. iHe in Trippeis Verkörperung gegen die übliche Vorstellung
vom iiltliehen steifen Geheimrath sonst schwer zu kämpfen hat. Und seihst wenn
Meyer zur Schilderung des Alters gelangt, wo mannigfaches Leid und die Last
der .fahre Kurehen in das herrliche Antlitz gräbt, leise aber unaufhörlich der
gewaltige Geist zu ermatten beginnt, weiss er seiner wohltemperirten Darstellung
einen Zusatz tragischen Empfindens zu geben, und selbst das allmähliche Absterben
und Erstarren ästhetisch wirksam zu macheu.
Goethes Leben als eine Art prästabilirte Harmonie darzustellen, ist das
eifrigst*' Bemühen des Verfassers. Mit einem stark entwickelten Sinn fllr das
Ebenmässige wie klug weiss er allerdings diese Symmetrie an anderer Stelle
zu rügen — wird ganz geschickt jeder bedeutungsvolle Abschnitt in Goethes Ent-
wicklung mit einer neuen Ausgabe der "Werke kombinirt. das Leben in seiner
Ausgestaltung so geistreich als Mittel der Erkenntnis* der Dichtungen, und diese
wieder für s Leben benutzt und gedeutet, alles so folgerichtig entwickelt, jeder
Zug so fein vorbereitet, dass einem ungesucht der Vers aus Novalis" Ofterdingen
einfällt :
Was man glaubt es sei geschehen.
Kann man von weitem kommen sehen!
Man thäte aber Meyers Leistung bitteres Unrecht . wenn man sie nur als
den gelungenen Versuch eines Eklektikers, harmonische Ordnung in die wirre Masse
der von der Goetheforschung herbeigeschafften Materialien zu bringen, ansehen
wollte. Schritt für Schritt können wir vielmehr eine eigenartige selbständige
Durchdringung des Stoffes bemerken, sein Sinn für die Erkenntnis* künstlerischer
Technik ist so geschärft, seine Kunst der Analyse geistiger Vorgänge so ent-
wickelt, dass er uns immer wieder neue oft überraschende Hinblicke in Goethes
Schaffensweise bietet. Aber das Bestreben. Leben und Wirken seines Helden als
ein einheitliches organisch in sich abgeschlossenes Kunstwerk zu zeigen, ist so vor-
herrschend, dass es zur Tendenz wird, die er dann auf methodisch sehr anfecht-
bare Weise zu stützen sucht.
Zunächst wird Goethe so scharf, fast wie mit einem Reflektor, beleuchtet,
dass auf seine Umgebung um so tiefere Schatten fallen. Er wird isolirf. zu einer
„prachtvoll königlichen Einsiedlerfigur" gemacht, um einen Ausdruck Nietzsches
zu gebrauchen, während die Umwelt, ich erinnere nur an die so dürftig skizzirte
Figur der Marianne Willeiner, undeutlich und in oft zu stark verjüngtem Maassstab
wiedergegeben wird. Sodann werden alle Unebenheiten in Goethes Leben aus-
geglichen, alles ästhetisch Störende kaum angedeutet. Meyer vergibt zwar nicht,
zu regist riren, wenn manchmal ein homerischer Schlummer das grosse Auge schliesst.
Der Tribut des Olympiers an das Irdische, sei es in Form von Zahnschmerzen
oder eines gut ausgestatteten Menüs, werden getreulich verzeichnet, aber sonst wird
von allem Widrigen im Leben Goethes nur behutsam die Hülle gelüftet. Die
grämlichen Begleiterscheinungen des Alters, die Schopenhauer zum ergrimmten
Ausspruche veranlassten. Goethe lobe nur das Unbedeutende, die zu Zeiten recht
schiefen und wirren Verhältnisse in Weimar, die Vergessenheit, in die er zu An-
fang des Jahrhunderts gerat hen. alles ist nur durch einen dichten Schleier zu
erkennen. Wir hören nicht, dass Sudelsehreiber, wie der biedere August La-
fontaine, auf den die Sonne königlicher Gunst herabschien, die weitesten Kreise
der Gebildeten eine lange Zeit mächtiger ergriffen und mit lebhafterem Antheil
an ihrem Schaffen erfüllten als Goethe; der Bruch mit der Universität .Jena, die
Verirrungen seines Sohnes und all' das Störende und Unerfreuliche, das Tieek zur
Meinung veranlasste, es sei ein Unglück für Goethe, dass er in Weimar geblieben,
wird gar nicht oder nur schüchtern angedeutet, und uns die Kenntniss einer
Digitized by Google
358
Biographische Blatter.
Summe von Faktoren, die bildend und formend auf Goethes innere Persönlichkeit
gewirkt haben, entzogen.
Meyer sucht ja seine Methode, Goethe ohne Rücksicht auf die Umgebung
nur aus sich seihst heraus 7.11 erklären, durch (ioetlie selbst zu stützen, der die
Entstehung der Individualität auf* den ..inneren Forintrieb" zurückführt. ..eine Seele
gleichsam, die die iiusseren Umstände der Vererbung und Krfassung sich eigentlich
nur aneignet-.- Im Gegensatz zur modernen Anschauung, welche diese ..Seele" als
Resultat der Umstände betrachtet, wird sie von Goethe als deren Herr angesehen.
Und aus dieser Ansieht heraus, welche die Kräfte der Evolution bei geistigen Vor-
gängen ausschliesslich in das Innere des Menschen verlegt, wird die Bedeutung
des „Milieus- mit der etwas oberflächlichen Bemerkung abgethan. dass „eine völlig
gleichartige Mitwelt doch verschiedene Arten und verschiedene Charaktere hervor-
treibe". Als ob es bei zwei Individuen überhaupt je ein völlig kongruentes
Milieu geben könnte !
Aber es wäre nicht schwer. Goethe seihst zum Zeugen contra Meyer auf-
zuführen. In der ..Flüchtigen Schilderung Florentiseher Zustände", die im Anhang
zum Benvenuto (Vllini veröffentlicht werden, äussert er sich: „Indem man einen
merkwürdigen Menschen als einen Theil eines Ganzen, seiner Zeit oder seines
Gebiets- und Wohnortes betrachtet, lassen sich gar manche Sonderbarkeiten ent-
ziffern, welche sonst ewig ein Räthsel bleiben würden.- Und Meyer ist in der
That im Einzelnen dieser Forschungsweise nicht abhold, nur dass er sie etwas
äusserlich anwendet und so gezwungene Beziehungen zwischen Jugendeindrücken
und dem späteren Schaffen herstellen will . dass sie fast wie eine Parodie der
Taineschen Methode anmuthen. St) hat nach ihm Goethe nie grosse Regeuten wie
Saladin und Philipp von Spanien gezeichnet, so hat er seine Menschen als schwache
Charaktere geschildert, weil seine Gehurtsstadt Frankfurt eine Krönungstadt war
und er den Kaiser hier blos als Mittelpunkt einer prunkvollen Secne, nie aber als
Fürsten in ernster Regierungsthätigkcit gesehen hat. Und nachdem Meyer nach
dem obenerwähnten Goethischen Rezept in flüchtigsten Umrissen Eltern. Vaterstadt
und Zeit gezeichnet, ruft er, den ..inneren Formtrieb" vergessend, ganz im Sinne
der materialistischen Lebensauffassung aus: ..Dies ungefähr waren die Klüfte, welche
jenem geheinmissvollen Gast, den wir des Menschen Seele nennen, die erste Form
und Richtung gaben." Aber für die Erkenntnis» von Goethes „Faculte maitress,-
ist mit vereinzelten Hinweisen nicht gedient. Sie muss aus der Gesammtheit der
Einflüsse erschlossen werden. Und so durfte z. B. die Schilderung der religiösen
Verhältnisse Frankfurts im Anschlösse an die Bemerkungen über die Klettenberg
und die Höllenfahrt Christi nicht fehlen. Meines »achtens hat die wunderbare
Ausdrucksfähigkeit der Goethischen Sprache, der tiefe Emptindungsgehalt seiner
Lyrik, die fiist weihliche Empfänglichkeit seiner Sinne eine ihrer Quellen im
Pietismus, der wie kaum eine zweite geistige Bewegung die deutsche Volksseele
umgestaltet hat.
Nun lassen sich allerdings bei der Unmerklichkeit allmählicher historischer
und innerer Entwicklung derartige Einflüsse und ihre Wirkungen nicht durch einige
Sätze klar darstellen, aber dennoch waren wenigstens einige Hinweise nöfhig, um
mit erklären zu helfen, wie sich in Goethe die deutsche Sprache zu diesem bieg-
samen und schmiegsamen Instrumente umgestalten konnte, mit dem er alle Heim-
lichkeiten des Emplindeus so zart wiederzugeben vermochte. Und so hätten sich
noch die Quellen mancher ,. Eigenheiten" , die, wie Goethe sagt, das Individuum
konstituiren. durch sorgfältiges Beobachten der ..Sphäre" rinden lassen, wenn nicht
Meyer das Goethesche Dogma von der Einheit der Natur, etwas starr, ja fast
mechanisch auf die Persönlichkeit übertragen hätte. Goethe ist ihm der Roi soleil
Digitized by Google
R. M. Meyers „Goethe".
.359
der Literatur, er darf also nicht nach Planetenart Licht und Wärme von anderen
Sternen erhalten. Und es ist ein «ranz unbeabsichtigter Kalauer, wenn ieh mich
dabei an Lorenz Steine erinnere, dessen Name man im «ranzen Küche vergebens
suehen würde. Und doch hat Goethe ihn in den „Sprüchen in Prosa" so liebe-
voll gewürdigt . ihn bei anderer Gelegenheit einen Mann genannt dem er so viel
verdanke und Zelter gegenüber das Geständniss abgelegt, es wäre nicht nachzu-
kommen, was neben Goldsmith gerade Sterne im Hauptpunkte der Entwicklung
auf ihn gewirkt habe. „Diese hohe wohlwollende Ironie, diese Billigkeit bei aller
f'bersicht. diese Sanftmuth bei aller Widerwärtigkeit, diese (.Jleichheit bei allem
Wechsel und wie alle verwandten Tugenden heissen mögen, erzogen mich aufs
Löblichste, und am Ende sind es doch diese Gesinnungen, die uns von allen
Irrschritten des Lebens wieder zurückführen." Und Avie konnte Mever das herr-
liehe Schlusskapitelchen aus dem ersten Abschnitt der „Briefe aus der Schweiz"
übersehen, das zugleich eines der lehrreichsten Spccimina ist. wie Goethe fremde
Vorbilder — hier Sternes ..Sentimental jont-ney zu selbststiindigen Kunstwerken
zu verarbeiten verstand. Aber auch sonst fehlt noch mancher Zug. den wir im
Bilde Goethes ungern vermissen. Wie kommt es dass ein so reiches Gebiet
Goethischer Thätigkeit. wie sein Wirken als Staatsmann, das man nach seinem
Briefwechsel mit Christ. Gottl. von Voigt, nach den Arbeiten Vogels. Schölls
und Lorenz' so klar übersehen kann, nicht berührt wird? Warum sind Goethes
„Sprüche in Prosa1-, an denen sich kein gebildeter Deutscher je satt lesen kann,
nur ganz gelegentlich erwähnt? Dass mit keinem Worte der Beziehungen des
Scarron sehen ..Kornau eomif/ue" zu Wilhelm Meiste]- gedacht wird, darf wohl durch
die nicht freiwillige Kürzung dieses Kapitels erklärt werden, aber dafür und
manches Andere hätte sich reichlich Platz gewinnen lassen, wenn Meyer in seiner
Polemik gegen die modernen Kunsttheorieen .sparsamer gewesen wäre. Mit ein-
zelnen ausgewählten (Zitaten aus (Joethe werden so fundamentale Kragen des
Kunstschartens doch nicht gelöst, und die Häufigkeit, mit der gegen die modernen
Anschauungen geeifert wird, könnte den Leser gegen die Objektivität des Ver-
fassers, die sonst, ohne die Darstellung farblos zu machen, so wohlthuend
im ganzen Buche bemerkbar ist. etwas misstrauiseh stimmen. Aber mitten im
Gesänge springt ihm ein rothes Mäuslein aus dem Munde. Weder fühle ich den
Beruf, noch ist hier der Platz, gegen die oft falsche Deutung der neuesten Theo-
rieen der Subjektivisten Stellung zu nehmen. Es wäre übrigens ein Leichtes,
durch Anführung anderer Goethischer Äusserungen auch Zeugnisse gegen Meyer
herbeizuschaffen. Doch Gitate sind im gewissen Sinne variable Elemente, die
wie die Zahlen des Statistikers bei verschiedener Gruppierung auch verschiedene
Ergebnisse liefern. In der Hegel verletzt ja Meyer auch bei ihrer Auswahl nicht
den wissenschaftlichen Takt, der bis nun der einzige Regulator bei der Verwen-
dung von Citaten ist. Weniger glücklich ist er bei denen, die er aus der wissen-
schaftlichen Goethelitteratur holt, wo mancher Name nur zu dem Zwecke im
Register zu figurieren, genannt zu sein scheint. Oder geht die Gewissen-
haftigkeit nicht zu weit, wenn er zur banalen Wendung „ein spärlicher freund-
licher Verkehr" den genauen Quellennachweis „wie Adolf Schöll det verdienstvolle
Herausgeber von Goethes Briefen an Frau von Stein sieh ausdrückt-, hinzufügt?
Solche Fleckchen, oder gezierte Wendungen wie ..Mineralogie und Geselligkeit
erneuern sich" und Ähnliches liessen sieh noch öfter linden. Aber ich will nicht
ein schönes Ahrenfeld zertreten, um einige Disteln zu einem stachligen Kranze
zu winden. Bereitet doch sonst die Lektüre des Buches eine rechte Freude.
Nirgends die ängstliche Hast der von Stofffülle bedrängten Autoren, alles abzuthun
und fertig zu kriegen. Die treffliche Diktion, die selten, aber dann mir GVs, hmaek
Digitized by Google
.160
Biographische Blatter.
von der naheliegenden Gelegenheit Gebrauch macht, mit Goethes sprachlicher
Münze zu wirthschafteu. die Fähigkeit, die schwierigsten Gedankengange in durch-
sichtiger ungezwungener "Weise, wiederzugeben, die Gewandtheit, durch einige be-
zeichnende Worte eine Persönlichkeit lebendig zu charakterisieren, erheben die
Gocthcbiographic auch zu einer erfreulichen schriftstellerischen Leistung. Line grosse
Fertigkeit entwickelt Meyer, wo es gilt die Hauptwerke Goethes kritisch zu analy-
sieren , und den Geheimnissen Goethischer Technik auf den Grund zu kommen.
Heim kühnen Kindringen in das Labyrinth des Faust und alle Seitenwege und
lrrgiinge der Kommentatoren wird er stets vom Goldfaden feinsten Verständnisses
geleitet. Wie viel Neues weiss er nicht über Werther und Tasso zu sagen und
wo er Bekanntes oder Fremdes verwendet, wird es wie beim Kapitel ..Goethe
als Naturforscher" so in seinem Geiste umgedacht, dass es wie eine originale
Schöpfung anmutet. Von Abschnitt zu Abschnitt wird er in der Beherrschung
des gewaltigen Stoffes sicherer, und während er am Beginne seines Buches noch
tastend nach einem Stil sucht, ringt er sich bei fortschreitender Arbeit zu einer
bestimmten Darstellungsform durch, die durch die Lust am Schematisieren, durch
die Neigung alle Erscheinungen typisch zu deuten, die Absicht merken lässt. sich
der Goethischen Auffassung*- und Ausdruckweise anzugleichen. Und so darf man
mit Dank an den Autor das Werk aus der Hand legen. Ich habe, schon weil
die .. B. Ii.*' nicht der geeignete Raum dafür sind, nicht den Versuch gemacht,
kleine Versehen literarhistorischer Art, falsche Daten und ungenaue Citate als
zünftiger Baisonneur zu bemängeln, wenn ich auch das Kuriosum nicht unter-
drücken will, dass wir aus Meyers Goethehiographie weder Geburtsjahr noch
Geburtstag Goethes erfahren können. Ich habe es auch unterlassen in einer
schrittweisen Analyse des Buches mich jedesmal mit dem Verfasser über ab-
weichende Anschauungen auseinander zu setzen. Schwerer war es schon der von
Goethe bespöttelten Lust zu widerstehen, das Abbild mit dem Urbild zu ver-
gleichen. Meyer hat eben, um am Schlüsse den wesentlichsten Einwand gegen
seinen ..Goethe" zu wiederholen, ein Stück gewaltiger Natur nicht durch das
Temperament, sondern durch die Brille eines t'lassicistcn gesehen, der aesthetisch
stilisiert. Und so erscheint uns die gebietende Gestalt des Dichters nicht ganz
der Wirklichkeit entsprechend, erstrahlt aber dafür in herrlicher unbefleckter
Schönheit. Meyer ist ein Wegweiser, der. wie der Begründer des französischen
„stilr ncmUrnique" J. L. Guez de Balzac über Montaigne einmal äussert, uns
manchmal irre führt, aber dann in schönere Gegenden, als er uns versprochen hat.
Brieft» von der Wunderung und aus Paris von Carl Benedict Hase. Heraus-
gegeben von 0. Heine. Leipzig. Hreitkopf & Hiirtel. \H<M. 8" XII und 11;"> Seiten.
Carl Benedict lhi.se. gehören 17*0 als Thüringer I'astorsohn. wanderte PUB. kaum
aiisstudirt. keck, wenige Thaler in der Tasche, zu Fuss nach Paris, überstand dort mit
frischem Leichtsinn eine kurze Zeit der Noth, fand alsdann durch Sprachtalent Beschäftigung",
durch seine einnehmende l'ersfinlichkeit Bonner, bürgerte sich für immer ein. ward Vorstand
der Handschriften an der Bibliothek. Mitglied des Instituts, philologischer Docent und starb
ist'»! ungesehen als Kenner des < iriechisehen. besonders der Byzantiner, auch von deutschen
i.'elehrten als Förderer ihrer Studien dankbar verehrt, ( her die Krlebnisse auf seiner
Wanderschuft und wahrend der eisten Jahre seines Pariser Aufenthalts hat er 1-S01 lso:;
einem Jugendfreund in der Heimath in überaus munter und anschaulich geschriebenen
Brieten ausführlich berichtet. Stellen daraus wurden schon 1S(U zu einem Nekrolog auf
Hase in der Beilage zur „Allgemeinen Zeitung" benutzt und daher auch von Halm im bo-
tielVeiiden Artikel der ..Allg. Deutschen Biographie" verworthot : die Mehrzahl der Briefe
selbst veröffentlichte dann Dr. < >. Heine. < ; ymnasialdirektor und Domherr in Brandenburg.
l»l> ls;s| in ,]er -Deutschen Bundschau". wo sj,. mit lebhaftem Antheil gelesen wurden.
Digitized by Google
Anzeigen.
3«!
Jetzt bietet, sie uns derselbe llerausgelier vollständig dar. ergänzt durch einige spätere,
ebenfalls charakteristische Stücke von llw's Hand und eingeleitet durch ein hübsches,
biographisch genauer orientirondes Vorwort. Auch so bleibt das (ianze freilich Itruclistiick
wie Vorick's empfindsame Heise durch Frankreich, an die IHuse's übri.irens durchaus wahr-
hafte Krzählung in der That durch die Kunst der Beseelung kleinster Züge erinnert. Selbst
der historische Hintergrund die Periode des zum Kaiserthum hinstrebenden Konsulats - -
wird auf solche Weise kräftig beleuchtet. Vor allem aber erfreut man sich an Charakter
und Schicksal des Schreihers: Talent, zu leben und Talent lebendig darzustellen halten
einander die Wage bei diesem in .seltenem Maasse graziösen Deutschen, dem man wohl zu-
geben muss. dass er besser für Krankreich taugte. Selbst die Häthsel, die ungelöst Meilen
novellistisch anhebende Begegnungen und Verhältnisse ohne Ziel und Schluss erhöhen,
indem sie die Phantasie herausfordern, den pikanten Heiz dieser ohne jede Absicht auf
Öffentlichkeit naiv hingeplauderten autobiographischen Skizze. <///>.
Jahrbuch der Grlllparzer-Ueftellftf halt. Hedigirt von Carl Glosay. V. Jahr-
gang. Wien, Carl Konegen. 185)5.
hm. Immer mehr bildet sich dieses Sammelwerk unter < üossys emsiger, einsichtiger Leitung
zu einem Archiv der neueren österreichischen Literaturgeschichte um. Der jüngste Hand
bringt durchaus Biographiea. Glossy gicbt Proben aus Bauernfelds Tagebüchern
(1*1!) 184S): der Vormlirz, Alt-Wien. Bauernfelds Lehrer und Jugend freunde, Moriz
v. Schwind. Franz Schubert, Feuchtersieben, Schreyvogel und (.Irillparzer, die Zensur- und
Theaterzustände. Bauernfelds Ausflüge nach Tirol und Karuthen. seine Heisen nach Deutsch-
land. Paris und London, politische Strömungen und religiöse Regungen: das und manches
mehr wird anspruchslos in der Form, mehr in Schlag Worten und Andeutungen, als in tiefer
gründenden Erörterungen beredet. Dem Kenner von Hanemfelds »Skizzen aus Alt- und
Neu-Wien". dem Leser seiner einstweilen noch nicht in Buchform gesammelten „Erinnerungen"
wird in den Tagebuch-Blättehen sachlich nichts wesentlich neues auffallen (am erstaunlichsten,
wenn auch nicht gerade rühmlichsten für Bauern fehl und Feuchterslehen ist ihre Verurtheilung
von -Weh dem, der lügt", als ihnen (irillparzer die Komüdie in Heiligenstadt am 25. Juni ls;{7
vorliest): gleichwohl sind die Mittheilungen so unmittelbar, für die Zeit und die Persönlichkeit,
so bezeichnend, das* sie Dank und sorgsame Ausscböpfung verdienen. Der nächste Band
des Grillparzer-Jahrhuches bringt voraussichtlich Tagebuchblatter aus Bauernfelds spateren
Lebensjahren (1818 185)0». Dem von Emil Kuh. Laube. Gräfin Wickenburg. Betty Paoli
und vielen anderen Herufenen und noch mehreren l'nberufenen behandelten Thema (irill-
parzer und Katharina Fröhlich widmet August Sauer gescheite, auch stofflich.
Dank Karajans Aufzeichnungen, neues bietende l'ntersuchungen : am treffendsten scheint,
die Parallele zwischen der Barbara im «Annen Spielmann" und dem Naturell von Grillparzeis
-ewiger Braut": geschmackvoll auch der Hinweis auf die HerzenskUmpfe von Primislaus
und Libus^sa. Nirgends freilich kommen wir in der Hauptsache über (irillparzers poetisches
Selbstbekenntnis*. : «Jugenderinnerungen im Grünen" und die in Laubes Schritt: Franz
(irillparzer (Cotta, 1SS-1) gedruckten Tagebuchbllitter hinaus. Vor der Kröffnung von
(irillparzers Geheimpapieren, die nicht vor dem Jahre 15)-20 aus dem Verschluss der Wiener
Stadtbibliothek hervorgeholt werden dürfen, wird kaum Abschliessendes zu erfahren sein.
Und wer weiss, ob dann nicht erst recht neue Zweifel und Häthsel aufsteigen werden?
Ziemlich belanglos sind Payers Angaben über Hamerlings Gymnasiallehrer-Zeit, gehaltvoll,
spitz, markig und witzig dagegen die von Fritz Lemmermayer aus dem Tagebuch der
Baronin KnoiT gebrachten Äusserungen (irillparzers über Politik und Litteratur. Wie in
andern Gesprächen, mit Frau v. Littrow-Bischoff, mit Prechtler. Foglar, Kuh. Hopfen. Bauern fehl.
Holtei etc. überrascht Grill parzer auch hier durch Scharfe. Treff. Eigensinn und Eigeti-
r'u htigkeit : kurzum als echtes Original.
Digitized by Google
Verlag von Emst Hofmann &. Co. in Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 122.
Spinoza.
Voll
l)r. Wilhelm Kölln,
Professor an «In l'niversitat Helsinki. >«.
VIII uikI 17t; Seiten lirosK-okiav.
'reis geheftet M. 2,40: in Leinenband.
M. :{,J0: in Halbfranzband M. -{.so.
Der Verfasser der trefflichen Biographie L. Heuerbuchs «.riebt uns in dem cnziehend
«reschriebenen Buche nicht nur ein meisterhaftes I .ehenshild des «riossen Amsterdamer Weisen.
Miiulmi zterici.h ein Kulturbild jener «.rnnzen Kpoche. G. v. Gizycki in der „Ethischen Kultur*'.
Der Verfasser hat in der deutschen Wissenschaft Meisterre«-ht erworben dunh «'ine
angezeichnete Arbeit ül>er L. Keuorbach, welche mit gereifter Kunst Biographisches und
Literarisches u. s. \v. zu einem anziehenden < <'esanimtbildo dieses Denkers zu vereinigen
wusste. Im Spinozabuche herrseht die niimliche Atmosphäre. Fr. Jodl in der „Nation".
. . . Nicht nur in allgenieiri-fasslicher Konn Spinozas Lehre, sondern auch seine viel-
bewerte Zeit und im Bingen mit ihr diesen herrlichen Charakter in seiner ganzen Lauterkeit
dargestellt zu haben, ist das grosse Verdienst Bolins. B.v.Carneri in der,, Neuen Freien Presse".
Hin solcher (gebildeter Leserl gieht hier sein Urtheil und dankt dem Verfasser zum
vundierein für den (ienuss. den ihm die Lektüre seines tüchtigen Werkes bereitet hat.
Ernst Goetzinger'in den „St. Galler-Blättern".
Wenn auch Bolin, wie das in der Natur der Sache liegt, nicht, allen Ansprüchen
gerecht geworden ist, so bleibt sein Buch darum doch eine werthvolle und dankenswerthe
Arbeit. Sigm. Auerbach im „Magazin für Literatur*4.
Aber einpfehlenswerth, selbst für den Kachphilosophen. ist die Darstellung, weil sie
den ernsten Denker nicht nur in seiner «ranzen Liebenswürdigkeit erscheinen llisat. sond«m
auch seine fremd anniutbende tJottes- und Sittenlehre menschlich nliher rückt.
L. Weis in den „Blättern für literar. Unterhaltung41.
The work of l'rofcs.sor Bolin. whieh is profcssedlv \v ritten for the general public,
will in no small degree contribute lor the better under.-tamling of the paramount part plaved
bv the -poor un-.lewished .lew" in the wurlds historv of intellectual «-maneipation.
Karl Blind in «1er „Pall Mall Gazette".
In Kurzem erscheint:
Erinnerungen eines Künstlers.
Von lindoir Lfhmann (London).
Mit In Lichtdrucken,
nach den von dein Knnstler aufgenommen Portrait* von <hopln. Pet. ('«irnrliu». Krkrrmana. r'rledrieh III..
<UU<l»t»nc. Krrd. «IrcuunM iu». A. v. Humboldt. Lamartine. Llazt. Kardinal Manalnir. Ad. Menzel.
IM» IX.. I.. t. Ranke, Tiara Schumann, Tcnnvson und dem Hilde des Autors.
VIII und > S i» i i c n < t r o s • ( t k l a v 1 1 1 u s t r a l i o n s - 1> r u o k |> a u i e r S c Ii w a b a c Ii «.« r - S c Ii r i f t
In Büttenpapier geheftet M. 7.-: in Damast gebunden M. 8,—.
Professor Ludwig Pietsch sehrieb über die (selbständige) englische Ausmalte in «ler
Vos-i sehen Zeitung:
])ie Leliensei 'innerungen «les Künstlers gehören zu den anziehendsten Büchern ihrer
< üattunur durch den Beichthum des Inhalts, wie durch die Klarheit, die Schlichtheit, die
Anmuth der Kenn, die Liebenswürdigkeit des Naturells des Autors, die sich in der ganzen
Art der Krz'ihlung. der Schilderungen des eigenen Wesens und Thuns, wie der Menschen,
zu denen der Krzühler in Beziehungen getreten ist. und der Kreignis.se und Zustünde offen-
bart, die er miterlebt und beobachtet hat.
V !• i hu;; Ernst Hofmann & Co. in Merlin. Druck Felaentreff & Co. in Berlin.
I ii i il i e K e d .'i k i i ci n verantwortlich: Dr. Anton Bettel he im in Wien.
I' Ii l>e i e c h t i % I e i A l»d i uc k a Ii s de in l u Ii a Ii d i eser /. ei I sc Ii ritt untersagt.
(' 1« e i s e L /. ii n ti s i e c Ii 1 e v o r Ii e Ii a 1 1 e n.
Digitized by Google
Digitized by Google
Adolf Menzel. 302
Adolf Menzel.
Von
HERMAN HELFERICH.
Die Benrtheilung bei Lebzeiten, die so prekär ist. scheint bei dem, der
jetzt „Ehrenbürger Herlins" wurde, nicht «ranz so schwer zu werden, wie
bei anderen grossen Mannern. Denn wir sind .jetzt schon Nachwelt ihm
gegenüber, ein neuer Pharao, der den alten Joseph nicht kennt. Die Gefahr
ist nur. dass wir ihn jetzt wirklich nicht kennen. Menzel hat seltsame
Phasen in seinem Verhältnis* zur Mitwelt durchgemacht, eine Zeit lang nur
den Vorgerücktesten theuer, ist er es jetzt den Kennern geworden und
die Ersteren streben anderen Idealen zu. Er reicht in die Zeit von Peter
Cornelius zurück: es «riebt Konturzeichnungen von ihm. diese man
möchte kindischen sagen, wagt es aber nicht, denn sie sind gewaltig,
kolossal, titanisch - Illustrationen zu ..Künstlers Erdenwallen'', die ihn
berühmt gemacht hatten, als er achtzehn Jahre alt war: und danach
den „Schützenbrief", diese Zeichnung, die arabeskenhaft Cornelianisches und
Menzelsches ineinander verschlungen zeigt : sie ist zeichnerisch wie ein Cor-
nelius und redet und lacht sogar Berlinisch wie ein Menzel. Von dieser
interessanten Zeichnung führen Spuren zu dem uninteressanten Anton
von Werner, zu dem Anton von Werner, der Scheffel illustrirte. — Dann
kommt die Periode von Menzels Classicität, die der Holzschnitte zu Kuglers
Geschichte Friedrichs des ( J rossen ; wir sehen sie historisch an, wir wissen,
wie sie die Puchillustration befruchtet haben, wie sie in der modernen ßueh-
illustration das Beste geblieben sind, obwohl sie das Kiste waren. In
Parenthese, immer bleiben die ersten Sachen die besten in der Kunst, die.
die als Anfänger der Epochen dastehen, sind ihre Gipfel, und an Stelle der
Kurven, an die die Kunstgclehrsjunkcit jetzt denkt, nachdem die Theorie
von den einsamen beiden Hochplateaus allein gültiger, alles über-
ragender Emanationen der Kunst abgewirtschaftet hat, — würde man
besser thun. bei jeder neuen Bewegung an das Symbol von mehr oder
weniger steil nur abwärts führenden Linien zu denken, die van Eveks
waren immer am Anfange von Epochen. Aber, um auf Menzels Buch zu-
rückzukommen, wir rühmen es. verehren es. wir linden es indessen mager,
wir neuer Pharao. Eine hochschätzende Begeisterung, keine überzeugte,
erfüllt uns. Ens stehen die Menzelsehen Arbeiten der nachklassischen Zeit
näher. Die Illustrationen zum „zerbrochenen Krug'* und die Bilder aus
dem modernen Leben. — „ßallsouper", „Laurahütte". Und darum könnten
wir wenigstens für die ersten zwei Drittel von Menzels Carrierc uns als
prachtvoll objektive Nachwelt fühlen. Der Ausdruck „die ersten zwei
Drittel" ist allerdings nicht geometrisch gemeint: das erste Drittel umfasste
Iiiographitidie Blikttor. I. *JJ.
Digitized by Goügle
363
Biographische BlRtter.
einen ausserordentlich kurzen, und das letzte Drittel begreift einen weit
grösseren Raum, als man rechnerisch erwarten möchte: es begreift die
Zeit, in der er die malerische Anschauung, die malerische allein, vor-
walten lässt. Die Bewunderung, die uns für diese Zeit durchdringt, hat
trotz Menzels Schrot und Korn zum Theil französische Stützen: die
Pariser mit ihrer Kennerschaft, die entwickelter als die unsere war.
haben uns mit ihrem Erstaunen auf ihren Weltausstellungen, als sie
Menzel kennen lernten uud sofort begriffen, dass er ein gewaltiges Genie
ist, die Augen öffnen helfen, ähnlich wie für Leibi ■— was aber die be-
trifft, die jetzt Menzel zum Ehrenbürger Berlins gemacht haben, so ist
ihnen, wenigstens in ihrer Kollektivität. Menzel weder in den vergangenen
zwei Dritteln seiner Laufbahn (wenn auch vielleicht etwas als Illustrator,
jedenfalls garnicht als Maler) noch in diesem letzten Drittel, das uns nahe
steht, vertraut geworden, das, was sie trieb, ist vielmehr nur die Gewohn-
heit. Wie die Goncourts sagen, man wird durch die Gewalt des Lebens
berühmt, wenn man es lange aushält, ist Menzel bei ihnen berühmt gewor-
den, weil er seit sehr langer Zeit zunächst verhöhnt wurde, dann zitirt
wurde und endlich seine Notorietät durchgesickert ist: Menzel ist durch
die Kraft seines Namens populär bei ihnen geworden, seine Bilder lieben sie
nach wie vor nicht, für das Historische schätzen sie Schinder eher, für
Pferde Steffeck und für Schönheit Thumann.
Die Schönheit der Arbeiten des letzten Drittels von Menzels Laufbahn
zu geniessen, ist nur denen zu Theil geworden, die auf der Höhe der
Kunstbildung stehen. Seltsam pittoresk, kraftvoll bis zum Exeess. kolo-
ristisch tausendmal mehr als ein Fortuny, geistreich mehr als französischer
Boulevardesprit und fast so geistreich wie ein Japaner — ist Menzel ein
Phänomen auf deutscher Erde, mit dem Herzen eines Preussen und mit
dem Sarkasmus eines Berliners. Je mehr man an alle seine Eigenschaften
denkt, um so weniger begreift man ihn und fühlt, dass doch die ersten zwei
Drittel seiner Laufbahn noch nicht lange genug vorüber sind, um über sie
definitiv zu urtheilen. und dass uns das letzte Drittel zu lebhaft angeht,
um es ohne der Parteien Gunst und Hass zu sehen. Denn dieses letzte
Drittel reizt in uns Gefühle der Gegnerschaft, weil wir jetzt grosse,
friedsame Anschauung der Natur wollen und zwischen den sogenannten
Naturalisten von heute und dem sogenannten Naturalisten Menzel — ach.
ja — nur für die eine Verbindung besteht, die weder Menzel noch die
Naturalisten von heute begreifen.
Digitized by Google
Rudolf von (ineist.
Rudolf von Gneist.
(ieboren 13. Au-ust 1*16: gestorben _>>. Juli 1S95.
Von
JOSEF REDLICH.
Mehr als ein Menschenaltcr ist verflossen seit jener Zeit, die man mit
einiger Übertreibung die epische Zeit des preußischen Bttrgcrthums nennen
könnte: und schon deckt der Rasen die meisten von den kampfesfrohen
Helden der denkwürdigen Konfliktsperiode. Noch lebt zwar, in die Einsam-
keit seines Sachsenwaldes vergraben, der damals unerschütterlich Stand ge-
halten all den heftigen Angriffen der preussischen Demokratie jeuer Tage.
Otto von Bismarck: auch in seiner Lebenskraft grösser und glücklicher als
die Mehrzahl seiner alten Gegner, sieht er einen nach dem anderen von
jenen Männern, denen schon seine Gegnerschaft allein historisches Andenken
sichert, dahin sinken. Allerdings: die beiden Männer, die der Sonnner
dieses Jahres der spärlich gewordenen Schaar der alten Konfliktskämpfer
entrissen hat, H. v. Sybel und Rudolf v. Gneist, haben, weit über jene
geschichtliche Beziehung hinaus, selbstständige grosse Bedeutung erlangt.
Nur eine, wenn auch entscheidende Etappe auf ihrer Lebensbahn, bildet
jener historische Gegensatz, dessen innere Überwindung für sie zur (Quelle
grossen, das nationale Leben tief befruchtenden Schaffens geworden ist.
Das gilt vor Allem von jenem Mann, dessen Gedenken diese Zeilen
gewidmet sind, von dem grossen Rechtslehrer und Rechtsschöpfer des ge-
einten Deutschland, Rudolf v. (ineist.
Wenn ich bei der Würdigung seines Lebenswerkes von jenen Jahren,
da (ineist als einer der Führer der bürgerlichen Opposition seinen Namen
in die weitesten Kreise des deutschen Volkes trug, meinen Ausgang nehme,
so scheint mir dies wohlbegründet durch die grosse Bedeutung, welche der
Verlauf jener äusseren Ereignisse für die innere Kntwickelung des
Mannes zur Folge gehabt hat. Die Jahre 1 8(52—1 sfifi bilden nicht so sehr
die (frenzscheide als vielmehr die Brücke, die hinüberfuhrt von der ersten
grossen Lebensepoche Gneists. der Zeit des Lernens und Lehrens. zur
zweiten Epoche, der Zeit der praktischen Erfüllung des Meisten von dem.
was sich ihm als höchste Aufgabe zunächst theoretisch ergeben hatte.
Xicht als unfertiger Kopf, sondern als ein vielerfahrener, vielbelehrter und
gelehrter Mann ist Gneist zur Zeit der inneren politischen Krisis Preussens
in die parlamentarische Opposition gegen die Regierung- eingetreten : als aber
die überraschende Gestaltung der Dinge der eisernen Beharrlichkeit, dem
autoritären Selbstbewusstsein Bismarcks Recht gegeben hatte, da konnte
Gneist um so entschiedener auf die Seite des Siegers treten, als er frühe
den Widerspruch erkannt hatte, der die unhaltbaren Positionen des doktrinären
Liberalismus von den Ergebnissen seiner eigenen wissenschaftlichen Foreehung
Digitized by Google
BioyraphiM'he Blätter.
längst schon schied. Als ein nothwendiges Resultat der «ranzen inneren
En t Wickelung Gneists innss seine äussere politische Wandlung, die eine
unbillige, kleinliche und kurzsichtige Kritik so oft und so bitter an ihm
beurtheilt hat. von dein objektiven Betrachter seines Lebens erfasst werden.
Ks wir l abei' mehr als sonst hier darauf ankommen, den wissenschaftlichen
Bildungsgang des Reehtsgelehrten (ineist in den llauptzügen zu erfassen:
der Politiker Gneist wird daraus erst verständlich und — für so manchen
doktrinären Parteimann aucli entschuldigt sein.
Kudolf (ineist wurde geboren am i:J. August lSiü zu Berlin. Aus
einer preussischen Familie stammend, in welcher der militärische Beruf
oder staatliche Beamtenstellung die Tradition bildete, war es nur natürlich,
dass der junge (ineist, nach einer grossentheils auf dem Lande verlebten
Kindheit, das Rechtsstudium ergriff, als er siebzehnjährig die Universität in
Berlin bezog. Von allem Anfang betrieb er die Studien mit Kiter und
durchlief rasch die Stadien der gewöhnlichen akademischen Ausbildung:
ls:w zum Auskultator ernannt, habilitirte er sich bereits im .Jahre ls.Jü
als Privatdozent an der Universität. Schon seine ersten wissenschaftlichen
Arbeiten zeigen übrigens den ausscrgewöhnlieh weiten Umfang seiner Be-
strebungen und deuten auf den oneyklopädischen Charakter, der ihm eigen
war. Seine Doktordissertation (de reeentiore literarum obligatione)
betrifft eine sehr umstrittene Frage des römischen Schuldrechtes, seine zweite
akademische Breisarbeit ist eine Abhandlung über ..das Strafrecht des
Sachsen- und Schwabenspiegels" gewesen. Als Dozent las er zunächst
über Kriminalrecht- und Strafverfahren. Civilprozcss, dann aber auch über
Kölnisches Hecht: zugleich aber vertiefte der junge Gelehrte seine juristische
Bildung durch ununterbrochene Praxis als Assessor, später als Hilfsrichter
beim Kammergericht und Obertribunal. Obgleich nun Gneist in seinen
ersten Vorlesungen sich am meisten mit dem täglichen Brote der deutschen
Juristen, dem Pandektenrechte, beschäftigte, trieb ihn doch schon früh die
Neigung dahin, wo das (irösste zu erreichen ihm beschieden sein sollte:
zum Studium des öffentlichen Hechtes überhaupt, des Staats- und Yer-
waltunirsreehtes im Besonderen. Äussere Anregungen mochten da viel bei-
getragen haben: seit 1N41 benutzte er nämlich seine Ferien regelmässig zu
Studienreisen nach Kngland, Frankreich und Belgien. So erschloss sieh
frilhe das reiche öffentliche Leben der Kulturländer des Westens dem
empfänglichen Geiste des jungen preussischen Gelehrten und Richters: er
lernte aus eigener Anschauung die grossen Verschiedenheiten der Hechts-
zustände Frankreichs und Englands kennen, gewann noch in seiner Jugend,
was damals wenigen Landslenteu möglich war. ein eigenes selbstständiges
Urtheil über die seit langem als Muster politischer Freiheit angepriesenen
Staaten mit parlamentarischer Regierung. Und da ist nun für die weitere
Kntwiekelung ( ineist s besonders günstig gewesen, dass er in der Schule
Savignvs. als Jünger der historischen Richtung, welche damals triumphirend
Digitized by Google
I
Kudolf von <»nfist.
;*(»(>
die deutsche Reehtsgelehrsamkeit beherrschte , ausgebildet worden war. vSo
betrann er sehr bald in der Vergleichung der heinitscheii Zustünde mit denen
Frankreichs und Englands die grossen Verscliiedetdieiten als Produkte der
so verschieden gearteten geschichtlichen Kntwickelnng der drei Nationen
zu erfassen. Daneben aber wirkte, wie (ineist später selbst erzahlt hat.
ein anderer rein praktischer Faktor mit. ihn vor allem zum Studium des
englischen Staatswesens zu treiben. ..Ks waren Reformbestrebnngen im
deutschen Gerichtswesen, ri sagt er in der Vorrede zu seiner englischen
Verfassungsgeschichte, „welche die Anknüpfung dafür gegeben haben.
Aufgewachsen in der mühevollen, strengen Schule der preußischen Juristen,
in einer Zeit, in welcher dem Richter die ganze Arbeit der Gestaltung des
Prozesstoffcs in persönlicher Verhandlung mit den Parteien oblag, gleich-
zeitig in mannigfaltigem Verkehr mit Land und Leuten im östlichen und
westlichen Deutschland, in England und Frankreich, hatte ich die Vorzüge
unseres Beamtenstaates und zugleich die Schwerfälligkeit und die ( Jebreehen
unseres Geschäftsganges in Gericht und Verwaltung kennen gelernt." So
ist Gncist von Anbeginn seiner Arbeit durch die praktische Thätigkeit auf
neue wissenschaftliche Hahnen gelenkt worden: und das ist das Kennzeichen
seiner ganzen Laufbahn gewesen, dass er. mehr wie jeder andere von den
grossen deutschen Lehrern des Rechtes. Theorie und Praxis in bewunderns-
würdiger Weise in sich zu einem lebendigen (tanzen zu vereinigen wusste.
Langsam allerdings reiften die Früchte seiner weitgedehnten Studien; erst
im Jahre 1853 erschien als die erste derselben, seine Schrift über „Adel
und Ritterschaft in England", die bei den Fachgenossen, so besonders bei
R. v. Mohl, sogleich sehr beifällige Aufnahme fand.
Inzwischen hatten aber die bewegten Zeitläufe Rudolf (ineist zum
ersten Mal aus dem Hörsaal auf den Markt des öffentlichen Lebens geführt:
die Art und Weise, wie aber der junge Professor seit 1844 war er
Extraordinarius an der Berliner Universität — an den stürmischen Tagen
des Jahres 1K48 Antheil genommen, ist bezeichnend für seine Sonderart. Er hat
sich nämlich nur nach einer Richtung aktiv zu betheiligeu gesucht : im engsten
Kreise des kommunalen Lebens wollte er zum Neuaufbau des preussischen
Staatswesens behilflich sein, und so Hess er sich denn zum Stadtverordneten
in Berlin wählen, während er das ihm angebotene Mandat zur Nationalver-
sammlung ablehnte, überdies hatten ihn die märkischen Stände in das
Frankfurter Parlament gewählt. In dem neuen Berliner Gemeinderathe, der
mit der „Anerkennung der Revolution" sehr radikal einsetzte, um dann,
nachdem die Reaktion eingetreten, desto zahmer zu werden, hat Gneist eine
vielseitige, dem Detail der kommunalen Verwaltung zugewendete Thätigkeit
entwickelt. Und obgleich die sehr originellen, von den herrschenden Schlag-
worten des Tages nur allzu abweichenden Ansichten Gneists ihm gerade
damals mehr Feinde als Freunde verschafften, spielte er dennoch bald eine
einflussreiche Rolle in der Versammlung, ( her den Antheil. den er an all,
Digitized by Google
3G7
Biographische Blatter.
den Ereignissen im Sturmjahre genommen, hat (ineist schon im Jahre 184V)
ein sehr fesselnd geschriebenes Memoire, „Berliner Zustände, Politische
Skizzen vom 18. Marz 1848 bis zum 18. Marz 1849" veröffentlicht, in
welchem er seine Haltung nach beiden Seiten hin rechtfertigte, damit aber
auch eine sehr anschauliche, noch heute als Geschichtsquelle wichtige Dar-
stellung der öffentlichen Vorgänge verband. Schon in dieser Schrift werden
aber auch die eisten Linien seines künftigen Lebenswerkes im allgemeinen
l'mriss erkennbar: anknüpfend an die übertriebenen Hoffnungen, welche die
damalige Demokratie auf die Einrichtung einer sehr unklar gedachten Selbst-
verwaltung nach englischem Muster setzte, weist Gneist hier zum ersten
Mal darauf hin. dass das englische Selfgovernement in Wirklichkeit etwas
ganz Anderes sei, als das Bild, welches sich die populäre Auffassung davon
gemacht habe. Das ganze 4. Kapitel der Schrift ist der „Selbstrogierung"
gewidmet: und da setzt denn Gneist zum ersten Mal den Grundgedanken
seiner Staatsauffassung auseinander, dass die freie kommunale Organisation
derGemeindcn und Kreise die unerlässliche Vorbedingung sei für das Lebendig-
werden der geschriebenen Verfassung, für die Existenz des modernen Rechts-
staates. ..Die Ausbildung der Gemeinde-Verfassung, welche noch fehlt, ist
die eine Hälfte des Verfassungswelkes", ruft er warnend den Ideologen
der konstitutionellen Lehre zu. Wer einige Kenntniss von den herrschen-
den Männern und Ansichten jener aufgeregten Tage hat, wird sich darüber
nicht wundern, dass Gneist für seine Anschauung damals nur wenig Ver-
ständnis.? linden konnte. Ihn selbst aber mussten die Erfahrungen, die er
als Stadtverordneter machte, die Ausbreitung seiner Kenntnisse von prak-
tischer Kommunalverwaltung nur bestärken, auf dem betretenen Wege fort-
zufahren. Daneben tritt aber auch die allgemeine historische Auffassung des
Staatsrechtes, die Gneist später zu so grossen Erfolgen führen sollte, bereits
in dieser kleinen Schrift des .Jahres 1849 sehr merkwürdig hervor. In
scharfen Worten verurtheilt er die sozialen und Verwaltungszustände der
Zeit vor dem Ausbruche der Revolution, charakterisirt in beissenden Wollen
den Geist, welcher die damalige altpreussische Beamtenschaft erfüllte, und
deckt schonungslos die schweren ( 'haraktersehäden auf, welche das System
der bisher absolut herrschenden Bureaukratie nothwendig mit sich bringen
musste. ..Wir haben", sagt er nachdrücklich, „bisher keine Verfassung,
sundern einen Administrationskunstbair*.
So ist die Revolutionsperiode zu einer für Gneists ldeenentwicklung
sehr fruchtbaren Zeit geworden: das darauffolgende Dezennium lebte er neben
der Thätigkeit als Stadtverordneter hauptsächlich seinen staatswissenschaft-
lichen Studien, deren erste grosse Frucht mit dem Erscheinen des „Eng-
lischen Verfassung*- und Verwaltungsrechtes 1. Theil" im .lahre 1857 her-
vortrat. Im .fahre isuo folgte der II. Theil, die Kommunalverwaltung be-
treffend. In wiederholten Umarbeitungen erweiterte und vertiefte Gneist
sodann seine englischen Forschungen, bis sie endlich im .Tahre 18(12
Digitized by Google
Kudolf von Gneist.
368
abgeschlossen und nach deutscher Systematik eingetheilt, der Nachwelt in
den drei grossen Werken vorlagen, die den Kuhm Gneists und der deutschen
Wissenschaft auf diesem Felde unvergänglich machen: dem ..Englischen
Verwaltungsrecht" in zwei Bünden. „Selfgovernement. Kommunalverfassung
und Verwaltungsgerichte in England**, endlich der „Englischen Verfassung*-
geschiente" in einem ISande. als der Summe des ganzen, riesigen Rechts-
stoffes. Ich habe schon vorhin das eigene Geständniss Gneists angefnhrt.
das uns die Wurzel dieses völlig neuen, die deutsche Staatswissenschaft so
ausserordentlich bereichernden Studiums blosslegt: aber jene praktischen
Anregungen, die Gneist in seiner Thatigkeit als junger Richter erfahren
hatte, und die ihn zu vollkommen neuer Auffassung des öffentlichen
Hechtes drängten, hatten durch die Erfahrungen des Stadtverordneten Gneist
weitere nachhaltige Förderung erlangt. In dem längst schon latent gewesenen,
durch die Märzrevolution zum offenen Ausbruch gelangten Widerstreben der
Bevölkerung wider die einförmig starre Herrschaft der absoluten, unverant-
wortlichen Bureaukratie war das populäre Schlagwort der Notwendigkeit
der ..Selbstverwaltung*' zur herrschenden Phrase geworden. Man war aber,
wie Gneist gerade in der Geschichte der Berliner Stadtverordneten -Ver-
sammlung drastisch zeigt, weit entfeint von einer klaren Vorstellung, was
man an Stelle der bisherigen Einrichtung setzen wollte, indem man jenes
Wort gebrauchte: im Grunde genommen zeigte sich nach dem wirklichen
Verlauf der Dinge niemand unfähiger zur Selbstverwaltung und Selbst-
regierung als die preussische Demokratie des Jahres 1848, vielleicht desshalb,
weil es ihr am allermeisten an der Selbstbeherrschung gebrach. In der
That schien man unter dem ominösen Worte des Selfgovernement ein
.möglichst wenig Regiertwerden** zu verstehen. Aber es ist nur selbst-
verständlich, dass man mit solch' einem negativen Programm nicht im Stande
war. nach dem Zusammenbruch des alten Preussen das neue Preussen auf-
zubauen. Gneist. nun. durch seine bisherigen englischen Studien am besten
befähigt, die Hohlheit dieser populär-demokratischen Verfassungsdoktrin zu
erkennen, wurde sich gerade unter dem Eindrucke des Versagens der alten
bnreaukratischen Maschine in den Tagen der Revolution dessen bewusst.
dass nicht in der möglichsten Schwächung der vollziehenden Gewalt,
sondern in der besonderen Organisation derselben das Wesen des Self-
governement, das Geheimniss der Freiheit des englischen Staatslebens, welche
die Demokraten ohne wahre Kenntniss der englischen Zustände allezeit im
Munde führen, verborgen liegen müsse. Dies Geheimniss zu lösen, war die
grosse Aufgabe, der er sich nunmehr unterzogen, und die er in meister-
hafter Weise gelöst hat.
Es ist unmöglich den ausserordentlichen Gewinn an staatswissenschaft-
licher Erkenntniss, den Gneist 's klassische Werke für uns bedeuten, hier in
dem engen Rahmen eines Nachrufes mit wenigen Worten erschöpfend zu
bezeichnen. Nach zwei Richtungen hat Gneist bahnbrechend gewirkt: ein-
Digitized by Google
369
Biographische Blatter.
mal. was die allgemeine theoretische Auffassung vom Wesen des Staates
betrifft, sodann in Bezug auf das richtige Verständniss der englischen Rechts-
institutionen auf dem Festlande. In erster Hinsicht muss mau sich dessen
bevvusst sein, dass die grossen politischen Bewegungen des .Jahres 184h
nicht nur äusserlieh eine Fortpflanzung der Erschütterung im Inneren Frank-
reichs, sondern auch ihrem theoretischen Wesen nach Wirkungen der zuletzt
in Frankreich ausgebildeten Naturrechtslehre vom Staate gewesen sind.
Dieser trat nun in Deutschland die historische Richtung zuvorderst in der
Rechtswissenschaft, sodann auch in der Volkswirtschaftslehre entgegen,
bemüht an die vStelle eines unfruchtbaren, der wirklichen Gestaltung der
Dinge entrückten Radikalismus den organischen, an das Bestehende an-
knüpfenden Fortschritt zu setzen. Zur wissenschaftlichen Erfassung des
Staates und seines Rechtes hatte da gerade um die Mitte dieses .Jahrhun-
derts Lorenz von Stein das Grüsste gethan: in origineller Fortbildung
Hegelscher Gedanken hatte er in der Geschichte der sozialen Bewegungen
Frankreichs zum ersten Mal den Begriff der realen Gesellschaft und die
naturnoth wendige Abhängigkeit des jeweiligen Staatsrechtes von der Struktur
derselben aufgezeigt. Diesen Gedanken ergriff nun Gneist mit all' der I Leb-
haftigkeit seines Geistes und machte ihn erst recht fruchtbar, da er daran
ging, auf Grund der historischeu Methode die Richtigkeit jener Auffassung
an dem englischen Beispiel zu erläutern. So erwuchs ihm aus der tief
eindringenden, das Ganze und das Einzelne, die Vergangenheit und die
Gegenwart erfassenden Darstellung der englischen Verfassung jene Lehre
vom Rechtsstaat, die seither mit seinem Namen dauernd verknüpft bleibt:
dass der Staat jene Rechtsanstalt sei. die den vielen divergirenden Inter-
essen der einzelnen ( Jesellsehaftsschichtcn gegenüber, das Wohl und die
friedliche (\>e\istenz der Gesaiumtheit zu sichern berufen sei. Alle inneren
Kämpfe eines Staatswesens erscheinen ihm als „Versuche einer gesellschaft-
lichen fherHuthung über die vom Staatsrechte gezogeneu Dämme." Die
Grundlage der gesellschaftlichen Schichtung und demgemäss die Abgrenzung
der gesellschaftlichen Machtsphären sind nicht durch das Recht, sondern
durch die Vertlieilung des Besitzes gegeben: das Güterleben regelt die Be-
ziehungen der einzelnen sozialen Gruppen innerhalb des Staates. Daraus
folgt nun evident die Abhängigkeit der grundlegenden Uechtseinrichtungcn
des Staates, seiner Verfassung und Verwaltung von der in bestimmten Be-
sitzverhaltnissen konstituirten Gesellschaft. Daraus folgt weiter, dass der
Schwerpunkt des jeweiligen Staatsrechtes stets innerhalb jener Gcsellschafts-
schichte liegen muss. die nach der Vertlieilung des Besitzes die herrsehende ist.
Endlich aber ergiebt sich gerade ans diesem Verhältnis* von Staat und Gesell-
schaft für Gneist die wichtige Konsequenz, dass ein starkes Königthum und der
von diesem berufene Staatsrath der unverrückbar feste Punkt sein müssen, an
den alle organische Recht sbildung allein mit Erfolg anknüpfen kann gegenüber
den stets übermächtig hervortretenden gesellschaftlichen Sonderbestrebungen.
Digitized by Google
Rudolf von (ineist.
'370
Das eigentliche Beweismatcrial für diese Staatsphilosophie hat (ineist,
wie schon bemerkt, die englische Verfassungsgcschiehte geboten, wenn er
auch, insbesondere in den späteren Umarbeitungen seiner Werke, immer mehr
die preussische und französische Entwickelung herangezogen hat. Hier, in
England, fand er venvirklicht, was anderswo nirgends so rein ausgebildet
worden: die Überwindung und Einigung der gesellschaftlichen Gegensätze
in den grossen Institutionen des öffentlichen Rechtes zur gemeinsamen staatlichen
Arbeit. Das Selfgovernment ist ihm der bewunderswerthe „Zwisehenbau
zwischen Staat und Gesellschaft", der das vollbringt. „Zwischen dem Ge-
sanimtorganismus der Gesellschaft und dem Organismus des .Staates er-
scheint ,** sagt er. „ein dauernder Gegensatz. Alle Einrichtungen des
Staates mit ihrem Zwangscharakter und ihren fernliegenden Zielen stehen
unabänderlich den nächsten Interessen der Gesellschaft entgegen. Bildet
die Gesellschaft in dieser Richtung einen zusammenhängenden Organismus,
so bedarf es eines staatlichen Gegenorganismus, welcher die gesellschaft-
lichen Interessen sich unterordnet, vereinigt und in steter Übung den
Menschen zur Erfüllung seiner staatlichen Pflichten zwingt und gewöhnt.
Dieser staatliche Gegenorganismus ist das Seif go vernement.**
In diesen Sätzen ist der Kern der Gneist sehen Staatsauffassung ge-
geben. So wie Lorenz von Stein in seiner geistreich -dunkeln Manier aus
dem „Begriff des Staates" und dem ..Begriff der Arbeit** die unlösliche Ver-
bindung der Staatsverfassung mit der Verwaltung, der Ordnung des ..arbeiten-
den Staates" deduzirt. so gelangt Gneist auf dem historisch-induktiven Wege
zu dem gleichen Ergebniss. Er geht aber darin um einen sehr bedeutenden
Schritt weiter, dass er aus dem immanenten Verhältniss von Staat und Gesell-
schaft die Art dieser Verbindung beider genau bezeichnet: von den englischen
Erfahrungen ausgehend, zeigt er. wie mit der Aufstellung des Zwischeubaues
des Selfgovernement zwischen Staat und Gesellschaft dauernde Harmonie
erreicht werden könne. Das ist die grosse Lehre gewesen, die er aus
seinen Studien der westeuropäischen Reehtsgeschichte zog. Aus der ge-
schichtlich entwickelten Natur der englischen Institutionen heraus gelangte
Gneist jedoch auch zu einer positiven Definition des Selfgovernement: dieses
ist nach ihm „die Verwaltung eines Landes, nach dessen Gesetzen durch
persönliche Ehrenämter der höheren und Mittelstände mittelst Kommunal -
Grundsteuern". In meisterhafter Weise hat Gneist bis in s letzte Detail
aus dem schier unermesslichen englischen Rechtstoffe, dem Resultat einer
800 jährigen Eiitwiekelung, diesen Satz als das Grundprinzip des englischen
Staatswesens herausgearbeitet: er wies hier unwiderleglich nach, was er
schon in seiner Schrift „über Adel und Ritterschaft in England" dargelegt,
dass die ökonomisch herrschende Klasse Englands, die Gentry. seit dein
1<>. Jahrhundert die Trägerin der politischen Macht, der Pfeiler der Staats-
Verfassung durch die auf ihren Leib sich anpassende Ausbildung der Selbst-
verwaltung geworden ist. Darum sah er in dein Zustande des Landes am
Digitized by Google
371
Biographische Blätter.
Endo des 18. Jahrhunderts, zu welcher Zeit das klassische Selfgoverneuient
seine höchste Vollendung erlangt hatte, auch den Höhepunkt der englischen
Staatsentwiekelung.
Hält man nun diese Auffassung von Staats- und Verwaltungsrecht,
wie sie in Gneist zu Beginn der 00 er Jahre bereits gereift war, zusammen
mit der Staatslehre jener Partei, der sich Gneist. seitdem er im Jahr 1859
in den preussischen Landtag eingetreten, angeschlossen hatte, so wird man eher
der Meinung sein, es müsse Gneist der Eintritt in das politische Treiben
der liberalen Majorität weit schwerer geworden sein als später sein V bertritt
zur Regierung nach dem Überwältigenden Siege der Bismarekschen Staatskunst
im .fahre 1800. Es ist schwer, hier die Gründe auseinanderzusetzen, die
(ineist doch solange in der Opposition festgehalten haben: es mögen persönliche
Momente reichlich mitgewirkt haben. Aber nochmals möchte ich in An-
knüpfung an das zu Eingang Gesagte wiederholen: die innere Krisis. die
mit dem Siege Bismarcks in dem Gefüge der liberalen preussischen Opposition
eintrat, musste für Gneist auch eine innere Befreiung aus einer für ihn
iminenuehr unhaltbar gewordenen Position bedeuten. Das lässt sich z. B.
deutlich an seiner Behandlung der berühmten Frage nach dem Rechtsbegriff
des Budgets erkennen. Man erinnert sich, dass die Verweigerung zunächst
des Heeresbudgets, sodann des ganzen Etats den eigentlichen Kern des
Konfliktes der Bismarekschen Regierung mit der Opposition bildete. Obgleich
nun Gneist damals ein Wortführer der Linken war. musste er sich doch längst
ganz andere Anschauungen als diejenigen seiner Partei gebildet haben.
Denn schon im Jahre 1807 setzt er in seiner Schrift über „ Budget und Gesetz'*
auseinander, dass die englische Verfassung, weit entfernt von der konstitu-
tionellen Doktrin, keineswegs die jährliche Annahme aller Einnahmeposten des
Budgets zur Bedingung mache, dass vielmehr der überwiegende Theil der
Einnahmen, der auf bestehenden Gesetzen beruht, wieder nur durch ein
Gesetz, nicht aber durch einseitigen Beschluss des Unterhauses der Regierung
entzogen werden könne. Schliesslich wies er nach, dass ein Gleiches auch
aus der preussischen Verfassung von IköO sich nothwendig ergebe.
Nunmehr, seit der Begründung des Norddeutschen Bundes, noch mehr,
seitdem das Reich erstanden, begann für Gneist eine Zeit der fruchtbarsten
Arbeit. Die Hoffnungen, im positiven Sinne rechtsbildend wirken zu können,
die ihn nach seinem eigenen < iestüudniss bereits beim Eintritt in den Land-
tag erfüllt haben, sie konnten sich jetzt in ungeahnt weitem Gebiete erfüllen.
Schon in seinen grossen Werken über die englische Verfassung hatte Gneist
immer wieder mit Nachdruck hervorgehoben, dass der Ausbau des deutschen
Rechtsstaates in origineller Weise die Gedanken des Selige vernement als
einer Verwaltung nach Gesetzen verwirklichen müsse. Und immer von neuem
wies er auf die vorhandenen Können echt deutscher Selbstverwaltung, be-
sonders in der Steiu-Hardenbergschen Gesetzgebung, als die Anknüpfungs-
punkte der Reform. So ist denn sein ganzes parlamentarisches Wirken als
Digitized by Google
Hudulf von (ineist.
372
Mitglied des Reichstages bis zum Jahre 1892. seine ganze publizistische und
akademische Thätigkeit von nun an der Reform des Öffentlichen Rechtes in
Preussen, der Mithilfe bei den grossen Kodifikationen für das Reich uner-
müdlich gewidmet. Fast unübersehbar ist die Reihe der Schriften Gneists
in dieser Periode: jede einzelne grosse Frage der Gesetzgebung findet in
derselben ihre Vertretung. »So, tun nur einige zu nennen: Die preußische
Kreisordnung 1870. ein Reformwerk betreffend, in welchem Gneist als Haupt-
berather der Regierung einige seiner Grundideen zur Durchführung bringen
konnte, die Schrift über Freie Advokatur" 1867; Vier Fragen zur deutschen
Strafprozessordnung, 1874, Die bürgerliche Eheschliessung 1869: Die kon-
fessionelle Schule 1869. Zur Steuerreform in Preussen 1878. u. a. m. Aus
den Debatten im Reichstage, an die sich die preussisehe Ministerkrise des
Jahres 1878 anschloss. ging auch die bedeutende Schrift über „Gesetz und
Budget'4 im Jahre 1879 hervor: sie griff das schon vor 1 2 Jahren behandelte
Thema nochmals auf und knüpfte daran die erste eingehende Behandlung
eines Grundproblems dos Staatsrechtes, nämlich des Verhältnisses von Gesetz
und Verordnung im konstitutionellen Rechtsstaate. Daneben erchien das Werk,
in welchem G neust seine Lehre vom W esen des Staates zusammenfasste : der
vielangegriffene „ Rechtsstaat'' 1872. Seinen englischen Studien entsprang als
Spätling eine kürzere und populär gehaltene „Geschichte des englischen
Parlamentes in 1000 jährigen Wandlungen", 1886: endlich ist die grund-
legende Arbeit Gneists für die Reform des deutschen Verwaltungsrechtes
zu nennen, die bereits im Jahre 1869 erschienen ist unter dem Titel „Ver-
waltung, Justiz, Rechtsweg, Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach
englischen und deutschen Verhältnissen mit besonderer Rücksicht auf Ver-
waltungsformen und Kreisordnungen in Preussen". Eine besonders frucht-
bringende Thätigkcit hat Gneist. auch als Begründer, Ausschussmitglied
und seit 1871 als ständiger Vorsitzender des deutschen Juristentages
entwickelt. Diese Stellung entsprach seiner der Theorie wie der Praxis des
Rechtslebens gleich nahestehenden Geistesart in ganz besonderem Maasse.
Eine grosse Anzahl seiner Broschüren, GelegenheiUschriften, Reden und
Vorträge hat hier ihren äusseren Anlass gefunden. Weniger erfolgreich,
aber immerhin beachtenswert ist seine Thätigkeit im Vereine mit dem Sozial-
politiker Bohniert gewesen: mit diesem zusammen gab er die Zeitschrift
..Der Arbeiterfreund- als das Organ des Berliner „Centraivereins für das
Wohl der arbeitenden Klassen" heraus. Auch an der Gründung des
..Vereins für Sozialpolitik" auf dem Eisenacher Tage von 1872 hat Gneist
theilgenommen.
Schon die blossen Titel der verschiedenen Schriften, welche im Zu-
sammenhange mit der vielseitigen praktischen Wirksamkeit Gneists entstanden
sind, geben ein Bild von dem reichen, alle Zweige des staatlichen Lebens
berührenden Interesse des Gelehrten und Politikers (ineist, f'berall wirkte
er anregend und belehrend, in den Fragen des Verwaltungsrechtes und
Digitized by Google
373
Kiogrraphisehe Blätter.
seiner Fortbildung" entscheidend. Sein grosses Grundprinzip, dass nur in
der Entwickelung der Selbstverwaltung" als einer Pflicht der Einzelnen, nur
in der konstanten Thätigkeit der Individuen als Träger und Vollstrecker
des staatlichen Willens ein gesundes Staatsleben auf deutschem Hoden
erwachsen, diese aus der Tiefe der Erkenntnis* germanisch -engl ischer
Rechtsanschauung herausgehobene Idee hat er im weitesten Ausmaasse in
seinem Yaterlande zur Durchführung bringen können. Und ebenso den
zweiten Hauptgedanken seiner Lehre vom öffentlichen Recht, dass alle Yor-
waltung nach Gesetzen vollzogen werden müsse: die Schöpfung der heute
in jedem Staate als unerlHsslich angesehenen Yerwaltungsjustiz ist durchaus
ureigenes Werk Rudolf Gnoists. In dieser Hinsicht hat er auch auf die
Gesetzgebung ausserhalb des deutschen Reiches höchst befruchtend gewirkt.
Goethes tröstender Spruch: „Was man in der Jugend sich wünscht, das
hat man im Alter die Fülle" hat Rudolf von Gneist bewährt gefumlen wie
selten einer. Ks ist ihm vergönnt gewesen, nicht nur die Blüthe. sondern
auch die Früchte aus den Keimen, die er gesäet, zu schauen und sich
daran zu erfreuen.
Noch im Jahre JHUl konnte er mit Genuglhuung erleben, dass der
Schlussstein der preussischen Verwaltungsreform in dem Gesetze einer
Landgemeindeordnung für die östlichen Provinzen des Königreiches gelegt
ward. Ein ganzes Netz obrigkeitlicher Selbstverwaltung spannte sich über
das Reich aus. Das blühende Kommunalleben der kleineu Städte sowohl als
der neuen Riesenstädte des Reiches in den Formen der munizipalen Autonomie,
die zahlreichen neugeschaffenen Formen der Mitwirkung der bürgerlichen
Klassen an der staatlichen Verwaltung durch Ehrenämter, all" diese Er-
rungenschaften der letzten Dezennien konnte Gneist mit berechtigtem Stolze
als Resultat seiner Lehre, seines unermüdlichen Wirkens betrachten. Und
dies mochte ihn auch darüber trösten, dass während des letzten Jahrzehnts
mit der Abnahme seiner Kräfte auch seine Schaffenskraft, sein Einfluss im
Reichstage notwendigerweise nachliess.
Politisch trat Gneist in höherem Alter noch einmal bemerkenswert Ii
hervor: als er im Jahre 187* das Sozialistengesetz in einer besonderen
Brochürc vertheidigle und so das Odium dieser dann mit solcher Härte aus-
geführten Polizeigesetzgebung auch auf sich zog. (ineist ist von Anfang
an eine konservative Natur gewesen: aufgewachsen in Traditionen einer
ganz anderen Zeit als der Epoche des industriellen Kapitalismus, der in
steigendem Maasse seit den sechziger Jahren Deutschland beherrschte. i>T
sein Pdiek eigentlich über jene Grenze nie hinausgegangen, die er selb>t
mit dem Wort: ..besitzende Klassen** bezeichnet. So ist ihm auch die
gewaltige Kntwickelung des Proletariats eine räthselhafte, ja feindselig
berührende Erscheinung gewesen.
Dies ist ja nun überhaupt der Punkt, an dem eine Kritik der Gneist-
schen Lehre einzusitzen hätte: dass sie in ihrer induktiv-historischen Methode
Digitized by Google
Hudolf von «ineist.
374
an einem gewissen Punkte stellen bleibt, um dann wieder ebenso dogmatisch
zu werden, als dies die Naturrechtsphilosophen gewesen sind. Sehr klar hat
(»neist den gesellschaftlichen Untergrund aller Entwickelung des Staats-
rechtes, der Verfassung, und Verwaltung- herausgehoben: aber die eigent-
liche Natur dieser gesellschaftlichen Vorgänge hat er doch nur bis zu einem
gewissen Punkte verfolgt, und gemeint, dass sie darüber nicht hinausgehen
könnten. So ist denn auch seine praktische Auffassung des Selfgovernement
— wenn auch historisch völlig richtig gesehen und erklärt — als Grund-
prinzip für die weitere Reform des Öffentlichen Hechtes heute schon zum
grossen Theil antiquirt: denn nur die alten auf den Grundbesitz aufgebauten
Besitzeskategorien erschienen ihm als die wahren Träger der sozialen Macht
und darum auch der Staatsverwaltung. Aus diesem Grunde sah er auch
•lie englische Reformgesetzgebung dieses Jahrhundeites, die nothwendig
der neuen industriellen Gesellschaft ihr Hecht schuf, mit Trauer und Be-
sorgnis* als den beginnenden Ruin der wahren ..Selbstverwaltung". Aber
gerade die Annahme der ( ineist scheu Theorie vom Selfgovernement. der die
tiefe sittliche Wahrheit zu Grunde liegt, dass nur in der Mitarbeit der
Einzelnen für die Gesammtheit die wahre staatliche Freiheit gesichert sei,
erfordert es, dass man mit der ökonomischen Entwickelung. mit dem Empor-
steigen neuer gesellschaftlicher Schichten diese Theorie des Selfgovernement
auch auf diese neuaufkommenden Massen ausdehne. Sonst gelangt man
auch in der praktischen Rechtscutwicklung rasch dahin, wo die historische
Schule der Jurisprudenz längst angekommen ist: nämlich beim historischen
Doktrinarismus, der wohl für die Vergangenheit, nicht mehr aber für die
Zukunft das Werden aller Dinge zugiebt. Doch es ist hier nicht der Ort.
in eine Kritik der Gneist.schen Theorie einzugehen. Nur noch auf das eine
soll hingewiesen sein: dass gerade die jüngste von (ineist so besorglich
benrtheilte Entwickelung des öffentlichen Rechtes in F^ngland zeigt, wie
tief der von (ineist zum ersten Mal erkannte Trieb des Briten zur freien
Selbstverwaltung in der Nation eingewurzelt ist: auf dem neuen gesell-
schaftlichen Hoden des England von heute sind wieder neue Formen eines
demokratischen Selfgovernement im Emporblühen begriffen, die in der
Zukunft eine eben so grosse Bedeutung für die nationale Entwickelung zu
gewinnen bestimmt sind, als das im Niedergang befindliche obrigkeitliche
Selfgovernement der alten Zeit bisher besessen hat.
Goethe sagt einmal in seinen Weisheitssprüchen: ..Der ist der glück-
lichste Mann, der das Ende seines Lebens mit dem Anfang in Verbindung
setzen kann". In diesem Sinne ist (ineist gewiss einer von den Glücklichen
gewesen. Und auch sonst verlief sein äusseres Leben ohne wesentliche
Störuniren: er hat so recht das Dasein eines modernen Gelehrten geführt,
der über den Hörsaal hinaus in die Weite zu wirken strebt. An äusseren
Knien und Würden liel ihm reichlich zu. was ihm vollauf gebührte: längst
schon galt er als eine Zierde der nationalen Wissensehaft und stand als
Digitized by Google
:J75
Biographische Blätter.
solcher an grossen Gedenktagen des Vaterlandes in erster Reihe. So als er
im . Jahre 1875 die Festrede zur Enthüllung des Denkmals jenes Mannes
hielt, dessen Werk fortzusetzen er seit jeher bemüht gewesen: des grossen
Freiherrn vom iStein. In ähnlicher Weise vertrat er die Deutschen als
Ehrengast der Vereinigten Staaten bei der Eröffnung der Pacihcbahn im
Jahre 1883. Im .lahre 1886 wurde er zum Ehrendoktor der Philosophie
von der Universität Herlin und der Universität Edinburg, im Jahre 188*
als solcher von der Universität Bologna ernannt. Wenn auch die herr-
schenden Anschauungen unserer Zeit vielfach Uber seine Lehre hinaus-
gingen, so hörte man doch stets aufmerksam auf seine Stimme und sein
Uliheil. Sein letztes Werk (Die nationale Rechtsidee von den Ständen und
das preussische Dreikiassen -Wahlsystem, 1894) hat allerdings wenig Beifall
gefunden, obgleich es im Wesentlichen nur die Summe seiner wissenschaft-
lichen Lehren zog: mit Befremden nahm man da wahr, dass (ineist, der
selbst schon im Jahre 1849 das Uensuswahlrecht auf's Schärfste bekämpft
und als völlig undeutsch verworfen hatte, nunmehr zu einem lebhaften Für-
sprecher des preussischen Klassenwahlsystems — des elendesten aller Wahl-
rechte, wie Bismarck es im preussischen Landtag während der Kontlikts-
debatten genannt — sich rückentwickelt hatte. Und weiter erseheint es
gar seltsam, dass (ineist noch immer die moderne Gesellschaft in ständischen
Formen gegliedert sich vorstellt. So wird also dieses letzte Buch Gneists
dem Bilde seines wissenschaftlichen Charakters keinen beinerkenswerthen
neuen Strich hinzufügen: es wird aber gewiss auch seinem Ruhm als Be-
gründer des geschichtlich erforschten Staats- und Verwaltungsrechtes auf
die Dauer keinen Eintrag thun.
Jedenfalls ist aber gerade dies letzte Buch ein Zeugniss für die be-
wunderungswürdige Rüstigkeit und Frische, deren sich der 78 jährige Ver-
fasser bis zu den letzten Erden tagen erfreuen durfte. Ein reiches, um die
deutsche Nation und die Wissenschaft hochverdientes Leben war zum Ab-
schluss gebracht, als Rudolf von (ineist am 22. Juli dieses Jahres die Augen
sehloss. Sein Andenken wird dauernd fortleben als das eines Fürsten der
deutschen Wissenschaft dieses Jahrhunderts, eines der schaffenskräftigsten
Mitarbeiter an dem grossen Rechtsbau des neugegrü mieten Reiches, als das
eines Forschers und Politikers, der ewig lebendige, seit langem verschüttete
(Quellen des deutschen Rechtslebens aufgegraben und so die staatliche Ent-
wicklung seines Volkes, vor allem seines engeren preussischen Vaterlandes,
nachhaltig und segensreich befruchtet hat.
Digitized by Google
Heinrich von Sybel.
37C>
Heinrich von Sybel.
V o n
CONRAD VARRENTRAPP.
Auch in den Biographischen Blättern darf ein Wort der Erinnerung
an Heinrich von Sybel nicht fehlen, an den Historiker der Begründung des
neuen deutschen Reichs, der uns in diesem Sommer entrissen wurde, da wir
eben das Gedächtnis* an die Ereignisse von 1870 begingen. Wie sein
grosser Lehrer, wie Hanke, ist auch Sybel bei seinen historischen Arbeiten
nicht durch biographische Gesichtspunkte bestimmt: aber wie dieser hat
auch er sie durch biographische Momente belebt und nachdrucklich hat ei-
stet s die Bedeutung der Persönlichkeiten in der Geschichte auch dem
Meister gegenüber betont. Als in Rankes letzten Werken immer mehr die
Menschen zurücktraten vor den Ideen, deren Träger sie sind, hob in aus-
gesprochenem Gegensatze zu ihm Sybel hervor, er sähe „in aller Geschichte
die Menschen, die sich das Gedankenbild erschaffen, danach handeln und
dafür einzustehen haben". Kingrehend zu schildern, wie er selbst berufen
and thätig war für die Ausgestaltung und Durchführung der Ideen, die in
seiner Zeit das wissenschaftliche und politische Leben seiner Nation bewegten,
kann nicht in den nachfolgenden Zeilen unternommen werden: in ihnen
möchte ich nur versuchen, kurz an die Hauptpunkte seiner Thätigkeit zu
erinnern, den Zusammenhang anzudeuten, in dem sie mit Sybels individueller
und der Entwickelung seiner Zeit steht.
Eine Persönlichkeit wie die Sybels ist nicht durch die Landschaft zu
erklären, in der sie das Licht der Welt erblickte: doch darf, wer ilm, wer
seinen Unterschied von seinen Alters- und Arbeitsgenossen genauer ver-
stehen will, nicht unbeachtet lassen, dass er im preussisehen Rheinland auf-
gewachsen ist. In Düsseldorf ist er am 2. Dezember 1817 geboren, und
nie hat er seine Anhänglichkeit an die rheinische Heimath, nie den Zu-
sammenhang mit seinen rheinischen Freunden verleugnet. „Ich bin", sagte
er 1875, als er von Bonn schied, „Rheinländer und bin es mit Stolz,
nicht blos im Hinblick auf den Strom und die lierge und die herrlichen
Reize der Natur: ich bin es mit Stolz auch im Hinblick auf die Landes-
genossen, auf dies leicht erregbare, zu allem Guten rasch zu entflammende, von
der Natur mit reicher Begabung ausgestattete rheinische Volk". Wer Sybel sah
und sprach, dem trat aus seinen klugen Augen und Worten sofort entgegen,
wie reich diesen Rheinländer die Natur mit den Gaben ausgerüstet hatte,
die man als beste Eigenschaften rheinischen Wesens rühmt; aber mit
seinem scharfen Blick erkannte er klar auch die Mängel und Schäden in
seiner Heimath : sie aufzudecken und zu ihrer Abstellung, zur Besserung die
J^andesgenossen anzutreiben, hielt er sich verpflichtet, wie er selbst immer
eifrig an der eigenen Bildung arbeitete. Auch von diesem Gesichtspunkte
Digitized by Google
:I77
Hiographisehe Blatter.
aus legte er besonderen Werth auf die Verbindung des Rheinlands mit
dem preussischen Staat, dem seine Vaterstadt kurz, vor seiner Geburt ein-
gefügt, in dessen Verwaltungsdienst sein Vater eingetreten war. Dieser
stammte aus einem Geschlecht, aus dem viele Mitglieder als evangelische
Pfarrer in der Grafschaft Mark «rewirkt hatten1): als Sohn eines Subrektors
in Soest und Pfarrers in Sassendorf ist auch er in Westfalen geboren, aber
ganz ist er im Rheinlande heimisch geworden, vor allem durch seine Frau,
die der alten rheinischen Familie Brügelmann angehörte. Glückliche Jugend-
jahre waren unter der liebenden Obhut dieser Eltern ihrem frühreifen
ältesten Sohne beschieden: besonders bedeutsam war auch für ihn. dass in
nahem freundschaftlichen Verkehr mit ihnen die Männer standen, die damals
Düsseldorf zu einem wichtigen Mittelpunkt litterarischer und künstlerischer
Bestrebungen erhoben. Immermann, Sehnaase und Üchtritz. Felix Mendels-
söhn und die Meister der neu begründeten Düsseldorfer Akademie. Sybel
erfuhr hier, wie er später sagte2). ..welch ein Segen es ist, in jugendlich
empfänglicher Zeit zu richtiger Ausbildung des Schönheitssinns angeregt
zu werden". Förderung seiner ästhetischen Bildung, musikalische Genüsse
besonders, brachte ihm dann auch seine Studienzeit an der berliner Univer-
sität, die er schon 1834. noch nicht ganz 17 Jahre alt. bezog und bis 183N
besuchte: hier hat er die bestimmende Anregung für seine Zukunft durch
Leopold Ranke empfangen.
Wie er dessen geniale Kraft bewunderte, wie viel er ihm .dankte, hat
{Sybel selbst in warmen Worten in seinem Nachruf auf Ranke hervorgehoben:
er war ihm besonders auch dafür dankbar, dass er nie ihr nahes Verhältnis
trüben Hess durch die offen ausgesprochene Verschiedenheit ihrer Naturen
und ihrer Ansichten. Sie zeigt sich in ihren litterarischen Arbeiten, noch
mehr in ihrer Stellung zum öffentlichen Leben. Von Rankeschen An-
regungen ausgehend, hat Sybel in seinem ersten bedeutsamen historischen
Buch, seiner Geschichte des ersten Kreuzzuges, die er. noch nicht
-2\ Jahre alt. 1S41 veröffentlichte, die Unhaltbarkeit der legendarischen
Krzählungen Uber Peter von Amiens und Gottfried von Bouillon dargethan:
aber schon hier und noch mehr in seinem drei Jahre später erschienenen
Werke über die Entstehung des deutschen Königthums ist deutlich seine
selbstständige, seine von des Meisters abweichende Art zu bemerken. Die
Schärfe, mit der er seine l'rtheile formulirte. wurde wohl durch die in
diesem Buche bezeugten juristischen Studien gefördert, die Sybel unter
Savignys Leitung begonnen hatte. Grossen Eindruck hatte dessen Pan-
h Über sie und namentli.h Ul>er Sybels Vater die 1*5)0 von Sybels ältestem
Sohn, dem iN'tiierurejsrathe F. von Sybel veröffentlichten Naehrirhten über die Soest er
l amili»' Sybel. über Sybels .Mutter besonders l'utlitz. Immeniunn I. "JOti ff.
-) Jn seinem Vorwort zu den issj. verüffentliehten Krinnerunsren ;in Friedrieh von
i'ehtritz: virl. aueh sein»« an den Vertreter der I )iisseldorf'er Akademie bei dem Iionner
Jubiläum ls.js ..^richteten Worte in dem offiziellen IV>t berieht S. -JS ff.
Digitized by Google
Heinrich von Sybel.
378
dektenvorlesung auf ihn gemacht: Ranke und Savignv dankte er nicht nur
die wissenschaftliche Schulung seines Geistos: von ihnen überkam er auch
den ( iegensatz gegen die naturrechtlichen Anschauungen, die das vorige
Jahrhundert und noch in unserem weite Kreise des deutschen Burgerthums
beherrschten. Andererseits war auch Rankes freier und tiefer historischer
Blick nicht getrübt durch die romantische Verherrlichung des Mittelalters:
aber wohl hatte der konservative Freund und Verehrer Friedrich Wilhelms IV.
lebhafte Sympathien für die Trüge r dieser Ideen. Seinem stets besonders
nach Klarheit strebenden, aus dein rheinischen Bürgerthum hervorgegangenen
Schüler waren sie dagegen von Grund aus antipathiseh: ihren schädlichen
Eintluss in Wissenschaft und Leben zu bekämpfen, fühlte er sich wie die
Mehrzahl seiner geistig regsamen Altersgenossen getrieben. So hoch er die
ästhetische Bildung schätzte, doch betrachtete er von vornherein nicht mit
den Augen des Ästhetikers, sondern mit dem Blick des Politikers die
historischen Dinge, und nicht auf Schauen und Erkennen glaubte er sich
beschränken zu dürfen. Ihm erschien es als der natürliche Beruf des „Ge-
lehrten, aus seiner Wissenschaft die Quelle abzuleiten zur Befruchtung des
öffentlichen Bodens und umgekehrt in dem Boden des öffentlichen Lebens
wieder die Quelle reicher wissenschaftlicher Belehrung aufzusuchen4'.
Früh hat gerade nach dieser Richtung Niebuhr mächtig auf ihn ge-
wirkt: in ihr wurde er bestärkt durch die Bedürfnisse und Forderungen
seiner Zeit, durch die Eindrücke, die er in den Jahren steigender Gährung
im Vaterland, die er in der rheinischen Heimath empfing, an deren
Universität er sich schon 1840 habilitirt hatte und 1844 zum ausserordent-
lichen Professor ernannt wurde. Um den geschichtlichen Standpunkt zur
rechten Würdigung seiner heiinathlichen Umgebung zu gewinnen, durch-
forschte er die ältere rheinische Geschichte: umgekehrt verwerthete er zur
Aufklärung der Öffentlichen Meinung seine gelehrten Kenntnisse und seine
wissenschaftliche Methode in der kritischen historischen Untersuchung, die
er 1844 zusammen mit seinem Freunde Gildemeistcr veröffentlichte, als die
Ausstellung des heiligen Rocks in Trier die weitesten Kreise erregte.
Ein Jahr darauf begann er seine Wirksamkeit als ordentlicher Pro-
fessor der Geschichte in Marburg. Auch hier hat er zunächst mit ent-
legenen Jahrhunderten sicli beschäftigt, eingehend namentlich die ökonomi-
schen, politischen und geistigen Zustände in der Zeit des römischen Kaiser-
reichs studirt: daneben aber hielt er Vorlesungen über neue und neueste
Geschichte und vertiefte sich eifrig in Burkes Schriften. Briefe und Reden.
Welch grossen Eintluss dieser auf seine historisch-politischen Anschauungen
geübt hat, mit welch lebhaftem Interesse Sybel. wie der grosse englische
Redner, die politischen Bewegungen seiner Zeit verfolgte, das beweisen,
wie andere 1846 und ls47 von ihm veröffentlichte Abhandlungen, so nament-
lich seine Beleuchtung der ..politischen Parteien im Rheinlande". Wer
von Sybels politischen Ansichten und ihrer Kntwiekclung eine deut-
Biographische Blatter. !. -J.",
Digitized by Google
379
Biographische Blatter.
liehe Vorstellung gewinnen will, wird diese Schrift besonders beachten
müssen: klar ist hier bereits von ihm begründet, warum er zugleich die
ultramontanen und feudalistischen und die radikalen Tendenzen bekämpfte
und den konstitutionellen Rechtsstaat forderte. Gegen die gleichen Gegner,
für konstitutionelle Reformen und für Deutschlands Einigung unter Prenssens
Führung suchte er dann, als 184K die Revolution zum Ausbruch gekommen
war, auch in parlamentarischer Thätigkeit in Kassel und Erfurt zu wirken.
Dass er und seine Gesinnungsgenossen das erstrebte Ziel nicht erreichten,
machte auch ihn nicht irre an ihren Grundanschauungen: dadurch, dass er
wie früher die rheinischen Ultramontanen, so jetzt das Walten des Kur-
fürsten von Hessen und des Ministeriums Hassonptlug und die sie stützende
Österreichische Politik aus nächster persönlicher Anschauung kennen lernte,
wurde sein Gegensatz zu ihnen nur verschärft : aber wohl erkannte er, dass
mit anderen Mitteln gegen sie zu kämpfen und für seine politischen Ideale
zu arbeiten sei. Auf das Wirksamste hat er diesen gedient, indem er nach
den Stürmen der Revolution seine gesammelte Kraft der Thätigkeit zu-
wandte, für die er besonders befähigt und geschult war, wissenschaftlicher
historischer Arbeit, sie aber jetzt ganz vornehmlich auf die neue Geschichte
richtete.
Mannigfach hat das Regiment des letzten Kurfürsten von Hessen
auch die Marburger Hochschule geschädigt: viel Erfreuliches bot das Leben
an ihr doch dem Menschen und dem Gelehrten. Wer einmal aus den
Penstein des Hauses geblickt hat. das Sybel hier sich erwarb, der versteht,
wie ihn die Natur entzückte und erfrischte, die ihn hier umgab; wie in
Bonn fand er auch hier Erquickung des Gemttths in seiner Familie, die er
schon in seinem 24. .Jahr durch die Verbindung mit der Tochter des Darm-
städter Ministerialraths Eckhardt begründet hatte, und in nahem freund-
schaftlichem Verkehr mit gleichstrebenden Altersgenossen. Die gemein-
samen politischen Kämpfe führten ihn mit manchen trefflichen Söhnen des
hessischen Volks zusammen, das eben in diesen leidensvollen Tagen seine
besten Eigenschaften, seinen Rechtssinn und seine Charakterstärke bewährte;
gleichzeitig mit ihm war Gildemeister von Bonn nach Marburg berufen und
neben diesem wirkten auch andere Kollegen, so besonders Zeller und Bruno
Hildebrand anregend auf Sybols Studien. Hildebrand widmete ihm seine
1S4N erschienene „National-! Ökonomie der Gegenwart und Zukunft*': die in
ihr erörterten sozialen Wirthschaftstheorien und ihre Folgen genauer zn
studieren, wurde dann Sybel durch die Revolution dieses Jahres veranlasst.
Die damaligen kommunistischen Bestrebungen legten ihm den Gedanken
nahe, zu schildern, welches Elend durch ähnliche Bestrebungen zur Z«*it
der französischen Revolution herbeigeführt sei, und da er in den Bearbei-
tungen ihrer Geschichte genügende Aufklärung nicht fand, begann er zu-
nächst zu diesem Zweck die Quellen über die französische Geschichte dieser
Zeit zu studiren. Wie ihm Ranke voraus sagte, fesselten diese Studien
Digitized by Google
Heinrich von Syhel.
ihn länger, als er zuerst angenommen hatte, zwangen sie ihn auf seine
Forschungen Aber die Geschichte des römischen Kaiserreichs zu verziehten.
Denn bald fand er, „dass von den Ökonomisehen Katastrophen der grossen
Revolution ein deutliches und haltbares Bild nicht zu gewinnen sei ohne
eine allseitige Kenntniss jener bewegten Jahre, ihrer politischen Ideale,
ihrer wilden Parteikiimpfe, und vor Allem ihrer Kriegspolitik nach aussen, die
in jedem wichtigen Moment den Ausschlag gegeben hatte"1): auch über die
Politik der mit dem revolutionären Frankreich kämpfenden Mächte bestrebte
er sich in das Klare zu kommen und auch da uberzeugte er sich, dass dies
nur möglich sei durch archivalische «Studien. Was er aus den erst allmählich
ihm eröffneten mehrfach noch mit dem „Staub des vorigen Jahrhunderts-
bedeckten Akten erforschte und mittheilte, bot nicht nur viele Aufklärungen
über einzelne Punkte: wie einst die von Romantikern über mittelalterliche
Ereignisse, so zerstörte Sybel hier die von den Anhängern der französi-
schen Revolution verbreiteten Legenden, indem er ihnen ein mit scharfem
politischen Blick gezeichnetes Bild des aus zuverlässigen Quellen kritisch
erforschten Thatbestandes entgegensetzte. Deutlich win de hier zuerst nach-
gewiesen, in wie engem Zusammenhang die soziale und die politische Entwick-
lung Frankreichs, seine revolutionäre Politik im Innern und sein kriegerisches
Vorgehen nach Aussen, die aggressiven Bestrebungen der französischen
Demokratie und des russischen Czarenthums. der Krieg im Westen und die
polnischen Theilungen standen: scharf beleuchtet winde hier wie die fran-
zösische und russische auch die österreichische und preussische Politik, klar
gezeigt, wie gerade durch ihre europäischen und französischen Gegner die
französischen Republikaner und noch mehr Napoleon gefördert wurden.
Dass Sybel die verschiedenartigen Fälligkeiten in sich vereinte,
deren Besitz er vom Historiker forderte, dass er zugleich kritischer Forscher,
politischer Sachverständiger und darstellender Künstler war. dafür liefert
diese wissenschaftliche Hauptarbeit seines Lebens den besten Beweis: ihre
epochemachende Bedeutung ist auch durch die spätere deutsche und franzö-
sische Litteratur bezeugt. In wichtigsten, zum Theil lebhaft angefochtenen
Punkten ist durch sie Sybels Auffassung bestätigt: anregend hat sein IJueh
!) So Sybel selbst in seinen ISXtf in der Deutschen Kevuc veröffentlichten „Pariser
Studien"*, den einzigen autobiographischen Aufzeichnungen, die hei seinen Lebzeiten «red ruckt
sind. Meaehten.s werth für seine Auffassung der politischen Verhältnisse in Hessen ist seine
kurze Vorbemerkung zu den Mittheilungen aus den .Memoiren des Minister Koch, die Utto
Hartwig über die „Srhwcrenothskommission- 1SS1 publizirte, für seine Miindiener Zeit der
18K5 herausgegebene, unten benutzte Hericht über die historische Kommission. Interessante
Satze aus handschriftliehen autobiographischen Aufzeichnungen Svbels. die sich im Hcsitz
seines ältesten Sohnes befinden, theilte «ranz neuerdings Hailleu in seinem auch sonst sehr
heachtenswerthen ausführlichen Aufsatz über Sybel im Oktoherheft. der Deutschen Rund-
schau mit: ebenso freut es mich, noch bei der Korrektur dieser Seiten einen Hinweis auf
die Nachrufe hinzufügen zu können, die dem Begründer der Historisrhen Zeitschrift in
ihrem neuesten Hefte von Meiuecke und Oldenbourg gewidmet sind.
Digitized by Google
:j.si
liioyraphische RlStter.
uiK-li auf solche Arbeiten gewirkt, durch die unter Heranziehung- neuer
(Quellen über <len selbstverständlich von ihm nicht erschöpften gewaltigen
Stoti' uns neue Aufklärung gebracht ist. Sind dadurch von ihm abweichende
Ergebnisse gewonnen und neue Fragen angeregt, so hängt dies zu nicht
geringem Theil gerade mit «1er Stärke zusammen, in der er hier seine und
seiner Zeit Eigentümlichkeiten ausgeprägt hat. Treflend bezeichnete er.
indem er Angritte auf Hanke zurückwies, als dessen charakteristische Vor-
züge seine „reine und weite Auffassung für die Mannigfaltigkeit der Dinge
und die individuelle Eigentümlichkeit der Zeiten, Völker und Personen" \i
und seine Meisterschuft in der Würdigung der Mittel des handelnden Staats-
manns: aber ..wie alles Menschliche seine Kehrseite" habe, so erörteil
Sybel. erkläre sich daraus auch, dass bei Hanke ein scharfes ethisches L rtheil
zuweilen sich vermissen lasse, das allgemein Menschliche zu sehr hinter den
Erwägungen des Politikers zurücktrete. Demgegenüber sah er einen Fort-
schritt der deutschen Gcschichtschrcibung sich entwickeln aus der verän-
derten Stellung' seiner Altersgenossen zum Staat, daraus, dass sie zugleich
„grössere Klarheit und intensivere Kraft des nationalen (iefühls. praktische
Mässigung und eingehende Sicherheit des politischen t'rtheils. positive
Wärme und freien Blick in der sittlichen Auffassung-" in ihren historischen
Arbeiten bewährten. Ks ist nicht unbegreiflich, dass heute umgekehrt die
Gefahren und Einseitigkeiten der von politischen Gesichtspunkten durch-
drungenen Gcschichtschrcibung besonders stark betont werden, auf die
schon Hanke hinwies; nachdrücklich hat aber auch er die Berechtigung
dieser Gattung der Historiographie anerkannt, in seinem „historischen Testa-
ment" seine Freude über den Fleiss und die Kraft ausgesprochen, mit denen
...jüngere Generationen den Moment zu erfassen suchten". Und wohl wird,
auch wer mit Sybels Forum lirung der hier berührten prinzipiellen Fragen
und mit seinem l rtheil über Hanke nicht übereinstimmt, anerkennen müsseu.
welche Förderung durch die von Sybel bezeichnete Richtung, wie einst durch
die nationalen Bewegungen im 10. und im Beginn unseres .Jahrhunderts,
die deutsche Geschiehtschreibung empting. wie unter seinen Altersgenossen,
deren Programm er is~>r» entwickelte, besonders er selbst bahnbrechende
Verdienste um die Wissenschaft und zugleich um die politische Erziehung
unseres Volks und damit um die Vorbereitung des nationalen Staats sich
erwarb. Er war durchaus einverstanden mit dem in seiner historischen
Zeitschrift zuerst gedruckten, t rettenden Satze Haukes, dass wenn «He Wissen-
sehaft auf das Leben wirken solle, sie vor Allein Wissenschaft sein müsse;
mit ernstem Eifer strebte er daher unabhängig von den Schlagworten des
M Siehe diese Worte Svhels in seiner auch fiir seine Beurtheilunir anderer deutscher
Historiker interessanten IJesju •erhun<.r von Kur/.' l.itteratuivesvhiehte in der ilist. Zeitschrift III
2M lf. und v_'l. seine Heile ülier den Stand der neueren deutschen^* iesehiehtsehreibun:,' in
seinen kleinen Historischen Schriften 1 34.51V. und meinen Nachruf auf Uanke in der Hist.
Zeitschrift I.VI. 4«3ff.
Digitized by Google
Heinrich von Sylwl.
Tags und den Meinungen der Autoritäten den historischen Thatbestand aus
den kritisch durchforschten Quellen nach den Prinzipien historischer Methode
zu ermitteln; auch Ranke erkannte es an, wie er sie auch in der neuen
Geschichte zur Geltung zu bringen wusstc. Und einer Annäherung an das
auch von Ranke erstrebte Ziel, einer klareren Erfassung der llauptzüge der
von Svbel geschilderten historischen Verhältnisse und Persönlichkeiten diente
die Energie, mit der er ihre reale politische Redoutung t'tlr ihre Zeit und
i"Ur die Gegenwart- zu beleuchten, mit der er scharf seine lTrtlieile zu for-
muliren strebte: sind dabei auch die Kehrseite seiner Vorzüge und die
Schranken der Autfassung seiner Zeit zu erkennen, so hat er doch dadurch
nur um so wirksamer zur Lösung der dieser Zeit vornehmlich gestellten Auftraben
beigetragen. Da er jetzt vorwiegend historische Stoffe behandelte , die „mit dem
Leben der Gegenwart lebenden Zusammenhang hatten", fühlte er sich be-
greiflicher Weise noch mehr denn früher getrieben auch für dies die Er-
gebnisse seiner Forschungen zu verwerthen. sie „als fruchtbringendes Kapital
in den Verkehr des Vaterlandes zu werfen". Und solches Streben zu be-
tätigen, gab die weitere deutsehe Entwicklung ihm besonderen Anlass,
zumal an den Orten, an denen er die Geschichte der Revolutionszeit, die
er in Marburg nur bis zum Frühjahr 171>4 behandelt hatte, zuerst bis 17!)f>
und dann bis zum Ende des JH. .Jahrhunderts fortsetzte und ihre alteren
Abschnitte neu bearbeitete.
Eine von der Marburger wesentlich abweichende Umgebung und Wirk-
samkeit fand Sybel zunächst in München, wohin er J.S5Ö von König Max IL
von Rayern berufen wurde. Wie einst der feinsinnige Fürst für die Förderung
wissenschaftlicher und insonderheit historischer Studien sich bemühte, welche
Fülle von Anregungen der Kreis der damals in München vereinten hervor-
ragenden Gelehrten und Künstler jedem seiner Mitglieder bot, hat Sybel
selbst in seinem Bericht über die historische Kommission bei der Münchener
Akademie hervorgehoben, die der König nach Rankes und Sybels Vorschlägen
ins Leben rief. Als ihr Sekretair für ihre grossen wissenschaftlichen Unter-
nehmungen entfaltete Sybel zuerst sein organisatorisches Talent, das er auch
bei der damals von ihm begründeten historischen Zeitschrift bewährte:
jüngere geeignete Mitarbeiter wurden von ihm durch das erste staatlich
unterstützte historische Seminar herangebildet, das jetzt hier gestiftet winde.
Ganz andere Bedeutung als in Ronn. wo der junge Dozent neben sechs älteren
Vertretern seines Fachs gestanden hatte, und in Marburg, dessen Universität
damals nur etwas über 200 Studenten zählte, gewannen in München auch
Sybels Vorlesungen, und auf noch viel weitere Kreise wirkte er durch die
öffentlichen Vorträge, in denen er unter Anderem die Kreuzzüge. Eugen von
Savoycn und Katharina IL, die Erhebung Europas gegen Napoleon schilderte.
Dass er dabei das nationale Gefühl seiner Hörer belebte und sie über wichtige
Punkte der neuen deutschen Entwicklung aufzuklären suchte, war auf diesem
Roden zu dieser Zeit von besonderer Bedeutung. Unmittelbar nachdem
Digitized by Goögle
383
Biographische Blatter.
durch die Krankheit Friedrich Wilhelms IV. und den Eintritt der Regent-
schaft in Preussen eine neue Ära herbeigeführt war, wurde ja eine solche
auch für die deutsche Frage durch den Krieg von 1N59 eröffnet; mit Kummer
sah Sybel, wie in seiner Umgebung das nationale Gefühl missleitet, wie die
öffentliche Meinung Süddeutschlands gegen den Staat aufgeregt wurde, der
allein nach seiner schon 1848 vertretenen und durch alle Erfahrungen und
Studien der folgenden Jahre befestigten Überzeugung den Deutschland
drohenden Gefahren wirksam begegnen, durch den allein die nationalen
Wunsche erfüllt werden konnten. Um so mehr hielt er sich verpflichtet,
die wahren Motive der Leiter und Gegner der preussischen Politik und vor
allem Prcussens Bedeutung für Deutschlands Zukunft nachdrücklich zu
betonen. Desshalb beleuchtete er „die Fälschung der guten Sache durch die
Augsburger Allgemeine Zeitung", desshalb wirkte er eifrig dazu mit, ihr
gegenüber in dem Hauptquartier der Gegner selbst ein Organ für die Ver-
tretung der kleindeutschen Ansichten in der Süddeutschen Zeitung zu schaffen.
Und in Zusammenhang damit stand, dass er jetzt vom nationalen Standpunkt
aus auch die Politik unserer mittelalterlichen Kaiser kritisirte und von den
( iegnern herausgefordert mit Freuden seine Erörterungen über sie bis zur
Gegenwart fortsetzte. Indem er Österreichs Stellung zu Deutschland in den
letzten .Jahrhunderten schilderte, begründete er dadurch seine Ansicht, dass
..keine andere Verfassungsform historische Berechtigung habe als jene des
engeren Hundes neben Osterreich und des weiteren Bundes mit Öster-
reich", und sprach seine Überzeugung aus, „dass es, so sicher wie die Ströme
seewärts tliessen, zu einem solchen Hunde unter Leitung seines stärksten
Mitglieds kommen wird."
Als er diese Sätze schrieb, konnte er nicht voraussehen, dass so bald,
wie es geschah, das hier bezeichnete Ziel erreicht, aber auch nicht, dass
zuvor ihm selbst noch heftige Kämpfe mit dem Staatsmanne beschieden
sein würden, der auch seinen Wünschen und Hoffnungen die Erfüllung
bringen sollte. Nicht mehr in München ist seine historisch-politische Ab-
handlung über die „Deutsche Nation und das Kaiserreich'' veröffent-
licht; bei den Schwierigkeiten, auf die seine Stellung in Bayern stiess, folgte
er INI»] einem Rute nach Bonn als Nachfolge)' Dahlmanns. Freudig wurde
er in der rheinischen Heimath empfangen, man glaubte seine Kraft auch
für die politischen Kämpfe verwerthen zu müssen, von Crefeld wurde er
als Abgeordneter in den preussischen Landtag entsandt. Als er nach Berlin
kam. fand er hier bereits den Streit über die Reorganisation der Armee
entbrannt. Er war von dem Wunsch nach einer Kräftigung des Heeres
erfüllt, gern hätte er gesehen, dass über sie seine liberalen Freunde mit der
Regierung sieh verständigten; so suchte er zunächst auch als Abgeordneter
für vermittelnde Vorschläge zu wirken; ihre Annahme aber konnte er nicht
erreichen. Dagegen sah er in dem weiteren Vorgehen der Regierung eine
Verletzung der Verfassung. Ihr gegenüber hielt er, der nach seinen histo-
Digitized by Google
Heinrich von Svhel.
rischen Studien in dem Verfassungsstaat die Blüthe der preussischeu Ent-
wicklung der letzten zwei «Jahrhunderte erblickte, entschiedene Opposition
ftlr geboten. In scharfen Reden bekämpfte er Bismarck, dessen geniale
Persönlichkeit und dessen politische Pläne auch er damals nicht richtig zu
würdigen vermochte. Aber nicht blos ein Augenleiden zwang ihn dann den
parlamentarischen Kampf aufzugeben: früher als die meisten seiner Ge-
sinnungsgenossen, noch wühlend der Wirren über Schleswig-Holstein, über-
zeugte er sich davon, wie energisch und geschickt der von so verschiedenen
Seiten bekämpfte Minister das Interesse des preussischeu Staats zu vertreten
wusste. dessen Forderung auch ihm stets vor allem am Herzen lag. Noch
mitten in den Tagen des Konflikts, im Mai 1.SG5, pries er die Vorzüge
dieses Staats, schilderte er den Segen, den seinem rheinischen Heimat bland
die Verbindung mit Preussen brachte, erklärte er: „Wie dieses Preussen
einmal ist. mit seinen Schroffheiten und Schwächen, mit seiner Tüchtig-
keit und Kraft, mit seiner grossen Geschichte und seiner gewaltigen
Zukunft: wir gehören zu ihm. wir wollen zu ihm gehören und zu keinem
anderen." Man versteht danach, wie freudig er die Erfolge des Krieges
von isn« bcLrrüsste: eifrig half er 1867 im konstituirenden Reichstag des
norddeutschen Hundes mit die Verfassung für ihn zum Abschluss zu bringen;
in publizistischen Erörterungen suchte er über die Berechtigung und die
für Europa heilvollen Folgen der preussischeu Politik auch Franzosen und
Engländer aufzuklären, l ud nach den Siegen von 1K70 pries er1) dankbar
bewegt die „Gnade Gottes, durch die auch ihm in so unendlich herrlicher
Weise «ler Inhalt alles Wünschens und Stiebens erfüllt war". Aber, wie
er schon 1872 es aussprach, „steigen ist schwer; sich auf der Höhe behaupten
ist schwerer"; so mahnte er am Denkmal Steins, in doppeltem Maass den
Pflichten zu dienen, deren Erfüllung in und seit Steins Tagen Deutschland
emporhob, festzuhalten an seiner Gesinnung, an seiner Auffassung des Staats.
Die grossen Kämpfe der letzten Jahre hatten Sybel in den politischen
Gedanken bestärkt, die er schon vor 184* vertreten, die er dann durch
seine thätige Theilnahme am politischen Leben und seine grösste historische
Arbeit weiter in sich ausgebildet, für die er gerade durch diese bedeutsam
gewirkt hatte: bestimmter entwickelte er sie jetzt in klaren und warmen
volkstümlichen Erörterungen vor weiteren Kreisen. Indem er zeigte, „was
wir von Frankreich lernen können", und nachdrücklich „die starken Seiten
der Franzosen im menschlichen Verkehr, in Ackerbau und Industrie, in
Wissenschaft und Kunst" betonte, warnte er davor, in Politik und Religion
in ihre Schwächen zu verfallen. Die von Frankreich aus weit verbreiteten
politischen Schlagworte von der Freiheit waren ja in Deutschland nicht
nur durch die konservativen Meister der historischen Schule bekämpft worden:
1 1 In einem Brief ;m Hermann B.iiiniLMrten. aus dem die ol>en angeführten Worte
Mareks iii «-riner Kinleitun- zu des.-rn Aufsätzen Seite LXXI mittheilte. die auch sonst
manehe interessante Beiträge zu Svhyl* Kentni<* liefert.
Digitized by
Biographische Blatter.
ihnen gegenüber hatte namentlich Dahlmann auf das englische Vorbild hinge-
wiesen, hatte er in der Politik Berücksichtigung der gegebenen Zustände ver-
langt. Aber wie in Wahrheit die Zustünde in Krankreich und Kurland beschaffen
waren, wie eng die von Dahlmann fast ausschliesslich beachteten Verfas-
sungsfragen mit den sozialen Verhältnissen zusammenhingen, darüber traben
erst Sybels Forschungen und die tiefgreifenden rntersuchungen von Rudolf
(ineist über die englische Selbstverwaltung die nOtlrigc Aufklärung": eben
weil Beide klarer die realen Verhältnisse, den l'ntcrschied der preussischen
und deutschen von der französischen und englischen Entwicklung würdigten,
wirkten sie erfolgreich für die Verbreitung. Weiterbildung und Durchführung
der ethisch-politischen Gedanken, die in Steins Reformen ausgeprägt waren.
Wie Stein, wie Gneist betonte auch Sybel den engen Zusammenhang poli-
tischer Rechte und Pflichten, wollte auch er. dass die Verfassung, die ..nicht
nach allgemeinen Lehrsätzen zu erfinden, sondern überall aus den vorhandenen
Zuständen herauszubilden" sei. „geordnete Freiheit fordere zu freudiger
Hingabe an das Ganze", betrachtete auch er den Staat als eine ..Schule
für den Charakter der Menschen". Von diesem Standpunkt aus bekämpfte
auch er zugleich den „selbstsüchtigen Individualismus" und die „radikale
Gleichmacherei"; er erklärte, dass der Staat berechtigt und verpflichtet sei.
das Privateigenthum zu „nOthigen, die für das Gesammtwohl erforderlichen
Schranken, Formen und Leistungen auf sich zu nehmen"; aber noch be-
stimmter trat er für den Schutz des Kigenthums und der bestehenden Ord-
nung gegenüber den Lehren und Forderungen der Sozialdemokratie ein. und
zwar um so entschiedener, je mehr er diese durch die von ihm bekämpft«
Einführung des allgemeinen gleichen Stimmrechts gefördert und auch bei
seinen Schülern und Gesinnungsgenossen sozialistische Stimmungen sich ver-
breiten sah. Vor Allem aber hielt er für geboten ,die Rechte des nationalen
Staates gegenüber den intramontanen zu wahren, zu denen sein alter Gegen-
satz durch die im politischen und kirchlichen Leben eingetretenen Wen-
dungen verschärft war. Kr beschränkte sich nicht darauf, historisch die
klerikale Politik zu beleuchten; das Interesse für diese Fragen veranlasste
ihn in den siebziger .Jahren zu neuem Kingreifen in die politischen Partei-
kämpfe. Als Abgeordneter Magdeburgs nahm er wieder Theil am preus-
sischen Landtag; in der Rheinprovinz sammelte er seine Gesinnungsgenossen
im deutschen Verein.
Sybel hat sich nicht gescheut, Fehler und Irrthümer einzugestehen,
die er in seinem politischen Leben beging: im norddeutschen Reichstag
erklärte er, durch die Leistungen der reorganisirten Armee seien seine in
der Konfliktszeit geäusserten .Bedenken gegen die Reform widerlegt, und
ebenso, er habe damals mit l'nreclit gegen Bismarcks Politik in der polnisch-
russischen Frag»- polemisirt. Wie hoch aber auch Bismarck Sybels Wirken
für die Krfttlhmg der national -politischen Ideale des deutschen Volkes
schätzte, das sprach er selbst ihm aus. indem er bei seinem Jubiläum 1*88
Digitized by Google
Heinrich von Syhel.
ilim persönlich dankte „für seine langjährige Mitarbeit an dem gemeinsamen
vaterländischen Werke". Freilich, auch Sybcls Wünschen entsprach Vieles
nicht in der neuen deutschen Entwicklung; mit Kummer und »Sorge erfüllten
ihn besonders die Zugeständnisse, die den Ultramontanen gemacht wurden,
und die wachsende Macht der 'demokratischen Tendenzen. Auch in seinen
persönlichen Verhältnissen fehlte es nicht an schmerzlichen Eindrücken:
1884 entriss ihm der Tod auch die treue Gefährtin seines Lebens, mit der
er 43 Jahre lang" innig verbunden war. Aber mit ruhiger Ergebung wusste
er das Schwere zu tragen, das auch ihm nicht erspart blieb, und dankbar
sieh jeder guten Stunde zu freuen: auch im Alter bewahrte er die Heiter-
keit des Gemttths, die er auch in kampferfüllten Tagen nie verleugnet hatte.
So lebhaften innerlichen Antheil er stets an allen wichtigen Fragen des
politischen und wissenschaftlichen Lebens nahm, mit so scharfen Watten er
die Gegner seiner Ansichten bekämpfte, nie vermochten sie ihn dauernd zu
verstimmen: fest in seinen eigenen Überzeugungen betrachtete er zumeist
mit souveränem Humor die Verschiedenartigkeit der Menschen und ihre dar-
aus entspringenden Streitigkeiten: bei aller Entschiedenheit seines sittlichen
Urtheils war er weit entfernt von rigoristischer Auflassung, und besonders
widerstrebte es ihm. wegen abweichender Ansichten über wissenschaftliehe
Fragen, die Persönlichkeit des wissenschaftlichen Gegners zu verurtheilen.
Ihm machte es vielmehr Freude, mit Faehgenossen. die er schätzte und
liebte, „über die Argumente zu streiten und treu in Gesinnung und Wirken
zusammenzuhalten". So klar er die Schwächen der Menschen erkannte,
grösser war seine Fähigkeit und Neigung, ihre guten Seiten hervorzuheben.
Was diese Eigenschaften für alle, die mit ihm verkehrten, was sie vor
Allem für seine Freunde, was sie auch für ihn selbst bedeuteten, wurde in
warmen Worten bezeugt, als der Siebzigjährige in seltener Frische sein
SOjähriges Doktorjubiläum feierte: mit Hecht durfte von ihm gerühmt werden,
dass er mit der Freiheit des Geistes und der Ruhe des Gemüths sich auch
die Kraft zum Schatten bewahrt habe. Es entsprach der Wendung der
Politik, es entsprach auch seiner persönlichen Entwicklung, da*s er im Alter
wieder seine gesammelte Kraft rein wissenschaftlicher Arbeit widmete. Auch
in den Tagen seiner Ichhaftesten Theilnahme an den politischen Kämpfen
war er stets gern zu ihr zurückgekehrt: er sprach es gerade damals aus.
dass der Professor in ihm stärker sei als der Politiker. Eben in dieser
Zeit hat er 14 Jahre lang die bedeutendste Wirksamkeit als Professor in
Bonn geübt.
Das Ansehen, das er an der Universität genoss. zeigte sich, als er zu
ihrem Hektor für das Jahr isii.s gewählt wurde, in dem sie das 50 jährige
Jubiläum ihrer Stiftung feierte. Warm ist von Theilnehmern an diesem
Feste l) anerkannt, mit welcher geistigen Gewandtheit er bei seiner Erwiderung
V) Siehe namentlich den Bericht im ±2. Hand der l'renssischen Jahrbücher S. :l!>] rt*.
Digitized by Google
:*S7
Biographische Blatter.
auf die Ansprachen der verschiedenartigen Korporationen den vielfältigen
Beziehungen der Universität gerecht zu werden, mit welcher Kraft er in
seiner Festrede über die Gründung der Hochschule ihren Zusammenhang mit
wichtigsten Momenten unserer politischen und literarischen Entwicklung, und
damit den geistigen (ichalt der Feier in helles Lieht zu stellen wusste.
Seiner Anschauung von der Bedeutung und den Aufgaben der deutschen
Universitäten hat er auch in anderen Reden wirkungsvollen Ausdruck gegeben;
sie bezeugen, wie hohe Forderungen er an den akademischen Lehrer stellte;
eifrig hat er selbst sieh bemüht, sie praktisch zu erfüllen. Seine Überzeugung,
dass ..das Wissen erst dann zur Wissenschaft wird, wenn es nicht blos einzelne
Notizen lehrhaft weiter trägt, sondern die Gesammtheit des Lebens veredelnd
fördern hilft", sein Streben nach geistigem Verständnis.« und künstlerischer
Gestaltung des historischen Stoffs hat er. wie durch seine Schriften, auch
durch seine Vorlesungen bethätigt. Auch sie waren ausgezeichnet durch die
Klarheit der Disposition, die scharfe Hervorhebung des Wesentlichen, das
jeder Übertreibung abholde, aber stets bestimmt formulierte sittlich-politische
Urtheil. Sybel wollte durch sie. wie Kanke, seine Hörer historisch anschauen
und denken lehren: er übte durch sie. wie Dahlmann, eine national-politische
Wirkung: so trat, was ihn auf der einen Seite mit seinem Lehrer und auf
der anderen mit seinem Vorgänger verband, aber ebenso auch seine von Heiden
abweichende, stark ausgeprägte persönliche Eigenart in Inhalt und Form
seiner "Vortrüge deutlich hervor. Er legte ihnen sorgsam ausgearbeitete
Hefte zu Grunde, aber immer mehr hatte er, wie sein schriftstellerisches,
auch sein rednerisches Talent entwickelt; war er zunächst darauf bedacht,
durch lichtvolle Darstellung seinen Hörern ein tieferes Verständnis der
behandelten historischen Erscheinungen und ihres Zusammenhangs zu er-
M-hliesscn. förderte er eben dadurch auch ihre politische Bildung, so wirkte
er auch ergreifend und erhebend auf Gefühl und Charakter des weiten
Kreises, den er in seinem grossen Hörsaal an der Universität, den er auch
ausser ihren Käuinen in den rheinischen Städten an sich fesselte. Durch
seine Vorlesungen setzte er so die Wirksamkeit seines Vorgängers an der
rheinischen Hochschule fort, an dessen national-politische Bestrebungen er
bei den seinen angeknüpft hat: daneben suchte er aber auch hier für die
Heranbildung von Forschern und Lehrern der Geschichte durch das von ihm
eingerichtete und geleitete historische Seminar zu sorgen. In der Überzeugung,
dass ..die künstlerische Thätigkeit des Historikers sich nicht lehren, sondern
höelisteus anregen lässt". legte auch er bei seinem seminaristischen Unterricht
vor Allem Gewicht darauf, seine Schüler durch praktische Übungen mit der
kritischen Methode vertraut zu machen: aber wie Hanke erinnerte auch er
sie stets, dass diese nicht Selbstzweck sei. wies er auf die Ziele hin. zu deren
Erreichung sie diene, warnte er davor, sie handwerksmässig anwenden zu
wollen, sich in Kleinigkeiten zu verlieren, an Äusserlichkeiten hängen zu
bleiben. An lehrreichen Beispielen zeigte er praktisch, wie man streben
Digitized by Google
Heinrich von Sybel. ;JS8
müsse, die „individuelle Natur der historischen Berichterstatter in ihrem
innersten Wesen zu erkennen", ihren persönlichen W erth mit Rücksicht auf
ihre Zeit zu bemessen, aber auch nicht zu vergessen, «den Werth dieser Zeit
nach allgemein geschichtlichem Maassstab zu beurtheilen'". Nicht minder .
aber als die Eigenart der von ihm behandelten ^uellenschriftsteller beachtete
er die seiner Schiller: wie er von Hanke es rühmt, war auch er „eingedenk
der höchsten pädagogischen Regel, dass die Schule nicht die Ablichtung,
sondern die Entfaltung der persönlichen Kräfte zur Aufgabe hat4*. Er sah
es gern, wenn solche auch in der Debatte mit ihm zu Tage traten; seine
geistige Beweglichkeit zeigte sich nicht nur in der Gewandtheit, mit der er
die eigenen Ansichten vertrat, auch in der Schnelligkeit, mit der er die .des
anderen verstand; mit überlegener Klarheit wusste er dann Richtiges und
Falsches. Sicheres und Unsicheres zu sondern. Trugen seine Bemerkungen
dabei nicht selten einen leisen ironischen Anfing, so sprach auch aus ihnen
sein freundliches Wohlwollen — und wie vielen seiner Schüler hat er dies,
hat er sein warmes herzliches Interesse an ihren Arbeiten und ihren Personen
im späteren Leben erhalten und bethätigt! Seine Fähigkeit. Menschen
zu erkennen und zu behandeln, aber hat er nicht nur im Verkehr mit ihnen
bewährt: sie kam der Wissenschaft zu statten, auch nachdem er 1N7"> seine
Lehrthätigkeit in Bonn aufgegeben und als Direktor der preussischen Staats-
archive nach Berlin übergesiedelt war.
Dass auch zur Annahme dieses Rufs ein nationalpolitischer Gesichts-
punkt ihn mitbestimmt hatte, das sprach er seinen rheinischen politischen
Freunden aus. als er von ihnen Abschied nahm. Er wollte der Aufgabe
sich nicht entziehen, „unsere Archive, die in früherer Zeit mit pedantischer
Ängstlichkeit gesperrt waren, in immer breiterem Maasse der wissenschaft-
lichen Forschung zu eröffnen und dadurch für die fortschreitende Entwicklung
unseres Staats die feste geschichtliche Grundlage auch im Bewusstsein unseres
Volks zu gewinnen. Denn ein Volk, welches nicht weiss, woher es kommt,
weiss auch nicht, wohin es geht. Wir wollen zu lernen suchen von den
grossen Thaten wie von den Jrrthümern und Schwächen unserer Vorfahren".
Zu diesem Zweck wurden von Sybel nicht blos für die Archive mannigfache
Verbesserungen durchgesetzt und sie in weiterem Umfang wissenschaftlichen
Forschern zugänglich gemacht : wichtigste Aufklärungen über sehr verschiedene
historische Fragen aus verschiedenen Perioden sind in den von ihm ver-
anlassten und geleiteten «2 Bänden der Publikationen aus den preussischen
Staatsarchiven veröffentlicht. Auch als Mitglied der Berliner Akademie
und der Münchener historischen Kommission, die ihn nach Rankes Tod zu
ihrem Vorsitzenden wählte, und durch das historische Institut in Rom. dessen
Begründung ebenfalls ihm vor allem verdankt wird, fördert«? er den Druck
bedeutsamer historischer (Quellen. Aber er beschränkte sich nicht auf die
Leitung dieser wissenschaftlichen Unternehmungen, auf die neue Bearbeitung
alter und die Vollendung neuer kleinerer Arbeiten : an der Schwelle des Greisen-
Digitized by Google
381»
lUoirrnphische Blatter.
alters rüstete er sich zu seinem /weiten historischen Hauptwerke. Unter den
Publikationen aus den preussischen Staatsarchiven hatten in weitesten Kreisen
das grösste Interesse die Berichte Bismarcks vom 'Bundestage erregt: hatte Bis-
marck auf Sybels Antrag kein Bedenken getragen, ihre Veröffentlichung zu ge-
statten, so genehmigte er nun auch, dass Sybel die preussischen Staatsakten zu
einer Darstellung der Begründung des deutschen Boichs benutzte. Aus eigener
Anschauung wissen die Leser dieser Blätter, wie Sybel sich seine Aufgabe ge-
stellt und wie er sie gelost hat, zu welcher er nach seiner gesammten bisherigen
Entwickelung und Thätigkeit so besonders berufen war: nicht alle die ver-
schiedenartigen Seiten des deutschen Bebens in der Zeit, da die Begründung des
nationalen Staats versucht und schliesslich vollendet wurde, die preussischen
Bestrebungen zu diesem Zweck will er schildern: von ihnen hat er aus den
authentischen Quellen uns zuerst ein«' treue, umfassende, lichtvolle Dar-
stellung gegeben. Nicht nur viele einzelne wichtige Momente sind durch
sie zuerst bekannt geworden oder richtig beleuchtet; erst durch sie wurde uns
ein Verständnis* des Zusammenhangs aller der mit unübertroffener Klarheit
geschilderten Verhandlungen der preussischen Diplomatie, der Schwierig-
keiten, mit denen sie in Deutschland und Europa zu kämpfen hatte, der
Schwächen und Verdienste der so verschiedenartigen Persönlichkeiten er-
möglicht, die in dieser Zeit einen bestimmenden Einnuss übten. Mit Hecht
ist betont, dass gerade auch durch den Einblick, der uns hier in die Motive und
Leistungen der einzelnen maassgtbenden Staatsmänner gewährt wird, wie
durch die universalhistorische Weite seines Stoffes und seines Gesichtskreises
Sybels Buch grösseres Interesse gewinnt, als das Werk seines grossen Vor-
gängers aus dem 17. Jahrhundert, als Samuel Pufendorfs Kommentare über den
Grossen Kurfürsten, welcher zuerst die archivalischen (Quellen seines Staats
zu umfassender zeitgeschichtlicher Darstellung einem hervorragenden Ge-
lehrten eröffnete. Erinnert Sybels Unternehmen an das grosse damals gegebene
Beispiel, so hat freier, als es in dem lateinischen Werke des amtlich
bestellten Historiographen des 17. Jahrhunderts möglich war. die politische
und schriftstellerische Individualität des deutschen Geseluehtsehreibers des
19. Jahrhunderts in seiner Arbeit sich entfaltet. Er verleugnet auch in
ihr seine preussischen und national-liberalen Überzeugungen nicht, doch er
strebt, die im eigenen Lager vorgekommenen Fehler und Missgriffe ohne
Beschönigung einzugestehen, das Verhalten der Gegner aber nach den
historischen Voraussetzungen ihrer ganzen Stellung zu begreifen. Nach
den grossen Siegen von 1 Kur» und JK70 konnte und musstc Sybel in anderer
Stimmung, mit anderem Ton über die Gegner reden, als da er noch in
politischem Kampf ihnen gegenüber stand; dass hier sein Urtheil und seine
Sprache ruhiger sind als in seinen früheren Werken, das erklärt sich gewiss
mit auch aus der Milde, die das höhere Alter in ihm gereift hatte. Dass
aber darunter keineswegs sein Talent der Komposition und seine Fähigkeit
gelitten hatten, verwickelte Fragen lichtvoll darzustellen, das beweist
"\
Digitized by Google
Heinrich von S.vliel.
390
namentlicli seine Schilderung derjenigen diplomatischen Leistung .Bismarcks,
die dieser selbst als seine schwierigste und glücklichste bezeichnete, die
Erzählung, die der 3. Band von den schleswig-holsteinischen Wirren lieferte.
Der Anerkennung, die diese Vorzüge in den weitesten Kreisen fanden,
wurde das Siegel aufgedrückt, als eine berufene Kommission hervorragender
Historiker nach dem Hrseheinen der fünf ersten Bände vorschlug, ihrem
Verlasser den Breis zu verleihen, der bei der Krinnerungsfeier an den
Vertrag von Verdun für die beste Leistung über vaterländische ( ieschiehte
gestiftet war: dass trotzdem dieser Breis ihm nicht zuerkannt wurde, da-
durch ist sicherlich Sybels Ansehen nicht geschädigt. Er Hess an der Fort-
setzung seines Buches sich auch dadurch nicht hindern, dass bald nach
dem Sturz Bismareks die Benutzung der preussischen Staatsakten ihm ent-
zogen wurde; noch ist in frischester Krinnerung. welche Fülle wichtiger
Aufklärungen trotzdem die beiden am Knde des vorigen Jahres erschienenen
Bände seines grossen Werkes brachten, welches Interesse namentlich seine
Darstellung des Ursprungs des Krieges von 1870 erregte, mit welcher Ge-
wandtheit und Kraft er die 'Hinwendungen abzuwehren suchte, die gegen
seine Auflassung erhoben wurden. Wer seine „neuen Mitteilungen
und Krläuterungen" las. wurde in der Hoft'nung bestärkt, dass er sein
liueh vollenden, seine Darstellung bis zum Frieden von 1871 herabführen
werde: ihm und uns sollte dies nicht mehr vergönnt sein. Auch in diesem
Sommer hatte er Marburg aufgesucht, wo er gern seine Krholiingszeit bei
seinem zweiten Sohn verlebte: hier, wo er einst in Irischer Jugendkraft
elf arbeits- und freudenreiche Jahre verbracht hatte, wo ihm jetzt die Liebe
seiner Kinder und Hnkel das Leben verschönte, in der Nähe des alten
Schlosses, in dem er zweckmässige Hinrichtungen für das in mancher Be-
ziehung reichste der ihm unterstellten Archive getrotten hatte, in der Strasse,
welche mit seinem Namen geziert war, ist er am 1. August nach kurzem
Leiden sanft entschlafen. Hs war der friedlich schöne Absehluss eines
reichen Lebens.
Als zwei Tage darauf ihm auf dem Matthäi-Kirchhof in Berlin an der
Seite seiner Gattin die letzte Ruhestätte bereitet wurde, da »lachte wohl
Mancher der Heden, die Sybel einst gerade am 3. August zur Feier des
Stifters der Bonner und Berliner Hochschule gehalten hatte. Vor 31 Jahren
hatte er an diesem Tag seine Krörterungon über die Gesetze des histori-
schen Wissens mit einer Krinnerung an den Mann geschlossen, durch dessen
Thätigkeit in den Anfängen beider Universitäten „der (iang der geschicht-
lichen Wissenschaft geweiht" ist. an ,,G. B>. Niebuhr. der. wie kein Anderer
dieses Jahrhunderts für die Betätigung der kritischen Grundsätze, für die
Hntwicklung echten Wissens schöpferisch gewirkt hat". ..Mögen", so mahnte
Sybei, „auf unseren Hochschulen die kommenden Geschlechter des Geistes
eingedenk bleiben, der bei ihrer Gründung gewaltet hat". Alle, denen die
Bewahrung und Fortbildung dieses Geistes am Herzen liegt, werden dankbar
Digitized by Google
3111
Biographische Blatter.
auch des in Niebuhr.scheni Geiste wirkenden Historikers gedenken müssen,
der für Wissenschaft und Vaterland mit solchem Kiter und solcher Kraft
gearbeitet hat, des echten Heiniisentanten einer grossen Epoche deutscher
Geschichte und deutscher Geschichtschreibung.
— - - cga
Der Dichter und Humorist Franz Bonn („v. Miris")-
Von
H. HOLLAND.
Franz Bonn wurde am IS. .luli 18Ü0 zu München geboren als der jüngste
Sohn eines Domänenverwalters und Oberrechnungsrathes. Da alle seine hochbe-
gabten und talentirtcn Brüder im besten Alter starben, so wurde die letzte Hoffnung
des Hauses mit sorgsamster Pflege erzogen. Der mit graziöser Liebenswürdigkeit
ausgestattete Junge durchlief, meist unter den Preisträgern, das Gymnasium, wo
er schon als Mittelpunkt eines eigenen poetisch angehauchten Kreises erschien,
durch dramatische Künste und Taschenspieler- Produktionen glänzte und mit dem
witzfunkensprühenden Martin Schleich (7 12. Oktober 1881) kongeniale Freund-
schaft schloss. Nach kurzem Studium der Philosophie (1847) an der Universität,
wo namentlich der ideensprfihende streng logische Redetiuss Dr. Martin Deutingers
(-{• 9. September 1804) und der- intime Verkehr mit dem fröhlichen Oskar von
Redwitz begeisternd und zu wetteifernden Bestrebungen reizend wirkten, wendete
sich Franz Bonn zur Jurisprudenz. Seine angeborene musikalische Begabung und
sein unversiegbarer Humor, verbunden mit einer überraschenden Improvisation
welche es ihm z. B. ermöglichte, einer Dame wahrend der Übergabe ihres Mantels
ein formvollendetes, regelrechtes Sonett zu extemporisiren — und einem ebenso
packenden Zeichner- und Malertalent, verliehen ihm bald in jeder Gesellschaft
eine dominirendc Stellung. Dazu verstand Bonn die neidenswerthe Kunst, trotz
aller zersplitternden Thäfigkeit, sein Fachstudium gleichmässig zu kultiviren. so
dass er das Absolutorium und den Staatskonkurs mit Auszeichnung bestand. 18">7
als Staatsanwaltschafts-Substitut in den Dienst der reinen Justiz trat und dann
in richtiger Folge und ohne besondere Atfektion bis zum Staatsanwalt am Ober-
landesgericht zu München vorrückte, nachdem er in einer vierzehnjärigen Beamten-
thätigkeit zu Donauwörth. Ansbach und Bayreuth die Süssigkeiten des Lebens
und Waltens in der Provinz sattsam durchkostet hatte. Das weitere Avancement
im Staatsdienst durchschnitt dann plötzlich 1880 als besonderer Glücksfall die
überraschende und ehrenvolle Berufung in den Dienst des Fürstenhauses Thum
und Taxis als Präsident der Domänenkaminer und Direktor des fürstlichen Civil-
kollegialgerichtes zu Regensburg. Bei der ihn» eigenen Agilität des Geschäftssinnes
befestigte Bonn in kurzer Zeit seine Stellung und errang in huldvoller Würdiguni;
seiner Leistungen weitere Anerkennung, hohe Auszeichnungen und Ehren.
Mit einer in der süssen Tonart der ..Amaranth- erklingenden epLsch-lyrischeu
Dichtung ..Wolfram- (I8f>4) wagte Bonn seine erste Exkursion nach dem deutschen
Parnass : es war eine moderne Maler - Novelle mit hübschen Liedern. Zu der
nachfolgenden Rheinsage „Schott von Grüustcin" (Stuttgart 18'>">) diente
Kinkels „Otto dei* Schütz" als unverkennbares Vorbild. Inzwischen hatte Bonn
auch mit dem /.artsinnig-besaiteten Georg Scherer. mit August Becker (-J- 23.
März J8W1 zu Kiseuaeh). mit dem mannhaften Johannes Schrott, dem fröhlichen
Kduard llle neue Fühlung gefunden; desto widerwilliger blickte er auf die Unnatur und
Digitized by Google
Franz Bonn („v. Miris").
die schwülstige Bilder jagd der sogenannten Jungdeutsehen, wie Karl Beck. Alfred
Meissner. Lenau und Freiligrath u. A., welche er nun als ,. Freiherr von Rachwitz"
mit seinen „Lavagluthen4, zuerst in den „Fliegenden Blattern" und in der „Aurora**
(Freiburg 18ö4) in lachlustiger Ironie vei*spottete. Wenn Karl Beck von seinem
„wildgebäumten" Lockenhaar fabelte oder die ..schwarz, gebrannte Bohne" als
der Dichternacht wacht schmerzliches »Symbol*4 feierte oder Lenau die Lerche
,.an ihren bunten Liedern selig in die Luft klettern" Hess und hei Julius Mosen
gar die ..Gedankenhunde im Haupte bellen" — so kühlte unser , .Freiherr von
Rachwitz" seinen Unmut h, dass ..sein Lied wie rothe Lava aus seiner Brust Vesuv
ströme, um alle Leser zu einem Herkulanuni einzuäschern!" Meine Lavaglutheu.
mit denen ich auf den Schultern jener Heroen stehe, sind die höchste Vollendunir
des Inhaltes in der Form, sie sind das Ende aller Poesie! Und in dieser bescheidenen
Rücksicht möchte ich sagen: Ich bin der grösste deutsche Dichter!" Kin Paar
weise Kritiker gingen wirklich auf den Leim und kanzelten den vermeinten Frei-
herrn ob seiner aristokratischen Selbstüberhebung wacker ab! Manches aus den
..Lavaglutheu" wurde damals ein geflügeltes Wort, z. B. sein Geist ..schraubt in
seinem Hirne Begriffe, die sich selber übersteigen", sein Weltschmerz ..brüllt wie
der Wüstenleu" indess. ..die dunkle Karawane, der Träume Zug, an ihm vor-
übergeht" . .
„l ud eine Schaar von Beduinen.
Mit bleichen Mänteln angethan,
Folgt wild der Schwann der Zweifol ihnen.
Mit geistgesohliffenem Yatagan . ."
Wie fröhlich der ernste Ludwig Steub und der grämliche Fallmerayer auf
den „ geistgeschürtenen Yatagan** mit dem Pseudo-Freiherrn zusammen stiessen in
hellstiinmigem Beifall! In diesem durch -Beding von Biberegg- redigirten
vorgenannten poetischen Taschenbuch (welche „Aurora" aber nur einmal und dann
nimmer mit rosigen Hoffnungen am damaligen poetischen Horizonte heraufdämmerte),
brachte Bonn auch seine originelle „Weh -Moll-Symphonie" und allerlei andere
Sachen als „Franz von Münchberg", welche indessen nebst dem gewählten
Pseudonym unbemerkt wieder verdufteten.
Nach so grimmen Schwertschlägen, solchem Speergekrach und Schilderklang
hätte man ganz andere, weltumkehrende Riesenarbeit erwarten können. Bonn
aber, welcher damals als Vertheidiger manch tief gekränktem Recht zum Siege
verhalf oder als Staatsankläger manchen politischen Schwerenöther mit ironischer
Bitterkeit lächerlich machte, schlug sich plötzlich auf das harmloseste Gebiet der
Jugendliteratur und zwar mit glückhnftem Erfolge. Die damals ( 1 Kr»r> ) von
Isabella Braun begründete?!, heute noch im Verlag von Braun & Schneider neu
fiorirenden r Jugend blätter", ebenso die ..Deutsche Jugend" (Leipzig bei Allthons
Dürr) brachten eine ganze Serie von Gedichten. Erzählungen und kleineren
Dramen von Franz Bonn, welche dann später als „Jugend-Lust- und Leid"
(Stuttgart 1871) und „Theaterstücke für die Jugend" (München 18K<) bei
Braun & Schneider) in gesichteter Auswahl erschienen, darunter das Märchen-
Lustspiel „Der verzauberte Frosch" und das niedliche Singspiel .,Der arme
Heinrich", welche von Karl Greith (•}■ 17. November 18*7) und J. Rhein-
berger mit geistreicher Musik ausgestattet, ihre Zugkraft auf vielen Instituts-
und Familien-Theatern bewährten. Etliche kleine Novellen erschienen in der
«Universal-Bibliothek •* (Stuttgart bei Kröner). Auch dichtete Ronn einige gut
gebaute Textbücher, z. 15. zu der komischen Operette „Der Hans ist da-
(komponirt von Franz Förg). die durch Moriz von Sehwinds berühmten Gyklus
angeregte romantische Oper „Die sieben Raben- (komponirt von Rheinberger)
Digitized by Google
Biographische Blätter.
und dir beiden Märchen ..Undine" und ..Dornröschen" (komponirt von Frhr.
v. I Vrlall). Einen glücklichen Grift* machte Franz Bonn, indem er Julius Grosses
reizende Idylle ..Gundel vom Königssee" dramatisch inscenirte und zu einem
ertektreichen Zugstück in altbayerisrher Sprache umarbeitete, welches mit unge-
heuerem Erfolge etliche Jahre über alle grösseren Volkstheater lief (München
1 bei »raun & Schneider). Darauf folgte das mit .lulius Grosse aus-
gearbeitete ..Haus Turnhill", ferner die ..Kräu terliesel". ..Tante Blau-
bart" und «las AYeihnaehtsmareheii ..Die Wunderglocke*'. Das alles entstand
mit derselben nonchalanten Leichtigkeit, womit er auch den verwickeltsten Schwur-
gerichtssitzungen präsidirte und die glänzendsten Plaidoyers lieferte.
Bonns immer gefüllte Brunnenstube des Humors speiste, auch die welt-
bekannten ..Fliegemlen Hl:iTt«*r* * und die ..Münchener Bilderbogen". Daraus er-
hlühten dann wieder eigene Opera, z. B. die in mehr als 120 000 Exemplaren
weitverbreitete ..Lustige Naturgeschichte oder Zoologia comica; das ist
eine genaue Beschreibung aller in diesem Buche vorkommenden lebendigen Thiere
der Welt mit 80 naturgetreuen Abbildungen, wissenschaftlich bearbeitet von
von Miris" (München, bei Braun & Schneider), worauf alsbald eine mit gleicher
Jovialität illustrirte „Botanik" und ..Mineralogie" folgten. In der Vorrede
versicherte der Autor, ..hier und da sogar mehr als wörtlich" aus gediegenen
Abhandlungen geschöpft zu haben! Alles ist neu und originell. So heisst es
/.. B. von der Fledermaus, dass sich dieselbe ..in neuerer Zeit als Straussisehe
Operette auf den meisten Bühnen hält und vielen Beifall findet-'. Unter den
Bären-Arten wird auch der sehr häutig in Familien umgehende ..Brummbär"
aufgezählt; ..am zahlreichsten sind jene Hären, welche von den Tageblättern und
anderen wissenschaftlichen Autoritäten den Lesern und Zuhörern aufgebunden
werden. Diese nennt man jedoch auch Enten"! Der Fuchs wird ganz
darwinistisch geschildert, ..er kommt auf allen deutschen Universitäten vor; seine
Wautllungen sind sehr interessant: indem er gewöhnlich zuerst ein Frosch Ist.
dann ein Maulesel wird und sich dann erst in einen Fuchsen verwandelt. Als
solcher wird er gebrannt und heisst dann Brandfuchs. Die gesuchteste Familie
der Füchse sind die Goldfüchse, auf welche die meisten Menschen Jagd machen.
Eine sehi- bekannte Spezies ist der Reineeke Fuchs, welchen Kaulbach mit Illu-
strationen versehen hat'-. Von den Katzen lesen wir. sie seien ,,so falsch, dass
keine der anderen traut. Ihr Jammer wird den Menschen hier und da sehr
lästig, besonders immer am andern Morgen. Der gestiefelte Kater ist ein Märchen,
welches die Naturwissenschaft schon längst als solches anerkannt hat". Die un-
logische Schlumperei, welcher man in der kleinen Tagespresse stündlich begegnet,
wird brillant vei-spottet. wenn z. B. dem Elephanten nachgerühmt ist. dass man
..wegen seines graziösen Ganges sein Gebein das Elfenbein heisst". Unter den
Beutelthieren sind die Privatthiere ( Homines capitales) einregist nrt : ..Dieselben
b iheu gegen 100 Prozent Geld aus und fressen gewöhnlich mehr als sie verzehren
können. Die feinere Gattung heisst Bankbandit (Latro comercialis). fährt mehr-
spännig. kommt auch in Bädern vor und lebt eigentlich nur vom Geld. Beide
gehören häutig in die Ordnung der Yampyre". Dazu gesellt unser Forscher das
Faulthier, „welches auf Gymnasien und Hochschulen vorzukommen pflegt, für
nichts auf der "Welt ist und einen sehr üblen Geruch verbreitet. Dasselbe schläft
sehr lang«-, schaut stundenlang zum Fenster hinaus und lebt meist in Katfee-
hiiuscrn oder Kneipen". Als brillante Stilprobe kann auch die Definition des
Nashorn gelten. ..welches wegen seiner Dummheit in der Gelehrtensprache
Bhinoceros genannt wird. Es dient zu Spazierstöcken. Keitpeitsehen. Schildern
und Uigarreiietuis. hat ein sehr leises Gehör und einen sehr scharfen Geruch.
Digitized by Google
Franz Bonn („v. Miris").
w esshalb es Bäum** ausreisst und Alles niederronnt, was ihm in den Weg
kommt. Bildung hat es sehr wenig, aber eint* starke Haut, darob es mehr er-
tragen kann, als ein anderer, gewöhnlicher Mensch !u Km gründliche Definition
ist unser Kachmann so wenig verlegen, wie ein geübter Parlamentarier: ..Die
Kidechse ist das Krokodil in Miniaturausgabe, wie solche von den meisten be-
deutenden Dichtern veranstaltet werden. Die Eidechse verhält sieh zum Krokodil
wie die Violine zur Bassgeige, nur dass diese (!) meist giftig sind, was bei den
Eidechsen sehr selten und da nur, wenn sie zornig oder giftig gemacht werden,
der Kall ist". — Wo möglich noch muthwilliger bewegt sich unser Autor auf
dem Gebiete der ..Botanik". Kr beginnt mit der Anatomie und Organographie
der Pflanzen; ihr Klementar- und Grund-Organ ist die Zelle: ..Die bekanntesten
Zellenarten sind die Klosterzelle, die Gefängnisszelle, richtiger Zellengefängniss
oder Bruchsal genannt, die Honigzelle und die Parzelle, letztere häufig im Grund-
steuerkataster vorkommend. Die Gazelle gehört dagegen ins Thierreich. " Unter
den Gefässen wird nur ein steinernes, in süddeutscher, allgemein verbreiteter
Stein-Formation (Maasskrug) abgebildet; die Wurzel nur oberflächlich berührt,
desto mehr Betrachtung aber den ..Blättern" zugewendet. Nächst «1er Wurzel
sind ..die wichtigsten Organe der Pflanze die Blätter, wesshalb man dieselben
auch schlechtweg Organe nennt'. Der Korscher unterscheidet verschiedene
..grosse und kleine, gute und schlechte. Tag- und Wochen-Blätter. Fach- und
Witz-Blätter; diese letzteren werden im Süden vorzüglich „Fliegende", im Norden
..Kladderadatsch" genannt. Eine besondere Art von Blättern sind die Schmier-
uud Schmutz-Blätter. Diese nähren sieh von den schlechtesten Eigenschaften der
Menschheit und sind desshalb leider sehr verbreitet. Die Form der Blätter ist
verschieden, doch hat jedes Blatt seinen eigenen Stil, welcher mitunter sehr be-
denklich ist. So schreibt der Redakteur eines Tageblattes: ..Zum Schützenfeste
brachte schon gestern jeder Eisenbahnzng Fremde von unabsehbarer Länge" und
ein anderes Mal berichtete es: ,.In das morgig beginnende Gastspiel der Sängerin
Stanioli wird jeder Kunstfreund mit Vergnügen strömen." Ist das, was ein Blatt
inittheilt. zum grössten Theile erlogen, so nennt man das Blatt inspirirt; sind
die Nachrichten verfrüht, so heisst das Blatt offiziös, kommen sie zu spät,
offiziell. Die Hauptnahrung beziehen die Blätter durch die Inserate, worunter
man jene Gebilde versteht, in welcher sich der Krankheitsstoff der Zeit vorzüg-
lich ablagert" u. s. w.
Einen ähnlichen Impromptu -Ton schlug Herr von Miris an mit seinem
„Xibelungenringerl ".*) wozu die altbaierisehe Schnaderhüpfelform am besten
passte. In der Farce „Ein wichtiger litterarischer Kund" (ebendaselbst) .
ging er wieder auf die Imitationsmanier der „Lavagluthen" zurück, indem er den
Nachweis lieferte, dass alle neueren Dichter, von Goethe und Schiller bis Hermann
Lingg und E. Geibel, das alte Volkslied „jetzt gang i' an\s Brünnele. trink' aber
nit", jeder in seiner Manier variirten — er eskamotirte dieses mit einer so vir-
tuosen Anempfiudung, dass einzelne dieser Pocmata wirklich für Originalgedickte
der Genannten gehalten wurden. Dann schwang er die Geissei der bittersten
Satire in seinem „Pädagogisch-verbesser ten Struwwelpeter**) über die
altkluge Verziehung und Missbildung der Jugend. Das Heftchen, welches zürnend
den „Herren Kitern- (irre ich nicht, so war Kranz Bonn auch der Urheber des
*) . "s Nihelungenringerl. Harmlose Schnadahüpfeln für drei Tage und einen
Vorabend." München (1*79) hei Braun und Schneider.
**) Hin lustiges Bildcrhuch für Kinder von ;50 ÖO Juhren. Mit Illustrationen von
A. Oberländer. München, hei Braun und Schneider.
Biographische Blatter I. -J,j
Digitized by Google
395
Biographische Blätter.
heute überall als geflügeltes Wort verbreiteten Satzes, dass man in der Wahl
seiner Kitern nicht vorsichtig genug sein könne!) einen lehrreichen Spiegel vor-
hält, wurde trotz der ausdrücklichen Verwarnung des Dichters, wonach er sein
Buch nur für die ..grossen Kinder von 30 -60 .Jahren" bestimmt habe, von ge-
wissenlosen Kritikern und oberflächlichen Zeitungsschreibern, die gleich einer Land-
plage ranpenhaft überall sitzen, doch als eine „echte .lugendschrift für unsere
Rieben Kleinen" empfohlen! Ebenso wenig ist „Franz der Streber" ein .lugend-
buch, sondern eine bitterböse Satire auf die in allen Sätteln gerechte Gesinnungs-
losigkeit, welche sich windfahnenartig nach jedem neuen Zuglüftehen „ umzudenken ~
vermag; Alles darinnen ist mit photographischer Wahrheit der Wirklichkeif ent-
nommen.
Eine Unzahl von Meggendorfers vielgerühmten .. Bilderbüchern"* es
giebt aber auch viele und sehr ehrenwert he Leute, welche gar nicht dafür
schwärmen — hat Bonn mit putzigen Keimen ausgestattet, so das ..Fräulein
Nimmersatt", der ..lange Heinrich", die lustigen „Wichtelmännchen", der „Korb
mit. Allerlei", die „Historien vom eigensinnigen Schwein" und wie die Spasshaftig-
keiten alle beissen. Auch den nun schon im zwölften Jahrgang laufenden
,. Fliegenden- Blätter-Kalender- inaugurirte Herr von Miiis jedesmal mir
einem launigen Vorwort . mit Monat- und Wochen-Sprüchen, moralischen Wetter-
regeln. Gedankensplittern und poetischen Bathschlägen. Ein Theil seiner <;»•-
dichte erschien unter dein Titel - Von mir is" (München bei Braun und Schneider)
in feiner, vornehmer Ausstattung, mit dem äusserst sympathischen Bildnisse des
Dichters. Neben allerlei Dichtungen in verschiedenen Mundarten und neben d'Mi
drolligsten Einfällen z. B.
„Wie w.'tre das doch schön und nett,
Wenn der Laubfrosch einen Schnurrbart hütt'!
End kannte die Wildsau Banken schlagen.
Das w'tre lustig nicht zum sagen!
Könnt' erst die (Jans auf Stelzen gehen.
Das w.'ire possirlich anzusehen.
Doch mehr als dies noch wlir' fidel.
Könnt' Schlittschuhlaufen das Kameel . .
werden auch tief ernste Klänge angeschlagen. /. B. zum eigenen -Sechzigsten
Geburtstag" und jene, das volle Eamilieiigltick eines Vaters verkündenden Strophen :
Hundertachtzig Zahne halten Sechs l'aar Stiefel bringt der Schuster
Meine sechs geliebten Kinder — Fnd sechs Mäntel bringt der Schneider.
Was der Zahnarzt jährlich kostet, Alles ^««ht halbdntzend weise.
Sehen kann es selbst ein Blinder. Strümpfe. Schulgeld, Brod und Kleider.
Sind sie krank, gleich zum Spitale (ieh'n wir aus. giebt's auf der Strasse
Wird von selbst die ganze Wohnung. Ohne Weiters ein Gedränge,
End sechs Silbergroschen kostet l'nd von selber mit den .Meinen
Auch die kleinste < Jeldbelohnung. Bild' ich eine Menschenmenge.
Welche Fülle von Ermahnung, Welch' ein Leben in dem Hause,
Welche Enzahl banger Sorgen. Welch' ein Wogen, welch' ein Kauschen
Bis sie Alle aufgezogen. End doch möcht' ich um Millionen
Iiis sie Alle wolil geborgen! Nicht mit einem Andern tauschen:
Denn das schönste Glück von Allen.
Et ja doch der Liebe Segen.
Der nur aus zwölf Kinderaugen
Leuchtet jeden Tag entgegen!
Digitized by Google
Franz Bonn („v. Mirin**).
Das vorstehende Gedicht datirt gerade nicht aus der letzten Epoche des
Herrn von Miris; so wäre es immerhin möglich, dass die vorgenannte Zahl seiner
Familie noch neuen Zuwachs erhalten hätte. Sein ältester, gleichfalls mit einer
stark poetischen Ader veranlagter Sohn Ferdinand Bonn widmete sich erst der
Thenns, trat dann 1884 zur Bühne über und errang als Künstler (und neuesrens
auch als dramatischer Dichter) einen geehrten und gefeierten Ruf.
Es übrigt indessen auch der ernsten Muse unseres Dichters zu erwähnen,,
welcher dabei immer seines Familiennamens sich gebrauchte. Im Jahre lxsO be-
trat Franz Bonn mit seinem „König Mammon" (Köln, bei Bachem. VIII, 301 S.)
das Gebiet des Romans. Das Buch fand trotz freundlicher Aufnahme doch nicht
die gebührliche Beachtung. Fast alle sozialen Fragen streifend, mag ..König
Mammon-* als ein Miniaturbild der modernen Gesellschaft und als eine wahre
Zeitstudie gelten. Alle Fragen der neuen Zeit lauten hier in ihren Radien zu-
sammen. Sein Werk ist. wie Franz Bonn mit gutem Bewusstsein in dem Vor-
wort (welches zugleich ein schönes Ehrengedäehtniss auf seinen längst verstorbenen
Vater enthält) erklärt, ,,kein farbenprächtiges Bild in stolzem, breitem Goldrahmen,
kein buntgeschmückres Kind der Zeit, das mit frivolem Witz zu unterhalten oder
mit verhüllter Lüsternheit zu reizen versteht. Auch der tönenden Phrase
des Tages gab ich keinen Raum. Mir lag nur daran, dass das. was ich
schrieb, wahr sei, wahr in der Empfindung und wahr in der Darstellung, so
dass, wenn auch wenig wirklich Geschehenes meiner Erzählung zu Grunde liegt,
dieselbe doch überall das faktisch Mögliche trifl't. Nicht den Beifall der
Menge: das Mitgefühl der Guten nur möchte ich erringen!- Alle die auftretenden
Personen sind mit der gleichen Sorgfalt und Liebe gezeichnet, behandelt und
systematisch durchgeführt, Da ist der reiche Grosshändler G ottlieb Gornero, der
herzlose, mammonstolze Mann, und seine angeblich nervenkranke, eingebildete Frau, zwei
so sicher aus dem Leben geschnittene Peisünlichkeiten. dass man in jeder Stadt ihrem
fr- und Ebenbild begegnen könnte: nur ihr edler Sohn Edgar bildet eine Ano-
malie der elterlichen Raee; ihr Hausarzt Dr. Pillensteiner ist ein gewöhnlicher
Materialist, der seine ordinäre Denkweise durch feinere Formen kaum überkleidet.
Pen schäbigen Geldadel repräsentirt der Baron Spornschild, „Gründer" der Aktien-
gesellschaft ,,Concordia" und Schwiegervater des Baron Maier; das Kleeblatt
bringt der Prokurist und Rone Fritz Welker mit seinem lustigen Anhang zum
Abschluss. Zwischendurch spielt eine beinahe heitere Gesellschaft: der alte
..Schmiertiegel'', erst Chemiker und Bierbrauer, der so kunstreichen Stoff versott,
dass er verarmte und nun als Schnapsbruder elendiglich vegetirt; dann die Gauner
und Spitzbuben ..Storch. Steigerhanns und Bosswürger", ein "Trio, wie sie nur
ein Staats- oder Rechts- Anwalt mit so photographischer Wahrheit zu zeichnen
vermag. Dazu gehört auch der ..blinde Krüppel und Bettler" Pachonius. welcher
in den Kirchen aus den Gaben gutherziger Menschen die Mittel zum behaglichsten
Lebensgenüsse sammelt. In der sauberen Sippschaft zählt der muffige Rechts-
konsulent Dr. Stürmer, der mit der Vereinskasse durchgehende Volksfreund- und
-Redner Dr. Stiirzer, der Redakteur der ..Freien Stimme" mit allem möglichen
Apparat und Zubehör. Als wirklich reine Seelen und erquickliche Charakter-
figuren erscheinen der alte. arme, durch Abschreiben fremder Arbeiten sein kümmer-
liches Leben fristende Poet Hieronymus Krümuder und seine treubewährte Tochter
Cornelia, nebst dem wackern Lehrling Demetrius, welche den Kreislauf der Hand-
lung in glücklicher Weise abschliessen. Die Ausführung scheint bisweilen etwas
skizzenhaft angelegt, dann wieder in einzelnen Partien im vollen Fluss mit grosser
Sicherheit durchgeführt.
Im .Tahre 18*4 brachte Franz Bonn ein schon während >einer Studentcn-
Digitized by Google
ai>7
itiograpbisclio BliUtcr.
zeit begonnenes Epos ...luco pon»'" (Hcgensburg 1884) 7.11111 Absehluss. Die
klnngrcichen Terzinen lassen keinen Unterschied zwischen den ersten Fragmenten
und den späteren Nachträgen erkennen, in sieben Gesängen wird der äussere
und innere stürmische Lebensgang des schwergeprüften italischen Reehtsgelehrten
vorgeführt, welcher durch den plötzlichen Tod seiner liebreizenden Gattin (12»»H)
bis .111 die Grenze des Wahnsinns getrieben, der Welt entsagte, das Kleid frei-
williger Arinuth anlegte und auf weiten Wegen endlich in der Dichtung die er-
sehnte, schwerverdiente Buhe fand. Seine Lieder, darunter das berühmte ..Stabat
mater". sichern ihm für alle Zeit ein unlösehbares Gedächtnis*. Dass Franz Bonn
die historischen Thatsachen in etwas gerundeter Krzählung sich zurecht legte,
gereicht wohl dem Ganzen nicht zum Schaden. Der furchtbare, theilweise schon im
..König Mammon-- waltende Ernst überrascht uns in seinem Munde doppelt und
liisst mit Staunen erkennen, welche Gegensätze auch hier oftmals in einer Person
einander gegenübertreten. Vorwiegend ernsten Inhalts sind auch seine ..Für
Herz und Haus-- betitelten Gedichte, welche 1«1>2 zuerst erschienen (Uegens-
lturg. bei Habbel) und nun schon in dritter Autlage vorliegen. Lenz und Liebe.
Halladen und Bilder. Lieder und Stimmungen aus allen Lebenslagen ziehen vorüber
der Gruudton bleibt sinnig und ernst. Die weiche Musik der Sprache erinnert
bisweilen au Fichendorffs Vorbild. z.B. in den schönen Strophen ..Am Bodensee':
Weit über <lie dllmmemden Lande Liebselige (Jriisse schicken
Flies-t silbernes Mondenlicht. Die Sterne hell und rein
Sacht am tiefschweigenden Strande Mit leuchtenden LiebesMieken
Die -ebnende Woge sich bricht. In s schweigende Kümmerlein.
Im holden (JeHiister säumen l'nd rtithet der Tag die Lüdeben
Die Winde da um ein Maus: Im dümmerstillen Haus -
Die Hlumen am Fenster trüumen Da schauet das schönste Mädchen
In die weite N icht hinaus. In den hellen Morgen hinaus!
Zur Vollendung des ganzen Portrait* noch einige Striche aus der. wenn
auch nur vorübergehenden politischen Thiitigkeit des Dichters. Im Jahre 18SI
als Abgeordneter in den bayerischen Landtag gewählt, nahm Franz Bonu seinen
Sitz im Lager der Patrioten, betheiligt»' sich als Hauptredner beim Sturmanlauf
gegen das Ministerium von Lutz, plädirte aber auch in der denkwürdigen Plenar-
sitzung vom 20. .luni lsHti für die Kegentschafts -Vorlage und zwar in einer
Weise, dass er die Zustimmung und Anerkennung des ganzen Hohen Hauses er-
rang. Daun legte er sein Mandat nieder.
Zu den poetischen Lorbeern gesellten sich auch andere Auszeichnungen und
F.hren. darunter z. B. 18<io aus Anlass der Xegozirung der Hochzeit des Prinzen
Albert von Thum und Taxis das Komthurkreuz des K. K. Franz-.Ioseph- und
des Hohenzollerisehen Hausordens und das Kitterkreuz I. Klasse des Verdienst-
Ordens vom heiligen Michael.
Im glücklichen Kreise seiner Familie schien dem jovialen Dichter, dein
pflichttreuen Beamten und vielseitigen Geschäftsmann ein hohes, glückhaftes Alter
gesichert. Sein fröhlicher Humor blieb unversiegbar. Eine böswillige Influenza
bestand seine gute Natur. Der nachträgliche Gebrauch des Marienbades brachte
aber nicht den gewünschten Frfolg. Wenige Tage nach seiner Rückkehr erlosch
zu Kegeiisburg am 7. .Inli IS'.M sein Leben.
&
Digitized by Google
Josef Böhm.
3<)8
Josef Böhm.
Von t
JULIUS WIESNER.*)
Hochansehnliche Versammlung! Bald wird die Hi'üle von einem kunstvoll
ausgeführten Steinbild fallen, welches hestinunt ist, die Arkaden unserer Universität
zu schmücken und die Zügv* des weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus
bekannten Pflanzeuphysiologen. Josef Böhm, der Nachwelt zu überliefern.
Josef Böhm .gehörte unserer Universitär durch 30 Jahre als Lehrer an. zuerst
als Privatdozent, dann als ausserordentlicher, zuletzt als ordentlicher Professor der
Botanik. In diesem Langen Zeiträume hat er mit grosser Hingabe, aus tiefem
inneren Antrieb, und man darf sagen, aus angeborenem Enthusiasmus sein Fach
gelehrt, und mit einem nie ermüdenden Eifer bis an sein Lebensende wissenschaftlich
geforscht. Er hat sowohl als Lehrer wie als Forscher nicht umsonst gewirkt: im
Gegeilt heile: er hat Tausende von lernbegierigen Studenten in seine Wissenschaft
eingeführt, und durch eine Reihe wichtiger Entdeckungen in der Geschichte der
Pflanzenphysiologie sich ein dauerndes Gedächt niss gesichert.
Es sei mir erlaubt, in Kürze den Lebenslauf Josef Böhm s vor Ihren Augen
zu entrollen, uud seine wissenschaftlichen Leistungen zu skizziren. Josef Böhm
wurde am 13. März 1831 zu Gross-Gerungs in Niederttsterreirh geboren. Die
Gymnasialstudien absolvirte er in Melk. Er sollte sich dem geistlichen Stande
widmen. Aber er fühlte hier/u nicht den inneren Beruf, vielmehr drängte ihn eine
frühzeitig erwachte Neigung für Naturwissenschaften, spcciell für Botanik, bald
auf andere Bahnen. Als die Botanik noch mit dem Kosenamen „svietitia arnnbUin"
belegt wurde — inzwischen ist sie durch Versehwisterung mit den ernstesten
Zweigen der Naturwissenschaft selbst zu ernst geworden, um noch ein Hecht auf
diesen Namen zu haben - war es üblich, durch das Studium der Medizin sich
auf den Beruf des Botanikers vorzubereiten. Mehr dieser Gewohnheit folgend,
als in der Absicht, der Heilkunde sich zu widmen, trat er im Jahre IHfil in Wien
in die medizinischen Studien ein. Noch vor Erwerbung des medizinischen Doktor-
grades errang er an der Grazer Universität das Doktorat der Philosophie. Es
führte ihn also schon während seiner medizinischen Studien der Drang nach reinem
Wissen in die Bahnen der theoretischen Naturwissenschaften und speziell auf das
Gebiet der Anatomie und Physiologie der Pflanzen, welche Disziplinen damals an
unserer Universität in Franz Unger einen grossen, begeisterten und begeisternden
Vertreter besassen. und bald sehen wir Böhm bestrebt, die Grenzen des damaligen
"Wissens zu durchbrechen und mit den Resultaten eigner Forschung hervorzutreten.
Die betreffenden Veröffentlichungen des jungen Böhm fanden in den Augen des
Meisters so viel Anwert h, dass schon diese Erstlingsfriichte seiner Untersuchungen
ihm den Weg zur Erreichung der venia legendi für Botanik bahnten. Denn seine
r) (JcdUchtnissrede auf Dr. Jos. Böhm, o. ö. Professor der Botanik an der k. k. Hoch-
schule für Bodenkultur und an der Universität in Wien, gelegentlich der Knthttllung des
von Benk ausgeführten, im Arkadenhofe der l'niversitlit aufgestellten Kelicfliildes, gehalten
von Dr. Julius Wiesner. k. k. Ilofrath, o. n. I'niv.-Prof. und Vorstand des pflanzenphysiol.
Institutes, am 10. März 181)5 im kleinen Festsaale der Universität.
Digitized by Google
399
Biographische Blätter.
Habilitation als Privatdozent der Botanik an unserer philosophischen Fakultät er-
folgte schon im Jahre 1857. Ein Jahr später erwarb er an unserer Universität
den (Jrad eines Doktors der Medicin. Dem ärztlichen Beruf hat sich Böhm nie
gewidmet. Denn gleich nach Erlangung des Doktorgrades der Medizin trat er in s
Lehramt ein und blieb demselben, den Lockungen der praxi* antra widerstehend,
bis an s Lebensende treu. Im .Jahre 18">8 wurde er an der kurz vorher gegründeten
Handelsakademie, an der damals als Professoren eine Anzahl hervorragender junger
Männer wirktet!, wie der Historiker Adolf Beer, der Mathematiker Simon .Spitzer,
der Nationalökonom Adolf Wagner u.a.. zuerst als provisorischer, später als wirk-
lieber Lehrer der Naturgeschichte und der organischen Waareukunde angestellt,
wo er, von seinen Kollegen hochgeachtet, von der Jugend geliebt, durch Itt Jahre
wirkte. Anfangs standen ihm keine Mittel für experimentelle Untersuchungen zu
(Jebote. Einigen Ersatz fand er hierfür dadurch, dass er sich als unbesoldeter
Privatassistent in den Dienst seines berühmten Lehrers. Franz Unger. stellte.
Später wurde es ihm möglich gemacht, sich in den Bäumen der Handelsakademie
ein für seine speziellen Forschungen bestimmtes Laboratorium einzurichten, in
welehem er. allerdings mit bescheidenen Mitteln, viele seiner mühevollen, physiolo-
gischen Arbeiten, namentlich unter Zuhilfenahme gasanalytischer Methoden aus-
führte. Seine verdienstvollen Arbeiten auf dem (Jebiete der wissenschaftlichen
Botanik, insbesondere im Bereiche der Anatomie und der Physiologie der Pflanzen,
wurden im .Jahre 1NH9 durch seine Ernennung zum ausserordentlichen Universitäts-
professor der Botanik anerkannt. Seine Lehrtätigkeit an der Handelsakademie
fand dadurch aber keine Unterbrechung.
C Jörne erinnerte sich Böhm des AVinters 1870/71. Es wurde ihm damals
von dem Vcrwaltungsrath der Handelsakademie in liberaler Weise ein Urlaub zum
Zwecke wissenschaftlicher Studien im Auslande gewährt und er zog nach Heidel-
berg, wo damals als Botaniker der unsterbliche Entdecker des < Jenerationswechsels
der Pflanzen, Wilhelm Hofmeister, wirkte. Böhm hatte das (ilück, mit diesem
bisher grössten Meister der botanisch-morphologischen Forschung in nähere wissen-
schaftliebe und auch in intime persönliche Beziehungen treten zu können. Hof-
meister erzählte später dem Redner mit Wärme, welche Wohlthat der Umgang
mit dem von heiterer Laune stets übersprudelnden Kidlegen Böhm ihm damals ge-
wesen ist. zu einer Zeit, in welcher der grosse Forscher durch einen schweren
Schicksalsschlag gebeugt war. Da die wissenschaftliche Richtung Hofmeist ers
im (Juunde genommen gänzlich verschieden von jener Böhms war, so scheint er
hauptsächlich deshalb Heidelberg aufgesucht zu haben, um Bimsen näher treten
zu können. Auf die Forschungsrichtung Böhms hat Hofmeister keinen Einfluss
ausgeübt, hingegen vervollkommnet«' sich Böhm, offenbar unter dem Eiuflusse
Bausens, so sehr in den gasaualytischen Methoden und in deren Anwendung auf
die Fragen der Pflanzenphvsiologie.dass man sagen darf, es habe, nach Saussure und
Ho u>s i ii ga u lt , kaum Jemand mit grösserem Eiter und grösserem Erfolge diese
Methoden im Bereiche der Lehre vom Leben der Pflanze angewendet als Böhm.
Ein Jahr nach Berufung des Redners au seine jetzige Stelle, im Jahre 1H7-1.
winde Böhm zu dessen Nachfolger als Professorder Pflanzenphysiologie und Xat Ur-
geschichte an der Forstakademie in Mariabrunn ernannt. Er fand dort ein von
»einem Amtsvorgänger ins Leben gerufenes pflanzenphysiologisches Laboratorium
vor, eine der ältesten Werkstätten dieser Art. und ein ausgedehnter und reit h-
Digitized by Google
Josef Böhm.
400
haltiger botanischer (i arten, welcher seiner Leitung unterstand, bot ihm reiches
Untersuchungsmaterial und eine treffliche und behagliche Statte der Arbeit. Böhm
führte dort ein emsiges, glückliches und ergebnissreiches Forscherleben. Bald aber
fand diese reizende wissenschaftliche Idylle, die ja auch der Bedner in jungen
Jahren zu durchleben das (»lüek hatte, ihr Ende, indem der höhere forstliche Unter-
richt an die kurz vorher in AVieri gegründete Hochschule für Bodenkultur verlegt
wurde, in welche Böhm im Jahre 1875 als ordentlicher Professor der Botanik
eintrat. Durch seine Berufung nach Mariabrunn löste sich sein Verhältnis* zur
Handelsakademie von selbst, hingegen blieb er nach wie vor als ausserordentlicher
Professor der Botanik an der Universität thätig, auch nach seiner Ernennung als
ordentlicher Professor an der Hochschule für Bodeukultur. Aber der Schwerpunkt
seiner lehramtlicheu Thätigkeit lag vom Jahre 1874 an nicht mehr an der Univer-
sität, sondern an der Forstakademie und später an der Hochschule für Bodenkultur,
wo er angehenden Land- und Forstwirthen gegenüber eine der wichtigsten theore-
tischen Disziplinen zu vertreten und somit eine grosse und wichtige Aufgabe zu
erfüllen hatte. Dennoch hörten die Studirendon der Universität, besonders die
Lehramtskandidaten der Naturgeschichte und Hörer, welche die Botanik zur Lehens,
aufgäbe gewählt hatten, gerne seine gründlichen, häutig humorvoll belebten und
durchaus originellen Vorträge. Seine lehramtlichen Verdienste und seine wissen-
schaftlichen Leistungen fanden im Jahre 1878 wohlbegründete Anerkennung, indem
ihm der Titel und C harakter eines ordentlichen, öffentlichen Universitätsprofessors
verliehen wurde. — Dies ist der Umriss seiner äusseren Uarriere. Ein bald erzählter
Lebenslauf, einfach, wie der so vieler bedeutender Männer der Wissenschaft.
Diesem einfachen äusseren Leben steht ein reiches inneres (Jeistesleben gegen-
über, welches, selbst nur in seinen Hauptzügen zu schildern, eine weit schwierigere
Aufgabe bildet. Als (iruudzug dieses geistigen Lebens und Schaffens, welches ununter,
broohen fast den Zeitraum von vier Dezennien umspannt, tritt uns eine beispiellose
Hingabe an seine Fachwissenschaft um! eine trotz mancherlei Hindernisse unbesieg-
bare Vertiefung in einige grosse Probleme der physiologischen Forschung entgegen.
Der Boden, in welchem Böhms wissenschaftliches Wirken wurzelte. Wien,
— sagen wir es frei heraus — war ein klassischer: denn ohne Selbstüberhebung
dürfen wir es aussprechen: keine Pfiegestätte der Wissenschaft hat zur Entstehung
und Ausbreitung und für das Ansehen der Pflanzenphysiologie als Wissenszweig
und als Lehrgegenstand mehr beigetragen, als Wien. Es ist so wenig bekannt, dass der
grosse von der Kaiserin Maria Theresia als Leibarzt nach AVien berufene Lngenhouss,
der Begründer der chemischen Pflanzenphänologie, durch mehr als anderthalb De-
zennien in Wien wirkte und viele seiner bedeutungsvollen Arbeiten, auch einige
wichtige, das pflanzenphysiologische Oebiet betreffende, auf Wiener Buden ausführte.
Ebensolange als lngenhouss wirkte Franz Unger iti Wien. Er steht uns
der Zeit nach näher, und auch dadurch, dass er, dieser grosse Meister der pflanzen-
physiologischen Forschung, als Lehrer unserer Universität, angehörte. Obwohl
nominell Professor der Botanik, fühlte er sich doch stets als Professor der Ana-
tomie und Physiologie der Pflanzen. Auf sein AVirken ist es zurückzuführen, dass
die ältesten Lehrstiilde für Anatomie und Physiologie der Pflanzen — und zwar
Ordinariate auf österreiehisehem Boden stehen, und dass, allerdings erst nach
seinem Tode, das erste in grossem Stile angelegte pflanzenphysiologisehe Institut,
an der Wiener Universität ins Leben gerufen wurde. Diese Schöpfungen wären
Digitized by Google
401 Biographische Blätter.
zur Zeit ihres Entstehens nicht möglich gewesen, wenn nicht U ngers grosse, weit-
hin sichtbare Leistungen die Pflanzenphysiologie zu Ansehen gebracht hätten. Man
wird es nunmehr verstehen, dass Osterreich frühzeitig ein relativ grosses Kontiii-
srent an Pflanzenphysiologen gestellt hat.
Ungers Schüler: Böhm, Leitgeb, Adolf Weiss und der Kedncr. folgten
im Wesentlichen den Wehningen des Meisters, in dessen Forschungen Anatomie
und Physiologie sich die Waag«' hielten. Während Leitgeb, durch Nägelis
Forschungsrielitung vielleicht noch mächtiger als durch Unger angezogen, später
hauptsächlich in die Bahnen der Entwicklungsgeschichte einlenkte, Adolf Weiss
sich ausschliesslich der Anatomie widmete, übte sich Böhm anfangs sowohl auf
anatomischem als auf physiologischem Gebiete; aber bald erkannte er, dass seine
ganze Anlage ihn zur Physiologie trieb und seine unbezwingliche Neigung zum
Experiment führte ihn später ganz und gar auf das Gebiet der experimentellen
Pflanzenphysiologie. Im ersten Dezennium seiner selbstständigen wissenschaftlichen
Thätigkeit wechseln anatomische mit physiologischen Arbeiten ab. Seine letzte
anatomische Untersuchung betrifft die Prüfung der Frage: ..Sind die Bastfasern
Zellen oder Fusionen?" Die betreffende Abhandlung wurde in den Sitzungs-
berichten der Kais. Akademie der Wissenschaften im Jahre 18<Hi veröffentlicht.
Von da an finden wir Böhm ausschliesslich der experimentellen Forschung ergeben.
Die Hauptfrage, welche ihn beschäftigte, betrifft das sog. Saftsteigen, die Bewegung
des Wassers in der Pflanze. Schon im Jahre 18H:j publizirtc er in den Sitzungs-
berichten der Kaiserl. Akademie der Wissenscliaften die erste auf diesen wichtigen
Gegenstand bezügliche Arbeit: ..Über die Ursachen des Saftsteigens in den Pflanzen-*.
Die letzte Arbeit, die Böhm veröffentlichte, betraf dasselbe Thema. Sie führte
den Titel „Capillarität und Saffsteigen". Ihre Veröffentlichung erfolgte in seinem
Todesjahre -- 1H1»3 - in den Berichten der Deutschen Botanischen Gesellschaft.
Durch Versuche gelangte Böhm zu der lange unbeachtet gebliebenen Beobachtung,
dass der Luftdruck beim Saftsteigen betheiligt sein müsse. Die Sache wurde später
häutig so dargestellt, dass Böhm durch dies«' Auffassung sich in Gegensatz zu der
Ansicht des grossen Würzburger Pflanzenphysiologen. Sachs, gestellt habe. That-
sächlich trat aber Böhm in seiner ersten dem Saftsteigen gewidmeten Arbeit Nie-
mandem, in seiner zweiten hingegen seinem Lehrer Unger entgegen, welcher, an-
geregt durch ein Kxpcriineut Jamins, mehrere Jahre vor Sachs die lmbibitions-
hypothese. aufstellte, bei deren Begründung er sich, wie später Sachs, auf die
vermeintliche Saftlosigkeit der Gefässe stützt. Aber auch Unger ist nicht der
erste, welcher die Imbibitionshypothese aufstellte; dieselbe lässt sich vielmehr bis
auf Meyen zurückverfolgen, der in seinem im Jahre 18.'{8 veröffentlichen Werke:
- Neues System der Pflanzenphysiologie" den Gedanken zu begründen suchte, dass
das im Holzkörper aufsteigende Wasser nicht in den Hohlräumen der Zellen und
Gefässe, sondern in deren Wänden sich nach oben bewegt.
Wenn nun auch die Imbibitiousbcwegung des Wassers nicht, wie viele Bota-
niker heutzutage meinen, als blosse Fabel zu betrachten ist, es vielmehr noch
nn widerlegt erscheint, dass dieselbe — freilich innerhalb enger Grenzen — in den
grossen Komplex jener Faktoren sich einfügt, welche bei der Wasserbewegung im
lebenden Heizkörper betbeiligt sind, so kann doch die von Sachs ausgearbeitete
Theorie, derzufolge das im Holzkörper sich aufwärts bewegende Wasser ausschliess-
lich in der Wandsubstanz der Zellen und G «'lasse zu «len Blättern gelange, nicht
Digitized by Google
Josef Böhm.
402
mehr aufrecht erhalten werden, und thatsäcldich haben, von der engsten Saehs'srhen
Schule abgesehen, alle anderen Botaniker die sogenannte Sachssehe Imbibition*,
theorie abgelehnt.
Dass diese Ablehnung erfolgte, und dass überhaupt das wichtige Problem
der Wasserbewegung in der Pflanze wieder in naturgemässe Bahnen gelenkt wurde,
indem man wieder jene sichere Fahrt»* aufsuchte, welche bereits der Begründer der
physikalischen Pflanzenphysiologie. Stephan Haies, etwa anderthalb Jahrhundert
vorher, mit sicherem Fusse betrat: dies ist das unvergängliche Verdienst Böhm».
Langsam, aber beharrlich, von der Tagesmeinung unbeirrt, rang er sich in dieser
schwierigen Frage zur Klarheit empor. Manche verzeihliche Irrthiimer. denen er.
wie wohl jeder auf neuen Bahnen der Physiologie vorwärts dringende Forscher,
unterlag, mögen der Grund gewesen sein, weshalb seine trefflichen Beobachtungen
und seine zumeist sicher begründeten Anschauungen in der Frage des Saftsteigens
sich so lange nicht Bahn brechen konnten. Fs trat aber eine Wendung ein. als
andere Botaniker, namentlich Kobert Hartig, von der Sachssrhen Theorie sieh
abwendeten, und den guten Kern der Böhmschen Lehre richtig erfassend, der
weiteren Bearbeitung des genannten Problems ihre Kräfte widmeten. AVenn es
nunmehr feststeht, dass in den Pflanzen das ganze Wasser oder die Hauptmasse
des Wassers in der Regel nieht in den Membranen, sondern im Hohlräume der
saft leitenden Zellen und Gefässe emj)orsteigt, und zwar nicht nur in den aufneh-
menden Zellen der Wurzel, sondern auch in der Hauptbahn grosser Pflanzenkörper,
nämlich im Holze der Stämme, so ist die Sicherung dieser für das Verständnis*
des Pflanzenlebens bedeutungsvollen Entdeckung in erster Linie Böhm zu danken.
Gerade wir, die wir all' die Wandlungen in der Frage des Saftsteigens mit-
erlebt haben, können Böhms Verdienste nach dieser Kichtung am besten würdigen.
Und diese Verdienste sind um so höher anzuschlagen, als es nicht nur galt, durch
das Experiment neue Grundlagen für die Lehre vom Saftsteigen zu schaffen, son-
dern auch, und vor allem Anderen, die durch eine grosse Autorität getragene
geradezu herrschend gewordene irrthümliche Auflassung endgültig zu beseitigen.
Was die Kräfte anbelangt, welche die Emporhebung des Wassers in der
Pflanze besorgen, so hat Böhm hierüber zu verschiedenen Zeiten verschieden ge-
dacht. Jeder setner einschlägigen Auflassungen haftet aber eine gewisse Einseitig-
keit an. Anfangs glaubte er im Luftdrucke, später in einem Zusammenwirken
von Luftdruck und Capillarität, zuletzt ausschliesslich in der Capillarität die
Ursachen des Saftsteigens zu finden. Durch die neueren Untersuchungen, an welchen
Böhm selbst einen grossen A titheil hat. ist aber erwiesen, dass wir es in der im
lebenden Pflanzenkörper stattfindenden Wasserbewegung mit einer komplizirten
Erscheinung zu thun haben, in welcher zahlreiche harmonisch zusammenwirkende,
zum Theil noch nicht vollkommen erkannte Kräfte zur Geltung kommen. Böhm
war der Überzeugung, dass durch seine letzten Untersuchungen das Problem des
Saftsteigens endgültig gelöst wurde. Die meisten Physiologen sind aber einer
anderen Ansicht, welche ich in sehr allgemeiner Fassung eben angedeutet habe.
Wenn ich sage, dass die Krage des Saftsteigens noch unvollkommen gelöst
ist, so soll selbstverständlich damit kein Vorwurf gegen Böhm ausgesprochen sein:
es ist vielmehr «las Eingeständniss der Unzulänglichkeit unseres derzeitigen Wissens
auf pflanzenphysiologischem Gebiete, es liegt eben in dem Problem des Saftsteigens.
wie in so vielen anderen, welche das Leben betreffen, noch ein sagen wir es
Digitized by Google
403
Biographische Blätter.
kurz vitalistischer Kost, eine W irkungsäusserung, welche, an die lebende Sub-
stanz gebunden, der mechanischen Analyse sich noch hartnackig entzieht. —
(iriff Böhm durch seine Untersuchungen über das Saftsteifiren in die Lehre
von der Stoffbewegung ein. so förderte er durch einige wichtige Beitrüge zur
Kenntniss der Assimilation und Athraung auch die Lehre von dem Stoffumsatz
in der Pflanze. Die in der lebenden Pflanze stattfindende ehemische Metamorphose
ist bisher nur sehr unvollkommen erforscht worden. Denn selbst die Vorarbeit
für die Studien über den Stoffumsatz, die Aufsuchung der Nahrungsmittel der
Pflanze, ist bisher noch lange nicht vollkommen durc hgeführt, wie sieh wohl der
Tbatsache entnehmen lässt. dass erst in allerjüngster Zeit die Bedürfnisse der Pilze
in Bezug auf die zu ihrer Krniihrung erforderliehen Mineralsubstanzen erkannt
wurden und erst in den letzten Jahren der sichere Beweis erbracht werden konnte,
dass von gewissen grünen Pflanzen unter Intervention von Mikroorganismen der
Stickstoff der Atmosphäre assimilirt werde, während es vordem als sicher galt, dass
«lieser Bestandteil der Luft die grüne Pflanze vollkommen indifferent passire.
Begreiflirher "Weise ist es gegenüber der Aufsuchung der Nahrungsmittel der
Pflanze eine weitaus schwierigere Aufgabe, die Umwandlung derselben in die Be-
standteile der Pflanze zu ermitteln, zu zeigen, wie aus den paar Nahrungsmitteln:
Kohlensäure, "Wasser, Ammoniak bezw. Salpetersäure und aus einigen mineralischen
Bodennährstoffen, jene Tausende von organischen Verbindungen entstehen, aus
welchen die grüne, chlorophyllbegabte Pflanze sich aufbaut oder die sie für Lebens-
zwecke erzeugt. Selbst das Nächstliegende ist uns hier noch verschlossen, z. B.
die Kenntniss der Umwandlung der Fette in Stärke, ein Prozess, der bei der
Keimung jedes fetthaltigen Samens in leicht verfolgbarer Form sich vollzieht.
Nach jeder dieser beiden die Assimilation der Pflanze betreffenden Richtungen
hat Böhm unser Wissen bereichert.
Die Kenntniss der vegetabilischen Nahrungsmittel hat Böhm durch folgende
interessante Kntdcekung «refördert. Ks war ganz allgemein die Meinung verbreitet,
dass alle zur Keimung mit organischen Reservestoffeu ausgerüsteten Samen genügend
Mineralstoffe besitzen, um sich in der ersten Periode ihres Daseins normal ent-
wickeln zu können. Auf dieser Meinung beruht ja die gewöhnliche Methode, be-
hufs Prüfung des Keimperzents oder zu Versuchen die Samen auf einem feuchten
indifferenten Substrate, /.. B. auf feuchtem Fliesspapier zur Keimung zu bringen.
Nun hat aber Böhm gezeigt, dass die bekannte Feuer- oder Stangenbohne
(l'husvdHM multiftorus) zu wenig Kalksalze enthält, um normal keimen zu können.
Denn, wenn man die Keimung dieser Samen unter Zufuhr von reinem destillirten
Wasser vor sich geben lässt, so steht sie alsbald stille und die Keimpflanzen geben
zu (irunde. Wenn man aber dem destillirten Wasser, welches dem Samen oder
den jungen Keimpflanzen der Schminkbohne dargeboten wird, ein kleines Quantum
vidi löslichen Kalksalzen zusetzt, so geht die Weiterentwicklung normal von Statten.
Würde bei den gewöhnlichen Keimversuchen den Samen wirklich nur reines Wasser
zugeführt werden, so müssten die Keimlinge alsbald absterben. Da man aber bei
solchen Keimversuchen das Substrat nicht kalkfrei macht, auch nicht mit destillirtem,
sondern mit Brunnen- oder Quellwasser das Substrat befeuchtet, so gelingen diese
Versuche, weil man, freilich ohne Absicht, mit dem Wasser den Kalk stets zuführt.
(ileichfalls sehr interessant ist die von Böhm im Anschluss an die vorge-
führten Beobachtungen aufgefundene Tbatsache, dass auch die jungen Blätter der
Digitized by Google
Josef IttJhni.
404
Feuerbohne geeignet sind, die für diese Pflanze erforderliche Meilire von Kalksalzen
von aussen aufzunehmen.
Die Untersuchungen Böhms über die Bedeutung des Kalkes bei der Kei-
munir der Feuerbohne haben zu mancherlei anderen Untersuchungen Veranlassung
gegeben. So hat beispielsweise Prof. von Lieben berg gefunden, dass nicht
nur manche Pflanze aus dem Yerwandtsehaftskreise der Bohne, z. B. die Erbse und
Soya. sich bei der Keimung so wie die Feuerbohne verhält, sondern auch Pflanzen,
welche eine «ranz andere Stellung im System haben, z. B. die Kürbis, hingegen
Kohl und Senf ohne jede Zufuhr des Kalkes zu normaler Keimung zu bringen sind.
Von grosser Wichtigkeit ist eine andere, die Assimilation der Pflanze be-
treffende Entdeckung Böhms. Auf Orund der Sachsschen Lehre herrschte die
Ansicht, dass die in den Chlorophyllkörucrn auftretende Stücke stets ein Produkt
der Assimilation in dem Sinne sei. dass unter dem Einflüsse des Lichtes aus Kohlen-
säure und AV asser unter Ausscheidung von Sauerstoff Stärke als erstes sichtbares
Assimilationsprodukt gebildet werde. Da das hierbei ausgeschiedene Sauerstoff-
volum dem Volum der verbrauchten Kohlensäuremenge entspricht, so blieb die von
Boussi ngault aufgestellte Assimilationsgleichung auch für diesen Fall in (Jeltung.
und da die bei diesem Prozesse auftretende Stärke sich mit Bestimmtheit in den
Uhlorophyllkörnern nachweisen Hess, wenn die betreffenden Organe belichtet wurden,
so erschien die Sachssehe Aufstellung in den Augen tler meisten Botaniker wohl
begründet. Allein die Sac hs'sehen Beobachtungen waren doch unvollständig. Denn
Böhm zeigte, dass in entstärkten Cldorophyllkörnern auch ohne Kohlensäurezutritt
Stärke entstehen könne, er liefert e den Beweis, dass bei Anschluss von Licht in
Chlorophyll-, ja sogar in Etiolinkörnern Stärke entstehen könne, wenn den betref-
fenden Organen eine Hohrzuckerlösung von aussen zugeführt wird. Damit war
zweierlei bewiesen: erstens, dass die sogenannte autochthone Stärke nicht immer
ein Produkt der Kohlensäureassimilation ist. sondern aus Zucker, sogar bei Zufuhr
des letzteren von aussen, gebildet werden könne, und zweitens, dass das lebende
Chlorophyllkorii die Fähigkeit habe, aus Zucker Stärke zu bilden.
Auch die Lehre von der Athmung der Pflanze bat Böhm beschäftigt, und
seine in den siebziger Jahren ausgeführten mühevollen gasaiialytisehen Unter-
suchungen hallen gute Beiträge zur Kenntnis* der Kcspiratioti der Lnndpllauzen
geliefert. Noch kurz vor seinem Tode beschäftigten ihn lebhaft Untersuchungen
über die Athmung der Kartoffeln, welche einige ganz merkwürdige Thatsachcu zu
Tage förderten. /.. B. dass die Kartoffel durch ihren gefährlichsten Feind, nämlich
durch den die Kartoffelkrankheit bedingenden Pilz: l'hi/tophtom infenhms in einen
„fieberhaften Heizzustand", nämlich in enorm starke Hespiration gerathe. Diese
interessanten Untersuchungen sind leider nicht mehr zum Abschluss gelangt. Ich
muss es mir aus Mangel an Zeit leider versagen, über Böhms anderweitige
Arbeiten zu sprechen. Dieselben bewegen sich zumeist in den Hichtungen jener
Themen, welche ich in Kürze geschildert habe.
Ein besonderes Werk hat Böhm nicht geschrieben: die Hesultate seiner un-
ermüdlichen Forschungen hat er in mehr als vierzig Abhandlungen niedergelegt,
wobei seine lehrreichen populären Vorträge, die er unter grossem Beifall der Ver-
sammlung im Vereine zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse und in
der Oartenbaugesellschaft. ferner die |-{ede. welche er bei Autritt des Hektorates
au der Hochschule für Hodenkultur ( 1«"«) hielt, nicht mitgerechnet sind. Die erste
Digitized by Google
405
Biographische Blatter.
Veröffentlichung seiner Forschungen erfolgte im Jahre 18f>n, die letzte in seinem
Todesjahre ]W3. Eine sehr vollständige Zusammenstellung seiner Abhandlungen
enthält das zuletzt (lHlM) herausgegebene .lahrhueh unserer Universität. Sieben seiner
Schriften sind dein Chlorophyll, acht der Athmung, dreizehn dem Saftsteigeu. fünf <ler
Stärkebildung gewidmet. Man sieht, dass. wie ich schon früher bemerkte. Böhm lie-
st rebt war. bei seinen wissenschaftlichen Forschungen sich möglichst zu konzcntriren.
Sein Schicksal als Forscher war ein eigenthümliches, im CI runde aber hc-
neidenswerthes. Seine Forschungsergebnisse wurden anfangs vielfach angezweifelt,
auch wohl gänzlich ignorirt. Aber es kam eine Zeit, in welcher manche seiner
Entdeckungen, trotz anfängliehen Widerspruches, selbst seitens grosser Autoritäten,
anerkannt wurden, zu weiteren Forschungen anregten und in dauernden Besitzstand
der Pflanzenphysiologie eintraten.
Manchen Schatz aus seinen Schriften wird noch die Zukunft liehen, wenn
beispielsweise seine schöne, schon früher berührte Untersuchung über die Athmung
der Kartoffel fortgesetzt werden wird.
Das Bild, welches ich von Böhm s Leben in flüchtigen Konturen gezeichnet,
wäre unvollständig, wenn nicht als (i egonstück zu seinem heiteren, temperament-
vollen, wohl auch zu Leidenschaftlichkeit geneigten Wesen der beispiellosen Pflicht-
treue in Verwaltung seines Lehramtes gedacht werden würde, welche am Ende seiner
Lautbahn zu einem wahren Heroismus sich gesteigert hat. Professor Wilhelm,
welcher während der schweren Erkrankung und nach Böhm s Tode dhrSupplirung der
Lehrkanzel der Botanik an der Hochschule für Bodenkultur über- nahm, schildert
in dem Professor Böhm gewidmeten Nekrologe die letzte Zeit seiner lehramtlichen
Thätigkeit an der Hochschule für Bodenkultur mit folgenden ergreifenden Werten :
..Per Krank«* eröffnete, aller Vorstellungen seiner Freunde und der ernsten
Ermahnungen seines Arztes ungeachtet, im Oktober IHM. wie alljährlich, seine
Vorlesungen. Selbst die Bitten seiner besorgten Frau waren nicht im Stande,
seinen Entschluss zu ändern. Nur mit der grössten Anstrengung, von Kollegen
geführt und gestützt, vermochte Böhm noch in den Hörsaal zu gelangen, nur mit
dem Aufgebote aller Kräfte gelang es ihm. sich dem jedesmal tief ergriffenen
Auditorium noch verständlich zu machen. Dieser heldenmüthige Kampf eines
starken Willens mit einem zusammenbrechenden Körper dauerte bis zum 21. No-
vember .... Am 2. Dezember 1803 schlössen sich Höhm's Augen für immer."
Da dein hingeschiedenen Kollegen ein heiteres, trotz seiner Anspruchslosigkeit
oder vielleicht gerade deshalb glückliches Leben als Mensch. Lehrer und Forseher
beschieden war, so sei diese ( ledächtnissrede nicht mit dem soeben verklungenen.
schwermüthigen Akkord beschlossen.
Vielmehr sei am Schlüsse auf den sonnigsten Theil seines Lebens hingedeutet.
Durch siebzehn Jahre lebte er in glücklichster Ehe. Seine Lebensgefährtin, die
Tochter des langjährigen Reichsrathabgeordneten Wickhoff und Schwester unseres
verehrten Kollegen Professor Franz Wiek hoff. hat. nicht nur sein Haus sorgsam
bestellt, sie war ihm nicht nur eine treue Pflegerin; sie hatte Sinn, Verständniss
und Theilnahme für seine wissenschaftlichen Bestrebungen, für all1 die hohen Ziele,
die er sich gesetzt. Der edlen Frau dankt die Universität das Marmorbildniss. zu
dessen feierlicher Enthüllung wir uns heute versammelt haben.
- - —
Digitized by Google
Georg von Gizycki.
4(M>
Georg von Gizycki.
Geboren 14. April 1S">1: gestorben S.März 1S0.">.
Von
WILHELM BOLIN.
In» Geistesleben «Irr Gegenwart ist das wiedererwachte Interesse für die
Kthik zweifellos eine bedeutsame Erscheinung, und das nieht nur hinsiehtlich der
erneuten und mannigfachen Pflege dieses langehin über Gebühr vernachlässigten
Gebietes der Philosophie. Von jeher hat man ihr den Beruf zuerkannt, die Lehcns-
ideale auf wissenschaftliehe]- Grundlage zu entfalten: aber entschiedener und voll-
bewusster denn bislier tritt nun auch das Bestreben hinzu, der idealen Lebens-
auffassung einen nachhaltigen Einfluss auf die unmittelbare Wirklichkeif zu sichern.
Darin besteht die sogenannte ethische Bewegung, wie sie. von Amerika und
England ausgegangen, nun auch in Deutschland, obwohl hier noch in den An-
fängen ihrer Bethätigung begriffen, zu einer vielverheissenden Geltung sieh auf-
geschwungen hat. Kiner ihrer tüchtigsten und hingebungsvollsten Mitbeförderer
war der Mann, dessen verdienstvolles Wirken in einem Überblick seiner kurz
bemessenen Lebensbahn gewürdigt werden soll.
Georg- von Gizycki entstammte einer schon um DKM) aus Bolen nach
Preussisch- Schlesien ausgewanderten Protestanten -Familie und wurde in Gross-
Glogau geboren, wo sein Vater Land- und Stadtgerichtsrath war. Seinen ersten
rnterricht erhielt er. nach zurückgelegtem sechsten Jahr, von seiner Mutter, die
er über alles liebte und die durch ihren religiösen Kreisinn sein«1 ganze Lebens-
richtung wesentlich beeinflusst hat. Später besuchte er eine Privatschule in
Görlitz, kam dann in die dortige Bealschule erster Ordnung und zuletzt in die
gleichartige Anstalt nach Halberstadt, als sein Vater um .Michaelis IHM) dorthin
versetzt worden Avar. Schon als Knabe zeigte er eine besondere Vorliebe für die
Natur und stellte sowohl im Freien wie auch im Zimmer an zeitweilig gepflegten
Thieren vielfältige Beobachtungen an. In Gefässen voll Teichwasser mit Frosch-
laich und anderem Gcthier wurde dem Entwicklnngslebcn eine ausdauernde Auf-
merksamkeit gewidmet ; zu gleichem Zweck wurden in geeigneten Behältern, bis-
weilen auch nur im Doppelfenster. Kreuzottern und andere Schlangen. Eidechsen,
Salamander und Molche mit unverdrossener Fürsorge gehalten. Von diesen Lebe-
wesen, bei deren blosser Erwähnung manchem die Haut schaudert, wandte er sich
späterhin der Vogelwelt zu. vertiefte sein Interesse durch fleissiges Studium
ornit höhnischer Werke, durfte seine Freude an gefiederten Haus- und Zimmer-
genossen haben, lernte deren Gestalt auf das Papier übertragen und gewann
grosse Übung im Zeichnen dieser lieblichen Geschöpfe. Neben der Freundschaft
für Natur und Naturwesen erwachte auch ein reger Sinn für Literatur. An die
früh erworbene Vertrautheit mit deutschen Dichterwerken reihte sich bald auch
die mit ausländischen, gefördert durch die Kenntuiss der betreffenden Sprachen,
von denen ihm Knglisch. Französisch und Latein von der Schule her geläutig
waren. Diese verliess er zu Ostern 1872 und wurde am »>. April als Student
in der Universität zu Berlin eingeschrieben, wohin auch sein Vater im folgenden
.lahr an das dortige Landgericht übergeführt wurde.
Hier sollte Gizycki fortan seinen dauernden Wohnsitz behalten. Stets
gewohnt, seine Zeit gewissenhaft wahrzunehmen, hatte er seine Studien mit solchem
Erfolg betrieben, dass er schon Ende Mai lsTf» promoviren konnte. Während
der divi akademischen Jahre war seine Sprachkeuntniss um das Griechische gemehrt,
das er ganz auf eigene Hand erlernte: dies sowohl der Literatur wie der l'hilo-
Digitized by Google
407
Biographische Blätter.
sopliie wegen. «Iii» er sich, ausser der Zoologie, als drittes Studienfach ausersehen
gehabt. Seiner Liebhaberei für Zimmervögel blieb er immerdar treu. Es finden
sich, wohl aus dieser Zeit, handschriftliche Aufzeichnungen über das Seelenleben
dieser Thiere, wie er auch schon damals Mitarbeiter an Hi eb ms bekanntem
Werk über J l efnngene Vögel" war. Eine reichhaltige Sammlung vortrefflich
nach der Xatur von ihm gemalter Vögel zeugt von seiner Anhänglichkeit an
diese Lieblinge, von denen er gern zu sagen pflegte, er habe von ihnen mehr
gelernt als von seinen Lehrern. Unter diesen hat er jedoch Eugen Dühring
besonders hoch gehalten, durch den er in die Philosophie eingeweiht worden.
Hei aller Verehrung für Dühring. dessen freisinnige und positivistische Denk-
richtung ihm überaus zusagte, hat (.Iizyeki doch schon früh eine gewisse Selb-
ständigkeit ihm gegenüber behauptet. Muthmaasslieh war dies von seiner Vertrautheit
mit der Zoologie und seinem Studium der Werke Darwins bedingt, gegen die sein
Lehrer bekanntlich eine auf höchst oberflächlicher Kenntniss derselben begründete
Animosität zu äussern sich gestattete. Hesser in ihnen und in der neuern Hiologie
überhaupt als der von ihm sonst sehr bewunderte Lehrer bewandert, nahm (Iizyeki
in seinem Erstlingwerk von 1870 Stellung gegen die von jenem und einem gross.-n
Theil der damaligen Zunftphilosophen beliebte Verketzerung des Darwinismus, indem
er ihn auf seine Hedeutung für die Philosophie hin untersuchte, (iegen die Ent-
rüstung der Darwingegner über die von ihnen angegriffen«' Lehre, die einer an-
geblichen Hrutalisirung des Menschen und einer daraus zu folgernden Vernichtung
seiner sittlichen Würde beschuldigt ward, machte (iizyeki in seinem Vorsin-h.
..Philosophische Konsequenzen der Lamarck - Darwinschen Ent-
wicklungstheorie", gerade auf (J rund des monistischen Charakters dieser liebte,
deren Verwendbarkeit für eine wahrhafte Erklärung des menschlichen Kmpor-
sehreitens von einem blns natürlichen zu einem gesitteten Dasein geltend. Be-
sonders beachtenswert bei diesen Auseinandersetzungen ist das Bemühen des Autors,
die Tragweite der von Dühring gelehrten kosmischen Teleologie namentlich mit
Hezug auf eine moralphilosophisehe Verwertung des Darwinismus nachzuweisen,
obwohl diese Anschauungsweise bei den echten Anhängern Darwins für eine
wissenschaftlich durchaus unzulässige gilt.
Mit der Opposition gegen die Widersacher des Darwinismus war (Jizycki*
Augenmerk auf die Ethik gelenkt worden. Kr mochte namentlich eingesehen haben,
dass die von jener Seite her gehegte Abneigung gegen die Lehre Darwins mit
einer Auffassung der Ethik zusammenhing, wie sie in Deutschland auf der (Irund-
lage Kauf scher Theoreme ruhte. Seine gediegenen Kenntnisse in der ( ieschi< ht.>
der Philosophie dürften ihn veranlasst haben, genauere Umschau unter den vor-
kantischen Ethikern zu halten. Hier erschloss sich ihm der überreiche Schatz der
englischen Moralphilosophie, die noch von den Hauptvertretern der deutschen
Aufklärung hoch in Ehren gehalten war. Vereinzelte Stimmen hatten wohl im
Laufe unseres Jahrhunderts auf diese werthvollen Untersuchungen hingewiesen,
blieben aber unbeachtet, weil die tiachkantische Spekulation das philosophisch»-
Interesse von den ethischen Kragen nahezu völlig abgelenkt hatte, so gross auch
ihre Hedeutung noch bei Kichte gewesen war. Die Leistungen der hervor-
ragendsten englischen Moralisten der eigenen Zeitgenossenschaft zur Beachtung
vorzulegen, wurde für (Iizyeki eine Aufgabe, die er in zweien seiner wissen-
schaftlich werthvollsten Schriften gelöst hat.
Es sind dies seine beiden Monographien: „Die Philosophie Shaftesbury ' s".
im Herbst 1870 herausgegeben, und die zwei Jahre darauf erschienene „Ethik David
Hu nie 's in ihrer geschichtlichen Stellung". Die Ansichten beider Denker
sind mit eingehendem Verständnis* und sorgfältigster (lenauigkcit wiedergegeben.
Digitized by Google
Georg von Gizyeki.
40S
Shaftesbury als der vornehmste Vertreter der englischen Moralphilosophie im
vorigen Jahrhundert. Hume als ihr Vollender dargestellt. Begründet wird dies duivh
kritische Exkurse über die Ethik Kants und seiner Nachfolger, deren Unzuläng-
lichkeit aus ihrer Abweichung von den Ergebnissen der englischen Mornlforschung
nachgewiesen wird. Die Schrift über Hume enthalt, ausser einer einleitenden
Übersicht seiner Vorganger und einem Abschnitt über die späteren Ergänzungen
und Fortbildiingeii seiner Ethik in England. Bentham . Mill und Darwin mit ein-
begriffen, auch noch einen Anhang -über die universelle Glückseligkeit
als oberstes Moralprinzip". Bekundet schon die saehgemässe Würdigung der
englischen Denkerarbeit eine entschiedene Selbständigkeit gegenüber Dühring. der
gegen alles Englische bekanntlich einen eben so grossen Widerwillen wie gegen
das .Judenthum hat. so zeichnet sich das ganze kritische Verhalten gegen die
deutschen Ethiker durch gewissenhaftes Fernhalten jener polternden, auftrumpfenden
Rechthaberei aus. die sein Lehrer Dühring bei solchen Gelegenheiten herauszu-
kehren liebt. Nur in prinzipieller Hinsicht wird in jenem Anhang noch der
Dühringschen Metaphysik im Beibehalten seiner kosmischen Teleologie gehuldigt,
wie sie die Erstliiigsschrift als Zeichen einer noch dauernden Abhängigkeit von
der Denkweise Dührings an der Stirn trug. Deshalb wohl mag er in späteren
.Jahren auf diese seine frühesten Leistungen keinen grossen Werth mehr gelegt
haben, als erweiterte Studien ihn zu der f'berzeugung von der Unwissenschaftlich-
keit aller Metaphysik brachten.
Immerhin waren seine Schriften, durch die wissenschaftliche Bedeutung ihres
Gegenstandes und die umfassende Belesenheit in der herangezogenen Literatur,
hervorragend genug, um ihm die Bewerbung um einen akademischen Lehrstuhl zu
gestatten. Im .Juni 1878 reichte er sein Gesuch um Zulassung zur Habilitation
ein. Noch bevor ihm diese bewilligt wurde, hatte er den Schmerz, seinen Vater
zu verlieren, der im Laufe des Jahres viel gekränkelt und am 17. Oktober dahin-
geschieden war. Am 14. November durfte Gizyeki seine Probevorlesung vor der
philosophischen Fakultät halten, und zu Ende des Monats war ihm das Becht
öffentlich zu doziren obrigkeitlich zuerkannt. Seine erste Vorlesung hielt er am
1. Mai folgenden Jahres und gehörte bis 1883 anscheinend ausschliesslich dein
Kathederberuf und einer nur beiläufigen Thätigkeit in philosophischen Fachzeit-
schriften an.
Sein Name sollte bald auch in weitere Kreise dringen. Der Berliner Frei-
denkerverein - Lessing" hatte einen Preis ausgeschrieben auf ..eine gemeinverständ-
liche Darlegung der sittlichen Gesetze, die. von einheitlichen Grundsätzen geleitet
und ausschliesslich auf unzweifelhafte Thatsachen der natürlichen Erkenntnis-,
gestützt, eine Bichtschnur des Handelns für die leitenden Verhältnisse des mensch-
lichen Lebens zu geben geeignet sei." Unter den Bewerbern hatte sieh auch
Gizyeki eingefunden. Seine Schrift erhielt am 2'2. .Januar 1*8;$ den Preis und
erschien Mitte April im Druck unter dem Titel ..Grundzüge der Moral".
Als Nachwirkung dieser ehrenvollen Auszeichnung ist wohl die im August des
nämlichen .Jahres erfolgte Bestallung als ausserordentlicher Professor zu betrachten:
das dieser Würde entsprechende etatsmässige Gehalt wurde ihm zwei Jahre später
zugethcilt.
Die Krönung der Proisschrift bezeichnet einen merklichen Wendepunkt in
den ethischen Anschauungen Deutschlands. Gizyeki hatte sich darin selbstver-
ständlich als Anhänger der bisher nicht blos von zünftlerischer Seite arg verpönten
-Glückseligkeitslehre" bekannt, ohne freilich zu ahnen, dass sie ein volles Menschen-
alter früher einen begeisterten, damals aber überhörten Verkündiger in Ludwig
Feuerbach gehabt, der sie ganz selbständig aus seinen eigenen anthropologischen
Digitized by Google
40«)
Biographische Blätter.
Prinzipien heraus entwickelt hatte. 15ei (iizycki hantleite es sich um seine aus
der englischen Moralphilosophie gewonnene Uberzeugung, dass die grösstmögliche
(ilüekseligkeit für die (jesarnmtheit das Grundprinzip der Ethik sein müsse, weil
das Streben nach Glückseligkeit ein Trieb ist. eben so unmittelbar gegeben wie
der Trieb der Selbsterhaltung. Diese Wahrheit, ausführlich in den Monographien
über Shaftesbury und Huiue dargelegt, hatte nicht nur sein kritisches Verhalten
ebenda gegen Kant. Eichte. Schleiermacher und Scho]>enhauer bestimmt, sondern
auch dort schon zu einer scharfen und «reist vollen Widerlegung des damals noch
hoch in Kurs stehenden Pessimismus geführt. Leicht möglich, dass diese früheren
Schriften des Autors bei der Beurtheilung der Preisschrift zu einer unbefangeneren
Würdigung der darin ausgesprochenen Lehre mitgewirkt.
An die l'reisschrift. die einen überaus günstigen Altsatz fand, knüpften sich
für (iizycki vielfache Angebote um Mitarbeitelschaft an bedeutenden periodischen
Publikationen. Dazu kam noch ein Auftrag, dem er selbst die förderudste Be-
lehrung zu verdanken haben sollte. Ks geschah dies durch die ihm anvertraute
Herausfalle der Schrift eines kurz zuvor verstorbenen jungen Gelehrten. Wie
(iizycki hatte auch Dr. W. H. Bolph*) so hiess der im August 18hCi einem
hartnäckigen Lunirenleiden erlegene Privatdozeut an der Leipziger Universität —
den Darwinismus und verwandte Lehren mit Bücksicht auf die Hauptfragen der
Kthik untersucht in seinem Werk: „Biologische Probleme, zugleich als
Versuch zur Entwicklung einer rationellen Ethik*1. In erster Auflage
1W2 erschienen und bald vergriffen, war das Werk vom Autor für eine
zweite, stark erweiterte Auflage im Manuskript, bis auf ein Kapitel, fertig
gestellt worden. Auf (»rund der zwischen ihm und (iizycki in dessen
Erstlingsschrift bekundeten Affinität der Anschauungen, wurde demselben die
schliessliehc Durchsicht und Überwachung des Druckes dieser zweiten Auf-
lage übertragen. Die durch Kolph erbrachte wesentliche Berichtigung der
Evolutionstheorie, sowie namentlich seine glänzende Zurückweisung jeglicher
Telcologi.- bei rein wissenschaftlichen Erörterungen, wirkte auf (iizyrki so über-
zeugend, dass er dadurch zur völligen Befreiung aus dem Banne Dühringscher
Metaphysik gelangte.
Seinen schriftstellerischen Erfolgen und wohl auch seiner Kathederthätigkeit
verdankt (iizycki eine freundschaftliche Beziehung, die für sein ganzes ferneres
Wirken entscheidend wurde. Seit dem Herbste 1 XH3 weilte nämlich der Ameri-
kaner Staut oii Unit in Berlin, um dort, den Doctorgrad zu erwerben. Durch
ihn wurde (iizycki mit der ethischen Bewegung in Amerika und der darauf
bezüglichen Literatur genauer bekannt. Was er in seinen bisherigen Leistungen
nur als Eorschungsergebnisse aufgestellt, das fand er hier in greifbaren Zusammen-
ltanir mit dem wirklichen Leben gebracht . allen denen eine sichere Handhabe zu
sittlicher Veredelung bietend, die den theologischen Vorstellungen entwachsen, für
>ich allein einen genügenden Ersatz dafür nicht zu finden vermocht. Diese ganz
eigenartigen Wecke beschloss er der deutschen Bildung zuzuführen, wo reichliche
Empfänglichkeit vorauszusetzen war. So besorgte er IHH.j die Übersetzung von
William M. Salter's ..Religion der Moral", der er vier Jahre später dessen
..Moralisch«1 Heden" folgen Hess. Im Laufe von l^Mti bearbeitete er für
deutsche Leser die kurz vorher in Amerika erschienene Biographie des um die
i Kr war geborener Berliner, sein Vater ein Engländer, seine Mutter eine Deutxbe.
Studirf hatte er aber in Leipzig und wurde dort Dozent der Zoologie. Seines Leidens
wegen lebte er mehrere .lalire in Madeira, kehrte aber angeheilt zurück und hatte eben
n<»h Zeit, seine in Madeira nahezu vollendete Arbeit für die Neuauflage dem Verleger
W. Engehnann zu übergeben. I)ie>c Auflage, von tÜzveki besorgt, erschien LSS4.
Digitized by Google
Ueorg von Gizveki.
410
Aufhebung der Negersklaverei hochverdienten Publizist enWil liam Lloyd Garrison.
Femer sammelte er die Reden und Abhandlungen seines mittlerweile nach der
Heimat h zurückgekehrten Freundes St an ton Coit. wovon eine Auswahl, deutsch
übersetzt, 1890 unter dem Titel «Die ethische Bewegung in der Religion"
herausgegeben wurde. In das nämliche Jahr fallt auch die Veröffentlichung einer
vollständigen Übersetzung von Edw. Bellamy's seiner Zeit vielgelesenem
r Rückblick aus dem Jahre 2000". einer Schrift, für die Gizycki eine ganz
besondere Vorliebe hatte, weil er in ihr gleichsam eine prophetische Bürgschaft
für die Ausführbarkeit gewisser Zukunftserwartungen zu finden glaubte. Von
den Schriften Felix Adlers, des Haupt beförderen* der ethischen Bestrebungen
in Amerika, hat er erst 1803 eine deutsche Ausgabe seines «Moralunterrichts
für Kinder" veranstaltet.
Bei seiner rastlosen Vermittlerschaft verlor aber Gizycki die selbstständige
Arbeit nicht aus den Augen. Die Anregungen seiner amerikanischen Freunde
und erweiterte Kenntniss der gleichzeitig immer bedeutender gewordenen ethischen
Literatur veranlassten ihn zu einer Neubearbeitung seiner mittlerweile im Buch-
handel ausgegangenen Preisschrift. Statt einer zweiten Auflage erschien 1888
die nach einem ganz andern Plan ausgeführte „Moralphilosophie, gemein-
verständlich dargestellt". Ks handelt sich darin weder um neue Lehren,
noch um ein eigenes „System". Auf der Grundlage des Wohl fahrts- und Glück-
seligkeitsprinzips wird eine humane Ethik entwickelt, die Mos eine zusammen-
fassende Wiedergabe bereits gewonnener Einsichten sein will, wie sie in den
Aussprüchen der erlesensten Geister über Menscheideben und menschliches Thun
und Lassen ihren Ausdruck gefunden. Daher die vielen wörtlichen Mittheilungen
aus den Schriften der vornehmsten Ethiker, einheitlich verknüpft durch die
evolutionistische Weltanschauung des Verfassers, dem die thatsäehliche Entwick-
lung unseres Geschlechts dessen sittliche und intellektuelle Vervollkommnungs-
fähigkeit verbürgt. Im Prozcss der Gesittung sieht er eine selbständige Schöpfung
der Menschheit, erwiesen durch die unverkennbare Übereinstimnmng, die in Bezug
auf das als recht und gut Anerkannte unter den Menschen wirklich besteht, so
sein- sie auch in nationaler, religiöser und überhaupt kultureller Hinsicht von
einander abweichen mögen. Indem die fortschreitende Gesittung nur eine konse-
quente und allseitige Durchführung dessen bewirkt , was an und für sich in seiner
Bedeutung für Menschenwohl längst eingesehen ist, müssen die ethischen Forderungen
unabhängig von aller konfessionellen und sonstigen Verschiedenheit giltig sein, da
sie sich innerhalb der unmittelbaren Wirklichkeit zu bewähren haben, die allen
Lebewesen durchaus gemeinsam ist. Auf die praktische Bethätigung der sittlichen
Ideale ist es bei diesem Buche lediglich abgesehen. Aller aufdringlichen
Bekehrerei und anmaassenden Gewissensrührnng fern, bietet es in seiner schlichten
warmherzigen Darstellung jedem, dem es um Klärung, Läuterung und Festigung
seiner Lebensansichten zu thun ist, die fruchtbarste Belehrung.
In das gleiche Jahr mit diesem seinem Lebenswerk fällt auch ein ebenso
auf weitere Kreise berechnetes Büchlein ..Kant und Schopenhauer, zwei
Aufsätze", aus gelegentlichen Zeitungsbeiträgen entstanden, der eine auf Anlass
der säkularen Geburtsfeier Schopenhauers, der andere zur Erinneruiur an die
hundertjährige Veröffentlichung von Kants ethischen Werken verfasst. Die
Darstellung ist überaus fasslieh und in der kritischen Haltung zustimmender als
bei den früheren Erörterungen des Autors. Bei der Würdigung Schopenhauers
wird auch in rühmlichster Weise auf Ludwig Feuerbach Bezug genommen, dem
schon in der Mornlphilosophic aulässlirh der Unsterblichkeitsfrage gebührende
Beachtung gewidmet worden war. Eben dieser und der nächstfolgenden Zeit
Biographische matter. I. 27
Digitized by Google
411
Biographische BlHttor.
gehören auch die Vorbereitungen für ein mit den amerikanischen Gesinnungs-
genossen geplantes Organ zur Verbreitung ethischer Bestrebungen, das zugleich
englisch und deutsch, unter Mitwirkung der besten Kräfte auf beiden Sprach-
gebieten, erscheinen sollte. Zur Verwirklichung gelaugte es nur in der englischen
Form als das seit 1H00 bestehende ..International Journal of Kthics-.
Gizycki gehörte zum Kedaktionsanssehuss und hat von allen deutschen Mitarbeitern
die meisten Beiträge geliefert.
Sein rastloser Geist fand aber an allem Bisherigen noch kein Genügen.
Worte sollten in Thaten umgesetzt werden . wie es in Amerika und mittlerweile
in England geschehen. Alle von Berufspflichton und Schriftstellerei übrige Zeit
wurde von nun ab der Gründung einer ethisehen Gesellschaft nach dem Vorbilde
der dort bestehenden Vereine gewidmet. Im Frühling 1 Hl*2 konnten die V<u-
berathungen mit gleichgesinnten Männern und Frauen statthaben, zum Herbst er-
folgte eine von ihnen ausgefertigte Einladung zu einer konstituirenden Versamm-
lung, bei der dann die Deutsehe (iesellschaft für ethische Kultur am
IM. Oktober begründet wurde. Bei der selbstverständlichen Mitwirkung Glen h-
strebender ist Gizycki doch als ihr eigentlicher Urheber zu betrachten. Uner-
müdlich war er in seinen Bemühungen, namentlich bis zur Stiftung der (iesell-
schaft. Danach überliess er Andern die weitere Sorge, während er selbst, durch
sein Befinden an auswärtiger Thätigkeit behindert, seine besten Kräfte der im
Interesse der (iesellschaft begründeten Wochenschrift Ethische Kultur zuwandre.
die etwas über zwei .lahre unter seiner Leitung gestanden und sich auf einer
heaehterisworthen Höhe gehalten hat. Unterstützt durch tüchtige Mitarbeiter, trug
er doch selbst die grösste Arbeitslast, da zur redaktionellen Obsorge eine aus-
gedehnte Korrespondenz hinzukam, die neben dem akademischen Beruf, fort-
gesetzten Studien und dem Herstellen eigener Beiträge für das Wochenblatt und
noch etliche Zeitschriften zu erledigen war.
Für die Stiftung der ethischen (iesellschaft sollte ihm. ausser der Freude,
seine besten Hoffnungen gekrönt zu sehen, auch noch ein anderer Lohn werden.
Diese vorbereitenden Bemühungen für das Unternehmen hatten ihn im Herbst
1 HU 1 mit einer gleichgesinnten Dame zusammengeführt, die auch schon einen
literarisch geachteten Namen erworben. Fräulein Lily von Kr et seh mann trat
als Uedaktionsmitglicd bei der Wochenschrift ein. wurde während der Vor-
arbeiten mit Gizycki verlobt und im Juni 1H1*3 seine Frau. Dies war für ihn.
der seit dem Tode seiner Mutter im September 1H«.»0 ganz vereinsamt aber durch
eine bald darauf erfolgte Gehaltszulage aller materiellen Sorgen überhoben gelebt,
ein unschätzbares Glück. Das tägliche Behagen ward ihm durch völlige Ein-
müthigkeit im Denken und Fühlen mit der hochherzigen und talentvollen Lebens-
gefährtin in angenehmster Weise verschönt. Der gemeinsamen Thätigkeit am
Journal wusstc das Ehepaar noch Zeit zu einer literarischen Leistung abzugewinnen,
die in der für erziehliche Zwecke vorgenommenen Auswahl und Bearbeitung der
rKinder- und H ausmäi-ehc u der Brüder Grimm" 1*9-1 zu Tage trat.
Man hat diese Publikation als eine Art Frevel beanstandet, als wäre bei solchem
Vorgehen die bisherige Sammlung gleichsam aus der Welt geschafft. Oh da>
Verfahren empfchlenswerth und überhaupt zulässig, bleibe dahingestellt; eine kurz
darauf benöthigte zweite Autlage zeigt wenigstens, dass die Änderungen allen
denen willkommen waren, die früher bei manchen Details der Märchen im
Original durch kindliche Fragesucht bisweilen einer nicht geringen Verlegenheit
ausgeset zt gewesen.
Im Verlaufe ihres Bestehens hat die Wochenschrift eine Änderung ihre»
Verhältnisses zur (iesellschaft für ethische Kultur erfahren. Anfänglich als ..im
Digitized by Google
Oorg von (iizvcki
412
Auftrage der Gesellschaft" herausgegeben bezeichnet, vertauschte sie noch im
e-rstcn Jahrgang diese überaehriftliehe Angabe gegen die allgemeinere — „Wochen-
schrift zur Verbreitung ethischer Bestrebungen" — . bis nun beim dritten .Jahrgang
als Aufgabe des Blattes ein Wirken „für sozial -ethische Reformen" bestimmt
ward. Es entspricht dies dem wachsenden Einfiuss. den die sozialistischen Lehren
auf die Überzeugung des Herausgebers gewonnen hatten. Aufs tiefste von den
Mühen und Leiden ergriffen, die das Arbeiterloos zu einem so überaus harten
machen, hatte er auch die zu deren Abhilfe vom Sozialismus ausgegangenen
Reformvorschläge mit voller Zustimmung zu befürworten unternommen, da er in
ihnen die endgiltige Losung der Arbeiterfrage zu finden glaubte. Hierin konnte
ihm die Gesellschaft nicht beitreten, ohne ihren eigenen Grundsätzen, die jede
Betheiligung am Parteiwesen aussehliessen. untren zu werden. Alle von hier aus
erhobene Hedenken gegen die Richtigkeit und den Segen der sozialistischen
Zukunftsplane hielt er für Äusserungen einer mangelhaften Denkweise, die in
altüberlieferten Yorurtheilen und unzulänglicher Nächstenliebe ihre Wurzeln habe.
Während aber in der Zeitschrift, wo jede redliche Überzeugung unbehindert zu
Worte gelangte, die Hinneigung zum Sozialismus zumeist in gelegentlichen An-
deutungen und nur ausnahmsweise in offenbarer Parteinahme sich äusserte, hat
Gizycki in seinen kürzlich ans dem Nachlass herausgegebenen ..Vorlesungen
über soziale Ethik" mit voller Entschiedenheit sich für die vom Sozialismus
geforderte absolute Verstaatlichung des ganzen Gemeinwesens erklärte. Er sah
darin die einzig konsequente Durchführung der ihm für Menschenwohl erforder-
lichen allgemeinen Gleichheit; nur dadurch konnte er den ethischen Grundsatz,
dass .Teder für Einen aber Keiner für mehr als Einen gelten solle, verwirklicht
denken. Seiner eindringlichen und sachgemässon Darstellung all der Leiden und ( iefahren.
denen die Arbeiter bei den gegenwärtigen Zuständen ohne ihr Verschulden aus-
gesetzt sind, wird jeder Unbefangene mit aufrichtiger Theilnahme folgen; von den
A'orschlägeit jedoch, die zur Herstellung einer allgemeinen Glückseligkeit führen
sollen, dürfte wohl nur der fiberzeugt werden, der sich schon im Voraus zu den
vom Autor verfochtenen Ansichten bekennt.
Wie sehr man auch hierin von den Ansichten Gizvckis abweichen mag. wird
man doch seiner gesummten Thätigkcit und der edlen Gesinnung, von der sie beseelt
war. die wärmste Anerkennung zollen, und sie wird zu wahrhafter Bewunderung,
wenn man erfährt, dass er sein rastloses Wirken einer schwächlichen Gesundheit
bei körperlicher Gebrechlichkeit abzuringen gewusst. Von Kindheit an war er
gelähmt, mit einer Schwäche im rechten Bein geboren, die durch den Unverstand
der Wärterin gesteigert wurde, als sie das Kind einmal auf thaufeuchtein Unsen
schlafen legte. Bis zur Studentenzeit konnte er jedoch gehen, danach musste ein
Fahrstuhl benutzt werden und in einem solchen wurde er auch zu seinen Vor-
lesungen befördert. Bis vor etwa vier Jahren konnte er im Zimmer sich an
Stöcken fortbewegen, dann aber war vollständig«' Lähmung eingetreten. Sein
heiteres Temperament liess ihn das alles geduldig ertragen, da keine eigentlichen
Schmerzen zu überwinden waren: doch war sein Befinden die letzten Jahre ärzt-
licher Hilfe häufiger bedürftig. Der Tod. dem er ruhig und gefasst entgegen-
sah, kam ihm durch die Influenza, der sein vom Nervenleiden geschwächter
Organismus innerhalb fünf Tagen erlag. Er entschlief sanft und schmerzlos in
den Annen seiner (iattin.
Von Gemüth bescheiden, dankbar und wohlwollend, hat er. trotz seiner Leiden,
eine nimmer versagende Freude am Leiten gehabt. So bat er. vom Geschick
gar vielfach auf die Hilfe Anderer hingewiesen, mit vidier ('berzeugung den
Pessimismus bekämpft, dein mancher Andere in seiner Lage verfallen war. Er
27 *
Digitized by Google
413
Biographische Blätter.
hat, derer eingedenk, die weit schwereres Leid als er zu ertragen haben, sich
wahrhaft glücklich gefühlt, im redlichen Bemühen an ihrem Glück mitzuwirken,
weil er — um mit einem hübschen "Wort aus seiner Feder zu schliessen ein
Mensch war, -der in seinem Herzen das Leben der Menschheit mitlebt, au ihrer
Freude sich freut und ihre Hoffnung zu seiner Hoffnung macht."
— * -
Oliver Wendeil Holmes.
Von
LEON KELLNER.
Ganz abgesehen von der Bedeutung des Mannes, dem man seit einer statt-
lichen Reibe von Jahren in englischen und amerikanischen Zeitschriften unter dem
Namen „America's Grand Old Man* begegnet, hat Holmes für mich ein ganz
besonderes Interesse. Kr war mir nätnlieh der Gegenstund eines litterar-historischen
Experimentes, das, nebenbei gesagt, vortrefflich gelungen ist. Ich lade die Leser
ein. mit mir einen Theil des Experimentes zu wiederholen. Gegeben sind vier
Hände Prosa und Poesie, die man mit äusserlicher Benennung als Miscellanies,
vermischte Schriften, zu bezeichnen geneigt wäre.1)
.ledern Hände liegt die Fiktion eines Privathotels oder, wie man in England
und Amerika sagt, eines Boarding House zu Grunde, in welchem eine interessante
Tischgesellschaft sich beim Frühstücke in ungezwungener Welse über grosse und
kleine Dinge unterhält; es kann natürlich nicht fehlen, dass im Verlaufe der Be-
gebenheiten sich allerlei Wahlverwandschaften ergeben. Die Gespräche und
Ereignisse weiden nun von einem Mitgliede der Gesellschaft zu Papier gebracht;
der Berichterstatter ist das erste Mal der ..Autokrat'-, das zweite Mal der Pro-
fessor, im dritten Bande der Dichter, im letzten ist er namenlos. Der Löwen-
antheil an der Unterhaltung fällt dem Berichterstatter zu. so dass wir über ihn.
seine Verhältnisse und Anschauungen das Meiste erfahren.
Es war gleich am Anfang nicht schwer zu errathen, dass der Berichterstatter
dem Verfasser nahe steht; im Verlaufe lüftet Holmes mehrmals den Sehleier, im
letzten "Werk tritt er offen mit seiner ganzen Persönlichkeit hervor. Und nun
entstand die Frage: Wie viel biographische Wahrheit lässt sich an dem Xeben-
und Durcheinander von Wahrheit und Dichtung herauslesen? Der Versuch ist
natürlich nichts weniger als neu; es sind ja die Biographen der allergrößten
Geister aller Zeiten fast ausschliesslich auf solche Künste angewiesen: aber es
besteht ein sehr wesentlieher Unterschied zwischen einer auf Hypothesen beruhenden
Biographie Shakespeare s und der eines lebenden weltbekannten Schriftstellers
dort haben haarspaltende Gelehrsamkeit und wahnwitzige Phantasie freies Spiel,
denn ach, die Steine wollen nicht reden, hier aber folgt auf die Hypothese mit
Blitzesschnelle die Bestätigung oder die Widerlegung, gegen die es keine Be-
rufung giebt. denn es Heyen ausführliche biographische Nachrichten aus der un-
M The Autocrat at the Breakfa*t-Table. Zuerst vollständig erschienen 1858.
The Professor at the Ureaktust-Table. 1*1)0.
The Poet at the Breakfast-Table. 1*7-2.
Over the Teacups. 1*51 1.
Die zugänglichste, von Holmes seihst durchgesehene Ausgabe ist in der Collection
Tauchnitz erschienen.
Digitized by Google
Oliver Wendel! Holmes.
414
mittelbaren Nähe des Schriftstellers vor. Nachrichten, auf denen das Auge des
Schriftstellers ruhte, bevor sie in der Offizin Flügel erhielten, um als Zeitung
oder Buch der grossen, man kann sagen, weltumfassenden Gemeinde der Holmes-
Verehrer über Leben und Treiben des „Grand Old Man* zu berichten.
Hören wir zuerst einige Aussprüche des Autokraten.
„Ein Gespräch ist eine sehr wichtige Angelegenheit. Die Unterhaltung mit
manchen Menschen ist anstrengender als ein Fasttag. Merkt euch, was ich euch
sage: Es ist besser, einen Liter Blut aus den Adern zu verlieren, als sich einen
Nerv beschädigen zu lassen: niemand mlsst die Nervenkraft, die verloren geht,
und niemand verbindet euch Hirn und Mark nach der Operation.**
«Sie finden, dass ich diese Bemerkung schon einmal gemacht habe? Und
wenn? Meine Bemerkungen an diesem Frühstückst ische sind keine Briefmarken,
die man nur einmal brauchen darf. Das miteste ein armer Teufel sein, der sich
niemals wiederholt, Die "Wahrheiten, die ein Mensch mit sich herumträgt, sind
seine Werkzeuge; glauben Sie, dass ein Zimmermann seinen Hobel nur einmal
brauchen darf, um ein Brett glatt zu hobeln, oder seinen Hammer aufhängen muss,
wenn er einen Nagel eingeschlagen hat? Ich werde niemals ein Gespräch, aber
oft einen Gedanken wiederholen. Fin Gedanke kann manchmal originell sein,
selbst wenn man ihn hundertmal ausgesprochen hat ; er ist auf einem neuen Wege,
mittelst eines neuen Eilzuges von Ideenverbindungen angelangt. Manchmal wieder-
holt einer dieselbe Rede, und man kann ihm doch keinen Vorwurf daraus machen.
Da komme ich einmal auf einer meiner Vortragsreisen nach Hartford und werde
von einer dort lebenden Schriftstellerin mit mehreren Litteraten zu einer Tasse
Thee eingeladen. Die Dame scherzte über meine Vortragsreisen, die mich durch
ganz Amerika brächten. „Ja**, sagte ich. „ich bin wie der Vogel Huma: der
ist immer im Fluge, ich immer auf der Heise begriffen", .lahre vergingen, da
kam ich wieder nach Hartford und wurde wieder von der genannten Schrift-
stellerin zum Thee geladen. „Sie reisen jetzt immer von ( >rt zu Ort", sagte die
Hausfrau. „Ja**, sagte ich, „ich bin wie der Huma" — und so bis zu Ende
wie oben. Man denke sich mein Entsetzen, als ich mich erinnerte, dass ich den-
selben Satz wortwörtlich zweimal vor derselben Dame gesprochen hafte! Und wie
falsch war es, wenn die Schriftstellerin dachte, dass ich jahraus jahrein dieselbe
geistreiche Bemerkung wiederholte! Ich hatte nie wieder seit jenem ersten Besuche
in Hartford an den fatalen Vogel gedacht, und erst als ich wieder bei der Dame
geladen war, riefen dieselben Umstände denselben Gedanken ins Bewusst.sein zurück.*'
„Wir sind die Kömer der modernen Welt — das grosse assimilirende Volk.
Kämpfe und Eroberungen sind unsere Sache, wie die unserer Vorbilder. Und so
kommen wir auch dazu, dieselbe Waffenart zu gebrauchen. Das Schwert unserer
Armee ist der kurze, steife, spitze Gladius der Kömer. Ich t heile auch hier
einen Grundsatz mit. den ihr nicht im Montesquieu finden werdet: das Volk,
das seine Wallen verkürzt, verlängert seüie Grenzen.
Nachsatz. Es war die polnische Lanze, die Bolen aller Grenzen beraubte."
„Was ich von einem self-made man halte? Nun. Jedermann liebt und
achtet einen self-made man. Erinnert ihr jungen Leute euch noch des Hauses
in Cambridge-port ., das ein Irlander vom Abzugskanal bis zum First mit eigenen
Händen erbaute? Kr brauchte dazu hübsch viele Jahre und man sah es auf den
ersten Blick , dass es etwas windschief, etwas wackelig und im Ganzen etwas
komisch war. Ein regelrechter Baumeister hätte ein weit besseres Haus gebaut;
aber für das Haus eines „selbstgemachten*' Baumeisters war es ein gutes Haus,
und die Leute lobten es und bewunderten den lrländcr, während sie acht- und
wortlos an allen anderen Häusern vorbeigingen.*4
Digitized by Google
4i:>
Biographische Blatter.
„Ich bin so frei, es gerade heraus zu sagen, dass ich unter sonst gleichen
Umständen in fast allen Lebenslagen einem Menschen aus guter Familie vor dem
self-rnade man den Vorzug gebe. "Was ich unter einem Menschen aus guter
Familie verstehe? Das will ich euch gleich sagen. Ich will ihn prächtig aus-
staffiren, denn es kostet uns ja nichts. Also vier oder fünf Geschlechter von ge-
bildeten Männern und Frauen: unter diesen ein Mitglied des Provinzialratlis seiner
Majestät, ein Gouverneur, ein oder zwei Doktoren der Theologie, ein Kongress-
mitglied, wenn möglich aus der Zeit der Beiterstiefel mit Quasten. Dann Fami-
lienporträts; Bücher mit den Namen der Besitzer unter der Devise Hie über
est mens, Hogarth's Stiche in der Originalausgabe, Pope in 15 Bänden, de dato
1717; etwas Familiensilber etc.
...Ja wohl, meine Freunde, ich bin für den Mann, der die Fanülienüberliefe-
rungen und die Bildung von wenigstens vier oder fünf Geschlechtern ererbt.
Freilich kann einer mit allen diesen Vorbedingungen ein Flegel oder ein schäbiger
Kerl sein, und umgekehrt kann einer ohne sie sich trefflich zum Ratlisherren und
Gesandten eignen; dann sollen sie die Plätze tauschen. Unsere soziale Einrich-
tung hat eben da* Schöne, dass die Schichten nach oben und unten wechseln in
dem Maasse, als sich ihr spezifisches Gewicht ' verschiebt."
„Warum ieh mein«' guten Einfälle auf die Unterhaltung verschwende, statt
sie als kostbare Waare auf den Litferaturmarkt zu bringen? Die mündliche Unter-
haltung formt die Gedanken, wie die Brandung die Kieselsteine, welche sie ans
Ufer rollt. Ich modellire meine Gedanken im Gespräch, wie der Künstler seine
G estalten in Thon modellirt. Die gesprochene Sprache ist so bildsam - - man
kann so leicht an ihr herumstreicheln und liebkosen, glätten und .schaben, man
kann wegnehmen, ausfüllen, dazuthun; sie ist das beste Material zum Modelliren.
Daraus kommen ei-st die Marmor- oder Bronzegestalten in den unsterblichen Büchern.
Oder, um noch ein anderes Gleichniss zu gebraueben: Schreiben und Drucken ist
ein Sehiessen mit. dem Gewehr, man trifft das Herz des Lesers oder man ver-
fehlt es; Sprechen ist rin Zielen mit einem "Wasserschlaueh — wenn der Zielpunkt
in unserem Bereiche ist und uns nur die nöthige Zeit bleibt, können wir ihn un-
möglich Verfehlen."
„Ich habe jetzt ein litterarisches Gcstnndniss abzulegen, das, glaube ich.
noch Niemand vor mir abgelegt hat. Sie wissen sehr wohl, dass ich zuweilen
Verse schreibe, denn ich habe Ihnen welche vorgelesen. (Die Gesellschaft nickte
zustimmend, einige mit stiller Ergebung, offenbar glaubten sie, ich hätte ein Epos
im Gewände und wäre im Begriffe, ihnen einige Gesänge daraus vorzulesen.)
Natürlich schreibe ich gelegentlich einzelne Verse oder ganze Stellen, die mir
besser gefallen als andere; es liegt in der Natur, dass ich solche gelungene
Stellen für absolut gut halte: ich bin eben nur ein Mensch, Kaum aber habe
ich eine solche „gelungene" Zeile geschrieben, so habe ich auch sofort die Empfin-
dung, dass sie uralt sei. ja gewöhnlich bin ich überzeugt, sie schon anderswo ge-
lesen zu haben. Nun kann ich mir jawohl einmal unhewusst einen Vers angeeignet
haben . aber ich erinnere mich nicht . jemals irgend welche Bestätigung meiner
plötzlichen Empfindungen von dem Alter meiner guten Verse gefunden zu haben.
Und nun kommt die Philosophie dieser Erscheinung. (Bei »Uesen Worten ver-
flüchtigte sich ein Theil der Gesellschaft.) .lede neue Wortverbindung, die plötz-
lich in unserem Bewusstsein auftaucht, hat ihre Wurzeln in langen Gedanken-
ketten, so dass sie in Wahrheit schon ganz alt ist, wenn sie zum ersten Male
unter den anerkannten Geistesgewächsen erscheint. .lede Krv Stallgruppe von
Worten hat eine lange Periode stillen Wachsthums hinter sich."
„Bildet euch ja nicht ein. dass die Freundschaft euch das Hecht giebt.
Digitized by Google
Oliver Wendell Holmes.
416
3 Hun.se
3 Thomase
euren Freunden unangenehme Dinge zu sagen. Im Gegentheil, je intimer ihr mit
Einern seid, desto nothwendiger ist es, Takt und Höflichkeit zu bewahren. Ab-
gesehen von seltenen Ausnahmsfallen überlaset es ruhig den Feinden eurer Freunde
ihnen unangenehme Wahrheiten zu sagen; sie sind ohnehin mit Vergnügen bereit,
es zu thun. Wirkliehe Bildung wird niemals vergessen, das die Eigenliebe all-
gemein ist.44
-Warum ist die Verständigung durch Unterhaltung oft, so schwer? Sehr
einfach. Wenn Hans und Thomas sich mit einander unterhalten, so ist es ganz
natürlich, wenn unter den sechs Leuten mehr oder weniger Verwirrung und Mlss-
verständniss entsteht. (Unsere Wirthin erbleichte; sie fürchtete ohne Zweifel,
dass ich übergeschnappt sei. und sie auf diese Weise um einen Gast kommen
werde. Die übrige Gesellschaft sah mich erwartungsvoll an.) Ich denke, ich
kann meine Behauptung sehr deutlich begründen. Wenn Hans und Thomas ein
Gespräch fuhren, sind es wirklieh sechs Personen, die sich miteinander unterhalten.
1. Der wahre Hans, wie ihn nur sein Schöpfer kennt.
2. Hansens idealer Hans, der niemals dem wahren Hans gleicht.
3. Thomasens idealer Hans, der weder dem wahren Hans, noch
Hansens idealem Hans gleicht.
1. Der wahre Thomas.
2. Thomasens idealer Thomas.
3. Hansens idealer Thomas.
Nur einer der drei Hanse kann annähernd gemessen und gewogen werden, aber
die beiden andern sind von ganz gleicher Bedeutung in der Konversation. Nehmen
wir an, der wahre Hans sei alt. dumm, hasslieh. Da aber die himmlischen
Mächte den Menschen die Gabe versagt haben, sich im wahren Lichte zu sehen,
so hält sich Hans offenbar für jung, geistreich, bezaubernd und lichtet seine
Konversation nach diesem Gesichtspunkte ein. Thomas dagegen hält ihn. sagen
wir. für einen verschmitzten Hallunken, daher Ist er, so gross in Wahrheit seine.
Dummheit sein möge, für Thomas in dem fraglichen Gespräche ein verschmitzter
Hallunke. Daraus folgt, dass an einem Gespräche zwischen zwei Personen eigentlich
sechs Personen Theil nehmen. Kein Wunder daher, wenn sich die Leute oft in
die Haare fahren. (Mein Tischnachbar, ein junger Mensch Namens Hans, macht« von
der obigen Bemerkung eine sehr unphilosophische Anwendung. Ein Körbchen
Pfirsiche, eine seltene Erscheinung in einem boarding- house. war via Hans
auf dem Wege zu mir. Er eignete sich aber die noch vorhandenen drei Pfii*siche
an. mit der Bemerkung, dass jedem der drei Hanse ein Pfirsich gebühre. Ich
überzeugte ihn, dass sein Schluss unlogisch uud übereilt sei, aber mittlerweile
waren die Pfirsiche verschwunden.)'1
..Warum ich nicht eine Geschichte, einen Kornau oder so was schreibe? Ja.
das ist so eine eigene Sache. Dass jeder Mensch das Zeug in sich hat für einen
dreibändigen Hornau, das ist eine alte (vberzeugung von mir. Aber andererseits
ist behauptet worden, dass viele Leute nicht mehr als einen Kornau schreiben
können. Das Leben ist in seinen Höhen und Tiefen um so viel grossartiger, als
jemals eine Abschrift davon sein kann, dass sich alle Abschilderung menschlicher
Erfahrungen ausnimmt wie ein Herbarium im Vergleich zu den unzähligen,
glänzenden, rauschenden, athmenden, duftbeladenen. giftsaugenden, lebenspendenden,
todverbreitenden Blättern und Blüthen von Wald und Prairie. Wenn ein Buch
menschlicher Erfahrung lebendig sein soll, so müssen wir ihm Etwas von unserem
eigenen Leben mittheilen. Ein Much ist lebendig in dem Maasse, als es in Wesen
oder Form an unsere eigene Erfahrung erinnert. Nun ist die erste Erzählung
eines Autors grossen Theils aus seinem Leben genommen, das heisst, sie ist eine
Digitized by Google
417
Biographische Blütter.
Abschrift der Natur in leichter Verstellung. Sobald aber der Schriftsteller aus
seiner eigenen Peinlichkeit heraustritt , muss er schöpferische Kraft mit der
Kunst des Erzählers verbinden, um ein lebendiges Buch zu schreiben ---- jene
Vereinigung ist aber selten zu finden."
„Je mehr wir uns in das Stadium von Körper und Geist vertiefen, desto
mehr finden wir, dass beide zwar nicht von. wohl aber gemäss bestimmten (be-
setzen regiert werden, die wir im ganzen Weltall finden."
„Gedanken haben ihren regelmässigen Cyclus. Bestimmte Gedanken kehren
in bestimmten Zwischenräumen regelmässig wieder. Zufälligkeiten sind oft daran
schuld, dass diese Gedanken nicht klar zum Bewusstsein kommen, aber ein genauer
Beobachter wird zugeben, dass es gewiss besondere Gedanken giebt, die wohl
nicht einmal am Tage, einmal in der Woche kommen, dass aber kaum ein Jahr
vergeht, ohne dass diese Gedanken uns durch den Kopf gegangen sind. Hier ist
einer, der in Abständen folgendermaassen erscheint. Jemand spricht davon und
ein Lächeln des Verständnisses zeigt sich im Gesichte des Zuhörers oder der Zu-
hörer, ja. sie haben es in der That oft bemerkt. Auf einmal blitzt in uns die
Überzeugung auf. dass wir uns genau in denselben Verhältnissen wie im gegen-
wärtigen Augenblick ein- oder mehrmals vorher befunden haben. (.Ach ja-,
sagt*' ein Mitglied der Tischgesellschaft, „jeder hat schon diese Empfindung gehabt •".
— Die Lehrerin sagte zögernd, sie kenne das Gefühl wohl, aber sie habe es
nicht gerne, denn sie komme sich dabei wie ein Gespenst vor. - Der junge
Mensch, den alle Hans nennen, uud der mein Tischnachbar ist, sagte, dass auch
er das Gefühl sehr gut kenne. Er habe sich jüngst eine Zigarre angezündet,
und sofort sei wie ein Blitz die Überzeugung in ihm entstanden. d;iss er dasselbe
schon viele Male vorher gethan habe, Ich warf ihm einen strengen Blick zu und
die mir zugekehrte Hälfte des Gesichtes wurde ernst; was die andere Hälfte
machte, kann ich nicht sagen, denn der junge Mensch lacht mit der einen und
weint mit der andern Hälfte)".
Einer meiner angenehmsten Zuhörer ist ein Student der Theologie, und so
manche meiner Bemerkungen, wie auch die folgende, ist wesentlich auf ihn be-
rechnet. Manche Leute haben die Neigung, Eigenschaftswörter in Triaden zu-
sammenzustellen: Er war ehren werth, höflich und tapfer; sie war anmuthig. gefällig
und tugendhaft. Dr. Johnson ist gross in dieser Eigenheit, und ich glaube, Bulwer
sagte einmal, d;uss man jedes Essay des .. Hambler" in drei zerlegen könnte.
Viele unserer zeitgenössischen Schriftsteller haben dieselbe Neigung, so z. B. mein
Ereund, der Professor. Manche halten dies für eine Nachahmung Johnsons, andere
für ein rhetorisches Kunststück. Ich glaube nicht, dass dies den Kern der Saehe
trifft. Ich vermuthe. dass es eine unbewusste Bemühung des Geistes ist. einen
Gedanken oder ein Bild mit den drei Dimensionen darzustellen, die jedem festen
Körper eigen sind die unbewusste Behandlung einer Vorstellung, als ob sie
Länge. Breite und Tiefe hätte. Es ist freilich unvergleichlich leichter, dies zu
behaupten als zu beweisen, und ebenso leichter es zu bestreiten als zu widerlegen.
Aber merket, euch: je mehr wir beobachten und studiren. desto grösser, finden
wir. ist das Gebiet des Automatischen und Instinktiven in Körper, Geist. Moral,
und desto kleiner der Umfang der selbstbestimmenden bewussten Bewegung".
„Gewiss' Dinge sind erst dann etwas werth, wenn sie ein gewisses Alter
erreicht haben; andere, wenn sie alt geworden und immer im Gebrauch gewesen
sind. Zu den Dingen erster Gattung gehört bekanntlich der Wein, zu den letzteren
Meerschaumpfeifen. Violinen uud — Gedichte. — Ja wohl, auch ein Gedicht
will alt werden und im Gebrauch sein, wie eine Meerschaumpfeife oder eine Vio-
line. Ein Gedieht ist gerade so porös wie Meerschaum je poröser, desto besser,
Digitized by Google
Oliver Wondell Holmes.
-IIS
das heisst. ein echtes Gedicht muss eine unendliche Menge von unserem Ich. Liebe.
Heldenmuth, Sehnsucht. Streben, in sich aufnehmen können, bis es durch und
durch von der Farbe unseres Ich durchdrungen Ist. Ks braucht eine gute Weile,
bis die in einem Gedichte liegende Empfindung mit unserer Natur in Einklang
gebracht wird, bis sich unser Wesen mit jedem Gedanken und Bilde desselben
identifizirt. Nehmen wir die. blosse Musik eines neuen Gedichtes - wer kann
von ihr mehr verlangen als von der Musik einer neuen Violine, die frisch aus
der Hand ihres Schöpfers hervorgegangen ist? Bekanntlich besteht eine Violine
ans nicht weniger als 58 verschiedenen Stücken. Diese sind von Haus aus ein-
ander fremd, und sie brauchen mehr oder weniger ein .Jahrhundert, um mitein-
ander bekaunt zu werden. Endlich lernen sie es. harmonisch zu schwingen, und
das Instrument wird ein organisches Ganze, als ob es eine Samenkapsel von einem
Blumenbeete in Cremona oder anderswo wäre. Ferner ist das Holz ungefähr
fünfzig .Jahre lang voller Saft, und es braucht fünfzig oder hundert Jahre, um
so ziemlich trocken und klangreich zu werden.
Gilt das alles nicht auch von einem Gedichte? Wenn wir jedes Wort als
ein Stück für sich zahlen, so hat ein Gedicht im Durchschnitt mehr Stücke als
eine Violine. Der Dichter hat alle diese Wörter zusamniengezwungen und anein-
ander gelüthet. die Wörter aber wollen das anfangs nicht recht einsehen. Wird
aber das Gedicht erst lauf und dann im gedämpften Flüstertone des Gemüthes oft
genug wiederholt, dann sind die einzelnen Theile in solch absoluter Festigkeit mit
einander verbunden, dass man nicht eine Silbe ändern kann, ohne dass sich die
ganze Welt gegen die Misshandlung des harmonischen Werkes empört-.
Obige Aussprüche sind ausschliesslich dem ersten Werke von Holmes. The A ut<>-
crat at the Breakfast-Table, entnommen, und doch dürfte ein scharfer Beobachter
in der Lage sein, schon aus den wenigen Proben das litterarische Bild des Mannes zu ent-
werfen, und er wird sogar den Versuch machen, biographische Momente zu erschliessen.
Dass wir einen Dichter vor uns haben, unterliegt keinem Zweifel, und zwar
nicht nur einen, der Verse macht denn das sagt er ja seinen Tischgenossen
selbst - - sondern einen wirklichen, gottbegnadeten, an dessen Werken das Gemüth
ebensoviel Antheil hat wie die Phantasie, und dem die ('iahe verliehen war. seinen
Empfindungen den richtigen musikalischen Ausdruck zu geben. Wer sonst als
ein solcher Dichter hätte die Bemerkung über Geigen und Gedichte gemacht?
Aber die Natur hat dem seltenen Manne ausser ihren Gaben, Phantasie und
Gemüth, auch einen scharfen Verstand, und dazu noch Witz und Humor verlieben.
Fast alle seine Tischreden haben eine epigrammatische Spitze, und sein geistreiches
Spiel mit Gegensätzen und Oxymoren würde ihn fast zu Paradoxen verleiten, wenn
nicht seine Selbstkritik und sein Humor ihn vor jeder Geschmacklosigkeit bewahrten.
Welcher Art ist die sehr reiche Bildung des Autokraten? Der Mann hat
offenbar viel mehr mit Büchern als mit dem Lehen zu thun. Seine treffenden
Gleichnisse, um die ihn der Student der Theologie mit Beeht beneidet, sind wohl
häutig der Natur und dem Loben entnommen: aber es haftet seiner ganzen Denk-
weise ein abstrakter Zug an es fehlt die derbe Gesundheit des praktischen
Lebens. Und mit dieser Frage sind wir auch schon an der Grenze angelangt,
wo die litterarische Physiognomie und das Lebensbild einander berühren. Der
Autokrat ist aus gutem Hause, denn kein Emporkömmling würde so über self-
made men sprechen, wie es Holmesthut; eine gewisse literarische Überlieferung
dürfte in dem Hause von einem Geschlecht«' zum andern vererbt worden sein.
Was die Lebensstellung betrifft, so spricht alles dafür, dass wir es mit einem
Manne der Wissenschaft zu thun haben, und zwar könnte man wohl an exakte
Wissenschaften denken, etwa an Physiologie oder Psycho- Physik.
Digitized by Google
419
Biographische Blätter.
Je weiter wir in der Lektüre der Tischgespräche vordringen, desto schärfere
Züge gewinnt das Antlitz des Schriftstellers, desto deutlicher treten die Umrisse
einer vollständigen Biographie hervor. Schon der erste Band bereitet uns darauf
vor, dass die Dreifaltigkeit von „Autokrat**, „Professor" und „Dichter" eine nichts
weniger als mystische Einheit ist. Holmes hält nämlich vom Anfang bis zum
Ende die Fictiort aufrecht, dass drei Freunde, nämlich der „ Selbstherrscher" des
eisten Bandes, dann der Professor und endlich der Dichter der Reihe nach im
boarding-house wohnen und dort die Theilnehmer am Frülistüekstiseh mit
ihren Gesprächen unterhalten. Hören wir nun, wie der „Selbstherrscher1* sein
Verhältnis zu den beiden Freunden beschreibt.
„Ich schätze mich glücklich, den Professor und den Dichter zu meinen
intimen Freunden zu zähleu. "Wir sind so viel beisammen, dass wir ohne Zweifel
bis zu einem gewissen Grade in gleicher Weise denken und sprechen; trotzdem
hat jeder von uns vielfach seinen eigenen individuellen Standpunkt.
Der Professor (der Physiologie) hält sich für einen sehr nützlichen und
ehrenwerthen Arbeiter. Er hat einen gewissen Stolz auf sein Können. Ich
weiss, dass er auf Treue grosse Stücke hält; wenn er daher im Stillen manchmal
über die G rossthuerei der Wissenschaft lächelt, die da Schritt hält, aber nicht
weiter kommt, während die Fahnen flattern und die grosse Trommel schlägt, so
hat er doch grosse Liebe zu seiner Spezialität und Achtung für alle, die sie
pflegen.
Hört, was der Professor jüngst zun» Dichter sagte. Mein Junge, sagte
er, ich kann um Vieles billiger arbeiten als du, weil ich meine Waare in einem
niederen Stockwerke halte. Du musst die deinige in die oberen Kammern des
Gehirns hinaufziehen und dann erst wieder für deine Kunden hinunterlassen. Ich
nehme die meinige vom ebenen Boden auf und schicke sie von der Thüi*sehwelle
ab, fast ohne sie zu heben. Ich sage dir, je höher einer das Rohmaterial der
Gedanken zu schleppen hat. bevor er es verarbeitet, desto mehr Blut, Nerven
und Muskeln wird es ihn kosten. Colcridgc wusste sehr wohl, warum er jedem
Schriftsteller rieth, sich einem Berufe zu widmen. —
Manchmal unterhalte ich mich gerne mit «lein einen, manchmal mit dem
andern von ihnen. Nach einer Weile werden mir beide zuwider. Wenn ich einen
solchen Anfall von Bildungsekel habe, so greife ich zu meinem — Hobel. Eine
mechanische Beschäftigung ist, wenn die geistigen Fähigkeiten abgespannt sind,
eine wahre Erlösung."
An einer anderen Stelle hören wir. dass der Professor nicht nur Vor-
lesungen halten, sondern auch Gedichte machen konnte; und wir bekommen sogar
eine vortreffliche Probe zu hören. Aber statt des Gedichtes will ich hier eine
andere und bessere Probe von der dichterischen Begabung des ,, Professors" geben,
nämlich einen Ausspruch, den der ..Autokrat" in seinem Namen berichtet.
,,Die Menschenseele hat eine Reihe von konzentrischen Hüllen um sich, wie
der Kern einer Zwiebel oder die innere Schachtel eines Schachtelsystems. Zuerst
kommt die natürliche Hülle von Fleisch und Blut; dann kommen die künstlicheu
Decken mit ihren festen Stötten, leichten Geweben und bunten Farben; drittens
folgt die Wohnung, sei sie ein einziges Zimmer oder ein stattlicher Palast; end-
lieh kommt die ganze sichtbare Welt, mit welcher die Zeit den Menschen wie
mit einem losen Mantel umhüllt. Wer scharf beobachtet, wird finden, dass die
Kleider oder Hüllen des Menschen sich mit der Zeit seiner individuellen Natur
anschmiegen. Jedermann kann dies leicht an seinem Hute bemerken, wenn er
einmal versuchen will, ihn verkehrt aufzusetzen; er wird dann sehen, dass der
Filz ein Hohlgnss des Schädels mit allen unregelmässigen Ausbuchtungen und
Digitized by Google
Oliver Wendeil Holmes.
420
Eindrücken ist. So nehmen alle oben genannten Hüllen des Menschen ihre Gestalt
von dem Individuum an. das sieh darunter befindet, sogar der Himmel, der -
allerdings etwas lose — sein Haupt bedeckt. Bauern, Seeleute, Astronomen,
Dichter. Liebhaber, verurtheilte Verbrecher — alle sehen ihn verschieden, nach
den verschiedenen Augen, mit denen sie ihn betrachten.
Auch unsere Häuser schmiegen sich unserer inneren und äusseren Natur
an. Ich hatte keine Ahnung, sagte der Professor, welche ungeheure Menge von
Wurzeln ich während der zwanzig Jahre, dass ich in meinem Hause lebte, in
demselben gefasst hatte.''
Ich wollte, ich könnte Holmes auf mehreren Bogen das Wort lassen und
es dem Leser ruhig anheimstellen, sich ein vollständiges Bild von dem Sehrift-
sreller und Menschen auszumalen. Aber Kaum und Zeit legen ihr Veto ein. und
ich muss endlich darangehen, die Probe zu machen, oder vielmehr den Beweis
zu erbringen, dass der Versueh. den Autor aus seinen Schriften zu ersehüessen,
in diesem Falle berechtig und leicht durchzuführen war.
Oliver Wendeil Holmes, am 29. August 1809 geboren, stammte in der
Tbat aus einer der besten und ältesten Familien von Cambridge in Massachusetts,
und alle die Merkmale, welche er zur Charakteristik des man of family angiebt
<The Autocrat at the Breakfast-Table), treffen bei ihm zu. Mit grosser Liebe
verweilt er Öfters bei den Erinnerungen an seine Vorfahren ; im hohen Alter wird
dieser Familienstolz ein klein wenig zur Schwäche. So ist das Titelblatt seines
letzten Werkes ..Heim Tbec* (Over the Teacups) mit einer altmodischen Thee-
kanne geschmückt . deren Geschichte uns der greise Schriftsteller nicht vorent-
halten kann. Die Kanne war. wie die Inschrift sagt, ein Geschenk der Schüler
an ihren Lehrer, im Jahre 173H. Der Empfänger. Henry Flynt, war ein Jung-
geselle, und die Kanne kam an seine Nichte Dorothy (Quincy) Jackson, von
dieser an ihre Tochter Mary (Jackson) Wendell, von dieser an ihre Tochter
San\h (Wendell) Holmes, und von dieser an ihren Sohn, dem wir die reizenden
Tischgespräche verdanken. Wir haben somit an Holmes ein Beispiel eines
amerikanischen Aristokraten, wie wir sie bei Nathaniel Hawthorne z. B. in dem
Romane ..The House of the Seven Gahles" mit so viel Kunst und Hingebung
geschildert finden.
Von seiner Mutter hat Holmes einen starken Einschlag norddeutschen Blutes,
denn Sarah stammte in gerader Linie von Evart Jansen Wendell ab, der im Jahre
1040 seine ostfriesische Heimath mit der neuen Welt vertauschte. Seinem Vater
hat Holmes in dem Gedichte ..Ein Familiendokument" ein liebevolles Penkmal
gesetzt, abgesehen davon, dass er auch sonst bei mehr als einer Gelegenheit des
geistlichen Herrn gedenkt.
Holmes wuchs in einem Reiche der Röcher und der Buchgelehrsamkeit auf:
das Haus, in welchem er wohnte, war seit der Erbauung stets der Aufenthalt
von Revereuds und Univei-sitätswürdenträgern gewesen, und solche Herren waren
es auch, an die sich Holmes aus seiner frühesten Kindheit erinnern konnte, so
z. B. an den Reverend Eliphalet l'earson. den Professor der hebräischen und
anderen orientalischen Sprachen an der Harvard-Universität, dessen vorsündfluth-
licher Name und andere Eigentümlichkeiten ihm in der Phantasie des Kindes
übermenschliche Proportionen verliehen. I >ie ersten Erlebnisse des Dichters sind
auf diese Weise mit der Theologie und Gelehrsamkeit verknüpft, deren Ver-
körperung, die Harvard-Universität, dem väterlichen Hause gegenübeistand. Hohnes
hat uns dieses Haus und die an demselben haftenden Erinnerungen im ersten
Kapitel seines Werkes ..The Poet at the Breakfast-Table" geschildert, und ich
kann es mir nicht versagen, wenigstens einige Zeilen daraus zu zitiren.
Digitized by Google
421
Biographische Blätter.
.Jeder Amerikaner ist wie ein Kukuk — er schlägt sein Heim im Neste
eines anderen Vogels auf.4,
..Die Art, wie Mutter Eide einen Knaben behandelt, ist bestimmend für
seine natürliche Theologie. -Miel» «hängten die sehlechten Erfahrungen mit meinem
Garten zu der Weltanschauung der Maniehäcr."
Holmes absolvirte seine Studien an der Harvard- Universität und sollte dann
in die juridische Praxis eintreten; aber schon nach einem Jahre warf er sich auf
die Medizin, die er unter dem in den Tischgesprächen viel genannten und viel
gerühmten Dr. Jackson, dann in Paris studirte. Der Aufenthalt in Paris hat
für mehr als einen Denker und Schriftsteller germanischer Kaee einen Wende-
punkt bedeutet ; Holmes wurde in der Metropole der Leichtlcbigkeit, des gesunden
Menschenverstandes und des Skeptizismus die ererbte puritanische Gesinnung für
immer los. die in der altamerikanisch-orthodoxen Umgebung von Cambridge etwas
herb gerathene Ausdrucksweise des Pastorsohns wurde in der warmen Sonne der
französischen Unterhaltung reif und mild. Ich bin geneigt , die Anmuth unseres
Schriftstellers zum grossen Theile auf die in Paris verbrachten .lugendtage zurück-
zuführen. Holmes spricht nicht gerade, oft von Paris: aber wenn es geschieht,
trägt die Reminiszenz all die Grazie an sich, die sofort französischen Ursprung
verräth. Ich will ein Heispiel zitiren.
..Es war mein Geburtstag." erzählt Holmes in dem Hände, welcher ..Am
Thectiscb" betitelt ist. ..und Freunde von nah und fern stellten sich mit allerhand
sinnigen Geschenken ein.
Wie alt ich bin? Ich habe voriges .lahr die Achtzig überschritten. Ich
komme mir wie ein unberufener Eindringling vor. der in einer Welt umhergeht,
die einem anderen Geschlechte gehört. Die Kinder meiner Altersgenossen sind
grau und kahl, und ihre Kinder wollen die Welt für sich haben, nicht für ihre
Eltern und Grosseltern. Aber andererseits füllt mir eine Behauptung der Wissen-
schaft ein. dass das menschliche Leben natürlicher mit hundert als mit siebzig
.lahre n abschliessc. Und da erinnere ich mich einer Erfahrung aus den Pariser
Cafes, die mir in meinen jungen Jahren wohl bekannt waren. Ein Gast sitzt an
seinem Tischchen. Er hat eben seinen Kaffee getrunken, und der Kellner bringt
ihm sein petit verre. „Gamm! et le bain de pieds!4* ruft ihm der Gast nach.
Das Gläschen steht auf einer Untertasse, und es ist üblich, es so zu füllen, dass
der Cognac über den Band in die Untertasse tliesst.
Das Leben ist auch so ein petit verre von ganz besonderem Saft. Wenn
man die Achtzig erreicht hat, ist das Gläschen voll — aber manchmal gewählt
uns das Schicksal noch ein bain de pieds."
Im Jahre 183« kehrte Holmes nach Amerika zurück, erwarb in Cambridge
den Doktorgrad und wurde wenige Jahre darauf Professor der Anatomie und
Physiologie am Darmouth College; 1841 gab er die Professur auf und liess sich
in Hoston als praktischer Arzt nieder. 1H47 wurde er als Professor der Ana-
tomie an die Harvard-Universität berufen, und in dieser Stellung verblieb er, bis
ihn im Jahre 1882 hohes Alter zwang, die Lehrthätigkeit aufzugeben.
Dr. Holmes hat ausser den für diese Skizze benützten Prosaschriften und
Gedichten eine ganze Keine von rein wissenschaftlichen Werken veröffentlicht,
welche von berufener Seite sehr hoch gestellt werden. Von dem Buche „Meeha-
nism of Thought and Morals" (1871) sagte ein englischer Physiologe, es habe
für das Gebiet der Psychologie Ähnliches geleistet wie Tyndall's Publikationen auf
dem Gebiete der Physik — nur in noch besserer Form. „Border Lines of Knowledge-
behandeln verwandte Probleme; dagegen gehören andere Schriften wie „Ourrents
and ( nunter Currents in Medical Science-4 ausschliesslich dem Gebiete der Medizin an.
Digitized by Google
Gottfried Keller als Maler. 422
Aber so .schnell die Liste der vom „Professor" herrührenden Werke er-
schöpft ist. so zahlreich sind die Gaben, die wir dem „Dichter- verdanken. Ernste
und heitere Gelegenheitsgedichte bilden die weitaus grössere Mehrheit der ver-
schiedeneu Sammlungen, von denen die erste schon im .lahre 1880. die letzte erat
1^88 erschien. Eine besondere Berühmtheit genoss Hohnes wegen der humoristi-
schen Gedichte, welche er bei feierlichen Symposien vortrug. Die „Xux Post-
cuenatica", welche gelegentlich des Charles Dickens gegebenen Diners gedichtet
wurde, wird von Engländern und Amerikanern als das beste Gedicht dieser Gat-
tung bezeichnet.
Gottfried Keller als Maler.
Von
EDUARD ZETSCME.
Zwei innerhalb Jahresfrist erschienene Schriften mit dem gleichlautenden
Titel: „Gottfried Keller als Maleru hatten uns. wie natürlich, alsbald wieder zu
Gottfried Keller dem Dichter zurückgeführt, zumal zu jenen Theilen seiner Werke,
die uns den lebendigsten Kommentar zu seinen malerischen Arbeiten bilden: den
Briefen, welche Bacchtolds Keller-Biographie mittheilt, den beiden prächtigen Auto-
biographien des Xaehhiss-Bandes und vor Allem zum „Grünen Heinrich-, der ja
nun mit vollkommener Gewissheit als das getreue Abbild insbesondere der male-
rischen Lehr- und Wanderjahre Gottfried Kellers selbst betrachtet werden kann.
Indern wir uns nun abermals tief in dieses wunderreiche Buch hineinlasen, das
wir vor .lahren bereits in seiner ersten Gestalt kennen gelernt hatten, erging es
uns insofern seltsam bei dieser erneuerten Lektüre, als wir dabei immer wieder
eines anderen Buches gedenken mussten. das wir in der Zwischenzeit mit dem
stärksten Eindrucke in uns aufgenommen hatten — eines Buches, das stofflich
verwandt, und doch so himmelweit verschieden, ebenfalls die Lebensgeschichte eines
unglücklichen Maler-Genies darstellt - wir meinen „T Oeuvre" von Emile Zola.
Schon die äusseren Schicksale, die äussere Form dieser beiden Malergeschichten
trennt ein Abgrund. Der „grüne Heinrich", die echte .Fugendarbeit eines deut-
schen Dichters, ein „ungeheuerliches und formloses Werk", wie es Keller selbst
nennt, erschien mit seinen vier Bänden im Jahre 1 8"i4. und noch im Winter
von 1878 auf 79 konnte der Dichter den nicht unbeträchtlichen Best der ersten
Auflage des Bomans (den er umarbeiten wollte), etwa 3WJ Bände, zum Einheizen
verwenden! Und erst in den letzten Jahren, seitdem Kellers Kuhm eine aus-
gemachte und wohl gnranfirte Sache ist, hat es dieses sein Werk Iiis zur 12. Auf-
lage gebracht, was in germanischen Landen schon geradezu einen grossen Erfolg
bedeutet. Dagegen verzeichnet Zolas ..l oeuvre" schon das 88. Tausend — eine
an sich gewiss schöne Ziffer, die aber doch fast ein Misserfolg genannt werden
inuss, angesichts der Auflagen, welche ..Nana- . „lassoinmoir". Ja terre*4 des-
selben Cyclus aufweisen: Bücher, denen das liebe grosse Publikum, offenbar in
seiner sittlichen Entrüstung über die Tiefe des Schlammes, in welcher sie wühlen,
schon zur 171. resp. zur 132. und H>7. Auflage verholfen hat. Zolas „Toeuvre"
ist nicht wenig bewunderungswürdig durch die Geschlossenheit seiner Form. <lie
strenge Beschränkung auf das Problem, die erbarmungslose Folgerichtigkeit, mit
der es sein Thema entwickelt, aufbaut, steigert bis zu den grausigen Szenen der
Kchluss-Katastrophe. ( laude Lautier, der Held, ist nur Maler und kann nichts
Digitized by Google
423
Biographische Bltttter.
anderes sein, er mag nicht bürgerlich leben und glücklich sein, wie ihm seine
Kran vorschlägt, sondern er will malen, er zieht vor „zu malen und daran zu
sterben". Wohl ist er genial begrabt, aber er ist ein rgenie incomplet-, unfähig,
der von ihm gefundenen Formel des Heils - dem noch heute so berühmten ..plein
air1 auch zu vollendetem künstlerischen Leben zu verhelfen. Der ,. grüne
Heinrich-" dagegen geht, ebenso wie sein Schöpfer, Gottfried Keller selbst, nie
völlig im Maler auf. Schon von seinem zwölften Jahre an »ficht er sieh anhal-
tendem Bücherlesen und dem ..Anfüllen wunderlicher Schreibehüehor*" hin. ..ohne
sieh zu besinnen, liefert er bei jedem Anlass den verlangten Stiefel" — schauer-
liche Kitterstücke oder possenhafte Keimereien. Als er einige Jahre später eines
schönen Märztages die sUmmtlichen Werke Goethes entdeckte, ..entfernte er sich
von selber Stunde an nicht mehr vorn Lotterbettehen, wo sie aufgestapelt lagen,
und las 4<> Tage lang, indessen es dra'ussen noch einmal Winter und wieder Früh-
ling wurde'" ein vierzigtägiges Liegen und Lesen, dem alsbald die wunder-
vollsten eigenen Gedanken über den lieben Gott, den künstlerischen Menschen und
das Einfache in der Kunst entspriessten. In seiner Münchner Zeit kommt es vor.
dass er als Student aller möglichen Wissenschaften Monate lang die Universität
besucht, und am Schlüsse dei-selben, mitten in der ärgsten Bedrängniss. erfasst.
es ihn plötzlich, dass er sich hinsetzen muss um, gar nicht mehr sorgenorfülk.
sondern völlig wie in freiem Frühlingsbehagon, Tage und Tage hindurch seine
eigene Lebensgeschichte niederzuschreiben. Zolas Buch, durchaus nicht ohne Poesie,
wirkt doch weit mehr noch durch die Strenge seiner Lebenswahrheit, den fast
wissenschaftlichen Ernst, die Objektivität, mit welchen das Problem uach den ge-
wissenhaftesten Studien, den vielberufenen ..documents humains". dargestellt ist.
Kelb i" dagegen giobt sich so schrankenlos subjektiv wie nur denkbar, seine Studien
zum ..grünen Heinrich" sind die allerbesten, denn es ist ja immer wieder sein
eigenstes Wesen und Leben, das er darbietet und zwar darbietet mit einer Lust
am Fabuliren und Spintisiren. wie sie eben doch nur einein ganzen Dichter zu
eigen ist. Hingerissen von ihr schildert er Alles, mag es auch zuweilen rebt
weit von seinem eigentlichen Thema hinwegführen : die wundersame Geschieht»'
vom Meretlein und die barocke des Zwiehan-Schädels. die Liebesgeschichten seiner
drei Freunde und das grosse Künstlerfest ebenso wie die durch zwei Kapitel
ziehenden ..Heimaths-Träume". In beiden Werken liegt eine Fülle von Kraft,
aber Zola verwendet sie fast nur, um uns niederzudrücken, während Keller, ob-
gleich auch er genugsam melancholische Wege wandelt, uns trotzdem unzählige
Male zu erheben und zu erfreuen versteht. In ..l'oeuviv wie im ..grünen Hein-
rich" sind es vornehmlich die ernsten, ja die dunklen Seiten des Künstler- lierub s.
die uns geschildert werden: das ehrgeizige Streben zur Höhe, die unablässige
Sorge, den bereits erlangten guten Namen weiter festzuhalten, das was man künst-
lerischen Katzenjammer (noch kürzer ..Kater ) nennt, die Erkennt niss der eigenen
Unzulänglichkeit, der Ohnmacht gegenüber dein Ideal. Darin, in diesen allerdings
etwas bitter schmeckenden Vorzügen, wüssten wir diesen beiden Büchern au< h
nicht entfernt ein drittes an die Seite zu stellen, und Zola wirkt in dem seiniiren
unleugbar noch eindringlicher und modern-realer, mit fast erschütternder Wucht :
einerseits, weil er sich weit mehr zu konzentriren vermag, und andererseits. \vil
in seiner Uegabung gerade jene milduiuschleierndcn Eigenschaften fehlen, die Keller
in so i-eiehem Maasse verliehen sind. Denn dieser besitzt vor Allem die hiniiu-
lisehc Gabe des Humors und eine immer wieder durchleuchtende Welt- und Lehen*-
freudigkeit : er ist. mit einem geläutigen Worte, der Optimist gegenüber dem (wenig-
stens damals noch) hartnäckigen Pessimismus des französischen Meisters. lud
nichts ist nun interessanter, als zu vergleichen, wie diese beiden so grundver-
Digitized by Google
< Jottfried Keller als -Maler.
4-24
schiedenen und so starken Temperamente über das künstlerische Produziren über-
haupt, sowohl des Malers wie des Schriftstellers, sich aussprechen. Die nationalen
Eigentümlichkeiten scheinen hier geradezu vertauscht, der ra.«*chblütige Franzose
erscheint tiefgründig, pedantisch und grantig bis zur Verdüsterung.*) der ..schwer-
fallige*- Deutsche und ..nüchterne'4 Schweizer vertritt (als Dichter) beinahe leicht-
sinnig immer wieder die erfreuende Seite des berufenen Schaffens, das er als fast
mühelos und wie von selbst kommend hinzustellen liebt.
Zola empfindet das (-reschenk eines künstlerischen Talentes durchaus als
ein verhiingnissvolles. mindestens als eine harte Last, und er wird nicht müd«\
seine Schriftsteller und Maler, alte und junge, werdende und berühmte — die
verunglückenden natürlich erst recht — in immer neue Klagen über ihr schweres
Loos ausbrechen zu lassen. Zur Künstlergesellschaft, die sich in ..l'oeuvrc" be-
wegt, gehört auch der junge Schriftsteller Sandoz, unverkennbar Zola selbst, und
so ziemlich die einzige zugleich gesunde und sympathische Männergestalt im
Buche; er entwickelt seine Theorie des naturalistisch-wissenschaftlichen Romans,
schreibt schon an seinem grossen Cyclus über die Rougon-Maequart's und hat
bereits die ersten Erfolge zu verzeichnen. Wie aber äussert er sich über sein
Schaffen: ..Ach ja-, sagt er. ..ich arbeite, ich treibe meine Bücher bis zur letzten
Seite . . . aber wenn Du wüsstest unter welchen Verzweiflungen, inmitten von
welchen (Qualen! Und dabei ist man albern genug, mich auch noch stolz zu
nennen! mich, den die Unvollkommcuheit- seines Werkes bis in den Schlaf verfolgt,
mich, der ich niemals das am Tage vorher Ceschriebene wieder lese, aus Furcht,
es so abscheulich zu finden, dass mir die Kraft zur Fortsetzung versagt! . . .
Ich arbeite, ja ohne Zweifel, ich arbeite wie ich lebe, weil ich dafür geboren bin.
aber, siehst du. heiterer werde ich nicht dadurch; ich bin nie befriedigt und
immer sehe ich den möglichen Sturz vor mir!" ..(' est un triste metier" sagt er
anderwärts. Xeben Sandoz steht der Maler Bongrnnd. ein grosser Meister, der
aber sein bestes Bild bereits gemalt hat. und der nun beständig von der Sorge
gequält, wird, hinter jener berühmten ..Hochzeit auf dein Dorfe" zurückzubleiben.
..Welche Tortur! 4 ruft er aus. ..dieses krampfhafte Sichanklaminern, um von der
erreichten Höhe nicht allznraseh wieder hinabzustürzen!4' Mit jedem neuen Bilde
hat er das unsichere (Jefühl eines ersten Debüts - ..es ist um mit dem Kopfe
gegen die Mauer zu rennen!4, Dass gegenüber dieser düsteren Sprache, die Zola
seine Berühmten und Erfolgreichen reden lässt, für den unglücklich Strebenden,
seinen Helden Claude, nur wenige und immer seltener werdende .Lichtblicke übrig
bleiben, ist selbstverständlich. Wohl war er (Claude) derjenige, der zuerst das
Fenster aufstiess. durch welches «las helle Sonnenlicht in die ..verräucherte Asphalt-
Küche der Romantiker" fiel, aber ihm gelingen nur erste Anläufe, etliche Natnr-
studien. ein paar Farbenskizzen; seine gigantischen Bilder gerathen in thörichte
und immer gewaltthätigere Übertreibungen. Stets zurückgewiesen, jagt er ruhelos
von einer Leinwand, von einer Illusion zur andern --- vor sich das „unaufhörlich
erneuerte und nie erreichbare Trugbild, das den Muth der Verdammten der Kunst
antreibt, eine mitleidige Lüge, ohne welche es kein Schaffen für Jene gäbe, die
daran sterben, dass sie kein Leben gestalten können!"
Alle die Schmerzen nun erfolglosen und unzureichenden künstlerischen
Strebens hat auch Gottfried Keller als Maler reichlich an sich erfahren. Wollte
man nur bei ihm allein anfragen in Mezug auf sein malerisches Talent, so gäbe
es ein bald fertiges LI rf heil. Die ganze Darstellung im -grünen Heinrich", die
*) Zola ist. obwohl in Paris gehören, bekanntlich seiner Herkunft nach Italiener:
seiner ganzen Art und Kunst nach, steht er italienischen oder spanischen Klüt- und (irituel-
tnalern u. E. näher, als den Franzosen. A. d. II.
Digitized by Google
4 1>;)
Biographisch« Blatter.
Stimmen seiner befreundeten Kollegen dort die allerdings meist wieder Kellers
»Stimme sind — die spateren Briefe des Dichters, sowie stark betonte Stellen in
<lessen selbstbiographischen Aufsätzen — sie alle vereinigen sich zu einer nahezu
eiumüthigen Ablehnung von Kellers malerischen Arbeiten. Dass dieser Fall doch
wesentlich günstiger stellt, werden wir noch weiterbin zeigen können, aber auch
in solchen ablehnenden Worten unseres Dichters bewahrt ihn der ungleich grössere
Beiehthum seiner Natur vor der trostlosen Einseitigkeit, die Zolas eben gekenn-
zeichnete Äusserungen athmen. Es wird einem förmlich wieder leichter ums
Herz, indem man Worte wie die folgenden Kellers liest: „Die Frage des Be-
rufenseins liisst sich nach meiner Meinung mit dem trivial scheinenden Satze be-
antworten: Dasjenige, was dem Menschen zukommt, kann er bis zu einem gewissen
Grade schon im Anfang, ohne es sichtlich gelernt zu haben, oder wenigstens
ohne dass ihm das Lernen schwer fällt: dasjenige, dessen Erlernung ihm schon
im Anfange Yerdruss macht und nicht recht von statten gehen will, kommt ihm
nicht zu. Unfähige Lehrer können allerdings manche täuschende Störung und
Umdrehung dieses Verhältnisses bewirken, indem sie in einem Falle unverdient
einschüchtern, im anderen aufmuntern: der schliesslich^ Erfolg wird immer der
gleiche sein.- Gott sei Dank! sagt man sich, da bleibt denn doch noch ein
Ausblick ollen auf leichte, freie, beglückende Stunden, das Schaffen des Künstlers
gleicht also nicht durchaus jeuer freudlosen Lastträger-, ja Strafhaus-Arbeit, als
welche es uns soeben der wohl erfolgreichste Bomanschriftsteller unseres Planeten
dargestellt hat ! Und in der Tbat: „Unversehens" geriet h denn auch Keller in
seine Lyrik hinein, das erste Bändchen seiner Leute von Seldwyla" entstand
..ganz spieleud". wurde in einem glücklichen Zuge niedergeschrieben und auch
von seinem ..grünen Heinrich", dessen Vollendung ihm allerdings nicht geringe (^ual
bereitete, muss er doch gestehen, in welches Fabuliren er bei ihm immer wieder
hincingerieth und welche „unbezwingliehc Lust" er darin fand, sich den Lebens-
morgen desselben zu erfinden. Köstlich ist der leichtsinnige Humor, mit dem
Keller über den Werth derselben ..Zeilen und Einfälle vom Tage vorher- spricht,
vor deren Wiederlesung Zola (in unserem früheren Cit«t) eine so grosse Furcht
empfindet: „Was die Einfälle betrifft, so ist es eine eigene Sache mit denselben
und es gehört ein Rafael dazu, jeden Strich stehen lassen zu können, wie er ist.
AVie manche Blume, die man in aufgeregter Abendstunde glaubt gepflückt zu
haben, ist am Morgen ein dürrer Strohwisch! Wie manches schimmernde Gold-
stück, welches man am Werktage gefunden, verwandelt sich bis an einen stillen
heiteren Sonntagmorgen, wo man es wieder besehen will, in eine gelbe Rüben-
schnitte! Man erwacht in der Nacht und hat einen sublimen Gedanken und freut
«ich seines Genies, steht auf und schreibt ihn nieder beim Mondschein, im Hemde
und erkältet die Füsse; und siehe, am Morgen ist es eine lächerliche Trivialität,
wo nicht gar ein krasser Unsinn! Da heisst es aufpassen und jeden Pfennig
zweimal umkehren, ehe man ihn ausgiebt!" (Siehe die jugendlich radikale Studie
über „Jeremias Gottheit"".) Alles das jedoch: der sichere Übermuth, das sonnige
Behagen, das ruhige Vertrauen auf die gute Stunde und den goldenen Schatz.
c> blieb Keller noch für eine gute Weile vorbehalten, denn dieser spätere, so
glückliche und beglückende Schriftsteller wurde fürs erste Landschafts-Maler.
In unserer eigenen, wie in den Litteraturen der Fremde, fehlt es durchaus
nicht an alten und neueren Beispielen von sehr oder minder berühmten Dichtem,
die hierin einen dem Entwicklungsgänge Kellers ähnlichen zurückgelegt haben,
die oft ihr ganzes Leben hindurch einen mehr oder weniger innigen Zusammenhang
mit der bildenden Kunst, zumal der Malerei, aufrecht erhielten. Wir nennen in
bunter Beihe die Namen Goethe. Victor Hugo. E. T. A. HotVmann. die Goncourts,
Digitized by Google
(iottfried Keller als Maler.
4'2V>
Victor Scheffel. Adalbert Stifter.*) Sie alle folgten dabei zweifellos einer innereu
Notwendigkeit ihrer Natur, dem noch unklaren Drange nach anschaulicher Dar-
stellung überhaupt. Der romantische (ilanz. der seit jeher den Beruf des Malers
umgiebt, die unmittelbare farbige Wirkung des Bildes, die Grösse und Unschuld
der bereits auf endlosen einsamen Wanderungen genossenen Natur, der Drang in
die Ferne — indem sie alle zusammenwirken. Ist eines schönen Tages der junge
Landschaftsmaler feitig und damit freilich zugleich ein Irrthum, der mehr oder
minder schmerzensreich werden soll, aber doch auch fruchtbringend für späterhin.
l>enn inmitten der nun folgenden Kämpfe um einen Siegespreis, der ihm hier
schliesslich versagt bleiben soll, hat doch sein Malerauge nicht umsonst rastlos,
scharf und liebevoll das reiche Bild der Welt ringsum in sich gesogen; denn als
dann eines noch schöneren Tages, plötzlich, seiner selbst unbewusst, der Poet in
ihm ersteht, da bringt er auch schon eine Sprache mit von einer Anschaulichkeit
und sinnlichen Fülle, eine (iahe zu Naturschilderungen so innig und von so
leuchtender Farbigkeit, wie sie ihm gewiss nicht geworden wären, ohne jene
malerische Vorschule. In einem Briefe an Berthold Auerbach feiert Otto Ludwig
den Dichtei- der „Leute von Seldwyla- denn auch als grossen Koloristen: „Der
Teufelskerl, der Keller, hat ein wundervolles Kolorit in seiner Macht: so tiefe,
glühende Farben hat nur Giorgione oder Tizian.- Und in einem Gespräche mit
Adolf Frey sagt Keller selbst, bei der Bildung seiner Sätze sei ihm oft ..weit
weniger das Ohr »massgebend, als das Auge des Malers, das nach einer gewissen
Itundung strebt".
Wie nun Gottfried Keller Maler wurde, oder richtiger, wie er es zu werden
versuchte, das ist auf vielen, vielen und doch nicht zu vielen Seiten des „grünen
Heinrich" ausführlich beschrieben und man kann nichts Besseres thun. als sich in
die blühenden Bezirke dieser wahrheitsvollen Dichtung zu verlieren — immer
wieder erstaunt, gerührt, bezaubert durch die Fülle und die Vielfältigkeit, ihrer
Offenbarungen.
Der grüne Heinrich, aus der Schule verwiesen, flüchtet zur Mutter Natur,
wandert hinüber zu seinen ländlichen Verwandten, und hier, inmitten dieser weit-
verzweigten Sippschaft mit ihrer frischen .lugend und den weise-bedächtigen Alten,
umgeben von einer Natur, in deren Schönheit geheimnissvoll eine grosse geschicht-
liche Vergangenheit hereindämmert hier erwacht seine junge, eben noch so
gedrückte Seele beglückt zu neuem Leben. Halb tapfer mitgeniessend , halb er-
füllt von den unbestimmten Wonnen des kommenden Künstler- Berufes fühlt er sich
in der sicheren Hut zweier neu gewonnenen Schutzgeister: des lieben Gottes, als
des besonderen Freundes und Patrons der Landschaftsmaler und Anua's. des
Schulmeisters Töchterlein. Ks ist die Zeit der ersten Studien und der ersten
Küsse. Die schwärmerischen Worte aber, die Keller seinem grünen Jungen dem
Schulmeister gegenüber in den Mund legt, sie sind gut modern, weisen jedenfalls
alle Malerei von blossen Veduten weit hinweg: rDie Landschaftsmalerei besteht
nicht darin, dass man merkwürdige und berühmte Orte aufsucht und nachmacht,
sondern darin, dass man die stille Herrlichkeit um! Schönheit der Natur betrachtet
und abzubilden sucht, manchmal eine ganze Aussicht wie dieser See mit den
Wäldern und Bergen, manchmal einen einzigen Baum, ja nur ein Stücklein Wasser
und Himmel-. Das mannigfachste Missgeschick sollte leider die malerischen
Lehrjahre unseres Hehlen begleiten: unzureichende Mittel, schwindelhatte oder
* » I n Paris halten vor ein paar Jahren
entsinnen wir uns recht unter dein scherzhaften
von (iem.'ilden. Federzeichnungen und anderen
Werken der bildenden Kunst veranstaltet.
Biographische Blatter. I.
Theophil (iautiers Freunde und Schüler --
Tit'd I'oil et plunie ••■ eine Ausstellung
durchaus von Schriftstellern herrührenden
A. d. H.
2?s
Digitized by Google
427
Biographische Blatter.
kranke Lehrer wie Habersaat iPeter Steitrer) und der wahnsinnige Börner iMcver
aus Alfdorf) . endlich überhaupt eine schlimme und unklare Überiranirszeit in
malerischen Diniren. Haid schlecht jreleitet, bald eijjeiisinniir einer verfrühten
Selbstständigkeit ergeben, irerieth Kellers Kunst übun<r früh in "Willkür und natur-
lose Manier, die er eigentlich nie mehr irnnz zu überwinden vermochte, Jeden-
falls auch in München noch nicht, das er endlich, der heimathlichcn Kns^e entrinnend,
aufsuchen konnte (1*40—4*2). und das er yerade zur unglücklichsten Zeit betrat,
v. Berlepsch hat in seinem Büchlein „(Jotffried Keller als Maler* mir voll-
kommener Sachkenntniss alle Stimmen über jene Münchener Taire gesammelt und
kennzeichnet, zumeist mit den "Worten K. L. Zimmermann s und Fr. I'ccht's. an-
schaulich, halb ergötzlich, halb betrübend, jene für so vieles Andere doch als
irlorreich «reitenden Kunstverhältnissc unter Ludwi? I. Die Zeit der Klassik,. r
und Romantiker war eben daran vorbei zu sein, die Zeit der jredankenreichen
Hand-Zeichnuniren und grossen Kartons — Alles, zumal die Juirend. dränirte nach
etwas Anderem, einem Neuen „das noch in der Luft sehwebte", es war die
Farbe, die eigentliche Malerei. Kiniife der sehr berühmten alten Herren sprachen
sich allerdings über diese letztere ziemlich verächtlich aus — meist aus leicht zu
erratbendem (i runde- alle Ühritren aber. Alt und .lunir. sassen. joder für >ieh.
an ihren Staffeleien und trachteten mit heissem Bemühen hinter die Mysterien
und Teufeleien der neuen Heilslehre zu kommen. Keller selbst schildert diese
Sachlage in seiner unnachahmlich drastischen "Weise dahin . dass ..just um jene
Zeit die gelehrten Landschaften, welche ohne Farbe mehr einen litterarist hen
(Jedanken als ein irutes Stück Natur darstellten — - welcher Kiehtum: i« *1 * mich
eben we<ren des Nichtküntiens mit Knerjrie zuwendete — ausser Kurs ^enethen
und es nicht mehr möglich war. mit dergleichen zu Anerkennunir zu iHanireir.
Allzuireiinire Vorbilduni:, der Unistand, dass es eine eigene Lehrkanzel für Land-
schaftsmalerei au der Akademie nicht j:ab. und wieder sein Unaldiäniriirkeitstrieh
bewogen Keller, nicht Schüler der Akademie zu werden. Fr bezo</. nur ilann
und wann bei befreundeten Kollegen hos])itireiid. sein eigenes Atelier, in dem mm
nach und nach zahlreiche irrosse und kleine Kartons und Bilder in allen Techniken,
mit Kohle. Kreide und Schilffeder, in Aquarell wie in Ölfarben, entstanden: Alr-
irermanische Auerochsen jaijden und ( >pfcrscenen . mittelalterliche Städte, in sunt
unmö<rlicher Weise sich überthürmeiid , aber voll reizender Kinzelnheiten . i:eol<>-
trjsche und ossianische Landschaften, solche, die bald den Kintluss Hottmanns. bald
den der alten Niederländer verriethen. Unter all diesen Arbeiten waren nicht
wenige beweiskräftig für sein Talent noch mehr aber für eine bedenkliche
Halt- und Ziellosigkeit. Die Freunde Kellers, «.der des „irrünen Heinrich".
Messen es denn auch nicht an srenujr aufrichtiger Kritik fehlen und eine Fluth
von Sarkasineii jnlt diesen wunderlichen Schöpfungen. ..Sehen Sie. wie ich mich
planen nuiss!" ruft ihm einmal Krikson. der Kleinnialer. zu. „seien Sie froh. <lass
Sie ein gelehrter Komponist und Ko]d'maler sind, der nichts zu können braucht!"
Und Lys sairt ihm: ..Da haben wir es also. Sie wollen sich nicht auf die Natur,
sondern allein auf den (»"eist verlassen, weil der (Seist "Wunder thut und nicht
arbeitet. Diese .. ^eoh»Ldsehe Landschaft" haben Sie nie gesehen und werden
Sie auch niemals sehen. Die beiden Fiiruren derselben, mit denen Sie die Schöpfum-s-
beschichte und den Schöpfer theils feiern, theils ironisiren. vermögen Sie. weniir-
stens jetzt. j_r:i f nicht seihst zu malen folglich stehen Sie mit ihrem .irunzen
Handel in der Luft, es ist ein Spiel und keine .Arbeit!" So schlugen denn auch
verschiedene Versuche Kellers, der ja Immer wieder der „m üne Heinrich" ist. seim-
Bildei- zu verkaufen, in verschiedener Weise fehl auch an IVch fehlt*' es dein
•ruten .Innren durchaus nicht -- und er ir. rieth bald mein- und mehr in arire Bc-
Digitized by Google
(iottfrieil Koller als Maler.
4-Js
drängniss. ja in völlig. Armuth. Tn beiden Sommern konnte er wegen Mangel
an Mitteln nicht dazu jfoluncreii auch nur einen Strich vor der Natur zu machen.
♦*< trab Zeiten, in denen er oft Tage lang nichts geuoss als Brot und ein (ilas
Bier. ..was mir aber im (ieringsten nichts macht!" — wie er tapfer hinzufügt,
endlich liatte er gar einmal zwei Tage Innir gar nichts zu essen und hlieh dafür
im Bette liegen. Wie er seine Flöte verkauft und seine ganzen Studien (das
Stück zu 24 Kreuzern) und schliesslich Fal Iistangen anstreicht da- i<t
m den Kapiteln: ..Flötenwunder- und „ ( ieheimnisse der Arbeit- im .. grünen
Heinrich" ergreifend geschildert — sie sind vollkninmen getreue Studien nach
dem Loben (iottfried Kellers. Muth und Zuversicht desselben, seine unverwüst-
liche gute Laune — • sie waren aber nun endlich gebrochen. Keller verschwand
aus München, die Malend als 'Beruf war aufgegeben. Kührend steht im Hinter-
grunde dieser ganzen Zeit die (iestalf der guten alten Mutter, die alles Entbehr-
liche und Erreichbare aufbietet, um es ihrem Sohne zu schicken, während sie selbst
schon beinahe die Kunst übt von Nichts zu leben. Der grüne Heinric h aber
vergisst ilirer «ranz und kommt, endlich heimkehrend . nur mehr zurecht um ihr
die Augen zuzudrücken. Noch einmal berühren sich hier aufs Merkwürdigste,
und doch zweifellos einem inneren Erfordernis* des tragischen Stoffes entsprechend,
die beiden Bomane Zolas und Kellers. Indem jeder der beiden Helden mit egoi-
stischer Leidenschaftlichkeit seinem künstlerist hen Tdeale nachstrebt, opfert er mit
fast grausamer Härte ein gutes, selbstlos und hingebungsvoll ihm dienendes weib-
liches Wesen. Claude seine Frau Christine, der grüne Heinrich seine Mutter.
.Man weiss, dass sich das Yerhältniss (iottfrietl Kollers zu seiner Mutter in Wirk-
lichkeit wesentlich glücklicher gestaltete; mit stolzer Freude erlebte sie noch seine
Ernennung zum Staatsschreiber, und als er von München zu ihr heimgekehrt war.
stand sie alsbald wieder unverdrossen an ihrem Herde und kochte ihm sein Süpp-
lein, indessen er. etwas melancholisch allerdings, vor neuen grossen Kartons mit
..kühnen Erfindungen" sass. neben welchen aber bereits seine Lyrik und die ersten
Ansätze zu seinem ..traurigen kleinen" dugendromane mit dem ..cypressendunklen
Schlüsse" entstanden.
Indem Keller nicht müde wird, immer wieder und in allen Tonarten, satv-
* *
risch. eletrisch. btdiaglich spottend, ja in den derbsten Worten - Freiligrath
gegenüber nennt er gar einmal seine Malerstudien ..verworfene Hallunkereien" --
die malerische Talentlosigkeit des grünen Heinrich, also seine eigene, zu vor-
urtlndlen. übertreibt er gewiss; aber mau wird ihn darin wohl verstehen. Ks
war ihm offenbar ein Bedürfnis*, den begangenen Irrthum als einen recht gründ-
lichen, aber zugleich auch als gründlieh abgethan hinzusttdlen. Seine Malerzeit
dich nun einmal einem im Canzcn unglücklichen Feldzuge, den einzelne glück-
liche tiefet hte und die heroische Haltung des Kämpfers nicht mehr wesentlich zu
ändern vermochten. Nur sein Humor, immer wieder die Freude des Lesers,
konnte ihm darüber hinweghelfen und durch die künstlerische Darstellung inner-
lich befreien.
Die Mehrzahl der Biographen und Kritiker Kellers hat das Urtheil des
Dichters über den Maler zu tlem ihrigen gemacht. So Adolf Frey in seinem
sein- zu schätzenden, liebevollen und anschaulichen Büchlein, so Baeehtold und
Karl Brun. Am entschiedensten wohl der letztere, der im ..Neujahrsbhitf.
herausgegeben von der Stadt. Zürich auf «las .fahr 1 H< » 1 . eine Studie über ..(iott-
frietl Keller als Maler" veröffentlicht (begleitet von 7 Wiedergaben Kellerscher
Bildwerke) - am entschiedensten, aber im (ianzen doch wohl aus einem allzu
nüchternen und spiessbürgerlicheu (i eiste heraus, der ihm neben vielen verstän-
digen Bemerkungen ebensoviole unberechtigte, schiefe und schwache, eingeht.
i's ■
Digitized by Google
4*29
Biographische Blatter.
.Jacob Baechtold fasst im Wesentlichen sein Urtheil über Kellers malerische
Schöpfungen in den Sätzen zusammen: -Der autodidaktische und dilettantische
Charakter ist seiner Malerei «rehliehen " und: ..Die Arbeiten aus der Münchner
Zeit sind alle dichterisch empfunden aber nicht ebenbürtig gemalt. Auch ist selten
etwas fertig gemacht, da sich ihm sogleich wieder andere Gedanken aufdrängten
und ihm die Ausdauer abging". Am eingehendsten, viel wärmer, ja zuweilen
enthusiastisch im Tone, tritt der Kunstschriftsteller und Maler H. K. v. Berlepsch
in einem ebenfalls .. Gottfried Keller als Maler" betitelten und mit vielen,
höchst lehrreich einführenden Bildproben ausgestatteten Büchlein (Leipzig E. A. See-
mann 1895) für Keller auf. Mit journalistischer Lebhaftigkeit und Fehdelust
gegeben, enthält es in dankenswerther Vollständigkeit Alles in sich vereinigt, was
Gottfried Keller selbst, was damalige und — heutige Kollegen (darunter auch
berühmte Namen der Münchner ..Seeession ") zur Person und zur Sache gesagt
haben. Eifrig tritt er, und für eine kleine Zahl der späteren Schöpfungen mit
vollem Hecht, dem Vorwurfe des Dilettantismus in Kellers malerischen Arbeiten
entgegen — schon die (i rosse der Auffassung müsste sie vor demselben bewahren
— so die ..Üssianische Landschaft'', der ..Blick auf Richters wvl*'. der ..Blick vom
Zürichberge". Für die grosse Mehrzahl, auch der Münchner Arbeiten kann frei-
lich auch v. Berlepsch nicht umhin, sich der Meinung aller seiner kritischen Vor-
gänger anzuschliessen. und wahrscheinlich ist auch er nicht geneigt , über ein
weiteres Urtheil Baechtold's noch hinauszugehen, der sagt, dass Keller ..durch
eine gute Schule ohne Zweifel Tüchtiges erreicht haben würde", ..aber* fügt
er hinzu — ..nicht das. was er selbst von sich verlangte' \
Dürfen wir nun nach Allem, was wir von Gottfried Keller als Maler er-
fahren und gesehen haben, unsererseits ein zusammenfassendes Wort aussprechen,
so meinen wir. dass eben in diesem Falle wieder einmal mit besonderem Hechte
das Bessere der Feind des (Juten war. (lerne angenommen, ja zugegeben, dass
Keller ein guter Maler geworden wäre gegenüber seinem Dichter-Genie, wollte
sein Maler-Talent doch nicht schwer genug wiegen. Zwei so grossen und an-
spruchsvollen Herren vermochte aber auch er nicht gleich hingebend zu dienen
— worüber er sich in seinen Bemerkungen über F.. T. A. Hottmann ebenso
schön wie einleuchtend ausgesprochen hat. (%berdiess aber ging Keller das
merkwürdigste Schauspiel einer Entwicklungsgeschichte! - nach Beendigung
seines ersten Irrthums sofort daran, sich noch dauernder einem zweiten, noch
grösseren hinzugeben, als er über Heidelberg nach Berlin ging (184s 1855),
um sich dort zum dramatischen Dichter auszubilden. Von all den zahlreichen
Bühnen-Entwürfen, die er im Laufe dieser und späterer .Jahre ..ausheckte- und
..zusammendachte", sollte jedoch einzig das leidenschaftlich lyrische Fragment
..Therese- bis zur Niederschrift gedeihen. Sofort aber fand Keller für seine
erzählenden Dichtungen einen ersten Verleger in Vieweg. einen zweiten in
Duncker beide Männer voll Vornehmheit. Feingefühl und — unendlicher Ge-
duld unserem Dichter gegenüber denn nie wurden Verleger schlechter be-
handelt wie sie durch Gottfried Keller. In München, um noch einmal eiuen hier
gewiss bezeichnenden Rückblick dahin zu thnn. war es keinem Maren oder Kunst-
händler »'ingefallen, sich für die Bilder Kellers zu iuteressiren.
Dass unser Dichter seinen Malereien nicht viel mehr an materiellen Glmks-
giitern zu verdanken hatte, wie etwa — seinen Dramen, brauchen wir kaum zu
sagen. Sein«- Studien und Bilder verschleuderte er entweder an alte Trödler,
oder verschenkte sie an schöne Frauen. Mehrere dieser gespendeten Blätter aber
datireii noch aus weit späterer denn der Münchener Zeit. ja. gehen noch über
die Tage seines Staatsschreiberthums hinaus und beweisen mit ihren .Jahreszahlen
Digitized by Google
Kin Auswandererbrief aus dem .Jahre 1817.
430
1841*. 1853, 1873 und 1878. dass unser Dichter, all seinen ablehnenden Worten
zum Trotz, es doch nicht vermochte, seiner Jugendliebe völlig untreu zu werden.
Ja, noch mehr, die letzte dieser Arbeiten, das Aquarell „Blick vom Zürich be rg - ,
ist zugleich seine allerbeste. Ein Blatt von in der That reizender Vollkommen-
heit, gross zugleich und intim, ebenso poetisch wie malerisch. Es ist uns liel),
<agen zu können, dass sich dasselbe bei uns in Wien befindet, im Besitze einer Wienerin,
der Wittwe des Universitäts-Professors Adolf Exner. Indem wir es in der treff-
lichen Nachbildung des Kadirers Alphons, die auch dein Buche v. Berlepsch' bei-
gegeben ist, betrachten, fühlen wir uns - möglicher Weis«' gegen den Willen
des Dichters Keller gerührt und erfreut darüber, dass wir nun doch auch
Gottfried Keller dem Maler, mit dieser schönen Spütblüthe seines Talentes einen
aufrichtigen Kunstgenuss zu verdanken hallen.
cfc
Ein Auswandererbrief aus dem Jahre 1817.
Von
EUGEN VON PHILIPPOVICH.
Der Generationeuabstand zwischen dem Heginn und dem Ende eines .Jahr-
hunderts ist immer derselbe, aber der Unterschied der Lebensbedingungen der
Menschen, ihrer Bedürfnisse und Gewohnheiten, ihrer Vorstellungen und ihres
Könnens, wechselt nicht mit der Begelmnssigkeit der Generationen. Der ..Fort-
schritt der Kultur", wie wir es gerne nennen, nimmt einen unregelmäßigen Lauf,
und nach langen Perioden der Stetigkeit, kommen sprunghafte Bewegungen, durch
welche Grosseltern und Enkel iu ihren Daseinsbedingungen weit auseinandergerissen
werden. Eine solche merkwürdige Periode der Menschheitsentwickelung haben
wir hinter uns. es fällt uns Enkeln schwer, das Leben der Grosselteru zu ver-
stehen. Tch will im Folgenden ein kleines Beispiel dafür vorführen und einen
Zeugen der Vergangenheit reden lassen. Es berührt das traurige. Kapitel der
deut sehen Auswanderung. Traurig ist es auch heute noch, die Heimat Ii zu ver-
lassen mit der sicheren Aussicht, sie niemals wiederzusehen, ein ungewisses Brot
in weiter Ferne zu suchen ohne den Rückhalt, den das allerdings weite Band der
Landsmannschaft und Staatsangehörigkeit doch noch gewährt, allen Traditionen der
Familie, der Gemeinde, des Volkes und Staates zu entsagen und als Erwachsener
das Leben noch einmal zu beginnen. Aber wie leicht, wird es dem Aus-
wanderer heute gegenüber der Zeit unserer Grosselteru. Millionenfache Ver-
bindungen sind zwischen hier und drüben geschlagen und es «riebt nur Wenige, die
hinüberwandern, ohne irgend eine persönliche Beziehung zu haben. Und selbst wo
sie fehlt, bewirkt das erstarkte Xationalbewusstsein . dass der Auswanderer iu
nationalen Hülfsvereinen, die Gemeinsamkeit der Arbeiterinteressen, dass er in
ArJieiterorganisationen Hafh und Unterstützung findet. Die Heise selbst ist auf
wenige Tage reduzirt. Kisenbabiieii und Schiffsgesellschaften, deren sich der Aus-
wanderer bedient, sind überall staatlicher Aufsicht unterstellt, und die Bedingungen
der Beförderung sind so geregelt, dass Gesundheit, und Leben der Auswanderer
keinen Schaden leiden können. Ihre Aufnahme und Behandlung im fremden Staate
ist daselbst öffentlichen Kontrollen unterworfen und durch die offiziellen Vertretungen
Digitized by Google
431
Biographische Blätter.
der .Staaten, durch die Presse und Schutzvereine überwacht. Wie so yanz anders war
dies noch zu Anfanir dieses .Jahrhunderts! Die Betonierung zur See jresehah in
der Beirel in der W eise, dass ein Schiffseiireuthümer das Zwischendeck einem
Agenten ye^en einen testen Preis veriiiiethete. wo«re<ren dieser Mensehenfraeht ein-
laden tnoehte. so viel ihm heliehte. Da ihm die Auswanderer einzeln ihre Über-
fahrt bezahlten, baffe er das yxösste Interesse an einer möglichst weitgehenden
Ausnutzung des ihm vermietheten Raumes. Nach den eindringlichen Schiidet uniren
Friedrich Kapp's war das Zwischendeck bei Auswanderunysschiffen bis zu den
eisten Eingriffen der amerikanischen Beiriernnir (IHK») um nichts besser, als das
der Sklaven- oder Kulischiffe; man packte die Auswanderer gerade so zusammen
und kümmerte sich so wem»' um sie, wie bei den unglücklichen Wesen, die man
aus Afrika oder China auf den .Markt brachte. Da die Heise in der Retrel Wochen
in Anspruch nahm, war die Zusammenpfcrchnuir in engsten, unirelüfteten . durch
Seekrankheit und Exkremente verpesteten Bäumen an sich eine (ietahr für den
Auswanderer. Dazu kam die schlechte Ernährung. Jeder Auswanderer erhielt
tätlich oder pro Woche eine bestimmte kary bemessene Bation von Lebensmitteln:
Hrod. Mehl, (iemüse. Speck, selten Fleisch und Butter, etwas Wasser. Für die
Zubereitung mussten ilie Leute selbst soriren, wofür ihnen während bestimmter
Tageszeiten Feuerstellen offen standen. Für Kochgeschirr hatte jeder selbst auf-
zukommen. War das Schiff überfüllt, so war nicht daran zu denken, dass alle
Personen sich ihre Mahlzeit bereiten konnten, und das Verzehren der Xahruno-
mittel in rohem oder halb<rahrem Zustande war die Rejrel. Die Folye war eine
ungeheure Sterblichkeit an .. Schiffs -tieber und Hungertyphus. 10% Todesfälle
waren etwas ( Jewöhnlichcs, 20% nichts Unerhörtes, es kamen Fälle vor. in
Avelchem unter J200 Passagieren 400 begraben wurden, bevor das Schiff - das
naeh Aufnahme der Passagiere noch anderer Fracht Weyen liefen «jeblieben war —
den Hafen verlassen hatte. In einem mir vorliegenden typischen Überfahrtsvert ray-
war denn auch auf den Todesfall 'Bedacht genommen: „Sollte einer der Passagiere. ~
heisst es „auf der Heise mit dem Tod abgehen, so soll die Familie eines solchen,
wenn er von hier aus über die Halbscheid des Weyes stirbt, verpflichtet sein,
seine Fracht zu bezahlen, stirbt er aber an dieser Seite des Halhwetres. soll der
'Verlust- für Rechnung des Kapitäns sein."
Die rherfahrtspreise waren, zumal bei der elenden Verpfleirunir. hoch, sie
betrugen 1 10- 2< M) holländ. dulden für die erwachsene Person. Da die jrrosse Masse der
armen Auswanderer solche Betraire nicht aufbringen konnte, war es üblich ire-
worden. von ihnen keine Bezahlung ttir die Überfahrt zu verlangen, sondern sich
nach der Ankunft bezahlt zu machen, indem man sie -- in zeitliche Knechtschaft
verkaufte. Das hatte den doppelten Yortheil. dass die Auswanderer während der
t "herfahrt noch willeidoser und anspruchsloser dem Kommando des Kapitäns preis-
t'eireben waren, sowie dass man weyen des ..Risikos" die Fahrpreise oft um
l<M>% zu erhöhen in der La_re war. .lunirc Leute fanden immer einen ynteu
Markt, alte, kränkliclie Personen und Kinder waren schwerer anzubringen. In
solchen Fällen, sowie bei Todesfällen während der Uberfahrt hatten die kräftigen
hezw. überlebenden Familienirlieder auch für die Schuld der anderen aufzukommen,
ihre Knechtschaft :ilso um so viel .Ldire auszudehnen. Erwachsene hatten
.'S- I .Lahre zu dienen. Kinder von II» l.*> .lahren bis zur Volljährigkeit, kleine
Kindel- mus>ten mit den Elfern übern..inmcu werden. Sutnmirten sich durch
Digitized by Google
Hin Auswnndererbrief. aus <b>m Jahre 1S17.
432
Todesfälle oder wogen Kränklichkeit einzelner Familienglieder die .lahre für die
I I rigen. so konnte eine lanir«* Knechtschaft herauskommen. Einmal verkauft waren
sie ihren Herren \ reisgegeben. Ks sind "Beispiele überliefert, wonach sie schlimmer
behandelt wurden, als das Vieh, und mit Schlägen und Tritten zur Arbeit getrieben
wurden, so dass die Kolonialbehörden einschreiten mussten. Aber doch durfte
Niemand ohne Entschädigung aus seiner Knechtschaft austreten. Wer in seiner
Verzweiflung entlief, wurde eingefangen und hatte für jeden Tag seiner Abwesen-
heit ein«j Woche, für jede Woche einen Monat, für jeden Monat ein halbes .Jahr
länger zu dienen. Konnte der Herr die gebrauchte Arbeitskraft nicht länger ge-
brauchen, so war er berechtigt, die Person weiter zu veräussern. Ks war ein
tägliches Vorkommniss. dass auf diese Weise ganze Familien für immer getrennt
wurden. Kurz, dies ganze System des Abverdieiiens der i'berfahrtskosteii war
ein in Vertragsform gebrachtes System der Sklaverei, das den armen Auswanderer
als erste Segnung der ersehnten „Freiheit" begrüsste. deinetwegen er die gefähr-
liche und entbehrungsreiche Fahrt übers Meer unternahm, (ilücklich waren jene,
denen «s ging, wie dem russischen Hauptmann, von dem D. v. Bülow in seinem
Keisehericht lT'.H schreibt, dass er über eine Woche unverkäutlich, als schwerer
Ballast auf dem Schifte geblieben war. bis ihn dessen Kapitän aus Land schickte
und ihm auftrug, sich mit ;">»> °0 Abschlag im Kaufpreise auszubieten. Da er
alier ausser der Kunst des Bayonnetfeehtens nichts verstand, wollte ihn Niemand,
und der Schiftskapitän musste ihn endlich gegen das Versprechen, seine Schuld
später zu bezahlen, entlassen. Wenigen mochte es so gut gegangen sein, wie
dem Schreiber des folgenden Briefes, der im Winter der harten Xoth- und Hunger-
jähre 1*1*1/17 »us Emmendingen in Baden ausgewandert und in Baltimore
dieses war nebst Philadelphia zur Zeit der Hauptoinwanderungsplatz aus.
geschifft worden war. Im Oktofier 1*17 war dann von ihm ein Brief in die
Heimath gelangt, der von den Kümmernissen der Heise, dem Verkauf der Kinder
und der eigenen Person, von ihrer Befreiung und von allerlei Beobachtungen und
Kindrücken berichtete. Ich habe ihn in den die Auswanderung betreffenden Akten
des grossherzogliehen Archivs in Karlsruhe vorgefunden. Kr war vom Amt Em-
mendingen erhoben und dem Ministerium vorgelegt, worden, denn man hatte zu
jener Zeit sich ernstlich mit den l'rsachen der grossen Auswanderung, den Be-
ziehungen der Ausgewanderten zu den Zurückgebliebenen, den im Lande herum-
reisenden Agenten, den Mängeln der Beförderung u. s. w. zu beschäftigen be-
gonnen und jede direkte Mittheilung war von Wichtigkeit. Ks hat aber noch
.Jahrzehnte gebraucht, bis die deutsehen Kegierungcn aus dem Studium der Be-
schäftigung mit der Frage in das der Anregung und endlich der Thaten gekommen
waren. In den Vereinigten Staaten war. wie erwähnt. 1*19 das erste ( Jesetz. be-
treftend den Transport auf den Auswanderersehift'en. erlassen worden, und aus dem-
selben -Jahre werden zum letzten Mal Versteigerungen von Auswanderern an den
Meistbietenden berichtet. Nun entfaltete sich erst die grosse Anziehungskraft de*
mächtigen ,. Frcilandes-, das dem badischen Bauer trotz der bitteren Erfahrungen
verlockend genug erschienen war. tun seinen Bruder zu bereden, ihm nachzufolgen.
— Der Brief lautet:
-Mein herzlicher Bruder S. hwe>ter Seliwager und (Jschwey sanmit allen meinen
Freunden, ich kann es nicht unterlagen, da-s ich Kudi nicht mein ganzes Schicksal und
Lehenslauf schreiben thu. was sich unter der Zeit bey mir ereignet hat wo ich von euch
Digitized by Google
4.33
Biographische Blatter.
hier weg bin. liebste .Schwester und Bruder merket diesen Brief auf wo ich schreibe, jetzt
will ich euch sagen was ich noch Fracht schuldig bin. in Amsterdam wo ich auf das Schiff
kommen bin war ich noch schuldig 284 Thaler. jetzt wo wir vor Nephlies kommen sind
so werden viele Leut ausgelost aber mich hat niemand wollen Jössen mit meiner grossen
Schuld, summt meinen Kindern, jetzt kamen aber 2 Kaufherren von Baldimor und wollen
meine 2 Buben Franz Anton und Georg haben und so weil ich mir nicht mehr hab wissen
zu helfen so habe ich sie gelassen, und meine Buben sind aber auch recht gerne gegangen,
und sind beide gleich mit ihnen fort nach Baldimor und ist 10 Stund von Nephlies. da ist
mir vor sie 112 Thaler bezahlt worden, aber sie müssen bei ihnen bleiben bis sie 21 Jahr
alt sind, ich habe aber vorbehalten, das wenn ich unter der Zeit das Geld ihnen wieder
kann zurück geben. d:iss ich meine Kinder wieder kann an mich ziehen. Ja meine liebe
Schwester und Bruder da ist mir mein Herzenleid und Beschwehrniss der Beisse erst
kommen, da ist mir gewesen als wenn man mir die 2 Kinder aus der Seele raus reissen tu,
seit dem ti. Hornung ab dem Schilf kommen und die 2 kleinen Kinder Johann und Sibylla
sind auf den Tod krank gewesen, darauf starb den 22. Hönning mein liebes Kind Sibilla,
da Schwester befinden ihr meine ganzen Schmerzen der Boiss, da war ich mehr t<>d als
lebendig, da hat mein Kind sollen in das Wasser begraben weiden weil man mit keinem
Schiff an das Land kommen kann von wegen dem Kis. da hab ich aber mein Kind ge-
nommen und bin über eine Meile weit über das VAs geloffen wo ich nicht alle Tritten
gewusst habe wann es mit mir untergeht aber Gott sey Dank ich habe es glücklich an das
Land gebracht, aber ich hab den Todengräber und J'farrer selbst müssen machen, bey meinem
lieben Kind, wo ich in Amsterdam (so) war als mich Gott erschaffen hat. hätte können
1000 fl. von ihnnes haben von einem reichen Kaufmann der gar kein Kind hat und hätte
ihnes aufgenommen vor sein eigen.
Ja meine Lieben da hm ich gewesen wie der ewige .lud ich hab kein Aug voll
können schlafen und kein Bissen essen, kurz das Heimweh meiner Kinder hat mich last
umgebracht, jetzt auf ein mal brach das Kis und sind den 12. Merz nach der Stadt Baldimor
gefahren, da bin ich gleich ab dem Schiff um zusehen was meine zwey Buben (Söhne)
machen, da herzlibste Schwester da hast Du der Willkom sollen sehen bey mir und bey
meinen Buben, aber da ist mir mein Herz wider erfreuet worden, den ich befinde sie recht
gut. der Franz Anton ist bei einem Wirth als Sehenknecht und der Georg ist bei einem
Kaufmann als Ladendiner aber die Geschäften wo der Georg treibt in seinem Laden seyn
trutz einem den schon 24 Jahr alt ist er spricht alles Knglisch als wenn er in Amerika
geboren wäre.
Die beyde Buben bekommen nach 2 Jahren schulinüber (?"), der Baptist ist den 22. Merz
zu einem Metzger kommen und lernt das Handwerk und muss bey ihm bleiben bis er
10 Jahr alt ist und sein Meister muss ihn 4 Jahr in die Schul schicken, und ist mir vor
ihnen bezahlt worden ">0 Thaler. er hat E»en und Trinken nur was er will.
und jetzt bin ich und meine Frau und Alloys und Johana erst den ersten April ab
dem Schiff gelosst worden und bin zu einer Witt trau kommen welches des Baptist Meister
seine Mutter war. und treibt auch das Metzgerhandwerk da ist aber meine Frau in die
Kindbett kommen und ist getauft worden den 14. Mai mit namen Katharina da sind wir
bei ihnen unwerth worden und haben uns sehr übel behandelt aber Gott der Almächtige
hat uns noch niemals verlassen und ist uns allezeit wieder geholfen worden, am heiligen
Phngstag war ich in der Kirche und bath Gott den Almä.htigen inständig er solle mir
den heiligen Geist auch senilen, damit ich von diesem Leiden befreyet werde, wie es auch
geschehen ist, den nehmlichen Tag kam ich zu einem Teutschen und halte Gesprach mit
ihm und erzähle ihm alles wie ich es habe. Ah! sagte er mein lieber Freund es soll euch
geholfen werden, geht ihr nur hin und sie sollen euch dass schriftlich geben, was sie für
euch bezahlt haben und bringt es mir so geh ich gleich hin und zähl ihnen das Geld hin
wo sie für euch bezahlt haben da könnt gleich morgens ausziehen wie es auch geschehen ist.
Digitized by Google
Kin Auswandererbrief aus dem .luhre 1817.
434
.letzt hin ich frev und kann thun was ich will aber ich bin 1:12 Thaler schuldig,
daran kann ich aber 3 Jahre bezahlen.
Jetzt hab ich aber von der teutschen Kompanie wo sich um alle Teutsehen annehmen
wo ihn das Land und in die .Stadt Baldimor kommen ein Brief bekommen, das meine Frau
in der Stadt nun solle gehen damit ihr ein jedwelcher ein Geschenk solle gehen damit wir
unser Leben gut machen können: jetzt haben wir schon bei 100 Thaler Geld bekommen
und Kleidungsstücke das wir bei unserem Leben keine mehr brauchen zu kaufen und vor
Lebensmittel habe ich noch kein Pens ausgegeben sie bringt Fleisch, Brod, Butter. Mehl.
Zucker und Kaffe genug, aber das (ilück betrilft nicht ein jeder den es sind 200 Haus-
haltungen auf unsenn Schiff gewesen und hat das Glück kein betroffen als mich, sie müssen
alle dienen in Amerika heisst das dienen Serwen vor ihre Fracht 2 bis :\ Jahre. Jetzt
treibe ich die Bäkerey und ist war wie es im andern Brief steht und bin jetzt Willen*
den Hansgeorg zu mir zu nehmen und seinem Herren das Geld hinlegen wo er für ihn
bezahlt hat.
Liebster Bruder was glaubst Du willst Du kommen ja ich rathe Dir Du sollst
kommen wir haben schon 100 mal gewunschen wenn nur unser Bmder und Schwester bei
uns wären und ich rathe allen die Willen sind zu kommen sie sollen nur kommen sie macheu
ihren Leben heser als in Teutschland sonderbar die Kinder und jungen Leute sind sehr
glücklich wenn sie in das Land kommen aber wenn unser Herrgott euch sollte heimsuchen
auf der Keks mit Krankheit oder gar mit Sterbfall so messet mir keine Schuld zu. denn
werdet finden, dass die Heise hart ist. und ich sage euch auch wenn man serwen muss vor
sein Fracht wo man schuldig bleibt so ist es auch hart aber einige können es auch gut
bekommen und und einige auch recht bös.
I Jeher Bruder wenn Du kommst so lass Dich nicht verserwen auf dorn Schilf und
auch kein Kind bis Du bei mir gewesen bist, solltest al>er Du nach Philadelphia kommen
das ist 112 Meil von der Stadt Baldimor und 3 Meil ist eine Stund so sage Du dem Kape-
tain er solle Dich gehen lassen Du wolst ihn bezahlen nach Deinem Verdienst. Du wollst
ihm alle Monat Geld geben bis er bezahlt ist, und geh es nicht, anders ein er muss Dich
auf diese Art laufen lassen und wenn Du auch der Letzte sollst seyn auf dem Schiff so
thue es nicht änderst er muss Dich gehen lassen und behalte Deine Kinder alle bei Dir.
darnach wenn Du los bist so kannst Du Deine Kinder selbst in Diensten thun wenn Du
willst darnach bekommst Du für Deine grosse Mädel acht bis zehn Thaler in einem Monat,
jetzt lieber Bruder weis ich Dir nicht besser zu schreiben jetzt folge meinem rath Du
machst Deine Kinder glücklich.
Ich habe auch schon die Hoiss gemacht nach Philadelphia und nach Neisdon (?) um
meinen Vetter Fidel aufzusuchen und habe ihn richtig gefunden als ein lustigen Spielmann
und als ein armer Korbmacher und rechter Trinker diese Hoiss hat mich 12 Thaler gekostet.
Ich habe euch auch geschrieben das alles sehr theuer ist ja es wohl alles recht
theuer, aber ich kann auch sagen, dass es in dem Land mehr Thaler gibt als be.v euch
Sechser aber das meiste Geld ist Ilapieren gelt, jetzt will ich euch auch sagen wie das L;md
beschaffen ist. in Witterung find ich noch kein unterschied aber Tag und Nacht ist 4 bis
5 Stund unterschied, won ihr Mittag 12 l'hr haben so haben wir Morgen 7 L'hr. und der
Komet Stern ist in diesem Land auch gesehen worden in der nämlichen Zeit wie bei euch,
und haben auch in dem Land schon 4 fehl Jahr gehabt, es ist im Frühjahr auch alles ver-
froren als wie bei euch, wegen dem ist alles so theuer es kann wieder alles um die Hüllte
wolfeiler werden. Das Land ligt gegen Sonnenabgang und ist ein Freyland, es steht unter
keinem Bodenda es wird alle 4 Jahre ein Kardinal erwählt über das ganze Land, da i>t
da« Land Kandon weis getheilt und eine jede Kandon hat ein President da darf man kein
Zins Zehnten und nichts geben.
Ich sage euch noch eines wer in das Land kommen will, soll sich gut mit Better
versehen, das er keines darf zu kaufen, den sie sind theuer zu kaufen und nemen auch Axt.
Digitized by Google
4:i5
Biographische lilütter.
Serli Beyel Handfegen Kisengesehir zum kochen mit. das komt euch alles sehr wohl ich
sage noch eines lieher Bruder Du magst schrei bes hören aus Amerika wo Du willst so
-hübe keinem als meinem den ich schreibe Dir Wahrheit, so gewiss als wir leibliche
Haider sind.
Jet/ mein Herz allerlibster Bruder und Schwester schliesse ich mein schreiben und
wir LTüssen euch alle noch einmal und befohlen euch in den Schutz des Allerhöchsten, und
wollte euch allen von Herzen wünsc hen ihr werden alle be.v mir und hatten zu leben als
wie ich so werden ihr gewiss alle sorgen frei, auch ein (»russ an mein Nachbar Oeorg
U erber und an seine Frau Ana Marie und alle im Haus auch ein («russ an Johann Zoller
und an seine Frau und wenn Du in diesem Land wärest und dort arbeiten als wie in
Teutschland so thlltest Deinen Kindern (Jute Zeiten machen. Jetzt glaube ich in einer
kurzen Zeit etliche von Forchheim zu suchen, sollte aber dieses nicht geschehen so bitte
ich doch ein Brief von euch zu erhalten so bald es möglich ist lebet wohl und gesund.
Ich verbleibe euer aufrichtiger Bruder wie allezeit Chresostimus Weis in
Baldimor.
Die Weibsbilder sollen sich nicht mit kostbaren Kleider versehen, den sie derfen ihre
Kleider nicht in diesem Land tragen, den sie bekommen irleich Kleider über nach der
Amerikanischen Tracht.
Die Atress ist zu machen an Herrn .Johann (iross in der Altstadt in Baldimor ab-
zugeben oder dem ( 'hnsostimus Weis.
Libste .Schwester untl Schwager, ich schreil>en dort von wegen dem Baibieren und
wegen meinem Kind zu shöpfen nicht das ihr glauben es sey von mir ein Lug. wenn es
nicht, die Wahrheit ist so soll ich ewig verlohren seyn ich als ein armer badischer hab der
Heham müssen 4 Thaler geben.
Noch eins an die Weibsbilder welche nicht gern im Feld arbeiten sollen in Amerika
kommen da darf keine im Feld arbeiten sondern nur im Haus waschen begeln und kochen
sey e> jung oder alt es ist alles eins.
<$>
Briefe Leopold von Ranke's an Varnhagen von Ense und
Rahel aus der Zeit seines Aufenthaltes in Italien.*)
Zur Siicularfeier von Haukes Cehurt 21. Dezember 17uö --
mitgetheilt von THEODOR WIEDEMANN.
Venedig, den IS. Oktober 182S.
Sie werden vielleicht bereits einige I'ack Papiere von meiner Hand ndn.\ssirt erhalten und
hoffentlich nicht, zurückgegeben haben. Ks sind JOxcerpte. die ich in Wien gemacht, und
die sich nicht genule auf die nächste Arbeit, die ich vorhabe, beziehen. Ich habe mir er-
i Die folgenden Briefe Hanke'.« sind fast «limmtlich an Varnhagen gerichtet, an dessen
Oemahlin Bahel besonders nur die Beilag«' zu dem Brief aus Venedig vom Dezember 18*28 und
da- Schreiben aus Born vom 2S. Miirz 1S2!>. - Die Personen, welche in den Briefen namhaft
gemacht werden, sind meist »ehr bekannt. Ks genügt wohl, wenn ich angebe, dass die. Karoline",
nach welcher sich Bänke in seinem Brief vom 25*. Marz 18:10 erkundigt, die Frau Majorin Fiedler
ist < Varnhagen. Blatter aus der preussischen (ieschichte IM. V. S. '261. fi. April
vergl. Stiigemann an ('ramer. 17. April 1*34 in „Aus dem Naehlass Varnhagens von Knse,
Briefe von Cliami-so. «Jnei-enau. Haugwitz" Bd. II S. 213): und da«s bei der in demselben
Brief erwiihnten Anwesenheit einer Gräfin Kglotf'tein in Born, was bei der Herausgabe des
Briefe« Varnhagen- an (ioethe vom Iti. April l*:iO, in welchem eine Stelle aus dem Schreiben
Digitized by Google
Briefe Leopold von Rankes an Varnhorn von Ense und Rahel.
1:30
laubt. >ie an Sie zu adressiren. weil ich hoffe, dass eine solche Adresse sie besonders sicher
stellen werde. Sie sind das doch zufrieden? Ich schreibe dies in Venedig: ungefähr
14 Tage bin ich bereits hier. Ks ist doch wahrhaft gut. dass ich gereist bin: Reisen ist
eine Mühe, die sich selber belohnt. Ich glaube nicht, dass ich einen schöneren We<_r gemacht
habe. als /.wischen Wien und Venedig. Man kommt /.war nur durch ein ungeheures Thal
zwischen zwei Bergwänden, und dies konnte sehr einförmig erscheinen, allein diese Berg-
wände reichen einmal ganz nahe heran und entfernen sich weit, das Thal senkt und erhebt
sich, und so hat es doch die grössto Mannigfaltigkeit. Der Heiwagen war durch das In-
teres-e. das eine mitfahrende Römerin uns drei Begleitern abzugewinnen wusste. vor aller
Langweil befreit.
Hier geht es so gut, dass man bei massigen Ansprüchen zufrieden sein kann. Die
Bibliothek ist reich ausgestattet, zuganglich, ergiebig: der Bibliothekar die Güte und Ge-
fälligkeit selbst. Die Einwohner erscheinen ungemein gutmüthig. Der Barcaruolo selbst
i-t vielleicht anfangs ein wenig unverschämt, aber darauf freundlich, behilflich, gefällig,
zufrieden. Buon populaccio. Die Stadt ist erfüllt mit trefflichen Kunstwerken. Jede
Kirche ist eine Gallerie. Ist das nicht genug? Und doch bleibt Einiges /.u wünschen und
zu hoffen. Da möchte ich zuerst auch in dem Archiv arbeiten dürfen. Es ist der einzige
Ort der Welt, wo man mit den Einalielatioiien zu einiger Vollständigkeit gelangen kann.
Glauben Sie mir. dies giebt allein eine neue Geschichte der drei letzten Jahrhunderte. In
Wien war. um vieler I mstande willen, nichts Entscheidendes auszurichten. Doch habe ich
Hoffnung, das hiesige Archiv benutzen zu können, und auf Veranlassung des Hofrath Gentz
an diesen und an den Fürsten geschneiten. Wird dies gewahrt, so werde ich wohl den
Winter nicht viel wegkommen. Ferner fehlt es in der Stadt an dem nöthigen Fmgang.
Da ich schon des deutschen Ausdrucks im Gespräch nicht völlig Meister bin. so können Sie
sich denken, wie Kauderwelsch mein Italienisch herauskommt, zumal wenn ich wirklich
einen Gedanken sagen will. Die Griitin Albrizzi. die ich sah, und die hier die Haupt-
konver-ation hat. sagt mir. dass sie Herrn Alexander von Humboldt kennt. Jede Em-
pfehlung von einem bedeutenden Mann durch ganz Italien würde mir sehr erwünscht sein.
Hi^r ist es sogar nothwendig, dass ich einige Deszendenten der alten Nobili kennen lerne.
Längeren Aufenthalt wird es. hoffe ich. geben. Endlich mit der Kunst. O wer so ganz
von Herzen sprechen dürfte. Mit dem Anschauen ist es nicht gethan. Der Genuss liegt
allein im Verständnis*, das Verständnis* aber, indem es die Mangel erldicken lUsst, hebt
den Genuss auf. Ich arbeite indessen in den Feuerst unden viel in diesen Sachen. - Wie
selten aber auf dieser Welt ist Gedanke. Geist, Licht, Wahrheit. Leben.
Es ist in Wien von mir eine kleine Schrift ausgearbeitet, vor deren Erscheinen mir
jetzt fast bange ist.1) Doch ist es nicht mehr zu verhindern. Ich sage bange, nicht um
eines Rezensenten willen, man niuss sich versuchen und die Leute reden lassen, sondern
weil >ie wieder so weit von dem entfernt ist. was sie sein sollt*'. Himmel, oft habe ich
Hanke * wiederholt wird, im Goethe-Jahrbuch Bd. XIV d*!»:*) S. Ü'l ff. in den zugehörigen
Anmerkungen übersehen und auch von Michael Bernavs, Schriften zur Kritik und Litteratur-
gT'schichte. I. Bd. l lSüä). l.-JS. Hl nicht nachgetragen worden ist, von den drei Schwestern
Julie. Auguste. Lina nur die erste gemeint sein kann, wie aus dem versirizirten Brief-
wechsel zwischen ihr und Gneisenau ( Briefe von Fhamisso . Gncisenau II S. 'J77 ff'.)
erhellt, (vergl. IMaten an Bunsen. l?S. Dezember ls:tO, Deutsche Revue IV. Jahrgang. III. IM.,
l&S». S. — Die Beziehungen auf Zeitereignisse, welche sich in den Briefen rinden,
bedürfen kaum einer Erläuterung: sie sind leicht zu erkennen, wie sich denn z. B. bei den
„hallischen Tumulten", von denen Hanke in dem Brief vom "J5. Mai l*oO spricht. Jedermann
der Angelegenheit der Professoren Gesenius und Wegscheidel' erinnern wird.
'l Die Serbische Revolution. Aus serbischen Rapieren und .Mittheilungen. (Hamburg
lsjü.i S. W. Bd. XL1II ; XLIV.
Digitized by Google
437
Biographische Blätter.
Mitleid mit mir selber. Ich will heute auf einige Tage noch mit ein paar Deutschen, welche
ich hier gefunden, auf der terra ferma nach den settc comuni. nach Verona verreisen.
Von da kehr* ich wieder zurück und bleibe, wenn ich keine Erlaubnis* von Wien bekomme,
hier nicht länger als einen Monat; dann irehe ich nach Florenz und zum Carneval nach
Rom. So sehr mich das reizt, wünsche ich doch hier bleiben zu müssen.
Sie wissen, das* mir eine Unterstützung bewillig worden ist, wie ich sie wünschte.
Ich wäre wohl schuldig, Herrn von Humboldt besonders zu schreiben. Auch will ich dies
thun. Indess haben Sie die Güte, ihn von seinem dankbaren Verehrer zu grüssen.
Ich hotte in der Kürze wieder zu schreiben, wenn ich in Verona gewesen bin. auch
ausser Savigny an Frau von Arnim: von Ihnen aber zu hören, wie es Ihnen ergangen und
ergeht. Ihnen Beiden bleibt oft meine Erinnerung gewidmet, gehe es Ihnen wühl.
L. Ranke.
Adr.: Campietto Piguoli 785. (Casa della Sra Marianna Gallerani.)
Venedig. Dezember 1S-JS.
Mit einer so raschen Erfüllung- meiner bloss angedeuteten Ritte, wie Sie mir haben
zu Theil werden lassen, mein verehrter Freund, haben Sie die Erinneruni: an all die frei-
willige Güte, die Sie mir jemals erwiesen haben, frisch erneut.
Von allen diesen Empfehlungen habe ich indess noch keinen liehrauch gemacht, noch
immer befinde ich mich zu Venedig. In den letzten Tagen der guten .Jahreszeit machte
ich einen Ausflug nach dem festen Lande. Ich nahm den Weg gleichsam nach Deutsc hland
zurück. Mit Freuden denke ich an die reine Luft, die ich an den Bergen und darauf genoss:
nicht allein, indem ich sie in mich sog. sondern in der Betrachtung der lebhaften Farbe, der
schärferen Umrisse, welche Zäune. Bäume. Glockentürme und Berge gleichsam persönlicher
mir vor Augen brachten. Es giebt viel zu denken, wenn man den Hintergrund der Land-
schaften von Bassano in den Bildern der da Ponte aus Bassano wiederfindet. In dem Ge-
burtsort des Hauptertinders der venezianischen Malerei (Castelfrancn. Vaterstadt von Giorgione)
fand ich mich schön belehrt. Sie sehen, ich streife auch etwas in das Gebiet aller durch
Italien Reisender, und schwatze schon ein wenig von der Kunst, doch ging ich hauptsächlich
anderen Studien nach. Auf den sieben Gemeinden verehrte man mir ein Exemplar ihrer alten
Privilegien und ich sah einige Reste ihrer republikanischen Buchhaltung. Welche Ver-
wunderung, wenn ich etwa mit dem Hausvater in seine einsame Hütte trat, sie oben und
unten durchkroch, die Kinder beschenkte, und alsdann dem vorwärts gegangenen Boten in
den dunkeln Abend hinaus nacheilte. Einen Katechismus in ihrer Sprache, die ein etwas
verwildertes Deutsch ist, wohlgemerkt: Norddeutsch bringe ich mit. In Vicenza Natur und
Palladio. ein vorzügliches Stadt-Archiv, von dem ich auf der Stelle Nutzen zog: gute, dienst-
beflissene Menschen. In Verona förderte mich eine Empfehlung Savigny' s ausserordentlich.
Mantua enthält einen ganz unbekannten höchst wichtigen Schatz an dem Archiv der Gon-
zagas, für das südliche Europa, auch für die grossen Höfe von vieler Bedeutung. Ich hoffe
noch einmal eine Weile da arbeiten zu können. Es ist freilich nicht die venezianische Weise,
doch finden sich allgemeinere Darstellungen von Zustünden und Persönlichkeiten, so da*s man
nicht das ganze Detail zu durchsuchen halten würde. Wer weiss indess! Es ist schon ein
Gewinn diese Städte gesehen zu haben. Jede mit ihrer ganz eigenen Physiognomie, ihrer
eigenen Geschichte (selbst ihrem Fürsten- und zuweilen Tyrannengeschlecht), ihren alten
Denkmalen: fast einem besonderen Dialekt und einer heimischen Kunst. Wer das. so ganz
fas.sen könnte. ..letzt freilich kommt mir das Land sehr revolutionirt vor. Mir nicht ganz
zu seinem Vortheil. Der Zustand der Bauern, das Hauptübel in Italien, ist der nämliche
geblieben.
Ich bin seitdem unausgesetzt in Venedig gewesen. Die Ankunft des Professor Reisig
aus Halle ist für mich dadurch eine Begebenheit geworden, dass derselbe hier in eine in der
That schwere Krankheit gefallen ist, die alle Aufmerksamkeit eines Landsmannes in Anspruch
nimmt. Sie hat sich erst, in der dritten Woche als Pin Nervenfieber ausgewiesen, und der
Digitized by Google
Briefe Leopold von Ranke's an Yarnhagen von Ense und Rahel.
438
Ar/t hat einige Tage lang sehr bedenkliche Reden geführt. Ich hoffe wohl, dass ihn seine
gute Natur noch durchbringen wird. Sein Zustand »reht mir mehr nahe, als ich selbst gedacht
hätte. Kr ist in seinem Her/en ein nobler Mens«-h. Heine war hier und hat mir die schönsten
tirüsse aufgetragen. Eine sonderbare Begierde. Jemand, von dem ihm Nachrichten fehlten,
in München zu suchen (ich glaube einen Bruder) hat ihn aus seiner Horentinischen Freude
gerissen. Kr ist Ihnen Heiden ungemein ergeben. Ein Mensch, mit dem ich wohl glaubte,
angenehm leben zu können: gewiss, ich wünschte mir seine Gesellschaft Öfter und langer:
er hat Geist, ist ohne Anspruch und hat doch eigenes Wesen. Arnim llisst er zu meiner
(ienugthuung Gerechtigkeit widerfahren. Mit einem Worte, ich habe mich an ihm gefreut.
Noch ein anderer junger Mann war hier, dessen Rild seitdem meine Seele sehr erfüllt
hat. So hochgestellt, grossgesinnt, freien Muthes: und wenn ich es sagen kann, höchst
liebenswürdig. Ich habe gute Anlage, »'in Anbeter von ihm zu werden. Er hat glückliche
Bemerkungen gemacht. /.. B. wenn man in eine Basilika oder in eine gothische Kirche kommt,
das sei. als gehe man zu dem Heiligthum hin. als suche man es auf: komme man aber in
eine grichische. wie St. Markus, so sei man gleich mitten darin etc. Mich hat er dann
freilich >o aufgenommen, «las ich parteiisch sein muss.
Wegen des hiesigen Archivs hat mir Hofrath von (Jentz gar bald eine günstige
mündliche Erklärung des Fürsten Metternich zu wissen gethan. Doch hat der i Jeschllftsgang
solche Weitläufigkeiten, dass ich wohl erst weggehen werde, um spitter einmal, wenn es mit
der Erlaubnis* ganz entschieden ist. zurückzukehren.
Ich habe, Ihnen immer soviel zu schreiben, dass ich wahrhaftig nicht weiss, ob ich
Ihnen von meiner Arbeit Nachricht gegeben habe, die ich zuletzt in Wien ausführt«*. Sie
betrifft die serbischen Angelegenheiten, ist schlechterdings neu. wird, wie mich dünkt, gelesen
werden, und vielleicht mir gar zu scharten machen. Gott gebe das Beste. Sie werden sehen,
da>s der Stoff schlechthin einen Menschen wie mich hinreissen musste. Allein! allein!
Übrigens habe ich die Thorheit von jedem Ruche zu denken, es sei ein Übergang über den
Rubicon: eine alea jaita. Auch ist wohl so. dass ich, um irgend etwas zu gelten, nach der
höchsten Reputation streben muss. Jedoch man ist nicht mehr, als man ist. und soll nicht
mehr scheinen.
Es ist kein Platz mehr zu den «Müssen an Sie Meide, von denen ich viele auf dem
Herzen habe. Ich kann mir nicht anders denken, als dass sie im Manzen glücklich sind.
Noch vier Wochen wird mich ein Brief hier antreffen. Beilage auf Ihren eigenen Befehl.
Der alte Tadler setzt aus:
1. Dass die guten Poeten nicht aus dem sechszehnten Jahrhundert in das neunzehnte
verpflanzt sind. Mindern aus dem neunzehnten in das sechszehnte: dass Shakespeare redet,
als w«-nn er Tieck warn
•J. Dass in das J)icht<>rlchen* gar zu viel Anderes gemischt ist. vorzüglich da.s Leben
der finsteren Schwärmer. Indem di«' Einheit nur durch den Squire festgehalten werden soll,
tritt dieser stärker in den Vordergrund, als Marlowe und tireen und der Schreilver: und es
wird halb eine Novelle vom edlen Edelmann.
:J. Dass die guten Poeten Nichts ««rieben, als ihre Aventuren mit Öffentlichen Mädchen:
übrigens sind ihre (iespräche ihre Erlebnisse. Von den ( iespräelmn siml nicht alle vollkommen
wahr, aber eine Rede Marlowe s ist es.
Nun möcht«' der alte Tadler noch weiter tadeln, doch er sieht, dass ei bereits in
Lob verfallt. Ein Hauptlob ist. «lass diese Novell«' keine eigentliche Liehc*g«>schi<-]ite ver-
meldet: ein and«-r«-s hält sie sich, wo man sie nur aufschlägt, selbst durch den treffenden
Fall ihrer Ri'de.
Ihr g«>treuer
L. Ranke.
über Ticck's Novelle: „Dichterleben."
-DP.)
Bio-rapid »che Blätter.
Venedig, den lM5. Januar l*°f>.
Ich komme, int- in vereintester Freund, heute mit vielen und beschwerlich Hin.-;:,
und Sie wissen wohl, wie e- kommt, das» ich oar kein Bedenken tra-re. Sie Ihnen vorzuleben.
L-h wüsste nicht, welclie Bitte nicht. Sie worden, da ist nun kein Mittel, denn ich ha'<e
schon an Perthes iresehrieben acht Exemplare meines Buches iil)er die Serien zuire»endet
erhalten. Für diese armen Waisen sollen Sie. das ist. meine Bitte. Sorire trafen, als wenn
Sie der Vater wären. Ich halte eines für Alexander von Humboldt bestimmt, und sehreibe
da/u keinen Hrief. da ich desselben schon im letzten Ei •wähnunir pethan: eines iin < ieheimrath
Aneillon: hier/u beilie-jvnder Hriet' in S. Nun aber kommen noch die Schwierigkeiten.
Meiner Moinunir nach kann »lies Much Sr. K. 11. und Sr. Majestät (auf deren Kosten ich reise)
luidich überleben werden. An S. K. H. liesrt ein besonderes Schreiben bei. I'iir S. Majestät
fordert es wohl andere Formalitäten, die einen eingeschlossenen Hriet* nicht vertragen. Für
den Fall, dass Sie es für räthlieh halten, ein Exemplar zu überreichen, liesse sich dann nicht
ein Schreiben folgenden Inhalts von Schreibers Hand hinzufüiren: .Ew. Majestät haben unter
der «Trossen Zahl Ihrer l "nterthanen. welche Ihre Huld gemessen, auch mich mit einer
sonderen < 'nade zu bedenken freruht. Indem ich wünschte. Ew. Majestät ein Zeichen meiner
tiefen Dankbarkeit zu freben. weiss ich kein anderes Mittel, als Ew. Majestät ireirenw'.it ti-je
kleine Schrift zu überreichen. Möchte sie der höchsten Aufmerksamkeit nicht unwürdig »ein.
Ew. Majestät unterthänitrster etc. Venedi sr '.Mi. Januar 'J!'". Wäre nun dies geschehen . >o
bliebe noch iibriL'. diese Schrift an den russischen Hof zu bringen. Hierzu aber weiss ich
weder Mittel noch \\V;'. obwohl ich es um der Sache selbst willen sehr wünschte. Mi
verursache Ihnen freilich eine gewisse l'ein . indem ich Ihnen auch dies überlasse. s,,wie
Herrn ('. I!. Aneillon und Herrn von Humboldt. Vielleicht möchten zwei Exemplare dahin
trohen können. Wo nicht, so wollen wir sie doch verschenken. Eines der übriiren Exemplare
auf Velin oder Seide haben Sie die (iure unter Thr<» Uüeher aufzunehmen. Eines wünschte
ich nach Paris als den Mittelpunkt allgemeiner Eitteratur gebracht zu sehen. An tioethe ist
ein Exemplar durch Herrn Perthes yesandt worden, sammt einem Hriefe. An unseren
ireistlichen Minister wird Herr Professor Hitler die nöthiiren .Exemplare üherirehen. <'e'r.o
tiott »einen Seiren zu diesem Huch. das gewiss aus reiner Thoilnahme hervori'eiraniren ist.
und lediglich aus ihr. Persönlich, die Wahrheit zu sniren. hätte ich mehr davon zu furchten
als zu horten, dass ich mich in diese Dinare menire. Schreibet! Sie mir francamente. was sie
denken und s.iLren. Tch werde in weniir Ta«_ren nach Pom abreisen, wo mich Ihr Hrief dun h
Vermitteluni: der < iesandtschaft leicht treffen kann. Sie worden nunmehr wissen, dass
der arme Professor Ueisi<r hier gestorben. Wie sehr mich dies I nirlück beschäftigt und
anireirritfen hat, kann ieh Ihnen nicht beschreiben. In der That war dieser Winter inoeh i»t
er nicht vorüber) für Einheimische und Auswärtige irleich iref ihrlich. Auch auf anderer Seite
ist mir der Tod nahe «rekouunen. Mein \'ater ist kaum am Leben erhalten worden. Sie
werden wissen, welcher Verlust uns in Frankfurt a. O. bedroht hat. Wird aus der russischen
Sendunir nichts, so wünsc he ich eines von jenen Exemplaren in das Hans Saviirm "s gesendet
zu wissen. Meine Studien frohen frlücklich fort. Obwohl das Archiv noch nimmer verschlossen
ireblieben. nimmt doch meine Sammlunir venezianischer Petitionen tätlich zu. Es ist hier
eine Hibliothek von'JMH» Manuskripten zu verkaufen, über die ich an das Ministerium berichtet
habe. Wenn davon die Pede ist, so würde sehr irut sein, wenn Sie und vielleicht Herr
Alexander von Humboldt, darauf aufmerksam machten, dass das darin betindliche Exemplar
des Sanudo ( L. se, r. tid. etc.) eben da» ist. worauf < ardinal Zurla (Viairiri etc. T. II.) »o
-i..»sen Werth le-t. Dem Staat mus» mehr an den iMX» Manuskripten lie-en als an den
«»« m i Louisdor's. die sie kosten soilen. Ich irrtivsc Sie Heide von iranzem Herzen, und v.< i-.
dass Sie fwt fahren Werdum, mir wohlzuwollen. Es ist hübsch, wenn man so sicher i»t.
. Ihr L. Panke.
Digitized by Google
Briefe Leopold von Rankes an Varnhagen von Ense und Rulid.
440
Koni. 28. März 1 *•_><(.
Gnädige Frau!
Ks ist das erste Mal. da*s ich höre, da** Sie unzufrieden über mi< h sind. Sehe ich
nun. da** die. welche mir übel wollen, mich ernstlich hassen, und da** ich auch die ver-
letzte, welche mir wohlwollen, so hin ich nicht wenig unglücklich. Hei meinem letzten
Brief war mein Sinn, da** ich Herrn von Varnhagen und Ihnen Alle* überlasse. —
war weit entfernt, mich dabei vornehm zu fühlen: vielmehr mit einem «ranz unbedingten
Vertrauen (was doch ohne 1'nterordnung ni.-ht sein kann» habe ich meine Bitten Ihrem
Ermessen anheimstellt. Glauben Sie. da** ein einziges Wort «so geht es nicht" mir
ganz genug ist. Mit alledem, w.ts Sie in meiner Sache gethan (»der nicht gethan haben,
thun oder nicht thun werden, hin ich vollkommen zufrieden. I<h weiss nicht, wo Herr
von Varnhagen ist. ich würde ihm sonst gewiss schreiben. Ich hoffe. seine Laufbahn be-
ginnt aufs Neue. — Kr hatte die Güte mich an Herrn v. .Marten* zu empfehlen. Herr
von Martens schien sich viel daran* zu machen: er hat mich nicht allein in seinem Hau>e
gut aufgenommen, sondern durch seine Verwendung hei der Regierung mir die wesentlich-
sten Dienste geleistet. -- Herrn kostner und die Brüder Riepenhausen, an die ich durch
Ihre Vermittelung Briefe empfangen hatte, habe ich sehr freundlich und gütig gefunden.
Im Ganzen geht e* mir denn in Italien wohl: ich sollte Ihnen billig ausführlich davon
schreiben, aber ich imiss er*t ein freundliches Wort von Ihnen haben. -— Indessen wird
mein neues Buch in Deutschland am Knde einen der Wirkung, die ich beabsichtigte, ent-
gegengesetzten Krfolg hervorbringen. Haben Sie denn einen Blick hineingethan ? - Wenn
Jedermann unzufrieden i>t. fange ich an. an mir selber >tark zu zweifeln.
Sind Sie gesund? Haben Sie gute* Wetter und reine Luft? Abends immer gute
Gesellschaft? Seien Ihnen heitere Tage gewahrt.
L. Hanke.
Bänke an Varnhagen.
11 um. den 0. Juni 1S_".>.
Sie haben mir. mein verehrter und theurer Freund neuerdings soviel Güte erwie-e;:.
das* ich Ihnen, wenn es möglich ist. noch mehr verpflichtet sein muss. als zuvor. La*-en
Sie mich darüber keine Worte machen. Wollte Gott, das* ich einmal in irgend etwa* Ihre
Stelle vertreten konnte, wie Sie die meine.
Ihre Erinnerungen sind mir nicht im mindesten unbequem. Ich sehe wohl. da>* mir
das Buch, das ich mit dem bestimmten Gefühle, es werde mir für meine persönlichen Ver-
hältnisse eher hinderlich al* vortheilhaft sein, gesehriehen habe, deren bald in einer, bald in
anderer Art gar viele zuziehen wird. Die Ihren aber sind so freundlich gesagt, al* wahr-
scheinlich gut begründet. Mi mache an mir die Bemerkung. da*s die Eigenschaften, die
man übrigens hat. die uns in Hau.* und Stube vielleicht seihst listig fallen, wie man sich
auch anstellen mag. in litterarischen Dingen immer hervortreten. I m hier zu eigentlicher
Kleganz zu gelangen, müsste ich eine Radikalkur mit mir vornehmen. Ich bilde mir zwar
ein, da.** ich mich ein wenig gebessert habe und eben jetzt bin ich in guter Schule -.
allein ich fühle doch, das* ich nur zu einer Unterhaltung tauge, wo man sich etwa* ge-
fallen lii&st: da.*s ich den Anspruch nicht machen kann, mich nur einen Altend lang im Salon,
mich nur bei einem eleganten Gastmahl mit Freiheit und Genugthuung zu bewegen. Wie
sollte sich das nicht in dem zeigen, was ich schreibe? -
Wie sehr mich Krankheit und Genesung Ihrer Frau Gemahlin bewegt, ist unmbjlich
zu sagen. Welche Verluste sind in diesem schweren Winter an mir vorübergegangen. Ob
ich gleich Beide.* in dem nämlichen Moment erfahren habe, so denke ich mir die lange Ge-
fahr, die es auch für mich *o sehr gewesen ist, redlich au*, .letzt, hoffe ich. i*t Alle*
vorüber. Diesem Leiten wird die ihm eigentümliche Munterkeit nie fehlen: und wie ich
sie verlassen, werde ich sie wiederlinden. Glückliches Wiederlinden! Wie sehr gefalle ich
mir in dem Gedanken, das- ich wieder einmal an Ihrer Glocke ziehen, eintreten und Ihre*
Digitized by Google
441
Biographische Blatter.
< iespriiches gemessen werde, nach solcher Peregrination ! Dort, dort hin ich doch zu Hause.
Alter wann?
Rom, in das ich mich zu finden Anfangs wenig- Hoffnung hatte »Florenz und Venedig
lagen mir zu sehr im Sinn) hält mich jetzt immerdar als einen Fremden, doch mit mannich-
faltiger Bande gefesselt,
Zuerst meine eigentlichen Studien. Die Bihliotheken sind zahlreich, und in meiner
Gattung der Litteratur fast alle trefflich ausgestattet. Ks hat zwar seine Schwierigkeit . -de
zu lienutzen: jedoch, wenn man in seiner Aufführung nicht offenbare Felller begeht, wie
mir einmal, als ich den jüngeren Bibliothekar anstatt des älteren anging, und den letzteren
dadurch in Zorn setzte, begegnet ist, sind diese Schwierigkeiten zu überwinden. Ks geht
mir sogar besser als anderswo. Der Fürst Altieri hat mir einen grossen Saal eingeräumt,
dahin die Handschriften aus der Bibliothek gebracht werden, wo ich zu jeder Stunde des
Tage* arbeiten kann. Der Bibliothekar der Barberina hat mir und zwei anderen Deutschen,
ein kleines Zimmer zu ähnlichem ( iebrauch überlassen. Die Sachen sind römisch und fremd.
Ks ist freilich das wichtigste Ding von der Welt, den (lang des romischen (iovemozu ver-
folgen: warum sollte man nicht unter Andern einmal nachfragen . wie dieses heutige Horn,
da- alle Welt zu besuchen reist , zu Stande gekommen ist? Die Stellung- des l'apstthum-
ist grossartig, auch in neuerer Zeit. Die merkwürdigsten Dinge kommen zum Vorschein
und ich muss doch eben einmal einen zweiten Theil schreiben. Die fremden Monumente sind
aber beinahe noch wichtiger. Über die Verhältnisse der katholischen Sache in aller Welt,
womit so viel zusammenhängt, finden sich schöne und neue Aufklärungen. Die Sache der
englischen Katholiken in Bücksicht der ganzen englischen (ieschiehte, wird man selbst in
Kncrland nicht so gut studiren können wie hier, wohin man berichtete, wo die Familien
der ("ardinalnepoten die .Monumente ihrer Regierung, als einen Schatz ihres Hauses auf-
bewahrten. Nicht wenig' merkwürdige deutsche Sachen finden sich. Ks verircht'fast keinen
Tag-, ohne irgend eine wichtige, alte Ideen entweder befestigende oder limitirende Auffassung.
Nur ist es wahr, dass man auf zweierlei Acht haben muss. sich in der Arbeit weder zu über-
nehmen, noch auch zu zerstreuen. An das neue Born stossen die Rudera des alten. Mitten
hindurch, einen Baumgang entlang, unter dem Bogen des Titus weg, unter dem Coliseum
hin. in einem öffentlichen Oarten, und von da über den Circus Maximus zwischen Vignen-
zäunen weiter, führt mein täglicher Abendspaziergang. Ks ist überdies ein sehr belebter
Theil der Stadt. Vierhundert Arbeiter, an verschiedenen Theilen der Stadt vertheilt, sind
mit Aufgrabung und Herstellung unausgesetzt beschäftigt: sie fördern das alte Pflaster zu
Ta«_re. bringen die eigentlichen, von dem ungeheuren Schutt verdeckten Hasen der Denk-
male zum Vorschein, um ihnen die Anschauung ihrer eigentlichen Dimensionen wiederzugeben
und machen den Antiquaren oft zu schaffen. Leider ist es das kaiserliche Koni, das man
wahrnimmt. Aus der Zeit der Republik ist nur ein winziger unscheinbarer Tempel übrig.
Ks ist leichter sich in die ganz alten Zeiten zu versetzen, wenn man auf einen der jetzt zu
Vignen eingerichteten Hügel steigt, der vom Palatin etwa nach t'apitolin oder Aventin
hillübersieht: die Campagna, weiter hinaus war ein Land der Deister und ist ein Land
der (leistet*.
Ks ist sonderbar, wie sich das so treibt! Kben jetzt scheint es. als wollte um Albano
die alte, vulkanische Natur, die diesen Boden schuf, wieder hervortreten. Der Ort ist ver-
laden, viele Albaner sind nach Rom gekommen, viele wohnen in J Bitten um den Ort her.
Ich denke noch heute dahin zu gehen, nicht gerade um auch einen Krdstoss zu fühlen, son-
dern utn mir die Wirkung der rebellischen Natur, — das kann doch der kluge und witzige
Men>ch nicht verhüten. Auge in Auge anzusehen. Die albanischen Banditen haben alle
ihre Mordgewehre zu den Füssen ihrer Beichtvater gebracht, von denen einer mit einer kaum
zu beschwichtigenden Wirkung den jüngsten Tag angekündigt hat. Von dem (ionuss. den
ich in den Sammlungen vornehmlich der antiken Kunstwerke habe, und der Koni zu dem
um hte. was i>t. - anderes haben auch andere, dies ist allein hier, allein durch An-
Digitized by Google
Briefe Leopold von lianke's an Varnhagen von Knse und Habel. 442
Kchauunsr des Originals zu erlangen — sage ich Ihnen nicht«. Man sollte hier einen Kursus
der römischen Litteratur und Geschichte machen. Ks ist eine wechselseitige Erläuterung
des schriftlich Überlieferten, des in Monumenten Aufbehaltenen und dessen, was noch im
Leben besteht, möglich, wie wahrscheinlich an keinem anderen Ort der Welt. Ich werde
darum nicht sogleich aufbrechen und zurückkommen. Von unserem Ministerium habe ich
genugthuende Schreiben bekommen, auch sagt man mir Geld zu. So lebe ich in Genuss,
Zufriedenheit und Hoffnung.
Ganz der Ihre
Leopold Kanke.
1*. S. Ich grüsse Herrn und Frau von Arnim. Von Krau von Arnim wüsste ich
gern etwas. Beiliegendes Blatt geht wohl leicht mit einen» von Ihnen nach Krank furt. —
Sollte ich neues Geld von Seiner Maj. dem König bekommen, vorher aber die Überreichung
des Buches (wenn ich an diese Dinge gedenke, bin ich voll Dank gegen Sie) unterblieben
«ein. so werde ich alsdann sicherlich ein Schreiben senden, was freilich anders eingerichtet
sein müsste. — Nochmals wünsche ich Ihnen Gesundheit. Wohlergehen, gute, beschäftigte
Tage. Sollte ich Etwas erträgliches zu Stande bringen, so werde ich's Ihnen senden.
Ihr
U.
Koni. 10. Oktober 1829.
Mit ausserordentlichem Vergnügen, mein theurer Freund, empfing ich Ihren Brief
aus Baden, der mir schon auf dem Couvert die Hälfte Ihres Zustande«, Reise, Bad und
Freundin verrieth. Sind Sie auch in Paris gewesen? Wahrhaftig, ich habe gar kein
Hecht und wenig Neigung, eifersüchtig zu sein: ich denke weiter nichts, als dass es mir
nicht hätte schaden können, auf ein paar Tage der Vierte, bei Ihnen zu sein; als solch ein
Vierter lade ich mich zum Voraus auf irgend einen künftigen Sonn- oder Alltag zu einem
Diner ein. Warum hat mir aber Krau von Vamhagen nicht ihre Genesung mit zwei eigen-
händigen Worten vergegenwärtigt? Grüssc sie schön! —
Jede Nachricht von Ihnen verpflichtet mich, einen Anlauf zu nehmen, um Ihnen aus
dem Grunde zu danken. So sorgsam und besser als ich selber vermocht hätte, nehmen Sie
sich meiner Sachen an. Ich wollte. Heine wäre nur dämm hier, damit ich einem Gleich-
gesinnten eigentlicher sagen könnte, wie ich gegen Sie gesinnt bin. Statt Heines wird
Graf Platen, der ihn so übermüthig über die Achsel angesehen und mit Schimpfereien be-
legt hat, im Winter hierher kommen. I'laten bekämpft, was ihm vorkommt, unter Anderen
auch die. mit denen er sich verbinden sollte. Poesie, „an deren Busen er ruht"1), hat ihn, wie
mich dünkt, mit den Lippen berührt, und er weiss sich gut auszudrücken: dass er aber in
dieser Liebe ganz glücklich sei, muss er ein ander Mal auch mit Erfindung und grossen
Gedanken bewähren. Sonst zaviv tö Xifouaiv'-), wenn ich mich des Theokrit recht
erinnere.
Mir meldeten Sie. dass meine Sachen in Berlin gut standen. Ob ich wohl die Hoff-
nungen, die Sie für meine Zukunft hegen, nicht theilen kann, sondern Uberzeugt bin, dass
ich immer ein armer Professor mit schmächtigem Gehalt bleiben werde, übersehen und verab-
säumt, so bin ich doch sehr zufrieden, dass man gut von mir denkt, da das sogar mein einziger
Besitz in dieser Welt. Kesignirt man sich, so kann man sogar ohne den leben. Aber Goethe.
Wollten Sie ihn wohl wissen lassen, dass sich Freitags am 2S. August eine kleine Gesellschaft
in der Osteria Campnna wo nach einer von Wilhelm Müller stammenden Überlieferung
Goethe seine römische Liebste die Stunden in den vergossenen Wein zeichnen sah, zusammen-
fand. Kiner erzählte die Geschichte von dem, ich glaube auf Friedrichs IT. ausgebrachten
Toast: „Kr. er lebe*. Hin anderer versetzte: „Hier ist er", und brachte eine kleine Büste
von Goethe, die er von Uiepenhausen geborgt, aus der Tasche hervor. Wir assen und tranken
J> Au» dem f». Akt von l'latens Romantischem Ödi|>us, bei Redlich, II. Till. S. 409.
ll'seudo-) Theokrit. Id. J7. V. JH.
BiograpbiHche Blatter. I. 20
Digitized by Google
4 43
Biographische Blätter.
zur Verwunderung- gut, (die Osteria ist sehr schlecht); wir lauen, Loose ziehend, aus den
Elegien; nachdem wir durch ein sehr lebhaftes Zwiegespräch einer beleidigten und wieder
beleidigenden Donna mit ihrem ehemaligen Liebhaber unterbrochen worden, warf man die
Frage auf, welches Goethe'sehe Werk einem Jeden da* liebste sei. Man entschied sich für
Faust und Elegien, einer für die Wahlverwandschaften : der, welcher die Frage aufgeworfen,
wollte selbst nicht ganz redlich antworten; er versicherte, ihm gefalle der Komplex dicker
Werke. Worüber denn viel Debatte. Die Octava halben Riepenhausens begangen. Sonst
ist Goethe bei den Künstlern nicht beliebt ; man sagt es mir, ich kenne fast keinen.
Ich meinerseits lebe still für und vor mich hin, sammle Manuskripte, mancherlei Mittel-
massiges, weniges Auserlesene; baue oft in Gedanken die neue Welthistorie auf; hege meine
kosmopolitischen Wünsche und weiss, wo ich Abends hingehe. Was will abgedachter, armer
Professor denn mehr? Auch schreibe ich zuweilen etwas. Unter anderem, erschrecken Sie
nicht, aber wo sonst nimmt man denn kleine gelehrte Abhandlungen auf, die keine Rezen-
sionen sind? in den Wiener Jahrbüchern über Don Carlos und was «lern mehr anhängig.
Sie werden es vielleicht schon gelesen, und gerichtet haben. Ich habe einen Dukaten ;in
Honorar verloren, um zwanzig besondere Abdrücke davon vertheilen zu können. Davon wird
man Ihnen nicht nur einen, sondern sogar mehrere zustellen. Den Kronprinzen könnte man
ohne besondere Veranlassung mit dergleichen wohl nicht behelligen: Herrn von Humboldt,
Ancillon und andere Gönner wohl eher. Hier fehlt mir nun z. B. ein Gespräch mit Ihnen,
welches mich sogleich in Stand setzen würde, darüber zu entscheiden. Eigentlich wünschte
ich, dass auch der spanische Ambassador davon Notiz erhielte. Sobald ich von der Rückkehr
Herrn Alexander von Humboldts wissen werde, will ich ihm unverweilt schreiben. Es ist
aber alles so weit und dauert so lange. Das beste übrige Exemplar meines serbischen Ruches,
mein eigenes bleibt Ihnen zugesichert. Ich habe es noch nicht in Hlinden gehabt,
Hätte ich in Kurzem Müsse und glückliche Stunden, so schriebe ich etwas Anderes,
nichts Historisches, wenigstens nicht geradezu, und Hesse Sie und Cotta, darüber schalten.
Künftigen Dienstag — heute haben wir Sonnabend — will ich — wie ich denke, in
Begleitung des Professor Gerhard nach Neapel. Früher haben es meine Manuskripte,
welche die halbe Welt umfassen und einen guten Koffer Hillen. Sie müssen wissen. da>s
mir zwei Kopisten dienen, von denen der eine früh bis Abends schreibt nicht zugelassen.
Ich fürchte Gräfin Voss nicht zu finden. Sie wollte, soviel ich höre, die Abwesenheit des
Königs benutzen auch wegzugehen. Ich habe von hier einige Adressen an Eeeellen/.e und
Patres Revcrendi.
Doch will ich da nicht arbeiten. Ich komme vor Mitte November zurück, um die
erst in den letzten Tagen angelangte Krlaubniss. eine an Nunziaturrelationen reiche Sammlung
des Prinzen Corsini zu sehen, mir zu Nutze zu machen: zu Anderm hat der Archivar
Hoffnung gemacht. Dann stehen mir zwei florentinische Monate bevor. —
Hierauf soll ich nach Venedig kommen, und man wird mir die im Archiv enthaltenen,
vor mir sonst nicht gesehenen Relationen der Ambassadori. wie ich wenigstens hotfe. ein-
händigen. Wenigstens ist eine günstige Entscheidung aus Wien angekommen. Ich hege
darum fast selbst den Wunsch, nicht nach Paris zu gehen. — Ich will vielmehr aus Italien
unmittelbar nach Hause zurückkehren und zu einer grösseren Ausarbeitung schreiten.
Nur bedenke ich zuweilen, dass es mir nicht sehr Wohlgefallen wird, mit den alten be.it.-
zugten 500 Rthlr. Haus zu halten. Si volc pazienza. sagen die Italiener. — Ins zum Dezember
hin werden mich also Briefe hier treffen: und ich hoffe ihrer aus Ihrem Haus zu erhalten:
mit guten Nachrichten von ihrem Wohlergehen, von fortgehenden erwünschten Zuständen
und unveränderlicher Wohlgewogenheit gegen mich.
Ihr eigen
L. Ranke.
V\n mich deutlich auszudrücken, bitte ich Sie von fünf Exemplaren eines selbst zu
behalten, eines an Ancillon zu gehen, ein anderes Herrn von Humboldt bei seiner Rückkehr:
Digitized by Google
Briefe Leopold von Ranke's an Varnhagen von Knse und Rahel. 444
das vierte soll für den Kronprinzen bleiben, auf den Fall, das* davon die Kode wäre, und
er es wünschte: das fünfte wünschte ich nach Spanien. Sollte ich mehr senden können, so
künnen Sie damit machen, was Ihnen beliebt
Koni. 29. .Marz 1880.
Ks ist schon so lang? her, dass ich keine Nachricht von Ihnen habe, mein tbeurer
Freund, dass mich nach einer solchen sehr verlangt. Wenigstens hoffe ich, dass keinerlei
Unwohlsein Ihre ThUtigkeit gehemmt haben wird.
Seit ich Ihnen schrieb, war ich in Neapel. Glückliche Krinnerung. Ks wird mir
wohl zu Muth, wenn ich mir die Wohnung vergegenwärtige, mit der schönsten Aussicht
über das weite Meer und nach den umgebenden Bergen. Meine Studien, die diesmal ganz
dem Alterthum galten, den Gegenständen, die man sieht, gemäss, so wie dem Boden, den
man betritt, der Luft, die man athmet, — es ist unmöglich, dass man dort nicht versuchen
sollte, sich die Welt der Republiken, die einst in der .rügend der Menschheit an dieser
Küste blühte, in der Vorstellung hervorzurufen: die kleinen Reisen, die ich unternahm,
bezogen sich darauf, und alles was man Merkwürdiges trifft, gehört schlechterdings der
nämlichen Periode an — die lange versäumten alten Poeten zog ich hervor und um mich
nicht ganz von meinem Pfade zu verlieren, musste ich zurückeilen. Für mich enthielt die
Bibliothek nichts von besonderem Werth. Ich war einmal ganz ein Reisender. Sollten Sie
den Grafen Voss sehen, dessen gütige Aufnahme mir meinen Zustund doppelt angenehm
machte, so haben Sie die Güte, ihm meine treue Krinnerung zu melden.
Seit dem November bin ich wieder in Rom. und komme ich einmal zurück, so will
ich Ihnen zeigen, dass das nicht ohne grosse Vortheile gewesen ist. Meine Fortschritt«
sind freilich langsam; indessen sehe ich die Kntwickelung der modernen Welt sich von mir
ohne mein Zuthun in handgreiflichem Fortschritt zusammensetzen.
("her die Kntwickelung so der Poesie, als der Kunst, bin ich den Spuren, die ich
schon früher aufgefunden hatte, mit allen» Eifer gefolgt. Über jene habe ich bereits einen
ausführlichen Aufsatz ausgearbeitet; über diese bin ich weiter zurück. Doch Faden knüpft
sich an Kaden: und durch aufmerksames Anschauen thut sich mancherlei auf.
Ich besinne mich nicht, ob Sie in Ihrer Biographie, nach welchem Werke mir hier
von vielen Seiten Verlangen bezeugt worden ist, einer Apologie Theodors gedenken, die als
Antwort auf ein ditfamatorisches Dekret von Genua in Briefform verbreitet ward. Ks ist darin
von Unterhandlungen, die Russland durch einen Baron, der bald Genof, bald Neowolf.
bald Newof geuannt wird, mit Portugal führte, die Rede. In Livorno sei er allerdings
wegen eines protestirten Wechsels ins Gefängnis* gesetzt worden, jedoch habe er sich nur
angestellt, als habe er kein Geld, um jeden Verdacht wegen seines Projekts zu vermeiden.
Kinen Auszug: hieraus und einige gedruckte Bücher über Korsika werde ich mitbringen.
Von .Pürsten und Völkern' soll eine neue Auflage gedruckt werden. Leider kann
ich. da meine Papiere noch nicht vollständig und überdies* zerstreut sind. einige auch
bei Ihnen nichts Wesentliches dafür thun. Ich bin wahrhaft missvergnügt, dass ich
mich einer so schönen Gelegenheit nicht hesser bedienen kann, vielleicht verschiebt es
Perthes noch. Wäre denn wirklich mein Heft über Don Karlos nicht bei Ihnen ange-
kommen? Gerold hat ausgesagt, er habe die besonderen Abdrücke schon im Oktober nach
Berlin befördert. Hier hatte ich damit die besondere Genugthuung. also, dass der sächsische
Agent, ein Sohn des Hofraths Platner von Leipzig, ein Mann von fünfzig Jahren, sich
während einer Konversation bei Bunsens hinsetzte, das Schriftchen ergriff und nun weder
auf Musik noch Gespräch hörte, bis er es durchgelesen hatte, worauf er von nichts
weiterem redete, so oft ich auch versuchte, auf ariden» Gegenstünde zu kommen. Ich bin
schon mit der Wirkung auf einen Menschen zufrieden. In Deutschland wird man mich
vielleicht desto schlimmer hernehmen. Wollten Sie mir nicht schreiben, ob der dritte Band
der Reisehilder so über alle Begriffe entsetzlich ist, wie man mir sagt und schreibt? Auch
wer die Karoline in dem Berliner Musenalmanach. Von dein Treiben dieser Litteratur hört
Digitized by Google
445
Biographische Blatter.
man Uber das allgemeine Tosen aus der Ferne nur einige der besondersten Stimmen sieh
erheben. — Frau von Arnim wäre zu benachrichtigen, dass eine Gräfin Eglott'stein aus Weimar
hier ist. mit deren Betinden es sich etwas bessert. Wie geht es Ihnen mit unserer Frank-
furter Freundin? Kino hiesige Kunstausstellung glänzt durch französische, nicht durch
deutsche Werke. Vernet hat eine Judith in dem Moment. das* sie gegen den schlafenden
Holofemes das Schwerdt schwingt, gemalt, welche durch kühne, neue und lel>endige Auf-
fassung .Federmann entzückt. Ich linde, dass es den Deutschen auch an Gegenständen
fehlt ; sie malen nur das hundert Mal dagewesene.
Halte ich nicht heute gute Konversation, so von Kinem aufs Andere überspringend?
Sie verzeihen mir schon, da ich Sie doch nur eigentlich um Nachricht von Berlin, Ihnen
und Ihrem Hause, d. h. Ihrer Frau Gemahlin lütten wollte. Die müssen Sie aber nach
Florenz senden, unter Martens Adresse, wo möglich ohne besonderes Gouvert. Von ganzem
Herzen bin und bleibe ich der Ihre. L. Hanke.
Florenz. :>!>. Mai 18.10.
Der schöne Gruss Ihres Briefes, mein theurer Freund, den ich bei meiner Ankunft
eben eingetroffen fand, erfreute mich nicht wenig. Ich hoffe, dass in der Zeit zwischen
seiner Absendung und meiner Antwort der Frühling Ihre Schmerzen vollends gehoben haben
soll. Wenn Sie aber durch den Winter leiden, wäre es nicht einmal möglich, dass Sie ihn
in Pisa oder Horn zubrächten? In Korn, wo selbst der letzte, welcher harter war. als
Jemand sich erinnert. Kranken, die ich kannte, ausserordentlich geholfen hat. Man weiss
dort meistenteils von jenen schneidenden Winden nichts, die alle leidenden Theile und
auch die inneren heftig angreifen. Auch denke ich. dass indess die hallischen Tumulte sich
ein wenig besänftigt halten werden. Sie haben entschieden Partei genommen. Ich finde
noth wendig, dass eine Heibung kommen musste. Unleidlich ist es am Knde doch, dass ein
Professor der Theologie Dinge behauptet, die den Grund des christlichen Glaubens auf-
heben, während er sich diesem selbst akkomodirt, Vielleicht ist es nur ein Mangel an
Talent und Tiefe, dass er nicht weiter herausgeht, nicht kühn und im Ganzen angreift,
aber was soll erst aus seinen Studenten werden? Die Religion liegt ohne Zweifel in
innerer Wahrhaftigkeit. Diese Halbheit droht uns um alle Religion zu bringen, und vol-
lends zu entmannen. Freilich ist der Fanatismus der Gegner ganz unerträglich, und ihr
Anspruch, die Welt einzurichten, wenngleich sie. die Wahrheit zu sagen, doch eigentlich
legitim sind, muss ihnen verleidet werden. Aber warum sollten sie nicht als Sekte bestehen
können, als integrirender Theil der kirchlichen Gesellschaft, nur ohne Superiorität?
(! dicklich, wer nichts mit diesen Dingen zu schaffen hat. - Ich bin. wie Sie sehen, nach
langem Zöirern am Knde doch von Rom fortgegangen. Der letzte Monat war an Genuss
vielleicht der reichste von allen. Der Frühling stimmt mich immer höher und verjünirt
mich wi<«der. Wir hatten ihn in seiner ganzen Schöpfungsfülle. Aus den Gärten des
Augustus in diu blühenden Kosengärten zu steigen, aus dichter Wildnis», die über zerstörten
Mauern gewachsen, hervorzutreten auf die Dächer der Kaiserpaläste, und dieses grosse
Welttheater überschauend, zu gemessen. die Ruinen werden uns lieb als Ruinen: sie
sind ein Theil der Natur. Noch einmal übersah ich in den Sammlungen die Hervorbringungen
alter und neuer Zeit. Meinen eigenen Krwerb war ich genöthigt zusammenzuzählen. Kurz
vor der Trennung ist es zu natürlich. da>s man noch einmal zärtlicher gegen seine Freunde
wird. Ich lebte da in einer tausendmal glücklichen Beschäftigung: dann riss ich mich
los und machte diesen Spaziergang nach Florenz. So wie wir zuerst die Canipagna hinter
uns hatten, war es ein einziger Spaziergang. Meine Lust zu wandern und die hässliche
Gesellschaft, die ich leider hatte, machten, dass ich des Tags nicht viel über zwei Stunden
in oder vor dem Wagen kam. Wie ist aber das Land so schön! Reizend in dem wilden
Gebirge und gross in den blühenden Thälern. So mit sich allein, nicht allzu angestrengtes
Wandern, wieder Ruhe: Abstecher nach den Wasserfällen und berühmtesten Kirchen, man
konnte das schon aushalten, l ud so kam ich hierher zurück. Florenz s;ih mich ganz unbe-
Digitized by Google
Briefe Leopold von Ranke's an Vamhagen von Ense und Habel.
446
deutend an: ich warf mich, sobald es mir möglich war. ganz in die Studien, und bin schon
mächtig mit neuen Büchern und Manuskripten umgeben. Die Gesellschaft ist mir gleichgültiger
als je geworden: und ich horte ganz ernstlich, ein floreutinisches Kapitel zu Stande zu bringen.
Ich denke nicht allzu lang bleiben zu müssen. Herr von Martens hat neue Instanzen
wegen des Archivs gemacht: im besten Fall wird die Erlaubnis* sehr beschrankt gegeben
werden. Ich werde demnach bald nach dem *24. Juni, Anfangs Juli, denke ich, nach Venedig
gehen, wo mich Schwierigkeiten erwarten, aber ich doch ein gewisses Gelingen hoffe. Als-
dann komme ich bald nach Berlin zurück. An keinem andern Ort habe ich grosse Arbeiten
vorzunehmen.
Gerold ist wiederholt gemahnt worden und hat behauptet, die Sachen schon im Oktober
expedirt zu haben. Sollten Sie etwas davon empfangen haben, so halten Sie die Güte, nach
so langer Verspätung nur die allernothwendigsten Kxemplare zu vergeben. Thun Sie
nehmlich nach Ihrem Gutdünken.
Platen hal>e ich in Kom häufig gesehen, um so mehr, da er krank wurde und meine
Krankenpflegernatur dann gleich in Anspruch nahm. Kr hat viel warmes Gefühl für die
Form, Übrigens aber entsetzt er Jedermann, wenn er den Alfieri dem Shakespeare vorzu-
ziehen scheint. Von Deutschland hat er einen ganz falschen Begriff. Heine hat er unver-
antwortlich beleidigt, und das ist der einzige Funkt, über den ich mit ihm zusammengerat hen
bin. Er hat etwas Stilles, Leidendes, (ieisterhaftes in seiner Erscheinung. Er wird nicht
lange leben.
Dass ich Ihre Frau Gemahlin von Herzen grüsse. und die (iedanken mit an sie ge-
richtet sind, versteht sich von selbst. Ich küsse den Saum ihres Kleides. Frau von Zie-
linski könnte vielleicht erinnert werden, dass sie mir einen Brief schuldig ist. Wenn sie
ihre Schuld hierher zu zahlen gedenkt, müsste sie's sogleich thun. Auf jeden Fall muss
ich hier bleiben, bis ich Geld habe, was mir heiliegender kleiner Brief vorschaffen soll, den
Sie schon die Güte haben, sobald als Ihnen nur möglich ist, an Professor Heinrich Ritter zu
schicken. Kommt Frau von Arnim Abends zu Ihnen, so erzählen Sie ihr etwas Gutes von
mir. Leben Sie wohl. Ich bin und bleil»e Ihr getreuer Leop. Ranke.
•
Venedig, den ö. August 1830.
Ich melde Ihnen, mein verehrter Freund, dass ich zum zweiten Mal in Venedig ein-
gelaufen bin. Toseana habe ich nicht ohne Satisfaktion verlassen. Nicht allein bin ich in
die medieeisehe und florentinisehe Geschichte ziemlich eingedrungen: ich habe auch die
?iussersten Schwierigkeiten, die sich mir bei Benutzung des Archivs entgegensetzten. Uber-
wunden, und mich Uber die Ereignisse unter Karl V. vornehmlich in Deutschland trefflich
aufgeklart, l'eberdies war hier vieles andere zu lernen. Mit ausserordentlichem Interesse
habe ich die Entwickelung der florentinischen Kunst Schritt für Schritt l>egleitet: ich finde
leider meine Fähigkeiten beschränkt, jedoch glaube ich nicht in den wesentlichsten Punkten.
Wie herrlich ist Pisa! Hier habe ich wieder Ihres Winterübels gedacht. Pisa ist so mild,
und ein Aufenthalt wie ein deutsches Bad. Sie sollten doch einen so guten Kntschluss
fassen, wie der dort einmal hinzugehen: nur nicht just dann, wenn ich wieder zurückge-
kommen bin. Nie werde ich den Morgen vergessen, den ich in Anschauung der wunder-
vollen Denkmale daselbst genoss. Da ich nun gethan hatte, was zu thun war. meine
Sammlung über mehrere hundert Bogen vermehrt, mit neu gekauften Büchern und Manu*
Scripten, die mir gut zu Statten kommen sollen, eine ganze Kiste angefüllt sah - da
ging ich ruhte und getrost fort: nichts hielt mich zurück, keine Neigung, noch Freundschaft;
nur gestehen muss ich. dass mir Toseana minder gefällt, als andere Theile Italiens. Ks ist
so civilisirt. dass rein nichts . als die ( Zivilisation in diesen Menschen Übrig geblieben ist.
Ich sah die ganze Bevölkerung von Florenz am Himmolfahrtsfeste auf die Wiese vor der
Stadt strömen: da war al^er an kein Spiel, an keinen Tanz, an keinerlei originelles Lebens-
zeichen zu denken. Man ging Ann in Arm spazieren, redete nur so weiter, wie man zu
Hause zu thun pflegt, und labte sich an schlechtem Weine. An dem .lohannisfeste war
Digitized by Google
447
Biographische Blätter.
auf einer Arnohrücke ein Feuerwerk: die Menge drängte sich, es zu sehen: eine Unzahl
von Menschen war zugegen; aber ich stand oben dort auf einer Terasse, wo das grösste
Gedränge war. man horte keinen Laut; selten sprachen ihrer zwei. Dies mag nun sonst
ganz gut sein, obwohl es seltsam. dass man dabei gar nicht unterrichtet ist, und dass z. B.
die meisten Frauen nicht schreiben können (haben sie einen Brief an ihre Schwägerin aus-
zufertigen, so lassen sie den Priester kommen) allein langweilig ist es doch. Genug, mit
völliger Zufriedenheit begab ich mich hinweg. Ich hatte eine herrliche Heise nach Bologna,
den ganzen Hintergrund eines geräumigen Wagens hatte ich für mich okkupirt. Die
schönste Gesellschaft war glücklicher Weise nicht in demselben, wo sie etwas unbequem
geworden wäre, sondern in einem eigenen Wagen, und in den Gasthöfen mir zur Seite.
Nichts geht Uber die Heiterkeit und Anmuth italienischer Nächte. Am Morgen stieg ich
zu Fusse das Joch der Apenninen hinan: ich kam so viel reicher wieder, als ich vor
anderthalb .Jahren gegangen war. ich bat den Vater Apenninus, mich die Geschichte, die zu
seinen Füssen vorgegangen, deren Denkmale er mich sammeln sehe, nun auch in aller
Wahrheit schreiben zu lassen, und mir seinen Hauch nach Deutschland zu senden. Gott
ist doch in jedem Orte besonders gegenwärtig. In Bologna habe ich die Bildwerke der
dortigen Schule mit den Auaren neu gewonnener Hinsicht wieder zu betrachten gehabt,
und habe da ein paar Tage zugleich genossen und gelernt. Hätte ich Gold, so könnte ich
in Padua einen vortrefflichen Kauf altvenezianischer Chroniken machen, ich habe versprochen
wiederzukommen. Doch ist meine Hoffnung klein. Am 4. August bin ich wieder in
Venedig angelangt. Mit unaussprechlichem Genügen sah ich mich des Abends wieder auf
dem Markusplatz. Kr kam mir vor wie ein ungemeiner Konversationssaal, wo Musik und
Gesang, behagliches Dasein, lebendige Bewegung: und uns hindert nichts, auf und ab zu
gehen, und uns die Jahrhunderte zu vergegenwärtigen, denen die Denkmale angehören, die
auf uns niederschauen. Das Reizende besteht in der Mannigfaltigkeit angenehmer Gefühle,
die sich unser mit Hinein Male bemeistern. Hier ist es mit dem Krhnbenen vereinigt.
Meine Unternehmung lH*st sich für s erste gut an. Ich traue zwar nicht, bis ich in den
Händen habe, doch hoffe ich hier, wie ich meine, mit Grund.
So spielt das Leben in leichten Wellen zu meinen Füssen; aber was ich aus Berlin
höre, dringt mir ans Herz. Uber die rationalistischen Bewegungen bin ich zu fragmentarisch
unterrichtet, um nicht meine Meinung suspendiren zu müssen; — schändlich aber ist es. was
man da von Dom Miguel schwatzt. Wenn ein anderer, so weiss ich. dass dieser Mensch von
Natur schwach und feig ist: weil er schwach ist, ist er falsch, weil er feig ist, ist er grausam.
Gott behüte mich vor einer Billigung seines Betragens. Ich habe gesagt, dass der Grund
seiner Vergehungen elende Schwäche ist : übrigens was seine Frage staatsrechtlich anlangt,
glaube ich. dass er nicht ganz Unrecht hat. Ks kommt in Hinsicht der Berechtigung Dom
Pedros darauf an. ob ein Fürst auch ein Bürger seines Landes ist, ob der Kaiser von Brasilien
ein Brasilianer oder nicht, es ist dasselbe, wie ob der Herzog von Cumberland. wenn er
Konig von Hannover sein wird. Fähigkeit zur Hegen tschaft von England hat. Wahr ist.
dass man über diese Sache besser schweigt-, weil die parteiische Welt nur ein völliges Ver-
dammen oder ein«; blinde Bewunderung kennt. Uber Philipp II. weiche ich keinen Schritt.
Kr ist ganz wie ich gesagt, habe. Jeder Tag bestätigt mich mehr. Nachdem ich den Stoff*
meiner hiesigen Arbeiten übersehe, hege ich die Hoffnung in etwa .1 .Monaten fertig zu sein.
Ich hätte schiine Zeit, noch im Dezember nach Paris zu gehen. Denken Sie aber, dass das
Ministerium mir in dem ganzen Jahr keinen Pfennig ausserordentlich gegeben hat Ich
weiss nicht, ob es möglich sein wird.
Von ganzem Herzen grüsse ich und bitte Sie. keinem Zweifel an mir Kaum zu geben.
An Ihre Gemahlin und Gesellschaft besonders Frau von Arnim schöne Grüsse. L. K.
Der vorstehende Brief ist der letzte, den Wanke von der Weise aus an Varnhagen
und dessen Gemahlin geschrieben hat.
Digitized by Google
FUnf -Briefe Ernst Moritz Arndts.
448
Fünf Briefe Ernst Moritz Arndts.
Mitaretheüt von LUISE V. BENOA.
Die folgenden Blätter bringen nichts, was man nicht schon in andern Briefen
oder in »Schriften des thenren Mannes gelesen hiitte, und hedürfen darum auch
keines Kommentars: aber herzlich und wuchtig im unmittelbaren Ausdruck eines
wohlberechtigten tiefen Grimmes sowohl als einer noch viel tieferen hoffnungsstarken
Vaterlandsliebe werden sie willkommen sein. Sie ergänzen die schöne Sammlung
«F.. M. Arndts Briefe an eine Freundin" (Berlin 1878): denn an den Sohn dieser
Charlotte v. Kathen, Karl, der auch mit seinem dem Forstfach ergebenen Bruder
Ernst 1819 auf 1820 in Bonn studirt hat, sind vier Briefe gerichtet, an sie selbst der
fünfte. 1838 wurde Karl v. Kathen Landrath, später Geheimer Regierungsrath
in Stralsund. Er war mit Antonie v. Benda vermählt. Die Briefe des „ältesten
Freundes- an die Mutter ziehen sich mit gleicher Herzlichkeit durch beinahe fünfzig
Jahre: die erhaltenen an den Sohn setzen erst in der Zeit ein, da Arndt, 1840
durch Friedrich Wilhelm IV. hochherzig, aber zu spät von der akademischen Ver-
bannunir und Demagogenacht befreit, den Zickzack wegen des genialen Königs mit
wachsendem Unmuth folgte, bis er selbst unter den Boten die Ablehnung der
deutschen Kaiserkrone erfuhr.
Bonn, den 18. des Hornungs 1844.
Lieber Karl!
.... Zuvörderst Dank, herzlichsten Dank aller der freundlichen Erinne-
rungen von Verläufen und Begebenheiten, hinter welchen nun bald ein Viertel-
jahrhundert abgerollt ist. Gott weiss am besten, warum das und jenes hat ge-
schehen müssen, und damit hat Unsereiner bei allen Hetzereien der Zeit sich denn
auch bemhigen müssen. Es sind ja unterdessen mehrere Bären und auch Hasen
genug gejagt worden und eben sclieint auf andere Weise eine ähnliche -Jagd wieder
frisch beginnen zu wollen. Gott tröst es!
Was nun meine sogenannte Wiederherstellung oder Genugthuung betrifft,
so können erstens Könige verlornes Leben und Kraft nimmer wiedergeben, und
mit sogenannter Genugthuung und Entschädigung ist es auch — so eine eigne
Sache. Da lügen pomphafte Berichte und Zeitungen ä Conto mit, und sogenannte
äussere Ehren -Ordens- Bänder — was sind sie? was gelten sie noch? Ich hatte
und habe meine Orden bei den Redlichen und Edlen im deutschen Volke und
solchen Orden können Könige nicht geben noch schaffen. Und dabei soll es bleiben!
Dein Brief ist also über ein Jahr alt, und ich sehe, dass Du Deinen Muth
in demselben in eine gewisse fröhliche Laune hinein zu spornen suchst , auch
klingen einzelne Töne, als wenn der Muth wohl oft auch in einen Unmuth um-
schlagen wolle, und zwar in einen sogenannten Regierungsrathsunmuth. Ich muss
hier wieder rufen Gott tröst es. Wir sind unterdessen vom 25. Januar 43 bis
zum 18. Februar 44 ungefähr um 13 Monate älter geworden und mögten jeder
in seinen verschiedenen Beziehungen wohl dreimal unterstrichnen ! ! ! machen. Ihr
da d raussen wohnt (bu h noch mehr an den äussersten Ecken und nördlichsten
Landsorten; wir hier sitzen mehr in der Mitte der grossen Weltbewegungen und
der grossen und kleinen Zitterungen und Kitzelungen; denn auch der Kitzelungen
hat es mehr als zuviel, und zwar diesseits und jenseits. Du verstehst mich wohl.
Ich fürchte, ich fürchte, die Engen und Dummen werden endlich wieder Recht
behalten, indem sie die Bannen lesen lein en, während die Heuschrecken, welche sie
Digitized by Google
449
Biographische Blatter.
nicht, fanden können, mit ihi*er verheerenden Pest sieh auf die letzten fruchtbaren
Felder niederlassen wollen. Es tobt und lärmt durch einander, es verschiebt und verführt,
sich auf den Weyen, die noch fahrbar waren, kurz es scheint mehr rüYklaufen
zu wollen, als vorwärts laufen zu können. Im Allgemeinen, Grossen, wo die Zeit
so laut helft! ruft, wird nichts gethan. und an dem Kleinen und Einzelnen arbeitet
und ärgert, man sich selbst höchsten Orts mit vergeblichen und eitlen Mühen ab.
Und nun wie sausen die Mücken, da sie merken, dass der Löwe brüllen muss!
"Wie wild dies Gesumse und Genecke zunehmen! Doch wohin? fata viam inve-
nient. Für Deutschland ist mir in letzter Auskehrung nicht bange, aber wir
hofften eine milde und muthige Leitung und Fortleitung in Frieden und Ehren.
Nun Lebewohl und grüsse Dein Weibchen sehr von uns. Beiliegende Blatter
gieb der Mutter. [)ejn
E. M. Arndt.
Bonn, den 24. des Hönnings 1845.
Lieber Karl. Die alten Freunde thun es einem an, und da ich garniehts
vollbringen kann, wenn es nicht in Einem frischen Stoss und Ruck gewagt wird,
so gebe ich mir für einmal einen kleinen Kuck, um Deinen Worten, die in mehreren
Rin ken und Stössen ins Feld gerückt sind, eine kleine Erwiderung zu gelten.
Also sage ich Dir sogleich zur Einleitung, dass Dein lieber Brief oder viel-
mehr Deine lieben Briefe und die Nachrichten von Eurem Leben und von der
lieben Mutter mir grosse Freude gemacht haben, auch sollst Du -~ damit ich das
Beste nicht vergesse - - der lieben Überdieachselguckerin in Deinen Brief für ihre
freundliche Anmuthung und Erinnerung die beste Gegenmuthung und Grüssung thun.
Was nun das Übrige betrifft, so geliebt* mir in all meiner bekannten Kürze
ein wenig mit Dir zu schwätzein, wie es mir eben durch den Sinn fährt, ohne
mich mit so zierlichen und gelehrten .Parabeln und Gleichnissen zu schmücken,
als die auf Deinem Paniere blitzen.
Du zeichnest Deinen Brief an einer Stelle rex partibus lntideliunr. Ich
fürchte, leider richtig genug. Was ich so gelegentlich von uusern Leuten der
Heimath sehe und spreche oder was ich so seitwärts von ihnen und über sie
höre, das macht mir fast einen solchen Eindruck. Ernstlich preussisirt seid ihr
weiland Halbschwedeu noch nicht, und das mag nicht euer Schlechtestes seyn: aber
auch deutschisirt seid ihr viel zu wenig, und das ist nicht gut. ,1a was ich den
öffentlichen Männern und öffentlichen Dingen so abgelauscht habe, so seid ihr da
selbst noch weit hinter den Altpreussen zurück, die doch ein grösseres Recht
hatten, etwas in sich verhärtet und versteint zu seyn.
In deutscher Beziehung, in Hinsicht auf ein Allgemeines. Grosses. Sehn-
suchtsreiche* und Hoffnungsreiches, was freilich noch nirgends wenigstens mit leib-
lichen Augen erblickt werden kann, ist wohl keine Küste Deutschlands so arm an
grossen Pulsschlügeu des Gefühls und Gedankens als das weiland bischen Schwe-
dischpommern und Rügen und der schöne mecklenburgische Meerstreifen. Wie
werden sie von den eigentlichen Preussen (im engern Sinn) und den Holsteinern
und selbst von ihren Stammgenossen den Hinterpommern (vielleicht Kassnbien aus-
genommen) da von dem Rosenrot h der Beschämung Übergossen und in Schatten
gestellt ! Da ist von euch Herren Regierungsrätheu und Edelleuten und von allen
Gebildeten auch der grösseren Städte unsrer Heimath gar viel zu thun. Denn
ohne Geist grösserer Gemeinsamkeit und höherer Liebe, ohne eine fliegende und
brennende Adlichkeit der Gefühle und Hoffnungen, wodurch wir Deutsche allein
stehen und bestehen können, kommen wir nicht weiter, und müssen uns. wenn
jeder nur immer den Duft seines eignen Misthaufens riechen oder wegkehren will,
Digitized by Google
Fünf Briefe Krnst Moritz Arndts.
450
im ^ejroiiseitiireu Gegeneinanderbruuimen und Murren, das gar mal wieder zu Prü-
gelei weisen könnte, abniüden und abkälteu. Ich kenne die Quellen dieser Er-
scheinung der bezeichneten baltischen Küste und seiner feinen Länder wohl. Ein
böses Wasser derselben ist. was Du wenigstens nicht hast trüben helfen, dass die
Itegierungen und der Adel dort den Bauernstand grösstenteils zerstört haben und
dass also die Masse des kleinen Volks dort nicht allein Gesinde sondern auch Ge-
sindel ist. ohne Sitte und Vaterland: denn beides verheil nothwendig. wer nicht
irgend mit festen Wurzeln im süssen Boden der Erde verwachsen ist.
Und unser König? Wir mögen ihn wohl mit dreifachem Ernst in unser
Kirchen- und Hausgebef einschliessen : denn wir beten da eigennützig zu gleicher
Zeit für unser eigenes Heil. Er ist in eine schwere Zeit gefallen, worin so viele,
die nicht so hoch' stehen, die Tramontane verlieren. Jetzt hat er sieh offenbar
festgefahren, oder vielmehr der Wagen ist allerdings wieder losgekommen aber
scheint in der That zurücklaufen zu wollen. Tn einem ähnlichen Gefühle, und das ist
ein sehr unangenehmes, muss er drin sitzen, und dass er dabei verdrießliche Gebärden
macht, müssen wir es nicht sehr natürlich finden? Kurz, er muss empfinden, dass etwas
geschehen muss. damit der zurücklaufende Wagen nicht umschlage. Ich sage:
es hilft nicht, er muss sich grösserer Lebendigkeit und Öffentlichkeit des Hegi-
menfs bequemen, er muss zu Reichsständen heran: wie das auch werde, sonst
wird ein Verkehrtes über das andere werden. Und meine Kleinigkeit? Du stellst
mich gar zu hübsch zwischen die hohen Nötheu und grossen Gedanken hinein.
Ich weiss nun viel besser, als mir es jemand sagen kann, wie wenig ich etwas
Ungemeines und Ausserordentliches bin; aber das weiss ich auch, dass ich allein
dadureh etwas bin. dass Ein Gedanke mich fünfzig Jahre regiert, hat und dass
ich diesem Gedanken wie ein ehrlicher Kerl immer treu geblieben bin. O wie
gross und herrlich könnte unser König seyn. wenn er in voller deutscher stolzer
Seele einfach empfinden könnte, welche Keime hoher Macht und Ehren in seinem
Volke schlummern, ja welche geweckt waren und in feiger Furcht mit Sand und
Dornen überschüttet wurden.
Doch wohin weiter? Denke dem nach.
Wir grüssen sehr, grüsse auch die herrliche Mutter.
Dein
E. M. Arndt.
• Frankfurt, 19. Windmouds [November | 4H.
Wind in und schreib" ich. Ja. Wind über Wind. Sturm über Sturm, mein
lieber Karl und doch sollen wir fest darin stehen wie alte Bäume, für welche
aber das flecti. haud frangi nicht passt. Dies zur Einleitung. Nun ein paar
Worte über Deinen inhaltschweren Brief.
Alles, was Du schreibst, auch die Gründe, aus welchen Du sehivibst und
mahnst, ist hier erwogen, wird hier erwogen, wird weiter und enger verhandelt,
ist nach Berlin und Potsdam gebracht, wird dahin gebracht. Wird es frommen?
wird es einen Ausgang aus Labyrinthen bahnen, welche Narrheit. Bosheit und
endlich Wahnsinn geflochten und durchflochteii haben? wird nicht blutige Gewalf
diesseits und jenseits über unsre Köpfe bin den Durchbruch machen? Sollte Preussen
in Wildheit und Wüstheit zusammenstürzen, sollte seine Heereszucht sich lösen,
dann — denke dem weiter nach.
Ich mag nichts mehr schreiben, weil ich nichts Klares zu schreiben weiss.
Doch dank" ich Dir zuletzt für die Freude, die Du mir gemacht hast: denn dies
Gefülü, dass es noch treue wackre Kerle giebt. i*t und bleibt eine grosse Freude.
Ade! Dein E. M. Arndt.
Digitized by Google
451
Biographische Blatter.
Lieber Kurl.
Ganz kurz: denn ich fahre eben Abschiedsbesuche herum und bin morgen
in meiner eigenen Hütte in Bonn.
Ks ist jetzt nichts Wünschens wert hes dabei hieher zu kommen. Ich bin
mit dem bessern Kern des Centrums, (Gagern Dahlmann Waitz u. s. w.) ungefähr
">0. vor zwei Tagen aus der Versammlung geschieden, die sich mit einigen Ver-
rücktheiten noch wohl im rothen »Sande verlaufen wird. Die Könige, die wir
nur haben erhalten gewollt, haben uns durch ihre starren Tollheiten die letzten
3 4 Monate schwere und unerträgliche Arbeit gemacht. — Übrigens sollt Ihr
nicht glauben, dass ich an der Zeit und dem Vaterlande verzweifle, obgleich ich
viele dumme und auch wilde Streiche sowohl von oben als von unten vorhersehe.
Ks wird sich durch eine innere Notwendigkeit alles doch zuletzt durcharbeiten.
Gebe der Himmel Dir eine glückliche Hinabsteigung in das stahlende und
reinigende Wasser!
An Bendas Schwerins Jonas und andre Freunde viele treuste Grttsse.
Dein
Frkft 23. des Wonnemonds 4«. K. M. Arndt.
Bonn den 9. des Heumonds 1H4U.
Süss, o süssest ist es geliebt zu werden, von Solchen geliebt zu werden als
von Dir. Du lichtentsprossene und lichtdurchflossene Seele. Da muss es selbst
dem vom ältesten Alter durchschossenen und erkälteten wohl wieder recht wann um
die Brust werden. <) nimm meinen Dank für alle Deine lieben Kragen.
Krank melden mich die Zeitungen? () die Zeitungen lügen viel, aber ganz
gelogen haben sie diesmal nicht. Ich bin allerdings seit 4 Wochen unbass ge-
wesen, wenn man vom Leibe spricht, aber, wie es scheint, doch ohne grosse Be-
deutung. Krank genug bin ich gewesen, und bin es noch, wenn vom Geist die
Hede ist. Wer der irgend ein schwellendes deutsches Herz hat, ist da nicht krank
gewesen und muss noch heute nicht krank sein? Die letzten Monate in Frank-
furt und auch die wundersame Irrfahrt nach Berlin, welche ich mitmachen musste,
hatten mich allerdings mit dem Geiste und mit zerrissenen Hoffnungen, deren ein
gutes Theil unser König vor unsern Augen zerriss, auch körperlich sehr mit-
genommen und erst hier in meiner stilleren Klause fühle ich das iveht. In-
dessen, liebstes Kind, auch nicht Einen ganzen Tag bin ich bettlägerig gewesen,
— und mit dem Leibe geht es wirklich in jeder Hinsicht wieder so leidlich, dass
ich beute früh f> Uhr schon Kirschen gepflückt habe und heut Mittag im Rhein
baden gehen will. Mit dem Geist stehts durch Gottes Gnade • denn auch ich
bin ein Mensch von Gottes Gnaden immer noch gut. Trotz allen Wirren des
Tages und aller Dummheit und allem Unsinn diesseits und jenseits weiss ich in
innerster Brust, dass unser grosses Vaterland nicht in das Nichts zurückfallen
kann, wie langsam und fuchsig seitenspringend und rückschreitend die grosse Kaiser-
und Königsjagd mit dem feinen diplomatischen .lagdgeklapper und wüsten Hunde-
gcbell des Tages auch gehen mag. Die endliche Lösung so ungeheurer Dinge
kann ich auf diesem kleinen Planeten freilich nicht mehr erleben.
Trost des Alters, worauf Du liebste Seele auch hinwinkst, dass es einem
oft ist. als ob man mit unsichtbaren Flügeln - ich will nicht sagen, auf einem
Kliaswagen mit feuerschnaubenden Himmelsrossen — hinweggehoben würde. Ich
habe das Gefühl auch oft und mögte schon die stillste Stille der Abgeschiedenheit
suchen, wenn die Knie, ja wenn das Vaterland und so viele andre kleinen»
Pflichten, die ich dem Scheine nach noch zu erfüllen habe, mich doch nicht in
vielem Gewirre des kämpfevollen Lebens festhielten. Ich habe vor dem Tode noch
Digitized by Google
Karl Hillebrand Uber das Lesen als Bildungsmittel.
452
immer ein Lehen gehabt ; ich meine, so gut Gott der Herr es jedem Alten gestellt,
wenn er in SinnenliLst nicht zu sehr ersoffen und an Goldklum|>enlust nicht zu
hart verwachsen ist.
Sehr freue ich mich, dass Du Dich wieder lebensfrischer fühlst. Ich bitte
Dich dabei hübsch zu bleiben und alle Deine Lieben auf das heimlichste von meinein
ganzen Hause zu grüssen.
Gebe Gott Dir ein fröhliches Herz und hinfort einen schönen Sommer. Hier
am Rhein ist Frühling und Sommer im Ganzen schön gewesen, und das Jahr ist
für Koni und Obst und selbst für Wein ein vielversprechendes.
In deutscher Treue Dein alter
K. M. Arndt.
Karl Hillebrand über das Lesen als Bildungsmittel.
Briefe, mitgetheilt von SIGMUND SCHOTT.
Ein einziges Mal, im Spätsommer 1*80, erfreute ich mich eines persönlichen
Zusammenseins mit Karl Hillebraud. Die kurzen Stunden, wahrend deren ich damals
mit ihm durch Frankfurt wandelte, werden mir unvergesslich bleiben. Der statt-
liche, lebhafte Mann, dem nichts Menschliches fremd war. stimmte voll zu dem
Bilde, das sich der Leser seiner Bücher von seiner Persönlichkeit machen mochte.
Er war ein reicher Mann, der auch in der gewöhnlichen Konversation keine
abgegriffene Scheidemünze verwandte, sondern mit Gold um sich werfen konnte.
End ähnlich gab er sich auch in den Briefen, mit denen er mich seit jener
Begegnung bis kurze Zeit vor seinem allzu frühen Tode auszeichnete. Jeder
einzelne dieser Briefe giebt Zcugniss von der geistigen Höhe und der vornehmen,
selbständigen Denkweise diese«* echten Adelsmenscben. Gir manche Stellen darin
sind allgemeinsten Interesses würdig, und ich habe mir diese Briefe schon seit
lange nicht allein gegönnt. Aber der Yei-suehung, Stellen daraus zu veröffent-
lichen, mauste ich widei-stehen. nachdem ich einmal gehört hatte, dass Hillebrand
selbst sich gegen jede Veröffentlichung aus seiner Korrespondenz geäussert habe.
Zwei der Briefe scheinen mir indessen ihrer Natur nach so sehr ein allgemeines
Bekanntwerden geradezu zu verlangen und in diesem Organ eine so geeignete
Stätte zu finden, dass ich mich entschlossen habe, sie herauszugeben. .Selbst-
verständlich geschieht diese Veröffentlichung mit voller Zustimmung der Wittwe
Karl Hillebrands. Da überdies ein intimer Freund ihres Mannes, den sie um
seine Meinung bat. ihre Ansicht theilte, sah sie keinen (Jrund. ihre Zustimmung
für diesen besonderen Fall zu verweigern, der indessen als Ausnahme zu betnuhten ist.
Die Fragen, die ich stellte, die Bemerkungen, die ich machte, ergeben sich
aus dem Inhalt der Antworten Karl Hillebrands. Ich lasse dies hier wörtlich
folgen, ohne an die von Hillebrand geäusserten Anschauungen weitere Bemerkungen
zu knüpfen.
Florenz. März 1,1. 18S1.
50 l.ung' Amo Nuovo.
Mein sehr verehrter Herr, wohl ist das Studium der alten Sprachen vor Allem formal
von Bedeutung, wie Sie sagen: nur gilt es. sieh zu verständigen. Ich würde sagen: die
formale Seite des klassischen Enterricht.s ist die bedeutendste; aber sie wirkt nicht nur
auf die formale Seite des aufnehmenden <J eiste*. Wie dem auch sei, Sie hüben die Zeit
nicht . "ich noch einmal drei .lahre dieser ( Jeisteszmht (nur der lateinischen • •nimmatik) zu
unterwerfen: und da thun Sie freilich besser, ganz darauf zu verzichten, als es nur halb
Digitized by Google
453
Biographische Blätter.
zu thun: und drei Jahre, täglich zwei Stunden bis drei, sind nothwendig, um das versäumte
Gymnasium allein im Lateinischen nachzuholen. Nehmen wir also das Gegebene als ein
Gegebenes, wie ja auch vernünftige Politiker thun: und da es zu spät Air .Sie ist. die un-
schätzbar formale Seite des Studiums zu bewältigen, machen Sie sich an den Inhalt, soweit
derselbe ohne philologische und philosophische Vorstudien zugänglich ist. Mein liath wäre,
in guten Übersetzungen zuerst die beiden Grundlagen des Alterthums kennen zu lernen
(aber von Grund aus) i. e. Homer und lierodot. Die Sind wie der Vater Oecanos. von
dem Alles ausgeht. Nun handelt sich's aber nicht, sie einfach einmal durchzulesen, um sich
sagen zu können, man hat sie gelesen: sondern sich mit ihnen vertraut zu machen. sie auf
seinem Nachttische zu haben, und nachdem man sie von vorn bis hinten ordentlich durch-
gelesen, hier und da aufzuschlagen und zu ihnen zurückzukommen. In zweiter Linie wurde
ich Ihnen rathen, Hesiod und die Tragiker ganz zu lesen mm Kuripides genügen zwei
oder drei Stücke wie die Klectra, der Hippolyt»: den Aristophanes, denTheokrit: unter den
Prosaikern Thucydides und die Memorabilien des Xenophon: vielleicht auch die drei eisten
Dialoge Plato's (Kutyphron. (Yiton und Apologie, die nicht metaphysisch sind): endlich
Lucian. — Ich glaube, das ist ganz genug: die Lyriker. Pindar und was wir von den
Andern haben, ist Alles so gräulich verdeutscht (leider auch die meisten Prosaiker), dass
wenig daran zu holen ist in der Übersetzung, lud dasselbe gilt in viel höherem Grade
vom Lateinischen: ich kann mir sie gar nicht in der Übersetzung denken (der deutx hen,
wohlverstanden: denn die Romanen haben mehr Verstand niss dafür als wir Germanen). Ich
muss mir noch immer denken, dass Sie nach einem Jahre tüchtigen Studiums (je 3 Stunden
den Tag. die Lehrstunde mit eingerechnet) im Stande sein würden, den Phaedrus und Cor-
nelius Nepos zu lesen und dann im '2. Jahre allmählich auch Ihren Virgil und Cicero, endlich
Ihren Horaz und Tacitus im 3. Jahre zu bemeistern lernen würden. Wo nicht, *o sehen
Sie sich auch dafür nach guten Übersetzungen um: allein ich weiss nicht, ob Sie viel Ge-
nuss und Nutzen daraus ziehen werden. Haben Sie denn Niebuhr, Drumann, Mommsen
über römische Geschichte. Curtius. Grote, vor Allem aber Droysen über griechische Ge-
schichte gelesen? Das sollten Sie doch thun. — Überhaupt würde ich Ihnen rathen von
Schriftstellern des 19. Jahrhunderts nur Historiker und Kritiker zu lesen, oder aber Auto-
biographen (die Biographen wie Justi, Herbst, Haym et caetera rec hne ich unter die Histo-
riker und Literaturhistoriker): sonst aber nur wirklich Gutes aus vergangenen Zeiten:
und zwar kennt man kein gutes Buch der Welt nach einmaligem Lesen; und wer den
Faust oder die Odyssee, oder die Divina Commedia (Hier den Hamlet dreimal gelesen hat.
ist reicher, als wer alle Werke der deutschen, griechischen, italienischen und englischen
Litteratur nur einmal gelesen hat. Noch einmal, nicht das Gelesenhaben ist das Wich-
tigste, sondern das Befreundetwerden . das Kindringen. Liebgewinnen eines Schriftstellers.
Ich halte Sie für etwa 25 Jahre alt. Wenden Sie noch fünf Jahre an Ihre methodische
Erziehung. Die unmethodische (die wichtigste) wird dann vom 30. Jahre an um so frucht-
barer und rascher sein. Im Grunde, wer hat nicht die Zeit, jede Woche einen Band zu
lesen? Selbst wenn man nicht Macaulay i*t (der einen bis zwei Bände taglich las), kann
man demnach 50 Bände im Jahre zu seiner Krholung lesen: und liest man sie zweimal —
aber ä distance — so kann man wenigstens 25 lesen. Nun bitte ich Sie, giebt's denn
viel mehr als 50 gute Bücher in der Welt? (ich nehme immer wissenschaftliche, historische,
biographische n. s. w. aus). Werseinen Shakespeare. Milton. Fielding, Addison. Hume.
Sterne und Byron gelesen hat, weiss ganz genug von der englischen Litteratur. welche
doch die reichste der Welt ist: und Sie haben später immer noch Zeit, den Nebenflüssen
nachzugehen. Heute sind die Leute so historisch und indirekt geworden, dass sie ihren
Shakespeare nicht mehr zu verstehen meinen ohne Webster und Turner, Beaumont und
Fletcher. Marlowe und Ben Jonson, Massinger und Lily und was weiss ich. Ist Ihnen
damit gedient , so stelle ich Ihnen mal einen kleinen Katalog zusammen des Klassischen im
wahren Sinne de* Wortes. Nur bedenken Sie immer, das ist nur die Basis, auf der Sie
Karl Hillebrand über da.s Lesen aLs Bildungsmittel.
451
dann frei irrlichteliren müssen: denn das Irrliehteliren ist doch das allein (ienussreiche und
allein Fruchtbare — wenn nur der Boden gut gedüngt und gepflügt ist, auf dem man so
in den Tag hinein säet.
Ihr ganz ergebener
K. Hillebrand.
Aus einem Briefe vom 16. April 1X81.
Lud nun zu Ihren geistigen Angelegenheiten. Ihr Alter. Ihre bevorstehende Heirath,
die grosse Verantwortlichkeit und Inanspruchnahme, welche Ihn? Stellung nach sich zieht,
ändern freilich die Sache total. Lassen wir also ganz die lateinische Sprache und verzichten
wir ebenso absolut auf lateinische Dichter, die in der Übersetzung nicht geniessbar sind.
Bleibt immer noch das gelegentliche Lesen der wichtigsten Prosaiker, sowie der bereits
anempfohlenen (Jrieehen (gebundener oder ungebundener Kede) in deutscher Übersetzung.
Nur müssen Sies nicht machen wie mit der Odyssee ; nicht gleich hintereinander muss
man die grossen Werke wieder lesen: sondern alle vier bis fünf Jahre. Dann gehen Einem
erst neue Schönheiten auf. NiJehst Ilias und Odyssee nun sind die Bücher, die man wie
seine Bibel kennen muss, die göttliche Komödie (aber um's Himmelswillen nicht in der
Übersetzung: besser gar nicht lesen), den Don (Quichotte, den ganzen Shakespeare, die Haupt-
romnne Fielding's. dem Montaigne und Moliere. den Faust und Wilhelm Meister. Das
ist sehr grosso modo: aber in Abwesenheit klassischer Bildung, halte ich die innige Ver-
trautheit. da.s Zusammenleben mit diesen Werken für die einzig mögliche Bedingung einer
ächten (ieschmacks-, (ieistes-. Seelenbildung. Wohlverstanden, nicht, wenn man sie durchliest
als ein Pensum, wie Herr Taine die ganze englische Litteratur ad hoc tieissigst durchgelesen,
um sein Buch zu schreiben und am Ende doch in die englische Atmosphäre ga r nicht ein-
gedrungen war. — Neben diesem täglichen Brod giebt's dann noch so viele andere herrliche
Speisen, die man aber weniger oft gemessen kann, als da sind: die klassischen Tragödien
und Komödien der (»riechen und Kömer, ihre Historiker, die italienischen Dichter wie Ariost
und Tasso oder politische Denker wie Machiavelli. wa-s alles ja ganz kleine Bündchen sind;
einige < 'alderonsche Dramen, einige von Racine und Corneille, dann Pascal. Labruyere, La-
roehefoucault. Lesage, Abbe Prevost (M a n o n Lescaut). Kousseaus Confessions, Voltaires
Ilomane. weiter Chaucer. Milton. Swift, Addison. Sterne: endlich Wieland. Schiller, Kleist,
Heine etc. und Ihr geliebter Lessing. Nicht genug kann ich Ihnen die Pflege des Fran-
zösischen und Englischen (der guten Jahrhundert«!) empfehlen. Niebuhr meint, das beste Mittel
um zu lernen, gut deutsch zu schreiben, sei viel lateinisch zu lesen und schreiben; könne
man das nicht, so solle man da.s Französische nehmen , das nie etwas Ungehöriges dulde.
Und in der That sind alle guten deutschen Prosaiker von Wieland. Lessing und (ioethe
bis auf die Humboldt und Heine perfekt im Französischen gewesen.
Nun blieben noch die anderen Fragen, die Sie anregen und die eingehend zu beant-
worten eine Zeit erfordern würden, die mir nicht zu fJebote steht.
1. Was versteht ein Knabe von Homer? Wie gcniesst er ihn? < Jar nicht, sagen
Sie und ich stimme zu. Darauf kommt's aber nicht an; woraufs ankommt ist, dass einer-
seits die Lektüre seinen Meist ausbildet und entwickelt, ohne dass er eine Ahnung davon
hat und ihn mit tausend Vorstellungen bereichert, ihn an reinste Formen gewöhnt (wie ja
ein Knabe auch den besseren oder schlechteren Dialekt der liegend, die er bewohnt, unbe-
wusst annimmt): andererseits darin, dass. wenn er den Homer mit 10 Jahren wieder in die
Hand bekommt, er ihn lesen kann. ( Ich beziehe mich für Alles dieses auf meinen Aufsatz
in der .Bundschau" vom Marz 1879 Uber Halbbildung i.
2. Wohl giebt das hohe Alter den Werken des Alterthums einen höheren Werth.
Fftnden wir heute bei einer verschollenen Völker>chaft Asiens ein Kpos. so schön, wie die
Ilias. es würde für uns den Werth der Ilias nicht haben können, an der drei Jahr-
tausende sich erhoben, die «lein (iriechenthum und dem Uömerthuni, auf dem alle unsere
Bildung doch beruht. als Basis gedient. Wohl mag zu Christi Zeiten ein Anderer eine
Digitized by Google
455
Biographische Blätter.
ebenso hohe Moral gepredigt haben, als Jesus: aber .Jesus Leben hat achtzehn Jahrhundert*»
die ganze civilisirte Menschheit genährt, getröstet: wohl möchte auch ein anderes Volk eine
Bil»el haben wie das alte Testament; die Bedeutung, die für uns das erwählte Volk und
sein literarisches Nationalnionument haben, die innere Beziehung zu uns. die erst Allem
höheren Werth verleiht, könnte es nicht haben. Die Tradition, d. h. der Zusammenhang
in der Zeit, ist ja das höchste Gut der Menschheit, wodurch sie die individuelle Grenze
vernichtet; sie in der Litteratur, wie im Staate läugnen wollen, ist der Anfang aller Bar-
barei, die Rückkehr zum Atomismus, von dem alle Kultur ausgegangen ist. — Allein auch
abgesehen von diesem Zuschuss an Werth, den die Werke der Griechen durch ihr Alter-
thum erhalten, sind sie auch an sich, absolut, nicht relativ, durchaus unerreicht geblieben,
wenn ich den einzigen Shakespeare, vielleicht noch Dante und Cervantes ausnehme. Goethe
steht uns näher, weil er unserer Zeit, unserer Nation angehört Sie wissen, wie ich ihn
liebe, wie vertraut ich mit ihm bin, bis zu jedem Briefchen oder Gelegenheitsverschen. das
er je geschrieben, wie ich Faust und Wilhelm Meister fast auswendig kann, aber un
jene G rossen reicht er doch lange nicht heran.
Cg,
Die Porträtsammlung der K. und K. Familien-Fideicommiss-
bibliothek in Wien.
V o n
JOH. JURECZEK.
Die Porträtsammlung der K. und K. Familien-Fideicommissbibliothek ist eine
der grössten Sammlungen dieser Art, und da ihre eigenartige Aufstellung die
Lösung vielfacher Aufgaben ermöglicht, welchen die Einrichtung anderer grosser
Sammlungen nicht entsprechen kann, so inuss sie auch in Hinsicht auf das Port rat
die bedeutendste genannt werden.
Der Zeitpunkt ihrer Entstehung ist nicht genau festzustellen wie bei
allen Privatsamnilungen, welche erst dann diesen Namen erhalten und verdienen,
wenn durch oft jahrelanges Mühen eine grössere Zahl ihnen zugehöriger Objekte
sich vereinigt hat. So viel steht fest, dass die Anlage der Porträtsammlung nur
wenige Jahre später, als jene der Bibliothek, zu der sie gehört, begonnen hat.
Als im Jahre 17H1 Erzherzog Kranz, ( i rossherzog von Toskana, seine
Vaterstadt Florenz verliess. um an der Seite seines kaiserlichen Oheims, Joseph IL.
in die Regierung der österreichischen Erblande eingeführt zu werden, brachte er
bereits ausser jenen Werken, welche seinen Studien entsprechend und diese er-
gänzend angeschafft worden waren, eine bedeutende Zahl anderer Werke, haupt-
sächlich philologischen und kunsthistorischen Inhalts mit. sowie eine Sammluntr
von Kunstblättern, darunter wohl viele Porträts. Die planmässige Sorge für die
Bibliothek begann jedoch erst mit dem Regierungsantritte des Erzherzogs Franz.
im Jahre 17U2. Wenn nun auch die naturwissenschaftliche und philosophische
Richtung besonders berücksichtigt wurde, so zeigt sich doch das Bestreben, die
Bibliothek zu einer in allen Fächern reichen Sammlung zu gestalten, so dass >ie
im Jahre 1 H 1 4 bereits 40000 Bünde zahlt: diese Zahl wurde in der folgenden
Zeit durch reichen Ankauf. Erbschaften und Widmungen. Einverleibimg der
Privatbibliotheken der Erzherzogin Elisabeth, des Kaisers Ferdinand, des Kaisers
Franz Joseph und des Kronprinzen Rudolph bis jetzt auf das vierfache erhöht.
Mit der Porträtsammlung stand nur eine bedeutende, doch desto interessantere Erwer-
Digitized by Google
Die Portriitsaimnlung der K. u. K. Familien-Fideiconnuisshibliothek in Wien. 450
bung in Verbindung: der 1828 aus der gräflich Fries ischen Konkursmasse erfolgt e
Ankauf der Sammlung .1. C. Lavaters mit mehr als 22 000 Blättern Kupfer-
stichen und Handzeichnungen, meist Porträts, die zum grossen Theile mit eigen-
händigen physiognomischeii Bemerkungen dieses Sammlers in Hexametern versehen
sind. Kaiser Franz hatte dem damaligen Vorstande der Bibliothek, Hofrnth
Young. persönlich den Auftrag ertheilt, ihn auf den Zeitpunkt der Versteigerung
aufmerksam zu machen, und auf seine Initiative hin begannen dann auch die
Verhandlungen mit dem Generalkreditorenausschuss (Geymüller, Sina. Eskeles und
Hornicker) behufs direkten Ankaufs der Sammlung, welche auch um den Preis
von 2000 h\ erworben wurde. Dieses persönliche Kingreifen des Kaisers, sowie
der Umstand, dass sich in der Bibliothek ausser Lavaters „Physiognomischen
Fragmenten- noch zahlreiche andere AVerke über Physiognomik aus jener Zeit
vorfinden, berechtigen zum Glauben an die Tradition, dass die Porträtsammlung,
wenn nicht speziell der Vorliebe des Kaisers Franz für diese Studien, so doch
der ihnen günstigen Zeitströmung ihre Entstehung mit verdanke, welche von
selbst auf die Anlage von Porträtsammlungen führte. Gewiss aber mag die Liebe
zur Kunst und die edle Absicht des Kaisers, mit Hülfe der Porträts, sowie der
Lebensbeschreibungen der Dargestellten manches Interessante auf dem weiten
Felde der Menschenkenntnis» für sich aufzulesen, bestimmend einge wirkt haben.
Die Bibliothek verwahrt jetzt noch in lfiO Cahiers über 10 000 Heftchen solcher
sauber geschriebenen Lebensdarstellungen, welche zum Zwecke des Studiums der
damals angekauften Porträts nach den Anweisungen des Kaisers mit vieler Mühe
zusammengestellt worden sind. Zahlreiche Aufschriften und Notizen, die von
seiner Hand herrühren, geben Zeugniss dafür, dass, wie der Gedanke zur An-
legung der Sammlung von ihm ausgegangen war. er auch weiter ihr das höchste
Interesse bewahrte und alles selbst anordnete. Mit staunensweilher Energie
strebte er die rasche Vervollständigung der Sammlung an. An alle „K. K.
Missionen- (Gesandtschaften) erging der Auftrag, das in diesem Fache Vorbild-
liche ohne Beschränkung der Zahl anzukaufen. Damit vertraute Personen mussten
Kelsen unternehmen, um Porträts zu sammeln und von merkwürdigen Bildnissen
wenigstens Kopien zu gewinnen. Von allen Seiten langten Sendungen in Kisten
an. Nach dem Tode des Kaisers Franz waren noch 8fi Portefeuilles mit je
100 Porträts vorhanden, welche vor 1835 meist von Keisenden abgeliefert worden
waren, und deren Aufarbeitung den Beamten noch nicht möglich gewesen war.
Auch die Kaiserin Karolina Augusta brachte der Sammlung grosses Interesse ent-
gegen und gewährte ihr reiche Unterstützung.
Der Grundstock der Sammlung wurde während der gewaltigsten Kriege ge-
bildet, und im .lahre 1800 ist sie schon auf «78 Portefeuilles mit 70000 Por-
träts angewachsen. Erst dann gelangt angesichts des enormen vorliegenden Materials
der heute noch massgebende Grundsatz zur Geltung, dass von nun an Porträts von
in irgend welcher Richtung hervorragenden Österreichern unbedingt, von Ausländern
jedoch nur. wenn sie ein bedeutenderes historisches Interesse bieten, zu erwerben seien.
Dieses Anwachsen der Sammlung ergab aber auch die zwingende Notwendigkeit,
sachgemässe ( ataloge zu verfassen. Der Kaiser, welcher ganze Tage in der an
seine Appartements stossenden Bibliothek zubrachte, hatte ein so ausgezeichnetes
Gedächtnis*, dass er von fast allen Büchern den Standort anzugeben w*usste. Dies
wurde ihm aber bei weiteren Anschaffungen immer schwieriger, und besonders
die Porträtsammlung verlangte eine dem Zwecke entsprechendere Anordnung.
Es wurden also die Porträts in den Portefeuilles nach Ständen (Herufsarten)
zusammengelegt, und ein alphabetischer Zettelkatalog, sowie Ständekataloge ange-
fertigt, die 1822 begonnen und deren Reinschriften 183;') beendet wurden. Die
Digitized by Google
457
Biographische Blatter.
Namen und die Vorlegblätter wurden kalligraphisch ausgeführt und den Regeuten-
häusern weitere Vorlegblätter mit deren künstlerisch ausgeführten Wappen bei-
gegeben, welche der Wappenmaler .Stein, einer der geschicktesten Künstler seines
Faches, zu Beginn der dreissiger .lahre ausführte: per Stück wurde ihm hierfür
0 - 10 fl. ( '. M.. für jedes der grösseren bis zu 20 Dukaten gezahlt.
Wie Kaiser Franz mit ganzer Seele an seiner Schöpfung hing, zeigte er in
seinem am 1. Marz 1835 errichteten Testamente. Um ihren Bestand zu sichern,
erhob er die Bibliothek mit den damit verbundenen Sammlungen zu einem Primo-
geiiitur-Fideieommisse für die männlichen Nachkommen. Zur Aktivirung dieses
Fideicommisses wurde von Kaiser Ferdinand eine Kommission unter Vorsitz des
(trafen Taafte ernannt. Die Verhandlungen, insbesondere die Verfassung der
nöthigen Inventare. währten bis 1849. in welchem Jahre «He Ausfertigung der
Fideieommiss-L'rkunde erfolgte. Als Fideicommissbehörde wurde 185h das Oberst -
hofmarsehallamt. als Curator der Kr/herzog Ludwig ernannt, dem 1 8*55 Erzherzog
Leopold folgte. Nach dem Tode des Kaisers Franz ging die Bibliothek, und mir
ihr die Porträtsammluug. in den Besitz des Kaisers Ferdinand über, kam dann an
Erzherzog Franz Carl und nach dessen Ableben 1878 an Kaiser Franz .Joseph 1.
Auch nach dem Tode des Kaisers Franz wurde der weiteren Kompletirung
der Porträtsnmmlung im Sinne ihres Stifters das regste Interesse entgegen-
gebracht. Wenn auch die beabsichtigte Drucklegung in dem bis zum 3. Bande
gediehenen Realkataloge (die erschienenen Bände enthalten die Manuscripten- und
Bücher-, die Landkarten- uud die Ansichten-Sammlung) wegen der Schwierigkeiten
der Bearbeitung, welche zeitraubende Vorarbeiten erforderte. — hauptsächlich
aber wegen der Übei-siedlung der Bibliothek in neue Räumlichkeiten — f auf einen
späteren, ruhigeren Zeitpunkt verschoben werden musste, so wurde doch die rast-
lose Biencnarheit im Innern trotz allem fortgesetzt. Zahlreiche Erwerbungen
bereicherten fortwährend die Sammlung. 1H70 wurde auf Anregung des Direktors,
"Hnfrathes Becker, in derselben Weise, wie es unter Kaiser Franz geschehen, an
die auswärtigen ( Jesandtschaften der Auftrag ertheilt, Bildnisse für die Porträt-
sammlung zu anjuiriren. Reich war wieder der Zufluss. trotzdem der Standpunkt
ein bedeutend schwierigerer geworden war. weil der Ankauf von Doubletten ver-
mieden werden musste. Insbesondere der damalige kaiserliche Gesandte in Spanien.
Graf Ludolf, verfolgte die Sache mit warmem Interesse, das für die Sammlung
um so werthvoller war. da gerade die Beschaffung von Porträts aus Spanien
die irrössten Schwierigkeiten bot. Dort war seit Jahren der Kupferstich sehr
vernachlässigt, und selbst die vom Staate erhaltene ehalcographisehe Anstalt hatte
die früher ausgegebene Porträtfolge seit langen Jahren aufgegeben. Auch litho-
graphische Porträts waren da schwer zu finden, uinsomehr. da Madrid keinen
Laden besass. der den Namen Kunsthandlung verdiente, und man die Porträts
entweder in den lithographischen Anstalten selbst, oder bei den Antiquaren suchen
musste. die ihren Stand meist auf offener Strasse hatten, wo die verzettelten
Blätter allen I iibihlen der Witterung ausgesetzt waren.
Wenn nun noch der IHHH erfolgten Erwerbung der. 2000 Porträts von
l'nirarn enthaltenden Göcsy "sehen Sammlung, dann der so wichtigen Inventarisirung
aller zum Fideicommisse gehörigen Gemälde und Miniatur|>orträts auf den kaiser-
lichen Schlössern und der Anlegung eines Katalogs über die in den Bücherwerken
der Bibliothek enthaltenen Porträts vor allem andern erwähnt wird, so wird die>
geniigen, darzuthuu. wie da* Bestreben der Bibliothek stets dahin gerichtet blieb,
di.- Porträtsamtulung in ihrem Wertbe zu erhalten; nirgend mehr wie hier bedeutet
ja Stillstehen den Rückschritt.
Die Porträtsnmmlung der k. u. k. Familien-Fideirommissbibliothek zählt jetzt
Digitized by Google
Die Porträtsaminlunir der K. u. K. l^iiiiilien-lMileiroinmissIiihlmthck in Wien. 4,")(S
über 00 000 Porträts, welch»- auf jjrl^ic-Ji grosse Kartons angehängt, in TOM Porte-
feuilles *»intf«.»loirt sind. Mit den Porträts in den Büeherwerken und in der Lavater-
snmmluug jedoch kann sie auf 1^0 000 Blätter veranschlagt werden. Sie besteht
aus zwei Haupttheilen. von weichein der eine die Mitglieder der regierenden Häuser,
der zweite die übrigen Stände umfasst. Der eiste Theil ist nach den einzelnen
Häusern und in diesen genealogisch (auf Grundlage der Stammtafeln von Voigtei.
Hühner u. s. w.) geordnet, und schliesst auch die geistlichen Füi-sten ein. In den
einzelnen Ständen, welche alphabetisch aneinander gereiht sind, liegen die Porträts
des betreffenden Standes in alphabetischer Folge nach den Namen der Dargestellten.
Die derzeit bestehenden ..Stünde" sind folgende:
Adel, abpetheilt in: Herzoge. I-Tirsten. Graten. Freiherren. Edelleute. Ab-'
geordnete. Admirale, Advokaten, Äbte. Ärzte, Hohes Alter. Apotheker. Astro-
nomen. Aufrührer. Haumeister. Beamte. Bibliothekare. Bildhauer. Bischöfe,
Botaniker, Buchdrucker und Buchhändler. Bürger, Bürgermeister. Cardinale. Che-
miker. Consuln. Dichter. Domherrn. Einsiedler. Erzieher und Schulmänner. Feld-
herren. Frauen, (ielehrte, Gesandte. ( »esehiehtsehreiber und Geographen. Gottes-
gelehrte. Handelsleute. Handwerker, Heilige. Hofchargen. Irrlehrer und ihre Anhänger.
Kammerherren, Klosterfrauen. Künstler und Kunstkenner, Kupferstecher und Knpfer-
stiehsammler. Maler. Mathematiker. Militärs. Mineralogen und Juweliere. Minister.
Präsidenten und in gleicher Kategorie stehende Staatsbeamte. Missgestalten.
Mönche. Notare. Oconomeu. Pastoren. Pfarrer. Philosophen. Physiker. Prodiger.
Priester, Propheten. Käthe. Rathsherren. Hechtsgelehrte, Redner. Schauspieler und
Ballettänzer, Secretäre, Sprachforscher. Stal)softiziere. Statthalter und Obergespäne.
Superintendenten, Sibyllen. Tonkünstler, Verbrecher, Verschiedene Porträts. Wund-
är/.te. Zoologen mit Thierärzten und Inhabern von Menagerien.
AVenn nun auch diese Benennungen den Anforderuniren der Neuzeit gegen-
über manche Mängel und Lücken aufweisen, so verdient doch das System für
die Zeit, welche es geschaffen, Anerkennung. Gerade in der Ständeeintheilung
liegt der Vortheil. welchen die kaiserliche Porträtsammlung als solche in ihren
überwältigenden Massen andern ähnlichen Sammlungen gegenüber stets bewahren
wird. Die meisten Kupfei-stichkabinete fertigen überhaupt keine Kataloge über
die in ihren Sammlungen befindlichen Porträts nach den Namen der Dargestellten
an. so dass mau erst den Stecher nennen muss. um ein Porträt zu finden. Eine
Ausnahme machen nur die Pariser National-Bibliothek. das Münchener Kupfer-
stiehkabinet, das Germanische Museum in Nürnberg und die Hofbibliothek in Wien:
doch auch hier sind kritische Porträtstudioii schwierig, weil die Porträts unter
dem Künstlernamen eingelegt sind. Durch das Zusammenlegen der Porträts nach
dem Dargestellten werden diese Forschungen erleichtert; durch die Ständeein-
theilung aber die Lösung nahezu aller andern Aufgaben, welche überhaupt das
Porträt betreffen, unterstützt. Bei den meisten der letzteren, wo also nicht nach
einer bestimmten Person geforscht wird, ist der ..Stand" ein wichtiger Behelf, da
allgemeine Aufgaben gewöhnlich mit einem solchen zu thun haben. Meist wird
nach einem Kegentonhause. nach Dichtern, Schauspielern u. s. w. gesucht, und beim
Durchblättern der Stände ergeben sieh dem Suchenden häutig ungeahnte Auf-
schlüsse. Porträts von Persönlichkeiten, die zu finden er gar nicht gehofft hatte.
Ebenso bietet diese Fintheilung einer der wichtigsten Aufgaben einer Porträtsamm-
lung, der ..Porträtbestimmung", grosse Vortheile, da der namenlose Dargestellte
in vielen Fällen Kennzeichen an sich trägt, welche auf seinen Stand hindeuten.
Die kaiserliche Porträtsammlung hat in dieser Richtung schon unzählige Auf-
gaben gelöst.
So ist das Porträt die Domäne, welche di Sammlung unVsrhränkt he-
Hioi:r.i|.hisih.- lilMtt-r I. 00
Digitized by Google
4f>!>
Biographische Bliitter.
herrscht, die ihr alle andere Sammlungen, welche in anderer Bichtung wieder
Vollkommenes leisten, gerne zuerkennen, und durch welche sie nicht nur ein
ergänzendes, sondern ein unersetzliches Glied in ihrer Reihe bildet.
Selbstverständlich beschränkt sich die Porträtsammlung nicht auf nur »'in
Porträt jeder Persönlichkeit, sondern strebt nach allen vorhandenen unter sich
verschiedenen Darstellungen. So sind von Leopold I. allein 17M, von .Maria
Theresia 110. von Ludwig XIV. 14K verschiedene Porträts vorhanden. Auch
die einzelnen Stände weisen imposante Zahlen auf: die ..Feldherren* zählen ca.
f>000 Porträts in -17 Portefeuilles, die ..Maler", dann die „Minister" je 28 Porte-
feuilles mit je 3(H!U Porträts. Eine separate Abtheilung bilden die „Gruppen-
bilder", die nicht nur nach ihrem Titel, sondern auch nach den darauf Dar-
gestellten zu finden sind, von welchen oft ein anderes Porträt nicht besteht.
Durch den Ankauf der obenerwähnten Göesy'schen Sammlung, deren Katalog
separat aufgestellt ist. wird auch der jenseitigen Reichshälfte eine reiche Quelle
der Forsehung erschlossen. Zuletzt wäre hier noch der zahlreichen Porträt werke
der Bibliothek zu gedenken.
Die Kataloge der Sammlung bestehen aus dem allgemeinen Zettelkatalog,
der zum Aufsuchen nach den alphabetisch geordneten Namen der Dargestellten
dient, und den gebundenen Katalogen der Stände und der regierenden Häuser
(47 Folio-Bände), welche das Suchen nach Ständen ermöglichen. Ausserdem be-
steht noch ein Katalog über die in den Pücherwerken der Bibliothek enthaltenen
Porträts und der Katalog für die Gruppenbilder.
Kine separate Abtheilung der Porträtsammlung, doch bezüglich der Por-
träts mit ihr einheitlich katalogisirt , bildet die Lavater-Sauunlung. Aus>. r
zahlreichen Porträtstiehen enthält dieselbe viele meist noch unbekannte Aquarelle
und Pastellbildnisse aus dem reichen Kreise der persönlichen Beziehungen Lavateis.
zumeist aus der klassischen Litteraturepoche Deutschlands im vorigen .lahrhundeH.
Fs ist selbstverständlich, dass eine solche l'orträtsammlung ausser ihren
Katalogen auch eines entsprechend ausgedehnten Hilfsapparates bedarf. Die Hilfs-
werke über Kunstwissenschaft, von der Kunstgeschichte im Allgemeinen und den
Künstlerlexicis bis zu den Monographien der einzelnen Künstler, sind zahlreich
vertreten . insbesondere die Porträtkataloge, von welchen auch die wichtigeren
Verlars-, Antiquariats- und Auktions-Kataloge berücksichtigt sind. Hin aus-
gebreitet angelegter ikonographischer .Hilfsapparat in Zetteln ermöglicht weitere,
in den Hilfsbüchern nicht auffindbare Auskünfte. In Verbindung damit steht die
möglichste Vervollständigung der bezüglichen Hilfswissenschaften: Biographie. Ge-
schichte. Genealogie. Heraldik. Kostümkundo u. s. w.
So konnte die l'orträtsammlung der K. und K. Familien-Fideicommissbibliotle-k
der "Wissenschaft schon viele Dienste leisten, trotzdem ihre Schätze erst seit kurzer
Zeit bekannt und zugänglich gemacht worden sind. Bei zahlreichen Ausstellungen
war sie in hervorragender Weise betheiligt, in vielen Werken weisen die Repro-
duktionen seltener Blätter auf sie hin. Von ersteren seien angeführt: Die
historischen Ausstellungen der Stadt Wien im .Fahre 1H73 (Porträts von "Wiener
Notahilitätcn). im .lahre lNJS'J (Poiträts von Buchdruckern) - und im Jahre
Ish.'J (Türkeiibelagerung 10H3): jene in Budapest ISMO ( Pevindikation Ofens
DiNti: ;')4 Poiträts). die historische Porträtausstellung im Künstlerhause Ihm»,
die Kaiserin Maria Theresia- Ausstellung in Wien 1HSS, die internationale Aus-
stellung für Musik- und Theaterwesen in Wien lH'.rj (Über 1000 Gegenstände,
darunter 7sl> .Porträts. '.»<• aus der Lavatersammlung). die Ausstellung der Ar-
beiten des Malers Kduard Kaiser im K. K. österreichischen Museum für Kunst
und Industrie |Nüä(133 Porträts); ferner noch: die kulturhistorische Ausstellung
Digitized by Google
Anzeigen.
4*>(l
in (iraz 18*3. die Grillparzer- Ausstellung in Wien l8(Jl und die Raph. Donner-
Ausstelluiijr im Künstlerhause 1893.
Reproduktionen der ausgestellten Porträts finden sieh zum Theil in den be-
treffenden Publikationen. Von anderen bedeutenden Werken, welche die kaiser-
liche Porträtsammlung benützt haben, können hier nur einige angeführt werden,
für welche diese Benutzung in grösserem Maasse erfolgte: es sind dies: Die
Österreichisch -Ciigurorhe Monarchie in Wort und liild: Dr. Krones. Galerie
historischer Porträts; Dr. Seidlitz. Allgemeines historisches Porträtwerk: Künneke,
Uilderatlas zur (ieschichte der deutschen Xationallitteratur; Teutfenbach. Xeues
vaterländisches Ehrenbuch; Auer, die K. und K. Oberst Stallmeister 1 "><>:> — IhnM:
Kandelsdorfer, Auf immerwährende Zeiten.
tO,
ANZEIGEN.
Vor nun bald fünfzig Jahren.
Vor mir liegt ein umfangreiches, mit grossem Fleiss und vieler mühevoller
Sorgfalt verfasstes Ruch*), recht geeignet, den Männern ein Denkmal zu setzen,
die vor nun fast fünfzig .fahren vergeblich bemüht gewesen sind, durch -Reden-
tier deutschen Nation die langersehnte und ein Vierfeijahrhundert späte]- durch
„Thatcir geschaffene Einigung zu erwirken. Zwar kann ich nicht mit Wilhelm
Jordan singen: ...Ich bin in jenem Zuge mitgegangen," der ..unter dem (ieläute der
Glocken und dem Donner der Geschütze- — wie Mollat sein Vorwort beginnt
am IM. Mai 1848. jubelnd begrüsst von zahllosem, hoftnungsfreudigem Volke in
der alten Krönungsstadt Frankfurt am Main zur Pauls-Kirche gewandelt ist. Aber
miterlebt habe ich diese zuerst so schöne und dann so todestraurige Zeit und zu
den -Holinungsfreudigen" habe ich auch gehört. Mit allem Feuer meiner zweiund-
zwanzigjährigen Feder habe ich die Reden und Redner der Pauls- Kirche damals
im -Nürnberger Kurier" begleitet, dem von dem geistvollsten aller Redakteure, die
mir im Leben begegnet sind, Dr. Kmanuel Feust. herausgegebenen Organ der Rave-
rischen Altliberalen (zu denen Gustav Lerchenfeld. Graf Hegnonberg-Dux. Freiherr
von Rotenhan. Freiherr von Lindenfels und Andere gehörten). Da ist es nur billig,
dass ich mit siebzigjähriger zitternder Hand nochmals der Männer gedenke, die
damals für uns Deutschland bedeuteten, und jener von Mollat in seinem schon
zitirten Vorworte als -die glänzendste eines nach Einheit und Freiheit ringenden
geistig und sittlich hochstehenden Volkes- bezeichneten Zeit, welche die Welt je
gesehen hat.
Der Verfasser Dr. Georg Mollat beschäftigt sich seit Jahren mit Herausgabe
wichtiger Dokumente für geschichtliche Biographie, wenn ich so sagen darf. Er
hat in seinem Lesebuch zu einer -Geschichte der deutscheu Staatswisseiisehafteir
Auszüge aus den bedeutenderen Werken- der deutschen Politiker gegeben, aus welchen
die Charakteristik derselben gewonnen werden kann.y) und welche eine pragmatische
Quellenkunde für die Lebensarbeit dieser Männer bieten. Ausserdem hat er' aus
den ungedruckten Schliffen dreier grossei- Denker- (Leibuitz. Hegel und Klausel
höchst werthvolle Arbeiten, welche die Anschauungen dieser Männer über die Politik
*l Dr. < •' eorg M oll ;» t , Reden und Redner des ersten deutschen Parlamentes. < Mer-
wieck-llarz. Druck und Verlag von A. \V. Ziekfeldt 189Ö. gr. S' XVI und S:{-_> Seiten.
f> Ein gleiche- Lesebuch hat Mollat auch für die Staat swissenscha ft des Auslandes
herausgegeben.
•'{( v-
Digitized by Google
4öl
Hiui.Taphi.M-he ] Mütter.
klar le^en. zur \Yrörtent.lichun<: gebracht. Diesen trefflichen Hausteinen zur näheren
Kenntnis* derer, dir sich um die deutsche Staafentwicklunv: verdient ireinaeht hahen.
schliefst sich die neueste Publikation windig an. Pas vorliegende Buch zerfällt
in zwei Theile: im ersten werden in zwanzii: Abschnitten*) siebzehn Angelegenheiten
nach kurzer, eiideitender Skizzirunir durch wörtlichen Abdruck der bedeutendsien
Heden erörtert. Dieser Theil verdient eine ausführlichere Hespreehun:r. als sie in
diese der .. Hio^raphic- <.rewidmeren Hlätfer passt. Hierher schläirt nur der zweite
Theil ein. welcher biographische Notizen über einunddrcissiy; Mitglieder des ers!en
deutschen Parlamentes bringt. Nach Anirabe der Litteratur über jeden , der Be-
treffenden. toLren die wichtigsten Daten aus dein Leben jedes Einzelnen. Auszüge
aus dessen Schi'iften. charakteristische Aussprüche, die wichtiireivn Absthninumren
und Urteile der Zeitgenossen, so dass dailureh ein prägnantes Hild des Mannes auf
wenigen Seiten entwickelt, wird. Ks werden so (alphabetisch jjereiht) behandelt:
Arndt. Hnssermann. Heckeroth. Heruer. Heselei-. Hluni. Dahlmann. Döllimrer. (iayrern.
(liskra. (Jrimm. Heekscher, .lahn, .laniszewski. .Fordan. Lichuowsky, Löwe. Mathy,
Hadowitz. Kiesser. Hümelin. Sehiiierlimr. Simon. Simson. l'hland. Vincke. A'oirt.
AVaifz. Welker. Wvdenbri'mk und Zimmermann. Alan sieht eine reiche Heihe.
Persönlich habe ich von den (benannten tlüchtii: gekannt: Gairern. Lichnowski und
ridand: näher Hassermann. Döllinirer und .Mathy. Den letzteren lernte ich im
Hlieinlande zu Mannheim kennen.---) und zwar auf folgende Weise. Ich betrachtete
eben eine kolossale, quer über die Hrust laufende Narbe an einem neben mir im
Sc hwimmkostüiiie stehenden Manne, als ein kleiner .1 innre Jieraukani und frairte:
„Vater, wo hast du denn den roten Strich her?** Der (Jefrajrte lachte und snirte:
..Vom Hu-ii-en mit krummen Säbeln.- ..Abel' Mathy. liel da ein kleiner, dicker
Schwimiiiü-enosse ein. (es war der später (lKlN) in Haden so bekannt gewordene
(iustav Strnve.) ..ein so aufgeklärter Mann und hat dem Vorurtheil des Duells
nicht zu widerstehen vermocht!" Mathy blitzte den Kleinen mit funkelnden Auiren
an und sayte sehr ernsthaft: ..Ich werde amb heute mich nicht besinnen, mir mit
eigener Faust Hecht zu schallen, wenn es sein soll.*- Als er später auf dem Karls-
ruher Hahnhof den Hetzer und Freischärler Fiekler mit eigener Hand am Kraben
packte und der Polizei üherirab. wofür er bekanntlich von der demokratischen Partei
in AchT und Hann irethan wurde, habe ich mich seines damaligen Wortes erinnert.
Da nun zu jener Zeit Hasseriiiaun. Mathy und die sonstigen badisiheu Up-
]Mtsitionsinännei- von uns juuiren Sprudelköpfen irradezu als Halbgötter angesehen
wurden, und ich eigentlich nur um sie persönlich kennen zu lernen nach Mann-
heim gekommen war. benutzte f. h rasch den Moment und sairte: ..Da wir sozusagen
uns hier im Naturzustande befinden, wo alle Menschen bleich sind, erlaubt wohl
der Lrr"s*.> FreiheitMiiann Mathy. dass sich ihm ein eifriger Verehrer vorstellt, in
• ler Person eines bayerischen Studenten.- (Hier nannte ich meinen Namen.) Mathy
sah mich lächelnd an. «.•'ah lnjr Seiue nasse Hand und erwiderte: „Was? ich habe
in München Verehrer und so-rar unter den jum-en A ristokraten? Nun. das ist
höchst erfreulich!" W ir wurden bald sehr «rute Freunde, aber leider trerieth dadurch
die Has<ertiiann'sche Verla^buchhandluiii;- in ar^eii Schaden. Denn mein (iönuer
Mathv fand an einem von mir (ich zählte damals achtzehn .Jahre) verfassten po-
litischen Lustspiel in Platen's Manier so grosses (Gefallen, dass er den Druck ver-
aulassie. Das finanzielle Krirebniss wai- höchst betrübend; desto bedeutender mein
KrlöL' in Freundeskreisen, eine schöne Mannheiuiei- Jüdin y'ab mir so^ar dafür
einen Kuss.
*i Dil- i n!!nh'e.'lite" sind in zwei, die .. Verfu^suri'.'*' i-t in drei Abschnitte zerlegt.
V» M;ith\ hielt sich .!a sehr -eitle auf: <;u-tav Frevta-.' erzählt (S. :{(». 1. Aull.), dass
als ilci-N..|!,e von sf.jner Pariser Heise /.ui in kkclirtc. sein erster (Jan- in die Sdiwhinusehulc war.
Digitized by Google
Anzeigen.
Ks war zu München im Jahre Is-H». am 80. April, morgens acht Uhr. als
ich eine Visiten-Karre überbracht erhielt: ..Karl Mathy bitter Baron Voehlei-ndorff
ihn im Bayrischen Hofe zu besuchen/' Sofort eilte ich in das Hotel. Mathy begrüsste
mich mit den Worten: ..Das hätten wir Beide damals im Schwimmbade nicht ge-
ahnt, dass ich einmal in diplomatischer Mission nach München kommen würde -.
Er theilto mir nun mit. dass König Friedrich Wilhelm TV. die durch das Frank-
furter Parlament ihm zugedachte deutsche Kaiseikrone abgelehnt habe, und dass
er (Mathy) abgesandt sei. <liese Krone nunmehr dem Könige von .Bayern anzubieten.
..Was meinen Sie dazu. Sie fanatischer Triasanhänger?" Der einzige Punkt näm-
lich, in welchem ich der von Mathy vertretenen Politik niemals zustimmte, war
die Idee der preussischen Hegemonie. Ks hat des Jahres bedurft, um mich
von der 'Nichtigkeit, derselben zu überzeugen. Ich schüttelte berrübr den Kopf:
..Die Geschichte Bayerns ist die < beschichte der verlorenen Gelegenheiten." sagte
ich. ..mau wird auch diese herrliche Gelegenheit, das Deutschland ausser (Österreich
und Preussen zusammenzufassen, aus der Hand geben. Ich weiss schon, dass Ihr
in Frankfurt mit Kurem Anerbieten es nicht so meint, aber man könnte es so
annehmen". Da lachte Mathy herzhaft und rief: ..Jawohl, wenn Friedrich der
Grosse König von Bayern wäre.'- Ohne ein Anstellnugsdekref zu erhalten, ward
ich nun Mathy "s Legationssekretär und schrieb nach seinen Angaben die Horichte
au die Tteichsregierung. Der (auch von Gustav Freytag erwähnte) Passus über
die gleichzeitig mit ihm in Audienz empfangene Deputation Münchener Bürger
machte mich so lachen, dass ich eine Zeit lang am Weiterschreiben verhindert war.*)
Ausser den Bürgern war auch während »1er ganzen Audienz Minister von der
Pfordtcn in Uniform anwesend, ohne ein Wort zu sprechen oder eine Miene zu
verziehen, wie Mathy meinte: ..Ganz Gross-Kophtn" (was aber nicht in den Berieht
kam). Natürlich lehnte der König das Anerbieten rundweg ab. was auch gewiss
weit richtiger gewesen ist, als eine abenteuerliche Triaspolitik zu verfolgen.
Nachdem der Bericht fertig war. sagte ich: ..Nach dem Geschäft das Ver-
gnügen; jetzt gehen wir in den Bockkeller".") Mathy hatte Bedenken, ob sein
diplomatischer Charakter dies gestatte, aber ich beruhigte ihn mit der Ver>iche-
rung: _Da sitzt der Hausknecht neben dem Minister", und zitiite die Stelle aus
Don Juan: rHier gilt kein Stand, kein Name, es lebe die Freiheit hoch-. Den-
noch blieb er am 'Eingang des Gartens stehen, wohin ich ihm einen Rettig nebst Salz
in dem üblichen Fliesspapier überbrachte, über welche primitive Art des Servirens
er sein Erstaunen nicht verbarg. Der Bock schmeckte ihm vortrefflich und er
bemerkte, dass auch er die ., Bockkur" einem Karlshader Aufenthalt vorziehen
würde. Nachmittags gingen wir in s Schwaiger' sehe Volks-Theater und abends
in die Oper. Beim Abschiede schenkte er mir (-- ..Orden haben wir nicht zu
vergeben-, sagte er ) zum Andenken an meine Sekretärdienste („denn hoffent-
lich sind sie für Ilm* Karriere eine gute Vorbedeutung") ein beglaubigtes Exem-
plar der deutschen Reichsverfassung, und ein kleines Dienstsiegel, welche beide
*> Mathy diktirte mir: „Der König empfing in meiner Gegenwart eine zahlreiche
Deputation Miinchener Bürger, welche sich mit grosser Energie gegen die Grundrechte aus-
sprachen weil durch dieselbe die Gewerhefreiheit eingeführt werde - diese wackeren
Manner hatten offenbar dieselbe Aufgabe, welche I'yrrhus bei der Zusammenkunft mit ('.
Fabricius Liscinus seinen Klefanten zugetheilt hatte: sie sollten durch ihr Gebrüll mich in
Schrecken versetzen".
-{■) Freytag S. ;{'►{> meint offenbar, ich Bütte Mathy in einen „Keller* geführt. Allein
damals warder Bookkeller ein hübscher, freier, mit Baumen bepflanzter Platz am sogenannten
„Platzl". gegenüber dem Hofbriluhaus.
Digitized by Google
4<)3
Biographische Blatter.
C egenstände ich lange als Erinnerung aufgehoben habe, bis Freundinnen mir Beides
abschmeichelten.
Von Cotha und Erfurt aus schickte mir Mathv später noch alle für die
„Anhänger- bestimmten, vertraulichen Cirkulare und sonstigen Schriften. Aber
ich musste ihm wahrheitsgemäss mittheilen, dass ich von meiner Triasidee nicht
loskommen könne, und dies machte nach und nach unsere Beziehungen erkalten.
Wir wären sogar vielleicht im .fahre 18t)7. wo er als badischer Minister den so-
fortigen Eintritt Badens in den Norddeutschen Bund mit seiner bekannten Energie
betrieb, in Zwistigkeiten gerathen. Leider nahm ihn der Tod hinweg, bevor er
den endlichen Sieg seiner politischen Lebensidee und meine vollständige Bekehrung
mitansehen konnte.
Zum Schlüsse möchte ich noch den Wunsch aussprechen, dass Dr. Molkit
die biographischen Notizen über die Mitglieder des Frankfurter Parlamentes noch
weiter vervollständige. Ks sind ja ausser den Obengenannten noch manche be-
deutende Männer in jener glänzenden Versammlung gesessen, welche einer Beach-
tung der Nachwelt werth sind. O. Frhr. v. Yoelderndorff.
ArnoldE. Bfrger. Martin Luther in kulturgeschichtlicher Darstellung. Erster
Tbeil. 1483 15*25. ((Geisteshelden . herausgegeben von Dr. Anton Bettel-
heim. 10. 17. Rand.) Berlin. Ernst Hofmann & Co. 1895. 5t Mi S.
Dazu als Einleitung von demselben Verfasser im gleichen Vellage: Die
Kulturaufgaben der Reformation. 1895. 300 Seiten.
Ein fesselndes, eigenartiges Bild von Luthers Persönlichkeit entrollt uns
Herger in seinem Werke. Schon der Umstand, dass er der eigentlichen Lebens-
beschreibung Luthers eine 300 Seiten umfassende Einleitung in einem besonderen
Buche vorausschickt, zeigt, dass er seine Aufgabe durchaus selbständig erfasst.
Ei* will Luther begreifen aus den geistigen Strömungen seiner Zeit heraus. Daher
ist ihm die intime Kenntniss der Zeitanschauungen nothwendige Voraussetzung für
eine tiefere Würdigung der reformatorischen That und des Charakters Luthers.
In den ..Kulturaufgaben" wird uns von Herger die geistige Kultur des aus-
gehenden Mittelalteis vorgeführt. Das Buch liefert wenn man absieht von
einigen etwas gewagten Auffassungen, wie diejenigen über die Bewegung der
Cluniacenser (p. *2H*). die Herger als eine zu ausschliesslich romanische fasst. oder
über Savonarola. den er wohl kaum mit Hecht als getreuen Sohn der katholischen
Kirche schildert (p. I I I. 157) in seiner trefflichen Verarbeitung der bisherigen
Forschungen den erfreulic hen Beweis, wie rüstig «he kulturgeschichtliche Forschung
in den letzten Jahrzehnten vorgeschritten ist. - -
In dem Vorwort zu seinein ..Martin Luther in kulturhistorischer Darstellung"
setzt sich Berger mit den bisherigen Richtungen der Lutherforschung auseinander.
Hei aller Anerkennung, die er den kirchenhistorischen wie den historischen Forschern
spendet, vermisst er doch in ihren Darstellungen zweierlei.
Die protestantische Theologie ist ihm zu sehr befangen im apologetischen
und polemischen (Gesichtskreise. In dem Bemühen, der religiösen Originalität
Luthers ja nicht den geringsten Abbruch zu thun. sucht sie ..diese Originalität
\<>n der Kultur ihres Zeitpunktes so viel als möglich zu isolireir*. Damit aber
wird die theologische Forschung den Zeitproblemen nicht genügend gerecht. Fast
ängstlich sucht sie die Beeinflussungen der zeitgenössischen Ceistesströmungen auf
Luther abzuschwächen, und wo sie auf die mittelalterliche Religiosität eingeht.
f';is>t sie dieselbe nur al> die negative Vorbereitung der Reformation. Und do< Ii
Digitized by Google
Anzeigen.
..wie soll die Grösse eines Mannes anders verständlich gemacht worden, als indem
man ihm ein Objekt gegenüberstellt, an dem er gemessen werden kann: die Zustünde
und Probleme seines Zeitalters, wiefern er sie begreift, mit ihnen rinirt, für ihre
Lösung arbeitet und die Hahnen der Zukunft vorzeichnet!"
Die Historiker wiederum betonen Herker zu ausschliesslich — ein Vorwurf,
der in diesem l'mfange freilich wohl kaum völlig zutrifft - das Werk Luthers
und vernachlässigen zu sehr seine IVrsönlichkeit : sie anticipiren zu sehr das
Resultat seiner religiösen Entwicklung, ohne sie in ihre einzelnen Stufen psycho-
logisch zu zergliedern.
Herker will aus der ..Wechselwirkung von Individual- und Massenvorgängen"
den durch Luther gebrachten geistigen Fortschritt begreifen. Schon die ausser-
ordentlich glücklich gewählte t'bei-srhrift für den gesauimten die Jahre 1483 bis
1525 behandelnden ersten Rand seiner Lutherbiographie deutet diese Auffassung
an: ..Martin Luther als religiöser Mittler". Damit ist der Gesichtswinkel
bezeichnet, unter «lern er die reformatorische That Luthers befrachtet. In drei
Stufen vollzieht sich die Mittlerschaft Luthers, die naturgemäss die Disposition des
Ganzen in drei Kapitel bestimmen: Luthers Erwählung zur Mittlerschafr (1483
Iiis 1505). Luthers Erwerbung der Mittlerschaft (1505—1517). Luthers Be-
währung der Mittlerschaft (1517 — 1525).
Zielbewusst krystallisirt Berger um diese Punkte das Detail: er verschmäht
grundsätzlich alles Anekdotenhafte oder gewährt ihm doch nur Kaum, sofern es
zu Luthers Mittlei-sehaft in inneivr Beziehung steht. Dadurch wird -die Darstellung
einheitlich geschlossen, loyisch gegliedert, und der Gesammteindruck des Buches
ist. dass man einer durchaus originalen Auffassung des schon so oft zum Gegen-
staude biographische!- Forschung gemachten Martin Luther gegenübersteht. Hierin
ruht der Werth des Herbeiziehen Huches weniger in neuen thatsachlichen Er-
gebnissen der Forschung, die. wennschon durch mannigfache Lesefrüchte aus Luthers
Werken im einzelnen erweitert, sich wesentlich auf die bisherige Litteratur. nament-
lich auf Köstlins und Kohles umfassende Luthei-studien. stützt.
i'briirens verfügt Herirer über ein bedeutendes Darsfellungsverniögen. Auch
wo seine Perioden in störende Länge auszuarten scheinen (vor gl. z. R. p. 353 354),
versöhnt mit ihnen der Kindruck, den man erhält, dass der Wortreichthum nur
das Korrelat zu einer entsprechenden Gedankenfülle ist. Freilich würde die Mutigen*.
Anwendung von Absätzen (so z. H. p. 92 Z. 3. p. 125, 133, 315, 482/483) oft
das Yerstäudniss erleichtern.
Als besonders gelungen möchte ich bezeichnen den Abschnitt ..Der Aufgang
der neuen Weltanschauung" (p. 123- 150). Wer wollte Herger nicht beistimmen,
wenn er sich hier gegen die ..armselige Pormulirung" von Luthers Lehre von der
Rechtfertigung aus dem Glauben als des ..materialen Prinziiis" der Reformation
wendet? Die Rechtfertigungslehre alsbald der beherrschende Mittelpunkt der
Lutherischen Theologie - ist im Sinne Luthers nichts weniger, als ein Dogma,
sie ist ein höchst persönliches Krlebniss.
Reachtenswerth sind ferner die Ausführungen über Luthers Stellung zur
Prädestination (p. 350 357), die Schilderung des Verhältnisses Luthers zur
nationalen Opposition gegen Rom. sein Konflikt mit den Schwarmgeistern. Das
Schwanugeisterthum fasst Herger nicht als eiue Kntartung der Lutherischen
Glaubenslehre, sondern als eine Reaktion gegen dieselbe auf. Nicht die miss-
verstandeue Lutherische Freiheit des Ghristenmenscben, sondern die christlich-
sozialen Strömungen des ausgehenden Mittelalters, für die das* alttestamentliche
Gesetz, nicht der Glaube das Wesentliche ist. sind der geistige Nährboden des
Schwarmgeisferthums. H. Ha i ge.
Digitized by Google
405
Biographische BlKtter.
Bibliothek roiftftischer Denkwürdigkeiten. Herausgegeben von Theodor
Sehiemann. Vf. Band. Michael Bakunins sozialpolitischer Briefwechsel mit Alexander
Iw. Merzen und ( »garjow. .Mit einer biographischen Einleitung, Beilagen und Erläute-
rungen von Prof. Mich. Dragomanow. Autor, Übersetzung aus dem Russischen von
Prof. Dr. B. Minzes. Stuttgart. J. G. Cotta'sche Buchhandlung. 1KJ>,\
Michael Bakunin ist. wie Dragomanow tiemerkt, der Ahnherr jener Russen, die in
den politischen Prozessen der siebziger und achtziger Jahre auf die Frage, womit sie sich
beschäftigten, antworteten: -mit Revolution". Wenn wir von seinen Jünglingsjahren ab-
sehen, wo er sich schriftstellerisch beschäftigte — übrigens so konservativ war. dass er
Hemels „Alles Bestehende ist vernünftig" auch auf das Russland Nikidaus" 1. anwendete —
wenn wir von dieser Zeit ansehen, so können wir sagen: er hat sein Leben lang nichts
gethan als airitirt und konspirirt. In der ganzen Zeit von 1S40 bis 1*17. wo er doch in
voller .lugendkraft war. er war 1*14 geboren worden hat er nichts gethan als tünf
Zeitungsartikel geschrieben. In solchen Nichtsthuem. wie er selber war. sah er aber die
Zukunft und das Heil der Welt: nicht auf die Arbeiter von Beruf rechnete er in erster
Linie bei der bevorstehenden grossen rmge.staltung aller Dinge, diesen stand er ziemlich
ferne, sondern auf das Lumpenproletariat, auf das die Marx und Engels mit Verachtung
herabblickten. Darum hielt er auch so viel auf die italienische und spanische Jugend, diese
-jeunesse ardente. energhjuc . tout ä tait deplacec. saus carrierc, sans i>sue". l'nter l)e-
klas.sirten bewegt er sich fast ausschliesslich. Sein Briefwechsel führt uns in eine Gesell-
schaft, die uns nicht selten an den Kreis von jungen Leuten erinnert, den Dostojewski in seinem
-Idioten" schildert: es ist alles so ganz unmännlich, ganz unkräftig, charakterlos, molliisken-
haft. bisweilen zum Lachen, bisweilen zum Ekeln. Bakunin selbst: was ist das für ein
Mann, der einen andern Katkow — /.um Duell herausfordert und dann diesem Duell
auf jede Weise zu entgehen sucht!
Indess darin thut man Bakunin häutig l'nreeht. dass man ihn für den moralischen
l'rheber der anarchistischen Attentate ansieht, als deren letztes Opfer Präsident Garnot
rieb Es bilden sich zwar in seinen Briefen und Schriften Gedanken einer .. Fandest ruktion"
der staatlichen Formen, er hat viel über die Bedeutung von Dolch und Gift in den Re-
volutionen geredet und 1871 den Kommunards gerathen. halb Paris zu zerstören, ja. einmal
scheint er selbst den Plan zu billigen, sich durch gemeinen Diebstahl die Mittel zur Re-
volution zu scharten, alter das Tdeal Bakunins war nicht das Attentat, sondern der Genieinde-
aufstand. Der Putsch von Benevent im Jahre 1*77, der ganz nach Bakunins Rezept aus-
geführt worden ist. zeigt dies: die Revolutionsmacher proklamirten Abschaffung der Steuer
und des Privateigenthums und verbrannten alle offiziellen Dokumente. Besonders ;mf die
Zerstörung der Dokumente legte Bakunin grosses Gewicht: „Man hatte die Amtsgebäude
zuerst in Brand stecken sollen.** bemerkte er. als er 1S73 von dein Aufstand in Barcelona
vernahm. Dass die Sache der allgemeinen Umwälzung gefördert werden könne, wenn man
Bomben in Wirthshäuser oder Theater werfe, hat Bakunin nie gemeint oder gelehrt.
Immerhin bereitet es uns eine grosse Genugthuung. dass Bakunin am Abend seines
Lettens hoffnungslos in die nächste Zukunft blickte: er sah ein. dass die grosse Um-
wälzung doch nicht so gar nahe bevorstehe. -Der Bismarckianismus. d. h. der Militarismus,
die Polizeiwirthsehaft und die Fiiianzmonopole." schrieb er LS74. zwei Jahre vor seinem
Tode, «vereinigt in ein System, das den Namen des neuen Staatsthums trägt, siegen all-
überall. Vielleicht werden zehn oder fünfzehn Jahre vergehen, in welchen diese mächtige
und wissenschaftliche <!?> Verleugnung der ganzen Menschheit (!) siegreich sein wird."
Dragomanow hat in der Einleitung zu der vorliegenden Briefausgabe alle biographischen
Daten über Bakunin gesammelt und zugleich auch, so gut es möglich war. eine Darstellung
der politischen Lehre Bakunins gegeben. Die Übersetzung könnte immer noch besser sein.
Es i>t freilich sehr schwer, aus dem Russischen gut zu übersetzen. Aber so saloppe Wen-
dungen, wie -das Bestreben, jede Kleinigkeit im Leben seiner Freunde zur Theorie zu
Digitized by Google
Anzeige». 41;«;
erhoben" (anstatt „aus jeder Kleinigkeit eine Theorie abzuleiten4*) künnten doch vermieden
werden. _ E. Guglia.
August Oncken. Fran^ols Quesna.V. (Sonderabdruck aus Frankensteins Vierteljuhi s-
Schrift für Literatur und Geschichte der Staatswissenschaften. ls«>f>. Leipzig. I. Theil.
«►.-» SS. )
Es ist vielleicht ein unbeabsichtigter Erfolg der Historischen Schule, das.s man dem
rein Biographischen in der politischen Oekonomie grössere Aufmerksamkeit schenkt als vor
dem Auftreten von Schmollers Historismus. Der Frfolg ist unbeabsichtigt, denn die Tiio^iaiihik
lair keineswegs im Prinzip der historischen Eichtling. In den letzten zehn Jahren erschien
eine Leihe mehr (»der weniger umfangreicher Monographien, die sieh mit den Persönlich-
keiten der politischen (»ekonomie, mit dem Leben ihrer Theoretiker beschäftigton ich
erwähne nur die Werke von Delatour und Haidane Uber Smith, das Puch von Schelle über
Dupont. Knies' Puch über Karl Friedrich von Paden. brieflichen Verkehr mit Mirabeau
und Dupont. Besonders für die Physiokraten — ihre Theorien wie ihre Lebensumstände
äussert sieh in neuester Zeit ein starkes Interesse, lss* veröffentlicht A. Oncken die erste
Gesammtausgabe der Schriften <^uesnays. gegenwärtig publizirt er eine Biographie '^ue>n;iys
in der Frankensteinschen Zeitschrift für Litterat ur und Geschichte der Stnats\vjs> en-
sehiiften. deren erster Theil das Leben tjuesna.vs bis zu seinem Auftreten als ökonomischer
Schriftsteller enthält. — Uber das Leben ^uesnays waren die Quellen bisher nur sehr
dürftig. Die Lebende hat hier mit einer bei einem Theoretiker der Nationalökonomie er-
staunlichen Kraft gewirkt. Aber die Schiller tjuesnnys, die .Ökonomisten nannte mim sie
im 18. Jahrhundert, feierten des Meisters „Tableau economique" als eine der grössten Knt-
deckungen. ihn selbst verehrten sie wie einen Propheten. Oncken fand so keine leichte
Arbeit vor, als er an die kritische Prüfuni: der Quellen ging. Aber man limss sagen, der
Verfasser der Biographie hat diesen schwierigen Theil seiner Aufgabe glänzend gelost. Die
Untersuchungen, die Oncken an den Stätten von t^uesnays Leben und Wirken vornahm,
stellen die Thatsaehen aus (^uesnays Leben wohl ein für alle mal fest. Und auch dort,
wo Oncken auf Vermuthungen angewiesen ist. sind diese so scharfsinnig und treffend, so
sehr unter Berücksichtigung der maassgebenden Umstände angestellt, dass sie vielleicht nur
um ein Untnesshares von der Wahrheit abweichen, in den meisten Fällen dieselbe treffen
dürften. — Line der schwierigsten Aufgaben der Biographik ist die Einordnung der
Schöpfungen in das Leben des Schöpfers. Diese Aufgabe komplizirt sich 110 h. wenn die
Schöpfungen solche eines Gelehrten sind. In (Juesnays Leben sehen wir. wie sich aus
den Erlebnissen der Jugend, aus Kindrücken, Thätigkeiten . die eigentümlichen be-
danken gestalten, wie zu diesen Lebensresultaten des eigenen Denkens das Denken, die
Werke anderer hinzutreten. Und wir sind nicht überrascht, wenn wir dann das Puch
(Juesnays vor uns sehen, wir empfinden es als etwas Zufälliges, dass ein Puch daraus ge-
worden ist: der abstrakte Inhalt des Buches ist in der Erzähluni: des Lebens seines Ver-
fassers konkret geworden, es lebt vor uns als ein Stück, als ein Niederschlag des ganzen
Lebens. Diese Methode der Biographik übt Oncken. L ud er übt sie so fein, dass unser
ganzes Interesse gepackt wird, und dies einzig durch die wirklich leitendige Darstellung,
durch dieses Auflösen der starren, festen Bestandteile, der Werke, in flüssiges Leben.
Das lieben (Juesnays ist sehr arm an verblüffenden Effekten, wie sie die „packende-
Biographik liebt. Denn dort, wo die äusseren Lebensumstände des Biographirten v ich
an solchen Effekten sind, werden wir oft vom Biographen getäuscht, indem wir das Leben-
dige in seine Darstellung verlegen, wo es doch nur im Leben des Helden selbst so mächtig
lebendig ist. Quesnays Leben aber ist einfach, bescheiden, fast, schüchtern, nichts ist in
ihm, das uns stark erschüttert oder heftig aufregt - .Gelehrtenleben" könnte man es mit
dem oberflächlichen Worte der üblichen Phraseologie nennen. Dass nun Onckens Biographie
mit so starkem Interesse liest, muss man daher der vorzüglichen Art zuschreiben, mit der
Digitized by
4r,7
Biographische Blatter.
er ein Lehen vor uns leben lässt. Gleicht der noch ausstehende Schluss diesem ersten
Thcil, dann haben wir < bu ken nicht nur die erste Biographie Francois »Juesnays zu ver-
danken, sondern auch die Mustorbiographie eines Gelehrtenlobens. Franz Blei.
Albert Schäffles „Cotta".*)
Nach Wilhelm Vollmers Mustorausgabe tles Briefwechsels zwischen Schiller und Cotta
war für den Biographen Cottas nach der Seite seiner He/.iehungen zu Schiller und Goetho
kaum mehr zu thun übrig geblieben, als das bei Vollmer für sich selbst sprechende Material
zu anziehender Darstellung zu verarbeiten. Kino volle Würdigung der politischen und
stiatswirthschaftlichen Verdienste und Bestrebungen des vielseitigen Buchhändlers dagegen
konnte sich nur auf umfassenden neuen Forschungen aufbauen, die das in den Grundzügen
von Keyscher in der „Allgemeinen Deutschen Biographie" richtig entworfene Bild nicht
unwesentlich vertiefen und erweitern mussten. All>ert Schaffte war für diese Aufgabe der
berufene Mann und ist ihr in überzeugender Weise gerecht geworden. Mit grosser Hin-
gebung und Sorgfalt hat er ein ausserordentlich reiches, oft vielfach zerstreutes und sprödes
litterarisches und Akten-Material durchgearbeitet und dabei werthvolle neue Hinblicke, vor
Allem aber eine vorher nicht erreichte Vollständigkeit des Lebensbildes gewonnen, die
seiner Biographie durch die Bewältigung des Stoffes ebensowohl wie durch den Gegenstand
volles Anrecht auf einen I'latz in der Sammlung .< ieisteshelden (Führende < Deister)* erwirbt.
Nach einer kurzen < iesammteharakteristik und einem tibersichtliehen Lebensabriss des
merkwürdigen Mannes geht SchafHe zur Besprechung der verschiedenen Hauptleistungen
Cottas im einzelnen über und stellt da füglich sein Wirken al< Verleger und Freund der
grossen Dichter voran. In den» Bcwusstsein. hier kaum etwas Neues. Eigenes geben zu
können, begnügt sich der Biograph dabei mit knappen einrissen, die das gesummte Ver-
halten Cottas auf diesem Gebiete klar und trottend charakterisiren; nur das Verhältnis zu
S.-hiller und Goethe stellt er mit liebevoller Bewunderung etwas eingehender dar. doch
würde gewiss eine genauere Untersuchung des Verlagsbetriebes noch manche interessante
Beziehung anblecken können, die jetzt nur gestreift wurde, und noch eindringlicher die
überragende Bedeutung Cottas als Geschäftsmann aufzeigen, der mit jeder Vergrösserung
der Aufgaben w.'ich-t und in jedem Krfolg nur den Sporn zu neuen grossartigeren Unter-
nehmungen sieht. Kin interessantes Gegenstück zu ihm ist da Göschen, der in den ersten
Jahren seines jungen Geschäftes mit grosser Tüchtigkeit und Bührigkeit sich emporarbeitete,
dann aber den kräftigen Unternehmungsgeist verlor und sich dem verhangnissvollen Grund-
satze zuwandte, nicht mehr wie vorher selbst die tüchtigsten Schriftsteller aufzusuchen,
sondern ihre Anerbietungen abzuwarten, wahrend Cotta seine Spannkraft des Geistes sich
bis ins hohe Alter bewahrte und sich durch umsichtige Initiative nicht blos den umfassendsten,
sondern vor allem den geistig bedeutendsten Verlag in Deutschland zu sichern wusste. Göschen
hatte auch nie ein Unternehmen wie die „Allgemeine Zeitung- gründen können, deren Geburt
und Jugend SchafHe im dritten Abschnitt seines Buches darstellt. Denn hier ist Cotta nicht
blos der Verleger, sondern „der geistige Schöpfer und Tonangober" ; ihm ist es zu danken,
dass in der -Allgemeinen Zeitung" nicht ein neues auf Geldgewinn berechnetes und darum
dem Geschmack der grossen Masse folgendes Blatt erstand, sundern eine vornehme allgemeine
Europäische Staatenzeitung von grossem Zuschnitt, für Politik und Kultur jeden Inhalts, für
Fortschritt und Freiheit im besten Sinne, von grossen Gesichtspunkten, von festem Charakter
und maassvoller Form. Kr war weitblickend genug, den ideellen Vortheil und die ausser-
ordentliche Macht über die öffentlich«' Meinung, die ihm dieses Blatt verschaffte, höher an-
zuschlagen als die materiellen < Ipfer. die er dafür zu bringen, und die böswilligen Chikanen.
die er dafür zu erdulden hatte. Und so hat er sein „Schoosskind" durch alle Fahrlichkciten
■ Geisteshelden l Führende Geister). IS. Band. Berlin. Ernst llofmann Cv Co.
Digitized by Googl
Anzeigen.
408
und Verfolgungen mit Ausdauer. Muth und ( leschick hindurehgeleitet und dadurch sich für
seine übrige Wirksamkeit, namentlich die politische, eine Stütze bewahrt, die seinen Kinrluss
wesentlich mit begründet hat. Schüffle hat in den tollenden Kapiteln immer wieder Anlass,
darauf hinzuweisen, /unliebst bei der Besprechung des Verfassungspolitikers. Ks ist ein
schünes Krgebnis der unermüdlichen Forschungen SchttfHes. da*s er nun im einzelnen akten-
liui--')'.' die hohe Bedeutung in helles Licht stellen konnte, die Cotta als Volksvertreter von
lsi:, -ls:}i zukam. Kr erscheint jetzt als einer der Begründer der württembergischen Ver-
fassung, und /war als der staatsmannis.h weitest blickende der damaligen Kilni|)fer. Denn
seinen geschickten, eine Versöhnung anbahnenden Vorschlagen ist es zuzuschreiben. dass
König Friedrich nach langem Widerstreben endlich die alt württembergische Verfassung als
Grundlage des neu zu schaffenden Verfassungsvertrags anerkannte, und von diesem Augen-
blicke an hat Cotta, der doch selbst den Koni-.' als persönlichen Feind hatte kennen lernen
müssen, -unter Kinsetzung seiner hohen Popularität und selbst seiner persönlichen Sicherheit
gegen die fortan faktifKe und reaktionäre Fortsetzung der Opposition, aber genau für jene
Lösung gestritten, welche .schliesslich unter dem Drucke drohender auswärtiger Kinmiscliung
von dieser selben Opposition ohne weiteres Murren ra.se h angenommen worden ist*.
Das Bedeutendste, was Cotta in der grossen Politik gewirkt hat, gehört der Gründung
des Zollvereins an. Dass er dabei aber nicht blos der Beauftragte von Bayern und Von
Württemberg war. sondern vielmehr wesentlich mit die lebendige Triebkraft bildete, das
versteht Schllfrle nicht nur durch seine aktenmüssige Darstellung des Verlaufs der Verhand-
lungen klar zu stellen, sondern belegt es auch mit den ausdrücklichen Zeugnissen der preussischen
CnterhUndler. namentlich des Finanzministers von Motz. Für eine Mission, die in erster Linie
der wirthschaftlichen Wohlfahrt und Einigung Deutschlands diente, war Cotta eben der
geeignete Mann, wie er durch seine unermüdliche Thütigkeit zur Hebung der verschiedensten
Zweige des wirthschaftlichen Lel»ens bewiesen hatte.
So schildert Schaffte Cottas politisch-volkswirthschaftliche Thütigkeit nach ihrer sach-
lichen Bedeutung, betont aber dabei immer in erster Linie die Persönlichkeit seines Helden,
welcher „der echte Sohn der Frühepoche des Liberalismus war. einer der hervorragendsten
und besten Typen des letzteren zu einer Zeit, als das thatsaVhliche Bekenntniss zum wahren
Freisinn noch persönliche und sachliche Opfer aller Art kostete". Man kann es dem Bio-
graphen nicht verübeln, dass hei seiner eingehenden Versenkung in seinen Gegenstand seine
Schrift den Ton eines Panegyrikus gewann, der noch dazu bei ihrer ursprünglichen Bestimmung,
das Um jSihrige Cediichtniss von Cottas Fbernahme der Buchhandlung in der „Allgemeinen
Zeitung" zu feiern, wohl am Platze war. bei der jetzigen Buchausgabe aber vielleicht besser
etwas gemässigt worden wilre. Man empfindet im Stil manchmal noch ziemlich deutlich
diesen Cr.sprung. wie ja auch die Zusätze und Verwilderungen gegenüber dem ersten Druck
(A.Z. Dez. 1SS7- -Jan. isss.) nur geringfügig sind. Kin weiterer Wunsch wäre eine etwas
eingehendere Untersuchung der Verlagshe/.iehungen Cottas ausser zu Schiller und Goethe:
es würde sich dabei gewiss noch manches Charakteristische und Interessante ergeben, jeden-
falls ,]ht>r eine Unsicherheit verschwinden, wie sie sich in dem bedenklichen Fragezeichen bei
dem „kritischen ( »rakel zu Weissenfeis" (S. 1 s 1 > verräth. Natürlich ist hier Müllner gemeint,
iler damals Cottas Litteraturblatt redigirte. Jedenfalls aber hat Schaffte das Verdienst, die
vorher nicht genügend gewürdigten Seiten von Cottas Wirken in eindringender, lichtvoller
"Weise klar gestellt und ein < iesammtbild seiner IVrsönlichkeit. gegeben zu haben, d.ts den
grossen Puchhündler überzeugend als einen der führenden Geister seiner Zeit erweist.
F. rieh Petzet.
<3> ■
Digitized by
4<>«J
biographische Blätter.
Die Todtcn des ersten Halbjahrs 1895.
Verzeichnet von MAX LAUE.
Hiiinther Friedrich) Woldemur. Killst zu Lippe,
* IK. April 1S21 zu Detmold. 7 20. März
zu Detmold.
Ismail Pascha. Kxrhedive von Ägypten, * AI.
Dez. 1*:}U zu Kairo, 7 2. März zu Kon-
stantinopel.
Alm Haker. Sultan von Johore in Indien. *
18:>«, 7 .'». .Juni in London.
Maha \Vajirunhi>. Kronprinz v. Siam, * 27.
•I iini 1878. j 1. Jan. zu Haturkok.
K. K. rVMniaischall Albrecht (Friedrich ltu-
dolf Dominik i. Kr/herzog v. Österreich, *
A. Auir. 1817 zu Wien. -J- 18. Febr. in Areo.
Alexis Mirhailowitseh. < ; rossfürst v. Russland.
* 2*. Dez. IST.'» zu Tiflis. T 2. März in
San Berne.
l'rinz Wolfram: .Maria Leopold v. Baiern,
" 2. Juli 1879 zu Amsee. -J- .MI. Jan. in
München.
I. Fürstlichkeiten und hoher Adel.
Franz Albrerht Frbprinz v. Oettingen - Det-
tingen. * 2. Sept. 1879. T «».Mai in München.
Kirhard Fürst v. Metternich -Winneimn.r. -
7. Jan. 1825» zu Wien, f 28. Febr. .las.
Wilhelm Albrecht, Fürst v. Montenuovo, *
9. Aui*. 1821 zu Sala^rande. 7 7. April
in Wien.
St.ma Petrowitsch, die Mutter des Fürsten
Nikolaus v. Montenegro. * zu Baice. j
11. Febr. in Venedig.
Eulalia Kiridie. Prinzessin v. Löwenstein- Wert -
heim-Bosenbenr. .'U.Aul'. 1820 zu Klein-
heubarl). 7 Hude Febr. das.
Fürstin Hedwig- de Ligne, ' 29. Juni isir»,
•|- 14. Febr. zu Paris.
Julie Fürstin zu Liechtenstein, treb. Grätin
Potocka. Dez. 1818. -'r21. Mai in Wien.
Wilhelmine Marie Fli-abeth, Prinzessin v.
Montleart-Sachsen-Kurland. ; 182!». f 2.\
März in Wien.
II. Staatsmänner.
Dr. Heinrich v. Friedberg. f. preuss. Justiz-
minister. * 27. Jan. 181;{ zu Märkis. h-
Friedland. 7 2. Juni in Herlin.
Josepha Krli. v. Linden, uürttemb. Minister
a. 1)., 7. Juni 181)4, j- Jl. Mai zu Stutt-
gart.
Dr. Ludw. Auir. v. Müller, hair. Kultusminister.
< 1!>. Auir. 184(5. •;- 24. Marz in München.
Staatsrath Karl Graf v. Tauffkirchen, bair.
Minister. * 7. Juli 182« zu München, j
2."). April in Stuttgart.
Wirkl. Geh. K. Julius Hans v. Thümmel. sächs.
Finanzminister, * 2"i. Mai J824 zu Gotha.
7 12. Febr. in Dresden.
Kabinet-sininister v. Wolffgramm, 7 IL April
in Detmold.
Johann Frh. Falke v. Lilienstein, Sektions-
chef im iisterr. Min. d. Äussern, * 21. Mai
1827 in Ofen, 7 28. Mai in Wien.
Floriano Peixoto, vorm. Präsident d. Republik
Brasilien. 7 28. Juni in Divisa.
Nikolai Karlowit.sch v. Giers, russ. Minister-
präs. d. Auswärtigen. * 9. Mai 1820, f
2«. Jan. zu St. Petersburg.
J. A. Wyschnegradaky, f. russ. Minister. 7
."». April zu St. Petersburg.
Alexander Abasa, f. russ. Finanzminister. *
1822. 7 "1. Febr. in Nizza.
Henry Austin Bruce, Lord Aberdare. f. ensrl.
Minister. * 181"» zu Dutfryn. 7 2ö. Febr.
in London.
Lord Kandolph Churchill, f. Staatssekretär
für Indien. K VA. Febr. 1849 zu Mienheini
Palaee, 7 24. Jan. in London.
Geortr Hubert l'harles. 1.1. Karl of Pembroke,
f. rnterstaatssekr. d. Krieges. Ii. Juli
18.")0. 7 im Mai in Bad Nauheim.
Walter (^uinton Gresham, Staatssekr. d. Aus-
wärtigen. * 17. Miirz 18:l;> zu Lanesville.
7 28. Mai zu Washington.
Pierre Legrand, f. Minister. * 13. März 1S14
in Lille. -{• 1. .luni in Paris.
Alexander Martin, <ren. Albert, f. Arbeits-
minister. 1815 zu Bury, 7 28. Mai in Paris.
Ferrari, ital. Fnterstaatssekr. im Min.d.Au-w.,
7 10. Juni in Bimini.
Hasselman, f. niederl. Kolonialminister. * 1*1 ">.
t 29. März in Tiel.
Abreu Souza, f. portujr. Ministerpräs.. 7 Mitte
Jan. in Lissabon.
Dschevdet- Pascha, türk. Minister. * 1*22. 7
2«. Mai in Bebek.
Sir William Montairu Manning, australischer
Staatsmann. * 1811. 7 7. März in Svdnev.
Frh. Fmil v. Richthofen, f. Gesandter. * 1810.
7 Fnde Juni in Baden-Baden.
Wirkl. Geh. B. (ieorir Graf v. Werthern-
Beirhliniren. f. Gesandter, * 20. Nov. 181 Ii.
7 2. Febr. in Beichlingen.
Geh. Leirationsr. a. D. Ludwin v. Hirschfeld.
* 1. Okt. 1842 zu Ludwi^slust. 7 17. Febr.
zu Herl in.
Francesco Man heseCurtopassi, ital. Ge-andter,
7 7. April in Wien.
III. Politiker.
Gutsbesitzer in Neuenahr Franz Bresgen, Mit- ' f. OI>erbürLrermeister Karl v. Heim, f. Bei.-hs-
t:lied des Frankfurter Parlaments.
7 1. Juni zu Neuenahr.
18i:,.
tai'-abL'eordneter. s 20. Dez. 1820. 7 9. April.
Büi-LrcrmeUter Gottfried Kalmring. f. freikons.
Digitized by Google
Die Todten dos ersten Halbjahrs 1*05.
470
Boichsta-sab-eordneter. * 0. Febr. lS40zu
Kcrp^leben. 7 2S. Febr. in Weimar.
Dr.BudolfSchleiden,f.Bei< hsta^sabi^ordneter.
* 22. .luli lsir» zu Holstein, t I-'"'"--
in Frcihur- i. 1?.
1'. Dirigent d. K-slint.'er Maschinenfabrik
Kmil v. Kessler, f. nl. Beichsta-smit<:lied.
2. Febr. 1S41 zu Karlsruhe. ■}■ Iii. Mai
zu Maden- 1 Jaden.
Cutshesit/.er Jean Janson, f. nl. Beieh-ta-s-
mit-lied. s 2. Febr. 182.S zu Harxheim.
7 24. Jan. in Kaiserslautern.
Burkhard Frh. v. Schorlemer-Alst. ('entnims-
mitirlied des Beichsta-s. * -•• < »kt. 1S-J">
zu Herrinirshausen. 7 17. März in Münster.
Out-bes. Ferdinand Kersting, f. Hciclistags-
mit-licd (I.). 20. März 1*12. 7 2*. Jan.
in Bökenförde.
Pfarrer Adam Haus, Beichstatrsmit-I. iL). *
s. April is:i« zu Aschaffenbur- 7 ls- Mära
in Wörth a. M.
Kaufmann Barthel Haanen, f. Beichsta-smit-l.
iL). * l.Amr. JS|:l in Neuss. 7 IS. Fei »r.
in Köln.
«ieistl. B. Kduard Müller, f. Beiehsta-smitirl.
ll.). :: 1"». Nov. ISIS z„ (Quilitz, 7 Ii. Jan.
in Seisse.
.Stadtrath Justus Rackowski. f. Beichsta-s-
mitirl. iL"). * 17. April 1S4."i zu Allen>tein.
7 Hi. Mai das.
(iiit-l»e<. Thaddäus Conrad, f. Beiehsta-smit-1.
(I.i. lo. April ISliJ zu Neurode. 7 I.V
Juni zu Buehwald.
Advokat Dr. Charles Abel. f. Beichsta-smit-l.
(Brote>t.>. 2. Dez. IS-J4 zu Diedenhofen.
7 2. Mai in < i entrinden.
Budolf Frh. v. Buddenbrock-Ottlau, Herren-
hausinitLrl.. * 20. April is-jl zu Köni-s-
l.eiL'. 7 22. Mai in Berlin.
Landrath Carl v. Risselmann, kons. Land-
ta-sal»-, * 12. Au-. is:fc>. f <i. Juni in
Berlin.
HofniaurenneisterBohcrt Schmidt, kons. Land-
ta-sab-. 27. Sept. 1S40. •{- 2J. Febr. in
Steglitz.
Vorwerkshes. Alex. Carl I'aul Brauner, kons.
Landta<rsab-. : 21. Mai 1S4.J. 7 21. Jan.
in Wilkau.
ifeinr. »Just. Hu-o v. Langendorff, froikons.
Landta^sabir.. 2*. Juni 1*17. 7 2:J. März
in Berlin.
Fabrikbes. Kommerzienr. Karl Au-. Linke,
nl. Landta-sab- . ;: 20. Febr. 1*21) zu Alt-
I Jebimrdsdorf. 7 IS. Juni in Berlin.
Otto Hermann Ottens, nl. Landta-sab-..
21. Sept. !*_>;>. -;- :;. Juni in F.inishüttel.
Landesdir. a. D. Christian Friedrich Wirth,
freis. Landta-sab-. * 21. Dez. 182«. 7
2(5. April in Wiesbaden.
Bittenrutshes. Alexander v. Schalscha. Cen-
trumsinit-1. d. Ah-eordnetenh.. iL Au-.
1*4«. 7 IS. März in Berlin.
Wilhelm Scheben. Centrumsm. d. Ab-.. * 25).
April 1S12. 7 BJ. April in Köln.
Bedakteur Beter Hauptmann, Centrumsm. d.
Ab-. 2ö. Sept. IS2.">. 7 28. Mai in Bonn.
Kduard Frh. v. Hayden v. u. z. Dorff, österr.
Beichsrathsmit-L * 181T». 7 «». März zu
Dorff.
Dr. Josef Fanderlik, Beirhsrathsmit-l. tAlt-
rzeehe». * 4. März 1*IH zu Olmütz. 7 8.
Mai in rn-arisch-Hradisch.
Crundbes. Josef Hoch, österr. Beichsrathsah-..
* is:?r». 7 Ii. Mai auf der Fahrt von Bross-
nitz nach Hrubschitz.
Cross-rundhcs. Otto Frh. V. Wächter, f.
österr. Beirhsrathsabir.. - 1*U. 7 21. Juni
in Beichenau { Niederösterreich ).
Dr. Kutschera, Führer der Jun-czechen. 7
17. Jan. in l'ratr.
Josef Neuwirth, österr. Boichsrathsab- . * «.
Mai is:$0 zu Trieseh, 7 20. Mai in Maria-
-rün.
Dr. Ouido Frh. v. Sommaruga, österr. Beichs-
rathsab-.. 22. Jan. 1S42 in Wien, 7 11.
Jan. das,
Anton Br. v. Tyszkowski, österr. Beichsraths-
ah-. ,Bolenkluh). 7 5). Mai in Wien.
Dr. Au-u.st Weeber, östen-. Boichsrathsab-.
(deut>chdib.i. ' 1S2H. 7 l.ri. Mai.
Sir Bobert Peel, f. .Mitirl. d. Interhauses. *
1S22. 7 10. Mai in London.
ticor-e Thompson, f. Barlamentsmit-l.. " lso.J,
7 10. April in Alwrdeen.
Louis Marie Uaston Ural" de Douville-Mail-
lefeu, franz. Deput.. s 7. Au- ISJ'i zu
Baris. 7 Knde Jan. in llvere>.
Charles Merlin, franz. Senator. 7 «i. April in
Douai.
Rathier. franz. Deput.. 7 <i. Jan. in Baris.
Dr. jur. Filippo Capone, Senator. 7 11. Juni
auf der Fahrt nach Ban-ani.
demente Corte, Senator, * 1S2.\ 7 2:>. März
in Vi-one.
(iustav Craf Lagerbielke, f. Bräs. d. s.-hwed.
Kammern. 7 (i. März in Stockholm.
Kapit. William Dinesen, dän. Ab-eordn.. 7
2S. März in Kopenhagen.
Thomas Nielsen, Führer d. dän. -emäss. Linken.
7 2ii. Mürz in KopenhaLren.
Victor V. Hartmann, hnnl. Senator. * 1S.50.
7 Mitte Mai in Bonn.
Fiederick Douglas, ein Farbi-er, * 1S17. 7
im Febr. in Anacostia.
IV. Hofwtirdenträger und Beamte.
Max ( irafv. Holnstein, Ober>t-'illmeister Körti^- Max v. Rathenow, K_'l. preiisv. Kammerherr
LuiUvi- II.. BJ. Okt. ]s.;;,. 1. Febr. und Ceretnonienmeister. ' 2S. M.irz 1SJ|{
in Sr [iw ai zenfeld. zu Bibi-rtei. h . 7 Kode Mai zu Stabel-
A. Kunduriotis. Oberhofniarsrhall .1. K v. w itz.
I Jriechenlaiid. 7 !•'!. Mai in Athen.
Wirkl. lieh. Ob. Bc- B. a. D. Dr. < iustav
Digitized by Google
471 Kioirrnphisel
Singelmann, f. vortr. Ii. im Min.. ■ 1820.
Y 23. März in Kerlin.
«ich. Ob. Iie«r. K. a. D. Eiron Frh. von den
Brincken, f. in» Min. d. Inn.. ;-' 5. Jan. 1X34
zu Frankfurt a. M.. 7 11. Mai in Char-
lottenburg.
(Jrossherzl. he». (Jeh. Ii. Dr. Kernhard Jaup,
im Min. d. Inn. u. d. Justiz. 7 13. Kehr.
in Dannstadt.
(Jen. Ol.. Med. Ii. (Justav Adolf Schönfeld,
vortr. K. im Kulti»min.. * 1831», 7 12.
Marz in Merlin.
Ministeriair. .loh. Salzer, * 1X41. 7 F.nde
Febr. in Wien,
(iros.sherzoü-l. hess. lieeierumrsr. Dr. Heese,
7 <). Mai in Danustadt.
(ich. ( >b. Finanz-Ii. Peine, 7 4. April in < 'assel.
(Jeh. Ol». Post-Ii. Johannes Triebel, vortr.
K. im lieichspostatnt. * 1830, 7 IS. Jan.
in Herlin.
K. K. (ieheinir. 11. Sektionschef a. I). Karl
Frh. v. Pusswald, * 1825. 7 2 ?. Mai in Wien.
Ileii lisgerirht.sr. a. D. Dr. jur. Otto Baehr, ,
* 2. Juni 1817 zu Fulda, 7 17. Febr. in
Cassel.
K. württ. OberjiMizr. Kdmund Frh. v. Ow,
* 10. Okt. 1S1Ö. 7 28. März in Stuttgart.
Dr. Heinrieh Martin,Oberappellations<rerichtsr.
a. 1)., * IX!»,. f 14. März in Cassel.
Appellationsjrerichtsr. a. D. Ludwig Heim,
ISO»), 7 12. Febr. in Nürnberg.
Emil Kernhard Jacobi, Senatspriis. d. Ober- ,
verwaltunirsirerichts. * ">. Dez. 1828 zu
(Jraudenz, 7 12. April in Herlin.
Wirkl. (Jeh. II. Dr. iur. Ferdinand Grimm,
( »bertribunals-Yi. eprilsidenta.D., *22. Sept. |
l-x(H> zu Neviges. 7 27. Febr. in Wies-
baden.
(Jeh. Ob. Justiz-K. (Justav Herrn. Eichholtz,
* is. |)ez. ls:J7 zu (ialitten. 7 17. Juni
in Herlin.
l'rüs. d. Oberlandesiror. in Posen Frantz, 7
."). April in Hosen.
K. bair. Hei. hsr. Dr. Ludwig v. Neumayr, f.
l'räs. d. (»bersten Landesirer.. * lXlu. 7
1. Miliz in Münehen.
K. K. (Jeh. K. Johann Frh. v. Weniech, f.
Oberlandes-ertehtspriis.. * 1X02, 7 S. Marz
in (Jraz.
K. K. wirkl. (»eh. II. Aloys Mages v. Koni-
pillan. f. OlicrlandesLrer.-HriUs.. ; 2X. Autr.
ix-j:} zu Hozen. 7 23. Ap. iu Innsbruck.
Sir J.ime> Bacon, letzter Vicekanzler der
Chancery Division, * 171*8. 7 1. Juni in
London.
Kbenezer Kokwood Hoar, f. < Jeneralstaats-
anwalt d. nonlam. Cnion. : 1X1(5, 7 1. Feh.
zu ( 'oncord.
Justiz-Hrokiirator Sigmund Schott, * 5. Jan.
1X|N in Stuttgart. 7 4. Juni das.
Wirkl. (Jeh. |{. Adolf v. Körber, (Jeneral-
lands< hai'tsdir. in Westpreussen. * ls. Auir.
1X17 in San<lau. 7 11. Miirz in Kairo.
K. K. wirkl. «Jeh. Ii. Joseph Für-t v. Collo-
e Klatter.
redo-Mannsfeld. f. Landmarsehall v. Nieder-
sten.. * 20. Febr. 1X13 zu Wien. 7
22. April das.
Carl (Justav Frh. v. Ugglas, f. Ober-tau-
halter v. Stockholm. * 1X22, 7 1!>. Febr.
in Stoekholni.
Ke'.'ierunirspriis. a. D. Will». Winter, " 1. Dez.
lXli.'J zu Di)lenbur«r. 7 «5. März in F1iii>-
hausen.
(Jeh. Ileir. Ii. Dr. Dan. Heinr. Ludwiu Bening,
* lxul. 7 10. März in Hannover.
(Jeh. He«r. Ii. Christian Josef v. Zezschwitz,
Amtshauptmann in Bautzen. * ls. Sept.
I. x; 18 zu ( JirlaeliMlorf. 7 10. März in Bautzen.
Oberlinanzrath Karl v. Loeben, Oheifor-t-
meister zu Zsehnpau. * 1831. 7 L Juni
in Zschopau.
(Jrossh. sächs. Finunzrath Max v. d. Osten,
7 20. April in (iiessen.
(Jeh. Ob. lieir. Ii. Eggert * 1821. 7 -,,->- Mäiz
in Erfurt.
lieir. Ii. F. Eggli, * Sept. 1838 zu Hütiii. t
24. Jan. in Hern.
Senator Dr. Arthur (Justav Kulenkamp in
Lübeck. ; 1827. t 10. April in Montreux.
Sir liobert Duff, ( Jouverneur v. Neuseeland.
t 15. März in Sydney.
Kendl. Frh. v. Richthofen, Folizeiprii-. . *
8. Juni 1X80 zu Cammerau i. Schi.. 7
0. Juni in Honn.
(Jeh. Ob. Kejr. H. a. D. Julius Kieschke. f.
Oberbürgermeister v. Könijrsherir. ixi!'.
7 10. April in Herlin.
(Jeh. Ob. lietr. K. Friedrich Bötticher, Ober-
bürgermeister v. Magdeburg. * 24. Jan.
1X20 zu Mairdehurjr. 7 151. Jan. in Herlin.
Dr. iur. Alfred Stübel, f. < >berbiir>rermei>ter
v. Dresden. * 3. April 1827. 7 V. Mär/.
in Dresden.
(Jeh. Iie<r. L. W. A.Bredt, f. Oberbürgermeister
v. Hannen. '* 1S1X. 723. März in Honnef.
Hofrath Theod. Maercker, Kurirenuei-ter von
Zweibrücken. ': 1X33. 7 1. Mai.
Geh. Ho<r. Ii. Neubourg, f. Bürirenueister v.
Stade. : 1X09. 7 Ende Jan. in Stade.
Justizrath Dr. Julius Oskar Zenker. Vi. e-
vorst. d. Stadt verordneten vers.. * ix:57. 7
25. Mai in Leipzig.
K. liath Dr. Edmund Schebeck, f. Handel-
kammersekr. (auch Historikerl, '"' lx2n. 7
II. Febr. iu iVair.
Carl Oldenburg, irro-sh. mecklenb. (*enoral-
zolldirektor. * 1X;JL 7 21. Jan. i. Schwerin.
Sir liobert Hamilton, Fräs. d. britt. Zollamt-.
:< 1X.J0. 7 22. April in London.
Sir Charles Mills, (Jeneralairent der Kap-
kolonie in London. ' 1X25 in Ischl. 7 End«'*
März in London.
Hrof. PawlOW. MitL'l. d. archlioloir. Komm. d.
russ. Ministeriums d. Volksanfklürunir .
1x2:1. 7 12. Mai in St. I'etei-.biuv.
Fürstbischf'dl. Konsistoriair. 11. ( Jen.-Vikari.iT--
Atnt.sr. a. D. Schumann, 11. Mai 1>*U
zu Hunzlau. 7 13. Februar in Breslau.
Digitized by Googl
Die Todten des ersten Halbjahrs 1805.
472
Dr. Theod. Regenburg, ehem. Stiftsamtmann.
* 1815. 7 *. Juni in Kopenhagen.
Intendanturrath d. konigl. Schauspiele in Ber-
lin Kmil Taubert, * 2.5. .lan. 1*44 in Ber-
lin. 7 10. April das.
Hoftheaterintendant Frh. v. Seckendorff-
Aherdar. | 0 Febr. in Altenburg.
Carl v. Stegmann, f. Dir. d. Buir, Gewerbe-
museums in Nürnberg. * 18:12, 7 28. Mai
in Weiherhaus.
Dr. .Jos. Kduard Wessely, Insp. d. her/.. Mus.
in Braunschweig. * 8. Marz 1*20 zu Welle-
tau. - 18. Mtlrz zu Braunschweig.
Sir George Scharf, f. Dir. d. nat. Portrait-
galerie in London, * 1820. -J- 1!». April.
I\ Johann Bollig, Bibliothekar an der Vati-
can. Bild., 7 0. Marz in Uom.
Älsfinr. Carlni, l'rafckt d. Vati.an. Bibliothek.
- 25. Jan. in Uom.
Hofrath Dir. a. D. des l'ürstl. Museunis. Dr.
Friedrich Au-, v. Lehner, * in. Okt. 1824
zu Geislingen. 7 :{. Juni in Stuttgart,
V. Heerführer
< Jenerahiherst Alexander Aug. Wilh. v. Pape,
2. Febr. 1813 in Berlin. 7 7. Mai da*.
Generallt. Carl Friedr. v. Holleufer, * 2. Jan.
1801 zu Benkendorf. 7 12. Jan. in Berlin.
Generallt. Albert Leo Ottomar v. d. Osten
iren. Sacken. * 2:1. Aug. 1S11 zu «oslin,
7 0. April in Dresden.
Generallt. Hugo v. Rosenberg, * 22. Juni
1*J5 zu l'udits. h. •[- 17. Febr. in Milits. h.
«ienerallt. Franz Fried. Alexander v. Stuck-
rad, * 20. Febr. 1*14 zu Ii nein, 7 :{. Jan.
in Berlin.
(ienerallt. Fried. Krnst Ferdinand v. Scheliha.
* 12. Marz 182!* in l'ersehütz. 7 15. Jan.
in Breslau.
t ienerallt. Carl Theodor v. Strantz, * 2<>. Okt.
1820 zu Berlin. 7 20. April in Berlin.
General d. Inf. Carl Leop. Gustav Frh. v.
Buddenbrock, * 4. MUrz 1S10 zu Lam-
irarben. 7 Knde Mlirz in Düsseldorf.
General d. Inf. Albert Christoph Gottlieb v.
Barnekow, * 2. Aug. l*oo zu Hohenwalde.
7 im Mai zu Naumburg.
General d. Inf. Gustav 'Beter Wilhelm v.
Dresow, * 5. Febr. 182!» zu Irnberg.
7 15. Mai in Potsdam,
(ienerallt. Ad. Carl Aug. Franz Georg Wilh.
Kasimir v. Dewall, K 11. Juli 1*11 zu
Giesscn. 7 Knde Mlirz in Wiesbaden.
General d. Inf. Leop. Aug. Gotthard Jobst
Frh. v. LoBn. * 24. Juni 1*17 zu Luckau.
7 2<». Febr. in M<»isbroi« h.
(ienerallt. Theod. Hubert Carl Frh. v. Loc-
quenghien, * 24. Juni 1*20 zu Fürth, 7
11. Jan. in Bonn.
Generalniaj. Carl Heinr. Üichard v. Loeben,
* 7. Dez. l*.J:l zu Berlin. 7 25. M ai in
Detmold.
Genoralm. Wilhelm v. Linsingen, * 0. Nov.
1*21 zu Uitterhude, t 2:1. Juni in Herlin.
Custos Carl Hörhammer, a. d. Hof- u. Staats-
bibl., * 12. Jan. 18:54. 7 Knde Mai in
München.
Carl Schnorr v. Carolsfeld. Generaldir. der
bair. Staatseisenhahnen.. * 0. Mlirz 18:50 zu
Dresden. 7 :51. Jan. in München.
Stadtbibliothekar Morin v. Nantes. 7 7. Feb.
(ieh. K. a. D. Friedrich Konstanz v. Criegern.
Vors. d. süchs. Landesver. z. I'hVge ver-
wundeter Krieger. 7 10. April i. Dresden.
Adolf Brüggemann, bevollm. Dir. d. Aachener
u. Münchener Feuervers. Ges.. 7 2.1. April
in Aachen.
Josef Frh. v. Krükl, Dir. d. osterr. Tabaks-
regie, 7 :51. Mai in Wien.
Beg. U. Alexander Löwe, f. Dir. d. k. k.
l'urzellanfabrik. * 24. Dez. 1*07 zu St.
Petersburg. 7 20. Miliz in Wien.
(ieh. lieg. Uath Dr. Ludwig Metze!, Bureau-
dir. d. preuss. Herrenhauses. * 1815. 7
0. Juni in Berlin.
und Soldaten.
Generalarzt a. D. Dr. Carl Ferd. Herrn.
Hochgeladen, 7 14. Jan. in Wiesbaden.
Traugott Karl, Veteran a. d. Freiheitskriegen.
* 170*. 7 11. April in Leipzig,
(ienerallt. z. D. Fedor v. Winckler, * 26. Aug.
1*1.5 zu Mogwitz, 7 15. Marz in Dresden,
(ienerallt. Julius v. Bosse, 7 20. März in
Dresden.
(Jeneralm. Carl Wolfgang v. Heygendorf. *
25. Dez. 1*00 zu Weimar. 7 17. Febr. in
Dresden.
(Jeneralm. Uudolf Koch, * 11. Juni 1*22 zu
Blieskastell. 7 0. Mai in München.
K. bair. General d. Inf. Carl v. Orff, * 10.
Dez. 1817 in Alzey. 7 Jl. Jan. in Wür/burg.
K. bair. Genenil d. Inf. Adolf Ur. v. Heinleth.
* 1*22. 7 20. Febr. in München.
K. bair. (ienerallt. Wilh. v. Schleich, * 1811.
7 24. Mürz in München.
K. bair. Generalauditeur Albert v. Grimm, 7
2i. Jan. in München.
Württemb. (Jeneralm. Krnst Frh. Pergier v.
Perglas, * 27. Jan. 1*27. 7 22. Mai in
Stuttgart.
K. k. Feldmarschall Lt. Florian Frh. v. March io.
* 1 *<»:}. 7 *. Febr. in Baden b. W.
K. k. Generalin. Karl v. Muralt, * 1*02. 7
25. Jan. in Wien.
K. k. Feldmarsi hall Lt. Joseph v. Rott, ~
l*:to. 7 11. Mai in Budweis.
K. k. Feldmarschall Lt. August Ur. v. Ruff.
7 24. Jan. in Baden b. W.
K. k. Feldmarschall Lt. Julius Vogl, 7 17.
Juni in Wien.
K. k. Feldmarsehull Lt.. Franz (Jraf Wallis.
Frh. auf Karigimiain. * 20. Sept. is:;s. 7
1. Febr. zu Kbelsberg.
Wirkl. (ieh. U. Alois v. Baumgarten, Fel.l-
iiiarschüll Lt., * 0. März 1*14 in Aussee.
7 15. Jan. in Wien.
r'
Digitized by Google
473
Biographische Blätter.
f Auf.
K. k. Feldmarsehall Lt. Johann Beck,
.lau. in Schwaz.
K. k. Fcldzeunnieister Prosper Frh. v. Docteur,
1*13. 7 17. Marz in Mietziny
Franz. (Jenoral Ua.\ mond - Adolphe Sere de
Uivicre. ~ is. Februar zu Paris.
Runs. (.Vneral v. Olschewsky. 1»!. Marz in
St. lVter>l>iiiLr.
K. k. Feldmarsehall Lt. Franz Feldenhauer, liu.ss. (ienerallt." Sabotkin, 7 1. Januar in
jsjii. •;- -JH. März in Wien.
I\. k. Feldmarschall l>t. Anton Györmörey v.
»iyoriuüre u. Teölvar. * 1*37, T lti. April
in liiin».
K. k. Feldmarsehall Lt. . Toset Gabrianyi v.
/••eLnive. 1*22, 7 1. Mai in Wien.
K.k. Liiiienschill'skapitä'n Heinrich v. Littrow,
' 20. Jan. 1*20 zu Wien. 7 2">. April in
Abhazia.
Wirkl. Admiral of tlie tloet SirCT. I'hipps
Hornby, 7 3. Marz in London.
BliT. Adiuiral Lord Clarenco Paget, 7 2:5.
März in Briuhton.
Brit. Adiuiral Sir W. Loring, 1*13. 7 huI'
der Iiim'I WiL'llt.
Hi it. Adiuiral Lord Alcester, 4 12. April
1*21. 7 30. März in London.
Brit. Feldmarschall Sir Patrick Grant, * 1SII4.
7 2*. März in London.
Brit. (ieneral Sir (ieorye Che$ney, * 1*30.
7 31. Marz.
Marschall Franeois Certain de Canrobert,
27. Juni !*••!* zu St. Cerre. 7 2*. Jan.
zu Pari>.
Baggehuffwudt.
Petersburg.
: 1*10. 7 Fnde
St. Petersburg.
Kuss. (ieneral der Inf. v.
' 1*10. 7 2«. Miirz in St.
Uuss. (ieneral Glinka- Mawrin,
Miliz in St. Petersburg.
Ikii>s. ( ieneral Alexander Fedoro witsch v. I
1*0!). 7 22. Miir/. in St. Petersburg.
Bely.( ienerallt. Baron Vandersmissen, 7 17..luni
in Brüssel.
Span. Marschall M. Pavia, 7 .">. Jan. in Madrid.
Nihad Pascha (ei«_rentl. Severin Kr. v. Bilinski).
1*1"». 7 14. Marz in Konstantinopel.
Sefer Pascha (eiirentl. Wladislau.s (iraf v.
Koscjol-Kosciclski). v 1*20. 7 im Miirz in
Bertoldstein.
])Jln. (».erst Otto Valdeinar v. Hoskiaer,
1*25». 7 23. .funi in Kopenhagen.
Seil., (ieneral Horvatovic, f. KrieL'sminister.
7 12. Miir/. in Bel-rad.
Nordain. (ieneral Adam Badeau, : 29. De/..
1*31 zu New York. 7 20. Marz das.
(ieneral John Newton, Priis. d. Panama- Kisen-
l»aliii-(irs(>lls.|iaft, 1*23. 7 15. Mai in
New Vork.
VI. Geistliche und Kirchenfürsten.
Peter Mathias Snickers, Frzbisrhof v. l'tre.-ht.
am 0. Auir. 1*10* zu Uotterdam. 7 2. April
in Ft recht.
Amilcare Malagola, F.rzbischot' \ . Fermo. '21.
Dez. 1*40 zu Modena, 7 22. Juni.
Julien Florien Desprey. Kr/.bischof v. Tou-
louse. 14. April 1*07 zu (»stricourt. 7 21.
Jan. in Toulouse.
Francisco de Paula Benavides y Navarrete.
F.r/.his« hof v. Saragossa. 14. Mai 1*10
zu Bae/.a. 7 1. April in Saragossa.
Frarf.-ois Lagrange, Bischof v. ( hartres. * i.">.
März 1*27 in Dun-le-lloi. 7 23. Juni in
Chart res.
Johann (ieorir Schopper. Bischof v. Uozsnvö.
!). Mürz 1*1* zu Pest. 7 H». April' zu
lio-enau.
Dr. Brabandere, Bischof v. Brii-.'e. 7 1. April
dasclli-t.
Cardinal l.ui'.'i Ruffb-. Scilla, f. Nuntius in
München. Hi. April 1*10 zu Palermo.
7 _".». Mai zu Korn.
Domkapittilar Anton Abt i-Walthcr v. Mün-
nich' K 2*>. Dez. 1*41 zu Seelenheri,',
7 l»i. Feliniar ZU LinihurL'.
(iiianliau der Kapuziner Neyssen. 7 2!). Jan.
in Mainz.
JcsnitiMipater Jakoli Rathgeb, 7 7. Mai in
Kloster N'alkeuliurir.
Pater Friedrich Woldegg id. i. Friedrich (inif
zu \VahHmi'_'-Wolfe..-'-Witldsee». 2!'. Sept.
l*»il zu Waldsee. 7 23. April zu Dittmi-
II all.
Pater Gratzmüller, Prior de> Benedictinerstifts;
St. Stephan in Auyshurir. ' 1*23. 7 17. Mai.
Cölestin Brader, Abt d. Cistercicnserstii'ts
Status. 7 Auf. Jan.
Loren/. Wocher, Abt v. Wettintrcn und in-
fulirfer Prior v. Mehrerau. !*.*>(>. 72."». April.
Maria Auipista v. SartortUS, ( Hierin des Sacre-
Coeur- Klosters. 1*:{0 zu Aac hen, 7 7. Mai
in Paris.
Dr. Sylvester Morarin- Andriewicz, «_'r. orient.
F.rzliischof von Czernowitz, ' 11. November
1*1* zu Miltoka-Dra^oinir. 7 l.">. April in
( 'zernowitz.
Theodor Friedr. Derief Kliefoth. Oberkirchen-
rathsprii.s. a.D.. 1*. Jan. 1*10 zu Körchow.
7 2(». Jan. in Schwerin.
( .inst. Theod. Kittan. Ml. Nov. 1*32 zu Fl«>s-
bery. 7 1. Jan. in Prie>snitz.
Julius Kraft, erster (ieistl. an Zion. 7 Mitte
Juni in Berlin.
Dr. Karl Niemann, Oberkonsistoriair.. 1*2<>.
7 14. Mai in Münster.
Konsistoriair. Dr. Kahle, * 1*30, 7 3. Mar/
in Mannover,
f. ( ieneralsnpei int. Theod. Fmil Lamberg.
1*10. 7 •_»*. l'ebr. in Biya.
Pastor Neander in Mitau. 1*(»2. 7 in Mit iii.
( iencralsnperint. Wladimir v. Ewert. 7 11.
Febr. in Warschau.
Dr. C. F. Baislew. ev. luth. Bisehof v. lliwen,
ls<t'>. 7 im Mürz in Kopenhagen.
Dr. Fredrik Fehr. Pastor ]irimarius in Sto. k-
I10I10. I*4!>. 7 Bi. M-'i-
Digitized by Google
Die Todten «los ersten Halljahrs 1805.
471
C. \V. Lambert, Londoner Missionar, 7 2:J.
Mai in Birma.
Dr. Ii. \V. Dale, Pred. in Birmingham. * 1*20,
•;- 13. Marz.
VII. Gelehrte
1 . ( J e i s t e s w i
A. u. Prof. Ür. Bernhard Riggenbach, Theo-
loir. * 25. Okt. 1818 in Karlsruhe. 7 2.
M;ir/. das.
Prof. Dr. Carl Schmidt, Theolmr. * 20. Juni
1820 in Strassburur, i 11. März das.
Prof. Kd. Chr. FUrchtesott Adam, Tbeoluir,
* 1812. i 18. Juni.
Prof. Moria Carrlere, Philos. u. Aesthetiker.
* ;'). Marz 1817 zu (iriedel. f 18. Jan. in
München.
Prof. (Justav Glogau, Philos. in Kiel. * 6. Juni
Pastor Framois Pnaux, 7 21. Febr. in Paris.
Willi. Schultze, Mit-I. d. I)in>kti»n d. franz.
Brüderunitiit in Heirenhut * 1845, 7 4.
Jan. in Berthelsdorf.
1814. -J- 2:>. Marz in < irieehenland.
Avocat Antoine Molllere, Philosoph. * 1809,
7 18. Miir/. in Lyon.
Prof. tieorjf v. Gizycki, Ethiker. * H.April
1851, | 4. März in Berlin.
Prof. Luid Ferrt, Philosoph, * 15. Juni 182.«
in Bologna, 7 17. Miirz in Uom.
Prof. Ch. Secretan, Recht.sphilosoph. * libJan.
IM"). ; 21. Jan. in Lausanne.
Prof. Carl \. Risch, Jurist. * 7. Juli 18:11
zu ({Ockenhausen. 7 2«». Miirz in Würzburir.
Prof. Carl .loh. Fried. Ludw. Lüder. Jurist.
* 2. Sept. 18:11. i 2«. April in Kilan-en.
Prof. Krnst Rubo, Jurist, 8. Juli ls.H.
-J- 17. Miii-z in Berlin.
Prof. Franz Weis«, Jurist, * 1801», f 2J. Juni
in (iraz.
Karl of Selborne, liechts-el.. * 1*12. T fi.
Mai in London.
Prof. Wilh. Fenlinand Arndt, hist. Hilfs-
wissenschaften, : 28. Febr. 18.10 zu Kulm,
7 10. Jan. in Leipzig.
Prof. Krnst Steindorff, hist. Hilf*«-.. * 15.
Juni is:j«| zu Flensburg, 7 9. April in
Göttinnen.
Dr. Hermann Grote, Numismatiker. * 28. Dez.
1802 zu Hannover. 7 J. März das.
Prof. (justav Hirschfeld, Archäolojr, * 4. Nov.
1817. 7 20. April in Wiesbaden.
Sir Henry Rawlinson, Diplomat u. Archüo-
loir. * 1810 zu Chadlin^ton. f 5. Miir/
in London.
Prof. Sir Reginald Stuart Poole, Arehäoloür.
* 18:12 zu London. 7 8. Febr. das.
Prof. Piaton Wassil jowits.h Pawlow, Archäo-
loir. * 1*2:1. 7 12. Mai in St. Petersburg
Prof. Cesare Cantü, Hist, * 8. Dez. 1807 zu
Brivio, 7 11. Miirz in Mailand.
Prof. Dr. Lud wi- Weiland, Hist.. * 1«. Nov.
zu Frankfurt a. M.. 7 1. Febr. in (iüttiniren.
Sir Kdward Bunbury, Hist.. 7 im März.
Prof. Julius Opel, Hist.. * 1820 zu Löb-
schütz. 7 17. Febr. zu Halle.
Assessor a. D. Heinr. Geisberg, Justitiar des
Domkapitels. Hist., " 1*10. 7 im Mai zu
Münster i. W.
Biographische Bliittor. I.
)sen sehaften.
(Jeh. Arehivrath Carl Janicke, II ist, * 1. Jan.
1829 in Mairdeburir. 7 15. Febr. in Hannover.
Stmltarchivar Heinr. Gradl, Hist. * 1:1. Febr.
1842 in Kirer, 7 -i. Mär« das.
(Jeh. Ilofr. Dr. med. Alb. Moll, Prli-s. d. Ver.
f. (iesih. d. Bodensees. * 25. Juni 1817
zu (-Jruibingen, 7 10. März in Tettansr.
Prof. Colestin Stampfer, Benediktinerpater,
Hist. * 1824. 7 19. Jan. in Meran.
Dr. Hermann Meynert, Hist, * 20. Dez. 1808
zu Dresden. 7 10. Miirz in Wien.
Sehulrath < Jymnasialdir. a. 1). (tottlieb Stier,
Hist.. * 12. Auir. 1825 zu Basel. 7 2:1. Mai
in Dessau.
f. PfaiTer Krnest Chavannes, Hist... * 1822.
7 <i. Jan. in Lausanne.
Advokat Dr. Carl Wieland, Hist.. * 18:12.
7 20. Febr. in Basel.
Oberst a. D. Nebetthau, Hist.* 18:11. 7 21.
Juni in Marburir.
Prof. am Kxeter Colleye Ch. Will. Boase,
Hist.. * 182!). 7 1.1. Mürz in Oxford.
Benins Prof. Sir John Robert Seeley, Hist.
* 18:>1 in Lomlon. 7 11. Jan. in Cambridge.
Prof. Michael Dragomanov, slav. (ieseh. u.
Litt, 7 im Juni in Sofia.
Privat<relchrter Carl Kiesewetter, Culturhist,
* 11. April 1*51 in Meininiren. 7 15. April das.
Prof. (Jaetano Milanesi, Kunsthist. * 1812.
7 im Miirz in Florenz.
Dr. Nils (Justaf Bruzelius. Hist.. ; 182«, 7
2!. April in Lund.
Assistant Keeper am Public Itocord Office
Will. Noel Sainsbury, Hist. * 182.'), 7 Miirz
in London.
Jesuit Jos. Stevenson, Hist, * 1*07, 7 s. Febr.
in London.
Staatsarchivar Pietro Ghinzoni, Hist. * 1829.
t 21. Febr. in Mailand.
Krster PrHfekt d. Vati.an. Bibl. Ms<rr. lsidoro
Carini, Hist. * 1*10. f 2'». Jan. in Bon».
Offizier van Oezondheid van Het O. .I. Lc«rCr
Dr. Julius Jacobs, * 1*1:1. 7 21. Febr.
(Volkskunde von niederl. Indien.]
Prof. Oscar Erdmann, deutsche Sprache u.
Litt. * 11. Febr. 1810 Zu Thon.. 7 Knde
Juni in Kiel.
Prof. Hertn. Hager, deutsche Sprache. * IS IT
zu Bcichcnbach. J- 22. F -l>r. in Manchester,
f. (iymnasiuldir. Ant. Au<r. Draeger, Litterar-
historiker. * l*2l. 7 1:5. Febr. in Anrieh.
Advokat B. Elischer, (loetheforseher. |: 1*1*.
7 27. Marz in Budapest
Litterarhist. Don Ixart. 1 1*10, | 2.\ Mai
in Tarrairon.
Sir Hvde Clarice, en-1. Piniol.. * lsj;,,
März.
Jl
t 1.
Digitized by Google
475
Riographisdic Blatter.
Prof. P. .1. Veth, Indinlojr. * isif». f 14. April
in Arnhcim.
Dr. .lulius Jacobs, indiolot;, * 1*4:2. f Knde
Febr. in Macassar.
Prof. Franz JosefLauth, Acgvptoloir.* 1*. Kehr.
1*22 zu Arzheim, 7 12. Febr. in München.
Prof. Rudolf v. Roth, Prof. il. orient. Sprachen,
* 3. April 1*21 in Stuttgart t Knde Juni
in Tübingen.
Dekan v. Canterbury Robert Pnyne Smith,
Orientalist. * 1*18 zu < hippiny: Campden,
7 31. Mar/ in Canterbury.
Dr. F. Fehr, Oriental.. 7 14. Mai in Stockholm.
Dr. David Rösin, Rabbinica. f 31. Dez. in
Rreshiu.
Prof. R. l'onstantin Martha, klass. Philol..
* 1*20, 7 Juni in Paris.
Prof. John Stuart Blackie, Prof. d. (! riech..
* 1*09 in (ilav.'ow. 7 2. Marz in Kdinburirh.
Prof. Arnold Hug, klass. Philol.. * 1*31. 7
17. Juni in Zürich.
Schulrath Jos. Hoffmann, Kreisschulinsp. a. D.,
* 1*27. •;• 17. Mai in Trier.
Direktor ( )tto Nasemann, 21. Jan. 1*21 zu
Köchstedt, f 31. Mar/, in Malle.
(iyiim.-Dir. Carl. Kd. Güthling. * 23. Febr.
1*24 zu Lensrerich. 7 22. April in Lieimitz.
Hym.-Dir. K. Ileinr. Christ. Keck, * 1*24.
7 ü. Febr.
2. Exakte W
James Dwiirht Dana, Naturforscher. * 12. Febr.
1*13 zu Ftica, 7 l.">. April in Ncwbaven.
Thomas Henry Huxley, Naturforscher. * 4. Mai
1*2.*» in London, f 29. Juni.
Prof. Carl Vogt, Naturforscher. * ."». Juli 1*17
zu C-iiessen. 7 .*». Mai in (ienf.
John Howard Redfleld, Zoologe, 7 im April
in Philadelphia.
Dr. Reinhanl Peck, Dir. d. bot. Härtens, 7
2*. März in Oürlitz.
Dr. Wilh. Neubert, Rotaniker, * 1809, 7 21.
Febr. in Cannstadt.
Prof. Friedrich Schmitz. Rotaniker. 7 8. März
l*f>0. 7 2*. Jan. in (ireifswald.
Dr. William Cra\\ ford Williamson. f. Prof. d.
Botanik. x 1*10. 7 -J3. Juni in Manchester.
Prof. Joseph Kdouard Bommer, Botaniker. *
17. Nov. 1*2» in Brüssel, 7 20. Fein . das.
Daniel Hooibrenk, Botaniker, ' 1*12 in Haar-
1cm. 7 30. April in llietzin<_r b. Wien.
Dir. d. tcelm. Hochscbule Prof. Carl v. Haus-
hofer, Mineralo-, * 28. April 1*3» zu
München. 7 *. Jan. das.
Prof. Aug. Jaccard. Hoolo-re. * 1*34. ~ Auf.
Jan. in Rode.
Bergrath Moritz Ferdinand Gätzschmann, *
24. Aiilt. 1*00 in Leipzig. 7 im Febr. in
Kleiber^.
Bergrath Alfred Wilh. Stelzner, Heolo<_re. ':
1S40. ■;• 2.",. Febr. in Wiesbaden.
Prof. at Tiinity College Valentin Ball, Ceo-
loge. -J- Mitte Juni in Dublin.
Oh. R. Prof. Citri Hermann Knoblauch, Phy-
Realgym.-Rir. Dr. Cramer. * 1*29. 7 2. Mai
in Mühlheini a. Ruhr.
(iym.-Dir. Kunze, * 1*40. | 26. April in Lissa.
(Jym.-Dir. C. Fr. Julius Kipper, * 1*44. ~
2"). Juni in Rostock.
Direktor Hugo Langguth, * 1830. f 14. Mai
in Iserlohn.
Konrektor Prof. Pietzsch,i 20. Mai in Zwickau.
Konrektor Bollwitte, * 1*43. f 5. Juni in
Alfeld a. L.
Rektor a. D. Theodor Hecht, * 1*28. 7 12. Mai
in Breslau.
Rektor Stedler, * 1828. 7 5. Juni in Barsing-
hausen.
Rektor Thannhäuser. * 1801. - 29. Mai in
Foerde.
Prof. Friedrich Hofmann, f. (.ymnasialdir..
* 1. Mai 1*20 zu Landsherg a. II..-J- 4. Marz
in Berlin.
Prof. Biese in Putbus. < l8or». f 1». April.
Prof. Dr. Jos. Zeck, f 7. Mai in Cöln.
Prof. Dr. Borgmann, f 0. April in Wiesbaden,
(iymnasialoberl. Scheidemantel, 7 13. Mai in
Tornau.
Hymnasialoberl. Scholz, * 1835. 7 4. Mai
in Oppeln.
(iymnasiall. Krnst Dunkel, 7 3. Mai in Danzig.
Hymnasiall. Berckmann, 7 7. .Mai in Köln.
issenscha ften.
siker, * 11. April 1820 in Berlin. 7 Knde
Juni in Baden-Raden.
W. (ieh. R. Prof. Franz Neumann, Physiker.
* 179». 7 24. Mai in Königsberg.
i'rof. Adolf Elsas, Physiker. * 18;V> zu F.lber-
fdd. 7 13. Mai in Marburg.
Prof. Lothar v. Meyer, Chemiker. * 1». Aug.
1830 in Varel, 7 13. April in Tübingen.
, l'rof. Carl Boedeker, pharmac. Chemiker. *
20. Sept. 1*1."), 7 22. Febr. in Hdttingen.
Prof. Herhard KrÖSS, Chemiker. * 1SU0. 7
3. Febr. in München.
Dr. August Klinger, Vorsteher der Chem.
t'ntersncl)iin'_'s;inst.. + 1*32. 7 Mitte Juni
in Stuttgart.
Prof. Robert Sachse. Airrikultiirrhemie . 7
2f>. April in Leuzsch b. Leipzig.
I )irektor Friedrich Autenheimer, Mathematiker.
1*22. 7 4. Juni in Zürich.
Prof. Ludw. Schläfli, Mathematiker. * 1*1.">,
7 im März in Bern.
Prof. Arthur Cayley, Mathematiker. * 1*21.
7 2<>. Jan. in Cambridire.
Prof. James F.. Oliver, Mathematiker. 7 27.
Juli 1829 in Portland. 7 27. Marz in
Rhaca.
Prof. Fried r. Tietjen, Astronom. * 13. Nov.
1*34 in Westerstede. 7 22. Juni in Berlin.
Th. Brorsen, Astronom. " 1*1» zu Nürburg/*
7 1*. Mai in Kiel,
(ieneial Mansouty, Dir. des Observatoriums
auf dem Pic du Midi. 7 1."». Marz in Dax.
Prof. (ich. R. Carl Friedr. Wilh. Ludwig,
Digitized by Google
Die Todten des ersten Halbjahrs l*9ö.
476
Prof. Aristide Verneuil, Chirurg. * 1*23 in
Paris, 7 Faule Juni in Maisons-Laflitte.
(Jen. R. Prof. Kduard Külz, Physiolng. * 17. ! Sir licurL'c Hornidge Porter, < 'hirurg. 1*22
April 1*4."». 7 1.'». Jan. in Marburg, in Dublin. 7 17. Juni das.
l'h.VMfdosr. *ün. Dez. 1810 in Witzenhausen,
{- 23. April.
Staatsr. Prof. Wladimir Tomsa, Physinlog.
j.
Anf. April in Prag.
Prof. .lohn Adams Ryder, Kmbryolog. f 20.
März in Pennsylvania.
Dr. I). 11. Tuke, psychologiral medicin. -J-
Anf. Mär/.
Prof. K. Nöggerath, Mediziner. * 1*2*, f 3. Mai
in Wiesbaden.
Präs. des London R. Poll, of Surgeons John
Wliittacker Hulke, Augenarzt, f F.ndeFebr.
in London.
Dr. Alexej Nikolajevit" Maklakov, Augenarzt,
* 1*3*. i 1. Juni in Moskau.
Prof. Lueyan Rydel, Augenarzt. ' 1*39, -J-
21). April in Krakau.
Prof. Jacob Gottstein, Hals- u. Ohrenleiden,
* 7. Nov. 1*32 in Breslau, f in. Jan. das.
Prof. (ieorges Octave Du j ardin - Beaumetz.
Kliniker, * l«s:j:S zu Barcelona, 7 17. Febr.
in Heaulieu.
Prof.Ceh. K. Carl Thierach, Chirurg *20. April
1822 in Mlinchen, 7 28. April in Leipzig*.
Dr. Kmil Nöggerath, (Jynäkolog. * 2.">. Okt.
1*29 in Bonn. 7 3. Slai in Wiesbaden.
Dr. <!eorg Laudien, Madearzt in Kissingen.
* 1*11. 7 .">. Jan. in Nervi.
Reg. R. Dr. Moritz Gauster, Pias. d. Wiener
Ärztekammer. * 1!». Febr. 1*2* in Wien,
f 24. März das.
Staatsr. Joseph Bertenson, Fliren-Leibinedicus.
7 Mitte April in St. Petersburg.
Sanittitsr. Dr. Felix Vulpius, T 1*10, -{-27. April
in Weimar.
Sir (ieorge Buchanan, Mediziner. * 1*;K>. 7
f>. Mai in London.
Dr. Loimann, Badearzt in Franzensbad. • 1*2:5.
7 21. Jan.
(Miermedizinair. Dr. Uloth, Deccrnent des
Apotheken \ve>ens für Hessen. 7 2:5. Dez.
in Dannstadt.
Dr. Arnold Mayer, Arzt. * 1 *<>!*. f Febr.
zu Mainz.
Dr. Oskar Mahir, hornoopath. Arzt. * 1*12.
7 16. April in Wien.
VIII. Forschungsreisende.
Baron Kduard Nolde aus Kalleten in Kur- Landeshauptmann fioorg Schmiele von der
land. Innerarabienreisender, erschoss sich Neu-(iuinea-Kompagnie. f auf dem Post-
am 11. Mär/, in London. dampfer Lüheck.
Dr. Jelissejew, Forschungsreiscnder. 7 Anfang
Juni in St. Petersburg.
IX. Schriftsteller.
Sicgmund Haber, Chefredakteur des „l"lku, ! Sehrifstellerverbandes. 7 2. Febr. 1S-J1 zu
* 11. Sept. 1*3:» zu Neis.se. 7 27. Febr. II einrichshajren. 7 <). April in Dresden.
in Berlin. Dr. Max Lorking, ;: 3. Sept. 1*30 in Heils-
Julius Keller, f. Redakteur d. rYolkszeitung\ berir. 7 18. Febr. in Steglitz.
* 30. Sept. 1*40 zu Rosenau, f 27. Febr. Martin Gerss, * 1*09. 7 29. März in Loetzen.
in Berlin. Adolf Lippold, * 21. Jan. 1845 zu Kmstthal.
Dr. Friedrich Weber, Redakteur der .National- 7 2*. April in Leipzig.
liberalen Korrespondenz1*, * 30. Dez. 1*44 Paul Manfe, Kunstschriftsteller. * 1*21. 7
zu Heidelberg. 7 19. Jan. in Berlin. 30. .Tan. in Paris.
Ludwig Frank, Redakteur, * 1*41 zu Berlin, Prof. (Jaetano Milanesi, Kunsthist.. ■]• im März
7 im März in New- York. in Florenz.
Dr. (Justiiv Stockmann, Redakteur. * 1*23. Regierungsr. Dr. Leopold Florian Meissner,
10. Mai zu Leipzig.
Otto Reisner, Redakt. d. „Münchener Neusten
Nachrichten, * 1*43. -J- 22. Mai in Minichen.
Dr. Alfred Königsberg, Mitarbeiter der „Neuen
Freien Presse". * 182*. 7 13. April in Wien.
Kduard Otto, Hrsg. d. „Triester Zeitung".
7 7. April in Triest.
Alexander Kuys Moore, Chefredakt. d. „Mor-
ninir Post", * 1S.V2, 7 Anf. .)an. in London.
William Saunders, Zeitungsbcs.. -|- l. Mai
in London.
Wsewalod Konstowsky. Redakteur. 7 31. Jan.
in Warschau.
Aufliste Vacquerie, Dir. der Ztschr. „Rappel-.
1*1* zu Villequier, t P<- l">hr. in
Paris.
Dr. Rudolf Doehn, Mitbegründer d. deutsch.
* 10. Juni 1*3;'> in Wien. 7 29. April in
W Ii hring.
Prof. Dr. Heinrich Pröhle, Sarrensammler. *
4. Juni 1SJ2 zu Satuelle, 7 2*. Mai zu
Steglitz.
Dr. (iiistav Stockmann, Frivatgel.. * 1*23,
17. Mai in Leipzig.
Kapitän ( amillo Walzel, („F. ZelP). * 11. Febr.
1*29 in Magdeburg. "J- 17. März in Wien.
Dr. Ludwig Ziemssen, * 29. S»>pt, 1*23 zu
«ireifswald. 7 3. Jan. in Berlin.
Josoph Weyl, ; 9. Marz 1*21 zu Wien. 7
lu. April das.
James Sime, '■• 1*14. 7 21. März in London.
Wirkl. Ceh. R. Dr. tiustav Freytag, ■ 13.
Juli 1*10 zu Kreuzburg. 7 3U. April in
Wiesbaden.
31*
Digitized by Google
477
Biographische Blatter.
Leopold v. Sacher-Masnch, * 27. .hin. 1*3(>
in Lemberg, y {». M.'ir/. in Lindheini hei
Büdingen.
Frau Jeanne Marie v. Gayette-* ienrirens. Kli-
man.* 11. Okt. 1S17 zu ('oll)eiL'. y 14. Juni
in Leipzig.
Kavier de Retll, Kornau. * 1*2!». y 23. April
in Brüssel.
Pierre ZaCCOne, * 1817. y Mitte April in Paris.
Nikolaj Ssemenowitsch Lesskow, Kornau, y
5. Marz in .St. Petersburg.
Rudolf Stegmann, Dramatiker. * 20. Jan. 1*33
in BraunsrhweiL', y 25. Febr. in Di
en.
Kanzlcirath a. D. Fredrik August Dahlgren.
Dramatiker. * 20. An-. 1*1« zu Norrf-
mark. y 1*). Febr. in Djursholm.
Don .lose Ixart, Dramaturg, * 1*49. -J- 25.
Mai in Tarragona.
Jost- Estremera, Dramatiker, f 1. Febr. in
Madrid.
Leberi'cht Fessel, mecklenburg. Yolksdichter.
* 1S07. f 1». .luni in Waren.
Kicharrf Genee, Dichter ii. Komponist, * 7.
Febr. 1*23 in Dan/.ig. | 15. Juni in Harfen
b. Wien.
Frederick Loeker-Lampson, * 1*21. y 1. Juni
in London.
(Jvmnasialdir. Dr. .Karl Heinrich" Keck, *
2n. Marz 182 4 in .Schleswig. y 7. Febr.
in Kiel.
Ljal.omir Nenadovitsch . serb. Dichter, y 3.
Febr. in Valjevo.
Achilleus ParatchM,-* 1*33. y im Febr. in
Athen.
Stand. Sekr. d. franz. Akad. Camillc Doucet,
* 1«. Mai 1S12 zu Paris. y 1. April das.
X. Künstler.
Prof. Max Hr. v. Widemann , Bildhauer. *
1«. Oktober 18p_> zu Kichstiitt. f 4. M.'irz
in München.
Anton Paul Wagner, Bildhauer. * 1834 zu
Kiiui<rinhof. y 2«. Jan. in Wien.
Josef Uhl, Bildhauer, y 1(5. Febr. in Zürich.
Johannes Kvangelist Riedmüller, Bildhauer,
* 1*15 zu Heimartingen. y 13. Febr. in
München.
Jules Roulleau, Bildhauer. :: 1*55. ■{■ 28. Mürz
in Paris.
Jean Turcan, Bildhauer, * 1*11} zu Arles. y
3. Jan. in Paris.
David Lugeon, Bildhauer. * 1818 zu Lau-
sanne, y Hude Mürz in Lausanne.
John Bell, Bildhauer, * 1811 zu Norfolk, y
im April in London.
Max Josef Seltz, Kunstgraveur. * 1811. y
7. Februar in München.
Louis Schönhaupt, Zeichner, * 1822. y Ende
Febr. in Mühlhausen i. K.
Paul Barfus, Kupferstecher. * 17. Aug. 1823
zu (i rundlich, y 24. Mürz in München.
Theodor Langer, Kupferstecher, ~* 1*19 zu
Leipzig, y im Juni in Dresden.
Johann Friedrich Vogel, Kupferstecher, *
17. Dez. 1*29 zu Ansbach, y 13. Febr. in
München.
Luiiri Angiolini, Kupferstecher, y im Jan. in
Mailand.
Dr. Louis Brentano. Kunstliebhaber u. Samm-
ler. ISN. -;■ 21. Jan. in Frankfurt a. M.
Ilu'j-o Barthelme, (Jeschichtsm. . * 1822 zu
F.ussenhaus«>n. \ 4. Febr. in München.
Alexander Bida, < iesrhichtsm. . s 1823 zu
Toulouse, y 3. Jan. in Paris.
Paul Chenavard, < Jeschichtsm., 9. Dez.
ISO? zu Lvon. y l-_>. April -las.
Oustav Gräf, (Jeschichtsm.. * 14. Dez. 1*21
zu Köniirsbepjr. y «. Jan. in Berlin.
Karl Grünwedel. » JeschichtHu. . * 22. April
l*l5zu Pappenheim, y ls. Apr. i. München.
Prof. Wilh. Lindenschmit, ( ;e«.chiehtsm..
2(1. Juni 1*29 in München, y 8. Juni das.
Max v. Menz, (Jeschichtsm., * 1824 in Mün-
chen, y 3. Mai das.
Francesco Podesti, (Jeschichtsm.. * 1*00, y
9. Febr. in Pom.
Jean Portaeis, (ieschichtsm.. * 1. Mai 1*1*
zu Vilvorde. y *. Febr. in Brüssel.
Kohert Warthmüller. (Jeschichtsm. * 1*59 zu
Landsberg a. W.. y 25. Juni in Berlin.
Charles Iklouard Armand Dumaresq, Schtoch-
1.
lan. zu
ans.
Mitte
Mai 1*2*
Febr. in
' 1*2* in
tenmaler,
März das.
Adolf Schreyer, Schlachtenm. • !l.
zu Frankfurt a. M.. -j- Knde
Paris.
Heemskerk van Best, Marinem.,
Kämpen, y im Jan. in Haag.
Henrv Moore, Marinem., y 22. Juni i. London.
Ilmil Brehmer, Portraitin., * 10. Okt. 1*22
in Kurtsch. y Ii». Febr. in Breslau.
Josef Valentin, Portraitm.. * 1811 in Strau-
bing. 14. Febr. in München.
Johann Duntze, Landschaftsmaler. * 1823 in
Kadlinghausen. y Knrfe Mai in Düsseldorf.
August Fritz, Lanilschaftsm.. * 1843 in Ober-
rainstadt. y 1. Marz in Dortmund.
Prof. Josef Quinaux, Land« haft>m.. * 2!l. Mürz
1*22 in Namur, y 25. Mai in Brüssel.
Leonhard Rausch, Landschaftern. , * 1813. y
19. April in Düsseldorf.
Josef Schwenningen Landschaftsm.. * 1*05,
y 12. Jan. in Wien.
Fugene Benjamin Fichel, (Jenrem.. * 30 Aug.
182t! in Paris, y Mitte Febr. «las.
Pari Hertel, (Jenrem.. 17. Okt. 1*37 zu Bres-
lau, y Ii». März.
Prof. John Kvan Hodgson, ("Jenrem.. * 1. Mürz
1*31 zu London, y Ii». Juni das.
Prof. Albert Brendel. Thiern... * 7. Juni 1*27
zu Berlin, y 24. Mai in Weimar.
Johann Deiker. Thierm.. * 27. Mai 1*22 in
Wetzlar, y 22. Mai in Düsseldorf,
(iiiillaume Komain Fonace, Stilllebenm.. *
1 *.'»*. y ls. Jan. in Paris.
II. <i. Hine, Aquarellmaler. 11 1810. y 21. Mürz.
Digitized by Google
Die Todten des ersten Halbjahrs 1895.
478
Fridolin Becker, nictlcrl. Maler. | 5. Marz Wilhelm J. Martens, * 1*4*. y 2. Febr. in
in Maatr. SehKnehorj*.
Horthe Morieol, * 1810, y :{. Marz in Paris. Prof. Charles Soubre. y 40. Jan. in Liitti.h.
Willi. Kleinenbroich, * 1*1:5. y 22. .Inni in (ieurir Willi, v. Simm, Maler n. Illustrator.
Lindenthal. * 1*20. y im April in Berlin.
Prof. Ferdinand Scholl
servatoriums Stuttgart. * 1*17. y 2*. April
in Stuttgart.
Prof. Nevejans, * 1*42. y '2. Mai in Brüssel.
Chr. Steuer, Dir. il. stadt. Musikschule in
Nürnberg * 1S:M. y Ii. Marz.
Carl Hr. V. 0l8Chbaur, Vorstand d. Wiener
Männer^esanirvereins, * 7. Febr. 1*2!>. y
1. Mai in Wien.
Jean Joseph Bott, f. Hofkapellmoister in
Hannover, * 182(3, f Auf. Mai in Nowvork.
Ludwig Rotter, f. Hofkapellmeister. y 4. April
in Wien.
XI. Musiker.
Vorsteher des Kon- 1 Frau/, v. Suppe, Operettenkomponist. * 18.
April 1*20 zu Spalato, y 21. Mai in
Wien.
Alfred Tilman. Kirchenkomponist. * .1. Febr.
1*18 in Hriissel. y 20. Febr. das.
Prof. (iustav Wagner, Komponist, y Auf.
• lau. in Lauban.
Benjamin Godard, Komponist. * 1*. Aue.
1*49 y.u Paris, y 11. Jan. in Cannes.
Prof. Willi. Krankenhagen, * 1*20. | 27. Juni
in Maden b. Wien.
Prof. Ferd. Sieber, * 5. Dez. 1822 zu Wien,
:-
im
in Perlin.
Kduard Thiele, f. Hofkapellmeister. * 1813, Anselm Ehmant, * 25. Dez. 18.12 zu Frank-
y Mitte Jan. in Dessau.
Otto Hohlfeld, llofconeertnicister. * 1854, y
10. Mai in Darmstadt.
J^naz Lachner, Komponist. * IL Sept. 1*07
zu Koni, y 25. Febr. in Hannover.
Kduard Salomon, Operettenkomponist. y
Mitte Jan. in London.
fürt a. M.. y 14. Jan. in Paris.
Prof. (iustav Mazzanti, Klarinettist, y 20.
April in Berlin.
Vieente Celtanazor y Arnal, Sänger. * 1*15,
j Fnde März.
Peter Nolden, Kaunuersiinirer. * 1*11 zu
Düren, y Hude März, in Hamburg.
XII. Architekten, Techniker und Industrielle.
(iustav Assmann, Cell. Oberbaurath, a. I)..
* 1*25 zu Frankfurt a. <).. y 4. Juni in
Kassel.
Friede. Au<r. v. Stäche, Oherbaurath. * .40. Juni
1*14 zu Wien, y Mitte Juni in Craz.
(ieorir v. Dollmann, ktrl. bair. Oberhon>audir.,
* 1*:{L y 4L Marz in München.
Lud. Staberow, Baurath, y 28. Marz in Dort-
mund.
Oherbaurath Fried. Krnst Lehmann, Oberin?e-
nieur a. I)., Wasserbautechniker, y Fnde
Febr. zu Dresden,
(ieh. Hofrath Dr. Willi. Fränkel, Prof. d. In-
•renieiuwissenschaft. * 1841, y 14. April
zu Dresden.
W. Caetendyck, Ncrj.'werksdir. in Haraburir.
* 182:5. y 24. Jan. das.
Kduard Schott, te. hn. Leiter d. Fisenhiitte
zu llsenhunr. * l*o* zu Sesen, y im Febr.
in I Isenburg.
(.•eor«jr Budeni8, llüttenbes. in Lollar, y 29.
Juni das.
(5eh. Konimerzienrath Herrn. Gruson, * 14.
Marz 1*21 in Mairdeburi;. y 41. Jan. das.
Konimerzienrath ( >scar Schulze, ( • rossindustri-
eller.* 1827 zu Fraureuth, y 17. Jan. i. Apolda.
Konimerzienrath Schüttler in Braunschwei lt.
Zuckerindnstrie. * 1824. y 21. Juni das.
William Klsworth Hill, Instrumentetibauer.
* 1817, y hei London.
Stadtrath Albert Voigt, Beirr, d. Maschinen-
stickerei, y Fnde Mai in Chemnitz.
Wilh. Schönfeld, Spinnereibos.. y 2. Jan. in
Herford.
K~ommerzienrath C. I). Magirus, Fciierwohr-
requisitenfabrik. * 1*24. y duni i. I lm.
XIII. Landwirthe.
Prof. Dr. Johannes Brummer, * 1*51. y 15. Ökonomierath (iustav Neuhauss, * 1*2«?. -•-
März in .lena. 28. Jan. in Berlin.
(5 eh. Ökonomierath Richard v. Oehlschlägel, Aint.srath Becker, y 40. Jan. in Fldena.
* 24. Mai 1844 in Tharandt, y Ki. Mai
in Oberlan<_renau.
XIV. Buchhändler und Kaufleute.
«iustav Marcus, Verla^sbuchh.'indler. * 1821, J(»s. Whitaker, Verl.. 1*20. y 15. Mai i. London.
y (i. Febr. in Bonn. Karl Ricker, Verl., 1*44 zu St. < ioar-haussen,
Franz Kirchheim, Neri.. y 2. M.'irz in Mainz. y II. M.'irz in St. Petersburg.
Job. Moritz Konr. Schauenburg, Verl.. 21. Joseph Aumüller, Kunstverl.. : l*oG. -J- t!.
«>kt. 1*27 zu Herford, y 25. Jan. zu Lahr. Juni in München.
Kuiri-nc Plön, Verl.. 1 IL Juni 1*4(1. y 4L Philipp Bück, Buchhändler. ': 1*15. y IG.
Mür/ in Paris. Mürz in Karlsruhe.
Digitized by Goefgle
479
Biographische Blätter.
Frederic Chapman, Buchhändler. 7 7. Marz in
London.
Andreas Haase Kdler v. Wranau, Hofbuehdr..
T ::. Matz in Prag.
Kdiimnd Joubert Vviis. d. Banquc de Paris
et des Pavs-Pas. •{• 1:}. Mai in l'nris.
Kduard Metz, Präs. d. luxemhurg. Handels-
kanuner. J,- 13. Febr. in Luxemburg.
Charles Worth, der pariser Modenkönig, * 182f>
zu Pourne. f 10 Miirz in Paris.
Wilh. Huffer, Haupt d. deutsehe Kolonie in
Korn, * 1S23 in Munster, f Mai in Pom.
A. Jegorow, ( l rosskau finann, 7 10. Febr. in
Ferd. Kdmund Becker, Banquier. * 1833. f
8. Juni in (iaschwitz.
Wilh. Hr. v. Gutmann, T 17. Mai in Wien,
(»eh. Kommerzienr.Deninger, fl.Juni i. Mainz.
Sigismund Kohnspeyer, Bankier. * 1S31,
19. Mai in Königstein i. S.
Kommerzienr. Job. Karl (iustav
1845, f 10. .Tan. in Leipzig.
Geh. Kommerzienr. Walter Ferner, * 1830, f
f>. Mai in (Jera.
Niederl. Konsul Pudolf Dackau, 7 14. Febr.
in Libau.
K. Rath Pudolf Dilmar, Fabrikant. * 1*17 zu
Prenzlau, f 22. Marz in Wien.
St. Petersburg.
Kniiinier/ienr. Dr. Poliert Simon, | 21. .Tan. Karl Friedr. Wilh. Meister, Mitbegründer der
in Künig-sl>erg. Farbwerke zu Höchst a. M., * 1S27 in
Baron Herrn. Springer, * 1840. 7 9. Febr. Hamburg-, 7 3. .Jan. zu Frankfurt a. M.
in Wien. Kommerzienr. Schlüchterrnann, (Jmssindustri-
Karl Sarg, (Jrosskuufm., * is:}2, 7 14. Miirz , eller in Dortmund,! 21. AI,ril in Montreux.
in Wien. 1 Friedr. Au?. Biesling, Lederfabr. in Dresden,
K.l. L. Behrens, Banquier. * 19. .lan. 1824, * ISIS. 7 3. Juni in Dresden.
7 ls. April in Hamburg. Jakob Ahlers, Kaufin., 7 17. Juni in Hamburg
XV. Schauspieler und Theaterdirektoren.
Theodor Lehnin, f. Direktor d. Berliner Wallner-
theaters. * 14. Jan. 182« zu Kornitten, 7
9. April in Hirschberg.
Anton v. Weber, f. Dir. d. Theaters zn Dort-
mund, 7 27 Jan.
< arl v. Bongardt, f. Theaterdir., * 1847. 7 27.
Jan. in Detmold.
(ieorg Carron, f. Dir. des Theaters zu Metz,
* 1*43. 7 Mitte April in Paris.
Pudolf Frinke, Dir. d. Theaters zu Budweis,
* IS Febr. 1844 zu Prag, 7 Vi. April zu
( iries b. Bozen.
Pobert Müller, Theaterdirektor. * 20 Jan. 18.12
zu Olmiitz, 7 20. Febr. das.
Prot*. Fritz Brand, Überregisseur in Weimar,
7 10. Jan. in Jena.
Balletmeister Karl Teile in Wien. * 1827.
7 Jan. in Klosterneuburg.
Josef Ferd. Muller ( . Nesmüller ). Schauspieler.
* 9. März 1818 zu Mahrisch-Trnbau. 7 9.
Mai in Hamburg1,
Herrn. Waeser, Schauspieler am deutschen
Theater in C'ineinnati. f das.
Friedr. Hesse, Hofschauspieler. * 1809. 7
21. April in Cassel.
Marie KnaufT, f. Schauspielerin, * 3o. April
1842
9. Febr. da*
James Anderson, Schauspieler, * 1821. 7 3.
MHrz in London.
Comey 6reen, Komiker. * 1844, 7 im März
in London.
Kmil Schubert, Komiker. * 1S39. 7 23. Mai
in Dresden.
Ktienne Pradeau, Komiker. * ISpi zu Bor-
deaux, f Ende Jan. in Paris.
Josef Bietzacher, Bassist u. Schauspieler. *
14. Aug. lS'Jo zu Schwäeh, 7 1»>. Juni in
Hannover.
XVI.
r'auline. Herzosrin zu Sagan, «1 Juli 1823.
7 9. Marz in Berlin.
Frau Ausrüste Demuth, Sehauspielerin -Frau
KoUerwein-. s 1821. 7 31. Marz in Wien.
Frau Man Thornycroft, Bildhauerin. * 1S14
zu TliKinham. 7 Anf. Febr. in London.
Kmilie Ringseis, Tochter .loh. Nep. v. Pings-
eis'. * l:\Noy. 1831 zu München, 7 3. Febr.
uns.
27.
Kmilie Zahn, Tochter Louis Spohr's. ;,:
Mai ISOli zu <iotha. 7 im Juni.
Lina Ehrenberg, zweite Frau d. Naturforsch.,
geb. Frici-ius, * 20. Mai 1812 zu Königs-
liersr, t IS. Mai in Xehlendorf.
Frau Pmiisc Otto- Peters, f. Präsidentin d. Allg.
Frauen.
deutschen Frauen ver., * 20. Miirz 1S19 zu
Meissen, 7 13. Miirz in Leipzig.
Julie v. Hamburger, Prüsidentin d. Alexander-
Gemeinschaft barmherz. Schwestern in St.
Petersburg * 1825, 7 27. Febr. in St.
Petersburg.
Frau Camilla Collett, Schriftsteller, u. Leiterin
der Frauenbewegung in Norwegen, * isp{.
7 7. Miirz in Christiania.
Marie Czerwinka- Pieger. Schriftstellerin. 7
18. Jan. in Prag.
Frau Marie v. Borch, Schriftstellerin.
Nov. lSä.3 in Hamburg, 7 23. Mai in Berlin.
Miss Mary Carlvle-Aitken, Nichte Thomas
Carkle's. Schriftstellerin. 7 in Kdinburgh.
Digitized by Google
Ans dem Stammbuch eines Biographen.
4S0
Aus dem Stammbuch eines Biographen.
III.
Paraphrase.
„Ein Menschenleben, ach, es ist so wenig!
Ein Menschenschicksal, ach. es ist so viel!"
(irillparzer.
Der Welle gleich, die fern vom Meeresstrande
Spurlos im weiten Ozean verschwimmt;
Per Flamrae ähnlich, die nach kurzem Brande
Zu einem todten Aschenrest verglimmt ;
Kin Schatten nur in täuschendem Gewände,
Der. kaum erschienen, auch schon Abschied nimmt;
Dem Walten blinder Kräfte unterthünig
Ein Menschenleben, ach. es ist so wenig!
Allein in dieser nrmen Spanne Zeit.
Die uns. den Bildern eines Traums, gelassen.
Welch ein Gedräng' von Schmerz und Seligkeit!
Welch ein Gewog' von Lieben und von Hassen!
Ob nichtig auch dies Sein, das Herz ist weit
Und kühn genug Unendliches zu fassen
Im Eons, das ihm für ttüehtge Stunden fiel
Ein Menschenschicksal, ach, es ist so viel!
Betty Pauli: Letzte i.'edichtc.
Berichtigung. In der Denkrede von Ti irersted t hat es in der Fussnote S. 271 statt
„Universität Stockholm" zu lauten „in der schwedischen (Gesellschaft der Ärzte in Stock-
holm"; S. 272 Z. 14 v. o. statt „eine" „seine" Habilitationsschrift: S. 27:} Z. :\ v. o. ist
„nur". Z. 7 v. o. „gleichfalls" zu streichen: Z. 11 v. o. statt -auf das weit*' Kehl" „auf
weite Kelder"; Z. 27 v.o. statt „von" „vor" zu lesen; Z. 32 nach „irgend einer" das Wort
„anderen" einzuschalten; in der letzten Zeile statt „auf diesem (Jebiete" „auf diesen <ie-
bieten"; S. 274 Z. 10 ist statt „hervortritt" „hervorhebt", Z. 11 v. u. statt ..klarer" „klar"
zu lesen ; S. 275 ist Z. 2'J v. u. nach „< ianglienzellen" „dabei" einzuschalten : der Schlusssatz
dieses Absatzes hat zu lauten: „die Leistungen des Thierkörpers festzustellen und sie aus
den elementaren Bedingungen desselben mit Notwendigkeit herzuleiten"; Z. 4 v. u. statt
„desto bedeutender" „je bedeutender"; S. 277 Z. 24 v. u. statt „deren" „dessen".
Verlan: Ern»t Hofmann & Co. In Berlin. Bruck: Feloentreff & Co. in Berlin.
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. Anton Bettelheim in Wien.
U nhereehtinter Abdruck au« dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Cbrrsctzun gerechte vorbehalten.
Digitized by Google
-T/ -l'-l' -T' -T-'T/\^-T/.J..t--t'^'-l'-l'-T'xJ'>t'-t"t'^I-'.t' -f- -t> "J- >T< «T> -I' »T' »t/ * 'T> "J" "J'^J- "J"J' "J" 'J' *1' •J"*'VJ"'J"J' •*» "J' VJ' "J' 'T' "J'
Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachf. in Stuttgart.
Kleine historische Schriften
von
Heinrich von Sybel.
I. Itaind. Inhalt: Politisches und soziales Verhalten der ersten Christen. - I)ie
Deutschen hei ihrem Kintritt in die (Jesehichte. — Prinz Kitten von Savoyen. Katha-
rina IL von Kussland. — <!raf Joseph de Maistre. Die Krhebunif Kuropas «regen Napo-
leon I. — t'her den Stand der neueren deutschen < .leschiehtschreilmn«?. Die christlich-
germanische Staatslehre. — Über den zweiten Kreuzzug. -- Kdmund Kurke und Irland.
— Über die Kntwicklung der absoluten .Monarchie in l'reussen. \. Aufl. Preis geheftet 9 Mark.
II. Hand. Inhalt: Aus der tieschichte der Kreuzzie/e. — Deutschland und Dilne-
niiirk im .laluhundert. - Die liriel'e der Königin Marie Antoinette. — Kaiser Leopold II.
Österreich und l'reussen im Uevolutionskriein». Preussen und Itheinland. Die
Gründung der Universität Bonn. Festrede zum Jubiläum der Rheinischen Friedrich-AVilhelms-
I niversitUt. Preis geheftet 6 Mark.
III. Band. Inhalt: Die karolingischen Annalen. Die Schenkungen der Karo-
linger an die Papste. Sagen und (Jedichte Uber die Kreu/zilge. — Die erste Theihmg
Polens. Zwei Lehrer Friedrich Wilhelms III. in der Philosophie. Der alte Staat und
die Revolution in Frankreich. Der Rastatter (iesandtenmord. Die österreichisch»»
Staatskonferenz von l&M. — Klerikale Politik im 19. Jahrhundert. Deutschlands Rechte
auf Klsass und Lothringen. Napoleon III. Preis geheftet 10 Mark.
— ^^flL Zu beziehen durch die meisten Buchhandlungen.
'i» 'i> 'X- 't- 'I- 'I1 <i- 'I- '!•> 'I' 'i* *v •X- * 'I- 'I* & & & 'T- *> 'Is I' T- -1" 'I- T- 'I- -5« X- -I- -f •> -T- -I- •!> »I> -X» ■ j» -x- <!• -v -I* <*• T»
Im Verlage von Braun & Schneider in München ist erschienen und durch alle
Buchhandlungen zu beziehen:
Lustige Ehegrammatik. cYon mir is's. r
Ein unentbeUrlicnes Hilfsbucü ^ ■ — - • s
für Eheleute und Solche, die es werden wollen. Gedichte
Aus >lcni ileuisolieu Original. von
<lcr Kinfaihheit halber, in 's Kii^IislIh' iiihI v ^£ i i* i W.
Bi.ilann au» tlem KiiKÜschen wieder in s Ueutsehe
/miu kiilM-rsctzt von Mit dem Bildnisse des Verfassers.
v. Miris. m Bosen.
8. Auflsire. Klcfjant gebunden. Preis l«iö Mark. Höchst elf Kant ge hutiden. l'reis 8 Mark.
Lustige Naturgeschichte Franz der Streber,
oiier Zoologia comica. v„„
Uns iNt eine venaue Ite.nrlireihunc »Her In dienern v. M I T i S.
Iturhe vorkommenden lebenderen Thiere der Welt,
mit HS naturgetreuen Abbildungen.
Wi x * cii so ha ft lieh bearbeitet vun
v. Miris.
Mit lllust rationell von
H. Schliessmann
i
I
H. Aufluve, r.leu. cart. Preis 1.50 Mark. ltioschirt. Preis Mark.
Lustige Botanik und Mineralogie Theaterstücke
vun für die Jugend,
v. Miris. v.m Fritnz llonii.
51. Aullaite. I'ri'is : ('artmiuirt 1 Mark. Hiermit bmsehirl. 1'rein ä Mark.
Digitized by Google
Digitized by Google