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Full text of "Biographische blätter"

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Biographische  blätter.  Jahrbuch  für 
lebensgeschichtliche  kunst  und ... 


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WiSCLSOPAFTLiCO  CLUB 

Escheiibachga^Ec  9, 


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biographische  glätter. 


Jahrbuch 

für 

lebensgeschichtliche  Kunst  und  Forschung. 


Unter  ständiger  Mitwirkung 

von 

Michael  Bernays,  F.  von  Bezold,  Alois  Brandl,  Aug.  Fournier, 
Ludw.  Geiger,  Karl  Glossy,  Eug.  Guglia,  Sigm.  Günther,  Ottokar  Lorenz, 
Karl  von  Lützow,  Jacob  Minor,  Friedr.  Ratzel,  Erich  Schmidt, 

Anton  E.  Schönbach  u.  A. 

herausgegeben 

von 

Anton  13  c  tt c  1  h  c  i  m. 

Erster  Band. 
Mit  vier  Bildnissen. 


BERLIN. 

ERNST  HOFMANN  &  Co. 
1895. 

WlSSENSCHAmiCIiCn  CLL'3        *  r  , 

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Alle  Rechte,  insbesondere  die  der  Übersetzung  und  Nachbildung, 

vorbehalten. 


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Inhalt. 

—    v>  - 

I.  Zur  Theorie  und  Entwicklungsgeschichte  der  Biographie.  MUs 

Ludwig  Stein,  Zur  Methodenlehre  der  Biographik   22 

Anton  E.  Schönbach,  t  her  den  liioLTaphisrhfn  (!  fhalt  dos  ul  t  de  u  t  srlicn 

Minnesanges   39 

Peter  Rosegper,  Eine  Meinung  über  Autobiographieen   53 

Richard  M.  Werner,  Biographie  der  Namenlosen   114 

F.  v.  Bezold,  Cber  die  Anfänge  der  Selbstbiographie  und  ihre  Ent- 

wicklung im  Mittelalter   180 

Rndolf  Beer,  Der  Stand  der  biographischen  Studien  in  Spanien  .    .    .  304 

II.  Charakteristiken  nnd  Kritiken. 

Alfred  Oove,  Rnnke's  Verhältnis  zur  Biographie   1 

Albert  Sorel,  Taine   103 

III.  Biographische  Aufsätze. 

Michael  Bernaya,  Rede  auf  Scheffel   68 

Karl  von  Lützow,   Anselm  Fcucrhach   sl 

Friedrich  Ratzel,  Leonhard  Kauwolf   90 

G.  F.  Knapp,  (ieorg  Hanssen   96 

Max  Haushofer,  Karl  von  Haushofer   101 

Erich  Mareks,   Xarh  den  Bismarck  tagen   1  ■  »<> 

Hans  Kraemer,  Bismarck'«  Schuljahre.    Mit  Bildniss   140 

Georg  Ebers,  Chediw  Isma  il   151 

Georg  Jellinek,  Adolf  Kxner   222 

Ernst  Roth,  Natanacl  l'i  inirslicini   227 

Conrad  Varrentrapp,  Gneisenau   243 

Adolf  Fick,  Karl  Ludwin    Narhrut   265 

Robe  rt  Tigerstedt,  Karl  Ludwig.    Denkrede   271 

Malcher,  Erzherzog  Albrecht   279 

Franz  Muncker,  Moritz  Carriore   298 

Hermann  Helferich,  Adolf  Menzel.    Mit  Hildniss   362 

lataf  Redlich.  Rudolf  von  (iueist   364 

Cenrad  Varrentrapp,  Heinrich  von  Syhel   376 

H.  Holland,  F.  Bonn  |v.  Miris]   391 

Julius  Wiesner,  .löset'  Hohm   :',i)s 

Wilhelm  Bolin,  Georg  von  Gizvcki   406 

Leon  Kellner.  Oliver  Wendoll  Holmes   113 


IV.  Selbstbekenntnisse  und  Denkwürdigkeiten. 

Aus  dem  Leben  armer  Studenten   117 

Rudolf  Lehmann,  Aus  den  Krinnerungen  eines  Künstlers.  M.  Bildniss  206. : 331 
Aus  dem  Reisejournal  eines  sächsischen  Landgeistlichen  (mitgethoilt 

von  dessen  Urenkel  Erich  Schmidt  i   214 

0.  Frhr.  v.  Voelderndorff,  Familiengeschichtliches   325 

Eugen  von  Phlllppovich,  Hin  Auswandererbrief  aus  dem  Jahre  1817    .  130 


V.  Urkunden  und  Briefe. 

Seite 

Joseph  Schreyvogels  Entwurf  einer  Wiener  Hof-  und  Staatszeitunj: 

(mit jrc  t heilt  von  Karl  (ilossy)   51 

StammbuchblStter  von  Goethe,  Lessing,  Wieland   10-s 

Vier  Briefe  Böckh's  an  A.  v.  Humboldt  (mitjrethcilt  von  Alfred  Dove). 

Mit  Bildnis*   Ion 

Ein  Brief  Grillparzers  an  Paul  Heyse  onitiretheilt  von  Max  Kallin-k)  IJ:i 
Ein  Besuch  in  Potsdam  im  Jahre  1809  (nach  Wcssenln-rir  mit<:etheilt  von 

Alfred  Ritter  von  Arnethl   2(>1 

Stadion  über  Gentz  imit^etheilt  von  Auirust  Fournier»   2<)G 

Gustav  Freytag  als  Ehrendoktor  der  berliner  Universität  (Adresse  und 

Antwort)   2.T> 

Aus  dem  Briefwechsel  von  Hermann  Orges  onitgothcilt  von  Ottokar 

Lorenz)   .V-VJ 

Briefe  Leopold  von  Ranke's  an  Varnha?en  von  Ense  und  Rahel  (mitire- 

theilt  von  Theodor  Wiedeinann)  .    .    .•   4:?") 

Fünf  Briefe  Ernst  Moritz  Arndt's  iniit»etheilt  von  L.  v.  Renda)  .  .  .  44  s 
Karl  Hillebrand  üher  da»  Lesen  als  llildunirsmittrl  (mit^etheilt  von 

Sigmund  Schott)   4.V2 

VI.  Anzeigen. 

Arneth's  .Schinerlin--    110 

Münchener  Klnstler-Nekrologe   120 

Französische  Memoiren  121/2 

Laues  -Ehrcnberg"   2"W 

Schiller  s  Briefe  (ed.  Jonas)   :"HV2 

Rieh.  M.  Meyers's  Jloothc-    :^<5 

Briefe  von  Carl  Benedict  Haase  (cd.  Heine)  .    .    .    .MO 

Grillparzer-.Iahrliuch.    V   MM 

Mollat,  Redner  der  Paulskirche   460 

Arn.  E.  Berger,  Die  K  ulturaufjraben  der  Reformation.  —  Luther.    .    .  40:1 

Mich.  Bakunin's  soeialpolitischer  Briefwechsel  (ed.  Drajromanow)     .    .  4(15 

A.  Oncken,  Francis  (^uesnay    4<M 

Schfiffle's  .Cotta"   4b7 

VII.  Bibliographie,  verzeichnet  von  V.  Hantzsch  und  R.  Beer   .  12.'J.  2:5S.  ;\]:\ 

VIII.  Nekrologie,  verzeichnet  von  Max  Laue   Hill 

IX.  MisceUen. 

Joh.  Jureczek,  Die  l>ortrHtsammlun<r  der  k.  u.  k.  Familien-Fideikommiss- 

Bihliothek    I"»"» 

Aus  dem  Stammbuch  eines  Biographen  12*.  211.  iso 


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Namen -Yerzeichniss, 

(In  liegender  Schrift  erscheinen  die  Namen  der  Verfasser.) 


Seite 

Seite 

all                   Ii  1 

.    119.  ,200 

.    .  54.  301 

i          *   *        r  t 

109.  128.  350 

T  >  —                   1*     1    I        T~*  J  J 

/'«Iii                    £  * 

(»omperz.  Theodor  .    .  . 

.    .    .  33 

113.  241.  301 

.    .    .  128 

.     119.  405 

1                  ■         *-  * 

.     121.  HM 

.    .    .  180 

130.  140 

.  .  .  3<u 

Holmes,  Oliver  W.   .    .  . 

.    .    .    413  • 

T »                    II                  ■  i           III           •  • 

Burckhardt.  (Im. st.  Ilnnr. 

.    .    .  121 

■>•>») 

Kaiekreuth,  St.  (iraf  von 

.    .    .  121 

•244 

.    .    .  413 

Ihn'*-,  Alfred  

1.  209.  300 

.    .    .  95 

.     122.  151 

Fahrenberg,  Christ,  (Jottfr. 

.    .    .  230 

.    .    .  222 

.    .    .  81 

.    .    .  2l>0 

Fiele.  Adolf  

.    .    .  205 

.    .    .  :139 

.    205.  271 

.    .    .  27» 

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Seite 

Merimee   1*2*2 

Meyer,  Conr.  Ferd   24*2 

Meyer,  Kich.  M   350 

Minor,  Jakob   352 

Miris,  v   391 

Moleschott   123 

Muncker,  Franz   298 

Oncken,  A   400 

Orges,  Hermann  v   341 

Pecht,  Friedr   122 

Petzet,  Erich   467 

Pliilippovich,  Eng.  v   430 

l'ietseh,  Ludwig   122 

l'iglhein,  Bruno   120 

l'io  Nono   330 

l'ringsheiiu.  Xatanacl   227 

Ranke,  Leop.  von  1.  43") 

Ratzel,  Friedr   90 

llauwolf,  Leonhard   90 

Redlieh.  Josef   304 

Kenan,  Ernest   122 

llodowe   109 

Uoquette,  Otto   122 

Rosegger.  Peter                                5.1.  123 

Roth.  Ernst   227 

Sauer,  August   3(31 

Schllffle,  A   407 

Scheffel.  .1.  V.  v   (58 

Schiller  139.  352 


Seite 

Schmerling.  A.  Kitter  v.     ...  119 

Schmidt.  Christ.  Gottl   214 

Schmidt.  Erich   214 

Schönbach.  Anton  E   39 

Schopenhauer   129 

Schott.  Sigm   452 

Sehreyrogel.  Jos   58 

Seaiiles,  Gabriel   122 

Seidel,  Heinr   123 

Siemens,  Sir  William   212 

Sord.  Albert   163 

SUulion.  Graf   234 

Stein.  Ludwig   22 

Steiner,  Kilian  v   109 

Sybel,  Heinr.  v   370 

Taine  122.  108 

Tigerst edtf  Robert   271 

t'nger,  Eduard   120 

\arrentrapp,  Conrad    ....     213.  37G 

Yoeldemdorff.  Otto  Frhr.  r.  .    .     325.  400 

Vahlberg  Max  Frhr.  r   .350 

W'erncr,  Rieh.  M   114 

}\'esseuberg,  J.  r   203 

Wiedcmann,  Th   435 

Wieland   109 

Wiemer.  Julius   398 

Windel  band,  W   33 

Zetsche.  Eduard   122 

Zola.  E   422 


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Ranke's  Verhältniss  zur  Biographie. 


Von 

ALFRED  DOVE. 

Erstreckt  man  den  Namen  Biographie  in  lässlicher  Ausdehnung'  auf 
alles,  was  zur  historischen  Kunde  des  Einzellehens  irgend  beigetragen  wird: 
wo  fände  sich  dann  ein  reicherer  biographischer  Schatz,  als  in  den  Werken 
Ranke's?  Ebendort  aber  erkennt  man.  neben  vielfacher  Abstufung  im  Zu- 
sammenwirken biographischer  und  historischer  Thätigkeit,  auch  deutlich  den 
tiefgreifenden  Unterschied,  der  zwischen  reiner,  nur  ihrer  eigenen  Bestimmung 
geweihter  Lebensbeschreibung  und  jeglicher  Art  von  geschichtlich  ange- 
wandter Biographie  besteht. 

Was  Ranke  selbst,  immerhin  mit  einseitiger  Betonung,  gelegentlich 
ausspricht:  „die  Mannigfaltigkeit  der  Geschichte  beruht  in  dem  Hereinziehen 
der  biographischen  Momente"  —  das  gilt  unbedingt  wenigstens  von  seiner 
eigenen  Weise,  Geschichte  aufzufassen  und  zu  schreiben.  Unablässig  be- 
schäftigt sich  sein  Geist  mit  dem  Allgemeinen,  aber  es  entspringt  ihm 
niemals  aus  leblos  abgezogenen  Begriffen;  er  gewinnt  es  aus  der  klaren 
Anschauung  des  menschlichen  Gesammtlcbens  selbst,  worin  ja  zugleich  das 
persönliche  Dasein,  soweit  es  in  äusserer  Wirklichkeit  fassbar  erscheint, 
enthalten  ist.  Gleich  die  erste  Ahnung  seines  dauernden  Berufs,  die  in 
dem  Vierundzwanzigjährigen  aufblitzt,  enthüllt  den  Charakter  seiner  ganzen 
Historiographie:  eine  Universalität,  die  sich  möglichst  unmittelbar  aus  in- 
dividuellen Elementen  zusammensetzt.  Im  Zusammenhang  der  grossen 
Geschichte  will  er  Gott  erkennen,  die  Mär  der  Weltgeschichte  auffinden, 
jenen  Gang  der  Begebenheiten  und  Entwicklungen  unseres  Geschlechts, 
der  als  ihr  eigentlicher  Inhalt,  als  ihre  Mitte  und  ihr  Wesen  anzusehen  sei 
—  wie  aber  gedenkt  er  dahin  zu  gelangen?  Er  möchte  schwelgen  in  dem 
Reichthum  aller  Jahrhunderte,  all  die  Helden  sehen  von  Aug1  zu  Aug', 
mitleben  noch  einmal,  und  gedrängter,  lebendiger  fast;  alle  Thaten  und 
Leiden  dieses  unendlich  vielseitigen  Geschöpfes,  das  wir  selber  sind,  wünscht 
er  in  ihrem  Entstehen  und  in  ihrer  G estalt  zu  begreifen  und  festzuhalten, 
lu  solchem  Sinne  hat  er  dann  sein  erstes  Buch  verfasst,  die  Geschichten 

Biographische  Blatter.  I.  1 


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2  Bioirraphisrho  lililttor. 

der  romanischen  und  germanischen  Völker.  Eine  univei*salhistorischc  Idee, 
die  der  geschichtlichen  Einheit  dieser  Nationen,  letrt  er  ihm  zugrunde  und 
fuhrt  sie  einleuchtend  durch.  Allein  die  Schilderung  überrascht  uns  ausser- 
dem durch  das  lebhafte  Zusammenspiel  einer  grossen  Menge  von  Figuren, 
die  zwar  kurz  angebunden  in  Wort  und  That,  jedoch  immer  eigenartig 
auftreten.  Auf  manchen  Leser  mag  dies  Schauspiel  geradezu  verwirrend 
wirken:  man  glaubt  in  ein  Vivarium  hineinzusehen,  in  welchem  es  hundert- 
fach durcheinander  wimmelt.  Die  biographischen  Momente  entbehren  noch 
der  übersichtlichen  Entfaltung:  aber  Aver  solch  einen  Lobensbehältcr  anzu- 
legen versteht,  sollte  der  nicht  am  Ende  noch  zum  eigentlichen  Biographen 
werden  ? 

Eine  Zeitlang  schritt  der  junge  Hanke  wirklich  in  dieser  Richtung 
fort.  Die  erstaunliche  Empfänglichkeit,  die  ihn  besonders  auszeichnet,  äussert 
sich  auch  in  einer  gewissen  Anpassung  seiner  Kunst  an  die  Form  seiner 
(Quellen.  Mit  Recht  ist  von  jenem  Erstlingswerke  gesagt  worden,  er  habe 
darin,  während  er  die  (Jeschichtschreibung  der  Renaissancezeit  wissenschaft- 
lich aus  dem  Felde  schlug,  an  naivem  Reiz  der  Darstellung  mit  ihr  ge- 
wetteifert.  W  ieviel  bedeutsamer  noch  traf  ihn  gleich  darauf  die  Berührung 
mit  den  (icsandtschaftsrelationen  der  Venetianer!  Es  sind,  wie  man  weiss. 
(Jcneralberichte  der  heimgekehrten  Ambassadoren  Uber  die  Summe  der  auf 
ihrem  diplomatischen  Posten  gemachten  Wahrnehmungen.  Ausser  statistischen 
Angaben  und  politischen  Betrachtungen  erscheinen  darin  auch  psychologisch 
feine  Personalbeschreibungen  der  fremden  Fürsten  und  Staatsmänner,  bestimmt 
zu  weiteren  Anschlägen  für  die  Rechenkunst  der  klugen  (Jeschäftslente  von 
San  Marco.  Auf  solche  Relationen  gründete  nun  Ranke  seine  ..Fürsten 
inid  Völker  von  Südeuropa  **,  deren  erster  Theil  Osmaneu  und  spanische 
Monarchie  behandelt.  Schon  der  Titel  des  W  erks  verräth  eine  halbe 
Wendung  zu  isoliHer  Betrachtung  der  historischen  Einzelgestalten.  Und 
so  linden  wir  in  der  That  neben  erörternden  Abschnitten  über  Verfassung, 
Verwaltung,  Wlrthschaft  und  öffentliche  Zustände  eine  Reihe  von  eigens 
umrahmten  Charaktorgemälden  der  Sultane  und  W  esire,  Könige  und  Minister, 
unter  denen  die  Bildnisse  der  drei  ersten  spanischen  Habsburger  als  Kabinet- 
stücke  berühmt  geworden  sind.  In  die  volle  Farbcngebung  der  Schule  von 
Venedig  bringt  die  höhere  historische  Auffassung  eine  stilvolle  Zeichnung 
hinein.  Jeder  Biograph  kann  von  diesen  geistreichen  Studien  lenien:  den 
selbständigen  Zweck  persönlicher  Lebensgesehichte  verfolgen  sie  gleieh- 
wohl  nicht.  Als  geschichtliche  Skizzen  nach  dem  persönlichen  Leben  sollen 
sie  vielmehr  im  Verein  mit  den  Ausführungen  über  die  Lage  der  Provinzen. 
Stände,  Finanzen  u.  s.  f.  eine  Sammlung  von  Ansichten  des  historisch 
Merkwürdigen  in  beiden  Reichen  bilden.  Ab  und  zu  begegnen  dabei  wohl 
auch  woitergreifende  biographische  Reflexionen,  wie  z.  B.  angesichts  der 
unerwarteten  individuellen  Entwicklung  Sultan  Murads  III.  Eine  Ausnahme 
macht  dagegen  einzig  die  ..Digression  über  Don  .Johann  von  Österreich"; 


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I tanke's  Verhältnis*  zur  Bioirraphie. 


allen  Krnstcs  ein  Schritt  vom  Wege  der  Historie  in  den  Bereich  der  echten, 
unabhängigen  Biographie.  So  kurz  bliese  Abschweifung  ist,  so  leicht  um- 
rissen das  Lebensbild  erscheint:  hier  empfängt  man  wirklich  den  Kindruck 
einer  zentralen  Versenkung  des  Autors  in  die  verborgene  Kinheit  des 
Subjekts,  zu  deren  Darstellung  er  die  Mittel  ans  der  Krfahrnng  der  eigenen 
Seele  schöpft.  Hier  allein  weht  jenes  innige  biographische  Mitgefühl,  das 
der  Historiker  als  solcher,  indem  er  uns  die  Menschen  als  Krschcinungen 
der  Aussenwelt  anschaulich  gegenüberstellt,  seinen  (i estalten  zu  widmen, 
seinen  Lesern  für  sie  einzuflössen  nicht  in  der  Lage  ist.  Eben  hier  aber  offen- 
bart sich  Hanke  zugleich  als  geborener  Historiker,  der  er  ist  und  bleibt;  denn 
was  hat  ihn  eigentlich  dazu  vermocht,  von  seiner  geschichtlich  objektiven 
(Gewohnheit  doch  einmal  abzuweichen?  Nicht  der  Sieger  von  Lepanto  er- 
weckte seine  rein  menschliche  Sympathie,  sondern  der  ergreifende  Umschwung 
und  Niedergang  in  Don  Juans  Schicksal:  das  historisch  verfehlte  Leben 
stimmt  ihn  unwillkürlich  biographisch.  ..So  aber  ist  diese  W  elt",  ruft  er  am 
Schlüsse  wehmüthig  ans;  „sie  reizt  den  Menschen,  alle  seine  Fähigkeiten 
zu  entfalten,  sie  treibt  in  ihm  alle  Hoffnungen  auf.  Dann  miissigt  er  sich 
nicht:  seine  Kräfte  fühlend,  jagt  er  den  stolzesten  Kampfpreisen  der  Khre 
oder  des  Besitzes  nach.  Sie  aber  gewahrt  ihm  nicht:  sie  sehliesst  ihm  ihre 
Schranke  zu  und  lässt  ihn  untergehen!" 

Äusserlieh  hat  sich  Hanke  von  dem  Vorbilde  venetianischer  Bericht- 
erstattung über  Personen  und  Zustände  alsbald  wieder  losgesagt;  was  er 
ilim  innerlich  verdankte,  die  Technik  in  sich  geschlossener  Charakteristik, 
bildete  er  seitdem  durch  beständige  Übung  im  Dienste  seiner  (ieschicht- 
schreibung  aufs  vollkommenste  aus.  In  die  erzählende  Form  historischer 
Darstellung  verwebt  er  nunmehr  die  biographischen  Momente  in  entwickelter 
(Gestalt.  Die  „serbische  Revolution",  in  der  sich  vor  unseren  Augen  ein 
halb  barbarisches  Volk  auf  noch  wenig  individualisirter  Höhe  bewegt,  bot 
dazu  geringe  (ielegenheit:  doch  wird  niemand,  wenn  er  die  paar  Seiten 
über  Kara  (!eorg  gelesen  hat,  die  Physiognomie  dieses  Nationalhelden,  «lei- 
den Vater,  um  ihn  zu  retten,  erschiesst,  so  leicht  vergessen,  (ianz  anders 
steht  es  um  die  ..römischen  Päpste",  mit  denen  „Fürsten  und  Völker"  zum  herr- 
lichsten Abschluss  gelangten.  Wie  mancher  deutsche  Historiker  hätte  nicht  statt 
der  Päpste  lieber  das  Papstthum  genannt  und  in  der  That  beschrieben! 
Bei  Ranke  fehlt  es  nicht  etwa  an  universalhistorischem  Schwung,  im  ( Jcgen- 
theil:  zu  fast  verwegenem  Fluge  reisst  er  uns  über  die  weite  Krde  hin. 
Dazwischen  aber  blicken  wir  ausruhend  bis  in  die  Kleinigkeiten  einer  mehr 
oder  minder  apostolischen  Hagestolzenwirthsehaft  hinein.  Denn  bei  ihm 
löst  auf  der  Felsspitze  Petri  ein  Mensch  leibhaftig  den  anderen  ab;  im 
Reiz  kontrastirenden  Wechsels  gefällt  sich  ein  immer  sich  selbst  gleiches 
plastisches  Vermögen.  Schon  beim  Beginn  seiner  Vorstudien  war  der 
Autor  selber  von  dem  Anblick  dieser  „merkwürdigsten  (ialerie  von  Charak- 
teren" betroffen.    Aber  ebenso  frühzeitig  wirft  er  die  Bemerkung  hin:  .,es 

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4  Biographische  Blätter. 

sind  einige  erhabene  Naturen  unter  ihnen;  doch  in  ihrem  Thun  und  Treiben 
sind  sie  nicht  frei,  sondern  von  der  Lage,  in  der  sie  sich  befinden,  völlig 
bestimmt,  von  dem  Beispiel  der  Früheren,  das  sie  nicht  verlassen  dürfen, 
abhängig**.  Eine  Ansicht,  die  dann  im  Buche  selbst  zuweilen  kräftig  vor- 
getragen wird.  ,,Ein  Mann",  heisst  es  von  Paul  III..  ,,voll  von  Talent 
und  (-Seist,  durchdringender  Klugheit,  an  höchster  Stelle!  Aber  wie  un- 
bedeutend erscheint  auch  ein  mächtiger  Sterblicher  der  Weltgeschichte 
gegenüber!  In  all  seinem  Dichten  und  Trachten  ist  er  von  der  Spanne 
Zeit,  die  er  Übersicht,  von  ihren  momentanen  Bestrebungen,  die  sich  ihm 
als  die  ewigen  aufdrängen,  umfangen  und  beherrscht:  dann  fesseln  ihn  noch 
besonders  die  persönlichen  Verhältnisse  an  seine  »Stelle,  geben  ihm  vollauf 
zu  thun,  erfüllen  seine  Tage  zuweilen,  es  mag  sein,  mit  Genugthuung,  öfter 
mit  Missbehagen  und  Schmerz,  reiben  ihn  auf.  Indessen  er  umkommt, 
vollziehen  sich  die  ewigen  Weltgeschicke.'*  Bei  derartigen  sententiösen 
Betrachtungen  ist  vieles  eigentlich  individuell  gemeint;  anderes  bezieht  sich 
wenigstens  direkt  auf  den  besonderen  Standort  des  römischen  Stuhls  unterm 
festen  Gewölbe  tausendjähriger  Überlieferung.  Trotzdem  erhellt  daraus  zur 
Genüge,  warum  ein  Ranke  niemals  den  Antrieb  empfand,  die  wirkliche 
Biographie,  nicht  bloss  eines  Papstes,  sondern  Überhaupt  eines  ähnlich  in 
die  grossen  geschichtlichen  Verhältnisse  eingreifenden  Menschen  zu  unter- 
nehmen. „Wie  unbedeutend  erscheint  auch  ein  mächtiger  Sterblicher  der 
Weltgeschichte  gegenüber!4*  Dieser  Satz  gilt  ihm  schon  damals  ganz  all- 
gemein, und  wir  dürfen  wohl  gleich  hier  die  Kolgerungen  daraus  in  seinem 
Sinne  ziehen.  Verliert  sieh  im  öffentlichen  Leben  selbst  das  gewaltigste 
individuelle  Dasein,  so  dienen  also  die  biographischen  Momente  nur  vor- 
übergehend, zur  Speisung  sozusagen,  dem  historischen  Gesammtverlauf. 
Dem  Geschichtschreiber  liegt  daher  ob,  seine  Figuren  biographisch  einzu- 
führen, das  Zustandekommen  des  Einzelcharakters  unterm  KinÜuss  von  Zeit 
und  Welt  in  der  Entwieklungsperiodc  des  Privatlebens  darzuthun:  die 
fertige  Individualität  überlädst  er  dem  Strom  der  Geschichte,  wo  sie.  wie 
lebhaft  sie  auch  ringen  mag,  verglichen  mit  der  ungeheuren  Übermacht  des 
Allgemeinen,  dennoch  mehr  und  mehr  \  ei-schwindet.  Man  erkennt  den 
vollkommenen  Gegensatz  zur  echt  biographischen  Leine  Oarlyle's  vom 
lleroenkultus.  Für  Bänke  wird  gerade  der  Held  am  entschiedensten  histo- 
risch zu  behandeln  sein,  weil  der  sich  am  tiefsten  einlässt  auf  die  objektive 
Welt.  Unzählige  male  hat  er  ihn  später  dargestellt,  mit  königlicher  Geberde 
zwar,  aber  doch  nur  eben  als  ersten  Diener  der  thatsächlich  herrschenden 
„allgemeinen  Interessen**.  Biographie  ist  für  Ranke  Geschichte  der  Sub- 
jektivität, hervorstechende  Subjektivität  im  Öffentlichen  Leben  Eigensinn. 
Höchst  bezeichnend  enthalten  deshalb  auch  seine  "Päpste  eine  ungemein  an- 
ziehende biographische  „Digression"  —  über  wen?  Über  Königin  Christine 
von  Schweden! 

Vollständig  reimt  sich  damit,  dass  er  gleichzeitig  an  einer  Lebens- 


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Ranke's  Verhältnis*  zur  Biographie. 


beschreibung  des  Don  Carlos  gearbeitet  hat.  Was  ihn  dazu  bewog,  war 
keineswegs  Vorliebe  für  den  zumtheil,  wie  er  selbst  gesteht,  doch  allzu 
„pathologischen"  »Stoff.  Man  darf  nicht  vergessen,  dass  er  vor  allen  Dingen 
Forscher  war:  und  so  kam  es  ihm  nur  darauf  an,  das  gangbare  falsche 
Bild,  auf  neues  Material  gestützt,  durch  ein  richtiges  zu  ersetzen.  »Sofort 
gab  er  eine  kritische  Abhandlung  heraus,  in  welcher  er  den  Wandel  der 
Auffassung  in  der  bisherigen  Tradition  aus  den  hereinspielenden  politischen 
Gegensätzen  begreiflich  macht  und  sodann  die  wichtigsten  Streitfragen  scharf- 
sinnig erörtert.  Kin  klassisches  Muster  für  die  Vorbereitung  zur  Biographie, 
die  ja  wissenschaftlich  keine  andere  Methode  kennt,  als  die  übrige  Geschichte. 
Die  Darstellung  selbst  behielt  er  damals  unvollendet  im  Pult,  weil  sie  hie 
und  da  noch  weiterer  urkundlicher  Aufklärung  bedurfte.  Erst  nach  Jahr- 
zehnten ist  sie.  ergänzt  und  zugleich  entstellt,  in  seinen  ..historisch-bio- 
graphischen Studien"  ans  Licht  getreten:  ursprüngliche  und  spätere  Partien 
lassen  sich  jedoch  noch  überall  mit  Sicherheit  unterscheiden.  Der  alte 
Eingang  enthält  das  halb  verhüllte  Geständniss,  dass  diese  Ranke  sche,  tragisch 
sentimentale  Art  von  Biographie,  die  Beschreibung  des  verfehlten  Lebens, 
des  verkehrten  Eigenwillens  unter  Umständen  geradezu  die  (beschichte 
des  schlechten  Subjekts  doch  höchstens  ein  Nebenschössling  der  litte- 
rarischen Gattung  sei.  ..Wie  ein  edler  Mensch  sich  entwickelt",  so  hebt 
er  an,  „wie  der  Keim  des  eingeborenen  Antriebes  sich  zu  einer  grossartigen 
Thätigkeit  ausbildet:  wie  der  Geist  von  schüchternen  Anfängen  aus  immer 
sicherer  wird,  bis  er  die  Welt  ungetäuscht  in  ihrer  rechten  (bestalt  anschaut: 
wie  endlich  die  Seele,  das  Eine  ergreifend,  dem  Anderen  entsagend,  zu 
Harmonie  und  Schönheit  gedeiht  dies  zu  betrachten,  ist  gewiss  ein  er- 
hebendes Geschäft  und  zugleich  einer  der  grössten  Genüsse.  Ein  solches' 
Schauspiel  wird  uns  hier  nicht  dargeboten.  Das  Leben  des  Principe  Don 
Carlos  zeigt  keinerlei  Vollbringen,  sondern  nur  Wollen,  wenn  wir  es  so 
nennen  dürfen,  und  Begehren:  es  verschafft  sich  keinerlei  selbständigen  Ein- 
flussauf die  Welt;  es  ist,  sich  in  sich  selbst  verzehrend,  aufgegangen.  Und 
leluTcich  ist  auch,  wahrzunehmen,  wie  die  rechte  Entwicklung  nicht  vor  sich 
geht:  wie  die  Thätigkeit  hintertrieben,  der  Geist  von  Wahn  betätigen  wird." 
Lehrreich?  Man  staunt,  einen  Ranke  auf  dem  fahlen  Pferde  didaktischer 
Gcschiohtschreibung  zu  ertappen;  immer  besser  jedoch,  als  wenn  er  für  einen 
Carlos  biographisches  Mitgefühl  erheuchelt  hätte!  Vierzig  Jahr  später  be- 
sann er  sich  auf  eine  würdigere  Entschuldigung.  Denn  greisenhaft  int  Tone 
fährt  die  gedruckte  Bearbeitung  fort:  ..Dies  psychologische  Moment  ist 
nun  aber  bei  Don  Carlos  mit  einem  anderen  von  grossem  historischen 
Interesse  verbunden.  An  den  Principe  Don  Carlos  knüpften  sich  die  Schick- 
sale der  spanischen  Monarchie;  die  allgemeinen  Konflikte,  welche  die  Welt 
bewegten,  berührten  den  Kern  seines  Daseins;  seine  Entwicklung  hätte 
welthistorisch  werden  müssen,  wäre  sie  eine  glückliche  gewesen."  Es  war 
die  Zeit,  wo  sielt  Ranke       wir  kommen  darauf  zurück       in  seiner  histo- 


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f»  liioirraphische  UIUUjm-. 

rischen  Cesinnung  bis  nahe  zu  antibiographischcr  Stinimiin^r  verhärtet  hatte; 
niemals  aber  ist  er  so  weit  gegangen  wie  hier,  auch  dein  verfehlten  ge- 
schichtlichen Beruf  statt  des  rein  biographischen  Interesses  lieber  ein  po- 
sitiv historisches  anzudichten  Ceschiehte  war  ihm  doch  sonst  allemal 
das  Reich  der  Wirklichkeit.  Die  Darstellung  selbst  nun  ist  in  den  unver- 
änderten Theilen  von  echt  biographischem  Wurf:  von  den  Ehen  der  Ahnen 
ausgehend,  endet  sie  mit  der  Todtenklage.  Mitteninne  jedoch  tauchen  ge- 
schichtliche Cbcrsiehten  störend  auf:  darunter  eine  ..Digression  (Iber  die 
kirchliche  Politik  Philipps  II."  der  historische  Einschub  als  Abschweifung 
charakterisirt:  ein  Zugeständnis.«  an  die  ursprüngliche  Tendenz  der  Arbeit. 

Die  folgenden  Hauptwerke  Ranke  s  über  deutsche,  preussische.  franzö- 
sische und  englische  Ceschiehte  lassen  sich  für  unseren  Zweck  zu  gemein- 
samer Envägung  zusammenfassen:  denn  das  Verhältniss  zwischen  historischen 
und  biographischen  Bestandteilen  ist  in  ihnen  im  ganzen  das  gleiche,  und 
zwar  gegen  früher  abermals  etwas  moditizirt.  Die  Päpste  überragten  in 
einsamer  Höhe  einen  unermesslichen  Horizont:  in  dem  engeren  Umkreise 
von  Nation  oder  Staat  erscheint  kein  ähnlich  grosser  ( Jegcnsatz:  Frankreich 
und  sein  Ludwig  XIV..  Friedrich  der  Crosse  und  sein  Preussen  lassen  sicli 
niemals  ganz,  mitunter  garnicht  von  einander  scheiden.  Ranke  flicht  des- 
halb in  diesen  Huchem  die  individuellen  Motive  noch  unlöslicher  in  das 
Cewebe  des  geschichtlichen  Canzen  ein  und  verringert  so  wiederum  ihren 
selbständigen  biographischen  Eindruck.  Die  Komposition  ist  strenger,  Ab- 
schweifungen kommen  nirgend  vor:  selbst  die  erste  Einführung  der  Figuren 
geht  geräuschloser  von  statten.  Was  fordert  so  stark  zu  biographischer 
Behandlung  heraus,  wie  der  religiöse  (Jeniiis,  der  doch  mehr  als  jeder 
andere  die  Aussenwelt  durch  die  Kraft  seiner  Innerlichkeit  bewegt?  Erst 
mit  den  Evangelien  ist  Lebensgeschichte  zu  einer  tiefen  Strömung  in  der 
allgemeinen  Litteratur  geworden.  Ranke  sagt  fast  entschuldigend:  „Es  ist 
nothwendig.  dass  wir  einen  Augenblick  bei  den  Jugendjahren  Luthers 
stehen  bleiben".  Noch  in  den  Päpsten  war  er  der  Entwicklung  Loyolas 
ohne  alle  Einstände  nachgegangen.  Alsdann  wird  er  freilich  dem  öffent- 
lichen Bezeigen  des  Reformators  völlig  gerecht:  so.  wie  er  ihn  gezeichnet, 
haben  wir  ihn  insgesamnit  in  der  Wormser  Abendstunde  vor  Augen.  Noch 
auf  sein  Ende  wirft  er  einen  kurzen  biographischen  Scheideblick:  allerdings 
vornehmlich,  um  die  geschichtliche  Lücke  zu  ermessen,  die  durch  seinen 
Tod  gerissen  ward  durch  sie  hin  nimmt  das  allgemeine  Schicksal  seinen 
Lauf.  Biographie  klingt  in  Sehnsucht  aus:  Historie  kehrt  vom  Crabe  ge- 
fasst  und  rüstig  in  die  Welt  zurück.  ..Ein  grosses  Leben,  einzig  in  der 
(ieschichte.  war  geendet",  ruft  Ranke  Friedrich  dem  Crossen  nach:  dann 
führt  er  uns  ans  Paradebett  und  vergisst  der  Thräncn  der  Veteranen  so 
wenig,  wie  Carlvle.  Allein  Carlvlc  fügt  hinzu:  ..Ich  erkläre  ihn  mir  als 
den  letzten  der  Könige,  bis  jetzt  wann  der  nächste  kommen  wird,  ist 
eine  sehr  lauge  Frage".    Ranke  macht   uns  alsbald   mit   den  begründeten 


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I  tanke's  Verhältnis*  zur  ÜioLrraphie. 


7 


Forderungen  einer  über  die  fridericianischen  Formen  fortschreitenden 
Zeit  bekannt.  „Ein  Mann  weniger  war  in  der  Welt",  heisst  es  bei  ihm 
nach  dem  Ausgang  Heinriclis  IV..  ..der  Mann,  der  den  bürgerliehen  Kriegen 
der  Franzosen  ein  Knde  gemacht,  die  auseinander  strebenden  elementaren 
Kräfte  ihres  Reiches  zusammen^ efasst  und.  frei  von  dem  Wahn  und  der 
Gewaltsamkeit  seiner  letzten  Vorfahren,  der  höchsten  Macht  ein  Dasein 
gegeben  hatte,  welches  auf  dem  einfachsten  G runde,  dem  Rechte  der 
Geburt,  bernhend  alle  grossen  Interessen  der  Nation  in  sich  aufnahm 
dieser  Mann  war  plötzlich  ans  ihrer  Mitte  verschwunden.  Mnsste  man 
nicht  fürchten,  dass  der  ganze  Hau  des  Staates,  den  er  aufgerichtet  hatte, 
mit  ihm  zusammenstürzen  würde?"  Schon  der  nächste  Satz  beruhigt  den 
Leser  damit,  dass  gerade  die  französische  Nation  sich  durch  Geistesgegen- 
wart  über  die  Momente  der  schwersten  Verwirrung  hinwegzuhelfen  pflege. 
Jeder  Mensch  ist  unersetzlich,  klagt  die  Biographie;  unentbehrlich  keiner, 
tröstet  die  Historie. 

Man  könnte  fragen,  ob  es  für  den  historischen  Standpunkt  dann  über- 
haupt noch  Menschengrösse  gebe;  mit  solchem  Zweifel  würden  wir  indessen 
Ranke  gröblich  missverstehen.  In  der  Geschichte  ruhen  die  Todten  früh 
von  ihrer  Arbeit,  aber  sie  lassen  ihre  Werke  der  Folgewelt  zurück.  Ks  • 
ist  wahr:  heroische  Zeiten,  in  denen  Einzelne  für  lange  .Jahrhunderte  Un- 
wandelbares schufen  —  ..diese  Zeiten",  sagt  Ranke,  „wenn  sie  jemals 
waren,  sind  längst  vorüber".  Noch  eben  hat  er  von  Richelieu  bezeugt: 
..es  war  ein  Mann,  der  das  Gepräge  seines  Geistes  dem  .Jahrhundert  auf 
die  Stirn  drückte".  Wir  wenden  das  Blatt  und  vernehmen,  dass  bereits  „in 
den  letzten  Lebensmonaten  dieses  Mannes  alles  eine  starke  Reaktion  vor- 
aussehen Hess".  Allein  getrost!  Das  jüngere  Geschlecht  vermag  von  der 
Hinterlassenschaft  des  alteren  doch  allezeit  nur  das  Beschränkte.  Zufällige 
hinwegzuräumen.  Die  wesentliche  Leistung  bedeutender  Menschen,  eben 
das.  wodurch  sie  „die  allgemeinen  Interessen,  in  deren  Mitte  sie  erschienen 
sind,  gefördert  haben",  lebt  unsterblich  in  der  Nachwelt  fort:  dadurch 
bleiben  sie  unvergesslich.  wie  Elisabeth,  darum  heissen  sie.  wie  König 
Alfred,  mit  Recht  die  Grossen.  Ein  rein  ethischer  Massstab  wird  bei 
solcher  historisch  individuellen  Schätzung  natürlich  nicht  angelegt.  ..Der 
Historie  kann  es  nicht  allein  darauf  ankommen,  nur  immer  nachzuweisen, 
wie  weit  die  grossen  Persönlichkeiten  die  Ideale,  die  dem  menschlichen 
Leben  vorschweben,  erreicht  haben,  (»der  davon  entfernt  geblieben  sind. 
Fast  noch  mehr  liegt  ihr  daran,  ob  ihre  ursprüngliche  Kraft  den  Elementen, 
die  sich  ihr  entgegensetzten,  gewachsen  war.  oder  nicht,  sich  von  ihnen 
besiegen  Hess,  oder  nicht".  Einem  Ludwig  XL  ..fehlte  es  an  höheren  sitt- 
lichen Eigenschaften",  aber  „ohne  alle  eigene,  persönliche  Grösse  hat  er  ein 
Königreich  gross  gemacht".  Der  Biograph  darf  seine  eindringende  Theil- 
nahme  der  Seele  des  vollendeten  Schurken  schwerlich  weihen;  Maeaulay's 
Essay  Über  Barere  wird  verzeihlich  allein  durch  die  kritische  Absicht,  eine 


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s 


- 

Biographische  Blttttor. 


thörichte  Rettung  schlafend  zu  widerlegen.  Der  Historiker  muss  seine 
Sonne  scheinen  lassen  über  Gute  und  "Böse:  Cesare  Borgia,  „der  Virtuos 
des  Verbrechens",  und  „das  Ideal  von  Güte  und  innerem  Adel*,  das  in 
Pius  VII.  lobte,  finden  bei  ihm  den  gleichen  Raum,  sich  auszuwirken. 
Allerdings  soll  der  Geschichtschreiber  die  wahre  Natur  des  einen  wie  des 
anderen  dem  Leser  nicht  verhehlen;  und  bekanntlich  zeiht  man  Rankes 
ethisches  Urtheil  oft  genug,  nicht  sowohl  parteiischer  Unbilligkeit  im 
einzelnen,  als  im  ganzen  übertriebener  Milde.  Pessimisten  konnten  ihren 
Unwillen  darüber  wohl  mit  der  Erwägung  beschwichtigen,  dass  dein  kritischen 
(^uellenforseher,  wenn  er  die  Menschen  verständiger  und  besser  findet,  als 
ihren  Ruf,  die  nämlichen  Menschen  als  Verleumder  und  Leichtgläubige 
um  genau  so  viel  alberner  und  schlechter  vorkommen  müssen,  als  zuvor  — 
der  mittlere  Unwerth  der  Menschheit  bleibt  derselbe.  Allein  woher  stammt 
doch  im  Grunde  die  unleugbar  weitgehende  Gutmüthigkeit  der  Ranke  schen 
Historie?  Sie  ist  die  Verallgemeinerung  einer  biographischen  Tugend. 
Man  hat  den  Glückwunsch  bisweilen  ironisch  ausgelegt,  den  Mommsen  einst 
dem  Neunziger  zum  Geburtstag  darbrachte:  „Wie  man  den  besten  Porträt- 
malern nachrühmt,  dass  sie  die  Menschen  der  Wahrheit  gemäss  darstellen 
und  doch  liebenswürdig  erscheinen  lassen,  so  haben  auch  Sie  es  verstanden, 
die  Menschen  darzustellen,  vielleicht  nicht  immer  wie  sie  waren,  sondern 
wie  sie  hätten  sein  können.  Ihnen  darin  nachzuahmen,  ist  vielleicht  noch 
schwerer,  als  auf  jedem  anderen  Gebiete,  darin  übertreffen  Sie  uns  alle 
ohne  Zweifel*.  Aber  Mommsen  bringt  in  vollem  Ernst  dies  ..seltene 
Talent,  an  jedem  Menschen  das  Beste  zu  linden  und  das  herauszufinden, 
was  ihn  liebenswürdig  macht",  mit  „einer  der  hervorragendsten,  schönsten 
Eigenschaften"  Ranke  s  in  Verbindung:  mit  „dem  lebendigen,  tiefen  Sich- 
versenken in  das  Individuuni".  Was  im  Einzelfalle  den  Biographen  zu 
der  ebenso  natürlichen,  wie  gewöhnlichen  Uebersehätzung  seines  Helden 
führt,  davon  macht  Ranke  historisch  universellen  Gebrauch.  Alle  einzelnen 
Rechenfehler  ausgleichend,  übersehätzt  er  bei  eingehendem  Studium  einfach 
jeden  Menschen  in  demselben  Mass.  Seine  berühmte  historische  Milde  ist 
die  Gemütsverfassung  einer  Allerweltebiographie. 

überhaupt,  sowie  man  nur  wieder  einmal  von  dein  strengen  Begriff 
der  reinen  Biographie  absieht  und  die  Erkundung  des  besonderen  Lebens 
in  ihrer  Anwendung  auf  die  Erkenntniss  des  allgemeinen  ins  Auge  fasst, 
so  bewundert  man  immer  von  neuem  die  individualisirende  Kraft  der 
Rankeschen  Geschichtschreibung.  Mitten  im  Fluss  der  Begebenheiten 
behaupten  seine  Gestalten,  gross  und  klein,  ihre  volle  Eigenart.  Er  liebt 
keine  Parallelen  und  vergleicht  meist  nur,  um  den  Unterschied  erst  recht 
herauszukehren.  „Man  schwächt  fast  den  Eindruck",  rügt  er,  „den  diese 
in  engen  und  schwierigen  Anfängen  bedeutende  Persönlichkeit  macht,  wenn 
man  sie  mit  glänzenden  Namen  des  Alterthums  zusammenstellt.  Ein  jeder 
ist,  was  er  ist,  an  seiner  Stelle".    Da  begegnen  ferner  keine  soziologischen 


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Ranke  s  Verhältnis.«  zur  Biographie. 


9 


Typen  und  Klassenschemata,  wodurch  die  Charakterkopfe  der  Geschichte 
bei  Neueren  so  häutig  in  Gesichter  eines  Modejournals  verwandelt  werden; 
noch  sehen  wir  uns  durch  die  ermüdende  Wiederkehr  epischer  Beiwörter 
auf  vermeinte  dynastische  Erblichkeit  oder  traditionelle  Fortpflanzung  der 
Gesinnung  hingewiesen.  Höchst  selten,  dann  aber  wirksam,  wird  auf  den 
einzelnen  persönlichen  Akt  in  der  Schilderung*  seiner  ganz  speziellen  Natur 
beiläufig  eine  generelle  Bestimmung  übertragen,  wie  bei  Katharina  von 
Medici  gegenüber  Coligny:  „sie  war  eine  Italienerin,  sie  hatte  noch  nicht 
mit  ihm  abgerechnet".  Das  schlagende  Epigramm:  „10s  erinnert  an  Goethes 
Charaktere,  wie  Karl  II.  das  Leben  nahm  und  genoss",  dient  doch  nur  zur 
Einleitung,  nicht  zum  Ersatz  einer  reizenden  Ausmalung  des  Wandels,  dem 
.«ich  der  restaurirte  Stuart  mit  den  Seinen  ergab.  „Das  ist  der  Charakter 
dieser  Epoche  überhaupt",  sagt  Ranke  in  seiner  preussischen  Geschichte 
von  der  Zeit  vorm  Ausbruch  des  dreißigjährigen  Krieges:  „die  grossen 
Gegensätze  streben  einander  entgegen,  aber  sie  treffen  noch  nicht  unmittel- 
bar auf  einander;  sie  sprechen  sich  in  allgemeinen  Verbindungen  aus.  bei 
denen  religiöse,  politische  und  dynastische  Verhältnisse  einander  durch- 
dringen". Das  klingt  abstrakt  genug;  aber  sofort  bittet  der  Gesehieht- 
schreiber  um  die  Erlaubniss,  dem  Leser  ein  Dokument  vorzulegen,  das  nicht 
gerade  zu  denen  gehöre,  ans  welchen  man  historische  Belehrung  zu  schöpfen 
gewohnt  sei.  Es  ist  das  Stammbuch  eines  brandenburgischen  Prinzen  jener 
Tage.  Da  erscheint  nun  diejenige  allgemeine  Verbindung,  zu  welcher  das 
Haus  Brandenburg  hielt,  in  konkretester  Anschaulichkeit.  Die  Personen 
der  Einzeichner,  über  den  ganzen  Nordwesten  von  Europa  verbreitet, 
werden  uns  einzeln  vorgestellt,  die  Beziehungen  der  gewählten  Sprüche  zu 
ihrem  Schicksal,  ihrer  Bildung  und  Sinnesalt  dargethan.  zum  Schluss  der 
gemeinsame  Grundzug  hervorgehoben,  der  dies  echt  biographische  Allerlei 
zum  historischen  Ganzen  macht.  Und  das  alles  mit  einer  leichten  und 
schlichten  Anmuth,  als  verstünde  es  sich  ganz  von  selbst. 

Noch  mitten  in  frischer  Übung  dieses  durchgebildeten  Talents  ergriff 
Ranke  von  neuem  ein  entschieden  biographisches  Problem,  weit  wichtiger, 
schwieriger,  beliebter,  umstrittener,  als  Don  Carlos:  die  Katastrophe 
Wallensteins.  Auch  diesmal  beseelte  ihn  vor  allem  der  wissenschaftliche 
Trieb,  die  Wahrheit  endlich  an  den  Tag  zu  bringen;  daneben  zog  ihn  je- 
doch auch  „die  ausserordentlichste  Gestalt  inmitten  einer  weitausgreifenden 
Bewegung"  als  solche  an.  Aber  welche  Form  sollte  er  für  die  Darstellung 
wählen?  Wallenstein  gehört  zu  den  ausgesprochen  subjektiven  Naturen,  wie 
sie  ihn  ehedem  zu  biographischer  Behandlung  angereizt;  aber  derselbe  Mann 
hat  zugleich  aufs  gewaltigste  positiv  in  die  allgemeinen  Weltgeschicke  ein- 
gegriffen und  erschien  dem  Historiker  Ranke  auf  seiner  Höhe  darum  ge- 
schichtlich noch  ungleich  interessanter.  Ranke  entschloss  sich  daher  zu 
einer  „Geschichte  Wallensteins",  die  er  im  Vorwort  zugleich  für  eine  ..er- 
weiterte Biographie"  ausgiebt.    An  dieser  Stelle  Hess   er   sich  überdies 


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10 


HioLTHphisrh«'  Blatter. 


theoretisch  folgendermassen  aus:  „Wenn  Plutarch  einmal  in  Erinnerung 
bringt,  dass  er  nicht  ( ieschichte  schreibe,  sondern  Piographie,  so  berührt  er 
damit  eine  der  vornehmsten  Schwierigkeiten  der  allgemein  historischen  so- 
wohl, wie  der  biographischen  Darstellung.  Indem  eine  lebendige  Persön- 
lichkeit dargestellt  werden  soll,  darf  man  die  Bedingungen  nicht  vergessen, 
unter  denen  sie  auftritt  und  wirksam  ist.  Indem  man  den  grossen  (iang 
der  welthistorischen  Begebenheiten  schildert,  wird  man  immer  auch  der 
Persönlichkeiten  eingedenk  sein  müssen,  von  denen  sie  ihren  Impuls  empfangen. 
Wieviel  gewaltiger,  tiefer,  unifassender  ist  das  allgemeine  Leben,  das  die 
Jahrhunderte  in  ununterbrochener  Strömung  erfüllt,  als  das  persönliche, 
dem  nur  eine  Spanne  Zeit  gegönnt  ist,  das  nur  dazusein  scheint,  um  zu 
beginnen,  nicht  um  zu  vollenden!  Die  Entschlüsse  der  Menschen  gehen 
von  den  Möglichkeiten  aus,  welche  die  allgemeinen  Zustände  darbieten:  be- 
deutende Erfolge  werden  nur  unter  Mitwirkung  der  homogenen  Weltelemente 
erzielt;  ein  jeder  erscheint  beinahe  nur  als  eine  (ieburt  seiner  Zeit,  als  der 
Ausdruck  einer  auch  ausser  ihm  vorhandenen  allgemeinen  Tendenz.  Aber 
von  der  anderen  Seite  gehören  die  Persönlichkeiten  doch  auch  wieder  einer 
moralischen  Weltordnung  an.  in  der  sie  ganz  ihr  eigen  sind;  sie  haben  ein 
selbständiges  Leben  von  originaler  Kraft.  Indem  sie,  wie  man  zu  sagen 
liebt,  ihre  Zeit  repräsentiren.  greifen  sie  doch  wieder  durch  eingeborenen 
inneren  Antrieb  bestimmend  in  dieselbe  ein.  So  bin  ich."  heisst  es  s<»- 
dann  nach  einem  Bericht  Uber  den  Gang  seiner  Forschung,  „auf  den  Ver- 
such einer  Biographie  geführt  worden,  die  zugleich  (ieseliichte  ist:  eins 
geht  mit  dem  anderen  Hand  in  Hand.  Nur  in  fortwährender  Thcilnahme  au 
den  allgemeinen  Angelegenheiten  kann  der  Mann  reifen,  der  eine  Stelle  in, 
dem  Andenken  der  Nachwelt  verdient.  In  Zeiten  gewaltsamer  Erschütterung, 
in  denen  die  Persönlichkeit  am  meisten  ihr  eingeborenes  Wesen  entwickeln 
und  die  Thutkraft  sich  ihre  Zwecke  setzen  kann,  verändern  sich  auch  die 
Zustände  am  raschesten:  jeder  Wechsel  derselben  beherrscht  die  Welt  oder 
scheint  sie  zu  beherrschen:  jede  Stufe  der  Weltentwicklung  bietet  dem 
unternehmenden  (  iciste  neue  Aufgaben  und  neue  ( iesiehtspunkte  dar:  man 
wird  das  Allgemeine  und  das  Besondere  gleichmässig  vor  Augen  behalten 
müssen,  um  das  eine  und  das  andere  zu  begreifen:  die  Wirkung,  welche 
ausgeübt,  die  Bückwirkung,  welche  erfahren  wird.  Die  Begebenheiten  ent- 
wickeln sich  in  dem  Zusammentreffen  der  individuellen  Kraft  mit  dem  ob- 
jektiven Weltverhältniss;  die  Erfolge  sind  das  Mass  ihrer  Macht." 

Man  wird  sich  dem  Tiefsinn  dieser  bedächtig  abgewogenen  Wahrheiten 
nicht  verschliessen:  allein  es  könnte  noch  lange  so  fortgehen,  ohne  dass 
man  etwas  anderes  vernähme,  als  den  in  seiner  Freiheit  unanfechtbaren 
Entschluss  des  Historikers,  die  (ieseliichte  Wallensteins  zu  schreiben  und 
nicht  dessen  Leben.  Denn  wenn  es  sich  um  weiter  nichts  handeln  soll,  als 
um  die  stete  Wechselwirkung  des  allgemeinen  Lebens  mit  dem  besonderen, 
woraus  für  Historie  wie  Biographie  die  Notwendigkeit  einer  gegenseitigen 


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Iiank»> 's  Verhältnis.«  zur  Hioirniphio. 


11 


Handreichung  in  Wissenschaft  und  Knust  entspringt,  so  tritt  diese  Er- 
selieinung  ja  in  der  ganzen  Gosehiehtsehreibung  Hauke  s  genau  in  der  hier 
theoretisch  geschilderten  Weise  praktisch  (Iberall  zutage.  Die  „zur  Ge- 
M-Iiiehte  erweiterte  Biographie"  einer  historisch  bedeutenden  Persönlichkeit 
bildet  danach  im  wesentlichen  einen  blossen  Ausschnitt  aus  der  grossen 
Historie.  Wie  man  etwa  aus  einem  modernen  Kongressbilde  einzelne  Haupt- 
tiiriiren  aussehneiden  könnte,  um  sie  durch  ein  geringfügige*  äusseres 
Arrangement      Abtönung  der  Fläehenränder.  passende  Umrahmung  u.  dgl. 

in  ebensoviele  „historische  Porträts"  zu  verwandeln  (die  denn  freilich 
den  Namen  eigentlicher  Bildnisse  sicherlich  nicht  verdienten):  so  Hessen 
sich  auch  aus  einzelnen  Huchem  der  umfassenden  Gesehiehtswerkc  Ranke  s 
mit  leichter  Mühe  besondere  Geschichten  der  Fürsten  und  Staatsmänner  von 
Frankreich,  Kurland,  Brandenburg- Preussen  u.'s.  w.  herrichten,  die  von 
der  Fassung  und  Haltung  der  Hanke'sohen  Geschichte  Wallensteins  geistig 
nicht  verschieden  Mären.  Und  umgekehrt  würde  es  wiederum  lediglich 
äusserer  Kunstgrifte  bedürfen,  um  diesen  Wallenstein,  wie  er  bei  Hanke 
leibt  und  lebt,  in  eine  Geschichte  des  dreissigjährigen  Kriegs  von  der  Hand 
desselben  Autors  einzufügen.  Worauf  es  aber  für  die  reine  Biographie 
zuoberst  ankommt,  das  hat  unser  Historiker  in  .jener  Vorrede  nur  leise  ge- 
streift mit  dem  Hinweis  auf  eine  moralische  Weltordnung,  in  der  die  Per- 
sönlichkeiten ganz  ihr  eigen  sind,  auf  ein  selbständiges  Leben,  das  sie 
haben,  von  originaler  Kraft.  Dies  Leben  rückt  der  echte  Biograph  nicht 
bloss  äusserlich  in  den  Mittelpunkt  einer  historisch  ausgedehnten  Welt,  er 
ordnet  ihm  vielmehr  diese  ganze  Aussen  weit  als  inneres  Krlebniss  ein  und 
nntcr.  Kr  erreicht  damit  allerdings  nur  eine  subjektive  Wahrheit;  allein 
diese  giebt  der  objektiven  Wahrheit  der  Geschichte  an  Notwendigkeit  und 
s»mit  an  Wirklichkeit  ebenso  wenig  nach,  wie  die  Thatsacbe  des  Sonnen- 
anf-  und  -Untergangs  für  unser  Auge  im  geringsten  durch  die  Anerkennung  ver- 
kümmert wird,  welche  unsere  wissenschaftliche  Einsicht  dein  kopernikanischen 
Weltsysteme  zollt.  Ks  wäre  lächerlich.  Hauke  s  Geschichte  Walleusteins  zu 
tadeln,  weil  sie  ein  solches  Werk  der  reinen  Biographie  nicht  ist.  „Ich 
denke",  sagt  er  ein  andermal  mit  vollem  Hecht,  ..auch  ein  historisches  Werk 
darf  seine  innere  Hegel  aus  der  Absicht  des  Verfassers  und  der  Natur  der 
Aufgabe  entnehmen."  Die  Natur  der  Aufgabe  ward  in  diesem  Falle  durch 
seine  eigene  Natur  bestimmt:  er  konnte  und  wollte  dies  Leben  nicht  anders, 
als  historisch  beschreiben.  Die  deutsche  Nation  hat  das  Buch  als  ein  will- 
kommenes Geschenk  begrüsst.  von  .lahr  zu  .Jahr  wird  es  mit  gleicher  Dank- 
barkeit gelesen:  ohne  Schillers  Wallenstein  würde  jedermann  schlechthin 
den  Hanke  schen  im  Gcdüehtniss  gegenwärtig  haben.  Denn  ..so  ist  es  nun 
einmal  mit  historischem  Hornau  und  Schauspiel",  klagt  Hauke  in  seiner  Ab- 
handlung über  Don  Carlos.  ..Die  Leser  wissen  wohl,  dass  man  sich  nicht 
verpflichtet,  ihnen  die  Wahrheit  zu  berichten.  Abel-  von  der  eigentlichen 
Historie  gewöhnlich  ohne  Anschauung,  ohne  die  Illusion  des  theilnelnnenden 


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12 


Biographische  Blötter. 


Gefühls  zurückgelassen,  ergreifen  sie  mit  Begierde  den  Kindnick,  den  ihnen 
Roman  und  Schauspiel  machen,  und  an  die  Namen,  die  ihnen  die  erste  ge- 
geben, knüpfen  sie  unwiderruflich  die  falsche  Vorstellung  der  letzteren". 
Und  so  reich  und  klar  auch  immer  die  Anschauung  ist,  die  uns  der  Ranke  sehe 
Wallenstein  gewährt,  die  Illusion  theilnehmenden  Gefühls  wird  er  schwer- 
lich einem  aufmerksamen  Leser  bereiten.  Oder  besser  gesagt  :  das  Herz  des 
Verfassern  ist  auch  hier  bei  den  „allgemeinen  1'ntcresseir  der  deutschen 
Nation.  Ks  ist  merkwürdig,  dass  er  seinen  Helden  gerade  dadurch  objektiv 
überschätzt,  während  er  der  verschlagenen  Selbstsucht,  der  unergründlichen 
Subjektivität  des  Friedländers  in  seiner  Darstellung  nicht  ganz  gerecht 
wird.  Ranke  nimmt  die  gemeinnützige  Seite  in  Wallensteins  toleranter 
Friedenspolitik  aus  historischer  Sympathie  zu  ernst;  die  neuere  Forschung 
hat  unzweifelhaft  erwiesen,  dass  dieser  weltgeschichtliche  Abenteurer  ein 
grösserer  Kgoist  und  als  solcher  zugleich  ein  schlimmerer  Verräther  ge- 
wesen. Kin  Mangel  an  biographischer  Anemphndung  ist  hier  dem  be- 
trachteten Subjekt  historisch  zugute  gekommen. 

Indem  wir  von  einem  Mangel  an  Anempfindung  reden,  berühren  wir 
einen  der  tiefsten  Gründe  für  die  Abneigung  unseres  Meisters  gegen  reine 
Biographie.  Ranke  verhält  sich  aus  wissenschaftlicher  Behutsamkeit  skeptisch 
gegen  ihre  ideale  Forderung.  Man  weiss,  dass  er  für  seine  ganze  Ge- 
schichtschreibung  den  Grundsatz  ausgesprochen,  dass  „deutlich  wiederzuer- 
kennen doch  allein  derjenige  Theil  des  Lebens  sei.  der  in  Schritten  aufbe- 
wahrt worden'1;  er  schöpft  daraus  die  Lehre,  „bei  dem  stehen  zu  bleiben, 
was  wörtlich  überliefert  ist,  oder  was  sich  daraus  mit  einer  gewissen  Sicher- 
heit entwickeln  lässt."  Was  enthalten  nun  aber  unsere  schriftlichen  Quellen, 
das  uns  Aufschluss  geben  könnte  über  die  innerste  Natur  des  Individuums? 
„Wie  die  lebenden  Mensehen  einander  berühren,  ohne  einander  gerade  zu 
verstehen,  oder  auch  verstehen  zu  wollen,  so  erscheinen  die  vergangenen 
Geschlechter  in  den  Archiven,  die  gleichsam  ein  Niederschlag  des  Lebens 
sind."  Zumal  der  Staatsmann  fährt  auf  solche  Weise  in  der  Überlieferung 
schlecht;  „denn  die  Elemente  des  öffentlichen  Lebens  sind  so  mannigfaltig 
und  für  einen  jeden  so  gewichtig,  dass  sie  in  der  Regel  eine  bei  weitem 
grössere  Aufmerksamkeit  auf  sich  ziehen,  als  die  darin  thätigen  Persönlich- 
keiten, es  wäre  denn,  dass  man  für  deren  Mängel  ein  scharfes  Auge  hat." 
„Zeitgenossen",  heisst  es  ein  andermal,  „pflegen  einander  doch  nur  äusserlich 
zu  kennen.  Die  wirksamen  Männer  folgen  allezeit  ihren  eigenen  Impulsen 
und  suchen  dieselben,  soviel  möglich,  zur  Geltung  zu  bringen.  Von  den 
inneren  Antrieben  anderer,  besonders  derer,  mit  denen  man  in  Gegensatz 
geräth,  bildet  man  sich  gewöhnlich  nur  einen  sehr  oberflächlichen  Begriff. 
Und  die  Miss  Verständnisse,  die  hieraus  entstehen,  hören  nicht  mit  dem  Leben 
auf;  sie  gestalten  sich  vielmehr  nicht  selten  zu  einer  Tradition,  welche  in 
die  historische  Auffassung  eindringt  und  dieselbe  solange  beherrscht,  bis  der 
Forscher  auf  Dokumente  stösst,  welche  ihm  in  dem  Gewirre  der  einander 


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Rankes  Verhältnis*  zur  Biographie. 


13 


widersprechenden  Überlieferungen  ein  sicheres  Urtheil  an  die  Hand  geben." 
Welches  sind  nun  diese  Dokumente?  Memoiren  natürlich  nicht.  In  ihnen 
..walten  die  Erinnerungen  des  Autors  vor.  und  es  ist  ihres  Amtes,  die  per- 
sönlichen Verhältnisse  zu  erläutern.  Der  Gesehichtschreibcr  muss  dagegen 
auf  seiner  Hut  sein,  sich  von  diesen  Erinnerungen  fortreissen  zu  lassen. 
Denn  in  dem  Persönlichen  liegt  es.  dass  es  häufig  nicht  einmal  verilizirt 
werden  kann :  der  Eindruck,  den  der  Handelnde  von  Freunden  oder  Gegnern 
erfuhr,  ist  dabei  immer  im  Spiele;  selbst  wenn  man  beide  Parteien  hört, 
wird  es  nur  selten  möglich,  ein  Urtheil  zu  fällen.  Auch  ist  das  nicht  der 
Beruf  des  Gesehichtschreibers.  Kür  die  Muse  der  Geschichte,  wenn  ich  sie 
recht  kenne,  giebt  es  Dinge,  welche  sie  unbekümmert  auf  sich  beruhen  lassen 
kann.  Die  Memoiren  haben  ihre  besondere  Stellung  in  der  Litteratur;  von 
den  Zufälligkeiten  des  persönlichen  Lebens,  das  sie  mittheilen,  kann  der 
Geschiehtschreiber  abstrahiren:  sein  Augenmerk  ist  vor  allem  auf  die  all- 
gemeinen Angelegenheiten  gelichtet."  Der  Geschichtschreiber  und  immer  wieder 
der  (Teschichtschreiber  um  so  dringender  fragen  wir  nach  wahrhaft  zuver- 
lässigen biographischen  Dokumenten.  Wir  werden  alsbald  einen  Fall  er- 
wähnen, in  welchem  Ranke  solche  als  vorhanden  anerkannt  und  verwerthet 
hat.  „Es  sind  nicht  diplomatische  Aktenstücke",  sagt  er  von  ihnen,  „welche 
mit  allseitiger  Umsicht  erwogen  werden;  es  sind  Briefe,  d.  h.  momentane 
Ergüsse  der  Stimmungen  und  der  Anschauungen,  wie  sie  einem  Freunde 
gegenüber  aus  vollem  Herzen  hervorquollen."  Aber  selbst  da  glaubt  er 
vorsichtig  hinzusetzen  zu  müssen:  r nicht  jede  Äusserung  würde  man  als 
definitives  Urtheil  betrachten  dürfen;  man  darf  das  Wort  sozusagen  nicht 
allezeit  beim  Worte  nehmen."  Und  nun  gar  einer  so  doppelzüngigen,  hinter- 
haltigen Seele  wie  Wallenstein  gegenüber,  welch  ein  Eiertanz  der  Kritik! 
«Wenn  man  die  Intentionen  eines  bedeutenden  Mannes,  die  nicht  aufge- 
schrieben worden,  und  wenn  sie  es  würden,  vielleicht  auch  dann  nicht  un- 
bedingt angenommen  werden  dürften,  aus  seinen  Äusserungen,  seinen  Präce- 
denzen  und  seiner  Lage  abnehmen  darf  —  denn  etwas  Hypothetisches  bleibt 
in  dem  Dunkel  menschlicher  Antriebe  und  Ziele  immer  übrig  —  so  wage 
ich  dies  als  die  vornehmste  Absicht  Wallensteins  zu  bezeichnen."  Man  be- 
greift, warum  sich  ein  Ranke  an  die  Muse  der  Geschichte  hielt;  an  eine 
eigene  Muse  der  Biographie  hat  er  nicht  geglaubt,  aber  er  kannte  andere, 
denen  er  zutraute,  woran  die  seine  verzweifelte.  Wie  er  von  Goethe  rühmt: 
„die  Tiefen  der  menschlichen  Natur  erschlossen  sich  der  unmittelbaren  An- 
schauung eines  grossen  Poeten",  so  noch  eingehender  von  Shakespeare: 
„Er  belebt  die  Handlung  mit  Beweggründen,  welche  die  Geschichte  nicht 
linden  würde  oder  annehmen  dürfte;  die  Charaktere,  die  sich  in  der  Über- 
lieferung nahe  stehen  und  in  der  Wirklichkeit  wahrscheinlich  nahe  standen, 
treten  bei  ihm  auseinander,  ein  jeder  in  seinem  besonders  ausgebildeten,  in 
sich  homogenen  Dasein;  natürliche  menschliche  Momente,  die  sonst  nur  in 
dem  Privatleben  erscheinen,  durchbrechen  die  politische  Handlung  und  ge- 


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14 


Jtiojrraphist'ho  H  lütter. 


langen  dadurch  zu  verdoppelter  poetischer  Wirksamkeit.  Shakespeare  ist 
eine  geistige  Naturkraft,  die  den  Seideier  wegnimmt,  durch  welelien  das 
Innere  der  Handlung  und  ihre  Motive  dem  gewöhnlichen  Auge  verborgen 
werden.  Seine  Werke  bieten  eine  Erweiterung  des  menschlichen  Gesiehts- 
kreises  Uber  das  geheimnissvolle  Wesen  der  Dinge  und  der  menschlichen 
Seele  dar."  Hanke  selbst  hielt  sich  scheu  zurück  von  dem  ..geheimniss- 
vollen  und  unbewussteu  Dasein,  auf  dessen  (i runde  die  historischen  Er- 
scheinungen beruhen":  das  strenge  Gelübde  seiner  kritischen,  auf  die  schrift- 
liehe Offenbarung  eingesehworenen  Wissenschalt  verbot  ihm.  jenen  Schleier 
überm  Inneren  der  ITandluiitr  und  ihren  Motiven  mit  dichterischer  Ahnung 
zu  lüften. 

Ks  waren  Zufälle,  die  ihm  Gelegenheit  zu  weiterer  biographischer 
Thätigkeit  geboten  haben,  und  zwar  in  einer  neuen  Holle:  als  Herausgeber. 
Mit  der  grössten  Freude  widmete  er  sich  diesem  Geschäft  bei  den  Briefen 
Friedrich  Wilhelms  IV.  an  Bunseu.  Eben  dies  sind  die  Briefe,  deren  wir 
bereits  oben  gedachten.  Mit  Hecht  meint  Hanke,  es  werde  kaum  andere 
geben,  welche  unumwundener  und  beweglicher  den  innersten  Gedanken  aus- 
drückten: allenthalben  tindet  er  darin  den  Geist  und  die  Gesinnung  des 
Königs  und  zugleich  die  Eindrücke  des  Momentes  ausgeprägt.  Wie  dies 
Lob,  so  trägt  denn  auch  der  umfassende  historische  Kommentar,  durch  den 
er  sie  zu  einem  Ganzen  verknüpft,  den  entschiedensten  biographischen 
Charakter.  Hier  kam  alles  zusammen,  um  den  grossen  Historiker  wider 
Willen  zum  liebevollen  Lebensbeschreiber  zu  macheu;  wider  Willen,  denn 
er  dachte  damit  vielmehr  eine  unparteiische  geschichtliche  Würdigung  seines 
Helden  zu  begründen,  was  ihm  nicht  gelungen  ist.  Friedrieh  Wilhelms 
Dasein  war  abermals  eine  jener  subjektiven  Existenzen  wider  den  historischen 
Strich,  mit  denen  er  es  schon  mehr  als  einmal  biographisch  zu  thun  gehabt. 
Aber  Hanke  war  zugleich  der  bewundernde  persönliche  Freund  dieses 
Königs  gewesen,  in  dieser  Seele  las  er  mit  innerer  Übung.  So  hat  er  ihn 
denn  aus  voller  Überzeugung  in  seinem  Eigenwesen  und  Eigenwillen  gegen 
die  objektiven  Milchte  der  Zeit  in  Schutz  genommen  und  damit  das  am 
wenigsten  klassische,  aber  das  persönlich  am  wärmsten  empfundene  seiner 
Werke  geschaffen.  Diesmal  ist  selbst  der  übliche  historische  Schlusssatz  — 
..denn  nur  einen  Moment  in  der  Geschichte  bildet  ein  einzelnes  Leben" 
aus  biographisch  betrübter  Stimmung  geflossen;  Hanke  beklagt  dadurch,  dass 
es  Friedrich  Wilhelm  nicht  beschieden  war.  seiner  vermeinten  Absicht  ge- 
mäss noch  selbst  mit  Österreich  über  Deutschland  abzurechnen.  Vier  .fahr 
später  entledigte  er  sich  mit  ganz  entgegengesetztem  Gefühl  des  Auftrags, 
die  Denkwürdigkeiten  des  Fürsten  Hardenberg  zu  veröffentlichen.  .Bei 
diesem  Anlass  sprach  er  jene  historisch  abweisenden  Worte  über  den 
Charakter  aller  Memoiren  aus.  Persönlich  vermochte  er  sich  für  Harden- 
berg erklärlicherweise  nicht  zu  begeistern,  desto  höher  schlug  er  seine  ge- 
schichtliche Leistung  für  Preusscn  an.    Nur  in  solcher  Hinsicht  stellt  er 


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H.inko's  \>rh!tltniss  zur  Htoirraphi«'. 


15 


in  über  Stein:    ..Wenn  in  den  Alliren  der  Nachwelt  Stein  als  der  grössere 
«'ivheint.  so  rührt  das  daher,  dass  er  sich  weniger  auf  den  gewohnten 
Hahnen  beweirte  und  einen  monilisehen  Schwuntr  besass.  welcher  Khrfurcht 
«•weckte:  es  war  etwas  in  ihm,  was  den  grossen  Mann  cliarakterisirt 
von  Hardenberg  lässt  sich  das  nicht  sagen."    So  entsc bloss  sich  denn  Hauke 
in  einer  wunderlichen  Komposition.    Kr  gesellte  den  Memoiren  vier  Bücher 
fL'ener  Darstellung  zu.  deren  erstes  die  ebenso  iredieirene.  wie  kühle  Bio- 
graphie des  jungen  Hardenberg  bis  zu  seinem  Kintritt  in  den  preussischen 
Dienst   enthalt,   wahrend   die   folgenden   sich   mit  einer   Geschichte  der 
\m-u>sischen  Politik  im  napoleonischen  Zeitalter  belassen,  wobei  nur  noch 
wenii.'  Rücksicht  auf  Hardenbergs  Person  genommen  und  schliesslich  langt; 
v«'nn  Knde  seiner  staatsniännisehen  Laufbahn  an  einem  weltgeschichtlichen 
Wendepunkt  Halt  gemacht  wird.    Zur  Kutschuldig-ung  dient  die  Betrachtung: 
.Was  man  in  Biographien  der  (belehrten  bemerkt,  dass  hauptsächlich  die 
Z*it  ihrer  Bildung  Theilnahme  für  ihre  Person  enveckt  und  ihr  Sein  und 
Uesen  später  nur  in  der  Wirksamkeit  hervortritt,  die  sie  in  ihrem  Fache 
entwickeln,  sodass  die   Lebensireschichte  eines  (ielehrten  die  (ieschichte 
seiner  Wissenschaft  werden  muss.  das  ist  auch  und  zwar  in  noch  höherem 
(trade  bei  den  Staatsmännern  der  Fall."    Ks  ist  die  alte  historisch-unbio- 
irraphische  Ansicht,  der  wir  schon  so  oft  begegnet  sind.    Was  soll  man 
aber  dazu  sajren,  wenn  am  Kingang'  des  zweiten  Buchs  die  Abkehr  von  den 
„biographischen  Momenten"  mit  Worten  gerechtfertigt  wird,  die  den  Helden 
menschlich  geradezu  vernichten?    ..Was  läge  an  sich  so  Grosses  an  Harden- 
berg-?   Kr  ist  nur  dadurch  einer  historischen  Darstellung  würdig,  dass  er 
um  die  Befestigung"  und  Wiederherstellung"  der  preussischen  Selbständigkeit 
das  grösste  Verdienst  hat"?    Die  unbiographisehe  Stimmung  ist  in  eine 
antibiographische  übergegangen.    Zur  selben  Zeit  geschah  es,  dass  Ranke 
für   die  Sammlung  seiner  Werke   einen    Band  ..historisch-biographischer 
Studien^  zusammenstellte,  in  welchem  er  mit  der  ergänzten  («estalt  seines 
Carlos  drei  andere  Arbeiten,  über  Cardinal  Consalvi  und  seine  Staatsver- 
waltung, Savonarola  und  die  tiorentinisehe  Republik,  Filippo  Strozzi  und 
Cosimo  Mediei.  vereinigte.    „Als  eigentliche  Biographien'*,  schreibt  er  selbst, 
diesen  Titel  ablehnend,  an  seinen  Verleger,  ..können  die  darin  enthaltenen 
Aufsätze  nicht  betrachtet  werden:  ich  würde  damit  die  Rücksicht  verletzen, 
die  ich  dem  gelehrten  Publikum  schuldig  bin".    Die  Vorrede  wiederholt  in 
etwas  anderen,  aber  schwächereu  Wendungen  den  ( irnndgedanken  über  die 
Notwendigkeit,  mit  der  Biographie  die  Historie  zu  verbinden,  aus  dem 
Vorwort  zum  Wallenstein.    An  dessen  Manier  erinnern  denn  auch  die  auf 
älteren  Studien  beruhenden  Stücke  italienischen  Inhalts;  es  sind  persönlich 
bemessene  Ausschnitte  aus  der  allgemeinen  (ieschichte  von  Neurom  und 
Altflorenz,  an  sich  höchst  werthvoll,  doch  für  unseren  Gegenstand  ohne 
tiefere  Bedeutung. 

Mittlerweile  hatte  er  der  Sache  der  Biographie  Überhaupt  durch  mächtige 


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IG 


Bioprraphische  Blätter. 


Anregung  längst  den  denkbar  grössten  Vorschub  geleistet.  Der  durch  König- 
Max  auf  seinen  Rath  gestifteten  Münchener  historischen  Kommission  nannte 
er  als  vornehmste  Aufgaben  für  ihre  Thätigkeit:  allgemeine  Jahrbücher 
deutscher  Geschichte  und  die  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutsch- 
land. „Die  beiden  vorgeschlagenen  Arbeiten  umfassen  den  Staat  und  die 
Wissenschaft;  wäre  aber  nicht  auch  für  die  Persönlichkeiten,  die  in  den- 
selben wirksam  gewesen  sind,  eine  besondere  Berücksichtigung  nützlich  oder 
noth wendig?  Ich  schlage  jedoch  erst  an  dritter  Stelle  eine  allgemeine  Lebens- 
beschreibung der  namhaften  Deutschen  vor,  ein  Werk,  vielleicht  in  lexikalischer 
Form,  welches  in  einer  beschränkten  Anzahl  von  Bänden  sichere  und  partei- 
lose Auskunft  über  alle  der  Erwähnung  würdige  Namen  darböte."  In  diesem 
echt  Ranke'schen  Sinne  ist  das  gemeinschaftliehe  Riesenwerk  der  ..Allge- 
meinen Deutschen  Biographie"  entstanden:  Biographie  erscheint  darin  als 
Hülfswissensehaft  der  allgemeinen  Geschichte  nach  ihren  beiden  Seiten,  der 
politischen  nnd  der  geistigen.  Dass  mau  in  den  weiten  Hallen  dieses  ge- 
waltigen Gebäudes  hie  und  da  auch  auf  litterarische  Leistungen  stösst,  die 
durch  Forschung  und  Kunst,  in  Anlage  und  Bedeutung  dem  Ideal  selb- 
ständiger Lebensschilderung  im  kleinen  nahe  kommen,  lag  eigentlich  nicht 
im  Plan  des  historischen  Meisters.  Kr  selbst  war  beim  Anblick  der  An- 
fänge betroffen,  wieviel  gründlicher  und  lehrreicher  die  litterargeschiehtlichen 
Gestalten  behandelt  seien,  als  die  des  öffentlichen  Lebens,  was  ihn  bei  seiner 
eigenen  Einsicht  in  die  Schwierigkeit  politischer  Biographie  doch  kaum  be- 
fremden konnte.  Audi  er  trug,  wiewohl  nicht  ohne  Zaudern,  ein  paar 
Artikel  bei:  Über  Friedrich  den  Grossen  und  Friedrich  Wilhelm  IV.  Der 
erste  bleibt  weit  davon  entfernt,  dem  Zweck  des  Unternehmens  zu  genügen; 
von  grossartiger  Beherrschung  des  Stoffes  zeugend,  bringt  er  eine  politisch  - 
historische  Gesaiumteinsehätzung  des  Helden,  weiter  nichts.  Der  andere 
leidet  vor  allem  an  höchster  Ungleichheit  in  der  Komposition.  Die  Charak- 
teristik der  kirchlichen  Bestrebungen  Friedrich  Wilhelms,  seiner  dilettan- 
tischen Berührung  mit  Wissenschaft  und  Kunst,  lauter  Dinge,  worin  seine 
Seele  mit  Vorliebe  lebte,  wird  übers  Knie  gebrochen.  Persönlich  Neues 
erfahren  wir  besonders  über  seine  Erziehung;  politisch  ausführlich  und  unter- 
richtend wird  die  Geschichte  der  Berufung  des  Vereinigten  Landtages  ab- 
gehandelt. Es  sind  wichtige  Partien  aus  dem  Privat-  und  dem  öffentlichen 
Leben  des  Königs,  aber  doch  nur  Bruchstücke:  auch  zu  der  Einheit  hoher 
biographischer  Temperatur  erhebt  sich  der  ganze  Essay  bei  weitem  niHit 
in  dem  Grade,  wie  jene  Ausgabe  des  Briefwechsels  mit  Bimsen.  Ranke 
selbst  verhehlte  sich  und  anderen  diese  Mängel  keineswegs:  allein  er  war 
doch  „nicht  unzufrieden  damit,  dass  die  historische  Forschung,  insofern  sie  wirk- 
lich Platz  greifen  konnte,  auf  diesem  Wege  in  die  Geschichte  unserer  Tage 
eindringe.'' 

Von  jeher  war  die  mündliche  Gedächtnissrede  einer  der  stärksten 
Hebel  der  Biographie:  auch  Ranke  sollte  als  Vorsitzender  der  historischen 


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Ranke'*  Verhältnis  zur  Biographie. 


17 


Kommission  dessen  Kraft  an  sich  erproben.  Da  hat  er  dein  königlichen 
Freunde  Maximilian  ein  rhetorisches  Denkmal  gesetzt  in  einer  persönlichen 
Charakterschilderung  von  herzlicher  Treue  und  doch  frei  von  snbjektivem 
Vorurtheil.  gemttthlich  bewegt  und  künstlerisch  zusammengenommen.  Die 
anderen  Ansprachen  galten  den  lieimgegangenen  Fachgenossen.  Für  Litteratur- 
nnd  Kunsthistorie  bildet,  andei"s  als  für  die  politische,  die  biographische 
Betrachtung  den  natürlichen  Ausgangspunkt:  denn  auf  geistigem  (Gebiete 
dauert  die  schattende  Individualität  in  ihren  Kinzelwerken  greifbar  fort. 
Es  ist  daher  bezeichnend  für  Ranke,  dass  er  auch  auf  diesem  Boden,  wo 
er  ihn  in  seinen  Schriften  betritt,  doch  meist  weit  lieber  der  allgemeinen 
Ideenverbindung  nachgeht,  als  den  persönlichen  Umständen  der  Produktion: 
selbst  in  seinen  litterargeschiehtlieh  so  reichhaltigen  Untersuchungen  zur 
Kritik  der  historischen  Überlieferung  widmet  er  den  Autoren  wesentlich 
nur  um  der  Sache  willen  Theil nähme.  Auch  in  jenen  Ansprachen  redet 
er  sozusagen  im  Namen  der  deutschen  Wissenschaft.  Aber  er  hat  diese 
Savigny  und  .Jacob  (Jrimm,  die  Böhmer,  Häusser,  Gervinns  u.a.  m.,  deren 
Bild  seine  Elogien  ausfuhren,  sänuutlieh  von  Angesicht  gekannt,  sie  persönlich 
geschätzt  und  bei  ihrer  Lebensarbeit  sinnvoll  begleitet.  Kein  Wunder,  dass 
sich  scharfe  Beobachtung,  reifes  Urtheil  und  zarte  Pietät  hier  zu  kurzen 
Biogrammen  von  unübertrefflicher  Feinheit  verbinden.  Zudem  schwebt 
darüber  der  frische  Hauch  naiver  Hingebung  des  Augenblicks.  „Schon 
erlaubte  ihm  der  Arzt,  das  Bert  zu  verlassen",  heisst  es  von  Jacob  Grimm; 
„er  that  es  mit  einiger  Hülfe  und  setzte  sich  auf  einen  Stuhl  nieder  —  da 
hat  ihn  der  Tod  gleichsam  mit  der  Hand  berührt.  Kr  antwortete  plötzlich 
auf  keine  Frage  mehr:  er  hat  kein  Wort  mehr  geredet.  Nach  nicht  viel 
mehr  als  vierundzwanzig  Stunden  ist  er  in  der  Betäubung,  die  dem  Tode 
vorauszugehen  pflogt,  ohne  Schmelz  gestorben.  Das  letzte  Wort  des 
Wörterbuchs,  welches  er  bearbeitete,  ist  das  Wort  „Frucht"  gewesen. 
Möge  es  vorbedeutend  sein  für  die  befruchtende  Wirksamkeit  seiner  Werke 
und  des  Geistes,  der  in  ihnen  lebt,  in  allen  künftigen  Zeiten!"  Die  Bio- 
graphie verstummt,  die  Historie  meldet  sich  zum  Wort  :  „Ohne  ihn  schreiten 
wir  nun  zu  den  Arbeiten  fort,  die  wir  mit  ihm  unternommen  haben". 

Selbstbiographie  ist  das  persönliche  Bekenntnis.«,  dass  man  sachlich 
nichts  von  Belang  mehr  vorzubringen  hat.  Unser  Ranke,  der  als  Neunziger 
mitten  im  Wagniss  seiner  Weltgeschichte  abgerufen  ward,  hat  sich  zu 
solchem  Bekenntniss  ernstlich  niemals  angeschickt.  Kleine  Vorbereitungen 
dazu  erwecken  unser  Interesse  hauptsächlich  dadurch,  dass  sich  aus  ihnen, 
wie  freilich  noch  deutlicher  aus  seinen  Briefen,  ergiebt,  wie  er  vom  Wesen 
des  Lebens  aus  eigenster  Erfahrung  dachte;  denn  erst  hierin  liegt  doch 
der  rechte  Schlüssel  für  das  Verständnis«  seiner  Ansicht  vom  Kinzelleben 
überhaupt,  mit  anderen  Worten:  seiner  inneren  Stellung  zur  Biographie. 
Wer  ihn  irgend  kannte,  weiss,  wie  lebendig  er  allezeit  war  und  erschien: 
jeder  Satz  seiner  Schriften  verräth  eine  höchst  ursprüngliche,   in  sich 

Hin(fTaj.hl!»che  Blatter.  I.  2 

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18 


Biographische  Blatter. 


beständige,  unnachahmliche  geistige  Individualität.  Und  dennoch  war  jene 
Lebendigkeit  auf  der  Flucht  vor  dem  Anblick  des  eigenen  Lebens;  diese 
Individualität  suchte  ihren  eigentümlichen  Beruf  darin,  sich  selber  zu  ver- 
leugnen. Unruhiges  Selbstgefühl  behelligt  ihn  nur  in  den  letzten  Jahren 
der  Entwicklung,  bevor  ihm  der  Zweck  seines  Daseins  durch  den 
glücklichen  Wurf  einer  ersten  Leistung  völlig  klar  geworden.  Da  steht 
wohl  einmal  hart  neben  dem  ahnungsvoll  befriedigten  Satze:  „ Täglich 
erweitert  sich  Kenntniss  und  Aussicht  über  die  Weltgeschichte"  —  der 
Ausruf  des  Zagens  und  der  Sehnsucht:  „Wer  enthüllt  Kern,  Natur,  lebend 
Leben  des  Individuums?  Ich  bin  jetzt  einer  von  denen,  die  am  meisten 
bald  verzweifeln,  bald  Hoffnung  fassen,  an  sich,  an  anderen,  an  allem. 
Lieber  Bruder,  leb  wohl!  Wollte  Gott,  wir  wären  Ein  Herz;  der  starro 
Reifrock  der  Persönlichkeit,  so  hart  wie  Fischbein,  fiele  ab  und  Hesse 
Leben  an  Leben!"  Dann  aber,  sowie  er  sich  in  fruchtbarem  Thun  zurecht- 
gefunden, drückt  und  hemmt  ihn  der  Reifrock  der  Persönlichkeit  nicht 
mehr.  Kern  und  Natur  des  Individuums,  unenthüllbar  wie  sie  ihm  bleiben, 
legt  er  getrost  in  Gottes  Hand;  eine  höclist  einfache  Religiosität,  gegründet  ■ 
auf  „die  un verkümmerte  Wahrheit  des  inneren  Sinns*,  beruhigt  seine  Sorge 
um  eine  ewige  Bestimmung  der  menschlichen  Eigenart.  Ohne  weiteres 
Grübeln  wirft  er  sich  in  die  Welt,  das  bedeutet  für  ihn  eine  Welt  der 
Arbeit.  „Freilich  heisst  leben:  dasein,  athmen,  Sonne  und  Luft  gemessen. 
Wenn  es  aber  allein  Leben  ist,  seine  Kräfte  entwickeln,  ihrer  im  Yer- 
hältniss  zu  der  Welt  in  grossen  Thätigkeiten  sich  bewusst  werden",  so 
verdankte  er  „dies  sein  eigentliches  Leben"  seiner  Historie.  „Dann  erst 
lebt  man,  wenn  man  von  sich  selber  nichts  weiss".  „Mir  kommt  oft  vor, 
wie  ich  bin  und  denke,  wie  ich  will  und  wünsche  —  das  ist  gar  kein 
Wille,  es  ist  wenigstens  keine  Willkür,  es  Ist  ein  Muss.  Diese  nicht  von 
uns  gemachte  Natur,  so  und  nicht  anders,  von  dieser  nicht  von  uns  gemachten 
Welt  berührt,  getrieben  und  erniedrigt  und  erhöht  —  wer  kann  sie  ändern, 
wer  kann  ihre  Äusserungen  beherrschen?  Da  es  ein  Muss  ist,  wie  man 
ist,  ist  es  auch  ein  Soll?"  Anfangs  „schwärmt"  er  wohl  noch  in  der 
„Hoffnung",  gerade  im  forschenden  Anschauen  der  geschichtlichen  Menschen- 
weit  auch  „der  hinter  der  Erscheinung  thätigen  Lebensquelle  Verstand, 
Liebe,  Seele  der  Welt  noch  einmal  beizukommen!  Dort,  wo  der  Born 
quillt,  der  den  Geschöpfen  Leben,  Wesen,  Gestalt,  Innerlichkeit  giebt.  wo 
kein  Lob  und  Tadel,  wo  die  allgemeinen  Begriffe  hinsinken  vor  der 
Idealität  einer  ursprünglichen  und  allemal  gott verwandten  Existenz!"  Bald 
aber  findet  er  in  der  reinen  Anschauung  de*  sichtbaren  Ganzen  völliges 
Genüge.  „Mein  Glück  ist,  von  diesem  Punkte,  auf  dem  ich  stehe,  die 
Welt  zu  beobachten,  vergangene  und  gegenwärtige,  sie  in  mich  aufzunehmen, 
inwiefern  sie  mir  homogen.  Alles  was  sie  Schönes  und  Grosses  hervor- 
gebracht hat,  möchr  ich  an  mich  heranziehen  und  mir  aneignen  und  den 
Gang  der  ewigen  Geschicke  mit   ungeirrtem  Auge  ansehen,  in  diesem 


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1  tanke's  Verhältnis«  zur  Bioprraphie. 


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<  reiste  auch  selbst  edle  und  schöne  Werke  hervorbringen.  Betrachtet, 
welch  ein  Glück,  wenn  es  auch  nur  in  geringem  Grade  erreicht  wird! 
Man  lebt  mehr  in  dem  Ganzen,  als  in  der  Person.  Glaube  mir,  die  Ein- 
samkeit ist  auch  nützlich.  Oft  weiss  man  kaum  mehr,  dass  man  eine 
Persönlichkeit  hat,  man  ist  kein  Ich  mehr.  Der  ewige  Vater  aller  Dinge, 
der  sie  alle  belebt,  zieht  uns  ohne  allen  Widerstand  an  sich".  Diese  Selbst- 
entäusserung  in  einem  schaffenden,  den  Geist  wohlthätig  ans  Objekt 
bannenden  Beruf  —  „bin  ich  nicht  im  Flug  und  Feuer  der  Arbeit,  so 
fohle  ich,  ich  will  es  nicht  leugnen,  etwas  Unbefriedigtes,  liege  es  worin 
es  wolle,  in  meiner  Existenz"  —  diese  vollständige  Hingabe  an  die  Sache  — 
«denn  man  muss  in  dem  Gegenstand  leben,  für  den  man  etwas  leisten 
will*  —  dies  allmählich  entwickelte  Gefühl,  dass  man  nicht  bloss  fUr, 
sondern  „eigentlich  durch  die  Arbeit  lebe":  alles  das  ist  ja  eine  besonders 
im  Dasein  des  grossen  Gelehrten  ungemein  häufige,  man  darf  sagen: 
normale  Erscheinung.  Was  aber  Ranke  vor  anderen  auszeichnet,  ist  die 
bewusste  Absicht,  mit  der  er  dies  Geschäft  der  thätigen  Selbstentäusserung 
•  betreibt,  die  Beziehung,  in  die  er  es  setzt  zu  der  inneren  Natur  seiner 
besonderen  wissenschaftlichen  Aufgabe.  „Das  Ideal  historischer  Bildung", 
schreibt  er  an  König  Max,  „würde  darin  liegen,  dass  das  Subjekt  sich  rein 
zum  Organ  des  Objekts,  nämlich  der  Wissenschaft  selbst  machen  könnte, 
ohne  durch  die  natürlichen  und  zufälligen  Schranken  des  menschlichen 
Daseins  daran  gehindert  zu  werden,  die  volle  Wahrheit  zu  erkennen  und 
darzustellen.  Dieses  Ziel  muss  sich  der  Historiker  um  so  mehr  setzen,  da 
persönliche  Beschränktheit  ihn  doch  hindert,  es  zu  erreichen :  das  Subjektive 
giebt  sich  von  selbst".  Nur  als  frommer  Wunsch  tritt  deshalb  der  berühmte 
Ausruf  in  Ranke's  englischer  Geschichte  auf:  „Ich  wünschte  mein  Selbst 
gleichsam  auszulöschen  und  nur  die  Dinge  reden,  die  mächtigen  Kräfte 
erscheinen  zu  lassen,  die  im  Laufe  der  Jahrhunderte  mit  und  durch  einander 
entsprungen  und  erstarkt,  nunmehr  gegen  einander  aufstanden  und  in  Kampf 
geriethen."  Aber  soviel  ist  klar,  dass  eine  so  angestrengt  nach  aussen 
gekehrte  Beschaulichkeit  auch  ihr  Objekt,  die  geschichtliche  Welt,  vor- 
nehmlich im  Schauspiel  äusserer  Bewegung  ergreifen  und  festhalten  musste; 
dass  die  Gewöhnung,  des  eigenen  Individuallebens  einzig  in  selbstver- 
leugnendem Thun  gewahr  zu  werden,  sich  nothwendig  auch  auf  die  Auf- 
fassung und  Schilderung  des  fremden  Einzeldaseins  übertrug;  dass  ein 
Historiker,  der  die  eigene  Subjektivität  nur  als  einen  leider  unvertilgbaren 
Rest  von  persönlicher  Beschränktheit  empfand,  dem  tiefen  Wesen  der 
Subjektivität  überhaupt  nur  ausnahmsweise  und  unwillkürlich  gerecht  werden 
konnte  —  mit  einem  Wort:  dass  er  eben  als  Historiker  von  Gottes  Gnaden 
ein  von  Gott  und  sich  selbst  verordneter  Biograph  nicht  war. 

Auch  seiner  Selbstbiographie  konnte  ein  solcher  Mann  nicht  das  Ziel 
stecken,  seinen  inneren  Lebensgang,  die  Bewegungen  seines  Geniüths,  die 
Entfaltung  seiner  Weltansicht  an  den  Tag  zu  fördern.    „Die  allgemeine 

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Biographische  Blatter. 


Idee  würde  sein",  sagt  eine  Notiz,  „indem  der  Faden  der  Studien  immer 
die  Hauptsache  bleibt,  doch  zugleich  den  einzelnen  Kreisen  gerecht  zu 
werden,  in  welche  das  Leben  mich  geführt  hat;  sie  sondern  sich  immer 
von  einander  ab".  Also  ganz  historisch:  Bericht  Uber  die  eigene  Berufs- 
thätigkeit.  Schilderung  der  umgebenden  Welt;  wobei  in  den  entworfenen 
Grundrissen  noch  ein  drittes,  universelles  Moment  hinzutritt:  Hereinleuchten 
und  -wirken  der  allgemeinen,  zumal  der  politischen  Verhältnisse  des  Zeit- 
alters. Was  wir  posthum  Uberkommen  haben,  sind  durchweg  Privatauf- 
zeichnungen aus  den  'Pagen  des  höheren  Alters,  bescheiden  „entschuldigt4* 
durch  den  Wunsch,  etwaige  Nachfrage  überlebender  zu  befriedigen.  Zu- 
nächst ein  paar  kleine  Kapitel  über  Herkunft,  tleimath,  Schulzeit  und 
ferneren  Bildungsgang  bis  an  die  Schwelle  der  eigenen  wissenschaftlichen 
Produktion.  Von  der  bezaubernden  Einfalt  der  Darstellung  vermag  nur  eine 
Probe  den  rechten  Bcgrifl"  zu  geben.  Ks  ist  die  Rede  vom  ersten  Schul- 
aufcnthalt  des  Knaben  im  Kloster  Donndorf:  „Ein  noch  eindringenderes 
Gepräge  trugen  die  abendlichen  Gebete,  welche  der  Rektor  an  den  Sommer- 
abenden, wenn  wir  vom  Spaziergang  nach  Haus  kamen,  im  Holz  auf  einem 
dazu  eingerichteten  Platz  oder  auf  einem  anderen,  der  sich  gerade  darbot, 
mit  uns  hielt.  Wir  stellten  uns  dann  um  ihn  her;  er  sprach  ein  Abendlied 
versweise  und  iutonirte  den  Gesang  desselben,  dein  wir  dann  mit  hellen 
Stimmen  folgten.  In  dem  Waldesdunkel  unter  den  glänzenden  Sternen, 
nach  ihnen  emporschauend,  werden  wir  gehört  worden  sein,  oder  wenn  nicht, 
so  gingen  wir  doch  mit  erhobenem  Gefühl  von  dannen".  Ebenso  harmlos, 
hie  und  da  mit  naivem  Humor,  verläuft  die  Schilderung  Uberhaupt:  von 
sich  selbst  nimmt  der  Kr/Uhler  nur  in  der  schlichtesten  Weise  Notiz,  desto 
eingehender  von  dem  Eindruck  der  jugendlichen  Lektüre  und  den  ferneren 
Studien,  was  jedoch  alles  von  der  Höhe  des  Alters  herab  beurtheilt  wird, 
so  dass  man,  genau  wie  in  Dichtung  und  Wahrheit,  statt  des  werdenden 
den  gewordenen  Geist  vernimmt  und  bewundert.  Für  das  spätere  Leben 
liegen  gar  nur  zwei  summarische  Rückblicke  des  Achtzigers  und  des 
Neunzigers  vor,  knappe  Übersichten  über  den  Gang  der  eigenen  Produktion, 
ihre  wissenschaftlichen  Motive  und  ihre  Beziehung  zu  den  Zeitbegeben- 
heiten; einige  Ergänzung  bieten  Tagebuchblätter  der  letzten  Jahre,  auf 
denen  bei  Gelegenheit  des  Todes  merkwürdiger  Zeitgenossen  Erinnerungen 
an  die  pei^önliche  Begegnung  mit  ihnen,  zu  geistvoller  Charakteristik  ent- 
wickelt, niedergezeichnet  sind.  Darf  man  sich  aus  diesen  geringen  An- 
fängen und  Anzeichen  ein  Bild  machen  von  einer  Autobiographie,  wie  sie 
Ranke  als  mögliche  Abschiedsarbeit  vorgeschwebt  hat,  so  ist  gewiss,  dass 
wir  sein  inneres  Wesen  aus  seinem  Berichte  direkt  nicht  entfernt  so  deutlich 
kennen  gelernt  haben  würden,  wie  aus  seinen  Briefen.  Alle  übrigen  Fi- 
guren hätte  er  von  aussen  anschaulicher  gezeichnet,  als  sich  selbst,  und 
zugleich  die  Geschichte  seiner  Wissenschaft  im  Rahmen  seines  .lahrhunderts 


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Ranket  Verhältnis»  zur  Biographie. 


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durch  eine  neue  Reihe  gediegener  Crtheile  bereichei*t.  Historische  Denk- 
würdigkeiten einer  Gelehrtenlauf  bahn,  vom  Standpunkt  des  erreichten  Zieles 
ans  mit  objektiver  Zurückhaltung  verfasst,  hat  das  Schicksal  uns  damit 
vorenthalten. 

Wenn  der  Greis  bei  näherer  Prüfung  dem  Plan  einer  Weltgeschichte 
den  Vorzug  gab,  so  verfuhr  er  in  seinem  Sinne  eigentlich  noch  entschiedener 
autobiographisch:  er  zog  so  die  Summe  seines  in  historische  Ideen  um- 
gesetzten 'Lebens.  Das  Werk  ist  abstrakter,  grauer,  lebloser,  als  die  Ge- 
schiehtsehreibung  seiner  frischeren  Zeit  ;  aber  immer  noch  regt  sich  das  Streben 
nach  voller  Würdigung  der  biographischen  Momente.  Mit  wahrer  Freude 
begrttsst  der  Verfasser  die  individuelle  Erscheinung  des  Themistokles:  „er 
ist  vielleicht  einer  der  ersten  Mensehen  von  Fleisch  und  Blut,  die  in  der  Universal- 
geschichte hervortreten  -  keineswegs  immer  rühmenswerth,  aber  immer  gross. 
In  den  Konflikten  der  Weltkräfte  wollte  er  herrschen,  niemals  beherrscht 
werden,  aber  sie  waren  zu  stark:  er  ging  in  ihnen  unter,  er  selbst  persön- 
lich, aber  sein  Werk  überdauerte  die  Jahrhunderte:  er  ist  der  Begründer 
der  historischen  Grösse  von  Athen**.  Das  alte  Todtenlicd  der  Ranke  schen 
Muse,  oder  wenn  man  lieber  will,  Parze  der  Geschichte.  Die  Charakteristik 
Alexanders  des  Grosssen  verräth  noch  die  vielgeübte,  hohe  Kunst.  Mit 
einer  Art  von  historisch-biographischer  Leidenschaft  heisst  es  am  Ende  von 
der  Büste  im  Louvre:  „Sie  athmet  Seelenstärke.  Feinheit  und  Geinüth  — 
der  Beschauer  kann  sich  kaum  von  ihr  losreissen,  wenn  er  dabei  der  Thaten 
und  Eigenschaften  des  Mannes  gedenkt,  den  sie  vorstellt".  Wie  schlagend 
hebt  das  menschliche  Motiv  zu  der  geschichtlichen  Rolle  des  Agathokles 
der  Satz  hervor:  „Was  könnte  einen  emporstrebenden  jungen  Mann  tiefer 
kränken,  als  die  parteiische  Versagung  einer  Ehre,  nach  welcher  seine 
Seele  dürstet!"  Und  so  geht  es  eine  Weile  fort.  Selbst  die  fratzenhaften 
Masken  der  römischen  Cäsaren,  wie  sie  der  litterarische  Karneval  noch 
heute  leihweise  von  Sueton  bezieht,  gewinnen  unter  Ranke  s  Händen  den 
Anschein  möglichen  Lebens:  in  die  „Manie"  Caligulas  fügt  er  mildernd 
einen  Zug  von  „bizarrem  Humor".  Allmählich  erlahmt  die  Kraft.  Die 
Gestalten  Mohammeds  und  zumal  Karls  des  Grossen  sind  schon  weit- 
schwächer  umrissen.  Mit  Rührung  liest  man  das  letzte,  verworrene  Diktat 
vom  Schmerzenslager  des  sterbenden  Geschichtsehreibers:  „Auf  der  Höhe 
tiefer,  die  Welt  umfassender,  stürmischer  Bewegungen,  welche  die  Gemüther 
von  dem  Standpunkt  ihrer  Überzeugung  aus  mit  den  grttssten  Aussichten 
erfüllen,  erscheinen  wohl  auch  grossartig  angelegte  Naturen,  die  die  Auf- 
merksamkeit der  Jahrhunderte  fesseln".  Man  sieht:  mit  dem  dichter 
hereinbrechenden  Nebel  des  Allgemeinen  ringt  noch  immer  der  Wunsch,  das 
menschlich  Besondere  fasslich  zu  erkennen.  Ks  folgen  ein  paar  halbdunkle 
Sätze  über  die  deutschen  Kaiserhäuser,  bis  zum  Schluss:  „Man  empfing 
doch  in  jedem  der  einzelnen  Gewalthaber  eine  neue  Gestalt".    Ks  ist  das 


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Riographische  Blatter. 


Epigramm  der  Rankesehen  Muse  auf  sieh  selbst.  „In  jedem  Einzelnen 
eine  neue  Gestalt!"  Da*  Individualleben  eine  ewig  flüchtige,  ewig  wieder- 
kehrende Erscheinung  in  der  geschichtlichen  Welt  die  Historie  schaut 
Ulm  ins  Antlitz,  die  Biographie  ins  Herz. 

 c£>  

Zur  Methodenlehre  der  Biographik. 

Mit  besonderer  Rücksicht  auf  dio  biographische  Kunst  im  Dienste  der 
philusophicgeschiehtlichen  Forschung. 

Von 

LUDWIG  STEIN  in  BERN. 


I. 

Die  biographische  Kunst  galt  bisher  als  herrenloses  Gut.  Das  litte- 
rarische Kreibeuterthum,  das  ohne  äussere  Schulung  oder  inneren  Beruf 
dankbaren  Stoffen  auflauert,  um  sie  —  entweder  zur  Stillung  der  Lebens- 
nothdurft,  oder,  was  noch  bedenklicher,  zur  Befriedigung  schriftstellerischen 
Eitelkeitskitzels  —  mit  ihren  plumpen  Federn  meuchlings  zu  Uberfallen, 
hat  sich  von  jeher  mit  Vorliebe  an  biographischen  Stoffen  vergriffen.  Ein 
paar  rasch  zusammengelesene  Jahreszahlen,  einige  flüchtig  zusammengestop- 
pelte Urtheile  (Iber  die  Thaten  und  Werke  der  Helden,  dazu  ein  vollgerüttelt 
Maass  von  verhimmelnden  Epithetis  und  verschnörkelten  Superlativen  — 
und  die  Dutzend-Biographie  ist  fertig.  Der  also  Überfallene  kann  sich,  da 
es  sich  ja  meist  um  die  Lebensbeschreibung  Verstorbener  handelt,  nicht 
wehren  und  muss  sich  daher  die  frevle  Plünderung  seines  Namens,  des 
einzigen  Guts,  das  ihm  geblieben  und  für  welches  seine  volle,  grosse  Per- 
sönlichkeit einzusetzen  das  ganze  Leben  nur  Sinn  und  Werth  hatte,  stumm 
gefallen  lassen.  Und  warum  wird  diese  Herrenlosigkeit,  diese  rückhaltlose 
Preisgebung  des  Köstlichsten,  wonach  die  begnadetsten  Naturen  aller  Völker 
und  Zeiten  ringen:  ihr  Leben  der  Nachwelt  als  Vorbild  zu  hinterlassen, 
um  in  deren  Gedenken  beispielweckcnd  fortzuwirken,  heute  noch  allgemein 
geduldet,  ja  von  den  Wenigsten  auch  nur  in  ihrer  ganzen  Schimpflichkeit 
empfunden?  Doch  wohl  nur,  weil  es  eine  nach  bewussten  Regeln  arbeitende, 
an  bestimmte  Normeu  und  Kriterien  gebundene  biographische  Kunst  noch 
gar  nicht  giebt!  Das  Willkürliche  und  Zufällige,  sonst  ein  mit  Recht  gefürch- 
tetes  Brandmal  unwissenschaftlichen  Verfahrens,  stellt  fast  den  einzigen 
Rhythmus  dar,  der  die  Mehrzahl  der  Auch-ßiographen  auszeichnet.  Was 
ihnen  von  ihrem  Helden  an  Zahlen.  Thaten  und  charakteristischen  Zügen 
durch  Dame  Zufall  zufliegt,  das  erhaschen  und  verarbeiten  sie  mit  Behagen; 
aber  sie  besitzen,  falls  sie  nicht  geborne  Biographen  sind,  deren  natürlicher 
Takt  alle  Technik  ersetzt,  keinen  Kanon  dessen,  wonach  der  Biograph  zu 


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Zur  Mefchudenlehre  der  Biographik. 


23 


suchen  hat,  kein 'Kriterium  dafür,  worauf  es  in  der  Biographie  entscheidend 
ankommt,  mit  einem  Worte  kein  Gesetz  der  biographischen  Technik. 

Gewiss  können  Viele  sich  in  ihrer  Sprache  leidlicli  korrekt  ausdrücken, 
ohne  Grammatik  zu  kennen,  eine  Rede  halten,  ohne  Rhetorik  zu  studiren, 
einen  Gedankengang  folgerichtig  entwickeln,  ohne  die  formale  Logik  zu 
verstehen,  eine  gute  psychologische  Beobachtung  machen,,  ohne  die  Gesetze 
der  Psychologie  auch  nur  zu  ahnen,  ein  gesundes  Kunsturtheil  fällen,  ohne 
Aesthetik  zu  treiben,  sogar  einige  Melodien  erfinden,  ohne  Kenntniss  vom 
Wesen  des  Contrapunkts  zu  haben.  Aber  eine  Abhandlung  aus  einem 
dieser  Wissensgebiete  zu  schreiben,  wird  sich  Niemand  unterfangen,  der 
sich  nicht  zum  Mindesten  mit  den  Rudimenten  des  betreffenden  Fachgebiets, 
und  sei  dies  auch  noch  so  fluchtig,  vorher  vertraut  gemacht  hat.  Nur  eine 
Biographie  zu  schreiben,  hält  sich  Jeder  für  befugt,  der  seine  Sprache 
grammatisch  richtig  schreibt  —  und  auch  diese  elementare  Forderung 
wird  nicht  immer  eingehalten.  Und  woher  dieser  Unfug?  Dort  fürchtet 
man  das  Urtheil  der  Grammatiker,  Logiker,  Psychologen  usw.:  hier  kann 
man  sich  ungestraft  als  Franctireur  herumtummeln,  da  es  kein  berechtigtes 
Forum  giebt.  das  kecken  Übergriffen  entgegentreten  könnte  —  es  fehlt  der 
Berufsbiograph,  die  Biographik  als  eigenes  Fachgebiet,  jene  entscheidende 
Instanz,  die  das  biographische  Stümperthum  als  solches  zu  brandmarken 
die  allgemein  anerkannte  Berechtigung  hätte.  Der  Mangel  einer  biogra- 
phischen Kunst  mit  fest  ausgebildeter  Technik  ist  um  so  auffälliger  und 
bemerkenswerther,  als  die  Biographie,  bei  Lichte  besehen,  die  älteste 
Litteraturgattung  darstellt.  Die  Hieroglyphen  in  Egypten,  die  Keil- 
inschriften in  Assyrien  und  Babylonien  bieten  .ja  im  Wesentlichen  nur 
Biographien  —  zumeist  sogar  Autobiographien  —  mehr  oder  minder  ruhm- 
reicher Könige  und  Feldherren.  Die  Odyssee  ist  ihrem  Kerne  nach  eine 
poetische  Biographie  des  Helden  Odysseus.  Das  alte  Testament  bietet  in 
der  Genesis  ein  förmliches  biographisches  Lexicon  der  Urmenschen,  Patri- 
arehen und  Religionsstifter  dar,  wie  sie  die  semitische  Volksseele  in  ihrer 
üppig  wuchernden  mythenbildenden  Phantasie  ergriffen  und  wie  sie  der 
Griffel  des  Erzählers  mit  herzerfrischender,  ewig  junger  Naivität  und 
unerreichter  schriftstellerischer  Grazie  festzuhalten  verstanden  hatte. 
Und  die  frühesten  Rcligionsurkunden  der  übrigen  alten  Völker?  Ob 
sie  uns  das  Leben  des  Confucius,  Laotse.  Zoroaster,  der  Brahmanen, 
Buddhisten  (besonders  Säkjamunis)  u.  A.  schildern;  einerlei:  ihre  littera- 
rische Kunstform  ist  meist  die  Biographie.  Dieser  litterarische  Consensus 
gentium,  der  sich  in  den  ältesten  schriftlichen  Denkmälern  aller  Kultur- 
völker dahin  kundgiebt,  dass  sie  sämmtlich  wie  instinktiv  das  Bedflrfniss 
empfinden,  das  Leben  ihrer  grössten  Männer  —  sei  es  der  wirklich 
existirenden,  sei  es  der  aus  der  Volksphantasie  herausgebomen  Typen  — 
schriftlich  zu  fixiren,  deutet  auf  die  völkerpsychologische  Thatsache  hin, 
dass  das  Interesse  am  Biographischen  schon  der  werdenden  Kulturmensch- 


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24 


Biographische  Blätter. 


heit  förmlich  im  Blute  steckt.  Die  Volksphantasie  vollzieht  in  ihrem  in- 
stinktiven Verlangren  nach  ständiger  Yerpersönliehung  nicht  bloss  die  Per- 
sonifizirung  der  meisten  beobachteten  Eigenschaften  und  Zustände,  deren 
die  griechische  Götterwelt  z.  B.  voll  ist,  sondern  sie  interessirt  sich  auch 
gewaltig  für  die  erdichteten  Erlebnisse  der  von  ihr  lingirteu  Gütterwelt. 
Die  griechischen  und  nordischen  Götter-  und  Heldensagen  spiegeln  so  recht 
die  Volksseele  in  ihrer  schwelgerischen  Freude  am  Biographischen  wieder. 
Und  schliesslich  entspringen  die  ersten  tastenden  Versuche  einer  Welt- 
entstehungslehre, wie  sie  unter  den  Griechen  in  der  Theogonie  des  Hesiod, 
bei  den  Orphikern  und  Pherekydes  von  Syros  hervortreten,  dem  gleichen, 
nur  potenzirten  und  auf  das  All  übertragenen  biographischen  Bedürfniss: 
man  konstruirt  sich  eine  Biographie  des  Kosmos. 

Wenn  nun  trotz  dieses  hohen  Alters  der  Biographie  als  litterarischer 
Kunstgattung  sich  eine  eigene  Technik  —  wie  sie  etwa  das  Drama  und 
die  Rhetorik  seit  Aristoteles  bereits  besitzen  —  noch  nicht  herausgebildet 
hat,  so  trägt  vielleicht  gerade  ihr  hohes  Alter  die  Schuld  daran.  Das 
Alter  einer  Kunstform  ist  eben  durch  ihre  Einfachheit  bedingt,  da  ja  die 
Kultur  immer  erst  durch  das  Einfache  zum  Komplizirtcren  schreitet.  .Je 
einfacher  aber  eine  Kunstform  ist,  desto  geringer  ist  der  Anreiz  zu  ihrer 
theoretischen  Formulirung  und  methodischen  Ausbildung,  zumal  nach  der 
communis  opinio  alles  Einfache  etwas  Selbstverständliches,  einer  wissen- 
schaftlichen Formulirung  also  gar  nicht  Bedürftiges  an  sich  hat.  An  diesem 
Fluche  der  Selbstverständlichkeit  scheiterte  bisher  wohl  jedes  einstliche 
Beginnen  zur  Aufstellung  einer  Methodenlehre  der  biographischen  Kunst. 

Seit  Comte  hat  sich  indess  die  Philosophie  daran  gewöhnt,  gerade  das 
Einfache.  Elementare,  von  allen  übrigen  Wissenschaften  als  Selbstverständ- 
lichkeit stillschweigend  Vorausgesetzte  einer  erneuten  Prüfung  zu  unterziehen. 
Und  so  mag  denn  hier  eine  kleine  Untersuchung  über  Berechtigung.  Form, 
Umfang  und  Grenzen  der  Biographik  —  zunächst  als  ]  Hilfswissenschaft 
der  philosophiegeschichtlichen  Forschung  —  eine  Stelle  linden. 

II. 

Jede  Wissenschaft  hat  mit  dem  Nachweis  ihrer  Existenzberechtigung 
und  der  Formulirung  ihrer  Existenzbedingungen  zu  beginnen.  Handelt  es 
sich  nun  gar  um  eine  werdende,  sich  nur  mühselig  eniporringende  Wissen- 
schaft, wie  die  Biographik  sie  in  dieser  Zeitschrift  darzustellen  bestrebt  ist, 
so  muss  dieser  Nachweis  um  so  kräftiger  geführt  werden,  als  sie  sich  von 
dem  Odium  einer  mehrtausendjährigen,  sei  es  unbewussten,  wie  Freunde, 
sei  es  geflissentlichen  Vernachlässigung  und  Hintansetzung,  wie  Gegner 
der  Biographik  behaupten  werden,  zuvörderst,  gründlich  zu  reinigen  hat. 

Die  Berechtigung  der  Biographik  darzuthun  und  ihre  Erhebung  zu 
einer  eigenen  Disciplin  zu  fordern,  ist  ein  müheloses  Beginnen.  Denn 
angesichts  des  Unistandes,  dass  die  ältesten  auf  uns  gekommenen  Denkmäler 


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Zur  .Methodenlehre  der  Biographik. 


25 


der  Litteratiir  mit  Biograplüen  einsetzen,  bedarf  es  keiner  einlässlichen 
Erörterung  darüber,  dass  die  Volksseele  aller  Zonen  und  Zeiten  nach  bio- 
graphischer Verarbeitung  ihrer  jeweiligen  Helden  gedürstet,  ja  förmlich 
gelechzt  hat.  Wie  tief  muss  dem  Mensehen,  der  in  begreiflicher  Selbst- 
liebe  sein  eigenes  Ich  im  Leben  seiner  Helden  spiegelt  und  in  seiner 
Phantasie  zarte,  vergleichende  Fäden  zwischen  der  Psyche  jener  und  seiner 
eigenen  spinnt,  der  Hang  zum  Biographischen  in  die  Seele  gegraben  sein, 
wenn  die  Biographie  die  einzige  Litteraturgattung  darstellt,  die  nicht  ver- 
altet und  die  keinem  Wandel  der  Geschmacksrichtung  unterworfen  ist!  Ob 
die  Hieroglyphen  dem  Volke  das  idealisirte  lieben  seiner  Könige  künden 
oder  eine  Gruppe  Wilder,  um  das  nächtliche  Feuer  gelagert,  der  Erzählung 
der  Heldenthaten  seiner  Götter  und  Vorfahren  lauscht,  ob  in  der  Spinn- 
stube der  Bauernhütten  interessante  Räubergeschichten  den  Gegenstand  der 
Abendunterhaltung  bilden  oder  unsere  Jugend  Robinson  Crusoe  verschlingt, 
ob  die  gottergebene  Nonne  sich  am  lieben  der  heiligen  Jungfrau  berauscht 
oder  die  Salondame  fin  de  siede  nach  der  Lektüre  von  „Lourdes"  im  Buch- 
staben Z  ihres  Konversations- Lexikons  fieberhaft  blättert,  um  sich  den 
Lcbensgang  Zola  s  fest  einzuprägen,  ob  endlich  der  gelehrte  Mönch  des 
10.  Jahrhunderts  etwa  sich  am  „Heliand"  erbaut  oder  ein  mönchischer 
Gelehrter  der  Gegenwart  an  Straussens  oder  Renans  „Leben  Jesir  sich 
ergötzt;  einerlei:  das  diesen  Allen  gemeinsame  tiefere  Grundmotiv  ist 
immer  das  gleiche:  freudiges  Interesse  für  alles  Biographische.  Wo  aber 
nachhaltiges  und  intensives  Interesse  vorhanden  ist,  da  stellen  sich  auch 
unfehlbar  Solche  ein,  die  jenes  Interesse  zu  befriedigen  suchen.  Die  Noth 
erzeugt  und  zeitigt  den  Retter.  Selbst  im  dunkelsten  Mittelalter,  da  alle 
Musen  verstummt  waren,  rettete  sich  der  letzte  verglimmende  Funke  der 
Poesie  in  die  Biographie.  Das  Leben  der  biblischen  Heiden  dichterisch  zu 
gestalten,  wie  es  in  dem  jüngst  im  Vatikan  aufgefundenen  ergänzenden 
Text  des  „Heliand"  geschieht,  oder  die  Lebensschicksale  irgend  eines 
späteren  Heiligen  poetisch  zu  fassen  und  zu  verklären,  dazu  ratfte  sich 
selbst  in  der  litterarisch  ärmsten  Epoche  der  Kulturmenschheit  irgend  ein 
anonymer  Dichterling  auf.  Wenn  nun  solchergestalt  die  Litteraturgattung 
der  Biographie  sich  nicht  blos  als  die  älteste,  sondern  auch  als  die  dauer- 
hafteste, allem  Wandel  des  litterarischen  Geschmacks  trotzende  erweist,  so 
kann  ihre  Existenzberechtigung  gar  nicht  mehr  in  Frage  kommen.  Ist 
auch  nicht  alles  Bestehende,  wie  Hegel  meint,  vernünftig,  so  giebt  es  doch 
wohl  keinen  höheren  Rechtstitel  auf  Existenz,  als  den  einer  mchrtausend- 
jährigen  Thatsächlichkeit.  Was  die  Flucht  der  Zeiten  und  den  Wechsel 
des  Gescliraacks  konsequent  überdauert,  das  hat  unzweifelhaft  ein  Recht 
auf  Existenz. 

Aus  der  Notwendigkeit  der  Biographie  als  eigener  Kunstform  wird 
sich  die  einer  Biographik  mit  Leichtigkeit  folgern  lassen.  Wie  jede  Kunst- 
form ihren  eigenen  Rhythmus,  ihre  besonderen,  nur  ihr  eigenthümüchen 


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26  Biographische  Blätter. 

Gesetze  und  ihre  spezielle  Technik  hat,  so  können  und  müssen  sich  auch 
bestimmte  Regeln  der  Biographik  aufstellen  lassen.  Ihre  bisherige  Nicht- 
beachtung oder  mangelhafte  Ausbildung  sind  kein  Gegenargument  gegen 
ihre  Möglichkeit.  Es  verhält  sich  eben  mit  der  Biographik  wie  etwa  mit 
der  Pädagogik.  Man  hat  Jahrtausende  hindurch  erzogen  und  dabei  sogar 
v  ielfach  eine  erziehliche  Kunst  praktisch  geoffenbart,  lange  bevor  man  an  eine 
theoretische  Formulirung  der  Erziehungsgrundsätzc  gedacht  hat.  Ja,  es  gab 
bei  den  Griechen  z.  B.  ein  ausgebildetes  Lehrsystem,  die  epcuxXioc;  -a>Ma, 
bevor  Sokrates,  Piaton  und  Aristoteles  die  Grundlinien  einer  Theorie  der 
Erziehung  festgestellt  haben.  Und  so  haben  denn  auch,  abgesehen  von  den 
unbewussten  Biographen,  als  welche  ich  vor  Allem  die  Dichter  der  Vorzeit 
begreife,  auch  bewusstc  Darsteller  von  Biographien,  wie  Hekataeos,  Herodot 
und  Thukydides.  die  eine  Fülle  von  Lebensbeschreibungen  in  ihre  Geschichts- 
darstellung verflechten,  und  Berufs-Biographen,  wie  Plutarch,  Diogenes 
LaPrtes,  Cornelius  Nepos  u.  A.  vortreffliche  biographische  Skizzen  verfasst, 
ohne  sich  davon  Rechenschaft  zu  geben,  nach  welchen  Gesichtspunkten  und 
Methoden  eine  Biographic  zu  schreiben  ist.  Wie  der  Lehrer  der  Vorzeit 
unterrichtete  und  erzog,  ohne  Pädagogik  zu  verstehen  oder  auch  nur  ihr 
Vorhandensein  zu  ahnen  —  nur  nach  Instinkt  und  Naturell  -  ,  so  schrieb 
und  schreibt  der  Biograph  heute  noch  seine  Lebensbeschreibung,  ohne  sich 
um  etwa  vorhandene  Regeln  und  Gesetze  der  biographischen  Kunst 
zu  kümmern,  und  meist  auch  ohne  sich  die  Frage  vorzulegen,  ob  eine 
Biographik  möglich  und  wünschenswerth  sei.  Temperament,  Laune, 
Geschmack,  litterarischer  Takt  und  Bildungsumfang  ersetzten  den  Biographen 
bisher  die  Stelle  der  ernsten  Schulung  und  fachtechnischen  Übung. 

Wird  es  nun  heute,  da  wir  eine  Pädagogik  als  regelrecht  ausgebildetes 
Lehrfach  besitzen,  Jemandem  ernstlich  beifallen,  einem  Kandidaten  des 
höheren  Lehramts  eine  Schule  anzuvertrauen,  der  nichts  von  der  Pädagogik 
verstände?  Gewiss  macht  die  Pädagogik  noch  nicht  den  Lehrer,  so  wenig 
eine  Biographik  schon  durch  ihr  Dasein  nur  tüchtige  Biographen  hervor- 
bringen wird.  Sicherlich  giebt  es  heute  noch  geborne  Lehrer,  die  mit 
pädagogischem  Takt  und  ererbter  Lehrbefähigung  ohne  intensives  Studium 
der  Pädagogik  praktisch  mehr  und  besseres  leisten,  als  selbst  der  tüchtigste 
Systematiker  oder  gediegenste  Kenner  der  Pädagogik.  Ebenso  haben  Macaulay, 
Vasari,  Muratori,  St.  Beuve.  Taine.  Grimm,  Dilthey  (in  seinem  Leben  Schleier- 
machers)  u.  v.  A.  mit  intuitiver  künstlerischer  Gestaltungskraft  biographische 
Kunstwerke  geschaffen,  welche  auch  die  ausgesuchteste  Technik  nicht  zu 
erreichen,  geschweige  denn  zu  überbieten  vemiöchte.  Aber  wie  verschwin- 
dend gering  ist  die  Zahl  der  gebornen  im  Verhältniss  zu  den  wirklichen 
Lehrern  —  ungefähr  so  gering,  wie  die  der  gebornen.  von  der  Natur 
dazu  begnadeten  Biographen  im  Verhältniss  zur  erschreckenden  Fülle  der- 
jenigen, die  sich  dafür  halten  und  —  ausgeben! 

Aber  auch  der  beste  Berufs- Biograph  kann  von  einer  systematischen 


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Zur  Methodenlehre  der  Biographik. 


27 


Biographik  so  manchen  Fingerzeig  entnehmen,  so  manche  technische  Finesse 
ablauschen,  auf  die  er  sonst  kaum  verfallen  würde,  wie  denn  auch  der  raffinirteste 
Schulpraktikus  vom  pädagogischen  Theoretiker  mancherlei  Anregung  dankbar 
entgegen  nimmt. 

Die  künftige  Biographik  wird  dämm  gut  thun,  aus  der  Geschichte 
der  Pädagogik  sich  darüber  Winke  zu  holen,  wie  sich  der  allmähliche 
Übergang  von  einer  Praxis  in  die  Theorie  anbahnt  uud  vollzieht.  Auch 
die  Pädagogik  hat  trotz  der  Vorarbeiten  der  Alten  und  ungeachtet  der 
bemerkenswerthen  Leistungen  eines  Katichius,  Comenius,  Locke,  Ronsseau, 
Pestalozzi,  Basedow  und  Kant  sich  erst  in  unserem  Jahrhundert  als  wirk- 
liche Wissenschaft  konstituirt.  Das  malitiöse  Spottlächeln,  mit  welchem  ernste 
Gelehrte  früherer  Generationen  die  Ansprüche  der  Pädagogik,  als  eigene 
Wissenschaft  aufzutreten,  konsequent  zurückgewiesen  haben,  wich  in  dem 
Augenblick,  da  es  der  Pädagogik  geglückt  war,  in  Herbart  ihren  ent- 
scheidenden philosophischen  Theoretiker  zu  finden.  Die  leise,  aber  eben 
darum  tödtliche  Ironie,  mit  der  man  noch  vor  einem  halben  Jahrhundert 
die  stillen  Aspirationen  der  Pädagogik  in  die  Schranken  wies,  jener  Hauch 
wissenschaftlichen  Altjungfernthums,  der  Jahrhunderte  lang  über  dieser 
Disziplin  gelagert  war,  das  Alles  zerschmolz  wie  junger  Schnee  vor  dem 
sieghaften  Sonnenstrahl,  sobald  Herbart  mit  dem  vollen  Rüstzeug  des  ganzen 
Kopfes  die  Pädagogik  als  Wissenschaft  geschaffen  hatte.  Heute  hat  sich 
dieses  einstmalige  Aschenbrödel  unter  den  Wissenschaften  einen  Lehrstuhl 
nach  dem  anderen  errangen  oder  besser  durch  die  Wucht  ihrer  Bedeutung 
allmählig  mühsam  erzwungen. 

Geschichtliche  Beispiele  und  Analogien  haben  nun  vornehmlich  einen 
negativen  Werth;  sie  zeigen,  welche  Fehler  Andere  begangen  haben  und 
wie  man  es  daher  anstellen  müsse,  auf  kürzerem  Wege  zum  gleichen  Ziele 
zu  gelangen.  Den  weitläufigen  Zickzack  der  Geschichte  der  Pädagogik 
wird  die  auf  dieses  Vorbild  hinblickende  künftige  Biographik  zu  umgehen 
haben.  Ihre  ganze  Kraft  hat  sie  jetzt  daran  zu  setzen,  ihrem  künftigen 
»Systematiker  das  Material  vorzubereiten.  Zu  ihrer  wissenschaftlichen 
Mündigkeitserklärung  fehlt  der  Biographik  heute  vorerst  noch  Eines,  freilich 
das  Entscheidende:  ihr  Herbart. 

III. 

Alles  ernsthaft  Biographische  hat  einen  doppelten  Zweck:  einen  histo- 
rischen und  einen  pädagogisch-ethischen.  Einmal  soll  es  erklären,  wie  die 
grosse  Persönlichkeit—  und  vornehmlich  eine  solche  ist  ein  adaequates  Objekt  der 
biographischen  Kunst  —  gewachsen  und  geworden  ist,  wie  ihre  Thaten  und 
Werke  entstanden  sind  und  gewirkt  haben,  welche  Seiten  ihrer  Eigenart 
ihre  geschichtliche  Stellung  bedingen  und  die  Bedeutsamkeit  ihrer 
Leistungen  ausmachen,  ob  und  in  welchem  Umfange  sie  den  Gesammtfort- 
schritt  der  Kulturmenschheit  gefördert  haben,  andermal  soll  es  jene  Züge 


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28 


Biographische  Blatter. 


kräftig  hervorheben  und  mit  Licht  Übergiessen,  die  etwas  Vorbildliches, 
Beispielweckendes,  die  Epigonen  zu  gleicher  Leistung  Anspornendes  an 
sich  tragen.  —  Ein  drittes,  minder  vornehmes  Ziel  des  Biographik,  dessen 
Werth  in  umgekehrtem  Verhältniss  zu  seiner  Verbreitung  steht:  die 
Befriedigung  der  Neugierde  eines  anekdotenhaschenden,  sensationslüsternen 
LesepöbelK,  kann  hier,  wo  es  sich  um  die  wissenschaftliche  Seite  der 
Biographik  handelt,  füglich  übergangen  werden. 

Der  historische  Werth  der  Biographik  ist  nun  allen  ernsthaften 
Biographien  —  unabhängig  von  ihrem  Objekt  —  gemeinsam.  Ob  die  ge- 
schilderte grosse  Persönlichkeit  ein  Monarch,  Feldherr  oder  Staatsmann, 
Künstler,  Gelehrter  oder  Erfinder  ist,  gleichviel:  sobald  ihre  Leistung  einen 
merklichen  Einschnitt  in  den  Kulturverlauf  bedeutet  gehört  sie  der  Ge- 
schichte an,  und  die  Schilderung  ihres  Lebens  und  Wirkens  hat  historischen 
Werth.  Anders  verhält  es  sich  jedoch  mit  dem  pädagogisch-ethischen  oder 
didaktischen  Werth  der  Biographie.  Nicht  jedes  Leben  politisch  oder 
künstlerisch  überragender  Individualitäten  hat  nothwendig  ethischen  Gehalt 
oder  gar  vorbildlichen  Werth.  Eine  Biographie  Cesare  Borgias  kann 
beispielsweise  von  hervorragendem  historischem  Werth  sein,  sofern  sie  das 
ganze  Zeitalter  im  Lichte  dieser  Persönlichkeit  grell  beleuchtet,  aber  vor- 
bildliche Züge  wei  den  da  kaum  zu  Tage  treten,  zumal  diese  Persönlichkeit  - 
selbst  als  abschreckende  Kontrastwirkung  gedacht  gar  zu  absonderlich 
geartet  war.  Umgekehrt  ist  das  historisch  Bedeutsame  an  einer  Figur  wie 
Sokrates  ihr  Leben  und  mir  dieses.  Das  Welthistorische  au  der  Persönlich- 
keit des  Sokrates  ist  nicht  etwa  seine  Lehre,  die  ja  nur  in  unsicheren,  noch 
dazu  häufig  einander  trübenden,  weil  entgegengesetzten  Filtrationen  auf  uns 
gekommen  ist,  sondern  sein  Leben  und  —  sein  Tod.  Dieses  Leben 
repräsentirt  aber  eine  fleisch  gewordene  W  eltanschauung,  die  seither  Unzählige 
aufgerichtet  und  mit  einem  idealen  Lebensinhalt  ausgefüllt  hat:  eine  der 
Individualität  des  Sokrates  vollauf  gerecht  werdende,  sich  als  Kunstleistung 
zu  der  Höhe  ihres  Objektes  erhebende  Biographie  dieses  einzigen  Mannes 
raüsste  zugleich  ein  ethisches  System  in  sich  bergen.  Und  nicht  blos  bei 
Sokrates  war  das  Leben  (sein  o5ö;  toO  ß-oa)  zugleich  die  höchste  geschicht- 
liche Leistung:  auch  ein  Diogenes  von  Synope,  diese  lebendig  gewordene  Karri- 
katur  des  Oynisnius.  mit  dessen  Volkstümlichkeit  als  vermeintlichem  Typus 
eines  Philosophen  sich  noch  heutigen  Tages  nicht  leicht  Einer  messen  kann, 
hat  nur  gelebt,  und  nichts  gelehrt.  Bei  einzelnen  Religionsstiftcrn.  kirch- 
lichen Heiligen,  berühmten  Anachoreten  und  Mystikern,  die  vielleicht  keine 
Zeile  schriftlich  hinterlassen  haben,  und  dabei  doch  auf  Millionen  Gläubiger 
eine  bestimmende,  ja  zwingende,  ihren  ganzen  sittlichen  Lebensinhalt  aus- 
füllende Wirkung  ausgeübt  haben,  erschöpft  sich  ihre  historische  Bedeutung 
in  ihrem  Leben  d.  h.  in  der  Heiligkeit  ihres  Lebenswandels.  Einzelne 
Märtyrer  des  freien  Gedankens  wie  Wielen7,  Huss,  Savonarola,  Hoger  Bacon, 
Vanini  u.  \.  haben  durch  ihre  Lebensschicksale  den   Lauf  der  Kultur 


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Zur  Metbodenlehr«  der  Iiio?mphik. 


29 


vielleicht  entscheidender  bestimmt,  als  die  imposantesten  philosophischen 
Systeme  ihrer  Zeit.  Ja,  selbst  eine  so  tragende  geistige  Persönlichkeit  wie 
Giordano  Bruno  map  vielleicht  durch  sein  tragisches  Geschick  und  seinen 
Märtyrertod  den  Kulturfortschritt  mit  einem  mächtigeren  Ruck  gefördert 
haben,  als  durch  die  gewaltige  Geistesthat  seines  naturalistischen  Pantheismus. 
Und  so  ist  noch  bei  manchem  Denker  sein  Leben  ein  Stück  —  mitunter 
selbst  das  beste  Stück  —  seiner  Philosophie. 

Das«?  nun  aber  ein  solches  Leben  nach  völlig  anderen  Gesichts- 
punkten und  unter  Hervorhebung  und  Herausarbeitung  ganz  andersartiger 
Momente  dargestellt  sein  will,  wie  das  irgend  eines  Heerführers  oder 
Künstlers,  leuchtet  ohne  Weiteres  ein.  Koramt  es  hier  mehr  auf  die  Thaten 
an.  so  dort  vornehmlich  auf  die  Gesinnung,  zumal  diese  zuweilen  die 
höchste  That  ist.  Daraus  folgt,  dass  sich  für  die  historische  Seite  der 
Biographik  allenfalls  ein  allgemeiner,  für  alle  Biographien  gültiger,  vom 
behandelten  Objekt  unabhängiger  Kanon  aufstellen  lässt.  dass  hingegen  mit 
Rücksicht  auf  die  ethische  Wirkung  der  Biographie  eine  Scheidung  nach 
Objekten  erforderlich  ist.  Besteht  die  psychologische  Kunst  des  Biographen 
in  der  feinsinnigen  Herautfhebung  derjenigen  Eigenschaften  seines  Helden, 
die  diesen  zu  einem  solchen  stempeln,  so  ist  es  klar,  dass  bei  der  Biographie 
eines  Philosophen  z.  B.  völlig  anders  geartete  Eigenschaften  in  Betracht 
kommen,  als  bei  anderen  Berufsarten,  ja  dass  die  gleichen  Eigenschaften 
in  verschiedenen  Berufen  verschiedenen,  häutig  sogar  einen  entgegengesetzten 
Werth  haben.  Wollte  Jemand  in  der  Biographie  Descartes'  z.  B.  sein  Ver- 
halten als  Militär  ins  Auge  fassen,  so  müsste  er  zu  einer  Vcrurtheilung 
seines  Charaeters  gelangen.  Denn  beherztes  Zugreifen,  rasch  entschlossenes 
DrauHosfahren  —  sonst  die  auszeichnenden  Merkmale  des  tüchtigen 
Militärs  —  waren  Descartes'  Sache  nicht  —  zum  Schaden  seiner  militärischen, 
aber  zum  Glück  seiner  philosophischen  ( Karriere.  Jeder  Beruf  hat  wie  seine 
eigene  Moral,  so  auch  seine  eigene  Psychologie.  Was  am  Lebensgang  eines 
Goethe  packt  und  interessirt,  das  lässt  uns  an  dem  des  ebenbürtigen  deutschen 
Geistes  Leibniz  völlig  kalt.  Ueber  die  Sesenheimer  Friederike  erscheinen 
dicke  Bände,  entspinnen  sich  noch  jetzt  ernsthafte  litterarische  Fehden,  die 
von  den  Besonnensten  vielleicht  belächelt,  aber  doch  immerhin  geduldet 
werden.  Jedenfalls  gilt  es  als  zulässig,  dass  diese  oder  jene  Jngendttamine 
eines  grossen  Dichters  den  ( Gegenstand  ernster  litterar-historiseher  Forschung 
abgiebt.  Wie  würde  es  nun  aber  ein  Historiker  der  Philosophie  aufnehmen, 
wenn  ihm  eine  dickleibige  Monographie  über  die  romantische  Vorgeschichte  der 
natürlichen  Tochter  von  Descartes  oder  des  natürlichen  Sohnes  von  Leibniz 
zugemuthet  würde?  Eisiger  Hohn  und  die  untcrete  Schicht  des  Papier- 
korbes wären  die  typische  Antwort  darauf.  Keinem  Historiker  der 
Philosophie  fällt  es  bei.  den  .Liebesverhältnissen  seiner  Helden,  die  in  den 
Biographien  der  Dichter  einen  so  berechtig  breiten  Baum  einnehmen,  auch 
nur  nachzuspüren.    Was  für  die  Psychologie  des  Dichtere  und  für  die 


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Biographische  Blatter. 


Vertiefung  des  Verständnisses  seiner  Werke  von  fundamentaler  Bedeutuni? 
sein  mag,  da«  sinkt  unter  Umständen  in  der  Lebensbeschreibung:  des  Philo- 
sophen zur  quantite  negligeable  herab. 

Damit  soll  keineswegs  ausgesprochen  werden,  dass  in  der  Biographie 
des  Philosophen  intim  Persönliches  oder  kleinliche,  alltägliche  Lebensvor- 
gänge überhaupt  keine  Stelle  einnehmen  dürfen.  Es  ist  vielmehr  auch  der 
umgekehrte  Fall  denkbar,  dass  ein  so  unscheinbarer  Vorgang,  wie  beispiels- 
weise die  Aufzählung  der  Lieblingsgctränke  und  Leibspeisen,  die  in  dei 
Biographie  des  Dichters  belanglos  ist.  in  der  des  Philosophen  von  piquantesteni 
Reiz  und  würzigstem  Duft  sein  kann.  Was  liegt  nicht  alles  für  bitterer  Humor 
und  feine  Psychologie  in  jenem  Faustischen  Zug.  den  uns  die  Biographen 
Schopenhauers  breitspurig  schildern,  wonach  dieser  capricitt.se  Wcltverneincr, 
der  in  der  Ertödtung  aller  Fleischeslust  und  gewaltsamen  Niederringung  des 
Willens  zum  Leben  Sinn  und  Ziel  der  Menschheitsentwicklung  erblickte,  täglich 
Wein-  und  Speisekarte  des  „Englischen  Hofs"  —  des  damals  vornehmsten 
Restaurants  Frankfurts  —  mit  Kennerblick  musterte  und  so  den  Willen 
zum  Leben  in  der  denkbar  gröbsten  Form,  der  der  Gourmandise.  unge- 
brochen perpetuirte!  Oder  wie  charakteristisch  für  die  Weltanschauung  des 
Pessimismus  ist  der  Umstand,  dass  die  Dichter  und  Denker  grossen  Stiles, 
die  den  Weltschmerz  künden,  wie  Petrarca,  Pascal,  Rousseau,  Leopardi, 
Byron,  Heine,  Schopenhauer,  Hartmann.  Mainlaender.  Nietzsche  sammt  und 
sonders  entweder  direkte  Epileptiker  und  sonstwie  geistig  hereditär  Be- 
lastete, oder  von  einem  chronischen  Leiden  befallene  Individuen  gewesen 
sind.  Und  endlich  noch  ein  letztes  bezeichnendes  Beispiel,  welche  Schlüsse 
sich  aus  einem  sonst  untergeordneten  biographischen  Detail  auf  die  Welt- 
anschauung eines  Denkers  ziehen  lassen.  Wenn  wir  z.  B.  vom  Arzt 
G.  H.  Schuller,  dem  Intimus  Spinozas,  durch  seinen  jüngst  publizirten 
Briefwechsel  mit  Leibniz  authentisch  erfahren,  dass  Spinoza  erblich  belasteter 
Phthisikcr  war  —  B.  de  Spinoza  vereor.  ut  brevi  nos  derelicturus  sit.  cum 
phthisis  (morbus  ipsi  haereditarius)  in  dies  ingravescere  videantur, 
schreibt  Schuller  an  Leibniz  ,  dann  erklärt  sich  so  Manches  in  der 
Handlungsweise  sowohl  als  auch  in  der  schriftstellerischen  Eigenart  dieses 
Denkers,  und  dieser  erst  jetzt  bekannter  gewordene  Umstand  wirft  ein 
neues,  überraschendes  Licht  auf  das  herrliche  Charakterbild  dieses  erhabenen 
Weisen. 

Die  Hervorhebung  dieser  für  die  Biographie  eines  Philosophen  charakte- 
ristischen Details,  die  sich  nur  auf  einzelne  typische  Beispiele  beschrankte, 
die  aber  bei  einer  erschöpfenden  Behandlung  des  Gegenstandes  ins  Unge- 
messene weiter  geführt  werden  könnte,  sollte  nur  an  einigen  besonders  in 
die  Augen  fallenden  Momenten  darthun.  dass  neben  den  allen  Biographien 
gemeinsamen  methodischen  Regeln  und  Forderungen  sich  auch  spezielle,  mit 
dem  Objekt  der  Biographie  wechselnde  Normen  aufstellen  lassen.  Die 
rudimentäre,  an  alle  ernsthaften  Biographen  zu  stellende,  unabweisliche 


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Zur  Metiiodenlehre  der  BioLrraphik. 


31 


Forderung  ist  natürlich  diese,  dass  sie  die  fach  technische  Vorbildung, 
die  zum  vollen  Verständniss  und  zur  erschöpfenden  Würdigung  der  Leistung 
ihres  Helden  unumgänglich  ist,  sich  in  möglichst  hohem  Grade  aneignen. 
Wie  man  ohne  gewisse  kriegstechnische  Kenntnisse  niemals  die  abschliessende 
Biographie  eines  grossen  Feldherrn  verfassen  könnte,  so  ergeht  es  den 
Biographen  aller  höheren  Berufe:  sie  müssen  sich  in  den  oder  die  Berufe 
ihrer  Helden  ganz  hineindenken  und,  wo  es  erforderlich,  technisch  hinein- 
arbeiten, um  ihrer  grossen  Aufgabe  ganz  gewachsen  zu  sein.  Indem  ich  es 
nun  den  kompetenten  Biographen  anderer  Berufsarten  anheimgebe,  die  auf 
ihrem  Gebiet  sich  ergebenden  eigenartigen  Schattirungen  und  spezifischen 
Forderungen  an  eine  biographische  Kunst  zu  forrauliren.  sei  hier  der  Ver- 
such gemacht,  einige  Hauptpunkte  über  den  Werth  und  die  Weise  der 
biographischen  Kunst  im  Dienste  der  philosophiegeschichtlichen  Forschung 
herauszuheben.  Weit  davon  entfernt  das  Schema  einer  „Philosophen- 
Biographie"  aufstellen  zu  wollen,  sollen  die  nachfolgenden  Bemerkungen 
vielmehr  nur  dazu  dienen,  eine  Frage  in  Fluss  zu  bringen,  die  für  den 
litterarhistorischen  Wissenschaftsbetrieb,  der  durch  eine  empfindliche  Anzahl 
von  Auswüchsen  und  bis  zur  Karrikatur  herabgesunkenen  Übertreibungen 
dem  täglich  wachsenden  Vorwurf  des  öden  Alexandrinismus  ausgesetzt  ist, 
von  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung  und  Tragweite  sein  dürfte. 

IV. 

Die  Anfänge  einer  Historiographie  der  menschlichen  Gedanken  liefern 
uns  ein  warnendes  Beispiel  dafür,  wie  farblos  und  blutleer  die  geschicht- 
liche Darstellung  philosophischer  Theoreme  bleibt,  wenn  sie,  auf  den  intimen 
Reiz  des  Persönlichen  verzichtend,  nur  abstrakte  Gedankengänge  reproduzirt. 
Die  ersten  Anläufe  zu  einer  philosophiegeschichtlichen  Darstellung,  wie  sie  im 
ersten  Buch  der  Metaphysik  des  Aristoteles,  in  den  erhaltenen  Trümmern  der 
18  Bücher  O'joixaw  do£oiv  seines  Nachfolgers  Theophrast,  und  in  den  von 
Hermann  Diels  in  seinem  grundlegenden  Werk  „Doxographi  graeei"  zu- 
sammengestellten philosophicgeschichtlichen  Überresten  der  bezüglichen 
Werke  des  Aetius,  Arius  Didymus.  Plutarch,  Galen  u.  A.  vorliegen,  ent- 
halten so  gut  wie  nichts  Biographisches.  Aber  die  mangelnde  Beachtung,  welche 
dieDoxographenbei  ihren  Zeitgenossen  und  der  nächsten  Folgezeit  gefunden  haben, 
—  sie  sind  ja  zum  grössten  Theil  verloren  gegangen  und  nur  fragmentarisch 
erhalten  — ,  zeigt  zur  Genüge,  wie  fehlerhaft  ihre  methodische  Anlage 
war  und  ein  wie  geringes  Interesse  sie  infolgedessen  einzuflössen  vermochten. 
Und  dies  mit  vollem  Recht.  Die  chronologische  Aneinanderreihung  und 
statistisch  trockene  Vorführung  abstrakter  Gedankengebilde  wirkt  auch  auf 
den  geduldigsten  Leser  auf  die  Dauer  ermüdend  und  abspannend.  Die 
schematisch  aneinandergereihten  Gedanken  erscheinen  matt  und  blass;  sie 
kreuzen  und  verwischen  sich,  und  dies  schon  aus  mnemotechnischen  Gründen. 
Unser  Gedächtnis«  fordert  Anhaltspunkte,  verlangt  Ruhepausen  zum  Atliem- 


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32 


Biographische  Blatter. 


liolen.  Wenn  aber  die  abstrakten  Gedanken  in  monotonen  Linien,  gleichsam 
im  geschichtlichen  Gänseschritt,  wie  leblose  Drahtpuppen  von  gleicher 
Grösse  und  Farbe  an  uns  vorübertrippeln,  dann  fehlen  jene  charakteristischen 
Kinschnitte,  deren  das  Gedächtniss  zur  Einprägung  der  Differenzpunkte  so 
dringend  bedarf,  und  die  vorgeführten  Gedanken  verschwimmen  in  einander 
und  zerttiessen  zu  einem  gedanklichen  Urbrei.  Dieser  Beobachtung  wird 
sich  Niemand  entziehen  können,  der  nicht  mit  dem  Auge  des  grüblerischen 
Forschers,  sondern  mit  dem  des  unbefangen  geniessenden  Lesers  beispiels- 
weise die  Ekloge  oder  Florilegien  des  Stobaeos  neben  den  Apophthegmen 
des  Diogenes  Laörtes  liest.  Dort  der  solide,  zuverlässige  Bericht  über 
Gedanken,  hier  die  mit  spielerischer  Freude  eingestreuten,  in  das  Gedanken- 
gewebe  eingeflochtenen  biographischen  Skizzen;  dort  dürre  Schemen,  hier 
warm  pulsirendes  Leben.  Die  Forschung  mag  ja  Stobaeos  ebensoviel  oder 
noch  mehr  verdanken  als  dem  Laertier  Diogenes;  aber  für  die  Weckung 
des  Interesses  an  der  Philosophie  und  ihrer  Geschichte  hat  Diogenes, 
dessen  Buch  im  dreizehnten  Jahrhundert  von  Walther  Burleigh  und  im 
fünfzehnten  von  Boninsegnius  und  Arzignano  aufgefrischt  worden  ist,1) 
sicherlich  mein-  geleistet,  als  alle  Doxographen  des  Alterthums  zusammen- 
genommen. Und  schliesslich  kommt  ja  auf  die  Weckung  eines  solchen 
Interesses  Alles  an.  Was  nützen  dem  Forscher  seine  Resultate,  wenn  sie 
Niemanden  interessiren?  Das  wäre  ein  Fahren  auf  todtem  Geleise  —  ein 
wissenschaftlicher  König  Johann  ohne  Land! 

Abgesehen  aber  von  den  äusseren  Vortheilen,  die  das  Biographische 
der  philosophiegeschichtlichcn  Forschung  gewährt:  —  die  Belebung  und 
Yerpersönlichung  der  Gedanken,  die  schärfere  Ausprägung  der  Gedanken- 
u  nters.ehiede  und  die  damit  verbundene  mnemotechnische  Erleichterung, 
die  Weckung  und  Förderung  philosophiegeschichtlichen  Interesses  — ,  kommen 
noch  eine  Reihe  innerer  Gründe  für  den  Werth  des  Biographischen  im 
Dienste  der  philosophiegeschichtlichen  Forschung  und  Darstellung  in  Betracht. 
Der  Philosoph  ist  eben  keine  blosse  Gedankenmaschine,  in  dessen  Gehirn 
die  Gedankenfäden  mechanisch  ineinandergreifen  und  sich  von  selbst  zu 
einem  Gewebe  verknüpfen.  Hinter  dieser  Maschine  steht  vielmehr  als 
ständiger  Dirigent  das  Ich  des  Philosophen,  das  die  Fäden  nach  Aus- 
wahl sorgsam  scheidet  und  sichtet,  damit  das  ihm  vorschwebende  Muster 
im  gewünschten  Farbenton  zu  Stande  kommt.  Dieses  Ich  ist  aber  allerlei 
Strömungen,  Stimmungen  und  ihren  Einflüssen  unterworfen.  Geistige  Ver- 
erbung, natürliche  Anlagen,  Lehrer  und  Mitschüler,  Lebenserfahrung  und 
Lektüre  konstituiren  eben  dieses  Ich,  das  überdies  ein  ttiessendes  ist.  Eine 
neue  Bekanntschaft,  sei  es  die  einer  Persönlichkeit,  einer  Wissenschaft, 
eines  Buches  oder  einer  technischen  Erfindung  kann  diesem  Ich  unter  Um- 
ständen eine  völlig  andere  Biegung  geben,  zuweilen  sogar  eine  entgegen- 

r)  \V|.  meine  Abhandlung  „Die  erste  Geschichte  der  antiken  Philosophie  in  der 
Neuzeit"  in  m.  Archiv  für  Geschichte  der  Philosophie,  Bd.  I,  534  ff. 


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Zur  Methodenlehre  der  Biographik. 


gesetzte  Richtung  des  Denkens  vorzeichnen.  Um  also  die  tragenden  Ge- 
danken der  Philosophen  nicht  bloss  in  ihrer  Genesis  zu  begreifen,  sondern 
in  ihrem  natürlichen  Zusammenhange  zu  erfassen  und  in  ihren  Folgen 
zu  uberschauen,  muss  das  ökonomische,  geistige  und  sittliche 
Milieu,  aus  welchem  der  grosse  Denker  hervorgewachsen  ist,  zunächst 
festgestellt  werden.  Denn  vielfach  ist  es  ja  nur  das  geistige  Milieu,  das 
im  Philosophen  als  seinem  typischen  Repräsentanten  denkt.  Und  gerade 
die  volkstümlichsten  Denker,  die  ihrer  Zeit  gleichsam  die  Zunge  lösen, 
die  nur  in  eine  knappe  Formel  pressen,  was  aller  Welt  längst  auf  den 
Lippen  geschwebt  hat,  ohne  dass  sich  vorher  der  erlösende  Ausdruck  dafür 
eingestellt  hätte  —  gerade  solche  Denker  sind  ja  nichts  weiter  als  das 
personifizirte  Milieu.  Einzelne  überragende  Geister  wachsen  ja  über  ihr 
Milieu  hinaus  und  schaffen  ein  neues.  Aber  selbst  dieses  ihr  Hinaus- 
wachsen über  ihr  Milieu  kann  nur  begriffen  werden,  wenn  zuvor  dasjenige, 
in  welchem  sie  geworden  sind,  in  seiner  Wesenheit  festgehalten  und  in 
seiuer  Wirkung  auf  den  betreffenden  Denker  analysirt  wird. 

Glückliche  Beispiele  zur  Illustrirung  dieses  Gedankenganges  liefern 
uns  zwei  hervorragende  philosophiegeschichtliche  Publikationen  der  jüngsten 
Zeit:  die  im  Erscheinen  begriffenen  Griechischen  Denker  von  Theodor 
Gomperz  nach  der  positiven,  die  Geschichte  der  Philosophie  von 
W.  Windel  band  (1892)  nach  der  negativen  Seite.  Bei  dem  gesicherten 
Credo  Willielm  Windelbands,  der  durch  seine  zweibändige  Geschichte  der 
neueren  Philosophie  und  die  in  zweiter  Auflage  erschienene  Geschichte  der 
antiken  Philosophie,  in  denen  er  das  biographische  ebenso  wie  das  im 
weitesten  Sinne  kulturgeschichtliche  Material  mit  feinsinnigem  Verständniss 
herbeizuziehen  und  mit  erlesenem  Takt  auszumünzen  verstanden  hatte,  konnte 
er  vor  einiger  Zeit  das  gewagte  Experiment  machen,  einmal  einen  historischen 
Querschnitt  durch  die  philosophischen  Probleme  ohne  Berücksichtigung  des 
Biographischen  zu  versuchen.  Er  schrieb  eine  „  Geschichte  der  Probleme 
und  Begriffe"  und  verzichtete  geflissentlich  auf  den  „ästhetischen  Zauber, 
welcher  dem  individuellen  Eigenwesen  der  grossen  Träger  jeher  Bewegung 
innewohnt,  und  welcher  dem  akademischen  Vortrage  wie  der  breiteren 
Darstellung  der  Geschichte  der  Philosophie  seinen  besonderen  Reiz  verleiht." 
Ist  nun  dieses  Experiment  geglückt?  In  den  Augen  des  Forschers  vor- 
trefflich, in  denen  des  Lesers  wohl  kaum!  So  werthvoll  und  anziehend 
dem  Kenner  der  Probleme  die  geistvolle  Zusammenfassung  Windelband's 
auch  ist,  so  wenig  eignet  sich  das  treffliche  Buch  zur  Einführung  in  das 
Studium  der  früheren  Denker.  Der  allen  Menschen  eigene  Trieb  nach 
Substanzialisirung  und  Personifizirung  fordert  instinktiv  zu  jedem  GJedanken 
die  Persönlichkeit  des  Denkers  hinzu;  der  abstrakte  Gedanke  erhält  erst 
Leben  und  Farbe,  wenn  er  in  einer  grossen  Persönlichkeit  verkörpert 
erscheint.  Und  schliesslich  klebt  ja  so  manchem  grossen  Gedanken  noch  der 
Erdgeruch  seines  Entstehnngsortes,  das  eigenthümliclie  Aroma  seiner  Ent- 

Blographische  Blatter.  I.  3 


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Biographische  Blatter. 


stehungszeit  und  der  persönliche  Zauber  seines  Hervoruringers  an.  Man 
spricht  mit  vollem  Recht  von  grossen  Gedanken,  die  echt  griechisch,  römisch, 
deutsch,  englisch,  französisch  sind,  weil  sie  nur  vom  betreffenden  Volk  zu 
einer  gegebenen  Zeit  von  einer  bestimmten  Persönlichkeit  erzeugt  werden 
konnten.  Es  giebt  gewisse  geistige  Atmosphären,  litterarische  und  künst- 
lerische Milieus,  die  ihre  typischen  Repräsentanten  mit  der  Gewalt  einer 
Naturnotwendigkeit  hervortreiben.  Empfindungen  und  Gedanken  haben 
vielfach  gewisse  vom  Klima,  von  der  Bodenbeschaffenheit  und  der  historischen 
Tradition  abhängige  nationale  Schranken.  Der  gebildete  Engländer  denkt 
im  Durchschnitt  Anderes  und  anders  als  der  dem  gleichen  Bildungsniveau 
angehörende  Franzose  —  von  Deutschen  und  Franzosen  im  gegebenen 
historischen  Augenblick  gar  nicht  zu  sprechen.  Das  Alles  zeigt,  dass 
gewisse  Gedanken  nicht  „zollfrei",  nicht  von  selbstverständlicher  Welt- 
bürgerlichkeit  sind,  vielmehr  ihr  „Ursprungsattest"  unverkennbar  mit  sich 
tragen.  Die  volle  Eigentümlichkeit  eines  grossen  philosophischen  Ge- 
dankens kann  daher  nur  dann  durchgreifend  erfasst  werden,  wenn  er  von 
der  Persönlichkeit  des  Trägers  dieses  Gedankens  durchsonnt  und  der 
Schilderung  des  Milieus,  in  welchem  dieser  Gedanke  entstanden  ist,  durch- 
leuchtet wird.  Wie  man  den  Mann  nur  innerhalb  seiner  Kulturbedingungen 
begreift  —  Windelband  hat  dies  in  seinen  früheren  Schriften  glänzend 
gezeigt  —  so  den  Gedanken  dieses  Mannes  nur  im  Zusammenhange  der 
Zeit  und  ihrer  Strömungen. 

Nimmt  man  nun  aber  die  drei  bisher  erschienenen  Hefte  von  Theodor 
Gomperz'  „Griechischen  Denkern"  zur  Hand,  dann  begreift  man  psychologisch 
die  warme  Zustimmung  der  Fachkreise,1)  wie  den  jubelnden  Wicderhall,  den 
diese  neueste  „Geschichte  der  griechischen  Philosophie"  bei  hervorragenden 
Männern  anderer  Berufskreise  —  man  denke  an  Speidel  und  den  unvergess- 
lichen  Billroth  —  geweckt  hat.  Dass  dieses  Buch  ein  litterarisches  Ereigniss 
geworden  ist,  verdankt  es  nebeu  seinen  vielen  sachlichen  und  stilistischen 
Vorzügen  nicht  zuletzt  seiner  ebenso  feinfühligen  wie  diskreten  Herbei- 
ziehung und  Ausgestaltung  des  biographischen  Materials.  Schon  der  Titel 
„Griechische  Denker"  deutet  die  enge  Zusammengehörigkeit  von  Gedachtem 
und  Denkendem  leise  an.  Wie  glücklich  ist  nun  Gomperz  in  der  Durch- 
führung dieser  durch  den  Titel  sich  stillschweigend  kundgebenden  Absicht, 
die  Persönlichkeit  der  Denker  schärfer  hervortreten  zu  lassen.  Aber 
auch  die  Schilderung  des  Milieus,  das  diese  Persönlichkeiten  gezeitigt  hat, 
ist  eine  dermassen  gelungene  und  für  die  Anlage  des  ganzen  Buches 
charakteristische,  dass  ich  in  ihr  die  hervorstechendste  schriftstellerische 
Eigenart  dieser  Meisterhand  zu  erblicken  geneigt  bin. 

Schon  die  einführenden  Bemerkungen  über  „Land  und  Leute"  ent- 
rollen ein  stimmungsvolles  Kulturbild  des  alten  Hellas.   Neben  der  Hervor- 

')  So  neuerdings  K,  Wellmann.  Arohiv  für  Oschkhte  der  Philosophie.  Band  VIII, 
1895,  S.  2*4  -2U0. 


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Zur  Methodcnlehre  der  Biographik. 


hebang  der  politischen  und  sozialen  Zustände  gelangen  auch  —  und  das 
ist  ein  eminent  wichtiges  Novum  —  die  ökonomischen  Bedingungen  in 
ihrer  Wirkung  auf  die  Gesammtkultur  zu  ilirem  Recht.  Wenn  von  Böotien, 
der  Heimath  Hesiods,  berichtet  wird,  dass  dort  „die  Luft  minder  leicht 
und  der  Menschensinn  minder  heiter  war  als  in  allen  anderen  Theilen  von 
Hellas",  und  dass  „Bauernkraft  und  Bauernverstand  das  gewaltige  Werk 
—  die  Theogonie  ist  gemeint  —  verrichtet  haben",  so  steht  die  kernhafte, 
kraftstrotzende  Figur  dieses  „Römers  unter  Griechen"  so  lebendig  und 
plastisch  ausgemeisselt  vor  uns,  dass  wir  ihm  förmlich  zusehen,  wie  er 
mit  „strenger  Ordnungsliebe  und  peinlichem  Sparsinn"  es  anstellt,  „das 
Inventar  der  Götterwelt"  aufzunehmen  (S.  31  ff.).  In  wenigen  Strichen 
wird  hier  ein  Milieu  gezeichnet,  das  sich  als  wahre  Fundgrube  charakte- 
ristischer Züge  offenbart.  In  einem  einzigen  Satz  werden  die  gegensätzlichen 
Charaktere  von  Homer  und  Hesiod  aus  ihrein  respektiven  Milieu  erklärt 
und  in  packendster  Anschaulichkeit  einander  gegenüber  gestellt:  „Die 
fessellos  waltende,  durch  Widersprüche  der  Sage  wenig  beirrte  Phantasie 
jonischer  Sänger  ist  der  hausbackenen,  systemisirenden  Weisheit  des 
böotischcn  Landmannes  nicht  weniger  entgegengesetzt,  als  der  stolze,  ge- 
hobene Lebensmuth  ihrer  adligen  Hörer  sich  von  dem  düstern  Sinn  der  ge- 
drückten Bauern  und  Ackerbürger  abhebt,  für  welche  Hesiod  gedichtet  hat". 

überhaupt  versteht  es  Gomperz  meisterlich,  aus  der  Schilderung  der 
I  Landschaft,  die  den  grossen  Denker  erzeugte  oder  beherbergte,  reiches 
Material  für  die  Artung  seiner  Gedanken  zu  gewinnen.  Einem  Heraklit, 
der  eigenartigsten  Denkernatur  des  Alterthums,  ersetzt  die  Landschaft  den 
Lehrmeister.  „Einsamkeit  und  Naturschönheit  waren  die  Musen  Heraklits". 
„Wenn  der  sinnende  Knabe  auf  den  zauberisch  schönen,  von  beinahe 
tropisch  üppigem  Pflanzenwuchs  bedeckten  Höhen  umherschweifte,  die 
seine  Vaterstadt  umkränzen,  da  stahl  sich  manch  eine  Ahnung  des  All- 
liebens und  der  in  ihm  waltenden  Gesetze  in  seine  wissensdurstige  Seele" 
(S.  50).  Die  geistvolle  Rückkonstruirung  der  Biographie  Heraklits  aus 
seinen  deutungsreichen  Fragmenten  S.  51  ff.  sei  nur  im  Vorübergehen  mit 
einem  Worte  gestreift.  Ebenso  sei  auf  die  effektvolle  schriftstellerische 
Gegenüberstellung  von  Einst  und  Jetzt,  welche  die  Darstellung  zu  künst- 
lerischer Wirkung  erheben,  nur  kurz  verwiesen.  Bei  Elea,  der  Heimath 
der  elektischen  Philosophie,  wird  S.  127  daran  erinnert,  dass  „der  alte  Name 
heute  nur  mehr  an  einem  einsam  ragenden  Thurme  haftet",  bei  Kroton,  der  ehe- 
maligen Pflanzstätte  der  pythagoreischen  Philosophie,  wird  S.  82  hervorgehoben, 
dass  „diese  Stätte  heute  verödet  daliegt,  während  sein  Name  an  dem  arm- 
seligen Fischerdorf  Cortona  haftet",  während  die  Topographie  von  Abdera, 
das  man  mit,  demselben  Recht  die  Stadt  des  Atomismus  nennen  könnte 
wie  man  Königsberg  die  der  reinen  Vernunft  betitelt.  Gomperz  heute  noch 
gestattet.  Hippokrates  bei  seinen  Krankenbesuchen  zu  begleiten,  die  ihn 
einmal  zum  „Thrakischen  Thor",  ein  andermal  in  die  ..heilige  Strasse"  und 

:{* 


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Biographische  Bllittor. 


in  die  „Hochstrasse"  geführt  haben!"  Wer  sieht  nicht  das  von  der  Legende 
überlieferte  Zusammentreffen  des  Hippokrates  mit  Demokritos  leibhaftig 
vor  sich,  wenn  der  neckische  Pinsel  des  mit  Worten  malenden  Gomperz 
diese  einzige  Szene  wie  folgt  festhält:  „Und  so  mag  auch  jenes  Gartenhaus 
hinter  einem  Thurm  der  Stadtmauer  und  die  schartenreiche  Platane,  unter 
deren  Laubdach  der  abderitische  Weise  mitten  unter  Schriftrollen  und 
geöffneten  Thierleibern  auf  seinem  Knie  schreibend  von  dem  grossen  Arzt 
angetroffen  ward  —  dieses  Bild  der  Legende  mag  sich  von  der  Wirklich- 
keit nicht  allzuweit  entfernen",  S.  254. 

Neben  der  Schilderung  der  Landschaft  kommt  bei  der  Feststellung 
des  Milieus  die  Ermittlung  der  Rasse  wesentlich  in  Betracht.  Da  wir, 
bei  den  antiken  Denkern  zumal,  von  dem  Klternpaar  des  Denkers  in  der 
Regel  nichts  erfahren,  so  müssen  zum  Mindesten  die  Rassenmerkmale, 
soweit  sie  sich  rekonstruiren  lassen,  kräftig  betont  und  herausgearbeitet 
werden.  Als  ein  glückliches  Beispiel  der  Kennzeichnung  dieser 
Seite  des  Milieus  greife  ich  bei  Gomperz  die  knappe  Charakteristik  von 
Thaies,  dem  „Ahnherrn"  der  griechischen  Philosophie,  heraus.  „Dieser 
ausserordentliche  Mann  war  das  Produkt  einer  Rassenkreuzung:  griechisches, 
karisches  und  phönizisches  Blut  floss  in  seinen  Adern",  S.  39. 

Für  die  Bildung  des  geistigen  Horizonts  eines  Denkers  ist  auch 
die  Stellung  von  Kunstfleiss,  Gewerbe  und  Handel  zur  Zeit  seines 
Auftretens  nicht  ohne  Belang.  Wären  nicht  auf  der  Insel  Samos.  dem 
Geburtsland  des  Pythagoras,  im  sechsten  Jahrhundert  „Schifffahrt,  Handels- 
betrieb und  Kunstfleiss"  heimisch  gewesen,  S.  81,  so  hätte  Pythagoras  wohl 
kaum  so  leicht  den  weiten  geographischen  Gesichtskreis  erlangt,  in  ent- 
legene Fernen  zu  schweifen,  um  in  fremden  Ländern  verborgene  Wissens- 
schätze zu  heben  und  nach  Hellas  zu  verpflanzen.  So  absonderlich  es 
auch  klingen  mag,  so  bleibt  es  darum  nicht  weniger  wahr,  dass  der 
Gedankenaustausch  der  Völker  erst  ihrem  Warenaustausch  auf  dem  Fusse 
zu  folgen  pflegt.  Die  geistige  Zurückgebliebenheit  einzelner  Völker  lässt 
sich  nicht  selten  an  ihrem  Abstände  von  der  Küste  messen.  Je  weiter 
eine  Kultur  von  der  unsrigen.  im  „Zeichen  des  Verkehrs"  stehenden  zeitlich 
zurückliegt,  um  so  mehr  Gewicht  ist  bei  der  Feststellung  des  Milieus  wie 
auf  die  klimatischen,  somatischen  und  terrestrischen  Bedingungen,  so  be- 
sonders auch  auf  die  geographische  Lage,  auf  Kunstfleiss.  Gewerbe  und 
Handel  zu  legen. 

Das  Temperament  des  Volksthums,  dem  der  zu  behandelnde  Denker 
angehört,  das  freilich  vielfach  Produkt  des  Klimas  und  der  terrestrischen 
Lage  ist,  darf  bei  der  Abschätzung  der  geistigen  Individualität  des  be- 
treffenden Denkers  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden.  Einem  nordischen 
Denker  kann  gar  leicht  etwas  als  Fehler  vorgerückt  werden,  was  bei  einem 
südländischen  natürlich  erscheint,  ja  ihm  unter  Umständen  sogar  vortrefflich 
zu   Gesichte    steht.     Selbstgefälligkeit  und   Ruhmredigkeit  würden  wir 


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Zur  Methodenlehre  der  BiogTaphik. 


bei  einem  Kant  gar  nicht  begreifen,  bei  einein  Cointe  fast  vermissen. 
Auch  dafür  möge  ein  prächtiges  Beispiel  von  Gomperz*  glücklicher  Er- 
fassnng  des  Milieus  hier  eine  Stelle  finden.  Um  der  Persönlichkeit  des 
Empedoeles  gerecht  zu  werden,  in  welcher  „das  echte  Gold  gediegenen 
Verdienstes  mit  dem  Flittergold  wesenloser  Ansprüche  so  seltsam  gemengt 
ist",  wird  das  Temperament  seiner  Landsleute  wie  folgt  eharakterisirt: 
„Ein  Hang  zur  Schaustellung  und  zur  Äusserlichkeit  scheint  den  Bewohnern 
der  Insel,  welche  die  Wiege  der  Rhetorik  gewesen  ist,  von  altersher 
im  Blut  zu  liegen.  An  den  Trümmern  der  Tempel,  welche  die  Hügel  um 
Girgenti  krönen,  befremdet  uns  ein  Zug  zum  Grellen,  zum  Effektvollen  und 
übertriebenen",  S.  185.  Wie  feinsinnig  ist  hier  Sicilien  als  die  Wiege  der 
Rhetorik  zur  Entschuldigung  der  überbeweglichen  Psychologie  des  Empedoeles 
verwerthet,  und  wie  diskret  sind  hier  die  reichen  archäologischen  und 
kunstgeschichtlichen  Kenntnisse,  die  der  Gompcrz  sehen  Darstellung  so  sehr 
zu  statten  kommen,  im  Dienste  der  philosoplüegeschichtlichen  Forschung 
herbeigezogen! 

Endlich  sei  noch  die  Wiclüigkeit  der  Betonung  der  Berufe,  denen 
das  Privatleben  des  Denkers  gewidmet  war,  flüchtig  hervorgehoben.  Dass 
dem  „Wasserträger"  Kleanthcs  gewisse  rauhe,  herbe  Züge  eignen,  die  ihn 
auch  gedanklich  von  seinem  geschmeidigen,  nur  zu  elastischen  Nachfolger 
im  stoischen'  Lehramt  Chrysipp  scheiden,1!  dass  der  ehemalige  „Sklave" 
Epictet  eine  härtere  Gedankenbiegung  vertritt,  als  sein  Vorgänger,  der 
aalglatte  und  geschniegelte  Höfling  Seneca,  und  sein  kaiserlicher  Nachfolger 
Marc  Aurel,  dass  der  „»Sackträger"  Amnionitis  wuchtiger  und  entschlossener 
vorgegangen  ist,  als  sein  feingebildeter,  alle  Denkelemente  der  Vorzeit  in  sich 
aufnehmender  Schüler  Biotin,  dass  der  Görlitzer  Schuster  Jakob  Böhme  die 
Mystik  markiger  zusammengehämmert  und  schärfer  zurechtgespitzt  hat, 
als  seine  kantianisirenden  Verwässerer  Baader  und  Schölling,  sieht  man 
wohl  ohne  Weiteres  ein.  Und  so  lassen  sich  die  Einflüsse  der  Sonderberufe 
der  Denker,  sofern  solche  vorhanden  waren,  wohl  durchgängig  nachweisen. 
Der  „kirchliche"  Beruf  der  mittelalterlichen  Denker,  der  „ärztliche"  Beruf 
bei  Renaissancedenkern  wie  Cardanus  und  Paracelsus,  der  „staatsmännlsehe" 
Beruf  bei  Macchiavelli,  Morus,  Bacon,  der  „Erzieher-  und  Reisebegleiter- 
Beruf"  bei  Hobbes,  Locke  und  Hume,  das  Brillenschleifen  Spinoza  s  u.  s.  w., 
das  Alles  ist  nicht  spurlos  an  den  Systemen  der  betreifenden  Denker 
vorübergegangen.  Leise  und  unvermerkt  schleicht  sich  so  manche  im  Beruf 
erlangte  praktische  Erfahrung  in  das  theoretische  Denken  ein,  um  dort  zu 
einer  generellen  Wahrheit  umgestempelt  zu  werden.  Und  gar  oft  überträgt 
man  auch  im  Beruf  erworbene  Charakterzüge  auf  das  theoretische  Denken. 
Wenn  Gomperz  beispielsweise  dem  Eleaten  Melissos  Unerschrockenheit  des 
Denkens  nachzurühmen  hat,  „gleichviel  ob  ihn  am  Ziel  Hohngeschrei  oder 

')  Vergd.  die  Charakteristiken  dieser  lieiden  stoischen  Schulhliupfer  in  meiner 
Psychologie  der  Stoa  I,  S.  168-  178  und  Krkenntni.s-stheorie  der  Stoa  II,  8.  316—348. 


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Biographische  Blätter. 


.Jubelrufe  erwarten",  so  konnto  dies  kaum  glücklicher  als  durch  die  Be- 
rufung auf  die  nautische  Thätigkeit  des  Melissos  geschehen.  „Der  beherzte 
Admiral  war  ein  Denker  von  vollendeter  Furchtlosigkeit"  (S.  156).  Durch 
diese  Heraushcbnng  des  Admirals  in  Melissos  tritt  uns  diese  absonderliche 
Denkergestalt  menschlich  näher.  Seine  dialektischen  Spiegelfechtereien 
verlieren  den  ihnen  sonst  anhaftenden  ominösen  Beigeschmack,  als  handle  es 
sich  dabei  um  lustige  Capriolen  eines  geistigen  Jongleurs  und  Viertelskopfes 
oder  gar  um  geflissentliches  Falschmtinzerthum;  sie  erscheinen  vielmehr  im 
weit  milderen  Lichte  des  dialektischen  Husarenstttckchens  oder  des  kecken 
Säbelhiebs,  den  der  thatenlustige  Berufssoldat  der  Vernunft  versetzt  Er 
befiehlt  seinen  Gedanken  mit  kurz  angebundenem  Commandowort,  wie  etwa 
seinen  Matrosen,  sich  an  einer  bestimmten  Stelle  zu  gruppiren  und  zum 
Angriff  überzugehen,  ohne  zu  erwägen,  dass  es  in  keiner  Armee  so  schwierig 
ist,  stramme  Disziplin  aufrecht  zu  erhalten  und  seinen  Befehlen  strikte 
Nachachtung  zu  verschaffen,  als  im  Heer  —  der  eigenen  Gedanken. 

Und  noch  ein  Weiteres!  Je  grosser  der  zeitliche  Abstand  ist,  der 
uns  von  einem  Denker  trennt,  und  je  winziger  und  unzuverlässiger  das  über 
ihn  vorhandene  biographische  Material  ist,  desto  schwieriger  wird  es,  seine 
Gestalt  festzuhalten  und  sich  einzuprägen.  Wenn  wir  nicht  viel  mehr  von 
ihm  wissen  als  den  blossen  Namen,  so  verflüchtigt  sich  dieser  sehr  bald 
zum  blossen  Begriff  von  schattenhafter  Unbestimmtheit.  Glückt  es  nun 
aber,  einen  charakteristischen  Zug  aus  seinem  Leben,  insbesondere  seinem 
Berufsleben,  aufzuspüren  und  mit  dem  Charakter  seines  Denkens  unge- 
zwungen zu  verweben,  dann  belebt  sich  sofort  das  schattenhafte  Gebilde, 
und  die  Persönlichkeit  des  Denkers  geht  unverlierbar  in  unsern  geistigen 
Besitz  über. 

So  haben  wir  eine  Reihe  von  Momenten  gefunden,  die  bei  der 
Schilderung  des  Milieus,  das  den  Denker  erzeugt  und  trägt,  nicht  ausser 
Acht  gelassen  werden  sollten.  Dass  daneben  und  vor  Allem  auch  die 
politischen,  sozialen,  rechtlichen,  moralischen,  künstlerischen  und  allgemein 
litterarischen  Faktoren  Berücksichtigung  finden  müssen,  versteht  sich  von 
selbst.  Kein  moderner  Darsteller  der  Geschichte  der  Philosophie  wird  sich 
diese  Faktoren  entgehen  lassen  oder  sie  ungestraft  auch  nur  vernachlässigen 
dürfen,  seitdem  der  Altmeister  Eduard  Zeller  ihre  Unentbehrlichkeit  für 
das  intime  Verständniss  grosser  philosophischer  Bewegungen  für  immer 
dargethan  hat. 

Warum  die  allseitige  Kennzeichnung  des  Milieus  gerade  bei  der  Dar- 
stellung eines  Philosophenlebens  von  besonderer  Wichtigkeit  sein  soll, 
lässt  sich  unschwer  aufzeigen.  Ist  es  doch  die  Aufgabe  der  Philosophie, 
die  Elemente  aller  Wissenschaften  und  Künste  aufzudecken,  mit  einander 
in  Verbindung  zu  setzen,  etwaige  unter  ihnen  sich  ergebende  Unebenheiten 
oder  logische  Widersprüche  zu  glätten  und  auszugleichen,  um  solchergestalt 
eine  einheitliche  Weltanschauung  zu  ermöglichen,  einen  leitenden  Faden 


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Über  den  biographischen  Gehalt  des  altdeutschen  Minnesanges. 


39 


durch  den  chaotischen  Wirrwarr  dieser  kaleidoskopisch  bunten  Mannigfaltig- 
keit, die  sich  Welt  nennt,  herauszufinden!  Wie  nun  der  Philosoph  grössten 
Stiles  Alles  überblicken  muss,  um  es  in  eine  oder  wenige  Formeln  zu 
fassen,  so  muss  auch  sein  Biograph  alle  Elemente  aufzuspüren  suchen,  die 
dieses  gewaltige  Ich  konstituiren.  Jede  andere  Berufsart  hat  es  nur  mit 
einem  Ausschnitt  des  Universums  zu  thun;  der  Philosoph  allein  mit  dem 
Universum  selbst!  Die  Allseitigkeit  des  Objekts,  mit  welchem  sich  der 
Philosoph  zu  befassen  hat,  heischt  gebieterisch  eine  möglichste  Allseitigkeit 
in  der  psychologischen  Analyse  jenes  Subjects,  welches  das  All  begreift  — 
oder  doch  zu  begreifen  vermeint. 

Der  einzelne  biographische  Forscher  kann  indess  kaum  übersehen,  ob 
und  welchen  Werth  diese  oder  jene  Notiz  aus  dem  Leben  eines  Denkers 
für  den  künftigen  berufenen  Biographen  desselben  haben  könnte.  Darum  muss 
in  mühsamster  Kleinarbeit  Alles,  aber  auch  Alles,  zusammengetragen  werden, 
dessen  man  nur  irgend  habhaft  werden  kann.  Hier  und  nur  hier  liegt  die 
wissenschaftliche  Berechtigung  des  biographischen  Details  und  des  litte- 
rarischen Krimskrams!  Es  muss  auch  Spreu  angesammelt  werden,  sintemal 
man  nicht  wissen  kann,  ob  nicht  ein  künftiger  grosser  Forscher  daraus  ein 
Goldkörnchen  wird  herauspicken  können.  Man  kann  auch  im  Gebiete  der 
Wissenschaft  nicht  ökonomisch  genug  verfahren.  Nichts  ist  zu  geringfügig, 
als  dass  es  nicht  gelegentlich  von  einem  überlegenen  Geiste  glücklich  ver- 
werthet  und  ausgenützt  werden  könnte.  Wie  man  jetzt  aus  Lumpen  und 
Abfällen  werthvolle  Gewebe  fabrizirt,  so  mag  vielleicht  ein  grosser  litterar- 
historischer  Konstrukteur  aus  litterarischem  Kleinkram  dereinst  ein  prachtiges 
Ganzes  zusammenstellen.  Das  rastlose  Aufzeichnen  von  litterarhistorischen 
Notizen  und  sorgfältige  Registriren  aller  erreichbaren  biographischen  Details 
wäre  öder  Alexandrinismus  nur  dann,  wenn  dieses  Ansammeln  Selbstzweck 
bliebe.  Heute  ist  sich  indess  jeder  ernst  zu  nehmende  biographische  Detail- 
forscher  darüber  wohl  klar,  dass  diese  seine  Thätigkeit  nur  Kärrnerarbeit 
ist.  Doch  muss  diese  mühselige,  geduldheischende  Kärrnerarbeit  unweigerlich 
verrichtet  werden,  sollen  künftige  Könige  mit  Erfolg  bauen  können. 

 *  

Ober  den  biographischen  Gehalt  des  altdeutschen 

Minnesanges. 

Von  i 
ANTON  E.  SCHÖNBACH. 

Es  ist  eine  besonders  während  der  letzten  Jahrzehnte  vielberegte 
Frage,  die  auf  den  folgenden  Blättern  erörtert  werden  soll.  Nicht  bloss, 
wer  es  sich  vorsetzt,  die  geschichtliche  Entwicklung  des  altdeutschen 
Minnesanges  überhaupt  zu  erforschen,  sieht  .sich  gcnöthigt,  mindestens  für 


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Biographische  Blätter. 


sich  nach  einer  beruhigenden  Lösung  zu  streben,  sondern  auch  die  grosse 
Zahl  jüngerer  Gelehrter,  die  sich  mit  einzelnen  Dichtem  dieser  Gruppe 
befassen,  Texte  kritisch  herausgeben,  Zusammenhänge  feststellen,  Charak- 
teristiken liefern,  findet  sich  immer  wieder  vor  dem  einen  grossen  Problem: 
in  wie  weit  ist  es  möglich,  aus  den  Liedern  der  altdeutschen  Lyriker  auf 
ihre  Lebensverhältnisse  zu  schliessen,  in  wie  fern  entsprechen  sich  da 
Dichtung  und  Wahrheit  und  welche  Methoden  besitzen  wir,  um  aus  den 
überlieferten  Versen  die  Schicksale  ihrer  Verfasser  zu  ermitteln?  Schon 
der  Umstand,  wie  hartnäckig  diese  Frage  am  Horizont  der  deutschen 
Literaturgeschichte  bleibt,  belehrt  uns,  dass  sie  mit  ganz  eigentümlichen 
Schwierigkeiten  behaftet  sein  muss.  Das  ist  wirklich  der  Fall  und  zwar 
in  solchem  Maasse,  dass  durch  einen  ausgezeichneten  Kenner  dieser  Studien 
(Burdach,  Anzeiger  f.  d.  Altcrth.  12, 190  ff.)  sogar  von  Bemühungen  abgerathen 
wurde,  mittelhochdeutsche  Lieder  biographisch  auszudeuten,  das  sei  un- 
fruchtbar und  aussichtslos.  So  berechtigt  mir  diese  Abwehr  unreifer 
Untersuchungen  an  sich  scheint,  so  vermag  ich  solcher  Skepsis  doch  nicht 
ganz  zuzustimmen.  Ich  sehe  vorläufig  davon  ab,  dass  die  Frage  nach  dem 
biographischen  Werth  der  altdeutschen  Lyrik  auch  im  Zusammenhange  mit 
einer  ästhetischen  Theorie  der  Lyrik  überhaupt  behandelt  werden  kann, 
ich  fasse  den  Minnesang  zunächst  nur  als  historische  Erscheinung.  Dabei 
nehme  ich  Biographie  fürs  erste  einfach  als  Lebensbeschreibung,  als 
Schilderung  des  äusseren  Verlaufes  eines  Dichterdaseins. 

Wir  besitzen  über  die  deutschen  Minnesänger  so  gut  wie  gar  keine 
biographischen  Nachrichten.  Einzelne  von  ihnen  werden  gelegentlich  in 
den  litterarischen  Stellen  höfischer  Epen  rühmend  genannt,  im  Tristan 
Gottfrieds  von  Strassburg,  bei  Rudolf  von  Ems.  Heinrich  von  dem  Türlin 
und  sonst  noch,  aber  ohne  dass  dem  meist  allgemein  gehaltenen  Lobe  That- 
sächliehes  könnte  entnommen  werden.  Die  ungeheuren  Massen  von  Urkunden, 
die  besonders  in  unserem  Jahrhundert  gedruckt  wurden,  hat  man  auf  diese 
Dichter  hin  bereits  eifrig  durchforscht,  und  es  sind  auch  in  der  That  viele 
Namen,  hauptsächlich  in  den  Scharen  der  Zeugen,  zum  Vorschein  gekommen. 
Doch  sind  das  eben  nichts  als  Namen,  und  so  wichtig  es  unter  Umständen 
sein  mag,  zu  wissen,  wo  ein  Sänger,  dessen  Leben  wir  genauer  kennen, 
zu  einer  bestimmten  Zeit  sich  aufgehalten  hat,  (wofern  nämlich  die  Urkunde 
darüber  sicheres  Zeugniss  ablegt,  was  bei  den  Rittern,  die  zum  gewöhnlichen 
Gefolge  eines  Fürsten  gehörten,  keineswegs  immer  der  Fall  ist),  so  gleich- 
gültig ist  es,  wenn  diese  Erwähnung  das  einzige  Datum  seiner  geschicht- 
lichen Existenz  ausmacht  oder  eines  aus  ganz  wenigen,  weit  von  einander 
abhegenden.  Das  ist  alles.  Wer  da  weiss,  dass  wir  mehr  als  hundert 
Biographien  provenzalischer  Troubadours  in  Aufzeichnungen  aus  der  ersten 
Hälfte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  besitzen,  dass  uns  geschichtliche  Er- 
läuterungen zu  einer.  Anzahl  ihrer  bedeutendsten  Gedichte  aufbehalten 
sind,  der  wird  verwundert  fragen,  weshalb  diesem  Keichthum  gegenüber  der 


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Über  den  biographischen  Gehalt  des  altdeutschen  Minnesänge*. 


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deutsche  Minnesang  im  Gedächtniss  der  Nachfahren  so  übel  weggekommen 
ist.  Wollen  wir  darauf  ausreichend  antworten,  so  ist  es  erforderlich, 
genauer  aufzuklären,  unter  welch  verschiedenen  Umständen  die  Lyrik  der 
Provence  und  die  mittelhochdeutsche  sieh  entwickelt  haben. 

Es  ist  ein  arger  Irrtum,  und  doch  begegnet  man  ihm  oft,  wenn  an- 
genommen wird,  dass  die  süd-  und  nordfranzösische  sowie  die  deutsche 
Minnepoesie  nur  unwesentlich  unterschiedene  Gestaltungen  ein-  und  des- 
selben Phänomens  des  mittelalterlicben  Geisteslebens  darstellen.  In  Wahrheit 
ist  ihnen  nichts  gemeinsam  als  der  Stoff,  die  Liebe,  und  in  Form  und 
Ausdruck,  was  die  Deutschen  von  den  Romanen  entlehnt  haben.  Das 
Minnewesen  findet  sich  im  zwölften  und  dreizehnten  Jahrhundert  bei  allen 
Kulturvölkern  des  Abendlandes,  es  giebt  eine  Lyrik  dieses  Inhaltes  auch 
in  Italien,  Spanien  und  Portugal,  sogar  in  der  englischen  Litteratur.  Aber 
indess  man  die  letztgenannten  Erscheinungen  in  ihrer  Besonderheit  wohl 
auseinander  zu  halten  versteht,  giebt  man  sich  meines  Eraehtens  noch  immer 
Täuschungen  über  die  enge  Verwandtschaft  zwischen  den  Hauptgruppen 
hin.  Die  Minnedichtung  entspringt  bei  Provenzalen,  Franzosen  und  Deutschen 
aus  verschiedenen  Gründen  und  entfaltet  sich  auch  anders  bei  jedem  dieser 
Völker. 

Uns  allen  ist  die  Thatsache  geläufig,  dass  die  Anfänge  des  Minne- 
wesens bei  den  Provenzalen  bis  ins  elfte  Jahrhundert  zurückreichen  und 
dass  dämm  die  Lyrik,  die  es  littcrarisch  abspiegelt,  nicht  sehr  viel  jünger 
sein  wird.  Wie  es  kam,  dass  gerade  dort  zuerst  die  ..Frau"  zu  einer  so 
beherrschenden  Stellung  in  Leben  und  Poesie  gelangte,  scheint  in  der 
Hauptsache  klar.  Die  Provence,  von  der  Natur  aufs  glücklichste  aus- 
gestattet, ist  deshalb  auch  der  Sitz  einer  uralten  Kultur.  Weit  über  die 
Romer  hinaus,  zu  Griechen  und  Phöniziern,  reicht  unsere  Kunde  über 
blühende  Niederlassungen  und  reiche  Handelsstädte  am  mittelländischen 
Meer,  Massilia  zuvörderst.  Wer  das  vielfarbigo  und  bewegte  Bild  im 
Gedächtniss  hat,  das  der  Historiker  der  Merowinger,  Gregor  von  Tours, 
von  dem  Leben  der  südfranzösischen  Städte  entwirft,  wie  es  nach  den 
Gräueln  der  Völkerwanderung  bestand,  den  wird  die  Fülle  des  Glanzes 
nicht  erstaunen,  der  sich  bei  dem  Adel  und  den  Kaufleuten  des  gesegneten 
Landes  im  zwölften  Jahrhundert  aufthut.  Das  ganze  Gebiet  ist  in  viele 
kleine,  aber  intensiv  bewirthschaftete  und  darum  erträgnissreiche  Güter  ge- 
spalten, die  Zinsungen  fliessen  zum  Theil  an  prunkvollen  Höfen  zusammen, 
in  den  Städten  bewegt  sich  ein  internationaler  Verkehr,  ganz  insbesondere 
mit  dem  benachbarten  hochstehenden  Italien.  Dem  äusseren  Leben  ähnlich 
entwickelt  sich  das  geistige,  das  nun  freilich  bis  ins  zwölfte  Jahrhundert 
mehr  in  der  lateinisch-kirchlichen  Litteratur  als  in  dem  Schrittthum  der 
klangvollen  Volkssprache  an  den  Tag  tritt.  Ks  giebt  eine  vornehme  Ge- 
sellschaft, die  sich  am  Spiele  des  Witzes  und  in  feinen  Umgangsformen 
ergötzt,  ganz  von  selbst  nehmen  da  die  Frauen  den  vordersten  Rang  ein, 


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Biographische  Blatter. 


und  man  braucht  gar  nicht  daran  zu  denken,  dass  ihr  Emporsteigen  etwa 
als  ein  Überlebsel  aus  alten  Antrieben,  vergleichbar  dem  Hetärenwesen 
der  Blüthezeit  Athens  oder  dem  verliebten  Treiben  in  dem  Rom  des  Catull 
und  Horaz,  anzusehen  wäre.  „Frauen"  im  engeren  Sinne  des  Wortes 
waren  es,  die  für  die  Gesellschaft  der  Provence  den  Ton  angaben  (wie 
heute  in  Frankreich  und  Italien),  die  Mädchen  hielt  häusliche  Zucht  oder 
klösterliche  Erziehung  ferne  von  dem  Geräusch  der  Welt.  Daher  sind 
auch  nur  reife,  vermählte  Flauen  die  Heldinnen  der  provenzalischen  Minne- 
poesie, ganz  selten  ereignen  sich  Fälle,  in  denen  der  Sänger  um  die  Liebe 
eines  Mädchens  wirbt.  Nimmt  man  dazu,  dass  die  Heirathen  in  den  wohl- 
habendsten Familien  der  Grundherren  kaum  je  aus  persönlicher  Neigung 
geschlossen,  sondern  durch  die  Interessen  des  Besitzes  bestimmt  wurden, 
dass  also  das  Eheband  nicht  sehr  eng  geschlungen  war,  hingegen  eine 
neue  romanische  Tradition  der  vermählten  Frau  grössere  Freiheit  gestattete, 
so  sind  die  Verhältnisse  der  Damen  zu  den  Sängern  auch  trotz  der  vor- 
kommenden Standesunterschiede  wohl  zu  begreifen.  Die  Gefahr,  der  die 
Heiligkeit  der  Ehe  dabei  [ausgesetzt  war,  darf  man  freilich  nicht  gering 
anschlagen,  in  den  Augen  einer  grossen  Zahl  von  Männern  galt  sie  so  viel 
nicht,  weil  doch  sie  selbst  sich  nicht  weniger  ungenirt  bewegten.  Aus- 
nahmen, wenn  den  erfolgreichen  Troubadours  ein  böses  Geschick  strafend 
widerfährt,  werden  mit  solchem  Lärm  in  der  Überlieferung  hervorgehoben, 
dass  sie  die  Regel  deutlich  durchblicken  lassen.  Trotzdem  glaube  auch  ich, 
die  provenzalische  Liederkunst  sei  so  schlimm  nicht  gewesen,  als  sie  uns 
heute  scheint:  Gesellschaft  und  geselliger  Verkehr  waren  bereits  hoch  aus- 
gebildet, als  sie  aufkam,  deshalb  durfte  sie  ihnen  als  ein  willkommener 
Schmuck  dienen,  die  Seufzer  und  Werbungen  der  Troubadours  erfreuten 
mit  ihren  wohlklingenden  Strophen  den  Kreis  der  Hörer  und  ehrten  die 
gepriesenen  Damen.  Gerade  dass  so  häutig,  man  darf  vielleicht  sagen, 
meistens,  der  Sänger  den  Namen  seiner  Herrin  oflen  nennt  oder  wenigstens 
die  Schönheit  ihres  Leibes,  ihrer  Gowänder,  ohne  Scheu  vor  Erkennimg 
rühmt,  scheint  mir  ein  sicherer  Beweis,  dass  die  provenzalische  Minne- 
dichtung wahrhaft  und  mehr  als  irgend  anderwärts  eine  gesellige  Kunst 
gewesen  ist.  Deshalb  kann  ich  auch  dem  neuesten  und  erprobten  Schilderer 
dieser  Verhältnisse  (Stiinming  in  Gröbers  Grundriss  für  roman.  Philolog.  II 
2, 15)  durchaus  nicht  beifallen,  der  von  dem  Frauendienste  der  Provence 
meint,  „er  danke  seine  Entstehung  wesentlich  dem  gewaltigen  Aufschwünge 
des  Marienkultus  im  elften  Jahrhundert".  Das  ist,  näher  überlegt,  nicht 
denkbar.  Wofern  man  nicht  Frauendienst  und  Marien  Verehrung  als  zwei 
Ausdrucksformen  derselben  Lebensanschauung  in  gegenseitige  Wechsel- 
wirkung setzen  will,  ist  man  gezwungen,  das  Minnewesen  für  älter  und 
für  einen  Impuls  zu  halten,  von  dem  der  kirchliche  Kultus  Marias  stark 
gefördert  wurde.  Da  er  so  alt  nicht  ist,  als  man  gemeinhin  annimmt, 
empfiehlt  sich  diese  Auffassung,  obgleich  schon  das  Hervortreten  des 


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Über  den  biographischen  Gehalt  des  altdeutschen  Minnesanges.  43 


Gottessohnes  in  der  französischen  Theologie  des  elften  Jahrhunderts  not- 
wendig" auch  eine  Steigerung  des  Ansehens  der  Gottesmutter  zur  Folge 
haben  musste.  Andere  Antriebe  für  die  Marien  Verehrung  Sudfrankreichs 
hat  die  kirchliche  Archäologie  in  bisweilen  sehr  seltsamen  Beziehungen  an 
den  Tag  gebracht 

Diesem  Ursprünge  gemäss  sind  auch  die  Eigentümlichkeiten  des  pro- 
venzalischen  Minnesanges  beschaffen.  Das  Lob  der  geliebten  Frau  konnte 
in  einem  kleineren  Umkreise  auch  die  höfische  Gesellschaft  interessiren, 
die  ja  die  vornehme  Dame  mindestens  dem  Namen  nach  kannte;  und  war 
solches  Lob  ohne  erkennbaren  persönlichen  Bezug  ausgesprochen,  dann  zog 
es  an,  weil  die  anwesenden  Ritter  darunter  ihre  Schönen,  die  Frauen  aber 
sich  selbst  verstehen  durften.  Es  ist  wenig  echte,  tiefe  Leidenschaft  in 
diesen  Liedern  zu  spüren,  deren  Ausdruck  für  geselliges  Vergnügen  über- 
dies kaum  passlich  gewesen  wäre.  Dafür  ist  der  Minnetheorie,  den  all- 
gemeinen Erörterungen  über  die  Liebe,  ihre  Macht  und  Eigenschaften,  der 
Liebesdialektik,  weiter  Raum  gegönnt.  Und  endlich  der  "Reflexion,  der 
Analyse  der  eigenen  Empfindung,  dem  Urtheile  darüber,  Leistungen  prak- 
tischer Psychologie,  die  sich  in  jener  Zeit  sehr  wohl  begreifen,  wenn  wir 
uns  des  eingehenden  Studiums  erinnern,  das  die  Theologen,  besonders  in 
asketischer  Betrachtung  der  Sünde,  auf  die  Zerlegung  und  Erkenntniss  der 
Vorgänge  des  Seelenlebens  gewandt  hatten.  Alles  Übrige  der  Lyrik  der 
Provenzalen  ist  politisch  und  didaktisch.  Es  darf  jedoch  nicht  verab- 
säumt werden,  die  hohe  Bedeutung  hervorzuheben,  die  dabei  der  „Kunst" 
als  solcher,  der  Formengebung,  zugestanden  war.  Ist  das  feine  Ohr  der 
Romanen  allenthalben  empfänglich  für  den  Reiz  des  Verses  an  sich,  für 
Rhythmus  und  Reim,  so  war  die  Form  in  dem  provenzalischen  Minnesange 
besonders  ausgebildet.  Dagegen  trat  sogar  die  Musik  zurück,  denn,  soweit 
wir  es  wissen,  waren  selbständige  neue  Melodien  bei  neuen  Liedern  dort 
durchaus  nicht  nothwendig,  die  Weise  wich  dem  Text,  die  Musik  brachte 
rieh  beim  Vortrage  mehr  begleitend  als  führend  zur  Geltung. 

Ein  anderes  Bild  gewährt  die  altfranzösische  Lyrik.  Zwar  ist  sie 
anter  dem  unmittelbaren  Einfluss  der  provenzalischen  entstanden,  aber  sie 
hat  es  nicht  entfernt  zu  deren  Erfolgen  gebracht.  Ihre  Lieder  sind  un- 
persönlich, mehr  sentimental  als  gefühlvoll,  die  Reflexion  wiegt  vor.  Sie 
war  auch  stets  ein  Stiefkind  und  galt  im  französischen  Hoflebon  nur  so 
viel,  als  der  gute  Ton  ritterlicher  Unterhaltung  begehrte.  Weit  über  sie 
hinaus  ist  die  höfische  Epik  gewachsen,  die  in  einem  fruchtbaren  Grunde 
nationaler  Überlieferung  wurzelte.  So  hat  sich  denn  auch  eine  Misch- 
gattung, die  zwischen  Lyrik  und  Epik  mitten  inne  steht,  die  Romanzen 
und  Pastourellen,  aufs  glücklichste  entwickelt:  ihr  kam  es  noch  zu  gute, 
dass  sie  aus  der  Volkspoesie  selbst  schöpfen  durfte.  Trotz  dieser  un- 
günstigen Umstände  hat  die  altfranzösische  Lyrik  doch  eigcnthttmliehe 
Formen   hervorgebracht    und    hat    der   altdeutschen    die  wesentlichsten 


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Biographische  Blatter. 


förderndsten  Anregungen  gegeben.  Da  sie  hauptsächlich  in  den  nord- 
französischen Landschaften  betlieben  wurde,  so  waren  der  Vermittlung 
nach  dem  deutschen  Boden,  zunächst  an  den  Niederrhein,  die  Wege  geebnet 
und  gewiesen,  und  wie  die  französische  Theologie  seit  dem  Anfange  des 
zwölften  Jahrhunderts  durch  den  Verkehr  der  Klöster  und  die  politischen 
Verbindungen  der  Kirche  auf  die  deutsche  geistliche  Litteratur  befruchtend 
eingewirkt  hat,  so  ist  mit  den  äusseren  Formen  der  Ohevalerie  die  französische 
Epik  und  Lyrik  im  Geleite  des  Verkehres  vor  allem  der  Höfe,  im  diplo- 
matischen Austausch,  in  Deutschland  eingezogen. 

Die  Blüthe  des  deutschen  Minnewesens,  ungefähr  von  1170 — 1230,  weist 
nun  wieder  ganz  andere  Zöge  auf  als  die  romanischen  Vorbilder.  Zwar 
hat  es  im  Südosten,  in  Oesterreich  und  den  anstossenden  Gauen  Bayerns, 
wie  es  scheint,  eine  bodenständige  volksthümliche  Liebeslyrik  schon  früher 
gegeben,  allein  auch  sie  unterliegt  bereits,  dem  Einflüsse  der  neuen  gesell- 
schaftlichen Bildung,  des  Ritterthums.  Ganz  von  diesem  erfüllt  ist  die  Lyrik 
des  deutschen  Westens,  der  in  der  Aufnahme  der  Ohevalerie,  so  weit  sich 
das  aus  der  Bewaffnung,  den  militärischen  Einrichtungen,  dem  Wappcnwesen 
u.  a.  erschliessen  lässt,  dem  Osten  um  ein  paar  Jahrzehnte  voraus  war. 
Prüfen  wir  nun  die  Eigenheiten  des  deutschen  Minnesanges,  so  fällt  uns 
zunächst  der  stark  persönliche  Charakter  dieser  Lyrik  auf:  die  eigensten 
Empfindungen  des  Sängers  bilden  den  Hauptstotf  seiner  Kunst.  Und  diese 
Empfindungen  sind  echt,  nicht  gemacht  und  auf  dem  Wege  der  Reflexion 
gewonnen.  Dafür  spricht  nachdrücklich  das  von  allem  Anfang  an  durch- 
wegs festgehaltene  Gebot,  den  Namen  der  Geliebten  zu  verschweigen. 
(Vgl.  Uhland?  Schriften  5,  142.  Wackernagel,  Altfranz.  Lieder  u.  Leiche 
S.  208.  Litteraturgesch. 2  1,305.17.  Nicht  einmal  die  provenzalischen  Um- 
schreibungen finden  sich,  Diez,  Poesie  des  Troub.2  s.  132.)  Das  kann 
nicht  darin  begründet  sein,  dass  die  Lieder,  durch  Fahrende  verbreitet 
oder  von  den  Verfassern  selbst  vorgetragen,  mit  den  Namen  der  ange- 
sprochenen Frauen  ausgestattet,  weitere  Kreise  der  ritterlichen  Gesell- 
schaft nicht  interessirt  haben  würden;  ist  ja  trotzdem  genug  Persönliches 
vorhanden  gewesen,  das  doch  die  aufmerksame  Theilnahmo  der  Hörer 
errang.  Freilich,  lebendiger,  anschaulicher,  frischer  in  der  Darstellung  der 
Situationen  ist  der  deutsche  Minnesang  durch  diese  Enthaltsamkeit  nicht 
geworden.  Mussten  doch  bei  Schilderungen  alle  ^tatsächlichen  Einzelheiten 
vermieden  werden;  dämm  vermisste  Uhland  in  seiner  meisterlichen  Ab- 
handlung über  die  Lyrik  sogar  die  Kleiderbeschreibungen  (Schriften  5, 134). 
Wichtiger  ist  ein  Anderes:  das  stärkste  Motiv  für  die  Ausbildung  des 
.provenzalischen  Minnesanges  war  der  Ruhm,  der  durch  die  Lieder  der 
Sänger  für  die  Frauen  zu  erwarten  war,  deshalb  begünstigten  sie  die  Dichter, 
schmeichelten  ihnen  und  gaben  sich  sogar  lieber  hin,  bevor  sie  auf  das 
öffentliche  Lob  verzichteten.  Dieser  mächtige  .Antrieb  fehlte  in  Deutschland 
fast  ganz,  denn  dass  die  Frau  in  stiller  Kemenate  wusste,  das  durch  den 


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über  den  biographischen  Gehalt  des  altdeutschen  Minnesanges.  45 


Boten  überbrachte  oder  durch  den  Spielmann  ihr  vorgetragene  Prcislied 
beziehe  sich  auf  sie  selbst,  diese  bescheidene  Genugthuung  vermochte  jene 
Impulse  nicht  zu  ersetzen.  Eine  weitere  Folge  solcher  Umstände  ist,  dass 
der  deutsche  Minnesang  keine  Dichterinnen  mit  Namen  kennt  wie  der 
provenzalisehe :  wurde  wegen  der  Wahrheit  der  Liebesverhältnisse  die 
Person  der  Geliebten  in  Dunkel  gehüllt,  so  durfte  die  Frau  nicht  offen  die 
Gefühle  des  Sängers  erwiedern.  Dass  es  heimlich  geschah,  wissen  wir. 
Die  sogenannten  „Frauenstrophen"  der  altdeutschen  Lyrik  (in  der  Regel 
durch  die  Verwendung  der  Pronomina  im  Eingange  kenntlich  gemacht)  sind 
zum  Theile  gewiss  von  den  Frauen  selbst  gedichtet,  zum  Theil  von  den 
Sängern  nach  Botschaften  und  Mittheilungen  ihrer  Damen  bearbeitet  und 
zum  geringen  Theile  (häufiger  erst  in  späterer  Zeit)  von  den  Männern  zum 
Ausdruck  ihrer  Wunsche  frei  ersonnen.  (  Vgl.  Burdach,  Reinmar  u.  Walther 
S.  75  ff.  Zeitschr.  f.  d.  Altert.  27,  367.  Mein  Buch  „über  Hartmann  von 
Aue"  S.  370  ff.;  dagegen  Weinhold,  Deutsche  Frauen2  1, 147  ff.);  aber  die 
Namen  der  Verfasserinnen  durften  in  keinem  Fall  preisgegeben  werden. 

Es  würde  hier  zu  weit  fuhren,  wollte  ich  noch  andere  Unterschiede 
des  Inhaltes-  zwischen  der  deutschen  und  romanischen  Minnedichtung  be- 
handeln (irrig  Gervinus,  Gesch.  d.  d.  Dicht.5  1,  479  ff.  486  ff.).  Äussere 
Differenzen  hat  einst  schon  Diez  klar  gelegt  ( Poesie  der  Troub. 2  S.  243  ff.). 
Vielleicht  ist  am  wichtigsten,  dass  trotz  der  Entlehnungen  des  deutschen 
Strophenbaues  von  den  Romanen  doch  die  technischen  Ausdrücke  der 
Romanen  nicht  mit  Übernommen  worden  sind,  ja  es  hat  sich  überhaupt 
eine  Terminologie  der  poetischen  Formen  in  Deutschland  gar  nicht  aus- 
gebildet (die  schwachen  Anläufe  dazu  hat  Wackernagel  verzeichnet  Littgesch.8 
1. 303  Anm.  33,34).  Das  wird  ebensowohl  aus  der  geringeren  Kunst  in  der 
guten  Zeit  der  deutschen  Minnepoesie  wie  aus  der  grosseren  Bedeutung 
der  Musik  in  Deutschland  zu  erklären  sein. 

Aber  enthält  denn  in  der  That  der  altdeutsche  „Minnesang",  wie  wir 
zu  sagen  uns  angewöhnt  haben,  nur  Liebeslieder  wie  der  französische? 
(Das  nimmt  Gervinus  an  a.  a.  O.  483  ff.  499  ff.).  Mit  richten.  (  Vgl.  Wacker- 
nagel. Altfranz.  Lieder  u.  L.  S.  208  f.).  Unter  den  854  Strophen,  die  in 
der  klassischen  Sammlung  „Minnesangs  Frühling"  (5.  Auflage,  1888)  von 
Lachmann  und  Haupt  herausgegeben  wurden,  gehören  582,  also  beiläufig 
zwei  Drittel,  wirklich  der  Minne  im  engeren  Sinne  an,  das  heisst,  sie  be- 
fassen sich  mit  den  persönlichen  Liebesverhältnissen  der  Dichter;  272  nicht, 
und  darunter  entfallen  157  auf  unpersönliche  „Minnetheorie",  die  verhandelt 
werden  könnte,  ohne  dass  wahre  Liebe  in  Frage  kam,  80  Strophen  sind 
didaktischen  Inhaltes,  35  religiösen.  Noch  bezeichnender  gestaltet  sich  das 
Verhältnis«  bei  einzelnen  hervorragenden  Sängern:  unter  52  Strophen 
Heinrichs  von  Veldeke  gehören  29  der  Minne,  22  der  Minnetheorie,  1  der 
Religion.  Und  der  Meister  der  älteren  Lyrik,  Reinmar  von  Hagenau,  hat 
unter  259  Strophen  167  der  Minne  selbst  gewidmet,  in  76  unpersönlich 


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Biographische  Blätter. 


(Iber  sie  reflektirt,  dazu  kommen  13  didaktische,  3  religiöse  Strophen. 
Schlagend  tritt  dieses  Verhältniss  heraus  bei  dem  Klassiker  des  altdeutschen 
Minnesanges,  VValther  von  der  Vogelweide:  von  seinen  455  Strophen  wendet 
er  nur  137  auf  seine  persönliche  Liebe,  127  erörtern  Minnelehre  (diese 
(Gruppe  ist  nicht  immer  gut  von  der  folgenden  abzusondern).  157  be- 
schäftigen sich  mit  Didaktik,  worunter  ich  die  Politik  einbegreife,  34  mit 
Religion.  Und  in  der  späteren  Entwickelung  des  Minnesanges  mehren  sich 
die  Gedichte,  die  Reflexion  und  Theorie  enthalten,  dessgleichen  die  lehr- 
haften, es  vermindert  sich  die  Zahl  der  Lieder,  die  der  persönlichen  Lyrik 
angehören,  ebenso  rasch  als  die  Echtheit  der  ausgedrückten  Empfindungen 
schwindet. 

Wie  verstehen  sich  die  Verschiedenheiten  zwischen  Deutschen  und 
Romanen,  die  bei  einer  ihnen  gemeinsamen  Erscheinung,  dem  Rittcrthum 
und  dem  Gebrauch  seiner  Lebensformen  im  Minnedienste,  hervortreten?  Not- 
wendig müssen  die  historischen  Zustände  und  Verhältnisse,  unter  denen  diese 
Entwickelung  stattfand,  in  deutschen  und  romanischen  Ländern  verschieden 
gewesen  sein.  Irre  ich  nicht,  so  lässt  sich  das  beweisen.  Vor  allem  mache 
ich  aufmerksam,  dass  bei  den  Provenzalen  fast  ganz,  bei  den  Nordfranzosen 
grossentheils  eine  Standesschicht  fehlt,  die  vom  elften  Jahrhundert  an  durch 
das  zwölfte  und  dreizehnte  in  Deutschland  zu  grosser  Redeutung  gelangt 
ist:  die  Ministerialen  oder  Dienstmannen.  Ursprünglich  unfreie  Leute,  sind 
sie  durch  Tüchtigkeit,  wohl  auch  durch  Bildung  ausgezeichnet,  zunächst 
als  Verwaltungsbearate  ihren  adeligen  Herren  unentbehrlich  geworden,  sind 
allmählich  aufsteigend  neben  sie  getreten  und  sogar  über  sie  hinaus  gelangt. 
Insbesondere  im  Reichsdienste  und  wieder  vornehmlich  unter  den  Staufern 
haben  diese  Ministerialen  die  angesehensten  Stellungen  eingenommen. 
(Das  hat  \V.  Nitzseh  dargethan,  vgl.  noch  Waitz,  Verfassungsgeseh.  2  5  ed. 
Zeumer,  v.  Zallinger:  Ministeriales  und  Milites,  Lamprechts  Wirthschaft*- 
geschichte  durchweg;  falsch  Gervinus  a.  a.  0.  509.)  Trotzdem  blieb  bis  weit 
ins  dreizehnte  Jahrhundert  hinauf  ein  gewisser  Makel  der  Unfreiheit  an 
ihnen  haften:  Ehe  zwischen  Adeligen  und  Ministerialen  setzte  nach  alter 
Volksanschauung  den  besser  geborenen  Theil  dauernd  herab  und  wurde 
deshalb  gemieden.  Nun  gehören,  wie  ich  gefunden  habe  und  anderwärts 
vielleicht  noch  ausführlich  darlegen  werde,  die  Minnesänger  der  ersten 
Epoche  zum  grössten  Theile  diesem  Stande  der  Ministerialen  an,  unter  den 
älteren  bedeutenderen  linden  sie  sich,  in  der  behandelten  Periode  der 
deutschen  Lyrik  machen  sie  gut  zwei  Drittel  der  Gesammtheit  der  Dichter 
aus.  Sie  sind  um  die  Wende  des  zwölften  und  dreizehnten  Jahrhunderts 
schon  alle  mit  dem  Rittergurt  ausgestattet.  Nun  bedenke  man,  dass  diese 
hervorragenden,  gebildeten,  zu  Hof-  und  Staatsämtern  verwendeten  Mi- 
nisterialen in  der  ritterlichen  Gesellschaft  der  Zeit  den  deutschen  Frauen 
adeliger  Abkunft  entgegentraten,  mit  denen  sie  die  Vorzüge  der  Bildung 
geraein  hatten  (vgl.  Wackernagel.  Littgesch.  -  1,  134  und  Anm.,  S.  306, 


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Über  den  biographischen  Gehalt  des  altdeutschen  Minnesanges. 


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Anm.  22),  von  denen  sie  aber  noch  immer  durch  Standesunterschiede 
getrennt  waren.  Ergaben  sich  da  die  thatsächlich  vorhandenen  Be- 
ziehungen der  Minne  nicht  von  selbst,  nmssten  die  Frauen  nicht  häutig 
ihre  Gemahle  ungünstig  mit  den  Dienstmannen  vergleichen,  musste  da  nicht 
von  vorneherein  in  diese  Poesie  der  Ton  der  Sehnsucht  dringen,  der  innere 
Zwiespalt  eintreten,  der  sie  charakterisirt?  Die  Werbung,  muthiges  Zu- 
gestandniss  und  ängstliches  Versagen,  die  Bedeutung  der  ere  in  diesen 
Kämpfen  des  Gemüthes,  die  Rolle  der  merka're,  begreift  sich  das  nicht 
alles  sehr  wohl  unter  diesen  Voraussetzungen?  Wäre  auch  die  Leidenschaft 
der  Deutschen  goringer  gewesen  als  die  der  Provenzalen,  was  man  nach 
meiner  Kenntniss  (gegen  Gervinus)  nicht  annehmen  darf,  so  erklärt  doch 
der  Umstand,  dass  die  Frau  durch  ihre  Beziehung  zu  dem  Sänger  oft  nicht 
bloss  in  der  Khe,  sondern  auch  in  der  Standesehre  geschädigt  zu  werden 
fürchtete,  das  Scheue,  Unsichere,  vor  allem  aber  die  Heimlichkeit  des 
ganzen  Verhältnisses.  Von  Jahrzehnt  zu  .Jahrzehnt  milderten  sich  die 
Gegensätze  und  später,  als  der  Minnesang  wirklich  zur  geselligen  Kunst 
geworden  war,  hatte  diese  ganze  Kunst  ihre  Form  schon  fest  aufgeprägt 
erhalten,  war  der  Rahmen  gezogen,  ausserhalb  dessen  sie  sich  nicht  mehr 
bewegte,  bis  sie  beim  Übergang  in  die  Kreise  des  Bürgerthums  ihren  sach- 
lichen und  persönlichen  Inhalt  vollkommen  einbüsste  und  zu  blossen  me- 
trischen Übungen  sich  erniedrigte.  So,  denke  ich,  erklärt  sich  die 
besondere  Art  der  altdeutschen  Lyrik,  wobei  ich  natürlich  andere  Momente, 
wie  die  Verschiedenheit  der  Begabung  derVölker  u.s.w.  zwar  nicht  unterschätze, 
hier  aber  nicht  verhandeln  will.  Ich  bemerke  nur  noch,  dass  man  das  Kindringen 
der  Chevaleric  und  des  Minnewesens  meines  Eraehtens  jetzt  noch  immer 
um  einige  Dezennien  zu  spät  ansetzt.  Wenn  in  den  Liedern  des  sogenannten 
Kttrenbergers,  öfters  bei  Meinloh  von  Sellingen,  der  Begriff  des  merkapre 
schon  um  1170  ganz  feststeht,  wenn  Friedrich  von  Hausen  in  den  acht- 
ziger Jahren  bereits  über  eine  ausgebildete  Terminologie  für  die  huote 
verfügt,  dann  müssen  die  den  Worten  zu  Grunde  liegenden  Sachen  doch 
wenigstens  durch  ein  Menschenalter  vorher  aus  dem  Westen  eingedrungen 
und  geläufig  geworden  sein.  Ganz  abgesehen  davon,  dass  wichtige  Funkte 
der  ritterlichen  Lebensordnung  sich  auch  selbstständig  in  Deutschland  mögen 
festgesetzt  haben  (Steinmeyer  im  Anzeiger  f.  d.  Alterth.  2,  144).  Das  stimmt 
mit  den  Beobachtungen  Uberein.  die  wir  an  der  Geschichte  der  höfischen 
Epik  raachen,  und  mit  den  Zeugnissen,  die  uns  die  kirchliche  Litteratur 
der  Zeit  über  die  sittlichen  Zustände  Deutschlands  gewählt. 

So  weit  sind  wir  nun.  dass  wir  erkennen,  weshalb  der  altdeutsche  Minne- 
sang so  arm  ist  an  Erwähnung  äusserer  Thatsachen:  damit  wird  es  auch  zu- 
sammenhängen, dass  die  Lebensschicksale  der  Sänger  selbst  nicht  mit  der  Sorgfalt 
aufgezeichnet  wurden,  wie  das  in  der  Provence  geschalt :  sogar  der  Manessische 


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Hiographische  Blätter. 


Kodex,  dessen  Herstellung  ein  bleibendes  Denkmal  des  Interesses  für  die 
Minnepoesie  bildet,  enthält  zwar  die  Texte,  giebt  ihnen  selbst  in  Gemälden  die 
ideal  aufgefassteu  Sänger  und  ihre  grossentheils  phantastischen  Wappen  bei. 
berichtet  aber  mit  keinem  Worte  über  die  Geschicke  der  Dichter,  von 
denen  doch  manche  dem  kunstsinnigen  Sammler  oder  seinen  Helfern  noch 
bekannt  sein  mussten.  Und  diese  Texte,  enthalten  sie  denn  ausser  den 
Liebesgeschiehten  keinerlei  Andeutung  Uber  Leben  und  Wirken  der  Ver- 
fasser? Im  ganzen  keine  —  soweit  nicht  politische  Anspielungen  von  uns 
wahrgenommen  und  gedeutet  werden  dürfen  —  obwohl  ich  nicht  bestimmt 
in  Abrede  stellen  mochte,  dass  es  nicht  doch  gelingen  könnte,  ihnen  noch 
dieses  oder  jenes  Ergebniss  abzulocken.  Ich  meine,  auf  dem  Wege  eines 
tieferen  Kindringens  in  die  realen  Lebensverhältnisse  der  Zeit,  aus  dem 
sich  uns  dann  wohl  ein  besseres  Verständniss  einzelner  Stellen  der  Über- 
lieferung eröffnen  wird,  als  wir  heute  besitzen.  Gleichnisse,  die  jetzt  be- 
deutungslos sind,  können  noch  historische  Züge  gewinnen;  Verse,  über  die 
wir  gleichgültig  hinweglesen,  mögen  sich  als  Anspielungen  erweisen.  Das 
Liedchen  des  Kitters.  an  die  Dame  gesandt,  stellt  sich  als  ein  Ueirathsantrag 
dar,  weil  die  damals  in  der  Kirche  gebräuchlichen  Formeln  des  Ehever- 
löbnisses darin  gebraucht  werden.  Bestimmte  äussere  Lebensverhältnisse 
werden  klar,  wenn  sich  zwischen  den  Worten  des  Dichters  und  dem 
Sprachschatz  der  Kirche  (Gervinus  leugnet  das  vergebens  a.a.O.  S.  503). 
der  Verwaltung,  des  Rechtes,  des  Krieges  u.  s.  w.  Beziehungen  aufthun. 
Der  Wort-  und  Ph rasen vorrath  eines  Sängers  kann  —  sofern  nur  das 
Material  ausreicht  —  zu  Schlüssen  auf  seinen  Bildungsgang  benutzt  werden, 
die  sich  dann  wieder  zu  geschichtlichen  Thatsachen  verdichten.  Man 
braucht  also  die  Hoffnung  nicht  aufzugeben,  dass  aus  ihren  Strophen  selbst 
für  die  Biographien  der  altdeutschen  Minnesänger  noch  manche  Punkte 
ihres  äusseren  Lebens  möchten  festgelegt  werden. 

Höher  wird  man  für  die  Biographie  die  innere  Entwicklung  des 
Dichters  anschlagen.  Und  haben  wir  nicht  wenigstens  dabei  in*  der 
deutschen  Minnepoesie  sicheren  Boden  unter  den  Füssen?  Verschiedene 
Forscher  urtheilen  darüber  verschieden.  Wer  diese  Lyrik  ohne  Vorein- 
genommenheit studirt.  weder  um  jeden  Preis  Resultate  erlangen  will,  noch 
allzu  bequem  auf  jegliches  positive  Ergebniss  verzichtet,  der  wird  vor  allem 
bald  sehen,  dass  die  einzelnen  Abschnitte  des  altdeutschen  Minnesanges, 
wie  sie  der  Zeit  nach  auf  einander  folgen,  auch  verschiedene  Stufen  in 
dem  Verhältniss  zwischen  Wahrheit  und  Dichtung  des  Inhaltes  bezeichnen. 
Ich  für  meine  Person  kann  nicht  einsehen,  warum  jener  ersten  Epoche, 
etwa  von  1170— 1230.  in  Bausch  und  Bogen  der  Glaube  in  Bezug  auf  das 
Thatsiichliehe  des  Inhaltes  der  Liebeslieder  versagt  werden  sollte;  sobald 
dieselben  Dichter  lehrhaft  werden  oder  religiöse  Stoffe  behandeln,  glauben 
wir  ihnen  ja  ohnediess  und  beurtheilen  sie  anders.  Ist  meine  früher  dar- 
gelegte Anschauung  richtig  und  wohnt  der  Poesie  dieser  Zeit  ein  wohl 


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über  den  biographischen  Gehalt  des  altdeutschen  Minnesangos. 


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erklärbarer  persönlicher  Charakter  inne,  dann  wird  man  die  darin  vor- 
getragenen Ereignisse  des  Liebeslebens  doch  mit  Vertrauen  aufnehmen 
dürfen  (vgl.  Burdach,  Anz.  f.  d.  Altert.  9,  350  ff.).  Es  bleiben  dann  noch 
genug  Schwierigkeiten  übrig:  einmal  solche,  die  überhaupt  bei  aller  Lyrik 
auf  dem  Wege  zwischen  Erlebniss  und  Dichtung  liegen;  ferner  die,  welche 
für  die  Rekonstruktion  einer  Liebesepisode  in  dem  Zustande  der  hand- 
schriftlichen Überlieferung  begründet  sind;  auf  beide  Gruppen  von  Pro- 
blemen lasse  ich  micli  nicht  ein.  Allerdings  muss  ich  hinzufügen,  dass  auch 
meiner  Ansicht  nach  schon  in  dieser  ersten  Epoche  des7  Minnesanges 
wänwisen  vorkommen,  Gedichte,  die  keine  anderen Thatsachen  voraussetzen, 
als  die  Spiegelungen  in  der  Einbildungskraft  ihrer  Verfasser.  Ich  meine 
aber  doch,  dass  aus  einem  nur  einigermaassen  genügenden  Vorrathe  von 
Liedern  der  Charakter  des  Sängers  bestimmt  genug  erschlossen  werden  könne, 
um  zu  beurtheilen,  ob  solche  Gedankenspiele  ihm  zuzutrauen  sind  oder  nicht. 
In  den  späteren  Abschnitten  vermehren  sich  auch  die  Gedichte,  die  auf 
blossen  „Gedankenerlebnissen"  (wie  das  Werner  in  seinem  Buche  „Lyrik 
und  Lyriker",  1890,  nennt)  beruhen,  ungemein  im  Verhältniss  zur  Gesammt- 
zahl.  Es  kommt  dann  die  Menge  der  Lieder  hinzu,  die  den  bereits  ge- 
läufigen Stoff  nur  fortdichten,  —  galt  ja  erst  dieser  Zeit  die  Dichtkunst 
als  lehrbar  (Wackernagel,  Littgesch. 2  1, 138  und  Anm.  51.  52,  ferner  S.  303) 
—  diese  Poesie  ist  somit  für  biographische  Untersuchungen  überhaupt 
unbrauchbar.  Das  hängt  aber  damit  zusammen,  dass,  wie  bereits  gesagt, 
sie  eben  nun  erst  wirklich  zu  einer  geselligen  Kunst  geworden  ist,  eine 
Eigenschaft,  die  ich  der  ersten  Epoche  abspreche,  indem  ich  ihren  lyrischen 
Schöpfungen  nur  so  viel  Rücksicht  auf  das  Publikum  zugestehe,  als  jeder 
Dichter  allzeit  nehmen  muss.   Für  sich  allein  hat  noch  keiner  gesungen. 

Das  Alles  ist  wenig  genug,  immerhin  aber  mehr,  als  heute  von  manchen 
Litterarhistorikern  eingeräumt  wird.  Vergleicht  z.  B.  Gervinus  (a.  a.  0. 
S.  489  ff.)  die  lateinische  Vagantenpoesie  mit  dem  deutschen  Minnesange 
zu  dessen  Ungunsten,  spricht  jener  eine  Echtheit  und  Lebendigkeit  zu,  die 
dieser  gänzlich  fehle,  so  vergisst  er  dabei  Eines:  die  Goliarden  durften 
ihre  übermüthige  Üppigkeit  unverholen,  ohne  jegliche  Scheu,  realistisch 
aussprechen,  weil  man  nur  im  Kreise  ihrer  gebildeten  Standesgenossen,  des 
Klerus,  Latein  verstand  und  ein  Dichter  in  dieser  Sprache  sehr  wenig 
genirt  war.  Aus  den  Briefwechseln  französischer  und  deutscher  Kleriker 
im  zwölften  und  dreizehnten  Jahrhundert  lernt  man  erstaunt,  wie  andere 
und  rücksichtsvoller  wichtige  Dinge  des  Lebens  in  den  Nationalsprachen 
verhandelt  wurden  denn  in  der  lateinischen  Standessprache. 

Es  giebt  aber  noch  andere  Zugänge  in  das  innere  Leben  der  Minne- 
sänger. Wilhelm  Scherer  hat  zuerst  (1870 — 1874)  Beobachtungen  über  den 
Stil  einzelner  von  ihnen  angestellt,  sie  zu  einer  Charakteristik  ihrer  Kunst 
verbunden,  chronologisch  zu  ordnen  versucht  und  dadurch  eine  ganze  Reihe 
von  Forschungen  angeregt.  Von  Konrad  Burdach  ist  dann  die  Stilgeschichte 

Biographische  Blätter.  I.  4 


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Biographische  Blätter. 


zu  einer  Geschichte  der  inneren  Entwickelung  der  Dichter  verarbeitet 
worden  in  seinem  Buche  „Reinmar  der  Alte  und  Walther  von  der  Vogel- 
weide" (1880),  das  sogar  ganz  zuverlässige  Ergebnisse  für  das  Leben 
Walthers  geliefert,  bekannte  Thatsaehen  in  anderer  Weise  gedeutet  und 
wesentliche  Charakterzüge  erkennen  gelehrt  hat.  Die  von  Burdach  an- 
gewandten Methoden  werden  mit  Nutzen  auch  für  die  anderen  Sänger  in 
Bewegung  gesetzt  werden  dürfen,  von  denen  noch  manche,  weil  ihnen  zu- 
fällig gute  Ausgaben  bisher  nicht  zu  Theil  geworden  sind,  unverdient  im 
Hintergrunde  stehen.  Sie  können  dabei  jeder  für  sich  betrachtet  werden 
oder  in  ihrem  Verhältnis^  zum  Ganzen  des  Minnesanges:  endlich  wird  doch 
auch  einmal  die  Zeit  kommen,  die  uns  eine  wissenschaftliche  Geschichte 
der  altdeutschen  Lyrik  darbringt.  Wortschatz,  Syntax,  poetische  Motive, 
ihre  Auswahl  und  ihr  verschiedener  Gebrauch,  die  Beziehung  der  Form 
zum  Inhalt,  das  Alles  muss  in  einer  fortschreitenden  Entwicklung  bei  dem 
Dichter  beobachtet  und  erklärend  verknüpft  werden,  denn  es  stellt  in  sich, 
als  ein  integrirender  Theil  seines  Geisteslebens,  dessen  Werden  dar.  Den 
Gedanken vorrath  des  älteren  Minnesanges  hat  Wilmanns  im  dritten  Ab- 
schnitte seines  schönen  Buches  „Leben  und  Dichten  Walthers  von  der 
Vogel  weide"  (1882),  vielleicht  nach  den  Vorbildern  von  Diez  und  Uhland, 
zusammengetragen;  diese  Übersicht  erleichtert  es  ungemein,  das  persönliche 
Eigenthum  der  Dichter  von  der  geistigen  Überlieferung  ihrer  Zeit  abzu- 
scheiden. Das  wird  noch  mehr  der  Fall  sein,  wenn  es  gelingt,  den 
Gedankenkreis  des  Minnesanges  mit  dem  der  Kirche  des  zwölften  Jahr- 
hunderts zu  vergleichen:  die  Berührungen  sind  überraschend  zahlreich  und  sehr 
ergiebig  für  ein  genaueres  Urtheil  über  die  Leistung  der  altdeutschen  Lyrik. 

Mit  vielen  Forschern  linde  ich  mich  gewiss  einig,  wenn  ich,  zumal 
bei  dem  bescheidenen  Stande  unserer  historischen  Kenntniss.  als  das  höchste 
Ziel,  das  von  dem  philologischen  Studium  des  Minnesanges  angestrebt 
werden  muss,  die  Konstruktion  der  Dichtercharaktere  bezeichne.  Mir 
persönlich  scheint  dies  eine  der  vornehmsten  Aufgaben  unserer  Wissenschaft 
überhaupt,  vielleicht  aus  einer  gewissen  Einseitigkeit  heraus,  weil  ich  es 
nie  vermocht  habe,  mich  für  eine  Dichtung  zu  interessiren,  sofern  es  mir 
nicht  gelang,  den  Menschen  mir  vorzustellen,  der  sie  geschaffen  hatte. 
Wollen  wir  das  Leben  einer  vergangenen  Zeit  unseres  Volkes  mit  ein- 
dringendem Verständniss  in  uns  wieder  erwecken,  um  es  emeut  vor  die 
Augen  der  G egenwart  zu  stellen,  —  und  darin  begreift  sich  für  mich  die 
ganze  Arbeit  der  deutschen  Philologie  —  so  kann  das  ja  doch  nur  geschehen, 
indem  die  einzelnen  Persönlichkeiten,  wie  sie  von  uns  erkannt  worden  sind, 
zu  einem  Gesainintbilde  ihrer  Epoche  an  einander  gefügt  werden.  Nun 
verkenne  ich  freilich  nicht,  dass  wir  bei  diesem  heiklen  Werk  mit  sehr 
groben  Mitteln  arbeiten.  Schon  die  wesentlichsten  Definitionen,  deren  wir 
uns  bedienen,  sind  keineswegs  fest  umschrieben  und  werden  auch  nicht 
einheitlich  verwendet.    Was  ist  Charakter?    Eine  Summe  von  Eindrücken 


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Über  den  biographischen  Gehalt  des  altdeutschen  Minnesanges. 


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einer  Persönlichkeit,  die  ich  dadurch  gewinne,  dass  ich  ihr  Denken  und 
Handeln  im  Verhältniss  zu  den  wichtigsten  menschlichen  Dingen,  zu  Gott, 
Welt  und  Leben,  hinreichend  oft  in  Einzelfällen  beobachten  konnte,  um 
darin  gewisse  Linien  eines  gewohnheitsmässigen  Verfahrens  wahrzunehmen. 
Und  das  Maass  dafür?  Ich  entnehme  es  doch  zunächst  meinem  eigenen  Wesen, 
der  Erfahrung  meiner  Zeit,  und  muss  die  Abstände  dieser  von  der  Art 
des  Vorgängers,  mit  dem  ich  mich  beschäftige,  genau  schätzen  können, 
will  ich  nicht  den  Fehler  des  unkundigen  Fisclyägers  begehen,  der  die 
Gesetze  der  Brechung  des  Lichtes  im  Wasser  praktisch  nicht  handhaben  gelernt 
hat.  Die  moderne  Psychologie  bietet  zur  Bewältigung  solcher  Probleme 
noch  wenig  brauchbares  Werkzeug  dar,  weder  ist  es  fein  noch  zuverlässig, 
und  wir  sind  darum  von  einer  sicheren  Methode  historischer  Psychologie 
noch  weit  entfernt.  Was  sich  uns  heute  als  „Experimentalpsychologie" 
präsentirt,  das  steht  noch  in  seinen  allerersten  Anfängen,  und  ich  theile 
durchaus  nicht  die  Zuversicht  mancher  Philologen  (z.  B.  Roetteken  in 
der  Vierteljahrsschrift  für  vergleichende  Littgesch.  1895),  die  schon  jetzt 
von  den  Studien  auf  diesem  Gebiete  Förderung  der  Litterarhistorie  erhoffen. 
Um  so  weniger  sehe  ich  mich  veranlasst,  von  meiner  Zurückhaltung  abzu- 
gehen, wenn  ich  merke,  wie  ausserordentlich  rasch  eine  persönliche  Er- 
fahrung, unter  bestimmten  singulären  Umständen  einmal  zu  Wege  gebracht, 
sich  den  gelehrten  Philosophen  unter  der  Hand  in  eine  „praktische  That- 
sache"  verwandelt,  aus  der  dann  Schlüsse  deduzirt  werden,  die  sich  sofort 
zu  „Gesetzen"  zusammenfügen,  indess  es  noch  durchaus  an  einer  zu- 
reichenden Induktion  gebricht.  Da  werden  wir  uns  denn  doch  lieber  in 
Geduld  fassen  und  abwarten. 

Vielleicht  können  wir  aber  für  die  praktische  Psychologie,  die  wir  an 
den  altdeutschen  Texten  treiben  müssen,  anderswoher  ein  wenig  Unter- 
stützung erlangen.  Darf  man  nicht  bei  der  Rekonstruktion  eines  persönlichen 
Charakters  die  Charakterqualitäten  seines  Volkes  oder  Stammes  als  einen 
Faktor  unter  anderen  mit  in  Betracht  ziehen?  Da  fragt  es  sich  zu- 
vörderst: existirt  das  überhaupt,  was  wir  Nationalcharakter  nennen,  und 
wenn,  ist  das  nicht  auch  eine  wechselnde  Grösse  in  verschiedenen  histo- 
rischen Zeiträumen?  Ich  bejahe  beide  Glieder  dieser  Frage  unbedingt. 
Für  die  Entstehung  des  ,,  Volkscharakters"  ist  mir  die  Analogie  der  Sprache 
maassgebend.  Wir  wissen  heute  Folgendes:  die  Sprache  eines  grossen 
Volkes,  z.  B.  der  Germanen,  unterscheidet  sich  von  der  ungeheuren  all- 
gemeinen Einheit,  innerhalb  deren  sie  sich  befindet,  durch  eine  Reihe  von 
Besonderheiten.  Nenne  ich  das  Gemeinsame  Bekannte  a,  die  Besonder- 
heiten x,  so  geben  a-rx  zusammen  den  Charakter  der  Volkssprache.  Das 
Volk  zerfällt  in  Stämme:  die  Eigenthümliehkeit.  durch  die  sich  eine 
Stammessprache  von  der  Volkssprache  unterscheidet,  heisse  x1,  so  formulirt 
sich  der  Charakter  der  Stammessprache  zu  a-^r-x1.   Steige  ich  nun  durch 

die  verschiedenen  dazwischen  liegenden  Einheiten  —  Gau,  Dorf,  Familie, 

4* 


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Biographische  Blätter. 


Haus  —  herab  bis  zum  Individuum,  so  stellt  sich  mir  die  Summe  des 
Bekannten  Allgemeinen  nebst  allen  dazu  gehörigen  Besonderheiten  dar  als 
a+x  -rji-L-a-  Jrxr;  das  ist  die  Individualsprache.  Gleicher- 
weise verhält  es  sich  meines  Erachtens  mit  dem  Charakter  des  Individuums, 
der  ebenso  aus  den  allgemeinen  Qualitäten  des  Volkes,  hinzugenommen  die 
Besonderheiten  der  niedrigeren  Einheiten  bis  zur  einzelnen  Persönlichkeit 
herunter,  sich  zusammensetzt,  wie  das  bei  der  »Sprache  der  Fall  war.  Will 
ich  also  den  Charakter  eines  Menschen  ermitteln,  so  darf  ich  die  mir  be- 
kannten Eigenschaften  seines  Volkes  als  bestimmte  Addenda  in  der  Zu- 
sammensetzung seiner  Persönlichkeit  annehmen.  Die  von  Bertillon  begründete 
Anthropometrie  bietet,  wie  ich  glaube,  ein  weiteres  schlagendes  Analogon 
dar :  elf  Körpermerkmale  genügen  nach  ihm  zur  absolut  sicheren  Feststellung 
eines  Individuums.  Wie  es  gelingt,  indem  bei  jedem  Merkmal  eine  Anzahl 
von  Individuen  ausgeschaltet  wird,  zur  Begrenzung  einer  einzigen  Persön- 
lichkeit absteigend  zu  gelangen,  so  müssen  auch  die  addirten  Besonderheiten, 
z.  B.  innerhalb  der  Bevölkerung  Frankreichs,  zu  einer  Summe  verbunden 
werden  können,  welche  diese  Nation  körperlich  charakterisirt. 

Kann  es  denn  überhaupt  anders  sein?  Das  Individuum  ist  das  Produkt 

von  zwei  Eltern,  die  von  vier  Menschen  ausgegangen  sind,  und 

so  fort:  Uberall  her  erben  sich  die  allgemeinen  und  die  besonderen  Qualitäten 
zusammen:  in  letzter  Linie  sind  ebenso  gewiss  alle  Menschen  unter  einander 
blutsverwandt,  als  jeder  für  sich  eine  Siunme  von  stufenweise  immer  kleiner 
werdenden  Gruppen  übereinstimmender  Merkmale  bildet.  Beim  Charakter 
kommen  allerdings  ausser  den  angeborenen  noch  erworbene  Eigenschaften 
in  Betracht,  die  ihrerseits  wieder  in  solche  zerfallen,  die  bewusst  beigebracht 
werden,  und  solche,  die  unbewusst  angewachsen  sind.  Darum  ändert  sich 
ja  auch  der  Charakter  eines  Volkes  im  Laufe  seiner  historischen  Entwicklung, 
und  ich  glaube  es  nicht  nur,  ich  meine  es  zu  wissen,  dass  die  Deutschen  um 
1200  andere  Charakterqualitäten  und  in  anderer  Mischung  besessen  haben 
als  die  Deutschen  von  1900. 

Kehren  wir  zurück  zur  biographischen  Forschung  über  den  altdeutschen 
Minnesang,  so  dürfen  wir  diese  Studien  nicht  mit  Siegcsgewissheit  betreiben, 
brauchen  sie  aber  auch  nicht  resignirt  bei  Seite  zu  legen.  Indem  wir  die 
Persönlichkeit  des  Dichters,  wie  sie  aus  seiner  Schöpfung  uns  entgegentritt, 
in  Bezug  setzen  zu  dem  Charakter  seines  Volkes,  erhellen  wir  eines  der 
beiden  durch  das  andere,  vermindern  die  Zahl  der  unbekannten  Grössen  in 
den  zusammengehörigen  Gleichungen  und  gelangen  somit  vielleicht  doch  zu 
einer  für  unseren  Erkenntnisstrieb  ausreichend  genauen  Vorstellung  von 
beiden.  In  diesem  Betrachte  fördern  und  ergänzen  sich,  wie  ich  denke, 
Biographie  und  Völkerpsychologie:  Einblicke  in  die  Persönlichkeit,  Aus- 
blicke über  das  Ganze  des  Zusammenhanges,  in  den  sie  gestellt  ist,  verbinden 
sich  zu  einem  klaren  Bilde  altdeutschen  Geisteslebens. 

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Eine  Meinung  über  Autobiographien. 


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Eine  Meinung  über  Autobiographien. 

An  den  Herausgeber  dieser  Blätter  schrieb  gelegentlich  der  Einladung 
Peter  Rosegger  den  folgenden  Brief: 

Sehr  geehrter  Freund! 
Ihre  Absicht,  eine  Zeitschrift  fOr  Biographien  herauszugeben,  gefällt 
mir.  Keinem  Literaturzweige  verdanke  z.  B.  ich  so  viele  Belehrung  und 
Anregung,  als  biographischen  Werken.  Bei  der  Beschreibung  der  Helden, 
Erfinder,  Entdecker  ist  man  mir  zwar  manchmal  zu  sehr  äusscrlich,  zu 
wenig  innerlich;  jeder  Mensch  interessirt  mich  vor  allem  als  Mensch.  Es 
kommt  nicht  immer  darauf  an,  dass  der  Held  einer  Biographie  ein  mannig- 
faltiges, thatenreiches  Leben  geführt;  seine  Entwickelung,  sein  Wollen, 
Streben,  Kämpfen  und  Leiden,  seine  Glückseligkeitsanlage  sind  mir  oft  fast 
noch  wichtiger.  Und  derlei  schreibt  freilich  Jeder  am  besten  selbst.  Der 
Selbstbiographie  sollten  Sie  viel  Baum  geben.  Bei  der  schreibseligen 
Gegenwart  wundert  es  mich,  dass  so  Wenige  daran  denken,  ihr  eigenes 
lieben  aufzumerken.  Das  kennt  doch  Jeder  von  sich  am  besten,  sollte 
man  'meinen,  und  jedes  Menschen  Leben  ist  wichtig.  Freilich  auf  die 
Art  der  Darstellung  kommt  es  an,  auf  den  Charakter  des  Darstellenden. 
Nicht  Jeder  verfügt  Uber  die  Ilanptbedingungen  des  Selbstbiographen: 
Wahrheit  und  Klarheit.  Klarheit  Uber  sich  selber,  Klarheit  für  Andere, 
das  ist  viel  verlangt.  Dann  Aufrichtigkeit  und  Strenge,  ohne  Eitelkeit  und 
ohne  falsche  Bescheidenheit  —  das  ist  noch  mehr  verlangt.  Leider  kennen 
wir  uns  selbst  lange  nicht  so  gut,  als  wir  glauben,  darum  ist  für  den  Auto- 
biographen  strenge  und  unausgesetzte  Selbstprüfung  nöthig.  Man  hüte  sich 
vor  Stimmungen  und  werthe  sich  vor  allem  nach  seinen  eigenen  Hand- 
lungen, wenn  es  überhaupt  darauf  ankommt,  sich  zu  werthen,  was  aber  bei 
einer  objektiven  Sclbstbesehreibung  fraglich  bleibt.  Ich  habe  zu  sagen, 
wie  ich  bin;  wie  viel  ich  werth  bin,  sollen  Andere  schätzen.  Der  Mensch 
ist  interessant  als  Schändender,  Ringender,  Siegender,  interessanter  als 
Irrender,  Fehlender,  am  interessantesten  als  Sünder.  Aber  nicht  etwa  dass 
er  als  frivoler,  selbstgefälliger  Sünder  auftrete,  vielmehr  als  redlicher  Wahr- 
heitsucher  soll  er  seine  Bekenntnisse  der  Welt  darlegen,  ohne  Umschweife, 
ohne  Beschönigung  und  ohne  Entstellung.  Wenn  er  freimüthig  sagt,  wie  er 
ist,  wie  es  so  mit  ihm  ward  und  wie  er  sich  des  Besseren  bestrebt,  dann 
wird  er  gerechtfertigt-  sein.  Solche  Selbstbeschreibungen  und  Selbstbekennt- 
nisse wären  nach  meiner  Meinung  von  grossem  Werthe.  sie  würden  uns  — 
immer  vorausgesetzt  die  Wahrhaftigkeit  —  in  der  Menschenwissenschaft 
weiter  bringen  als  Philosophie.  Wichtiger  als  die  Meinung  der  Menschen 
ist  ihr  Sein. 

Freilich,  zu  früh  darf  man  nicht  anfangen  mit  der  Beschreibung 
seiner  selbst.    Als  ich  in  früher  Jugend  meine  Selbstbiographie  dem  Dichter 


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Biographische  Blatter. 


Robert  Hamcrling  vorgelegt,  sagte  er  lächelnd,  das  wäre  ja  sehr  schön, 
nur  pflege  man  seine  Biographie  nicht  zu  Anfang  des  Lebens  zu  schreiben, 
vielmehr  gegen  Ende  desselben.  Er  selber  hielt  es  so  und  seine  „Stationen 
meiner  Lebenspilgerschaft"  sind  ein  Beispiel,  wie  ichs  meine.  Hamerling 
schrieb  nicht  Wahrheit  und  Dichtung,  sondern  lautere  Wahrheit;  vielleicht 
hatte  er  hiervon  nur  noch  zu  wenig  gesagt.  Kunstwerk  wird  eine  Biographie 
selten  sein,  und  warum?  weil  das  Leben  des  Menschen  selbst  so  selten  ein 
Kunstwerk  ist. 

Halten  Sie  einmal  Rundfrage  an  hervorragende  Charaktere:  Was  war 
in  Ihrem  Leben  das  Entscheidende?  Was  war  in  Ihrem  Dasein  das  wichtigste 
Ereigniss?  —  Sie  werden  Beiträge  erhalten,  die  für  Biographie,  Philosophie 
und  Literatur  gleich  werthvoll  sind.  Das  „Dekorum"  soll  abkommen,  der 
Freimuth  soll  aufkommen.  Hinter  dem  sechzigsten  Lebensjahre  hinauf 
verliert  der  Mensch  die  Lust  am  äusseren  Schein,  er  sieht  freier  den 
Gehalt  des  Lebens,  er  verfügt  über  in  der  Schule  des  Schicksals  hart  errun- 
gene Selbsterkenntniss,  und  wenn  zu  seiner  grösseren  Mittheilsamkeit  auch 
die  Aufrichtigkeit  kommt,  dann  ist  für  ihn  Zeit,  die  Selbstbiographie  zu 
.schreiben.  Wer  jedoch  einen  schönen  Roman  daraus  machen  will,  dem  danken 
Sie  höflich  und  sagen  Sie,  schöne  Romane  hätten  wir  ohnelün  schon  genug, 
aber  ernste,  tiefgründende  Biographien  und  Selbstbekenntnisse  hätten  wir 
noch  zu  wenig.  Und  wenn  Einer  selbstgefällig  mit  seinen  Tugenden  oder 
prahlerisch  mit  seinen  Lastern  kommt,  dann  deuten  Sie  an,  dass  an  Heuchlern 
und  Cynikera  auch  gerade  kein  Mangel  wäre,  dass  Sie  hingegen  ein 
Schätzer  des  echten  Mannesmuthes  seien,  der  in  Selbstachtung  und  Demuth 
zugleich  für  sich  einsteht  und  sein  Wähnen  und  Wirken  offen  dem  Urtheil 
der  Menschheit  zu  unterbreiten  wagt. 

Also  frisch  ans  Werk  zum  Blatte  für  Biographie  und  Selbstbiographie! 
Mit  aufrichtigem  Glückwunsch 

Ihr  ergebener 

Peter  Rosegger. 

Graz,  am  11.  Febr.  1895. 

 ❖  

Joseph  Schreyvogels  Entwurf  einer  Wiener  Hof-  und 

Staats-Zeitung. 

Mitgetheilt  und  eingeleitet  von 
KARL  GLOSSY. 

Schreyvogels  Thätigkeit  als  Schriftsteller  ist  bisher  noch  immer  nicht  ein- 
gehend gewürdigt  worden.  Der  künstlerische  .Huf  des  Burirtheaters.  von  Schrey- 
vogel  begründet,  hat  ihm  ein  unverfängliches  Andenken  in  der  Geschichte  des 
deutschen  Theater»  gesichert  und  seinen  Namen  über  das  heimathliche  Gebiet 
seines  "Wirkens  verbreitet.    Als  Schriftsteller  hingegen  war  er  nahezu  vergessen, 


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Joseph  Schreyvogels  Entwurf  einer  Wiener  Hof-  und  Staats-Zeitung. 


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und  erst  in  unseren  Tagen  ist  die  Forschung  auch  seinem  litterarischen  Wirken 
gerecht  geworden.  Seine  Schriften,  die  bei  ihrer  geringen  Auflage  heute  bereits 
sehr  selten  sind,  vor  Allem  aber  sein  „Sonntagsblatf*  reihen  Schreyvogel  in 
litterarischer  Hinsicht  zu  den  Besten  seiner  Zeit,  und  Aufgabe  der  Literatur- 
geschichte wird  es  sein.  Schreyvogels  grosse  Verdienste  in  das  richtige  Licht  zu 
stellen.  Dies  kann  jedoch  nur  im  Zusammenhange  mit  der  Geshichte  »einer 
Zeit  erfolgen,  mit  der  Darstellung  jener  Verhältnisse,  gegen  die  Schreyvogel 
nicht  minder,  ja  noch  weit  mehr  zu  kämpfen  hatte,  als  in  seiner  Eigenschaft 
als  Dramaturg  und  Leiter  der  ersten  deutschen  Bühne.  Schreyvogels  Anfang 
als  Schriftsteller  fällt  in  den  Beginn  der  nachjosephiniscben  Periode,  in  welcher 
der  kürzlich  noch  lebhafte  Pulsschlag  der  öffentlichen  Meinung  bereits  in  eine 
bedenkliche  Trägheit  verfallen  war. 

Seine  ersten  Schriften  sind  politischen  Inhalts  und  mit  jener  Vorsicht  ab- 
gefasst,  die  durch  die  Strenge  der  Zensur  bedingt  war.  Eine  Reihe  von  Be- 
schränkungen der  Pressfreiheit,  mit  denen  übrigens  schon  Joseph  II.  in  den  letzten 
Jahren  seiner  Regierung  begann,  «um  der  unsinnigen  Schreibsucht  nach  und  nach 
am  sichersten  ein  Ende  zu  machen**,  drängte  das  freie  Wort  in  streng  gemessene 
Schranken  und  hemmte  das  Aufklärungswerk  in  empfindlicher  Weise.  Die  Vor- 
gänge in  Frankreich  vermehrten  die  Ängstlichkeit  der  Alachthaber  gegen  das 
geschriebene  Wort.  Nicht  einmal  eine  objektive  Darstellung  der  Zeitereignisse 
sollte  stattfinden.  Man  ging  im  Staatsrathe  von  der  Ansicht  aus,  dass,  so  wie 
man  sich  hüte  vor  jungen  Leuten  von  Lastern  zu  sprechen,  auch  die  politischen 
Gräuel  der  Kenntniss  des  Volkes  entzogen  werden  müssen.  Es  durfte  daher 
nicht  mehr  gedruckt  werden,  als  in  der  Wiener  Zeitung  publizirt  wurde.  Da 
aber  diese  ausser  Berichten  über  Hoffeste  und  Mittheilungen  über  die  Vorgänge 
in  der  Türkei  sonst  keine  anderen,  weder  inländische  noch  ausländische  Nach- 
richten enthielt,  so  blieb  dem  Wiener  Publikum  kein  anderer  Ausweg  übrig,  als 
durch  ausländische  Blätter  sich  über  die  Ereignisse  in-  und  ausserhalb  des  Vater- 
landes unterrichten  zu  lassen.  Das  ging  aber  nur  kurze  Zeit,  da  nach  und  nach 
die  meisten  Blätter  verboten  wurden,  darunter  auch  die  Allgemeine  Zeitung, 
deren  Eigenthümer  Cotta  lauge  Zeit  hindurch  vergeblich  dagegen  Vorstellungen 
erhob.  Die  Ängstlichkeit  beschränkte  sich  aber  keineswegs  auf  politische 
Zeitungen,  sie  erstreckte  sich  auch  auf  die  philosophischen  und  schöngeistigen 
Zeitschriften,  die,  als  im  Dienste  der  revolutionären  Grundsätze  verdächtig,  strenge 
tiberwacht  wurden.  Besonders  lenkte  sich  die  Aufmerksamkeit  auf  Nicolai"» 
-Allgemeine  deutsche  Bibliothek",  hauptsächlich  aber  auf  die  Jenaer  Litteratur- 
zeitung,  der  man  in  Folge  ihres  Eifers  für  die  kantische  Philosophie  den  grössten 
Antheil  an  dem  sittlichen  Verderben  beimass.  Noch  1789  hatte  Kaiser  Joseph 
die  Litteraturzeitung  wegen  ihrer  Gemeinnützigkeit  von  der  Stempelung  befreit, 
drei  Jahre  danach  war  sie  verboten.  Mit  der  Begründung,  dass  dem  Staate 
nicht  nur  die  Obsorge  über  die  physische,  sondern  auch  über  die  geistige  Wohl- 
fahrt des  Volkes  zustehe,  wurde  nach  und  nach  die  Presse  als  ein  Ül>el  be- 
trachtet, gegen  deren  Verbreitung  ein  umfassender  Apparat  von  Präventiv-  uud 
Prohibitivmassregeln  in  Anwendung  kam.  Nur  wenige  Beherzte,  darunter  auch 
Joseph  Schreyvogel,  bewahrten  den  Muth,  in  der  Zeit  des  üppig  blühenden 
Denunziantenwesens  als  Apostel  der  Aufklärung  in  wahrhaft  patriotischem  Sinne 
aufzutreten.  Wir  finden  seinen  Namen  zu  dieser  Zeit  in  zwei  Zeitschriften  ver- 
treten, die  nahezu  das  Um-  und  Auf  der  damaligen  periodischen  Litteratur  aus- 
machen: in  „der  Wiener  Zeitschrift-  und  in  der,,  Österreichischen  Monatsschrift1*. 
Erstere,  von  dem  berüchtigten  Hoffmann  1792  begründet,  enthält  2  Aufsätze  von 
Schreysogel  und  zwar  (1.  Band):    -Ein  Vorschlag,   den  Streit  über  das  Recht 


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56  Biographische  Blatter. 


der  Konstitution  betreffend,  mit  einer  kurzen  Prüfung  der  neuesten  Äusserungen 
des  Herrn  Justus  Moser  über  das  benannte  Recht-  (gez. :  .T.  Svl.).  ferner  im 
2.  Band  4.  Heft  :  „Hat  vor  dem  Hochgerichte  der  französischen  Nation  eine 
nächtliche  Klage  gegen  die  ausgewanderten  Franzosen  statt? u  (Gez. :  Svl.)  Den 
ersten  Aufsatz,  eine  vornehm  gehaltene  Polemik  gegen  Mosers  Aufsatz  in  der 
Berlinischen  Monatsschrift  (1791),  hat  Hoffmann  hinterlistig  mit  spöttelnden  Be- 
merkungen versehen.  Eine  weit  umfassendere  ThHtigkeit  Äusserte  Sehreyvogel  in 
der  -Österreichischen  Monatsschrift *,  die  sein  Freund  Alxinger  1703  begründet 
und  bis  zum  Ende  dieses  Jahres  geleitet  hatte,  worauf  Sehreyvogel.-  Ehrenberg, 
Leon,  Ratschky  und  Schwandner  abwechselnd  die  Herausgabe  der  Monatschrift 
übernahmen,  deren  letztes  Heft  im  Juni  1704  erschien.  Im  ersten  Jahrgange 
dieser  Schrift  hat  Sehreyvogel  ein  Trauerspiel:  «Die  eiserne  Maske"  veröffentlicht, 
und  im  Dezemberheft  ist  ein  von  ihm  unterzeichneter  Aufsatz  erschienen,  betitelt: 
„Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Proscriptionen".  Weit  umfassender  ist  Schrey- 
vogels  Thätigkeit  im  Jahrgang  1794.  Die  meisten  seiner  Aufsätze  sind  hier  voll 
gezeichnet,  einige  nur  mit  dem  Anfangsbuchstaben  seines  Namens;  ausserdem  wird 
derjenige,  der  mit  Schreyvogels  Stileigenthümlichkeit  vertraut  ist,  mit  Leichtigkeit, 
auch  noch  eine  Reihe  nicht  signirter  Aufsätze  von  ihm  rinden.  Viele  derselben 
sind  polemischer  Natur,  gegen  Hoffmauu  und  den  Herausgeber  des  Magazins  Hof- 
stäter gerichtet,  der  gleich  dem  ersteren  ebenfalls  eine  denunziatorische  Thätig- 
keit  entfaltete  und  mit  jenem  wiederholt  den  Vorwurf  der  Geheimbündelei  gegen 
Sehreyvogel  erhoben  hatte,  den  dieser  mit  den  Worten  abwehrte:  rIch  habe  keine 
IKTsiinliche  Ursache,  gegen  die  geheimen  Gesellschaften  Geliudigkeit  und  Schonung 
zu  empfehlen.  Sie  gehen  mich  nichts  an.  Ich  stehe  mit  keiner  derselben  in 
Verbindung  und  habe  auch  nie  mit  irgend  einer  in  Verbindung  gestanden."  Trotz 
dieser  offenen  Erklärung  dauerten  die  Anfeindungen  heimlich  fort,  und  obwohl  es 
unrichtig  ist.  dass  Sehreyvogel  in  den  damaligen  Wiener  Jakobinerprozess  ver- 
wickelt wurde,  so  ist  es  anderseits  richtig,  dass  er,  müde  der  hässlichen  An- 
feindungen und  überzeugt  von  der  Nutzlosigkeit  seines  Wirkens  in  der  Heimath, 
es  vorgezogen  hatte,  eine  freiere  Luft  in  Jena  zu  athmen,  wo  er  im  Verkehr 
mit  hervorragenden  Geistern  neuen  Lebensmuth  schöpfte.  Ein  herzlicher  Brief 
Wielands,  der  sich  im  Nachlasse  Schreyvogels  vorgefunden,  bezeugt  die  gute 
Aufnahme,  deren  sich  der  Österreicher  im  Auslände  zu  erfreuen  hatte.  In 
Wielands  deutschem  Merkur  hat  Sehreyvogel,  der  sich  auch  an  der  .lenaer 
Litteraturzeitung  betheiligte,  seinen  Roman  ä  la  Riehardsoii,  betitelt:  „Der 
deutsche  Lovelaeeu.  anonym  veröffentlicht.  — 

1706  nach  Wien  zurückgekehrt,  verkehrte  er  häufig  mit  dem  von  Sonnen- 
fels hochgeschätzten  Professor  der  allgemeinen  Weltgeschichte  an  der  Wiener 
Universität  Mumelter  von  Sebenthai  und  dem  schwarzenbergischen  Hofrathe 
Leopold  Pliieh  von  Seinsberg,  im  Kreise  dieser  Männer  scheint  die  Idee  zu 
einem  gemeinsamen  Wirken  an  einer  Wochenschrift  gefasst  worden  zu  sein,  deren 
Plan  uns  erhalten  geblieben  ist.  Handschrift  und  Papier  dieses  nicht  datirten 
Schriftstückes  weisen  auf  diese  Zeit  zurück.  Das  Projekt,  das  sich  streng  an 
englische  Muster  anschliesst,  führt  verschiedene  Titel:  »Der  Stammler",  „Die 
Invaliden14.  „Die  Müssiggünger** ,  „Die  Untauglichen".  Es  stellt  eine  Gesellschaft 
von  o  6  Personen  vor,  die  eine  Art  von  Club  bilden,  worin  sie  Nützliches  und 
Angenehmes  verhandeln.  Der  Wunsch,  auch  das  Publikum  daran  theilnehmen  zu 
hissen,  führt  zu  der  Idee  eines  Wochenblattes  in  Form  eines  Rulletins  über  ihre 
Versammlungen.  Die  Wochenschrift  soll  in  Wien  erscheinen  und  von  Österreichern 
gelesen  werden;  Gegenstand  das  bürgerliche  und  häusliche  Leben  und  alles  sein,  was 
die  Angelegenheiten  eines  Privatmannes,  seine  Pflichten  und  Obliegenheiten  im  Staate 


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Joseph  Schreyvogels  Entwurf  einer  Wiener  ITof-  und  Staats-Zeitung. 


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und  Kirche,  in  seinem  Stande  und  in  der  Gesellschaft  betrifft.  Alles  in  Allem 
der  Vorbote  des  späteren  Sonntagsblattes,  wodurch  Schreyvogel  seine  litterarische 
Meisterschaft  bekundete.  Warum  der  Plan  damals  nicht  zur  Ausführung  kam,  ist 
aus  Schreyvogels  Aufzeichnungen  nicht  zu  ersehen.  Als  wahrscheinliche  Ursache 
kann  das  Projekt  eines  neuen  grossartigen  Unternehmens  angesehen  werden,  das 
Schreyvogel  damals  in  Gemeinschaft  mit  Professor  Mumelter  entworfen  hatte, 
dessen  schriftliche  Darstellung  aber,  wie  urkundlich  nachgewiesen  ist,  von  Sehrey- 
vogel  allein  ausgeführt  wurde.  Der  Plan  betrifft  die  Umänderung  der 
-Wiener  Zeitung*1  in  eine  .Hof-  und  Staatszeitung  nach  englischem  Muster.  Die 
Wiener  Zeitung  war  seit  langer  Zeit  an  die  Erben  des  Johann  von  Ghelen 
verpachtet,  der  bereits  1678  von  Kaiser  Leopold  ein  Privilegium  zur  Herausgabe 
einer  Zeitung  erhalten  hatte.  Anfangs  wurde  der  Familie  Ghelen  der  Verlag  der 
Wiener  Zeitung  unentgeltlich,  spater  gegen  einen  Beitrag  zum  Hofbibliotheks- 
fond und  zum  Wiener  Versatzamte  überlassen,  der  1775  bereits  9210  Gulden  betrag. 
Als  1787  der  Termin  des  Privilegiums  zu  Ende  ging,  Wirde  durch  eine  öffent- 
liche Versteigerung  der  Pachtschilling  auf  17*200  Gulden  erhöht  und  das 
Privilegium  auf  weitere  12  Jahre  ausgedehnt.  Als  Bewerber  für  die  neue 
Pachtung  meldeten  sich  1798:  Schreyvogel  und  Mumelter,  der  Hofbuchdrucker 
Schönfeld,  der  Buchdrucker  Salzer  und  die  Ghelenschen  Erben.  An  Mumelters 
Stelle,  der  im  selben  Jahre  plötzlich  starb,  traten  der  ftechtsgelehrte,  als  Ver- 
fasser des  bürgerlichen  Gesetzbuches  wohlbekannte  Professor  Zeiller  und 
Hofrath  Plach  ein,  die  in  einer  Eingabe  an  den  Kaiser  erklärten,  «sich  mit  dem 
Verfasser  des  Entwurfes  und  eigentlichen  Urheber  der  Unternehmung  Josef 
Schreyvogel**  vereinigt  zu  haben,  um  den  Plan  auszuführen.  Ein  Mann  von  so 
hervorragender  Bedeutung  wie  Zeil ler.  der  damals  bereits  Mitglied  der  Gesetz- 
gebung-Kommission war  und  als  Reehtsgelehrter  im  besten  Kufe  stand,  an  einem 
journalistischen  Unternehmen  in  Gemeinschaft  mit  einem  Schriftsteller  tbätig, 
dessen  Talente  auch  von  den  Behörden  anerkannt  wurden,  Hess  einen  völligen 
Umschwung  im  österreichischen  Zeitungswesen  erwarten,  das  damals  tief  im  Argen 
Iii?.  Wie  das  einzig  bestehende  politische  Matt,  die  Wiener  Zeitung,  schon  in 
der  josephinischen  Zeit  im  Ansehen  stand,  ist  aus  einer  Stelle  in  der  -Wiener 
Kronik*  (1784,  IT.  343)  zu  entnehmen,  wo  es  unter  Anderem  heisst:  ..Man 
sollte  doch  wenigstens  eine  richtige,  reine  Sprache  und  weniger  Unsinn  fordern 
dürfen,  womit  fast  jedes  Blatt  dei*selben  gleichsam  gestempelt  ist.  Öfters  liest 
man  einen  und  denselben  Artikel  zweimal  im  nämlichen  Blatte,  und  nicht  selten 
kommt  vier  Wochen  nachher  die  nämliche  Nachricht  wieder  vor,  die  schon 
ehedem  darin  stund.**  Das  Gleiche  galt  auch  in  der  nach  josephinischen  Periode, 
in  «ler  das  Wort  noch  enger  in  Fesseln  geschlagen  wurde. 

Unter  solchen  Umstanden  wirft  sich  die  Frage  auf,  mit  welchen  Mitteln  die 
Regierung  dieser  Zeit  auf  die  Volksstimmung  eingewirkt  hatte?  Die  Antwort, 
ist  nicht  schwer  zu  finden,  wenn  man  einen  Blick  auf  die  zahlreichen  Broschüren 
wirft,  die  zu  jenen  Zeiten,  zumeist  von  der  Begierung  veranlasst,  erschienen 
sind.  Dazu  kam  noch,  dass  sich  das  Augenmerk  mehr  auf  die  volkstümliche 
Schreibweise  lenkte,  und  nur  so  erklärt  es  sich,  dass  der  Verfasser  der  viel- 
genannten „Eipeldauer- Briefe"  im  Grunde  einer  der  ei-sten  offiziösen  Journalisten 
war  und  als  Vorläufer  des  Wiener  Hans  Jörgeis  die  Bestimmung  hatte.  Meinungen 
und  Ansichten  der  Begieraug  im  Lokaltone  zu  propagiren. 

Erst  in  späteren  Jahren  hatte  der  aufgeklärte  Stadion,  den  moralischen 
Werth  einer  gemässigten  Volksaufklärung  durch  die  Presse  erwägend,  die  Be- 
strebungen derselben  auch  wirksam  unterstützt.  Wie  sein  Nachfolger  Metternich 
Uber  die  Wichtigkeit  der  Zeitung  dachte,  ist   wohl  hinlänglich  bekannt.    —  Zu 


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58 


Biographische  Blätter. 


bedauern  ist,  dass  Schreyvogels  Plan  eines  alle  Zweige  des  staatlichen  Lebens 
umfassenden  publizistischen  Organs  am  massgebenden  Orte  nicht  jene  Aufmerksam- 
keit fand,  die  einem  solchen  Unternehmen  gebührt  hätte.  Man  nannte  Schrey- 
vogels  Idee  neu,  kühn,  gross,  man  erklärte  den  Vortrag  und  die  Darstellung  als 
einnehmend  und  verführerisch,  aber  man  bezweifelte  zugleich,  dass  der  Entwurf 
in  seinem  „gigautesken**  Umfange  verwirklicht  werden  könne.  In  einem  Vortrage 
an  den  Kaiser  Franz  vom  26.  März  1795  erklärte  die  Hofkanzlei;  dass  Schrey- 
vogels Zeitung  das  vollständigste  encyclopädische  Journal  sein  würde,  aber  die 
Zeitung  zur  Stimmung  des  guten  Publikums  für  diesem  oder  jenes  zu  gebrauchen, 
wäre  nicht  nöthig,  da  ohnehin  die  Folgsamkeit  und  gute  Denkart  des  Öster- 
reichischen Unterthanen  bekannt  sei.  Überdies  würden  Abhandlungen  im  ge- 
lehrten Fache  in  einem  täglichen  Blatte  dem  grössten  Theil  der  Leser  nicht  lange 
behagen.  Auch  im  Staatsrathe.  der  letzten  Instanz  vor  der  kaiserlichen  Ent- 
schliessung,  fand  Schreyvogels  Entwurf  wenig  Anklang.  Auch  hier  wurde  das 
geringe  Interesse  des  Publikums  an  einem  gelehrten  Journal  betont  und  die  Be- 
fürchtung ausgesprochen,  dass  die  Leser  nach  auswärtigen  Zeitungen  greifen  würden, 
was  bedenklich  wäre,  da  man  diese  nicht  in  der  Macht  habe.  Man  verkannte  im 
obersten  Rath  der  Krone  nicht,  dass  die  „Wiener  Zeitung"  lückenhaft  sei,  aber 
die  Schuld  wurde  nicht  dem  Herausgeber,  sondern  dem  Censor  zugemessen,  „der 
vieles  aus  politischen  Rücksichten  hinwegstreicht,  das  man  auswärts  aus  Mangel 
an  Aufsicht  und  mit  Beseitigung  aller  Delikatesse  ungescheut  zu  Papier  bringt.  ** 
Es  sei  überhaupt  nicht  leicht,  einen  Wiener  Zeitungsschreiber  abzugeben,  da  dieser 
ungemein  behutsam  vorgehen  müsse.  (Haus-,  Hof-  und  Staats  -  Archiv :  Staats- 
raths-Akten.)  Nach  alledem  wird  es  nicht  überraschen,  dass  Schreyvogels  Plan, 
den  er  handschriftlich  hinterlassen  hat,  nicht  zur  Ausführung  kam,  und  die  Ver- 
pachtung der  Wiener  Zeitung  auf  weitere  12  Jahre  an  die  Ghelenschen 
Erben  erfolgte.  Immerhin  erfordert  es  die  Gerechtigkeit  festzustellen,  dass 
der  erste  Plan  zur  Organisation  der  modernen  Zeitung  das  Werk  eines  Oster- 
reichers  ist.  Was  hätte  man  von  dem  Publizisten  Schreyvogel  Gutes  für  sein 
Vaterland  erwarten  dürfen,  von  dem  Manne,  dessen  Grab  Grillparzer  mit  den 
Worten  zierte:  „Stand  Jemand  Lessing  nahe,  so  war  er'stt! 


Schreyvogels  Entwurf  lautet: 

Die  politische  Wichtigkeit  der  Zeitungen  scheint  in  unseren  Tagen  keines 
Beweises  zu  bedürfen.  Sie  sind  die  einzige  Art  Schriften,  von  denen  es  gewiss 
ist,  dass  sie  auf  die  öffentliche  Meinung  gewirkt  haben.  Kein  Buch  wird  so  all- 
gemein, noch  so  zur  rechten  Zeit  gelesen.  In  Verbindung  mit  den  Posten  gehöi*en 
die  Zeitungen  zu  den  sinnreichsten  Anstalten  der  neueren  Staatskunst.  Sie  sind 
das  Organ  der  Gesetze;  es  giebt  kein  kräftigeres  Mittel,  ein  ganzes  Volk  für 
grosse  Maassregeln  zu  vereinigen  und  schnell  in  Bewegung  zu  setzen.  Auch 
haben  sich  die  streitenden  Parteien  in  allen  Ländern  einer  so  wirksamen  Maschine 
zuerst  zu  bemächtigen  gesucht. 

Überall  haben  Zeitungen  die  Revolution  angekündigt;  hier  und  da  haben 
sie  alleine  Revolutionen  gemacht.  In  anderen  Verhältnissen  ist  dadurch  dem  Geiste 
der  Neuerungen  glücklich  entgegen  gearbeitet  worden.  Das  glänzende  Beispiel 
von  Geineingeist  und  patriotischer  Anstrengung,  wodurch  Grossbritannien  die  Be- 
wunderung der  Welt  auf  sich  gezogen  hat,  wäre  ohne  die  Mitwirkung  seiner 
öffentlichen  Blätter  nicht  möglich  gewesen. 

Die  Bemühung  der  Regierungen,  der  Ausbreitung  fremder  Zeitungsblätter 
durch  Verbote  und  Auflagen  Abbruch  zu  thun,  zeigt  hinlänglich,  dass  ein  so 
vielseitiger  Gegenstand  ihrer  Aufmerksamkeit  in  keinerlei  Betrachte  entgangen  ist. 


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Joseph  Schreyvogels  Entwurf  einer  Wiener  Hof-  und  Staats-Zeitung.  59 


Aber  Verbote  und  Taxen  sind  kein  Ersatz  für  ein  entbehrtes  Bedürfniss.  Sie 
begünstigen  oft  nur  den  Schleichhandel  mit  der  beliebten  Waare,  der,  da  er  im 
Verborgenen  um  sich  greift  und  keiner  Berechnung  unterliegt  ,  nicht  selten  be- 
denklicher ist  als  die  unbeschränkte  Freiheit  des  Gebrauches  selbst.  Die  Zeitungen 
enthalten  ausserdem  so  manches,  dessen  öffentliche  Mittheilung  nicht  zu  hindern, 
einer  weisen  Verwaltung  angelegen  sein  inuss.  Sie  stellen  gleichsam  das  all- 
gemeine Komptoir  der  grossen  Handlungsverbindung  der  Welt  vor.  Die  Industrie 
und  der  Erfindungsgeist  suchen  darin  einen  fortdauernden  Anreiz  und  eine  stets 
bereit«  Unterstützimg.  Vielleicht  sind  mehr  nützliche  Entdeckungen  und  brauch- 
bare Kenntnisse  durch  Zeitungen  in  das  Publikum  gebracht  worden,  als  durch 
alle  Handlungs-Akademien  und  ökonomischen  Gesellschaften  zusammengenommen. 
—  Ein  Volk,  wie  ein  einzelner  Mensch,  darf  in  dem  Fortgange  zur  Kultur  nicht 
ungestraft  hinter  seinen  Zeitgenossen  zurückbleiben.  Es  soll  sich  selbst  kennen 
und  die  Stelle,  die  es  in  der  Reihe  der  Nationen  einnimmt,  würdigen  lernen. 
Alle  seine  Anlagen  soll  es  entwickeln  und  jedes  Gut  ergreifen,  das  ungenützt  in 
ihm  liegt,  oder  ihm  von  Aussen  dargeboten  wird. 

Wenn  es  in  dieser  Hinsicht  möglich  ist,  die  öffentliche  Meinung  einem 
strengeren  Systeme  der  Staatskunst  zu  unterwerfen,  ohne  den  Umlauf  nutzbarer 
Begriffe  und  Wahrheiten  zu  hemmen,  so  kann  dieses  nur  durch  die  Veranstaltung 
einer  vaterländischen  Zeitung  geschehen,  die  darauf  angelegt  ist,  die  politischen 
Blatter  des  Auslandes  entbehrlich  zu  macheu.  Eine  solche  Zeitung  wird  einen 
weiten  Plan  umfassen  und  auf  alle  Bedürfnisse  eines  ausgebreiteten  Gemeinwesens 
berechnet  sein.  Sie  wird  die  Vorzüge  der  Vollständigkeit,  der  Auswahl  und  des 
guten  Geschmackes  mit  dem  Verdienste  der  Neuheit  und  einer  schnellen  Beförderung 
vereinigen.  Es  ist  wesentlich,  dass  die  Zeitung  einen  gewissen  Charakter  der 
Unabhängigkeit  behaupte :  sie  wird  in  den  Grundsätzen  der  Regierung,  aber  nicht 
in  ihrem  Solde  geschrieben  sein. 

Es  hat  nicht  das  Ansehen,  dass  bei  der  gewöhnlichen  Einrichtung  der 
Zeitungsblätter  eine  ganz  deutliche  Vorstellung  von  dem  Zwecke  derselben  zum 
Grunde  gelegt  werde.  Nicht  bestimmter  scheinet  der  Begriff  zu  sein,  unter  dem 
man  sich  das  Publikum  solcher  Blätter  gedacht  hat.  Die  Leser  der  Zeitungen 
sind  Menschen  in  bürgerlichen  Beschäftigungen,  selten  Staatsmänner  und  fast  immer 
ünterthanen.  Welchen  Nutzen  soll  die  grössere  Zahl  derselben  aus  Nachrichten 
schöpfen,  die  sich  beinahe  ganz  auf  den  Gang  des  Krieges  und  der  diplomatischen 
Unterhandlungen  beschränken?  Diese  Einseitigkeit  hat  die  Zeitungen  zu  einem 
Spielwerke  seichter  Köpfe  und  politischer  Schwätzer  herabgewürdigt,  anstatt  dass 
sie  bestimmt  wäre,  die  Künste  des  Friedens  zu  beleben  und  alle  geselligen 
Tugenden  in  den  Gemüthern  der  Bürger  anzufachen. 

Ein  öffentliches  Blatt,  das  den  Absichten  einer  thätigen  Verwaltung  und 
den  Bedürfnissen  eines  grossen  und  gebildeten  Publikums  zugleich  angemessen 
sein  soll,  wird  auf  folgender  Grundlage  beruhen  müssen. 

Es  wird  fürs  erste  das  Tagebuch  der  Gesetzgebung  enthalten.  In  dieser 
Eigenschaft  wird  es  der  obersten  Gewalt  den  Dienst  eines  Vehikels  leisten,  ihre 
Beschlüsse  und  Anordnungen,  ohne  Verzug,  mit  Sicherheit  und  in  grösster  Aus- 
breitung, zur  Kenntniss  des  Volkes  zu  bringen. 

Hiernächst  wird  es  das  Zentral-Bureau  der  Privat-Angelegenheiten  vor- 
stellen, welche  vor  dem  Publikum  verhandelt  werden.  Als  ein  solches  wird  das 
Blatt  der  Betriebsamkeit  und  dem  Vortheile  der  Einzelnen  einen  Vereinigungs- 
pnnkt  darbieten,  und  indem  es  die  Wege  der  Mittheilung  erleichtert,  die  Wirkungen 
eines  schnellen  Umlaufes  der  Geschäfte  an  seinem  Theile  befördern. 

Es  wird  endlich  den  Zustand  und  die  Geschichte  des  Landes  in  ihrem  ganzen 


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60 


Biographische  Blatter. 


Detail,  die  allgemeine  Lage  der  Welthandel  aber  in  einem  pragmatischen  Auszuge, 
und  in  steter  Beziehung  auf  den  Gehrauch  des  bürgerlichen  Lebens,  darlegen. 
Tn  dieser  Rücksicht  wird  sich  darin  die  Kunst  entwickeln,  den  Geschmack  der 
Menge  von  der  Tändelei  mit  politischen  Neuigkeiten  und  Meinungen,  auf  das.  was 
den  Menschen  und  den  Bürger  zunächst  angeht  und  was  ihm  nützt,  zu  leiten; 
auf  den  Fortgang  der  Gewerbe,  des  Ackerbaues,  der  Handlung,  der  Künste  und 
der  Wissenschaften. 

Ein  solches  Blatt  wird  dann  zugleich  ein  schickliches  Werkzeug  der  Politik 
abgeben  können,  die  Unternehmungen  der  Regierung,  wo  es  nöthig  ist.  vorzu- 
bereiten, zu  erklären,  zu  unterstützen:  richtigere  Vorstellungen  über  die  ver- 
wickelten Zweige  der  Verwaltung,  über  das  Finanzwesen,  den  Staatskredit,  das 
allgemeine  Handlungsinteresse,  die  öffentliche  Erziehung,  zu  verbreiten;  den  Ton 
gegen  auswärtige  Mächte  nach  den  Berechnungen  des  Kabinetes  zu  stimmen,  und 
die  Sache  der  Nation  und  des  Regenten,  in  jedem  Falle,  mit  Nachdruck  und 
Würde  zu  führen. 

Ein  mächtiges  Reich  von  so  gemischter  Zusammensetzung  als  die  öster- 
reichische Monarchie,  und  auf  einer  gleichen  Stufe  der  Kultur,  scheint  einer  Anstalt 
dieser  Art  vor  andern  zu  bedürfen. 

Sie  vereinigt  die  Triebwerke  der  Publizität  und  der  Meinungen  in  den 
Händen  der  obersten  Macht,  und  sehliesst  zugleich  eine  reiche  Quelle  des  Gemein- 
geistes und  der  National-Thätigkcit  auf.  Das  verschiedene,  oft  sich  durchkreuzende 
Interesse  der  Provinzen  erhält  dadurch  neue  Punkte  der  Annäherung.  Die  Be- 
wohner entfernterer  Himmelsstriche  t heilen  einander  ihre  Vortheile,  ihre  Einsichten, 
ihre  sittliche  Bildung  mit.  Das  Nützliche  wird  unvermerkt  herrschend.  Alle 
Measchengattungen  haben  ein  Vorbild  der  Eintracht,  der  Ordnung  und  des 
Wetteifers  vor  den  Augen,  zum  Besten  des  Ganzen  nach  ihren  Kräften  mitzu- 
wirken. 

Ks  verdient  kaum  angeregt  zu  werden,  wie  sehr  der  gegenwärtige  Zustand 
der  inländischen  Zeitungen  von  den  Eigenschaften  abweicht,  die  wir  als  die  Be- 
dingungen der  Brauchbarkeit  solcher  Blätter  vorgestellt  haben.  Nirgends  entdeckt 
sich  in  dieser  Art  Schriften  die  Spur  eines  durchdachten  Entwurfes.  Der  öffent- 
liche Dienst  leidet  unter  der  Langsamkeit,  die  dabei  herkömmlich  ist:  nur  mit. 
Mühe  empfangen  die  Industrie  und  das  Privat-Tnteresse  ihren  kümmerlichen  Bei- 
stand. Aus  Einrichtungen  von  so  schwachem  Charakter  geht  kein  des  Vater- 
landes würdiger  Gedanke  hervor.  Nicht  einmal  dem  gemeinen  Bedürfnisse  der 
Neugierde  haben  unsere  politischen  Blätter  abzuhelfen  gewusst.  Schwerlich  ver- 
liert ein  anderer  Staat  so  beträchtliche  Summen  an  das  Ausland,  für  einen  so 
zweideutigen  Artikel  des  Luxus. 

Die  bevorstehende  Erneuerung  des  Kontraktes  der  Wiener  Zeitung  lässt  die 
Möglichkeit  absehen,  mit  einem  Gegenstande  von  solcher  Wichtigkeit  eine  Ver- 
änderung zu  treffen.  Der  unternehmende  Geist  des  Zeitalters  scheint  eine  Ver- 
anstaltung dieser  Art  mehr  als  sonst  zu  erheischen,  er  scheint  sie  dringend  zu 
machen.  Die  Unterzeichneten  haben  den  Plan  umständlich  überlegt,  wie  dieselbe 
bewerkstelligt  werden  könnte.  Sie  sind  bereit,  und  es  ist  ihr  angelegener  Wunsch, 
die  übrige  Zeit  ihres  Lebens,  welches  dem  Studium  der  Geschichte  und  der  nütz- 
lichen Kenntnisse  bestimmt  ist,  der  Ausführung  eines  Werkes  zu  widmen,  das 
der  Theilnahme  des  Patrioten  vor  anderen  werth  zu  sein  scheint.  —  Hier  ist 
ihr  Plan. 

Das  Öffentliche  Blatt,  das  nach  der  Absicht  der  Unterzeichneten  an  die 
Stelle  der  jetzigen  Wiener  Zeitung  treten  soll,  wird  eine  National-Zeitung  unter 
dem  Schutze  und  der  unmittelbaren  Leitung  der  Verwaltung  sein.    Bei  der  strengsten 


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Joseph  Schreyvogels  Entwurf  einer  Wiener  IM-  und  Staats-Zeitung. 


61 


Abhängigkeit  von  den  Grundsätzen  der  Regierung,  wird  es  den  Anschein  eines 
freien  Institutes  für  den  Dienst  des  Publikums  haben.  Zu  diesem  Ende  muss  die 
offizielle  Beschaffenheit  seines  Inhaltes  sorgfältig  unterschieden  und  durchaus  be- 
obachtet werden.  Dies  ist  ein  Hauptumstand  und  von  durchgängiger  Anwendung 
in  dein  folgenden  Detail. 

Die  Unterzeichneten  schlagen  den  Titel: 

W  i  e  n  e  r  Hof-  und  S  t  a  a  t  s  z  e  i  t  u  n  g 
für  das  neue  Zeitungsblatt  vor.  —  Das  Blatt  wird  enthalten: 

I.  Die  Gesetze  und  Anordnungen  der  höchsten  Macht  und  der  abhan- 
gigen Gewalten,  in  ihrem  ganzen  Umfange  und  ohne  Ausnahme  des 

«lustizfaches. 

Die  möglichst  schnellste  Verbreitung  allgemein  verbindender  Gesetze  ist  eine 
der  wesentlichen  Obliegenheiten  der  Zeitung.  Als  das  einzige  öffentliche  Blatt 
der  ersten  Provinz  und  der  Hauptstadt  der  Monarchie,  wird  sie  zugleich  die  Ver- 
ordnungen, welche  diese  beiden  vorzüglichen  Bestandteile  des  Staates  insbesondere 
betreffen,  in  voller  Ausdehnung  liefern.  Die  Beschlüsse  aller  übrigen  Provinzial- 
und  Distrikts-Yerwaltuugen  gehören  zur  Geschichte  des  Innern,  und  finden  daselbst 
ihren  Platz,  nach  Massgabe  ihrer  Wichtigkeit,  entweder  auszugsweise  oder  auch 
vollständig. 

Die  Verfasser  der  Zeitung  führen  selbst  das  "Wort,  so  oft  es  die  Natur 
einer  Anstalt  nöthig  macht,  sich  der  Mitwirkung  der  Nation,  auch  ausser  dem 
gesetzlichen  "Wege,  zu  versichern.  Durch  diese  Einrichtung  erlangt  die  Admini- 
stration den  Besitz  eines  Mittels,  die  Stimmung  des  Publikums  für  weit  aussehende 
Maassregeln  zu  prüfen  und  auf  mancherlei  Welse  vorzubereiten.  Einzelne  Punkte 
rcrwiekelter  Unternehmungen  können  hier  in  das  Licht  gestellt,  und  die  Pflicht 
und  das  eigene  Interesse  der  Unterthannen  dringend  eingeschärft  werden,  den  Ab- 
sichten der  Verwaltung  in  jeder  Rücksicht  Genüge  zu  leisten. 

In  allen  angeführten  Beziehungen  Ist  die  Zeitung  lediglich  im  Dienste  der 
obersten  Gewalt.  Die  Herausgeber  treten  dadurch  in  die  allgemeine  Verpflichtung 
wirklicher  Staatsdiener;  sie  sind  in  Ansehung  der  empfangenen  Aufträge  be- 
sonders verantwortlich.  Das  Stillschweigen  über  jede  Art  des  Zusammenhanges, 
worin  die  Zeitung  mit  der  Staatsaufsicht  steht,  ist  ein  wesentlicher  Theil  jener 
allgemeinen  Verpflichtung. 

IL  Die  Aufträge  und  Verhandlungen  der  Pri vat-Personen  unter  ein- 
ander und  in  ihren  Verhältnissen  mit  dem  Publikum  überhaupt. 
Hierunter  Ist  der  einfache  Inhalt  des  bisherigen  Intelligeiizblattes  begriffen.  — 
Die  Unterzeichneten  halten  für  zweckmässig,  einen  Theil  desselben  mit  der 
Zeitung  selbst  zu  vereinigen.    Dies  wird,  in  dringenden  Fällen,  die  Schnelligkeit 
und  Allgemeinheit  der  Mittheilung  möglich  machen.    Es  wird  eine  geschickte 
Stellung   der  Materien  begünstigen,   wodurch  mancher  Umstand  der  Bemerkung 
derer,   welchen  er  wichtig  sein  kann,  näher  gerückt  wird.    Tn  Bezug  auf  das 
Ganze   wird  es  den  Reiz  der  Mannigfaltigkeit  zu  erhöhen  dienen,   und  es  zu- 
gleich dem  Beobachter  nie  an  Stoff  und  Anlass  zu  fruchtbaren  Betrachtungen 
fehlen  lassen. 

Die  Herausgeber  werden  Sorge  tragen,  die  Übersicht  der  hierher  gehörigen 
Artikel  durch  eine  lichtvolle  Anordnung  zu  erleichtern.  Es  wird  ihre  besondere 
Angelegenheit  sein: 

1.  Den  Umsatz  der  Güter  im  Grossen,  der  Ländereien,  Häuser,  Kapitalien 
und  öffentlichen  Fonds,  mit  Hintanhaltung  des  Wuchers  und  der  Agiotage,  zwischen 
den  Parteien  selbst  zu  betreiben. 


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V>'2 


Biographische  Blatter. 


2.  Die  Nachfrage  nach  Verdienst  und  Arbeit,  durch  eine  bessere  Ein- 
richtung der  Koraptoirs- Anzeigen,  in  einen  regelmässigen  Gang  zu  bringen. 

3.  Einen  tauglichen  Plan  zu  Unterzeichnungen  ftlr  patriotische  Anstalten 
und  für  Werke  der  Wohlthätigkeit ,  auf  dem  Wege  der  Publizität  einzuführen. 

Die  gewohnte  Ordnung  der  gerichtlichen,  und  ähnlicher  Kundmachungen, 
bleibt  hierbei  ungestört.  Diese  erscheinen  wie  sonst  anfangsweise,  an  den  üblichen 
Tagen  wöchentlich  zweimal. 

III.  Die  Begebenheiten  der  Zeit,  in  einer,  für  den  Gebrauch  des 
bürgerlichen  Lebens  und    aus    einem   patriotischen  Gesichtspunkte 

behandelten,  Darstellung. 

Diese  Hauptabtheilung  zerfällt  in  drei  besondere  Abschnitte.  Wir  verstehen 
darunter : 

1.  Geschichte  des  Hofes  und  der  Regierung. 

Es  hängt,  allein  von  dem  Ermessen  der  Staatsverwaltung  ab.  welchen  Umfang 
und  welche  Fruchtbarkeit  dieser  wichtige  Abschnitt  erhalten  soll.  Die  erhabenen 
Gegenstände,  womit  er  sich  beschäftigt,  sind  den  Augen  und  der  Verehrung  der 
Nation  vielleicht  zu  sehr  entrückt  worden.  Die  Vortheile  einer  wohlverstandenen, 
von  der  Administration  selbst  geleiteten  Publizität,  finden  von  Zeit  zu  Zeit  einen 
weniger  gegründeten,  und  sogar  einen  weniger  hartnäckigen  Widerspruch. 

Es  ist  nützlich,  es  ist  vielleicht  nöthig,  dass  die  Triebfedern  einer  gerechten 
und  weisen  Verfassung  an  den  Tag  gelegt  werden,  damit  die  Machinationen  der 
Ehrsucht  und  der  Volksverführung  in  dem  vollen  Kontraste  ihrer  Nichtswürdigkeit 
erscheinen. 

Schon  jetzt  gehört  übrigens  hierher:  Alles  was  die  Person  und  die  Familie 
des  Monarchen  betrifft.  Der  Hofstaat;  das  Ceremoniell;  Gnaden-  und  Ehren- 
bezeigungen: Collegial- Verfassung;  Veränderung  in  denselben,  mit  Einschluss 
dessen,  was  die  Verwaltungskörper  der  Provinzen  angeht.  Der  äussere  Dienst; 
Gesandschaften ;  Konsulate.  —  Amtsberichte,  den  Krieg  und  die  Unterhandlungen 
mit  auswärtigen  Mächten  betreffend. 

Die  neue  Einrichtung  der  Zeitung  giebt  zugleich  die  schicklichsten  Formen 
an  die  Hand,  dasjenige  in  Umlauf  zu  setzen,  was  die  Politik  von  dem  Gange  und 
den  Resultaten  der  äusseren  Geschäfte,  ohne  den  Charakter  einer  ministeriellen 
Mittheilung,  bekannt  werden  zu  lassen  für  gut  achten  möchte.  Es  ist  einleuchtend, 
dass  die  Pflicht  der  Geheimhaltung,  in  Ret  rächt  der  Quelle,  hierbei  noch  unver- 
brüchlicher ist  als  in  dem  oben  berührten  Falle. 

2.   Die  Geschichte  des  Landes  und  der  Nation. 

Wir  sind  bereit  in  ein  weites  Feld  überzugehen,  dessen  trockene  Ansicht 
die  Aufmerksamkeit  zu  ermüden  scheinet.  Der  grösste  Theil  der  Gegenstände, 
welche  wir  in  dem  gegenwärtigen  und  in  den»  folgenden  Abschnitte  aufzuzählen 
bemüht  sind,  hat  bis  jetzt  selten  oder  nie  eine  Stelle  in  den  Zeitungen  gefunden. 

Es  sind  gleichwohl  Dinge,  von  denen  unterrichtet  zu  sein  den  Meisten  nütz- 
lich und  allen  anständig  ist.  Sie  machen  vereint  die  Denkwürdigkeiten  des  Zeit- 
alters aus,  welche  zu  sammeln  und  für  die  Nachwelt  aufzubewahren,  eine  Be- 
stimmung der  Zeitblätter  sein  sollte.  Der  Punkt  der  Schlachten  und  Staats- 
aktionen fängt  nach  und  nach  an  in  der  älteren  und  neueren  Geschichte  dem 
Nützlichen  und  Lehrreichen  Platz  zu  machen.  Die  Zeitungen,  welche  die  Ge- 
schichte der  Gegenwart  enthalten,  sollen  in  einer  so  lobenswerthen  Reform  nicht 
zurückbleiben.  Die  Idee  des  Ausserordentlichen  hat  eine  grosse  Gewalt  über  die 
Einbildungskraft  der  Menschen;  man  sollte  nichts  unversucht  lassen,  was  fällig  Ist 
eine  so  gefährliche  Macht  zu  schwächen.    Dem  Menschen  gefällt,  was  er  treibt, 


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Joseph  Schreyvogels  Entwurf  einer  Wiener  Hof-  und  Staats-Zeitung-. 


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und  er  unterhält  sich  gerne  von  dem,  was  ihm  Vortheil  bringt.  Man  führe  den 
Bürger  in  sich  selbst,  zu  seinen  Geschäften,  zu  seinen  Bedürfnissen  zurück:  man 
lehre  ihn  sein  eigenes  Land  und  dessen  Vorzüge  kennen;  man  zeige  ihm  das 
Bild  der  Gesellschaft  in  ihrem  Wohlstände,  in  der  sittlichen  Ordnung,  und  er 
wird  den  zerstörenden  Übermuth  der  Zeit  verabscheuen,  den  ein  unverwahrtes 
Auge  zu  bewundern  geneigt  ist,  wenn  er  sich  ihm  in  seinem  falschen  Schimmer 
zeigt. 

Es  sind  ungefähr  folgende  Rubriken,  worunter  sich  der  statistisch-historische 
Theil  des  Inhaltes  der  Zeitung  zusammenfassen  lässt. 

Physischer  Zustand. 
Messungen  und  nähere  Aufschlüsse  über  das  Innere  des  Landes;  Ver- 
änderungen des  Klima;  meteorologische  Beobachtungen;  Bemerkung  des  Einflusses 
der  Witterung  auf  die  Organisation;  Beiträge  zur  natürlichen  Geschichte  der 
Gebirge,  der  Gewässer,  des  flachen  Landes;  Fruchtbarkeitstabellen;  Merkwürdig- 
keiten der  animalischen  Natur;  Beobachtungen  über  den  Gesundheitszustand  einzelner 
Gegenden;  Epidemien;  Sterblichkeit  unter  Mensehen  und  Thieren;  physikalische 
Entdeckungen ;  Naturseltenheiten. 

ökonomischer  Zustand. 

Fortschritte  in  der  Urbarmachung  des  Lindes;  neue  Anpflanzungen;  Fort- 
gang. Stillstand  und  Verfall  der  Bauten  in  Städten  und  Dörfern;  Strassenbau: 
Versuche  zur  Schiffbarmachung  und  ökonomischen  Benutzung  der  Flüsse  und 
Landseen;  Kanäle;  jährlicher  Ertrag  der  Ländereien  und  Bergwerke:  Verhältnis 
des  Ackerbaues  zur  Viehzucht,  zum  Wein-  und  Flachsbaue,  etc.;  Zustand  der 
Forste,  der  Steinkohlengruben  und  Torfgräbereien:  bemerkte  Miingel  in  der 
Ökonomie  des  Landes  und  Vorschläge  zur  Verbesserung  derselben;  Zustand 
des  Landvolkes.  —  Städtisches  Gewerbe.  Verhältnisse  der  Industrie  zum  Land- 
baue; Geschichte  der  Zünfte;  Listen  über  die  Erlangung  des  Meister-  und  Bürger- 
rechtes, Fabriken;  Fortgang  der  grossen  Manüfakturgeschäfte  einzelner  Dist riete, 
des  Leinengewerbes,  der  Eisenwerke,  Glashütten,  Papiermühlen  etc. ,  Aufkommen 
neuer  CJewerbszweige;  Technische  Erfindungen;  Steigen  und  Fallen  des  Handlohnes; 
Wohlstand  und  Lebensart  der  Unternehmer;  Preise  der  Fabrikate;  Moden.  — 
Öffentliche  Bildungsanstalten,  Frequenz  derselben;  Zustand  der  Kunst-  und 
Konimerzial-Schulen ,  Gelehrte  Institute;  Pflanzschulen  für  die  Geistlichkeit,  für 
das  Militär,  für  die  Staatsämter. 

Freie  gelehrte  Gewerbe;  Promotions-Listen.  -  Berechnung  des  Verlustes 
der  industriösen  Klasse,  durch  das  Zudrängen  der  Bürger  zu  den  höheren  Ständen: 
Erhebungen  in  den  Adelsstand.  Bemerkungen  über  den  Fortgang  des  Luxus  in 
ökonomischer  Hinsicht.  Handel.  Überfluss  oder  Abgang  der  ersten  Bedürfnisse 
für  den  eigenen  Verbrauch  der  Provinzen:  Eröffnung  neuer  Kommerzialstrassen 
und  Verbesserung  der  alten;  Ausbreitung  der  Schiftfahrt  und  des  Schiffbaues: 
Zustand  des  Fuhrwesens;  Chronik  der  .lahrmlirkte ;  Zollregister;  Hauptzug  -  des 
inneren  Produkten-  und  Manufakturhandels;  Tabellen  über  die  Ein-  und  Ausfuhr: 
Geschichte  der  grossen  Markt-  und  Seeplätze  der  Monarchie;  Österreichisches 
Küstenland;  Seefahrt:  Assekuranz-Kompagnien.  Zustand  der  Kaufmannschaft ; 
Bankerotte.  Veränderungen  und  Kurs  der  Münzen,  der  Wechsel  und  der  öffent- 
lichen Fonds.  Inländische  Banken.  Stand  der  Geldzinsen.  Werth  der  Landgüter 
und  Wohnhäuser.  Wuchergeschäfte  und  Künste  der  Agioteurs.  .lährliche 
Handlungs-Bilanz  der  Provinzen  gegen  einander  und  der  Monarchie  gegen  das 
Ausland.  —  Verordnungen  und  Anstalten  der  Provinzial-  und  Distrikts-Ver- 
waltungen, in  Betreff  aller  benannten  Gegenstände. 


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tu 


Biographische  Blätter. 


Sittlicher  Zustand. 
Verhältnis  der  ehelichen  Geburten  zu  den  unehelichen;  Ehestands-Prozesse: 
Trauungslisten,  nach  deu  Ständen  und  Glaubensbekenntnissen,  Herrschende  Krank- 
heiten. Stand  der  Spitäler,  Zucht-  und  "Waisenhäuser;  politische  Rechnungen  aus 
den  Todtenregisteru,  Sanitätsanstalten;  Polizeistrafen;  Kriminal-Fälle;  Konsurations- 
Tabellen. 

Verbrauch  geistiger  Getränke;  Anzahl  und  Zustand  der  Wein-,  Bier-  und 
Kaffeehäuser.  Aufwand  in  Kleidern  und  Ameublement.  Equipagen;  Lohukutschen. 
Preise  der  Arbeiten  für  den  Luxus.  Pferde-  und  Hundeliebhabereien.  Menge 
des  Gesindes.  Lohn  und  Zustaud  des  Dienstvolke«.  Häuslichkeit.  Hang  zum 
"Wohlleben;  schneller  Glücks  Wechsel;  Konkurse.  Lotto;  Bettelei,  unerlaubte  Ge- 
werbe. Anstalten  zur  Beschäftigung  brodloser  Menschen.  Milde  Stiftungen; 
Rechnungen  der  Annen- Institute.  —  Öffentliches  Leben.  Unterhaltungen  des 
Volkes;  Feiertage.  Frequenz  der  Theater.  Gärten,  Tanz-  und  Spielhäuser.  Vor- 
nehme Welt;  Landleben;  Chronik  der  Bäder  und  Gesundbrunnen.  Bemerkungen 
über  den  vermuthlichen  Absatz  einzelner  Luxusartikel,  als  der  Spielkarten,  der 
Zeitungen  und  Modebücher.  —  Denkungsart  der  Nation  in  religiösen  und  politischen 
Dingen.  Bereitwilligkeit  der  Unterthanen  zu  den  Lasten  des  Staates  beizutragen: 
patriotische  Gaben;  Rückstände  in  der  Zahlung  der  Abgaben:  Betrügerische  Be- 
einträchtigungen des  Fiskus;  Schleichhandel.  Militär-Dienste;  freiwillige  Werbungen. 
Gegenseitige  Verhältnisse  der  Stände  und  Volksklassen  unter  einander.  Justiz- 
Verfassung;  Zivil-Prozesse.  —  Seminarien  der  Klerisei.  Zustand  der  Landpfarrer. 
Anordnungen  der  Bischöfe  und  Konsistorien.  Verdienste  der  geistlichen  Orden 
um  die  Kultur  des  Landes,  den  öffentlichen  Unterricht  und  die  Gelehrsamkeit. 
Bilduni:  des  Geschmacks  und  des  Verstandes.  Kultur  der  Sprache.  Gelehrte 
Gesellschaften.  Buchhandel:  Schriftstellern,  Ausbreitung  des  Lesens :  Volksschriften: 
wissenschaftliche  Werke.  —  Allgemeiner  Nekrolog  der  österreichischen  Nation. 

3.  Geschichte  der  Welt. 
Geographische  Entdeckungen,  Kolonien;  Veränderungen  in  der  ökonomischen 
Verfassung  besonderer  Staaten;  Geschichte  des  Ackerbaues  und  der  Nutzung  des 
Bodens  im  Allgemeinen.  Fortgang  und  Zug  der  Industrie  und  des  Wohlstandes 
unter  den  Bewohnern  des  Erdbodens.  Beitritt  einzelner  Völker  zum  Welthandel. 
Neue  Städte.  Eröffnung  von  Schiffshäfen  und  inneren  Kommunikations-Strassen. 
Geschichte  der  Posten.  Veränderungen  in  Maassen  und  Gewichten.  Münz-Politik. 
Verhältnisse  des  Goldes  und  Silbers.  Zustand  der  öffentlichen  Banken.  Geschichte 
des  Wechsels  in  grösster  Ausbreitung,  mit  Erläuterungen  über  das  Schwanken 
der  Handlungs-Bilanz  im  Allgemeinen.  —  Finanz- Verwaltung  einzelner  Staaten. 
System  der  Auflagen,  Staatsschulden,  Stand  der  Zinsen  und  des  Profites  der  Stocks 
in  allen  Tbeilen  der  Welt.  Geheime  Finanz  -  Verbindungen  in  Europa,  Be- 
merkungen über  die  Geldherrschaft  überhaupt.  —  Geschichte  der  politischen  Ver- 
fassungen; der  Gesetzgebung;  der  Regierungen.  Politische  Kräfte  der  Staaten; 
Kriegsmacht;  Marine.  —  Verhältnisse  der  Regierungen  untereinander.  Öffentliche 
Unterhandlungen.  Bündnisse.  Kriegs-,  Friedens-  und  Handlungstraktate.  —  Ge- 
schichte der  Meinungen,  Religiosität.  Geist  der  Reformen;  ihr  Gutes  und  Böses. 
Fortgang  und  Flor  der  Wissenschaften ;  Mathematik.  Chemie,  Kriegskunst,  Nautik, 
Künste  des  Genies.  Veränderungen  in  dem  geselligen  und  sittlichen  Zustande  der 
Welt  überhaupt. 

Die  Quellen,  woraus  die  Verfasser  der  Zeitung  schöpfen,  müssen  zum  Theile 
ganz  neu  eröffnet,  und  in  vielerlei  Betracht  erst  recht .  nutzbar  gemacht  werden. 
Sie  sind  indessen  wirklich  vorhanden,  und  es  bedarf  nur  des  ordnenden  Fleisses, 
damit  ihr  ganzer  Reichthum   angewendet   werden   könne.    Die  Wichtigkeit  des 


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Joseph  Schre-yvogels  Entwurf  einer  Wiener  Hof-  und  Staats-Zeitung.  65 


Endzweckes  scheint  einer  beharrlichen  Anstrengung  werth  zu  sein.  Jene  Quellen 
sind  überhaupt :  1 .  Die  urkundliche  Mittheilung  der  nöthigen  Actenstttcke  aus  den 
Archiven  uud  Registraturen  des  Staates;  2.  ein  ausgebreiteter  und  lebhaft  unter- 
haltener Briefwechsel  mit  den  Hauptplätzen  der  Monarchie;  3.  die  öffentlichen 
Blätter  aller  Lander  und  Sprachen;  4.  eine  gewählte  Korrespondenz  mit  dem 
Auslande,  vornehmlich  mit  den  Gegenden,  welche  bis  jetzt  des  Vortheiles  ordent- 
licher Zeitungen  entbehren:  5.  alles,  was  von  Zeit  zu  Zeit  in  Journalen,  Flug- 
schriften und  grösseren  Werken  erscheint  und  irgend  etwas  enthält,  das  für  die 
Absicht  der  Verfasser  brauchbar  ist:  6.  die  Anzeigen  der  Privat-Personen  in 
ihren  eigenen  Angelegenheiten. 

Die  Unterzeichneten  gründen  den  vorzüglichsten  Werth  der  Zeitung,  in 
Ansehung  der  Materien,  auf  die  Erwartung  einer  unmittelbaren  Unterstützung 
von  Seite  der  obersten  Staatsverwaltung.  Sogleich  nach  der  Übernahme  des 
Kontraktes  sollen  übrigens  die  vorläufigen  Anstalten  zu  einem  so  weit  aussehenden 
Unternehmen  in  Gang  gebracht  werden. 

Die  Herausgeber  werden  weder  Mühe  noch  Kosten  sparen,  die  guten  Köpfe 
der  Nation  und  die  unterrichteten  Leute  in  den  Provinzen  in  das-  Interesse  der 
Zeitung  zu  ziehen.  Es  soll  eine  allgemeine  Instruktion  für  die  Korrespondenten 
aufgesetzt  werden.  Man  wird,  zur  Beschleunigung  der  auswärtigen  Nachrichten, 
frühzeitig  alles  nöthige  besorgen  und  überall  den  kürzesten  Weg  zu  den  eigent- 
lichen Quellen  einzuschlagen  suchen.  Es  soll  insbesondere  eine  weitläufige  und 
kostbare  Korrespondenz  mit  dem  ganzen  Osten  eingeleitet  werden.  Von  diesem 
Theile  der  Welt  wird  das  ganze  gebildete  Kuropa  die  ersten,  zuverlässigsten  und 
vollständigsten  Berichte  in  Zukunft  über  Wien  erhalten. 

Um  dem  schnellen  Fortgänge  der  Expedition  kein  Hinderniss  zu  verursachen, 
wird  es  dienlieh  sein,  für  die  laufenden  Artikel  der  Zeitung  einen  besonderen 
Censor  zu  bestellen,  dessen  Honorar  aus  den  Fonds  derselben  bestritten  werden 
kann. 

Das  Bureau  der  Zeitung  wird  in  einer  leicht  zu  übersehenden  Ordnung  er- 
halten werden.  Es  sollen  nur  sichere  Menschen  zu  den  untergeordneten  Arbeiten 
gewählt  werden.  Die  Einrichtung  des  Werkes  in  allen  seinen  Verhältnissen  steht 
der  Einsicht  der  Staatsverwaltung  jeder  Zeit  offen.  Die  Herausgeber  sind  zur 
Geheimhaltung  der  summt  liehen  Papiere  und  Hilfsmittel,  deren  Gebrauch  ihnen  zu 
ihrem  Zwecke  gestattet  wird,  vor  Jedermann  ohne  Ausnahme,  aufs  strengste  ver- 
pflichtet. 

Diese  Verbindlichkeit  ist  allgemein,  und  erstreckt  sich  zugleich  auf  die 
Pflicht  des  mündlichen  Stillschweigens. 

Die  Zeitung  erscheint  im  grössten  Formate  täglich,  vor  dem  Abschlüsse  der 
inländischen.  Posten. 

Die  bisherige  Einrichtung  des  Intelligenz-  und  Kundschaftsblattes  wird  auf- 
gehoben. Von  den  darin  enthaltenen  Anzeigen  werden  die,  welche  dringend  oder 
durch  irgend  einen  Umstand  auffallend  sind,  nach  Ali  der  englischen  Blätter  mit 
der  Zeitung  vereinigt.  Die  Masse  der  gewöhnlichen  Bekanntmachungen  wird,  in 
zwei  wöchentlichen  Beilagen,  ordnungsmäßig  nachgetragen. 

Die  Gattung  und  der  verschiedene  Gehalt  der  aufgenommenen  Artikel  werden 
durch  dreierlei  Arten  des  Druckes  unterschieden,  die  offizielle  Eigenschaft  jeder 
Nachricht  wird  ausserdem  besonders  bemerkt. 

Am  Schlüsse  jedes  Quartals  wird  ein  allgemeines  Register  geliefert,  welches 
nach  vier  Hauptabteilungen  die  merkwürdigsten  Sachen  nachweiset.  Die  Rubriken 
sind:  Gesetzkunde;  gerichtliche  Verhandlungen;  Gescliichte  des  Innern:  Gegen- 
stände der  allgemeinen  Zeitgeschichte. 

Biographische  Blatter.  I.  5 


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Biographische  Blatter. 


Der  Preis  der  Zeitung  ist  für  die  ganze  Monarchie  sechszehn  Gulden  jahr- 
lich. Diess  ist  der  jetzige  Preis  der  Wiener  Zeitung,  mit  Einschluss  des  Kund- 
schaftsblattes, welches  nach  der  projektirten  Einrichtung  mit  der  Zeitung  selbst 
verbanden  wird.    Die  Erhöhung  ist  daher  nur  scheinbar. 

Sie  wäire  indessen  in  jedem  Falle  nothwendig,  um  die  beinahe  dreimal  ver- 
mehrte Ausgabe  an  die  Posten  zu  decken,  wovon  wieder  ein  Theil  dem  Aerarium 
zu  gute  kommt. 

Alle  übrigen  noch  weit  ansehnlicheren  Kosten  der  neuen  Einrichtung  lallen 
den  Unternehmern  allein  zur  Last,  und  das  Publikum  geniesst  den  ganzen  Vor- 
theil derselben,  ohne  mehr  als  sonst  zu  bezahlen. 

Hierbei  darf  auch  die  Verminderung  der  allzu  kostbaren  Extrablätter  in 
Kechuung  gebracht  werden,  ein  Gewinn  für  das  Publikum,  der  zugleich  einen  be- 
trächtlichen Abgang  der  Einnahme  für  die  Unternehmer  der  Zeitung  zur 
Folge  hat*. 

Wir  bemerken  noch,  dass  es  von  Nutzen  sein  wird,  die  Gebühr  für  Inserate, 
nach  einer  anderen  Norm  als  bisher,  zu  bestimmen:  so  zwar,  dass  auch  küraere 
Anzeigen,  für  die  Hälfte  und  das  Drittel  der  gegenwärtigen  Taxe,  aufgenommen 
werden  können.  Das  Zweckmässigste  wäre  vielleicht,  die  Taxe  nach  der  Zeile 
festzusetzen,  wodurch  zu  gleicher  Zeit  der  unangenehmen  Weitschweifigkeit 
mancher  Privat-Kundmachungen  abgeholfen  würde. 

Die  Unterzeichneten  sagen  nichts  von  den  Vortheilen,  welche  sich  der  Staat, 
in  ökonomischer  Hinsicht,  von  der  Einfühlung  der  in  Vorschlag  gebrachten  Zeitung 
zu  versprechen  hat. 

Der  wahrscheinliche  Belauf  der  Summe,  die  Oesterreich  jährlich  für  aus- 
wärtige Blätter  bezahlt,  muss  dem  Finanz-  und  Kommerz- Kollegium  bekannt  sein. 
Es  ist  sichtbar,  dass  der  unverhältnissmässige  Aufwand  des  Landes  für  dieses  be- 
denkliche Fabrikat  der  Fremde,  vornehmlich  in  der  unvollkommenen  Beschaffen- 
heit der  inländischen  Produkte  gleicher  Art.  seinen  Grund  hat.  Schon  die  Ver- 
besserung der  vaterländischen  Zeitungen  allein  muss  diesem  National- Verluste 
Grenzen  setzen.  Es  übersteigt  die  Kompetenz  eines  blossen  Privat-Urtheilcs.  die 
weiteren  Maassregeln  anzugeben,  welche,  nach  richtigen  Grundsätzen  der  Staats- 
wirthschaft,  mit  einer  solchen  Anstalt  zu  verbinden  sein  möchten.  Die  Unter- 
zeichneten erwarten  die  Festsetzung  derselben  von  der  Weisheit  der  Staatsver- 
waltung, indem  sie  nur  noch  bemerklich  machen,  wie  wichtig  es  in  jedem  Falle 
sein  wird,  den  Kredit  des  neuen  Institutes  möglichst  zu  schonen. 

Der  vorliegende  Plan  ist  schwerlich  ohne  erhebliche  Fehler.  Noch  ist  das 
(ianze  der  Betrachtung  der  Verfasser  zu  nahe,  als  dass  nicht  mancher  Umstand 
von  ihnen  sollte  übersehen  worden  sein.  Ein  Mangel  anderer  Art  ist  indessen 
ihrer  Bemerkung  nicht  entgangen.  Dieser  Mangel  liegt  in  der  Natur  eines  Gegen- 
standes von  so  grosser  Ausdehnung.  Um  nicht  allzu  weitläufig  zu  werden,  haben 
sich  die  Verfasser  genöthigt  gesehen,  ganze  Abtbeilungen  vielmehr  nur  anzudeuten 
als  umständlich  ins  Licht  zu  stellen. 

So  bedarf  jede  Nummer,  die  das  Tnteiligenzblatt  betrifft,  beinahe  eines  neuen 
erläuternden  Planes,  wenn  die  Absicht  derselben  durchaus  deutlich  werden  soll. 
Die  Verfasser  glauben  jedoch  bewiesen  zu  haben,  dass  sie  mit  ihrem  Gegenstande 
hinlänglich  bekannt  sind.  Sie  setzen  die  Grundsätze  fest:  es  kann  ihnen  vielleicht 
zugetraut  werden,  dass  sie  fähig  sind,  den  noch  unvollständigen  Entwurf  in  seinen 
einzelnen  Theilen  zu  ergänzen. 

Eine  Zeitung  ist  ein  Kunstwerk  der  historischen  Gattung.  Die  Art.  welche 
sie  ausmacht,  hat  viel  besonderes  und  geniesst  einer  grossen  Freiheit  der  Form. 


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Joseph  Schrey vogels  Entwurf  einer  Wiener  Hof-  und  Staats-Zeitung.  67 


Alle  Gaben  der  Darstellung  und  des  kritischen  Geistes  sind  dabei  beschäftigt;  der 
reichste  Vorrath  wissenschaftlicher  Begriffe  kann  darin   eine  Anwendung  finden. 

Eine  Welt  voll  Mannigfaltigkeit  und  Abwechslung  ist  der  Stoff,  den  die 
Kunst  hier  verarbeiten  soll.  Der  herrschende  Charakter  einer  solchen  Komposition 
wird  ernst  und  ein  ruhiger  Berechnungsgeist  sein;  aber  sie  verschmäht  den  Schmuck 
der  Beredsamkeit  nicht,  und  sogar  der  Witz  wird  ihr  verziehen.  Alles,  selbst 
eine  Zeitung,  erkennt  die  Gesetze  der  Einheit  und  Ordnung.  Sie  wird  sich  nie 
erlauben,  was  einen  feinen  Geschmack,  oder  das  richtige  Gefühl  für  das  Schick- 
liche, beleidigen  könnte. 

Eine  Regung  der  Bescheidenheit  hält  die  Unterzeichneten  zurück,  da  sie  im 
Bogriffe  sind,  von  den  Eigenschaften  des  Zeitungsschreibers  zu  sprechen.  Der 
Verfasser  einer  allgemeinen  Zeitung  ist  der  Geschichtschreiber  seiues  Zeitalters. 

Mit  einem  ausgebreitetem  Wissen  und  einer  unermüdlichen  Arbeitsamkeit 
soll  er  die  lebhafteste  Fassungskraft  und  eine  volle  Reife  des  Urtheils  verbinden. 
Er  soll  den  Lauf  der  Dinge  mit  leichter  Hand  verfolgen,  ohne  doch  minder  nach- 
drücklich, edel  und  zierlich  zu  schreiben.  Die  Verfasser  kennen  ihre  eigene  Un- 
zulänglichkeit, der  ganzen  Strenge  dieser  Forderungen  ein  Genüge  zu  leisten. 
Was  mehr  ist,  —  und  hier  erhalten  die  Unterzeichneten  ihre  Zuversicht  wieder: 
—  der  Verfasser  der  Zeitung  soll  ein  durchaus  rechtschaffener  Mann,  und  von 
der  Liebe  zur  Wahrheit,  Ordnung  und  Sittlichkeit  durchdrungen  sein. 

Er  soll  das  Glück  der  Menschen  in  seinem  Herzen  tragen,  aber  die  Gesetze, 
über  seine  eigenen  Begriffe  von  öffentlicher  Wohlfahrt,  verehren.  In  diesem 
Geiste  wird  er  der  Verfassung  seines  Landes  anhangen,  weil  sie  rechtlich  ist,  und 
weil  ihm  die  Pflicht  ihrer  Verteidigung  obliegt;  er  wird  den  Absichten  seiner 
Regierung  ehrenvolle  Dienste  leisten,  ohne  sich  von  dem  Bewusstsein  gedrückt 
zu  fühlen,  eine  knechtische  Feder  einem  fremden  und  unlauteren  Interesse  geweiht 
zu  haben. 

Wenn  jemals  eine  Zeit  war,  wo  die  Uberzeugung  denkender  Männer  im 
Privat-Stande  mit  den  Maassregeln  erleuchteter  Kabinette  in  völliger  Eintracht  er- 
schienen ist,  so  muss  es  die  gegenwärtige  sein.  Das  Gefühl  der  Menschlichkeit, 
der  gesunde  Verstand  und  die  Berechnungen  der  Politik  führen  insgesammt  auf 
einerlei  Resultat.  Es  giebt  unter  den  Redlichen  keinen  Unterschied  der  Mei- 
nungen mehr. 

Das  System  der  Treulosigkeit,  der  Zwietracht  und  der  blutigen  Ehrsucht, 
welches  die  Ruhe  und  Glückseligkeit  von  Europa  bedroht  und  zum  Theile  ver- 
nichtet hat,  muss  alle  empfindenden  Herzen  und  alle  Menschen  von  Einsicht  um 
die  erschütterte  Grundfeste  der  Staaten  versammeln.  Die  Verfasser  wiederholen 
es:  Die  Unternehmungen  der  Mächte  und  die  guten  Wünsche  des  gebildeten 
Bürgers  können  in  diesem  Augenblicke  nur  auf  Einen  grossen  Zweck  gerichtet  sein. 
Es  ist  der  Zweck,  die  betrogene  Einbildungskraft  der  Menge  aus  dem  leeren 
Raum  politischer  Träumereien  und  Parteiungen  auf  den  festen  Boden  der  gesell- 
schaftlichen Bedürfnisse  und  Obliegenheiten  zurückzuführen.  Seiner  ganzen  Anlage 
nach  soll  das  angekündigte  Werk  einen  bleibenden  Werth  für  die  jetzigen  und 
künftigen  Zeiten  erhalten.  Es  soll  ein  Denkmal  des  österreichischen  Gemeingeistes 
und  der  Nationalehre  sein.  Denkmäler  dieser  Art  sind  so  viele  feste  Punkte 
in  der  Verfassung  eines  Landes,  die  sich  dem  Einbrüche  der  Haibaren  und  der 
Herrschsucht  entgegen  stellen.  Sie  verbürgen  dem  Volke,  unter  dem  sie  ent- 
stehen, die.  Dauer  seiues  Glückes  und  seiner  Grösse,  indem  sie  den  Beweis  seiner 
Macht  und  Wohlfahrt  in  einem  gegenwärtigen  Beispiele  an  den  Tag  legen. 

 *  

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Biographische  Blatter. 


Rede  auf  Scheffel. 
Gehalten  am  Tage  der  Enthüllung  seines  Denkmals 

In  Karlsruhe,  19.  November  1892. 

Von 

MICHAEL  BERNAYS.*) 

Von  dem  Denkmal,  das  wir  dem  Dichter  aufgerichtet,  soll  bald  nun 
die  Hülle  sinken.  Er,  in  allen  (Tauen  Deutschlands  heimisch  und  geliebt, 
wird  wie  zu  einem  neuen,  dauernden,  vergeistigten  Dasein  von  seinen 
Volksgenossen  in  den  Umkreis  der  Vaterstadt  zurückgeführt.  Das  Antlitz, 
dem  die  sicher  bildende  Künstlerhand  die  sprechenden  Züge  des  Lebens 
aufgeprägt,  wird  von  den  Lüften  der  Heimath  umspielt,  der  Heimath,  die 
ihm  den  nahrungsprossenden  Boden  für  das  kraftvolle  Gedeihen  seiner 
Dichtung  gewährte.  Und  wie  das  Haupt,  auf  dem  freudig  stolz  und  weh- 
muthsvoll  unsere  Blicke  weilen,  von  freier  lichter  Anhöhe  sich  emporhebt, 
so  fällt  alles  von  ihm  ab,  was  der  irdischen  Erscheinung  anhaftete,  und 
ledig  wird  er  alles  dessen,  was  dem  Bereiche  des  Vergänglichen  entstammt. 
In  der  ursprünglichen  ungebrochenen  Tüchtigkeit  seines  Wesens  steht 
er  vor  uns  da.  Nicht  mit  anmasslichem  Urteilsspruch  sollen  wir  hier 
die  Grenzen  festsetzen,  die  seinem  Streben  und  Können  gezogen  waren ; 
nicht  wollen  wir  erörtern,  wie  innere  Erlebnisse,  wie  äussere  Ereignisse 
sein  Schaffen  bedingten,  seinen  künstlerischen  Drang  erregten,  leiteten  oder 
beschränkten;  nein,  vergegenwärtigen  wollen  wir  uns  ihn,  wie  er,  dem  wan- 
delbaren Erdendasein  enthoben,  in  gefesteter  Gestalt  der  Nachwelt  sich  zeigt. 

Aber  hat  denn  auch  wirklich  fUr  ihn  die  Nachwelt  schon  begonnen? 
Die  Meisten  derer,  die  sich  vereinigen,  ihn  zu  feiern,  fühlen  sie  sich  ihm 
gegenüber  nicht  als  Mitlebende?  Noch  klingt  ihnen  seine  markig  eindring- 
liche Stimme,  noch  ist  ihnen  der  Blick  vertraut,  in  dem  bald  die  Herzlichkeit 
warmen  Mitempfindens  sich  kundgab,  ans  dem  bald  die  Schalkheit  geistreich 
keck  hervorbrach;  noch  erneuert  sich  ihnen  der  Eindruck  seines  Gesprächs, 
das  durch  sein  anschauliches  Wort  sich  so  eigenartig  belebte;  sie  glauben 
noch  seine  gemüthvollo  Erzählung  zu  vernehmen,  die  sich  unwillkürlich  zu 
einer  fast  dichterischen  Darstellung  umbildete,  in  der  sich  der  Urheber  des 
Ekkehard,  der  Säuger  des  Gaudeamus  nicht  verleugnete,  und  in  der.  wie  in 
seinen  Werken,  die  Gegensätze  von  Scherz  und  Ernst  leicht  in  einander 

*)  Genau  so,  wie  sie  gehalten  worden,  erscheint  hier  diese  Hede.  Freunde  und 
Lebensgenossen  Scheffels  hatten  mich  durch  danken« werthe  vertrauliche  Mittheilungen  in 
den  Stand  gesetzt,  mir  von  der  Persönlichkeit  des  Dichters,  den  ich  niemals  mit  Augen 
gesehen,  ein  anschauliches  Bild  zu  entwerfen.  Den  reichsten  Dank  jedoch  schulde  ich  dem 
trefflichen  Biographen  Scheffels,  Johannes  Proelss.  Kr*t  seine  zuverlässige,  liebevoll 
eingehende  und  lebendig  anregende  Darstellung  gewährte  mir  die  Möglichkeit,  Wesen  und 
Schaffen  des  Dichters  deutlicher  zu  überblicken. 


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Hede  auf  Scheffel. 


69 


überspielten,  so  dass  man  auch  hier  unmittelbar  die  Wahrheit  des  Ausspruchs 
erkannte,  mit  dem  er  die  einheitliche  Doppelnatur  seiner  Poesie  bezeichnete: 
seine  Komik  sei  nur  die  umgekehrte  Form  der  inneren  Melancholie. 

Und  wie  Manche  unter  denen,  die  sein  Andenken  werth  und  theuer 
halten,  können  ganz  eigentlich  als  seine  Lebensgenossen  gelten,  denen  noch 
in  lebendiger  Erinnerung  vorschwebt,  wie  er  seinen  Erdengang  durchmass. 
Sie  sehen  ihn  als  den  durch  vielerlei  Preise  ausgezeichneten  Schuler  des 
vaterstädtischen  Gymnasiums,  das  schon  damals  der  Pflege  der  edelsten 
Studien  sich  erfolgreich  befliss;  unter  seinen  Kameraden  that  er  sich  als 
der  Erste  hervor.  Schon  regte  sich  in  ihm  der  dichterische  («eist,  der, 
wie  er  in  kindlicher  Zärtlichkeit  behauptete,  ihm  von  der  poetisch  gestimmten 
und  befähigten  Mutter  als  köstlichstes  Gut  angeerbt  war;  doch  übermächtiger 
noch  als  das  dichterische  Streben  beherrscht  ihn  der  Hang  zur  bildenden 
Kunst.  Indess  weder  der  Dichtung  noch  der  Malerei  darf  er  sich  zu  eigen 
geben.  Mit  jenem  Pflichtgefühl,  das  er  als  einen  der  GrundzUge  seines 
Wesens  festhielt,  und  das  er  später  aucli  den  höheren  Aufgaben  der  dich- 
terischen Kunst  gegenüber  bewährte,  fttgt  er  sich  dem  väterlichen  Willen: 
der  zur  Kunst  Berufene  ergiebt  sich  den  strengen  Meistern  des  römischen 
Rechts.  Aber  weder  Gaius  noch  Ulpianus  und  am  wenigsten  der  Kaiser 
Justinianus  können  den  Muth  ihm  wirren  oder  den  Dämon  der  Poesie 
bannen.  So  sieht  ihn  München,  Heidelberg,  Berlin  und  dann  wiederum 
das  theure  Heidelberg  als  heiteren  und  erheiternden  Studenten.  Doch  darf 
man  aus  manchen  frisch  übermüthigen  Äusserungen  eines  Welt-,  Kunst- 
nnd  Natur-frohen  .lugendsinnes  keineswegs  schliessen,  dass  er  einer  allzu 
leichten  Auffassung  des  Lebens  und  der  Lebensforderungen  sich  zugeneigt. 
Gerade  seine  jugendlichen  Verehrer,  denen  sein  Lied  immer  von  Neuem 
die  Lust  am  Dasein  weckt  und  stärkt,  gerade  sie  mögen  erwägen,  dass, 
wenn  der  widerwillige  Jurist,  gleich  seinem  Jung-Werner,  in  gewissem 
Sinne  sich  hernach  seines  corpus  iuris  entäusserte,  er  diesen  immerhin  be- 
denklichen Schritt  doch  dann  erst  wagte,  nachdem  er  es  gründlich  durch- 
studirt  hatte. 

Gestützt  auf  die  Ergebnisse  dieser  Studien,  macht  er  sich  eben  bereit, 
den  ordnungsgemässen  Weg  des  nach  höherer  Stellung  stiebenden  Staats- 
dieners anzutreten:  da  findet  sich  der  23jährige  einem  unterwühlten,  im 
tiefsten  Inneren  erschütterten  Staats-  und  Gesellschaftsleben  gegenüber. 
Bei  dem  Zusammenbruch  alt  überlieferter  Zustände  blieb  er  kein  theilnahm- 
loser  Zuschauer.  Durch  die  Sturme,  die  mit  mächtigen  Schwingen  über 
die  Völker  Europas,  die  auch  über  unser  Vaterland  einher  fuhren,  liess  er 
sich  nicht  blindlings  in  das  wogende  Getriebe  der  Zeit  fortreissen.  Was 
er  beobachtete,  was  er  erlebte,  konnte  die  Unbefangenheit  seiner  An- 
schauungen nicht  beeinträchtigen;  sicherlich  ging  er  aus  diesen  Bewegungen 
mit  neu  bestärktem  vaterländischem  Sinne  hervor.  Unmuths-  und  hoffnungs- 
voll zugleich,  hie  und  da  von  einem  Gefühl  der  Bitterkeit  übermannt,  blickte 


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70 


Biographische  Blätter. 


er  hinaus  in  eine  Zeit,  da  unser  Deutschland  durch  eiserne  That  wieder 
jung  werden  sollte. 

Inzwischen,  während  die  vaterländischen  Geschicke  noch  im  Ungewissen 
schwankten,  sollte  sein  Geschick  sich  Glück  verhcissend  entscheiden.  Die 
Muse,  die  sich  einmal  ihn  erkoren,  gesellte  sich  eben  dann  zu  ihm,  als  die 
Schranke  der  Wirklichkeit  sich  trennend  zwischen  ihm  und  ihr  zu  erheben 
drohte.  Eben  der  Ort,  wo  der  Meister  Josephus  vom  dürren  Ast  als  armer 
Schreiber  —  so  nennt  er  sich  wohl  selbst  —  gewissenhaft  seines  ersten 
bescheidenen  Amtes  im  Dienste  des  Staates  waltete,  eben  dieser  Ort  ward 
ihm,  wie  durch  die  Einwirkung  des  heiligen  Fridolinus,  die  geweihte  Stätte, 
auf  der  ihm  wie  von  selbst  der  Stoff  der  ersten  Dichtung  entgegenwuchs, 
durch  die  er  alsbald  so  vieler  Menschen  Herzen  gewinnen  sollte. 

Wie  überall,  wohin  er  sein  Auge  wandte,  das  Geringfügige  Bedeutung 
erhielt,  das  Unscheinbare  bezeichnende  Gestalt  annahm,  —  wie  er  aller 
Orten  sicheren  Schrittes  den  Spuren  nachging,  die  aus  einer  mehr  oder 
minder  verbildeten  Gegenwart  in  die  Fülle  des  freien  und  doch  gesetz- 
mässigen  Naturlebens.  in  die  lebendige  Wahrheit  der  Geschichte  zurück- 
leiteten, das  bewiesen  seine  Säckinger  Briefe,  die  Schilderung  des  Hauen- 
steiner  Schwarzwaldes  und  jene  Berichte  aus  den  rhätisehen  Alpen,  zu 
deren  Abfassung  er  sich  mit  Ludwig  Häusser  vereinigte  —  wie  gern  ergreift 
man  jeden  Anlass,  des  theuren  Namens  zu  gedenken!  —  Während  er  aber 
so  schon  halb  unbewusst  von  der  Vorahnung  seines  ersten  grossen  Gedichtes 
umfangen  war.  schien  die  bildende  Kunst  ihn  endgültig  für  sich  gewinnen 
zu  wollen.  Aus  den  bedrängenden  Zweifeln,  mit  denen  der  Widerstreit  der 
beiden  Künste  in  seinem  Innern  ihn  peinigte,  konnte  er  nur  durch  eigene 
künstlerisch  erlösende  That  befreit  werden.  War  er  ins  Land  Italia  ge- 
pilgert, um  dort  unter  der  Führung  deutscher  Meister  mit  Inngebendem 
strengem  Fleiss  sich  die  technischen  Mittel  der  malerischen  Darstellung-  zu 
erringen,  so  ward  ihm  dort,  wie  in  plötzlich  aufstrahlender  Umleuchtung, 
das  Ziel  deutlich  erkennbar,  dem  sein  künstlerisches  Sinnen  und  Trachten 
in  Wahrheit  zustrebte.  Als  er  in  froher  Frühlings-Ahnung  auf  Capri's 
Klippen  den  Sang  von  der  stillen  Schwarzwald- Lieb"  anstimmte,  als  er  mit 
dem  beginnenden  Mai  1853  das  Lied  von  Werner  und  Margaretha  vollendet 
hatte,  da  wichen  alle  Zweifel:  er  wusste  nun,  welche  holdselige  Kunst 
fortan  als  leitendes  Gestirn  über  ihm  und  seinem  Leben  walten  sollte. 

Das  Bündniss  mit  der  Dichtung,  das  in  der  Fremde  so  schön  besiegelt 
worden,  konnte  nun  in  der  lleimath  sich  nicht  mehr  lockern.  Mochte  er 
in  die  Vorbereitungen  zu  einer  reehtsgeschichtlichen  Abhandlung  sich  ver- 
tiefen, durch  die  er  den  Zugang  zur  akademischen  Lehrtätigkeit  sich  er- 
öffnen wollte.  —  umsonst!  er  ward  in  andere  Tiefen  gezogen,  zu  anderen 
Höhen  hinangeführt.  Indem  er  den  Keehtszuständen  der  Vergangenheit 
nachforschte,  gewann  der  Gesamuitifcist  der  Vergangenheit  Macht  über  ihn; 
oder  vielmehr,  er  befreundete  sich  in  innigem  Einverständniss  mit  dem 


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K<<de  auf  Sdieffol. 


71 


Geiste,  der  einst  den  vielgestaltigen  Lebensreiehthum  entschwundener 
Menschenalter  erzeugt.  Wie  unter  der  Leitung  dieses  Geistes  fügten  sich 
im  Ekkehard  die  Einzel-Erscheinungen  zu  einem  mit  künstlerischer  Weisheit 
geordneten  Ganzen  zusammen  -  ein  Zeitenbild,  in  festen,  wenn  aucli  nicht 
eng  uinschliessenden,  Rahmen  gefasst  —  das  Leben  des  zehnten  Jahrhunderts 
scheint  sieh  dem  neunzehnten  zu  offenbaren. 

So  früh  —  der  Dichter  stand  noch  vor  seinem  30.  Jahre  —  war  so 
Hohes  erreicht  worden.     Sein  Schaffen  auf  solcher  Hohe  zu  erhalten, 
empfand  er  als  Verpflichtung'  gegen  sich  und  seine  Kunst.    Wenn  er  aber- 
mals Italien  durchwandert,  wenn  er  auf  südfranzösischem  Hoden  das  Wehen 
des  Petrarcaschen  Dichtergeistes  empfindet  —  es  sei  an  die  belebte 
Schilderung  des  in  Vaucluse  verbrachten  Tages  erinnert!  —  wenn  er  vater- 
ländische Fluren  durchstreift,  oder  wenn  er  im  Verkehr  mit  edel  strebenden 
Künstlern  den  Sinn  erfrischt  und  das  Auge  stärkt,  immer  begleiten  ihn  die 
vorwärts  treibenden  Gedanken  an  vielumfassende  Entwürfe,  in  deren  Aus- 
führung er  von  Neuem  die  Fähigkeit  hätte  bewähren  müssen,  die  Gestalten 
und  Zustände  versunkener  Zeitalter,  in  denen  das  Leben ,  der  Menschheit  in 
folgenreicher  Entfaltung  sich  machtvoll  ausgebreitet,  durch  dichterische  That 
ans  Licht  der  Gegenwart  heranzuheben.    Da  ward  das  Nächste  in  das 
Entlegenste  verwebt.    Der  Schmerz  um  die  eben  entrissene  herrliche,  auch 
künstlerisch  verwandte  Schwester  kam  in  dem  düster  ergreifenden  Bilde 
des  Hugideo  zum  Ausdruck,  das  uns  noch  um  ein  halb  Jahrtausend  hinter 
den  Ekkehard  zurück  versetzt.    Dann  wird  er  heimgesucht  von  der  Ober- 
fülle der  Erscheinungen,  die  aus  dem  Bereicho  des  12.  und  13.  Jahrhunderts 
auf  ihn  eindrangen,  und  die,  wie  um  einen  hochragenden  Sitz,  um  die 
Wartburg"  sich  sammeln  sollten.    Sie  umschwärmen  ihn,  sie  bringen  ihm 
geheimnissvolle  Mären,  wohl  auch  verwirrende  Kunde  zu,  selbst  während 
er  in  der  fürstlichen  Bibliothek  zu  Donaueschingen  jenes  Verzeichniss  der 
altdeutschen  Handschriften  herstellt,  das  allein  schon,  gleich  einem  ehrenden 
Zeugniss,  uns  die  Keife  seines  Wissens  wie  seine  wissenschaftliche  Sorgfalt 
verbürgen  könnte.  Innerhalb  welcher  weitgeschwungenen  Umrisse  sich  das 
prosaische  Wartburg-Gedicht  ausgestalten  sollte,  —  eine  Vorstellung  davon 
mag  der  Juniperus  in  uns  wachrufen.    Die  Kleinodien  erlesener  Lyrik, 
welche   die   schmuckreiche  Ausstattung   der  geschichtlich  dichterischen 
Darstellung  bilden  sollten,  hat  uns  Frau  Aventiure  glücklich  aufbehalten. 
Die  tiefen  Töne  dieser  Lieder  erfassen  das  Geinüth  mit  um  so  grösserer 
Macht,  wenn  wir  bedenken,  dass  sie  demselben  Dichtermund  entschweben, 
der  alle  Höhen  und  Abgründe  der  bis  ins  Gigantische  anwachsenden  ger- 
manischen Zecherwonnen   so    hinreissend    überzeugungsvoll  zu  besingen 
wusste.    Wohl  darf  man  dem  Dichter  die  Klage  darüber  nicht  verargen, 
dass  man  über  jenen  Liedern,  welche  den  allersonnigsten  Sonnenschein  über 
ein  genussfrohes  Leben  zu  breiten  scheinen,  nur  allzu  leicht  solcher  melodisch 
gedämpften  Schmerzenslaute  vergisst.  wie  sie  auch  seiner  Brust  entsteigen, 


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72 


Biographische  Blatter. 


wenn  des  Daseins  unentwirrbares  Geheimniss  ihn  anstarrt,  wenn  der  Blick 
der  Geliebten  ihm  erlöschen  will: 


So,  nachdem  er  in  abgeklärter  Form  seinem  Volke  sein  Bestes  dar- 
gegeben, sammelten  sich  aus  den  Kreisen  der  Nation  und  über  die  Grenzen 
Deutschlands  hinaus  in  immer  fester  geschlossenen  Massen  die  Scharen 
derer,  die  seiner  tiefernsten  Dichterrede  hingegeben  lauschten,  die  an  seinen 
heitersten  Sängen  zur  Lebensfreude  sich  begeisterten.  Lagerte  sich  auch 
umschattendes  Dunkel  Uber  so  manche  seiner  Tage,  so  blieb  doch  an  jener 
Lebensfreude,  die  er  so  Vielen  schuf,  ihm  selbst  ein  reiches  Maass  gesichert. 
Und  musste  er,  der  dem  Leben  des  alten  Deutschlands  mit  der  Liebe  des 
Künstlers  so  emsig  nachgespürt,  musste  er  es  nicht  mit  innerer  Erhebung 
wahrnehmen  und  mit  lautem  Freudenruf  begrüssen,  als  die  vaterländischen 
Geschicke  sich  endlich  glorreich  erfüllten  und  auch  so  mancher  seiner  Jugend- 
Hoffnungen  die  unerwartete  Erfüllung  brachten?  Und  vernahm  er  in  dem 
Zujauchzen  der  Jugend  nicht  den  weithin  fortgesetzten  VViederhall  seiner 
eigenen  Jugendlust? 

In  seiner  wahrhaft  männlichen  Bescheidenheit  —  gewiss  blieb  ihm 
jede  Selbstüberschätzung  fremd  —  hätte  er  sich  dem  geräuschvollen  An- 
dringen der  Bewunderer  hie  und  da  wohl  lieber  entzogen;  doch  durfte  er 
mit  heiterer  Befriedigung  die  gehäufte  Ehrenlast  tragen.  In  wie  liebevoller 
Erinnerung  hegen  Alle,  die  sich  in  den  letzten  Jahren  ihm  nähern  konnten, 
das  Bild  des  ehrenfesten  deutschen  Mannes,  der  auf  dem  Stück  heimischer 
Erde,  das  er  freudig  sein  eigen  nannte,  wirthlich  waltete.  Hartnäckig, 
aber  niemals  böswillig,  hielt  er  fest  an  dem,  was  er  einmal  als  Recht  er- 
kannt hatte.  Vertraut  mit  den  alt  hergebrachten  Lcbens-Zuständen  des 
Volkes,  verschmähte  er  den  Prunk,  verachtete  er  die  Ziererei.  Er  selbst, 
ein  ausdauernd  treuer  Freund,  erfuhr  sein  ganzes  Leben  hindurch  an  edlen 
Freunden  die  deutsche  Mannestreue.  Und  dankbar  empfanden  und  empfinden 
wir  mit  ihm,  dass  sein  Dichterleben  gehoben  und  durchleuchtet  ward  von 
der  Huld  des  hochsinnigsten  und  gelicbtesten  Fürstenpaares,  das  durch 
seine  Anerkennung  allein  dem  wahren  Verdienste  die  schönste  der  Kronen 
reicht. 

Können  wir  aber  den  Dichter  vor  unser  geistiges  Auge  rufen,  ohne 
dass  unwillkürlich  die  Gestalten  um  ihn  sich  sammeln,  die  seine  Künstler- 
hand geformt,  denen  sein  Geist  ein  selbständiges  Leben  eingehaucht? 
Selbständig  überdauern  sie  ihn,  wie  gänzlich  losgelöst  vom  Dasein  ihres 
Urhebers;  und  doch  untrennbar  bleiben  sie  ihm  vereint.    Ihn  schauen  wir 


Nur  wer  sehnend  in  der  Sonne 
Untergchnde  Gluthen  späht. 


Auch  Dein  Scheiden  glich  dem  ihren. 
Denn  sie  scheidet,  weil  sie  muss.  —  — 
Läutet,  Glocken,  dumpfen  Schalles 
Einem  armen  Mann  zu  Grab: 
Hier  war's,  o  mein  Eins  und  Alles, 
Wo  ich  Dich  verloren  hab'! 


Kennt  die  schnierzenxbittre  Wonne 


Die  aus  solchem  Blick  erweht. 
War  Dich  finden,  Dich  verlieren 
Nicht  wie  kurzer  Sonnenkuss? 


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Rede  auf  Scheffel. 


73 


in  diesen  Gestalten:  in  ihnen  thut  sein  eigentliches  Wesen  sich  uns  auf. 
Der  Reichthum  seines  inneren  Lebens  ist  in  sie  hintlbergeströmt :  sie  tragen 
in  sich,  was  er  sann  und  schaute.  Welche  eindrucksvollere  und  des 
Dichters  würdigere  Feier  könnten  wir  erdenken,  als  wenn  wir,  statt  Uber 
ihn  zu  reden,  —  immer  ein  gewagtes  Unterfangen!  denn  das  Grundge- 
heimniss  alles  Dichtens  bleibt  unausdeutbar  —  welche  schicklichere  Feier 
also  könnten  wir  ihm  bereiten,  als  wenn  wir  ihn  selbst  durch  die  Gestalten, 
mit  denen  er  seine  Dichtungswelt  bevölkerte,  zu  uns  reden  Hessen.  Ganz 
anders  als  wir  es  vermöchten,  würden  sie,  jedes  in  seiner  Sprache,  das 
Lob  ihres  Schöpfers  und  Bildners  austönen.  Werner  und  Margaretha, 
Hadwig,  Ekkehard  und  Praxedis  mit  ihrer  ganzen  höfischen  und  klösterlichen, 
kriegerischen  und  bürgerlichen  Umgebung,  das  ans  lieblich  kindlicher  Be- 
fangenheit zum  lieben  und  zur  thätigen  Liebe  aufblühende  Paar  Audifax 
und  Hadumoth,  Juniperus  und  Rothtraut  von  Almisshofen,  und  jenes  in 
antiker  Marmorschönheit  leuchtende  Schwesterbild  Benigna  Serena  —  und 
dann  jene  andere  Reihe,  aus  der  neben  dem  Mönch  von  Banth  und  den 
fahrenden  Leuten  Reinmar,  Wolfram  und  Heinrich  von  Ofterdingen  hervor- 
ragen. —  Aber  wnndersam!  während  vor  dem  musternden  Blicke  diese 
Gestalten  wie  im  anmuthigen  Reigen  daherziehen,  überkommt  uns  die  Be- 
trachtung: sie  Alle  entstammen  der  Vergangenheit.  Was  haben  sie  der 
Gegenwart  zu  künden?  Wie  gelang  es  ihnen,  sich  so  innig  einzuleben  in 
die  Anschauungen,  in  die  Gefühlswelt  dieser  Gegenwart,  die  in  der  Kunst 
nur  ihr  eigenes  Abbild  sucht,  die  in  allen  Bezirken  der  Kunst  nur  sich 
selbst  wieder  finden  will? 

Den  Poeten  bindet  keine  Zeit.  Im  freien  Fluge  überschwebt  er  mit 
seinem  Geiste  die  Weltaltcr.  Durch  allen  Wandel  der  Zeiten  hindurch 
vernimmt  er  die  ewig  lebendigen  Stimmen  der  Menschheit,  und  wo  sie  mit 
lieblicher  Gewalt  verheissungsvoll  ihn  locken,  da,  wie  in  einer  neu  gefundenen 
Heimath,  lässt  er  sich  nieder.  Wie  mit  seinem  Eigenthum  schaltet  er  mit 
dem  Vorrath  der  Geistesschätze,  die  frühere  Menschengeschlechter  gesammelt: 
da  bietet  sich  ihm  der  gefflgige  Stoff,  aus  dem  er  seine  Schöpfungen  er- 
stehen lässt 

Aber  der  Dichter  ist  auch  der  Sohn  seiner  Zeit.  Aus  ihrem  ge- 
sammten  Sein  heraus  schafft  er;  zu  ihr  allererst  muss  er  reden,  und  sollte 
sie  auch  nicht  gleich  ihn  zu  fassen  vermögen.  Sind  es  nicht  eben  die 
grössten,  deren  Wort  nie  veraltet,  deren  Einwirkung  auf  die  Menschheit 
durch  keine  Grenze  von  Zeit  und  Ort  beschränkt  erscheint,  —  Geister  wie 
Aeschylos,  Dante,  Cervantes  und  wer  noch  gleichberechtigt  ihnen  zur  Seite 
tritt,  sind  sie  nicht  auch  die  ewig  redenden  Zeugen  ihrer  Zeit,  deren 
lebevollste  Verkörperung  sie  uns  in  ihren  Werken  bieten?  Dieser  Zeit,  aus 
der  sie  hervorgegangen,  angehörig,  und  nur  durch  sie  verständlich,  greifen 
sie  hinaus  hVs  Künftige,  wenden  sie  sich  rückwärts  in  s  Vergangene.  Die 
Menschheit  steht  vor  ihnen  wie  ein  grosses,  nur  scheinbar  in  sich  ge- 


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Biographisch©  Blätter. 


schiedenes  Wesen,  dessen  Gesaiumt-Dasein  sie  mit  allumfassender  Empfäng- 
lichkeit durchleben.  Die  innere  Feinheit  alles  menschlich  Gewordenen  stellt 
sieh  vor  ihrer  Einbildungskraft  her.  Der  Dichter,  sagt  uns  ein  grosser 
Poet,  lebt  den  Traum  des  Lebens  als  ein  Wachender,  und  das  Seltenste, 
was  geschieht,  ist  ihm  zugleich  Vergangenheit  und  Zukunft.  So  be- 
währt er  sich  als  der  aussöhnende  Vermittler  der  Zeiten.  Und  war  nicht 
vornehmlich  der  Dichter  des  Ekkehard  zu  einem  solchen  Vermittler- Amt 
erkoren? 

Wie  Vieles  und  Vielartiges  muss  doch  zusammentreffen,  damit  ein 
Kunstwerk  von  echtem  Gehalt  entstehe!  Als  im  Beginn  des  Jahrhunderte 
der  Druck  fremder  Gewalt  auf  Deutschland  erniedrigend  lastete  und  innere 
Spaltungen  längst  die  Volkskraft  zersplittert  hatten,  da  suchte  der  deutsche 
Geist  in  der  Erforschung  des  vaterländischen  Alterthums  das  Bewusstsein 
der  angestammten  Grösse  wieder  zu  gewinnen.  Das  Wissen  vom  deutschen 
Alterthuni  war  eben  zur  gediegenen  Wissenschaft  herangereift,  als  unser 
Dichter  emporwuchs.  Zwei  Jahre  nach  seiner  Geburt  traten  Jacob  Grimms 
deutsche  Reehtsalterthumer  hervor,  aus  denen  seine  Poesie  hernach  wahre 
Lebensnahrung  ziehen  sollte;  ein  Jahr  darauf  folgte  Wilhelm  Grimms 
deutsche  Heldensage.  Um  die  Zeit,  da  er  seine  akademischen  Studien  be- 
gonnen, erschien  in  erneuter  Ausarbeitung  Jacob  Grimms  deutsche  Mytho- 
logie, die  ihm  den  ahnungsvollen  Natursinn  der  Vorväter,  wie  das  uralt 
Sinnbildliche  in  Sitte  und  Brauch  deutete,  und  ihm  die  religiöse  An- 
schauungswelt der  Germanen  eröffnete.  In  der  grossartigen  Sammlung  der 
Monumenta  zeigte  das  Mittelalter  sein  wahres  Antlitz,  das  früher  bis  zur 
Verzerrung  entstellt  oder  von  Nebeln  phantastischen  Wahnes  verhüllt 
worden. 

So  sprach  aus  unverfälschten  Urkunden  unmittelbar  zu  ihm  die  Vorzeit ; 
und  neuere  Forschung  lichtete  und  erleuchtete  ihm  den  Pfad,  auf  dem  er 
zum  Anblick  der  Vergangenheit  vordringen  wollte.  Und  wie  versenkte  er 
sich  in  diesen  gleichsam  eroberten  Anblick!  Durchliest  man  die  dem 
Ekkehard  beigefügten  gelehrten  Quellen- Angaben,  so  könnte  man  wohl 
irrthümlich  glauben,  der  Stoff  hätte  dem  Dichter  bereit  vor  Augen  gelegen, 
es  hätte  nur  eines  kecken  Zugreifens  bedurft,  um  ihn  zu  erfassen  und  zu 
bewältigen.  Aber  man  wende  sich  doch  einmal  selbst  unmittelbar  an  eine 
der  Hauptqucllen.  aus  denen  er  für  seinen  Ekkehard  so  reichlich  schöpfte, 
an  die  Geschichte  der  Vorfälle  im  Kloster  St.  Gallen,  die  casus  Sancti 
Galli  von  Ekkehard  IV,  die  in  deutscher  Übertragung  nun  einen  Jeden 
belehren  können,  der  vor  mittelalterlichem  Kloster  -  Latein  zurückschreckt. 
Da  wird  man  sich  überzeugen:  schon  das  Finden  des  Stoffes  war  eine 
entscheidende  dichterische  That.  Ehe  unter  einer  wirrevollen  Masse  von 
Einzelheiten  der  Forxeherblick  brauchbare  Bestandteile  einer  dichterischen 
Darstellung  entdecken  konnte,  musste  der  leuchtend  eindringende  Dichter- 
blick das  Ganze  schon  ergriffen   und  verklärt  haben.    So  aus  innerer 


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}  teile  auf  Scheffel. 


75 


Notwendigkeit  heraus  schloss  sich  der  Bund  zwischen  Forschung  und 
Dichtung. 

Gänzlich  sondert  sich  der  Dichter  des  Ekkehard  von  der  Zunftgenossen- 
schaft derer,  die  uns  in  graue  Jahrtausende  zurück  zu  täuschen  wähnen, 
wenn  sie  die  schwächlich  gearteten  Tagesgeschöpfe,  die  ihrem  von  der 
Gegenwart  befangenen  Sinne  entsprungen,  mit  alterthüralich  fadenscheiniger 
Gewandung  kümmerlich  umhängen;  und  ebenso  getrennt  hält  er  sich  von 
Denen,  die  von  der  bannenden  Gewalt  der  geschichtlichen  Überlieferung 
so  unterjocht  und  gelähmt  werden,  dass  sie  den  freien  Schritt  in  die  Gegen- 
wart nicht  mehr  zurückthun  können,  und  ihnen  jedes  Gefühl  für  Forderungen 
und  Bedürfnisse  ihrer  Zeit  schwindet.  Er  vielmehr  —  und  dabei  kam  ihm 
die  juristische  Schulung  wohl  zu  Statten  —  er  sieht  die  Zustände  der  Ver- 
gangenheit in  schärfster  Umgrenzung;  zugleich  sieht  er  innerhalb  dieser 
Grenzen  Alles  in  lebendiger  geschmeidiger  Bewegung;  nichts  bleibt  starr;  im 
Bereich  der  Vergangenheit  regen  und  tummeln  sich  dieselben  Lebenskräfte, 
die  auch  unserem  Dasein  Schwung  und  Erhebung  verleihen,  es  mit  Genuss 
und  Wonnen,  mit  Herzensweh  und  Geistesqualen  überfüllen.  So  lässt  uns 
der  Dichter  unsere  Verwandtschaft  mit  dem  Gewesenen  empfinden.  Ilim 
droht  nicht  die  Gefahr,  dass  die  Geschichte  die  Poesie  übermeistere. 
Mochte  auch  späterhin  die  allzu  enge  Nachbarschaft  des  Gelehrten  und  des 
Dichters  dem  Künstler  zu  hemmender  Bedrängniss  gereichen  —  so  lang 
ihm  seine  Vollkraft  ungeschmälert  blieb,  bezwang  er  die  Geschichte,  anstatt 
sich  von  ihr  in  Bande  schlagen  zu  lassen:  er  verfügte  über  ihren  Gehalt, 
als  ob  er  ihn  nicht  dem  Buche,  als  ob  er  ihn  dem  Leben  entnommen.  Er 
gleicht  den  Gegensatz  der  «Jahrhunderte  durch  dichterische  Vermittlung  aus, 
ohne  doch  die  schroffen  Eigenthümlichkeiten  der  alten,  längst  geschwundenen, 
ja.  längst  unmöglich  gewordenen  Zustände  abzuschwächen.  Das  wissen- 
schaftlich Ergründete  wird  zum  dichterisch  Geschauten.  Versprengte 
Trümmer  fügen  sich  an  einander,  wie  zum  Wieder- Aufbau  einer  alten  Welt, 
nnd  über  ihr  leuchtet  eine  ewig  junge  Sonne,  welche  die  Menschheit,  die 
uns  hier  begegnet,  mit  J^ebcnswärme  und  .jugendfrische  durchströmt. 
Ja,  so  nahe  tritt  sie  im  Panzer  oder  Kutte,  in  höfischer  Zier  oder 
bäuerlicher  Schlichtheit  zu  ihm  heran,  dass  er,  wie  in  einem  mühe- 
losen Verkehr,  mit  ihr  umgehen  inajj.  Da  hat  er  Acht  auf  ihr  Thun 
im  Grossen,  auf  ihr  Behaben  im  Kleinen;  da  verräth  sich  ihm  ihr 
Sinnen  und  Fühlen;  er  erlauseht  die  edlen  Kegungen  wie  die  klein- 
lichen Gedanken.  Muss  da  nicht  ungemfen  der  sich  einstellen,  der  im 
Geistesgebiete  unseres  Dichters  sich  gleichsam  ein  eigenes  Reich  ge- 
gründet hat,  der  Humor?  Er  schwebt  verbindend  über  den  Gegensätzen, 
lösend  Über  den  Widersprüchen,  die  im  Menschendasein  aneinanderstossen 
und  sich  durchkreuzen.  In  fast  unbemerkbaren  Übergängen  leitet  er  vom 
Würdigsten  zum  Alltäglichen,  vom  Freudenjubel  zur  herzzerschneidenden 
•Trauer;  und  indem  er  bezeugt,  dass  der  teste  Dichtersinn  unberührt  bleibt 


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76 


Biographische  Blatter. 


von  der  kränklichen  Sehnsucht  nach  vergangenen  Lebens-  und  Gesellschafts- 
formen, verbreitet  er  durch  Darstellung  und  Sprache  eine  Würze,  die  den 
alterthttmlichen  Inhalt  vor  dem  Veralten  bewahrt. 

Und  doch  —  wenn  auch,  wie  vor  dem  Blicke  eines  rückwärts- 
gewandten Sehers,  vor  dem  Dichter  das  Bild  jener  fernen  Menschheit 
in  Lebensfülle  und  Lebensfarbe  hell  emporstieg,  dennoch  wäre  es  ihm 
kaum  gegluckt,  diese  unwiederbringlich  entschwundene  Welt  Uber  die  Kluft 
der  Jahrhunderte  auch  der  empfänglichsten  Einbildungskraft  so  deutlich 
entgegenzubringen,  wenn  er  seinen  Gestalten  nicht  in  der  vertraulichsten 
heimathlichen  Nähe  den  Boden  bereitet  hätte.  Hier  erkennen  wir  eine  gewiss 
halb  unbewusste  Meisterthat  des  Dichters,  die  dadurch  nichts  von  ihrer 
Bedeutung,  geschweige  denn  von  ihrer  Wirkung,  einbüsst,  dass  sie  durch 
die  Wahl  des  Stoffes  schon  gefordert  ward.  Was  in  der  Zeitenferne 
geschah,  wird  uns  im  Räume  nahe,  ganz  nahe  gerückt.  Das  Thun  und 
Dulden  der  längst  vom  Zeitenstrudel  verschlungenen  Menschen,  ihr  An- 
kämpfen gegen  den  äusseren  Feind  und  gegen  den  gefährlicheren,  der  im 
Innern  sich  aufbäumt,  ihre  Alltags-Sorgen  und  ihre  ausserordentlichen 
Wagnisse,  ihr  Triumphiren  und  Unterliegen,  das  Alles  wird  angeknüpft  an 
die  vaterländischen  Bezirke,  die  schon  mit  ihres  Namens  Klange  in  allen 
Deutschen  eben  so  liebliche  Anschauungen  wie  theure  Erinnerungen  hervor- 
rufen, und  über  die  unser  Auge  ergötzt  und  entzückt  hinschweift.  Da 
liegt  es  vor  uns  hingebreitet,  das  schone  Stück  deutscher  Erde,  „was  dort 
zwischen  Schwarzwald  und  schwäbischem  Meer  sich  aufthut"  —  da  wallt 
der  See,  da  hebt  sich  der  Hohentwiel  —  bald  blinkt  von  ferne  die  Rheines- 
welle, bald  trägt  vor  unseren  Augen  der  deutsche  Strom  zwischen  Uferfels 
und  bebuschten  Höhen  seine  Wogen  mächtig  daher.  Der  Säntis  ragt  auf 
neben  seinen  hochgipflichten  Genossen  —  und  Flur  und  Trift,  Waldes- 
dnnkel,  Ackerfeld  und  schattige  Halde  —  da  haben  sie  gehaust  und  ge- 
waltet, die  urväterlichen  Geschlechter!  Warum  sollen  sie  nicht  zurück- 
kehren auf  diesen  heimischen  Boden,  der  sich  unverändert  vor  unsern 
Blicken  dahinstreckt?  Im  hallenden  Klostergang  sammeln  sich  die  Mönche, 
die  arbeitsamen,  und  die  beschaulich  stillen;  die  heilige  Einsiedlerin 
psalmodiert  und  kasteit  sich  in  ihrer  ummauerten  Zelle,  die  Waldfrau  in 
ihrer  steinernen  Hütte  am  steilen  Fels  treibt  ihr  heidnisches  Werk.  Hadwig 
herrscht  auf  ihrer  Burg,  wo  von  den  Lippen  des  heimlich  Geliebten  und 
unselig  Liebenden  die  berückende  Versmelodie  des  seelenvollsten  der  römischen 
Dichter  tönt: 

Infelix  Dido,  longumque  bibehat  amorem! 

Zeitenferne  —  räumliche  Nähe  —  aus  der  Verbindung  Beider  entspringt 
die  sinnliche  Täuschung,  aus  der  die  künstlerische  Wahrheit  siegend  hervor- 
geht. Da  sinkt  gänzlich  die  Scheidewand,  die  sonst  die  Menschenalter  von  ein- 
ander abtrennt.  Folgte  der  Dichter  doch  selbst  seinen  Gestalten  unmittelbar 
an  die  Stätten,  wo  sich  das  begeben,  was  er  in  künstlerischer  Ausführung' 


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Rede  auf  Scheffel. 


77 


wiederholte.  Erst  siedelt  er  am  Hohentwiel  sich  an,  dann  am  Waldkirchlcin 
beim  Säntis.  Was  er  einst  in  der  bildenden  Kunst  so  gern  geleistet  hätte, 
das  überträgt  sich  auf  sein  bildendes  Wort,  so  bald  er  die  Natur-Erscheinung 
erfasst  und  wiedergiebt.  Begleitet  man  in  Gedanken  Hadumoth  auf  ihrer 
Wanderfahrt,  auf  der  sie  Gott  vertrauend  dem  geraubten  Gespielen  endlich 
wieder  begegnet,  so  wird  man  nachfühlen,  wie  die  wechselnden  Gegenden, 
die  sie  durchzieht,  sich  beleben,  ja.  mithandeln  und  mitsprechen.  Vor  ihm, 
in  dem  rege  Wanderseligkeit  und  strenge  Forschungslust  sich  einen,  lag  das 
Buch  der  Geschichte  und  das  Buch  der  Natur  aufgeschlagen:  nicht  todte 
Buchstaben,  nicht  unbelebte  Können  fand  er  in  ihnen;  aus  Beiden  vernahm 
er  lebendige  Laute,  die  weckend  und  erhebend  an  Geist  und  Seele  drangen. 
Wenn  er  der  offenkundigen  Schönheit  und  Majestät  der  Natur  preisend  und 
huldigend  sich  hingiebt,  so  lockt  es  ihn  doch  vielleicht  mit  noch  lebhafterem 
Reiz.  Sinn  .und  Ahnungsvermögen  in  das  geheime  Weben,  in  das  leise 
Wirken  der  Erdenkräfte  zu  versenken.    Er  ist  es, 

Der  zu  hören  weiss  in  frommem  Lauschen, 
Wie,  herrlicher  als  Lied  und  Kunstgedicht, 
In  stundenlangem,  leisen»  Wipfelrauschen 
Des  Waldes  Seele  mit  sich  selber  spricht. 

Aber  nicht  nur  aus  dem,  was  er  erlerat,  erlauscht  und  erwandert, 
fügt  er  die  Elemente  seiner  Dichtung.  Die  Gestalten  und  Anschauungen, 
die  er  von  aussen  und  aus  der  Ferne  empfängt,  werden  doch  nur  dadurch 
sein  eigen,  dass  er  sein  inneres  Leben  —  soll  ich  sagen  —  in  sie  einarbeitet  oder 
gelind  in  sie  einflösst.  Und  so  wird  ihm  das  eigene  Sein  zum  Urquell 
seiner  Dichtung.  „Es  kam  Alles  von  Innen  heraus"  —  so  erklärt  er  selbst 
in  späteren  Jahren  die  Entstehung  seiner  Gebilde;  oder,  wie  er  es  dem 
Parzival-Dichter  in  den  Mund  legt: 

Des  eignen  Herzens  räthseldunkle  Ziele 
Entwirren  sich  im  hönsch-bunten  Spiele. 

Aus  seinen  eigenen  Stimmungen  erhebt  sich  Werners  kräftiger  Sang 
und  sein  Sehnsuchtslied;  Selbsterlebtes  führt  zu  der  schmerzlich-ernsten, 
aber  nicht  unmännlichen  Ergebung,  welche  die  Lieder  des  stillen  Mannes 
athmen;  der  Nachhall  solcher  eigenen  Stimmungen  zieht  wohl  auch  durch 
die  mürrische,  stets  zur  Kritik  bereite,  Weltweisheit  des  sinnschweren 
Katers,  dessen  Stammbaum  man  nicht  bei  älteren  Literatur-Katern  suchen 
darf,  der  vielmehr  leibhaftig  aus  dem  Leben  sich  würdevoll  in  die  Poesie 
hinüber  begeben  hat.  Der  Dichter  selbst  leidet,  verzweifelt  und  läutert 
sich  mit  seinem  Ekkehard.  Er  ist  es,  der  mit  dem  Regensburgcr  Bischof 
in  die  Bergeseinsamkeit  hinaufsteigt,  wo  er  im  erhabenen  Sturmes-Ungewitter, 
das  ihn  umtost,  und  in  dem  nocli  erhabeneren  Schweigen,  das  auf  dem  erd- 
überschauenden und  himmelanstrebenden  Gipfel  lagert,  sein  eigenes,  von 
Stürmen  durchwühltes,  Gemüth  zur  Ruhe  schwichtigt,  und  im  Anblick 
dieser  ragenden  Schöpf ungs-Wun der  den  schwer  wuchtigen  Feier- Psalm  zu 


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78 


■- 

Biographische  Blatter. 


dem  empor  sendet,  der  die  Tiefen  gegründet  und  in  unnahbarer  Höhe  Uber 
allen  Erdenhöhen  thront.  So  tritt  der  Dichter  auch  in  ein  durchaus 
persönliches  Verhältnis»  zur  Frau  Aventiure,  der  spröden  Unholdin.  um 
deren  Gunst  er  mit  den  gehaltreichsten  und  ausgebildetsten  seiner  Lieder 
wirbt.  Wohl  hat  er  ganz  und  tief  sich  eingelebt  in  die  Gemeinschaft  der 
Meister  mittelalterlicher  Dichtkunst;  was  in  Kitterburgen  und  an  Fürsten- 
höfen  gesagt  und  gesungen  worden,  was  im  Waldesgrün  und  auf  lichter 
Haide  erklang  und  sich  mit  den  Naturlauten  der  beschwingten  Waldes- 
sänger mischte,  —  das  war  ihm,  seinem  eigenen  Worte  nach,  wie  ein  Ab- 
glanz der  unsterblichen  Jugend  unseres  Volkes,  über  diesen  Lebens- 
und Dichtungs-Kreis  jedoch,  in  den  Literatur-Geschichte  und  Kritik  ihn 
eingeführt  hatten,  wie  bald  schwingt  er  sich  unabhängig  über  ihn  empor! 
Reinmar,  Walter,  Wolfram  und,  den  er  aus  Sagendunkel  zuerst  hervortreten 
lässt,  Heinrich  von  Ofterdingen  —  sie  Alle  werden  ihm  brüderliche  Sanges- 
genossen; durch  ihren  Liedermund  macht  er  uns  vertraut  mit  seinem 
Gcmtith,  mit  seinem  Geschick  —  sind  beide  nicht  Eins?  Aus  den  zarten, 
aus  den  erschütternden  Tönen  der  alten  Meister  müssen  wir  erfahren,  wie 
er  mit  den  höchsten  Aufgaben  der  Kunst,  bald  hoffend,  bald  in  düsterer 
Verzweiflung,  ringt : 

 Im  Sturra-durchbraustcn  Lenze 

Fahr'  ich  dahin  und  suche  meinen  Stern. 

Gewiss,  das  treuestc  Abbild  seines  Inneren  zeichnet  er  uns  in  den 
Liedern,  in  denen  lyrische  Stimmung  mit  epigrammatisch  geschärftem  Aus- 
druck auf  eigene,  oft  überraschende,  niemals  beleidigende  Weise  zusammen 
trifft.  —  Und  niemals  darf  ihn  die  lyrische  Stimmung  ins  Unbestimmte,  ins 
Form-  und  Haltlose  hinein  verleiten.  Nur  Gestaltetes  und  Festgefügtes 
darf  von  ihm  ausgehen.  Unwiderstehlich  drängt  ihn  seine  Künstlernatur 
zu  Geschichte  und  Sage,  wo  schon  das  innere  Leben  sich  verdichtet  und 
verkörpert  hat,  so  dass  es  der  sinnlichen  Anschauung  fassbar  geworden. 
So  erblüht  selbst  seine  Lyrik,  die  Trägerin  seines  Seelenlebens,  am 
günstigsten  auf  episch  -  sagenhaftein  Boden.  Behält  man  diesen  epischen 
Hintergrund  im  Auge,  so  versteht  man  vielleicht,  warum  der  Zugang  zum 
Drama  ihm  stets  verschlossen  blieb  und  seine  Poesie  auf  die  Beweglichkeit 
dramatischer  Charakter-  Entwickelung  verzichten  musste.  Er  bedarf  für 
seine  Dichtung  ganz  eigentlich  festen  Grund  und  Boden.  Im  Säckinger 
Gedicht  und  im  Ekkehard  bot  sich  ihm  dieser  von  selbst,  wie  eben  nur 
dem  geborenen  Dichter  sich  so  etwas  bietet.  Vergebens  strebte  er  ihn  für 
seine  Viola,  für  sein  prosaisches  Epos  von  der  Wartburg  zu  finden.  Uner- 
müdlich forschend  wanderte  er  am  Rhein,  an  der  Donau  auf  den  Nibelungen- 
Pfaden;  umsonst!  Die  Welt,  die  Gestalten,  die  hier  vor  ihm  schwebten 
und  schwankten,  sie  wollten  sich  nicht  verdichten.  Der  gewissenhafte 
Künstler  jedoch  —  gleich  jedem  echten  Dichter  näherte  er  sich  der 
künstlerischen  Arbeit  mit  strengem  Ernst  und  verschmähte  jedes  Spielen 


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Hede  auf  Scheffel. 


79 


mit  der  Kunst  —  der  gewissenhafte  Künstler  mochte  seinen  Bau  nur  auf 
ireschichtlich  gesichertem  Boden  errichten.  In  Wahrheit,  er  konnte  nicht 
eher  ruhen,  als  bis  alle  Abstraktion  in  einen  bildlichen  Kindnick  verwandelt 
worden.  Der  Mythus  wächst  ihm  so  zu  sagen  unter  den  Händen;  seine 
ausgelassensten  Scherze  kleiden  sich  in  historisches  und  mythisches  Gewand, 
mag  er  nun,  in  graue  Schöpfungsdänimerung  zurückblickend,  den  Basalt  und 
den  erratischen  Block,  oder  in  bildungshellcr  Gegenwart  das  Heidelberger 
Fass  besingen,  das  für  die  germanische  Menschheit  leider  nicht  mehr 
sprudelt.  Auch  die  Zechlust  darf  nicht  im  Abstrakten  verharren.  Aus 
ihr  erwächst  im  Rodensteiner  die  kolossal  heroische  Verkörperung  eines 
Dörfer  verschlingenden  und  dennoch  unstillbaren,  Zeit  und  Ewigkeit  trotzig 
überdauernden  Durstes. 

Überall  ist  es  deutsche  Geschichte  und  Sage,  denen  Sehefielsche 
Dichtung  sich  anschliesst,  mit  denen  sie  zusammenwächst.  Kaum  mag  man 
sich  denken,  dass  sie  in  einem  anderen  als  dem  vaterländischen  Boden 
purzeln  könnte.  Durch  einen  Stoff,  der  ihn  in  die  Fremde  lockte,  wie 
Tizian  und  Irene  di  Spielimbergo,  konnte  er  wohl  auf  lange  hinaus  gefesselt 
werden,  aber  nicht  konnte  er  mit  dichterische!-  Kraft  ihn  befruchten.  Nur 
heimische  Sitte,  heimisches  Heldenthum,  heimische  Geistesthat  kann  seinen 
(ieist  zu  schöpferisch  gestaltender  Thätigkeit  entzünden.  Und  scheint  sich 
nicht  etwas  von  der  kernhaften  Gesundheit  der  deutschen  Heldendichtung 
seinen  Kunstgebilden  mitzutheüen?  Man  darf  es  betonen  —  und  dasselbe 
gilt  von  den  Erzeugnissen  seines  alemannischen  Kunst  genossen,  des  einzig 
unvergleichbaren  Hebel,  zu  dem  Scheffel  so  liebevoll  aufblickte  und  den  er 
in  dessen  eigenen  Tönen  so  anmuthig  zu  rühmen  musste  —  man  darf  es 
betonen:  nie  hat  sich  eine  unlautere  Zeile  schändend  in  seine  Werke  ein- 
geschlichen. Dies  wahrhafte  Leben,  das  er  im  Bilde  vor  uns  auseinander 
faltet,  ist  gesäubert  von  den  Schlacken  gemeiner  Wirklichkeit.  Die  Luft 
weht  rein,  wo  er  schafft.  Unverhohlen  blieben  ihm  die  Schäden,  die  jetzt 
am  Körper  der  Menschheit  nagen  und  zehren.  Der  zweiten  Autlage  seines 
•lugendgedichtes  gab  er  die  Geleitswortc  mit: 

Die  Welt  von  heut  ist  dienstbar  falschen  (itttzen. 
Die  Wahrheit  schweif,  die  Schönheit  seufzt  und  klatrt, 
Nur  Unnatur  und  Lüge  schafft  Kratzen. 
Gott  ist  vergessen,  Mammons  Standbild  ragt. 

Um  so  höher  ist  die  sittliche  Tüchtigkeit  dieser  Bocsie  anzuschlagen, 
da  der  Poet  die  unbedingte  Freiheit  seiner  Kunst  un verringert  behauptet, 
und  sich  in  seinem  Schäften  und  Bilden  niemals  durch  die  Rücksicht  auf 
andere,  wenn  auch  noch  so  edle,  Zwecke  beengen  oder  beirren  lilsst.  N'icht 
an  einen  parteimassig  abgegrenzten  Theil  des  Volkes  wendet  sich  diese 
Dichtung:  zum  ganzen  Volke  spricht  sie.  Ganze  Menschen  stellt  sie  vor 
uns  hin.  von  deren  Urkraft  eine  einseitige  Bildung  noch  nichts  abgebröckelt 
hat    In  ihr  ergeht  eine  milde  Friedensbotschaft  an  eine  in  trostlosem 


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Biographische  Blätter. 


Zweifel  mit  sich  selbst  ringende,  in  sieglosen  Kämpfen  sich  aufreibende 
Menschheit. 

Als  eine  Genesung  spendende  Heilsgöttin,  so  tritt  die  Poesie  selbst  in 

den  Werken  unseres  Dichters  auf.    Von  sehnender  Verzweiflung  Pein  muss 

Ekkehard  genesen,  da  er  den  Erzklang  des  germanischen  Heldenliedes  vom 

Waltharius  in  Virgilischen  Maassen  nachtönen  lässt.   Auf  ähnliche  Weise 

sollte  in  jenem  grössten  unvollendeten  Werke  Heinrich  von  Ofterdingen  von 

bedrängender  Qual  sich  erlösend  befreien,  indem  er  das  Lied  von  der 

Nibelungen  Noth  zu  seiner  endgültigen  Gestalt  ausbildet.   Als  entschlossener 

Vorkämpfer  deutscher  Dichtung  war  er  den   künstlerisch  überlegenen 

Meistern  der  nach  französischem  Muster  entwickelten  höfischen  Poesie  zu 

gefährlichem  Wettkampf  entgegen  gestellt  worden.    Wie  einen  schmählich 

Überwundenen  treibt  man  ihn  davon:  aber  Leben,  Zorn  und  Kunst  sind 

ihm  noch  frisch  geblieben.    Der  Glaube  an  deutsche  Dichtung  hält  ihn 

aufrecht.    In  arbeitseliger  Einsamkeit  wächst  er,  genest  und  erstarkt  am 

dichterischen  Schaffen.    Triumphirend  kehrt  er  zurück  auf  den  Schauplatz 

der  früheren  Niederlage.   Mit  sich  bringt  er  als  höchste  Gabe  das  ewige 

Lied  von  des  strahlenden  Siegfrieds  Tod  und  Kriemhildens  Rache-heischender 

Liebe,  von  Dietrich  von  Bern  und  Rüdiger  von  Bechelaren: 

Der  Ahnen  Geister  steigen  aus  den  Grüften, 
Ein  rauh  Geschlecht  erprobt  in  Grenzmark  Streit; 
Noch  rauscht  ihr  Schlachtruf  mächtig  in  den  Lüften, 
Die  Enkel  mahnend  alter  Tapferkeit. 

Es  war  das  dreizehnte  Jahrhundert,  das  unser  Nibelungenlied  ent- 
stehen sali;  dasselbe  Jahrhundert,  in  dem  alle  deutsche  Dichtung  zu  so 
wundersamer  Blttthe  gelangte,  dasselbe  Jahrhundert,  das  unser  Dichter  im 
Beginn  der  Aventiure  mit  dem  Weiliespruch  begrüsste: 

Schwingt  Euch  auf,  Posaunen-Chöre, 
Dass  in  sternenklarer  Nacht 
Gott  der  Herr  ein  Loblied  höre 
Von  der  Thürme  hoher  Wacht; 
Seine  Hand  führt  die  J'laneten 
Sichern  Laufs  durch  Raum  und  Zeit, 
Führt  die  Seele  nach  den  Fehden 
Dieser  Welt  zur  Ewigkeit.  — 

Ein  Jahrhundert  will  zerrinnen, 
Und  ein  neues  hebt  sich  an  — 

Auch  wir  harren  einem  neuen,  allgemach  aufdämmernden  Jahrhundert 
entgegen.  Als  ein  Lebendiger  wird  unser  Dichter  die  Schwelle  eines  neuen 
Zeitalters  überschreiten,  im  Gefolge  jener  gewaltigen  und  reinen  Genion, 
deren  Deutschland,  ohne  sich  selbst  aufzugeben,  nie  vergessen  darf,  und 
denen  er,  seiner  vollen  Selbständigkeit  in  seinem  Kreise  sich  bewusst,  eine 
wahrhaft  männliche  Verehrung  widmete.  Wir  wagen  zu  erhoffen,  dass  er 
in  der  kommenden  Zeit  Geistesgenossen  wecken  wird,  nicht  solche,  die  in 


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Anselm  Fauerbach. 


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knechtischer  Nachahmung  unwirksam  wiederholen,  was  er  wirkungsvoll 
gesagt  —  möge  die  trübselige  Reihe  seiner  Nachahmer  abgeschlossen  sein 
für  immer!  —  solche  vielmehr,  die  seinem  Sinne  gemäss,  aber  ohne  die  von 
ihm  erborgten  Kunstmittel,  auf  das  ewig  Menschliche  gerichtet  und  des 
Göttlichen  eingedenk,  in  ihren  Werken  selbständig  des  deutschen  Geistes 
immer  neu  erstehende  Herrlichkeit  bekunden  und  Deutschlands  ewig 
strebendes  Volk  mit  herzergreifenden  Klängen  an  seine  heiligen  Pflichten 
mahnen.   

Was  hier  mehr  unvollkommen  angedeutet,  als  kunstgerecht  ausgefülirt 
worden,  soll  keineswegs  als  Gedächtnissrede  gelten.  Das  Gedächtniss  dessen, 
der  unter  uns  aus  eigener  Kraft  fortlebt,  bedarf  keiner  Auffrischung  durch 
ungenügende  Rede.  Das  bescheidene  Wort,  das  hier  vernommen  worden, 
sollte  uns  nur  vor  die  Seele  führen,  was  sein  badisches  Land,  das  er  so 
geliebt  und  liebend  verherrlicht,  was  sein  ganzes  grosses  Deutschland,  ja 
was  jeder,  der  durch  deutsches  Dichterwort  die  Macht  des  Deutschen 
Geistes  an  sich  erfahren,  unserm  Dichter  innig  zu  danken  hat  und  auch  in 
Zukunft  treulich  danken  wird. 

 &  

■fi 

Anselm  Feuerbach. 

Von 

KARL  VON  LÜTZOW. 

Drei  Mal  erscheint  auf  den  Stufengängen  der  modernen  Kulturgeschichte 
Deutschlands  der  Name  Anselm  Feuerbach.  Und  immer  ist  es  das  gleiche 
silberhelle,  milde  licht,  was  von  ihm  ausstrahlt:  von  seinem  ersten  Träger, 
dem  humanen  Kriminalisten,  wie  von  dem  zweiten  und  dritten,  dem  geist- 
vollen Deuter  klassischer  Bildnerkunst  und  dem  Maler  der  „Iphigenia". 

Von  allen  Dreien  besitzen  wir  biographische  Darstellungen,  die  zugleich 
mit  dem  geistigen  auch  das  menschliche  Wesen  der  edlen  Männer  der  Nach- 
welt überliefern;  von  keinem  eine  schönere  als  das  ergreifende  Bild  der 
eigenen  Seele,  das  Anselm  Feuerbach  der  Maler  in  dem  bald  nach  seinem 
Tode  von  pietätvoller  Hand  herausgegebenen  „Vermächtniss"  uns  hinter- 
lassen hat.*)  Die  Bedeutsamkeit  dieser  merkwürdigen  Schrift  reicht  weit 
über  den  Kreis  der  aufklärenden  Wirkung  hinaus,  die  sich  der  Verfasser 
davon  für  das  bessere  Verständniss  seiner  künstlerischen  Schöpfungen 
erhofft  hatte:  sie  zählt  überhaupt  zu  dem  Besten,  was  je  ein  Künstler  über 
Kunst  geschrieben  hat.  Auch  der  äussere  Lebensgang  des  Meisters  ist  in 
ihr,  wenn  auch  nicht  erschöpfend,  so  doch  grundlegend  festgestellt. 

*)  Ein  Vermächtnis«  von  Anselm  Feuerbach.  Wien,  C.  Gerold  s  Sohn.  188*2; 
3.  Aufl.  1890. 

Biographische  Blatter.  I.  6 


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82 


Biographische  Blätter. 


Den  Versuch,  die  Lücken  zn  ergänzen  und  uns  ein  vollständig  ab- 
gerundetes Bild  von  dem  Leben  und  Schaffen  Anselm  Feuerbachs  zu  bieten, 
konnte  nur  ein  Mann  wagen,  der  sich  ganz  in  die  Natur  des  Kunstlers 
versenkt,  der  durch  Miterlebtes  und  von  Nächststehenden  Dargebotenes  einen 
freien  Überblick  über  das  Wesen  und  die  Entwickelung  seiner  Kunst  gewonnen 
hatte.  Wir  müssen  bereitwillig  zugestehen,  dass  in  dem  vor  einigen  Monaten 
erschienenen  Buche  von  Julius  Allgeyer  die  schwierige  Aufgabe  glücklich 
geliist  erscheint.*)  Deckt  sich  unsere  Auffassung  von  der  Eigentümlichkeit 
der  Kunst  Feuerbach  s  auch  nicht  vollkommen  mit  derjenigen  des  Biographen, 
so  begrüssen  wir  doch  sein  Buch  als  ein  durchaus  würdiges  Denkmal  des 
Dahingeschiedenen  mit  lebhafter  Freude.  Die  kleine  Zahl  guter  deutscher 
Künstlerbiographicn  ist  damit  um  eine  der  gelungensten  vermehrt. 

Besonders  reichhaltig  erweist  sich  Allgoyers  Darstellung  für  die  reife 
Zeit  des  Künstlers,  vom  siebenundzwanzigsten  Lebensjahre  an  bis  zn  seinem 
Tode.  Vier  Jahre  hindurch  war  er  der  tägliche  Zeuge  seines  Schattens 
und  stand  auch  in  der  Folge  mit  dem  Künstler  im  regsten  persönlichen 
Verkehr.  Dazu  boten  ihm  die  Briefe  Feuerbach 's  und  die  von  dessen 
Stiefmutter  Aufschluss  über  alle  wichtigeren  Vorgänge  des  inneren  und 
äusseren  Lebens.  Obschon  das  in  der  Berliner  Nationalgalerie  bewahrte 
handschriftliche  Material  aus  dem  Nachlasse  Feuerbach 's  dem  Biographen 
aus  bisher  unbekannt  gebliebenen  Gründen  vorenthalten  wurde,  dürfen  seine 
Quellen  für  die  wichtigste  Periode  von  Feiierbachs  Leben  doch  als  voll- 
kommen ausreichend  betrachtet  werden. 

Auch  für  die  Kindheit  und  Jugend  Anselms,  die  im  „Vermächtnissu 
mit  festen  Strichen  gezeichnet  sind,  fehlt  es  nicht  an  neuen,  fesselnden 
Zügen.  Vornehmlich  zur  Charakteristik  von  Feuerbach  s  Vater,  mit  dessen 
„plastisch  weicher  Art"  die  seinige  wesensverwandter  war,  als  man  bei 
ihren  sonstigen  Verschiedenheiten  zugestehen  möchte.  Eine  Briefstelle  möge 
hier  wiederholt  werden,  weil  sie  ein  wenig  bekanntes  Gocthebildniss  enthält, 
von  der  Hand  des  Verfassers  des  „Vatikanischen  Apollo"  entworfen.  Dieser 
befand  sich  in  jungen  Jahren  in  Begleitung  der  Frau  von  der  Recke, 
Tiedge's  und  der  Herzogin  Dorothea  von  Curland  einmal  zur  Herstellung 
seiner  erschütterten  Gesundheit  in  Karlsbad  und  sah  dort  seinen  glühenden 
Wunsch  erfüllt,  mit  Goethe  in  Berührung  zu  kommen.  „Ich  habe  Goethe 
gesellen  und  gesprochen";  —  schreibt  er  am  11.  Mai  1820  an  den  Vater 
„die  Herzogin,  die  meinen  Wunsch  errathen,  schickte  mich  zu  ihm.  Mit 
klopfendem  Herzen  stieg  ich  die  Treppe  hinauf  und  bat  stotternd  vor  Angst 
und  Freude  den  Bedienten,  mich  zu  melden.  Ich  ward  vorgelassen,  und 
besänftigend  überraschte  mich  die  grosse  Freundlichkeit,  mit  der  er  mir 
entgegentrat;  und  gar  bald  waren  die  Schreckbilder  von  der  Aufnahme,  die 

*')  Anselm  Köllerbach.  Sein  Leben  und  seine  Kunst.  Mit  einem  in  Kupfer  ge- 
stochenen Selbstbiltlniss  des  Künstlers  und  38  Text- Illustrationen  in  Autotypie.  Bamberg, 
Büchner  s  Verla-:  18!>4.    XIV  u.  4*2  S.  *°. 


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Anselm  Feuerbaoh. 


83 


Bürger  und  Rückert  bei  ihm  gefunden,  aus  meinem  Sinne  entschwunden. 
Er  nöthigte  mich  zu  sich  aufs  Sopha.  Welch*  ein  Kopf!  Wie  eines 
Tempels  Gewölbe  hebt  sich  die  Stirn.  Die  Augen  treten  licht  und  klar 
wie  strahlende  Heroen  im  dunkelglänzenden  Waffenschmuck  mit  ernstem, 
gemessenem  Schritte  aus  der  gewaltigen  Wölbung.  Ruhig  und  doch  so  voll 
Feuer.  So  gebieterisch  und  doch  so  milde.  Im  seltsamen  Kontrast  mit 
der  Ruhe  seiner  Felsenstirne  steht  die  gefällige  Beweglichkeit  des  Mundes, 
durch  dessen  freundliches  Iitcheln  nicht  selten  eine  gewisse  Ironie  durch- 
blickt. Rulle  haben  diese  Lippen  nie:  auch  wenn  sie  schweigen,  sind  sie 
beredt". 

Wie  klar  anschaulich  und  zugleich  feurig  bewegt  ist  diese  Schilderung, 
völlig  im  Stil  des  „Vatikanischen  Apollo"!  Der  Maler  Anselm  hätte  sie 
kaum  wesentlich  anders  geschrieben.  Seine  ganze  Art  wurzelt  in  der  des 
Vaters,  nur  hatte  die  Natur  ilim  noch  eiu  Organ  mehr  als  diesem  verliehen, 
sich  auszudrücken. 

Bald  nach  jenem  Besuche  in  Karlsbad  lernte  der  Vater  das  weibliche 
Wesen  kennen,  welches  unserm  Anselm  das  Leben  schenken  sollte,  Amalie 
Keerl  aus  Ansbach,  „ein  Mädchen  von  so  seltener  Anmuth,  Schönheit  und 
Lieblichkeit  des  äusseren  und  inneren  Wesens",  —  heisst  es  von  ihr  ~- 
„dass,  hätte  Jean  Paul  sie  gekannt,  als  er  seinen  Titan  schrieb,  Niemand 
gezweifelt  haben  würde,  Liane  sei  Ainaliens  Porträt".  In  der  Idylle  des 
Speyerer  Häuschens,  das  Feuerbach  mit  der  glückselig  Heimgeführten  im 
Herbst  1826  bezog,  ist  als  „mächtiger  Penate"  der  „Vatikanische  Apollo" 
und  wenige  Jahre  vor  dessen  Erscheinen,  am  12.  September  1829  Anselm, 
der  Maler,  der  Welt  geschenkt  worden.  Wer  kann  sich  darüber  wundern, 
dass  sie  mit  einander  wesensverwandt  sind?  Beide  zugleich  ganz  modein 
und  doch  voll  hellenischen  Geistes! 

Die  „schöne,  stille"  Amalie  starb  früh.  Der  kleine  Anselm  kam  für 
kurze  Zeit  zu  dem  Grossvater  nach  Ansbach.  Als  er  in  die  Geburtsstadt 
heimkehrte,  war  dort  eine  Stiefmutter  eingezogen,  jene  verehrungswürdige 
Frau,  welcher  der  Künstler  für  sein  ganzes  weiteres  Leben  das  Meiste  zu 
danken  hatte.  Sie  war  hochgebildet,  namentlich  in  Musik  und  Sprachen, 
selbst  des  Lateinischen  und  Griechischen  „in  einem  für  eine  deutsche  Frau 
unseres  Jahrhunderts  höchst  seltenen  Grade  mächtig".  Rührend  ist,  wie 
der  Künstler  im  „Vermächtniss"  den  Eintritt  der  Stiefmutter  in  das  Vater- 
haus begrttsst:  „Grenzenloses  Mitleid  mag  unsere  zweite  Mutter  zu  diesem 
gesegneten  Entschluss  veranlasst  haben". 

Die  Knabenjahre  verlebte  er  in  der  Universitätsstadt  Freiburg  im 
Breisgau,  wohin  der  Vater  1836  als  Professor  der  Philologie  und  Alteiv 
thuraskunde  berufen  war.  „Der  schöne  Schwarzwald  mit  seinen  Felsen- 
schluchten und  stürzenden  Bächen  ist  von  da  an  neun  Jahre  lang  der 
Hintergrund  meines  kindlichen  Denkens  und  Empfindens  geworden",  heisst 
es  im  „Vermächtniss".    Unter  den  Gestalten  des  Hauses,  in  dem  ein  reger 

6* 

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84 


Biographische  Blatter. 


Verkehr  bedeutender  Persönlichkeiten  herrschte,  tritt  Anselm1«  phantasie- 
begabte Schwester  Emilie  in  den  Vordergrund,  „ein  zartes  Geschöpfchen, 
fcinglicdrig,  voller  Beweglichkeit":  wir  „spielten  mit  einander  ein  phan- 
tastisches Märchenleben".  Dazu  kam  die  Pflege  der  Musik;  mit  Haydn, 
Mozart,  Beethoven  wurde  Anselm  früh  vertraut.  Über  dem  Allen  waltete 
der  liebevoll  sorgende  Vater;  er  hatte,  wohl  in  der  Erinnerung  an  Amalie, 
„eine  Art  von  geheiligter  Rücksicht  für  seine  Kinder".  Anselm  mag  sie 
oft  genug  erfahren  haben;  denn  er  war  ein  wilder,  von  allerlei  schlimmen 
Fährlichkeiten  bedrohter  Strassenjunge;  dabei  übrigens  im  Gymnasium  immer 
der  Erste  -in  der  Klasse.  Als  der  Vater  1840  von  einer  ergebnissreichen 
Studienreise  nach  Italien  heimkehrte,  vermochte  der  Knabe  schon  aus  der 
Anschauung  der  mitgebrachten  Gipse,  Münzen  und  Stiche  seinen  Gewinn 
zu  ziehen.  Allein  die  antike  Kunst  war  es  nicht,  die  das  Malerauge  damals 
zumeist  entzückte;  Rubens  und  van  Dyck  waren  Anselm  s  erste  Lieblinge. 

Das  Talent  zum  Künstler  zeigte  sich  früh.  Mit  der  linken  wie  mit 
der  rechten  Hand  wurde  alles  mögliche  Papier  mit  Kreide  oder  Kohle  be- 
kritzelt. Auch  Versuche  mit  Plastik  fielen  leidlich  aus.  Der  Widerwille 
des  Vaters,  die  Einreden  des  Zeichenlehrers  wurden  überwunden.  Mit  der 
Unterstützung  der  Freunde  setzte  es  Anselm  durch,  Maler  werden  zu  dürfen. 

Sein  künstlerischer  Bildungsgang  begann  in  Düsseldorf,  wo  damals 
Wilhelm  Schadow  ein  weitverbreitetes  Ansehen  als  Lehrer  besass.  Kaum 
sechzehnjährig,  in  Wahrheit  noch  ein  Kind  in  seinem  ganzen  Wesen,  kam 
Anselm  auf  die  rheinische  Akademie.  Das  „Vermächtniss"  bringt  köstliche 
Schilderungen  des  dortigen  Treibens  und  der  leitenden  Persönlichkeiten,  zu 
denen  Allgeyer  uns  den  kunstgeschichtlichen  Hintergrund  bietet.  Der 
zornige  Lessing  behagte  dem  jungen  Akademiker  immer  noch  besser  als 
Schadow  „mit  seiner  Güte  und  seinem  Unverstand".  Anselm  hat  so  gut 
wie  nichts  bei  ihm  gelernt.  Aber  einen  guten  Rath  gab  Schadow  dem 
Scheidenden:  zu  Delaroche  nach  Paris  zu  gehen.  Bevor  wir  ihn  von  Düssel- 
dorf weiter  begleiten,  sei  in  Kürze  der  um  jene  Zeit  entstandenen  Werke 
des  Künstlers  gedacht.  Es  sind  darunter  mehrere  vorzügliche  Selbstbild- 
nisse. Eines  derselben,  klein,  mit  Hut,  ist  Eigenthuin  der  Frau  Rosa 
v.  Gerold  in  Wien.  Ein  grösseres  Brustbild,  in  schwarzem  Sammetroek, 
besitzt  Herr  Fabrikant  Riedinger  in  Augsburg.  Die  feinen,  plastisch  edlen 
Züge  strahlen  darin  im  Glänze  der  ersten  Jugend. 

Der  Sturm  des  Jahres  achtundvierzig  verwehte  den  Akademiker  von 
Düsseldorf  für  zwei  Jahre  nach  München.  Dort  war.  nach  dem  Abgänge 
des  Cornelius,  inzwischen  Karl  Schorn  (seit  1847  Professor  an  der  Akademie), 
„der  richtige  Stammvater  der  Piloty-Schule",  am  Kunsthimmel  aufgegangen. 
Feuerbach  urtheilt  Uber  ihn  mit  schonungsloser  Schärfe.  Schorn  versprach 
den  Schülern,  sie  Bilder  malen  zu  lehren,  die  sich  „sofort  verkaufen".  — 
„Schorn  s  Schüler  werden  Maler,  ich  will  ein  Künstler  werden".  —  Ähnlich, 
dem  Sinne  nach,  nur  mit  andern  Worten  pflegte  M.  v.  Schwind  zu  unter- 


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Anselm  Feuerbach. 


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scheiden  zwischen  Malern  und  blossen  „Malen-Könnern".  —  Auch  zu  Rahl, 
der  sich  damals  zeitweilig  in  München  aufhielt,  fand  unser  Künster  kein 
geistiges  Verhältnis^.  Er  blieb  bei  ihm  wohl  „anstandshalber"  einige  Wochen 
im  Atelier;  aber  —  sagt  er  —  Rahl  „verpfuschte  nur"  so  ziemlich  die 
Zeichnung  einer  Penthesilea  „durch  seine  reflektirte  Korrektur".  —  Noch 
entschiedener  ist  seine  Abneigung  gegen  Cornelius.  Die  „groben  Zeichnungs- 
fehler", der  Mangel  jeden  Colorits  in  dessen  Wandgemälden  erregten  in 
Feuerbach  ein  förmliches  Entsetzen.  Nirgends  ein  Lehrer  für  ihn,  ein  be- 
geisterndes Vorbild! 

Es  wundert  uns  nicht,  wenn  dem  jungen  Künstler  unter  solchen  Um- 
ständen der  innere  Halt  verloren  ging.  „Meine  Stimmung  in  München"  — 
schreibt  er  —  „war  launisch,  faul,  spaziergängerisch,  vergnügungssüchtig", 
als  Rückschlag  gegen  die  „Düsseldorfer  quälerische  Gewissenhaftigkeit". 
Dazu  forderte  die  Natur  stürmisch  ihr  Recht;  .Tugendneigung,  dichterischer 
Drang  bewegten  die  Seele;  unter  den  Verwandten  in  der  Heimath,  welche 
zeitweilig  besucht  werden,  wie  unter  den  Freunden  in  München  findet  der 
verwöhnte  Liebling  seine  schmeichlerischen  Bewunderer.  Bei  einem  Fest  er- 
scheint er  als  „Wappenträger  der  Kttnstlerschaft"  mit  einem  Kranz  von 
wildem  Wein  um  das  Haupt,  wie  ein  Vorbild  seines  Alkibiades  auf  dem 
„(Tastmahl  des  Piaton".  —  „Ich  kam  mir  eines  Tages"  —  heisst  es  im 
„Vermächtniss"  —  „in  meinem  malerischen  Sammetkostüm  vor  wie  ein 
Pfau,  der  nichts  hat  als  sein  glänzendes  Gefieder." 

Um  sich  in  eine  „grenzenlose  Arbeit"  zu  stürzen,  entfloh  Feuerbach 
dem  gefährlichen  Münchener  Treiben  und  bezog  im  Winter  1849 — 50  die 
Antwerpener  Akademie.  Im  Verein  mit  heiteren  Freunden  aus  der  Düssel- 
dorfer Zeit  begann  er  hier  ein  reges  praktisches  Naturstudiuni.  Aber  es 
war  das  doch  nur  die  Brücke,  die  ihn  zum  eigentlichen  Ziele  geleitete,  „die 
•  richtige  Vorbereitung  für  Paris". 

Hier,  unter  dem  unmittelbaren  Einflüsse  eines  Delacroix  und  Decamps, 
eines  Rousseau  und  Troyon,  hat  Feuerbach  den  Emst  des  rechten  Studiums, 
das  zur  Vollendung  führt,  wie  so  viele  andere  deutsche  Künstler  vor  und 
nach  ihm,  erst  kennen  und  schätzen  gelernt.  Gleich  „vom  ersten  Tage  an 
fühlt  er  sich  dort  heimisch".  Auch  nach  Paris  folgten  ihm  lustige  Genossen, 
treue  Freunde.  An  mancherlei  Mnthwillcn  und  frohem  Lebensgenuss  fehlte 
es  nicht.  Abends  erfreuen  sicli  die  Vereinten  an  dem  Gesänge  deutscher 
Lieder.  „Ohne  meinen  Tenor  können  sie  nicht  auskommen",  schreibt  Feuer- 
bach. Aber  die  Grundstiramung  ist  einst  und  arbeitsam.  Die  Überzeugung, 
dass  das  Höchste  nur  durch  mühevolles  Ringen  zu  erreichen  sei,  erfüllte  die 
Seelen  der  Genossen.  „Wir  athmeten  die  kräftige  Luft  einer  echten 
Kunstblüthe". 

Noch  einmal  ertönt  die  milde,  mahnende  Stimme  des  Vaters  in  dieser 
Zeit  der  energischen  Sammlung.  Dann  verstummt  sie  für  immer.  Der 
Tod  des  innig  Verehrten  (9.  September  1851),  der  dem  Künstler  gemeldet 


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Biographische  Blätter. 


wurde,  als  er  eben  an  einer  „Italienischen  Begräbnissskizze"  malte,  be- 
zeichnet einen  verhängnisvollen  Abschnitt  in  seinem  Leben.  „An  der  Stätte 
dieses  theuren  Grabes  liegt  auch  meine  Jugend  eingesargt",  schreibt  Anselm. 

Nach  einem  kurzen  Besuch  bei  der  Mutter  in  Heidelberg  im  Sommer 
1852  Huden  wir  den  nach  Paris  Zurückgekehrten  im  Atelier  von  Couture. 
Dieser  ist  als  der  eigentliche  Lehrer  Feuerbach  s  zu  betrachten.  Endlich 
hatte  er  einen  „Meister"  gefunden,  der  ihn  „von  der  deutschen  Spitzpinselei 
zu  breiter,  pastoser  Behandlung,  von  der  akademischen  Schablonen- 
komposition zu  grosser  Anschauung  und  Auffassung  führte."  Feiierbach 
malte  bei  Couture  lebensgrosse  Akte.  „Der  Meister"  —  schreibt  er  — 
„behandelt  meine  Mängel  mit  medizinischer  Genauigkeit.  Alles  bis  aufs 
Kleinste  giebt  er  an,  jede  Mischung". 

Mit  dem  sicheren  Fundament  für  seine  künstlerische  Bildung  ver- 
dankt Feuerbach  den  Jahren  des  Pariser  Aufenthalts  auch  die  Festigung 
des  Charakters  und  der  Lebensführung.  Die  Briefe  aus  jener  Zeit  spiegeln 
das  innere  Werden  seiner  Natur  in  bedeutsamen  Äusserungen  wieder.  Sie 
athinen  fast  alle  die  frohe  Zuversicht  des  Auserwählten.  „Ich  weiss,  dass 
alle  Diejenigen,  die  ein  ernstes  Streben  haben,  gefeit  sind",  heisst  es  einmal. 
—  Nur  hin  und  wieder  lagert  eine  Wolke  über  der  hellen  Stimmung,  die 
uns  die  Veränderung  in  Feuerbach 's  materieller  Lage,  welche  mit  dem  Tode 
des  Vaters  eingetreten  war,  nur  zu  deutlich  erkennen  lässt.  —  „Es  giebt 
Eines",  —  schreibt  er  —  „was  ich  fürchte,  das  Gespenst,  das  uns  auf  den 
Fersen  folgt".  —  „Es  ist  der  dunkle  hässliche  Schatten,  die  Sorge".  — 
Und  in  einem  folgenden  Briefe  spricht  er  von  dem  „Fluch  der  Arnmth", 
da  keines  der  von  ihm  geschaffenen  Werke  sich  verkäuflich  erwies. 

An  der  Spitze  der  in  Paris  entstandenen  Werke  Feuerbach's.  von 
denen  es  sicli  verlohnt  zu  sprechen,  steht  der  „Hans  in  der  Schänke" 
(Frülijahr  1852).  In  der  „selig  von  Liebe  und  Wein"  lächelnden  Gestalt  . 
und  ihrer  rührenden  Arnmth,  aus  deren  zerrissener  Kleidung  „zu  jedem 
genialen  Loch  der  echte  Dichter  herausschaut",  hat  uns  der  Künstler  ein 
Bild  seines  eigenen  Wesens  vor  Augen  gestellt.  Das  Bild  wurde  in  der 
Heimath  mit  „Hohn  und  Spott"  empfangen.  Ebenso  erging  es  den  Werken, 
die  der  1854  nach  Karlsrulle  zurückgekehrte  Künstler  persönlich  den 
Gönnern  und  Kollegen  vorführte.  Den  „Tod  des  l'ietro  Aretino"  und  die 
„Versuchung  des  heiligen  Antonius"  wies  die  Karlsruher  Jury  für  die 
Pariser  Weltausstellung  jenes  Jahres  einfach  zurück.  Namentlich  Lessing 
entpuppte  sich  mehr  und  mehr  als  Feuerbach's  ausgesprochener  Gegner. 
Man  mochte  fast  sagen,  zum  Glück.  Denn  aus  dem  Zwiespalt  mit  den 
Kunstmächten  der  Heimath  entwickelte  sich  des  Künstlers  Anwartschaft 
auf  einen  mehrjährigen  Aufenthalt  in  Koni.  Ausgestattet  mit  der  Bestellung 
einer  Kopie  von  Tizians  „Assuata"  für  den  ihm  wohlgewogenen  Gross- 
herzog von  Baden,  unternahm  Feuerbach  am  4.  Juni  1855  in  Begleitung 
.Joseph  Victor  v.  Scheffel  s  seine  eiste  Italienfahrt. 


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Anselm  Feuerbach. 


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In  Rom.  dieser  „gottbegnadeten  Insel  des  stillen  Denkens  und  Schaffens", 
fand  unser  Meister  seine  „zweite  Heiniath".  Wenn  Paris  ihm  das  Fundament 
seiner  künstlerischen  Bildung  gegeben  hatte,  so  empfing  er  dort  den  ihm 
völlig  homogenen  geistigen  Gehalt;  es  befreite  sich  seine  hellenisch  ge- 
stimmte Seele.  Die  Stationen  der  Reise,  Venedig,  Parma,  Florenz  stellen 
die  Vorstadien  seiner  Selbstbefreiung  dar.  Die  Venetianer,  diese  „Bruder- 
schaft der  echten  Farbe",  bringen  dem  trüben,  zerrissenen  Gemüthe  Klar- 
heit und  Ruhe.  Beim  Anblick  der  Werke  des  Correggio  in  Parma  war  es 
ihm,  als  „sähe  er  Musik  mit  den  Augen".  Die  Gemälde  in  der  Tribuna 
der  Uffizien  sind  ihm  „eine  Offenbarung". 

Aus  Nachklängen  der  Tribuna  und  Eindrücken  der  Umgebung  von 
Rom  sind  eine  ganze  Anzahl  der  „bei  aller  Strenge  doch  weichen  Werke" 
entstanden,  welche  Feuerbach  am  Beginn  seines  römischen  Aufenthalts  ge- 
malt hat.  Vor  allen  das  erste  (gegenwärtig  in  der  Galerie  zu  Karlsruhe 
befindliche),  im  März  1858  in  Rom  ausgestellte  Bild:  „Dante,  mit  edlen 
Frauen  Ravenna's  lustwandelnd1*.  Den  „Dante"  empfand  der  Künstler  in 
seinem  stillen  Wandeln  wie  ein  „Mozartsches  Andante".  Dazu  gesellt  sich 
ihm  eine  Erinnerung  an  Frascati,  durch  dessen  dunkle  Laubgängo  ver- 
schleierte Frauen  schreiten,  und  „schöne  Gedanken  ziehen  wie  Musik  ihm 
durch  die  Seele". 

Diese  Worte  sind  ungemein  bezeichnend  für  die  Art  und  Entstehungs- 
weise von  Feuerbaclfs  Schöpfungen.  Äussere  Anschauung  und  innere 
Stimmung  messen  darin  stets  harmonisch  zusammen;  es  lebt  in  Urnen  ein  starkes 
persönliches  Element,  ihr  Stil  ist  lyrisch,  elegisch.  Vornehmlich  die  römischen 
Bilder,  die  erste  wie  die  zweite  Iphigenia,  die  Pietä,  Francesca  da  Rimini, 
Petrarca  in  der  Kirche,  die  Madonna  mit  den  musizirenden  Kindern  und 
die  verschiedenen  genreartigen  Variationen  dieses  familienhaft-idyllischen 
Gegenstandes  tragen  sämmtlich  ein  ausgesprochen  subjektives  Gepräge, 
bei  aller  Poesie  und  Hoheit  ihrer  Erfindung.  Die  Gestalt,  die  als  persön- 
liches Leitmotiv  in  allen  Werken  Feuerbachs  aus  jener  Epoche  wieder- 
kehrt, ist  Nanna,  seine  römische  Geliebte.  Der  Biograph,  der  dem  Künstler 
damals  täglich  zur  Seite  war,  schildert  uns  den  Augenblick,  in  dem  sich 
die  Beiden  zuerst  sahen:  „In  dieser  Zeit  (1859)  geschah  es,  dass  wir  eines 
Tages  in  der  Via  Tritone  eine  junge  Frau  erblickten,  die  mit  einem  Kinde 
auf  den  Armen  unter  einein  offenen  Fenster  stand,  dessen  Rahmen  den 
natürlichen  Abschluss  um  den  reizvollsten  Vorwurf  bildete,  welchen  der 
Zufall  einem  Künstler  für  eine  Madonna  grössten  Stils  liefern  konnte.  Die 
Frau,  eine  Erscheinung  von  geradezu  imponierender  Hoheit,  mochte  Mitte 
der  Zwanzig  sein.  Eine  Last  von  dunkeln  Haaren  lunrahmte  die  strengen, 
von  einem  melancholischen  Ausdruck  gemilderten  Züge,  deren  Schnitt  von 
der  reinsten  römischen  Abstammung  zeugte.  Von  dem  wundersamen  Bilde 
überrascht  und  gefesselt,  zögerte  Feuerbach  einige  Augenblicke  im  Weiter- 
schreiten, und  über  das  ernste  Antlitz  der  stattlichen  Frau  glitt  ein  flüchtiges 


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Biographische  Blätter. 


Lächeln,  als  empfinde  sie  recht  wohl  die  dem  Weibe  wie  der  Mutter  un- 
willkürlich gezollte  Huldigung". 

Das  Heroinenhafte  in  der  Gestalt  der  Römerin  ist  künstlerisch  nieder- 
gelegt in  den  Feuerbachschen  Medcabildem.  Das  liebende,  sehnsuchtsvolle 
Weib  fand  seine  Verklärung  in  den  beiden  Iphigenien.  Als  Feuerbach  den 
ersten  Keim  zu  diesen  hellenischen  Frauenbildern  in  sich  trug,  beschäftigte 
er  sich  mit  der  I^ektüre  von  seines  Vaters  hinterlassener  Geschichte  der 
griechischen  Plastik  und  sah  sich  selbst  vorbereitet  in  dessen  Geist.  Das 
Streben  nach  der  höchsten  Einfachheit,  bei  starker  Empfindung  und  Fülle 
des  Naturgehalts,  leitete  ihn  bei  seinem  Schaffen.  Als  er  einst  das  geliebte 
römische  Modell  der  Iphigenia  in  dem  von  dem  Bildhauer  Cardwell  zuge- 
schnittenen griechischen  Gewände  sich  bewegen  sah.  erschrack  er,  weil  er 
„eine  Statue  von  Phidias  vor  sich  zu  haben  glaubte".  In  der  ersten  Ge- 
stalt hat  das  hellenische  Wesen  jenes  Bildes  noch  einen  Zug  von  sentimen- 
taler Schwärmerei;  die  Wendung  des  Kopfes  und  die  Bewegung  der  rechten 
Hand  sind  ausgesprochen  modern.  Die  zweite  Iphigenia  giebt  den  Ge- 
danken schlichter  und  vergeistigter.  Sie  ist  die  schwer  zu  übertreffende 
malerischo  Verkörperung  des  „Liedes  von  der  ewigen  Sehnsucht". 

Drei  Mal  hat  Feuerbach  während  seines  langen  römischen  Aufenthaltes 
von  Deutschland  aus  einen  Ruf  als  Professor  bekommen,  —  nach  Weimar, 
München  und  Karlsruhe.  Die  Scheu  vor  dem  akademischen  Lehramt,  sowie 
seine  Anhänglichkeit  an  Rom  und  was  es  für  ihn  Liebes  barg,  hielten  ihn 
ab,  einzuwilligen.  Da  kam  die  Berufung  nach  Wien,  unter  dem  Ministerium 
Stremayr,  auf  Eitelbergcrs  Betreiben  ergangen.  Jetzt  lagen  die  persönlichen 
Verhältnisse  günstiger:  Feuerbach  nahm  an  und  kam  im  Weltausstellungs- 
jahre  1873  nach  Wien. 

Der  Künstler  hat  sich  hier  nicht  heimisch  gefühlt.  Treffliche  Kollegen, 
zahlreiche  begabte  Schüler  umgaben  ihn,  bei  der  Unterrichtsbehörde  fand 
er  das  freundlichste  Entgegenkommen.  Aber  was  Feuerbach  in  Wien  an 
bedeutenden  neuen  Schöpfungen  der  Öffentlichkeit  vorführte,  der  „Amazonen- 
kampf"  und  die  zweite  Fassung  des  „Gastmahls",  stiess  auf  mannigfachen 
Widerspruch,  wie  er  ihn  früher  und  später  bekanntlich  auch  in  Deutsch  land  er- 
fahren hat.  Dazu  kamen  finanzielle  Misshclligkeitcn.  Aus  Kränklichkeit 
und  Reizbarkeit  entwickelte  sich  allmälig  eine  tiefe  Verbitterung.  Feuer- 
bach fühlte  sich  berufen,  der  „veralteten  Konventionskunst"  entgegen  zu 
arbeiten;  aber  seine  Kraft  erlahmte,  bevor  der  Sieg  errungen  war.  Im 
Frühling  1876  verliess  'der  Künstler  Wien,  schwer  krank,  eilte  zunächst 
nach  Nürnberg  zu  der  Mutter,  nahm  dann  einstweilen  einen  längoren  Urlaub 
und  endlich  seine  definitive  Entlassung  aus  dem  Amte. 

Feuerbach  schied  von  uns,  zum  Glück  nicht  ohne  einen  grossen  Auf- 
trag von  der  österreichischen  Regierung,  an  dessen  Verwirklichung  er  auch 
bereits  in  Wien  seit  1874  arbeitete:  es  ist  der  „Titanensturz"  mit  den  ihn 
umgebenden  Deckenbildern  für  die  Aula  der  damals  im  Bau  begriffenen 


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Anselm  Feuerbach. 


89 


Wiener  Akademie.  Während  der  Herbstferien  des  Jahres  1875,  die  der 
Meister  in  Kom  verbrachte,  war  die  Arbeit  so  weit  vorgeschritten,  dass  er 
voll  Selbstgefühl  darüber  berichten  konnte.  Früher  heisst  es  in  den  Briefen: 
»Mein  Mittelstück  ist  glücklich  erdacht.  Wenn  es  mir  gelänge,  wollte  ich 
gerne  sterben".  Jetzt  kann  er  froh  versichern,  „dass  alle  Gestalten  Natur- 
laut  haben",  wie  er  stets  nur  aus  der  Natur  heraus  Empfundenes  zu  schaffen 
bestrebt  gewesen  sei. 

Der  erste,  vom  «Fahre  1874  datirte  Entwurf  zum  „Titanensturz"  (Öl- 
skizze,  neue  Pinakothek  in  München)  ist  ein  schmales  Oblongum,  mit  dem 
verglichen  das  ausgeführte  Deckenbild  wesentliche  Abweichungen  aufweist. 
Nicht  nur  in  der  ovalen  und  mehr  in  die  Breite  gezogenen  Gesammtform, 
sondern  auch  in  fast  sämmtlichen  Hauptgruppen  der  Komposition  selbst. 
Allgeyer  analysirt  dieselben  vortrefflich,  und  wir  können  dem  Biographen 
nur  darin  nicht  beipflichten,  dass  er  in  der  endgültigen  Gestalt  des  Werkes 
durchgängig  ein  höheres  Stadium  desselben  erkennt.  Die  Modifikationen, 
welche  Feuerbach  mit  dem  Bilde  vorgenommen  hat,  sind  durch  den  Raum, 
d.  h.  durch  die  Gliederung  der  Decke  nothwendig  gewordene  Veränderungen, 
aber  nicht  sämmtlich  Verbesserungen  der  ursprünglichen  Komposition. 
Besonders  der  untere  Theil  des  Bildes  hat  in  der  ersten  Fassung  einen  ent- 
schieden dramatischeren  Charakter.  Man  fühlt  es  überhaupt  dem  ganzen 
Werke  an,  dass  wir  in  der  ursprünglichen  Gestalt  die  völlig  freie  Schöpfung 
des  Malers,  in  der  späteren  Form  dagegen  ein  Kompromiss  des  Malers  mit 
dem  Architekten  vor  uns  haben.  Bei  den  Seitenfeldem,  von  denen  Feuer- 
baeh  bekanntlich  nur  vier  eigenhändig  ausgeführt  hinterlassen  hat,  kommt 
dieser  unvermeidliche  Zwang  nicht  als  solcher  zum  Ausdruck.  Sie  sind, 
verglichen  mit  der  kampfbewegten  Hauptkomposition,  durchweg  ruhige 
Existenz-  und  Stimmungsbilder,  deren  Einfügung  in  die  Linien  der  Um- 
rahmungen dem  Künstler  keine  wesentlichen  Schwierigkeiten  bereitete.  Im 
Allgemeinen  hat  Feuerbach  das  Verdienst,  darauf  hingewirkt  zu  haben,  dass 
die  ursprünglich  vielgetheilte,  in  eine  grosse  Anzahl  kleiner  Felder  zer- 
legte Decke  nach  den  Ansprüchen  seiner  Kunst  im  grösseren  Stil  umge- 
arbeitet wurde. 

Am  26.  Oktober  1892  wurde  das  von  erprobten  Händen  fertig  ge- 
stellte Deckenwerk  feierlich  enthüllt,  und  Wien  darf  sich  rühmen,  in  ihm 
die  erhabenste  Schöpfung  des  gottbegnadeten  Meisters  und  eines  der 
gedankenreichsten  Werke  moderner  Monumentalinalerei  in  edler  Umgebung  zu 
bewahren.  Durchaus  eigenartig  in  der  Erfindung  wie  im  Stil,  in  jedem 
Zuge  der  Ausdruck  einer  kühnen,  naturgewaltigen  Künstlerkraft,  gleich 
weit  entfernt  von  gedankenloser  Konvention  wie  von  der  Modekunst  des 
Tages,  wetteifert  Feuerbach's  Titaneneyklus  an  seiner  kunstgeweihten  Stätte 
würdig  und  ernst  mit  den  klassischen  Gebilden  hellenischer  Kunst.  In 
malerischer  Hinsicht,  sagt  Allgeyer  mit  Recht,  „entspricht  das  Werk  dem 
hellen,  durchleuchteten  Tone  guter  Frescoiualerei".    So  hatte  es  der  Künstler 


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90 


Biographische  Blätter. 


dem  Kaum  für  am  entsprechendsten  erachtet;  diesem  hat  er  sich  malerisch 
aufs  glücklichste  angepasst. 

Ausser  dem  Titanenbilde  fallen  noch  zwei  grosse  Schöpfungen  in  die 
letzten  Jahre  Feucrbach's:  „Kaiser  Ludwig  der  Bayer,  Privilegien  ertheilend*4 
(im  Justizgebäude  zu  Nürnberg),  und  das  „Konzert"  oder  „Quartett"  (in  der 
Nationalgalerie  zu  Berlin).  Das  Bild  „grossartiger  Heiterkeit",  das  der 
Meister  in  jener  Ceremonienscene  entfaltete,  steht  in  eigentümlichem  Kon- 
trast zu  dem  schwerniüthigen  (Tange  seines  eigenen  Lebens,  das  gegen  den 
Schluss  immer  tiefer  in  Einsamkeit  und  Melancholie  versank.  Wie  eine 
Verklärung  seiner  weichen  Kttnstlersecle  erscheint  hingegen  das  „Konzert4*: 
vier  musizierende  weibliche  Gestalten  in  einer  venetianischen  Bogenhalle. 
Mit  der  Verherrlichung  des  altpersischen  Dichters,  des  Sängers  der  Liebe 
und  des  Weins,  hatte  der  feurige  Jüngling  inmitten  des  rauschenden  Pariser 
Lebens  einst  seinen  Künstlergang  angetreten.  „Tiefe,  seelische  Versenkung 
in  das  überirdische  Reich  des  Klanges  und  der  Harmonieen"  ist  der  Inhalt 
des  letzten  Bildes,  das  aus  der  müden  Hand  des  reifen  Meisters  in  der 
feierlich  stillen  Lagunenstadt  hervorgegangen  ist. 

Sanft  und  friedlich,  wie  dieser  sein  Schwanengesang,  klang  auch 
Anselm  Feuerbach 's  Leben  aus.  Am  Morgen  des  4.  Januar  1880  fand  man 
ihn  im  Albergo  della  Luna  zu  Venedig  entseelt  im  Bette.  Vom  Herz- 
schlage getroffen,  war  er,  allem  Anscheine  nach,  schmerzlos  verschieden.  — 
Auf  dem  Johannisfriedhofe  zu  Nürnberg,  der  auch  Dürer's  sterbliche  Über- 
reste birgt,  fand  er  seine  letzte  Ruhestätte. 

 cfc  

Leonhard  Rauwolf  aus  Augsburg. 

Von 

FRIEDRICH  RATZEL. 

■ 

Unter  den  deutschen  Reisenden  und  Reisebeschrcibcrn  des  16.  Jahr- 
hunderts nimmt  Leonhard  Rauwolf  aus  Augsburg  eine  hervorragende  Rolle 
ein.  Das  ist  zu  seinen  Lebzeiten  anerkannt  und  auch  später  nicht  ver- 
gessen worden.  Besonders  seine  Verdienste  um  die  Pflanzenkunde  sind  in 
allen  «Jahrhunderten  durch  hervorragende  Fachgenossen  gepriesen  worden. 
Dabei  blieben  aber  einige  Punkte  in  dem  bewegten  Leben  des  merkwürdigen 
Mannes  so  dunkel,  wie  sie  schon  kurz  nach  seinem  Tode  gewesen  sein 
müssen.  Durch  die  Güte  des  Herrn  Stadtarchivars  Dr.  Buff  in  Augsburg  ist 
es  mir  gelungen,  für  die  ohnehin  ziemlich  gut  bekannte  erste  und  glück- 
lichere Hälfte  des  Lebens  Rauwolf  s  einige  neue  feste  Punkte  zu  gewinnen. 
Was  aber  Rauwolf  s  Leben  in  der  zweiten  Periode  anbetrifft,  die  eine  Zeit 
tragischen  Niederganges  gewesen  zu  sein  scheint,  so  haben  wir  darüber 
nur  ziemlich  unklare  Nachrichten,  deren  Bestätigung  aus  den  Urkunden 


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Leonhard  Rauwolf  aus  Augsburg. 


91 


mir  bisher  nicht  möglich  gewesen  ist.  Als  ich  die  Einladung  zur  Mitarbei- 
tung an  den  Biographischen  Blattern  erhielt,  schöpfte  ich  neue  Hoffnung, 
dass  es  gelingen  möchte,  für  die  noch  zu  lösenden  Probleme  dieses  Lebens 
Interesse  zu  wecken  und  Mitarbeit  dafür  an  entscheidenden  Punkten  zu  finden. 
Gestatten  Sie  daher,  dass  ich  Ihren  Lesern  eine  kurze  Schilderung  des 
Lebens  und  Wirkens  von  Rauwolf  vorlege.  Wenn  ich  dabei  besonders  jene 
Punkte  hervorhebe,  die  noch  nicht  aufgeklärt  sind,  so  leitet  mich  die  unbe- 
stimmte Erwartung,  dass  es  anderen,  an  anderen  Orten  und  mit  anderen 
Mitteln  besser  damit  gelingen  könnte. 

Leonhard  Rauwolf  aus  Augsburg,  Sohn  eines  Kaufmanns,  ging  1560 
nach  Frankreich,  erwarb  in  Valence  1562  den  Doktorgrad  und  beschäftigte 
sich  in  Montpellier  mit  Botanik.  Den  berühmten  Rondelet  pries  er  gern 
als  seinen  Lehrer.  Auf  seinen  Wanderungen  in  Südfrankreich  war  sein 
Bepleiter  Jeremias  Martius  (Mertzl  aus  Augsburg,  der  später  ein  berühmter 
Arzt  in  seiner  Vaterstadt  wurde.  Rauwolf  ging  1563  nach  Italien  und  der 
Schweiz,  wo  er  die  Bekanntschaft  von  Konrad  Gcsner  machte,  und  liesa 
sich  1563  als  Arzt  in  Augsburg  nieder,  wo  er  auch  einen  Pflanzengarten 
begründete.  Am  26.  Februar  1565  hat  er  sich  mit  Regina  Jung  ver- 
heirathet.  Vom  12.  Oktober  1563  ist  ein  Gesuch  Rauwolf  $  an  Stadt- 
pfleger, Bürgermeister  und  Rath  von  Augsburg  datirt,  worin  er  um  An- 
stellung oder  Verwendung  „in  diesen  schwären  und  sterbenden  leufen"  (die 
Pest  war  damals  in  Augsburg)  bittet.  Er  ist  Anfangs  1571  mit  einem 
Jahrcsgehalt  von  100  Gulden  angestellt  worden.  Wahrscheinlich  war  er 
vorher  einige  Zeit  in  Aichach  und  in  Kempten  Arzt  gewesen,  aber  schon 
1573  trieb  Um  der  Wunsch,  die  unbekannten  Heimathsorte  wichtiger  Arznei- 
pflanzen des  Orients  zu  erkunden,  in  die  Feme.  Er  selbst  giebt  an,  er 
habe  mit  Zustimmung  und  Erlaubniss  der  Seinigen  die  Reise  angetreten  und 
sein  Schwager  Manlich,  der  ein  Haus  in  Marseille  hatte,  habe  ihn  ausge- 
röstet. Rauwolf  reiste  im  Mai  1573  mit  seinem  Landsmann  Friedrich  Rentz 
über  den  Splügen  und  Mailand  nach  Marseille,  von  wo  er  am  1.  September 
mit  dem  durch  eine  gute  Reisebeschreibung  bekannten  Ulrich  Krafft  aus 
Ulm  nach  Tripolis  in  Syrien  fuhr.  Dann  verweilte  er  längere  Zeit  in 
Aleppo,  von  wo  er  im  August  1574  im  Gewand  eines  armenischen  Kauf- 
manns nach  Bagdad  ging.  Rauwolf s  Plan  war  gewesen,  von  hier  nach 
Indien  weiter  zu  reisen,  und  er  erkundigte  sich  genau  nach  allen  dahin 
führenden  Wegen.  Aber  nach  wenigen  Wochen  rief  ihn  ein  Brief  nach 
Aleppo  zurück.  Ulrich  Krafft  war  in  türkische  Gefangenschaft  gerathen, 
und  Rauwolf  inusstc  sich  Monate  hindurch  still  im  Fondo  der  Franzosen  in 
Aleppo  aufhalten,  fand  aber  später  Gelegenheit,  mit  einem  Patriarchen  der 
Maroniten  den  Libanon  zu  besuchen.  1575  verliess  er  Tripolis  und  kehrte 
nach  einem  kurzen  Besuche  Jerusalems  tlber  Venedig  nach  Augsburg  zu- 
rück. Hier  hat  er  nun  eine  seiner  Erfahrung  und  Wissenschaft  ent- 
sprechende, angesehene  Stellung  eingenommen.    Vom  letzten  Quartal  1577 


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Biogrraphische  Blätter. 


an  wurde  sein  Gehalt  auf  250  Gulden  hinaufgesetzt.  Er  scheint  in  dieser 
Zeit  dem  Pestspital  vorgestanden  zu  haben.  Aus  den  Sämereien,  die  er 
von  seiner  Reise  mitgebracht  hatte,  zog  er  fremde  Pflanzen,  mit  denen  auch 
die  Gärten  der  Augsburger  Patrizier  bereichert  wurden;  er  selbst  nennt 
besonders  den  Garten  des  Rathsverwandten  Herwart.  Seine  zuerst  1582 
erschienene  Reisebeschreibung  brachte  ihn  mit  weiteren  Kreisen  in  Ver- 
bindung, wie  er  denn  den  vierten  aus  42  schön  ausgeführten  Pflanzen- 
bildern in  Holzschnitt  bestehenden  Theil  den  Leibärzten  des  Königs  von 
Württemberg  gewidmet  hat.  Von  dem  in  Lauingen  erschienenen  Original 
wurde  im  gleichen  Jahr  zu  Frankfurt  a.  M.  ein  Nachdruck  veranstaltet  und 
1583  erschien  eine  vergrösserte  Titelausgabe.  Aber  seine  Wirksamkeit  in 
Augsburg  wurde  jäh  unterbrochen,  als  er  sich  in  die  Unruhen  mischte,  die 
dort  durch  die  Einführung  des  gregorianischen  Kalenders  entstanden  waren. 
Am  9.  März  1588  wurde  ihm  zum  letzten  Mal  sein  Gehalt  ausgezahlt.  In 
Paul  von  Stettens  Geschichte  der  Reichsstadt  Augsburg  (I.  Theil  S.  705) 
lesen  wir:  „Weilen  auch  ein  grosser  Theil  der  Evangelischen  Bürgerschaft 
noch  immer  der  neuaufgestellten  Geistlichen  Predigten  zu  besuchen  sich 
nicht  bequemen  wollen,  wurden  alle  Stadt-Beamte,  oder  welche  sonsten  von 
der  Stadt  Besoldungen  genossen,  sowohl,  als  diejenige  so  Hänser,  Kram- 
Läden  und  andere  zu  der  Stadt  gehörige  Güter  in  Bestand  gehabt,  theils  vor 
den  geheimen  Rath,  theils  vor  die  Bau-Meister  gefordert,  und  befraget,  ob 
sie  hinfürd  die  Predigten  besuchen  wollten  oder  nicht?  Als  nun  einige  von 
denen,  so  in  der  Stadt  Diensten  stunden,  sonderlich  zwey  Stadt  -Physich* 
und  medecinae  doctores,  nehmlich  Leonhard  Ranchwolff  und  Adolph  Occo  . . . 
sich  hiezu  nicht  bequemen  wollen,  wurden  sie  ihrer  Bedienungen  entsetzt 
und  ihnen  ihr  Besoldungen  genommen."  Von  hier  an  ist  das  Schicksal 
Rauwolfs  dunkel.  Es  wird  angegeben,  dass  er  mit  seiner  Familie  nach 
Linz  gezogen  sei,  und  dass  er  dort  von  den  oberösterreichischen  Ständen 
als  Poliates  et  Ordinum  Archiducatus  Austriae  Medicus  angestellt  worden 
sei.  Meine  Nachforschungen  in  Linz  haben  seinen  Namen  in  der  Liste 
der  dortigen  Arzte  nicht  auflinden  lassen.  Er  soll  später  die  oberöster- 
reicliischen  Streitkräfte  in  den  Türkenkrieg  begleitet  haben  und,  von  häus- 
lichem Unglück  bedrückt,  1596  bei  der  Belagerung  von  Hatvan  gestorben  sein. 

Die  Angaben  des  Tobias  Coberus  in  den  1604—6  erschienenen  Obser- 
vationum  castrensium  et  hungaricarum  Decades  tres1).  scheinen  darüber  keinen 
Zweifel  zu  lassen.  Coberus  war  Feldarzt  in  Ungarn  und  erzählt  in  der 
dritten  Observatio  der  dritten  Dekade,  dass  er  im  Juli  1596  mit  Rauwolf 
zusammengetroffen  sei,  den  er  als  einen  bereits  alternden,  von  den  Strapazen 
des  Feldzugs  stark  mitgenommenen  und  ausserdem  von  häuslichen  Sorgen 
„quae  vel  ipsa  morte  graviores"  bedrückten  Mann  schildert.  Coberus  schreibt 
es  einem  ungesunden  Trünke  zu,  dass  Rauwolf  von  der  Dysenterie  befallen 

»)  Mir  licjrt  eine  Ausgabe  von  Heinrich  Meibom  von  1685  (Heinistadt  und  fiarde- 
le»-eri)  vor. 


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Leonhard  Kauwolf  aus  Augsburg. 


wurde,  die  ihn  im  September  1596  hinraffte.  Dass  Einige  seinen  Tod  auf 
das  Jahr  1606  vorlegen,  mau  damit  zusammenhängen,  dass  dieser  Bericht 
des  Coberus  1606  veröffentlicht  wurde.  Wie  das  Leben  des  einst  so  viel 
genannten  Mannes  von  seinem  Weggang  von  Augsburg  bis  zu  diesem  ein- 
samen Sterben  so  tief  ins  Dunkel  tauchen  konnte,  ist  räthselhaft.  Augsburg 
scheint  er  nicht  mehr  besucht  zu  haben.  In  Wien  fand  ich  seine  Spur  so 
wenig  Wie  in  Linz.  Seltsam  muthet  eine  Eintragung  in  einem  Exemplar 
der  1582er  Ausgabe  der  Rauwolfschen  Reise  in  der  Universitätsbibliothek  zu 
Leipzig  an.  Eis  heisst  darin,  R.  sei  wenige  Jahre  nach  seiner  Rückkehr 
von  der  Reise  zu  Augsburg  beim  Wettspringen  in  einen  Brunnen  gestürzt 
und  dadurch  ums  Leben  gekommen.  Nach  dem  Urtheil  meines  schrift- 
kundigen Kollegen  Wilhelm  Arndt  gehört  die  Eintragung  wohl  noch  dem 
16.  Jahrhundert  an.  Die  Angabe  Ist  unglaubwürdig,  ich  konnte  auch  in 
Augsburg  nichts  über  den  Vorfall  erfahren,  der  doch  damals  Aufsehen 
erregt  haben  müsste. 

*  * 
* 

Die  Reisebeschreibung,  die  den  Namen  Rauwolfs  unter  den  Namen  her- 
vorragender deutscher  Reisenden  nie  vergessen  lassen  wird,  erschien  1582  zu 
Lauingen  und  im  selben  Jahre  in  Nachdruck  zu  Frankfurt  a.  M.  Einer 
1583er  Titelausgabe  von  Lauingen  ist  jener  4.  Theil  angehängt.  Während 
die  Reisebeschreibung  noch  einmal  1609  in  Prankfurt  aufgelegt  und  mehr- 
mals (so  1693,  1707  und  1738*)  ins  Englische  und  Holländische  tibersetzt 
wurde,  fand  der  vierte  Theil  nach  einer  Mittheilung  von  Albrecht  Haller 
eine  Übertragung  ins  Lateinische  durch  Danty  d'Isnard  zu  Paris.  Es  ist 
mir  nicht  bekannt,  ob  diese  tTbcrtragung  mit  der  verkleinerten  Ausgabe 
der  Rauwolfschen  Pflanzenbilder  in  dem  zweiten  Bande  von  Dalechamps 
Historia  Generalis  Plantarum  (1586)  zusammenhängt.  Diese  hat  nämlich 
ausführliche  Pflanzenbeschreibungen,  die  kaum  ein  andrer  als  Rauwolf 
selbst  angefertigt  haben  kann.  Die  Aufmerksamkeit  Rauwolfs  ist  auch  in 
der  eigentlichen  Reisebeschreibung  mit  rührender  Beständigkeit  dem  Pflanzen- 
reich zugewandt.  Von  den  Ranunkeln  und  Saxifragen,  die  er  auf  dem 
Weg  von  Bregenz  nach  Feldkirch  findet,  bis  zu  den  sorgfältigen  Neu- 
beschreibungen der  zuerst  von  ihm  bei  Tripolis  und  um  Aleppo  gesammel- 
ten Pflanzen,  deren  Aufzählung  das  ganze  4.  und  9.  Kapitel  des  ersten 
Tlieiles  füllt,  bleibt  nichts  unerwähnt.  Die  Banane,  das  Zuckerrohr,  der 
Kaffeebaum  werden  beschrieben.  In  der  Schilderung  des  Greifs  zahlt 
Rauwolf  der  Leichtgläubigkeit  seiner  Zeit  Tribut.  Was  er  aber  mit  be- 
sonderer Vorliebe  über  Krankheiten,  Heilmittel,  Bäder,  Speisen  und  Ge- 
tränke, und  alle  möglichen  Gewerbe  sagt,  das  muss  er  aus  einem  sorgfältig 
geführten  Tagebuch  genommen  haben.  Nur  so  erklärt  sich  die  Fülle  genauer 

*)  Dieso  Ausgabe  ist  von  llay  besorgt,  dio  Übersetzung  von  Nicolas  .Staphorst  nach 
dem  „original  high  dutch",  und  ist  als  2d  Editon  bezeichnet. 


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94 


Biographische  Blätter. 


Kinzelangaben.  Die  Völkerbesehreibuugen  sind  eingehend,  besonders  die  der 
Trachten  und  Sitten.  Die  l^age  grösserer  Städte  ist  sorgfältig  angegeben. 
Aber  geradezu  ärmlich  ist  die  Geographie  des  Natürlichen:  von  den  Ge- 
birgen und  Flüssen  ist  wenig  die  Rede.  Es  ist  als  ob  Alpen,  Libanon, 
Taurus,  Sinai  gar  keinen  Eindruck  auf  ihn  gemacht  hätten.  Das  Land- 
schaftliche hat  Kauwolf  offenbar  der  Erwähnung  noch  unwerther  gehalten, 
als  viele  seiner  Zeitgenossen.  Die  Reste  alter  Grossstädte  am  Euphrat.  die 
er  mit  unter  den  ersten  erwähnt,  beschreibt  er  leider  auch  nur  oberflächlich. 
Grösseres  Interesse  gewann  ihm  das  moderne  Städteleben  in  Aleppo,  Bagdad, 
Jerusalem  ab,  und  er  schildert  es  auch  von  der  handelsgeographischen  und 
politischen  Seite  mit  Vorliebe.  In  Jerusalem  hat  er  den  verschiedeneu 
Arten  von  Christen,  die  er  an  den  heiligen  Stätten  vertreten  fand,  besondere 
Beachtung  gewidmet ;  .  seine  Schilderungen  sind  genau  und  werthvoll,  abge- 
sehen von  einigen  Parteilichkeiten,  gegen  die  von  katholischer  Seite  Er- 
innerungen erhoben  worden  sind. 

Das  Deutsch  des  Buches  ist  schwerfällig,  die  Darstellung  ungleich. 
Sie  zeigt  einen  fleissigen  Mann  voll  Wissenstrieb,  aber  ohne  tiefen  und 
selbständigen  Geist,  Nur  das  Mannigfaltige  und  wissenschaftlich  Neue, 
was  es  bringt,  erklärt  den  Erfolg  des  Buches,  das  einst  so  weit  verbreitet 
war,  dass  es  noch  heute  in  fast  jeder  grösseren  Bibliothek  Deutschlands 
gefunden  wird. 

Rauwolfs  Verdienste  als  Botaniker  sind  von  vielen  bereitwillig  aner- 
kannt worden.  Sie  werden  erhöht  durch  den  musterhaften  Fleiss,  mit  dem 
er  (mit  Hülfe  seines  Gefährten  Ulrich  K rafft)  sein  Herbarium  von  972  Pflanzen 
anlegte,  in  dem  er  zahlreiche  Vulgärnamen  aufgezeichnet  hat.  Als  Breynius  1663 
dieses  Herbarium  benützte,  fand  er  die  Pflanzen  darin  so  frisch,  als  ob  sie  eben 
erst  gesammelt  worden  seien.  Ich  hatte  Gelegenheit,  das  Herbarium  1889  in 
Leyden  zu  sehen,  wo  es  sich  bis  heute  in  dem  Botanischen  Institut  lim 
Besitz  der  Universitätsbibliothek)  befindet.  Diese  vier  imposanten  sauberen 
Bände  sind  trotz  ihres  Alters  und  trotz  ihrer  wechselnden  Schicksale  auch 
heute  vortrefflich  erhalten.  Einen  eingehenden  Bericht  über  diese  Pflanzen- 
sammlung bringt  nach  der  Angabe  Boerlages,  des  Konservators  des  Staate- 
herbariums  zu  Leyden,  Saint  Lager  s  Histoire  des  Herbiers,  1885  S.  69  u.  f.  Die 
Pfianzensamnilung  soll  nach  dem  Tode  ihres  Besitzers  in  die  Bibliothek  des 
KiirfQrsten  von  Bayern,  aus  dieser  nach  Schweden  und  von  dort  durch  Isaac 
Vossius1)  nach  Holland  gekommen  sein.  Sie  muss  aber  zeitweilig  auch  in  Eng- 
land gewesen  sein,  wo  u.  A.  Ray  und  Breynius  sie  benützt  haben.  Gronovius 
hat  über  300  Pflanzen  dieses  Herbariums  nach  dem  Linne  sehen  System  be- 
schrieben und  1755  herausgegeben.  Wenn  auch  Rauwolf  mit  den  Mitteln  der 

l)  Aus  dessen  Bücherei  das  Exemplar  der  1583  er  Ausgabe  der  U/sehen  Heise  in  der 
Leyden«  Universitätsbibliothek  stammt.  Ebendort  trütrt  ein  Exemplar  der  1582 or  Ausgabe 
auf  den  letzten  l1/«  Seiten  botanische  Auszüge  in  einer  der  des  Vossius  ähnlichen 
Handschritt. 


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Georg  Hanssen. 


95 


Wissenschaft  seines  Jahrhunderts  nicht  das  leisten  konnte,  was  Kämpfer  und 
Toumefort  später  gelang,  wenn  er  nicht  die  Vertiefung  des  wahren  Forschers, 
vielleicht  auch  nicht  dessen  Müsse  besessen  hat,  und  wenn  es  besonders  zu 
bedauern  sein  wird,  dass  er  die  im  vierten  Theil  seines  Reisebuchs  be- 
gonnene systematische  Verwerthung  nicht  fortgesetzt  hat,  so  bleibt  doch 
dieses  Herbarium  ein  hervorragendes  Denkmal  der  jungen  Wissenschafts- 
pflege des  16.  Jahrhunderts.  Als  ich  die  ehrwtlrdigen  Bände  vor  mir 
liegen  sah,  gemahnten  sie  mich  an  ein  anderes  Monument,  ein  noch  älteres 
diesen  wissenschaftsfreudigen  Zeitalters,  Martin  Behainfs  Erdkugel  in  Nürn- 
berg. Diese  Pflanzensaramlung  ist  bis  in  imser  Jahrhundert  eine  wichtige 
(Quelle  für  die  Flora  Westasiens  geblieben.  Sie  ist  jetzt  überhaupt  die 
älteste  der  wissenschaftlich  noch  verwerthbaren  Sammlung  ihrer  Art.  Durch 
sie  allein  schon  verdiente  Leonhard  Rauwolf  in  die  Erinnerung  späterer 
Geschlechter  zurückgerufen  zu  werden,  auch  wenn  er  nicht  in  seinen  Thaten 
und  Schicksalen  sich  als  ein  so  echtes  Kind  seines  Jahrhunderts  erwiese. 

-      -----  <8>  — — 

Georg  Hanssen.*) 

Geboren  31.  Mai  1809:  gestorben  19.  Dereniber  1894. 

Von 

G.  F.  KNAPP. 

Als  vor  einigen  Jahren  der  Gottinger  Nationalökonom  Soetbeer  starb, 
wnsste  Jedermann  in  Deutschland,  wer  das  war,  denn  eine  wahrhaft  erstaun- 
liche Thätigkeit  für  die  Neuordnung  des  deutschen  Geldwesens  hatte  seinen 
Namen  jedem  Zeitungsleser  geläutig  gemacht. 

Nun  ist  in  Göttingen  ein  anderer  Nationlökonom,  Georg  Hanssen.  ge- 
storben, ebenfalls  wie  Soetbeer  ein  Hamburger  von  Geburt.  Aber  kennt 
Jedermann  Hanssen?  In  weiteren  Kreisen  fast  Niemand.  In  engeren  Kreisen 
wird  er  desto  höher  verehrt,  ja  gefeiert.  Alle  "Pfleger  der  agrarischen 
Nationalökonomie  kennen  seinen  Namen  und  nennen  ihn  stets  mit  Ehrfurcht, 
heute  so  sehr  wie  ehemals. 

Das  hohe  Alter  von  85  Jahren,  das  er  erreicht  hat,  könnte  zur  Ver- 
muthung  führen,  dass  Hanssen  seinen  Ruhm  überlebt  habe.  Das  ist  aber 
ganz  und  gar  nicht  der  Fall,  im  Gegentheil,  die  Anerkennung  ist  stets  im 
Steigen  gewesen  und  wird  nie  zurückgehen;  nur  war  sie  von  jeher  auf  die 
Kreise  der  Wissenschaft  beschränkt. 

Seit  1862,  also  etwa  seit  seinem  53.  Lebensjahr,  war  Hanssen  Mit- 
glied der  Berliner  Akademie:  und  in  Göttingen  hat  man  seine  Marmorbüste, 
gleichzeitig  mit  dem  Bildniss  des  grossen  Physikers  Wilhelm  Weber,  in  der 

*)  Mit  Genehmigung  des  Herrn  Verfassern,  sowie  des  Herausgeber*  der  „Beilage-,  Herrn  Dr.  R.  Otto, 
au*  der  Monchener  „Allgemeinen  Zeitung-  wiederholt 


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96 


Biographische  Blatter. 


Bibliothek  aufgestellt,  als  er  noch  lebte  —  eine  Büste,  die,  beiläufig  gesagt, 
von  geistreichster  Ähnlichkeit  ist. 

Eis  kann  also  nicht  die  Rede  davon  sein,  dass  er  unerkannt  geblieben 
wäre,  nur  in  die  Zeitungen  kam  er  nicht,  und  das  rührt  von  allerlei  per- 
sönlichen Eigenschaften  her. 

Es  fehlte  ihm  vor  allem  jede  Art  der  Betriebsamkeit.  Mit  völliger 
Gemüthsruhe  Hess  er  sich  gehen;  seines  eigenen  Werthes  gewiss,  ging  er 
seinen  Lieblingsgedanken  nach ;  was  er  da  an  Beute  erhaschen  konnte,  nahm 
er  mit,  und  was  auf  der  Seite  lag,  das  liess  er  liegen.  Schüler  hat  er  nie 
ausgebildet,  und  dass  er  trotzdem  Anhänger  hat,  das  ist  nur  dem  Inhalt 
seiner  Werke,  nicht  aber  seiner  Lehrkraft  zu  verdanken.  Man  inusste  ihm 
sogar  zureden,  bis  er  sich  entsehloss,  seine  sehr  zerstreuten  agrarhistorischen 
Abhandlungen  zu  sammeln,  die  jetzt  in  zwei  Bänden  (1880  und  1884)  vorliegen. 

Nur  einmal  hat  er  eine  äussere  Gelegenheit  ergriffen,  um  eine  grössere 
Arbeit  abzuschliessen.  Die  St.  Petersburger  Akademie  hatte  im  Hinblick 
auf  die  Reformen  Alexanders  II.  eine  Preisaufgabe  gestellt,  und  Hanssen 
reichte  seine  Schrift  Uber  die  Aufhebung  der  Leibeigenschaft  in  Schleswig 
und  Holstein  ein.  Natürlich  wurde  sie  gekrönt  und  1861  von  der  Akademie 
herausgegeben.  Es  handelt  sicli  dabei  in  der  Hauptsache  um  die  östliche 
Ecke  von  Holstein,  fast  nur  um  etwa  40  Rittergüter,  während  Sugenheim 
—  der  mit  Recht  ebenfalls  einen  Preis  erhielt  —  .Vlies  aus  Bibiotheken 
zusammensuchte,  was  unter  dem  Stichwort  „Leibeigenschaft"  aus  allen  Staaten 
Europas  aufzutreiben  war.  Aber  aus  welchem  Werke  lernt  man  mehr? 
Zweifellos  aus  dem  Hanssens,  der  eine  erschöpfende  Darstellung  der  Sache 
und  nur  dieser  Sache  gab. 

Während  seiner  Berliner  Zeit  (1860  bis  1869)  waren  seine  Vorlesungen 
nicht  gerade  sehr  besucht,  auch  eigentlich  nicht  beliebt.  Er  trug  nach 
einem  sorgfältig  ausgearbeiteten  Hefte  vor,  brachte  sehr  viele  Thatsachen 
zu  Gehör,  war  Überaus  vorsichtig  im  Urtheil,  beinahe  zweifelsüchtig,  und 
deutete  stets  auf  die  tausend  Schwierigkeiten  der  Praxis  hin.  Nie  war  er 
parteilich  und  nie  beredt.  Es  kam  Alles  gewissenhaft,  aber  kühl  heraus. 
Man  vermisste  bei  ihm  etwas  Freudigkeit  und  Wärme.  Dazu  sprach  er  das 
Deutsche  aus  wie  ein  Schleswiger  aus  dem  höchsten  Norden  —  denn  daher 
stammten  seine  Eltern  — ,  und  der  Mitteldeutsche  glaubte  in  ihm  einen 
Dänen  vor  sich  zu  haben.  Der  erste  Eindruck  aus  seinem  Hörsaal  —  es 
war  an  einem  frostigen  Vormittag  Ende  April  1863  —  ist  mir  noch  lebhaft 
in  Erinnerung:  das  Bild  des  stimmungslosen  Professors.  Der  Gegenstand 
war  theoretische  Nationalökonomie,  aber  alle  allgemeinen  Gedanken  waren 
überwuchert  durch  zahllose  Beispiele,  und  jeder  an  dogmatischen  Vortrag 
gewöhnte  Hörer  fühlte  sofort,  dass  hier  kein  Dogmatiker  sprach.  Das  wäre 
ja  an  sich  kein  Unglück  gewesen  —  aber  warum  musste  gerade  er  Dogmatik 
vortragen  wollen?  In  München  so  kam  es  mir  vor  —  war  doch  dies 
Fach  ganz  anders  vertreten  gewesen. 


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Georg  Haussen. 


97 


Seine  Sprechstunden  zu  Hause  —  er  wohnte  in  der  Grabenstrasse  — 
hatte  er  auf  8  Uhr  Morgens  angesetzt.  Harmlos  ging  man  hin:  aber  das 
Erstaunen  der  Dienstboten  verrieth,  dass  ein  solcher  Besuch  fast  unerhört 
sei.  Es  dauerte  eine  halbe  Stunde,  bis  er  kam,  sichtlich  gestört  und  wenig 
geneigt,  auf  die  persönlichen  Verhältnisse  des  rathbedürftigen  Zuhörers  einzu- 
gehen. Die  gelbliche  Gesichtsfarbe  und  die  dunkelbraunen  Augen  erweckten 
die  Vorstellung  eines  Leberleidenden.  Sein  Rath  war:  „Lesen  Sie  Raul", 
das  damals  verbreitetste,  allgemein  bekannte,  jedem  Studenten  selbstver- 
ständliche Handbuch.  Mit  dem  Zweifel,  ob  es  weise  gewesen  sei,  nach 
Berlin  zu  gehen,  stieg  man  die  drei  Treppen  wieder  hinunter. 

Und  dieser  Mann  war,  freilich  an  andern  Orten,  ein  vorzüglicher  Ge- 
sellschafter. Von  seinen  guten  Geschichten,  die  er  stets  vorräthig  hatte, 
mag  sicli  der  gcistvollo  Ihering  manche  aufgeschrieben  haben,  wie  das  so 
seine  Gewohnheit  war.  Und  auch  Wilhelm  Weber  ging  mit  Niemandem 
lieber  als  mit  seinem  alten  Freunde  Hanssen,  als  sie  wieder  in  Göttingen 
vereint  waren,  Nachmittags  auf  die  benachbarten  Höhen  spazieren.  Wenn 
er  nicht  erzählte,  pflegte  Hanssen  endlos  auszufragen,  nie  nach  persönlichen 
Verhältnissen,  denn  er  hatte  die  Zurückhaltung  des  Niederdeutschen  an  sich, 
sondern  immer  nach  Sachen,  die  der  Hegleiter  oder  Besucher  etwa  aus 
eigener  Erfahrung  kennen  mochte:  Arbeitslöhne,  Getreidepreise  und  der- 
gleichen merkte  er  sich  gern. 

Im  Winter  1863/04  wurde  ein  neuer  Versuch  gemacht,  Um  zu  hören. 
Er  las  Finanzwissenschaft,  und  diesmal  ging  es  besser.  Wir  waren  etwa  zwanzig 
Mann  und  haben  tapfer  ausgehalten.  Man  fühlte  durch,  dass  er  in  seinem 
Fahrwasser  war :  die  festen,  sicheren  Kenntnisse  des  ehemaligen  Kopenhagener 
Kanimerraths  wirkten  mit.  Noch  besser  gefiel  uns  die  andere  Vorlesung, 
genannt  praktische  Nationalökonomie:  trotz  des  unfreien  und  etwas  steifen 
A'ortrags  hatten  wir  den  Eindruck  des  Mannes,  der  seine  Sache  vorzüglich 
verstand  und  der  uns  Anfängern  furchtbar  überlegen  war.  Einmal,  so  um 
Weihnachten  herum,  wurde  er  sogar  lebhaft  ;  er  schilderte  den  Zustand  der 
holsteinischen  Gutsunterthancn  im  18.  Jahrhundert;  offenbar  hatten  sich  seine 
monographischen  Erinnerungen  von  1861  zwischen  die  Blätter  seines  Heftes 
gedrängt;  es  war,  als  ob  auf  einen  Augenblick  die  Sonne  durch  die  Wolken 
bräche.   Wie  dankbar  waren  wir  —  denn  er  hatte  uns  nicht  verwöhnt! 

Und  nun  gar  im  Februar  1864  geschah  das  Unerhörteste:  er  trat  am 
P^nde  der  Stunde  vom  Katheder  herunter,  stellte  sich  vor  die  erste  Bank, 
und  sagte  mit  sichtlicher  Aufregung :  „Bei  Eckernförde  hat  eine  preussische 
Batterie  den  Rolf  Krake  vertrieben. u  Dies  dänische  Panzerschiff  kannte 
damals  Jedermann.  So  erfreulich  die  Nachricht  war  —  noch  mehr  wirkte 
auf  uns,  dass  der  zugeknöpfte  ältere  Herr  Empfindungen  hatte.  Nicht  als 
ob  er  die  Dänen  als  solche  gehasst  hätte  —  dazu  kannte  er  sie  viel  zu 
gut;  aber  der  alte  Schleswiger  regte  sich  in  ihm.  er  sah  die  Zeit  der  Un- 
abhängigkeit herannahen:  er  hatte  schleswig-holsteinisches  Blut. 

Biographische  Blatter.  I.  7 


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Biographische  Blätter. 


Später,  im  Winter  1865/66,  habe  ich  Vorträge  von  ihm  im  Künigl.  Preuss. 
Statistischen  Bureau  gehört,  wo  der  Direktor,  Dr.  E.  Engel,  sehr  zeitgemäss 
einen  Lehrkurs  eingerichtet  hatte.  Hanssens  Heft  war  freilich  wiederzuer- 
kennen, aber  als  Mensch  war  er  wie  ausgewechselt:  unter  Doktoren,  Asses- 
soren, künftigen  Dozenten,  mitten  am  Tisch  —  ohne  Katheder  —  fühlte  er 
sich  behaglich,  war  redselig  und  zugänglich  und  ging  auf  alle  Streitpunkte 
des  damaligen  politischen  Konflikts  mit  Wärme,  oft  mit  schonungsloser  Leiden- 
schaft ein.  Olfenbar  war  also  das  studentische  Publikum  nicht  sein  Fall, 
er  wollte  von  reiferen  Hörern  umgeben  sein.  Wir  thaten  ihm  innerlich  Ab- 
bitte: welche  reiche  und  lebhafte  Natur!  Welch  ein  selbständiger  Geist, 
welcher  scharfe  Beobachter!  Es  war  nun  Jedem  klar:  liier  lag  die 
ursprünglichste  Begabung  vor;  eine  ganz  eigenartige  Persönlichkeit,  kein 
(ieschöpf  des  blossen  Fleisses  und  der  Beharrlichkeit.  Nicht  die  Spur  vom 
trockenen  Gelehrten  bei  allem  Reichthum  des  Wissens. 

Wenn  er  Briefe  .schrieb,  so  waren  sie  von  ungezwungener  Fein- 
heit und  Anrauth;  schrieb  er  aber  Abhandlungen,  so  waren  sie  schwer, 
von  einiger  Härte,  ein  cykiopischer  Gedankenbau  —  lauter  Blöcke  ohne 
Mörtel. 

In  einer  Tischrede,  die  er  bei  seinem  Jubiläum  hielt,  kam  auch  der 
feine  Humor  zu  Tage,  den  er  sonst  aufs  Zwiegespräch  versparte.  Er 
erzählte  da  von  seinem  Doktorexamen  vor  50  Jahren:  „Von  dem  Vielen, 
was  die  Herren  Examinatoren  wussten,  wusste  ich  wenig;  und  von  dem 
Wenigen,  das  ich  wusste,  wussten  die  Examinatoren  nichts!"  Wie  Iiat 
die  Tafclrundo  von  etwa  50  Theilnehmern  damals  über  diese  Scliilderung 
gelacht,  die  er  mit  köstlichem  Mienenspiel  seines  faltenreichen  Gesichtes 
begleitete.  Das  war  er  selbst,  wie  er  leibte  und  lebte.  Ihn  hat  es  nie 
bekümmert,  ob  er  alle  Bücher  gelesen  habe  oder  nicht.  Denn  wohin  er 
griff  —  wenn  er  griff  — ,  da  hatte  er  stets  etwas  Eigenartiges  in 
der  Hand. 

Sein  schlichter  Lebenslauf  enthält  eine  Wendung,  die  nicht  Jedem 
sofort  verständlich  ist:  im  Jahre  1860.  als  der  Güttinger  Lehrstuhl  wieder 
frei  wurde,  erbat  sich  II  aussen  die  Gunst  und  erlangte  sie,  von  Berlin 
dorthin  zurückzukehren;  also  von  Herlin.  wo  er  wohlbestallt  als  sechzig- 
jähriger Ordinarius  und  als  Mitglied  der  Akademie  in  der  Preussischen 
Hauptstadt  sass,  nach  Göttingen,  dessen  Wall  damals  noch  stand  und  dessen 
Ländlichkeit  und  Bescheidenheit  als  Wohnort  geradezu  rührend  waren. 
Warum?  Offenbar  weil  ihm  Güttingen  besser  gefiel;  dort  waren  alte  Freunde, 
dort  ging  es  ruhiger  her;  der  grössere  Wirkungskreis  Berlins  war  für  ihn 
keine  Lockung.  Eine  Dozentennatur  war  er  nicht,  er  wählte,  wie  ein 
stiHer  Gelehrter  wählt,  und  bereute  es  nie.  Denn  er  war  eben  ein  stiller 
Gelehrter,  ein  Mann,  wie  sie  früher  häufiger  heranwuchsen  als  jetzt.  Was 
Andere  darüber  denken  mochten,  das  war  ihm  einerlei. 

Seine  Arbeitsweise  war  ganz  anders  als  die  seiner  Fachgenossen. 


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Georg  Hanssen. 


99 


Der  geistvoll  konstnürendc  I^orenz  v.  Stein  in  Wien  ist  sein  G  egenpol, 
denn  Hanssen  systematisirte  nie  und  war  gross  in  der  Einzelforschung,  von 
der  jener  nichts  wissen  wollte.  Der  Münchener  Staatsrath  v.  Hermann  war 
ein  ganz  hervorragend  dogmatisch  angelegter  Kopf:  Hanssen  war  es,  wie 
erwähnt,  gar  nicht.  Wilhelm  Roscher  in  Leipzig,  mit  seiner  Alles 
berührenden  Belesenheit,  schrieb  grosse,  vielbändige  Werke:  „dazn  bin  ich 
nie  gekommen*,  pflegte  Hanssen  zu  sagen,  und  man  wusste  nicht,  ob  es 
nur  Bescheidenheit  war  oder  auch  ein  wenig  Schalkheit,  wenn  er  dies  so 
ruhig  zugab.  Eine  gewisse  Ähnlichkeit  hat  er  mit  H.  v.  Thünen.  nur 
war  dieser  ein  Autodidakt,  und  Hanssen  war  ein  Gelehrter;  aber .  Beide 
arbeiteten  mit  Vorliebe  über  landwirtschaftliche  Betriebssysteme,  Beide 
thaten*es  monographisch,  Beide  standen  durchaus  auf  deutschem  Boden, 
ohne  Abhängigkeit  vom  Auslande. 

Hanssens  liebstes  Forschungsgebiet  war  die  Dorf  Verfassung  und  ins- 
besondere die  Gemengelage  der  Äcker  auf  der  Flur.  Dazu  hatte  ihn  früh 
ein  Däne,  Olufscn.  angeregt,  dessen  Ergebnisse  er  mitgetheilt  und  dann 
weitergeführt  hat.  Von  hier  aus  wagte  er  die  sonderbare  Agrarverfassimg 
der  sogenannten  „Gehöferschaften"  im  Regierungsbezirk  Trier  zu  schildern. 
Es  sind  dies  Bauernschaften  an  der  Saar,  die  noch  inmitten  unsres  Jahr- 
hunderts periodisch  ihre  Äcker  und  sogar  ihre  Feldgärten  neu  vertheilten, 
freilich  nur  im  Umkreise  der  Berechtigten.  Für  den  Landwirth  Schwerz 
war  dies  nur  eine  Seltsamkeit  gewesen.  Hanssen  schilderte  die  ganze  Sache 
aus  dem  Vollen,  so  dass  man  sie  begriff  und  vernünftig  fand;  dass  er  diese 
Verfassung  für  älter  hielt,  als  sie  zu  sein  scheint,  bedeutet  nicht  viel;  die 
Hauptsache  war,  dass  er  den  fremdartigen  Zustand  in  seiner  Ganzheit  fasste 
und  völlig  zur  Anschauung  brachte.  Die  Abhandlung  hierüber  wird  stets 
eine  Quelle  der  reichsten  Belehrung  bilden:  wer  sie  nicht  versteht,  der  hat 
noch  etwas  zu  lernen:  sie  ist  sozusagen  der  Prüfstein,  ob  man  die  Anfänger- 
schaft hinter  sich  hat  oder  nicht. 

- 

Ein  anderes  seiner  grossen  Themata  war  die  Frage  nach  dem  ältesten 
System  des  landwirthschaftlichen  Betriebs.  Man  glaubte  früher,  diese* 
älteste  System  sei  die  Drcifelderwirthsehaft  --  Avas  aber  schon  Roscher 
mit  Recht  bezweifelte.  Haussen  zeigte  nun  den  richtigen  Weg:  es  war  die 
wilde  Feldgraswirthschaft.  Regellos  wurde  ein  Fleck  Landes  aus  der  Weide 
herausgenommen  'und,  solange  es  ging,  mit  Getreide  bestellt.  War  das 
Land  erschöpft,  so  fiel  es  wieder  in  die  Weide  zurück,  und  anderswo  wurde 
ein  neuer  „Schlag"4  für  den  Getreidebau  ausgesondert.  Hanssen  wusste 
dies  dergestalt  aus  der  Natur  der  Sache  zu  begründen,  dass  er  alle  dio 
endlose  Anslegerei  alter  Schriftsteller  siegreich  zur  Seite  schob.  Dieser 
kühne  und  glückliche  Versuch,  aus  reiner  Sachkenntniss  heraus  zu 
sagen:  „so  rauss  es  gewesen  sein",  trägt  ganz  und  gar  den  Stempel  seines 
Geistes. 

Endlich  hat  Hanssen  unstreitig  das  Meiste  gethan,  um  die  Natur  des 

7* 


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JOO 


Biographische  Blätter. 


Rittergutes  unsror  Ostsee-Länder  zu  erschliessen.  Wie  dieser  Grossbetrieb 
anwuchs  durch  „Legen"  von  Bauerngütern;  wie  die  übrig  bleibenden 
Bauern  zu  immer  steigenden  Frohndiensten  für  den  Gutsherrn  genöthigt 
werden:  das  haben  wir  von  ihm  gelernt.  Und  nicht  minder  dies:  die 
Befreiung  der  Bauern  aus  der  sogenannten  „Leibeigenschaft"  konnte  nur 
geschehen  unter  tiefgreifender  Änderung  der  Wirthschaft.  Im  östlichen 
Holstein  sind  damals  die  Gutsbetriebe  meistens  zerschlagen  und  bäuerlichen 
Pächtern  zugetheilt  worden,  die  nun  allerdings  frei  sein  konnten.  Dabei 
haben  auch  die  landwirtschaftlichen  Betriebssysteme  sich  mannichfaeu  ver- 
ändert, und  so  hängt  diese  ganze  Neuordnung  aufs  engste  mit  den  Fragen 
zusammen,  die  für  Hanssen  im  Vordergrund  standen:  er  zeigte  stets  mit 
Vorliebe  die  Bedingungen  auf,  durch  welche  die  Wandlungen  in  der*Ijand- 
wirthschaft  herbeigeführt  werden;  natürlich  sind  hier  nur  die  gesellschaft- 
lichen (nicht  die  naturwissenschaftlichen)  Bedingungen  gemeint,  die  auf  die 
Technik  der  Landwirtschaft  zurückwirken. 

Geradezu  unbegreiflich  war  es,  wie  wenig  Hanssen  in  seinen  Vorlesungen 
das  zur  Geltung  brachte,  was  er  selbst  erforscht  hatte.  Er  fühlte  sich  an 
die  herkömmliche  Form  des  Unterrichts,  etwa  im  Sinne  der  Rau'sehen  Werke, 
innerlich  gebunden.  So  klar  und  kraftvoll,  so  reich  und  so  gedrängt  er 
schrieb,  so  war  dies  nur  ein  unbewusster  Nebenerfolg  seiner  scharfen  Auf- 
fassungsgabe und  nicht  eigentlich  künstlerisches  Wollen:  sonst  wäre  der 
redende  Lehrer  dem  schreibenden  Forscher  ähnlicher  gewesen.  Aber  es 
giebt  eine  unfehlbare  Probe  auf  die  Echtheit  des  Gedankengehaltes:  wenn 
ein  Dozent  viele  Wochen  lang  das  vorträgt,  was  bei  Hanssen  steht,  und 
wenn  dabei  die  Zuhörer  bis  auf  den  letzten  Mann  beisammenbleiben  und 
mit  nie  nachlassender  Spannung  bis  in  die  entlegensten  Gebiete  folgen:  dann 
weiss  man,  was  die  Quelle  wert  Ii  ist:  und  dieser  Beweis  wird  Jahr  für  Jahr 
geführt  -  nur  darf  ich  leider  nicht  verrathen.  an  welcher  Universität  es 
geschieht. 

Dem  alten  Herrn  ist  dieser  Umstand  nicht  verborgen  geblieben,  und 
er  müsste  von  Stein  gewesen  sein,  wenn  er  sich  nicht  darüber  gefreut  hätte. 
Er  fürchtete  einmal,  den  zweiten  Band  seiner  Abhandlungen  nicht  mehr 
fertig  herausgeben  zu  können,  und  bat  damals  seinen  jüngeren  Verehrer, 
im  Nothfalle  für  ihn  einzutreten.  Glücklicherweise  ist  es  nicht  nöthig  ge- 
wesen. 

Schon  um  Ostern  1893  war  der  hochbetagte  Forscher  schwer  bedrückt 
durch  die  Leiden  des  Alters.  Er  sass  in  Kissen  eingebettet  auf  dem  Sopha. 
erkundigte  sich  aber  voll  Theilnahme  nach  jüngeren  Fachgenossen,  sogar  nach 
den  allerjüngstcn;  er  klagte  nur,  dass  ihm  das  Ausgehen  schwer  falle  und 
dass  er  längere  Schriften  nicht  recht  bewältigen  könne.  Beim  Abschied 
wollte  er  aufstehen,  aber  es  ging  nicht  ohne  Hülfe:  man  musste  ihm  beide 
Hände  reichen,  und  so  schwang  er  sich  in  die  Höhe,  wurde  wieder  der 
Alte,  als  er  stand,  und  konnte  nicht  genug  Glück  auf  den  Weg  wünschen. 


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Karl  von  Haushofer. 


101 


Er  schlang  zum  Abschied  die  Arme  um  seinen  Besucher  und  drückte  ihn 
an  sich. 

Unten  auf  der  Strasse  war  es  einem  zu  Muthe,  als  wäre  man  schon 
Zeuge  seines  friedlichen  Hingangs  gewesen;  auch  die  friedlichste  Trennung 
erschüttert,  und  man  suchte  Trost  in  dem  Gedanken,  dass  er  wenigstens 
wisse,  wie  sehr  man  ihn  geliebt  habe. 

Hanssen  stammte  aus  einer  Zeit,  in  der  es  auf  deutschem  Boden  noch 
keine  Sozialpolitik  gab.  Die  grossen  Gegensätze  der  gesellschaftlichen  Klassen 
schlummerten  in  seiner  Jugend  noch.  Er  schrieb  zunächst  nur  die  Ge- 
schichte der  Wirthschaft,  aber  indem  er  dies  that,  ebnete  er  einer  jüngeren 
Generation  den  Weg.  Seine  Schüler,  die  der  zweiten  Hälfte  des  lfl.  Jahr- 
hunderts entstammen,  haben  die  sozialpolitische  Seite  der  Geschichte  des 
Ritterguts  hinzugefügt.  Der  Meister  hat  sie  hier/u  nicht  aufgefordert  und 
nicht  angeleitet:  aber  ohne  ihn,  das  heisst  ohne  seine  grundlegenden,  ge- 
dankenreichen Schriften,  wäre  das  nie  unternommen  worden.  Deshalb  nennen 
wir  den  Namen  unseres  Lehrers  stets  mit  Dankbarkeit  und  Ehrfurcht,  denn 
er  ist  als  Forscher  gross  gewesen;  und  vom  Forschen  allein  lebt  schliess- 
lich doch  die  Wissenschaft. 

 c§>  — 

Karl  von  Haushofer. 

Von 

MAX  HAUSHOFER. 

Es  ist  eine  weitverbreitete  Klage,  dass  das  der  Gegenwart  eigenthüm- 
liche  Spezialisiren  nicht  geeignet  ist,  die  Erkenntniss  der  Einheit  der 
Wissenschaft  zu  fördern,  und  dass  selbst  bedeutende  Talente  durch  den 
beständigen  Blick  in  ein  engumschriebenes  Fach  einseitig  werden.  Noch 
seltener  als  wissenschaftliche  Vielseitigkeit  ist  aber  wohl  jene  Geistesanlage, 
welche  wissenschaftliche  und  künstlerische  Befähigung  zu  vereinigen  weiss. 
Und  zwar  so  zu  vereinigen,  dass  nicht  blos  die  eine  dieser  Befähigungen 
als  Dilettantismus  neben  der  andren  einhergeht,  sondern  dass  sie  sich  gegen- 
seitig durchdringen  und  adeln. 

Solch  ein  zwiespältiges  Talent  ist  der  deutschen  Gelehrtenwelt  in  dem 
am  8.  Januar  1895  dahingeschiedenen  Direktor  der  Mttnchener  technischen 
Hochschule,  Dr.  Karl  v.  Haushofer,  entrissen  worden. 

Seine  künstlerische  Anlage  beruhte  theils  auf  Vererbung,  theils  auf 
Erziehung.  Sein  Vater  war  der  Münchener  Landschaftsmaler  Max  Haus- 
hofer, ein  Künstler  aus  der  eornelianischen  Zeit,  der  ursprünglich  die 
Kechte  studirt,  aber  während  des  stolzen  Aufschwunges  der  Münchener 
Kunst  unter  König  Ludwig  I.  das  Corpus  Juris  mit  der  Palette  vertauscht 
hatte.    Noch  während  seines  Münchener  Aufenthalts  hatte  der  Maler  Haus- 


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102 


Biographische  Blatter. 


hofer  eine  Familie  begründet;  zwei  Söhne  waren  ihr  entsprossen.  Die 
Rücksicht  anf  diese  Familie  bewog  ihn,  aas  dem  Münchener  Künstlerkreise 
zu  scheiden  und  eine  Professur  an  der  Prager  Akademie  der  Künste  anzu- 
nehmen —  ein  Wechsel,  den  der  fein  und  tief  empfindende  Mann  mit 
zwanzigjährigem  Heimweh  bezalüen  musste.  So  kam  es,  dass  K.  v.  Haus- 
hofer,  der  am  28.  April  1839  geboren  war,  kaum  fünf  Jahre  alt,  nach  Prag 
übersiedelte,  wo  er  an  dem  trefflich  geleiteten  deutschen  Gymnasium  auf 
der  Kleinseite  seit  1850  seine  Ausbildung  erhielt.  Es  waren  fast  durchweg 
einsichtige  und  warmherzige  Schulmänner,  die  damals  an  dieser  Anstalt 
wirkten ;  Haushofer  vergass  auch  nie,  wieviel  er  ihnen  verdankte.  Schneller 
als  der  Vater,  welcher  sich  an  den  Ufern  der  Moldau  zeitlebens  als  ein 
vereinsamter  Pionier  deutschen  Kunstlebens  fühlte,  lebten  sich  die  Söhne 
in  die  Prager  Verhältnisse  ein;  trotzdem  fühlten  sie  sich  als  Ausländer, 
um  so  mehr,  da  ihnen  fast  in  jedem  Sommer  zwei  Ferienmonate  an  den 
Ufern  des  Chiemsee's  beschieden  waren.  Eine  heisse,  ja  leidenschaftliche 
Liebe  zur  heimischen  Berglandschaft  ging  aus  der  Seele  des  Vaters  als 
Erbtheil  in  die  des  Sohnes  über;  aber  nicht  blos  der  Sinn  für  landschaft- 
liche Schönheit,  sondern  auch  das  zeichnerische  und  malerische  Talent  Es 
hing  an  einem  Haare,  dass  K.  Haushofer  auch,  wie  sein  Vater,  Maler 
geworden  wäre.  An  der  Befähigung  dazu  hätte  es  ihm  nicht  gefehlt. 
Aber  manche  trübe  Erfahrung,  die  der  Vater  während  einer  Reihe  von 
Jahren  hatte  machen  müssen,  veranlassten  denselben,  nicht  blos  auf  einer 
Vollendung  des  Studiums  seiner  Söhne  zu  beharren,  sondern  auch  dieselben 
zu  diesem  Ziele  wieder  nach  Deutschland  zu  schicken.  So  bezog  K.  Haus- 
hofer 1856  das  Maximiliansgymnasium  zu  München  und  absolvirte  dasselbe 
im  Jahre  1857.  Einigermassen  ohne  bestimmten  Lebensplan,  noch  schwankend 
zwischen  künstlerischen  und  wissenschaftlichen  Anregungen,  ward  er 
zunächst  Hans  von  Hopfen  s  Leibfuchs  beim  Korps  Franconia,  warf  sich 
mit  jauchzendem  Cbermuth  in  den  Strudel  des  Studentenlebens  und  schlug 
sich  schneidig  mit  seinen  Gegnern  herum. 

Er  war  indessen  doch  eine  zu  ernste  Natur,  um  mehr  als  ein  paar 
Semester  den  akademischen  Freuden  zu  widmen.  Angeborne  Liebe  zur 
anorganischen  Natur  hatte  ihn  bestimmt,  sich  hauptsächlich  dem  Studium 
der  Mineralogie  und  Geologie  zu  widmen;  und  da  er  zunächst  nicht  blos 
an  die  wissenschaftliche  Theorie,  sondern  auch  an  die  Praxis  des  Berg- 
und  Hüttenwesens  dachte,  für  welche  nur  eine  Bergakademie  als  vor- 
bereitendes Arbeitsfeld  erschien,  wandte  er  sich  nach  einem  noch  in  Prag 
zugebrachten  Semester  nach  der  altberühmten  Bergakademie  zu  Freiberg, 
wo  damals  v.  Beust,  Weishaupt  u.  A.  als  Leiter  und  Lehrer  wirkten.  An 
dieser  Hochschule  des  Unterirdischen  herrschte  ein  flotter,  internationaler 
Ton,  wobei  aber  doch  tüchtig  gearbeitet  ward.  Eine  Franconia  war  auch 
vorhanden,  die  den  wafienkimdigen  jungen  Bergmann  in  ihren  Kreis  zog. 
Dass  er  das  Zeichnen  und  Malen  von  Kinderjahren  an  getrieben  hatte, 


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Karl  von  Haushofer. 


103 


kam  ihm  auch  hier  zu  statten;  nicht  blos,  dass  es  ihm  half,  elegante 
(irubenrisse  zu  Papier  zu  bringen;  auch  manche  Lebenserinuerung  illustrirte 
er  für  sich  und  für  seine  Lieben. 

Als  er  die  Frciberger  Studien  vollendet  hatte,  trat  die  ernste  Lebens- 
frage an  ihn  heran:  Was  nun?  Aus  den  Kreisen  böhmischer  Gross- 
industrieller war  ihm  eine  Anregung  zugekommen,  sich  dem  Eisenhutten- 
wesen zu  widmen.  Die  Hoffnung,  auf  diesem  Felde  bald  zu  selbständigem 
Erwerb  zu  kommen,  führte  ihn  dahin;  er  trat  in  die  Dienste  der  Prager 
Kisenindustriegesellschaft,  und  zwar  zunächst  als  Arbeiter  im  Werk  Her- 
mannshtttte,  unweit  Pilsen.    Es  war  1861. 

Hier  herrschte  nun  freilich  ein  ganz  andrer  Geist,  als  ihn  der  Frei- 
berger  Student  in  den  alten  sächsischen  Silbergruben,  in  den  Zeichnungs- 
sälen und  Laboratorien  seiner  liebgewonnenen  Akademie  kennen  gelernt 
hatte.  Hier  hauste  jener  mächtige,  dröhnende  und  stahlklirrende  Zug,  der 
in  jener  Zeit  bestrebt  war,  Österreich  mit  einem  Schlage  aus  einem  Acker- 
baustaat in  einen  Industriestaat  zu  verwandeln.  Da  rauchten  die  Hochöfen; 
die  Puddler  fluchten;  zwischen  riesigen  Walzen  hindurch  zwängten  sich 
weissglühende  Eisenbahnschienen;  gigantische  Dampfhämmer  gingen  auf 
und  nieder  und  in  die  stille  Nachtluft  hinauf  sprühten  Funken  aus  den 
Schloten.  Es  war  eine  harte  Schule,  durch  welche  Haushofer  in  dieser 
Zeit  seines  Lebens  getrieben  ward,  eine  Schule,  die  etwas  Infernalisches 
an  sich  hatte. 

Zum  Walzmeister  vorgerückt,  war  ihm  nun  freilich  ein  stattlicher 
Wirkungskreis  gegeben;  hatte  er  doch  manchmal  drei-  bis  vierhundert 
Arbeiter  zu  leiten,  die  ihre  Anweisungen  in  deutscher  und  böhmischer 
Sprache  empfingen.  Aber  wie  ein  Märchen  lag  hinter  ihm  eine  sonnige 
Jugend  mit  einem  Schatz  von  klassischen  und  künstlerischen  Erinnerungen, 
die  allmählich  verblassen  und  zerrinnen  wollten,  weil  sie  in  dieser  Gegen- 
wart keine  Anregung  mehr  fanden;  weil  der  junge  Techniker,  wenn  er 
schweisstriefend,  mit  Kohlenstaub  bedeckt  und  mit  Brandwunden  an  den 
Händen  aus  seiner  Hütte  kam,  zu  todmüde  war,  um  noch  ein  Buch  zu 
lesen.  Er  fühlte  mit  Schmerz  einen  geistigen  Rückgang  in  dieser  Be- 
schäftigung, ein  tiefes  Heimweh.  Sein  Vater  durchschaute  ihn  und  rieth 
ihm,  die  Stellung  an  der  Hütte  aufzugeben.  Er  that's,  nicht  ganz  leichten 
Herzens;  musste  er  doch  wieder  in  eine  unsichere  Zukunft  hinein.  Aber 
diese  empfing  ihn  wenigstens  liebenswürdig.  Als  er  wieder  nach  München 
Übergesiedelt  war,  um  nunmehr  die  akademische  Laufbahn  zu  beschreiten, 
fand  er  nicht  nur  in  dem  Mineralogen  Kobell1)  und  dem  Physiker  Jolly 
gütige  Lehrer,  die  ihn  nach  Kräften  förderten;  seine  persönliche  Welt- 
gewandtheit und  ein  sprühender  Humor  führten  ihn  auch  als  gerngesehenen 
Gast  in  jene  akademischen  Kreise,  die  ihre  Mittelpunkte  in  den  Häusern 

>)  Als  dankbarer  Schüler  setzte  H.  ihm  ein  Denkmal  in  Form  einer  Abhandlung 
„Franz  v.  Kobell*.    Abh.  d.  bayr.  Akademie  d.  Wissenschaften.  1883. 


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104 


Biographische  Blätter. 


von  Liebig,  Jolly  und  Bischoff  hatten.  Nach  einjährigem  Aufenthalt  an 
der  Universität  gelang  es  ihm  1864  eine  von  der  pliilosophischen  Fakultät 
gestellte  Preisfrage  (physikalischen  Inhalts)  zu  lösen,  sein  Doktorexamen  zu 
machen  und  sich  bald  darauf  als  Privatdozent  zu  habilitiren.  Der  genittth- 
volle  alte  Kobell  nahm  ihn  zum  Assistenten.  In  dieser  Eigenschaft  und 
als  Privatdozent  war  er  bis  zum  Jahre  4868  thätig.  Leider  verlor  er  im 
Jahre  1866  seinen  Vater,  der  ihm  immer  der  treueste  und  liebevollste  Kath- 
geber  gewesen  war  und  den  er  mit  leidenschaftlicher  Liebe  verehrte. 

Als  im  Jahre  1868  die  Technische  Hochschule  zu  München  gegründet 
ward  und  der  geniale  Bauernfeind,  die  Seele  dieser  Anstalt,  die  schwere 
Aufgabe  hatte,  den  Lehrkörper  derselben  zusammenzusetzen,  wählte  Bauern- 
feind ohne  Zögern  für  die  Professur  der  Mineralogie  den  Privatdozenten 
Haushofer  und  schlug  ihn  im  Hinblick  auf  seine  technische  Vergangenheit, 
auch  für  das  Fach  des  Eisenhüttenwesens  vor.  So  erhielt  Haushofer  diese 
beiden  Fächer  zngetheilt  und  trat,  nachdem  er  noch  vorher  seine  Jugend- 
geliebte an  den  Altar  geführt  hatte,  im  November  1868  sein  Lehramt  an. 
Neben  seinen  Vorlesungen  hatte  er  eine  mineralogische  und  hüttenmännische 
Sammlung  zu  schaffen  und  ein  mineralogisches  Laboratorium  einzurichten. 
Seine  Schüler  waren  Ingenieure,  Chemiker  und  Maschinenbauer,  aber  auch 
Kandidaten  des  Lehramtes.  Im  Lehrkörper  der  Hochschule  gewann  er  sich 
bald  allseitig  Freunde;  ein  besonders  inniges  kollegiales  Verhältniss  knüpfte 
ihn  an  den  ausgezeichneten  Chemiker  E.  Erlcnmcyer,  welchen  leider  sein 
Gesundheitszustand  viel  zu  früh  der  Münchener  Thätigkeit  wieder  ent- 
fremdete. Aber  auch  mit  seinen  Gönnern  an  der  Universität,  mit  Kobell 
und  Jolly  blieb  Haushofer  im  herzlichsten  Einvernehmen. 

Auf  Grund  krystallographischer  Untersuchungen2)  ward  er  von  der 
bayrischen  Akademie  der  Wissenschaften  als  Mitglied  aufgenommen.  Eine 
von  Jugend  auf  geübte  Naturbetrachtung,  ein  vorzügliches  Auge  und  ein 
Talent,  Schwierigkeiten  der  Beobachtungstechnik  spielend  zu  bewältigen, 
Hessen  ihn  niemals  im  Stiche. 

Aber  er  sah  und  liebte  die  Natur  nicht  blos  im  Laboratorium.  Nach- 
dem er  als  Knabe  schon  seinen  Vater  auf  beschwerlichen  Hochgebirgs- 
wanderungen begleitet  und  dabei  mit  dem  Hammer  des  Naturforschers  wie 
mit  dem  Stift  des  Künstlers  gearbeitet  hatte,  blieb  die  Anhänglichkeit  an 
die  ewige  Schönheit  der  Bergnatur  auch  dem  Manne.  Während  er  in 
jungen  Jahren  einer  jener  muthigen  Pioniere  war,  die  als  solche  in  der 
Geschichte  der  Erschliessung  der  Ostalpen  verzeichnet  sind,  widmete  er 
späterhin  ein  treues  Interesse  dem  Deutschen  und  Österreichischen  Alpen- 
verein. Er  war  einer  der  Mitgründer  des  Deutschen  Alpen  Vereins  und 
redigirtc  lange  Jahre  hindurch  dessen  Zeitschrift,  wobei  sein  vollendeter 

2)  Krystallo£raphi<che  Untersuchungen  in  der  „Zeit>chrift  für  Kristallographie  u. 
Mineralogie":  Jahrg.  1877  tf.  —  Auch  eine  Reihe  von  mineralogischen  Arbeiten  in  den 
Sitzungsberichten  der  Akademie  der  Wissenschaften,  seit  1S75K 


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Karl  von  Hausbofer. 


105 


künstlerischer  Geschmack  wohl  das  Meiste  dazu  beitrug,  die  bildliche  Aus- 
stattung der  Zeitschrift  zu  veredeln.  Zahlreiche  kleine  Skizzen  von  seiner 
Hand  in  jenen  Blättern  geben  Zengniss  von  seiner  feinen  Auffassung  der 
Alpenlandschaft,  von  einer  Auffassung,  die  eben  so  sehr  das  künstlerisch 
wie  das  geologisch  Interessante  mit  wenigen  scharfen  Strichen  zu  geben 
wusste.  Auch  die  Hochgebirgskarten,  die  von  ihm  für  diese  Zeitschrift 
gezeichnet  wurden,  beweisen  dieses  künstlerische  Empfinden,  nicht  minder 
die  von  ihm  entworfenen  geologischen  Wandtafeln3)  und  manche  Skizze, 
mit  welcher  er  seine  Vorträge  zu  illustriren  wusste. 

Ausserhalb  seines  Berufes  bethätigte  er  sein  künstlerisches  Können 
dnrch  manches  Albumblatt,  das  nur  für  Freundeskreise  bestimmt  war; 
durch  scharf  zugespitzte  Karrikaturen;  jene  feinen  Miniaturen  nicht  zu 
vergessen,  mit  welchen  er  die  berühmte  Künstlerchronik  von  Frauenwörth 
in  frohen  Sommertagen  schmückte. 

Immer  seltener  freilich  ward  ihm  die  Müsse  gegeben,  solcher  Phantasie 
Zugang  zu  gewähren.  Die  Berufspflichten  häuften  sich.  Da  er  schon  seit 
dem  Antritt  seiner  Lehrthätigkeit  auch  für  die  Verwaltungsangelegenheiten 
der  technischen  Hochschule  lebhaftes  Interesse  gehabt  hatte,  ward  er  länger  und 
häufiger  zu  denselben  herangezogen;  und  als  der  hochverdiente  Geheimrath 
v.  Bauemfeind  im  Jahre  1889  vom  Direktorium  zurücktrat,  war  Haushofer  der 
Vertrauensmann,  dem  die  Staatsregicrung  die  Stellung  des  Direktors  übertrug. 
Feurige  Beredsamkeit  und  praktischer  Blick,  unerschütterliche  Pflichttreue  und 
eine  Vereinigung  von  klassischer  Bildung  und  von  technischer  Erfahrung  Hessen 
ihn  diese  Stellung  voll  und  ganz  ausfüllen.  Die  mit  derselben  verbundene 
Arbeitslast  und  Repräsentationspflicht  störte  freilich  Hanshofens  wissen- 
schaftliche Thätigkeit,  für  die  ihm  nun  neben  seinen  Direktorialgeschäften 
und  neben  seinem  Lehramte  nur  eine  Spanne  Zeit  noch  übrig  blieb.  Auch 
diese  hätte  er  bei  seiner  unermüdlichen  Arbeitskraft  noch  ausgenützt,  wäre 
nicht  schwerer  Familienkummer  hinzugekommen.  Seine  überaus  geliebte 
Gattin  ward  von  langwieriger  Krankheit  ergriffen  und  starb,  nachdem  sie 
ein  halbes  Jahr  lang  von  ihm  auf's  zärtlichste  gepflegt  worden  war.  im 
Jahre  1890  in  seinen  Armen.  Die  lodernde  Leidenschaft,  die  in  Haus- 
hofer  s  Jugendjahren  so  oft  emporgeflackert  war,  wurde  nun.  nachdem  der 
gereifte  Mann  sie  Jahrzehnte  hindurch  in  strenger  Zucht  gehalten  hatte, 
zur  still  veraehrenden  Flamme,  die  seine  Lebenskraft  zerfrass.  Wohl 
häuften  sich  Ehren  auf  sein  Haupt;  er  erhielt  den  persönlichen  Adel  und 
ward  zum  Mitgliede  des  obersten  Schulrathcs  ernannt;  aber  diese  Aus- 
zeichnungen brachten  ihn  nur  dahin,  in  verstärkter  Arbeitsthätigkeit  ein 
Vergessen  seines  Kummers  zu  suchen.  Zwei  Jahre  später  warf  ihn  ein 
heftiger  Anfall  von  Influenza  auf  ein  Krankenlager;  er  erholte  sich,  aber 
nur  scheinbar.    Nach  wie  vor  arbeitete  er  in  seinem  Laboratorium  und 


3)  Dieselben  erschienen  bei  Fischer,  Kassel,  seit  1*7*. 


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100 


Biographische  Blätter. 


leitete  den  immer  umfangreicher  gewordenen  Organismus  seiner  geliebten 
technischen  Hochschule;  aber  man  sali  es  ihm  an,  dass  er  im  innersten 
Kern  seines  Wesens  getroffen  war.  Noch  zweimal  hatte  er  im  Herbste  des 
Jahres  1893  Gelegenheit,  seine  Rednergabe  vor  grosser  Zuhörerschaft  zu 
entfalten;  und  namentlich  in  seiner  letzten  Rede  bei  einem  grossen  Kommerse 
der  sämmtlichcn  Studirenden  der  technischen  Hochschule  zeigte  er  ein  hin- 
reissendes  Feuer,  so  dass  wohl  Niemand  glauben  mochte,  einen  todgeweihten 
Mann  sprechen  zu  hören.4) 

Es  war  das  letzte  Aufflackern  seiner  Lebeoskraft.  Im  Winter  musste 
er,  um  Heilung  für  seine  leidende  Brust  zu  suchen,  an  die  Riviera;  aber 
die  lauen  Lüfte  des  Mittelmeeres  brachten  ilim  keine  Genesung  mehr.  Die 
fand  er  auch  nicht  an  den  Gestaden  des  heimischen  Chiemsees,  wo  er  seit 
länger  als  einem  Vierteljahrhundert  die  Sommermonate  zugebracht  und  oft 
mit  starkem  Arm  sein  Segelboot  durch  den  Sturm  gesteuert  hatte.  Nach 
München  zurückgekehrt,  war  er  ein  Sterbender,  den  nach  einem  leidvollen 
Herbste  der  Tod  ans  dem  Leben  riss  zu  einer  Zeit,  in  welcher  dasselbe 
erst  anfangen  sollte,  die  Ernte  edelsten  Strebens  zu  tragen. 

So  war  er  dahingegangen.  Das  Beste,  was  er  hatte  leisten  können, 
blieb  nicht  er  der  Welt  schuldig,  sondern  jenes  Schicksal,  das  ihn  zu  früh  zu 
den  Schatten  senkte.  Es  ist  sicher  ein  tragisches  Verhängniss,  wenn,  wie 
es  hier  geschah,  weder  der  Grossvater,  noch  der  Vater,  noch  der  Sohn  ihr 
Leben  voll  ausleben  dürfen,  sondern  mitten  aus  der  Fülle  der  Lebenspläne, 
von  der  Schwelle  der  Erfolge  hinweggerissen  werden. 

Es  ist  von  ihm  weniger  an  wissenschaftlichen  Werken  geblieben,  als 
man  bei  seiner  rastlosen  Arbeitsthätigkeit  vermuthen  sollte5).  Umfangreichere 
Bücher  wurden  durch  seine  Amtsgeschäfte  und  sein  frühes  Ende  unmöglich 
gemacht.  Um  so  reicher  ist  die  Erinnerung  an  seine  mächtige  Persönlich- 
keit, welche  die  ganze  Stufenleiter  menschlichen  Empfindens,  die  seltenste 
Vereinigung  von  künstlerischer  und  wissenschaftlicher  Begabung  zum  Aus- 
druck brachte0).  Die  steinerne  Natur  war  sein  Arbeitsfeld;  aber  nicht  blos 
in  ihrer  Eigenschaft  als  abgrundtiefes  Räthsel,  sondern  auch  als  tausend- 
gestaltige  Schönheit.  Und  wo  sie  nicht  blos  Aufgaben  an  den  forschenden 
Gedanken,  sondern  gleichzeitig  an  künstlerisches  Verstandniss  stellt:  da  ging 
er  ihrem  Wesen  am  liebsten  nach.  Die  Verbindung  der  Thätigkeit  des  ex- 
perimentirenden  Gelehrten  mit  jener  des  frei  schaffenden  Künstlers  verlieh 

*)  Von  seinen  Reden  erwähnen  wir  die  Antrittsrede  „über  die  Aufgaben  der  tcvhn. 
Hochschule  auf  dem  (Jebiet  allgemeiner  Bildung".  Enthalten  im  Jahresberichte  der  techn. 
Hochschule  für  1889/90. 

*)  (ienannt  werden  müssen;  »Die  Constitution  der  natürl.  Silicate".  Braunschw.  1874. 
--  „Mikroskopische  Lleactionen".  Ebenda.  1885.  -    „Leitfaden  für  Mineralienbestimmung 
Ebenda  189'2. 

6)  Wir  erwähnen  hier  auch  zahlreiche  kunstkritische  Besprechungen,  die  er  seit  1880 
für  die  „Tllustr.  Zeitung"  lieferte:  sowie  kunstgewerbliche  Vorträge,  wie  solche  u.  A.  in 
den  Jahrgängen  l*s<|  u.  1889  der  Zeitsehr.  d.  bayr.  Kunstgew  erbe  Vereins  enthalten  sind. 


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Karl  von  Haushofer. 


107 


seiner  Hand  eine  besondere  Art  von  Meisterschaft,  die  eigentlich  nur  der- 
jenige benrtheilen  kann,  der  ihn  experimentiren  oder  zeichnen  sah  und  ihn 
beobachtete,  wenn  er  sich  den  einen  oder  andren  Experimcntir- Apparat  selbst 
konstruirte.  Alle  die  Erfahrungen,  die  er  hinsichtlich  dieser  Fähigkeit 
erwarb,  sind  mit  ihm  zu  Grabe  gegangen.  Wer  heute  noch  einen  Einblick 
in  diese  Mischung  künstlerischer  und  wissenschaftlicher  Arbeit  gewinnen 
will,  erhält  ihn  nur  annäherungsweise  durch  eine  Betrachtung  von  Haushofers 
geologischen  Wandtafeln,  durch  seine  charakteristischen  Darstellungen  in  dem 
kleinen  Werke  „Die  Mineralien" 7)  oder  durch  seine  Hochgebirgskarten,  welche 
bei  aller  kartographischen  Genauigkeit  einen  eigenartig  landschaftlichen  Ein- 
druck hervorbringen;  endlich  durch  seine  landschaftlichen  Zeichnungen, 
welche  zeigen,  wie  er  mit  einem  untrüglichen  Scharfblick  das  Wesentliche 
jeder  Art  von  Erdrindenbildung  zu  erfassen  wusste.  Wenn  jemand  berufen 
war.  ein  Buch  zu  schreiben  über  „Phantasie  und  Experiment"  oder  über 
rKünstlerhand  und  Forschungsgeist*,  so  wäre  er  der  Mann  dazu  gewesen. 

Nur  selten  war  ihm  Veranlassung  gegeben,  mit  rhetorischer  Kunst 
oder  gar  in  gebundener  Sprache  zu  schreiben.  Aber  wenn  er  es  that,  dann 
wusste  er  zu  zeigen,  dass  ihm  der  höchste  Adel  sprachlichen  Ausdrucks 
ebenso  geläufig  war  wie  das  trockene  präzise  Wort  des  Facligelehrten. 
Und  was  er  trieb  und  that;  ob  ihn  ein  winziger  Kristallsplitter  beschäftigte 
oder  ein  in  die  Wolken  ragender  Hochgebirgsgipfel8):  stets  wusste  sein 
geistiges  Auge  jene  Fäden  zu  finden,  welche  die  leblose  Natur  mit  dem 
Menschen  und  seiner  Geschichte  verbinden  und  darüber  hinaus  in  das  Ent- 
legenste führen9). 

Er  ging  durch  ein  kurzes  Leben,  aber  als  ein  ganzer  Mann,  mit  blanker 
Ehre,  mit  heiss  fühlendem  Herzen,  mit  hellem  Blick  und  von  rastlosen  Ge- 
danken beschwingt. 


7)  Verl.  v.  Kaiser,  München,  1871. 

*)  Vgl.  hierfür  seine  Abhandlung  „Über  die  Entstehung  der  Alpen"  in  der  Zeitschr. 
d.  D.  u.  Ö.  Alpenvereins,  1886. 

*)  Fein  durchgearbeitete  Vorträge  über  Manches  sind  uns  gedruckt  noch  nicht  zu 
Gesicht  gekommen:  zur  Charakteristik  von  Haushofer  s  Gedankenwelt  diene  aber  noch  eine 
Arbeit  „Über  das  Weitende"  in  der  Deutschen  Revue  (1884). 


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108 


Sta: 


Hill 


Die  Autogramme  von  Goethe,  Lessing,  Wieland 
sind  einem  (gegenwärtig  im  Besitz  des  Geh.  Commercien- 
rathes  Dr.  Kilian  Steiner  in  Stuttgart  befindlichen) 
Stammbuch  des  stud.  jur.  Wilhelm  Lud.  Rodowe  ent- 
nommen. Lehrern  und  Gönnern,  Berühmtheiten  und  namen- 
losen Kameraden  hat  der  Osnabrücker,  wie  der  Schüler  im 
Faust,  das  Anliegen  vorgetragen:  ..Gönn*  Eure  Gunst  mir 
dieses  Zeichen,1'  und  manches  gereimte,  manches  im  Zeit- 
geschmacke gemalte  und  gezeichnete  Blatt  ward  dem  Bitten- 
den gewahrt.  Leipziger  und  Göttinger  Professoren  (Böhmer, 
Clodius,  Ernesti,  Kästner,  Platner,  Pütter  etc.)  sind  in  dem 
Bande  vertreten.  Leasings  Gegenüber  ist  Nicolai  mit  dem 
Eintrag:  „wer  frey  darf  denken,  denket  wol.  Zum  Andenken 
geschrieben  von  Fr.  Nicolai.  Buchhändler  ausTJerlin,  Leipzig 
26.  März  1775."  Weisse.  Ilagedorns  Bruder  und  C.  G.  Körner 
seien  noch  genannt  von  den  Beiträgern  zu  diesem  (in  Albert 
Cohns  Katalog,  Auktion  vom  '27.  1.  1891,  näher  beschrie- 
benen) Stammbuch.    Es  heisst  dort: 


buchblätter  von 

(Mit  Silhouetten  von 


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• 


Goethe,  Lessing,  Wieland. 

Goethe  und  Lessing.) 


109 


^-^^  Lessing  verweilte  auf  seiner  Heise  nach  Berlin 

AU|t.r.m  im  Februar  1775  eine  Woche  in  Leipzig.  Die 

*^  ^  liegende  Eintragung  scheint  das  einzige  Produkt 

M  '     L  Feder  während  des  Leipziger  Aufenthalten  zu  sein. 

M  '     A  Er  wählte  eine  Stelle  aus  den  Adelphi  des  Terenz, 

k^:'^  m         auf  die  er  nach  Mittheilung  von  Dr.  Fritz  Jonas  schon 

MEL  jt*3         17f»2  bei  der  {Versetzung  von  Huartes  Prüfung  der 

M  ■  5w   V    köpfe  zu  llen  Wissenschaften  gestossen  war. 

I  m\&^M  Goethe  verliess  am  24.  März  1776*  Weimar,  um 

jSg  l  |  JfMW      über  Auerstadt.  Saumburg,  Kippach  nach  Leipzig  zu 

Ä/^M  ~jf&&M*t        reisen,  wo  er  bis  zum  31.  blieb. 

^^ÜEfc  IV  I))''  beigezeichneten,  nicht  eingeklebten  Silhouetten 

j||      ^1  Leasings  und  Goethe«  sind  als  Originalbildnisse  der 

^^?jSL^jJ^  beiden  Dichter  von  Werth.  Man  kannte  bisher  nur 
^^^^^^^^^^^^^m  ZWci  Originalbildnisse  Leasings:  das  Oelgemälde  von 
firaff.  einer  viel  früheren,  und  den  aus  Fritz  Jacobis  Nachlass  stammenden  Schattenriss, 
einer  viel  späteren  Epoche  angehörend  als  unsere  Silhouette.  Wahrscheinlich  hat  Lessing 
dazu  gesessen,  da  von  einem  Schattenriss.  den  er  Rodowe  als  Vorlage  gegeben  haben 
könnte,  nichts  bekannt  ist.  Die  Silhouette  Goethes  stellt  den  Dichter  im  27.  Lebensjahre 
dar.  in  jugendlicher  Schönheit  und  Anmuth.  Sie  erinnert  an  diejenige,  welche  Goethe  am 
3t.  Aug.  1774  an  Lotte  Kestner  sandte,  doch  ist  sie  mit  dieser  nicht  identisch,  u.  A.  auch 
bedeutend  grösser,  von  ungewöhnlicher  Grösse  überhaupt. 


<8> 


Vier  Briefe  Böckh's  an  AI.  v.  Humboldt 

a  T).  Über  das  vertraute  Verhält niss  Böckh's  zu  AI.  v.  Humboldt  giebt  die  von 
K.  Bruhns  187*2  herausgegebene  „wissenschaftliche  Biographie1*  des  letzteren  im 
zweiten  Hände  hinreichende  Auskunft.  Zugrunde  gelegt  wurden  dabei  gegen 
300  im  Besitze  von  Böckh's  Schwiegersohn  (.ineist  befindliche  Briefe  Humboldts 
an  den  Freund  und  philologischen  Berather  aus  den  Jahren  1831  -1859,  sowie 
dxs  wenige,  was  von  Anschreiben  und  Antworten  Böckh's  im  Nachlasse  des  Em- 
pfänger* noch  übrig  war.    Der  weitaus  grösste  Theil  des  Inhalts  dieser  BöckhVhen 

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HO  Biographische  Blatter. 

Briefe  besteht  aus  eingehenden  Belehrungen  über  Fragen  zur  Geschichte  der 
Naturwissenschaft  bei  den  Griechen  und  ist,  soweit  es  sich  um  die  Resultate 
handelt,  von  Humboldt  in  den  Anmerkungen  zum  Kosmos  getreulich  benutzt  und 
somit  in  gewissem  Sinne  veröffentlicht  worden.  Eine  philologische  Lebensbe- 
schreibung Böekh's.  zu  der  es  K.  B.  Stark  (Verfasser  des  Artikels  in  der  Allg. 
Dtsch.  Biogr.)  trotz  langjähriger  Vorbereitung  leider  nicht  gebracht  hat,  müsste 
immerhin  von  den  methodisch  und  sachlich  interessanten  Briefen  selber  Kenntnis* 
nehmen.  Allgemeinere  Theilnahme  dürften  inzwischen  wegen  ihres  persönlichen 
Gehalts  die  nachstehenden  Stücke  aus  der  letzten  Zeit  der  Korrespondenz  er- 
regen. 

1. 

Ew.  Excellenz 

wissen,  dass  ich  Ihrer  stets  in  Verehrung  und  Dankbarkeit  gedenke;  unter 
so  vielen,  die  hierzu  verpflichtet  sind,  bin  ich  nicht  einer  der  letzten,  und  unter 
den  vielen,  die  dies  auch  innig  empfinden,  bin  ich  gewiss  einer  der  ersten.  Darum 
darf  ich  es  nicht  unterlassen,  Ihnen  von  ganzem  Herzen  Glück  zu  wünschen  zu 
der  erfreulichen  "Wiederkehr  Ihres  Geburtstages,  die  Sie  übermorgen  erleben. 
Mögen  Sie  den  "Wissenschaften  und  dem  Vaterlande  noch  viele  .lahre  in  unge- 
seh Wächter  Gesundheit  erlmlten  bleiben!  Ew.  Kxc.  Leben  und  Wirken  wirft  noch 
einen  heiteren  Schein  und  Hoffnungsstrahl  in  die  umdüsterte  Zeit,  und  ich  kann 
mir  kaum  eine  Vorstellung  von  dem  Zustande  und  der  Stimmung  machen,  welche 
eintreten  werden,  wenn  auch  dieser  Stern  unter  Preusscns  Horizont  hinabgegangen 
seyn  wird.    Möge  ein  göttliches  Geschick  seinen  Ablauf  verzögern! 

Tch  habe  zwei  Wochen  in  Carlsbad  in  nicht  unerquicklicher  Unthätigkeit. 
gelebt,  und  setze  diese  hier  fort;  auch  Ihnen  ist.  soviel  ich  weiss,  der  hiesige 
Aufenthalt  nicht  unangenehm  gewesen.  In  Carlsbad  wurde  ich  von  der  Nach- 
richt des  Todes  von  Sendling  überrascht.  Wenn  der  bombastische  Artikel  der 
Kreuzzeitung  über  ihn  Ekel  erregt,  so  finde  ich  die  ganz  wegwerfenden  der 
Vossischen  doch  auch  widerlich,  und  dass  Schopenhauer,  den  Ew.  Exe.  auch  kennen, 
der  Messias  der  Philosophie  seyn  soll,  wird  wenigen  einleuchten.  Wie  gross  auch 
die  Fortschritte  sind,  welche  die  Empirie  gemacht  hat.  so  scheint  mir  doch  der 
Verlust  der  ideellen  Biehtung  zu  beklagen,  die  die  letzten  Jahn*  des  vorigen  und 
die  ersten  des  laufenden  Jahrhunderts  auszeichnete;  zu  dieser  hat  Schelling  un- 
geachtet aller  seiner  Mängel  und  Fehler  wesentlich  beigetragen.  Den  christlich- 
heidnisch-mythologisirenden  Schelling,  wie  er  in  der  letzten  Zeit  war.  gebe  ich 
freilich  völlig  preis. 

Auch  ohne  diese  Bemerkung  über  eine  zu  Grabe  gegangene  Grösse,  die 
sich  schon  bei  Lebzeiten  selbst  vernichtet  hat.  wäre  der  Zweck  dieser  Zeilen  er- 
füllt gewesen,  und  ich  will  Ew.  Exc.  um  so  weniger  bei  diesen  festhalten,  da  Sie. 
viele  dergleichen  Zuschriften  wo  nicht  zu  lesen,  doch  zu  überblicken  haben  werden. 
In  der  Hoffnung.  Ew.  Exc.  nach  meiner  Rückkehr  frisch  und  wohl  zu  finden, 
wiederhole  ich  meine  besten  Glückwünsche. 

Ew.  Excellenz 

stets  dankbarster  inniger  Verehrer 

Teplitz,  d.  12.  Sept.  1854. 

2. 

Wenn  Ew.  Excellenz  diese  Zeilen  an  einem  Tage  erhalfen  werden,  an 
welchem  Sie  durch  vielfältige  Beglückwünschungeu  werden  überhäuft  und  belästigt 
seyn.  so  mögen  Sie  dieses  Briefchen,  mehr  verlange  ich  nicht,  nur  eines  Blickes- 
würdigen  und  dann  ungelesen  bei  Seite  legen:  denn  auch  ohne  dass  Sie  es  lesen. 


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Vier  Briefe  Böckhs  an  AI.  v.  Humboldt. 


111 


wissen  Sie,  dass  sein  Zweck  kein  anderer  aeyn  kann,  als  Ew.  Exe.  meine  innigste 
Anhänglichkeit  und  meine  Freude  über  Ihr  heiteres,  möglichst  rüstiges  und  wohl- 
getnuthes  Befinden  in  hohem  Alter  zu  erkennen  zu  geben.  Es  giebt  der  Wünsche 
für  das  letzte  Lebensziel  zwei,  dass  es  spftt  komme,  und  dass  es,  wie  Pindar  sagt, 
«httpst  ouv  eqaoY;>  komme.  Beide  sind  bis  jetzt  für  Sie  in  Erfüllung  gegangen, 
und  wir  hoffen,  dass  sie  sich  noch  fernerhin  erfüllen  mögen. 

"Wiewohl  ich  hier  sehr  abgeschieden  lebe  und  selten  eine  Zeitung  zu  Ge- 
sicht bekomme,  so  habe  ich  doch  erst  hier  gelernt,  dass  Ew.  Exe.  bei  der  Kais. 
Leopoldhüschen  Akademie  als  Timaeus  Locrensis  eingetragen  sind.  Das  hatte  ich 
damals  wissen  sollen,  als  ich  es  wagte,  an  Sie  den  Brief  über  das  kosmische 
System  des  Piaton,  namentlich  des  Platonischen  Timaeus  zu  richten1);  zu  dem 
ernsthaften  Motiv,  welches  mich  dazu  legitimirte,  Witte  ich  dann  noch  hieraus  ein 
^herzhaftes  entnehmen  und  hinzufügen  können.  Als  ich  jene  Notiz  las,  fiel  mir 
aber  auf,  wie  schön  und  treffend  die  Wahl  dieses  Namens  war,  in  welchem  die 
Idealität  Ihrer  Naturansicht,  bei  aller  Verschiedenheit  derselben  von  den  Träumen 
der  Alten.  Ihre  Liebe  zum  Alterthum,  endlich  divinatorisch  die  Vollendung  der 
Erkenntniss  des  Kosmos,  den  die  Pythagoreer  ahneten,  glücklich  ausgedrückt  sind. 

Mit  innigster  Verehrung 
Ew.  Excellenz 

stets  dankbarster 

Friedrichroda  bei  Gotha,  Böckh. 
d.  12.  Sept.  1855. 

3. 

Ew.  Excellenz 

stehen  mir  auch  in  der  Entfernung  stets  vor.  Augen,  und  es  vergeht  ge- 
wiss kein  Tag.  dass  ich  Ihrer  nicht  mehr  als  einmal  gedachte,  sei  es  bei  mir 
xelber.  sei  es  gegen  andere.  Denn  so  abgeschieden  von  der  grossen  Welt  auch 
das  Örtchen  ist,  aus  welchem  ich  schreibe,  kommen  doch  immer  Personen  in 
meinen  Bereich,  denen  Bildung  und  Litteratur  und  die  Beziehungen  auf  die 
höchsten  Angelegenheiten  der  Menschheit  nicht  fremd  sind.  Heute  stehen  wir 
am  Vorabend  Ihres  neunzigsten  Geburtstages:  wie  könnte  ich  den  Tag  vorbei- 
lassen, ohne  wenigstens  im  G eiste  Ihnen  zu  nahen?  Wenn  irgend  jemandem  Glück 
dazu  gewünscht  werden  kann,  ein  so  hohes  Alter  erivicht  zu  haben,  so  kann  es 
K\v.  Exe.  gewünscht  werden.  Die  Gründe  dieses  Urtheils  zu  analysiren  ist  Über- 
fluss:  doch  will  ich  einen  Grund  nennen,  der  für  das  Ganze  der  wichtigste  ist: 
Zu  wessen  möglichst  langer  Erhaltung  sich  der  wissenschaftliche  oder  um  mich 
umfassender  auszudrücken  der  geistige  Staat,  und  der  politische  Staat  und  der 
Staat  der  gesummten  Menschheit,  der  kosmopolitische,  soweit  er  jetzt  schon  ver- 
wirklicht ist,  um  seinetwillen  Glück  wünschen  muss,  der  Mann  ist  der  hochbe- 
glückteste. Indem  ich  dies  ausspreche,  muss  ich  Ihnen  das  Pindarische  zurufen: 
y\zfk  ev  wjto) ~£&Xo>  £a».|tov'.ov  -oö*  syojv.  Möge  uns  lange  noch  dieses  Glück  bleiben, 
welches  uns  heute  erfreut. 

Dass  die  Tage  von  Jena'2)  (sit  venia  verbo.  da  mau  sonst  damit  wohl  eher 
sehr  trübe  Tage  zu  bezeichnen  gewohnt,  ist)  auch  Ew.  Exc.  geweiht  wurden,  lag 
iu  mehr  als  einer  Beziehung  sehr  nahe.   Mir  gereichte  es  zu  besonderer  Befriedigung, 

r)  Untersuchungen  über  das  kosmische  System  des  Platon,  Sendschreiben  an  AI.  v. 
Humboldt.  1852.  worin  O.  F.  Kruppe'*  verfehlte  Schrift  über  die  kosmischen  Systeme  der 
(i riechen  widerlegt  ward. 

*)  Feier  des  HOOjÜbrigcn  .lubilttums  der  Universität.  Humboldt  hatte  seines  l'ralters 
weyen  der  persönlichen  Einladung  nicht  folgen  können:  Böckh.  als  Festabgeordneter  für 
Berlin,  gedachte  sein  in  einer  Ansprache  im  Hinblick  auf  seine  Bezieliun<ren  zu  Jenas 
klassischer  Zeit. 


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112 


Biographische  Blätter. 


dass  gerade  mir  die  Gelegenheit  vergönnt  war,  meine  Liebe,  Verehrung  und  Be- 
wunderung für  Sie  auszudrücken;  war  vielleicht  ein  anderer  wissenschaftlich 
würdiger  dies  zu  tliun,  so  gestatte  ich  hierin  keinem  den  Vorrang,  wenn  die 
Würdigkeit  nach  Herz  und  Gemüth  geschätzt  wird.  Was  die  Überreichung  des 
Bildes  Ihres  Bibliothekszimmers  betrifft,  so  wird  Hr.  Seifert3)  wohl  darüber  be- 
richtet haben,  was  ihm  von  nur  darüber  geschrieben  worden. 

Von  der  Jenaer  Feier  habe  ich  mich  hierher  begeben,  wo  ich  mit  meiner 
Familie  zurückgezogen  lebe;  doch  kommen  ab  und  zu  Gelehrte  und  Studiengenossen 
hierher,  da  das  Städtchen  sehr  beliebt  ist.  Ein  permanenter  Genosse  meines  Land- 
lebens ist  der  General  v.  Olberg,  ein  sehr  kenntnisreicher  und  angenehmer  Mann, 
der  Ew.  Exc.  nicht  unbekannt  seyn  wird.  Eine  einzige  Ausnahme  von  unserer 
Abgeschiedenheit  fand  sich  ein,  indem  ich  mit  meinem  Schwiegersohn  bei  dem 
Hrn.  Herzog  in  Reinhardsbrunn  zur  Tafel  war;  es  war  daselbst  auch  der  Mark- 
graf Max  von  Baden,  ein  sehr  liebenswürdiger  Landsmann  von  mir.  Ich  studire 
sehr  wenig,  und  meistens  nur  Unsinn,  den  man  am  besten  in  solchen  Tagen  ab- 
macht, die  man  ohnehin  verloren  geben  will.  Zufälliger  Welse  sind  mir  in  Jena 
mehrere  Sachen  der  Art  in  die  Hände  gesteckt  worden.  Dahin  gehört  die  Ab- 
leitung des  Etruskischen  aus  dem  Semitischen  von  Stickel  in  Jena,  ein  nicht  un- 
methodisches  Buch,  aber  doch  unmöglich  ein  vernünftiges;  desgleichen  die  Proben 
Homerischer  Arithmetik  von  Hrn.  v.  Hahn  auf  Syra.  Uterque  insanit  cum  ratione. 
Auch  aufs  Land  verfolgt  mich  die  Chronologie.  Denn  unerwartet  habe  ich  in 
dem  letzteren  Buche  gefunden,  dass  der  Urkern  der  Ilias  das  Sommersolstitium, 
der  Urkern  der  Odyssee  das  Wintersolstitium  sei,  und  dass  die  Homerischen  Epo- 
poeen  die  Attische  Oktaeteris  darstellen.  Hierzu  gesellt  sich  die  Römische  Chro- 
nologie von  Theod.  Mommsen.  wonach  die  feste  Ägyptische  Zeitrechnung  nicht 
30  Jahre  vor  der  Christlichen,  sondern  den  '2\).  August  1483  a.  Chr.  beginnt, 
andere  Entdeckungen  abgerechnet,  die  auf  Missverstand  der  Stelleu  und  auf  un- 
haltbaren Combinatiouen  beruhen.  Es  ist  in  der  That  zu  beklagen,  dass  so  viele 
schöne  Kräfte  in  verkehrten  Richtungen  in  Bewegung  gesetzt  werden. 

Verzeihen  Ew.  Exc.  diese  Expectorationen,  die  zwar  an  sich  unschuldig  sind, 
aber  zur  unrechten  Zeit  kommen,  da  Sie  mehr  zu  lesen  haben  werden  als  solche 
Sachen,  wie  ich  sie  hier  sehreibe.  Ew.  Exc.  werden  aber  gleich  sehen,  was  Sie 
davon  ungelesen  lassen  können. 

In  der  Hoffnung,  dass  diese  Zeilen  Sie  im  besten  Wohlseyn  treffen  mögen, 
empfiehlt  sich  Ew.  Excellenz 

Ihr  stets  getreuer  und  dankbarer  Verehrer 

Böckh. 

Friedrichroda  bei  Gotha, 
13.  Sept.  1858. 

4. 

Ew.  Exeellenz 

habe  ich  sehr  lange  nicht  aufgewartet.  Kurz  nach  dem  Schluss  meiner 
Vorlesungen,  den  ich  etwas  spät  gemacht  hatte,  wurde  ich  von  einem  heftigen 
Husten  und  Katarrh  befalleu.  der  mich  nöthigte  das  Zimmer  zu  hüten,  und  ich 
bin  davon  noch  nicht  wiederhergestellt .  so  dass  ich  es  nicht  wagen  darf  einen 
grösseren  Ausgang  zu  machen.  Daher  entledige  ich  mich  schriftlich  der  Pflicht, 
Ew.   Exc.   das  einliegende   Sammelwerk4)   vorzulegen.     Ich  habe  das  Unglück. 

3»  Humboldt' s  Kammerdiener  Seifert  vertrieb  mit  Erlaubnis«  seines  Herrn  zu  eigenem 
Nutzen  die  farbige  Lithographie  nach  Kd.  Hildebrandt's  Aquarellbild  des  Bibliothekzimmers 
und  ersah  auch  in  der  Jenaer  Feier  eine  günstige  Gelegenheit  für  dies  Geschäft. 

4>  Sammlung  der  „kleineren  Schriften  '  UoVkh's. 


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Ein  Itrit'f  (i  rill  parzers  an  l'uul  Heyse. 


dass  mir  nichts  gefüllt  was  ich  gesch riehen  habe,  zumal  nachdem  es  gedruckt  ist; 
da  aber  so  viele,  die  nieht  besser  sind  als  ich,  ihre  Saehen  gesammelt  heraus- 
gegeben  haben,  so  wird  diese  Sammlung  auch  mit  drunter  durch  gehen  können. 

Die  drohenden  Zeit  verhält  ids.se  verstimmen  mich  sehr.     Ich  sehe  keinen  Aus- 
weg fiir  uns  aus  diesen  bedenklichen  Wirren. 

Mögen  Kw.  Exe.  noch  lautre  zu   aller   Freude    und    Frommen   sich  Ihrer 
Thätigkeit.  die  unermüdlich  ist.  hingeben  können*).  Dies  wünscht  von  ganzein  Herzen 

Ihr  innigster  und  dankbarster 
Verehrer 

Berlin,  d.  3U.  April  1850.  IJöckh. 

 c£>   


Ein  Brief  Grillparzers  an  Paul  Heyse. 

Mitgetlu-ill  von 

MAX  KALBECK  in  WIEN. 


Vorbemerkung.  (nillparzers  Novelle  „Der  arme  Spielmann1-  erschien  zuerst  in  dein 
von  .1.  (J raten  Maihith  für  das  Jahr  1S4S  bei  (inst.  Herkenast  in  Pest  herausgegebenen 
.Deutschen  Almanach:  Iris".  Ohne  nach  seinem  wahren  Werthe  gewürdigt  worden  zu  sein, 
gerieth  dieses  Meisterstück  der  erzählenden  Poesie  bald  wieder  in  Vergessenheit.  Wer  be- 
kümmerte sich  im  Sturmjahre  1*18  viel  um  Kunst  und  Litteratur!?  Kiner  der  Wenigen, 
die  das  köstliche  Werk  des  grossen  Dichters  schützen  leinten  und  in  treuem  Andenken 
behielten,  war  Paul  Heyse.  Als  er  um  zwei  Decennien  später  mit  seinem  Freunde 
Hermann  Kurz  die  (1871  erfolgte»  Herausgabe  des  „Deutschen  Novellenschatzes  vorbereitete, 
wandte  er  sich  sogleich  an  ( «rillparzer.  mit  der  Bitte,  ihm  den  armen  Spielmann  zum  Ab- 
drucke zu  überlassen.  Darauf  erfolgte  der  in  dem  unten  mitgetheilten  Briefe*1  >  begründete 
abschlägige  Bescheid.  Am  11.  .luni  1S71  erneuerte?  Heyse  seine  Bitte  (siehe  .lahrbuch  der 
(irillparzer-l  iesellsehaft  I.  p.  *J4<» l.  Als  Votstand  der  in  Nürnberg  zusammengetretenen 
NenossenM-haft  dramatischer  Autoren  fühlte  ersieh  verpflichtet,  dem  _allveiehrten  Altmeister 
der  dramatische»  Dichtung"  ein  Kxemplar  der  neuen  Statuten  zu  übersenden,  und  erinnerte 
Itei  dieser  Gelegenheit  wieder  an  den  noch  immer  der  Auferstehung  harrenden  armen  Spiel- 
mann.  Zwischen  den  beiden  Briefen  Hevsc's  aber  lag  die  Feier  von  l  J  rill  parzer' s  achtzigstem 
'ichurtstage.  und  Heyse  hatte  zu  dem  festlichen  Tage  in  feurigen  Huldigungsstrophen,  die 
eine  Münchener  Adresse  begleiteten,  seine  Glückwünsche  dargebracht.  (Das  (Gedieht  ist  unter 
dem  Titel  „An  Grillparzer"  im  ersten  Bande  der  gesammelten  Heyse  schen  Werke  zu  linden.) 
Die  ehrliche  Begeisterung,  welche  aus  jeder  Zeile  des  formschönen,  sinnigen  Carmens  her- 
vorbricht, mag  den  Alten  erwärmt  und  zur  Nachgiebigkeit  bestimmt  haben,  (  berdies 
konnte  Grillparzer  aus  dem  einleitenden  Vorwort  des  bereits  bis  zum  dritten  Bande 
gediehenen  Novellenschatzes  entnehmen,  dass  Heyse's  Versicherung,  gerade  der  arme 
Spielmann  hal>e  ihm  zuerst  den  Gedanken  dieser  Sammlung  eingegeben,  keine  blosse 
Artigkeit  war.  Von  dem  Vorhaben,  den  Spielmann  zugleich  mit  dem  Kloster  bei  Sendomir 
und  dem  Ksther- Fragment  als  Buch  erscheinen  zu  lassen,  war  <  Irillparzer  ohnehin  abgekommen, 
und  so  konnte  Heyse  nach  empfangener  F.rlaubniss  den  fünften  Band  des  Novellenschatzcs 
mit  dem  ersehnten  Beitrage  zieren.  Die  Novelle,  von  welcher  der  Herausgeber  als  kundiger 
Altmeister  der  Gattung  in  einer  charakteristischen  Vorrede  voll  Bewunderung  spricht,  über- 
raschte das  deutsche  Publikum  fast  noch  mehr,  als  Gottfried  Kellers  Meistemovelle  „Komeo 
und  Julie  auf  dem  Dorfe",  die  im  dritten  Bande  der  HeyseVhen  Sammlung  ebenfalls  von 
den  Todten  zu  unsterblichem  LcImmi  erstanden  war. 

•i  HiimboI.il  marb  wenige  Tap«  darauf,  am  »V  Mai. 

*)  Da«  Original  befindet  sieh  in  Max  Knibeck's  AuioirrayluMisaMimluiijr. 

Htograj.li  Ische  Blatter.  I.  s 


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111 


Biographische  Blätter. 


Bmlen  16.  .Juni  1870. 

Hochgeehrter  Herr!  . 
Ihr  geehrtes  Schreiben  hat  mir,  alles  abgerechnet  schon  darum  grosse  Freude 
gemacht,  weil  es  mir  den  Eindruck  Ihrer  Hebenswürdigen  Persönlichkeit  wieder 
erneuert  hat. 

Was  den  Wiederabdruck  der  Novelle  „Der  alte  Spielmannu  betrifft,  so 
steht  dem  im  Wege,  das«  die  mir  nächst  Stehenden  verlangen,  dass  ich  eben  diese 
Novelle  zugleich  mit  dem  dramatischen  Fragmente  Esther  und  (zur  Raumausfüllung) 
mit  noch  einer  andern  Almanach-Novelle  in  einem  eignen  Hündchen  drucken  lassen 
soll.  Und  dieses  zwar  des  Fragmentes  Esther  wegen,  das  wunderlicher  Welse  in 
der  Aufführung  auf  dem  Theater  grosses  Glück  gemacht  hat.  so  dass  ich  von 
allen  Seiten  um  Mittheilung  des  gedruckten  Textes  bestürmt  werde,  den  ich  doch 
selbst  nicht  besitze,  so  wie  Keines  der  Meinigen,  worüber  letztere  sehr  ungehalten 
sind.  Ich  bin  dem  Plane  sehr  entgegengesetzt,  werde  aber  doch  schwerlich  aus- 
halten können. 

Von  einer  Ausgabe  meiner  sämtlichen  Arbeiten  kann  nur  die  Hede  sein 
nach  meinem  Tode,  oder  wenn  Deutschland  wieder  poetisch  geworden  sein  wird, 
welche  zwei  Zeitpunkte  so  ziemlich  zusammenfallen  dürften. 

Verzeihen  Sie  wenn  ich  nicht  länger  schreibe,  denn  die  Schwäche  meiner 
Augen  und  meiner  Hand  machen  mir  das  Schreiben  peinlich,  was  wohl  auch  die 
Beschaffenheit  meiner  Handschrift  kund  gibt. 

Freundschaftlichst 

G  rillparzer. 
■ 

Biographie  der  Namenlosen. 

Von 

R.  M.  WERNER 

I.  Eine  Anregung. 

Wer  hat  sieh  nicht  schon  einmal  in  einer  schönen  Sternennacht  dem  er- 
hebenden und  doch  furchtbaren  Gedanken  hingegeben,  dass  alle  die  ungezählten 
Lichter,  die  so  unfassbar  weit  von  uns  liegen,  grösser  und  mächtiger  sind,  als 
das  Fleckchen,  auf  dein  wir  leben.  Schwindelerregend,  vernichtend  könnte  der 
Kontrast  zwischen  jenen  fernen  mächtigen  Welten  und  unserem  unscheinbaren  Ich  werden, 
wenn  nicht  der  glückliche  Egoismus  käme  und  uns  rettete.  Viel  weniger  leicht 
werden  wir  auf  den  Gedanken  geführt,  dass  Milliarden  Menschen  mit  uns  gleich- 
zeitig auf  dieser  unserer  Erde  leben,  von  deren  Lebensführung  wir  keine  Ahnung 
haben;  sie  mühen  sich,  sie  freuen  sich,  sie  machen  Qual  und  Freude  durch  und 
legen  sich  abgehetzt  oder  mit  ungestillte!-  Lebenssehnsucht  zum  ewigen  Schlafe 
nieder,  und  keine  Spur  bleibt  von  ihnen  übrig.  Und  doch  war  die  Spanne  Zeit, 
die  ihnen  gegönnt  war.  ihr  Lebensreichthum,  und  doch  waren  sie  vielleicht,  wie 
wir  mit  Ibsen  sagen  müssten.  „Stützen  der  Gesellschaff4,  freilich  ihrer  Gesell- 
schaft. „Wie  gering  ein  Mann,  wie  ich,  auch  ist.  so  bin  ieji  doch  immer  ge- 
wohnt gewesen,  als  das  Haupt  meiner  Familie  betrachtet  zu  werden.  Mein 
bescheidenes  Daheim  bildet  auch  eine  kleine  Gesellschaft.  Und  dies«'  kleine  Ge- 
sellschaft hab'  ich  nur  stützen  und  aufrecht  erhalten  können,  weil  meine  Frau 
und  meine  Kinder  an  mich  glaubten.  ..."  Diese  Worte  sind  dem  alten  Arbeiter 
Auler  in  den  Mund  gelegt.  Nur  selten  wird  uns  eine  Kunde  von  solchem  Leben, 
trotzdem  es  vielleicht  verhältnismässig  reicher  an  Inhalt  war,  als  das  vieler 
Anderer. 


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Biographie  der  Namenlosen. 


115 


Hat  ein  solches  Leben  Anspruch  auf  Beschreibung,  oder  gilt  wirklich  das 
Wort  Hebbels:  „Wenig  Menschen  haben  ein  Recht  auf  eine  Biographie"1?  Ein  Unter- 
nehmen für  biographische  Kunst  und  Forschung  wäre  bald  zu  Ende,  wenn  nur 
die  führenden  Geister,  „nur  diejenigen-  in  Betracht  kamen,  „die  bei  einer  ent- 
schiedenen Wirkung  nach  aussen  in  dem  Kreise  ihrer  Thätigkeit  keine  Gelegenheit 
fanden,  ihr  Inneres  befriedigend  und  genügend  darzulegen-.    Jedes  Menscheuleben 
verdient  eine  Erzählung,  wenn  sich  nur  der  Erzähler  Rechenschaft  giebt,  was  er 
erreichen  will.    Die  Menschen  sind  selten,  deren  Schicksale  durchaus  merkwürdig, 
durchaus  originell  sind,   und  auch  die  Leasing"' sehe  Formel:    «Er  ward  geboren, 
nahm  ein  Weib  und        starb" ,  kann   einen   Reichthum   an   interessanten  Ver- 
wickelungen umschliessen.    Eines  allerdings  steht  fest,  jede  Zeit  und  in  ihr  wieder 
jeder  Stand  hat  einen  Typus  des  Lebens,  so  dass  eine  Biographie  mit  geringen 
Modifikationen  für  viele  Menschen  passen  würde.    Diese  Gewöhnung  der  Lebens- 
führung scheint  bisher  noch  viel  zu  wenig  berücksichtigt,    Es  lässt  sich  nicht  ver- 
kennen, dass  auch  hier  der  Mode  eine  nicht  unbedeutende  Rolle   zufallt.  Wie 
verschieden   ist   z.  B.  der  Typus  einer  Dichterbiographie  im  17.,  im  18.  und  im 
19.  Jahrhundert  !    und  wie  viele  Züge  wiederholen   sich   doch   im   Leben  jedes 
Dichters,  je  nachdem  er  einem  dieser  Jahrhunderte  angehört.    Warum  fehlt  denn 
im  18.  Jahrhundert  die  „grosse  Tour11,  die  einen  Dichter  des  17.  Jahrhunderts 
in  die  Niederlande,  nach  England,  Frankreich  und  Italien  führte!    Die  Mode  ist 
eine  andere  geworden,   oder  wenn  man  lieber  will,  die  Gewöhnung.    Und  mit 
den  kleinen  Tauten  ist's  ebenso,  auch  in  ihrem  Leben  entscheidet  die  Mode. 

Ein  recht*  auffallendes  Beispiel  einer  typischen  Biographie  finden  wir  bei 
den  „ Grund wirt hen"  der  deutschen  Kolonien  in  Galizien.  Die  Söhne  erhalten  in 
der  deutschen  Privatschule,  die  jede  protestantische  Gemeinde  mit  schweren  Opfern 
errichtet,  um  ihre  Kinder  nicht  in  die  benachbarte  öffentliche  Volksschule  mit 
ruthenischer  Unterrichtssprache  schicken  zu  müssen,  bis  zum  vorgeschriebenen 
Lebensjahre  den  nöthigen  Schulunterricht,  dann  kommen  sie  nach  Lemberg  in  ein 
Gasthaus  und  steigen  nun  vom  Messerputzer  zum  Bierjungen  und  endlich  zum 
Kellner  auf.  In  dieser  Stellung  bleiben  sie  bis  zum  20.  Lebensjahre,  dienen  dann 
ihre  Zeit  meist  bei  der  Artillerie  ab  und  bringen  es  fast  immer  bis  zum  Unter- 
offizier, weil  sie  der  Landessprache,  wie  des  Deutschen  mächtig  sind,  auch 
lesen  und  schreiben  können,  dann  aber  kehren  sie  entweder  zum  Pflug  und 
Handwerk  (raeist  der  Tischlerei)  zurück,  oder  aber  sie  werden  Zahlkellner  und 
endlich  Wirthe.  Die  Mädchen  aber  suchen  einen  Dienstposten,  den  sie  treu  und 
fleissig  erfüllen,  bis  sie  heiraten.  Hier  haben  wir  einen  Typus  der  Lebensführung, 
dem  sich  aus  den  deutschen  Provinzen  kaum  etwas  vergleichen  ÜLsst.  Die  Söhne 
der  deutschen  Schulmeister  in  Galizien  dagegen  bilden  sich  in  Biclitz  wieder  zu 
deutschen  Schulmeistern  aus,  obwohl  sie  die  kümmerlichen  Verhältnisse  ihrer  Väter 
zur  Genüge  kennen  und  die  Noth  als  stete  Begleiterin  im  Leben  haben.  Warum 
diese  Gleichmässigkeit?    Die  Gewöhnung  hat  sie  mit  sich  gebracht. 

Die  Söhne  von  Beamten  pflegen  wieder  Beamte  zu  werden,  wie  früher  der 
Sohn  eines  Kaufmanns  sich  abermals  dem  Kaufmannsstande  zu  widmen  pflegte. 
Freilich  sehen  wir  allmähliche  Umgestaltungen,  ein  Streben  nach  aufwärts,  und  es 
ist  merkwürdig  genug  zu  beobachten,  wie  seit  noch  nicht  allzulanger  Zeit  dein 
Ofhzierseorps  Söhne  aus  Kreisen  zuwachsen,  die  bisher  andere  Laufbahnen  ein- 
schlugen.   Auch  hier  zeigt  die  Mode  ihre  Macht. 

Wo  wir  hiublicken,  können  wir  solche  Typen  der  Lebensführung  erkennen: 
es  wiire  wichtig,  hier  durch  reiches  Material  festen  Halt  zu  gewinnen.  Mitunter 
kommt  es  nämlich  auch  anders,  und  dann  erhalten  die  Hiogruphien  ein  weiteres 
Interesse.    Marie  von  Ebner-Eschenbach  sagt  von  dem  Helden   ihrer  tiefempfun- 

s* 

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116 


Biographische  Blatter. 


denen  Novell«*  „Nach  dem  Tode":  „In  seinem  Leben  war  Alles  anders  ge- 
wesen als  in  dein  der  meisten  seiner  Standesgenossen.  Kine  .luvend  voll  Arbeit 
und  Miiben  lag  binter  ihm.  Kr  hatte  als  Kind  die  öffentlichen  Schulen  besucht 
und  dann  eine  deutsche  Universität  bezogen."  Dieser  Bildungsgang  des  österreichischen 
Aristokraten  Paul  Sonnherg  entsprach  dem  Typus  seines  Standes  und  seiner  Zeit 
nicht,  obwohl  er  dein  Typus  anderer  Stände  gleicht.  Dafür  ging  ihm.  wie  die 
Dichterin  sagt.  ..der  Ruf  eines  Mannes  voran,  der  zu  einer  grossen  Lautliahn  be- 
stimmt sei." 

Dieser  Satz  giebt  zu  denken,  man  kann  ihn  nämlich  erweitern  und  geradezu 
behaupten,  jene  Männer  pflegen  es  am  weitesten  zu  bringen,  welche  den  Typus 
des  Lehens  in  ihrer  Zeit,  ihrem  Stande  durchbrechen  und  nach  einem  andern 
Typus  sich  entwickeln.  Man  nehme  nur  einmal  das  Leben  eines  Künstlers,  der 
etwa  aus  einer  ücnmtcnfnmilte  hervorgeht.  Auf  die  normalen  Anfänge  einer  He- 
amtenlaufhnhu  folgen  die  Kämpfe  mit  Litern  uud  Lehrern,  mit  Umgebung  und 
Tradition,  vielleicht  die  (iefahr.  einen  -verloreneu  Sohn*,  der  „es  zu  nichts 
bringen  wird",  aufwachsen  zu  sehen.  Man  voi-sucht  alles  Mögliche,  dem  Unglücks- 
menschen einen  Posten  im  Leben  zu  verschalten,  nur  das  eine  wagt  man  nicht, 
ihn  sich  seiner  Kunst  widmen  zu  lassen,  (ielingt  es  der  Kraft  schliesslich,  alle 
Hindernisse  zu  überwinden,  dann  staunt  Alles,  wie  der  Unbegabte,  als  faul  Ver- 
schriene plötzlich  der  Fleiss  und  die  Ausdauer  selber  wird  und  in  dem  neuen 
linden  überraschend  schnelle  Fortschritte  macht,  ohne  zu  wanken  arbeitet,  mit 
Lntbehruugen  sich  zum  (Jipfel  emporriugt.  Auch  diese  Ausnahmsmeiischen  zeigen 
einen  Typus  des  Lehens,  den  einmal  der  sinnige  Schweizer  Karl  Spitteier  für  den 
Dichter  entworfen  hat. 

Wir  sind  damit  aber  zu  einem  Punkte  gelangt,  wo  sich  das  Menschenleben 
mit  einem  „(iesetzc-  berührt,  das  in  der  Naturwissenschaft  bei  der  Kntstchung 
neuer  Arten  von  einzelnen  (ielehrteu  als  ruaassgebeud  angesehen  wird.  Bekannt- 
lich steht,  der  Darwinschen  „Selectionsthcorie"  die  sogenannte  .. Migrationstheorie" 
Moriz  AV  agners  gegenüber:  nach  ihr  entstehen  neue  Alten  dann,  wenn  Individuen 
unter  geänderten  Lebensbedingungen  existieren  müssen.  Man  braucht  nicht  weiter 
auf  diese  Lehre  einzugeben,  um  zu  erkennen,  wie  sehr  sie  auf  die  Biographie  passe. 
AVie  häutig  knüpfen  die  bedeutendsten  Fortschritte  nicht  au  ..zünftige"  Vertreter 
des  betreffenden  Faches  an.  sondern  an  Leute,  die  auf  anderem  tiebiete  ausge- 
bildet, in  eine  neue  Atmosphäre  veisctzt  werden;  wie  häutig  gehen  grosse  Künstler 
aus  Familien  hervor,  in  denen  der  Kunstsinn  bis  dahin  ganz  versteckt  war.  Der 
Sohn  eines  armen  Maurers  wird  ein  grosser  Dichter,  nachdem  er  in  der  .lugend 
selbst  die  Kelle  gehandhabt  bat.  Der  Sohn  eines  Offiziers  und  Hufschmiedes 
kann  seinen  Wunsch  nicht  erfüllen.  Theologe  zu  werden,  sondern  wird  zum 
.Juristen,  dann  zum  Mediziner  gepresst.  aber  er  wird  doch  einer  der  grössten 
deutschen  Dichter  und  Denker.  Dies  ist  eine  so  merkwürdige  F.rscheinung.  dass 
mau  darin  den  Zufall  wirksam  sehen  könnte,  wenn  sich  nicht  dem  tiefer  Blicken- 
den ein  auch  auf  anderen  (> ebieten  der  Natur  waltendes  (Josetz  darin  enthüllte. 
Was  den  Typus  durchbricht,  ringt  sich  zu  Neuem  empor. 

Wir  dürfen  Hebbels  Ausspruch  umkehren  und  sagen:  „Alle  Menschen 
haben  ein  Recht  auf  eine  Biographie-,  wenn  gleich  die  Biographien  von  uns 
kleinen  Leuten  einander  ähnlich  sind,  wie  ein  .Japanese  dem  andern.  Ks  ist  eine 
schöne  Aufgabe  des  Kulturhistorikcis.  diesen  Typus  des  Lebens  herauszuarbeiten. 
.Ja  es  ist  der  schönste  Beruf  dos  Dichters,  in  „dieser  Armuth  welche  Fülle"  zu 
zeigen!  Derselbe  Hebbel,  der  nur  wenigen  Menschen  das  Recht  auf  eine  Bio-- 
grapliie  zuerkennt,  hat  das  Leben,  das  alltägliche  Leben  kleiner  Menschen  zum 
Uegeiistande  seines  schönen  F.pos  ...Mutter  und   Kind"  genommen,  hat  in  „Maria 


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Biographie  der  Namenlosen. 


117 


Magdalena  u  leider  gewöhnliehe  Schicksale  gewöhnlicher  Leute  behandelt,  hat  in 
seinen  Novellen,  besonders  im  -Schnock-'.  das  typische  Leben  nicht  verschmäht. 
Wie  wunderbar  versteht  es  eine  Kbner-Eschenbach.  das  Leben  eines  armen  (Jemeinde- 
kindes  zu  erzählen,  eine  Th.  Justus,  in  die  Räume  des  Armenhauses,  in  die 
Schifferhäuschen  zu  fuhren  und  dort  das  (Jold  der  Poesie  im  alltäglichen 
Lebenslauf  der  Unbekannten,  der  grossen  Menge  aufzudecken!  Wie  hübsch  schildert 
uns  ein  K.  Reichenau  -unsere  vier  Wände-  oder  eine  Ch.  Niese  die  dänische 
Zeit  Schleswig-Holsteins ! 

Man  vergleiche  nur  einmal  den  «alten  Thurmhahn*  des  Schwaben  Eduard 
Mörike  mit  „Rothkehlehens  Neujahrs  betrarhtung"  des  Tyrolers  Anton  von 
Schullern!  Dort  das  Leben  des  protestantischen  Pfarrers,  hier  der  Tageslauf 
eines  altösterreichischen  Beamten;  in  beiden  (redichten  das  Leben  einer  jener 
Familien,  die  sich  scheinbar  durch  nichts  von  den  übrigen  unterscheiden  und  uns 
doch  zwei  Typen  verschieden  nach  Stand  und  (iegend  darstellen. 

Es  wiire  höchst  erwünscht,  wenn  das  neue  Unternehmen  für  biographische 
Forschung  solche  Tyiien  aus  den  verschiedenen  Zeiten.  Ständen  und  Gegenden  zu- 
sammenstellte und  durch  solche  Biographien  der  „Namenlosen-  dem  Völkerpsycho- 
logen reiches  Material  zuführte.*) 


IL  Aus  dein  Leben  armer  Studenten. 

Als  Obmann  eines  Wiener  Studentenuntersttttzungsvereines  hatte  ich  einmal  (ielegen- 
beit,  einen  besonders  armen  Collegen  zur  Unterstützung  zu  empfehlen.  Mir  liegt  sein  Ge- 
such noch  immer  vor,  weil  ich  mich  nicht  ents«- hl  Jessen  konnte,  dieses  bereits  zerrissene 
Aktenstück  zu  verbrennen;  es  zeichnet  einen  einfachen  Lebenslauf,  der  sich  leider  nur  zu 
oft  wiederholt    Ich  lasse  das  Wesentliche  daraus  folgen.    Der  Bittsteller  schreibt: 

»Ich  beendigte  im  Jahre  187*  meine  (lymnasialstudien  zu  Czernowitz  in  der  Buko- 
wina, und  nachdem  ich  ein  Maturitätszeugnis*  mit  der  Note  .reif'  erhalten,  ging  ich,  ob- 
wohl aller  und  jeglicher  Mittel  entblösst.  jedoch  gedrängt  vom  Streben  nach  Wissen  in 
meiner  jugendlichen  Unbesonnenheit  nach  Wien,  um  hier  das  Studium  der  Philologie  und 
Geschichte  zu  beginnen.  Mit  vier/ig  Kreuzern  nach  Wien  gekommen,  gab  mir  eine  längere 
Periode  von  Noth  und  Entbehrung  die  Gewissheit,  dass  man  von  Begeisterung  allein  nicht 
leben  könne,  und  dass  unter  solchen  Umständen  ein  so  weites  («ebiet.  wie  das  der  Philo- 
logie, sich  nicht  gehörig  und  gewissenhaft  bearbeiten  lasse.  Daher  begann  ich  auf  das 
Anrathen  vieler  Collegen  und  in  der  Hoffnung,  dass  mir  so  mehr  Zeit  bleibe  und  mehr 
Gelegenheit  geboten  sei,  auf  die  eine  oder  die  andere  Weise  meinen  Unterhalt  zu  finden, 
das  juridische  Studium.  Von»  halben  < 'ollegiengelde  für  beide  Semester  befreit,  gelang  es 
mir  durch  eine  Unterstützung,  die  ich  vom  Bukowiner  Studentenverein  erhielt,  das  Colle- 
giengeld  für  das  erste  Semester  zu  bezahlen,  im  zweiten  Semester  konnte  ich  es  jedoch 
nicht,  infolge  dessen  wurde  mir  dieses  Semester  nicht  angerechnet. 

Im  zweiten  Jahro  kehrte  ich  zun»  philologischen  Studiuni  zurück,  weil  ich  einerseits 
erwog,  dass  ich  vom  ('ollegiengelde  nicht  wieder  werde  befreit  werden,  da  ich  nicht  in  der 
Lage  war.  ('olloquienzeugnis.se  vorzulegen,  bei  der  Philologie  aber  mich  vorderhand  mit  zehn 
bis  zwölf  Stunden  begnügen  konnte,  wofür  das  Collcgiengeld  ungefähr  die  Hälfte  des  von 
den  .Juristen  zu  entrichtenden  ('ollcgiengeldes  betrog;  andererseits  auch  bedachte,  dass  das 
philologische  Studium  nebstdem,  dass  es  mein  Lieblingstudiuni  sei.  eine  weit  kürzere  Zeit 
in  Anspruch  nehme,  als  das  juridische,  zumal  ich  das  zweite  Semester  verloren  hatte,  das  erste 
mir  aber  in  das  philologische  Triennium  eingerechnet  werden  musste.  Ich  ward  demnach 
studiosus  pbilosophiae.    Aber  das  verhängnissvolle  (.'ollegienL'eld  schlug  allen  meinen  Kr- 

*>  Loredan  Larchey  hat  Ähnliches  versucht:  vgl.  Anatole  Trance.  La  vie litterai re 
(Paris.  I.  1S88):  a  propos  du  journal  des  üoncmirt  (S.  «M  ff.)  A.  d.  II. 


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Biographische  Blatter. 


wägungen  ein  Schnippchen:  so  gering  es  war:  ich  konnte  es  nicht  erschwingen;  wieder  war 
ein  Semester  vorbei,  ohne  das«  ich  irgendwie  vorwärts  gekommen  wäre. 

Zwei  Semester  waren  verloren !  Ich  gehörte  durch  zwei  Semester  hintereinander  dem 
Verbände  der  Universität  nicht  an.  musste  daher  erst  durch  neuerliche  Immatrikulation  das 
akademische  Bürgen-echt  erwerben,  was  mitten  im  Jahre  nicht  recht  anging,  was  ich  aber 
auch  nicht  anstrebte,  weil  ich  wohl  einsah,  das«  ich,  der  ich  heute  nicht  wusste.  wie  ich 
morgen  leben  werde,  das  ('ollegiengeld  als  etwas  Unerreichbares  betrachten  müsse. 

So  waren  anderthalb  Jahre  verstrichen,  ohne  dass  ich  in  die  Lage  kam,  irgendwie 
geistig  thätig  zu  sein,  anderthalb  Jahre,  in  denen  ich  mich  mit  einer  gewissen  Consequenz 
im  Hungern  übte,  in  denen  ich  gleichsam  zur  Ergänzung  des  Ganzen  mehrmals  erkrankte. 

Unter  solchen  Auspizien  begann  das  vierte  Halbjahr.  In  diesem  erging  es  mir.  so 
unglaublich  es  auch  scheinen  mag,  bedeutend  besser:  ich  wurde  endlich  emstlich  krank, 
musste  ins  Spital  transportirt  werden  und  brachte  daselbst  zwei  Monate  zu,  während  welcher 
ich  mich  endlich  doch  auch  ausruhen  konnte  von  den  furchtbaren  Strapazen,  die  mir  Xoth 
und  Elend  auferlegt  hatten:  zwei  Monate,  in  welchen  ich  fortwährend  hoffen  konnte,  dass 
ich  endlich  ein  Leben  voll  Noth,  Elend  und,  was  wohl  am  meisten  drückte.  Nichtsthun  be- 
endigen werde!  Vollkommene  liuhe  winkte  mir.  aber  ich  wurde  nach  zwei  Monaten  als 
—  geheilt  entlassen!  (.tanz  schwach,  ohne  Kreuzer  Geld,  in  defekter  Kleidung,  was  wohl 
die  Ursache  war,  dass  ich  schon  früher  keine  Beschäftigung  erhalten  konnte,  blieb  mir 
scheinbar  nichts  übrig,  als  meine  Todeshoffnungen  durch  eigenes  Zuthun  zu  realisiren.  Der 
Schein  hat  jedoch  getrogen,  ich  fand  rechtzeitig  einen  anderen  und  besseren  Ausweg.  Ich 
erinnerte  mich,  dass  dem  damaligen  Deean.  Herrn  Professor  Dr.  S.,  viel  Güte  und  Menschen- 
freundlichkeit nachgesagt  werde,  ich  beschloss  daher,  den  letzten  Versuch  zu  machen  und 
mich  an  ihn  zu  wenden.  Und  siehe  da,  ich  täuschte  mich  nicht,  das  erste  Mal,  dass  meine 
Hoffnungen  mich  nicht  im  Sticho  Hessen! 

Dieser  edle  Menschenfreund  befürwortete,  nachdem  ich  mich  bei  dem  gegenwärtigen 
Decan,  Herrn  Professor  Dr.  H.,  einer  kleinen  Prüfung  aus  dem  Lateinischen  und  Griechischen 
unterzogen  und  dieser  ausgesagt  hatte,  dass  ich  in  beiden  Sprachen  so  viele  Kenntnisse 
habe,  um  das  philologische  Studium  beginnen  und  mit  Erfolg  betreiben  zu  künnen,  ein  Ge- 
such an  das  Unterrichtsministerium  um  eine  ausserordentliche  Unterstützung  sehr  warm.  Ich 
erhielt  binnen  zehn  Tagen  eine  Unterstützung  von  fünfzig  Gulden.  Mit  wanner  Freund- 
lichkeit benachrichtigte  mich  Herr  Prof.  S.  hiervon,  ermahnte  mich,  die  Summe  für  das 
('ollegiengeld,  das  ich  im  nächsten  Semester  zu  bezahlen  hatte,  bei  Seite  zu  legen,  damit 
ich  dann,  wenn  ich  tolloquirt  haben  würde,  eine  Staatssubvention  erhalten  könnte. 

Und  wie  ein  einziger  Sonnenstrahl  auch  einen  grösseren  Kaum  zu  erleuchten  und  zu 
erwännen  vennng.  so  machte  dieser  edle  Zug  eines  edlen  Mannes  mein  durch  die  frostige 
Außenwelt  fast  erstarrtes  Herz  wärmer  und  freudiger  dem  Leben  entgegenschlagen.  Ijebe 
und  lerne  und  werde  ein  tüchtiger  Mann  und  zeige  denen,  die  dir  Gutes  gethan,  dass  sie 
ihre  Güte  nicht  an  einen  Unwürdigen  verschwendet  haben.  Das  sagte  ich  mir  damals  und 
sage  mir's  noch,  und  so  will  ich  es  auch  halten. 

Von  den  mir  angewiesenen  fünfzig  Gulden  legte  ich  siebzehn  bei  Seite,  schaffte  mir 
etwas  Kleidung  und  lebte  mit  dem  Beste  und  mit  einigen  kleinen  Verdiensten  über  die 
Ferien.  Mit  Anfang  dieses  Schuljahres  inskribirte  ich  mich,  erlegte  sogleich  das  ("ollegien- 
geld. studirte  tieissig  und  schien  in  ein  halbwegs  ruhigeres  Fahrwasser  gelangt  zu  sein. 
Aber  das  Schiffchen  schlug  noch  einmal  um,  ich  ward  wieder  ins  allgemeine  Krankenhaus 
gebracht  das  ich  erst,  nach  einer  scehswüehentlichen  Krankheit  verliess.  Aber  nicht  mit 
schwarzen  Gedanken  gt>h*  ich  umher,  wie  im  vorigen  Jahre,  denn  ich  habe  die  glänzende 
Seite  des  menschlichen  Herzens  kennen  gelernt,  und  ich  hoffe  vertrauend  auf  weitere  Unter- 
stützung, die  es  mir  möglich  machen  soll,  drei  oder  nur  dritthalb  Monate  zu  leben,  auf  dass 
ich  studiren,  colloquircn  und  endlich  eine  stündige  Subvention  erhalten  könnte." 

Mündlich  ereiinzte  der  Student  noch  das  Ganze  durch  seine  Fr/ühlungen.  von  denen 


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Anzeigen. 


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mir  einiges  im  Gedächtnis  geblieben  ist.  Er  kam  nach  Wien  mit  vierzig  Kreuzern,  aber 
auch  mit  grosser  Zuversicht,  hatte  er  sich  doch  bisher  in  Czcrnowitz  mit  .Stundengeben  er- 
halten, führte  er  doch  eine  Reihe  von  Empfehlungsbriefen  mit  sich,  die  ihm  einer  seiner 
Uzernowitzer  Lehrer  mitgegeben  hatte.  Zum  ersten  Mal  war  er  nun  in  der  grossen  Stadt, 
die  ihn  verwirrte.  Ungewandt  und  unerfahren,  wie  er  war,  glaubte  er.  seine  Empfehlungs- 
briefe sofort  abgeben  und  daraufhin  augenblicklich  Unterhalt  finden  zu  können.  Aber  er 
traf  die  Adressaten  nicht  gleich  an,  nur  Wenige  versprachen  dem  etwas  linkisch  aussehenden 
jungen  Menschen  ihre  Hilfe,  eigentlich  that  keiner  etwas  Hechtes  für  ihn.  Nun  begann 
die  Suche  nach  Lektionen.  Auch  hier  ging  es  nicht  leicht,  er  bekam  nur  ganz  schlecht  be- 
zahlte, von  deren  Ertrag  er  sich  nicht  zu  erhalten  vermochte,  trotzdem  er  fast  nur  trockenes 
Brot  ass  und  auch  das  nicht  immer  in  ausreichendem  Masse.  So  viel  ich  weiss,  hat  er  die 
Noth  auch  nicht  aushalten  können,  sondern  ist  bald  nach  der  günstigen  Wendung  seines 
Schicksals  gestorben. 

Das  ist  die  Biographie  oines  Namenlosen. 

ANZEJJGEN. 

Anton  Ritter  von  Hrhmerlinff.   Episoden  aus  seinem  Leben.  1835,  1848  1849. 

Von  Alfred  Kitter  von  Arneth.  Mit  zwei  Heliogravüren.  Prag  und  Wien.  F.  Tempsky. 

1895.    XII  u.  :m  S. 

Eine  Biographie  Schmerlings,  verfasst  von  einem,  der  ihn  kannte,  der  mit  ihm  lebte, 
vielleicht  auch  mit  ihm  handelte,  wäre  ein  sehr  erwünschtes  Buch.  Arneth  trug  sich  einen 
Augenblick  mit  dem  Oedanken,  diese  Biographie  zu  schreiben.  Dann  aber  bedachte  er  sich, 
es  sei  noch  zu  früh  dazu,  sie  würde  nicht  objektiv  genug  ausfallen,  auch  seien  ihm  zu 
wenig  Materialien  -  was  der  belehrte  Materialien  nennt.  Dokumente,  Akten  —  zugäng- 
lich. Und  so  erzählt  er  denn  nur  zwei  Episoden  aus  dem  Leben  Schmeiling's.  für  die  ihm, 
auch  nach  seiner  strengen  Ansicht,  (Quellen  genug  zur  Verfügung  standen.  Er  erzählt  sie 
sehr  einfach,  sehr  klar,  sehr  objektiv  —  so  objektiv,  dass  er  sich  selber  auch  dort  nicht 
einmengt,  wo  sein  eigener  Lebensweg  sich  mit  dem  seines  Helden  kreuzte.  Strenge  be- 
folgt er  das  erste  Gesetz  des  höheren  Stils:  alles  Überflüssige  wegzulassen  und  nur  zu 
sagen,  was  zum  Gegenstand  gehört.  Nirgends  geräth  der  ruhige  Fluss  der  Erzählung  in 
leidenschaftliche  Bewegung,  wohl  aber  hält  er  öfters  wie  in  sinnender  Betrachtung  inne, 
wenn  sich  aus  Gegenwärtigem  Zukünftiges  vorzubereiten  scheint  und  bedeutsame  Züge  des 
Werdenden  die  spätere  Vollendung  errathen  lassen. 

Die  Theorie  vom  Milieu  zu  illustriren,  ist  Schmerling  s  Lebensgesehichto  nicht  ge- 
eignet. Aus  der  österreichischen  Beamtenschaft  des  Vormärz  ist  er  hervorgegangen ,  sein 
Vater  reicht  in  die  der  josephinischen  Periode  hinauf;  einen  Anton  Albrecht  von  Schmer- 
ling finden  wir  schon  1708  als  Hofkammerrath  und  Sekretarius.  Dieser  Lebenskrois 
umschloss  gewiss  ehrenhafte,  tüchtige,  pflichtgetreue  Männer  genug,  aber  Selbstständigkeit 
im  Handeln  zu  erzeugen,  war  er  nicht  geeignet.  Und  dann  gehörte  Schmerling  einer 
ständischen  Körperschaft  des  alten  Oesterreich  an,  den  niederösterreichischen  Landständen. 
Wohl  regten  sich  da  in  den  zehn  Jahren  vor  der  Revolution  Keime  des  Widerstands  gegen 
die  verrottete  Ordnung  des  Staates,  und  guter  Willen,  Hand  an  eine  Reform  zu  legen, 
war  auch  vorhanden.  Aber  eine  .Schule  für  werdende  Staatsmänner  wird  man  die  nieder- 
österreichischen  Landstände  doch  nicht  nennen  wollen.  Und  von  da,  aus  diesem  engen 
Kreis,  wo  kaum  frei  zu  reden,  geschweige  denn  frei  zu  handeln  gestattet  war,  tritt  Schmer- 
ling auf  einen  fremden  Schauplatz,  unter  fremde  Menschen;  hier  genügt  es  nicht,  tüchtige 
Beamtenarbeit  zu  thun  oder  über  Keforniplanen  ruhig  zu  brüten;  hier  gilt  es  Verworrenes 
zu  schlichten.  Widerstrebende  zu  gewinnen.  Drohende  zurückzuweisen,  vor  dem  Kntschluss 
nicht  zu  scheuen,  der  den  Streit  der  Geister  in  einen  Streit  der  Watten  wandelt.  Und 


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120  Biographische  Blätter. 

i 

Schmerling  behauptet  sich,  l>ewährt  sich  auf  diesem  Schauplatz,  vor  solchen  Aufgaben. 
End  nicht  durch  Leidenschaft,  nicht  in  Aufwallungen  eines  heissen  Blutes,  sondern  kühl 
und  besonnen,  .vor  Schürfe  starrend",  verächtlich,  gleichgültig,  wo  ungestüme  (iegner  ihm 
Zugeständnisse  ertrotzen,  ihn  durch  Schmähuniren  einschüchtern  wollen.  Da  offenbart  sieh 
einmal  wieder  das  (Jeheimniss  der  Persönlichkeit  :  er  hat  es  nirgends  «relernt,  er  konnte  sich 
nirgends  vorbereiten  —  über  Nacht  musste  er  es  können  oder  ablassen  von»  Werk.  Und 
so  wie  sein  erstes  Auftreten  auf  der  Bühne  der  Welt  war  —  sicher,  frei,  stolz  —  so  auch 
sein  Abgang.  Ein  herrischer  .Minister  glaubt  ihn.  der  gar  wohl  weiss,  wie  viel  er  geleistet, 
wie  sehr  er  sich  um  das  weitere  und  entere  Vaterland  verdient  gemacht  hat.  als  willen- 
loses Beamtenwerkzeug  wieder  brauchen  zu  können,  als  die  Stunde  der  (Jefahr  vorüber  ist 
und  die  (icspenster  der  Revolution  fernali  ziehen.  Aber  Schmerling  widerstrebt,  er  entsagt 
einer  glänzenden  Stelle,  um  in  die  Dunkelheit  seiner  früheren  Jahre  zurückzukehren;  er 
opfert  ein  Amt.  das  dreissigtausond  (iulden  jährlich  eintrug,  um  bich  mit  einem  von  drei- 
tausend zu  bescheiden.  Hier  musste  sich  die  ruhige  Darstellung  des  Biographen  freilich 
einen  Augenblick  zu  poetischem  Schwünge  erheben:  „.  .  .  es  muthet  wie  der  Anblick 
quellendurchrieselter  Matten,  wie  das  Athmen  würziger  Waldluft  einen  aus  öder  Sandwüst« 
Kommenden  an.  wenn  man  aus  der  Reihe  diplomatischer  Alltagsmenschen  Einen  sich 
emporheben  sieht,  der  nicht  nur  eigene  l  berzeugung  hegt,  sondern  auch,  um  ihnen  treu 
zu  bleilien  und  seine  Ehre  zu  wahren,  den  äusseren  Vortheilen  einer  glanzvollen  Stellung 
in  raschem  und  selbstlosem  Entschlüsse  entsagt.  .  .  .* 

Die  Episode  von  is.ir>  eigentlich  1  *:?.">  1S40  enthält  die  „Idylle  von  Scbmer- 
ling's  kurzer  Ehe".  Auch  hier  erkennen  wir  etwas  Eigenartiges  in  ihm:  noch  in  jungen 
Jahren,  im  Bräutigams-  und  Elitterwochenglück  ein  maassvolles  Wesen,  einen  gereiften  Heist. 
In  der  geliebten  Erau  bewundert  er  nicht  nur  „den  zartesten  Sinn,  das  höchste  (iefUhl  für  Kunst, 
tiefe  Empfindung  und  treueste  Liebe",  sondern  auch  „ruhige  Haltung  und  verständiges  Wesen"  ; 
in  „noch  grünender  Liebe"  ist  er  ihr  zugleich  auch  ..der  treueste  Freund".  Der  Tod  schied  sie 
von  ihm,  da  er  kaum  fünfunddreissig  Jahre  zählte,  aber  er  dachte  niemals  daran,  ihr  ein« 
Nachfolgerin  zu  geben,  dreiundfünfzig  Jahre  hat  er  noch  einsam  in  ihrem  Andenken  gelebt. 

Höchst  erwünscht  sind  die  zwei  Heliogravüren,  die  das  Buch  Arneth's  schmücken: 
die  eine  stellt  Schmerling  dar.  wie  er  etwa  in  den  vierziger  Jahren  war,  die  andere 
1 'auline.  seine  (icmnhlin.  Wir  brauchen  es  nicht  zu  sagen:  gute  Portrait*  unterstützen 
unendlich  das  Verständnis*  biographischer  Werke.  So  manches,  was  der  Biograph  nicht 
ausspricht,  nicht  auszusprechen  vermag  oder  nicht  aussprechen  will,  erkennen  wir  da  auf 
einen  Blick.  Dieses  Bild  von  Schmerling,  und  wir  sehen  ihn  auf  der  Tribüne  der  Pauls- 
kirche  um  so  viel  deutlicher  als  in  Laubes  ausführlicher  Schilderung;  dieses  Bild  von 
Pauline.  und  sie  steht  lebendiger  vor  uns,  als  die  gute  Karoline  Pichler  sie  uns  mit  ihren 
beredtesten  Worten  zu  zeigen  vermochte.  Eugen  (Juglia. 

MUnchener  KUnstler-Nekrologe.  Der  neueste  Kcchenschafts-Bericht  des  Münchener 
Kunstvereins  bringt  kurze  biographische  Erinneruniren  an  die  im  Jahre  IS!  14  verstorbenen  Künstler. 
Diese  sind:  Franz  Amling  (geb.  IS'iJ  zu  Trier,  gest.  2*.  August  1S94  zu  Sehleissheim  bei 
München),  welcher  das  Soldatenleben  im  Krieg  und  Frieden  und  ausserdem  auch  allerlei 
Staatsaktionen  und  Szenen  aus  dem  Sport-  und  Volkstreiben  schilderte:  dann  der  durch  viel- 
seitige und  grossartige  Schöpfungen  berühmte  Bruno  Piglhein  (geb.  19.  Februar  1*48  zu 
Hamburg,  gest.  IT».  Juli  1*!>4  zu  München),  dessen  vielgefeiertes  „Kundgemälde  von  Jeru- 
salem" am  '27.  April  lS'J'2  zu  Wien  verbrannte:  der  Kupfersteeher  (Jeorg  ( Joldberg  (geb. 
1*2.  Mai  IS:  10  zu  Nürnberg,  gest.  '2*>.  Juli  1*!*4  zu  München),  welcher  sowohl  durch  seine 
Karton-  wie  Farbenstiche  (nach  Vautier.  Kur/.l>auer.  (Iriitzner  u.  s.  w.l  als  feinfühliger 
Künstler  sich  bewahrte;  der  heitere  Eduard  Enger  (geb.  4.  Februar  1*.">:1  zu  Hofheim 
in  l'nterfranken,  gest.  4.  August  1*!»4  zu  Oberaudorf),  der  erst  als  Landschaftsmaler, 
dann  aber  insbesondere  als  Illustrator  durch  seine  putzigen  Amoretten,  lustigen  Zwerge 
und    Heinzelmännchen,   mit  einer   Enzahl    von    Kopfbogen    und  Zierleisten   einen  vor- 


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121 


zöglicben  Namen  errang.  Dazu  kommt  der  Landschaftsmaler  Graf  Stanislaus  von 
Kalckreutb,  ( yeb.  24.  Dezember  1821  zu  Kozmin  in  Tosen),  welcher,  erst  ein  Schüler  von 
Krause  und  Schirmer  in  Düsseldorf  und  Karlsruhe  seine  idealen  Bilder  malte,  dann  einem 
ehrenvollen  Hufe  nach  Weimar  folgend  daselbst  1860  die  Kunstschule  gründete  und  als 
Direktor  und  Lehrer  bis  1876  wirkte,  endlich  aber  nach  München  übersiedelte  und  bis  zu 
seinem  am  25.  November  1804  erfolgten  Ablel>en  als  unermüdlicher  Maler  auf  neuen 
Wegen  sich  möglichst  zeitgemäss  in  der  Technik  förderte  und  weiter  bildete.  Nachträglich 
beigegeben  ist  eino  biographische  Skizze  üher  den  Historienmaler  Christian  Heinrich 
Burekhardt  (geb.  16.  April  1824  zu  Kisfeld  in  Thüringen,  gest.  14.  September  181i:{  zu 
München),  welcher  seine  eigenen,  meistenteils  biblischen  Kompositionen  in  Glasgemäldon 
zur  Ausführung  brachte,  die  nach  der  Schweiz,  nach  Krankreich.  Kngland.  Amerika,  sogar 
räch  China  gingen  und  ihrem  Meister  und  Schöpfer  durch  ihre  sorgfältige  Ausführung  und 
harmonisch-kräftige  Farbenstimmung  viele  Khrenauszcichnungcn  erwarben.  H.Holland. 

bm.  Südfranzösisches  Bauernleben  schildert  als  Autobiograph  ein  Schützling  von  A 1  p  h  o  n s e 
Daudet  in  der  heimischen  Mundart:  Batisto  Bonnet:  Un  paysan  du  midi.  Traduction 
et  presentation  par  Alphonse  Daudet.  Taris.  Dentu  o.  J.  (Daudets  Vorrede,  ist  vom 
1.  Oktober  1894).  Der  erste  vorliegende  Band  bringt  Kinder-Kindrucke  (Vie  denfant». 
Zwei  Folgebände  Le  valet  de  forme  und  Le  pacan  de  Paris  werden  angekündigt. 
Bonnet  der  heute  die  Mitte  der  Vierzig  übersehritten  hat.  ist  in  der  ('legend  von  Bellegarde, 
zwischen  Nimes  und  Beaucaire  geboren;  bis  zu  seinem  20.  Jahre  schlug  er  sich  als  Hirt 
und  Bauernknecht  durch;  dann  musste  er  Soldat  werden,  der  fünf  Jahre  in  Algier  diente. 
Den  Abschied  in  der  Tasche,  kehrte  er  wieder  in  die  Heimath  zurück,  als  Säemann  und 
Pflüger.  den  erst  das  Jahr  Siebzig  wieder  unter  die  Waffen  rief.  Während  der  Belagerung 
von  Paris  verwundet  bleibt  er  nach  dem  Friedensschluss  in  der  Hauptstadt,  in  der  er  sich 
schlecht  und  recht  durchschlägt.  „Geschmeidig,  findig,  zu  allem  nur  nicht  zum  Aufgeben 
seines  provenzalischen  Accentes  —  geschickt,  vertreibt  er  Wein.  Ol,  Bücher".  Kr  verliebt 
sich,  heirathet  und  sucht  seine  sehr  mangelhaften,  daheim  und  in  der  Kegimentsschulc  ge- 
sammelten Kenntnisse  zu  ergänzen.  Sein  Lehrer,  ein  kleiner  Journalist  aus  der  Lands- 
mannschaft, giebt  ihm  Mistrals  „Mireille"  zu  lesen.  Diesem  Wink  und  diesem  Vorbild  hat 
es  Bonnet  nach  seinem  eigenen  Bekenntnis  zu  danken.  d*ss  er  es  wagte,  in  der  Mundart 
seiner  Kinder-  und  Jünglings- Jahre  die  Kindrücke  seiner  Frühzeit  aufzuzeichnen.  «Der  erste 
Band,  Vie  d'enfant,  den  ich"  so  schreibt  Daudet  —  „mit  Henri  Ner  übersetzt  habe, 
vergegenwärtigt  in  einer  Keihe  von  Bildern  und  Kpisoden  das  Leben  eines  Kleinbauern  mit 
all  seinen  Plagen.  Mühen  und  Freuden:  schlicht  und  wahr,  kindlich,  nicht  kindisch,  ab  und 
an  von  einer  Milde  und  Grösse,  die  uns  ergreift,  wie  ein  Blatt  des  Evangeliums."  „Im 
Gegensatz  zu  den  trostlosen  grossstädtisehen  Souvenirs  d'enfance  von  Jules  Valles' 
Doppelgänger  Jacques  Vingtras.  wirken  Bonnet's  bitterste  Krlebnisse  erquicklich:  ein 
doppelter  Regenbogen  von  Güte  und  Zärtlichkeit  spannt  sich  von  der  ersten  bis  zur  letzten 
Seite  seines  Buches,  allen  Jammer  der  Wirklichkeit  verklärend."  Und  weiter:  „ein  Bauern- 
tolpatscb,  der  Sohn  von  Bauemkerlen,  der  mit  solcher  Achtung  und  Rührung  von  seinem  Vater 
und  seiner  Mutter  spricht,  fahrt  uns  weitab  von  den  wilden  Bestien  in  Zolas  „Terre".  Und 
dennoch  sind  die  Bauern  Bonnets  ebenso  wahr,  wie  die  Bauern  Zolas.  Kr  hat  sie  nur  unter 
andern  Breitegraden  (nicht  nur  der  Geographie)  gewählt:  Bonnets  Weltansicht  ist  von  der 
Zolas  grundverschieden.  Kr  wuchs  mit  sieben  Geschwistern  in  der  Hütte  eines  Tagelöhners 
auf.  der,  wenn's  gut  ging,  Abends  40  Sous  heimbrachte  und  aus  so  trübseligen  Verhältnissen 
ging1  dies  Buch  des  Frohsinns  und  der  Zuversicht  hervor."  Bonnets  Sprache  preist  Daudet 
als  saftige  Prosa,  geschöpft  aus  dem  Urquell  der  Mundart,  reich  an  urwüchsigen  Aus- 
drücken, frei  von  Alterthümelei  und  Künstelei,  une  prose.  quo  Mistral  seul.  peut-etre 
encore  Charles  Kieu,  l'humble  terrassier  du  Paradou  auraient  ete  capable 
d'ecrire.  l'un  plus  lyriquement,  l'autre  avec  moins  de  seve  et  d'abondance.  Aus 
dem  Ertrag  dieser  ländlichen  Trilogie  will  Daudet  seinem  Musterbauern  ein  Gütchen  in 


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1 22 


Biographische  Blatter. 


der  Provence  kaufen,  auf  dein  dieser  tagsüber  schanzen,  abends  schreiben  soll.  So  lieb- 
lich das  klingt,  glaubhaft  wird  diese  andere  Idylle  erst  sein,  wenn  sie  Jahr  und  Tag  ge- 
wahrt haben  wird.  Sachliches  Frtheil  über  Beiz  und  Werth  von  Bonnetö  Autobiographie 
verschieben  wir  bis  nach  der  Veröffentlichung  der  angekündigten  Bände:  dann  wollen  wir 
sie  an  dem  „armen  Mann  im  Tockenburg",  an  Gotthelfs  „Uli"  und  Hoscggers  ,.Als  ich 
jung  noch  war"  messen.  *  * 

Baum-Noth  zwingt  uns.  eingehenden  Bericht  Uber  wichtigere  Neuigkeiten  der 
französischen  Biographik  auf  eine  s}>ätere  Nummer  zu  versparen.  Einstweilen  genüge  der 
Hinweis  auf  das  (1887  in  der  Bcvue  internationale  erschienene,  nun  von  derselben 
feinen,  doch  leider  mitunter  zimperlichen  Damenhand,  1).  Melegari,  in  Buchform  heraus- 
gegebene)  Journal  intime  de  Benjamin  Constant  (Baris,  Ollendorff.  1895).  Nur 
Überschätzung  preist  es  als  le  plus  beau  document  humain  du  siecle;  als  bedeutenden 
Beitrug  zur  Charakteristik  dieser  merkwürdigen  Persönlichkeit  als  werthvolles  Zeugniss  für 
C.'s  Verkehr  mit  (ioethe,  Schiller,  Herder,  dem  Kreis  der  Stael.  der  Uecamier,  als  un- 
ersetzliche Urkunde  zur  Vorgeschichte  des  Adolphe  wird  man  den  reichhaltigen,  mit 
Familien-  und  Freundesbriefen.  Bildnissen  und  Schriftproben  ausgestatteten  Band  dankbar 
willkommen  heissen.  Neue  Aufschlüsse  über  Merimee  giebt  Augustin  Filon's  an- 
inuthig  geschriebenes,  anekdotenreiches  Buch  Merimee  et  ses  umis  avec  une  bibliographic  des 
oeuvres  completes  de  Merimee  par  le  vicomte  de  Spoelberch  de  Lovenjoul  (  Paris.  Hachetto, 
1*94).  Gefördert  durch  Mittheilungen  ungedruckter  Briefwechsel  Merimee 's  (zumal  mit  der 
(iräfin  Montijo  1839 — 1870  und  seinem  Jugendfreund  Albert  Stapfer  1825—70)  war  der 
Verfasser  auch  durch  seine  Vertrauensstellung  am  Hofe  Napoleons  III.  in  der  Lage,  manche 
Eiirenheiten  und  Heimlichkeiten  Meriniee's  zu  erfahren,  deren  Offenbarung  dem  (von  Tarne 
in  einem  Meister-Essay  mit  Becht  als  Charakter  gerühmten)  Mann  zu  neuer  Ehre  gereicht 
Ein  abschliessendes  Werk  über  Merimee  hat  Filon  nicht  gegeben,  wohl  auch  nicht  geben 
wollen:  seine  litterarischen  l'rthcile  zumal  sind  mitunter  gar  zu  weltmännisch.  Der 
Heimgang  von  Benan  und  Taine  erinnert  wieder  einmal  daran,  dass  die  Stunde  nach 
Sonnenuntergang  am  kühlsten  ist  oder  scheint.  Der  Autor  der  Origines  du  christia- 
nisme  beginnt  merklich  im  Ansehen  seiner  Landsleute  zu  sinken.  Vogue's  Losungswort: 
oeuvre  de  Mr.  Henau  souffrira  peut-etre  une  longue  eclipse  sucht  der  Professor 
der  Philosophie  an  der  Pariser  Faculte  des  lettre*.  Gabriel  Seaillcs,  in  einem  Essai 
de  biographie  psy chologiq ue  zu  erhärten:  Krnest  Henan.  (lief,  hat  das  bereits  in 
zweiter  Auflage  bei  Perrin  &  Cie.  erschienene  Buch  in  der  Beil.  zur  Allg.  Ztg.  1895, 
9.  Febr..  No.  ,*W  angezeigt.)  Taine's  „Derniers  essais*  (Paris,  Hachette,  1894)  haben 
nicht  so  viel  Glück  gehabt  wie  Seailles'  Untersuchung,  und  doch  zahlt  dieser  dem  Maler 
Bonnat  gewidmete  Nachlassband  nicht  nur  zuui  Besten,  was  Taine  je  geschrieben:  die 
letzten  Essais  bieten  auch  dein  Biographen  (den  wir  baldigst  in  Octave  Greard  zu  begrüssen 
hoffen)  sehr  bezeichnende  .Selbstbekenntnisse.  Seiner  Kindhoits-Findrücke  gedenkt  Taine  in 
dem  Krinnerungsblatt  Les  Ardennes,  Hinblick  in  seine  Studentenzeit  und  in  die  Mitarbeit 
an  der  Vie  parisienne  gewährt  der  Versuch  über  Marcelin:  seinen  Beziehungen  zum 
Journal  des  Debats  dankt  die  französische  Litteratur  die  einzigen  Bildnisse  von  Sacy 
und  Kduard  Bertin.  Das  Bedeutendste,  was  seit  Taine's  Tod  über  ihn  gesagt  wurde  Albert 
So  reis'  Hede  auf  seinen  Vorgänger  in  der  französischen  Akademie  -  werden  die 
Biographischen  Blätter  nächstens  mit  Genehmigung  des  Verfassers  unverkürzt  wiedergeben- 

Kine  Heihe  bemerkenswerther  deutscher  Autobiographien  sind  im  vorigen  Jahre  er- 
schienen. Selbsterkenntnisse  im  eigentlichen,  strengen  Wortsinn,  wie  Gcrvinus'  bisher 
noch  nicht  genugsam  gewürdigtes  Werk;  Arneth's  gehalt-  und  geschmackvolle  Denkwürdig- 
keiten „Aus  meinem  Leben";  Hanslick's,  Friedrich  Pocht's  und  Pietsch  feuilleto- 
nistische  Plaudereien:  Uoquette's  reichhaltige  Hiickblicke  »Siebzig  Jahre";  Ebers'  und 
Da  hn's  Mittheilungen:  Moleschot  t 's  Confession  -  Für  meine  Freunde"  u.  A.m..  von  denen 


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Biographische  Bibliographie. 


123 


in  den  Bio«r.  Bl.  noch  die  Hede  sein  soll.  Genrehaft  hübsch  sind  Heinrich  Seidels 
Kinder-  und  Lehrjahre  geschildert  in  dem  Bündchen  „Von  Perlin  nach  Berlin",  und  aller- 
hand neue,  stets  willkommene  Idyllen  und  Grotesken  aus  seiner  unerschöpflichen  Knaben- 
zeit  bescheert  Boseggcr  in  dem  Sammelband  „Als  ich  jung  noch  war". 

c8>  


biographische  Bibliographie  1894. 

Zusammengestellt  von  VlOTOR  Hantzsoh  (Dresden). 

I.  Deutschland. 


Januar  bii 

Acta  martvrum  et  sanctorum.    Svriace  ed. 

Bedjan.  *  T.  IV.  XV.  66S.     Paris.  Lpz.. 

Harrassowitz. 
Thiel«-,  Und.,  Ernst  Moritz  Arndt  Sein 

Leben    und   Arbeiten    für  Deutschlands 

Freiheit,  Ehre.  Einheit  und  Grösse.  VI1.210. 

Gütersloh.  Bertelsmann. 
Steiir.  IL.  und  Grimm.  H..  Achim  v.  Arnim 

und  die  ihm  nahe  standen.    B.  I.  IX,  :i70. 

Stg..  Gott». 
Irmer.  G..  Hans  Georg  V.  Arnim.  Lebens- 
bild eines  prot.  Feldherrn  u.  Staatsmannes  a. 

d.  Zeit  d.  30jähr.  Krieges.   XII.  397.  Lp/.., 

H  irzel. 

Born  hak.  F..  Kaiserin  Auguste  Viktoria 
(Neue  Volksbücher  II.  4)  IUI).  Berl..  Ev. 
Vereinsbuchh. 

Bruder.  S..  Aurelii  Augustini  confessiones. 
Ed.  ster.  (.'and.  Tauchnttii.     Lpz.,  Bnnlt. 

Pestalozzi-Wiser.  U..  Leben  des  Malers 
und  Schriftstellers  Auguste  Bachelin.  Neu- 
jahrsblatt d.  Künstlergesellschaft  in  Zürich. 

Die  ehrwürdige  Dienerin  Gottes  Magdalena 
Sophia  Birat  .Stifterin  der  Gesellschaft  d. 
heiligsten  Herzens  Jesu.  Ein  Lebensabriss. 
4K    |je<rensb..  Pustet. 

Werchshagen.  C,  Michael  Baumgarten,  ein 
tbeol.  Gharakter  f.  unsere  Zeit.  2l>.  Berl.. 
Wiegandt. 

Martens.  A.,  Nachruf  auf  .1.  Bauschinger. 

München.  Ackermann. 
Wolff.  M.  v..  Leben  und  Werke  d.  Antonio 

Beccadelll    genannt  Panormita.    VII.  l)S. 

Lpz..  Seemann. 
1 1  i  p  1  e  r .  F..  Geheimrath  Joseph  Bender.  Ein 

Lebensbild.    23.    Breunsberg.  Huye. 
Kiepert.  A..  Zum  70.  Geburtstage  Rudolf 

v.  Bennigsens.    144.    Hann..  Meyer. 
Schreck.  F..  Kudolf  V.Bennigsen.  Ein  lebens- 

gescbichtl.  Charakterbild.  f)0.  Hann.,  Ost. 
Butler.  I'..  Abt  Berchtold  v.  Falkcnstein. 

1244-1272.  63.  St.  Gallen.  Huber  &  Co. 
Ball  mann,  d.  histor.  Götz  v.  Berlichingen. 

I^uellcnstudie.    44.    Berl.,  Gärtner. 
Lüning.  O.,  Hector  Berlioz.    24.  Zürich, 

F'äsi  &  Beer. 
Ii  i  n  ir  h  o  1  z ,  ( )..  der  selige  Markgraf  Bernhard 

v.  Baden.    VI.  93.    Freih..  lienler. 
Aus  dem  Leben  Theodor  v.  Bernhardis.  Lpz.. 

Hirzel.    Theil  1-3. 


Juni  1894. 

Allg.  deutsche  Biographie.  B.  .'Mi,  4SI  71)0; 
37.  1    4SU.    Lpz.,  Duncker  «Sc  Humblot. 

B I  u  in.  1 1 ..  Fürst  Bismarck  u.  s.  Zeit.  1.11  alb- 
band.   München,  Beck. 

Lowe.  Gh..  Fürst  Bismarck.  Deutsch  v. 
Alb.  Witte.    31T>.    Lpz.,  Wigand. 

Kohut.  A.,  Fürst  Bismarck  u.  d.  Frauen. 

1. V).    Berl..  Stibn. 

Fürst  Bismarck,  Leben  und  Wirken.  4SI}. 

Lpz..  Henger. 
Furre.  K..  Francis  Bociow.  Neujahrsblatt 

d.  Künstlergesellschaft  in  Zürich. 
Traub.   G..    Bonifatius.     Ein  Lebensbild. 

VII,  223.    Lpz..  Buchh.  d.  Ev.  Bundes. 
Poschinger,  H.  v.,  Lothar  Buchers  Leben 

und  Werke.    B.  1—3.    Berl.,  Heymann. 
Huppenbauer,  I)..  Karl  Buck.    Ein  afrik. 

Missionslcben.    2.  A.  4S.    Basel.  Missions- 

buchh. 

Gabriele  v.  Bulow,    Tochter  Wilhelms  v. 

Humboldt.    Ein  Lebensbild.    3.  Aufl.  XI, 

Ö72.    Berl.,  Mittler  &  Sohn. 
Zabel.  F..  Hans  v.  BfilOW.    Gedenkblütter  a. 

seinen  letzten  Lebensjahren,    öii.  Hb«,'., 

Gräfe  &  Sillem. 
Brugsch,  IL.  Mein  Leben  und  mein  Wandern. 

2.  Aufl.  396.  Beil..  Verein  f.  deutsche 
Litteratur. 

Thelemann.  O..  Calvins  Leben.  3.  Aufl. 
104.    Bannen.  Traktates. 

Zahn.  A..  Studien  über  Johs.  Calvin.  VII, 
111).    Gütersloh.  Bertelsmann. 

Fröhlich.  F..  Lebensbilder  berühmter  Feld- 
hemm d.  Alterthums.  I.  Die  Homer. 
2.  Heft  :  Gajus  Julius  Cäsar.  UM).  Zürich, 
Schulthess. 

Knörich.  W.,  Kim,«-  Charles  the  First  von 
David  Hume.  ( Knglish  Authors  Lfg.  04.) 
XVI.  173,21.  Bielef.,  Velhagen  &  Klasing. 

Der  h.  Petrus  Claver,  Apostel  der  Neger- 
sklaven. (Kath.  Fluirschr.  z.  Wehr  u.  Lehr. 
IL  8;?.)    f)2.    Beil..  Germania. 

Josaphet,  1)..  D.  h.  Papst  Cölestin  V. 
IV,  71.    Fulda.  Actiendruckerei. 

Thiergen.  O.,  Lord  Clive  by  Thomas  Ba- 
bington Macaulay.  ( Fnglisk  Authors  Lfg.  f>2.) 
138.    Bielef..  Velhagen  &  Klasing. 

Conrad,  G.,  Wahl-Fahrten.  Erinnerungen  a.  m. 
Reichstags- Kandidatenzeit.  114.  München, 
Albert  &  Co. 


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124 


Biographische  Blätter. 


Branscheid,  I'..  Lebensbild  von  Charles 
Dickens.    Pro«rr.  17.  Meininjren. 

Meier.  Karl  Wilhelm  v.  Dieskau.  (52.  Herl., 
Fiscnschmidt. 

Breyniann.  H..  Friedrich  Diez,  s.  Leben  u. 
Wirken.    f>4.    Lp/..  Deiehert  Nacht*. 

Förster.  W..  Freundesbriefe  von  Friedrich 

Diez,    Projrr.  .{5.  Bonn. 
Tick.  A..  Professor  .lakob  Dominikus,  der 

Freund  des  Coadjutors  v.  Dalberg  Samm- 

liinir  iremeinverstandhVher  wiss.  Vortrage. 

lieft  1SJI,  44.    Hamh<r..  Verlajrsanst. 

Pa.se h.  K..  Kdmund  Dorer.  Hin  Lebens-  u. 
Charakterbild.    47.    Wien.  Austria. 

Herbert.  L..  Heinrich  Dorie,  ein  kon>anischer 
Mürtyrer.  A.  d.  Fntrl.  v.  11.  Hut»ei1.  HKl. 
Steyl.  Missionsdruckerei. 

Merkle,  .f..  Se<renswerthe  Wirksamkeit 
durch  4  <  Jenerationcn.  4  Lebensbilder  i.  Vor- 
trügen:  Dorothea,  Herzogin  v.  Wilrtembir., 
Maria  Feodorowna.  Kaiserin  v.  Kussland. 
Katharina  Powlowna.  Ol^a  Nikolajewna. 
Königinnen  v.  Würtemberjr.  M».  St  «f., 
.Malcomes. 

Hindrichs.  K. .  Fr.  Wilh.  Dörpfeld.  Sein 

Leben  und  Wirken  u.  s.  Schriften.  P2S. 

Gütersloh,  Bertelsmann. 
Ca thi an.  Freiherr  Karl  Fried r.  Drais  von 

Sauerbronn,  «frossh.  Forstmeister  u.  Prof. 

d.  Mechanik,  und  das  zweiachsige  Dreirad. 

Hl.    Karlsr..  Bielefeld. 
Iken.  F.,  I).  Wirksamkeit  d.  Pastor  Dulon 

in  Bremen.  (1H4S    .Vi.)  IV.  4*.  Bremen. 

Heinsius  Nachf. 
Disselhoff.  .F..  Albreiht  Dürer,  Luthers 

Freund  u.  Mitstreiter.   2.  A.  2S.  Kaise'rs- 

werth.  Diakonissenanstalt. 
Weher.  A..  Albrecht  Dürer.    Sein  Leben, 

Wirken  und  (ilauben.    IV.  ll.">.  Iteirens- 

bury.  Pustet. 
Eckart,  lt.,  (iesch.  d.  Familie  Eckart.  XI, 

VIII.  :fc>0.  Nörten. 
C.  de   Klpidio  Janctschek.  O.  S.  A., 

NccroIo<ria  patrum  et  fratum  ( Minis  Eremi- 

tarum  calceat  S.  Auirustini  in  vicariatu 

Moraviae  ab  a.    I ;«}.*{    1SSK  defutu  torum. 

:«>.  Brünn.  Winiker. 
Ohorn.  A..   Herzog  Ernst  I.  von  Sachsen- 

Koburir-(Jotha.    Hin  Lebensbild.    VI.  2W. 

Lp/..  Kenner. 
Das  Alfred  Escher- Denkmal.    Bericht  der 

Centnilkommission   nebst  Beitrügen  zu  e. 

Biüfjr.  v.  Dr.  A.  K.  III.  IM.  Zürich.  Müller. 
Vulpinus.  Th..  der  lateinische  Dichter  .lohs. 

Fabricius  Montanus   l.V>7    (>(».    <  Beitr.  z. 

Landes-  und  Volkskunde  von  FJsass- Loth- 
ringen.»   Heft  IS.  27.    Strasshir..  Heitz. 
Schnyder.   Aloys  Feldmann.  Kunstmaler. 

Neujahrsblatt  der  Künstleive>ellsrhaft  in 

Zürich. 

Wir/..  C..  Knnio  Filonardi,  d.  letzt«»  Nuntius 
t.  Zürich.    V.  114.    Zürich.  Füsi  &  Heer. 

Hermann.  W..  I).  Johann  Forster,  d.  Henne- 
hcrirische  Reformator.    (  Neue  Heitr.  z.  »be- 


schichte d.  deutschen  Alterthums.   H.  1'2.) 
VIII.  4(iS.  1P2.  Meininjren. 
Secberjr,  lt..  Franz  Ueno.  Iteinhold  v.  Frank. 
Hin  (iedenkblatt.  24.    Lp/...  Dörfrlinir  & 
Franke. 

Mayer.  C,  Benjamin  Franklins  Auto- 
hiojrraphv.  IX.  1">2.  ( Kn<rlish  Authors 
Lfir.  4S.'>  Hielef..  Vclha-ren  &  Klasimr. 

Edle  Frauen.  Acht  Frauenbilder  m.  Vorwort 
v.  It.  Itoehnll.    Fiberfeld.  HUdeker. 

Prejrer.  K..  Pankraz  v.  Freyberg  auf  Hohen- 
aschau, e.  bair.  Kdelmann  a.  d.  Refy.eit. 
(Sehr.  d.  V.  f.  Itefireschichte.»  Heft  4t). 
"il).    Halle.  Niemeyer. 

Dittrich.  Prinz  Friedrich  Aujrust.  Her/oy 
zu  Sachsen.    "»4.  Itathenow.  Balienzien. 
j  Friedrich   Kuyon.    Herzojr  v.  Würtemherir. 
4S.    Herl..  Fiscnschmidt. 

Frensdorf  f.   F..   Briefe   Könijr  Friedrich 
Wilhelms  I.  v.  Preussen  an  Hermann  Itein- 
hold Pauli.    *»S.    (iöttimren.  Dieterich. 
|  A.  Fritzen,  Bischof  v.  Strassbunr.  Hin  Lebens- 
bild.   P2.    Reircnsb.,  Pustet. 
,  (2  am  per.  D..  Otto  Frölicher.    Neujahi  sblatt 

d.  Künstlertresellschaft  in  Zürich. 
I  I).  sei.  Leopr.  v.  Gaiche  a.  d.  Franziskaner- 
onlen.    IV,  IIS.    Innsbr..  Itauch. 

v.  Braunmühl,  TJalileo  Galilei.  (Samml. 
pop.  Sehr.,  hir.  v.  d.  (Gesellschaft  l'rania. 
2">.     Beil..  Paetel. 

v.  Wö rz,  (!.,  Johann  Gänsbacher.  ">7.  Inns- 
bruck. Wajrner. 

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:M>.    Meininiron.  Eye. 

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21.  Bern. 

Schreck.  F..  Lebensbilder  aus  Hannover- 
land. 2.  Heihe:  Karl  GÖdeke.  Ludwig 
Harms,  Joh.  Hch.  Schüren.  Fr.  Kohlrausch. 
Joh.  Fr.  Wilh.  Jerusalem,  Fürst  Karl  Auir. 
v.  Hardenberg.    Hann.,  Ost. 

(irimm,  IL.  Goethe.  f>.  A.  XXVI.  542. 
Berk.  Besser. 

Prem,  M..  Goethe.    2.  A.  474.  Lp/...  Fock. 

v.  Küirelgen.  W.,  Rudolf  Grau.  e.  akad. 
ZeiiL'e  d.  luth.  Kirche.  11).  München.  Beck. 

Truxa,  M..  4  Decennien  Arzt,  Menschen- 
freund. Schriftsteller  u.  Patriot,  Oedenk- 
hlütter  /..  40j.  Doktorjubilüum  d.  Med.-Dr. 
Alois  Gruber.   2.  A.  öl).  Wien. 

William  Barstov  v.  Günther.  Kin  Lebensbild. 
IS.   Posen.  Jolowicz. 

K  a  i  se r .  C,  Gustav  Adolf.  Kin  christl.  Helden- 
leben.  SD.   Bielef..  Velhayen  &  Klasiny. 

ltoir«j-e.  B.,   Gustav  Adolf- Büchlein.  IHK 

WitN'nliL'..  Hcrrosö. 
v.  StenL'lin.  F..  Gustav  Adolf,  Köniir  v. 

Schweden.     (Neue   Volksbücher  H.  Vi). 

HD.    Berk.  Kv.  Vereinsbuehh. 
Hase,  K.  v..   Ideale  u.  Irrthümer.  Ju-j-end- 

erinneruniren.     ">.   A.     IX.   2.&0.  Lpz. 

Breitkopf. 


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Mendhoim.  M..  Hauffs  Leben  u.  Werke. 
Lp/...  Jiihlioirr.  Institut. 

«iilhne.  F..  Studien  über  Job.  Peter  Hebel. 
."»4.   Würz!«..  Stuber. 

SrhiiMiiann.  Tb..  Viktor  Hehn.  Kin  Lebens- 
bild.   VIII.  :Ms.  St ir..  Cotta. 

IManek.  M..  Heinrich  Hudolf  Hertz.  2.!. 

Lp/...  Harth. 
Fache,  o..  Max  Hirsch.    Fin  Bild  s.  Löbens 

ii.  Wirkens.  'Iii.  Bremerhaven.  Tienken. 

Ohorn.  A..  Andreas  Hofer.  (Sammlung  v'«'- 
meinnütziirer  Vorträge,  Urft  1S2.»  1">. 
Pray.  Hiirpfer. 

Hoffmann  v.  Fallersleben.  Mein  Leben.  In 
verkürzter  Form  h«r.  u.  bis  zu  d.  Dichter* 
Tod«-  fortgeführt  v.  H.  <;  ersten  he  rsr.  Bd.  2. 
VIII.  4-.il».    Merlin.  Fontane  &  Co. 

.1.  Lippcrt.  2'>.lahre  des  Streitens  f.  Volks- 
bildung, .loset'  Holzamer.  (Sammlung  ire- 
nteinriiitzitrcr  Vorträge.  11.  isä.  lsfj.)  ;16. 
Pia-.  Hiirpfer. 

Humboldt,  W.  v..  Briefe  an  (ieorjr  Heimich 
Ludwig  Nieolovius.  hir.  v.  U.  Hayn».  XI. 
14«».   Herl..  Felbcr. 

Mann.  IL.  Ludw.  S.  Jacoby,  d.  1.  Prediger 
d.  bisch.  Methodistenkirche  v.  Deutschland 
u.  d.  Schweiz.  XL  'IIA.  Bremen.  Traktat- 
haus. 

Schn1*,..'iss.  F.  (5..  Friedr.  Ludw.  lahn. 
Sein  Leben  u.  s.  Bodciituny.  Preistrekr. 
Arlteit.  i  Bettolhcim.  Ocistesholden  (Füh- 
rende Deister).  It.  7.)  VII.  10S.  Herl.. 
Krn-t  llofmann  &  Co. 

«Jebhardt.  lt..  Deutscher  Kaiser-Saal,  (losch, 
d.  deutschen  Kaiser  in  Biographien.  2.  l*t. 
Lfir.    Sty..  l'nion. 

Fromm.  F.. .  Iiiunanuel  Kant  u.  die  preiiss. 
Censnr.  Neb>t  kleineren  Beitr.  '/.  Lebens- 
ye-»ehichte  Kants.     Hamb..  Voss. 

C a  r  I  s  ri  n .  Köniy  Karls XII. eiyenhandiye  I triefe. 

Auf.      deutsche     Plicrs.     v.    F.  Mewius. 
XL  VI  II.  4.V..   Iterl..  Ueinier. 
« i ra ii  1 .  IL.  Fritz  August  v.  Kaulbach.  20. 
Wien. 

Itaecht  nid.  .1..    liottlried   Kellers  Leben. 

Seine  Briefe  u.  Tayebüehcr.    lt.  2.  VII. 

."44.    Herl..  Hesser. 
Schäfter.  <;..  Adolf  Kolding,  der  «Jesellen- 

vat"r.  :t.  A.  VIII.  'VW.  I 'aderb..  Schüninyh. 
Krevenbcrir.  <i..   Karl  Theodor  Körner. 

Kin  Lebens-   u.  Charakterbild.    2.  A.  V. 

71.    Dresden.  Khlerniann. 
Michels.  F..  Theodor  Körner.    ir,.  Kl)-. 

Hartuny. 

/im tner.    IL.   Theodor  Körners  Leben  und 

Werke.  «Meyers  Volksbücher  Nr.  UKW). 
Somoyyi.  F..  Ludwiy  Kossuth.    Sein  Leben 

u.  Wirken.    I\'.  214.   Lp/...  Wigand. 
Deyenkolb.  IL.  Jobs.  Fmil  Kuntze.  11. 

Lpz..  Hossbcry. 
Seraphim.  A..  Kur-Liv- Fstländor  auf  d. 

Cniveis.  Köniysltenr.  Hiya. 


Biblioyraphie.  125 

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Charakterbild.  A.  V1L  100.  Lp/.., 
Jtarsdorl'. 

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Lebensbild  /..  A.  Centenarium  s.  Todestayes. 
77.   München.  Lentner. 

Hautr.  F..  Aus  dem  Lavaterschen  Kreise. 
Proirr.  IN'.  60.  Schatfh. 

Wilkens,  A..  .lenny  Lind.  Fin  Cäcilienbild 
a.  d.  cvany.  Kirche.  66.  Cütcrslob.  Bertels- 
mann. 

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Stifters  d.  < lesellschaft  Jesu.  In  neuer 
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Wien.  Mayer. 
,  <  i  u  <:  I  i  a .  F.. .  Kaiserin  Maria  Ludovica  von 
Oesterreirh.  (Oesterr.  Bibliothek  B.  :t.)  XI, 
HM».  Wien.  (Milser. 
Dilirskron.  <"..  Lehm  d.  sei.  (Jerard  Majella, 
Profoss  u.  Laienbruders  d.  Conyreyation  d. 
allerh.  Filoscrs.  .;.  A.  VIII.  ">i>4.  Dülmen, 
Laumann. 

Prölss.  |{„  Küniyin  Maria  Antoinette.  Bilder 

a.  ihrem  Leben.    III.  244.    Lpz.,  Boissner. 
Fürst.  IL.  Auyust  < iott lieb  Meissner.  Line 

Daist,  s.  Lebens  ii.  s.  Sehr.  m.  (Quollen- 

unter>uc|iutiiren.  XV.  :l."»6.  Sty..  <  Wischen. 
Schllfer.   IL.   Philipp  Melanchthons  Leben, 

a.   d.   Quellen    daryestellt.     VIII.  2SS. 

<  J  iitersloh.  Bertelsmann. 
Keiner.    .1..    Franz    Anton   Mesmer  aus 

Schwalten.  Fntdecker  d.  thierischen  Mayne- 

tisinu-..  Krf. 
(irimm.   IL.   Leben  Michelangelos.  VIII, 

470.   IV.    171.     Her!..  Hess,.,-. 

Mitscherlich,  Kilhard.  Frinnerunyen.    V,  26. 

Beil..  Mittler. 
.Hilms.  M..  IVl,ln.ai>.hal]  Mottke.  I.Theil: 

Lehr-    und    Wander  jähre.    ( ( Jeisteshelden 

|  Führende  «!eister|.  Itd.  10.  11.)  XVI.  2">1. 

Beil..  Frnst  llolmann  \  Co. 
Thomas  Morus,  Lordkanzler  v.  Fnyland.  Fin 

kl.  Lebensbild  d.  irros-en  Mannes.  trezeich- 

net  v.  e.  Priester  d.  Fizdüi-eso  Köln.  Steyl. 
v.  Miilinen.  W..  Bitter  Kaspar  v.  MÜlinen. 

Neujahr.-blatt  d.  bist.  Vereins  v.  Bern. 
Müllensiefen.    P. .    Julius  Müllensiefen, 

weil.  Prodi ycr  an  St..  Marien   in  Berlin. 

.51.    Halle.  Strien. 
Niyyli.  A..  Karl  Munzinger.  Biographien 

schweizeiiseher  Tonkiinstler.    2.\  Zürich, 

Hu- 

Fbelin-.  A..  Napoleon  III.  u.sein  Hof.   Bd.  :t. 

2.  A.  :is4.   Köln.  Ahn. 
v.    II  i'iissuii.     M..     d.     Kaiserl.  Prinz. 

(Napoleon  IV.)  XVI.ÖLS.  Au-sb..  Beichel. 


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126  Riocrmphi 

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Andreas -Salome.  L..  Friedrich  Nietzsche 
in  s.  Werken.  V.  203.  Wien,  Konegen. 

Franz  Nissel.  Mein  Leben.  Selbstbiographie, 
Tagebuchblatter  u.  Briefe.  V,  310.  Stg., 
Cotta. 

N  onnen  mache  r,  F..  die  h.  Ottilia,  Schutz- 
patronin d.  Elsasses.  VII,  76.  Strassb., 
Le  Koux. 

Kahl  bäum.  A.,  Theophrastus  Paracelsus 

70.  Basel.  Schwabe. 
Altherr,  A.,  Theodor  Parker  i.  s.  Leben  u. 

Wirken.  IX,  404.  St.  Gallen,  Wirth  &  Co. 
Krebs.  A.,  Kurze  Lebensgesch.  d.  Dieners 

Gottes  P.  Joseph  Passerat,  VIII.  124. 

Dülmen,  Laumann. 
PelHco,  S.,  Meine  Kerkerhaft.    Lpz.,  Bib- 

liogr.  Institut    (Mevers  Volksbücher  Nr. 

10:U    0. ) 

Pfau,  F..  Krinnerungen  e.  Buchhändlers.  70. 

Lpz.,  Pfau. 
Keller.  .1.,  Michael  Traugott  Pfeiffer,  der 

Musiker.  Dichter  u.  Erzieher.    IV,  139. 

Krauen  fei  d,  Huber. 
Albrecht.  K.,  .loh.  Georg  Pfranger.  Sein 

Leben  u.  s.  Werke.    Progr.  28.  Wismar. 

Pirogow,  .7.,  Lebensfragen.  Tagebuch  e.  alten 
Arztes.  (Bibliothek  russ.  Denkwürdigkeiten 
B.  3.)  IX,  500.  Stg..  Cotta. 

J.  v.  M.,  Zur  Erinnerung  an  den  Landrath 
Josia-s  v.  Plüskow  auf  Kowalz.  15.  Lud- 
wigslust, Hinstorft*. 

Plutarchs  Biographien.  Deutsch  v.  E.  Eyth. 
10.  u.  20.  Lfg.  3.  A.  Beil..  Langenscheidt. 

Handmann,  It..  Pakianada  Pülleis  Selbst- 
biographie (Palmzweige  a.  d.  ostind.  Mis- 
sionsfelde  Nr.  8.)  3.  A.  21.  Lpz.,  Nau- 
mann. 

Ledderhose,  F.,  Lebensbild  Dr.  Johann 
Jakob  Rambachs.    Basel,  Jäger  &  Kolter. 

Pawlicki,  S.,  Leben  u.  Sehr.  Ernest 
RenaiM.   53.  Wien,  St.  Norbert  u*. 

Albrecht.  Adam  Ries  u.  d.  Entwickelung 
unserer  Bechenkunst.  (Sammlung  gemein- 
nütziger Vorträge  II.  184.)  18.  Prag, 
Härpfer. 

Panzer,  F.,  Meister  Rumzlants  Leben  u. 

Dichten.   Diss.  7(5.   Lpz.,  Kock. 
D  i  s  s  e  1  Ii  o  f  f.  J.,  Ernst  Rietschel,  der  Schöpfer 

d.  Lutherdenkmals.    2.  A.  72  S.  Kaisers- 

werth. 

Gedenkschrift  an  d.  50.  Geburtstag  Peter 
Rosegger8.    111.    Graz.  Lcykam. 

Wahner,  .1..  Dichtung  u.  Leben  «I.  Minne- 
sangers Budolf  v.  Rotenburg.  Diss.  114. 
Greifsw. 

Vogt.  Th..  J.  J.  Rousseaus  Biographie  <  Bib- 
liothek plidag.  Klassiker  B.  Ol  CXX1V. 
Langensalza.  Beyer. 

Leiten  u.  Tugenden  d.  ehrwürdigen  Mutter 
Maria  Mechtilde  v.  Roziers.  Ä.  d.  Franz. 
IV.  110.    Dülmen.  Laumann. 


che  Blätter. 

:  Suppe,  C„  Friedlieb  Ferd.  Runge,  Prof.  d. 
Gewerbekunde.    15.    Oranienb.,  FreyhotF. 

I  (Prieger,  E.)  Fr.  Wilh.  Rust,  ein  Vorgänger 
Beethovens.    Köln,  Tonger. 

Jonas,  Schillers  Briefe.  Stg.,  Deutsche 
Verlagsanst. 

Müller,  E.,  Schillers  Mutter.  E.  Lebens- 
bild.   VIII.  208.    Lpz.,  Seemann. 

Johann  Heinrich  Schmölen  aus  Cassebruch. 
E.  Erstling  unter  den  hannov.  Missionaren 
in  Südafrika.  (  Kleine  Hermannsburger  Mis- 
sionsschr.  H.  0  )30.  Hermannsb..  Missions- 
buchh. 

Dübi,  H.,  2  vergessene  Berner  Gelehrte  a. 
d.  18.  Jh.  (Samuel  Schmidt  u.  Friedr.  Sam. 
Schmidt.)  Neujahrsblatt d. litt.  Gesellschaft 
in  Bern. 

Settegast,  II..  Rosalie  SchÖnfliess.  Cha- 
rakterbil»!  e.  deutschen  Frau.  34.  Lpz., 
Hesse. 

Baur,  W..  Lebensbild  d.  weil.  1.  General- 
superintendenten d.  Prov.  Sachsen  Dr.  th. 
Leop.  Schultze.    55.    Magdeb.,  Baensch. 
,  Zum  Gedächtnis  an  S.  Leopold  Schnitze.  20. 
Magdeb.,  Heinrichshofen. 
Graul,  R.,  Hans  Schwaiger,    13.  Wien. 
;  v.    (ieyso,    A..    Feldhauptmann  Siegfried 
Schweppermann.  E.  biogr.  Studie.  10.  Berl.. 
Mittler. 

Pater  August  Schynse  u.  s.  Mission?reisen 
in  Afrika.    VU1,  .'WO.  Strassb.    Le  Koux. 

Seeland,  L. ,  Erinnerungen  a.  d.  poln.  Revo- 
lution v.  1830  1.  (Bibliothek  russ.  Denk- 
würdigkeiten Bd.  2.  )  VII.  138.  stg.  Cotta. 

Seidensticker,  ()..  Prof.  an  d.  l'niv.  v.  Penn- 

sylvanien.    Ein  Lebensbild.    72.  i'hilad.. 

Schäfer  &  Koradi. 
Piltz,  F..  zur  Erinnerung  an  Ferd.  Senft  in 

Eisenach.    14.    Jena,  Mauke. 
Brandl.  A.,  Shakspere.  (Geisteshelden.  |Füh- 

rende  Geister.]    B.  8.)  VIII.  232.  Berl., 

Krnst  Hofmann  &  Co.. 
v.  Bergmann.  E..  Worte  d.  Erinnerung  an 

A.  W.  v.  Hofmann  und  Werner  v.  Siemens, 
14.    Lpz.  Vogel. 

v.  Siemens,  W.  Lebenserinnerungen.  3.  A. 
31 7. Berl.,  Springer. 

Mark scheffel.  K..  Leuthold  Siegismund. 
Sein  Leben  und  Schäften  als  Arzt.  Pädagog. 
Dichter  u.  Volksschriftsteller.  Progr.  54. 
Jena.  Mauke. 

Bolin.  \V„  Spinoza.  Ein  Kultur-  u.  Lebens- 
bild,   i Geisteshelden.    | Kührende  Geister.] 

B.  O.)  VIII.  170.  Beil..  Ernst  Hofmann.  &  Co. 
K n Ibeek.  M..<  harakteristik v.  I )aniel Spitzers 

Leben  u.  Werken.  (Spitzer.  Letzte  Wiener 
Spaziergange. )  XLV,  310.  Wien.  Litt, 
G  eselisch. 

W  i  1  h  e  I  tu  i .  H ..  Maurice  Reinhold  v.  Stern,  e. 
socialdemokr.  Dichter.  2(J.  Gütersloh. 
Bertelsmann. 

Stolz,  Alban,  Kalenderschreiber  f.  Zeit  u. 
Ewigkeit.  2.  A.  00.  Steyi.  Missions- 
druckerei. 


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Biographische  Bibliographie. 


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Schulz. 

v.  Strombeck,  H.,  50  Jahre  aus  in.  lieben. 
188.    Lpz.,  «Grunow. 

Herfurth,  F.,  G.  D.TeutSCh.  53.  Hermann- 

stadt  Krafft. 
t Thiköffer,  J.)  Jugcuderinnerungene.  deutschen 

Theologen.    V.,  278.     Bremen.  Heinsius 

Nachf. 

Nostitz-Riencek,  R.,  Kpisode  a.  d.' Leben 
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Krinnerungen  a.  d.  Knaben-  u.  Junglings- 
jahren e.  alten  Thüringer».  106.  Lpz., 
Grunow. 

Klee,  G..  Hecks  Leben  u.  Werke.  (Mevers 
Volksbücher,  Nr.  1028  9.) 

V.  Tkaiac,  G..  Jugenderinnerungen  ans  Kro- 
atien.   XV,  390.  Lpz..  Wigand. 

IMech anow,  (!.,  X.  G.  Tschernischewsky. 
K.  litt.-hi.st,  Studie.  III.  388.  St«:., 
üietz. 

Daudissin,  A.,  Peter  Ttiti.     Krlebnis.se  e. 

Schlesw.  -  holst.  Offiziers  in  Nordamerika 

1851— «1.    Altona,  Reher.    VI,  273. 
Frankel,  L..   Ludwig  Unlands  Leben  u. 

Werke  (Meyers  Volksbücher  Nr.  1038). 
Haccius,  G.,    Lebensbe.schr.   d.  Urbanus 

Rhegius.     (Rhegius,    Seelenarzenei.)  82. 

Hcnnannsburg. 
Pestalozzi  -  Wiaer,    R.,    Ijouis  August 

VeUton.     Neujahrsblatt  d.  Künstlergosell- 

scbaft  in  Zürich. 
Henschel.  A.,  Petrus  Paulus  Vergerius  (Sehr. 

f.  d.  deutsche  Volk  Nr.  20).    34.  Halle. 

Niemeycr. 

Disselhoff,  J.,  Lcbensgesch.  d.  Oberprasi- 

denten  Ludwig  v.   Vincke.    3.  A.  62. 

Kaiserswerth. 
Becher,  W..  Rudolf  Vlrchow.    K.  biogr. 

Studie.  2.  A.  IV,  110.  Berl.,  Karger. 
Kl  Iis.  A.,  1849.     Kin  gesch.  Rückblick  z. 

Rechtfertigung  Riehard  Wagners.  Deutsche 


AusgalM?  v.  Hans  v.  Wolzogen.  64.  Lpz.. 
Reinboth. 

Kngl.  K..  Alois  Walter.  Kin  Gedenkblatt. 
11.    Salzburg,  Kerber. 

Hoeber.  K.,  Fr.  Wilh.  Weber.  .  .  Leben 
u.  s.  Dichtungen.  108.  Faderb.,  SchOningh. 

Keiter.  H. .  Fr.  W.  Weber,  d.  Dichter  v. 
J)ivizehnlindon'\  4.  Aufl.  64.  Paderborn 
SchOningh. 

(Wedde.  .T.)  Wie  kam  Jobs.  Wedde  zur  So- 
zialdemokratie?   31.    Hbg.,  Grüning. 

Bofheim.  W.,  Philippine  Weiser.  K.  Schil- 
derung ihres  Lebens  u.  ihres  Charakter-. 
VI  IL.  67.    Berl.,  Lipperhcide. 

Ftth.  F..  Joh.  Rudolf  Wettstein.  Neujahrs- 
blatt, hg.  v.  d.  Gesellsch.  z.  Beförd.  d. 
G uten  u.  Gemeinnützigen.  53.  Basel. 
Reich. 

K a i  nd  1 .  F..  Franz  Adolf  Wickenhauser.  (  Der 

Buchenwald  Nr.  7.)    Czernowitz.  Pardini. 

Paulus.  N..  Johann  Wild,  e.  Mainzer  Dom- 
prediger d.  16.  Jh.    IV,  79.  Köln.  Bachem. 

Hengst,  II..  Unser  Kaiser  Wilhelm  25  Jahre 
Soldat.    79.    Berl..  Mittler. 

Meister.  Fr..  Kaiser  Wilhelm  II.  VIII. 
398.    Berl..  Ernst  Hofmann  &  Co. 


v.  S  ten gl  in.  F..  Kaiser  Wilhelm  II. 


Fahre 


Soldat.     Kleine  Soldatenbibliothek  H.  4. 
94.    Berl.,  Ev.  Vereinsbuchh. 
v.  Wi lmow.sk i,  G..   Feldbriefe  1870—71 
v.  Karl  v.  Wilmowski.    106.  Breslau.  Tre- 
wendt. 

Pruxa.  M..  Hedwig  Wolf.  K.  litt.  Frauen- 
gestalt Oesterreichs.    81.  Wien. 

Graf.  N..  Prof.  Dr.  Rudolf  Wolf  1876  93. 
41.    Bern.  Wyss. 

Schweizer,  F.,  u.  Kscher,  H„  Georg  v.Wyss. 
2  Nekrologe.  IV,  70.  Zürich.  Fäsi  & 
Beer. 

v.  Natzmer.  E..  die  Jugend  Zinzendorfs  im 

Lichte  ganz  neuer  (Quellen.  XII.  264. 
Eisenaeh.  Wilckens. 


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1-28 


Biographische  Blätter. 


Aus  dem  Stammbuch  eines  Biographen. 

I. 

Dieses  scheint  die  Hauptaufgabe  der  Biographie  zu  sein,  den  Menschen  in 
seinen  Zeit  Verhältnissen  darzustellen  und  zu  zeigen,  inwiefern  ihm  das  (ianze 
widerstrebt,  inwiefern  es  ihn  begünstigt,  wie  er  sich  eine  Welt-  und  Menschen- 
ansieht  daraus  gebildet  und  wie  er  sie.  wenn  er  Künstler.  Dichter.  Schriftsteller 
ist.  wieder  naeb  aussen  abgespiegelt.  Hierzu  wird  aber  ein  kaum  Krreichbares  ge- 
fordert, dass  nämlich  das  Individuum  sich  und  sein  .Jahrhundert  kenne,  sich,  wie- 
fern es  unter  allen  Umständen  dasselbe  geblieben,  das  .lahrhundert .  als  welches 
sowohl  den  Willigen  als  Unwilligen  mit  sieb  fortreisst,  bestimmt  und  bildet,  der- 
gestalt, dass  man  wohl  sagen  kann,  ein  .leder,  nur  zehn  .lahre  früher  oder 
später  gohoivn.  dürfte,  was  seine  eigene  Bildung  und  die  Wirkung  nach  aussen 
betrifft,  ein  ganz  Anderer  geworden  sein. 

(Joethe:  Dichtung  und  Wahrheit,  Vorwort. 

Litteratur  ist  das  Fragment  der  Fragmente;  das  Wenigste  dessen,  was  ge- 
sehah  und  gesprochen  worden,  ward  geschrieben;  vom  geschriebenen  ist  das  Wenigste 
übrig  geblieben.  Und  doch  bei  aller  Unvollstündigkeit  des  Litterarwesens  finden 
wir  tausendfältige  Wiederholung,  woraus  hervorgeht,  wie  beschränkt  des  Menschen 
(Jeist  und  Schicksal  sei.  (ioethe:  Sprüche  in  Prosa. 

 j_ 

Alle  Menschen,  von  welchem  Stande  sie  auch  seien,  die  etwas  Tugondsames 
oder  Tugendähnliches  vollbracht  haben,  sollten,  wenn  sie  sich  wahrhaft  guter  Ab- 
sichten bewusst  sind,  eigenhändig  ihr  Leben  aufsetzen,  jedoch  nicht  eher  zu  einer 
so  schönen  Unternehmung  schreiten,  als  bis  sie  das  Alter  von  vierzi?  .lahren 
erreicht  haben.  Beuvenuto  Cell ini. 

Ich  muss  sogar,  in  Hinsicht  auf  die  Krkenntniss  des  Wesens  der  Mensch- 
heit, den  Biographien,  vornehmlich  den  Autobiographien,  einen  grösseren  Werth  zu- 
gestehen, als  der  eigentlichen  (iesebiehte.  wenigstens  wie  sie  gewöhnlich  behandelt 
winl.  Theils  nämlich  sind  bei  jenen  die  Daten  richtiger  und  vollständiger  zu- 
saminenzubHiiiren.  als  bei  dieser,  teils  agiren  in  der  eigentlichen  (iesebiehte  nicht 
sowohl  Menschen,  als  Völker  und  Heere,  und  die  Einzelnen,  welche  noch  auftreten, 
erscheinen  in  so  grosser  Kntfernuiig  mit  so  vieler  Umgehung  und  so  grossem  (ie- 
folire.  dazu  verhüllt  in  steife  Staatskleider  oder  schwere  uuhiegsame  Harnische,  dass 
es  wahrlich  schwer  hält,  durch  alles  dieses  hindurch  die  menschliche  Bewegung 
zu  erkennen.  Hingegen  zeigt  das  treu  ireschildcrte  Leben  des  Kinzelnen.  in  einer 
engen  Sphäre  die  Handlungsweise  der  Menschen  in  allen  ihren  Nuancen  und  (Jo- 
stalten,  die  Trefflichkeit,  Tugeml.  ja  die  Heiligkeit  Kinzelner,  die  Verkehrtheit, 
Krbärmlichkeit.  Tücke  der  Meisten,  die  Ruchlosigkeit  Mancher.  Dabei  ist  es  ja, 
in  der  hier  allein  betrachteten  Rücksicht,  uiimlich  in  Metren"*  der  inneren  Hedeutung 
des  Krscheineiiden.  ganz  gleichgültig,  ob  die  ( iegenstände.  um  die  sich  die  Handlung 
dreht,  relativ  betrachtet.  Kleinigkeiten  oder  Wichtigkeiten,  Mauernhöfe  oder  König- 
reiche sind:  wie  ein  Kreis  von  einem  Zoll  Durchmesser  und  einer  von  10  Millionen 
Meilen  Durchmesse!-  die  selben  geometrischen  Kigenschaften  vollständig  haben,  so  sind 
die  Vorgänge  und  die  (iesebiehte  eines  Dorfes  und  die  eines  Meiches  im  Wesentlichen 
dieselben;  und  man  kajtn  am  Kinen.  wie  am  Andern,  die  Menschen  studieren  um! 
kennen  lernen.  Auch  hat  man  Unrecht  zu  meinen,  die  Autobiographien  seien  voll 
Trug  und  Verstellung.     Vielmehr  ist  das  Lügen  (obwohl  überall  möglich)  dort  viel- 


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Aus  dem  Stammbuch  eines  Biotrraphen. 


120 


leicht  schweivr  als  irgendwo.  Verstellung  bd  J»n  leichtesten  in  der  blossen  Unter- 
redung; ja.  sie  ist.  so  ]>anulox  es  klingt,  schon  in  einein  Briefe  im  Grunde  schwerer, 
weil  da  der  Mensen,  sich  selber  überlassen,  in  sich  sieht  und  nicht  nach  aussen,  das 
Fremde  und  Ferne  sich  schwer  nahe  bringt  und  den  Maassstab  des  Eindrucks  auf 
den  Andern  nicht  vor  Augen  hat  ;  dieser  Andere  dagegen,  gelassen,  in  einer  dein 
Schreiber  fremden  Stimmung,  den  Brief  Ubersieht,  zu  wiederholten  Malen  und  ver- 
schiedenen Zeiten  liest  und  so  die  verborgene  Absicht  leicht  herausfindet.  Einen 
Autor  lernt  man  auch  als  Menschen  am  leichtesten  aus  seinem  Buche  kennen, 
weil  alle  jene  Bedingungen  hier  noch  starker  und  anhaltender  wirken;  und  in 
einer  Selbstbiographie  sich  zu  verateilen,  ist  so  schwer,  dass  es  vielleicht  keine 
einzige  giebt,  die  nicht  im  Ganzen  wahrer  wäre,  als  jede  andere  geschriebene 
Geschichte.  Der  Mensch,  der  sein  Leben  aufzeichnet,  überblickt  es  im  Ganzen  und 
("i rossen,  das  Einzelne  wird  klein,  das  Nahe  entfernt  sich,  das  Ferne  kommt 
wieder  nah.  die  Rücksichten  schrumpfen  ein;  er  setzt  sich  selbst  zur  Beichte  und 
hat  sich  freiwillig  hingesetzt.  Der  Geist  der  Lüge  fasst  ihn  hier  nicht  so  leicht, 
denn  es  liegt  in  jedem  Menschen  auch  eine  Neigung  zur  Wahrheit,  die  bei  jeder 
Lüge  erst  überwältigt  werden  muss  und  die  eben  hier  eine  ungemein  starke 
Stellung  angenommen  hat.  Das  Verhältnis*  zwischen  Biographie  und  Vblkergeschichte 
lässt  sich  durch  folgendes  Gleichniss  anschaulich  machen.  Die  Geschichte  zeigt 
uns  die  Menschheit,  wie  eine  Aussicht  von  einem  hohen  Berge  die  Natur  zeigt; 
wir  sehen  Vieles  auf  ein  Mal,  weite  Strecken,  grosse  Massen,  aber  deutlich  wird 
nichts,  noch  seinem  ganzen  eigentlichen  Wesen  nach  erkennbar.  Dagegen  zeigt 
uns  das  dargestellte  Leben  des  Einzelnen  den  Menschen  so,  wie  wir  die  Natur 
erkennen,  wenn  wir  zwischen  ihren  Bäumen.  Pflanzen,  Felsen  und  Gewässern  um- 
hergehen. 

Schopenhauer:    Die  Welt  als  Wille  und  Vorstellung.  §  ;">]. 


Hab*  ich  des  Menschen  Korn  erst  untersucht. 

So  weiss  ich  auch  sein  Wollen  und  sein  Handeln. 


Biographische  Kunst. 

Kennest  du  auch  dich  selbst  und  dein  eigenes  innerstes  Schicksal? 

Prüfe  dich,  eh  du  der  Welt  deutest  ein  Menschengeschick. 

Auch  eines  sterblichen  Mannes  tiefinnerstes  ewiges  Wesen 

Auszusprechen       es  bleibt  sterblichen  Lippen  versagt. 

Sinnend  in  Schauen  vertieft,  entdeckst  du  mit  zweifelnder  Ahnung, 

Dass  er  so  liebt',  wie  er  litt,  das«  er  so  litt,  wie  er  schuf, 

Dass  er  so  schuf,  wie  er  starb       an  Werk  und  That  und  Krlebniss 

Ahnest  beglückt  du  das  Ich.  welches  dies  Lehen  beseelt. 

Jeglicher,  kannst  du  malen  dein  Schau' n  mit  innigen  Worten, 

Fühlt  es.  so  war  dieser  Mensch,  dieser  nur  einzig  allein  - 

Und  doch  muss,  so  dein  Werk  dir  gelang,  ein  jeglicher  1  lorer 

Meinen,  du  hal>est  ihm  nur  seine  Geschichte  erzählt. 

Alfred  Freiherr  von  Berger:    Gesammelte  Gedichte. 


Druck  fchler-Uerlchtl«nnif. 

Seite  58,  Zeile  7  von  oben,  liee:  Si.  Marz  171)«*  (statt  17<C>). 


Verlag:  Ernst  Holmann  k  Co.  in  Berlin.    Druck:  Felaentreff  &  Co.  in  Berlin 
Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Or.  Anton  Bettel  he  im  in  Wien. 
Unberechtigter  Abdruck  aus  «iem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt, 
übersetz  ungerechte  vorbehalten. 

Biographische  Blatter.  I.  9 

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Goethe. 


Preisgekrönte  Arbeit. 

600  Seilen  Üroasokt&v.   Mit  einem  Stahlstich. 
Von 

Dr.  Richard  JI.  Beyer, 

l'rivauiosent  a.  d.  Unlvers.  Berlin. 


.  r>roit>An<lig:o  AuHtfab»'. 

(Ausstattung  der  „GeiHteshelden".) 

M.   7,20.  Geheftet. 

M.   9.60.   Leinenband  iroth  u.  blau). 

M.  11,40.   Halbfranzband  (dunkel». 


I.  ü:iiit>fiii<lier<»  A.iiwy:»»l>o. 

M.  7.20.  6eheftet. 
M.  8,20.  Original-Leinenband 

(seeBrfln  und  bordeaurot.  mit 
Medaillon). 

M.  9.  --.   Halbfranzband  (dunkel). 

in  Subskription  auf  zusammen  6  Hände  der  Sammlung  „Oeistesholdeir  M.  1,*JU  billiger. 

Ein  Preisrichterkollegium,  bestehend  aus  Schriftsteller  Dr.  Ad.  Wilbrandt.  Kegierung.s- 
rath  Professor  Dr.  A.  K.  Sehönbach,  Schriftsteller  Dr.  Anton  Bettelhcim  u.a.,  hat  dem 
Werke  den  ersten  Preis  von  :i< MH)  Mark  zuerkannt.  Wie  aus  den  nachstehenden  Auszügen 
aus  Besprechungen  hervorgeht,  haben  die  Herren  Preisrichter  da.s  richtige  Urteil  gesprochen. 

Das  Buch  macht  seinem  Urheber  und  der  deutschen  Literaturgeschichte  Ehre.  Ks 
ist  fesselnd,  persönlich,  ohne  Manier  geschrieben,  die  Schöpfung  eines  selbständigen  Kopfes, 
einer  gewandten  Hand.  Erich  Schmidt  in  der  „Deutschen  Rundschau44. 

Line  deutsche  vollwerthige  Biographie  Goethes  gab  es  vor  dem  Erscheinen  des  Buches 
von  It.  M.  Meyer  nicht.  Alfred  Biese  im  „Deutschen  Wochenblatt44. 

....  wir  dürfen  uns  zu  einer  gelungenen  deutschen  Goethe-Biographie  Glück 
wünschen,  die  mit  Iiecht  einer  Preiskrönung  gewürdigt  worden. 

Wilhelm  Boiin  in  der  „Nation". 

In  der  genauen  Wiedergui w  des  Standes  der  Forschung  kann  sich  keine  andere 
Goethe- Biographie  mit  der  Meyerschen  messen.  Alexander  Tille  in  der  „Zukunft". 

....  ein  lebendig  und  fesselnd  geschriebenes  Buch,  das  eine  Fülle  von  Anregungen 
bietet  und  den  Leser  mehr  befriedigt,  als  irgend  eine  der  bisher  von  einem  Deutschen  ge- 
schriebenen Biographieen  des  Dichters.       Frhr.  von  Biedermann  in  der  „Leipziger  Zeitung44. 

Und  was  nun  wiederum  erfreut,  so  nimmt  des  Verfassers  Energie,  seine  Theilnahme 
nicht,  gegen  den  Schluss  hin  ab.  sondern  sie  steigert  sich.  .  .  So  sind  die  Schlusskapitel 
des  Buches  zu  ergreifenden  Beden  an  die  Nation  geworden. 

Ernst  Goetzinger  in  den  „St.  Galler  Blattern44. 

In  einer  genaueren  Besprechung  werden  wir  lest  zustellen  haben,  dass  das  Buch  keine 
der  üblichen  leichtfertigen  Kompilutionen  ist.  sondern  eine  Arbeit,  die  auf  der  Höhe  der 
Forschung  steht.  Paul  Schienther  in  der  „Vossischen  Zeitung44. 

Unter  den  populär-wissenschaftlichen  Goethe-Biographien  wird  das  Buch  für  lange 
den  ersten  Platz  behaupten,  und  Absrhnitte.  wie  der  über  das  Verhflltniss  des  <  ioetheschen 
und  Schillcrschen  Genies  zu  einander  bedeuten  eine  Klärung  und  einen  Fortschritt  der 
ästhetischen  Rrkenntniss  in  jeder  Beziehung.  Neue  Preussische  (Kreuz-)  Zeitung. 

II.  M.  Meyers  „Goethe"  erfüllt  die  Anforderungen,  die  man  an  eine  für  das  gebildete 
deutsche  Publikum  bestimmte  Biographic  unseres  grössten  Dichters  zu  stellen  berechtigt 
ist.  in  der  denkbar  glücklichsten  Weise.  Ks  ist  eine  Uicsenaufgahe.  eine  erschöpfende  Dar- 
stellung von  Goethes  Leben  und  Schaden  zu  bieten:  Meyer  ist  es  gelungen,  sie  zu  lösen. 

„Breslauer  Zeitung44. 

Ausgerüstet  mit  einer  genauen  Kenntnis*  der  Guethe-Litteratur.  hat  der  Verfasser 
in  seiner  Goethe-Biographie  weit  mehr  geboten,  als  eine  fleissige  Gelehrtenarbeit.  Wenn 
seiner  Zergliederung  der  Hauptdii  htungen  wie  der  kleineren  Schriften  Goethes  auch  durch- 
weg die  strenge  Methodik  der  Schule  Wilhelm  Scheren»  zugute  kommt,  so  bezeugt,  die 
künstlerische  Bewältigung  des  Kiesenstotfcs.  dass  der  Verfasser  durchtränkt  ist  mit  dem 
Geiste  Goethes.  „National-Zeitung"  (Berlin). 

Meyers  Werk  ist  ersichtlich  eine  durchaus  neue  und  selbständige,  als  Ergebnis*  lang- 
jähriger Studien  von  innen  heraus  erwachsene  Schöpfung  . . .  Der  Verfasser  hat  ein  lebens-  und 
ausdrucksvolles,  zu  schöner  Einheit  sich  abrundendes  Gemälde  entfaltet  und  da.s  künstlerische 
lliesenmaterial  mit  künstlerischer  Hand  auf  dem  knappen  Baum  eines  einzigen  Bandes  be- 
wältigt .. .  Jede  wichtige  Thatsaehe.  jede  bedeutsame  Wendung  im  Lebens-  und  Werdegang 
Goethes  ist  in  markigen  Strichen  geschildert,  in  ausführlicher  Charakteristik  und  kritischer 
Zergliederung  aller  Werke  die  emporsteigende  Lntwickclung  seiner  Gedankenwelt  aufgezeigt 
u.  s.  w.  Leipziger  ..Illustrierte  Zeitung". 

Verlag  von  Ernst  Hofmann  &  Co.  in  Berlin  SW.  48,  Wilhelmstr.  122. 


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Oito  v.  Bismarck  als  Abiturient. 

Von  v.  Kessel. 

(Nach  einer  Photographie  von  Loe.scher  &  Pctsch  in  Berlin.) 


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Nach  den  Bi.smarcktagen. 


130 


Nach  den  Bismarcktagen. 

Eine  biographische  Betrachtung. 

Von 

ERICH  MARCKS. 


Die  Biographischen  Blätter  haben  den  80.  Geburtstag  des  Fürsten 
Bismarek  nicht  schweigend  an  sich  vorübergehen  lassen  wollen.  Und  gewiss 
haben  sie  ihr  besonderes  Recht,  dieses  Mannes  auf  ihre  Weise  zu  gedenken 
und  ihn  für  sich  in  Anspruch  zu  nehmen:  sie  dürfen  es  wohl  empfinden 
und  ausdrücken,  wie  er  nicht  nur  der  vornehmste  Gegenstand  biographischer 
Betrachtung  ist,  den  unsere  heutige  Welt  kennt,  sondern  zudem  die  lebendige 
Rechtfertigung  biographischen  Denkens  und  Auffassens  überhaupt.  Das 
letzte  Jahrzehnt  hat  jawohl  einen  neuen  Ansturm  jener  Auflehnung  der 
fessellosen  Persönlichkeit  erlebt,  wie  sie  sich  einst  im  Sturm  und  Drange, 
in  den  Anfängen  der  Romantik,  im  jungen  Deutschland  gegen  den  Druck 
der  Regel,  der  Gesellschaft,  der  Masse  erhoben  hat.  Aber  die  Führung 
fordert,  im  innerlich  schroffen  Gegensatze  zu  diesem  Extrem,  doch  allzu 
sichtbar  der  soziale  und  sozialistische  Geist  für  sich,  der  die  Persönlichkeit 
gering  schätzt:  eine  aufstrebende  Richtung  auch  unter  den  Historikern  — 
weniger  die  Meister  sicherlich  als  die  Lehrlinge  —  erklärt  ihr  den  Krieg. 
In  diese  Kämpfe  haben  die  Bismarcktage  ihr  Wort  hineingesprochen.  Das 
Wehen  des  Genius  hat  uns  Alle  wieder  einmal  berührt:  in  seiner  einzigen 
Fülle  und  Grösse  stand  wieder  einmal  der  Mann  uns  dicht  gegenüber,  dessen 
starke  Wirkung  einem  Menschenalter  selbstverständlich  geworden  war  und 
der  nun  nur  noch  aus  der  Ferne  den  Weitergang  der  Zeiten  begleitet.  Den 
Tausenden,  deren  brausende  Liebe  ihn  überall  gefeiert  hat,  die  er  in  Weihe 
und  Glut  über  ihr  Alltagswcsen  hoch  emportnig.  ist  er  das  Symbol  einer 
unvergleichlichen  Geschichte  und  das  Symbol  ihres  Vaterlandes,  ihres  Staates 
und  ihrer  Nation;  bewnsst  oder  unbewusst  ist  er  ihnen  doch  zugleich  das 
Sinnbild  eines  heroisch  grossen  Menschenthums.  Ich  denke  mir,  dass  Kürst 
Bismarck  selbst  der  eigentlichen  Heroenverehrung  sehr  kühl  gegenübersteht: 
er  müsste  weder  der  Christ  sein,  der  er  ist,  noch  der  politische  Genius,  der 
die  Welt  der  Wirklichkeit  zu  durchschauen  und  anzupacken  gewohnt  ist 
und  der  alle  Kleinheit  und  Kleinlichkeit  menschlicher  Kämpfe  in  harten 
Jahrzehnten  immer  wieder  an  sich  und  um  sich  erfahren  hat,  wenn  er  die 
Daraonisirung  sterblicher  Menschen,  die  Konstruktion  des  schöpferischen 
Genius  nicht  ein  wenig  belächeln  sollte  als  Konstruktion,  als  mystische 
Träumerei.  Sollte  dem  so  sein  —  den  Historiker  würde  es  dennoch  nicht 
beirren.  Der  Genius  braucht  von  der  Wunderart  seines  Wesens  selber 
nichts  zu  wissen:  eine  Wirklichkeit  ist  sie  darum  doch.    Sie  soll  hier  keines- 

UioKraphische  Blatter,  f,  9* 

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131 


Biographische  Blätter. 


wegs  erörtert  werden,  etwa  gar  im  Systeme  —  das  wäre  die  Sache  des 
Vorlassers  nicht.  Nur  dieses  und  jenes  sei  es  ihm  erlaubt  in  dieser 
biographischen  Zeitschrift  andeutend  zu  berühren,  was  der  1.  April  18i)ö 
den  Zeitgenossen  Bismarcks  vor  die  Seele  rufen  konnte  und  sicherlieh  Vielen 
vor  die  Seele  gerufen  hat. 

Und  da  bleibt  es  doch  der  beherrschende  Kindruck:  wenn  noch  der 
Wiederschein  seines  Abendrothes,  wie  er  uns  heute  bestrahlt,  unser  Wesen 
zu  steigern  scheint,  wie  gewaltig  hat  erst  in  den  Stunden  ihrer  Vollkraft 
die  Sonne  dieses  Einzelnen  sein  Volk  durchglüht!  An  den  grossen  histo- 
rischen Inhalt  dieses  Lebens  ist  hier  gar  nicht  zu  erinnern:  nur  an  die 
eine  Wahrheit,  die  Alle  kennen,  wie  es  eben  «loch  Sein  Zeitalter  war.  was 
hinter  uns  liegt,  wie  doch  eben  nach  langer  und  wirrer  Vorbereitung  und 
aus  der  halben  Verzweiflung  heraus  nur  er  diese  Zeit  heran friss  und  zu 
sich  emporhob,  Iiisend  und  erlösend  und  dann  rastlos  thätig  in  allumfassender 
Arbeit,  in  Kämpfen,  deren  natürlicher  (Jegensehlag  Zorn  und  Widerstand  sein 
nuisste  und  deren  würdigende  Kritik  hier  keine  Stätte  findet,  die  aber  fast 
alle  schöpferisch  gewesen  sind  und  alle  gipfelten  in  ihm.  Über  all  den  ver- 
worrenen Kräften  hat.  seit  sie  überhaupt  an  das  volle  Licht  trat,  diese  eine, 
höchste,  persönliche  aufrecht  gestanden:  in  ihr  fand  alle  Bewegung  der 
Epoche  zuletzt  ihren  stärksten  Ausdruck,  mit  ihr  musste  sich  Alles  aus- 
einandersetzen, sie  schliesst  die  Einheitsbestrebungen  der  Vergangenheit  ab 
und  beschreitet  als  rnhrerin  die  Hahnen  neuer,  innerlicher  Aufgaben  der 
Zukunft.  Zeiten,  die  derart  ein  gewaltiger  Einzelner  überragt,  pflegen  der 
Nachwelt  in  einheitlicher  und  dämonischer  Beleuchtung  dazuliegen:  kein 
Zweifel,  dass  dereinst  auch  die  Epoche  Bismarcks  sich  ihnen  einreihen 
wird.  Wir  sind  ihr  noch  zu  nahe,  als  dass  sich  ihr  Lebensinhalt  bereits 
so  in  einfache  Können  zu  gliedern  und  der  gemeinsame  Zug  klar  auszu- 
prägen vermöchte,  und  ahnen  nur  erst,  wie  auch  in  vielen  Erscheinungen 
der  Kunst  und  des  (iedankens  die  Eigenart  und  die  Einwirkung  der  be- 
herrschenden Persönlichkeit  sich  wiederholt,  wie  dieser  harte  Lehrer  des 
Staatsbewusstseins  und  der  Staatsmacht  mitten  in  seinem  Ringen  für  die 
soziale  Idee  zugleich  auch,  durch  sein  Dasein  selber,  das  subjektive  Leben 
befruchtet  haben  muss. 

Man  hat  längst  der  Verwandtschaft  Bismarcks  mit  den  zentralen  Menschen 
früherer  Zeiten  nachgespürt.  Das  ist.  wenn  es  richtig  geübt  wird,  nichts 
weniger  als  eine  Spielerei.  Die  wechselseitige  Aufhellung  von  Vergangen- 
heit und  (legen wart,  wo  jedesmal  das  Verständniss  der  einen  durch  die, 
Kenntniss  der  anderen  gew  innt,  gilt  ja  durchaus  auch  für  die  grosse  Per- 
sönlichkeit. Wie  viel  unmittelbarer  schauen  wir.  die  wir  das  Walten  des 
Einen,  die  unwiderlegliche  Thatsache  eines  grossen  Daseins  mit  all  ihren 
erleuchtenden  Lehren  vor  Augen  gehabt  haben,  das  liild  der  Älteren,  ihrer 
Wirksamkeit  wie  ihres  Wesens!  Selbst  wo  wir  im  (iroben  nichts  Neues 
für  ihre  Auflassung  gelernt  hätten,  hat  sich  unser  Verhältniss  zu  ihnen  ver- 


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Nach  den  Bismarcktagen. 


132 


tieft  und  belebt.    Die  Geschichte  der  Geschiehtsehreibuug  und  der  Gc- 
schielrtsbetrachtung  wird  einst  davon  zu  reden  haben.  So  ist  es  ausgesprochen 
worden,  wie  Friedrichs  des  Grossen  innere  Staatspolitik,  sein  .Merkantilismus, 
erst  wieder  ganz  lebendig  begriffen  worden  ist,  seit  Bismarck  in  den 
siebziger  Jahren  seine  neue  Wirtschaftspolitik  eröffnete.    So  hat  es  sich 
angedrängt,  wie  vielfältig  die  Linien  der  späteren  Jahrzehnte  Friedrichs 
denen  der  Zeit  nach  1871  parallel  laufen,  und  man  wird  der  feineren 
Eigenthümliehkeit  der  beiden  Gewaltigen  nicht  leicht  besser  nahekommen, 
als  wenn  man  den  erstaunlichen  Ähnlichkeiten  des  greisen  Königs  und  des 
preisen  Kanzlers  und  zugleich  den  tiefen  Abweichungen   ihres  inneren 
Lebens  nachgrübt.    Ks  ist  überaus  interessant,  sich  die  Unterschiede  der 
luMung  und  Stellung,  der  Bewegungsmöglichkeit,  und  auch  der  Kmpfindungs- 
weise  zu  vergegenwärtigen,  die  zwischen  dem  gekrönten  absoluten  Könige 
und  dem  einfachen  märkischen  Edelmanne  mit  seiner  durch  die  Verhältnisse 
gebundenen  Herrschernatur  schon  durch  die  Geburt  bedingt  waren;  politisch 
und  psychologisch  wird  es  ja  eines  der  anziehendsten  Probleme  sein,  das 
dadurch  charakteristisch  beleuchtet  würde,  das  Problem  des  innerlichen  Ver- 
hältnisses dieses  (oder  auch  jedes)  majestätischen  Dieners  zu  seinem  Fürsten- 
hause.   Und  wie  überraschend  vollends  klingen  die  ersten  grossen  Aktionen, 
mit  denen  sich  die  drei  staatsmännischen  Bildner  der  preussischen  Gross- 
inaclit  in  die  europäische  Welt  eingeführt  und  in  ihr  durchgesetzt  haben, 
an  einander  an,  die  Politik  des  grossen  Kurfürsten  im  nordischen  Kriege, 
Kiedrichs  11.  in  den  schlesischen  Kriegen,  Bismarcks  in  Schleswig-Holstein! 
Man  kann  die  Anfänge  des  Mannes  hinzunehmen,  den  man  oft,  schon  von 
der  äußerlichsten  Anschauung  aus,  den  französischen  Bismarck  genannt  hat 
und  dessen  Geschichte  und  Gestalt  wirklich,  bis  in  das  Tiefere  hinein,  für 
die  unseres  Reichsgründers  überaus  fruchtbar  sein  können,  ich  meine  das 
Spiel  Richelieus  mit  den  protestantischen  Mächten  um  lG*2ö.    Es  kommt  bei 
alledem  nicht  darauf  an,  den  Einen  mit  dem  Anderen  seinem  Wert  he  nach 
abzumessen  —  obgleich  Bismarck  auch  das  vertragen  würde*)  — :  der 
Gewinn  der  Vergleichung  ist  sachlicher,  ist,  wenn  man  das  viel  missbrauchte 
Wort  benutzen  will,  wirklich  wissenschaftlicher  Art.    Und  dichter  noch  an 
den  Kern  der  Persönlichkeit  führt  es  heran,  wenn  man  mit  Bismarck  die 
im  vollsten  Sinne  germanischen  Genien  zusammenhält,   Oliver  Cromwell, 
Martin  Luther.    Wir  Deutschen  haben  das  Glück,  den  vier  Männern,  die 
uns  die  entscheidenden  Bewegungen  unserer  neueren  Geschichte  verkörpern, 
Luther,  Friedrich,  Goethe  und  Bismarck,  weit  in  die  vertraulichen  Äusse- 
rungen ihrer  Seele  hineinblicken  zu  dürfen,  wir  besitzen  die  Fülle  ihrer 
Briefe,  ihrer  Gespräche.    Und  augenscheinlich  sind  es  da  der  Bauernenkel 

*>  -Wie  denn  auch  der  grOsste  Bewunderer  des  grossen  Kimii's  nicht  wird  laugnen 
wollen,  da«*  Friedrich  als  Staatsmann  in  Bismarck  den  Mei>ter  gefunden  hat",  urtheilt  der 
Historiker  Friedrichs  (K.  Koser,  Fürst  Bismarck.  Bede.  Bonn  189*2.  S.  20».  indem  er  an 
die  Durchführung  des  Friedensprograiumes  seit  1*71  erinnert. 

9** 


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133 


Biographische  Blatter. 


und  der  Gutsherr,  die  einander  über  die  Kluft  der  Zeiten  hinweg  die  Hände 
geben  und  deren  Eigenart  am  breitesten  und  am  tiefsten  in  den  allereigensteu 
Besitz  des  germanischen  Volksthumes  hineinreicht:  nur  eben  der  englische 
]  .andedelmann  könnte  sich  ihnen  als  Dritter  zugesellen.  Ich  will  hier  nicht 
wiederholen,  was  man  von  der  ' ungetheilt  einheitlichen,  erdentsprossenen, 
grossartig  elementaren  Weise  des  Bismarekschen  Genius  oft  beobachtet  hat; 
ein  geistreicher  Historiker  hat  meinen  wollen,  um  seines  Gleichen  zu  linden, 
müsse  man  in  die  naiven  Jahrhunderte  des  hohen  Mittelalters  hinaufgreifen. 
Mir  scheint  doch  immer  Luther  der  eigentlich  Verwandteste  zu  sein.  Nicht 
im  Werke  allein  weil  Keiner  uns  so  Unvergleichliches  geschenkt  habe 
wie  sie,  weil  im  Urthcile  Uber  keinen  Dritten  sich  der  Gegensatz  der 
Geister  so  unvermeidlich  und  sichtbar  scheide;  am  meisten  in  der  Grund- 
lage der  Individualitäten  selbst.  Denn  wohl  sind  der  Verschiedenheiten 
ganz  gewiss  viele,  und  wieder  tritt  gerade,  wenn  man  die  beiden  an  einander 
erleuchtet,  jede  Besonderheit  erst  doppelt  stark  heraus,  auch  im  Persönlichsten: 
neben  dem  vornehmen  Manne,  dem  sicheren  Aristokraten,  der  auf  den  Höhen 
zu  schreiten  gewohnt  ist.  und  neben  dem  Diplomaten  des  politischen  Jahr- 
hunderts mit  seiner  schwertesscharfen  Beherrschung  jedweden  weltlichen 
Kampfesmittels,  mit  seiner  souveränen  und  durchdringenden  Erfassung  der 
Welt,  der  Macht,  der  härtesten  Wirklichkeiten,  der  knorrige  Reformator,  der 
das  theologische  Zeitalter  gebildet  und  vertreten  hat  wie  kein  anderer,  der 
die  Klugheit  dieser  Eide  so  gering  hielt  und  sie  so  wenig  erlernt  hat.  dass 
er  gerade  dann  seine  Unfähigkeit  zu  ihr  am  derbsten  an  den  Tag  legt, 
wenn  er  ,,als  ein  roher  »Sachse  und  ein  Bauer"  einmal  recht  bitter  weltklug 
sein  und  sich  „einer  guten  starken  Lüge"  vermessen  möchte.  Trotzdem 
sind  diese  zwei  Naturen  einem  und  demselben  ^iiell  entströmt.  Schöneres  ist 
nie  Uber  Martin  Luther  gesprochen  worden,  als  die  ergreifenden  Sätze  in 
H.  v.  Treitschkes  1S83 er  Gedenkrede,*)  die  in  Luther  die  Verkörperung 
..des  innersten  Wesens  seines  Volkes'*  feiern  und  die  Gegensätze  zermalmenden 
Zornes  und  einfachen  Glaubens,  hoher  Weisheit  und  schlichter  Einfalt, 
tiefsinniger  Mystik  und  strahlender  Lebenslust,  ungeschlachter  Kampfes- 
freude und  zarter  Herzensgüte,  die  Gegensätze  riesenhaft  sclbstbcwusster 
Kraft  und  selhstentäussemdcr  Demuth  in  diesem  „ungeheuren  Menschen"* 
einfach  in  dem  Bekenntniss  autlösen:  da  ist  für  uns  kein  Räthsel,  das  ist 
Blut  von  unserem  Blute.  Fast  jedes  Wort  dieser  Charakteristik  trifft 
Bismarck  zugleich.  Und  vielleicht  nirgends  wird  man  so  deutlich,  als  wenn 
man  dieses  Paar  zusammennimmt,  das  Verhältniss  der  persönlichen  Kraft 
des  höchsten  Genius  zu  den  ausserhalb  wirkenden  Kräften  der  Zeit  an- 
schauen können:  seine  naive  Selbstherrlichkeit  und  wenn  man  will.  Selbst- 
sucht, die  Durchsetzung  seiner  Persönlichkeit,  den  Emen  zum  Jubel  und 
den  Anderen  zum  Ärgcrniss:  wie  der  riesige  Einzelne  -  -  natürlich  nur 


*)  Luther  und  die  deutsche  Nation  '25  f.  (ainh  IV.  .Jahrb.  Rd.  52). 


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Nach  den  Bismarcktagen. 


134 


wenn  er  im  innerlichen  Zusammenhange,  im  Bunde  mit  den  Ideen  und 
Idealen,  den  tiefen  Bedürfnissen  der  Epoche  steht  —  auch  auf  die  Ideen 
zurückwirkt,  sie  weiterbildet,  befruchtet  oder  auch  zersetzt,  durch  die 
Macht  seines,  Daseins,  seiner  Führung.  Wie  Viele  haben  das  an  dem  Luther 
wie  der  Mannesjahre  so  der  Greisenjahre,  wie  Viele  an  dem  Bismarck  der 
letzten  Jahrzehnte  bekämpft  und  beklagt!  .Jene  zwei  aber  sind  dem  An- 
triebe ihres  Wesens  gefolgt;  sie  schweben  mit  weitgebreiteten  Flügeln  über 
dem  Volke,  dem  Zeitalter;  zu  Heil  oder  Unheil  oder  beidem  —  aber  sie 
wirken  tief  und  beherrschend  in  alles  Leben  hinein,  auch  kein  Einzelner  kann 
an  ihnen  vorbei,  Jeder  muss  mit  ihnen  abrechnen,  in  Gegnerschaft  und  Hass 
oder  in  ehrfürchtiger  Liebe.  Und  was  auch  die  Feinde  oder  die  Maassvollen 
und  die  Weisen  über  den  Sturmwind  urtheilen  mögen,  der  die  Welt  so 
erschütternd  durchbraust:  krank  und  halb  bleibt  die  Zeit  doch,  die  für  die 
grössten  Aufgaben  ihres  Lebens  den  Genius  nicht  gefunden  hat. 


Indessen  das  Alles  sind  Betrachtungen,  die  Manchem  banal,  Manchem 
phantastisch  vorkommen  mögen,  jedenfalls  nur  Hinweise  auf  allerlei  Ge- 
dankenketten, und  nicht  mehr.  Fragen  von  anderer  Art  noch  stellt  das 
Fest,  das  wir  erlebt  haben,  an  den  Historiker.  Wie  hat  die  Geschichts- 
forschung* diese  Tage  gefeiert?  Wieviel  aus  dem  unerschöpflichen  Inhalte 
dieses  achtzigjährigen  Daseins  liegt  uns  heute  bereits  in  deutlicher  Darstellung 
oder  doch  in  wohlbearbeiteten  Stoffsammlungen  vor  Augen?1) 

Natürlich:  nur  Vorläufiges  können  wir,  namentlich  auf  dem  Gebiete 
der  Darstellung,  heute  bereits  besitzen  und  fordern.  Um  Bismarck  mit 
historisch  richtigem  Augenmaasse  zu  sehen,  dazu  haben  wir  den  Kiesen 
eben  noch  zu  dicht  vor  uns,  seine  Gestalt  wie  sein  Werk  werden  sich  erst 
späteren  Geschlechtern  in  die  lange  Reihe  der  Entwickelung  regelrecht  ein- 
ordnen. Aber  wie  eine  jede  künftige  Generation  ihn  wieder  mit  anderen 
Augen  schauen,  ihn  nach  anderen  Dingen  fragen,  das  Problem  seines 
Daseins  neu  ergreifen  wird,  so  müssen  auch  wir  ihn  unvermeidlicher  Weise, 
von  unserem  heutigen  Standpunkte  her,  betrachten  und  müssen  uns  die  grosse 
Erscheinung  auch  bereits  zu  deuten  suchen.  Wir  haben  dabei  den  Vorzug  des 
unmittelbaren  Mitempfindens,  in  welchem  keine  Nachwelt,  so  viel  günstiger 
sie  sonst  auch  gestellt  sein  mag,  die  Zeitgenossen  ganz  erreicht.  Auch  dem 
späteren  Historiker  bleibt  die  zeitgenössische  Biographic  für  das  Wesen 
des  Dargestellten  und  für  das  Verhältniss  seiner  Mitwelt  zu  ihm  eine 
unersetzliche  Quelle.  An  Äusserungen  der  Mitlebenden  über  Bismarck, 
auch  an  Biographieen  wird  dieser  Historiker  nun  wahrlich  nicht  Mangel 
leiden:  aber  ein  Buch,  das  ihm  als  „die"  zeitgenössische  Darstellung  Ottos 
von  Bismarck  erscheinen  könnte,  giebt  es  meines  Wissens  bisher  noch 
nicht.    Den  grössten  Werth  von  Allem,  Avas  heute  vorliegt,  wird  ihm  viel- 


l)  Einige  Bemerkungen  bereits  in  der  .Zukunft"  vom  30.  Marz  1S!)5  (S.  620  ff) 


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J35 


Biographische  B lütter. 


leicht  Hesekicls  Buch  vom  Grafen  Bismarck  behalten,  das  den  eben  Ent- 
deckten im  Jahre  1M>9  warm  und  naiv  geschildert  hat,  und  dessen  gesegneter 
Eigenmächtigkeit  wir  die  „Bismarckbriefe"  verdanken,  bis  zum  heutigen 
Tage  unter  allen  persönlichen  Zeugnissen  dieses  reichen  und  schlichten 
Seelenlebens  das  tiefste  und  schönste:  Tausende  haben  daraus  das  gefühls- 
mäßige Verständnis*  für  das  Innere  dieser  Natur  geschöpft,  deren  dämo- 
nischer Gang  sich  ihrem  begreifenden  Verstände  so  manchmal  entzog. 
Andere  Schriften,  von  Küssler  und  Bamberger  an,  haben  Bismarck  und 
seine  Politik  immer  wieder  zu  erläutern  gesucht;  Lebensbeschreibungen  sind 
einander  gefolgt,  etwas  innerlich  Grosses  findet  sich  darunter  nicht.  Die 
umfassende  Erzählung  von  Hans  Blum  (Fürst  Bismarck  und  seine  Zeit, 
seit  1N94  erscheinend)  ist  doch  mehr  breit  als  tief  und  eigen.  Die  englische 
Darstellung  von  Charles  Lowe  (die  ich  in  der  bis  1890  geführten  Über- 
setzung von  Witte  gelesen  habe:  Fürst  Bismarck,  eine  historische  Biographie. 
Leipzig,  G.Wigand  1894  M  hat  das  Lob  sachkundiger  Kritiker  gefunden:  ich 
bedauere,  mich  ihm  bei  aller  Hochachtimg  doch  nicht  ganz  anschliessen  zu 
können.  Es  ist  ein  nüchtern  verständiges  und  dabei  wohlwollendes  Buch, 
und  als  die  Kundgebung  eines  Ausländers  dem  Deutschen  lehrreich,  aber 
weder  im  Stoffe  noch  etwa  gar  im  (-»eiste  dringt  es  tiefer,  und  für  eine 
Biographie  -  ich  denke  mit  Freuden  an  Alfred  Doves  Abhandlung  im 
eisten  Hefte  dieser  Zeitschrift  —  kann  ich  es  trotz  seines  einschränkenden 
Titels  ganz  und  gar  nicht  halten.  Die  kleinen  Festschriften  zum  80.  Geburts- 
tage -  populäre  Lebensbilder  wie  das  von  B.  Kogge  —  werden  ihren 
Zweck  gewiss  erfüllen:  hier  sind  sie  nicht  anzuführen.  H.  v.  Sybels 
„Begründung  des  deutsehen  Reiches"  hat  H.  Kohl  (in  seinem  Littcratur- 
berieht.  Bismarekjahrbuch  I,  499)  ..gleichzeitig  die  beste  Biographie 
Bismarcks"  genannt.  Lud  das  Eine,  Wesentliche  ist  an  diesem  l'rtheil 
richtig,  dass  wirklich  Sybel  zuerst  eine,  oder  auch:  die  entscheidende  Kraire 
aus  Bismarcks  bedeutsamster  Wirkenszeit  scharf  und  klar  in  s  Auge  gefasst 
hat:  die  Frage  nach  den  Absichten,  mit  denen  er  1862  sein  Ministerium 
antrat,  nach  der  eigentlichen  Natur  seiner  Staatsmannschaft.  Kam  er  mit 
fertigem  deutschem  Biogramme?  Hat  überhaupt  der  wahre  Staatsmann  ein 
genaues  Programm,  das  er  nun  durchführen  will?  Wieweit  meistert  und 
leitet  er  die  Dinge,  wieweit  folgt  er  ihnen  nur  nach?  Die  Betrachtung 
seiner  fertigen  Thaten  zeigt,  dass  er  Einen  Weg  gegangen  ist.  Musste  er 
diesen  gehen?  Wollte  er  es?  Lagen  nicht  viele  Wege  vor  ihm  und  war  er 
nicht  vielleicht  bereit,  sie  alle  zu  gehen,  je  nach  den  Ereignissen?  Hätte 
er  nicht  vielleicht  sogar  ein  anderes  Ziel,  ein  niedrigeres,  für  genügend 
erachtet,  wählend  wir  zurückschallend  jeden  seiner  früheren  Schritte  un- 
willkürlich bereits  auf  das  eine  Ziel  beziehen,  das  er  wirklich  zuletzt  er- 
reichte?   Das  sind  psychologische  Fragen,  die  über  den  einen  Fall  hinaus 

l)  Ich  >«'lif  nacht  ili-luh.  da>*  da»  Original  (..iss,j)  immerhin  woher  greift. 


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Nach  den  Bismarck  ta<.'cn. 


13«; 


für  die  allgemeine  Auffassung  des  Staatsmannes,  ja  des  Genius  über- 
haupt —  ihr  Interesse  haben;  Sybel  hat  sie  mit  meisterhafter  Feinheit 
erörtert.  Bismarck  selber  hat  es  ja  oft  abgelehnt,  dass  ein  Staatsmann  im 
Stande  sei,  die  Geschichte  zu  machen:  abzuwarten,  aufzupassen,  sie  zu 
vollziehen  sei  die  einzige  Aufgabe.  Das  hat  er  in  immer  neuen  Formen 
ausgedrückt,  am  wuchtigsten  vielleicht  in  einem  erhabenen  Bilde  ganz 
bismarckischer  Art,  das  er.  wenn  ich  recht  berichtet  bin.  einmal  im 
(iespräch  gebraucht  hat,  etwa  so:  man  kann  nicht  selber  etwas  schaffen: 
man  kann  nur  abwarten,  bis  man  den  Schritt  Gottes  durch  die  Ereignisse 
hallen  hört;  dann  vorzuspringen  und  den  Zipfel  seines  Mantels  zu  lassen 
—  das  ist  Alles.  Freilich,  so  wird  man  hinzusetzen  dürfen,  das  ist  auch 
ziemlich  viel!  Das  kann  nur,  wer  den  Schritt  Gottes  zu  hören  vermag, 
d.  h.  wer  gut  weiss,  was  er  selber  für  das  Gebot  und  Ziel  der  Dinge  hält: 
er"  muss  mit  dem  feinsten  Sinne  für  das  im  Augenblick  Mögliche  und  Not- 
wendige, und  der  Bescheidung  auf  das  Erreichbare  allezeit  zugleich  das  helle 
Bewusstsein  des  Hohen  und  Letzten,  das  er  erstrebt  —  und  somit  doch 
auch  eine  schöpferische  Geistesart  verbinden.  Desshalb  wird  die  streitende 
und  prüfende  Forschung  nicht  aufhören,  doch  stets  wieder  die  letzten  Ge- 
danken des  grossen  Staatsmannes  zu  suchen,  und  jede  vertiefte  Kcnntniss 
seines  ganzen  Wesens  und  seiner  ganzen  Entwickelung  wird  doch  immer 
wieder  die  Fragen  auch  für  die  Deutung  seiner  einzelnen  Bestrebungen  und 
seiner  einzelnen  Thaten  neuer  und  tiefer  stellen. 

Auf  diesem  eigentlich  persönlichen  Gebiete  aber  liegen  noch  offene 
Probleme  die  Menge:  Keiner  ist  ihnen  bisher  so,  wie  H.  v.  Sybel  jenem 
staatsmännischen  Probleme,  auf  den  Leib  gerückt.  Die  Stadien  der  per- 
sönlichen Entwickelung  Bismarcks  hat  man,  über  das  Handgreifliche  hinaus, 
noch  kaum  angefangen  recht  zu  untersuchen,  und  hat  es  wohl  auch  nicht 
thun  können.  Welch  ein  Reichthum  gewaltiger  Aufgaben!  denn  gewiss, 
dieses  Leben  umspannt  äusserlich  und  innerlich  das  ganze  Jahrhundert, 
von  jener  Stunde  an.  da  am  1.  April  1815,  mitten  in  den  hundert  Tagen, 
sich  der  Purpurmantel  des  politischen  (ienius.  der  Kapoleons  Schultern 
entsank,  über  die  märkische  Wiege  des  Kindes  breitete,  das  dereinst  grösser 
werden  sollte  als  jener.  Wir  wissen  noch  wenig  von  den  persönlichen  Be- 
dingungen, unter  denen  Bismarck  aufwuchs,  sein  Biograph  hätte  diese 
ganze  Welt  erst  zu  erwecken  und  ihn  selber  aus  ihr.  innerhalb  ihrer,  im 
Gegensätze  zu  ihr  zu  begreifen:  die  Welt  seines  Geschlechtes  und  seiner 
Eltern,  die  Berliner  Umgebung,  die  Einflüsse  der  Grossstadt  und  zumal 
die  des  Landlebens,  all  das  Ererbte  und  Altpreussische.  das  In  ihm  persön- 
liche Gestalt  gewann  und  behielt  und  sich  in  ihm  weiterbildete  und  über- 
wand. Heute  führt  da  noch  jeder  Schritt  ins  Dunkel,  in  der  Vorgeschichte 
Bismarcks  wie  in  der  Geschichte  seiner  inneren  und  äusseren  Bildung.  Wann 
und  wie  traten  ihm  die  Probleme  und  Gewalten  zuerst  in  den  Weg.  denen 
später  seine  Lebensarbeit  gehört  hat?  Wir  erfahren  aus  seinem  Munde,  dass  er 


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137 


Biographische  Blätter. 


gutdeutsch  gesinnt  die  Universität  bezog.  Wie  lange  behielt  dies  Ideal 
in  ihm  die  Oberhand?  Derjenige  Mann,  der  unter  allen  Lebenden  zu  der 
zeitgenossischen  Bismarckbiographie,  wie  ich  sie  vermisst  habe,  der  eigent- 
lich Berufene  wäre,  und  der  sie  uns  bei  seiner  Art  doch  wohl  auch  beinahe 
ganz  ersetzen  wird,  wenngleich  nur  im  Zusammenhange  seines  allgemeineren 
Werkes  —  Heinrich  von  Treitsehke  hört  aus  Bismarcks  Beden  auf  dem 
Vereinigten  Landtage  von  1847  das  laute  „Deutschland  über  Alles" 
heraus.*)  Ich  weiss  nicht,  ob  mit  Becht.  Ich  denke  mir  nach  Allem,  was 
uns  vorliegt,  schon  den  Bismarck  jenes  Jahres  als  den  ausschliesslichen 
l'reussen.  Und  so  würde  man  hundert  Schwierigkeiten  berühren  können: 
die  Entwickhing  der  philosophischen  und  religiösen  Weltanschauung  Bis- 
marcks inmitten  der  Strömungen  seiner  Jugend,  und  ihr  Verhältniss  zu  seiner 
Staatsmannschaft  ;  späterhin  die  Stellung  zu  seinem  Könige  mit  ihren  einzig- 
artigen inneren  Gegensätzen,  die  doch  stets  wieder  ihre  höhere  Lösung  fanden, 
und  zum  Konflikt;  die  lange  Vorgeschichte  seiner  wirtschaftlichen  und 
sozialen  Politik,  und  Anderes  mehr,  ganz  abgesehen  von  der  Überfülle  an 
strittigen  und  unbekannten  Einzelheiten,  die  noch  wichtig  genug  sind. 
Alle  Welt  weiss,  dass  die  Zahlen  1847  und  1851,  1859,  1862,  180«,  1870, 
1878  Stufen  in  Bismarcks  Lebensgange  bezeichnen,  Veränderungen  seiner 
Wirksamkeit,  mannigfach  auch  seiner  Ansichten  und  Absichten;  dass  er  sich 
immer  entwickelt  habe,  hat  er  selber  oft  und  mit  stolzer  Bescheidenheit 
betont.  Es  ist  das  Merkwürdige  in  diesem  Emporsteigen,  wie  er  stets  genau 
den  ganz  bestimmten  und  begrenzten  Kreis  ausfüllt,  den  er  eben  einnimmt, 
wie  er  als  Breusse  unmittelbar  nichts  erstrebt  als  preussische  Zwecke 
allein;  aber  sogleich  im  Kampfe  von  1866  wächst  er  über  diese  Zwecke 
weit  hinaus;  er  erhebt  sich  immer  höher  und  höher  und  wird  zum  In- 
begriff der  deutschen  Nation.  Wieweit  lag  das  Spätere  bereits  im  Früheren 
vorgebildet?  Wieweit  ist  anderseits  der  Reichskanzler,  der  Deutschland  und 
die  Welt  überragt,  doch  immer  noch  der  Breusse,  der  Konservative,  der 
Landedelmann  seiner  früheren  Tage?  Alles  Fragen,  die  aufzuwerfen  selbst- 
verständlich ist  und  deren  Beantwortung  vielleicht  sehr  einfach  erscheint. 
Man  versuche  sie  immerhin!  Es  Hesse  sich  noch  Mancherlei  anschließen. 
Reizvoll  wird  es  sein,  den  Eindruck  und  Einfluss  näher  nachzuweisen,  den 
Bismarcks  Erscheinung  und  Wirksamkeit  auf  seine  Zeit,  auf  die  politische 
Anschauung  und  Methode  insbesondere  der  Deutschen  geübt  hat,  auf  ihre 
Weltanschauung  überhaupt.  Dem  Biographen  wird  über  dieser  mehr  ob- 
jektiven innner  jene  subjektive  Seite,  die  Wandlung  des  Helden  selber,  das 
Wichtige  sein.  Wie  wird  Fürst  Bismarck  selber  uns  darüber  belehren? 
Seine  Denkwürdigkeiten  liegen,  so  vernimmt  man,  fertig  da;  sie  sind  mit 
peinlicher  Sorgfalt  wieder  und  wieder  durchgearbeitet  worden.  Werden  sie 

*l  „Alter  so  kühn,  so  sicher,  mit  einem  solchen  Teutonen  trotze  wie  dieser  verrufene 
niHrki-elie  Junker  *;i<rte  doch  Niemand  sonst:  Deut-  hland  iilier  Alles!"  (Deutsche  beschichte 
V.  H;if>). 


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Nach  den  Bismarcktagen. 


138 


jene  Fragen  seines  inneren  Werdens  behandeln,  und  wenn  das,  sie  lösen? 
Oder  werden  sie,  wie  es  die  besten  Selbstbiographieen  zu  thun  pflegen, 
neben  vielem  bedeutsamen  Lichte  zugleich  neue  Zweifel  schaffen,  ein  neues, 
grosses,  innerliches  Problem  allen  bestehenden  noch  hinzu fügen? 

Vorläufig  stehen  wir  in  allen  innerlichen  Hauptsachen  kaum  am  Beginne 
der  Erforschung  dieses  Lebens.  Und  dennoch  strömen  dessen  Zeugnisse, 
gewaltige  Thaten,  die  wir  gesehen  haben  und  die  unsere  Welt  gestalten 
halfen,  gewaltige  Schriftwerke,  aus  denen  die  Thaten  und  ihr  Vollbringer 
unvergänglich  reden,  in  breiten  Wogen  vor  uns  dahin.  Auch  ehe  wir 
seine  (ieheininisse  durchdringen  können,  dürfen  nnd  sollen  wir  —  das 
versteht  sich  von  selbst  —  uns  an  dem  Reichthum  seines  Wirkens  und 
Wesens  nähren,  wie  er  in  der  Masse  seiner  Lebensäusserungen  vor  uns 
ausgebreitet  liegt.  Nicht  etwa  ein  Überblick  über  all  die  Quellenwerke, 
die  wir  bereits  besitzen,  soll  hier  versucht  werden.*)  Nur  auf  die  Ver- 
öffentlichungen sei  noch  hingewiesen,  die  sich  zu  diesem  Gedenktage  ein- 
gestellt haben.  l>a  hat  Herr  v.  Poschinger  verschiedene  Sammlungen  dar- 
gebracht (Kürst  H.  und  die  Parlamentarier  Bd.  1.  und  IL;  die  Ansprachen 
des  F.  B.;  neue  Tischgespräche  und  Interviews):  nicht  eben  kritisch  ganz 
zuverlässig  oder  durchgearbeitet,  aber  immer  eine  sehr  angenehme  Be- 
reicherung des  Stoffes.  Da  hat  hauptsächlich  Horst  Kohl,  der  mit  dem 
rastlosen  Fleisse  des  Sammlers  und  der  vollen  Ergebenheit  einer  selbst- 
losen Treue  überdies  die  erwünschte  Schulung  wahrhaft  wissenschaftlicher 
Arbeit  vereinigt,  seine  monumentale  Ausgabe  der  Politischen  Reden  des 
Fürsten  Bismarck  mit  dem  zwölften  Bande  zum  Abschluss  geführt:  das 
stattlichste  und  bleibendste  aller  (iesehenke,  das  seinen  unvergleichlich  werth- 
vollen Stoff,  ein  erstes  Meisterwerk  unserer  Litteratur,  zum  ersten  Male  in 
iL'anz  würdiger  Form,  in  der  möglichst  reichen  und  sicheren  Gestalt  dar- 
bietet. Kohl  hat  daneben  sein  Bismarckjahrbuch  begonnen,  welches  den 
Mittelpunkt  künftiger  Forschung  zu  bilden  bestimmt  ist;  es  veröffentlicht 
Urkunden  und  Briefe  sowie  Abhandlungen  zur  Geschichte  des  Staatsinannes 
und  somit  zugleich  zur  Geschichte  seiner  Zeit,  und  will  alljährlich  die  neuen 
Äusserungen  des  Fürsten  in  einer  Chronik  zusammenstellen.  Ich  glaube,  dass 
man  das  Unternehmen  nur  freudig  begrüssen  kann.  Kinige  Mängel  des  ersten 
Anfanges,  wie  sie  dieser  Band  neben  vielerlei  Schönem  wohl  aufweist,  kommen 
kaum  in  Betracht;  wie  glücklich  aber,  wenn  wirklich  ein  Organ  besteht,  das 
aus  den  Schätzen  des  Bismareksehen  Archives  so  viel  als  nur  möglich  an  das 
Licht  fördert  und  das  wohl  auch  manchen  Anderen,  der  Bisniarcksche  Papiere 

*)  loh  verweise  auf  das  nützliche  bibliographische  Händchen  „Bismarrk-Litte- 
ratur*.  das  die  Leipziger  Buchhändler  1\  Schulze  und  0.  Koller  (Leipzig,  (iraeklauer, 
1*9*>.  70  S.,  M.  3)  soeben  herausgegeben  haben  und  da.s  man  mit  Dank  hinnehmen  wird, 
obwohl  sich  gegen  Einteilung  und  Auswahl  der  Schriften  und  allerhand  Einzelnes,  sowie 
?egen  die  Vorbereitung  der  Verf.  zu  ihrem  „nicht  nach  Autopsie",  einseitig  buchhändleri-ch, 
gearbeiteten  Werke  naturgemäß  mancherlei  einwenden  Hesse. 

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Biographische  Blätter. 


besitzen  mag.  zu  deren  Herausgabe  ermuntern  wird!  Eine  jede  Gabe  werden 
wir  ihm  danken.  Und  der  Gegenstand  ist  -  wie  unser  Bedürfnis*  — 
doch  wohl  wirklich  gross  genug,  um  die  anspruchsvolle  Form  eines  eigenen 
Jahrbuches  zu  ertragen.  Dass  Fürst  Bismarck  selber,  wie  man  erfahren  hat. 
dem  Plane  abhold  war,  ist  schon:  möge  Horst  Kohl,  mit  seines  Helden 
freigebiger  Hülfe,  die  Hedenken,  die  jener  erhob,  und  die  Bedenken  der 
weisen  Leute,  denen  die  Thatsache  des  Jahrbuches  selber  einen  gefährlichen 
Heroenkult  bedeutet,  durch  glückliche  Leistungen  vollends  überwinden! 

Inzwischen  hat  der  Fürst  seinen  Herausgebern  in  erfreulicher  Hart- 
herzigkeit ihre  Sammlungen  wieder  unvollständig  gemacht.  Der  Meister 
des  Tischgespräches  und  der  Rede  hat  in  diesen  wundervollen  Festtagen, 
auf  dem  Erdenwinkel,  dem  sein  gastlich  einfaches  Haus  und  seine  Gestalt 
den  Weltruhm  verliehen  haben,  in  unerschöpflich  vielseitiger  Spannkraft 
Woile  gesprochen,  aus  denen  die  Feier  erst  ihre  höchste  Weihe  empfing: 
für  jede  Ansprache  eine  eigene  Antwort,  leise  und  laute  Mahnungen  an 
den  Höchsten  und  an  den  Geringsten,  und  über  allem  der  stille  Zauber 
ehrwürdigen  Greisenthums,  von  dem  so  Mancher  nicht  gedacht  haben  wird, 
dass  diese  stürmische  Seele  es  je  erwerben  werde.  Der  alte  Kämpfer,  der 
noch  jetzt  so  gern  seine  Gedanken  warnend  und  tadelnd  in  das  staatliche 
Leben  hinaussendet,  hat  hier  in  reiner  Betrachtung  auf  sein  Dasein  und  sein 
Werk  zurückgeblickt,  im  Scheine  seiner  Abendsonne  —  so  hat  er  es  selber 
ja  gesagt  — ,  die  ihm  die  Höhen  golden  verklärte,  zu  seinen  Füssen  eine  be- 
ruhigte Welt.  Er  hat  mit  Bescheidenheit  seiner  Thaten,  mit  Liebe  seiner 
Mitstreiter  gedacht,  mit  Gerechtigkeit  seiner  notwendigen  Gegner;  er,  den  man 
so  oft  angeklagt  hat,  als  ob  er  ein  Verächter  der  Ideen  sei,  hat  eindringlich 
auf  die  geistigen  und  sittlichen  Gewalten  hingewiesen,  deren  Diener  auch  er 
sich  bemüht  hat  zu  sein.  Es  drang  manchmal  ein  Klang  von  leiser  Wehmuth, 
von  der  Resignation  des  Achtzigers  und  des  einsam  Übriggebliebeneu  hin- 
durch, aber  das  Auge  richtete  sich  immer  wieder  empor,  mit  heller  Zuversicht, 
mit  unzerstörbarem  Glauben  an  sein  Werk,  sein  Volk,  an  die  Zukunft.  Fast 
genau  hätte  man  das  alles  in  goethisehen  Worten  wiederzugeben  vermocht. 

Tn  den  Tagen  des  schmerzensreichen  Überganges  aus  dem  grossen 
litterarischen  Zeitalter  in  das  grosse  politische  hat  in  einem  Werke,  das 
jetzt  gerade  ein  halbes  Jahrhundert  alt  ist,  seiner  Politischen  Wochenstube. 
Robert  Protz  eine  der  vielen  Prophezeiungen  undeutlicher  Sehnsucht 
gewagt  und  seine  Germania,  ..die  Mutter  des  kommenden  Königs",  trauernd 
nach  ihrem  Befreier  rufen  lassen: 

J)och  kommt  er  einst;  Aus  allermeister  Mitternacht. 
Wo  wir  umsonst  nach  eines  Sternhilds  'Froste  spähn, 
Die  Sonne  -<  hweht  j;i  dennoch  endlich  himmelan  .  .  . 
Woher  du  kommst,  willkommen  immer  sollst  du  sein. 
Ol»  du  von  Thronen  niederstei^en  wirst  zu  mir. 
(»I»  du.  ein  Bettler.  Mitternachts  ireschlichen  kommst: 
Ich  kenne  dich!    Dich  kennen  lehret  mich  mein  Herz. 


■ 


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Bismarcks  Schuljahre. 


140 


Als  er  kam.  hat  es  lange  gedauert,  bis  ihr  das  Herz  sprach,  aber  es 
hat  gesprochen.    Das  haben  ihm  die  Feierstunden  von  1805  bezeugt. 

Diese  Zeitschrift  verneigt  sieh  heute  huldigend  wie  vor  dem  grossen 
Deutschen,  so  vor  dem  grossen  Menschen,  der  auch  ihr  beim  Eintritt  in  ihr 
Dasein  unwissentlich  das  (icleit  giebt.  «Sie  erwartet  seinem  Namen  und 
seinen  Zügen  in  ihrem  eigenen  Arbeitskreise  immer  von  Neuem  zu  begegnen. 
Auf  lange  hinaus  aber  wird  er  der  Zunft  der  Biographen,  wenn  es  eine 
jriebt.  den  besten  Dienst  thun,  indem  er  nur  sein  eigenes  Leben  fortsetzt, 
aus  der  Fülle  seiner  noch  heute  ungebrochenen  Kraft,  freier  und  heiterer 
als  Luther  und  Friedrich,  das  Kunstwerk  seines  Lebens  vollendend,  das  er. 
der  Staatsmann,  niemals  bewusst  zum  Kunstwerke  hat  ausgestalten  wollen 
wie  sein  letzter  Vorgänger.  Goethe  der  Humanist:  ein  Kunstwerk  ist  es 
dennoch  geworden,  dank  den  gestaltenden  Kräften  seines  (ienius  und  seines 
Glückes;  möge  er  es  nun,  nach  seiner  Art,  als  der,  der  er  ist  und  bleiben 
wird,  reich  und  goethiseh  ausleben  bis  über  die  Grenzen  des  menschlichen 
Alters  hinaus! 

.  c£>  

Bismarcks  Schuljahre. 

Von 

HANS  KRAEMER  (Berlin). 

Kein  Zweiter  unter  den  Crossen  der  Neuzeit.  Shakespeare  und  Göthe  nicht 
ausgenommen,  hat  eine  so  umfangreiche  Litteratur  hervorgerufen,  wie  der  erste 
Kanzler  des  neuen  deutschen  Meiches;  keine  zweite  Krscheinung  der.  an  genialen 
Miinnern  so  reichen,  letzten  beiden  .Jahrhunderte  ist  so  off  wie  Otto  von  Bismarck 
zum  Mittelpunkt  grösserer  und  kleinerer,  lohender  und  gehässiger,  ziemlich  guter 
und  erbärmlich  schlechter  Schriften  gemacht  worden.  Und  doch  werden  künftige 
Geschlechter,  denen  einst  die  hehre  Aufgab»*  gestellt  sein  wird,  ein  umfassendes, 
vom  )Hilifischen  Tagesgezänk  nicht  mehr  becinflusstes  1UU1  dieser  wundervollen, 
unleiitx  hen  Heldengestalt  zu  schaffen,  wieder  weit  zurück  auf  die  ersten  Quellen 
yebeii  müssen,  weil  nur  ein  winziger  Bruchtheil  dessen,  was  zu  Lebzeiten  des 
Kimmen  entstanden  ist,  den  bescheidensten  Ansprüchen  fach-  und  sachkundiger 
Forschung  entsprechen  kann;  denn,  so  seltsam  und  beschämend  es  auch  klingen 
mag.  das  deutsche  Volk  besitzt  zur  Zeit- auch  nicht  eine  einzige  Biographie  seines 
Kiljigers,  die  vor  ernster  Kritik  zu  bestehen  vermöchte.  Soweit  die  politische 
Thatigkeit  in  Frage  kommt,  mag  dies  noch  einigennaassen  begreiflich  erscheinen, 
weil  von  den  kostbaren  Schützen  der  meisten  Archive  die  Siegel  noch  nicht  gelöst 
werden  konnten  und  persönliche  Krinnerungeii  vielfach  noch  ängstlich  behütet  werden: 
aber  erstaunlich  bleibt  es.  dass  auch  über  das  private  Leben,  über  den  Fntwick- 
lungsgang  des  märkischen  .Junkers  fast  nur  „Anekdoten  für  die  reifere  .lugend" 
bekannt  geworden  sind,  die  vor  dem  Auge  des  nachprüfenden  Korse  he  in  in  Nichts 
zeitlattern,  oder  im  günstigsten  Falle  auf  einen  minimalen  Kern  zusannnenschwinden, 
der  für  die  Charakteristik  des  genialen  Mannes  fast  jeden  "Werthes  entbehrt. 
Für  grosse  bedeutsame  Perioden  liegt  leider  nur  solches  Material  vor.  da> 
•  ist  in  späteren  Jahren,  als  aus  dem  einfachen  (infsbe-.it  zer  von  "  Bismarck-Schön- 
hausen ein  weltbekannter  tiraf.   ein  weltbezwingender   Kürst  geworden  war,  aus 


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141 


Biographische  Blätter. 


den  unklaren  Erinnerungen  einzelner  Zeitgenossen  geschöpft  und  meist  mit  starker 
Ketouehe  bekannt  gegeben  wurde.  Angesichts  der  Thatsache  aber,  dass  das  urkund- 
liche oder  überhaupt  handschriftliche  Material  aus  der  ersten  Hälfte  des  begnadeten 
Lebens  nur  ein  ganz  minimales  ist.  gewinnen  die  Mittheilungen  der  mit  ihm  in 
nähere  .Beziehungen  Getretenen  einen  nicht  unbeträchtlichen  AVerth.  Die  wichtigste 
Aufgabe  der  Bismarekforschung  scheint  es  mir  deshalb  vorerst  zu  sein,  aus  den 
Erinnerungen  der  nicht  mehr  allzu  zahlreichen  und  meist  schon  hochbetagten 
Herren,  die  Bismarck  in  irgend  einer  Weise  nahe  standen,  all  Das  zu  retten, 
was  das  Gedächtniss  noch  treulich  bewahrt  hat.*)  Zwei  nicht  unwichtige 'Punkte 
gelang  es  mir,  auf  diesem  Weg«;  aufzuklären  und  damit  zahlreiche  lrrthfimcr  zu 
zerstreuen,  die  bisher  aus  einem  Bismarckbuch  in  das  andere  gewandert  waren; 
einmal  konnte  ich  auf  Grund  der  Berichte  von  Augenzeugen  und  des  amtlichen 
Materials  ein«'  authentische  Darstellung  der  beiden  Mordanschläge  auf  den  Minister- 
präsidenten (Cohen-Blind  in  Berlin.  Kullmann  in  Kissingen)  geben,**)  und  dann  war 
es  möglich,  an  .Stelle  der  zahllosen  Anekdoten  Uber  die  Göttinger  Studentenzeit 
Thatsaihen  zusetzen,  die  zum  Theil  früheren  Darstellungen  direkt  widersprachen.**'*) 
Vielleicht  gelingt  es.  unter  eifriger  Mitwirkung  geübter  Forscher,  so  zeitig  den 
gewaltigen  StoU'  zu  sammeln  und  zu  sichten,  dass  der  alte  Kecke  im  Sachsenwald  noch 
selbst  das  Ganze  prüfen  und,  wo  es  Xoth  thut,  verbes>ern  und  ergänzen  kann  .  .  . 

*  * 

Ober  den  Schüler  Otto  von  Bismarck  wusste  man  bisher  nur  das,  was  ein 
ehemaliger  Mitschüler  nach  etwa  fünfzig  Jahren  niedergeschrieben,  was  ein  Lehrer 
nach  ebensolangcr  Zeit  und  endlich  der  Kanzler  selbst  erzählt  hatte  und 
das  war  herzlich  wenig:  denn  es  umfasste  fast  nur  die  Zeit,  die  der  blonde  Knabe 
auf  der  Vorschule,  in  der  Plamannschen  Erziehungsanstalt  verbracht  hat.  Uber 
seine  Gvmnasialzeit  fehlten  dagegen  alle  näheren  Angaben,  kaum  dass  die  Daten 
des  Kin-  und  Austritts  annähernd  genau  bekannt  waren. 

Der  ei-stc  April  lHi)"»  hat  nun  die  Forschung  auf  diesem  Gebiet  um  »-in 
gewaltiges  Stück  gefördert,  aus  den  Archiven  der  Mittelschule,  an  der  Bismarck 
•«ein  Beifezeugniss  erwarb,  sind  alle  auf  den  .lubilarcn  bezüglichen  Aufzeichnungen 
gesammelt  und  auf  den  Geburtstagstisch  niedergelegt  worden. Dadurch  wird  es 
möglich,  obwohl  über  den  Aufenthalt  auf  dem  Friedrieh-Wilhelmsgymnasium  noch 
genaue  bezw.  authentische  Angaben  fehlen,  eine  zusammenhängende  Darstellung  der 
elf  Schuljahre,  von  Ostern  1M*21  bis  zum  14.  April  1HH2  zu  geben. 

Zur  Erziehung  ihrer  Knaben  Bernhard  und  Otto  hatte  Frau  von  Bismarck 
eine  vielgerühmte  Berliner  Erziehungsanstalt  gewählt,  die  Piamann,  der  Freund 
und  Schüler  Pestalozzis,  des  Vaters  des  modernen  Erziehungswesens,  leitete. 
Die  kluge  Tochter  Anastasius  Ludwig  Menkens  vertraute  dem  Urtheil  ihres  Vaters, 
der  wie  aus  den  Akten  des  königlichen  Oherschul-Kollegiunis  hervorgeht  - 
einst  seinen  ganzen  Einfluss  aufgeboten  hatte,  um.  bei  der  von  Friedrich  Wilhelm  III. 
geplanten  Verbesserung  der  Schulen,  der  Methode  des  grossen  Schweizer  Pädagogen 
zum  Siege  zu  verliehen,  ..weil  dieselbe  die  Selbsttätigkeit  des  Geistes  erhöhe, 
den  religiösen  Sinn  und  alle  edleren  Gefühle  des  Menschen  anrege,  das  Leben  in 
der  Idee  befördere  und  den  Hang  zum  Leben  im  Genuss  mindere  und  ihm  ent- 
gegenwirke." 

*)  Mittheilungen  der  Art  würden  die  „Biographischen  Blfttter*  mit  besonderem  Dank 
entgegennehmen.  A.  d.  II. 

Unser  Bismarck.  Stuttgart.  Union  deutsche  Verlagsgesellschaft.    S.  61  Ii. 
•    i  A.  a.  O.    S.  141  tV. 
|i  Se.  Durchlaucht  Fürst  v.  Bismarck  hat  >ich  in  einem  Briefe  vom  7.  Mai  d.  .1.  mit 
der  Ven'illentlichung  »einer  Schulzeugnisse  einverstanden  erklart. 


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Bismarcks  Schuljahre.  142 

Ostern  1821  wurde  darum  auch  der  sechsjährige  Otto  in  die  Anstalt 
aufgenommen,  der  sein  vier  Jahre  illterer  Binder  Bernhard  bereits  seit  elf  Monaten 
angehörte.  (  ber  die  strenge  Erziehungsmethode  und  das  Verhältnis»  des  schlanken 
Knaben  zu  seinen  Mitschülern  hat  einer  der  Letzteren*)  vor  etwa  25  Jahren  eine 
ausführliche,  hier  im  Wesentlichen  wiederholte.  Darstellung  niedergeschrieben: 

«Die  Erziehungsmethode,  sowie  der  Unterricht  in  der  Plamannschen  Anstalt 
waren  so  abweichend  von  anderen  derartigen  Lehranstalten  der  damaligen  Zeit, 
dass  Vieles  oft  seltsam  erscheinen  muss.  und  dennoch  war  diese  Methode,  sowohl 
von  seinem  Gründer,  als  seinen  Lehrern  eine  wohl  überlegte  und  trug  auch,  wie 
die  Folge  gelehrt  hat,  fast  immer  die  besten  Flüchte.  Es  war,  wenigstens  in  den 
Jahren  1822 — 1820,  kein  „Experimentiren"  mit  den  Schülern  und  deren  Auf- 
fassungsgabe erforderlich,  wie  vielleicht  bei  Errichtung  der  Anstalt,  wo  Piamann 
selbst  wohl  in  der  Theorie  seiner  Erziehungsart  hingst  das  Richtige  gefunden  hatte, 
jedoch  in  der  Praxis  manches  mit  den  Jahren  noch  einer  Abänderung  unterworfen 
werden  lnusstc.  Der  Unterricht,  sowie  die  sittliche  Erziehungsweise  wurde  nach 
bestimmter  Disziplin,  wie  es  die  Erfahrung  mehrerer  Jahre  gelehrt,  gehandhabt, 
und  eine  Abweichung  vom  Hergebrachten  nur  in  den  allerseltensten  Fällen  ge- 
duldet. Wo  sein  Freund  und  Lehrer  Pestalozzi  die  schönsten  Ideale  als  Ziel 
seines  Lebens  vor  sich  sali,  dagegen  aber  blind  war.  wenn  er  den  Weg  zu  diesen 
Idealen  linden  und  zeigen  sollte,  so  wurde  bei  Piamann  im  Gegentheil  alles  durch- 
geführt, was  er  im  G eiste  verarbeitet  und  als  das  Richtige  anerkannt  hatte.  Es 
konnte  bei  diesem  oft  starren  Festhalten  an  der  einmal  für  gut  befundenen  Methode 
nicht  ausbleiben,  dass  dennoch  manche  Irrt  Immer,  namentlich  bei  einigen  l'nter- 
richtsgegenständen,  sich  geltend  machten,  die  die  Knaben  freilich  damals,  in  der 
Kraehung  selbst  begriffen,  nicht  so  beurtheilen  konnten,  wie  später,  als  sie  höhere 
l^hranstalten  besuchten.  Bei  allen  diesen  Mängeln  hatte  jedoch  die  ganze  Er- 
ziehung*- und  I'nterrichtsweise  der  Plamannschen  Anstalt  die  segensreichsten 
Folgen  für  die  Schüler  und  war  als  Vorbereitungsanstalt  für  die  Gymnasien  in 
damaliger  Zeit,  in  hohem  Grade  beachtungswert,  daher  auch  der  ZuHuss  von 
Söhnen  gebildeter  Stände  ein  so  grossei-,  und  der  Ruf  der  Anstalt  ein  weit  über 
die  Grenzen  Berlins  verbreiteter  war.  — 

Die  Anstalt  war  im  Jahre  1821  bereits  von  der  Lindenstrasse  nach  der 
Wilhelmstrasse  Nr.  13t)  verlegt  worden,  welches  Haus  Piamann  angekauft  und 
für  seine  Zwecke  hergerichtet  hatte.  Das  Grundstück  war  für  eine  Erziehungs- 
anstalt wohl  geeignet.  Ein  Vorder-  und  Quergebäude  gab  hinlänglich  Raum  für 
Klassenzimmer,  Lehrerwohnungen,  so  wie  zur  Aufnahme  einer  grossen  Anzahl  von 
Pensionären,  auch  fehlte  es  nicht  an  Turn-  und  Fecbtsälen.  Ein  geräumiger  Hof 
trennte  Vor-  und  Quergebäude,  und  ein  dahinterliegender  grosser  Garten  mit  Obst- 
und  anderen  Bäumen  war  als  Turn-  und  Erholungsplatz  für  die  Anstalt  von 
grüsster  Wichtigkeit.  Die  Schüler  waren  in  sogenannte  ganze  und  halbe  Pensionäre 
eingetheilt.  Die  ersteren  wohnten  beständig  in  der  Anstalt,  wofür  jeder  Schüler 
nn  Schul-  und  Pensionsgeld  jährlich  300  Thaler  zu  zahlen  hatte;  ein  Preis, 
welcher  zur  damaligen  Zeit  für  hoch  gehalten  wurde,  für  die  jetzige  jedoch  als 
gänzlich  imzureichend  angesehen  werden  müsste.  Die  sogenannten  halben  Pensionäre 
wohnten  bei  ihren  Eltern  in  der  Stadt,  blieben  jedoch  den  ganzen  Tag  in  der 
Anstalt  und  betheiligten  sich  auch  beim  Mittagessen.  Von  den  Lehrern  wohnten 
ausser  dem  Direktor  in  der  Regel  noch  drei  in  dem  Institut,  welche  die  spezielle 
Aufsicht  über  das  Verhalten  der  Knaben  ausserhalb  der  Lehrstunden  hatten.  Sie 
beaufsichtigten  die  Arbeiten,  führten  die  Zöglinge  im  Summer  nach  den  Schwimm- 


)  Ernst  Krigar. 


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1 4-5 


Biographische  Blatter. 


und  Ünde-Anstaltou  und  machten  mit  ihnen  sonstige  kleine  Exkursionen  und  Turn- 
fahrten. Diese  Lehrer,  mit  denen  die  Knaben  in  beständigem  Verkehr  waren, 
standen  ihnen  natürlieh  Jiälier  als  die  übrigen;  es  herrselite  demnach  auch  ein 
mehr  ungezwungener  Ton.  daher  die  meisten  Lehrer,  auf  ausdrückliches  Verlaufen, 
nach  alter  deutscher  Art,  mit  „Dir  angeredet  wurden.  Von  den  alten  Sprachen 
wurde  im  (iriechischen  und  Lateinischen  unterrichtet,  die  übrigen  Lehrgegenstände 
waren  die  gewöhnlichen.  Der  Turnunterricht  wurde  ganz  besonders  gepflegt,  schon 
ans  dem  (I runde,  weil  der  alte  .lahn  selbst  früher  Lehrer  der  Anstalt  war.  Zu 
Bismarcks  Zeit  leitete  den  Turnunterricht  und  das  Fechten  Jahns  Freund  und 
Nachfolger,  der  bei  allen  Turnein  in  hohem  Ansehen  stehende  Ernst  Eiselen,  dessen 
Schriften  über  Turnwesen  die  weiteste  Verbreitung  gefunden  haben. 

Des  Morgens  winden  die  Zöglinge  durch  das  Lauten  einer  kleinen  (Jlocke 
Funkt  <•  Uhr  geweckt.  Das  Frühstück  bestand  aus  Milch  und  etwas  Brod.  L'm 
7  Uhr  begannen  die  Lehrstunden,  jedoch  fand  zuvor  4iiglich  eine  kur/.e  religiöse 
Krbauung  statt.  Sänuntliche  Schüler  und  die  in  der  Anstalt  wohnenden  Lehrer 
waren  versammelt;  es  wurde  ein  Choral  von  dem  Kantor  auf  einem  alten  Flügel, 
welcher  zwei  Klaviaturen  übereinander  hatte,  begleitet,  gesungen.  Hierauf  hielt 
der  Direktor  Piamann  einen  kurzen  Vortrag  und  nach  diesem  begannen  die  Lehr- 
stunden,  die  bis  10  I  hr  dauerten.  Jetzt  konnten  die  Knaben  sich  eine  halbe 
Stunde  im  (iarten.  beim  zweiten  Frühstück  erholen,  das  täglich  aus  trockenem 
Brod  mit  Salz  bestand.  Im  Sommer  erhielten  sie  noch  etwas  Obst  dazu.  Mittags 
12  L'hr  wurde  zu  Tisch  geläutet.  Alles  strömte  nach  dein  grossen  Saal,  wo 
Frau  Direktor  Plamann  und  eine  Nichte  derselben  jedem  Lehrer  und  Schüler 
selbst  die  Portionen  auftrugen,  die  von  einem  Diener  der  Anstalt  herumgereicht 
wurden.  Das  Essen  war  überaus  einfach,  aber  kräftig  und  gut  zubereitet.  Wer 
noch  Verlangen  nach  einer  zweiten  Portion  hatte,  musste  mit  seinen»  Teller  selbst, 
zu  Frau  Plamann  gehen  und  darum  bitten.  Wer  seine  Portion  nicht  aufessen 
wollte  oder  konnte,  musste  muh  Tische  im  (Jarten  auf  der  Terrasse  mit  seim-m 
Teller  so  lange  stehen,  bis  der  Pest  vollständig  verzehrt  war.  Täglich  bot  sich 
das  Schauspiel,  dass  3  4  Schüler  dort  aufgestellt  wurden.  Von  2  I  hr  Nach- 
mittags dauerten  die  Lehrstunden  wieder  bis  4  Uhr.  Dann  war  Vesper,  es  gab 
wieder  Prot  mit  Salz.  Iiis  7  Uhr  wurde  weiter  unterrichtet.  Von  dieser  Stunde 
an  wurden  die  aufgegebenen  Arbeiten  ausgeführt  oder  Spiele  im  Freien  vor- 
genommen. Das  Abeudbrod  bestand  in  der  Kegel  in  Warmbier  oder  belegten 
Butterbroten.  Die  Unterrichtszeit  wäre  der  jungen  Welt  oft  recht  lang  ge- 
worden, wenn  sie  nicht  durch  wenigstens  zwei  Stunden  Turnen  verkürzt  worden 
wäre.  Diese  Stunden  waren  stets  die  grösste  Erholung  und  ganz  besonders  fesselte 
der  Fechtunterricht  bei  Fisolen. 

Die  (  Vnsuren.  welche  jedem  Schüler  halbjährig  ertheilt  wurden,  behandelten 
in  solcher  Ausführlichkeit  sowohl  den  sittlichen  Charakter,  als  den  Fleiss  und  die 
Kort  schritte  des  Schülers,  dass  sie  wohl  als  Muster  aufgestellt  werden  könnten. 
Die  Celisur  füllte  in  der  Kegel  fast  einen  ganzen  Bogen  aus  und  enthielt  als  Ein- 
leitung eine  Charakteristik  des  Schülers,  sowie  Bemerkungen  über  seinen  Fleiss 
und  die  Fortschritte  im  verflossenen  Halbjahr.  Der  zweite  Theil  derselben  be- 
handelte die  speziellen  Lehrfächer  in  eben  solcher  Ausführlichkeit.  Eine  grössere 
Prüfung  fand  im  Jahre  nur  einmal,  gewöhnlich  im  September  statt.  Mit  welcher 
Ausführlichkeit  auch  hierbei  zu  Werke  gegangen  wurde,  beweist  die  lange  Dauer 
derselben;  sie  betrug  nicht  weniger  als  zwei  und  einen  halben  Tag.  und  zwar 
von  Morgens  8  1*2.  Nachmittags  von  2  t>  Uhr.  Von  welcher  Ansicht.  Plamann 
dabei  geleitet  wurde,  ist  schwer  erklärlich.  Welcher  Vater  konnte  wohl  so  viel 
Zeit  darauf  verwenden,  sich  von  den  Kenntnissen  und  Fortschritten  seines  Sohnes 


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Bismarcks  Schuljahre. . 


14  4 


in  allen  Färbern  zu  überzeugen:  er  war  deshalb  gezwungen,  we Hiltens  einen 
Tasr  seinen  Bemfsgeschäften  zu  entsagen,  um  nur  einem  geringen  Theil  der 
Prüfung  beiwohnen  zu  können.  Diese  Prüfungszeit  war  jedoeh  immer  ein  kleines 
Fest  für  die  Knaben,  sie  konnten  sich  während  derselben  besser  kleiden,  erhielten 
Inneres  Essen  und  hatten  in  den  Freistunden  grössere  Freiheiten,  die  dann  auch 
Iltens  benutzt  wurden.  Ein  grosser  Theil  der  Schüler,  namentlich  der  sogenannten 
«ranzen  Pensionäre  bestand  aus  den  Söhnen  adliger  (Jutsbesitzer  von  ausserhalb, 
von  denen  einige  Namen  hier  angeführt  seien:  v.  Puttkammer,  v.  Wolzogen. 
v.  Gottberg,  v.  Balan.  v.  Bismarck,  v.  Hagen,  v.  Bredow,  v.  Trützsrhler  und 
Falkenstein,  v.  (i essler.  v.  Briesen.  v.  Schmalensee  u.  A. 

Die  neuaufgenommenen  Schüler  liatten  ihren  iilteren  Mitschülern  gegenüber 
anfänglich  einen  ziemlich  schweren  Stand.  Fanden  sie  sich  bald  in  die  herkömm- 
lichen Ein weihungsgeb rauche  und  zeigten  sie  sich  nachgiebig  und  freundlich  zu 
den  sogenannten  Alten,  so  wurde  ihre  Aufnahme  in  den  bestehenden  Freundschafts- 
kreis wesentlich  erleichtert.  Doch  webe  denen,  die  sich  störrisch  zeigten  und  den 
-Alten"  nicht  den  gebührenden  (iehorsam  leisteten,  sie  waren  auf  lang»-  Zeit  die 
Zielscheibe  des  SjMittes  und  mussten  sich  allerlei  Zurücksetzungen  gefallen  lassen, 
ha  (.tanzen  hatten  die  Knaben  ein  ziemlich  rauhes  "Wesen  gegeneinander,  es  war 
dies  damalige  Turnerart  und  wurde  von  den  Lehrern  nicht  ungern  gesehen. 
Daher  ein  tüchtiger  Puff,  dem  Mitschüler  gelegentlich  versetzt,  nicht  so  genau  ge- 
nommen wurde.  Eines  Tages  erschien  unter  den  Neuaufgenommenen  ein  für  sein 
Alter  ziemlich  hochgewachsene!"  Knabe,  welcher,  da  man  sich  für  die  mit  ihm 
zugleich  aufgenommenen  Neuen  anfänglich  mehr  interessirte.  vorläufig  unberück- 
sichtigt gelassen  wurde.  Als  jedoch  die  Zeit  kam.  dass  auch  er  sich  den  kindischen 
Gebräuchen  der  übrigen  Zöglinge  fügen  sollte,  setzte  er  dem  einen  "Widerstand 
entgegen,  der  bisher  unerhört  war.  Kine  solche  Ablehnung,  den  hergebrachten 
Sitten  Folge  zu  leisten,  machte  Alle  anfänglich  stutzig:  der  Spott  verstummte! 
Dafür  trat  aber  bei  dem  grössten  Theil  der  Knaben  ein  Hachegefühl  hervor, 
welches  bei  der  eisten  (ielegcnheit  drohte,  sich  um  so  nachdrücklicher  gegen  den 
Widerspünstigen  Luft  zu  machen.  Kine  kleine  Minorität  überdachte  die  Worte 
des  hochgewachsenen  Knaben  mit  der  hohen  Stirn,  sowie  die  Gründe,  welche  er 
ihnen  entgegensetzte  und  ihn  bewogen,  dem  allgemeinen  Willen  nicht  Folge  zu 
leisten.  Diese  Minorität  interessirte  sich  sogar  von  nun  an  für  den  neuen  An- 
kömmling, welcher  sich  .,0t to  Bismarck"  nannte,  ungemein.  Es  zeigte  sich  auch 
sehr  bald,  dass  derselbe  durchaus  nicht  unverträglichen  Charakters  war,  sondern 
nur  einen  festen,  imponirenden  Willen  zeigte.  — 

Es  war  gerade  in  den  Sommermonaten,  und  die  Knaben  wurden  von  den 
Lehrern  sowohl  bei  gutem,  wie  bei  schlechtem  Wetter  nVissig  zum  Baden  nach 
dem  damaligen  Schafgraben  geführt,  wobei  die  neuaufgenommenen  Schüler  immer 
einen  schweren  Stand  hatten,  denn  hierbei  hiess  es  vor  allem  Muth  zeigen.  Wer  sich 
nicht  freiwillig  Hals  über  Kopf  in's  Wasser  stürzte  und  nur  die  geringste  Furcht 
zeigte,  hatte  es  schwer  zu  Wissen.  Der  Lehrer  nahm  einen  solchen  Zaghaften 
auf  seine  Schultern  und  warf  ihn  an  der  tiefsten  Stelle,  natürlich  kopfüber  in's 
Wasser;  nachdem  er  wieder  aufgetaucht,  hatten  die  ('brigen  die  Erlaubniss,  dem- 
selben noch  mehrere  Male  beim  Untertauchen  auf  das  Nachdrücklichste  behülflich 
zu  sein,  bis  er  alle  Furcht  überwunden  und  sich  nicht  mehr  wasserscheu  zeigt«-. 
Die  Feinde  Otto  Bismarcks,  der  sich  ihren  kindischen  Gebräuchen  nicht  gefügt 
hatte,  freuten  sich  auf  den  Augenblick,  wo  er  zum  ersten  Mal  seine  Taufe  im 
Schafgraben  erhalten  sollte;  alle  seine  Gegner  hatten  sich  vorgenommen,  ihn  im 
Wasser  tüchtig  zu  bearbeiten!  Alle  standen  schon  gerüstet  im  Graben,  als 
Bismarck  mit  der  grössten  Kaltblütigkeit  an  den  Hand  desselben  trat,  sich  hineiu- 


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145 


.Biographische  Blatter. 


stürzte,  untertauchte  und  am  jenseitigen  L'fcr  wieder  empor  kam.  Ein  allgemeines 
rAh!"  folgte  dieser  Überraschung,  keiner  wagte  es,  den  kühnen  Taucher  auch 
nur  zu  berühren,  sein  kleiner  Anhang  sammelte  sich  um  ihn  und  machte  ihm 
Lobeseihebungen  über  seine  Fertigkeit  im  Tauchen,  welches  Otto  wahrscheinlich 
schon  auf  dem  „Kniephof-%  dem  Gut  der  Familie  Bismarck,  geübt  haben  mochte.  — 
Die  Balgeivi  im  Wassel-  wurde  aber  nicht  ausgesetzt.  Zwei  Parteien  bildeten 
sieh  und  Bismarck  war  nicht  der  Letzte,  der  sich  daran  auf  das  Lebhafteste  be- 
theiligte. 

Die  Spiele  in  den  Freistunden  waren  vorher  mehr  Turnübungen  zu  nennen: 
seit  Otto  v.  Bismarcks  Erscheinen  in  der  Anstalt,  dessen  Anhang  unter  den  Mit- 
schülern  mit  jedem  Tage   gewachsen  war,   bekamen   diese  Vergnügungen  einen 
ganz  anderen  Charakter.    Da  fing  man  an,  sich  nach  und  nach  in  zwei  Parteien 
zu  theilen  und  kriegerische  Übungen  vorzunehmen,  Otto  v.  Bismarck  entwarf  die 
Schlachtpläne  und  bebandelte  die  Sache  mit  solcher  Wichtigkeit,  dass  er  ein  Tage- 
buch führte,   worin  er  alle  für  die  Knaben  wichtigen  Ereignisse  sorgfaltig  ver- 
zeichnete.   Die  Veranlassung  dazu  entsprang  wohl  nicht  allein  grosser  Ordnungs- 
liebe,  man  könnte  vielmehr  daraus  den  Schluss  ziehen,   dass  Bismarck  schon  als 
Knabe  für  Alles  ein  offenes  Auge  hatte  und  über  seine  Aufzeichnungen,  mochten 
sie  nun  für  Andere  noch  so  unwichtig  erscheinen,  reiflich  nachgedacht  hatte.  - 
AVer  näher  mit  ihm  verkehrte,  musste  über  seine  ausgezeichnete  (ieschichtskenntniss, 
worin  er  alle  Mitschüler  übertraf,  staunen.    Seine  l'rtheile  über  die  griechischen 
und  römischen  Helden  und  seine  Vergleiche  derselben  waren  oft  so  treffender  Art, 
dass  sich  selten  .lemand  fand,  der  eine  andere  Ansicht  der  seinigen  entgegenhalten 
konnte.  —  Dieses  oben  erwähnte  Tagebuch  hat  Otto  v.  Bismarck  noch  lange  Zeit 
nach  seinem  Abgang  von  der  Anstalt  besessen,  und  es  wäre  nicht  unmöglich,  dass 
dasselbe  vielleicht  noch  jetzt  vorhanden  ist.    Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  Bismarck 
bei  diesen  kindlichen  Spielen  schon  als  Knabe  ein  ausgezeichnetes  Talent  zur  Orga- 
nisation zeigte  und.  was  Flelss  und  Kenntnisse  anbelangte,  zu  den  hervorragendsten 
Schülern  der  Anstalt  gehörte.    —    Zu  Weihnachten  hatte  einer  der  Schüler  von 
seinen  Kitern  „Beckers  Erzählungen  aus  der  alten  Welt"  zum  Geschenk  erhalten; 
dies  Buch  lasen  die  Knaben  so  flcissig.    dass  das  eine  Exemplar  lange  nicht  aus- 
reichte,  die  Wissbegierde  Aller  zu  stillen.  —    Bald  hatte  sich  denn  auch  eine 
grössere  Zahl  Schüler  jenes  Buch  von  ihren  Eltern  schicken  lassen.    Nun  wurde 
der  Trojanische  Krieg  vorgenommen;  der  Erste,  welcher  diesen  ganzen  Theil  des 
Buches  auswendig  konnte,  war  Otto  v.  Bismarck.    Er  übernahm  in  der  Begel  das 
Vorlesen,  und  wählte  sich  dazu  häufig  seinen  Lieblingsplatz  auf  einer,  am  Ende  des 
Gartens   nach  der  Königgrätzcr  Strasse  zu  stehenden,   schön  gewachsenen  Linde, 
dem  einzigen  .Baum,  auf  den  es  erlaubt  war.  hinauf  zu  klettern.      Die  Zuhörer, 
soweit  sie  Platz  hatten,  bestiegen  ebenfalls  den  Baum,  die  Übrigen  lagerten  sich 
unter   denselben.     Mit   welcher  Aufmerksamkeit   folgten  sie   dem  Vorleser,  mir 
welcher  Begeisterung  wurden  die  Heldenthaten  der  Griechen   vor  Troja  aufge- 
nommen:   es  dauerte  auch  nicht  lange,   so  hatte  .Jeder  der  Knaben  den  Namen 
eines   dieser  Helden.     Bismarck   konnte   kein   anderer  als  der  Telamonier  Ajax 
sein!    -  Wie  dieser  Held  sich  oft  bei  Angriffen  der  Trojaner  grosser  Steine,  die 
er  vom  Boden  aufraffte,  bediente,  um  sich  damit  zu  vertheidigen,  so  warf  Bismarck 
einst  bei  einem  der  Kämpfe,  die  kein  Ende  und  keine  Entscheidung  absehen  Hessen, 
seinen  Tornister  dazwischen   und  befahl   mit  gebietender  Stimme,   vom  ferneren 
Kampf  abzulassen.    Seinem  Befehl  wurde  sofort  Folge  geleistet  und  ihm  war  es 
zu   danken,   dass  nur  Wenige   bei   diesem   Kampfe    unbedeutende  Verletzungen 
davontrugen.     Wie  das  Abhärtungssystem,   welches  man  iu  der  Anstalt  streng 
durchflihrte,  beim  Baden  gehandhabt  wurde,  ist  oben  schon  erwähnt  worden.  Es 


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Bismarcks  Schuljahre. 


146 


sollt*  das  Baden  nicht  allein  füglich  der  Reinlichkeit  wegen  geschehen,  die  Knaben 
sollt»'!»  auch  lernen,  die  Körper  zu  dem  spateren  Sehwimmunterricht  gehörig  vor- 
zubereiten. Dieser  wurde  in  der  alten  Pfuhlsehen  Schwimmanstalt  am  Schleichen 
Thore  ertheilt.  In  mehreren  "Wagen  wurden  die  Knaben  von  der  "Wilhelmstrasse 
aus  dorthin  gefahren,  und  es  war  nicht  zu  verkennen,  dass  die  Plaiuaner  schon 
eine  gute  Vorbildung  zur  Krlernnung  der  Schwimm kunst  mitbrachten.  Den  schon 
an  Abhärtung  Gewöhnten  kamen  die  damals  wegen  ihrer  Grobheit  bekannten 
Schwimmlehrer  nicht  so  furchtbar  vor.  Fast  Alle  zeigten  sich  furchtlos  und 
machten  den  ersten  Sprung  von  der  sogenannten  Ablichtung  mit  grosser  Virtuo- 
sität. Da  entstand  nun  ein  grosser  Wetteifer,  es  handelte  sich  darum,  wer 
zuerst  den  sogenannten  Spreegang  machte,  und  dnnn  als  sicherer  Schwimmer  dem 
w\\  höheren  Ziel  eines  sogenannten  Fahrtensehwimmers  zueilen  konnte.  Otto 
v.  Bismarck  war  auch  hier  wieder  mit  einigen  Wenigen  der  erste  Spreegänger,  so 
dass  er  nach  kurzer  Zeit  au«  h  bald  das  Diplom  als  Fahrtensch wimmer  erhielt. 
Das  Shwimmen  gehörte  zu  den  grössten  Vergnügungen,  aber  es  hatte  auch  seine 
Schattenseiten.  Ks  ist  allbekannt,  dass  sich  nach  jedem  Bade  der  Hunger  mehr 
"der  weniger  fühlbar  macht.  Die  armen  Schüler,  die  kein  Geld  bei  sich  führten, 
und  erst  den  weiten  "Weg  vom  Sclüesischen  Thore  nach  der  Wilhelmstrasse  zurück- 
legen mussten,  ehe  sie  etwas  zu  essen  erhielten,  wurden  oft  vom  Hunger  so  übermannt, 
dass  >je  es  nicht  verschmähten,  auf  dem  damaligen  Köpenicker  Felde  sich  von  dem 
Feldhüter  ein  Paar  Stauden  Kohlrabi  zu  erbitten,  welche  mit  grosser  Gier  ver- 
schlungen wurden  und  wenigstens  augenblicklich  den  Heisshunger  stillten.  Bei 
diesem  Zigeunermahl  betheiligten  sich  die  Söhne  hochadliger  Gutsbesitzer,  welchen 
zu  Hause  Alles  in  Hülle  und  Fülle  zufloss,  ebensogut  wie  die  Kiemente  aus  den 
bürgerlichen  Ständen.  Die  langen  "Winterabende  verkürzten  bei  schlechtem  Wetter 
die  in  dem  Institute  wohnenden  Lehrer  theils  durch  Vorlesen  aus  guten,  meist 
ireschielit liehen  Werken  oder  einigen  Romanen  von  Walter  Scott,  theils  wurde  beson- 
ders in  dieser  Zeit  das  Fechten  kultivirt,  und  Kiselen  verstand  es  aus  dem  Grunde, 
dasselbe  in  jeder  Weise  interessant  zu  machen.  Dass  Otto  v.  Bismarck  als  Knabe 
schon  in  der  edlen  Fechtkunst  grosse  Fertigkeit  zeigte,  wird  nur  Wenigen  bekannt 
sein,  dass  er  später  in  seinen  Studentenjahren  ein  Meister  darin  war.  werden  Viele 
wissen,  welche  seine  Klinge  gefühlt*).  Die  Grundlage  zu  dieser  Meisterschaft  hat 
er  jedoch  unzweifelhaft  von  Kiselen  in  der  Plamannschen  Anstalt  empfangen. 
Nichts  wurde  im  Winter  sehnlicher  erwartet,  als  der  erste  Schneefall.  Da  erhielten 
die  sogenannten  Neuen  ihre  erste  Taufe;  sie  mussten  durch  zwei  Reihen  den 
'i arten  mehrere  Male  auf  und  ablaufen.  Jeder  hatte  das  Recht,  mit  Sehneebällen 
tapfer  auf  sie  zu  werfen,  auch  wohl  Einzelne,  die  sieh  widersetzten,  mit  Schnee 
tüchtig  zu  waschen.  Der  alte  Schreiblehrer  Markwordt.  ein  Veteran  aus  den 
Freiheitskriegen,  nahm  sich  in  der  Regel  der  Zaghaften  au,  indem  er  einen  oder 
zwei  bei  der  Hand  nahm  und  mit  ihnen  die  Reihen  durchlief.  Kr  empfing  dabei, 
als  bessere  Zielscheibe,  natürlich  mehr  Bälle,  als  diejenigen,  für  die  sie  eigentlich 
bestimmt  waren.  Sobald  diese  Taufhandluug  vorüber  war,  sammelten  sich  die 
Sehaaren,  ein  Theil  besetzte  die  am  Hause,  nach  dem  Galten  zu  gelegene  Terrasse, 
thürinte  hier  mächtigen  Vorrath  von  Schnee  auf,  während  der  andere  Theil  sich 
zum  Sturm  anschickte.  Die  Lehrer  waren  dabei  immer  nur  indirekt  thätig. 
F.inen  solchen  Angriff  zu  befehligen,  verstand  nun  Niemand  besser,  als  Otto 
v.  Bismarck,  hierbei  war  er  in  seinem  Element!  Kr  wusste  bald  die  Stellen  aus- 
findig zu  machen,  wo  die  Terrasse  nur  schwach  vertheidigt  wurde,  und  nachdem 


In  Güttingen  hatte  Bismarck,  wie  ich  aus  den  (unterlassenen  Papieren  seines 
Leihburschen  Wuthmann  und  alten  Dokumenten  des  Korps  „Hannovera"  feststellen  konnte, 
in  18  Monaten  nicht  weniger  als  25  Mensuren,  wurde  aber  niemals  „abgeführt". 

Biographische  BUtter.  I.  10 


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147 


Biographische  Blätter. 


nun  ein  allgemeines  Bombardement  den  HnuptangritT  noch  verdeckte,  sammelte 
Bismarck  seine  zum  Sturmlaufon  auserlesene  Schaar,  und  mit  lautem  Hurrah  und 
einem  grossen  Schneeballregen  drang  er  au  der  Spitze  treten  die  Terrasse  vor.  .  ." 

*  * 

Mit  wahrhaft  .spartanischer  Strenge  wurde,  wie  man  sieht,  der  junge  Adelige 
auferzogen;  früh  ward  er  an  absolute  Anspruchslosigkeit  gewöhnt,  und  vor  jeder 
Verweichlichung  des  Körpers,  vor  jeder  schädlichen  Beeinflussung  des  jugendlichen 
(Gemüthes  mit  rauher  Hand  bewahrt.  Aber  gerade  eine  solche  harte  Erziehung*- 
methode  scheint,  wie  der  Vergleich  mit  der  .lugend  anderer  grossen  Staatsmänner 
beweist,  eine  treffliche  Schule  für  geniale  Naturen  zu  sein,  denen  das  Schicksal 
die  Leitung  grosser  Lander  und  Völker  anvertraut.  .  .  . 

Nach  .sechsjährigem  Aufenthalt  verHess  Otto  v.  Bismarck  die  Plamannx  he 
Anstalt  und  trat  im  September  1827  in  die  Lnter-Tertia  des  Friedrich  -AVilh«  lin>- 
( Gymnasiums  ein.  Über  den  Eindruck,  den  der  Knabe  damals  auf  seine  Lehrer 
machte,  berichtet  Professor  Bonneil  in  den  a.  O.  bereits  mifgetheilten  Auf- 
zeichnungen über  sein  Leben: 

..Meine  Aufmerksamkeit  zog  Bismarck  schon  am  Tage  seiner  Einführung 
auf  sich,  bei  welcher  (Gelegenheit  die  neu  Aufgenommenen  im  Schulsaale  auf 
mehreren  Bänken  hintereinander  sassen.  so  dass  die  Lehrer  während  der  Einleitungs- 
feier  (ielegenheit  hatten,  die  Neuen  mit  vorahnender  Prüfung  durchzumustern. 
Otto  von  Bismarck  sass.  wie  ich  mich  noch  deutlich  erinnere,  mit  sichtlicher 
Spannung,  klarem,  freundlichen  Knabengesicht  und  hell  leuchtenden  Augen,  frisch 
und  munter  unter  seinen  Kameraden,  so  dass  ich  bei  mir  (lachte:  Das  ist  ja  ein 
nettes  .lungchen,  den  will  ich  besonders  in's  Auge  fassen!  Er  wurde  zuerst, 
mein  Schüler  im  Lateinischen,  als  er  nach  Ober-Tci-tia  kam.  Michaelis  Iseji» 
wurde  ich  an's  Berlinische  (Gymnasium  zum  (Grauen  Kloster  versetzt,  an  das  auch 
Bismarck  im  folgenden  .lahre  überging.  Ostern  1*31  kam  er  als  Pensionär  in 
mein  Haus,  wo  er  sich  freundlich  und  anspruchslos  in  meiner  einfachen  Häuslich- 
keit, die  sich  damals  auf  meine  Krau  und  meinen  einjährigen  Sohn  beschränkte, 
und  durchaus  zutraulich  bewegte.  Er  zeigte  sich  in  jeder  Beziehung  liebenswürdig 
und  ging  des  Abends  fast  niemals  aus:  wenn  ich  zu  dieser  Zeit  zuweilen  nicht  zu 
Hause  war.  so  unterhielt  er  sich  freundlich  und  harmlos  plaudernd  mit  meiner 
Krau  und  verrieth  eine  starke  Neigung  zu  gemüthlicher  Häuslichkeit.  Er  hatte 
unser  ganzes  Herz  gewonnen  und  wir  brachten  ihm  volle  Liebe  und  Sorgfalt, 
entgegen.  ..." 

.Jener  von  Bonuell  erwähnte  Übertritt  Bismarcks  in  das  Berlinische  (Gym- 
nasium zum  (Grauen  Kloster  hatte  seinen  (Grund  darin,  dass  die  Eltern  ihren  Berliner 
Haushalf  <  Behrenstrasse  Nr.  M(.».  später  Nr.  Tri),  den  bisher  ein  altes  Faktotum 
Trine  Neumann  verwaltet  hatte,  auflösten  und  Otto  zu  dem  Professor  Prevost 
(Königstrasse  Nr.  Ol)  in  Pension  gaben,  wo  er  jedoch  nur  ein  .lahr  verblieb. 
Am  I.  Mai  ISMO  winde  nach  Ausweis  der  Dokumente  ..Leopold  Eduard  Otto 
v.  Bismarck,  geb.  1.  April  IHK)  zu  Schönhausen  bei  Tangermünde  im  Magde- 
burgischen. Sohn  eines  Rittmeisters  a.  D..  evangelisch"  in  das.  damals  schon  Uber 
•J-*)0  .lahre  bestehende.  (Gymnasium  in  der  Klosterstrasse  aufgenommen,  und  zwar 
trat  er  in  die  (Gross-  (Ober-)  Sekunda  ein.  deren  Ordinarius  Professor  Bellennann 
(zugleich  Lehrer  des  (Griechischen)  war,  während  Professor  Wendt  Latein  und 
(Geschichte.  Professor  ( G icsehrei  ht  Deutsch.  Professor  Fischer  Mathematik  und 
Physik  und  ein  gewisser  Klings  den  Bismarck  aus  tiefster  Seele  hasste 
Französisch  leinten.  Zu  Profosor  AVcndt  fühlte  er  sich  am  Meisten  hingezogen, 
während  Bcllermaim  und  Fischer  ihm  unsympathisch  waren. 


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Bismarck«  Schuljahre. 


1  -IS 


An  zahllosen  Beispielen  ist.  schon  oft  bewiesen  worden,  dass  nur  in  den 
seltensten  Fällen  die  Leistungen  eines  Schülers  einen  richtigen  Schluss  auf  das 
spätere  Leben  gestatten;  eine  lang«*  Reihe  hervorragender  Männer,  deren  Namen 
mit  ehernen  Lettern  auf  den  Tafeln  der  Geschichte  verzeichnet  sind,  konnte  nie 
da*  Prädikat  eines  Musterschülers  erringen,  und  manchem  Oisteshelden  haben 
•  inst  pedantische  Lehrer  die  Jugend  durch  die  Phrophezciung  verbittert:  „Aus 
Dir  wird  niemals  etwas  Rechtes!"  Auch  Bismarck  zeichnete  sich  weder  durch 
tadellosen  Fleiss,  noch  durch  immer  einwandfreie  Aufführung  aus,  und  seine 
Leistungen  entsprachen  meist  gerade  den  Anforderungen,  die  an  einen  mittelguten 
Schüler  gestellt  werden  können.  Dass  ferner  sein  Schulbesuch  kein  allzu  regel- 
mässiger war.  bezeugen  die  Vermerke  über  13H  versäumte  Lehrstunden  im  zweiten 
Vierteljahr  seiner  Sekundauerzeit;  in  Prima  hat  er  sogar  1 1»S  Stunden  in  einem 
Quartal  versäumt  —  allerdings  zum  grössten  Theil  krankheitshalber  (er  war 
Unter  den  Linden,  vor  der  Neuen  "Wache,  mit  dem  Pferd  gestürzt).  Johannis  18ü0 
erliielt  er  das  erste  Zeugniss,  das  seinen  Fleiss  also  charakterisirte: 

„Regelmässig  und  durch  gute  Vorbereitung  auf  die  Autoren  bewährt. 
Auch  regelmässig  in  der  Mathematik,  nur  muss  er  noch  mehr  Sorgfalt  auf 
das  Äussere  wenden.    Nicht   vermisst  im  Deutscheu  und  im  Französischen. u 

Über  die  Fortschritte  hiess  es: 
„Zeigen  sich  in  den  alten  Sprachen   zu  seiuem  Lobe,   ebenso  in  der  Ge- 
schichte.    Bemerkt   in    der  Mathematik,    einige    in  der  Physik.  AVerden 
erwartet  im  Deutschen.    Einige  im  Französischen." 

Bedenklicher  lautete  schon  das  Urtheil  (Iber  die  Aufmerksamkeit: 
..Meistens  theilnehmend,  aber  in  den  französischen  Lchrstunden  plaudert 
und  unterhält  er  sich  nicht  selten  mit  seinem  Nachbar  Ross."*) 

Direkt  getadelt  wurde  aber  die  Aufführung: 
„Im  ganzen  gut;   um  so  befremdender  war  ein  einmaliger  Ausbruch 
höchster   Unbescheidenheit.     Auch    scheint    er  überhaupt   die  seineu 
Lehrern  schuldige  Achtung  aus  den  Augen  setzen  zu  können." 

Diesen  Ausbruch  höchster  Unbescheideuheit  dürfte  wohl  der  schon  erwähnte 
Herr  Frings  provozirt  haben;  wenigstens  berichtet  Koppen,  dass  „besondeis  der 
französische  Lehrer  durch  seine  Behandlung  den  Trutz  des  Knaben  herausforderte 
und  ihn  zu  Äusserungen  reizte,  die  ihm  einmal  einen  ernsten  Tadel  des  Direktors 
zuzogen,  ohne  dass  indess  das  Verhältnis  zwischen  Bismarck  und  jenem  Lehrer 
gebessert  wurde a.  Die  Spannung  blieb  auch  noch  in  Prima  bestehen,  und  Bismarck 
-Uchte  deshalb  und  fand  auch  einen  Ausweg,  um  dem  chikanösen  Herrn  den 
Einfluss  auf  die  Zensuren  seines  Reifezeugnisses  zu  entziehen;  da  er  nämlich  die 
Wahl  hatte,  entweder  eine  französische  oder  eine  englische  Prüfungsarbeit  einzu- 
reichen, so  suchte  er  vor  dem  Examen  mit  aller  Kraft  seine  Kenntnisse  im 
Englischen  zu  vervollkommnen  --  er  nahm  an  dem  im  Gymnasium  selbst  ertheilten 
Unterricht  Theil  und  erhielt  dabei  das  Prädikat  „sehr  gut*-  -  und  erreichte 
dadurch,  dass  er  nun  beide  moderne  Hauptsprachen  gut  beherrschte;  perfekt 
französisch  sprach  er  schon  von  Jugend  auf. 

Die  Michaelis-Zensur  war  etwas  günstiger,  sie  nannte  den  Fleiss  „regelmässig-, 
die  Aufmerksamkeit  „stets  theilnehmend",  die  Aufführung  ,.gutu,  obwohl  es  bedauer- 
lich sei,  „dass  er  durch  seine  Reisen  grosse  Lücken  bekommen",  und  konstatirte 
Fortschritte  im  Griechischen,  im  Latein  und  in  der  Geschichte,  nannte  sie  in  der 
Mathemathik   sogar  „merklich",   während  sie  im  Deutschen  „nicht  vermisst"  und 


*)  Graf  Friedrich  Ross,  ein  vier  Jahre  älterer  Mitschüler  Bismarcks,  Sohn  des 
HUchofs  Koss  k  Berlin. 


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140 


Biographische  Blatter. 


auch  im  Französischen  vorhanden  seien.  Bismarck  war  dabei  der  fünfzehnte  unter 
achtzehn  Schülern,  also  der  —  drittletzte,  wurde  aber  nach  Prima  versetzt, 
deren  Ordinarius  ein  Professor  Giesebreeht  war,  während  Direktor  Köpke  Ge- 
schichte und  Professor  Heinsius  Deutsch  und  Philosophie  lehrten. 

Die  erste  Zensur  in  der  obersten  Klasse  fiel  kaum  besser  aus  als  die 
früheren.  Die  Aufführung  war  zwar  ..gut'1,  aber  von  der  Aufmerksamkeit  hiess 
es,  dass  sie  ..im  Ganzen  theilnehmend14  sei,  jedoch  „zuweilen  durch  Mittheilungen 
an  seine  Nachbarn  unterbrochen44  werde.  Kbenso  wurde  der  Fleiss  zwar  als  regel- 
mässig bezeichnet,  doch  hätte  er  nach  Ansicht  des  Lehrers  in  den  lateinischen 
Aufsätzen  ..noch  angestrengter44  sein  können.  Von  den  Fortschritten  wurde  gesagt, 
dass  sie  sich  im  Lateiu  und  in  der  Geschichte  „erhoffen*4  Hessen,  desgleichen  im 
Sophokles,  dass  sie  aber  „nicht  bedeutend  genug-4  in  der  griechischen  Grammatik*), 
dagegen  ..wohlbemerkt  im  deutschen  Stil1*  seien  und  sich  in  Mathematik. 
Physik  und  Geographie  erhoffen  Hessen. 

Ostern  1831  fand  man  die  Aufführung  „regelmässig  und  gut44,  die  Aufmerk- 
samkeit „theilnehmend11,  den  Fleiss  „nirgend  vermisst",  auch  bemerkt  im  Deutschen, 
nur  wurde  die  sehr  schlechte  Handschrift  getadelt.  Die  Fortschritte  im 
Latein  und  Griechisch  waren  ..merklich44  geworden  und  wurden  auch  in  den 
griechischen  Dichtern,  im  Demosthenes  und  der  Grammatik,  „nicht  vermisst". 
f  her  die  übrigen  Fächer  ward  das  gleiche  Urtheil  gefällt,  wie  in  der  vorher- 
gehenden Zensur. 

Jn  jene  Zeit  fiel  au  oh  Otto  von  Bismarcks  Konfirmation;  am  Tay.  da  er 
sein  1(5.  Lebensjahr  vollendete,  am  31.  März  1831  wurde  er  in  der  Dreifaltigkeits- 
kirche  eingesegnet,  und  zwar  durch  keinen  Geringeren  als  Friedrich  Schleier- 
macher, der  ihm  den  Spruch  auf  den  Lebensweg  mitgab:  „Alles,  was  ihr  thut, 
das  thut  von  Herzen  als  dem  Herrn  und  nicht  den  Menschen."**) 

Auch  an  Johannis  erschien  die  Aufführung  ..regelmässig  und  frtit .  «lie  Auf- 
merksamkeit „ungestört  nicht  ohne  meistens  lebhafte  Theilnahme".  doch  genügte 
der  Fleiss  zwar  für  den  Horaz,  nicht  aber  für  den  Tacitus,  gleichwie  er  im 
G'riechischen  „noch  angestrengter  hätte  sein  dürfen."  Fortschritte  zeigten  sich 
in  Geschichte,  im  lateinischen  Stil,  im  Cicero  und  (^uintilian  und  wurden 
auch  im  Homer  erwartet.  —  Im  nächsten  Quartal  versäumte  er,  wie  schon 
erwähnt,  sehr  viele  Lehrstunden  und  erhielt  desshalb  nur  eine  «ranz  kurze  Zensur,  die 
von  der  Aufführuni:  sagte:  „Gut.  Ks  ist  zu  bedanern,  dass  er  im  letzten  Viertel- 
jahr eine  bedeutende  Lücke  bekommen.14  Die  Aufmerksamkeit  war  „ungestört-, 
der  Fleiss  „durch  Versäumnisse  unterbrochen11,  und  die  Fortschritte  „würden 
überall  sichtbarer  sein,  wenn  er  nicht  zum  Schlüsse  des  Vierteljahrs  viel  versäumt 
hätte." 

Am  Schluss  des  .lahrcs  1831  erhielt  er  die  letzte  Zensur,  die  ebenfalls 
nur  mittelgut  war:  Aufführung  ».regelmässig  und  gut",  Aufmerksamkeit  „von 
Theilnahme  zeugend44;  Fleiss  „bemerkt  im  Plautus  und  in  der  Geschichte,  aber 
zu  vci-stärken  im  Quintilian;  auch  in  der  griechischen  Grammatik  nicht  immer 
sorgfältig  genug,  bemerkt  im  Plato.  nicht  vermisst  in  den  griechischen  Dichtern: 
nicht  vermisst  im  Deutschen,  desgleichen  in  der  Mathematik.1*    Fortschritte  zeigten 


*)  Für  die  griechische  Sprache  schwärmte  Bismarck  nie,  in  Versailles  sagte  er  einmal 
i  Herbst  1870):  .Als  ich  1'riinaner  war.  da  konnte  ich  recht  gut  lateinisch  schreiben  und 
sprechen:  jetzt  sollte  es  mir  schwer  fallen,  und  das  (iriechische  habe  ich  ganz  vergessen. 
Ich  begreife  überhaupt  nicht,  wie  man  das  so  eifrig  betreiben  kann.  Es  ist  wohl  bloss, 
weil  die  Gelehrten  nicht  im  Werth«  mindern  wollen,  was  sie  selbst  mühsam  erworben 
haben. u 

**)  Kolosser  3,  23.  Schleiermachers  Bede  bei  der  Konfirmation  ist  soeben  im  Druck 
erschienen  (Berlin,  Georg  Beimer,  1H<»5>. 


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Bismarcks  Schuljahre. 


150 


sieh  in  der  Geschichte  und  im  Latein,  fehlten  nicht  in  der  griechischen  Grammatik, 
wurden  in  den  griechischen  Dichtern  nicht  vermisst  und  zeigten  sich  auch  im 
Deutschen,  in  Mathematik  und  Physik.  — 

Wenige  Wochen  später,  in  der  zweiten  Hälfte  des  Monats  März,  unterzog 
sich  Otto  von  Bismarck  mit  Mitschülern  der  schriftlichen  Maturitäts- 
Priifuug;  die  von  den  Abiturienten  gefertigten  Arbeiten  sind  leider  nicht  mehr 
erhalten,  nur  die  gestellten  Aufgaben  waren  noch  zu  ermitteln:  1.  Latein, 
zugleich  alte  Geschichte:  Bella  Romanoruin  adversus  Macodonum  reges  gesta. 
'2.  Neuere  Geschichte:  Über  die  politischen  Verhältnisse  der  Hauptstaaten 
Kuropas  im  Anfang  des  achtzehnten  Jahrhunderts.  3.  Deutscher  Aufsatz: 
Wodurch  erlangte  und  bewahrte  sich  Europa  die  Überlegenheit  über  die  übrigen 
Weift  heile?  4.  Mathematik:  Den  Inhalt  einer  Figur,  die  von  einem  Parabel- 
bngen  und  mehreren  geraden  Linien  beliebig  begrenzt  wird,  zu  finden.  5.  Griechisch: 
Übersetzung  und  grammatischer  Kommentar  von  Sophokles  „Ajax-,  V.  040  070, 
Kdit.  Brauck  (oi  S'ouv  yzLilw-on-MZzzz  oüv  \izLv.  .  .),  und  ein  Kxercitium.  —  Von 
den  Urt heilen  über  diese  Arbeiten  kennt  man  nur  noch  dasjenige,  welches  Hesekiel*) 
ül>»rliefert  hat.  Danach  soll  die  lateinische  Arbeit  die  Note  erhalten  haben: 
-Oratio  est  lucida  ac  latina.  sed  non  satis  castigata." 

Der  schriftlichen  Prüfung  folgte  am  3.  April  1832  die  mündliche,  der  als 
Hegierungskommissar  der  Wirkliche  Oberkonsistorialrath  Nolte  beiwolinte.  Ans 
dem  Protokoll  geht  hervor,  dass  Direktor  Köpke  in  lateinischer  Sprache  Fragen 
aus  dem  Gebiet  der  ägyptischen,  persischen  und  griechischen  Geschichte  stellte, 
und  daran  eine  Prüfung  der  Kenntnisse  in  der  mittleren  und  neueren  Geschichte, 
vom  Ende  der  Kreuzzüge  bis  zur  Zeit  Napoleons  I.  knüpfte ;  Bismarcks  Antworten 
gehörten  zu  den  besten.  Auch  seine  flicssende  Übersetzung  aus  den  Annalen  des 
Tacitus  wurde  lobend  erwähnt;  in  der  Mathematik,  dem  Griechischen  und  der 
Philosophie  —  über  die  „Kräfte  der  Seele"  —  ei-schien  sein  Wissen  «genügend*. 
Auf  Grund  der  günstigen  Ergebnisse  der  Prüfung  wurde  zwanzig  Primanern  das 
Zeugniss  der  Keife  ertheilt.  davon  erhielten  acht  die  Nummer  eins,  die  rest- 
lichen zwölf,  zu  denen  auch  Bismarck  gehörte,  die  Nummer  zwei.  Am  14.  April 
fand  dann  die  feierliche  Entlassung  statt,  bei  welcher  dem  siebenzehnjährigen  Junker 
Otto  folgendes  Dokument  überreicht  wurde: 

Nummer  zwei. 

Entlassungszeugniss. 

1.  Xame  des  Goprüften  und  Stand  seines  Vaters: 

Leopold  Eduard  Otto  von  Bismarck,  163/4  Jahre  alt,  evangelischer  Konfession, 
aus  Schönhausen  in  der  Altmark,  Sohn  des  Gutsbesitzer*  auf  Kniephof  in 
Pommern. 

2.  Zeit  des  Schulbesuchs: 

Er  war  2  Jahre,  von  Sekunda  an,  Schüler  des  Gymnasii  und  Jahr  in 
Prima. 

3.  Aufführung  gegen  Vorgesetzte  und  Mitschüler: 

Stets  anstandig  und  wohlgesittet. 

4.  Fleiss: 

War  zuweilen  unterbrochen,  auch  fehlte  seinem  Schulbesuche  unausgesetzte 
llegelnitissigkeit. 

5.  Kenntnisse: 

Sind  im  Lateinischen  gut,  sowohl  im  Verständnis  der  Schriftsteller  als  in 
seinen  schriftlichen  Übungen;  im  Griechischen  ziemlich  i,'ut;  im  Deutschen 


*)  George  Hesekiel.  das  Buch  vom  Fürsten  Bismarck,  Bielefeld  1*73. 


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151 


Biographische  Bititter. 


besitzt  er  eine  sehr  erfreuliche  Gewandtheit,  und  in  der  Mathematik.  Geschichte 
und  CJeographie  ein  befriedigendes  Maass  von  Kenntnissen.  Von  den  neueren 
Sprachen  hat  er  die  französische  und  englische  Sprache  mit  besonderem  Er- 
folge getrieben. 

Kr  wird  in  Bonn,  Genf  und  Berlin  Jura  und  Camcralia  studiren.  und  wir 
entlassen  diesen  fähigen  und  wohlvorbereiteten  Jüngling  mit  unseren  besten 
Segenswünschen  und  der  Hoffnung,  dass  er  mit  erneutem  Eifer  an  seiner  ferneren 
wissenschaftlichen  Ausbildung  arbeiten  werde. 

Berlin,  den  .'i.  April  1N:V>. 

Verordnete  Prüfungskommission 
des  Berlinischen  Gymnasiums  zum  grauen  Kloster. 

Unter  den  20  Abiturienten  waren  die  künftigen  Theologen  am  stärksten 
vertreten  (t>),  dann  kamen  die  Juristen  (•">)  und  Mediziner  (ö).  und  endlich  die 
Philologen  (3)  und  ein  Naturwissenschaftler. 

Seinen  Plan,  in  Bonn,  Genf  und  Berlin  Jura  zu  studiren.  hat  Otto 
v.  Bismarck  den  Wünschen  der  besorgten  Mutter  opfern  müssen;  an  die  Stelle 
von  Bonn  trat  die  ..Universität  der  vornehmen  Welt"  Güttingen ,  und  (.ienf 
wurde  ganz  gestrichen.  —  — 

Soviel  über  die  Schulzeit  Ottos  von  Bismarck,  von  deren  Einfluss  auf  seiu 
Leben  der  Achtzigjährige  am  '21.  April  ]8(.ir>,  beim  Empfang  der  Abordnung  der 
alten  Burschenschafter  sagte: 

„Ich  war  von  den  Berliner  Gymnasien  mit  nationaler  G  esinnun?. 
ja  ich  muss  sogar  sagen,  mit  ziemlich  republikanischer  abgegangen,  ohne 
dass  irgend  eine  Absichtlichkeit  im  Unterrichtsplan  dahin  zugespitzt 
war;  aber  in  uns  jungen  Leuton  wirkte  der  ganze  Strom,  den  wir  aufnahmen, 
dahin,  dass  wir  für  Harmodios  und  Aristogeiton  eine  gewisse  Sympathie  übrig 
behielten  und  es  schwer  verständlich  fanden,  warum  so  viele  Leute  Einem  ge- 
horchten, wenn  er  ihren  Wünschen  und  ihrer  Geschmacksrichtung  als  Herrscher 
nicht  entsprach  .  .  . 

Aus  der  Erinnerung  an  den  Chediw  Isma'il. 

Von 

GEORG  EBERS. 


Die  Biographie  eines  Morgenländer*  für  einen  Leserkreis  zu  schreiben, 
der  grösstenteils  dein  Orient  fern  steht,  ist  ein  missliehes  Unterfangen. 
Ganz  verdeutlichen  liesse  sich  in  einer  solchen  die  zu  schildernde  Persön- 
lichkeit nur.  Avenn  es  gestattet  wäre,  der  Umgebungswelt,  in  der  sie  erw  uchs 
und  wirkte,  ein  tieferes  Eingehen  zu  sehenken.  Dies  ist  uns  in  diesem 
Kalle  versagt.  Ks  würde  sieh  übrigens  aueh  durch  die  Bedeutung  des 
Mannes,  dessen  wir  hier  zu  gedenken  haben,  kaum  rechtfertigen  lassen. 
Zu  den  Uorrschergestaltcn.  die  ihrem  Lande  und  Volke  den  Stempel  ihres 
Wesens  aufdrückten,  darf  man  ihn  nicht  zählen.  Dennoch  verdient  der 
Chediw  Tsma'il  wohl,  dass  seiner,  nachdem  er  in  der  Verbannung  die  Augen 
schloss.  gedacht  wird:  denn  seine  guten  Eigenschaften  und  verdienstlichen 
Thaten  wogen  gewiss  nicht  leichter  als  seine  Fehler  und  Vergehen.  Zeiht 


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Aus  der  Erinneninsr  «n  den  Chediw  Ismail. 


152 


mau  ihn  auch  mit  vollem  Rechte  maassloser  Verschwendung',  wurde  er 
auch  von  besonnenen  Männern  beschuldig,  niedere  Habsucht  und  das  eitele 
Verlangen,  von  Kuropa  aus  Lobsprüche  zu  ernten,  hätten  ihn  zu  seinen 
nützlichsten  und  erfolgreichsten  Unternehmungen  veranlasst,  soll  man  sich 
doch  hüten,  den  Stab  vorschnell  über  ihn  zu  brechen.  Jedenfalls  war  ein 
grosser  Theil  der  ungeheueren  Summen,  die  er  verausgabte,  fruchtbringenden 
Unternehmungen  gewidmet,  und  darunter  auch  nicht  wenigen,  die  erst  den 
Kindern  und  Enkeln  zu  Gute  zu  kommen  verhiessen.  Seines  lebhaften 
Interesses  auch  an  geketigen  Bestrebungen  horten  wir  nirgend  gedenken. 
Helten  aach  wurde  anerkannt,  dass  er  zu  den  fleissigsten  Arbeitern  gehörte. 
Dennoch  war  er  ein  rastlos  thätiger  Mann,  und  das  sollte  ihm  um  so  höher 
angerechnet  werden,  je  seltener  orientalische  Fürsten  dies  Lob  verdienen. 
Sein  Anrecht  darauf  bleibt,  denken  wir,  bestehen,  wenn  auch  der  Löwenpart 
seiner  Thätigkeit  der  Vermehrung  des  eigenen  Vermögens  und  der  Steigerung 
des  Ansehens  seines  Hauses  gewidmet  war. 

Den  Lobrednern,  die  ihn  vor  der  Thronbesteigung  einen  heldenhaften 
Heerführer  sein  lassen,  der  den  Muth  und  andere  Eigenschaften  seines 
tüchtigen  Vaters,  des  grossen  Feldhcrrn  und  Siegers  von  Nisibi,  erbte, 
meinen  wir  dagegen  ebenso  bestimmt  den  (Hauben  versagen  zu  müssen, 
wie  wir  den  Schmeichlern  widersprechen,  die  ihn  bald  nach  Eröffnung  des 
.Suezkanals  als  den  grossmüthigsteu  aller  Sterblichen  priesen.  Der  Chediw 
lsiua'il  war  vielmehr,  wie  diejenigen,  die  ihm  nahe  standen,  versichern, 
ein  furchtsamer  Mann,  und  wo  er  sich  am  grossmüthigsten  zeigte  und  eine 
allerdings  ans  Unglaubliche  grenzende  Freigebigkeit  tlbte,  veranlasste  ihn 
dazu  entweder  das  dem  Verschwender  eigene  Wohlgefallen  an  grossen  Aus- 
gaben oder  auch  —  und  dies  in  erster  Reihe  -  ■  manche  sehr  nüchterne 
geschäftliche  oder  staatsmännische  "Erwägung.  Dass  sein  gutes  Herz  ihn 
auch  bisweilen  veranlasste,  aus  freiem  Antrieb  tief  in  den  Beutel  zu  greifen, 
soll  darum  ebenso  wenig  geleugnet  werden,  wie  dass  er  für  die  Wohlfahrt 
seines  tandes  zu  grossen  Opfern  bereit  war. 

Wenn  er  Millionen  auf  Millionen  steuerte,  um  es  F.  von  Lesseps  zu 
ermöglichen,  die  Durchstechung  der  Landenge  von  Suez,  die  schon  unter 
seinem  an  (.-Seist  und  Gaben  weit  hinter  ihm  zurückstehenden  Vorgänger 
Sa  id  Pascha  in  Angriff  genommen  worden  war.  fertig  zu  stellen,  und  auch 
andere  Millionen  willig  hergab,  um  die  Eröffnung  des  vollendeten  Unter- 
nehmens mit  märchenhafter  Pracht  und  maasslosem  Aufwand  zu  feiern,  darf  man 
nicht  daraus  schliessen,  dass  ihn  die  geniale  Sorglosigkeit  eines  ungezügelt 
hoehfliegenden  Geistes  dazu  veranlasst  habe.  Vielmehr  erwartete  er  von 
«lern  Kanal  selbst  zunächst  nur  eine  wachsende  Vergrösserung  seiner  Ein- 
künfte: Avas  aber  die  Eröffnungsfeier  angeht,  deren  glänzendste  Momente  aller- 
dings in  das  Reich  der  Wunder  gehörten,  so  darf  man  sie  eine  Pyramide 
nennen,  die  lsiua'il  der  eigenen  Eitelkeit  errichtete,  und  dazu  eine  wohl- 
gelungene Spekulation.   Wie  der  kluge  Geschäftsmann  und  grOsste  Zucker- 


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Biographische  Blütter. 


fabrikant  auf  Knien  vorausgesehen  hatte,  kam  sein  Kntschluss,  bei  dieser 
Feier  die  orientalische  Gastlichkeit  auf  die  Spitze  zu  treiben,  der  neuen 
Wasserstrasse  aufs  Wirksamste  zu  Gute.  Aus  je  weiterer  Feme  nämlich 
der  glänzende  Riesenbau  dieses  Festes  sichtbar  war,  je  fester  er  den  Blick 
aller  Zeitungsleser  der  Welt,  Wochen,  ja  Monate  lang  auf  sich  zog.  desto 
besser  erfüllte  er  seinen  Zweck,  jede  weitere  Reklame  unnöthig  zu  machen. 

Wahrend  jener  Feiertage  sondergleichen  war  der  maritime  Kanal 
ausserdem  noch  keineswegs  völlig  vollendet;  ein  grosser  Theil  der  Gäste 
des  Chediw  gehörte  aber  der  Tagespresse  an,  und  es  war  darum  zu  horten, 
dass  diejenigen,  die  es  sich  gefallen  Hessen,  wochenlang  auf  Kosten  des 
freigebigsten  aller  Wirthe  das  Meer  und  den  Nil  zu  befahren,  sich  be- 
herbergen zu  lassen,  zu  tafeln  und  zu  zechen,  wenn  auch  nicht  falsche  so  doch 
nachsichtige  Berichterstatter  sein  würden.  Der  Dampfer,  der  den  Schreiber 
dieser  Zeilen  aufgenommen  hatte,  war,  wie  fast  alle  grösseren  Schilfe,  bei  der 
Fahrt  durch  den  Kanal  mehrfach  auf  den  Sand  gerathen  und  hatte  einmal 
erst  nach  stundenlangen  Anstrengungen  wieder  Hott  gemacht  werden  können; 
doch  war  dieser  Aufenthalt  weder  ihm  noch  seinen  Reisegefährten  be- 
klagenswerth  erschienen,  während  der  Champagner  tloss  und  eine  auserlesene 
Gesellschaft  aus  allen  Ländern  der  Erde  in  hochgehobener  Stimmung  sich 
aufs  Beste  unterhielt.  Wie  oft  bekam  man  das  Wort  rewablv"  zu  hören! 
Es  hatte  indess  einen  heiteren  Klang,  und  eine  Sammlung  von  Euphemismen, 
mit  denen  man  den  Begriff  des  „im  Sande  Festgefahrenseins*  mehr  umging, 
als  zum  Ausdruck  brachte,  würde  ergötzlich  genug  ausgefallen  sein.  Was 
noch  nicht  vollendet  war,  konnte  ja  auch  bald  mit  Hülfe  der  grossen 
Baggermaschinen,  an  denen  es  nicht  fehlte,  fertiggestellt  werden.  Dass  die 
Mittel  dazu  sich  beschaifen  lassen  würden,  bezweifelten  wenige  der  Gäste. 
Sie  fanden  sich  auch  in  der  That,  weil  es  der  neuen  Wasserstrasse  von 
Anfang  an  nicht  an  Dampfern  fehlte,  die  sie  passirten  und  den  hohen 
Durchgangszoll  bezahlten.  Dennoch  ist  bei  dem  damaligen  Stand  der 
Finanzen  des  Unternehmens  die  Frage,  was  aus  dem  unfertigen  Kanal 
geworden  wäre,  wenn  ihm  die  Schiffe  der  seefahrenden  Völker  noch  lange 
fern  geblieben  wären,  keineswegs  müssig.  Die  Ungeduld  des  Chediw,  deren 
wir  noch  zu  gedenken  haben,  hätte  das  grossartige,  unendlich  wichtige  Unter- 
nehmen auf  Jahre  hinaus  dem  Weltverkehr  vorenthalten  können,  wäre  nicht 
in  Folge  seiner  schnellen  Benutzung  die  drohende  Gefahr  von  ihm  abge- 
wendet worden.  Der  riesenhafte  Reklameakt,  der  auch  der  Eitelkeit  Ismails 
schmeichelte,  machte  zugleich  wieder  gut,  was  seine  Hast  zu  verderben  drohte. 

Waren  es  also  auch  nichts  weniger  als  selbstlose  Beweggründe,  die 
Tsma'il  veranlassten,  so  grosse  Opfer  für  die  Herstellung  des  Suez-Kanals 
und  für  seine  glänzende  Eröffnung  zu  bringen,  so  möchten  wir  dennoch  mit 
aller  Entschiedenheit  behaupten,  dass  es  weder  allein  der  leidenschaftliche 
Wunsch,  auch  in  Europa  für  einen  hervorragenden  Staatsmann  und  für  einen 
weitsichtigen,  allen  Anforderungen  der  Kultur  seiner  Zeit  gewachsenen 


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Aus  der  Erinnerung  an  den  Chediw  Ismail. 


154 


Regenten  gehalten  zu  worden,  noch  ausschliesslich  das  Verlangen,  seine  Ein- 
künfte zu  vergrössern,  war,  was  ihn  veranlasste,  diejenigen  Einrichtungen  ins 
Leben  zu  rufen,  die  seinem  Volke  am  meisten  zu  Gute  kommen  sollten.  Kr 
liebte  vielmehr  sein  Land,  und  es  lag  ihm  aufrichtig  am  Herzen,  ihm  zu 
nützen  und  auch  Ägypten  mit  den  Errungenschaften  der  europäischen  Kultur, 
zu  denen  er  mit  Bewunderung  aufschaute,  zu  beschenken,  als  er  es  unternahm, 
das  Delta  mit  einem  Netz  von  Schienen  zu  überspannen,  eine  Eisenbahn 
den  Xil  entlang  —  zu  seiner  Zeit  bis  nach  vSiut  und  ins  Fajjüm  —  zu  fuhren  und 
den  Telegraphendraht  von  Stadt  zu  Stadt,  am  Ufer  des  Stromes  bis  nach 
Chartum  und  am  Strande  des  Rothen  Meeres  hin,  durch  das  Fruchtland 
und  auf  langen  Strecken  auch  durch  die  Wüste  zu  leiten.  Ebensowenig 
glauben  wir,  dass  es  nur  Kegungen  der  Eitelkeit  und  materielle  oder 
geschäftliche  Erwägungen  waren,  was  ihn  bewog,  den  Hafen  von  Alexandria 
mit  einem  ungeheueren  Kostenaufwand  zu  vergrössern,  zu  sicheln  und  sanunt 
anderen  Plätzen  am  Mittelmeer  mit  Befestigungen  zu  verseilen,  seine 
Residenzen  mit  Gas  zu  beleuchten,  das  Kanalnetz  des  ganzen  Landes  zu 
verbessern  und  für  die  .Pflanzung  schattenspendender  Bäume  zu  sorgen. 

So  gewiss  er  bei  der  Anlage  der  vielen  Zuckerfabriken,  deren  Schorn- 
steine sich  jetzt  an  beiden  Ufern  des  Nils  in  grosser  Zahl  erheben  und  an 
Höhe  die  Obelisken  Uberbieten,  die  seine  Vorfahren  errichteten,  nur  an 
Gelderwerb  dachte,  so  sicher  er  besonders,  um  in  Europa  die  Angriffe  der 
Menschenfreunde  zum  Schweigen  zu  bringen  und  den  Beifall  der  christ- 
lichen Welt  zu  ernten,  die  Zwangsarbeit  wenigstens  im  Prinzip  aufhob, 
gegen  den  Sklavenhandel  einschritt  und  den  Missionsgesellschaften  manchen 
Vorschub  leistete,  ebenso  gewiss  veranlassten  ihn  reinere  und  höhere  Beweg- 
gründe, den  öffentlichen  Unterricht  zu  heben,  das  Medizinalwesen  zu  ver- 
bessern und  vielen  seiner  Unterthanen  europäische  Bildung  zugänglich  zu 
machen.    Dabei  griff  er  freilich  zuweilen  fehl  und  suchte  Edelreiser  in 
Wildlinge  zu  propfen,  die  zu  ihrer  Aufnahme  noch  nicht  fähig  waren. 
Auch  hier  verdarb  die  ilmi  eigene  Ungeduld  Manches.   Bevor  das  Fundament 
befestigt  war,  sollten  dem  Bau  Thürme  aufgesetzt  werden.    So  ist  es  wohl 
begreiflich,  dass  er,  der  sich  als  Nachfolger  der  Pharaonen  fühlte,  junge 
Äegypter  mit  der  Glanzzeit  ihres  Volkes  im  Alterthum  vertraut  zu  machen 
wünschte.    Statt  die  Auserwählten  jedoch  zunächst  mit  der  nöthigen  Vor- 
bildung auszurüsten,  entnahm  er  sie  arabischen  Schulen  und  trug  Heinrich 
Brugsch  auf,  sie  zu  Ägyptologen  zu  machen.  Wenn  einem,  so  hätte  unserem 
gelehrten  und  lebensvollen  Landsmanne  dies  Werk  gelingen  können:  doch 
bald  genug  zog  er  sich  davon  zurück,  weil  er  einsah,  dass  die  handwerks- 
mäßig erlernte  Wissenschaft  auch  die  begabtesten  seiner  Schüler  nur 
ich  bediene  mich  seiner  eigenen  Worte  —  nur  zu  ..Fabrikanten  von  falschen 
Skarabäen"  gemacht  haben  würde. 

An  das  Werk  der  Reorganisation  der  Gerichtsbarkeit  ging  Isnnril  mit 
Unlust,  weil  er  fühlte,  dass  sie  bei  seinem  Unvermögen,  den  Forderungen 


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1 55 


Biopraphisclie  Blätter. 


der  europäischen  Mächte  Widerstand  zu  leisten,  mehr  den  Fremden  als 
seinen  Unterthanen  zu  Gute  kommen  würde.  Mit  welchen  Gefühlen  er  es 
that.  mag"  dahingestellt  bleiben,  doch  ist  es  gewiss,  dass  er  auch  christliche 
Glaubensgeuossenschaften  beim  Bau  neuer  Kirchen  freigebig  unterstützte. 

Was  die  Forderung  von  Europa  ausgehender  wissenschaftlicher  Unter- 
nehmungen angeht,  an  der  lsma'il  es  nicht  fehlen  Hess,  fühlen  wir  uns 
berechtigt,  denen  mit  aller  Bestimmtheit  entgegenzutreten,  die  auch  noch  in 
jüngster  Zeit  behaupteten,  Jsma'il  habe  ihnen  aus  kluger  Berechnung  und 
ohne  sich  auch  nur  um  die  Ziele  zu  bekümmern,  die  sie  verfolgten.  Vor- 
schub geleistet.  Diese  Beschuldigungen  sind  grundfalsch.  Sie  wenden  indess 
eher  auf  oberflächlicher  Kenntniss  des  wahren  Sachverhalts  nnd  auf  einer 
leicht  erklärlichen  Verwechselung  beruhen  als  auf  übelem  Willen:  denn 
man  konnte  den  Verstorbenen  während  seiner  Kegierungszeit  allerdings 
manches  Projekt  unterstützen  sehen,  das  ihm  nicht  nur  gleichgültig,  sondern 
widerwäl  tig  sein  musste.  Zur  Erklärung  dieser  befremdlichen  Thatsache  und  zur 
Begründung  unserer  Überzeugung  sei  uns  das  Folgende  zu  bemerken  gestattet. 

Selten  wurde  ein  Herrscher  von  einer  übel  gesinnten,  beutegierigen 
Umgebung  so  hartnäckig  umdrängt  und  schamlos  ausgebeutet  wie  der  Uhediw 
Ismail.  Aus  allen  Ländern  Europas  kamen  diese  Parasiten  an  seinen  Hof. 
um  bei  ihm  das  tägliche  Brot  oder  neue  Mittel  zu  finden,  die  Aus- 
schweifungen fortzusetzen,  die  sie  daheim  zu  Grunde  gerichtet.  Ver- 
wegene, schlaue  und  dazu  geschäftskundige  Abenteuerer  wussten  sich  mit 
dem  Vorsatze,  ihm  ein  Vermögen  abzulisten,  Einlass  bei  ihm  zu  verschaffen. 
Waren  die  Eindringlinge,  die  dem  geschäftlichen  Leben  fern  standen,  und 
unter  denen  manche  stolze  Namen  trugen,  von  liebenswürdig-einschmeichelndem 
Wesen,  warf  er  ihnen,  wie  ein  fürstlicher  Herr  im  Mittelalter  dem  Schalks- 
narren, zum  Dank  für  die  Unterhaltung,  die  sie  ihm  gewährt,  Gold  in  den 
Schooss  oder  vor  die  Füsse.  Manche  konnte  er  indess,  auch  wenn  sie  ihm 
misslielen,  nicht  von  sich  abschütteln:  denn  sie  waren  ihm  von  hohen 
Gönnern,  oft  sogar  von  regierenden  Häuptern,  die  ihm  Gegendienste  leisten 
konnten,  empfohlen  worden.  Besonders  aus  dem  napoleonischen  Frankreich 
wurden  ihm  verkommene  Wüstlinge,  die  den  vornehmen  Familien,  denen 
sie  angehörten,  auflagen,  nachdem  sie  die  Möglichkeit  eines  ehrlichen 
Fortkommens  daheim  verscherzt  hatten,  als  wohlverwendbare  Leute  mit 
dringenden  Empfehlungen  —  wenn  der  Ausdruck  erlaubt  ist  —  auf  den 
Hals  geschickt.  Bald  genug  bildete  sich  um  ihn  her  eine  Uamarilla.  in 
der  diese  Elemente  das  grosse  Wort  führten,  und  die  immer  stärkeren  Ein- 
fluss  auf  den  wenig  muthigen  und  viel  zu  sehr  von  Rücksichten  jeder  Art 
beeiutlussten  Fürsten  gewannen.  Warum  er,  trotz  des  bitteren  Tadels  und  der 
zahlreichen  Angriffe,  die  er  sich  um  ihretwillen  irefallen  lassen  musste.  an 
ihr  festhielt,  ist  schwer  begreiflich.    Ibrahim  Pascha  Taufiq*).  der  dem 

)  Nicht  zu  verwechseln  mit  dorn  Chediw  T.iufiq,  dem  vordem  Vater  und  Vorgäng-er 
verstorbenen  Sohne  Ismails. 


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Aus  der  Krimionuig'  an  den  Chodiw  Isma  il. 


15« 


Verstorbenen  zwanzig-  Jahre  lang  nahe  stand,  sucht  es  in  der  Zeitschrift 
-L'Et/t/ptr"  zu  erklären,  indem  er  mittheilt,  dass  der  Uhediw,  wenn  redliche 
Freunde  es  wagten,  ihn  auf  die  Unwürdigkeit  seiner  Umgebung  hinzuweisen, 
keineswegs  für  sie  eingetreten  sei.  sondern  nur  gefragt  habe:  „Was  soll 
ich  tliun?  Die  ehrenwertben  Leute  verlangen,  dass  ich  sie  am  eigenen 
Herd  aufsuche.  Das  lässt  sich  nicht  immer  machen.  So  bin  ich  denn 
genöthigt.  mich  derer  zu  bedienen,  die  mich  nun  einmal  umgeben.  ...Je  suis 
.«mimt  mal  nervi,  c'est  rrai,  rn<m  ettfin  je  sim  servil 

Die  Resignation  des  Morgenlanders  und  Muslim!  Logischer  wär  es 
gewesen,  hätte  Ismail  gesagt,  er  sehe  sich  diejenigen  zu  benutzen  gezwungen, 
die  er  um  ihrer  Empfehlungen  willen  in  seiner  Nähe  dulden  mOssc.  Damit 
wäre  auch  die  Antithese,  die  denjenigen,  die  erst  aufgesucht  werden  wollten, 
die  anderen  gegenüberstellt,  die  man  ihm  aufgedrängt  hatte,  besser  zum 
Ausdruck  gekommen. 

Wer  die  Umgebung  dieses  Herrschers  kennen  lernte,  der  wird  leicht 
begreifen,  dass  sie  ihn  misstrauisch  machte,  und  den  Ausruf  Ibrahim 
Pascha  Taufiqs  verstehen:  ..Que  de  tr'qmUtyes,  que  de  <jem  farfa  a  rti 
U-  rhjne  d' Ismail  l" 

Diese  Leute  nun,  die  sämmtlich  nichts  als  schnöde  Habsucht  ihm  zuge- 
führt hatte,  wussten  ihn  oft  genug  zur  Unterstützung  irgend  eines  Unternehmens 
zu  bestimmen,  von  dem  sie  allein  Vortheil  erwarteten.  Was  aus  solchen 
abenteuerlichen  Projekten  wurde,  kümmerte  Ismail  dann  natürlich  nicht  im 
geringsten.  Wie  oft  erthcilte  er  den  ..gut  Empfohlenen"  sogar  Konzessionen 
zu  Vorhaben,  von  denen  sein  Scharfblick  voraussah,  dass  sie  unausführbar 
wären.  Andererseits  bemühten  sich  auch  gewissenlose  Abenteuerer.  in  der 
Hoffnung  auf  unüberwindliche  Hindernisse  zu  stossen,  obrigkeitliche  Er- 
laubnisse zu  erhalten,  um.  sobald  sich  die  Unmöglichkeit,  das  bewilligte 
Unternehmen  durchzuführen,  eingestellt  hatte,  Schadenersatz  zu  fordern. 
.Schadenersatz!"  Wie  oft  bekam  auch  der  Unbetheiligte  dies  Wort  in 
Kairo  zu  hören.  Wie  viele  Geschichten  und  Anekdoten  knüpften  sich 
daran.  Im  Schatzamte  wurde  es  wie  kein  anderes  gefürchtet.  Es  war 
auch  in  der  That  ein  Moloch,  der  Millionen  auf  Millionen  verschlang.  Auf 
-Schadenersatz"  spekulirten  die  grossen  Glücksritter  bei  ihren  kühnsten 
Anschlägen,  um  ..Schadenersatz"  zu  erlangen,  übten  Kleine  die  unwürdigsten 
Listen.  Der  Uhotograph.  der  seinen  Apparat  mitten  unter  den  Pilgern  in 
Thätigkeit  setzte,  die  in  gehobener  Stimmung  am  Hirket  el-Hagg  bei  Kairo 
vor  dem  Aufbruch  der  von  Engeln  begleiteten  Karawane  nach  Mekka 
lagerten,  und  dafür,  wie  er  vorausgesehen  hatte,  überfallen  und  durchgebläut 
wurde,  trug  seine  brauneu  Flecke  in  der  Hoffnung  auf  ..Schadenersatz"  zu- 
frieden nach  Hause.  Er  winde  denn  auch.  Dank  den  Bemühungen  seines 
Konsuls  und  dem  Wunsche  des  Uhediw.  das  angenehme  Verhältniss  mit 
der  Obrigkeit  seines  Heimathstaates  nicht  getrübt  zu  sehen,  bewilligt. 

Diesem  wie  manchem  ähnlichen  Anschlage  der  Kleinen  wohnt  wenigstens 


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157 


Biographische  Blätter. 


ein  Beigeschmack  von  Humor  inne.  Audi  daran  fehlt  es  denen  der  Grossen, 
die  dem  gemeinen  Betrug  ähnlieh  sehen  wie  ein  Giftpilz  dem  anderen.  Nur 
einer  dieser  üblen  Streiche  kann  kaum  verfehlen,  durch  seine  eigenartige 
Frechheit  erheiternd  zu  wirken.  Ein  bedeutender  Kaufmann  in  Triest.  der 
für  den  Hofhalt  des  Vizekönigs  Sa'id  Tafelobst  geliefert  hatte,  sandte  nach 
dem  Tode  dieses  Fürsten,  des  Vorgängers  Isiua4ils,  eine  Rechnung  ein.  deren 
Höhe  von  dem  Schatzamte  des  neuen  Kegenten  beanstandet  wurde,  weil  sie 
wir  behielten  die  Zahl  im  Gedäehtniss  —  mit  85.000  Francs  oder  gar 
Gulden  abschloss.  Der  Triestiner  bestand  indess  auf  seiner  Forderung  und 
begründete  sie  durch  einen  Brief  aus  dem  Küehendepartement  des  ver- 
storbenen Sa'id,  in  dem  er  ersucht  wurde,  künftig  weniger,  aber  besseres 
Obst  zu  schicken.  Aus  diesem  Schreiben  sollte  hervorgehen,  eine  wie 
grosse  Menge  Früchte  er  geliefert.  Obgleich  dies  wunderliche  Argument 
kaum  als  entscheidend  angesehen  werden  konnte,  wurde  dennoch  Zahlung 
geleistet;  denn  derjenige,  der  sich  seiner  bedient  hatte,  gehörte  zu  den 
einflussreicheren  Finanzmännern  Österreichs,  und  seiner  Mitwirkung  bei  der 
nächsten  Anleihe  zu  Liebe,  biss  man  weiter  in  seine  saueren  Äpfel. 

Diese  Anekdoten,  für  deren  Wahrheit  wir  übrigens  einstehen,  genügen, 
um  es  begreiflich  erscheinen  zu  lassen,  dass  Ismail  oft  nicht  nur  gleichgültig, 
sondern  mit  einein  Fluch  auf  den  Lippen  den  Unternehmungen  der  Fremden 
in  seinem  Reiche  zusah.  Dennoch  öffnete  er  bei  mancher  Gelegenheit  den 
Beutel  mit  aufrichtigem  Vergnügen,  um  eine  Sache  zu  unterstützen,  die 
ihm  um  ihrer  selbst  willens  seines  Beistandes  werth  schien.  Dass  er  aber 
gerade  denjenigen  Bestrebungen,  die  nicht  nur  der  Mehrzahl  seiner  Glaubens- 
genossen, sondern  auch  den  niedrig  gesinnten  Glücksrittern  und  Genuss- 
menschen, die  seine  Umgebung  bildeten,  höchst  gleichgültig  waren,  ja  ihnen 
sogar  verächtlich  erschienen,  sein  Interesse  zuwandte  und  ihnen  auch  frei- 
gebig Vorschub  leistete,  das  gereicht  ihm  zu  besonderer  Ehre.  Es  berechtigt 
uns  daneben  auch  denjenigen  zu  widersprechen,  die  Lsma'il  .gerade  wegen 
seines  Verhaltens  gegen  jene  Parasiten  für  einen  charakterlosen  Mann 
erklärten.  Gewiss  wäre  der  Gleichmuth,  mit  der  er  sich  von  diesem 
Gesindel  ausplündern  Hess,  für  einen  Europäer  unverzeihlich  gewesen:  der 
Uhediw  lsma'il  war  jedoch  ein  Orientale.  Um  sich  die  Ruhe  zu  wahren, 
Hess  er  sich's  willig  etwas  kosten. 

Gegenüber  manchen  Angelegenheiten,  die  ihm  am  Herzen  lagen,  be- 
stand er  dagegen,  wie  gesagt,  jedem  Einsprüche  zum  Trotz,  auf  dem  eigenen 
Willen.  In  unserem  „Cicerone  durch  das  alte  und  neue  Ägypten"  zeigten 
wir.  wie  selbst  gelehrte  Muslimen  auch  nicht  die  geringste  Theilnahiue 
für  das  Alterthum  und  die  Denkmäler  der  Vorzeit  besassen.  Ja  sie  er- 
schienen ihnen  als  1  leidenwerk  so  verächtlich,  dass  sie  sich  schämten,  auch 
nur  von  ihnen  zu  reden.  Dies  ging  so  weit,  dass  wohlunterrichtete 
( ieographen  und  Reiseschriftsteller  in  ihren  ausführlichen  Werken  zwar 
jedes  lleiligcngrabes  erwähnen,  dagegen  aber  der  grossartigsten  Reste  der 


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Aus  der  Erinnerung'  an  den  Chediw  Isma  il. 


158 


altägyptischen  und  griechischen  Kunst  mit  keinem  Worte  gedenken.  Noch 
vor  wenigen  Lustren  schienen  selbst  die  Pyramiden  den  muslimischen 
Kairenern  nicht  werth.  sie,  die  für  sie  auf  einem  kurzen  Kselritt  erreichbar 
sind,  aus  der  Nähe  zu  betrachten.  Als  der  Chediw  Ismail  nun  den  Denk- 
mälern aus  der  Pharaonenzeit  ein  lebhafteres  Interesse  zuzuwenden  und 
bedeutende  Summen  für  Ausgrabungen  u.  s.  w.  aufzuwenden  begann,  hatte 
er  darum  gegen  den  lebhaften  Einspruch  hochstehender  Muslimen  zu  kämpfen. 
Die  europäischen  Parasiten  belächelten  seine  Opferwilligkeit  für  diese  Dini:e. 
von  denen  nur  insofern  ein  materieller  Vortheil  zu  erwarten  stand,  als  sie 
einige  Fremde  mehr  nach  Aegypten  zu  ziehen  und  den  Hotels  u.s.w  zu  (inte 
zu  kommen  verhiessen.  Doch  Ismail  Hess  sich  in  diesem  Kalle  nicht  irre 
machen,  und  wenn  er  Auguste  Mariette  die  Mittel  in  die  Hand  gab.  seine 
seltene.  Findigkeit  als  Ausgrabe!'  zu  bewähren.  Tempel  freizulegen,  und  die 
Fellachen,  die  sich  mit  Weib  und  Kind.  Vieh  und  Ackergeräth  in  ihnen 
eingenistet  hatten,  aus  ihnen  zu  entfernen  und  für  die  Erhaltung  der  Denk- 
mäler Sorge  zu  tragen,  so  that  er  es.  weil  der  französische  Chef  der  Alter- 
thümer  in  Ägypten,  es  in  seiner  jovialen  und  dazu  fesselnden  Weise  ver- 
standen hatte,  ihm  das  Verständniss  für  ihre  Bedeutung  zu  erschliessen 
und  ihn  mit  Achtung  vor  ihnen  zu  erfüllen. 

Auch  was  sonst  auf  wissenschaftlichem  Gebiet  in  seinem  Reiche  unter- 
nommen werden  sollte,  förderte  er  mit  offener  Hand,  sobald  ihm  erklärt 
worden  war.  was  es  bezweckte  und  dies  seine  Theilnahme  wachrief.  So 
Hess  er  z.  B.  der  von  G.  Kohlfs  geleiteten  Expedition,  aus  der  Carl  Zittels 
schöne  Briefe  aus  der  Libyschen  Wüste.  Paul  Aschersohns  botanische 
Studien  etc.  hervorgingen,  eine  reiche  Subvention  zu  Theil  werden,  weil 
man  es  verstanden  hatte,  ihn  für  ihre  Aufgaben  zu  interessiren.  Das 
Gleiche  dürfen  wir  von  der  Hereitwilligkeit  behaupten,  mit  der  er  Ernst 
Häckel  für  die  Erforschung  der  Fauna  des  Kothen  Meeres  einen  Dampfer 
zur  Verfügung  stellte,  und  glauben  es  gegenüber  den  Erleichterungen  an- 
nehmen zu  dürfen,  die  er  Georg  Schweinfurth  und  anderen  europäischen 
Gelehrten  bei  ihren  Forschungsreisen  gewährte.  Auch  noch  in  der  Ver- 
bannung als  Privatmann,  dem  die  Gunst  der  abendländischen  Fürsten  wenig 
mehr  zu  gewähren  vermochte,  geizte  er  nicht,  wo  es  galt,  idealen  Bestre- 
bungen, die  ihm  sympathisch  waren,  mit  seinen  immer  noch  reichen  Mitteln 
Vorschub  zu  leisten.  Wie  hoch  er  die  Kultur  des  Abendlandes  und  seine 
Bildungsmittel  hielt,  das  bewies  er  auch  durch  die  Erziehung,  die  ei- 
sernen Söhnen  angedeihen  Hess.  Der  eine.  Ibrahim  Hilmy,  der  ihm  ins 
Exil  gefolgt  war,  ein  wohlunterrichteter  Mann,  fand  den  Vater  freudig 
bereit,  ihm  die  Arbeit  mit  allen  ihm  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  zu  er- 
leichtem, als  er  es  unternahm,  ein  grosses  bibliographisches  Werk  zu  ver- 
fassen. In  zwei  fürstlich  ausgestatteten  Foliobänden  umschliesst  es  die  Titel 
sümmtlicher  als  Bücher  oder  in  Journalen  erschienenen  Schriften  über 
Ajrypten  und  den  Sudan  und  zeugt  aufs  Lebhafteste  für  den  Sammeltieiss 


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Biographische  Bliitter. 


und  den  wissenschaftlichen  Sinn  des  Verfassers.  In  der  Widmung  au  den 
Vater,  die  der  Sohn  diesem  Werke  voransehickt,  heisst  es:  „In  den  tinsteren 
Tagen,  die  über  die  Ägypter  kamen,  setzen  die  Nachkommen  Mehenied 
Alis  immer  noch  ihre  Hoffnung  und  die  Hoffnung  ihres  Landes  auf  den, 
der  achtzehn  Jahre  lang  so  angestrengt  arbeitete,  um  seine  Wohlfahrt  und 
Fruchtbarkeit  zu  steigern,  und  der  ohne  ein  murrendes  Wort  die  .Bitternis* 
der  Verbannung*  trug." 

Die  Warme  dieser  Anerkennung  darf  der  Pietät  des  Sohnes  zugeschrieben 
werden,  doch  lubt  Hiliny  nichts  an  dem  Dahingegangenen,  was  nicht  wirklich 
zu  rühmen  gewesen  wäre.  Ja  es  könnte  Ismail  noch  manches  andere  ( Jute 
nachgesagt  werden.  So  hatte  er  sich  gezwungen  gesehen,  seinen  ihm  feind- 
lich gesinnten  Bruder  Mnstapha  in  die  Verbannung  zu  schicken.  Von 
dort  aus  horte  der  gekränkte  Mann  nicht  auf,  ihm  mit  seltener  Gehässig- 
keit Steine  in  den  Weg  zu  werfen,  ja  ihm  nach  dem  Leben  zu  trachten. 
Als  Mnstapha  aber  völlig  verarmt  die  Augen  schloss,  gab  Isma'il  seinen 
Nachkommen  reichlich  zu  leben  und  nahm  sie  unter  die  Seinen  auf,  obgleich 
er  sie  im  Elend  hätte  zu  Grunde  gehen  lassen  können. 

Dieser  gütigen  Gesinnung  entsprach  auch  sein  äusseres  Wesen.  Die 
wohlgebildetcn,  angenehmen,  nur  etwas  zu  vollen  Züge  des  kaum  mittel- 
grossen,  breitschulterigen  Mannes  zeugten  für  sein  freundliches  Geniuth; 
daneben  aber  für  einen  zwar  geweckten,  doch  etwas  nüchternen  (»eist. 
Ohne  den  Tarbnsch,  den  er  zu  tragen  pflegte,  hätte  man  ihn  für  einen  Deut- 
schen oder  Holländischen  Kaufherrn  in  günstigen  Verhältnissen  halten  können. 
Ks  lag  etwas  Beilagliches  in  seiner  ganzen  Erscheinung,  die  in  nichts  der 
Vorstelluug  entsprach,  die  der  Europäer  sich  von  dem  Morgenländer  bildet. 
Das  Gleiche  galt  auch,  trotz  des  stattlichen  weissen  Bartes,  der  ihn  im 
Alter  schmückte,  von  seinem  berühmten  Grossvater,  dem  Macedonier  Mehenied 
Ali.  Das  Haar  wie  der  kurz  gehaltene  Bart  Ismails  waren  braun,  seine 
Augen,  deren  Farbe  ich  nicht  mehr  zu  bezeichnen  wage,  keinenfalls  von 
glänzendem  Schwarz.  Sie  konnten  bei  öffentlichen  Empfängen  und  wo  es 
zuzuhören  galt,  recht  müde  und  gelangweilt  dreinschauen.  Ward  er  zum 
Widerspruch  gereizt  oder  gab  er  gar  einer  zornigen  Erregung  lebhaft  Aus- 
druck, so  gewann  nicht  nur  sein  Blick,  sondern  seine  ganze  Persönlichkeit 
etwas  so  leidenschaftlich  Bedrohliches,  dass  ich  meinem  französischen  Tisch- 
nachbar Hecht  geben  musste,  als  er  mir  zurief:  „Da  haben  Sic  ihn  ohne 
die  Pariser  Tünche!  Der  Mamlukensultan,  dem  es  auf  ein  paar  Dutzend 
Köpfe  nicht  ankommt."  Auch  der  Fluss  seiner  liede  er  sprach  gern 
und  geläutig  französisch  —  wurde  von  der  Bewegung  seiner  Seele  eiiren- 
thumlieh  beeinflusst,  indem  sich  dann  die  Gewohnheit,  den  sonderbaren  .Satz 
..rowwr  vi,  coimnr  vä  et  ertrra"  -  -  als  Gedankenpause  recht  oft  in  die  Hede 
zu  mischen,  zur  schwererträglichen  l'nart  steigerte.  Wir  begegneten  dem 
Verstorbenen  zu  selten,  um  uns,  wie  ihm  näher  Stehende,  an  diese  Wunder- 
lichkeit zu  gewöhnen. 


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Aus  der  Erinnerung  an  den  Chediw  Ismail.  KJ(> 

Es  lag,  wie  gesagt,  etwas  Bedrohliches  in  dem  ganzen  Wesen  des 
Chediw  Isma'il,  während  er  seinem  Unwillen  Ausdruck  verlieh,  und  doch 
war  er  nichts  weniger  als  ein  grausamer  Tyrann.  Das  beweist  schon  das 
Verhalten  gegen  seine  feindlichen  Anverwandten,  dessen  wir  gedachten. 
Dennoch  wurde  ihm  in  Kairo  nachgesagt,  er  hätte  sich  mehrere  ihm  miss- 
liebige  Würdenträger  ohne  Untersuchung  und  Kichterspruch,  ganz  in  der 
Weise  morgenländischer  Despoten,  ans  dem  Wege  räumen  lassen,  und  in 
Ober-Ägypten  hörten  wir  von  Anverwandten  der  Verfolgten  und  Hingerichteten, 
mit  wie  blutiger  Strenge  noch  unter  Isma'il  nicht  nur  die  Anhänger  eines 
gewissen  Achmed  Taijib,  der  zu  Gau  el-Kebir  einen  Aufstand  gegen  die 
Regierung  angezettelt  und  geleitet  hatte,  sondern  auch  die  gesammten,  meist 
anschuldigen  Sippen  der  Betheiligten,  verfolgt,  gefangengesetzt  und  getödtet 
worden  wären.  Die  furchtbaren  Grausamkeiten,  die  in  diesem  Falle  sicher 
vorkamen,  sind  indess,  wie  wir  versichern  horten,  mehr  den  ausführenden 
Behörden  als  dem  Fürsten  zur  Last  zu  legen.  Was  die  getödteten  Würden- 
träger angeht,  darf  man  wohl  Ibrahim  Pascha  Taufki  glauben,  wenn  er 
nach  dem  Tode  Isma'ils  —  versichert,  dass  sie  niemals  auf  Befehl  des  Chediw 
oder  überhaupt  getödtet  worden  wären.  Der  Muffetisch,  von  dem  alle  Welt 
sieh  erzählte,  er  sei  auf  Wunsch  des  Chediw  erdrosselt  oder  wohl  anch  ver- 
iriftet  worden,  soll  nach  diesem  zuverlässigen  Gcwährsmanne,  auf  seiner 
Dihnbye  nach  einigen  Anfällen  von  Geisteskrankheit  eines  natürlichen  Todes 
gestorben  sein.  Nur  in  einem  Falle,  giebt  unser  Zeuge  zu,  habe  Isma'il 
einen  hohen  Beamten  -  und  zwar  durch  Stockprügel  ums  Leben 
bringen  lassen.  Kine  harte  Strafe!  Und  doch  gereicht  sie  dem  orientalischen 
Machthaber,  der  sie  vollziehen  Hess,  kaum  zum  Vorwurf;  denn  derjenige, 
den  sie  ereilte,  hatte  Isma'il,  nachdem  er  ihn.  seinen  früheren  Kammerdiener, 
zur  hohen  Würde  eines  Pascha  erhoben  und  mit  dem  höchsten  Vertrauen 
geehrt,  aufs  Schnödeste  hintergangen  und  an  der  empfindlichsten  Stelle  ver- 
wundet, indem  er  schöne  Sklavinnen,  die  des  besonderen  Wohlgefallens  seines 
Gebieters  genossen,  zur  Untreue  verleitete.  Dergleichen  nicht  blutig  zu 
rächen,  wenn  es  in  seiner  Macht  stand,  wäre  schimpflich  für  den  Morgen- 
länder gewesen.  Gerade  solchen  Anlässen  gegenüber  darf  man  nicht  ver- 
gessen, wo  der  Thron  des  zu  Beurtheilenden  steht  und  Über  welches  Volk 
er  gebietet. 

Der  hochbegabte  Grossvater  Isma'ils,  Mehemed  Ali,  dessen  wir  schon 
gedachten,  fand  —  und  in  mancher  Hinsicht  mit  vollem  Hechte  —  be- 
geisterte Lobredner  auch  unter  hervorragenden  Europäern,  die  ihm  persönlich 
nahe  gekommen  waren,  und  doch  Hess  er  beinahe  ein  halbes  Tausend  (480) 
Mamluken,  die  er  zu  Gast  geladen,  an  der  nämlichen  Stelle  und  zur  gleichen 
Stunde  niedermetzeln.  Diese  Greuelthat,  die  au  der  Nibelungen  Tod  erinnert, 
wurde  in  unserem  Jahrhundert,  am  1.  März  1811,  auf  der  Citadelle  von  Kairo 
begangen.  Nachdem  sie  gelungen  war.  Hess  Mehemed  Ali  sicli  von  seinem 
italienischen  Leibarzte  ein  G las  Wasser  reichen,  trank  es  aus  und  setzte  es 


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Biographische  Mütter. 


mit  einem  langgedehnten  ,,ah"  nieder.  Er  war  sieh  bewusst,  das  einzige 
Mittel  angewandt  zu  haben,  das  seinem  Lande  die  Ruhe  wiederzugeben 
verhiess.  Das  Blut,  womit  der  Grossvater  sieh  damals  betleckt  hatte,  indem 
er  auch  noch  in  der  Provinz  an  600  Mitglieder  des  stolzen  und  übermUthigen 
Mamlukenadels  ermorden  liess,  machte  es  seinem  Enkel  möglich,  ein  milder 
Herrscher  zu  bleiben. 

Der  Vorfall,  der  in  unserer  Gegenwart  den  Zorn  des  Chediw  Isma'il 
erregte,  galt  einer  Störung  der  öffentlichen  Sicherheit,  die  er  in  einer  Weise 
befestigt  hatte,  die  sie  nach  seiner  Vertreibung,  auch  nachdem  die  Engländer 
die  Leitung  der  Polizei  übernommen  hatten,  nie  wieder  erreichte.    Als  es 
uns  gestattet  war.  an  seinem  Frühstück  theilzunehmen,  durfte  er  sich  mit 
vollem  Recht  rühmen,  dass  es  sich  in  seinen   Staaten  nicht  weniger 
sicher  weilen  und  wandern  lasse  als  in  England,  in  Sachsen  oder  Baden. 
Dennoch  war  eine  freche  Räuberbande  durch  einen  unterirdischen  Gang,  den 
sie  heimlich  gegraben,  in  einen  .luwelierladen  gedrungen  und  hatte  ihn  völlig 
ausgeplündert.    Eben  war  die  Nachricht  zu  Isma'il  gelangt,  dass  man  der 
Thäter  noch  nicht  habhaft  geworden.    Aufs  tiefste  erregt,  verlangte  er  ihre 
Einbringung,  ihre  Bestrafung.    Die  öffentliche  Sicherheit,  sein  bestes  und 
liebstes  Werk,  sei  geschändet  worden.    Er  werde  sie  indess  herzustellen 
und  jedem,  der  sie  störe,  den  Kopf  vor  die  Füsse  zu  legen  wissen.  Dabei 
leuchteten  die  matten  Augen  ihm  feurig  auf,  und  die  kleine  fleischige  Hand, 
die  mir  eben  noch  wie  ein  Sinnbild  der  Gleichgültigkeit  vorgekommen  war. 
ballte  sich  energisch  zur  dreinschlagenden  Faust.    Aber  dieser  Ausbruch 
des  Zornes  machte  bald  einer  anderen  Regung  Platz.    Immer  noch  lebhaft 
genug  unterbrach  er  sich  selbst  mit  dem  Rufe:  „Doch  ineine  Augen  setze 
ich  zum  Pfand,  dass  kein  einziger  Ägypter  an  dieser  Schandthat  theilnahm. 
Europäer  waren  es.  die  sie  begingen:  Griechisches,  Italienisches  Gesindel!"  — 
Dann  flog  ihm  ein  halb  wehmüthiges,  halb  höhnisches  Lächeln  um  die 
bärtigen  Lippen,  und  mit  einem  vielsagenden  Achselzucken  fuhr  er  fort: 
,,Sehe  hieb  recht,  so  nöthigen  mich  die  hohen  Regierungen  der  räuberischen 
Schurken  schliesslich  noch,  ihnen  für  die  kostbare  Zeit,  die  sie  im  Gefängniss 
verloren,  Schadenersatz  zu  zahlen.  Was  meinen  sie,  Herr  Consul?"  Damit 
wandte  er  sich  an  den  Vertreter  des  Deutschen  Reichs  ihm  gegenüber. 

Von  diesem  wohl  unterrichteten  Manne  erfuhr  icli  später  mancherlei, 
was  die  Befürchtungen  des  Chediw  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  recht- 
fertigen schien.  Mit  seiner  Bestimmung  der  Nationalität  des  Raubgesindels 
hatte  Isma'il  ins  Schwarze  getroffen. 

Ein  anderes  Mal  sah  ich  seinen  Blick  in  ruhigerem  Glänze  aufleuchten. 
Auguste  Mariette  gehörte  mit  zu  denen,  die  das  Frühstück  theilten.  Was 
dabei  aufgetragen  wurde,  vergass  ich.  Nur  den  köstlichen  Chateau  d'Yqem. 
dessen  Genuss  auch  er,  der  Muslim,  nicht  verschmähte,  und  ein  von  ihm 
selbst  angeregtes  Gespräch,  behielt  ich  im  Gedächtniss.  Es  war  von  den 
im  Museum  zu  Bulaq  — -  sein  Werk  —  neu  aufgestellten  Alterthttmern  ge- 


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Aus  der  Krinnerung  an  den  Chediw  Isma'il. 


1G2 


redet  worden.  Nachdem  Mariette  ihm  dies  und  das  erklärt  hatte,  warf  er 
die  Frage  auf.  wie  es  komme,  dass  die  ältesten  Skulpturen  aus  der 
Pharaonenzeit  die  schönsten  wären.  Alles  auf  Erden  schreite  fort  oder 
gehe  zurück.  Nur  die  plastische  Kunst  der  Ägypter  scheine  ihm  eine 
Ausnahme  zu  bilden.  Dabei  wandte  er  sich  auch  an  mich,  und  die 
Bemerkungen,  mit  denen  er  meinen  Erklärungsversuch  unterbrach  und  die 
eigenen  Meinungsäusserungen,  die  er  an  die  unseren  schloss,  bewiesen,  dass 
er  sich  aufmerksam  mit  diesen  Dingen  beschäftigt.  Der  berühmte  französische 
Ausgräber,  der  ein  scharfes  Auge  auch  für  die  Schwächen  Isma'ils  hatte, 
gestand  mir  später  willig  zu,  dass  der  Chediw,  der  anfänglich  wenig 
Interesse  an  den  Denkmälern  gezeigt,  jetzt  mit  wahrer  Theilnahme  seinen 
Arbeiten  folge.  Mit  dem  lebhaften  Wunsche  sich  zu  unterrichten,  lasse  er 
sieh  erklären,  was  seine  Wissbegier  erwecke.  Flösse  das  ( luld  ihm  nicht 
so  schnell  für  andere  Dinge  durch  die  Finger,  würde  er  die  Summen  gern 
verzehnfachen,  die  er  für  die  Ausgrabungen,  das  Museum  und  das  Instand- 
halten der  Monumente  bewilligte. 

Was  zu  ihren  Gunsten  dem  liebenswürdigen  französischen  Gelehrten 
gelang,  das  glückte  auch  den  Vertretern  der  Europäischen  Staaten,  wenn 
sie  es  nur  verstanden,  ihm  die  Wichtigkeit  des  zu  fördernden  Unternehmens 
deutlich  zu  machen  und  ihn  dafür  zu  erwärmen.  Diese  Aufgabe  war,  auch 
wenn  es  sich  um  Bestrebungen  der  Wissenschaft  handelte,  keineswegs 
schwierig;  denn  das  Auffassungsvermögen  des  Chediw  war  gut  und  wohl 
geübt.  Dies  Urtheil  gründet  sich  keineswegs  allein  auf  seine  Äusserungen 
über  die  Denkmäler,  die  uns  selbstverständlich  besonders  zusagten;  man  konnte 
es  vielmehr  von  jedem,der  persönlich  mit  ihm  in  nähere  Berührung  gekommen 
war.  auch  wenn  er  zu  seinen  Gegnern  gehörte,  bestätigen  hören.  Wer  wie 
wir  mit  zuhörte,  wie  er  dem  Schweizer  Dur,  den  er  zum  Direktor  des  Unter- 
richtsweseus  ernannte,  einem  wohlgeschulten,  feinsinnigen  Pädagogen,  beim 
Gedankenaustausch  über  die  Noth wendigkeit,  auch  den  muslimischen  Frauen 
die  Wohlthat  einer  guten  Schulbildung  zu  gewähren,  die  Stange  hielt,  der 
wird  unserer  Behauptung  zustimmen,  dass  es  auch  andere  als  materielle 
Rücksichten  waren,  die  den  Dahingegangenen  veranlassten,  für  das  geistige 
Leben  der  Unterthanen  das  Seine  zu  thun  und  sich  wissenschaftlichen  Be- 
strebungen förderlich  zu  erweisen.  Nur  jene  Ungeduld,  deren  wir  schon 
gedachten,  verdarb  manches  klug  und  mit  gutem  Willen  eingeleitete 
Unternehmen. 

Hätte  der  Chediw  Ismail  dieser  unseligen  Hast  und  dem  ihm  eigenen, 
mit  Genusssucht  gepaarten  verschwenderischen  Sinne  Zügel  anzulegen  ver- 
standen, wären  diese  gefährlichen  Eigenschaften  nicht  von  denen,  die  ver- 
pflichtet gewesen  wären,  ihnen  Schranken  zu  setzen,  fortwährend  in  selbst- 
süchtiger Absicht  zu  neuer  Bethätigung  angefeuert  worden,  hätte  er  es 
verstanden,  muthig  zu  widerstreben  und  scharf  abzulehnen,  statt  sich  vor 
den  Leitern  der  europäischen  Grossstaaten  zu  beugen  und  nach  ihrer  Gunst 

Biographische  Blatter.  L  11 


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163 


Biographische  Bliitter. 


und  der  Zustimmung  der  öffentlichen  Meinung  des  Abendlandes  zu  trachten, 
so  wäre  der  Biograph  berechtigt,  von  den  Vorbehalten  abzusehen,  die  er 
auch  der  Erwähnung*  seiner  vortrefflichen  Patenschaften,  seiner  rühmlichen 
Thaten  und  nützlichen  Anordnungen  voranschicken  muss. 

Jedenfalls  hat  sein  Land  ihm  die  meisten  Einrichtungen  zu  danken, 
die  heute  noch  gedeihlich  fortwirken,  schuldet  sein  Haus  ihm,  der  ihm  das 
p]rb  recht  vom  Vater  auf  den  Sohn  mit  schweren  Opfern  und  mit  grossem 
diplomatischen  Geschick  erkämpfte,  seine  fürstliche  Stellung,  darf  auch  die 
Wissenschaft  mit  Achtung  und  Erkenntlichkeit  seiner  gedenken. 

Was  er  fehlte,  hatte  er  schwer  in  der  Verbannung  zu  büssen.  Als 
Mensch  gehörte  er  weder  zu  den  grossen,  noch  zu  den  besten,  doch  ebenso 
wenig  zu  den  schlechten  und  kleinen.  Was  uns  das  Recht  giebt.  ihm  gern 
einen  Kranz  auf  das  (trab  zu  legen,  ist  die  Überzeugung,  dass  diesen 
arbeitsamen.  Mann  der  Wille,  sein  Land  und  Volk  glücklich  zu  machen, 
jederzeit  beseelte,  sowie  die  (Jewissheit,  dass  er  den  Einwänden  einer  un- 
würdigen Umgebung  zum  Trotz,  auch  geistige  Bestrebungen  mit  wahrer 
Theilnahme  förderte. 

Nach  seiner  Vertreibung  ist  er  auch  von  manchem,  der  ihm  Alles 
verdankte,  geschmäht  und  verlästert  worden.  Mit  bewunderungswürdigem 
(Jleichmuth  Hess  er  es  über  sich  ergehen.  Nun  er  nicht  mehr  ist.  sind 
diejenigen,  die  ihn  kannten  und  darum  wissen  müssen,  wie  sehr  viel  besser 
er  war  als  sein  Kuf,  verpflichtet,  die  Stimme  für  ihn  zu  erheben. 

—  <s>_ 

Taine. 

Uerie,  gehalten  am  7.  Februar  lS!)f>  von 
ALBERT  SOREL 

bei  seiner  Aufnahme  in  die  französische  Akademie. 

Durch  meine  Berufung  in  Ihren  Kreis  haben  Sie  meinen  Ehrgeiz  im 
Übermaass  befriedigt.  Wäre  es  möglich  gewesen,  diese  Auszeichnung  zu 
erhöhen,  so  hätten  Sie  das  gethan  durch  die  Aufforderung,  Ihnen  von  einem 
Manne  zu  sprechen,  den  ich  sehr  bewunderte,  solang  ich  ihn  nur  aus  seinen 
Schriften  kannte,  und  den  ich  noch  weit  mehr  bewunderte,  als  ich  den 
seltenen  Vorzug  hatte,  seiner  Freundschaft  theilhaftig  zu  werden. 

Hippolyte  Taine  war  eines  der  mächtigsten  Originale  unseres  Jahr- 
hunderts. Kein  Lebenslauf  war  gradliniger,  kein  Werk  einheitlicher,  kein 
Charakter  beständiger,  als  der  seinige.  Und  doch  scheint  dies  Werk  und 
dieser  Charakter  voll  von  (lCgensätzen.  Systematisch  bis  zur  Symmetrie  in 
der  Architektur,  liebt  er  in  der  Ausschmückung  verwegene  Ausladungen 
und  gluthvolle  Ausmalungen.  Im  gesellschaftlichen  Verkehr  der  zurück- 
haltendste,   duldsamste  aller  Menschen,    ist   er  als   Autor  schroff  und 


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Taine. 


104 


absprechend:  er  verblüfft,  er  stösst  vor  den  Kopf,  er  fiberrennt  und  zer- 
malmt. Seine  Auffassung  des  Universums  wurzelt  im  unbedingten  Deter- 
minismus: seine  Ordnung  der  menschlichen  Dinge  gipfelt  in  der  Gerechtig- 
keit und  Freiheit.  Dennoch  greift  in  diesem  Gewebe  alles  in  einander, 
dennoch  stimmt  jede  Schrift  Taine  s  zu  der  anderen.  Er  hat  sein  Leben 
—  und  welch  ein  Leben  rastloser,  fruchtbarer  Arbeit!  der  Ergründung 
nnd  Erweisung  der  ursprünglichen  Lieblingsgedanken  geweiht,  die  er  in 
seiner  Jugend  gefasst  hatte.  In  seiner  Methode  liegt  die  geistige  Einheit 
und  Herrlichkeit  seines  Lebenswerkes  beschlossen. 

Diese  Methode  ist  bei  ihm  eins  mit  dem  Menschen  selbst.  Sie  wirkt 
in  ihm,  noch  bevor  er  sie  kennt,  und  seine  nachmalige  Darstellung  derselben 
ist  im  Grunde  nur  die  Zergliederung  der  naturgeinässen  Thätigkeit  seines 
eigenen  Geistes.  „Jeder",  so  hat  er  selbst  gesagt,  „schreibt  der  Wissen- 
schaft die  Gewohnheiten  seiner  Denkweise  vor."  „Meine  Geistesart  ist 
französisch  und  lateinisch:  Eingliederung  der  Ideen  in  regelrechte  Klassen, 
gepaart  mit  dem  steten  Aufsteigen  der  Naturforscher  von  Reihe  zu  Reihe." 

Im  Dienst  dieser  Geistesart  steht  eine  ausserordentliche  Kraft  der 
Fassung  und  Anpassung.  Er  häuft  die  gesammelten  Thatsachen  und 
Kenntnisse  aufeinander,  verknetet  sie  und  presst  sie  aus.  Dann  lässt  er 
die  Lösung  sich  setzen,  klären  und  nach  einem  Gesetz  der  Wahlverwandt- 
schaft, das  das  Gesetz  seiner  eigenen  Intelligenz  ist,  zu  strengbestimmten 
(iebilden  zusammenschiessen.  Sein  Gedanke  formt  sich,  wie  sich  ein 
Krystall  formt. 

Und  dieser  Krystall  ist  durchsichtig:  wundervoll  glatt  an  der  Ober- 
fläche, schlüpfrig  und  kalt  bei  der  Berührung,  spitz  und  schneidig  an  den 
Ecken,  scharf,  doch  niemals  giftig  verwundend;  fällt  Licht  auf  seine 
Kanten,  so  zerstreut  es  sich  in  regenbogenfarbigen  Garbenbündeln;  trifft  es 
seine  Prismen,  so  ergiesst  es  sich  in  bunter  Strahlentluth.  Taine  ist  ein 
Gelehrter,  der  die  Natur  mit  den  Augen  eines  Malers  sieht,  ein  Dialektiker, 
der  wie  ein  Dichter  schreibt. 

Er  wurde  am  21.  April  182H  zu  Vouziers  in  den  Ardennen  geboren. 
Seine  Mutter  war  die  Zärtlichkeit  und  Vernunft  selbst;  sein  Vater,  ein  sehr 
feiner  und  gebildeter  Geist,  brachte  ihm  die  Elemente  des  Lateinischen  bei. 
•So  empfing  Taine  gleich  bei  Beginn  seiner  geistigen  Entwicklung  das  Ge- 
präge dieser  Sprache,  die  er  „als  die  lebendige  Kunst  zu  schreiben  und  zu 
denken"  ansah.  Ein  weitgereister  Oheim  lehrte  ihn  das  Englische.  Von 
seiner  Kindheit  an  wurde  die  Seele  Englands  seine  zweite  Seele.  Shakespeare 
offenbarte  ihm  später  das  von  Leidenschaften  bewegte  Weltgetriebe.  Er 
enthüllte  ihm  auch  den  Geist  der  Renaissance.  Taine  wurde  —  und  für 
immer  —  sein  glühender  Anhänger. 

Der  erste  Natureindruck,  „derjenige,  welchen  das  folgende  Leben  nur 
vollendet  und  nicht  verschwendet",  kam  ihm  aus  den  benachbarten,  feuchten, 
stillen,  von  seltsamen  Traumgesichten  erfüllten  Wäldern.    Im  Wald  ertönte 

ir 


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1(55 


Biographische  Blatter. 


das  grosse,  stete  Wiegenlied  seines  Lebens.  Sehr  früh  schon  suchte  er 
liier  unter  Moos  und  Felsen  bei  ihrem  Ursprung  und  in  ihrer  Heimlichkeit 
rdie  grossen  Quellen,  neben  denen  unser  kleines  Dasein  nur  eine  Welle  ist'*. 
Hier  bildete  er  auch  eine  besondere  Neigung  aus,  die  Ur- Mythen  in  ihrer 
(ienesis  aufzuspüren,  „unter  der  menschlichen  Legende  die  Majestät  der 
natürlichen  Dinge"  zu  enträthseln,  den  Welt-Chor  von  Bäumen,  Flüssen  und 
Meeren  ahnend  zu  erhorchen.  Das  war  sein  Bindeglied  mit  Goethe;  auf 
diesem  Umweg  kam  er  zur  Seele  der  Antike,  und  nicht  ohne  Absicht  hat 
er  in  einer  Studie,  in  der  er  sein  Innerstes  crschloss,  Visionen  des  Vogesen- 
waldes  zugleich  mit  dem  reinsten  Heidenglauben  heraufbeschworen:  Sa  inte 
Odile  et  Iphigenie.*) 

Die  arbeitsame,  geachtete  Lebensführung  des  elterlichen  Hausstandes 
beschied  ihm  auch  Respekt  vor  dem  gesunden  Menschenverstand,  Liebe 
zur  Ordnung  und  zu  alledem,  was  er  „die  heilsamen,  notwendigen  Dinge" 
nannte:  Familie  und  Khc;  Achtung  der  persönlichen  Freiheit  und  den 
Wunsch  nach  einem  gemässigten,  berufenen  und  weisen  Leuten  anvertrauten 
Regiment. 

1848  wurde  er  in  die  Ecole  normale  aufgenommen,  als  Erster  einer 
berühmten  Schaar  von  Prüflingen.  In  dieser  Anstalt  fand  er  alle  Gluthen 
des  Geistes,  alle  Freuden  der  Freundschaft.  Er  las  alles,  aber  ..der 
ursprüngliche,  fortdauernde  Zug  seines  Geistes"  verleugnete  seine  Richtung 
nicht.  „Guizots  Geschichte  der  Civilisation",  sagte  er  späterhin,  „hat  mir 
die  erste  grosse  literarische  Anregung  verschafft,  Dank  ihrem  systematisch 
aufsteigenden  Vorgehen." 

Eine  Schulfreundschaft  bot  ihm  Gelegenheit,  dem  berühmten  Historiker 
vorgestellt  zu  werden.  Guizot  war  nachsichtig  und  aufmunternd  gegen  die 
.lugend.  So  viel  Kraft  des  Geistes  im  Verein  mit  solcher  Seelenreinheit 
machte  ihm  Taine  werth.  Er  bezeugte  ihm  eine  Achtung,  die  —  wie  die 
Akademie  weiss  —  sich  niemals  verleugnete.  Ich  habe  das  Glück  gehabt, 
in  gleichem  Alter,  ohne  gleichen  Antheil  zu  verdienen,  dasselbe  Wohlwollen 
zu  gewinnen;  ich  habe  dieselbe  Gastlichkeit  des  Gedankens,  kostbarer  und 
freigebiger  noch  als  die  Gastlichkeit  des  Hauswirtlies,  kennen  gelernt: 
so  ist  es  mir,  der  als  Schüler  den  Spuren  dieser  Meister  von  ferne  folgt, 
süss,  Beider  zusammen  in  gleicher  Dankbarkeit  zu  gedenken. 

Die  Generation  von  Taine  kam  an  einem  beunruhigenden  Wendepunkt 
der  Geschichte.  Diese  tapferen  Neulinge  begannen  ihren  Wattengang  am 
Tag  nach  einer  Niederlage.  „Die  landläufige  Demokratie  erregte  ihren 
Ehrgeiz,  ohne  ihn  zu  befriedigen,  die  geltende  Philosophie  weckte  ihre 
Wissbegier,  ohne  ihr  zu  genügen."  Dann  kam  die  in  diesem  Alter  —  wo 
der  Mensch  noch  ungeduldiger  nach  Glück,  als  nach  Ruhm  verlangt  — 
quälende  Frage:  Avas  wird  das  Leben  für  uns  sein?  Wenn  sie  die  Dichter 

■ 

')  Sainte-Odile  et  Iphigenie  en  Tauridc.    L'idcal  et  les  dieux.  Essais 
de  critique  et  d'histoire,  3.  Auflage,  1874.  Vgl.  Goethe-Jahrbuch,  1886,  S.297.  A.  d.  Ü. 


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Taine. 


1(5« 


von  Chateaubriand  bis  Lamartine,  von  Byron  bis  Heine  zu  Käthe  zogen, 
hörten  sie  nur  einen  Chor  von  Wellklagen :  „das  Gluck  wurde  als  unmöglich, 
die  Wahrheit  als  unerreichbar,  die  Gesellschaft  als  uiissrathen,  der  Mensch 
als  fehlgeboren  bezeichnet".  Taine  schlug  andere  Bahnen  ein,  Bitterkeit 
im  Herzen.  Er  verwünschte  die  Begeisterung,  er  verwarf  die  Beredsamkeit, 
all  das  Blendwerk,  durch  das  die  Vernunft  ewig  von  den  Leidenschaften 
bethört  wird.  Ausser  Stande,  sich  selbst  in  das  Getümmel  des  Lebens  zu 
stürzen,  fragte  er  dem  Roman  seine  Geheimnisse  ab,  und  je  trostloser  oder 
schmachvoller  der  Roman  für  die  Menschheit  war,  desto  wahrhaftiger  dünkte 
er  ihm.  Dazumal  bemächtigte  sich  Stendhal  seiner,  den  Taine  „den  grössten 
Psychologen  dieses  Jahrhunderts  und  aller  vorangehenden  Jahrhunderte*' 
nennen  wird;  in  derselben  Zeit  erscheint  ihm  Balzac  als  „der  lebende, 
moderne  Shakespeare",  der  ihm  „die  grösste  Yorrathskaramer  von  Urkunden, 
die  wir  über  die  menschliche  Natur  besitzen",  öffnet.  Seine  Kenntniss  des 
Mensrhen  geht  von  dieser  furchtbaren  Pathologie  aus,  ebenso  wie  seine 
Kenntniss  der  Politik  von  dem  Zusammenbruch  von  Charakteren  und  Ideen 
ausging,  der  sich  dazumal  in  Paris  abspielte.  Daher  stammt  sein  grund- 
mässiger  Pessimismus;  daher  die  Formeln,  die  den  Schlüssel  zu  seiner 
^esellschafts- Ansicht  bilden:  der  Mensch  ist  von  Natur  aus  toll,  wie  der 
Leib  von  Natur  aus  krank  ist;  die  Wahrnehmung  ist  eine  echte  Hallncination; 
die  Gesundheit  unsres  Geistes  ist,  wie  die  Gesundheit  unsrer  Organe,  nur 
ein  schöner  Zufall;  eine  gute  Regierung  ist  nur  eine  Ausnahme,  eine  Halte- 
stelle im  Gang  der  menschlichen  Dinge. 

Dazumal  stieg  er  in  „die  Tiefen  des  Skepticismus"  nieder.  Aber  er 
war  durch  und  durch  Willenskraft,  durch  und  durch  Intelligenz.  Das 
Nichts  vermochte  ihn  nicht  lange  festzuhalten,  und  er  raffte  sich  auf, 
wesentlich  gestärkt.  Spinoza  gab  ihn  sich  selbst  zurück.  Er  begeisterte 
sich  mit  einer  Art  von  düsterer  Frömmigkeit  für  einen  Gott,  der  mit  dem 
Universum  zusammenfällt  und  der  sich  auf  geometrische  Art  beweisen  lässt. 
Es  gab  keine  andere  Wahrheit  für  ihn  als  diese  Weltordnung;  seine  ganze 
Aufgabe  war  es,  sie  zu  verstehen,  seine  ganze  Pflicht,  sich  ihr  anzupassen. 
Nur  in  dieser  Überzeugung,  so  sagt  er  sich,  findet  man  „die  volle  Seelen- 
ruhe,  die  jeden  Zweifel  ausschliesst  und  den  Geist  wie  mit  ehernen  Banden 
umklammert".  Er  war  21  Jahre  alt,  als  er  diese  Zeilen  schrieb.  Die 
ehernen  Bande  lockerten  sich  nicht  mehr.  Er  schloss  sich  in  seinem 
trranitenen  Thurm  ab,  Hess  darin  nur  einen  schmalen,  umschleiertcn  Aus- 
blick gegen  den  Himmel  offen  und  vergönnte  sich  nur  ab  und  an  in  sehr 
hellen,  reinen  Sommernächten  den  Schleier  zu  lüften  und  jenseits  von  Raum 
und  Zeit  der  „glcichgiltigen,  unbeweglichen,  ewigen,  allmächtigen"  Schöpi'er- 
formel  nachzusinnen,  vor  der  sich  der  Geist  des  Menschen,  wenn  er  sie  in 
ihrer  erhabenen  Klarheit  entdeckt,  in  Bewunderung  und  Grauen  zugleich 
beugt.  Spinoza  gebot  ihm  Ergebung;  Marc  Aurel  lehrte  ihm  Entsagung. 
Jch  lese  Musset  und  Marc  Aurel",  schrieb  er  einem  Freund.    ..Ich  finde 


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107 


IHoffraphische  Blatter. 


bei  dem  einen  allen  Überdruss,  bei  dem  andern  das  Allheilmittel  .  .  . 
Er  ist  mein  Katechismus,  unser  eigenstes  Wesen  .  .  .  Das  Lieht  des 
Geistes  bringt  die  Heiterkeit  des  Herzens  hervor  .  . 

Kine  solche  Lebensanschauung  führt  zu  einem  Leben  im  Dienste  der 
Wissenschaft.  Die  »Seele  erforschen  in  ihrem  Kern,  in  dem  Werk  genialer 
Naturen,  in  der  Geschichte  der  menschlichen  Gesellschaften;  den  Menschen 
erkennen,  so  wie  er  ist,  weder  als  Missgeburt,  noch  als  Ungeheuer,  ein 
Wesen,  das  weder  zu  preisen,  noch  zu  verleumden  ist;  ihm  die  rechte 
Stelle  in  der  Natur  zuweisen;  zeigen,  dass  alles  in  ihm  und  um  ihn  auf  ein 
Bündel  von  Gesetzen  zurückführt  und  dass  das  Ideal,  auf  das  all  seine 
Ansprüche  hinwirken,  auch  das  Ziel  ist,  nach  dem  alle  Kräfte  des  Universums 
hinstreben:  das  war  die  Aufgabe,  die  sich  Taine  seit  seinem  Scheiden  aus 
der  Ecole  normale  stellte. 

Allein  es  hiess  auch  leben,  und  für  diejenigen,  die  frei  denken  wollten, 
war  in  jenen  Jahren  das  Leben  im  Lehramt  eine  schwere  Sache.  Taine 
erfuhr  das  in  allen  Abstufungen:  skandalöse  Zurückweisung  von  derDocentur: 
dann  Verbannung  in  die  Provinz,  die  nur  die  Lehrzeit  der  Ungnade  war. 
Kr  lernte  die  Dummheit  in  der  Ungerechtigkeit,  gleissnerische  Verfolgung, 
„diese  ersten  Herzkränkungen  der  Jugend*  kennen,  die  sein  Leben  für  alle 
Zeit  verdüsterten  und  die  ihn  späterhin  zu  dem  Satz  ,.von  der  gewöhnlichen 
Härte  des  Umgangs  mit  Menschen*  veranlassten.  In  weniger  als  einem 
Jahre  degradirte  man  ihn  von  einer  Supplentur  der  Philosophie  in  Toulon  zu 
einer  Supplentur  der  Sexta  in  Besancon.  Dagegen  lehnte  er  sich  auf:  ohne 
ein  anderes  Hilfsmittel,  als  .seine  Feder,  kehrte  er  nach  Paris  zurück. 

Dies  lernbeliisscne  Paris  von  l.s">.3,  das  sozusagen  in  dumpfer  Berg- 
werks- und  Laboratoriums-Schwüle  eine  Revolution  der  Wissenschaft  und 
Litteratur  ausbrütete,  war  dazu  geschaffen,  den  Geist  von  Hippolyte  Taine 
zu  entwickeln,  doch  auch  zu  dem  Extrem  seines  natürlichen  Hanges 
zu  treiben.  Man  arbeitete  und  dachte  hier  nur  um  der  Wahrheit  willen, 
unbekümmert  um  die  praktischen  Folgen,  genauer  gesagt,  voll  Verachtung 
für  diese  Konsequenzen. 

Damals  schloss  sich  Taine  an  Woepke  an,  der  seine  mathematischen 
Kenntnisse  ergänzte  und  ihn  in  die  Philosophie  einführte;  an  Dore,  der  ihn 
mit  Künstlerkreisen  in  Berührung  brachte,  indess  ihm  sein  Jugendgespiele 
Marcelin  leinte,  Geschichte  aus  Bildern  und  Stichen  zu  lernen.*)  Er  trieb 
Physik  und  Chemie,  besuchte  die  Salpctriere,  bemüht,  inmitten  aller  Ver- 
zerrungen und  Entartungen  der  kranken  Vernunft  den  geheimnissvollen  Über- 
gang von  der  Empfindung  zum  Bild,  vom  Bilde  zur  Wahrnehmung  zu 
ergründen.  Inzwischen  begann  er  auch  für  die  Revue  de  l  instruction 
publique,  die  Debats  und  die  Revue  des  deux  mondes  zu  schreiben. 
Und  überall  Hess  er  sich,  mit  voller  Hingebung  an  jede  gerade  vorliegende 

)  Wl.  Taing  s  «  liarakf i*ri>t ik  von  YVo»'pke  in  <ion  Nouvcaux  K.>>ais  \:tt!  ti'.t.  st-inen 
Na.  hrui'  ttir  Martcliii-I'lanat  in  ileji  Demkis  K>>ais  rilo  lt.).  A.  d.  ('. 


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Taine. 


1G8 


Arbeit,  angelegen  sein,  Fachmänner,  lebendige  Zeugen  auszuholen,  mit  Vor- 
liebe Diejenigen,  denen  er  grossen  Scharfsinn  und  ausgesprochene  Neigung 
zur  Skepsis  zutraute:  auf  der  Suche  nach  der  bestbewiesenen  Meinung  in 
der  bündigsten  Form,  „nach  persönlichen,  genauen,  grellen  Eindrücken", 
nach  charakteristischen  Worten  bedeutender  Männer,  nach  kleinen  bezeich- 
nenden Einzelnheiten  glosser  Ereignisse.  Gleichwohl  drängte  es  ihn  nach 
seiner  Einsiedelei  auf  der  Ile  Saint-Louis.  Den  widerspänstigen,  unbequemen 
Menschen  zog  er  die  weniger  schwerfälligen,  leichter  aufzublätternden  Bücher 
.  vor.  Das  wirkliche,  das  brutale  Leben  zog  ihn  nur  als  Schule  der 
Krlahrung,  als  Klinik  der  Gesellschaft  an.  Am  liebsten  studirte  er  es  jedoch 
nur  in  Saint-Simon  oder  Balzac,  wie  die  Ungeheuer,  die  reissenden  Thiere 
und  Kaubvögel  im  Museum,  hinter  den  Gitterstäben,  des  Morgens,  wenn  die 
bäume  noch  thaufrisch  und  die  Laubengänge  noch  nicht  von  Müssiggängern 
heimgesucht  sind.  Er  fürchtete  seine  Zeit  zu  verlieren  und  sein  Gedächtniss 
zu  beschweren.  Er  mochte  sich  überhaupt  nicht  langweilen.  Wenn  er  dem 
Geheimnis*  der  Dinge  nachging,  verstand  er  sich  nicht  dazu,  ihm  lange 
aufzulauern  an  den  einzigen  Stellen,  wo  sich  solche  Geheimnisse  möglicher- 
weise verrathen:  in  beiläufig  hingeworfenen  Worten,  wiedergekäuten  Anek- 
doten, falschen  Vertraulichkeiten,  im  Getratsch  von  sich  selbst  besessener 
Menschen,  die  bestrebt,  die  Zeit  todtzuschlagcn,  langweiliges  Warten  zu 
verkürzen,  sich  vor  einander  aufzuspielen,  misstrauisch  gegen  unmittelbares 
Ausfragen,  bisweilen  in  unbewachter  Kitelkeit  oder  Leidenschaft  unversehens 
mit  dem  Wort  der  Offenbarung  herausplatzen:  in  den  Vorzimmern  der  Würden- 
trager.  in  Zeitungsstuben,  in  den  Wandelgängen  der  Volksvertretung,  in 
Theaterfoyers,  in  allen  Gelassen  zwecklosen  Bummelns. 

Und  wie  er  in  Paris  sammelt  und  prüft,  Umschau  hält,  analysirt  und 
notirt,  hält  er  es  auf  Reisen  in  England,  Italien,  den  Niederlanden  und 
Frankreich.  Eifrig  in  den  Archiven,  bei  Gelehrten  und  Fachmännern  vor- 
sprechend. Musetunsbesuche  durch  Bibliotheksgänge  erläuternd. 

Er  übt  und  vertieft  sich  in  der  neuen  Wissenschaft.  Hier  als  Historiker, 
der  mit  wuchtigen  Axthieben  die  Heerstrasse,  die  Denkmäler  der  römischen 
Geschichte  aus  dem  spröden  Erdreich  herausgrabt  im  Essai  sur  Tite- 
Live.  Anderwärts  als  Psycholog,  der  sich  in  seinen  Philosophes  bestrebt, 
die  unter  ofliziellen  Lehrprogranimen  verschütteten  Spuren  Uondillacs  bloss- 
zulcgen.  Dies  Buch  war  sein  Bastillesturm.  'Paine  hat  nichts  geschaffen 
i nicht  einmal  in  den  Aufzeichnungen  von  Thomas  Graindorgc,  diesem 
positivistischen  l*i  Bruyere  des  Pariser  Lebens),  wo  er  mehr  Humor,  in 
gleich  ungebundener  Darstellung,  entfaltet  hätte.  Verwegener  Schwung, 
ein  Gemisch  von  spöttischer  Irrevcrcnz  und  dichterischem  Feuergeist  :  ein 
in  unserer  Litterat ur  noch  unbekanntes  Talent.  Abstractionen  zu  versinn- 
üchen.  Analysen  farbenprächtig,  die  Dialektik  malerisch,  das  Selbstverständ- 
liche geistreich  zu  gestalten;  die  Gabe,  köstliche  Landschaftsskizzen  einzu- 
schalten und  mit  dunklen  ireometrisehen  Zeichnungen  zu  umrahmen.  Line 


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169 


Biographische  Blätter. 


ganze  Psychologie,  die  sich  ankündigt,  eine  ganze  Philosophie  der  Geschichte, 
die  überströmend  sich  ergiesst ,  eine  ganze  Metaphysik,  die  auffliegt ; 
vor  Allem  das  überschäumen,  die  Flugkraft  der  Jugend.  In  diesen  in  der- 
selben Zeit  entstandenen,  Schlag  auf  Schlag  veröffentlichten  Schriften  giebt 
er  in  den  Hauptzügen  die  Hauptideen  seiner  Werke.  Er  wirft  sie  ohne 
Umschweife  hin,  fällt  den  Leser  mit  seinen  Thesen  an  und  überrumpelt 
ihn  durch  schlüssigen  Beweis.  Damals,  ja  jederzeit,  liebte  er  gebieterische 
Einsätze  ä  la  Beethoven. 

Im  Verlauf  seiner  Studien  über  Racine,  Saint  Simon,  La  Bruyere, 
La  Fontaine,  Mme.  de  La  Fayette  bildet  er  sich  eine  Anschauung  des 
französischen  Charakters,  die  er  unablässig  aufnehmen,  erweitern  und  ergänzen 
wird.  Auf  den  Rhythmus  seines  Lebenswerkes  übt  sie  denselben  EinÜuss, 
wie  seine  Grundansicht  des  von  Geburt  kranken  Menschen  und  der  von  Natur 
gebrechlichen  Gesellschaft.  Es  ist  der  klassische  Geist;  aus  ihm  wird  er 
seine  Theorie  der  französischen  Revolution  ableiten  und  diese  Idee  wird  die 
Hauptidee  der  Origines  de  la  France  contemporaine  werden. 

Daraus  ergiebt  sich  zum  Voraus,  was  er  in  dieses  Buch  aufnehmen 
und  was  er  davon  ausschliessen  wird.  Man  sieht  gleichen  Schrittes,  sieh 
wechselseitig  voraussetzend,  die  klassische  Tragödie  und  die  Menschenrechte, 
die  absolute  Monarchie  und  die  Demokratie  kommen.  Ks  ist  die  grosse 
königliche  und  nationale  Heerstrasse  durch  die  Fluren  und  Weingärten  des 
landläufigen  Frankreich;  aber  diese  Heerstrasse  hört  auf  am  Fusse  der  mit 
ewigem  Schnee  bedeckten  Gebirgszüge;  am  Strande,  wo  der  Ozean,  der  sich 
in  die  Unendlichkeit  verliert,  seine  Wogen  auf  den  Dünensand  spült;  an  den 
Felsen,  wo  die  sich  unablässig  brechenden  Wellen  unter  einem  gewitter- 
schweren Himmel  in  Schaum  zerstieben.  Frankreich  ist  das  Land  der 
Gegensätze.  Seine  Heldenlieder  strotzen  von  Wundern.  Heisst  es  nicht 
seine  Geschichte  mit  allzuschnell  fertiger  Hand  zerstückeln,  wenn  man  soviel 
ruhmvolle  Abenteuer  und  heroische  Prüfungen,  diesen  Heisshunger  nach 
dem  Unmöglichen  und  diese  langen  von  Fiebern  unterbrochenen  Abspannungen, 
den  Rausch  der  Kreuzzüge  und  den  Freiheitsrausch,  die  epische  Hochstrasse, 
die  von  Jerusalem  nach  Fleurus,  vom  Kreis  Karls  des  Grossen  zu  dem 
Napoleons  führt,  als  Abweg  abthut?  Für  Taine  sind  all  das  nur  Ab- 
lenkungen. Er  versagt  sich,  ihnen  zu  folgen,  wie  er  sich  die  Erhebung 
zum  Mysterium  und  den  Aufstieg  zur  Metaphysik  versagt. 

Er  hatte  es  unternommen,  seine  Methode  im  Grossen  anzuwenden,  die 
Geschichte  einer  Litterat ur  zu  schreiben  und  dabei  die  Psychologie  eines 
Volkes  zu  suchen.  Er  hatte  England  gewählt,  weil  er  in  der  englischen 
1  jttcratur  zu  allen  Zeiten  den  leidenschaftlichen,  innerliehen,  in  sich  gekehrten 
Menschentypus  des  heutigen  Engländers  wiedergefunden  hatte.  In  diesem 
Buche  gab  Taine  das  Maass  seines  Könnens.  Mit  dieser  Meisterleistung 
stellte  er  sich  nicht  nur  in  die  erste  Reihe  unserer  Schriftsteller,  er  machte 
der  französischen  Litteratur  grosse  Ehre  in  Europa. 

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Taine. 


170 


Die  Methode  hatte  ihre  Probe  bestanden :  in  der  Einleitung  zur  Litte- 
rature  anglaise  gab  Taiue  ihre  mustergiltige  Darlegung.  Sie  führt  in  der 
That  auf  wenige  einfache  Ausgangspunkte  zurück :  alle  menschlichen  Dinge, 
das  Genie  eines  Künstlers  oder  das  Genie  eines  Staatsmannes,  die  Litteratur 
eines  Volkes  oder  seine  staatlichen  Einrichtungen  haben  ihre  Ursachen, 
Bedingungen  und  Abhängigkeiten.  Für  den  Menschen  und  für  das  Volk 
siebt  es  eine  ursprüngliche,  führende  und  herrschende  Anlage,  die  alle  Ideen 
und  Handlungen  lenkt.  Sie  stammt  aus  drei  Urkräften:  der  Race,  der  Um- 
gebung, dem  Zeitpunkt.  Taine  hat  Sainte  Berne»  viel  zu  danken  und  er 
bekannte  das  gern.  Für  diese  Grundanschauung  war  er  jedoch  einem  anderen 
-Meister  verpflichtet:  „Meine  Idee",  sagte  er,  „schleift  seit  Montesquieu  auf 
dem  Boden  hin,  ich  habe  sie  aufgehoben,  das  ist  alles." 

Wir  erkennen  die  berufenen  „nothwendigen  Beziehungen"  wieder,  „die 
ans  der  Natur  der  Dinge  fliessen";  aber  indem  wir  sie  feststellen,  wollen 
wir  nicht  vergessen,  dass  „die  Natur  der  Dinge"  hier  die  menschliche  Natur 
ist.  In  der  Geschichte  muss  man  den  Menschen  überall  aufsuchen  und 
(Iberall  an  die  rechte  Stelle  rücken,  denn  allerorten  erkennt  man  ihn  wieder. 
Was  ist  in  der  That  die  Raee  in  der  Entwicklung  der  (Zivilisation,  wenn 
nicht  die  Gcsammtheit  der  erblichen,  von  der  Familie  den  Generationen  ein- 
geprägten Eigenschaften?  Was  ist  die  Umgebung  (le  milien ).  wenn  nicht 
von  den  Anfängen  aufgespeichertes  Menschenthum,  die  Tradition,  der  Volks- 
glaube, die  Volkslieder,  die  Gesetze,  alles,  was  das  Individuum  modelt,  die 
Vergangenheit  mit  der  Zukunft  verknüpft,  den  Tod  innerhalb  der  Nationen 
aufhebt  und  bewirkt,  dass  der  Mensch  an  seinem  Vaterland  hängt,  wie  die 
Pflanze  am  Boden  haftet,  aus  dem  sie  Saft,  Blttthe  und  Keimkraft  zieht? 
Das  Schicksal  eines  Volkes  beschränkt  sich  unter  diesem  Gesichtswinkel  auf 
die  dauernden  Thatsachen  seiner  Geschichte.  Die  Völker  bleiben  in  den  natür- 
lichen dem  Menschenleben  auferlegten  Bedingungen  die  Werkmeister  ihres 
Geschickes.  Die  Formeln,  die  wir  davon  geben,  sind  blosse  Schöpfungen 
unseres  Geistes,  und  sie  lenken  die  Welthändel  nicht  mehr,  als  die  Formeln 
der  Astronomen  den  Lauf  der  Gestirne  lenken.  Aber  in  dem  Schauspiel 
der  irrenden  Menschheit,  die  unablässig  dafür  leidet  und  arbeitet,  besser  zu 
sehen,  besser  zu  denken,  besser  zu  handeln,  die  Gebrechlichkeit  des  mensch- 
lichen Wesens  zu  vermindern,  die  Unruhe  seines  Herzens  zu  besänftigen, 
entdeckt  die  Wissenschaft  einen  Leitfaden  und  einen  Fortschritt:  sie  fügt 
dem  bewegten  Interesse  an  dem  Schauspiele  die  Gewissheit  einer  höheren 
Harmonie  hinzu,  deren  Ausdruck  dies  Drama  ist. 

Um  die  Thatsachen  zu  erklären,  verknüpft  sie  Taine  miteinander:  um 
sie  zu  beweisen,  hält  er  sie  fest.  Seine  derart  verkettete  und  gegliederte 
Geschichte  ist  unbeweglich:  aber  durch  die  Lebhaftigkeit  des  Stils  ersetzt 
er  die  unterdrückte  Bewegung  der  Erzählung.  In  Betreff  seiner  Methode 
schwankte  er  niemals:  in  Betreff  seines  Stils  kannte  er  dagegen  Schwankungen 
und  Rückfälle.    Die  Fähigkeit,  die  Dinge  darzustellen,  war  ihm  eins  mit 


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171 


Biographische  Blätter. 


dem  Denkvermögen.  In  diesem  Geist  arbeitete  er  in  seiner  ersten  Zeit  mühe- 
los, ohne  vorgefasste  Meinung;  späterhin  bewusst  und  mit  Anspannung'  aller 
Kräfte.  Zwischen  seiner  ersten  Manier,  den  rein  geistigen  Metaphern,  den 
hellfarbigen  Aquarellen  des  „La  Fontaine''  und  der  Philosophes  und 
der  stürmischen  Einbildungskraft  der  „Italienischen  Reise"  besteht  nicht  nur 
ein  Unterschied  der  Grade.  Man  geht  von  einer  Schule  zur  andern  Uber. 
In  dem  Paris,  wie  es  das  moderne  Leben  herausgestaltet  hat.  citirt  mau 
»Stendhal,  ohne  ihn  zu  lesen.  Condillac  wird  weder  gelesen  noch  citirt, 
Montesquieu  in  die  Mexlaillensammlung  verwiesen.  Tainc  erklärt  sich  für 
die  Coloristen.  In  grellen,  bisweilen  wehthuenden  Tönen  fixirt  er  auf  seinen 
Blättern  „die  Flecken,  welche  die  Gegenstände  auf  seiner  Netzhaut  machen". 
Aber  er  würde  es  sich  vorwerfen,  den  Eindruck  um  des  Eindrucks  willen 
zu  suchen.  Er  will,  dass  die  Darstellung  der  Idee,  so  intensiv  sie  auch 
sein  mag,  eine  deutliche  und  vertiefte  Idee  bleibe;  bezeichnender,  eindring- 
licher für  den  Geist,  weil  sie  die  Sinne  stärker  trifft;  immer  aber  beweis- 
mässig,  niemals  phantastisch,  noch  weniger  ungenau.  Mehr  als  einmal  legt 
er  über  diesen  ihn  beunruhigenden  Punkt  seine  Reichte  ab:  „Seit  zehn  .Jahren", 
so  schreibt  er  1S«2,  „war  mein  Grundgedanke  der:  man  muss  den  Menschen 
malen  in  der  Art  der  Künstler  und  zugleich  konstruiren  in  der  Art  der 
Denker;  die  Idee  ist  richtig,  sie  bringt  mächtige  Wirkungen  hervor,  ich 
danke  ihr  meine  Erfolge,  aber  sie  zerstückt  das  Gehirn.  Ich  bin  im  Kampf 
zwischen  zwei  Richtungen,  der  früheren  und  der  heutigen".  .  .  .  Er  schied  und 
entschied  sich  denn  auch:  „buchstäbliche  unmittelbare  Übertragung  der 
Empfindungen"  für  die  englischen  Reiseeindrücke  und  die  Pariser  Auf- 
zeichnungen; farbige  Klassiiikation  für  Philosophie  und  Geschichte.  In  dieser 
letzten  Manier  schreibt  er  seinen  „Versuch  über  die  griechische  Skulptur" 
von  so  leichter  Verve,  von  so  durchsichtigem  Licht;  die  Abhandlung  Über  das 
..Ideal  in  der  Kunst",  so  gesund  durch  die  stete  Erhebung  zu  der  wahren  und 
schönen  Lehre  vom  Segen  der  Charaktere;  seinen  Traite  de  1' Intelligence. 
wo  er  die  in  den  Philosophes  skizzirte  Psychologie  vervollständigt  und 
zum  Abschluss  bringt.  Es  ist  sein  durchdachtestes  und  vielleicht  sein  voll- 
kommenstes Werk. 

Dies  Buch  bezeichnet  den  Höhepunkt  seines  Talentes  und  vielleicht 
auch  seines  Einflusses.  Fortan  ist  er  mit  seinem  Freund  Renan  einer  der 
anerkannten  Führer  des  nachwachsenden  Geschlechtes.  Taine  war  ein  Vor- 
läufer gewesen.  Nun  war  sein  Publikum  gekommen.  Die  jungen  Leute, 
die  dazumal  zwischen  dem  20.  bis  :3<).  Jahr  standen,  urfranzösisch  in  ihrer 
eigenen  Entwicklung,  müde  »1er  hohlen  Scilla gworte.  der  Autoritäts-  und 
der  Import- Philosophie,  der  gefesselten  und  der  abgetakelten  Luftballons, 
heisshungrig  nach  Wissenschaft,  die  ihnen  Ersatz  bieten  sollte  für  den  ge- 
sammten  Thatendramr.  forderten  in  Kunst  und  Forschung  eine  positive  Be- 
trachtung der  Dinge,  realistisch  durchsättigte  Deutlichkeit.  Sie  waren  die 
Schüler  von  Pasteur  in  der  Ecole  normale,  von  l^uicherat  in  der  Ecole  des 


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Taine. 


17l» 


(.'hartes,  von  Claude  Bernard,  Berthelot,  Havet  im  (College  de  France; 
Leser  von  Toefruevilles  Ancien  regime,  von  der  Oite  antique  von 
Kustel  de  Coulanges;  Lcconte  de  Lisle  erschloss  ihnen  die  Poesie  ent- 
schwundener Raeen,  die  Seelen  der  Barbaren;  mit  dem  Roman  schritten  sie 
von  Balzac  zu  Flaubert  weiter  fort;  im  Theater  beklatschten  sie  Demi-monde 
nnd  die  Effrontes;  dann  fühlten  sie  bei  der  Heimkehr  in  ihre  Behausung 
ihr  Herz  höher  schlagen,  ihre  Seele  erhoben  durch  die  Stances  von  Sully- 
hudhomme.  Zwischen  all  diesen  Menschen  und  Werken  gab  es  Bande 
nnd  Beziehungen,  welche  diese  junge  Leute  ahnten,  sich  jedoch  nicht  er- 
klärten. Taine  machte  ihnen  diesen  Zusammenhang  begreiflich.  Er  wurde 
ihr  geistiges  tiewissen,  ihr  Meister  im  Denken  und  Schreiben.  Er  lehrte 
sie  schauen  und  wollen,  tief  schürfen  und  aufbauen.  Ein  strenger  Führer 
in  seinen  strengumschlossenen  Horizonten,  doch  männlich  und  erkräftigend 
in  seinen  edlen  Mahnungen  zu  selbstloser  Kulturarbeit. 

Die  Fachmänner  stritten  noch  mit  einander,  ob  er  zu  den  Positivisten 
oder  Pantheisten  zu  rechnen,  ob  er  Comte  oder  Spinoza  anzureihen,  unter 
welchem  Namen  er  anzuerkennen  oder  mit  welchem  Schulhaupt  er  zu  ächten 
sei.  als  seine  Methode  schon  —  und  wäre  das  nur  durcli  den  Widerhall 
oder  Gegenstoss  der  ..Vennahnungen"  und  Widerlegungen  —  das  grosse 
l^iblikum  gewonnen  hatte.  Seine  oft  missverstandenen  und  verzerrten 
Formeln  —  Milieu,  Race,  Zeitpunkt.  Hauptidee,  Gruppenreihe,  Seelenzustände, 
echte  Hallucination  —  verbreiteten  sich  in  Schulen,  Revuen,  Ateliers. 
Zeitungen.  An  dieser  Art  von  Pegel  misst  man  die  Alluvien  grosser  Denker. 
Psychologie.  Geschichte,  Kunst-  und  litterarische  Kritik,  Studien  nach  der 
Natur  und  I^andschaftsschilderungen;  der  Roman  als  Urkundenwerk  zu  Rath 
gezogen  und  fortan  auf  Grund  von  Urkunden  aufgebaut;  die  sorgfältige  Er- 
forschung des  Individuums  von  seiner  Geburt,  in  seinen  Gewohnheiten  und 
L'nigebungen ;  die  Beschreibung,  selbst  die  Inventarisirung  des  Hausratlies 
und  allen  Zubehörs  menschlichen  Lebens,  man  kann  sagen,  überall,  von  den 
Lehrkanzeln  der  Hochschulen  bis  in  die  Mode- Presse  machte  sich  Taines 
Kinfluss  fühlbar:  auf  keinem  Gebiet  geistiger  Thütigkeit  hat  er  die  Dinge 
an  der  Stelle  belassen,  auf  der  er  sie  vorgefunden. 

Sein  Lebenswerk  sollte  nach  seinem  Vorhaben  auch  noch  Religions- 
und politische  Studien  umspannen.  Er  war  schon  weit  entfernt  von  der 
Zeit,  in  der  er  in  der  Religion  nur  ..ein  schönes,  für  wahr  gehaltenes", 
einzig  und  allein  in  die  Litteratur  einschlägiges  Poem  erblickte.  Seit 
seiner  Reise  nach  England  dämmerte  ihm  in  einem  sehr  weitherzigen,  ganz 
von  modernem  Geist  durchtränkten  Christenthuiu  die  Möglichkeit  einer  Ver- 
söhnung zwischen  dem  wissenschaftlichen  Geist  und  einer  sittlichen  Zucht, 
die  ihm  als  beste  Moral  erschien,  um  durch  unmittelbare  Berufung  auf  das 
Gewissen  im  Menschen  ..freiwillige  Reformation  und  die  Herrschaft  über 
sieh  selbst"  zu  entwickeln.  Mit  solchen,  oft  erwogenen  Gedanken  über  dies 
Kapitel  stand  er  jedoch  der  Mehrheit  seiner  Mitbürger  zu  ferne.  ..Ich 


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173 


HioCTuphixche  Blatter. 


habe  wohl  ein  politisches  und  religiöses  Ideal,"  schrieb  er  1862,  „aber  ich 
weiss,  dass  es  in  Frankreich  unerreichbar  ist,  und  desshalb  führe  ich  ein 
spekulatives,  kein  politisches  Dasein.  Ja  wenn,"  setzte  er  hinzu,  „der  freie 
Protestantismus,  wie  in  Deutschland  unter  Schlcicnnacher  oder  ungefähr  im 
heutigen  England;  wenn  die  lokalen  Freiheiten,  wie  heutzutage  in  Belgien, 
Holland.  England,  mit  einer  centralen  Vertretung  sich  vereinigen  Hessen. . .  .u 
Gleichwohl  hatte  er  den  „Entwurf  eines  Buches  über  Religion  und  Gesell- 
schaft" in  Frankreich  skizzirt.  Er  wollte  es  schreiben  „in  der  Art 
Macchiavel  s,  ohne  nach  der  einen  oder  der  anderen  Seite  sich  zu  neigen, 
die  ganze  Sache  nur  wie  physiologische  Zustände  beschreiben".  Er  vertagte 
diesen  Plan.  Als  er  ihn  wieder  aufnahm,  hatten  sich  die  Zeiten  gewandelt 
und  diese  Zeiten  tragischer  Prüfung  hatten  Taine  weitab  geführt  von 
Macchiavel's  Geistesart. 

Er  sah,  was  mit  Ausnahme  weniger,  in  die  europäische  Geheimpolitik 
eingeweihter  Leute  unserer  Generation  als  unmöglich  erschienen  war.  Wir 
waren  genährt  mit  der  auswärts  sogenannten  grossen  französischen  Illusion. 
Die  Ausländer  verspotten  sie,  aber  wir  sprechen  von  ihr  nur  mit  Thränen 
in  den  Augen,  weil  diese  Illusion  das  Gesetz  unserer  Geschichte,  das  Band 
unserer  Gesellschaft,  unser  Prinzip  und  unsere  Sendung  in  der  Welt  ist. 
In  diesem  Jahrhundert  der  Nationalitäten  ist  Frankreich,  das  die  Aufer- 
stehung der  Völker  mit  seinem  Blute  bezahlt  hat,  in  seinem  nationalen 
Bewusstsein  getroffen  worden.  Auf  seine  hergebrachten  Grenzen  zurück- 
geführt, schien  es  uns  doppelt  geheiligt  durch  das  Recht  und  die  Geschichte: 
denn  Diejenigen,  die  innerhalb  dieser  Wahlgrenzen  lebten,  hatten  sich  in 
freier  Zustimmung  zu  einer  gültigen  Ehe  voreinigt,  bereit,  Glück  und 
Unglück,  Krankheit  und  Tod  zu  theilen;  denn  Frankreich  hatte  als  Staate- 
maxime  die  Erklärung  gewählt,  die  es  über  allen  Hader  hinausheben  sollte: 
..Ich  liebe,  also  bin  ich",  und  damit  der  Nation  eine  Seele  geschaffen,  die 
immer  auflebt  und  sich  niemals  thcilt.  Es  genügte  Taine  nicht,  gegen  die 
Fliedensbedingungen  zu  protestiren  und  dem  „Frankreich  der  Deutschen 
das  wirkliche  Frankreich"  entgegenzusetzen.*)  Er  fühlte,  dass  fortan  der 
Gelehrte  dem  Politiker,  auf  den  Vorwurf,  im  Geist  der  Franzosen  Auf- 
lehnung oder  Verzweiflung  einzunisten,  nicht  mehr  wie  ehedem  erwidern 
konnte:  „(üebt  es  denn  Franzosen?"  Es  gab  Franzosen  und  sie  waren 
unglücklich  und  in  den  ärgsten  Wirren.  Jeder  Einzelne  schuldete  der 
Gesammtheit  seine  volle  Kraft.  In  unserer  Demokratie  hängt  Alles  von 
der  Bewegung  der  Massen  ab,  und  die  Massen  werden  nur  durch  die  un- 
scheinbaren Wandlungen  des  unendlich  Kleinen  bewegt.  Nur  in  diesen 
Tiefen  lassen  sich  wirksame  Reformen,  die  elementaren  Maassnahmen  vor- 
bereiten, die  in  ihrem  langsamen  steten  Gange  allmälig  die  allgemeinen 

*)  L'opinion  cn  Allemayne  et  les  conditions  de  Li  paix  (9.  Octobre  1S70). 
Ks>iiis  de  eritique  et  d  histoirc  1874.  S.  41  »I  IT.  Taings  Polemik  sreiren  Syhel  und 
David  Strausv  macht  dem  Patrioten  mehr  Khre.  als  dein  unbefangenen  Politiker.      A.  d.  I". 


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Taine. 


174 


Bedingungen  der  Geschichte,  das  gesellschaftliche  Milieu  und  die  erblichen 
Anlagen  der  Raee  umzugestalten  vermögen.  In  dieser  Absieht  die  Wege 
urbar  zu  machen  und  Pionniere  heranzubilden,  förderte  Taine  mit  Feuer- 
eifer seinen  Freund  Boutmy,  diesen  grossen  Erzieher,  bei  der  Begründung 
der  Ecole  des  sciences  politiques.*)  „Um  abzustimmen",  schrieb  Taine 
184'.),  „müsste  ich  den  Zustand  Frankreichs,  seine  Ideen,  »Sitten,  Meinungen 
and  seine  Zukunft  kennen".  Derselbe  Gedanke  hat  25  Jahre  spater  die 
Origines  de  la  France  contemporaiue  hervorgebracht.  In  der  Er- 
wägung, dass  die  Gefährdung  Frankreichs  von  einer  grossen  Verirrung.  der 
abstrakten  Konzeption  der  Menschenrechte,  und  von  einer  verhängnissvollen 
Verfassung,  den  Einrichtungen  des  Jahres  VIII,  beides  aber  von  einem 
aus  dem  ancien  regime  stammenden  Erbschaden  herrühre,  entschloss  sich 
Taine  beide  zu  bekämpfen:  durch  die  Widerlegung  ihrer  Prinzipien  und 
durch  das  Schauspiel  der  Übel,  die  sie  verursacht  haben. 

Von  Anfang  an  umschreibt  er  die  Grenzen  seines  Werkes  sehr  be- 
stimmt. Er  vermisst  sich  nicht,  die  Gesammtheit  der  französischen  Dinge 
während  der  französischen  Revolution  zu  erklären.  Er  sieht  ab  von  den 
Finanzen,  der  Kirche,  den  Kongressen,  vom  Rückschlag  der  Drohungen 
und  Begehrlichkeiten  Europas,  von  den  Notwendigkeiten  und  der  fort- 
wirkenden Gewalt  des  Krieges,  welche  die  Franzosen  von  dem  Kampf  um 
die  Unabhängigkeit  zur  Propaganda  und  zur  Eroberung  treibt.  Kr  über- 
liess  anderen  die  Sorge,  diese  Geschichten  zu  schreiben. 

Ich  gehöre  zu  Denjenigen,  die  sich  auf  ein  von  Taine  unbetretenes 
Gebiet  dieses  weiten  Feldes  gewagt  haben.  Meine  Untersuchungen  haben 
mich  aber  auch  in  Punkten,  die  Taine  selbst  behandelt  hat,  zu  Urtheilen 
geführt,  die  wesentlich  von  den  seinigen  abweichen.  Sie  wussten  da.s, 
meine  Herren,  als  Sie  meinem  Buch  denjenigen  Ihrer  Preise  zuerkannten,  den 
ein  französischer  Historiker  mit  besonderem  Stolz  empfängt.*1')  Taine  zählte 
damals  zu  den  Ihrigen,  und  Niemand  schloss  sieh  mit  grösserer  Unbefangen- 
heit des  Geistes  Ihrer  weitherzigen  Sinnesart  an.  Ich  wäre  erstaunlich 
vergesslich,  wenn  ich  heute  nicht  daran  erinnern  wollte;  nur  würde,  ich 
durch  längeres  Verweilen  bei  dieser  häuslichen  Frage  die  Diskretion 
verletzen. 

Taine  hat  nur  einen  Vorwurf:  er  will  an  der  Geschichte  des  öffent- 
lichen Geistes  und  der  öffentlichen  Gewalten  zeigen,  wie  aus  dem  Franzosen 
der  alten  Zeit  der  Franzose  der  Gegenwart  geworden  ist.  Dieser  Letztere 
ist  in  seinen  Augen  ein  Kranker  durch  erbliche  Anlage,  krank  auch  durch 
seine  Ärzte,  die  ihn  mit  ihrem  Aderlassen,  ihrem  Apothekerkram  und 
Militärlazareth  entnervt  und  heruntergebracht  haben.   Taine  führt  Klage 

*)  Vgl.  Taine,  Derniers  e.s.sais  (1894):  Emile  Boutmy  G3  ff.  Fondation  do 
l'Ecole  libre  des  sciences  politiques.  77  ff.  A.  d.  ü. 

**)  Sorel's  Hauptwerk:  L'Europe  et  la  revolution  fran«.aise  wurde  1SS7/88 
mit  dem  grossen  Preis  Gobert  ausgezeichnet,  A.  d.  Ü. 


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175 


Biographische  Blätter. 


wider  diese  jämmerliche  Behandlungsweise ;  er  sucht  die  Hygiene  der  Zu- 
kunft und  nach  seiner  Methode  sucht  er  sie  im  Studium  des  Kranken.  Kr 
^reht  in  den  Jacobinerklub,  wie  er  ehedem  in  die  Salpetriere  ging.  Er  be- 
schäftigt sieh  nicht  mit  dem,  was  die  Franzosen  während  dieser  Krise 
leben  Hess;  er  beunruhigt  sich  nur  über  das.  was  sie  hätte  tödten  können. 
Er  schreibt  nicht  die  Geschichte  der  französischen  Revolution,  er  giebt  die 
geistige  Krankengeschichte  des  Franzosen  während  der  Revolution. 

Mit  welcher  Geduld  und  Gewissenhaftigkeit  er  seine  ungeheure  Unter- 
suchung verfolgt,  vermögen  nur  Diejenigen  zu  sagen,  die  ihn  bei  der  Arbeit 
gesehen  haben,  Diejenigen  unter  ihnen,  die  ihm  ihre  Schatzkammer  geöffnet 
haben,  und  Niemand,  ohne  ihm  seine  Achtung  zu  bezeugen.  Aber  je  tiefer 
sich  Taine  in  diese  tolle,  unheilvolle  Wirklichkeit  versenkt,  desto  mehr 
ereifert  er  sich,  regt  er  sich  auf,  lässt  er  sich  hinreissen.  Er  entäussert 
sich  der  stolzen  Überlegenheit  des  Gelehrten;  er  sprengt  in  das  Kampf- 
getümuiel,  wie  in  den  Zeiten  seines  Strausses  wider  die  Eklektiker;  nur 
noch  düsterer,  ungestümer,  ausgerüstet  mit  allen  modernen  Wurfgeschossen 
und  Sprengstoffen.  Mitunter  glaubt  man  sich  vor  das  Schwurgericht,  was 
sage  ich,  vor  das  Revolutions-Tribunal  am  Morgen  nach  den  Proscriptionen 
versetzt.  Alle  Faktionen  drängen  sich  vor  diesem  Richtersitz  und  alle 
ersticken  einander  fast.  Taine  leitet  das  Verfahren  ein,  verhört  Zeugen 
und  Parteien,  richtet  und  verdammt  immer.  Der  Glanz  des  Stils  verzehn- 
facht die  Wirkung  der  Gemälde:  Metaphern  steigen  auf,  leuchtend  und  ver- 
grössernd  wie  die  Projektionen  der  Physiker,  zugleich  von  ungemessener 
Zornglut  erfüllt.  „Der  Künstler",  meinte  er,  „ist  eine  geladene  Elektrisir- 
Maschine;  seine  Grösse  beruht  auf  der  Stärke  seiner  Entladung;  je  mehr 
seine  Nerven  vertragen  können,  desto  mehr  kann  er  leisten". 

Das  ancien  regime,  in  dem  die  Explosion  brütet,  ist  mit  der 
englischen  Littcraturgesehiehte  und  der  Abhandlung  über  die  Vernunft  sein 
drittes  Hauptwerk;  die  Akademie  hiess  es  durch  seine  von  dem  ganzen 
litterarischen  Europa  bestätigte  Erwählung  zu  ihrem  Mitglied  willkommen. 
Die  .Räude  der  „Revolution",  wo  die  Mine  springt,  erregten  ebenso  viel 
Be wunderung,  aber  weit  mehr  Einwendungen.  Das  Buch  war  voll  Leiden- 
schaften, demgemäss  bemächtigten  sich  seiner  auch  die  Leidenschaften.  Im 
Publikum  kam  es.  nach  jedem  Abschnitt  des  Werkes,  zu  Kundgebungen, 
vergleichbar  den  Äusserungen  des  Chores  in  der  griechischen  Tragödie. 
Im  Vollgefühl  seiner  Wahrhaftigkeit  als  Denker,  seiner  Klarheit  als  Schrift- 
steller war  Taine  erstaunt,  in  dem.  was  er  gesagt,  so  arg  verkannt,  und  um 
derentwillen,  was  er  nicht  gesagt  hatte,  so  heftig  angegriffen  zu  werden. 

Wenn  man  ihm  vorwarf,  dass  er  die  grossen  Seiten  der  Epoche  ver- 
nachlässige, hätte  er  nur  die  Seiten  seines  Buches  aufschlagen  brauchen, 
in  denen  sich  der  Aufschwung  der  Nation  im  Jahre  1702  entfaltet,  eine 
Art  von  heldenhaftem,  heiligem  Aufmarsch  unter  Glockengeläute,  Feierklang 
und  Trompetenschall.    Er  hätte  auch  nur  auf  die  (in  der  englischen  Litte- 


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Taine. 


17l> 


raturgesehichte  an  einen  berühmten  Verkleinerer  unseres  nationalen  Genius 
irerichtete)  Apostrophe  zu  verweisen  gehabt:  „Diese  Arbeiter,  diese  Hunger- 
leider sehlugen  sieh  halbnackt  an  der  Grenze  um  die  Interessen  der  Mensch- 
heit. Sie  sind  der  abstrakten  Wahrheit  so  zugethan,  wie  Eure  Puritaner 
der  göttlichen  Wahrheit;  sie  haben  das  Übel  in  der  Gesellschaft  bekämpft, 
wie  Eure  Puritaner  das  [bei  der  Seelen;  sie  haben,  gleich  ihnen,  ihren 
Heroismus,  der  jedoch  wohlwollend,  menschenfreundlich,  zur  Propaganda 
geneigt,  Europa  umgewandelt  hat.  während  der  Kurige  nur  Euch  selbst 
gedient  hat."*)  Er  beschied  sieh,  statt  solcher  Selbstverteidigung,  mit  dem 
Worte:  „das  ist  nicht  meine  Sache".  Im  Hinblick  auf  seine  neuen,  bis- 
weilen übereifrigen  Bewunderer,  die  ihm  sein  Sturmlauf  gegen  die  Menschen- 
rechte, seine  Keulcnschliige  gegen  die  .lacobiner  zuführten,  sagte  er  mit 
seinem  feinen,  sicheren  Lächeln,  in  seiner  in  mildem  und  doch  unabweis- 
liclien  Tone  abschliessenden  Weise,  jeden  Satz  bestimmt  heraushebend,  jedes 
Wort  scandirend:  „Ich  erwarte  sie  bei  Napoleon." 

Er  wartete  nicht  lange,  und  die  Wirkung  übertraf  seine  Erwartung. 
Bisher,  so  lange  er  mit  einem  Denker,  einem  Dichter,  einem  Künstler  zu 
schaffen  gehabt  hatte  und  zu  einem  unauflöslichen  Element,  dem  Übergang 
von  der  Formel  zum  Leben  gekommen  war,  ergänzte  Taine,  der  selbst 
Denker  und  Dichter  war,  die  Unzulänglichkeit  der  Analyse  durch  die 
Schöpfergabe  des  eigenen  (ienius.  Iiier  aber  Hess  ihn  diese  Intuition  im 
Stich.  Mit  Beziehung  auf  Guizot  und  Cromwell  hatte  er  gesagt:  ..Em 
politische  Geschichte  zu  schreiben,  muss  man  sich  mit  Staatsgeschäften 
befasst  haben.  Ein  Schriftsteller,  ein  Psycholog,  ein  Künstler  fühlt  sich  da 
nicht  zu  Hause".  Der  Staat  war  für  Taine  das  letzte  der  scholastischen 
Ungeheuer,  deren  Vernichtung  er  sich  vorgesetzt  hatte;  gegen  die  Staats- 
räson war  er  unbedingt  widerspenstig.  Desshalb  blieb  ihm  Napoleon  so 
fremd,  wie  zuvor  der  Sicherheits-Ausschuss.  Er  mochte  den  Schmelztiegel 
noch  so  sorgsam  füllen,  umrühren  und  zur  Siedhitze  bringen:  das  Aufflammen 
zeigte  überraschenden  Glanz,  aber  die  Wahlverwandtschaft  fehlte,  und  die 
rechte  Erzmisehung  kam  nicht  zu  Stande. 

Mit  dem  Regime  moderne  kehrt  Taine  zu  seinem  eigentlichen 
Gegenstand  zurück.  Mit  dem  verhängnisvollen  Erbe  der  Vergangenheit 
hat  er  abgeschlossen;  nun  rechnet  er  mit  der  Gerechtigkeit  ab.  Sociale 
Gerechtigkeit  ist  für  ihn  gleichbedeutend  mit  bürgerlicher  und  politischer 
Freiheit,  und  es  giebt  keine  fruchtbare  Freiheit  ausser  derjenigen,  welche 
die  Rechte  des  Individuums  verbürgt.  Die  Worte  Freiheit,  Gerechtigkeit 
schliessen,  so  verstanden.  Freiheit  des  Handelns  und  Verantwortlichkeit  des 
Handelnden  ein.  „Die  Überzeugung,  dass  der  Mensch  vor  Allem  ein  mora- 
lisches und  freies  Wesen  sein  und  da.ss  er.  nachdem  er  allein  in  seinem  Gewissen 
und  vor  Gott  die  Norm  seiner  Lebensführung  festgesetzt  hat,  unbedingt,  nach 


*)  Taine,  1 1 ist.  de  lu  litt.  anirl.  Carlylc  (V.  Hand.  S.  3121  tU         A.  d.  V. 


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Biographische  Blätter. 


innen  und  aussen,  beharrlich,  unbeugsam  daran  festhalten  müsse,  in  ausdauerndem 
Widerstand  gegen  die  anderen,  in  beständiger  Beherrschung  des  eigenen  Ich: 
das  ist",  nach  Taine,  „die  grosse  englische  Idee".  Wir  sagen:  es  ist  die 
grosse  Idee  jedes  Volkes,  das  leben  und  weder  in  der  Wüste  verdorren,  noch 
im  Schlamm  versinken  will.  Ohne  diese  Voraussetzung,  ohne  dasjenige,  was 
'Paine  die  beiden  Hauptideen  der  modernen  Civilisation  nennt,  ohne  die  Ehre, 
kraft  deren  der  Mensch  sich  Rechte  beilegt,  deren  Um  nichts  berauben 
kann,  und  ohne  das  Gewissen,  worunter  er  die  absolute  Gerechtigkeit  versteht, 
wäre  das  Buch  der  Origines  nur  eine  Apokalypse  unseres  A'erfalls  und 
das  Buch  vom  Regime  moderne  nur  eine  unfruchtbare  Lamentation. 
Weder  das  Eine,  noch  das  Andere  trifft  zu. 

Als  der  zartfühlendste  aller  Menschen  in  Ehren-,  als  der  heikelste 
in  Gewissensfragen,  hat  Taine  als  freier  und  verantwortlicher  Mensch  gelebt, 
hat  er  geschrieben  für  freie  und  verantwortliche  Menschen,  fähig,  ihn  zu 
verstehen  und  aus  seinen  Lehren  Nutzen  zu  ziehen.  Denjenigen,  die  ihn 
anklagen,  dass  er  die  menschliche  Seele  in  eine  Reihe  auf-  und  abschwankender 
Seelenzustände  auflösen  will,  kann  man  mit  seiner  Doctrin  von  der  Haupt- 
fähigkeit antworten,  die  die  ganze  Seele  während  der  ganzen  Lebensdauer 
zusammenfasst  und  beherrscht,  sodann  durch  das  J  Beispiel  seiner  eigenen 
Seele,  der  selbstgetreuesten,  die  es  jemals  gab.  Er  hat  Besseres  gethan. 
als  die  Abhandlung  über  den  Willen  zu  schreiben,  welche  die  Ergänzung 
seines  Buches  über  die  Vernunft  bilden  sollte;  er  hat  durch  seine  Handlungen 
gezeigt,  was  gegen  die  Prüfungen  der  Aussenwelt  und  für  die  gesunde 
menschliche  Thatkraft  ein  beharrlicher  und  überlegter  Wille  bedeutete. 

Zu  den  Stützen,  welche  die  menschliche  Gebrechlichkeit  in  diesem 
tagtäglichen  Kampfe  heischt,  war  er  in  den  letzten  Lebensjahren  mehr  und 
mehr  geneigt,  die  christliche  Religion  zu  zählen.  Erfahrung  und  Geschichte 
hatten  ihn  vom  Verständniss  des  Christenthums  zur  Sympathie  und  Achtung 
geführt.  Er  sagte  nicht  mit  den  Libert iiiern  des  Staatsgedankens:  man 
braucht  eine  Religion  für  das  Volk.  Er  duldete  diesen  Anflug  von  Ver- 
achtung nicht  in  einer  Angelegenheit,  welche  die  geheimste  des  menschlichen 
Herzens  ist.  Er  wusste,  dass  alle  Welt  „Volk"  ist  vor  dem  Leiden,  vor 
dem  Räthsel  des  Geschickes,  dem  herzzerreißenden  Tode  und  der  unsicheren 
Hoffnung.  Wenn  er  aber  auch  für  die  Gläubigen  die  weitestgehende  Gewissens- 
freiheit mit  all"  ihren  Folgen  und  Bedingungen  verlangte;  wenn  er  auch 
im  Evangelium  „den  besten  Bundesgenossen  des  socialen  Instinktes"  erkannte: 
wenn  er  soweit  kam,  den  Glauben  als  ein  alle  Vernunft  Überragendes  zu 
bewundern,  so  kann  doch  Niemand  sagen,  dass  er  die  ehernen  Bande 
zerbrach,  die  er  sich  freiwillig  geschmiedet  hatte.  Hat  er  jemals  den 
Abgrund  übersetzt,  den  der  Gläubige  mit  einem  Flügelschlag  übersetzt, 
den  Abgrund,  der  die  Unterwerfung  unter  allgemeine  und  nothwendige 
Naturgesetze  von  dem  Vertrauen  auf  die  unendliche  Güte  eines  Vaters 
scheidet?    Wenn  er  für  seine  Person  Stoiker  blieb,  that  er  das  in  wohl- 


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Taine. 


178 


überlegter  Absicht,  aber  auch  aus  Bescheidenheit.  Man  muss  sich  zu  be- 
schränken wissen,  sagte  er:  „man  muss  zufrieden  sein,  dass  man  die  Welt 
betrachten  und  durchdenken  konnte  und  glauben,  dass  das  der  Mühe  lohnt, 
zu  leben".  Was  er  sich  selbst  aber  verwehrte,  versagte  er  sich  nicht,  von 
anderen  zu  erwarten,  ^iede  Generation."  schreibt  er.  ..wird  einige  Seiten 
des  grossen  Buches  lesen,  das  kein  Ende  hat".  .  .  .  „Wenn  ich  innehalte, 
so  geschieht  das  im  Gefühl  meiner  Unzulänglichkeit:  ich  sehe  die  Grenzen 
meines  Gedankens,  nicht  aber  die  Grenzen  des  menschlichen  Geistes". 

In  diesem  Zeitpunkt  hat  ein  grosser  Künstler,  der  die  Menschen  zu  malen 
weiss,  wie  Taine  sie  zu  erfassen  vermochte,  ihn  dargestellt:*)  schon  alternd, 
doch  in  der  Vollreife  seines  Wesens :  imposant,  wie  er  den  Fernstehenden 
erschien:  ehrwürdig,  wie  er  es  für  Diejenigen  war,  die  ihm  nahten,  und  voll- 
kommen liebenswürdig,  wie  er  es  für  Diejenigen  war,  die  er  in  seinem  Heim 
erapting.  Eine  Lichtgestalt,  löst  er  sich  von  sehr  dunklem  Hintergrunde  ab 
und  scheint  mit  seinem  gemessenen  Schritt  zu  uns  heranzukommen.  Die  Stirn 
frei,  gewölbt,  gleichsam  übervoll  auf  dem  Körper  lastend:  das  Antlitz  ein- 
gefallen und  bleich:  aller  Drang,  aller  Strom  des  Lebens  emporsteigend  zu 
dieser  majestätischen,  unersättlichen  Stirne:  der  gerade,  gern  schweigsam 
geschlossene  Mund  öffnet  sich  auf  deutlich  bestimmte  Fragen,  lieber  noch 
zu  einem  Lächeln  der  Freundschaft,  wohlwollend  für  die  .Jugend,  hart  nur 
gegen  die  Lüge  und  unerbittlich  gegen  die  Anmaassung.  Die  Augen 
halbgeschlossen  unter  den  Brillen,  die  sie  verdecken.  Der  Blick,  wenn  er 
ihn  erhebt,  durchdringend,  wie  ein  Blitz,  der  über  eine  blankgeschliffene 
Klinge  zuckt;  gewöhnlich  aber  unischleiert.  Mau  fühlt,  dass  Taine  trotz 
seiner  leidenschaftlichen  Freude  an  der  Farbe  der  blendenden  Vision  der 
Welt,  doch  lieber  den  Blick  nach  innen  wendet  zur  Linkehr,  die  ihn  ein- 
für allemal  auf  grossen,  genauen,  ununterbrochenen  Linien  zu  grossen, 
einfachen  Ideen  geführt  hatte. 

Er  hatte  seine  Aufgabe  umgrenzt  und  dennoch  hatte  er  seinen  Kräften  zu 
viel  zugemuthet.  In  den  letzten  Jahren  verbrachte  er  nur  wenige  Monate  in 
Paris,  ungeduldig,  in  sein  Haus  am  See  von  Annecy  zurückzukehren,  neben 
dem  er  für  immer  auszuruhen  beschlossen  hatte:  dort  hatte  er  das  einzig  wahre 
Glück  gefunden,  so  wie  er  es  verstanden  hatte,  so  wie  er  es  verdiente. 
Er  ging,  so  lang  er  gehen  konnte:  dort  an  dem  beständig  von  Bergluft 
gekühlten  Seegelände,  in  Paris,  an  den  l'fern  der  Seine,  wo  seine  .lugend 
die  Angst  zu  leben  und  ..die  Verzückung  des  Denkens"  kennen  gelernt  hatte: 
mit  Vorliebe  in  seinem  theuren  botanischen  Garten.  Hier  verspürte  er  die 
gleichsam  wiederbelebten  Eindrücke  der  Maimorgen  von  ehedem,  da  er 
20  .fahre  alt  war:  „ Die  Sonne  leuchtete  über  die  Rasenflächen,  und  ich  sah 
das  innere  Leben,  das  in  den  dünnen  Zellgeweben  sich  regt  und  sie  zu 
kräftigen,  saftigen  Stengeln  aufrichtet:  der  Wind  erhob  sich  und  bewegte 

*i  Leon  Boanat.     D.  t.\ 
biographische  Blatter.  I.  1-2 

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179  Biographische  Blatter. 

diese  ganze  Ernte  dicht  aneinander  gedrängter,  wundersam  durchsichtiger 
Halme;  ich  fühlte,  wie  mein  Herz  schlug  und  meine  ganze  Seele  in  Liebe 
erbebte  fOr  dies  so  schöne,  stille,  seltsame  Wesen,  da«  man  die  Natur  nennt; 
ich  liebte  sie,  ich  liebe  sie  noch;  ich  spürte  sie  überall,  in  dem  lichten 
Himmel,  in  der  reinen  hilft,  in  diesem  regen  Wald  lebendiger  Pflanzung 
und  vor  Allem  in  dem  frischen,  ungleichen  Hauch  dieses  Frühlingswindes". 

Aber  von  einer  Jahreszeit  zur  andern  wurde  das  Leben  beschwerlicher, 
der  (iang  mühseliger;  die  Wegstrecken  wurden  kürzer,  die  Haltestellen 
länger.  Und  doch  war  sein  Gedanke  niemals  lebendiger,  seine  Einbildungs- 
kraft niemals  fruchtbarer.  „Dies  Gedankenleben,  auf  das  Du"  (wie  ihm 
vormals  Brevost  Paradol  sagte)  „so  stolz  bist,  dass  Du  es  von  einheitlicher, 
dem  Universum  überlegener  Natur  wünschtest",  dies  Gedankenleben  mit 
seiner  verschwenderischen,  rastlosen  Schöpferkraft  rieb  ihn  auf.  Statt  sie 
mit  Heiterkeit  zu  verfolgen,  musste  er  fortan  die  Verkettung  seiner  Ideen 
unterbrechen  und  den  Reigen  seiner  Bilder  verscheuchen.  Kr  kannte  die 
Qual,  die  grausamste  Qual  für  einen  Mann  von  Genie,  dies  Genie  zügeln 
und  knebeln  zu  müssen.  Aber  er  fluchte  und  murrte  niemals.  Tber  allen 
.lammer  der  menschlichen  Hinfälligkeit  erhob  sich  dieser  grosse  schmerzen- 
reiche Denker  noch  durch  sein  Leiden:  „Die  ganze  Würde  des  Menschen 
wurzelt  im  Gedanken  u. 

Dann  kam  der  Tag.  wo  er  überhaupt  nicht  mehr  ausging  und  nur 
wenige  Vertraute  für  wenige  Augenblicke  empfing:  immer  liebenswürdig, 
stets  voll  Antheil  für  ihre  Arbeiten,  sorglieh  für  ihre  Hoffnungen,  nur  von 
ihren,  niemals  von  seineu  oder  gar  der  wichtigsten  seiner  Angelegenheiten 
sprechend.  Man  sah.  wie  er  abmagerte,  wie  seine  Haltung  gebeugt  wurde: 
das  innere  Wesen  des  Mannes  aber  schien  nur  immer  zu  wachsen.  Und  wenn 
die  pietätvolle  Hand,  die  über  seine  abnehmenden  Kräfte  wachte,  andeutete, 
dass  die  Zeit  gekommen  sei.  ihn  zu  verlassen:  wenn  man  schied  und  sieh 
fragte,  ob  man  ihn  am  nächsten  Tage  wiederfinden  würde;  wenn  man  mit 
Verzweiflung  an  dies  grosse,  auf  die  Welt  fallende  Licht  dachte,  dessen 
Quelle  versehwinden  sollte,  dann  stärkte  man  sich  mit  der  Erwägung,  dass 
man  einem  grossen  Schauspiel  beiwohne  und  dass  in  Wahrheit  kein  Ver- 
hältniss  und  kein  gemeinsames  Maass  bestände  zwischen  diesem  Gedanken, 
der  sich  immer  kraftvoller,  heiterer,  freier  zum  Ideal  aufschwang,  und  diesem 
Leib,  der  stets  kraftloser,  immer  mehr  zur  Erde  hinabgezogen  ward. 

Er  las,  er  las  bis  ans  Ende:  Cäsar  oder  Sallust,  zum  Lateinischen 
zurückkehrend,  wie  der  erschöpfte  Mensch  zur  Milch  zurückkehrt,  die  seine 
Kindheit  genährt  hat,  seine  nicht  zu  bändigenden  Gedanken  verruhen  lassend 
auf  diesen  klaren  deutlichen  Worten,  inmitten  des  Geleises  nach  der  Schnur 
gezogener  Ideen.  Er  Hess  sich  Sainte- Beine  vorlesen,  der  ihm  die  Illusion 
des  Lebens  wachrief,  die  ihm  im  Weltgetriebe  besonders  genussreich  ge- 
wesen: freies  Gespräch  über  das  Reich  des  Geistes  mit  Leuten  von  Geist. 
Endlich  sann  er  über  Marc  Aurel,  der  sein  Lieblingsbuch  geblieben  war. 


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Über  die  Anlange  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung1  im  Mittelalter.  180 


Ans  seinen  Aussprüchen,  „erstickten  Ausbrüchen  eines  verhaltenen  Enthu- 
siasmus .  „halben  Worten,  die  man  mit  leiser  Stimme  ausspricht",  hatte 
er  sicli  eine  Art  von  Liturgie  gemacht.  Im  Verkehr  mit  dieser  Seele,  seines 
Kruchtens  rder  edelsten,  die  je  gelebt",  ermahnte  er  sich  selbst  zur  Ent- 
sagung: „Tröstet  Euch,  arme  Menschen,  mit  Eurer  Schwäche  und  mit  Eurer 
(irösse,  durch  den  Anblick  des  Unendlichen,  von  dem  Ihr  ausgeschlossen, 
und  durch  den  Anblick  des  Unendlichen,  in  dem  Ihr  einbegriffen  seid."*) 
Also  starb  Hippolyte  Taine.  Er  ist  einer  der  seltenen  Menschen,  die 
dazu  beigetragen  haben,  die  Gestalt  ihres  Jahrhunderts  zu  ändern,  seinen 
geistigen  Charakter  zu  modih'ciren.  Er  hat  durch  seine  Methode  die 
Forschung  und  durch  seine  Bücher  die  Kenntniss  der  menschlichen 
Dinge  vorwärts  gebracht;  er  hat  unvergleichlichen  Glanz  über  unsere 
Litteratur  verbreitet  und,  nachdem  er  einige  der  schönsten  Bildsäulen  der 
französischen  Kunst  gegossen,  hinterlässt  er  seinen  Nachfolgern  die  tiefe, 
gediegene,  feine  Gussform;  endlich  hat  er  durch  seine  bewunderungswürdige 
Lebensführung  ein  Muster  der  Lebenskunst  aufgestellt  für  Jeden,  der  sich 
vorsetzt,  für  die  Wissenschaft  und  für  die  Wahrheit  zu  leben. 

•  <S>  — 

Ober  die  Anfänge  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung 

im  Mittelalter,  v) 

iKede  beim  Antritt  des  l'rorektorats  der  Kirl.  Bayerischen  Friedrieh -Alexandere-Universität 

Krlaniren  am  4.  November  1*5)3.) 

Von 

FRIEDRICH  VON  BEZOLD. 

Wenn  ich  es  unternehme,  dem  Ursprung  der  Selbstbiographie  und  ihrer 
Kntwicklung  bis  in  die  späteren  Jahrhunderte  des  Mittelalters  nachzugehen, 
so  irilt  dieses  Bemühen  einer  Litteraturgattung,  die  allerdings  in  den  weitesten 
Kreisen  eine  rein  menschliche  Theilnahme  erweckt,  von  der  historischen 
Forschung  aber  mit  sehr  berechtigtem  Misstrauen  betrachtet  wird.  Man 
hat  sie  wohl  als  psychologische  Poesie  bezeichnet,  um  ihren  geringen  Werth 
neben  andern  Formen  historischer  f'berlieferung  hervorzuheben.  Inwieweit 
freilich  und  ob  überhaupt  eine  Selbstbeobachtung  im  streng  wissenschaft- 
lichen Sinn  möglich  sei,  darüber  zu  entscheiden  ist  nicht  unsere  Aufgabe1). 

Taine:  Marc-Aurele  (Nouveaux  essais  S.  2M/U1).  A.  d.  Ü. 

t>  Mit  Genehmigung  der  Verlagsbuchhandlung  Emil  Feiher  in  Weimar  ans  der  Zeitschrift  für 
Kulturgeschichte  wiederholt. 

' )  V*rl.  W.  Wundt,  Kssays  (Leipzig  1  p.  1  :!.">.  Kim»  so  feine  Kennerin  wie 
<i.  Sand  urteilt  (Histoire  de  ma  vi«\  l'aris  |S70,  1.  2):  .l/etiide  du  coeur  humain  est  de 
t.-lle  natura  que  plus  qu'on  s'y  ahsorlie,  moins  on  y  voit  elaire\  Ülier  den  modernen 
_roman  d'analyse"  und  die  „memoire*  d'analyse"  (Selhstliioirniphien)  v«rl.  1\  Hourget,  La 
teriv  pmniise  (lSi)->)  p.  IV  f.  Viel  zu  <_niiiNtiir  eharakterisirt  die  Wahrhaftigkeit  der  Seihst- 
l.ioirraphien  H.  Gottsehall  in  Unserer  Zeit  X.  2  <  IST 4 i.  U01  f..  daire^en  sehr  richtitr  das 
ihnen  anhaftende  pathologische  Klement. 

12* 

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181 


Biographische  Blätter. 


Für  uns  «rennet  es,  dass  eine  Reihe  auserlesener  Geister  sieh  damit  befasst 
hat.  vor  sieh  und  andern  ihr  eigenes  Denken  und  Fühlen  zu  offenbaren,  ihr 
eignes  Herz  und  seine  Geschichte  zu  enträthseln.  Ich  brauche  nur  an 
Namen  wie  Petrarka,  Rousseau,  Goethe  zu  erinnern.  Denn  hier  soll  eben 
nicht  die  gewaltige  Litterat  unnasse  der  Memoiren  oder  Denkwürdigkeiten  ins 
Auge  gefasst  weiden,  die  sieh  vornehmlieh  mit  den  äusseren  Schicksalen 
ihrer  Verfasser,  mit  ihrer  Theilnahme  am  öffentlichen  Leben,  mit  den  Per- 
sönlichkeiten bedeutender  Zeitgenossen  beschäftigen.  Die  Selbstbiographie 
im  engeren  Sinne  hat  es  vor  allem  mit  der  inneren  Entwicklung  ihres  Helden 
zu  thun;  sie  ist  nicht  nur  Rückschau  auf  das  Durchlebte,  sondern  zugleich 
und  vorwiegend  Innenschau.  Kiner  ihrer  berühmtesten  Vertreter,  J.  .1.  Rous- 
seau, hat  es  gewagt,  sich  geradezu  als  ihren  Urheber  vorzustellen.  Aber 
seine  Bekenntnisse,  die  er  als  ein  Werk  ohne  Beispiel  und  ohne  Nachahmer 
einführt,  verrathen  schon  in  ihrem  Titel  und  vollends  in  ihrem  Grund- 
gedanken die  Abstammung  von  den  Konfessionen  des  heiligen  Augustinus. 
Also  hätten  wir  die  Entstehung  einer  Litteratur,  die  neben  Augustin  einen 
Petrarka,  Rousseau,  Goethe  aufweist,  zunächst  iu  der  Jugendzeit  des  Christen- 
thums zu  suchen.  Dabei  bleibt  vor  allem  zweierlei  zu  erwägen.  Einmal 
die  Frage,  ob  denn  vor  Augustin  gar  keine  Spuren  oder  Ansätze  zu  er- 
kennen sind;  sodann  die  zweite  Frage,  ob  wirklich,  wie  man  oft  angenommen 
hat.  eine  Kluft  von  tausend  Jahren  ohne  alle  Zwischenglieder  die  Bekennt- 
nisse des  lateinischen  Kirchenvaters  von  den  Pekenntnissen  des  italienischen 
Humanisten  trennt.  Dass  die  zweite  Frage  zu  verneinen  ist.  kann  ich  hier 
gleich  vorausschicken.  Aber  man  hat  meines  Wissens  auf  diese  mittelalter- 
lichen Nachfolger  Augustins  und  Vorläufer  Petrarkas  bisher  nur  hier  und 
da,  nicht  im  Zusammenhang  aufmerksam  gemacht. 


Aus  dem  klassischen  Altcrthuni  sind  uns  Selbstbiographien  nicht  er- 
halten, obwohl  wir  von  so  manchen  hellenistischen  und  namentlich  römischen 
Berühmtheiten  hören,  dass  sie  ihr  Leben  oder  besonders  bedeutsame  Ab- 
schnitte desselben  beschrieben  haben.  In  den  letzten  Zeiten  der  römischen 
Republik  und  in  den  ersten  Jahrhunderten  der  Kaiserherrschaft  muss  die 
Mcmoirenlitteratur  eine  reiche  und  interessante  gewesen  sein,  denn  wir  greifen 
wohl  mit  der  Annahme  nicht  fehl,  dass  es  sich  dabei  wesentlich  um  res  gestae, 
um  politische  und  militärische  Dinge,  um  die  Aktion  der  Verfasser  auf  der 
grossen  Weltbühne  gehandelt  haben  wird.  Als  die  erstarkende  Monarchie 
der  Caesaren  dem  öffentlichen  Leben  immer  mehr  Licht  und  Luft  entzog, 
sahen  sich  gewiss  viele  tüchtige  Klüfte,  die  bisher  nur  dem  Forum  und 
dem  Lager  gedient  hatten,  auf  das  stillere  Feld  künstlerischer  oder  wissen- 
schaftlicher Thätigkeit  gewiesen.  Nicht  zu  verkennen  ist  auch  ein  gewisser 
Zug  zur  Beschaulichkeit  und  zur  psychologischen  Beobachtung,  die  uns  an 
einem  der  grössten   Künstler  der  Gcschichtschrcibung.  an  Tacitus  so  be- 


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tvbor  die  Anfange  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.  182 

sonders  fesselt2).  Aber  die  antike  Auffassung  des  Individuums  war  doch 
noch  zu  mächtig,  als  dass  sieh  ein  solches  Belausellen  und  Aushorchen  des 
eignen  Herzens  in  allen  seinen  Regungen  hätte  entwickeln  können,  wie  es 
die  augustinisehen  Konfessionen  voraussetzen.  Noch  war  die  Abkehr  von 
dein  unfrei  gewordenen  Staat  meist  keine  freiwillige,  sondern  von  Empfindungen 
des  Grolls  und  der  Sehnsucht  nach  der  guten  alten  Zeit  begleitet.  Selbst 
bei  den  Philosophen,  die  sich  Über  die  Lockungen  und  Stürme  des  äusseren 
Lebens  erhaben  fühlten,  tritt  vor  dem  Bedürfniss  zu  allgemein  gültigen  und 
sehulmässig  formulierten  Sätzen  zu  gelangen,  das  Interesse  an  der  Eigenart 
des  einzelnen  Menschen  völlig  zurück.  Das  schlagendste  Beispiel  hierfür  ist 
der  kaiserliche  Stoiker  Mark  Aurel;  trotz  eines  Anlaufs  das  eigne  Leben 
zum  Ausgangspunkt  der  Betrachtung  zu  machen,  vermeidet  er  es  in  seiner 
Schrift  si;  scotov  ängstlich,  sich  von  dem  wohl  vertrauten  Boden  der  Gemein- 
plätze weg  in  die  dunkeln  Tiefen  des  eignen  Ich  zu  verirren. 

So  blieb  es  der  christlichen  Welt  vorbehalten,  die  Selbstbiographie  in 
einem  ganz  neuen,  von  der  Aufzeichnung  der  eigenen  Leistungen  und  äusseren 
Schicksale  ganz  verschiedenen  Sinn  zu  erzeugen.  Die  wichtigste  formale 
Voraussetzung  war  längst  gegeben.  Denn  die  ausgebildete  Icherzählung 
reichte  bereits  nicht  nach  Jahrhunderten,  sondern  nach  Jahrtausenden  zurück, 
bis  in  die  Urzeiten  alles  Schriftthums.  Die  ruhmredigen  Inschriften  der 
ägyptischen  Herrscher  und  Beamten,  der  babylonisch-assyrischen  Könige  er- 
zählen grossentheils  in  der  ersten  Person,  nicht  ohne  manchmal  die  seltsame 
Form  der  Selbstbiographie  eines  Verstorbenen  anzunehmen.  In  einzelnen 
Fällen  gestalten  sich  solche  Inschriften  zur  Legende  oder  zum  Zwiegespräch 
des  Erzählers  mit  den  Göttern,  so  wenn  König  Sargon  I.  redend  eingeführt 
wird,  um  die  höchst  wunderbare  Geschichte  seiner  eigenen  Geburt  zu  be- 
richten, oder  wenn  König  Naboned  eine  Unterredung  mit  dem  Gott  Merodach 
wörtlich  wiedergiebt.  Daneben  entwickelte  sich  in  Ägypten  frühzeitig  eine 
Art  von  Ichroman  in  Gestalt  von  Abenteuern  und  Märchen,  die  ein  Weit- 
gereister als  eigene  Erlebnisse  zum  Besten  giebt3).  Man  fühlt  sich  hier  un- 
willkürlich zu  einem  Seitenblick  verlockt  auf  die  Perle  aller  Schiffersagen, 
die  unsterbliche  Erzählung  des  Odysscus  von  seinen  Irrfahrten.  Ohne  auf 
die  Wandlungen  der  griechischen  Reisepoesie  und  Xovellistik  einzugehen, 
muss  ich  doch  zweierlei  hier  hervorheben.  In  der  römischen  Kaiserzeit 
linden  wir  einmal  die  Ichcrzählung  in  vollendeter  Gestalt  vor,  so  z.  B.  in 
dem  genialen  Sittenroman  des  Petronilla.  Dann  aber  verbindet  sich  im 
griechischen  Roman  der  ersten  Jahrhunderte  unserer  Zeitrechnung  das  stoff- 


-)  Vgl.  F.  C.  Baur  in  der  Zeit-chr.  für  wissenseb.  Theologie  1,  4f>9  11'.;  Teuft  el, 
Geschichte  der  rötu.  Litteratur  (.r>.  Aufl.)  §  272. 

Ä)  Vgl.  A.  Wiedemann,  Agvpt.  Geschichte  I,  07;  A.  Eriuan.  Ägypten  p.  41*4 ; 
H71  ff.:  F.  Hommel,  Geschichte  Habyloniens  p.  7S0;  (J.  1'.  Tiele.  babyl.-;i>syr.  Geschichte 
p.  112  ff. 


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183 


Biographische  Blätter. 


I 


liehe  Interesse  jener  alten  Reisegesehiehten  mit  der  Erotik4).  Damit  tritt 
ein  psychologisches  Element  in  den  Vordergrund,  das  freilich  jene  sophistisch 
geschulten  Prosadiehtcr  keineswegs  mit  grosser  Feinheit  oder  Mannigfaltigkeit 
zu  behandeln  verstehen.  Auch  hier  begegnet  uns  der  Ichroman  oder  wenig- 
stens die  Kintlechtung  von  kleineren  Erzählungen  in  der  ersten  Person. 

Dieser  wirksamen  Kunstform  bemächtigte  sich  nun  das  Ohristen- 
thumt  um  die  heidnischen  Liebes-  und  Abenteuergeschichten  durch  Romane 
mit  religiöser  'Pendenz  zu  verdrängen,  so  dass  nicht  etwa  eine  Abnahme, 
sondern  nur  eine  Umwandlung  der  erzählenden  Litteratur  unter  christ- 
lichem Eintiuss  zu  verzeichnen  ist5).  Anstatt  der  oft  sehr  langathmigen 
Gespräche  und  Ausführungen  über  die  Liebe  erscheinen  jetzt  erbauliche 
oder  lehrhafte  Auseinandersetzungen  über  religiöse  Fragen,  während  im 
Übrigen  namentlich  das  phantastische  Element  seinen  unverkttmmerten 
Platz  behauptet.  Es  herrscht  geradezu  in  den  Mönchsromanen,  die  seit 
dem  IV.  Jahrhundert  aus  den  über  die  heiligen  Väter  der  Wüste  um- 
laufenden Geschichten  und  Fabeln  entstanden  sind.  Ihr  eigentlicher  Zweck, 
die  Verherrlichung  und  Empfehlung  der  Askese,  verbirgt  sich  manchmal  fast 
ganz  hinter  der  möglichst  anziehenden  und  aufregenden  Einkleidung.  Wenn 
schon  in  einem  der  ältesten  Stücke,  in  dem  von  Hieronymus  verfassten  Leben 
des  Anachoreten  Paulus,  dem  heiligen  Antonius  ein  Kentaur  und  ein  bocks- 
füssiger  Satyr  als  Wegweiser  durch  die  furchtbare  Einsamkeit  dienen  und 
dem  dahingeschiedenen  Paulus  zwei  Löwen  das  Grab  bereiten,  so  steigert 
sich  diese  Belebung  der  Wüsten-  und  Höhlenscenerie  durch  Dämonen  und 
wilde  Thiere  immerzu  bis  zum  Ungeheuerlichsten.  Es  ist  orientalische,  ägyp- 
tische Phantasie,  die  den  Ton  angiebt.  Zumal  die  Löwen  bilden  ein  stehendes 
Requisit;  sie  schützen  wohl  den  Kohlgarten  des  Einsiedlers  vor  den  Ziegen, 
begleiten  seine  vor  Angst  zitternden  Besucher,  dienen  sogar  als  Werk- 
zeuge der  Busse;  dem  römischen  Makarius,  der  sich  einmal  von  sündlicher 
Lust  überwältigen  lässt,  drehen  sie  erst  verächtlich  den  Rücken,  um  ihn  dann 
bis  zum  Hals  einzugraben  und  ei*st  nach  Verlauf  von  drei  Jahren  wieder  aus 
dieser  Lage  zu  befreien.  Hier  befinden  wir  uns  überhaupt  in  einer  reinen  Fabel- 
welt: da  geht  die  Reise  zum  heiligen  Mann  durch  Völkerschaften  von  Mohren, 

*)  K.  Ilohde.  der  grieeh.  Konian  und  seine  Vorläufer,  Leipz.  1876;  l\  Wilcken 
(Hermes  XXV III ):  F.  de  Salverte.  In  ronian  dan.s  la  (Jrcee  antique.  I'ar.  1894;  Uber  die 
Existenz  von  (nicht  erhaltenen)  psychologischen  Romanen  im  modernen  Sinn  in  der  helle- 
nistischen Zeit  vgl.  (i.  Thiele.  Zum  grieeh.  Ronian  (Aus  der  Anomia.  Archäolog.  Rei- 
trftge.  Berlin  1S1»().  p.  ]-_»4  tt'.l:  F.  Suscmihl.  ("Jeschichte  der  grieeh.  Litt,  in  der  Alexan- 
drinerzeit I  (18!)V,.  f>74. 

•"')  Vgl.  den  Artikel  von  S.  Raring-(M»uld.  Early  Christian  greek  romances.  in  der 
Contemporary  Review  XXX.  1877:  V.  Schnitze.  Artikel  „Legende*1  bei  Ersch  u.  (..' ruhe  r 
II.  4*2  ( 1  sss » ;  Derselhe.  ( '«'schichte  de*  l'ntergangs  des  grieeh. -röm.  I leidenthunis  II  i  lSJrj ) 
7Ü  H. :  die  Praxis  dieser  Rnmandichter  sehr  gut  auseinandergesetzt  bei  Th.  Zahn.  Acta 
Joannis  (18*0)  ji.  XL1X  tt*.  Näheres  Uber  den  Mönehsroman  l»ei  H.  Weingarten  (Zeitschr. 
f.  Kirchengesch.  T.  1877):  H.  l'sener.  der  heil.  Theodosius  (1890):  W.  Israel  in  der 
Zeitschr.  f.  wis.Pn>ch.  Theol.  XXIII.  14:»  h". 


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Über  die  Anfänge  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.  184 


Kynokephalen  und  Pygmäen,  durch  Herden  von  Schlangen  und  Basilisken, 
Büffeln  und  Klephanten.  vorbei  an  der  Hülle  und  am  Paradies,  in  dessen 
Nähe  Makarius  haust,  ganz  in  sein  schneeweisses  Haupt-  und  Barthaar  ein- 
gehüllt, die  Haut  zum  dürren  Fell  eingetrocknet,  die  Augen  unter  den  Brauen 
nicht  mehr  sichtbar,  mit  entsetzlich  langen  Nägeln  und  kaum  noch  vernehm- 
licher Stimme.    So  erzählt  er  den  wissbegicrigen  Pilgern  seine  Schicksale. 

Denn  die  Icherzählung  spielt  in  diesen  seltsamen  Kr/eugnissen  christ- 
licher Belletristik  eine  sehr  grosse  Rolle.  Mit  viel  Geschick  fasst  z.  B.  Hie- 
ronymus die  Geschichte  des  Einsiedlers  Malchus  in  eine  zierliche  kleine 
Novelle,  die  er  seinen  Helden  selbst  und  zwar  äusserst  anschaulich  vortragen 
lässt;  da  fehlt  es  nicht  an  Beduinenüberfall  und  Gefangensehaft,  an  einer 
Scheinehe,  die  dem  vormaligen  Münch  aufgezwungen  wird,  mit  der  Frau 
eines  anderswohin  in  die  Sklaverei  gerathenen  Mannes,  an  einer  aufregenden 
Flucht.  Die  Sammler  solcher  Mönchsgeschichten,  wie  Rufinus,  Palladius. 
Cassianus  u.  a.,  legen  grosses  Gewicht  darauf,  als  Augen-  und  Ohrenzeugen 
zu  berichten;  sie  haben  die  heiligen  Büsser  selbst  aufgesucht,  zuweilen  unter 
l^ebensgefahr,  und  geben  ihre  oft  sehr  langwierigen  Reden  im  Wortlaut 
wieder,  nicht  ohne  von  Zeit  zu  Zeit  ihre  eigene  Glaubwürdigkeit  oder  die 
ihrer  Gewährsmänner  in  starken  Ansdrttcken  zu  betheuern.  Theodoret  meint, 
wer  seinen  Erzählungen  nicht  glauben  wolle,  der  werde  vermuthlich  auch  die 
YV linderberichte  des  Alten  und  Neuen  Testaments  für  Fabeln  halten;  die 
Zuverlässigkeit  sei  bei  ihm  ebenso  über  allen  Zweifel  erhaben,  wie  in  der 
Bibel.  Jenes  phantastische  Märchen  vom  römischen  Makarius  giebt  sich  als 
Reisebericht  dreier  Mönche  Theophil us,  Sergius  und  Hyginus;  sie  berufen 
sich  frech  darauf,  dass  es  ja  viel  sicherer  für  sie  gewesen  wäre  zu  schweigen 
als  den  Schein  und  Vorwurf  des  Betrugs  auf  sich  zu  laden0). 

Auch  an  andern  Können  des  christlichen  Romans  fällt  die  Neigung 
auf.  in  der  ersten  Person  zu  erzählen,  entweder  die  eigenen  Schicksale  zum 
Hauptgegenstand  zu  machen,  oder  sich  wenigstens  als  Freund  und  Begleiter 
der  Hauptpersonen  einzuführen.  Dies  geschah  besonders  gern  mit  Bezug 
auf  die  Apostel;  so  in  jenem  berühmten  Roman,  der  unter  dem  Namen  des 
Römers  (Meinens  in  verschiedenen  Fassungen  auf  uns  gekommen  ist,  oder 

°)  Vgl.  die  Stelle  de*  Theodoret u*  in  der  Vorrede  zu  seiner  tpiXrJftao;  bTopta  (Migne. 
Patrol.  series  graeca  LXXXI1  col.  12!«.  hiezu  vgl.  ebd.  col.  1448  ff.:  14(55);  die  V.  Macarii 
liomani  in  latein.  Übersetzung  bei  Hos w evtl e.  Vitae  patrum  (Antw.  1628)  p.  224  ff.  Über 
die  Rolle  der  Löwen  vgl.  ausser  den  oben  angef.  Beispielen  die  Legenden  der  Maria 
Aegyptiaca.  des  Cyriakus.  Georgias  Chozebita  u.  a.  m.  Sprechende  Vögel  in  der  Lebende 
des  Makarius  Konianus;  in  der  Gesch.  des  Zosimus  (bei  Ilohinson,  Texts  am!  studies  II. 
:i.  Camhr.  1898,  p.  86  ff.)  werden  selbst  Wolke  und  Wind  redend  eingeführt.  In  den  leh- 
erzfthlungen  tritt  der  wirkliehe  oder  angebliche  Verf.  bald  mehr  bald  weniger  mit  seiner 
Person  hervor;  manchmal  dient  sie  nur  zur  leichten  Hinkleidung  und  Verbindung  des  Kr- 
zählten,  in  andern  Fallen  weiden  wieder  zusammenhangende  KrzUhlungen  in  der  ersten  Person 
eingeschoben,  wie  in  den  Legenden  der  ägyptischen  Maria,  des  Cyriakus,  des  Maearius 
Komanus.  vielfach  in  den  Sammlungen  der  Biissergeschiehten  (Unnaus.  Palladius  u.  s.  w.). 


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Biographische  Blätter. 


in  den  ..Thaten  dos  Evangelisten  Johannes";  der  Verfasser,  der  wahr- 
scheinlich im  V.  oder  VI.  Jahrhundert  eine  ältere  Vorlage  bearbeitet  hat, 
stellt  sich  als  einen  der  siebzig  Jünger  und  als  Reisegefährten  des  Apostels 
vor.  Wie  die  Phantastik  der  antiken  Schift'ermarchen  auf  die  Mönchsireschichten, 
so  hat  das  Schema  des  griechischen  Liebesromans  auf  diese  theologischen 
Tendenzdichtungen  eingewirkt.  Wir  linden  das  beliebte  Motiv  der  Trennung 
und  wunderbaren  Wiedervereinigung  von  nahen  Verwandten  z.  B.  in  den 
Klemcntinon  und  später  in  einer  ganzen  Reihe  von  Legenden.  An  den 
Gaunerroman  erinnern  manche  derbkomische  Züge  in  den  Acta  .loannis, 
wenn  etwa  der  Apostel  als  Iiadehcizer  Unterkunft  sucht  und  sich  unter 
die  gewaltigen  Fäuste  und  nicht  minder  gewaltigen  Schimpfreden  seiner 
Herrin,  des  kampflustigen  schielenden  Mannweibs  Romana  beugt7).  Ganz 
besonders  charakteristisch  aber  ist  die  Herubernahme  und  Umgestaltung  des 
erotischen  Elements,  dem  man  doch  keineswegs  ganz  entsagen  wollte.  Da 
wird  z.  B.  der  vielgelesene  heidnische  Liebesroman  von  Klitophon  und 
Lcukippe  mit  einer  christlichen  Fortsetzung1  versehen  oder  in  der  Geschichte 
vom  Magier  Cyprian  die  Bedrängniss  einer  edeln  Jungfrau  durch  Zauber- 
künste, zu  denen  der  verschmähte  Liebhaber  eine  Zuflucht  nimmt,  aus- 
führlich geschildert  oder  dem  Apostel  Paulus  eine  jugendliche  Schülerin 
Thekla  angedichtet,  die  ihm  in  Männerkieidern  nachzieht.  Die  bis  in  s 
Ungesunde  gesteigerte  Verherrlichung  der  Virginität  erzeugte  dann  ein 
Raffinement  gefühlvoller  Romantik,  das  bei  aller  Entfernung  von  der  un- 
verhttllten  Sinnlichkeit  der  Antike  doch  dem  Wohlgefallen  an  verfänglichen 
Schilderungen  reichliche  Nahrung  bot.  Zahlreiche  Geschichten  von  schonen 
bussfertigen  Sünderinnen  und  von  ebenso  schönen  jeder  Versuchung 
trotzenden  .Jungfrauen  bezeugen  die  grosse  Beliebtheit  solcher  Stoffe.  Es 
erhöht  natUrlic-h  den  Eindruck,  wenn  uns  der  Verfasser  einer  Legende 
den  frechen  Durchzug  einer  reichgeschmückten  Tänzerin  durch  den  Kreis 
berathender  Bischöfe  als  Augenzeuge  beschreibt  oder  wenn  die  nackt  in  der 
Wüste  hausende,  einem  wilden  Thier  ähnliche  ägyptische  Maria  ihr  früheres 
Lasterleben  selbst  erzählen  muss.  Manche  heidnische  Göttin  mag  in  der 
Gestalt  einer  christlichen  Romanheldin  fortgelebt  haben,  wie  ja  die  heilige 
Pelagia  nach  Useners  Darlegung  nichts  anderes  ist  als  die  meerbeherrschende 
Aphrodite  selbst  im  Gewand  des  neuen  Glaubens8). 

Tl  Vgl.  Baring-t!ouldp.S()7ft".;  Zahn,  Acta  Joannis:  Ii.  A.  Lipsius,  die  apokryphen 
Apostelgeschichten  I.  (1SS3). 

8I  Aus  der  grossen  Zahl  verwandter  legenden  seien  ausser  Pelasria  (lf.  Uscner, 
Legenden  der  I'elagia.  Bonn  1*79)  nur  die  ägyptische  Maria  (vgl.  II.  Knust,  Legenden 
der  h.  Katharina  und  der  h.  Maria  Aogyptiaca«  Halle  IS'JO)  und  die  Büsserin  Pansenine 
beispielsweise  hervorgehoben,  llliutig  ist.  die  männliche  Verkleidung,  wie  bei  I'elagia,  Thekla, 
Kujihrosyne.  Susanna,  Apollinaris  Syncletica.  Die  .theil  weise  lüsterne  Färbung*"  begegnet 
sowohl  in  den  Münchsromanen  (K.  Müller.  Kirehengeschichte  I,  1*92,  p.  213)  als  auch 
anderwlirts;  über  das  l'ngesunde  in  dem  übertriebenen  Kultus  der  YirginitJlt  A.  Harnack, 
I  >ogmengesch.  III  (1S9U).  1U8  A.  1.  Anknüpfung  der  Märtyrergeschichte  von  Ualactio  u. 
Episteme  an  einen  Roman  von  Achilles  Tat  ins:  Raring-Gould  p.  S71  f. 


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tvber  die  Anfange  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.     1 86 

■ 

Ob  nun  das  starke  Hervortreten  der  wirklichen  oder  fingirten  Persön- 
lichkeit einfach  aus  den  heidnischen  Vorlagen  herübergenoninien  oder  in  der 
christlichen  Unterhaltungslitteratur  doch  noch  weiter  entwickelt  worden  ist. 
darüber  kann  ich  sicheren  Anfschluss  nicht  geben.  Dass  aber  die  neue 
Weltanschauung  des  Christenthuins  eine  neue  Schätzung  des  Kinzelmenschen 
nicht  gerade  allein  geschaffen,  aber  doch  in  einem  bisher  unbekannten  Maass 
zur  allgemeinen  Geltung  gebracht  hat.  das  darf  wohl  als  eine  kaum  be- 
strittene Thatsaehe  bezeichnet  werden.  In  diesem  Sinn  konnte  man  vielleicht 
das  vielberufene  und  vielkritisirte,  immer  etwas  bedenkliche  Wort  vom 
ersten  modernen  Menschen,  das  ja  mit  Vorliebe  von  Petrarka  gebraucht 
wird,  schon  auf  den  heiligen  Augustinus  anwenden9),  .ledcnfalls  ist  er 
einer  der  gewaltigsten  Mitbegrflnder  der  christlichen  Weltanschauung  und 
der  katholischen  Kirche  und  in  ihm  gipfelt  jene  vom  Neuplatonismus  an- 
gebahnte GefUhlsphilosophie,  die  es  unternimmt,  aus  den  innersten  und 
verborgensten  Regionen  des  Seelenlebens  die  Losung  aller  Käthsel  zu  holen. 
Seine  Konfessionen  besitzen  doch  wenigstens  unter  den  uns  bekannten 
Schriften  auch  der  ersten  christlichen.  Jahrhunderte  keinen  wirklichen  Vorläufer. 
Gewisse  Anklänge  finden  sich  wohl  in  den  merkwürdigen  Selbstbekennt- 
nissen, in  denen  jener  Magier  Cyprian  von  Antiochia  seinen  Durchgang 
durch  alle  geheime  Weisheit.  Zauberkunst  und  Christen feindschaft  des 
Heidenthnms,  seine  Verzweiflung*  und  Bekehrung  drastisch  genug  darstellt, 
alles  in  Form  einer  vor  den  Gläubigen  abgelegten,  von  ihren  Trostreden 
unterbrochenen  Beichte,  deren  Verlauf  Cyprian  selbst  im  Wortlaut  mittheilt10). 
Ein  faustischer  Zug  ist  dieser  Gestalt  mit  dem  Kirchenvater  gemeinsam, 
nur  dass  er  bei  dem  abenteuerlichen  Adepten  der  Mysterien  und  Dämonen- 
beschwörungen in  ungleich  gröberer  Weise  sich  kundgiebt.  Sonst  besitzen 
wir  noch  zwrei  ebenfalls  dem  IV.  Jahrhundert  angehörige  voraugustinische 
Selbstbiographien.  Die  eine,  dem  Heros  der  syrischen  Kirche  Ephraem  in 
den  Mund  gelegt,  giebt  nur  eine  Episode  seines  .Tugendlebens;  die  andere 
ist  in  verschiedenen  echten  Gedichten  Gregors  von  Nazianz  enthalten,  die 
sich  in  einer  Fülle  von  langweiligen  und  selbstgefälligen  Versen  doch  mehr 
über  seine  äusseren  Schicksale  und  dogmatischen  Kämpfe  verbreiten11). 

9)  Vgl.  Uarnack  III,  97  A.:  Uber  die  Anwendung  aufPetrarka  A.  Lassan  in  den 
Preuss.  Jahrbüchern  LXU  (1888).  431.  Die  höhore  Werthung  des  Einzelnen  als  ein«'  Folge 
de.«?  Christenthunis  charakterisirt  vortrefflich  Lutze,  Mikrokosmus  III3,  301. 

w)  Von  so  sehwachen  heidnischen  Ansätzen  zu  religiöser  Selbstbiographie  wie  bei 
Apuleius,  will  ich  ganz  absehen.  Vereinzelte  Mittheilungen  Uber  den  eignen  Lebensgang 
*>ei  Porphyrios  und  Runapios.  —  Vgl.  Zahn.  Cyprian  von  Antiochien  und  die  deutsche 
Faustsage,  Krl.  1882;  bes.  p.  18  ff.;  73  ff.;  103  ff. 

n)  l  ber  Ephraem'*  (in  verschiedenen  Fassungen  Uberlieferte)  autobiographische  Er- 
zählung- vgl.  Le  Blant,  les  actes  des  martyrs  (1872)  p.  170  ff.:  die  99  Gedichte  des 
Tregor  von  Nazianz.  die  sich  auf  seine  Person  beziehen  (darunter  namentlich  zu  beachten 
-zy  »w  zv'j-vj  fStov),  bilden  das  2.  Uueh  seiner  Poesien:  nicht  wenig«?  tragen  apologetischen 
Charakter.    Die  „Memoiren"  des  Üioskuros  (Mittheilungen  aus  der  Sammlung  des  Papyrus 


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187 


Biographische  Blätter. 


Immerhin  haben  wir  ein  paar  Belege  dafür,  dass  in  der  damaligen 
christlichen  Welt  ein  gewisser  Hang  zur  Selbstschilderung  in  erbaulicher 
Absicht  vorhanden  war;  auch'  die  unechten  Stücke  wollen  ja  durch  die 
Fiktion  eigner  Bekenntnisse  wirken.  Diesen  Gedanken  hat  nun  Augustiu 
in  wahrhaft  genialer  Weise  ergriffen  und  verwirklicht.  Die  Konfessionen, 
die  er  als  fertiger  Mann  im  .Jahre  397  verfasstc,  stellen  eine  doppelte 
Beichte  vor  Gott  und  den  Menschen  dar;  „wem  erzähle  ich  dies'*,  ruft 
Augustin,  ,,nicht  Dir,  mein  Gott,  sondern  vor  Dir  erzähle  ich  dies  meinem 
Geschlecht,  dem  Menschengeschlecht;  und  sollten  auch  nur  Wenige  mit 
dieser  meiner  Schrift  bekannt  werden".  Trotz  aller  litterarischen  Schwächen, 
die  aus  der  Rhetorenbildung  des  Verfassers  und  aus  der  ungestümen 
Beweglichkeit  seines  Temperaments  sich  ergeben  —  die  fortwährenden 
Apostrophirungen  Gottes,  die  Eigentümlichkeiten  des  ..Gebetstils4*  ermüden 
den  modernen  Leser  nicht  minder  wie  der  Luxus  an  Bibelstellen  und 
Antithesen  —  trotz  alledem  werden  gewisse  Partieen  der  zehn  ersten  Bücher 
kraft  ihrer  psychologischen  Feinheit  und  ihrer  wahrlich  nicht  erkünstelten 
Gefühlswänuc  noch  heute  und  wohl  zu  allen  Zeiten  jeden  Unbefangenen 
fesseln  und  ergreifen.  Schritt  für  Schritt  werden  wir  durch  die  tastenden 
Anfänge  des  kindlichen,  durch  die  stürmische  Gährung  des  jugendlichen 
Seelenlebens  bis  in  die  entscheidenden  inneren  Kämpfe  der  Reifezeit  geführt, 
Augustinus  würdigt  die  öffentlichen  Dinge  überhaupt  keines  Blickes  und 
benutzt  auch  den  äusseren  Verlauf  seines  Daseins  nur  dazu,  die  göttliche 
Führung  in  helleres  Licht  zu  setzen  und  aus  einem  reichen  Schatz  von 
Erfahrung  Stoff  für  die  Betrachtung-  und  Zergliederung  psychischer  Vor- 
gänge zu  gewinnen.  Dabei  bleibt  —  und  das  ist  eben  das  Charakteristische 
das  Individuum,  der  einzelne  Mensch  Augustinus  mit  all  seinen  Besonder- 
heiten und  individuellen  Erlebnissen  stets  im  Mittelpunkt;  die  äussere  Welt 
um  ihn  herum  scheint  mehr  und  mehr  zu  versinken  und  er  steht,  allmählich 
dem  bösen  und  guten  Eintluss  der  Mitmenschen  entrückt,  allein  seinem 
lange  gesuchten  und  endlich  gefundenen  Gott  gegenüber.  Das  quietistische 
Element  dieses  Gefühlslebens  "hat  erst  kürzlich  Harnack  scharf  hervor- 
gehoben; auf  einen  weiblichen  Zug  in  Augustins  Natur  ist  schon  früher 
aufmerksam  gemacht  worden l2).  Der  schroffste  ( Jegensatz  zum  althellenischen 
und  altrömischen  Wesen  spricht  aus  jeder  Zeile  der  Konfessionen  wie  aus 
jeder  Zeile  des  Buchs  vom  Gottesstaat.  Wenn  der  letztere  zum  Evangeliuni 
der  mittelalterlichen  Theokratie  geworden  ist,  so  liegt  die  Vermuthung  nahe. 

Kr/.h.  Kainer  IV,  ii'i  ff.>.  der  Kuchari-sticos  des  Paulinus  von  Pella  (Kbert  I2.  405  ff.)  und 
die  sogenannte  „Trai^oedie"  des  Nestorius  (hei  lrenaeus  Coines).  alle  nachaugustinisch,  fallen 
nicht  in  den  Kähmen  dieser  Darstellung. 

,-)  Jlarnack  III.  &i:  vgl.  seinen  Vortrag  über  die  Konfessionen.  Giessen  1*88; 
ferner  Zeitschrift  f.  Philosophie  Xl'lll,  170  ff.;  XCIX.  124  ff;  histor.  Zeitsehr.  XXXII, 
271 :  27S;  Dilthey.  Kinleitunv  in  die  Geisteswissenschaften  I.  :V2(>  ff.:  :W7  A  1 :  G.  Koissier. 
la  tin  du  pa<;anisnte  1  (lS9lt.  f.;  A.  Kbert,  Gesch.  der  Litteratur  des  M.  A.  I2 
USSiM.  218  ff. 


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Über  die  Anfange  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.  188 


dass  die  Konfessionen  als  erste  grossartige  Verkörperung'  religiöser  Selbst- 
biographie im  Mittelalter  nicht  ohne  Wirkung  geblieben  sein  werden.  Nicht 
als  ob  sie  etwa  immer  als  unmittelbare  Vorlage  gedient  haben  mtlssten;  die 
augustinischen  Gedanken  und  Stimmungen  besassen  gar  viele  Kanäle,  um 
zu  gleichgestimmten  Seelen  späterer  .Jahrhunderte  zu  gelangen  und  dort  die 
Lust  zur  Innenschau  und  Selbstschilderung  zu  erwecken  und  zu  steigern. 

Dies  geschah  nun  freilich  unter  Hinzutritt  eines  wichtigen  Elements, 
dessen  zwar  nicht  alle  Schriften  Augustins,  aber  doch  die  Konfessionen  völlig 
ermangeln.  Hier  fehlt  das  Wunder  im  eigentlichen  Sinne  so  gut  wie  ganz; 
Augustin  warnt  gelegentlich  vor  der  „Begierde  nach  seltsamen  Gesichten" 
und  erzählt  von  Enttäuschungen,  die  seine  visionsbedürftige  Mutter  erlebte. 
Denn  das  Visionäre  spielte  allerdings  längst  im  Leben  und  in  der  Litteratur 
des  Christenthums  eine  wahrhaft  gewaltige  Rolle.  Auch  der  hellenischen 
Welt  war  ja  das  vom  gewöhnlichen  Traum  unterschiedene  Schauen  über- 
sinnlicher Dinge  und  Hören  Ubermenschlicher  Worte  keineswegs  fremd;  es 
knüpfte  sich  entweder  an  die  Vorstellungen  von  einem  Dasein  nach  dem 
Tode  oder  an  das  Verlangen,  den  Schleier  der  irdischen  Zukunft  gehoben 
zu  sehen,  manchmal  an  beides  zugleich.  So  lässt  schon  Homer  die  abge- 
schiedenen Seelen  im  Hades  dem  Odysseus  Rede  stehen,  was  später  Vergil 
auf  seinen  Helden  Aeneas  übertragen  hat,  und  Piaton  giebt  am  Schluss 
der  Republik  jene  Erzählung  eines  vom  Scheintod  Erwachten,  die  mit  Recht 
als  eine  Vorstufe  der  christlichen  Höllenvisionen  in  Anspruch  genommen 
wurden  ist13).  Aber  weit  mächtiger  noch  strömte  auf  das  Christenthum 
die  hebräische  Prophctie  und  Apokalyptik  ein,  wie  sie  schon  bei  Arnos 
und  Hesekiel  in  der  wirksamen  Korm  der  Icherzählung  auftritt.  Diese 
begegnet  uns  auch  z.  B.  in  den  Apokalypsen  des  .Johannes,  Petrus,  Paulus 
u.  a.  sowie  in  dem  „Hirten"  des  Hermas.  Nachdem  der  starke  eschatologische 
Zug  der  urchristlichen  Zeit  sich  überlebt  hatte,  blieb  doch  das  Bedürfnis*, 
die  Gegenwart  im  Licht  des  Wunderbaren  zu  sehen  und  immer  von  Neuem 
das  Hereinragen  des  Übernatürlichen  zu  spüren.  Es  kann  nicht  über- 
raschen, dass  eine  bisher  noch  nicht  berührte  Gattung  der  christlichen 
Er/iihlungslitteratur,  das  Überreich  bebaute  Feld  der  Märtyrergeschichten, 
eine  Menge  von  Visionen  aufweist.  Das  gespannte  Interesse,  womit  man 
früher  die  kommende  ungeheure  Umwälzung  aller  Dinge  zu  erspähen  suchte, 
wandte  sich  jetzt  den  einzelnen  Persönlichkeiten  der  Blutzeugen  zu.  Gerade 
die  älteren  Märtyrcrakten  lassen  uns  den  hohen  Werth  erkennen,  den  man 
vor  allem  auf  die  Überlieferung  der  Kerkervisionen  solcher  Helden  und 
Heldinnen  des  Glaubens  legte:  sie  bilden  z.  B.  den  Hauptinhalt  einer 
Erzählung,  die  in  die  Akten  der  heiligen  Perpetua  als  Aufzeichnung  von 

w)  (Jute  Zusammenstellung  antiker  HfMen  fahrten  bei  Kohde.  der  grieeh.  Hornau 
ji.  ->»J0  A.  3;  vgl.  K.  Norden  in  der  Allerem.  Zeitung  1SU.S.  Heil.  Nr.  SO;  Uber  eine  heid- 
nisch«» Apokalypse  E.  Zeller,  Vorträge  III  USS4).  .Vitt'.  Kinen  bekannten  heidnischen 
Visionär  charakterisirt  H.  Ha  umgart.  Aelius  Aristides  (1S74). 


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180 


Biographische  Blatter. 


ihrer  eigenen  Hand  cin^efü^t  ist.  Nachdem  Perpetua  in  ihrer  letzten 
Vision  in  Manns&rcstalt  verwandelt  und  mit  Öl  gesalbt  den  Ringkampf  mit 
einem  widerliehen  Ägypter  d.  h.  mit  dem  Teufel  ^lüeklieh  bestanden  und 
vom  Lanista  den  Zweier  als  Siegeszeichen  erhalten  hat,  schliesst  sie  mit  den 
Worten:  „Soweit  habe  ich  geschrieben  bis  zum  Vorabend  der  Spiele:  wie 
es  aber  im  Amphitheater  (bei  der  Hinrichtung)  ergehen  wird,  das  soll 
schreiben  wer  da  will".  Der  Verfasser,  der  die  Krzählungr  zu  Knde  fuhrt, 
erklärt,  er  thue  dies  im  Auftrag  der  Verstorbenen.  Ks  erweckt  den  Kin- 
druek  des  Ursprünglichen  und  Echten,  dass  die  Gesichte  der  tftit  be- 
glaubigten Märtyrerakten  sich  meist  auf  ihren  eiimen  Prozess  und  nahen 
Kiriiran«r  zur  Seligkeit  oder  auf  kurz  vorher  Geschiedene  beziehen.  Das 
»renu*rtc  nun  später  nicht  mehr;  wie  die  Ausmalung  der  Torturen  winde 
auch  die  völlig  dramatische  Darstellung  der  Wechselreden  vor  Gericht  und 
der  himmlischen  Tröstungen  während  der  Qual  bis  ins  Maasslose  und  Ver- 
zerrte getrieben.  Timotheus  und  seine  siebzehnjährige  Gattin  Maura  hängen 
nach  allen  erdenklichen  Peinitriinjfen  einander  jrejrcnttber  am  Kreuz,  neun 
Taire  und  neun  Nächte  hindurch:  Maura  sucht  ihrem  Gatten  den  Schlaf 
zu  verscheuchen,  indem  sie  ihm  ihre  Visionen  erzählt,  und  hält  noch  vor 
dem  Verscheiden  mit  lauter  Stimme  eine  Ansprache  an  die  Umstehenden14). 

Wie  sehr  die  Gewöhnung  der  Geister  an  das  Wunderbare  als  an 
etwas  Selbstverständliches  nicht  nur  den  historischen  Sinn,  sondern  das 
Verhältniss  zur  Wahrheit  überhaupt  bei  «ranzen  Generationen  beeint  rächt  itrt- 
hat,  das  kann  hier  nur  angedeutet  werden15).  Wir  dürfen  irewiss  nicht 
den  einzelnen  Schriftsteller  des  Mittelalters  für  das  Maass  von  Leichtgläubig- 
keit verantwortlich  machen,  das  er  sich  zu  Schulden  kommen  liess.  Und 
wie  das  «reistitre  Sehen  war  auch  das  sittliche  Gefühl  in  gewissen  Be- 


u)  Darüber,  dass  der  ..Hirt"  des  Hermas  nicht  den  Bomanen  beizuztthlen  ist.  Zahn, 
der  >l  irt  dos  Hermas  (18H8)  p.  80:  auch  Bariner-ttnuld  p.  Sltö.  Über  die  Akten  der 
Perpetua  u.  Felicitas  vgl.  die  Ausgabe  von  Harris  und  OGifford  (1890)  sowie  (in  der 
Hauptfrage  abweichender  Ansicht)  Bobinson,  Text*  and  studio«  1  (.18111)  Nr.  2.  Ausser- 
dem z.  B.  die  Acta  SS.  Montani,  Lucii.  Juliani  u.  s.  w.  (vgl.  Harris  u.  (Gifford  p.  27), 
die  passio  SS.  Jacobi.  Mariani  et  aliorum.  die  vita  et  passio  S.  Caecilii  Cypriani  episcopi 
tvirl.  Elarnaek.  (Gesch.  der  altchristl.  Litteratur  I,  729  f.:  820):  über  Timotheus  und  Maura: 
Le  Blant  p.  239  f.  Über  den  Eindruck  der  Visionen  Harris  u.  Gifford  p.  6:  ..it  is 
the  visions  that  have  impressed  the  Cburch"'.  Auch  in  den  apokryphen  Apostelgeschichten 
mit  Vorliebe  das  visionüre  Kleinent  gepflegt  (Lipsius  a.  a.  0.  p.  8). 

15 1  Virl.  hierüber  z.  B.  .T.  Bernays,  (Gesammelte  Abhandlungen  II  (188.V),  24"»  t*. ; 
l'sener.  Theodosius  p.  XX  ff.:  K.  Zeller  in  der  deutschen  Bundschau  LXXIY  ilsö:J\ 
11*"»:  214  ff.:  (namentlich  auch  über  die  (Gewohnheit  pseudonymer  Veröffentlichung,  die  ja 
eine  uralte  ist  und  z.  B.  in  der  ägyptischen  Litteratur  die  Beirel  bildet.  K.  Meyer.  (Gesch. 
des  alten  Ägyptens.  1887.  p.  128);  auch  Zahn,  der  Hirt  des  Hermas  p.  88  ff.;  Harnack. 
altchri>tl.  Litt. -< Jesch.  1.  XXVI.  t'ber  die  Kntwicklunir  der  Legende,  namentlich  ihrer 
Verwendung  im  (Gottesdienst.  v<_'l.  Kbert  bei  Krsch  u.  (Gruner  I.  341  ff.:  C.  Horst- 
mann,  altenirl.  Lebenden  ( 18*1 >.  Einleitnnir.  Auf  ihre  Weiterbildung  nach  der  phantastischen 
Seite  hin  sind  besonders  die  Kelten  von  Einfluss. 


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Über  die  Anfänge  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.  190, 

Ziehungen  gestört,  abgestumpft.  Dieses  T'rtheil  ist  durcliaus  nicht  zu  hart, 
wenn  wir  uns  daran  erinnern,  wie  selbst  hoehangesehene  und  zweifellos 
fromme  Männer  der  Kirche  damals  sich  kein  lie wissen  daraus  machten, 
ihrem  (Gotteshaus  oder  ihrem  Schutzheiligen  zuliebe  erfundene  Thatsachen 
zu  erzählen  und  sogar  Urkunden  zu  falschen.  Die  gleiche  rberzeugung 
einem  höheren  Zweck,  nämlich  der  Erbauung-  zu  dienen,  liess  es  als  etwas 
vollkommen  Berechtigtes  erscheinen,  wenn  man  in  den  Legenden,  die  sich 
allmählich  im  (Gottesdienst  einen  wichtigen  IMatz  eroberten,  die  Farben 
immer  dicker  und  schreiender  auftrug16).  Seit  dann  die  Visionen  als 
selbständige  Litteraturgattung  gepflegt  wurden,  missbrauchte  man  auch  dieses 
Mittel  lingeseheut,  um  heilsamen  Schrecken  zu  erregen  oder  gelegentlich 
sehr  bestimmte  materielle  Forderungen  durchzusetzen;  man  erblickte  welt- 
liche und  geistliche  Fürsten  und  Herren  in  den  (Qualen  der  Hölle  oder  des 
Fegfeuers  und  brachte  die  besonderen  Ursachen  ihrer  Peinigung  in  Er- 
fahrung, bei  Karl  Martell  die  Säkularisation  der  Kirehengüter.  bei  Karl 
dem  Kahlen  die  Unfolgsamkeit  gegen  den  Erzbischof  Hinkmar  von  Keims 
u.  s.  w.17). 

Hei  solcher  Richtung  der  Geister  konnte  die  feine  Selbstbeobachtung 
eines  Augustin  sich  nicht  unmittelbar  fortpflanzen.  Während  Koryphäen 
der  Kirche  und  der  Literatur  wie  Papst  Gregor  der  (i rosse,  Heda, 
Bonifatius  Visionen  sammelten,  finden  wir  Jahrhunderte  hindurch  kein  auch 
noch  so  dürftiges  Seitenstuck  zu  den  Konfessionen.  Denn  die  sogenannte 
Confessio  des  heiligen  Patrick,  die  von  der  neueren  Forschung  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  für  unecht  gehalten  wird,  giebt  allerdings  eine  Mischung 
von  Lebensbeschreibung.  Reichte  und  Apologie,  aber  in  unbeschreiblich 
ruher  und  verwirrter  Gestalt,  natürlich  nicht  ohne  die  Würze  der  Visionen. 
Doch  ist  es  allerdings  charakteristisch,  dass  selbst  in  einer  litterarisch  so 
tiefstehenden  Periode  die  Neigung,  über  die  eigene  Person  Mittheilungen  zu 
machen  nicht  ganz  verloren  gegangen  ist:  bei  Sulpicius  Severus,  dem 
Freund  des  heiligen  Martin,  bei  Gregor  von  Tours,  dessen  Frankengeschichte 
zum  Theil  Memoirencharakter  trägt,  bei  so  manchen  andern  begegnen  uns 
autobiographische  Nachrichten ls).     Erst  nach   langer   Unterbrechung,  im 


w)  Für  die  Fälschungen  dos  M.  A.  braucht  wohl  nicht  er-t  auf  einzelne  Beispiele 
verwiesen  zu  werden.  Vgl.  U.  Kllinger.  Das  Verhältnis*  der  Offen tl.  Meinung  zu  Wahr- 
heit und  EUgc  im  X..  XI.  und  XII.  Jahrh..  Herl.  Diss.  1SS4:  H.  Lasch.  Das  Erwachen 
und  die  Entwicklung  der  historischen  Kritik  im  M.  A.    Breslau  1SS7. 

J~)  Vgl.  C.  Fritzsche.  die  latein.  Visionen  des  Mittelalters  bis  zur  Mitte  de> 
XII.  .Inhrhundert.s:  ein  Beitrag  zur  Kulturgesch.  (in  Vollmöllers  Hornau.  Forschungen 
Bd.  II.  III.:  1880,87). 

lsj  t'ber  die  ConlVssio  des  hl.  Patrick  vgl.  Zimmer  in  der  Zeitschr.  für  deutsch«*-* 
Alterthum  XXXV.  7!»Anm.:  J.  von  I'flugk-Harttung  in  den  Neuen  Heidelberger  Jahr- 
büchern III  ^lSÖ-Tt,  71  ff.  Über  die  an  den  Heist  französischer  Memoin*n  gemahnende  Alt 
des  Sulpieio  Severus:  Ebert  I-,  .*$.'$u';  über  (ireg«»r  von  Tours  ebd.  "»70  f.  Llregor  giebt 
hist.  Frane.  VIII.  1"»  die  kurze  Selbstbiographie  des  Diakons  V ullilaich,  den  er  zum  Erzählen 


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191 


Biographische  Blatter. 


X.  Jahrhundert  treffen  wir  wieder  auf  den  Versuch  eingehender  Selbst- 
sehilderung.  Es  ist  das  Zeitalter  der  mönchischen  Reform,  die  zunächst 
hauptsächlich  Herstellung  der  arg-  gelockerten  klösterlichen  Disziplin  be- 
zweckte, dabei  aber  doch  auch  das  Geftthl  sittlicher  Verantwortlichkeit 
beim  Einzelnen  belebte  und  den  Blick  nach  innen  wies.  Dass  sie  mit  einer 
Neublttthe  der  materiellen  Kultur  Hand  in  Hand  ging  und  mit  einem  ge- 
wissen Aufschwung  der  klassischen  Studien  zusammentraf,  darf  nicht  über- 
sehen werden10).  Freilich  grundverschieden  von  Augustin  tritt  uns  jener 
ehrgeizige  und  streitlustige  Mönch  Katherius  entgegen,  der  es  in  der  Zeit 
Heinrichs  I.  und  Ottos  des  Grossen  unternahm,  sein  eigenes  Ich  vor  der 
Welt  aufzudecken  und  zu  zergliedern20).  Mit  einer  unerhörten  Rücksichts- 
losigkeit hat  dieser  äusserst  belesene  und  geistig  bewegliche  Mann  früh 
begonnen  und  bis  ins  Alter  nicht  aufgehört,  nicht  nur  seine  wechselnden 
Schicksale,  sondern  vor  allem  seinen  Charakter  in  allen  Eigentümlichkeiten 
sich  selbst  und  der  Mitwelt  klarzulegen,  in  einer  langen  Reihe  von  Schriften, 
die  dem  Augenblick  entstammend  und  sprunghaft  abgefasst  eben  dadurch 
wirkliches  Leben  in  sich  tragen.  Er  hat  viel  erlebt,  dreimal  den  Rischol- 
stuhl zu  Verona,  einmal  den  zu  Lüttich  bestiegen  und  immer  wieder  räumen 
müssen;  weder  mit  seinen  Gegnern  noch  mit  sich  ist  er  jemals  fertig  ge- 
worden. Von  der  innern  Ruhe,  womit  der  ihm  wohl  vertraute  Augustin 
bei  aller  Ruhelosigkeit  des  Stils  auf  überwundene  Stürme  zurückschallt,  ist 
hier  nichts  zu  spüren:  die  Art  und  Weise,  wie  Ratherius  sich  ohne  Er- 
barmen herunterzieht  und  blossstellt,  erinnert  zuweilen  mehr  an  Rousseau. 
Auch  Ratherius  verfolgt  gelegentlich  den  Zweck  unter  dem  Schein  von 
Sündenbekenntnissen,  unter  lauten  Selbstanklagen  gerade  seine  guten  Eigen- 
schaften hervortreten  zu  lassen,  wobei  er  aber  nicht  wie  Rousseau  sentimental 
beschönigend,  sondern  scharf  ironisierend  verfährt.  Er  war  ein  Meister 
der  verlm  otiosa.  der  schlagenden  Einfälle,  durch  die  er  ein  gesuchter 
Gesellschafter  wurde  und  zuweilen  im  hitzigsten  Wortgefecht  seine  Gegner 
selbst  zum  Lachen  und  auf  seine  Seite  brachte.  Das  Weinen,  meinte  er. 
sei  nicht  seine  Sache:  nur  wenn  er  andere  weinen  sehe,  werde  er  sofort 
angesteckt,  aber  es  gehe  nicht  tief.  Und  dennoch  sind  auch  seine  ver- 
zweifelten Stimmungen  echt:  diese  Mischung  von  Tönen  der  Ironie  und  der 

niJthijrt.  im  Wortlaut.  Autobiographische  Notizen  z.  B.  Hei  dem  Byzantiner  Menander  Pro- 
rektor ( virl.  Krumbarher.  beschichte  der  bvzantin.  Litteratur  p.  f»l  f.l.  bei  Beda.  bist,  eccles. 
V.  24.  bei  einer  vornehmen  Dame  der  Karolin<.r«'r/eit  in  den  tür  ihren  Sohn  bestimmten  Aut- 
/.«•i<hnuiii.ren  (virl.  Bondurand,  le  manuel  de  Dhuoda.  1SS7).  bei  Liutprand  von  Cremona  n.  a. 
«•>  Sarkur.  die  <  Muniazenser  1  <1S1H>)  p.  V. 

Cber  H.  virl.  A.  Vo«rel.  U.  von  Verona  u.  das  X.  .Jahrhundert.  2  Bde.  1S.VI : 
Kbert  III.  .1*0  ff.:  A.  Hauek,  Kirchengeseh.  Deutschl.  III.  2*5  ff.  Die  „praeloquia-.  in 
denen  er  bereits  mit  seinen  (JestHndnissen  beginnt  ( Yo^el  1.  Sui,  sind  c.  93(1  vert'..  der  „dia- 
lo<_'iis  confessionalis  cuiusdam  sceleratissimi  —  Uatherii"  957  (ebd.  22(i  ff.),  die  „qualitativ 
eonieetura  cuiusdanr  9tio  (ebd.  .129  t\\).  Auch  in  der  „phrenesis"  9f>2  und  in  .de  proprio 
lap>o"  und  ..de  otioso  sermone"  JIÖ4:  (ebd.  200;  25)8  ff.)  findet  sieh  Hierhergehörte*. 


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Über  die  Anfänge  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.     \  92 

Herzensangst  enthüllt  uns  einen  ungewöhnlichen,  wenn  auch  innerlich 
friedlosen  Menschen.  An  den  Emst  seiner  Besserungsabsichten  will  er 
selbst  nicht  glauben.  Wenn  er  z.  B.  die  Psalmen  singt,  so  geschieht  das 
nicht  in  der  Zuversicht,  dass  sie  erhört  würden,  da  er  ja  dabei  an  ganz  andere 
Dinge  denkt;  aber  er  hofft,  dass  vielleicht  gerade  der  Umstand,  dass  er  sie 
wider  Willen  singt,  etwas  Verdienstliches  haben  und  den  innerlichen  Trotz 
gegen  Gott  wettmachen  könnte.  Ebenso  gesteht  er,  dass  er  seine  Bekennt- 
nisse eigentlich  doch  nur  aus  Selbstgefälligkeit  und  des  Beifalls  wegen 
niedergeschrieben  habe.  „Wer  ihn  kennen  lernen  will",  sagt  er  von  sich, 
„der  versuche  einmal  sein  Buch  des  Bekenntnisses  ganz  durchzulesen;  ist 
er  so,  wie  er  sich  schildert,  so  giebt  es  keinen  schlechtem  Menschen  unter 
der  Sonne;  spricht  er  nicht  die  Wahrheit,  so  ist  er  der  allergrösste  Lügner". 
Wenn  Rousseau  mit  seinem  Buch  in  der  Hand  getrost  vor  den  Richter 
treten  will,  meint  Ratherius  umgekehrt,  ihm  brauche  man  nach  seinem 
Tode  nur  das  eigene  Buch  vorzuhalten;  damit  sei  er  schon  vcrurtheilt.  Er 
fharakterisirt  sich  einmal  kurz  als  einen  Menschen,  der  weder  Gott  noch 
auch  dem  Teufel  treu  sein  könne. 

Wie  die  höchst  merkwürdigen  Ergüsse  des  Ratherius  schon  der  Forin 
nach  keine  wirkliche  »Selbstbiographie  darstellen,  so  ist  auch  der  originelle 
Mann  keineswegs  als  ein  Typus  der  regelrechten  mönchischen  Reform  anzu- 
sehen. Neben  anderem  fehlt  ihm  ein  uncrlässlichcs  Element  dieser  asketischen 
Bewegung,  das  visionäre.  In  den  Klöstern  hatte  es  seine  Heimstätte  und 
seinen  Nährboden  gefunden;  die  Zelle,  nicht  nur  des  Einsiedlers,  sondern 
auch  des  Mönchs  wurde,  wie  Petrus  Damiani,  der  Freund  und  Gehülfe 
Gregors  VII.,  sagt,  ein  Zelt  heiliger  Ritterschaft  und  ein  gottgeweihtes 
Schlachtfeld21)-  Es  hat  etwas  Rührendes,  wenn  streng  sittliche  Naturen 
wie  Damiani  oder  der  Abt  von  Cluny,  Peter  der  Ehrwürdige,  sieh  ernst- 
hafte Mühe  geben,  die  Glaubwürdigkeit  ihrer  zahllosen  Mittheilungen  über 
Wunder  und  Visionen  ausser  allen  Zweifel  zu  setzen.  Aber  sie  lassen 
doch  ihre  Gewährsmänner,  die  sie  oft  mit  Namen  anführen,  stets  in  der 
ersten  Person  sprechen,  und  nicht  allein  ihre  Gewährsmänner,  sondern  auch 
Verstorbene,  Dämonen  und  Engel,  die  .Jungfrau  Maria  und  Gott  selber. 
Der  Leser  sollte,  wie  Peter  der  Ehrwürdige  ausführt,  nicht  mir  den  Sinn 
der  Worte  mitgetheilt  erhalten,  sondern  die  Worte  selbst  zu  hören  glauben. 
Es  war  die  alte  Praxis  der  Legende.  Abt  Peter  meinte  schon  viel  für  die 
unverfälschte  Echtheit  eines  solchen  Berichts  gethan  zu  haben,  als  er  eine 
um  Weihnachten  in  Frankreich  vorgekommene  Geistererseheinung  noch  vor 
Pfingsten  in  Spanien  schriftlich  tixirte;  dabei  giebt  er  die  längere  Rede  des 
Geistes,  eines  erschlagenen  Kitters,  im  Wortlaut Dichtung  und  Wahrheit 

21 )  Petrus  Damiani,  Opuseula  XI.  19. 

45 1  Vf^.  ebd.  passim:  Petri  Vonerabilis  abb.  Cluniuc.  de  mirarulis  libri  11  <z.  H.  1.2 
ti:  10:  23:  27;  11.  32).  Der  beil.  Dunstan  Uisst  >;ine  in  einer  Vision  irehbrte  Antiphonie 
gleich  nach  dem  Erwarben  aufzeichnen,  sammt  der  Melodie  (  V.  Dunstani  S  2iJ(. 


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Iii:]  liioirraphischc  Blatter. 

(Iure) id rangen  sich  eben  unlösbar  nicht  nur  in  der  Litteratur.  sondern  auch 
im  Leben  selbst,  das  für  manchen  Klosterbewohner  sich  halb  zum  Traum 
verwandelte.  Nüchterne  Naturen,  wie  der  Cluniazenser  Rodulfus  Glaber23). 
bekamen  so  gut  wie  andere  den  bflsen  Feind  zu  sehen;  dem  Rodulfus.  der 
möglichst  genau  zu  schildern  sucht,  erschien  er  als  ein  überaus  häßliches 
Mannlein,  das  habere  (Besicht  von  kohlschwarzen  Augen  belebt,  mit  ge- 
furchter Stirn,  dicken  Lippen  und  zurücktretendem  Kinn,  mit  Bocksbart, 
spitzem  Hinterkopf  und  gesträubtem  Haar. 

In  dieser  Atmosphäre  ist  die  erste  rein  mönchische  Selbstbiographie 
entstanden,  eine  (Jcschichte  voll  seelischer  Selbstpeinigung  und  überirdischer 
Eingriffe.  Der  liaier  Otloh,  der  in  Tegernsee  erzogen,  später  in  ver- 
schiedenen Klöstern,  am  Längsten  bei  S.  Emmeram  zu  Regensburg  sieh 
aufhielt  und  im  letzten  Drittel  des  XL  .Jahrhunderts  gestorben  ist.  war 
nicht  allein  ein  berühmter  Schreiber,  sondern  auch  ein  äusserst  fruchtbarer 
Schriftsteller-4).  So  einfach  sein  äusserer  Lebensgang  sich  abspielte,  so 
stürmisch  ging  es  in  seinem  Innern  her:  des  Münehthnms  ganzen  Jammer 
hat  er  durchgekostet  und  theils  zu  eigner  Erbauung,  theils  zu  Nutz  und 

•■»)  Rodulfus  (.laber,  historiarum  libor  V.  1:  hiezu  K.  Oebhart.  lerat  däme  d  un 
meine  de  Inn  1000  (Hex.  des  deux  mondos  III.  107.  1*91,  p.  600  ff.).  Zahlreiche  Visionen 
schon  in  der  Vita  S.  Odonis  (des  ersten  Abts  von  l.'luny,  •}•  942)  von  seinem  Schüler 
Johannes,  der  sowohl  seinen  Helden  seihst  z.  Ii.  seine  .lujrendtreschichte  er/Jthlen  Hisst  als 
auch  eigne  TCrinnerun<_'en  {rieht  (virl.  Mnhillon,  Acta  Sanctorum  ordinis  S.  Itenedieti. 
saec.  V..  pajr.  14**  ff.:  HU  ff.:  172;  178  ff.  1:  er  snjrt:  „ea  nimimm  scribere  bene  romplaruit. 
ouae  quasi  de  alio  narrante  e\  eius  ore  sumpsi  et  nieae  menioriae  commendavi". 

-*)  Cber  Otloh  und  seine  Schritten  v«rl.  H.  Fez  im  Thesaurus  aneedotorum  III, 
X  ff..  Mon.  Cierm.  SS.  IV.  f>21  ff;  XI,  377;  S.  Hiezler.  Osch.  Haiern»  I  (187SI.  45)7  ff.: 
Lasch  a.  a  O.  p.  f>2  f.:  02  f.;  auch  K.  Werner,  (Jerbert  (1H7S)  p.  240  ff.  und  K.  Lanip- 
rei-ht  Deutsche  (Jesch.  II  (1S92),  197  f.:  über  s««ine  Visionen  Fritzsche  a.a.O.  III. 
:U9  ff.  Seine  Theilnahme  an  den  zu  S.  Emmeram  verübten  Fälschungen  vennuthet  H eine- 
m  nun  (Neues  Archiv  XV.  iWG  ff  ).  Nach  G.  Gröber  (firundms  der  roman.  Philologie  II. 
1.270)  beirinnt  mit  O.  die  sreistliche  Selbstbiographie  naeh  dem  Muster  von  August  ins 
Konfessionen.  Stilistisch  berührt  sich  je<loch  O.  mit  diesem  kaum;  er  citirt  überhaupt  die 
Vütcr  nur  selten.  Au<r.  z.B.  im  dialogus  de  tribus  quaest.  prolojr:  Cap.  4:  V.  S.W  oll' - 
kaniri  prolo<_r:  sonst  ein  paar  Mal  ("ireiror  den  Grossen  und  die  Vita  patrum  (Le«jrende>. 
Autobiographisches  enthalten  folgende  von  seinen  Schriften:  de  spiritali  doctrina,  das  sich 
inhaltlich  (virl.  Cap.  14:  17)  mit  Stücken  des  über  visionum  und  des  libellus  de  tentationibu» 
deckt:  über  visionum  (zw.  1O02  und  10*50);  seit  1007:  de  confessiono  aetuum  suorinu 
(—  de  tetitat.  1):  de  cur.su  spirituali  (Cap.  21  de  tentat.  I,  mit  «rerinjren  Abweichungen ) : 
libellns  de  suis  tentationibus,  varia  fortuna  et  scriptis  ( pars  I  und  II).  Nicht  uninteressant 
i-t.  da»«.  O.  sein«1  Interre«! unyen  mit  «lein  Ileiehenauer  Mönch  Heinrich  zuerst  ohne  Nennung 
ihrer  Namen  niederschrieb,  der  andere  ihn  aber  bat.  ..ut  «'t  causam  seribendi  illustrarom 
proloiro  et  utriusqu«»  persona««,  meae  videlicet  ne  sui.  menioriam  patefaoerem  in  dialoero": 
di«**  geschah  dann  auch  im  dialogus  de  trilms  quaestionibus  ( vgl.  de  tentat*  II).  --  Der  Probst 
Armdd.  mit  dem  O,  noch  ein««  Zeit  lang  zu  S.  Hmmeram  zusammenlebte,  hatte  in  der  Vor- 
red««  «-eines  Werks  über  den  Klosterhoiligen  ebenfalls  eine  freilich  kurze  Selbstbiographie 
L"  ir«  l»en:  auch  er  wird  von  der  Vorliebe  für  die  heidnischen  Autoren  {reheilt,  durch  den 
To«!  eines  Freundes  (M.  (J.  SS.  IV.  M:{  ff.:  virl.  Kiezler  1.  495  ff);  Autobiographisches 
auch  II.  ,V2,  Visionen  in  der  Wirrede  und  II.  47:  04  ff. 


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IMier  die  Anföngfl  der  Selhntbiosraphie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.  194 

Frommen  anderer  mönchischer  Leser  auch  zu  Pergament  gebracht.  Ob  er 
Augustins  Konfessionen  gekannt  hat.  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  Seine 
wichtigsten  Erlebnisse  schilderte  er  erst  in  poetischer,  dann  wiederholt  in 
prosaischer  Form.  J bezeichnend  ist  gleich  die  Art  und  Weise  seines  Eintritts 
ins  Kloster.  Er  hatte  ihn  als  Knabe  ans  dankbarem  Herzen  wegen  seines 
guten  Erfolgs  in  der  »Schule  gelobt,  war  aber  nachher  anderen  Sinnes  ge- 
worden und  trieb  als  künftiger  Weltgeistlicher  mit  Enthusiasmus  die 
klassischen  Studien.  Da  kam,  als  er  eines  Tages  zu  Regensburg  in  seinen 
Lieblingsdichter  Lukan  vertieft  war,  die  Krisis,  eingeleitet  durch  einen 
dreimaligen  heissen  Windstoss.  der  ihm  das  Lesen  verleidete.  Weil  er 
diese  Mahnung  noch  nicht  genügend  verstand,  erschien  ihm  eines  Nachts 
im  Traum  ein  furchtbarer  Mann,  der  ihn  derart  durchpeitschte,  dass  er 
im  Blut  zu  schwimmen  glaubte.  Nach  dem  Erwachen  fand  sich  sein  Kücken 
mit  einem  Ausschlag  bedeckt,  aber  trotzdem  mussten  noch  wiederholte 
heftige  Erkrankungen  mit  beängstigenden  (Besichten  hinzutreten,  um  ihn 
von  seinen  Klassikern  weg  und  in  die  Mönchskutte  zu  treiben.  Kein 
Wunder,  dass  Otloh  zum  Visionensammler  wurde  und  dass  die  Visionen 
auch  seinen  autobiographischen  Mittheilungen  die  charakteristische  Färbung 
geben.  Manches  erinnert  an  die  alten  Teufelskämpfe  der  Einsiedler.  So 
wird  er  einmal  des  Nachts  durch  einen  unheimlichen  Ranch  aus  dem  Bett 
getrieben,  schleppt  sich  voll  Todesangst  in  die  Kirche  und  wieder  zurück; 
vergebens  sucht  er  mit  den  Händen  seinen  widerspenstigen  Mund  zum 
Psaluiodiren  aufzusperren.  Da  fallen  die  Dämonen  schaaremveise  über  ihn 
her  und  reissen  ihn  so  windschnell  mit  sich  fort,  dass  ihm  der  Athem 
ausgeht,  bis  vor  einen  gähnenden  Abgrund.  Zweimal  erscheint  ein  himm- 
lischer Tröster,  um  zweimal  zum  Jubel  der  Dämonen  zu  verschwinden,  bis 
endlich  das  Glücklein  zur  Nocturn  erschallt  und  den  Gequälten  erlöst. 
Aber  Otloh  schildert  auch  feinere  Formen  der  Anfechtung:  wie  ihn  der 
Teufel  durch  Zweifel  erst  am  Erbarmen,  dann  an  der  Gerechtigkeit,  emilich 
selbst  am  Dasein  Gottes  und  an  der  Wahrheit  der  Schrift  fast  zum  Wahn- 
sinn treibt.  Während  sein  Gesicht  und  Gehör  wie  verschleiert  waren, 
g-laubte  er  jemanden  ganz  nahe  in  sein  Ohr  flüstern  zu  hören.  Er  befreit 
sich  durch  ein  Stossgebet,  das  wunderlich  genug  anhebt:  „Wenn  Du  existirst, 
Allmächtiger,  und  wenn  Du  allgegenwärtig  bist,  wie  ich  oft  in  vielen 
Büchern  gelesen  habe,  so  zeige,  wer  Du  bist  und  was  Du  vermagst".  Die 
Krhörung  folgt  auf  dem  Fuss  und  fortan  war  jeder  Zweifel  gewichen,  sein 
Verständnis.««  aber  wuchs  zu  solcher  Klarheit,  dass  er,  wie  er  gesteht,  es 
kaum  mehr  verbergen  konnte;  er  musste  es  „infolge  eines  unaussprechlichen 
Triebs  und  ungewohnten  Feuereifers"  litterarisch  zum  Ausdruck  bringen. 
Denn  auch  der  Himmel  hatte  ihn  unmittelbaren  Zuspruchs  gewürdigt  ;  diese 
Einflüsterungen  von  oben  gestalten  sich  ihm  dann  freilich  zu  seitenlangen 
Auseinandersetzungen,  worin  niemand  anders  als  Gott  selbst  sich  mit  reich- 
lichen Citaten  aus  der  Bibel  und  aus  der  Legende  über  Zulässigkeit  und 

Biographische  Blatter.  I.  W 


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195 


Biographische  Blätter. 


Wirkung"  der  Anfechtungen  ergeht.  .Ja,  in  seinen  Visionen  erseheint  ihm 
Gott  wiederholt  leibhaftig,  als  greiser  Priester  im  rothen  Messgewand;  er 
hält  längere  Reden  an  Geistliche  und  Laien  und  kann  einmal  vor  Rührung 
über  Otloh's  beweglichen  Psahnengesang  die  strömenden  Thränen  nicht 
zurückhalten,  die  er  sich  langsam  mit  der  Hand  abwischt. 

Otloli  ist  gewiss  mit  Recht  als  typisch  für  seine  Zeit  aufgefasst 
worden;  während  er  in  seinen  historischen  Arbeiten  ein  gewisses  Maass 
von  Kritik  zeigt,  haben  wir  in  seinen  persönlichen  Krinncrungen  nur 
mönchische  Selbstbeobachtung  und  Selbstquälerei,  krankhafte  Aufregungen 
und  gratia  lacrimarum  vor  uns.  Dagegen  zeigt  die  Selbstbiographie  des 
französischen  Abts  Guibert  von  Nogent  (f  1124)SA),  obwohl  zumal  ihr 
erstes  Buch  in  bewusster,  auch  stilistischer  Nachahmung  Augustins  abgefasst 
ist,  neben  maassloser  Selbsterniedrigung  und  einer  Unzahl  von  Visionen  doch 
schon  manche  Keime  einer  andern  Weltanschauung.  Denn  die  triuniphireiKle 
Kirche  des  XII.  und  XIII.  Jahrhunderts  trägt  ein  Doppelgesicht:  die 
Kreuzzüge,  die  ja  grossentheils  aus  der  mönchischen  Reformbewegung  her- 
vorgegangen sind,  brachten  wohl  dem  asketischen  Idealismus  erneute  An- 
regung, aber  zugleich  eine  mächtige  Belebung  der  wissenschaftlichen  und 
ästhetischen  Triebe.  So  verlässt  auch  Guibert  von  Nogent  zuweilen  den 
streng  mönchischen  Standpunkt,  wenn  er  z.  B.  sich  nicht  versagen  kann, 
neben  den  christlichen  Tugenden  seiner  Mutter  ihre  leibliche  Schönheit  zu 
preisen;  sei  diese  doch  ein  Spiegel  der  ewigen  Schönheit  und  trügen  doch 
nicht  ohne  Grund  die  Kngel  stets  annwthige.  die  Dämonen  aber  hässliche 
Züge.  Kr  vergisst  nicht  anzuführen,  dass  sie  ihm  auf  die  eigne  schöne 
Erscheinung  wirft  er  einen  kurzen  Seitenblick  in  seiner  Kindheit  nicht 
nur  gute  Lehrmeister  gegeben,  sondern  auch  wahrhaft  fürstliche  Kleider 
angeschafft  habe.  Das  sichtliche  Bemühen,  dieser  Mutter  ein  littemrisches 
Khrendenkmal  zu  stiften,  ist  vielleicht  der  erfreulichste  Zug  an  einem 
Schriftsteller,  dessen  Eitelkeit  sich  nur  schlecht  hinter  der  Maske  der 
Deinuth  verbirgt.  Denn  auch  jenes  fortwährende  himmlische  Kingreifen, 
das  sich  in  den  Visionen  Gniberts  und  seiner  Mutter  kundgiebt,  war  doch 
sehr  geeignet,  das  Selbstgefühl  der  Begnadigten  zu  heben:  sogar  der  erste 
Lehrer  des  Knaben  wurde  durch  eine  Vision  veranlasst,  seine  Krzieherstelle 

2ft)  (iuiberti  <lc  Noviirento  de  vita  sua  sive  monodiarum  libri  III;  v«rl.  über  ihn 
d'  Achery.  der  bereits  die  Nachahmung  Auq-ustins  hervorhebt  (hei  Mi«rne.  1'atrnl.  lat. 
(  IA'l.  1047  f.):  Wajrennuinn  in  llerzo;r*s  Uealcneyklopadie  V2.  4114:  Hist,  litter.  de  la 
France  X.  4:1!»  tf.  Autobiographische  Notizen  bei  dem  englischen  Chronisten  (—  1141) 
< »rderious  Vitalis,  hist.  cedesiast.  V.  1:  XIII.  22  (wo  er  die  Hauptdaten  seines  Lebens  in 
Form  eines  (Jebcts  zu  (iott  wiederholt).  Die  (Jesohichte  seiner  liekehrun^  erzählt  lebendii,» 
unil  mit  KinhVehtuni:  bedeutsamer  Visionen  der  ehemalige  .lüde  und  nachheriye  I'rämon- 
stratonser  Hermann  (Mi«rne  CLXX.  SOf>  ti*.).  Die  KrzHhlunjr  des  Abts  Rupert  von  Deutz 
i  \-  \\:\~>)  von  seinen  eigenen  Visionen,  wobei  er  einmal  auf  Augustins  Konfessionen  llezujj 
nimmt  iMiirne  l\  L.  ClAVlll.  l.V.H'l.  fuhrt  mit  ihren  reichlichen  Küssen  und  l'in- 
ainiun^en  bereits  in  die  Zeit  der  mystischen  Imiphndsamkcit  hinüber. 


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Über  die  Anf&nge  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.  19(j 


bei  einem  jungen  Vetter  Guiberts  aufzugeben  und  sieh  dem  neuen  Schuler 
zu  widmen.    Ohne  religiöse  Einkleidung,  mit  voller  Offenheit  tritt  uns  das 
Wohlgefallen  an  der  eignen  Person  in  den  autobiographischen  Schriften  des 
ehrgeizigen  Wallisers  Giraldus  entgegen26).    Wenn  er  von  sich  meistens  in 
der  dritten  Person  spricht,  so  geschieht  es  nicht  aus  Bescheidenheit,  sondern 
um  diesen  dritten  recht  unverschämt  herausstreichen  zu  können.  „Ich 
habe**,  sagt  er,  „Sorge  getragen,  die  hervorragenden  Leistungen  eines  Zeit- 
genossen, die  ich  theils  als  Augenzeuge  miterlebt,  theils  nach  seinem  Bericht 
aufgezeichnet  habe,  dem  ewigen  Gedächtnis  zu  Uberliefern".    Sein  heiss 
ersehntes  Ziel,  Bischof  zu  werden,  hat  er  allerdings  nicht  erreicht,  aber  in 
seinen  kirchenpolitischen  Kämpfen  gereichten  ihm,  wie  er  selbst  mittheilt, 
zwei  Dinge  zum  Trost,  „erstlich  seine  Verdienste  um  Gott  und  sodann  die 
Gunst  und  der  Beifall  der  Menge".    Der  Gedanke  an  die  Nachwelt  ist  bei 
ihm  der  treibende;  man  muss  ein  Denkmal  des  eignen  Ruhms  hinterlassen. 
-Sehr  viele  Gelehrte",  sagt  er,  „altern,  ohne  sich  selbst  zu  kennen;  indem 
diese  Seelen  ohne  Feuer  die  Kräfte  ihres  Geistes  nicht  erproben,  gehen  sie 
zu  Grunde  wie  das  Vieh  und  ihres  Namens  wird  nicht  mehr  gedacht". 
Giraldus  brauchte  sich  wegen  solcher  Unterlassungssünden  keinen  Vorwurf 
zu  machen.   Auch  die  Visionen,  die  es  aufgezeichnet  hat,  beziehen  sich 
insgesammt  auf  die  erhoffte  Standeserhöhung  und  auf  seine  Gegner;  Mönche 
und  Einsiedler,  Magister  und  Ritter,  Frauen  und  Kinder  sahen  ihn  und 
immer  wieder  ihn.    Ks  ist  nur  eine  andere  Form  der  Ruhmgier,  die  sich 
bei  ihm  abwechselnd  in  christlicher  oder  klassischer  Tonart  äusserte. 

Wie  hoch  einzelne  bevorzugte  Geister  des  XII.  Jahrhunderts  über 
die  mönchische  Einseitigkeit  des  gregorianischen  Zeitalters  hinauswachsen 
konnten,  dafür  bietet  uns  die  Geschichte  der  Selbstbiographie  wenigstens 
ein  Beispiel,  die  berühmte  „Geschichte  meines  Unglücks"  von  Peter  Abälard 
(7  1142  )  27).  Nur  leicht  eingekleidet  in  die  Form  eines  Briefs  an  einen  gleich- 
falls vom  Schicksal  getroffenen  Freund,  giebt  sie  eine  Selbstzeichnung  mit 
so  sicherer  Hand  und  in  so  markigen  Strichen,  dass  sie  ästhetisch  betrachtet 
unverkennbar  über  den  augustinischen  Konfessionen  steht,  während  auch 
nicht  die  leiseste  Spur  von  der  visionären  Überschwenglichkeit  des  Zeit- 
alters hier  zurückgeblieben  ist.  Und  doch  hätte  jene  entsetzliche  Katastrophe, 
die  Abälards  Leben  in  zwei  Hälften  zerriss,  einem  rein  mittelalterlichen 
Menschen  das  tröstliche  Versinken  in  die  Tiefen  mystischen  Traumlebens 
nahe  legen  müssen.    Wie  einfach  erscheint  das  äussere  Dasein  Augustiiis, 

*)  Über  Giraldus  Cambrensis  (f  nach  115)2)  vgl.  Lappenberg- Pauli,  (iesch.  von 
Kngland  II.  "28*2;  III,  880  f.  Ausser  den  libri  III  de  rebus  a  sc  Pestis  (in  der  Ausgabe 
-einer  Werke,  Lond.  1801  ff.,  IM.  I;  vgl.  Kinleitung  p.  I, XX XIX)  und  den  inveetmnes 
L'pbon  auch  verschiedene  andere  seiner  Schritten  Autobiographisches,  meist  in  der  dritten 
Person  (im  speculum  ecclesiac  dist.  III.  <i  spricht  er  in  der  ersten  Person).  Für  seine 
klassische  Bildung  und  Ruhmeslicbe  vgl.  namentlich  Opp.  V.  :{  ff.:  VI.  7  ff. 

sl  Historia  calamitatum;  vgl.  S.  M.  Deutsch.  Peter  Abälard  (1*8:{>  p.  20  f.;  42  ff.; 
A.  Hausrath,  P.  A.    Ein  Lebensbild  {l«\)A)  p.  V;  1  f.;  120  ff. 

I.i* 


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107 


Biographische  Blatter. 


wie  gelinde  selbst  seine  seelischen  Kämpfe  neben  den  Erschütterungen,  die 
der  geniale  Franzose  durchlebt  und  Uberlebt  hat!  Mit  allen  Vorzügen  des 
(ieistes  und  Körpers  ausgestattet,  von  der  gebildeten  Welt  als  Fürst  der 
Wissenschaft  angestaunt,  dazu  ein  berückender  Meister  des  (Jesangs  und 
im  Besitz  jener  schonen  und  hochbegabten  Krau,  die  lieber  mit  ihm  zur 
Holle  fahren  wollte  als  ohne  ihn  zum  Himmel  eingehen  und  dann  mit 
einem  Schlag  ein  armer  verstümmelter  Mönch,  für  den  alle  Lust  und  aller 
(ilanz  der  Erde  verschlossen  war.  der  nicht  nur  mit  sich  allein,  sondern 
mit  einer  wachsenden  Schaar  von  Feinden  fertig  werden  sollte,  vor  geist- 
liches (i dicht  gezogen,  gezwungen,  ein  gefeiertes  Werk  mit  eigner  Hand 
in  die  Flammen  zu  werfen,  zur  Klosterhaft  verurtheilt.  Die  Selbstbiographie 
des  »Schwergeprüften  lässt  trotzdem  das  Hochgefühl  der  früheren  Zeiten 
noch  durchklingen;  sie  ist  eben  keine  Beichte  im  Sinne  Augustins.  sondern 
ein  Appell  an  die  Theilnahme  der  Mitwelt,  der  durch  die  ergänzende  Ver- 
öffentlichung seines  Briefwechsels  mit  Heloise  noch  verstärkt  werden  sollte. 
Die  rücksichtslosen  Enthüllungen  dieser  Briefe  sind  ebenso  wohl  berechnet 
wie  die  vorsichtige  Zurückhaltung,  die  Abälard  bei  aller  Schärfe  der  Selbst- 
anklage gelegentlich  in  der  Biographie  beobachtet.  Von  der  grossartigen 
Unbefangenheit  Augustins  ist  nicht  die  Rede.  Hier  spricht  kein  grosser 
Mensch,  wohl  aber  ein  Aristokrat  des  Geistes,  um  den  bereits  eine  Ahnung 
von  wirklich  humanistischer  Luft  weht. 

Ein  gewaltiger  Zug  zur  Welt,  zur  Macht,  zum  Wissen,  zum  Lebens- 
genuss  geht  durch  die  Kirche  des  XII.  und  XIII.  Jahrhunderts.  Und 
doch  bezeugen  eben  damals  grossartige  mönchische  Reformbewegungen  die 
noch  vorhandene  Lebensfähigkeit  des  alten  asketischen  (ieistes.  Und  .schon 
ehe  die  Bettelorden  in  einer  bisher  unerhörten  Weise  die  Laienwelt  zu 
selbsttätiger,  nicht  nur  empfangender  Theilnahme  am  religiösem  Leben  auf- 
geregt hatten,  war  bereits  jene  Entwicklung  der  kirchlichen  Frömmigkeit 
zur  Mystik  eingeleitet,  deren  geistiger  Inhalt  der  theologischen  Wissen- 
schaft und  deren  Erscheinungsformen  der  Jahrhunderte  lang  gesteigerten 
und  verfeinerten  Askese  entstammen.  Ein  so  ungestörtes  Ausreifen  des 
<  iemüthslebens  von  der  zarten  frischen  Blüte  bis  zum  Überreifen.  Süsslichen 
und  zuweilen  auch  Fauligen  war  noch  niemals  dagewesen.  Charakteristisch 
ist  für  diese  Periode  geistigen  und  moralischen  Raffinements  wie  für  die 
viel  spätere  und  reichere  der  modernen  Romantik  die  höchst  bedeutende, 
oft  führende  Rolle  der  Frau2*».  Seit  dem  XII.  Jahrhundert  nimmt  die 
religiöse  Selbstbiographie  in  den  Kreisen  der  berühmten  Visionärinnen  und 
ihrer  mitfühlenden  Vertrauensmänner,  die  meist  die  Aufzeichnung  besorgten, 
innner  mehr  einen  ausgesprochen  weiblichen  Charakter  an,  indem  an  die 
Stelle  der  früheren  Dämonenkämpfe  und  Höllenphantasien  allmählich  eine 
geistliche  Erotik  empfindsamster  Art  gesetzt  ward  und  neben  den  weicheren 

ft)  Was  <;.  Brandes  <  Litt,  des  XIX.  .lalirh.  VI.   1SJ»1.  p.  :U1)  in  Bezug-  auf  die 
Periode  der  Iiumantik  «igt.  gilt  ebenso  für  die  Mvstik  des  XIII.  und  XIV.  .Jahrhundert*. 


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Über  die  Anfänge  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.  198 

<  ieftüilen  auch  ein  gewisses  SelifmheitsbedUrfniss,  eine  naive  Freude  an 
liebliehen  (Gestalten,  sehiinmernden  Farben,  reichen  (Jewändern  und  Kleinodien 
sich  offenbarte.  Das  Zeitalter  der  ritterlichen  Kultur  mit  ihrem  Minnedienst 
und  ihren  starken  künstlerischen  Xeiirunjren  ist  bis  in  die  Visionen  hinein 
deutlich  zu  spüren,  selbst  bei  der  im  (Manzen  noch  sehr  herben  und 
apokalyptisch  gerichteten  Hildegard  von  Bingen  (*J-  1170).  Die  umfänglichen 
Schriften,  die  unter  ihrem  Namen  auf  uns  gekommen  sind  und  in  denen 
sich  auch  Ansätze  zu  einer  Selbstbiographie  finden,  rubren  in  der  uns 
vorliegenden  (i estalt  keinenfalls  von  der  hochire feierten  Visionärin  selbst 
her.  sondern  sind  durch  männliche  Vermittlung  aufgezeichnet  und  zum 
Mindesten  beträchtlich  umgemodelt  worden.  Von  ihrer  Zeitgenossin  Elisabeth 
von  Schönau  besitzen  wir  wieder  durch  Vermittlung  ihres  Bruders,  des 
Abts  Kekbert.  ein  förmliches  Tagebuch  über  ihre  Visionen  mit  genauer 
Angabe  der  Daten20).  Später  tritt  die  hier  noch  vorhandene  Theilnahine 
an  den  grossen  Kämpfen  der  Zeit  immer  mehr  vor  den  rein  persönlichen 
Beziehungen  und  Erlebnissen  zurück:  die  Freundinnen  und  Freunde 
mystischer  Beschaulichkeit  spinnen  sich  förmlich  ein  in  ihren  engsten 
Kreisen,  und  damit  nehmen  auch  die  autobiographischen  Aufzeichnungen 
vielfach  einen  geradezu  pathologischen  Charakter  an30).  Die  Heldinnen 
sind,  sehr  verschieden  von  jenen  Frauen  der  Märtyrerzeit,  in  der  Uejrel 
krank  und  schwach  oder  wenigstens  durch  Askese  heruntergebracht;  sie 
schildern  oft  ihre  körperlichen  Leiden  mit  peinlicher  Sorgfalt.  Durchaus 
weiblich  ist  dann  das  Schwellen  in  bräutlichen  und  mütterlichen  Gefühlen; 
denn  neben  Christus  dem  Bräutigam,  zu  dem  ihr  Verhältnis*  sich  jranz 
nach  dem  Muster  des  höfischen  Minnelebens  gestaltet,  beansprucht  das 
Christkind,  seine  Pflege,  seine  kindliche  Antnnth  und  Schalkheit  einen  grossen 
Platz  in  dem  Traumleben  seiner  Verehrerinnen.  Es  wird  von  ihnen  mit 
einer  manchmal  reclit  raffiniert  anmuthenden  Xaivetät  gebadet,  getränkt  und 
»reliebkost  und  bezeichnender  Weise  auch  ausirefra^rt :  wie  es  sich  denn  bei 

-J)  Die  in  die  V.  Hildeirardis  aufgenommenen  IcherzHhlungen  der  Heldin  trafen, 
A\ie  l'reger  (Deutsche  Mystik  I.  HD  mit  Hecht  bemerkt.  ..das  Oprlige  von  Stücken  einer 
Selbstbiographie  der  Hildegard".  Ihre  (iepflogenheit  z.  R  im  Scivias  die  himmlische 
Stimme  «ranze  Abhandlungen  vortragen  zu  lassen,  erinnert  an  Otlob  (s.  o.).  Die  Frage 
nach  der  Entstehung  bez.  Echtheit  ihrer  sehr  umfänglichen  Schriften  ist  noch  keineswegs 
endyiiltisr  gelöst  Die  Visionen  Elisabeths  von  Schönau  herausgegeben  von  F.  W  C.  Roth 
ilss4).  Cber  die  Art  der  Aufzeichnung  vgl.  Hildegards  Briet'  ;in  Cuibcrt  von  («embloux 
'l'itra.  Analecta  saera  VIII.  1SS-J.  p.  :W1  ff.»:  hiezu  A.  von  der  Linde,  die  Harnische, 
der  I^indesbibl.  in  Wiesbaden  (1S77)  p.  4-J  A.  1:  SO  IT.:  HU:  allg.  d.  Uioirr.  XII.  407  f.. 
I'.  Wein  hold,  die  deutschen  Frauen.  1-,  Sl  ff. 

30 >  Vgl.  K.  Müller  in  der  Zeitschr.  f.  Kiivheniresch.  VII.  12*2:  Heispiele  in  Menge 
bei  ('.  («reith.  die  deutscho  Mystik  im  l'redigerorden.  Freib.  1  S(i ] :  bei  Breuer,  deutsche 
Mystik  I:  II.  Einen  wesentlich  andern,  nichts  weniger  als  weiblichen  Charakter  trafen 
tmtz  der  visionären  und  erbaulichen  Kinschaltumren  ilie  autobiographischen  Mitthoilungen 
des  Minoriten  Salimbene  von  Parma:  vgl.  A.  Dove.  die  Dnppelchronik  von  Keggio  ilS7:{) 
p.  1:  4;  Michael,  Salimbene  <l$s«)>  p.  22  f.:  41» :  !r_\ 


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li)9 


Bioifrnphisehe  Blatter. 


seiner  Geburt  und  in  den  ersten  .Taliren  «refühlt  und  betragen  habe,  ob  es 
wahr  sei.  dass  .loseph  es  in  seine  Hosen  eingewickelt  oder  dass  es  einem 
der  drei  Könige  ins  Haar  gegriffen  habe,  wohin  denn  die  von  den  Königen 
geschenkten  Kostbarkeiten  gekommen  seien31).  Diese  spielende  Art  Über- 
trügt sich  auch  auf  die  Manner.  die  in  solchem  Verkehr  sich  wohl  fühlten. 
Ks  ist  charakteristisch  für  die  Umkehr  des  Verhältnisses,  dass  die  Lebens- 
erinnerungen Heinrich  Susos  zuerst  nicht  von  ihm  selbst,  sondern  nach 
seinen  Gesprächen,  ohne  dass  er  es  wusste.  von  seiner  geistlichen  Tochter" 
Klsbeth  Stapel  aufgezeichnet  worden  sind.  Was  sollen  wir  aber  davon 
urtheilen.  dass  Meister  Heiniich  von  Nördlingen  sich  von  seiner  abgöttisch 
verehrten  Freundin  Margarethe  Kbner  einen  ihrer  abgelegten  Schlafrocke 
erbat  und  auch  Avirklich  trug?  Denn  das  gegenseitige  Anschwärmen  und 
Verherrlichen  ist  hier  unter  anderen  Formen  eben  so  stark  ausgebihlet  wie 
nachmals  bei  den  Humanisten.  Die  Verfeinerung  und  Vertiefung  des 
Gemüthslebens.  die  sich  ja  von  der  Starrheit  und  Derbheit  des  früheren 
Mittelalters  deutlich  abhebt,  war  mit  einer  gefahrlichen  Verweichlichung 
erkauft  worden.  Heinrich  von  Nördlingen  fühlt  beim  Schreiben  an 
Margarethe  einen  sanfttlicssenden  Brunnen  in  seinem  Herzen  entspringen: 
er  weint  mit  Genuss.  Und  der  Kaie  Hulman  Merswin  von  Strassburir 
verirrte  sich  bis  zur  völligen  Erdichtung  eines  angeblichen  grossen  Gottes- 
freundes,  den  er  zum  Theil  unter  wirksamer  Anwendung  autobiographischer 
Erzählung  zum  Helden  eines  mystischen  Kornaus  inachte82).  Unnatur  und 
Unwahrheit  waren  das  Ende  der  mystischen  wie  der  ritterlichen  Empfind- 
samkeit. 

Und  doch  war  damals  schon  jene  Bewegung  der  Geister  in  vollem 
Anzug,  die  zur  Genesung  führen  sollte.  Eine  Wiedergeburt  freilich  nicht 
der  Antike  allein,  aber  für  die  Hefreiung  der  europäischen  Menschheit  aus 
den  beengenden  Banden  einer  überlebten  Ordnung  der  Dinge  hat  doch  der 
neuerwachte  Glaube  an  die  Schönheit  und  Grösse  des  griechisch-römischen 
Alterthums  unschätzbare  Dienste  geleistet.  Nirgends  tritt  uns  das  Hingen 
und  die  allmähliche  Mischling  des  Alten  und  Neuen,  des  mittelalterlichen 
und  des  klassischen  Geistes  anziehender  vor  Augen  als  in  den  Werken 
Dante  s,  der  ja  gewiss  nicht  zu  den  Humanisten  gezählt  werden  darf,  aber 
doch  wie  ein  Prophet  der  kommenden  Weltanschauung  mitten  in  scholastischer 
Denkarbeit  und  mystischer  Sehnsucht  die  erhabenen  Gestalten  der 
antiken    Dichter    auf   sich   zuschreiten   sieht     und  sich   ihnen  anreiht. 

11 )  V-l.  Ph.  Strauch.  Margarethe  KWr  und  Heinrich  von  Nördlingen  <lsS-_>> 
p.  XXXVI  f.:  SO  f.;  00  ff.:  hiezu  Lochner.  Leben  und  Gesichte  der  Christina  Klmerin 
(1*7-»  >  p.  K>. 

Yl'1.  H.  Dcnille  in  der  Zeitsihr.  f.  Deutsches  Alterthum  XXIV:  XXV: 
Strain-h  in  der  A1L'.  Deutschen  Hinirniphie  XXI,  4."«0  ff.  ('her  die  ungesunde  Sentimen- 
talität der  n»\  stischen  Kreise:  Ii.  Sech. m  it.  Kin  Kampf  um  jenseitiges  Leben  tls^l») 
p.  ,">0  f.:  11:  iiher  die  unverkennbnre  He  reichen  im:  um!  Verteinerumr  des  ( iefühlslcben-: 
H  arniick  III.  :isu  t. 


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Cber  die  Anßlnge  der  Selbstbiographie  und  ihre  Entwicklung  im  Mittelalter.  200 

Denn  an  stolzer  Selbstherrlichkeit  und  Ruhmesliebe  konnte  es  der  gewaltige 
Florentiner  des  XIV.  Jahrhunderts  mit  den  Alten  wie  mit  den  Grössen 
der  Renaissance  aufnehmen.  Nach  Jahrhunderten  geistlicher  Wissenschaft 
trat  endlich  wieder  ein  Laie  auf  den  Plan,  der  die  Bildung  seiner  Zeit  voll 
und  ganz  beherrschte.  Wenn  seine  Divina  Commedia  den  würdigen  und 
alles  frühere  unendlich  überragenden  Abschluss  in  der  Entwicklung  der 
Visionslitemtnr  darstellt,  so  führt  die  Vita  Nuova,  deren  Gegenstand  seine 
Liebe  zu  Beatrice  ist,  trotz  ihrer  mittelalterlichen  Einkleidung  in  eine  neue 
Welt33).  Im  engsten  Zusammenhang  mit  der  Mystik,  überall  mit  scholastischen 
Spitzfindigkeiten  und  wunderlichen  Gesichten  durchsetzt,  athmet  doch  diese 
kleine  Krstlingsschrift  Dante  s  eine  natürliche  Warme  der  Empfindung  und 
eine  Freude  an  feiner  Beobachtung  des  eignen  Herzens,  wie  sie  uns  seit 
Augustin  nicht  mehr  begegnet  sind.  Nur  dass  bei  Dante  das  alles  nicht 
einer  Beichte  ttbenvundener  Verirrungen  gilt,  sondern  die  Geschichte  seiner 
.lugend  uns  menschlich  so  nahe  bringt,  dass  davor  die  konventionelle 
Schwärmerei  der  ritterlichen  Minnedichter  nicht  minder  verblasst  wie  die 
sinnlich-übersinnliche  Erotik  der  mystischen  Klosterfrauen  und  Beginen. 
Freilich  wirkt  das  Mittel  der  Vision,  dessen  sich  Dante  noch  nicht  zu  ent- 
schlagen vermag,  trotz  der  Milderung  zur  Allegone  auf  den  modernen 
Leser  fremdartig,  aber  der  Kein,  den  diese  krausen  Traumspiele  und  künst- 
liehen Allegorien  nur  halb  verhüllen,  ist  höchst  persönlich,  individuell  und 
darum  allen  Zeiten  zugänglich. 

Das  Fehlen  jeder  Beziehung  auf  die  öffentlichen  Dinge  in  der  Vita 
Nuova  erinnert  uns  zurück  an  die  Konfessionen  Augustins.  an  die  Knt- 
stehung  der  Selbstbiographie.  Mit  Dante  und  mit  Betrarka,  der  seine 
Epistel  an  die  Nachwelt  schreibt,  tritt  sie  in  ein  neues  Stadium.  Ihre 
ausschliesslich  religiöse  Zeit  war  vorüber  wie  das  Monopol  des  Klerus  auf 
die  Wissenschaft.  Sellen  wir  doch,  wie  schon  im  XII.  Jahrhundert  bei 
dem  einen  und  andern  geistlichen  Schriftsteller  das  asketische  Ideal  abge- 
schwächt oder  fast  ganz  zurückgedrängt  erscheint.  Aber  es  ist  kein  Zufall, 
dass  Fetrarka,  der  Vater  des  Humanismus,  sein  Buch  de  contemtu  mundi. 
auch  eine  Art  von  Beichte,  in  die  Form  eines  Zwiegesprächs  mit  Augustinus 
gebracht  hat.  wobei  er  freilich  auf  seine  Liebe  und  seinen  Ruhm  trotz 
aller  Bemühungen  des  Kirchenvaters  nicht  verzichten  will.  Die  Belauschung 
des  eignen  Herzens  ist  christlichen  Ursprungs.  Was  sie  aber  zu  Tage 
gefördert  hat  und  stets  zu  Tage  fördern  wird,  ist  -  -  Dichtung  und 
Wahrheit. 

 co, 


-1  .  .  

®)  Vgl.  F.  X.  Wegele.  Dante  (3.  Ann.  1871»  S.  11"»:  122. 


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201 


Biographische  Blatter. 


Ein  Besuch  in  Potsdam  im  Juli  1809. 

Von 

ALFRED  RITTER  VON  ARNETH. 

Unter  der  fast  unabsehbaren  Diplomatensehaar,  welche  sich  wohl  niemals 
früher  oder  später  irgendwo  in  so  grosser  Anzahl  versammelte,  als  dieses 
in  den  Herbstmonaten  des  Jahres  1814  in  der  Kaiserstadt  an  der  Donau 
geschah,  wird  Freiherr  Johann  von  Wessenberg  als  einer  der  am  seltensten 
genannten  und  doch  gleichzeitig  auch  als  einer  der  am  meisten  beschäftigten 
bezeichnet  werden  dürfen.  Als  einer  der  am  seltensten  genannten,  weil 
der  kleine,  unscheinbare,  unelegante  und  wenig  gesellige  Mann,  der  trotz 
seiner  adeligen  Geburt  einen  unverkennbar  demokratischen  Zug  an  sich  trug, 
an  dem  glanzvollen  »Schaugepränge  aller  Art,  an  den  rauschenden  Vergnügungen, 
an  dem  rastlosen  Jagen  nach  Freude  und  Genuss,  wodurch  die  übrigen  fast 
durchwegs  hocharistokratischen  Mitglieder  des  Kongresses  vielleicht  noch 
mehr  in  Anspruch  genommen  wurden  als  durch  die  von  Urnen  zu  verrichtende 
Arbeit,  sich  nur  wenig  betheiligte.  Kiner  der  am  meisten  beschäftigten  aber 
war  Wessenberg,  denn  als  zweiter  Bevollmächtigter  des  Kaisers  von  Österreich 
hatte  er  nicht  nur  zahlreichen  Sitzungen  beizuwohnen,  sondern  e.s  wurde  ihm 
auch  eine  Menge  der  schwierigsten  Ausarbeitungen  übertragen.  So  war 
fast  alles,  was,  als  von  Österreich  ausgehend,  sich  auf  die  zukünftige  Gestaltung 
Deutschlands  bezog,  ausschliesslich  sein  Werk,  und  obgleich  man  heut  zu  Tage 
nicht  eben  geneigt  sein  wird,  ihm  das  zum  Verdienste  anzurechnen,  so  wurde 
doch  damals  hierüber  ein  anderes  Urthcil  gefällt.  In  der  allgemeinen  Gährung, 
in  der  man  sich  befand  und  welche  bald  so  weit  führte,  dass  die  kurz  zuvor 
so  einigen  Bundesgenossen  sich  fast  schon  mit  gezücktem  Schwerte  gegen- 
über standen,  war  man  schliesslich  froh,  eine  Grundlage  gefunden  zu  haben, 
auf  der  sich  die  widerstreitenden  Interessen  noch  leidlich  vereinbaren  Hessen. 
Nicht  so  sehr  die  deutsche  Bundesaktc,  für  deren  Autor  Wessenberg  galt, 
als  die  jämmerliche  Art,  in  der  sie  gehandhabt  wurde,  war  es,  an  welcher 
Deutschland  so  lange  Zeit  hindurch  krankte,  bis  endlich  durch  Österreichs 
gewaltsame  Ausscheidung  und  die  Übertragung  der  Kaiserkrone  an  das 
preussisehe  Königshaus  eine  völlige  Umgestaltung  der  durch  die  Bundesakte 
begründeten  Verhältnisse  herbeigeführt  wurde. 

In  den  Jahren  des  Wiener  Kongresses  wäre  ein  Gleiches  oder  auch 
nur  Ähnliches  ganz  unmöglich  erschienen.  Dass  der  Staat,  dessen  Kaiser 
noch  vor  weniger  als  einem  Jahrzehnt  allseitig  anerkanntes  Oberhaupt  des 
deutschen  Keiches  war,  ganz  aus  demselben  austreten  sollte,  wäre  für  die 
damalige  Zeit  ein  ungeheuerlicher,  ein  unausführbarer  (Tedanke  gewesen. 
Verblieben  aber,  und  das  war  ja  die  Voraussetzung,  von  welcher  Jedermann 
ausging,  beide  deutschen  Grossmäehte.  Österreich  und  Preussen  in  dem  Ge- 


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Ein  Besuch  in  Potsdam  im  Juli  1S09. 


202 


sammt\  erbande  Deutschlands,  dann  war  wohl  nur  eine  von  drei  verschiedenen 
( Gestaltungen  möglich.  Entweder  man  trachtete,  so  viel  es  nur  anging,  zu 
dem  Einheitsgedanken  zurückzukehren,  und  der  Kaiser  von  Osterreich  wurde 
auch  derjenige  Deutschlands.  Das  rastlose  Einporstreben  Preussens,  durch 
seine  historischen  Erinnerungen  und  durch  den  von  ihm  soeben  in  ruhmvoller 
Weise  geführten  Krieg  hinreichend  begründet,  stand  jedoch  in  grellem  Gegen- 
sätze hierzu.  Die  volle  politische  Selbstständigkeit  Preussens,  welche  schon 
seit  den  für  diesen  Staat  so  glorreichen  fridericianischen  Jahren  bestand, 
iimsste  vielmehr,  durch  die  ihm  jetzt  zuwachsende  Machtvergrösscrung  noch 
verstärkt,  jede  wirkliche  Unterordnung  Preussens  unter  ein  nicht  dessen 
eigene  Königskrone  tragendes  Reiehsoberhaupt  von  vorneherein  unmöglich 
und  daher  auch  die  deutsche  Krone  auf  dem  Haupte  des  Kaisers  Franz 
zu  einem  Schattengebilde  machen.  Es  diesem  zum  Vorwurfe  anrechnen, 
dass  er  hierauf  nicht  einging,  und  es  gleichzeitig  fast  wie  einen  Verrat h  an 
Deutschland  betrachten,  wenn  Österreich  nicht  zu  Allem  bereitwilligst  die 
Hand  bieten  wollte,  was  von  Seite  Preussens  zur  Vermehrung  seiner  Macht- 
stellung begehrt  wurde,  zeugt  von  einer  Verwirrung  der  Begriffe,  auf  welcher 
niemals  ein  ernstlich  begründetes  Urtheil  sich  aufbauen  kann. 

Die  zweite  Modalität  aber,  und  sie  war  es,  welche  von  offizieller 
preußischer  Seite  mit  dem  meisten  Nachdrucke  in  den  Vordergrund  gestellt 
wurde,  bestand  in  der  Einführung  eines  rein  dualistischen  Systems  in 
Deutschland.  Für  Preussen  den  Norden  und  für  Österreich  den  Süden,  so 
lautete  diese  Devise,  deren  Durchführung  jedoch  eine  völlige  Zweitheilung 
Deutschlands  und  eine  gänzliche  Zerschneidung  jedes,  beide  Theile  etwas 
fester  verknüpfenden,  einheitlichen  Bandes  zur  notwendigen  Folge  gehabt 
haben  würde. 

Dieses  Band  schon  von  vorneherein  loser  zu  schürzen  und  dadurch 
ebenso  die  Wiederherstellung  eines  machtlosen  Kaiserthums  als  eine  Zwei- 
teilung Deutschlands  zu  verhüten,  blieb  also,  wenn  man  nicht  in  eines 
dieser  beiden  Extreme  verfallen  wollte,  der  einzige  noch  mögliche  Ausweg. 
Und  selbst  wer  zugiebt,  dass  er  von  Wassenberg  und  dessen  Meinungs- 
genossen nicht  gerade  mit  glücklichem  Erfolge  betreten  wurde,  wird  doch 
einräumen  müssen,  dass  dies  wenigstens  von  dem  ersteren  in  gutem  Glauben 
geschah.  Schrieb  er  ja  doch  noch  mehr  als  drei  Jahrzehnte  nach  der  Auf- 
lösung des  Wiener  Kongresses  und  inmitten  der  Wirren  des  .Jahres  1H4H  an 
•len  Österreichischen  Bundes-Präsidialgesandten  Schmerling  die  für  ihn  selbst 
so  bezeichnenden  Worte:  „Teh  werde  immer  behaupten,  dass  die  Bundesakte 
und  die  Bundesversammlung  praktischer  waren  als  Alles,  was  noch  erfunden 
werden  wird.    Die  Erstere  enthielt  Alles,  was  Deutschland  Noth  that." 

Jedoch  nicht  zu  den  Arbeiten  W  assenbergs  bei  dem  Wiener  Kongresse, 
sondern  in  die  Stellung  wollten  wir  ihn  begleiten,  welche  er  etwas  mehr  als 
fünf  Jahre  früher  am  Berliner  Hofe  einnahm.  Zu  Anfang  des  Jahres  1S09 
war  er  mit  dem  Auftrage  dorthin  abgesendet  worden,  den  König  von  Preussen 


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•203 


Biographische  Blätter. 


zu  aktiver  Thcilnahme  an  deui  Kriege  zu  bewegen,  welchen  Österreich  damals 
gegen  Napoleon  zu  führen  unternalnn.  Gessenbergs  rastlose  Bestrebtin gen. 
<lie  ihm  gestellte  Aufrabe  zu  erfüllen,  wurden  von  der  zahlreichen  Schaar 
edeldenkender  und  tapfergesinnter  Männer,  welche  das  unter  Napoleons 
< Gewaltherrschaft  von  Seite  Pieussens  erduldete  Missgeschick  wenn  auch  nicht 
grossgezogen,  so  doch  in  den  Vordergrund  gestellt  hatte,  mit  Nachdruck 
unterstützt.  Dennoch  scheiterten  sie,  und  zwar  ausschliesslich  an  dem 
Kleinmuthe  und  der  Unentschlossenheit  des  Königs  Friedrich  Wilhelm  III., 
welche  von  Niemand  schmerzlicher  empfunden  und  bitterer  beklagt  wurden 
als  von  der  ihm  am  nächsten  Stehenden  im  Leben,  der  feecngleichen 
Königin  Luise.  Denn  dass  die  ablehnende  Haltung  des  Königs  dadurch 
herbeigeführt  worden  sei,  dass  er  die  politische  Lage  richtiger  als  die  besten 
seiner  Staatsmänner,  die  militärischen  Verhältnisse  aber  zutreffender  als  ein 
Scharnhorst,  ein  (ineisenau  beurtheilte,  ist  eine  Behauptung,  die  wohl  aus- 
gesprochen wurde,  aber  auch  bald  wieder  in  ihrer  ganzen  Grundlosigkeit 
erkannt  werden  wird. 

Kin  Wiederschein  der  trüben  Stimmung,  in  welche  Wessenberg  durch 
den  schleichenden  Gang  seiner  niemals  abgebrocheneu,  aber  auch  nie  zu  einem 
befriedigenden  Ergebnisse  gelangenden  Unterhandlungen  mit  dem  preussischen 
Minister  Grafen  (Goltz  versetzt  wurde,  wird  auch  in  dem  Aufsatze  gefunden 
werden,  den  er  nach  einem  Besuche  in  Potsdam  und  Sanssouci  zu  Papier 
brachte.    Derselbe  lautet  wie  folgt: 

Potsdam,  den  1.  Juli  1809. 

Was  würde  wohl  Voltaire  sagen,  wenn  er  heute  die  Residenz  jenes  grossen 
Königs,  der  sich  vermag*,  gleichzeitig  Achill,  Hutner  und  Thukydides  sein  zu 
wollen,  in  Ruinen  zerfallen  und  von  Bettlern  erfüllt  sehen  würde?  Diese  prächtigen 
Strassen,  dieser  schöne  Kanal,  diese  zahlreichen  Gebäude  sind  nichts  mehr  als 
traurige  Denkmäler  seiner  Prachtliebe  und  dazu  verdammt,  uas  die  Vergänglichkeit 
der  menschlichen  Dinge  recht  vor  die  Augen  zu  führen. 

Mein  erster  Besuch  galt  der  Gruft,  in  welcher  der  Leichnam  des  Helden 
des  achtzehnten  Jahrhunderts  ruht.  Diese  schmucklose  Gruft  und  der  kupferne 
.Sarg,  der  die  sterblichen  Überreste  des  grossen  Mannes  birgt,  scheinen  das 
Ende  darzuthun,  auf  welches  die  Grösse  dieser  Welt  hinausläuft.  Was  soll  man 
aber  von  jener  undankbaren  Nachwelt  sagen,  die  es  bis  auf  diesen  Augeubliek 
versäumte,  dem  Andenken  des  Helden  ein  Monument  zu  errichten,  welcher  sein 
Leben  damit  zubrachte,  sein  Volk  mit  Ruhm  und  mit  Wohlthaten  zu  überhäufen, 
und  der  seinen  Wartengefährten  noch  bei  ihren  Lebzeiten  Statuen  setzen  liess,*) 
um  damit  öffentlich  Zeugnis*  abzulegen  für  den  Antheil.  den  sie  an  seinem  Ruhme 
gehabt  und  an  seinen  Erfolgen. 

In  dieser  Gruft  war  es.  wo  sich  im  November  180ö  der  Enkel  Katharinas 
und  der  Grossneffe  Friedrichs  unverbrüchliche  Freundschaft  gelobten.  Dennoch 
hat  sie  ein  Ende  gleich  jener  der  Spieler  gefunden,  welche  der  Erfolg  vereinigt, 
das  Unglück  aber  trennt.  Der  Gcschiehtschreiber  Preussens  wird  übrigens  den 
Vi-isnch  machen  können,  die  Manen  des  grossen  Friedlich  durch  die  Betrachtung 
zu  versöhnen.  Friedrieh  Wilhelm   habe   einen  Tbeil    seiner  Staaten  geopfert,  um 


*)  Auf  dem  Wilhclmsplatze  in  Berlin. 


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Ein  Besuch  in  Potsdam  im  Juli  1809. 


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nicht  den  Verdacht  des  Eidbruches  auf  sieh  zu  laden,  wahrend  sein  Alliirter  ihn 
seines  Eigenthums  berauhte,  um  jenen  Vorwurf  nicht  fruchtlos  zu  verdienen*). 

Per  Palast  des  Königs  besitzt  eine  schöne,  ja  sogar  imponirende  Aussen- 
s»ite.  aber  in  seinem  Innern  nichts.  was  einer  besonderen  Aufmerksamkeit  werth 
wäiv.  In  den  Gemächern  des  Königs  findet  man  kein  werthvolles  Einrichtungs- 
stück, ja  selbst  kein  schönes  Gemälde.  Der  König  besitzt  kaum  ein  Zimmer,  in 
welchem  er  einen  hervorragenden  Fremden  in  anständiger  "Weise  zu  empfangen 
vmnag.  Auch  in  den  Wohnräumen  der  Königin  findet,  man  nur  Zeugen  der 
Kinfachheit  ihres  Geschmackes  und  der  Gewissenhaftigkeit,  mit  der  sie  ihre  Pflichten 
als  Gattin  und  als  Mutter  erfüllte. 

^  In  diesem  Schlosse  wurden  die  Zimmer,  die  der  grosse  Friedrich  bewohnt«', 
in  den»  Zustande  belassen,  in  dem  sie  sich  im  Augenblicke  seines  Todes  befanden. 
Bildet  man  sich  vielleicht  ein.  das  Andenken  des  Mannes,  welcher  Preussen  zu  dem 
Kaiige  einer  G rossmacht  emporhob,  hinreichend  zu  ehren,  indem  man  eine  lächer- 
liche Ehrfurcht  für  einige  Trümmer  von  Stühlen  oder  für  Vorhäng«'  in  Fetzen 
zur  Sehau  trägt?  Empfindet  man  denn  gar  nicht,  dass  diese  zertrümmerten 
Mr.bel  ein  trauriges  Bild  jenes  dereinst  so  berühmten  Königreiches  Preussen  dar- 
bieten, «las  jetzt  gleichfalls  in  Ruinen  zerfallen  ist? 

Am  folgenden  Morgen  durchwanderte  ich  beim  Aufgang  d«T  Sonne  die 
t«  arten  von  Saussouci.  Sie  sind  jetzt  verlassen  und  leer:  umsonst  rufen  sie  den 
Namen  ein«ks  Fürsten  in  die  Erinnerung  zurück,  welclu-r  mehr  war  als  ein  König. 
Das  Schweigen  und  die  Einsamkeit  in  «Uesen  prachtvollen,  von  seiner  Hand 
^•pflanzten  Alleen  stimmten  mich  traurig,  und  ich  beeilte  mich,  nun  jenen  Zauber- 
luhist  zu  besuchen,  in  welchem  Friedrich  von  Zeit  zu  Zeit  den  Glanz  sein«*r 
königlichen  Würde  entfaltete,  in  dem  er  aber  auch  die  Tage  der  Ruhe  im  Ver- 
kehr mit  d«*n  grössten  Dichtern  und  Philosophen  fröhlich  verlebte. 

Hier  war  es.  wo  Voltaire  an  der  Seite  des  liebenswürdigsten  und  geist- 
vollsten Eroberers,  welchen  die  Geschichte  kennt,  seine  Tragödien  dichtete  und 
wine  Annaleu  Ludwigs  XIV.  schrieb,  wo  jener  Held,  mit  Ruhm  und  mit  Lorbeer n 
bedeckt,  seiner  Eroberungen  vergass.  um  den  Musen  zu  opfern.  Bis  zur  letzten 
Stunde  seines  Lebens  strebt«'  er  nach  der  Gunst  dieser  himmlischen  Schwestern, 
und  man  kann  von  ihm  sagen,  er  habe  allzeit  nur  sie  geliebt. 

Nur  mit  tiefer  Bewegung  vermochte  ich  die  schöne  Terrasse  zu  verlassen, 
von  der  aus  jener  glorreiche  Sterbliche  der  Welt,  die  er  mit  seinem  Namen  und 
seinem  Ruhme  erfüllt  hatte,  sein  letztes  Lebewohl  zurief.  Mir  schien,  als  sähe  ich 
ihn.  sitzend  in  seinem  mit  abgebrauchtem  Leder  überzog«'nen  Lehnstuhl,  und 
fühlend,  dass  der  Mensch,  so  gross  er  auch  sein  mag,  doch  dazu  bestimmt  ist, 
zurückzukehren  in  das  Nichts. 

Kaiser  Napoleon  kam,  die  Buhestätte  des  Helden  zu  besuchen,  wehher  ein 
halbes  Jahrhundert  vor  ihm  mit  weit  geringeren  Mitteln  als  den  seinigen  die  Welt 
in  Erstaunen  versetzte,  der  aber  zum  Unglück  für  sein  Reich  ihm  nur  den  Auf- 
schwung zur  Macht  zu  geben  vermochte,  ohne  ihm  das  Genie  zu  vererben,  dessen 
es  zu  ihrer  Aufrechterhaltung  bedurft  hätte.  Das  ist  ja  d«-r  i-Yhler  der  Mehrzahl 
grosser  Menschen,  dass  sie.  erfüllt  von  ihrem  eigenen  Glücke,  ihre  Nachkommen 
vem.-u'hlassigen.  So  vermochten  auch  diejenigen  Friedrichs  ihn  selbst  nicht  zu 
ersetzen,  und  ohne  die  schönen  Denkmäler,  mit  denen  er  die  sandigen  Landstrassen 
sein«-s  Königreichs  geschmückt,  wird  man  jetzt  dort  kein  Zeugniss  dafür  finden, 
dass  dasselbe   gleichfalls   seine  Zeit   der  Grösse  gehabt  hat.     Ks  ist  so  wie  in 


'  I  Nach  der  Hinnahme  von  Merlin  und  der  Schlacht  liei  Kvlau  lehnte  der  König  von 
I'reus-en  die  Friedensverhandlung  ah.  nur  um  seinem  Verbündeten  treu  zu  Weihen,  der  ihn 
hierfür  durch  den  Vertrag  von  Tilsit  belohnte. 


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Biographische  Blätter. 


Egypten,  wo  kaum  einige  gigantische  Pyramiden  Aufsehluss  geben  über  die  .Jahr- 
hunderte der  Cheops  und  der  Ptolemäer. 

Kaiser  Napoleon  nahm  aus  dem  Paläste  von  Sanssouci  nichts  als  einen  Band 
der  Dichtungen  des  grossen  Friedrich  mit  sich,  korrigirt  von  der  Hand  Voltaires. 
Aber  der  Kommissär,  der  beauftragt  war.  die  Trophäen  seiner  Eroberungen  zu 
sammeln,  war  nicht  so  bescheiden.  Herr  Denon  führte  sä  mint  liehe  Büsten  der 
grossen  Männer,  mit  denen  Friedrieh  seine  Einsamkeit  geziert  hatte,  und  mehrere 
ausgezeichnete  Statuen  mit  sich  fori,  welche  an  die  Liebe  und  den  Geschmack 
dieses  Fürsten  für  die  schönen  Künste  erinnerten.  Diese  Plünderung  kann  nicht 
nach  dem  Sinne  des  Helden  des  neunzehnten  Jahrhunderts  sein.  Cäsar  würde 
überall  die  Statue  Alexanders  respektirt  haben,  schon  um  nicht  allzu  schlagend  die 
Vergänglichkeit  aller  Eroberungen  darzuthun. 

Von  dem  schwerinüthigen  Heize  dieser  Erinnerungen  riss  ich  mich  los,  um 
jenen  anderen  Garten  zu  besuchen,  welcher  der  Schauplatz  der  Ausschweifungen 
des  dicken  Königs  Friedrich  Wilhelm  Tl.  war.  Hier  ist  es.  wo  der  bekannte 
Marmorpalast  sich  über  schönen  von  der  Havel  gebildeten  Bassins  emporhebt.  Der 
ganze  Galten  sieht  aus.  als  ob  er  auf  eine  glänzende  Wasserfläche  gestellt  wäre. 
Er  ist  in  gutem  Geschmack  angelegt,  besitzt  prächtige  Alleen,  wohlgepflanzte 
Baumgruppen  und  eine  grosse  Menge  der  verschiedensten  Aussichtspunkte.  Das 
Ganze  bildet  eine  reizvolle  Wohnung  für  einen  Fürsten,  der  von  den  Mühen 
seiner  königlichen  Stellung  im  Schoos«11  der  Wollust  ausruhen  will.  Das  war  aber 
bei  König  Wilhelm  der  Fall,  und  man  zeigt  noch  den  Lehnstuhl,  in  welchem  er 
aufhörte,  dies  zu  thun. 

Der  Marmorpalast  ist  kein  in  grossen  Verhältnissen  angelegtes  Gebäude,  aber 
er  gleicht  der  Villa  eines  reichen  Homers.  Das  Innere  zeigt  den  Mann  von  Geschmack 
und  einen  Eigenthümer.  der  das  Schöne  zu  schätzen  verstand.  Die  Aussenseite 
ist  jedoch  durch  zwei  Flügel  verunstaltet,  welche  der  König  kurz  vor  seinem  Tode 
anbauen  Hess,  um  dort  derjenigen  eine  Wohnung  einzuräumen,  welche  die  leitende 
Holle  bei  seinen  Vergnügungen  spielte. 

Die  französischen  Kommissäre  haben  die  Wohnräume  wenigste!»  zum  Theile 
geplündert.  Fünf  schöne  Statuen  und  einige  Vasen  wurden  für  würdig  erachtet, 
den  Hanl)  zu  vervollständigen.  Noch  blieben  sieben  Kamine  von  sehr  reiner 
Zeichnung  und  vollendeter  Ausführung.  Zwei  sind  aus  Mosaik,  die  anderen  aber 
aus  den  Werkstätten  von  Cavaceppi  und  Trippel  hervorgegangen,  und  insbesondere 
die  letzteren  von  seltener  Schönheit.  Man  sieht  dort  ausserdem  noch  eine 
äusserst  gelungene,  gleichfalls  von  Trippel  angefertigte  Büste  und  eine  pracht- 
volle Vase  von  Oanova.  Alle  diese  Gegenstände  wurden  von  der  Gräfin  Lichtenau 
während  ihres  Aufenthaltes  in  Horn  angekauft.  Das  ganze  Gebäude  wird  von 
einer  Laterne  gekrönt ,  von  der  aus  man  eine  so  herrliche  Aussicht  geniesst .  als 
eine  aus  Sandboden  bestehende  Ebene  nur  immer  darbieten  kann.  Hings  umher 
sieht  man  eine  weithin  sich  ausdehnende,  wohlbepflanzte  Landschaft,  welche  jedoch 
jenes  pittoresken  und  grossartigen  Charakters  entbehrt,  die  ein  bezeichnendes 
Merkmal  einer  malerischen  Gegend  bildet,  Die  Linien  des  Horizonts  verlieren  sich 
unter  einem  farblosen  Himmel  in  eine  weite  Fläche  ohne  abgrenzende  Umrisse,  so 
dass  das  Auge  fruchtlos  nach  einem  Kuhepunkte  sucht. 

In  diesem  Palaste  Hess  der  gegenwärtige  König  die  Geliebte  seines  Vaters 
in  dem  Augenblicke  verhaften,  in  welchem  derselbe  in  ihren  Armen  verschieden 
war.  Der  bekannte  Graf  Haugwitz  wird  allgemein  beschuldigt,  den  König  zu 
diesem  entehrenden  Verfahren  verleitet  und  ihn  veranlasst  zu  haben,  der  Gräfin 
Lichtenau  alle  die  Geschenke  wegnehmen  zu  lassen,  welche  sie  von  ihrem  erlauchten 
Liebhaber  während  dessen  Lebzeiten  erhielt,  und  die  sie  nach  allen  Kechtsgrund- 


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Aus  den  Erinnerungen  eines  Künstlers. 


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sitzen  als  ihr  Eigenthuin  anzusehen  befugt  war.  Es  scheint,  dass  dieser  Minister 
es  sieh  zur  Aufgabe  stellte,  die  letzten  Spuren  einer  Frau  zu  verwischen,  die 
ihm  den  Weg  zu  der  Gunst  seines  Herrn  gebahnt  hatte,  einer  Frau,  welche  übrigens 
weder  die  Bedeutung  besass.  die  man  ihr  beimaass.  noch  die  Vorwürfe  verdiente, 
die  man  wider  sie  erhob.  Sie  hat  weder  den  verstorbenen  König,  wie  man  wohl 
eesajrt  hat.  zu  thörichten  Ausgaben  verleitet,  noch  ihre  Gewalt  über  ihn  zu  ihrer 
eigenen  Bereicherung  mlssbraucht.  Die  Mnitrerae  gar  manche»  grossen  Herrn  in 
Wien  ist  besser  dotirt,  als  sie  es  jemals  gewesen,  aber  es  ist  demüthigend  für  die 
Nation .  die  Freundin  ihres  früheren  Königs  ohne  gerechte  Beweggründe  von 
(iefängniss  zu  Gefängniss  geschleppt,  und  schliesslich  dem  Elende  preisgegeben  zu 
sehen.  Solche  Vorgänge  sind  um  so  erstaunlicher  in  einem  Lande,  in  welchem 
Ausschweifung  der  Sitten  eine  so  gewöhnliche  Erscheinung  ist. 

.1.  v.  Wesse nberg. 

 cs>  

Aus  den  Erinnerungen  eines  Künstlers. 

Von 

RUDOLF  LEHMANN  (London). 
I. 

Franz  Liszt  1836-1887. 
Ich  bin  Liszt  in  längeren  oder  kürzeren  Zwischenräumen  in  Paris. 
Helgoland,  Weimar.  Rom  und  schliesslich  ein  .Jahr  vor  seinem  Tode  in 
Lmdon  begegnet.  Widersprechendste  Eigenschaften  stritten  sich  in  seinem 
Charakter.  In  jeder  Hinsicht,  nicht  nur  musikalisch,  hochbegabt,  intelligent 
und  rasch  auffassend,  beredt  und  von  grosser  Herzensgüte,  litten  alle  diese 
Eigenschaften  einigermaassen  durch  die  Folgen  des  Virtuosenthums,  dem  er 
seine  besten  Jahre  gewidmet  hatte.  Es  ist  kaum  zu  erwarten,  dass  eine 
so  lange,  ununterbrochene  Folge  eklatantester  persönlicher  Triumphe,  wie 
er  sie  gefeiert,  auch  in  dem  stärksten  Charakter  nicht  ihre  Spur  zurück- 
lassen sollte.  In  der  Intimität  konnte  er  hinreissend  liebenswürdig  sein 
(nicht  allein  für  das  weibliche  Geschlecht,  das  in  seiner  Biographie  eine  so 
bedeutende  Rolle  spielt),  wenn  ihn  eine  gewisse  Selbstbcwnsstheit,  das 
französische  „poser",  ausnahmsweise  verlies«.  Dem  magnetisch-dämonischen 
Zuge  seines  Wesens  hat  Ary  »Scheffer  in  dem  bekannten  Bilde  „Christus 
und  der  Versucher  in  der  Wüste",  für  welch  Letzteren  er  als  Modell  ge- 
dient, beredten  Ausdruck  gegeben.  Dieser  ist  Liszts  getreues  Portrait. 
Seine  Erscheinung,  in  der  .lugend  sehr  schlank  und  zart,  war  elegant  und 
einnehmend.  Seine  sehr  beweglichen  Gesichtszüge  voll  Charakter  und  Leben, 
die  nicht  sehr  hohe  Stirn  an  den  Schläfen,  wo  die  Phrenologen  den  Sinn 
für  Musik  hinvcrlegen,  durch  ungewöhnlich  scharfe  Kanten  bezeichnet. 
Von  Natur  sehr  kurzsichtig,  waren  seine  grauen,  von  starken  Brauen  be- 
schatteten Augen  voll  lieben  und  wohlwollendstem  Ausdruck.  Die  Naso 
länglich  leichtgebogen,  die  Nasenflügel  in  steter  nervöser  Bewegung.  Stark 


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Biographische  Blätter. 


accentuirte  Mundwinkel  und  eine  leicht  hervorstehende  Unterlippe  be- 
zeichneten den  feingeschnittenen  Mund,  ein  wohlentwickeltes  Kinn  endigte 
das  bartlose  Gesicht.  Das  bräunliche  Haar,  von  der  Stirn  nach  zwei 
Seiten  aufwärts  und  zurück  gekämmt,  fiel  in  glatten,  weichen  Massen  rück- 
wärts tief  in  den  Nacken.  Wie  vielen  Ungarn,  waren  ihni  mehrere  fremde 
Sprachen  geläufig,  Französisch  am  meisten.  Deutsch  sprach  er  fliessend 
mit  entschieden  österreichischem  Aecent.  Mit  feiner  Ironie1  wahrt«  er  seine 
Stellung  in  der  Gesellschaft  den  Grossen  gegenüber,  auch  während  seiner 
Virtuosenkarriere,  und  seine  witzig-scharfen  Antworten  gingen  von  Mund 
zu  Mund.  Hier  eines  als  Beispiel:  Die  alte  Fürstin  Metternich,  die  ihm 
nicht  wohl  wollte,  fragte  ihn  bei  Hofe,  wo  er  gespielt,  absichtlich  laut: 
„Avez  vous  fait  de  bonnes  affaires  ä  Vienne,  Mr.  Liszt"?  Worauf  seine 
Antwort:  „Moi  Princesse,  je  fais  de  la  inusique,  je  laisse  les  affaires  aux 
diplomates  et  aux  marchands". 

Ich  sah  und  hörte  ihn  zum  ersten  Male  im  Jahre  1836,  in  einem 
Morgenkonzerte  für  einen  wohlthätigen  Zweck  im  Hotel  de  Ville  in  Paris. 
Seine  Erscheinung  war  äusserst  schmächtig,  und  mitten  im  Spiele  fiel  er 
leichenblass  ohnmächtig  vom  Stuhl,  zum  grossen  Schrecken  des  Publikums, 
und  musste  hinausgetragen  werden. 

Persönlich  lernte  ich  ihn  erst  viel  später  kennen,  aber  hörte  viel  von 
ihm  und  über  ihn,  durch  meinen  Bruder  Heinrich,  der  in  Rom  im  .Tahre 

1838  intim  mit  ihm  befreundet  war,  und  im  Sommer  sein  und  der  Gräfin 
d'Agoult  Portrait  in  ihrer  Villa  bei  Lucca  gemalt  hatte.  Diese  Dame  hatte 
Mann  und  Kinder  in  Paris  verlassen,  um  mit  Liszt  zu  leben.  Von  den 
zwei  Mädchen,  die  dieser  Verbindung  entsprossen,  und  deren  Erziehung 
Liszts  Mutter  wahrnahm,  heirathete  die  älteste  Mr.  Emile  Olivier,  der  als 
Minister  Napoleons  IU.  den  deutsch-französischen  Krieg  „d  un  coeur  legeru 
befürwortete.  Sie  starb  jung;  die  Andere,  Cosima,  ist  jetzt,  nach  dem  ihre 
Ehe  mit  dem  bekannten  Musiker  v.  Bülow  geschieden,  Richard  Wagners  oft 
genannte  Wittwe.    Ein  drittes  Kind  war  ein  Knabe,  der,  als  die  Eltern 

1839  Rom  verliessen,  zu  jung  zum  Reisen,  bei  seiner  Amme  in  Palestrina 
im  Sabinergebirge  zurückgelassen  wurde,  um  später  abgeholt  zu  werden. 
Als  mein  Bruder,  der  nach  dem  Kinde  zu  sehen  übernommen  hatte,  auch 
Rom  verliess,  übertrug  er  mir,  dem  Zurückbleibenden,  diese  Pflicht,  deren 
ich  mich  gewissenhaft  entledigte,  indem  ich  das  Kind  in  dem  etwa  20  Miglien 
entfei  nten  Orte  von  Zeit  zu  Zeit  in  einem  Einspänner  besuchte.  Es  gedieh 
anscheinend  vortrefflich  in  der  Obhut  seiner  bildschönen  Amme,  der  Frau 
eines  Tischlers.  Ich  greife  vor  und  füge  hinzu,  dass  ich  ihn  erst  im  Jahre 
1860  bei  einem  Besuche  bei  Frau  v.  Bülow  in  Berlin  wiedersah.  Ein 
schöner  blasser  Jüngling.  Liszts  Ebenbild,  lag  in  ihrem  Salon  todt krank 
auf  dem  Sofa.  Er  starb  bald  nachher  an  der  Schwindsucht.  Man  rühmte 
ihn  als  hochbegabt. 

Kehre  ich  in  meiner  Erzählung  nach  Rom  zurück,  so  niuss  ich  nicht 


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Aus  den  Krinnerungen  eines  Künstlers. 


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zu  berichten  vergessen,  dass  ich  raeine  erste  geschäftliche  malerische  Thätig- 
keit  dort  Liszt  verdankte,  indem  er  bei  seiner  Abreise  im  Jahre  183«  für 
mich  den  Auftrag  hinterlassen  hatte,  für  ihn  die  Köpfe  von  Dante  und 
Savonarola  aus  der  Kaphaelschen  Freske  „der  ,I)isputa'  del  Sacramento  im 
Yatican*  auf  einer  Leinwand  zu  kopiren.  —  Im  Jahre  1846  führte  mich  mein 
Bruder  in  Paris  bei  der  Gräfin  d'Agoult  ein.  Ihr  Verhältnis»  zu  Liszt  war 
längst  gelöst  und  sie  lebte  als  „femrae  libre",  von  einem  intimen  Kreise  aus- 
gezeichneter Männer  verschiedener  Nationalitäten  umgeben:  unter  ihnen  Odo 
Russell  (Lord  Ampthill,  nachheriger  englischer  Gesandter  in  Berlin),  und 
Herwegh.  Unter  dem  Pseudonym  Daniel  Stern  hatte  die  noch  schöne  Frau 
sich  in  der  Litteratur  durch  Romane  wie  durch  politische  Schriften  einen 
Xanien  errungen.  Auch  ist  es  ihr  gelungen,  ihre  einzige  Tochter  aus  der 
Ehe  mit  dem  Grafen  d'Agoult  ihrem  Rang  gemäss  zu  verheirathen. 

Erst  im  Jahre  1849  machte  ich  Liszts  persönliche  Bekanntschaft  in 
Helgoland,  dem  rothen  Felsen  in  der  Nordsee,  wo  wir  einige  für  mich  an- 
genehmste Wochen  zusammen  zubrachten.  Kr  lebte  damals  mit  einer  Fürstin 
Sayn-Witgenstein,  eine  andere,  von  seiner  dämonischen  Natur  hypnotisirte 
Dame,  aus  den  höchsten  aristokratischen  Kreisen.  Wie  ihre  Vorgängerin 
hatte  sie  ihren  Mann,  ihre  hohe  gesellschaftliche  Stellung  und  ihr  kolossales 
Vermögen  aus  Liebe  zu  Liszt  in  Russland  im  Stich  gelassen,  aber  ihre 
allerliebste,  etwa  zwölfjährige  Tochter  begleitete  sie,  nebst  ihrer  Gouvernante. 
Die  Fürstin  war  klein  und  keineswegs  schön  zu  nennen,  aber  geistreich 
und  sehr  lebendig  in  der  Unterhaltung.  Sie  rauchte  mit  Liszt  um  die  Wette 
die  stärksten  Helgoländer  Schiffer-Cigarren,  von  diesem  scherzweise  „Luderos 
Canaglios*  getauft. 

Ein  ozonreicheres  Seebad  als  Helgoland  lässt  sich  kaum  denken. 
Auf  dem,  durch  180  Stufen  mit  dem  Unterlande  verbundenen  Oberland 
lebt  man  wie  auf  dem  Verdeck  eines  grossen  Schiffes  mitten  im  Ozean, 
ohne  die  Gefahr  seekrank  zu  werden.  Jeder  Luftzug  ist  Seewind.  Auf 
der  nahen  Sanddüne,  wo  gebadet  wird,  ist  immer  kräftiger  Wellenschlag. 
In  diesem  Sommer  war  ein  angeregter  Kreis  von  bedeutenden  Menschen 
auf  der  Insel  vereinigt.  Franz  Dinge Lstedt,  Adolf  Stahr,  Fanny  Lewald, 
Ernst  Meyer,  der  originelle  dänisch-römische  Maler,  Liszt  und  die  Fürstin 
Witgenstein  unter  Andern.  Zu  ihnen  gesellte  sich  Julius  Fröbel,  der,  nach 
Unterdrückung  des  badischen  Aufstands,  fliehend  sich  von  dem  damals  noch 
englischen  Helgoland  aus  nach  Amerika  einschiffen  wollte.  Er  erzählte 
uns,  wie  er  in  Wien  mit  Robert  Blum  mit  den  Waffen  in  der  Hand  gefangen, 
mit  ihm  zum  Tode  verurtheilt  worden.  Wie  man  ihm,  nachdem  Blum  er- 
schossen worden,  das  Todesurtheil  verlesen,  den  Stab  über  seinem  Haupte 
gebrochen  und  ihm  in  demselben  Augenblick  seine  Begnadigung  notirizirt 
habe,  mit  dem  Bedeuten,  dass  er  Österreich  auf  der  Stelle  zu  verlassen 
habe.  „Ich  hatte  keine  Furcht  verspürt."  fügte  er  hinzu,  „aber  ich  fühlte 
das  Blut  wie  Feuer  in  meinen  Adern  zirkuliren'*.    Als  der  Kerkermeister 


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biographische  Blatter. 


den  I  laibbetäubten  in  seine  Zelle  vor  dem  Abschiede  zurückführte,  .stand 
noch  ein  unberührtes  Cotelett  auf  dein  Tisch,  für  das  der  eben  Begnadigte 
jetzt  grossen  Heisshunger  spürte,  aber  der  Kerkermeister  kam  ihm  zuvor, 
indem  er  es  seinem  grossen  Hunde  zuwarf,  mit  den  Worten:  „Sie  werden 
auch  jetzt  mit  dem  Essen  keine  Zeit  verlieren  wollen",  und  so  wurde  er 
halbverhungert  über  die  Grenze  gebracht.  Ich  benutzte  die  vielen  freien 
Stunden,  um  fast  alle  Obgenannten  für  mein  Album  zu  zeichnen. 

Das  mehrwöchentliche  Zusammenleben  mit  Liszt,  auf  so  engem  Räume, 
brachte  uns  einander  näher,  als  wenn  wir  jahrelang  in  einer  grossen  Stadt 
nebeneinander  existirt  hätten.  Er  wohnte  damals  in  Weimar,  ein  intimer 
Freund  des  jungen  Grossherzogs,  der  für  sein  Hanptstädtehen  eine  erneute 
Glanzperiode  und  in  der  Intimität  mit  Liszt  eine  Wiederholung  des  Ver- 
hältnisses Carl  August  s  zu  Goethe  träumte.  Wohl  einsehend,  dass  das  in 
der  Litteratur  nicht  möglich,  versuchte  er  seine  Absicht  durch  Förderung 
von  Musik  und  Malerei  zu  erreichen. 

Wie  bei  Goethe  s  Fall,  setzte  man  sich  bei  Liszt  über  die  Formen, 
die  die  bürgerliche  Gesellschaft  regeln,  hinweg,  und  Liszt  wurde  mit  der 
Prinzessin  in  der  Altenburg,  einem  Schlösschen  in  nächster  Nähe  Weimar  s, 
installirt.  Dorthin  lud  er  mich  ein,  um  von  Hamburg  aus,  1850,  den  Fest- 
lichkeiten beizuwohnen,  mit  denen  die  Enthüllung  der  Rietschelschen 
Doppelgruppe  des  Goethe-  und  Schillerschen  Monuments  gefeiert  werden 
sollte.  Hof-Galadiners,  Hof-Gala-Theateraufführungcn,  Ausflüge  nach  der 
Wartburg  u.  s.  w.  füllten  die  Festtage.  Die  kleine  Stadt  war  voll  von  Gästen, 
und  alles  in  gehobener  Stimmung.  Der  G  rossherzog,  den  ich,  als  Erbprinz, 
in  Koni  für  mein  Album  gezeichnet  hatte,  erinnerte  sich,  wie  er.  im  offenen 
Wagen  von  einem  tropischen  Platzregen  überrascht,  so  durchnässt  zur 
Sitzung  zu  mir  kam,  dass  ich  ihm  trockene  Kleider  leihen  musste,  bevor 
ich  ihn  zu  zeichnen  anfangen  konnte. 

Die  verwittwete  russische  Grossfürstin  lud  mich  mit  dem  alten  Fürsten 
Pückler-Muskau  zur  Tafel  um  1  Uhr.  Obgleich  stocktaub  und  kaum  hörbar 
leise  redend,  war  sie  augenscheinlich  bemüht,  uns  zu  unterhalten,  indem 
sie  allerlei  interessante  Goethe -Reliquien  herbeibringen  liess.  Das  Diner 
war  einfach  und  mein  verwöhnter  Begleiter  hörte  nicht  auf.  während  der 
Rückfahrt  sich  über  die  ..Piquette"  zu  beklagen,  die  man  ihm  als  Wein 
vorgesetzt. 

Während  dieser  Tage  war  ich  Liszts  und  der  Fürstin  Gast  auf  der 
Altenburg,  wo  von  früh  bis  spät  ihm  Weihrauch  gestreut  wurde.  rCher. 
bon,  grand",  war  die  gewöhnliche  Anrede.  Dass  diese  tägliche  und  stünd- 
liche Adulation  ihm  nicht  gänzlich  den  Kopf  verdrehte,  ist  ein  Wunder  und 
spricht  sehr  zu  seinen  Gunsten. 

Nachdem  ich  den  alten  Eckermann  und  den  jungen  Joachim,  damals 
Direktor  des  Orchesters,  für  mein  Album  gezeichnet,  verliess  ich  Weimar 
und  sah  Liszt  und  die  Fürstin  erst  in  Rom  wieder,  wo  ich  mich  mit  meiner 


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Aus  den  Erinnerungen  eines  Künstlers. 


210 


jungen  Frau  im  Jahre  1861  von  Neuem  niederliess.  Die  ungewöhnliche 
musikalische  Begabung  meiner- Frau  war  der  Mahnet,  der  Liszt  häufig-  in 
unsere  bescheidene  Wohnung  zog,  in  der  er  manchen  gemUthlichen  Abend, 
abwechselnd  Musik  spielend  und  hörend,  zubrachte.  So.  in  der  Intimität, 
konnte  er,  wie  schon  erwähnt,  von  hinreissender  Liebenswürdigkeit  sein. 
Das  Bewusstscin  eines  Publikums  aber,  selbst  eine  Katze,  die  das  Zimmer 
durchschnitt,  konnte  ihn  steif,  bewusst,  förmlich  machen.  Der  „charme" 
war  verschwunden.  Unser  römischer  Diener,  der  mit  der.  dieser  trefflichen 
Klasse  in  Italien  eigenen  Vertraulichkeit,  unsern  Freunden  Beinamen  zu  geben 
pflegte,  hatte  Liszt  wegen  der  feierlichen  Förmlichkeit,  mit  der  er  einzutreten 
pflegte,  den  Namen  „l'Inamidato"  (der  mit  Stärkemehl  (iesteifte)  beigelegt. 

Die  Fürstin  Witgenstein  lebte  in  einer  bescheidenen  zweiten  Etage 
in  der  Via  del  Baboino.  Der  russische  Kaiser  hatte,  wohl  zum  Theil  auch 
um  sie  zur  Rückkehr  zu  ihrem  Mann  zu  bewegen,  die  Konfiseimng  ihres 
kolossalen  Vermögens  zu  Gunsten  ihrer  Tochter  befohlen,  mit  dem  Bedeuten 
ihr  eine  Pension  auszuzahlen,  die  anzunehmen  ihr  Stolz  sie  verhinderte. 
Das  Geld  häufte  sich  in  der  Bank,  während  sie  Bücher  zur  Vertheidigung 
des  katholischen  Glaubens  schrieb,  dessen  fanatische  Bekennerin  sie  war. 
die  aber  nicht  in  den  Handel  zu  kommen  bestimmt  waren.  Sie  sprach 
geläufig  französisch,  mit  polnischem  Aecent  und  mit  lauter,  scharfer  Stimme. 

Eine  Ehescheidung  zu  erlangen,  um  Liszt  heirathen  zu  können,  schien 
der  Zweck  ihres  Aufenthalts  in  Rom.  Dies  war  für  sie  mit  besonderen 
»Schwierigkeiten  verknüpft,  da  die  katholische  Religion,  die  Ehe  als  Sakrament 
betrachtend,  nur  zwei  Ausnahmen  von  dem  absoluten  Verbot  einer  Ehe- 
scheidung kennt.  Auf  die  eine:  „dass  die  Ehe  thatsäehlieh  nicht  vollzogen 
worden",  musste,  da  derselben  ein  Kind  entsprossen  war,  von  vorn  herein 
verzichtet  werden.  Aber  die  andere:  „Dass  die  Fürstin  gegen  ihren  Willen 
zur  Heirath  gezwungen  worden",  wurde  mit  Erfolg  geltend  gemacht.  Die 
Ehe  wurde  aus  diesem  Grande  von  Pius  IX.  für  geschieden  erklärt,  und 
nur  eine  Bedingung  an  die  Wiedcrvcrheirathung  geknüpft:  „dass  dieselbe 
nicht  in  Rom  stattfinden  sollte''. 

Zur  allgemeinen  Verwunderung  erklärte  nun  Liszt,  dass  er  nicht 
ausserhalb  Roms  heirathen  wolle,  und  eines  schönen  Morgens  wurde  die 
römische  Gesellschaft  durch  die  Nachricht  überrascht,  dass  Liszt  in  den 
l*riest  erstand  getreten  sei.  Bei  Monsignor  (nachmals  Cardinal)  Hohenlohe, 
dem  Bruder  des  Schwiegersohns  der  Fürstin,  trat  er  im  Vatikan  sein  Noviziat 
an.  Vorher  aber  hatte  er  versprochen,  zum  Abschied  in  einer  der  all- 
wöchentlichen brillanten  Soireen  des  bekannten  amerikanischen  Bildhauers 
Story  im  Palazzo  'Harberini  sich  noch  einmal  auf  dem  Klavier  hören  zu 
lassen.  Erst  nach  dreimaligen  vergeblichen  Versuchen  Hess  die  Fürstin 
sich  bewegen,  den  Flügel  herzuleihen,  auf  dem  allein  er  spielen  zu  können 
behauptete.  Nachdem  er  in  gewohnter  Weise  sein  Auditorium  entzückt, 
verschwand  er  auf  mehrere  Wochen. 

Biographische  Blauer.  I.  14 

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211 


Biographische  Blätter. 


Man  zerbrach  sich  die  Köpfe,  die  Gründe  für  die  anscheinend  so 
plötzliche  Sinneswandelung  zu  finden.  Es  boten  sich  deren  zwei.  Der  eine 
war,  dass  er  nie  wirklich  die  Absicht  gehabt,  sich  durch  die  Khe  für  immer 
an  die  höchst  geistreiche,  aber  äusserlich  wenig  anziehende  Frau  zu  fesseln, 
und  dass  er  durch  die  schliesslich  erreichte  kirchliche  Ehescheidung  peinlich 
überrascht  worden;  der  andere  war,  dass  möglicherweise  der  Schwiegersohn 
der  Fürstin,  der  später  am  österreichischen  Hofe  eine  der  höchsten  Chargen 
bekleidete,  die  Aussicht,  Liszt  zum  Schwiegervater  zu  haben,  nicht  freudig 
begrüsste,  und  die  hohe  Stellung  seines  Bruders  am  päpstlichen  Hofe  be- 
nutzt habe,  um  durch  seinen  Einfluss  den  Plan  zu  hintertreiben.  Wie  mir 
Liszt  selbst  mitgetheilt,  war  man  zu  einer  Zeit  in  Wien  bemüht,  sein 
Anrecht  auf  einen  Adelstitel  festzustellen.  Wie  dem  auch  sei,  nach  einigen 
Wochen  „Ritiro's"  erschien  Liszt  als  Abbe,  in  langem  Priesterrock  mit 
unzähligen  Knöpfen,  der  ihn  sehr  wohl  kleidete,  und  nahm  seine  frühere 
Lebensweise  wieder  auf. 

Nicht  lange  nachher  zog  er  sich  zeitweise  in  das  Kloster  Santa 
Francesca  Romana  im  Forum  zurück.  Ich  besuchte  ihn  und  fand  ihn  in 
einer  Zelle,  leidend,  im  Bette.  Er  sprach  erbittert  über  den  Undank  der 
Welt,  die  ihn  als  Virtuosen  auf  den  Händen  getragen,  aber  seinen  Leistungen 
als  Komponist  keine  Art  von  Anerkennung  zollen  wolle,  als  ob  er  sich 
etwas  anmaasse,  wozu  er  kein  Kocht  habe. 

Ich  sah  die  Fürstin  wieder  in  Rom,  als  ich  dort  mit  meiner  Familie 
den  Winter  1882—83  zubrachte.  Sie  war  noch  in  ihrer  alten  Wohnung, 
sie  selbst,  ihre  Möbel  und  Umgebung,  sichtlich  gealtert  und  verkommen. 
Sie  klagte,  dass  sie  am  römischen  Fieber  litte;  man  wurde  erst  vorgelassen, 
nachdem  man  an  einem  eisernen  Ofen  im  Vorzimmer  durchgewärmt  worden, 
aber  ihre  Unterhaltung  war  so  frisch  und  lebendig  wie  immer.  Liszt  war 
nicht  in  Rom,  ihn  sah  ich  zuletzt  in  London  im  Jahre  1887. 

Sein  Schüler  Walther  Bache,  der  mit  rührend  dankbarer  Treue,  aber 
mit  zweifelhaftem  Erfolg  alljährlich  seine  Ersparnisse  durch  Klavierunterricht 
zu  einem  Konzerte  zur  Verbreitung  von  Liszt's  Kompositionen  verwendete, 
hatte  eine  grosse  Rezeption  zu  Ehren  seines  Meisters  in  der  Grosvenor- 
Gallerie  veranstaltet.  Liszt  erkannte  mich  nicht,  bis  ich  mich  nannte. 
„Je  n'y  vois  plus!"  sagte  der  Halberblindete  und  verlangte  zu  meiner  Frau 
geführt  zu  werden.  Kr  ward  sehr  gefeiert.  In  dem  Konzerte,  ausschliess- 
lich von  Werken  seiner  Komposition,  sang  meine  Tochter  Liza  sein  Lied 
die  ..Loreley"  und  hatte  die  Ehre,  dafür  von  ihm  geküsst  zu  werden. 
Bei  einem  Festessen,  das  der  deutsche  Klub  „Athenäum"  in  London  ihm  zu 
Einen  veranstaltete,  sprach  er  beredt  und  messend,  entzückte  uns  auch 
später  durch  sein  Spiel,  zu  dem  niemand  ihn  aufzufordern  gewagt  hatte. 
Er  starb  in  demselben  Jahre. 


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Aus  den  Erinnerungen  eines  Künstlers.  212 


Sir  William  Siemens. 

Ich  habe  Sir  William  (früher  Mr.)  Siemens  zweimal  gemalt.  Auf  dem 
eisten  Bilde  (1869)  ist  auf  seinen  Wunsch  ein  Modell  seiner  damals  neuen 
Krlindung  angebracht:  „direkt  aus  dem  Eisenerz  Stahl  zu  gewinnen".  Auf 
dem  zweiten  Bilde  (1881)  ist  er  mit  einem  Zirkel  in  der  Hand  sitzend  dar- 
gestellt, beschäftigt,  einen  Plan  auf  dem  Tisch  vor  ihm  auszuarbeiten.  — 

Seine  Eltern,  die  auf  dem  gepachteten  Gut  Menzendorf  bei  Katzeburg 
in  engen  Verhältnissen  lebten,  müssen  beide  treffliche,  ausgezeichnete 
Menschen  gewesen  sein,  denn  fast  alle  ihre  zahlreichen  Söhne  haben  es  auf 
eine  oder  die  andere  Weise,  meistens  als  Erfinder  und  Elektriker  zu  hohen 
Ehren  und  Reichthum  gebracht.  Nach  dem  rasch  aufeinander  erfolgten 
Tode  der  Eltern  vertrat  der  älteste  Sohn  Werner  mit  musterhafter  Pflicht- 
treue und  Aufopferung  ihre  Stelle  bei  seinen  jüngeren  Geschwistern.  Mit 
besonderer  Vorliebe  nahm  er  sich  seines  Bruders  Wilhelm  an,  in  dem  er 
früh  die  Keime  der  grossen  Fähigkeiten  entdeckte,  denen  derselbe  später  in 
England  seine  hohe  Stellung  in  der  wissenschaftlichen  Welt  verdankte. 

Wie  mir  Sir  William  während  der  Sitzungen  erzählte,  hatte  Werner, 
damals  in  militärischen  Diensten,  ihn  erst  zu  sich  genommen  und  selbst 
fleissig  in  der  Mathematik  unterrichtet,  bevor  er  ihn  in  der  Stolberg'schen 
Maschinenfabrik  in  Magdeburg  in  die  Lehre  gegeben*).  Von  dort  machte 
der  junge  Wilhelm  sich  etwa  siebzehnjährig  aus  dem  Staube,  in  der  Hoffnung, 
einige  seiner  Erfindungen  in  Hamburg  und  in  England  zu  verwerthen.  Das 
Solingen  des  Ersteren  gab  ihm  die  Mittel  zur  grösseren  Reise  nach  London. 
Dort  angekommen  und  in  einem  Hotel  dritten  Ranges  in  Leiccster  Square 
abgestiegen,  machte  er  sich  alsbald  auf  den  Weg,  um  sich  in  der  Riesenstadt 
einigermaasscn  zu  orientiren.  Im  nahen  „Strand",  dieser  lärmendsten,  immer 
überfüllten  Strasse,  begann  er  seine  Studien.  Absolut  fremd,  der  Sprache 
nur  sehr  unvollkommen  mächtig,  fing  er  an,  als  erste  Lektion  die  Schilder 
mit  den  Namen  der  Kaufläden  zu  studieren.  Bald  frappirte  ihn  eines,  welches 
in  grossen,  schwarzen  Buchstaben  das  Wort  „Undertaker"  (zu  Deutsch: 
-Unternehmer")  trug,  und  er  ist  zu  entschuldigen,  wenn  er  den  Laden  in 
der  Idee  betrat,  dass  der  Inhaber  seine  Erfindung  zu  verwerthen  „unternehmen" 
konnte.  Er  fand  einen  älteren  Herrn  im  Begriff  einen  Sarg  zu  bestellen, 
und  versuchte,  ihn  unterbrechend,  sein  Anliegen  in  gebrochenem  Englisch 
vorzubringen,  natürlich  ohne  allen  Erfolg.  Der  „Undertaker"  verstand  ihn 
nicht.  Endlich  erbarmte  sich  seiner  der  alte  Herr,  der  ihm  lächelnd  zu- 
gehört, indem  er  ihn  auf  Deutsch  nach  seinem  Anliegen  fragte.  Er  erklärte 
ilim  dann,  dass  dieser  Laden  nur  „ Begräbnisse"  unternehme,  und  mit 

*>  Seit  diese  Zeilen  gps<*h rieben  worden,  sind  mir  Werner  von  Siemens'  Lebens- 
erinnerungen zu  Besicht  gekommen,  in  denen  die  von  mir  erzählten  Vorglinge  in  London 
und  Birmingham  sich  nicht  befinden.  Mein  Berieht  giebt  aber  treu  Sir  Williams  eigene 
Worte  wieder  und  mag  somit  als  Ergänzung  jener  höchst  interessanten  Autobiographie 
dienen. 

14* 

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213 


Biographische  Blatter. 


„Elektroplasting"  höchstens  etwas  zu  thun  habe,  in  der  Form  von  Schildein 
mit  den  Namen  des  Verstorbenen;  „Elkingtons  in  Birmingham"  fügte  er 
hinzu  „sind  die  Leute,  an  die  Sie  sich  mit  Ihrer  Erfindung  zu  wenden  haben, 
Sie  haben  noch  Zeit,  den  Nachtzug  dorthin  zu  erreichen".  Nachdem  unser 
energischer  junger  Freund  ihm  seinen  wärmsten  Dank  ausgesprochen,  sein 
Geld  gezählt  und  es  hinreichend  befunden  hatte,  holte  er  sein  nicht  volu- 
minöses Gepäck  und  machte  sich  stracks  auf  den  Weg  zur  Eisenbahn  nach 
Birmingham,  das  er  früh  am  nächsten  Morgen  erreichte.  In  der  Elking- 
ton'schen,  der  damaligen  grössten  elcktroplastischen  Fabrik  der  Welt,  wo  er 
sich  alsbald  meldete,  ward  er  von  dem  Geschäftsführer  mit  zu  erwartender 
Kühle  empfangen.  „Täglich",  so  hiess  es,  „werden  uns  sogenannte  neue 
Erfindungen  augeboten,  die  sich  meistens  als  werthlos  erweisen,  auch  haben 
wir  ein  Patent,  das  uns  das  ausschliessliche  Recht  sichert,  elektrische  Ströme, 
die  durch  galvanische  Batterion  oder  durch  Induktion  erzeugt  sind,  zu  Gold- 
und  Silberniederschlägen  zu  verwenden."  „Da  wir  dazu  thermo-elektrisehe 
Ströme  benutzen",  erwiderte  Wilhelm  unbeirrt,  „Verstössen  wir  nicht  gegen 
Ihr  Patent."  Der  Mann  stutzte,  fuhr  aber  fort:  „Erst  vor  wenig  Tagen 
haben  wir  uns  zu  unserm  Bedauern  verleiten  lassen,  eine  Erfindung  zu 
kaufen,  die  sich  als  ganz  unbrauchbar  erwiesen  hat."  Worauf  der  junge 
Siemens  sagte:  „Darf  ich  fragen,  welchen  Preis  Sie  dafür  bezahlt  haben?", 
und  als  man  ihni  denselben  genannt,  rief  er  aus:  „Was  können  Sie  für  eine 
so  lumpige  Summe  erwarten?"  Als  er  auf  die  Frage,  was  er  denn  für  sein 
Patent  verlange,  1500  Pfund  St.  nannte,  rief  der  sichtlich  überraschte: 
„Eine  solche  Summe  für  ein  Patent,  das  nicht  einmal  erprobt  worden!?", 
worauf  Wilhelm  um  die  Erlaubniss  bat,  ihm  am  nächsten  Tage  Proben  vor- 
zulegen, und  sich  empfahl.  In  seinem  Hotel  angelangt,  machte  er  sich  in 
seiner  Dachstube  ans  Werk  und  vergoldete  seinen  ganzen  Waschapparat, 
Becken,  Kanne  und  was  sonst  zur  Toilette  gehört,  und  präsent irte  die 
Resultate  seiner  Arbeit  pünktlich  am  folgenden  Tage  zur  verabredeten  Stunde. 
Der  Werth  der  Erfindung  bestand  hauptsächlich  darin,  dass  sie  das  bisher 
nothwendige,  nachträgliche  Poliren  der  unebenen  vergoldeten  oder  versilberten 
Flächen  unnöthig  machte  und  somit  eine  grosse  Zeit-  und  Geld-Erspamiss 
erzielte.  Man  zahlte  ihm  den  verlangten  Preis  für  sein  Patent.  Es  war 
der  Anfang  einer  glänzenden  Carriere,  deren  Resultate  dem  Erfinder  wie 
der  Welt  zu  Gute  gekommen  sind. 


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Aus  dem  Reisejournal  einen  sächsischen  Geistlichen. 


214 


Aus  dem  Reisejournal  eines  sächsischen  Geistlichen. 

Mitgetheilt  von 
ERICH  SCHMIDT.*) 

1.   Bei  Salonion  Gessner. 

Züreh,  8.  August  1786.  Im  Gessnerischen  Hause  war  alles  schon  aufs 
Land  in  den  Sihlwald  gezogen,  daher  logire  ich  im  Gasthof  zum  Schwert,  der  die 
romantischste  Lage  von  der  Welt  hat.  Er  steht  nämlich  an  der  Limmat,  welche 
einige  hundert  Schritte  weiter  oben  aus  dem  Ziirchersee  heraus  kommt.  Aus  den 
Fenstern  des  Hauses  hat  man  die  frappanteste  Aussicht,  die  den  höchsten  Reiz  der 
Schönheit  dadurch  erhält,  dass  man  über  die  mit  Weinbergen  und  schönen  Dörfern 
bedeckten  Ufer  hin  am  Horizont  die  glänzende  Reihe  der  Glarner  Schneeberge 
erblicket,  welches  zusammen  ein  unnachahmliches  Gemälde  ausmachet. 

Sihlwald,  d.  9.  Nachts.  Romantischer  lässt  sich  nichts  denken  als  der 
Aufenthalt  in  dieser  angenehmen  Eremitage  mit  einer  Familie  wie  die  Gessnerische, 
mit  der  ich  heute  den  Tag  zugebracht.  Ich  ging  den  Weg  hierher  in  vier 
Stunden,  ganz  frühe  am  rechten  Ufer  des  Sees  hinauf  durch  lauter  Weinberge 
und  Gärten  bis  Thalweil,  so  dass  diese  ganze  Strecke  nur  ein  einziges  schön  ge- 
bautes Dorf  auszumachen  schien.  Nie  habe  ich  einen  so  schönen  Spaziergang 
gemacht  :  man  denke  sich  linker  Hand  den  stillen  See,  dessen  Wasser  so  rein  und 
helle  war.  dass  man  die  Fische  konnte  spielen  sehen,  mit  dem  jenseitigen,  nicht 
minder  schönen  in  eine  flache  Landschaft  auslaufenden  Ufer,  dahingegen  das  dies- 
seitige sich  sogleich  zu  Rebhügeln  erhellt,  hinter  welchen  das  lange  Sihlthal  hin- 
weg geht  und  die  Scene  mit  einer  hohen  Reihe  malerischer  Berge  schliesst.  Bis 
Thalweil  gings  immer  flach  weg  hart  am  Ufer  des  Sees.  Auf  einmal  rauss  man 
sich  rechts  den  Berg  hinan  in  einen  Wald  schlagen,  der  von  so  vielen  Fusswegen 
durchkreuzet  ist,  das  man  sich  nothwendig  eines  Wegweisers  bedienen  muss,  wenn 
man  nicht  lange  darinnen  herum  irren  will.  Mau  steigt  eine  gut«  halbe  Stunde 
immer  bergan,  und  eben  so  lange  äusserst  steil  wieder  hinab,  dass  man  meint  zu 
den  unterirdischen  Göttern  zu  kommen,  so  furchtbar  wild  wird  der  Auftritt, 
besonders  durch  das  hell  tönende  Rauschen  der  ganz  unten  fliessenden  Sihl.  Ver- 
schiedene uns  begegnende  Bauern,  welche  unter  Vergiessung  vieles  Schweisses 
auf  dem  Buckel  das  Holz  den  Berg  hinauf  schleppten,  versicherten,  dass  sie 
wenigstens  etliche  und  vierzigmal  ruhen  miissten.  Als  ich  hinab  und  über  die 
hohe  Brücke  kam,  stand  jenseits  ein  einzelnes  ganz  simples  Haus,  das  einer  Ein- 
siedelei nicht  unähnlich  sah,  und  dies  war  die  Wohnung  des  Idyllendichters,  der 
sich  eben  deswegen  die  Sihlherrnstelle,  welche  mit  der  Oberaufsicht  über  den 
Wald  und  das  Flössholz  zu  thun  hat.  von  dem  Magistrat  ausgebeten,  um  hier 

*)  Aus  dem  stattlichen  Quartanten,  dem  mein  Urgrossvater  Christian  Gottlieb  Schmidt 
zuletzt  Superintendent  in  Weissen fels.  auf  seiner  Bildungsreise  jeden  Abend  treufleissig  die 
Kindrücke  des  Tages  anvertraut  hat,  habe  ich  schon  vor  zwanzig  Jahren  die  Schilderung 
La vaters  veröffentlicht.  Ein  reines  naturfreudiges  Behagen,  wie  es  dem  Kreise  des  Idyllen- 
dichters ziemt,  athmen  die  harmlosen  Blätter  über  Salomon  Gessner;  zahlreiche  saubere 
Radirungen  von  seiner  Hand  illustriren  den  Hericht  über  die  von  dem  jungen  Sachsen,  mit 
einer  unverkennbaren  Scheu  vor  den  Hochalpen,  durchstreiften  Landschaften.  Spater  nimmt 
er  als  kühler  Rationalist,  nicht  ohne  Sehalkheit.  den  grossen  Schwindler  Cagliostro  aufs 
Korn,  in  demselben  Jahre,  da  Goethe  die  Familie  Ralsnmo  besuchte  und  zuerst  an  den 
-Grosskophta"  ging,  und  prüfte  mit  Zweifeln,  denen  erst  die  heutige  Wissenschaft  begegnen 
kann,  unterwegs  das  Modetreiben  des  Magnetismus.  Ein  Portrait  Cagliostros  liegt  bei: 
Brustbild,  das  Jabot  am  offenen  Hals  über  die  Relzvorhrämung  zurückgeschlagen,  die  Lippen 
wollüstig  geschürzt,  die  Augen  schwimmend  und  verhimmelt. 


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215 


Biographische  Blatter. 


alle  Jahre  einige  Monate  mit  seiner  Familie  und  seinen  Freunden  in  stillen  länd- 
lichen Freuden  zu  durchleben  und  seinem  einzigen  Lieblingsvergnügen,  dem  Malen 
schöner  Naturseenen,  nachzuhängen.  Diese  liebe  Familie,  die  schon  durch  ihren 
Sohn,  meinen  Freund,  in  Briefen  von  mir  unterrichtet  war,  nahm  mich  mit  einer 
Herzlichkeit  auf,  die  mich  an  die  patriarchalischen  Zeiten  erinnerte.  Man  sagte 
mir  mit  liebenswürdiger  Offenheit,  wie  zu  Hause  zu  thun  und  in  allem  nach 
meinem  Gefallen  zu  handeln.  Der  alte  Gessuer  ist  ein  55 jähriger  kleiner  massig 
starker  Mann  mit  einem  freundlichen  Gesicht  und  hellen  durchdringenden  Augen. 
Sein  Haupt  ist  mehr  als  zur  Hälfte  von  Haaren  entblösst  und  die  übrigen  sind 
kraus;  in  welcher  Gestalt  er  sieh  gewöhnlich  malen  lässt,  da  er  sonst  eine  Perücke 
trägt.  Ohnerachtet  er  äusserlich  kraftlos  seheint,  so  ist  ers  doch  nicht,  indem  er 
noch  Tage  lang  mit  bergauf  bergab  steiget,  nur  sein  Geist  hat  zwar  nicht  mehr 
das  alles  um  sich  her  erhitzende  jugendliche  Feuer,  aber  doch  die  belebende  Wärme 
und  Munterkeit  der  ruhigen  gesetztem  .lahre.  Er  sehei-zt  gern,  und  in  seinem 
"Witz  sieht  man  immer  noch  den  Dichter.  Nie  ist  er  vergnügter  als  wenn  er  mit 
den  Seinen  diesen  ländlichen  Sitz  beziehen  kann.  Er  macht  alsdann  alle  jugend- 
liche Spiele  des  Kegelns.  Scbeibenschiessens  u.  s.  w.  unter  lustigen  Gesprächen 
mit.  Tm  Winter  soll  ihn  manchmal  eine  hypochondrische  Laune  anwandeln.  Die 
Frau  Gessuer  (denn  hier  sagt  man  nicht  Madame  oder  Mademoiselle,  sondern  auch 
bei  den  Vornehmsten  „Frau",  „Jungfer"),  die  sich  dem  fünfzigsten  .fahre  zu 
nähern  scheint,  ist  eine  eben  so  gefällige  als  beliebte  Wirthin,  eine  Mutter,  die 
sich  um  das  Wohl  ihrer  Kinder  angelegentlich  bekümmert,  eine  Gattin,  die  ihres 
Mannes  Wünsche  zu  erfüllen  sucht,  wenn  sie  auch  nur  erst  auf  seinem  Gesiebt 
zu  lesen  sind.  Ihre  Gespräche  verrathen  einen  ausgebildeten  Verstand  und  viel 
Herzensgüte.  Wäre  es  bei  solchen  Eltern  anders  möglich  als  das*  Jungfer  G.. 
von  etwa  zwanzig  Jahren,  sich  zu  einem  verständigen,  artigen,  unschuldsvollen 
Mädgen  gebildet  habe?  Sie  spricht  wenig  aber  gut,  und  sucht  überhaupt  mehr 
durch  innere  Vorzüge  sich  einen  Werth  zu  verschaffen,  als  sie  Ansprüche  auf 
äussere  zu  machen  scheint;  ob  mau  gleich  nicht  sagen  kann,  dass  sie  zu  den 
ungestalten  gehöre,  da  sie  proporzionirt  gebildet  ist.  Mich  wunderte,  dass  in 
einem  solchen  geschmackvollen  Hause  keine  Musik  gangbar  war,  allein  der  Alte 
versicherte  mir,  er  habe  bei  seinen  Kindern  kein  Talent  dazu  verspüret,  und  wo 
nichts  drinnen  sei,  könne  man  nichts  ausbilden.  Ausser  dem  Sohn,  der  in  Dresden 
die  Malerei  studiret  hat  und  nun  nach  einer  dreijährigen  Abwesenheit  in  dem 
Schoos«  seiner  Eltern  sich  wohl  sein  lässt,  ist  noch  ein  jüngerer  da.  welcher  jetzt 
studiret,  um  alsdann  den  Buchhandel  fortzusetzen,  den  die  Gessnerische  Familie 
mit  Gesang-  und  Gebetbüchern  und  mit  der  Bibel  ausschliessend  in  dem  ('antun 
Zürch  treibt.  In  der  Orellischen  Buchhandlung,  welche  aber  alles  bei  Gessuer 
muss  drucken  lassen,  ist  G.  nebst  noch  einigen  andern  nur  assoziirt.  Ausser 
diesen  fünf  Personen  und  mir  sind  noch  ein  Ingenieur  Feer  aus  Zürch,  der 
vor  eiuigen  Jahren  in  Dresden  Mathematik  studirte.  und  die  beiden  Dresdener 
Maler  Graff  und  Zink,  geborene  Schweizer,  der  eine  aus  Winterthur,  der 
andere  aus  St.  Gallen,  hier  zum  Besuch,  welche  ganze  vergnügte  Gesell- 
schaft den  Tag  unter  mancherlei  Gesprächen,  Zeitvertreiben  und  Spazier- 
gängen in  dem  einsamen,  schmalen,  hinten  und  vorn  mit  hohen  waldigen  Bergen 
eingeschlossenen  Thale  zubrachte.  Ober  eine  halbe  Stunde  hat  man.  ehe  man  von 
diesem  einsamen  Forsthause  zu  Menschen  gelangen  kann;  ein  einziger  Mann  mit 
seiner  Familie,  der  Mannwart,  ein  unterer  Forstbedienter,  wohnt  zunächst,  an 
G essners  an. 

Den  Ilten.   Da  seit  einigen  Tagen  das  herrlichste  Wetter  ist,  das  man  sich 
nur  denken  kann,  so  ward  auf  gestern  eine  Mergreise  veranstaltet.    Früh  um  7 


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Aus  dem  Reisejournal  eines  sächsischen  Geistlichen. 


216 


setzte  sich  der  Zug  in  Bewegung  und  so  gings  -zwei  Stunden  unaufhörlich  so 
benran.  als  wenn  man  ein  schräges  Dach  hinan  stiege,  durch  den  schatteten  Wald 
nacli  dem  Attlisberg  und  auf  dem  Kücken  desselben  fort  auf  deu  noch  ungleich 
reizenderen  Birkeli.  Unsere  Mühe  ward  auch  reichlich  belohnet.  Himmel!  welche 
Aussicht!  Nie  verpes.se  ich  das  Bild  der  herrlichen  Landschaft,  die  vor  uns 
lasr  .  .  .  G essner  behauptete  selbst,  dass  er  keinen  schöneren  Standpunkt  in  der 
Schweiz  wisse,  da  hier  das  Fürchterliche,  Rauhe  mit  dem  Kultivirten,  Gefälligen 
vereint  zu  finden  sei.  Wir  lagerten  uns  alsdann  an  einem  bequemen  Orte  unter 
schattete  Bäume,  um  mit  dem  vorausgeschickten  Transport  an  Braten,  Brot.  Käse 
und  Wein  unsere  hungrigen  Mägen  zu  befriedigen  und  die  erschlafften  Kräfte  zu 
stärken.  Das  pociilum  hilaritatis  ging,  wie  fast  immer  in  der  Schweiz,  tüchtig 
herum  und  gesellige  laute  Freude  heri*schte  allgemein;  selbst  der  alte  G cssner 
schämte  sich  nicht  mit  jungen  Leuten  einen  jugendlichen  Kälbersprung  zu  machen, 
und  eben  dies  war  mir  etwas  Karakteristisches  an  ihm.  Die  Frau  G.  sang  ohne 
viele  Kunst  mit  natürlicher  Anmuth  die  kleine  gefällige  Arie  vom  ersehossnen 
Hänfling  „Ach,  Schwester,  die  du  sicher  dich  auf  den  Ästen  wiegst-',  die  ich,  da 
sie  mir  bekannt  war.  mitsingen  konnte.  Ich  rezitirte  hierauf  dem  alten  CI.  den 
Gesang  „Wie  schön,  o  Gott,  ist  deine  Welt  gemacht,  wenn  sie  dein  Licht  umfliesst. 
ihr  fehlt's  an  Engeln  nur  und  nicht  an  Pracht,  dass  sie  kein  Himmel  ist",  welchen 
er  ausserordentlich  schön  fand,  so  dass  ich  ihn  singend  wiederholen  musste  .  .  . 
Wir  kamen  endlich  ganz  ermüdet  nach  Sonnenuntergang  nach  Hause.  Heute  ist 
viel  über  den  Plan  meiner  Reise  durch  die  obere  Schweiz  gesprochen  worden. 

Ich  bin  heute  den  1*2.  ganz  frühe  aus  dem  Sihlwald  wieder  herein  nach 
Zürch  gegangen  .  .  .  Nichts  als  enge  und  holprige  Gassen,  die  von  den  hass- 
lichsten antiken  Häusern  veranstaltet  sind,  stossen  einem  auf.  und  nur  wenige  vor 
Kni-zem  erbaute  einiger  Kaufleute,  ein  paar  Zunfthäuser,  das  Rathhaus  und  Waisen- 
haus machen  hiervon  eine  vorteilhafte  Ausnahme.  Man  scheint  durchaus  allen 
äussern  Glanz  vermeiden  zu  wollen,  um  desto  mehr  innerlich  zu  gläuzen.  Statt 
der  Tapeten  finde  ich  in  allen  Häusern,  wo  ich  noch  gewesen,  gehöhnte  Bretter- 
wände, sogar  gehöhnte  Decken,  und  alle  Meuhles.  besonders  die  zahlreichen 
Schränke  glänzen  von  Spiegelglätte.  In  Aufputzung  der  Küche  mit.  recht  blankem 
Geräthe  sucht  man  einen  vorzüglichen  Staat,  fast  ebenso  wie  in  dem  steifen  und 
ehi-enfesten  Nürnberg.  .  .  .  Unter  den  Leuten  hier  finde  ich  viel  geraden  offenen 
Sinn,  wenig  Komplimente  und  eine  Art  von  Traulichkeit,  die  mir  sehr  gefallen 
hat.  Man  spricht  erstaunlich  fehlerhaft  deutsch,  und  selbst  das  Gessnerische 
Haus  spricht  nicht  rein,  so  dass  ich  oft  habe  zweimal  fragen  müssen.  Die  Sprache 
der  Landleute  klingt  fast  ganz  fremd.  — 

2.   Cagliostro.  Mesmerismus. 

Basel,  Dezember  1786.  An  Herrn  Jakob  Sarasin  war  ich  von  Lavater 
und  Breitinger  mit  Rekommandazionen  versehen.  Dieser  reiche  und  gelehrte 
Banquier,  der  eines  der  geschmackvollsten  Häuser  bewohnet,  nahm  mich  so  auf, 
wie  man  es  erwarten  kann,  wenn  man  von  einem  Lavater  empfohlen  ist.  Das 
Oritrinellste  an  ihm  ist  seine  Anhänglichkeit  an  den  berühmten  Wundermann 
Cagliostro,  und  zwar  bloss  aus  schwärmerischem  Dankgefühl  für  die  Wieder- 
herstellung seiner  Frau,  welche  an  den  schrecklichsten  Nervenzufällen  mehrere 
.lahre  gelitten,  ohne  dass  ihr  ein  Arzt,  als  »Midlich  C.  hätte  helfen  können.  Kr 
zeigte  mir  die  schöne  zu  Paris  gearbeitete  Büste  dieses  Äskulaps,  die  er  in  einem 
besonderen  Kabinett  als  in  einem  Tempel  aufVestellet  hat.  Ich  habe  lange  Zeit 
keinen  frappanteren  ausdrucksvolleren  Kopf  als  diesen  gesehen;  schon  der  Uinriss 
und  Knochenbau  in  der  todten  Büste  kündigen  einen  ausserordentlichen  Mann  an, 


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217 


Biographische  Blätter. 


und  die  Portrait*,  die  man  mir  von  ihm  zeigte,  sammt  den  Erzählungen,  die  man 
mir  von  ihm  machte,  scheinen  dasselbe  zu  bestätigen.  Mein  Herz  will  aber 
demohngeaehtet  nicht  dran,  ihn  für  einen  ehrlichen  Mann  zu  halten.  Kr  ist  jetzt 
in  London,  und  Sarasin  hat  einem  dortigen  Banquier  Auftrag  gegeben,  ihm  soviel 
Geld  auszuzahlen,  als  er  verlange:  und  er  braucht  viel,  denn  in  Engelland  mögen 
seine  Künste  nicht  gehen.  Künftiges  Frühjahr  kommt  er  wieder  in  die  Schweiz. 
Sarasin  hat  die  ganze  Nachricht  von  der  Kur  seiner  Frau  ins  Journal  de  Paiis 
1781  einrücken  lassen,  und  sie  war  so  freundlich  mir  das  Blatt  zu  suchen  und 
zu  geben  [es  Ist  beigeheftet!.  Sie  ist  eine  Dame  zwischen  Vierzig  und  Fünfzig, 
von  vieler  AVeit,  und  spricht  mit  erstaunendem  Enthusiasmus  und  Herzlichkeit  von 
der  AVohlthat  ihrer  wiederhergestellten  und  seither  unerschütterten  Gesundheit. 
Ihre  Kinder  erziehen  sie  nach  strengen  Grundsätzen;  sie  sind  aber  auch  alle  artig 
und  wohlgesittet,  welcher  Anblick  mir  lieber  war  als  alle  kostbare  Meubles, 
Tapisserien  und  dergleichen;  denn  da  er  durch  den  Bandhandel  ein  Millionair 
geworden,  so  sind  sie  fürstlich  eingerichtet  .  .  . 

7.  Mai  1787.  Meine  ehemaligen  Bekanntschaften  habe  ich  meistens  wieder 
aufgesucht,  und  ich  ging  gleich  nach  meiner  Ankunft  zu  Herrn  Sarasin,  an  den 
ich  etwas  abzugeben  hatte.  Dieser  lud  mich  auf  den  folgenden  Tag  zum  Diner 
ein.  wo  ich  einen  merkwürdigen  Mann  würde  kennen  lernen.  Heute  den  8.  zu 
Mittage  habe  ich  daher  bei  ihm  in  Gesellschaft  eines  französischen  Generals,  einiger 
Domherren  und  Damen  und  Cagliostro's  gespeiset.  Dieser  räthselhafte  Mann 
logiret  seit  seiner  Zurückkunft  aus  Engelland  wieder  bei  S.  und  wird  nun  nach 
Biel  ziehen.  Er  ist  eine  kleine  sehr  dicke  Figur,  an  welcher  der  Kopf  das 
Frappanteste  ist,  der  der  marmornen  Büste  ganz  gleichet.  Wenn  ich  einen  Zauberer 
malen  sollte,  so  würde  ich  diesen  Kopf  zum  Ideal  nehmen.  Sein  Blick  ist  drohend, 
verschlingend  und  flüchtig,  denn  man  kann  nicht  dazu  kommen  ihm  nur  einige 
Momente  fest  ins  Auge  zu  sehen.  Sein  dünnes  Haar  trägt  er  hinten  in  einer 
runden  Locke,  und  auf  dem  Wirbel  hat  er  entweder  eine  Platte  oder  wohl  «rar 
eine  Tonsur.  Sein  Anzug  bestund  in  einem  ziemlich  abgetragenen  grünen  mit 
Gold  einge fassten  Tuchrock,  rothseidener  Weste  und  Beinkleidern,  weissen  Strümpfen 
und  Schuhen.  Sein  Gang  war  trotzig  und  etwas  tanzmeisterlich.  Die  erste  Zeit 
bei  Tische  sprach  er  gar  nicht,  hernach  aber  heftig  und  viel  wider  die  Franzosen 
und  Engelländer,  im  gebrochenen  Französisch  (denn  Italienisch  und  Lateinisch  sollen 
seine  Hauptsprachen  seyn),  redete  und  that  mancherlei  Narrenspossen,  und  sein 
weniger  männlicher  Ernst,  sein  grosser  Leichtsinn  mit  dem  vielen  Marktschreier- 
mässigen  setzte  ihn  um  vieles  in  meiner  ohnedem  schon  geringen  Meinung  herab. 
AVie  es  scheint,  gelingt  es  ihm  meistens  eine  gewisse  Superiorität  über  alle  Menschen 
zu  behaupten,  daher  auch  selten  Jemand  in  der  Gesellschaft  für  ihn  zum  AVorte 
kommen  konnte.  Als  er  das  vorige  Mal  hier  gewesen,  war  der  Zulauf  der  Kranken, 
die  man  auf  AVagen  aus  allen  Orten  hergebracht,  so  gross,  dass  man  fast  nicht 
an  d.as  Sarasinsche  Haus  hat  kommen  können,  und  vielen  hat  er  wirklich  geholfen. 
Jetzt  giebt  er  sich  wenig  damit  ab:  auch  scheint  der  Glaube  an  seine  AVunder- 
kraft  ziemlich  erloschen  zu  seyn.  Dagegen  hat  er  hier  im  Sanisin'schen  Hause 
eine  Loge  Egvptienne  errichtet,  wo  er  vermuthlich  als  Oberpriester  präsidiren  wird. 
Dass  er  ein  Jesuit  und  seine  Sache  auf  geheime  Proselytenmacherei  abgesehen  Ist, 
scheint  mir  nun  selbst  fast  ausser  allem  Zweifel  zu  seyn.  A'iele  behaupten  auch, 
S.  stecke  selbst  mit  unter  der  Decke  und  habe  grosse  Summen  der  Jesuiten,  die 
sie  öffentlich  nicht  administriren  dürfen,  in  seinen  Händen.  In  London  haben  die 
Masons  den  Graf  Cagliostro  ausgepfiffen  und  nicht  in  die  Loge  gelassen.  Der 
Courier  de  l'Europe  erzählt  die  hässlichsten  Dinge  von  ihm,  er  habe  seine  Seraphine 
(seine  Frau)  in  London  bcstohlen  und  sitzen  lassen,  und  hier  sagt  er,  er  erwarte 


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Aus  dem  Reiscjoamal  eines  sächsischen  Geistlichen. 


•218 


sie  alle  Tage.  Kurz,  es  ist  ein  unerklärlicher  Mann,  von  dem  man  nicht  einmal 
wissen  kann,  wovon  er  lebet,  denn  bezahlet  nimmt  er  nichts  für  seine  Kuren.  Wenn 
er  auch  nicht  Jesuit  ist,  so  ist  er  doch  gewiss  der  verschmitzteste  Charlatan  unter 
der  Sonne,  der  mehr  als  irgend  einer  jemals  versteht  die  Welt  am  Xarreuseil 
herum  zu  führen  und  sich  auf  ihre  Unkosten  lustig  zu  machen.  Über  seine  Kuren 
urtheile  ich  nicht,  ob  es  gleich  gewiss  ist.  dass  sie  weder  alle  die  Probe  aus- 
halten, noch  auch  zu  den  übernatürlichen  dürfeu  gezählet  werden.  Es  ist  wahr, 
die  Frau  des  Herrn  S.,  die  von  den  grössten  Ärzten  für  inkurabel  gehalten  ward, 
hat  er  wieder  hergestellt,  allein  ich  habe  doch  darüber  meine  eigenen  Gedanken 
und  ich  glaube,  wenn  ich  ihr  Mann  wäre,  ich  würde  so  intolerant  sein,  mir  diesen 
Hausarzt  zu  verbitten.  Ich  halte  nichts  von  ihm;  inzwischen  ist's  mir  sehr  lieb, 
dass  ich  ihn  persönlich  habe  kennen  lernen.  Die  Zeit  wird  noch  vieles  aufklären. 
Er  sass  bei  Tische  zur  Hechten  der  Madame  S.  und  ich  zu  ihrer  Linken.  Sein 
Alter  scheint  etwa  45  bis  50  Jahre  zu  seyn  (geb.  1743],  er  soll  sich  aber  für 
2000  Jahre  alt  ausgeben.  Ein  Basier  Bürger  fragte  einst  Cagliostro's  Bedienten, 
der  eben  so  abgefeimt  als  sein  Herr  ist,  ob's  denn  wahr  sei,  dass  sein  Herr 
2000  Jahre  alt  sei?  Ja.  antwortete  dieser  ganz  ernsthaft,  das  weiss  ich  so  ge- 
wiss nicht,  denn  ich  bin  erst  500  Jahre  bei  ihm  in  Diensten.  — 

Strassburg.  18.  Mai  1787.  Den  Magnetismus  treibt  hier  als  ein  die 
Menschheit  interessirendes  und  den  Laien  zu  den  wichtigsten  Folgen  enthaltendes 
Geschäfte  (eigne  Worte  dieser  Herren)  eine  Societe  harmonique  des  amis  reiinis, 
fondee  sous  les  auspices  de  M.  Mesmer,  President  perpetuel,  par  M.  le  manpüs 
Puysegur,  Directeur,  en  1785.  Solche  Societes  oder  Logen  hat  Mesmer  wohl 
dreißig  in  Frankreich  etabliret,  und  jede  soll  ihm  hundert  Louis  d'or  für  das 
Geheimnis*  l)ezahlet  haben,  daher  er  ein  reicher  Mann  worden  und  nun  nach 
seinem  Vaterland,  Wien,  zurücke  kommen  wird ;  jetzt  soll  er  in  einem  Bade,  Pfaffe rs 
in  der  Schweiz,  seyn.  Die  Ntrassburger  Gesellschaft,  deren  Mitglieder  auf  einer 
iroldenen  Tafel  verzeichnet  im  Saal  hangen  und  die  Piinzen  unter  sich  hat,  besitzet 
einen  ordentlichen  Fond,  aus  welchem  sie  die  Unkosten  des  Zinses  für  ein  ganz 
darzu  gemiethetes  Haus,  der  Pensionen  für  den  Medikus  I).  Ehrmaun  und  Chirurgus 
Ziegenhagen  und  dergleichen  mehr  bestreitet;  die  Patienten  werden  umsonst 
magnetisirt.  Das,  worauf  sich  diese  sonderbare  Wissenschaft,  mit  der  man  das 
ganze  bisherige  medizinische  Studium  umzustürzen  glaubet,  gründet,  ist  ein  ange- 
nommenes durch  das  ganze  Universum  verbreitetes  fluidum  magneticum,  durch  dessen 
nähen*  Application  auf  einzelne  Personen  die  hartnäckigsten  Krankheiten  sollen 
gehoben  werden.  Jeder  Mensch  habe  solches  fluide  magnetique,  womit  er  seinen 
Nebenmenschen  heilen  könne;  es  sei  sehr  fein,  ströme  vornehmlich  aus  den  Spitzen 
der  Finger  aus,  folge  jeder  Bewegung  und  dringe  in  die  Substanz  der  Nerven  ein. 
Die  Behandlung  selbst  war  folgende:  Der  Patient  sitzt  in  einem  Lehnstuhle  mit 
etwas  hinterwärts  gebogenem  Oberleibe,  die  Beine  zwischen  denen  des  vor  ihm 
sitzenden  Magnetiseurs  (und  die  Hände  auf  seinen  Knieen),  welcher  nun  seine 
Manipulationen  anfängt,  in  die  Hände  haucht  und  es  alsdann  mit  denselben  gegen 
das  Gesichte  zu  macht,  als  wolle  er  das  Fluidum  darauf  ausschütten,  feiner  an  der 
Stirae,  den  Achseln,  Armen  und  über  die  Kniee  herunter  sanfte  streichet  und  an 
gewissen  Stelleu,  z.  B.  oben  an  der  Achsel,  im  Gelenke  beim  Ellenbogen  und  an 
den  Daumen  etwas  verweilet  und  einen  Druck  gieht.  Auf  der  Brust  und  um 
den  Nabel  herum  machte  man  ein  kreisförmiges  Beiben,  das  mir  bei  den  Weibs- 
personen äusserst  unschicklich  zu  sein  schien;  doch  muss  ich  gleich  noch  im  Vor- 
beigehen sagen,  dass  alle  diese  Patienten,  deren  immer  gegen  zwölf  da  waren,  die 
über  Nervenzu Hille.  Podagra,  Beissen  u.  s.  w.  klagten,  in  ihrem  ganzen  Anzüge 
blieben.    Durch  dieses  Manipuiiren,  das  wohl  eine  halbe  Stunde  und  länger  währet, 


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Biographische  Bl&tter. 


geräth  der  Patient  in  die  Krisis.  d.  h.  Zuckungen  und  konvulsivische  Bewegungen, 
die  «inen  Schweis*  hervorbringen,   während  welcher   Krisis  ei-  gewöhnlich  die 
Aiiiren  verschlossen  hat.    Manche  sollen  unter  dieser  Krisis  in  einen  divinatorischen 
Schlaf  gerathen,  in  welchem  sie  elair-voiant  werden,    Gewöhnlich  sind  dies  Weibs- 
personell  wegen  der  grösseren  Reizbarkeit  ihrer  Nerven,  und  man  nennt  eine  solche 
Person  eine  Somnambule,  wovon  ich  aber  keine  gesehen  habe,  weil  die  harmonischen 
Freunde  selten  jemand  darzu  lassen.    Dieser  Somnambulismus   soll  nach   der  Be- 
schreibung, die  mir  ein  Erzmagnetiseur  darvon  gemacht  hat,  ein  ekstatischer  Zu- 
stand der  Seele  seyn,  vermöge  dessen  sie   durch  Einschläferung  des  Körpei-s  in 
eine  Art  von  Freiheit  versetzet  werde  und  zu   den  sublimsten   Wirkungen  fähig 
sey.    Diese  AVirkung  nennen  sie  clair- voiance,  und  es  soll  der  sechste  Sinn  des 
Menschen  seyn.  durch  welchen  ein  solcher  Patient  gleichsam  in  sich  selbst  und  in 
andere  hinein  sehen,  Medikamente  verordnen  welche  die  Krankheit  erfordert,  mit 
Pünktlichkeit   vorher  bestimmen  was   ihm   in   Ansehung  seiner  Krankheit  oder 
Besserung  oft  erst  nach  zehn  Tagen  begegnen  wird,  durch  s  Gefühl  Farben  unter- 
scheiden und  eben  so  geschriebene  oder  gedruckte  Worte  lesen,  ja  auch  von  ab- 
wesenden und  künftigen  Dingen  nicht  selten  richtig  urtheilen  können  soll.    Die  in 
diesem  divinatorischen    Schlummer  liegende  Somnambule  soll  niemand    als  ihren 
Magnetiseur  verstehen,  mit  dem   sie   en   rapport    ist,   mit   Scharfsinn    auf  seine 
Fragen  antworten,   das  deutlichste   Bewusstseyn   von  sich   haben  und   mit  ver- 
schlossenen  Augen   wissen,   was   um  sie   her   geschieht.     Da  ich   nach  meiner 
Philosophie,  wo  alles  hübsch  natürlich  hergeht,  kein  Freund  von  den  qualitatibus 
occultis   bin,  so  kann  ich  das  ganze   somnainbulistische  Wesen   nicht   leiden  und 
halte  es  für  phantastische  Einbildung  und  dummen  wundersüchtigen  Aberglauben. 
Ob  durch  den  Magnetismus  etwas  ausgerichtet  werden  könne,  lasse  ich  jetzt  noch 
an  seinen  Ort  gestellet  seyn;  als  Wissenschaft  wäre  wenigstens  nur  erst  das  a.  b.  c. 
davon  bekannt.    In  dem  Buche  Extraits  des  journaux  dun  magnetiseur,  welches 
in  dem  salon  magnetique  lag,  sind  zwar  eine   Menge  Kuren  angeführet;   ob  sie 
aber  auch  probehaltig  seyn  mögen?  —  Ich  sah  auch  noch  zwo  andere  Arten  zu 
magnetisiren :    am  Baquet  und  im  Hofe  unter  grünen  Bäumen.    Das  Baquet  ist 
ein  grosser  runder  Kübel,  der  mit  Eisenfeilspänen,  gestossenem  Glas,  Salz  u.  s.  w. 
angefüllt  ist  ;  durch  den  Deckel  gehen  stählerne  runde  Stäbe  in  .  der  Figur  eines 
Winkelmaasses,  die  man  Cowlueteui's  nennt,  deren   aussen   befindliches  Ende  der 
Patient  an  den  leidenden  Theil  hielt,  und  mit  den  Fingern  an  demselben  nach  sich 
zu  strich,    um   dadurch   magnetisches   Fluiduin    in   sich   zu   leiten.    An  diesem 
Baquet  macht  alle  Tage  die  ganze  anwesende  Gesellschaft  die  chaine.   und  weil 
ich  gerne  wissen  wollte,  ob  ich  den  Einfluss  des  fluidi  auch  empfände,  so  inachte 
ich   sie  auch  mit.    Die  ganze  Gesellschaft    legte   sich  nämlich   um   das  Baquet 
herum,  jeder  wickelte  den  aus  der  Mitte  herausgehenden  magnetischen  Strick  um 
den  Leib,  Arm  oder  Bein,  fasste  den  Nachbar  bey   dem  Daumen   der  auf  dem 
Knie  liegenden  Hand  an,  und  wenn  ich  vom  Nachbar  zur  Hechten  einen  Druck 
bekam,   so  gab  ich  ihn  sogleich  zur  Linken   weiter  und  so   immer  fort.  Das 
Frauenzimmer,  das  mich  bevm  Daumen  angefasst  hatte,  fragte  mich,  ob  ich  schon 
in  Itapport  gesetzt   sei?    Ich  wusste  viel,  was  die  unter  dem  Kapport  verstund. 
Sie  winkte  dem  Magnetiseur.  welcher  kam  und  mir  eiu  paar  Mal   über  Gesicht 
und  Anne  herunter  manipulirte,  und  nun  war  ich  im   Rapport;   dies   sollte  also 
hei-x  n.  das  magnetische  Fluiduin  sei  in  mir  aufgeredet  worden.    Wir  s;issen  wohl 
•  ine  Viertelstunde  ganz  stille,  druckten  einander  an  den  Daumen,  und  ich  fühlte 
nichts,  als  das  mich  das  Frauenzimmer  ziemlich  stark  drückte  und  zuweilen  be- 
deutend ansah.     Ich  verstund  aber  nichts        sagte   auch   laut,   dass   ich  nichts 
empfände;  ein  Beweis,  Iiicss  es.  dass   sie   gesund   sind;   taut   micux,   sagte  ich. 


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Aus  dem  lleisejournal  eines  sächsischen  Geistlichen. 


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Andere  zuckten,  bewegten  siclf,  schlössen  die  Äußren  u.  s.  w.  und  dies  soll  dann 
einen  heilsamen  Einflnss  auf  den  Kranken  hüben,  ja  einige  sollen  sogar  am  Baqnet 
clairvoiant  werden.  Einen  andern  Tag  druckte  ich  die  Augen  auch  mit  zu.  und 
da  ich  eben  bey  dem  Herrn  v.  Türkheim  |Lilis  Gatten]  eine  tüchtige  Mahlzeit 
jrethan  und  ein  gut  Glas  Elsasser  "Wein  getrunken  hatte,  so  wandelte  mich  auch 
eine  .Schläfrigkeit  .an,  allein  ich  bin  nicht  clairvoiant  worden!  — ■  Von  diesem 
l>nuken  des  Daumens  am  Baqnet  hat  die  Societe  harmonique  ihr  Motto:  d'un  u  tous. 
Der  magnetische  Strick  aus  dem  Baquet  wird  auch  durch  die  "Wand  in  den  Hof 
gleitet  und  um  die  daselbst  stehenden  Pflaumenbäume  gewickelt.  I>er  Patient 
setzt  sich  alsdann  unter  dieseu  Baum,  windet  den  Strick  um  sich  herum  und 
melkt  daran,  reibt  auch  mit  den  Händen  an  dem  Baume  und  soll  auch  magnetischen 
Einflnss  spüren.  Dass  man  hauptsächlich  auf  die  Imagination  zu  wirken  sucht, 
scheint  mir  aus  einer  der  regle«  pour  la  police  du  traitement  magnetique  zu  er- 
hellen, die  im  Saale  aufgehänget  sind,  wo  es  heisst:  chaque  malade,  ]iendant  la 
cluine  soccupant  interieuroment  de  son  mal,  gardera  le  plus  profund  silence.  Da 
ich  ferner  höre,  dass  die  Herren  Magnet iseurs  ihren  Patienten  festen  Glauben 
empfehlen,  so  wundere  ich  mich  gar  nicht  mehr,  wie  sich  der  gute  Lavater  für 
den  Magnetismus  so  sehr  gewinnen  lassen,  da  dieses  in  sein  bekanntes  System  vom 
Wunderglauben  passt.  Die  fleissigsten  Magnetiseurs  auf  dem  Saal  waren  ein 
Graf  Lützelburg,  ein  Herr  v.  Landsberg  und  ein  lutherischer  schöner  Pfarrer 
Kaimhold,  der  ein  artiges  Mädgen  magnetisirte,  die  mit  verschlossenen  Augen  lauter 
süsse  wollüstige  Empfindungen  zu  athmen  schien.  "Wenn  ich  nach  dem  Anschein 
bei  dieser  Person  den  Magnetismus  definiren  sollte,  so  wäre  es  eine  neue  feine 
Art  Wollust  zu  geniessen.  Aufs  gelindeste  davon  zu  urtheilen.  ist  es  eine  sehr 
unzuverlässige,  auf  schwankenden,  vielleicht  auf  gar  keinen  (Tininden  beruhende, 
zweideutige  und  zu  allerhand  besondern  Yermuthungen  Anlas«  gebende  Beschäftigung, 
über  die  in  kurzer  Zeit  bald  Aufklärung  erfolgen  mus«.  —  Auch  magnetisches 
Wasser  macht  man  durch  Bestreichung,  Reibung  und  Anhauchung  der  Boutcille, 
welches  nun  die  Kraft  zu  laxiren  haben  soll  —  Ohe!  jam  satis  est.  — 

Beweis  der  Herren  Magnetiseurs,  dass  Jesus  durch  den  Magnetismus  Kranke 
gesund  gemacht:  Jeder  Mensch  hat  fluide  magnetique,  womit  er  seinen  Nehen- 
inenschen  heilen  kann;  Christus  war  Gottmensch  —  als  Mensch  musste  er  also 
diese  Kraft  haben,  und  als  Gott  in  einein  alle  Menschen  übersteigenden  Grade. 

Beim  Somnambulismus  (Worte  eines  Initiirten)  kommt  es  darauf  an,  dass 
körperlich  schwache  Personen  in  einen  Zustand  versetzt  werden,  wo  sie  sich  in 
einer  dem  Schlummer  der  Ohnmacht,  ähnlichen  Verzückung  befinden,  durch  die  sie 
ohne  selbsterworbene  medizinische  Kenntnisse  im  Stande  sind,  ihren  eignen  oder 
fremder  Personen  Krankheitszüstand  anzugeben  und  wirksame  Heilmittel  dagegen 
zu  verordnen. 

Formular  eines  Initiationspatentes,  das  mir  von  einein  vertrauten  Freunde 
am  Khein,  der  es  von  einem  andern  Freunde  bekommen,  welcher  sich  aus  Spiouir- 
sucht  bei  der  Societe  harmonique  initiiren  lassen,  mitgetheilet  worden  und  das  ich  des 
Zusammenhanges  wegen  nach  geendigter  Heise  hier  bey  füge.  ,,Da  durch  die  Herren 
Fundateurs  de  la  Societe  .  .  .  der  N.  X.  nach  einem  mir  vorgezeigten  Patente  vom 
2o.  Nov.  1780  Vollmacht  erhalten,  diejenigen  so  sieh  ans  gutem  Hei  zen  entschliessen, 
zum  Kesten  der  leidenden  Menschheit  den  thierischen  Magnetismus  zu  erlernen,  in  die 
Geheimnisse  desselben  initiiren  zu  können,  so  verspreche  ich  als  ein  Mann  von  Ehre 
uud  Gewissen,  dass,  überzeugt  von  dem  Dasein  eines  uncrschafl'enen  "Wesens  — 
von  Gott.  »1er  den  Menschen  mit  einer  unsterblichen  Seele  begabt  und  ihm  Kräfte 
verliehen  hat,  durch  seine  Zulassung  auf  den  Xehenmenschen  zu  wirken,  ich  von 
den  Kenntnissen  und   Mitteln,   die  mir  nun  ins   Künftige  zur  Ausübung  des 


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Biographische  Blätter. 


thierisehen  Magnetismus  anvertrauet  werden,  nie  einen  andern  Gebrauch  machen 
will,  als  meinen  Nebenmenschen  nützlich  zu  seyn  und  der  leidenden  Menschheit 
beizuspringen;  dass  ich  nie  einen  Kranken,  der  somnambule  werden  kann,  an- 
nehmen oder  dazu  machen  will,  ohne  vorher  den  festen  Vorsatz  gefasst  zu  haben, 
solchen,  so  lange  er  sieh  die  magnetischen  Kuren  verordnet,  jedes  Mal  nur 
die  von  ihm  bestimmte  Zeit  wieder  zu  mahnet isiren,  dass  ich  mich  während  der 
Krise  aller  neugierigen  Fragen,  die  iiiclit.  zum  Nutzen  und  Heilung  des  Knmken 
abzwecken,  enthalten  will,  das  mir  Anvertraute  geheim  halten,  auch  nie  zugeben 
werde,  dass  er  ohne  sein  Yorwissen  und  Erlaubnis*  in  der  Krise  von  Neugierigen 
gesehen  und  befragt  werde,  er  habe  denn  nicht  allein  in  seinem  natürlichen  Zu- 
stande, sondern  auch  in  der  Krisis  die  Einwilligung  dazu  gegeben,  vielmehr  ver- 
hindern will,  dass  eine  Somnambule,  so  lange  sie  nicht  clairvoiant  ist,  nieinalen 
von  Leuten,  die  sie  theils  noch  nicht  bestimmen  kann,  oder  die  gar  nicht  zum 
Nutzen  der  Kranken  gehören,  besucht  werde:  dass  so  wie  mich  der  N.  N.  frei  und 
unentgeltlich  initiiret  hat,  ich  auch  um  so  mehr  niemalen  aus  Interesse  oder  für 
einige  Belohnung  magnetisiren  werde,  sondern  uneigennützig  den  meist  leidenden, 
am  wenigsten  unterstützten,  verlassnen  Kranken  beispringen  will;  dass  ich  ohne 
eine  Eingangs  berührte  Vollmacht  zu  haben  unter  keinerlei  Vorwand  irgend 
jemand  das  Magnetisiren  lehren  oder  Gelegenheit  geben  will,  dass  er  durch  zu 
viele  Fragen  iu  den  magnetischen  Krisen  oder  durch  Nachahmung  meines  Ver- 
fahrens Gelegenheit  bekomme,  zum  Nachtheil  des  Magnetismus  eüi  Stümper  in  der 
Sache  zu  werden;  dass  ich  niemand  meine  Meinung  über  den  wirklichen  Nutzen 
des  M.  aufdringen,  alle  Spöttereien  und  Verleumdung  wo  möglich  unbeantwortet 
lassen  und  wo  es  seyn  muss  kurz  und  nachsichtsvoll  ohne  Bitterkeit  widerlegen, 
auch  verhindern  will,  dass  jemand  aus  Scherz  inagnetisire,  weit  weniger  aber 
mich  selbst  vergessen,  sondern  die  Sache  so  feierlieh  behandeln  als  sie  verdienet; 
dass  ich  endlich  über  geheilte  Krankheiten  und  besondere  die  an  Somnambule 
gethane  Fragen,  die  zu  richtiger  Vervollkommnung  des  Magnetismus  dienen 
könnten,  ein  richtiges  Protokoll  führen  und  von  den  mir  nützlich  scheinenden  an 
den  N.  N.  einen  Aufsatz,  sowie  über  die  Heilung  der  Krauken  ein  wo  möglich 
von  Zeugen  unterschriebenes  Attestat  schicken  will.  Alles  Vorhergehende  habe 
ich  wohl  durchdacht,  und  mir  zu  meiner  Erinnerung  eine  Abschrift  davon  ge- 
nommen. Mit  Mund  und  Herzen  bekenne  ich  mich  der  verehrungswürdigen 
Gesellschaft  dankbar  zugethan.  die  mich  als  ein  Glied  an  ihrer  Kette  der  Geheim- 
nisse des  Magnetismus  würdig  macht,  wiederholt;  meine  heiligen  Verbindungen 
und  unterschreibe  mich  eigenhändig.'* 

Karlsruhe,  D.  .luni  18N7.  Bökmann  [den  von  Klopstock  und  Goethe  her 
bekannten  Professor]  traf  ich  nicht,  weil  er  mit  dem  Prinz  Friedrich  nach  der 
Schweiz  gereiset  war,  seine  Frau  unterhielt  mich  aber  eine  Stunde  sehr  angenehm 
und  erzählte  mir,  dass  sie  sich  alle  Tage  durch  den  Herrn  von  Rosenfels 
magnetisiren  lasse.  Ihr  Mann  ist  der  grösste  theoretische  Magnetiseur  iu  Teutsch- 
land und  giebt  jetzt  ein  Archiv  für  Magnetismus  und  Somnambulismus  heraus. 
Der  gedachte  Herr  v.  K.  ist  ein  natürlicher  Sohn  des  vorigen  Markgrafen, 
Kaiserl.  Hauptmann  und  der  stärkste  Magnetiseur  allhier.  Er  kam  eben  zur 
Madame  B.  und  ich  lernte  ihn  also  kennen;  da  ich  nichts  wider  den  M.  sprach, 
sondern  alles  ad  referendum  nahm,  so  will  er  mich  morgen  und  so  oft  ich  will 
darzu  nehmen,  wenn  er  magnefisiret. 

11.  .luni.  Ich  ging  um  zehn  Uhr  zur  Madame  B..  um  des  Herrn  v.  H. 
seine  magnetistisehen  Operationen  zu  sehen.  Die  Behandlung  war  grösstentheil* 
wie  ich  sie  in  Strasburg  beobachtet,  denn  dort  ist  Herr  v.  H.  initiirt.  Sie  legte 
sich  im  Neglige  in  einen  etwas  hinterwärts  gebogenen  Lehnstuhl  und  hatte  uuter 


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Adolf  Exner.  222 

dem  Kopfe  ein  Kissen;  der  Magnetiseur  sass  oder  stund  theils  vor  theils  neben  ihr  und 
und  machte  seine  Manipulationen.  Zuweilen  lehnte  er  seinen  Kopf  an  den  ihrigen, 
damit  (so  hiess  es)  das  magnetische  Fluidium  recht  in  Kreislauf  komme.  Diese 
Stellung  düuchfe  mir  etwas  wollüstig,  eben  so  auch  die.  da  er  ihre  Beine  zwischen 
deu  seinigen  eingeschlossen  hielt  und  über  Brust  und  Nabel  hin  sanft  strich  oder 
krabbelte.  Das  Gefühl  der  Scham  und  Anständigkeit  empörte  sich  wider  diese 
Attitüde,  und  das  ganze  Wesen  verlor  in  dem  Augenblicke  fast  allen  Kredit 
vollends  in  meinem  Herzen.  Herr  v.  R.  ist  ein  schöner  wohlgeinachter  junger 
Mann,  quod  bene  notandum!  Nachdem  er  sie  einige  Minuten  magnetisiret.  gerieth 
sie  schon  in  die  Krisls,  schloss  die  Augen,  ward  elairvoiant  und  antwortete  auf 
alle  vorgelegte  Fragen  wie  eine  Pythia;  welche  Fragen  und  Antworten  ich 
sogleich  ad  protocollum  nehmen  und  die  Wahrheit  mit  meines  Namens  Unter- 
schrift bestätigen  musste.  Ich  Hess  mich  alsdann  mit  ihr  in  Rapport  setzen  und 
frairte  sie  einiges,  z.  E.  was  machen  meine  Freunde  in  Sachsen,  die  ich  am 
meisten  liebe?  Sie  antwortete:  „Wenn  sie  gut  für  Magnetismus  denken,  so 
bleiben  Sie  bei  seiner  Absicht!*'  Bin  ich  gesund?  «Ja,  nur  Schürfe  im  Magen 
haben  Sie.u  Was  ist  zu  brauchen?  rCremor  Tartari.*'  Nach  einiger  all- 
gemeinen Stille  fing  die  Somnambule  von  selbst  wieder  an:  «Sie  haben  ein  vor- 
treffliches Herz  und  Anlage  ein  guter  und  nützlicher  Magnetiseur  zu  werden: 
unterrichten  Sie  sich  mehr  und  handeln  Sie  zum  Nutzen  ihrer  Nebenmenschen.  - 
Also  auch  ins  Herz  wollen  sie  andern  im  Schlafe  sehen  kommen?  Das  ist  zuviel! 
Sie  wusste,  nachdem  sie  Fünfviertelstunden  in  der  Krisis  gewesen  und  zuweilen 
kleine  Verzückungen  gehabt,  zuweilen  bei  gewissen  Berührungen  schalkhaft  ge- 
lächelt, und  nun  wieder  calmirt  (aufgeweckt)  worden,  von  allem  dem  Gesagten 
nichts.  Ich  will  das  Wesen,  da  man  mir  willig  die  Hände  darzu  bietet,  noch 
ferner  beobachten  und  prüfen.  Noch  will  ich  hersetzen,  was  man  nach  des 
Herrn  v.  R.  Versicherung  vom  Magnetismus  und  Somnambulismus  erwartet:  voir 
?on  mal,  celui  des  autres,  les  remedes,  les  objets  les  plus  eloignes.  — 



Adolf  Exner. 

Ein  Wort  zu  seinem  Geilttchtniss. 

Von 

GEORG  JELLINEK. 


Dem  ausgezeichneten  Civilrechtslehrer  der  Wiener  Universität,  der  im  ver- 
flossenen Herbste  so  jäh  und  unvennuthet  aus  dem  Lehen  schied,  sind  bisher  von 
zwei  Männeru  tiefempfundene  Worte  des  Andenkens  gewidmet  worden:  von  seinem 
Meister  Joseph  Unger  und  von  seinem  Schüler  Ludwig  Mitteis.*)  liesseivs 
und  Treffenderes  über  ihn  zu  sagen,  ist  wohl  nicht  möglich.  Wenn  daher  an 
dieser  Stelle  auch  ein  Kollege  des  Verblichenen,  der  an  seiner  Seite  Jahre  lang 
gewirkt  hat,  das  Wort  ergreift,  so  vermag  er  dem  lebensvollen  Bilde,  das  von 
kundigen  Händen  gezeichnet  wurde,  nur  noch  einige  Striche  hinzuzufügen.  Nach 
dem  Lehrer  und  dem  Schüler  soll  nun  auch  ein  Genosse  Exmrs  die  Gestalt  des 
vorzeitig  Dahingegangenen  festzuhalten  versuchen,  wie  sie  sich  ihm  in  lebendigem 
Umgänge  erschloss  und  darstellte. 

*)  l'ngers  Nachruf  ist  bei  Holder.  Mittels"  CJedenkrede  bei  Manz  in  Wien  erschienen. 


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Biographische  Blatter. 


Wäre  mit  Exner  nur  ein  bedeutender  (belehrter  gestorben,  so  würde  damit 
allein  kein  Anlass  gegeben  sein,  das  Bild  des  Verblichenen  grösseren  Kreisen  zu 
zeichnen  und  aufzubewahren.  Der  Gelehrte  tritt  hinter  sein  "Werk  zurück,  das 
Beste,  was  er  wollte  und  konnte,  ist  in  ihm  aufbewahrt,  es  ist  das  Denkmal,  aus 
dem  sein  innerstes  "Wesen  zur  Mit-  und  Nachwelt  spricht,  je  mehr  es  gelungen 
ist,  desto  weniger  darf  es  von  äusseren  Schicksalen  und  inneren  Kämpfen  ver- 
ratheu. Dem  Freunde,  den»  Fachgenossen,  dem  Schiller  mögen  die  Einzelheiten 
seiner  Entwicklung  von  hohem  Interesse  sein,  nicht  aber  dem  Fernestehenden. 
In  seiner  ursprunglichen  Art  aufbewahrt  zu  werden,  verdient  nur  das.  was  grösser 
ist  als  Alles  von  ihr  Geschaffene,  was  nicht  ganz  in  ihren  "Werken  sich  objektiviren 
und  ausleben  kann:  die  Persönlichkeit.  Eine  solche  Individualität,  die  bedeutender 
war  als  ihre  Schöpfungen,  die  über  eine  grosse  Zahl  der  ihr  durch  gleiche  Stellung 
Verbundenen  hinausragte  und,  das  sicherste  Zeichen  ihres  Werthes,  selbst  ihren 
Gegnern  imponirte.  war  Adolf  Exner. 

Den  Schlüssel  zum  Verständniss  dieser  Persönlichkeit  bieten  zunächst  ihre 
Lebensschicksale.  Eine  Individualität  wie  Exner  konnte  sich  in  ihrer  Eigenart 
nur  entwickeln  dank  der  hohen  Gunst  der  Umstände,  unter  denen  sie  entstand. 
Wenn  irgend  Jemand  ein  Liebling  der  Götter  genannt  zu  werden  verdiente,  so 
war  er  es.  Das  lehrt  schon  ein  flüchtiger  Blick  auf  sein  Werden  und  Wachsen.  Am 
3.  Februar  1841  zu  Prag  als  ältester  Sohn  Franz  Exuers  geboren,  der  im  Vereine 
mit  Bonitz  die  grosse  Beform  des  österreichischen  Unterrichtswesens  anbahnte,  die  an 
den  Kamen  des  (trafen  Leo  Thun  geknüpft  ist,  kam  er  bereits  1848  nach  Wien, 
so  dass  er  sich  stets  als  Wiener  betrachten  und  fühlen  konnte.  Dass  er,  erst 
zwölfjährig,  den  Vater  verlor,  ist  wohl  der  einzige  schwere  Schicksalsschlag 
gewesen,  der  ihn  während  seines  ganzen  Lebens  getroffen  hatte.  Das  Andenken 
an  den  ihm  so  früh  Entrissenen  blieb  in  ihm  stets  lebendig,  in  seinem  Geiste  zu 
wirken  und  zu  schaffen,  war  ihm  nicht  nur  Familientradition,  sondern  auch 
innerstes  Bedürfnis»  des  Herzens.  Trotzdem  seine  Familie  nun  des  Hauptes  beraubt 
war,  blieben  ihm  schwere  Sorge  um  Gegenwart  und  Zukunft  dennoch  fern.  Er 
genoss  die  gründlichste  Erziehung,  vollendete  seine  Studien  in  Wien,  besuchte 
die  Universitäten  Berlin  und  Heidelberg,  und  1866  bereits  konnte  er  sich  an 
der  Wiener  Universität  als  Privatdozent  des  römischen  und  österreichischen  (Zivil- 
rechtes habilitiren,  und  zwar  unter  den  Auspicien  Ungers.  des  Mannes  mit  dem 
warmen  Herzen  und  dem  kühlen  Kopfe,  wie  Exner  selbst  seinen  Lehrer  und 
Freund  eharakterisirte.  Unter  der  liebevollen  und  ermuthigenden  Leitung  Ungers, 
der  ihm  schon  als  Studenten  Aufmerksamkeit  und  Förde  rang  zugewendet  hatte, 
war  er  rasch  und  sicher  die  erste  Staffel  zu  einer  glänzenden  akademischen  Lauf- 
bahn emporgestiegen.  Die  Zeit  des  Bangens  und  Kämpfens  um  eine  sichere 
Stellung,  die  so  Manchem  die  besten  Jahre  jugendfroher  Thätigkeit  vergällt,  hat 
er  kaum  kennen  gelernt.  Während  in  Österreich  in  der  Kegel  viele  Jahre 
peinigender  Ungewissheit  verstreichen  müssen,  ehe  dem  Dozenten  die  Aussicht  auf 
einen  festen,  unentziehbaren  Wirkungskreis  winkt,  ist  er  nach  blos  zweijähriger 
Thätigkeit  als  Privatdozent,  die  Zwischenstufe  des  Extraordinariats  überspringend, 
sofort  als  ordentlicher  Professor  nach  Zürich  berufen  worden.  Dort  verlebte  er 
vier  behagliche  Jahre  stiller  Arbeit,  und  1872,  nach  dem  Abgänge  Iherings 
nach  Göttingen,  wurde  ihm.  dem  Einuuddreissigjährigen.  der  erste  und  ange- 
sehenste Lehrstuhl  zu  Theil.  den  die  österreichischen  Juristenfakultäten  zu  vergeben 
haben.  Hier  hat  er  nun  alsbald  die  höchsten  Erfolge  als  Lehrer  errungen.  l>en 
so  abstrakten  Stoff  seines  Faches  mit  anschaulicher  Klarheit  darstellend  und  be- 
lebend, wusste  er  die  Zuhörer  umsomehr  zu  fesseln,  als  er  das  absichtlich  Lehr- 
hafte in  seinem  Vortrage  so  viel  als  möglich  zu  vermeiden  strebte.  Die  sorgfältig 


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Adolf  Exner. 


224 


vorbereiteten  Vorlesungen  machten  den  Eindruck  des  Extemporirten,  sie  schienen 
auf  dem  Katheder  selbst  zu  entstehen,  so  dass  der  Zuhöi-er  den  Geist  des 
Lehrers  in  seiner  unmittelbaren  schöpferischen  Thätigkeit  zu  belauschen  vermeinte. 
Zur  Befriedigung  über  eine  grosse  und  tiefwirkende  akademische  Thätigkeit  und 
der  steigenden  Anerkennung,  die  dem  Schriftsteller  zu  Theil  wurde,  gesellte  sich 
bald  der  Besitz  idealen  Familienlebens.  Im  Verein  mit  einer  liebenswerthen  und 
geliebten  jugendlichen  Gattin  schuf  er  sich  ein  stilles,  mit  vornehmem  künstlerischen 
Sinne  geschmücktes  Heim,  wo  er  im  Kreise  der  Seinen  und  weniger  erlesener 
Freunde  edelsten  Lebensgenuss  fand.  Als  einem  Auserwählten  unter  Zahllosen  war 
rs  ihm  vergönnt,  das  Leben  selbst  zum  Kunstwerke  zu  gestalten,  mit  apollinischer 
Heiterkeit  die  Schwere  des  Daseins  sich  zu  verklären. 

Unter  solchen  seltenen  Lebensbedingungen  allein  konnte  die  Natur  Exners 
nach  ihrem  inneren  Gesetze  sich  frei  entfalten.  Klarheit  und  Schärfe  des  Geistes, 
(ileichmaass  des  Empfindens,  Sicherheit  im  Entschliessen ,  Ruhe  im  Handeln, 
Behagen  im  Geniessen,  Gleichmuth  im  Ertragen  waren  ihr  zu  eigen.  Ein  Hauch 
antiker  Lebensfreude  war  über  diese  Gestalt  gebreitet,  die  mit  epikureischer 
Alaraxie  durch  ein  unbefriedigtes,  in  sich  zerrissenes  Zeitalter  schritt.  Frei  von 
Leidenschaft  hatte  er  einen  seltenen  Sinn  für  die  Realität  der  Dinge:  für  das 
Wirküche  im  Erkennen,  für  das  Mögliche  im  Erreichen.  Sein  klarer,  durch- 
dringender Verstand  wurde  in  seinem  Urtheile  über  Menschen  und  Situationen 
niemals  durch  Liebe  und  Hass  getrübt.  Er  war  Meister  in  der  schweren  Kunst, 
Fühlen  und  Denken  gänzlich  auseinanderzuhalten.  Darum  hat  er  niemals  einen 
(iegner  unter-,  einen  Freund  überschätzt.  Mit  dieser  Eigenschaft  verband  er 
eine  Fähigkeit  der  Selbstbeherrschung,  wie  ich  sie  in  ähnlichem  Maasse  niemals 
bei  einem  Anderen  angetroffen  habe.  In  der  Zeit,  während  welcher  ich  neben  ihm 
der  Wiener  Juristenfakultät  angehörte,  war  dieses  Collegium  mit  erbittertem  Zwist 
und  Kampf  erfüllt;  da  sprach  er  denn  selbst  während  der  heissesten  Debatten 
stets  kühl,  sachlich  und  mit  der  ihm  eigentümlichen  epigrammatischen  Schärfe 
und  zwar  auch  dann,  wenn  er  im  innersten  Herzen  an  dem  Gegenstände  des 
Kampfes  betheiligt  war.  Er  hat  niemals  ein  heftiges  oder  auch  nur  ein  starkes 
Wort  gebraucht,  ja  er  besass  die  fast  unbegreifliche  Fähigkeit,  die  gröbsten 
persönlichen  Angriffe  schweigend  hinzunehmen.  Gerade  aber  dieser  Gleichmuth 
machte  ihn  gefürchtet  und  gab  ihm  eine  unvergleichliche  Überlegenheit  in  der 
Diskussion.  Dabei  war  es  sein  unverrückbares  Prinzip,  alles  Amtliche  rein  sach- 
lich zu  behandeln,  und  er  zeigte  daher  niemals  Gereiztheit  oder  auch  nur  Ver- 
stimmung im  persönlichen  Verkehr  mit  Gegnern,  wie  er  denn  überhaupt  .ledermann 
unter  allen  Verhältnissen  in  der  gleichen  ungezwungenen  Weise  zu  behandeln 
wusste.  Seine  Ruhe  und  Klarheit,  seine  Menschen-  und  Sachkenntniss  bewährten 
sich  am  glänzendsten,  wenn  er  akademische  Geschäfte  zu  leiten  hatte.  Das  hat 
sich  während  seines  Dekanates  1HH3  H4  gezeigt,  wo  er  unter  schwierigen  Ver- 
hältnissen meisterhaft  die  Angelegenheiten  der  Fakultät  verwaltete.  Dass  er 
später  als  Rektor  seinen  feinen  Takt  und  sein  grosses  administratives  Talent  in 
hervorragendem  Maasse  bethätigte,  hat  mir  ein  hoher  Beamter  des  österreichischen 
Unterrichtsministeriums  mit  bewundernder  Anerkennung  erzählt. 

In  Deutschland  und  der  Schweiz  hat  Exner  seine  idealen  Anschauungen 
von  den  Aufgaben  und  der  Stellung  der  Universitäten,  von  den  Rechten  und 
Pflichten  der  akademischen  Lehrer  gewonnen.  Die  österreichischen  Universitäten 
haben  zwar  durch  das  grossartige  Reformwerk  Leo  Thuns  einen  gewaltigen 
Aufschwung  genommen,  allein  das  Vorbild  der  deutschen  Hochschulen  Ist  nicht 
in  allen  Stücken  glücklich  kopirt  worden.  Vor  Allem  ist  die  Selbständigkeit 
der  österreichischen  Universitäten  gegenüber  der  Regierung  weitaus  geringer  als 


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Biographische  Blätter. 


die  der  deutschen,  der  Professor  viel  mehr  durch  Rücksichten  nach  Oben  in 
seinem  ganzen  Auftreten  gehemmt,  als  sein  deutscher  Kollege.  Dass  die  Universi- 
täten als  Korporationen  sich  an  die  Spitze  einer  grossen  öffentlichen  Aktion  stellen 
könnten,  wie  es  jüngst  in  Preussen  während  des  Kampfes  gegen  das  Zedlitzsehe 
Volksschulgesetz  der  Fall  war,  das  wiire  in  Österreich  ein  ausserhalb  des  Bereiches 
jeder  .Möglichkeit  liegender  Vorgang.  So  sehr  Exner  nuu  als  Professor  in  politischen 
Dingen  eine  reservirte  Haltung  einnahm,  so  hat  er  es  doch  stets  für  seine  Pflicht 
gehalten,  wo  die  Umstände  es  erforderten,  mit  seiner  ganzen  Person  für  das  öffent- 
liche Ansehen  und  die  Würde  der  Universität  einzutreten,  unbekümmert  darum, 
ob  ihin  daraus  Widerwärtigkeiten  haben  erwachsen  können.  Der  einzige  i>olitische 
Sc  hritt  der  Wiener  Univei-sität  in  den  letzten  Decennien.  ein  Protest  gegen  das 
Verhalten  eines  für  das  Taaffesche  System  begeisterten  Rektors  im  niederöster- 
reichischen Landtage,  Ist  von  ihm  ausgegangen  und  hat  ihm  heftige  Gegnerschaft 
mancher  Genossen  und  das  äusserstc  Missfallen  der  Regierung  zugezogen,  das  er 
in  seinem  unerschütterlichen  Gleichmuthe  ruhig  ertrag. 

Das  Blühen  und  Gedeihen  der  Universität  lag  ihm  sehr  am  Herzen.  Hier 
war  der  Punkt,  wo  die  scheinbar  so  kühle  Natur  Exners  die  ganze  ihr  inne- 
wohnende Wärme  offenbarte.  Bei  seiner  genauen  Kenntnis*  der  akademischen 
Verhältnisse  wusste  er,  dass  in  Österreich  das  Wachsthum  der  Universitäten  von 
der  Qualität  ihrer  Lehrer  viel  unabhängiger  sei,  als  in  Deutschland,  wo  im 
eigensten  Interesse  Regierungen  und  Fakultäten  wetteifern,  die  tüchtigsten  Männer 
auf  die  Lehrstühle  zu  berufen,  wo  weite  Kreise  der  Nation  sich  dauernd  und 
lebhaft  für  die  Universitäten  interessiren.  In  Deutschland  ist  es  Regel,  dass  der 
Student  von  Universität  zu  Universität  wandert,  um  den  oder  jenen  hervorragenden 
Lehrer  zu  hören,  ein  bedeutender  Mann  sieht  die  Schüler  aller  Culturnationen  zu 
seinen  Füssen.  Das  gehört  in  Österreich  vorderhand  zur  Ausnahme,  da  ent- 
scheiden fast  immer  ganz  andere  Rücksichten  bei  der  Wahl  einer  Universität. 
Damm  klagte  auch  Exner  unaufhörlich,  dass  es  in  Österreich  keine  öffentliche 
Meinung  in  Sachen  der  Wissenschaft  und  ihrer  Männer  gebe,  dass  häufig  der 
richtige  Maassstab,  manchmal  sogar  der  gute  Wille  zur  sicheren  Beurtheüung  der 
neu  zu  beratenden  Dozenten  in  den  entscheidenden  Kreisen  inangle.  Er  war  nun 
sorgfältig  darauf  bedacht,  nur  den  Würdigsten  z,im  Genossen  zu  wählen,  und 
niemals  hat  er  den  Bequemsten  und  Nächsten  mit  dem  Besten  verwechselt.  Vor 
Allem  war  er  ein  energischer  Vertreter  der  Zusammengehörigkeit  der  öster- 
reichischen und  deutscheu  Universitäten,  er  fürchtete  den  Verfall  der  heimischen 
Hechschulen,  wenn  man  es  nicht  verstände,  über  der  staatlichen  Spaltung  die  alt*' 
nationale  Einheit  der  Universitäten  deutscher  Zunge  zu  erhalten.  Noch  als  ich 
ihn  das  letzte  Mal  sah.  sprach  er  mit  mir  lebhaft  davon  und  zwar  dies  Mal  mit 
einem  Zuge  schmerzlicher  Resignation.  Die  politischen  Verhältnisse  Hessen  ihn 
düster  in  die  Zukunft  der  heimischen  Universitäten  blicken.  Diese  Sorge  und 
dieses  Weh  sind  meine  letzten  Erinnerungen  an  den  persönlichen  Verkehr  mit  ihm. 

Mit  ihm  ist  auch  ein  wichtiges  persönliches  Bindeglied  zwischen  den  akade- 
mischen Lehrern  Österreichs  und  Deutschlands  dahingegangen.  Durch  seine  liebens- 
würdige, geistvolle,  ungezwungene  Art  hat  er  sich  an  den  deutschen  Universitäten, 
wo  man  ja  lange  dem  Österreicher  mit  einer,  noch  heute  nicht  überall  ganz  ver- 
schwundenen Reserve  gegen  übertrat,  viele  warmen  Freunde  erworben.  Als  ich  im 
Summer  18H(5  mit  ihm  gemeinsam  dem  Jubiläum  der  Universität  Heidelberg  bei- 
wohnte, da  konnte  ich  beobachten,  wie  sehr  ihm  die  Kunst  zu  eigen  war,  Menschen 
zu  gewinnen  und  zu  fesseln,  und  manchem  Mitgliede  jener  erlauchten  Fest  Ver- 
sammlung, die  ihres  Gleichen  noch  nicht  gefunden  hat.  ist  er  dauernd  in  freund- 
lichster Erinnerung  geblieben.    Nachdem  er  vor  einigen  Jahren  eine  Anfrage  der 


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Adolf  Exner. 


22C> 


leipziger  Juristenfakultät,  ob  er  Windscheids  Nachfolger  werden  wolle,  ablehnend 
beantwortet  hatte,  wurde  einmal  vor  mir  im  geselligen  Kreise  die  Frage  aufge- 
worfen, ob  er,  der  Wiener,  wohl  in  die  ganz  anders  gearteten  akademischen  und 
sozialen  Verhältnisse  der  nordischen  Universität  gepasst  hätte.  rl)er  passt  Uberall 
hin-,  ertönte  es  sofort  aus  dem  Munde  Theodor  Mommsens,  der,  im  Lobe  sonst 
karg,  mit  grosser  Wärme  Exners  Vorzüge  pries  und  den  ausserordentlich  günstigen 
Eindruck  schilderte,  den  er  nicht  lange  vorher  in  der  Berliner  Gesellschaft  bei 
Gelegenheit  eines  kurzen  Besuches  gemacht  hatte. 

So  gesättigt  an  Gaben  der  Natur  und  des  Schicksals  liess  er  Dinge  und 
Menschen  ruhig  an  sich  herankommen.  Kr  suchte  Niemanden  auf,  sondern  zog 
die.  welche  ihm  zusagten,  durch  die  Macht  seines  Weesens  an  sich.  Die  einzige 
Ausnahme  vielleicht,  die  er  darin  machte,  fand  vor  vielen  Jahren  auf  einem 
bayerischen  Bahnhofe  statt,  wo  er  mit  dem  Fürsten  Bismarek  zusammentraf. 
Von  dem  Verlangen  getrieben,  dem  gewaltigen  Manne  zu  nahen,  wagte  er  es,  dem 
Fürsten  eine  Zigarre  anzubieten,  die  dieser  mit  der  grössten  Liebenswürdigkeit 
aeeeptirte.  Unvergesslieh  war  ihm  der  sich  tief  in  die  Seele  bohrende  BWek  ge- 
blieben, mit  dem  ihm  der  Fürst  ins  Antlitz  sah,  bevor  er  die  dargereichte  Gabe 
entgegennahm;  das  Lächeln,  das  diesem  langen  Blicke  folgte,  bewies,  dass  er  vor 
diesem  grossen  Menschenkenner  in  heikler  Situation  die  Probe  bestanden  hatte. 

Zu  näherem  Umgänge  und  gar  zu  Freunden  wählte  er  die  Besten  und 
darum  nur  Wenige  aus;  wer  ihm  nicht  durchaus  zusagte,  den  wusste  er  von 
sich  fern  zu  halten.  Die  dem  Wiener  Volkscharakter  so  zusagende  Allerwelts- 
freundschaft,  in  der  leider  so  häufig  Schwäche  mit  Tücke  sich  paart,  hat  er  stets 
verachtet.  Trotz  eines  ausgesprochenen  diplomatischen  Zuges  in  seinem  Wesen 
wusste  daher  .leder,  woran  er  mit  ihm  war.  Den  Freunden  war  er  ein  treuer 
Berather,  man  vertraute  sich  ihm  gerne  an,  da  seine  überlegene  Ruhe  und  sein 
praktischer  Scharfblick  auch  die  dem  Nächsten  vorgezeichnete  Bahn  oft  besser 
erkannte  als  dieser  selbst.  Er  war  auch  stets  zu  freundschaftlicher  That  bereit, 
wenn  ihr  nach  seinem  Ermessen  ein  möglicher  Erfolg  beschieden  war.  Für  das 
Unmögliche  und  das  Unnütze  hat  er  sich  nie  eingesetzt,  weder  für  sich,  noch  für 
Andere. 

In  politischen  Dingen  war  er  einem  maassvollen  Fortschritt  zugethan.  Alles 
Radikale  war  ihm  durchaus  unsympathisch,  im  Sinne  der  extremen  Parteien  war 
er  daher  eher  als  konservativ  zu  bezeichnen.  Auch  politischen  Einfluss  hat  er 
niemals  gesucht.  Ein  Mandat  für  das  Abgeordnetenhaus  hat  er  zurückgewiesen. 
Aber  auch  eine  hervorragende  politische  Stellung  wurde  ihm  schliesslich  ungerufen 
zu  Theil.  Er  ward  Mitglied  des  Reichsgerichtes  und  des  Herrenhauses.  In  beiden 
Kollegien  stellte  er  sofort  seinen  Mann.  Im  Reichsgericht  imponirte  er,  wie  der 
Präsident  dieses  Tribunals  bezeugt  hat .  durch  die  siegreiche  Klarheit  seiner 
Argumentation,  die  nicht  leicht  mit  ebenbürtigen  Waffen  zu  bekämpfen  war.  Im 
Herrenhause,  dem  er  erst  seit  dem  Ende  des  Jahres  18t»2  augehörte,  hat  er  sich 
in  kurzer  Zeit  die  höchste  Achtung  erworben,  namentlich  seitdem  er  das  Referat 
in  der  Kommission  zur  Berathung  des  Gesetzes  über  das  Urheberrecht  erhalten 
hatte.  Er  schrieb  mir  damals  mit  hoher  Befriedigung,  Arie  es  ihm  gelungen  sei, 
die  ersten  praktischen  Juristen  der  Monarchie  zu  seinen  Ansichten  zu  bekehren, 
—  es  war  das  erste  Mal.  dass  er  selbst  mit  Stolz  eines  seiner  Erfolge  erwähnte. 
Seitdem  er  Mitglied  des  Herrenhauses  geworden  war,  hatte  ich  die  Uberzeugung, 
dass  er  zu  einer  leitenden  Stellung  im  Staate  berufen  sei.  Als  ich  ihm  gegenüber 
dieser  Überzeugung  Ausdruck  gab,  hat  er  sie  nicht  abgewiesen,  der  Ehrgeiz 
schien  nun  doch  in  ihm  envacht  zu  sein.  Er  wäre  sicher  ein  ausgezeichneter 
Minister  geworden:  seine  Kunst,  Menschen  zu  erkennen  und  zu  behandeln,  sein 
Biographische  Blatter.  I.  15 


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227 


Biographische  Blatter. 


Talent,  zu  organisiren  und  zu  verwalten,  hatten  »ich  in  solcher  Stelle  erst  recht 
entfalten  können.  Und  doch  war  es  vielleicht  auch  eine  Fügung  der  ihm  so  gnädig 
gesinnten  Götter,  dass  sie  ihn  scheiden  liessen.  bevor  sein  Lebensweg  in  neue 
Kuhnen  eingelenkt  hatte.  In  einem  so  schwer  zu  regierenden  Staate  wie  Öster- 
reich verlassen  die  leitenden  Personen  ihre  hohen  Stellungen  selten  ohne  tiefe  Ent- 
täuschungen, ohne  bittere  Opfer  an  Ansehen  und  allgemeiner  Werthschätzung. 
Das  ist  ihm  erspart  geblieben,  mit  ihm  ist  eine  reiche  Zukunft  ins  frühe  Grab 
gesunken,  er  hatte  niemals  eine  Vergangenheit  zu  beklagen. 

Als  bleibendes  Denkmal  seines  Namens  stehen  seine  Werke  da,  die  zu 
wttrdigen  liier  nicht  der  Ort  ist.  Seine  Lehre  vom  Rechtserwerb  durch  Tradition, 
sein  österreichisches  Hypothekenrecht.,  seine  Abhandlung  über  den  Hegriff  der 
höheren  Gewalt  haben  in  der  juristischen  Litteratur  ihre  bleibende  Stelle  ge- 
funden. Von  seinem  vielseitigen,  über  sein  Fach  weit  hinausgreifeuden  Wissen  hat 
seine  vielumstrittene  Rektoratsrede  über  politische  Bildung  glänzendes  Zeugnis* 
abgelegt. 

Unter  den  mächtigen  Arkaden  des  Hofes  der  Wiener  Universität,  wo  vor 
Kurzem  die  Höste  Franz  Exners  enthüllt  wurde,  wird  wohl  bald  auch  das  Hild 
seines  Sohnes  eine  Stätte  finden,  der  die  väterlichen  Traditionen  in  Pietät  und  aus 
eigenem  Antriebe  fortgesetzt  hat.  Dort  soll  es  auf  die  einander  ablösenden 
Generationen  der  Lehrer  und  der  Lernenden  blicken,  sie  mahnend,  die  echte 
akademische  Freiheit  zu  wahren  und  zu  bethätigen,  die  in  der  Abwehr 
banausischer,  in  der  Pflege  reiner  und  hoher  Gesinnung  besteht.  Der  alte 
Segenswunsch,  der  auf  die  ehrwürdige  Alma  mater  Wachsen,  Blühen  und  Gedeihen 
herabfleht,  kann  nur  dann  erfüllt  werden,  wenn  der  Geist  lebendig  bleibt,  von 
dem  auch  Adolf  Exner  beseelt  war. 

 ■  <S=  

Natanael  Pringsheim. 

Von 

E.  ROTH  (Halle). 

Mit  Natanael  J'ringsheim  ist  ein  Fürscher  dahingegangen,  dessen  Andenken  allein 
desshalb  niemals  verlöschen  wird,  weil  es  ihm  als  ersten  vergönnt  war,  im  Pflanzenreiche 
die  Vereinigung  des  mitnnliehen  Bcfruehtungskörpers  mit  dem  weiblichen  Ei  zu  beobachten 
und  nachzuweisen.  Diese  Entdeckung,  diese  fundamentale  Wahrnehmung,  welche  man  bis 
dahin  nur  zu  ahnen  vermochte,  sichert  ihm  für  alle  Zeiten  einen  Ehrenplatz  unter  den  » ie- 
lchrten,  ihm,  welcher  mit  zu  den  Begründern  der  modernen  Botanik  zHhlt  und  dieselbe  in 
so  hervorragendem  Maasse  förderte.  Oeboren  wurde  N.  Pringsheim  am  30.  November  1823 
zu  Wziesko  in  Oberschlesien  als  Sohn  eines  begüterten  Industriellen,  dessen  Kinderschaar 
bis  auf  neunzehn  anwuchs.  Die  Schule  besuchte  er  zuerst  zu  Oppeln,  um  dann  auf  das 
Friedrichs-!  iymnasium  zu  Breslau  überzugehen,  wo  er  sich  das  Zeugniss  der  Beife  erwarb. 
Die  eisten  Universitiitsstudien  Hessen  den  AnfUngcr  sich  den  philosophischen  Disziplinen 
in  Breslau  zuwenden,  doch  bald  trat  er  zur  medizinischen  Fakultät  über,  die  er  dann  mit 
der  in  Leipzig  vertauschte.  Nach  einem  abermals  nur  kurzem  Aufenthalte  wandte  er  sich 
Berlin  zu,  wo  er  sowohl  medizinischen  wie  philosophischen  Studien  oblag.  Als  Frucht  der 
letzteren,  die  hauptsächlich  der  Botanik  galten,  entstand  seine  Dissertation,  mit  welcher  er 
lS-ls  in  Berlin  den  philosophischen  Doktorgrad  erwarb.  O  einstige  materielle  Umstände 
verstatteten  es  dem  jungen  Oelehrten.  sich  zuerst  in  der  Welt  etwas  umzusehen,  und  so 
finden  wir  ihn  denn  in  Paris  mit  botanischen  Arbeiten  wiihrend  eines  Jahres  beschHft igt ; 


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Natanael  Pringsheim. 


•228 


dort  schloss  er  ein  intimes  Freundschaftsbündniss  mit  K.  Hörnet,  welchen  er  die  Freude 
hatte  in  der  zweiten  Generalversammlung  der  Deutschen  botanischen  ( Jesellschaft  im  Jahre 
1884  zum  Ehrenmitgliede  der  letzteren  erwählt  zu  sehen. 

Gerade  die  niederen  Pflanzen  zogen  Pringsheim  an,  und  ihnen  hat  er  denn  fast  seine 
ganze  so  unermüdliche  Arbeitskraft  während  seines  thatenreichen  Lebens  gewidmet.  Bereits 
1*50  hat  er  die  Entwicklungsgeschichte  von  Achlya  prolifcra  studirt.  eine  Untersuchung, 
welche  von  der  Kais.  Tjeopold.  Akademie  der  Naturforscher  zum  Druck  befördert  wurde. 

Ihr  folgten  bald  algologische  Mittheilnngen  in  der  Flora,  bis  sich  der  Arbeitsplan 
mehr  und  mehr  dem  Bau  und  der  Bildung  der  Pflanzenzelle  überhaupt  zuneigte;  als  Nieder- 
schlag dieser  Studien  erschien  1852  ein  umfangreicheres  Werk.  Nunmehr  wandte  sich  Pringsheim 
der  Entwicklung  der  niederen  Algen  zu,  wobei  er  1855  die  geschlechtliche  Fortpflanzung 
von  Vaucheria  torrestris  nachwies.  Ci  rosse  Aufregung  rief  diese  Entdeckung  hervor,  zum 
ersten  Male  gelang  es.  im  Pflanzenreiche  darzuthun,  wie  die  Sperma tozoen.  denen  jetzt  erst 
diese  Bezeichnung  mit  Recht  zukam,  bei  der  Berührung  mit  der  weiblichen  Eizelle 
ihr  Protoplasma  mit  der  letzteren  vereinigten.  Wohl  hatte  Thuret  die  vorbereitenden 
Schritte  gethan  und  die  geschlechtliche  Befruchtung  geahnt  und  vorausgesehen,  aber  das 
Verdienst,  dieselbe  zuerst  sinnlich  beobachtet  zu  haben,  gebührt  unserem  Pringsheim  voll 
und  ganz.  Was  Wunder,  dass  dieser  so  wichtige  Fund  seinen  Entdecker  mit  einem 
Schlage  berühmt  machte,  und  nur  als  eine  wohlverdiente  Anerkennung  vermag  man  es  zu 
bezeichnen,  dass  die  Berliner  Akademie  Pringsheim  1860  zu  ihrem  Mitgliede  wählte. 

Bereits  vorher  hatte  aber  unser  Gelehrter  ein  Unternehmen  ins  Leben  gerufen,  welches 
"einen  Namen  ständig  auf  den  Lippen  aller  Botaniker  erhält:  es  war  die  Schaffung  der 
Jahrbücher  für  wissenschaftliche  Botanik,  welche  er  1858  gründete,  sie,  welche 
als  Pringsheim's  Jahrbücher  überall  kurz  zitirt  weiden.  Welche  Füllo  von  Be- 
obachtungen liegt  in  dieser  Zeitschrift,  welche  jetzt  bis  zum  28.  Bande  gediehen  ist  nieder- 
gelegt welch'  reiche  Anregung  ging  von  ihrem  Inhalt  aus.  und  wie  besorgt  war  der  Her- 
ausgeber stets  für  diese  seine  Schöpfung,  damit  die  Wissenschaftlichkeit  nicht  sänke  und 
gefährdet  werde. 

Lange  freilich  blieb  Pringsheim  zunächst  nicht  im  Schoosse  der  Berliner  Akademie, 
•ienn  1864  folgte  er  einem  Hufe  nach  .Jena  als  ordentlicher  Professor  der  Botanik  an  dieser 
Hochschule,  obwohl  Berlin  bereit«  damals  Anstrengungen  machte,  sich  diesen  Forscher  zu 
erhalten:  so  wollte  man  ihn  an  die  Spitze  eines  pflanzenphysiologischen  Laboratoriums 
stellen,  doch  die  Unterhandlungen  zerschlugen  sich.  Was  aber  in  der  Hauptstadt  Preussens 
damals  nicht  möglich  war.  vollzog  sich  in  dem  kleinen  thüringischen  Städtchen,  dem  denn 
die  Ehre  zufiel,  dass  in  ihn»  das  erste  botanische  Lal>oratorium  begründet  wurde,  welchem 
spater  derlei  Institute  an  allen  deutschen  Universitäten  und  Hochschulen  folgten,  meist  als 
Kopiecn  jener  ersten  Anstalt  Nur  vier  .Jahre  lehrte  Pringsheim  in  Jena,  wo  ihn  eine  ge- 
wisse Kränklichkeit  an  einem  behaglichen  Arbeiten  hinderte  und  die  Lehrtätigkeit  eine 
dauernde  Unterbrechung  seiner  Untersuchungen  forderte.  So  kann  man  es  denn  nur  als 
eine  vortheilhafte  Wendung  seines  Lebens  bezeichnen,  dass  er  1868  wieder  als  Mitglied  der 
Akademie  nach  Berlin  zurückkehrte,  wo  er  sich  ein  eigenes  Laboratorium  in  eigenem  Hause 
schuf  und  nie  mehr  die  Lehrkanzel  betrat.  Schwer  ist  es.  in  einem  kurzen  Hahmen  die 
I/eistungen  unseres  Gelehrten  zusammenzudrängen,  zumal  sich  dieselben  auf  so  verschiedene 
Gebiete  erstreckten.  Wir  wollen  desshalb  nur  bei  einigen  Einzelheiten  verweilen  und  im 
Eitrigen  auf  die  am  Schluss  folgende  Zusammenstellung  seiner  Arbeiten  verweisen,  welch« 
bibliographisch  genau  durch  Angabe  der  Seiten  auch  den  jeweiligen  Umfang  erkennen  lassen. 

Von  dem  zweiten  Berliner  Aufenthalt  nn  treten  hauptsächlich  physiologische  Studien 
in  den  Vordergrund  von  Pringsheim's  Arbeiten,  die  Assimilation  beschäftigte  ihn  dauernd 
und  namentlich  die  Zersetzung  der  Kohlensaure  durch  die  Thütigkeit  der  (Jewüchse.  (  bor 
das  Chlorophyll  veröffentlichte  er  mehrere  Schriften,  welche  sKmmtlich  den  subtilen  Arbeiter, 
den  überaus  sorgfältigen  Beobachter  und  fesselnden  Darsteller  verrathen.    Freilich  haben 

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Biographische  Blätter. 


«eine  Resultate  nicht  stets  die  Zustimmung  der  anderen  Botaniker  gefunden,  doch  ist  die 
Anerkennung  seiner  Forschungen  Uber  den  Hinttuss  des  freien  Sauerstoffes  auf  die  Ro- 
tation und  Cirkulation  des  Protoplasmas  seitens  der  Fachgenossen  wohl  ohne  Ausnahme 
gesichert  Nicht  so  unbestritten  ist  seine  Ansicht,  dass  das  Chlorophyll  als  Schutz  für  das 
Protoplasma  gegen  das  Licht  hauptsächlich  wirke. 

Dauernd  wird  der  Name  des  Gefeiorten  auch  in  der  Pringsbeim'schen  Gaskammer 
fortleben,  eine  Frucht  seiner  langwierigen  Untersuchungen,  welche  leider  nicht  zu  einem 
umfassenden  Werke  zusammengefaßt  sind,  wenn  auch  werthvolle  Vorarbeiten,  einzelne 
fertige  Abschnitte,  wie  sie  in  den  Veröffentlichungen  vorliegen,  und  eine  grosse  Anzahl 
Zeichnungen  in  groben  Umrissen  eine  Pbytophysiologie  erwarten  Hessen. 

Daneben  gingen  Pringsheims  Bestrebungen,  eine  Deutsche  botanische  Gesellschaft  in 
das  Leben  zu  rufen,  ein  Plan,  welcher  auf  der  Naturforscher-  und  Arzte -Versammlung  zu 
Eisenach  im  Herbst  1882  verwirklicht  wurde.  Wahrlich,  nur  einem  Pringsheim  haben  wir 
es  zu  danken,  dass  dem  Anfangs  Juni  versandten  Aufruf  zur  Gründung  einer  derartigen 
Gemeinschaft  so  zahlreich  entsprochen  wurde,  nachdem  er  so  manches  widerstrebende 
Urtheil  bekämpft  und  so  manchen  lauen  Fachgenossen  zur  eifrigen  Botheiligung  angestachelt 
hatte.  Bereits  bis  zum  1.  Juli  1882  hatten  288  deutsche  Botaniker  ihren  Beitritt  an- 
gemeldet, während  heutzutage  die  Zahl  auf  Über  400  gestiegen  ist  und  sich  nicht  auf  die 
deutschen  Grenzen  beschränkt  Die  Gesellschaft  ehrte  dann  auch  den  geistigen  Gründer 
dadurch,  dass  sie  ihn  stets  bis  zu  seinem  Hinscheiden  zum  Präsidenten  wählte,  als  welcher 
er  die  Generalversammlungen  jährlich  zu  leiten  hatte.  Aber  auch  andere  Ehre  ward  dem 
Forscher  zu  Theil.  So  sei  darauf  hingewiesen,  dass  er  bei  der  Kaiserlich  Leopoldino- 
Carolinischen  Deutschen  Akademie  der  Naturforscher  Mitglied  des  Vorstandes  der  Fach- 

war;  so  sei  daran  erinnert,  dass  viele  andere  Akademieen  wie  wissen- 
schaftliche Gesellschaften  es  sich  zur  Ehre  schätzten,  ihn  unter  ihren  korrespondirenden, 
auswärtigen  oder  Ehren-Mitgliedern  zu  führen.  Stattlich  war  die  Zahl  dieser  Vereine, 
welche  dem  Jubilar  zu  seinem  70.  Geburtstage  ihre  Huldigung  am  30.  November  1893  dar- 
brachten, von  dem  es  in  einer  Adresse  so  richtig  hiess:  «Ein  Leben  wie  das  Ihrige,  das 
in  selbstloser  Hingabe  einzig  und  allein  der  Wissenschaft  geweiht  ist  geniesst  seinen  Lohn 
in  der  allgemeinen  Verehrung,  die  demselben  in  den  weitesten  Kreisen  der  wissenschaft- 
lichen Welt  entgegengetragen  wird."  Was  will  es  dagegen  sogen,  dass  die  Königliche 
Regierung  ihm  1888  den  Titel  eines  Geheimen  Regierungsrathes  verlieh,  ihm,  der  niemals 
nach  äusseren  Ehren  geizte. 

Am  6.  Oktober  1894  raffte  den  greisen  Gclohrten,  dessen  letzte  Veröffentlichung 
bereits  aus  dem  Jahre  1888  stammt,  eine  Bronchitis  hinweg;  freilich  haben  wir  die  Hoffnung, 
aus  seinem  Nachlass  noch  eine  Arbeit  über  das  Wachsthum  der  chemischen  Contactmem brauen 
zweier  sich  berührenden  Flüssigkeiten  zu  erhalten. 

Was  Pringsheim's  sonstiges  Lehen  anlangt,  so  vermählte  er  sich  am  20.  Mai  1851 
nach  langer  Verlobungszeit  mit  Henriette  Guradze.  deren  Heimath  ebenfalls  Schlesien  war. 
Das  Familienleben  war  äusserst  glücklich;  drei  Töchter  entsprangen  der  Ehe,  deren  mittelste 
bereits  als  Kind  starb;  die  lilteste  ist  an  den  Chemiker  Ladenburg  in  Breslau  verheirathet 
die  jüngere  folgte  einem  Cohn  als  Gemahlin.  Wer  einmal  da*  Glück  gehabt  hat,  in  der 
Priugsheimsehen  Familie  näher  zu  verkehren,  wer  ausser  den  grossen  Gesellschaften  im 
kleineren  Cirkel  die  Vorzüge  des  Hauses  gemessen  durfte,  wird  sich  stets  der  immer  gleich- 
bleibenden Güte  des  Khepaares  mit  Dankbarkeit  erinnern,  welches  trotz  der  oft  so  be- 
deutenden Unterschiede  in  den  Lebensjuhren  sich  in  die  Seele  der  jüngeren  Generationen 
zu  versetzen  verstand  und  sich  in  den  Herzen  derselben  eine  bleibende  Stätte  schuf.  Den 
Tod  seiner  Frau  konnte  Pringsheim  nicht  verschmerzen,  er  verwand  den  Schlag  nicht  mehr. 
Namentlich  Fachgenossen  gegenüber  war  Pringsheim  in  jeder  Weise  gefällig;  gern  stellte 
er  sein  Laboratorium  zur  Verfügung,  seine  Bibliothek  mit  ihren  reichen  Schätzen  konnte 
nachhaltig  benutzt  werden,  werthvolle  Fingerzeige  halfen  dem  nicht  so  bewanderten  oftmals 


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Natanael  Pringsheim. 


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rascher  vorwärts,  als  mühsames  Experimentiren  und  Lesen  von  allerhand  Büchern:  kurz  in 
jeder  Weise  war  1  Pingsheim  bemüht.  Mittel  und  Wege  anzugeben,  um  jüngere  Forscher  zu 
unterstützen  und  ihnen  zu  helfen. 

Selbst  Uber  das  Ural»  hinaus  wird  dieser  Fürsorge  noch  Rechnung  getragen,  insofern 
die  Krten  in  richtiger  Erkenntniss  der  Sachlage  die  Bibliothek  des  Verewigten  der  deutschen 
botanischen  Gesellschaft  als  beschenk  anboten,  zugleich  mit  einer  Summe,  aus  welcher  die 
fortlaufenden  dauernden  Ansgahen  zu  bestreiten  seien.  Obwohl  statutengemäß  diese  Ver- 
einigung nicht  den  Besitz  einer  Bibliothek  erstrebt,  wurde  dennoch  beschlossen,  von  dem 
hochherzigen  Anerbieten  Gehrauch  zu  machen  und  das  Geschenk  anzunehmen. 

Die  .Jahrbücher  werden  el»enfalls  im  alten  bewahrten  Sinne  fortgeführt,  und  es  ist 
desshalb  nicht  zu  befürchten,  dass  selbst  in  unserer  schnellebigen  Zeit,  wo  der  Blick  für 
eros.se  und  l»edeutungsvolle  Errungenschaften  der  Vergangenheit  so  leicht  getrübt  ist  und 
gilnzlich  verloren  geht,  ein  Name  vergessen  wird,  dessen  Träger  uns  zu  Thatsachen  verhalf, 
welche  heutigen  Tages  Allgemeingut  geworden  sind,  vorher  aber  unbekannt  waren. 

Selbststandig  erschienene  Werke. 
De  forma  et  increniento  stratorum  crassiorum  in  plantarum  cellula  observationes  quaedam 
novae.  Halae  1848.  8°.  36  S.  2  Tafeln.    Inaug.-Diss.  von  Berlin.  (S.-A.  aus  Linnaea.) 
Untersuchungen  Uber  den  Bau  und  die  Bildung  der  Pflanzenzelle.  1.  Abth.  Grundlinien  einer 
Theorie  der  Pflanzenzelle.    Berlin  1*54.    A.  Hirschwald.  4°.   VII  u.  91  S.   4  Tafeln. 
Ueber  die  Befruchtung  und  Keimung  der  Algen  und  da«  Wesen  des  Zeugungsaktes. 

Ebenda    1855.    8».    33  S. 
Zur  Kritik  und  Geschichte  der  Untersuchungen  über  das  Algengeschlocht    Ebenda  1854. 
IV  u.  75  S. 

Cher  Richtung  und  Erfolge  der  cryptogamischen  Studien  neuerer  Zeit.  Jena  1865. 
F.  Frommann.  8°.  29  S.  Öftentliehe  Rede  zum  Eintritt  in  die  philosophische 'Fakultät 
der  Universität  Jena,  gehalten  am  20.  Okt.  1864. 

Abhandlungen  der  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
1S62.  S.  1—37.    8  Tafeln.    Beitrüge  zur  Morphologie  der  Meeresalgen. 
1873.  S.  137    191.    11  Tafeln.    Über  den  Gang  der  morphologischen  Difterenzirung  in 

der  Sphacelarien-Keihe. 

Bericht  über  die  zur  Bekanntmachung  geeigneten  Verhandlungen  der 
Kgl.  Preuss.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 

1855.  S.  133—165.    1  Tafel.    Über  die  Befruchtung  der  Algen. 

(Forts,  als  Monatsberichte.)  Aus  dem  Jahre: 

1856.  S.  225  -  237.   1  Tafel.   über  die  Befruchtung  und  den  Generationswechsel  der  Algen. 

1857.  S.  315—  330.  Über  die  Befruchtung  und  Vermehrung  der  Algen. 

1*60.  S.  397—401.  Antrittsrede  in  der  Akademie.  S.  775—794.  1  Tafel.  Über  die  Dauer- 
schwärmer des  Wassernetzes  und  einige  ihnen  verwandte  Bildungen. 

1862.  S.  5  *  Beiträge  zur  Morphologie  der  Meeresalgen.  S.  225  -  231.  Über  die  Vorkeime  . 
der  ('hären. 

1863.  S.  168— 177.  Über  die  Embryobild  uns  der  Gefüsskryptogamen  und  das  Wachsthum 
von  Salvinia  natans. 

1869.  S.  92  116.  1  Tafel.  Über  die  Bildungsvorgänge  am  Vegetationskegel  von  Utri- 
eularia  vulgaris.  S.  721  738.  1  Tafel.  Über  die  Paarung  von  Schwarmsporen,  die 
morphologische  Grundform  der  Zeugung  im  1  Pflanzenreiche. 

1871.  S.  240—255.  1  Tafel.  Über  die  männlichen  Pflanzen  und  die  Schwarmsporcn  der 
Gattung  Brvopsis. 

1*72.  S.  242*.    Beiträge  zur  Morphologie  der  Sphacelaceen. 

*  Nur  Titelangabe. 


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231 


Biographische  Blätter. 


1873.  S.  483*.  lvher  den  Gang  der  morphologischen  Differenzirung  in  der  Sphacelarionreihe. 
S.  484-485.  Über  die  neueren  Resultate  seiner  Untersuchungen  an  den  Saprolegnieen. 

1874.  .S.  628-659.   1  Tafel.  Über  die  Absorptionsspectra  der  Chlorophyllfarbstofl'e. 

1875.  S.  725—759.  1  Tafel.  Über  natürliche  Chlorophyllmodifacationen  und  die  Farbstoffe 
der  Florideen. 

1876.  S.  425  429.  1  Tafel.  Über  vegetative  Sprossung  der  Moosfrüchte.  S.  869-911. 
Über  den  Generationswechsel  der  Thallophyton  und  seinen  Anschluss  an  den  Genera- 
tionswechsel der  Moose. 

1877.  S.  447*.  Über  die  Bedingungen,  unter  welchen  phanerogamo  Pflanzen  im  Licht  ergrüneu. 

1878.  S.  532-  546.  Über  Lichtwirkung  und  Chlorophyll-Funktion  in  der  Pflanze.  S.  860— 878. 
über  das  llypochlorin  und  die  Bedingungen  seiner  Entstehung  in  der  lHanze. 

1881.  S.  117—185.    Zur  Kritik  der  bisherigen  Grundlagen  der  Assimilationstheorie. 

S.  504—  535.    1  Tafel.  Ueber  die  primären  Wirkungen  des  Lichtes  auf  die  Vegetation. 

Sitzungsberichte  der  Kgl.  Preuss.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 

1882.  S.  855-  890.  Neue  Beobachtungen  ül>er  den  Befruchtungsakt  der  Gattungen  Achlya 
und  Saprolegnia.    1  Tafel. 

1883.  S.  213*.    Nachträgliche  Bemerkungen  zum  Befruchtungsakt  von  Achlya. 
1S84.  S.  85*.    Über  die  Sauerstoffabgabe  im  Spektrum. 

1886.  S.  137—176.  über  die  Sauerstoffabgal>e  der  Pflanzen  im  Mikrospektrum.  2  Tafeln. 
S.  651—662.  Über  die  vermeintliche  Zersetzung  der  Kohlensaure  durch  dun 
Chlorophyll  farbstofl'. 

1887.  S.  763  777.  über  die  Abhängigkeit  der  Assimilation  grüner  Zellen  von  ihrer 
Sauerstofl'athmung.  und  den  Ort,  wo  der  in»  Assimilationsaktc  der  Pflanzenzelle  ge- 
bildete Sauerstoff  entsteht. 

1888.  311*.   Über  die  Entstehung  der  Kalkincrustationcn  an  Süsswasserpflanzen. 

1889.  S.  319*.    Über  alkalische  Ausscheidungen  der  Pflanzen  im  Licht. 

1891.  S.  991*.  Über  die  Wachsthunisi  ichtung  chemischer  Niederschläge.  Ein  experimenteller 
Beitrag  zur  Theorie  der  Lösungen. 

1892.  S.  967*.    Über  Wachsthum  chemischer  Niederschläge  in  Gallerte. 

Annalen  der  Landwirthschaft. 

Band  44.  (Jahrg.  22.)  1864.  S.  97— 132.  General-Bericht  über  die  von  den  landwirt- 
schaftlichen Akademieen  und  Versuchsstationen  eingereichten  Spezialberichte,  ihre  in 
den  .fahren  1862  und  1863  ausgeführten  Untersuchungen  über  Kartoffelkrankheit  und 
das  Kartoffelwachsthum  umfassend,  erstattet  von  der  Central-Konimission  für  das 
agrikultur-chemische  Versuchswesen  ( Berichterstatter  Prof.  Dr.  Pringsheim).  5  Tabellen. 

Band  57.  (.Jahrg.  29.)  1871.  S.  1— 28.  Dritter  Bericht  der  Central-Kommission  für  da> 
agrikultur-chemische  Versuchswesen  über  die  in  den  landw.  Akademieen  und  Versuchs- 
stationen eingereichten  Spezialberichte,  ihre  in  den  Jahren  1868  und  1869  aufgeführten 
l'ntersuchungcn  über  die  Kartofl'elkrankheit  uud  das  Kartoffelwachsthum  umfassend, 
(lief.  Prof.  l'ringsheim). 

Archiv  für  die  gesammte  Physiologin  des  Menschen  und  der  Thiere. 
Band  XXXVIII.    1886.    S.  142-153.    Über  die  Sauerstoffabgabe  der  Pflanzen  im  Mikro- 
spectruni.    Nach  einem  Vortrage  in  der  botanischen  Section  der  Naturforscher- 
Versammlung  in  Strassburg  am  19.  September  1885. 

Berichte  der  deutschen  botanischen  Gesellschaft. 
Band  I.    1883.  S.  2*8—308.   1  Tafel.   Über  Cellulinkorner.  eine  Modifikation  der  Cellulose 
in  Körnerform. 

Band  III.  1885.  S.  LXXII-  LXXX.  Über  die  Sauerstoffabgabe  der  Manzen  im  Mikro- 
spektrum. 

*  Nur  Titelangabe. 


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Natanael  Pringsheim 


232 


Band  IV.  1886.  8.  LXXIX— XC.  Über  die  chemischen  Theorien  der  Chlorophyllfunktion  und 
die  neueren  Versuche  die  Kohlensaure  ausserhalb  der  Pflanze  durch  den  Chlorophyll- 
farbstoff zu  zerlegen. 

S.  XC—  XCVII.  Zur  Beurtheilung  der  EngelmannschenBakterienmetkode  in  ihrer  Brauch- 
barkeit zur  quantitativen  Bestimmung  der  Sauerstoffahgal>c  im  Spektrum. 
Band  V.    1887.    S.  294-  807.  Über  Inanition  der  grünen  Zelle  und  den  Ort  ihrer  Sauer- 
stoffabgabe. 

S.  IX— XXXIII.    Jean  Baptiste  Boussingault  als  Pflanzenphysiologe. 

Biologisches  Centralblatt. 
Band  VII.    1887.    S.  129-132.    Abwehr  gegen  Abwehr. 

Botanisches  Centralblatt 
Band  XIV.     1883.    Jahrgang  4.    Quartal  2.     S.  378-  382.    Über  die  vermeintlichen 
Amöben  in  den  Schlauchen  und  Oogonien  der  Saprolegnieen. 

(  «mptes  rendus  hebdoniadaires  des  seanecs  de  1'academie  des  sciences  (de  Paris). 
Tome  XC.    Janvier— Juin  1880.    S.  101— 165.    Remarques  sur  la  chlorophylle. 

Landwirtschaftliche  Jahrbücher. 

Band  II.  1873.  S.  1— 5  bezw.  106.  ( Referent  Pringsheim :  Aus  dem  Berichte  der  Centrnl- 
Kommission  für  das  agrikulturchemische  Versuchswesen  Uber  die  von  Dr.  Müller  in 
Lippstadt  ausgeführte  botanische  Untersuchung  der  Boker  Haide  und  dessen  sich 
anschliessende  Folgerungen  über  die  l.'rsacho  der  Knochenbrüchigkeit  des  Viehes.) 

Band  V.  1876.  S.  1129—1141.  (Referent  Pringsheini:  Vierter  Bericht  der  Centrai- 
Kommission  für  das  agrikulturchemische  Versuchswesen  .  .  .  Uber  die  von  den  land- 
wirtschaftlichen Akademieen  und  Versuchsstationen  eingereichten  Spezialberichte,  ihre 
in  den  Jahren  1871—1873  ausgeführten  Untersuchungen  über  die  Kartoffelkrankheit 
und  das  Kartoffelwachsthum  umfassend.) 

Flora. 

1852.  Neue  Reihe  Jahrgang  X  oder  der  ganzen  Reihe  Jahrgang  XXXV.  S.  465—480, 
481—492.    Algologische  Mittheilungen.    2  Tafeln. 

Linnaea. 

Band  V.  1848.  S.  145—180.  2  Tafeln.  De  forma  et  incremento  stratorum  crassiorum  in 
plantarum  cellula  observationes  quaedam  novae. 

Verhandlungen  der  Kais.  Leopoldiniscb-Carolinisehen  Akademie 
der  Naturforscher.    (Nova  acta  .  .  .) 
Band  15.    1851.  S.  395—460.  5  Tafeln.  Die  Entwicklungsgeschichte  der  Achlya  prolifera. 

Verhandlungen  des  botanischen  Vereins  der  Provinz  Brandenburg. 
Jahrg.  17.  1875.  S.  4*.  über  die  Absorptionsspektra  der  Chlorophyllfarbstoffe. 
.    18.  1876.  S.  IIIL*.  Über  Sprossung  der  Moosfrüchte. 
.    21.  1879.  S.  121    122.  Mikroskopische  Photochemie. 

Botanische  Zeitung. 
Jahrg.  9.  1851.  S.  97— 103,  113—120.    1  Tafel.    Entwicklungsgeschichte  des  Stempels, 
des  SamentrHgers  und  der  unbefruchteten  Samenknospen  von  Mereurialis  annua. 
,    11.  1853.  S.  241-244.  1  Tafel.  Notiz  über  die  Sehleuderer  von  Equisetum. 
.    13.  1855.  S.  302-304.  Erklärung. 

,    28.  1870.  S.  265—272.  Einige  erläuternde  Bemerkungen  zu  den  Folgerungen  aus 

seinen  Beobachtungen  über  Schw'lrmsporen-Paarung. 
.    37.  1879.  S.  789—797.  811    815.  Über  die  Liehtwirkung  und  Chlorophyll-Fiuiktion 

in  der  Pflanze.    (  Aus  dem  Monatsbericht  d.  Kgl.  Ak.  d.  Wiss.  zu  Berlin  1879.) 
-    45.  1887.  S.  200—204.   Abwehr  gegen  Abwehr. 


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233 


Biographische  Blätter. 


Jahrbücher  für  wissenschaftliche  Betanik. 
Bd.  1.  1858.    S.  1—  81.    6  Tafeln.    Beiträge  zur  Morphologie  und  Systematik  der  Algen. 
1)  Morphologie  der  Oedogonien.       S.  284—306.    3  Tafeln.   2)  Die  Saprolegnieen. 
S.  189—192.    1  Tafel.    Cber  das  Austreten  der  Sporen  von  Sphaeria  Scirpi  au* 
ihren  Schläuchen. 

„  2.  1860.  S.  1-38.  6  Tafeln.  Beiträge  zur  Morphologie  und  Systematik  der  Algen. 
3)  Die  Coleoehaoton.  4)  S.  205  -236.  4Taf.  Nachträge  zur  Morphologie  der  Saprolegnieen. 
S.  470—481.  Nachtrag  zur  Kritik  und  Geschichte  der  Untersuchungen  über  das 
Algengeschlecht 

„  3.  1863.  S.  294  -324.  5Taf.  Über  die  Vorkeime  und  die  nacktfüssigen  Zweige  der  ('hären. 

S.  484—541.    6  Tafeln.    Zur  Morphologie  der  Salvinia  natans. 
m  9.  1873/74.  S.  191-234.  5  Tafeln.  Weitere  Nachträge  zur  Morphologie  und  Systematik 

der  Saprolegnieen. 

,  11.  1878.  S.  1—46.  2  Tafeln.  Ober  Sprossung  der  Moosfrüchte  und  den  Generations- 
wechsel dor  Thallophyten. 

*  12.  1879/81.  S.288-437.  16Taf.  Über  Lichtwirkung  und  Chlorophyllfunktion  in  der  Pflanze. 

„  13.  1882.  S.  337—488.  über  Lichtwirkung  und  Chlorophyll  funktion  in  der  Pflanze. 
Offenes  Schreiben  an  die  philosophische  Fakultät  der  Universität  Würzburg  zur  Abwehr. 

„  14.  1884.  S.  111 — 131.  Nachträgliche  Bemerkungen  zu  dem  Befruchtungsakte  von  Achlya. 

.  17.  1886.  S.  162— 206.  2  Taf.  Über  die  Sauerstoffabgabe  der  Pflanzen  im  Mikrospektrum. 

.  19.  1888.  S.  138—154.  über  die  Entstehung  der  Kalkincrustationen  an  Süsswasserprlanzen. 

 C§3  

Stadion  über  Gentz. 

Eine  Mittheilung. 
Von 

AUGUST  FOURNIER. 


Der  Berieht  über  das  Jahr  1807  ist  einer  der  kürzesten  in  den  sogenannteu 
Tagebüchern  Friedrich  von  Gentz',  gleichwohl  nicht  ohne  Inhalt.  Eine  leidenschaft- 
liche Schwärmerei  für  die  Herzogin  .leannc  von  Kurland  eröffnet  den  Heigen.  Sie 
wird  abgelöst,  von  einer  denkwürdigen  Zusammenkunft  mit  dem  Grafen  Goetzen,  dem 
heldenhaften  Vertheidiger  Schlesiens  gegen  die  Franzosen  und  die  Rheiubunds- 
truppen,  in  Nachod,  aus  der  eine  Denkschrift  resultirte,  in  welcher  Gentz  dem 
Minister  des  Äussern  Grafen  Stadion  die  Besetzung  der  schlesischen  Festungen 
empfiehlt,  wozu  Preussen  seine  Zustimmung  nicht  verweigern  würde*).  Das 
Unternehmen  erschien  dem  Wiener  Hofe  zu  abenteuerlich;  Österreich  hlitte  Partei 
gegen  Napoleon  nehmen  müssen,  und  dazu  fehlten  Muth  und  Kraft,  wenn  auch 
Kaiser  Franz  schon  im  Oetober  1806  vorahnend  gefürchtet  hatte,  „dass  auf  die 
letzt  Frankreich  und  Kussland  gar  über  eine  Theilung  Europens  unter  ihrer 
Gewalt  einig  werden  dürften",  und  obgleich  sein  Minister  die  entschiedenste 
Gegnerschaft  wider  Napoleon  als  Österreichs  wichtigste  Pflicht  bezeichnete.  Gentz, 
der  als  Kaiserl.  Rath  dem  auswärtigen  Amte  zugetheilt  war,  lebte  damals  in 
Prag,  denn  in  Wien  wäre  sein  Aufenthalt  zu  koinpromittirend  erschienen.  Kr 
war  trotz  Austerlitz  und  Jena  noch  immer  erfüllt  von  der  Notwendigkeit,  alle 
Kräfte  in  Europa  zu  sammeln  gegen  den  grossen  Eroberer  und  unterhielt  deshalb 
eifrigst  seine  Beziehungen  zu  Engländern  und  Russen,  Beziehungen,  die  sich  für 

*)  Diese  Denkschrift  ist  von  mir  im  Feuilleton  der  „Neuen  freien  Presse"  im  März 
1882  auszugsweise  veröffentlicht  wordon. 


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Stadion  Ober  Genta. 


234 


ihn  in  klingender  Münze  ausdrückten.  „In  der  Zwischenzeit "  —  sagt  das  Tage- 
buch —  „hatte  ich  von  Adair  (dem  englischen  Botschafter)  aus  Wien  ">O0  L.  St. 
erhalten*.  Und  kuiv.  darauf:  „Am  14.  Mai  erhielt  ich  vom  Fürsten  Czartoryski 
ans  Petersburg,  ziemlich  unerwartet,  500  Dukaten,  und  nicht  lange  nachher  einen 
Brillanten-Ring,  der  ungefähr  400  Dukaten  werth  gewesen  zu  sein  scheint". 
Dazu  kam  Verkehr  mit  deutschen  Malcontenten.  ..Kine  Entrevue  in  Peterswalde 
mit  Buol  und  Boseu,  heisst  es  an  einer  andern  Stelle. 

Vou  alledem  erhielt  die  Geheimpolizei  in  Böhmen  Kenntniss,  und  Gentz 
wurde  dem  Oberstburggrafen,  zu  jener  Zeit  war  es  Graf  Wallis,  interessant  und 
verdächtig  zugleich.  Kr  Hess  den  genialen  Publizisten  genau  beobachten  und 
erfuhr,  zumeist  durch  dessen  Freund,  den  PolizeikommissJir  Eichler.  bei  dem  der- 
selbe in  Prag  wohnte.  Genaues  von  jedem  seiner  Schritte:  was  in  Nachod 
gesprochen  worden  war.  was  den  Gegenstand  der  Unterredung  in  Peterswalde 
gebildet  hatte,  mit  wem  Gentz  in  Teplitz  und  Karlsbad,  wo  er  den  Sommer  ver- 
brachte, verkehrte  u.  dgl.  m.  So  interessant  war  Gentz  den  politischen  Behörden 
geworden,  und  so  verdächtig  ei*schien  sein  Benehmen,  dass  der  Oberstburggraf 
sich  an  den  Polizeiminisrer  und  dieser  an  den  Minister  des  Äussern  wandte,  um 
-bestimmte  Gesichtspunkte'',  wie  man  es  nannte,  für  die  weitere  geheime  Beob- 
achtung zu  gewinnen. 

Graf  Stadion  kannte  Gentz  von  Berlin  hei-,  wo  er  ihn  im  Jahre  1802  für 
Osterreich  geworben  hatte.  Beide  hatten  in  der  Auffassung  der  politischen  Lage 
Europas  sich  gefunden,  und  der  Minister  war  nicht  andern  Sinnes  geworden  als 
dazumal  der  Botschafter  gewesen  war*).  Nur  der  Zwang  der  Umstände  legte 
ihm  jetzt  Rücksichten  auf,  die  der  Publizist  nicht  kennen  wollte  und  nicht  zu 
nehmen  brauchte.  Es  ist  deshalb  von  nicht  geringem  Interesse,  zu  erfahren, 
in  welcher  Weise  (iraf  Stndion  die  von  ihm  geheischten  Auskünfte  gab.  Sie 
sind  namentlich  dadurch  vou  Bedeutung,  dass  sie  Gentzens  vielgerügte  Käuflich- 
keit in  ein  milderes  Licht  rücken  und  seine  Beziehungen  zum  Auslande  als  dem 
österreichischen  Staatsinteresse  nicht  widerstreitend  bezeichnen.  Das  betreffende 
Schriftstück  lautet: 

An 

des  K.  K.  Obersten  Polizey-Hofstelle-Pritsidenten 
Freyherrn  von  Summeraw 
Excellenz. 

Um  einen  bestimmten  Gesichtspunkt  festzusetzen,  nach  welchem  die  Beobachtung  des 
Kais.  Raths  v.  Gentz  eingerichtet  werden  mllsste.  ist  es  nöthig  vors  erste  seine  persön- 
lichen Verhältnisse  sowohl  als  seine  Dienstverhaltnisse  gegen  den  allerhöchsten  Hof  fest- 
zustellen. 

Der  Rath  Gentz  war  bis  zum  Jahre  180.5  in  Preussischen  Diensten.  Er  gab  sich 
aber  schon  damals  sehr  wenig  mit  seinen  BerufsgeschJU'ten  ab,  sondern  verwandte  seine 
litterarischen  Talente  für  die  Sache  Englands  und  der  damals  gegen  Frankreich  interessirten 
Höfe,  und  genoss  schon  von  dieser  Zeit  an  eine  Pension  vom  Englischen  Hofe. 

Als  er  in  hiesige  Dienste  genommen  ward,  so  war  die  Absicht  nicht,  ihm  eine  be- 
stimmte Anstellung  zu  geben,  sondern  man  wollte  sich  seine  Feder  zum  Dienste  des 
Wiener  Hofes  versichern.  Er  wurde  als  Rath  mit  4000  fl.  Besoldung  ernannt,  und  man 
machte  ihm  keineswegs  zur  Pflicht,  seinen  übrigen  Verhältnissen  mit  dem  Auslande  zu 
entsagen.  Er  war  auf  eine  gewisse  Art  bloss  von  hieraus  pensionirt,  um  auf  zukünftige 
Falle  Dienste  zu  leisten. 

*)  Über  die  Anstellung  Gentz'  in  Wien  und  Stadion  s  Antheil  daran,  habe  ich  in 
meinem  Buche  „Gentz  und  Cobenzl*.  CJeschichte  der  üsterr.  Diplomatie  von  1800—1805. 
S.  61  ff.  ausführlich  berichtet. 


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235 


Biographische  Blätter. 


Der  Zufall  hat  gewollt  da**  eben  seit  dieser  Zeit  die  Umstände  sich  so  verwickelt 
haben,  dass  seine  wirklich  ausgezeichneten  Talente  nicht  angewendet  werden  kounten.  Dies 
änderte  aber  nichts  in  seinen  Verhältnissen  gegen  den  allerhöchsten  Hof.  Rath  Gentz  hat  also 
wirklich  mehrere  Connexionen  mit  dem  Auslande,  sio  sind  aber  dem  Staate  nicht  gefährlich, 
sondern  vielmehr  im  allgemeinen  dem  Sinne  unsorcr  eigenen  Politik  nicht  entgegen. 

In  seinem  Karakter  aber  liegt  viel  Leichtsinn,  Mangel  an  Lebensweisheit  und  dann 
und  wann  Febercilung  in  seinem  gewöhnlichen  Betragen.  Hindurch  ist  es  möglich,  dass 
er  Uns  in  gewissen  kritischen  Augenblicken  durch  einzelne  Handlungen  kompromittiren 
konnte,  wenngleich  seine  Gesinnungen  und  Grundsätze  keineswegs  für  Uns  gefährlich  sind. 

Es  ist  also  nothwendig.  dass  Gentz  einer  fortdauernden,  aber  nicht  dass  er  einer 
ängstlichen  Beobachtung  unterworfen  werde.  Ich  glaube  sagen  zu  sollen,  dass  die  l'olizey 
ihm  als  Vormund  dienen,  ihn  aber  nicht  als  eine  verdächtige  Person  behandeln  sollte. 

Auch  in  dem  gegenwärtigen  Falle  scheint  mir  der  Kifer  des  H.  Grafen  von  Wallis 
etwas  zu  weit  gegangen  zu  seyn.  und  da  der  Rath  Eichler  durch  die  zwey  Rescripte  des 
H.  Oberstburggrafen  etwas  irre  gemacht  worden  seyn  dürfte,  wäre  es  vielleicht  nicht 
unplatzgreifend  ihn  in  dem  Sinne  der  gegenwärtigen  Krlüuterungen  anzuweisen. 

Die  Communicaten  folgen  danknehmig  zurück. 

Wien,  den  27.  Juny  1807.  Stadion. 

 <&>  

Adresse  der  philosophischen  Facultät  der  Universität  Berlin 

an  Gustav  Freytag. 

Hochgeehrter  Herr! 

Sie  haben  den  lauten  Huldigungen  Ihrer  begeisterten  Leser  sich  immer  be- 
scheiden entzogen.  Darum  begnügt  sich  auch  unsere  Faeultüt  an  dem  Tag/e,  da 
ihr  die  Freude  wird,  Ihnen  da»  vor  fünfzig  Jahren  ertheüte  Doctor-Diplom  zu  er- 
neuem, mit  einem  kurzen  warmen  Grusse. 

Er  gilt  dem  Dichter,  der  einst  in  Tagen  verwilderten  Geschmacks  den 
Wohllaut  und  die  Fortnenreinheit  unserer  elasslsehen  Dichtung  zu  erneuern,  in 
Zeiten  der  Tendenz  und  der  Parteisucht  wieder  Menschen  von  Fleisch  und  Blut 
aus  der  Fülle  deutschen  Lebens  heraus  zu  schaffen  wagte  und  seitdem  den  Deut  seilen 
das  Vorbild  eines  denkenden  Künstlers  geblieben  ist.  Er  gilt  dem  Historiker,  der, 
schwere  Forschung  hinter  lieblicher  Hülle  verbergend,  sinnig  wie  kein  zweiter  den 
"Werdegang  des  deutschen  Gemiiths  durch  die  Jahrhunderte  verfolgt  hat.  Er  gilt 
dem  Publicisten,  der  vielverkanut  unter  den  Fahnen  des  schwarzen  Adlers  tapfer 
gefochten  hat,  bis  Preussens  Geschicke  sich  erfüllten. 

Was  Ihnen  auf  allen  diesen  Gebieten  Ihres  Schaffens  an  edlen  Früchten 
herangereift  ist.  gehört  der  Nation. 

Uns  aber  gestatten  Sie  noch  ein  Wort  persönlichen  Dankes.  Sie  haben 
uns  unseren  Beruf  verklärt  durch  den  anheimelnden  Zauber  Ihrer  goldenen  Laune. 
Sie  wissen,  wie  viel  Mühsal  und  Versuchung: ,  wie  viel  Kuhin  und  Forseherglück 
um  die  einsame  Lampe  des  Gelehrten  webt;  und  wenn  die  Deutschen  kommender 
( i (schlechter  aus  Ihren  Dichtungen  dereinst  lernen  werden,  wie  den  Söhnen  des 
neunzehnten  Jahrhunderts  zu  Muthe  gewesen,  so  werden  sie  auch  verstehen,  warum 
es  in  unseren  Tagen  ein  Stolz  und  eine  Freude  war.  ein  deutscher  Professor  zu  sein. 

Mögen  Sie  noch  lange  Jahre,  uns  zur  Ehre,  den  deutschen  Doctorhut 
trairen.  der  Ihnen  so  viel  verdankt! 

Berlin,  30.  Juni  1888. 

Die  philosophische  Facultät  der  Friedrieh-Wilhelms-Universität. 


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Antwort  des  Herrn  Dr.  Gustav  Freytag  an  den  Decan. 


236 


Antwort  des  Herrn  Dr.  Gustav  Freytag  an  den  Decan. 

Hoch  wohl  geborener  Herr! 
Hochverehrter  Herr  Decan! 

Für  die  ehrenvolle  Krneuerimg  meines  Doctordiploms  durch  die  philosophisrhe 
Facultät  der  K.  Friedrich- Wilhelms-Universität  zu  Berlin,  welche  mir  den  30.  .Juni 
zu  einem  Tage  froher  Erinnerung  gemacht  hat,  sage  ich  Ihnen,  hochverehrter 
Herr  Decan,  und  der  philosophischen  Facultät  grossvn  und  innigen  Dank. 

Den  grössten  Dank  aber  Ihnen  und  unserer  Facultät  für  die  Adresse,  mit 
welcher  Sie  mich  beehrt  haben.  Die  giltige  Würdigung  meiner  Lebensarbeit  durch 
die  stolze,  gelehrte  Körperschaft,  welcher  eüie  Reihe  unserer  erlauchten  Namen 
aufhören,  und  der  ich  selbst  in  meiner  Jugend  die  Anfange  gelehrten  Wissens 
und  die  Ehrfurcht  vor  wissenschaftlichem  Forschen  verdank«*,  war  für  mich,  den 
bejahrten  Mann,  weit  mehr,  als  ein  froher  Gruss.  Ihre  feierliche  Zuschrift  ist 
mir  ein  Zeugniss  meiner  Standesgenossen,  dass  ich,  nach  dem  Maasse  meiner  Kraft, 
redlich  und  nicht  fruchtlos  für  das  deutsche  Volk  gelebt  hal>e.  Ein  ehrenvolleres 
Zeugniss  giebt  es  nicht. 

Sie.  hochverehrte  Heiren.  danken  dem  Dichter  auch,  dass  er  unternommen 
hat.  die  krause  Art  und  den  edlen  Idealismus  deutscher  Professoren  seiner  Zeit 
in  leichten  Bildern  abzuschildern.  Manches  davon  mag  schon  der  nächsten  Folge- 
zeit fremdartig  erscheinen.  Aber,  liebe,  hochverehrte  Herren,  so  lange  es  ein 
deutsches  Yolksthum  giebt,  wird  es  auch  deutsche  Professoren  geben,  Männer, 
driien  das  eigene  Leben  wenig  bedeutet  im  Dienste  ihrer  Wissenschaft;  oft  wird 
den  Helden  und  Opfern  unendlicher  Arbeit  ein  kleiner  Zopf  im  Nacken  hängen, 
und  immer,  so  vertraue  ich.  wird  das  Volk  der  Deutschen  mit  Neigung,  Ehrfurcht 
uud  zuweilen  mit  guter  Laune  auf  sie  schauen. 

In  Hochachtung  uud  Verehrung  verharre  ich  Ihnen  und  der  philosophischen 
Facultät  dankbar  ergeben 

Siebleben  10.  Juli  1888.  Dr.  Gustav  Frey  tag. 

An  in.  d.  H.  Die  Biographischen  Blätter  bescheiden  sich  einstweilen  mit  dem  Abdruck 
des  anmuthigen  Briefwechsels  zwischen  der  philosophischen  Facultät  der  Berliner  Hochschule 
und  »iustav  Freytag  bei  Gelegenheit  seines  Doctorjubiläums.  Das  letzte  Wort  Uber  den 
Biographen  von  Karl  Matthy,  Otto  Ludwig,  Jacob  Kaufmann,  Wolf  Baudissin,  Kaiser 
Friedrich  usw.,  der  auch  als  Selbstbiograph  nicht  viele  seinesgleichen  hat.  ist  damit  in  diesen 
Blättern  selbstverständlich  noch  lange  nicht  gesprochen. 

  cfc  

ANZEIGE. 

Christian  Gottfried  Khrenberg,  ein  Vertreter  deutscher  Xaturforschung  im  19.  Jahr- 
hundert (17Ö5— 1876).  nach  seinen  Reiseberichten,  seinem  Briefwechsel  mit  A.  v.  Humboldt, 
v.  f'hainisso,  Darwin,  v.  Martius  u.  a..  Faiuilicnaufzeichnungen,  sowie  anderem  handschrift- 
lichen Material;  von  Max  Laue.  Mit  dem  Bildniss  Fahrenbergs  in  Kupferätzung.  Berlin. 
Julius  Springer.  1895.    8°.  "287  Seiten. 

Zu  der  vorliegenden  Biographie  Fahrenbergs  von  der  Hand  eines  Familienmitgliedes 
ans  der  zweiten  Generation  hat  die  hundertste  Wiederkehr  seines  Geburtstages  —  am 
15».  April  d.  J.  —  den  Anstoss  gegeben.  Khrenberg  hat  in  ungewöhnlichem  Maasse  den 
Kath  Schillers  befolgt:  wer  etwas  Treffliches  leisten  will,  hätt"  gerne  was  (.! rosse*,  geboren, 
der  sammle  still  und  unerschlatft  im  kleinsten  Funkte  die  höchste  Kraft!  Indem  er  die 
Welt  der  Infusorien  und  der  ihnen  verwandten  Gebilde  unermüdlich  mit  dem  Mikroskop 
durchforschte,  zog  er  nicht  allein  die  Fülle  der  niederen  Organismen  an  sich  in  ihrem 


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237 


Biographische  Blätter. 


Formen reicbthum  ans  Licht:  er  enthüllte  zugleich  die  Bedeutung,  welche  -der  Organisation 
in  der  Richtung  des  kleinsten  Raumes-,  wie  er  es  in  seinem  wunderlich  verschrobenen 
Deutsch  nennt,  für  die  tiesanimterscheinung  der  irdischen  Natur  von  frühen  geologischen 
Krochen  an  bis  beute  zukommt,  .Ja  noch  mehr:  er  half  dadurch  überlieferte  Wahnvor- 
stellungen vom  Werden  und  Wesen  des  Lebens  überhaupt  beseitigen  um!  bahnte  so  der 
modeinen  Biologie  entschieden  den  Weg:  auch  für  die  praktisch  so  wichtig  gewordene 
Lehre  von  den  Bakterien  bildete  seine  Forschung  eine  theoretisch  nothwendige  Vorstufe. 
Eine  so  eigentümliche,  so  ergebnissreiche  wissenschaftliche  Lebensarbeit  verdiente  gewiss 
eine  besondere  Betrachtung,  die  ihr  denn  auch  bereits  1877.  ein  .Jahr  nach  Ehrenbergs 
Tode,  durch  «Jessen  Schwiegersohn,  den  Botaniker  Hanstein,  zutheil  geworden  ist.  Kinen 
Auszug  aus  dieser  ausführlichen  Darstellung  gab  derselbe  fielehrte  sodann  in  dem  betreffenden 
Artikel  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie,  in  dem  Umfange,  wie  er  dort  für  Gestalten 
zweiter  (J rosse  vorgesehen  ist.  Schon  aus  diesen  Veröffentlichungen  konnte  selbst  der  Fern- 
stehende deutlich  abnehmen,  wie  überaus  schlicht  Charakter  um!  Treiben  Khrenbergs  ge- 
wesen; sodass  man  im  Publikum  nach  einer  eingehendere!)  Schilderung  seiner  Lebensum- 
stände schwerlich  Verlangen  trug.  Auch  Khrenberg  selber  hiitte  eine  solche  vermuthlic  h 
nicht  gewünscht:  denn  neben  tiefer  Bescheidenheit  bethütigte  er  in  dieser  Hinsicht  eine 
fast  .ängstliche  Scheu:  er  allein  unter  den  Freunden  Humboldts  verweigerte  1X70  jegliche 
Hinsicht  in  die  von  diesem  empfangenen  Briefe  zum  Nutzen  der  von  Bruhns  unternommenen 
wissenschaftlichen  Biographie  des  grossen  Kosmologon.  Immerhin  hiitte  er  gegen  ein  so  takt- 
volles Werk  der  Pietät,  wie  das  vorliegende,  vernünftigerweise  nichts  einwenden  können. 

Dr.  Laue  hat  sich  mit  Recht  nicht  auf  blosse  Ergänzung  der  Darstellung  Hausteins 
beschränkt:  er  bringt  vielmehr,  auf  dessen  Leistung  gestützt,  auch  die  wissenschaftlichen 
Bemühungen  und  Verdienste  Khrenbergs.  soweit  es  gemeinverständlich  geschehen  konnte, 
von  neuem  zur  Anschauung.  Wir  erhalten  auf  diese  Weise  das  menschlich  abgerundete 
Vollbild  eines  (jelehrtenlehens.  das  in  seiner  einfachen  Lauterkeit  jeden  Leser  ansprechen 
tnuss:  nicht  ohne  Wehmuth  fühlt  man  sich  bei  seinem  Anblick  in  jene  goldenen  Tage 
unserer  nationalen  (Jeistesarbeit  zurückversetzt,  wo  der  Forscher,  noch  kaum  von  politischen, 
gar  nicht  von  sozialen  Sorgen  bedrangt,  seine  (iedanken  stillvergnügt  in  dies  oder  jenes 
J'roblem  der  reinen  Erkenntnis*  versenken  durfte.  Auf  der  anderen  Seite  erwarte  Niemand 
von  dieser  Lektüre  starke  Kindrücke  geistiger  oder  gemüthlicher  Art.  Allgemeinere  Ideen 
kommen,  abgesehen  von  der  Darwinschen  Hypothese,  welche  Khrenberg  mit  guten  Mrilnden 
bekämpft  hat.  fast  nirgend  zur  Sprache:  mit  Philosophie  hat  sich  der  emsige  Mikroskopiker 
gleich  den  besten  seiner  Zeit-  und  Fachgenossen  glücklicherweise  nicht  beschäftigt:  seine 
gediegene  Religion  war  ihm  Privatsache  des  Herzens.  Von  seiner  poetischen  Empfindung 
ist  zwar  bei  Dr.  Laue  häufig  die  Rede,  ohne  dass  wir  indes*  mit  vielen  Proben  seiner  ver- 
meinten Dichtkunst  behelligt  würden.  „Immer  war's  bisher  der  junge  Morgen,  dem  ich 
meinen  ersten  firuss  vertraut:  immer  meines  Tages  erste  Sorgen  wärest  du.  geliebte,  holde 
Braut"  -  .Meistergesang  von  dieser  Art  erregt  in  der  That  keine  weitere  Wissbegier. 
Dass  Khrenberg  zu  den  unbeholfensten  Schriftstellern  deutscher  Nation  gehörte  man 
bedenke  z.  B.  den  Titel  einer  Abhandlung  von  1*70:  -über  die  wachsende  Kenntnis*  des 
unsichtbaren  Lebens  als  felsbildende  Bacillarien  in  Kalifornien"  das  hatte  sein  Biograph, 
der  selber  eine  gute,  bequem  lesbare  Prosa  schreibt,  gerechterweise  ausdrücklich  hervor- 
heben müssen.  Aus  dem  Briefwechsel  mit  Humboldt,  ('haniisso.  Darwin  und  Martins,  den 
der  Fmschlag  des  Buches  einladend  zur  Schau  stellt,  sollte  man  hiernach  merkwürdigere 
Mittheilungen  erwarten:  allein  er  scheint  dergleichen  nicht  enthalten  zuhaben.  Anekdoten- 
hafte Züge  von  harmloser  Natur  begegnen  hie  und  da;  iM'sonders  gestaltete  Schicksale  wird 
man.  von  der  grossen  Südreise  abgesehen,  nicht  antreffen.  Allerdings  hat  der  Verfasser  den 
ersten  Abschnitt,  der  die  jugendliche  Entwicklung  seines  Helden  umspannt,  mit  der  (vl «Ur- 
schrift „Lernen  und  Leiden*  versehen:  aber  das  Leiden  besteht,  wie  man  enttäuscht  und 
beruhigt  zugleich  erfährt,  doch  nur  darin,  dass  der  junge  Khrenberg  eine  Zeitlang  wider 
seine  Neigung  Theologie  treiben  muss,  dass  er  beinah  zum  Militärdienst  herangezogen  wäre, 


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Biographische  Bibliographie.  238 

das.«  der  Vater  sich  vorübergehend  verstimmt  zeigt,  weil  der  Sohn  die  statt  der  Theologie 
erwählte  Medizin  auch  bloss  als  Il.ill tVf a<*h  neben  der  Naturwissenschaft  betrachtet  und 
behandelt  -    wie  man  sieht:  von  Tragik  weit  entfernt! 

Anders  steht  es  mit  dem  zweiten.  „Wandern  und  Werden"  ül>«rschriebenen  Ab- 
srhnitt.  der  die  ihrer  Zeit  lierühmte  fünfjährige  Forschungsreise  Ehren  hergs  in  die  Nillande 
und  das  rothe  Meer,  zum  Sinai  und  Libanon,  auf  hundert.  Seiten  anziehend  darstellt.  Wie 
er  äußerlich  mehr  als  ein  Drittel  des  Mürbes  umfasst.  so  lic-rt  auch  innerlich  in  ihm  der 
Kern  der  Laueschen  Publikation.  Hier  erhalt  man  neue  Aufklärung  aus  unbekannten 
Akten,  hier  erhebt  sich  der  Gegenstand  selbst  zu  wahrhaft  biographischem  Interesse:  an 
wirklichen  Leiden,  eigentümlichen  Erlebnissen  ülierhaupt  ist  hier  kein  Mangel.  Denn 
niemals  vielleicht  ist  ein  ahnliches  Unternehmen  auf  eine  so  ununterbrochene  Kette  von 
schwerstem  Missgeschick  gestossen.  dem  gegenüber  die  ruhige  Thatkraft  des  Reisenden 
desto  rühmlicher  hervortritt.  Minder  vorbildlich  erscheint  dessen  V erhalten  hernach  bei 
der  Verwerthung  der  gewonnenen  Ergebnisse;  Laue's  umsichtig  entschuldigende  Erörterung 
loscht  doch  den  Eindruck  nicht  aus.  als  habe  sich  Harenberg  dabei  durch  äussere  Schwierig- 
keiten zu  leicht  entmuthigen.  durch  innere  Vorliebe  für  andere  Arbeiten  von  einer  wissen- 
schaftlichen Verpflichtung  ablenken  Immen.  Dass  er  sodann  über  den  Ertrag  seiner  zweiten, 
mit  Humboldt  und  Hose  nach  Sibirien  unternommenen  Heise.  Beobachtungen  über  „das 
kleinste  Leben"  ausgenommen,  seinerseits  so  gut  wie  nichts  publizirte,  hat  man  ihm  in 
betbeilisrten  Kreisen  oft  genug  verdacht.  Die  Erklärung  liegt  in  der  zunehmenden,  freilich 
höchst  fruchtbaren  Einseitigkeit  seiner  spateren  Jahre:  auch  sein  geistiges  Auge  erblickte 
die  Welt  mehr  und  mehr  allein  im  Gesichtsfelde  des  Mikroskops. 

Seinem  im  besten  Sinne  populär  gehaltenen  Text  hat  Dr.  Laue  gewissenhaft  gegen 
-HK)  belebende  Anmerkungen  beigegeben,  in  denen  sogar  so  Kusserliche  Kleinigkeiten,  wie  die 
Tagesdaten  der  Patente  zu  den  an  Ehrenberg  verliehenen  Orden,  nicht  vergessen  sind. 
Ausserdem  folgt  ein  Schriftenverzeichniss.  das,  da  jede  akademische  Mittheilung  darin  ge- 
bucht wird,  nicht  weniger  als  24  Seiten  füllt:  es  wäre  wohl  ehedem  in  dem  Werke 
Hansteins  besser  am  Platze  gewesen,  als  gerade  in  dieser,  dem  persönlichen  Dasein 
gewidmeten  Biographie.  Geringe  Irrthümer  wird  der  Kenner  der  benutzten  Litteratur 
gelegentlich  wahrnehmen.  So  war  der  Leipziger  Professor,  der  S.  17  nach  dem  Vorgange 
Ranke's  spöttisch  geschildert  wird,  kein  „Gottesmann"  auf  dem  Katheder,  wie  Laue  meint, 
sondern  der  Historiker  Wieland:  ihm  darf  man  es  also  nicht  zur  Last  legen,  wenn  der 
junge  Ehrenberg  am  theologischen  Studium  keinen  Geschmack  fand.  Dass  S.  2<>  in  einem 
Briefe  Ehrenbergs  nicht  „indische",  sondern  „irdische  Silberlingc""  zu  lesen  ist.  erhellt  aus 
dem  Sinn  der  Stelle.  Doch  genug  davon!  Denn  die  litterarische  Kritik  hat  nicht  nOthig, 
mit  dem  Mikroskop  nach  biographischen  Infusorien  zu  spähen.  Im  ganzen  darf  man  die 
Arbeit  Laue  s,  <lie  sich  selbst  bescheiden  nicht  als  bedeutende  Erscheinung  giebt,  als  ihrem 
/wecke  durchaus  angemessen  bezeichnen.  u  D. 

c&>  

biographische  Bibliographie  1894. 

Zusammengestellt  von  ViOTOR  HANTZ80H  (Dresden). 

I.  Deutschland. 

Juli  bis  Dezember  189  4. 

Lorenz,  F.,  Job.  Baptist  v.  Albertini.    E.  j  Gebert.  F..  Bartholomaus  AI  brecht.  Der 

Lebensbild.    Dish.  VIII.  S!>.  Graz.  Ilitz.  |      Nürnberger  Münzer  und  ErzkUufer.  38. 

Memorabilia   Alexandri    Magni    et   aliorum  Nürnh.,  Schräg, 

virorum  illustrium.  Hsg.  v.  K.  Schmidt  u.  Wehofer,   M..   Die  Apostel  Chinas.  Der 

0.  Gehlen.  6.  A.  IX,  98.   Wien,  Holder.  sei.  Bischof  Petrus  Sanz  u.  s.  Gefährten. 

Notovitch,  N.,   Alexander  III.  u.  s.  l'm-  j      1">5.    Wien,  Herder, 

gebung.    übertr,  v.  Oskar  Marschall  von  j  Uertzog.  A..  D.  h.  Franz  v.  Assisi,  der  Gründer 

Bieberstein.  VII,  244.  Lpz.,  Schmidt  &  G.  J     des  Franziskanerordens.  14.  Zabern,  Fuchs. 


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239  ,  BiographLscl 

Augustinus,  A..  Confessionum  libri  XIII.  389. 

Regensb.,  Verlagsanst. 
Kaufmann.  D.,Z.  (losch,  jüdischer Familien. 

II.  R.  .Tair  Chajjim  Bacharach  u.  s.  Ahnen. 

VIII,  139.    Trier.  Mayer. 
Eisberg.  A..  v.,  Die  BlutgrJlfin  Elisabeth 

Bathory.    E.  Sitten-  u.  Charakterbild.  204. 

Bresl.,  .Schottländer. 
Behr,  U.  Graf,  Urkunden  u.  Forschungen 

z.  Gesch.  d.  Geschlechts  Behr.   XI,  133. 

Berl.,  Stargardt 
Allg.  deutsche  Biographie.    Lfg.  182-86. 

Lpz.,  Duncker  n.  H. 
Blum.  H.,  Fürst  Bismarck  u.  s.  Zeit.  E. 

Biogr.  f.  d.  deutsche  Volk.    2.  Halbbd. 

München,  Beck. 
Bülow.  W.  v.,  Neue  Bismarck-Erinnerungen. 

V,  311.    Berl.,  Steinte. 
Sutter,  C,  A.  Leben  u.  Schrr.  d.  Magisters 

Boncompagno.    E.  Beitr.  z.  ital.  Kultur- 

gesch.  d.  13.  Jh.  V,  128.    Freib.,  Mohr. 

"Willibald us,  vita  s.  Bonifatii.  Hsg.  v.  A. 
Nürnberger.  69.  Bresl.,  Müller  u.  Seiffort. 

Suetonius  Tranquillus.  C,  D.  Leben  d. 

Cajus  Cäsar  Caligula.    A.  d.  Lat.  übers. 

n.  m.  Anm.  vers.  v.  .T.  Dietze.    XVT,  56. 

Lpz.,  Milde. 
A  rnold,  F.,  Cäsarius  v.  Arelate  u.  d.  gallische 

Kirche  s.  Zeit.  XII,  607.  Lpz.,  Hinrichs. 
Caspari,  Karl  Heinrich.    K.  Lebensbild.  70. 

Stg..  Steinkopf. 
Gen  sei,  W..  .Toh.  Fr.  v.  Cronegk,  s.  Leben 

u.  s.  Schriften.  VII.  106.  Lpz.,  Hinrichs. 
Dahn,  F..  Erinnerungen.  -4.  Bd.    612.  Lpz., 

Breitkopf  &  Härtel. 
Favrot.  A..  Ktudo  sur  Casimir  Delavigne. 

89.  Bern,  Körbor. 
Herbert,   L.,    Heinr.   Dorie,  ein  korean. 

Märtyrer.    A.  d.  Engl.  v.  R.  Hubert,  109.  j 

Steyl,  Missionsdr. 
Knackfuss,  H ..  Dürer  u.  Holbein  d.  Jüngere. 

76.   Bielef.,  Velh.  &  Klasing. 
G erstenbergk,  .1.  v.,  Anna  v.  Eichel,  die 

Stifterin  d.  Diakonissenhauses  z.  Kisenach. 

K.  Lebensliild.    Kisenach,  Wilckcns. 
C ramer.  W.,  Leben  d.  h.  Elisabeth  von 

Thüringen.  2.A.  200.  I 'aderb..  Bonifaciusdr. 

Beyer,  ('..  I).  Vorkämpfer  deutscher  Grösse 
Herzog  Ernst  II.  K.  biogr.  Volksbuch. 
XII.  158.    Berl..  Siegismund. 

Ernsthausen,  E.  v.,  Erinnerungen  e.  Preuss. 
Beamten.  V,  432.  Bielef.,  Velh.  &  Kinsing. 

Allgeyer.  J..  Anselm  Feuerbach.  S.Leiten 
u.s.  Kunst.    XIV.  432.    Bamb.,  Buchner. 

Michaelis,  W.,  Charles  G.  Finney,  s.  Leben 

u.  s.  Wirken.  ±  A.  24.  Bonn,  Scherirens.  j 
Ilg.  A.,  die  Fischer  v.  Krlaeh.    XII 1.  819. 

Wien.  Konegen. 
Kuller.  F.,  Gesch.  Friedrich  d.  Gr.    4.  A. 

Lpz..  Mendelssohn. 
R  o  y  ir  o .  B..  Friedrich  III.,  deutscher  Kaiser 

u.  K.  v.  I'reussen.    K.  Lebensbild.  3.  A. 

159.    Lpz..  Hirt. 


e  Blätter. 

Münz,  B.,  .Jakob  Frohschammer,  d.  Philosoph 
d.  Weltphantasie.  113.  Bresl..  Schles. 
Buchdr. 

Tschirch,  0.,  Tägl.  Aufzeichnungen  des 
I'farrherrn  Joachim  Gerius  in  Sorau  und 
Brandenburg  a,  d.  J.  1617  —  32.  98. 
Brandenburg,  Häckert. 

L  e  i  m  b  a  c  h,  C,  Fmanuel  Geibels  Leben.  Werke 
u.  Bedeutung  f.  d.  deutsche  Volk.    2.  A. 

VI.  344.    Wölfl)..  Zwissler. 

Gerhardt,   D.   v.   (G.   v.   Amyntor).  Das 

Skizzenbuch  m.  Lebens.  T.  I.  2.  A.  300. 

Breslau,  Schles.  Buchdr. 
R untre,  M..  Ludwig  Giesebrecht  u.  Carl 

Loewe.    34.    Berl..  Duncker. 
Buchner.  W.,  Gneisenau.    E.  Lebensbild. 

2.  A..  III.  119.    Lahr,  Schauenburg. 
Delbrück.  H.,  I).  Leben  d.  FeldmarschalLs 

Grafen  Xeidhardt  v.  Gneisenau.    2  Bde. 

2.  A.  XIV,  212,  IV,  371.  Berl.,  Walther. 

Gneisenau,  Graf  X.  v..  Briefe  an  Dr.  Joh. 
Blasius  Sietrlong.  Hsg.  v.  A.  Pick.  88. 
Krfurt,  Villaret 

Meyer.  Rieh.  M.,  Goethe.  PreLsgekr.  Arbeit 
(Geistoshelden.  (Führende  Geister.)  Bd. 
13  -15.)  XXXI,  628.  Berl.,  Ernst  Hof- 
mann &  Co. 

Hartleben,  F..  Goethe -Brevier.  Goethes 
Leben  u.  s.  Gedichte.  XVI,  408.  München, 
Ackermann. 

Weissenfeis.  R.,  Goethe  im  Sturm  u.  Drang. 
XV.  519.    Halle.  Xiemeyer. 

Lange.  E..  Franz  Grillparzer.  Sein  Leben. 
Denken  und  Dichten.  VI,  16*.  Güters- 
loh. Bertelsmann. 

Geiger.  L.,  Karoline  v.  Günderode  u.  ihre 
Freunde.  193.  Stg..  deutsche  Verlagsanst. 

W.  B.  v.  Guenther.    Fin  Lebensbild.  18. 

Posen,  .lolowicz. 
6u8tav  Adolf,   K.  v.  Schweden.    (  Kathol. 

Flugschrr.  z.  Wehr  u.  Lehr.  H.  85.)  64. 

BerL,  Germania. 
Jordan.  R..  u.  Totzkc,  A.,  Gustav  Adolf. 

VII.  96.    Neuwied.  Heuser. 

Fischer,  G..  Gustav  Adolf  od.  „Jeder  ZoM 

ein  König."  48.  Herb..  Colportasjevor. 
Ree  höhl.  P.  Gustav  Adolf,  e.  Christ  u.  Held. 

32.   Kssl.,  Lung. 
Rogge.  Gustav  Adolf- Büchlein.   2.  A.  96. 

Wittenb..  Herrose. 
Rofrire.  6ustav  Adolf,  Deutschlands  Erretter 
nicht  Froherer.  20.  Dresd..G.-A.-  Verla-:. 
Säuret.   I'..  u.  Stein.  F..,  Gustav  Adolf. 

Deutschlands  Eroberer  —  nicht  Erretter. 

110.    Osnab..  Wehberg. 
S  p  n  r  f e  1  d .  Gustav  Adolf,  König  v.  Schweden. 

481.   Lpz.,  Friese. 
Thoina.  A..  I).  Leben  Gustav  Adolfs  fürs 

deutsche  Volk.    110.    Karlsr.,  Reiff. 
Bercer.  L..  Der  alte  Harkort.    K.  westfü). 

Lel)ens-  u.  Zeitbild.     3.  Aufl.  XVI.  65«». 

1  ,pz. ,  Bädeker. 
Sc  hie  mann.  Th..  Viktor  Hehn.   E.  Lebens- 
bild.   VII.  .US.    Stg..  Cotta. 


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Biographische  Bibliographie. 


240 


Maurer,  .T..  Tiroler  Helden.  117.  Münster. 
Russell. 

Engelmann.    Th..    Gedaehtnissrede  auf 

Hermann  v.  Heimholt!.  34.  Lpz..  Fngelm. 
kühnetuann,  E.,  Herders  Leben.  XIX,  414. 

München,  Beck. 
Peiser.  K.,  .Toh.  Adam  Hiller.  E.  Beitr.  z. 

Musikgesch.  d.  18.  Jahrh.  137.  Lpz.,  Hng. 
.Sauer.  A..  Friedr.  Hölderlin.  (Samml.  gemein- 

nützigerVortr.,  H.  189.)  19.  Prag,  Härpfer. 
Baue  hinger,   M..   Der  sei.  Clemens  M. 

Hof  bauer.  K.  Lebensbild.  3.  A.  XIII,  904. 

Wien,  Norbertus. 
Ell inger,  G.,  E.  T.  A.  HofTmann.  S.  Leben 

u.  s.  Werke.    XII,  230.    Hamb.,  Voss. 
Steinhauser,  W..  D.  Abenteuere,  deutsch. 

Orgel  -  Virtuosen.      Aus    Joseph  Maria 

Homeyers  Leben.  265.  Milhlh.,  Andres. 
Pastor,  L.,  Johs.  Janssen.   E.  Lebensbild. 

VIU.  152.    Freiburg.  Herder. 
Haffter.  E.,  Georg  lenatsch.    IV,  17a 

Chur,  Hitz. 
Obert,  F.,  Therese  Jikeli.    Umrisse  z.  d. 

Lebensbild  e.  sächs.  Frau.   21.  Hermann- 

stadt,  Krafft 
Xorrenberg,  P.,  I).  h.  Irmgard it  v.  Süchteln. 

VI,  64.   Bonn,  Hanstein. 
Warschauer.  A.,  D.  Posener  Goldschmied- 

fanülie  Kampe.    26.    Posen,  .lolowicz. 
Schaffer.  G..  Ad.  Kolping,  d.  Gesellenvater. 

K.  Lebensbild.  VIII,  336.  Paderb..Schöningh. 
Degenkolb.  H.,  Johs.  Emil  Kuntze.  11. 

Lpz..  Hossborg. 
Lagarde,  A.  de,  Paul  de  Lagarde.  Er- 
inner, a.  s.  Leben.   191.    Gött..  Dieterich. 
Ellisen,  A.,  Friedr.  Albert  Lange.  Eine 

Lebensbeschreibung.  271.  Lpz..  Baedeker. 

Rügamer.  P.,  Leontius  v.  Byzanz,  e.  Pole- 
miker a,  d.  Zeitalter  Justinians.  VIU,  176. 
Würzb..  (iöbel. 

Helmes,  W„  D.  ehrw.  Diener  Gottes  Franz 
M.  P.  Libermann.  30.  Münster.  Schöningh. 

Lud  wich,  A..  Ausgewählte  Briefe  von  u.  an 
Chr.  A.  Lobeck  u.  K.  Lehrs.  nebst  Tagebuch- 
notizen. XII.  1049.  Lpz.,Duncker& Humbl. 

Meer,  A.,  Domherr  Dr.  Franz  Lorineer. 

E.  Lebensbild.    76.    Bresl.,  Aderholz. 
Forst  er.  M„  Ludwig,  kgl.  Prinz  v.  Bayern. 

96.    München.  Pohl. 
Berger.  Arnold  E.,  Martin  Luther  in  kultur- 

gesehichtl.  Darstell.    I.  Th.:  14K3  1525. 

(Geisteshelden  (Führende  Geister).  Bd.  16 
17).  XXII,  506.  Berl.,  E.  Hofmann  &  Co. 

Dazu:  ders..  Die  Kulturau fgahen  der 

Reformation.  Einleitung  in  eine  1  viither- 

biographie.  VIU,  300.  Berl.,  F.  Hofmann 

&  Co. 

Key.  C.  Trierer  lutberstudien.  F.  Beleucht. 

d.  neuesten  röm.  Angrifft!  gegen  Luther. 

Lpz..  Braun. 
Lösche.  G..  Johs.  Mathesius.    K.  Lebens- 

u.    Sittenbild     a.    d.  Reformationszeit. 

XXI.  639.    Gotha.  Perthes. 
Amelung,  K..  M.  Johs.  Mathesius,  e.  luth. 


Pfarrherr  d.  16.  Jahrb.  VIU,  284. 
Gütersloh,  Bertelsmann. 

Back,  S..  K.  Meir  ben  Baruoh  aus  Boten- 
burg. S.  Leben  u.  Wirken,  s.  Schicksale 
u.  Schrr.  VII.  112.  Frankfurt,  Kauffmann. 

Kraus,  E.,  Friedr.  Meyer,  Pfarrer  u.  Rektor 
d. Diakonissen  in Xeuendettelsau.  K.Lebens- 
bild.   IV,  350.    Gütersloh.  Bertelsmann. 

Grimm.  H..  Leben  Michelangelos.  2  Bde. 
7.  A.   VIII.  470.   IV.  474.   Berl..  Besser. 

Friedrich.  J..  Johann  Adam  Möhler,  der 
Symboliker.  V.  139.  München,  Beck. 

Krau ss.  R.,  Ed.  Menke  als  Gelegenheits- 
dichter. A.  s.  alltagl.  Leben.  XI.  18S. 
Stg.,  Deutsche  Verlagsanstalt. 

Morus,  Th.,  Lordkanzler  v.  Kngland.  E.  kl. 
Lehensh.  d.  gr.  Mannes,  gezeichn.v.  e.  Priester 
d.  Erzdiözese  Köln.  97.  Steyl,  Missionsdr. 

Suttner,  G.  v..  Daniel  Ritter  v.  Moser. 
Georg  v.  Gertner.  E.  Beitr.  z.  Geschichte 
Wiens  im  17.  Jahrh.  25.  Wien.  Gerold. 
,  Schulz,  R..  Peter  v.  Murrhone  (l'apst  Cü- 
lestin  V.).    Diss.  48.    Berl..  Weber. 

Herisson.  M.  v..  Der  kaiserliche  Prinz 
(Napoleon  IV.).  XVI.  518.  Augsb..  Reichel. 

Natorp.  O..  Ludwig  Natorp.  VII,  259. 
Stg..  Bibelanst. 

Duruy.  V„  Nero  in  Wort  u.  Bild.  A.  d. 
Frz.*  v.  G.  Hertzberg.  106.  Lpz..  Schmidt 
&  Günther. 

Türck,  H„  Fr,  Nietzsche  u.  s.  philosoph. 
Irrwege.    72.    Jena.  Mauke. 

Khull,  F.,  D.  Lel»en  König  Olafs  d.  Hei- 
ligen.   156.    Graz.  Styria. 

Ompteda,  L.v.,  Irrfahrten  u.Abenteuer  e.  mittel- 
staatl.  Diplomaten.  XIV.  435.  Lpz..  Hirzel. 

Herbord,  Leben  des  Bischofs  Otto  v.  Bam- 
berg. Deutsch  v.  H.  Prutz  (Gcschicht- 
schreiber  d.  deutschen  Vorzeit.  Bd.  55». 
XVI.  200.    Lpz.,  Dyk. 

Hartmann.  F..  Theophrastus  Paracelsus  als 
Mystiker.    III,  55.    Lpz..  Friedrich. 

Trusea,  M.,  Maria  Kdle  v.  Petzeln.  E.  Beitr. 
z.Litteraturgeseh.Üsterr.  87.  Wien.  Kirsch. 

Boll.  F..  Studien  über  Claudius  Ptolemäus. 
198.    Lpz.,  Teubncr. 

Pietsch,  L.,  Wie  ich  Schriftsteller  geworden 
bin.    Rd.  2.    430.    Beil..  Fontane. 

Putlitz.  K.  zu,  Gustav  zu  Putlitz.  Ein 
Lebensbild.  Th.  1.  III.  332.  Berl.,  Duncker. 

Knackfuss.  H..  Raffael.  112.  Bielefeld. 
Vellingen  «Si  Klasing. 

Miklau.  J.,  Franz  II.  Räköczy.  K.  Lel.cn*- 
u. Charakterbild.  Progr.48,  llrünn.  Knauthe. 

Knackfuss.  H..  Rembrandt.  160.  Bich  f.. 
Velhagen  Kinsing. 

Reutern,  Gerhard  v..  E.  Lebensbild,  dar- 
gestellt v.  s.  Kindern.    VI.  176.  IVtersb. 

Kutscher,  L..  Hermann  Rolletts  Leben  u. 
Werke.    -17.    Wien,  Teiles. 

Kogge.  J..  Gedächtnis*  des  Hrn.  D.Wilhelm. 
22.    Altenb..  Runde. 

Römheld,  F..  Carl  Julius  Römheld.  Kine 
LelM-nslM'sehr.  VI.  94.  St»., G reiner K  Pfeiff 


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241 


Biographische  Blätter. 


Rosegger,  P.,  (Jedenksehrift  a.  d.  50.  (»eburts- 

tag.    111.    Hraz.  Leykam. 
Hoy,  B.,  Kind,  Jüngling,  Mann.  Selbsterlebtes 

aus  Kriegs-  u.  Friedenszeiten.   XVI,  363. 

Beil.,  Liebel. 
Amerlan.  F.,  Hans  Sachs.  Ein  Lebensbild. 

1«.    Nürnb.,  Raw. 
Mum menho ff.  F.,  Hans  Sachs.  Z.  400jähr. 

Geburtsjub.  d.  Dichters.  142.  NUrnb.,  Korn. 
S  t  r  e  f  e  1 ,  L„"  Hans  Sachs-Forschungen.  VII, 

471.    Nürnb.,  Raw. 
Suphan,  B..  Hans  Sachs  in  Weimar.  44. 

Weimar,  Bühlau. 
Buchner.  W.,  Scharnhorst.    Ein  Lebens- 
bild.   2.  A.   III,  111.  Lahr,  Schauenburg. 
Fischer.  K.,  Fr.  Wilh.  Joseph  Schölling 

(Gesch.  d.  neueren  Philosophie.    Bd.  6). 

400.    Heidelb..  Winter. 
Wychgram,  J..  Schiller.   Dem  deutschen 

Volke  dargest.  Bielef..  Velhagen  &  Klasing. 
Schlesinger,  C  G rosse  Manner  e.  grossen 

Zeit  (Mallinckrodt,  Windthorst,  Frankenstein, 

Reichensperger).  281.  Münster,  Russell. 
Arneth,  A.  v.,  Anton  Kitter  v.  Schmerling. 

Episoden  a.  s.  Leben.    XVI,  343.  Wien 

u.  Prag,  Tempsky. 
Bendel,  J.,  Dr.  Franz  Schmeykal.  Ein 

Gedenkblatt.    16.    Trag.  Härpfer. 
Schmeykal,  F.,E.  Gedenkschrift  147.  Prag,  Kuh. 
Solger.  H.,  Schubart,  d.  Gefangene  auf 

Hohenasperg.   E.  Bild  s.  Lebens  u.  Wirk. 

56.    Bamb.,  Handelsdr. 
Ehrhard.  Eulogius  Schneider,  s.  Leben  u. 

s.  Schriften.  XVI.  223.  Strassb..  Herder. 
Bahr,  K.. Gespräche  u.  Briefwechsel  m.  Arthur 

Schopenhauer.  XVI.  90.  Lpz.,  Brockhaus. 
Schweinichen,  H.  v..  Merkbuch.  heraus«regeb. 

v.  K.  Wutke,    XXXVIU,  273.  Berlin, 

•Stargardt. 

Schindler,  K.,  Baron  Albert  v.  Seid,  ein 
treuer  Königs-  u.  wahrer  Volksfreund.  Ein 
Lebenau.  VII,  293.  Basel,  Jaegcr  &  Kober. 

Spörr,  M.,  Lebensbilder  a.  d.  Samariter- 
orden. B.  3.  V.  656.  Innsbr.,  Vereinsbuchh. 

Pisko,  .1.,  Skanderbeg.  Histor.  Studio. 
162.    Wien.  Frick. 

Hirschmann,  A..  D.  b.  Sola.  Ein  histor. 
Versuch.    -S4.    Ingoist..  Ganghofer. 

Spies,  Hermine.  E.  Gedenkbuch  f.  ihre  Freunde 
v.  ihrer  Schwester.  VII.  300.  Stg..  Göschen. 

X e u Ii auer.  Fr. .  Frei herr  v.  Stein.  Preisgekr. 
Arbeit  (Gcisteshelden  [Führende  Geister]. 
IDoppel-jBd.  12).  VII.  204.  Berl.,  Krnst 
Hofmann  &  Co. 


Wilhelm i.  H.,  Maurice  Beinhold  v.  Stern, 
ein  Sozialdemokrat.  Dichter.  26.  Güters- 
loh, Bertelsmann. 

Blennerhasset.  L.,  Talleyrand.  E.  Studie. 
VU,  572.    Beil..  (iebr.  Paetel. 

Dümmler,  E.,  üb.  Leben  u.Schrr.  d.  Mönches 
Theodorich  v.  Amorbach.  38.  Berl..  Heinier. 

Petersdorff,  H.  v..  General  .loh.  Ad.  Frhr. 
v.  Thielmann.  E.  Charakterbild  a.  d.  napoleon. 
Zeit.    XVI,  352.    Lpz..  Hirael. 

Landsberg,  E.,  Zur  Biogr.  von  Christian 
Thoma8ius.   36.    Bonn,  Cohen. 

Tümpling,  W.  v..  Gesch.  d.  Geschlechtes 
v.  Tümpling.  3.  Bd.  VI,  385,  42,  167. 
Weimar.  Böhlau. 

Wattendorff.  Walther  v.  d.  Vogel  weide 
(Frankfurter  zeitgemäße  Broschüren.  Bd.  15. 
Heft  6).   32.   Frankf.,  Fösser. 

Voss,  M..  Gräfin  v..  69  Jahre  am  preuss.  Hofe. 
6.  A.  440.    Lpz..  Duncker  &  Humblot. 

Wagner,  It..  Briefe  an  August  Höckel.  Ein- 
geführt durch  La  Mara.  Vitt,  84.  Lpz.. 
Breitkopf  &  Härtel. 

Wagner,  K.,  Hebte  Briefe  an  Ferd.  Praeger. 
Kritik  d.  Praegerschen  Veröffentlichungen 
v.  Houston  Stewart  Chamberlain.  Vor- 
wort von  Hans  v.  Wo)  zogen.  IX,  124. 
Bayr.,  Grau. 

Wagner,  R.,  15  Briefe.  Heraussregebeu  von 
Eliza  Wille.    163.    Berl..  Gebr.  Paetel. 

Keiter.  H..  Fr.  W.  Weber,  der  Dichter  von 
, Dreizehnlinden".  Eine  Studio.  4.  A.  64. 
1 'aderb..  Schöningb. 

Firnstein,  J.,  St.  Wolfgang,  Bischof  v.  Re- 
gensburg. IV.  80.  Regensb.,  Verlagsanst. 

Mehl  er,  B..  D.  h.  Wolfgang  in  Wort  und 
Bild.    IV,  108.    Regensb.,  Pustet 

Mehler,  1).  hl.  Woifgang,  Bischof  v.  Regens- 
burg.    XIV.  416.    Regensb.,  Pustet 

Maurer,  .1.,  Anton  Wolfrade,  Fürstbischof  v. 
Wien  u.  Abt  d.  Benediktinerstifts  Krems- 
münster.  3.  Abt  80.    Wien,  Hölder. 

Truxer.  M.,  Hedwig  Wolf.  Ii.  litt.  Frauen- 
gestalt Österreichs.  81.  Wien,  Selbstverl. 

Vor  et  seh.  M..  Zur  Krinnerung  an  Prof.  Dr. 
Karl  Eduard Zetsohe.  24.  Altenb..  Selbstverl. 

Zender,  P..  .loh.  Ambrosius  Zobel,  Prie.-ter 
d.  Hedem ptoristenordens.  Ein  Lebensbild. 
2.  A.    255.    Dülmen.  Laumann. 

Wernly.  R..  Vater  Heinrich  Zschokke.  E. 
Lebens- u.  Charakterb.  67.  Aarau,  Sauerland. 

Stiihelin.  A..  Huldreich  Zwingli.  S.  Leben 
u.Wirken  nach  den  (juellendnrgestellt.  Bd.l. 
Vni.  256.    Basel.  Schwabe. 


Aus  dem  Stammbuch  eines  Biographen. 

II. 

„Ce  n'est  qu'en  laissant  s'eeouler  un  long  espace  de  temps  que  Ton  arrivo  ä  eonnaitre 
k  fond  la  personne  qti'on  etudie."  C'est  ce  que  dit  le  poete  persan  Sc'edi  (vulgairement 
Sadi)  dans  le  Bous  tan,  poeme  traduit  par  M.  J.  B.  Nicolas,  1869.  p.  31. 

Les  cahiers  de  Sainte-Beuve. 


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Aus  dem  Stammbuch  eines  Biographen. 


242 


So  schön  die  Biographicen  Plutarchs  sind,  so  leuchtet  doch  häufig  eine  derbe  Pedanterie 
durch.  Nebst  dem.  das*  er  in  den  (5  eist  der  Sagen  beschichte  durchaus  nicht  einzugehen 
vermag,  leuchtet  dieser  Fehler  am  deutlichsten  aus  den  den  Lebensbeschreibungen  beige- 
fügten Vergleichungen  hervor.  Das  Gewöhnliche  lässt  sich  wohl  und  leicht  vergleichen, 
a!«?r  gros.se  Männer  intere-ssiren  gerade  durch  ihre  Eigentümlichkeit  und  man  tödtet  gar 
iu  leicht  den  Geist  ihrer  Handlungen,  wenn  man  die  Leiber  derselben  nach  Zoll  und  Fuss 
gegen  einander  abschätzen  will  .  .  .        Grillparzer:  Stoffe  und  Charaktere. 

Der  Mann  und  das  Volk!  In  dem  unaufhörlichen  Einwirken  des  Einzelnen  auf  das 
Volk  und  des  Volkes  auf  den  Einzelnen  läuft  das  Leben  einer  Nation.  Je  kräftiger,  viel- 
seitiger und  origineller  die  Individuen  ihre  Menschenkraft  entwickeln,  desto  mehr  vermögen 
sie  zum  besten  des  Ganzen  abzugeben,  und  je  mächtiger  der  Einfluss  ist,  welchen  das  Leben 
des  Volkes  auf  die  Individuen  ausübt,  desto  sicherer  wird  die  Grundlage  für  die  freie 
Bildung  des  Mannes. 

Gustav  Frey  tag:  Bilder  aus  der  deutschen  Vergangenheit. 

Wie  ich  es  nehme,  ist  die  allgemeine  Geschichte  die  Geschichte  dessen,  was  die 
Menschen  in  der  Welt  vollbracht  haben,  im  Grunde  die  Geschichte  der  grossen  Menschen, 
die  hier  wirksam  gewesen  sind.  Sie  waren  die  Führer  der  Mensehen,  diese  Grossen;  die 
Bildner,  Muster  und  in  einem  weiten  Sinne  die  Schöpfer  von  Allem,  was  die  Gesammtheit 
der  Menschen  überhaupt  zu  Stande  gebracht  hat.  Alles,  was  wir  in  der  Welt  fertig  da 
stehen  sehen,  ist  eigentlich  das  äussere  leibliche  Ergehniss.  die  thatsächliche  Verwirklichung 
und  Verkörperung  von  Gedanken,  welche  den  in  die  Welt  gesandten  grossen  Menschen  inne 
wohnten:  die  Seele  der  ganzen  Weltgeschichte,  so  dürfte  man  füglich  annehmen,  wHre  die 
C.escbichte  Dieser.         Cnrlyle:  über  Helden,  Helden  Verehrung  und  das 

Heldcnthümliche  in  der  Geschichte. 

♦ 

J5ei  den  Hottentotten  ist  nicht  einmal  Napoleon  berühmt. 

Marie  v.  Kbner-Kschenbach:  Aphorismen. 

Chor  der  Todten. 

Wir  Todten,  wir  Todten  sind  grössere  Heere 
Als  ihr  auf  der  Erde,  als  ihr  auf  dem  Meere! 
Wir  pflügten  das  Feld  mit  geduldigen  Thaten. 
Ihr  schwinget  die  Sicheln  und  schneidet  die  Saaten, 
Und  was  wir  vollendet  und  was  wir  begonnen, 
Das  füllt  noch  dort  oben  die  rauschenden  Bronnen, 
Und  all  unser  Lieben  und  Hassen  und  Hadern, 
Das  klopft  noch  dort  oben  in  sterblichen  Adern, 
Und  was  wir  an  gültigen  Sätzen  gefunden 
Dran  bleibt  aller  irdische  Wandel  gebunden. 
Und  unsere  Töne,  («eliilde.  Gedichte 
Erkämpfen  den  Lorbeer  im  strahlenden  Lichte. 
Wir  suchen  noch  immer  die  menschlichen  Ziele  ■ 
Drum  ehret  und  opfert!    Denn  unser  sind  viele! 

C  o  n  r a  d  F v  r  d  i  n a  n  d  M  e  y  e  r :  (j  e  dichte  ( V 1 1 1.  ( l  enie). 


Verlan:  Ernst  Hotmann  &  Co.  in  Herl  In.    Druck:  Felo  entreif  &  Co.  in  Herl  in. 
FOr  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  Anton  Bettel  heim  in  Wien. 
Unberechtigter  Andruck  hiih  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 
Obersctzungsrechtc  vorbehalten. 

Biographische  Blatter.  I.  1<> 


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l\Aai°tj]n  Dr  Arnold°E.  Berfer, 

«III  Privatdojtont  ».  <i.  Unlvorn.  Bonn. 

Luther 


I.  Teil  (1-tftt   iaS5>.  XXXII  u.  .V»  Seiten 
( }  r  o  c  s  f>  k  l  a  v.   Mit  einem  ]t  i  1  d  n  i  s. 

(Band  16  17  der  .Oeistesdieldeii-  (Führende 
Gebier).! 


in  kulturgeschichtlicher  Darstellung.  ™»  J»?*  £ 

In  Subskription  auf  zusammen  6  Bande  der  Sammlunp  „Geint  eshelden*  M.  0,80  billiger. 


Hingerissen  von  dieser  Schöpfung',  eile  ich  noch  mitten  im  Losen  unsern  Losern 
Bericht  zugeben  .  .  .:  wa-s  er.  der  Litteraturhistoriker  uns  schenkt,  ist.  soweit  ich  bis  jetzt 
sehe,  etwas  so  Vollendetes,  eindringende  Forschung,  weitester  Blick,  lebendige  Darstellung 
und  schone  Sprache  geben  einen  so  herrlichen  Zusammenklang,  dass  ich  nicht  anstehe,  dies 
Werk  die  vollkommenste  Frucht  zu  nennen,  die  unsere  Lutherwissenschaft  bisher  gebracht  hat. 

Martin  Rade  in  der  „Christlichen  Welt**. 

Es  erwachte  in  uns  beim  Lesen  seines  Buches  das  erhebende  Gefühl,  dass  wir  durch 
seine  Kunst  zu  wahrem  Miterleben  eines  so  reichen  Menschendaseins  gelangten....  Mögen 
unsere  Worte  schlichter  Anerkennung  darum  zugleich  von  dem  Biographen  Luthers  als  ein 
Theil  des  Dankes  hingenommen  werden,  zu  dem  er  uns  als  Spender  so  hoher  geistiger 
Freuden  verpflichtete.  M.  Schwann  in  der  „Frankfurter  Zeitung**. 

Der  Fachmann  würdigt  hier  die  Arbeit  eines  mächtig  eindringenden,  geschicht- 
forschenden Geistes;  der  Laie  geniesst  die  FrUchte  davon  in  einer  wahrhaft  epischen  .Dar- 
stellung ohne  Unterbrechung,  ohne  ermüdende  Stellen,  scharf  im  Ausdruck,  tief  in  der 
Auffassung. 

Rudolf  Pfleiderer  in  der  „Literar.  Rundschau  für  das  evangel.  Deutschland**. 

Die  Darstellung  verdient  vollste  Anerkennung  um  folgender  Vorzüge  willen:  erstens 
der  mustergültigen,  stellenweise  geradezu  hinreissenden  Sprache,  zweitens  der  psychologischen 
Vertiefung  der  Vorgänge  u.  s.  w.  Durch  diese  Mittel  wird  die  Biographie  zur  Vorführung; 
eines  gewaltigen  weltgeschichtlichen  Dramas  u.  s.  w. 

„Blätter  für  litterarische  Unterhaltung**. 

Mit  grosser  Spannung  haben  wir  dieses  Work  erwartet,  seit  es  durch  Bergers 
umfangreiche  geistvolle  Untersuchung  über  .,die  Kulturaufgabcn  der  Reformation"'  an- 
gekündigt und  eingeleitet  worden  ist,  und  wir  müssen  in  dankbarer  Freude  über  den  ge- 
habten (ienuss  bekennen,  dass  es  als  ein  Buch  von  hervorragender  und  bleiliender  Bedeutung 
schon  in  dieser  seiner  unvollendeten  Gestalt  erscheint.  „Leipziger  Zeitung*4. 

Die  Kraft  und  Wärme  der  Empfindung,  die  der  Verfasser  bekundet,  die  Fülle  und 
Beredsamkeit  seiner  Darstellung  machen  das  Lesen  des  Buches  zu  einem  wahren  < Ienuss. 

„Schwäbischer  Merkur*». 

Wer  uns.  wie  hier,  einen  dieser  Helden  in  diesem  Kampfe  zeigt,  wer  also  sozusagen 
diese  führenden  Deister  bei  ihrer  Wurzel  gefasst  hat.  mit  der  sie  im  deutschen  Volksleben 
haften,  der  darf  stets  auf  den  Dank  seiner  Leser  rechnen. 

„Hamburger  Fremdenblatt*4. 

In  manchen  Einzelheiten  divergirt  unsere  Auffassung  von  der  des  Verfassers,  im 
Ganzen  aber  müssen  wir  bekennen,  dass  wir  es  mit  einem  unstreitig  neue  Wege  bahnenden 
Werke  gründlichsten  deutschen  Gelehrtenfleisses  zu  thun  haben,  das  auch  in  der  Art  der 
Darstellung  zu  den  Besten  auf  dem  Gebiete  der  (Jesehichtschroibung  zahlt. 

„Leipziger  Tageblatt'4. 

Das  Werk,  in  dem  ein  erstaunlicher  Fleiss  eine  Fülle  von  Material  zusammengetragen 
und  die  Forschungen  der  Reehtshistoriker.  der  Philosophen  und  Nationalükonomen  in  gleicher 
Weise  zu  berücksichtigen  verstanden  hat,  wlichst  üher  den  Rahmen  der  Biographie  hinaus: 
es  wird  zu  einem  umfassenden  Kulturgcmalde,  das  das  grosse  Problem  von  der  Auseinander- 
setzung germanischer  und  romanischer  Kultur  zu  lösen  sticht. 

Berliner  „Neueste  Nachrichten44. 

Allen  ernst  denkenden  Protestanten,  besonders  der  wissenschaftlich  heranreifenden 
.lugend  bietet  sich  das  Buch  zum  Führer  durch  eine  der  grüssten  Epochen  unserer  (Jcschichte 
an;  wird  es  doch  infolge  seiner  ( Iriimllichkeit  und  seiner  überzeugenden  Darstellung  sich 
dem  besten  historischen  Werken  gleichstellen  lassen.         Leipziger  „Illustrirte  Zeitung1. 

Verlag  von  Ernst  Hofmann  &  Co.  in  Berlin  SW.  48,  Wilhelmstr.  122. 


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(ineisenau. 


24.3 


Gneisenau. 

Ein  Vortrag, 

in  S  t  r  a  s  s  b  u  r  g  gehalten  von 
C.  VARRENTRAPP. 

( ioetlie  hat  einmal  zu  Kckermann  ^csatrt.  erst  die  Kriege  Napoleons 
hätten  jene  Caesars  rocht  aufgeschlossen;  noch  bestinnnter  wird  man  hier 
und  heute  betonen  dürfen,  dass  unser  Verständnis*  für  die  Sieire  Napoleons 
und  noch  mehr  für  die  Siejre  Uber  ihn  erhöht  ist.  seit  wir  selbst  wieder 
erlebt  haben,  was  Krie«r  und  Siey  bedeutet,  seit  wir  hier  erfüllt  sehen, 
wonach  auch  die  Helden  der  Jiefreiuiipskricv'e  strebten,  was  durch  sie  vor- 
bereitet wurde,  (iewiss  nur  bei  oberflächlicher  Betrachtuinr  könnte  man 
meinen,  ihre  Thaten  seien  in  den  Schatten  gestellt  durch  den  (ilanz  der 
Sieire  von  1870:  gerade  wer  diese  recht  würdigen  will,  wird  in  ihnen  einen 
neuen  Antrieb  sehen,  sich  die  Zeit  zu  vcr.L'ejrenwärtijreii.  in  der  «las  Heer- 
system beschatten  und  der  (Jeist  erweckt  ist.  durch  die  auch  jene  Sichre 
ermoirlicht  sind:  klarer  und  anschaulicher  treten  bei  einer  Betrachtum:  beider 
Zeiten  uns  die  KL'enthumliehkeiteii  einer  jeden  von  ihnen  und  ihrer  führen- 
deu  Männer  vor  die  Seele.  Dass  unter  ihnen  dem  Ycrtheidiirer  Kolbcnrs. 
der  dann  zusammen  mit  Scharnhorst  die  Watten  zum  Kampf  der  llcfreiuuir 
L'esch  miedet  und  zusammen  mit  lilüehcr  sie  siegreich  iieführt  hat,  eine  der 
ersten  Stellen  gebührt,  ist  seit  lauere  namentlich  durch  die  (iedichte  Arndts 
und  Schenkendorfs  den  weitesten  Kreisen  verkündet:  das  hierdurch  für  ihn 
erregte  Interesse  zu  befriedigen,  einen  genaueren  Hinblick  in  sein  Thun 
und  Wesen  zu  gewinnen,  ist  aber  erst  durch  neuere  Publikationen  ermöglicht, 
und  der  Heiz,  mit  ihnen  sich  zu  beschäftigen,  ist  noch  »rcstcijjcrt.  seit  nun 
auch  über  seinen  grossen  Nachfolger,  seit  über  Moltke  seine  nach  seinem 
Tode  veröffentlichten  Schriften  und  I '»riefe  uns  genaue  Aufklärumr  gebracht 
haben.  Kin  bedeutende]*  Mitarbeiter  Moltkcs  in  den  letzten  irrossen  Kriegen, 
der  nach  ihnen  eben  hierher  nach  Strassbury  an  die  Spitze  des  XV.  Corps 
berufen  wurde,  (ieneral  Kransecky.  hat  zuerst,  schon  1N.">»  den  Anfanir  einer 
wissenschaftlichen  Hioirraphie  von  <  inciscuau  erscheinen  lassen.  Dass  er  seine 
sorgfältige  und  anziehende  Arbeit  nur  bis  /.um  Kriege  von  l.snii  herabführte. 
erklärf  sich  mit  daraus,  dass  (ineisenaus  Familie  die  von  ihr  gesammelten 
Materialien  nicht  ihm.  sondern  «lein  liioirraphen  Steins,  (;.  II.  IVitz.  über- 
leben hat:  in  fünf  starken  Händen  sind  daraus  von  diesem  und  nach  seinem 
Tode  von  Hans  Delbrück  wichtige  Mitthcilumreii  über  ( ineisenau  und  seine 
Zeit  veröffentlicht:  das  bedeutsamste  aus  ihnen  hat  Delbrück  issj  in  einer 
kleinen  zweibändigen  Ausgabe  der  ( lueisenau- iSneraphie  zusauimeuirestellt 
und  hier  zuerst  eine  einheitliche  wissenschaftliche  Darstelluni:  des  Lebens 

BioBraphische  «latter.  J.  I»»- 


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244 


Biographische  Blatter. 


und  Wirkens  (Weisenaus  geliefert,  in  welcher  scharfsinnig  die  grossen  Pro- 
bleme der  politischen  und  namentlich  der  militärischen  ('beschichte  seiner 
Zeit  erörtert  sind.  Aber  keineswegs  ist  mit  diesem  anregenden  Buch  die 
Forschung1  über  (Jneisenau  abgeschlossen:  wie  über  seine  Zeit  sind  auch 
Ober  seine  persönliche  Thätigkeit  uns  neue  wichtige  Aufklarungen  ge- 
worden; besondere  Verdienste  hat  auch  um  ihre  genauere  Erkenntniss  sich 
der  Biograph  Scharnhorsts  Max  Lehmann  envorben,  und  die  Ergebnisse 
der  von  ihm  und  Anderen  angestellten  Forschungen  hat  dann  Delbrück  in 
der  /weiten  Autlage  seines  Werkes  verwerthet.  die  eben  in  dem  letzten 
Winter  erschienen  ist.  Auch  bei  der  einschneidenden  Neubearbeitung  seines 
Buches  kam  es  Delbrück  vor  Allem  darauf  an,  die  allgemeinen  Weltver- 
haltnisse, in  die  seines  Helden  Leben  und  Wirken  verflochten  ist.  und  seine 
Strategie  verständlich  zu  machen;  nicht  die  (irossthaten  des  Feldherrn,  sondern 
die  Entwickelung  und  die  ethische  Bedeutung  des  Menschen  kurz  zu  schildern, 
hatte  ich  in  einem  populären  Vortrag  versucht,  den  ich  1892  in  Strassburg 
hielt:  weil  ich  in  ihm  die  für  die  biographische  Würdigung  wichtigsten 
Punkte  besonders  betonte,  glaubte  ich  einer  freundlichen  Aufforderung  des 
Heiausgebers  dieser  Bliitter  folgen  und  ihn  ihren  Lesern  vorlegen,  dadurch 
auch  sie  auf  die  erwähnte  neue  wichtige  Bereicherung  unserer  biographischen 
Litteratur  hinweisen  zu  dürfen1). 

Dass  der  Erinnerung  werth  ist  nicht  bloss,  was  (incisenau  that.  noch 
mehr,  was  er  war,  das  hat  schon  vor  einem  halben  Jahrhundert  Ernst 
Moritz  Arndt  betont,  als  er  seinen  Schriften  für  seine  lieben  Deutschen 
einen  Aufsatz  über  ihn  einfügte,  (incisenau  hatte,  als  Arndt  ihn  kennen 
lernte,  schon  die  Fünfzig  überschritten;  aber  er  war,  wie  Arndt  sagt,  „in 
Haltung,  Schritt  und  (Jeberde  einem  Dreissiger  ähnlich.  Sein  Bau  war 
stattlich  und  seine  ( nieder  löwenartig;  er  stand  und  schritt  wie  ein  geborener 
Held.  Diesen  Leib  kräftigsten  Wuchses,  etwas  über  Mittellänge,  krönte  ein 
priiehtiger  Kopf:  eine  offene  breite  heitere  Stirn,  volles  dunkles  Haupthaar, 
schönste  grosse  blaue  Augen,  die  eben  so  freundlich  als  trotzig  blicken  und 
blitzen  konnten.  Ausdruck  von  Männlichkeit  und  Schönheit  in  allen  Zügen". 
Was  Arndt  am  meisten  auftiel.  war.  wie  in  den  leichtesten  beweglichen 
Wechseln  sich  alle  (Jefühle  und  Stimmungen  der  Liebe  und  des  Zornes, 
der  Freude  und  des  Fnmuths  auf  dem  Antlitz  spiegelten  und  wie  doch  bei 
gewaltigem  Ungestüm  und  unendlicher  Beweglichkeit  ( incisenau  seine  Triebe 
zu  meistern  wusste.    Welche  (Jcdanken  und  Sorgen  diesen  erfüllten,  als 


M  In  zwei  Künden  ist  diese  zweit«»  nach  den  Krir<'l missen  der  neueren  Forschungen 
umgearbeitete  Auflage  des  Lehens  des  Feldmans«  halls  (Malen  Neidhardt  v.  (ineisenan  von 
Hans  Delbrück.  Kerlin  1SJ>4.  im  Verlane  von  Hermann  Walther.  veröffentlicht.  Seite  V 
bis  VIII  des  er-ten  Kandes  ist  hier  auch  ein  Verzeichnis»  der  seit  dem  Jahre.  1SS-J  t'v- 
sfhienenon  und  für  die  neue  Mearbcitumr  heranuc/<»;jencn  Schritten  abgedruckt.  Auf  einigt' 
von  Delbrück  nicht  beriicksichtiirte  Schliffen  ist  in  den  nachfolgenden  Anmerkungen  hin- 
gewiesen. 


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Hnt'ispnau. 


245 


1K12  Arndt  ihn  sah.  wie  verschiedenartige  Kindrttcke  er  erfahren  und  wie 
er  unter  diesen  an  seiner  eigenen  Bildung  gearbeitet  hatte,  darüber  können 
wir  heute  mehr,  als  Arndt  wusste.  aus  den  uns  neu  erschlossenen  Quellen 
entnehmen.    Was  lehren  sie  uns  zunächst  Ober  sein  Werden? 

Allerdings  nicht  soviel  als  wir  wünschten:  aber  doch  <renn«r,  um  zu 
bestätigen,  was  Oneisenau  später  selbst  hervorhob,  wie  wunderbar  er  geführt  sei. 
Kreilich  hänirt  damit  zusammen,  dass  deich  die  erste  Fra<re.  die  sich  uns 
aufdrängt,  schwer  zu  beantworten  ist.  die  Frajre:  Welchem  deutschen  Stamm 
L'ehürt  (ineisenau  an?  Nur  ein  beachtenswerthes  negatives  Resultat  tritt 
uns  hier  sofort  entirepen.  Auf  dem  Hoden  des  preussischen  Staates  allein 
hat  (ineisenau  die  Thätiirkeit  entfalten  kennen,  die  ihm  seine  nationale  Be- 
ileutuntr  sichert:  aber  für  die  reformirende  Aufgabe,  die  er  hier  zu  voll- 
bringen hatte,  war  von  Wichtigkeit,  «las«  er  wie  der  Nassauer  Stein  und 
der  Mecklenburger  Blücher,  wie  die  Hannoveraner  Hardenberg  und  Scharn- 
horst nicht  in  einem  altpreussischen  i lause  geboren  ist.  Er  entstammte  der 
Familie  Neidhardt,  die  zuerst  in  Schwaben  nachweisbar,  in  Österreich  das 
Sehluss  (ineisenau  erworben  hatte.  Kin  Zweiir  von  ihr  hatte  der  Reforma- 
tion sich  zugewandt:  er  war  dann  durch  die  (ie«renreformation  vertrieben 
und  hatte,  wie  Gneisenau  sajrte.  Lrehunirert.  In  der  Zeit  des  siebenjährigen 
Krieges  tritt  uns  so  als  ein  vermöirensloser  sächsischer  Lieutenant  auch 
(iueisenaus  Vater  entsrepen:  er  kam  in  (Quartier  nach  Würzbur«/  und  lernte 
dort  die  Tochter  des  Obersten  Müller  kennen  und  lieben,  und  trotz  des 
Widerstandes  der  wohlhabenden  katholischen  Kitern  yeiien  den  armen 
protestantischen  Lieutenant  reichte  sie  ihm  ihre  Hand.  Sie  folirte  ihm  17<>(> 
auf  den  Kriegsschauplatz;  dort  jrebar  sie  einen  Knaben,  der  bei  der  Taufe 
die  Namen  Anton  Wilhelm  Aujrust  emptinp,  am  27.  Oktober  —  es  ist  ein 
erfreuendes  Zusammentreffen,  dass  eben  an  diesem  Tape  HO  .fahre  später 
die  Kapitulation  von  Metz  unterzeichnet  wurde.  Weniirc  Ta«re  später  kam 
es  zur  Schlacht  bei  Torirau;  bei  dem  Anrücken  der  Preussen  be«/ab  sich 
«ler  noch  in  Schiida  betindliche  Tross  der  Reichsarinee  auf  eiliiro  Flucht, 
die  selbst  in  der  Nacht  fortgesetzt  wurde.  Auch  (Jneisenaus  Mutt*T  hatte 
einen  Wapen  bestieiren:  bei  den  Fährlichkeiten  der  nächtlichen  Flucht  ver- 
lor sie  «lie  Besiiinnnir.  und  so  entirlitt  ihr  «las  Theuerste.  was  sie  besass. 
ihr  Kind.  Kin  Soldat  der  Kskorte  fand  es  auf  und  brachte  es  am  andern. 
Molden  der  verzweifelten  Mutter  zurück.  „Hätte  joner  <  Jrenadicr.  erzählte 
Gneisenau  später,  mich  nicht  aufgehoben,  so  würde  ich  unfehlbar  in  der 
Kinsteniiss  von  «lein  nächsten  Waüvn  totlt  ire  fahren  worden  sein.  Aber  es 
sollte  nicht  sein.  Meine  Mutter  hat  sich  nie  von  der  beschwerlichen  Reise 
und  dem  Schreck,  mich  verloren  zu  haben,  erholen  können  und  ist  nicht 
lamre  darauf  pestorbeir'.  So  wurde  dem  Knaben  die  Mutter  «reraubt,  und 
auch  den  Vater  riss  der  Krii\Lr  weiter  fort  und  auch  nach  dessen  Kode  hat 
er  weniir  für  den  Sohn  irethan.  Kr  brachte  ihn  für  «.'erinires  Kostgeld  bei 
armen  Leuten  unter;  so  wuchs  (ineisenau  auf  hei  Fremden  in  dürft iiren 

Iii'  * 

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24« 


BiojjraphiMrhe  Blatter. 


Verhältnissen:  „ich  habe,  sayte  er.  immer  ein  Stuck  Sehwarzbrod.  aber 
nicht  inuner  Sohlen  unter  nieinen  Füssen  trelmbt".  Endlich  erfuhren  die 
Kitern  seiner  Mutter,  wie  es  ihm  «rinjr,  und  erbarmten  sich  seiner  Not:  in 
einer  Kutsche  Hessen  sie  ihn  nach  Würzbun,'  holen.  Wie  Zauberei,  erzählte 
er  später,  sei  es  ihm  vorgekommen,  als  er  in  hell  erleuchtete  Zimmer  «reführt 
wurde  und  Offiziere  in  glänzenden  Uniformen  vor  sich  sah.  Aus  äusserer 
Dürftigkeit  wurde  er  so  befreit:  auch  jetzt  aber  wurde  ihm  nur  ein  ireistii: 
dürftiger  rnterrieht  in  der  .lesuitensehule  zu  Theil,  in  welche  die  (iross- 
*eltern  den  bisher  aus  Luthers  Katechismus  unterrichteten  Knaben  schickten. 
Dankbar  erinnerte  er  sieh  daireiron  eines  Freundes  und  Mitbewohners  seines 
trrosselterli eilen  Dauses,  des  Professor  Herwig,  welcher  seiner  WissbeLrierde 
und  Phantasie  fruchtbare  Xahrunir  bot:  er  &r«»b  ihm  neben  anderen  Bitehern 
einen  deutsehen  Homer  zu  lesen,  und  als  der  .fiunre.  ihm  erzäldte.  was  er 
in  den  Hücheln  gefunden  hatte,  sairte  er  ihm:  „Komm  tätlich  zu  mir.  ich 
will  Dir  rnterrieht  ^reben.  in  Dir  steckt  mehr."  Andere  «reistiire  Anreirumren 
empfing  (ineisenau  dann,  als  er  nach  dem  Tod  seiner  ( irosseltern  zu  seinem 
Vater  nach  Krfurt  kam,  wo  dieser  inzwischen  als  Jiauinspektor  eine  An- 
stellung ircfundcu  hatte:  hier  wurde  er  1777.  also  17  .fahre  alt,  auch  als 
Student  imniatrikulirt.  Leitler  wissen  wir  weni«r  wie  über  die  vorhergehen- 
den, so  über  die  nächstfolgenden  .fahre  seines  Lebens:  mannigfache  Schwieriir- 
keiten  brachten  (ineisenau  eine  zweite  Vcrhciratliiin*r  seines  Vaters  und 
seine  Stiefgeschwister:  er  spriclit  von  selbst  verschuldeten  ökonomischen 
Uedräny nissen.  Sie  haben  mitgewirkt  wohl  auch  zu  seinem  Kntsehluss.  das 
akademische  Studium  aufzugeben:  der  schöne,  kräftige,  muthiire  .Jüiurlinir.  der 
sich  besonders  für  militärische  Mathematik  inteiessirt  hatte,  wurde  Soldat, 
zuerst  in  österreichischen,  sodann  in  Anspachischen  Diensten.  Ks  war  die 
Zeit,  da  auch  dieser  deutsche  Kleinfürst  seine  Truppen  den  Kn^ländern 
zum  Kampf  Lrc<ren  die  Amerikaner  verhandelte:  als  Anspacher  Lieutenant 
leinte  so  auch  (ineisenau  die  neue  Welt  kennen.  Als  er  dorthin  kam. 
war  der  Friede  im  Anzuir:  so  konnte  er  nicht  mehr  selbst  im  Kampf 
mit  den  dort  oiuanisirten  Volksaufyeboten  ihre  Kraft  erproben:  aber  wie 
lebhaft  sie  ihn  interessirten .  wie  er  die  hier  erworbenen  Kenntnisse  für 
Kuropa  nutzbar  zu  machen  dachte,  zeii:t.  dass  er  eine  Denkschrift  über  sie 
ausarbeitete.  In  Anspach  wurde  er  deshalb  als  neueruuirssüehtitr  bezeichnet: 
ei  sehnte  sieh  in  grössere  Verhältnisse  zu  kommen:  auch  ihn  wie  den 
juniren  Stein  zoy  es  zu  Friedrich  den  (i rossen,  und  wirklich  nahm  ihn  der 
Kömir  in  seinem  letzten  Lehensjahre  auf  in  seine  Armee. 

Ks  leuchtet  ein.  dass  nur  eine  ungewöhnlich  kräftige  Natur  durch 
eine  solche  .luvend  sich  so  hiiidurchschlaircn.  so  die  Anreirun*ren.  die  sie 
ihm  bot.  benutzen  konnte.  Durch  die  Pesiev/uuLr  der  Schwierigkeiten,  mit 
denen  er  zu  riiiLcn  hatte,  winde,  wie  Frau  von  Beiruelin  hervorhebt,  seine 
Streitkraft  so  entwickelt,  dass  er  sich  im  Kampf  uanz  in  seinem  Klemcnt 
fühlte.    ...\l»er.  setzt  sie  hinzu,  nicht  im  -erin-sten  war  er  Zänker  und 


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(ineisenau. 


247 


Händehnacher:  nie  rühmte  er  sich,  noch  weniger  prahlte  er",  und  wie  sie 
betont  auch  Möfflin^r,  der  vielfach  uiiirereeht  (ineisenaus  einzelne  Thaten 
beurtheilt  hat,  dass  er  unfähii:  war  einen  selbst  bei«  an  treuen  rehler  auf  Andere 
y.u  wälzen  und  immer  bereit  fremdes  Verdienst  anzuerkennen.  Konnte  er  mit 
leidenschaftlicher  Sehrotfheit  auftreten,  wenn  er  die  I)urehführun«r  «lor  grossen 
Ideen  gefährdet  sah,  die  ihn  erfüllten,  so  war  ihm,  wo  er  Helfer  für  sie 
fand,  wo  er  auf  gleichgestimmte  Seelen  traf,  warmes  Kiit&re«ren  kommen  ein 
inneres  Bedürfnis*.  Wohl  ist  es  beachtenswert!!,  dass  der  wesentlich  aus 
eiirener  Kraft  emporgekommene  Mann  mit  eiserner  Kner«rie  solche  Ke-* 
scheidenheit  und  solche  Menschenfreundlichkeit  verband,  dass  er.  obgleich 
luelancholischen  Stimmungen  nicht,  unzugänglich,  doch  vorwiegend  eine 
Heiterkeit  des  (iemttths  und  eine  Zartheit  der  Kmptindun<r  zei«rte,  die  ihm 
schon  früh  die  Herzen  gewannen.  So  hat  er  schon  in  Krfuit  und  'Bayreuth 
enjre  Freundschaftsbeziehun«ren  geknüpft,  an  denen  er  dauernd  festgehalten 
hat2!. 

Diese  Eigenschaften  Hessen  ihn  nicht  verkümmern,  er  entwickelte  sie 
weiter  in  den  mannigfach  drückenden  Verhältnissen  der  nächsten  zwei  Jahr- 
zehnte. Denn  keineswegs  glänzend  war  der  Anfanir  seiner  militärischen 
I .auf bahn  in  Preussen.  Kr  hatte  trehotft.  in  die  Suite  des  Köniirs,  d.  h.  zu  den 
Offizieren  zu  kommen,  die  eine  höhere  Ausbildung  irenossen:  statt  dessen 
wurde  er  zu  den  Füsilieren  nach  Schlesien  versetzt.  Zwanzig  Jahre  lanir 
hat  er  bei  ihnen  erst  als  Lieutenant,  dann  als  Hauptmann  in  Löwenberir 
und  Jauer  in  (iarnison  gestanden.  Kr  wurde  in  dieser  Stellung  4(5  Jahre 
alt,  Vater  von  fünf  Kindern,  ei4  lebte  ohne  Berührung  mit  bedeutenden 
Menschen,  mitten  im  Zeitalter  der  Kevolutionskrieiic  ohne  ( «elcirenheit 
kriegerische  Erfahrungen  und  Lorbeeren  zu  sammeln.  Natürlich  haben  diese 
Verhältnisse  auf  ihm  gelastet  und  nicht  minder  die  allgemeinen  Verhält- 
nisse des  preussischen  Staates  und  Heeres.  Immer  mehr  verbreitete  sich 
das  (Jefühl,  dass  in  ihnen  schwere   ('beistände  vorhanden  seien,  vieles 

-I  Dass  (ineisenau  bis  an  sein  Lebensende  die  in  Krfurt  begründeten  Beziehungen 
zu  dem  Haust*  Sie^l in«,'  und  namentlich  seinem  Schul-  und  rnivcrsitlitsfreund  Johann  Blasius 
Sieclin*.'  festgehalten  hat,  zeigen  seine  Briefe  an  diesen,  die  neuerdim/s  im  l'i.  Heft«*  der 
Mittheil unj/en  des  Vereins  für  die  Geschichte  und  Alterthumskunde  Krfurts  veröffentlicht 
sin«l.  nachdem  einzelne  von  ihnen  schon  früher  von  den  .Biographen  (ineisenaus  mitiretheilt 
und  benutzt  und  sechs  weitere  von  Lehmann  in  der  Historischen  Zeitschrift  ."»!).  ff. 
publizirt  waren.  Tick  hat  seiner  Publikation  auch  mehrere  Schreiben  von  (ineisenaus 
Frau,  von  Karoline  von  Humboldt  und  von  Sie^lin-r  selbst  hinzuL'efiiL't:  unter  diesen  ist 
Ijcsonders  lesenswerth  dessen  Bericht,  wie  (ineisenau  seinen  alten  Jugendfreund  1SIJ)  in 
Berlin  aufnahm.  —  Für  (ineisenaus  Beziehungen  zu  seinen  Bekannten  in  Bayreuth  und 
zugleich  für  seine  Bestrebungen  im  Marz  1S1:{  ist  ein  von  ihm  damals  an  seinen  alten 
Kameraden  Waidenfels  gerichtetes  Schreiben  interessant,  indem  er  diesen  und  andere  ihm 
bekannte  Franken  aufforderte,  die  dortige  Bevolkerim«/  zur  Krhebuny  geyen  -Ii**  Fran- 
zosen anzuregen.  Siehe  dies  Schreiben  und  einige  Notizen  über  (ineisenaus  Aufenthalt  in 
Bayreuth  bei  Julius  Meyer.  Krinnerungen  an  die  Hohenzolleruhorr-chaft  in  Franken 
(Anspach  1*1)0)  S.  HM)  ff. 


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248 


Biographische  Blatter. 


namentlich  den  Ideen  widerstritt,  die  damals  so  wirksam  unsere  grossen 
Dichter  vertraten;  aber  bei  dem  engen  Zusammenhange  aller  militärischen, 
politischen  und  sozialen  Einrichtungen  waren  Reformen  im  einzelnen 
schwierig,  und  vor  einer  gründlichen  Umgestaltung,  vor  einem  Bruch  mit 
den  Traditionen  Friedrichs  des  (i rossen  scheute  sein  Grossneffe  zurück:  so 
erklärt  es  sich,  dass  im  ersten  Jahrzehnt  Friedrich  Wilhelms  III.  viel  über 
Reformen  geschrieben,  manches  für  sie  vorgearbeitet,  aber  wenig  von  ihnen 
praktisch  durchgeführt  ist.  Sie  herheizuführen,  daran  konnte  natürlich  der 
Hauptmann  Gneisenau  in  seinem  schlesischen  Stadtchen  nicht  denken;  aber  er 
konnte  sich  auf  sie  vorbereiten.  Und  das  that  er  —  nicht  durch  theoretische 
Spekulation,  sondern  indem  er  in  seinem  amtlichen  und  Privatleben  zugleich 
Empfänglichkeit  für  die  humanen  Ideale  Kants  und  Schillers  und  echten 
militärischen  Geist  bewies. 

Seine  Neigung  und  Fähigkeit,  Menschen  zu  helfen  und  Menschen  zu 
erziehen,  hat  Gneisenau  nicht  nur  in  der  Sorge  für  die  Seinen,  für  seinen 
Vater  und  seine  Geschwister  und  seine  eigene  Familie  bewährt,  die  er 
sich  36  Jahre  alt  durch  seine  Verbindung  mit  Karoline  von  Kottwitz 
begründete,  auch  im  Verkehr  mit  Freunden  und  Kameraden  und  in  der 
Einwirkung  auf  die  ihm  unterstellte  Mannschaft.  Nicht  in  den  damals 
üblichen  Prügelstrafen  sah  er  das  Hauptmittel  für  die  Disziplin;  er  suchte 
sie  durch  Belebung  des  Ehrgefühles  zu  heben,  lebhaft  interessirte  er 
sich  für  das  Wohl  der  Einzelnen  und  ihrer  Hintcrlassenen.  Dabei  er- 
reichte er.  dass  sie  den  hohen  Anforderungen  nachzukommen  strebten,  die 
er  an  ihre  Leistungen  im  Dienste  stellte;  unermüdlich  thätig  für  ihre  Ein- 
übung bildete  er  seine  Kompagnie  zu  einer  Musterkompagnie  aus.  Aber 
nicht  minder  hielt  er  sich  verpflichtet,  für  seine  eigene  Ausbildung  zu 
sorgen.  Er  war  nicht  ein  Gelehrter  und  wollte  es  nicht  werden:  aber  für 
seinen  Beruf  hielt  er  für  nöthig.  seine  Kenntnisse  zu  mehren;  so  hat  er 
sprachliche  und  historische  Studien  getrieben,  in  Bücher  und  Karten  sich 
vertieft;  er  lernte  nicht  nur  aus  eigener  Anschauung  das  schlesische  Umd 
und  die  Verhältnisse  des  benachbarten  Polen  gründlich  kennen,  er  wusste 
auch  aus  den  Zeitereignissen  im  westlichen  Europa  Nutzen  für  seine  mili- 
tärische und  politische  Bildung  zu  ziehen:  mit  verständnissvollem  Interesse 
folgte  er  namentlich  den  Feld/Ilgen  Napoleons.  ..Bonaparte.  schrieb  er. 
war  mein  Lehrmeister  in  Krieg  und  Politik".  Aber  grundverschieden  von 
denen  Napoleons  und  der  ihm  vorangegangenen  Leiter  der  französischen 
Revolution  waren  seine  ethisch-politischen  Grundanschauungen;  sie  hat  er 
damals  auch  in  Gedichten  ausgesprochen,  die  eben  desshalb,  nicht  wegen 
ihres  ästhetischen  Werthes  unsere  Beachtung  verdienen.  Ist  neuerdings 
mit  Recht  der  Kintiuss  betont,  den  auf  seine  späteren  Arbeitsgenossen 
Hoven  und  Clauscwitz  die  Kant'sche  Philosophie  ireübt  hat.  so  bemerken 
wir  hier  eine  Einwirkung  von  ihr  auch  auf  Gneisenau;  erfüllt  von  der 
Gesinnung,  der  Kant  den  klassischen  philosophischen  Ausdruck  gegeben 


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One  wenau. 


249 


hat,  rief  er  in  einem  Gedichte  3)t  in  dem  er  bei  Absetzung  Ludwigs  XVI. 

den  französischen  Jakobinern  entgegentrat,  der  Göttin  zu: 

Begeistre  Du  das  das  menschliche  Geschlecht 
Für  »eine  Ifiicht  zuerst,  dann  fllr  sein  Hecht! 

Es  gab  wohl  Kameraden,  die  Uber  den  Poeten  und  Uber  den  Magister 
spotteten:  die  ihn  näher  kannten,  wussten,  dass  sein  idealistischer  Enthusi- 
asmus nicht  die  Schwärmerei  eines  Phantasten,  dass  er  die  schöne  Pluthe 
einer  durchweg  gesunden,  einer  im  höchsten  Grade  zu  praktischer  Leistung 
befähigten  Natur  war.  Als  er  um  seine  Krau  warb,  trug  ihre  Mutter,. 
Bedenken,  dem  vermögenslosen  Hauptmann  die  Tochter  anzuvertrauen:  da 
bestimmte  sie  sein  Chef,  Major  von  Puttlitz,  zu  der  Einwilligung  durch 
seine  entschiedene  Erklärung:  rEs  ist  wahr,  er  besitzt  nichts,  aber  er 
kommt  doch  durch  die  ganze  Welt". 

Der  Welt  zu  zeigen,  was  in  ihm  war,  seine  Gaben  zu  voller  Ent- 
faltung zu  bringen,  sie  im  Dienste  des  Vaterlandes  zu  verwerthen,  sollte 
dem  lang  in  kleinen  Verhältnissen  Zurückgehaltenen  der  Sturz  des  alten 
preussischen  Staates  die  Gelegenheit  bieten.  Wohl  hatte  er  schon  früher  als 
Patriot  geseufzt  Über  manche  Gebrechen  seines  selbst  gewählten  Vater- 
landes, hatte  er  schon  die  Ansicht  entwickelt,  dass  man  der  Verbreitung 
des  revolutionären  Geistes  durch  weise  Gesetze  begegnen  müsse:  aber  wie 
tief  diese  greifen  müssten,  wie  berufen  er  selbst  zur  Mitarbeit  bei  den 
Reformen  sei.  das  machte  auch  ihm  erst  die  Katastrophe  von  180«  klar. 
Noch  im  Sommer  dieses  Jahres  hatte  er  einmal  den  Gedanken  hingeworfen, 
den  Soldatenrock  auszuziehen  und  sich  ganz  dem  Berufe  des  Landwirths 
zu  widmen,  in  dem  er  besser  für  die  Seinen  sorgen  könne:  wenige  Wochen 
darauf  stand  er  mitten  im  Kriegsgetümmel.  Gleich  in  dem  ersten  Treffen 
bei  Saalfeld  leicht  verwundet,  focht  er  doch  bei  Jena  mit  unter  den  letzten 
Kämpfern;  auf  dem  Kuckzuge  lernte  er  dann  das  Elend  des  preussischen 
Heeres  kennen.  „Das  waren  Gräuel:  tausendmal  lieber  sterben  als  das 
noch  einmal  erleben".  Nach  dem  Osten  vorausgesendet  und  so  der  Gefangen- 
sehaft entgangen,  fasste  er  in  einer  Denkschrift  die  Gründe  der  Niederlage 
zusammen.  „Viel  ist.  schrieb  er,  von  Verrätherei  die  Rede  gewesen";  er 
aber  wies  solche  Ansicht  zurück:  er  suchte  und  fand  eine  tiefere  und 

3)  Aus  dein  von  Portz  in  der  grossen  Ausgabe  der  (ineisenau- Biographie  1.  648  ff. 
»bsredruckten  (Jedicht  hoben  die  beiden  im  Text  angeführten  charakteristischen  Vers«»  auch 
Treitschke.  Deutsche  «Jeschichte  1.  "JSH  und  Lehmann,  Scharnhorst.  2.  12  hervor.  Auf 
di«  Kinwirkung  der  Kant'schen  .Philosophie  auf  Hoven  und  ('lausewitz  wies  nachdrücklich 
H.  Cohen  in  seiner  1MS.1  veröffentlichten  Hede  über  Kant  s  Kinfluss  auf  die  deutsche 
Kultur  S.  MO  ff.  hin.  Dass  (ineisenau  sich  dann  auch  mit  Fichte  beschäftigte,  beweist  das 
interessante  Blatt,  das  Delbrück  zuerst  in  der  neuen  Auflage  2,  -J-J5>  ff.  abgedruckt  bat;  auf 
ihm  hat  (ineisenau  Fichtes  Appellation  an  das  Publikum  gegen  die  Anklage  des  Atheismus 
exr-erpirt.  In  den  Mittheilungen  zur  (ieschichto  Krfurts  10.  .14  hat  Pick  die  Vermuthung 
geäussert,  dass  (ineisenau.  der  mehrere  (iedichte  Schillers  sich  abgeschrielien  hat.  den  Dichter 
ls»W  auch  persönlich  in  Krfurt  kennen  lernte. 


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250 


Biographische  Blatter. 


richtigere  Erklärung  für  das  Unglück  in  der  Verblendung  Über  den  Feind 
und  vor  allem  in  den  scharf  charakterisirten  Mängeln  der  Heeresverfassung 
und  dem  vorherrschenden  Kleinmnth.  Wohl  war  es  wichtig,  dass  er  mit 
solcher  Klarheit  den  Sitz  des  Übels  erkannte;  wichtiger  war  die  Frage,  ob 
die  Kraft  zur  Besserung  vorhanden  war.  Seine  praktische  Tüchtigkeit 
hatte  (ineisenaii  schon  bei  »Saalfeld  bewährt,  als  er  seine  Füsiliere  tirailliren 
Hess;  jetzt  entwarf  er  den  Plan,  mit  Hülfe  Englands  im  Rücken  der  feind- 
lichen Hauptarmee  eine  Volksbewegung  gegen  sie  zu  envecken.  Aber 
dieser  IMan  wurde  nicht  angenommen,  ebensowenig  seine  Vorschläge,  die 
von  ihm  einexerzirten  Rekruten  schon  früh  im  Kriege  zu  verwenden:  es 
war  (iefahr  vorhanden,  dass  seine  Kraft  in  Danzig  unter  unfähiger  Ober- 
leitung nutzlos  verbraucht  wurde  da  wurde  er  im  Frühjahr  1807  zum 
Kommandanten  der  für  die  Verbindung  mit  England  besonders  wichtigen 
Festung  Kolberg  ernannt.  Er  fand  eine  schwere  Aufgabe  vor.  Waren 
von  den  Franzosen  zunächst  nur  geringe  Streitkräfte  gegen  die  pommersche 
Festung  verwendet,  so  waren  diese  nun  verstärkt,  und  (ineisenaus  Vor- 
gänger hatte  wenig  gethan,  genügende  Vertheidigungsmittel  herbeizuschaffen: 
ja  er  war  in  Konflikt  gerade  mit  Männern  gerathen.  die  besonder  energisch 
gegen  den  Feind  auftreten  wollten,  so  dem  alten  mutlugen  Seemann  Nettel- 
beck, der  den  patriotischen  ( i eist  in  der  Bürgerschaft  zu  beleben  suchte. 
Abel-  mit  dem  Tage  von  (ineisenaus  Ankunft,  sagt  eben  Nettelbeck.  ,.kam 
ein  neues  Leben  und  ein  neuer  (ieist  in  alles,  was  um  und  mit  uns  vor- 
ging''. In  der  That  hat  sich  hier  zuerst  gezeigt,  was  für  das  Vaterland 
(ineisenaus  zielbewusste  Energie  und  seine  begeisternde  Einwirkung  auf 
deutsche  Herzen  zu  leisten  vermochte.  Sofort  verkündete  er  seinen  Ent- 
schluss,  die  Festung  nicht  zu  übergeben.  Er  seihst  empfand  aufs  Leb- 
hafteste, welche  Leiden  die  energische  Durchführung  dieses  Entschlusses 
der  Bürgerschaft  brachte.  „Meine  Stadt  ist  verwüstet,  schrieb  er  im 
Juli  1S07,  63  Bürger,  Frauen  und  Kinder  sind  tot  und  verstümmelt,  eine 
Menge  sind  Bettler:  ich  habe  ihre  Häuser  anzünden,  ihre  Obstbäume  nieder- 
hauen lassen  müssen,  das  Los  eines  Kommandanten  in  einer  belagerten 
Stadt  ist  hart".  Aber  nie  hat  dies  warme  Mitgefühl  ihn  zu  schwächlicher 
Haltung  bestimmt:  im  (iegentheile,  wie  er  selbst  keine  (iefahr  für  sieh 
achtete,  vor  keiner  Anstrengung  zurüekschente.  so  forderte  er  (Deiches 
auch  von  seinen  Untergebenen:  er  wusste  einen  Hauch  seines  Geistes  auch 
ihnen  und  den  Bürgern,  einzuHössen,  sie  alle  zu  vereinen  zur  mutlivollen  Ver- 
teidigung. ..Ich  nahm,  schrieb  er  einem  Kameraden,  alles  auf  meine 
Hörner.  kassirte  feigherzige  Offiziere,  lebte  fröhlich  mit  den  Braven  und 
Hess  brav  donnern".  Er  beschränkte  sich  nicht  auf  die  Verteidigung  der 
Festungswerke;  in  einer  interessanten  Aufzeichnung  über  die  Belagerung 
von  Valenciennes  hatte  er  schon  1 7i>:5  dem  Kommandanten  einen  Vorwurf 
daraus  gemacht,  dass  er  sich  auf  die  Festung  habe  beschränken  lassen  und 
nicht  einen  Aussenkrieg  geführt  habe,  hatte  er  schon  damals  für  die  neuen 


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(ineisenau. 


251 


Ideen  Uber  den  Festungskrieg  sieh  erklärt,  die  Montalembert  gegenüber 
Vauban  vertreten  hatte.  Wie  diese  in  der  Praxis  zu  realisiren.  wie  die 
belagernden  Feinde  durch  Offensive  der  Belagerten  zu  schädigen  seien,  das 
hat  er  nun  bei  Kolberg  gezeigt.  Lange  hinderte  er  die  Kranzosen  sie]]  der 
Festung  zu  nähern,  indem  er  die  Schanze  des  Wolfsberges  anlegte  und  sie 
mit  höchstem  Muthe  vertheidigte;  durch  Ausfälle  vermehrte  er  seine  Ver- 
theidignngsmittel  und  schwächte  die  (Gegner:  wie  durch  Kener  suchte  er 
sie  auch  durch  Wasser,  durch  Überschwemmung  zu  bekämpfen.  Kreilich 
auf  die  Dauer  konnte  er  die  weitere  Annäherung  der  verstärkten  Feinde 
nicht  hindern:  da  sie  erfahren  hatten,  dass  ein  Waffenstillstand  abgeschlossen 
sei,  machten  sie  am  1.  Juli  die  grössten  Anstrengungen,  noch  ehe  er  bekannt 
wurde,  durch  ein  Bombardement  die  Festung  zur  Kapitulation  zu  bringen. 
Furchtbar  verwtlstend  wirkte  ihr  Keuer;  wie  es  nur  durch  (uieisenaus 
persönliches  Kingreifen  gelang,  ihm  ein  Ziel  zu  setzen,  hat  dankbar  Nettel- 
beck anerkannt.  „So  besonnen,  wo  es  handeln  galt,  so  allgegenwärtig 
gleichsam,  wo  eine  (iefahr  nahte,  und  so  beharrlich,  wo  nur  die  unab- 
pespannte  Kraft  zum  Ziele  führen  konnte,  wie  der  Kommandant  in  dieser 
furchtbaren  Nacht  sich  zeigte,  hatte  er  immer  und  überall  seit  dem  ersten 
Augenblick  seines  Auftretens  sich  erwiesen.  Seit  Wochen  schon  war  er 
so  wenig  in  ein  Bett  als  aus  den  Kleidern  gekommen.  Nur  einzelne 
Stunden  ruhte  er  auf  einer  Pritsche  in  einem  armseligen  (iemach  über  dem 
Uuenburgcr  Thor,  einem  (iefängniss,  aber  jeden  Augenblick  bereit,  mich 
oder  andere  anzuhören,  wenn  wir  ihm  etwas  von  Wichtigkeit  zu  melden 
harten.  Vater  und  Freund  des  Soldaten  wie  des  Bürgers  hielt  er  beider 
Herzen  durch  den  milden  Krnst  seines  Wesens  wie  durch  theilnehmende 
Freundlichkeit  gefesselt".  Auch  am  2.  Juli  wurden  die  wiederholten  An- 
griffe abgewiesen;  die  Kräfte  auf  beulen  Seiten  waren  auf's  Höchste 
gespannt  da  kam  die  Nachricht,  der  Waffenstillstand  sei  abgeschlossen, 
dem  bald  der  Kriede  folgte,  (ineisenau  ahnte,  wie  schwer  die  Abmachungen 
auf  Preussen  drückten,  er  war  desshalb  nicht  freudig  erregt,  als  er  die 
Nachricht  empfing:  aber  natürlich  athmete  die  'Bürgerschaft,  auf.  und  weit 
Ober  die  Mauern  von  Kolberg  hinaus  wirkte  der  moralische  Kindruck  der 
Thatsache.  dass,  während  so  viele  preussische  Kestungen  den  Kranzosen  sich 
ergeben  hatten.  Kolberg  trotz  aller  Anstrengungen  siegreich  vertheidigt 
war.  Was  das  Wichtigste,  dieser  Krfolg  war  erzielt  durch  Weckung  der 
moralischen  Kräfte  der  Kinzelnen  im  Dienste  des  Vaterlandes.  Ks  war 
hier  im  Kleinen  geleistet,  was  im  (i rossen  der  preussisehe  Staat  bedurfte. 
Kein  Wunder,  dass  man  zu  der  grossen  Aufgabe,  die  hier  zu  lösen  war. 
auch  den  Vertheidiger  Kolbergs  heranzog.  Noch  im  Juli  1S07  wurde  er 
zum  Mitglied  der  neu  eingesetzten  Kommission  zur  Keorganisation  der 
Armee  ernannt. 

Ihr  Vorsitzender  war  Scharnhorst:  nur  kurz  brauche  ich  an  seine  und 
(incisenaus  gemeinsame  Thätigkcit  in  den  folgenden  Jahren  zu  erinnern,  da 


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•252 


Biographische  Blatter. 


davon  jede  prcussische  und  deutsche  'Geschichte  berichtet:  deutlicher  noch 
als  zuvor  es  mißlich  war,  haben  die  Denkwürdigkeiten  ihres  Mitarbeiters 
Hoven  und  Lehmanns  archivalische  Forschungen  uns  erkennen  lassen,  wie 
wichtig  und  schwierig  diese  Thätigkeit  war.    Um  so  werthvoller  war,  dass 
beide  in  der  Forin  ihres  Auftretens  und  der  Art  ihrer  Äusserungen  so  ver- 
schiedenen Männer  durchaus  Ubereinstimmten  in  ihren  Grundanschauung/en, 
der  Arbeit  für  sie  alle  ihre  Gedanken  und  Kräfte  unbekümmert  um  Gunst 
und  Abgunst  der  Menschen  widmeten.    Bewundernd  sali  Gneisenau  zu  dem 
älteren  Freunde  empor;   wollte  man  diesen  bei  seinem  vorsichtig  zurück- 
haltenden Wesen  nur  als  Theoretiker  gelten  lassen,  so  hob  er  treffend  und 
nachdrücklich  hervor,  wie  sehr  gerade  auch  durch  praktische  Tüchtigkeit 
Scharnhorst  ausgezeichnet  sei;  andrerseits  hat  dieser  der  schwungvoll  feurigen 
Natur  des  .lungeren  die  Wirksamkeit  gesehaö'en,  in  der  sie  den  reichsten 
Nutzen  für  ihre  gemeinsamen  Pläne  bringen  konnte.  Kr  setzte  durch,  dass 
Gneisenau  Mitglied  der  Untei"suehungs-Kommission  wurde,  die  streng  die 
Kapitulationen  des  letzten  Krieges  prüfte.  War  es  wichtig,  dass  dadurch 
unfähige  Elemente  aus  dem  preussischen  Heere  entfernt  wurden,  wichtiger 
war  natürlich  dessen  Neugestaltung.  Viele  bedeutsame  Vorschläge  hat  dafür 
Gneisenau  in  einzelnen  technischen  Fragen  gemacht;  aber  nicht  auf  einzelne 
Reformen  wollten  und  konnten  Scharnhorst  und  er  sich  beschränken.  Dass 
ein  vollständig  neuer  Hau  in  einem  neuen  (reiste  nöthig  sei,  das  hatte  ja 
eben  die  Niederwerfung  des  Fridericianisehen  Preussen  durch  die  Franzosen 
gezeigt ;  wollte  man  wirksam  ihnen  entgegentreten,  so  musstc  man  von  ihnen 
lernen,  alle  Kräfte  der  Nation  zu  wecken  und  ihnen  den  angemessenen 
Wirkungskreis  zu  geben.   Ausdrücklich  hat  dies  Gneisenau  in  beredten  Worten 
betont.    Auf  sie  hat  neuerdings  ein  angesehener  französischer  Politiker, 
Cavaignac4!  hingewiesen,  derauf  Grund  eifrigen  Studiums  der  neuen  deutschen 
historischen    Forschungen   in   einem   umfänglichen    Buche    eingehend  die 
.Bildung  des  modernen  Preussen  geschildert  hat;  er  sieht  in  ihnen  einen 
frappanten  Beweis  für  seine  These,  dass  diese  preussischen  Feinde  Frank- 
reichs doch  von  Frankreich  ihre  Gedanken  über  die  neue  Gestaltung  ihres 
Vaterlandes  entnahmen.  Und  gewiss,  wenn  auch  mehr,  als  Cavaignac  meint, 
schon  vor  1800  geschehen  war,  um  solche  vorzubereiten,  so  bedurfte  es 
doch  erschütternder  Schläge  um  sie  in  das   Leben  zu  führen;  sicherlich 
waren  die  Niederlagen  von  1800  und  1807.  die  Lostrennung  der  polnischen 
Gebiete  von  Preussen,  die  Krfolge  der  französischen  Revolution  und  Napoleons 
wichtigste  Voraussetzungen  für  die  Umbildung  des  preussischen  Staates  und 


*)  Cavaignac.  La  Innnation  de  la  Crus>c  contemporaine  (Carls  1SU2)  zitirt  S.  -UM 
die  auch  von  Lehmann.  Scharnhorst.  2.  l.'t  f.  hervorgehobenen  Worte  (ineisenaus  ül»er  «Ion 
Kinriuss  der  französischen  Revolution.  Yirl.  über  und  yoiren  Cavaignaes  Auffassung  von 
«Ictn  Verhältnis*  der  preußischen  Ketonn^esetzirebuntr  zu  die>or  auch  Koser  in  iler  Histo- 
rischen Zeitschrift  7:1.  \U:\  H'.  und  Kailleu  in  der  Deutschen  Literatur -Zeitung  vom 
21.  April  1*94. 


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Uneisenau. 


253 


Heeres,  die  unter  Steins  und  Scharnhorsts  Leitung  vollzogen  wurde 
aber  nicht  minder  nachdrücklich  ist  zu  betonen,  dass  sie  von  anderen  Ge- 
sichtspunkten geleitet  wurden  und  andere  Ziele  erstrebten  als  die  Führer 
Frankreichs  in  ihrer  Zeit,  dass  sie  von  jenen  nicht  weniger  sich  unterschieden 
als  Kant  und  Fichte  von  Voltaire  und  Rousseau.  Deutlich  zeigt  uns  dies 
gerade  ein  Blick  auf  die  neue  Bildung  des  Heeres  in  beiden  Ländern. 
Scharnhorst  und  (ineisenau  wandten  sich  wie  die  Leiter  der  französischen 
Revolution  gegen  die  Privilegien  des  Adels,  aber  sie  bekämpften  auch  die 
egalitären  Tendenzen,  die  Einführung  des  auch  in  Deutschland  gerühmten 
freien  Avancements  der  Offiziere.  Sie  wollten  dem  Ofhzierkorps  seinen 
aristokratischen  Charakter,  seine  korporativen  Gefühle  wahren  aber  nicht 
Standesvorrechte,  Bildung  und  Leistungsfähigkeit  sollten  fortan  die  Besetzung 
der  Offizierstellen  bestimmen.  Und  wie  bei  dieser  und  bei  Beförderung  der 
Offiziere  leitete  sie  auch  bei  ihren  Vorschlägen  über  die  Zusammensetzung 
des  Heeres  und  die  Behandlung  der  Soldaten  überall  der  gleiche  ethisch- 
pädagogische Grundgedanke:  alle  Klassen  der  Nation  nicht  nur  heranzu- 
ziehen und  zu  verwerthen,  sie  zu  erziehen  durch  den  Dienst  und  im  Dienste 
für  das  Vaterland,  sie  zu  begeistern  für  ihre  PÜicht.  dadurch  die  Klüfte 
des  Staates  und  der  Bürger  zu  heben.  Heinrich  von  Sybel  hat  einmal  die 
Ansicht  Steins  vom  Staate  dahin  zusammengefaßt,  dass  er  den  Staat  be- 
trachtete als  eine  Schule  für  den  Charakter  der  Menschen  —  zu  einer 
grossen  Erziehungsanstalt  für  die  Nation,  zu  einer  Schule  der  Zucht  der 
Ehre,  des  freudigen  Opfermuthes  wollten  ganz  im  Einklänge  mit  ihm  Scharn- 
horst und  (ineisenau  das  von  ihnen  neu  gebildete  Heer  gestalten.  In  solchem 
Heere  war  kein  Platz  mein-  für  geworbene  Ausländer,  in  ihm  sollten  alle 
Bewohner  des  Landes  die  Pflicht  der  Vaterlandsvertheidigung  Üben;  so  be- 
kämpften die  Führer  der  Reform  wie  die  Werbung  so  die  Exemptionen  und 
die  in  Frankreich  cingef Ohrte  Stellvertretung;  treffend  widerlegten  sie  die 
Hedenken.  die  gegen  den  Heeresdienst  der  gebildeten  Klassen  wegen  ihrer 
(iefahr  für  die  Kultur  damals  auch  in  Preussen  hervorragende  Zivilbeamte 
wie  neuerdings  Taine  in  Frankreich  vorbrachten;  eben  mit  Rücksicht  auf 
diese  Ausdehnung  der  Wehrpflicht  aber  verlangten  sie  auch  Abschattung 
der  entehrenden  Strafen,  die  man  im  alten  J  leere  bei  seiner  Zusammen- 
setzung für  unentbehrlich  gehalten  hatte.  „Wenn  ein  gerechtes  Gesetz, 
schrieb  (ineisenau  1808  in  einem  glänzenden  Zeitungsartikel,  Pflichten  und 
Ansprüche  mit  Unparteilichkeit  über  alle  Stände  vertheilt  und  den  Sohn  des 
Königlichen  Käthes  ebensowohl  den  Reihen  der  Vatcrlandsvertheidiger  bei- 
gesellt als  den  Pflüger  und  Tagelöhner,  so  wird  es  nöthig.  die  für  rohere 
Naturen  und  für  ein  roheres  Zeitalter  erfundenen  Strafarten  der  fortgeschrittenen 
Bildung  mehr  analog  abzuändern."  So  fordert  er.  dass  die  Proklamation  der 
Freiheit  der  Rücken  der  Verallgemeinerung  der  Watfenpflichtigkeit"  vorangehe. 

Auf  das  engste  hingen  seine  und  Scharnhorsts  Keformgcdanken  mit 
denen  Steins,  mit  den  Ideen  zusammen,  die  gleichzeitig  Fichte  und  Schleier- 


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254 


Hiojrraphische  Matter. 


macher  für  die  ethische  Erziehung  der  Nation  verkündeten:  wohl  war  es 
für  unsere  ganze  Zukunft  von  segensvoller  Bedeutung,  dass  von  solchen 
idealen  (Jcsichtspunkten  aus  der  (irund  zum  Neubau  unseres  Heeres  und 
Staates  gelegt  ward.    Aber  sehr  begreiflich  ist.  dass  ihre  Verwirklichung 
auf  grosse  Schwierigkeiten  sticss,  dass  sie  lebhafte  Opposition  nicht  nur  bei 
denen  erregten,  die  Interesse  und  Tradition  an  die  alte  Ordnung  banden. 
Ihr  gegenüber  war  es  von  höchstem  Werthe.  dass  die  Leiter  der  Hefonn, 
so  hoch  ihre  (Jedankcn  flogen,  bei  ihren  Vorschlägen  überall  auf  ihre 
praktische  Erfahrung  sich  stützten,  dass  sie,  wie  Beguelin  Stein  nachrühmt, 
die  grossen  leitenden  Ideen  mit  der  genauesten  Fachkcnntniss  verbanden: 
treffend  wies  eben  (ineisenau  nach,  wie  unleugbare  vSchäden  der  alten  Praxis 
die  Reformen  forderten,  wie  sehr  diese  die  Leistungsfähigkeit  des  Heeres 
steigerten.    Und  gewiss  war  nur  bei  Aufbietung  aller  Kräfte  das  praktische 
Ziel  zu  erreichen,  dem  alle  ihre  Anstrengungen  dienten:  das  .loch  abzu- 
schütteln, das  Napoleon  auf  Preussen  «relegt  hatte,    .le  schweier  er  den 
preussischen  Staat  und  die  deutsche  Nation  bedrückte,  um  so  dringender 
schien  es  ihnen  zu  sein,  den  Kampf  gegen  ihn  bald  zu  führen.    Aber  frei- 
lich gerade  in  diesem  Punkte  stimmte  Konig  Friedrich  Wilhelm  III.  nicht 
mit  ihnen  überein.    Auch  er  litt  schwer  unter  Napoleons  (  beimacht:  auch 
er  hatte  sich  von  der  Notwendigkeit  von  Reformen  überzeugt  und  es  selbst 
ausgesprochen,  dass  der  Staat  durch  geistige  Kräfte  ersetzen  müsse,  was  er 
an  physischen  verloren  habe.    Deshalb  hat  er  wie  Stein  und  Hardenberg 
auch  Scharnhorst  und  (ineisenau  berufen  und  wirken  lassen:   aber  die 
grössten  Schwierigkeiten  bereiteten  ihnen  sein  .Misstrauen  in  die  eigene  und 
in  die  Kraft  seines  Volkes,  seine  bis  zur  Ängstlichkeit  gewissenhafte  Kr- 
wägnng  aller  Hindernisse  für  einen  kühnen  Kntschluss  und  seine  daraus 
entspringende  Unentschlossenheit:  nur  zu  oft  erschien  ihm  als  zu  gewagt 
für  seinen  Staat,  was  diese  eifrigen  deutschen  Patrioten  in  ihrem  heisseu 
Kampfeseifer  gegen  Napoleon  ihm  vorschlugen.    So  gab  er  den  Bedenken 
(iehor,  die  gegen  die   Einführung  der  allgemeinen  Wehrpflicht  erhoben 
wurden,  so  konnte  er  sich  auch  nicht  entschliessen  den    Krieg  gegen 
Napoleon  aufzunehmen,  weder  als  lso!)  Osterreich  mit  ihm  kämpfte,  noch 
als  es  Inn  zwischen  ihm  und  Russland  zum  Bruche  kam.    Niemand  hat 
schmerzlicher  diese  Haltung  des  Königs  beklagt,  niemand  energischer  sich 
bemüht  sie  zu  ändern  als  (ineisenau.    Mit  Feuereifer  betrieb  er  1S11  um- 
fassende Rüstungen,  schlug  er  eine  grossartige  Volksbewaffnung  vor.  in  den 
bewegtesten  Worten  bat  er  den  König  sie  zu   bewilligen.     Kr  rief  ihm 
Matthissons:>)  Worte  zu: 

Lass  den  Sch\vHrhlin£r  angstvoll  zaL'en! 
Wer  um  Hohrs  kUinpft.  inuss  wairen; 
Leiten  i.'ilt  es  oder  Tod. 

■•i  In  der  zweiltjindiiren  Angabe  von  Matthissons  < Jedirhten .  dir  1SH  bei  Cotta 
er-chien.  sind  unter  dm  (iedichten  des  vierten  Zeitraums  von  1T!>9-  1S11  im  zweiten  Theil 


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(ineisenau. 


250 


Aber  der  König  fand  diese  Vorschläge,  wie  er  zu  einem  von  ihnen 
ausdrücklich  bemerkte.  „gut  als  Poesie".  Hierauf  antwortete  Gneisenau  in 
einem  neuen  Sclireiben  bei  ähnlichen  Ausführungen:  rKw.  Majestät  werden 
mir.  indem  ich  dieses  sage,  abermals  Poesie  Schuld  geben,  und  ich  will  mich 
ircrn  hiezu  bekennen.  Religion.  Gebet.  Liebe  zum  Regenten,  zum  Vaterland, 
zur  Tugend  sind  nichts  anderes  als  Poesie.  Keine  Herzenserhebung  ohne  sie. 
Wer  nur  nach  kalter  Herechnung  seine  Handlungen  regelt,  wird  ein 
starrer  Kgoist.  Auf  Poesie  ist  die  Sicherheit  der  Throne  gegründet.  Wie 
so  mancher  von  uns.  der  mit  Hekümmernis  auf  den  wankenden  Thron  blickt, 
würde  eine  ruhige  glückliche  Lage  in  stiller  Abgezogenheit  tinden.  wie 
mancher  selbst  eine  glänzende  erwarten  dürfen,  wenn  er.  statt  zu  fühlen, 
nur  berechnen  wollte.  Jeder  Herrscher  ist  ihm  dann  gleichgültig.  Aber 
die  Hände  der  Geburt,  der  Zuneigung  oder  der  Dankbarkeit  fesseln  ihn  an 
seinen  alten  Herrn:  dessen  1'nglück  kettet  ihn  noch  mehr  an  selbigen;  mit 
ihm  will  er  leben  und  fallen,  für  ihn  entsagt  er  den  Familienfreuden,  für 
ihn  giebt  er  Leben  und  (iut  Ungewisser  Zukunft  preis.  Dies  ist  Poesie 
und  zwar  von  der  edelsten  Art:  an  ihr  will  ich  mich  aufrichten  mein  Leben 
laug.  Zur  Line  will  ich  mir  es  rechnen,  der  Schaar  jener  begeisterten  an- 
zuschüren, die  alles  daransetzen,  um  Kw.  Majestät  alles  zu  retten:  denn 
wahrlich  zu  einem  solchen  Kntschluss  gehört  Begeisterung,  die  jede  selbst- 
süchtige Berechnung  verschmäht.  Viel  sind  der  Männer,  die  so  denken, 
und  weit  stehe  ich  ihnen  an  Adel  der  Gesinnung  nach:  ich  werde  mich 
bestreben,  ihnen  ähnlich  zu  werden". 

Nie  wohl  hat  Gneisenau  seiner  Gesinnung  einen  charakteristischeren 
und  beredteren  Ausdruck  gegeben,  als  in  diesen  Worten:  sehr  verständlich 
aber  ist  es.  dass  sie  den  König  nicht  umzustimmen  vermochten.  Dass  je- 
doch auch  bei  sachlicher  Krwägung  der  realen  Verhältnisse  Gneisenau  und 
seine  Freunde  wichtigste  Gründe  für  ihre  Ansicht  geltend  machen  konnten, 
dass  es  sich  bei  ihnen  nicht  nur  um  eine  Aufwallung  heroischer  Gefühle 
handelte,  «las  scheint  mir  durch  Lehmanns  Forschungen  bewiesen  und  durch 
die  Publikation  von  Hovens  Denkwürdigkeiten  bestätigt  zu  sein.  Freilich 
erkennt  indess  auch  'Hoven  an.  dass  nicht  unerhebliche  Bedenken  für  Friedrich 

>.  l'ii't  unter  der  f'hersehrift  .Zuruf"  die  Verse  zu  lesen,  iluivli  welche  «Jneisennu  1*11 
•!pu  K i'miir  zu  kühnen  L'ntschlüssen  anfeuern  wollte.  Nur  klingt  kräftiger  gleich  am  Anfang 
f  Jneisenau's  Fassung:  .l'lötzl  ieh  kann  sich  s  umgestalten."  statt  «ler  etwas  matten  Wen- 
'hm«.',  die  hei  Matthisson  gedruckt  ist:  .Alles  kann  sich  umgestalten."  und  ebenso  schrieb 
jf-ni-r:  .Lehen  gilt  es  oder  Tod",  wühlend  man  dort  liest:   „Lehen  gelt   es  „der  Tod". 

Auf  meine  Anfrage  hatte  der  genaue  Kenner  Matthis>ons.  Herr  lieh.  Hofrath 
Dr.  Hosaeus  in  Dessau  die  (Mite,  mir  mitzutheilen.  das*  auch  ihm  nichts  von  persönlichen 
Hezichungen  Matthissons  zu  (ineisenau  und  ebensowenig  etwas  He-timmtes  über  den 
Anlüss  bekannt  sei.  bei  welchem  .Matthisson  diese  Yer>e  verfaßt  habe:  nicht  unwahr- 
xh'-inliih  sei  ihm.  dass  da>  bctreUende  (Jedicht  wahrend  de-  früheren  Aufenthaltes 
«les  Dichters  in  Stuttgart,  wenig  glaubhaft,  dass  c>  in  llcziehutig  auf  öffentliche  Verhält- 
nisse geschrieben  sei. 


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256 


Biographische  Blätter. 


Wilhelm  III.  vorhanden  waren,  den  Hund  mit  dem  russischen  Kaiser  «reifen 
Napoleon  abzusehliessen,  zu  dem  Scharnhorst' und  (Weisenau  und  auch  der 
damals  von  Gneisenau  stark  beeintiusste  Hardenberg  ihn  zu  bestimmen 
suchten0).  Gewichtige  sachliche  Grunde  machten  sie  dafür  geltend;  «loch 
gehörte  zu  solchem  Kntschluss  ein  Heroismus,  wie  ihn  Scharnhorst  und 
Gneisenau,  aber  nicht  Friedrich  Wilhelm  III.  bcsas,s.  zu  dem  sieh  emporzu- 
schwingen diesem  König  nach  seiner  Anlage,  seinen  Lebenserfahrungen  und 
seiner  Stellung  besonders  schwer  fiel  -  aber  eben  desshalb  ist  auch  der 
Kampf  und  Sie*r  von  1813  nur  dadurch  herbeigeführt,  dass  neben  dem 
Kimig  Männer  standen,  die  auch  in  den  bedrangtesten  Tagen  nie  ihren 
patriotischen  Glauben  verläugnet,  die  auch  in  ihnen  solchen  Schwung  der 
Seele  bewährt  hatten.  Für  sie  war  es  selbstverständlich,  dass  nach  dem 
Gottesgericht,  das  Napoleon  IN  12  in  Kussland  getroffen  hatte,  sie  jetzt  alle 
Kräfte  anspannten,  die  alten  Pläne  zu  verwirklichen,  die  patriotische  Kr- 
hebung  gegen  ihn  zu  siegreichem  Ende  zu  leiten.  Und  jetzt  ist  bekanntlich 
wirklich  die  Volksbewaffnung  zur  Ausführung  gebracht,  die  (Jneisenau 
schon  Inn  vorgeschlagen  hatte,  die  allgemeine  Wehrpflicht  zunächst  für 
den  Kampf  der  Befreiung  eingeführt.  Uni  an  ihm  Theil  zu  nehmen  kehrte 
Gneisenau  heim  nach  Deutschland. 

Kr  war  i.  .1.  1KD2  wie  schon  früher  i.  .7.  1809  auf  Reisen  gegangen, 
um,  da  es  ihm  in  Preussen  nicht  mehr  möglich  war,  in  anderen  Länden) 
für  die  Befreiung  Europas  vom  .loche  Napoleons  zu  arbeiten7),  .letzt 

°>  So  halte  ich  mich,  abweichend  von  der  Ansicht,  die  auch  ich  im  Anschluss  an 
Duncker  und  Treitschko  in  den  Preussischcn  Jahrbüchern  45,  .'15")  tf.  vertreten  hatte,  schon 
1S0*J  geäussert  und  hin  in  dieser  Auffassung-  durch  Delbrücks  Ausführungen  in  der  neuen 
Auflage  seines  Buches  1.  254  ff.  bestärkt.  In  der  gleichzeitig  mit  dieser  erschienenen 
5.  Auflage  seiner  Deutschen  (ieschirhte  hat  auch  Treit.schke  anerkannt,  dass  Scharnhorst  1S11 
von  den  Küssen  ein  Zugeständnis*  erreichte,  ausdrücklich  aher  dessen  (Jeringtügigkeit  nach- 
zuweisen versucht  und  sein  l'rtheil  üher  die  Haltung  der  wichtigsten  Persönlichkeiten  hei 
der  Krisis  dieses  Jahres  festgehalten.  Bedeutsame  Änderungen  hat  er  dagegen  hei  seiner 
Darstellung  ihrer  Politik  im  Dezemher  und  im  Anfang  des  Jahres  1S1J  vorgenommen, 

doch  auch  jetzt  eine  von  der  Lehmanns  wesentlich  ahweiehende  Auffassung  vertreten:  die 
wichtigen  .Mittheilungen,  die  Heide  aus  den  bezüglichen  Akten  gegehen  hahen,  lassen 
deren  vollständige  Puhlikation.  namentlich  zur  richtigen  Würdigung  I  lardenberg  's.  sehr 
wilnschenswerth  erscheinen.  Sollten  interessante  Äusserungen  tJneisenaus  aus  diesen  Jahren 
nicht  auch  noch  in  Dürnberg  sehen  Faiuilicnnapieren  zu  finden  sein? 

")  Iber  <ineisenaus  Plan.  ISO!»  eine  preussische  Legion  in  Österreichischem  Dienst 
zu  errichten,  vgl.  auch  Dohner  in  den  Forschungen  zu  Deutschen  Geschichte  *25.  .'J.'M  ff.: 
seine  Plane  und  Peisen  von  ISpJ  sind,  wie  Delhi iick  hervorhebt,  uns  erst  völlig  deutlich 
geworden  durch  die  Lehmann  zu  verdankende  Kntzifferung  und  Veröffentlichung  bisher  un- 
hekannter  in  ('hitlern  geschriebener  Briefe  im  ii'2.  Bd.  der  Historischen  Zeitschrift.  Kben 
deshalb  hätte  ich  gewünscht,  dass  aus  ihnen  Delbrück  mehr  in  seine  neue  Auflage  aufge- 
nommen und  sie  hier  einer  noch  tiefer  greifenden  l'mgestaltung  unterzogen  hiitte.  bin  aber 
auch  bi«*i"  mit  seinem  von  Lehmann  abweichenden  l'rtheil  über  die  Stimmungen  des  Königs  und 
Hardenbergs  im  Wesentlichen  einverstanden.  Für  den  (  harakter  < ineisenaus  ist  besonders  W- 
zeichneud  seine  Äusserung  in  einem  dieser  Briete  an  Hardenberg  vom  Dezember  1SP2.  er  wolle 


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Uneisenau. 


257 


betrat  er  im  Februar  1813  in  Kniberg-  wieder  deutschen  Boden.  Er  be- 
stimmte den  dort  kommandirenden  (General  Borstell,  seinen  alten  politischen 
Gegner,  sich  der  Erhebung  gegen  Napoleon  anzuschließen:  dann  ging  er 
nach  Breslau.  Hardenberg  wollte  ihn  zu  einer  diplomatischen  Mission  ver- 
wenden. Kr  aber  verlange  und  erreichte  seine  Anstellung  im  Heere.  „Vier 
Jahre  lang-,  schrieb  er.  habe  ich  den  Kampf  gegen  Frankreich  gepredigt 
und  nun  wir  durch  überirdische  Hilfe  endlich  dahin  gekommen  sind,  ihn 
fOlnen  zu  können,  sollte  ich  mich  vom  Kriegsschauplatz  hinweg/begeben, 
um  diplomatische  (iesehilfte  zu  übernehmen?  Meine  Anstellung  soll  keine 
Schwierigkeit  haben.  Ks  soll  mir  eine  Khre  sein  und  es  macht  mein 
(Jlück  aus.  für  die  Sicherheit  des  Königs  und  für  die  Unabhängigkeit  seiner 
Monarchie  in  jeder  Eigenschaft  zu  dienen.  Ich  verlange  nicht  Khren,  nicht 
Würden." 

Ihm  wurde  aufgetragen,  die  Geschäfte  des  Generalquartiermeisters  im 
Bluehef  sehen  Korps  neben  Scharnhorst  zu  besorgen.  Als  dieser  bei  Lützen 
verwundet  wurde,  trat  er  an  seine  Stelle.  Er  stand  schon  seit  1807  mit 
Blüeher  in  Verbindung:  bei  den  Kriegsplänen  von  1811  hatte  er  besonders 
auf  Blüchers  Thätigkeit  gerechnet,  der  damals  alles  aufbot,  ein  festes  Lager 
bei  Kolberg  in  vollkommenen  Stand  zu  bringen.  „Es  soll'*,  schrieb  er  an 
»ineisenau  „demjenigen,  der  es  angreift,  Kopf  und  Herz  beschäftigen,  und 
ich  hoffe,  man  soll  saircn.  die  alten  Trcnssen  sind  bei  Kolberg  wieder  auf- 
gestanden wohl  verstanden,  wenn  man  meinen  Vorschlägen  Gehör  giebt." 
Blücher  freute  sich,  dass  Gncisenau  in  Berlin  war.  „denn  ich  weiss,  wo 
Sie  sind,  da  herrseht  Thätigkeit.  und  wie  nothwendig  es  ist.  keine  Stunde 
zu  verlieren,  das  brauche  ich  Ihnen  nicht  zu  sagen.  Die  Zeit  der  Delibe- 
ration  und  des  Knnferirens  muss  nun  verschwinden  und  das  Handeln  miiss 
an  die  Stelle  treten  und  zur  Tagesordnung  werden."  „Machen  Sie  doch, 
dass  der  König  alle  die  Sicherheitskommissare  und  Faulthiere  von  sich  ent- 
fernt. Das  Achselzucken  und  Seufzen  verrät h  fast  allemal  einen  Schuft/' 
Deutlich  spiegeln  diese  Äusserungen  Blüchers  Wesen  und  Streben  wieder: 
man  begreift  danach  auch,  wie  gnit  er  und  Gncisenau  trotz  ihrer  grossen 
Verschiedenheit  sich  verstanden.  Als  nach  dem  im  Sommer  geschlossenen 
Waffenstillstand  Rlücher  an  die  Spitze  der  schlesischcn  Armee  gestellt 
wurde,  wünschte  er  deshalb  lebhaft,  dass  auch  Gncisenau  ihm  wieder  zur 
Seite  trete,  (,'ni  die  preussischen  Streitkräfte  zu  erhöhen,  hatte  Gncisenau 
während  des  Stillstandes  eifrig  die  Landwehr  in  Schlesien  organisirt :  ./Land- 
treu  dem  Köniire  „dienen.  so  lanirc  (■'efahr  da  ist:  hört  diese  Hir  ihn  auf.  so  nützen  andere  im 
Sonnenschein  des  (ilücks  um  seinen  Thron  sich  warmen:  ich  ziehe  mich  zurück.  Ich  mair 
nicht  mit  so  vielen  Klenden  nach  Beförderum:  ringen,  liefen  sie  zu  kilmpfen.  so  lanire  es 
des  Königs  Sicherheit  irilt.  war  mir  Pflicht:  um  ihrer  persfinlichen  Zwecke  willen  alter 
Dienste  zu  thun.  ist  mir  zu  niedre.'".  "Wie  Cneisenau  den  . l'ntcrwerfunvsvertra^'"  von 
lSl'2  hcurtheilte.  zeiirt  auch  sein  Schreiben  vom  PJ.  März  1S|*J  an  Herzoir  Friedrich  Wilhelm 
von  Uraunschweiir.  auf  dessen  Mitwirkuni.''  er  mich  l>ci  ilcn  Plänen  von  1SI1  'gerechnet 
hatte:  es  ist  von  P.  Zimmermann  in  der  Historischen  Zeitschrift  <5.{.  4.">4  fl'.  veröffentlicht. 


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Biographische  Blatter. 


wehren  Sie  man  immer  drutf.  schrieb  ihm  Rlücher.  ich  hüre  viel  guts  da- 
von, aber  wenn  die  Fehde  wieder  beginnt,  dann  gesellen  Sie  sieh  ja  wieder 
zu  mich :  es  ist  in  aller  Hinsieht  nothwendig.  dass  wir  zusammen  sind.4* 

Wie  nothwendig  und  erfolgreich  ihr  Zusammenwirken  gewesen  ist, 
das  hat  die  (iesehiehte  der  nächsten  Monate  gezeigt.  Wohl  empfand 
(ineisenau  das  Opfer,  das  für  ihn  mit  der  Cbernahme  dieser  Stellung  ver- 
bunden war.  Für  ihn.  der  so  befähigt  zu  unmittelbarer  Mitwirkung  auf 
die  Truppen  sich  gezeigt  hatte,  war  es  schmerzlich,  dass  er  jetzt  auf  solche 
verzichten  musste;  aber  bei  ihm  überwog  die  Freude,  wie  trefflich  sein 
Feldherr  sich  gerade  darauf  verstand.  „(Hauben  Sie  denn,  sagte  er  zu  seiner 
rmgelning.  dass  einer  von  uns  den  Alten  im  Heer  hätte  ersetzen  können? 
Sein  Vorwärts  blitzt  in  seinen  Augen  und  ist  in  die  Herzen  unserer  Soldaten 
eingegraben." s)  lud  nicht  minder  sehätzte  (ineisenau,  mit  wie  frohem  Wage- 
mut]* lilüeher  immer  für  die  kühnsten  Pläne  sich  erklärte,  die  (ineisenau  ihm 
vorlegte,  und  sie  hindurchfühl  te  trotz  aller  Schwierigkeiten  und  Reibungen, 
welche  die  Verbündeten  und  t'ntergebenen  ihm  bereiteten.  So  haben  sie 
mit  einander  ihre  Truppen  geführt  von  der  Uder  an  die  Mibe,  von  der  Klbe 
an  den  Rhein  und  über  den  Rhein  bis  auf  die  Hüben  des  Montmartre. 
..Was  Patrioten  träumten,  schrieb  (ineisenau  1S14  nach  der  Hinnahme  von 
Paris" >,  und  Kgoisten  belächelten,  ist  geschehen.    Das  allgewaltige  Schick- 

Diese  AusM'ruiii.'  (Weisenaus  üher  Blücher  (heilte  Arndt  in  seinem  Aufsat/,  üher 
»ineisenau  in  seinen  Schriften  für  seine  lieben  Deutschen  .1.  404  mit.  Fein  und  trehVml  hat 
Delbrück  die  Schwierigkeiten  entwickelt,  die  für  (ineisenau  sich  aus  seiner  Verschiedenheit 
von  Blücher  und  aus  seiner  Stellum.'  als  <  icneralstabschcf  ergehen;  sie  wurden  dadurch  ije- 
steiiMTf.  dass  er.  wie  er  in  dem  von  Bolorl'  in  den  Forschungen  zur  hrandenhurLrischen  und 
IjreusMxchen  'iesehiehte  <i.  UO*J  rt".  veröffentlichten  Brief  vom  :].  September  1*1:5  lienierkte, 
zwischen  einem  ( iherfeldherrn  stand.  ..der  mich  stets  vorwärts  führen  will,  um  zu  sefilatren, 
und  zwischen  zwei  Futenreiieralen.  die  mich  Hir  einen  Verwegenen  halten,  der.  um  seinen 
Khrireiz  zu  befriedigen,  die  Armee  in  Gefahr  bringt".  Dass  er  andererseits  wie  die  Vor- 
züge Blüchers.  «.<>  auch  die  Bedentuni:  der  Thilt i«_rkt'it  eine«.  ( iencralstabschefs  voll  würdigte, 
das  beweist  auch  der  für  die  Verhältnisse  im  Schlesischen  Heer  interessante  Brief,  den  er 
im  .Innuar  1S14  an  (Ihorst  von  Kndc  richtete,  um  ihn  zu  bestimmen,  in  seiner  undankbaren 
und  schwierigen  Stell  unir  hei  l.an-eron  auszuharren,  weil  er  in  ihr  dem  Küni^.  dem  Staat, 
der  ■juteii  Sache  uml  dem  Fcldmai  schall  in  hohem  Krade  die  eminentesten  Dienste  leiste. 
..(Mine  Sie  hätte  die  Schlacht  an  der  Katzbach  nicht  eingeleitet  und  dureh<_'eführt  werden 
können.  (Ihne  Sie  wäre  mi  manches  andere  schief  oder  <:ar  nicht  ausgeführt  worden.  Wenn 
Sie.  mein  lieber  <  »berster.  an  der  Spitze  einer  Truppen-Ahthciluntr  stehet;,  so  haben  Sie  aller- 
dings einen  angenehmeren  Wirkungskreis:  aber  auch  einen  nützlicheren?  Das  muss  ich  ab- 
leugnen. Dort  erwerben  Sie  -ich  Zeitun'_rsi  uhm :  hier,  an  der  Stelle,  wo  Sie  stehen,  in 
uiiM-ren  .Militärarchiven  einen  iinvci'janL'iichen.  Aus  diesen  wird  dereinst  ilie  (iesehiehte 
schöpfen,  und  Sie  weiden  als  der  Mann  erscheinen,  der  dem  (i raten  Lan-eron  die  Sie-jes- 
palme.  die  die>er  nicht  den  Mutli  hatte  zu  fassen,  aufzwang."  Siehe  die  aus  Varnhairens 
Nachlass  lSf>7  heiaiis«_-e^eheiicn  Briel'e  von  (  hainis-o.  (ineisenau.  Ilauiiwitz.  W.  von  Huiu- 
lml.it.  Prinz  Louis  Ferdinand.  Band.  Bi'ukert.  Tieck  u.  A.  'Jii*. 

'■')  In  dem  theilw  eise  -chon  von  llüusser  i  Deutsche  «iesehiehte  4.  *>01h  vollständig 
•von  Bnloff  in  den  Forschungen  zur  htandonhui  fischen  und  preus.sisehen  (iesehiehte  (5.  (»00 
jmhlizirten  Brief  an  Bntterihurir  vom  -js.  April  J s 1 4 .    (ianz  ähnlich  schrieh  (inei-enau  nm 


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Gneisenau. 


259 


sal  stand  uns  zur  Seite  und  liess  unsere  Fehler  dem  Tyrannen  zum  Ver- 
derben gereichen."  Und  als  ein  .fahr  darauf  Napoleon  von  Elba  zurück- 
kehrte, da  waren  es  wieder  Blücher  und  Gneiscnau,  die  zu  seiner  Nieder- 
werfung das  beste  gethan  haben:  wieder  wie  1814  ist  es  entscheidend,  ist  es 
fflr  Napoleon  verhängnissvoll  geworden,  dass  er  die  moralische  Kraft  ver- 
kannte, die  in  ihnen  und  in  ihrem  Heere  lebte.  Dass  sie  trotz  der  Nieder- 
lagen, die  er  ihnen  zugefügt  hatte,  dem  englischen  Verbündeten,  der  die 
von  ihnen  erhoffte  Unterstützung  ihnen  nicht  geleistet  hatte,  zu  Hilfe  zogen, 
dass  und  wie  sie  den  Feind  angriffen,  der  sie  weit  entfernt  glaubte:  das 
hat  Napoleons  Sturz  besiegelt. 

Für  ihn  hatte  noch  zuletzt  (incisenau  persönlich  auf  das  bedeutendste  mit- 
gewirkt, indem  er  die  Verfolgung  ohne  gleichen  in  der  Nacht  vom  18.  Juni 
leitete10);  auf  das  äusserste  waren  nach  seinem  Wunsche  die  preussischen 

4.  Oktober  1814  an  Hüchel,  als  er  ihm  über  den  Feldzug  von  1S14  berichtete:  »Die  Vor- 
sehung hat  Alles  zum  Messern  gewendet.  Napoleon  hat  uns  bessere  Dienste  geleistet  durch 
>eine  Hartnäckigkeit,  womit  er  alle  Friedensantrüge.  dernüthige  sogar,  verwarf,  als  das 
?anze  Beer  der  Diplomatiker,  und  alle  Memühungen  Metternichs  zu  Frankfurt  und  zu  Cha- 
tillon.  den  Frieden  zu  unterhandeln,  scheiterten  an  «lern  (%bermuth  des  Korsischen  Fmpor- 
kömndings.  So  sind,  die  Begebenheiten  oft  grösser  als  die  Menschen,  die  sie  leiten  wollen, 
und  diese  werden  unaufhaltsam  in  jenen  Strudeln  fortgerissen."*  Siehe  Jahrbücher  für 
Deutsche  Armee  und  Marine  27  (1878),  .12.1. 

,w)  Schon  Treit-schke  hat  für  seine  Schilderung  von  Gneisenaus  persönlicher 
Thätijrkeit  am  16.  u.  18.  Juni  die  Krinnorungen  von  Manieleben  benutzt,  auf  die  sich 
Landfermann  in  seiner  diesem  IStiO  gewidmeten  Schrift  stützte:  in  dieser  ist  S.  ~  \  auch 

Brief  Gneisenau's  an  Banleleben  mitgetheilt ;  könnten  nicht  auch  die  anderen  Stücke 
dieses  vertraulichen  Briefwechsels,  die  Manleleben  als  »thoures  Besitzthum"  aufbewahrte, 
zugänglich  gemacht  werden?  Addern  lStiO  in  Merlin  bei  Heimer  veröffentlichten  Lebens- 
bild von  Karl  Wilhelm  Kortüm  ist  zu  ersehen,  welche  Sensation  der  bei  Delbrück  2,  2*27  ff. 
gedruckte  Brief  Oneisenaus  über  die  Sehlacht  von  Melle-Alliance  an  Frau  von  Glause- 
witz  und  Frau  von  Dohna  in  Düsseldorf,  wo  damnls  Meide  sich  aufhielten,  erregte  —  ».schon 
ehe  er  geöffnet  war:  denn  Gneisenau  hatte  auf  die  Adresse  geschrieben :  -man  bittet  das 
Siegel  zu  betrachten",  und  siehe,  der  Brief  war  mit  Napoleons  eigenem  Fetschaft  gesiegelt, 
welches  in  seinem  Wa^en  gefunden  war.1-  —  Spütere  beachtenswerthe  l'rthoile  Gneisenau's 
über  den  Feldzug  von  1815  linden  sich  in  seinem  von  Sybel  in  der  Hist.  Zeitschrift  09. 
281  f.  gedruckton  Brief  vom  8.  .luni  18:51  an  den  G raten  Mrühl.  dem  gegenüber  er  betonte, 
dass  Napoleon  allein  die  Schuld  an  dem  verzögerten  Abmarsch  von  Grouchy  habe,  und  in 
>eineni  Schreiben  an  Menzenberg  vom  1.  November  ISKt  (im  2.  Md.  des  Jahrgangs  1SH0 
der  Grenzboten  0  ff.),  in  dem  er  von  »Wellingtons  Blutschuld  am  ltt."  spricht.  Indem  er 
Denzenberg  darauf  hinweist,  dass  sich  in  dessen  Schlaehtberieht  um  Rheinischen  Merkur, 
wie  aus  Benzenbergs  in  der  grossen  Ausga be  der  <  ineisenau-Miographie  5.  1.">S  abgedruckten 
Antwort  sich  ergiebt)  Irrthilmer  fänden,  fügt  (incisenau  hinzu:  »Wenn  ein  so  heller  Kopf 
dem  Einflüsse  der  historischen  Irrthümer  nicht  entgehen  kann,  ich  hatte  beinahe  gesagt  der 
konstanten  Grösse  historischer  Irrthümer.  wie  konnte  es  ein  anderer.  Darum  gehe  ich  so 
ungern  an  Niederschreibung  dessen,  was  ich  gesehen  habe,  denn  ich  steh»'  unter  demselben 
Kinfhissc,  und  bei  mir.  als  handelnder  Person,  kommt  mich  die  Leidenschaftlichkeit  hinzu, 
womit  ich  erfüllt  bin  gegen  Indolenz,  Furchtsamkeit,  (politische)  Selbstsucht.  Mangel  an 
Vaterlandsliebe.  Franzosensinn,  Zaudern.  I'nents. .■hlo— enheit .  Falschheit.  Gleichgültigkeit 
gc>.'en  die  grossen  Zwecke  des  Lehens.  Ich  werde  demnach  mit  dieser  Arbeit  warten,  bis 
i'b  durch  da.s  Landleben  etwas  l>eslinftigt  sein  werde." 

Hiojjraphiöclie  Blauer.  I.  17 

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260 


Biographische  Blatter. 


Kräfte  angestrengt,  um  Europa  von  dem  Dränger  zu  befreien,  dessen  Macht 
auf  Preussen  und  Deutschland  am  schwersten  gelastet  hatte.  Aber  eben  da- 
mit hing  zusammen,  dass  die  Wünsche,  die  Gneisenau  und  seine  Gesinnungs- 
genossen fflr  Deutschlands  Neugestaltung  hegten,  zunächst  sich  nicht  erfüllten. 
Das  erschöpfte  Preussen  war  nicht  im  Stande,  den  europäischen  Mächten 
gegenüber  die  Rückgabe  des  Elsass  an  Deutschland,  die  vor  allem  Gneisenau 
1814  und  1815  forderte,  dessen  Wiedergewinn  er  für  so  wichtig  hielt,  dass 
er  1814  rieth,  lieber  halb  Belgien  Frankreich  zu  lassen,  durchzusetzen  und 
befriedigend  die  deutsche  Verfassungsfrage  zu  lösen. 

Heute  erkennen  wir  klar,  wie  schwere  Arbeit  vorangehen  musste,  ehe 
unter  Preusscns  Führung  das  neue  deutsche  Reich  gegründet  und  die  alte 
deutsche  Westmark  wieder  gewonnen  werden  konnte,  und  wie  manche  Vor- 
arbeit dafür  in  Gneisenaus  letzter  Lebenszeit  geleistet  ist.  Aber  nicht 
minder  begreiflich  ist  uns,  dass  ihn  vieles  trübe  stimmte,  was  er  in  dieser 
Zeit  der  Abspannung  gethan  und  unterlassen  sah:  er  verabscheute  alle 
revolutionären  Agitationen,  aber  nicht  minder  die  Thorheit  und  den  Fanatis- 
mus der  Demagogenjäger,  die  auch  gegen  ihn  Argwohn  zu  erwecken  suchten, 
ihn  bekümmerte  die  Gährung,  die  beide  Parteien  wetteifernd  förderten.  Um 
so  mehr  hielt  er  sich  verpflichtet,  festzuhalten  an  den  ethisch-politischen 
Grundanschauungen,  von  denen  die  Gesetze  der  Reformzeit  datirt  waren, 
die  zwischen  den  Extremen  die  positive  Mitte  hielten,  und  in  engem  Zu- 
sammenhang damit  steht,  dass  er  sich  treu  blieb  auch  in  den  Empfindungen 
seines  Gemüthslebens.  Mit  grösster  Bescheidenheit  sah  er  auf  die  Erfolge, 
und  die  Stellung,  die  er  errungen  hatte.  Seinem  alten  Jugendfreunde  Siegling 
schrieb  er11):  „Wohl  hätte  ich  mir  es  nicht  träumen  lassen,  zur  Zeit  als 
wir  mit  kaum  einigen  Groschen  in  der  Tasche  in  der  schönen  Liegend 
Erfurts  herumwanderten,  dass  ich  bis  zum  Feldmarschall  dereinst  aufsteigen 
würde.  Aber  so  waltet  das  launige  Glück!  So  mancher,  der  es  weit  eher 
als  ich  verdient  hätte,  musste  fallen,  während  ich  erhalten  wurde."  Natür- 
lich lebte  der  Feldmarschall  anders  als  der  Hauptmann:  trefflich  verstand 
sich  Gneisenau  darauf,  seine  Gäste  in  dem  schlesischen  Gute  Erd- 
mannsdorf, das  er  sich  erworben  hatte  und  auf  dem  er  mit  Vorliebe  in 
seinen  letzten  Jahren  sich  aufhielt,  durch  schöne  Feste  zu  erfreuen.  Aber 
für  sich  selbst  blieb  er  einfach  und  bedürfnisslos.  Er  wohnte  dort  in  einem 
Mansardenzimmer,  das  ihm  wegen  der  Aussicht  besonders  lieb  war.  Alles 
prunkende  Scheinwesen  war  ihm  verächtlich:  er  sprach  stets  gegen  den 
Tal'elluxus,  von  dein  nichts  für  die  Nachwelt  übrig  bleibe:  jeden  anderen 

n>  Am  Anfange  des  in  der  Uist.  Zeitschrift  fn>.  30"»  und  in  den  Mittheiluneen  zur 
< ie.schielite  Krfurt.s  10,  75  abgedruckten  Briefes  vom  2i».  .Juni  1S2*».  Kbenso  schrieb 
(ineisenau  in  dem  a.  a.  <  K  ;">!).  300  ff.  und  10.  S2  tf.  publizirten  und  auch  von  Treit.schke 
in  seiner  Schilderung  von  <  Weisenaus  letzter  Zeit  (I).  <;.  4,  202)  benutzten  Brief  vom 
21.  Mai  1*31  dem  alten  .Jugendfreund:  „Du  bist  ein  Sohn  Deines  I-'lcisses,  ich  ein  Sohn 
des  (Uiicks.- 


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Gneisenau. 


261 


fand  er  ersprießlicher  für  den  Staat,  den  der  Tafel  ganz  todter  Natur  und 
selbst  Geist  und  Unterhaltung  erttfdtend.  Und  geistige  Anregung  ver- 
schiedenster Art  suchte  und  gab  Gneisenau  besonders  auch  im  geselligen 
Verkehr.  So  ist  heute  erst  recht  erkennbar  die  Bedeutung  seines  Uniganges 
mit  seinen  schlesischen  Gutsnachbarn,  der  Familie  des  Prinzen  Wilhelm, 
bei  dem  er  in  dessen  Sohn,  dem  Prinzen  Adalbert,  das  Interesse  für  die 
Gründung  einer  Flotte  erweckt  hat12):  deshalb  pflegte  er  auch  die  Verbindung 
mit  Schriftstellern  und  Künstlern.  Mit  Hecht  pries  die  Berliner  philo- 
sophische Fakultät,  als  sie  ihn  zusammen  mit  den  andern  Feldherrn  im 
Befreiungskrieg  1814  zum  Doktor  promovirte,  neben  seinen  kriegerischen 
Verdiensten  auch  den  Mann  von  Geist  und  Wissen13):  eifrig  betrieb  er 
im  folgenden  Jahre  in  Paris  die  Rückgabe  der  von  den  Franzosen  ent- 
führten Kunstschätze  und  Handschriften;  sehr  lag  ihm  dann  am  Herzen  die 
„kostbare  Gemäldesammlung"  der  Brüder  Boisserte  für  Berlin  zu  gewinnen, 
damit  sie  „von  da  aus  Kunstsinn  und  Enthusiasmus  für  Kunst"  verbreite.  An  die 
preussischen  Universitäten  rieth  er  „die  eminentesten  deutschen  Gelehrten  zu 
ziehen",  und  so  bescheiden  er  stets  über  seine  Kenntnisse  sprach,  deutlich 
traten  doch  in  seinen  Gesprächen  die  Vielseitigkeit  seiner  Interessen  und 
seine  Schätzung  jeder  höheren  Bildung  hervor.  Auch  im  Feld  hat  er  sich 
deshalb  gern  mit  Karl  von  Räumer  und  Steffens  unterhalten;  einen  brief- 
lichen eingehenden  Gedankenaustausch  hat  er  mit  Niebnhr  und  Benzenberg 
gepflogen,  manche  Stunde  in  Berlin  mit  der  alten  Genossin  des  Weimarer 

12 )  Ausdrücklich  hebt  Batsch  in  seinem  Buch  über  Prinz  Adalbert  von  Preussen 
(Berlin  ISMO)  8.  30  u.  45  hervor,  dass  „die  eigentliche  Grundlage,  für  das.  wa.i  Prinz 
Adalbert  erstrebte,  von  Gneisenau  .stammte",  dass  „für  des  Prinzen  jugendliches  Dichten  und 
Trachten  nach  Ozean,  Weltverkehr  und  Flott*1  er  in  dem  Feldmarschall  den  eifrigsten  ernst- 
haftesten Freund  und  Berather  fand".  Auch  die  Gräfin  Beden  erkannte  in  ihren  Briefen 
an.  wie  anregend  und  liebenswürdig  (ineisenau  in  dem  gutnachbarlichen  Verkehre  war:  sie 
fand  durchaus  bestätigt,  was  ihr  Stein  geschrieben  hatte,  dass  ihr  der  Umgang  mit  diesem 
geist-  und  thatenreichen  Mann  manche  interessante  Stunde  gehen  werde;  gross  und  allgemein, 
bemerkt  sie.  war  die  Trauer  um  seinen  Tod.    S.  ('.  Reuss,  Grtlfin  Friderike  von  Reden 

I,  2*1  ff.  4i>f>. 

9)  In  den  von  Tieck  und  Raumer  herausgegebenen  nachgelassenen  Schriften 
Solgers  sind  2.  705  ff.  auch  die  Klogia  mitgetheilt.  die  er  als  damaliger  Dekan  der  Berliner 
philosophischen  Fakulttft  bei  der  Ehrenpromotion  von  Hardenberg.  Blücher,  Tauentzien,  York, 
Kleist.  Bülow  und  Gneisenau  vom  3.  August  1814  verkündete.  ('her  Gneisenaus  Be- 
mühungen um  den  Rückgewinn  der  nach  Paris  entführten  Kunstsehtttzc  s.  namentlich 
Reifferscheids  Aufsatz  über  K.  v.  Groote  in  der  Monatsschrift  für  rheinisch-westfälische  Ge- 
schi«htskunde  1.  30  ff.:  die  angeführten  Äusserungen  Gneisenaus  über  die  Boisseree'sehe 
Sammlung  Sulpiz  Boisserce  (Stuttgart  18(52)  1.  322.  Sein  Interesse  für  die  Kölner  Kunst- 
sammlungen sprach  Gneisenau  auch  Benzenberg  gegenüber  aus,  den  er  auch  an  den  „liebens- 
würdigen Künstler"  Schinkel  empfahl.  Leider  sind  von  dem  Briefwechsel  Gneisenaus  mit 
Benzenberg  Delbrück  nur  die  Schreiben  des  Letzteren  bekannt  geworden;  Gnciseimus  Briefe 
an  ihn  sind  schon  1800  im  2.  Bd.  der  Grenzboten  gedruckt:  unter  ihnen  sind  ausser  den» 
whon  oben    in  Anmerkung   10  angeführten    besonders  lesenswerth    die  Schreiben  vom 

II.  Dezember  1817.  vom  19.  Januar  und  vom  23.  September  ISIS  und  vom  30.  Mürz  1*20. 

17* 


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262  Biographische  Blätter. 

Dichterkreises  Amalie  von  Helvig-Imhof  und  mit  Bettina14)  verplaudert. 
In  solchem  Verkehr,  in  lebendiger  Theilnahme  an  den  öffentlichen  Ange- 
legenheiten und  durch  ernsthafte  Leetttre  strebte  er  auch  jetzt  sich  weiter 
zu  bilden.  Was  er  seiner  Tochter  Agnes  empfahl,  das  übte  er  selbst,  „die 
Kultur  seiner  Seele  denjenigen  Zerstreuungen  vorzuziehen,  die  man  Ver- 
gnügungen nennt  und  die  es  eigentlich  nicht  sind". 

In  solcher  Stimmung  bestärkte  ihn  der  schwere  Schlag,  der  ihn  1822 
traf,  als  seine  eben  genannte  geliebte  Tochter  ihm,  ihrem  Mann,  dem 
ältesten  Sohn  von  »Scharnhorst,  mit  dem  sie  in  glücklichster  Ehe  lebte,  mid 
drei  kleinen  Kindern  durch  plötzlichen  Tod  entrissen  wurde.  In  ergreifenden 
.Briefen  hat  ihr  Vater  seinem  tiefen  Schmerze  Ausdruck  gegeben.  Doch 
sti  ebte  er  danach,  sich  durch  diese  Schwermuth  nicht  Überwältigen  zu  lassen. 
„In  (Gesellschaft,  schrieb  er,  lasse  ich  mich  nicht  von  meinen  Kummer 
beschleichen,  aber  in  der  Einsamkeit  überlasse  ich  mich  ihm  gerne 
und  fühle  mich  durch  ihn  veredelt.  Diese  stille  Trauer  ist  mir  lieb  ge- 
worden und  ich  möchte  sie  gegen  keinen  anderen  Zustand  vertauschen." 
So  sprach  er  sich  gegenüber  den  Freunden  aus,  mit  denen  er  am  innigsten 
in  diesen  Jahren  verkehrte,  dem  Clausewitz  sehen  Ehepaar,  dem  grossen 
militärischen  Denker,  dessen  Talent  er  über  das  seinige  setzte,  den  er 
als  Scharnhorsts  Johannes  bezeichnete,  während  er  nur  sein  Petrus  ge- 
wesen sei,  und  seiner  Frau  Marie,  der  geborenen  Gräfin  Brühl;  wer  ihren 

14)  Über  < ineisenaus  Vorkehr  mit  Amalie  von  Hei  vig-Imhoff  siehe  Henriette  von 
Bis  sin  •:.  das  Lolion  der  Dichterin  Amalie  von  II  elvi«?  geb.  Freiin  von  Imhoff.  Berlin  1889, 
S.  221  ff.  J7.1  ff.  Zwei  Briefchen  (ineisenaus  an  Bettina  von  Arnim  sind  in  der  oben 
erwähnten  Sammlung  aus  Varnhagens  Nachlas*  2.  27b*  ff.  gedruckt.  „Auch  ich.  schrieb 
er  ihr  1820,  theilte  die  Yorurtheile.  die  gegen  Sie  in  der  Gesellschaft  umhergehen.  Ihr  tiefer 
philosophischer  Blick.  Ihr  fertiger  und  leichtfertiger  "Witz,  fesselten  endlich  nieine  Aufmerk- 
samkeit. Die  edle  Art  wie  Sie  von  Ihrem  Mann  mündlich  und  schriftlich  redeten,  gewann 
Ihnen  endlich  mein  Vertrauen  und  ich  legte  jedes  Vorurtbeil  gegen  Sie  ab  und  hatte  meine 
Freude  an  Ihnen,  wie  ein  Vater  an  seiner  geistreichen  Tochter,  wenn  ich  auch  nicht  immer 
Ihre  Vernachlässigung  der  konventionellen  Formen  zu  vertheidigen  vermochte  und  Urnen  gern 
zuweilen  eine  väterliche  Yennahnung  gegeben  hatte,  wozu  ich  jedoch  des  Hechtes  sowie  der 
Hoffnung  des  Erfolges  entbehrte."  In  dein  folgenden  Billet  aus  dem  Marz  1827  meldet 
(Jneisenau  an  Bettina,  er  trage  die  Umrisse  ihres  Kntwurfes  zu  einem  Basrelief  filr  das 
Monument  zum  Andenken  des  Königs  von  Baiern  noch  immer  in  angenehmer  Erinnerung1 
mit  sich  herum  und  werde  sich  auch  nicht  von  ihnen  tn-nnen.  „Sie  sehen,  wie  sehr  ich  der 
Künstlerin  huldige:  die  Philosophie  vermag  ich  nicht  zu  erreichen,  sie  steht  mir  zu  hoch.4* 
rnmittelbar  darauf  sind  ebenda  eine  poetische  Einladung  von  (Jneisenau  aus  dem  Jahre 
1828  an  Julie  von  Kgloffstein  und  ihre  Antwort  gedruckt;  nach  (ioethischem  Muster  begann 
hier  (inei>enau: 

Kennst  Du  das  Land,  wo  Dein  <  iedachtniss  blüht? 
Durch  dunkles  L.iub  die  Abendsonne  glüht? 
Dass  am  h  (Joethe  selbst  im  Juli  1819  ein  <  Jodieht  an  ("Jneisenau  richtete,  hat  Burdach  s 
Ausgabe  des  westiistlichen  Divan  gezeigt:  es  ist  das  im  Buche  der  Betrachtungen  zuerst 
1827.  jetzt  in  der  Weimarer  Ausgabe  (5.73  gedruckte,  das  mit  den  Worten  anfängt: 

Den  (Jruss  des  Unbekannten  ehre  ja! 
Kr  sei  Dir  werth  als  alten  Freundos  (iruss. 


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Gneisenau. 


263 


köstlichen  Briefwechsel  mit  ihrem  Manne  gelesen  hat.  wird  es  voll  verständ- 
lich linden,  das*  Gneisenau  ihr  aus  dem  Kelde  geschrieben  hatte:  „Ftlr 
solche  Frauen  schläft  man  sich  gern."  Sonnige  Tage  haben  sie  zusammen 
in  Koblenz15)  verlebt,  wo  unmittelbar  nach  dem  Frieden  Gneisenau  das 
Generalkommando  übernahm  und  um  ihn  ein  Kreis  hochbegabter  Patrioten 
sich  scharte.  Sehr  verschieden  unter  einander,  waren  sie  einig  in  dem  Be- 
streben, auch  im  Frieden  den  (reist  zu  bewahren  und  zu  bethätigen,  in  dem  ihr 
Haupt  kühn  das  Vaterland  befreit  hatte,  mit  deutschem  Geist  das  Deutschland 
wiedergewonnene  I>and  zu  erfüllen.  «Ks  lag.  schrieb  Frau  v.  Clausewitz 
später  an  Gneisenau,  ein  ganz  eigener  Zauber  darin,  gerade  mit  Ihnen  dort 
zu  sein,  jede  Freude  Uber  die  himmlische  Gegend,  jeder  frohe  Gedanke  an 
die  Befreiung  schien  neuen  Dank,  neue  Verehrung  für  den  Befreier  zu  heischen." 
Freilich  trat  schon  IN  16  Gneisenau  von  dieser  Stellung  zurück:  aber  als  er 
dann  zum  Mitglied  des  Staatsrates  und  zum  Gouverneur  von  Berlin  ernannt 
nach  der  Hauptstadt  kam,  war  es  ihm  eine  besondere  Freude,  dass  auch  Clause- 
witz dorthin  berufen  und  auch  ein  Verwandtschaftsband  zwischen  ihnen  ge- 
knüpft wurde,  indem  der  jüngere  Bruder  der  Frau  v.  Clausewitz  Gneisenaus 
dritte  Tochter  Hedwig  heirathete.  Und  wie  in  Koblenz,  trat  (Mausewitz  ihm 
dann  auch  in  Posen  als  Chef  des  Gencralstabes  zur  Seite,  als  Gneisenau  nach 
dein  polnischen  Aufstande  von  lH.'iO  mit  dem  Oberbefehl  Über  die  desshalb  an 
der  polnischen  Grenze  mobilisirten  Armeekorps  betraut  wurde.  Mehr  als  die 
Sorge  um  die  Polen  beschäftigte  beide  Freunde  der  Gedanke  an  die  von 
Frankreich  drohende  Gefahr.    Da  näherte  sich  von  Osten  der  Grenze  ein 

,5)  Über  Gneisenaus  Koblenzer  Tage  uml  seinen  dortigen  Kreis  vsrl.  ausser  den 
Schilderungen  von  Delbrück  und  Treitschke  I  D.  G.  2.  190  f.)  die  Litteratur,  die  ich 
in  meinem  Buch  über  Johannes  Schulze  S.  178  zusammenstellte.  Hier  hob  ich  S.  180 
auch  Äusserungen  Gneisenau*  aus  seinen  Gesprächen  mit  Schulze  und  besonders  das  im 
letzten  Absatz  dieses  Vortrage«  eitirte  l'rtheil  hervor,  das  Gneisenau  über  ilen  Grund  von 
Napoleons  Sturz  fftllte.  Auch  der  Gräfin  Heden  sprach  (Jneisenau  mit  Bewunderung  von 
•Napoleons  Genie1*  und  el>enso  betonte  er  in  einem  Brief  an  seinen  Schwiegersohn  Brühl  (H. 
Z.  69.  252)  die  „grossen  Geistesmittel  des  ausserordentlichen  Menschen  für  Heerführung 
und  Staatenverwaltung'4,  nachdem  er  die  ihn  in  hohem  (irade  fesselnden  Memoiren  von 
Bourrienne  gelesen  hatte.  Besonders  anschaulich  führen  uns  den  geselligen  Verkehr  in 
Koblenz  und  die  Bewunderung  uml  Liebe,  die  Gneisenau  dort  gezollt,  wurden,  die  von 
Meusebach  gedichteten  ,  Kintags-Sehünchen  auf-  und  abgeblüht  zu  Koblenz  am  lihein  1814 
bis  1818*  vor  Augen,  die  der  Dichter  als  Manuskript  für  nähere  Freunde  drucken  liess  und 
von  denen  da*  Sixt  von  Annin  geschenkte  Exemplar  jetzt  auf  der  Berliner  Königlichen 
Bibliothek  aufbewahrt  wird.  Hier  ist  S.  41  auch  zuerst  das  an  den  Schluss  dieses  Vortrages 
wie  der  Vorreden  von  Pertz  und  Delbrück  gestellte  Gedicht  von  Meusebach  mitgetheilt, 
das  er  mit  Gneisenaus  Bild  an  seinen  Freund  Dr.  F.  Hofmnnn  geschickt  hat.  und  ebenso 
S.  21  ff.  der  Prolog,  den  bei  einer  Mensebach'sehen  Abschiedsgesellschaft  zu  Fhron  Gneisenau* 
Kmma  von  Jasmund  sprach.  Schon  hieraus  und  aus  den»  hei  Delbrück  2,  330  f.  gedruckten 
Brief  an  Stosch  ergiebt  sich,  dass  Gneisenau  nicht  schon  im  Juni  1816  Koblenz  verlassen 
hat:  nach  den  als  Manuskript  für  seine  Freunde  is.">7  von  Barsch  gedruckten  _  Erinnerungen 
aus  seinem  vielbewegten  Leben"  ist  (Jneisenau  am  1:1.  Juli  von  dort  abgereist;  auch  in 
dieser  Schrift  sind  einige  Briefe  Gneisenaus  mitgetheilt. 


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2G4  Biographische  Blätter. 

schlimmerer  Feind  als  Franzosen  und  Polen  -  -  die  Cholera.  Auch  vor  ihr 
zitterte  (Jneisenau  nicht.  Am  9.  August  1831  schrieb  er  seiner  Frau: 
..Wenn  mir  die  Wahl  gelassen  würde,  welcher  Todesart  ich  sterben  wolle, 
so  würde  ich  mir  nächst  einer  Kanonenkugel  oder  einem  sanften  Schla.gHu.ss 
die  Cholera  wählen.  Wenn  man  71  .lahre  alt  geworden  ist.  die  geistige 
und  die  Kiirperkraft  sich  gemindert  haben,  dann  kann  man  wohl  wie  ich 
mit  Ruhe  in  Hinsicht  auf  sich  selbst  inmitten  der  Seuche  diese  mit 
(ileichgültigkeit  betrachten  und  seine  Besorgniss  nur  den  andern  Bedrohten 
widmen."  In  der  Nacht  vom  22.  auf  den  23.  August  ergriff  ihn  die  Krank- 
heit, in  der  folgenden  Nacht  ist  er  ihr  erlegen. 

Wer  den  Lebensgang,  den  ich  hier  kurz  zu  skizziren  versuchte,  mit  dem 
Moltkes  vergleicht,  dem  treten  auf  das  deutlichste  die  Verschiedenheiten 
Beider,  ihrer  Zeit  und  ihrer  Aufgaben,  ihrer  Naturen  und  ihrer  Bildung 
entgegen.  Abel*  nicht  minder  lehrreich  und  besonders  erfreulich  ist  es.  sich 
zu  vergegenwärtigen,  worin  Beide  sich  glichen.  Heider  Lehrmeister  in  der 
Strategie  ist  Napoleon  gewesen,  und  niemand  hat  entschiedener  seine  geniale 
Kraft  anerkannt,  als  der  Feldherr,  der  zu  seiner  Besiegung  das  Beste  g"ethan 
hat.  „Unsere  Klugheit,  sagte  er,  hat  ihn  nicht  überwunden,  sondern  die  hohe, 
ihm  unverständlich  gebliebene  Begeisterung  und  Vaterlandsliebe  des  preus- 
sischen  Volkes."*  Stets  hat  Gneisenau  seine  Hoffnung,  dass  Napoleon  gestürzt 
werde,  eben  darauf  gegründet,  dass  er  in  seiner  masslosen  Selbstsucht  die 
Hechte  und  (iefühle  der  Nationen  verletzte  und  jeden  Verständnisses;  ent- 
behrte für  die  idealen  Kräfte  im  Leben  der  Individuen  und  Völker.  Dass 
und  wie  (liieiscnau  und  Moltke  ihre  in  Napoleons  Schule  geübte  Kraft  in 
den  Dienst  ihrer  Nation  gestellt  und  bei  ihr  und  im  eignen  Inneren  die 
idealen  Kräfte  gestärkt  haben,  das  hat  nicht  nur  ihre  Siege  ermöglicht,  das 
macht  auch  die  Beschäftigung  mit  ihnen  menschlich  so  erquicklich.  »Seine 
Erinnerungen  an  Moltke  hat  (iraf  Bethusy  kürzlich  mit  den  Worten  «ge- 
schlossen, dass  er  und  die  Seinen  ihn  nicht  nur  hätten  verehren,  sondern 
auch  lieben  müssen.  Ich  weiss  nicht,  ob  ihm  bekannt  war,  dass  genau  mit 
dein  gleichen  Ausdruck  Meusebach  die  Stimmung  von  (Jneisenaus  Verehrern 
dahin  zusammengefasst  hat.  dass  sie  nicht  zu  unterscheiden  wüssten.  ob  sie 
ihn  verehren  oder  lieben  müssten.  Was  sie  an  den  Heiden  fesselte,  das 
sprach  ebenfalls  Meusebach  einem  Freunde  aus.  als  er  ihm  ein  Bild  (ineisenaus 
übersendete.    Ks  solle,  schrieb  er, 

Den  Mann  ihm  zeigen,  dess  das  Tier/,  mir  voll.  ,  I)o<'h  seine  Würd"  und  Huld  und  klar«  .Milde, 
Wiewohl  mein  Lied  nicht  würdig,  ihn  zu 

preisen. 


Das  ist  er.  sieh,  der  .Mann  von  Stahl  und 

Kisen. 

So  war  er  da.  wo  vom  sein  Schlachtruf  scholl. 


Vor  seinem  Kuhm  dius  eigene  Errothen 
l  ud  wie  er  heit  re  Ehrfurcht  rings  gebietet: 

Das  alles  steht  hier  freilich  nicht  im  Hildo; 
Für  uns  auch,  die  ihn  kannten,  nicht  von 

Nöthen ! 


So  da.  wo  Feindes  Strom  am  dicksten  quoll.  Denn  unsre  Brust  sein  treustes  Bild  behütet, 
Huld  uiusst'  ihm  Feindes  Fuss  die  Ferse 


weisen. 


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Karl  Ludwig. 


265 


Karl  Ludwig. 

A.  Nachruf  von  ADOLF  FICK. 


Orr  23.  April  ist  in  diesem  .Talire  für  die  deutsche  wissenschaftliche  Welt 
zu  einem  Gedächtnisstage  der  Trauer  geworden,  denn  es  ist  an  diesem  Tage  eine 
ihrer  hellsten  Leuchten  erloschen,  durch  den  Tod  des  grossen  Physiologen  Ludwig 
in  Leipzig.  Die  zahlreiche  Schar  seiner  dankbaren  Schüler  war  gerade  damit  be- 
schäftigt, eine  würdige  Feier  seines  80.  Geburtstages  im  nächsten  Jahre  zu  planen. 
Ludwig  hat  also  das  Maass  der  Jahre  nahezu  erreicht,  das  nach  den  Worten  des 
Psahnisten  dem  Menschen  als  höchstes  zugemessen  ist:  er  hat  diese  Jahre  mit 
einem  Maasse  von  fruchtbarer  Arbeit,  erfüllt ,  wie  es  nur  selten  einem  Menschen 
besehieden  ist.  und  dennoch  waren  wir"  berechtigt  noch  eine  Fülle  von  Leistungen 
von  dieser  unerschöpflichen  Kraft  zu  erwarten.  Denn  noch  in  der  letzten  Zeit, 
ehe  die  für  das  höhere  Lebensalter  so  verhängnissvolle  Influenza  ihn  ergriffen  hatte, 
war  er  als  Forscher  und  Lehrer  mit  gleicher  Energie  thätig  wie  in  früheren 
.Jahren.  Schon  wieder  auf  dem  Weire  der  Genesung,  dachte  er  keineswegs  daran 
auf  seinen  Lorberen  auszuruhen,  sondern  nur  an  alsbaldige  Wiederaufnahme  der 
gp wohnten  angestrengten  Thätigkeit.  als  ein  plötzlicher  Herzstillstand  seinem  Leben 
ein  sanftes  Ende  machte. 

Ludwigs  äusserer  Lebenslauf  ist  ohne  stürmische  Wogen  ruhig  dahingeflossen, 
wie  das  bei  den  Männern  der  Wissenschaft  überhaupt  meistens  der  Fall  ist.  Wie 
die  hexvorragenden  Geister  Deutschlands  fast  alle,  entstammt  er  der  mittleren 
Gesellschaftsschicht.  Carl  Friedrich  Wilhelm  Ludwig  ist  geboren  am  2VI.  De- 
zember 1810  zu  Witzenhausen  in  Kurhessen  als  der  Zweitälteste  von  fünf  Söhnen 
und  zwei  Töchtern  eines  pflichtgetreuen  angesehenen  Rentbeamten,  vordem  schnei- 
digen Keiteroftiziers.  Die  Übersiedelung  des  Vaters  nach  Hanau  hatte  zur  Folge, 
dnss  er  in  dieser  Stadt  das  Gymnasium  absolvirte.  Er  bezog  die  Universität 
-eines  engeren  Vaterlandes  Marburg  und  widmete  sich  dem  medizinischen  Studium. 
Allen,  die  Ludwig  im  reiferen  Alter  gekannt  haben,  als  einen  geradezu  auffallend 
besonnenen,  jeder  Extravaganz  in  ungewöhnlichem  Maasse  abgeneigten  Mann,  wird 
es  überraschend  sein  zu  erfahren,  dass  er  sich  als  Student  in  den  ersten  Jahren  * 
mit  grossem  Eifer  dem  Korpsleben  und  selbst  dem  Mensurensport  hingab,  so  dass 
er  sogar  —  wozu  damals  freilich  wenig  gehörte  —  mit  dem  Disziplinargerichte 
in  Konflikt  geriet  und  für  einige  Zeit  von  der  Universität  Marburg  verwiesen 
wurde.  Man  kann  unmöglich  annehmen,  dass  eine  so  tief  und  zart  angelegte 
Natur  wie  Ludwig  durch  das  Treiben  der  Korpsburschen  an  und  für  sich  hätte 
angezogen  werden  können.  Immerhin  lag  es  in  seiner  Art,  sich  in  allem,  was  er 
trieb,  energisch  und  unerschrocken  hervorzuthun.  Für  die  leere  Seite  des  studenti- 
schen Treibens  hat  er  übrigens  im  späteren  Leben  niemals  auch  nur  die  geringste 
Sympathie  gezeigt,  was  man  heutzutage  bei  Männern,  die  als  Studenten  den  Korps 
angehört  haben,  nicht  häufig  wahrnimmt.  Die  Wegweisung  von  der  Universität 
Marburg  veranlasste  Ludwig  zunächst  an  der  Chirurgenschule  in  Hamberg  und  an 
der  Universität  Erlangen  seine  Studien  fortzusetzen.  Nach  Marburg  zurückgekehrt, 
kehrte  er  mit  aller  Entschiedenheit  —  nicht  ohne  dadureh  in  unliebsame  Kon- 
flikte zu  kommen  —  dem  Treiben  seiner  ersten  Semester  den  Kücken  und  warf 
sieh  nun  mit  seiner  ganzen  Energie  auf  die  wissenschaftliche  Arbeit.  Er  wurde 
1839  zum  Doktor  promovirt  und  18-11  als  Prosektor  am  anatomischen  Institute 
angestellt.     1842  erhielt,  er  die  venia  legendi  flu-  Physiologie  und  18-ltf  auf  An- 


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Biographische  Blätter. 


trag  des  Professor  L.  Fick  die  Anstellung  als  Professor  extraordinarius  für  ver- 
gleichende Anatomie.  Es  war  ein  günstiger  Zufall,  dass  in  jenen  .Jahren  dieser 
nur  wenige  Jahre  altere  intime  Jugendfreund  Ludwigs  Vorstand  des  anatomischen 
Institutes  war,  der  ihm  in  liberalster  Weise  einen  Theil  der  reichen  Mittel  dieses 
Institutes  für  seine  physiologischen  Untersuchungen  zur  Verfügung  stellte,  für 
welche  in  damaliger  Zeit  noch  kein  besonderer  Etat  ausgeworfen  war. 

Im  Jahre  1840  wurde  Ludwig  als  Professor  der  Anatomie  und  Physiologie 
nach  Zürich  berufen,  und  er  verheirathete  sich  kurz  darauf  mit  der  Tochter  des 
Juristen  Professor  Endemann,  mit  der  er  sich  bereits  in  Marburg  verlobt  hatte. 
Er  hat  in  dieser  edlen  Frau  eine  seiner  vollkommen  würdige  Lebensgefährtin 
gefunden,  die  in  wahrhaft  idealer  Ehe  45  Jahre  lang  Freud  und  Leid  mit  ihm 
get heilt  hat.  und  die  noch  in  der  letzten  Krankheit  bis  zum  letzten  Athemzuge  keinen 
Augenblick  vou  seiner  Seite  gewichen  ist.  Die  Ehe  war  durch  zwei  Kinder  gesegnet, 
einer  Tochter,  jetzt  vermählt  mit  Alfred  Dove,  und  einem  Sohne,  der  schon  in 
frühem  Knabenalter  den  Eltern  durch  den  Tod  entrissen  wurde. 

Im  Jahre  1855  folgte  Ludwig  einem  Hufe  als  Professor  der  Physiologie 
an  die  medizinische  Militärakademie  (.losephiuum)  zu  Wien,  wo  er  10  Jahre 
lang  wirkte.  In  diese  Zeit  fallen  mehrere  Verhandlungen  über  Berufungen  an 
preussische  Universitäten.  Es  ging  damals  in  der  wissenschaftlichen  Welt  das 
Gerücht,  die  preussische  Regierung  habe  seine  Berufung  nicht  ausgeführt,  weil 
er  der  materialistischen  Weltanschauung  huldige.  Im  Jahre  1857  erging  übrigens 
an  ihn  eine  thatsäehliehe  Berufung  nach  Breslau,  die  er  ablehnte.  Im  Jahre  1805 
übernahm  er  als  Nachfolger  von  Ernst  Heinrich  Weber  die  physiologische  Professur 
in  Leipzig.  Er  war  der  Nachfolger  dieses  hervorragenden  Mannes  auch  in  dem 
Sinne,  dass  dieser  bis  dahin  der  Führer  der  deutschen  Physiologie  gewesen  war 
und  dass  diese  Stellung  nun  unbestritten  von  Ludwig  eingenommen  wuitle.  Er 
hehielt  sie  bis  an  sein  Lebensende. 

Diesen  im  Umriss  gezeichneten  Rahmen  des  Lebens  hat  Ludwig  durch 
wissenschaftliche  Arbeit  in  einer  Weise  ausgefüllt,  dass  man  —  obgleich  ja  der 
Rahmen  ungewöhnlich  weit  ist  —  über  die  Fülle  erstaunen  muss. 

Als  Ludwig  im  Anfange  der  40er  Jahre  seine  wissenschaftliche  Thätigkeit 
begann,  bereitete  sich  in  der  Physiologie  eine  vollständige  Umgestaltung  der 
Grundauschauungen  vor.  Bis  dahin  hatte  man  für  selbstverständlich  gehalten, 
•  dass  in  den  lebenden  Wesen  die  Materie  nicht  ausschliesslich  von  den  auch  in 
der  unorganischen  Natur  wirkenden  Kräften  bewegt  wurde,  sondern  daneben  noch 
von  spezifischen  Lebenskräften,  die  gleichsam  mit  Bewusstsein  nach  bestimmten 
vorgesetzten  Zwecken  wirken  sollten.  Man  pflegt  diese  Richtung  der  Physiologie 
als  die  r  vitalistische1'  zu  bezeichnen.  Nur  einzelne  Probleme  der  Physiologie 
waren  bis  dahin  von  hervorragenden  Forschern  als  physikalische  behandelt 
worden,  aber  seihst  diese,  wie  E.  H.  Weiter,  Johannes  Müller.  Volkmann  und 
andere,  hatten  nicht  die  letzte  Konsequenz  gezogen,  die  in  der  Physiologie  nur 
eine  Physik  und  Chemie  oder  eine  Mechanik  —  im  weiteren  Sinn  dieses  Wortes  — 
der  lebenden  Wesen  sehen  muss,  die  eine  Lebenserscheiiiung  nur  dann  als  erklärt 
ansehen  kann,  wenn  nachgewiesen  ist,  dass  sie  "hervorgebracht  ist  durch  das 
Aufeinanderwirken  der  materiellen  Theilchen  der  lebenden  Wesen  nach  den  Gesetzen, 
nach  denen  dieselben  Theilchen  auch  ausserhalb  lebender  Wesen  aufeinander  wirken. 

Ludwig  war  unter  den  ersten,  die  diese  Konsequenz  gezogen  haben.  Ef 
gehört  zu  den  Stiftern  der  mechanischen  Schule  der  Physiologen.  Mitstreiter 
gegen  die  vitalistische  Richtung  fand  er  in  dem  glänzenden  Berliner  Dreigestirn 
Brücke,  du  Bois-Reymond  und  Helmholtz,  mit  denen  ihn  auch  iunige 
persönliche  Freundschaft  verband.    Diesen  drei  Physiologen   war  es  wesentlich 


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Karl  Ludwig. 


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leichter  gemacht,  sich  von  den  Banden  eines  unklaren  Vitalisinus  zu  befreien, 
denn  sie  lebten  in  Berlin  in  einer  Atmosphäre,  die  ganz  von  physikalischen 
Anschauungen  geschwängert  war  in  täglichem  Verkehr  mit  hervorragenden 
Physikern  wie  Dove,  Magnus,  Clausius  und  Anderen.  Ludwig  entbehrte  in 
Marburg  solcher  Anregungen  von  aussen  gänzlich,  allenfalls  könnte  der  berühmte 
Chemiker  Bunsen.  der  damals  in  Marburg  wirkte,  einigen  Einfluss  in  der  frag- 
lichen Richtung  auf  ihn  gehabt  haben.  Doch  ist  es  wahrscheinlich,  dass  er  das 
Laboratorium  Bunsens  erst  aufsuchte,  nachdem  er  sich  für  die  mechanische  Auf- 
fassung der  Lebensvorgänge  innerlich  entscliieden  hatte  und  nun  das  Bedürfniss 
empfand,  sich  mit  den  exakten  Methoden  der  unorganischen  Naturwissenschaft 
bekannt  zu  machen.  Es  giebt  uns  eine  besonders  hohe  Meinung  von  der  Energie 
seines  Denkens,  dass  er  eben  ganz  selbständig  die  neue  Richtung  eingeschlagen 
hat,  die  durch  ihn  im  Verein  mit  den  eben  Genannten  alsbald  zur  allein  herr- 
schenden gemacht  wurde. 

Es  mag  hier  im  Vorbeigehen  bemerkt  sein,  dass  sich  in  allerjungster  Zeit 
wohl  in  innerem  Zusammenhange  mit  den  rückläufigen  Strömungen  auf  anderen 
Kulturgebieten  eine  Reaktion  gegen  die  klare  und  konsequente  mechanische 
Richtung  der  Physiologie  bemerklich  macht. 

Zu  dem  Siege  der  mechanischen  Richtung  trug  Ludwig  am  meisten  bei 
durch  sein  1852  erschienenes  den  Freunden  Brücke,  du  Bois-Reymoud  und 
Heimholt/  gewidmetes  Lehrbuch  der  Physiologie  bei.  Es  war  das  erste, 
das  konsequent  im  (reiste  der  mechanischen  Auflassung  geschrieben  ist .  und 
brachte  eine  ausserordentliche  Wirkung  hervor. 

Seine  folgenreichste  wissenschaftliche  That  vollbrachte  Ludwig  schon  in  der 
Zeit  seiner  Marburger  Wirksamkeit.  Es  war  die  Erfindung  des  Kymographion 
(1847)  —  ein  wahres  Ei  des  Columbus.  In  dieser  Beziehung  lässt  sich  die 
Erfindung  des  Kymographion  mit  der  Erfindung  des  Augenspiegels  vergleichen ; 
aber  auch  noch  in  einer  anderen  Beziehung,  denn  wie  mit  der  Erfindung  des  Augen- 
spiegels eine  neue  Aera  der  Ophthalmologie  beginnt,  so  beginnt  mit  der  Erfindung 
des  Kymographion  eine  neue  Aera  der  physiologischen  Methodik,  näinlieh  die 
der  selbstregistrirenden  graphischen  Darstellung,  die  dann  erst  von  der  Physiologie 
aus  auch  in  anderen  Naturwissenschaften  verbreitet  worden  ist.  Die  Sache  ist 
einfach  diese.  Schon  oft  hatte  man  den  Druck  des  Blutes  in  einem  (iefasse 
des  lebenden  Thieres  gemessen,  indem  man  den  einen  Schenkel  einer  U-förmigen 
mit  Quecksilber  zur  Hälfte  gefüllten  Röhre  mit  dem  Inneren  des  Blutgefässes  in 
Verbindung  setzte.  Der  Blutdruck  trieb  dann  das  Quecksilber  im  andern  offenen 
Schenkel  so  hoch  hinauf,  bis  die  Höhendifferenz  der  Quecksilberniveaus  in  beiden 
Schenkeln  dem  Blutdrücke  gleich  ist.  Nun  kann  mau  meistens  mit  Auge  und 
Maassstab  den  raschen  Schwankungen  dieses  Druckes  nicht,  folgen.  Ludwig  kam 
auf  den  genialen  Einfall,  der  einem  hinterher  allerdings  unendlich  naheliegend 
vorkommt,  auf  den  offenen  Schenkel  der  Röhre  ein  Stäbchen  mit  einer  seitlich 
angebrachten  Zeichenspitze  zu  setzen.  Diese  schwankt  mit  dem  Quecksilber- 
niveau auf  und  ab,  und  wenn  sie  an  einer  vorübergeführten  Fläche  gleitet, 
an  der  sie  eine  Spur  hinterlässt,  so  zeichnet  sie  eine  wellenartige  Kurve,  aus  der 
man  hinterher  die  zeitlichen  Schwankungen  des  Blutdruckes,  die  durch  die  Herz- 
kontraktionen hervorgerufen  werden,  in  aller  Müsse  ablesen  kann.  Der  Herzschlag 
hat  sich  also  selbst  aufgeschrieben.  Die  erste  so  gewonnene  Kurvcntafel,  auf  der 
nach  ähnlichem  Prinzip  auch  noch  die  Athemzüge  graphisch  dargestellt  waren, 
hat  Ludwig  seinem  Schüler  Mosso  geschenkt  mit  der  für  ihn  charakteristischen 
Aufschrift:  „  der  Sammlung  des  Freundes  Mosso  stiftet  dieses  erste  Stammeln  des 
Herzens  und  der  Brust,  K.  Ludwig".    Es  ist  begreiflich,   welcher  vielseitigen 


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Biographische  Blatter. 


Anwendung  solche  graphische  Methoden  fähig  sind.  Man  studirt  heutzutage 
«■ine  ungeheure  Anzahl  von  physiologischen  Vorgängen,  denen  man  mit  dem 
Auge  nicht  zu  folgen  vermag,  indem  man  sie  sich  seihst  aufzeichnen  lässt.  Die 
suhtilen  Arbeiten  von  Helmholtz  und  seinen  Nachfolgern  in  der  Muskel-  und 
Nervenphysiologic  wären  ohne  die  graphische  Methode  nicht  möglich  gewesen  und 
sind  also  mittelbar  dem  von  Ludwig  gegebenen  Anstosse  zu  verdanken.  Die 
selbstregistrirenden  Vorrichtungen  bilden  gegenwärtig  wohl  den  raeistgebrauchten 
Theil  des  Rüstzeuges  unserer  Laboratorien  und  es  erscheint  kaum  eine  Nummer 
einer  physiologischen  Zeitschrift,  in  der  nicht  Tafeln  mit  graphischen  Darstellungen 
enthalten  sind. 

Ein  anderes  überaus  sinnreiches  Werkzeug  zur  Erforschung  der  Blut- 
bewegung  ist  die  von  Ludwig  ersonnene  Stromuhr;  sie  gestattet  das  Blut  aus 
einem  Gefässe  des  lebenden  Thieres  zeitweis«1  nach  aussen  und  dann  wieder  in  das 
Gefäss  zurückzuführen  und  auf  diesem  Wege  kubikcentimeterweise  abzumessen. 

Von  d«*n  ^tatsächlichen  Entdeckungen  Ludwigs  können  hier  nur  einige  wenige 
namhaft,  gemacht  weiden,  deren  Bedeutung  auch  dem  Laien  ersichtlich  ist.  Da 
sind  vor  Allem  seine  balmbrechenden  Untersuchungen  über  den  Einfluss  de* 
Nerveiisystemes  auf  die  Diüsenabsonderung  hervorzuheben.  Bis  daliin  hatte  man 
die  Drüsen  für  »-ine  Art  von  Filtern  gehalten,  die  von  dem  durchströmenden 
Blute  gewisse  Theile  durchtreten  und  aus  den  Ausführungsgängen  ausfiiessen  lassen. 
Ludwig  zeigte  im  Jahre  1851,  dass  die  Zellen  vieler  Drüsen,  insbesondere  der 
Speicheldrüsen,  auf  Xervcneinfluss  in  ähnlicher  Weise  wie  die  Muskeln  thätig 
werden,  und  durch  chemischen  Umsatz  neue  Verbindungen  erzeugen,  die  sie  mit 
grosser  Kraft  aus  dem  Ausführungsgangc  hervordrängen.  Dass  es  sich  hierbei 
um  chemische  Prozess«'  handelt,  erwies  er  auch  noch  dadurch,  dass  dabei  wie  bei 
der  Muskelthätigkeit  erhebliche  Mengen  von  Wärme  frei  werden. 

Eine  stattliche  Reihe  von  Arbeiten  aus  Ludwigs  Laboratorium,  die  über 
viele  Jahre  zerstreut  sind,  hat  die  sogimannten  Blutgase  zum  G«*genstande.  So 
nennt  man  die  im  Blute  locker  gebundenen  Mengen  von  Sauerstoff  und  Kohlen- 
säur«-, die  bei  «1er  Athmung  mit  der  äusseren  Atmosphäre  ausgetauscht  werdeu, 
und  die  somit  die  Haupt posten  thicrisebeu  Stoffwechsels  ausmachen.  Die  meisten 
grundlegenden  Thatsachen  dieses  wichtigen  Gebietes  verdanken  wir  Ludwig  und 
seinen  Schülern. 

Eine  andere  R«ihe  von  Arbeiten  seines  Laboratoriums  beschäftigt  sich  mit 
der  Untersuchung  des  Xerveneiuflusses  auf  die  Blutgefässe,  der  die  Vertheilung  des 
Blutstromes  in  die  einzelnen  Orgaue  beherrscht.  Der  grösste  Theil  unserer  Kenntniss 
dieses  Gegenstandes,  insbesondere  die  Kenntniss  vom  Zentrum  des  Gefässnerven- 
sy stems  im  verlängerten  Rückenmarke,  ist  durch  diese  Untersuchungen  gewonnen. 

Es  giebt  aber  auch  kein  anderes  Gebiet  «1er  Physiologie,  das  nicht  durch 
Arbeiten  aus  Ludwigs  Laboratorium  wichtige  Bereicheningen  erfahren  hätte. 
A »isser  der  Physiologie  im  engeren  Sinne  des  Wortes  wurde  in  diesem  Labora- 
torium die  Erforschung  des  feineren  Baues  der  Organe,  die  sogenannte  Histiologie, 
betrieben,  die  natürlich  dann  am  fruchtbarst«'!!  ist.  wenn  ihr  der  Physiologe  die 
Klagen  stellt.  Von  den  histologischen  Leistungen  Ludwigs  mögen  seine  wichtigen 
Arbeiten  über  d«'n  Bau  der  Niere  besonders  hervorhoben  werden. 

Von  dem  Umfange  seiner  Forscherthätigkeit  kann  man  sich  eine  Vorstellung 
machen,  wenn  man  si«  h  folgende  Angaben  vergegenwärtigt.  In  den  ersten  Jahren 
seiner  literarischen  Thütigkeit  veröffentlichte  er  in  Henle  und  Pfeufers  Zeitschrift 
für  rationelle  Medizin,  dann  in  den  Berichten  der  Wiener  Akademie,  deren  Mit- 
glic«!  er  war.  Je«ler  Jahrgang  dieser  Zeitschriften  von  1841  bis  1865  enthält 
zahlreiche  Abhandlungen  aus  Ludwigs  Feder.  Von  18fW>  bis  187«  veröffentlichte 


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Karl  Ludwig. 


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er  seine  Arbeiten  in  den  Berichten  der  sächsischen  königlichen  Gesellschaft,  und 
lies.«  sie  auch  gesondert  herausgeben,  jedes  Jahr  einen  Band  von  durchschnittlich 
300  .Seiten.  Seit  1877.  also  die  letzten  17  Jahre,  erschienen  die  Arbeiten  des 
Leipziger  Laboratoriums  in  der  physiologischen  von  du  Bois-Reymond  heraus- 
gegebenen Abtheilung  des  Archivs  für  Anatomie  und  Physiologie.  Sie  machten 
wohl  etwa  die  Hälfte  der  17  starken  Jahresbiinde  dieses  Archives  aus. 

Die  Forschung  Ludwigs  ist  nicht  blos  durch  die  Gedankenfülle  hervor- 
ragend, sie  ist  noch  besonders  ausgezeichnet  durch  eine  gewisse  Kühnheit,  die 
nicht  zurückschreckte  vor  Aufgaben,  deren  Lösung  ganz  unüberwindliche  experi- 
mentelle Schwierigkeiten  zu  bieten  schien. 

Die  Forscherthätigkeit  wurde  bei  Ludwig,  wenn  es  möglich  ist,  noch  über- 
boten von  seiner  Thätigkeit  als  Lehrer.  Hierin  steht  er  geradezu  einzig  da,  und 
es  wird  schwerlich  sobald  ein  ihm  Gleicher  erstehen.  An  gewandten  und  an- 
regenden Kathederlehrern  hat  es  wohl  nie  gefehlt,  aber  ihm  erst  ist  es  gelungen, 
eine  Schule  selbständiger  Forschung  zu  gründen,  worin  ihm  die  chemische  Schule 
Liebigs  als  Vorbild  diente.  In  dieser  Wissenschaft  mit  ihrem  verhältnissmässig 
gleichartigen  und  begrenzten  Gebiete  und  ihren  hochentwickelten  Methoden  ist 
es  ein  Leichtes,  die  Kchülqr  eines  Laboratoriums  zu  selbständiger  Forschung  an- 
zuleiten. In  der  Physiologie,  die  chemische,  physikalische,  vivisektorischc,  ana- 
tomische und  andere  Methoden  zur  Lösung  ihrer  ganz  ungleichartigen  Probleme 
fordert,  ist  das  offenbar  unendlich  viel  schwieriger.  Hier  eine  Schule  selbst- 
ändiger Forschung  zu  gründen*,  erfordert  eine  ganz  besonders  beanlagte  Per- 
sönlichkeit. Die  Grundbedingung  ist  natürlich  die  Liebe  zur  wissenschaftlich 
strehsamen  Jugend,  die  Ludwig  im  höchsten  Maasse  besass.  Sie  gewann  ihm 
die  Herzen  der  Schüler.  Dazu  muss  aber  eine  unerschöpfliche,  vielseitige  Ge- 
dankenfülle kommen,  aus  der  dem  Lehrer  jeden  Augenblick  Aufgaben  zuströmen, 
wie  sie  für  die  besonderen  Fähigkeiten  und  Interessen  der  einzelnen  sich  zufällig 
darbietenden  Schüler  angemessen  sind.  Selbstverständlich  darf  eine  unermüdliche 
Arbeitskraft  nicht  fehlen.  Dank  dem  Verein  jener  Eigenschaften  erzielte 
Ludwig  einen  Erfolg,  der  in  der  Geschichte  der  Physiologie  einzig  dasteht.  Das 
Leipziger  Laboratorium  war  das  Mekka  der  Physiologen,  dem  die  Jünger  aus 
beiden  Hemisphären  zuströmten.  Es  ist  nicht  übertrieben,  wenn  man  behauptet, 
dass  kaum  ein  junger  Mann  in  den  letzten  30  Jahren  die  Physiologie  zu 
seinem  Berufe  gemacht  hat.  der  nicht  einige  Zeit  im  Leipziger  Laboratorium 
gearbeitet  hätte. 

Obgleich  es  Ludwig  in  wirklich  ungewöhnlichem  Maasse  verschmäht  hat. 
durch  besondere  Mittel  die  Aufmerksamkeit  auf  seine  Leistungen  zu  ziehen,  so 
hat  es  ihm  doch  auch  an  äusseren  Anerkennungen  und  Ehrungen  nicht  gefehlt. 
Die  meisten  bedeutenden  wissenschaftlichen  Körperschaften  aller  Länder  haben 
sich  die  Ehre  gegeben,  Ludwig  zum  Mitgliede  zu  wühlen;  insbesondere  ist  ihm 
die  seltene  Auszeichnung  zu  Theil  geworden,  unter  die  Ritter  des  Ordens  pour 
le  merite  aufgenommen  zu  werden.  Sein  Landesherr  und  andere  Fürsten  haben 
seine  Verdienste  durch  Verleihung  hoher  Titel  und  Orden  anerkannt.  Die  Stadt 
Leipzig  hat  ihn  zum  Ehrenbürger  gemacht.  Am  meisten  Freude  hat  ihm  selbst 
wold  die  begeisterte  Anerkennung  seiner  Schüler  bereitet,  die  in  mehreren  gross- 
artigen festlichen  Veranstaltungen  an  besonderen  Gedenktagen  sichtbaren  Aus- 
druck gefunden  hat. 

Vor  dem  Leserkreise  dieser  Zeitschrift,  der  nicht  aus  Physiologen  besteht, 
ist  es  wohl  am  Platze,  zur  Rechtfertigung  der  vivisektorisehen  Thätigkeit.  die 
gerade  Ludwig  in  sehr  grossem  Umfange  getrieben  hat.  ein  Wort  zu  sagen.  Er 
hat  diese  Thätigkeit  stets  als  eine  schwere  Pflichterfüllung  angesehen .  die  eben 


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Biographische  Blätter. 


nicht  zu  entbehren  ist,  wenu  unsere  Kenutniss  der  Lebeuserscheinungen  zum  Segen 
der  leidenden  Menschheit  gefordert  werden  soll.  Wie  sehr  Ludwig  von  Mitleiden 
auch  für  die  Thiere  durchdrungen  war.  hat  er  durch  aufopferungsvolle  Arbeit  für 
den  Thierschutzverein  gezeigt ,  dessen  langjähriger  Vorsitzender  er  gewesen  ist. 
Im  Laboratorium  bethätigte  er  dies  Mitleiden  durch  die  peinlichste  Schonung  der 
Thiere.  soweit  es  mit  dem  Zwecke  des  Versuches  verträglich  ist.  Wer  an  den 
Leiden  der  Thiere  bei  Vivisektionen  Anstoss  nehmen  möchte,  der  bedenke  doch, 
dass  wohl  jedes  Thier  in  der  freien  Natur  durch  seine  unerbittlichen  Gegner  im 
grausigen  Kampfe  ums  Dasein  weit  mehr  leidet  und  unter  viel  schwereren  Qualen 
verendet,  als  ein  Thier,  das  in  tiefer  Narkose  auf  dem  Versuchstische  des  Labora- 
toriums verblutet.  Solange  man  noch  ruhig  zusieht,  wie  Tausende  —  nicht  um 
ihren  Hunger  zu  stillen,  sondern  —  zum  Vergnügen  Auerhähne  hcschleiehen 
und  Rehböcke  schiessen,  hat  man  wohl  überhaupt  kein  Recht,  an  der  Thätigkeit 
des  Physiologen  Anstoss  zu  nehmen,  der  ohne  öffentliches  Argerniss  zu  geben  im 
geschlossenen  Laboratorium,  um  die  Wissenschaft  zu  fördern,  an  lebenden  Thieren 
Vei-suche  anstellt. 

IXe  glänzenden  Geistesgaben  können  Ludwigs  beispiellose  Erfolge  als  Lehrer 
allein  nicht  erklären,  sie  mussten  getragen  sein  von  einem  edlen  Charakter,  denn 
zu  nachhaltiger  begeisterter  Arbeit  wird  der  Schüler  nur  augefeuert,  wenn  er  das 
Vorbild  selbstloser  Begeisterung  im  Leben  vor  Augen  hat.  Sie  fand  bei  Ludwig 
nach  ächt  deutscher  Weise  nicht  ihren  Ausdruck  in  tönender  Phrase  und  thea- 
tralischer Pose,  aber  sie  dämmte  aus  seinem  schönem  Auge,  wenn  er  in  den  schlich- 
testen Worten  sprach,  und  in  seiner  ganzen  Handlungsweise  zeigte  sich,  dass  sie 
nie  durch  den  persönlichen  Vortheil  bestimmt  wurde.  Da  diese  Uneigcnnützigkeit 
in  den  für  Universitütsangelegenheiteii  maassgebenden  Kreisen  allgemein  bekannt 
war,  wurde  sein  Rath  namentlich  bei  Besetzung  von  Lehrstühlen  vielfach  eingeholt 
und  befolgt,  am  meisten  natürlich  in  Leipzig  selbst  zum  Segen  für  diese  Univer- 
sität.   Dies  bezeugt  ihr  Rector  am  Sarge  Ludwigs  mit  den  Worten: 

„Ei»  ist  wohl  kein  Zufall,  dass  mit  seinem  Erscheinen  unter  uns  der 
Aufschwung  beginnt,  welcher  Leipzig  an  die  Spitze  der  deutschen  Hochschulen 
brachte.  Dankbar  erkennen  wir  aber  auch  an,  dass  eine  erleuchtete  Ntaats- 
regiening,  ein  erleuchteter  unvergesslicher  Fürst,  Ludwigs  Anregungen  auch 
über  die  medizinische  Fakultät  hinaus  Folge  gab,  dass  man  an  maassgebender 
Stelle  erkannte,  wie  nur  Rücksichten  auf  das  allgemeine  Wohl,  nur  grosse 
Ziele  ihn  leiteten*. 

Natürlich  beschränkte  sich  Ludwigs  ideales  Interesse  nicht  ausschliesslich  auf 
seine  Fach- Wissenschaft,  auch  die  anderen  Kulturgebiete  in  Wissenschaft  und  Kunst 
verfolgte  er  mit  wärmster  Theiluahme,  feinem  Verständnisse,  vor  Allem  lag  ihm  auch 
das  Wohl  seines  Volkes  am  Herzen.  Da  ihm  aber  der  übernommene  Beruf  eiues 
Forschei-s  und  Lehrei-s  der  Wissenschaft,  wenn  er  ihn  treu  erfüllen  wollte,  wenig 
Zeit  liess,  andere  Beschäftigungen  mit  Ernst  zu  treiben,  ist  er  im  politischen  Leben 
nie  aktiv  aufgetreten,  [m  stunnbewegten  Leben  des  Jahres  1848  hatte  er  sich 
der  Gruppe  von  Männern  eng  angeschlossen,  die  sich  damals  um  Sybel  in  Marburg 
schaarte,  und  deren  politische  Überzeugungen  er  theilte.  In  späteren  Jahren  folgte 
sein  Herz  mit  lebendiger  Empfindung  dem  grossen  Gange  der  vaterländischen  Ge- 
schicke. Was  deutsch  war  an  deren  Neugestaltung,  befriedigte  ihn  tief;  dem 
blossen  Preussenthum  wünschte  er  dagegen  jederzeit  durch  selbständige,  zumal 
geistige  Verdienste  der  übrigen  Bundesstaaten  die  Spitze  geboten  zu  sehen. 

Einem  Manne  von  so  seltenen  Geistesgaben  und  Charaktereigenschaften,  zu 
denen  sich  eine  wahrhaft  bestrickende  Liebenswürdigkeit  gesellte,  konnte  es  nicht 
fehlen,  dass  sich  überall,  wo  er  dauernden  Aufenthalt  nahm,  hervorragende  Männer 


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Karl  Ludwig-. 


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an  ihn  anschlössen,  mit  denen  er  dauernde  Freundschaftsbande  knüpfte.  Die  an 
anderer  Stelle  bereits  erwähnte  Freundschaft  mit  seinen  Kampfgenossen  gegen  den 
Vitalismus  Brücke,  du  Bois-Reymond  und  Helmholtz  entstand  in  der  Marburger 
Zeit.  Du  Bois-Reymond  bezeichnet  in  einer  brieflichen  Mittheilung  die  Wochen, 
die  er  im  .Jahre  1847  mit  Ludwig  in  Marburg  zugebracht  hat,  als  eine  r herr- 
liche Zeit-. 

Von  den  Züricher  Freunden  Ludwigs  sind  besonders  hervorzuheben  der 
Theologe  Hitzig  und  vor  Allen  Mommsen,  der  mit  ihm  bis  an  sein  Lebensende 
innig  verbunden  geblieben  ist.  Ein  bleibendes  Denkmal  dieser  Freundschaft  zweier 
grossen  Männer  ist  die  Widmung  des  2.  Theiles  der  römischen  Geschichte. 

in  Wien  traf  Ludwig  mit  seinem  alten  Freunde  Brücke  zusammen.  Neue 
bleibende  Beziehungen  hat  er  dort  nicht  angeknüpft.  Sein  eigenstes  deutsches 
Wesen:  im  Innern  Idealitat.  im  Äusseren  Solidität,  fand  Ludwig  erst  während 
seines  Leipziger  Lebens  um  sich  her  nieder.  Er  lebte  da,  von  den  Kollegen- 
kreisen abgesehen,  in  dem  Kreise  eines  geistig  und  sittlich  vornehmen  Bürger- 
thumes.  dem  unter  Andern  angehörten  der  Bürgermeister  und  Reichstagsabgeordnete 
Stephani.  der  praktisch  geniale  Bankdirektor  Rudolf  Wachsmuth,  der  feinsinnige 
hochgebildete  Verleger  Salomou  Hinsel.  Der  Reiz  des  Umganges  beruhte  da 
gerade  auf  der  Verschiedenheit  von  Beruf  und  Lebenstellung  bei  gleicher  Tüchtig- 
keit und  Empfänglichkeit  auch  für  das  Fremde,  gemeinsamer  Liebe  zu  allem 
Echten  und  Hohen  im  öffentlichen  Dasein,  wie  in  Wissenschaft,  Kunst  und  Gewerbe. 

In  diesem  Kreise  lernte  Ludwig  auch  Gustav  Freytag  kennen,  der  sich  an 
ihn  in  inniger  Freundschaft  anschloss.  Er  giebt  in  seineu  Lebenserinnerungen 
seiner  Bewunderung  für  den  Freund  und  dessen  Gattin  Ausdruck  in  folgenden 
Worten,  in  denen  er  ihn  mit  dem  vorhin  genannten  Bankdirektor  Wachsmuth 
zusammenstellt:  ..Der  stolze  Naturforscher,  welcher  sein  Wissen  und  Können  mit 
einer  auch  bei  uns  unerhörten  Selbstlosigkeit  den  Erfolgen  seiner  Schüler  dienstbar 
macht,  und  der  uneigennützige  Leiter  grosser  Geschäfte,  der  Berather  und  Ver- 
trauensmann so  Vieler,  Stolz  und  Liebling  seiner  Mitbürger,  beide  leben  in  der- 
selben hochsinnigen  Hingabe  für  das  Wohl  Anderer.  Sie  haben  oft  dem  Freunde 
das  Herz  erhoben  und  durch  ihre  eigene  Art  sein  Fi-tbei!  über  andere  gerichtet. 
Dasselbe  gilt  von  den  Frauen  der  Genannten.  Weder  Frau  Ludwig  noch 
Franziska  Wachsmuth  sind  in  einem  meiner  dichterischen  Versuche  abgeschildert, 
aber  zu  dem  Idealbilde  des  liebevollen  tapferen  deutschen  Weibes,  welches  in 
meinen  Erzählungen  oft  wiederkehrt,  haben  beide,  ohne  es  zu  wissen,  reichlich 
beigesteuert. - 

Das  Lebensbild  Ludwigs  lässt  uns  sehen,  dass  die  uneifoi-schlicbeu  Rath- 
schlüsse des  Schicksals,  die  so  oft  über  die  edelsten  Naturen  die  schwersten 
Leiden  verhängen,  doch  zuweilen  «inen  bewundeniswcrthen  Menschen  ohne  allzu 
harte  Prüfungen  durch  ein  langes  bis  ans  Ende  glückliches  Leben  führen. 

B.  Denkrede  von  ROBERT  TIGERSTEDT *>. 

Wir  müssen  Denjenigen  glücklich  preisen,  der  so  wie  Ludwig  bei  unge- 
schwächter Geisteskraft  und  bei  Erhaltung  von  Lust  und  Fähigkeit  zur  geistigen 
Arbeit  ein  hohes  Alter  erreicht,  und  dessen  Tod  tiefe  Trauer  und  inniges  Bedauern 
erweckt,  nicht   nur  bei   den   vielen,   welche   i»ersöiilich   mit   ihm   in  Berührung 

*>  Dem  Nachruf  eines  deutschen  .1  Untiers  und  Lebens  freundes  lassen  wir  die  am 
30.  April  181>5  an  der  Universität  Stockholm  gehaltene,  von  einem  Wiener  < Jemianisten 
verdeutschte  Denkrede  eines  jüngeren  .schwedischen  Schülers  von  Ludwig  folgen,  die  Wesen 
und  Wirken  des  Lehrers,  des  Forschers,  des  Freundes  und  Führers  seiner  aus  aller  Welt 
zuströmenden  Hörer  in  neues  Licht  rückt.  Lelihaft  zu  wünschen  wiire,  dass  eine  berufene 
Hand  uns  mit  einem  Lebensbilde  der  bedeutenden  Persönlichkeit  nach  Familien-Erinnerungen. 

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272 


Biographische  Blatter. 


gekommen  sind,  sondern  auch  in  weiteren  Kreisen,  die  ihn  bloss  durch  seine  Wirk- 
samkeit schützen  gelernt  haben. 

Ludwig  war  bei  seinem  Tode  über  78  Jahre  alt.  Aber  weder  das  hohe 
Alter,  noch  die  körperliche  Gebrechlichkeit  hielt  ihn  davon  ab,  bis  zu  dem 
Augenblick,  wo  ihn  die  Krankheit,  die  Influenza,  welcher  er  unterliegen  sollte, 
im  Beginn  des  März  auf  das  Totenbett  warf,  mit  unvermindertem  uud  jugend- 
lichem Eifer  in  seinem  Laboratorium  zu  arbeiten,  aus  welchem  er  eine  Arbeit 
nach  der  andern  in  die  Welt  schickte,  die  auf  seine  Veranlassung,  oder  unter 
seiner  Mitwirkung  zu  Stande  gekommen  war. 

Wenn  eine  so  tiefe  Neigung  zur  wissenschaftlichen  Forschung  schon  an 
und  für  sich  uns  Bewunderung  abnöthigt,  so  wird  dieselbe  noch  viel  grösser, 
wenn  wir  uns  erinnern,  zu  welchen  Resultaten  diese  Neigung  führte,  und  wie  der 
Mann  war.  der  diese  Resultate  gewonnen  hat. 

Ludwigs  erste  wissenschaftliche  Arbeit  ist,  so  viel  ich  weiss,  eine  Habili- 
tationsschrift „Beiträge  zur  Lehre  vom  Mechanismus  der  Harnsekretion" ,  eine 
kleine  Broschüre  vtm  42  Seiten  Octav,  welche  er  im  Alter  von  2»  Jahren,  Mar- 
burg 1842,  herausgab.  Hier  entwickelt  er  seine  später  so  berühmt  gewordene 
Theorie  von  der  Art  und  Weise,  auf  welche  die  Urinaussonderung  vor  sich  geht. 
Ex  ungue  leonem!  Hier  finden  wir  schon  alle  Hauptzüge,  welche  die  ganze 
spätere  Forschung  Ludwigs  auszeichnen,  sein  Streben,  eine  rein  mechanische 
Erklärung  der  Lebenserscheinungen  zu  geben,  und  im  Zusammenhang  damit  seine 
hohe  Werthschätzung  der  exakten  Naturwissenschaften,  seine  lebhafte  Opposition 
gegen  die  vitalistischc  Richtung  in  der  Physiologie,  sein  scharfer  Blick  für  die 
Bedeutung  der  Erscheinungen  im  anatomischen  Bau  des  Körpers  und  seiner  Organe. 

Man  hat  Ludwig  oft  unter  den  Schülern  von  Joh.  Müller  genannt  ,  aber 
mit  Unrecht.  Denn  Ludwig  war  schon  ein  fertiger  Physiolog,  als  er  zum  ersten 
Male  nach  Berlin  kam,  und  damals  war  Müllers  physiologische  Periode  bereite 
abgeschlossen.  Aber  die  physikalische  Betrachtungsweise  der  Lebcnserseheinungen. 
welche  die  Grundlage  der  von  Müllers  Schülern,  von  einem  Helmholtz,  du  Bois- 
Reymond.  Brücke  betriebenen  physiologischen  Forschung  bildet,  war  auch  die 
Ludwigs,  und  er  hatte  selbstständig  und  von  diesen  unabhängig  diesen  Gedanken 
coneipirt.  welchen  er  früher  als  einer  der  Genannten  in  seiner  Habilitationsschrift 
öffentlich  aussprach. 

Derjenige  ältere  Forscher,  der,  so  weit  ich  urtheilen  kann,  auf  Ludwig  den 
grössten  Einfluss  ausübte,  war  Ernst  Heinrich  Weber,  und  noch  im  hohen  Alter 
sprach  Ludwig  mit  der  grössten  Bewunderung  von  diesem  seinem  Vorgänger  auf 
dem  physiologischen  Lehrstuhl  der  Leipziger  Universität,  und  er  konnte  nicht 
stark  genug  hervorheben,  von  welcher  ausserordentlichen  Wichtigkeit  das  Eili- 
greifen Webers  in  die  Entwicklung  der  Wissenschaft  in  diesem  Jahrhundert  war. 

Lndwig  sagte  einmal:  Wir,  d.  h.  Helmholtz.  du  Bois-Reymond ,  Brücke 
und  Ludwig,  stellten  uns  vor,  dass  es  verhiiltnissmässig  leicht  sein  werde,  die. 
ganze  Physiologie  auf  eine  rein  physikalisch-chemische  Grundlage  zu  stellen,  und 
sie  der  Physik  ebenbürtig  zu  machen,  aber  die  Sache  war  doch  schwieriger,  als 
wir  gedacht  hatten.  Ludwig  war  jedoch  derjenige,  der  am  ernstesten  und  tiefsten 
in  dieser  Richtung  eingriff  mit   seiner   Arbeit.     Während   Helmholtz.   der  mit 

Brieten  und  Zeugnissen  beschenken  würde.  Da  die  Erfüllung  dieses  Wunsches  leider  noch 
geraume  Zeit  auf  sich  warten  lassen  dürfte,  sollten  einstweilen  alle  bisher  in  Zeitschritten 
zerstreuten  Ueden  und  Nachrufe  (von  Iiis.  Mosso  etc.)  satunit  dem  nur  als  Manuskript 
gedruckten  Heft  „Karl  Ludwig  /.um  Abschied*  in  einem  »Sammelbuch  vereinigt  werden: 
wir  sprechen  diese  Anreirumr  nicht  nur  für  den  einen  Kall  aus:  ähnliche  biographische 
Denkmale  wären  auch  den  (.ictreuen  von  Helmholtz.  Svhel,  < ineist  etc.  willkommen. 

A.  d.  H. 


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Karl  Ludwig. 


273 


seinem  ausserordentlichen  Scharfblick  die  grossen  Schwierigkeiten  erkannte ,  mit 
den  damaligen  physikalischen  und  chemischen  Kenntnissen  für  die  Lebensersehei- 
nungen  eine  ganz  exakte  mechanische  Theorie  zu  geben,  sich  so  zu  sagen  nur  an 
die  Aussenwerke  der  Physiologie  hielt,  und  nur  solche  Gebiete  dieser  Wissen- 
schaft bearbeitete,  von  welchen  man  mit  Sicherheit  behaupten  konnte,  dass  sie 
für  die  mathematischen  und  physikalischen  Mittel  der  Zeit  zugänglich  waren; 
während  du  Bois-Reyraond  sich  gleichfalls  nur  innerhalb  eines  engen  Gebietes 
bewegte,  welches  er  immer  mehr  und  mehr  zu  vortiefen  suchte,  und  auf  welchem 
er  vielleicht  besser,  als  irgend  ein  anderer  zeigte,  dass  physiologische  Fragen  mit 
demselben  Grad  von  Präcision  behandelt  werden  konnten,  wie  rein  physikalische, 
warf  sich  Ludwig  kühn  und  mit  glühendem  Eifer  auf  das  weite  Feld  seiner 
Wissenschaft,  indem  er  durch  fortgesetzte  Experimente  prüfte,  in  wie  weit  die 
Physik  und  Chemie  die  zahlreichen  Fragen  beantworten  könne,  welche  sich  hier 
aufdrängten.  Und  so  entstand  die  lange  Reihe  von  Arbeiten,  welche,  theils  von 
ihm  selbst,  theils  auf  seine  Initiative  von  seinen  zahlreichen  Schülern  ausgeführt, 
von  seinem  Laboratorium  in  Marburg,  Zürich,  Wien  und  Leipzig  ausgingen,  und 
welche  die  verschiedensten  Theile  der  Physiologie,  so  wie  auch  rein  physikalische 
Fragen  behandelten,  die  sich  im  Verlauf  der  physiologischen  Untersuchungen 
Ludwigs  aufdrängten,  und  welche  beantwortet  werden  mussten,  bevor  diese  weiter 
geführt  werden  konnten. 

In  der  Zeit,  welche  dieser  Gedächtnissrede  gewidmet  werden  kann,  ist  es 
unmöglich,  auch  nur  in  aller  Kürze  über  die  factischen  Resultate  zu  berichten, 
welche  die  Wissenschaft  gewonnen  hat  durch  diese  unermüdliche  Forschung 
Ludwigs,  und  ich  halte  es  auch  nicht  für  augezeigt.,  die  eine  oder  andere  Arbeit 
von  den  übrigen  besonders  hervorzuheben.  Denn  Ludwigs  wirkliche  Grösse  und 
Bedeutung  als  Physiolog  liegt  weder  darin,  dass  er  selbständig  und  unabhängig 
vor  anderen  die  graphische  Methode  erfand,  welche  seither  das  meist verwerthete 
und  unentbehrlichste  Hilfsmittel  der  Physiologie  geworden  ist.  oder  darin,  dass  er 
zeigte,  welche  Rolle  die  Nerven  bei  der  Drüseasekretion  spielen,  wodurch  er  die 
ganze  Lehre  von  der  Drüsenthätigkeit  auf  eine  neue  Basis  stellte,  oder  darin, 
dass  er  zuerst  klarstellte,  welche  ausserordentliche  Bedeutung  die  Gefiissnerven 
haben  für  die  Cirkulation  des  Blutes  im  Körper,  oder  in  irgend  einer  von  seinen 
meistbekannten  Arbeiten.  Sie  liegt,  vielmehr  im  Ganzen  in  der  seiner  ganzen 
Lebensthätigkeit  zu  Grunde  liegenden  Auffassung  von  der  Erklärung  der  Lebens- 
erscheinungen durch  die  Physik  und  Chemie,  und  in  der  fortgesetzten  Prüfung 
dieser  Auffassung  durch  Experimente  auf  den  verschiedenen  Gebieten  der  Physio- 
logie. Von  dieser  allgemeinen  Anschauung  ausgehend,  stellte  Ludwig  seine  Fragen 
an  die  Natur,  nicht  aufs  Geradewohl,  oder  nach  einem  flüchtigen  Blick  auf  die 
Erscheinungen,  sondern  jedes  seiner  Experimente  war  das  Resultat  eines  intensiven 
und  streng  logischen  Denkens,  und  desshalb  spielen  auch  Zufall,  Glück,  oder  wie 
man  das  nennen  will,  bei  seinen  zahlreichen  Entdeckungen  eine  äusserst  unter- 
geordnete Rolle. 

Unzählig  sind  die  neuen  Thatsaehen.  welche  so  durch  Ludwigs  Arbeiten 
gesammelt  wurden,  theils  von  ihm  selbst,  theils  von  Anderen,  welche  die  Gebiete 
weiter  bearbeitet  haben,  die  er  zuerst  eröffnet  hat.  Durch  die  Entdeckungen, 
und  durch  die  ihnen  zu  Grunde  liegenden  theoretischen  Anschauungen  hat  die 
moderne  Forschung  auf  den  Gebieten  der  Physiologie,  welche  Ludwig  mit,  beson- 
sonderer  Vorliebe  behandelte,  in  der  Physiologie  der  vegetativen  Prozesse,  in  so 
hohem  Grade  durch  ihn  ihr  charakteristisches  Gepräge  bekommen,  dass  eine  zu- 
künftige Bearbeitung  der  Geschichte  der  Physiologie  in  den  letzten  50  Jahren 
ihn  unwillkürlich  als  den  hervorragendsten  seiner  Zeit  auf  diesem  Gebiete  der  Physi- 


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274 


Biographische  Blätter. 


ologie  hinstellen  muss.  In  der  Physiologie  der  Sinne  nimmt  sein  eben  dahin- 
gegangener Freund  Helmholtz  dieselbe  Stellung  ein,  und  beide  sind  der  er- 
schöpfendste Ausdruck  für  die  physiologische  Forschung  in  dieser  Zeit. 

Dass  die  rein  physikalisch-chemische  Richtung,  von  der  hier  die  Rede  ist, 
ein  notwendiges  Glied  in  der  Entwicklung  der  Physiologie  war.  darüber  kann 
es  nur  eine  Meinung  geben.  Die  Lebenskraft  mit  all  ihrer  Mystik  und  ihrer 
Unwahrscheinlichkeit  hatte  ein  für  alle  Mal  ihre  Rolle  ausgespielt  ,  und  es  galt 
nun  vor  Allem  durch  Experimente  auf  alle  mögliche  Weise  zu  prüfen,  in  wie  weit 
die  Physik  auf  dem  Standpunkt,  welchen  sie  bisher  erreicht  hatte,  die  Lebens- 
erscheiunngen  deuten  konnte.  Konnte  die  Physik  und  Chemie  eine  vollständig 
zufriedenstellende  Erklärung  für  dieselben  geben,  so  war  es  um  so  besser.  Konnte 
sie  es  nicht,  so  hatte  man  doch  auf  jeden  Fall  eine  Einsicht  hierin  gewonnen, 
aber  keine  Einsicht  a  priori,  sondern  eine  auf  direkte  Naturbeobachtung  gestützte, 
auf  eine  Menge  neuer,  bisher  unbekannter  Thatsaehen  aufgebaute  Einsicht. 

In  der  allemeuesten  Physiologie  macht  sich  eine  Unterströmung  bemerkbar, 
welche  als  ihre  Auffassung  mit  immer  weniger  Vorbehalt  hervortritt,  dass  nicht 
einmal  die  allereinfachsten  Lebensprozesse,  wie  z.  B.  der  respiratorische  Gas- 
austausch und  die  Lymphbildung,  auf  ausschliesslich  physikalisch-chemischem  Wege 
erklart  werden  können,  sondern  dass  sie  im  Wesentlichen  beruhen  auf  vitalen 
Prozessen  in  den  Zellen.  Aber  diese  Auffassung  stützt  sich  wesentlich  eben  auf 
Ludwigs  Arbeiten;  man  hat  in  der  von  ihm  eingeschlagenen  Richtung  fortgesetzt, 
oder  besser  gesagt,  dort  angeknüpft,  bis  wohin  er  seine  Untersuchung  geführt 
hatte,  und  man  hat  dabei  eine  Reihe  von  Erscheinungen  gefunden,  welche  nach 
dem  gegenwärtigen  Stand  der  Physik  und  Chemie  unerklärlich  schienen,  und  man 
hat  sich  desshalb  zu  der  Lebeusthatigkeit  der  Zellen  begeben. 

Aber  dieser  neue  Vitalismus  unterscheidet  sich  in  einem  sehr  wesentlichen 
Punkt  von  dem  alten.  Er  nimmt  keine  eigeuthümliehe,  mystische  Lebenskraft  an 
und  bricht  nicht  mit  der  allgemeinen  (irundanschauung,  welche  die  letzten  50  Jahre 
zum  unveränderlichen  Besitz  der  Physiologie  gemacht  haben,  mit.  dem  Grundsatz 
nämlich,  dass  das  Prinzip  von  der  Erhaltung  der  Kraft  ebenso  in  der  lebenden 
Natur  gilt,  wie  in  der  todten.  T>a  ist  es  von  einer  verhältnissmässig  untergeord- 
neten Bedeutung,  ob  die  verwickelten  Prozesse,  welche  in  den  lebenden  Wesen 
vor  sich  gellen,  schon  jetzt  mit  der  Physik  und  Chemie  unserer  Zeit  erklärt 
werden  können  oder  nicht.  Sie  folgen  jedenfalls  bestimmten  Gesetzen  und  werden 
nicht  von  einer  launischen  Macht  hervorgerufen,  welche  in  dem  einen  Augenblick 
unendlich  stark  sein  kann,  in  dem  andern  =  0  wird. 

Wenn  wir  also  sagen,  dass  dieser  oder  jener  Prozess  im  Körper  auf  Zellen- 
thätigkeit  beruht,  so  besagt  das  nichts  arideres,  als  dass  unsere  physikalischen 
und  chemischen  Kenntnisse  gegenwärtig  noch  nicht  ausreichen,  um  diesen  Prozess 
vollkommen  zu  erkliiren.  und  dass  die  richtige  Erklärung  möglicher  Weise  erst 
dann  gefunden  werden  wird,  wenn  die  in  den  Zellen  wirkenden  Kräfte  klarer 
vor  dem  Auge  der  Forschung  liegen. 

Und  wenn  es  nun  so  wäre,  dass  verschiedene  Theorien,  welche  Ludwig  aus- 
gesprochen bat,  mehr  oder  weniger  von  der  Wahrscheinlichkeit  verloren  hätten, 
welche  sie  früher  zu  haben  schienen,  was  thut  das  seiner  Bedeutung  für  unsere 
Wissenschaft?  In  allen  Naturwissenschaften  treffen  wir  die  Erscheinung,  dass 
Theorien  nur  eine  begrenzte  Lebensdauer  haben,  dass  die  eine  Theorie  nach 
längerer  oder  kürzerer  Zeit  einer  anderen  weichen  muss.  welche  vollständiger 
und  besser  als  ihre  Vorgängerin  die  Naturerscheinungen  deuten  kann,  welche  sie 
erklären  soll.  Aber  eine  Theorie  ist  dann  gut.  und  hat  dann  in  der  historischen 
Entwicklung  der  Wissenschaft  Bedeutung,  wenn  sie  von  der  Art  ist,  dass  sie  zu 


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Karl  Ludwig-. 


275 


neuen,  auf  direkter  Naturbeobaehtung  gegründeten  Untersuchungen  führt,  durch 
welche  die  Wissenschaft  an  Umfang  und  Tiefe  gewinnt.  Wenn  dabei  solche 
Thatsachen  entdeckt  werden,  welche  nicht  vereinbar  sind  mit  der  Theorie,  welcher 
sie  doch  ihre  Entdeckung  zu  danken  haben,  so  fallt  die  Theorie.  Aber  sie  fällt 
mit  Ehre,  denn  sie  hat  zur  Entdeckung  neuer  Wahrheiten  geführt  und  hat  ein 
wichtiges  Glied  in  der  Entwicklung  der  Wissenschaft  gebildet. 

Und  so  verhält  es  sich  mit  Ludwigs  theoretischen  Anschauungen:  Welches 
Urtbeil  auch  die  fortgesetzte  Forschung  über  sie  füllen  wird  —  •  und  die  Akten 
siud  hierüber  noch  lange  nicht  geschlossen  —  so  viel  können  wir  schon  heute  mit 
vollster  Sicherheit  sagen,  das*  sie  die  Wissenschaft  in  reichem  Maasse  gefördert  haben 
und  desshalb  das  Gepräge  tragen,  welches  das  Kennzeichen  jeder  guten  Theorie  ist. 

Ausgebildet  in  einer  Zeit,  wo  die  physiologische  Forschung  noch  in  einem 
innigeren  Zusammenhang  mit  der  anatomischen  stand,  als  dies  spater  möglich  war, 
interessirte  sich  Ludwig  lebhaft  für  die  physiologische  Bedeutung  der  Eigenthüm- 
lichkeiteu,  welche  im  Bau  des  Körpers  und  seiner  Organe  auftreten. 

Von  der  Morphologie  selbst  hatte,  er  dagegen  keine  hohe  Meinung.  Bei 
seinem  Streben  nach  einer  mechanischen  Erklärung  der  Lebenserscheiuungen  war 
ihm  das  Studium  der  Form  an  sich  nicht  sehr  sympathisch.  Er  erkannte  selbst, 
dass  er  hierin  etwas  einseitig  war,  und  verlangte  nichts  mehr,  als  überzeugt 
werden  zu  können  von  dem  Werthe  der  reinen  Morphologie  als  Wissenschaft. 

Aber  das  hinderte  ihn  nicht ,  die  lebhafteste  Aufmerksamkeit  und  das 
wärmste  Interesse  jeder  anatomischen  Arbeit  entgegen  zu  bringen,  welche  auf  die 
eine  oder  andere  Weise  beitragen  konnte  zur  Aufhellung  der  Verrichtungen  des 
Körpers,  und  er  folgte  mit  regem  Interesse  der  Entwicklung  der  anatomischen 
Forschung.  Dieses  Interesse  bezeugen  besser  als  irgend  etwas  die  Untersuchungen 
über  anatomische  Fragen,  die  er  selbst  und  seine  Schüler  auf  seinem  Laboratorium 
ausführten.  Aber  alle  diese  Untersuchungen  haben  einen  physiologischen  Aus- 
gangspunkt, sei  es.  dass  es  sich  um  die  Bedingungen  für  den  Her/schlag  und  die 
Bedeutung  der  Ganglienzellen  handelte,  oder  um  die  Sekretion  der  Niere,  oder 
um  die  Zusammensetzung  der  Nervenstämme  aus  Fäden  von  verschiedenem 
Ursprung  oder  um  den  Verlauf  der  Blutgefässe  in  dem  einen  oder  anderen 
Organ,  oder  um  sonst  etwas,  lud  so  wie  die  anatomischen  Methoden  sich  aus- 
bildeten, nahm  er  anatomische  Untersuchungen  vor.  oder  Hess  dieselben  auf  seinem 
Laboratorium  vornehmen,  auch  solche,  welche  er  früher  schon  gemacht  hatte,  und 
die  weiter  zu  bringen  er  sich  jetzt  im  Stande  sah.  Wer  da  sah,  wie  er  sieh 
für  anatomische  Präparationen  interessirte.  und  mit  welcher  Freude  er  ein  auf- 
klärendes anatomisches  Präparat ,  oder  eine  anatomische  Abbildung  betrachtete, 
welche  eine  wichtige  Erscheinung  klar  machte,  der  gewann  die  Überzeugung,  dass 
Ludwigs  abfälliges  Urtheil  über  die  Morphologie  ihn  durchaus  nicht  zu  einer 
l'nterschätzung  des  wirklichen  Wert  lies  der  anatomischen  Arbeiten  führte.  Denn 
ihm  galt  es  von  allen  Seiten,  woher  Aufklärungen  zu  erhalten  waren.  Beiträge  für 
das  zu  sammeln,  was  er  als  das  wissenschaftliche  Ziel  der  Physiologie  auf- 
gestellt hatte :  Die  Verrichtungen  des  Thierkörpers  festzustellen  und  sie  mit  Not- 
wendigkeit aus  ihren  elementaren  Voraussetzungen  abzuleiten. 

Schon  während  seiner  ersten  Jahre  als  Privatdozent  in  Marburg  gab  Ludwig 
Proben  seiner  hervorragenden  Befähigung  zum  Lehrer  derjenigen,  welche  sieh  zu 
Korschern  auf  dein  Gebiete  der  Physiologie  ausbilden  wollten,  und  je  älter  er 
wurde,  desto  bedeutender  war  die  Stellung,  zu  der  er  gelangte,  desto  grösser 
wurde  diese  Befähigung  und  in  desto  höherem  (trade  eignete  er  sich  zu  seinem 
Ijohrerberuf,  bis  er  schliesslich  der  grösstt:  Lehrer  wurde,  welchen  die  Geschichte 
der  Physiologie  kennt. 

Biographiucbe  Blatwr.  I.  ]S 


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276 


Biographische  Blatter. 


Und  diese  Bedeutung  kann  nicht  zu  hoch  geschützt  werden.  Als  Ludwigs 
Schüler,  um  ihrem  Lehrer  ihre  Dankbarkeit  zu  bezeugen,  bei  Gelegenheit  seines 
25  jährigen  Jubiläums  als  Ordentlicher  Professor  ihm  unter  Anderm  auch  mit  einer 
Festschrift  huldigten,  da  wurde  in  diese  Festschrift  ei»  Verzeiehniss  aller  Derjenigen 
aufgenommen,  welche  bisher  auf  seinem  Laboratorium  wissenschaftliche  Unter- 
suchungen ausgeführt  hatten.  Ihre  Zahl  war  14*2.  Für  die  seitdem  verflossenen 
20  Jahre  kommen  noch  über  100  Personen  hinzu.  So  haben  nicht  weniger  als 
ca.  250  Personen  sich  unter  Ludwigs  Leitung  zu  wissenschaftlichen  Forschern 
ausgebildet. 

Was  das  bedeutet,  ist  nicht  schwer  zu  begreifen.  Diese  jungen  Forscher 
kamen  aus  den  meisten  zivilisirten  Landern  zu  Ludwig,  und  kehrten  von  ihm 
wieder  heim.  Sie  brachten  in  die  Heimath  nicht  nur  das  Wissen  mit,  das  sie  sich 
bei  ihm  erworben  hatten,  sondern  auch  die  wissenschaftliche  Schulung,  die  sie  ihm 
zu  danken  hatten,  und  sie  verwertheten  nun  Jeder  auf  seine  Weise  dieses  Wissen 
und-  diese  Schulung. 

Der  Baum,  dessen  Wurzeln  in  Marburg.  Zürich,  Wien  und  Leipzig  waren, 
entfaltete  so  in  so  gut  wie  allen  zivilisirten  Ländern  neue  Zweige,  manche 
freilich  schwach  und  wenig  lebenskräftig,  aber  andere  und  zwar  die  meisten,  stark 
und  mit  reicher  Frucht.  So  wurde  Ludwig  direkt  oder  indirekt  der  wirkliche 
Lehrer  für  eine  grosse  Zahl  von  Physiologen,  welche  in  den  letzten  Jahrzehnten 
gewirkt  haben,  und  wenn  wir  mit  vollem  Recht  als  einen  gemeinsamen  Zug  in 
den  meisten  modernen  physiologischen  Arbeiten  Nüchternheit  in  der  Auffassung, 
Streben  nach  Genauigkeit  im  Resultat,  Vermeidung  allzuschwacher  Argumentationen 
bezeichnen,  so  beruht  das  im  Wesentlichen  auf  der  Ausbildung  durch  den  grossen 
deutschen  Meister. 

Unter  denjenigen,  welche  im  Laboratorium  Ludwigs  arbeiteten,  gab  es  viele, 
welche  früher  niemals  eine  experimentelle  Arbeit  gemacht  hatten,  und  nahezu  alle 
widmeten  sich  bei  ihm  Theilen  der  Physiologie,  mit  welchen  sie  sieh  bisher  gar 
nicht  oder  doch  nur  sehr  wenig  beschäftigt  hatten,  und  wo  ihnen  also  die  Technik 
ziemlich  fremd  war.  Aber  mit  welcher  Geduld  lehrte  er  uns  da  nicht  die  kleinsten 
Operationen,  die  einfachsten  Handgriffe,  ohne  über  die  mitunter  sehr  grosse  Un- 
geschicklichkeit ärgerlich  zu  werden,  welche  wir  an  den  Tag  legten,  sondern  er 
tröstete  uns  mit  der  Versicherung,  dass  wir  die  Operation  oder  das  Experiment 
bald  viel  besser  machen  würden,  als  er  selbst. 

Ludwig  hatte  keine  sehr  grosse  Meinung  von  sich  selbst.  Ich  habe  mehr 
Glück  als  Verstand  gehabt,  sagte  er  einmal  und  er  meinte  das  auch  aufrichtig. 
In  seinen  jungen  Tagen  war  er  allerdings  ein  ganz  eifriger  Polemiker  und  konnte 
mitunter  recht  harte  Worte  gebrauchen,  aber  man  merkt  nicht  einmal  in  seiner 
Polemik  etwas,  was  auf  eine  persönliche  Selbstüberschätzung  deuten  könnte,  sondern 
seine  Polemik  war  bloss  der  Ausdruck  für  seine  innige  Überzeugung,  dass  der  AVe?, 
welchen  die  neue  Physiologie  eingeschlagen  hatte,  ein  richtiger  Weg  war  und  dass 
man  die  Art  von  Dilettantismus  kniffig  bekämpfen  müsse,  welche,  ohne  den  wirk- 
lichen Inhalt  der  vorliegenden  Fragen  zu  beachten,  die  Schwierigkeiten  umgehen 
wollte,  um  zu  Resultaten  zu  gelangen,  welche  beim  ersten  Anblick  bestachen, 
aber  bei  näherem  Zusehen  sich  als  unerwiesen,  oder  deutlich  als  unrichtig  ergaben. 
Den  Widerwillen  gegen  Arbeiten  dieser  Art  hat  Ludwig  sein  ganzes  Leben  hin- 
durch beibehalten. 

Als  die  neue  Richtung  auf  der  ganzen  Linie  gesiegt  hatte,  da  war  es 
auch  mit.  Ludwigs  Polemik  vorbei.  Es  geschah  mitunter,  dass  Arbeiten,  die  aus 
seinem  Laboratorium  hervorgegangen  waren,  einer  nicht  nur  unfreundlichen, 
sondern  auch  rein  persönlichen  Kritik  unterzogen  winden.    Ludwig  beantwortete 


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Karl  Ludwig. 


277 


die  Angriffe  niemals.  Es  war  nicht  nach  seinem  Geschmack,  mit  einer  noch  so 
scharfen  Dialektik  sich  mit  seinem  Gegner  auseinanderzusetzen;  er  wusste.  dass 
der  Sieg  für  den  Augenblick  keine  Bedeutung  hatte,  dass  es  nur  Thatsachen 
sind,  die  sprechen.  Und  wenn  die  Thatsachen,  welche  in  einer  früheren  Arbeit 
mitgetheilt  worden  waren,  als  unzureichend  erkannt  wurden,  um  einen  Satz  zu 
beweisen,  so  wurden  neue  Versuche  zur  Beantwortung  der  Frage  gemacht. 

Die  meisten,  wenn  nicht  alle  Arbeiteu,  welche  im  Laboratorium  Ludwigs 
ausgeführt  wurden,  wurden  auf  seine  unmittelbare  Initiative  vorgenommen.  Er 
legte  den  Gegenstand  vor.  diskutirte  ihn,  zeigte  die  Gesichtspunkte,  von  welchen 
er  behandelt  werden  sollte,  gab  die  Methoden  an,  welche  mit,  grbsster  Wahr- 
scheinlichkeit zum  Ziele  führen  würden.  Aber  nicht  genug  damit,  er  war  bei 
deu  Versuchen  immer  gegenwärtig,  machte  einige  seihst,  assistirte  bei  anderen, 
bis  die  Untersuchung  so  weit  fortgeschritten  war,  dass  es  deutlich  war,  es  würde 
in  der  eingeschlagenen  Kichtung  gut  geben.  Sobald  er  aber  merkte,  dass  einer 
seiner  Schüler  die  Tendenz  hatte,  seine  Arbeit  selbständig  auszuführen,  mit  welch" 
feinem  Takt  entzog  er  sich  da  jedem  Einfluss  auf  dieselbe.  Er  sah  nicht  einmal 
auf  die  Arbeit,  so  lange  man  ihn  nicht  darum  bat.  und  dann  erfuhr  man,  dass 
er  sich  die  ganze  Zeit  über  lebhaft  für  dieselbe  interessirt  hatte,  aber  nichts 
hatte  sagen  wollen,  weil  er  glaubte,  man  wünsche  sie  ohne  seine  Mitwirkung 
auszuführen. 

Und  wenn  der  experimentelle  Theil  der  Arbeit  fertig  war.  wie  half  er  nicht 
mit  Kath  und  That  bei  der  Ausarbeitung  zur  Publikatiou.  Wie  zahlreich  sind 
nicht  die  Abhandlungen,  welche  er  entweder  selbst  vom  Anfang  bis  zum  Schlüsse 
schrieb,  oder  welchen  er  eine  wesentlich  veränderte  Form  gab! 

Aber  er  wollte  so  viel  wie  möglich  den  Schein  vermeiden,  dass  er  mit  all 
dem  etwas  zu  thun  habe,  und  uach  18f>8  giebt  Ludwig  sich  bloss  ein  einziges 
Mal  als  Verfasser  einer  wissenschaftlichen  Arbeit  an.  Diese  Arbeit  erschien  1871. 
Es  war  dies  die  zusammen  mit  Schweiger -Seidel  ausgeführte  und  nach  deren 
Tod  von  Ludwig  redigirte  Untersuchung  rdie  Lymphgefässe  der  Fascien  und  der 
Sehnen*4,  welche  bei  Gelegenheit  des  50  jährigen  Professoren  -  Jubiläums  von 
Ernst  Heinrich  Weber  als  Gratulationsschrift  im  Namen  der  Leipziger  medizinischen 
Fakultät  herausgegeben  wurde. 

Ja  Ludwigs  beinahe  unerhörte  Selbstverleugnung  ging  noch  weiter.  Es 
war  ja  selbstverständlich,  dass  man  bei  «1er  Veröffentlichung  einer  Arbeit,  welche 
auf  seine  Initiative  ausgeführt  worden  war,  das  erwähnte.  Aber  zu  mehr  bekam 
man  nicht,  leicht  Erlaubniss.  Ich  hatte  auf  seinen  Vorschlag  eine  Untersuchung 
Uber  die  Bedeutung  der  Vorhöfe  für  die  Bewegung  der  Kammern  im  Säugethier- 
herzen  gemacht.  Nach  meiner  Kückkehr  nach  Stockholm  schrieb  ich  einen  Bericht 
darüber  und  schickte  ihn  Ludwig  zur  Drucklegung  ein.  Als  ich  die  Korrektur 
bekam,  sah  ich,  dass  Ludwig  nur  eine  einzige  Änderung  gemacht  hatte.  Ich 
hatte  geschrieben ,  dass  die  Versuche  unter  -stetiger  Beihülfe  von  Herrn 
Professor  Ludwig"   gemacht  worden   waren.     Diese  Worte   hatte   er  gestrichen. 

Körperlich  war  Ludwig  nicht  sehr  stark  und  nach  seinen  Vorlestingen  war 
er  in  den  letzten  Jahren  sehr  ermüdet.  Aber  das  hinderte  ihn  nicht,  nach  einer 
kurzen  Pause,  die  Arbeit  wieder  aufzunehmen,  und  früh  und  spät  anwesend  zu 
sein,  immer  bereit  zu  helfen,  und  im  Interesse  an  der  Arbeit  vorgnss  er  seine 
Ermüdung. 

Die  Fäden  zu  all  den  verschiedenen  Arbeiten,  welche  gleichzeitig  auf  seinem 
Laboratorium  vorgenommen  wurden,  hielt,  er  in  seiner  Hand,  sofort  bereit,  in  dem 
«inen  Augenblick  über  die  Zuckerbildung  in  der  Leber  zu  sprechen,  um  im 
nächsten  über  die  Innervation  des  Herzens  zu  handeln,  einem  zu  helfen,  der  mit 


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278 


Biographische  Blätter. 


Untersuchungen  über  die  Verdauung  beschäftigt  war,  und  darauf  sich  in  Experi- 
mente über  die  Blut  gase  zu  vertiefen  u.  s.  w.  u.  s.  w\,  immer  darüber  unterrichtet, 
wie  weit  die  Untersuchung  schon  vorgeschritten  war,  und  mit  offenem  Blick  für 
die  Resultate,  welche  sie  bereits  ergeben  hatte  und  welche  noch  zu  erwarten 
waren. 

Er  lebte  mitten  unter  uns.  ja  man  kann  kaum  sagen,  dass  er  auf  seinem 
Laboratorium  ein  eigenes  Zimmer  hatte,  denn  dasjenige,  welches  dazu  bestimmt 
war,  gehörte  fast  ebenso  sehr  uns  allen.  Es  war  ein  grosses  Eckzimmer,  an 
dessen  Wänden  die  Instrumentenschranke  standen,  und  innerhalb  desselben  war 
auch  die  reiche,  von  uns  fleissig  benutzte  Bibliothek  des  Laboratoriums.  Ludwigs 
Zimmer  war  also  ein  Durchgangszimmer,  dessen  Thüren  immer  offen  standen,  und 
wo  auch  nicht  selten  einer  von  uns  arbeitete. 

Aber  eben  durch  dieses  intime  Zusammenleben  mit  den  Jungen  übte  Ludwig 
einen  Einfluss  von  der  grössten  Tragweite  auf  sie  aus.  Es  war  nicht  nur  der 
grosse  Forscher,  der  einzig  dastehende  Lehrer,  mit  welchem  wir  verkehrten, 
sondern  wir  kamen  auch  in  Berührung  mit  dem  Menschen  und  seiner  reichen 
Persönlichkeit.  Wenn  Ludwig  einen  Augenblick  frei  war  von  den  experimentellen 
Arbeiten,  und  wir  uns  in  grösserer  oder  kleinerer  Zahl  um  ihn  versammelten  und 
er  seine  Gedanken  in  dieser  oder  jener  Frage  entwickelte,  geistreich,  tief  und 
gedankenreich,  da  wurden  in  uns  neue  Gedanken  geweckt,  und  der  Keim  zu 
unserm  besten  Fühlen  und  Denken  gelegt.  Denn  Ludwig  war  eine  grossartige 
Natur  mit  dem  ganzen  Widerwillen  einer  solchen  gegeu  alles  Niedrige  und  mit 
einem  glühenden  Enthusiasmus  für  alles  Gute  und  Edle:  er  war  zugleich  ein  un- 
gewöhnlich vielseitiger  Mensch  mit  einer  umfassenden  Bildung  und  mit  grossen 
Kenntnissen  auf  verschiedeneu  Gebieten.  Wenn  man  nicht  gesehen  hätte,  mit 
welcher  Leichtigkeit  und  Sicherheit  er  in  jeder  Arbeit  das  Wesentliche  und  Be- 
deutungsvolle erkannte,  wäre  es  einem  ganz  un fassbar  gewesen,  wie  seine  Zeit 
dazu  ausreichte,  um  sich  das  Alles  anzueignen,  und  auch,  wenn  man  es  wusste, 
war  man  über  sein  tiefes  Wissen  erstaunt. 

Vor  Allem  sind  mir  Ludwigs  Gespräche  an  den  Sonntag- Vormittagen  in  leb- 
hafter Erinnerung.  Natürlich  wurde  am  Sonntag  in  seinem  Laboratorium  nicht 
gearbeitet,  aber  es  musste  eine  sehr  wichtige  Veranlassung  sein,  die  Ludwig  ab- 
hielt, an  Sonntag- Vormittagen  herabzukommen,  und  da  konnte  er  lange  sitzen  und 
sich  bald  über  den  einen,  bald  über  den  anderen  Gegenstand  äussern,  einen  Augen- 
blick tief  ernst,  im  nächsten  mit  seinem  seltsamen  Lächeln  ein  charakteristisches 
Geschichtchen  erzählend.  Von  der  Schwerfälligkeit,  welche  sonst  in  seinem  Stil 
zu  bemerken  war.  fand  sich  hier  keine  Spur.  Alles  war  Leben  und  Wärme.  Ele- 
ganz und  Klarheit. 

Er  vertrug  Widerspruch.  Auch  die  Theorien,  welche  er  selbst  aufgestellt 
harte,  welchen  er  sein  ganzes  Leben  lang  gehuldigt  hatte  und  welche  durch 
Jahrzehnte  allgemein  für  das  letzte  Wort  der  Wissenschaft  in  einer  Frage  galten, 
konnte  er  ohne  eine  Spur  von  Ungeduld  mit  uns  Jungen  discutiren.  und  er 
konnte  zugeben,  dass  eine  seiner  eigenen  entgegengesetzte  Ansicht  Gründe  für  sich 
habe,  obwohl  er  selbst  noch  nicht  überzeugt  war.  Auch  über  politische  Fragen, 
welche  ja  sonst  so  geeignet  sind,  beim  Meinungsaustausch  Streit  zu  erregen, 
handelte  er,  ohne  auch  nur  im  Geringsten  an  dem  Anstoss  zu  nehmen,  was  die 
Gegenpartei  sagte. 

Wenn  die  schöne  Arbeitzeit  in  Leipzig  vorbei,  und  man  wieder  heimgekehrt 
war,  folgte  Ludwig  noch  weiter  mit  dem  grössten  Wohlwollen  dem  Thun  und 
Lassen  eines  Jeden.  Schrieb  man  ihm  und  sprach  man  von  den  Arbeiten,  mit 
welchen  man  beschäftigt  war,  und  von  den  Resultaten,  zu  welchen  man  gekommen 


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Erzberzosr  Albrecht. 


279 


zu  sein  glaubte,  konnte  man  ganz  sicher  sein,  dass  man  bald  eine  Antwort  von 
ihm  bekommen  werde,  gütig,  freundlieh  und  aufmunternd,  ganz  so  wie  seine  Reden 
im  Laboratorium. 

Kein  Wunder.  d;iss  Diejenigen,  welche  das  unschätzbare  Glück  gehabt  haben, 
unter  seiner  Leitung  zu  arbeiten,  täglich  aus  der  Nähe  diese  edle  Persönlichkeit 
kennen  zu  lernen,  sich  mächtig  zu  ihm  hingezogen  fühlten,  und  ihm  ihre  un- 
beschränkte Ergebenheit  und  Liebe  schenkten.  — 

Ludwig  schloss  seine  Gedächtnisrede  auf  Ernst  Heinrich  Weber  mit  fol- 
genden Worten: 

-Jetzt,  da  er  von  uns  geschieden,  hat  er  uns  wohl  ein  reiches  Erbe 
gelassen,  aber  auch  unschätzbare  Güter  sind  mit  ihm  ins  Grab  gesunken. 
Auf  wem  sein  seelenvolles  Auge  ruhte,  wer  dem  Flusse  seiner  gedanken- 
reichen Rede  gelauscht,  wer  den  Druck  seiner  Hand  empfunden,  der  wird 
sich  immer  nach  ihm  sehnen.  Doch  nicht  bloss  der  Freund,  ein  Jeder, 
den  im  Leben  und  in  der  Wissenschaft  sein  Walten  berührte,  wird  den 
Tod  des  Mannes  beklagen,  in  dem  zur  vollen  Harmonie  ein  Geist  so  klar 
wie  der  seine  und  ein  Gemfi th  von  so  viel  IMehthuin  verschmolzen  waren. u 
Mit  diesen  Worten  hat  Ludwig  sich  selbst  geschildert. 

- <2>  


Erzherzog  Albrecht. 

Von 

ilegierungarath  MALCHER. 

Unweit  vom  Nordufer  des  Gardasoes,  in  dem  lieblichen,  von  immer- 
grünen Hügeln  umsäumten  Arco.  wo  er  sich  zur  zeitweiligen  Erholung  ein 
palmenumrauschtes  Eden  geschaffen,  ist  hoehbetagt  Erzherzog  Albrocht,  der 
»Senior  der  kaiserlichen  Familie  und  zur  Zeit  der  einzige  Foldmarschall  dos 
österreichischen  Heeres  ausser  seinem  höchsten  Kriegsherrn,  am  l  s.  Februar 
1895  nach  kurzer  Krankheit  aus  dem  Leben  geschieden.  —  An  seinem 
Sterbebette  standen  schmerzbewegt  seine  Tochter  Erzherzogin  Maria  Theresia, 
vermählte  Herzogin  von  Württemberg,  deren  Söhne  Albrocht  und  Robert, 
die  einzige  noch  lebende  Schwester  Erzherzogin  Kainer  mit  ihrem  Gemahl, 
die  Gemahlin  seines  verewigten  Bruders  Erzherzog  Karl  Ferdinand,  Erz- 
herzogin Elisabeth.  Erzherzog  Friedrich  mit  seiner  Gemahlin  Erzherzogin 
Isabella,  die  Erherzoge  Eugen  und  Ernst.  — 

Mit  Erzherzog  Albrecht  ist  der  letzte  männliche  Sprosse  des  gefeierten 
Erzherzogs  Karl  dahingegangen.  In  ihm  betrauert  die  österreichiseh- 
ongarische  Armee  ihren  hervorragendsten,  stets  sieggekrönten  Führer,  ihren 
väterlichen  Freund  und  unermüdlichen  Werkmeister  ihrer  Ausbildung,  verliert 
die  Gesamnitheit  den  Förderer  alles  (inten.  Bei  der  Nachrieht  von  seinem 
Hinscheiden  wurden  Alle  von  der  Empfindung  ergriffen,  dass  im  Organismus 
des  österreichischen  Heerwesens  eine  nur  schwer  ausfüllbare  Lücke  entstanden 
m.    Und  diese  Empfindung  verbreitete  sich  weit  über  die  Grenzen  des 


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280 


Biographische  Bl&tter. 


Kaiserstaates  und  fand  einen  würdigen  Ausdruck  in  dem  Armeebefehl  des 
deutschen  Kaisers  vom  18.  Februar  1895:  „Mein  Heer",  heisst  es  in  demselben, 
..hat  mit  Mir  einen  schweren  Verlust  zu  beklagen.  Aus  der  Zahl  seiner 
General  -  Felduiarsehälle  (der  Erzherzog-  war  am  27.  September  1893  zum 
preussischen  General -Feldmarschall  ernannt  worden)  schied  durch  den  Tod 
zu  Meinem  grossem  Schmerze  Mein  treuer  Freund  Se.  k.  und  k.  Hoheit 
Erzherzog  Albrecht  von  Österreich.  Chef  des  zweiten  ostpreussisehen  Gre- 
nadier-Regiments König  Friedrich  Wilhelm  I.  No.  3.  Mit  ihm  ist  ein  ruhm- 
reicher, auf  vielen  Schlacht  l  eidem  erprobter  Führer  und  Held,  ein  leuchtendes 
Vorbild  aller  soldatischen  Tugenden,  ein  treuer  Pfleger  der  Waffenbrüderschaft 
zwischen  der  Österreichisch- ungarischen  und  Meiner  Armee  dahingegangen, 
den  wir  mit  Stolz  zu  den  Unsrigen  zählen  dürfen!"  —  Die  allgemeine 
Theilnahme  aber  anlässlich  des  Ablebens  des  Erzherzogs  Albrecht  bekundete 
sich  bei  dem  imposanten  Leichenbegängnisse,  wie  Wien  ein  solches  noch  nicht 
gesehen  hatte.  Der  Eindruck  wurde  erhöht  durch  die  Anwesenheit  des 
deutschen  Kaisers  an  der  Seite  des  Monarchen  Österreich- Ungarns,  der 
fremden  Prinzen,  der  Oftiziersdeputationcn  der  ausländischen  Regimenter, 
deren  Inhaber  der  Verewigte  war,  der  Generale  und  Offiziere  aus  allen 
Gegenden  der  Monarchie.  In  tiefen  Gliedern  standen  zu  beiden  Seiten  der 
Strassen,  durch  welche  sich  der  Zug  bewegte,  Truppen  aller  Waffengattungen. 
Es  war  ein  ergreifender  Moment,  als  beim  Herannahen  des  Konduktes  sich 
die  schwarzumflorten  Fahnen  senkten  und  der  Generalmarsch  ertönte,  um 
dem  todten  Marschall  die  letzte  Ehrenbezeugung  zu  erweisen,  bevor  er  in 
der  kaiserlichen  Gruft  an  der  Seite  seiner  Kitern  zur  dauernden  Rulle  ge- 
bettet wurde. 

Im  Alter  von  44  Jahren  war  der  grosse  Gegner  Napoleons,  Erzherzog 
Karl  von  Österreich,  am  17.  September  1815  der  achtzehnjährigen  Prinzessin 
Henriette,  Tochter  des  Herzogs  Friedrich  Wilhelm  von  Nassau- Weilburg,  auf 
dem  herzoglichen  Schlosse  Weil  bürg  angetraut  worden.  Es  war  ein  Herzens- 
bund, der  hier  geschlossen  wurde.  Erzherzog  Karl  fand  in  dieser  Ehe  jenes 
Glück,  das  er  schon  lange  ersehnt  hatte.  Bereits  im  folgenden  .Jahre  (31.  Juni 
1816)  beschenkte  ihn  seine  junge  Gemahlin  in  Wien  mit  einer  Tochter, 
die  in  der  Taufe  die  Namen  Maria  Theresia  Isabella  erhielt  und  später  die 
Gemahlin  Ferdinands  II.  von  Neapel  und  Sizilien  wurde.  Und  am  3.  August  1817 
wurde  dem  Erzherzog  die  Freude  zutheil,  sich  Vater  eines  Sohnes  nennen 
zu  können.  Der  neugeborene  Prinz  wurde  von  dem  Oheim  und  Adoptivvater 
Erzherzog  Karls.  Herzog  Albrecht  zu  Sachsen -Teschen.  aus  der  Taufe 
gehoben  und  erhielt  die  Namen  Albrecht,  Friedrich.  Rudolf.  Dominik.  Der 
Freude  über  dieses  glückliche  Fainilienereigniss  gab  der  achtzigjährige  Herzog 
dadurch  Ausdruck,  dass  er  in  einer  Zuschritt  ddto.  Wien  den  30.  Juli  1818 
die  seinem  Neffen  bisher  gewährte  Dotation  auf  jährlich  100.000  Gulden 
Konventionsmünze  erhöhte.   Erzherzog  Karl  aber  sehrieb  an  den  damaligen 


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Erzhentog  Albrecht. 


281 


Feldinarschall-Lieutenant  Ludwig  (trafen  Folliot  de  Crenneville:  ,.Ich  hoffe, 
dass  er  (Albrecht)  sich  würdig  zeigen  wird  der  Liebe  und  Achtung  aller 
Khrenmänner".  Diese  Hoffnung  sollte  in  reichlichem  Maasse  in  Erfüllung 
<rehen.  Erzherzog  Albrecht  zeigte  sich  als  der  würdige  Erbe  seines  ruhm- 
reichen und  hochsinnigen  Vaters.  Er  war  nicht  nur  der  Erbe  von  dessen 
Thatkraft.  sondern  auch  von  dessen  philosophischem,  das  Ganze  und  Allgemeine 
umfassendem  Geiste.  Der  kleine  Prinz  gedieh  vortrefflich.  „Albert  Ist 
seit  Deiner  Abreise  von  brillantestem  Humor",  schreibt  Erzherzogin  Henriette 
ddto.  Wien  d.  26.  August  1818  an  ihren  Gemahl,  und  es  scheint,  dass  sich 
die  Lieblingsneigung  seines  herrlichen  Vaters  schon  auf  ihn  fortpflanzt :  denn 
das  erste  Wort,  welches  er  ausspricht,  ist  nicht  „Papa"  oder  „Mama",  sondern 
seit  gestern  sagt  er  ganz  deutlich,  sowie  er  einen  Soldaten  am  Fenster  sieht, 
.Dat"  und  zeigt  mit  dem  Händchen  nach.  Wir  sind  alle  einstimmig  der 
Meinung,  dass  du  ihm  en  faveur  des  Wortes  gern  verzeihen  werdest,  wenn 
er  später  „Papa"  sagt,  und  glaube  kaum,  dass  uns  mein  Engelsmann  bei 
seiner  Rückkehr  Lügen  strafen  wird'*.  Erzherzog  Karl  hatte  bald  allen 
Grund,  seinem  kleinen  Sohne  diese  Bevorzugung  zu  verzeihen.  Denn  als 
er  sieh  im  Oktober  1820  in  Holitsch  auf  der  Jagd  befand,  schrieb  ihm  seine 
Gemahlin:  „Albert  sagt  ganz  treuherzig:  Der  Papa  ist  nach  Holitsch  und 
macht  Buh!  —  Er  will  seit  Deiner  Abreise  durchaus  nicht  zugeben  mein 
Gold -Sohn  zu  seyn  —  das  bin  ich  nur  vom  Papa,  sagt  er  ganz  stolz." 
Und  ., Albert  fragt  sehr  viel  nach  dem  Papa"  heisst  es  in  einem  Briefe  aus 
dem  Jahre  1821.  Diese  kindliche  Verehrung  gegen  seinen  Vater  hat  Erz- 
herzog Albrecht  sein  ganzes  Leben  hindurch  bewahrt.  Anderseits  war 
Erzherzog  Karl  der  zärtlichste  für  das  Wohl  seiner  Kinder  besorgte  Vater. 
In  der  Kerne  ist  er  glücklich,  von  seiner  Gemahlin  von  ihnen  Nachricht  zu 
erhalten.  „Dass  Du  mir  so  im  Detail  von  Dir  und  den  Kindern  schreibst, 
macht  mich  glücklich.  Küsse  die  Kinder  und  sage  ihnen,  Papa  denkt  oft 
an  sie".  (Brief  an  seine  Gemahlin  ddto.  Holitsch,  den  15.  Oktober  1K20I. 
Und  zwei  Jahre  darauf:  „Küsse  Therese.  Albert.  Karl  (geb.  29.  Juli  1818), 
Fritz  (geb.  14.  Mai  1821)  für  mich.  Diese  lieben  Wesen,  wie  sind  sie  mir 
ans  Herz  gewachsen!"  Am  1.  Jänner  1823  wurde  der  aufgeweckte  Prinz 
männlicher  Leitung  übergeben.  Sein  erster  Erzieher  war  Dr.  Johann  ] Uhler, 
welchem  seit  16.  Jänner  1824  Dr.  Ludwig  Jakob  Flury  und,  als  die  jüngeren 
Prinzen  den  Unterricht  begannen,  J.  U.  Dr.  Philipp  Mayer  als  Lehrer  zur 
Seite  standen.  Frohzeitig  entfaltete  sich  das  Talent  des  IMnzen  Albrecht. 
Schon  am  24.  Mai  1824  konnte  Erzherzogin  Henriette  an  ihren  abwesenden 
Gemahl  schreiben:  .,Die  Kinder  sind  gottlob  sehr  wohl  und  munter  und 
lernen  recht  fleissig.  .  .  Ich  habe  neulich  einer  Rechen- Aufgabe  von  unseren 
Engels- Albrecht  beigewohnt,  welche  er  prächtig  gelöst  hat".  Das  hochent- 
wickelte Talent  eines  guten  Rechners  hat  der  Erzherzog  sein  ganzes  Leben 
hindurch  bewahrt.  Noch  im  hohen  Alter  multiplizirte  er  mehrzinrige  Zahlen 
mit  Leichtigkeit  im  Kopfe.  Die  Unterrichtssprache  war  die  deutsche.  Daneben 


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282 


Biographische  Blatter. 


wurde  auf  das  Erlernen  des  Französischen  und  Italienischen  grosses  Ge- 
wicht gelegt..  Erzherzog  Albrecht  beherrschte  später  diese  beiden  Sprachen 
in  Wort  und  Schrift.  Mit  dem  10.  Jahre  wurde  der  Unterricht  auf  die 
lateinische  Sprache,  Geographie  und  Geschichte  ausgedehnt.  Auf  den  Re- 
ligionsunterricht wurde  grosser  Werth  gelegt;  durch  ihn  sollte  vorzugsweise 
auf  Herz  und  Gemüth  eingewirkt  werden.  Durch  häufige  Bewegung  im  Freien, 
durch  Schwimmübungen  während  des  Sommers  wurde  für  die  körperliche 
Entwicklung  reichlich  Sorge  getragen.  Von  der  Weilburg  bei  Baden,  welche 
Erzherzog  Karl  nach  dem  1822  erfolgten  Ableben  des  Herzogs  Albrecht 
zu  Sachsen-Teschcn  nach  dem  Muster  des  herzoglich  nassauischen  Schlosses 
gleichen  Namens,  gegenüber  der  Ruine  Rauhenegg  hatte  erbauen  lassen  und 
die  seit  zwei  Jahren  der  ständige  Aufenthaltsort  der  erzherzoglichen  Familie 
während  des  Sommers  war,  schreibt  Erzherzogin  Henriette  ihrem  in  der 
Feme  weilenden  Gemahl  am  28.  Juli  1828:  ,. Albert  lässt  Dir  sagen,  er  sei 
gestern  zum  erstenmal  frei  auf  dem  Rücken  geschwommen  und  das  mit  gutem 
Erfolge".  Den  1.  November  1828  wird  Dr.  Bihler  pensionirt  und  an  dessen 
Stelle  Oberst  v.  Cerrini  zum  Dienstkämmerer  und  Ajo  des  elfjährigen  Erz- 
herzogs und  seiner  Brüder  Karl  Ferdinand  und  Friedrich  ernannt.  Cerrini 
stand  damals  im  51.  Lebensjahre.  Bihler  und  Flury  wurden  durch  Dr. 
Ludwig  Kochel  und  Dr.  Franz  von  Scharschmid  ersetzt.  In  ihrer  Eigen- 
schaft als  Lehrer  und  Gehilfen  in  der  Erziehung  waren  sie  dem  Oberst 
Cerrini  untergeordnet.  Gleichzeitig  wurde  für  die  militärische  Erziehung 
Oberlieutenant  Freyssautf  berufen,  der  im  Mai  1837  als .  Hauptmann  das 
erzherzogliche  Haus  verliess.  Das  Ende  des  Jahres  1829  erfüllte  das  erz- 
herzogliche Haus  mit  tiefer  Trauer.  Am  29.  Dezember  erlag  Erzherzogin 
Hildegarde  einer  tückischen  Krankheit.  Wie  der  Vater  der  unvergeßlichen 
Gattin,  so  gedachte  der  Sohn  seiner  liebenden  und  aufopfernden  Mutter 
bis  an  sein  Lebensende  mit  inniger  Verehrung. 

Der  damaligen  Sitte  entsprechend,  ernannte  Kaiser  Franz  I.  mittels 
Handschreibens  vom  11.  Januar  1830  den  kaum  dreizehnjährigen  Erzherzog 
zum  Obertsinhaber  des  nunmehr  für  immerwährende  Zeiten  seinen  Namen 
führenden  Infanterie-Regimentes  No.  44,  und  mittels  Diplom  vom  20.  Mai 
d.  J.  zum  Ritter  des  goldenen  Vliesses.  Der  junge  Erzherzog  hatte  sich  mit 
Vorliebe  den  militärischen  Disziplinen  gewidmet:  aber  nicht  geringer  war 
das  Interesse,  welches  er  den  übrigen  Wissenszweigen  entgegenbrachte.  Jede 
Gelegenheit  wurde  benutzt,  um  den  Kreis  der  Kenntnisse  zu  erweitern. 
Scharschmid  führte  ihn  in  das  Studium  der  Rechtswissenschaft  ein.  Für 
das  Spezialfach  der  Geniewatte  wurde  1832  der  Major  Wilhelm  Ritter  von 
Lebzelteru  berufen,  der  in  dieser  Eigenschaft  bis  zum  Jahre  1837  verblieb, 
hierauf  Erzherzog  Friedrich,  der  sich  dem  Seewesen  gewidmet  hatte,  nach 
Venedig  begleitete,  an  der  Erstürmung  Saidas  (1840)  theilnahm  und  bis  zu 
dessen  Tode  im  .Jahre  1847  treu  an  seiner  Seito  ausharrte.  Im  Oktober  1835 
wurde  der  Major  Kranz  Edler  von  Hauslab  (zuletzt  Feldzeugmeister}  dem 


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Erzherzog  Albrecht. 


283 


Erzherzog  für  den  Unterrieht  im  Situationszeichnen  und  der  Terrainlehre 
zugetheilt.  Mit  Sorgfalt  überwachte  Kr/herzog  Karl  den  Unterricht  seiner 
Sohne  und  überzeugte  sich  selbst  von  dem  Fortgange  desselben.  Von  dem 
Grundsatze  ausgehend,  dass  die  Geschichte  die  beste  Lehrmeisterin  sei,  hatte 
er  eine  tibersichtliche  Darstellung  der  Revolutionskriege  von  1792  bis  17U7 
in  den  Niederlanden,  Frankreich.  Deutschland,  Italien  und  Spanien,  des 
Krieges  auf  der  pyrenäischen  Halbinsel  (1808—1814).  des  russischen  Feld- 
zuges von  1812  und  der  Kriegsoperationen  in  Deutschland,  Frankreich  und 
Italien  während  der  Jahre  1813,  1814  und  1815  mit  vorwiegend  didaktischem 
Charakter  verfasst.  welche  als  Leitfaden  beim  Unterrichte  seiner  Sohne 
dienen  sollte.  Hier  konnten  dieselben  eine  Fülle  von  Belehrungen  des  Krieges 
finden.  Nach  mehrjährige]-  gründlicher  theoretischer  Vorbereitung  für  den 
militärischen  Beruf  trat  der  neunzehnjährige  Erzherzog  am  18.  April  1837 
zur  praktischen  Dienstleistung  in  das  zu  Graz  stationirte  Infanterie-Regiment 
Max  Wimpffen  No.  13  (  heute  Starhemberg)  und  übernahm  das  Kommando 
des  1.  Bataillons.  In  wenigen  Monaten  hatte  er  durch  seinen  Pflichteifer 
und  seine  Pünktlichkeit  sich  die  allgemeine  Anerkennung  erworben.  Dabei 
war  er  von  einer  seltenen  Bescheidenheit.  Als  der  erzherzogliche  Hofrath 
Ritter  von  Kleyle,  der  als  Freund  des  erzherzoglichen  Hauses  betrachtet 
wurde,  sich  erbat,  dass  eine  neu  erbaute  Hütte  der  erzherzoglichen  Eisen- 
werke nach  seinem  Namen  benannt  werden  dürfe,  nahm  er  zwar  mit  dem 
Ausdrucke  des  Dankes  diese  Ehrung  an,  erklärte  aber,  dass  sein  unbedeu- 
tender Name  dies  eigentlich  nicht  verdiene.  Gleichzeitig  bedauerte  er  den 
Geburtstag  seines  Vaters  (5.  September)  „nicht  wie  gewöhnlich  in  der  Weil- 
burg verbringen  zu  können",  indem  er  „alle  Hände  vollauf  zu  thun  habe, 
da  Musterung,  Produktionen  und  Pettauer  Konzeutrirung  vor  der  Thür 
seien'*.  Übrigens  sei  er  auch  überzeugt,  das  ihm  der  Vater  eine  Dienstver- 
säumniss  übel  nehmen  würde.  Dieser  habe  ihm  jedoch  versprochen,  selbst 
nach  Graz  zu  kommen,  und  „er  freue  sicli  von  ganzem  Herzen  den  lieben, 
guten  Vater  zu  sehen  und  durch  acht  Tage  zu  besitzen.*' 

Erzherzog  Karl  traf  am  7.  September  in  (iraz  ein  und  hatte  Gelegen- 
heit, seinen  Sohn  zum  ersten  Mal  im  Dienst  zu  sehen.  „Mit  Vergnügen", 
hiess  es  in  einem  Briefe  an  Hofrath  von  Kleyle.  „kann  ich  Ihnen  schreiben, 
dass  ich  mit  Albrecht  recht  zufrieden  bin.  Sie  werden  es  auch  seyn,  wenn 
er  mit  Anfang  November  nach  Wien  kommt.  Er  behandelt  Militaristen  und 
Civilisten  gleich,  hat  beinahe  alle  öffentlichen  Anstalten  schon  besucht  und 
ist  überzeugt,  dass  es  mit  dem  Schiessen  allein  nicht  gethan  ist.  und  dass  er 
nicht  einseitig  sein  darf.  .  .  Ich  habe  hier  viel  Tröstliches  für  die  Zukunft 
gegründet  gefunden  und  dass  mich  das  auch  anspornen  muss.  Alles  was  ich 
kann,  zu  thun,  um  einem  guten  Sohn  seine  künftige  Stellung  zu  erleichtern". 

In  inniger  Liebe  waren  die  Mitglieder  der  er/herzoglichen  Famile  ein- 
ander zugethan.  Als  im  .Jänner  1H38  Erzherzog  Friedrich  in  Venedig  er- 
krankte, eilte  Albrecht  sofort  dahin  und  kehrte  erst  nach  seiner  Genesung 


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284 


Biographische  Blatter. 


nacli  Graz  zurück.  Indessen  bekundete  er  auch  während  dieser  Zeit  das 
lebhafteste  Interesse  für  die  Vorgänge  im  Regiment»  und  brachte  dies  in 
einem  Sehreiben  an  den  Kommandanten  Oberst  Ruf  zum  Ausdrucke,  über 
welches  sich  der  Inhaber  Feldzeugmeister  Baron  Wimpfen,  als  er  zu  dessen 
Kenntniss  gelangt  war,  höchst  lobend  aussprach  und  dem  Verfasser  desselben 
eine  glänzende  Zukunft  prophezeite. 

In  Anerkennung  des  regen  Diensteifers  und  der  vortrefflichen  Leistungen 
als  Bataillons-Kommandant  wurde  dem  Erzherzog  am  6.  Mai  das  Kommando 
des  ganzen  Regiments  übertragen,  das  er  im  März  des  folgenden  Jahres 
niederlegte,  um  dem  Wunsche  seines  Vaters  entsprechend  im  Kürassier- 
Regiment  Baron  Menshengen  No.  4,  das  einen  vorzüglichen  Ruf  genoss,  und 
dessen  Inhaber  er  später  wurde,  den  Reiterdienst  kennen  zu  lernen.  Nur 
wenige  Monate  hatte  sich  Erzherzog  Albrecht  dem  Dienste  des  in  Ungarn 
stehenden  Regimentes  gewidmet,  als  er  zu  einer  ernst  erfassten  Mission  an 
den  russischen  Hof  berufen  wurde.  „Da  nach  dem  letzen  Briefe  des  guten 
Vaters,"  schreibt  er  am  29.  Mai  1839  von  Rösing  an  Hofrath  von  Kleyle, 
„meine  Reise  nach  Russland  ganz  bestimmt  ist,  so  möchte  ich  doch  früher 
einige  Bücher  Uber  dieses  Land  lesen  und  aus  denselben  das  Interessanteste 
ausziehen.  Vorzüglich  wären  französische  mir  erwünscht,  um  zugleich  eine 
Übung  in  dieser  dort  unentbehrlichen  Sprache  zu  haben.  —  Verzeihen  vSie 
mir  daher,  wenn  ich  Sie,  als  dem  in  Wien  Residirenden,  mit  der  Bitte  be- 
lästige, mir  mehrere  solcher  Bücher  zukommen  zu  lassen.  Darunter  wären 
mir  die  ersten  Theile  des  voyage  du  due  de  Raguse  und  dann  eine  vor  einigen 
Jahren  erschienene  Beschreibung  der  Feldzüge  1812—14  von  einem  russischen 
Generale,  dessen  Namen  mir  nicht  beifällt,  sehr  erwünscht.  Auch  eine  Sta- 
tistik dieses  Reiches  sowie  eine  Darstellung  von  dessen  Civil-  und  Militär- 
verfassung dürfte  von  Nutzen  und  interessant  sein.44 

Der  Erzherzog  fand  am  nissischen  Hofe  die  freundlichste  Aufnahme 
und  Hess  den  besten  Eindruck  zurück.  ..Mein  Sohn",  schrieb  Erzherzog 
Carl  an  Kleyle  (ü.  Aug.  1839),  „wurde  in  Petersburg  mit  Höflichkeiten  über- 
häuft. Nach  seinen  Briefen  zu  urtheilen  hat  er  sich  in  verschiedenen  Ge- 
legenheiten mit  Klugheit  und  dem  gehörigen  Maasse  benommen.44  Kaiser 
Nikolaus  zeichnete  den  jugendlichen  Erzherzog  durch  die  Ernennung  zum 
Chef  des  kaiserlich  russiseh-lithauischen  Ulanen -Regiments  und  Verleihung 
des  St.  Andreas-Ordens  aus.  Das  kommende  Jahr  brachte  dem  Erzherzog  die 
Beförderung  zum  Generalmajor  und  Kommandanten  einer  Brigade  in  Graz. 
Kurz  nach  dem  Antritt  seiner  neuen  Stellung  fand  er  Gelegenheit,  seine  Kennt- 
nisse durch  die  Theilnahrae  an  den  von  Feldmarschall  Radetzky  geleiteten 
grossen  Manövern  in  Italien  zu  erweitern.  Erzherzog  Carl  hatte  seinen  Sohn 
dem  kriegserfahrenen  Marschall  ganz  besonders  empfohlen.  Nach  der  Rück- 
kehr aus  Italien  widmete  sich  Erzherzog  Albrecht  so  ausschliesslich  dem 
Dienste,  dass  er  nicht  einmal  Zeit  zum  Besuche  seiner  Angehörigen  gewann. 

Die  Stellung  eines  Brigadiers  war  bald  nicht  mehr  im  Stande,  seineu 


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Erzherzog  Albrecht. 


285 


Schaffensdrang  zu  befriedigen.  Er  sehnt  sieh  naeh  erweiterter  Thätigkeit 
Doch  weiss  er  mit  seltener  Resignation  seine  Ungeduld  im  Zaume  zu  halten. 
„Was  sagen  Sie",  heisst  es  in  einem  Briefe  an  Kleyle  (ddto.  Graz  am 
2(i.  Dezember  1842)  „zu  meiner  (Geduld?  Hat  man  je  eine  solche  bei 
einem  jungen  Menschen  von  25 1  2  Jahren  erlebt?  Ich  sitze  nun  schon 
6  Wochen  in  meinem  Neste  mit  der  Aussicht,  auf  weitere  10- -12  Wochen 
in  Ungewissheit  über  mein  Schicksal  zu  bleiben,  und  doch  muckse  ich  nicht! 
.  .  .  Bis  halben  März,  hotte  ich.  werden  wir  doch  etwas  erfahren,  dann 
sollen  Sie  mich  auch  sogleich  in  Wien  sehen,  um  meinerseits  alle  mögliche 
Beschleunigung  ins  Werk  zu  setzen,  oder  im  entgegengesetzten  Falle  mich 
philosophisch  Ober  das  Nichtgelingen  zu  trösten." 

Das  Jahr  1843  barg  in  seinem  Schoosse  für  Erzherzog  Albrecht 
einen  seltenen  Moment  der  Erhebung  und  eine  Fülle  von  Glück.  Am 
11.  April  wurde  das  fünfzigjährige  Jubiläum  seines  erlauchten  Vaters  als 
Grosskreuz  des  Maria  Theresien- Ordens  festlich  begangen  und  bald  darauf 
wird  er  am  bayerischen  Hofe  von  dem  Liebreize  der  Prinzessin  Hildegarde, 
der  vierten  Tochter  König  Ludwigs  1.,  die  er  im  vergangenen  Jahre  zum 
ersten  Male  gesehen  hatte,  gefangen  genommen.  Von  Norderney  aus.  wo 
er  sich  im  August  zum  Kurgebrauche  aufhielt,  hatte  Erzherzog  Albrecht 
der  Prinzessin  seine  Neigung  kundgegeben;  die  Antwort  machte  ihn  zum 
Glücklichsten  der  Sterblichen.  Von  Aschaffenburg,  wo  sich  damals  die 
königlich  bayerische  Familie  aufhielt,  berichtet  er  am  80.  August  an  Kleyle: 
..Wie  gut  es  mir  hier  geht,  brauche  ich  Ihnen  nicht  erst  zu  sagen.  Ich 
schwelge  im  reinsten  Glück  und  in  der  Freude,  täglich  neue  Vorzüge,  neue 
Tugenden  in  meiner  Braut  zu  entdecken.  Sie  ist  so  gut,  so  einfach,  natür- 
lich und  dabei  wohlerzogen  und  sehr  geseheidt,  so  dass  sie  wirklich  nichts 
zn  wünschen  übrig  lässt.  Seit  vorigem  Jahre  ist  sie  sehr  gewachsen  und 
hübsch  geworden,  hat  aber  dabei  das  Kindliche  beibehalten.  Leider  wird 
das  Glück,  hier  zu  sein,  nicht  mehr  lange  dauern,  da  ich  noch  den  Hof 
von  Dannstadt,  dann  Mainz  und  Frankfurt  besuchen  rauss  .  .  .  Indessen 
wird  es  vielleicht  im  Winter  möglich  sein,  auf  ein  paar  Wochen  nach 
München  zu  gehen,  denn  bis  zum  1.  Mai  (der  für  die  Vermählung  fest- 
gesetzte Tag)  sind  noch  acht  Monate,  eine  lange  Zeit!  —  Das  einfache, 
gemüthliche  Familienleben,  das  hier  geführt  wird,  spricht  doppelt  an.  da  es 
so  an  unsern  Familienkreis  erinnert.4'  Die  Hoffnung,  im  Winter  einige 
Wochen  in  München  zubringen  zu  können,  war  in  Erfüllung  gegangen. 
..Seit  dem  3.  Januar4,  schreibt  König  Ludwig  an  seinen  Sohn  Otto.  König 
von  Griechenland,  „befindet  sich  Erzherzog  Albrecht,  der  ein  tüchtiger 
•lüngling  ist.  hier.  Eine  Freude,  ihn  mit  Hilda  beisammen  zu  sehen!  .  .  . 
Es  wird  ein  thränenreicher  Abschied  werden,  denn  Beide  lieben  einander 
zärtlich,  innig.  Er  ist  aber  auch  recht  gediegen.  Je  mehr  Albrecht  ge- 
kannt wird,  desto  mehr  gewinnt  er."  (Veröffentlicht  im  „Fremdenblatt"  vom 
Geh.  Haus-  und  Staatsarchivar  Dr.  v.  Trost.) 


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286 


Biographische  Blätter. 


Voll  Hoffnungen  für  die  Zukunft  hatte  sich  Erzherzog  Albrecht  im 
Herbste  1843  zu  den  Manövern  des  10.  deutschen  Bundes-Armee-Korps  in 
der  Nähe  von  Lüneburg  begeben,  um  neue  Anschauungen  zu  gewinnen. 
Bald  darauf  führte  ihu  die  Ernennung  /.um  Feldmarschall-Lieutenant  und 
Adlatus  beim  mährisch -schlesischen  General -Kommando  einem  Wirkungs- 
kreise zu.  in  dem  er  bei  der  Ausbildung  der  Truppen  seine  bereits  reichen 
Erfahrungen  zur  Geltung  bringen  konnte. 

Mitten  unter  der  dienstlichen  Thätigkeit  weilten  jedoch  seine  (  Wanken 
oft  bei  den  Seinigen.  Jede  Nachricht  von  ihnen  ist  ihm  willkommen.  Als 
ihm  die  Reise  seines  Vaters  zur  Installation  der  Erzherzogin  Maria  Theresia 
als  Äbtissin  des  theresianisehen  adeligen  Damenstiftes  am  Hradschin  in 
Prag  berichtet  wurde,  drückt  er  in  einem  Schreiben  an  Kleyle  ddto.  Brünn 
am  2C>.  März  1844  seine  Freude  über  dessen  „enthusiastischen  Empfang 
in  Böhmen  und  das  taktvolle  Auftreten"  seiner  Schwester,  der  jungen 
Äbtissin,  aus.  Den  Emst  seines  Charakters  kennzeichnet  es.  wenn  er  an 
Kleyle  schreibt:  „Am  2.  und  3.  April  hoffe  ich  das  Vergnügen  zu  haben, 
Sie  zu  sehen.  Dabei  möchte  ich  ein  Geschäft  vorläufig  mit  Ihnen  besprechen, 
welches  ich  bis  zur  Rückkehr  von  München  vollenden  möchte,  nämlich  die 
Abfassuug  eines  Testamentes.  Wenn  man  heirathet,  halte  ich  es  für  meine 
Pflicht,  auch  alle  möglichen  Fälle  der  Zukunft  zu  bedenken  und  daher  auch 
jenen  eines  plötzlichen  Todes!"  Am  1.  Mai  1844  erhielt  der  aus  gegen- 
seitiger Neigung  geschlossene  Bund  die  kirchliche  Weihe.  Ein  überaus 
glückliches  Familienleben  war  die  Frucht  desselben.  Anfangs  September 
ist  der  Erzherzog  vollauf  mit  den  Vorbereitungen  zu  den  demnächst  be- 
ginnenden 1  iagerübungen  beschäftigt.  Seine  junge  Gemahlin  belindet  sich 
während  dieser  Zeit  bei  der  erzherzoglichen  Familie  auf  der  Weilburg. 
„Heute  verliess  mich",  schrieb  er  den  4.  September  von  Brünn  an  Kleyle, 
„meine  Frau  auf  14  Tage.  Sie  werden  selbe  schon  in  Weilburg  gesehen 
haben.  Ich  selbst  rieth  zu  dieser  Strohwitschaft,  da  wir  doch  getrennt,  ich 
in  Nennowitz,  sie  hier  gelebt  hätte,  und  die  gegenseitigen  Besuche  zeit- 
raubend gewesen  wären.  Und  Zeit  mangelt  jetzt  ohnehin.  Heute  machten 
wir  z.  B.  eine  zwölfstündige  Rekognoszirung  zu  Pferde;  indess  die  angestrengte 
Thätigkeit  thut  wohl  und  frischt  G eist  und  Körper  auf.4*  Am  15.  Juli  des 
folgenden  Jahres  beschenkte  Erzherzogin  Hildegarde  ihren  Gemahl  mit 
einer  lieblichen  Tochter.  Erzherzogin  Maria  Theresia,  aus  deren  Ehe  mit 
dem  Herzog  Philipp  von  Württemberg  später  dem  Erzherzog  hoffnungsvolle 
Enkel  entsprossten.  Am  3.  Januar  1K47  wurde  das  erzherzogliche  Paar  durch 
die  Geburt  eines  Sohnes  beglückt,  der  ihnen  aber  bereits  am  10.  Juli  1848 
durch  den  Tod  entrissen  wurde.  Eine  zweite  Tochter.  Erzherzogin  Mathilde, 
geboren  am  25.  Jänner  1K49.  berechtigte  zu  den  schönsten  Hoffnungen, 
erlag  aber  am  0.  Juni  18(>7  den  Brandwunden,  die  sie  sich  zugezogen 
hatte.  Zwei  Jahre  früher,  am  2.  April  18(34.  wurde  Erzherzogin 
Hildegarde  nach  kurzer  Krankheit  ihrer  Familie  entrissen,  beweint  von 


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Erzherzog  Albrecht. 


287 


den  Ihrigen,  beklagt  von  Allen,  die  ihre  edle  Gesinnung  kennen  gelernt 
hatten.  — 

In  den  letzten  .Jahren  hatte  Kr/herzog  Albrecht  so  viele  Proben  selbstän- 
digen Handelns  und  vielseitiger  Verwendbarkeit  abgelegt,  dass  seine  am  15.  De- 
zember 1844  erfolgte  Ernennung  zum  kommandirenden  General  in  Ober-  und 
Niedcrösterreich  und  Salzburg  nur  allgemeiner  Zustimmung  begegnete.  Hatte 
er  schon  in  seinen  früheren  Stellungen  unermüdlich  für  die  gründliche  Aus- 
bildung der  ihm  anvertrauten  Truppen  gewirkt,  so  geschah  dies  in  dem  neuen, 
erweiterten  Wirkungskieise  in  erhöhtcrem  Maasse.  Seine  in  dieser  Zeit  unter 
dem  Titel:  Anweisung  über  den  Betrieb  des  Feldzuges"  veröffent- 
lichte Schrift  enthält  in  mustergiltiger  Weise  und  präziser  Form  eine  Fülle  von 
Belehningen  über  den  praktischen  Vorposten-,  l^ager-  und  Felddienst,  die  in 
ihren  Grundzügen  noch  gegenwärtig  zum  Vorbilde  dienen  können.  Nach  den 
vom  Erzherzog  aufgestellten  Grundsätzen  sollten  im  Gegensatze  zu  den  bisher 
üblichen  „Lagern"  die  Feldttbungen,  als  Vorbereitungen  zum  Kriege,  inner- 
halb der  Grenzen  der  Möglichkeit  ein  getreues  Abbild  desselben  geben. 

Am  2ö.  April  1847  erkrankte  Erzherzog  Albrechts  hochsinniger  Vater, 
Erzherzog  Carl,  und  am  30.  um  die  vierte  Morgenstunde  schloss  er,  um- 
geben von  seinen  trauernden  Kindern,  für  immer  die  Augen. 

Mit  dem  Hinscheiden  seines  Vaters  kam  Er/herzog  Albrecht  als  ältester 
Sohn  in  den  Besitz  des  grossen  von  Kaiserin  Maria  Theresia  für  ihre 
Tochter  Maria  Christine  bei  ihrer  Vermählung  mit  Herzog  Albrecht  zu 
Sachsen-Teschen  im  April  17H«  gestifteten  und  mittelst  Eehnbriefes  vom 
23.  Jänner  1825  für  deren  Adoptivsohn  Erzherzog  Carl  und  seine  männliche 
Deszendenz  bestätigten  Fideikommisses,  welches  im  Verlaufe  der  Zeit  manche 
Vermehrungen  erfahren  hatte  und  aus  dem  Herzogthume  (der  Kammer) 
Teschen,  den  Herrschaften  Ungarisch  -Altenburg  und  Bellye  (im  Komitate 
Karanya)  besteht.  Gleichzeitig  fielen  ihm  die  Allodialgüter  Saybusch  in 
(lalizien  und  Seelowitz  in  Mähren  zu.  Von  nun  an  führte  er  auch  den 
Titel  eines  Herzogs  von  Teschen.  Durch  mancherlei  Missgriffe  in  der  Ver- 
waltung war  der  Ertrag  der  Güter  beim  Ableben  des  Erzherzogs  Carl  sehr 
gesunken.  Es  spricht  für  das  Verstand niss  und  den  richtigen  Blick  Erz- 
herzog Albrechts  auch  für  ausserhalb  seines  eigentlichen  Berufskreises  ge- 
legene Dinge,  dass  dieser  Übelstand  unter  ihm  nicht  nur  behoben  wurde,  sondern 
sich  bald  in  allen  Zweigen  der  Bewirtschaftung  und  des  Betriebes  ein 
höchst  erfreulicher  Aufschwung  bemerkbar  machte. 

In  den  Besitz  des  Erzherzogs  Albrecht  kam  auch  das  Schloss  Weilburg 
bei  Baden  und  das  Palais  auf  der  Augustinerbastei  in  Wien,  welches  Herzog 
Albrecht  zu  Sachsen-Teschen  aus  dem  vormals  dem  Grafen  Sylva-Tarouca 
gehörigen  Gebäude  in  den  Jahren  1K01  -1.S04  von  dem  belgischen  Archi- 
tekten Montoyer,  dem  Erbauer  des  königlichen  Lustschlosses  Lacken  bei 
Brüssel,  hatte  herstellen  und  ausschmücken  lassen,  während  die  herrlieh 
gelegene  Villa  in  Arco  erst  in  den  Jahren  1872—1874  erbaut  wurde. 


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288 


Biographische  Blätter. 


Zu  dem  voni  Erzherzog  übernommenen  Fideikommissbesitz  gehört  auch 
die  von  Herzog  Albreeht  zu  Sachsen-Tesehen  begillndete  und  nach  ihm  benannte 
Sammlung  von  Handzeichnungen  und  Aquarellen.  Kupferstichen,  Radierungen. 
Holzschnitten  etc..  eine  sehr  wertvolle  Bibliothek  und  eine  Plan-  und  Land- 
kartensanimlung  von  einer  seltenen  Vollständigkeit.  Diese  erfuhren  unter 
Erzherzog  Albrecht  eine  reichliche  Vermehrung,  so  dass  die  erzherzogliche 
Kunstsammlung  „A Ibertina"  gegenwärtig  einen  hervorragenden  Rang  unter 
den  Kunstinstituten  Europas  einnimmt  und  eine  Sehenswürdigkeit  Wiens 
bildet.  Bezüglich  der  Zahl  von  Handzeichnungen  wird  die  „Albertina" 
von  mehreren  Sammlungen,  z.  B.  denen  von  Paris  und  Florenz,  übertroffen: 
was  aber  den  Werth  derselben  betrifft,  dürfte  sie  den  ersten  Platz  einnehmen. 
Obenan  stehen  die  Zeichnungen  von  Albrecht  Dürer,  welche  nicht  nur  an 
Werth  die  aller  öffentlichen  und  Privatsammlungen  Europas  überragen,  sondern 
rücksichtlich  ihrer  Zahl  von  1G4  Stücken  in  der  „Albertina"  selbst  einen 
besonderen  Rang  einnehmen.  Für  die  Vermehrung  der  Sammlungen  und  der 
Bibliothek  war  vorher  und  unter  Erzherzog  Albreeht  jährlich  eine  bestimmte 
Summe  ausgeworfen.  Indessen  war  der  Erzherzog  bei  sich  darbietenden 
Gelegenheiten  stets  bereit,  ausser  der  feststehenden  Jahresdotation  die  Mittel 
zum  Ankaufe  von  werthvollen  Handzeichnungen  und  Gegenständen  der 
graphischen  Künste  zu  bewilligen.  Um  nur  zwei  Beispiele  anzuführen, 
widmete  er,  als  im  Jahre  1881  die  aus  dem  Nachlasse  des  1873  verstorbenen 
Präsidenten  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften  und  zweiten  Vorstandes 
der  Hofbibliothek  R.  von  Karajan  stammende  Sammlung  von  Viennensia 
zur  Versteigerung  gelangte,  einen  namhaften  Betrag  zum  Ankaufe  solcher 
Blätter,  welche  die  „Albertina"  noch  nicht  besass  oder  die  einen  besonderen 
künstlerischen  Werth  hatten.  Und  ebenso  bewilligte  er  im  Jahre  18i»2 
die  Mittel  zur  Erwerbung  einer  Anzahl  Handzeichnungen  von  Joseph 
Führich.  Beim  Ableben  des  Erzherzogs  Albrecht  zählte  die  erzherzogliche 
Kunstsammlung  über  16  000  Handzeichnungen  und  mehr  als  200.000  Kupfer- 
stiche, Radierungen,  Schabkunstblätter,  Holzschnitte  etc.  Die  Bibliothek 
erfuhr  in  dem  Zeiträume  von  1847  bis  1895  einen  Zuwachs  von  nahezu 
20.000  Bänden,  vorwiegend  geschichtlichen  und  militänvissensehaftliehen 
Inhalts,  und  beläuft  sich  gegenwärtig  auf  nahezu  50.000  Hände.  Um  dem 
Publikum  den  Zugang  zu  den  im  obersten  Stockwerke  des  angrenzenden  Augus- 
tinergebäudes  untergebrachten  Kunstschätzen  zu  erleichtern,  hatte  der  Erz- 
herzog vor  dem  Reginne  der  Weltausstellung  im  Jahre  1873  von  seinem  Palais 
aus  einen  eigenen  Treppenaufgang  erbauen  und  die  Aufstellung  der  Zeich- 
nungen, Stiche.  Radierungen  etc.  in  Portefeuilles  und  starken  Lederbänden 
in  Hol/schränken  nach  Nationen  und  Schulen  chronologisch  geordnet  durch- 
führen lassen.  Den  handschriftlichen  Nachlass  Herzog  Albrechts  zu  Sachsen- 
Teschen  und  seines  Vaters  liess  er  ordnen  und  in  einem  Lokale  in  seinem 
Palais  unterbringen. 

Von  der  Bibliothek  machte  der  Erzherzog  einen  umfassenden  Gebrauch. 


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Krzherzog  Albro«ht 


289 


Als  ihn  die  Schwäche  seiner  Augen  noch  nicht  daran  hinderte,  las  er  selbst 
alle  hervorragenden  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  Militärwissenschaft 
und  Geschichte  und  pflegte  bei  der  I^ekttlre  zahlreiche  Randbemerkungen 
zu  machen,  die  von  der  Schürfe  seiner  Auffassung  und  der  Richtigkeit 
seines  Urtheils  Zeugniss  geben.  In  den  letzten  .Jahren  seines  Lebens  Hess 
sich  der  Erzherzog  in  freien  Stunden  von  seinen  Adjutanten  oder  anderen 
Personen  seiner  Umgebung  vorlesen,  wobei  er  den  Vorlesenden  durch  sein 
vortreffliches  Gedächtniss  oft  in  Staunen  setzte.  Kr  pflegte  im  Winter  um 
6  Uhr  und  im  Sommer  zu  noch  früherer  Stunde  aufzustehen  und  bei  zu- 
sagender Witterung  einen  Ritt  ins  Freie  zu  machen.  Gegen  8  Uhr  Hess 
er  sich  in  der  Regel  über  militärische  Angelegenheiten  Bericht  erstatten 
und  erledigte  die  laufenden  Schriftstücke.  Cber  die  Vorkommnisse  des 
Tages  machte  er  regelmässig  Aufzeichnungen.  Dieser  Gewohnheit  blieb  er 
bis  zu  seinem  Ableben  treu.  Seine  Gedanken  «Iber  bestimmte  Fragen 
brachte  er  früher  selbst  zu  Papier,  späterhin  dikthte  er  sie  im  Zimmer 
auf-  und  abgehend  einem  Herrn  seiuer  Umgebung. 

An  Tagen,  an  welchen  Audienzen  stattfanden,  wurde  diese  Thätigkeit 
zeitweilig  unterbrochen.  Bei  diesen  Gelegenheiten  zeigte  sich  das  vorzüg- 
liche Personen-  und  Sachgedächtniss  des  Erzherzogs,  sowie  die  Versatilität 
seines  Geistes. 

Wie  tief  die  Erinnerung  an  den  Erzherzog  bei  Personen,  welche  mit 
ihm  zu  sprechen  das  Glück  hatten,  nachwirkte,  davon  möge  eine  Stelle  aus 
einem  Schreiben  des  Historikers  Professors  Dr.  H.  Httffcr  Zeugniss  geben. 
„In  den  siebziger  Jahren",  heisst  es  dort,  „hatte  ich  die  Ehre,  dem  Erzherzog 
einige  Male  mich  vorstellen  zu  dürfen.  Niemals  werde  ich  den  Eindruck  seines 
wohlwollenden,  liebenswürdigen  und  zugleich  Achtung  und  Verehrung  gebieten- 
den Wesens  vergessen. *  Die  gastfreundliche  Liberalität  des  Erzherzogs  be- 
kundete sich,  mochte  er  in  seinem  Palais  in  Wien,  auf  dem  ihm  aus  der 
Jugendzeit  liebgewordenen  Schlosse  Weilburg  oder  unter  der  milden  Sonne 
von  Arco  weilen.  Bei  den  jährlichen  instruktiven  „Generdlsreisen",  bei 
den  grossen  Manövern,  zeigte  er  sich  stets  als  munitizenter  Grandseigneur. 

Zahlreich  sind  die  Akte  der  Wohlthütigkeit  während  seines  langen 
thatenreichen  Lebens.  Als  kurz  nach  seiner  Übernahme  der  väterlichen 
Guter  im  .Jahre  1847  nach  einer  Missernte  eine  Hungersnoth  in  Schlesien 
ausgebrochen  war,  beauftragte  er  von  Norderney  aus  den  Hofrath  v.  Kleyle 
nach  Kräften  zu  helfen.  Und  auf  dessen  .Bericht,  neben  Lebensmitteln 
öOOO  Gulden  CM.  zur  Unterstützung  der  Hilfsbedürftigen  verwendet  zu 
haben,  erwidert  er:  „Ich  danke  Ihnen  recht  sehr,  dass  Sie  die  Summe  von 
5000  Gulden  unter  Einem  angewiesen  haben.  Bis  dat.  qui  cito  dat:  es 
wäre  eine  Sünde  und  eine  Verantwortung,  mit  Schuld  an  dem  Tode  auch 
nur  Eines  Nebenmenschen  zu  seyn." 

Bleibende  Denkmale  der  wohlwollenden  Fürsorge  des  Erzherzogs  sind 
der  seinen  Namen  fühlende  Ufhzier-Darlehnsfond.  zu  dessen  Krrichtuug  er 


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200 


Biographische  Blätter. 


100.000  Gulden  spendete,  die  Vennehrung  der  von  seinem  Vater  begründeten 
Stiftplätze  im  Offizier-Töchter-Institut  auf  32,  die  Errichtung  von  Stift- 
plätzen am  Taubstummen-  und  Winden-Institut  und  am  Konservatorium  in 
Wien,  von  Stipendien  am  Franzisco-Josephinum  in  Mödling  und  der  Landes- 
winzersehule  in  Krems.  Noch  wenige  Monate  vor  seinem  Ableben  hat  er 
durch  Stiftungen  im  Betrage  von  130.000  Kronen  zu  Gunsten  der  Regi- 
menter, deren  Inhaber  er  war  (des  44.  Infanterie-,  des  4.  Dragoner-  und 
des  5.  Korps- Artillerie-Regiments),  seinen  stets  regen  VVohlthätigkeitssinu 
dargethan.- 

Die  Bewegung  des  Jahres  1848,  die  Vorgänge  in  Wien  am  13.  März 
brachten  den  Erzherzog  namentlich  wegen  seiner  Beliebtheit  in  der  Armee 
in  Gegensatz  zu  der  herrschenden  Stimmung.  Als  Freund  der  Ordnung 
und  loyaler  Charakter  konnte  er  sich,  obwohl  von  der  Notwendigkeit  zeit- 
gemässer  Reformen  überzeugt,  mit  der  Art,  wie  man  die  Umgestaltung  der 
bestehenden  Verhältnisse  ins  Werk  setzen  wollte,  nicht  befreunden  und 
legte  daher  seine  Stelle  als  kommandirender  General  am  14.  März  nieder, 
nachdem  er  in  einem  Generalbefehl  von  den  Truppen  in  dem  Ernste  des* 
Momentes  entsprechenden  Worten  Abschied  genommen  hatte.  Durch  eine 
Bereisung  seiner  Güter  suchte  er  fern  vom  öffentlichen  Leben  die  unan- 
genehmen Eindrücke  der  letzten  Tage  zu  verwischen.  Als  jedoch  der  Krieg 
mit  Piemont  ausbrach,  nahm  Erzherzog  Albrecht  freiwillig  als  Brigadier 
an  den  Operationen  Radetzky  s  Theil.  In  der  donkwürdigen  Schlacht  bei 
Santa  Lucia  am  6.  Mai.  wo  10.000  Österreicher  gegen  40.000  Piemontesen 
fochten,  gab  er  zum  ersten  Male  im  Felde  Beweise  von  seiner  Unerschrocken- 
hoit.  und  am  Tage  von  Custozza,  am  2ä.  Juli,  erwarb  er  sich  die  volle 
Anerkennung  Radetzky 's.  der  von  ihm  berichtete:  ..Dass  er  nicht  nur  durch 
persönlichen  Muth  das  Erbthcil  seines  Hausos  sondern  auch  durch  die 
Aufmunterung  seiner  Untergebenen,  durch  seinen  militärischen  Scharfblick, 
seine  glänzende  Begabung  für  den  militärischen  Beruf  erwiesen  habe". 

Im  Dezember  1K48  mit  dem  Kommando  einer  Division  beim  2.  Armee- 
korps betraut,  stellte  sich  der  Erzherzog,  als  die  Operationen  gegen  Pie- 
mont wieder  begannen,  unter  den  Befehl  des  Feldmarschall -Lieutenants 
Baron  d" Aspro.  Seine  Division  bildete  die  Avantgarde.  Beim  Übergang 
über  den  Ticino  bei  Pavia  und  bei  Gravellone  {am  20.  März)  kam  es  zu 
harten  Kämpfen,  in  denen  sich  Erzherzog  Albrecht  durch  Muth  und  Um- 
sieht hervorthat.  Am  folgenden  Tage  wurde  zum  Angriffe  von  Mortara 
geschritten.  An  der  Eroberung  dieses  Platzes  gebührt  dem  Ei7.heiv.og  ein 
Hauptantheil.  Den  schlicsslichen  Sieg  und  die  Besatzung  Mortara 's  schreibt 
Radetzky  wesentlich  „der  umsichtigen  Disposition  des  Feldzeugmeisters 
Baron  d  Apre  und  seines  tapferen  Divisionärs  Erzhrezog  Albrocht 
sowie  endlich  dem  Muthe  und  der  Geistesgegenwart  des  Obersten  Benedek 
zu".  Glänzenden  Ruhm  erwarb  sich  der  Erzherzog  zwei  Taue  darauf  (am 
2o.  März)  bei  Novara.  indem  er  aus  eigner  Initiative  die  von  Novara  gegen 


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Krzherzog1  Albm-ht. 


291 


Nibbola  seitwärts  der  Strasse  sich  hinziehenden  Anhöhen  durch  ein  Detache- 
nient  besetzen  Hess  und  dadurch  das  Centrum  der  Österreichischen  Stellung 
vor  der  Gefahr  der  Umgehung-  von  Seite  des  Feindes  bewahrte.  Er  selbst 
behauptete  die  auf  einer  Anhöhe  gelegene  Häusergruppe  von  Bieoea  —  dem 
wichtigsten  Punkt  der  ganzen  Stellung  durch  yollc  «  Stunden  gegen 
eine  sechsfache  Übermacht,  bis  durch  das  Eintreffen  der  Reserven  das  Gleich- 
gewicht hergestellt  und  der  Sieg  entschieden  wurde.  „Seine  kaiserliche 
Hoheit  Erzherzog  Albrecht",  berichtet  Radetzky  nach  der  Schlacht  an  das 
Kriegsministerium,  „bewies  an  diesem  heissen  Tage  eine  bewunderungswürdige 
Standhaftigkeit  und  wich  nicht  einen  Schritt  aus  seiner  gefährdeten  Stellung 
zurück".  Für  diese  entscheidende  Waffenthat  wurde  dein  Erzherzog  auf 
Antrag  des  Ordenskapitels  am  29.  Juli  das  Kommandeurkreuz  des  Maria- 
Theresien-Ordens  verliehen,  wozu  sich  die  höchsten  militärischen  Orden  des 
Kaisers  von  Russland,  der  Könige  von  Preussen  und  Hävern  und  das  Gross- 
herzogs von  Toskana  gesellten. 

Nachdem  hierauf  Erzherzog  Albrecht  kurze  Zeit  als  Kommandant  des 
3.  Armeekorps  in  Böhmen  gewirkt,  wurde  er  am  11.  Oktober  zum  Gouver- 
neur der  Festung  Mainz  ernannt  und  ihm  am  4.  September  des  folgenden 
.lahres  (1850)  mit  der  Ernennung  zum  General  der  Kavallerie  das  Landcs- 
Militär-Koramando  in  Böhmen  übertragen,  als  wegen  Kurhessen  ein  Konflikt 
mit  Preussen  drohte. 

Ein  weites  Feld  der  Thätigkeit  eröffnete  sich  für  den  Erzherzog,  als 
es  nach  der  Pacifikation  Ungarns  galt,  die  Gemüther  zu  beruhigen  und  gleich- 
zeitig eine  den  übrigen  Kronländern  analoge  Verwaltung  sowie  eine  den 
modernen  Rechtsanschauungen  entsprechende  Justiz  im  Lande  einzuführen, 
kurz  jene  Umgestaltung  der  politischen  Verhältnisse  vorzunehmen,  die  ge- 
eignet waren,  das  Königreich  Ungarn  in  den  Organismus  des  Gesammtetaates 
einzufügen.  Zur  Durchführung  dieses  Werkes  schien  der  Erzherzog-  die 
geeignete  Persönlichkeit.  In  seinem  Wesen  vereinigten  sich  Festigkeit  des 
Willens  und  hoher  Rechtssinn  mit  versöhnender  Milde.  Jeder  dem  Partei- 
getriebe Fernstehende  musste  ihm  die  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen,  dass 
alle  seine  Bemühungen  darauf  hinzielten,  die  Gegensätze  auszugleichen  und 
Ober  unglückliche  geschichtliche  Ereignisse  den  Schleier  der  Vergessenheit 
zu  decken.  In  der  Hebung  des  Volkswohlstandes  durch  Strassenbauten. 
Kanalisirungen ,  Verbesserung  des  Unterrichtes  u.  s.  w.  glaubte  der  Erz- 
herzog das  beste  Mittel  gefunden  zu  haben,  allinälig  der  Zufriedenheit  mit 
«ler  neuen  Ordnung  Eingang  zu  verschaffen.  J.sfio  konnte  der  Erzherzog 
aus  seiner  Stellung  als  Militär-  und  Civil-Gouverneur  mit  dem  Bewusstsein 
H'heiden,  das  Wohl  des  ihm  anvertrauten  Landes  stets  im  Auge  gehabt  zu 
haben:  die  Fortschritte,  welche  Ungarn  unter  seiner  Verwaltung  gemacht, 
mussten  selbst  von  politischen  Gegnern  anerkannt  werden. 

Mitten  in  die  Thätigkeit  des  Erzherzogs  als  Statthalter  von  Ungarn  fiel 
der  russisch-türkische  Krieg  im  Jahre  isö4.  welcher  bald  durch  die  Theil- 

Blographische  Blätter.  I.  19 

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Biographische  Bliitter. 


nähme  Kurlands  und  Frankreichs  an  Ausdehnung  gewann.  Österreich  sah 
sich  veranlasst,  an  der  Südostgrenze  des  Reiches  ein  Beobaehtungskorps  und 
später  eine  Armee  in  Galizien  aufzustellen,  deren  oberste  Leitung  Erzherzog 
Albrecht  übertragen  wurde.  Der  Krieg  fand  indessen,  wie  bekannt,  durch 
den  Frieden  von  Paris  <20.  Februar  1S5«|  seinen  Abschlüsse  ohne  «lass 
Österreich  aus  seiner  bewaffneten  Neutralität  heraustrat. 

Gerade  ein  .Jahr  vor  seinem  Rücktritt  von  der  Statthalterschaft  in 
Ungarn  wurde  Erzherzog  Albrecht  mit  einer  Mission  nach  Herlin  betraut. 
Österreich  sah  sich  von  »Sardinien  und  Frankreich  bedroht  und  es  iralt. 
Preussen  in  seiner  Eigenschaft  als  deutscher  Bundesstaat  zur  Kooperation 
gegen  Frankreich  zu  bewegen.  Das  Kommando  über  das  österreichische' 
Kontingent  am  Rhein  sollte  der  Erzherzog  übernehmen.  Erzherzog  Albrecht 
wurde  in  Berlin  mit  Ehrungen  überhäuft.  Wie  Herzog  Ernst  II.  von  Sachsen- 
Coburg-Gotha  im  2.  Bande  seines  Memoirenwerkes  berichtet,  hatte  „sein 
liebenswürdiges  und  vorsichtiges,  dennoch  aber  Vertrauen  erweckendes  Auf- 
treten überall  den  besten  Eindruck  hervorgebracht".  Die  „soldatische  Be- 
fähigung" des  Erzherzogs,  sein  ..gerades  und  schlichtes  Wesen  wären  sicher- 
lich am  geeignetsten  gewesen,  eine  Verhandlung  Über  die  militärische  Basis 
der  Allianz  zum  Abschluss  zu  bringen".  Dennoch  führte  die  Anwesenheit 
des  Erzherzog  zu  keinem  greifbaren  Resultate.  In  der  Bundestagssit/.ung 
vom  3.  -luli  wurde  Erzherzog  Albrecht  zwar  zum  Befehlshaber  des  öster- 
reichischen Kontingentes  ernannt,  allein  der  Krieg  war  inzwischen  aus- 
gebrochen und  das  Glück  hatte  zu  Gunsten  Frankreichs  entschieden,  bevor 
die  Rüstungen  der  Bundesstaaten  vollendet  waren. 

Die  Verdienste  des  Erzherzogs  als  Militär-  und  Civil-Gouverneur  hatte 
der  Kaiser  in  einem  Handschreiben  (vom  H>.  April  IHfiO)  anerkannt.  Und 
als  neue  Verwicklungen  in  Italien  drohten,  wurde  ihm  auf  sein  Ansuchen 
das  Kommando  über  das  8.  Armeekorps  in  Vicenza  übertragen.  Alu 
4.  April  1863  erfolgte  die  Ernennung  des  Erzherzogs  zum  „Foldmarschall 
unter  gleichzeitiger  Enthebung  vom  Kommando  des  8.  Armeekorps",  womit 
ihm  auch  das  Präsidium  im  Marschallsrathe  zukam.  Eine  ganz  besondere 
Ehrung  ward  dem  Erzherzog  im  Herbste  des  Jahres  1803  von  Seiten  der 
Armee  zuteil.  Am  18.  Oktober  überreichten  Feldmarschall  Graf  Wratislaw. 
Feldzeugmeister  und  Kriegsminister  Graf  Degcufeld  und  Generaladjutant 
der  Armee  Graf  von  Crenneville  dem  Feldmarschall  ein  kunstvoll  aus- 
gestattetes Diplom,  mit  welchem  die  kaiserliche  Armee  ..dem  würdig-en 
Heldensprossen  des  unsterblichen  Vaters,  ihm  gleich  an  inniger  Zuneigung 
für  die  Armee,  so  wie  er  ein  leuchtendes  Vorbild  kriegerischer  Tugenden, 
als  sprechendes  Zeugniss  der  Verehrung  ein  Abbild  des  vom  Kaiser  vor 
der  Burg  errichteten  Denkmals"  widmet  und  bittet,  demselben  „eine  Stelle 
in  der  von  dem  verewigten  Helden  <rcschanenen  schönen  Weilburg  anzu- 
weisen". —  Das  im  verjüngten  Maassstabe  ausgeführte  Monument  bildet 
nunmehr  gegenüber  der  Schlosskapelle  eine  Zierde  des  erzherzoglichen  Parkes. 


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Krzhcrzog  A Unecht. 


203 


Die  Ereignisse  des  .Jahres  18130  sind  zu  bekannt,  als  dass  sie  hier  einer 
weiteren  Darstellung-  bedürften.  Das  Vorhalten  des  Erzherzogs  als  Komman- 
dant der  Österreichischen  Südarmee,  seine  Operationen  gegen  die  mehr  als 
doppolt  so  starke  italienische  Armee,  welche  zu  dem  glänzenden  Siege  bei 
(•ustozza  (24.  Juni)  fahrten,  sichern  ihm  einen  Platz  unter  den  hervor- 
ragendsten Heerführern. 

Mit  dem  Grosskreuz  des  Maria-Theresion -Ordens  ausgezeichnet  und 
il.>.  September  18fiß)  zum  Armee-Obor-Kommandanten  ernannt,  war  fortan  die 
Reorganisation  der  Armee  auf  der  Basis  der  allgemeinen  Wehrpflicht  die 
unausgesetzte  Sorge  des  Erzherzogs.  In  erhöhtem  Maasse  konnte  Erzherzog 
.Vlbrocht  diesem  Zwecke  dienen,  als  ihm  mit  der  Ernennung  zum  General- 
Inspektor  des  Heeres  (24.  März  1H(5}»|  „die  Inspieirung  des  stehenden 
Heeres  in  Bezug  auf  dessen  Ausbildung  und  Manövrirfähigkeit  sowie  die 
Überwachung  und  Leitung  grosserer  Truppenübungen"  übertragen  wurde. 

Für  die  Zwecke  dos  Heeres  war  Kr/herzog  Albrocht  auch  schrift- 
stellerisch thätig.  Schon  im  Jahre  18o«  hatte  er  eine  „Instruktion  für  die 
Generalität"  herausgegeben .  welche  an  die  im  Jahre  180«  veröffentlichte 
Schrift  seines  Vaters:  „Grundsätze  der  Kriegskunst  für  die  Generalität  der 
(isteneichischen  Armee"  erinnert.  Seine  Godauken  über  die  Reorganisation 
iles  österreichischen  Heerwesens  hat  der  Erzherzog  in  der  Schrift:  „Wie 
soll  Österreichs  Heer  organisirt  sein?",  die  im  Jahre  1808  im  Drucke 
erschien,  niedergelegt.  Ein  Jahr  später  wurden  seine  (wiederholt  ins 
Französische  übertragenen!  „Gedanken  über  den  militärischen  Geist"  ver- 
öffentlicht. 

Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  die  im  Herbste  1K70  erschienene 
Schrift:  „Das  Jahr  1870  und  die  Wehrkraft  der  Monarchie".  Sie  enthält 
neben  einem  Vorworte  Betrachtungen  über  die  Einleitungen  und  den  Heginn 
iles  Feldzuges  1870,  einen  Vergleich  der  Streitkräfte  Preussen-  Deutsch- 
lands und  Österreich -Ungarns  und  Vorschläge  zur  Besserung  dieses  Ver- 
hältnisses sowie  weitere  Bemerkungen  zur  Hebung  der  Wehrkraft  der 
Monarchie  und  die  Mittel  hierzu.  Erzherzog  Albrecht  kommt  in  dieser 
Schrift  zu  dem  Resultate:  dass  die  Sicherheit  des  Staates  jetzt  mehr  denn 
je  in  der  Wehrkraft  und  in  der  Schnelligkeit,  mit  welcher  dieselbe  voll- 
kommen organisirt  und  kampfbereit  aufgestellt  sein  kann,  beruhe .  dass  zur 
nachhaltigen  Verteidigung  die  eigene  Wehrkraft  weder  quantitativ  noch 
qualitativ  den  möglichen  Gegnern  bedeutend  nachstehen  dürfe  und  das 
ungünstige  Verhältniss  hierin  durch  ein  starkes  Befestigungssvstem.  organi- 
sirtes  Volksaufgebot  und  dergleichen  ausgeglichen  werden  müsse:  dass  die 
Wehrkraft  der  Monarchie  keineswegs  jene  Vollkommenheit  erreicht  habe, 
um  mit  Beruhigung  der  Zukunft  entgegensehen  zu  können,  und  man  daher 
mit  einer  den  Zeitverhältnissen  entsprechenden  Organisation  auf  der  Basis 
des  Vorhandenen  und  mit  schonender  Berücksichtigung  der  Keiehstinanzen 
beginnen  müsse.    In  einer  Zeit,  wo  die  Völker  in  Waffen  stehen,  müsse 


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294 


Biographische  Blätter. 


die  Überzeugung  von  der  Notwendigkeit  dio.ser  Maassnahmen  allmälig  alle 
Schichten  der  Bevölkerung  durchdringen,  der  kriegerische  Sinn  in  derselben 
geweckt  und  gehoben,  das  Pflichtgefühl,  die  freudige  Opforwilligkeit,  kurz 
der  wahre  Patriotismus  bei  allen  Bewohnern  der  Monarchie  ohne  Unter- 
schied der  Nationalität  schon  im  Frieden  genährt  und  anerzogen,  das 
Zusammenstehen  aller  um  den  Thron  in  jeder  Weise  gepflegt  werden.  Erst 
wenn  diese  Notwendigkeit  allenthalben  erkannt  ist,  werde  man  mit  Beruhi- 
gung in  die  Zukunft  sehen  können.  Österreich -Ungarn  sei  noch  reich  an 
schlummernden  Kräften,  diese  müssen  geweckt  und  zur  Geltung  gebracht 
werden.  Endlieh  müsse  die  täglich  um  sich  greifende  Genusssucht  und 
Leichtlebigkeit  durch  sittlichen  Ernst  und  festen  Willen,  der  krasse  Egois- 
mus durch  angestrengte  Thätigkeit,  die  Korruption  durch  Ehrlichkeit,  Ehr- 
gefühl und  moralische  Haltung,  der  verflachende  und  alles  zersetzende 
Unglaube  durch  wahre  Religiosität  und  Treue  wieder  verdrängt  werden. 

Im  Winter  des  Jahres  1870  hatte  der  Erzherzog  unter  dem  Namen 
eines  Grafen  von  Friedek  eine  Heise  über  Ober-Italien,  wo  er  die  Schlacht- 
felder besuchte,  nach  dem  Süden  von  Frankreich  unternommen  und  war 
auf  der  Rückreise  nach  Österreich  anfangs  Februar  in  Paris  angekommen, 
wo  er  mit  besonderer  Auszeichnung  empfangen  wurde.  Nach  einem  fttnf- 
wOchentlichen  Aufenthalte  kehlte  er  um  die  Mitte  März  über  Chalon  s./M., 
Darmstadt  und  Asehatt'enburg  nach  Wien  zurück.  Der  Eindruck,  den  er  von 
der  Schlagfortigkeit  des  französischen  Heeres  gewonnen,  war  kein  günstiger. 

Nach  den  epochemachenden  Ereignissen  des  Jahres  1870  widmete 
sich  der  Erzherzog  mit  dem  Feuereifer  eines  Jünglings  dem  Ausbau 
des  österreichisch -ungarischen  Heerwesens.  Ein  starkes  Österreich  galt 
ihm  als  der  sicherste  Bürge  des  europäischen  Friedens.  „Eine  fried- 
liche Politik  kann  man  nur  behaupten"  —  sagt  er  in  seiner  Schrift:  Wie 
soll  Österreichs  Heer  organisirt  sein?  —  „wenn  man  stark  genug  ist, 
sich  zu  aggressiven  Allianzen  nicht  zwingen  lassen  zu  müssen,  und  eingedenk 
des  „Seid  stark  im  Flieden,  damit  Ihr  den  Krieg  vermeidet",  oder  ,.Si  vis 
pacem,  para  bellum-4  so  dasteht,  dass  kein  Nachbar  mit  Aussicht  auf  Erfolg 
einen  Angriff  wagen  kann".  Und  überzeugt  von  der  Wechselwirkung  der 
inneren  geistigen  und  materiellen  Entwicklung  eines  Staates  und  der  im 
Heere  zum  Ausdruck  kommenden  Machtentfaltung  nach  Aussen,  suchte  er 
auch  jene  genügend  zu  fördern.  Auf  der  Weltausstellung  von  1873  in 
Wien  hatte  er  mit  grossem  Kostenaufwand  in  einem  eigenen  Pavillon  eine  in 
dem  Handschreiben  des  Kaisers  vom  27.  Oktober  d.  .1.  als  „mustergiltig- 
bezeichnete  Ausstellung  von  land-  und  forstwirtschaftlichen  Produkten 
und  Industrie -Erzeugnissen"  seiner  Domänenbesitze  veranstalten  lassen,  die 
zugleich  ein  lehrreiches  Bild  wichtiger  Zweige  menschlicher  Thätigkeit  darbot. 

Als  im  Dezember  desselben  Jahres  das  fünfundzwanzigjährige 
Regierungsjubiläum  des  Kaiseis  geleiert  wurde,  hielt  der  Erzherzog  im 
Namen  des  Heeres  die  Beglüekwünsehungsrede.    War  doch  kein  anderer 


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Erzherzog  AU) recht. 


295 


berufen,  die  Gefühle  der  Armee  gegenüber  dem  Monarehen  würdiger  zum 
Ausdrucke  zu  bringen. 

Auf  den  21.  März  des  Jahres  1874  tiel  der  25.  Jahrestag  der  Schlacht 
bei  Mortara,  den  der  Kaiser  zum  Anlass  nahm,  den  Erzherzog  in  einem 
in  den  wärmsten  Ausdrücken  abgefassten  Handschreiben  zu  beglückwünschen. 

Im  Sommer  desselben  Jahres  weilte  Erzherzog  Albrecht  am  russischen 
Hofe  in  Krasnoj  Solo.  Ein  Aquarell  aus  dieser  Zeit  stellt  den  Kaiser 
Alexander  II.  dar.  wie  er  dem  Erzherzog  das  lithauische  Uhlanen- 
Kfgiment  Nr.  5  vorführt,  dessen  Inhaber  er  seit  1839  war.  Die  neuer- 
lichen Verdienste  des  Erzherzogs  um  die  Armee  wurden  vom  Kaiser  am 
25.  November  1875  durch  dessen  Ernennung  zum  Oberst  -  Inhaber  des 
Dragoner-Regiments  Nr.  4  anerkannt. 

In  erhebender  Weise  wurde  im  April  1877  das  fünfzigjährige  Dienst- 
jubiläuin  Erzherzog  Albrechts  gefeiert.  Der  Kaiser  als  oberster  Kriegs- 
herr hatte  angeordnet,  dass  am  Festtage  (d.  18.)  in  einem  Armeebefehl 
.allen  Theilen  der  bewaffneten  Macht"  folgendes  Handschreiben  „in 
entsprechender  Weise*'  kundgemacht  werde: 

, Lieber  Herr  Vetter,  Feldmnrschall  Erzherzog  Albrecht!  Kine  erhebende  Feier  ist 
<m.  die  ich  in  freudiger  Erinnerung,  dass  Huer  Liebden  nunmehr  ein  halbes  Jahrhundert 
Meiner  Armee  angehören,  zu  begehen  im  Begriffe  bin. 

Das  warme  Soldatenherz,  welches  der  Jüngling  in  fernliegender  Zeit  der  Armee 
entgegenbrachte.  Sie  haben  es  ihr  bis  zum  heutigen  Tage  unverändert  bewahrt. 

In  Zeiten  des  Friedens  war  Ihre  hingebungsvolle  ThJitigkeit.  Ihr  ganzes  Sinnen  und 
Streben  stets  der  Wohlfahrt  und  der  tüchtigen  Ausbildung  des  Heeres  geweiht:  galt  es 
aber  in  ernsten  Tagen  für  Kaiser  und  Reich  einzutreten,  dann  sind  Sie  -  ein  leuchtendes 
Vorbild  edler  Selbstverläugnung  und  Aufopferung  -  freudig  meinem  Rufe  gefolgt  und 
haben  Oesterreiths  Krieger  zu  Sieg  und  Ruhm  geführt. 

Die  ri>erlieferung  und  Verherrlichung  Ihrer  Thuteti  und  Verdienste  bleibt  der  vater- 
ländischen Geschichte  vorbehalten  und  wird  gewiss  in  den  schönsten  Blatten»  ihren  würdigen 
Platz  tinden. 

Ich  aber  will,  dem  Drange  Meines  Herzens  folgend  und  mit  dankbarem  Rückblick 
auf  solch'  eine  ruhmreiche  Vergangenheit.  Huer  Liebden  Meine  eigenen  und  die  nicht  minder 
herzlichen  und  aufrichtigen  (ilückwilnsche  Meiner  Armee  darbringen. 

Möge  die  (Jnade  des  Allmächtigen  Kuer  Liebden  zu  meiner  Freude  und  zum  Heile 
des  Vaterlandes  noch  lange  Jahre  in  ungebrochener  Kraft  erhalten. 

Wien  am  17.  April  1877.  Franz  Joseph  m.  p. 

Im  Namen  der  gesammten  Armee  brachte  Kriegstninister  FML.  (iraf 
Bylandt-Rheidt  an  der  Spitze  einer  (ieneraldepntation  die  Glückwünsche 
dar.  Tiefergriffen  sprach  der  Erzherzog  „der  gesammten  Kriegsmacht" 
seinen  wärmsten  Dank  aus.  Was  er  im  Felde  zu  leisten,  im  Frieden  der 
Armee  zu  nützen  vermochte,  das  sei  hauptsächlich  das  Werk  seiner  braven 
Waffengefährten.  Im  Feldherrn  ehre  und  lohne  man  die  Verdienste  der 
Armee,  darum  theile  er  auch  mit  jedem  seiner  Soldaten  das  Lorbeerreis. 

Fortan  war  der  Erzherzog  in  jedem  Jahre  für  die  grossen  Manöver 
thätig,  deren  Oberleitung  in  seinen  Händen  lag  und  für  die  er  selbst  die 


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-im 


biographische  Blätter. 


Pläne  ausarbeitete  und  die  Vorbereitungen  traf.  Zu  diesem  Zwecke 
nahm  er  regelmässig  Bereisungen  vor  und  war  unermüdlich  in  der  Visitation 
der  Truppen  in  allen  Theilen  des  Reiches.  Hei  den  Manövern  sass  er  oft 
10  Stunden  im  Sattel,  jeder  Witterung'  trotzend,  und  unterzog  dieselben 
hierauf  bei  den  üblichen  Besprechungen  einer  eingehenden  Kritik.  Dem 
Studium  des  Terrains  und  der  strategisch  wichtigen  Punkte  der  Monarchie 
waren  die  jährlichen  Generalsreisen  unter  der  Oberleitung  des  Erzherzogs 
gewidmet.  Auf  der  mühevollen  Inspektionsreise  in  Bosnien  und  der  Herzego- 
wina im  Jahre  lss<>  überzeugte  sich  Erzherzog  Albrecht  von  den  Leistungen 
der  daselbst  dislocirten  Truppen  auf  militärischem  und  kulturellem  Gebiete. 
Mit  hoher  Befriedigung  vernimmt  der  Kaiser  den  Pericht  hierüber. 

An  «lein  seltenen  Feste  des  sechzigjährigen  Dienstjubiläums  des  Erz- 
herzogs im  Jahre  1887  gedenkt  der  Monarch  „dankerfüllt"  seiner  ..glänzenden 
Thaten".  seiner  ..edlen  und  selbstlosen  Hingabe  für  die  Armee  und  seine 
Person".  — ■  ..lTnvergesslieh  möge  seine  warme  Liebe  und  aufopfernde  Für- 
sorge für  die  Angehörigen  der  Armee  bleiben!* 

Im  Frühling  des  Jahres  gelangte  ein  langgehegter  Wunsch  des 

Erzherzogs,  dem  Feldherrn,  unter  dessen  Führung  er  die  ersten  Sieires- 
loorbeern  errungen  und  von  dem  der  Dichter  sang:  .Jn  deinem  Lager  ist 
Österreich"  in  der  Hauptstadt  des  Reiches  ein  sichtbares  Denkmal  errichtet 
zu  sehen,  zur  Verwirklichung.  Am  24.  April  konnte  die  Reiterstatue  des 
gleisen  Marschalls  Radetzkv  enthüllt  werden  und  der  Er/herzog  in  einer 
Ansprache  au  den  Kaiser  des  „treuen  Dieners  von  fünf  Monarchen,  des 
Helden  und  Patrioten,  des  Vaters  seiner  Soldaten,  des  greisen  Siegers  in 
Entscheidungsschlachten"  gedenken. 

Am   L  April  waren  es  dreissig  Jahre,  dass  der  Kaiser  den 

Marschallsstab  in  die  Hände  des  Erzherzogs  gelegt  hatte.  Dieses  Tages 
eingedenk  beglückwünschte  ihn  der  Monarch  in  einem  Handschreiben  ddto. 
Wien  am  :$.  April  als  den  „Mitbegründer  des  gegenwärtigen  festen  Gefüges 
der  Wehrkraft".  In  voller  Rüstigkeit  beging  der  Erzherzog  diesen  Gedenk- 
tag. End  während  der  Herbstmanöver  desselben  Jahres  in  der  Eingebung 
von  (iüns  in  Anwesenheit  des  deutschen  Kaisers,  des  Königs  von  Sachsen 
und  des  Herzogs  von  Connaught  setzte  er  durch  seine  Elasticität  und  Aus- 
dauer Alle  in  Erstaunen.  Es  war  unter  dem  Eindrucke  dieses  vom  Erz- 
herzog geleiteten  Manövers,  dass  ihn  Kaiser  Wilhelm  H.  von  Schönbrunn 
aus  am  27.  September  zum  pretissischen  General-Feldmarsehall  ernannte. 

Dieselbe  Rüstigkeit  zeigte  Erzherzog  Albrecht  noch  im  folgenden 
Jahre  bei  den  He. bstmanövern  im  Horster  Comitate.  Dieses  Manöver 
sollte  für  den  Er/herzog  das  letzte  sein.  Der  Wunsch  des  Kaisers  in  dem 
bei  diesem  Anlasse  erlassenen  Handschreiben  (vom  21.  September),  dass  der 
Er/herzog  ..noch  viele  Jahre  im  Vollgenusse  der  Gesundheit  dem  Heere 
den  reichen  Schatz  seiner  militärischen  Erfahrung  wie  bisher  widmen  möge" 
sollte  nicht  mehr  in  Erfüllung  gehen.    Mitte  Oktober  hatte  sich  Erzherzog 


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Frzherzo«:  Albreeht. 


297 


Albrecht  nach  Arco  begeben,  um,  wie  seit  einer  Reihe  von  .lahren.  die 
rauhe  Jahreszeit  daselbst  zu  verbringen.  Mit  «/rosser  Befriedigung-  erfüllte; 
es  ihn.  als  ihm  im  November  der  sechste  und  letzte  Band  der  in  seinem 
und  seines  verewigten  Bruders  Erzherzog  Wilhelm  Auftrage  herausgegebenen 
..Ausgewählten  Schriften"  Krz h erzog  Karl  s  überreicht  wurde. 
Damit  war  der  erste  Theil  des  litterarischen  Denkmals  zum  Abschlüsse 
gelangt,  welches  die  beiden  erlauchten  Söhne  ihrem  ruhmreichen  Vater  zu 
errichten  beschlossen  hatten.  Kinen  Monat  später  erschien  der  erste  Band 
des  von  II.  von  Zeissberg  verfassten  Lebensbildes  des  Generalissimus,  bei 
dessen  Entgegennahme  der  Erzherzog  die  leider  unerfüllt  gebliebene 
Hoffnung  aussprach,  die  Vollendung  dieses  Werkes  sowie  der  «lern  Ab- 
schlüsse nahen  Darstellung  der  Keldzüge  seines  Vaters  noch  zu  erleben, 
um  sich  an  der  Uditttre  und  an  dem  Erfolge  dieser  Schriften  erfreuen  zu 
können. 

Welchen  schweren  Verlust  das  Kaiserhaus.  Österreichs  Heer  und  Be- 
völkerung durch  den  Tod  Erzherzogs  Albrecht  erlitten,  kommt  in  monu- 
mentaler Weise  in  folgenden  ergreifenden  Worten  zum  Ausdrucke,  die  der 
Monarch  an  die  Armee  richtete  und  die  mit  der  Verewigung  seines  Namens 
sehliessen : 

l'nsere  Fahnen  senken  sieh  der  letzt«  (iruss  der  <  ;  «schütz.«  ertönt  für  den  (Jeneral- 
Inspektor  des  Heeres,  Feldmarschall  Krzherzo<r  Albrecht. 

In  schmerzerfüllter  Trauer  beulen  sich  die  "•osammte  Wehrkraft  und  das  Vaterland 
mit  Mir  und  Meinem  Hause  vor  dem  unersetzlichen  Verluste,  welchen  der  Wille  des 
Allmächtigen  I  ns  beschieden. 

Die  Hewunderung-  eines  mit  erleuchtetem  (leiste  und  warmfühlendem  Herzen,  iranz 
und  voll,  dem  Heere  gewidmeten  inhaltsreichen  Lebens:  die  Begeistern  n<r  für  den  edlen 
Prinzen,  der,  <_retreu  sich  selbst,  in  Stürmen  und  (Jefabren  niemals  wankte,  der  ein  sieg- 
reicher Feldherr  die  Zierde  und  der  Stolz  Meines  Heeres  war:  alle  (Jefiihle.  welche 
jetzt  nach  Ausdruck  ringen:  .sie  verklären  sich  in  tiefempfundener  Dankbarkeit  für  den 
Herrn  der  Heerschaaren,  welcher  den  preisen  Feldmarschall  als  einen  seiner  Auserlesensten 
bis  nahe  der  (irenze  irdischen  Daseins  in  aller  Thatkraft  erhalten  hatte. 

F.rzherzotr  Albrecht  s  unverfängliches  Andenken  bleibt,  wie  der  Lorbeerkranz,  welcher 
den  Helden  von  Novara  und  Custozza  schmückt,  Meinem  Heere,  Meinen  beiden  Land- 
webren und  Meiner  Kriegsmarine  ein  J'alladium  der  Treue.  Sündhaftigkeit  und  Sieges- 
zuversicht. 

Ich  bestimme:  das  Infanterie- lie<;iment  No.  44.  das  Dra^oner-Ile^ iment  Nu.  !)  und 
«las  ( Vpsartilleric-Kcfiment  No.  5  haben  fortan  und  auf  immerwährende  Zeiten  den  Namen 
Foldniarschall  Kr/herzog  Albrecht  zu  führen. 

Wien,  am  '26.  Februar  1895.  Franz  .Io>ejih  m.  p. 


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298 


Biographische  Blatter. 


Moritz  Carriere. 


Von 

FRANZ  MUNCKER. 


Am  18.  Januar  18JJ5  starb  zu  München  in  hohem  Alter  der  Ästhetiker 
Moritz  Carriere.  Cher  ein  halbes  Jahrhundert  lang  hatte  er  ein  ebenso  mannig- 
faltiges wie  segensreiches  Wirken  als  Lehrer  und  als  Schriftsteller  entfaltet,  bis  zu 
seinen  letzten  Stunden  unermüdlich  im  Dienste  der  Wissenschaft,  ein  nie  entmuthigter 
Streiter  für  Geistesfreiheit .  für  das.  was  er  als  wahr,  gut  und  schön  erkannte, 
ein  Denker  und  Forscher,  der  den  Blick  stets  nur  auf  die  edelsten  Ziele  gerichtet 
hielt,  zugleich  aber  ein  wahrhaft  vornehmer,  liebenswürdiger  Charakter,  der  im 
milden,  hilfreichen  Handeln  für  diejenigen,  an  deren  Tüchtigkeit  er  glaubte, 
aufopferungsvoll  sich  nicht  genug  thun  konnte.  So  folgt  ihm  denn  auch  die  ver- 
diente Verehrung,  nwh  mehr  aber  die  dankbare  Liebe  aller,  die  ihn  nicht  bloss 
oberflächlich  kennen  lernten,  über  das  Grab  hinaus. 

Carriere  wurde  am  ö.  März  1817  in  dem  oberhessischen  Dorfe  Griedel  bei 
Butzbach  geboren.  Sein  Vater  war  Kentamtmann  daselbst.  Seine  erste  Vor- 
bildung erhielt  der  Knabe  durch  Privatunterricht  bei  dem  später  durch  politische 
Verfolgung  in  den  Tod  getriebenen  Dr.  Frd.  Ludw.  Weidig,  der  damals  Konrektor 
in  dem  nahen  Butzbach  war.  Im  Herbst  1832  wurde  er  in  die  Sekunda  des 
Gymnasiums  zu  Wetzlar  aufgenommen.  Unter  seinen  Mitschülern  that  er  sich 
rasch  hervor.  Schon  im  September  1*33  hielt  der  inzwischen  zum  Primaner 
Beförderte  bei  der  Sehlussfeier  des  Schuljahres  eine  deutsche  Kede  über  das 
Thema:  Warum  und  inwiefern  ist  das  jugendliche  Alter  das  glücklichste  zu 
nennen?  In  denselben  Tagen  durfte  er  auch  im  Namen  seiner  Mitschüler  beim 
Abschiede  des  nach  Ilfeld  berufenen  Professors  E.  W.  Wiedasch  dem  verdienst- 
vollen und  geliebten  Lehrer  ein  eigenes  deutsches  Gedicht  in  brav  gereimten 
Stanzen  überreichen,  wohl  die  erste  seiner  litterarischen  Arbeiten,  die  zum  Druck 
gelangte  (im  Wetzlarer  Gymnasialprogramm  1833).  Die  glatt  fliessenden  Vei-se 
mit  ihrer  sauberen,  schwungvollen  Sprache  enthalten  zwar  noch  keine  besonders 
eigenartigen  oder  bedeutsamen  Gedanken:  immerhin  aber  muthet  es  uns  wie  eine 
Vorahnung  der  Ziele  an.  die  Carriere  später  unablässig  verfolgte,  wenn  schon 
der  Sechzehnjährige  dem  scheidenden  Lehrer  begeistert  dankte,  dass  er  ihm  „das 
tiefversteckte  Fliessen  des  Wahrheitsbornsu  gezeigt,  ihn  zum  „Heiligthum  des 
Schönen"  geführt,  sein  Auge  an  das  Ideale  gewöhnt  habe. 

Seit  1835  studirte  Carriere  in  Giessen  und  Göttingen,  vom  Herbst  1837 
an  in  Berlin,  bis  er  im  Juli  1838  zum  Doktor  der  Philosophie  promovirte.  Schon 
vor  diesem  äusseren  Abschlüsse  seiner  Studien  aber  war  er  als  Schriftsteller 
öffentlich  hervorgetreten.  1H37  zu  Güttingen  mit  einer  umfangreichen  lateinischen 
Abhandlung  „De  Aristotele  Piatonis  amico  ejus<pie  doctrinae  justo  censore".  Die 
Schrift,  einem  Wetzlarer  Lehrer  Moritz  Axt  gewidmet,  bekundet  vor  allem  eine 
aussergewöhnliehe  Helcsenhcit  nicht  nur  in  der  einschlägigen  philologischen  und 
philosophischen  Speziallitteratur,  sondern  auch  in  den  philosophischen,  historischen 
und  poetischen  Werken  der  neueren  Zeit.  Schon  hier  beruft  sich  Carriere  auf 
verschiedene  Geisteshelden  des  deutschen  Volkes  und  des  Auslandes,  die  ihm  zum 
Theil  sein  Leben  lang  als  Führer  und  Vorkämpfer  gegolten  haben,  auf  Dante. 
Bacon.  Spinoza.  Luther.  Lessing.  Schiller.  Friedlich  Schlegel.  Schelling.  Gervinus. 
Dahlmann.  Rosenkranz,  I).  F.  Strauss  und  andere  Geschichtschreiber  und  Denker 
der  Gegenwart,  namentlich  aber  auf  Goethe.  Wilhelm  v.  Humboldt  und  Hegel. 


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Moritz  Carriere. 


209 


die  er  als  „summi  nostrae  cnlturae  duces  et  auctores-  begeistert  preist.  "Während 
damals  noch  die  grosse  Menge  der  jüngeren  deutschen  Schriftsteller  mit  Börne 
und  Menzel  sieh  schroff  ablehnend  gegen  unsern  grössten  Dichter  verhielt,  zeigte 
Carriere  bereits  in  dieser  Erstlingssehrift  überall  die  höchste  Verehrung  für 
Goethe,  für  den  ihm  auch  der  bewundernde  Beiname  „ö  xavya  nicht  zu  über- 
sohwänglich  erschien.  Im  gleichen  Jahre  1837  widmete  er  zusammen  mit  seinem 
Freunde  Theodor  Oreizenach  der  Universität  Göttingen  als  poetische  Festgabe  zu 
ihrer  Säkularfeier  einen  Kranz  von  Souetten  auf  die  grossen  Männer  der  Dicht- 
kunst und  der  Wissenschaft,  die  in  Göttingen  studirten  oder  als  Lehrer  wirkten, 
von  Haller  an  bis  auf  die  Brüder  Grimm  und  andere  Dozenten,  die  er  selbst 
gehört  und  persönlich  keuuen  gelernt  hatt«,  und  bis  auf  Heinrich  Heine,  den  er 
bei  voller  Anerkennung  seiner  früheren  Leistungen  zürnend  mahnte,  aus  dem 
jetzigen  Schlummer  sich  aufzuraffen  und  mit  Ernst  dem  Höchsten  nachzustreben. 
Ein  kühner,  kampfesfreudiger  Ton  klingt  überhaupt  durch  diese  Sonette;  Unter- 
gang wird  allen  noch  bestehenden  Götzenbildern  gepredigt.  Freiheit,  Recht  und 
Wahrheit  als  einziger  Pol  der  Jugend  im  edlen  Streite  um  die  heiligsten  Ideale 
gezeigt. 

Nach  seiner  Promotion  verweilte  Carriere  noch  ein  halbes  .labr  in  Herlin. 
.letzt  gelangte  er  auch  in  persönlichen  Verkehr  mit  Bettina  v.  Arnim,  und  bald 
verband  ihn  die  innigste  Gelstesharmonie  mit  der  eigenartigen  Frau,  die  mehr  als 
einmal  das  rechte  Wort,  fand  für  das  Giihren  und  Ringen  im  Wesen  des  jüngeren 
Freundes,  bald  anregend  und  zündend,  bald  klärend  und  beglückend  auf  sein 
philosophisches  Denken  und  menschlich-künstlerisches  Empfinden  einwirkte.  Im 
Frühling  183'J  wandte  sich  Carriere  über  München,  wo  er  Bettinas  Bruder. 
Clemens  Brentano,  aufsuchte,  nach  der  Schweiz,  dann  nach  Italien,  das  er  bis 
nach  Neapel  und  Sizilien  durchstreifte;  den  Winter  verlebte  er  in  Korn,  dem 
hauptsächlichen  Ziele  seiner  Reise.  Im  Spätherbst  1K40  erst  kehrte  er  aus 
dem  Süden  nach  Berlin  zurück.  Er  versuchte  nun  hier  und  darnach  in  Heidel- 
berg sich  als  Privatdozent  für  Philosophie  an  der  Universität  niederzulassen. 
Sowohl  das  badische  Ministerium  wie  die  philosophische  Fakultät  in  Heidelberg 
kamen  1841  seinem  Wunsche  wohlwollend  entgegen;  dennoch  nahm  er  schliesslich 
die  Lehrthätigkeit  an  der  altberühmten  Hochschule  nicht  auf.  da  eben  damals  in 
öffentlichen  Blättern  und  in  den  Sitzungen  der  zweiten  badischen  Kammer  laute 
Klagen  über  die  willkürlich  verletzte  und  aufgehobene  Lehrfreiheit  der  hadischen 
Dozenten  ertönten.  Er  beschäftigte  sich  noch  ein  Jahr  lang  hauptsächlich  mit 
Kunststudien;  dann  habilitirte  er  sich  1H42  in  Giessen  für  Philosophie:  im 
Wintersemester  1842/43  las  er  seine  ersten  Kollegien,  darunter  eines  über 
Schiller  als  Dichter  und  Denker,  das  er  noch  fünfzig  Jahre  darnach  in  seinem 
hundertsten  Dozentensemester  in  München  unter  dem  begeisterten  Beifalle  einer 
nach  mehreren  Hunderten  zählenden  Zuhörerschaft  wiederholte.  1K41*  wurde  der 
beliebte,  littcrarisch  sehr  thätige  Dozent,  zu  dessen  ersten  Hörern  Männer  wie 
Ludwig  Bamberger.  Wilhelm  Heinrich  v.  Riehl.  Max  Klinger.  Karl  v,  Hofmann. 
Wilhelm  Baur  zählten,  zum  ausserordentlichen  Professor  in  Giessen  befördert. 
Der  glänzendste  Stern  der  Giesscner  Hochschule  war  damals  Justus  v.  Liebig. 
Ihm  trat  Carriere  bald  in  verehrungsvoller  Freundschaft  nahe:  in  seinem  Hause 
fand  er  die  spätere,  über  alles  geliebte  Lebensgefährtin.  Eben  als  Liebig  einem 
Rufe  an  die  Münchener  Universität  folgte,  wurde  seine  Tochter  Agnes  (geboren 
am  6.  Juni  1829  zu  Giessen)  Carrieres  Braut  :  am  2H.  September  iH.Vi  feierten 
die  Glücklichen  zu  Soden  im  Taunus  ihre  Verlobung.  Im  Winter  darauf  sahen 
sie  sich  bei  einem  Besuche  des  Bräutigams  in  München  wieder.  Schon  damals 
wurde  Carriere  in  den  Kreis  von  Künstlern,  Dichtern  und  Gelehrten  eingeführt. 


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Riographisrhe  RlHtter. 


die  König  Maximilian  H.  an  seine  Residenz  zu  fesseln  vor  kurzem  begonnen  hatte. 
\H'nl  gesellte  er  sich  seihst  zu  dieser  Sehaar.  als  er  einem  Kufe  an  die  Münchener 
Universität  als  ordentlicher  Professor  der  Ästhetik  folgte. 

l>as  glücklichste  Jahrzehnt  seines  Lebens  begann,  eingeleitet  dnreh  seine 
Vermählung  mit  Agnes  (am  28.  Mai  1853  zu  München).  Was  er  .lahre  lang 
ersehnt  und  gehofft  hatte,  bot  ihm  nun  die  (Jegenwart  in  reicher  Fülle.  Der 
seligen  Lust  reinster  Liebe,  die  er  auf  einer  italienischen  Reise  mit  seiner  jungen 
< j attiti  geuoss  und  in  begeisterten  (ledichten  aussprach,  folgte  noch  innigeres 
Kntziiekeu.  als  ihm  im  Mär/  1  sr»4  ein  Sohn,  Justus,  im  August  18">7  auch  eine 
Tochter.  Elisabeth,  geboren  wurde.  Die  gesellschaftlichen  Verhältnisse  in  MfLnchen 
gestalteten  sich  für  den  Neuzugewauderten  ebenfalls  behaglich,  obgleich  ihn  die 
ultramontane  Partei  zuerst  mit  einer  Fluth  von  Schmähungen  empfing  und  al* 
Demagogen  und  Atheisten  brandmarkte.  Besonders  war  Carriere  bald  ein 
geschätztes,  regsames  Mitglied  des  künstlerisch-littcrarisehen  Kreises.  der  zum 
grösseren  Theil  ja  aus  Nichtbavern  bestand;  an  der  Dichterfresellschaft  der 
..Krokodile"  nahm  er  eifrigen  Antheil.  mit  (Jeibel.  Lingg.  Heyse.  Hertz.  Melchior 
Meyr  und  den  übrigen  älteren  und  jüngeren  Poeten  des  damaligen  München 
ebenso  befreundet  wie  mit  Kaulbach.  Schwind.  Philipp  Foltz.  Piloty  und  anderen 
Malern  jener  Epoche  oder  mit  vielen  seiner  Kollegen  von  der  Universität.  Zu 
den  Vorlesungen  au  der  Hochschule  übernahm  er  im  Januar  lKf>»i  auch  Vorträge 
über  Kunstgeschichte  an  der  Akademie  der  Künste  sowie  das  Sekretariat  der- 
selben Anstalt;  über  dreissig  .lahre  lang  gewann  er  als  Dozent,  als  Schriftführer 
und  meistens  auch  Referent  in  den  akademischen  Sitzungen,  überhaupt  als  iiniass- 
gehnuder  Reirath  des  Direktors  bedeutenden  Kinfiuss  auf  die  Akademie,  die 
gerade  in  dieser  Zeit  einen  mächtigen  Aufschwung  nahm.  Aber  auch  die  Ver- 
anstaltung der  Iiistorisehen  deutschen  Kunstausstellung  von  18*>8  wie  später  die 
Errichtung  des  neuen  Akademiegobäudes  iu  den  siebziger  Jahren  war  seinein 
eifrigen,  durchaus  initiativen  Vorgehen  im  hohen  (irade  mit  zu  verdanken. 

In  dieser  ausgebreiteten  Auitsthätigkeit  und  im  ununterbrochenen  litterarischen 
Wirken  sucht«'  und  fand  Carriere  Trost,  als  sein  häusliches  (Jh'ick  jäh  zertrümmert 
wurde.  Am  20.  Dezember  18t)2  raffte  ein  früher  Tod  Agnes  weg;  anderthalb 
-lahre  darnach,  im  Mai  18H4.  folgte  der  Mutter  auch  das  Töchterehen  ins  (irab. 
Dem  Vereinsamten  führte  seine  Schwester  Hertha  das  Haus:  mit  Ernst  und  Liebe 
half  sie  ihm  den  Sohn  erziehen,  als  treue,  sorgsame  Pflegerin  stand  sie  ihm  seihst 
bis  an  seine  letzten  Tage  zur  Seite.  Heilig  hütete  sie  mit  ihm  die  Erinnerung 
an  sein  einstiges  Familienglück.  die  ihm  nicht  nur  für  die  ersten  Zeiten  der 
Trauer,  sondern  für  den  ganzen,  grossen  Rest  seines  Lebens  eine  unerschöpfliche 
Quelle  wehmüthiger  Freude  war.  Zur  vollen  frohen  Regeisterung  seiner  früheren 
.lahre  schwang  er  sich  erst  wieder  auf,  als  1870  das  deutsche  Volk  im  Süden 
und  Norden  wieder  geeinigt  dastand,  bereit,  seine  alte  Kraft  aufs  Neue  zu 
bewähren.  Mit  hellem  Jubel  verfolgte  er  die  Siege  Deutschlands,  Schlacht  für 
Schlacht,  bis  zur  (iründung  des  neuen  Reiches  und  zum  Friedensfeste  1871.  in 
München  einer  der  rührigsten  und  edelsten  Vorkämpfer  deutscher  Einheit  und 
Crosse,  gegen  die  sich  gerade  hier  zuei-st  noch  gar  manche  Anhänger  einer  ein- 
seitig katholisch-bayerischen  Partei  heftig  sträubten.  Auch  in  die  Cediehte.  mit 
denen  er  sich  im  August  187*2  an  der  Feier  des  vierhundert  jährigen  Bestehens 
der  M unebener  Universität  betheiligte,  klang  der  patriotische  Mahnruf  mächtig 
herein.  Ebenso  blieb  Carriere  später,  als  die  erste  vaterländische  Begeisterung 
des  geeinigten  deutschen  Volkes  verrauscht  war,  stets  mit  vollem  Eifer  der 
nationalen  Sache  zugethan.  immer  liberal  gesinnt  in  des  Wortes  edelster  Bedeutung, 
ein  muthiger.  aber  vor  allen  extremen  Rest rebungen  sieh  sicher  bewahrender  Ver- 


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Moritz  Camere. 


301 


f  heidiger  wahrhafter  Geistes freiheit.  Ausserlith  wurde  sein  Lehen  immer  ruhiger: 
auch  die  Reisen,  die  er  während  der  Ferien  noch  mehrfach  unternahm,  hielten 
sich  allmählich  in  «-ngeren  Grenzen. 

Im  Anfang  der  achtziger  .lahre  kamen  wieder  trübe  Zeiten:  auf  beiden 
Anteil  Garrieres  bildete  sich  der  grau«*  St  aar  aus.  und  zu  wiederholten  Malen 
wurde  eine  Operation  nöthig,  bevor  der  Alternde,  dessen  Körper  und  Geist  sonst 
freilich  noch  ganz  die  ehemalige  Frische  und  lieweirlichkeit  besass,  die  Sehkraft 
wieder  erlange;  eine  gewisse  Schonung  der  Alicen  mnsste  er  sich  aber  überhaupt 
v<m  nun  an  zum  Gesetze  machen.  Zu  Knde  des  Winters  1881  feierten  die  Pro- 
fessoren und  Schüler  der  Kunstakademie  sein  fiinfundzwanzigjähriges  Wirken  an 
dieser  Anstalt  durch  eine  Deputation,  einen  Fackelzug  und  ein  in  gehobener 
Stimmung  fröhlich  verlaufendes  Kellerfest.  Im  Herbst  1887  gab  der  Siebzig- 
jährige seine  Thätigkejt  an  der  Kunstakademie  überhaupt  auf:  doch  verblieb  er 
noch  als  Ehrenmitglied  in  der  Körperschaft,  deren  Schriftführer  er  über  drei 
Jahrzehnte  gewesen  war.  Im  •! tili  i  «88  beging  er  sein  Doktorjubiläum.  Ein 
Jahr  später  wählte  ihn  die  philosophisch-philologische  Klasse  der  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften  zum  ordentlicheti  Mitgliede.  Das  Sommersemester 
1  *'<»:>.  srin  hundertstes  Dozentensemester,  brachte  ihm  mehrfache  herzliche  II uldigungeu 
der  Münchener  Dozenten  und  Studenten.  Auch  noch  ein  tiefer  Schmerz  suchte 
ihn  heim:  im  Juli  18»3  starb  plötzlich  nach  «ranz  kurzer  Krankheit  sein  Sohn 
Justus,  der  sich  als  Professor  an  der  Universität  Strassburg  eine  ehrenvolle 
Stellung'  in  der  irclehrten  Welt  erworben  hatre.  der  Stolz  und  die  Hoffnung  des 
greifen  Vaters.  Dieser  nahm  jetzt  die  Wittwe  und  die  Kinder  des  Todteu  zu 
>u.h  nach  München,  seine  letzte  Liebe  und  zärtliche  Sorgfalt  widmete  er  ihnen. 
Munter  und  pflichteifrig  wirkte  Carriere  in  ihrer  Mitte  noch  anderthalb  Jahre, 
an  der  Universität  ohne  Fnfe  rbr«'cltung  in  der  alten  "Weise  th;iti^.  Noch  am 
17.  Januar  18'.)."»  hielt  er  in  ungeschwächtcr  Gesundheit  seine  Nachmittags- 
vorlesung  und  verbrachte  den  Abend  nach  seiner  Gewohnheit  mit  Freunden  in 
•ler  Museumsgcsellschaft.  In  der  Nacht  darauf  erlag  er  einem  Schlaganfalle,  der 
ihn  schmerzlos  im  Schlafe  traf.  Am  "20.  Januar  geleiteten  ihn  seine  Freunde. 
Kollegen.  Schüler  und  Verehrer  zur  Ruhe.  Dichtgedrängte  Schaaren  aus  den 
verschiedensten  Kreisen  der  Münchener  Künstler-.  Gelehrten-  und  Heamtenwelt. 
Dozenten  und  Studenten  aller  Fakultäten  umstanden  das  offene  Grab,  alle  ein- 
niüthig  in  «lein  Gefühle  vrchrungsvoller.  aufrichtiger  Liebe  zu  dem  Verewigten. 

In  seinen  grösseren  rniversitätsvorlesungen  behandelte  Carriere  bald  die 
goammte  Ästhetik,  bald  das  besondere  Kapitel  derselben  über  Wesen  und  Formen 
der  Poesie.  In  das  eine,  umfassender«'  Kolleg  flocht  er  Charakteristiken  der 
epochemachenden  Werke  aus  den  verschiedenen  Künsten  und  ihrer  Meister  ein: 
in  dem  anderen  bemühte  er  sich  zugleich  die  Grundzüge  der  vergleichenden 
Litteraturgeschiehte  zu  entwerfen.  Gelegentlich  las  er  auch  einmal  ganz 
speziell  über  die  ästhetische  Theorie  und  vergleichend«'  Litteraturgeschiehte  des 
Dramas.  Ungleich  besuchter  als  diese  ausführlicheren,  vier-  oder  gar  fünfstündigen 
Kollegien  waren  seine  einstiindigeu  Publika  über  menschliche  Freiheit  und  sitt- 
liche Weltordnung,  über  Goethes  ..Faust",  Schiller  als  Dichter  und  Denker, 
Shakespeare  im  Lichte  «ler  vergh-hheuden  Litteraturgeschiehte.  Zu  ihnen  strömten, 
besonders  in  den  letzten  Jahrzehnten,  die  Zuhörer  in  Sehaaren  herbei,  un«l 
Tausend«-  erquiekten  sich  hier  im  Lauf«'  der  Jahre  an  der  persönlichen  Innigkeit 
und  froh«*n  Begeisterung,  mit  der  d«T  Vortragend«',  frei  von  aller  äussetiich«'n 
Rhetorik,  nicht  einmal  von  einer  kraftvoll  durchdringenden  Stimme  unterstützt, 
ab«r  selbst  gehoben  durch  die  Gewissheit  seiner  inneisten  f  berzeugung,  für  den 
Sieg  des  Wahren.  Guten.  Schön«'!«  im  Leben  un«l  in  der  Kunst  und  Wissenschaft 


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30-2 


Biographische  Blatter. 


einstand.  In  diesen  Vorlesungren  verdiente  sich  Carriere  vor  allem  den  Ehren- 
namen eines  Bannerträgers  de*  Idealisinus,  mit  dem  ihn  ein  befreundeter  Amts- 
genosse  in  seinen»  Nachrufe  chai'akteristlscli  schmückte. 

Hand   in   Hand   mit  dieser  Lehrthätigkeit  ging'  eine  überaus  fruchtbare 
litterarische  Wirksamkeit,   auch   sie   durchaus   dem  Kampf  für  das  Ideale  und 
gegen   den  Materialismus   in  jeglicher  Form   gewidmet.    Mehrere  von  Carrieres 
bedeutendsten   wissenschaftlichen  Werken   erwuchsen   ihm  unmittelbar  aus  seinen 
Vorlesungen,  so  das  Buch  über  die  philosophische  Weltanschauung  der  Reforma- 
tionszeit  in  ihren  Beziehungen  zur  Gegenwart  (1847),  die  religiösen  Reden  und 
Betrachtungen  für  das  deutsche  Volk  (1850),  das  Werk  über  Wesen  und  Formen 
der  Poesie  (1854,  ganz  umgearbeitet  1884).   die  „Aesthetik"  (1859).   die  fünf 
Bände   über  die  Kunst  im  Zusammenhang  der  Kulturentwicklung  (18U3 — 1874» 
und  die  Schrift  über  die  sittliche  Weltordnung  (1877).    In  seinen  philosophischen 
Anschauungen  ging  Carriere  von  Hegel  aus.   dessen   bleibendes  Verdienst   in  der 
Geschichte  des  menschlichen  Geistes  er  wiederholt  mit  dankbaren  Worten  rühmte. 
Aber  schon  frühzeitig  wandte  er  sich  auch  gegen  Hegels  Einseitigkeiten,  namentlich 
gegen   sein  „Verkennen   der  Individualitat",   gegen   seine  »Gewaltherrschaft  der 
abstrakten  Gedankenallgetneinheit-.    Aus  sittlichen  Lebenserfahrungen  und  natur- 
wissenschaftlichen Studien  schöpfte  er  die  Einsieht,  dass  die  Idee  oder  das  All- 
gemeine nicht  das  für  sich  Wirkliche  sei.  sondern  des  Individuellen,  der  Subjektivität 
als  Trägers   bedürfe.    So   viel  Wahres   ihm   auch   die  Philosophie  Spinozas  zu 
enthalten   schien,   so  erkannte  er  doch   bald,    „dass  die  Substanz   als  Subjekt 
begriffen  werden  müsse,  dass  sie  nicht  erst  i ri  ihren  Entfaltungen  zum  Bewusst- 
sein    komme,   sondern   ewig   sich   selbst  erfassende  Intelligenz  und  Persönlichkeit 
sei-.    So  suchte   er  sich   des  im  Pantheismus  wie  im  Deismus  liegenden  echten 
Gehaltes  zu  bemächtigen,  die  Einseitigkeiten  und  Gegensätze  beider  Lehren  aber 
durch  eine  theistische  Weltanschauung  zu  überwinden,  die  er  bei  den  deutschen 
Mystikern  und  bei  Giordano  Bruno  schon  vorbereitet  fand.    Mit  der  Unendlich- 
keit der  Welt  und  der  Ewigkeit  der  Substanz  behauptete  er  zugleich  die  Einheit, 
und  Selbständigkeit  der  göttlichen  Persönlichkeit.    Auf  Grund  dieser  Auffassung 
von  Gott   und  Welt    bemühte   er  sich  Wissen   und  (Hauben   zu  versöhnen,  das 
Evangelium  mit  den  Natur-  und  Geschichtskenntnissen  der  Gegenwart  in  Einklang 
zu  bringen.     Er  hielt  die  Freiheit  des  Forschens  und  Denkens,  aber  nicht  minder 
den  Glauben  an  die  Grundlehren  des  C'hristenthums,  an  die  Gottmenschheit  und 
die  Erlösung  fest;  mit  Hilfe  der  aus  der  Wissenschaft  gewonnenen  Vorstelluniren 
vom  Wesen  Gottes   und   des  Mensehen   suchte   er   die  religiösen  Geheimnisse  zu 
begreifen,  den  Frieden  zwischen  Geist  und  Herz  zu  besiegeln  und  so  die  Philo- 
sophie  zur-  wahren,  beseligenden  Lebenswissensehaft  zu  weihen.     Immer  wieder 
bis  zu  seinen  letzten  Schriften   fasste   er  dieses   nämliche  Ziel  ins  Auge;  in  der 
schönen  Abhandlung  ,. Jesus  Christus  und  die  Wissensehaft  der  Gegenwart-  (lssus) 
und  noch  in  der  akademischen  Festrede  ..Erkennen.  Erleben,  Erschliessen-  (1893) 
fand  er  die  Lösung  des  Welträthsels,  durch  die  auch  die  Forderungen  des  religiösen 
Gemüthes  befriedigt  und  die  Thatsachen  des  religiösen  Lebens  verständlich  werden, 
einzig  in  der  auf  Vernunft  und  Erfahrung,  auf  Natur  und  (ieschichte  gegründeten 
Gottesidee  des  Einen  und  Unendlichen,  wie  es  zugleich  Naturmacht  und  wissender, 
wollender  Geist  ist.   dem   der   als  Naturkraft    reale,   sich    selbst  zur  Geistigkeit 
bestimmende   und   in   seiner  Innenwelt    das  'Reich    der    Freiheit    und   der  Liebe 
erbauende  gottinnige  Mensch  gegenübersteht. 

Unter  Carrieres  wissenschaftlichen  Werken  nehmen  seine  mannigfaltigen  und 
umfangreichen  ästhetischen  Schriften  einen  hervorrairenden  Platz  ein.  Sie  sind 
auf  derselben  antimaterialistischen  Grundlage  wie  seine  gesammte  Philosophie,  auf 


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Moritz  Ciuriere. 


303 


der  Weltanschauung  des  Ideal realismus  aufgebaut.  Das  Schöne  ist  ihm  die 
Harmonie  von  Natur  und  Geist,  die  Ineinsbildung  des  Realen  und  Idealen,  die 
LebensvoUenduug  im  Einklang  von  Sinnlichkeit  und  Vernunft,  das  volle  mangel- 
lose Sein,  die  verwirklichte  Weltharmonie  in  der  Übereinstimmung  des  Innern 
und  Äussern.  Die  Kunst,  die  das  Schöne  um  der  Schönheit,  willen  schafft,  wird 
so  „die  Krystallgestalt  des  Lebens*.  Sie  stellt  im  Seienden  das  Seinsollende  dar. 
gestaltet  das  innere  Leben  des  Geistes  in  den  Formen  der  liussern  Natur  und 
erfasst  die  Gegenstünde  der  sinnlichen  Erscheinung,  um  in  ihnen  das  ewige  Wesen 
der  Dinge  zu  enthüllen.  Tn  den  Grundsätzen  seiner  Aesthetik.  den  wichtigsten 
Definitionen  und  Unterscheidungen  konnte  ('arriere  sich  mit  Recht  vielfach  auf 
Äusserungen  Goethes,  Schillers,  Wilhelm  v.  Humboldts  und  ihrer  gleichzeitigen 
Geistesgenosseu  berufeu.  Nicht  minder  aber  betonte  er  selbst,  dass  er  sich  nicht 
auf  den  Boden  einer  vorgefaßten  Theorie  stelle,  sondern  im  Einklang  mit  Feehner 
und  den  Anhängern  der  psychologischen  Richtung  von  unsern  Empfindungen, 
also  von  Thatsachen  »1er  Erfahrung  ausgehe.  Vor  allem  jedoch  verband  er 
durchaus  in  seinen  ästhetischen  Schriften  die  theoretisch-philosophische  Betrachtung 
mit  der  praktisch -historischen.  Oberall  eröffnete  er  lehrreiche  Ausblicke  auf  die 
künstlerische  oder  überhaupt  kulturgeschichtliche  Entwicklung  ältester  und  neuer 
Volker,  auf  die  sittlichen  und  ästhetischen  Ideale,  denen  die  Menschheit  im 
Wechsel  der  Zeiten  nachstrebte,  auf  die  Meisterwerke  der  verschiedenen  Künste 
in  früheren  oder  späteren  Jahrhunderten,  auf  die  ewig  gültigen  Aussprüche  der 
grüssten  Denker  und  Dichter  aller  Nationen.  So  bot  er  namentlich  in  seinem 
grossen  Werke  über  die  Kunst  eine  Art  von  umf;issender  Kulturgeschichte  von 
den  ältesten  Perioden  orientalischer  Geistesentwicklung  an  bis  auf  die  Gegenwart. 
Im  engeren  Rahmen  führte  er  das  gleiche  Prinzip  historischer  Betrachtung  in 
dein  Buche  durch,  das  er  seiner  Lieblingskunst  widmete,  der  Poesie,  die  er 
pelejjentlieh  mit  unleugbarem  Rechte,  wofern  man  seinen  Ausdruck  nicht  miss- 
versteht, als  die  ihre  Schwesterkünste  beherrschende  Kunst  der  Zukunft  ver- 
kündigte. Indem  ('arriere  den  inneren  Zusammenhang  der  Sagen  und  Mythen 
verschiedener  Völker,  die  künstlerische  Behandlung  derselben  Stoffe  in  alter  und 
neuer  Zeit  beleuchtete  und  die  bedeutendsten  Dichterpersönlichkeiten  der  Welt- 
literatur und  ihre  grössten  Werke  auf  ihre  geistige  Verwandtschaft  oder  Gegen- 
sätzlichkeit prüfte,  gab  er  zugleich  schätzbare  Winke  und  Beiträge  zur  ver- 
gleichenden Literaturgeschichte,  unter  deren  Begründern  er  mit  in  erster 
Reihe  steht. 

Aber  auch  speziell  um  die  deutsche  Litterat urforschung  machte  er  sich 
mannigfach  verdient,  sowohl  durch  Ausgaben  von  Goethes  „Faust"  und  Schillers 
-Teil-  mit  reichen  Erläuterungen,  wie  durch  mitunter  vortreffliche  Charakteristiken 
deutscher  Geisteshelden,  namentlich  aus  den  beiden  letzten  .Jahrhunderten.  An  der 
neuesten  Literatur  unseres  Volkes  etwa  seit  1*40  nahm  er  selbst  unmittelbaren, 
thiitigen  Antheil.  als  Dichter  und  als  Kritiker.  Seine  poetischen  Versuche,  durch- 
weg dem  Bereiche  der  Gedankenlyrik  angehörig,  zeichnen  sich  weniger  durch 
kräftige  Eigenart  und  vollkommene  künstlerische  Gestaltung  als  durch  den  Adel 
und  Tiefsinn  ihres  Ideengehaltes  aus;  durchaus  Produkte  der  Reflexion,  spiegeln 
*ie  doch  die  geistige  Persönlichkeit  des  für  alles  Grosse  und  Schöne  in  der 
Geschichte  der  Menschheit  begeisterten  Verfassers  vortrefflich  wieder.  Noch 
emsiger  aber  griff  ('arriere  durch  seine  zahlreichen  kritischen  Aufsätze,  die  er  in 
allerlei  Zeitschriften  veröffentlichte,  in  den  Entwicklungsgang  unserer  Literatur 
ein.  In  den  letzten  fünfzig  Jahren  sind  nur  wenige  wirklich  bedeutende  Schriften 
auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Poesie.  Philosophie  und  Literaturgeschichte 
erschienen,  die  er  nicht  in  ausführlichen,  sorirfiiltig  auf  das  Einzelne  eingebenden 


< 


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304 


Biographische  Bllttter. 


Rezensionen  besprochen  hat,  immer  mild,  liebevoll  anerkennend,  wo  er  eehte>. 
edles  Streben  wahrnahm,  nur  dann  schroff  ablehnend,  wenn  er  die  von  ihm  heilig 
gehaltenen  Ideale  durch  einen  geistlosen  Mechanismus  oder  durch  materialistische 
Tendenzen  bedroht,  sah.  Ungemein  schnell  und  leicht  scheint  ihm  die  Arbeit  bei 
diesen  Aufsätzen  von  der  Hand  gegangen  zu  sein;  aber  überhaupt  alles,  was  er 
sehrieb,  auch  seine  grossen  philosophischen  Werke  nicht  ausgenommen,  zeugt  von 
seltener  Flüssigkeit  und  (iewandtheit  der  stilistischen  Darstellung.  Durch  geistige 
Tiefe  und  systematische  Strenge,  durch  neue,  wissenschaftlich  bedeutsame  Krgeb- 
nisse  vermochte  Oarriere  mit  andern  Denkern  und  Forschern  seiner  Zeit  oft  nicht 
zu  wetteifern:  aber,  wie  wenige,  verstand  er  populär  im  guten  Sinne  zuschreiben, 
durch  einen  deutlichen,  schmuckreieben,  unter  TTmständen  auch  breiten  und  oft 
etwas  rhetorisch  gefärbten  Vorträte  anregend  und  zündend  auf  die  weiteren  Kreis, 
der  (Jebildeten  zu  wirken. 

Höher  aber  als  alle  wissenschaftlichen  Leistungen  des  Lehrers  und  Schrift- 
stellers steht  die  persönliche  Charaktertüchtigkeit  Carrieres.  ■  Kr  war  ein  guter 
Mensch,  treu  und  unermüdlich  im  Dienste  der  Pflicht,  vornehm  in  seiner  Gesinnung, 
rein  in  seinem  Wollen,  ehrlich  in  seinem  Handeln,  selbst  liebenswürdig  und  mit 
herzlicher  Liebe  seinen  Nebenmenschen  zugethan.  Er  glaubte  an  den  edlen  Kern 
der  menschlichen  Natur  und  kam  in  diesem  schönen  Optimismus  wohlwollend  allen 
entgegen,  die  seine  Hilfe  heischten.  Besonders  seinen  Schülern  und  jüngeren 
Kollegen  war  er  immer  nicht  nur  ein  berathender.  sondern  auch  ein  selbstthätiger. 
oft  aufopferungsvoller  Freund.  Die  Ideale,  die  er  predigte,  hat  er  im  eigenen 
Leben  redlich  zu  verwirklichen  getrachtet,  stets  und  überall  sich  edel,  hilfreich 
und  gut  erwiesen,  reichlich  Liebe  gesät  und  verehrungsvolle,  dankbare  Liebe 
geerntet. 

  -fr 

Der  Stand  der  biographischen  Studien  in  Spanien. 

Von 

RUDOLF  BEER. 


L 

Es  war  in  den  heisseu  Sommermonaten  des  Jahres  1HH7.  als  mir  von  Seite 
des  damaligen  l'alastliibliothekars  in  Madrid,  .Manuel  Kemou  Zarco  del  Talle,  eine 
Auszeichnung  zu  Theil  wurde,  die  sich  während  meiner  ganzen  fast  dreiviertel- 
jährigen  Thätigkeit  in  den  Bäumen  der  königlichen  Bibliothek  nicht  mehr  wieder» 
holte.  Angeregt  durch  einige  Bemerkungen  von  meiner  Seite  über  spanische 
Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Bibliographie  und  Biographie  führte  mich  Zaren 
in  einen  sonst  stets  hermetisch  verschlosseneu  und  für  Profane  völlig  unnahbaren 
Raum,  in  welchem  die  Karissima  und  Curiosa  der  Bibliothek  geborgen  waren.  Auf 
einein  breiten  Tische  war  eine  umfangreiche  Kollektion  von  Büchern,  Broschüreu 
und  Schriften  aufgestellt,  auf  die  mich  Zarco  ganz  besonders  aufmerksam  machte 
und  die.  wie  ich  gleich  sah.  die  eigentliche  Veranlassung  zu  dem  Besuche  dc> 
Sanctuariums  bildete.  Während  eines  vollen  Menschenalters.  so  erklärte  Zarco. 
habe  er  Alles,  was  sich  auf  spanische  Biographie  beziehe,  gesammelt.  .Bücher.  Aus- 
schnitte, auch  Manuskripte  hier  zusammengetragen:  es  wäre  dies  das  Material  zu 
einer  Bihliothcca  biographica  Hispauiensis.  welche  er  in  Bälde  herauszugeben  hoffe. 


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Der  Stand  der  biographischen  Studien  in  Spanien. 


305 


Mieser  Zusatz  verwehrte  es  mir,  von  deu  einzelnen  durch  Znreo  zusammengestellten 
Werken  Titelkopien  zu  nehmen  —  was  ich  vor  mir  sah,  war  eine  fremde  geistige 
Arheit  wie  jede  andere  —  aber  dass  ich  es  nicht  durfte,  halie  ich  gar  oft  bei 
meinen  Untersuchungen  lebhaft  bedauert. 

Das  von  Zarco  geplante  Werk  ist  nie  erschienen,  und  es  ist  auch  sehr  fing- 
li«-h.  ob  der  mittlerweile  zum  Palnstinspektor  betorderte  (ielehrte  noch  die  Müsse 
linden  werde,  es  herauszugeben.  Nichts  destowen iger  wollte  ich  mir  es  nicht  ver- 
sagen, auf  diese  erste,  gewiss  sehr  werthvolle  Materialiensammlung  zu  einem  bio- 
graphischen Lexikon  Spaniens  hinzuweisen. 

Zarcos  Arbeit  ist  übrigens  charakteristisch  für  den  Stand  der  biographischen 
Stadien  in  Spanien  überhaupt. 

Ks  giebt  kein  allgemeines  biographisches  Lexikon  für  dieses  Land,  und 
schmerzlich  empfindet  diesen  Mangel,  wer  des  Nutzens  «redenkt,  mit.  welchem  man 
die  einschlägigen  Werke  für  Deutschland,  Osterreich,  Frankreich.  England,  Holland 
u.  s.  w.  konsultirt.  Noch  viel  mehr  empfinden  die  Lücke  die  spanischen  Forscher 
selbst,  «leren  erfreuliche  und  erfolggekrönte  Vorliebe  für  literarische  und  historische 
Studien  ausser  Zweifel  steht.  Es  ist  daher  doppelt  auffallend,  dass  wir  eines 
solchen  umfassenden  Gesammtwerkes  noch  entbehren  —  vielleicht  sind  hierfür 
(i runde  maassgebend .  die  im  Folgenden  noch  berührt  werden  sollen  •— .  und  so 
lange  wir  nicht  einmal  eine  Zusammenstellung:  dessen  besitzen,  was  auf  biographi- 
schem Gebiete  von  Spanien  in  Kinzelarbeiten  bisher  geleistet  wurde,  dürfte  jeder 
einschlägige  Versuch,  den  Besitzstand  zu  skizziren,  willkommen  sein  und  bei  dorn 
absoluten  Mangel  an  Vorarbeiten  auf  nachsichtige  Beurtheilung  zählen. 

Man  trete  nur  an  das  eine  oder  andere  Gebiet  näher  heran,  beispielsweise 
die  Literatur.  Trotz  der  hervorragenden  Leistungen,  die  namentlich  in  den  letzten 
Jahrzehnten  auf  diesem  Felde  zu  Tage  traten,  bleibt,  Demjenigen,  der  sich  rasch 
über  die  yita  eines  spanischen  Schriftstellers  orientiren  will,  in  den  meist eu  Fällen 
nichts  Anderes  übrig,  als  die  manchmal  recht  dürftigen  Angaben  zu  benützen, 
welche  Nieolaus  Antonio  vor  just  i*« M l  Jahren  gesammelt.  J'erez  Häver  (in  der 
/.weiten  Ausgabe  der  Bibliotheea)  mit  anerkennenswerthem  Verständnis*  erweitert  hat. 

Seit  dieser  Zeit  ist  -  es  klingt  fast  unglaublich  —  keine  zusammenfassende, 
aas  den  Quellen  dargestellte  Geschichte  der  spanischen  Literatur  erschienen.  Desto 
wichtiger  ist  es,  auf  verschiedene  Einzeldarstellungen  und  entlegenere  Quellen  hin- 
zuweisen, die  von  Wenigen  gekannt  und  noch  Wenigeren  benutzt,  werthvolles 
Material  für  die  Biographien  spanischer  Schriftsteller  bieten.  Ich  nenne  hier  Rodri- 
iruez  de  Castro,  der  in  seiner  Hihlioteca  vielfach  aus  heute  nicht  mehr  zugäng- 
lichen Quellen  schöpfte  und  namentlich  der  so  weit  ausgebreiteten  jüdisch-spanischen 
Literatur  zum  ersten  Mal  die  gebührende  Aufmerksamkeit  schenkte.  Sein  Ver- 
dienst schmälert  nicht  der  l instand,  dass.  was  das  letztgenannte  Gebiet  betrifft, 
seine  Arbeiten  zum  Theil  durch  Amador.  weit  mehr  noch  durch  Moriz  Steinschneider 
in  seinem  monumentalen  Werke  überholt  wurden.  Ein  überaus  fruchtbares  Gebiet, 
das  der  spanischen  Übersetzuugsliteratur  in  ihren  Vertretern,  ist  durch  den  alten 
Pellieer  y  Saforcado  recht  unzulänglich  bearbeitet  worden.  Es  giebt  nicht  leicht 
♦•ine  dankbarere  Aufgabe,  als  die  über  alles  Erwarten  fruchtbar«'  Thätigkeit  spani- 
scher Übersetzer  in  der  Frührenaissance  zu  schildern.  Das*  diess  weit  mehr  Sache 
des  Literarhistorikers  als  des  Miographeu  sei.  kann  nicht  zugegeben  werden.  Nur 
durchdringende  Erfa-ssung  der  gesammten  Zeitverhältnisse  wie  der  Individualität 


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Biographische  Mütter. 


der  einzelnen  Übersetzer  wird  es  ermöglichen,  diese  merkwürdige  Bewegung,  dieses 
Umpflanzen  fremder  Reiser  auf  den  eigenen  nationalen  Boden  richtig  zu  würdigen. 
Ist  eine  solche  Untersuchung  einmal  planmässig  unternommen,  so  wird  sich  er- 
geben, dass  die  Kulturgesihichte  mindestens  ebenso  grossen  Nutzen  aus  derselben 
zieht  als  die  Geschichte  der  Literatur. 

Man  wird  mir  einwenden,  dass  ich  der  grossen  Verdienste  vergesse,  welche 
Amador  de  los  Rios  sich  um  die  Biographien  spanischer  Dichter  und  Schriftsteller 
in  seiner  breit  angelegten  Historia  critiea  erworben.    Ich  bin  weit  entfernt,  da-«* 
was  Amador  geleistet,  zu  unterschätzen;  sein  Werk  ist  die  Frucht  bewunderns- 
wertben  Fleisses  und  unsäglicher  (Jeduld.  aber  in  seiner  ganzen  Anlage  geradezu 
dem  widersprechend,  was  wir  mit  Recht  von  einem  derartigen  Handbuche  zu  for- 
dern haben.    Ganz  abgesehen  davon,  dass  es  mit  der  Knoche  der  Heyes  eafölicos 
schliesst.  also  gerade  die  goldene  Zeit  spanischer  Literatur  nicht  erreicht,  wird  es 
für  Denjenigen  geradezu  zur  Qual,  der  sich  über  den  einen  oder  den  amiern  Ver- 
treter der  altspanischen  Literatur  orientiren  will.    Die  Auszüge  aus  Werken  und 
Stoffen  erdrücken  jede  auch  noch  so  markante  Individualität,  und  noch  nie  ist  zum 
Y ortheil  der  Materie  so  viel  an  den  Personen  gesündigt  worden.    Erinnert  man 
sich  noch,  dass  für  die  sieben  starken  Bände  mit  vielen  tausend  Seiten  kein  Index 
angefertigt,  dass  nicht  einmal  der  Versuch  gemacht  wurde,  die  Benützung  des 
Werkes,  welches  ein  und  dieselbe  Persönlichkeit  an  den  verschiedensten  Stellen 
behandelt,  zu  erleichtern,  so  wird  man  es  begreiflich  finden,  dass  Amador  mit 
seinem  Werke  lange  nicht  jenen  fruchtbaren  Einfluss  geübt,  den  er  unter  anderen 
Umständen  hätte  haben  können,  und  dass  selbst  in  Spanien  fremdländische  Dar- 
stellungen der  s|Kinischen  Literatur,  wie  die   von  Ticknor.  sich   mit  Erfolg  ein- 
bürgern konnten.    Das  Gleiche  gilt  von  Werken  über  einzelne  Zweige  der  Lite- 
ratur, speziell  von  der  dramatischen.    Dass  wir  an  erster  Stelle  der  lebensvollen 
und  begeisterten  Schilderung  des  Grafen  Adolf  Friedrich  von  Schack  gedenken, 
ist  wohl  selbstverständlich.   Er  ist  es  auch,  welcher  als  Erster  den  Lebenslauf  der 
einzelnen  Dramatiker  wissenschaftlich,  d.  h.  auf  urkundlicher  Grundlage  darzu- 
stellen versuchte,  und  wir  würden  ihm  auch  in  dieser  Beziehung  die  Palme  unter 
den    Forschern  auf  dem  Gebiet»'  des  spanischen  Dramas  zuerkennen,  wenn  er 
nicht  in  Barrera  «'inen  bedeutenden  Konkurrenten  erhalten  hätte.    Sein  Uatälogo 
ist  i'ine  in  jeder  Beziehung  respekteinflössende  Leistung,  und  nicht  das  letzte  Ver- 
dienst des  Autors  ist  es,  dass  er  der  biographischen  Seite  der  Arbeit  in  hervor- 
ragender Weise   Rechnung  getragen.     Von  diesem  Werke  hat  auszugehen,  wer 
immer  über  spanische  Dramatiker  sich  unterrichten  will. 

In  zweiter  Reihe  kommen  jene  Werke  in  Betracht,  welche  nicht  ausschliess- 
lich biographische,  ja  zum  Theil  nicht,  einmal  literaturhistorische  Interessen  ver- 
tilgen, gleichwohl  aber  für  unsere  Zwecke  wichtig»'  Materialiensammlungen  bieten. 
Vor  allem  Rivadeneyra's  Biblioteca,  dieses  imponireude  Denkmal  Staunens werthen 
Fleiss«'s.  wie  nicht  mimler  der  Opferwilligkeit  eines  spanischen  Verlegers.  In  den 
71  starken  Quartbünden,  wehh»'  die  Sammlung  umfasst,  sind  die  Klassiker  der 
spanischen  Litteratur  in  ihren  vorzüglichsten,  zum  Theil  mustergültig  edirten 
Werken  vertreten  und  in  den  Einleitungen  ist  dem  biographischen  Moment  meist 
»li<»  gebührende  Stelle  eingeräumt.  Um  die  lirauchbarkeit  »les  grandiosen  Werkes 
zu  erhöhen,  ist  im  71..  dem  Srhlusshaude,  ein  vernünftig  angelegter  Index  bei- 
g«'geb«'n  w»trd»Mi.  d<-r  rasche  und  sichere  Aufschlüsse  vermittelt.    Den  biographischen 


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Der  Stand  der  bi*e.naphisehen  .Studien  in  Spanien.  .307 

Apparat  iür  die  Vertreter  der  spanischen  Sprache  und  Litteratur  vervollständigen 
•  iaiirt*  in  jüngster  Zeit  ••rschieiiene  sehr  verdienstliche  Werke.  Vifia/a's  Bibliotcca 
liistörica  ist  eine  der  bedeutendsten  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  Phihdoirie 
überhaupt,  nicht  bloss  auf  dem  der  spanischen  Sprachwissenschaft.  Für  unseren 
Zweck  jrenüfrt  es.  darauf  hinzuweisen,  dass  in  den  /.ahlreichen  Auszügen  und 
Rezensionen  von  Werken  spanischer  Linguisten  seit  dem  sechzehnten  Jahrhundert 
»las  persönliche  Element  keineswegs  vernachlässigt  ist.  Man  lese  zum  lieispiel  die 
interessanten  Details  über  das  Leben  des  Juan  Vahles,  des  Verfassers  des  berühmten 
Diälo^o  de  la  lenirua.  und  des  Antonio  Bastcro,  des  Verfassers  der  (Vusca  proven- 
zale.  Auf  einem  enteren  Gebiete  bewegt  sieh  die  Arbeit  von  Sharhi:  Monnyrafia 
Mihre  los  refranes,  etc..  aber  innerhalb  dieses  Kähmens  ist  in  gleichfalls  verdienst- 
licher Weise  den  Autoren  der  verschiedenen  hochinteressanten  Sprm  hsainuilun^eii 
—  natürlich  wo  dieselben  zu  ermitteln  waren  Aufmerksamkeit  geschenkt 
«■onlen. 

I 

l»h  könnte  die  Beispiele  für  derartige  sekundäre  Tlülfsmittel  zur  Feststellum: 
der  Biographien  von  Vertretern  spanisc  her  Litteratur  und  LiiiLruistik  beliebiir  er- 
weitern, aber  schon  aus  den  eben  cbarakterisirten  ist  völliir  klar,  wie  ausserordeut- 
lieh  vielyesialtiy  «Ii«*  Külfsmittel  sind,  welche  sieh  dem  Biographen  bieten,  und  mit 
welchen  Schwierigkeiten  er  zu  kämpfen  hat.  um,  bestimmte  Daten  ülter  den  Lebens- 
lauf irgend  eines  Schriftstellers  zu  erhalten  —  von  Darstellungen  abireruudeter 
Lebensbilder  <jranz  »u  jres«:hw»*iyen. 

t'nd  «ranz  ähnlich  wie  bei  den  Vertretern  der  Literatur  verhält  es  sich  bei  den 
Meistern  der  bildenden  Kunst. 

Noch  bis  in  die  allerjün«:ste  Zeit  mussten  Bioyraphien  spanisc  her  Künstler, 
falls  es  sich  nicht  pei-ade.  um  Koriphncn  bandelt»',  auf  den  alten  (Van  Bermiidez 
zurückgehen.  Au<h  Xairlcr  und  Müller  haben  mit  keinem  anderen  Apparat  ir«-- 
arbeitet.  lud  sajren  wir  es  «rleich:  (Van  war  einer  solchen  lienchtuiiff  wert  Ii.  er 
hat  Trefflhhes  geboten,  sowohl  an  Material  wie  auch  in  der. .Anlage  seines  Werk«'s. 
nicht  zu  mindest  in  seinen  Indiccs.  »Ii«*  wir  auch  heute,  flieht  besser  einrichten 
könnten,  l'nd  doch  bjetet  er  nur  eine  verschwindend  kleine  Zahl  von  Bi<><_rraphiccn 
iia  Vergleich  zu  den  Meistern,!  die  Spanien  .  hervorgebracht.  Das  zeiirt  am  liest en 
des  unermüdlichen  (-trafen  Vinaza .  yierbändijres  Suplemento.  dessen  Studium  wir 
Kunst-  und  Kulturhistprik  tu  nicht  angelegentlich  «zeiiu^  empfehlen  können,  l'nd 
doch  hätte  der  fleissj«fe  Biograph  sein  Kr^ünziuiirsmuterial  verd»»ppeln.  ja  verdrei- 
fachen könuen.  wenn  ihm  die  I>aten  zur  Vertli^un«/  ^«•standen  hätteu.  welche  einzig 
und  allein  aus  den  .  zahllosen  Kartularien  der  Kirchen  und  Klöster  zu  i:ew -innen 
sind.  Dass  diese  eine  jzanz  unabsehbar«'  Fülle  über  Künstler  und  Kunst liaudw -erker 
enthalten,  ist, jedem,  der  einmal  in  ein  solches  kirchliches  Grumlbmh  Einblick  jje- 
iioinineii,  zur.  Genüge  klar.  Was  aus  ihnen  in  Zusammenhanir  mit  sc  heinbar  <:auz 
?erin£fü£ijrt*n  Notizen  aus  Handschriften  und  Urkunden  fiir  »  inen  cinziireu  Zwei-.« 

des  Kunsttrewerbes.  »lie  Bü(h««rilluinitiation.  zu  «rewii  n  ist,  habe  ich  in  meinen 

-Handschriftenschützeu  Spaniens  (Index  11)"  zu  zeiiren  versucht.  Dort 
findet  man  etwa  zehn  Mal  so  viel  Kalligraphen  und  Minintoren  namentli»  h  ange- 
führt, als  in  (Van  und  Viüaza  zusammengenommen,  l'nd  «loch  habe  ich  Voll- 
Mändijrkeit  Laufe  nicht  erreicht,  überhaupt  nur  auf  »inen  Tbeil  des  publizierten 
.Materials  Rücksicht  genommen. 

Doch  •r»,nu<r.  Es  ist  v<dlstnndi:r.  klar.  das<  die  maa^uehemh-ti  w  -iv»eiis»  liaftli«  Ich 
Hiojo-aphische  Blatter.  I. 

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308  Biographische  Blätter. 

Kreise  in  Spanien  noch  weniger  als  die  Fremden  der  Einsieht  sich  verschliessen  konnten, 
es  sei  dringende  Notwendigkeit  vorhanden,  die  Anlage  eines  universellen  biogra- 
phischen Lexikons  auf  diesem  oder  jenem  Wege  anzubahnen.  Die  Real  Academia  de 
la  Historia  in  Madrid  hat  denn  auch  wirklich  schon  seit  Jahren  einen  daraufhin  ab- 
zielenden  Plan  gefasst.  Obgleich  derselbe,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  bis  zum 
heutigen  Tage  nicht  viel  mehr  als  akademische  Bedeutung  erlangt  hat.  so  wollen 
wir  doch  bei  der  Organisation  desselben  kurz  verweilen.  Die  Vorschriften  für  die 
Abfassung  des  allgemeinen  biographischen  Lexikons  Spaniens  sind  unter  dem  Titel: 
Reglas  aeordadas  por  la  Academia  de  la  Historia  para  la  redaeeiön  de  papeletas 
que  hau  de  servir  de  materiales  al  diccionario  biografico  Espaiiol  im  Boletin  de  la 
Real  Academia  de  la  Historia  Tom.  7  (1HH5)  Pag.  424  f.  veröffentlicht  worden  und 
lauten  im  Wesentlichen  wie  folgt: 

1.  Las  noticias  de  los  personajes  historicos  de  cualquier  epoca,  dignas  de  mencion. 
se  escribiran  en  cuarto  espanol,  o  sea  cuarta  parte  del  pliego  del  papel  del  sello  oticial,  con 
el  ftn  de  facilitar  con  la  uniformidad  el  orden,  clasiticacidn  por  alfabeto  y  consulta  de  las 
que  se  vayan  presentando.  Estas  papeletas  estarän  escritas  en  una  sola  cara  del  papel;  y 
siendo  mäs  de  una,  con  relacion  al  misrao  personaje,  se  comprenderän  en  carpeta,  en  cuya 
parte  exterior  vaya  escrito  el  nombre. 

2.  (Vorschriften  Uber  die  Namensschreibung  und  Anordnung  der  Geschlechtsnamen) 
.  ...  En  h  a  casos  da  ambigUedad  se  prevendnin  las  dudas  por  medio  de  papeletas  sueltas 
de  referencia,  tantas  como  se  crean  necesarias.  Tratando  del  gran  duque  de  Alba,  por 
ejemplo,  se  escribirä  en  la  magistral  Alvarez  de  Toledo,  y  en  las  de  referencia,  Toledo  y 
Alba,  Duque  de  

3.  Despues  del  nombre  contendran  las  papeletas  los  hechos  culminantes  de  personaje. 
prefiriendo  siempre  las  fechas  de  naeimiento  y  defuncion  y  el  lugar  de  naturaleza:  ü  la 
concisiön  de  los  sucesos  suplira  la  mayor  copia  posible  de  autores  que  ban  tratado  de  ello*. 

4.  Las  papeletas  asi  redactadas  se  presentarän  con  firma  del  autor  en  las  sesiones 
de  la  Academia,  para  objeto  de  las  deliberaciones. 

o.  Admitidas  que  sean  las  papeletas  por  las  de  cada  persona,  se  abonarän  al  autor 
dos  pesetas  para  pago  de  amanuense. 

6.  Una  vez  al  ano  se  publicarä  en  el  Boletin  lista  alfabetica  de  las  papeletas  presen- 
tadas  en  su  transcurso,  con  objeto  de  prevenir  las  ropeticiones. 

Man  sieht,  es  finden  sich  in  diesen  Vorschriften  einige  Bestimmungen,  die 
Beachtung  verdienen.  Die  äussere  Anlage  auf  Zetteln  in  gleicher  (Jrösse  unter 
strenger  Beobachtung  der  alphabetischen  Anordnung  entspricht  vollkommen  unserem 
bibliothekarischen  Oebrauehe.  Auch  das  Prinzip,  bei  einem  so  umfassenden  Lexikon 
nur  die  allerwesentlichsten  biographischen  Momente  hervorzuheben,  wird  zu  billigen 
sein.  Schwer  wiegen  aber  die  Bedenken,  welche  gegen  andere  Punkte  der  mit- 
geteilten Keglas  sprechen.  Man  vermisst  die  Grundlage,  d.  h.  die  Angabe  der 
Namensammlung,  von  welcher,  sei  sie  auch  unvollständig,  jede  derartige  Arbeit 
auszugehen  hat,  man  vermisst  zweitens  einen  Hinweis  auf  die  Vertheilung  der 
Arbeit  und  die  Hilfsmittel,  seien  es  nun  archivalische  oder  bibliothekarische,  welche 
zur  Verwendung  gelangen  sollen.  Jedermann,  der  Lust  hat,  darf  mitarbeiten,  darf 
Artikel  einsenden,  und  erhalt  für  jeden  derselben  den  Betrag  von  2  Peseta»,  d.  h. 
etwa  80  Kreuzer  österreichischer  Währung.  Es  springt  in  die  Augen,  dass  eine 
solche  Art  von  Centraileitung  nicht  genügen  kann.  Auch  ist  der  Probeartikel 
über  Juan  de  Austria,  welchen  Cesäreo  Eernandcz  Duro  dem  Reglement  beifügt, 
nicht  geeignet,  grosse  Hoffnungen  zu  erwecken.    Er  enthält  allerdings  Alles,  was 


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Der  Stand  der  biographischen  Studien  in  Spanien. 


309 


man  billigerweise  für  80  Kreuzer  verlangen  kann,  aber  von  einer  Persönlichkeit 
wie  Duro  hatte  man  Anderes  und  Bessere»  erwartet.  Soll  schon  eine  welthisto- 
rische Persönlichkeit  auf  einer  Druckseite  in  8°  biographisch  gewürdigt  werden  — . 
man  erinnert  sich  da  unwillkürlich  der  famosen  Absehätzung  der  Personen  nach 
1,  2  und  4  Seiten,  wie  sie  in  der  Einleitung  zur  „Deutschen  Biographie"  beliebt 
wurde,  dann  aber  selbstverständlich  fallen  gelassen  werden  musste  —  so  darf  man 
doch  beanspruchen,  dass  dann  den  Literaturangaben  volle  Aufmerksamkeit  zuge- 
wendet wird.  Die  Angaben  sind  aber  bei  Duro  sehr  mangelhaft,  sowohl  was  die 
gedruckten  als  was  die  handschriftlichen  Quellen  anlangt.  (Man  vergleiche  meinen 
Aufsatz:  Die  Galeere  des  Don  Juan  de  Austria  bei  Lepanto,  Jahrbuch  der  kunst- 
historischen Sammlungen  des  allerhöchsten  Kaiserhauses  Bd.  XV..  wo  übrigens 
ein  kleiner  Theil  der  Quellen  zur  Besprechung  gelangen  konnte.) 

Das  Unternehmen  der  Akademie  litt  also  von  allem  Anfang  an  an  schweren 
(lehrechen.  sowohl  in  der  Organisation  wie  auch  in  der  Ausführung  des  Planes, 
and  die  Konsequenzen  haben  sich  auch  dementsprechend  eingestellt.  Noch  besteht 
fort  in  der  Akademie  eine  eigene  Kommission  für  das  Dieeionario  biognitico  -  das 
Almanach  der  Akademie  führt  für  das  Jahr  1891  (vgl.  Boletin  Tom.  XV III.  Pag.  97) 
Paseual  de  Ga3'angos  y  Arce,  Eduardo  Saavedra  y  Moragas,  Francisco  Codera  y 
Zaidin.  Fidel  Fita  y  Colome  und  Cesareo  Fernandez  Duro  als  Mitglieder  derselben 
auf  — ,  aber  von  der  Thätigkeit  der  Kommission  ist  bis  heute  gar  wenig  bekannt 
geworden.  Der  IX.  Band  des  Boletin  Pag.  396  hringt  die  Namen  einiger  Personen, 
deren  Biographieen  von  Duro  geliefert  wurden,  hier  und  da  stossen  wir  auf  die 
Anzeige  der  einen  oder  der  andern  biographischen  Arbeit,  das  ist  aber  auch  Alles. 
Sehr  charakteristisch  für  den  Stand  oder  besser  gesagt,  Stillstand  der  von  der 
Akademie  eingeleiteten  Aktion  ist  die  jedenfalls  auffallige  Erscheinung,  dass  in 
einem  der  letzten  Bände  des  Boletin,  nach  so  langjähriger  Existenz  der  biographi- 
schen Kommission,  nichts  Zeitgemässeres  geliefert  werden  konnte,  als  die  Aus- 
grabung von  zwei  längst  vergessenen  Gutachten,  nämlich  1)  Vidas  de  Espanoles 
celebres,  von  Quintana,  abgegeben  von  Martin  Fernandez  de  Navarrete,  Diego 
Clemencin,  Jose  Musso  y  Valiente,  ddo.  5.  Mär/.  1830  und  2)  Dieeionario  biografico 
de  Espanoles  celebres,  abgegeben  von  .lose  de  la  Canal,  und  .Tose  Musso  y  Valiente 
ddo.  15.  September  1826  (vgl.  Boletin  Tom.  XXIV  p.  2ö5ff.);  für  das  schon  vor 
mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  bestandene  Interesse  an  der  Anlage  eines  all- 
gemeinen biographischen  Lexikons  Spaniens  liefern  diese  Urkunden  allerdings  einen 
beredten  Beleg. 

Weit  fruchtbarer,  weil  auf  praktischen  (i rundlagen  aufgebaut,  erwies  sich 
ein  anderer,  mit  dem  Unternehmen  der  Akademie  ].arallel  laufender  Plan,  welcher 
von  der  Nationalbibliothek,  bekanntlich  der  ersten  des  ganzen  Landes,  unter  that- 
kräftiger  Theilnahme  der  spanischen  Regierung  inaugurirt  wurde.    Das  genannte 
Institut  betrachtet  seine  Aufgabe  mit  der  Sammlung,  Konservirung  und  Vermitte- 
lung  literarischer  Schatze  nicht  abgeschlossen.   Die  Nationalbibliothek  bildet,  wenn 
man  will,  einen  wissenschaftlich  schöpferischen  Faktor  im  geistigen  Leben  Spaniens 
und  hat,  wenigstens  im  vorliegenden  Falle,  der  Akademie  der  Geschichte  erfolg- 
reich Konkurrenz  gemacht.    Seit  dem  Jahre  18")8  wurden  von  ihr  alljährlich  ein 
bis  zwei  Preise  für  die  besten  biographischen  oder  auch  bibliographischen  Arbeiten 
Tiber  ein  frei  zu  wählendes  Thema,  jedoch  zu  dem  bestimmten  Ende  ausgeschrieben, 
die  Abfassung  einer  allgemeinen  spanischen  Biographie  zu  verwirklichen  oder  doch 

20* 

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:U0 


Biographische  Blatter. 


entsprechend  vorzub«Tciton.  Die  stattliche  Ji^ibe  dir  durch  diese  Initiativ«-  •»■>•- 
schaffenen  Werk«-  ht* weist,  dass  der  «■iii'jres«  blauem*  Weg  der  richtig«'  war.  Natürlich 
wurden  nicht,  wie  bei  uns  /.u  Lande,  für  Arbeiten,  welche  jahrelange  opforvtdle 
Mühe  erheischen.  Preise  von  HM»  fl.  oder  iJ<X »  Mark  ausgesetzt;  die  preisgekrönte 
Arbeit  erhielt  in  der  Kegel  1  öOO  Francs,  und  der  Staat  gewährt  was  das 
Wichtigste  ist  einen  Druckkostenbeitrag  nebst  einer  stattlichen  Anzahl  von 
Freiexemplaren  für  den  Autor.  Das  Krfrculichste  an  der  Sache  ist.  das.«  eine 
grössere  Zahl  von  Werken,  die  in  früheren  Jahrzehnten  verfasst.  jedoch  bei  der 
(Jelduoth  während  der  politischen  Wirren  nicht  in  Druck  gelegt  wurden,  nunmehr 
ihr  Auferstehen  feiern.  Zu  den  wichtigsten  in  diese  Kategorie  gehörenden  Werken 
zählt  natürlich  in  erster  Linie  (Jallardo's  Bibliotecu  Kspafiola.  U$«V2  prämiirt.  von 
welcher  Band  I  1803.  Band  II  !*♦><».  Band  III  und  IV  jedoch  unter  der 
energischen  Mitwirkung  Menendez-IVlayo's  ,-  erst  IHmh  zur  Publikation  gelangten. 
Heilte  ist  die  Heihc  der  von  der  Bibliotoca  Nacional  publizirten  Werke  selbst 
bereits  zu  einer  stattlichen  .Bibliothek  angewachsen,  wie  aus  der  im  Folgenden 
tnitzutheilenden  Bücherliste,  in  welche  wir  die  bezüglichen  Daten  aufgenommen 
haben,  leicht  ersichtlich  wird.  ( « leichzeitig  sieht  man.  dass  es  sieh  —  augefangen  von 
t'olineiro's  Botanikerhiographh*  hjs  auf  Allende  Salazars,  Martine/'s.  Duro's  und  Per«*/ 
Pastor  s  biographische  Arbeiten  --,  durchweg  um  vortreffliche  Leistungen  handelt. 

Das  lTutcrnehmeu  der  Bibtiotheca  National  wirkte  aber  nicht  bloss  virttite, 
sondern  auch  exeinplo. 

Verschiedeue  Momente:  der  unter  den  Spaniern  unleugbar  wirk-  und  re^T- 
>ame  historische  Sinn,  ein  i'ewhser  Lokal -Patriotismus,  das  auch  im  politischen 
Leben  bedeutsame  Zusammenhalten  der  maassgebenden  Kreise  innerhalb  der  ein- 
zelnen Provinzen,  in  Spanien  ngmimlismo  genannt,  nicht  zum  Mindesten  aber  «Ii«*  Kr- 
kenntniss  des  hervorragenden  Nutzeiis  der  Werk«',  webhe  auf  Veranlassung  der 
Niitional-Bihliothek  in  Madrid  ins  Leben  gerufen  würden,  haben  zum  Kntstelieii 
der  verschiedenen  biographischen  Werk«'  beigetragen,  weh  he  in  der  am  Schlüsse 
beig«'gebenen  Zusammenstellung  angeführt  erscheinen.  Dem  Werth«?  mich  ungleich, 
sind  si«>  trotzdem  überaus  wichtige  Materialien  für  den  .Biographen,  um  so  wich- 
tiger, weil  die  (Quellen,  ans  denen  sie  geschöpft  sind .  sonst  zumeist  unzugänglich 
bleilien.  ja  in  mehrfachen  Fällen  nur  für  den  bestimmten  Autor  bei  bestimmter 
i  iele.gonheit  «*rs«ddie»bar  waren.  ,  t  > 

Dass  durch  alle  «lies«-  später  angeführten  Werke  selbst  in,  dem  Falle.,  i  wenn 
sie  durch  «'in«>  ordnende  Hand  zusamincng«'stellt.  und  in  ein  einziges  (lenoral-Lexikon 
vereinigt  würden,  schon  eine  allgemeine  brauchbar«!  Biographie  Spaniens  gewonnen 
würde,  wäre  ich  gleichwohl  nicht  zu  behaupten.  Di«  W«'gr.  auf  welchen  eine 
soh  lte  zu  erreichen  wäre,  sind  so  viel  wrzwoig*  und  der  Plan  als  solcher  so  aus- 
greifend, das  ich  mich  an  dieser  Stelle  mit  blossen  Andeutungen  begnügen  muss 
und  zwar  mit  solchen,  welche  dem  cispvrenäischen  Forscher  bei  Arbeiten  auf  Im*. 
>timmten  (iebieteu  vielleicht  «'inen  Finder/eis.'  geben  könnten.  Das  gesammte  un- 
geheuere Material  s«  •hcnh't  si«-h  naturgemäss  in  zwei  Theile:  In  denjenigen.  welcher 
sich  ans  hauds<-hrift  Indien  (archi valiscben  i  (Quellen  gewinnen  lässt.  und  in  «len  zweiten, 
für  welchen  die  beivits  im  Drink  publizirten  bio-  und  bibliographischen  Werke 
«•inen  leichter  zugängludien  Stolf  darbieten. 

I  ber  <l«'ii  «'i'stcn  Theil  kann  i«-b  mi«  h  um  so  bündiger  fassen,  als  ich  glaub«-, 
in  iiiciiiein  vor  Kurzem  «•  rs«diieneiicu  Bn«,-he:  ..Handschrifteiischätze  Spaniens- (Wien. 


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Der  Stand  der-  biof_«raphis«-hen  Studien  in  Sp-nten. 


Tempsky  1*'.»4.  h°)  über  all«*  wi»  htii:<'ren  handschriftlichen  Ih'stände  Spaniens  eim-n 
Üb»'rblick  ircireben  zu  haben,  (ih'hhwnhl  kann  ich  nicht  umhin,  auf  di»*  bereits 
kurz  (tbfii  Erwähnten  Kartularien  der  Klöster,  Stifte  und  Kiivhen  als  die  wichtigst«' 
Quelle  für  mittelalterliche  Biographie  naehdrüeklirh  hinzuweisen.  Zum  Zweeke 
der  vorliegenden  Arheit  wurden  von  mir  die  Daten  üher  dies»-  Kartularien.  welche 
sich  am  Besten  im  Anuario  del  Cuerpo  facultativ«)  de  Archiveros.  Hihlioferarios  y 
Anticiiarios.  Madrid.  1XK1  1KH2.  *°  (speziell  im  Artikel  über  das  Arehivo  historico 
nacional  zu  Madrid.  Band  II,  pa».  Uli)  vereinigt  tinden.  neuerdings  verglichen. 
Leider  muss  ich  es  mir  versagen,  den  ireradezu  stu]»enden  Keichthum  solcher  (  opial- 
Biicher  aus  Celannva.  (iuadalupe.  Leon.  Luyo.  Madrid.  Mallorca.  Mnnteara;rou. 
Xajera.  Ofia.  Osera.  l'ohlet,  "Rueda.  Sahai.'iin.  San  Juan  de  la  Rena.  Santiairo. 
Seirovia.  Sohnido.  Toledo.  Valencia  und  hundert  anderen  Städten  auch  nur  an- 
nähernd zu  skizziren.  Ich  kann  hier  nur  den  Wutisch  zum  Ausdruck  bringen, 
es  lnojrc  die  spanische  Re«rierun«r  ähnlich  wie  in  rYankreich  die  Publikation  dieser 
eminent  wichtigen  Quellen  veranlassen,  freilich  auch  die  eindringliche  Mahnuni: 
für  jeden  Knrseher  auf  dem  (»einet»'  spanischer  Biographie,  diese  in  einem  wohl- 
geordneten Archiv  jetzt  laicht  zugänglichen  rrkundensammluiuc  bei  jeder  Arbeit 
in  erster  Linie  zu  Käthe  zu  ziehen.1) 

Unter  den  grossen  «rednnkten  Sammelwerken,  welche  für  den  iihurraphen 
wünsch«Miswerthes  Material  bieten,  findet  sich  eine  iranze  R«'ih«\  die  hier  trotz  aller 
gebotenen  Kürze  doch  nicht  gut  tiborirauiren  werden  kann.  Der  grosse  Reise- 
bericht daime  Villanueva  s  wie  die  von  Florez  begonnene  und  von  verschiedenen 
Fortsetzern  jetzt  bis  zum  f>*2.  Bande  weitergeführte  Kspana  Sairrada.  sind  auch 
heut»*  noch  für  den  Biographen  unentbehrlich«'  Nachschlagewerk«'.  Leider  jrebeu 
sie  wi«-  die  m«'ist«'ii  der  späteren  Samnndwcrke  Aulass  zur  b«'rechtiirten  Klage  <d> 
ihn-s  Mangels  an  entsprechenden  R«'gistern.  Man  darf  unbedenklich  die  IMiauptung 
wagen,  dass  die  ganz«'  spanisch«'  Histori«»graphi«'  und  Biographie  lu'Ute  um  ein 
halbes  Jahrhundert  weiter  wäre,  als  siY  c«  thatsächlich  ist.  wenn  man  zu  beiden 
eben  genannten  \Verk«'n  «•ntsprtrlu'iid*'  Indices  Insasse.'-')  Der  iiäudichc  V«»rwurf 
mu^s  auch  den  neueren  Urkunden- Publikationen.  d»*r  ('«deeeiön  de  Docuin«'ntos 
ine«litos  para  la  historia  de  Espana.  der  ( '»decchui  de  Docunu'iitos  im'ditos  d«'l 
Archivo  general  de  la  corona  d»'  Aragon,  den  Memorias  und  »lein  Memorial  historico 
de  la  Real  Academia  de  la  Historia  gemacht  werden,  während  das  Boletin  derselben 
Akademie,  wi»-  ich  «-iner  eben  an  mich  gelangten  Anzeige  entnehme,  einen  Index 
über  die  bis  jetzt  erschienenen  2~>  Bände  erhalten  soll,  über  welchen  ich  noch  kein 
Crtheil  fälh-n  kann. 

Um  ein*1  Nuance  besser  ist  es  mit  den  spanischen  Biographien  b»st«'llt.  unter 
welchen  jene  von  Hidalgo  mit  Hecht  als  eine  sehr  verdienstliche  Arbeit  angesehen 

!)  Sehr  wichtig«  Niichwei.se  über  handschriftlh'he  Biographien  lokaler  (Jattung  bieten 
Munoz  in  seinem  Din-innario  hibliogrätini  historico  und  Uallardo  in  seiner  Bibliobva:  letzterer 
an  einer  Stelle,  wo  man  solche  Zusammenstellung«'!)  nicht  vermuthen  sollt«',  nihulich  in  den 
Haiidschriftenverzcichnisscn  der  Biblioteca  Nacional  zu  Madrid  und  der  «heute  nicht  mehr 
mstirenden)  Biblioteca  <  Mivanv.. 

■-I  Der  nur  wenig  bekannte  Index  zur  Kspana  Sagnula.  welcher  im  22.  Bande  der 
('««kveiön  d«>  Documentos  ine<litos  Aufnahme  gefumh'n  hat.  zeugt  zwar  von  iruter  Altsicht, 
kann  aber  auch  br_»seh«'idenen  Anfonh'rumreu  kaum  ernüfjfen.  Die  wichtig>te  Aufgabe 
l'ild«>t  do«-h  die  Einbeziehung  aller  auch  der  in  «h-n  l'rkund«-!!  vorkommenden  Namen,  und 
diesen  ist  leider  zum  weitaus  crossten  Theil  eine  vnnndime  Iirnorierumr  zu  thei!  «/«'worden. 


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312 


Biographisch«)  Blatter. 


wird.  Man  wird  über  die  Anlage  des  Werkes,  welches  die  Bücher  zuerst  nach 
Titeln  in  alphabetischer  Ordnung,  dann  die  Autoren-Namen  und  zuletzt  die  einzelnen 
Materien  anführt,  streiten  können,  aber  derjenige,  welcher  irgend  ein  Datum  inner- 
halb des  von  Hidalgo  beobachteten  Kähmens  sucht,  wird  dasselbe  nach  einiger 
Orientirung  finden,  und  das  ist  doch  wohl  die  Hauptsache.  So  ist  auch  für  den 
Biographen  eine  eigene  Abtheilung  (Band  VIT,  pag.  458  tf.)  vorgesehen  worden.  Sehr 
wichtig,  namentlich  für  ältere  spanische  Literatur  im  weitesten  Sinne  des  Wortes 
beziehungsweise  für  deren  Träger  ist  Salva's  bekannte  Biblioteca,  deren  gelehrte 
Noten  auch  dem  Biographen  wichtiges  Material  zur  Verfügung  stellen.  Es  wäre 
dies  bei  Bartolome  Jose  (Jallardo's  Ensayo  de  una  Biblioteca  Espafiola  de  libros 
raros  y  curiosos  in  noch  viel  höherem  Maasse  der  Fall,  wenn  dem  Biographeu  zu- 
gemuthet  werden  könnte,  wegen  eines  einzigen  Namens,  für  den  er  sich  interessirt, 
vier  mächtige  Quartbände  mit  vielen  Tausenden  von  Kolumnen  durchzulesen.  Ein 
Index  zu  dem  gesammteu  Werke  ist  zwar  versprochen,  aber  wir  fürchten,  er 
werde  nach  berühmten  Mustern  —  noch  lange  auf  sich  warten  lassen.1)  In- 
zwischen kann  man  jedoch  nur  rathen.  die  leichter  auffindbaren,  weil  fallweise  bei 
den  einzelnen  Autoren  angeführten  biographischen  Daten  (vergl.  z.  B.  den  Artikel 
Yepes)  eingehender  Berücksichtigung  zu  würdigen.  Die  zahllosen  Namen  bei  dem 
Justas  poeticas  und  den  Listas  de  escritores  (aus  Sammelwerken)  sind  natürlich 
heute  so  gut  wie  verloren. 

Noch  ein  Wort  über  die  laufenden  bibliographischen  Zeitschriften,  welche 
uns  über  die  einschlägigen  biographischen  Publikationen  au  fait  erhalten.  Wie 
grosse  Verdienste  sich  in  dieser  Richtung  Dionisio  Hidalgo  mit  den  verschiedenne 
Serien  seines  Boletins  erworben,  ist  bekannt.  Die  nach  dem  Aufhören  derselben 
von  Murillo  begründete  und  bis  heute  weiter  fortgesetzte  spanische  Bibliographie 
ist  zwar  werthvoll,  steht  aber  gegenüber  ihrer  Vorgängerin  durch  den  Mangel  an 
kritischen  Erläuterungen  und  Aufsätzeu  um  ein  Beträchtliches  zurück.  Als  wesent- 
liche Ergänzung  haben  hier  das  mehrerwälinte  Boletin  de  la  Real  Academia  de  la 
Historia,  die  gut  geleitete  Revista  modern»  —  die  Fortsetzung  des  Ateneo  und  der 
Revista  de  Espana  —  einzutreten.  Auch  die  von  Roque  Chabas  mit  unermüd- 
lichem Fleisse  geleitete  Revue:  El  Archivo  ihrerseits  wieder  eine  Fortsetzung 
der  leider  eingegangenen  'vortrefflichen  Revista  de  Archivos  —  bietet  manches 
brauchbare  Material  auch  für  den  Biographeu.  Endlich  geht  mir,  während  ich  dies 
niederschreibe,  der  Prospekt  über  eine  neu  gegründete  Revista  cn'tica  de  Historia 
y  Literatuni  Espanolas  zu,  welcher,  nach  den  Namen  der  Mitarbeiter  zu  sehliessen, 
günstige  Auspicieu  gestellt  werden  können.  Hoffentlich  wird  sie  die  Revue  critique 
für  Spanien,  welche  wir  bis  heute  mit  Bedauern  venuisst  haben. 

Dies  ist  also,  abgesehen  von  einer  Reihe  von  Spezial-Zeitschriften ,  die  ich 
nicht  namentlich  anführe,  weil  sie.  nur  in  Spanien  cirkulirend,  für  uns  unerreichbar 
sind,  ungefähr  der  Bücher-Apparat,  mit  welchem  der  Forscher  auf  dem  Gebiete 

1i  Weil  wir  eben  bei  dem  famosen  Kapitel  über  die  lndices  angelangt  sind,  möchten 
wir  mit  allem  Nachdruck  darauf  hinweisen,  dass  es  eine  Ehrenschuld  für  die  Trustees  das 
brittischen  Museums  bedeutet,  für  das  Monumentalwerk  von  Pascual  de  Gayangos,  <_'ato- 
logue  of  tue  Manusrript>  in  the  spanish  language  in  the  British  Museum,  London  1875  ff. 
einen  den  Anforderungen  unserer  Zeit  entsprechenden  Index  ausarbeiten  zu  lassen.  Dass 
auch  der  Biograph  aus  demselben  einen  beute  noch  gar  nicht  abzuschätzenden  Gewinn 
ziehen  würde,  brauche  ich  wohl  des  Näheren  nicht  erst  zu  begründen. 


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Der  Stand  der  biographischen  Studien  in  Spanien. 


der  spanischen  Biographie  zu  arbeiten  hat.  Von  dem  Wunsche  geleitet,  demselben 
nicht  bloss  eine  allgemein  gehalteue  Skizze  über  deu  Stand  der  biographischen 
Studien  in  Spanien  zu  liefern,  sondern  auch  die  bestimmten  Hilfsmittel  nachzuweisen, 
welche  bei  Untersuchingen  auf  dem  einen  oder  andern  Theil  des  so  grossen  Ge- 
bietes vorhanden  sind,  habe  ich  mich  —  nicht  ohne  längeres  Bedenken  —  dazu  ent- 
schlossen, diese  Hilfsmittel  oder  wenigstens  die  für  die  heutige  Arbeit  wichtigsten 
in  den  folgenden  Bibliographieen  zusammenzustellen.  Ich  sage:  Nicht  ohne  Be- 
denken, denn  ich  bin  mir  bewusst,  dass  Vollständigkeit  keineswegs  erreicht  wurde. 
Ich  habe  sie  auch  gar  nicht  erstrebt,  wohl  wissend,  dass  ein  lückenloses  biblio- 
graphisches Material  über  die  spanische  Biographie  nur  durch  jahrelange  Arbeit 
im  Lande  selbst  erreichbar  gewesen  wäre,  und  dass  eine  solche  Publikation  den  in 
diesen  Blättern  vorgezeichueten  Kähmen  weit  überschritten  hätte.  Dass  mir  keinerlei 
Vorarbeiten  zur  Verfügung  standen,  habe  ich  oben  erwähnt.  Die  paar  Biographien, 
welche  Elias  de  Molins,  Diccionario  biogräfico  de  eseritorcs  catalanes.  in  der  Vor- 
rede anführt,  können  in  keiner  Weise  genügen;  auch  was  Fernäudez  Vallin,  Dis- 
cursos  etc.  (Madrid  1893)  p.  168  an  biographischen  Werken  zusammenstellt,  ist 
eher  irreleitend  als  nützlich.  Weit  mehr  verdanke  ich  den  reichen  Daten,  welche 
Herr  Dr.  theol.  et  phil.  Cornel  August  Wilkens  in  Kalksburg  aus  seinen  grossen 
Sammlungen  mir  einzusenden  die  Güte  hatte,  wofür  ich  an  dieser  Stelle  meinen 
herzlichsten  Dank  ausspreche. 

Das  in  drei  Theile:  1)  Allgemeine  Werke,  2)  Fachbiographieeu ,  3)  Lokale 
Biographien  getrennte  Verzeichniss  bedarf  wohl  keines  Kommentars.  Ich  bemerke 
jedoch,  dass  ich  nur  für  die  Richtigkeit  der  Angaben  über  jene  Werke  einstehe, 
die  ich  gesehen,  d.  h.  solche,  die  an  der  k.  k.  Hofbibliothek  in  Wien  vortindlich 
sind.  Diesen  Ist  auf  Wunsch  des  Direktors,  Herrn  Hofrathes  Wilhelm  lütter  von 
Härtel,  die  Signatur,  welche  sie  in  der  Sammlung  führen,  beigegeben  worden.  Die 
Titel  der  andern  Werke  mussten  nach  den  von  mir  benutzten  bibliographischen 
oder  sonstigen  Quellenwerken  mitgetheilt  werden.  Selbstverständlich  bleibt  die 
Garantie  für  die  Richtigkeit  derselben  meinen  Gewährsmännern  überlassen. 

II. 

I.  Allgemeine  Bibliographien  und  Qiographien. 

A.  Bibliographien. 

Meadez,  Francisco. 

Tipografia  espafiola  ö  historia  . .  del  Arte  de 
la  Imprenta  en  Kspana.  Segunda  odieidn  cor- 
resida  y  adicionada  por  D.Dionisio Hidalgo. 

Madrid.  Imprenta  de  lau  Kscuelas  Pias  I8b*l. 

[H.  B.:  144.  C.  38). 

Od  Iva,  VICOIHÜ. 

A  Catalogue  of  spanish  and  portugucse  books, 
with  occasional  literary  and  bibliographical 
remarks. 

Ixmdon  1826    1829.  2  toni.  8°. 
[H.  B.:  87.  K.  13). 

Catalogua  librorum  doctoris  D.  Joachimi  (io- 
mez  de  laCortina,  Marchionis  de  Morante, 
qui  in  aedibus  suis  extant. 


Matriti  1854-1859.  8».  6  Voll,  und  Sup- 
plementum. 

[11.  B. :  S.  A.  40.  (J.  7U). 

Munoz  y  Romen»,  Tomas. 

Diccionario  bibliogrätico-bistorico  de  los  an- 
tiguos  reinos.  provincias,  ciudades.  villas. 
iglesias  y  >antuarios  de  K-spana.  <  >bra  pre- 
miada  por  la  Biblioteca  National  en  el  con- 
ourso  püblico  de  Knero  de  1858.  t1  impresa 
ä  expensas  del  (Jobierno. 

Madrid.  Imprenta  do  M.  Kivadeneyra.  1*58. 
4°.    VIII  u.  :W0  pp. 

[II.  13.:  C.  (\  24.  B.  4]. 

Werthvoll  durch  den  Nachweis  lokaler 
Biographien  (auch  in  Handschriften1),  doch 


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314 


BioCTaphische  Blätter. 


vorzugsweise  unter  Hen'lcksichtiirun^  der 
tbeoloL'ischen  Schriftsteller. 

Hidalgo,  Oionisio. 

Boletin  biblioirrutico  espanol  y  extranjero. 

Madrid,  Imprenta  de  J.  Sancha  etc.  1S40 
isäo.    Jl  Tom.  S°. 

[H.  Ii.:  .1.  S°.  1214]. 

Hidalgo,  Oionisio. 

Boletm  biblioirrätico  espanol. 

Madrid.  I Tiiprt'iita  de  las  Kseuela.s  Pias; 
lSHu  —  1SGS.  ■  Tom.  1—9.    4°.  <S°). 
[II.  Ii.:  ,J.  S».   1214.  Ser.  11]. 

Hidalgo,  Dionisio. 

Diccionario  <_reneral  de  Biblioi-rafia  Fspanola. 

Madrid.  Imprenta  de  las  F.sciielas  Pias. 
1SIÜ-1S79.  Vol.  I  — VII.  S0.  Vol.  (i. 
Indiee  de  autores.  Vol.  7.  Indiee  de 
materias. 

|H.  B.:  C.  C.  21.  C  7|. 

Salvä  y  Mallen,  Pedro. 

CataloLro  de  la  Biblioteca  de  Salvä.  enri- 
(|iifcido  con  la  deseripeion  de  otras  muchas 
obras.  de  siis  ediciones.  etc. 


Valencia,  Imprenta  de  Ferrer  de  Orira. 
1H72.    2  vol.  N». 

|H.  B.:  C.  C.  11.   I-.  4]. 

Catalogue  de  la  Bibliothcque  de  M.  Ricardo 
llerodia,  Comte  de  Benahavis. 

Baris  Em.  Paul,  L.  lluard  et  Guilleinin 
1891.  4  Vol.  Cir.  8°. 

|H.  B.:  2:53.  C.  3]. 

■ 

Gallardo,  Bartolome  Jose. 

Knsayo  de  una  Biblioteca  espnnola  de  libn»* 
raros  y  curiosos.  fonnado  con  los  apunta- 
mientos  de  I).  B.  .1.  «Jallardo  coordinadoj 
y  aumentados  por  D.  M.  II.  Zareo  del  Valle  y 
I).  F.  Saneho  Bamön.  Obra  premiada  por 
la  Hiblioteca  Nacional  eu  la  junta  publica 
del  de  Knero  de  lst»2  e  impresa  a  e\- 
pensa.s  del  (iobierno. 

Tonm  I..  II.   Madrid,  Imprenta  de  M. 
Bivadenoyra  1SG3-  18t>6. 

Tomo  III  v  IV.   Madrid.  Manuel  Teil« 
1  ss.s.  4n. 

fll.  B.:  1 14.  C.  17j. 
Neben    Salvä    Hauptwerk    für  ältere 
Literatur.    V<jl.  oben. 


B.  Biographien. 


Pacheco,  Francisco. 

Libro  de  deseripeion  de  verdaderos  retra- 
tos  de  ilustres  y  memorables  varones. 
•Sevilla.  K .  Baseo.  1*S0.  2  vol.   4°  u.  fol. 
üeproduetion  des  Oriirinalcs   aus  dem 
Jahre  1"»99. 

RetratOS  de  los  Kspafmles  ilustres.  con  un 
epitome  de  sus  vidas.    De -orden  superior. 

Madrid.  Imprenta  Beal.  1791.  Fol.  IV  u. 
114  Blätter  Text  mit  114  Porträts. 

|II.  B.:  ISS.   B.  12|. 

Von  der  Buchhandlung  Murillo  jiinj/st 
um  12")  Pesetas  oti'erirt. 

Biografia  universal  antiirua  y  moderna  .... 
traducida  al  castellano  con  muthas  adi- 
ciones  y  ret'undiciones  por.  I).  Javier  de 
Balves. 

Madrid,  «ionzalez.  1*22. 
Nur  wenije  Bände  (1— III)  erschienen. 

Galerie  der  ire-jenwärtiv  in  Spanien  lebenden 
wirhtiir.sten  Männer  etc.  In  alphabetischer 
(»rdimni:.  Aus  dem  Französischen  über- 
setzt von  Moritz  Lam/e. 

AuL'sbuiLr  u.  Leipzig.  A.  Bäumer.  lS-_»4-  S°. 

|H.  B.:  2<>.  Z.  VW]. 

Rezabal  y  Ugarte,  Jose. 

Biblioteca  de  los  esi-ritores  que  hau  sido 
individuos  de  los  >eis  cole<rios  mayores: 
dt.*  San  Ildefons»  de  la  l'niv eisidad  d«- 
AI.  tl  i.  de  Santa  duz  de  la  de  \'alla<lolid. 


de  San  Bartolome.  De  Ciienca.  San  Sal- 
vador de  Oviedo.  y  del  Arzobispo  de  Sala- 
manca. 

Madrid,  Imprenta  de  Sancha.  ISO."..  4°. 
XVI  u.  472  p.  p. 

Ochoa,  Eugenio  de. 

Apuntes  para  una  biblioteca  de  escritore< 
espanoles  contemporäneos  en  prosa  y  ver>u. 

Paris.  Bau.Irv.  1S40.  8°.  2  vol. 
[H.  B.:  s;,.  F.  1*»J. 

Pastor  Diaz.  Nicomedes  y  Cärdenas  Francisco. 

CJalena  dfi  espanoles  celebres  contempo- 
räneos ö  bio^rrafias  y  retratos  de  todos  !<»•« 
persotiajes  distimruidos  de  nuestros  dia-  en 
las  eiencia.s,  en  la  politica.  en  las  arnias. 
en  las  lotras  y  en  las  artes.  Colabova- 
dores  D.Antonio  Alcalä  ( ialiano.  D.Joaquin 
Francisco  Pacheco,  I).  Juan  Donoso  Cortcs. 
D.  Pedro  Pidal,  D.  Patrieio  de  la  KscoMira. 
D.  Fermin  de  la  Puente  y  Apeceehea  y 
D.  Salvador  Bermüdez  de  Castro. 

Madrid.  Imprenta  de  Lalama,  1*41  1S4H. 
9  tomos.  S°.   Mit  Abbildungen. 

|ll.  B.:  <><).   II.  17]. 
Die  anirekündiL'te  zweite  Serie  ist  nicht 
erschienen. 

DiCCionario  bio<_Mntico  universal   de  miijeie> 
celebres. 

Madrid  1*44-1*46. 
Quintana,  Manuel  Jose. 

Vidas  de  espanoles  celebres. 


"'s 


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Der  Storni  der  biographischen  Studien  in  Spanien. 


Paris,  Baudrv.  l*4.x  8°. 

fH.  B.:  48.  F.  4»i  (An-,  v.  1S07>|. 
Xeudruck   'oleeciön  de  los  niejorcs  autores 
espaüoles). 

;Asamblea  Constituyente  de  1854! 

Bioirrafias  de  todos  lo.s  diputados  y  todos 
los  horubres  cölebres  que  hau  toniado  parte 
en  el  arzainiento  nacional.  por  una  Suciedad 
literaria. 

Madrid,  Iniprenta  de  J.  Pefia  1854.  Tonil 
<un.)  512  pa«j.  4°.  Mit  22  Tafeln  und 
Porträts. 

Carderera  y  Solano,  Valentin. 

lcono<rratia  espanola.  ('oleecion  de  retratos. 
estatuas. .  dereyes.reinas.  «rrandes.capit.anes. 
esf  ritores  etc.  desde  el  sitrlo  XI  hasta  el 
XVII.  Ton  texto  biotrnitico  y  descriptivo. 

Madrid.  Kanion  Caiupuzano,  18.">">  18<>4. 
Fol.  2  Vol. 

(H.  B.:  2<>:l.  A.  2(>|. 

Biografias  de  personajes  cölebres. 
Madrid  1857. 
l'n  vollendet. 

Ovilo  y  Otero.  Manuel. 

Manual  de '  bio<rrafta  y  de  biblioirrafia  de 
las  »>?<critores  espanoles  del  siirlo  XIX. 
Paris.  18")f>.  2  Vol.  2*8  u.  2">2  pp. 
(11.  B.:  CC.  21.  (i.  11). 

Ovilo  y  Otero,  Manuel. 

Diccionario  bio<rrätico  eontemponineo  de  los 
Kspafioles  y  Amerieanos  que  se  hau  distin- 


I 


jruido  en  todas  las  carreras.  ( 'lero.  Milicfa. 
('ieneias.  Literatur«.  Altes.  Adniinistracion. 
Industria.  Airriciiltura.  Coniercio  et«-.  I)e- 
dieado  al  Kx.mo  Sr.  I).  Claudio  Moyano  y 
Samanieiro. 

Madrid.  Iinprenta  de  K.  Anvnrt.  1867. 

Parada,  Diego  Ignacio. 

ftseritoras  y  eruditas  ospanolas  ö  apuntes 
y  noticias  para  servil  a  una  historia  del 
insrenio  y  cultura  literaria  de  las  inujeres 
e*ipanola.s  desde  los  tieinpos  mäs  romotos 
hasta  nuestros  dias. 
Madrid,  M.  Minues;..  issi.  s».  V(d.  l|un>. 
|H.  B.:  lö<>.  F.  2t>|. 

Biografia  contemporänea  universal  y  cnlocciön 
de  retratos  dp  todos  los  personajes  cölebres 
de  nuestros  dias. 

Madrid.  Iinprenta  v  Libreria  de  1.  Boix. 

1884.  —  4  Toinos.   8».  < \m  Hl  retratos. 

Castelar,  Emilio. 

(Jaleria  historica  de  innreres  eelebres. 
Madrid.  ISSI!    ISS!».   8  Vol.  t.  31*  ,,.  II. 
408p.  UI.;t»8p.  IV.  :3!»!)p.  V.  4I.lp.  VI. 
411  p.  VII.  :i!»2  p.  VIII.  :«>H  p. 

Diccionario  enciclopedico  hispano  aiuerieano 
de  Literatura.  ( 'ieneias  y  Artes  por  Ani- 
niis,  Barbieri.  Azcarate.  (.'osio,  Beitran  y 
Kospide.  ( 'astellanns.  Castrohcza. 

Barcelona  (in  Heften)  |isss). 


II.  Biographien  für 

Agricultur. 

Ramirez,  Braulio  Anton. 

Dieeionario  «le  Biblioirrafia  A<_rronömica  y 
de  toda  tlase  de  eseritos  relacionados  eon 
la  A<rrieultura.  sejruido  de  uu  indice  de 
autore.s  y  traduetores  eon  alirunos  apuntes 
bio«rratieos.  Obra  premiada  por  la  Biblioteca 
Xacional  en  eoncurso  pühlico  de  ">  de  Knero 
de  18f»2,  e  impre.sa  ä  expensas  del  (iobierno. 

Madrid.  Iinprenta  v  estereotipia  de  M. 

Livadeneyra,  18(55.  XV III  u.  IUI'»  pp.  4". 

(Vtrl.  Allende  Salazar.    Biblioteca  del 
BaMÖhlo  p.  im. 

Bildende  Kunst. 

Palomino  de  Castro  y  Velasco,  Antonio. 

Las  Vida.s  de  los  pintore.s  y  Kstatuarios  y 
eminentes  Kspafioles. 

Londres,  IL  Woodfall.  1742.  8«. 

|II.  B:  IL  K.  s.  X.  7.5|. 

Ceän  Bermüdez,  Juan  Agustin. 

Diccionario  historico  de  los  miis  ilustres 
profesore-s  de  las  Bellas  Artes  -en  K*pana. 
Publicado  por  la  Real  Academia  de  San 
Fernando. 


einzelne  Fächer. 

Madrid.  Iinprenta  de  la  viuda  de  Ibarra. 
1800.  0  Tokios,  s». 

|ll.  B:  bU  X.  :«|. 

Quillet,  F. 

Dictionnairc  des  peintres  espa«_rnols. 

Paris.  lS]<i.  's». 

|H.  B:  S.  A.  04.   IC.  2!)|. 

Llaguna  y  Amlrola,  Eugenio. 

Noticias  de  los  arquitectos  y  arquitectura 
de  Kspana  desde  su  i estauracioti.  lliustradas 
y  acrecentadas  con  notas.  adicionox  y  docu- 
nientos  por  .luau  Airustin  ( Van-Berniudez. 
Madrid.  Iinprenta  real.  1S21I.  4  Vol.  1". 
[II.  B:  >■<  :ts.  T.  20). 

Huard,  Etienne. 

Vie  coinplete  des  Peintres  Espa ynoles  et  llis- 
toire  de  la  Peinture  Kspairuole. 
Paris.  Ducessois.  ls:{f>    ls4|.  S".  2  V.d. 
[IL  B:  4<i.   X.  21. 

Stirling-Maxwell,  William. 

Anuals  of  the  artists  of  Spain. 

(  Witli  portraits. ) 
London,  .lohn  Ollivier,  1S4S.  ,s".  ;i  Vol. 
[II.  B.:  S.  A.  42.   I).  bsj. 


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316 


Biographische  Blätter. 


Laforge,  Edouard. 

De«  arts  et  des  artistes  en  Kspagne  jusquit 
la  tin  du  dix-huitieme  siöcle. 
Lyon,  Louis  Perrin,  1859.  8°. 
(H.  B.:  156.  K.  1|. 

Ossorio  y  Bernard,  Manuel. 

<  ialeria  biograhca  de  artistas  espafioles  del 
siglo  XIX. 

Madrid,  Ramon  Moreno,  1868—1809. 
2  Vol.  8«. 

|H.  B.:  161.  D.  19]. 

Zarco  del  Valle,  Manuel  Remon. 

Documentos  para  la  historia  de  las  Hellas 
Artes  en  Espana.  Coleccidn  de  documentos 
incditos  pura  la  Historia  de  Espaüa. 

Madrid,  tom.  LV  (1870) 'pag.  201-640. 

[H.  B.:  227.  F.  1). 

Enthalt  sehr  wichtige  Nachrichten  über 
eine  errosse Zahl  von  Künstlern.  Index  p.  629 
bis  640. 

Riano,  Juan-Facundo. 

The  industrial  arts  in  Spain. 

London,  Chapnian  and  Hall,  1879.  8°. 
[H.  B.:  208.  (j.  152). 

Vinaza,  Conde  de  la. 

Adieiones  al  diccionario  historico  de  los  mäs 
ilustres  profesores  de  las  liellaH  artes  en 
Ivspaha  de  .1.  A.  (J.  Bermüdez. 
Madrid  1894.  8».  4  Vol. 

[H  B.:  60.  K.  :13). 

Davillier,  Jean-Charles,  baron  de. 

Kocherches  sur  l'orfcvrerie  en  Kspagne  au 
moyen  age  et  ä  la  renaissance.  Documenta 
inedits  tires  des  archives  espagnoles.  19 
planchcs  ...  et  dessins  dans  le  texte. 

Paris.  A.  Quant  in,  1879.  40.1) 

[H.  B.:  121.  A.  7J. 

Militärwesen. 

Rioe,  Vicente  de  los. 

Diseurso  sobre  los  ilustres  autores  e  inven- 
tores  de  Artilleria.  quo  han  tiorecido  en 
Espana. 

Madrid,  .Joachim  Il>arra,  1767.  8°. 
(H.  B:  (  '.  P.  1.  K.  12). 

Galeria  militar  contemporanea  o  sea  coleeeiön 
de  biografias  y  retratos  de  los  jefes  quo 
mas  se  han  distinguido  en  amhas  ejercitos 
durante  la  guemi  civil  de  1833.  ä  1840. 
2  Tomas  en  4°.  con  grahados  y  laminas. 
Madrid.  Hortelano-Sanehez,  1845. 

')  Das  Werk  desselben  Verfassers:  Le*  arts 
decoratift«  en  Kspatrne  au  moven  Ate  et  a  la  renais- 
sance  Pari».  Quanlin  187«.  tf>.  |If  B.:  211.  F.«). 
enthalt  nur  unwesentliche  biographische  Daten;  die 
Recherche*  hingegen  wichtige  Onldschmiedever- 
zeiihnisse. 


Estado  mayor  general  del  ejercito  espanol. 
Historia  del  iluatre  cuerpo  de  oficiales  ge- 
nerales,  formada  con  las  biogratias  de  los 
que  mas  se  han  distinguido,  ü  iluatrada  con 
las  retratos  de  cuerpo  entero,  escrita  y  pu- 
blieado  bajo  la  direeeiön  del  oticial  del  arnia 
de  infanteria  D.  Pedro  Chamorro  y  Baque- 
ri/o;  precodida  de  un  prologo  del  Excmo 
Senor  Teniente  general  D.  Evaristo  San 
Miguel.    Segunda  edieiön. 

Madrid,  Imprenta  de  T.  Fortanet,  1851. 
4  Tom.  folio. 

Tom.    I.  Seccion  de  capitanes  generales. 
Tom.  II.  Neeciön  de  teniente*  generales. 
Tom.  III.  Seeciön  de  mariscales  de  campo. 
Tom.  IV.  Seeciön  de  brigadieres. 

Ramirez  de  Arellano  y  Gutierrez. 

Ensayo  de  un  catälogo  biogräfico  bibliotrrä- 
tico  de  los  escritores  que  han  sido  individuos 
de  las  cuatro  ördines  militares  de  Espana. 
Coleceion  de  documentos  ineditos  para  la 
Historia  de  Espana,  por  ei  Marques  de  la 
Fuensanta  del  Valle.  Tom.  C1X. 

Madrid.  Murillo  1894  in  8°.  XII  u.  499  p. 

(H.B:  227.  F.  1). 

Almirante,  Jose. 

Bibliogratia  inUitar  de  Espana. 

Madrid.  M.  Tello,  1876.  4°.  CXXX  n. 
988  p. 

Musik. 

Soriano  Fuertes,  Mariane. 

Historia  de  la  müsica  espaüola  desde  la 
venida  de  los  Fenicios  hasta  el  aüo  1850. 

Marid  v  Barcelona,  Narciso  Uamirez  185."» 
-1859.  4  Vol.  8». 

(H.  B:  161.  C.  2). 

6uaza  y  Gomez  Talavera,  Carlos  y  Guerray 
Alarcon,  Antonio. 

Müsicos,  poetas  y  actores.  Coleceion  de 
estudios  critico-biogralicos  de  Sahnas,  Mora- 
les,  Victoria,  Eslava.  Ledesma  etc. 

Madrid,  Imprenta  de  F.  Maroto.  l^SA. 
28:1  p.  4«. 

'  Riano,  Juan  Facundo. 

Critieal  and  bibliograpbical  notes  on  early 
spanish  music.  With  nuinerous  illustrations. 

London.  Bernard  (Juarich,  1887.  8°. 
|H.  B:  207.  G.  77j. 
I'ajf.  147     154  ein  werthvoller  Index 
über  die  im  Texte  behandelten  Musiker 
und  Musikschriftsteller. 

Saldoni,  Baltasar. 

Diccionario  biognifico-bibliogräfico  de  Efe- 
merides  de  müsicos  espanoles. 

Madrid.  Antonio  Perez  Dubrull,  1868- 

1**1.  4  Vol.  8«. 

[II.  B:  S.  A.  93.  C.  42]. 


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Der  Stand  der  biographischen  Studien  in  Spanien. 


317 


Hrspaniae  schola  musica  sacra,  herausg.  unter 
Leitung  von  I»hilippo  Pedrell.  Barcelona, 
Pujol  &  C^ 

Denkmäler  span.  Kirchenmusik  vom  15. 
bis  18.  Jahrhundert.  Eine  Biographie  jedes 
Künstlers  und  ein  kurzer  kritischer  Text 
in  spanischer  und  französischer  Sprache 
gehen  jedem  Buche  voraus. 

Prospekt  der  Verlagsbuchhandlung  Breit- 
kopf «Si  Härtel  in  Oetolier-Xovember-Hefte 
1894  des  Centralblattes  fürBibliothekswesen. 

Naturwissenschaften. 

Femändez  de  Navarete,  Martin. 

Bibliotecu  maritima  espanola 

Madrid.  Imprenta  de  la  viuda  de  Calero 
1851-1852.    2Tomos  4°. 

"Es  trabajo  de  gran  importancia  para 
la  bibliografia  y  biografia".  Allende  Salazar, 
Biblioteca  p.  117. 


La  Botänica  y  los  botänicos  de  la  Penüisnla 
Hispano-Lusitana.  Kstudios  biogrnficos  y 
biblbnrraficos.  Obra premiada  en  el  coneurso 
de  1857. 

Madrid,  M.  Itivadeneyra  1858.  4°. 

Tel  y  Rua,  Figueroa. 

Apunte.s  para  una  biblioteca  espanola  de 
libros .  folietos  y  articulos,  impresas  y 
manUMcritos.  relativos  al  aumento  y  explo- 
taeiön  de  la*  riquexas  minerales  y  a  las 
cienrias  auxiliares.  Acompafiadas  de  reseiias 
biogrüheas  y  de  un  ligero  resiimen  de  las 
obra«  que  se  citan. 

Madrid,  imprenta  de  .1.  M.  Lapuente.  1872. 
2.  Vol.  4°. 

Menendez  y  Pelayo,  Marcelino. 

La  ciencia  espanola  (polemic&s,  proyectas  y 
bibliografia)  con  un  prologo  de  (lumersindo 
Laverde  Huiz.  Tercera  edieiön  refundida  y 
aanientada 

Madrid.  A.  Perez  Dubrull  1887-1889 
8».  3  Vol. 

[H.  B.:  221.  K.  20). 

Der  dritte  Band  enthält  die  sehr  aus- 
führliche Bibliographie. 

Marti nez  Reguera,  Leopoldo. 

Bibliogratia  hidroldgieo  medica  espanola. 
Obra  premiada  por  la  Biblioteca  Nacional 
en  el  coneurso  püblico  de  1888  e  impresa 
a  expensas  del  Estado. 

Madrid.  Manuel  Tello.  1892  4°. 

Picatoste  y  Rodriguez,  Felipe. 

Apuntes  para  una  Biblioteca  cientifica 
espanola  del  siglo  XVI.  Obra  premiada 
por  la  Biblioteca  Nacional  en  el  coneurso 
püblico  de  18(18  c  impresa  ä  espensas  del 
Estado. 

Madrid,  Manuel  Tello,  1891.  4°. 
Iii.  Ö.:  C.  C.  21.  9.  5*.]. 


Fernändez  Valiin,  Acisclo. 

Discursos  leidos  ante  la  Keal 
de  Cieneias  exaetas,  tisicas  y  naturales. 

Madrid.  Sucesores  de  Rivadeneyra,  1893. 

[H.  B.:  281.  K.  8J. 

Bedeutendes,  zusammenfassendes  Werk 
über  die  Vertreter  der  exaeten  Wissen- 
schaften Spaniens,  vornehmlich  im  ld.  Jahr- 
hundert, mit  vielen  biographischen  Daten. 
Leider  kein  Namenindex. 

Rechts-  und  Staatswissenschaften. 

Cortes  Constituyentes. 

(taleria  de  los  Representantes  del  pueblo, 
1854. 

Madrid,  1855-1856. 
11  Bogen  mit  176  Portrats  (von  Vallejo). 

Torres  Campos.  Manuel. 

Bibliografia   espanola  contemporänea  del 

Derecho  y  de  la  politica  1800— im)  

obra  que  sirve  de  complemento  ä  los  Estu- 
dios  de  bibliografia  espanola  y  extranjeni 
del  Üerecho  y  del  Notariado.  Memoria 
premiada  con  medalla  de  oro  en  el  certa- 
men  püblico  de  la  Academia  Matritenso 
del  Notariado  en  1876.  Parte  primera  Bib- 
liogratia  espanola 

Madrid,  Fortanet,  1883.  208  pag.  4°. 

Sprache  und  Litteratur. 

Rodriguez  de  Castro,  Jose. 

Biblioteca  Espanola. 

Madrid.  Imprenta  Real.  1781-  1786  fol. 
2  vol. 

[H.  B.:  C.  C.  19.  A.  8], 
(Vgl.  oben]. 

Pellicer  y  Saforcada,  luan  Antonio. 

Ensayo  de  una  Bibliotheca  de  traduetores 
espanoles . . .  preceden  varias  noticias  literarias 
para  las  vidais  de  otros  escritores  espanoles. 

Madrid.  Antonio  de  Sancha,  1778.  2  vol.  8°. 

[H.  B.:  61.1).  24]. 

Antonio,  Nicolaus. 

Bibliotheca  hispana  vetus  sive  hispani  scri- 
ptores  qui  ab  Octaviani  Augusti  aevo  ad 
annum  Christi  MD  floruerunt.  Curante 
Francisco  Perezio  Bayero,  qui  et  prologum 
et  auctoris  vitae  epitomen  et  notulas  adiecit. 

Matriti,  Joach.  Ibarra  1788,  2  voll.  fol. 

Bibliotheca  hispana  nova  sive  hispani- 
corum  st-riptorum  qui  ab  anno  Ml)  ad 
MDCLXXXJ.V  Homere  notitia. 

Matriti.  1783.  2  voll.  fol. 

(H.  B.:  C.  C.  19.  A.  6]. 

Diese  Ausgabe  wird  heute  alleinig  be- 
nutzt: die  erste.  Uomae  1696,  umfasst  nur 
die  Bibliotheca  vetus. 


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3 1 S  Biogmphte 

l  iier  Adieiones  /n  Nicolaus  Antonio,  zum 
Theil  handschriftlich,  zum  Theil  im  Druck 
erschienen,  wl.  A  Hernie  Salazar.  Biblioteca 
»  del  Bascofilo  p.  »0. 

Bouterwek,  Federigo. 

Hisfnria  de  la  liti»ratura  espafmla  .  .  .  tra- 
ducida  al  eastellano  y  adicionada  |»or  D. 
Jose  »«'ömez  de  la  Cortina  y  . . .  D.  Nicolas 
Huiralde  y  Mnllinedo. 

Madrid.  Imprcnta  de  K.  Airua.lo  182}».  4°. 

Nur  der  erste  Hand  erschienen:  die  Aus- 
malte ist  aber  \ve«_'en  der  neu  aulVrenom- 
menen  biographischen  und  bibliographischen 
Daten  yeschiltzt. 

[H.  15.:  ä«».   K.  ß.l]. 

Brinckmeier,  Ed. 

Die  Nationalliteratur  der  Spanier  seit  dem 
Anfange  des  Iii.  Jahrhunderts. 

(iöttin-en,  1*50.  x». 

Enthalten  in  Bouterwck.  I,,riedrieh.  (ie- 
st  hichte  der  Foesie  und Beredsamkeit.  Bd.  IM. 

[H.  B.:  I..  Z.  :»4ü|. 

Ticknor,  Georg. 

des«  hu  hte  der  schonen  Literatur  in  Spanien. 
Deutsch  mit  Zusätzen  herausi.a-Lreben  von 
Nietdaus  Heinrich  Julius. 
Leipzig  RA.  Blockhaus.  1*52.  ,x".  2  Bde. 
III.  B.:  L.  Z.  :U«»J. 

Schack.  Adolph  Friedrich  v. 

tieschichte  der  dramatischen  Literatur  und 
Kunst  in  Spanien. 

Herlin.  Dunrker  &  HumUot.  IS-l"»  -  1S-M5. 
s«.  :\  im,.. 

|M.  H. :  S.  A.  15.   ( i.  2*|. 

Barrera  y  Leirado.  Cayetano  Alberto. 

Catalotro  biblioyr.'iheo  y  hioirnirico  del  teatro 
antiiruo  espanol.  desde  sus  ori<;enes  hasta 
mediados  del  siirlo  X  V 1 1 1 .  <  )bra  premiada 
por  la  Biblioteca  National  en  el  enneurso 
püblico  de  enero  de  IStiÖ  e  impresa  a 
expensas  del  (ioltierno. 

Madrid.  Impreiitade  Uivadeneyra.  IStiO.  4°. 

|U.  H.:  S7.  C.  11]. 

Hauptwerk  für  Biographien  spanischer 
Bühnendichter.    Vyl.  oben. 

Amador  de  los  Rio«,  Jose. 

Historia  critiea  de  la  literatura  Kspanola. 

Madrid.  Imprcnta  de  Jose  Kodriiruez.  1  st>l 
bis  1S<55.   7  vol.  S". 

|H.  B.:  S5.    D.  lti|. 

(Garcia?)  Jcazbalceta  (Joaquin?) 

Apuntes  para  un  Cataloiro  de  i>critoivs  de 
len<_ruas  iwliirenas  de  America. 

Na«ii  Fernande/,  Valiin.  Dis«>ur<os  p.  107. 

Kayserling,  Meyer. 

Hiblioteea  Msp;in<»la  -  Fortu-jcza  -  Judaica. 
Dii-tionnaire   bililiouraphiipie   tles  auteurs 


die  Blatter. 

Juifs.  de  leurs  ouvratres  espa<_rno]s  et  portu- 
irais.  .  .  Avec  un  apercu  >ur  la  litterature 
de  juifs  opairnols. 

Srrasslmnr.  Charles  .1.  Triibner.  lsftO.  s". 

|H.  B.:  225.  C.  -25]. 

Schaeffer,  Adolf. 

<i'esclii(  hte  des  spanischen  Nationaldrauias. 

Leipzig.  F.  A.  Brockhaus.  1X90.  S".  2  Bde. 
1.  Die  Feriode  Lope  de  Veya's.    2.  Die 
Feriode  Calderon 's). 

|H.  B:  22!>.   K.  11|. 
Sbarbi,  Jose  Maria. 

Monoirrafia  sohre  |<»s  refranes.  adayios  y 
proverbios  eastellanos  y  las  ohras  ö  fraennen- 
tos  ipie  expresamente  tratan  de  ello-  e» 
nuestia  lonirua.  <  Mira  premiada  por  la 
Biblioteca  National  en  el  conciirso  püblico 
de  1*71  e  impresa  :i  expensas  del  E-t;ido. 

Madrid.  Imprenta  de  los  Huerfanos  1X{)1  4". 

[H.  B.:  2:11.   C.  .15). 

Vinaza,  Conde  de  la. 

Kseritos  de  los  portuirueses  y  ca>tellanos 
referentes  ii  las  leiiL-uas  de  China  y  el 
Japön.     Estudio  bildioyratico. 

Lisboa.  M.  tiomes.    Madrid.  M.  Murillo. 

Londres.  H.  (Juaiiteh.    1*92.   l:«»  p.  4°. 

[H.  15.:  lb:J.  H.  IS,}]. 

Vinaza,  Conde  de  la. 

Biblioirrafia  espamda  de  leniruas  intli'jeiuis 
de  America.  ( >brn  premiada  pur  la  Hiblioteea 
Nat  ional  en  el  Conciirso  püblico  de  1*91 
e  impresa  ;i  expensas  del  Estado. 
Madrid.  Estahl.  tij»o«_rr.  Sueesores  ,le  Ui- 
vadeneyra, 1X92.  X". 

H.:  248.  B.  :$]. 

Vinaza.  Conde  de  la. 

Biblioteca  historica  de  la  filoloiria  Castel- 
lana  por  el  Cond«*  de  la  \  ina/.a.  (Hin 
premiada  por  voto  unanime  en  pültlin» 
Certameu  de  la  Heal  Academia  EspafioU 
y  publicada  :i  su*  exjiensas. 
Madrid.  Manuel  Tello.  1S»3.  4".  X\\IV 
u.  1114  S. 

|II.  H.:  202.   D.  241. 
Vortrefflitdier  Index. 

Steinschneider,  Moriz. 

Die  hebraeischen  t'bersetzunire»  tle-  Mittel- 
alters und  die  Juden  als  Dolmetscher.  Ein 
Beitrair  zur  Literaturyeschif  hte  des  Mittel- 
alters nieist  nach  handschriftlichen  Quellen. 

Berlin.  Hiblio^raphisrlies  Hureau.  IS!»:'».  8"'. 

|H.  B. :  101».   A.  Fi). 
V«_d.  «dien. 

I 

Theologie. 

Nieremberg,  Juan  Eusebio. 

Claros  varotie-  <!«•  la  Compania  de  .lesuv 


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Der  Stand  der  bioarraphisi 

Madrid  1643-1(147.  4  tomos  foliu. 
t  Kortsotzun'.'  von  Alonso  de  Antlrada  und 
Joseph  (.'assani.    Vol.  5    0.    1066  17:1(5). 

[H.  B.:  4:3.  F.  4S  (nur  Bd.  1  4)|. 

Gonzalez  de  Avila,  Gil. 

Teatro  erclesiast'ieo  de  las  Ldesias  metro- 
politanas  y  catedrales  de  los  reynos  de  las 
dos  ( 'ustillas,  vidas  de  stis  arzobispos  y 
ohispos  y  eosas  memorables  de  sus  sedes. 

Madrid.  Francisco  Martinez.  1  <i4.">  -16f>0. 
Fol.   :\  vol. 

[11.  H.:  4:1.  F.  42). 

Varones  ilustres  Benedictinoe  de  la  Conare- 
tracii'in  de  Fspnnit.  Ilamada  de  San  Benito 
de  Valladolid.  se<_'iin  Memoria*  existentes 
en  los  archivos  de  sus  monasterios,  y  no- 
ticias  saradas  de  Autores  tidediirnos  etc. 

Madrid  17«*. 
Manuscript   in  der  Bibliothek  Campo- 
manes  zu  Madrid.   Vir).  (iallardo,  Biblioteca 
toni.  1,  col.  393  396. 

Muniz  Roberto  (Fray). 

Biblioteca  Cisterciensc  Kspanola.  en  la  que 
se  da  noticia  de  los  escritores  cisteirienses 
de  todas  las  eon«m,araeiones  de  Ivspana  y 
de  los  de  las  ördeiies  tnilitares  que  sia'uen 
el  niisnio  institnto  c<m  la  expresion  (en  la 
niayor  parte)  del  luarar  de  su  nacimiento. 
empleos.  honores  y  diirnidades.  iirualmente 
t|iie  el  de  sit«.  oh  ras  tanto  impresas  como 
nianuscritas. 

III.  lokale 

Alava  (Provinz). 

Landazuri  y  Romarate,  Joaquin  Joseph. 

.  Los  varones  ilustres  alaveses.  y  los  fueros. 
exeneiones.  tranqueza«  de  que  sienipre  ha 
cozndo  la  .  .  ,  Frovineia  de  Alava.  Dedu- 
cido  de  documentos  anttatiros  y  autores 
originales.  •*  '  > 

Vitoria,  Ualtasar  Maubdi.  1790.   XX  u. 
246  u.  XII  patr. 
S.  a.  Vizcayu. 

Albacete  (Provinz). 

Baquero  Almansa,  Andre«. 

Hijos  ilustres  de  la  provincia  «le  Albacete. 
Ivstudio  bio-hiblio«rratico.   Fröloiro  del  Mar- 
ques de  Molins. 
Madrid.  A.  FMrez  Dubrull.  1*84.  *". 
(II.  B:  JKI.  II.  106|. 

Alicante  (Stadt  und  Provinz). 

Rico  Garzia.  Manuel  y  Montero  y  Perez,  Adal- 
miro. 

Kn&ayo  bio«,'riihco-biblio^iatico  de  es.iitores 


hon  Studien  in  Spanien.  319 

Hur-os.  Joseph  de  Navas.  1793.  4".  16 
u.  400  paar. 

Biografias 

de  ohispos  contemponineos. 

Madrid.  1S.V2.  Fol. 
Nur  zwei  Liefern  na-en  erschienen. 

Menendez  y  Pelayo,  Marcelino. 

liistoria  de  los  beterodoxos  Ivspanoles. 

Madrid.  F.  Maroto,  1880  ff.  Vol.  1    3.  8» 
|H.  B.:  Sa.  90.  <■.  47 1. 

Perujo.  Niceto  Alonso,  y  Perez  Angulo.  Juan. 

Diccionario  de  ciencias  eclesiästicas. 

Valencia.  10  Vol.  (von  je  600-  7(10  p.). 
1**6. 

Krithült  viele  Biographien. 

Garron,  Constantino. 

(Jaleria  de  Keliiriosos  ilustres.  T.  I. 

Valladolid.  (in  Heften).  18*«. 

Varones  ilustres  de  la  Compania  de  Jesus. 

Sekunda  Fdicion.  Tom.  1.  Bilbao  1**7. 
ti70  p.   II.  1**9.  066  p.   III.  650  p. 

Catälogo  bioaratieo  y  hiblioarahco  de  escritores 
naaistinos.  espanoles  portu-jueses  y  america- 
nos.  eu  la  Bovistu  relitriosu.  cipntitica  y 
literaria  de  la  (iudad  de  Dios  que  publican 
los  lieverendos  Fad  res  A<rustinos  reichte  am 
i>0.  A|.ril  ls!KMS«  h!uss  d.  Bd.  XXI)  bis  zum 
Artikel  Fr.  Miiruel  Bartolome  Salon  und 
dürfte  die  Liste  daher  schon  abgeschlossen 
sein. 

• 

Biographien. 

de  Alicante  y  su  provjucia.  Con  una  carta 
jmdo'jd  de  lioque  ('habas. 
Alicante,  1***    jssp.  4°.  '2  Vol.  . 

Alcalä. 

Catalina  Garcia,  Juan. 

Fnsayo    de   una    tipoaratia  complutense. 
( Mira  premiada  jpor  la  Biblioteca  Nacional 
♦•ii  el  concu'rso  pü'hlico  de  1**7,  e  imjnesa 
a  costa  del  F>tado. 
Madrid,  M.  Tello.  1SSD."  yf». 

|ll.  B:  J_»4.   I).  I9|. 

ii 

Almeria. 

Langte,  Placido. 

Ksci  itorcN  Almarienses.  Bucetos  bioirnilin»-. 
M.olrid.  lss-_>.   ll\  >  p. 

- 

Aragon  (Provinz). 

Latassa,  Felix  de. 

Bü'liotecas  antiL'ua  y  nueva  de  escritores 
Araironcses.  aumentailas  y  refundidu>  en 
fonna  de  dicciunario  biblioarräliet»-bio-_'rarico 
j»or  I).  Mi-.'uel  (ntmez  l'riel. 


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320 


Biographische  Blätter. 


Zaragoza.  1884    1886.  3  voll. 
(H.  H:  171.  A.  58J. 

Diese  zweite  beträchtlich  vermehrte  Auf- 
lage wird  heute  ausschliesslich  benützt. 
Die  erste,  von  Latassa  selbst  besorgt,  er- 
schien getrennt  als  Biblioteca  antigua  und 
nueva  179«  und  1798-1802. 

Arcos  de  la  Frontera. 

Mancheno  y  Olivare«,  Miguel. 

Oaleria  de  Areobricenses  ilustres,  preeedida 
de  una  carta  misiva  de  el  Dr.  Thebussem. 

Anos  de  la  Frontera,  Imprenta  de  „El 
Arcobricense*  1892.  4». 

Asturien  (Provinz). 

Couder  y  Camoyrän,  Juan  Geronirao. 

Asturianos  ilustres.  Manuscript. 

(Nach  Angabe  von  t'iriaeo  Miguel  Vigil, 
Asturias  monumental  I.  p.  6*31). 

Zapater  y  Gomez,  Fraaobeo. 

Apuntes  histäriro-biogräticos  acerca  de  la 
Escnela  aragonesa  de  pintura. 

Madrid,  1859.  Imprenta  de  Fortanet  4°. 
42  pag. 

Fuertes  Acevedo,  Mäximo. 

Ensayo  de  una  bibliotooa  de  Eseritores 
asturianos  1867.  Manuscript. 

(Nach  Angabe  von  Ciriaco  Miguel  Vigil, 
a.  a.  0). 

Fuertes  Acevedo,  Maxime 

Estudio  biogräfieo  erftieo  de  los  Juriscon- 
sultos  ilustres  de  Asturias  1883.  Manuscript. 
(Nach  Angabe  von  Vigil.  a.  a,  O). 

Fuertes  Acevedo,  Mäximo. 

Bosquejo  acerca  del  estado  que  alcanzö  en 
toda*  epocas  la  literatura  en  Asturias,  se- 
guido  de  una  extensa  bibliografia  de  los 
Eseritores  asturianos. 

Badajoz,  Tipograha  La  Industria  1885. 
378  pair.  4°. 

Argaiz.  Gregorio,  Fray. 

Teatro  ruonästico  de  Asturias  y  Cialiciau 
Catalogo  de  los  Obispos  de  Oviedo. 
(Nach  Angabe  von  Vigil,  a.  a.  O). 

Vigil,  Ciriaoo-Miaael. 

Asturias  monumental,  epijrrütica  y  diplomä- 
tica.  Datos  para  la  historia  de  la  provin- 
cia. 

Oviedo,  Imprenta  del  Hospicio  Provincial, 
1887.  4».  3  vol. 

(H.  H:  221.  B.  4]. 
Sehr  zahlreiche  und  neue  biographische 
Daten.    Leider  ohne  Index. 

Balearen  (Inseln).  I 

Bover  de  Rosello,  Joquin  Maria. 

Diccionario  histörico  treoirratico-estadistico 
de  las  islas  Baleares. 


Palma,  Felipe  (iuarp,  1843. 

Von  diesem  gross  angelegten  Werke 
sind  nur  einige  Hefte  erschienen,  auch 
diese  sind  von  grösster  Seltenheit.  Die 
Angabe  bei  Mufioz  y  Iiomero.  Diccionario 
p.  47:  „Tres  tomos*  beruht  daher  wohl 
auf  einen»  Irrthume.  Die  Bedeutung  des 
Werkes  für  Bibliographie  erörtert  an  einem 
Beispiel  Marcelino  Menendez  Pelayo  in 
seiner  Kwension  der  Preisconcurrenz  über 
Jove-Llanos  im  Boletin  de  la  Real  Aca- 
demia  de  le  Historia  Toni.  XIX  p.  264  f. 

Bover.  Joaquin  Maria. 

Biblioteca  de  eseritores  baleares. 

Palma,  P.  J.  Oelabert  18(58,  2  Vol.  8°. 
[H.  B.:  93.  C.  61]. 

Barcelona  (Stadt). 

Pi  y  Arimon,  Andrea-Avelino. 

Barcelona  antigua  y  modema.  Descripeiön 
e  historia  de  esta  ciudad  desde  su  funda- 
cuin  hasta  nuestros  Dias. 

Barcelona.  Imprenta  de  Tomas  Gorcho, 
1854.  2  Tom.  4°.  679  u.  1136  pag.  Tom. 
II.  p.  258    286  (Articulo  XIII): 

Catälogo  de  Autores  naturales  de  Bar- 
celona y  de  las  Obres  que  han  escrito. 

[H.  B:  158.  A.  5]. 

Burgos  (Stadt  und  Provinz). 

Goyri,  Nicolas  de. 

Apuntes  para  las  biografia*  de  algunos 
Burgaleses  cölebres. 

Burgos,  Imprenta  de  Tim.  Arnaiz  1878. 
VIJI  u.  252  pag. 

Martin«  Anibarro  y  Rh/ea,  Manuel. 

Intento  de  un  Diccionario  biogiafico  y  biblio- 
grafico  de  autores  de  la  provincia  de  Burgos. 
Obre  premiada  por  la  Biblioteca  NacionaJ 
en  el  coneurso  püblico  de.  1887  e  impresa 
ä  expensas  del  Estado. 

Madrid,  M.  Tello,  1890.  4°. 

[H.  B:  124.  B.  40J. 

Cartagena. 

Vicent  y  PortiH«,  Gregorio. 

Biblioteca  historica  de  Carta^ena.  Oolee- 
ciön  de  obras.  memorias  discursos  folietos, 
extractos,  fragmentos,  Codices  y  nianuscri- 
tos  de  sus  hijos  mas  ilustres  desde  sus 
tiempos  primitivos  hasta  nuestros  dias. 

Madrid,  1889.  I.    XVI  u.  760  p. 

|H.  B.:  202.  E.  51  j. 

Castellon. 

luan  A          (Cronista  de  Castellon). 

Castollones  ilustres.    Apuntes  biogrsiheos. 

Castellon,  Jose  Armengot,  1883,  454  p.  8°. 


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Der  Stand  der  biographischen  Studien  in  Spanien. 


:V2l 


Las?  mir  nicht  vor.  Vgl.  Holetin  de  la 
Libreria  X.  146. 

Catalonien. 

Torres  Amat,  Felix. 

Memoria«  para  ayudar  ä  forraar  un  diccio- 
nario  critico  de  los  escritores  catalanes  y 
dar  alguna  idea  de  la  antigua  y  nioderna 
literatura  de  Cataluna. 

Barcelona,  Imprenta  de  .1.  Verdaguer 
1886,  8°,  XLIV  u.  720  pag. 
[H.B.:  C.  C.  21.  G.  10). 

Corminas,  Juan. 

Suplemento  a  las  memoria*  para  ayudar 
a  formar  un  diccionario  critico  de  los  escri- 
tores catalanes  ....  que  en  1836  puhlicö 
Don  Felix  Torres  Amat,  obispo  de  As- 
torga  etc. 

Burgos,  1849,  8«.  369  p. 

[H.  B.:  C.C.21.  G.  10]. 

Elias  de  MoHns,  Antonio. 

Diccionario  biogrälico  y  bibliografico  de 
eseritorea  y  artiatas  catalanes  del  .siglo  XIX 
Apüntes  y  dato».  T.  I. 

Barcelona  Imprenta  de  Fidel  Giro,  1889. 
XIV  u.  688  pag.  4°. 

[H.  B.:  234.  C.  36). 
Der  2.  Band  ist  im  Erscheinen  begriffen. 

Denk,  V.  M.  Otto. 

Kinführung  in  die  Geschichte  der  altca- 
talaniscben  Litteratur  von  deren  Anfangen 
bis  zum  18.  Jahrhundert.  Mit  vielen  Proben, 
bibliographisch-litterarisch-kritiachen  Noten 
und  einem  Glossar. 

München,  M.  Poeasl,  1893,  XXXVIII  u 
510  S.  8°. 

(H.  B.:  129.  J.  114). 

Enthält  am  Schluas  ein  Personen-  und 
Sachregister  und  p.  IX — XIX  ein  recht 
brauchbare«  Verzeichnis  der  benutzten 
Hilfsmittel. 

Wichtige  Daten  speciell  über  die  Ver- 
treter der  catalanischen  Litteratur  bietet: 

Tubino,  Francisco  Maria. 

Historia  del  renacimiento  literario  contem- 
poraneo  en  Cataluna.  Baleares  y  Valencia. 

Madrid,  M.  Tello,  1880.  gr.  8°  796  piig. 

Mit  25 Porträte  undl  linguistischen  Karte. 

[H.  B.:  S.  A.  91.  B.  20). 

Cordoba. 

Ramirez  de  Arellano  y  fiutierrez,  Teodomlro. 

Escritores  Cordobeses. 

Nach  Femandez  Valiin,  Discursos,  p.  168. 
Cuenca. 

Caballero,  Fermin. 

Escritores  conquenses. 

Nach  Fernandez  Vallin,  a.  a.  0. 


Extremadura  (Provinz). 

Barrantes,  Vicente. 

Aparato  bibliografico  para  la  historia  de 
Extremadura. 

Madrid,  Pedro  Nufiez.  1875  -1877.  8°. 

3  vol.;  I:  XVI  u.  494.  II:  512,  III: 

600  pag. 

(98.  D.  70). 
Ks  ist  eine  stark  vennehrte  und  er- 
weiterte Neuausgabe  des  Werkes  desselben 
Verfassers: 

Catälogo  razonado  y  critico  de  los  libras, 
memorias  y  papele.s,  impresos  y  nianuscritos 
que  tratan  de  las  provincias  de  Extrema- 
dura. asi  tocante  ä  su  historia,  rellgion  y 
geografia  como  a  sus  antiguedades.  nobleza 
y  hombres  cölebrea.  öbra  premiada  por 
la  Biblioteca  Nacional  en  el  concurso 
püblico  de  1862  e  impresa  de  real  örden. 
Madrid,  Imprenta  de  Rivadeneyra.  1863. 
4°.  8  u.  320  pag. 

[161.  C.  20). 

In  der  Anlage  dem  Diccionario  von 
Mufioz  y  Rivero  sehr  ähnlich,  auch  insofern, 
als  auf  Biographien  nicht  speciell  Rück- 
sicht genommen  wird.  Zum  Schluss  (  p.  315 
ff.)  wird  übrigens  eine  Tabla  de  los  varones 
ilustres  y  familias  extremenas,  a  quien  se 
refieren  libros  ö  memorias  en  este  catalogo 
registradas  gegeben. 

Diaz  y  Perez,  Nicolas. 

Diccionario  historico,  biogrälico,  critico  y 
bibliografico  de  autores,  artistas  y  extre- 
nienos  ilustres,  precedido  de  un  prölogo  de 
1).  Francisco  Caöameque  .  . .  y  con  noticias 
del  autor,  por  el  Excmo  S.  D.  Fernando 
de  Gabriel  y  Ruiz  de  Apodaca. 

Madrid,  Imprenta  de  Abienzo,  1884. 

Galicien  (Provinz). 

Diaz  de  Robles,  Domin|o. 

("oleccion  biogräfica  de  los  tipos  notables 
de  Galicia  dexde  los  tiempos  mäa  remotos 
hasta  nuestros  dias. 

Madrid,  Imprenta  de  la  Viuda  de  Matute, 
1853. 

Bios  zwei  Lieferungen  (.bis  S.  47)  er- 


Murguia,  Manual. 

Diccionario  de  escritores  gallegos. 

Vigo,  J.  Companel,  1862. 
Reicht  nur  bis  zum  Artikel  Cornide 
(p.  176). 

Vesteiro  Torres,  Teodosio. 

Galeria  de  gallegos  ilustres. 

Madrid,  Imprenta  ä  carsro  de  Heliodoro 

Perez,  1874-  1875.  8°. 
5  tomas:  16S  u.  192  u.  100  u.  176  u. 
160  pag. 


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biographische  Matter. 


Villa -Amil  y  Castro,  Jose. 

Rnsayo  de  an  cat;ilo-_ro  sistemätieo  y  critieo 
de  aL'unos  lihros  tolletos  y  papeles  asi 
inipresos  tmiKi  manuscritos  quo,  traten  en 
particular  de  <ialieia. 

Madrid.   Jmprcnta    de  Fortanet,  1875. 

XXIV  u.  :512  pa«r. 

|ll.  lt.:  •-'•»7.   1).  42]. 

V-l.  auch: 

Besada.  Auguslo  6. 

Historia  oitica  de  la  literatura  iialle<ra 
Kdad  antiirua.  Tom.  I. 

La  Curuüa  ISST.  H°.  272  pa«r. 
(Soviel  erschienen!.   Ks  ist  ti*T  Biblioteca 
(Jalle-a  V..I.  S. 

[II.  II.:  2:  $2.   15.  25J. 

Gerona  (Provinz  und  Stadt). 

Girbai,  Enrique  Claudio. 

Kscritore<  L'cnmdenses  o  sea  apuntes  bio- 
«jriitico-  de  los  prineipalcs  que  han  flore- 
cido  desde  los  pri moros  siirlos  hasta  nuestros 
dia>,  noticia>  de  las  ohras y  de  los  difercntes 
cstahiecimienlos  de  ensenaii/.a  que  lia  tenido 
i'sta  ciudad. 
(Jcrona.  limiiani'  1S7G.  4'\ 

(Citiert  nach  Molins.  Diceionario  de  escri- 
tttre>  y  arti-tas  Catalanes  pret'.  p.  X.  Kehlt 
bei  Muri  Hot. 

Girbai,  Enrique  Claudio. 

Memorias  literaria»  do<ierona  6  sea  suple- 
mento  ,i  la  obra  del  mismo  autor:  Kscritores 
(ierundeiiscs. 

N'ltI.  die  vorhergehende  Annierkunjr. 

Granada. 

Riano,  (Juan  Facundo?) 

J tibi lo^ralia  urrana<  1  i tia. 

Nach  Fernande/.  Vallin.  Diseursos,  p.  H>S. 

Guipüzcoa  (Provinz)  s.  Vizcaya. 
Jaen  (Stadt). 

Jimenez  Paton.  Bartolome  (y  Ordonez  de  Ze- 
vallos,  Pedro). 

Ilistoria  ile  la  aiiti'.nia  y  continuada  nuble/a 
de  la  ciudad  de  .laen.    V  de  alLfimos  Varones 
famosos.  hijos  della. 
Jaen,  HWs.  4". 

[II.  lt.:  It.  K.  (5.   M.  42]. 

Leön  (Provinz).. 
Mingote  y  Tarazona.  Policarpo. 

Varones  ilu-trcs  de  la  provincia  do  Leun. 
Kti-.i Vi»  bi«i'_T:itic(). 

Leon  l^sn.  ;{7o 

Madrid. 
Alvarez  y  Baena,  Joseph  Antonio. 

Ifi.jo-  de  .Madrid  ilu-tre-  en  simtidad  diir- 


nidades.  annas.  ciencias  y  al  tes.  Diceionario 
histörico. 

Madrid.  17S0    91.  4°.  4  Vol. 

|H.  lt.:  ":1S.  T.  24]. 

Perez  Pastor,  Cristöbal. 

Hiblio-j-rafia  Madrilena  d  de«cripoiön  de 
las  obras  impresas  en  Madrid  <si«;lo  XVI  i. 
Obra  premiado  por  la  biblioteca  naoional 
en  el  eoneiirsn  ptihliro  de  1SSS  c  iiupre^.i 
ä  expensas  del  estado. 

Madrid,  1891.  K». 

|H.  lt.:  2:51.  V.  2% 

Hartzenbusch,  Juan  Eugenio. 

Apuntes  para  im  catalojro  de  periodico* 
madrilenos.  desde  el  uno  U\(\l  1*70.  ( Ibra 
premiada  por  la  llihlioteca  Nat  ional  eil  el 
conciuso  pühlico  de  1*7:1  e  impresa  a  ex- 
pensas del  Kstado. 

Madrid.  Sucesores  de  Uivadvnevra.  1*94. 
4".   XII  u.  424  pp. 

[II.  R:  -224.   K.  III]. 

Mallorca  (Insel). 

Bover  de  Rosellö  Joaquin  Maria. 

Memoria  bio«rrälica  de  los  mallonjuines  que 
*e  han  distinvMiido  en  la  antiirua  y  moderna 
literatura. 

Palma  1*42.  Imprenta  nacional.  V\ 
'•Ol  pair. 

Bover  de  Rossellö  Joaquin  Maria  y  Medel,  R. 

Varones  ilustres  de  Mallorca. 

Palma  1*47.  Pedro  Jose  (Wabert  7*4 
pa<_r.  4°.  Zahlreich*»  Abbildungen.  -  Auto- 
<_riaplieii.  Kae.Miuilia  und.  Vignetten. 

Bover  de  Rosellö,  Joaquin  Maria, 

Xoticias   hist.'uico-top«'iH-aricais   de  la  isla 
i    de  Mallorca,  estadistica  iruneral  de  clla  y 
periodos  memorable.s  de  su  historia. 

Palma,  .luan  (ifiasp.  lS.Ui. 

|M.  It.:  SA.  :»s.  F.-6|. 

Montana 
(Santander,  Stadt  und  Provinz). 
Pedraja, 

Ks»-ritore»i  Montaneres. 
Nach  l'fMiiändez  Vallin.  Discursas  p.  \*\*. 

Leguina.  Enrique  de. 

Hijos  ilustre*.  dt»  la  Provincia  de  Santender. 

Nach  Menendez  p.  7:  vd.  unten. 

Menendez  y  Pelayo,  Marcelino. 

Kstudios  ei  iticns^oJireescritoresMontanese». 

Santander.  T.  Mailinez.  1^70.   S".   Vol.  1 

( un. ». 

(II.  It.:  <;.  7:t]. 

Handelt  ci<>entliidt  übpr  Travl»  y  Uo»io. 
•riebt  alter  in  der  Kinleituntr  eine  irutc 
all'jemeilH'  Übersicht. 


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Der  Stand  der  biographischen  Studien  in  Spanien. 


323 


Navarra. 

6>l  y  Bardaji,  Panlino. 

Memoria  acerca  de  los  hombres  celebres 
de  Navarra.  desde  la  antiyuedad  haata  nue- 
stros  dias.  Premiada  en  el  certanien  lite- 
rario  celebrado  en  la  ciudad  de  Pamplona. 
el  13  de  .lulio  do  1882.  Hajo  los  auspicios 
del  F.xcmo.  Ayuntamiento. 

Pamplona,  Imprenta  Provincial  1882.  4°. 
103  pa«*. 

Vargas,  IN.  F.  M.  de 

La  g-uerra  de  Navarra  y  Frovincia-s  Vaseon- 
gada*. 

Madrid.  B.  Gonzalez,  1848.  2  ton».  4°. 
344  u.  289  pa«r. 

Der  zweite  Band  enthält  ausschliesslich 
Biographien. 
.S.  a.  Vizcaya. 

Oviedo  (Stadt). 

Gonzalez  Dävila,  GH. 

Teatro  eelesiastico  de  la  Santa  I^lesia  de 
Oviedo.  Vidas  de  sus  Obispos  y  eosas 
memorables  de  su  Obispado. 

Madrid.  1635.  4°. 

[H.  B:  31.  H.  84). 

Tamayo  de  Vargas,  Tomas. 

('atiUogo  historiado  de  Ioh  Obispos  de  la 
Santa  Igrlesia  de  Oviedo.  164«. 

NaehVi<ril,Asturias Monumental. I  p.  (5-34. 

Yepes.  Antonio  de,  Fray. 

Fatälog-o  de  los  Abades  de  San  Vicente  de 
Oviedo  S.  XVI. 

Nach  Viffil  a.  a.  O. 

Santander  s.  Montana. 

Segovia. 

Baeza  y  Gonzalez,  Tomas. 

Apuntes  hiotrrafieosde  escritoresSeirovianos, 
puhlicados  por  la  soeiedad  Rconömica  . .  de 
Amines  del  l'ais. 

Seirovia  1877.  8°.  .167  p.    Imprenta  de 
la  Viuda  de  Alba  y  Santiuste. 
[H.  B:  1 10.  R  18|. 

Sevüla. 

Caro,  Rodrigo. 

Antiiruedades  y  prineipado  de  Sevilla  y 
choroirraphia  de  su  convento  juridicio  <> 
anti-.'Uii  rhancilleria. 
Sevilla.  Andres  (imnde.  1634.  Fol. 
|H.  B.:  60.  F.  25 1. 

Die-es  Werk  scheint  Vallin  iDiscursos 
1».  16*  >  zu  meinen,  wenn  er  von  <\m>> 
.  F>critore>  Se  vi  Hanns '  spriflit.  Doch  ist 
der  Katalny  der  hijo>  ilusties  <  Fol.  7Ui\\ : 
en  santidad.  en  letras  en  armas  y  diirnidad 
-<•■/!. irl  sehr  «li'n  t'ti-j-.   Na.-htivi'je  im  Mriiio- 

Ktographifche  Blauer.  I. 


rial  histörieo  de  la  Keal  Academia  de  la 
Historia  Tom.  I..  347  ff. 

Arana  de  Varflora,  Fermin. 

Hijos  de  Sevilla  ilustres  en  santidad,  letras. 
armas  o  diyuidad,  Colorados  por  orden 
alfabetico. 

Sevilla.  Vasquez  e  Hidalero.  1791.  4°. 
|JI.  B.:  S.  A.  15.  (;.  27). 

Rrsehien  in  4  Heften,  jedes  mit  beson- 
derer I'a<rinierun«\ 

Hijos  ilustret  de  Sevilla,  o  coleceion  de  bio- 
jrrafias  de  los  naturales  de  esta  ciudad 
que  hau  sobresalido  en  santidad,  ciencias. 
armas  y  artes. 

Sevilla  1850.  Moyano-  Monier.  Madrid 
8°.  Con  himinas. 

|H.  B.:  S.  A.  2.  J.  98]. 

l'a«r.  1  —  248.    Nicht  mehr  erschienen. 

Lasso  de  la  Yoga  y  Argüelles,  Angel. 

Historia  y  juicio  eritico  de  la  escuela  poe- 
tica  sevillana  en  los  siirlos  XVI  y  XVII. 
Memoria  .  .  premiada  por  voto  unanime  de 
la  Ueal  Academia  Sevillana  de  buenas  Le- 
tras, impresa  con  auxilio  del  Ministerio  de 
Fomento  y  precedida  de  una  carta  de  D. 
.lose  Amador  de  los  Bios. 

Madrid,  Imprenta  de  la  viuda  c  hijos  de 
lialiano.  1871.  H».  XX  u.  352  p. 
[11.  B.:  99.  <'.  62 j. 

Von  p.  173  bis  Schluss:  I'oetas  Sevillanos 
de  los  sipflos  XVI  y  XVII.  Sorgsame  bio- 
graphische Arbeit. 

Metato  y  Garavia. 

Adiciones  y  correcciones  ä  los  hijos  de 
Sevilla  ilustres  en  santidad.  letras.  arnias 
y  dijrnidad  de  I).  Fermin  Arana  de  Var- 
flora. Las  da  a  luz  por  primera  ve/.  el 
Kxcmo  Senor  D.Juan  Peres  de  Cuzman 
y  Bozu. 

"  Madrid  1886.   129  p. 

Hazanas  y  La  Rua. 

La  imprenta  en  Sevilla.  Knsayo  de  una 
historia  de  la  tipoirraf'ia  sevillana.  y  noti- 
cias  de  aljrunos  de  sus  impresores,  desde 
la  introducciön  del  arte  tipoirnihVo  en  e>ta 
ciudad  hasta  el  ano  de  18(K). 

Sevilla,  imprenta  de  la  Kevista  de  los 
Tribunale*  1S92.     I".    8  u.  142  u.  2  p. 

Escudero  y  Perosso,  Francisco. 

Tipotriat'ia  hi*palensc.  Anales  biblinLrräti<-n> 
de  la  ciudad  de  Sevilla,  de-de  el  estableci- 
miento  de  la  ini|>renta  ha>ta  tines  del 
sitrln  XVIII.  Obra  premiada  en  com-urvi 
piiblico  por  la  Biblinteca  Nacinnal  en  186-1 
e  impre«a  ä  e\pen>a>  <lel  K*tadi».  H  <m  [;i 
bioLTafia  del  autor.  por  I).  A.  Maria  Fabiei. 

Madrid.  Kivadcnrvia.  1*i»l.  4".  XIX  u. 
»557  p. 

III.  B. :  224.    K  1  H>!. 


21 


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324 


Biographische  BlHtter. 


Toledo. 

Perez  Pastor,  Cristöbal. 

La  imprenta  en  Toledo.  Deseripeiön  biblio- 
grafiea  de  las  obras  impresas  en  la  imperial 
eiudad  desdo  14X3  hasta  nuestros  dias. 
Ohra  premiada  por  la  Biblioteca  Hacional 
en  i*l  coneurso  pühlico  de  1880  e  inipresa 
ä  expensas  del  Estado. 
Madrid,  18*7,  M.  Tello,  8°.  392  päg. 
|H.  B.:  213.  E.  2J. 

Valencia. 

Fuster.  Justo  Pastor. 

Biblioteca  Valenciana  de  los  escritores  que 
tlorecieron  hasta  nuestros  dias.  Con  adiciones 
y  enmiendas  ä  la  de  D.  Vicente  Ximeno. 

*  Valencia.  .los.  Ximeno,  1827-1*30,  2  Vol. 
4°.  XVI  u.  XXII  u.  350  und  VIII  u.  548  p. 
[H.  B:  71.  q.  84j. 
Nach  Hidalgo  I.  282  selten  geworden. 

Ximeno,  Vicente. 

Kseritores  tlel  Reyno  de  Valencia. 

Valencia  1747-  1749.  2  vol.  fol. 
(H.  B.:  00.  C,  31]. 

Rodriguez  Jose. 

Bihlioteca  Valentina,  L'on  una  rontinuaeiön 
de  la  misma  obra  heeha  por  Fr.  Ignacio 
Savalls. 

Valencia.  1747.  fol. 

[H.  U:  79.  B.  50|. 


El  teatro  de  Valencia  desde  su  origen  hasta 
nuestros  dias. 
Valencia.  .1.  Ferrer  de  Orga.  1840.  8°. 
|H.  Ii:  *  (59.  <>.  512|. 

Valladolid. 

Ortega  Rubio,  Juan. 

Valisoletanos  ilustres  (Boeetosl. 

Valladolid.  Imprenta  de  Luis  X.  de  Ga- 
viria,  1S93.  4".   128  p.  Mit  Porträt*. 
IH.  B:  231.  K.  17|. 

Marcida. 

Hibliogratia  Vallisoletana:  nach  Fcrnändez 
Vallin.  Discursos.  p.  108. 

Vieh. 

Biblioteca  histörica  de  la  diöcesis  de  Vieh. 
Kpiscopologio  de  Vieh,  escrito  ii  mediados 
del  siglo  XVII  por  el  Dean  I>.  Juan  Luis 
Moncada;  puldieudo  por  vez  primera  con 
un  prölogu.  notas  y  adiciones  de  1).  Jahne 
l'ollell.  Canönigo.  Tomo  1  (del  siglo  VI  al 
Xlh. 

Vieh.  Ii.  Aiv.da.la  1S9].  4°. 


Vitoria  (Stadt). 

Landazuri  y  Romarate,  Joaquln  Joseph. 

Historia  civil,  eclesiastica.  politica  y  lesrts- 
lativa  de  la  m.  n.  y  m.  1.  eiudad  de  Vito- 
ria,  sus  privilegios.  eseneiones,  franquezas 
y  libertades,  deducida  de  memoria.««  y  docu- 
mentos  autenticos. 
Madrid.  Pedro  Marin.  1780,  #\  402  p. 
|IL  M.:  B.  K.  7.  Z.  01]. 
Werth  volle  biographische  Daten.  P.42*  f. 
Lista  de  los  Alcaldes  de  Victoria  (von 
1479  an). 

Vizcaya. 

Rodrlguez-Ferrer,  Miguel. 

Los  Vasron  gados:  su  pais.  su  lengua  y  el 
principe  L.  L.  Bonaparte,  con  notas.  ilns- 
traciones  y  comprobantes  sohre  sus  anti- 
guedades,  sus  principales  nomhres  histo- 
ricos.  su  literatura  euscara.  su  bibliografia 
vasea.  sus  artistas  y  obras  de  arte,  su 
müsiea.  su.s  danzas,  sus  supersticiones,  su 
organisaeion  social  antigua  y  modema  etc. 
Con  una  introdueeiön  por  el  Excmo  Sr. 
D.  Antonio  Cänovas  del  Castillo. 

Madrid,  Imprenta  de  .1.  Xoguera   187  !, 

L1X.  y  34S  p.  H». 

[H.H.:  95.  D.02]. 

Soraluce  y  Zubizarre ta,  Nicolas  de. 

Müs  biografias  y  catälogo  de  obras  vast  o- 
navarras. 
Vitoria.  1*71,  8«.  43  pag. 

Allende  Salazar,  Angel. 

Bildioteca  del  Bascofilo.  Ensayo  de  un 
catälogo  general  sistemätico  y  eritien  de 
las  ohras  referentes  ä  las  proyim-ias  de.  Viz- 
caya. (iuipu/.coa  Alava  y  Navarra.  Ubra 
premiada  por  la  biblioteca  Nacional  en  el 
coneurso  pühlico  de  1877  ö  impresa  ä 
pensas  del  Estado. 

Madrid,  Imprenta  .de   M.  Tello.  1**7, 

4**  nag.  4°. 

III.  B.:  V.  ('.  21.   (i.  5]. 

Hauptwerk,  vortrefflich  ausgearbeitet  und 
angeordnet,  leider  erst  nach  dem  Tode  de> 
Verfassers  nicht  genügend  sorgfältig  pueli- 
ciert. 

Zamora. 

Fernändez  Duro,  Cesareo. 

Coleceion  bildiognitieo-biogräfiea  de  noti- 
cias  referentes  ä  la  provincia  de  Zamora 
ö  materiales  para  su  historia,  reunidos. 
Obra  premiada  por  la  Biblioteca  Nacional 
en  el  connirso  pühlico  de  187(5  e  impresa 
ä  expensas  del  Kstado. 
Madrid.  Manuel  Tello  1S91.  4'. 
|H.  B.:  233.  <\  22 1. 


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Familiengesehichtliches.  325 


Familiengeschichtliches. 

Von 

OTTO  FREIHERRN  VON  VOELDERNDORFF.  *i 

Das  Leben  des  Einzelnen  baut  sieh  auf  (Iber  dem,  was  seine  Vorfahren  erlebt 
haben.  Man  kann  sagen:  «Weh1  Dir,  dass  Du  ein  Enkel  bist!"  Denn  die  Sünden 
der  Väter  werden  heimgesucht  an  den  Kindern  bis  in  s  dritte  und  vierte  Glied. 
Man  darf  aber  mit  gleichem  Hechte  behaupten:  -Wohl  Dir.  dass  Du  ein  Enkel 
bist!-  Denn  wir  Nachkommen  nach  des  grossen  Darwins  Lehre  ist  dies 
unumstösslich  —  wir  Nachkommen  zehren  von  allem  (Juten  und  allem  Schönen, 
was  unsere  Ahnen  in  sich  ausgebildet  und  in  der  Form  der  Kaceiiveredlung  auf 
uns  vererbt  haben.  Das  heisst  also;  in  keinem  Menschen  lebt  nur  seine  eigene 
Individualität  ;  das  Individuum  ist  stets  zugleich  das  Resultat  einer  Familie.  Ebeu- 
so  lebt  darum  auch  niemand  nur  für  sich  selbst;  indem  er  lernt,  arbeitet,  strebt 
und  sich  müht,  thut  er  all  das  nicht  für  seine  Person  allein,  sondern  er  wirkt 
mittelbar  auf  das  Leben  seiner  künftigen  Geschlcchtsnachkommen  ein,  er  schafft 
geistiges  Kapital  für  seine  Familie.  So  leben  in  jedem  Kinzelnen  gleichsam  seine 
summt  Hellen  Vorfahren  mit.  Deshalb  wird  die  Biographie  des  Einzelnen  dessen 
Entwicklung,  abgetrennt  von  der  Entwicklung  seiner  Familie,  niemals  richtig 
behandeln  können.  Jeder  Mensch  wird  nur  verständlich  aus  dem  Erbteile,  das 
er  aus  seiner  Abstammung  mitüberkommen  hat.  Und  wie  sein  äussere]1  Lebensweg 
meist  von  vorneherein  bestimmt  wird  durch  die  Verhältnisse  seiner  Eltern,  so  auch 
seine  innere  Ausgestaltung  den  Nährboden,  den  ihm  die  geschaffen  haben,  die  vor 
ihm  gelebt. 

Fnter  diesem  Gesichtspunkte  rechtfertigt  sich  vielleicht  der  Versuch  in  den 
, biographischen  Blättern"  etwas  „ Familiengeschichtliches"  der  Öffentlichkeit  zu 
übergeben. 

Ich  und  ein  gleichfalls  kinderloser  Vetter  sind  die  letzten  Abkömmlinge  des 
(iescInVehtes  der  Voelderndorffer,  welches  seit  nunmehr  neunhundert  Jahren  über 
sich  urkundliche  Notizen  gesammelt  hat.**)  In  meinem  Besitz  findet  sich  ein  von 
meinem  Urgrossvatcr,  dem  Freiherrn  Johann  Martin  von  Voelderndorff  im  Jahre 
17.'il  verfasstes  Manuscript,  welches  den  Titel  trägt: 

„Begründete  Nachrichten  von  der  Frey  herrlich  von  Voolderndorffischen 
Familie,  aus  bewährten  Auetoribus,  Urkunden  p.  p.  bewiesen  und  zusammen- 
getragen.- 

Diese  Familiengeschichte  beginnt  mit  den  Worten: 

-Dass  von  diesem  Geschlecht  bereits  etwelche  sub  Alberto  I  Bambergensi 
Anno  ',»80  —  1)00.  unter  Henrico  et  Leopoldo  I  Anno  1040.  unter  Ernesto  1 
et  Leopoldo  II  biss  1075,  und  endlich  sub  Leopoldo  III,  sämmtlich  regierenden 
Herzogen  von  Oesterreich  gelebet,  und  getreue  Bitter-  und  Kriegsdienste 
geleistet  haben,  solches  bezeuget  klährlich  das  von  Leopolde»  1  lmperatore  A. 
1084  renovirte  Baronats-Diploma,  wie  nicht  weniger  das  in  rotem  Sammet 

*)  Zum  70.  (teburtstage  des  verehrten  Verfassers  hat  Louise  v.  Kobell  in  der 
Heilatre  zur  „Allg.  Ztg."  vom  12.  Juni  d.  J.  knapp  seinen  Lebenslauf  geschildert.  Die 
-Bio<_T.  Kl."  bringen  im  nächsten  Helte  einen  weiteren  Beitrag  des  Trefflichen :  beule  < laben 
hoffentlich  als  Vorlioten  einer  'geschlossenen  Autobiographie  Voelderndorffs.         A.  <1.  II. 

x*(  Vgl.  auch  La/ius:  Chronica  Vientien-is  Lib.  IV  Cap.  IL  l'ol.  11  u.  Cap.  III  toi.  IS. 
Wiirmhrand:  Collcctanea  (ieneuN^ico-historica.  (17i»"x  p.  i'S.  (iauhens  Adclslexikun 
1 1719 1  p.  40ö.    Fritchens  Basaler  Lexikon  (47:><>>  Bd.  IV.  p.  :{<>. 


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326 


Biographische  Blätter. 


mit  Silber  beschlagene  Much,  worinnen  die  würkliche  Landes-Glieder  in 
Österreich  unter  der  Ens*  vom  Herren  und  Ritterstand  beschreibend  sub 
Lib.  V  in  Parte  I  f.  13ü  die  Voelderndoerffer  unter  den  ältesten  vierund- 
zwanzig adelichen  (Geschlechtern  aufgeführt  sind.u 

Mit  ängstlicher  Sorgfalt  verzeichnet  sodann  der  Verfasser,  beginnend  mit 
Ulrich  Velterndorffer,  („lebte  um  1200.  und  ist  dessen  Grabschrift  in  der  Kirche 
zu  Tulln  an  der  Donau  zu  lesen")  alle  Mitglieder  des  Geschlechts  der  Voeldern- 
dorffer aus  dem  XllL,  XIV.  und  XV.  Jahrhundert,  deren  Grabsteine  damals  noch 
exLstirten.  (er  reiste  überall  herum  und  zeichnete  sie  ab)  oder  welche  in  Urkunden 
als  Zeugen  oder  Beteiligte  mitwirkten.  Ich  übergehe  diese  Reihe  von  Namen 
(-Name  ist  Sehall  und  Rauch u)  und  springe  sofort  auf  den  im  .lahre  1504  geborenen 
Gotthard  von  Voelderndorff  über,  welcher  der  Familie  die  Signatur  gegeben. 
Schon  Kusserlich:  in  meinem  Zimmer  hangt  ein  (offenbar  von  einem  Cranach- 
Schüler  gemaltes)  Bildnis*,  das  ihn  in  seinem  fünfundsiebzigsten  Lebensjahre  darstellt, 
und  meine  Freunde  pflegen  zu  sagen:  ..Du  brauchst  Dieh  nicht  portratiren  zu  lassen, 
schreibe  nur  deinen  Namen  auf  die  Holztafel,  denn  Du  bist  zum  Sprechen  ähnlich." 
Aber  auch  im  Geistigen  hat  er  die  Bahn  gewiesen,  auf  welcher  fortan  die  Familie 
gewandelt  Ist.    Das  konfirmirte  Freiherren-Diplom  sagt  von  ihm  Folgendes: 

„Dem  uralten  Geschlechte  Derer  von  Voelderndorff  noch  mehreren  Ruhm 
beizufügen  hat  Gotthard  von  Voelderndorff  nicht  ermangelt,  indem  er  als 
Stadt-Haiihtmaun    zu  Stuhlwcissenburg  in  Ungarn  Seinem  Heldenmut  zum 
öfteren  wider  den  Erbfeind   ganz  unerschrocken  und  erspriesslieh  hat  vor- 
führen lassen,   derohalben  ihm  von  Unseren  G lorwürdigsten  Vorfahren  im 
Römischen  Reich  schon   vor  einem   Siiculo    der  Reichs-frey-Herrn  Stand t 
gnädigst  verliehen  worden,  um  welches  Diplome  aber  das  Voelderndorff"  sehe 
Geschlecht  bey  letzteren  Schwedischen  Einfall  in  Unter-Österreich  und  Ein- 
nehmung unserer  Stadt  Crembs  sammt  vielen  ihrer  besten  Sachen  und  alten 
Docuinenten  endtkommen  ist." 
Gotthard  erwarb  einen  sehr  grossen  Güterbesitz,  (die  Familie  soll  unter  ihm 
fünfzehn  Güter  besessen  haben),  aber  von  grösserem  Werte  für  uns  Nachkommen 
ist.  dass  er  mit  dem  brennendsten  Eifer  der  Reformation  sich  anschloss.  und  das» 
dieser,  sein  evangelisch-freier  (»eist  über  dreihundert  .lahre  hindurch  in  der  Familie 
fortwaltete.     Bekanntlich  wurde  zu  jener  Zeit  fast  der  gesammte  österreichische 
Adel  protestantisch,  aber  es  gelang  der  Gegenreformation,  die  mit  allen  Mitteln 
der  Herrschergewalt   arbeitete,   allmahlig  durch  Belohnungen  und  durch  Zwang 
nahezu  alle  Familien  wieder  „in  den  Schoss  der  alleinseligmachenden  Kirche  zu- 
rückzubringen.-    Die  Voelderndorffer  nicht.     Höber  als  unser  Adelsdiplom  ist  in 
der  Familie  von  jeher  das  Dorument  geschützt  worden,  welches  in  Gottfried  von 
Meyera's:  Actis  publicis  Pacis  Westphalieae.  T.  IV.  p.  177  enthalten  ist.    Im  Mär/ 
1047  wurde  dem  Friedens-Cougress  zu  Münster  eine  Liste  derjenigen  vom  ..löblichen 
Hitter-Sfand"  übergeben,  welche  ..noch  dato-   in  Osterreich  unter  der  Enns  dein 
evangelischen   (Hauben   anhängen.    Darin   sind   sub  Lit  V   fünf  Voelderndorffer 
( Voellendorffer)   aufgeführt.     Damals    wurde    ihnen  wenigstens   die  ungefährdete 
Ausübung  ihrer  Religion  im  hiiuslichen  Kreise  zugesichert.     „Aber"  —  so  spricht 
unsere  Familienclii'nnik  : 

..als  die  unerhörten  Verfolgungen  der  l'rotestantischeti  Religion  unter  dein 
in  allen  Geschichtsbüchern  deswegen  sattsam  hekanndteu  Ferdiuandis  Iinpe- 
ratitrilnis  bis  auf  d;is  höchste  getrieben,  den  Vasallen  alle,  auch  >ogar  sa< ra 
jirivata  wie  nicht  minder  die  Evangelische  Erziehung  ihrer  eigenen  Kinder 
mit  Gewalttätigkeiten  verholten  w  in  den.  Sn  fausten  sie  den  schnieiv.li« -he:; 
l-'.i it i 1 1 1 1 Ii-  h.'f  ihn    k ■  i- 1 1  m :  t-i i  i  .''HM    utn  .-in  Geriuge>  Io<ziim  hlageti.  d<  n 


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Familiengescbichtliches. 


327 


Emigrantenstab  zu  ergreifen,  und  ihr  durch  so  viele  Saecula  bewohntes 
Vaterland  mit  dem  Rücken  anzusehen,  als  Ihre  und  der  Ihrigen  Seligkeit 
in  Gefahr  zu  setzen.  So  wanderte  denn  Hans  Adam  Eusebius  Freiherr  von 
Voelderndorff  auf  Schirmannsreuth .  Frabernreuth,  Donaudorf  und  Krumm- 
nussbaum  ob  der  Erlaff  (das  waren  damals  seine  iisterreichen  Güter)  mit  seinen 
Kindern  aus,  und  wurde  nach  Erwerbung  der  immediatcn  Rittergüter  Dürn- 
hof  und  Neuses  am  6.  (16.)  November  1660  auf  dem  in  Weissenburg  im 
Nordgau  gehaltenen  Rittertag  von  Einer  löblichen  Keyserlich  unmittelbahren 
freyen  Ritterschaft  Orts  an  der  Altmühl  zum  Ritterglied  aufgenommen." 

Die  Familienchronik  bemerkt  von  den  Voelderndorff.  dass  sie 
„mehreuteils  ohne  höfische  Gunst  und  Senken  zu  suchen  als  wahre  Frey- 
herrn  schlecht  und  recht  auf  ihren  Güttem  gelebet,  und  andere  als  Kriegs- 
dienste nicht  wohl  geleistet,  inmassen  ein  Abtrehen  von  dieser  Regel  den 
Voelderndorffern  übel  zu  bekommen  pflegte,  wovon  eben  der  voraufgeführte 
Hans  Adam  ein  Exempel  gewesen." 

Dei"selbe  gab  nämlich  nach  seiner  Übersiedelung  in  den  Fränkischen  Kreis. 

seinen  ältesten  Sohn,  der  gleichfalls  den  Namen  .Johann  Adam  führte,  und  1647 

geboren  war,  wie  die  Chronik  erzählt 

rzur  Erlernung  der  teutschen  Hof- Lebensart  als  Pagen  dem  frommen  Herzog 
Eberhard  von  Württemberg,  an  dessen  Hufe  er  sich  dermassen  wohl  quali- 
ficirte,  dass  er,  da  er  noch  dazu  von  sehr  schöner  I.*>ibesbeschaffenheit 
war,  von  gedachtem  Herzoge  bey  Vermählung  dessen  Prinzessin  Tochter  an 
den  Fürst  von  Ost -Friesland  wehrhaft  gemacht*)  und  auf  ein  halbes  .lahr 
als  Cavalier,  um  die  Prinzessin  daselbst  einzugewöhnen,  mit  nach  Ost- 
Friesland  geschickt  wurde,  nach  welcher  Zeit  er  nach  Stuttgart,  retournirte 
und  seine  Dienste  treulich  verrichtete.  Als  aber  einsmals  in  dein  Schloss  einige 
junge  Cavaliere  während  der  Sonntags-Predigt  in  dem  nahe  an  der  Schloss- 
Capelle  gelegenen  Saal-  oder  Ball-Hauss  eine  partie  Ballon  schlugen,  und 
sich  der  fromme  Herzog  nach  den  Namen  dieser  Profanateurs  erkundigte, 
so  vermeldete  ein  Feind  und  Verleumder:  der  Baron  Voelderndorff  sei  es 
gewesen,  ohngeachtet  er  sich  anderwärts  befunden  hatte.  Demnach  erhielte 
Er  unverschuldeter  Weise  seinen  Abschied,  und  gelobte  zugleich  bey  sich 
selbst  in  seinem  Leben  keinem  Hof  mehr  Dienste  zu  leisten."  — 

Man  hat  sich  oft  gewundert,  dass  weder  ich  noch  einer  meiner  Brüder  oder 
Vettern  um  den  Kammerherrenschlüssel  eingekommen  sind.  Wir  haben  eben  immer 
an  den  jungen  Hans  Adam  gedacht.  — 

Am  17.  November  1676  vermählte  sich  .lohann  Adam  der  jüngere  mit 
der  siebzehnjährigen  Erbtochter  des  alten  Geschlechtes  der  Grafen  von  Rottal, 
Sabina  Isabella,  und  das  Blühen  der  Familie  Voelderndorff  schien  damit  auf  lange 
Zeit  gesichert.  Aber  ein  böser  Dämon  in  weiblicher  Gestalt  vernichtete  diese  Aus- 
sichten alsbald.  Bei  der  Auswanderung  des  Hans  Adam  Eusebius  war  eine  Tochter 
desselben  in  Österreich  zurückgeblieben.    Die  Familien-Chronik  sagt  von  ihr: 

*)  Dieses  «Wehrhaftmachen "  bezieht  sich  auf  die  vormals  übliche  ( 'ereinonie  beim 
Austritt  aus  der  Pagerie.  Noch  zu  meiner  Zeit  (lS4:i>  erfolgte  die  „Ausmusterung"  der 
Hayrischen  Edelknaben  in  folgender  Weise:  Der  Oberstallmeister,  unter  welchem  die  I'agerie 
stand,  hielt  an  uns  eine  kurze  Anrede,  in  der  er  zu  ritterlichem  Thun  und  Treiben  und 
zu  einem  ehrenhaften  Leben  ermahnte.  Dann  trat  er  zu  .ledern  der  in  dem  Kreise  Stehenden 
und  gab  ihm  einen  leichten  liackenstreich,  indem  er  sprach:  „Das  leiden  Sie  von  mir  und 
nun*  hier  überreichte  er  dem  Angesprochenen  mit  der  andern  Hand  «»inen  Degen  - 
„von  Niemandem  mehr".  Damit  war  der  bisherige  „  Kdel knabe "  als  wehrhafter  Cavalier 
erklärt,  und  erst  von  da  an  erhielt  er  sein  Standes-I'riidikat  als  Anrede;  bis  dahin  wurde  er 
nur  beim  Namen  gerufen,  niemals  aber  (Jraf  oder  Union  genannt. 


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328 


Biographische  Blätter. 


„Maria  Anna  Regina  von  Voelderndorff  verehrte  das  Pabsttum  mehr, 
denn  ihrer  Seele  "Wohlfahrt.  Da  sie  dabei  von  ausnehmender  Schönheit 
und  mit  grossem  Verstände  begabt  war,  erwarb  sie  sich  die  Gnade  des 
Kay. serlichen  Hofes  ob  ihrer  Anhänglichkeit  an  die  katholische  Religion  in 
hohem  Maasse.  Sie  wurde  Hofdame  und  Sternkreuz-Dame  und  erzielte 
grossen  Einfluss.  Nicht  weniger  als  vier  Männer  nacheinander  führten  sie 
zum  Traualtare:  .lohanu  Caspar  von  Lindeck  und  Mollenberg.  Hans  Gottfried 
Freiherr  von  Clam,  Johann  Anton  Kollowrat  Graf  von  Krakowsky,  nnd  zu- 
letzt Anton  Friedlich  Graf  von  Aueralierg.*) 

Als  ihr  Bruder,  erst  zwei  und  fünfzig  Jahre  alt,  am  1«.  Februar  1091*  gestorben 
war.  scheint  sie  ihre  jesuitische  Intriguen  zum  Zwecke  der  Konvertirung  ihres 
Neffen  begonnen  zu  haben.  Vermuthlich  durch  ihren  Einfluss  winde  als  Erzieher 
des  Knaben  ein  gewisser  Mügelein  gewählt,  von  welchem  die  Familiengeschichte  sagt : 
..Dieser  Mann  ist  ein  Erzbösewicht  gewesen,  der  auf  den  jungen  Baron 
von  dem  schlimmsten  Einflüsse  war,  densclbigen  zu  Prozessen  gegen  seine 
Frau  Mutter  pto.  Wittumbs.  gegen  die  Stadt  Diukclsbühl  ratione  übel  an- 
gelegter, Kapitalien  und  verzögerter  Zinsszahlung  beredete,  und  dadurch  die 
die  Familie  in  Zwistigkeiten  und  grossen  Schaden  brachte.  Die  Witwe 
Voelderndorff  schickte  nunmehr  ihren  Sohn  auf  die  neugegründete  Universität 
zu  Halle  in  Brandenburg,  aber  der  böse  Hoffmeister  reiste  ihm  dahin  nach 
und  verwickelte  ihn  dortselbst  in  ein  solches  Leben  und  Häudel.  dass  der 
junge  Freiherr  sich  flüchten  rnusste.  Er  ging  nach  Polen,  wo  er  als  gemeiner 
Reiter  in  Dienste  trat.  Als  solcher  marschirte  er  mit  der  Annee  nach 
Schweden,  allwo  ihn  (»brist  Dalwig  lieb  gewann,  und  ihm  eine  Fähndrich- 
stelle  im  dänischen  Heere  verschaffte.  Sodann  kam  er  als  Lieutenant  unter 
des  Generalmajors  v.  Hii-schligaus  Infanterie-Regiment,  von  da  in  das  Fränkische 
Creiss-Regiment  von  Erffa  und  verrichtete  als  Capitain  die  Campagne  am 
Rhein.  Anno  1712  ward  er  dänischer  Oberst  -  Lieutenant  unter  Graf 
Calenberg.  Als  solcher  besuchte  er  wieder  seine  Frau  Mutter  und  söhnt«' 
sich  mit  deraelben  aus.  Aber  die  Eintracht  währte  nicht  lange.  Denu  an- 
statt eine  vermögliche  und  den  lustre  der  Familie  verstärkende  Mariage 
aus  einem  adelichen  Hause  zu  suchen,  verliebte  sich  der  junge  Officier  in  die 
am  10.  Oktober  1094  geborene  schöne  Tochter  des  Brandenburgischen  liates 
und  Fliegers.  Herrn  Faber  von  Allerheim.  Rosina  Magdalena,  die  er  auch 
allen  Widerspruches  ohngeachtet  am  13.  März  1713,  da  sie  also  erst  181/;» 
Jahre  zählte,  zu  Noerdlingen  heiratete.  Wenige  Jahn*  nur  dauerte  das 
begonnene  Eheglück.  Als  ihm  im  Jahre  1715  ein  Sohn  (eben  der  Verfasser 
der  Familiengeschichte,  mein  Urgrossvater)  geboren  war,  litt  es  den  unsteten 
und  an  kriegerische  Abentheuer  Gewohnten  nicht  mehr  in  der  Heimat. 
Er  trat  als  Brigadier  in  die  Dienste  der  Durchlauchtigen  Republique  Venedig, 
als  welcher  er  nach  Corfu  geschickt  ward,  und  mit  grosser  Bravour  gegen 
die  Türken  kämpfte.  - 

Nach  beendigtem  Feldzug  ging  er  nach  Wien,  von  wo  aus  er  „zum  beträcht- 
lichen Schaden  von  Frau  und  Kind  widerrechtlich"  so  sagt  die  Familienauf- 
zeichnung  seine  Fränkischen  Güter  verkaufte  und  die  Separation  von  der 
lutherischen  Beamtentochter  betrieb,  die  er  auch  1722  durchsetzte.  Nun  trat  er 
zum  Katholicismus  über  —  man  verspürt,  da  deutlich  den  Einfluss  der  schönen 
Hofdame,  seiner  Tante  —  und  ging  in  die  Dienste  des  Fürstbischofs  vou  Würz- 
burg, der  ihn  zum  Major  ernannte  und  bald   zum  ( >berstlieutenant  beförderte. 

*)  Derselbe  war  General  und  (ommaniiant  »1er  Festung  .Sigeth  in  Ungarn,  woselbst 
beide  Ehrgatten  an  der  l'est  starben. 


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Fainiliengeschichtlichefi. 


329 


Aber  seine  unbändige  Wildheit  brachte  ihm  neues  Verderben.  Hei  einem  scharfen 
Ritte  wich  ihm  ein  daherfahrender  Fuldalscher  Bauer  nicht  schnell  genug  aus. 
wesshalb  er  nach  dem  störrischen  Landmann  einen  Hieb  mit  der  Reitpeitsche 
führte.  Hierbei  entfiel  ihm  diese,  der  Bauer  hob  sie  auf,  und  da  er  sie  auf  An- 
fordern nicht  sofort  zurück  gab,  sprang  der  Erzürnte  vom  Pferde;  der  Bauer 
ergriff  die  Flucht  ,  der  Offizier  rannte  ihm  mit  gezogenem  Degen  nach,  und  als 
der  Flüchtende,  an  seiner  Scheune  angelangt,  das  Thor  zuschlagen  wollte,  führte 
der  Verfolger  in  blinder  Wuth  einen  Degenstoss  nach  den  zufallenden  Thürflügeln, 
der  unglücklicherweise  durch  die  noch  offene  „Spalt"  eindrang  und  den  Bauer 
mitten  durch  das  Herz  traf.  Freiherr  von  Voelderndorff  wurde  verhaftet,  entrann 
aber  aus  der  Feste  Marienburg  und  ging  nach  Bayern,  wo  er  in  der  Hartschier- 
garde Aufnahme  fand.  In  München  endete  er  dann  «sein  krebsgängiges  Leben" 
—  wie  die  Familienchronik  sagt  „am  3.  November  1734,  erst  dreiundfünfzig 
•lahre  alt-  an  einem  Schlagfluss  und  ward  bei  Unserer  Lieben  Frauen  begraben.4* 
Dessen  Sohn  Johann  Martin  versucht«  durch  eine  grosse  Heirath  —  er  vermahlte 
sich  am  24.  November  1757  mit  Fräulein  Maria  Christine  Sophie  von  Zettwitz 
aus  dem  Hause  Sorg,  den  Glanz  der  Familie  wieder  herzustellen,  was  ihm  auch 
theil weise  gelang.  Seinen  Lebenslauf,  mit  welchem  unsere  Chronik  endet,  schildert 
der  Verfasser  folgendermaassen: 

-Der  Studien  halber  befand  ich  mich  zu  Nürnberg  sieben  .Jahre  lang  bis 
1732  und  zu  Bayreuth  bis  1735.  Zu  Jena  absolvirte.  binnen  drei  Jahren 
das  Studium  juridicum  und  ging  sodann  drei  Jahre  auf  Reisen.  Anno  1742 
wurde  Unterlieutenant  unter  dem  Kayserlich  Bayrischen  Graf  Seckendorffischen 
Infanterie-Regiment,  diente  ip  sechs  Campagnen  in  Bayern,  am  Rhein  und 
drei  Jahre  in  Holland,  wurde  aber  1749  nach  geendigtem  Krieg  und  Aachener 
Frieden  „als  ein  Protestant  und  Ausländer"  —  so  steht  im  Abschiedsdekret 
—  als  Haubtmann  entlassen.  Zu  Anfang  des  1752  .lahres  wurde  von 
Seiner  Hochfürstlichen  Durchlaucht  dem  regierenden  Herrn  Marggrafen 
Friedrich  zu  Bayreuth  mediante  Decreto  als  Haubtmann  und  Kriegscommis- 
sarius  über  die  sechs  Aembter  in  Dienst  genommen.  17ßß  wurde  Obrist- 
lieuteuant  und  Commandant  des  sechs  Aemter-Landregiments.44 
Johann  Martin  Freiherr  von  Voelderndorff  löste  seine  letzten  Beziehungen 
zu  Österreich  und  mit  seiner  Erzählung  hierüber,  die  in  mancher  Hinsicht  für  die 
damaligen  Zustände  charakteristisch  ist,  will  ich  schliessen: 

-Weilen  die  zwei  Stamm-Unterthanen  in  Unterösterreich  zu  Veldendorff 
und  Hötzelforst  ohnweit  St.  Pölten  wegen  der  in  Kriegszeiten  albzuhoch 
gesteigerten  Abgaben  an  das  Landhauss  kaum  auf  vierthalb  oder  vier  p.  Ct. 
zu  nutzen  und  benebstdem  nur  allzuviel  entlegen  waren,  auch  über  dieses 
nicht  ohne  Grund  zu  besorgen  war,  dass  ein  solcher  aus  bigotterie  nach 
erfolgendem  Frieden  die  possession  nur  dürfte  erschwert  oder  gar  entzogen 
werden,  so  habe  solche  beide  Unterthanen  nach  beigebrachtem  Consens  des 
Troppauischen  Herrn  Vetters  als  nächste  Agnaten  mit  Kauffbrief  dd.  "Wunsiede] 
den  ß.  November  A.  1758  an  das  Hochfürstlich  Trautsohn'sche  Haus  zu 
Goldegg  um  120  Creranitzer  Dukaten  verkaufet,  den  Kaufschilling  aber  in 
hiesigem  Fürstentum  zu  ß  p.  Cto.  ausgeliehen.41 

Johann  Martin  Freiherr  von  Voelderndorff  hinterliess  nur  einen  Sohn,  dessen 
Lebenslauf  eine  besondere  Schilderung  verdient,  da  er  unter  Hardenberg  Präsident 
der  damals  hinsichtlich  der  Verwaltung  mustergültig  regierten  Fränkischen  Provinzen 
gewesen  Ist.  Dieser  Friedrich  "Wilhelm  Freiherr  von  Voelderndorff  hatte  vier 
Söhne,  und  jeder  Dieser  wieder  Söhne,  einer  davon  fünf,  von  web-hen  der  iiiteste 
sechzehn  Kinder  erzeugte.    Und  doch  stirbt  jetzt  die  Familie  aus! 

 O  

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330 


Biographische  Blatter. 


Aus  den  Erinnerungen  eines  Künstlers. 

Von 

RUDOLF  LEHMANN  (London). 
II. 

Rom  1845  -  46.    Papstwahl.    Pio  IX. 

Wahrend  des  Winters  1845/46  beschäftigte  mich  fast  ausschliesslich 
die  Förderung  meines  grossen  Bildes:  „Die  Segnung  der  Pontinischen  Sümpfe 
durch  Sixtus  V."*).  Aber  ich  fand  es  schwer,  mich  gegen  den  Zuttuss  von 
Fremden,  deren  viele  an  mich  brieflich  empfohlen  waren,  hinlänglich  abzu- 
schliessen,  um  für  die  mir  so  neue,  schwierige  Aufgabe  die  nöthige  Sammlung 
zu  bewahren.  Auch  entsprach  das  Resultat  nicht  meinen  Erwartungen.  Ich 
beschloss,  in  der  Hoffnung  das  Versäumte  nachzuholen,  desshalb  die  Ruhe 
des  Sommers  zu  benutzen.  Aber  ich  hatte  die  Rechnung  ohne  den  Wirth 
gemacht.  Der  ewig  wolkenlose,  tiefblaue  Himmel,  die  monatelang  von  keinem 
Tropfen  Regen  unterbrochene  Dürre,  der  häutige  Scirocco,  das  grellblendende 
Sonnenlicht  während  des  grössten  Theils  der  24  Stunden,  und  die  dumpfe, 
brütende  Hitze  brachten  mich  fast  zur  Verzweiflung.  Indessen  ward  ich 
einigermaassen  entschädigt  durch  die  seltene  Gelegenheit,  den  interessanten 
Ceremonien  beizuwohnen,  die  den  Tod  und  die  Wahl  eines  Papstes  begleiten. 

Gregor  XVI.  und  sein  Staatssekretair  Kardinal  Lambruschini  hatten 
sich  durch  ihre  Strenge  gegen  politische  Verbrecher  gründlich  verhasst 
gemacht,  Mit  schlecht  unterdrücktem  Lächeln  theilten  sich  in  den  Cafös 
die  jungen  Römer  die  Nachricht  von  des  Papstes  Tode  mit.  Nichtsdesto- 
weniger strömten  Tausende  seiner  Unterthanen  andächtig  herbei,  die  Leiche 
erst  in  der  Sixtinischen  Kapelle,  mit  dem  bedeutungsvollen  Hintergrunde 
von  Michel  Angelo  s  jüngstem  Gericht,  von  Gnardianobili  mit  entblössten 
Schwertern  bewacht,  zu  sehen.  Dann  wurde  sie  in  einer  der  Seitenkapellen 
der  Peterskirche  hinter  dem  sie  schlicssenden  Gitter  so  ausgestellt,  dass 
nur  die  Füsse,  deren  Sohlen  bald  schwarz  geküsst  waren,  zwischen  den 
Kisenstäben  hervorsahen.  Schliesslich  wurde  sie  in  Pontificalibus  auf  einem 
kolossalen  Katafalk  im  Mittelschiff  ausgelegt,  Unzählige  Kerzen  versuchten 
vergebens  den  schwarz  verhängten  Riesenbau  zu  erhellen.  Betende  Priester 
und  Guardianobili  hielten  Wache.    Andächtige  Gläubige  füllten,  auf  ihren 

*)  Die  Beschattung  der  mannigfachen  reichen  Kostüme  der  liei  diesem  feierlichen 
Akt  ruinierenden  war  so  schwierig  wie  zeitrauhend.  Für  die  päpstlichen  (lewändcr  erlangte 
ich  durch  besondere  Vergünstigung  den  Zutritt  in  die  „Floreria",  wo  sie  im  Vatikan  auf- 
bewahrt werden.  Die  dreifache  päpstliche  Krone  lieh  mir  Dr.  Alertz.  dem  sie  sein  Freund  und 
(Wmner  (JregorXVI.  /.um  Dank  für  geleistete  ärztliche  Dienste  geschenkt  hatte.  Sie  war 
mit  unechten  Kdelsteinen  besetzt,  und  während  der  französischen  <  »ccupation  unter  Xa|»oleon  I. 
anstatt,  der  in  Sicherheit  gebrachten  echten  Tiara  von  l'ius  VII.  bei  den  Kirchen feierlichkeiten 
getragen  worden. 


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Aus  den  Erinnerungen  eines  Künstlers. 


331 


Knieen  betend,  den  weiten  Kaum.  Plötzlich  fiel  von  den  den  Katafalk  um- 
stellenden, die  Tugenden  des  verstorbenen  Pontifex  darstellenden  irapro- 
visirten,  allegorischen  (Typsfiguren  die  „Religion"  mit  lautem  Krachen  von 
ihrem  Hedestal  und  zerbrach  in  tausend  Scherben  —  dem  abergläubischen 
Volk  ein  böses  Omen. 

Dann  begann  das  Interregnum,  und  ich  sah  erst  die  alten  Kardinäle, 
deren  Einer  als  Statthalter  Christi  auf  Erden  wieder  herauskommen  musste, 
zu  Fuss  paarweise  ins  Conclave  in  den  Quirinal- Palast  ziehen  —  dann  ihre 
Diener  in  altfränkischen  Livreen  (die  Heilbuth  in  seinen  geistreichen  Bildern 
verewigt  hat),  je  zwei  in  einem  Korbe  ihnen  ihr  Mittagessen  bringen.  Ein 
dritter  mit  einem  langen  Stabe  ging  ihnen  voran.  Die  Schusseln  werden 
am  Eingang  in  den  Palast  streng  untersucht,  aus  Furcht,  eine  in  ihnen  ver- 
steckte Kommunikation  mit  der  Aussenwelt  möchte  den  Kintiuss  des  heiligen 
Geistes  auf  die  Papstwahl  beeinträchtigen. 

Eine  kurze  eiserne  Röhre,  die  aus  einer  Seitenraauer  des  (^uirinals 
im  Erdgeschosse  unscheinbar  genug  hervorragte,  war  alimorgendlieh  für  die 
Römer  ein  Gegenstand  gespanntesten  Interesses.  Aus  üir  zieht  der  Rauch 
der  im  Conclave  verbrannten  Stimmzettel,  bis  einer  der  Kardinäle  die  zur 
Papstwahl  nöthige  Stimmeneinheit  erlangt  hat.  Erscheint  kein  Raueh  zur 
gewohnten  Stunde,  so  ist  ein  Papst  gewählt. 

Au  einem  tropischen  .Tulimorgen  sttirzte  meine  dicke  Padrona  di  casa 
athemlos  in  mein  Studio  mit  den  Worten:  „E  fatto  il  Papa!*4,  und  augen- 
blicklich Pinsel  und  Palette  niederlegend,  eilte  ich  nach  Piazza  Monteeavallo, 
den  ich  schon  mit  ungeduldig  harrenden  Neugierigen  gefüllt  fand.  Die  über 
dem  Eingangsportal  auf  den  Balkon  führende  Fensterthür  wird  während 
des  Conclave  zu  grösserer  Sicherheit  vermauert.  Mit  Spannung  hörte  man 
die  Hammerschläge  der  Arbeiter,  die  ein  Loch  in  diese  Mauer  brachen, 
kaum  gross  genug,  das  ein  Mann  durchkriechen  kann.  Sobald  das  geschehen, 
trat  ein  Kardinal  heraus  und  las:  „Annuncio  vobis  gaudium  quod  habemus 
Papam.  Eminentissimum  Cardinalem  Mastai-Ferretti,  qui  sibi  nomen  elegit 
Pius  IX.".  Grosser  .lubel  begrüsste  die  Nachricht.  Dann  füllte  sich  der 
Balkon  mit  Kardinälen,  die  ihre  Taschentücher  und.  komisch  genug  auch 
ihre  Kappen  schwenkten,  das  Volk  zu  erhöhten  Zeichen  seines  Enthusiasmus 
zu  reizen.  Endlich  erschien,  sein  Croeifero  voran,  der  neue  Papst  zum 
ersten  Male  in  päpstlichen  Gewändern,  und  weinend,  so  dass  er  unablässig 
die  Augen  mit  dem  Taschentuch  trocknen  musste.  ertheilte  er  den  Segen, 
erst  schüchtern,  dann  mit  mächtiger,  freier  Bewegung. 

Er  erschien  gross,  stattlich,  und  sein  Ausdruck  wohlwollend.  Dann 
zerstreute  sich  das  Volk.  Schon  füllte  eine  lange  Reihe  von  reich  ver- 
goldeten und  bunt  bemalten  Kardinalskutschen  die  Via  del  (Juirinale,  um 
die  endlich  erlösten  alten  Herren  heimzuholen.  Der  dicke  alte  Kutscher 
des  neuerwähltcn  Papstes,  der  durch  die  Erhebung  seines  Herrn  eo  ipso 
zu  hohen  Würden  in  seiner  Sphäre  promoviit  wird,  war  der  Gegenstand 


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Biographische  Blatter. 


vielfacher  neidischer  Neckereien  seitens  seiner  Kollegen  auf  ihren  breiten 
Prunksitzen. 

Kurz  darauf  wohnte  ich  der  Krönung  in  St.  Peter  hei.  Unter  den 
endlosen  damit  verknüpften  Ceremonien  erinnere  ich  mich  nur  einer,  da 
eine  Portion  Werg  am  Ende  einer  langen  Stange  angezündet  ward.  Während 
der  kurzen  Augenblicke  des  Verbrennen«'  ruft  eine  Stimme  dem  dreifach 
Gekrönten  bedeutungsvoll  zu:  „Sic  transit  gloria  mundi!"  Dann  erfolgte 
der  Segen  von  der  Loggia  —  zuerst  war  der  Papst  ängstlich,  weil  in 
Folge  des  ungewohnten  Getragenwerdens,  schwindlig,  schliesslich  aber  be- 
wegte er  sich  freier  und  gab  den  Segen  mit  dem  bekannten  grossartigen 
Gestus  beider  zum  Himmel  erhobenen  Arme. 

Obgleich  die  Römer  die  schönsten  Hoffnungen  von  der  neuen  Ordnung 
der  Dinge  nährten,  schien  ihnen  der  Papst  anfänglich  zu  bedächtig,  und 
auf  seinen  Familiennamen  Mastai  anspielend  sagten  sie;  „Sei  bello!"  (Du 
bist  schön)  „sei  buono!,,  (Du  bist  gut!)  ,.Ma  stai!"  (Du  stehst  still). 

Indessen  können  keine  noch  so  beredten  Worte  von  dem  Enthusiasmus 
einen  Begriff  geben,  den  die  ersten  liberalen  Dekrete  des  Papstes  erweckten. 

Von  dem  weittragendsten  derselben,  der  Amnestie  für  politische  Ver- 
brecher, möge  mir  erlaubt  sein,  den  Eingang  hier  in  der  Übersetzung  folgen 
zu  lassen. 

Pius  IX.  seinen  treusten  Unterthanen 
Gruss  und  apostolischon  Segen 

Gegeben  zu  Rom  bei  Sancta  Maria 
Maggiore  den  16.  .Juli  1846.  dem 
ersten  Jahre  unseres  Pontilieats. 

„In  den  Tagen,  wo  wir  im  tiefsten  Herzen  von  den  öffentlichen  Frenden- 
bezeugungen,  auf  Anlass  Unsrer  Erhebung  zum  Pontiticate,  gerührt  waren, 
konnten  wir  uns  eines  schmerzlichen  Gefühls  nicht  erwehren,  in  dem  Gedanken, 
dass  nicht  wenige  unter  den  Familien  unsrer  Unterthanen  verhindert  waren 
an  der  allgemeinen  Freude  theilzunehmen,  weil  sie  durch  Entbehrungen  einen 
Theil  der  Strafe  zu  tragen  hatten,  die  eines  ihrer  Mitglieder  sich  durch 
Vergehen  gegen  die  Gesellschaft  und  die  heiligen  Rechte  des  legitimen  Herr- 
schers zugezogen  hatte.  Anderseits  wendeten  wir  unsre  Bücke  voll  Mitleid 
auf  so  viele  unerfahrene  Jünglinge,  die,  obgleich  in  Mitten  poütischer  Auf- 
regung von  täuschenden  Hoffnungen  missleitet,  uns  mehr  verführt  als  Verführer 
erschienen.  Aus  diesem  Grunde  gedachten  wir  schon  damals  denjenigen 
unter  den  verirrten  Jünglingen  eine  versöhnende  Hand  zu  bieten,  die  auf- 
richtige Reue  bezeigen  wollten.  Jetzo  haben  die  Liebe,  von  der  unsre  treuen 
Unterthanen  uns  täglich  Beweise  geben,  und  die  Verehrung,  die  der  Heilige 
Stuhl  fortwährend  in  unsrer  Person  von  ihnen  empfängt,  uns  überzeugt, 
dass  wir  ohne  Gefahr  für  das  Gemeinwesen  verzeihen  können.  Desshalb 


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Aus  den  Erinnerungen  einen  Künstlers. 


333 


verordnen  und  befehlen  wir,  dass  der  Beginn  Unsres  Pontifikats  durch  folgendes 
Dekret  fürstlicher  Gnade  bezeichnet  werde.**  —  etc.  (Folgt  die  Amnestie). 

Allnächtlich  zogen  helle  Haufen  mit  Musik,  Fackeln  und  fliegenden 
Bannern  vor  den  Quirinal  und  ruhten  nicht  mit  Kufen  von:  „Evviva  il  Santo 
Padre!**,  bis  der  Papst  zwischen  zwei  Fackelträgern  von  Kardinälen  begleitet 
auf  dem  Balkon  erschien,  den  erflehten  Segen  zu  ertheilen. 

Der  Konig  von  Sardinien,  damals  noch  ein  getreuer  Sohn  der  Kirche, 
beauftragte  einen  piemontesischen  Bildhauer,  eine  Büste  des  neuen  Papstes 
für  ihn  zu  modelliren,  und  ich  war  hocherfreut,  von  einem  mir  befreundeten 
höheren  Hofbeaniten  die  Weisung  zu  erhalten,  dass  mir  erlaubt  sein  würde, 
während  einer  der  Sitzungen  zu  diesem  Behufe  eine  Zeichnung  für  mein 
Albuni  zu  machen.  In  einem  der  weiten  Sitle  des  (Quirinal- Palastes  fand 
ich  auf  einer  mit  grünem  Tuch  bedeckten  Estrade  einen  vergoldeten  Lehn- 
stuhl zurechtgestellt.  Kaum  hatte  ich  Zeit,  mit  Hülfe  eines  gefälligen  Dieners 
den  besten  Platz  dafür  auszuprobiren ,  als  seine  Heiligkeit  erschien,  ganz 
in  Weiss  gekleidet  mit  Ausnahme  der  rothen  Pantoffeln,  deren  goldgesticktes 
Kreuz  Gläubigen  mit  Andacht  zu  küssen  erlaubt  ist.  Ihm  folgten  zwei 
violette  Monsignori,  deren  einer  das  Breviarium  hielt,  das  täglich  einmal  zu 
recitiren  jedem  Geistlichen,  mit  Ausnahme  des  Papstes,  Pflicht  ist.  Der 
andere  hielt  eine  geräumige  Schnupftabaksdose,  und  nachdem  seine  Heiligkeit 
Platz  genommen,  stellten  sie  sich  rückwärts  zu  beiden  Seiten  seines  Stuhles 
auf.  In  Abwesenheit  des  noch  nicht  erschienenen  Bildhauers  machte  ich 
mich,  nach  eingeholter  Krlaubniss  mich  zu  setzen,  an  die  Arbeit.  Alsbald 
fragte  der  Papst  nach  meinem  Geburtsorte,  und  auf  meine  Antwort:  „Hamburg** 
meinte  er  gehört  zu  haben,  dass  dort  nicht  das  rechte  Deutsch  gesprochen 
werde.  Als  ich  dagegen  bescheiden  zu  protestiren  wagte  —  wenn  auch  der 
Hamburger  Dialekt  nicht  der  wohlklingendste  sein  mag  -  .  korrigirte  sich 
Seine  Heiligkeit:  ..er  habe  an  Ungarn  gedacht*'.  Der  Bildhauer  war 
immer  noch  nicht  erschienen.  „Sara  morto"  —  meinte  im  Vorübergehen 
der  Papst.  („Kr  wird  gestorben  sein**.)  Indessen  sprach  er  häutig  der 
Schnupftabaksdose  zu  und  liess  sich  schliesslich  das  Breviarium  reichen,  das 
er  anfing  mit  ab  und  zu  geschlossenen  Augen  halblaut,  für  meinen  Zweck 
nicht  eben  förderlich,  zu  recitiren.  Wie  er  damit  fertig  war,  liess  er  sich 
eines  Breiten  Uber  seine  guten  Absichten  der  Förderung  der  Künste,  speciell 
der  vatikanischen  Mosaikfabrik  aus,  als  plötzlich  der  junge  Bildhauer  an 
der  offenen  Thür  erschien  und,  sich  schweissgebadet  an  der  Schwelle  nieder- 
werfend, mit  erhobenen  Armen  die  Verzeihung  des  heiligen  Vaters  erflehte, 
dessen  Befehl  ihn  in  Folge  eines  Missverständnisses  nicht  rechtzeitig  erreicht 
hatte,  und  mit  fieberhafter  Eile  machte  er  sich  daran,  einem  auf  einem 
Modellirstuhl  bereitstehenden  Klumpen  von  Thoneide  die  Züge  des  Papstes 
einzudrücken.  Der  aber  sagte  „A  me  non  mi  fa  Diente'*  und  erhob  sich 
lächelnd  nach  etwa  fünf  Minuten,  mit  dem  Bedeuten,  er  erwarte  1.  K.  II. 
die  Prinzessin  Albrecht  von  Preussen,   der  er  im  Pavillon  im  Gurten  eine 


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Biographische  Blfttter. 


Audienz  versprochen  (diese  Prinzessin  hat  später  ihren  Kourier  geheirathet). 
Er  trat  von  der  Estrade  herunter,  sah  sieh  meine  Zeichnung  an  und  be- 
merkte, wie  gut  ich  beobachtet  hätte,  dass  in  Folge  eines  Schlaganfalls  die 
eine  Seite  seines  Gesicht*  auf  der  Reise  nach  Chili  gelähmt  gewesen  sei, 
ein  zweifelhaftes  Kompliment.  Auf  meine,  wie  ich  später  erfuhr,  indiskrete 
Bitte,  schrieb  er  seinen  Namen  darunter,  gab  uns  seinen  Segen  und  verlies*  uns. 

Ehe  ich  ging,  sammelte  ich  den  Schnupftabak,  der  das  grüne  Tuch 
um  den  Stuhl  herum  reichlich  bedeckte,  um  diese  kostbare  Reliquie  einem  aller- 
liebsten jungen  Fräulein,  einer  enthusiastischen  Verehrerin  des  neuen,  liberalen 
Papstes,  zu  bringen.  Sie  ward  dankbarst  angenommen  und  in  ein  Medaillon 
gethan,  das  sie  lange  Zeit  an  einer  Kette  am  Ilalse  trug,  vielleicht  noch  trägt! 

Der  alljährliche  Besuch  des  Papstes,  um  in  der  Kirche  Santa  Maria 
del  Popolo  (die  unter  vielem  Interessanten  auch  Raphaels  Jonas-Statue,  seine 
einzige,  enthält)  die  Messe  zu  lesen,  bot  den  enthusiastischen  Körnern  eine 
erwünschte  Gelegenheit,  von  Neuem  ihre  dankbaren  Gefühle  zu  bethätiiren. 
Durch  den,  wie  zum  Karneval  festlich  geschmückten  Korso,  über  den  mit 
brauner  Puzzolanerde  bestreuten  Boden  bewegte  sich  langsam  der  feierliche 
Zug.  Von  allen,  mit  den  reichsten  Teppichen  geschmückten  Baikonen  wehten 
von  schonen. Händen  Taschentücher,  wurden  Blumen  geworfen,  deren  Masse 
die  reichvergoldete,  von  sechs  schwarzen  Rappen  gezogene  Staatskarosse 
fast  bedeckte.  Weither  erschollen  die  begeisterton  Zurufe  wie  fernes  Meeres- 
brausen. Auf  der  Piazza  del  Popolo  war  ein  kolossaler  Triumphbogen  mit 
zahlreichen  Statuen  meisterhaft  improvisirt  worden.  Der  Papst  war  sichtlich 
ergriffen  und  die  Rührung  eine  allgemeine.  Der  Süden  ist  leicht  erregbar; 
in  den  „Cercoli"  der  jungen  Römer  wurde  feierlich  beschlossen,  in  der 
kommenden  „Stagione  di  Camevale'*  keiner  Primadonna  Blumen  zuzuwerfen, 
nachdem  oder  weil  sie  die  päpstliche  Karosse  geziert:  für  die  bühnen- 
begeisterte .lugend  ein  Opfer  der  Entsagung. 

Wie  oft  habe  ich  dieses  rührenden  Triumphzugs  gedenken  müssen,  als 
derselbe  Papst  nach  Verlauf  von  wenig  . fahren,  als  der  bekannte  deutsche 
Arzt  Dr.  Alertz  verkleidet,  im  Wagen  des  bayerischen  Gesandten  Graf 
Spaur  aus  Rom  flüchten  musste!  Man  warf  ihm  vor,  die  Fahnen  der  Frei- 
willigen, die  den  aufständischen  Mailändern  gegen  die  Österreicher  zu 
Hülfe  geeilt  waren,  erst  gesegnet,  dann  die  Heimkehrenden  in  den  Kerker 
geworfen  zu  haben.  Man  hatte  ihm  den  als  Patrioten  verbannten,  dann 
von  der  französischen  Republik  als  Gesandten  am  päpstlichen  Hof  aceredi- 
tirten.  schliesslich  zum  Chef  des  ersten  päpstlichen  liberalen  Ministeriums 
ernannten  Grafen  Rossi,  auf  den  zum  Parlament  führenden  Stufen  auf  Monte 
Citorio  meuchlings  erdolcht.  Er  fühlte  den  Boden  unter  seinen  Füssen 
wanken,  ward  irre  an  sich  und  der  Welt  und  Höh  nach  der  neapolitanischen 
Festung  Gaeta,  von  wo  ihn  nach  Jahr  und  Tag  die  Bajonette  der  franzö- 
sischen Republik  nach  Rom  auf  seinen  Thron  zurückbrachten. 


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Aus  den  Erinnerungen  eines  Künstlers. 


335 


Robert  Browning. 

Browning  Verdienst  als  Dichter  uud  Philosoph  ist  von  kompetenten 
Richtern  so  erschöpfend  erwogen  und  festgestellt  worden,  dass  es  nicht  nur 
aninaassend  von  mir.  sondern  ohne  Zweifel  auch  langweilig  sein  würde, 
wollte  ich  versuchen  diesem  Urtheil,  das  wohl  als  ein  endgültiges  anzusehen 
ist.  etwas  hinzuzufügen.  Aber  ich  habe  zweimal  sein  Portrait  gemalt  und 
zweimal  gezeichnet,  habe  viele  Jahre  hindurch  freundschaftlich  mit  ihm 
verkehrt,  bin  bei  gemeinsamen  Freunden  sowohl,  als  bei  meinen  Geschwistern, 
mit  denen  er  intim  war,  allwöchentlich  mehrfach  mit  ihm  zusammengetroffen, 
and  so  mag  ich  vielleicht  im  Stande  sein,  seinen  fast  typisch  gewordenen  Zügen 
einige  von  jenen  Details  hinzuzufügen,  die  wie  die  Warzen,  die  (.'romwell, 
als  er  einem  Maler  sass,  mitgemalt  haben  wollte  --  einem  Bildniss  Leben 
und  Individualität  verleihen.  In  seiner  persönlichen  Erscheinung  war  wohl 
das  Gegentheil  von  Affektation,  die  ungezwungene  Einfachheit,  die  hervor- 
ragende,  wenn  auch  negative  Eigenschaft.  Nichts  in  seiner  Ausdrucksweise, 
seinen  Bewegungen  oder  seiner  Kleidung,  konnte  einen  Fremden  vermuthen 
lassen,  dass  der  Mann  vor  ihm,  so  weit  die  englische  Sprache  reichte,  als 
einer  der  grössten  lebenden  Dichter  anerkannt  worden  war.  Urbanität. 
Herzensgute  und  Wohlwollen,  sowie  völliges  Beherrschen  des  Gegenstandes 
charakterisirten  seine  Unterhaltung,  gleichviel  ob  mit  Fürsten  oder  mit 
Kindern.  Mit  seinen  mannigfachen,  von  einem  fabelhaften  Gedächtnis* 
unterstützten  Kenntnissen,  war  er  in  bescheidener,  anspruchsloser  Weise 
jedem  zu  dienen  bereit.  Die  Universalität  seiner  Studien  war  ein  Gegen- 
stand immer  erneuter  Bewunderung.  In  Florenz  hatte  er  Anatomie  studirt. 
in  Korn  in  Storys  Studio  modellirt.  er  spielte  Klavier  und  pflegte  in 
Konzerten,  die  Partitur  in  der  Hand,  der  Aufführung  Beethovenscher 
Symphonieen  zu  folgen.  Cambridge  s  gelehrtestes  Kollegium  Balliol  ernannte 
Um  zu  seinem  Ehrenmitglied«  (Honorary  Fellow)  und  die  Universität  zum 
L.  L.  D.,  was  wohl  am  besten  durch  ...Iuris  utriusque  doetor"  übersetzt  wird. 

Kr  sprach  nicht  ungern  über  seine  veröffentlichten  Werke.  Ks  ist 
bekannt,  dass  das  vielleicht  bedeutendste  unter  ihnen:  „The  Ring  and  the 
Book"  seine  Entstehung  einem  alten  Pamphlet  verdankte,  das  er  zufällig 
auf  dem  Trödel 'in  Florenz  gefunden.  „Nachdem  ich  es  gelesen",  so  erzählte 
er  mir.  „stand  mein  Plan  fest.  Ich  ging  vor  s  Thor,  sammelte  spazierend 
zwölf  Steinchen  und  legte  sie  in  gleichen  Zwischenräumen  auf  die  Mauer- 
brüstung längs  der  Strasse.  Das  waren  die  12  Kapitel,  in  die  das  linch 
eingetheilt  ist.  und  davon  bin  ich  in  der  Ausführung  nicht  abgegangen." 

Obgleich  er  eine  unüberwindliche  Abneigung  gegen  öffentliches  Heden 
hatte,  so  zwar,  dass  er  Einladungen  ablehnte,  wo  er  die  Möglichkeit  eines 
derartigen  Ansinnens  witterte,  war  er  äusserst  redselig  und  nicht  im 
geringsten  wählerisch  in  seinem  zufälligen  Auditorium.  Unzählige  Male 
habe   ich   ihn   in   längerer  Unterhaltung   mit   kleinen  .Mädchen   in  "kurzen 


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336 


Biographische  Blatter. 


Kleidern  vertieft  gesehen,  und  ich  kann  dem  Wunsche  nicht  widerstehen, 
hier  einen  Brief  herzusetzen,  der  ihn  in  diesem  Bezüge  eharakterisirt.  Er 
ist  an  meine  jüngste  Tochter  gerichtet,  die,  damals  noch  ein  halbes  Kind, 
sein  besonderer  Liebling  war: 

6.  Jnli  18N9. 

Meine  geliebte  Alma! 

Gestern  hatte  ich  die  Ehre,  mit  dem  Shah  zu  speisen,  bei  welcher 
(Gelegenheit  sich  folgende  Unterhaltung  entspann:  „Sie  sind  Poet?"  ..Man 
hat  sich  manchmal  erlaubt,  mich  so  zu  nennen."  ..Und  Sie  haben  Bücher 
geschrieben?"  „Zu  viele  Bücher."  „Wollen  Sie  mir  eines  geben,  um  mich 
an  Sie  zu  erinnern?"  „Mit  Vergnügen."  —  In  Folge  dessen  bin  ich  heute 
Morgen  zur  "City  gegangen,  wo  man  sich  den  Artikel  verschaffen  kann, 
und  als  ich  ein  Buch  wählte,  dessen  Einband  das  kaiserliche  Auge  auf 
sich  zu  ziehen  geeignet  wäre,  sagte  ich  mir:  liier  schenke  ich  meine  (Ge- 
dichte einem  Manne,  an  dem  mir  nicht  das  geringste  gelegen  ist;  warum 
sollte  ich  nicht  dasselbe  für  ein  junges  Mädchen  thun,  das  ich  herzlich 
lieb  habe,  und  das  vielleicht  dem  Autor  zur  Liebe  in  künftigen  Jahren 
mehr  Interesse  für  den  Inhalt  als  für  den  äusseren  Schmuck  des  Buches 
haben  wird?  So  nahm  ich  mir  die  Freiheit,  einen  Band  zu  wählen  und 
Sie  zu  ersuchen,  ihn  freundlichst  von  mir  anzunehmen.  Sie  bittend,  sich  in 
späteren  Jahren  zu  erinnern,  dass  der  Autor,  mag  er  nun  ein  guter  oder 
ein  schlechter  Poet  gewesen  sein,  immer  war,  meine  liebe  Alma, 

Ihr  aufrichtiger  Freund 

Robert  Browning. 

In  Geldsachen  war  Browning  in  hohem  (Grade  uneigennützig.  Er  besprach 
nie  das  Honorar  seiner  Bücher  mit  seinem  Verleger,  sondern  nahm  einfach 
dankend  an.  was  dieser  ihm  zu  zahlen  beliebte.  Als  der  Kedakteur  eines 
Monatsheftes  ihm  einen  offenen  Ulieck  schickte  mit  der  Bitte,  ihn  beliebig 
auszufüllen  und  ihm  dafür  ein  wenn  auch  noch  so  kurzes  Gedicht  zu  liefern, 
schickte  er  denselben  ohne  Gedicht  -  dankend  zurück,  ungeachtet  Tennyson 
in  einem  ähnlichen  Falle  100  Lstr.  empfangen  hatte. 

Im  (Gegensatz  zu  eminenten  Persönlichkeiten,  die.  um  Effekt  zu  machen, 
bei  festlichen  Gelegenheiten  absichtlich  verspätet  erscheinen,  liebte  er  es. 
sich  vor  der  bestimmten  Zeit  einzufinden,  um,  wie  er  sagte,  Gelegenheit  zu 
haben,  sich  mit  den  Wirthen  zu  unterhalten. 

Bei  Diners  war  er  der  liebenswürdigste  (Gast.  Seine  Unterhaltung 
verbreitete  sich,  ein  nie  versiegender  Strom,  über  die  verschiedenartigsten 
Gegenstände,  sprudelnd,  lehrreich  ohne  Ostentation,  immer  wohlwollend. 
In  Folge  der  Taubheit  seines  Vaters,  von  dem  er  gern,  und  immer  mit» 
Verehrung  sprach,  war  sein  Organ  laut  und  barsch.  Wenn  seine  Freunde, 
seine  Vorliebe  für  Portwein  kennend,  ihm  von  Anbeginn  des  Diners  eine 
Flasche  davon  vorsetzten,  hielt  er  sich  ausschliesslich  dazu,  während,  aber 
nicht  nach  dem  Essen  —  wie  das  sonst  in  England  gebräuchlich.  Kr 


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Aus  den  Krinnerungen  eines  Künstlers. 


337 


rauchte  nicht,  war  aber  liebenswürdig  genug  zu  behaupten,  das*  er  den 
Geruch  von  Tabak  liebe,  um  den  Rauchenden  nach  der  Mahlzeit  Gesell- 
schaft zu  leisten. 

Kein  treuerer  Freund  lässt  sich  denken.  Seiner  Biographin,  Frau 
Sutherland-Orr,  die  augenleidend  war,  pflegte  er  stundenlang  vorzulesen, 
und  nach  dem  Tode  meines  ihm  nahebefreundeten  Schwagers  war  er  ein 
tätlicher  Besucher  im  Hause  meiner  veiwittweten  Schwester.  Mit  grösster 
Regelmässigkeit  erklomm  er  allsonntäglich  die  fünf  Stiegen  zu  seiner  alten 
Freundin  Mrs.  Prokter  (des  Dichters  Barry-ComwalTs  Wittwe},  bis  zuletzt 
den  hydraulischen  Aufzug  verachtend. 

Er  war  von  mittlerer  Grösse,  untersetzt,  mit  wohl  entwickelten  Muskeln. 
Als  ich  ihn  sammt  seiner  Frau  im  .Jahre  1858  in  Rom  für  mein  Album 
berühmter  Zeitgenossen  zeichnete,  war  sein  Haar  dunkel  und  sein  Gesicht 
bartlos..  Als  ich  ihn  im  Jahre  1875  und  zum  zweiten  Male  1883*)  in 
London  malte,  waren  Haar  und  Hart  weiss.  Aber  er  wies  mit  einigem 
Stolz  auf  den  neuen  Nachwuchs  einiger  schwarzer  Haare  mit  den  Wollen: 
„Ja.  wir  Poeten  haben  eigne  Köpfe!  Hier  sehen  sie  den  Anfang  einer 
zweiten  Jugend.  Er  hatte  ein  kurzsichtiges  Auge,  mit  dem  er  die  kleinste 
mikroskopische  Schrift  bequem  lesen,  während  er  mit  dem  anderen  Gegen- 
stände in  weitester  Ferne  unterscheiden  konnte.  Kr  kleidete  sich  einfach 
aber  geschmackvoll;  besondere  Sorgfalt  legte  er  auf  seine  Wäsche. 

Die  angeborene  Zärtlichkeit  seiner  Natur  gipfelte  in  der  leidenschaft- 
lichen Liebe  zu  seiner  Frau,  der  berühmten  Dichterin  Elisabeth  Harret 
Browning,  zu  seinem  einzigen  Sohn  und  seiner  Schwester,  mit  der  er  als 
Wittwer  zusammen  lebte.  Als  er  zufällig  in  meinem  Studio  in  London  die 
vorerwähnte  Zeichnung  sah,  die  ich  von  seiner  Frau  in  Rom  gemacht, 
füllten  seine  Augen  sich  mit  Thränen. 

Im  Jahre  1875  äusserte  ein  Münchener  Verleger  den  Wunsch,  aus 
meinem  Album  ein  Dutzend  der  bekannteren  englischen  Persönlichkeiten, 
versuchsweise,  als  Autotypieen  zu  publiziren.  Zu  diesem  Zweck  schlug  ich 
Browning  vor,  sein  vor  zwanzig  Jahren  gezeichnetes,  nicht  mehr  ähnliches 
Portrait  durch  ein  neues  zu  ersetzen,  und  erhielt  folgende  Antwort: 

Lieber  Lehmann! 

Je  mehr  ich  Ihren  Wunsch  bedenke,  mein  Portrait  von  1858  durch 
eines  vom  heutigen  1875  zu  ersetzen,  je  weniger  gefällt  mir  die  Idee.  Sie 
zeichneten  das  Portrait  meiner  Frau,  das  nicht  durch  ein  neueres  ersetzt 
werden  kann,  zur  selbigen  Zeit  wie  dasjenige,  welches  Sie  eliminiren  möchten. 
Warum  wollen  Sie  eine  irrige  Idee  von  unsern  respektiven  Altern  geben? 
und  warum  kann  es  für  irgend  Jemand,  der  sich  für  mich  interessirt, 
weniger  interessant  sein,  zu  erfahren,  wie  ich  vor  sechzehn  Jahren  aussah, 
als  jetzt,  wo  Ihr  gemaltes  Portrait  so  gut  zeigt,  wie  ich  heute  bin?  Natür- 
lich, wenn  es  dem  Verleger  konvenirt,  zwei  Portrait*  von  mir  zu  geben, 

*)  Dieses  Bild  befindet  sich  in  der  „National  J'urtraiM iallorV  in  London. 


338 


Biographische  Blätter. 


bin  ich  gern  zu  sitzen  bereit,  aber,  bitte,  trennen  Sie  nicht  die  lange 
Kameradschaft,  wie  die  bis  dato  existirende  —  lieber  will  ich  mir  morgen 
den  Bart  abschneiden.  — 

Ks  ist  nicht  die  Absicht  dieser  Zeilen,  ausschliesslich  ein  Lobgesang  zu 
sein :  Licht  und  Schatten  sind  nöthig,  um  die  Züge  eines  Bildnisses  deutlich 
hervortreten  zu  lassen. 

Obgleich  es  Browning  gelungen  war,  durch  strenge  Disziplin  sein 
leichterregbares  Poeten-Temperament  im  gewöhnlichen  Leben  zu  kontroUiren, 
trug  es  sich  doch  wohl  zu,  dass  in  den  langen  Stunden  des  Sitzens  oder 
gar  Stehens  für  sein  Portrait,  in  der  Unterhaltung  ausnahmsweise  Gegen- 
stände berührt  wurden,  die,  seine  zartesten  Familien-Ati'ektionen  betreffend, 
ihn  seine  Selbstbeherrschung  verlieren  machten.  Dies  geschah  zum  ersten 
Mal,  als  ich  zufällig  in  der  Unterhaltung  den  schliesslich  als  Betrüger  er- 
kannten (ieisterklopfer  Holme  nannte.  In  einer  von  Mrs.  Browning  (deren 
Ohr  der  neuen  Lehre  nicht  so  verschlossen  war,  wie  das  ihres  Gemahls» 
in  Klorenz  veranstalteten  Geisterbeschwttrungs-Sitzung  hatte  dieser  Gauuer 
erklärt:  „Die  Geister  hätten  ihm  mitgetheilt,  Browning  sei  eifersüchtig  auf 
den  litterarischen  Ruhm  seiner  Frau!**  Kr  konnte  nicht  leicht  eine  empfind- 
lichere Seite  in  dem  vergötternden  Gatten  berühren.  Das  blosse  Nennen 
von  Holme  s  verhasstem  Namen  machte  ihn  erblassen,  gleich  wie  der  einer 
amerikanischen  Bildhauerin,  die,  eine  Schülerin  Gibson  s,  in  Rom  einen 
kurzen  ephemeren  Ruf  genoss,  aus  anderen  intimeren  Gründen. 

Browning  s  aufopfernde  Liebe  für  seinen  einzigen  Sohn  Ben,  seine 
triumphirende  Freude  über  seine  ersten  Krfolge,  als  er,  nach  einigem 
Schwanken,  sich  schliesslich  für  die  Künstler- Laufbahn  entschieden  hatte, 
war  rührend.  Kr  hat  es  einem  seiner  ältesten,  erprobtesten  Freunde  nie 
verziehen,  an  Ben  s  Befähigung  zu  ernster,  anhaltender  Arbeit  leise  Zweifel 
geäussert  zu  haben.  Kr  konnte  tagelang  in  den  unwirtlichen  teppichlosen 
Räumen  eines  unmöblirten  Hauses  zubringen,  «las  ein  Freund  ihm  geliehen, 
um  seines  abwesenden  Sohnes  Bilder  vor  ihrer  Ausstellung  (die  sogenannte 
..private  viewi  Freunden  und  Bekannten  zu  zeigen  und  zu  erklären.  Sein 
Zorn  war  grenzenlos,  als  die  Akademie  einer  nackten  weiblichen  Bronze- 
Statue  seines  Sohnes  die  Aufnahme  venveigerte.  wofür  er,  wohl  nicht  mit 
Unrecht,  einen  Akademiker  im  Verdacht  hatte,  der  wegen  seiner  prinzipiellen 
Abneigung  gegen  nackte  Weiblichkeit  die  allgemeine  Zielscheibe  wohlver- 
dienten Spottes  war.  Als  einer  Anomalie,  im  Widerspruch  mit  seinen 
liberalen  Prinzipien,  mag  der  hohen  Wichtigkeit  gedacht  werden,  die  er 
der  sogenannten  Faniilienehre.  der  Reinheit  des  Stammbaums,  beizulegen 
schien.  Als  in  einer  allgemeinen  Unterhaltung  von  Khen  zwischen  Leuten 
von  ungleicher  gesellschaftlicher  Stellung  die  Rede  war.  rief  er  aus:  ..Wenn 

ein  Sohn  v  nir  sich  tiergleichen  zu  Schulden  kommen  Hesse,   würde  ich 

ihn  ohne  Weiteres  enterben!" 

Ich  >chlie>se  die*e  »Wichtigen  Notizen  mit  eiin-ni  edlen  ( •ijiul>en<l>ekennt!ii»e: 


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Aus  dem  Briefwechsel  von  Hermann  Oiges. 


KW 


„loh  habe'*,  so  sagte  er,  „meiner  Zeit  an  einer  KxLstenz  nach  dem 
Tode  gezweifelt,  ja,  es  leider  öffentlich  in  meinen  Schriften  ausgesprochen. 
Aber  heute  bin  ich  ebenso  fest  von  dem  (legontheil  überzeugt!  Wenn  Sie 
mich  über  das  ..wie?*'  befragen,  so  antworte  ich  Jhnen.  dass  ich  nicht 
mehr  davon  weiss,  als  mein  Ilimd  von  mir.  Er  weiss,  dass  ich  da  bin. 
und  das  genügt  ihm. 

i-3J 


Aus  dem  Briefwechsel  von  Hermann  Orges. 

Von 

OTTOKAR  LORENZ. 

Kiner  von  den  vielen,  welchen  die  Konversationslexika  eine  Zeitlang  Artikel 
widmen,  die  in  spateren  Auflagen  dann  weggelassen  werden!  Ihre  Xainen  werden 
aber  doch  zuweilen  in  das  Hauptbuch  der  (Jeschichfe  übertragen  und  eine  späte 
Lercehtigkeit  entdeckt,  dass  dieser  oder  jener  unter  den  Vergessenen  eigentlich 
keine  unbedeutende  Rolle  im  Hintergründe  der  politischen  Ereignisse  gespielt  habe. 
Hermann  Oeges  ist  zwar  durch  die  Augsburger  Allgemeine  Zeitung,  an  deren 
Hedaktion  er  von  iHöt  -<»4  bef  heiligt  war.  gegen  gänzliches  Verschwinden 
seines  Andenkens  gesichert,  «loch  mögen  schon  heute  nur  noch  wenige  Leute 
wissen,  dass  er  zu  den  Publizisten  gehörte,  die  nicht  bloss  in  den  dumpfigen 
Hedaktionsräumen  des  Augsburger  Hauses,  sondern  auch  in  den  Salons  der  ver- 
schiedensten europäischen  Ministerhotels  aus  und  eingingen. 

In  der  bewegten  ("Jesehiehte  des  DJ.  Jahrhunderts  darf  ohne  Krage 
als  dasjenige  .Jahr  bezeichnet  werden,  in  welchem  die  innert?  Spannung  der  äusser- 
lich  noch  friedlich  scheinenden  alten  Mächte  von  Kuropa.  der  einstigen  Verbün- 
deten der  Kongresse,  den  höchsten  Orad  erreicht  hatte.  Nachdem  es  dem  Kaiser 
Napoleon  III.  gelungen  war,  den  Krisapfel  von  Villafranca  unter  die  deutschen 
llundes  forsten  zu  werfen,  und  den  Iteweis  zu  liefern,  dass  die  Verträge  von 
1*1  f>  wirklich  nicht  mehr  haltbar  seien,  begann  persönliches  und  politisches  Miss- 
trauen unter  den  gekrönten  Häuptern  einen  Verheerungs-  und  Zerstörungszug 
anzutreten;  und  wenn  früher,  in  Metternich-Hardenbergscher  Zeit,  die  Diplomaten 
das  Schauspiel  feindseliger  Brüder  vor  den  Augen  der  Unterthanen  darboten, 
während  die  höchsten  Herren  ihrer  in  der  gemeinsamen  (iefahr  erworbenen  Liebe 
und  Kreundschaft  sicher  waren,  so  hatte  sich  in  jenen  .Innren  das  ganze  Spiel 
gewendet:  die  gekrönten  Häupter  trauten  einander  nicht  mehr  und  die  Diplomaten 
hatten  nur  noch  die  Aufgabe  mit  (leschwk  und  öfter  mit  Ungeschick  klaffende 
Wunden  zu  heilen.  Dies  war  die  Zeit,  wo  sich  wir  wollen  uns  mythologisch 
ausdrücken  die  Walküren  rüsteten,  um  für  Tausendc  und  Tausende  ihrer 
Helden  im  Himmel  Klatz  zu  machen.  JVlirant  reges  heisst  es  im  Virgil,  da 
war  der  Krieg  nur  eine  Krage  der  Zeit. 

In  den  Kabinetten  war  man  tun-  besorgt  zu  erfahren  und  zu  wissen,  was 
in  den  feindlichen  Lagern  gedacht  oder  geschmiedet  wird.  Der  regelrechte  (icsandt- 
schaftsdienst  wurde  durch  ganze  Kompagnien  von  freiwilligen  und  halbofiiziellen. 
heimliehen  und  oft  auch  unheimlichen  Diplomaten  ersetzt,  oder  ergänzt.  Was 
man  zu  lesen  wünschte,  wurde  nicht  in  den  Staatsarchiven  gesucht  und  nicht  aus 
den  Korrespondenzen  der  Minister  geholt:  auf  hunderterlei  Umwegen  gingen  die 

Biographische  Blatter.  I.  ±_» 


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Biographische  Blatter. 


Botschaften  zu  den  Personen,  für  die  sie  bestimmt  waren;  -  es  ist  wohl  Huer 
der  haarsträubendsten  Irrthümer  heutiger  beamtenfrommer  Archivare  und  (ie- 
schichtschreiber.  wenn  sie  versichern,  die  Geschichte  der  grossen  deutschen  und 
französischen  Kriege  des  siebenten  Jahrzehnts  Messe  sich  nach  den  -Akten",  die 
sie  in  Verwahrung  haben,  in  der  Tiefe  der  Sache  erkennen! 

Unter  den  Männern,  die  man  im  Jahre  18511. -'60  für  geschickt  und  geeignet 
gehalten  hat.  im  freiwilligen  Diplomatendienst  gebraucht  zu  werden,  befand  sich 
auch  Hermann  Orges.  Gerade  deshalb  wol.  weil  gewisse  kindliche  Politiker  in 
München  soeben  mit  dem  Redakteur  der  Augsburger  Allgemeinen  Zeitung'  einen 
ethisch  gehaltenen  Zank  geführt  hatten,  worin  sie  auseinandersetzten,  dass  kein 
guter  Preusse  mit  H.  Orges  ferner  verkehren  könnte,  vielleicht  gerade  deshalb 
wird  es  dem  Ministerpräsidenten  in  Berlin,  dem  Fürsten  Anton  von  Hohen/.nllern 
zweckmässig  erschienen  sein,  sich  des  Mannes,  der  durch  seinen  gegen  den  fnur/.ö- 
sischen  Imperator  im  Jahre  1H">9  glänzend  geführten  Zeitungskrieg  sich  ungemein 
grosse  Verdienste  um  Oesterreich  erworben,  zu  bedienen,  um  abgebrochene  Drücken 
wieder  herzustellen,  oder  über  dunkle  Gänge  Licht  zu  gewinnen. 

Im  Beginne  des  Jahres  18(10  ging  Orges  nach  Berlin  und  war,  wie  er 
bald  darauf  einem  Landsmann  (Orges  war  ein  Braunschweiger)  schrieb,  nicht  nur 
vom  Fürsten  von  Hohenzollern,  sondern  auch  vom  Prinz  Bogenten  sehr  freundlich 
aufgenommen  worden,  obwohl  er  im  Jahre  18-18  als  preussischer  Offizier  ..aus  den 
Listen  gestrichen"  worden  war.  Ohne  Zweifel  hatte  er  sich  durch  seine  glänzenden 
militärischen  Artikel  über  Frankreich  in  den  Augen  auch  preussischer  Offiziere 
wieder  einigermaassen  rehahilitirt  genug.  Orges  erhielt  mancherlei  Auftrage, 
über  welche  indessen  seine  Briefe  an  seinen  Braunschweiger  Landsmann  keineswegs 
die  volle  und  ganze  Wahrheit  enthalten  dürften,  weil  dieser  Landsmann  wiederum 
im  Dienste  eines  anderen  deutschen  Fürsten  stand,  von  dem  es  ganz  bekannt  war. 
dass  er  auch  seinerseits  wieder  eine  besondere  Auffassung  von  den  Diugen  hesass. 
wenigstens  nicht,  in  allen  Stücken  mit  der  Berliner  Politik  übereinstimmte  und 
ebensowenig  als  oosterreichiseh  gesinnt  galt. 

Wie  dem  aber  auch  sei.  der  Inhalf  der  Berichte,  welche  Orges  über  seine 
Fahrten  nach  Preussen.  Ihissland  und  Oesterreich  im  Winter  1*00  verfaßte, 
bieten  eine  Keihe  von  so  interessanten  Gesichtspunkten  dar.  dass  sie  ihre  Ver- 
öffentlichung verdienen. 

Der  ei-ste  dieser  vorliegenden  Berichte  ist  nach  einem  Aufenthalte  von  einigen 
Wochen  in  der  preusslschen  Hauptstadt  in  Warschau.  2H.  Januar  1800  nieder- 
geschrieben und  enthält  nicht  lauter  streng  politische  Mittheilungen ,  sondern 
auch  Darstellung  von  Kindrücken,  die  das  Berlin  der  „neuen  Aera"  dem  Driel- 
schreiber  überhaupt  gemacht  hat;  der  Aufschwung  der  Industrie  und  des  Handels, 
den  er  gegen  18  18  in  der  preußischen  Hauptstadt  wahrnahm  und  die  unverhältniss- 
mässige  Zunahme  der  jüdischen  Bevölkerung  gaben  ihm  zunächst  Aulass  zu 
allerlei  allgemeinen  Bemerkungen,  auf  welche  hier  kaum  näher  eingegangen  zu 
werden  braucht,  zumal  sich  Herr  Orges  dabei  als  schlechter  Prophet  in  Bezug 
auf  Berlins  heranwachsende  politische  Bedeutung  erwies.  In  Bezug  auf  die 
politische  Lage  versicherte  er,  dass  er  mit  allen  Parteien  Fühlung  gewonnen  und 
dass  der  Fürst  von  Hohenzollern  ihm  ein  sehr  ausführliches  Bild  seiues  Strehens 
gegeben  hätte.  Die  demokratische  Partei  sei  aber  in  Berlin  die  bei  weitem  über- 
wiegendste, und  habe  sich  bei  den  Wahlen  und  gegenüber  dem  Ministerium 
Hohenzollern  zurückgehalten,  weil  sie  sich  augenblicklich  zu  schwach  fand  und 
überzeugt  war.  dass  S.  königl.  Hoheit  der  Prinz  Hegent  doch  nach  rechts  gehen 
werde,  wo  dann  ihre  Opposition  zur  Bbitbe  kommen  könne.  „Die  Konstitutionellen 
haben   wenigstens   die  Absicht,   nach  Kräften  dem  Prinzen  jede  Verlegenheit  zu 


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Aus  dein  Briefwechsel  von  Hermann  ("»rares. 


341 


ersparen,  doch  fand  ich  Keinen,  der  glaubte.  Se.  königl.  Hoheit  erkenne  die 
ungeheueren  Schwierigkeiten  der  Lage  .  .  .  Die  Hauptzeitung  in  Berlin  ist  noch 
immer  die  Vossische  Weissbierzeitung,  lt>  1 7* K M  l  Fxeniplare.  die  einflussreiehsfr 
die  Yolkszeitung;    die  Xutionalzeitung  hat  nur  H    7<>U<>  Abonnenten*'. 

Alsdann  t heilt  (»rares  mit.  der  Fürst  von  Hohenzollern  halte  ihm  in  Bezug 
auf  Wien  s]tezielle  Aufträge  gegeben: 

..Der  Fiii-st  <rab  mir  als  Orundprinzipien  seiner  und  des  Prinz  Regenten 

äusseren  Politik  mit  dem  Auftrage  weitläufig  darüber  in  Wien  betreffenden 

Orts  zu  belichten: 

1.  Keinerlei  ehrgeizige  auf  Yergrüsserung  heniuslaiifende  Pläne.    Die  Xutional- 
partei  sei  ja  Preussen  feindlich. 

2.  Zusammengehen    mit  (»esterreich   in   allen  grösseren  entscheidenden  Fragen, 
da  die  Interessen  gemeinsam.    (Streit  sei  über  untergeordnete  Fragen.) 

3.  Bekämpfung  der  Uebergritl'e  und   der  Präpondcranz  Louis  Napoleons  und 
deswegen : 

a>  bessere  militärische  ( »rganisation  im  Innern  Preussons. 

b)  bessere  militärische  Organisation  des  deutschen  Bundesheeres. 

c)  Vertrag  mit  Hussland  (Rückendeckung)  oder  vielmehr  Verständigung 
mit  demselben.  Dieses  sei  der  alleinige  Zweck  der  Hreslauer  Zusammen- 
kunft gewesen.    Diese  Rückendeckung  sei  erreicht  worden." 

_S.  Hoheit*)  äusserte  sich  sehr  grossdeutsch  und  sehr  patriotisch  und  auch 
die  Frau  Prinzessin  von  Preussen  lies«  mir  den  Auftrag  zukommen,  doch  möglichst 
auf  Versöhnung  hinzuarbeiten.  Da  Diskretion  nicht  verlangt  wurde,  sondern  nur 
die  Weitermittheilung  aufgetragen  ward,  erlaube  ich  Obiges  mittheilen  zu  dürfen. 
Weiteres  später.  Im  Allgemeinen  empfing  ich  den  Findruck  ausserordentlicher 
Unklarheit.  Unsicherheit.  Unbestimmtheit  in  den  konkreten  Zielen.  aber  reichlich 
guten  Willen.  Da  ich  noch  mehrere  Staatsmänner  gesprochen  habe,  so  muss  ich 
sagen,  entweder  ist  die  preussische  Politik  sehr  versteckt,  oder  sie  ist  rein 
abwartend.  Uebereinstiunnende  positive  Ansichten  sind  nirgend  zu  linden  und 
daher  sieher  keine  Disciplin.  kein  Zusammenwirken  unter  den  eigentlichen  Diplo- 
maten, jeder  scheint  sein  eigenes  Programm  zu  haben. - 

■„Ueber  Polen  aus  Wien-. 

Von  Berlin  war  Orges  inzwischen  nach  Warschau  gegangen,  um  aus  eigener 
Anschauung  sich  über  die  dort  sich  vorbereitenden  Dinge  zu  belehren  und  gleich- 
zeitig Näheres  über  Hussland  zu  erfahren.  In  wessen  Auftrag  diese  Fahrt 
unternommen  wurde,  wird  in  den  vorliegenden  Berichten  nicht  mitgetheilt.  Die 
Beobachtungen  sind  iudesseu  werthvoll  genug:  die  Augsburger  Zeitung  bmchte 
dem  entsprechende  Korrespondenzen,  welche  viel  bemerkt  worden  sind,  und  in  der 
preussLschen  Presse  einen  gewissen  Widerspruch  hervorriefen.  Man  hatte  ja 
Verständigung  mit  Bussland  auf  das  Programm  gesetzt!  doch  mag  Orgcs 
selbst  sj »rechen: 

Warschau,  27.  Januar  1SW». 
Übereinstimmend  schildert  man  mir  den  Kaiser  Alesander  ;ils  gutmüthig  und  gut- 
willig, doch  ohne  die  hiihere  Begabung,  welche  die  ungeheure  Aufgab«',  die  ihm  überkommen 
zu  ihrer  Losung  erfordert  :  da/u  kommt,  dass  Seine  Majestät  leidenschaftlieh  jagen  und  nach 
dieser  Anstrengung  etwas  sehr  stark  geistigen  (ietrlinken  /usjirechen  m»11.  Die  dadurch  be- 
dingte K  raftbindung  soll  so  gross  sein.  da.s.s  dem  C/aren  laut  eignen  Befehls  nach  der  Jagd 
keine  Dekrete  vorgelegt  werden  dürfen,  da  er  /.  B.  einem  ihm  besonders  lieben  Of  Ii  zier, 

• 

*  >  soll  heissen  -S.  1  »urehl.ui -ht.  Orges  ist  hier  und  an  mehreren  Stellen  der  folgenden 
Briefe  ungenau  in  Bezeichnung  der  Titel.    Kr  meint  den  Für-ten  von  Hohenzollern. 

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342 


Biographische  Blätter. 


dem  General  Mingrot  von  den  Garde-Ulanen,  in  einem  solchen  Augenblick  den  Abschied  or- 
theilt hatte.  Wenn  meine  Gewährsleute,  vornehme  russische  Adelige  aus  den  Provinzen. 
Hecht  haben,  so  sind  es  besonders  die  Grafen  Adlerberg.  Vater  und  Sohn,  welche  den  Kaiser 
in  der  Kiehtung  der  Deliauche  treiben.  Seine  Kaiserl.  Majestät  soll  verschiedentlich  versucht 
haben,  doch  ohne  Krfolg.  Wandel  zu  schatten  und  ihre  Einmischung-  in  die  Staatswesen» ft« 
.sogar  ernste  Konflikte  hervorgerufen  haben,  da  der  Uzar  dieses  Einmischen  nicht  liebt.  Die 
ganzen  ungeheueren  Irrthümor  des  Nikolai  sehen  Kogierungssystems  kommen  jetzt  in  der 
grellsten  Weise  zum  Vorschein.  Trotz  aller  formalen  Bildung,  die  in  militärischen  Er- 
ziehungsanstalten angeblich  erzielt  worden,  fehlt  es  selbst  daran  vollständig.  F.ine 
Menge  vornehmer  M linner.  unter  denen  ein  Mitglied  des  Senats,  kannte  nicht  eine  Kapazität, 
die  einigermaassen  für  die  grosse  Aufgabe  der  Gegenwart  genügte.  Diese  absolute  Un- 
fähigkeit. Träigheit.  I  nzuverliissigkeit  geht  bis  in  die  untersten  Kreise  hinab.  Die  begüterten 
Klassen  kennen  alle  diese  Zustünde  und  dadurch  wird  ihre  Angst  vor  der  Zukunft  unend- 
lich vermehrt,  weil  sie  die  Überzeugung  hegen,  dass  wenn  einmal  ein  Bruch  erfolgt,  keine 
Hand  vorhanden,  die  dem  Sturme  Malt  gebieten  kann.  Desshalb.  weil  der  Kaiser  will.  da>s 
wir  in  eine  neue  Zeit  hineinspringen  sollen  -  zweifelt  keiner,  das«,  eine  Volksbewegung 
im  Innern  über  kurz  oder  lang  erfolgen  muss.  Weil  der  Güteradel  dies  voraussieht  und 
den  Umschwung  für  unvermeidlich  halt,  beutet  er  nun  wieder  zum  Theil  seine  Leibeigenen 
noch  zu  guter  letzt  auf  das  Schonungsloseste  aus  und  steigert  so  wieder  die  Grösse  der 
drohenden  Gefahr. 

Diese  Zustande  haben  als  Folge  einen  völligen  Gegensatz  zwischen  der  ltegierung  und 
dem  Beamtenadel  einerseits  und  dem  Güteradd  andererseits,  zwischen  dem  ausländischen 
Ideen  und  Formen  huldigenden  Petersburg  und  dem  russisch-nationalen  Moskau  zur  Folge 
gehabt.  Ich  wUre  zu  den  ..Kontrakten"  nach  Kiew  gereist,  wenn  nicht  die  hiesige  deutsche 
Zeitung  unglücklicher  Weise  meinen  Aufenthalt  hier  verrathen  und  den  Zweck  desselben 
genannt  hätte,  so  hat  man  mir  überall  abgerathen.  Schon  bei  den  vorjährigen  „ Kontrakten" 
(jährliche  Abwickelung  aller  Geschäfte)  zeigte  sich  die  vollständigste  Gcldehbe:  dieses  Jahr 
fürchtet  man  den  absoluten  Stillstand  der  Geschäfte.  Aller  Kredit  ist  dahin;  alle  Vermögen 
der  Grundbesitzer  gefährdet,  nirgend  Vertrauen.  In  ganz  Kussland  sieht  man  nur  noch 
Papier  und  schlechte  werthlose  Scheidemünze.  Alle  Beamten,  Güterbesitzer.  Geschäftsleute, 
die  ich  gesprochen,  stimmten  in  dem  Finen  überein:  Auf  Jahre  hinaus  ist  jeder  Krieg  für 
Kussland  fast  unmöglich,  wenigstens  so  unpopulär,  das«  an  denselben  kaum  iredaeht.  jeden- 
falls derselbe  nur  sehr  schwach  geführt  werden  kann,  die  Armee  ist  ganz  gelockert  .  .  .  . 


Die  russische  Armee  ist  nicht  wieder  zu  erkennen.  Kaiser  Alexander  hat  die  äussere 
ktratte  Form  fahrenlassen  und  jetzt  kommt  überall  der  rohe  Barbar  zum  Vorschein.  Seit 
hat  keine  Kekrutirung  stattgefunden:  ich  sah  fast  keinen  Soldaten  ohne  die  Krimmedaille. 
Exerzirt  wurde  schauderhaft,  selbst  der  innere  Dienst  ist  ganz  gelockert.  Bewaffnung  herzlich 
schlecht.  Pferdebestand  gut.  Befestigungen  gut  im  Stande,  Vorräthe  gering.  Armeebestand 
sehr  schwach.  Die  Stimmung  «1er  Polen  nationalaufgeregt  doch  ungefährlich,  da  der  vor- 
nehme Adel  zum  grossen  Theil  sich  Kussland  in  die  Arme  geworfen  hat.  Graf  Zamoyskis 
Bestrebungen  auf  ökonomischer  Grundlage  den  Adel  zu  regeneriren.  werden  bewundert,  be- 
jubelt, sein  „landwirtschaftlicher  Verein"  umtasst  den  polnisch  gebliebenen  Adel  Kusslands. 
aber  das  ist  auch  Alles.  Arbeiten  und  Sparen  lernt  der  Adel  darinnen  doch  nicht.  Die 
politische  Bewegung  kräuselt  nur  die  Oberlliiehe.  bringt  es  höchstens  zu  kleinen  Demon- 
strationen bei  polnischen  Künstlern,  polnischen  Gelehrten  cte. 

Uber  Wien  werde  ich  mir  erlauben,  aus  Dresden  zu  berichten.  Nur  so  viel,  dass  ich 
den  mir  von  Seiner  Hoheit  dem  Fürsten  von  Hohenzollern  gegebenen  Auftrag,  die  Ge- 
sinnungen des  Prinz  Kegenten,  des  Fürsten,  der  Frau  Prinzess  als  zur  Versöhnung  und 
Zusammengehen  in  allen  grossen  äusseren  Fragen  geneigt  darzulegen  und  manchen  Jrrthum 
in  der  Anschauung  zu  berichtigen,  nach  besten  Kräften  entsprochen  habe.    Bei  dieser  Ge- 


Wien. M.  Januar. 


Aus  d»Mii  Briefwechsel  von  Hermann  ( »rge>. 


legenheit  konnte  ich  auch  die  durchaus  falsche  Ansicht  widerlegen,  die  man  hier  zum  Theil 
über  Seine  Hoheit  den  Her/o«,'  gehegt.  ") 

Ich  habe  wenigstens  Herrn  Grafen  Rechberg  und  heute  Seiner  Majestät  reihst  aus- 
führlich darüber  berichtet,  in  wie  hochpatriotischer  rein  deutscher  Weise  Seine  Hoheit  alle 
Zeit  die  deutsehen  Interessen  gefeiert  und  getragen  hat.  Dass  Seine  Hoheit  über  den  Par- 
teien stehe  und  also  der  kleindeutschen  Bewegung,  als  einer  gesetzlich  berechtigten,  den 
Schutz  nicht  habe  verweigern  können  und  wollen.  Ks  sei  dies  auch  das  einzige  Richtige 
und  Wahre.  Seine  Majestät  schien  sichtlich  erfreut  darüber,  dass  ich  von  diesem  Stand- 
punkt aus  über  jene  Vorgänge  heriehtete.  Hier  ist  alles  voller  Verwöhnung  und  vom  besten 
Geist  beseelt. 

Frei be rg  an  der  Mulde,  Jt.  Februar. 

Hochgeschätzter  Herr  Kabinetsrath ! 

Morgen  werde  ich  nach  Augsburg  ahreisen.  Jch  bitte  Kw.  Hoch  wohlgeboren,  mich 
gefälligst  wissen  zu  lassen,  ob  alle  meine  Briefe  richtiir  in  Ihre  Hände  gelangt.  Der  Aul- 
trag des  Herrn  Fürsten  von  Hohenzollern  betraf  vor  Allem  Aufklärung  über  die  Politik  der 
preussLschen  Regierung,  über  ihre  Neigung  zur  Versöhnung  mit  Österreich,  die  Absicht,  jedem 
ferneren  C bergritte  L.  Napoleon  ein  Ziel  zu  setzen,  die  Zwecke,  welche  sie  in  Betreff  der 
inneren  Reorganisation  Deutschlands  verfolge.  Ihre  Antrüge  etc.  hiltten  in  dieser  Beziehung 
keine  ehrgeizigen  Zwecke,  sondern  nur  die  Wehrkraft  Deutschlands  zu  stärken.  Leider 
widerspricht  diesem  Programme  vielfach  die  Handlungsweise  der  preussischen  Diplomatie. 
Ich  bezweifle  nicht,  dass  sie  ohne  oder  vielmehr  gegen  den  (Seist  ihrer  Instruktion  gehandelt 
haben,  aber  was  ich  in  Wien  erfahren,  beweist,  dass  die  österreichische  Regierung  den 
Thatsachen  nach  an  eine  feindselige  Absicht  der  preussischen  Regierung  glauben  musste. 
Ks  liegt  durchaus  in  der  Macht  des  Grafen  Rechberg,  den  Fricdensschluss  von  Villafranca 
vollst  Und  ig  zu  rechtfertigen,  es  geschieht  nicht  —  aus  Stolz  und  vielleicht,  weil  man  an- 
steht, die  öffentliche  Meinung  zum  Schiedsrichter  zwischen  den  (i rossmächten  zu  machen.  — 
Noch  mehr,  die  Fortsetzung  des  Kampfes  gegen  Österreich  habe  keinen  anderen  Zweck 
als  das  zu  erzielen,  was  L.  Napoleon  nach  dem  Frieden  von  Villafranca  erzielt  glaubte:  die 
Trennung  Österreichs  von  Deutschland  und  Preussen.  Ks  handelt  sich  jetzt  wirklich  um 
die  Rheingrenze.  L.  Napoleon  glaubte  Österreich  soweit,  gewonnen  und  gegen  Preussen 
erbittert  zu  haben,  um  dieses  zu  vermögen,  einem  Rheinangritt'  zuzuschauen.  Kr  hat  sich 
geirrt  und  daher  seine  Wuth. 

Ew.  II  och  wohl  geboren  können  sich  darauf  verlassen,  dass  dies  der  Kern  der  franzö- 
sischen Politik  ist  und  daher  die  lntriguen  aus  I  ngarn  und  Italien  stammen.  Ich  darf 
auf  diesen  Punkt  nicht  weiter  eingehen,  aber  so  ist's! 

Kräftigung  der  Wchrverfassung  und  Versöhnung  des  inneren  Haders  ist  daher  erste 
Aufgabe  einer  vernünftigen  patriotischen  Politik.  Ich  habe  Seine  Majestät  den  Kaiser,  den 
Herrn  (trafen  Rechberg,  die  Generaladjutanten,  Herrn  von  Meysenbug  viel  zugänglicher 
und  klarer  in  ihrer  Weltanschauung  gefunden,  als  ich  zu  hotten  gewagt.  Seine  Majestät 
liest  jetzt  alle  Tage  eine  nach  napoleonischem  .Muster  formirte  Zeitungsrevue,  kannte  eine 
Menge  Details  der  politischen  Bewegung  in  Deutschland,  die  Verluste,  die  seine  Regierung 
in  der  öffentlichen  Meinung  erlitten  hatte,  sprach  von  der  Notwendigkeit,  sie  wieder- 
zugewinnen, äusserte  sich  in  feierlichster  Weise  über  seine  Pflicht,  nie  in  einem  Kampfe 
gegen  L.  Napoleon  Preussen  und  Deutschland  im  Stich  zu  lassen,  erkannte  die  Not- 
wendigkeit des  politischen  Parteilebens  an.  kurz,  er  zeigte  eine  ungewöhnliche  Kenntniss 
der  Lage,  der  Bedingungen,  sie  zu  bessern  und  einen  sehr  bestimmten  Willen  und  Kifer. 
mit  Ausdauer  zu  arbeiten.  Seine  Hoheit  würden  wahrscheinlich  den  Kaiser  nicht  wieder 
erkennen,  wenn  er  früher  so  gewesen,  wie  man  behauptet.  Der  italienische  FVldzug  hat 
Wunder  gewirkt:  es  ist  offenbar  in  den  höchsten  Kreisen  der  beste  und  deutscheste  Wille 

*)  Es«  Ist  der  Herzog  Krnst  II.  von  Coburg  gemeint. 


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344 


Biographische  Blätter. 


vorhanden,  nur  fehlt  es  in  ihm  übrigen  Kreisen.  Fünfzigjährige  (beistände  bissen  sich 
nicht  Uber  Nacht  abstellen  und  tüchtige  Klüfte  nicht  aus  dem  Hoden  stumpfen.  Man  muss 
aber  (Jeduld  haben,  nie  milde  werden  anzuregen,  die  Ereignisse  werden  das  Übrige  thun.  - 
War  bei  der  früheren  Weltlage  ein  Kürst,  wie  Seine  Hoheit,  für  Deutschland  ein  Kleinod, 
so  ist  er  heute  gar  nicht  mehr  zu  entMiren.  Nur  Seine  Hoheit  steht  ül>er  den  Parteien 
und  kann  frei  von  allem  Egoismus  und  jeder  Eifersüchtelei  das  schwar/.-roth-goldenc  Panier 
tragen,  der  Ausdruck  der  möglichen  konkreten  Entwickelung  Deutschlands  in  der  Zeit 
sein.  Es  heisut ,  sich  ein  Zeugni*s  hig  hster  politischer  l'nreife  ausstellen .  wenn  man 
darüber  streitet,  was  einst  aus  Deutschland  werden  wird,  ob  ein  Staatenbund,  ein  Bundes- 
staat, ob  die  Hohen/ollem  oder  Habsburger  mehr  Anrecht  auf  die  Führung  haben.  In 
unserem  Leben  wird  diese  Frage  nicht  reifen;  befassen  wir  uns  zunächst  mit  den  Bedürf- 
nissen der  (liegen wart,  des  kommenden  Tages.  Zunächst  iril t  es  da  offenbar  den  Kampf 
gegen  L.  Napoleon  vorbereiten,  damit  er  uns  nicht  überrasche,  und  den  Erfolg  in  demselben 
möglichst  zu  sichern.  Ich  bitte  Ew.  II  och  wohlgeboren,  mich  gütigst  wissen  zu  lassen,  wie 
ich  am  besten  und  nachhaltigsten  dazu  beizutragen  vermag.  Soweit  mein  Wille  frei,  stehe 
ich  «ganz  zur  Disposition  Seiner  Hoheit 

Morgen  Abend  reise  ich  nach  Augsburg  ab,  wo  ich  also  am  Ilten  eintreffe. 

Augsburg.  16".  Februar  1S(50. 

Wenn  ich  Ew.  Hochwohlgehoren  Aufforderung  nicht  umgehend  nachgekommen,  so 
bitte  ich  das  gütigst  bei  Seiner  Hoheit  entschuldigen  zu  wollen.  Ich  muss  selbst  diese 
Minuten  künstlich  erübrigen.  Wenn  es  in  allen  Hedaktionen  so  aussieht,  wie  bei  der 
Allgemeinen  Zeitung,  braucht  man  das  Fegefeuer  nicht  mehr  im  Himmel  zu  suchen.  Es  ist 
Deutschland,  d.  h.  das  politische  Deutschland  im  Kleinen,  Übelwollen,  Misstrauen.  Fanatismus. 
Beschränktheit  aller  Orten.  Ich  bitte  Sie  dringend,  hochgeehrter  Herr,  zu  glauben,  dass 
Alles,  was  Sie  in  der  Allgemeinen  Zeitung  Persönliches  und  Widriges  finden,  nicht  von  mir 
und  gegen  meinen  Willen  geschieht.  .Je  ne  suis  pas  le  maitre  und  muss  froh  sein,  wenn 
ich  nur  einigermaassen  harmonische  Thätigkeit  zu  Stande  bringe.  —  Täglich  wächst  die 
Bedeutung  der  öffentlichen  Meinung,  aber  diejenigen,  welche  wesentlich  dazu  beitragen,  sie 
zu  bestimmen,  sind  Leute,  welche  keineswegs  Anspruch  haben,  sie  zu  leiten. 

Ich  weiss  nicht,  wie  weit  ich  Ew.  Hochwohlgehoren  Nachricht  von  dem  Auftrage 
gegeben,  den  ich  in  Berlin  erhielt.  Ich  bemerke  nur,  dass  ich  ohne  mein  Zuthun  von 
Seiner  Hoheit  dem  Fürsten  empfangen  wurde,  und  dass  darin  wohl  der  sicherste  Beweis  liegt, 
dass  ich  nicht  jener  subversiven  Partei  angehöre,  welche  den  Fortschritt  nicht  in  organischer 
Ausbildung,  sondern  im  l'msturz  sieht,  und  die  nirgends  fähig,  sich  dem  Zwecke  unter- 
zuordnen, nach  Kraft  und  Stellung  dazu  beitragen,  sondern  ihren  Beruf  darin  findet,  Alles 
zu  negieren,  was  an  irdischer  Un  Vollkommenheit  leidet.  Ich  hoffe,  ein  Exemplar  meiner 
Broschüre  über  meinen  Austritt  aus  der  preussischen  Armee  Ew.  Hochwohlgeboren  dem- 
nächst Ubersenden  zu  können,  woraus  Sie  sehen  wenlen,  dass  ich  mich  nur  der  patriotischen 
Übereilung,  des  Friedensstifters  schuldig  gemacht. 

Wenn  ein  leidenschaftlicher  Soldat,  wie  ich  es  noch  heute  bin,  sein  Leben  und  seine 
Karriere  an  seine  Überzeugung  setzt,  so  ist  das  jedenfalls  ein  Beweis,  dass  diese  Über- 
zeugung eine  warme  und  aufrichtige,  dass  meine  fast  meine  Kräfte  übersteigende  und 
schlecht  belohnte  Arbeit  lediglich  positive  Ziele  befolgt,  dafür  liefert  jeder  Tag  den  Beweis. 
Ich  bitte,  diese  Auslassungen  gütigst  zu  entschuldigen,  denn  mir  liegt  daran,  dass  die  Ver- 
leumdungen der  Tagespre>se  mir  nicht  das  Vertrauen  Seiner  Hoheit  und  das  Ihre  rauben. 

Was  die  Verhältnisse  in  Wien  betrifft,  so  will  ich  mit  dem  beginnen,  was  ich  von 
Seiner  MajesUit  gesehen  und  erfahren  habe.  Seine  Majestät  machte  auf  mich  einen  ausser- 
ordentlich vortheilhaften  Eindruck.  Ich  wurde  zu  besonderer  Audienz  nach  Ein  Uhr  be- 
fohlen. Ich  begann  sofort  damit,  eine  scharf  gezeichnete,  aber  di<«  Hauptsachen  richtig 
wiedergebende  Skizze  der  öffentlichen  Meinung  und  der  ganzen  Lage  Preussens  zu  geben, 
ging  dann  zum  Auftrage  des  Fürsten  über,  den  (Münden  der  Nichtaktion  Preussens  während 


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Aus  dem  Briefwechsel  von  Hermann  Orges. 


des  Krieges,  dem  Willen  der  Regierung,  den  Zusagen  für  die  Zukunft.  Seine  Majestlt 
unterbrach  mich  gelegentlich  durch  Äusserst  korrekte  Zwischenfragen,  namentlich  als  ich 
das  eigentümliche,  aus  den  Befreiungskriegen  herstammende  preussische  Selbstgefühl  und  das 
tief  protestantische  Wesen  des  östlichen  Theiles  der  Monarchie  schilderte.  Als  ich  erwähnte, 
wie  dieses  aus  dem  Verlauf  der  Ereignisse  hervorgegangene  Mißtrauen  in  Preussen  bis 
in  die  höchsten  Kreise  und  so  weit  ging.  dass  man  im  Falle  eines  Angriffes  am  Rhein  im 
günstigsten  Falle  an  die  Neutralität  Österreichs,  wahrscheinlich  aber  an  einen  Angriff  auf' 
Schlesien  glaube  (so  gross  habe  ich  das  Misstrauen  in  Herlin  wirklich  gefunden),  flammte 
das  Gesieht  Seiner  Majestät  auf  und  er  sairte  mit  dem  Ausdrucke  lebhafter  innerer  Be- 
wegung: „Wie  kann  man  solche  Schändlichkeiten  von  mir  glauben.  Deutschlands  Grenze 
zu  vertheidigen,  ist  ja  nicht  bloss  meine  Pflicht  sondern  Österreichs  eigenes  Interesse". 
I'  h  bemerkte,  dass  ich  in  Berlin  dieser  unsinnigen  Annahme  auch  lebhaft  widersprochen 
und  die  Überzeugung  zu  schatten  gesucht  dass  die  Österreicher  im  Falle  der  Gefahr  noch 
eher  an»  Rhein  als  die  i'reussen  stehen  würden,  sagte  Seine  Majestät  mit  lebhafter  Betonung 
_.la.  ja1*  und  drückte  wiederholt  und  in  wärmster  Weise  aus,  dass  Versöhnung  mit  Preussen 
sein  innigster  Wunsch  sei  und,  wie  er  stets  gehofft,  dass  man  endlich  die  Lage  in  Berlin 
richtig  ansehen  würde.  Ich  berührte  ausführlich  den  Punkt.  da«s  die  guten  Absichten  durch 
den  Friedensschluss  nicht  hatten  zur  Verwirklichung  kommen  können.  Seine  Majestät 
deutete  dabei  an.  dass  das  gerade  gefehlt,  man  habe  aber  von  den  guten  Absichten  Preussens 
nichts  bemerken  können,  sonst  würde  man  ausgehalten  haben. 

Jen  erlaube  mir  hier  folgenden  Satz  einzuschalten:  Ich  habe  mich  selbst  überzeugt, 
dass  die  Noten  des  Herrn  von  Schleinitz  und  das  Benehmen  der  Herrn  von  Usedom  und 
Graf  Pourtales  so  zweifelhaft  waren,  dass  man  in  Österreich  eigentlich  gar  keine  andere 
Ansieht  gewinnen  konnte  als  die,  Preussen  habe  sehr  gefahrliche  Hintergedanken  und  beab- 
sichtige jedes  Unglück  Österreichs  auf  die  egoistischste  Weise  auszunützen. 

Ich  gab  dann  die  Erklärung,  welche  Seine  Hoheit  mir  von  der  Breslauer  Konferenz 
gegeben  und  knüpfte  dnnn  daran  eine  Darlegung  der  inneren  Zustände  Polens  und  Russ- 
lands. Die  Breslauer  Konferenz  hatte  nämlich,  und  ich  glaube  das,  keinen  anderen  Zweck, 
als  I'reussen  über  den  Rückenangriff  zu  beruhigen,  obgleich  dieses  selbe  I'reussen  sich 
geweigert,  Osterreich  darüber  zu  beruhigen,  dass  sich  die  »bewaffnete  Yermittelung"  nicht 
auch  möglicherweise  gegen  Österreich  kehren  könne.  Seine  Majestät  schien  jedes  Wort  zu 
beachten  und  fragte  mich  ausdrücklich  nach  allen  (Quellen  und  Gründen,  hinzufügend:  Glauben 
Sie.  dass  man  in  Berlin  die  Lage  Russlands  kennt  und  richtig  beurtheilt?  Ich  ging  dann 
auf  die  Stellung  des  südlichen  Deutschlands  während  des  Krieges  über,  auf  das  Vertrauen, 
das  allgemein  Seine  Hoheit  der  Herzog  gerade  in  den  reindeutschen  Staaten  genösse,  dass 
ich  selbst  jede  wichtige  Nachricht  Ihnen.  Herr  Kahinetsrath  einsende,  in  der  festen  l'ber- 
zeug/ung,  dass  sie  dort  in  den  besten  Händen  sei.  Ich  entwickelte  darauf,  wie  emsig  und 
ausdauernd  gerade  Seine  Hoheit  während  des  Krieges  für  den  Anschluss  an  Österreich 
thütig  gewesen,  wie  ich  namentlich  immer  von  dem  Herzoge  durch  Ew.  Hoehwohlgeboren 
angespornt  worden  bin,  nicht  in  der  Agitation  nachzulassen.  Ich  legte  darauf  einen  weit- 
läufigen Bericht  Uber  die  kleindeutsche  Bewegung  ab  und  namentlich  über  die  Notwendig- 
keit, der  Bewegung  der  Geister  nicht  gewaltsam  entgegen  zu  treten.  Seine  Hoheit  hätten 
deshalb  der  Bewegung  in  Gotha  eine  Stelle  eröffnet,  so  gut  wie  sie  jede  andere  gesetzlich 
berechtigte  Konföderation  dort  gefunden  haben  würde.  Der  Kaiser  unterbrach  mich  hier 
mehrfach  und  stets  korrekt  den  Faden  auffassend,  sich  erkundigend,  was  die  Sympathieen 
in  Süddeutschland  für  Österreich  hervorgerufen  und  wodurch  sie  verloren  gegangen  waren. 
Ich  nuisste  dann  antworten,  welche  Mittel  es  gäbe,  diese  Sympathieen  wieder  zu  gewinnen. 
Seine  Majestät  sagte  dann:  Es  ist  sehr  Vieles  und  Grosses  nachzuholen,  der  beste  Wille 
dazu  ist  vorhanden,  aber  bei  allem  Eifer  ist  es  unmöglich,  rascher  damit  vorzugehen,  die 
Hindernisse  sind  ungeheuer  und  die  Arbeit  sehr  schwer.  Dann  wurde  ich  entlassen.  - 
Meine  Audienz  dauerte  volle  fünfviertel  Stunden  und  ich  habe  *Veine  Sekunde  mit  über- 


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Biographische  Blatter. 


flüssigen  Redensarten  verloren,  sondern  Alles  so  kurz,  und  entschieden  entwickelt,  als  ich 
es  vermochte.  Kin  paar  Mal,  wo  ich  Dinge  sagen  musste.  die  Seiner  Majestät  sehr  unan- 
genehm, fragte  ich.  ob  ich  frei  mich  aussprechen  dürfe,  der  Kaiser  sagte  jedesmal:  „Nur 
zu  und  ohne  Scheu**.  Ob  ich  auf  Seiner  Majestät  Anschauungen  einen  KinHuss  geübt, 
kann  ich  natürlich  nicht  sagen,  gewiss  ist  nur,  da.ss  ich  freier  gesprochen,  als  ich  je  in  der 
Augsburger  Zeitung  geschrielien  habe;  die  Zwischenfragen  des  Kaisers  waren  so  bestimmt, 
dass  ich  keinen  Augenblick  darüber  in  Zweifel  sein  kann,  dass  Seine  Majestät  meinem  Vortrage 
mit  gespanntester  Aufmerksamkeit  folgte.  Alles  was  der  Kaiser  an  positiven  Dintren  sagte, 
war  sehr  deutsch  und  liberal.  Ich  weiss  nicht,  ob  Seine  Majestät  früher  ebenso  gewesen, 
aber  ich  muss  doch  bemerken,  dass  das  kaiserliche  Arbeitszimmer  entschieden  den  Charakter 
der  emsigsten  Tätigkeit  trug.  Ks  wird  jetzt  jeden  Tag  für  Seine  Majestät  eine  grosse 
.loumalrevue  angefertigt,  wie  für  Louis  Napoleon,  und  ich  sah  auch,  dass  Seine  Majestät 
in  der  Tagespresse  vollständig  orientirt  war.  (ielegentlich  einer  Unterredung  mit  Herrn 
(iraf  Crenneville  und  Herrn  (.traf  von  St.  (juentin  habe  ich  die  Pberzeugung  gewonnen, 
dass  Seine  Majestät  sehr  fleissig  arbeite,  denn  beide  Herren  wurden  wiederholt  unterbrochen, 
durch  Pahustgendarmen  unterbrochen,  die  Mappen  mit  Berichten  von  Seiner  Majestät  brachten, 
die  sogleich  beantwortet  werden  mussten.  Wenn  ich  nicht  irre,  hingen  von  dem  Kaiserliehen 
Arbeitstische  eine  Spezialkarte  von  Venedig  und  eine  von  Suddeutschland  herunter.  Der  Mann, 
den»  ich  in  Wien  am  meisten  vertraue,  Freiherr  von  Bruck,  sagte  mir  wiederholt,  dass  man 
Seiner  Majestät  Alles  sagen  könne  und  ich  nur  frei  von  der  Leber  weg  sprechen  sollte. 
Das  ist  jedenfalls  nicht  gering  anzuschlagen.  Die  Meneraladjutanten  Seiner  Majestät,  die 
also  wohl  am  meisten  in  persönliche  Berührung  kommen,  sind  sehr  tüchtige  Köpfe  und  (iraf 
St.  (Jucntin  von  warmem  Mensen.  Sie  liegen  nicht  auf  Bosen,  sondern  sind  fortwährend 
in  der  angestrengtesten  Thatigkeit  Der  Kindruck,  den  sie  machen,  ist  sehr  wohlthuend. 
wühlend  z.  B.  Herr  (.iraf  Mrünne  schon  durch  sein  Wesen  dem  Kaiser  sicher  sehr  viel  Feinde 
gemacht  hat.  Herr  (iraf  von  St.  (Juentin  hat  ein  sehr  korrektes  Urtheil  über  die  («esainint- 
lage  und  den  Mang  der  Meister,  das  hat  übrigens  auch  Seine  Majestät.  So  sagte  der  Kaiser 
z.  B.  wörtlich  auf  mein  Bemerken,  dass  das  lieferen  mit  ausgesprochenen  Parteien  stets 
sehr  schwierig,  aber  eben  die  Bildung  von  Parteien  nicht  mehr  zu  verhindern  sei:  .Ja, 
wenn  die  Parteien  sich  nur  erst  gebildet  hätten,  dass  man  sie  deutlich  erkennen  kann, 
aber  das  ist  nicht  der  Fall  und  das  Schlimmste,  wenn  sie  schweigen  oder  andere  Ziele  ver- 
folgen als  sie  sagen",  --  Ks  ist  möglich,  dass  mir  noch  mancher  charakteristisch'1  Zug  aus 
der  Hofburg  einfallt  -  ich  werde  ihn  nachtragen.  Herr  (iraf  von  Hechberg  scheint  mir  ein 
Diplomat  alten  Schlages  zu  sein,  der  den  besten  Willen  hat,  aber  den  (ieist,  der  seit  1*4* 
durch  die  Welt  geht,  nicht  mehr  recht  versteht.  Ich  war  zwei  Mal,  das  eine  Mal  über 
zwei  Stunden  bei  ihm,  und  es  war  kein  Vortrag,  sondern  eine  vollständige  politische  Dis- 
kussion. Herr  (iraf  von  Beehberg  stützte  sich  stets  auf  Pegeln  aus  der  Vergangenheit, 
ohne,  wie  es  schien,  den  ganz  verschiedenen  Verhältnissen  Rechnung  zu  tragen.  So  igno- 
rirte  oder  unterschätzte  er  offenbar  die  ungeheuere  Bedeutung  des  Verkehrs.  Ich  kam 
wiederholt  darauf  zurück,  aber  ich  sah.  dass  ihm  Alles,  was  in  das  eigentlich  nationalökono- 
mische Meldet  fallt,  unangenehm  war:  wahrscheinlich  kennt  es  der  Mraf  nicht  genau. 

Als  ich  wiederholt  hervorhob,  wie  sehr  die  öffentliche  Meinung  auf  kleine  Dinge 
Werth  lege.  z.  B.  auf  das  bürgerliche  Kleid  (der  Kaiser  geht  bekanntlich  stets  in  I  niform) 
sagte  er  bestimmt:  Man  muss  dieser  Richtung  keine  Konzessionen  machen!  Kr  betrachtet 
das  offenbar  als  reine  Komödie.  Dagegen  ging  (iraf  Rechberg  sehr  tief  darauf  ein.  was 
ich  Über  die  Diplomatie  sagte.  Ich  suchte  nämlich  nachzuweisen,  dass  dieselbe  für  ganz 
andere  Verhaltnisse,  die  reine  Kabinetsregierung.  gegründet  sei  und  seit  der  Zeit  eine  Menge 
neuer  Momente  ins  Spiel  gekommen,  ich  wollte  nur  die  Börse  erwähnen.  Der  Kredit,  die 
Breese,  die  öffentliche  Meinung,  das  Partei  treiben,  über  welches  eine  <  iesandtschaft  nichts 
erfahren  könne.  Nur  wer  selbst  Parteimann  ist.  wisse  was  die  Parteien  wollen.  Die> 
Thema  interes>irte  ihn  sehr  und  nachdem  ich  ihm  früher  Alles,   was  ich  Seiner  Majestät 


Aus  dem  Briefwechsel  von  Hermann  Orges. 


347 


mitgetheilt  dargelegt,  Hess  er  mich  weitläufig  Uber  die  Parteien  in  Deutschland.  üU»r  die 
Bewegung-  der  Geister,  die  Ursache  der  Antipathie  gegen  Österreich,  berichten.  Kr  ging 
auf  alle  diese  Sachen  tief  ein  und  wie  gesagt,  stets  wie  ein  Mann,  der  den  wahren  Kern 
der  Sache  doch  nicht  erfas.sk  Ks  war  etwas  Fremdes  in  seinen  Anschauungen.  Ich  muss 
es  in  die  Worte  fassen:  er  ist  offenbar  kein  Kind  der  Zeit,  in  der  wir  leben,  sondern  ein 
abgeschlossener  Charakter,  der  seine  Bildung,  seine  ganze  Anschauung  einer  anderen  Periode 
verdankt  Kr  hasst  offenbar  das  Parteileben,  (ranz  das  Gegen  theil  von  diesem  Allen  ist 
Herr  Baron  von  Bruck,  der  steht  nicht  blos  in,  er  steht  ilber  seiner  Zeit,  erkennt  das  Spiel 
der  Krilfte,  die  Natur  derselben,  will  nicht  gegen  sie,  sondern  durch  sie  und  mit  ihnen  die 
Welt  vorwärts  schieben.  Dauns  grosse  Fehler  gemacht,  erkennt  nicht  bloss  er,  sondern  auch 
Graf  Rechberg  und  selbst  Seine  Majestät  an.  aber  Keiner  fahrt  die  Fehler  so  klar  und  bestimmt 
auf  die  wahren  Grundursachen  zurück.  Da  ist  nirgends  ein  Sprung  in  den  Gedanken, 
daher  auch  nirgend  Unruhe,  nirgend  falsche  Zuversicht,  und  doch  Vertrauen  in  den  Welt- 
rang. Der  beste  Wille  ist  da.  sagte  er  mir  wiederholt,  aber  hundertjährige  Fehler  lassen 
sich  nicht  plötzlich  lindern,  dazu  gehört  eine  Generation.  Vielleicht  wissen  Herr  Kabinets- 
rath.  das»  das  ganze  (ieschrei  von  den  111  Millionen  eine  Absurdität.  Die  111  Millionen 
fanden  sich  als  Defizit  in  den  Staatskassen,  da  Reiehsscbatzseheino  nicht  mehr  giltig.  so  wurden 
als  Dokument  die  Obligationen  hineingelegt.    In  den  Handel  sind  sie  nie  gekommen. 

Montag,  den  20. 

Ich  kann  wohl  heute  die  Zeit  abmüssigen.  um  weiter  zu  schreiben.  Sie  werden 
naebfragen,  woher  das  Defizit?  Kuer  Hoch  wohlgeboren  wissen,  dass  Seine  Majestät  sich 
selbst  die  Armeeverwaltung  vorbehalten.  In  dem  projektirten  Budget  stand  sie  mit  KM)  Mil- 
lionen ausgeworfen,  ich  selbst  habe  ein  Budget  von  18f>7  gesehen,  wonach  sie  127  Millionen 
gekostet.  Das  Defizit  ist  also  leicht  erklärbar,  und  wenn  es  dieser  (Quelle  entstammte, 
entzog  es  sich  der  Kontrolle  des  Finanzministers.  Freiherr  von  Bruck  kennt  alle  Kräfte 
des  heutigen  Volkslebens,  unterschlitzt  weder  die  grossen  Schwierigkeiten,  die  sich  der  Knt- 
wickelung  entgegenstellen,  noch  Überschätzt  er  die  Kräfte,  über  welche  die  Regierung  dis- 
poniert, trotzdem  ist  er  vollständig  ruhig  und  über  den  (Sang  der  Dinge  ganz  im  Klaren. 
Ich  bemerke  nur  das  eine,  was  für  die  Genialität  dieses  grossen  Staatsmannes  spricht,  das.'. 
er  sich  schon  jetzt  mit  der  Abschaffung  der  Tabaksteuer  beschäftigt  ,  die  Krmassigung  der 
Zölle  stetig  im  Auge  hat  und  von  der  Kntwickelung  der  freien  Thätigkeit  der  Kräfte  das 
Ziel  der  Zukunft  erwartet.  Kr  ist  der  Hort  Österreichs  und  vor  allen»  des  Deutschthums 
in  ihm.  Seine  Thätigkeit  wahrhaft  ausserordentlich,  denn  ich  habe  um  10  Uhr  Morgens 
das  Vorzimmer  gefüllt  gefunden  und  habe  selbst  nach  10  Uhr  Nachts  noch  ihn  an  der 
Arbeit  gefunden.  Kr  hat  mich  immer  spät  in  der  Nacht  empfangen,  um  sich  weiter  aus- 
hissen zu  können. 

Weniger  Hoffnungen  durfte  ich  auf  den  Minister  Goluekowski  setzen:  er  ist  Pole  in 
der  ganzen  Bedeutung  des  Wortes.  Kr  wird  sich  nicht  halten  können.  Kr  soll  weder  da* 
staatsmännische  Geschick  haben,  was  seine  Stellung  erfordert,  noch  auch  nur  den  nöthigen 
Fleiss;  auch  wird  ihm  vorgeworfen,  ich  weiss  nicht  mit  welchem  Recht,  des  deutschen 
Rechts-  und  Billigkeits-Gefühls  vollständig  zu  ermangeln.  Die  allgemeine  Stimme  wünscht 
Herrn  von  Schmerling  an  die  Spitze  der  inneren  Verwaltung.  Kr  geniesst  das  allgemeine 
Vertrauen  in  den  massgebenden  Kreisen.  Der  Polizei-Minister  Herr  Baron  von  Thicrry 
soll  ebenfalls  seiner  Aufgabe  nicht  gewachsen  sein,  weil  er  der  Staatsverwaltung  fern  ge- 
blieben. Der  Wille  ist  gut,  das  ist  gewiss,  und  er  ist  ein  wohlwollender,  deutsch  fühlender 
Mann.  Sein  Vorgehen  gegen  die  Presse,  die  durchaus  in  jüdischen  llünden  liegt,  ist  nicht 
zu  verwundern.  Diese  Leute  sind  ohne  jeden  Verlass  und  das  werthloseste,  haltloseste 
Volk,  was  sich  denken  lässt. 

Über  die  Armee  ist  wenig  zu  sagen.  Die  Missstimmung  war  gross:  es  wird  allmalig 
besser.  Feldzeugmeister  Benedek  hat  nur  provisorisch  den  Gcneralstab.  Feldmarsehall-Kieute- 
nant  Raming  wird  ihn  erhalten.    Benedek  ist  für  jetzt  für  Italien  nicht  zu  brauchen,  weil 


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:U8 


Biographische  Blatter. 


er  zu  schart*  ist  und  Alles  niederschlagen  würde.  Ks  bedarf  dort  eines  ruhigen  systemati- 
schen pedantischen  Kommandeurs,  der  nicht  leicht  sich  reizen  lasst.  Feldiuarschall-Lieute- 
nant  Hauslalt  sagte  mir.  dass  binnen  einem  .lahr  das  ganze  österreichische  Feldartillerie- 
Material  umgeändert  sein  würde,  soweit  es  nüthig.  Fr  legte  keinen  grossen  Werth  auf  die 
gezogenen  (Jeschütze.  sie  hatten  «rar  kein  t "bergewicht  gegeben,  es  würde  nur  Alles  darauf 
•reschoben,  um  andere  Fehler  zuzudecken. 

Feldmarschall  Lieutenant  Ramming  ist  Generalstäbler  von  Fach,  kennt  das  {ranze  Per- 
sonal, seine  Übernahme  des  Stabs  kann  also  ohne  Nachtheil  im  letzten  Augenblicke  er- 
folgen, wo  Bcnedek  zur  Armee  abgeht. 

Was  die  äussere  Politik  betrifft,  so  ist  der  Kaiser  und  mit  ihm  das  ganze  Ministerium 
fest  entschlossen,  unter  keinen  l'mständen  sich  von  Deutschland  zu  trennen  und  auf  franzö- 
sische Anerbietungen  einzugehen.  Ks  ist  gewiss,  dass  Louis  Napoleon  gehofft  hatte,  nach 
dem  Frieden  von  Villafranca  Österreich  gewonnen  zu  haben  und  es  bewegen  zu  können, 
im  Falle  eines  Angriffs  gegen  den  Rhein  neutral  zu  bleiben.  Ja  es  scheint  mir,  dass  man 
noch  weiter  gegangen  und  grosse  Anerbietungen,  namentlich  Zustimmung  zur  Annexion  der 
Walachai  und  Moldau  gemacht,  aber  man  hat  in  Wien  Alles  scharf  und  bestimmt  abgewiesen. 
.Man  wird,  hörte  ich  von  den  höchsten  Militärs  sagen,  seine  Khre  darin  setzen,  nicht  der  Letzte, 
sondern  der  Krste  auf  dem  Kampfplatz  zu  sein.  Ausserdem  will  man  sich  alier  ganz  auf 
der  Defensive  halten.  Was  Kw.  Hochwohlgeborcn  mir  über  den  Vertrag  mit  dem  Papst 
gesagt,  dürfte  wohl  zu  moditiziren  sein,  sicher  hat  man  sich  nur  über  die  mögliche  Organi- 
sation ausgetauscht,  nicht  mehr,  nicht  weniger.  Bestimmt  und  entschieden  ist  darüber  Nichts. 

Ich  glaube  nicht  ,  dass  man  irgend  eine  Anbahnung  ernstlich  sucht,  als  die  an  Prenssen 
und  Deutschland,  in  der  Überzeugung,  dass  nur  dort  eine  Basis  zu  linden,  die  eine  dauernde 
Allianz  sichere,  während  man  weiss,  dass  Russland  machtlos  ist  und  England  Sonderzwecke 
verfolgt.  Man  erwartet  die  Allianz  mit  Deutschland  aber  weniger  von  der  äusseren  Noth. 
sondern,  wie  ich  bestimmt  versichern  kann,  von  der  inneren  Fntwicklung  Österreichs.  K> 
führt  mich  dies  auf  die  innere  Politik.  Die  leitenden  Grundsätze  des  Ministeriums  finden 
sich  in  den  *  *  *  Wien  «zur  Verfassungsfrage  in  <  >sterreich".  Im  Allgemeinen  kann  ich 
darüber  Folgendes  sagen.  So  klar  die  höchsten  Persönlichkeiten  im  Allgemeinen  über  die 
Bedürfnisse  des  Landes  sind. .ebenso  gewiss  ist  es,  dass  die  Werkzeuge  zur  Ausführung  der 
Reformen  ausserordentlich  viel  zu  wünschen  übrig  lassen.  Was  nützen  alle  Bestimmuntren, 
wenn  die  Ausführung  überaus  mangelhaft.  Das  jetzige  Verwaltungssystem  Österreichs  war 
auf  schlechte  Beamte  berechnet:  unendliche  Kontrole:  jedes  bessere  Yerwaltungssystem  setzt 
auch  bessere  Beamte  voraus  und  sie  fehlen.  Jede  Besserung  muss  mit  grösserer  Freiheit 
und  Selbstständigkeit  der  Verwaltung  beginnen,  aber  wenn  dann  die  Beamten  nicht  tüchtig, 
werden  die  Fehler  noch  grösser  werden  als  bisher,  weil  Willkür  leichter.  Trotzdem  ist  man 
wirklich  emsig  bemüht,  Wandel  zu  schaffen,  aber  man  ist  erklärlich  gozwungen  zu  flicken, 
weil  zum  Neubau  das  Material  fehlt,  es  muss  erst  heranwachsen.  Dazu  kommt,  dass  der 
neue  Verkehr  mit  seinen  ungeheueren  Anforderungen  an  erhöhte  Thätigkeit,  die  neue  Politik 
mit  den  ungeheueren  Anforderungen  an  erhöhte  Fnergie  und  Aktion  des  Volkes  fast  über 
Nacht  eingetreten.  —  Das  sind  die  Österreicher  nicht  gewöhnt.  Sie  klagen  und  schimpfen, 
aber  Hand  anlegen  will  Keiner.  Der  Adel  war  mit  der  Ablösung  sehr  zufrieden,  er  hat 
dadurch  grosse  Mobiliarwcrthe  in  die  Hand  bekommen,  zugleich  ist  das  Figenthnm  so  ge- 
stiegen, dass  trotzdem  der  Werthverlust  sich  fast  ausgleicht.  Aber  die  Obligationen  sind 
versilbert,  verjubelt,  verspielt.  Die  Selbstverwaltung  wird  allo  Tage  schwerer,  mühsamer. 
Das  Heranziehen  der  Arbeitskräfte  ist  eine  Sorge,  die  man  früher  nicht  kannte.  Bessere 
Bewirtschaftung  verlangt  Kapital,  das  nicht  mehr  vorhanden,  weil  vergeudet.  Tiefe  Miß- 
stimmung daher  überall,  mau  sehnt  sich  nach  den  früheren  Zustünden  zurück,  ohne  zu  be- 
denken, dass  man  gerade  nur  durch  die  damaligen  Fehler  die  heutigen  Vbel  herbeiführte. 
Jene  früheren  Zustande,  die  der  haut«  aristoeratie  eine  so  besonders  günstige  abnorme  Stellung 


Aus  dem  Briefwechsel  von  Hermann  Orges. 


349 


gaben,  knüpfte  an  die  nationale  Selbstständigkeit  an.  daher  ist  die  haute  aristoeratie  überall 
Trauer  der  nationalen  Opposition  gegen  den  Einheitsstaat. 

Für  den  freisinnigen  Fortschritt,  den  Fortschritt  im  materiellen  und  geistigen  Gilter- 
lelien.  fehlt  die  erste  Grundbedingung:  der  Bürgerstand.  Seine  Hebung  und  Vermehrung 
ist  daher  die  erste  Bedingung  für  den  Fortschritt  und  der  Kern  des  Programms  des  neuen 
Ministeriums.  Ausserdem  fehlt  noch  jede  Organisation  und  Konsolidirung  der  J'arteien  und 
Interessen:  die  Forderungen  sind  zum  Theil  ganz  widersprechender  Natur,  weil  Alles  nur 
bich  und  nirgend  dem  t'brigen  und  Ganzen  Rechnung  trügt.  So  schimpfen  alle  Tiroler 
über  die  Kntwerthung  des  L'igenthums,  Zurückgehen  der  Industrie,  al>er  keine  Protestanten, 
keine  . luden!  schreit  gleichzeitig  die  ganze  Provinz.  Bei  den  Gefahren,  die  drohen,  hat  man 
die  Parteien  nöthig.  man  muss  sie  also  nach  der  Kraft,  die  sie  gewähren,  berücksichtigen. 
Wäre  Gleichgewicht  unter  ihnen  vorhanden.  so  wäre  der  Fortschritt  leichter,  so  kann  man 
nicht  zu  dunsten  abstrakter  Gerechtigkeit,  in  Betracht  der  drohenden  Gefahr,  sich  entfremden, 
was  man  morgen  braucht.  Parteien  vor  den  Kopf  stossen.  von  denen  man  vielleicht  morgen 
grosse  Opfer  beanspruchen  muss,  während  die.  für  welche  man  die  Konzession  verlangt  hat. 
ganz  unflihig  sind  diese  ungeheure  Schwierigkeit  der  Aufgabe  ist  nicht  zu  verkennen, 
lud  ferner  werden  Reformen  verlangt,  die  theil  weise  die  vorhandenen  Kräfte  todt  legen, 
rtatt  sie  neu  zu  gruppiren. 

Kins  ist  gewiss,  dass  die  Regierung  nie  Deutschland  aufgeben  wird.  Emsig  un»l 
stetig  voran  arbeitet  Österreich  auf  ein  den  deutschen  Zuständen  sich  näherndes  Niveau 
hin  um  die  Nationalitüten  in  ihrer  Abgeschlossenheit  durch  die  Macht  des  Verkehrs  und 
die  Macht  der  Bildung  zu  besiegen. 

Wo  Nie  Widerstand  findet,  wird  sie  jede  thunliche  Konzession  machen,  nirgend  schroff 
und  gewaltsam  auftreten,  es  sei  denn,  dass  das  Ganze  dadurch  gefährdet  wird.  In  Italien 
will  man  möglichst  verhindern,  dass  Märtyrer  entstehen,  man  will  die  äussersto  Langmutb 
üben.  (vl»rigt?ns  bereitet  man  sich  andererseits  zum  Aussersten  vor,  da  man  überzeugt  ist. 
das*  Louis  Napoleon  keinen  Augenblick  verlieren  wird,  um  seine  Pläne  in  Ausführung  zu 
bringen,  doch  hofft  man.  dass  die  gewaltsame  Kntwickelung  sich  bis  zum  nächsten  .lahre 
verzögern  lässt.  Ich  weiss  nicht,  hochverehrtester  Herr,  ob  es  mir  gelungen,  Einiges  zu 
Ihrer  Kenntnis*  der  österreichischen  Zustände  hinzuzufügen,  ich  gebe  den  Eindruck  wieder, 
den  das  Ganze  auf  mich  gemacht.  Ks  ist  offenbar  eine  Weideperiode.  Vieles  natürlich 
in  der  Aurlösung  begriffen.  Anderes  chaotisch  durcheinandergeworfen,  Drittes  noch  fremd, 
unbehaglich,  unfähig  in  seiner  neuen  Form.  Mangel  ati  Selbstvertrauen  und  Misstrauen 
natürlich  häufiger  wie  klares  selbstbewußtes  Walten,  aber  doch  wieder  manch  volles  kräftiges 
Können  und  eine  anwachsende  Generation,  deren  Oeist  unter  dem  Anstoss  von  innerer  und 
äusserer  Gefahr  erzogen  wird,  die  sich  beginnt  durchzuringen  und  dem  Schlimmsten  ins 
Auge,  und  zwar  trotzig  ins  Auge  zu  sehen  lernt.  Hins  ist  unendlicher  werth,  Seine 
Majestät  gehört  selbst  dieser  Generation  an. 

An  diese  Schilderungen  aus  dein  .lahre  18(><>  über  die  Lage  Oesterreichs  sei 
noch  aus  gleicher  Zeit  ein  Bericht  über  die  Verhältnisse  in  Bayern  und  über  eine 
Unterredung  mit  dem  Könige  Max  I  I.  aus  der  Correspondenz  von  Orges  angeschlossen. 

{>.  März  lK(iu. 

.  .  .  Am  7.  liess  mich  S.  Maj.*  )  vor  sich  bescheiden,  offenbar  um  nieine  Ansicht  über 
die  innere  und  äussere  politische  Lage  zu  hören.  Ich  habe  dieselbe  im  Sinne  der  inneren 
Kinheit  und  des  Friedens  und  des  Kampfes  gegen  Aussen  entwickelt.  Der  König  ging  auf 
Alle-  tief  ein  und  schien  von  der  Notwendigkeit  des  Kampfes  tief  durchdrungen.  Darauf 
inusste  ich  zum  Kriegsminister,  der  die  Lage  mit  offenbarem  Vergnügen  als  möglichst 
gefährlich  sich  beschreiben  Hess.  General  Lüder  ist  ein  Mann  zum  Dreinschlagen.  Er  sagte 
mir  wörtlich:   „Der  Himmel  hat  mich  zweimal  na. Ii  Paris  geführt,  ich  hoffe  er  wird  so 

•)  König  Max  II.  v.  Hävern. 


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350 


Biographische  Mütter. 


gnadig  -<oin.  mich  es  noch  einmal  sehen  zu  lassen1".  Kr  ist.  nach  Amberg.  wo  binnen 
S  Wochen  "24  000  Musketen  gezogen  weiden  sollten,  als  momentaner  Ersatz  für  die  noch 
fehlende  Anzahl  von  l'odewils  (iewehren.  Von  dem  Podewils  Massengewehro  sind  5000 
fertig,  und  10000  werden  noch  bis  Ende  18(10  fertig,  mit  l'odewils  (iewehren  etc. 

.  .  .  Sowie  die  Sachen  liefen,  können  binnen  4  Wochen  nach  erfolgtem  Befehl  70000 
Mann  schlagfertig  sein  und  zwar  50000  Mann  für  das  freie  Feld,  40000  Mann  Infanterie 
und  15000  für  die  l'estungen.  50(K)  Mann  tür  die  Depots  und  (iaroison.  Wenn  man  die 
Chargen  aus  den  vorhandenen  Bataillonen  flir  die  Errichtung  4.  Bataillons  nimmt,  >o 
können  nach  3  Monaten  abermals  20000  Mann  aus  allen  Wallen  durch  Kinbenifung  der 
unmontirten  Assortirten  —  entsprechend  schlagfertig  sein:  die  Ausrüstung  ist  dazu  vor- 
handen. Die  Bataillone  werden  mit  5  Kompagnien  ins  Feld  rücken,  weil  die  0.  als  Stamm 
für  die  4.  Bataillone  zurückbleiben  soll.  Ausserdem  werden  dann  noch  je  3  Kompagnien 
pro  Regiment  als  Ersatzbataillone  errichtet  Auch  werden  2  neue  Jagerbataillone  er- 
richtet .  .  .  Unter  der  (ieneralitat  ist  kein  einziger  Divisioniir  diensttüchtig  und  kein 
einziger  (Jeneralmajor  befähigt,  ein  Kommando  aus  allen  drei  Waffen  zu  führen,  mit  Aus- 
nahme des  (Jen.-Maj.  v.  d.  Tann,  (ien.-Maj.  Zeller  und  (ien.-Maj.  Feder.  Der  tieist  in  der 
Armee  ist  vortrefflich,  die  Ausbildung  nicht  schlecht. 

(iestern  war  Baron  Lerchenfeld,  der  Führer  der  Kammermajoritat.  bei  mir.  An 
Held  soll  es  nicht  fehlen,  wenn  man  nur  es  für  die  richtigen  Zwecke  ausgeben  will:  die 
sittliche  Entrüstung  des  genannten  Herrn  über  die  Pariser  Wirthschaft  und  die  Gefahren, 
die  bloss  durch  die  Korruption  allein  dem  deutschen  Volke  von  dort  drohen,  i*t  bis  zum 
leidenschaftlichen  Zorn  gestiegen.  Soviel  ich  höre,  geht  S.  Maj.  über  Brüssel  nach 
England,  um  einen  vollständigen  Blick  in  die  politische  Lage  thun  zu  können,  auch  ist 
wohl  Montreux  nicht  ohne  Absicht  gewühlt. 

Die  preussische  Presse  ist  nicht  müde  geworden  mich  in  dem  Vogtschen  Prozess 
anzugreifen  und  zu  begeifern  und  nun?  (ilaubt  man  wirklich,  das  Professor  Vogt  natur- 
wissenschaftliche Unterhaltung  im  Palais  royal  führt?  In  der  That  eine  Politik,  die  ich 
nicht  hegreife:  Vogt  disponirt  über  Hunderttausende,  er  bat  ein  vollständiges  Korrespondenz- 
bureau.  Seiner  Hoheit  wird  die  Einlage  interessant  sein  und  daraus  erkennen,  das-  Louis 
Napoleon  wirklich  mit  der  deutschen  Demokratie  angebKndelt  hat.  und  dass  Prof.  Vogt  einer 
seiner  Agenten.  Die  Leute  dienen  ihm  natürlich  um  das  altbegründete  Restehende  zu 
stürzen;  mit  seiner  ephemeren  lastig  aufgebauten  Macht  glauben  sie  leichteres  Spiel  zu 
haben.  Sie  sehen.  Herr  Kabinetsrath,  diese  Demokraten  vertrauen  mir,  d.  h.  meiner 
patriotischen  (Jesinnung.  obgleich  ich  doch  wahrlich  nicht  mit  ihnen  gehe,  auch  die 
Augsburger  Zeitung  noch  nicht  in  dein  Kufe  steht,  ein  demokratisches  Blatt  zu  sein. 
Es  war  die  Aufgabe  der  preussischen  Fresse,  dies  darzuthun  —  als  ich  durch  den  Konflikt 
mit  Vogt  diese  Intriguen  im  Keim  zu  ersticken  suchte.  Diese  Art  an  der  Bekämpfung 
eines  gemeinsamen  Feindes  zu  arbeiten  ist  mir  neu. 

Aus  einem  Briefe  s.  d. 

Man  sollte  mir  dankbar  sein  nicht  für  das,  was  ich  schrieb,  sondern  für  das,  was 
ich  verschwieg.  Ich  weiss  sehr  wohl,  dass  (Jraf  l'ourtalcs,  Herr  von  Usedom  u.  s.  w.  nicht 
im  Auftrag  handelten  und  Vieles  als  persönliche  Politik  trieben,  wofür  die  Regierung  nur 
insofern  verantwortlich,  als  sie  sie  in  ihren  Aemtern  liess.  Aber  wenn  ich  veröffentlichte, 
was  ich  darüber  weiss  und  belegen  kann,  würde  die  öffentliche  Meinung  auch  diesen  Unterschied 
machen?  Wird  sie  einen  Augenblick  zweifeln,  dass  wirklich  Preussen  doppeltes  Spiel 
getrieben  und  die  Befürchtungen,  die  zum  Frieden  von  Villafranca  trieben,  leider  nur  zu 
begründet  waren.  Wenn  man  in  Wien  jetzt  einen  I  nterschied  macht  zwischen  dem.  was 
der  Prinz  Regent  gewollt  und  dem.  was  seine  politischen  Agenten  gethan.  so  ist  da> 
zum  Theil  wenigstens  mein  Verdienst  und  dafür  muss  mich  zum  Dank  die  Preussische 
Zeitung  mit  Schmutz  bewerfen  und  die  königliche  Regierung  leiht,  ihr  dazu  die  Manual- 
acten.  denn  der  Vorname  Henry,  den  ich  auch  führe,  steht  lediglich  in  meinem  Curriculum  vitae 


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Aus  dem  Briefwechsel  von  Hermann  Orges. 


351 


von  der  Artillerieschule.  Halt  ich  je  in  den  10  .lahren  meiner  Dienstzeit  (ausser  den 
Dummheiten  auf  der  Schule)  mioh  auch  nur  des  mindesten  Vergehens  schuldig  gemacht, 
ja  auch  nur  einen  Verweis,  geschweige  eine  .Strafe  erhalten?  Ich  will  den  Schleier  über 
den  IS.  März  nicht  heben,  aber  wahrlich,  wer  dem  ruhig  zuschauen  konnte,  der  musste  kein 
(Jefiihl  haben,  l'nd  man  macht  sich  noch  breit,  als  wäre  die  Streichung  aus  den  Listen  — 
eine  Strafe:  Wer  hat  mich  angeklagt?  Wer  bat  mich  verhört?  Wer  gerichtet?  Mir 
ist  von  alledem  nichts  bekannt. 

Der  letzte  in  das  persönliche  (Jebiet  übergehende  Brief  von  Hennann  Orges 
ist  für  die  Wandlung  bezeichnend,  die  in  den  deutschen  Verhältnissen  nach  1  H»>0 
mehr  und  mehr  eintrat,  und  nun  auch  die  Oegensätze  mehr  und  mehr  verbittert 
erscheinen  lässt.  Die  Vei-suehe  zwischen  Österreich  und  Preussen  Brücken  zu 
hauen,  woran  Orges.  wie  man  gesehen  haben  wird,  mitzuwirken  berufen  wurde, 
scheiterten,  und  auch  die  Augshurger  Al)g.  Ztg.  hat  im  Laufe  der  nächsten 
Jahre  ihre  Feindseligkeit  gegen  Louis  Napoleon  mit  einer  nicht  minder  heftigen 
Sprache  gegen  die  preussische  Regierung,  gegen  Bernstorff.  Bismarck  u.  s.  w.  zu 
vertauschen  begonnen. 

Es  ist  nicht  die  Absicht  hier  ein  ganzes  Lebensbild  zu  zeichnen;  die  Episode, 
von  der  die  voranstehenden  Brief»'  Zeugniss  geben,  ist  nur  deshalb  herausgehoben 
worden,  weil  wichtige  historische  Persönlichkeiten  hier  in  einer  zum  Theil  un- 
erwarteten Beleuchtung  erscheinen.  Was  dagegen  die  politische  Entwicklung  des 
ehemaligen  preussischen  Artillerie  -  Offiziers  und  Redakteurs  der  Augshurger 
Allg.  Ztg.  in  persönlicher  Beziehung  betrifft,  so  könnte  sie  fast  ebenso  tragisch 
genannt  werden,  wie  das  Lebensende  desselben,  in  Kolge  eines  unglücklichen  Zufalls, 
wahrhaft  beklagenswerth  war. 

Orges.  der  noch  im  .Jahre  1 8«>(»  das  österreichische  Bcamtenwesen  und  be- 
sonders den  Chef  der  auswärtigen  Angelegenheiten.  O  raten  Rechberg,  ganz  trefflich 
zu  charakterisiren  wusste,  verfiel  seit  1803  fast  ganz  den  Irrwegen  der  am 
Wiener  Ballplatzc  herrschenden  Parteipolitik,  von  denen  zwar  das  vielbelobte  Werk 
des  Herrn  von  Sybel  nicht  die  leiseste  Ahnung  aus  den  „Akten  des  preussischen 
Archivs-  zu  ziehen  vermochte,  von  denen  aber  der  treffliche  „Lebenslauf"  Julius 
Fröbels  eben  genug  enthüllt  hat.  um  zu  erkennen,  um  was  es  sich  eigentlich  handelte. 
Orges  vertauschte  schliesslich  seine  Stellung  bei  der  Hedaktion  der  Augsburger 
Allg.  Ztg.  mit  einem  offiziellen  Posten  in  Wien,  der  ihm  zwar  viel  Beschäftigung, 
aber  wie  man  ihn  klagen  hören  konnte,  keine  volle  Befriedigung  gab.  Die  Zeiten, 
wo  mau  zu  träumen  vermochte  ein  neuer  österreichischer  Oentz  zu  werden,  waren 
längst  vorüber,  und  die  halb  oder  ganz  konstitutionell  gewordenen  (Jentze  waren 
jetzt  dutzendweise  vorhanden.  Als  die  (legensätze  zwischen  Österreich  und 
Preussen  «'inen  auch  militärisch  immer  bedrohlicheren  Charakter  annahmen,  hatte 
man  im  Verkehr  mit  H.  Orges  den  Kindruck,  dass  sich  der  ehemalige  preussische 
Offizier  innerlich  ejgcntlioh  sehr  unbehaglich  fühlte,  ohne  es  an  entscheidenden 
Stellen  merken  lassen  zu  können.  Es  war  deutlich,  dass  er.  wie  so  viele  andere 
deutsche  Männer,  in  dem  damaligen  Wien  eine  Sache  vertheidigte.  an  die  er  nicht 
glaubte.  Dem  Biographen  von  Orges.  wenn  er  sich  finden  sollte,  der  ich  aber 
nicht  sein  will,  muss  es  als  eine  wahrscheinlich  nicht  erquickliche  Aufgabe  vor- 
behalten bleiben,  die  psychologische  Begründung  für  dieses  Schicksal  zu  suchen. 
Ohne  Anspruch  auf  Oewissheit  zu  erheben,  möchte  ich  immerhin  die  Vermuthung 
auszusprechen  mir  erlauben,  dass  Orges.  sowie  mancher  andere  im  .lahre  184s 
verunglückte  Offizier,  auf  die  neue  Aera  in  Preussen  .Hoffnungen  einer  Rehabilitation 
gesetzt  hatte,  die  sich  nicht  erfüllten.  Der  Prinz  Uegent  blieb  bekanntlich  gegen- 
über koinpromittirten  Militärs  unerbittlich  wer  möchte  wohl  wissen,  wie  viel 
verlorene  Hoffnungen  in  den  Kämpfen  von  iHCri     1S70  gegenüber  von  Preussen 


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352 


Biographische  Blatter. 


eine  ethisch  /.war  nicht  zu  rechtfertigende,  aber  jedenfalls  in  allen  .Jahrhunderten 
der  Weltgeschichte  nicht  man  feinde  Holle  ^f>pi»*lt  haben. 

Dass  unter  der  mit  Orden  sehwerbehangenen  Bimst  des  ruhelosen,  jetzt  zwar 
geritterten  Redakteurs  der  Augsburger  Allg.  Ztg.,  der  es.  wenn  ich  nicht  irre, 
doch  nicht  weiter  als  zu  einem  einfachen  Begieruugsrnth  brachte,  ein  befriedigte* 
Heiz  geschlagen  hätte,  möchte  ich  mit  Sicherheit  zu  läugnen  aus  meinen  eigene» 
Krinnerungen  mich  erdreisten. 

Im  Sommer  1874  traf  den  r>;j jährigen  Mann  ein  ausserordentlich  trauriges 
Geschick.  Kr  war  in  einem  überfüllten  Tramwavwagen  von  Dörnbach  nach  Wien 
gefahren  und  verlor,  auf  einer  Stufe  der  vorderen  Plattform  stehend,  seinen  Stock, 
den  er  nicht  missen  wollte.  Bäsch  entschlossen,  wie  er  war.  sprang  er  herab, 
gerieth  unter  die  Bäder  und  starb  nach  *_>4  qualvollen  Stunden  im  Allgemeinen 
Krankenhause,  wohin  man  ihn  sofort  gebracht  hatte,  ohne  dass  er  gerettet 
werden  konnte. 


ANZEIGEN. 


Schillers  Briefe.*) 

Briefpublikationen  können  aus  zwei  verschiedenen  Gesichtspunkten  unter- 
nommen worden.  Je  nach  dem  Gesichtspunkt  soll  auch  die  Methode  eine  ver- 
schiedene sein. 

Briefe  sind  zuvörderst  die  unmittelbarste  und  unwillkürlichste  Form  der 
schriftstellerischen  Thätigkeit.  Insoweit  er  Briefe  schreibt,  ist  jeder  Mensch 
Schriftsteller.  Und  nicht  blos  unbewusst.  sondern  sehr  oft  auch  bewusst:  die 
einzige  litterarische  Ambition,  auf  welche  Millionen  gebildeter  Menschen  Ansprach 
machen,  besteht  darin,  hübsche  Briefe  zu  schreiben  und  sieh  als  Korrespondenten 
in  ihrem  Freundeskreise  angenehm  zu  machen.  Man  darf  im  Allgemeinen  be- 
haupten, dass  der  briefliche  Ausdruck  der  nicht  schriftstellernden  Menschen  ge- 
wählter und  gesuchter  ist  als  ihr  mündlicher  Ausdruck  selbst,  in  der  feinsten 
Causerie;  man  hält  etwas  auf  seinen  Stil,  wenn  man  sich  au  den  Schreibtisch 
setzt  und  etwas  Schriftliches  von  sich  giebt.  Ganz  ungekünstelte  Briefe  werden, 
kraft  Wirkung  des  Gegensatzes,  fast  nur  von  Schriftstellern  geschrieben.  Sogar  die 
Frau  Bath  ist  feierlicher  und  umständlicher,  wenn  sie  schreibt,  als  wenn  sie  redet. 

Briefe  sind  also  in  erster  Linie  litterarische  Produktionen,  selbst  bei  Nicht- 
Schriftstellern.  Sie  sind  es  um  so  mehr,  je  mehr  Werth  einer  darauf  legt.  si.  h 
mitzutheilen  und  auszusprechen.  Sie  sind  geschriebene  Monologe,  wobei  man  immer 
einen  Zuhörer,  also  ein  Publikum,  vor  Augen  hat.  Ist  ein  Schriftsteller  der  Brief- 
schreiber, dann  stellen  uns  seine  Briefe  gleichsam  die  Urform  seiner  schriftstelle- 
rischen Thätigkeit  vor.  sie  führen  uns  in  die  Urzolle  seines  Talentes.  Xämlich: 
wenn  er  Werth  darauf  legt,  sich  mitzutheilen  und  auszusprechen. 

Denn  es  kann  auch  das  (iegentheil  stattfinden.  Ks  kann  ein  Mensch  nie- 
mals Werth  darauf  gelegt  haben,  sondern  es  bloss  als  eine  Last  empfunden  haben, 
Briefe  schreiben  zu  müssen.  Künstler  und  Gelehrte,  denen  es  vergönnt  ist  ihr 
Inneres  in  grossen  und  unsterblichen  Werken  auszusprechen,  verstummen  oft  im 

Kritische  <i»*s:uiimtau-;gabe .  herausgegeben  inul  mit  Anmerkungen  versehen  von 
Fritz  Jonas.  .Deutsche  \>rla<j>anstalt.    Stuttgart.  lS'.ej  IV. 


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Schillers  Briete. 


brietliehen  Verkehr.  Auch  äussert'  Gründe  können  maassgebend  werden:  wer 
eine  schwer  leserliche  Handschrift  schreibt  oder  wessen  Hand  leicht  ermüdet,  der 
wird  keine  ausgebreitete  Korrespondenz  führen.  Hier  fehlt  überall  die  Müsse 
und  das  Behagen  an  dem  brieflichen  Ausdruck.  Hier  herrschen  nicht  freie  Heiter- 
keit und  K\mst,  sondern  die  blosse  Nothdurft.  Solche  Briefe  haben  keine  litte- 
rarische Ambition  und  auch  gar  keinen  litterarischen  Werth. 

Aber  auch  der  eifrigste  Briefschriftsteller  und  Brietliebhaber  wird  einen 
grossen  Theil  seiner  Korrespondenz  ohne  Weihe  und  ohne  Liebe  geschäftsmässig 
abfertigen.  Die  äusseren  Umstände  werden  ihn  mit h igen,  auf  eine  ]döt/liche  An- 
frage mit  müdem  Kopf  postwendend  zu  antworten  oder  der  dreisten  Zumuthung 
eines  Fremden  mit  lästigen  Wendungen  auszuweichen  oder  mit  einem  (leschäfts- 
manne  in  herkömmlichen  Formeln  zu  verkehren.  Goethe  hat  sich  in  seinem  Alter 
bekanntlich  für  alle  diese  Fälle  einen  typischen  Stil  zurechtgelegt.  Es  wird  aber 
selbst  bei  (Joethe  schwerlich  .lemand  behaupten  wollen,  dass  alle  seine  Briefe 
aus  späterem  Alter  literarischen  Werth  besitzen.  Wer  ein  paar  aus  jeder  Kubrik 
gelesen  hat,  kennt  sie  eigentlich  alle;  ein  einziger,  gut  ausgewählt,  kann  den 
Typus  der  ganzen  Gattung  vorstellen.  Man  wird  nicht  zu  viel  behaupten,  wenn 
mau  sagt,  dass  in  unserem  heutigen  Briefverkehr  zwei  Drittel  aller  von  einer 
Person  geschriebenen  Briefe  ohne  litterarische  Ambition  und  ohne  litterarischen 
Werth  sind.  Wir  haben  freilich  kein  Uecht.  dieses  Verhältniss  auch  auf  die  Ver- 
gangenheit zu  übertragen,  in  der  man  weniger  hastig  und  mehr  con  amore  kor- 
respondirte.  Auch  darf  nicht  übersehen  werden,  dass  hier  die  Zeit  bereits  ihre 
Schuldigkeit  gethan  und  von  den  Werth-  und  inhaltlosen  Briefen  selbst  der  her- 
vorragendsten Männer.  Gott  sei  Dank,  eine  gehörige  Masse  ausgeschieden  hat. 

Aber  soviel  ist  klar:  nicht  alle  Briefe,  selbst  des  hervorragendsten  Autors, 
dürfen  Anspruch  auf  litterarischen  Werth  erheben.  Darum  halte  ich  es  für  Un- 
recht, wenn  man  heutzutage  alle  Briefe,  die  sich  irgendwo  von  einem  Schrift- 
steller erhalten  haben,  ungesichtet  und  ohne  Auswahl  einfach  in  die  Zahl  der 
.Schriften  aufnimmt,  deren  Werth  sie  oft  durch  den  Wust  des  Unbedeutenden 
entstellen  oder  herabdrücken.  Altere  Herausgeber  sind  hier  mit  weit  mehr  Takt 
und  Feingefühl  zu  Werke  gegangen;  sie  haben  zwischen  litterarisch  bedeutenden 
und  zwischen  litterarisch  werthlosen  Briefen  wohl  zu  unterscheiden  verstanden. 

Aber  noch  aus  einem  andern  Gesichtspunkt  können  Briefe  der  Öffentlich- 
keit (ibergeben  werden.  Insofern  sie  nämlich  autobiographische  Dokumente  sind, 
die  nicht  blos  werthvolles  biographisches  Material  enthalten,  sondern  auch  immer, 
direkt  oder  indirekt,  als  die  unwillkürlichsten  und  naivsten  Offenbarungen  der 
Mensehenseele  gelten  müssen.  Von  dieser  Seite  haben  sie  gerade  um  so  viel  mehr 
Werth  und  Interesse,  je  weniger  sie  litterarische  Ansprüche  machen,  je  unab- 
sichtlicher sie  sind.  Für  den  Biographen,  aber  auch  nur  für  ihn.  sind  alle  Briefe 
von  Werth  und  Wichtigkeit.  Enthalten  sie  keine  direkten  Mittheilungen,  so 
können  sie  indirekt  für  ihn  von  Belang  sein.  Der  Biograph,  der  rechte  nämlich, 
wird  weit  Öfter  in  die  Lage  gesetzt  sein,  zwischen  den  Zeilen  zu  lesen,  als  fak- 
tische Angaben  in  den  Briefen  wörtlich  zu  zitiren.  Darin  besteht  seine  haupt- 
sächliche Aufgabe  als  Psychologen.  Dazu  muss  ihm  aber  auch  die  Situation,  die 
Absicht,  der  Zweck  des  Schreibenden  völlig  klar  sein.  Aus  dem  biographischen 
(Gesichtspunkte  haben  die  Anworten  oder  Anfragen  der  Adressaten  denselben 
Werth  wie  die  Briefe  des  Autors;  als  biographische  (Quellen  setzen  die  Briefe 
an  die  Briefe  von  nothwendig  voraus. 

Das  moderne  Prinzip,  die  Briefe  der  Schriftsteller  ohne  die  Briefe  der 
Adressaten  in  die  Werke  aufzunehmen .  entspricht  also  auch  nicht  den  biogra- 
phischen Anforderungen.     Für  diesen  Zweck  wird  wieder  zu  wenig  geboten,  denn 


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Biographische  Mütter. 


die  Antworten  können  nicht  entbehrt  werden.  Ich  verlange  dcsshalb  noch  nicht, 
dass  sie  mit  Haut  und  Haaren  abgedruckt  werden,  wohl  aber,  d:iss  aus  ihnen 
alles  mitgetheilt  werde,  was  zum  Verständnis*  der  Briefe  von  nöthig  ist. 

Diese  (iedanken  auf  die  Schillerischen  Briefe  angewendet,  so  ist  zunächst  an- 
zuerkennen, dass  das  Corpus  der  Schillerischen  Briefe  als  ein  selbstständiges  Werk 
erschienen  und  nicht  der  Gesammtausgabe  der  Werke  einverleibt  worden  ist.  ob- 
wohl der  litterarische  Werth  und  Anspruch  der  Schillerischen  Briefe  grösser  ist 
als  bei  sonst  einem  von  unseren  Klassikern:  denn  wie  sonst  Keiner  hat  Schiller 
zeitlebens  das  Bedürfnis*  empfunden  und  Werth  darauf  gelegt,  sich  in  Briefen 
voll  und  rückhaltlos  auszusprechen.  Sogar  neben  seinen  grossen  Dramen  laufen 
lang  ausgedehnte  Briefe  einher,  in  denen  sich  der  Dichter  gegen  Freunde  über  die 
Absichten  und  über  die  Methode  seitier  dichterischen  Arbeiten  ausspricht  und  die 
auch  als  schriftstellerische  Leistungen  gelten  wollen.  Wir  besitzen  von  Schiller 
nur  eine  ganz  verschwindend  kleine  Anzahl  von  Schreiben,  die  litterarisch  werth- 
los sind.  Ganz  unschätzbar  aber  ist  der  biographische  Werth  der  Briefe:  als 
direkte  und  indirekte  (Quellen  sind  sie  gleich  inhaltreich  und  sie  gestatten  einen 
so  tiefen  Hinblick  in  die  offene  Seele  des  Dichters,  wie  er  uns  im  gleichem  Grade 
kaum  bei  einem  anderen  ( leistesheros  gegönnt  ist. 

Gerade  indessen  von  der  biographischen  Seite  lässt  uns  das  Corpus  von 
.lonas  die  Hälfte  zu  wünschen  übrig.  Ks  fehlen  nämlich  auch  hier  die  Briefe 
an.  ohne  welche  die  Briefe  von  doch  nur  durchlöcherte  Brunnen  sind.  Gerade 
mit  Briefen  an  Schiller  ist  das  Goethe-  und  Schiller- Archiv  in  Weimar  reich 
gesegnet:  ich  habe  einen  ganzen  Folianten  von  Abschriften  liegen,  die  ich  seiner- 
zeit von  den  Originalen  habe  anfertigen  lassen.  Auch  im  praktischen  Sinne  muss 
man  es  bedauern,  dass  die  Briefe  an  Schiller  ausgeschlossen  worden  sind.  Denn 
die  Sammlung  von  Jonas  erspart  dem  wissenschaftlichen  Arbeiter  nur  selten  einen 
Weg  in  die  Bibliothek  oder  eine  langwierige  Postsendung;  er  muss  sich  in  den 
meisten  Fällen,  um  die  Briefe  an  Schiller  zur  Hand  zu  haben,  dieselben  Drucke 
oder  Zeitschriften  kommen  lassen  oder  holen,  in  denen  er  auch  die  Briefe  von 
Schiller  findet.  Wir  sehen  also,  vom  Standpunkt  des  Gelehrten  und  des  Biographen, 
in  dem  rnternehmen  nur  die  eine  Hälfte  der  eigentlichen  Aufgabe,  und  erwarten 
als  nothweudige  Frgänzuug  der  Sammlung  die  Briefe  an  Schiller. 

Vielleicht  wäre  es  von  vornherein  räthlicher  gewesen,  das  Unternehmen 
anders  zu  umgrenzen.  Die  Briefwechsel  zwischen  Schiller  und  den  Körner. 
Humboldt.  Goethe  u.  s.  w. .  welche  die  Hauptmasse  des  Corpus  bilden,  liegen  in 
wiederholten  und  leicht  zugänglichen  Ausgaben  vor.  Der  Text  bei  .lonas  beweist 
freilich .  dass  die  älteren  Herausgeber  nicht  immer  mit  der  nöthigen  Sorgfalt  zu 
Werke  gegangen  sind;  aber  solche  vereinzelte  Varianten  und  Korrekturen  recht- 
fertigen doch  noch  immer  nicht  den  Wiederabdruck  ganzer  ungeheurer  Briefmassen. 
Das  nächste  und  dringendste  Bedürfnis*  für  die  Wissenschaft  wie  für  das  grosse 
Publikum  scheint  mir  eine  Sammlung  der  zerstreut  gedruckten  Briefe  von  und 
an  Schiller  gewesen  zu  sein.  Kleinere  oder  seltenere  Einzeldrucke,  wie  die  Briefe 
an  Fichte,  an  die  Schlegel .  an  Fischenich  u.  a.,  hätten  dabei  immer  in  dem 
Corpus  aufgehen  können.  Nur  die  oft  gedruckten  und  heiiuem  zugänglichen 
Sammlungen  hätten  als  bekannt  vorausgesetzt  werden  sollen:  auf  dem  halben 
Kaum  hatten  dann  auch  die  zerstreuten  Brief«'  an  Schiller  Platz  gefunden  und 
es  wäre  ein  Ganzes  geleistet  worden,  während  jetzt  auf  dem  doppelten  Raum  nur 
die  Hälfte  der  Aufgabe  erfüllt.  Ist.  Kin  vollständiges  Corpus  der  Briefe  von 
Schiller  verlangt  auch  wieder  ein  vollständiges  Corpus  der  Briefe  an  Schiller: 
aber  auch  wenn  diese  letzteren  tbeilweisc  nur  in  Auszügen  mitgetheilt  werden 
sollten,  wird  sich  schwerlich  für  eine  so  umfangreiche  Masse  ein  Verleger  finden 


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Schillers  »riete. 


355 


lassen.  Mau  wird  hier  zuletzt  doch  bloss  das  Nothwendige  thuu  und  einen 
Krgünzuugsbaud  zu  den  vorhandenen  Sammlungen  liefern  können.  Dann  aber  ist 
wiederum  der  linke  Fuss  des  ganzen  Körpers  um  ein  paar  Schuh  kürzer  und  die 
Figur  lahm. 

Das,  was  sich  der  Herausgeber  zur  Aufgabe  gesetzt  hat.  hat  er  freilich 
in  ausgezeichneter  "Weise  erfüllt,  Ais  er  mir  vor  etwa  sieben  .lahren  brieflich  von 
seiner  Absicht  Kenntniss  gab.  stützte  er  sich  fast  ganz  noch  auf  fremde  Vorarbeiten, 
unter  denen  Boxbergers  handschriftliches  Verzeichnis*,  der  Briefe  die  wichtigste 
war.  Ich  gestehe  aufrichtig,  dass  ich  damals  im  Stilleu  wenig  günstige  Hoffnungen 
für  seine  Sache  hegte.  Mit  einer  unermüdlichen  Arbeitskraft  hat  er  in  diesen 
wenigen  Jahren  wahrend  der  kärglichen  Nebenstunden,  die  ihm  ein  verantwortungs- 
voller und  zeitraubender  Beruf  gönnte,  eine  ungeahnte  Fülle  von  Handschritten 
Schillenseher  Briefe  zum  grossen  Theil  neu  entdeckt,  schwer  zugängliche  Drucke 
herbei  citirt  und  sorgfältig  verglichen,  und  den  Text  der  Schillerischen  Briefe 
zum  ersten  Mal  auf  eine  gesicherte  (irundlage  gestellt.  Diesem  hervorragenden 
Verdienst  gegenüber  fallen  kleine  Schrullen  in  der  Wiedergabe  des  Originals,  wie 
die  pedantische  Beibehaltung  der  von  Schiller  oft  auch  innerhalb  desselben  Wortes 
beliebten  Vermischung  der  Kurrent-  und  der  Antiquaschrift,  die  üi  der  Handschrift 
natürlich  viel  weniger  stört  als  im  Druck,  nicht  ins  Gewicht,  Eher  wäre  die 
geringe  Übersichtlichkeit  der  Druckeinrichtung  zu  tadeln,  bei  welcher  doch 
Redlich*  in  dieser  Hinsicht  unübertreffliche  Ausgabe  der  Briefe  Lessings  ein  be- 
quemes Muster  hätte  abereben  können;  nicht  einmal  Kolumnentitel  erleichtern  die 
Benutzung.  Leider  sind  auch  hier  wieder  die  Anmerkungen  und  die  Lesarten  an 
den  Schlus*  der  einzelnen  Bände  verwiesen,  anstatt  der  bequemen  Fussnoten.  Auch 
dieses  Buch  zwingt  uns  also  zu  dem  nervös  machenden  Hin-  und  Herspringen  von 
vorn  nach  hinten  und  von  hinten  nach  vorn,  und  zu  dem  beständigen  Hinüber- 
und  Herüberschlagen  mit  wehenden  Blättern.  Will  man  die  erkünstelte  Be- 
scheidenheit der  Herausgeber  durchaus  nicht  aufgeben  und  sich  mit  seinen  An- 
merkungen durchaus  nur  im  Hintergrund  blicken  lassen,  dann  verweise  man  den 
Apparat  wenigstens  in  einen  selbstständigen  Band,  damit  aufmerksame  Leser  die 
Varianten  und  Anmerkungen  neben  den  Text  legen  und  ohne  das  widerwärtige 
Herumfuchteln  mit  dein  ganzen  Inhalt  des  Buches  ruhig  und  gesammelt  benutzen 
k «innen;  oder  man  lasse  mit  dem  Apparat  jedesmal  einen  neuen  Bogen  beginnen, 
damit  man  die  Lesarten  von  dem  Text  abtrennen  kann,  ohne  den  ganzen  Band 
zu  zerschneiden. 

Die  Anzahl  der  zum  ersten  Mal  publizirten  Sehillersehen  Briefe  ist  zwar 
nicht  besonders  gross,  doch  sind  einige  sehr  interessante  und  wichtige  Sehrift- 
>tücke  darunter. 

Jonas  schreitet  sehr  rüstig  fort  und  wird  die  Briefe  Schillers  bald  gesammelt 
vorlegen  können.  Die  zuletzt  erschienene  04.  Lieferung  reicht  mit  sechs  Bänden 
und  1703  Nummern  bis  in  den  Juni  1801.  In  sieben  Bänden  und  ca.  80  Liefe- 
rungen wird  das  Werk  vollständig  abgeschlossen  sein  und  sich  den  Dank  aller 
Schillerfreunde  erwerben. 

Wir  betrachten  die  Aufgabe  auch  dann  nur  als  halb  erfüllt,  und  wissen 
auch  für  die  Briefe  an  Schiller  keinen  willkommeneren  Bearbeiter  als  Fritz  Jonas. 

Jac.  Minor. 


Kio«raiitiiMchp  lUätt.'i  I. 


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:35« 


Biographische  Blatter. 


i 


Rieh.  M.  Meyers  „Goethe".*) 

Von 

MAX  VON  WALDBERG. 


Wilhelm  Scherer.  dessen  Schatten  noch  heute  mahnend  und  aufmunternd  hei 
den  grossen  Prohlemen  litterargesehichtlicher  Forschung  stellt,  hat  das  grosse  Ziel, 
das  er  seinem  schatfensreichen  Lehen  gesetzt  hat.  eine  monumentale  Gesammf- 
darstellung  von  Goethes  Scharten,  von  .Lahr  zu  Jahr  verschoben.  Aber  während 
er  früher  einen  solchen  Versuch  nicht  wagen  wollte,  weil  das  Detail  nicht  erschöpfend 
durchforscht  war.  hat  er  später  die  Besorgnis»  nicht  unterdrücken  können,  dass  er 
vom  schweren  Gepäck,  das  ihm  die  rasch  wachsende  „Goethephilologio"  auflud, 
im  leichten  Aufstieg  zu  künstlerischer  Darstellung  gehemmt  werden  könnte. 
Wenn  nun  jetzt  ein  jüngerer  Forscher  an  ein  ähnliches  Unternehmen  seine  Kräfte 
setzt,  so  darf  er  im  Voraus  auf  jene  nachsichtige  Sympathie  rechnen,  die  jedem 
Kühnen,  unabhängig  vom  Ausgang  des  Wagnisses,  schon  für  die  Bekundung  des 
Mutlies  sicher  ist.  Dieses  günstige  Vorurtheil  wird  aber  noch  erhöht,  wenn  wir 
sehen,  wie  der  Verfasser  mit  weiser  Ökonomie  seiner  Kräfte  sich  das  Ziel  etwas 
naher  streckt,  als  es  dem  weitausgreifenden  G eiste  Scherei-s  vorschwebte. 

Goethe  hat  hei  seiner  Neigung  zu  schematisiren,  die  Biogrnphieen  in  solche 
für  r Wissende"  und  andere  für  „Xichtwissende-1  geschieden.  Wenn  er  dann 
weiter  ausführt,  dass  die  erste  Gruppe  von  der  Voraussetzung  ausgehe,  dass  dein 
Leser  alles  bekannt  sei.  und  der  Autor  nur  daran  denken  müsse,  auf  geistreiche 
Weise,  durch  Zusammenstellung  und  Andeutung  an  das  zu  erinnern,  was  j^ner 
weiss,  und  ihm  für  das  Bekannte.  Zerstreute  eine  grosse  Einheit  zu  über- 
liefern und  einzuprägen,  so  ist  es,  als  oh  Goethe  selbst  die  Formel  für  die 
Beurtheilung  von  Meyers  Goethebiographie  an  die  Hand  gegeben  hätte. 

Es  ist  eine  edle  aher  unberechtigte  Bescheidenheit,  wenn  der  Verfasser  sein 
Werk  nur  als  ..ärmlichen  Xothbehelf-  ansehen  will  ..neben  dem  einzig  wahren 
Mittel,  Goethes  Leben  und  Schrift eu  wahrhaft  kennen  zu  lernen,  neben  der  Lektüre 
der  Goetheschen  Werke  in  chronologischer  Folge".  Die  Filiation  der  unendlichen 
Mannigfaltigkeiten  von  Goethes  Leben  und  Schäften  zu  einer  künstlerischen  Kin- 
heit, wie  sie  Meyer  in  seinem  Buche  anstrebt,  ist  selbst  für  den  ..Wissenden" 
ohne  tüchtige  Anleitung  nicht  leicht.  Und  auf  dieses  Ziel  steuert  er  mit  fast 
rücksichtsloser  Energie  hin.  es  zu  erreichen,  setzt  er  alle  seine  Kräfte  an. 

Wenn  er  aber  zu  beweisen  sucht,  dass  Goethe  in  Dichtung  und  Wahrheit 
seine  Erlebnisse  „poetisch"  mache,  so  lässt  sich  mit  noch  grösserer  Berechtigung 
nachweisen,  dass  Meyer  Goethes  Leben  ..ästhetisch"  gestalte.  Er  strebt  dahin, 
ein  einheitliches  „realistisch  -  idealistisches  Kunstwerk"  daraus  zu  formen,  und  mit 
den  Hülfsmitteln  der  romanhaften  Technik,  die  er  an  den  Wahlverwandtschaften 
so  meisterhaft  analysirt,  ist  er  ununterbrochen  bemüht,  die.  goethische  Entwicklung 
zu  einem  ästhetisch  erfreulichen  Bilde  zu  gestalten.  Mit  einer  Gewandtheit,  die 
fast  auf  eine  produktive  Begabung  schliessen  lässt.  wird  nun  in  kunstvoller 
Steigerung  die  Vertiefung  und  Verinnerlichung  der  gewaltigen  Persönlichkeit  Goethes, 
die  allmähliche  harmonische  Ausbildung  seiner  Geisteskräfte  vor  Augen  geführt. 
Mit  einem  Eifer,  dem  man  das  freudige  Mitgeniessen  anmerkt,  ist  er  bemüht,  die 
Anschauung  seiner  Leser  von  Goethe  als  Menschen  und  Dichter  auf  die  apollinische 


t ieistesheldeti  (Führende  Ueister).  licrans'jvirohen  von  Anton  Bettelheiin.  l'l    \~>.  Bd. 
iSoethe  von  Iii«  liurd  M.  Meyer,    Pms.'ckrünte  Arbeit.    Berlin.  Faust  llot'niann  &  Co. 


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I 

K.  M.  Meyers  Goethe". 


357 


Idealgestalt  zu  lenken.  iHe  in  Trippeis  Verkörperung  gegen  die  übliche  Vorstellung 
vom  iiltliehen  steifen  Geheimrath  sonst  schwer  zu  kämpfen  hat.  Und  seihst  wenn 
Meyer  zur  Schilderung  des  Alters  gelangt,  wo  mannigfaches  Leid  und  die  Last 
der  .fahre  Kurehen  in  das  herrliche  Antlitz  gräbt,  leise  aber  unaufhörlich  der 
gewaltige  Geist  zu  ermatten  beginnt,  weiss  er  seiner  wohltemperirten  Darstellung 
einen  Zusatz  tragischen  Empfindens  zu  geben,  und  selbst  das  allmähliche  Absterben 
und  Erstarren  ästhetisch  wirksam  zu  macheu. 

Goethes  Leben  als  eine  Art  prästabilirte  Harmonie  darzustellen,  ist  das 
eifrigst*'  Bemühen  des  Verfassers.  Mit  einem  stark  entwickelten  Sinn  fllr  das 
Ebenmässige  wie  klug  weiss  er  allerdings  diese  Symmetrie  an  anderer  Stelle 
zu  rügen  —  wird  ganz  geschickt  jeder  bedeutungsvolle  Abschnitt  in  Goethes  Ent- 
wicklung mit  einer  neuen  Ausgabe  der  "Werke  kombinirt.  das  Leben  in  seiner 
Ausgestaltung  so  geistreich  als  Mittel  der  Erkenntnis*  der  Dichtungen,  und  diese 
wieder  für  s  Leben  benutzt  und  gedeutet,  alles  so  folgerichtig  entwickelt,  jeder 
Zug  so  fein  vorbereitet,  dass  einem  ungesucht  der  Vers  aus  Novalis"  Ofterdingen 
einfällt : 

Was  man  glaubt  es  sei  geschehen. 
Kann  man  von  weitem  kommen  sehen! 

Man  thäte  aber  Meyers  Leistung  bitteres  Unrecht .  wenn  man  sie  nur  als 
den  gelungenen  Versuch  eines  Eklektikers,  harmonische  Ordnung  in  die  wirre  Masse 
der  von  der  Goetheforschung  herbeigeschafften  Materialien  zu  bringen,  ansehen 
wollte.  Schritt  für  Schritt  können  wir  vielmehr  eine  eigenartige  selbständige 
Durchdringung  des  Stoffes  bemerken,  sein  Sinn  für  die  Erkenntnis*  künstlerischer 
Technik  ist  so  geschärft,  seine  Kunst  der  Analyse  geistiger  Vorgänge  so  ent- 
wickelt, dass  er  uns  immer  wieder  neue  oft  überraschende  Hinblicke  in  Goethes 
Schaffensweise  bietet.  Aber  das  Bestreben.  Leben  und  Wirken  seines  Helden  als 
ein  einheitliches  organisch  in  sich  abgeschlossenes  Kunstwerk  zu  zeigen,  ist  so  vor- 
herrschend, dass  es  zur  Tendenz  wird,  die  er  dann  auf  methodisch  sehr  anfecht- 
bare Weise  zu  stützen  sucht. 

Zunächst  wird  Goethe  so  scharf,  fast  wie  mit  einem  Reflektor,  beleuchtet, 
dass  auf  seine  Umgebung  um  so  tiefere  Schatten  fallen.  Er  wird  isolirf.  zu  einer 
„prachtvoll  königlichen  Einsiedlerfigur"  gemacht,  um  einen  Ausdruck  Nietzsches 
zu  gebrauchen,  während  die  Umwelt,  ich  erinnere  nur  an  die  so  dürftig  skizzirte 
Figur  der  Marianne  Willeiner,  undeutlich  und  in  oft  zu  stark  verjüngtem  Maassstab 
wiedergegeben  wird.  Sodann  werden  alle  Unebenheiten  in  Goethes  Leben  aus- 
geglichen, alles  ästhetisch  Störende  kaum  angedeutet.  Meyer  vergibt  zwar  nicht, 
zu  regist riren,  wenn  manchmal  ein  homerischer  Schlummer  das  grosse  Auge  schliesst. 
Der  Tribut  des  Olympiers  an  das  Irdische,  sei  es  in  Form  von  Zahnschmerzen 
oder  eines  gut  ausgestatteten  Menüs,  werden  getreulich  verzeichnet,  aber  sonst  wird 
von  allem  Widrigen  im  Leben  Goethes  nur  behutsam  die  Hülle  gelüftet.  Die 
grämlichen  Begleiterscheinungen  des  Alters,  die  Schopenhauer  zum  ergrimmten 
Ausspruche  veranlassten.  Goethe  lobe  nur  das  Unbedeutende,  die  zu  Zeiten  recht 
schiefen  und  wirren  Verhältnisse  in  Weimar,  die  Vergessenheit,  in  die  er  zu  An- 
fang des  Jahrhunderts  gerat hen.  alles  ist  nur  durch  einen  dichten  Schleier  zu 
erkennen.  Wir  hören  nicht,  dass  Sudelsehreiber,  wie  der  biedere  August  La- 
fontaine, auf  den  die  Sonne  königlicher  Gunst  herabschien,  die  weitesten  Kreise 
der  Gebildeten  eine  lange  Zeit  mächtiger  ergriffen  und  mit  lebhafterem  Antheil 
an  ihrem  Schaffen  erfüllten  als  Goethe;  der  Bruch  mit  der  Universität  .Jena,  die 
Verirrungen  seines  Sohnes  und  all'  das  Störende  und  Unerfreuliche,  das  Tieek  zur 
Meinung  veranlasste,  es  sei  ein  Unglück  für  Goethe,  dass  er  in  Weimar  geblieben, 
wird  gar  nicht  oder   nur  schüchtern  angedeutet,   und  uns  die  Kenntniss  einer 

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358 


Biographische  Blatter. 


Summe  von  Faktoren,  die  bildend  und  formend  auf  Goethes  innere  Persönlichkeit 
gewirkt  haben,  entzogen. 

Meyer  sucht  ja  seine  Methode,  Goethe  ohne  Rücksicht  auf  die  Umgebung 
nur  aus  sich  seihst  heraus  7.11  erklären,  durch  (ioetlie  selbst  zu  stützen,  der  die 
Entstehung  der  Individualität  auf*  den  ..inneren  Forintrieb"  zurückführt.  ..eine  Seele 
gleichsam,  die  die  iiusseren  Umstände  der  Vererbung  und  Krfassung  sich  eigentlich 
nur  aneignet-.-  Im  Gegensatz  zur  modernen  Anschauung,  welche  diese  ..Seele"  als 
Resultat  der  Umstände  betrachtet,  wird  sie  von  Goethe  als  deren  Herr  angesehen. 
Und  aus  dieser  Ansieht  heraus,  welche  die  Kräfte  der  Evolution  bei  geistigen  Vor- 
gängen ausschliesslich  in  das  Innere  des  Menschen  verlegt,  wird  die  Bedeutung 
des  „Milieus-  mit  der  etwas  oberflächlichen  Bemerkung  abgethan.  dass  „eine  völlig 
gleichartige  Mitwelt  doch  verschiedene  Arten  und  verschiedene  Charaktere  hervor- 
treibe". Als  ob  es  bei  zwei  Individuen  überhaupt  je  ein  völlig  kongruentes 
Milieu  geben  könnte  ! 

Aber  es  wäre  nicht  schwer.  Goethe  seihst  zum  Zeugen  contra  Meyer  auf- 
zuführen. In  der  ..Flüchtigen  Schilderung  Florentiseher  Zustände",  die  im  Anhang 
zum  Benvenuto  (Vllini  veröffentlicht  werden,  äussert  er  sich:  „Indem  man  einen 
merkwürdigen  Menschen  als  einen  Theil  eines  Ganzen,  seiner  Zeit  oder  seines 
Gebiets-  und  Wohnortes  betrachtet,  lassen  sich  gar  manche  Sonderbarkeiten  ent- 
ziffern, welche  sonst  ewig  ein  Räthsel  bleiben  würden.-  Und  Meyer  ist  in  der 
That  im  Einzelnen  dieser  Forschungsweise  nicht  abhold,  nur  dass  er  sie  etwas 
äusserlich  anwendet  und  so  gezwungene  Beziehungen  zwischen  Jugendeindrücken 
und  dem  späteren  Schaffen  herstellen  will .  dass  sie  fast  wie  eine  Parodie  der 
Taineschen  Methode  anmuthen.  St)  hat  nach  ihm  Goethe  nie  grosse  Regeuten  wie 
Saladin  und  Philipp  von  Spanien  gezeichnet,  so  hat  er  seine  Menschen  als  schwache 
Charaktere  geschildert,  weil  seine  Gehurtsstadt  Frankfurt  eine  Krönungstadt  war 
und  er  den  Kaiser  hier  blos  als  Mittelpunkt  einer  prunkvollen  Secne,  nie  aber  als 
Fürsten  in  ernster  Regierungsthätigkcit  gesehen  hat.  Und  nachdem  Meyer  nach 
dem  obenerwähnten  Goethischen  Rezept  in  flüchtigsten  Umrissen  Eltern.  Vaterstadt 
und  Zeit  gezeichnet,  ruft  er,  den  ..inneren  Formtrieb"  vergessend,  ganz  im  Sinne 
der  materialistischen  Lebensauffassung  aus:  ..Dies  ungefähr  waren  die  Klüfte,  welche 
jenem  geheinmissvollen  Gast,  den  wir  des  Menschen  Seele  nennen,  die  erste  Form 
und  Richtung  gaben."  Aber  für  die  Erkenntnis»  von  Goethes  „Faculte  maitress,- 
ist  mit  vereinzelten  Hinweisen  nicht  gedient.  Sie  muss  aus  der  Gesammtheit  der 
Einflüsse  erschlossen  werden.  Und  so  durfte  z.  B.  die  Schilderung  der  religiösen 
Verhältnisse  Frankfurts  im  Anschlösse  an  die  Bemerkungen  über  die  Klettenberg 
und  die  Höllenfahrt  Christi  nicht  fehlen.  Meines  »achtens  hat  die  wunderbare 
Ausdrucksfähigkeit  der  Goethischen  Sprache,  der  tiefe  Emptindungsgehalt  seiner 
Lyrik,  die  fiist  weihliche  Empfänglichkeit  seiner  Sinne  eine  ihrer  Quellen  im 
Pietismus,  der  wie  kaum  eine  zweite  geistige  Bewegung  die  deutsche  Volksseele 
umgestaltet  hat. 

Nun  lassen  sich  allerdings  bei  der  Unmerklichkeit  allmählicher  historischer 
und  innerer  Entwicklung  derartige  Einflüsse  und  ihre  Wirkungen  nicht  durch  einige 
Sätze  klar  darstellen,  aber  dennoch  waren  wenigstens  einige  Hinweise  nöfhig,  um 
mit  erklären  zu  helfen,  wie  sich  in  Goethe  die  deutsche  Sprache  zu  diesem  bieg- 
samen und  schmiegsamen  Instrumente  umgestalten  konnte,  mit  dem  er  alle  Heim- 
lichkeiten des  Emplindeus  so  zart  wiederzugeben  vermochte.  Und  so  hätten  sich 
noch  die  Quellen  mancher  ,. Eigenheiten" ,  die,  wie  Goethe  sagt,  das  Individuum 
konstituiren.  durch  sorgfältiges  Beobachten  der  ..Sphäre"  rinden  lassen,  wenn  nicht 
Meyer  das  Goethesche  Dogma  von  der  Einheit  der  Natur,  etwas  starr,  ja  fast 
mechanisch  auf  die  Persönlichkeit  übertragen  hätte.    Goethe  ist  ihm  der  Roi  soleil 


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R.  M.  Meyers  „Goethe". 


.359 


der  Literatur,  er  darf  also  nicht  nach  Planetenart  Licht  und  Wärme  von  anderen 
Sternen  erhalten.  Und  es  ist  ein  «ranz  unbeabsichtigter  Kalauer,  wenn  ieh  mich 
dabei  an  Lorenz  Steine  erinnere,  dessen  Name  man  im  «ranzen  Küche  vergebens 
suehen  würde.  Und  doch  hat  Goethe  ihn  in  den  „Sprüchen  in  Prosa"  so  liebe- 
voll gewürdigt .  ihn  bei  anderer  Gelegenheit  einen  Mann  genannt  dem  er  so  viel 
verdanke  und  Zelter  gegenüber  das  Geständniss  abgelegt,  es  wäre  nicht  nachzu- 
kommen, was  neben  Goldsmith  gerade  Sterne  im  Hauptpunkte  der  Entwicklung 
auf  ihn  gewirkt  habe.  „Diese  hohe  wohlwollende  Ironie,  diese  Billigkeit  bei  aller 
f'bersicht.  diese  Sanftmuth  bei  aller  Widerwärtigkeit,  diese  (.Jleichheit  bei  allem 
Wechsel  und  wie  alle  verwandten  Tugenden  heissen  mögen,  erzogen  mich  aufs 
Löblichste,  und  am  Ende  sind  es  doch  diese  Gesinnungen,  die  uns  von  allen 
Irrschritten  des  Lebens  wieder  zurückführen."  Und  Avie  konnte  Mever  das  herr- 
liehe  Schlusskapitelchen  aus  dem  ersten  Abschnitt  der  „Briefe  aus  der  Schweiz" 
übersehen,  das  zugleich  eines  der  lehrreichsten  Spccimina  ist.  wie  Goethe  fremde 
Vorbilder  —  hier  Sternes  ..Sentimental  jont-ney  zu  selbststiindigen  Kunstwerken 
zu  verarbeiten  verstand.  Aber  auch  sonst  fehlt  noch  mancher  Zug.  den  wir  im 
Bilde  Goethes  ungern  vermissen.  Wie  kommt  es  dass  ein  so  reiches  Gebiet 
Goethischer  Thätigkeit.  wie  sein  Wirken  als  Staatsmann,  das  man  nach  seinem 
Briefwechsel  mit  Christ.  Gottl.  von  Voigt,  nach  den  Arbeiten  Vogels.  Schölls 
und  Lorenz'  so  klar  übersehen  kann,  nicht  berührt  wird?  Warum  sind  Goethes 
„Sprüche  in  Prosa1-,  an  denen  sich  kein  gebildeter  Deutscher  je  satt  lesen  kann, 
nur  ganz  gelegentlich  erwähnt?  Dass  mit  keinem  Worte  der  Beziehungen  des 
Scarron  sehen  ..Kornau  eomif/ue"  zu  Wilhelm  Meiste]-  gedacht  wird,  darf  wohl  durch 
die  nicht  freiwillige  Kürzung  dieses  Kapitels  erklärt  werden,  aber  dafür  und 
manches  Andere  hätte  sich  reichlich  Platz  gewinnen  lassen,  wenn  Meyer  in  seiner 
Polemik  gegen  die  modernen  Kunsttheorieen  .sparsamer  gewesen  wäre.  Mit  ein- 
zelnen ausgewählten  (Zitaten  aus  (Joethe  werden  so  fundamentale  Kragen  des 
Kunstschartens  doch  nicht  gelöst,  und  die  Häufigkeit,  mit  der  gegen  die  modernen 
Anschauungen  geeifert  wird,  könnte  den  Leser  gegen  die  Objektivität  des  Ver- 
fassers, die  sonst,  ohne  die  Darstellung  farblos  zu  machen,  so  wohlthuend 
im  ganzen  Buche  bemerkbar  ist.  etwas  misstrauiseh  stimmen.  Aber  mitten  im 
Gesänge  springt  ihm  ein  rothes  Mäuslein  aus  dem  Munde.  Weder  fühle  ich  den 
Beruf,  noch  ist  hier  der  Platz,  gegen  die  oft  falsche  Deutung  der  neuesten  Theo- 
rieen  der  Subjektivisten  Stellung  zu  nehmen.  Es  wäre  übrigens  ein  Leichtes, 
durch  Anführung  anderer  Goethischer  Äusserungen  auch  Zeugnisse  gegen  Meyer 
herbeizuschaffen.  Doch  Gitate  sind  im  gewissen  Sinne  variable  Elemente,  die 
wie  die  Zahlen  des  Statistikers  bei  verschiedener  Gruppierung  auch  verschiedene 
Ergebnisse  liefern.  In  der  Hegel  verletzt  ja  Meyer  auch  bei  ihrer  Auswahl  nicht 
den  wissenschaftlichen  Takt,  der  bis  nun  der  einzige  Regulator  bei  der  Verwen- 
dung von  Citaten  ist.  Weniger  glücklich  ist  er  bei  denen,  die  er  aus  der  wissen- 
schaftlichen Goethelitteratur  holt,  wo  mancher  Name  nur  zu  dem  Zwecke  im 
Register  zu  figurieren,  genannt  zu  sein  scheint.  Oder  geht  die  Gewissen- 
haftigkeit nicht  zu  weit,  wenn  er  zur  banalen  Wendung  „ein  spärlicher  freund- 
licher Verkehr"  den  genauen  Quellennachweis  „wie  Adolf  Schöll  det  verdienstvolle 
Herausgeber  von  Goethes  Briefen  an  Frau  von  Stein  sieh  ausdrückt-,  hinzufügt? 
Solche  Fleckchen,  oder  gezierte  Wendungen  wie  ..Mineralogie  und  Geselligkeit 
erneuern  sich"  und  Ähnliches  liessen  sieh  noch  öfter  linden.  Aber  ich  will  nicht 
ein  schönes  Ahrenfeld  zertreten,  um  einige  Disteln  zu  einem  stachligen  Kranze 
zu  winden.  Bereitet  doch  sonst  die  Lektüre  des  Buches  eine  rechte  Freude. 
Nirgends  die  ängstliche  Hast  der  von  Stofffülle  bedrängten  Autoren,  alles  abzuthun 
und  fertig  zu  kriegen.   Die  treffliche  Diktion,  die  selten,  aber  dann  mir  GVs,  hmaek 


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.160 


Biographische  Blatter. 


von  der  naheliegenden  Gelegenheit  Gebrauch  macht,  mit  Goethes  sprachlicher 
Münze  zu  wirthschafteu.  die  Fähigkeit,  die  schwierigsten  Gedankengange  in  durch- 
sichtiger ungezwungener  "Weise,  wiederzugeben,  die  Gewandtheit,  durch  einige  be- 
zeichnende Worte  eine  Persönlichkeit  lebendig  zu  charakterisieren,  erheben  die 
Gocthcbiographic  auch  zu  einer  erfreulichen  schriftstellerischen  Leistung.  Line  grosse 
Fertigkeit  entwickelt  Meyer,  wo  es  gilt  die  Hauptwerke  Goethes  kritisch  zu  analy- 
sieren ,  und  den  Geheimnissen  Goethischer  Technik  auf  den  Grund  zu  kommen. 
Heim  kühnen  Kindringen  in  das  Labyrinth  des  Faust  und  alle  Seitenwege  und 
lrrgiinge  der  Kommentatoren  wird  er  stets  vom  Goldfaden  feinsten  Verständnisses 
geleitet.  Wie  viel  Neues  weiss  er  nicht  über  Werther  und  Tasso  zu  sagen  und 
wo  er  Bekanntes  oder  Fremdes  verwendet,  wird  es  wie  beim  Kapitel  ..Goethe 
als  Naturforscher"  so  in  seinem  Geiste  umgedacht,  dass  es  wie  eine  originale 
Schöpfung  anmutet.  Von  Abschnitt  zu  Abschnitt  wird  er  in  der  Beherrschung 
des  gewaltigen  Stoffes  sicherer,  und  während  er  am  Beginne  seines  Buches  noch 
tastend  nach  einem  Stil  sucht,  ringt  er  sich  bei  fortschreitender  Arbeit  zu  einer 
bestimmten  Darstellungsform  durch,  die  durch  die  Lust  am  Schematisieren,  durch 
die  Neigung  alle  Erscheinungen  typisch  zu  deuten,  die  Absicht  merken  lässt.  sich 
der  Goethischen  Auffassung*-  und  Ausdruckweise  anzugleichen.  Und  so  darf  man 
mit  Dank  an  den  Autor  das  Werk  aus  der  Hand  legen.  Ich  habe,  schon  weil 
die  .. B.  Ii.*'  nicht  der  geeignete  Raum  dafür  sind,  nicht  den  Versuch  gemacht, 
kleine  Versehen  literarhistorischer  Art,  falsche  Daten  und  ungenaue  Citate  als 
zünftiger  Baisonneur  zu  bemängeln,  wenn  ich  auch  das  Kuriosum  nicht  unter- 
drücken will,  dass  wir  aus  Meyers  Goethehiographie  weder  Geburtsjahr  noch 
Geburtstag  Goethes  erfahren  können.  Ich  habe  es  auch  unterlassen  in  einer 
schrittweisen  Analyse  des  Buches  mich  jedesmal  mit  dem  Verfasser  über  ab- 
weichende Anschauungen  auseinander  zu  setzen.  Schwerer  war  es  schon  der  von 
Goethe  bespöttelten  Lust  zu  widerstehen,  das  Abbild  mit  dem  Urbild  zu  ver- 
gleichen. Meyer  hat  eben,  um  am  Schlüsse  den  wesentlichsten  Einwand  gegen 
seinen  ..Goethe"  zu  wiederholen,  ein  Stück  gewaltiger  Natur  nicht  durch  das 
Temperament,  sondern  durch  die  Brille  eines  t'lassicistcn  gesehen,  der  aesthetisch 
stilisiert.  Und  so  erscheint  uns  die  gebietende  Gestalt  des  Dichters  nicht  ganz 
der  Wirklichkeit  entsprechend,  erstrahlt  aber  dafür  in  herrlicher  unbefleckter 
Schönheit.  Meyer  ist  ein  Wegweiser,  der.  wie  der  Begründer  des  französischen 
„stilr  ncmUrnique"  J.  L.  Guez  de  Balzac  über  Montaigne  einmal  äussert,  uns 
manchmal  irre  führt,  aber  dann  in  schönere  Gegenden,  als  er  uns  versprochen  hat. 

Brieft»  von  der  Wunderung  und  aus  Paris  von  Carl  Benedict  Hase.  Heraus- 
gegeben von  0.  Heine.  Leipzig.  Hreitkopf  &  Hiirtel.  \H<M.  8"  XII  und  11;">  Seiten. 
Carl  Benedict  lhi.se.  gehören  17*0  als  Thüringer  I'astorsohn.  wanderte  PUB.  kaum 
aiisstudirt.  keck,  wenige  Thaler  in  der  Tasche,  zu  Fuss  nach  Paris,  überstand  dort  mit 
frischem  Leichtsinn  eine  kurze  Zeit  der  Noth,  fand  alsdann  durch  Sprachtalent  Beschäftigung", 
durch  seine  einnehmende  l'ersfinlichkeit  Bonner,  bürgerte  sich  für  immer  ein.  ward  Vorstand 
der  Handschriften  an  der  Bibliothek.  Mitglied  des  Instituts,  philologischer  Docent  und  starb 
ist'»!  ungesehen  als  Kenner  des  < iriechisehen.  besonders  der  Byzantiner,  auch  von  deutschen 
i.'elehrten  als  Förderer  ihrer  Studien  dankbar  verehrt,  (  her  die  Krlebnisse  auf  seiner 
Wanderschuft  und  wahrend  der  eisten  Jahre  seines  Pariser  Aufenthalts  hat  er  1-S01  lso:; 
einem  Jugendfreund  in  der  Heimath  in  überaus  munter  und  anschaulich  geschriebenen 
Brieten  ausführlich  berichtet.  Stellen  daraus  wurden  schon  1S(U  zu  einem  Nekrolog  auf 
Hase  in  der  Beilage  zur  „Allgemeinen  Zeitung"  benutzt  und  daher  auch  von  Halm  im  bo- 
tielVeiiden  Artikel  der  ..Allg.  Deutschen  Biographie"  verworthot :  die  Mehrzahl  der  Briefe 
selbst  veröffentlichte  dann  Dr.  <  >.  Heine.  < ; ymnasialdirektor  und  Domherr  in  Brandenburg. 
l»l>    ls;s|  in  ,]er  -Deutschen  Bundschau".  wo  sj,.  mit  lebhaftem  Antheil  gelesen  wurden. 


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Anzeigen. 


3«! 


Jetzt  bietet,  sie  uns  derselbe  llerausgelier  vollständig  dar.  ergänzt  durch  einige  spätere, 
ebenfalls  charakteristische  Stücke  von  llw's  Hand  und  eingeleitet  durch  ein  hübsches, 
biographisch  genauer  orientirondes  Vorwort.  Auch  so  bleibt  das  (ianze  freilich  Itruclistiick 
wie  Vorick's  empfindsame  Heise  durch  Frankreich,  an  die  IHuse's  übri.irens  durchaus  wahr- 
hafte Krzählung  in  der  That  durch  die  Kunst  der  Beseelung  kleinster  Züge  erinnert.  Selbst 
der  historische  Hintergrund  die  Periode  des  zum  Kaiserthum  hinstrebenden  Konsulats  -  - 
wird  auf  solche  Weise  kräftig  beleuchtet.  Vor  allem  aber  erfreut  man  sich  an  Charakter 
und  Schicksal  des  Schreihers:  Talent,  zu  leben  und  Talent  lebendig  darzustellen  halten 
einander  die  Wage  bei  diesem  in  .seltenem  Maasse  graziösen  Deutschen,  dem  man  wohl  zu- 
geben muss.  dass  er  besser  für  Krankreich  taugte.  Selbst  die  Häthsel,  die  ungelöst  Meilen 
novellistisch  anhebende  Begegnungen  und  Verhältnisse  ohne  Ziel  und  Schluss  erhöhen, 
indem  sie  die  Phantasie  herausfordern,  den  pikanten  Heiz  dieser  ohne  jede  Absicht  auf 
Öffentlichkeit  naiv  hingeplauderten  autobiographischen  Skizze.  <///>. 

Jahrbuch  der  Grlllparzer-Ueftellftf  halt.    Hedigirt  von  Carl  Glosay.  V.  Jahr- 
gang.   Wien,  Carl  Konegen.  185)5. 

hm.  Immer  mehr  bildet  sich  dieses  Sammelwerk  unter  <  üossys  emsiger,  einsichtiger  Leitung 
zu  einem  Archiv  der  neueren  österreichischen  Literaturgeschichte  um.  Der  jüngste  Hand 
bringt  durchaus  Biographiea.  Glossy  gicbt  Proben  aus  Bauernfelds  Tagebüchern 
(1*1!)  184S):  der  Vormlirz,  Alt-Wien.  Bauernfelds  Lehrer  und  Jugend  freunde,  Moriz 
v.  Schwind.  Franz  Schubert,  Feuchtersieben,  Schreyvogel  und  (.Irillparzer,  die  Zensur-  und 
Theaterzustände.  Bauernfelds  Ausflüge  nach  Tirol  und  Karuthen.  seine  Heisen  nach  Deutsch- 
land. Paris  und  London,  politische  Strömungen  und  religiöse  Regungen:  das  und  manches 
mehr  wird  anspruchslos  in  der  Form,  mehr  in  Schlag  Worten  und  Andeutungen,  als  in  tiefer 
gründenden  Erörterungen  beredet.  Dem  Kenner  von  Hanemfelds  »Skizzen  aus  Alt-  und 
Neu-Wien".  dem  Leser  seiner  einstweilen  noch  nicht  in  Buchform  gesammelten  „Erinnerungen" 
wird  in  den  Tagebuch-Blättehen  sachlich  nichts  wesentlich  neues  auffallen  (am  erstaunlichsten, 
wenn  auch  nicht  gerade  rühmlichsten  für  Bauern  fehl  und  Feuchterslehen  ist  ihre  Verurtheilung 
von  -Weh  dem,  der  lügt",  als  ihnen  (irillparzer  die  Komüdie  in  Heiligenstadt  am  25.  Juni  ls;{7 
vorliest):  gleichwohl  sind  die  Mittheilungen  so  unmittelbar,  für  die  Zeit  und  die  Persönlichkeit, 
so  bezeichnend,  das*  sie  Dank  und  sorgsame  Ausscböpfung  verdienen.  Der  nächste  Band 
des  Grillparzer-Jahrhuches  bringt  voraussichtlich  Tagebuchblatter  aus  Bauernfelds  spateren 
Lebensjahren  (1818  185)0».  Dem  von  Emil  Kuh.  Laube.  Gräfin  Wickenburg.  Betty  Paoli 
und  vielen  anderen  Herufenen  und  noch  mehreren  l'nberufenen  behandelten  Thema  (irill- 
parzer und  Katharina  Fröhlich  widmet  August  Sauer  gescheite,  auch  stofflich. 
Dank  Karajans  Aufzeichnungen,  neues  bietende  l'ntersuchungen :  am  treffendsten  scheint, 
die  Parallele  zwischen  der  Barbara  im  «Annen  Spielmann"  und  dem  Naturell  von  Grillparzeis 
-ewiger  Braut":  geschmackvoll  auch  der  Hinweis  auf  die  HerzenskUmpfe  von  Primislaus 
und  Libus^sa.  Nirgends  freilich  kommen  wir  in  der  Hauptsache  über  (irillparzers  poetisches 
Selbstbekenntnis*. :  «Jugenderinnerungen  im  Grünen"  und  die  in  Laubes  Schritt:  Franz 
(irillparzer  (Cotta,  1SS-1)  gedruckten  Tagebuchbllitter  hinaus.  Vor  der  Kröffnung  von 
(irillparzers  Geheimpapieren,  die  nicht  vor  dem  Jahre  15)-20  aus  dem  Verschluss  der  Wiener 
Stadtbibliothek  hervorgeholt  werden  dürfen,  wird  kaum  Abschliessendes  zu  erfahren  sein. 
Und  wer  weiss,  ob  dann  nicht  erst  recht  neue  Zweifel  und  Häthsel  aufsteigen  werden? 
Ziemlich  belanglos  sind  Payers  Angaben  über  Hamerlings  Gymnasiallehrer-Zeit,  gehaltvoll, 
spitz,  markig  und  witzig  dagegen  die  von  Fritz  Lemmermayer  aus  dem  Tagebuch  der 
Baronin  KnoiT  gebrachten  Äusserungen  (irillparzers  über  Politik  und  Litteratur.  Wie  in 
andern  Gesprächen,  mit  Frau  v.  Littrow-Bischoff,  mit  Prechtler.  Foglar,  Kuh.  Hopfen.  Bauern  fehl. 
Holtei  etc.  überrascht  Grill  parzer  auch  hier  durch  Scharfe.  Treff.  Eigensinn  und  Eigeti- 
r'u  htigkeit  :  kurzum  als  echtes  Original. 


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Verlag  von  Emst  Hofmann  &.  Co.  in  Berlin  SW.  48,  Wilhelmstr.  122. 


Spinoza. 


Voll 

l)r.  Wilhelm  Kölln, 

Professor  an  «In  l'niversitat  Helsinki. >«. 

VIII  uikI  17t;  Seiten  lirosK-okiav. 
'reis  geheftet  M.  2,40:  in  Leinenband. 
M.  :{,J0:  in  Halbfranzband  M.  -{.so. 

Der  Verfasser  der  trefflichen  Biographie  L.  Heuerbuchs  «.riebt  uns  in  dem  cnziehend 
«reschriebenen  Buche  nicht  nur  ein  meisterhaftes  I .ehenshild  des  «riossen  Amsterdamer  Weisen. 
Miiulmi  zterici.h  ein  Kulturbild  jener  «.rnnzen  Kpoche.    G.  v.  Gizycki  in  der  „Ethischen  Kultur*'. 

Der  Verfasser  hat  in  der  deutschen  Wissenschaft  Meisterre«-ht  erworben  dunh  «'ine 
angezeichnete  Arbeit  ül>er  L.  Keuorbach,  welche  mit  gereifter  Kunst  Biographisches  und 
Literarisches  u.  s.  \v.  zu  einem  anziehenden  < <'esanimtbildo  dieses  Denkers  zu  vereinigen 
wusste.    Im  Spinozabuche  herrseht  die  niimliche  Atmosphäre.       Fr.  Jodl  in  der  „Nation". 

.  .  .  Nicht  nur  in  allgenieiri-fasslicher  Konn  Spinozas  Lehre,  sondern  auch  seine  viel- 
bewerte  Zeit  und  im  Bingen  mit  ihr  diesen  herrlichen  Charakter  in  seiner  ganzen  Lauterkeit 
dargestellt  zu  haben,  ist  das  grosse  Verdienst  Bolins.  B.v.Carneri  in  der,,  Neuen  Freien  Presse". 

Hin  solcher  (gebildeter  Leserl  gieht  hier  sein  Urtheil  und  dankt  dem  Verfasser  zum 
vundierein  für  den  (ienuss.  den  ihm  die  Lektüre  seines  tüchtigen  Werkes  bereitet  hat. 

Ernst  Goetzinger'in  den  „St.  Galler-Blättern". 

Wenn  auch  Bolin,  wie  das  in  der  Natur  der  Sache  liegt,  nicht,  allen  Ansprüchen 
gerecht  geworden  ist,  so  bleibt  sein  Buch  darum  doch  eine  werthvolle  und  dankenswerthe 
Arbeit.  Sigm.  Auerbach  im  „Magazin  für  Literatur*4. 

Aber  einpfehlenswerth,  selbst  für  den  Kachphilosophen.  ist  die  Darstellung,  weil  sie 
den  ernsten  Denker  nicht  nur  in  seiner  «ranzen  Liebenswürdigkeit  erscheinen  llisat.  sond«m 
auch  seine  fremd  anniutbende  tJottes-  und  Sittenlehre  menschlich  nliher  rückt. 

L.  Weis  in  den  „Blättern  für  literar.  Unterhaltung41. 

The  work  of  l'rofcs.sor  Bolin.  whieh  is  profcssedlv  \v ritten  for  the  general  public, 
will  in  no  small  degree  contribute  lor  the  better  under.-tamling  of  the  paramount  part  plaved 
bv  the  -poor  un-.lewished  .lew"  in  the  wurlds  historv  of  intellectual  «-maneipation. 

Karl  Blind  in  «1er  „Pall  Mall  Gazette". 


In  Kurzem  erscheint: 

Erinnerungen  eines  Künstlers. 

Von  lindoir  Lfhmann  (London). 
Mit  In  Lichtdrucken, 

nach  den  von  dein  Knnstler  aufgenommen  Portrait*  von  <hopln.  Pet.  ('«irnrliu».  Krkrrmana.  r'rledrieh  III.. 
<UU<l»t»nc.  Krrd.  «IrcuunM iu».  A.  v.  Humboldt.  Lamartine.  Llazt.  Kardinal  Manalnir.  Ad.  Menzel. 
IM»  IX..  I..  t.  Ranke,  Tiara  Schumann,  Tcnnvson  und  dem  Hilde  des  Autors. 

VIII  und      >  S  i»  i  i  c  n  <  t  r o s  •  ( t  k  l  a  v      1 1 1  u  s  t  r  a  l  i  o  n  s  - 1>  r  u  o  k  |>  a  u  i  e  r      S c  Ii  w  a  b  a  c  Ii «.« r -  S  c  Ii  r  i  f  t 

In  Büttenpapier  geheftet  M.  7.-:  in  Damast  gebunden  M.  8,—. 

Professor  Ludwig  Pietsch  sehrieb  über  die  (selbständige)  englische  Ausmalte  in  «ler 

Vos-i sehen  Zeitung: 

])ie  Leliensei 'innerungen  «les  Künstlers  gehören  zu  den  anziehendsten  Büchern  ihrer 
< üattunur  durch  den  Beichthum  des  Inhalts,  wie  durch  die  Klarheit,  die  Schlichtheit,  die 
Anmuth  der  Kenn,  die  Liebenswürdigkeit  des  Naturells  des  Autors,  die  sich  in  der  ganzen 
Art  der  Krz'ihlung.  der  Schilderungen  des  eigenen  Wesens  und  Thuns,  wie  der  Menschen, 
zu  denen  der  Krzühler  in  Beziehungen  getreten  ist.  und  der  Kreignis.se  und  Zustünde  offen- 
bart, die  er  miterlebt  und  beobachtet  hat. 


V !•  i  hu;;  Ernst  Hofmann  &  Co.  in  Merlin.    Druck    Felaentreff  &  Co.  in  Berlin. 
I  ii  i  il  i  e  K  e  d  .'i  k  i  i  ci  n  verantwortlich:  Dr.  Anton  Bettel  he  im  in  Wien. 
I'  Ii  l>e  i  e  c  h  t  i  %  I  e  i  A  l»d  i  uc  k  a  Ii  s  de  in  l  u  Ii  a  Ii  d  i  eser  /.  ei  I  sc  Ii  ritt  untersagt. 
('  1«  e  i  s  e  L  /.  ii  n  ti  s  i  e  c  Ii  1  e  v  o  r  Ii  e  Ii  a  1 1  e  n. 


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Adolf  Menzel.  302 


Adolf  Menzel. 

Von 

HERMAN  HELFERICH. 


Die  Benrtheilung  bei  Lebzeiten,  die  so  prekär  ist.  scheint  bei  dem,  der 
jetzt  „Ehrenbürger  Herlins"  wurde,  nicht  «ranz  so  schwer  zu  werden,  wie 
bei  anderen  grossen  Mannern.  Denn  wir  sind  .jetzt  schon  Nachwelt  ihm 
gegenüber,  ein  neuer  Pharao,  der  den  alten  Joseph  nicht  kennt.  Die  Gefahr 
ist  nur.  dass  wir  ihn  jetzt  wirklich  nicht  kennen.  Menzel  hat  seltsame 
Phasen  in  seinem  Verhältnis*  zur  Mitwelt  durchgemacht,  eine  Zeit  lang  nur 
den  Vorgerücktesten  theuer,  ist  er  es  jetzt  den  Kennern  geworden  und 
die  Ersteren  streben  anderen  Idealen  zu.  Er  reicht  in  die  Zeit  von  Peter 
Cornelius  zurück:  es  «riebt  Konturzeichnungen  von  ihm.  diese  man 
möchte  kindischen  sagen,  wagt  es  aber  nicht,  denn  sie  sind  gewaltig, 
kolossal,  titanisch  -  Illustrationen  zu  ..Künstlers  Erdenwallen'',  die  ihn 
berühmt  gemacht  hatten,  als  er  achtzehn  Jahre  alt  war:  und  danach 
den  „Schützenbrief",  diese  Zeichnung,  die  arabeskenhaft  Cornelianisches  und 
Menzelsches  ineinander  verschlungen  zeigt :  sie  ist  zeichnerisch  wie  ein  Cor- 
nelius und  redet  und  lacht  sogar  Berlinisch  wie  ein  Menzel.  Von  dieser 
interessanten  Zeichnung  führen  Spuren  zu  dem  uninteressanten  Anton 
von  Werner,  zu  dem  Anton  von  Werner,  der  Scheffel  illustrirte.  —  Dann 
kommt  die  Periode  von  Menzels  Classicität,  die  der  Holzschnitte  zu  Kuglers 
Geschichte  Friedrichs  des  ( J  rossen ;  wir  sehen  sie  historisch  an,  wir  wissen, 
wie  sie  die  Puchillustration  befruchtet  haben,  wie  sie  in  der  modernen  ßueh- 
illustration  das  Beste  geblieben  sind,  obwohl  sie  das  Kiste  waren.  In 
Parenthese,  immer  bleiben  die  ersten  Sachen  die  besten  in  der  Kunst,  die. 
die  als  Anfänger  der  Epochen  dastehen,  sind  ihre  Gipfel,  und  an  Stelle  der 
Kurven,  an  die  die  Kunstgclehrsjunkcit  jetzt  denkt,  nachdem  die  Theorie 
von  den  einsamen  beiden  Hochplateaus  allein  gültiger,  alles  über- 
ragender Emanationen  der  Kunst  abgewirtschaftet  hat,  —  würde  man 
besser  thun.  bei  jeder  neuen  Bewegung  an  das  Symbol  von  mehr  oder 
weniger  steil  nur  abwärts  führenden  Linien  zu  denken,  die  van  Eveks 
waren  immer  am  Anfange  von  Epochen.  Aber,  um  auf  Menzels  Buch  zu- 
rückzukommen, wir  rühmen  es.  verehren  es.  wir  linden  es  indessen  mager, 
wir  neuer  Pharao.  Eine  hochschätzende  Begeisterung,  keine  überzeugte, 
erfüllt  uns.  Ens  stehen  die  Menzelsehen  Arbeiten  der  nachklassischen  Zeit 
näher.  Die  Illustrationen  zum  „zerbrochenen  Krug'*  und  die  Bilder  aus 
dem  modernen  Leben.  —  „ßallsouper",  „Laurahütte".  Und  darum  könnten 
wir  wenigstens  für  die  ersten  zwei  Drittel  von  Menzels  Carrierc  uns  als 
prachtvoll  objektive  Nachwelt  fühlen.  Der  Ausdruck  „die  ersten  zwei 
Drittel"  ist  allerdings  nicht  geometrisch  gemeint:  das  erste  Drittel  umfasste 

Iiiographitidie  Blikttor.  I.  *JJ. 


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363 


Biographische  BlRtter. 


einen  ausserordentlich  kurzen,  und  das  letzte  Drittel  begreift  einen  weit 
grösseren  Raum,  als  man  rechnerisch  erwarten  möchte:  es  begreift  die 
Zeit,  in  der  er  die  malerische  Anschauung,  die  malerische  allein,  vor- 
walten lässt.  Die  Bewunderung,  die  uns  für  diese  Zeit  durchdringt,  hat 
trotz  Menzels  Schrot  und  Korn  zum  Theil  französische  Stützen:  die 
Pariser  mit  ihrer  Kennerschaft,  die  entwickelter  als  die  unsere  war. 
haben  uns  mit  ihrem  Erstaunen  auf  ihren  Weltausstellungen,  als  sie 
Menzel  kennen  lernten  uud  sofort  begriffen,  dass  er  ein  gewaltiges  Genie 
ist,  die  Augen  öffnen  helfen,  ähnlich  wie  für  Leibi  ■—  was  aber  die  be- 
trifft, die  jetzt  Menzel  zum  Ehrenbürger  Berlins  gemacht  haben,  so  ist 
ihnen,  wenigstens  in  ihrer  Kollektivität.  Menzel  weder  in  den  vergangenen 
zwei  Dritteln  seiner  Laufbahn  (wenn  auch  vielleicht  etwas  als  Illustrator, 
jedenfalls  garnicht  als  Maler)  noch  in  diesem  letzten  Drittel,  das  uns  nahe 
steht,  vertraut  geworden,  das,  was  sie  trieb,  ist  vielmehr  nur  die  Gewohn- 
heit. Wie  die  Goncourts  sagen,  man  wird  durch  die  Gewalt  des  Lebens 
berühmt,  wenn  man  es  lange  aushält,  ist  Menzel  bei  ihnen  berühmt  gewor- 
den, weil  er  seit  sehr  langer  Zeit  zunächst  verhöhnt  wurde,  dann  zitirt 
wurde  und  endlich  seine  Notorietät  durchgesickert  ist:  Menzel  ist  durch 
die  Kraft  seines  Namens  populär  bei  ihnen  geworden,  seine  Bilder  lieben  sie 
nach  wie  vor  nicht,  für  das  Historische  schätzen  sie  Schinder  eher,  für 
Pferde  Steffeck  und  für  Schönheit  Thumann. 

Die  Schönheit  der  Arbeiten  des  letzten  Drittels  von  Menzels  Laufbahn 
zu  geniessen,  ist  nur  denen  zu  Theil  geworden,  die  auf  der  Höhe  der 
Kunstbildung  stehen.  Seltsam  pittoresk,  kraftvoll  bis  zum  Exeess.  kolo- 
ristisch tausendmal  mehr  als  ein  Fortuny,  geistreich  mehr  als  französischer 
Boulevardesprit  und  fast  so  geistreich  wie  ein  Japaner  —  ist  Menzel  ein 
Phänomen  auf  deutscher  Erde,  mit  dem  Herzen  eines  Preussen  und  mit 
dem  Sarkasmus  eines  Berliners.  Je  mehr  man  an  alle  seine  Eigenschaften 
denkt,  um  so  weniger  begreift  man  ihn  und  fühlt,  dass  doch  die  ersten  zwei 
Drittel  seiner  Laufbahn  noch  nicht  lange  genug  vorüber  sind,  um  über  sie 
definitiv  zu  urtheilen.  und  dass  uns  das  letzte  Drittel  zu  lebhaft  angeht, 
um  es  ohne  der  Parteien  Gunst  und  Hass  zu  sehen.  Denn  dieses  letzte 
Drittel  reizt  in  uns  Gefühle  der  Gegnerschaft,  weil  wir  jetzt  grosse, 
friedsame  Anschauung  der  Natur  wollen  und  zwischen  den  sogenannten 
Naturalisten  von  heute  und  dem  sogenannten  Naturalisten  Menzel  —  ach. 
ja  —  nur  für  die  eine  Verbindung  besteht,  die  weder  Menzel  noch  die 
Naturalisten  von  heute  begreifen. 


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Rudolf  von  (ineist. 


Rudolf  von  Gneist. 

(ieboren  13.  Au-ust  1*16:  gestorben  _>>.  Juli  1S95. 

Von 

JOSEF  REDLICH. 

Mehr  als  ein  Menschenaltcr  ist  verflossen  seit  jener  Zeit,  die  man  mit 
einiger  Übertreibung  die  epische  Zeit  des  preußischen  Bttrgcrthums  nennen 
könnte:  und  schon  deckt  der  Rasen  die  meisten  von  den  kampfesfrohen 
Helden  der  denkwürdigen  Konfliktsperiode.  Noch  lebt  zwar,  in  die  Einsam- 
keit seines  Sachsenwaldes  vergraben,  der  damals  unerschütterlich  Stand  ge- 
halten all  den  heftigen  Angriffen  der  preussischen  Demokratie  jeuer  Tage. 
Otto  von  Bismarck:  auch  in  seiner  Lebenskraft  grösser  und  glücklicher  als 
die  Mehrzahl  seiner  alten  Gegner,  sieht  er  einen  nach  dem  anderen  von 
jenen  Männern,  denen  schon  seine  Gegnerschaft  allein  historisches  Andenken 
sichert,  dahin  sinken.  Allerdings:  die  beiden  Männer,  die  der  Sonnner 
dieses  Jahres  der  spärlich  gewordenen  Schaar  der  alten  Konfliktskämpfer 
entrissen  hat,  H.  v.  Sybel  und  Rudolf  v.  Gneist,  haben,  weit  über  jene 
geschichtliche  Beziehung  hinaus,  selbstständige  grosse  Bedeutung  erlangt. 
Nur  eine,  wenn  auch  entscheidende  Etappe  auf  ihrer  Lebensbahn,  bildet 
jener  historische  Gegensatz,  dessen  innere  Überwindung  für  sie  zur  (Quelle 
grossen,  das  nationale  Leben  tief  befruchtenden  Schaffens  geworden  ist. 

Das  gilt  vor  Allem  von  jenem  Mann,  dessen  Gedenken  diese  Zeilen 
gewidmet  sind,  von  dem  grossen  Rechtslehrer  und  Rechtsschöpfer  des  ge- 
einten Deutschland,  Rudolf  v.  (ineist. 

Wenn  ich  bei  der  Würdigung  seines  Lebenswerkes  von  jenen  Jahren, 
da  (ineist  als  einer  der  Führer  der  bürgerlichen  Opposition  seinen  Namen 
in  die  weitesten  Kreise  des  deutschen  Volkes  trug,  meinen  Ausgang  nehme, 
so  scheint  mir  dies  wohlbegründet  durch  die  grosse  Bedeutung,  welche  der 
Verlauf  jener  äusseren  Ereignisse  für  die  innere  Kntwickelung  des 
Mannes  zur  Folge  gehabt  hat.  Die  Jahre  1 8(52—1  sfifi  bilden  nicht  so  sehr 
die  (frenzscheide  als  vielmehr  die  Brücke,  die  hinüberfuhrt  von  der  ersten 
grossen  Lebensepoche  Gneists.  der  Zeit  des  Lernens  und  Lehrens.  zur 
zweiten  Epoche,  der  Zeit  der  praktischen  Erfüllung  des  Meisten  von  dem. 
was  sich  ihm  als  höchste  Aufgabe  zunächst  theoretisch  ergeben  hatte. 
Xicht  als  unfertiger  Kopf,  sondern  als  ein  vielerfahrener,  vielbelehrter  und 
gelehrter  Mann  ist  Gneist  zur  Zeit  der  inneren  politischen  Krisis  Preussens 
in  die  parlamentarische  Opposition  gegen  die  Regierung-  eingetreten :  als  aber 
die  überraschende  Gestaltung  der  Dinge  der  eisernen  Beharrlichkeit,  dem 
autoritären  Selbstbewusstsein  Bismarcks  Recht  gegeben  hatte,  da  konnte 
Gneist  um  so  entschiedener  auf  die  Seite  des  Siegers  treten,  als  er  frühe 
den  Widerspruch  erkannt  hatte,  der  die  unhaltbaren  Positionen  des  doktrinären 
Liberalismus  von  den  Ergebnissen  seiner  eigenen  wissenschaftlichen  Foreehung 

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BioyraphiM'he  Blätter. 


längst  schon  schied.  Als  ein  nothwendiges  Resultat  der  «ranzen  inneren 
En  t  Wickelung  Gneists  innss  seine  äussere  politische  Wandlung,  die  eine 
unbillige,  kleinliche  und  kurzsichtige  Kritik  so  oft  und  so  bitter  an  ihm 
beurtheilt  hat.  von  dein  objektiven  Betrachter  seines  Lebens  erfasst  werden. 
Ks  wir  l  abei'  mehr  als  sonst  hier  darauf  ankommen,  den  wissenschaftlichen 
Bildungsgang  des  Reehtsgelehrten  (ineist  in  den  llauptzügen  zu  erfassen: 
der  Politiker  Gneist  wird  daraus  erst  verständlich  und  —  für  so  manchen 
doktrinären  Parteimann       aucli  entschuldigt  sein. 

Kudolf  (ineist  wurde  geboren  am  i:J.  August  lSiü  zu  Berlin.  Aus 
einer  preussischen  Familie  stammend,  in  welcher  der  militärische  Beruf 
oder  staatliche  Beamtenstellung  die  Tradition  bildete,  war  es  nur  natürlich, 
dass  der  junge  (ineist,  nach  einer  grossentheils  auf  dem  Lande  verlebten 
Kindheit,  das  Rechtsstudium  ergriff,  als  er  siebzehnjährig  die  Universität  in 
Berlin  bezog.  Von  allem  Anfang  betrieb  er  die  Studien  mit  Kiter  und 
durchlief  rasch  die  Stadien  der  gewöhnlichen  akademischen  Ausbildung: 
ls:w  zum  Auskultator  ernannt,  habilitirte  er  sich  bereits  im  .Jahre  ls.Jü 
als  Privatdozent  an  der  Universität.  Schon  seine  ersten  wissenschaftlichen 
Arbeiten  zeigen  übrigens  den  ausscrgewöhnlieh  weiten  Umfang  seiner  Be- 
strebungen und  deuten  auf  den  oneyklopädischen  Charakter,  der  ihm  eigen 
war.  Seine  Doktordissertation  (de  reeentiore  literarum  obligatione) 
betrifft  eine  sehr  umstrittene  Frage  des  römischen  Schuldrechtes,  seine  zweite 
akademische  Breisarbeit  ist  eine  Abhandlung  über  ..das  Strafrecht  des 
Sachsen-  und  Schwabenspiegels"  gewesen.  Als  Dozent  las  er  zunächst 
über  Kriminalrecht-  und  Strafverfahren.  Civilprozcss,  dann  aber  auch  über 
Kölnisches  Hecht:  zugleich  aber  vertiefte  der  junge  Gelehrte  seine  juristische 
Bildung  durch  ununterbrochene  Praxis  als  Assessor,  später  als  Hilfsrichter 
beim  Kammergericht  und  Obertribunal.  Obgleich  nun  Gneist  in  seinen 
ersten  Vorlesungen  sich  am  meisten  mit  dem  täglichen  Brote  der  deutschen 
Juristen,  dem  Pandektenrechte,  beschäftigte,  trieb  ihn  doch  schon  früh  die 
Neigung  dahin,  wo  das  (irösste  zu  erreichen  ihm  beschieden  sein  sollte: 
zum  Studium  des  öffentlichen  Hechtes  überhaupt,  des  Staats-  und  Yer- 
waltunirsreehtes  im  Besonderen.  Äussere  Anregungen  mochten  da  viel  bei- 
getragen haben:  seit  1N41  benutzte  er  nämlich  seine  Ferien  regelmässig  zu 
Studienreisen  nach  Kngland,  Frankreich  und  Belgien.  So  erschloss  sieh 
frilhe  das  reiche  öffentliche  Leben  der  Kulturländer  des  Westens  dem 
empfänglichen  Geiste  des  jungen  preussischen  Gelehrten  und  Richters:  er 
lernte  aus  eigener  Anschauung  die  grossen  Verschiedenheiten  der  Hechts- 
zustände  Frankreichs  und  Englands  kennen,  gewann  noch  in  seiner  Jugend, 
was  damals  wenigen  Landslenteu  möglich  war.  ein  eigenes  selbstständiges 
Urtheil  über  die  seit  langem  als  Muster  politischer  Freiheit  angepriesenen 
Staaten  mit  parlamentarischer  Regierung.  Und  da  ist  nun  für  die  weitere 
Kntwiekelung  ( ineist s  besonders  günstig  gewesen,  dass  er  in  der  Schule 
Savignvs.  als  Jünger  der  historischen  Richtung,  welche  damals  triumphirend 


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I 


Kudolf  von  <»nfist. 


;*(»(> 


die  deutsche  Reehtsgelehrsamkeit  beherrschte ,  ausgebildet  worden  war.  vSo 
betrann  er  sehr  bald  in  der  Vergleichung  der  heinitscheii  Zustünde  mit  denen 
Frankreichs  und  Englands  die  grossen  Verscliiedetdieiten  als  Produkte  der 
so  verschieden  gearteten  geschichtlichen  Kntwickelnng  der  drei  Nationen 
zu  erfassen.  Daneben  aber  wirkte,  wie  (ineist  später  selbst  erzahlt  hat. 
ein  anderer  rein  praktischer  Faktor  mit.  ihn  vor  allem  zum  Studium  des 
englischen  Staatswesens  zu  treiben.  ..Ks  waren  Reformbestrebnngen  im 
deutschen  Gerichtswesen, ri  sagt  er  in  der  Vorrede  zu  seiner  englischen 
Verfassungsgeschichte,  „welche  die  Anknüpfung  dafür  gegeben  haben. 
Aufgewachsen  in  der  mühevollen,  strengen  Schule  der  preußischen  Juristen, 
in  einer  Zeit,  in  welcher  dem  Richter  die  ganze  Arbeit  der  Gestaltung  des 
Prozesstoffcs  in  persönlicher  Verhandlung  mit  den  Parteien  oblag,  gleich- 
zeitig in  mannigfaltigem  Verkehr  mit  Land  und  Leuten  im  östlichen  und 
westlichen  Deutschland,  in  England  und  Frankreich,  hatte  ich  die  Vorzüge 
unseres  Beamtenstaates  und  zugleich  die  Schwerfälligkeit  und  die  ( Jebreehen 
unseres  Geschäftsganges  in  Gericht  und  Verwaltung  kennen  gelernt."  So 
ist  Gncist  von  Anbeginn  seiner  Arbeit  durch  die  praktische  Thätigkeit  auf 
neue  wissenschaftliche  Hahnen  gelenkt  worden:  und  das  ist  das  Kennzeichen 
seiner  ganzen  Laufbahn  gewesen,  dass  er.  mehr  wie  jeder  andere  von  den 
grossen  deutschen  Lehrern  des  Rechtes.  Theorie  und  Praxis  in  bewunderns- 
würdiger Weise  in  sich  zu  einem  lebendigen  (tanzen  zu  vereinigen  wusste. 
Langsam  allerdings  reiften  die  Früchte  seiner  weitgedehnten  Studien;  erst 
im  Jahre  1853  erschien  als  die  erste  derselben,  seine  Schrift  über  „Adel 
und  Ritterschaft  in  England",  die  bei  den  Fachgenossen,  so  besonders  bei 
R.  v.  Mohl,  sogleich  sehr  beifällige  Aufnahme  fand. 

Inzwischen  hatten  aber  die  bewegten  Zeitläufe  Rudolf  (ineist  zum 
ersten  Mal  aus  dem  Hörsaal  auf  den  Markt  des  öffentlichen  Lebens  geführt: 
die  Art  und  Weise,  wie  aber  der  junge  Professor  seit  1844  war  er 
Extraordinarius  an  der  Berliner  Universität  —  an  den  stürmischen  Tagen 
des  Jahres  1K48  Antheil  genommen,  ist  bezeichnend  für  seine  Sonderart.  Er  hat 
sich  nämlich  nur  nach  einer  Richtung  aktiv  zu  betheiligeu  gesucht  :  im  engsten 
Kreise  des  kommunalen  Lebens  wollte  er  zum  Neuaufbau  des  preussischen 
Staatswesens  behilflich  sein,  und  so  Hess  er  sich  denn  zum  Stadtverordneten 
in  Berlin  wählen,  während  er  das  ihm  angebotene  Mandat  zur  Nationalver- 
sammlung ablehnte,  überdies  hatten  ihn  die  märkischen  Stände  in  das 
Frankfurter  Parlament  gewählt.  In  dem  neuen  Berliner  Gemeinderathe,  der 
mit  der  „Anerkennung  der  Revolution"  sehr  radikal  einsetzte,  um  dann, 
nachdem  die  Reaktion  eingetreten,  desto  zahmer  zu  werden,  hat  Gneist  eine 
vielseitige,  dem  Detail  der  kommunalen  Verwaltung  zugewendete  Thätigkeit 
entwickelt.  Und  obgleich  die  sehr  originellen,  von  den  herrschenden  Schlag- 
worten des  Tages  nur  allzu  abweichenden  Ansichten  Gneists  ihm  gerade 
damals  mehr  Feinde  als  Freunde  verschafften,  spielte  er  dennoch  bald  eine 
einflussreiche  Rolle  in  der  Versammlung,    (  her  den  Antheil.  den  er  an  all, 


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3G7 


Biographische  Blatter. 


den  Ereignissen  im  Sturmjahre  genommen,  hat  (ineist  schon  im  Jahre  184V) 
ein  sehr  fesselnd  geschriebenes  Memoire,  „Berliner  Zustände,  Politische 
Skizzen  vom  18.  Marz  1848  bis  zum  18.  Marz  1849"  veröffentlicht,  in 
welchem  er  seine  Haltung  nach  beiden  Seiten  hin  rechtfertigte,  damit  aber 
auch  eine  sehr  anschauliche,  noch  heute  als  Geschichtsquelle  wichtige  Dar- 
stellung der  öffentlichen  Vorgänge  verband.  Schon  in  dieser  Schrift  werden 
aber  auch  die  eisten  Linien  seines  künftigen  Lebenswerkes  im  allgemeinen 
l'mriss  erkennbar:  anknüpfend  an  die  übertriebenen  Hoffnungen,  welche  die 
damalige  Demokratie  auf  die  Einrichtung  einer  sehr  unklar  gedachten  Selbst- 
verwaltung nach  englischem  Muster  setzte,  weist  Gneist  hier  zum  ersten 
Mal  darauf  hin.  dass  das  englische  Selfgovernement  in  Wirklichkeit  etwas 
ganz  Anderes  sei,  als  das  Bild,  welches  sich  die  populäre  Auffassung  davon 
gemacht  habe.  Das  ganze  4.  Kapitel  der  Schrift  ist  der  „Selbstrogierung" 
gewidmet:  und  da  setzt  denn  Gneist  zum  ersten  Mal  den  Grundgedanken 
seiner  Staatsauffassung  auseinander,  dass  die  freie  kommunale  Organisation 
derGemeindcn  und  Kreise  die  unerlässliche  Vorbedingung  sei  für  das  Lebendig- 
werden der  geschriebenen  Verfassung,  für  die  Existenz  des  modernen  Rechts- 
staates. ..Die  Ausbildung  der  Gemeinde-Verfassung,  welche  noch  fehlt,  ist 
die  eine  Hälfte  des  Verfassungswelkes",  ruft  er  warnend  den  Ideologen 
der  konstitutionellen  Lehre  zu.  Wer  einige  Kenntniss  von  den  herrschen- 
den Männern  und  Ansichten  jener  aufgeregten  Tage  hat,  wird  sich  darüber 
nicht  wundern,  dass  Gneist  für  seine  Anschauung  damals  nur  wenig  Ver- 
ständnis.? linden  konnte.  Ihn  selbst  aber  mussten  die  Erfahrungen,  die  er 
als  Stadtverordneter  machte,  die  Ausbreitung  seiner  Kenntnisse  von  prak- 
tischer Kommunalverwaltung  nur  bestärken,  auf  dem  betretenen  Wege  fort- 
zufahren. Daneben  tritt  aber  auch  die  allgemeine  historische  Auffassung  des 
Staatsrechtes,  die  Gneist  später  zu  so  grossen  Erfolgen  führen  sollte,  bereits 
in  dieser  kleinen  Schrift  des  .Jahres  1849  sehr  merkwürdig  hervor.  In 
scharfen  Worten  verurtheilt  er  die  sozialen  und  Verwaltungszustände  der 
Zeit  vor  dem  Ausbruche  der  Revolution,  charakterisirt  in  beissenden  Wollen 
den  Geist,  welcher  die  damalige  altpreussische  Beamtenschaft  erfüllte,  und 
deckt  schonungslos  die  schweren  ( 'haraktersehäden  auf,  welche  das  System 
der  bisher  absolut  herrschenden  Bureaukratie  nothwendig  mit  sich  bringen 
musste.  ..Wir  haben",  sagt  er  nachdrücklich,  „bisher  keine  Verfassung, 
sundern  einen  Administrationskunstbair*. 

So  ist  die  Revolutionsperiode  zu  einer  für  Gneists  ldeenentwicklung 
sehr  fruchtbaren  Zeit  geworden:  das  darauffolgende  Dezennium  lebte  er  neben 
der  Thätigkeit  als  Stadtverordneter  hauptsächlich  seinen  staatswissenschaft- 
lichen Studien,  deren  erste  grosse  Frucht  mit  dem  Erscheinen  des  „Eng- 
lischen Verfassung*-  und  Verwaltungsrechtes  1.  Theil"  im  .lahre  1857  her- 
vortrat. Im  .fahre  isuo  folgte  der  II.  Theil,  die  Kommunalverwaltung  be- 
treffend. In  wiederholten  Umarbeitungen  erweiterte  und  vertiefte  Gneist 
sodann   seine   englischen    Forschungen,  bis   sie   endlich   im   .Tahre  18(12 


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Kudolf  von  Gneist. 


368 


abgeschlossen  und  nach  deutscher  Systematik  eingetheilt,  der  Nachwelt  in 
den  drei  grossen  Werken  vorlagen,  die  den  Kuhm  Gneists  und  der  deutschen 
Wissenschaft  auf  diesem  Felde  unvergänglich  machen:  dem  ..Englischen 
Verwaltungsrecht"  in  zwei  Bünden.  „Selfgovernement.  Kommunalverfassung 
und  Verwaltungsgerichte  in  England**,  endlich  der  „Englischen  Verfassung*- 
geschiente"  in  einem  ISande.  als  der  Summe  des  ganzen,  riesigen  Rechts- 
stoffes. Ich  habe  schon  vorhin  das  eigene  Geständniss  Gneists  angefnhrt. 
das  uns  die  Wurzel  dieses  völlig  neuen,  die  deutsche  Staatswissenschaft  so 
ausserordentlich  bereichernden  Studiums  blosslegt:  aber  jene  praktischen 
Anregungen,  die  Gneist  in  seiner  Thatigkeit  als  junger  Richter  erfahren 
hatte,  und  die  ihn  zu  vollkommen  neuer  Auffassung  des  öffentlichen 
Hechtes  drängten,  hatten  durch  die  Erfahrungen  des  Stadtverordneten  Gneist 
weitere  nachhaltige  Förderung  erlangt.  In  dem  längst  schon  latent  gewesenen, 
durch  die  Märzrevolution  zum  offenen  Ausbruch  gelangten  Widerstreben  der 
Bevölkerung  wider  die  einförmig  starre  Herrschaft  der  absoluten,  unverant- 
wortlichen Bureaukratie  war  das  populäre  Schlagwort  der  Notwendigkeit 
der  ..Selbstverwaltung*'  zur  herrschenden  Phrase  geworden.  Man  war  aber, 
wie  Gneist  gerade  in  der  Geschichte  der  Berliner  Stadtverordneten -Ver- 
sammlung drastisch  zeigt,  weit  entfeint  von  einer  klaren  Vorstellung,  was 
man  an  Stelle  der  bisherigen  Einrichtung  setzen  wollte,  indem  man  jenes 
Wort  gebrauchte:  im  Grunde  genommen  zeigte  sich  nach  dem  wirklichen 
Verlauf  der  Dinge  niemand  unfähiger  zur  Selbstverwaltung  und  Selbst- 
regierung als  die  preussische  Demokratie  des  Jahres  1848,  vielleicht  desshalb, 
weil  es  ihr  am  allermeisten  an  der  Selbstbeherrschung  gebrach.  In  der 
That  schien  man  unter  dem  ominösen  Worte  des  Selfgovernement  ein 
.möglichst  wenig  Regiertwerden**  zu  verstehen.  Aber  es  ist  nur  selbst- 
verständlich, dass  man  mit  solch'  einem  negativen  Programm  nicht  im  Stande 
war.  nach  dem  Zusammenbruch  des  alten  Preussen  das  neue  Preussen  auf- 
zubauen. Gneist.  nun.  durch  seine  bisherigen  englischen  Studien  am  besten 
befähigt,  die  Hohlheit  dieser  populär-demokratischen  Verfassungsdoktrin  zu 
erkennen,  wurde  sich  gerade  unter  dem  Eindrucke  des  Versagens  der  alten 
bnreaukratischen  Maschine  in  den  Tagen  der  Revolution  dessen  bewusst. 
dass  nicht  in  der  möglichsten  Schwächung  der  vollziehenden  Gewalt, 
sondern  in  der  besonderen  Organisation  derselben  das  Wesen  des  Self- 
governement, das  Geheimniss  der  Freiheit  des  englischen  Staatslebens,  welche 
die  Demokraten  ohne  wahre  Kenntniss  der  englischen  Zustände  allezeit  im 
Munde  führen,  verborgen  liegen  müsse.  Dies  Geheimniss  zu  lösen,  war  die 
grosse  Aufgabe,  der  er  sich  nunmehr  unterzogen,  und  die  er  in  meister- 
hafter Weise  gelöst  hat. 

Es  ist  unmöglich  den  ausserordentlichen  Gewinn  an  staatswissenschaft- 
licher Erkenntniss,  den  Gneist 's  klassische  Werke  für  uns  bedeuten,  hier  in 
dem  engen  Rahmen  eines  Nachrufes  mit  wenigen  Worten  erschöpfend  zu 
bezeichnen.    Nach  zwei  Richtungen  hat  Gneist  bahnbrechend  gewirkt:  ein- 


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369 


Biographische  Blatter. 


mal.  was  die  allgemeine  theoretische  Auffassung  vom  Wesen  des  Staates 
betrifft,  sodann  in  Bezug  auf  das  richtige  Verständniss  der  englischen  Rechts- 
institutionen auf  dem  Festlande.  In  erster  Hinsicht  muss  mau  sich  dessen 
bevvusst  sein,  dass  die  grossen  politischen  Bewegungen  des  .Jahres  184h 
nicht  nur  äusserlieh  eine  Fortpflanzung  der  Erschütterung  im  Inneren  Frank- 
reichs, sondern  auch  ihrem  theoretischen  Wesen  nach  Wirkungen  der  zuletzt 
in  Frankreich  ausgebildeten  Naturrechtslehre  vom  Staate  gewesen  sind. 
Dieser  trat  nun  in  Deutschland  die  historische  Richtung  zuvorderst  in  der 
Rechtswissenschaft,  sodann  auch  in  der  Volkswirtschaftslehre  entgegen, 
bemüht  an  die  vStelle  eines  unfruchtbaren,  der  wirklichen  Gestaltung  der 
Dinge  entrückten  Radikalismus  den  organischen,  an  das  Bestehende  an- 
knüpfenden Fortschritt  zu  setzen.  Zur  wissenschaftlichen  Erfassung  des 
Staates  und  seines  Rechtes  hatte  da  gerade  um  die  Mitte  dieses  .Jahrhun- 
derts Lorenz  von  Stein  das  Grüsste  gethan:  in  origineller  Fortbildung 
Hegelscher  Gedanken  hatte  er  in  der  Geschichte  der  sozialen  Bewegungen 
Frankreichs  zum  ersten  Mal  den  Begriff  der  realen  Gesellschaft  und  die 
naturnoth wendige  Abhängigkeit  des  jeweiligen  Staatsrechtes  von  der  Struktur 
derselben  aufgezeigt.  Diesen  Gedanken  ergriff  nun  Gneist  mit  all' der  I Leb- 
haftigkeit seines  Geistes  und  machte  ihn  erst  recht  fruchtbar,  da  er  daran 
ging,  auf  Grund  der  historischeu  Methode  die  Richtigkeit  jener  Auffassung 
an  dem  englischen  Beispiel  zu  erläutern.  So  erwuchs  ihm  aus  der  tief 
eindringenden,  das  Ganze  und  das  Einzelne,  die  Vergangenheit  und  die 
Gegenwart  erfassenden  Darstellung  der  englischen  Verfassung  jene  Lehre 
vom  Rechtsstaat,  die  seither  mit  seinem  Namen  dauernd  verknüpft  bleibt: 
dass  der  Staat  jene  Rechtsanstalt  sei.  die  den  vielen  divergirenden  Inter- 
essen der  einzelnen  ( Jesellsehaftsschichtcn  gegenüber,  das  Wohl  und  die 
friedliche  (\>e\istenz  der  Gesaiumtheit  zu  sichern  berufen  sei.  Alle  inneren 
Kämpfe  eines  Staatswesens  erscheinen  ihm  als  „Versuche  einer  gesellschaft- 
lichen fherHuthung  über  die  vom  Staatsrechte  gezogeneu  Dämme."  Die 
Grundlage  der  gesellschaftlichen  Schichtung  und  demgemäss  die  Abgrenzung 
der  gesellschaftlichen  Machtsphären  sind  nicht  durch  das  Recht,  sondern 
durch  die  Vertlieilung  des  Besitzes  gegeben:  das  Güterleben  regelt  die  Be- 
ziehungen der  einzelnen  sozialen  Gruppen  innerhalb  des  Staates.  Daraus 
folgt  nun  evident  die  Abhängigkeit  der  grundlegenden  Uechtseinrichtungcn 
des  Staates,  seiner  Verfassung  und  Verwaltung  von  der  in  bestimmten  Be- 
sitzverhaltnissen konstituirten  Gesellschaft.  Daraus  folgt  weiter,  dass  der 
Schwerpunkt  des  jeweiligen  Staatsrechtes  stets  innerhalb  jener  Gcsellschafts- 
schichte  liegen  muss.  die  nach  der  Vertlieilung  des  Besitzes  die  herrsehende  ist. 
Endlich  aber  ergiebt  sich  gerade  ans  diesem  Verhältnis*  von  Staat  und  Gesell- 
schaft für  Gneist  die  wichtige  Konsequenz,  dass  ein  starkes  Königthum  und  der 
von  diesem  berufene  Staatsrath  der  unverrückbar  feste  Punkt  sein  müssen,  an 
den  alle  organische  Recht sbildung  allein  mit  Erfolg  anknüpfen  kann  gegenüber 
den  stets  übermächtig  hervortretenden  gesellschaftlichen  Sonderbestrebungen. 


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Rudolf  von  (ineist. 


'370 


Das  eigentliche  Beweismatcrial  für  diese  Staatsphilosophie  hat  (ineist, 
wie  schon  bemerkt,  die  englische  Verfassungsgcschiehte  geboten,  wenn  er 
auch,  insbesondere  in  den  späteren  Umarbeitungen  seiner  Werke,  immer  mehr 
die  preussische  und  französische  Entwickelung  herangezogen  hat.  Hier,  in 
England,  fand  er  venvirklicht,  was  anderswo  nirgends  so  rein  ausgebildet 
worden:  die  Überwindung  und  Einigung  der  gesellschaftlichen  Gegensätze 
in  den  grossen  Institutionen  des  öffentlichen  Rechtes  zur  gemeinsamen  staatlichen 
Arbeit.  Das  Selfgovernment  ist  ihm  der  bewunderswerthe  „Zwisehenbau 
zwischen  Staat  und  Gesellschaft",  der  das  vollbringt.  „Zwischen  dem  Ge- 
sanimtorganismus  der  Gesellschaft  und  dem  Organismus  des  .Staates  er- 
scheint ,**  sagt  er.  „ein  dauernder  Gegensatz.  Alle  Einrichtungen  des 
Staates  mit  ihrem  Zwangscharakter  und  ihren  fernliegenden  Zielen  stehen 
unabänderlich  den  nächsten  Interessen  der  Gesellschaft  entgegen.  Bildet 
die  Gesellschaft  in  dieser  Richtung  einen  zusammenhängenden  Organismus, 
so  bedarf  es  eines  staatlichen  Gegenorganismus,  welcher  die  gesellschaft- 
lichen Interessen  sich  unterordnet,  vereinigt  und  in  steter  Übung  den 
Menschen  zur  Erfüllung  seiner  staatlichen  Pflichten  zwingt  und  gewöhnt. 
Dieser  staatliche  Gegenorganismus  ist  das  Seif go vernement.** 

In  diesen  Sätzen  ist  der  Kern  der  Gneist  sehen  Staatsauffassung  ge- 
geben. So  wie  Lorenz  von  Stein  in  seiner  geistreich -dunkeln  Manier  aus 
dem  „Begriff  des  Staates"  und  dem  ..Begriff  der  Arbeit**  die  unlösliche  Ver- 
bindung der  Staatsverfassung  mit  der  Verwaltung,  der  Ordnung  des  ..arbeiten- 
den Staates"  deduzirt.  so  gelangt  Gneist  auf  dem  historisch-induktiven  Wege 
zu  dem  gleichen  Ergebniss.  Er  geht  aber  darin  um  einen  sehr  bedeutenden 
Schritt  weiter,  dass  er  aus  dem  immanenten  Verhältniss  von  Staat  und  Gesell- 
schaft die  Art  dieser  Verbindung  beider  genau  bezeichnet:  von  den  englischen 
Erfahrungen  ausgehend,  zeigt  er.  wie  mit  der  Aufstellung  des  Zwischeubaues 
des  Selfgovernement  zwischen  Staat  und  Gesellschaft  dauernde  Harmonie 
erreicht  werden  könne.  Das  ist  die  grosse  Lehre  gewesen,  die  er  aus 
seinen  Studien  der  westeuropäischen  Reehtsgeschichte  zog.  Aus  der  ge- 
schichtlich entwickelten  Natur  der  englischen  Institutionen  heraus  gelangte 
Gneist  jedoch  auch  zu  einer  positiven  Definition  des  Selfgovernement:  dieses 
ist  nach  ihm  „die  Verwaltung  eines  Landes,  nach  dessen  Gesetzen  durch 
persönliche  Ehrenämter  der  höheren  und  Mittelstände  mittelst  Kommunal  - 
Grundsteuern".  In  meisterhafter  Weise  hat  Gneist  bis  in  s  letzte  Detail 
aus  dem  schier  unermesslichen  englischen  Rechtstoffe,  dem  Resultat  einer 
800  jährigen  Eiitwiekelung,  diesen  Satz  als  das  Grundprinzip  des  englischen 
Staatswesens  herausgearbeitet:  er  wies  hier  unwiderleglich  nach,  was  er 
schon  in  seiner  Schrift  „über  Adel  und  Ritterschaft  in  England"  dargelegt, 
dass  die  ökonomisch  herrschende  Klasse  Englands,  die  Gentry.  seit  dein 
1<>.  Jahrhundert  die  Trägerin  der  politischen  Macht,  der  Pfeiler  der  Staats- 
Verfassung  durch  die  auf  ihren  Leib  sich  anpassende  Ausbildung  der  Selbst- 
verwaltung geworden  ist.    Darum  sah  er  in  dein  Zustande  des  Landes  am 


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371 


Biographische  Blätter. 


Endo  des  18.  Jahrhunderts,  zu  welcher  Zeit  das  klassische  Selfgoverneuient 
seine  höchste  Vollendung  erlangt  hatte,  auch  den  Höhepunkt  der  englischen 
Staatsentwiekelung. 

Hält  man  nun  diese  Auffassung  von  Staats-  und  Verwaltungsrecht, 
wie  sie  in  Gneist  zu  Beginn  der  00  er  Jahre  bereits  gereift  war,  zusammen 
mit  der  Staatslehre  jener  Partei,  der  sich  Gneist.  seitdem  er  im  Jahr  1859 
in  den  preussischen  Landtag  eingetreten,  angeschlossen  hatte,  so  wird  man  eher 
der  Meinung  sein,  es  müsse  Gneist  der  Eintritt  in  das  politische  Treiben 
der  liberalen  Majorität  weit  schwerer  geworden  sein  als  später  sein  V  bertritt 
zur  Regierung  nach  dem  Überwältigenden  Siege  der  Bismarekschen  Staatskunst 
im  .fahre  1800.  Es  ist  schwer,  hier  die  Gründe  auseinanderzusetzen,  die 
(ineist  doch  solange  in  der  Opposition  festgehalten  haben:  es  mögen  persönliche 
Momente  reichlich  mitgewirkt  haben.  Aber  nochmals  möchte  ich  in  An- 
knüpfung an  das  zu  Eingang  Gesagte  wiederholen:  die  innere  Krisis.  die 
mit  dem  Siege  Bismarcks  in  dem  Gefüge  der  liberalen  preussischen  Opposition 
eintrat,  musste  für  Gneist  auch  eine  innere  Befreiung  aus  einer  für  ihn 
iminenuehr  unhaltbar  gewordenen  Position  bedeuten.  Das  lässt  sich  z.  B. 
deutlich  an  seiner  Behandlung  der  berühmten  Frage  nach  dem  Rechtsbegriff 
des  Budgets  erkennen.  Man  erinnert  sich,  dass  die  Verweigerung  zunächst 
des  Heeresbudgets,  sodann  des  ganzen  Etats  den  eigentlichen  Kern  des 
Konfliktes  der  Bismarekschen  Regierung  mit  der  Opposition  bildete.  Obgleich 
nun  Gneist  damals  ein  Wortführer  der  Linken  war.  musste  er  sich  doch  längst 
ganz  andere  Anschauungen  als  diejenigen  seiner  Partei  gebildet  haben. 
Denn  schon  im  Jahre  1807  setzt  er  in  seiner  Schrift  über  „  Budget  und  Gesetz'* 
auseinander,  dass  die  englische  Verfassung,  weit  entfernt  von  der  konstitu- 
tionellen Doktrin,  keineswegs  die  jährliche  Annahme  aller  Einnahmeposten  des 
Budgets  zur  Bedingung  mache,  dass  vielmehr  der  überwiegende  Theil  der 
Einnahmen,  der  auf  bestehenden  Gesetzen  beruht,  wieder  nur  durch  ein 
Gesetz,  nicht  aber  durch  einseitigen  Beschluss  des  Unterhauses  der  Regierung 
entzogen  werden  könne.  Schliesslich  wies  er  nach,  dass  ein  Gleiches  auch 
aus  der  preussischen  Verfassung  von  IköO  sich  nothwendig  ergebe. 

Nunmehr,  seit  der  Begründung  des  Norddeutschen  Bundes,  noch  mehr, 
seitdem  das  Reich  erstanden,  begann  für  Gneist  eine  Zeit  der  fruchtbarsten 
Arbeit.  Die  Hoffnungen,  im  positiven  Sinne  rechtsbildend  wirken  zu  können, 
die  ihn  nach  seinem  eigenen  <  iestüudniss  bereits  beim  Eintritt  in  den  Land- 
tag erfüllt  haben,  sie  konnten  sich  jetzt  in  ungeahnt  weitem  Gebiete  erfüllen. 
Schon  in  seinen  grossen  Werken  über  die  englische  Verfassung  hatte  Gneist 
immer  wieder  mit  Nachdruck  hervorgehoben,  dass  der  Ausbau  des  deutschen 
Rechtsstaates  in  origineller  Weise  die  Gedanken  des  Selige vernement  als 
einer  Verwaltung  nach  Gesetzen  verwirklichen  müsse.  Und  immer  von  neuem 
wies  er  auf  die  vorhandenen  Können  echt  deutscher  Selbstverwaltung,  be- 
sonders in  der  Steiu-Hardenbergschen  Gesetzgebung,  als  die  Anknüpfungs- 
punkte der  Reform.  So  ist  denn  sein  ganzes  parlamentarisches  Wirken  als 


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Hudulf  von  (ineist. 


372 


Mitglied  des  Reichstages  bis  zum  Jahre  1892.  seine  ganze  publizistische  und 
akademische  Thätigkeit  von  nun  an  der  Reform  des  Öffentlichen  Rechtes  in 
Preussen,  der  Mithilfe  bei  den  grossen  Kodifikationen  für  das  Reich  uner- 
müdlich gewidmet.  Fast  unübersehbar  ist  die  Reihe  der  Schriften  Gneists 
in  dieser  Periode:  jede  einzelne  grosse  Frage  der  Gesetzgebung  findet  in 
derselben  ihre  Vertretung.  »So,  tun  nur  einige  zu  nennen:  Die  preußische 
Kreisordnung  1870.  ein  Reformwerk  betreffend,  in  welchem  Gneist  als  Haupt- 
berather der  Regierung  einige  seiner  Grundideen  zur  Durchführung  bringen 
konnte,  die  Schrift  über  Freie  Advokatur"  1867;  Vier  Fragen  zur  deutschen 
Strafprozessordnung,  1874,  Die  bürgerliche  Eheschliessung  1869:  Die  kon- 
fessionelle Schule  1869.  Zur  Steuerreform  in  Preussen  1878.  u.  a.  m.  Aus 
den  Debatten  im  Reichstage,  an  die  sich  die  preussisehe  Ministerkrise  des 
Jahres  1878  anschloss.  ging  auch  die  bedeutende  Schrift  über  „Gesetz  und 
Budget'4  im  Jahre  1879  hervor:  sie  griff  das  schon  vor  1 2  Jahren  behandelte 
Thema  nochmals  auf  und  knüpfte  daran  die  erste  eingehende  Behandlung 
eines  Grundproblems  dos  Staatsrechtes,  nämlich  des  Verhältnisses  von  Gesetz 
und  Verordnung  im  konstitutionellen  Rechtsstaate.  Daneben  erchien  das  Werk, 
in  welchem  G neust  seine  Lehre  vom  W  esen  des  Staates  zusammenfasste :  der 
vielangegriffene  „ Rechtsstaat''  1872.  Seinen  englischen  Studien  entsprang  als 
Spätling  eine  kürzere  und  populär  gehaltene  „Geschichte  des  englischen 
Parlamentes  in  1000  jährigen  Wandlungen",  1886:  endlich  ist  die  grund- 
legende Arbeit  Gneists  für  die  Reform  des  deutschen  Verwaltungsrechtes 
zu  nennen,  die  bereits  im  Jahre  1869  erschienen  ist  unter  dem  Titel  „Ver- 
waltung, Justiz,  Rechtsweg,  Staatsverwaltung  und  Selbstverwaltung  nach 
englischen  und  deutschen  Verhältnissen  mit  besonderer  Rücksicht  auf  Ver- 
waltungsformen  und  Kreisordnungen  in  Preussen".  Eine  besonders  frucht- 
bringende Thätigkcit  hat  Gneist.  auch  als  Begründer,  Ausschussmitglied 
und  seit  1871  als  ständiger  Vorsitzender  des  deutschen  Juristentages 
entwickelt.  Diese  Stellung  entsprach  seiner  der  Theorie  wie  der  Praxis  des 
Rechtslebens  gleich  nahestehenden  Geistesart  in  ganz  besonderem  Maasse. 
Eine  grosse  Anzahl  seiner  Broschüren,  GelegenheiUschriften,  Reden  und 
Vorträge  hat  hier  ihren  äusseren  Anlass  gefunden.  Weniger  erfolgreich, 
aber  immerhin  beachtenswert  ist  seine  Thätigkeit  im  Vereine  mit  dem  Sozial- 
politiker Bohniert  gewesen:  mit  diesem  zusammen  gab  er  die  Zeitschrift 
..Der  Arbeiterfreund-  als  das  Organ  des  Berliner  „Centraivereins  für  das 
Wohl  der  arbeitenden  Klassen"  heraus.  Auch  an  der  Gründung  des 
..Vereins  für  Sozialpolitik"  auf  dem  Eisenacher  Tage  von  1872  hat  Gneist 
theilgenommen. 

Schon  die  blossen  Titel  der  verschiedenen  Schriften,  welche  im  Zu- 
sammenhange mit  der  vielseitigen  praktischen  Wirksamkeit  Gneists  entstanden 
sind,  geben  ein  Bild  von  dem  reichen,  alle  Zweige  des  staatlichen  Lebens 
berührenden  Interesse  des  Gelehrten  und  Politikers  (ineist,  f'berall  wirkte 
er  anregend  und  belehrend,  in  den  Fragen  des  Verwaltungsrechtes  und 


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373 


Kiogrraphisehe  Blätter. 


seiner  Fortbildung"  entscheidend.  Sein  grosses  Grundprinzip,  dass  nur  in 
der  Entwickelung  der  Selbstverwaltung"  als  einer  Pflicht  der  Einzelnen,  nur 
in  der  konstanten  Thätigkeit  der  Individuen  als  Träger  und  Vollstrecker 
des  staatlichen  Willens  ein  gesundes  Staatsleben  auf  deutschem  Hoden 
erwachsen,  diese  aus  der  Tiefe  der  Erkenntnis*  germanisch -engl ischer 
Rechtsanschauung  herausgehobene  Idee  hat  er  im  weitesten  Ausmaasse  in 
seinem  Yaterlande  zur  Durchführung  bringen  können.  Und  ebenso  den 
zweiten  Hauptgedanken  seiner  Lehre  vom  öffentlichen  Recht,  dass  alle  Yor- 
waltung  nach  Gesetzen  vollzogen  werden  müsse:  die  Schöpfung  der  heute 
in  jedem  Staate  als  unerlHsslich  angesehenen  Yerwaltungsjustiz  ist  durchaus 
ureigenes  Werk  Rudolf  Gnoists.  In  dieser  Hinsicht  hat  er  auch  auf  die 
Gesetzgebung  ausserhalb  des  deutschen  Reiches  höchst  befruchtend  gewirkt. 

Goethes  tröstender  Spruch:  „Was  man  in  der  Jugend  sich  wünscht,  das 
hat  man  im  Alter  die  Fülle"  hat  Rudolf  von  Gneist  bewährt  gefumlen  wie 
selten  einer.  Ks  ist  ihm  vergönnt  gewesen,  nicht  nur  die  Blüthe.  sondern 
auch  die  Früchte  aus  den  Keimen,  die  er  gesäet,  zu  schauen  und  sich 
daran  zu  erfreuen. 

Noch  im  Jahre  JHUl  konnte  er  mit  Genuglhuung  erleben,  dass  der 
Schlussstein  der  preussischen  Verwaltungsreform  in  dem  Gesetze  einer 
Landgemeindeordnung  für  die  östlichen  Provinzen  des  Königreiches  gelegt 
ward.  Ein  ganzes  Netz  obrigkeitlicher  Selbstverwaltung  spannte  sich  über 
das  Reich  aus.  Das  blühende  Kommunalleben  der  kleineu  Städte  sowohl  als 
der  neuen  Riesenstädte  des  Reiches  in  den  Formen  der  munizipalen  Autonomie, 
die  zahlreichen  neugeschaffenen  Formen  der  Mitwirkung  der  bürgerlichen 
Klassen  an  der  staatlichen  Verwaltung  durch  Ehrenämter,  all"  diese  Er- 
rungenschaften der  letzten  Dezennien  konnte  Gneist  mit  berechtigtem  Stolze 
als  Resultat  seiner  Lehre,  seines  unermüdlichen  Wirkens  betrachten.  Und 
dies  mochte  ihn  auch  darüber  trösten,  dass  während  des  letzten  Jahrzehnts 
mit  der  Abnahme  seiner  Kräfte  auch  seine  Schaffenskraft,  sein  Einfluss  im 
Reichstage  notwendigerweise  nachliess. 

Politisch  trat  Gneist  in  höherem  Alter  noch  einmal  bemerkenswert  Ii 
hervor:  als  er  im  Jahre  187*  das  Sozialistengesetz  in  einer  besonderen 
Brochürc  vertheidigle  und  so  das  Odium  dieser  dann  mit  solcher  Härte  aus- 
geführten Polizeigesetzgebung  auch  auf  sich  zog.  (ineist  ist  von  Anfang 
an  eine  konservative  Natur  gewesen:  aufgewachsen  in  Traditionen  einer 
ganz  anderen  Zeit  als  der  Epoche  des  industriellen  Kapitalismus,  der  in 
steigendem  Maasse  seit  den  sechziger  Jahren  Deutschland  beherrschte.  i>T 
sein  Pdiek  eigentlich  über  jene  Grenze  nie  hinausgegangen,  die  er  selb>t 
mit  dem  Wort:  ..besitzende  Klassen**  bezeichnet.  So  ist  ihm  auch  die 
gewaltige  Kntwickelung  des  Proletariats  eine  räthselhafte,  ja  feindselig 
berührende  Erscheinung  gewesen. 

Dies  ist  ja  nun  überhaupt  der  Punkt,  an  dem  eine  Kritik  der  Gneist- 
schen  Lehre  einzusitzen  hätte:  dass  sie  in  ihrer  induktiv-historischen  Methode 


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Hudolf  von  «ineist. 


374 


an  einem  gewissen  Punkte  stellen  bleibt,  um  dann  wieder  ebenso  dogmatisch 
zu  werden,  als  dies  die  Naturrechtsphilosophen  gewesen  sind.  Sehr  klar  hat 
(»neist  den  gesellschaftlichen  Untergrund  aller  Entwickelung  des  Staats- 
rechtes, der  Verfassung,  und  Verwaltung-  herausgehoben:  aber  die  eigent- 
liche Natur  dieser  gesellschaftlichen  Vorgänge  hat  er  doch  nur  bis  zu  einem 
gewissen  Punkte  verfolgt,  und  gemeint,  dass  sie  darüber  nicht  hinausgehen 
könnten.  So  ist  denn  auch  seine  praktische  Auffassung  des  Selfgovernement 
—  wenn  auch  historisch  völlig  richtig  gesehen  und  erklärt  —  als  Grund- 
prinzip für  die  weitere  Reform  des  Öffentlichen  Hechtes  heute  schon  zum 
grossen  Theil  antiquirt:  denn  nur  die  alten  auf  den  Grundbesitz  aufgebauten 
Besitzeskategorien  erschienen  ihm  als  die  wahren  Träger  der  sozialen  Macht 
und  darum  auch  der  Staatsverwaltung.  Aus  diesem  Grunde  sah  er  auch 
•lie  englische  Reformgesetzgebung  dieses  Jahrhundeites,  die  nothwendig 
der  neuen  industriellen  Gesellschaft  ihr  Hecht  schuf,  mit  Trauer  und  Be- 
sorgnis* als  den  beginnenden  Ruin  der  wahren  ..Selbstverwaltung".  Aber 
gerade  die  Annahme  der  ( ineist  scheu  Theorie  vom  Selfgovernement.  der  die 
tiefe  sittliche  Wahrheit  zu  Grunde  liegt,  dass  nur  in  der  Mitarbeit  der 
Einzelnen  für  die  Gesammtheit  die  wahre  staatliche  Freiheit  gesichert  sei, 
erfordert  es,  dass  man  mit  der  ökonomischen  Entwickelung.  mit  dem  Empor- 
steigen neuer  gesellschaftlicher  Schichten  diese  Theorie  des  Selfgovernement 
auch  auf  diese  neuaufkommenden  Massen  ausdehne.  Sonst  gelangt  man 
auch  in  der  praktischen  Rechtscutwicklung  rasch  dahin,  wo  die  historische 
Schule  der  Jurisprudenz  längst  angekommen  ist:  nämlich  beim  historischen 
Doktrinarismus,  der  wohl  für  die  Vergangenheit,  nicht  mehr  aber  für  die 
Zukunft  das  Werden  aller  Dinge  zugiebt.  Doch  es  ist  hier  nicht  der  Ort. 
in  eine  Kritik  der  Gneist.schen  Theorie  einzugehen.  Nur  noch  auf  das  eine 
soll  hingewiesen  sein:  dass  gerade  die  jüngste  von  (ineist  so  besorglich 
benrtheilte  Entwickelung  des  öffentlichen  Rechtes  in  F^ngland  zeigt,  wie 
tief  der  von  (ineist  zum  ersten  Mal  erkannte  Trieb  des  Briten  zur  freien 
Selbstverwaltung  in  der  Nation  eingewurzelt  ist:  auf  dem  neuen  gesell- 
schaftlichen Hoden  des  England  von  heute  sind  wieder  neue  Formen  eines 
demokratischen  Selfgovernement  im  Emporblühen  begriffen,  die  in  der 
Zukunft  eine  eben  so  grosse  Bedeutung  für  die  nationale  Entwickelung  zu 
gewinnen  bestimmt  sind,  als  das  im  Niedergang  befindliche  obrigkeitliche 
Selfgovernement  der  alten  Zeit  bisher  besessen  hat. 

Goethe  sagt  einmal  in  seinen  Weisheitssprüchen:  ..Der  ist  der  glück- 
lichste Mann,  der  das  Ende  seines  Lebens  mit  dem  Anfang  in  Verbindung 
setzen  kann".  In  diesem  Sinne  ist  (ineist  gewiss  einer  von  den  Glücklichen 
gewesen.  Und  auch  sonst  verlief  sein  äusseres  Leben  ohne  wesentliche 
Störuniren:  er  hat  so  recht  das  Dasein  eines  modernen  Gelehrten  geführt, 
der  über  den  Hörsaal  hinaus  in  die  Weite  zu  wirken  strebt.  An  äusseren 
Knien  und  Würden  liel  ihm  reichlich  zu.  was  ihm  vollauf  gebührte:  längst 
schon  galt  er  als  eine  Zierde  der  nationalen  Wissensehaft   und  stand  als 


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:J75 


Biographische  Blätter. 


solcher  an  grossen  Gedenktagen  des  Vaterlandes  in  erster  Reihe.  So  als  er 
im  . Jahre  1875  die  Festrede  zur  Enthüllung  des  Denkmals  jenes  Mannes 
hielt,  dessen  Werk  fortzusetzen  er  seit  jeher  bemüht  gewesen:  des  grossen 
Freiherrn  vom  iStein.  In  ähnlicher  Weise  vertrat  er  die  Deutschen  als 
Ehrengast  der  Vereinigten  Staaten  bei  der  Eröffnung  der  Pacihcbahn  im 
Jahre  1883.  Im  .lahre  1886  wurde  er  zum  Ehrendoktor  der  Philosophie 
von  der  Universität  Herlin  und  der  Universität  Edinburg,  im  Jahre  188* 
als  solcher  von  der  Universität  Bologna  ernannt.  Wenn  auch  die  herr- 
schenden Anschauungen  unserer  Zeit  vielfach  Uber  seine  Lehre  hinaus- 
gingen, so  hörte  man  doch  stets  aufmerksam  auf  seine  Stimme  und  sein 
Uliheil.  Sein  letztes  Werk  (Die  nationale  Rechtsidee  von  den  Ständen  und 
das  preussische  Dreikiassen -Wahlsystem,  1894)  hat  allerdings  wenig  Beifall 
gefunden,  obgleich  es  im  Wesentlichen  nur  die  Summe  seiner  wissenschaft- 
lichen Lehren  zog:  mit  Befremden  nahm  man  da  wahr,  dass  (ineist,  der 
selbst  schon  im  Jahre  1849  das  Uensuswahlrecht  auf's  Schärfste  bekämpft 
und  als  völlig  undeutsch  verworfen  hatte,  nunmehr  zu  einem  lebhaften  Für- 
sprecher des  preussischen  Klassenwahlsystems  —  des  elendesten  aller  Wahl- 
rechte, wie  Bismarck  es  im  preussischen  Landtag  während  der  Kontlikts- 
debatten  genannt  —  sich  rückentwickelt  hatte.  Und  weiter  erseheint  es 
gar  seltsam,  dass  (ineist  noch  immer  die  moderne  Gesellschaft  in  ständischen 
Formen  gegliedert  sich  vorstellt.  So  wird  also  dieses  letzte  Buch  Gneists 
dem  Bilde  seines  wissenschaftlichen  Charakters  keinen  beinerkenswerthen 
neuen  Strich  hinzufügen:  es  wird  aber  gewiss  auch  seinem  Ruhm  als  Be- 
gründer des  geschichtlich  erforschten  Staats-  und  Verwaltungsrechtes  auf 
die  Dauer  keinen  Eintrag  thun. 

Jedenfalls  ist  aber  gerade  dies  letzte  Buch  ein  Zeugniss  für  die  be- 
wunderungswürdige Rüstigkeit  und  Frische,  deren  sich  der  78  jährige  Ver- 
fasser bis  zu  den  letzten  Erden  tagen  erfreuen  durfte.  Ein  reiches,  um  die 
deutsche  Nation  und  die  Wissenschaft  hochverdientes  Leben  war  zum  Ab- 
schluss  gebracht,  als  Rudolf  von  (ineist  am  22.  Juli  dieses  Jahres  die  Augen 
sehloss.  Sein  Andenken  wird  dauernd  fortleben  als  das  eines  Fürsten  der 
deutschen  Wissenschaft  dieses  Jahrhunderts,  eines  der  schaffenskräftigsten 
Mitarbeiter  an  dem  grossen  Rechtsbau  des  neugegrü  mieten  Reiches,  als  das 
eines  Forschers  und  Politikers,  der  ewig  lebendige,  seit  langem  verschüttete 
(Quellen  des  deutschen  Rechtslebens  aufgegraben  und  so  die  staatliche  Ent- 
wicklung seines  Volkes,  vor  allem  seines  engeren  preussischen  Vaterlandes, 
nachhaltig  und  segensreich  befruchtet  hat. 


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Heinrich  von  Sybel. 


37C> 


Heinrich  von  Sybel. 

V  o  n 

CONRAD  VARRENTRAPP. 

Auch  in  den  Biographischen  Blättern  darf  ein  Wort  der  Erinnerung 
an  Heinrich  von  Sybel  nicht  fehlen,  an  den  Historiker  der  Begründung  des 
neuen  deutschen  Reichs,  der  uns  in  diesem  Sommer  entrissen  wurde,  da  wir 
eben  das  Gedächtnis*  an  die  Ereignisse  von  1870  begingen.  Wie  sein 
grosser  Lehrer,  wie  Hanke,  ist  auch  Sybel  bei  seinen  historischen  Arbeiten 
nicht  durch  biographische  Gesichtspunkte  bestimmt:  aber  wie  dieser  hat 
auch  er  sie  durch  biographische  Momente  belebt  und  nachdrucklich  hat  ei- 
stet s  die  Bedeutung  der  Persönlichkeiten  in  der  Geschichte  auch  dem 
Meister  gegenüber  betont.  Als  in  Rankes  letzten  Werken  immer  mehr  die 
Menschen  zurücktraten  vor  den  Ideen,  deren  Träger  sie  sind,  hob  in  aus- 
gesprochenem Gegensatze  zu  ihm  Sybel  hervor,  er  sähe  „in  aller  Geschichte 
die  Menschen,  die  sich  das  Gedankenbild  erschaffen,  danach  handeln  und 
dafür  einzustehen  haben".  Kingrehend  zu  schildern,  wie  er  selbst  berufen 
and  thätig  war  für  die  Ausgestaltung  und  Durchführung  der  Ideen,  die  in 
seiner  Zeit  das  wissenschaftliche  und  politische  Leben  seiner  Nation  bewegten, 
kann  nicht  in  den  nachfolgenden  Zeilen  unternommen  werden:  in  ihnen 
möchte  ich  nur  versuchen,  kurz  an  die  Hauptpunkte  seiner  Thätigkeit  zu 
erinnern,  den  Zusammenhang  anzudeuten,  in  dem  sie  mit  Sybels  individueller 
und  der  Entwickelung  seiner  Zeit  steht. 

Eine  Persönlichkeit  wie  die  Sybels  ist  nicht  durch  die  Landschaft  zu 
erklären,  in  der  sie  das  Licht  der  Welt  erblickte:  doch  darf,  wer  ilm,  wer 
seinen  Unterschied  von  seinen  Alters-  und  Arbeitsgenossen  genauer  ver- 
stehen will,  nicht  unbeachtet  lassen,  dass  er  im  preussisehen  Rheinland  auf- 
gewachsen ist.  In  Düsseldorf  ist  er  am  2.  Dezember  1817  geboren,  und 
nie  hat  er  seine  Anhänglichkeit  an  die  rheinische  Heimath,  nie  den  Zu- 
sammenhang mit  seinen  rheinischen  Freunden  verleugnet.  „Ich  bin",  sagte 
er  1875,  als  er  von  Bonn  schied,  „Rheinländer  und  bin  es  mit  Stolz, 
nicht  blos  im  Hinblick  auf  den  Strom  und  die  lierge  und  die  herrlichen 
Reize  der  Natur:  ich  bin  es  mit  Stolz  auch  im  Hinblick  auf  die  Landes- 
genossen, auf  dies  leicht  erregbare,  zu  allem  Guten  rasch  zu  entflammende,  von 
der  Natur  mit  reicher  Begabung  ausgestattete  rheinische  Volk".  Wer  Sybel  sah 
und  sprach,  dem  trat  aus  seinen  klugen  Augen  und  Worten  sofort  entgegen, 
wie  reich  diesen  Rheinländer  die  Natur  mit  den  Gaben  ausgerüstet  hatte, 
die  man  als  beste  Eigenschaften  rheinischen  Wesens  rühmt;  aber  mit 
seinem  scharfen  Blick  erkannte  er  klar  auch  die  Mängel  und  Schäden  in 
seiner  Heimath :  sie  aufzudecken  und  zu  ihrer  Abstellung,  zur  Besserung  die 
J^andesgenossen  anzutreiben,  hielt  er  sich  verpflichtet,  wie  er  selbst  immer 
eifrig  an  der  eigenen  Bildung  arbeitete.     Auch  von  diesem  Gesichtspunkte 


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:I77 


Hiographisehe  Blatter. 


aus  legte  er  besonderen  Werth  auf  die  Verbindung  des  Rheinlands  mit 
dem  preussischen  Staat,  dem  seine  Vaterstadt  kurz,  vor  seiner  Geburt  ein- 
gefügt, in  dessen  Verwaltungsdienst  sein  Vater  eingetreten  war.  Dieser 
stammte  aus  einem  Geschlecht,  aus  dem  viele  Mitglieder  als  evangelische 
Pfarrer  in  der  Grafschaft  Mark  «rewirkt  hatten1):  als  Sohn  eines  Subrektors 
in  Soest  und  Pfarrers  in  Sassendorf  ist  auch  er  in  Westfalen  geboren,  aber 
ganz  ist  er  im  Rheinlande  heimisch  geworden,  vor  allem  durch  seine  Frau, 
die  der  alten  rheinischen  Familie  Brügelmann  angehörte.  Glückliche  Jugend- 
jahre waren  unter  der  liebenden  Obhut  dieser  Eltern  ihrem  frühreifen 
ältesten  Sohne  beschieden:  besonders  bedeutsam  war  auch  für  ihn.  dass  in 
nahem  freundschaftlichen  Verkehr  mit  ihnen  die  Männer  standen,  die  damals 
Düsseldorf  zu  einem  wichtigen  Mittelpunkt  litterarischer  und  künstlerischer 
Bestrebungen  erhoben.  Immermann,  Sehnaase  und  Üchtritz.  Felix  Mendels- 
söhn  und  die  Meister  der  neu  begründeten  Düsseldorfer  Akademie.  Sybel 
erfuhr  hier,  wie  er  später  sagte2).  ..welch  ein  Segen  es  ist,  in  jugendlich 
empfänglicher  Zeit  zu  richtiger  Ausbildung  des  Schönheitssinns  angeregt 
zu  werden".  Förderung  seiner  ästhetischen  Bildung,  musikalische  Genüsse 
besonders,  brachte  ihm  dann  auch  seine  Studienzeit  an  der  berliner  Univer- 
sität, die  er  schon  1834.  noch  nicht  ganz  17  Jahre  alt.  bezog  und  bis  183N 
besuchte:  hier  hat  er  die  bestimmende  Anregung  für  seine  Zukunft  durch 
Leopold  Ranke  empfangen. 

Wie  er  dessen  geniale  Kraft  bewunderte,  wie  viel  er  ihm  .dankte,  hat 
{Sybel  selbst  in  warmen  Worten  in  seinem  Nachruf  auf  Ranke  hervorgehoben: 
er  war  ihm  besonders  auch  dafür  dankbar,  dass  er  nie  ihr  nahes  Verhältnis 
trüben  Hess  durch  die  offen  ausgesprochene  Verschiedenheit  ihrer  Naturen 
und  ihrer  Ansichten.  Sie  zeigt  sich  in  ihren  litterarischen  Arbeiten,  noch 
mehr  in  ihrer  Stellung  zum  öffentlichen  Leben.  Von  Rankeschen  An- 
regungen ausgehend,  hat  Sybel  in  seinem  ersten  bedeutsamen  historischen 
Buch,  seiner  Geschichte  des  ersten  Kreuzzuges,  die  er.  noch  nicht 
-2\  Jahre  alt.  1S41  veröffentlichte,  die  Unhaltbarkeit  der  legendarischen 
Krzählungen  Uber  Peter  von  Amiens  und  Gottfried  von  Bouillon  dargethan: 
aber  schon  hier  und  noch  mehr  in  seinem  drei  Jahre  später  erschienenen 
Werke  über  die  Entstehung  des  deutschen  Königthums  ist  deutlich  seine 
selbstständige,  seine  von  des  Meisters  abweichende  Art  zu  bemerken.  Die 
Schärfe,  mit  der  er  seine  l'rtheile  formulirte.  wurde  wohl  durch  die  in 
diesem  Buche  bezeugten  juristischen  Studien  gefördert,  die  Sybel  unter 
Savignys  Leitung  begonnen  hatte.    Grossen  Eindruck  hatte  dessen  Pan- 


h  Über  sie  und  namentli.h  Ul>er  Sybels  Vater  die  1*5)0  von  Sybels  ältestem 

Sohn,  dem  iN'tiierurejsrathe  F.  von  Sybel  veröffentlichten  Naehrirhten  über  die  Soest  er 
l  amili»'  Sybel.  über  Sybels  .Mutter  besonders  l'utlitz.  Immeniunn  I.  "JOti  ff. 

-)  Jn  seinem  Vorwort  zu  den  issj.  verüffentliehten  Krinnerunsren  ;in  Friedrieh  von 
i'ehtritz:  virl.  aueh  sein»«  an  den  Vertreter  der  I )iisseldorf'er  Akademie  bei  dem  Iionner 
Jubiläum  ls.js  ..^richteten  Worte  in  dem  offiziellen  IV>t berieht  S.  -JS  ff. 


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Heinrich  von  Sybel. 


378 


dektenvorlesung  auf  ihn  gemacht:  Ranke  und  Savignv  dankte  er  nicht  nur 
die  wissenschaftliche  Schulung  seines  Geistos:  von  ihnen  überkam  er  auch 
den  ( iegensatz  gegen  die  naturrechtlichen  Anschauungen,  die  das  vorige 
Jahrhundert  und  noch  in  unserem  weite  Kreise  des  deutschen  Burgerthums 
beherrschten.  Andererseits  war  auch  Rankes  freier  und  tiefer  historischer 
Blick  nicht  getrübt  durch  die  romantische  Verherrlichung  des  Mittelalters: 
aber  wohl  hatte  der  konservative  Freund  und  Verehrer  Friedrich  Wilhelms  IV. 
lebhafte  Sympathien  für  die  Trüge r  dieser  Ideen.  Seinem  stets  besonders 
nach  Klarheit  strebenden,  aus  dein  rheinischen  Bürgerthum  hervorgegangenen 
Schüler  waren  sie  dagegen  von  Grund  aus  antipathiseh:  ihren  schädlichen 
Eintluss  in  Wissenschaft  und  Leben  zu  bekämpfen,  fühlte  er  sich  wie  die 
Mehrzahl  seiner  geistig  regsamen  Altersgenossen  getrieben.  So  hoch  er  die 
ästhetische  Bildung  schätzte,  doch  betrachtete  er  von  vornherein  nicht  mit 
den  Augen  des  Ästhetikers,  sondern  mit  dem  Blick  des  Politikers  die 
historischen  Dinge,  und  nicht  auf  Schauen  und  Erkennen  glaubte  er  sich 
beschränken  zu  dürfen.  Ihm  erschien  es  als  der  natürliche  Beruf  des  „Ge- 
lehrten, aus  seiner  Wissenschaft  die  Quelle  abzuleiten  zur  Befruchtung  des 
öffentlichen  Bodens  und  umgekehrt  in  dem  Boden  des  öffentlichen  Lebens 
wieder  die  Quelle  reicher  wissenschaftlicher  Belehrung  aufzusuchen4'. 

Früh  hat  gerade  nach  dieser  Richtung  Niebuhr  mächtig  auf  ihn  ge- 
wirkt: in  ihr  wurde  er  bestärkt  durch  die  Bedürfnisse  und  Forderungen 
seiner  Zeit,  durch  die  Eindrücke,  die  er  in  den  Jahren  steigender  Gährung 
im  Vaterland,  die  er  in  der  rheinischen  Heimath  empfing,  an  deren 
Universität  er  sich  schon  1840  habilitirt  hatte  und  1844  zum  ausserordent- 
lichen Professor  ernannt  wurde.  Um  den  geschichtlichen  Standpunkt  zur 
rechten  Würdigung  seiner  heiinathlichen  Umgebung  zu  gewinnen,  durch- 
forschte er  die  ältere  rheinische  Geschichte:  umgekehrt  verwerthete  er  zur 
Aufklärung  der  Öffentlichen  Meinung  seine  gelehrten  Kenntnisse  und  seine 
wissenschaftliche  Methode  in  der  kritischen  historischen  Untersuchung,  die 
er  1844  zusammen  mit  seinem  Freunde  Gildemeistcr  veröffentlichte,  als  die 
Ausstellung  des  heiligen  Rocks  in  Trier  die  weitesten  Kreise  erregte. 

Ein  Jahr  darauf  begann  er  seine  Wirksamkeit  als  ordentlicher  Pro- 
fessor der  Geschichte  in  Marburg.  Auch  hier  hat  er  zunächst  mit  ent- 
legenen Jahrhunderten  sicli  beschäftigt,  eingehend  namentlich  die  ökonomi- 
schen, politischen  und  geistigen  Zustände  in  der  Zeit  des  römischen  Kaiser- 
reichs studirt:  daneben  aber  hielt  er  Vorlesungen  über  neue  und  neueste 
Geschichte  und  vertiefte  sich  eifrig  in  Burkes  Schriften.  Briefe  und  Reden. 
Welch  grossen  Eintluss  dieser  auf  seine  historisch-politischen  Anschauungen 
geübt  hat,  mit  welch  lebhaftem  Interesse  Sybel.  wie  der  grosse  englische 
Redner,  die  politischen  Bewegungen  seiner  Zeit  verfolgte,  das  beweisen, 
wie  andere  1846  und  ls47  von  ihm  veröffentlichte  Abhandlungen,  so  nament- 
lich seine  Beleuchtung  der  ..politischen  Parteien  im  Rheinlande".  Wer 
von   Sybels   politischen   Ansichten    und    ihrer   Kntwiekclung   eine  deut- 

Biographische  Blatter.  !.  -J.", 


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379 


Biographische  Blatter. 


liehe  Vorstellung  gewinnen  will,  wird  diese  Schrift  besonders  beachten 
müssen:  klar  ist  hier  bereits  von  ihm  begründet,  warum  er  zugleich  die 
ultramontanen  und  feudalistischen  und  die  radikalen  Tendenzen  bekämpfte 
und  den  konstitutionellen  Rechtsstaat  forderte.   Gegen  die  gleichen  Gegner, 
für  konstitutionelle  Reformen  und  für  Deutschlands  Einigung  unter  Prenssens 
Führung  suchte  er  dann,  als  184K  die  Revolution  zum  Ausbruch  gekommen 
war,  auch  in  parlamentarischer  Thätigkeit  in  Kassel  und  Erfurt  zu  wirken. 
Dass  er  und  seine  Gesinnungsgenossen  das  erstrebte  Ziel  nicht  erreichten, 
machte  auch  ihn  nicht  irre  an  ihren  Grundanschauungen:  dadurch,  dass  er 
wie  früher  die  rheinischen  Ultramontanen,  so  jetzt  das  Walten  des  Kur- 
fürsten von  Hessen  und  des  Ministeriums  Hassonptlug  und  die  sie  stützende 
Österreichische  Politik  aus  nächster  persönlicher  Anschauung  kennen  lernte, 
wurde  sein  Gegensatz  zu  ihnen  nur  verschärft  :  aber  wohl  erkannte  er,  dass 
mit  anderen  Mitteln  gegen  sie  zu  kämpfen  und  für  seine  politischen  Ideale 
zu  arbeiten  sei.    Auf  das  Wirksamste  hat  er  diesen  gedient,  indem  er  nach 
den  Stürmen  der  Revolution  seine  gesammelte  Kraft  der  Thätigkeit  zu- 
wandte, für  die  er  besonders  befähigt  und  geschult  war,  wissenschaftlicher 
historischer  Arbeit,  sie  aber  jetzt  ganz  vornehmlich  auf  die  neue  Geschichte 
richtete. 

Mannigfach  hat  das  Regiment  des  letzten  Kurfürsten  von  Hessen 
auch  die  Marburger  Hochschule  geschädigt:  viel  Erfreuliches  bot  das  Leben 
an  ihr  doch  dem  Menschen  und  dem  Gelehrten.  Wer  einmal  aus  den 
Penstein  des  Hauses  geblickt  hat.  das  Sybel  hier  sich  erwarb,  der  versteht, 
wie  ihn  die  Natur  entzückte  und  erfrischte,  die  ihn  hier  umgab;  wie  in 
Bonn  fand  er  auch  hier  Erquickung  des  Gemttths  in  seiner  Familie,  die  er 
schon  in  seinem  24.  .Jahr  durch  die  Verbindung  mit  der  Tochter  des  Darm- 
städter  Ministerialraths  Eckhardt  begründet  hatte,  und  in  nahem  freund- 
schaftlichem Verkehr  mit  gleichstrebenden  Altersgenossen.  Die  gemein- 
samen politischen  Kämpfe  führten  ihn  mit  manchen  trefflichen  Söhnen  des 
hessischen  Volks  zusammen,  das  eben  in  diesen  leidensvollen  Tagen  seine 
besten  Eigenschaften,  seinen  Rechtssinn  und  seine  Charakterstärke  bewährte; 
gleichzeitig  mit  ihm  war  Gildemeister  von  Bonn  nach  Marburg  berufen  und 
neben  diesem  wirkten  auch  andere  Kollegen,  so  besonders  Zeller  und  Bruno 
Hildebrand  anregend  auf  Sybols  Studien.  Hildebrand  widmete  ihm  seine 
1S4N  erschienene  „National-! Ökonomie  der  Gegenwart  und  Zukunft*':  die  in 
ihr  erörterten  sozialen  Wirthschaftstheorien  und  ihre  Folgen  genauer  zn 
studieren,  wurde  dann  Sybel  durch  die  Revolution  dieses  Jahres  veranlasst. 
Die  damaligen  kommunistischen  Bestrebungen  legten  ihm  den  Gedanken 
nahe,  zu  schildern,  welches  Elend  durch  ähnliche  Bestrebungen  zur  Z«*it 
der  französischen  Revolution  herbeigeführt  sei,  und  da  er  in  den  Bearbei- 
tungen ihrer  Geschichte  genügende  Aufklärung  nicht  fand,  begann  er  zu- 
nächst zu  diesem  Zweck  die  Quellen  über  die  französische  Geschichte  dieser 
Zeit  zu  studiren.     Wie  ihm  Ranke  voraus  sagte,   fesselten  diese  Studien 


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Heinrich  von  Syhel. 


ihn  länger,  als  er  zuerst  angenommen  hatte,  zwangen  sie  ihn  auf  seine 
Forschungen  Aber  die  Geschichte  des  römischen  Kaiserreichs  zu  verziehten. 
Denn  bald  fand  er,  „dass  von  den  Ökonomisehen  Katastrophen  der  grossen 
Revolution  ein  deutliches  und  haltbares  Bild  nicht  zu  gewinnen  sei  ohne 
eine  allseitige  Kenntniss  jener  bewegten  Jahre,  ihrer  politischen  Ideale, 
ihrer  wilden  Parteikiimpfe,  und  vor  Allem  ihrer  Kriegspolitik  nach  aussen,  die 
in  jedem  wichtigen  Moment  den  Ausschlag  gegeben  hatte"1):  auch  über  die 
Politik  der  mit  dem  revolutionären  Frankreich  kämpfenden  Mächte  bestrebte 
er  sich  in  das  Klare  zu  kommen  und  auch  da  uberzeugte  er  sich,  dass  dies 
nur  möglich  sei  durch  archivalische  «Studien.  Was  er  aus  den  erst  allmählich 
ihm  eröffneten  mehrfach  noch  mit  dem  „Staub  des  vorigen  Jahrhunderts- 
bedeckten Akten  erforschte  und  mittheilte,  bot  nicht  nur  viele  Aufklärungen 
über  einzelne  Punkte:  wie  einst  die  von  Romantikern  über  mittelalterliche 
Ereignisse,  so  zerstörte  Sybel  hier  die  von  den  Anhängern  der  französi- 
schen Revolution  verbreiteten  Legenden,  indem  er  ihnen  ein  mit  scharfem 
politischen  Blick  gezeichnetes  Bild  des  aus  zuverlässigen  Quellen  kritisch 
erforschten  Thatbestandes  entgegensetzte.  Deutlich  win  de  hier  zuerst  nach- 
gewiesen, in  wie  engem  Zusammenhang  die  soziale  und  die  politische  Entwick- 
lung Frankreichs,  seine  revolutionäre  Politik  im  Innern  und  sein  kriegerisches 
Vorgehen  nach  Aussen,  die  aggressiven  Bestrebungen  der  französischen 
Demokratie  und  des  russischen  Czarenthums.  der  Krieg  im  Westen  und  die 
polnischen  Theilungen  standen:  scharf  beleuchtet  winde  hier  wie  die  fran- 
zösische und  russische  auch  die  österreichische  und  preussische  Politik,  klar 
gezeigt,  wie  gerade  durch  ihre  europäischen  und  französischen  Gegner  die 
französischen  Republikaner  und  noch  mehr  Napoleon  gefördert  wurden. 

Dass  Sybel  die  verschiedenartigen  Fälligkeiten  in  sich  vereinte, 
deren  Besitz  er  vom  Historiker  forderte,  dass  er  zugleich  kritischer  Forscher, 
politischer  Sachverständiger  und  darstellender  Künstler  war.  dafür  liefert 
diese  wissenschaftliche  Hauptarbeit  seines  Lebens  den  besten  Beweis:  ihre 
epochemachende  Bedeutung  ist  auch  durch  die  spätere  deutsche  und  franzö- 
sische Litteratur  bezeugt.  In  wichtigsten,  zum  Theil  lebhaft  angefochtenen 
Punkten  ist  durch  sie  Sybels  Auffassung  bestätigt:  anregend  hat  sein  IJueh 


!)  So  Sybel  selbst  in  seinen  ISXtf  in  der  Deutschen  Kevuc  veröffentlichten  „Pariser 
Studien"*,  den  einzigen  autobiographischen  Aufzeichnungen,  die  hei  seinen  Lebzeiten  «red ruckt 
sind.  Meaehten.s werth  für  seine  Auffassung  der  politischen  Verhältnisse  in  Hessen  ist  seine 
kurze  Vorbemerkung  zu  den  Mittheilungen  aus  den  .Memoiren  des  Minister  Koch,  die  Utto 
Hartwig  über  die  „Srhwcrenothskommission-  1SS1  publizirte,  für  seine  Miindiener  Zeit  der 
18K5  herausgegebene,  unten  benutzte  Hericht  über  die  historische  Kommission.  Interessante 
Satze  aus  handschriftliehen  autobiographischen  Aufzeichnungen  Svbels.  die  sich  im  Hcsitz 
seines  ältesten  Sohnes  befinden,  theilte  «ranz  neuerdings  Hailleu  in  seinem  auch  sonst  sehr 
heachtenswerthen  ausführlichen  Aufsatz  über  Sybel  im  Oktoherheft.  der  Deutschen  Rund- 
schau mit:  ebenso  freut  es  mich,  noch  bei  der  Korrektur  dieser  Seiten  einen  Hinweis  auf 
die  Nachrufe  hinzufügen  zu  können,  die  dem  Begründer  der  Historisrhen  Zeitschrift  in 
ihrem  neuesten  Hefte  von  Meiuecke  und  Oldenbourg  gewidmet  sind. 

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:j.si 


liioyraphische  RlStter. 


uiK-li  auf  solche  Arbeiten  gewirkt,  durch  die  unter  Heranziehung-  neuer 
(Quellen  über  <len  selbstverständlich  von  ihm  nicht  erschöpften  gewaltigen 
Stoti'  uns  neue  Aufklärung  gebracht  ist.  Sind  dadurch  von  ihm  abweichende 
Ergebnisse  gewonnen  und  neue  Fragen  angeregt,  so  hängt  dies  zu  nicht 
geringem  Theil  gerade  mit  «1er  Stärke  zusammen,  in  der  er  hier  seine  und 
seiner  Zeit  Eigentümlichkeiten  ausgeprägt  hat.  Treflend  bezeichnete  er. 
indem  er  Angritte  auf  Hanke  zurückwies,  als  dessen  charakteristische  Vor- 
züge seine  „reine  und  weite  Auffassung  für  die  Mannigfaltigkeit  der  Dinge 
und  die  individuelle  Eigentümlichkeit  der  Zeiten,  Völker  und  Personen"  \i 
und  seine  Meisterschuft  in  der  Würdigung  der  Mittel  des  handelnden  Staats- 
manns: aber  ..wie  alles  Menschliche  seine  Kehrseite"  habe,  so  erörteil 
Sybel.  erkläre  sich  daraus  auch,  dass  bei  Hanke  ein  scharfes  ethisches  L  rtheil 
zuweilen  sich  vermissen  lasse,  das  allgemein  Menschliche  zu  sehr  hinter  den 
Erwägungen  des  Politikers  zurücktrete.  Demgegenüber  sah  er  einen  Fort- 
schritt der  deutschen  Gcschichtschrcibung  sich  entwickeln  aus  der  verän- 
derten Stellung'  seiner  Altersgenossen  zum  Staat,  daraus,  dass  sie  zugleich 
„grössere  Klarheit  und  intensivere  Kraft  des  nationalen  (iefühls.  praktische 
Mässigung  und  eingehende  Sicherheit  des  politischen  t'rtheils.  positive 
Wärme  und  freien  Blick  in  der  sittlichen  Auffassung-"  in  ihren  historischen 
Arbeiten  bewährten.  Ks  ist  nicht  unbegreiflich,  dass  heute  umgekehrt  die 
Gefahren  und  Einseitigkeiten  der  von  politischen  Gesichtspunkten  durch- 
drungenen Gcschichtschrcibung  besonders  stark  betont  werden,  auf  die 
schon  Hanke  hinwies;  nachdrücklich  hat  aber  auch  er  die  Berechtigung 
dieser  Gattung  der  Historiographie  anerkannt,  in  seinem  „historischen  Testa- 
ment" seine  Freude  über  den  Fleiss  und  die  Kraft  ausgesprochen,  mit  denen 
...jüngere  Generationen  den  Moment  zu  erfassen  suchten".  Und  wohl  wird, 
auch  wer  mit  Sybels  Forum lirung  der  hier  berührten  prinzipiellen  Fragen 
und  mit  seinem  l  rtheil  über  Hanke  nicht  übereinstimmt,  anerkennen  müsseu. 
welche  Förderung  durch  die  von  Sybel  bezeichnete  Richtung,  wie  einst  durch 
die  nationalen  Bewegungen  im  10.  und  im  Beginn  unseres  .Jahrhunderts, 
die  deutsche  Geschiehtschreibung  empting.  wie  unter  seinen  Altersgenossen, 
deren  Programm  er  is~>r»  entwickelte,  besonders  er  selbst  bahnbrechende 
Verdienste  um  die  Wissenschaft  und  zugleich  um  die  politische  Erziehung 
unseres  Volks  und  damit  um  die  Vorbereitung  des  nationalen  Staats  sich 
erwarb.  Er  war  durchaus  einverstanden  mit  dem  in  seiner  historischen 
Zeitschrift  zuerst  gedruckten,  t rettenden  Satze  Haukes,  dass  wenn  «He  Wissen- 
sehaft auf  das  Leben  wirken  solle,  sie  vor  Allein  Wissenschaft  sein  müsse; 
mit  ernstem  Eifer  strebte  er  daher  unabhängig  von  den  Schlagworten  des 

M  Siehe  diese  Worte  Svhels  in  seiner  auch  fiir  seine  Beurtheilunir  anderer  deutscher 
Historiker  interessanten  IJesju •erhun<.r  von  Kur/.'  l.itteratuivesvhiehte  in  der  ilist.  Zeitschrift  III 
2M  lf.  und  v_'l.  seine  Heile  ülier  den  Stand  der  neueren  deutschen^*  iesehiehtsehreibun:,'  in 
seinen  kleinen  Historischen  Schriften  1  34.51V.  und  meinen  Nachruf  auf  Uanke  in  der  Hist. 
Zeitschrift  I.VI.  4«3ff. 


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Heinrich  von  Sylwl. 


Tags  und  den  Meinungen  der  Autoritäten  den  historischen  Thatbestand  aus 
den  kritisch  durchforschten  Quellen  nach  den  Prinzipien  historischer  Methode 
zu  ermitteln;  auch  Ranke  erkannte  es  an,  wie  er  sie  auch  in  der  neuen 
Geschichte  zur  Geltung  zu  bringen  wusstc.  Und  einer  Annäherung  an  das 
auch  von  Ranke  erstrebte  Ziel,  einer  klareren  Erfassung  der  llauptzüge  der 
von  Svbel  geschilderten  historischen  Verhältnisse  und  Persönlichkeiten  diente 
die  Energie,  mit  der  er  ihre  reale  politische  Redoutung  t'tlr  ihre  Zeit  und 
i"Ur  die  Gegenwart-  zu  beleuchten,  mit  der  er  scharf  seine  lTrtlieile  zu  for- 
muliren  strebte:  sind  dabei  auch  die  Kehrseite  seiner  Vorzüge  und  die 
Schranken  der  Autfassung  seiner  Zeit  zu  erkennen,  so  hat  er  doch  dadurch 
nur  um  so  wirksamer  zur  Lösung  der  dieser  Zeit  vornehmlich  gestellten  Auftraben 
beigetragen.  Da  er  jetzt  vorwiegend  historische  Stoffe  behandelte ,  die  „mit  dem 
Leben  der  Gegenwart  lebenden  Zusammenhang  hatten",  fühlte  er  sich  be- 
greiflicher Weise  noch  mehr  denn  früher  getrieben  auch  für  dies  die  Er- 
gebnisse seiner  Forschungen  zu  verwerthen.  sie  „als  fruchtbringendes  Kapital 
in  den  Verkehr  des  Vaterlandes  zu  werfen".  Und  solches  Streben  zu  be- 
tätigen, gab  die  weitere  deutsehe  Entwicklung  ihm  besonderen  Anlass, 
zumal  an  den  Orten,  an  denen  er  die  Geschichte  der  Revolutionszeit,  die 
er  in  Marburg  nur  bis  zum  Frühjahr  171>4  behandelt  hatte,  zuerst  bis  17!)f> 
und  dann  bis  zum  Ende  des  JH.  .Jahrhunderts  fortsetzte  und  ihre  alteren 
Abschnitte  neu  bearbeitete. 

Eine  von  der  Marburger  wesentlich  abweichende  Umgebung  und  Wirk- 
samkeit fand  Sybel  zunächst  in  München,  wohin  er  J.S5Ö  von  König  Max  IL 
von  Rayern  berufen  wurde.  Wie  einst  der  feinsinnige  Fürst  für  die  Förderung 
wissenschaftlicher  und  insonderheit  historischer  Studien  sich  bemühte,  welche 
Fülle  von  Anregungen  der  Kreis  der  damals  in  München  vereinten  hervor- 
ragenden Gelehrten  und  Künstler  jedem  seiner  Mitglieder  bot,  hat  Sybel 
selbst  in  seinem  Bericht  über  die  historische  Kommission  bei  der  Münchener 
Akademie  hervorgehoben,  die  der  König  nach  Rankes  und  Sybels  Vorschlägen 
ins  Leben  rief.  Als  ihr  Sekretair  für  ihre  grossen  wissenschaftlichen  Unter- 
nehmungen entfaltete  Sybel  zuerst  sein  organisatorisches  Talent,  das  er  auch 
bei  der  damals  von  ihm  begründeten  historischen  Zeitschrift  bewährte: 
jüngere  geeignete  Mitarbeiter  wurden  von  ihm  durch  das  erste  staatlich 
unterstützte  historische  Seminar  herangebildet,  das  jetzt  hier  gestiftet  winde. 
Ganz  andere  Bedeutung  als  in  Ronn.  wo  der  junge  Dozent  neben  sechs  älteren 
Vertretern  seines  Fachs  gestanden  hatte,  und  in  Marburg,  dessen  Universität 
damals  nur  etwas  über  200  Studenten  zählte,  gewannen  in  München  auch 
Sybels  Vorlesungen,  und  auf  noch  viel  weitere  Kreise  wirkte  er  durch  die 
öffentlichen  Vorträge,  in  denen  er  unter  Anderem  die  Kreuzzüge.  Eugen  von 
Savoycn  und  Katharina  IL,  die  Erhebung  Europas  gegen  Napoleon  schilderte. 
Dass  er  dabei  das  nationale  Gefühl  seiner  Hörer  belebte  und  sie  über  wichtige 
Punkte  der  neuen  deutschen  Entwicklung  aufzuklären  suchte,  war  auf  diesem 
Roden  zu  dieser  Zeit  von  besonderer  Bedeutung.     Unmittelbar  nachdem 


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383 


Biographische  Blatter. 


durch  die  Krankheit  Friedrich  Wilhelms  IV.  und  den  Eintritt  der  Regent- 
schaft in  Preussen  eine  neue  Ära  herbeigeführt  war,  wurde  ja  eine  solche 
auch  für  die  deutsche  Frage  durch  den  Krieg  von  1N59  eröffnet;  mit  Kummer 
sah  Sybel,  wie  in  seiner  Umgebung  das  nationale  Gefühl  missleitet,  wie  die 
öffentliche  Meinung  Süddeutschlands  gegen  den  Staat  aufgeregt  wurde,  der 
allein  nach  seiner  schon  1848  vertretenen  und  durch  alle  Erfahrungen  und 
Studien  der  folgenden  Jahre  befestigten  Überzeugung  den  Deutschland 
drohenden  Gefahren  wirksam  begegnen,  durch  den  allein  die  nationalen 
Wunsche  erfüllt  werden  konnten.  Um  so  mehr  hielt  er  sich  verpflichtet, 
die  wahren  Motive  der  Leiter  und  Gegner  der  preussischen  Politik  und  vor 
allem  Prcussens  Bedeutung  für  Deutschlands  Zukunft  nachdrücklich  zu 
betonen.  Desshalb  beleuchtete  er  „die  Fälschung  der  guten  Sache  durch  die 
Augsburger  Allgemeine  Zeitung",  desshalb  wirkte  er  eifrig  dazu  mit,  ihr 
gegenüber  in  dem  Hauptquartier  der  Gegner  selbst  ein  Organ  für  die  Ver- 
tretung der  kleindeutschen  Ansichten  in  der  Süddeutschen  Zeitung  zu  schaffen. 
Und  in  Zusammenhang  damit  stand,  dass  er  jetzt  vom  nationalen  Standpunkt 
aus  auch  die  Politik  unserer  mittelalterlichen  Kaiser  kritisirte  und  von  den 
( iegnern  herausgefordert  mit  Freuden  seine  Erörterungen  über  sie  bis  zur 
Gegenwart  fortsetzte.  Indem  er  Österreichs  Stellung  zu  Deutschland  in  den 
letzten  .Jahrhunderten  schilderte,  begründete  er  dadurch  seine  Ansicht,  dass 
..keine  andere  Verfassungsform  historische  Berechtigung  habe  als  jene  des 
engeren  Hundes  neben  Osterreich  und  des  weiteren  Bundes  mit  Öster- 
reich", und  sprach  seine  Überzeugung  aus,  „dass  es,  so  sicher  wie  die  Ströme 
seewärts  tliessen,  zu  einem  solchen  Hunde  unter  Leitung  seines  stärksten 
Mitglieds  kommen  wird." 

Als  er  diese  Sätze  schrieb,  konnte  er  nicht  voraussehen,  dass  so  bald, 
wie  es  geschah,  das  hier  bezeichnete  Ziel  erreicht,  aber  auch  nicht,  dass 
zuvor  ihm  selbst  noch  heftige  Kämpfe  mit  dem  Staatsmanne  beschieden 
sein  würden,  der  auch  seinen  Wünschen  und  Hoffnungen  die  Erfüllung 
bringen  sollte.  Nicht  mehr  in  München  ist  seine  historisch-politische  Ab- 
handlung über  die  „Deutsche  Nation  und  das  Kaiserreich''  veröffent- 
licht; bei  den  Schwierigkeiten,  auf  die  seine  Stellung  in  Bayern  stiess,  folgte 
er  INI»]  einem  Rute  nach  Bonn  als  Nachfolge)'  Dahlmanns.  Freudig  wurde 
er  in  der  rheinischen  Heimath  empfangen,  man  glaubte  seine  Kraft  auch 
für  die  politischen  Kämpfe  verwerthen  zu  müssen,  von  Crefeld  wurde  er 
als  Abgeordneter  in  den  preussischen  Landtag  entsandt.  Als  er  nach  Berlin 
kam.  fand  er  hier  bereits  den  Streit  über  die  Reorganisation  der  Armee 
entbrannt.  Er  war  von  dem  Wunsch  nach  einer  Kräftigung  des  Heeres 
erfüllt,  gern  hätte  er  gesehen,  dass  über  sie  seine  liberalen  Freunde  mit  der 
Regierung  sieh  verständigten;  so  suchte  er  zunächst  auch  als  Abgeordneter 
für  vermittelnde  Vorschläge  zu  wirken;  ihre  Annahme  aber  konnte  er  nicht 
erreichen.  Dagegen  sah  er  in  dem  weiteren  Vorgehen  der  Regierung  eine 
Verletzung  der  Verfassung.    Ihr  gegenüber  hielt  er,  der  nach  seinen  histo- 


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Heinrich  von  Svhel. 


rischen  Studien  in  dem  Verfassungsstaat  die  Blüthe  der  preussischeu  Ent- 
wicklung der  letzten  zwei  «Jahrhunderte  erblickte,  entschiedene  Opposition 
ftlr  geboten.  In  scharfen  Reden  bekämpfte  er  Bismarck,  dessen  geniale 
Persönlichkeit  und  dessen  politische  Pläne  auch  er  damals  nicht  richtig  zu 
würdigen  vermochte.  Aber  nicht  blos  ein  Augenleiden  zwang  ihn  dann  den 
parlamentarischen  Kampf  aufzugeben:  früher  als  die  meisten  seiner  Ge- 
sinnungsgenossen, noch  wühlend  der  Wirren  über  Schleswig-Holstein,  über- 
zeugte er  sich  davon,  wie  energisch  und  geschickt  der  von  so  verschiedenen 
Seiten  bekämpfte  Minister  das  Interesse  des  preussischeu  Staats  zu  vertreten 
wusste.  dessen  Forderung  auch  ihm  stets  vor  allem  am  Herzen  lag.  Noch 
mitten  in  den  Tagen  des  Konflikts,  im  Mai  1.SG5,  pries  er  die  Vorzüge 
dieses  Staats,  schilderte  er  den  Segen,  den  seinem  rheinischen  Heimat  bland 
die  Verbindung  mit  Preussen  brachte,  erklärte  er:  „Wie  dieses  Preussen 
einmal  ist.  mit  seinen  Schroffheiten  und  Schwächen,  mit  seiner  Tüchtig- 
keit und  Kraft,  mit  seiner  grossen  Geschichte  und  seiner  gewaltigen 
Zukunft:  wir  gehören  zu  ihm.  wir  wollen  zu  ihm  gehören  und  zu  keinem 
anderen."  Man  versteht  danach,  wie  freudig  er  die  Erfolge  des  Krieges 
von  isn«  bcLrrüsste:  eifrig  half  er  1867  im  konstituirenden  Reichstag  des 
norddeutschen  Hundes  mit  die  Verfassung  für  ihn  zum  Abschluss  zu  bringen; 
in  publizistischen  Erörterungen  suchte  er  über  die  Berechtigung  und  die 
für  Europa  heilvollen  Folgen  der  preussischeu  Politik  auch  Franzosen  und 
Engländer  aufzuklären,  l  ud  nach  den  Siegen  von  1K70  pries  er1)  dankbar 
bewegt  die  „Gnade  Gottes,  durch  die  auch  ihm  in  so  unendlich  herrlicher 
Weise  «ler  Inhalt  alles  Wünschens  und  Stiebens  erfüllt  war".  Aber,  wie 
er  schon  1872  es  aussprach,  „steigen  ist  schwer;  sich  auf  der  Höhe  behaupten 
ist  schwerer";  so  mahnte  er  am  Denkmal  Steins,  in  doppeltem  Maass  den 
Pflichten  zu  dienen,  deren  Erfüllung  in  und  seit  Steins  Tagen  Deutschland 
emporhob,  festzuhalten  an  seiner  Gesinnung,  an  seiner  Auffassung  des  Staats. 

Die  grossen  Kämpfe  der  letzten  Jahre  hatten  Sybel  in  den  politischen 
Gedanken  bestärkt,  die  er  schon  vor  184*  vertreten,  die  er  dann  durch 
seine  thätige  Theilnahme  am  politischen  Leben  und  seine  grösste  historische 
Arbeit  weiter  in  sich  ausgebildet,  für  die  er  gerade  durch  diese  bedeutsam 
gewirkt  hatte:  bestimmter  entwickelte  er  sie  jetzt  in  klaren  und  warmen 
volkstümlichen  Erörterungen  vor  weiteren  Kreisen.  Indem  er  zeigte,  „was 
wir  von  Frankreich  lernen  können",  und  nachdrücklich  „die  starken  Seiten 
der  Franzosen  im  menschlichen  Verkehr,  in  Ackerbau  und  Industrie,  in 
Wissenschaft  und  Kunst"  betonte,  warnte  er  davor,  in  Politik  und  Religion 
in  ihre  Schwächen  zu  verfallen.  Die  von  Frankreich  aus  weit  verbreiteten 
politischen  Schlagworte  von  der  Freiheit  waren  ja  in  Deutschland  nicht 
nur  durch  die  konservativen  Meister  der  historischen  Schule  bekämpft  worden: 

1 1  In  einem  Brief  ;m  Hermann  B.iiiniLMrten.  aus  dem  die  ol>en  angeführten  Worte 
Mareks  iii  «-riner  Kinleitun-  zu  des.-rn  Aufsätzen  Seite  LXXI  mittheilte.  die  auch  sonst 
manehe  interessante  Beiträge  zu  Svhyl*  Kentni<*  liefert. 


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Biographische  Blatter. 


ihnen  gegenüber  hatte  namentlich  Dahlmann  auf  das  englische  Vorbild  hinge- 
wiesen, hatte  er  in  der  Politik  Berücksichtigung  der  gegebenen  Zustände  ver- 
langt. Aber  wie  in  Wahrheit  die  Zustünde  in  Krankreich  und  Kurland  beschaffen 
waren,  wie  eng  die  von  Dahlmann  fast  ausschliesslich  beachteten  Verfas- 
sungsfragen mit  den  sozialen  Verhältnissen  zusammenhingen,  darüber  traben 
erst  Sybels  Forschungen  und  die  tiefgreifenden  rntersuchungen  von  Rudolf 
(ineist  über  die  englische  Selbstverwaltung  die  nOtlrigc  Aufklärung":  eben 
weil  Beide  klarer  die  realen  Verhältnisse,  den  l'ntcrschied  der  preussischen 
und  deutschen  von  der  französischen  und  englischen  Entwicklung  würdigten, 
wirkten  sie  erfolgreich  für  die  Verbreitung.  Weiterbildung  und  Durchführung 
der  ethisch-politischen  Gedanken,  die  in  Steins  Reformen  ausgeprägt  waren. 
Wie  Stein,  wie  Gneist  betonte  auch  Sybel  den  engen  Zusammenhang  poli- 
tischer Rechte  und  Pflichten,  wollte  auch  er.  dass  die  Verfassung,  die  ..nicht 
nach  allgemeinen  Lehrsätzen  zu  erfinden,  sondern  überall  aus  den  vorhandenen 
Zuständen  herauszubilden"  sei.  „geordnete  Freiheit  fordere  zu  freudiger 
Hingabe  an  das  Ganze",  betrachtete  auch  er  den  Staat  als  eine  ..Schule 
für  den  Charakter  der  Menschen".  Von  diesem  Standpunkt  aus  bekämpfte 
auch  er  zugleich  den  „selbstsüchtigen  Individualismus"  und  die  „radikale 
Gleichmacherei";  er  erklärte,  dass  der  Staat  berechtigt  und  verpflichtet  sei. 
das  Privateigenthum  zu  „nOthigen,  die  für  das  Gesammtwohl  erforderlichen 
Schranken,  Formen  und  Leistungen  auf  sich  zu  nehmen";  aber  noch  be- 
stimmter trat  er  für  den  Schutz  des  Kigenthums  und  der  bestehenden  Ord- 
nung gegenüber  den  Lehren  und  Forderungen  der  Sozialdemokratie  ein.  und 
zwar  um  so  entschiedener,  je  mehr  er  diese  durch  die  von  ihm  bekämpft« 
Einführung  des  allgemeinen  gleichen  Stimmrechts  gefördert  und  auch  bei 
seinen  Schülern  und  Gesinnungsgenossen  sozialistische  Stimmungen  sich  ver- 
breiten sah.  Vor  Allem  aber  hielt  er  für  geboten ,die  Rechte  des  nationalen 
Staates  gegenüber  den  intramontanen  zu  wahren,  zu  denen  sein  alter  Gegen- 
satz durch  die  im  politischen  und  kirchlichen  Leben  eingetretenen  Wen- 
dungen verschärft  war.  Kr  beschränkte  sich  nicht  darauf,  historisch  die 
klerikale  Politik  zu  beleuchten;  das  Interesse  für  diese  Fragen  veranlasste 
ihn  in  den  siebziger  .Jahren  zu  neuem  Kingreifen  in  die  politischen  Partei- 
kämpfe.  Als  Abgeordneter  Magdeburgs  nahm  er  wieder  Theil  am  preus- 
sischen Landtag;  in  der  Rheinprovinz  sammelte  er  seine  Gesinnungsgenossen 
im  deutschen  Verein. 

Sybel  hat  sich  nicht  gescheut,  Fehler  und  Irrthümer  einzugestehen, 
die  er  in  seinem  politischen  Leben  beging:  im  norddeutschen  Reichstag 
erklärte  er,  durch  die  Leistungen  der  reorganisirten  Armee  seien  seine  in 
der  Konfliktszeit  geäusserten  .Bedenken  gegen  die  Reform  widerlegt,  und 
ebenso,  er  habe  damals  mit  l'nreclit  gegen  Bismarcks  Politik  in  der  polnisch- 
russischen  Frag»-  polemisirt.  Wie  hoch  aber  auch  Bismarck  Sybels  Wirken 
für  die  Krfttlhmg  der  national -politischen  Ideale  des  deutschen  Volkes 
schätzte,  das  sprach  er  selbst  ihm  aus.  indem  er  bei  seinem  Jubiläum  1*88 


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Heinrich  von  Syhel. 


ilim  persönlich  dankte  „für  seine  langjährige  Mitarbeit  an  dem  gemeinsamen 
vaterländischen  Werke".  Freilich,  auch  Sybcls  Wünschen  entsprach  Vieles 
nicht  in  der  neuen  deutschen  Entwicklung;  mit  Kummer  und  »Sorge  erfüllten 
ihn  besonders  die  Zugeständnisse,  die  den  Ultramontanen  gemacht  wurden, 
und  die  wachsende  Macht  der  'demokratischen  Tendenzen.  Auch  in  seinen 
persönlichen  Verhältnissen  fehlte  es  nicht  an  schmerzlichen  Eindrücken: 
1884  entriss  ihm  der  Tod  auch  die  treue  Gefährtin  seines  Lebens,  mit  der 
er  43  Jahre  lang"  innig  verbunden  war.  Aber  mit  ruhiger  Ergebung  wusste 
er  das  Schwere  zu  tragen,  das  auch  ihm  nicht  erspart  blieb,  und  dankbar 
sieh  jeder  guten  Stunde  zu  freuen:  auch  im  Alter  bewahrte  er  die  Heiter- 
keit des  Gemttths,  die  er  auch  in  kampferfüllten  Tagen  nie  verleugnet  hatte. 
So  lebhaften  innerlichen  Antheil  er  stets  an  allen  wichtigen  Fragen  des 
politischen  und  wissenschaftlichen  Lebens  nahm,  mit  so  scharfen  Watten  er 
die  Gegner  seiner  Ansichten  bekämpfte,  nie  vermochten  sie  ihn  dauernd  zu 
verstimmen:  fest  in  seinen  eigenen  Überzeugungen  betrachtete  er  zumeist 
mit  souveränem  Humor  die  Verschiedenartigkeit  der  Menschen  und  ihre  dar- 
aus entspringenden  Streitigkeiten:  bei  aller  Entschiedenheit  seines  sittlichen 
Urtheils  war  er  weit  entfernt  von  rigoristischer  Auflassung,  und  besonders 
widerstrebte  es  ihm.  wegen  abweichender  Ansichten  über  wissenschaftliehe 
Fragen,  die  Persönlichkeit  des  wissenschaftlichen  Gegners  zu  verurtheilen. 
Ihm  machte  es  vielmehr  Freude,  mit  Faehgenossen.  die  er  schätzte  und 
liebte,  „über  die  Argumente  zu  streiten  und  treu  in  Gesinnung  und  Wirken 
zusammenzuhalten".  So  klar  er  die  Schwächen  der  Menschen  erkannte, 
grösser  war  seine  Fähigkeit  und  Neigung,  ihre  guten  Seiten  hervorzuheben. 
Was  diese  Eigenschaften  für  alle,  die  mit  ihm  verkehrten,  was  sie  vor 
Allem  für  seine  Freunde,  was  sie  auch  für  ihn  selbst  bedeuteten,  wurde  in 
warmen  Worten  bezeugt,  als  der  Siebzigjährige  in  seltener  Frische  sein 
SOjähriges  Doktorjubiläum  feierte:  mit  Hecht  durfte  von  ihm  gerühmt  werden, 
dass  er  mit  der  Freiheit  des  Geistes  und  der  Ruhe  des  Gemüths  sich  auch 
die  Kraft  zum  Schatten  bewahrt  habe.  Es  entsprach  der  Wendung  der 
Politik,  es  entsprach  auch  seiner  persönlichen  Entwicklung,  da*s  er  im  Alter 
wieder  seine  gesammelte  Kraft  rein  wissenschaftlicher  Arbeit  widmete.  Auch 
in  den  Tagen  seiner  Ichhaftesten  Theilnahme  an  den  politischen  Kämpfen 
war  er  stets  gern  zu  ihr  zurückgekehrt:  er  sprach  es  gerade  damals  aus. 
dass  der  Professor  in  ihm  stärker  sei  als  der  Politiker.  Eben  in  dieser 
Zeit  hat  er  14  Jahre  lang  die  bedeutendste  Wirksamkeit  als  Professor  in 
Bonn  geübt. 

Das  Ansehen,  das  er  an  der  Universität  genoss.  zeigte  sich,  als  er  zu 
ihrem  Hektor  für  das  Jahr  isii.s  gewählt  wurde,  in  dem  sie  das  50  jährige 
Jubiläum  ihrer  Stiftung  feierte.  Warm  ist  von  Theilnehmern  an  diesem 
Feste l) anerkannt,  mit  welcher  geistigen  Gewandtheit  er  bei  seiner  Erwiderung 


V)  Siehe  namentlich  den  Bericht  im  ±2.  Hand  der  l'renssischen  Jahrbücher  S.  :l!>]  rt*. 


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:*S7 


Biographische  Blatter. 


auf  die  Ansprachen  der  verschiedenartigen  Korporationen  den  vielfältigen 
Beziehungen  der  Universität  gerecht  zu  werden,  mit  welcher  Kraft  er  in 
seiner  Festrede  über  die  Gründung  der  Hochschule  ihren  Zusammenhang  mit 
wichtigsten  Momenten  unserer  politischen  und  literarischen  Entwicklung,  und 
damit  den  geistigen  (ichalt  der  Feier  in  helles  Lieht  zu  stellen  wusste. 
Seiner  Anschauung  von  der  Bedeutung  und  den  Aufgaben  der  deutschen 
Universitäten  hat  er  auch  in  anderen  Reden  wirkungsvollen  Ausdruck  gegeben; 
sie  bezeugen,  wie  hohe  Forderungen  er  an  den  akademischen  Lehrer  stellte; 
eifrig  hat  er  selbst  sieh  bemüht,  sie  praktisch  zu  erfüllen.  Seine  Überzeugung, 
dass  ..das  Wissen  erst  dann  zur  Wissenschaft  wird,  wenn  es  nicht  blos  einzelne 
Notizen  lehrhaft  weiter  trägt,  sondern  die  Gesammtheit  des  Lebens  veredelnd 
fördern  hilft",  sein  Streben  nach  geistigem  Verständnis.«  und  künstlerischer 
Gestaltung  des  historischen  Stoffs  hat  er.  wie  durch  seine  Schriften,  auch 
durch  seine  Vorlesungen  bethätigt.  Auch  sie  waren  ausgezeichnet  durch  die 
Klarheit  der  Disposition,  die  scharfe  Hervorhebung  des  Wesentlichen,  das 
jeder  Übertreibung  abholde,  aber  stets  bestimmt  formulierte  sittlich-politische 
Urtheil.  Sybel  wollte  durch  sie.  wie  Kanke,  seine  Hörer  historisch  anschauen 
und  denken  lehren:  er  übte  durch  sie.  wie  Dahlmann,  eine  national-politische 
Wirkung:  so  trat,  was  ihn  auf  der  einen  Seite  mit  seinem  Lehrer  und  auf 
der  anderen  mit  seinem  Vorgänger  verband,  aber  ebenso  auch  seine  von  Heiden 
abweichende,  stark  ausgeprägte  persönliche  Eigenart  in  Inhalt  und  Form 
seiner  "Vortrüge  deutlich  hervor.  Er  legte  ihnen  sorgsam  ausgearbeitete 
Hefte  zu  Grunde,  aber  immer  mehr  hatte  er,  wie  sein  schriftstellerisches, 
auch  sein  rednerisches  Talent  entwickelt;  war  er  zunächst  darauf  bedacht, 
durch  lichtvolle  Darstellung  seinen  Hörern  ein  tieferes  Verständnis  der 
behandelten  historischen  Erscheinungen  und  ihres  Zusammenhangs  zu  er- 
M-hliesscn.  förderte  er  eben  dadurch  auch  ihre  politische  Bildung,  so  wirkte 
er  auch  ergreifend  und  erhebend  auf  Gefühl  und  Charakter  des  weiten 
Kreises,  den  er  in  seinem  grossen  Hörsaal  an  der  Universität,  den  er  auch 
ausser  ihren  Käuinen  in  den  rheinischen  Städten  an  sich  fesselte.  Durch 
seine  Vorlesungen  setzte  er  so  die  Wirksamkeit  seines  Vorgängers  an  der 
rheinischen  Hochschule  fort,  an  dessen  national-politische  Bestrebungen  er 
bei  den  seinen  angeknüpft  hat:  daneben  suchte  er  aber  auch  hier  für  die 
Heranbildung  von  Forschern  und  Lehrern  der  Geschichte  durch  das  von  ihm 
eingerichtete  und  geleitete  historische  Seminar  zu  sorgen.  In  der  Überzeugung, 
dass  ..die  künstlerische  Thätigkeit  des  Historikers  sich  nicht  lehren,  sondern 
höelisteus  anregen  lässt".  legte  auch  er  bei  seinem  seminaristischen  Unterricht 
vor  Allem  Gewicht  darauf,  seine  Schüler  durch  praktische  Übungen  mit  der 
kritischen  Methode  vertraut  zu  machen:  aber  wie  Hanke  erinnerte  auch  er 
sie  stets,  dass  diese  nicht  Selbstzweck  sei.  wies  er  auf  die  Ziele  hin.  zu  deren 
Erreichung  sie  diene,  warnte  er  davor,  sie  handwerksmässig  anwenden  zu 
wollen,  sich  in  Kleinigkeiten  zu  verlieren,  an  Äusserlichkeiten  hängen  zu 
bleiben.    An  lehrreichen  Beispielen  zeigte  er  praktisch,  wie  man  streben 

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Heinrich  von  Sybel.  ;JS8 

müsse,  die  „individuelle  Natur  der  historischen  Berichterstatter  in  ihrem 
innersten  Wesen  zu  erkennen",  ihren  persönlichen  W  erth  mit  Rücksicht  auf 
ihre  Zeit  zu  bemessen,  aber  auch  nicht  zu  vergessen,  «den  Werth  dieser  Zeit 
nach  allgemein  geschichtlichem  Maassstab  zu  beurtheilen'".  Nicht  minder  . 
aber  als  die  Eigenart  der  von  ihm  behandelten  ^uellenschriftsteller  beachtete 
er  die  seiner  Schiller:  wie  er  von  Hanke  es  rühmt,  war  auch  er  „eingedenk 
der  höchsten  pädagogischen  Regel,  dass  die  Schule  nicht  die  Ablichtung, 
sondern  die  Entfaltung  der  persönlichen  Kräfte  zur  Aufgabe  hat4*.  Er  sah 
es  gern,  wenn  solche  auch  in  der  Debatte  mit  ihm  zu  Tage  traten;  seine 
geistige  Beweglichkeit  zeigte  sich  nicht  nur  in  der  Gewandtheit,  mit  der  er 
die  eigenen  Ansichten  vertrat,  auch  in  der  Schnelligkeit,  mit  der  er  die  .des 
anderen  verstand;  mit  überlegener  Klarheit  wusste  er  dann  Richtiges  und 
Falsches.  Sicheres  und  Unsicheres  zu  sondern.  Trugen  seine  Bemerkungen 
dabei  nicht  selten  einen  leisen  ironischen  Anfing,  so  sprach  auch  aus  ihnen 
sein  freundliches  Wohlwollen  —  und  wie  vielen  seiner  Schüler  hat  er  dies, 
hat  er  sein  warmes  herzliches  Interesse  an  ihren  Arbeiten  und  ihren  Personen 
im  späteren  Leben  erhalten  und  bethätigt!  Seine  Fähigkeit.  Menschen 
zu  erkennen  und  zu  behandeln,  aber  hat  er  nicht  nur  im  Verkehr  mit  ihnen 
bewährt:  sie  kam  der  Wissenschaft  zu  statten,  auch  nachdem  er  1N7">  seine 
Lehrthätigkeit  in  Bonn  aufgegeben  und  als  Direktor  der  preussischen  Staats- 
archive nach  Berlin  übergesiedelt  war. 

Dass  auch  zur  Annahme  dieses  Rufs  ein  nationalpolitischer  Gesichts- 
punkt ihn  mitbestimmt  hatte,  das  sprach  er  seinen  rheinischen  politischen 
Freunden  aus.  als  er  von  ihnen  Abschied  nahm.  Er  wollte  der  Aufgabe 
sich  nicht  entziehen,  „unsere  Archive,  die  in  früherer  Zeit  mit  pedantischer 
Ängstlichkeit  gesperrt  waren,  in  immer  breiterem  Maasse  der  wissenschaft- 
lichen Forschung  zu  eröffnen  und  dadurch  für  die  fortschreitende  Entwicklung 
unseres  Staats  die  feste  geschichtliche  Grundlage  auch  im  Bewusstsein  unseres 
Volks  zu  gewinnen.  Denn  ein  Volk,  welches  nicht  weiss,  woher  es  kommt, 
weiss  auch  nicht,  wohin  es  geht.  Wir  wollen  zu  lernen  suchen  von  den 
grossen  Thaten  wie  von  den  Jrrthümern  und  Schwächen  unserer  Vorfahren". 
Zu  diesem  Zweck  wurden  von  Sybel  nicht  blos  für  die  Archive  mannigfache 
Verbesserungen  durchgesetzt  und  sie  in  weiterem  Umfang  wissenschaftlichen 
Forschern  zugänglich  gemacht :  wichtigste  Aufklärungen  über  sehr  verschiedene 
historische  Fragen  aus  verschiedenen  Perioden  sind  in  den  von  ihm  ver- 
anlassten und  geleiteten  «2  Bänden  der  Publikationen  aus  den  preussischen 
Staatsarchiven  veröffentlicht.  Auch  als  Mitglied  der  Berliner  Akademie 
und  der  Münchener  historischen  Kommission,  die  ihn  nach  Rankes  Tod  zu 
ihrem  Vorsitzenden  wählte,  und  durch  das  historische  Institut  in  Rom.  dessen 
Begründung  ebenfalls  ihm  vor  allem  verdankt  wird,  fördert«?  er  den  Druck 
bedeutsamer  historischer  (Quellen.  Aber  er  beschränkte  sich  nicht  auf  die 
Leitung  dieser  wissenschaftlichen  Unternehmungen,  auf  die  neue  Bearbeitung 
alter  und  die  Vollendung  neuer  kleinerer  Arbeiten  :  an  der  Schwelle  des  Greisen- 


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lUoirrnphische  Blatter. 


alters  rüstete  er  sich  zu  seinem  /weiten  historischen  Hauptwerke.  Unter  den 
Publikationen  aus  den  preussischen  Staatsarchiven  hatten  in  weitesten  Kreisen 
das  grösste  Interesse  die  Berichte  Bismarcks  vom  'Bundestage  erregt:  hatte  Bis- 
marck auf  Sybels  Antrag  kein  Bedenken  getragen,  ihre  Veröffentlichung  zu  ge- 
statten, so  genehmigte  er  nun  auch,  dass  Sybel  die  preussischen  Staatsakten  zu 
einer  Darstellung  der  Begründung  des  deutschen  Boichs  benutzte.  Aus  eigener 
Anschauung  wissen  die  Leser  dieser  Blätter,  wie  Sybel  sich  seine  Aufgabe  ge- 
stellt  und  wie  er  sie  gelost  hat,  zu  welcher  er  nach  seiner  gesammten  bisherigen 
Entwickelung  und  Thätigkeit  so  besonders  berufen  war:  nicht  alle  die  ver- 
schiedenartigen Seiten  des  deutschen  Bebens  in  der  Zeit,  da  die  Begründung  des 
nationalen  Staats  versucht  und  schliesslich  vollendet  wurde,  die  preussischen 
Bestrebungen  zu  diesem  Zweck  will  er  schildern:  von  ihnen  hat  er  aus  den 
authentischen  Quellen  uns  zuerst  ein«'  treue,  umfassende,  lichtvolle  Dar- 
stellung gegeben.  Nicht  nur  viele  einzelne  wichtige  Momente  sind  durch 
sie  zuerst  bekannt  geworden  oder  richtig  beleuchtet;  erst  durch  sie  wurde  uns 
ein  Verständnis*  des  Zusammenhangs  aller  der  mit  unübertroffener  Klarheit 
geschilderten  Verhandlungen  der  preussischen  Diplomatie,  der  Schwierig- 
keiten, mit  denen  sie  in  Deutschland  und  Europa  zu  kämpfen  hatte,  der 
Schwächen  und  Verdienste  der  so  verschiedenartigen  Persönlichkeiten  er- 
möglicht, die  in  dieser  Zeit  einen  bestimmenden  Einnuss  übten.  Mit  Hecht 
ist  betont,  dass  gerade  auch  durch  den  Einblick,  der  uns  hier  in  die  Motive  und 
Leistungen  der  einzelnen  maassgtbenden  Staatsmänner  gewährt  wird,  wie 
durch  die  universalhistorische  Weite  seines  Stoffes  und  seines  Gesichtskreises 
Sybels  Buch  grösseres  Interesse  gewinnt,  als  das  Werk  seines  grossen  Vor- 
gängers aus  dem  17.  Jahrhundert,  als  Samuel  Pufendorfs  Kommentare  über  den 
Grossen  Kurfürsten,  welcher  zuerst  die  archivalischen  (Quellen  seines  Staats 
zu  umfassender  zeitgeschichtlicher  Darstellung  einem  hervorragenden  Ge- 
lehrten eröffnete.  Erinnert  Sybels  Unternehmen  an  das  grosse  damals  gegebene 
Beispiel,  so  hat  freier,  als  es  in  dem  lateinischen  Werke  des  amtlich 
bestellten  Historiographen  des  17.  Jahrhunderts  möglich  war.  die  politische 
und  schriftstellerische  Individualität  des  deutschen  Geseluehtsehreibers  des 
19.  Jahrhunderts  in  seiner  Arbeit  sich  entfaltet.  Er  verleugnet  auch  in 
ihr  seine  preussischen  und  national-liberalen  Überzeugungen  nicht,  doch  er 
strebt,  die  im  eigenen  Lager  vorgekommenen  Fehler  und  Missgriffe  ohne 
Beschönigung  einzugestehen,  das  Verhalten  der  Gegner  aber  nach  den 
historischen  Voraussetzungen  ihrer  ganzen  Stellung  zu  begreifen.  Nach 
den  grossen  Siegen  von  1  Kur»  und  JK70  konnte  und  musstc  Sybel  in  anderer 
Stimmung,  mit  anderem  Ton  über  die  Gegner  reden,  als  da  er  noch  in 
politischem  Kampf  ihnen  gegenüber  stand;  dass  hier  sein  Urtheil  und  seine 
Sprache  ruhiger  sind  als  in  seinen  früheren  Werken,  das  erklärt  sich  gewiss 
mit  auch  aus  der  Milde,  die  das  höhere  Alter  in  ihm  gereift  hatte.  Dass 
aber  darunter  keineswegs  sein  Talent  der  Komposition  und  seine  Fähigkeit 
gelitten   hatten,   verwickelte    Fragen   lichtvoll   darzustellen,    das  beweist 

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Heinrich  von  S.vliel. 


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namentlicli  seine  Schilderung  derjenigen  diplomatischen  Leistung  .Bismarcks, 
die  dieser  selbst  als  seine  schwierigste  und  glücklichste  bezeichnete,  die 
Erzählung,  die  der  3.  Band  von  den  schleswig-holsteinischen  Wirren  lieferte. 
Der  Anerkennung,  die  diese  Vorzüge  in  den  weitesten  Kreisen  fanden, 
wurde  das  Siegel  aufgedrückt,  als  eine  berufene  Kommission  hervorragender 
Historiker  nach  dem  Hrseheinen  der  fünf  ersten  Bände  vorschlug,  ihrem 
Verlasser  den  Breis  zu  verleihen,  der  bei  der  Krinnerungsfeier  an  den 
Vertrag  von  Verdun  für  die  beste  Leistung  über  vaterländische  ( ieschiehte 
gestiftet  war:  dass  trotzdem  dieser  Breis  ihm  nicht  zuerkannt  wurde,  da- 
durch ist  sicherlich  Sybels  Ansehen  nicht  geschädigt.  Er  Hess  an  der  Fort- 
setzung seines  Buches  sich  auch  dadurch  nicht  hindern,  dass  bald  nach 
dem  Sturz  Bismareks  die  Benutzung  der  preussischen  Staatsakten  ihm  ent- 
zogen wurde;  noch  ist  in  frischester  Krinnerung.  welche  Fülle  wichtiger 
Aufklärungen  trotzdem  die  beiden  am  Knde  des  vorigen  Jahres  erschienenen 
Bände  seines  grossen  Werkes  brachten,  welches  Interesse  namentlich  seine 
Darstellung  des  Ursprungs  des  Krieges  von  1870  erregte,  mit  welcher  Ge- 
wandtheit und  Kraft  er  die  'Hinwendungen  abzuwehren  suchte,  die  gegen 
seine  Auflassung  erhoben  wurden.  Wer  seine  „neuen  Mitteilungen 
und  Krläuterungen"  las.  wurde  in  der  Hoft'nung  bestärkt,  dass  er  sein 
liueh  vollenden,  seine  Darstellung  bis  zum  Frieden  von  1871  herabführen 
werde:  ihm  und  uns  sollte  dies  nicht  mehr  vergönnt  sein.  Auch  in  diesem 
Sommer  hatte  er  Marburg  aufgesucht,  wo  er  gern  seine  Krholiingszeit  bei 
seinem  zweiten  Sohn  verlebte:  hier,  wo  er  einst  in  Irischer  Jugendkraft 
elf  arbeits-  und  freudenreiche  Jahre  verbracht  hatte,  wo  ihm  jetzt  die  Liebe 
seiner  Kinder  und  Hnkel  das  Leben  verschönte,  in  der  Nähe  des  alten 
Schlosses,  in  dem  er  zweckmässige  Hinrichtungen  für  das  in  mancher  Be- 
ziehung reichste  der  ihm  unterstellten  Archive  getrotten  hatte,  in  der  Strasse, 
welche  mit  seinem  Namen  geziert  war,  ist  er  am  1.  August  nach  kurzem 
Leiden  sanft  entschlafen.  Hs  war  der  friedlich  schöne  Absehluss  eines 
reichen  Lebens. 

Als  zwei  Tage  darauf  ihm  auf  dem  Matthäi-Kirchhof  in  Berlin  an  der 
Seite  seiner  Gattin  die  letzte  Ruhestätte  bereitet  wurde,  da  »lachte  wohl 
Mancher  der  Heden,  die  Sybel  einst  gerade  am  3.  August  zur  Feier  des 
Stifters  der  Bonner  und  Berliner  Hochschule  gehalten  hatte.  Vor  31  Jahren 
hatte  er  an  diesem  Tag  seine  Krörterungon  über  die  Gesetze  des  histori- 
schen Wissens  mit  einer  Krinnerung  an  den  Mann  geschlossen,  durch  dessen 
Thätigkeit  in  den  Anfängen  beider  Universitäten  „der  (iang  der  geschicht- 
lichen Wissenschaft  geweiht"  ist.  an  ,,G.  B>.  Niebuhr.  der.  wie  kein  Anderer 
dieses  Jahrhunderts  für  die  Betätigung  der  kritischen  Grundsätze,  für  die 
Hntwicklung  echten  Wissens  schöpferisch  gewirkt  hat".  ..Mögen",  so  mahnte 
Sybei,  „auf  unseren  Hochschulen  die  kommenden  Geschlechter  des  Geistes 
eingedenk  bleiben,  der  bei  ihrer  Gründung  gewaltet  hat".  Alle,  denen  die 
Bewahrung  und  Fortbildung  dieses  Geistes  am  Herzen  liegt,  werden  dankbar 


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Biographische  Blatter. 


auch  des  in  Niebuhr.scheni  Geiste  wirkenden  Historikers  gedenken  müssen, 
der  für  Wissenschaft  und  Vaterland  mit  solchem  Kiter  und  solcher  Kraft 
gearbeitet  hat,  des  echten  Heiniisentanten  einer  grossen  Epoche  deutscher 
Geschichte  und  deutscher  Geschichtschreibung. 

—         -  -  cga 

Der  Dichter  und  Humorist  Franz  Bonn  („v.  Miris")- 

Von 

H.  HOLLAND. 

Franz  Bonn  wurde  am  IS.  .luli  18Ü0  zu  München  geboren  als  der  jüngste 
Sohn  eines  Domänenverwalters  und  Oberrechnungsrathes.  Da  alle  seine  hochbe- 
gabten und  talentirtcn  Brüder  im  besten  Alter  starben,  so  wurde  die  letzte  Hoffnung 
des  Hauses  mit  sorgsamster  Pflege  erzogen.  Der  mit  graziöser  Liebenswürdigkeit 
ausgestattete  Junge  durchlief,  meist  unter  den  Preisträgern,  das  Gymnasium,  wo 
er  schon  als  Mittelpunkt  eines  eigenen  poetisch  angehauchten  Kreises  erschien, 
durch  dramatische  Künste  und  Taschenspieler- Produktionen  glänzte  und  mit  dem 
witzfunkensprühenden  Martin  Schleich  (7  12.  Oktober  1881)  kongeniale  Freund- 
schaft schloss.  Nach  kurzem  Studium  der  Philosophie  (1847)  an  der  Universität, 
wo  namentlich  der  ideensprfihende  streng  logische  Redetiuss  Dr.  Martin  Deutingers 
(-{•  9.  September  1804)  und  der- intime  Verkehr  mit  dem  fröhlichen  Oskar  von 
Redwitz  begeisternd  und  zu  wetteifernden  Bestrebungen  reizend  wirkten,  wendete 
sich  Franz  Bonn  zur  Jurisprudenz.  Seine  angeborene  musikalische  Begabung  und 
sein  unversiegbarer  Humor,  verbunden  mit  einer  überraschenden  Improvisation 
welche  es  ihm  z.  B.  ermöglichte,  einer  Dame  wahrend  der  Übergabe  ihres  Mantels 
ein  formvollendetes,  regelrechtes  Sonett  zu  extemporisiren  —  und  einem  ebenso 
packenden  Zeichner-  und  Malertalent,  verliehen  ihm  bald  in  jeder  Gesellschaft 
eine  dominirendc  Stellung.  Dazu  verstand  Bonn  die  neidenswerthe  Kunst,  trotz 
aller  zersplitternden  Thäfigkeit,  sein  Fachstudium  gleichmässig  zu  kultiviren.  so 
dass  er  das  Absolutorium  und  den  Staatskonkurs  mit  Auszeichnung  bestand.  18">7 
als  Staatsanwaltschafts-Substitut  in  den  Dienst  der  reinen  Justiz  trat  und  dann 
in  richtiger  Folge  und  ohne  besondere  Atfektion  bis  zum  Staatsanwalt  am  Ober- 
landesgericht  zu  München  vorrückte,  nachdem  er  in  einer  vierzehnjärigen  Beamten- 
thätigkeit  zu  Donauwörth.  Ansbach  und  Bayreuth  die  Süssigkeiten  des  Lebens 
und  Waltens  in  der  Provinz  sattsam  durchkostet  hatte.  Das  weitere  Avancement 
im  Staatsdienst  durchschnitt  dann  plötzlich  1880  als  besonderer  Glücksfall  die 
überraschende  und  ehrenvolle  Berufung  in  den  Dienst  des  Fürstenhauses  Thum 
und  Taxis  als  Präsident  der  Domänenkaminer  und  Direktor  des  fürstlichen  Civil- 
kollegialgerichtes  zu  Regensburg.  Bei  der  ihn»  eigenen  Agilität  des  Geschäftssinnes 
befestigte  Bonn  in  kurzer  Zeit  seine  Stellung  und  errang  in  huldvoller  Würdiguni; 
seiner  Leistungen  weitere  Anerkennung,  hohe  Auszeichnungen  und  Ehren. 

Mit  einer  in  der  süssen  Tonart  der  ..Amaranth-  erklingenden  epLsch-lyrischeu 
Dichtung  ..Wolfram-  (I8f>4)  wagte  Bonn  seine  erste  Exkursion  nach  dem  deutschen 
Parnass :  es  war  eine  moderne  Maler  -  Novelle  mit  hübschen  Liedern.  Zu  der 
nachfolgenden  Rheinsage  „Schott  von  Grüustcin"  (Stuttgart  18'>">)  diente 
Kinkels  „Otto  dei*  Schütz"  als  unverkennbares  Vorbild.  Inzwischen  hatte  Bonn 
auch  mit  dem  /.artsinnig-besaiteten  Georg  Scherer.  mit  August  Becker  (-J-  23. 
März  J8W1  zu  Kiseuaeh).  mit  dem  mannhaften  Johannes  Schrott,  dem  fröhlichen 
Kduard  llle  neue  Fühlung  gefunden;  desto  widerwilliger  blickte  er  auf  die  Unnatur  und 


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Franz  Bonn  („v.  Miris"). 


die  schwülstige  Bilder jagd  der  sogenannten  Jungdeutsehen,  wie  Karl  Beck.  Alfred 
Meissner.  Lenau  und  Freiligrath  u.  A.,  welche  er  nun  als  ,. Freiherr  von  Rachwitz" 
mit  seinen  „Lavagluthen4,  zuerst  in  den  „Fliegenden  Blattern"  und  in  der  „Aurora** 
(Freiburg  18ö4)  in  lachlustiger  Ironie  vei*spottete.  Wenn  Karl  Beck  von  seinem 
„wildgebäumten"  Lockenhaar  fabelte  oder  die  ..schwarz,  gebrannte  Bohne"  als 
der  Dichternacht  wacht  schmerzliches  »Symbol*4  feierte  oder  Lenau  die  Lerche 
,.an  ihren  bunten  Liedern  selig  in  die  Luft  klettern"  Hess  und  hei  Julius  Mosen 
gar  die  ..Gedankenhunde  im  Haupte  bellen"  —  so  kühlte  unser  , .Freiherr  von 
Rachwitz"  seinen  Unmut h,  dass  ..sein  Lied  wie  rothe  Lava  aus  seiner  Brust  Vesuv 
ströme,  um  alle  Leser  zu  einem  Herkulanuni  einzuäschern!"  Meine  Lavaglutheu. 
mit  denen  ich  auf  den  Schultern  jener  Heroen  stehe,  sind  die  höchste  Vollendunir 
des  Inhaltes  in  der  Form,  sie  sind  das  Ende  aller  Poesie!  Und  in  dieser  bescheidenen 
Rücksicht  möchte  ich  sagen:  Ich  bin  der  grösste  deutsche  Dichter!"  Kin  Paar 
weise  Kritiker  gingen  wirklich  auf  den  Leim  und  kanzelten  den  vermeinten  Frei- 
herrn ob  seiner  aristokratischen  Selbstüberhebung  wacker  ab!  Manches  aus  den 
..Lavaglutheu"  wurde  damals  ein  geflügeltes  Wort,  z.  B.  sein  Geist  ..schraubt  in 
seinem  Hirne  Begriffe,  die  sich  selber  übersteigen",  sein  Weltschmerz  ..brüllt  wie 
der  Wüstenleu"  indess.  ..die  dunkle  Karawane,  der  Träume  Zug,  an  ihm  vor- 
übergeht"  .  . 

„l  ud  eine  Schaar  von  Beduinen. 

Mit  bleichen  Mänteln  angethan, 

Folgt  wild  der  Schwann  der  Zweifol  ihnen. 

Mit  geistgesohliffenem  Yatagan  .  ." 

Wie  fröhlich  der  ernste  Ludwig  Steub  und  der  grämliche  Fallmerayer  auf 
den  „ geistgeschürtenen  Yatagan**  mit  dem  Pseudo-Freiherrn  zusammen  stiessen  in 
hellstiinmigem  Beifall!  In   diesem   durch   -Beding  von  Biberegg-  redigirten 

vorgenannten  poetischen  Taschenbuch  (welche  „Aurora"  aber  nur  einmal  und  dann 
nimmer  mit  rosigen  Hoffnungen  am  damaligen  poetischen  Horizonte  heraufdämmerte), 
brachte  Bonn  auch  seine  originelle  „Weh -Moll-Symphonie"  und  allerlei  andere 
Sachen  als  „Franz  von  Münchberg",  welche  indessen  nebst  dem  gewählten 
Pseudonym  unbemerkt  wieder  verdufteten. 

Nach  so  grimmen  Schwertschlägen,  solchem  Speergekrach  und  Schilderklang 
hätte  man  ganz  andere,  weltumkehrende  Riesenarbeit  erwarten  können.  Bonn 
aber,  welcher  damals  als  Vertheidiger  manch  tief  gekränktem  Recht  zum  Siege 
verhalf  oder  als  Staatsankläger  manchen  politischen  Schwerenöther  mit  ironischer 
Bitterkeit  lächerlich  machte,  schlug  sich  plötzlich  auf  das  harmloseste  Gebiet  der 
Jugendliteratur  und  zwar  mit  glückhnftem  Erfolge.  Die  damals  ( 1  Kr»r> )  von 
Isabella  Braun  begründete?!,  heute  noch  im  Verlag  von  Braun  &  Schneider  neu 
fiorirenden  r Jugend blätter",  ebenso  die  ..Deutsche  Jugend"  (Leipzig  bei  Allthons 
Dürr)  brachten  eine  ganze  Serie  von  Gedichten.  Erzählungen  und  kleineren 
Dramen  von  Franz  Bonn,  welche  dann  später  als  „Jugend-Lust-  und  Leid" 
(Stuttgart  1871)  und  „Theaterstücke  für  die  Jugend"  (München  18K<)  bei 
Braun  &  Schneider)  in  gesichteter  Auswahl  erschienen,  darunter  das  Märchen- 
Lustspiel  „Der  verzauberte  Frosch"  und  das  niedliche  Singspiel  .,Der  arme 
Heinrich",  welche  von  Karl  Greith  (•}■  17.  November  18*7)  und  J.  Rhein- 
berger mit  geistreicher  Musik  ausgestattet,  ihre  Zugkraft  auf  vielen  Instituts- 
und Familien-Theatern  bewährten.  Etliche  kleine  Novellen  erschienen  in  der 
«Universal-Bibliothek •*  (Stuttgart  bei  Kröner).  Auch  dichtete  Ronn  einige  gut 
gebaute  Textbücher,  z.  15.  zu  der  komischen  Operette  „Der  Hans  ist  da- 
(komponirt  von  Franz  Förg).  die  durch  Moriz  von  Sehwinds  berühmten  Gyklus 
angeregte  romantische  Oper  „Die  sieben  Raben-  (komponirt  von  Rheinberger) 


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Biographische  Blätter. 


und  dir  beiden  Märchen  ..Undine"  und  ..Dornröschen"  (komponirt  von  Frhr. 
v.  I Vrlall).  Einen  glücklichen  Grift*  machte  Franz  Bonn,  indem  er  Julius  Grosses 
reizende  Idylle  ..Gundel  vom  Königssee"  dramatisch  inscenirte  und  zu  einem 
ertektreichen  Zugstück  in  altbayerisrher  Sprache  umarbeitete,  welches  mit  unge- 
heuerem Erfolge  etliche  Jahre  über  alle  grösseren  Volkstheater  lief  (München 
1  bei  »raun  &  Schneider).  Darauf  folgte  das  mit  .lulius  Grosse  aus- 
gearbeitete ..Haus  Turnhill",  ferner  die  ..Kräu  terliesel".  ..Tante  Blau- 
bart" und  «las  AYeihnaehtsmareheii  ..Die  Wunderglocke*'.  Das  alles  entstand 
mit  derselben  nonchalanten  Leichtigkeit,  womit  er  auch  den  verwickeltsten  Schwur- 
gerichtssitzungen  präsidirte  und  die  glänzendsten  Plaidoyers  lieferte. 

Bonns  immer  gefüllte  Brunnenstube  des  Humors  speiste,  auch  die  welt- 
bekannten ..Fliegemlen  Hl:iTt«*r* *  und  die  ..Münchener  Bilderbogen".  Daraus  er- 
hlühten  dann  wieder  eigene  Opera,  z.  B.  die  in  mehr  als  120  000  Exemplaren 
weitverbreitete  ..Lustige  Naturgeschichte  oder  Zoologia  comica;  das  ist 
eine  genaue  Beschreibung  aller  in  diesem  Buche  vorkommenden  lebendigen  Thiere 
der  Welt  mit  80  naturgetreuen  Abbildungen,  wissenschaftlich  bearbeitet  von 
von  Miris"  (München,  bei  Braun  &  Schneider),  worauf  alsbald  eine  mit  gleicher 
Jovialität  illustrirte  „Botanik"  und  ..Mineralogie"  folgten.  In  der  Vorrede 
versicherte  der  Autor,  ..hier  und  da  sogar  mehr  als  wörtlich"  aus  gediegenen 
Abhandlungen  geschöpft  zu  haben!  Alles  ist  neu  und  originell.  So  heisst  es 
/..  B.  von  der  Fledermaus,  dass  sich  dieselbe  ..in  neuerer  Zeit  als  Straussisehe 
Operette  auf  den  meisten  Bühnen  hält  und  vielen  Beifall  findet-'.  Unter  den 
Bären-Arten  wird  auch  der  sehr  häutig  in  Familien  umgehende  ..Brummbär" 
aufgezählt;  ..am  zahlreichsten  sind  jene  Hären,  welche  von  den  Tageblättern  und 
anderen  wissenschaftlichen  Autoritäten  den  Lesern  und  Zuhörern  aufgebunden 
werden.  Diese  nennt  man  jedoch  auch  Enten"!  Der  Fuchs  wird  ganz 
darwinistisch  geschildert,  ..er  kommt  auf  allen  deutschen  Universitäten  vor;  seine 
Wautllungen  sind  sehr  interessant:  indem  er  gewöhnlich  zuerst  ein  Frosch  Ist. 
dann  ein  Maulesel  wird  und  sich  dann  erst  in  einen  Fuchsen  verwandelt.  Als 
solcher  wird  er  gebrannt  und  heisst  dann  Brandfuchs.  Die  gesuchteste  Familie 
der  Füchse  sind  die  Goldfüchse,  auf  welche  die  meisten  Menschen  Jagd  machen. 
Eine  sehi-  bekannte  Spezies  ist  der  Reineeke  Fuchs,  welchen  Kaulbach  mit  Illu- 
strationen versehen  hat'-.  Von  den  Katzen  lesen  wir.  sie  seien  ,,so  falsch,  dass 
keine  der  anderen  traut.  Ihr  Jammer  wird  den  Menschen  hier  und  da  sehr 
lästig,  besonders  immer  am  andern  Morgen.  Der  gestiefelte  Kater  ist  ein  Märchen, 
welches  die  Naturwissenschaft  schon  längst  als  solches  anerkannt  hat".  Die  un- 
logische Schlumperei,  welcher  man  in  der  kleinen  Tagespresse  stündlich  begegnet, 
wird  brillant  vei-spottet.  wenn  z.  B.  dem  Elephanten  nachgerühmt  ist.  dass  man 
..wegen  seines  graziösen  Ganges  sein  Gebein  das  Elfenbein  heisst".  Unter  den 
Beutelthieren  sind  die  Privatthiere  ( Homines  capitales)  einregist nrt :  ..Dieselben 
b  iheu  gegen  100  Prozent  Geld  aus  und  fressen  gewöhnlich  mehr  als  sie  verzehren 
können.  Die  feinere  Gattung  heisst  Bankbandit  (Latro  comercialis).  fährt  mehr- 
spännig.  kommt  auch  in  Bädern  vor  und  lebt  eigentlich  nur  vom  Geld.  Beide 
gehören  häutig  in  die  Ordnung  der  Yampyre".  Dazu  gesellt  unser  Forscher  das 
Faulthier,  „welches  auf  Gymnasien  und  Hochschulen  vorzukommen  pflegt,  für 
nichts  auf  der  "Welt  ist  und  einen  sehr  üblen  Geruch  verbreitet.  Dasselbe  schläft 
sehr  lang«-,  schaut  stundenlang  zum  Fenster  hinaus  und  lebt  meist  in  Katfee- 
hiiuscrn  oder  Kneipen".  Als  brillante  Stilprobe  kann  auch  die  Definition  des 
Nashorn  gelten.  ..welches  wegen  seiner  Dummheit  in  der  Gelehrtensprache 
Bhinoceros  genannt  wird.  Es  dient  zu  Spazierstöcken.  Keitpeitsehen.  Schildern 
und  Uigarreiietuis.    hat    ein    sehr   leises  Gehör  und  einen  sehr  scharfen  Geruch. 


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Franz  Bonn  („v.  Miris"). 


w esshalb  es  Bäum**  ausreisst  und  Alles  niederronnt,  was  ihm  in  den  Weg 
kommt.  Bildung  hat  es  sehr  wenig,  aber  eint*  starke  Haut,  darob  es  mehr  er- 
tragen kann,  als  ein  anderer,  gewöhnlicher  Mensch  !u  Km  gründliche  Definition 
ist  unser  Kachmann  so  wenig  verlegen,  wie  ein  geübter  Parlamentarier:  ..Die 
Kidechse  ist  das  Krokodil  in  Miniaturausgabe,  wie  solche  von  den  meisten  be- 
deutenden Dichtern  veranstaltet  werden.  Die  Eidechse  verhält  sieh  zum  Krokodil 
wie  die  Violine  zur  Bassgeige,  nur  dass  diese  (!)  meist  giftig  sind,  was  bei  den 
Eidechsen  sehr  selten  und  da  nur,  wenn  sie  zornig  oder  giftig  gemacht  werden, 
der  Kall  ist".  —  Wo  möglich  noch  muthwilliger  bewegt  sich  unser  Autor  auf 
dem  Gebiete  der  ..Botanik".  Kr  beginnt  mit  der  Anatomie  und  Organographie 
der  Pflanzen;  ihr  Klementar-  und  Grund-Organ  ist  die  Zelle:  ..Die  bekanntesten 
Zellenarten  sind  die  Klosterzelle,  die  Gefängnisszelle,  richtiger  Zellengefängniss 
oder  Bruchsal  genannt,  die  Honigzelle  und  die  Parzelle,  letztere  häufig  im  Grund- 
steuerkataster  vorkommend.  Die  Gazelle  gehört  dagegen  ins  Thierreich. "  Unter 
den  Gefässen  wird  nur  ein  steinernes,  in  süddeutscher,  allgemein  verbreiteter 
Stein-Formation  (Maasskrug)  abgebildet;  die  Wurzel  nur  oberflächlich  berührt, 
desto  mehr  Betrachtung  aber  den  ..Blättern"  zugewendet.  Nächst  «1er  Wurzel 
sind  ..die  wichtigsten  Organe  der  Pflanze  die  Blätter,  wesshalb  man  dieselben 
auch  schlechtweg  Organe  nennt'.  Der  Korscher  unterscheidet  verschiedene 
..grosse  und  kleine,  gute  und  schlechte.  Tag-  und  Wochen-Blätter.  Fach-  und 
Witz-Blätter;  diese  letzteren  werden  im  Süden  vorzüglich  „Fliegende",  im  Norden 
..Kladderadatsch"  genannt.  Eine  besondere  Art  von  Blättern  sind  die  Schmier- 
uud  Schmutz-Blätter.  Diese  nähren  sieh  von  den  schlechtesten  Eigenschaften  der 
Menschheit  und  sind  desshalb  leider  sehr  verbreitet.  Die  Form  der  Blätter  ist 
verschieden,  doch  hat  jedes  Blatt  seinen  eigenen  Stil,  welcher  mitunter  sehr  be- 
denklich ist.  So  schreibt  der  Redakteur  eines  Tageblattes:  ..Zum  Schützenfeste 
brachte  schon  gestern  jeder  Eisenbahnzng  Fremde  von  unabsehbarer  Länge"  und 
ein  anderes  Mal  berichtete  es:  ,.In  das  morgig  beginnende  Gastspiel  der  Sängerin 
Stanioli  wird  jeder  Kunstfreund  mit  Vergnügen  strömen."  Ist  das,  was  ein  Blatt 
inittheilt.  zum  grössten  Theile  erlogen,  so  nennt  man  das  Blatt  inspirirt;  sind 
die  Nachrichten  verfrüht,  so  heisst  das  Blatt  offiziös,  kommen  sie  zu  spät, 
offiziell.  Die  Hauptnahrung  beziehen  die  Blätter  durch  die  Inserate,  worunter 
man  jene  Gebilde  versteht,  in  welcher  sich  der  Krankheitsstoff  der  Zeit  vorzüg- 
lich ablagert"  u.  s.  w. 

Einen  ähnlichen  Impromptu -Ton  schlug  Herr  von  Miris  an  mit  seinem 
„Xibelungenringerl  ".*)  wozu  die  altbaierisehe  Schnaderhüpfelform  am  besten 
passte.  In  der  Farce  „Ein  wichtiger  litterarischer  Kund"  (ebendaselbst)  . 
ging  er  wieder  auf  die  Imitationsmanier  der  „Lavagluthen"  zurück,  indem  er  den 
Nachweis  lieferte,  dass  alle  neueren  Dichter,  von  Goethe  und  Schiller  bis  Hermann 
Lingg  und  E.  Geibel,  das  alte  Volkslied  „jetzt  gang  i'  an\s  Brünnele.  trink'  aber 
nit",  jeder  in  seiner  Manier  variirten  —  er  eskamotirte  dieses  mit  einer  so  vir- 
tuosen Anempfiudung,  dass  einzelne  dieser  Pocmata  wirklich  für  Originalgedickte 
der  Genannten  gehalten  wurden.  Dann  schwang  er  die  Geissei  der  bittersten 
Satire  in  seinem  „Pädagogisch-verbesser ten  Struwwelpeter**)  über  die 
altkluge  Verziehung  und  Missbildung  der  Jugend.  Das  Heftchen,  welches  zürnend 
den  „Herren  Kitern-  (irre  ich  nicht,  so  war  Kranz  Bonn  auch  der  Urheber  des 


*)  .  "s  Nihelungenringerl.    Harmlose  Schnadahüpfeln  für  drei  Tage  und  einen 
Vorabend."    München  (1*79)  hei  Braun  und  Schneider. 

**)  Hin  lustiges  Bildcrhuch  für  Kinder  von  ;50    ÖO  Juhren.    Mit  Illustrationen  von 
A.  Oberländer.    München,  hei  Braun  und  Schneider. 

Biographische  Blatter  I.  -J,j 


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395 


Biographische  Blätter. 


heute  überall  als  geflügeltes  Wort  verbreiteten  Satzes,  dass  man  in  der  Wahl 
seiner  Kitern  nicht  vorsichtig  genug  sein  könne!)  einen  lehrreichen  Spiegel  vor- 
hält, wurde  trotz  der  ausdrücklichen  Verwarnung  des  Dichters,  wonach  er  sein 
Buch  nur  für  die  ..grossen  Kinder  von  30  -60  .Jahren"  bestimmt  habe,  von  ge- 
wissenlosen Kritikern  und  oberflächlichen  Zeitungsschreibern,  die  gleich  einer  Land- 
plage ranpenhaft  überall  sitzen,  doch  als  eine  „echte  .lugendschrift  für  unsere 
Rieben  Kleinen"  empfohlen!  Ebenso  wenig  ist  „Franz  der  Streber"  ein  .lugend- 
buch,  sondern  eine  bitterböse  Satire  auf  die  in  allen  Sätteln  gerechte  Gesinnungs- 
losigkeit,  welche  sich  windfahnenartig  nach  jedem  neuen  Zuglüftehen  „ umzudenken ~ 
vermag;  Alles  darinnen  ist  mit  photographischer  Wahrheit  der  Wirklichkeif  ent- 
nommen. 

Eine  Unzahl  von  Meggendorfers  vielgerühmten  .. Bilderbüchern"*  es 
giebt  aber  auch  viele  und  sehr  ehrenwert  he  Leute,  welche  gar  nicht  dafür 
schwärmen  —  hat  Bonn  mit  putzigen  Keimen  ausgestattet,  so  das  ..Fräulein 
Nimmersatt",  der  ..lange  Heinrich",  die  lustigen  „Wichtelmännchen",  der  „Korb 
mit.  Allerlei",  die  „Historien  vom  eigensinnigen  Schwein"  und  wie  die  Spasshaftig- 
keiten  alle  beissen.  Auch  den  nun  schon  im  zwölften  Jahrgang  laufenden 
,.  Fliegenden- Blätter-Kalender-  inaugurirte  Herr  von  Miiis  jedesmal  mir 
einem  launigen  Vorwort .  mit  Monat-  und  Wochen-Sprüchen,  moralischen  Wetter- 
regeln. Gedankensplittern  und  poetischen  Bathschlägen.  Ein  Theil  seiner  <;»•- 
dichte  erschien  unter  dein  Titel  -  Von  mir  is"  (München  bei  Braun  und  Schneider) 
in  feiner,  vornehmer  Ausstattung,  mit  dem  äusserst  sympathischen  Bildnisse  des 
Dichters.  Neben  allerlei  Dichtungen  in  verschiedenen  Mundarten  und  neben  d'Mi 
drolligsten  Einfällen  z.  B. 

„Wie  w.'tre  das  doch  schön  und  nett, 
Wenn  der  Laubfrosch  einen  Schnurrbart  hütt'! 
End  kannte  die  Wildsau  Banken  schlagen. 
Das  w'tre  lustig  nicht  zum  sagen! 
Könnt'  erst  die  (Jans  auf  Stelzen  gehen. 
Das  w.'ire  possirlich  anzusehen. 
Doch  mehr  als  dies  noch  wlir'  fidel. 
Könnt'  Schlittschuhlaufen  das  Kameel  .  . 

werden  auch  tief  ernste  Klänge  angeschlagen.  /.  B.  zum  eigenen  -Sechzigsten 
Geburtstag"  und  jene,  das  volle  Eamilieiigltick  eines  Vaters  verkündenden  Strophen : 

Hundertachtzig  Zahne  halten  Sechs  l'aar  Stiefel  bringt  der  Schuster 

Meine  sechs  geliebten  Kinder  —  Fnd  sechs  Mäntel  bringt  der  Schneider. 

Was  der  Zahnarzt  jährlich  kostet,  Alles  ^««ht  halbdntzend  weise. 

Sehen  kann  es  selbst  ein  Blinder.  Strümpfe.  Schulgeld,  Brod  und  Kleider. 

Sind  sie  krank,  gleich  zum  Spitale  (ieh'n  wir  aus.  giebt's  auf  der  Strasse 

Wird  von  selbst  die  ganze  Wohnung.  Ohne  Weiters  ein  Gedränge, 

End  sechs  Silbergroschen  kostet  l'nd  von  selber  mit  den  .Meinen 

Auch  die  kleinste  < Jeldbelohnung.  Bild'  ich  eine  Menschenmenge. 

Welche  Fülle  von  Ermahnung,  Welch'  ein  Leben  in  dem  Hause, 

Welche  Enzahl  banger  Sorgen.  Welch'  ein  Wogen,  welch'  ein  Kauschen 

Bis  sie  Alle  aufgezogen.  End  doch  möcht'  ich  um  Millionen 

Iiis  sie  Alle  wolil  geborgen!  Nicht  mit  einem  Andern  tauschen: 

Denn  das  schönste  Glück  von  Allen. 
Et  ja  doch  der  Liebe  Segen. 
Der  nur  aus  zwölf  Kinderaugen 
Leuchtet  jeden  Tag  entgegen! 


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Franz  Bonn  („v.  Mirin**). 


Das  vorstehende  Gedicht  datirt  gerade  nicht  aus  der  letzten  Epoche  des 
Herrn  von  Miris;  so  wäre  es  immerhin  möglich,  dass  die  vorgenannte  Zahl  seiner 
Familie  noch  neuen  Zuwachs  erhalten  hätte.  Sein  ältester,  gleichfalls  mit  einer 
stark  poetischen  Ader  veranlagter  Sohn  Ferdinand  Bonn  widmete  sich  erst  der 
Thenns,  trat  dann  1884  zur  Bühne  über  und  errang  als  Künstler  (und  neuesrens 
auch  als  dramatischer  Dichter)  einen  geehrten  und  gefeierten  Ruf. 

Es  übrigt  indessen  auch  der  ernsten  Muse  unseres  Dichters  zu  erwähnen,, 
welcher  dabei  immer  seines  Familiennamens  sich  gebrauchte.  Im  Jahre  lxsO  be- 
trat Franz  Bonn  mit  seinem  „König  Mammon"  (Köln,  bei  Bachem.  VIII,  301  S.) 
das  Gebiet  des  Romans.  Das  Buch  fand  trotz  freundlicher  Aufnahme  doch  nicht 
die  gebührliche  Beachtung.  Fast  alle  sozialen  Fragen  streifend,  mag  ..König 
Mammon-*  als  ein  Miniaturbild  der  modernen  Gesellschaft  und  als  eine  wahre 
Zeitstudie  gelten.  Alle  Fragen  der  neuen  Zeit  lauten  hier  in  ihren  Radien  zu- 
sammen. Sein  Werk  ist.  wie  Franz  Bonn  mit  gutem  Bewusstsein  in  dem  Vor- 
wort (welches  zugleich  ein  schönes  Ehrengedäehtniss  auf  seinen  längst  verstorbenen 
Vater  enthält)  erklärt,  ,,kein  farbenprächtiges  Bild  in  stolzem,  breitem  Goldrahmen, 
kein  buntgeschmückres  Kind  der  Zeit,  das  mit  frivolem  Witz  zu  unterhalten  oder 
mit  verhüllter  Lüsternheit  zu  reizen  versteht.  Auch  der  tönenden  Phrase 
des  Tages  gab  ich  keinen  Raum.  Mir  lag  nur  daran,  dass  das.  was  ich 
schrieb,  wahr  sei,  wahr  in  der  Empfindung  und  wahr  in  der  Darstellung,  so 
dass,  wenn  auch  wenig  wirklich  Geschehenes  meiner  Erzählung  zu  Grunde  liegt, 
dieselbe  doch  überall  das  faktisch  Mögliche  trifl't.  Nicht  den  Beifall  der 
Menge:  das  Mitgefühl  der  Guten  nur  möchte  ich  erringen!-  Alle  die  auftretenden 
Personen  sind  mit  der  gleichen  Sorgfalt  und  Liebe  gezeichnet,  behandelt  und 
systematisch  durchgeführt,  Da  ist  der  reiche  Grosshändler  G ottlieb  Gornero,  der 
herzlose,  mammonstolze  Mann,  und  seine  angeblich  nervenkranke,  eingebildete  Frau,  zwei 
so  sicher  aus  dem  Leben  geschnittene  Peisünlichkeiten.  dass  man  in  jeder  Stadt  ihrem 
fr-  und  Ebenbild  begegnen  könnte:  nur  ihr  edler  Sohn  Edgar  bildet  eine  Ano- 
malie der  elterlichen  Raee;  ihr  Hausarzt  Dr.  Pillensteiner  ist  ein  gewöhnlicher 
Materialist,  der  seine  ordinäre  Denkweise  durch  feinere  Formen  kaum  überkleidet. 
Pen  schäbigen  Geldadel  repräsentirt  der  Baron  Spornschild,  „Gründer"  der  Aktien- 
gesellschaft ,,Concordia"  und  Schwiegervater  des  Baron  Maier;  das  Kleeblatt 
bringt  der  Prokurist  und  Rone  Fritz  Welker  mit  seinem  lustigen  Anhang  zum 
Abschluss.  Zwischendurch  spielt  eine  beinahe  heitere  Gesellschaft:  der  alte 
..Schmiertiegel'',  erst  Chemiker  und  Bierbrauer,  der  so  kunstreichen  Stoff  versott, 
dass  er  verarmte  und  nun  als  Schnapsbruder  elendiglich  vegetirt;  dann  die  Gauner 
und  Spitzbuben  ..Storch.  Steigerhanns  und  Bosswürger",  ein  "Trio,  wie  sie  nur 
ein  Staats-  oder  Rechts- Anwalt  mit  so  photographischer  Wahrheit  zu  zeichnen 
vermag.  Dazu  gehört  auch  der  ..blinde  Krüppel  und  Bettler"  Pachonius.  welcher 
in  den  Kirchen  aus  den  Gaben  gutherziger  Menschen  die  Mittel  zum  behaglichsten 
Lebensgenüsse  sammelt.  In  der  sauberen  Sippschaft  zählt  der  muffige  Rechts- 
konsulent Dr.  Stürmer,  der  mit  der  Vereinskasse  durchgehende  Volksfreund-  und 
-Redner  Dr.  Stiirzer,  der  Redakteur  der  ..Freien  Stimme"  mit  allem  möglichen 
Apparat  und  Zubehör.  Als  wirklich  reine  Seelen  und  erquickliche  Charakter- 
figuren erscheinen  der  alte.  arme,  durch  Abschreiben  fremder  Arbeiten  sein  kümmer- 
liches Leben  fristende  Poet  Hieronymus  Krümuder  und  seine  treubewährte  Tochter 
Cornelia,  nebst  dem  wackern  Lehrling  Demetrius,  welche  den  Kreislauf  der  Hand- 
lung in  glücklicher  Weise  abschliessen.  Die  Ausführung  scheint  bisweilen  etwas 
skizzenhaft  angelegt,  dann  wieder  in  einzelnen  Partien  im  vollen  Fluss  mit  grosser 
Sicherheit  durchgeführt. 

Im  .Tahre  18*4  brachte  Franz  Bonn  ein  schon  während  >einer  Studentcn- 


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ai>7 


itiograpbisclio  BliUtcr. 


zeit  begonnenes  Epos  ...luco pon»'"  (Hcgensburg  1884)  7.11111  Absehluss.  Die 
klnngrcichen  Terzinen  lassen  keinen  Unterschied  zwischen  den  ersten  Fragmenten 
und  den  späteren  Nachträgen  erkennen,  in  sieben  Gesängen  wird  der  äussere 
und  innere  stürmische  Lebensgang  des  schwergeprüften  italischen  Reehtsgelehrten 
vorgeführt,  welcher  durch  den  plötzlichen  Tod  seiner  liebreizenden  Gattin  (12»»H) 
bis  .111  die  Grenze  des  Wahnsinns  getrieben,  der  Welt  entsagte,  das  Kleid  frei- 
williger Arinuth  anlegte  und  auf  weiten  Wegen  endlich  in  der  Dichtung  die  er- 
sehnte, schwerverdiente  Buhe  fand.  Seine  Lieder,  darunter  das  berühmte  ..Stabat 
mater".  sichern  ihm  für  alle  Zeit  ein  unlösehbares  Gedächtnis*.  Dass  Franz  Bonn 
die  historischen  Thatsachen  in  etwas  gerundeter  Krzählung  sich  zurecht  legte, 
gereicht  wohl  dem  Ganzen  nicht  zum  Schaden.  Der  furchtbare,  theilweise  schon  im 
..König  Mammon--  waltende  Ernst  überrascht  uns  in  seinem  Munde  doppelt  und 
liisst  mit  Staunen  erkennen,  welche  Gegensätze  auch  hier  oftmals  in  einer  Person 
einander  gegenübertreten.  Vorwiegend  ernsten  Inhalts  sind  auch  seine  ..Für 
Herz  und  Haus--  betitelten  Gedichte,  welche  1«1>2  zuerst  erschienen  (Uegens- 
lturg.  bei  Habbel)  und  nun  schon  in  dritter  Autlage  vorliegen.  Lenz  und  Liebe. 
Halladen  und  Bilder.  Lieder  und  Stimmungen  aus  allen  Lebenslagen  ziehen  vorüber 
der  Gruudton  bleibt  sinnig  und  ernst.  Die  weiche  Musik  der  Sprache  erinnert 
bisweilen  au  Fichendorffs  Vorbild.  z.B.  in  den  schönen  Strophen  ..Am  Bodensee': 

Weit  über  <lie  dllmmemden  Lande  Liebselige  (Jriisse  schicken 

Flies-t  silbernes  Mondenlicht.  Die  Sterne  hell  und  rein 

Sacht  am  tiefschweigenden  Strande  Mit  leuchtenden  LiebesMieken 

Die  -ebnende  Woge  sich  bricht.  In  s  schweigende  Kümmerlein. 

Im  holden  (JeHiister  säumen  l'nd  rtithet  der  Tag  die  Lüdeben 

Die  Winde  da  um  ein  Maus:  Im  dümmerstillen  Haus  - 

Die  Hlumen  am  Fenster  trüumen  Da  schauet  das  schönste  Mädchen 

In  die  weite  N  icht  hinaus.  In  den  hellen  Morgen  hinaus! 

Zur  Vollendung  des  ganzen  Portrait*  noch  einige  Striche  aus  der.  wenn 
auch  nur  vorübergehenden  politischen  Thiitigkeit  des  Dichters.  Im  Jahre  18SI 
als  Abgeordneter  in  den  bayerischen  Landtag  gewählt,  nahm  Franz  Bonu  seinen 
Sitz  im  Lager  der  Patrioten,  betheiligt»'  sich  als  Hauptredner  beim  Sturmanlauf 
gegen  das  Ministerium  von  Lutz,  plädirte  aber  auch  in  der  denkwürdigen  Plenar- 
sitzung vom  20.  .luni  lsHti  für  die  Kegentschafts -Vorlage  und  zwar  in  einer 
Weise,  dass  er  die  Zustimmung  und  Anerkennung  des  ganzen  Hohen  Hauses  er- 
rang.   Daun  legte  er  sein  Mandat  nieder. 

Zu  den  poetischen  Lorbeern  gesellten  sich  auch  andere  Auszeichnungen  und 
F.hren.  darunter  z.  B.  18<io  aus  Anlass  der  Xegozirung  der  Hochzeit  des  Prinzen 
Albert  von  Thum  und  Taxis  das  Komthurkreuz  des  K.  K.  Franz-.Ioseph-  und 
des  Hohenzollerisehen  Hausordens  und  das  Kitterkreuz  I.  Klasse  des  Verdienst- 
Ordens  vom  heiligen  Michael. 

Im  glücklichen  Kreise  seiner  Familie  schien  dem  jovialen  Dichter,  dein 
pflichttreuen  Beamten  und  vielseitigen  Geschäftsmann  ein  hohes,  glückhaftes  Alter 
gesichert.  Sein  fröhlicher  Humor  blieb  unversiegbar.  Eine  böswillige  Influenza 
bestand  seine  gute  Natur.  Der  nachträgliche  Gebrauch  des  Marienbades  brachte 
aber  nicht  den  gewünschten  Frfolg.  Wenige  Tage  nach  seiner  Rückkehr  erlosch 
zu  Kegeiisburg  am  7.  .Inli  IS'.M  sein  Leben. 

 & 


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Josef  Böhm. 


3<)8 


Josef  Böhm. 

Von  t 
JULIUS  WIESNER.*) 

Hochansehnliche  Versammlung!  Bald  wird  die  Hi'üle  von  einem  kunstvoll 
ausgeführten  Steinbild  fallen,  welches  hestinunt  ist,  die  Arkaden  unserer  Universität 
zu  schmücken  und  die  Zügv*  des  weit  über  die  Grenzen  unseres  Vaterlandes  hinaus 
bekannten  Pflanzeuphysiologen.  Josef  Böhm,  der  Nachwelt  zu  überliefern. 

Josef  Böhm  .gehörte  unserer  Universitär  durch  30  Jahre  als  Lehrer  an.  zuerst 
als  Privatdozent,  dann  als  ausserordentlicher,  zuletzt  als  ordentlicher  Professor  der 
Botanik.  In  diesem  Langen  Zeiträume  hat  er  mit  grosser  Hingabe,  aus  tiefem 
inneren  Antrieb,  und  man  darf  sagen,  aus  angeborenem  Enthusiasmus  sein  Fach 
gelehrt,  und  mit  einem  nie  ermüdenden  Eifer  bis  an  sein  Lebensende  wissenschaftlich 
geforscht.  Er  hat  sowohl  als  Lehrer  wie  als  Forscher  nicht  umsonst  gewirkt:  im 
Gegeilt  heile:  er  hat  Tausende  von  lernbegierigen  Studenten  in  seine  Wissenschaft 
eingeführt,  und  durch  eine  Reihe  wichtiger  Entdeckungen  in  der  Geschichte  der 
Pflanzenphysiologie  sich  ein  dauerndes  Gedächt  niss  gesichert. 

Es  sei  mir  erlaubt,  in  Kürze  den  Lebenslauf  Josef  Böhm  s  vor  Ihren  Augen 
zu  entrollen,  uud  seine  wissenschaftlichen  Leistungen  zu  skizziren.  Josef  Böhm 
wurde  am  13.  März  1831  zu  Gross-Gerungs  in  Niederttsterreirh  geboren.  Die 
Gymnasialstudien  absolvirte  er  in  Melk.  Er  sollte  sich  dem  geistlichen  Stande 
widmen.  Aber  er  fühlte  hier/u  nicht  den  inneren  Beruf,  vielmehr  drängte  ihn  eine 
frühzeitig  erwachte  Neigung  für  Naturwissenschaften,  spcciell  für  Botanik,  bald 
auf  andere  Bahnen.  Als  die  Botanik  noch  mit  dem  Kosenamen  „svietitia  arnnbUin" 
belegt  wurde  —  inzwischen  ist  sie  durch  Versehwisterung  mit  den  ernstesten 
Zweigen  der  Naturwissenschaft  selbst  zu  ernst  geworden,  um  noch  ein  Hecht  auf 
diesen  Namen  zu  haben  -  war  es  üblich,  durch  das  Studium  der  Medizin  sich 
auf  den  Beruf  des  Botanikers  vorzubereiten.  Mehr  dieser  Gewohnheit  folgend, 
als  in  der  Absicht,  der  Heilkunde  sich  zu  widmen,  trat  er  im  Jahre  IHfil  in  Wien 
in  die  medizinischen  Studien  ein.  Noch  vor  Erwerbung  des  medizinischen  Doktor- 
grades errang  er  an  der  Grazer  Universität  das  Doktorat  der  Philosophie.  Es 
führte  ihn  also  schon  während  seiner  medizinischen  Studien  der  Drang  nach  reinem 
Wissen  in  die  Bahnen  der  theoretischen  Naturwissenschaften  und  speziell  auf  das 
Gebiet  der  Anatomie  und  Physiologie  der  Pflanzen,  welche  Disziplinen  damals  an 
unserer  Universität  in  Franz  Unger  einen  grossen,  begeisterten  und  begeisternden 
Vertreter  besassen.  und  bald  sehen  wir  Böhm  bestrebt,  die  Grenzen  des  damaligen 
"Wissens  zu  durchbrechen  und  mit  den  Resultaten  eigner  Forschung  hervorzutreten. 
Die  betreffenden  Veröffentlichungen  des  jungen  Böhm  fanden  in  den  Augen  des 
Meisters  so  viel  Anwert h,  dass  schon  diese  Erstlingsfriichte  seiner  Untersuchungen 
ihm  den  Weg  zur  Erreichung  der  venia  legendi  für  Botanik  bahnten.    Denn  seine 


r)  (JcdUchtnissrede  auf  Dr.  Jos.  Böhm,  o.  ö.  Professor  der  Botanik  an  der  k.  k.  Hoch- 
schule für  Bodenkultur  und  an  der  Universität  in  Wien,  gelegentlich  der  Knthttllung  des 
von  Benk  ausgeführten,  im  Arkadenhofe  der  l'niversitlit  aufgestellten  Kelicfliildes,  gehalten 
von  Dr.  Julius  Wiesner.  k.  k.  Ilofrath,  o.  n.  I'niv.-Prof.  und  Vorstand  des  pflanzenphysiol. 
Institutes,  am  10.  März  181)5  im  kleinen  Festsaale  der  Universität. 


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399 


Biographische  Blätter. 


Habilitation  als  Privatdozent  der  Botanik  an  unserer  philosophischen  Fakultät  er- 
folgte schon  im  Jahre  1857.  Ein  Jahr  später  erwarb  er  an  unserer  Universität 
den  (Jrad  eines  Doktors  der  Medicin.  Dem  ärztlichen  Beruf  hat  sich  Böhm  nie 
gewidmet.  Denn  gleich  nach  Erlangung  des  Doktorgrades  der  Medizin  trat  er  in  s 
Lehramt  ein  und  blieb  demselben,  den  Lockungen  der  praxi*  antra  widerstehend, 
bis  an  s  Lebensende  treu.  Im  .Jahre  18">8  wurde  er  an  der  kurz  vorher  gegründeten 
Handelsakademie,  an  der  damals  als  Professoren  eine  Anzahl  hervorragender  junger 
Männer  wirktet!,  wie  der  Historiker  Adolf  Beer,  der  Mathematiker  Simon  .Spitzer, 
der  Nationalökonom  Adolf  Wagner  u.a..  zuerst  als  provisorischer,  später  als  wirk- 
lieber  Lehrer  der  Naturgeschichte  und  der  organischen  Waareukunde  angestellt, 
wo  er,  von  seinen  Kollegen  hochgeachtet,  von  der  Jugend  geliebt,  durch  Itt  Jahre 
wirkte.  Anfangs  standen  ihm  keine  Mittel  für  experimentelle  Untersuchungen  zu 
(Jebote.  Einigen  Ersatz  fand  er  hierfür  dadurch,  dass  er  sich  als  unbesoldeter 
Privatassistent  in  den  Dienst  seines  berühmten  Lehrers.  Franz  Unger.  stellte. 
Später  wurde  es  ihm  möglich  gemacht,  sich  in  den  Bäumen  der  Handelsakademie 
ein  für  seine  speziellen  Forschungen  bestimmtes  Laboratorium  einzurichten,  in 
welehem  er.  allerdings  mit  bescheidenen  Mitteln,  viele  seiner  mühevollen,  physiolo- 
gischen Arbeiten,  namentlich  unter  Zuhilfenahme  gasanalytischer  Methoden  aus- 
führte. Seine  verdienstvollen  Arbeiten  auf  dem  (Jebiete  der  wissenschaftlichen 
Botanik,  insbesondere  im  Bereiche  der  Anatomie  und  der  Physiologie  der  Pflanzen, 
wurden  im  .Jahre  1NH9  durch  seine  Ernennung  zum  ausserordentlichen  Universitäts- 
professor der  Botanik  anerkannt.  Seine  Lehrtätigkeit  an  der  Handelsakademie 
fand  dadurch  aber  keine  Unterbrechung. 

C Jörne  erinnerte  sich  Böhm  des  AVinters  1870/71.  Es  wurde  ihm  damals 
von  dem  Vcrwaltungsrath  der  Handelsakademie  in  liberaler  Weise  ein  Urlaub  zum 
Zwecke  wissenschaftlicher  Studien  im  Auslande  gewährt  und  er  zog  nach  Heidel- 
berg, wo  damals  als  Botaniker  der  unsterbliche  Entdecker  des  <  Jenerationswechsels 
der  Pflanzen,  Wilhelm  Hofmeister,  wirkte.  Böhm  hatte  das  (ilück,  mit  diesem 
bisher  grössten  Meister  der  botanisch-morphologischen  Forschung  in  nähere  wissen- 
schaftliebe und  auch  in  intime  persönliche  Beziehungen  treten  zu  können.  Hof- 
meister erzählte  später  dem  Redner  mit  Wärme,  welche  Wohlthat  der  Umgang 
mit  dem  von  heiterer  Laune  stets  übersprudelnden  Kidlegen  Böhm  ihm  damals  ge- 
wesen ist.  zu  einer  Zeit,  in  welcher  der  grosse  Forscher  durch  einen  schweren 
Schicksalsschlag  gebeugt  war.  Da  die  wissenschaftliche  Richtung  Hofmeist  ers 
im  (Juunde  genommen  gänzlich  verschieden  von  jener  Böhms  war,  so  scheint  er 
hauptsächlich  deshalb  Heidelberg  aufgesucht  zu  haben,  um  Bimsen  näher  treten 
zu  können.  Auf  die  Forschungsrichtung  Böhms  hat  Hofmeister  keinen  Einfluss 
ausgeübt,  hingegen  vervollkommnet«'  sich  Böhm,  offenbar  unter  dem  Eiuflusse 
Bausens,  so  sehr  in  den  gasaualytischen  Methoden  und  in  deren  Anwendung  auf 
die  Fragen  der  Pflanzenphvsiologie.dass  man  sagen  darf,  es  habe,  nach  Saussure  und 
Ho  u>s i  ii ga  u  lt ,  kaum  Jemand  mit  grösserem  Eiter  und  grösserem  Erfolge  diese 
Methoden   im  Bereiche  der  Lehre  vom  Leben  der  Pflanze  angewendet  als  Böhm. 

Ein  Jahr  nach  Berufung  des  Redners  au  seine  jetzige  Stelle,  im  Jahre  1H7-1. 
winde  Böhm  zu  dessen  Nachfolger  als  Professorder  Pflanzenphysiologie  und  Xat  Ur- 
geschichte an  der  Forstakademie  in  Mariabrunn  ernannt.  Er  fand  dort  ein  von 
»einem  Amtsvorgänger  ins  Leben  gerufenes  pflanzenphysiologisches  Laboratorium 
vor,  eine  der  ältesten  Werkstätten  dieser  Art.   und  ein  ausgedehnter  und  reit  h- 


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Josef  Böhm. 


400 


haltiger  botanischer  (i arten,  welcher  seiner  Leitung  unterstand,  bot  ihm  reiches 
Untersuchungsmaterial  und  eine  treffliche  und  behagliche  Statte  der  Arbeit.  Böhm 
führte  dort  ein  emsiges,  glückliches  und  ergebnissreiches  Forscherleben.  Bald  aber 
fand  diese  reizende  wissenschaftliche  Idylle,  die  ja  auch  der  Bedner  in  jungen 
Jahren  zu  durchleben  das  (»lüek  hatte,  ihr  Ende,  indem  der  höhere  forstliche  Unter- 
richt an  die  kurz  vorher  in  AVieri  gegründete  Hochschule  für  Bodenkultur  verlegt 
wurde,  in  welche  Böhm  im  Jahre  1875  als  ordentlicher  Professor  der  Botanik 
eintrat.  Durch  seine  Berufung  nach  Mariabrunn  löste  sich  sein  Verhältnis*  zur 
Handelsakademie  von  selbst,  hingegen  blieb  er  nach  wie  vor  als  ausserordentlicher 
Professor  der  Botanik  an  der  Universität  thätig,  auch  nach  seiner  Ernennung  als 
ordentlicher  Professor  an  der  Hochschule  für  Bodeukultur.  Aber  der  Schwerpunkt 
seiner  lehramtlicheu  Thätigkeit  lag  vom  Jahre  1874  an  nicht  mehr  an  der  Univer- 
sität, sondern  an  der  Forstakademie  und  später  an  der  Hochschule  für  Bodenkultur, 
wo  er  angehenden  Land-  und  Forstwirthen  gegenüber  eine  der  wichtigsten  theore- 
tischen Disziplinen  zu  vertreten  und  somit  eine  grosse  und  wichtige  Aufgabe  zu 
erfüllen  hatte.  Dennoch  hörten  die  Studirendon  der  Universität,  besonders  die 
Lehramtskandidaten  der  Naturgeschichte  und  Hörer,  welche  die  Botanik  zur  Lehens, 
aufgäbe  gewählt  hatten,  gerne  seine  gründlichen,  häutig  humorvoll  belebten  und 
durchaus  originellen  Vorträge.  Seine  lehramtlichen  Verdienste  und  seine  wissen- 
schaftlichen Leistungen  fanden  im  Jahre  1878  wohlbegründete  Anerkennung,  indem 
ihm  der  Titel  und  C  harakter  eines  ordentlichen,  öffentlichen  Universitätsprofessors 
verliehen  wurde.  —  Dies  ist  der  Umriss  seiner  äusseren  Uarriere.  Ein  bald  erzählter 
Lebenslauf,  einfach,  wie  der  so  vieler  bedeutender  Männer  der  Wissenschaft. 

Diesem  einfachen  äusseren  Leben  steht  ein  reiches  inneres  (Jeistesleben  gegen- 
über, welches,  selbst  nur  in  seinen  Hauptzügen  zu  schildern,  eine  weit  schwierigere 
Aufgabe  bildet.  Als  (iruudzug  dieses  geistigen  Lebens  und  Schaffens,  welches  ununter, 
broohen  fast  den  Zeitraum  von  vier  Dezennien  umspannt,  tritt  uns  eine  beispiellose 
Hingabe  an  seine  Fachwissenschaft  um!  eine  trotz  mancherlei  Hindernisse  unbesieg- 
bare Vertiefung  in  einige  grosse  Probleme  der  physiologischen  Forschung  entgegen. 

Der  Boden,  in  welchem  Böhms  wissenschaftliches  Wirken  wurzelte.  Wien, 
—  sagen  wir  es  frei  heraus  —  war  ein  klassischer:  denn  ohne  Selbstüberhebung 
dürfen  wir  es  aussprechen:  keine  Pfiegestätte  der  Wissenschaft  hat  zur  Entstehung 
und  Ausbreitung  und  für  das  Ansehen  der  Pflanzenphysiologie  als  Wissenszweig 
und  als  Lehrgegenstand  mehr  beigetragen,  als  Wien.  Es  ist  so  wenig  bekannt,  dass  der 
grosse  von  der  Kaiserin  Maria  Theresia  als  Leibarzt  nach  AVien  berufene  Lngenhouss, 
der  Begründer  der  chemischen  Pflanzenphänologie,  durch  mehr  als  anderthalb  De- 
zennien in  Wien  wirkte  und  viele  seiner  bedeutungsvollen  Arbeiten,  auch  einige 
wichtige,  das  pflanzenphysiologische  Oebiet  betreffende,  auf  Wiener  Buden  ausführte. 

Ebensolange  als  lngenhouss  wirkte  Franz  Unger  iti  Wien.  Er  steht  uns 
der  Zeit  nach  näher,  und  auch  dadurch,  dass  er,  dieser  grosse  Meister  der  pflanzen- 
physiologischen  Forschung,  als  Lehrer  unserer  Universität,  angehörte.  Obwohl 
nominell  Professor  der  Botanik,  fühlte  er  sich  doch  stets  als  Professor  der  Ana- 
tomie und  Physiologie  der  Pflanzen.  Auf  sein  AVirken  ist  es  zurückzuführen,  dass 
die  ältesten  Lehrstiilde  für  Anatomie  und  Physiologie  der  Pflanzen  —  und  zwar 
Ordinariate  auf  österreiehisehem  Boden  stehen,  und  dass,  allerdings  erst  nach 
seinem  Tode,  das  erste  in  grossem  Stile  angelegte  pflanzenphysiologisehe  Institut, 
an  der  Wiener  Universität  ins  Leben  gerufen  wurde.     Diese  Schöpfungen  wären 


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401  Biographische  Blätter. 

zur  Zeit  ihres  Entstehens  nicht  möglich  gewesen,  wenn  nicht  U  ngers  grosse,  weit- 
hin sichtbare  Leistungen  die  Pflanzenphysiologie  zu  Ansehen  gebracht  hätten.  Man 
wird  es  nunmehr  verstehen,  dass  Osterreich  frühzeitig  ein  relativ  grosses  Kontiii- 
srent  an  Pflanzenphysiologen  gestellt  hat. 

Ungers  Schüler:  Böhm,  Leitgeb,  Adolf  Weiss  und  der  Kedncr.  folgten 
im  Wesentlichen  den  Wehningen  des  Meisters,  in  dessen  Forschungen  Anatomie 
und  Physiologie  sich  die  Waag«'  hielten.  Während  Leitgeb,  durch  Nägelis 
Forschungsrielitung  vielleicht  noch  mächtiger  als  durch  Unger  angezogen,  später 
hauptsächlich  in  die  Bahnen  der  Entwicklungsgeschichte  einlenkte,  Adolf  Weiss 
sich  ausschliesslich  der  Anatomie  widmete,  übte  sich  Böhm  anfangs  sowohl  auf 
anatomischem  als  auf  physiologischem  Gebiete;  aber  bald  erkannte  er,  dass  seine 
ganze  Anlage  ihn  zur  Physiologie  trieb  und  seine  unbezwingliche  Neigung  zum 
Experiment  führte  ihn  später  ganz  und  gar  auf  das  Gebiet  der  experimentellen 
Pflanzenphysiologie.  Im  ersten  Dezennium  seiner  selbstständigen  wissenschaftlichen 
Thätigkeit  wechseln  anatomische  mit  physiologischen  Arbeiten  ab.  Seine  letzte 
anatomische  Untersuchung  betrifft  die  Prüfung  der  Frage:  ..Sind  die  Bastfasern 
Zellen  oder  Fusionen?"  Die  betreffende  Abhandlung  wurde  in  den  Sitzungs- 
berichten der  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften  im  Jahre  18<Hi  veröffentlicht. 
Von  da  an  finden  wir  Böhm  ausschliesslich  der  experimentellen  Forschung  ergeben. 
Die  Hauptfrage,  welche  ihn  beschäftigte,  betrifft  das  sog.  Saftsteigen,  die  Bewegung 
des  Wassers  in  der  Pflanze.  Schon  im  Jahre  18H:j  publizirtc  er  in  den  Sitzungs- 
berichten der  Kaiserl.  Akademie  der  Wissenscliaften  die  erste  auf  diesen  wichtigen 
Gegenstand  bezügliche  Arbeit:  ..Über  die  Ursachen  des  Saftsteigens  in  den  Pflanzen-*. 
Die  letzte  Arbeit,  die  Böhm  veröffentlichte,  betraf  dasselbe  Thema.  Sie  führte 
den  Titel  „Capillarität  und  Saffsteigen".  Ihre  Veröffentlichung  erfolgte  in  seinem 
Todesjahre  --  1H1»3  -  in  den  Berichten  der  Deutschen  Botanischen  Gesellschaft. 
Durch  Versuche  gelangte  Böhm  zu  der  lange  unbeachtet  gebliebenen  Beobachtung, 
dass  der  Luftdruck  beim  Saftsteigen  betheiligt  sein  müsse.  Die  Sache  wurde  später 
häutig  so  dargestellt,  dass  Böhm  durch  dies«'  Auffassung  sich  in  Gegensatz  zu  der 
Ansicht  des  grossen  Würzburger  Pflanzenphysiologen.  Sachs,  gestellt  habe.  That- 
sächlich  trat  aber  Böhm  in  seiner  ersten  dem  Saftsteigen  gewidmeten  Arbeit  Nie- 
mandem, in  seiner  zweiten  hingegen  seinem  Lehrer  Unger  entgegen,  welcher,  an- 
geregt durch  ein  Kxpcriineut  Jamins,  mehrere  Jahre  vor  Sachs  die  lmbibitions- 
hypothese.  aufstellte,  bei  deren  Begründung  er  sich,  wie  später  Sachs,  auf  die 
vermeintliche  Saftlosigkeit  der  Gefässe  stützt.  Aber  auch  Unger  ist  nicht  der 
erste,  welcher  die  Imbibitionshypothese  aufstellte;  dieselbe  lässt  sich  vielmehr  bis 
auf  Meyen  zurückverfolgen,  der  in  seinem  im  Jahre  18.'{8  veröffentlichen  Werke: 
-  Neues  System  der  Pflanzenphysiologie"  den  Gedanken  zu  begründen  suchte,  dass 
das  im  Holzkörper  aufsteigende  Wasser  nicht  in  den  Hohlräumen  der  Zellen  und 
Gefässe,  sondern  in  deren  Wänden  sich  nach  oben  bewegt. 

Wenn  nun  auch  die  Imbibitiousbcwegung  des  Wassers  nicht,  wie  viele  Bota- 
niker heutzutage  meinen,  als  blosse  Fabel  zu  betrachten  ist,  es  vielmehr  noch 
nn  widerlegt  erscheint,  dass  dieselbe  —  freilich  innerhalb  enger  Grenzen  —  in  den 
grossen  Komplex  jener  Faktoren  sich  einfügt,  welche  bei  der  Wasserbewegung  im 
lebenden  Heizkörper  betbeiligt  sind,  so  kann  doch  die  von  Sachs  ausgearbeitete 
Theorie,  derzufolge  das  im  Holzkörper  sich  aufwärts  bewegende  Wasser  ausschliess- 
lich in  der  Wandsubstanz  der  Zellen  und  G «'lasse  zu  «len  Blättern  gelange,  nicht 


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Josef  Böhm. 


402 


mehr  aufrecht  erhalten  werden,  und  thatsäcldich  haben,  von  der  engsten  Saehs'srhen 
Schule  abgesehen,  alle  anderen  Botaniker  die  sogenannte  Sachssehe  Imbibition*, 
theorie  abgelehnt. 

Dass  diese  Ablehnung  erfolgte,  und  dass  überhaupt  das  wichtige  Problem 
der  Wasserbewegung  in  der  Pflanze  wieder  in  naturgemässe  Bahnen  gelenkt  wurde, 
indem  man  wieder  jene  sichere  Fahrt»*  aufsuchte,  welche  bereits  der  Begründer  der 
physikalischen  Pflanzenphysiologie.  Stephan  Haies,  etwa  anderthalb  Jahrhundert 
vorher,  mit  sicherem  Fusse  betrat:  dies  ist  das  unvergängliche  Verdienst  Böhm». 
Langsam,  aber  beharrlich,  von  der  Tagesmeinung  unbeirrt,  rang  er  sich  in  dieser 
schwierigen  Frage  zur  Klarheit  empor.  Manche  verzeihliche  Irrthiimer.  denen  er. 
wie  wohl  jeder  auf  neuen  Bahnen  der  Physiologie  vorwärts  dringende  Forscher, 
unterlag,  mögen  der  Grund  gewesen  sein,  weshalb  seine  trefflichen  Beobachtungen 
und  seine  zumeist  sicher  begründeten  Anschauungen  in  der  Frage  des  Saftsteigens 
sich  so  lange  nicht  Bahn  brechen  konnten.  Fs  trat  aber  eine  Wendung  ein.  als 
andere  Botaniker,  namentlich  Kobert  Hartig,  von  der  Sachssrhen  Theorie  sieh 
abwendeten,  und  den  guten  Kern  der  Böhmschen  Lehre  richtig  erfassend,  der 
weiteren  Bearbeitung  des  genannten  Problems  ihre  Kräfte  widmeten.  AVenn  es 
nunmehr  feststeht,  dass  in  den  Pflanzen  das  ganze  Wasser  oder  die  Hauptmasse 
des  Wassers  in  der  Regel  nieht  in  den  Membranen,  sondern  im  Hohlräume  der 
saft  leitenden  Zellen  und  Gefässe  emj)orsteigt,  und  zwar  nicht  nur  in  den  aufneh- 
menden Zellen  der  Wurzel,  sondern  auch  in  der  Hauptbahn  grosser  Pflanzenkörper, 
nämlich  im  Holze  der  Stämme,  so  ist  die  Sicherung  dieser  für  das  Verständnis* 
des  Pflanzenlebens  bedeutungsvollen  Entdeckung  in  erster  Linie  Böhm  zu  danken. 

Gerade  wir,  die  wir  all'  die  Wandlungen  in  der  Frage  des  Saftsteigens  mit- 
erlebt haben,  können  Böhms  Verdienste  nach  dieser  Kichtung  am  besten  würdigen. 
Und  diese  Verdienste  sind  um  so  höher  anzuschlagen,  als  es  nicht  nur  galt,  durch 
das  Experiment  neue  Grundlagen  für  die  Lehre  vom  Saftsteigen  zu  schaffen,  son- 
dern auch,  und  vor  allem  Anderen,  die  durch  eine  grosse  Autorität  getragene 
geradezu  herrschend   gewordene  irrthümliche  Auflassung  endgültig  zu  beseitigen. 

Was  die  Kräfte  anbelangt,  welche  die  Emporhebung  des  Wassers  in  der 
Pflanze  besorgen,  so  hat  Böhm  hierüber  zu  verschiedenen  Zeiten  verschieden  ge- 
dacht. Jeder  setner  einschlägigen  Auflassungen  haftet  aber  eine  gewisse  Einseitig- 
keit an.  Anfangs  glaubte  er  im  Luftdrucke,  später  in  einem  Zusammenwirken 
von  Luftdruck  und  Capillarität,  zuletzt  ausschliesslich  in  der  Capillarität  die 
Ursachen  des  Saftsteigens  zu  finden.  Durch  die  neueren  Untersuchungen,  an  welchen 
Böhm  selbst  einen  grossen  A titheil  hat.  ist  aber  erwiesen,  dass  wir  es  in  der  im 
lebenden  Pflanzenkörper  stattfindenden  Wasserbewegung  mit  einer  komplizirten 
Erscheinung  zu  thun  haben,  in  welcher  zahlreiche  harmonisch  zusammenwirkende, 
zum  Theil  noch  nicht  vollkommen  erkannte  Kräfte  zur  Geltung  kommen.  Böhm 
war  der  Überzeugung,  dass  durch  seine  letzten  Untersuchungen  das  Problem  des 
Saftsteigens  endgültig  gelöst  wurde.  Die  meisten  Physiologen  sind  aber  einer 
anderen  Ansicht,  welche  ich  in  sehr  allgemeiner  Fassung  eben  angedeutet  habe. 

Wenn  ich  sage,  dass  die  Krage  des  Saftsteigens  noch  unvollkommen  gelöst 
ist,  so  soll  selbstverständlich  damit  kein  Vorwurf  gegen  Böhm  ausgesprochen  sein: 
es  ist  vielmehr  «las  Eingeständniss  der  Unzulänglichkeit  unseres  derzeitigen  Wissens 
auf  pflanzenphysiologischem  Gebiete,  es  liegt  eben  in  dem  Problem  des  Saftsteigens. 
wie  in  so  vielen  anderen,  welche  das  Leben  betreffen,  noch  ein        sagen  wir  es 


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403 


Biographische  Blätter. 


kurz  vitalistischer  Kost,  eine  W  irkungsäusserung,  welche,  an  die  lebende  Sub- 
stanz gebunden,  der  mechanischen  Analyse  sich  noch  hartnackig  entzieht.  — 

(iriff  Böhm  durch  seine  Untersuchungen  über  das  Saftsteifiren  in  die  Lehre 
von  der  Stoffbewegung  ein.  so  förderte  er  durch  einige  wichtige  Beitrüge  zur 
Kenntniss  der  Assimilation  und  Athraung  auch  die  Lehre  von  dem  Stoffumsatz 
in  der  Pflanze.  Die  in  der  lebenden  Pflanze  stattfindende  ehemische  Metamorphose 
ist  bisher  nur  sehr  unvollkommen  erforscht  worden.  Denn  selbst  die  Vorarbeit 
für  die  Studien  über  den  Stoffumsatz,  die  Aufsuchung  der  Nahrungsmittel  der 
Pflanze,  ist  bisher  noch  lange  nicht  vollkommen  durc  hgeführt,  wie  sieh  wohl  der 
Tbatsache  entnehmen  lässt.  dass  erst  in  allerjüngster  Zeit  die  Bedürfnisse  der  Pilze 
in  Bezug  auf  die  zu  ihrer  Krniihrung  erforderliehen  Mineralsubstanzen  erkannt 
wurden  und  erst  in  den  letzten  Jahren  der  sichere  Beweis  erbracht  werden  konnte, 
dass  von  gewissen  grünen  Pflanzen  unter  Intervention  von  Mikroorganismen  der 
Stickstoff  der  Atmosphäre  assimilirt  werde,  während  es  vordem  als  sicher  galt,  dass 
«lieser  Bestandteil  der  Luft  die  grüne  Pflanze  vollkommen  indifferent  passire. 
Begreiflirher  "Weise  ist  es  gegenüber  der  Aufsuchung  der  Nahrungsmittel  der 
Pflanze  eine  weitaus  schwierigere  Aufgabe,  die  Umwandlung  derselben  in  die  Be- 
standteile der  Pflanze  zu  ermitteln,  zu  zeigen,  wie  aus  den  paar  Nahrungsmitteln: 
Kohlensäure,  "Wasser,  Ammoniak  bezw.  Salpetersäure  und  aus  einigen  mineralischen 
Bodennährstoffen,  jene  Tausende  von  organischen  Verbindungen  entstehen,  aus 
welchen  die  grüne,  chlorophyllbegabte  Pflanze  sich  aufbaut  oder  die  sie  für  Lebens- 
zwecke erzeugt.  Selbst  das  Nächstliegende  ist  uns  hier  noch  verschlossen,  z.  B. 
die  Kenntniss  der  Umwandlung  der  Fette  in  Stärke,  ein  Prozess,  der  bei  der 
Keimung  jedes  fetthaltigen  Samens  in  leicht  verfolgbarer  Form  sich  vollzieht. 

Nach  jeder  dieser  beiden  die  Assimilation  der  Pflanze  betreffenden  Richtungen 
hat  Böhm  unser  Wissen  bereichert. 

Die  Kenntniss  der  vegetabilischen  Nahrungsmittel  hat  Böhm  durch  folgende 
interessante  Kntdcekung  «refördert.  Ks  war  ganz  allgemein  die  Meinung  verbreitet, 
dass  alle  zur  Keimung  mit  organischen  Reservestoffeu  ausgerüsteten  Samen  genügend 
Mineralstoffe  besitzen,  um  sich  in  der  ersten  Periode  ihres  Daseins  normal  ent- 
wickeln zu  können.  Auf  dieser  Meinung  beruht  ja  die  gewöhnliche  Methode,  be- 
hufs Prüfung  des  Keimperzents  oder  zu  Versuchen  die  Samen  auf  einem  feuchten 
indifferenten  Substrate,  /..  B.  auf  feuchtem  Fliesspapier  zur  Keimung  zu  bringen. 

Nun  hat  aber  Böhm  gezeigt,  dass  die  bekannte  Feuer-  oder  Stangenbohne 
(l'husvdHM  multiftorus)  zu  wenig  Kalksalze  enthält,  um  normal  keimen  zu  können. 
Denn,  wenn  man  die  Keimung  dieser  Samen  unter  Zufuhr  von  reinem  destillirten 
Wasser  vor  sich  geben  lässt,  so  steht  sie  alsbald  stille  und  die  Keimpflanzen  geben 
zu  (irunde.  Wenn  man  aber  dem  destillirten  Wasser,  welches  dem  Samen  oder 
den  jungen  Keimpflanzen  der  Schminkbohne  dargeboten  wird,  ein  kleines  Quantum 
vidi  löslichen  Kalksalzen  zusetzt,  so  geht  die  Weiterentwicklung  normal  von  Statten. 
Würde  bei  den  gewöhnlichen  Keimversuchen  den  Samen  wirklich  nur  reines  Wasser 
zugeführt  werden,  so  müssten  die  Keimlinge  alsbald  absterben.  Da  man  aber  bei 
solchen  Keimversuchen  das  Substrat  nicht  kalkfrei  macht,  auch  nicht  mit  destillirtem, 
sondern  mit  Brunnen-  oder  Quellwasser  das  Substrat  befeuchtet,  so  gelingen  diese 
Versuche,  weil  man,  freilich  ohne  Absicht,  mit  dem  Wasser  den  Kalk  stets  zuführt. 

(ileichfalls  sehr  interessant  ist  die  von  Böhm  im  Anschluss  an  die  vorge- 
führten Beobachtungen  aufgefundene  Tbatsache,  dass  auch  die  jungen  Blätter  der 


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Josef  IttJhni. 


404 


Feuerbohne  geeignet  sind,  die  für  diese  Pflanze  erforderliche  Meilire  von  Kalksalzen 
von  aussen  aufzunehmen. 

Die  Untersuchungen  Böhms  über  die  Bedeutung  des  Kalkes  bei  der  Kei- 
munir  der  Feuerbohne  haben  zu  mancherlei  anderen  Untersuchungen  Veranlassung 
gegeben.  So  hat  beispielsweise  Prof.  von  Lieben berg  gefunden,  dass  nicht 
nur  manche  Pflanze  aus  dem  Yerwandtsehaftskreise  der  Bohne,  z.  B.  die  Erbse  und 
Soya.  sich  bei  der  Keimung  so  wie  die  Feuerbohne  verhält,  sondern  auch  Pflanzen, 
welche  eine  «ranz  andere  Stellung  im  System  haben,  z.  B.  die  Kürbis,  hingegen 
Kohl  und  Senf  ohne  jede  Zufuhr  des  Kalkes  zu  normaler  Keimung  zu  bringen  sind. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  eine  andere,  die  Assimilation  der  Pflanze  be- 
treffende Entdeckung  Böhms.  Auf  Orund  der  Sachsschen  Lehre  herrschte  die 
Ansicht,  dass  die  in  den  Chlorophyllkörucrn  auftretende  Stücke  stets  ein  Produkt 
der  Assimilation  in  dem  Sinne  sei.  dass  unter  dem  Einflüsse  des  Lichtes  aus  Kohlen- 
säure und  AV  asser  unter  Ausscheidung  von  Sauerstoff  Stärke  als  erstes  sichtbares 
Assimilationsprodukt  gebildet  werde.  Da  das  hierbei  ausgeschiedene  Sauerstoff- 
volum dem  Volum  der  verbrauchten  Kohlensäuremenge  entspricht,  so  blieb  die  von 
Boussi ngault  aufgestellte  Assimilationsgleichung  auch  für  diesen  Fall  in  (Jeltung. 
und  da  die  bei  diesem  Prozesse  auftretende  Stärke  sich  mit  Bestimmtheit  in  den 
Uhlorophyllkörnern  nachweisen  Hess,  wenn  die  betreffenden  Organe  belichtet  wurden, 
so  erschien  die  Sachssehe  Aufstellung  in  den  Augen  tler  meisten  Botaniker  wohl 
begründet.  Allein  die  Sac  hs'sehen  Beobachtungen  waren  doch  unvollständig.  Denn 
Böhm  zeigte,  dass  in  entstärkten  Cldorophyllkörnern  auch  ohne  Kohlensäurezutritt 
Stärke  entstehen  könne,  er  liefert e  den  Beweis,  dass  bei  Anschluss  von  Licht  in 
Chlorophyll-,  ja  sogar  in  Etiolinkörnern  Stärke  entstehen  könne,  wenn  den  betref- 
fenden Organen  eine  Hohrzuckerlösung  von  aussen  zugeführt  wird.  Damit  war 
zweierlei  bewiesen:  erstens,  dass  die  sogenannte  autochthone  Stärke  nicht  immer 
ein  Produkt  der  Kohlensäureassimilation  ist.  sondern  aus  Zucker,  sogar  bei  Zufuhr 
des  letzteren  von  aussen,  gebildet  werden  könne,  und  zweitens,  dass  das  lebende 
Chlorophyllkorii  die  Fähigkeit  habe,  aus  Zucker  Stärke  zu  bilden. 

Auch  die  Lehre  von  der  Athmung  der  Pflanze  bat  Böhm  beschäftigt,  und 
seine  in  den  siebziger  Jahren  ausgeführten  mühevollen  gasaiialytisehen  Unter- 
suchungen hallen  gute  Beiträge  zur  Kenntnis*  der  Kcspiratioti  der  Lnndpllauzen 
geliefert.  Noch  kurz  vor  seinem  Tode  beschäftigten  ihn  lebhaft  Untersuchungen 
über  die  Athmung  der  Kartoffeln,  welche  einige  ganz  merkwürdige  Thatsachcu  zu 
Tage  förderten.  /..  B.  dass  die  Kartoffel  durch  ihren  gefährlichsten  Feind,  nämlich 
durch  den  die  Kartoffelkrankheit  bedingenden  Pilz:  l'hi/tophtom  infenhms  in  einen 
„fieberhaften  Heizzustand",  nämlich  in  enorm  starke  Hespiration  gerathe.  Diese 
interessanten  Untersuchungen  sind  leider  nicht  mehr  zum  Abschluss  gelangt.  Ich 
muss  es  mir  aus  Mangel  an  Zeit  leider  versagen,  über  Böhms  anderweitige 
Arbeiten  zu  sprechen.  Dieselben  bewegen  sich  zumeist  in  den  Hichtungen  jener 
Themen,  welche  ich  in  Kürze  geschildert  habe. 

Ein  besonderes  Werk  hat  Böhm  nicht  geschrieben:  die  Hesultate  seiner  un- 
ermüdlichen Forschungen  hat  er  in  mehr  als  vierzig  Abhandlungen  niedergelegt, 
wobei  seine  lehrreichen  populären  Vorträge,  die  er  unter  grossem  Beifall  der  Ver- 
sammlung im  Vereine  zur  Verbreitung  naturwissenschaftlicher  Kenntnisse  und  in 
der  Oartenbaugesellschaft.  ferner  die  |-{ede.  welche  er  bei  Autritt  des  Hektorates 
au  der  Hochschule  für  Hodenkultur  ( 1«"«)  hielt,  nicht  mitgerechnet  sind.    Die  erste 


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405 


Biographische  Blatter. 


Veröffentlichung  seiner  Forschungen  erfolgte  im  Jahre  18f>n,  die  letzte  in  seinem 
Todesjahre  ]W3.  Eine  sehr  vollständige  Zusammenstellung  seiner  Abhandlungen 
enthält  das  zuletzt  (lHlM)  herausgegebene  .lahrhueh  unserer  Universität.  Sieben  seiner 
Schriften  sind  dein  Chlorophyll,  acht  der  Athmung,  dreizehn  dem  Saftsteigeu.  fünf  <ler 
Stärkebildung  gewidmet.  Man  sieht,  dass.  wie  ich  schon  früher  bemerkte.  Böhm  lie- 
st rebt  war.  bei  seinen  wissenschaftlichen  Forschungen  sich  möglichst  zu  konzcntriren. 

Sein  Schicksal  als  Forscher  war  ein  eigenthümliches,  im  CI runde  aber  hc- 
neidenswerthes.  Seine  Forschungsergebnisse  wurden  anfangs  vielfach  angezweifelt, 
auch  wohl  gänzlich  ignorirt.  Aber  es  kam  eine  Zeit,  in  welcher  manche  seiner 
Entdeckungen,  trotz  anfängliehen  Widerspruches,  selbst  seitens  grosser  Autoritäten, 
anerkannt  wurden,  zu  weiteren  Forschungen  anregten  und  in  dauernden  Besitzstand 
der  Pflanzenphysiologie  eintraten. 

Manchen  Schatz  aus  seinen  Schriften  wird  noch  die  Zukunft  liehen,  wenn 
beispielsweise  seine  schöne,  schon  früher  berührte  Untersuchung  über  die  Athmung 
der  Kartoffel  fortgesetzt  werden  wird. 

Das  Bild,  welches  ich  von  Böhm  s  Leben  in  flüchtigen  Konturen  gezeichnet, 
wäre  unvollständig,  wenn  nicht  als  (i egonstück  zu  seinem  heiteren,  temperament- 
vollen, wohl  auch  zu  Leidenschaftlichkeit  geneigten  Wesen  der  beispiellosen  Pflicht- 
treue in  Verwaltung  seines  Lehramtes  gedacht  werden  würde,  welche  am  Ende  seiner 
Lautbahn  zu  einem  wahren  Heroismus  sich  gesteigert  hat.  Professor  Wilhelm, 
welcher  während  der  schweren  Erkrankung  und  nach  Böhm  s  Tode  dhrSupplirung  der 
Lehrkanzel  der  Botanik  an  der  Hochschule  für  Bodenkultur  über-  nahm,  schildert 
in  dem  Professor  Böhm  gewidmeten  Nekrologe  die  letzte  Zeit  seiner  lehramtlichen 
Thätigkeit  an  der  Hochschule  für  Bodenkultur  mit  folgenden  ergreifenden  Werten : 

..Per  Krank«*  eröffnete,  aller  Vorstellungen  seiner  Freunde  und  der  ernsten 
Ermahnungen  seines  Arztes  ungeachtet,  im  Oktober  IHM.  wie  alljährlich,  seine 
Vorlesungen.  Selbst  die  Bitten  seiner  besorgten  Frau  waren  nicht  im  Stande, 
seinen  Entschluss  zu  ändern.  Nur  mit  der  grössten  Anstrengung,  von  Kollegen 
geführt  und  gestützt,  vermochte  Böhm  noch  in  den  Hörsaal  zu  gelangen,  nur  mit 
dem  Aufgebote  aller  Kräfte  gelang  es  ihm.  sich  dem  jedesmal  tief  ergriffenen 
Auditorium  noch  verständlich  zu  machen.  Dieser  heldenmüthige  Kampf  eines 
starken  Willens  mit  einem  zusammenbrechenden  Körper  dauerte  bis  zum  21.  No- 
vember ....    Am  2.  Dezember  1803  schlössen  sich  Höhm's  Augen  für  immer." 

Da  dein  hingeschiedenen  Kollegen  ein  heiteres,  trotz  seiner  Anspruchslosigkeit 
oder  vielleicht  gerade  deshalb  glückliches  Leben  als  Mensch.  Lehrer  und  Forseher 
beschieden  war,  so  sei  diese  ( ledächtnissrede  nicht  mit  dem  soeben  verklungenen. 
schwermüthigen  Akkord  beschlossen. 

Vielmehr  sei  am  Schlüsse  auf  den  sonnigsten  Theil  seines  Lebens  hingedeutet. 
Durch  siebzehn  Jahre  lebte  er  in  glücklichster  Ehe.  Seine  Lebensgefährtin,  die 
Tochter  des  langjährigen  Reichsrathabgeordneten  Wickhoff  und  Schwester  unseres 
verehrten  Kollegen  Professor  Franz  Wiek  hoff.  hat.  nicht  nur  sein  Haus  sorgsam 
bestellt,  sie  war  ihm  nicht  nur  eine  treue  Pflegerin;  sie  hatte  Sinn,  Verständniss 
und  Theilnahme  für  seine  wissenschaftlichen  Bestrebungen,  für  all1  die  hohen  Ziele, 
die  er  sich  gesetzt.  Der  edlen  Frau  dankt  die  Universität  das  Marmorbildniss.  zu 
dessen  feierlicher  Enthüllung  wir  uns  heute  versammelt  haben. 

-   -  —   


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Georg  von  Gizycki. 


4(M> 


Georg  von  Gizycki. 

Geboren  14.  April  1S">1:  gestorben  S.März  1S0.">. 

Von 

WILHELM  BOLIN. 


In»  Geistesleben  «Irr  Gegenwart  ist  das  wiedererwachte  Interesse  für  die 
Kthik  zweifellos  eine  bedeutsame  Erscheinung,  und  das  nieht  nur  hinsiehtlich  der 
erneuten  und  mannigfachen  Pflege  dieses  langehin  über  Gebühr  vernachlässigten 
Gebietes  der  Philosophie.  Von  jeher  hat  man  ihr  den  Beruf  zuerkannt,  die  Lehcns- 
ideale  auf  wissenschaftliehe]-  Grundlage  zu  entfalten:  aber  entschiedener  und  voll- 
bewusster  denn  bislier  tritt  nun  auch  das  Bestreben  hinzu,  der  idealen  Lebens- 
auffassung einen  nachhaltigen  Einfluss  auf  die  unmittelbare  Wirklichkeif  zu  sichern. 
Darin  besteht  die  sogenannte  ethische  Bewegung,  wie  sie.  von  Amerika  und 
England  ausgegangen,  nun  auch  in  Deutschland,  obwohl  hier  noch  in  den  An- 
fängen ihrer  Bethätigung  begriffen,  zu  einer  vielverheissenden  Geltung  sieh  auf- 
geschwungen hat.  Kiner  ihrer  tüchtigsten  und  hingebungsvollsten  Mitbeförderer 
war  der  Mann,  dessen  verdienstvolles  Wirken  in  einem  Überblick  seiner  kurz 
bemessenen  Lebensbahn  gewürdigt  werden  soll. 

Georg-  von  Gizycki  entstammte  einer  schon  um  DKM)  aus  Bolen  nach 
Preussisch- Schlesien  ausgewanderten  Protestanten -Familie  und  wurde  in  Gross- 
Glogau  geboren,  wo  sein  Vater  Land-  und  Stadtgerichtsrath  war.  Seinen  ersten 
rnterricht  erhielt  er.  nach  zurückgelegtem  sechsten  Jahr,  von  seiner  Mutter,  die 
er  über  alles  liebte  und  die  durch  ihren  religiösen  Kreisinn  sein«1  ganze  Lebens- 
richtung wesentlich  beeinflusst  hat.  Später  besuchte  er  eine  Privatschule  in 
Görlitz,  kam  dann  in  die  dortige  Bealschule  erster  Ordnung  und  zuletzt  in  die 
gleichartige  Anstalt  nach  Halberstadt,  als  sein  Vater  um  .Michaelis  IHM)  dorthin 
versetzt  worden  Avar.  Schon  als  Knabe  zeigte  er  eine  besondere  Vorliebe  für  die 
Natur  und  stellte  sowohl  im  Freien  wie  auch  im  Zimmer  an  zeitweilig  gepflegten 
Thieren  vielfältige  Beobachtungen  an.  In  Gefässen  voll  Teichwasser  mit  Frosch- 
laich und  anderem  Gcthier  wurde  dem  Entwicklnngslebcn  eine  ausdauernde  Auf- 
merksamkeit gewidmet ;  zu  gleichem  Zweck  wurden  in  geeigneten  Behältern,  bis- 
weilen auch  nur  im  Doppelfenster.  Kreuzottern  und  andere  Schlangen.  Eidechsen, 
Salamander  und  Molche  mit  unverdrossener  Fürsorge  gehalten.  Von  diesen  Lebe- 
wesen, bei  deren  blosser  Erwähnung  manchem  die  Haut  schaudert,  wandte  er  sich 
späterhin  der  Vogelwelt  zu.  vertiefte  sein  Interesse  durch  fleissiges  Studium 
ornit höhnischer  Werke,  durfte  seine  Freude  an  gefiederten  Haus-  und  Zimmer- 
genossen haben,  lernte  deren  Gestalt  auf  das  Papier  übertragen  und  gewann 
grosse  Übung  im  Zeichnen  dieser  lieblichen  Geschöpfe.  Neben  der  Freundschaft 
für  Natur  und  Naturwesen  erwachte  auch  ein  reger  Sinn  für  Literatur.  An  die 
früh  erworbene  Vertrautheit  mit  deutschen  Dichterwerken  reihte  sich  bald  auch 
die  mit  ausländischen,  gefördert  durch  die  Kenntuiss  der  betreffenden  Sprachen, 
von  denen  ihm  Knglisch.  Französisch  und  Latein  von  der  Schule  her  geläutig 
waren.  Diese  verliess  er  zu  Ostern  1872  und  wurde  am  »>.  April  als  Student 
in  der  Universität  zu  Berlin  eingeschrieben,  wohin  auch  sein  Vater  im  folgenden 
.lahr  an  das  dortige  Landgericht  übergeführt  wurde. 

Hier  sollte  Gizycki  fortan  seinen  dauernden  Wohnsitz  behalten.  Stets 
gewohnt,  seine  Zeit  gewissenhaft  wahrzunehmen,  hatte  er  seine  Studien  mit  solchem 
Erfolg  betrieben,  dass  er  schon  Ende  Mai  lsTf»  promoviren  konnte.  Während 
der  divi  akademischen  Jahre  war  seine  Sprachkeuntniss  um  das  Griechische  gemehrt, 
das  er  ganz  auf  eigene  Hand  erlernte:  dies  sowohl  der  Literatur  wie  der  l'hilo- 


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407 


Biographische  Blätter. 


sopliie  wegen.  «Iii»  er  sich,  ausser  der  Zoologie,  als  drittes  Studienfach  ausersehen 
gehabt.  Seiner  Liebhaberei  für  Zimmervögel  blieb  er  immerdar  treu.  Es  finden 
sich,  wohl  aus  dieser  Zeit,  handschriftliche  Aufzeichnungen  über  das  Seelenleben 
dieser  Thiere,  wie  er  auch  schon  damals  Mitarbeiter  an  Hi  eb  ms  bekanntem 
Werk  über  J  l  efnngene  Vögel"  war.  Eine  reichhaltige  Sammlung  vortrefflich 
nach  der  Xatur  von  ihm  gemalter  Vögel  zeugt  von  seiner  Anhänglichkeit  an 
diese  Lieblinge,  von  denen  er  gern  zu  sagen  pflegte,  er  habe  von  ihnen  mehr 
gelernt  als  von  seinen  Lehrern.  Unter  diesen  hat  er  jedoch  Eugen  Dühring 
besonders  hoch  gehalten,  durch  den  er  in  die  Philosophie  eingeweiht  worden. 

Hei  aller  Verehrung  für  Dühring.  dessen  freisinnige  und  positivistische  Denk- 
richtung  ihm  überaus  zusagte,  hat  (.Iizyeki  doch  schon  früh  eine  gewisse  Selb- 
ständigkeit ihm  gegenüber  behauptet.  Muthmaasslieh  war  dies  von  seiner  Vertrautheit 
mit  der  Zoologie  und  seinem  Studium  der  Werke  Darwins  bedingt,  gegen  die  sein 
Lehrer  bekanntlich  eine  auf  höchst  oberflächlicher  Kenntniss  derselben  begründete 
Animosität  zu  äussern  sich  gestattete.  Hesser  in  ihnen  und  in  der  neuern  Hiologie 
überhaupt  als  der  von  ihm  sonst  sehr  bewunderte  Lehrer  bewandert,  nahm  (Iizyeki 
in  seinem  Erstlingwerk  von  1870  Stellung  gegen  die  von  jenem  und  einem  gross.-n 
Theil  der  damaligen  Zunftphilosophen  beliebte  Verketzerung  des  Darwinismus,  indem 
er  ihn  auf  seine  Hedeutung  für  die  Philosophie  hin  untersuchte,  (iegen  die  Ent- 
rüstung der  Darwingegner  über  die  von  ihnen  angegriffen«'  Lehre,  die  einer  an- 
geblichen Hrutalisirung  des  Menschen  und  einer  daraus  zu  folgernden  Vernichtung 
seiner  sittlichen  Würde  beschuldigt  ward,  machte  (iizyeki  in  seinem  Vorsin-h. 
..Philosophische  Konsequenzen  der  Lamarck  -  Darwinschen  Ent- 
wicklungstheorie", gerade  auf  (J rund  des  monistischen  Charakters  dieser  liebte, 
deren  Verwendbarkeit  für  eine  wahrhafte  Erklärung  des  menschlichen  Kmpor- 
sehreitens  von  einem  blns  natürlichen  zu  einem  gesitteten  Dasein  geltend.  Be- 
sonders  beachtenswert  bei  diesen  Auseinandersetzungen  ist  das  Bemühen  des  Autors, 
die  Tragweite  der  von  Dühring  gelehrten  kosmischen  Teleologie  namentlich  mit 
Hezug  auf  eine  moralphilosophisehe  Verwertung  des  Darwinismus  nachzuweisen, 
obwohl  diese  Anschauungsweise  bei  den  echten  Anhängern  Darwins  für  eine 
wissenschaftlich  durchaus  unzulässige  gilt. 

Mit  der  Opposition  gegen  die  Widersacher  des  Darwinismus  war  (Jizycki* 
Augenmerk  auf  die  Ethik  gelenkt  worden.  Kr  mochte  namentlich  eingesehen  haben, 
dass  die  von  jener  Seite  her  gehegte  Abneigung  gegen  die  Lehre  Darwins  mit 
einer  Auffassung  der  Ethik  zusammenhing,  wie  sie  in  Deutschland  auf  der  (Irund- 
lage  Kauf scher  Theoreme  ruhte.  Seine  gediegenen  Kenntnisse  in  der  ( ieschi<  ht.> 
der  Philosophie  dürften  ihn  veranlasst  haben,  genauere  Umschau  unter  den  vor- 
kantischen  Ethikern  zu  halten.  Hier  erschloss  sich  ihm  der  überreiche  Schatz  der 
englischen  Moralphilosophie,  die  noch  von  den  Hauptvertretern  der  deutschen 
Aufklärung  hoch  in  Ehren  gehalten  war.  Vereinzelte  Stimmen  hatten  wohl  im 
Laufe  unseres  Jahrhunderts  auf  diese  werthvollen  Untersuchungen  hingewiesen, 
blieben  aber  unbeachtet,  weil  die  tiachkantische  Spekulation  das  philosophisch»- 
Interesse  von  den  ethischen  Kragen  nahezu  völlig  abgelenkt  hatte,  so  gross  auch 
ihre  Hedeutung  noch  bei  Kichte  gewesen  war.  Die  Leistungen  der  hervor- 
ragendsten englischen  Moralisten  der  eigenen  Zeitgenossenschaft  zur  Beachtung 
vorzulegen,  wurde  für  (Iizyeki  eine  Aufgabe,  die  er  in  zweien  seiner  wissen- 
schaftlich werthvollsten  Schriften  gelöst  hat. 

Es  sind  dies  seine  beiden  Monographien:  „Die  Philosophie  Shaftesbury '  s". 
im  Herbst  1870  herausgegeben,  und  die  zwei  Jahre  darauf  erschienene  „Ethik  David 
Hu  nie 's  in  ihrer  geschichtlichen  Stellung".  Die  Ansichten  beider  Denker 
sind  mit  eingehendem  Verständnis*  und  sorgfältigster  (lenauigkcit  wiedergegeben. 


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Georg  von  Gizyeki. 


40S 


Shaftesbury  als  der  vornehmste  Vertreter  der  englischen  Moralphilosophie  im 
vorigen  Jahrhundert.  Hume  als  ihr  Vollender  dargestellt.  Begründet  wird  dies  duivh 
kritische  Exkurse  über  die  Ethik  Kants  und  seiner  Nachfolger,  deren  Unzuläng- 
lichkeit aus  ihrer  Abweichung  von  den  Ergebnissen  der  englischen  Mornlforschung 
nachgewiesen  wird.  Die  Schrift  über  Hume  enthalt,  ausser  einer  einleitenden 
Übersicht  seiner  Vorganger  und  einem  Abschnitt  über  die  späteren  Ergänzungen 
und  Fortbildiingeii  seiner  Ethik  in  England.  Bentham .  Mill  und  Darwin  mit  ein- 
begriffen, auch  noch  einen  Anhang  -über  die  universelle  Glückseligkeit 
als  oberstes  Moralprinzip".  Bekundet  schon  die  saehgemässe  Würdigung  der 
englischen  Denkerarbeit  eine  entschiedene  Selbständigkeit  gegenüber  Dühring.  der 
gegen  alles  Englische  bekanntlich  einen  eben  so  grossen  Widerwillen  wie  gegen 
das  .Judenthum  hat.  so  zeichnet  sich  das  ganze  kritische  Verhalten  gegen  die 
deutschen  Ethiker  durch  gewissenhaftes  Fernhalten  jener  polternden,  auftrumpfenden 
Rechthaberei  aus.  die  sein  Lehrer  Dühring  bei  solchen  Gelegenheiten  herauszu- 
kehren liebt.  Nur  in  prinzipieller  Hinsicht  wird  in  jenem  Anhang  noch  der 
Dühringschen  Metaphysik  im  Beibehalten  seiner  kosmischen  Teleologie  gehuldigt, 
wie  sie  die  Erstliiigsschrift  als  Zeichen  einer  noch  dauernden  Abhängigkeit  von 
der  Denkweise  Dührings  an  der  Stirn  trug.  Deshalb  wohl  mag  er  in  späteren 
.Jahren  auf  diese  seine  frühesten  Leistungen  keinen  grossen  Werth  mehr  gelegt 
haben,  als  erweiterte  Studien  ihn  zu  der  f'berzeugung  von  der  Unwissenschaftlich- 
keit aller  Metaphysik  brachten. 

Immerhin  waren  seine  Schriften,  durch  die  wissenschaftliche  Bedeutung  ihres 
Gegenstandes  und  die  umfassende  Belesenheit  in  der  herangezogenen  Literatur, 
hervorragend  genug,  um  ihm  die  Bewerbung  um  einen  akademischen  Lehrstuhl  zu 
gestatten.  Im  .Juni  1878  reichte  er  sein  Gesuch  um  Zulassung  zur  Habilitation 
ein.  Noch  bevor  ihm  diese  bewilligt  wurde,  hatte  er  den  Schmerz,  seinen  Vater 
zu  verlieren,  der  im  Laufe  des  Jahres  viel  gekränkelt  und  am  17.  Oktober  dahin- 
geschieden war.  Am  14.  November  durfte  Gizyeki  seine  Probevorlesung  vor  der 
philosophischen  Fakultät  halten,  und  zu  Ende  des  Monats  war  ihm  das  Becht 
öffentlich  zu  doziren  obrigkeitlich  zuerkannt.  Seine  erste  Vorlesung  hielt  er  am 
1.  Mai  folgenden  Jahres  und  gehörte  bis  1883  anscheinend  ausschliesslich  dein 
Kathederberuf  und  einer  nur  beiläufigen  Thätigkeit  in  philosophischen  Fachzeit- 
schriften an. 

Sein  Name  sollte  bald  auch  in  weitere  Kreise  dringen.  Der  Berliner  Frei- 
denkerverein -  Lessing"  hatte  einen  Preis  ausgeschrieben  auf  ..eine  gemeinverständ- 
liche  Darlegung  der  sittlichen  Gesetze,  die.  von  einheitlichen  Grundsätzen  geleitet 
und  ausschliesslich  auf  unzweifelhafte  Thatsachen  der  natürlichen  Erkenntnis-, 
gestützt,  eine  Bichtschnur  des  Handelns  für  die  leitenden  Verhältnisse  des  mensch- 
lichen Lebens  zu  geben  geeignet  sei."  Unter  den  Bewerbern  hatte  sieh  auch 
Gizyeki  eingefunden.  Seine  Schrift  erhielt  am  2'2.  .Januar  1*8;$  den  Preis  und 
erschien  Mitte  April  im  Druck  unter  dem  Titel  ..Grundzüge  der  Moral". 
Als  Nachwirkung  dieser  ehrenvollen  Auszeichnung  ist  wohl  die  im  August  des 
nämlichen  .Jahres  erfolgte  Bestallung  als  ausserordentlicher  Professor  zu  betrachten: 
das  dieser  Würde  entsprechende  etatsmässige  Gehalt  wurde  ihm  zwei  Jahre  später 
zugethcilt. 

Die  Krönung  der  Proisschrift  bezeichnet  einen  merklichen  Wendepunkt  in 
den  ethischen  Anschauungen  Deutschlands.  Gizyeki  hatte  sich  darin  selbstver- 
ständlich als  Anhänger  der  bisher  nicht  blos  von  zünftlerischer  Seite  arg  verpönten 
-Glückseligkeitslehre"  bekannt,  ohne  freilich  zu  ahnen,  dass  sie  ein  volles  Menschen- 
alter  früher  einen  begeisterten,  damals  aber  überhörten  Verkündiger  in  Ludwig 
Feuerbach  gehabt,  der  sie  ganz  selbständig  aus  seinen  eigenen  anthropologischen 


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40«) 


Biographische  Blätter. 


Prinzipien  heraus  entwickelt  hatte.  15ei  (iizycki  hantleite  es  sich  um  seine  aus 
der  englischen  Moralphilosophie  gewonnene  Uberzeugung,  dass  die  grösstmögliche 
(ilüekseligkeit  für  die  (jesarnmtheit  das  Grundprinzip  der  Ethik  sein  müsse,  weil 
das  Streben  nach  Glückseligkeit  ein  Trieb  ist.  eben  so  unmittelbar  gegeben  wie 
der  Trieb  der  Selbsterhaltung.  Diese  Wahrheit,  ausführlich  in  den  Monographien 
über  Shaftesbury  und  Huiue  dargelegt,  hatte  nicht  nur  sein  kritisches  Verhalten 
ebenda  gegen  Kant.  Eichte.  Schleiermacher  und  Scho]>enhauer  bestimmt,  sondern 
auch  dort  schon  zu  einer  scharfen  und  «reist vollen  Widerlegung  des  damals  noch 
hoch  in  Kurs  stehenden  Pessimismus  geführt.  Leicht  möglich,  dass  diese  früheren 
Schriften  des  Autors  bei  der  Beurtheilung  der  Preisschrift  zu  einer  unbefangeneren 
Würdigung  der  darin  ausgesprochenen  Lehre  mitgewirkt. 

An  die  l'reisschrift.  die  einen  überaus  günstigen  Altsatz  fand,  knüpften  sich 
für  (iizycki  vielfache  Angebote  um  Mitarbeitelschaft  an  bedeutenden  periodischen 
Publikationen.  Dazu  kam  noch  ein  Auftrag,  dem  er  selbst  die  förderudste  Be- 
lehrung zu  verdanken  haben  sollte.  Ks  geschah  dies  durch  die  ihm  anvertraute 
Herausfalle  der  Schrift  eines  kurz  zuvor  verstorbenen  jungen  Gelehrten.  Wie 
(iizycki  hatte  auch  Dr.  W.  H.  Bolph*)  so  hiess  der  im  August  18hCi  einem 
hartnäckigen  Lunirenleiden  erlegene  Privatdozeut  an  der  Leipziger  Universität  — 
den  Darwinismus  und  verwandte  Lehren  mit  Bücksicht  auf  die  Hauptfragen  der 
Kthik  untersucht  in  seinem  Werk:  „Biologische  Probleme,  zugleich  als 
Versuch  zur  Entwicklung  einer  rationellen  Ethik*1.  In  erster  Auflage 
1W2  erschienen  und  bald  vergriffen,  war  das  Werk  vom  Autor  für  eine 
zweite,  stark  erweiterte  Auflage  im  Manuskript,  bis  auf  ein  Kapitel,  fertig 
gestellt  worden.  Auf  (»rund  der  zwischen  ihm  und  (iizycki  in  dessen 
Erstlingsschrift  bekundeten  Affinität  der  Anschauungen,  wurde  demselben  die 
schliessliehc  Durchsicht  und  Überwachung  des  Druckes  dieser  zweiten  Auf- 
lage übertragen.  Die  durch  Kolph  erbrachte  wesentliche  Berichtigung  der 
Evolutionstheorie,  sowie  namentlich  seine  glänzende  Zurückweisung  jeglicher 
Telcologi.-  bei  rein  wissenschaftlichen  Erörterungen,  wirkte  auf  (iizyrki  so  über- 
zeugend, dass  er  dadurch  zur  völligen  Befreiung  aus  dem  Banne  Dühringscher 
Metaphysik  gelangte. 

Seinen  schriftstellerischen  Erfolgen  und  wohl  auch  seiner  Kathederthätigkeit 
verdankt  (iizycki  eine  freundschaftliche  Beziehung,  die  für  sein  ganzes  ferneres 
Wirken  entscheidend  wurde.  Seit  dem  Herbste  1 XH3  weilte  nämlich  der  Ameri- 
kaner Staut oii  Unit  in  Berlin,  um  dort,  den  Doctorgrad  zu  erwerben.  Durch 
ihn  wurde  (iizycki  mit  der  ethischen  Bewegung  in  Amerika  und  der  darauf 
bezüglichen  Literatur  genauer  bekannt.  Was  er  in  seinen  bisherigen  Leistungen 
nur  als  Eorschungsergebnisse  aufgestellt,  das  fand  er  hier  in  greifbaren  Zusammen- 
ltanir  mit  dem  wirklichen  Leben  gebracht .  allen  denen  eine  sichere  Handhabe  zu 
sittlicher  Veredelung  bietend,  die  den  theologischen  Vorstellungen  entwachsen,  für 
>ich  allein  einen  genügenden  Ersatz  dafür  nicht  zu  finden  vermocht.  Diese  ganz 
eigenartigen  Wecke  beschloss  er  der  deutschen  Bildung  zuzuführen,  wo  reichliche 
Empfänglichkeit  vorauszusetzen  war.  So  besorgte  er  IHH.j  die  Übersetzung  von 
William  M.  Salter's  ..Religion  der  Moral",  der  er  vier  Jahre  später  dessen 
..Moralisch«1  Heden"  folgen  Hess.  Im  Laufe  von  l^Mti  bearbeitete  er  für 
deutsche  Leser  die  kurz  vorher  in  Amerika  erschienene  Biographie  des  um  die 

i  Kr  war  geborener  Berliner,  sein  Vater  ein  Engländer,  seine  Mutter  eine  Deutxbe. 
Studirf  hatte  er  aber  in  Leipzig  und  wurde  dort  Dozent  der  Zoologie.  Seines  Leidens 
wegen  lebte  er  mehrere  .lalire  in  Madeira,  kehrte  aber  angeheilt  zurück  und  hatte  eben 
n<»h  Zeit,  seine  in  Madeira  nahezu  vollendete  Arbeit  für  die  Neuauflage  dem  Verleger 
W.  Engehnann  zu  übergeben.    I)ie>c  Auflage,  von  tÜzveki  besorgt,  erschien  LSS4. 


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Ueorg  von  Gizveki. 


410 


Aufhebung  der  Negersklaverei  hochverdienten  Publizist enWil  liam  Lloyd  Garrison. 
Femer  sammelte  er  die  Reden  und  Abhandlungen  seines  mittlerweile  nach  der 
Heimat  h  zurückgekehrten  Freundes  St  an  ton  Coit.  wovon  eine  Auswahl,  deutsch 
übersetzt,  1890  unter  dem  Titel  «Die  ethische  Bewegung  in  der  Religion" 
herausgegeben  wurde.  In  das  nämliche  Jahr  fallt  auch  die  Veröffentlichung  einer 
vollständigen  Übersetzung  von  Edw.  Bellamy's  seiner  Zeit  vielgelesenem 
r Rückblick  aus  dem  Jahre  2000".  einer  Schrift,  für  die  Gizycki  eine  ganz 
besondere  Vorliebe  hatte,  weil  er  in  ihr  gleichsam  eine  prophetische  Bürgschaft 
für  die  Ausführbarkeit  gewisser  Zukunftserwartungen  zu  finden  glaubte.  Von 
den  Schriften  Felix  Adlers,  des  Haupt beförderen*  der  ethischen  Bestrebungen 
in  Amerika,  hat  er  erst  1803  eine  deutsche  Ausgabe  seines  «Moralunterrichts 
für  Kinder"  veranstaltet. 

Bei  seiner  rastlosen  Vermittlerschaft  verlor  aber  Gizycki  die  selbstständige 
Arbeit  nicht  aus  den  Augen.  Die  Anregungen  seiner  amerikanischen  Freunde 
und  erweiterte  Kenntniss  der  gleichzeitig  immer  bedeutender  gewordenen  ethischen 
Literatur  veranlassten  ihn  zu  einer  Neubearbeitung  seiner  mittlerweile  im  Buch- 
handel ausgegangenen  Preisschrift.  Statt  einer  zweiten  Auflage  erschien  1888 
die  nach  einem  ganz  andern  Plan  ausgeführte  „Moralphilosophie,  gemein- 
verständlich dargestellt".  Ks  handelt  sich  darin  weder  um  neue  Lehren, 
noch  um  ein  eigenes  „System".  Auf  der  Grundlage  des  Wohl fahrts-  und  Glück- 
seligkeitsprinzips  wird  eine  humane  Ethik  entwickelt,  die  Mos  eine  zusammen- 
fassende Wiedergabe  bereits  gewonnener  Einsichten  sein  will,  wie  sie  in  den 
Aussprüchen  der  erlesensten  Geister  über  Menscheideben  und  menschliches  Thun 
und  Lassen  ihren  Ausdruck  gefunden.  Daher  die  vielen  wörtlichen  Mittheilungen 
aus  den  Schriften  der  vornehmsten  Ethiker,  einheitlich  verknüpft  durch  die 
evolutionistische  Weltanschauung  des  Verfassers,  dem  die  thatsäehliche  Entwick- 
lung unseres  Geschlechts  dessen  sittliche  und  intellektuelle  Vervollkommnungs- 
fähigkeit verbürgt.  Im  Prozcss  der  Gesittung  sieht  er  eine  selbständige  Schöpfung 
der  Menschheit,  erwiesen  durch  die  unverkennbare  Übereinstimnmng,  die  in  Bezug 
auf  das  als  recht  und  gut  Anerkannte  unter  den  Menschen  wirklich  besteht,  so 
sein-  sie  auch  in  nationaler,  religiöser  und  überhaupt  kultureller  Hinsicht  von 
einander  abweichen  mögen.  Indem  die  fortschreitende  Gesittung  nur  eine  konse- 
quente und  allseitige  Durchführung  dessen  bewirkt  ,  was  an  und  für  sich  in  seiner 
Bedeutung  für  Menschenwohl  längst  eingesehen  ist,  müssen  die  ethischen  Forderungen 
unabhängig  von  aller  konfessionellen  und  sonstigen  Verschiedenheit  giltig  sein,  da 
sie  sich  innerhalb  der  unmittelbaren  Wirklichkeit  zu  bewähren  haben,  die  allen 
Lebewesen  durchaus  gemeinsam  ist.  Auf  die  praktische  Bethätigung  der  sittlichen 
Ideale  ist  es  bei  diesem  Buche  lediglich  abgesehen.  Aller  aufdringlichen 
Bekehrerei  und  anmaassenden  Gewissensrührnng  fern,  bietet  es  in  seiner  schlichten 
warmherzigen  Darstellung  jedem,  dem  es  um  Klärung,  Läuterung  und  Festigung 
seiner  Lebensansichten  zu  thun  ist,  die  fruchtbarste  Belehrung. 

In  das  gleiche  Jahr  mit  diesem  seinem  Lebenswerk  fällt  auch  ein  ebenso 
auf  weitere  Kreise  berechnetes  Büchlein  ..Kant  und  Schopenhauer,  zwei 
Aufsätze",  aus  gelegentlichen  Zeitungsbeiträgen  entstanden,  der  eine  auf  Anlass 
der  säkularen  Geburtsfeier  Schopenhauers,  der  andere  zur  Erinneruiur  an  die 
hundertjährige  Veröffentlichung  von  Kants  ethischen  Werken  verfasst.  Die 
Darstellung  ist  überaus  fasslieh  und  in  der  kritischen  Haltung  zustimmender  als 
bei  den  früheren  Erörterungen  des  Autors.  Bei  der  Würdigung  Schopenhauers 
wird  auch  in  rühmlichster  Weise  auf  Ludwig  Feuerbach  Bezug  genommen,  dem 
schon  in  der  Mornlphilosophic  aulässlirh  der  Unsterblichkeitsfrage  gebührende 
Beachtung   gewidmet    worden    war.     Eben   dieser  und  der  nächstfolgenden  Zeit 

Biographische  matter.  I.  27 


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411 


Biographische  BlHttor. 


gehören  auch  die  Vorbereitungen  für  ein  mit  den  amerikanischen  Gesinnungs- 
genossen geplantes  Organ  zur  Verbreitung  ethischer  Bestrebungen,  das  zugleich 
englisch  und  deutsch,  unter  Mitwirkung  der  besten  Kräfte  auf  beiden  Sprach- 
gebieten, erscheinen  sollte.  Zur  Verwirklichung  gelaugte  es  nur  in  der  englischen 
Form  als  das  seit  1H00  bestehende  ..International  Journal  of  Kthics-. 
Gizycki  gehörte  zum  Kedaktionsanssehuss  und  hat  von  allen  deutschen  Mitarbeitern 
die  meisten  Beiträge  geliefert. 

Sein  rastloser  Geist  fand  aber  an  allem  Bisherigen  noch  kein  Genügen. 
Worte  sollten  in  Thaten  umgesetzt  werden .  wie  es  in  Amerika  und  mittlerweile 
in  England  geschehen.  Alle  von  Berufspflichton  und  Schriftstellerei  übrige  Zeit 
wurde  von  nun  ab  der  Gründung  einer  ethisehen  Gesellschaft  nach  dem  Vorbilde 
der  dort  bestehenden  Vereine  gewidmet.  Im  Frühling  1  Hl*2  konnten  die  V<u- 
berathungen  mit  gleichgesinnten  Männern  und  Frauen  statthaben,  zum  Herbst  er- 
folgte eine  von  ihnen  ausgefertigte  Einladung  zu  einer  konstituirenden  Versamm- 
lung, bei  der  dann  die  Deutsehe  (iesellschaft  für  ethische  Kultur  am 
IM.  Oktober  begründet  wurde.  Bei  der  selbstverständlichen  Mitwirkung  Glen  h- 
strebender  ist  Gizycki  doch  als  ihr  eigentlicher  Urheber  zu  betrachten.  Uner- 
müdlich war  er  in  seinen  Bemühungen,  namentlich  bis  zur  Stiftung  der  (iesell- 
schaft. Danach  überliess  er  Andern  die  weitere  Sorge,  während  er  selbst,  durch 
sein  Befinden  an  auswärtiger  Thätigkeit  behindert,  seine  besten  Kräfte  der  im 
Interesse  der  (iesellschaft  begründeten  Wochenschrift  Ethische  Kultur  zuwandre. 
die  etwas  über  zwei  .lahre  unter  seiner  Leitung  gestanden  und  sich  auf  einer 
heaehterisworthen  Höhe  gehalten  hat.  Unterstützt  durch  tüchtige  Mitarbeiter,  trug 
er  doch  selbst  die  grösste  Arbeitslast,  da  zur  redaktionellen  Obsorge  eine  aus- 
gedehnte Korrespondenz  hinzukam,  die  neben  dem  akademischen  Beruf,  fort- 
gesetzten Studien  und  dem  Herstellen  eigener  Beiträge  für  das  Wochenblatt  und 
noch  etliche  Zeitschriften  zu  erledigen  war. 

Für  die  Stiftung  der  ethischen  (iesellschaft  sollte  ihm.  ausser  der  Freude, 
seine  besten  Hoffnungen  gekrönt  zu  sehen,  auch  noch  ein  anderer  Lohn  werden. 
Diese  vorbereitenden  Bemühungen  für  das  Unternehmen  hatten  ihn  im  Herbst 
1  HU  1  mit  einer  gleichgesinnten  Dame  zusammengeführt,  die  auch  schon  einen 
literarisch  geachteten  Namen  erworben.  Fräulein  Lily  von  Kr  et  seh  mann  trat 
als  Uedaktionsmitglicd  bei  der  Wochenschrift  ein.  wurde  während  der  Vor- 
arbeiten mit  Gizycki  verlobt  und  im  Juni  1H1*3  seine  Frau.  Dies  war  für  ihn. 
der  seit  dem  Tode  seiner  Mutter  im  September  1H«.»0  ganz  vereinsamt  aber  durch 
eine  bald  darauf  erfolgte  Gehaltszulage  aller  materiellen  Sorgen  überhoben  gelebt, 
ein  unschätzbares  Glück.  Das  tägliche  Behagen  ward  ihm  durch  völlige  Ein- 
müthigkeit  im  Denken  und  Fühlen  mit  der  hochherzigen  und  talentvollen  Lebens- 
gefährtin in  angenehmster  Weise  verschönt.  Der  gemeinsamen  Thätigkeit  am 
Journal  wusstc  das  Ehepaar  noch  Zeit  zu  einer  literarischen  Leistung  abzugewinnen, 
die  in  der  für  erziehliche  Zwecke  vorgenommenen  Auswahl  und  Bearbeitung  der 
rKinder-  und  H  ausmäi-ehc  u  der  Brüder  Grimm"  1*9-1  zu  Tage  trat. 
Man  hat  diese  Publikation  als  eine  Art  Frevel  beanstandet,  als  wäre  bei  solchem 
Vorgehen  die  bisherige  Sammlung  gleichsam  aus  der  Welt  geschafft.  Oh  da> 
Verfahren  empfchlenswerth  und  überhaupt  zulässig,  bleibe  dahingestellt;  eine  kurz 
darauf  benöthigte  zweite  Autlage  zeigt  wenigstens,  dass  die  Änderungen  allen 
denen  willkommen  waren,  die  früher  bei  manchen  Details  der  Märchen  im 
Original  durch  kindliche  Fragesucht  bisweilen  einer  nicht  geringen  Verlegenheit 
ausgeset zt  gewesen. 

Im  Verlaufe  ihres  Bestehens  hat  die  Wochenschrift  eine  Änderung  ihre» 
Verhältnisses   zur  (iesellschaft  für  ethische  Kultur  erfahren.     Anfänglich  als  ..im 

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Oorg  von  (iizvcki 


412 


Auftrage  der  Gesellschaft"  herausgegeben  bezeichnet,  vertauschte  sie  noch  im 
e-rstcn  Jahrgang  diese  überaehriftliehe  Angabe  gegen  die  allgemeinere  —  „Wochen- 
schrift zur  Verbreitung  ethischer  Bestrebungen"  — .  bis  nun  beim  dritten  .Jahrgang 
als  Aufgabe  des  Blattes  ein  Wirken  „für  sozial -ethische  Reformen"  bestimmt 
ward.  Es  entspricht  dies  dem  wachsenden  Einfiuss.  den  die  sozialistischen  Lehren 
auf  die  Überzeugung  des  Herausgebers  gewonnen  hatten.  Aufs  tiefste  von  den 
Mühen  und  Leiden  ergriffen,  die  das  Arbeiterloos  zu  einem  so  überaus  harten 
machen,  hatte  er  auch  die  zu  deren  Abhilfe  vom  Sozialismus  ausgegangenen 
Reformvorschläge  mit  voller  Zustimmung  zu  befürworten  unternommen,  da  er  in 
ihnen  die  endgiltige  Losung  der  Arbeiterfrage  zu  finden  glaubte.  Hierin  konnte 
ihm  die  Gesellschaft  nicht  beitreten,  ohne  ihren  eigenen  Grundsätzen,  die  jede 
Betheiligung  am  Parteiwesen  aussehliessen.  untren  zu  werden.  Alle  von  hier  aus 
erhobene  Hedenken  gegen  die  Richtigkeit  und  den  Segen  der  sozialistischen 
Zukunftsplane  hielt  er  für  Äusserungen  einer  mangelhaften  Denkweise,  die  in 
altüberlieferten  Yorurtheilen  und  unzulänglicher  Nächstenliebe  ihre  Wurzeln  habe. 
Während  aber  in  der  Zeitschrift,  wo  jede  redliche  Überzeugung  unbehindert  zu 
Worte  gelangte,  die  Hinneigung  zum  Sozialismus  zumeist  in  gelegentlichen  An- 
deutungen und  nur  ausnahmsweise  in  offenbarer  Parteinahme  sich  äusserte,  hat 
Gizycki  in  seinen  kürzlich  ans  dem  Nachlass  herausgegebenen  ..Vorlesungen 
über  soziale  Ethik"  mit  voller  Entschiedenheit  sich  für  die  vom  Sozialismus 
geforderte  absolute  Verstaatlichung  des  ganzen  Gemeinwesens  erklärte.  Er  sah 
darin  die  einzig  konsequente  Durchführung  der  ihm  für  Menschenwohl  erforder- 
lichen allgemeinen  Gleichheit;  nur  dadurch  konnte  er  den  ethischen  Grundsatz, 
dass  .Teder  für  Einen  aber  Keiner  für  mehr  als  Einen  gelten  solle,  verwirklicht 
denken.  Seiner  eindringlichen  und sachgemässon  Darstellung  all  der  Leiden  und  ( iefahren. 
denen  die  Arbeiter  bei  den  gegenwärtigen  Zuständen  ohne  ihr  Verschulden  aus- 
gesetzt sind,  wird  jeder  Unbefangene  mit  aufrichtiger  Theilnahme  folgen;  von  den 
A'orschlägeit  jedoch,  die  zur  Herstellung  einer  allgemeinen  Glückseligkeit  führen 
sollen,  dürfte  wohl  nur  der  fiberzeugt  werden,  der  sich  schon  im  Voraus  zu  den 
vom  Autor  verfochtenen  Ansichten  bekennt. 

Wie  sehr  man  auch  hierin  von  den  Ansichten  Gizvckis  abweichen  mag.  wird 
man  doch  seiner  gesummten  Thätigkcit  und  der  edlen  Gesinnung,  von  der  sie  beseelt 
war.  die  wärmste  Anerkennung  zollen,  und  sie  wird  zu  wahrhafter  Bewunderung, 
wenn  man  erfährt,  dass  er  sein  rastloses  Wirken  einer  schwächlichen  Gesundheit 
bei  körperlicher  Gebrechlichkeit  abzuringen  gewusst.  Von  Kindheit  an  war  er 
gelähmt,  mit  einer  Schwäche  im  rechten  Bein  geboren,  die  durch  den  Unverstand 
der  Wärterin  gesteigert  wurde,  als  sie  das  Kind  einmal  auf  thaufeuchtein  Unsen 
schlafen  legte.  Bis  zur  Studentenzeit  konnte  er  jedoch  gehen,  danach  musste  ein 
Fahrstuhl  benutzt  werden  und  in  einem  solchen  wurde  er  auch  zu  seinen  Vor- 
lesungen befördert.  Bis  vor  etwa  vier  Jahren  konnte  er  im  Zimmer  sich  an 
Stöcken  fortbewegen,  dann  aber  war  vollständig«'  Lähmung  eingetreten.  Sein 
heiteres  Temperament  liess  ihn  das  alles  geduldig  ertragen,  da  keine  eigentlichen 
Schmerzen  zu  überwinden  waren:  doch  war  sein  Befinden  die  letzten  Jahre  ärzt- 
licher Hilfe  häufiger  bedürftig.  Der  Tod.  dem  er  ruhig  und  gefasst  entgegen- 
sah, kam  ihm  durch  die  Influenza,  der  sein  vom  Nervenleiden  geschwächter 
Organismus  innerhalb  fünf  Tagen  erlag.  Er  entschlief  sanft  und  schmerzlos  in 
den  Annen  seiner  (iattin. 

Von  Gemüth  bescheiden,  dankbar  und  wohlwollend,  hat  er.  trotz  seiner  Leiden, 
eine  nimmer  versagende  Freude  am  Leiten  gehabt.  So  bat  er.  vom  Geschick 
gar  vielfach  auf  die  Hilfe  Anderer  hingewiesen,  mit  vidier  ('berzeugung  den 
Pessimismus  bekämpft,  dein  mancher  Andere  in  seiner  Lage  verfallen  war.  Er 

27  * 

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413 


Biographische  Blätter. 


hat,  derer  eingedenk,  die  weit  schwereres  Leid  als  er  zu  ertragen  haben,  sich 
wahrhaft  glücklich  gefühlt,  im  redlichen  Bemühen  an  ihrem  Glück  mitzuwirken, 
weil  er  —  um  mit  einem  hübschen  "Wort  aus  seiner  Feder  zu  schliessen  ein 
Mensch  war,  -der  in  seinem  Herzen  das  Leben  der  Menschheit  mitlebt,  au  ihrer 
Freude  sich  freut  und  ihre  Hoffnung  zu  seiner  Hoffnung  macht." 

—        *  - 

Oliver  Wendeil  Holmes. 

Von 

LEON  KELLNER. 


Ganz  abgesehen  von  der  Bedeutung  des  Mannes,  dem  man  seit  einer  statt- 
lichen Reibe  von  Jahren  in  englischen  und  amerikanischen  Zeitschriften  unter  dem 
Namen  „America's  Grand  Old  Man*  begegnet,  hat  Holmes  für  mich  ein  ganz 
besonderes  Interesse.  Kr  war  mir  nätnlieh  der  Gegenstund  eines  litterar-historischen 
Experimentes,  das,  nebenbei  gesagt,  vortrefflich  gelungen  ist.  Ich  lade  die  Leser 
ein.  mit  mir  einen  Theil  des  Experimentes  zu  wiederholen.  Gegeben  sind  vier 
Hände  Prosa  und  Poesie,  die  man  mit  äusserlicher  Benennung  als  Miscellanies, 
vermischte  Schriften,  zu  bezeichnen  geneigt  wäre.1) 

.ledern  Hände  liegt  die  Fiktion  eines  Privathotels  oder,  wie  man  in  England 
und  Amerika  sagt,  eines  Boarding  House  zu  Grunde,  in  welchem  eine  interessante 
Tischgesellschaft  sich  beim  Frühstücke  in  ungezwungener  Welse  über  grosse  und 
kleine  Dinge  unterhält;  es  kann  natürlich  nicht  fehlen,  dass  im  Verlaufe  der  Be- 
gebenheiten sich  allerlei  Wahlverwandschaften  ergeben.  Die  Gespräche  und 
Ereignisse  weiden  nun  von  einem  Mitgliede  der  Gesellschaft  zu  Papier  gebracht; 
der  Berichterstatter  ist  das  erste  Mal  der  ..Autokrat'-,  das  zweite  Mal  der  Pro- 
fessor, im  dritten  Bande  der  Dichter,  im  letzten  ist  er  namenlos.  Der  Löwen- 
antheil  an  der  Unterhaltung  fällt  dem  Berichterstatter  zu.  so  dass  wir  über  ihn. 
seine  Verhältnisse  und  Anschauungen  das  Meiste  erfahren. 

Es  war  gleich  am  Anfang  nicht  schwer  zu  errathen,  dass  der  Berichterstatter 
dem  Verfasser  nahe  steht;  im  Verlaufe  lüftet  Holmes  mehrmals  den  Sehleier,  im 
letzten  "Werk  tritt  er  offen  mit  seiner  ganzen  Persönlichkeit  hervor.  Und  nun 
entstand  die  Frage:  Wie  viel  biographische  Wahrheit  lässt  sich  an  dem  Xeben- 
und  Durcheinander  von  Wahrheit  und  Dichtung  herauslesen?  Der  Versuch  ist 
natürlich  nichts  weniger  als  neu;  es  sind  ja  die  Biographen  der  allergrößten 
Geister  aller  Zeiten  fast  ausschliesslich  auf  solche  Künste  angewiesen:  aber  es 
besteht  ein  sehr  wesentlieher  Unterschied  zwischen  einer  auf  Hypothesen  beruhenden 
Biographie  Shakespeare  s  und  der  eines  lebenden  weltbekannten  Schriftstellers 
dort  haben  haarspaltende  Gelehrsamkeit  und  wahnwitzige  Phantasie  freies  Spiel, 
denn  ach,  die  Steine  wollen  nicht  reden,  hier  aber  folgt  auf  die  Hypothese  mit 
Blitzesschnelle  die  Bestätigung  oder  die  Widerlegung,  gegen  die  es  keine  Be- 
rufung giebt.  denn  es  Heyen  ausführliche  biographische  Nachrichten  aus  der  un- 

M  The  Autocrat  at  the  Breakfa*t-Table.    Zuerst  vollständig  erschienen  1858. 

The  Professor  at  the  Ureaktust-Table.  1*1)0. 

The  Poet  at  the  Breakfast-Table.  1*7-2. 

Over  the  Teacups.     1*51 1. 
Die  zugänglichste,  von  Holmes  seihst  durchgesehene  Ausgabe  ist  in  der  Collection 
Tauchnitz  erschienen. 


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Oliver  Wendel!  Holmes. 


414 


mittelbaren  Nähe  des  Schriftstellers  vor.  Nachrichten,  auf  denen  das  Auge  des 
Schriftstellers  ruhte,  bevor  sie  in  der  Offizin  Flügel  erhielten,  um  als  Zeitung 
oder  Buch  der  grossen,  man  kann  sagen,  weltumfassenden  Gemeinde  der  Holmes- 
Verehrer  über  Leben  und  Treiben  des  „Grand  Old  Man*  zu  berichten. 
Hören  wir  zuerst  einige  Aussprüche  des  Autokraten. 

„Ein  Gespräch  ist  eine  sehr  wichtige  Angelegenheit.  Die  Unterhaltung  mit 
manchen  Menschen  ist  anstrengender  als  ein  Fasttag.  Merkt  euch,  was  ich  euch 
sage:  Es  ist  besser,  einen  Liter  Blut  aus  den  Adern  zu  verlieren,  als  sich  einen 
Nerv  beschädigen  zu  lassen:  niemand  mlsst  die  Nervenkraft,  die  verloren  geht, 
und  niemand  verbindet  euch  Hirn  und  Mark  nach  der  Operation.** 

«Sie  finden,  dass  ich  diese  Bemerkung  schon  einmal  gemacht  habe?  Und 
wenn?  Meine  Bemerkungen  an  diesem  Frühstückst ische  sind  keine  Briefmarken, 
die  man  nur  einmal  brauchen  darf.  Das  miteste  ein  armer  Teufel  sein,  der  sich 
niemals  wiederholt,  Die  "Wahrheiten,  die  ein  Mensch  mit  sich  herumträgt,  sind 
seine  Werkzeuge;  glauben  Sie,  dass  ein  Zimmermann  seinen  Hobel  nur  einmal 
brauchen  darf,  um  ein  Brett  glatt  zu  hobeln,  oder  seinen  Hammer  aufhängen  muss, 
wenn  er  einen  Nagel  eingeschlagen  hat?  Ich  werde  niemals  ein  Gespräch,  aber 
oft  einen  Gedanken  wiederholen.  Fin  Gedanke  kann  manchmal  originell  sein, 
selbst  wenn  man  ihn  hundertmal  ausgesprochen  hat ;  er  ist  auf  einem  neuen  Wege, 
mittelst  eines  neuen  Eilzuges  von  Ideenverbindungen  angelangt.  Manchmal  wieder- 
holt einer  dieselbe  Rede,  und  man  kann  ihm  doch  keinen  Vorwurf  daraus  machen. 
Da  komme  ich  einmal  auf  einer  meiner  Vortragsreisen  nach  Hartford  und  werde 
von  einer  dort  lebenden  Schriftstellerin  mit  mehreren  Litteraten  zu  einer  Tasse 
Thee  eingeladen.  Die  Dame  scherzte  über  meine  Vortragsreisen,  die  mich  durch 
ganz  Amerika  brächten.  „Ja**,  sagte  ich.  „ich  bin  wie  der  Vogel  Huma:  der 
ist  immer  im  Fluge,  ich  immer  auf  der  Heise  begriffen",  .lahre  vergingen,  da 
kam  ich  wieder  nach  Hartford  und  wurde  wieder  von  der  genannten  Schrift- 
stellerin zum  Thee  geladen.  „Sie  reisen  jetzt  immer  von  ( >rt  zu  Ort",  sagte  die 
Hausfrau.  „Ja**,  sagte  ich,  „ich  bin  wie  der  Huma"  —  und  so  bis  zu  Ende 
wie  oben.  Man  denke  sich  mein  Entsetzen,  als  ich  mich  erinnerte,  dass  ich  den- 
selben Satz  wortwörtlich  zweimal  vor  derselben  Dame  gesprochen  hafte!  Und  wie 
falsch  war  es,  wenn  die  Schriftstellerin  dachte,  dass  ich  jahraus  jahrein  dieselbe 
geistreiche  Bemerkung  wiederholte!  Ich  hatte  nie  wieder  seit  jenem  ersten  Besuche 
in  Hartford  an  den  fatalen  Vogel  gedacht,  und  erst  als  ich  wieder  bei  der  Dame 
geladen  war,  riefen  dieselben  Umstände  denselben  Gedanken  ins  Bewusst.sein  zurück.*' 

„Wir  sind  die  Kömer  der  modernen  Welt  —  das  grosse  assimilirende  Volk. 
Kämpfe  und  Eroberungen  sind  unsere  Sache,  wie  die  unserer  Vorbilder.  Und  so 
kommen  wir  auch  dazu,  dieselbe  Waffenart  zu  gebrauchen.  Das  Schwert  unserer 
Armee  ist  der  kurze,  steife,  spitze  Gladius  der  Kömer.  Ich  t heile  auch  hier 
einen  Grundsatz  mit.  den  ihr  nicht  im  Montesquieu  finden  werdet:  das  Volk, 
das  seine  Wallen  verkürzt,  verlängert  seüie  Grenzen. 

Nachsatz.    Es  war  die  polnische  Lanze,  die  Bolen  aller  Grenzen  beraubte." 

„Was  ich  von  einem  self-made  man  halte?  Nun.  Jedermann  liebt  und 
achtet  einen  self-made  man.  Erinnert  ihr  jungen  Leute  euch  noch  des  Hauses 
in  Cambridge-port .,  das  ein  Irlander  vom  Abzugskanal  bis  zum  First  mit  eigenen 
Händen  erbaute?  Kr  brauchte  dazu  hübsch  viele  Jahre  und  man  sah  es  auf  den 
ersten  Blick ,  dass  es  etwas  windschief,  etwas  wackelig  und  im  Ganzen  etwas 
komisch  war.  Ein  regelrechter  Baumeister  hätte  ein  weit  besseres  Haus  gebaut; 
aber  für  das  Haus  eines  „selbstgemachten*'  Baumeisters  war  es  ein  gutes  Haus, 
und  die  Leute  lobten  es  und  bewunderten  den  lrländcr,  während  sie  acht-  und 
wortlos  an  allen  anderen  Häusern  vorbeigingen.*4 


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4i:> 


Biographische  Blatter. 


„Ich  bin  so  frei,  es  gerade  heraus  zu  sagen,  dass  ich  unter  sonst  gleichen 
Umständen  in  fast  allen  Lebenslagen  einem  Menschen  aus  guter  Familie  vor  dem 
self-rnade  man  den  Vorzug  gebe.  "Was  ich  unter  einem  Menschen  aus  guter 
Familie  verstehe?  Das  will  ich  euch  gleich  sagen.  Ich  will  ihn  prächtig  aus- 
staffiren,  denn  es  kostet  uns  ja  nichts.  Also  vier  oder  fünf  Geschlechter  von  ge- 
bildeten Männern  und  Frauen:  unter  diesen  ein  Mitglied  des  Provinzialratlis  seiner 
Majestät,  ein  Gouverneur,  ein  oder  zwei  Doktoren  der  Theologie,  ein  Kongress- 
mitglied, wenn  möglich  aus  der  Zeit  der  Beiterstiefel  mit  Quasten.  Dann  Fami- 
lienporträts; Bücher  mit  den  Namen  der  Besitzer  unter  der  Devise  Hie  über 
est  mens,  Hogarth's  Stiche  in  der  Originalausgabe,  Pope  in  15  Bänden,  de  dato 
1717;  etwas  Familiensilber  etc. 

...Ja  wohl,  meine  Freunde,  ich  bin  für  den  Mann,  der  die  Fanülienüberliefe- 
rungen  und  die  Bildung  von  wenigstens  vier  oder  fünf  Geschlechtern  ererbt. 
Freilich  kann  einer  mit  allen  diesen  Vorbedingungen  ein  Flegel  oder  ein  schäbiger 
Kerl  sein,  und  umgekehrt  kann  einer  ohne  sie  sich  trefflich  zum  Ratlisherren  und 
Gesandten  eignen;  dann  sollen  sie  die  Plätze  tauschen.  Unsere  soziale  Einrich- 
tung hat  eben  da*  Schöne,  dass  die  Schichten  nach  oben  und  unten  wechseln  in 
dem  Maasse,  als  sich  ihr  spezifisches  Gewicht '  verschiebt." 

„Warum  ieh  mein«'  guten  Einfälle  auf  die  Unterhaltung  verschwende,  statt 
sie  als  kostbare  Waare  auf  den  Litferaturmarkt  zu  bringen?  Die  mündliche  Unter- 
haltung formt  die  Gedanken,  wie  die  Brandung  die  Kieselsteine,  welche  sie  ans 
Ufer  rollt.  Ich  modellire  meine  Gedanken  im  Gespräch,  wie  der  Künstler  seine 
G estalten  in  Thon  modellirt.  Die  gesprochene  Sprache  ist  so  bildsam  -  -  man 
kann  so  leicht  an  ihr  herumstreicheln  und  liebkosen,  glätten  und  .schaben,  man 
kann  wegnehmen,  ausfüllen,  dazuthun;  sie  ist  das  beste  Material  zum  Modelliren. 
Daraus  kommen  ei-st  die  Marmor-  oder  Bronzegestalten  in  den  unsterblichen  Büchern. 
Oder,  um  noch  ein  anderes  Gleichniss  zu  gebraueben:  Schreiben  und  Drucken  ist 
ein  Sehiessen  mit.  dem  Gewehr,  man  trifft  das  Herz  des  Lesers  oder  man  ver- 
fehlt es;  Sprechen  ist  rin  Zielen  mit  einem  "Wasserschlaueh  —  wenn  der  Zielpunkt 
in  unserem  Bereiche  ist  und  uns  nur  die  nöthige  Zeit  bleibt,  können  wir  ihn  un- 
möglich Verfehlen." 

„Ich  habe  jetzt  ein  litterarisches  Gcstnndniss  abzulegen,  das,  glaube  ich. 
noch  Niemand  vor  mir  abgelegt  hat.  Sie  wissen  sehr  wohl,  dass  ich  zuweilen 
Verse  schreibe,  denn  ich  habe  Ihnen  welche  vorgelesen.  (Die  Gesellschaft  nickte 
zustimmend,  einige  mit  stiller  Ergebung,  offenbar  glaubten  sie,  ich  hätte  ein  Epos 
im  Gewände  und  wäre  im  Begriffe,  ihnen  einige  Gesänge  daraus  vorzulesen.) 
Natürlich  schreibe  ich  gelegentlich  einzelne  Verse  oder  ganze  Stellen,  die  mir 
besser  gefallen  als  andere;  es  liegt  in  der  Natur,  dass  ich  solche  gelungene 
Stellen  für  absolut  gut  halte:  ich  bin  eben  nur  ein  Mensch,  Kaum  aber  habe 
ich  eine  solche  „gelungene"  Zeile  geschrieben,  so  habe  ich  auch  sofort  die  Empfin- 
dung, dass  sie  uralt  sei.  ja  gewöhnlich  bin  ich  überzeugt,  sie  schon  anderswo  ge- 
lesen zu  haben.  Nun  kann  ich  mir  jawohl  einmal  unhewusst  einen  Vers  angeeignet 
haben .  aber  ich  erinnere  mich  nicht .  jemals  irgend  welche  Bestätigung  meiner 
plötzlichen  Empfindungen  von  dem  Alter  meiner  guten  Verse  gefunden  zu  haben. 
Und  nun  kommt  die  Philosophie  dieser  Erscheinung.  (Bei  »Uesen  Worten  ver- 
flüchtigte sich  ein  Theil  der  Gesellschaft.)  .lede  neue  Wortverbindung,  die  plötz- 
lich in  unserem  Bewusstsein  auftaucht,  hat  ihre  Wurzeln  in  langen  Gedanken- 
ketten, so  dass  sie  in  Wahrheit  schon  ganz  alt  ist,  wenn  sie  zum  ersten  Male 
unter  den  anerkannten  Geistesgewächsen  erscheint.  .lede  Krv Stallgruppe  von 
Worten  hat  eine  lange  Periode  stillen  Wachsthums  hinter  sich." 

„Bildet   euch  ja  nicht  ein.   dass  die   Freundschaft  euch  das  Hecht  giebt. 


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Oliver  Wendell  Holmes. 


416 


3  Hun.se 


3  Thomase 


euren  Freunden  unangenehme  Dinge  zu  sagen.  Im  Gegentheil,  je  intimer  ihr  mit 
Einern  seid,  desto  nothwendiger  ist  es,  Takt  und  Höflichkeit  zu  bewahren.  Ab- 
gesehen von  seltenen  Ausnahmsfallen  überlaset  es  ruhig  den  Feinden  eurer  Freunde 
ihnen  unangenehme  Wahrheiten  zu  sagen;  sie  sind  ohnehin  mit  Vergnügen  bereit, 
es  zu  thun.  Wirkliehe  Bildung  wird  niemals  vergessen,  das  die  Eigenliebe  all- 
gemein ist.44 

-Warum  ist  die  Verständigung  durch  Unterhaltung  oft,  so  schwer?  Sehr 
einfach.  Wenn  Hans  und  Thomas  sich  mit  einander  unterhalten,  so  ist  es  ganz 
natürlich,  wenn  unter  den  sechs  Leuten  mehr  oder  weniger  Verwirrung  und  Mlss- 
verständniss  entsteht.  (Unsere  Wirthin  erbleichte;  sie  fürchtete  ohne  Zweifel, 
dass  ich  übergeschnappt  sei.  und  sie  auf  diese  Weise  um  einen  Gast  kommen 
werde.  Die  übrige  Gesellschaft  sah  mich  erwartungsvoll  an.)  Ich  denke,  ich 
kann  meine  Behauptung  sehr  deutlich  begründen.  Wenn  Hans  und  Thomas  ein 
Gespräch  fuhren,  sind  es  wirklieh  sechs  Personen,  die  sich  miteinander  unterhalten. 

1.  Der  wahre  Hans,  wie  ihn  nur  sein  Schöpfer  kennt. 

2.  Hansens  idealer  Hans,  der  niemals  dem  wahren  Hans  gleicht. 

3.  Thomasens  idealer  Hans,  der  weder  dem  wahren  Hans,  noch 
Hansens  idealem  Hans  gleicht. 

1.  Der  wahre  Thomas. 

2.  Thomasens  idealer  Thomas. 

3.  Hansens  idealer  Thomas. 

Nur  einer  der  drei  Hanse  kann  annähernd  gemessen  und  gewogen  werden,  aber 
die  beiden  andern  sind  von  ganz  gleicher  Bedeutung  in  der  Konversation.  Nehmen 
wir  an,  der  wahre  Hans  sei  alt.  dumm,  hasslieh.  Da  aber  die  himmlischen 
Mächte  den  Menschen  die  Gabe  versagt  haben,  sich  im  wahren  Lichte  zu  sehen, 
so  hält  sich  Hans  offenbar  für  jung,  geistreich,  bezaubernd  und  lichtet  seine 
Konversation  nach  diesem  Gesichtspunkte  ein.  Thomas  dagegen  hält  ihn.  sagen 
wir.  für  einen  verschmitzten  Hallunken,  daher  Ist  er,  so  gross  in  Wahrheit  seine. 
Dummheit  sein  möge,  für  Thomas  in  dem  fraglichen  Gespräche  ein  verschmitzter 
Hallunke.  Daraus  folgt,  dass  an  einem  Gespräche  zwischen  zwei  Personen  eigentlich 
sechs  Personen  Theil  nehmen.  Kein  Wunder  daher,  wenn  sich  die  Leute  oft  in 
die  Haare  fahren.  (Mein  Tischnachbar,  ein  junger  Mensch  Namens  Hans,  macht«  von 
der  obigen  Bemerkung  eine  sehr  unphilosophische  Anwendung.  Ein  Körbchen 
Pfirsiche,  eine  seltene  Erscheinung  in  einem  boarding- house.  war  via  Hans 
auf  dem  Wege  zu  mir.  Er  eignete  sich  aber  die  noch  vorhandenen  drei  Pfii*siche 
an.  mit  der  Bemerkung,  dass  jedem  der  drei  Hanse  ein  Pfirsich  gebühre.  Ich 
überzeugte  ihn,  dass  sein  Schluss  unlogisch  uud  übereilt  sei,  aber  mittlerweile 
waren  die  Pfirsiche  verschwunden.)'1 

..Warum  ich  nicht  eine  Geschichte,  einen  Kornau  oder  so  was  schreibe?  Ja. 
das  ist  so  eine  eigene  Sache.  Dass  jeder  Mensch  das  Zeug  in  sich  hat  für  einen 
dreibändigen  Hornau,  das  ist  eine  alte  (vberzeugung  von  mir.  Aber  andererseits 
ist  behauptet  worden,  dass  viele  Leute  nicht  mehr  als  einen  Kornau  schreiben 
können.  Das  Leben  ist  in  seinen  Höhen  und  Tiefen  um  so  viel  grossartiger,  als 
jemals  eine  Abschrift  davon  sein  kann,  dass  sich  alle  Abschilderung  menschlicher 
Erfahrungen  ausnimmt  wie  ein  Herbarium  im  Vergleich  zu  den  unzähligen, 
glänzenden,  rauschenden,  athmenden,  duftbeladenen.  giftsaugenden,  lebenspendenden, 
todverbreitenden  Blättern  und  Blüthen  von  Wald  und  Prairie.  Wenn  ein  Buch 
menschlicher  Erfahrung  lebendig  sein  soll,  so  müssen  wir  ihm  Etwas  von  unserem 
eigenen  Leben  mittheilen.  Ein  Much  ist  lebendig  in  dem  Maasse,  als  es  in  Wesen 
oder  Form  an  unsere  eigene  Erfahrung  erinnert.  Nun  ist  die  erste  Erzählung 
eines  Autors  grossen  Theils  aus  seinem  Leben  genommen,  das  heisst,  sie  ist  eine 


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417 


Biographische  Blütter. 


Abschrift  der  Natur  in  leichter  Verstellung.  Sobald  aber  der  Schriftsteller  aus 
seiner  eigenen  Peinlichkeit  heraustritt ,  muss  er  schöpferische  Kraft  mit  der 
Kunst  des  Erzählers  verbinden,  um  ein  lebendiges  Buch  zu  schreiben  ----  jene 
Vereinigung  ist  aber  selten  zu  finden." 

„Je  mehr  wir  uns  in  das  Stadium  von  Körper  und  Geist  vertiefen,  desto 
mehr  finden  wir,  dass  beide  zwar  nicht  von.  wohl  aber  gemäss  bestimmten  (be- 
setzen regiert  werden,  die  wir  im  ganzen  Weltall  finden." 

„Gedanken  haben  ihren  regelmässigen  Cyclus.  Bestimmte  Gedanken  kehren 
in  bestimmten  Zwischenräumen  regelmässig  wieder.  Zufälligkeiten  sind  oft  daran 
schuld,  dass  diese  Gedanken  nicht  klar  zum  Bewusstsein  kommen,  aber  ein  genauer 
Beobachter  wird  zugeben,  dass  es  gewiss  besondere  Gedanken  giebt,  die  wohl 
nicht  einmal  am  Tage,  einmal  in  der  Woche  kommen,  dass  aber  kaum  ein  Jahr 
vergeht,  ohne  dass  diese  Gedanken  uns  durch  den  Kopf  gegangen  sind.  Hier  ist 
einer,  der  in  Abständen  folgendermaassen  erscheint.  Jemand  spricht  davon  und 
ein  Lächeln  des  Verständnisses  zeigt  sich  im  Gesichte  des  Zuhörers  oder  der  Zu- 
hörer, ja.  sie  haben  es  in  der  That  oft  bemerkt.  Auf  einmal  blitzt  in  uns  die 
Überzeugung  auf.  dass  wir  uns  genau  in  denselben  Verhältnissen  wie  im  gegen- 
wärtigen Augenblick  ein-  oder  mehrmals  vorher  befunden  haben.  (.Ach  ja-, 
sagt*'  ein  Mitglied  der  Tischgesellschaft,  „jeder  hat  schon  diese  Empfindung  gehabt  •". 
—  Die  Lehrerin  sagte  zögernd,  sie  kenne  das  Gefühl  wohl,  aber  sie  habe  es 
nicht  gerne,  denn  sie  komme  sich  dabei  wie  ein  Gespenst  vor.  -  Der  junge 
Mensch,  den  alle  Hans  nennen,  uud  der  mein  Tischnachbar  ist,  sagte,  dass  auch 
er  das  Gefühl  sehr  gut  kenne.  Er  habe  sich  jüngst  eine  Zigarre  angezündet, 
und  sofort  sei  wie  ein  Blitz  die  Überzeugung  in  ihm  entstanden.  d;iss  er  dasselbe 
schon  viele  Male  vorher  gethan  habe,  Ich  warf  ihm  einen  strengen  Blick  zu  und 
die  mir  zugekehrte  Hälfte  des  Gesichtes  wurde  ernst;  was  die  andere  Hälfte 
machte,  kann  ich  nicht  sagen,  denn  der  junge  Mensch  lacht  mit  der  einen  und 
weint  mit  der  andern  Hälfte)". 

Einer  meiner  angenehmsten  Zuhörer  ist  ein  Student  der  Theologie,  und  so 
manche  meiner  Bemerkungen,  wie  auch  die  folgende,  ist  wesentlich  auf  ihn  be- 
rechnet. Manche  Leute  haben  die  Neigung,  Eigenschaftswörter  in  Triaden  zu- 
sammenzustellen: Er  war  ehren  werth,  höflich  und  tapfer;  sie  war  anmuthig.  gefällig 
und  tugendhaft.  Dr.  Johnson  ist  gross  in  dieser  Eigenheit,  und  ich  glaube,  Bulwer 
sagte  einmal,  d;uss  man  jedes  Essay  des  ..  Hambler"  in  drei  zerlegen  könnte. 
Viele  unserer  zeitgenössischen  Schriftsteller  haben  dieselbe  Neigung,  so  z.  B.  mein 
Ereund,  der  Professor.  Manche  halten  dies  für  eine  Nachahmung  Johnsons,  andere 
für  ein  rhetorisches  Kunststück.  Ich  glaube  nicht,  dass  dies  den  Kern  der  Saehe 
trifft.  Ich  vermuthe.  dass  es  eine  unbewusste  Bemühung  des  Geistes  ist.  einen 
Gedanken  oder  ein  Bild  mit  den  drei  Dimensionen  darzustellen,  die  jedem  festen 
Körper  eigen  sind  die  unbewusste  Behandlung  einer  Vorstellung,  als  ob  sie 
Länge.  Breite  und  Tiefe  hätte.  Es  ist  freilich  unvergleichlich  leichter,  dies  zu 
behaupten  als  zu  beweisen,  und  ebenso  leichter  es  zu  bestreiten  als  zu  widerlegen. 
Aber  merket,  euch:  je  mehr  wir  beobachten  und  studiren.  desto  grösser,  finden 
wir.  ist  das  Gebiet  des  Automatischen  und  Instinktiven  in  Körper,  Geist.  Moral, 
und  desto  kleiner  der  Umfang  der  selbstbestimmenden  bewussten  Bewegung". 

„Gewiss'  Dinge  sind  erst  dann  etwas  werth,  wenn  sie  ein  gewisses  Alter 
erreicht  haben;  andere,  wenn  sie  alt  geworden  und  immer  im  Gebrauch  gewesen 
sind.  Zu  den  Dingen  erster  Gattung  gehört  bekanntlich  der  Wein,  zu  den  letzteren 
Meerschaumpfeifen.  Violinen  uud  —  Gedichte.  —  Ja  wohl,  auch  ein  Gedicht 
will  alt  werden  und  im  Gebrauch  sein,  wie  eine  Meerschaumpfeife  oder  eine  Vio- 
line.   Ein  Gedieht  ist  gerade  so  porös  wie  Meerschaum      je  poröser,  desto  besser, 


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Oliver  Wondell  Holmes. 


-IIS 


das  heisst.  ein  echtes  Gedicht  muss  eine  unendliche  Menge  von  unserem  Ich.  Liebe. 
Heldenmuth,  Sehnsucht.  Streben,  in  sich  aufnehmen  können,  bis  es  durch  und 
durch  von  der  Farbe  unseres  Ich  durchdrungen  Ist.  Ks  braucht  eine  gute  Weile, 
bis  die  in  einem  Gedichte  liegende  Empfindung  mit  unserer  Natur  in  Einklang 
gebracht  wird,  bis  sich  unser  Wesen  mit  jedem  Gedanken  und  Bilde  desselben 
identifizirt.  Nehmen  wir  die.  blosse  Musik  eines  neuen  Gedichtes  -  wer  kann 
von  ihr  mehr  verlangen  als  von  der  Musik  einer  neuen  Violine,  die  frisch  aus 
der  Hand  ihres  Schöpfers  hervorgegangen  ist?  Bekanntlich  besteht  eine  Violine 
ans  nicht  weniger  als  58  verschiedenen  Stücken.  Diese  sind  von  Haus  aus  ein- 
ander fremd,  und  sie  brauchen  mehr  oder  weniger  ein  .Jahrhundert,  um  mitein- 
ander bekaunt  zu  werden.  Endlich  lernen  sie  es.  harmonisch  zu  schwingen,  und 
das  Instrument  wird  ein  organisches  Ganze,  als  ob  es  eine  Samenkapsel  von  einem 
Blumenbeete  in  Cremona  oder  anderswo  wäre.  Ferner  ist  das  Holz  ungefähr 
fünfzig  .Jahre  lang  voller  Saft,  und  es  braucht  fünfzig  oder  hundert  Jahre,  um 
so  ziemlich  trocken  und  klangreich  zu  werden. 

Gilt  das  alles  nicht  auch  von  einem  Gedichte?  Wenn  wir  jedes  Wort  als 
ein  Stück  für  sich  zahlen,  so  hat  ein  Gedicht  im  Durchschnitt  mehr  Stücke  als 
eine  Violine.  Der  Dichter  hat  alle  diese  Wörter  zusamniengezwungen  und  anein- 
ander gelüthet.  die  Wörter  aber  wollen  das  anfangs  nicht  recht  einsehen.  Wird 
aber  das  Gedicht  erst  lauf  und  dann  im  gedämpften  Flüstertone  des  Gemüthes  oft 
genug  wiederholt,  dann  sind  die  einzelnen  Theile  in  solch  absoluter  Festigkeit  mit 
einander  verbunden,  dass  man  nicht  eine  Silbe  ändern  kann,  ohne  dass  sich  die 
ganze  Welt  gegen  die  Misshandlung  des  harmonischen  Werkes  empört-. 

Obige  Aussprüche  sind  ausschliesslich  dem  ersten  Werke  von  Holmes.  The  A  ut<>- 
crat  at  the  Breakfast-Table,  entnommen,  und  doch  dürfte  ein  scharfer  Beobachter 
in  der  Lage  sein,  schon  aus  den  wenigen  Proben  das  litterarische  Bild  des  Mannes  zu  ent- 
werfen, und  er  wird  sogar  den  Versuch  machen,  biographische  Momente  zu  erschliessen. 

Dass  wir  einen  Dichter  vor  uns  haben,  unterliegt  keinem  Zweifel,  und  zwar 
nicht  nur  einen,  der  Verse  macht  denn  das  sagt  er  ja  seinen  Tischgenossen 
selbst  -  -  sondern  einen  wirklichen,  gottbegnadeten,  an  dessen  Werken  das  Gemüth 
ebensoviel  Antheil  hat  wie  die  Phantasie,  und  dem  die  ('iahe  verliehen  war.  seinen 
Empfindungen  den  richtigen  musikalischen  Ausdruck  zu  geben.  Wer  sonst  als 
ein  solcher  Dichter  hätte  die  Bemerkung  über  Geigen  und  Gedichte  gemacht? 

Aber  die  Natur  hat  dem  seltenen  Manne  ausser  ihren  Gaben,  Phantasie  und 
Gemüth,  auch  einen  scharfen  Verstand,  und  dazu  noch  Witz  und  Humor  verlieben. 
Fast  alle  seine  Tischreden  haben  eine  epigrammatische  Spitze,  und  sein  geistreiches 
Spiel  mit  Gegensätzen  und  Oxymoren  würde  ihn  fast  zu  Paradoxen  verleiten,  wenn 
nicht  seine  Selbstkritik  und  sein  Humor  ihn  vor  jeder  Geschmacklosigkeit  bewahrten. 

Welcher  Art  ist  die  sehr  reiche  Bildung  des  Autokraten?  Der  Mann  hat 
offenbar  viel  mehr  mit  Büchern  als  mit  dem  Lehen  zu  thun.  Seine  treffenden 
Gleichnisse,  um  die  ihn  der  Student  der  Theologie  mit  Beeht  beneidet,  sind  wohl 
häutig  der  Natur  und  dem  Loben  entnommen:  aber  es  haftet  seiner  ganzen  Denk- 
weise ein  abstrakter  Zug  an  es  fehlt  die  derbe  Gesundheit  des  praktischen 
Lebens.  Und  mit  dieser  Frage  sind  wir  auch  schon  an  der  Grenze  angelangt, 
wo  die  litterarische  Physiognomie  und  das  Lebensbild  einander  berühren.  Der 
Autokrat  ist  aus  gutem  Hause,  denn  kein  Emporkömmling  würde  so  über  self- 
made  men  sprechen,  wie  es  Holmesthut;  eine  gewisse  literarische  Überlieferung 
dürfte  in  dem  Hause  von  einem  Geschlecht«'  zum  andern  vererbt  worden  sein. 
Was  die  Lebensstellung  betrifft,  so  spricht  alles  dafür,  dass  wir  es  mit  einem 
Manne  der  Wissenschaft  zu  thun  haben,  und  zwar  könnte  man  wohl  an  exakte 
Wissenschaften  denken,  etwa  an  Physiologie  oder  Psycho- Physik. 


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419 


Biographische  Blätter. 


Je  weiter  wir  in  der  Lektüre  der  Tischgespräche  vordringen,  desto  schärfere 
Züge  gewinnt  das  Antlitz  des  Schriftstellers,  desto  deutlicher  treten  die  Umrisse 
einer  vollständigen  Biographie  hervor.  Schon  der  erste  Band  bereitet  uns  darauf 
vor,  dass  die  Dreifaltigkeit  von  „Autokrat**,  „Professor"  und  „Dichter"  eine  nichts 
weniger  als  mystische  Einheit  ist.  Holmes  hält  nämlich  vom  Anfang  bis  zum 
Ende  die  Fictiort  aufrecht,  dass  drei  Freunde,  nämlich  der  „ Selbstherrscher"  des 
eisten  Bandes,  dann  der  Professor  und  endlich  der  Dichter  der  Reihe  nach  im 
boarding-house  wohnen  und  dort  die  Theilnehmer  am  Frülistüekstiseh  mit 
ihren  Gesprächen  unterhalten.  Hören  wir  nun,  wie  der  „Selbstherrscher1*  sein 
Verhältnis  zu  den  beiden  Freunden  beschreibt. 

„Ich  schätze  mich  glücklich,  den  Professor  und  den  Dichter  zu  meinen 
intimen  Freunden  zu  zähleu.  "Wir  sind  so  viel  beisammen,  dass  wir  ohne  Zweifel 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  in  gleicher  Weise  denken  und  sprechen;  trotzdem 
hat  jeder  von  uns  vielfach  seinen  eigenen  individuellen  Standpunkt. 

Der  Professor  (der  Physiologie)  hält  sich  für  einen  sehr  nützlichen  und 
ehrenwerthen  Arbeiter.  Er  hat  einen  gewissen  Stolz  auf  sein  Können.  Ich 
weiss,  dass  er  auf  Treue  grosse  Stücke  hält;  wenn  er  daher  im  Stillen  manchmal 
über  die  G  rossthuerei  der  Wissenschaft  lächelt,  die  da  Schritt  hält,  aber  nicht 
weiter  kommt,  während  die  Fahnen  flattern  und  die  grosse  Trommel  schlägt,  so 
hat  er  doch  grosse  Liebe  zu  seiner  Spezialität  und  Achtung  für  alle,  die  sie 
pflegen. 

Hört,  was  der  Professor  jüngst  zun»  Dichter  sagte.  Mein  Junge,  sagte 
er,  ich  kann  um  Vieles  billiger  arbeiten  als  du,  weil  ich  meine  Waare  in  einem 
niederen  Stockwerke  halte.  Du  musst  die  deinige  in  die  oberen  Kammern  des 
Gehirns  hinaufziehen  und  dann  erst  wieder  für  deine  Kunden  hinunterlassen.  Ich 
nehme  die  meinige  vom  ebenen  Boden  auf  und  schicke  sie  von  der  Thüi*sehwelle 
ab,  fast  ohne  sie  zu  heben.  Ich  sage  dir,  je  höher  einer  das  Rohmaterial  der 
Gedanken  zu  schleppen  hat.  bevor  er  es  verarbeitet,  desto  mehr  Blut,  Nerven 
und  Muskeln  wird  es  ihn  kosten.  Colcridgc  wusste  sehr  wohl,  warum  er  jedem 
Schriftsteller  rieth,  sich  einem  Berufe  zu  widmen.  — 

Manchmal  unterhalte  ich  mich  gerne  mit  «lein  einen,  manchmal  mit  dem 
andern  von  ihnen.  Nach  einer  Weile  werden  mir  beide  zuwider.  Wenn  ich  einen 
solchen  Anfall  von  Bildungsekel  habe,  so  greife  ich  zu  meinem  —  Hobel.  Eine 
mechanische  Beschäftigung  ist,  wenn  die  geistigen  Fähigkeiten  abgespannt  sind, 
eine  wahre  Erlösung." 

An  einer  anderen  Stelle  hören  wir.  dass  der  Professor  nicht  nur  Vor- 
lesungen halten,  sondern  auch  Gedichte  machen  konnte;  und  wir  bekommen  sogar 
eine  vortreffliche  Probe  zu  hören.  Aber  statt  des  Gedichtes  will  ich  hier  eine 
andere  und  bessere  Probe  von  der  dichterischen  Begabung  des  ,,  Professors"  geben, 
nämlich  einen  Ausspruch,  den  der  ..Autokrat"  in  seinem  Namen  berichtet. 

,,Die  Menschenseele  hat  eine  Reihe  von  konzentrischen  Hüllen  um  sich,  wie 
der  Kern  einer  Zwiebel  oder  die  innere  Schachtel  eines  Schachtelsystems.  Zuerst 
kommt  die  natürliche  Hülle  von  Fleisch  und  Blut;  dann  kommen  die  künstlicheu 
Decken  mit  ihren  festen  Stötten,  leichten  Geweben  und  bunten  Farben;  drittens 
folgt  die  Wohnung,  sei  sie  ein  einziges  Zimmer  oder  ein  stattlicher  Palast;  end- 
lieh kommt  die  ganze  sichtbare  Welt,  mit  welcher  die  Zeit  den  Menschen  wie 
mit  einem  losen  Mantel  umhüllt.  Wer  scharf  beobachtet,  wird  finden,  dass  die 
Kleider  oder  Hüllen  des  Menschen  sich  mit  der  Zeit  seiner  individuellen  Natur 
anschmiegen.  Jedermann  kann  dies  leicht  an  seinem  Hute  bemerken,  wenn  er 
einmal  versuchen  will,  ihn  verkehrt  aufzusetzen;  er  wird  dann  sehen,  dass  der 
Filz  ein   Hohlgnss  des  Schädels   mit    allen   unregelmässigen  Ausbuchtungen  und 


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Oliver  Wendeil  Holmes. 


420 


Eindrücken  ist.    So  nehmen  alle  oben  genannten  Hüllen  des  Menschen  ihre  Gestalt 
von  dem  Individuum  an.   das  sieh  darunter  befindet,   sogar  der  Himmel,   der  - 
allerdings   etwas  lose  —   sein  Haupt   bedeckt.    Bauern,   Seeleute,  Astronomen, 
Dichter.  Liebhaber,  verurtheilte  Verbrecher  —  alle  sehen  ihn  verschieden,  nach 
den  verschiedenen  Augen,  mit  denen  sie  ihn  betrachten. 

Auch  unsere  Häuser  schmiegen  sich  unserer  inneren  und  äusseren  Natur 
an.  Ich  hatte  keine  Ahnung,  sagte  der  Professor,  welche  ungeheure  Menge  von 
Wurzeln  ich  während  der  zwanzig  Jahre,  dass  ich  in  meinem  Hause  lebte,  in 
demselben  gefasst  hatte.'' 

Ich  wollte,  ich  könnte  Holmes  auf  mehreren  Bogen  das  Wort  lassen  und 
es  dem  Leser  ruhig  anheimstellen,  sich  ein  vollständiges  Bild  von  dem  Sehrift- 
sreller  und  Menschen  auszumalen.  Aber  Kaum  und  Zeit  legen  ihr  Veto  ein.  und 
ich  muss  endlich  darangehen,  die  Probe  zu  machen,  oder  vielmehr  den  Beweis 
zu  erbringen,  dass  der  Versueh.  den  Autor  aus  seinen  Schriften  zu  ersehüessen, 
in  diesem  Falle  berechtig  und  leicht  durchzuführen  war. 

Oliver  Wendeil  Holmes,  am  29.  August  1809  geboren,  stammte  in  der 
Tbat  aus  einer  der  besten  und  ältesten  Familien  von  Cambridge  in  Massachusetts, 
und  alle  die  Merkmale,  welche  er  zur  Charakteristik  des  man  of  family  angiebt 
<The  Autocrat  at  the  Breakfast-Table),  treffen  bei  ihm  zu.  Mit  grosser  Liebe 
verweilt  er  Öfters  bei  den  Erinnerungen  an  seine  Vorfahren ;  im  hohen  Alter  wird 
dieser  Familienstolz  ein  klein  wenig  zur  Schwäche.  So  ist  das  Titelblatt  seines 
letzten  Werkes  ..Heim  Tbec*  (Over  the  Teacups)  mit  einer  altmodischen  Thee- 
kanne  geschmückt .  deren  Geschichte  uns  der  greise  Schriftsteller  nicht  vorent- 
halten kann.  Die  Kanne  war.  wie  die  Inschrift  sagt,  ein  Geschenk  der  Schüler 
an  ihren  Lehrer,  im  Jahre  173H.  Der  Empfänger.  Henry  Flynt,  war  ein  Jung- 
geselle, und  die  Kanne  kam  an  seine  Nichte  Dorothy  (Quincy)  Jackson,  von 
dieser  an  ihre  Tochter  Mary  (Jackson)  Wendell,  von  dieser  an  ihre  Tochter 
San\h  (Wendell)  Holmes,  und  von  dieser  an  ihren  Sohn,  dem  wir  die  reizenden 
Tischgespräche  verdanken.  Wir  haben  somit  an  Holmes  ein  Beispiel  eines 
amerikanischen  Aristokraten,  wie  wir  sie  bei  Nathaniel  Hawthorne  z.  B.  in  dem 
Romane  ..The  House  of  the  Seven  Gahles"  mit  so  viel  Kunst  und  Hingebung 
geschildert  finden. 

Von  seiner  Mutter  hat  Holmes  einen  starken  Einschlag  norddeutschen  Blutes, 
denn  Sarah  stammte  in  gerader  Linie  von  Evart  Jansen  Wendell  ab,  der  im  Jahre 
1040  seine  ostfriesische  Heimath  mit  der  neuen  Welt  vertauschte.  Seinem  Vater 
hat  Holmes  in  dem  Gedichte  ..Ein  Familiendokument"  ein  liebevolles  Penkmal 
gesetzt,  abgesehen  davon,  dass  er  auch  sonst  bei  mehr  als  einer  Gelegenheit  des 
geistlichen  Herrn  gedenkt. 

Holmes  wuchs  in  einem  Reiche  der  Röcher  und  der  Buchgelehrsamkeit  auf: 
das  Haus,  in  welchem  er  wohnte,  war  seit  der  Erbauung  stets  der  Aufenthalt 
von  Revereuds  und  Univei-sitätswürdenträgern  gewesen,  und  solche  Herren  waren 
es  auch,  an  die  sich  Holmes  aus  seiner  frühesten  Kindheit  erinnern  konnte,  so 
z.  B.  an  den  Reverend  Eliphalet  l'earson.  den  Professor  der  hebräischen  und 
anderen  orientalischen  Sprachen  an  der  Harvard-Universität,  dessen  vorsündfluth- 
licher  Name  und  andere  Eigentümlichkeiten  ihm  in  der  Phantasie  des  Kindes 
übermenschliche  Proportionen  verliehen.  I >ie  ersten  Erlebnisse  des  Dichters  sind 
auf  diese  Weise  mit  der  Theologie  und  Gelehrsamkeit  verknüpft,  deren  Ver- 
körperung, die  Harvard-Universität,  dem  väterlichen  Hause  gegenübeistand.  Hohnes 
hat  uns  dieses  Haus  und  die  an  demselben  haftenden  Erinnerungen  im  ersten 
Kapitel  seines  Werkes  ..The  Poet  at  the  Breakfast-Table"  geschildert,  und  ich 
kann  es  mir  nicht  versagen,  wenigstens  einige  Zeilen  daraus  zu  zitiren. 


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421 


Biographische  Blätter. 


.Jeder  Amerikaner  ist  wie  ein  Kukuk  —  er  schlägt  sein  Heim  im  Neste 
eines  anderen  Vogels  auf.4, 

..Die  Art,  wie  Mutter  Eide  einen  Knaben  behandelt,  ist  bestimmend  für 
seine  natürliche  Theologie.  -Miel»  «hängten  die  sehlechten  Erfahrungen  mit  meinem 
Garten  zu  der  Weltanschauung  der  Maniehäcr." 

Holmes  absolvirte  seine  Studien  an  der  Harvard- Universität  und  sollte  dann 
in  die  juridische  Praxis  eintreten;  aber  schon  nach  einem  Jahre  warf  er  sich  auf 
die  Medizin,  die  er  unter  dem  in  den  Tischgesprächen  viel  genannten  und  viel 
gerühmten  Dr.  Jackson,  dann  in  Paris  studirte.  Der  Aufenthalt  in  Paris  hat 
für  mehr  als  einen  Denker  und  Schriftsteller  germanischer  Kaee  einen  Wende- 
punkt bedeutet  ;  Holmes  wurde  in  der  Metropole  der  Leichtlcbigkeit,  des  gesunden 
Menschenverstandes  und  des  Skeptizismus  die  ererbte  puritanische  Gesinnung  für 
immer  los.  die  in  der  altamerikanisch-orthodoxen  Umgebung  von  Cambridge  etwas 
herb  gerathene  Ausdrucksweise  des  Pastorsohns  wurde  in  der  warmen  Sonne  der 
französischen  Unterhaltung  reif  und  mild.  Ich  bin  geneigt  ,  die  Anmuth  unseres 
Schriftstellers  zum  grossen  Theile  auf  die  in  Paris  verbrachten  .lugendtage  zurück- 
zuführen. Holmes  spricht  nicht  gerade,  oft  von  Paris:  aber  wenn  es  geschieht, 
trägt  die  Reminiszenz  all  die  Grazie  an  sich,  die  sofort  französischen  Ursprung 
verräth.    Ich  will  ein  Heispiel  zitiren. 

..Es  war  mein  Geburtstag."  erzählt  Holmes  in  dem  Hände,  welcher  ..Am 
Thectiscb"  betitelt  ist.  ..und  Freunde  von  nah  und  fern  stellten  sich  mit  allerhand 
sinnigen  Geschenken  ein. 

Wie  alt  ich  bin?  Ich  habe  voriges  .lahr  die  Achtzig  überschritten.  Ich 
komme  mir  wie  ein  unberufener  Eindringling  vor.  der  in  einer  Welt  umhergeht, 
die  einem  anderen  Geschlechte  gehört.  Die  Kinder  meiner  Altersgenossen  sind 
grau  und  kahl,  und  ihre  Kinder  wollen  die  Welt  für  sich  haben,  nicht  für  ihre 
Eltern  und  Grosseltern.  Aber  andererseits  füllt  mir  eine  Behauptung  der  Wissen- 
schaft ein.  dass  das  menschliche  Leben  natürlicher  mit  hundert  als  mit  siebzig 
.lahre n  abschliessc.  Und  da  erinnere  ich  mich  einer  Erfahrung  aus  den  Pariser 
Cafes,  die  mir  in  meinen  jungen  Jahren  wohl  bekannt  waren.  Ein  Gast  sitzt  an 
seinem  Tischchen.  Er  hat  eben  seinen  Kaffee  getrunken,  und  der  Kellner  bringt 
ihm  sein  petit  verre.  „Gamm!  et  le  bain  de  pieds!4*  ruft  ihm  der  Gast  nach. 
Das  Gläschen  steht  auf  einer  Untertasse,  und  es  ist  üblich,  es  so  zu  füllen,  dass 
der  Cognac  über  den  Band  in  die  Untertasse  tliesst. 

Das  Leben  ist  auch  so  ein  petit  verre  von  ganz  besonderem  Saft.  Wenn 
man  die  Achtzig  erreicht  hat,  ist  das  Gläschen  voll  —  aber  manchmal  gewählt 
uns  das  Schicksal  noch  ein  bain  de  pieds." 

Im  Jahre  183«  kehrte  Holmes  nach  Amerika  zurück,  erwarb  in  Cambridge 
den  Doktorgrad  und  wurde  wenige  Jahre  darauf  Professor  der  Anatomie  und 
Physiologie  am  Darmouth  College;  1841  gab  er  die  Professur  auf  und  liess  sich 
in  Hoston  als  praktischer  Arzt  nieder.  1H47  wurde  er  als  Professor  der  Ana- 
tomie an  die  Harvard-Universität  berufen,  und  in  dieser  Stellung  verblieb  er,  bis 
ihn  im  Jahre  1882  hohes  Alter  zwang,  die  Lehrthätigkeit  aufzugeben. 

Dr.  Holmes  hat  ausser  den  für  diese  Skizze  benützten  Prosaschriften  und 
Gedichten  eine  ganze  Keine  von  rein  wissenschaftlichen  Werken  veröffentlicht, 
welche  von  berufener  Seite  sehr  hoch  gestellt  werden.  Von  dem  Buche  „Meeha- 
nism  of  Thought  and  Morals"  (1871)  sagte  ein  englischer  Physiologe,  es  habe 
für  das  Gebiet  der  Psychologie  Ähnliches  geleistet  wie  Tyndall's  Publikationen  auf 
dem  Gebiete  der  Physik  —  nur  in  noch  besserer  Form.  „Border  Lines  of  Knowledge- 
behandeln verwandte  Probleme;  dagegen  gehören  andere  Schriften  wie  „Ourrents 
and  (  nunter  Currents  in  Medical  Science-4  ausschliesslich  dem  Gebiete  der  Medizin  an. 


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Gottfried  Keller  als  Maler.  422 

Aber  so  .schnell  die  Liste  der  vom  „Professor"  herrührenden  Werke  er- 
schöpft ist.  so  zahlreich  sind  die  Gaben,  die  wir  dem  „Dichter-  verdanken.  Ernste 
und  heitere  Gelegenheitsgedichte  bilden  die  weitaus  grössere  Mehrheit  der  ver- 
schiedeneu Sammlungen,  von  denen  die  erste  schon  im  .lahre  1880.  die  letzte  erat 
1^88  erschien.  Eine  besondere  Berühmtheit  genoss  Hohnes  wegen  der  humoristi- 
schen Gedichte,  welche  er  bei  feierlichen  Symposien  vortrug.  Die  „Xux  Post- 
cuenatica",  welche  gelegentlich  des  Charles  Dickens  gegebenen  Diners  gedichtet 
wurde,  wird  von  Engländern  und  Amerikanern  als  das  beste  Gedicht  dieser  Gat- 
tung bezeichnet. 

Gottfried  Keller  als  Maler. 


Von 

EDUARD  ZETSCME. 


Zwei  innerhalb  Jahresfrist  erschienene  Schriften  mit  dem  gleichlautenden 
Titel:  „Gottfried  Keller  als  Maleru  hatten  uns.  wie  natürlich,  alsbald  wieder  zu 
Gottfried  Keller  dem  Dichter  zurückgeführt,  zumal  zu  jenen  Theilen  seiner  Werke, 
die  uns  den  lebendigsten  Kommentar  zu  seinen  malerischen  Arbeiten  bilden:  den 
Briefen,  welche  Bacchtolds  Keller-Biographie  mittheilt,  den  beiden  prächtigen  Auto- 
biographien des  Xaehhiss-Bandes  und  vor  Allem  zum  „Grünen  Heinrich-,  der  ja 
nun  mit  vollkommener  Gewissheit  als  das  getreue  Abbild  insbesondere  der  male- 
rischen Lehr-  und  Wanderjahre  Gottfried  Kellers  selbst  betrachtet  werden  kann. 
Indern  wir  uns  nun  abermals  tief  in  dieses  wunderreiche  Buch  hineinlasen,  das 
wir  vor  .lahren  bereits  in  seiner  ersten  Gestalt  kennen  gelernt  hatten,  erging  es 
uns  insofern  seltsam  bei  dieser  erneuerten  Lektüre,  als  wir  dabei  immer  wieder 
eines  anderen  Buches  gedenken  mussten.  das  wir  in  der  Zwischenzeit  mit  dem 
stärksten  Eindrucke  in  uns  aufgenommen  hatten  —  eines  Buches,  das  stofflich 
verwandt,  und  doch  so  himmelweit  verschieden,  ebenfalls  die  Lebensgeschichte  eines 
unglücklichen  Maler-Genies  darstellt  -  wir  meinen  „T  Oeuvre"  von  Emile  Zola. 
Schon  die  äusseren  Schicksale,  die  äussere  Form  dieser  beiden  Malergeschichten 
trennt  ein  Abgrund.  Der  „grüne  Heinrich",  die  echte  .Fugendarbeit  eines  deut- 
schen Dichters,  ein  „ungeheuerliches  und  formloses  Werk",  wie  es  Keller  selbst 
nennt,  erschien  mit  seinen  vier  Bänden  im  Jahre  1 8"i4.  und  noch  im  Winter 
von  1878  auf  79  konnte  der  Dichter  den  nicht  unbeträchtlichen  Best  der  ersten 
Auflage  des  Bomans  (den  er  umarbeiten  wollte),  etwa  3WJ  Bände,  zum  Einheizen 
verwenden!  Und  erst  in  den  letzten  Jahren,  seitdem  Kellers  Kuhm  eine  aus- 
gemachte und  wohl  gnranfirte  Sache  ist,  hat  es  dieses  sein  Werk  Iiis  zur  12.  Auf- 
lage gebracht,  was  in  germanischen  Landen  schon  geradezu  einen  grossen  Erfolg 
bedeutet.  Dagegen  verzeichnet  Zolas  ..l  oeuvre"  schon  das  88.  Tausend  —  eine 
an  sich  gewiss  schöne  Ziffer,  die  aber  doch  fast  ein  Misserfolg  genannt  werden 
inuss,  angesichts  der  Auflagen,  welche  ..Nana-  .  „lassoinmoir".  Ja  terre*4  des- 
selben Cyclus  aufweisen:  Bücher,  denen  das  liebe  grosse  Publikum,  offenbar  in 
seiner  sittlichen  Entrüstung  über  die  Tiefe  des  Schlammes,  in  welcher  sie  wühlen, 
schon  zur  171.  resp.  zur  132.  und  H>7.  Auflage  verholfen  hat.  Zolas  „Toeuvre" 
ist  nicht  wenig  bewunderungswürdig  durch  die  Geschlossenheit  seiner  Form.  <lie 
strenge  Beschränkung  auf  das  Problem,  die  erbarmungslose  Folgerichtigkeit,  mit 
der  es  sein  Thema  entwickelt,  aufbaut,  steigert  bis  zu  den  grausigen  Szenen  der 
Kchluss-Katastrophe.     (  laude  Lautier,  der  Held,  ist  nur  Maler  und  kann  nichts 


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423 


Biographische  Bltttter. 


anderes  sein,  er  mag  nicht  bürgerlich  leben  und  glücklich  sein,  wie  ihm  seine 
Kran  vorschlägt,  sondern  er  will  malen,  er  zieht  vor  „zu  malen  und  daran  zu 
sterben".  Wohl  ist  er  genial  begrabt,  aber  er  ist  ein  rgenie  incomplet-,  unfähig, 
der  von  ihm  gefundenen  Formel  des  Heils  -  dem  noch  heute  so  berühmten  ..plein 
air1  auch  zu  vollendetem  künstlerischen  Leben  zu  verhelfen.     Der   ,. grüne 

Heinrich-"  dagegen  geht,  ebenso  wie  sein  Schöpfer,  Gottfried  Keller  selbst,  nie 
völlig  im  Maler  auf.  Schon  von  seinem  zwölften  Jahre  an  »ficht  er  sieh  anhal- 
tendem Bücherlesen  und  dem  ..Anfüllen  wunderlicher  Schreibehüehor*"  hin.  ..ohne 
sieh  zu  besinnen,  liefert  er  bei  jedem  Anlass  den  verlangten  Stiefel"  —  schauer- 
liche Kitterstücke  oder  possenhafte  Keimereien.  Als  er  einige  Jahre  später  eines 
schönen  Märztages  die  sUmmtlichen  Werke  Goethes  entdeckte,  ..entfernte  er  sich 
von  selber  Stunde  an  nicht  mehr  vorn  Lotterbettehen,  wo  sie  aufgestapelt  lagen, 
und  las  4<>  Tage  lang,  indessen  es  dra'ussen  noch  einmal  Winter  und  wieder  Früh- 
ling wurde'"  ein  vierzigtägiges  Liegen  und  Lesen,  dem  alsbald  die  wunder- 
vollsten eigenen  Gedanken  über  den  lieben  Gott,  den  künstlerischen  Menschen  und 
das  Einfache  in  der  Kunst  entspriessten.  In  seiner  Münchner  Zeit  kommt  es  vor. 
dass  er  als  Student  aller  möglichen  Wissenschaften  Monate  lang  die  Universität 
besucht,  und  am  Schlüsse  dei-selben,  mitten  in  der  ärgsten  Bedrängniss.  erfasst. 
es  ihn  plötzlich,  dass  er  sich  hinsetzen  muss  um,  gar  nicht  mehr  sorgenorfülk. 
sondern  völlig  wie  in  freiem  Frühlingsbehagon,  Tage  und  Tage  hindurch  seine 
eigene  Lebensgeschichte  niederzuschreiben.  Zolas  Buch,  durchaus  nicht  ohne  Poesie, 
wirkt  doch  weit  mehr  noch  durch  die  Strenge  seiner  Lebenswahrheit,  den  fast 
wissenschaftlichen  Ernst,  die  Objektivität,  mit  welchen  das  Problem  uach  den  ge- 
wissenhaftesten Studien,  den  vielberufenen  ..documents  humains".  dargestellt  ist. 
Kelb  i"  dagegen  giobt  sich  so  schrankenlos  subjektiv  wie  nur  denkbar,  seine  Studien 
zum  ..grünen  Heinrich"  sind  die  allerbesten,  denn  es  ist  ja  immer  wieder  sein 
eigenstes  Wesen  und  Leben,  das  er  darbietet  und  zwar  darbietet  mit  einer  Lust 
am  Fabuliren  und  Spintisiren.  wie  sie  eben  doch  nur  einein  ganzen  Dichter  zu 
eigen  ist.  Hingerissen  von  ihr  schildert  er  Alles,  mag  es  auch  zuweilen  rebt 
weit  von  seinem  eigentlichen  Thema  hinwegführen :  die  wundersame  Geschieht»' 
vom  Meretlein  und  die  barocke  des  Zwiehan-Schädels.  die  Liebesgeschichten  seiner 
drei  Freunde  und  das  grosse  Künstlerfest  ebenso  wie  die  durch  zwei  Kapitel 
ziehenden  ..Heimaths-Träume".  In  beiden  Werken  liegt  eine  Fülle  von  Kraft, 
aber  Zola  verwendet  sie  fast  nur,  um  uns  niederzudrücken,  während  Keller,  ob- 
gleich auch  er  genugsam  melancholische  Wege  wandelt,  uns  trotzdem  unzählige 
Male  zu  erheben  und  zu  erfreuen  versteht.  In  ..l'oeuviv  wie  im  ..grünen  Hein- 
rich" sind  es  vornehmlich  die  ernsten,  ja  die  dunklen  Seiten  des  Künstler- lierub  s. 
die  uns  geschildert  werden:  das  ehrgeizige  Streben  zur  Höhe,  die  unablässige 
Sorge,  den  bereits  erlangten  guten  Namen  weiter  festzuhalten,  das  was  man  künst- 
lerischen Katzenjammer  (noch  kürzer  ..Kater  )  nennt,  die  Erkennt niss  der  eigenen 
Unzulänglichkeit,  der  Ohnmacht  gegenüber  dein  Ideal.  Darin,  in  diesen  allerdings 
etwas  bitter  schmeckenden  Vorzügen,  wüssten  wir  diesen  beiden  Büchern  au<  h 
nicht  entfernt  ein  drittes  an  die  Seite  zu  stellen,  und  Zola  wirkt  in  dem  seiniiren 
unleugbar  noch  eindringlicher  und  modern-realer,  mit  fast  erschütternder  Wucht : 
einerseits,  weil  er  sich  weit  mehr  zu  konzentriren  vermag,  und  andererseits.  \vil 
in  seiner  Uegabung  gerade  jene  milduiuschleierndcn  Eigenschaften  fehlen,  die  Keller 
in  so  i-eiehem  Maasse  verliehen  sind.  Denn  dieser  besitzt  vor  Allem  die  hiniiu- 
lisehc  Gabe  des  Humors  und  eine  immer  wieder  durchleuchtende  Welt-  und  Lehen*- 
freudigkeit :  er  ist.  mit  einem  geläutigen  Worte,  der  Optimist  gegenüber  dem  (wenig- 
stens damals  noch)  hartnäckigen  Pessimismus  des  französischen  Meisters.  lud 
nichts   ist    nun   interessanter,   als  zu  vergleichen,    wie  diese  beiden  so  grundver- 


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<  Jottfried  Keller  als  -Maler. 


4-24 


schiedenen  und  so  starken  Temperamente  über  das  künstlerische  Produziren  über- 
haupt, sowohl  des  Malers  wie  des  Schriftstellers,  sich  aussprechen.  Die  nationalen 
Eigentümlichkeiten  scheinen  hier  geradezu  vertauscht,  der  ra.«*chblütige  Franzose 
erscheint  tiefgründig,  pedantisch  und  grantig  bis  zur  Verdüsterung.*)  der  ..schwer- 
fallige*- Deutsche  und  ..nüchterne'4  Schweizer  vertritt  (als  Dichter)  beinahe  leicht- 
sinnig immer  wieder  die  erfreuende  Seite  des  berufenen  Schaffens,  das  er  als  fast 
mühelos  und  wie  von  selbst  kommend  hinzustellen  liebt. 

Zola  empfindet  das  (-reschenk  eines  künstlerischen  Talentes  durchaus  als 
ein  verhiingnissvolles.  mindestens  als  eine  harte  Last,  und  er  wird  nicht  müd«\ 
seine  Schriftsteller  und  Maler,  alte  und  junge,  werdende  und  berühmte  —  die 
verunglückenden  natürlich  erst  recht  —  in  immer  neue  Klagen  über  ihr  schweres 
Loos  ausbrechen  zu  lassen.  Zur  Künstlergesellschaft,  die  sich  in  ..l'oeuvrc"  be- 
wegt, gehört  auch  der  junge  Schriftsteller  Sandoz,  unverkennbar  Zola  selbst,  und 
so  ziemlich  die  einzige  zugleich  gesunde  und  sympathische  Männergestalt  im 
Buche;  er  entwickelt  seine  Theorie  des  naturalistisch-wissenschaftlichen  Romans, 
schreibt  schon  an  seinem  grossen  Cyclus  über  die  Rougon-Maequart's  und  hat 
bereits  die  ersten  Erfolge  zu  verzeichnen.  Wie  aber  äussert  er  sich  über  sein 
Schaffen:  ..Ach  ja-,  sagt  er.  ..ich  arbeite,  ich  treibe  meine  Bücher  bis  zur  letzten 
Seite  .  .  .  aber  wenn  Du  wüsstest  unter  welchen  Verzweiflungen,  inmitten  von 
welchen  (Qualen!  Und  dabei  ist  man  albern  genug,  mich  auch  noch  stolz  zu 
nennen!  mich,  den  die  Unvollkommcuheit-  seines  Werkes  bis  in  den  Schlaf  verfolgt, 
mich,  der  ich  niemals  das  am  Tage  vorher  Ceschriebene  wieder  lese,  aus  Furcht, 
es  so  abscheulich  zu  finden,  dass  mir  die  Kraft  zur  Fortsetzung  versagt!  .  .  . 
Ich  arbeite,  ja  ohne  Zweifel,  ich  arbeite  wie  ich  lebe,  weil  ich  dafür  geboren  bin. 
aber,  siehst  du.  heiterer  werde  ich  nicht  dadurch;  ich  bin  nie  befriedigt  und 
immer  sehe  ich  den  möglichen  Sturz  vor  mir!"  ..('  est  un  triste  metier"  sagt  er 
anderwärts.  Xeben  Sandoz  steht  der  Maler  Bongrnnd.  ein  grosser  Meister,  der 
aber  sein  bestes  Bild  bereits  gemalt  hat.  und  der  nun  beständig  von  der  Sorge 
gequält,  wird,  hinter  jener  berühmten  ..Hochzeit  auf  dein  Dorfe"  zurückzubleiben. 
..Welche  Tortur!  4  ruft  er  aus.  ..dieses  krampfhafte  Sichanklaminern,  um  von  der 
erreichten  Höhe  nicht  allznraseh  wieder  hinabzustürzen!4'  Mit  jedem  neuen  Bilde 
hat  er  das  unsichere  (Jefühl  eines  ersten  Debüts  -  ..es  ist  um  mit  dem  Kopfe 
gegen  die  Mauer  zu  rennen!4,  Dass  gegenüber  dieser  düsteren  Sprache,  die  Zola 
seine  Berühmten  und  Erfolgreichen  reden  lässt,  für  den  unglücklich  Strebenden, 
seinen  Helden  Claude,  nur  wenige  und  immer  seltener  werdende  .Lichtblicke  übrig 
bleiben,  ist  selbstverständlich.  Wohl  war  er  (Claude)  derjenige,  der  zuerst  das 
Fenster  aufstiess.  durch  welches  «las  helle  Sonnenlicht  in  die  ..verräucherte  Asphalt- 
Küche  der  Romantiker"  fiel,  aber  ihm  gelingen  nur  erste  Anläufe,  etliche  Natnr- 
studien.  ein  paar  Farbenskizzen;  seine  gigantischen  Bilder  gerathen  in  thörichte 
und  immer  gewaltthätigere  Übertreibungen.  Stets  zurückgewiesen,  jagt  er  ruhelos 
von  einer  Leinwand,  von  einer  Illusion  zur  andern  ---  vor  sich  das  „unaufhörlich 
erneuerte  und  nie  erreichbare  Trugbild,  das  den  Muth  der  Verdammten  der  Kunst 
antreibt,  eine  mitleidige  Lüge,  ohne  welche  es  kein  Schaffen  für  Jene  gäbe,  die 
daran  sterben,  dass  sie  kein  Leben  gestalten  können!" 

Alle  die  Schmerzen  nun  erfolglosen  und  unzureichenden  künstlerischen 
Strebens  hat  auch  Gottfried  Keller  als  Maler  reichlich  an  sich  erfahren.  Wollte 
man  nur  bei  ihm  allein  anfragen  in  Mezug  auf  sein  malerisches  Talent,  so  gäbe 
es  ein  bald  fertiges  LI rf heil.     Die  ganze  Darstellung  im  -grünen  Heinrich",  die 

*)  Zola  ist.  obwohl  in  Paris  gehören,  bekanntlich  seiner  Herkunft  nach  Italiener: 
seiner  ganzen  Art  und  Kunst  nach,  steht  er  italienischen  oder  spanischen  Klüt-  und  (irituel- 
tnalern  u.  E.  näher,  als  den  Franzosen.  A.  d.  II. 


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4 1>;) 


Biographisch«  Blatter. 


Stimmen  seiner  befreundeten  Kollegen  dort  die  allerdings  meist  wieder  Kellers 
»Stimme  sind  —  die  spateren  Briefe  des  Dichters,  sowie  stark  betonte  Stellen  in 
<lessen  selbstbiographischen  Aufsätzen  —  sie  alle  vereinigen  sich  zu  einer  nahezu 
eiumüthigen  Ablehnung  von  Kellers  malerischen  Arbeiten.  Dass  dieser  Fall  doch 
wesentlich  günstiger  stellt,  werden  wir  noch  weiterbin  zeigen  können,  aber  auch 
in  solchen  ablehnenden  Worten  unseres  Dichters  bewahrt  ihn  der  ungleich  grössere 
Beiehthum  seiner  Natur  vor  der  trostlosen  Einseitigkeit,  die  Zolas  eben  gekenn- 
zeichnete Äusserungen  athmen.  Es  wird  einem  förmlich  wieder  leichter  ums 
Herz,  indem  man  Worte  wie  die  folgenden  Kellers  liest:  „Die  Frage  des  Be- 
rufenseins  liisst  sich  nach  meiner  Meinung  mit  dem  trivial  scheinenden  Satze  be- 
antworten: Dasjenige,  was  dem  Menschen  zukommt,  kann  er  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  schon  im  Anfang,  ohne  es  sichtlich  gelernt  zu  haben,  oder  wenigstens 
ohne  dass  ihm  das  Lernen  schwer  fällt:  dasjenige,  dessen  Erlernung  ihm  schon 
im  Anfange  Yerdruss  macht  und  nicht  recht  von  statten  gehen  will,  kommt  ihm 
nicht  zu.  Unfähige  Lehrer  können  allerdings  manche  täuschende  Störung  und 
Umdrehung  dieses  Verhältnisses  bewirken,  indem  sie  in  einem  Falle  unverdient 
einschüchtern,  im  anderen  aufmuntern:  der  schliesslich^  Erfolg  wird  immer  der 
gleiche  sein.-  Gott  sei  Dank!  sagt  man  sich,  da  bleibt  denn  doch  noch  ein 
Ausblick  ollen  auf  leichte,  freie,  beglückende  Stunden,  das  Schaffen  des  Künstlers 
gleicht  also  nicht  durchaus  jeuer  freudlosen  Lastträger-,  ja  Strafhaus-Arbeit,  als 
welche  es  uns  soeben  der  wohl  erfolgreichste  Bomanschriftsteller  unseres  Planeten 
dargestellt  hat  !  Und  in  der  Tbat:  „Unversehens"  geriet h  denn  auch  Keller  in 
seine  Lyrik  hinein,  das  erste  Bändchen  seiner  Leute  von  Seldwyla"  entstand 
..ganz  spieleud".  wurde  in  einem  glücklichen  Zuge  niedergeschrieben  und  auch 
von  seinem  ..grünen  Heinrich",  dessen  Vollendung  ihm  allerdings  nicht  geringe  (^ual 
bereitete,  muss  er  doch  gestehen,  in  welches  Fabuliren  er  bei  ihm  immer  wieder 
hincingerieth  und  welche  „unbezwingliehc  Lust"  er  darin  fand,  sich  den  Lebens- 
morgen  desselben  zu  erfinden.  Köstlich  ist  der  leichtsinnige  Humor,  mit  dem 
Keller  über  den  Werth  derselben  ..Zeilen  und  Einfälle  vom  Tage  vorher-  spricht, 
vor  deren  Wiederlesung  Zola  (in  unserem  früheren  Cit«t)  eine  so  grosse  Furcht 
empfindet:  „Was  die  Einfälle  betrifft,  so  ist  es  eine  eigene  Sache  mit  denselben 
und  es  gehört  ein  Rafael  dazu,  jeden  Strich  stehen  lassen  zu  können,  wie  er  ist. 
AVie  manche  Blume,  die  man  in  aufgeregter  Abendstunde  glaubt  gepflückt  zu 
haben,  ist  am  Morgen  ein  dürrer  Strohwisch!  Wie  manches  schimmernde  Gold- 
stück, welches  man  am  Werktage  gefunden,  verwandelt  sich  bis  an  einen  stillen 
heiteren  Sonntagmorgen,  wo  man  es  wieder  besehen  will,  in  eine  gelbe  Rüben- 
schnitte! Man  erwacht  in  der  Nacht  und  hat  einen  sublimen  Gedanken  und  freut 
«ich  seines  Genies,  steht  auf  und  schreibt  ihn  nieder  beim  Mondschein,  im  Hemde 
und  erkältet  die  Füsse;  und  siehe,  am  Morgen  ist  es  eine  lächerliche  Trivialität, 
wo  nicht  gar  ein  krasser  Unsinn!  Da  heisst  es  aufpassen  und  jeden  Pfennig 
zweimal  umkehren,  ehe  man  ihn  ausgiebt!"  (Siehe  die  jugendlich  radikale  Studie 
über  „Jeremias  Gottheit"".)  Alles  das  jedoch:  der  sichere  Übermuth,  das  sonnige 
Behagen,  das  ruhige  Vertrauen  auf  die  gute  Stunde  und  den  goldenen  Schatz. 
c>  blieb  Keller  noch  für  eine  gute  Weile  vorbehalten,  denn  dieser  spätere,  so 
glückliche  und  beglückende  Schriftsteller  wurde  fürs  erste  Landschafts-Maler. 

In  unserer  eigenen,  wie  in  den  Litteraturen  der  Fremde,  fehlt  es  durchaus 
nicht  an  alten  und  neueren  Beispielen  von  sehr  oder  minder  berühmten  Dichtem, 
die  hierin  einen  dem  Entwicklungsgänge  Kellers  ähnlichen  zurückgelegt  haben, 
die  oft  ihr  ganzes  Leben  hindurch  einen  mehr  oder  weniger  innigen  Zusammenhang 
mit  der  bildenden  Kunst,  zumal  der  Malerei,  aufrecht  erhielten.  Wir  nennen  in 
bunter  Beihe  die  Namen  Goethe.  Victor  Hugo.  E.  T.  A.  HotVmann.  die  Goncourts, 


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(iottfried  Keller  als  Maler. 


4'2V> 


Victor  Scheffel.  Adalbert  Stifter.*)  Sie  alle  folgten  dabei  zweifellos  einer  innereu 
Notwendigkeit  ihrer  Natur,  dem  noch  unklaren  Drange  nach  anschaulicher  Dar- 
stellung überhaupt.  Der  romantische  (ilanz.  der  seit  jeher  den  Beruf  des  Malers 
umgiebt,  die  unmittelbare  farbige  Wirkung  des  Bildes,  die  Grösse  und  Unschuld 
der  bereits  auf  endlosen  einsamen  Wanderungen  genossenen  Natur,  der  Drang  in 
die  Ferne  —  indem  sie  alle  zusammenwirken.  Ist  eines  schönen  Tages  der  junge 
Landschaftsmaler  feitig  und  damit  freilich  zugleich  ein  Irrthum,  der  mehr  oder 
minder  schmerzensreich  werden  soll,  aber  doch  auch  fruchtbringend  für  späterhin. 
l>enn  inmitten  der  nun  folgenden  Kämpfe  um  einen  Siegespreis,  der  ihm  hier 
schliesslich  versagt  bleiben  soll,  hat  doch  sein  Malerauge  nicht  umsonst  rastlos, 
scharf  und  liebevoll  das  reiche  Bild  der  Welt  ringsum  in  sich  gesogen;  denn  als 
dann  eines  noch  schöneren  Tages,  plötzlich,  seiner  selbst  unbewusst,  der  Poet  in 
ihm  ersteht,  da  bringt  er  auch  schon  eine  Sprache  mit  von  einer  Anschaulichkeit 
und  sinnlichen  Fülle,  eine  (iahe  zu  Naturschilderungen  so  innig  und  von  so 
leuchtender  Farbigkeit,  wie  sie  ihm  gewiss  nicht  geworden  wären,  ohne  jene 
malerische  Vorschule.  In  einem  Briefe  an  Berthold  Auerbach  feiert  Otto  Ludwig 
den  Dichtei-  der  „Leute  von  Seldwyla-  denn  auch  als  grossen  Koloristen:  „Der 
Teufelskerl,  der  Keller,  hat  ein  wundervolles  Kolorit  in  seiner  Macht:  so  tiefe, 
glühende  Farben  hat  nur  Giorgione  oder  Tizian.-  Und  in  einem  Gespräche  mit 
Adolf  Frey  sagt  Keller  selbst,  bei  der  Bildung  seiner  Sätze  sei  ihm  oft  ..weit 
weniger  das  Ohr  »massgebend,  als  das  Auge  des  Malers,  das  nach  einer  gewissen 
Itundung  strebt". 

Wie  nun  Gottfried  Keller  Maler  wurde,  oder  richtiger,  wie  er  es  zu  werden 
versuchte,  das  ist  auf  vielen,  vielen  und  doch  nicht  zu  vielen  Seiten  des  „grünen 
Heinrich"  ausführlich  beschrieben  und  man  kann  nichts  Besseres  thun.  als  sich  in 
die  blühenden  Bezirke  dieser  wahrheitsvollen  Dichtung  zu  verlieren  —  immer 
wieder  erstaunt,  gerührt,  bezaubert  durch  die  Fülle  und  die  Vielfältigkeit,  ihrer 
Offenbarungen. 

Der  grüne  Heinrich,  aus  der  Schule  verwiesen,  flüchtet  zur  Mutter  Natur, 
wandert  hinüber  zu  seinen  ländlichen  Verwandten,  und  hier,  inmitten  dieser  weit- 
verzweigten Sippschaft  mit  ihrer  frischen  .lugend  und  den  weise-bedächtigen  Alten, 
umgeben  von  einer  Natur,  in  deren  Schönheit  geheimnissvoll  eine  grosse  geschicht- 
liche Vergangenheit  hereindämmert  hier  erwacht  seine  junge,  eben  noch  so 
gedrückte  Seele  beglückt  zu  neuem  Leben.  Halb  tapfer  mitgeniessend ,  halb  er- 
füllt von  den  unbestimmten  Wonnen  des  kommenden  Künstler- Berufes  fühlt  er  sich 
in  der  sicheren  Hut  zweier  neu  gewonnenen  Schutzgeister:  des  lieben  Gottes,  als 
des  besonderen  Freundes  und  Patrons  der  Landschaftsmaler  und  Anua's.  des 
Schulmeisters  Töchterlein.  Ks  ist  die  Zeit  der  ersten  Studien  und  der  ersten 
Küsse.  Die  schwärmerischen  Worte  aber,  die  Keller  seinem  grünen  Jungen  dem 
Schulmeister  gegenüber  in  den  Mund  legt,  sie  sind  gut  modern,  weisen  jedenfalls 
alle  Malerei  von  blossen  Veduten  weit  hinweg:  rDie  Landschaftsmalerei  besteht 
nicht  darin,  dass  man  merkwürdige  und  berühmte  Orte  aufsucht  und  nachmacht, 
sondern  darin,  dass  man  die  stille  Herrlichkeit  um!  Schönheit  der  Natur  betrachtet 
und  abzubilden  sucht,  manchmal  eine  ganze  Aussicht  wie  dieser  See  mit  den 
Wäldern  und  Bergen,  manchmal  einen  einzigen  Baum,  ja  nur  ein  Stücklein  Wasser 
und  Himmel-.  Das  mannigfachste  Missgeschick  sollte  leider  die  malerischen 
Lehrjahre   unseres  Hehlen  begleiten:   unzureichende  Mittel,   schwindelhatte  oder 


* »  I n  Paris  halten  vor  ein  paar  Jahren 
entsinnen  wir  uns  recht  unter  dein  scherzhaften 
von  (iem.'ilden.  Federzeichnungen   und  anderen 
Werken  der  bildenden  Kunst  veranstaltet. 

Biographische  Blatter.  I. 


Theophil  (iautiers  Freunde  und  Schüler  -- 
Tit'd  I'oil  et  plunie  ••■  eine  Ausstellung 
durchaus  von  Schriftstellern  herrührenden 

A.  d.  H. 

2?s 


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427 


Biographische  Blatter. 


kranke  Lehrer  wie  Habersaat  iPeter  Steitrer)  und  der  wahnsinnige  Börner  iMcver 
aus  Alfdorf) .   endlich   überhaupt   eine   schlimme   und    unklare  Überiranirszeit  in 
malerischen  Diniren.     Haid   schlecht   jreleitet,    bald   eijjeiisinniir   einer  verfrühten 
Selbstständigkeit  ergeben,  irerieth  Kellers  Kunst übun<r  früh  in  "Willkür  und  natur- 
lose Manier,  die  er  eigentlich  nie  mehr  irnnz  zu  überwinden  vermochte,  Jeden- 
falls auch  in  München  noch  nicht,  das  er  endlich,  der  heimathlichcn  Kns^e  entrinnend, 
aufsuchen  konnte  (1*40—4*2).  und  das  er  yerade  zur  unglücklichsten  Zeit  betrat, 
v.  Berlepsch   hat    in    seinem  Büchlein  „(Jotffried  Keller   als  Maler*    mir  voll- 
kommener Sachkenntniss  alle  Stimmen  über  jene  Münchener  Taire  gesammelt  und 
kennzeichnet,  zumeist  mit  den  "Worten  K.  L.  Zimmermann  s  und  Fr.  I'ccht's.  an- 
schaulich,   halb  ergötzlich,    halb  betrübend,  jene  für  so  vieles  Andere  doch  als 
irlorreich  «reitenden   Kunstverhältnissc  unter  Ludwi?  I.     Die  Zeit  der  Klassik,. r 
und  Romantiker   war   eben  daran  vorbei  zu  sein,    die  Zeit  der  jredankenreichen 
Hand-Zeichnuniren  und  grossen  Kartons  —  Alles,  zumal  die  Juirend.  dränirte  nach 
etwas  Anderem,   einem    Neuen   „das  noch    in   der  Luft  sehwebte",  es  war  die 
Farbe,  die  eigentliche  Malerei.    Kiniife  der  sehr  berühmten  alten  Herren  sprachen 
sich  allerdings  über  diese  letztere  ziemlich  verächtlich  aus  —  meist  aus  leicht  zu 
erratbendem  (i runde-       alle  Ühritren  aber.  Alt  und  .lunir.  sassen.  joder  für  >ieh. 
an   ihren  Staffeleien   und   trachteten  mit  heissem  Bemühen  hinter  die  Mysterien 
und  Teufeleien   der   neuen  Heilslehre  zu  kommen.     Keller  selbst  schildert  diese 
Sachlage   in   seiner   unnachahmlich  drastischen  "Weise  dahin .  dass  ..just  um  jene 
Zeit    die    gelehrten  Landschaften,   welche   ohne  Farbe  mehr  einen  litterarist  hen 
(Jedanken  als  ein  irutes  Stück  Natur  darstellten  — -  welcher  Kiehtum:  i« *1  *  mich 
eben    we<ren  des  Nichtküntiens  mit  Knerjrie  zuwendete  —  ausser  Kurs  ^enethen 
und  es  nicht  mehr  möglich  war.  mit  dergleichen  zu  Anerkennunir  zu  iHanireir. 
Allzuireiinire  Vorbilduni:,  der  Unistand,  dass  es  eine  eigene  Lehrkanzel  für  Land- 
schaftsmalerei au  der  Akademie  nicht  j:ab.  und  wieder  sein  Unaldiäniriirkeitstrieh 
bewogen  Keller,  nicht  Schüler  der  Akademie  zu  werden.     Fr  bezo</.  nur  ilann 
und  wann  bei  befreundeten  Kollegen  hos])itireiid.  sein  eigenes  Atelier,  in  dem  mm 
nach  und  nach  zahlreiche  irrosse  und  kleine  Kartons  und  Bilder  in  allen  Techniken, 
mit  Kohle.  Kreide  und  Schilffeder,  in  Aquarell  wie  in  Ölfarben,  entstanden:  Alr- 
irermanische  Auerochsen  jaijden  und  ( >pfcrscenen .   mittelalterliche  Städte,  in  sunt 
unmö<rlicher  Weise  sich  überthürmeiid ,  aber  voll  reizender  Kinzelnheiten .  i:eol<>- 
trjsche  und  ossianische  Landschaften,  solche,  die  bald  den  Kintluss  Hottmanns.  bald 
den   der   alten  Niederländer  verriethen.     Unter  all   diesen  Arbeiten  waren  nicht 
wenige    beweiskräftig   für   sein  Talent         noch  mehr  aber  für  eine  bedenkliche 
Halt-    und    Ziellosigkeit.     Die    Freunde  Kellers,    «.der  des   „irrünen  Heinrich". 
Messen   es  denn  auch  nicht  an  srenujr  aufrichtiger  Kritik  fehlen  und  eine  Fluth 
von  Sarkasineii  jnlt  diesen  wunderlichen  Schöpfungen.     ..Sehen  Sie.  wie  ich  mich 
planen  nuiss!"  ruft  ihm  einmal  Krikson.  der  Kleinnialer.  zu.  „seien  Sie  froh.  <lass 
Sie  ein  gelehrter  Komponist  und  Ko]d'maler  sind,  der  nichts  zu  können  braucht!" 
Und  Lys  sairt  ihm:  ..Da  haben  wir  es  also.  Sie  wollen  sich  nicht  auf  die  Natur, 
sondern    allein  auf  den  (»"eist  verlassen,    weil  der  (Seist  "Wunder  thut  und  nicht 
arbeitet.      Diese    ..  ^eoh»Ldsehe   Landschaft"    haben   Sie  nie  gesehen  und  werden 
Sie  auch  niemals  sehen.   Die  beiden  Fiiruren  derselben,  mit  denen  Sie  die  Schöpfum-s- 
beschichte  und  den  Schöpfer  theils  feiern,  theils  ironisiren.  vermögen  Sie.  weniir- 
stens  jetzt.  j_r:i f  nicht  seihst  zu   malen        folglich  stehen  Sie  mit  ihrem  .irunzen 
Handel  in  der  Luft,  es  ist  ein  Spiel  und  keine  .Arbeit!"    So  schlugen  denn  auch 
verschiedene  Versuche  Kellers,  der  ja  Immer  wieder  der  „m  üne  Heinrich"  ist.  seim- 
Bildei-  zu  verkaufen,  in  verschiedener  Weise  fehl        auch  an  IVch  fehlt*'  es  dein 
•ruten  .Innren  durchaus  nicht  --  und  er  ir.  rieth  bald  mein-  und  mehr  in  arire  Bc- 


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(iottfrieil  Koller  als  Maler. 


4-Js 


drängniss.  ja  in  völlig.  Armuth.  Tn  beiden  Sommern  konnte  er  wegen  Mangel 
an  Mitteln  nicht  dazu  jfoluncreii  auch  nur  einen  Strich  vor  der  Natur  zu  machen. 
♦*<  trab  Zeiten,  in  denen  er  oft  Tage  lang  nichts  geuoss  als  Brot  und  ein  (ilas 
Bier.  ..was  mir  aber  im  (ieringsten  nichts  macht!"  —  wie  er  tapfer  hinzufügt, 
endlich  liatte  er  gar  einmal  zwei  Tage  Innir  gar  nichts  zu  essen  und  hlieh  dafür 
im  Bette  liegen.     Wie  er  seine  Flöte  verkauft   und   seine    ganzen  Studien  (das 

Stück   zu  24  Kreuzern)  und  schliesslich    Fal  Iistangen    anstreicht  da-  i<t 

m  den  Kapiteln:  ..Flötenwunder-  und  „  ( ieheimnisse  der  Arbeit-  im  ..  grünen 
Heinrich"  ergreifend  geschildert  —  sie  sind  vollkninmen  getreue  Studien  nach 
dem  Loben  (iottfried  Kellers.  Muth  und  Zuversicht  desselben,  seine  unverwüst- 
liche gute  Laune  — •  sie  waren  aber  nun  endlich  gebrochen.  Keller  verschwand 
aus  München,  die  Malend  als  'Beruf  war  aufgegeben.  Kührend  steht  im  Hinter- 
grunde dieser  ganzen  Zeit  die  (iestalf  der  guten  alten  Mutter,  die  alles  Entbehr- 
liche und  Erreichbare  aufbietet,  um  es  ihrem  Sohne  zu  schicken,  während  sie  selbst 
schon  beinahe  die  Kunst  übt  von  Nichts  zu  leben.  Der  grüne  Heinric  h  aber 
vergisst  ilirer  «ranz  und  kommt,  endlich  heimkehrend .  nur  mehr  zurecht  um  ihr 
die  Augen  zuzudrücken.  Noch  einmal  berühren  sich  hier  aufs  Merkwürdigste, 
und  doch  zweifellos  einem  inneren  Erfordernis*  des  tragischen  Stoffes  entsprechend, 
die  beiden  Bomane  Zolas  und  Kellers.  Indem  jeder  der  beiden  Helden  mit  egoi- 
stischer Leidenschaftlichkeit  seinem  künstlerist  hen  Tdeale  nachstrebt,  opfert  er  mit 
fast  grausamer  Härte  ein  gutes,  selbstlos  und  hingebungsvoll  ihm  dienendes  weib- 
liches Wesen.  Claude  seine  Frau  Christine,  der  grüne  Heinrich  seine  Mutter. 
.Man  weiss,  dass  sich  das  Yerhältniss  (iottfrietl  Kollers  zu  seiner  Mutter  in  Wirk- 
lichkeit wesentlich  glücklicher  gestaltete;  mit  stolzer  Freude  erlebte  sie  noch  seine 
Ernennung  zum  Staatsschreiber,  und  als  er  von  München  zu  ihr  heimgekehrt  war. 
stand  sie  alsbald  wieder  unverdrossen  an  ihrem  Herde  und  kochte  ihm  sein  Süpp- 
lein,  indessen  er.  etwas  melancholisch  allerdings,  vor  neuen  grossen  Kartons  mit 
..kühnen  Erfindungen"  sass.  neben  welchen  aber  bereits  seine  Lyrik  und  die  ersten 
Ansätze  zu  seinem  ..traurigen  kleinen"  dugendromane  mit  dem  ..cypressendunklen 
Schlüsse"  entstanden. 

Indem  Keller  nicht  müde  wird,  immer  wieder  und  in  allen  Tonarten,  satv- 

*  * 

risch.  eletrisch.  btdiaglich  spottend,  ja  in  den  derbsten  Worten  -  Freiligrath 
gegenüber  nennt  er  gar  einmal  seine  Malerstudien  ..verworfene  Hallunkereien"  -- 
die  malerische  Talentlosigkeit  des  grünen  Heinrich,  also  seine  eigene,  zu  vor- 
urtlndlen.  übertreibt  er  gewiss;  aber  mau  wird  ihn  darin  wohl  verstehen.  Ks 
war  ihm  offenbar  ein  Bedürfnis*,  den  begangenen  Irrthum  als  einen  recht  gründ- 
lichen, aber  zugleich  auch  als  gründlieh  abgethan  hinzusttdlen.  Seine  Malerzeit 
dich  nun  einmal  einem  im  Canzcn  unglücklichen  Feldzuge,  den  einzelne  glück- 
liche tiefet  hte  und  die  heroische  Haltung  des  Kämpfers  nicht  mehr  wesentlich  zu 
ändern  vermochten.  Nur  sein  Humor,  immer  wieder  die  Freude  des  Lesers, 
konnte  ihm  darüber  hinweghelfen  und  durch  die  künstlerische  Darstellung  inner- 
lich befreien. 

Die  Mehrzahl  der  Biographen  und  Kritiker  Kellers  hat  das  Urtheil  des 
Dichters  über  den  Maler  zu  tlem  ihrigen  gemacht.  So  Adolf  Frey  in  seinem 
sein-  zu  schätzenden,  liebevollen  und  anschaulichen  Büchlein,  so  Baeehtold  und 
Karl  Brun.  Am  entschiedensten  wohl  der  letztere,  der  im  ..Neujahrsbhitf. 
herausgegeben  von  der  Stadt.  Zürich  auf  «las  .fahr  1  H< » 1 .  eine  Studie  über  ..(iott- 
frietl Keller  als  Maler"  veröffentlicht  (begleitet  von  7  Wiedergaben  Kellerscher 
Bildwerke)  -  am  entschiedensten,  aber  im  (ianzen  doch  wohl  aus  einem  allzu 
nüchternen  und  spiessbürgerlicheu  (i eiste  heraus,  der  ihm  neben  vielen  verstän- 
digen   Bemerkungen   ebensoviole    unberechtigte,    schiefe  und  schwache,  eingeht. 

i's  ■ 


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4*29 


Biographische  Blatter. 


.Jacob  Baechtold  fasst  im  Wesentlichen  sein  Urtheil  über  Kellers  malerische 
Schöpfungen  in  den  Sätzen  zusammen:  -Der  autodidaktische  und  dilettantische 
Charakter  ist  seiner  Malerei  «rehliehen "  und:  ..Die  Arbeiten  aus  der  Münchner 
Zeit  sind  alle  dichterisch  empfunden  aber  nicht  ebenbürtig  gemalt.  Auch  ist  selten 
etwas  fertig  gemacht,  da  sich  ihm  sogleich  wieder  andere  Gedanken  aufdrängten 
und  ihm  die  Ausdauer  abging".  Am  eingehendsten,  viel  wärmer,  ja  zuweilen 
enthusiastisch  im  Tone,  tritt  der  Kunstschriftsteller  und  Maler  H.  K.  v.  Berlepsch 
in  einem  ebenfalls  .. Gottfried  Keller  als  Maler"  betitelten  und  mit  vielen, 
höchst  lehrreich  einführenden  Bildproben  ausgestatteten  Büchlein  (Leipzig  E.  A.  See- 
mann 1895)  für  Keller  auf.  Mit  journalistischer  Lebhaftigkeit  und  Fehdelust 
gegeben,  enthält  es  in  dankenswerther  Vollständigkeit  Alles  in  sich  vereinigt,  was 
Gottfried  Keller  selbst,  was  damalige  und  —  heutige  Kollegen  (darunter  auch 
berühmte  Namen  der  Münchner  ..Seeession  ")  zur  Person  und  zur  Sache  gesagt 
haben.  Eifrig  tritt  er,  und  für  eine  kleine  Zahl  der  späteren  Schöpfungen  mit 
vollem  Hecht,  dem  Vorwurfe  des  Dilettantismus  in  Kellers  malerischen  Arbeiten 
entgegen  —  schon  die  (i rosse  der  Auffassung  müsste  sie  vor  demselben  bewahren 

—  so  die  ..Üssianische  Landschaft'',  der  ..Blick  auf  Richters wvl*'.  der  ..Blick  vom 
Zürichberge".  Für  die  grosse  Mehrzahl,  auch  der  Münchner  Arbeiten  kann  frei- 
lich auch  v.  Berlepsch  nicht  umhin,  sich  der  Meinung  aller  seiner  kritischen  Vor- 
gänger anzuschliessen.  und  wahrscheinlich  ist  auch  er  nicht  geneigt  ,  über  ein 
weiteres  Urtheil  Baechtold's  noch  hinauszugehen,  der  sagt,  dass  Keller  ..durch 
eine  gute  Schule  ohne  Zweifel  Tüchtiges  erreicht  haben  würde",  ..aber*  fügt 
er  hinzu    —  ..nicht  das.  was  er  selbst  von  sich  verlangte' \ 

Dürfen  wir  nun  nach  Allem,  was  wir  von  Gottfried  Keller  als  Maler  er- 
fahren und  gesehen  haben,  unsererseits  ein  zusammenfassendes  Wort  aussprechen, 
so  meinen  wir.  dass  eben  in  diesem  Falle  wieder  einmal  mit  besonderem  Hechte 
das  Bessere  der  Feind  des  (Juten  war.  (lerne  angenommen,  ja  zugegeben,  dass 
Keller  ein  guter  Maler  geworden  wäre  gegenüber  seinem  Dichter-Genie,  wollte 
sein  Maler-Talent  doch  nicht  schwer  genug  wiegen.  Zwei  so  grossen  und  an- 
spruchsvollen Herren  vermochte  aber  auch   er   nicht  gleich  hingebend  zu  dienen 

—  worüber  er  sich  in  seinen  Bemerkungen  über  F..  T.  A.  Hottmann  ebenso 
schön  wie  einleuchtend  ausgesprochen  hat.  (%berdiess  aber  ging  Keller  das 
merkwürdigste  Schauspiel  einer  Entwicklungsgeschichte!  -  nach  Beendigung 
seines  ersten  Irrthums  sofort  daran,  sich  noch  dauernder  einem  zweiten,  noch 
grösseren  hinzugeben,  als  er  über  Heidelberg  nach  Berlin  ging  (184s  1855), 
um  sich  dort  zum  dramatischen  Dichter  auszubilden.  Von  all  den  zahlreichen 
Bühnen-Entwürfen,  die  er  im  Laufe  dieser  und  späterer  .Jahre  ..ausheckte-  und 
..zusammendachte",  sollte  jedoch  einzig  das  leidenschaftlich  lyrische  Fragment 
..Therese-  bis  zur  Niederschrift  gedeihen.  Sofort  aber  fand  Keller  für  seine 
erzählenden  Dichtungen  einen  ersten  Verleger  in  Vieweg.  einen  zweiten  in 
Duncker  beide  Männer  voll  Vornehmheit.  Feingefühl  und  —  unendlicher  Ge- 
duld unserem  Dichter  gegenüber  denn  nie  wurden  Verleger  schlechter  be- 
handelt wie  sie  durch  Gottfried  Keller.  In  München,  um  noch  einmal  eiuen  hier 
gewiss  bezeichnenden  Rückblick  dahin  zu  thnn.  war  es  keinem  Maren  oder  Kunst- 
händler »'ingefallen,  sich  für  die  Bilder  Kellers  zu  iuteressiren. 

Dass  unser  Dichter  seinen  Malereien  nicht  viel  mehr  an  materiellen  Glmks- 
giitern  zu  verdanken  hatte,  wie  etwa  —  seinen  Dramen,  brauchen  wir  kaum  zu 
sagen.  Sein«-  Studien  und  Bilder  verschleuderte  er  entweder  an  alte  Trödler, 
oder  verschenkte  sie  an  schöne  Frauen.  Mehrere  dieser  gespendeten  Blätter  aber 
datireii  noch  aus  weit  späterer  denn  der  Münchener  Zeit.  ja.  gehen  noch  über 
die  Tage  seines  Staatsschreiberthums  hinaus  und  beweisen  mit  ihren  .Jahreszahlen 


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Kin  Auswandererbrief  aus  dem  .Jahre  1817. 


430 


1841*.  1853,  1873  und  1878.  dass  unser  Dichter,  all  seinen  ablehnenden  Worten 
zum  Trotz,  es  doch  nicht  vermochte,  seiner  Jugendliebe  völlig  untreu  zu  werden. 
Ja,  noch  mehr,  die  letzte  dieser  Arbeiten,  das  Aquarell  „Blick  vom  Zürich be rg - , 
ist  zugleich  seine  allerbeste.  Ein  Blatt  von  in  der  That  reizender  Vollkommen- 
heit, gross  zugleich  und  intim,  ebenso  poetisch  wie  malerisch.  Es  ist  uns  liel), 
<agen  zu  können,  dass  sich  dasselbe  bei  uns  in  Wien  befindet,  im  Besitze  einer  Wienerin, 
der  Wittwe  des  Universitäts-Professors  Adolf  Exner.  Indem  wir  es  in  der  treff- 
lichen Nachbildung  des  Kadirers  Alphons,  die  auch  dein  Buche  v.  Berlepsch'  bei- 
gegeben ist,  betrachten,  fühlen  wir  uns  -  möglicher  Weis«'  gegen  den  Willen 
des  Dichters  Keller  gerührt  und  erfreut  darüber,  dass  wir  nun  doch  auch 
Gottfried  Keller  dem  Maler,  mit  dieser  schönen  Spütblüthe  seines  Talentes  einen 
aufrichtigen  Kunstgenuss  zu  verdanken  hallen. 

 cfc  

Ein  Auswandererbrief  aus  dem  Jahre  1817. 

Von 

EUGEN  VON  PHILIPPOVICH. 

Der  Generationeuabstand  zwischen  dem  Heginn  und  dem  Ende  eines  .Jahr- 
hunderts ist  immer  derselbe,  aber  der  Unterschied  der  Lebensbedingungen  der 
Menschen,  ihrer  Bedürfnisse  und  Gewohnheiten,  ihrer  Vorstellungen  und  ihres 
Könnens,  wechselt  nicht  mit  der  Begelmnssigkeit  der  Generationen.  Der  ..Fort- 
schritt der  Kultur",  wie  wir  es  gerne  nennen,  nimmt  einen  unregelmäßigen  Lauf, 
und  nach  langen  Perioden  der  Stetigkeit,  kommen  sprunghafte  Bewegungen,  durch 
welche  Grosseltern  und  Enkel  iu  ihren  Daseinsbedingungen  weit  auseinandergerissen 
werden.  Eine  solche  merkwürdige  Periode  der  Menschheitsentwickelung  haben 
wir  hinter  uns.  es  fällt  uns  Enkeln  schwer,  das  Leben  der  Grosselteru  zu  ver- 
stehen. Tch  will  im  Folgenden  ein  kleines  Beispiel  dafür  vorführen  und  einen 
Zeugen  der  Vergangenheit  reden  lassen.  Es  berührt  das  traurige.  Kapitel  der 
deut  sehen  Auswanderung.  Traurig  ist  es  auch  heute  noch,  die  Heimat  Ii  zu  ver- 
lassen mit  der  sicheren  Aussicht,  sie  niemals  wiederzusehen,  ein  ungewisses  Brot 
in  weiter  Ferne  zu  suchen  ohne  den  Rückhalt,  den  das  allerdings  weite  Band  der 
Landsmannschaft  und  Staatsangehörigkeit  doch  noch  gewährt,  allen  Traditionen  der 
Familie,  der  Gemeinde,  des  Volkes  und  Staates  zu  entsagen  und  als  Erwachsener 
das  Leben  noch  einmal  zu  beginnen.  Aber  wie  leicht,  wird  es  dem  Aus- 
wanderer heute  gegenüber  der  Zeit  unserer  Grosselteru.  Millionenfache  Ver- 
bindungen sind  zwischen  hier  und  drüben  geschlagen  und  es  «riebt  nur  Wenige,  die 
hinüberwandern,  ohne  irgend  eine  persönliche  Beziehung  zu  haben.  Und  selbst  wo 
sie  fehlt,  bewirkt  das  erstarkte  Xationalbewusstsein .  dass  der  Auswanderer  iu 
nationalen  Hülfsvereinen,  die  Gemeinsamkeit  der  Arbeiterinteressen,  dass  er  in 
ArJieiterorganisationen  Hafh  und  Unterstützung  findet.  Die  Heise  selbst  ist  auf 
wenige  Tage  reduzirt.  Kisenbabiieii  und  Schiffsgesellschaften,  deren  sich  der  Aus- 
wanderer bedient,  sind  überall  staatlicher  Aufsicht  unterstellt,  und  die  Bedingungen 
der  Beförderung  sind  so  geregelt,  dass  Gesundheit,  und  Leben  der  Auswanderer 
keinen  Schaden  leiden  können.  Ihre  Aufnahme  und  Behandlung  im  fremden  Staate 
ist  daselbst  öffentlichen  Kontrollen  unterworfen  und  durch  die  offiziellen  Vertretungen 


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431 


Biographische  Blätter. 


der  .Staaten,  durch  die  Presse  und  Schutzvereine  überwacht.  Wie  so  yanz  anders  war 
dies  noch  zu  Anfanir  dieses  .Jahrhunderts!  Die  Betonierung  zur  See  jresehah  in 
der  Beirel  in  der  W  eise,  dass  ein  Schiffseiireuthümer  das  Zwischendeck  einem 
Agenten  ye^en  einen  testen  Preis  veriiiiethete.  wo«re<ren  dieser  Mensehenfraeht  ein- 
laden tnoehte.  so  viel  ihm  heliehte.  Da  ihm  die  Auswanderer  einzeln  ihre  Über- 
fahrt bezahlten,  baffe  er  das  yxösste  Interesse  an  einer  möglichst  weitgehenden 
Ausnutzung  des  ihm  vermietheten  Raumes.  Nach  den  eindringlichen  Schiidet  uniren 
Friedrich  Kapp's  war  das  Zwischendeck  bei  Auswanderunysschiffen  bis  zu  den 
eisten  Eingriffen  der  amerikanischen  Beiriernnir  (IHK»)  um  nichts  besser,  als  das 
der  Sklaven-  oder  Kulischiffe;  man  packte  die  Auswanderer  gerade  so  zusammen 
und  kümmerte  sich  so  wem»'  um  sie,  wie  bei  den  unglücklichen  Wesen,  die  man 
aus  Afrika  oder  China  auf  den  .Markt  brachte.  Da  die  Heise  in  der  Retrel  Wochen 
in  Anspruch  nahm,  war  die  Zusammenpfcrchnuir  in  engsten,  unirelüfteten .  durch 
Seekrankheit  und  Exkremente  verpesteten  Bäumen  an  sich  eine  (ietahr  für  den 
Auswanderer.  Dazu  kam  die  schlechte  Ernährung.  Jeder  Auswanderer  erhielt 
tätlich  oder  pro  Woche  eine  bestimmte  kary  bemessene  Bation  von  Lebensmitteln: 
Hrod.  Mehl,  (iemüse.  Speck,  selten  Fleisch  und  Butter,  etwas  Wasser.  Für  die 
Zubereitung  mussten  ilie  Leute  selbst  soriren,  wofür  ihnen  während  bestimmter 
Tageszeiten  Feuerstellen  offen  standen.  Für  Kochgeschirr  hatte  jeder  selbst  auf- 
zukommen. War  das  Schiff  überfüllt,  so  war  nicht  daran  zu  denken,  dass  alle 
Personen  sich  ihre  Mahlzeit  bereiten  konnten,  und  das  Verzehren  der  Xahruno- 
mittel  in  rohem  oder  halb<rahrem  Zustande  war  die  Rejrel.  Die  Folye  war  eine 
ungeheure  Sterblichkeit  an  .. Schiffs -tieber  und  Hungertyphus.  10%  Todesfälle 
waren  etwas  ( Jewöhnlichcs,  20%  nichts  Unerhörtes,  es  kamen  Fälle  vor.  in 
Avelchem  unter  J200  Passagieren  400  begraben  wurden,  bevor  das  Schiff  -  das 
naeh  Aufnahme  der  Passagiere  noch  anderer  Fracht  Weyen  liefen  «jeblieben  war  — 
den  Hafen  verlassen  hatte.  In  einem  mir  vorliegenden  typischen  Überfahrtsvert ray- 
war denn  auch  auf  den  Todesfall  'Bedacht  genommen:  „Sollte  einer  der  Passagiere. ~ 
heisst  es  „auf  der  Heise  mit  dem  Tod  abgehen,  so  soll  die  Familie  eines  solchen, 
wenn  er  von  hier  aus  über  die  Halbscheid  des  Weyes  stirbt,  verpflichtet  sein, 
seine  Fracht  zu  bezahlen,  stirbt  er  aber  an  dieser  Seite  des  Halhwetres.  soll  der 
'Verlust-  für  Rechnung  des  Kapitäns  sein." 

Die  rherfahrtspreise  waren,  zumal  bei  der  elenden  Verpfleirunir.  hoch,  sie 
betrugen  1 10-  2< M)  holländ. dulden  für  die  erwachsene  Person.  Da  die  jrrosse  Masse  der 
armen  Auswanderer  solche  Betraire  nicht  aufbringen  konnte,  war  es  üblich  ire- 
worden.  von  ihnen  keine  Bezahlung  ttir  die  Überfahrt  zu  verlangen,  sondern  sich 
nach  der  Ankunft  bezahlt  zu  machen,  indem  man  sie  --  in  zeitliche  Knechtschaft 
verkaufte.  Das  hatte  den  doppelten  Yortheil.  dass  die  Auswanderer  während  der 
t "herfahrt  noch  willeidoser  und  anspruchsloser  dem  Kommando  des  Kapitäns  preis- 
t'eireben  waren,  sowie  dass  man  weyen  des  ..Risikos"  die  Fahrpreise  oft  um 
l<M>%  zu  erhöhen  in  der  La_re  war.  .lunirc  Leute  fanden  immer  einen  ynteu 
Markt,  alte,  kränkliclie  Personen  und  Kinder  waren  schwerer  anzubringen.  In 
solchen  Fällen,  sowie  bei  Todesfällen  während  der  Uberfahrt  hatten  die  kräftigen 
hezw.  überlebenden  Familienirlieder  auch  für  die  Schuld  der  anderen  aufzukommen, 
ihre  Knechtschaft  :ilso  um  so  viel  .Ldire  auszudehnen.  Erwachsene  hatten 
.'S-  I  .Lahre  zu  dienen.  Kinder  von  II»  l.*>  .lahren  bis  zur  Volljährigkeit,  kleine 
Kindel-  mus>ten   mit   den   Elfern  übern..inmcu    werden.     Sutnmirten   sich  durch 


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Hin  Auswnndererbrief.  aus  <b>m  Jahre  1S17. 


432 


Todesfälle  oder  wogen  Kränklichkeit  einzelner  Familienglieder  die  .lahre  für  die 
I  I  rigen.  so  konnte  eine  lanir«*  Knechtschaft  herauskommen.  Einmal  verkauft  waren 
sie  ihren  Herren  \  reisgegeben.  Ks  sind  "Beispiele  überliefert,  wonach  sie  schlimmer 
behandelt  wurden,  als  das  Vieh,  und  mit  Schlägen  und  Tritten  zur  Arbeit  getrieben 
wurden,  so  dass  die  Kolonialbehörden  einschreiten  mussten.  Aber  doch  durfte 
Niemand  ohne  Entschädigung  aus  seiner  Knechtschaft  austreten.  Wer  in  seiner 
Verzweiflung  entlief,  wurde  eingefangen  und  hatte  für  jeden  Tag  seiner  Abwesen- 
heit ein«j  Woche,  für  jede  Woche  einen  Monat,  für  jeden  Monat  ein  halbes  .Jahr 
länger  zu  dienen.  Konnte  der  Herr  die  gebrauchte  Arbeitskraft  nicht  länger  ge- 
brauchen, so  war  er  berechtigt,  die  Person  weiter  zu  veräussern.  Ks  war  ein 
tägliches  Vorkommniss.  dass  auf  diese  Weise  ganze  Familien  für  immer  getrennt 
wurden.  Kurz,  dies  ganze  System  des  Abverdieiiens  der  i'berfahrtskosteii  war 
ein  in  Vertragsform  gebrachtes  System  der  Sklaverei,  das  den  armen  Auswanderer 
als  erste  Segnung  der  ersehnten  „Freiheit"  begrüsste.  deinetwegen  er  die  gefähr- 
liche und  entbehrungsreiche  Fahrt  übers  Meer  unternahm,  (ilücklich  waren  jene, 
denen  «s  ging,  wie  dem  russischen  Hauptmann,  von  dem  D.  v.  Bülow  in  seinem 
Keisehericht  lT'.H  schreibt,  dass  er  über  eine  Woche  unverkäutlich,  als  schwerer 
Ballast  auf  dem  Schifte  geblieben  war.  bis  ihn  dessen  Kapitän  aus  Land  schickte 
und  ihm  auftrug,  sich  mit  ;">»>  °0  Abschlag  im  Kaufpreise  auszubieten.  Da  er 
alier  ausser  der  Kunst  des  Bayonnetfeehtens  nichts  verstand,  wollte  ihn  Niemand, 
und  der  Schiftskapitän  musste  ihn  endlich  gegen  das  Versprechen,  seine  Schuld 
später  zu  bezahlen,  entlassen.  Wenigen  mochte  es  so  gut  gegangen  sein,  wie 
dem  Schreiber  des  folgenden  Briefes,  der  im  Winter  der  harten  Xoth-  und  Hunger- 
jähre  1*1*1/17  »us  Emmendingen  in  Baden  ausgewandert  und  in  Baltimore 
dieses  war  nebst  Philadelphia  zur  Zeit  der  Hauptoinwanderungsplatz  aus. 
geschifft  worden  war.  Im  Oktofier  1*17  war  dann  von  ihm  ein  Brief  in  die 
Heimath  gelangt,  der  von  den  Kümmernissen  der  Heise,  dem  Verkauf  der  Kinder 
und  der  eigenen  Person,  von  ihrer  Befreiung  und  von  allerlei  Beobachtungen  und 
Kindrücken  berichtete.  Ich  habe  ihn  in  den  die  Auswanderung  betreffenden  Akten 
des  grossherzogliehen  Archivs  in  Karlsruhe  vorgefunden.  Kr  war  vom  Amt  Em- 
mendingen erhoben  und  dem  Ministerium  vorgelegt,  worden,  denn  man  hatte  zu 
jener  Zeit  sich  ernstlich  mit  den  l'rsachen  der  grossen  Auswanderung,  den  Be- 
ziehungen der  Ausgewanderten  zu  den  Zurückgebliebenen,  den  im  Lande  herum- 
reisenden  Agenten,  den  Mängeln  der  Beförderung  u.  s.  w.  zu  beschäftigen  be- 
gonnen und  jede  direkte  Mittheilung  war  von  Wichtigkeit.  Ks  hat  aber  noch 
.Jahrzehnte  gebraucht,  bis  die  deutsehen  Kegierungcn  aus  dem  Studium  der  Be- 
schäftigung mit  der  Frage  in  das  der  Anregung  und  endlich  der  Thaten  gekommen 
waren.  In  den  Vereinigten  Staaten  war.  wie  erwähnt.  1*19  das  erste  ( Jesetz.  be- 
treftend  den  Transport  auf  den  Auswanderersehift'en.  erlassen  worden,  und  aus  dem- 
selben  -Jahre  werden  zum  letzten  Mal  Versteigerungen  von  Auswanderern  an  den 
Meistbietenden  berichtet.  Nun  entfaltete  sich  erst  die  grosse  Anziehungskraft  de* 
mächtigen  ,. Frcilandes-,  das  dem  badischen  Bauer  trotz  der  bitteren  Erfahrungen 
verlockend  genug  erschienen  war.  tun  seinen  Bruder  zu  bereden,  ihm  nachzufolgen. 
—  Der  Brief  lautet: 

-Mein  herzlicher  Bruder  S.  hwe>ter  Seliwager  und  (Jschwey  sanmit  allen  meinen 
Freunden,  ich  kann  es  nicht  unterlagen,  da-s  ich  Kudi  nicht  mein  ganzes  Schicksal  und 
Lehenslauf  schreiben  thu.  was  sich  unter  der  Zeit  bey  mir  ereignet  hat  wo  ich  von  euch 


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4.33 


Biographische  Blatter. 


hier  weg  bin.  liebste  .Schwester  und  Bruder  merket  diesen  Brief  auf  wo  ich  schreibe,  jetzt 
will  ich  euch  sagen  was  ich  noch  Fracht  schuldig  bin.  in  Amsterdam  wo  ich  auf  das  Schiff 
kommen  bin  war  ich  noch  schuldig  284  Thaler.  jetzt  wo  wir  vor  Nephlies  kommen  sind 
so  werden  viele  Leut  ausgelost  aber  mich  hat  niemand  wollen  Jössen  mit  meiner  grossen 
Schuld,  summt  meinen  Kindern,  jetzt  kamen  aber  2  Kaufherren  von  Baldimor  und  wollen 
meine  2  Buben  Franz  Anton  und  Georg  haben  und  so  weil  ich  mir  nicht  mehr  hab  wissen 
zu  helfen  so  habe  ich  sie  gelassen,  und  meine  Buben  sind  aber  auch  recht  gerne  gegangen, 
und  sind  beide  gleich  mit  ihnen  fort  nach  Baldimor  und  ist  10  Stund  von  Nephlies.  da  ist 
mir  vor  sie  112  Thaler  bezahlt  worden,  aber  sie  müssen  bei  ihnen  bleiben  bis  sie  21  Jahr 
alt  sind,  ich  habe  aber  vorbehalten,  das  wenn  ich  unter  der  Zeit  das  Geld  ihnen  wieder 
kann  zurück  geben.  d:iss  ich  meine  Kinder  wieder  kann  an  mich  ziehen.  Ja  meine  liebe 
Schwester  und  Bruder  da  ist  mir  mein  Herzenleid  und  Beschwehrniss  der  Beisse  erst 
kommen,  da  ist  mir  gewesen  als  wenn  man  mir  die  2  Kinder  aus  der  Seele  raus  reissen  tu, 
seit  dem  ti.  Hornung  ab  dem  Schilf  kommen  und  die  2  kleinen  Kinder  Johann  und  Sibylla 
sind  auf  den  Tod  krank  gewesen,  darauf  starb  den  22.  Hönning  mein  liebes  Kind  Sibilla, 
da  Schwester  befinden  ihr  meine  ganzen  Schmerzen  der  Boiss,  da  war  ich  mehr  t<>d  als 
lebendig,  da  hat  mein  Kind  sollen  in  das  Wasser  begraben  weiden  weil  man  mit  keinem 
Schiff  an  das  Land  kommen  kann  von  wegen  dem  Kis.  da  hab  ich  aber  mein  Kind  ge- 
nommen und  bin  über  eine  Meile  weit  über  das  VAs  geloffen  wo  ich  nicht  alle  Tritten 
gewusst  habe  wann  es  mit  mir  untergeht  aber  Gott  sey  Dank  ich  habe  es  glücklich  an  das 
Land  gebracht,  aber  ich  hab  den  Todengräber  und  J'farrer  selbst  müssen  machen,  bey  meinem 
lieben  Kind,  wo  ich  in  Amsterdam  (so)  war  als  mich  Gott  erschaffen  hat.  hätte  können 
1000  fl.  von  ihnnes  haben  von  einem  reichen  Kaufmann  der  gar  kein  Kind  hat  und  hätte 
ihnes  aufgenommen  vor  sein  eigen. 

Ja  meine  Lieben  da  hm  ich  gewesen  wie  der  ewige  .lud  ich  hab  kein  Aug  voll 
können  schlafen  und  kein  Bissen  essen,  kurz  das  Heimweh  meiner  Kinder  hat  mich  last 
umgebracht,  jetzt  auf  ein  mal  brach  das  Kis  und  sind  den  12.  Merz  nach  der  Stadt  Baldimor 
gefahren,  da  bin  ich  gleich  ab  dem  Schiff  um  zusehen  was  meine  zwey  Buben  (Söhne) 
machen,  da  herzlibste  Schwester  da  hast  Du  der  Willkom  sollen  sehen  bey  mir  und  bey 
meinen  Buben,  aber  da  ist  mir  mein  Herz  wider  erfreuet  worden,  den  ich  befinde  sie  recht 
gut.  der  Franz  Anton  ist  bei  einem  Wirth  als  Sehenknecht  und  der  Georg  ist  bei  einem 
Kaufmann  als  Ladendiner  aber  die  Geschäften  wo  der  Georg  treibt  in  seinem  Laden  seyn 
trutz  einem  den  schon  24  Jahr  alt  ist  er  spricht  alles  Knglisch  als  wenn  er  in  Amerika 
geboren  wäre. 

Die  beyde  Buben  bekommen  nach  2  Jahren  schulinüber  (?"),  der  Baptist  ist  den  22.  Merz 
zu  einem  Metzger  kommen  und  lernt  das  Handwerk  und  muss  bey  ihm  bleiben  bis  er 
10  Jahr  alt  ist  und  sein  Meister  muss  ihn  4  Jahr  in  die  Schul  schicken,  und  ist  mir  vor 
ihnen  bezahlt  worden  ">0  Thaler.  er  hat  E»en  und  Trinken  nur  was  er  will. 

und  jetzt  bin  ich  und  meine  Frau  und  Alloys  und  Johana  erst  den  ersten  April  ab 
dem  Schiff  gelosst  worden  und  bin  zu  einer  Witt  trau  kommen  welches  des  Baptist  Meister 
seine  Mutter  war.  und  treibt  auch  das  Metzgerhandwerk  da  ist  aber  meine  Frau  in  die 
Kindbett  kommen  und  ist  getauft  worden  den  14.  Mai  mit  namen  Katharina  da  sind  wir 
bei  ihnen  unwerth  worden  und  haben  uns  sehr  übel  behandelt  aber  Gott  der  Almächtige 
hat  uns  noch  niemals  verlassen  und  ist  uns  allezeit  wieder  geholfen  worden,  am  heiligen 
Phngstag  war  ich  in  der  Kirche  und  bath  Gott  den  Almä.htigen  inständig  er  solle  mir 
den  heiligen  Geist  auch  senilen,  damit  ich  von  diesem  Leiden  befreyet  werde,  wie  es  auch 
geschehen  ist,  den  nehmlichen  Tag  kam  ich  zu  einem  Teutschen  und  halte  Gesprach  mit 
ihm  und  erzähle  ihm  alles  wie  ich  es  habe.  Ah!  sagte  er  mein  lieber  Freund  es  soll  euch 
geholfen  werden,  geht  ihr  nur  hin  und  sie  sollen  euch  dass  schriftlich  geben,  was  sie  für 
euch  bezahlt  haben  und  bringt  es  mir  so  geh  ich  gleich  hin  und  zähl  ihnen  das  Geld  hin 
wo  sie  für  euch  bezahlt  haben  da  könnt  gleich  morgens  ausziehen  wie  es  auch  geschehen  ist. 


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Kin  Auswandererbrief  aus  dem  .luhre  1817. 


434 


.letzt  hin  ich  frev  und  kann  thun  was  ich  will  aber  ich  bin  1:12  Thaler  schuldig, 
daran  kann  ich  aber  3  Jahre  bezahlen. 

Jetzt  hab  ich  aber  von  der  teutschen  Kompanie  wo  sich  um  alle  Teutsehen  annehmen 
wo  ihn  das  Land  und  in  die  .Stadt  Baldimor  kommen  ein  Brief  bekommen,  das  meine  Frau 
in  der  Stadt  nun  solle  gehen  damit  ihr  ein  jedwelcher  ein  Geschenk  solle  gehen  damit  wir 
unser  Leben  gut  machen  können:  jetzt  haben  wir  schon  bei  100  Thaler  Geld  bekommen 
und  Kleidungsstücke  das  wir  bei  unserem  Leben  keine  mehr  brauchen  zu  kaufen  und  vor 
Lebensmittel  habe  ich  noch  kein  Pens  ausgegeben  sie  bringt  Fleisch,  Brod,  Butter.  Mehl. 
Zucker  und  Kaffe  genug,  aber  das  (ilück  betrilft  nicht  ein  jeder  den  es  sind  200  Haus- 
haltungen auf  unsenn  Schiff  gewesen  und  hat  das  Glück  kein  betroffen  als  mich,  sie  müssen 
alle  dienen  in  Amerika  heisst  das  dienen  Serwen  vor  ihre  Fracht  2  bis  :\  Jahre.  Jetzt 
treibe  ich  die  Bäkerey  und  ist  war  wie  es  im  andern  Brief  steht  und  bin  jetzt  Willen* 
den  Hansgeorg  zu  mir  zu  nehmen  und  seinem  Herren  das  Geld  hinlegen  wo  er  für  ihn 
bezahlt  hat. 

Liebster  Bruder  was  glaubst  Du  willst  Du  kommen  ja  ich  rathe  Dir  Du  sollst 
kommen  wir  haben  schon  100  mal  gewunschen  wenn  nur  unser  Bmder  und  Schwester  bei 
uns  wären  und  ich  rathe  allen  die  Willen  sind  zu  kommen  sie  sollen  nur  kommen  sie  macheu 
ihren  Leben  heser  als  in  Teutschland  sonderbar  die  Kinder  und  jungen  Leute  sind  sehr 
glücklich  wenn  sie  in  das  Land  kommen  aber  wenn  unser  Herrgott  euch  sollte  heimsuchen 
auf  der  Keks  mit  Krankheit  oder  gar  mit  Sterbfall  so  messet  mir  keine  Schuld  zu.  denn 
werdet  finden,  dass  die  Heise  hart  ist.  und  ich  sage  euch  auch  wenn  man  serwen  muss  vor 
sein  Fracht  wo  man  schuldig  bleibt  so  ist  es  auch  hart  aber  einige  können  es  auch  gut 
bekommen  und  und  einige  auch  recht  bös. 

I Jeher  Bruder  wenn  Du  kommst  so  lass  Dich  nicht  verserwen  auf  dorn  Schilf  und 
auch  kein  Kind  bis  Du  bei  mir  gewesen  bist,  solltest  al>er  Du  nach  Philadelphia  kommen 
das  ist  112  Meil  von  der  Stadt  Baldimor  und  3  Meil  ist  eine  Stund  so  sage  Du  dem  Kape- 
tain  er  solle  Dich  gehen  lassen  Du  wolst  ihn  bezahlen  nach  Deinem  Verdienst.  Du  wollst 
ihm  alle  Monat  Geld  geben  bis  er  bezahlt  ist,  und  geh  es  nicht,  anders  ein  er  muss  Dich 
auf  diese  Art  laufen  lassen  und  wenn  Du  auch  der  Letzte  sollst  seyn  auf  dem  Schiff  so 
thue  es  nicht  änderst  er  muss  Dich  gehen  lassen  und  behalte  Deine  Kinder  alle  bei  Dir. 
darnach  wenn  Du  los  bist  so  kannst  Du  Deine  Kinder  selbst  in  Diensten  thun  wenn  Du 
willst  darnach  bekommst  Du  für  Deine  grosse  Mädel  acht  bis  zehn  Thaler  in  einem  Monat, 
jetzt  lieber  Bruder  weis  ich  Dir  nicht  besser  zu  schreiben  jetzt  folge  meinem  rath  Du 
machst  Deine  Kinder  glücklich. 

Ich  habe  auch  schon  die  Hoiss  gemacht  nach  Philadelphia  und  nach  Neisdon  (?)  um 
meinen  Vetter  Fidel  aufzusuchen  und  habe  ihn  richtig  gefunden  als  ein  lustigen  Spielmann 
und  als  ein  armer  Korbmacher  und  rechter  Trinker  diese  Hoiss  hat  mich  12  Thaler  gekostet. 

Ich  habe  euch  auch  geschrieben  das  alles  sehr  theuer  ist  ja  es  wohl  alles  recht 
theuer,  aber  ich  kann  auch  sagen,  dass  es  in  dem  Land  mehr  Thaler  gibt  als  be.v  euch 
Sechser  aber  das  meiste  Geld  ist  Ilapieren  gelt,  jetzt  will  ich  euch  auch  sagen  wie  das  L;md 
beschaffen  ist.  in  Witterung  find  ich  noch  kein  unterschied  aber  Tag  und  Nacht  ist  4  bis 
5  Stund  unterschied,  won  ihr  Mittag  12  l'hr  haben  so  haben  wir  Morgen  7  L'hr.  und  der 
Komet  Stern  ist  in  diesem  Land  auch  gesehen  worden  in  der  nämlichen  Zeit  wie  bei  euch, 
und  haben  auch  in  dem  Land  schon  4  fehl  Jahr  gehabt,  es  ist  im  Frühjahr  auch  alles  ver- 
froren als  wie  bei  euch,  wegen  dem  ist  alles  so  theuer  es  kann  wieder  alles  um  die  Hüllte 
wolfeiler  werden.  Das  Land  ligt  gegen  Sonnenabgang  und  ist  ein  Freyland,  es  steht  unter 
keinem  Bodenda  es  wird  alle  4  Jahre  ein  Kardinal  erwählt  über  das  ganze  Land,  da  i>t 
da«  Land  Kandon  weis  getheilt  und  eine  jede  Kandon  hat  ein  President  da  darf  man  kein 
Zins  Zehnten  und  nichts  geben. 

Ich  sage  euch  noch  eines  wer  in  das  Land  kommen  will,  soll  sich  gut  mit  Better 
versehen,  das  er  keines  darf  zu  kaufen,  den  sie  sind  theuer  zu  kaufen  und  nemen  auch  Axt. 


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4:i5 


Biographische  lilütter. 


Serli  Beyel  Handfegen  Kisengesehir  zum  kochen  mit.  das  komt  euch  alles  sehr  wohl  ich 
sage  noch  eines  lieher  Bruder  Du  magst  schrei bes  hören  aus  Amerika  wo  Du  willst  so 
-hübe  keinem  als  meinem  den  ich  schreibe  Dir  Wahrheit,  so  gewiss  als  wir  leibliche 
Haider  sind. 

Jet/  mein  Herz  allerlibster  Bruder  und  Schwester  schliesse  ich  mein  schreiben  und 
wir  LTüssen  euch  alle  noch  einmal  und  befohlen  euch  in  den  Schutz  des  Allerhöchsten,  und 
wollte  euch  allen  von  Herzen  wünsc  hen  ihr  werden  alle  be.v  mir  und  hatten  zu  leben  als 
wie  ich  so  werden  ihr  gewiss  alle  sorgen  frei,  auch  ein  (»russ  an  mein  Nachbar  Oeorg 
U erber  und  an  seine  Frau  Ana  Marie  und  alle  im  Haus  auch  ein  («russ  an  Johann  Zoller 
und  an  seine  Frau  und  wenn  Du  in  diesem  Land  wärest  und  dort  arbeiten  als  wie  in 
Teutschland  so  thlltest  Deinen  Kindern  (Jute  Zeiten  machen.  Jetzt  glaube  ich  in  einer 
kurzen  Zeit  etliche  von  Forchheim  zu  suchen,  sollte  aber  dieses  nicht  geschehen  so  bitte 
ich  doch  ein  Brief  von  euch  zu  erhalten  so  bald  es  möglich  ist  lebet  wohl  und  gesund. 

Ich  verbleibe  euer  aufrichtiger  Bruder  wie  allezeit  Chresostimus  Weis  in 

Baldimor. 

Die  Weibsbilder  sollen  sich  nicht  mit  kostbaren  Kleider  versehen,  den  sie  derfen  ihre 
Kleider  nicht  in  diesem  Land  tragen,  den  sie  bekommen  irleich  Kleider  über  nach  der 
Amerikanischen  Tracht. 

Die  Atress  ist  zu  machen  an  Herrn  .Johann  (iross  in  der  Altstadt  in  Baldimor  ab- 
zugeben oder  dem  ( 'hnsostimus  Weis. 

Libste  .Schwester  untl  Schwager,  ich  schreil>en  dort  von  wegen  dem  Baibieren  und 
wegen  meinem  Kind  zu  shöpfen  nicht  das  ihr  glauben  es  sey  von  mir  ein  Lug.  wenn  es 
nicht,  die  Wahrheit  ist  so  soll  ich  ewig  verlohren  seyn  ich  als  ein  armer  badischer  hab  der 
Heham  müssen  4  Thaler  geben. 

Noch  eins  an  die  Weibsbilder  welche  nicht  gern  im  Feld  arbeiten  sollen  in  Amerika 
kommen  da  darf  keine  im  Feld  arbeiten  sondern  nur  im  Haus  waschen  begeln  und  kochen 
sey  e>  jung  oder  alt  es  ist  alles  eins. 

 <$>  

Briefe  Leopold  von  Ranke's  an  Varnhagen  von  Ense  und 
Rahel  aus  der  Zeit  seines  Aufenthaltes  in  Italien.*) 

Zur  Siicularfeier  von  Haukes  Cehurt       21.  Dezember  17uö  -- 
mitgetheilt  von  THEODOR  WIEDEMANN. 

Venedig,  den  IS.  Oktober  182S. 
Sie  werden  vielleicht  bereits  einige  I'ack  Papiere  von  meiner  Hand  ndn.\ssirt  erhalten  und 
hoffentlich  nicht,  zurückgegeben  haben.    Ks  sind  JOxcerpte.  die  ich  in  Wien  gemacht,  und 
die  sich  nicht  genule  auf  die  nächste  Arbeit,  die  ich  vorhabe,  beziehen.    Ich  habe  mir  er- 

i  Die  folgenden  Briefe  Hanke'.«  sind  fast  «limmtlich  an  Varnhagen  gerichtet,  an  dessen 
Oemahlin  Bahel  besonders  nur  die  Beilag«'  zu  dem  Brief  aus  Venedig  vom  Dezember  18*28  und 
da-  Schreiben  aus  Born  vom  2S.  Miirz  1S2!>.  -  Die  Personen,  welche  in  den  Briefen  namhaft 
gemacht  werden,  sind  meist  »ehr  bekannt.  Ks  genügt  wohl,  wenn  ich  angebe,  dass  die.  Karoline", 
nach  welcher  sich  Bänke  in  seinem  Brief  vom  25*.  Marz  18:10  erkundigt,  die  Frau  Majorin  Fiedler 
ist  < Varnhagen.  Blatter  aus  der  preussischen  (ieschichte  IM.  V.  S.  '261.  fi.  April 
vergl.  Stiigemann  an  ('ramer.  17.  April  1*34  in  „Aus  dem  Naehlass  Varnhagens  von  Knse, 
Briefe  von  Cliami-so.  «Jnei-enau.  Haugwitz"  Bd.  II  S.  213):  und  da«s  bei  der  in  demselben 
Brief  erwiihnten  Anwesenheit  einer  Gräfin  Kglotf'tein  in  Born,  was  bei  der  Herausgabe  des 
Briefe«  Varnhagen-  an  (ioethe  vom  Iti.  April  l*:iO,  in  welchem  eine  Stelle  aus  dem  Schreiben 


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Briefe  Leopold  von  Rankes  an  Varnhorn  von  Ense  und  Rahel. 


1:30 


laubt.  >ie  an  Sie  zu  adressiren.  weil  ich  hoffe,  dass  eine  solche  Adresse  sie  besonders  sicher 
stellen  werde.  Sie  sind  das  doch  zufrieden?  Ich  schreibe  dies  in  Venedig:  ungefähr 
14  Tage  bin  ich  bereits  hier.  Ks  ist  doch  wahrhaft  gut.  dass  ich  gereist  bin:  Reisen  ist 
eine  Mühe,  die  sich  selber  belohnt.  Ich  glaube  nicht,  dass  ich  einen  schöneren  We<_r  gemacht 
habe.  als  /.wischen  Wien  und  Venedig.  Man  kommt  /.war  nur  durch  ein  ungeheures  Thal 
zwischen  zwei  Bergwänden,  und  dies  konnte  sehr  einförmig  erscheinen,  allein  diese  Berg- 
wände reichen  einmal  ganz  nahe  heran  und  entfernen  sich  weit,  das  Thal  senkt  und  erhebt 
sich,  und  so  hat  es  doch  die  grössto  Mannigfaltigkeit.  Der  Heiwagen  war  durch  das  In- 
teres-e.  das  eine  mitfahrende  Römerin  uns  drei  Begleitern  abzugewinnen  wusste.  vor  aller 
Langweil  befreit. 

Hier  geht  es  so  gut,  dass  man  bei  massigen  Ansprüchen  zufrieden  sein  kann.  Die 
Bibliothek  ist  reich  ausgestattet,  zuganglich,  ergiebig:  der  Bibliothekar  die  Güte  und  Ge- 
fälligkeit selbst.  Die  Einwohner  erscheinen  ungemein  gutmüthig.  Der  Barcaruolo  selbst 
i-t  vielleicht  anfangs  ein  wenig  unverschämt,  aber  darauf  freundlich,  behilflich,  gefällig, 
zufrieden.  Buon  populaccio.  Die  Stadt  ist  erfüllt  mit  trefflichen  Kunstwerken.  Jede 
Kirche  ist  eine  Gallerie.  Ist  das  nicht  genug?  Und  doch  bleibt  Einiges  /.u  wünschen  und 
zu  hoffen.  Da  möchte  ich  zuerst  auch  in  dem  Archiv  arbeiten  dürfen.  Es  ist  der  einzige 
Ort  der  Welt,  wo  man  mit  den  Einalielatioiien  zu  einiger  Vollständigkeit  gelangen  kann. 
Glauben  Sie  mir.  dies  giebt  allein  eine  neue  Geschichte  der  drei  letzten  Jahrhunderte.  In 
Wien  war.  um  vieler  I  mstande  willen,  nichts  Entscheidendes  auszurichten.  Doch  habe  ich 
Hoffnung,  das  hiesige  Archiv  benutzen  zu  können,  und  auf  Veranlassung  des  Hofrath  Gentz 
an  diesen  und  an  den  Fürsten  geschneiten.  Wird  dies  gewahrt,  so  werde  ich  wohl  den 
Winter  nicht  viel  wegkommen.  Ferner  fehlt  es  in  der  Stadt  an  dem  nöthigen  Fmgang. 
Da  ich  schon  des  deutschen  Ausdrucks  im  Gespräch  nicht  völlig  Meister  bin.  so  können  Sie 
sich  denken,  wie  Kauderwelsch  mein  Italienisch  herauskommt,  zumal  wenn  ich  wirklich 
einen  Gedanken  sagen  will.  Die  Griitin  Albrizzi.  die  ich  sah,  und  die  hier  die  Haupt- 
konver-ation  hat.  sagt  mir.  dass  sie  Herrn  Alexander  von  Humboldt  kennt.  Jede  Em- 
pfehlung von  einem  bedeutenden  Mann  durch  ganz  Italien  würde  mir  sehr  erwünscht  sein. 
Hi^r  ist  es  sogar  nothwendig,  dass  ich  einige  Deszendenten  der  alten  Nobili  kennen  lerne. 
Längeren  Aufenthalt  wird  es.  hoffe  ich.  geben.  Endlich  mit  der  Kunst.  O  wer  so  ganz 
von  Herzen  sprechen  dürfte.  Mit  dem  Anschauen  ist  es  nicht  gethan.  Der  Genuss  liegt 
allein  im  Verständnis*,  das  Verständnis*  aber,  indem  es  die  Mangel  erldicken  lUsst,  hebt 
den  Genuss  auf.  Ich  arbeite  indessen  in  den  Feuerst unden  viel  in  diesen  Sachen.  -  Wie 
selten  aber  auf  dieser  Welt  ist  Gedanke.  Geist,  Licht,  Wahrheit.  Leben. 

Es  ist  in  Wien  von  mir  eine  kleine  Schrift  ausgearbeitet,  vor  deren  Erscheinen  mir 
jetzt  fast  bange  ist.1)  Doch  ist  es  nicht  mehr  zu  verhindern.  Ich  sage  bange,  nicht  um 
eines  Rezensenten  willen,  man  niuss  sich  versuchen  und  die  Leute  reden  lassen,  sondern 
weil  >ie  wieder  so  weit  von  dem  entfernt  ist.   was  sie  sein  sollt*'.    Himmel,  oft  habe  ich 

Hanke  *  wiederholt  wird,  im  Goethe-Jahrbuch  Bd.  XIV  d*!»:*)  S.  Ü'l  ff.  in  den  zugehörigen 
Anmerkungen  übersehen  und  auch  von  Michael  Bernavs,  Schriften  zur  Kritik  und  Litteratur- 
gT'schichte.  I.  Bd.  l  lSüä).  l.-JS.  Hl  nicht  nachgetragen  worden  ist,  von  den  drei  Schwestern 
Julie.  Auguste.  Lina  nur  die  erste  gemeint  sein  kann,  wie  aus  dem  versirizirten  Brief- 
wechsel zwischen  ihr  und  Gneisenau  ( Briefe  von  Fhamisso .  Gncisenau  II  S.  'J77  ff'.) 
erhellt,  (vergl.  IMaten  an  Bunsen.  l?S.  Dezember  ls:tO,  Deutsche  Revue  IV.  Jahrgang.  III.  IM., 
l&S».  S.  —  Die  Beziehungen  auf  Zeitereignisse,  welche  sich  in  den  Briefen  rinden, 
bedürfen  kaum  einer  Erläuterung:  sie  sind  leicht  zu  erkennen,  wie  sich  denn  z.  B.  bei  den 
„hallischen  Tumulten",  von  denen  Hanke  in  dem  Brief  vom  "J5.  Mai  l*oO  spricht.  Jedermann 
der  Angelegenheit  der  Professoren  Gesenius  und  Wegscheidel'  erinnern  wird. 

'l  Die  Serbische  Revolution.   Aus  serbischen  Rapieren  und  .Mittheilungen.  (Hamburg 
lsjü.i    S.  W.    Bd.  XL1II  ;  XLIV. 


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437 


Biographische  Blätter. 


Mitleid  mit  mir  selber.  Ich  will  heute  auf  einige  Tage  noch  mit  ein  paar  Deutschen,  welche 
ich  hier  gefunden,  auf  der  terra  ferma  nach  den  settc  comuni.  nach  Verona  verreisen. 
Von  da  kehr*  ich  wieder  zurück  und  bleibe,  wenn  ich  keine  Erlaubnis*  von  Wien  bekomme, 
hier  nicht  länger  als  einen  Monat;  dann  irehe  ich  nach  Florenz  und  zum  Carneval  nach 
Rom.    So  sehr  mich  das  reizt,  wünsche  ich  doch  hier  bleiben  zu  müssen. 

Sie  wissen,  das*  mir  eine  Unterstützung  bewillig  worden  ist,  wie  ich  sie  wünschte. 
Ich  wäre  wohl  schuldig,  Herrn  von  Humboldt  besonders  zu  schreiben.  Auch  will  ich  dies 
thun.    Indess  haben  Sie  die  Güte,  ihn  von  seinem  dankbaren  Verehrer  zu  grüssen. 

Ich  hotte  in  der  Kürze  wieder  zu  schreiben,  wenn  ich  in  Verona  gewesen  bin.  auch 
ausser  Savigny  an  Frau  von  Arnim:  von  Ihnen  aber  zu  hören,  wie  es  Ihnen  ergangen  und 
ergeht.    Ihnen  Beiden  bleibt  oft  meine  Erinnerung  gewidmet,  gehe  es  Ihnen  wühl. 

L.  Ranke. 

Adr.:  Campietto  Piguoli  785.    (Casa  della  Sra  Marianna  Gallerani.) 

Venedig.  Dezember  1S-JS. 

Mit  einer  so  raschen  Erfüllung-  meiner  bloss  angedeuteten  Ritte,  wie  Sie  mir  haben 
zu  Theil  werden  lassen,  mein  verehrter  Freund,  haben  Sie  die  Erinneruni:  an  all  die  frei- 
willige Güte,  die  Sie  mir  jemals  erwiesen  haben,  frisch  erneut. 

Von  allen  diesen  Empfehlungen  habe  ich  indess  noch  keinen  liehrauch  gemacht,  noch 
immer  befinde  ich  mich  zu  Venedig.  In  den  letzten  Tagen  der  guten  .Jahreszeit  machte 
ich  einen  Ausflug  nach  dem  festen  Lande.  Ich  nahm  den  Weg  gleichsam  nach  Deutsc  hland 
zurück.  Mit  Freuden  denke  ich  an  die  reine  Luft,  die  ich  an  den  Bergen  und  darauf  genoss: 
nicht  allein,  indem  ich  sie  in  mich  sog.  sondern  in  der  Betrachtung  der  lebhaften  Farbe,  der 
schärferen  Umrisse,  welche  Zäune.  Bäume.  Glockentürme  und  Berge  gleichsam  persönlicher 
mir  vor  Augen  brachten.  Es  giebt  viel  zu  denken,  wenn  man  den  Hintergrund  der  Land- 
schaften von  Bassano  in  den  Bildern  der  da  Ponte  aus  Bassano  wiederfindet.  In  dem  Ge- 
burtsort  des  Hauptertinders  der  venezianischen  Malerei  (Castelfrancn.  Vaterstadt  von  Giorgione) 
fand  ich  mich  schön  belehrt.  Sie  sehen,  ich  streife  auch  etwas  in  das  Gebiet  aller  durch 
Italien  Reisender,  und  schwatze  schon  ein  wenig  von  der  Kunst,  doch  ging  ich  hauptsächlich 
anderen  Studien  nach.  Auf  den  sieben  Gemeinden  verehrte  man  mir  ein  Exemplar  ihrer  alten 
Privilegien  und  ich  sah  einige  Reste  ihrer  republikanischen  Buchhaltung.  Welche  Ver- 
wunderung, wenn  ich  etwa  mit  dem  Hausvater  in  seine  einsame  Hütte  trat,  sie  oben  und 
unten  durchkroch,  die  Kinder  beschenkte,  und  alsdann  dem  vorwärts  gegangenen  Boten  in 
den  dunkeln  Abend  hinaus  nacheilte.  Einen  Katechismus  in  ihrer  Sprache,  die  ein  etwas 
verwildertes  Deutsch  ist,  wohlgemerkt:  Norddeutsch  bringe  ich  mit.  In  Vicenza  Natur  und 
Palladio.  ein  vorzügliches  Stadt-Archiv,  von  dem  ich  auf  der  Stelle  Nutzen  zog:  gute,  dienst- 
beflissene Menschen.  In  Verona  förderte  mich  eine  Empfehlung  Savigny' s  ausserordentlich. 
Mantua  enthält  einen  ganz  unbekannten  höchst  wichtigen  Schatz  an  dem  Archiv  der  Gon- 
zagas, für  das  südliche  Europa,  auch  für  die  grossen  Höfe  von  vieler  Bedeutung.  Ich  hoffe 
noch  einmal  eine  Weile  da  arbeiten  zu  können.  Es  ist  freilich  nicht  die  venezianische  Weise, 
doch  finden  sich  allgemeinere  Darstellungen  von  Zustünden  und  Persönlichkeiten,  so  da*s  man 
nicht  das  ganze  Detail  zu  durchsuchen  halten  würde.  Wer  weiss  indess!  Es  ist  schon  ein 
Gewinn  diese  Städte  gesehen  zu  haben.  Jede  mit  ihrer  ganz  eigenen  Physiognomie,  ihrer 
eigenen  Geschichte  (selbst  ihrem  Fürsten-  und  zuweilen  Tyrannengeschlecht),  ihren  alten 
Denkmalen:  fast  einem  besonderen  Dialekt  und  einer  heimischen  Kunst.  Wer  das. so  ganz 
fas.sen  könnte.  ..letzt  freilich  kommt  mir  das  Land  sehr  revolutionirt  vor.  Mir  nicht  ganz 
zu  seinem  Vortheil.  Der  Zustand  der  Bauern,  das  Hauptübel  in  Italien,  ist  der  nämliche 
geblieben. 

Ich  bin  seitdem  unausgesetzt  in  Venedig  gewesen.  Die  Ankunft  des  Professor  Reisig 
aus  Halle  ist  für  mich  dadurch  eine  Begebenheit  geworden,  dass  derselbe  hier  in  eine  in  der 
That  schwere  Krankheit  gefallen  ist,  die  alle  Aufmerksamkeit  eines  Landsmannes  in  Anspruch 
nimmt.    Sie  hat  sich  erst,  in  der  dritten  Woche  als  Pin  Nervenfieber  ausgewiesen,  und  der 


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Briefe  Leopold  von  Ranke's  an  Yarnhagen  von  Ense  und  Rahel. 


438 


Ar/t  hat  einige  Tage  lang  sehr  bedenkliche  Reden  geführt.  Ich  hoffe  wohl,  dass  ihn  seine 
gute  Natur  noch  durchbringen  wird.  Sein  Zustand  »reht  mir  mehr  nahe,  als  ich  selbst  gedacht 
hätte.  Kr  ist  in  seinem  Her/en  ein  nobler  Mens«-h.  Heine  war  hier  und  hat  mir  die  schönsten 
tirüsse  aufgetragen.  Eine  sonderbare  Begierde.  Jemand,  von  dem  ihm  Nachrichten  fehlten, 
in  München  zu  suchen  (ich  glaube  einen  Bruder)  hat  ihn  aus  seiner  Horentinischen  Freude 
gerissen.  Kr  ist  Ihnen  Heiden  ungemein  ergeben.  Ein  Mensch,  mit  dem  ich  wohl  glaubte, 
angenehm  leben  zu  können:  gewiss,  ich  wünschte  mir  seine  Gesellschaft  Öfter  und  langer: 
er  hat  Geist,  ist  ohne  Anspruch  und  hat  doch  eigenes  Wesen.  Arnim  llisst  er  zu  meiner 
(ienugthuung  Gerechtigkeit  widerfahren.   Mit  einem  Worte,  ich  habe  mich  an  ihm  gefreut. 

Noch  ein  anderer  junger  Mann  war  hier,  dessen  Rild  seitdem  meine  Seele  sehr  erfüllt 
hat.  So  hochgestellt,  grossgesinnt,  freien  Muthes:  und  wenn  ich  es  sagen  kann,  höchst 
liebenswürdig.  Ich  habe  gute  Anlage,  »'in  Anbeter  von  ihm  zu  werden.  Er  hat  glückliche 
Bemerkungen  gemacht.  /..  B.  wenn  man  in  eine  Basilika  oder  in  eine  gothische  Kirche  kommt, 
das  sei.  als  gehe  man  zu  dem  Heiligthum  hin.  als  suche  man  es  auf:  komme  man  aber  in 
eine  grichische.  wie  St.  Markus,  so  sei  man  gleich  mitten  darin  etc.  Mich  hat  er  dann 
freilich  >o  aufgenommen,  «las  ich  parteiisch  sein  muss. 

Wegen  des  hiesigen  Archivs  hat  mir  Hofrath  von  (Jentz  gar  bald  eine  günstige 
mündliche  Erklärung  des  Fürsten  Metternich  zu  wissen  gethan.  Doch  hat  der  i  Jeschllftsgang 
solche  Weitläufigkeiten,  dass  ich  wohl  erst  weggehen  werde,  um  spitter  einmal,  wenn  es  mit 
der  Erlaubnis*  ganz  entschieden  ist.  zurückzukehren. 

Ich  habe,  Ihnen  immer  soviel  zu  schreiben,  dass  ich  wahrhaftig  nicht  weiss,  ob  ich 
Ihnen  von  meiner  Arbeit  Nachricht  gegeben  habe,  die  ich  zuletzt  in  Wien  ausführt«*.  Sie 
betrifft  die  serbischen  Angelegenheiten,  ist  schlechterdings  neu.  wird,  wie  mich  dünkt,  gelesen 
werden,  und  vielleicht  mir  gar  zu  scharten  machen.  Gott  gebe  das  Beste.  Sie  werden  sehen, 
da>s  der  Stoff  schlechthin  einen  Menschen  wie  mich  hinreissen  musste.  Allein!  allein! 
Übrigens  habe  ich  die  Thorheit  von  jedem  Ruche  zu  denken,  es  sei  ein  Übergang  über  den 
Rubicon:  eine  alea  jaita.  Auch  ist  wohl  so.  dass  ich,  um  irgend  etwas  zu  gelten,  nach  der 
höchsten  Reputation  streben  muss.  Jedoch  man  ist  nicht  mehr,  als  man  ist.  und  soll  nicht 
mehr  scheinen. 

Es  ist  kein  Platz  mehr  zu  den  «Müssen  an  Sie  Meide,  von  denen  ich  viele  auf  dem 
Herzen  habe.    Ich  kann  mir  nicht  anders  denken,  als  dass  sie  im  Manzen  glücklich  sind. 


Noch  vier  Wochen  wird  mich  ein  Brief  hier  antreffen.  Beilage  auf  Ihren  eigenen  Befehl. 


Der  alte  Tadler  setzt  aus: 

1.  Dass  die  guten  Poeten  nicht  aus  dem  sechszehnten  Jahrhundert  in  das  neunzehnte 
verpflanzt  sind.  Mindern  aus  dem  neunzehnten  in  das  sechszehnte:  dass  Shakespeare  redet, 
als  w«-nn  er  Tieck  warn 

•J.  Dass  in  das  J)icht<>rlchen*  gar  zu  viel  Anderes  gemischt  ist.  vorzüglich  da.s  Leben 
der  finsteren  Schwärmer.  Indem  di«'  Einheit  nur  durch  den  Squire  festgehalten  werden  soll, 
tritt  dieser  stärker  in  den  Vordergrund,  als  Marlowe  und  tireen  und  der  Schreilver:  und  es 
wird  halb  eine  Novelle  vom  edlen  Edelmann. 

:J.  Dass  die  guten  Poeten  Nichts  ««rieben,  als  ihre  Aventuren  mit  Öffentlichen  Mädchen: 
übrigens  sind  ihre  (iespräche  ihre  Erlebnisse.  Von  den  ( iespräelmn  siml  nicht  alle  vollkommen 
wahr,  aber  eine  Rede  Marlowe  s  ist  es. 

Nun  möcht«'  der  alte  Tadler  noch  weiter  tadeln,  doch  er  sieht,  dass  ei  bereits  in 
Lob  verfallt.  Ein  Hauptlob  ist.  «lass  diese  Novell«'  keine  eigentliche  Liehc*g«>schi<-]ite  ver- 
meldet: ein  and«-r«-s  hält  sie  sich,  wo  man  sie  nur  aufschlägt,  selbst  durch  den  treffenden 
Fall  ihrer  Ri'de. 


Ihr  g«>treuer 


L.  Ranke. 


über  Ticck's  Novelle:  „Dichterleben." 


-DP.) 


Bio-rapid  »che  Blätter. 


Venedig,  den  lM5.  Januar  l*°f>. 

Ich  komme,  int- in  vereintester  Freund,  heute  mit  vielen  und  beschwerlich  Hin.-;:, 
und  Sie  wissen  wohl,  wie  e-  kommt,  das»  ich  oar  kein  Bedenken  tra-re.  Sie  Ihnen  vorzuleben. 
L-h  wüsste  nicht,  welclie  Bitte  nicht.    Sie  worden,  da  ist  nun  kein  Mittel,  denn  ich  ha'<e 
schon  an  Perthes  iresehrieben  acht  Exemplare  meines  Buches  iil)er  die  Serien  zuire»endet 
erhalten.    Für  diese  armen  Waisen  sollen  Sie.  das  ist.  meine  Bitte.  Sorire  trafen,  als  wenn 
Sie  der  Vater  wären.    Ich  halte  eines  für  Alexander  von  Humboldt  bestimmt,  und  sehreibe 
da/u  keinen  Hrief.  da  ich  desselben  schon  im  letzten  Ei  •wähnunir  pethan:  eines  iin  <  ieheimrath 
Aneillon:    hier/u   beilie-jvnder  Hriet'  in  S.     Nun   aber   kommen  noch  die  Schwierigkeiten. 
Meiner  Moinunir  nach  kann  »lies  Much  Sr.  K.  11.  und  Sr.  Majestät  (auf  deren  Kosten  ich  reise) 
luidich  überleben  werden.    An  S.  K.  H.  liesrt  ein  besonderes  Schreiben  bei.    I'iir  S.  Majestät 
fordert  es  wohl  andere  Formalitäten,  die  einen  eingeschlossenen  Hriet*  nicht  vertragen.  Für 
den  Fall,  dass  Sie  es  für  räthlieh  halten,  ein  Exemplar  zu  überreichen,  liesse  sich  dann  nicht 
ein  Schreiben  folgenden  Inhalts  von  Schreibers  Hand  hinzufüiren:   .Ew.  Majestät  haben  unter 
der  «Trossen  Zahl  Ihrer  l "nterthanen.  welche  Ihre  Huld  gemessen,  auch  mich  mit  einer 
sonderen  < 'nade  zu  bedenken  freruht.    Indem  ich  wünschte.  Ew.  Majestät  ein  Zeichen  meiner 
tiefen  Dankbarkeit  zu  freben.  weiss  ich  kein  anderes  Mittel,  als  Ew.  Majestät  ireirenw'.it ti-je 
kleine  Schrift  zu  überreichen.    Möchte  sie  der  höchsten  Aufmerksamkeit  nicht  unwürdig  »ein. 
Ew.  Majestät  unterthänitrster  etc.  Venedi  sr  '.Mi.  Januar  'J!'".    Wäre  nun  dies  geschehen .  >o 
bliebe  noch  iibriL'.  diese  Schrift  an  den  russischen  Hof  zu  bringen.    Hierzu  aber  weiss  ich 
weder  Mittel  noch  \\V;'.  obwohl  ich  es  um  der  Sache  selbst  willen  sehr  wünschte.  Mi 
verursache  Ihnen  freilich  eine  gewisse  l'ein      .  indem  ich  Ihnen  auch  dies  überlasse.  s,,wie 
Herrn  ('.  I!.  Aneillon  und  Herrn  von  Humboldt.    Vielleicht  möchten  zwei  Exemplare  dahin 
trohen  können.    Wo  nicht,  so  wollen  wir  sie  doch  verschenken.    Eines  der  übriiren  Exemplare 
auf  Velin  oder  Seide  haben  Sie  die  (iure  unter  Thr<»  Uüeher  aufzunehmen.    Eines  wünschte 
ich  nach  Paris  als  den  Mittelpunkt  allgemeiner  Eitteratur  gebracht  zu  sehen.   An  tioethe  ist 
ein  Exemplar  durch  Herrn  Perthes  yesandt  worden,  sammt   einem  Hriefe.    An  unseren 
ireistlichen  Minister  wird  Herr  Professor  Hitler  die  nöthiiren  .Exemplare  üherirehen.  <'e'r.o 
tiott  »einen  Seiren  zu  diesem  Huch.  das  gewiss  aus  reiner  Thoilnahme  hervori'eiraniren  ist. 
und  lediglich  aus  ihr.    Persönlich,  die  Wahrheit  zu  sniren.  hätte  ich  mehr  davon  zu  furchten 
als  zu  horten,  dass  ich  mich  in  diese  Dinare  menire.    Schreibet!  Sie  mir  francamente.  was  sie 
denken  und  s.iLren.    Tch  werde  in  weniir  Ta«_ren  nach  Pom  abreisen,  wo  mich  Ihr  Hrief  dun  h 
Vermitteluni:  der  < iesandtschaft  leicht  treffen  kann.        Sie  worden  nunmehr  wissen,  dass 
der  arme  Professor  Ueisi<r  hier  gestorben.     Wie  sehr  mich  dies  I  nirlück  beschäftigt  und 
anireirritfen  hat,  kann  ieh  Ihnen  nicht  beschreiben.    In  der  That  war  dieser  Winter  inoeh  i»t 
er  nicht  vorüber)  für  Einheimische  und  Auswärtige  irleich  iref  ihrlich.    Auch  auf  anderer  Seite 
ist  mir  der  Tod  nahe  «rekouunen.    Mein  \'ater  ist  kaum  am  Leben  erhalten  worden.  Sie 
werden  wissen,  welcher  Verlust  uns  in  Frankfurt  a.  O.  bedroht  hat.    Wird  aus  der  russischen 
Sendunir  nichts,  so  wünsc  he  ich  eines  von  jenen  Exemplaren  in  das  Hans  Saviirm  "s  gesendet 
zu  wissen.   Meine  Studien  frohen  frlücklich  fort.   Obwohl  das  Archiv  noch  nimmer  verschlossen 
ireblieben.  nimmt  doch  meine  Sammlunir  venezianischer  Petitionen  tätlich  zu.    Es  ist  hier 
eine  Hibliothek  von'JMH»  Manuskripten  zu  verkaufen,  über  die  ich  an  das  Ministerium  berichtet 
habe.    Wenn  davon  die  Pede  ist,  so  würde  sehr  irut  sein,  wenn  Sie  und  vielleicht  Herr 
Alexander  von  Humboldt,  darauf  aufmerksam  machten,  dass  das  darin  betindliche  Exemplar 
des  Sanudo  (  L.  se,  r.  tid.  etc.)  eben  da»  ist.  worauf  <  ardinal  Zurla  (Viairiri  etc.  T.  II.)  »o 
-i..»sen  Werth  le-t.    Dem  Staat  mus»  mehr  an  den  iMX»  Manuskripten  lie-en  als  an  den 
«»« m i  Louisdor's.  die  sie  kosten  soilen.    Ich  irrtivsc  Sie  Heide  von  iranzem  Herzen,  und  v.<  i-. 
dass  Sie  fwt fahren  Werdum,  mir  wohlzuwollen.    Es  ist  hübsch,  wenn  man  so  sicher  i»t. 

.  Ihr  L.  Panke. 


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Briefe  Leopold  von  Rankes  an  Varnhagen  von  Ense  und  Rulid. 


440 


Koni.  28.  März  1  *•_><(. 

Gnädige  Frau! 

Ks  ist  das  erste  Mal.  da*s  ich  höre,  da**  Sie  unzufrieden  über  mi<  h  sind.  Sehe  ich 
nun.  da**  die.  welche  mir  übel  wollen,  mich  ernstlich  hassen,  und  da**  ich  auch  die  ver- 
letzte, welche  mir  wohlwollen,  so  hin  ich  nicht  wenig  unglücklich.  Hei  meinem  letzten 
Brief  war  mein  Sinn,  da**  ich  Herrn  von  Varnhagen  und  Ihnen  Alle*  überlasse.  — 
war  weit  entfernt,  mich  dabei  vornehm  zu  fühlen:  vielmehr  mit  einem  «ranz  unbedingten 
Vertrauen  (was  doch  ohne  1'nterordnung  ni.-ht  sein  kann»  habe  ich  meine  Bitten  Ihrem 
Ermessen  anheimstellt.  Glauben  Sie.  da**  ein  einziges  Wort  «so  geht  es  nicht"  mir 
ganz  genug  ist.  Mit  alledem,  w.ts  Sie  in  meiner  Sache  gethan  (»der  nicht  gethan  haben, 
thun  oder  nicht  thun  werden,  hin  ich  vollkommen  zufrieden.  I<h  weiss  nicht,  wo  Herr 
von  Varnhagen  ist.  ich  würde  ihm  sonst  gewiss  schreiben.  Ich  hoffe.  seine  Laufbahn  be- 
ginnt aufs  Neue.  —  Kr  hatte  die  Güte  mich  an  Herrn  v.  .Marten*  zu  empfehlen.  Herr 
von  Martens  schien  sich  viel  daran*  zu  machen:  er  hat  mich  nicht  allein  in  seinem  Hau>e 
gut  aufgenommen,  sondern  durch  seine  Verwendung  hei  der  Regierung  mir  die  wesentlich- 
sten Dienste  geleistet.  --  Herrn  kostner  und  die  Brüder  Riepenhausen,  an  die  ich  durch 
Ihre  Vermittelung  Briefe  empfangen  hatte,  habe  ich  sehr  freundlich  und  gütig  gefunden. 
Im  Ganzen  geht  e*  mir  denn  in  Italien  wohl:  ich  sollte  Ihnen  billig  ausführlich  davon 
schreiben,  aber  ich  imiss  er*t  ein  freundliches  Wort  von  Ihnen  haben.  -—  Indessen  wird 
mein  neues  Buch  in  Deutschland  am  Knde  einen  der  Wirkung,  die  ich  beabsichtigte,  ent- 
gegengesetzten Krfolg  hervorbringen.  Haben  Sie  denn  einen  Blick  hineingethan ?  -  Wenn 
Jedermann  unzufrieden  i>t.  fange  ich  an.  an  mir  selber  >tark  zu  zweifeln. 

Sind  Sie  gesund?  Haben  Sie  gute*  Wetter  und  reine  Luft?  Abends  immer  gute 
Gesellschaft?       Seien  Ihnen  heitere  Tage  gewahrt. 

L.  Hanke. 

Bänke  an  Varnhagen. 

11  um.  den  0.  Juni  1S_".>. 

Sie  haben  mir.  mein  verehrter  und  theurer  Freund  neuerdings  soviel  Güte  erwie-e;:. 
das*  ich  Ihnen,  wenn  es  möglich  ist.  noch  mehr  verpflichtet  sein  muss.  als  zuvor.  La*-en 
Sie  mich  darüber  keine  Worte  machen.  Wollte  Gott,  das*  ich  einmal  in  irgend  etwa*  Ihre 
Stelle  vertreten  konnte,  wie  Sie  die  meine. 

Ihre  Erinnerungen  sind  mir  nicht  im  mindesten  unbequem.  Ich  sehe  wohl.  da>*  mir 
das  Buch,  das  ich  mit  dem  bestimmten  Gefühle,  es  werde  mir  für  meine  persönlichen  Ver- 
hältnisse eher  hinderlich  al*  vortheilhaft  sein,  gesehriehen  habe,  deren  bald  in  einer,  bald  in 
anderer  Art  gar  viele  zuziehen  wird.  Die  Ihren  aber  sind  so  freundlich  gesagt,  al*  wahr- 
scheinlich gut  begründet.  Mi  mache  an  mir  die  Bemerkung.  da*s  die  Eigenschaften,  die 
man  übrigens  hat.  die  uns  in  Hau.*  und  Stube  vielleicht  seihst  listig  fallen,  wie  man  sich 
auch  anstellen  mag.  in  litterarischen  Dingen  immer  hervortreten.  I  m  hier  zu  eigentlicher 
Kleganz  zu  gelangen,  müsste  ich  eine  Radikalkur  mit  mir  vornehmen.  Ich  bilde  mir  zwar 
ein,  da.**  ich  mich  ein  wenig  gebessert  habe  und  eben  jetzt  bin  ich  in  guter  Schule  -. 
allein  ich  fühle  doch,  das*  ich  nur  zu  einer  Unterhaltung  tauge,  wo  man  sich  etwa*  ge- 
fallen lii&st:  da.*s  ich  den  Anspruch  nicht  machen  kann,  mich  nur  einen  Altend  lang  im  Salon, 
mich  nur  bei  einem  eleganten  Gastmahl  mit  Freiheit  und  Genugthuung  zu  bewegen.  Wie 
sollte  sich  das  nicht  in  dem  zeigen,  was  ich  schreibe?  - 

Wie  sehr  mich  Krankheit  und  Genesung  Ihrer  Frau  Gemahlin  bewegt,  ist  unmbjlich 
zu  sagen.  Welche  Verluste  sind  in  diesem  schweren  Winter  an  mir  vorübergegangen.  Ob 
ich  gleich  Beide.*  in  dem  nämlichen  Moment  erfahren  habe,  so  denke  ich  mir  die  lange  Ge- 
fahr, die  es  auch  für  mich  *o  sehr  gewesen  ist,  redlich  au*,  .letzt,  hoffe  ich.  i*t  Alle* 
vorüber.  Diesem  Leiten  wird  die  ihm  eigentümliche  Munterkeit  nie  fehlen:  und  wie  ich 
sie  verlassen,  werde  ich  sie  wiederlinden.  Glückliches  Wiederlinden!  Wie  sehr  gefalle  ich 
mir  in  dem  Gedanken,  das-  ich  wieder  einmal  an  Ihrer  Glocke  ziehen,  eintreten  und  Ihre* 


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441 


Biographische  Blatter. 


<  iespriiches  gemessen  werde,  nach  solcher  Peregrination !  Dort,  dort  hin  ich  doch  zu  Hause. 
Alter  wann? 

Rom,  in  das  ich  mich  zu  finden  Anfangs  wenig-  Hoffnung  hatte  »Florenz  und  Venedig 
lagen  mir  zu  sehr  im  Sinn)  hält  mich  jetzt  immerdar  als  einen  Fremden,  doch  mit  mannich- 
faltiger  Bande  gefesselt, 

Zuerst  meine  eigentlichen  Studien.  Die  Bihliotheken  sind  zahlreich,  und  in  meiner 
Gattung  der  Litteratur  fast  alle  trefflich  ausgestattet.  Ks  hat  zwar  seine  Schwierigkeit .  -de 
zu  lienutzen:  jedoch,  wenn  man  in  seiner  Aufführung  nicht  offenbare  Felller  begeht,  wie 
mir  einmal,  als  ich  den  jüngeren  Bibliothekar  anstatt  des  älteren  anging,  und  den  letzteren 
dadurch  in  Zorn  setzte,  begegnet  ist,  sind  diese  Schwierigkeiten  zu  überwinden.  Ks  geht 
mir  sogar  besser  als  anderswo.  Der  Fürst  Altieri  hat  mir  einen  grossen  Saal  eingeräumt, 
dahin  die  Handschriften  aus  der  Bibliothek  gebracht  werden,  wo  ich  zu  jeder  Stunde  des 
Tage*  arbeiten  kann.  Der  Bibliothekar  der  Barberina  hat  mir  und  zwei  anderen  Deutschen, 
ein  kleines  Zimmer  zu  ähnlichem  (  iebrauch  überlassen.  Die  Sachen  sind  römisch  und  fremd. 
Ks  ist  freilich  das  wichtigste  Ding  von  der  Welt,  den  (lang  des  romischen  (iovemozu  ver- 
folgen: warum  sollte  man  nicht  unter  Andern  einmal  nachfragen .  wie  dieses  heutige  Horn, 
da-  alle  Welt  zu  besuchen  reist  ,  zu  Stande  gekommen  ist?  Die  Stellung-  des  l'apstthum- 
ist  grossartig,  auch  in  neuerer  Zeit.  Die  merkwürdigsten  Dinge  kommen  zum  Vorschein 
und  ich  muss  doch  eben  einmal  einen  zweiten  Theil  schreiben.  Die  fremden  Monumente  sind 
aber  beinahe  noch  wichtiger.  Über  die  Verhältnisse  der  katholischen  Sache  in  aller  Welt, 
womit  so  viel  zusammenhängt,  finden  sich  schöne  und  neue  Aufklärungen.  Die  Sache  der 
englischen  Katholiken  in  Bücksicht  der  ganzen  englischen  (ieschiehte,  wird  man  selbst  in 
Kncrland  nicht  so  gut  studiren  können  wie  hier,  wohin  man  berichtete,  wo  die  Familien 
der  ("ardinalnepoten  die  .Monumente  ihrer  Regierung,  als  einen  Schatz  ihres  Hauses  auf- 
bewahrten. Nicht  wenig'  merkwürdige  deutsche  Sachen  finden  sich.  Ks  verircht'fast  keinen 
Tag-,  ohne  irgend  eine  wichtige,  alte  Ideen  entweder  befestigende  oder  limitirende  Auffassung. 
Nur  ist  es  wahr,  dass  man  auf  zweierlei  Acht  haben  muss.  sich  in  der  Arbeit  weder  zu  über- 
nehmen, noch  auch  zu  zerstreuen.  An  das  neue  Born  stossen  die  Rudera  des  alten.  Mitten 
hindurch,  einen  Baumgang  entlang,  unter  dem  Bogen  des  Titus  weg,  unter  dem  Coliseum 
hin.  in  einem  öffentlichen  Oarten,  und  von  da  über  den  Circus  Maximus  zwischen  Vignen- 
zäunen  weiter,  führt  mein  täglicher  Abendspaziergang.  Ks  ist  überdies  ein  sehr  belebter 
Theil  der  Stadt.  Vierhundert  Arbeiter,  an  verschiedenen  Theilen  der  Stadt  vertheilt,  sind 
mit  Aufgrabung  und  Herstellung  unausgesetzt  beschäftigt:  sie  fördern  das  alte  Pflaster  zu 
Ta«_re.  bringen  die  eigentlichen,  von  dem  ungeheuren  Schutt  verdeckten  Hasen  der  Denk- 
male zum  Vorschein,  um  ihnen  die  Anschauung  ihrer  eigentlichen  Dimensionen  wiederzugeben 
und  machen  den  Antiquaren  oft  zu  schaffen.  Leider  ist  es  das  kaiserliche  Koni,  das  man 
wahrnimmt.  Aus  der  Zeit  der  Republik  ist  nur  ein  winziger  unscheinbarer  Tempel  übrig. 
Ks  ist  leichter  sich  in  die  ganz  alten  Zeiten  zu  versetzen,  wenn  man  auf  einen  der  jetzt  zu 
Vignen  eingerichteten  Hügel  steigt,  der  vom  Palatin  etwa  nach  t'apitolin  oder  Aventin 
hillübersieht:  die  Campagna,  weiter  hinaus  war  ein  Land  der  Deister  und  ist  ein  Land 
der  (leistet*. 

Ks  ist  sonderbar,  wie  sich  das  so  treibt!  Kben  jetzt  scheint  es.  als  wollte  um  Albano 
die  alte,  vulkanische  Natur,  die  diesen  Boden  schuf,  wieder  hervortreten.  Der  Ort  ist  ver- 
laden, viele  Albaner  sind  nach  Rom  gekommen,  viele  wohnen  in  J Bitten  um  den  Ort  her. 
Ich  denke  noch  heute  dahin  zu  gehen,  nicht  gerade  um  auch  einen  Krdstoss  zu  fühlen,  son- 
dern utn  mir  die  Wirkung  der  rebellischen  Natur,  —  das  kann  doch  der  kluge  und  witzige 
Men>ch  nicht  verhüten.  Auge  in  Auge  anzusehen.  Die  albanischen  Banditen  haben  alle 
ihre  Mordgewehre  zu  den  Füssen  ihrer  Beichtvater  gebracht,  von  denen  einer  mit  einer  kaum 
zu  beschwichtigenden  Wirkung  den  jüngsten  Tag  angekündigt  hat.  Von  dem  (ionuss.  den 
ich  in  den  Sammlungen  vornehmlich  der  antiken  Kunstwerke  habe,  und  der  Koni  zu  dem 
um  hte.   was       i>t.     -  anderes  haben  auch  andere,  dies  ist  allein  hier,  allein  durch  An- 


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Briefe  Leopold  von  lianke's  an  Varnhagen  von  Knse  und  Habel.  442 


Kchauunsr  des  Originals  zu  erlangen  —  sage  ich  Ihnen  nicht«.  Man  sollte  hier  einen  Kursus 
der  römischen  Litteratur  und  Geschichte  machen.  Ks  ist  eine  wechselseitige  Erläuterung 
des  schriftlich  Überlieferten,  des  in  Monumenten  Aufbehaltenen  und  dessen,  was  noch  im 
Leben  besteht,  möglich,  wie  wahrscheinlich  an  keinem  anderen  Ort  der  Welt.  Ich  werde 
darum  nicht  sogleich  aufbrechen  und  zurückkommen.  Von  unserem  Ministerium  habe  ich 
genugthuende  Schreiben  bekommen,  auch  sagt  man  mir  Geld  zu.  So  lebe  ich  in  Genuss, 
Zufriedenheit  und  Hoffnung. 

Ganz  der  Ihre 

Leopold  Kanke. 

1*.  S.  Ich  grüsse  Herrn  und  Frau  von  Arnim.  Von  Krau  von  Arnim  wüsste  ich 
gern  etwas.  Beiliegendes  Blatt  geht  wohl  leicht  mit  einen»  von  Ihnen  nach  Krank furt.  — 
Sollte  ich  neues  Geld  von  Seiner  Maj.  dem  König  bekommen,  vorher  aber  die  Überreichung 
des  Buches  (wenn  ich  an  diese  Dinge  gedenke,  bin  ich  voll  Dank  gegen  Sie)  unterblieben 
«ein.  so  werde  ich  alsdann  sicherlich  ein  Schreiben  senden,  was  freilich  anders  eingerichtet 
sein  müsste.  —  Nochmals  wünsche  ich  Ihnen  Gesundheit.  Wohlergehen,  gute,  beschäftigte 
Tage.    Sollte  ich  Etwas  erträgliches  zu  Stande  bringen,  so  werde  ich's  Ihnen  senden. 

Ihr 

U. 

Koni.  10.  Oktober  1829. 

Mit  ausserordentlichem  Vergnügen,  mein  theurer  Freund,  empfing  ich  Ihren  Brief 
aus  Baden,  der  mir  schon  auf  dem  Couvert  die  Hälfte  Ihres  Zustande«,  Reise,  Bad  und 
Freundin  verrieth.  Sind  Sie  auch  in  Paris  gewesen?  Wahrhaftig,  ich  habe  gar  kein 
Hecht  und  wenig  Neigung,  eifersüchtig  zu  sein:  ich  denke  weiter  nichts,  als  dass  es  mir 
nicht  hätte  schaden  können,  auf  ein  paar  Tage  der  Vierte, bei  Ihnen  zu  sein;  als  solch  ein 
Vierter  lade  ich  mich  zum  Voraus  auf  irgend  einen  künftigen  Sonn-  oder  Alltag  zu  einem 
Diner  ein.  Warum  hat  mir  aber  Krau  von  Vamhagen  nicht  ihre  Genesung  mit  zwei  eigen- 
händigen Worten  vergegenwärtigt?  Grüssc  sie  schön!  — 

Jede  Nachricht  von  Ihnen  verpflichtet  mich,  einen  Anlauf  zu  nehmen,  um  Ihnen  aus 
dem  Grunde  zu  danken.  So  sorgsam  und  besser  als  ich  selber  vermocht  hätte,  nehmen  Sie 
sich  meiner  Sachen  an.  Ich  wollte.  Heine  wäre  nur  dämm  hier,  damit  ich  einem  Gleich- 
gesinnten  eigentlicher  sagen  könnte,  wie  ich  gegen  Sie  gesinnt  bin.  Statt  Heines  wird 
Graf  Platen,  der  ihn  so  übermüthig  über  die  Achsel  angesehen  und  mit  Schimpfereien  be- 
legt hat,  im  Winter  hierher  kommen.  I'laten  bekämpft,  was  ihm  vorkommt,  unter  Anderen 
auch  die.  mit  denen  er  sich  verbinden  sollte.  Poesie,  „an  deren  Busen  er  ruht"1),  hat  ihn,  wie 
mich  dünkt,  mit  den  Lippen  berührt,  und  er  weiss  sich  gut  auszudrücken:  dass  er  aber  in 
dieser  Liebe  ganz  glücklich  sei,  muss  er  ein  ander  Mal  auch  mit  Erfindung  und  grossen 
Gedanken  bewähren.    Sonst  zaviv  tö  Xifouaiv'-),  wenn  ich  mich  des  Theokrit  recht 

erinnere. 

Mir  meldeten  Sie.  dass  meine  Sachen  in  Berlin  gut  standen.  Ob  ich  wohl  die  Hoff- 
nungen, die  Sie  für  meine  Zukunft  hegen,  nicht  theilen  kann,  sondern  Uberzeugt  bin,  dass 
ich  immer  ein  armer  Professor  mit  schmächtigem  Gehalt  bleiben  werde,  übersehen  und  verab- 
säumt, so  bin  ich  doch  sehr  zufrieden,  dass  man  gut  von  mir  denkt,  da  das  sogar  mein  einziger 
Besitz  in  dieser  Welt.  Kesignirt  man  sich,  so  kann  man  sogar  ohne  den  leben.  Aber  Goethe. 
Wollten  Sie  ihn  wohl  wissen  lassen,  dass  sich  Freitags  am  2S.  August  eine  kleine  Gesellschaft 
in  der  Osteria  Campnna  wo  nach  einer  von  Wilhelm  Müller  stammenden  Überlieferung 
Goethe  seine  römische  Liebste  die  Stunden  in  den  vergossenen  Wein  zeichnen  sah,  zusammen- 
fand. Kiner  erzählte  die  Geschichte  von  dem,  ich  glaube  auf  Friedrichs  IT.  ausgebrachten 
Toast:  „Kr.  er  lebe*.  Hin  anderer  versetzte:  „Hier  ist  er",  und  brachte  eine  kleine  Büste 
von  Goethe,  die  er  von  Uiepenhausen  geborgt,  aus  der  Tasche  hervor.  Wir  assen  und  tranken 

J>  Au»  dem  f».  Akt  von  l'latens  Romantischem  Ödi|>us,  bei  Redlich,  II.  Till.  S.  409. 
ll'seudo-)  Theokrit.  Id.  J7.  V.  JH. 

BiograpbiHche  Blatter.  I.  20 


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4  43 


Biographische  Blätter. 


zur  Verwunderung-  gut,  (die  Osteria  ist  sehr  schlecht);  wir  lauen,  Loose  ziehend,  aus  den 
Elegien;  nachdem  wir  durch  ein  sehr  lebhaftes  Zwiegespräch  einer  beleidigten  und  wieder 
beleidigenden  Donna  mit  ihrem  ehemaligen  Liebhaber  unterbrochen  worden,  warf  man  die 
Frage  auf,  welches  Goethe'sehe  Werk  einem  Jeden  da*  liebste  sei.  Man  entschied  sich  für 
Faust  und  Elegien,  einer  für  die  Wahlverwandschaften :  der,  welcher  die  Frage  aufgeworfen, 
wollte  selbst  nicht  ganz  redlich  antworten;  er  versicherte,  ihm  gefalle  der  Komplex  dicker 
Werke.  Worüber  denn  viel  Debatte.  Die  Octava  halben  Riepenhausens  begangen.  Sonst 
ist  Goethe  bei  den  Künstlern  nicht  beliebt  ;  man  sagt  es  mir,  ich  kenne  fast  keinen. 

Ich  meinerseits  lebe  still  für  und  vor  mich  hin,  sammle  Manuskripte,  mancherlei  Mittel- 
massiges,  weniges  Auserlesene;  baue  oft  in  Gedanken  die  neue  Welthistorie  auf;  hege  meine 
kosmopolitischen  Wünsche  und  weiss,  wo  ich  Abends  hingehe.  Was  will  abgedachter,  armer 
Professor  denn  mehr?  Auch  schreibe  ich  zuweilen  etwas.  Unter  anderem,  erschrecken  Sie 
nicht,  aber  wo  sonst  nimmt  man  denn  kleine  gelehrte  Abhandlungen  auf,  die  keine  Rezen- 
sionen sind?  in  den  Wiener  Jahrbüchern  über  Don  Carlos  und  was  «lern  mehr  anhängig. 
Sie  werden  es  vielleicht  schon  gelesen,  und  gerichtet  haben.  Ich  habe  einen  Dukaten  ;in 
Honorar  verloren,  um  zwanzig  besondere  Abdrücke  davon  vertheilen  zu  können.  Davon  wird 
man  Ihnen  nicht  nur  einen,  sondern  sogar  mehrere  zustellen.  Den  Kronprinzen  könnte  man 
ohne  besondere  Veranlassung  mit  dergleichen  wohl  nicht  behelligen:  Herrn  von  Humboldt, 
Ancillon  und  andere  Gönner  wohl  eher.  Hier  fehlt  mir  nun  z.  B.  ein  Gespräch  mit  Ihnen, 
welches  mich  sogleich  in  Stand  setzen  würde,  darüber  zu  entscheiden.  Eigentlich  wünschte 
ich,  dass  auch  der  spanische  Ambassador  davon  Notiz  erhielte.  Sobald  ich  von  der  Rückkehr 
Herrn  Alexander  von  Humboldts  wissen  werde,  will  ich  ihm  unverweilt  schreiben.  Es  ist 
aber  alles  so  weit  und  dauert  so  lange.  Das  beste  übrige  Exemplar  meines  serbischen  Ruches, 
mein  eigenes  bleibt  Ihnen  zugesichert.    Ich  habe  es  noch  nicht  in  Hlinden  gehabt, 

Hätte  ich  in  Kurzem  Müsse  und  glückliche  Stunden,  so  schriebe  ich  etwas  Anderes, 
nichts  Historisches,  wenigstens  nicht  geradezu,  und  Hesse  Sie  und  Cotta,  darüber  schalten. 

Künftigen  Dienstag  —  heute  haben  wir  Sonnabend  —  will  ich  —  wie  ich  denke,  in 
Begleitung  des  Professor  Gerhard  nach  Neapel.  Früher  haben  es  meine  Manuskripte, 
welche  die  halbe  Welt  umfassen  und  einen  guten  Koffer  Hillen.  Sie  müssen  wissen.  da>s 
mir  zwei  Kopisten  dienen,  von  denen  der  eine  früh  bis  Abends  schreibt  nicht  zugelassen. 
Ich  fürchte  Gräfin  Voss  nicht  zu  finden.  Sie  wollte,  soviel  ich  höre,  die  Abwesenheit  des 
Königs  benutzen  auch  wegzugehen.  Ich  habe  von  hier  einige  Adressen  an  Eeeellen/.e  und 
Patres  Revcrendi. 

Doch  will  ich  da  nicht  arbeiten.  Ich  komme  vor  Mitte  November  zurück,  um  die 
erst  in  den  letzten  Tagen  angelangte  Krlaubniss.  eine  an  Nunziaturrelationen  reiche  Sammlung 
des  Prinzen  Corsini  zu  sehen,  mir  zu  Nutze  zu  machen:  zu  Anderm  hat  der  Archivar 
Hoffnung  gemacht.    Dann  stehen  mir  zwei  florentinische  Monate  bevor.  — 

Hierauf  soll  ich  nach  Venedig  kommen,  und  man  wird  mir  die  im  Archiv  enthaltenen, 
vor  mir  sonst  nicht  gesehenen  Relationen  der  Ambassadori.  wie  ich  wenigstens  hotfe.  ein- 
händigen. Wenigstens  ist  eine  günstige  Entscheidung  aus  Wien  angekommen.  Ich  hege 
darum  fast  selbst  den  Wunsch,  nicht  nach  Paris  zu  gehen.  —  Ich  will  vielmehr  aus  Italien 
unmittelbar  nach  Hause  zurückkehren  und  zu  einer  grösseren  Ausarbeitung  schreiten. 
Nur  bedenke  ich  zuweilen,  dass  es  mir  nicht  sehr  Wohlgefallen  wird,  mit  den  alten  be.it.- 
zugten  500  Rthlr.  Haus  zu  halten.  Si  volc  pazienza.  sagen  die  Italiener.  —  Ins  zum  Dezember 
hin  werden  mich  also  Briefe  hier  treffen:  und  ich  hoffe  ihrer  aus  Ihrem  Haus  zu  erhalten: 
mit  guten  Nachrichten  von  ihrem  Wohlergehen,  von  fortgehenden  erwünschten  Zuständen 
und  unveränderlicher  Wohlgewogenheit  gegen  mich. 

Ihr  eigen 

L.  Ranke. 

V\n  mich  deutlich  auszudrücken,  bitte  ich  Sie  von  fünf  Exemplaren  eines  selbst  zu 
behalten,  eines  an  Ancillon  zu  gehen,  ein  anderes  Herrn  von  Humboldt  bei  seiner  Rückkehr: 


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Briefe  Leopold  von  Ranke's  an  Varnhagen  von  Knse  und  Rahel.  444 


das  vierte  soll  für  den  Kronprinzen  bleiben,  auf  den  Fall,  das*  davon  die  Kode  wäre,  und 
er  es  wünschte:  das  fünfte  wünschte  ich  nach  Spanien.  Sollte  ich  mehr  senden  können,  so 
künnen  Sie  damit  machen,  was  Ihnen  beliebt 

Koni.  29.  .Marz  1880. 

Ks  ist  schon  so  lang?  her,  dass  ich  keine  Nachricht  von  Ihnen  habe,  mein  tbeurer 
Freund,  dass  mich  nach  einer  solchen  sehr  verlangt.  Wenigstens  hoffe  ich,  dass  keinerlei 
Unwohlsein  Ihre  ThUtigkeit  gehemmt  haben  wird. 

Seit  ich  Ihnen  schrieb,  war  ich  in  Neapel.  Glückliche  Krinnerung.  Ks  wird  mir 
wohl  zu  Muth,  wenn  ich  mir  die  Wohnung  vergegenwärtige,  mit  der  schönsten  Aussicht 
über  das  weite  Meer  und  nach  den  umgebenden  Bergen.  Meine  Studien,  die  diesmal  ganz 
dem  Alterthum  galten,  den  Gegenständen,  die  man  sieht,  gemäss,  so  wie  dem  Boden,  den 
man  betritt,  der  Luft,  die  man  athmet,  —  es  ist  unmöglich,  dass  man  dort  nicht  versuchen 
sollte,  sich  die  Welt  der  Republiken,  die  einst  in  der  .rügend  der  Menschheit  an  dieser 
Küste  blühte,  in  der  Vorstellung  hervorzurufen:  die  kleinen  Reisen,  die  ich  unternahm, 
bezogen  sich  darauf,  und  alles  was  man  Merkwürdiges  trifft,  gehört  schlechterdings  der 
nämlichen  Periode  an  —  die  lange  versäumten  alten  Poeten  zog  ich  hervor  und  um  mich 
nicht  ganz  von  meinem  Pfade  zu  verlieren,  musste  ich  zurückeilen.  Für  mich  enthielt  die 
Bibliothek  nichts  von  besonderem  Werth.  Ich  war  einmal  ganz  ein  Reisender.  Sollten  Sie 
den  Grafen  Voss  sehen,  dessen  gütige  Aufnahme  mir  meinen  Zustund  doppelt  angenehm 
machte,  so  haben  Sie  die  Güte,  ihm  meine  treue  Krinnerung  zu  melden. 

Seit  dem  November  bin  ich  wieder  in  Rom.  und  komme  ich  einmal  zurück,  so  will 
ich  Ihnen  zeigen,  dass  das  nicht  ohne  grosse  Vortheile  gewesen  ist.  Meine  Fortschritt« 
sind  freilich  langsam;  indessen  sehe  ich  die  Kntwickelung  der  modernen  Welt  sich  von  mir 
ohne  mein  Zuthun  in  handgreiflichem  Fortschritt  zusammensetzen. 

("her  die  Kntwickelung  so  der  Poesie,  als  der  Kunst,  bin  ich  den  Spuren,  die  ich 
schon  früher  aufgefunden  hatte,  mit  allen»  Eifer  gefolgt.  Über  jene  habe  ich  bereits  einen 
ausführlichen  Aufsatz  ausgearbeitet;  über  diese  bin  ich  weiter  zurück.  Doch  Faden  knüpft 
sich  an  Kaden:  und  durch  aufmerksames  Anschauen  thut  sich  mancherlei  auf. 

Ich  besinne  mich  nicht,  ob  Sie  in  Ihrer  Biographie,  nach  welchem  Werke  mir  hier 
von  vielen  Seiten  Verlangen  bezeugt  worden  ist,  einer  Apologie  Theodors  gedenken,  die  als 
Antwort  auf  ein  ditfamatorisches  Dekret  von  Genua  in  Briefform  verbreitet  ward.  Ks  ist  darin 
von  Unterhandlungen,  die  Russland  durch  einen  Baron,  der  bald  Genof,  bald  Neowolf. 
bald  Newof  geuannt  wird,  mit  Portugal  führte,  die  Rede.  In  Livorno  sei  er  allerdings 
wegen  eines  protestirten  Wechsels  ins  Gefängnis*  gesetzt  worden,  jedoch  habe  er  sich  nur 
angestellt,  als  habe  er  kein  Geld,  um  jeden  Verdacht  wegen  seines  Projekts  zu  vermeiden. 
Kinen  Auszug:  hieraus  und  einige  gedruckte  Bücher  über  Korsika  werde  ich  mitbringen. 

Von  .Pürsten  und  Völkern'  soll  eine  neue  Auflage  gedruckt  werden.  Leider  kann 
ich.  da  meine  Papiere  noch  nicht  vollständig  und  überdies*  zerstreut  sind.  einige  auch 
bei  Ihnen  nichts  Wesentliches  dafür  thun.  Ich  bin  wahrhaft  missvergnügt,  dass  ich 
mich  einer  so  schönen  Gelegenheit  nicht  hesser  bedienen  kann,  vielleicht  verschiebt  es 
Perthes  noch.  Wäre  denn  wirklich  mein  Heft  über  Don  Karlos  nicht  bei  Ihnen  ange- 
kommen? Gerold  hat  ausgesagt,  er  habe  die  besonderen  Abdrücke  schon  im  Oktober  nach 
Berlin  befördert.  Hier  hatte  ich  damit  die  besondere  Genugthuung.  also,  dass  der  sächsische 
Agent,  ein  Sohn  des  Hofraths  Platner  von  Leipzig,  ein  Mann  von  fünfzig  Jahren,  sich 
während  einer  Konversation  bei  Bunsens  hinsetzte,  das  Schriftchen  ergriff  und  nun  weder 
auf  Musik  noch  Gespräch  hörte,  bis  er  es  durchgelesen  hatte,  worauf  er  von  nichts 
weiterem  redete,  so  oft  ich  auch  versuchte,  auf  ariden»  Gegenstünde  zu  kommen.  Ich  bin 
schon  mit  der  Wirkung  auf  einen  Menschen  zufrieden.  In  Deutschland  wird  man  mich 
vielleicht  desto  schlimmer  hernehmen.  Wollten  Sie  mir  nicht  schreiben,  ob  der  dritte  Band 
der  Reisehilder  so  über  alle  Begriffe  entsetzlich  ist,  wie  man  mir  sagt  und  schreibt?  Auch 
wer  die  Karoline  in  dem  Berliner  Musenalmanach.    Von  dein  Treiben  dieser  Litteratur  hört 


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445 


Biographische  Blatter. 


man  Uber  das  allgemeine  Tosen  aus  der  Ferne  nur  einige  der  besondersten  Stimmen  sieh 
erheben.  —  Frau  von  Arnim  wäre  zu  benachrichtigen,  dass  eine  Gräfin  Eglott'stein  aus  Weimar 
hier  ist.  mit  deren  Betinden  es  sich  etwas  bessert.  Wie  geht  es  Ihnen  mit  unserer  Frank- 
furter Freundin?  Kino  hiesige  Kunstausstellung  glänzt  durch  französische,  nicht  durch 
deutsche  Werke.  Vernet  hat  eine  Judith  in  dem  Moment.  das*  sie  gegen  den  schlafenden 
Holofemes  das  Schwerdt  schwingt,  gemalt,  welche  durch  kühne,  neue  und  lel>endige  Auf- 
fassung .Federmann  entzückt.  Ich  linde,  dass  es  den  Deutschen  auch  an  Gegenständen 
fehlt  ;  sie  malen  nur  das  hundert  Mal  dagewesene. 

Halte  ich  nicht  heute  gute  Konversation,  so  von  Kinem  aufs  Andere  überspringend? 
Sie  verzeihen  mir  schon,  da  ich  Sie  doch  nur  eigentlich  um  Nachricht  von  Berlin,  Ihnen 
und  Ihrem  Hause,  d.  h.  Ihrer  Frau  Gemahlin  lütten  wollte.  Die  müssen  Sie  aber  nach 
Florenz  senden,  unter  Martens  Adresse,  wo  möglich  ohne  besonderes  Gouvert.  Von  ganzem 
Herzen  bin  und  bleibe  ich  der  Ihre.  L.  Hanke. 

Florenz.  :>!>.  Mai  18.10. 
Der  schöne  Gruss  Ihres  Briefes,  mein  theurer  Freund,  den  ich  bei  meiner  Ankunft 
eben  eingetroffen  fand,  erfreute  mich  nicht  wenig.  Ich  hoffe,  dass  in  der  Zeit  zwischen 
seiner  Absendung  und  meiner  Antwort  der  Frühling  Ihre  Schmerzen  vollends  gehoben  haben 
soll.  Wenn  Sie  aber  durch  den  Winter  leiden,  wäre  es  nicht  einmal  möglich,  dass  Sie  ihn 
in  Pisa  oder  Horn  zubrächten?  In  Korn,  wo  selbst  der  letzte,  welcher  harter  war.  als 
Jemand  sich  erinnert.  Kranken,  die  ich  kannte,  ausserordentlich  geholfen  hat.  Man  weiss 
dort  meistenteils  von  jenen  schneidenden  Winden  nichts,  die  alle  leidenden  Theile  und 
auch  die  inneren  heftig  angreifen.  Auch  denke  ich.  dass  indess  die  hallischen  Tumulte  sich 
ein  wenig  besänftigt  halten  werden.  Sie  haben  entschieden  Partei  genommen.  Ich  finde 
noth wendig,  dass  eine  Heibung  kommen  musste.  Unleidlich  ist  es  am  Knde  doch,  dass  ein 
Professor  der  Theologie  Dinge  behauptet,  die  den  Grund  des  christlichen  Glaubens  auf- 
heben, während  er  sich  diesem  selbst  akkomodirt,  Vielleicht  ist  es  nur  ein  Mangel  an 
Talent  und  Tiefe,  dass  er  nicht  weiter  herausgeht,  nicht  kühn  und  im  Ganzen  angreift, 
aber  was  soll  erst  aus  seinen  Studenten  werden?  Die  Religion  liegt  ohne  Zweifel  in 
innerer  Wahrhaftigkeit.  Diese  Halbheit  droht  uns  um  alle  Religion  zu  bringen,  und  vol- 
lends zu  entmannen.  Freilich  ist  der  Fanatismus  der  Gegner  ganz  unerträglich,  und  ihr 
Anspruch,  die  Welt  einzurichten,  wenngleich  sie.  die  Wahrheit  zu  sagen,  doch  eigentlich 
legitim  sind,  muss  ihnen  verleidet  werden.  Aber  warum  sollten  sie  nicht  als  Sekte  bestehen 
können,  als  integrirender  Theil  der  kirchlichen  Gesellschaft,  nur  ohne  Superiorität? 
(!  dicklich,  wer  nichts  mit  diesen  Dingen  zu  schaffen  hat.  -  Ich  bin.  wie  Sie  sehen,  nach 
langem  Zöirern  am  Knde  doch  von  Rom  fortgegangen.  Der  letzte  Monat  war  an  Genuss 
vielleicht  der  reichste  von  allen.  Der  Frühling  stimmt  mich  immer  höher  und  verjünirt 
mich  wi<«der.  Wir  hatten  ihn  in  seiner  ganzen  Schöpfungsfülle.  Aus  den  Gärten  des 
Augustus  in  diu  blühenden  Kosengärten  zu  steigen,  aus  dichter  Wildnis»,  die  über  zerstörten 
Mauern  gewachsen,  hervorzutreten  auf  die  Dächer  der  Kaiserpaläste,  und  dieses  grosse 
Welttheater  überschauend,  zu  gemessen.  die  Ruinen  werden  uns  lieb  als  Ruinen:  sie 
sind  ein  Theil  der  Natur.  Noch  einmal  übersah  ich  in  den  Sammlungen  die  Hervorbringungen 
alter  und  neuer  Zeit.  Meinen  eigenen  Krwerb  war  ich  genöthigt  zusammenzuzählen.  Kurz 
vor  der  Trennung  ist  es  zu  natürlich.  da>s  man  noch  einmal  zärtlicher  gegen  seine  Freunde 
wird.  Ich  lebte  da  in  einer  tausendmal  glücklichen  Beschäftigung:  dann  riss  ich  mich 
los  und  machte  diesen  Spaziergang  nach  Florenz.  So  wie  wir  zuerst  die  Canipagna  hinter 
uns  hatten,  war  es  ein  einziger  Spaziergang.  Meine  Lust  zu  wandern  und  die  hässliche 
Gesellschaft,  die  ich  leider  hatte,  machten,  dass  ich  des  Tags  nicht  viel  über  zwei  Stunden 
in  oder  vor  dem  Wagen  kam.  Wie  ist  aber  das  Land  so  schön!  Reizend  in  dem  wilden 
Gebirge  und  gross  in  den  blühenden  Thälern.  So  mit  sich  allein,  nicht  allzu  angestrengtes 
Wandern,  wieder  Ruhe:  Abstecher  nach  den  Wasserfällen  und  berühmtesten  Kirchen,  man 
konnte  das  schon  aushalten,   l  ud  so  kam  ich  hierher  zurück.   Florenz  s;ih  mich  ganz  unbe- 


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Briefe  Leopold  von  Ranke's  an  Vamhagen  von  Ense  und  Habel. 


446 


deutend  an:  ich  warf  mich,  sobald  es  mir  möglich  war.  ganz  in  die  Studien,  und  bin  schon 
mächtig  mit  neuen  Büchern  und  Manuskripten  umgeben.  Die  Gesellschaft  ist  mir  gleichgültiger 
als  je  geworden:  und  ich  horte  ganz  ernstlich,  ein  floreutinisches  Kapitel  zu  Stande  zu  bringen. 

Ich  denke  nicht  allzu  lang  bleiben  zu  müssen.  Herr  von  Martens  hat  neue  Instanzen 
wegen  des  Archivs  gemacht:  im  besten  Fall  wird  die  Erlaubnis*  sehr  beschrankt  gegeben 
werden.  Ich  werde  demnach  bald  nach  dem  *24.  Juni,  Anfangs  Juli,  denke  ich,  nach  Venedig 
gehen,  wo  mich  Schwierigkeiten  erwarten,  aber  ich  doch  ein  gewisses  Gelingen  hoffe.  Als- 
dann komme  ich  bald  nach  Berlin  zurück.  An  keinem  andern  Ort  habe  ich  grosse  Arbeiten 
vorzunehmen. 

Gerold  ist  wiederholt  gemahnt  worden  und  hat  behauptet,  die  Sachen  schon  im  Oktober 
expedirt  zu  haben.  Sollten  Sie  etwas  davon  empfangen  haben,  so  halten  Sie  die  Güte,  nach 
so  langer  Verspätung  nur  die  allernothwendigsten  Kxemplare  zu  vergeben.  Thun  Sie 
nehmlich  nach  Ihrem  Gutdünken. 

Platen  hal>e  ich  in  Kom  häufig  gesehen,  um  so  mehr,  da  er  krank  wurde  und  meine 
Krankenpflegernatur  dann  gleich  in  Anspruch  nahm.  Kr  hat  viel  warmes  Gefühl  für  die 
Form,  Übrigens  aber  entsetzt  er  Jedermann,  wenn  er  den  Alfieri  dem  Shakespeare  vorzu- 
ziehen scheint.  Von  Deutschland  hat  er  einen  ganz  falschen  Begriff.  Heine  hat  er  unver- 
antwortlich beleidigt,  und  das  ist  der  einzige  Funkt,  über  den  ich  mit  ihm  zusammengerat  hen 
bin.  Er  hat  etwas  Stilles,  Leidendes,  (ieisterhaftes  in  seiner  Erscheinung.  Er  wird  nicht 
lange  leben. 

Dass  ich  Ihre  Frau  Gemahlin  von  Herzen  grüsse.  und  die  (iedanken  mit  an  sie  ge- 
richtet  sind,  versteht  sich  von  selbst.  Ich  küsse  den  Saum  ihres  Kleides.  Frau  von  Zie- 
linski  könnte  vielleicht  erinnert  werden,  dass  sie  mir  einen  Brief  schuldig  ist.  Wenn  sie 
ihre  Schuld  hierher  zu  zahlen  gedenkt,  müsste  sie's  sogleich  thun.  Auf  jeden  Fall  muss 
ich  hier  bleiben,  bis  ich  Geld  habe,  was  mir  heiliegender  kleiner  Brief  vorschaffen  soll,  den 
Sie  schon  die  Güte  haben,  sobald  als  Ihnen  nur  möglich  ist,  an  Professor  Heinrich  Ritter  zu 
schicken.  Kommt  Frau  von  Arnim  Abends  zu  Ihnen,  so  erzählen  Sie  ihr  etwas  Gutes  von 
mir.    Leben  Sie  wohl.    Ich  bin  und  bleil»e  Ihr  getreuer        Leop.  Ranke. 

• 

Venedig,  den  ö.  August  1830. 
Ich  melde  Ihnen,  mein  verehrter  Freund,  dass  ich  zum  zweiten  Mal  in  Venedig  ein- 
gelaufen bin.  Toseana  habe  ich  nicht  ohne  Satisfaktion  verlassen.  Nicht  allein  bin  ich  in 
die  medieeisehe  und  florentinisehe  Geschichte  ziemlich  eingedrungen:  ich  habe  auch  die 
?iussersten  Schwierigkeiten,  die  sich  mir  bei  Benutzung  des  Archivs  entgegensetzten.  Uber- 
wunden, und  mich  Uber  die  Ereignisse  unter  Karl  V.  vornehmlich  in  Deutschland  trefflich 
aufgeklart,  l'eberdies  war  hier  vieles  andere  zu  lernen.  Mit  ausserordentlichem  Interesse 
habe  ich  die  Entwickelung  der  florentinischen  Kunst  Schritt  für  Schritt  l>egleitet:  ich  finde 
leider  meine  Fähigkeiten  beschränkt,  jedoch  glaube  ich  nicht  in  den  wesentlichsten  Punkten. 
Wie  herrlich  ist  Pisa!  Hier  habe  ich  wieder  Ihres  Winterübels  gedacht.  Pisa  ist  so  mild, 
und  ein  Aufenthalt  wie  ein  deutsches  Bad.  Sie  sollten  doch  einen  so  guten  Kntschluss 
fassen,  wie  der  dort  einmal  hinzugehen:  nur  nicht  just  dann,  wenn  ich  wieder  zurückge- 
kommen bin.  Nie  werde  ich  den  Morgen  vergessen,  den  ich  in  Anschauung  der  wunder- 
vollen Denkmale  daselbst  genoss.  Da  ich  nun  gethan  hatte,  was  zu  thun  war.  meine 
Sammlung  über  mehrere  hundert  Bogen  vermehrt,  mit  neu  gekauften  Büchern  und  Manu* 
Scripten,  die  mir  gut  zu  Statten  kommen  sollen,  eine  ganze  Kiste  angefüllt  sah  -  da 
ging  ich  ruhte  und  getrost  fort:  nichts  hielt  mich  zurück,  keine  Neigung,  noch  Freundschaft; 
nur  gestehen  muss  ich.  dass  mir  Toseana  minder  gefällt,  als  andere  Theile  Italiens.  Ks  ist 
so  civilisirt.  dass  rein  nichts .  als  die  ( Zivilisation  in  diesen  Menschen  Übrig  geblieben  ist. 
Ich  sah  die  ganze  Bevölkerung  von  Florenz  am  Himmolfahrtsfeste  auf  die  Wiese  vor  der 
Stadt  strömen:  da  war  al^er  an  kein  Spiel,  an  keinen  Tanz,  an  keinerlei  originelles  Lebens- 
zeichen zu  denken.  Man  ging  Ann  in  Arm  spazieren,  redete  nur  so  weiter,  wie  man  zu 
Hause  zu  thun  pflegt,  und  labte  sich  an  schlechtem  Weine.    An  dem  .lohannisfeste  war 


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447 


Biographische  Blätter. 


auf  einer  Arnohrücke  ein  Feuerwerk:  die  Menge  drängte  sich,  es  zu  sehen:  eine  Unzahl 
von  Menschen  war  zugegen;  aber  ich  stand  oben  dort  auf  einer  Terasse,  wo  das  grösste 
Gedränge  war.  man  horte  keinen  Laut;  selten  sprachen  ihrer  zwei.  Dies  mag  nun  sonst 
ganz  gut  sein,  obwohl  es  seltsam.  dass  man  dabei  gar  nicht  unterrichtet  ist,  und  dass  z.  B. 
die  meisten  Frauen  nicht  schreiben  können  (haben  sie  einen  Brief  an  ihre  Schwägerin  aus- 
zufertigen, so  lassen  sie  den  Priester  kommen)  allein  langweilig  ist  es  doch.  Genug,  mit 
völliger  Zufriedenheit  begab  ich  mich  hinweg.  Ich  hatte  eine  herrliche  Heise  nach  Bologna, 
den  ganzen  Hintergrund  eines  geräumigen  Wagens  hatte  ich  für  mich  okkupirt.  Die 
schönste  Gesellschaft  war  glücklicher  Weise  nicht  in  demselben,  wo  sie  etwas  unbequem 
geworden  wäre,  sondern  in  einem  eigenen  Wagen,  und  in  den  Gasthöfen  mir  zur  Seite. 
Nichts  geht  Uber  die  Heiterkeit  und  Anmuth  italienischer  Nächte.  Am  Morgen  stieg  ich 
zu  Fusse  das  Joch  der  Apenninen  hinan:  ich  kam  so  viel  reicher  wieder,  als  ich  vor 
anderthalb  .Jahren  gegangen  war.  ich  bat  den  Vater  Apenninus,  mich  die  Geschichte,  die  zu 
seinen  Füssen  vorgegangen,  deren  Denkmale  er  mich  sammeln  sehe,  nun  auch  in  aller 
Wahrheit  schreiben  zu  lassen,  und  mir  seinen  Hauch  nach  Deutschland  zu  senden.  Gott 
ist  doch  in  jedem  Orte  besonders  gegenwärtig.  In  Bologna  habe  ich  die  Bildwerke  der 
dortigen  Schule  mit  den  Auaren  neu  gewonnener  Hinsicht  wieder  zu  betrachten  gehabt, 
und  habe  da  ein  paar  Tage  zugleich  genossen  und  gelernt.  Hätte  ich  Gold,  so  könnte  ich 
in  Padua  einen  vortrefflichen  Kauf  altvenezianischer  Chroniken  machen,  ich  habe  versprochen 
wiederzukommen.  Doch  ist  meine  Hoffnung  klein.  Am  4.  August  bin  ich  wieder  in 
Venedig  angelangt.  Mit  unaussprechlichem  Genügen  sah  ich  mich  des  Abends  wieder  auf 
dem  Markusplatz.  Kr  kam  mir  vor  wie  ein  ungemeiner  Konversationssaal,  wo  Musik  und 
Gesang,  behagliches  Dasein,  lebendige  Bewegung:  und  uns  hindert  nichts,  auf  und  ab  zu 
gehen,  und  uns  die  Jahrhunderte  zu  vergegenwärtigen,  denen  die  Denkmale  angehören,  die 
auf  uns  niederschauen.  Das  Reizende  besteht  in  der  Mannigfaltigkeit  angenehmer  Gefühle, 
die  sich  unser  mit  Hinein  Male  bemeistern.  Hier  ist  es  mit  dem  Krhnbenen  vereinigt. 
Meine  Unternehmung  lH*st  sich  für  s  erste  gut  an.  Ich  traue  zwar  nicht,  bis  ich  in  den 
Händen  habe,  doch  hoffe  ich  hier,  wie  ich  meine,  mit  Grund. 

So  spielt  das  Leben  in  leichten  Wellen  zu  meinen  Füssen;  aber  was  ich  aus  Berlin 
höre,  dringt  mir  ans  Herz.  Uber  die  rationalistischen  Bewegungen  bin  ich  zu  fragmentarisch 
unterrichtet,  um  nicht  meine  Meinung  suspendiren  zu  müssen;  —  schändlich  aber  ist  es.  was 
man  da  von  Dom  Miguel  schwatzt.  Wenn  ein  anderer,  so  weiss  ich.  dass  dieser  Mensch  von 
Natur  schwach  und  feig  ist:  weil  er  schwach  ist,  ist  er  falsch,  weil  er  feig  ist,  ist  er  grausam. 
Gott  behüte  mich  vor  einer  Billigung  seines  Betragens.  Ich  habe  gesagt,  dass  der  Grund 
seiner  Vergehungen  elende  Schwäche  ist  :  übrigens  was  seine  Frage  staatsrechtlich  anlangt, 
glaube  ich.  dass  er  nicht  ganz  Unrecht  hat.  Ks  kommt  in  Hinsicht  der  Berechtigung  Dom 
Pedros  darauf  an.  ob  ein  Fürst  auch  ein  Bürger  seines  Landes  ist,  ob  der  Kaiser  von  Brasilien 
ein  Brasilianer  oder  nicht,  es  ist  dasselbe,  wie  ob  der  Herzog  von  Cumberland.  wenn  er 
Konig  von  Hannover  sein  wird.  Fähigkeit  zur  Hegen  tschaft  von  England  hat.  Wahr  ist. 
dass  man  über  diese  Sache  besser  schweigt-,  weil  die  parteiische  Welt  nur  ein  völliges  Ver- 
dammen oder  ein«;  blinde  Bewunderung  kennt.  Uber  Philipp  II.  weiche  ich  keinen  Schritt. 
Kr  ist  ganz  wie  ich  gesagt,  habe.  Jeder  Tag  bestätigt  mich  mehr.  Nachdem  ich  den  Stoff* 
meiner  hiesigen  Arbeiten  übersehe,  hege  ich  die  Hoffnung  in  etwa  .1  .Monaten  fertig  zu  sein. 
Ich  hätte  schiine  Zeit,  noch  im  Dezember  nach  Paris  zu  gehen.  Denken  Sie  aber,  dass  das 
Ministerium  mir  in  dem  ganzen  Jahr  keinen  Pfennig  ausserordentlich  gegeben  hat  Ich 
weiss  nicht,  ob  es  möglich  sein  wird. 

Von  ganzem  Herzen  grüsse  ich  und  bitte  Sie.  keinem  Zweifel  an  mir  Kaum  zu  geben. 
An  Ihre  Gemahlin  und  Gesellschaft  besonders  Frau  von  Arnim  schöne  Grüsse.        L.  K. 

Der  vorstehende  Brief  ist  der  letzte,  den  Wanke  von  der  Weise  aus  an  Varnhagen 
und  dessen  Gemahlin  geschrieben  hat. 


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FUnf -Briefe  Ernst  Moritz  Arndts. 


448 


Fünf  Briefe  Ernst  Moritz  Arndts. 

Mitaretheüt  von  LUISE  V.  BENOA. 

Die  folgenden  Blätter  bringen  nichts,  was  man  nicht  schon  in  andern  Briefen 
oder  in  »Schriften  des  thenren  Mannes  gelesen  hiitte,  und  hedürfen  darum  auch 
keines  Kommentars:  aber  herzlich  und  wuchtig  im  unmittelbaren  Ausdruck  eines 
wohlberechtigten  tiefen  Grimmes  sowohl  als  einer  noch  viel  tieferen  hoffnungsstarken 
Vaterlandsliebe  werden  sie  willkommen  sein.  Sie  ergänzen  die  schöne  Sammlung 
«F..  M.  Arndts  Briefe  an  eine  Freundin"  (Berlin  1878):  denn  an  den  Sohn  dieser 
Charlotte  v.  Kathen,  Karl,  der  auch  mit  seinem  dem  Forstfach  ergebenen  Bruder 
Ernst  1819  auf  1820  in  Bonn  studirt  hat,  sind  vier  Briefe  gerichtet,  an  sie  selbst  der 
fünfte.  1838  wurde  Karl  v.  Kathen  Landrath,  später  Geheimer  Regierungsrath 
in  Stralsund.  Er  war  mit  Antonie  v.  Benda  vermählt.  Die  Briefe  des  „ältesten 
Freundes-  an  die  Mutter  ziehen  sich  mit  gleicher  Herzlichkeit  durch  beinahe  fünfzig 
Jahre:  die  erhaltenen  an  den  Sohn  setzen  erst  in  der  Zeit  ein,  da  Arndt,  1840 
durch  Friedrich  Wilhelm  IV.  hochherzig,  aber  zu  spät  von  der  akademischen  Ver- 
bannunir  und  Demagogenacht  befreit,  den  Zickzack  wegen  des  genialen  Königs  mit 
wachsendem  Unmuth  folgte,  bis  er  selbst  unter  den  Boten  die  Ablehnung  der 
deutschen  Kaiserkrone  erfuhr. 

Bonn,  den  18.  des  Hornungs  1844. 

Lieber  Karl! 

....  Zuvörderst  Dank,  herzlichsten  Dank  aller  der  freundlichen  Erinne- 
rungen von  Verläufen  und  Begebenheiten,  hinter  welchen  nun  bald  ein  Viertel- 
jahrhundert  abgerollt  ist.  Gott  weiss  am  besten,  warum  das  und  jenes  hat  ge- 
schehen müssen,  und  damit  hat  Unsereiner  bei  allen  Hetzereien  der  Zeit  sich  denn 
auch  bemhigen  müssen.  Es  sind  ja  unterdessen  mehrere  Bären  und  auch  Hasen 
genug  gejagt  worden  und  eben  sclieint  auf  andere  Weise  eine  ähnliche  -Jagd  wieder 
frisch  beginnen  zu  wollen.    Gott  tröst  es! 

Was  nun  meine  sogenannte  Wiederherstellung  oder  Genugthuung  betrifft, 
so  können  erstens  Könige  verlornes  Leben  und  Kraft  nimmer  wiedergeben,  und 
mit  sogenannter  Genugthuung  und  Entschädigung  ist  es  auch  —  so  eine  eigne 
Sache.  Da  lügen  pomphafte  Berichte  und  Zeitungen  ä  Conto  mit,  und  sogenannte 
äussere  Ehren -Ordens- Bänder  —  was  sind  sie?  was  gelten  sie  noch?  Ich  hatte 
und  habe  meine  Orden  bei  den  Redlichen  und  Edlen  im  deutschen  Volke  und 
solchen  Orden  können  Könige  nicht  geben  noch  schaffen.    Und  dabei  soll  es  bleiben! 

Dein  Brief  ist  also  über  ein  Jahr  alt,  und  ich  sehe,  dass  Du  Deinen  Muth 
in  demselben  in  eine  gewisse  fröhliche  Laune  hinein  zu  spornen  suchst  ,  auch 
klingen  einzelne  Töne,  als  wenn  der  Muth  wohl  oft  auch  in  einen  Unmuth  um- 
schlagen wolle,  und  zwar  in  einen  sogenannten  Regierungsrathsunmuth.  Ich  muss 
hier  wieder  rufen  Gott  tröst  es.  Wir  sind  unterdessen  vom  25.  Januar  43  bis 
zum  18.  Februar  44  ungefähr  um  13  Monate  älter  geworden  und  mögten  jeder 
in  seinen  verschiedenen  Beziehungen  wohl  dreimal  unterstrichnen  !  !  !  machen.  Ihr 
da  d raussen  wohnt  (bu  h  noch  mehr  an  den  äussersten  Ecken  und  nördlichsten 
Landsorten;  wir  hier  sitzen  mehr  in  der  Mitte  der  grossen  Weltbewegungen  und 
der  grossen  und  kleinen  Zitterungen  und  Kitzelungen;  denn  auch  der  Kitzelungen 
hat  es  mehr  als  zuviel,  und  zwar  diesseits  und  jenseits.  Du  verstehst  mich  wohl. 
Ich  fürchte,  ich  fürchte,  die  Engen  und  Dummen  werden  endlich  wieder  Recht 
behalten,  indem  sie  die  Bannen  lesen  lein  en,  während  die  Heuschrecken,  welche  sie 


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Biographische  Blatter. 


nicht,  fanden  können,  mit  ihi*er  verheerenden  Pest  sieh  auf  die  letzten  fruchtbaren 
Felder  niederlassen  wollen.  Es  tobt  und  lärmt  durch  einander,  es  verschiebt  und  verführt, 
sich  auf  den  Weyen,  die  noch  fahrbar  waren,  kurz  es  scheint  mehr  rüYklaufen 
zu  wollen,  als  vorwärts  laufen  zu  können.  Im  Allgemeinen,  Grossen,  wo  die  Zeit 
so  laut  helft!  ruft,  wird  nichts  gethan.  und  an  dem  Kleinen  und  Einzelnen  arbeitet 
und  ärgert,  man  sich  selbst  höchsten  Orts  mit  vergeblichen  und  eitlen  Mühen  ab. 
Und  nun  wie  sausen  die  Mücken,  da  sie  merken,  dass  der  Löwe  brüllen  muss! 
"Wie  wild  dies  Gesumse  und  Genecke  zunehmen!  Doch  wohin?  fata  viam  inve- 
nient.  Für  Deutschland  ist  mir  in  letzter  Auskehrung  nicht  bange,  aber  wir 
hofften  eine   milde  und  muthige  Leitung  und  Fortleitung  in  Frieden  und  Ehren. 

Nun  Lebewohl  und  grüsse  Dein  Weibchen  sehr  von  uns.  Beiliegende  Blatter 
gieb  der  Mutter.  [)ejn 

E.  M.  Arndt. 

Bonn,  den  24.  des  Hönnings  1845. 

Lieber  Karl.  Die  alten  Freunde  thun  es  einem  an,  und  da  ich  garniehts 
vollbringen  kann,  wenn  es  nicht  in  Einem  frischen  Stoss  und  Ruck  gewagt  wird, 
so  gebe  ich  mir  für  einmal  einen  kleinen  Kuck,  um  Deinen  Worten,  die  in  mehreren 
Rin  ken  und  Stössen  ins  Feld  gerückt  sind,  eine  kleine  Erwiderung  zu  gelten. 

Also  sage  ich  Dir  sogleich  zur  Einleitung,  dass  Dein  lieber  Brief  oder  viel- 
mehr Deine  lieben  Briefe  und  die  Nachrichten  von  Eurem  Leben  und  von  der 
lieben  Mutter  mir  grosse  Freude  gemacht  haben,  auch  sollst  Du  -~  damit  ich  das 
Beste  nicht  vergesse  -  -  der  lieben  Überdieachselguckerin  in  Deinen  Brief  für  ihre 
freundliche  Anmuthung  und  Erinnerung  die  beste  Gegenmuthung  und  Grüssung  thun. 

Was  nun  das  Übrige  betrifft,  so  geliebt*  mir  in  all  meiner  bekannten  Kürze 
ein  wenig  mit  Dir  zu  schwätzein,  wie  es  mir  eben  durch  den  Sinn  fährt,  ohne 
mich  mit  so  zierlichen  und  gelehrten  .Parabeln  und  Gleichnissen  zu  schmücken, 
als  die  auf  Deinem  Paniere  blitzen. 

Du  zeichnest  Deinen  Brief  an  einer  Stelle  rex  partibus  lntideliunr.  Ich 
fürchte,  leider  richtig  genug.  Was  ich  so  gelegentlich  von  uusern  Leuten  der 
Heimath  sehe  und  spreche  oder  was  ich  so  seitwärts  von  ihnen  und  über  sie 
höre,  das  macht  mir  fast  einen  solchen  Eindruck.  Ernstlich  preussisirt  seid  ihr 
weiland  Halbschwedeu  noch  nicht,  und  das  mag  nicht  euer  Schlechtestes  seyn:  aber 
auch  deutschisirt  seid  ihr  viel  zu  wenig,  und  das  ist  nicht  gut.  ,1a  was  ich  den 
öffentlichen  Männern  und  öffentlichen  Dingen  so  abgelauscht  habe,  so  seid  ihr  da 
selbst  noch  weit  hinter  den  Altpreussen  zurück,  die  doch  ein  grösseres  Recht 
hatten,  etwas  in  sich  verhärtet  und  versteint  zu  seyn. 

In  deutscher  Beziehung,  in  Hinsicht  auf  ein  Allgemeines.  Grosses.  Sehn- 
suchtsreiche* und  Hoffnungsreiches,  was  freilich  noch  nirgends  wenigstens  mit  leib- 
lichen Augen  erblickt  werden  kann,  ist  wohl  keine  Küste  Deutschlands  so  arm  an 
grossen  Pulsschlügeu  des  Gefühls  und  Gedankens  als  das  weiland  bischen  Schwe- 
dischpommern  und  Rügen  und  der  schöne  mecklenburgische  Meerstreifen.  Wie 
werden  sie  von  den  eigentlichen  Preussen  (im  engern  Sinn)  und  den  Holsteinern 
und  selbst  von  ihren  Stammgenossen  den  Hinterpommern  (vielleicht  Kassnbien  aus- 
genommen) da  von  dem  Rosenrot h  der  Beschämung  Übergossen  und  in  Schatten 
gestellt !  Da  ist  von  euch  Herren  Regierungsrätheu  und  Edelleuten  und  von  allen 
Gebildeten  auch  der  grösseren  Städte  unsrer  Heimath  gar  viel  zu  thun.  Denn 
ohne  Geist  grösserer  Gemeinsamkeit  und  höherer  Liebe,  ohne  eine  fliegende  und 
brennende  Adlichkeit  der  Gefühle  und  Hoffnungen,  wodurch  wir  Deutsche  allein 
stehen  und  bestehen  können,  kommen  wir  nicht  weiter,  und  müssen  uns.  wenn 
jeder  nur  immer  den  Duft  seines  eignen  Misthaufens  riechen  oder  wegkehren  will, 


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Fünf  Briefe  Krnst  Moritz  Arndts. 


450 


im  ^ejroiiseitiireu  Gegeneinanderbruuimen  und  Murren,  das  gar  mal  wieder  zu  Prü- 
gelei weisen  könnte,  abniüden  und  abkälteu.  Ich  kenne  die  Quellen  dieser  Er- 
scheinung der  bezeichneten  baltischen  Küste  und  seiner  feinen  Länder  wohl.  Ein 
böses  Wasser  derselben  ist.  was  Du  wenigstens  nicht  hast  trüben  helfen,  dass  die 
Itegierungen  und  der  Adel  dort  den  Bauernstand  grösstenteils  zerstört  haben  und 
dass  also  die  Masse  des  kleinen  Volks  dort  nicht  allein  Gesinde  sondern  auch  Ge- 
sindel ist.  ohne  Sitte  und  Vaterland:  denn  beides  verheil  nothwendig.  wer  nicht 
irgend  mit  festen  Wurzeln  im  süssen  Boden  der  Erde  verwachsen  ist. 

Und  unser  König?  Wir  mögen  ihn  wohl  mit  dreifachem  Ernst  in  unser 
Kirchen-  und  Hausgebef  einschliessen :  denn  wir  beten  da  eigennützig  zu  gleicher 
Zeit  für  unser  eigenes  Heil.  Er  ist  in  eine  schwere  Zeit  gefallen,  worin  so  viele, 
die  nicht  so  hoch'  stehen,  die  Tramontane  verlieren.  Jetzt  hat  er  sieh  offenbar 
festgefahren,  oder  vielmehr  der  Wagen  ist  allerdings  wieder  losgekommen  aber 
scheint  in  der  That  zurücklaufen  zu  wollen.  Tn  einem  ähnlichen  Gefühle,  und  das  ist 
ein  sehr  unangenehmes,  muss  er  drin  sitzen,  und  dass  er  dabei  verdrießliche  Gebärden 
macht,  müssen  wir  es  nicht  sehr  natürlich  finden?  Kurz,  er  muss  empfinden,  dass  etwas 
geschehen  muss.  damit  der  zurücklaufende  Wagen  nicht  umschlage.  Ich  sage: 
es  hilft  nicht,  er  muss  sich  grösserer  Lebendigkeit  und  Öffentlichkeit  des  Hegi- 
menfs  bequemen,  er  muss  zu  Reichsständen  heran:  wie  das  auch  werde,  sonst 
wird  ein  Verkehrtes  über  das  andere  werden.  Und  meine  Kleinigkeit?  Du  stellst 
mich  gar  zu  hübsch  zwischen  die  hohen  Nötheu  und  grossen  Gedanken  hinein. 
Ich  weiss  nun  viel  besser,  als  mir  es  jemand  sagen  kann,  wie  wenig  ich  etwas 
Ungemeines  und  Ausserordentliches  bin;  aber  das  weiss  ich  auch,  dass  ich  allein 
dadureh  etwas  bin.  dass  Ein  Gedanke  mich  fünfzig  Jahre  regiert,  hat  und  dass 
ich  diesem  Gedanken  wie  ein  ehrlicher  Kerl  immer  treu  geblieben  bin.  O  wie 
gross  und  herrlich  könnte  unser  König  seyn.  wenn  er  in  voller  deutscher  stolzer 
Seele  einfach  empfinden  könnte,  welche  Keime  hoher  Macht  und  Ehren  in  seinem 
Volke  schlummern,  ja  welche  geweckt  waren  und  in  feiger  Furcht  mit  Sand  und 
Dornen  überschüttet  wurden. 

Doch  wohin  weiter?    Denke  dem  nach. 

Wir  grüssen  sehr,  grüsse  auch  die  herrliche  Mutter. 

Dein 
E.  M.  Arndt. 

•    Frankfurt,  19.  Windmouds  [November |  4H. 

Wind  in  und  schreib"  ich.  Ja.  Wind  über  Wind.  Sturm  über  Sturm,  mein 
lieber  Karl  und  doch  sollen  wir  fest  darin  stehen  wie  alte  Bäume,  für  welche 
aber  das  flecti.  haud  frangi  nicht  passt.  Dies  zur  Einleitung.  Nun  ein  paar 
Worte  über  Deinen  inhaltschweren  Brief. 

Alles,  was  Du  schreibst,  auch  die  Gründe,  aus  welchen  Du  sehivibst  und 
mahnst,  ist  hier  erwogen,  wird  hier  erwogen,  wird  weiter  und  enger  verhandelt, 
ist  nach  Berlin  und  Potsdam  gebracht,  wird  dahin  gebracht.  Wird  es  frommen? 
wird  es  einen  Ausgang  aus  Labyrinthen  bahnen,  welche  Narrheit.  Bosheit  und 
endlich  Wahnsinn  geflochten  und  durchflochteii  haben?  wird  nicht  blutige  Gewalf 
diesseits  und  jenseits  über  unsre  Köpfe  bin  den  Durchbruch  machen?  Sollte  Preussen 
in  Wildheit  und  Wüstheit  zusammenstürzen,  sollte  seine  Heereszucht  sich  lösen, 
dann  —  denke  dem  weiter  nach. 

Ich  mag  nichts  mehr  schreiben,  weil  ich  nichts  Klares  zu  schreiben  weiss. 
Doch  dank"  ich  Dir  zuletzt  für  die  Freude,  die  Du  mir  gemacht  hast:  denn  dies 
Gefülü,  dass  es  noch  treue  wackre  Kerle  giebt.  i*t  und  bleibt  eine  grosse  Freude. 

Ade!  Dein  E.  M.  Arndt. 


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451 


Biographische  Blatter. 


Lieber  Kurl. 

Ganz  kurz:  denn  ich  fahre  eben  Abschiedsbesuche  herum  und  bin  morgen 
in  meiner  eigenen  Hütte  in  Bonn. 

Ks  ist  jetzt  nichts  Wünschens  wert  hes  dabei  hieher  zu  kommen.  Ich  bin 
mit  dem  bessern  Kern  des  Centrums,  (Gagern  Dahlmann  Waitz  u.  s.  w.)  ungefähr 
">0.  vor  zwei  Tagen  aus  der  Versammlung  geschieden,  die  sich  mit  einigen  Ver- 
rücktheiten noch  wohl  im  rothen  »Sande  verlaufen  wird.  Die  Könige,  die  wir 
nur  haben  erhalten  gewollt,  haben  uns  durch  ihre  starren  Tollheiten  die  letzten 
3  4  Monate  schwere  und  unerträgliche  Arbeit  gemacht.  —  Übrigens  sollt  Ihr 
nicht  glauben,  dass  ich  an  der  Zeit  und  dem  Vaterlande  verzweifle,  obgleich  ich 
viele  dumme  und  auch  wilde  Streiche  sowohl  von  oben  als  von  unten  vorhersehe. 
Ks  wird  sich  durch  eine  innere  Notwendigkeit  alles  doch  zuletzt  durcharbeiten. 

Gebe  der  Himmel  Dir  eine  glückliche  Hinabsteigung  in  das  stahlende  und 
reinigende  Wasser! 

An  Bendas  Schwerins  Jonas  und  andre  Freunde  viele  treuste  Grttsse. 

Dein 

Frkft  23.  des  Wonnemonds  4«.  K.  M.  Arndt. 

Bonn  den  9.  des  Heumonds  1H4U. 

Süss,  o  süssest  ist  es  geliebt  zu  werden,  von  Solchen  geliebt  zu  werden  als 
von  Dir.  Du  lichtentsprossene  und  lichtdurchflossene  Seele.  Da  muss  es  selbst 
dem  vom  ältesten  Alter  durchschossenen  und  erkälteten  wohl  wieder  recht  wann  um 
die  Brust  werden.    <)  nimm  meinen  Dank  für  alle  Deine  lieben  Kragen. 

Krank  melden  mich  die  Zeitungen?  ()  die  Zeitungen  lügen  viel,  aber  ganz 
gelogen  haben  sie  diesmal  nicht.  Ich  bin  allerdings  seit  4  Wochen  unbass  ge- 
wesen, wenn  man  vom  Leibe  spricht,  aber,  wie  es  scheint,  doch  ohne  grosse  Be- 
deutung. Krank  genug  bin  ich  gewesen,  und  bin  es  noch,  wenn  vom  Geist  die 
Hede  ist.  Wer  der  irgend  ein  schwellendes  deutsches  Herz  hat,  ist  da  nicht  krank 
gewesen  und  muss  noch  heute  nicht  krank  sein?  Die  letzten  Monate  in  Frank- 
furt und  auch  die  wundersame  Irrfahrt  nach  Berlin,  welche  ich  mitmachen  musste, 
hatten  mich  allerdings  mit  dem  Geiste  und  mit  zerrissenen  Hoffnungen,  deren  ein 
gutes  Theil  unser  König  vor  unsern  Augen  zerriss,  auch  körperlich  sehr  mit- 
genommen und  erst  hier  in  meiner  stilleren  Klause  fühle  ich  das  iveht.  In- 
dessen, liebstes  Kind,  auch  nicht  Einen  ganzen  Tag  bin  ich  bettlägerig  gewesen, 
—  und  mit  dem  Leibe  geht  es  wirklich  in  jeder  Hinsicht  wieder  so  leidlich,  dass 
ich  beute  früh  f>  Uhr  schon  Kirschen  gepflückt  habe  und  heut  Mittag  im  Rhein 
baden  gehen  will.  Mit  dem  Geist  stehts  durch  Gottes  Gnade  •  denn  auch  ich 
bin  ein  Mensch  von  Gottes  Gnaden  immer  noch  gut.  Trotz  allen  Wirren  des 
Tages  und  aller  Dummheit  und  allem  Unsinn  diesseits  und  jenseits  weiss  ich  in 
innerster  Brust,  dass  unser  grosses  Vaterland  nicht  in  das  Nichts  zurückfallen 
kann,  wie  langsam  und  fuchsig  seitenspringend  und  rückschreitend  die  grosse  Kaiser- 
und  Königsjagd  mit  dem  feinen  diplomatischen  .lagdgeklapper  und  wüsten  Hunde- 
gcbell  des  Tages  auch  gehen  mag.  Die  endliche  Lösung  so  ungeheurer  Dinge 
kann  ich  auf  diesem  kleinen  Planeten  freilich  nicht  mehr  erleben. 

Trost  des  Alters,  worauf  Du  liebste  Seele  auch  hinwinkst,  dass  es  einem 
oft  ist.  als  ob  man  mit  unsichtbaren  Flügeln  -  ich  will  nicht  sagen,  auf  einem 
Kliaswagen  mit  feuerschnaubenden  Himmelsrossen  —  hinweggehoben  würde.  Ich 
habe  das  Gefühl  auch  oft  und  mögte  schon  die  stillste  Stille  der  Abgeschiedenheit 
suchen,  wenn  die  Knie,  ja  wenn  das  Vaterland  und  so  viele  andre  kleinen» 
Pflichten,  die  ich  dem  Scheine  nach  noch  zu  erfüllen  habe,  mich  doch  nicht  in 
vielem  Gewirre  des  kämpfevollen  Lebens  festhielten.    Ich  habe  vor  dem  Tode  noch 


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Karl  Hillebrand  Uber  das  Lesen  als  Bildungsmittel. 


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immer  ein  Lehen  gehabt ;  ich  meine,  so  gut  Gott  der  Herr  es  jedem  Alten  gestellt, 
wenn  er  in  SinnenliLst  nicht  zu  sehr  ersoffen  und  an  Goldklum|>enlust  nicht  zu 
hart  verwachsen  ist. 

Sehr  freue  ich  mich,  dass  Du  Dich  wieder  lebensfrischer  fühlst.  Ich  bitte 
Dich  dabei  hübsch  zu  bleiben  und  alle  Deine  Lieben  auf  das  heimlichste  von  meinein 
ganzen  Hause  zu  grüssen. 

Gebe  Gott  Dir  ein  fröhliches  Herz  und  hinfort  einen  schönen  Sommer.  Hier 
am  Rhein  ist  Frühling  und  Sommer  im  Ganzen  schön  gewesen,  und  das  Jahr  ist 
für  Koni  und  Obst  und  selbst  für  Wein  ein  vielversprechendes. 

In  deutscher  Treue  Dein  alter 

K.  M.  Arndt. 

Karl  Hillebrand  über  das  Lesen  als  Bildungsmittel. 

Briefe,  mitgetheilt  von  SIGMUND  SCHOTT. 

Ein  einziges  Mal,  im  Spätsommer  1*80,  erfreute  ich  mich  eines  persönlichen 
Zusammenseins  mit  Karl  Hillebraud.  Die  kurzen  Stunden,  wahrend  deren  ich  damals 
mit  ihm  durch  Frankfurt  wandelte,  werden  mir  unvergesslich  bleiben.  Der  statt- 
liche, lebhafte  Mann,  dem  nichts  Menschliches  fremd  war.  stimmte  voll  zu  dem 
Bilde,  das  sich  der  Leser  seiner  Bücher  von  seiner  Persönlichkeit  machen  mochte. 
Er  war  ein  reicher  Mann,  der  auch  in  der  gewöhnlichen  Konversation  keine 
abgegriffene  Scheidemünze  verwandte,  sondern  mit  Gold  um  sich  werfen  konnte. 
End  ähnlich  gab  er  sich  auch  in  den  Briefen,  mit  denen  er  mich  seit  jener 
Begegnung  bis  kurze  Zeit  vor  seinem  allzu  frühen  Tode  auszeichnete.  Jeder 
einzelne  dieser  Briefe  giebt  Zcugniss  von  der  geistigen  Höhe  und  der  vornehmen, 
selbständigen  Denkweise  diese«*  echten  Adelsmenscben.  Gir  manche  Stellen  darin 
sind  allgemeinsten  Interesses  würdig,  und  ich  habe  mir  diese  Briefe  schon  seit 
lange  nicht  allein  gegönnt.  Aber  der  Yei-suehung,  Stellen  daraus  zu  veröffent- 
lichen, mauste  ich  widei-stehen.  nachdem  ich  einmal  gehört  hatte,  dass  Hillebrand 
selbst  sich  gegen  jede  Veröffentlichung  aus  seiner  Korrespondenz  geäussert  habe. 
Zwei  der  Briefe  scheinen  mir  indessen  ihrer  Natur  nach  so  sehr  ein  allgemeines 
Bekanntwerden  geradezu  zu  verlangen  und  in  diesem  Organ  eine  so  geeignete 
Stätte  zu  finden,  dass  ich  mich  entschlossen  habe,  sie  herauszugeben.  .Selbst- 
verständlich geschieht  diese  Veröffentlichung  mit  voller  Zustimmung  der  Wittwe 
Karl  Hillebrands.  Da  überdies  ein  intimer  Freund  ihres  Mannes,  den  sie  um 
seine  Meinung  bat.  ihre  Ansicht  theilte,  sah  sie  keinen  (Jrund.  ihre  Zustimmung 
für  diesen  besonderen  Fall  zu  verweigern,  der  indessen  als  Ausnahme  zu  betnuhten  ist. 

Die  Fragen,  die  ich  stellte,  die  Bemerkungen,  die  ich  machte,  ergeben  sich 
aus  dem  Inhalt  der  Antworten  Karl  Hillebrands.  Ich  lasse  dies  hier  wörtlich 
folgen,  ohne  an  die  von  Hillebrand  geäusserten  Anschauungen  weitere  Bemerkungen 
zu  knüpfen. 

Florenz.  März  1,1.  18S1. 
50  l.ung'  Amo  Nuovo. 
Mein  sehr  verehrter  Herr,  wohl  ist  das  Studium  der  alten  Sprachen  vor  Allem  formal 
von  Bedeutung,  wie  Sie  sagen:  nur  gilt  es.  sieh  zu  verständigen.  Ich  würde  sagen:  die 
formale  Seite  des  klassischen  Enterricht.s  ist  die  bedeutendste;  aber  sie  wirkt  nicht  nur 
auf  die  formale  Seite  des  aufnehmenden  <J eiste*.  Wie  dem  auch  sei,  Sie  hüben  die  Zeit 
nicht .  "ich  noch  einmal  drei  .lahre  dieser  ( Jeisteszmht  (nur  der  lateinischen  •  •nimmatik)  zu 
unterwerfen:  und  da  thun  Sie  freilich  besser,  ganz  darauf  zu  verzichten,  als  es  nur  halb 


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453 


Biographische  Blätter. 


zu  thun:  und  drei  Jahre,  täglich  zwei  Stunden  bis  drei,  sind  nothwendig,  um  das  versäumte 
Gymnasium  allein  im  Lateinischen  nachzuholen.  Nehmen  wir  also  das  Gegebene  als  ein 
Gegebenes,  wie  ja  auch  vernünftige  Politiker  thun:  und  da  es  zu  spät  Air  .Sie  ist.  die  un- 
schätzbar formale  Seite  des  Studiums  zu  bewältigen,  machen  Sie  sich  an  den  Inhalt,  soweit 
derselbe  ohne  philologische  und  philosophische  Vorstudien  zugänglich  ist.  Mein  liath  wäre, 
in  guten  Übersetzungen  zuerst  die  beiden  Grundlagen  des  Alterthums  kennen  zu  lernen 
(aber  von  Grund  aus)  i.  e.  Homer  und  lierodot.  Die  Sind  wie  der  Vater  Oecanos.  von 
dem  Alles  ausgeht.  Nun  handelt  sich's  aber  nicht,  sie  einfach  einmal  durchzulesen,  um  sich 
sagen  zu  können,  man  hat  sie  gelesen:  sondern  sich  mit  ihnen  vertraut  zu  machen.  sie  auf 
seinem  Nachttische  zu  haben,  und  nachdem  man  sie  von  vorn  bis  hinten  ordentlich  durch- 
gelesen, hier  und  da  aufzuschlagen  und  zu  ihnen  zurückzukommen.  In  zweiter  Linie  wurde 
ich  Ihnen  rathen,  Hesiod  und  die  Tragiker  ganz  zu  lesen  mm  Kuripides  genügen  zwei 
oder  drei  Stücke  wie  die  Klectra,  der  Hippolyt»:  den  Aristophanes,  denTheokrit:  unter  den 
Prosaikern  Thucydides  und  die  Memorabilien  des  Xenophon:  vielleicht  auch  die  drei  eisten 
Dialoge  Plato's  (Kutyphron.  (Yiton  und  Apologie,  die  nicht  metaphysisch  sind):  endlich 
Lucian.  —  Ich  glaube,  das  ist  ganz  genug:  die  Lyriker.  Pindar  und  was  wir  von  den 
Andern  haben,  ist  Alles  so  gräulich  verdeutscht  (leider  auch  die  meisten  Prosaiker),  dass 
wenig  daran  zu  holen  ist  in  der  Übersetzung,  lud  dasselbe  gilt  in  viel  höherem  Grade 
vom  Lateinischen:  ich  kann  mir  sie  gar  nicht  in  der  Übersetzung  denken  (der  deutx  hen, 
wohlverstanden:  denn  die  Romanen  haben  mehr  Verstand niss  dafür  als  wir  Germanen).  Ich 
muss  mir  noch  immer  denken,  dass  Sie  nach  einem  Jahre  tüchtigen  Studiums  (je  3  Stunden 
den  Tag.  die  Lehrstunde  mit  eingerechnet)  im  Stande  sein  würden,  den  Phaedrus  und  Cor- 
nelius Nepos  zu  lesen  und  dann  im  '2.  Jahre  allmählich  auch  Ihren  Virgil  und  Cicero,  endlich 
Ihren  Horaz  und  Tacitus  im  3.  Jahre  zu  bemeistern  lernen  würden.  Wo  nicht,  *o  sehen 
Sie  sich  auch  dafür  nach  guten  Übersetzungen  um:  allein  ich  weiss  nicht,  ob  Sie  viel  Ge- 
nuss  und  Nutzen  daraus  ziehen  werden.  Haben  Sie  denn  Niebuhr,  Drumann,  Mommsen 
über  römische  Geschichte.  Curtius.  Grote,  vor  Allem  aber  Droysen  über  griechische  Ge- 
schichte gelesen?  Das  sollten  Sie  doch  thun.  —  Überhaupt  würde  ich  Ihnen  rathen  von 
Schriftstellern  des  19.  Jahrhunderts  nur  Historiker  und  Kritiker  zu  lesen,  oder  aber  Auto- 
biographen  (die  Biographen  wie  Justi,  Herbst,  Haym  et  caetera  rec  hne  ich  unter  die  Histo- 
riker und  Literaturhistoriker):  sonst  aber  nur  wirklich  Gutes  aus  vergangenen  Zeiten: 
und  zwar  kennt  man  kein  gutes  Buch  der  Welt  nach  einmaligem  Lesen;  und  wer  den 
Faust  oder  die  Odyssee,  oder  die  Divina  Commedia  (Hier  den  Hamlet  dreimal  gelesen  hat. 
ist  reicher,  als  wer  alle  Werke  der  deutschen,  griechischen,  italienischen  und  englischen 
Litteratur  nur  einmal  gelesen  hat.  Noch  einmal,  nicht  das  Gelesenhaben  ist  das  Wich- 
tigste, sondern  das  Befreundetwerden .  das  Kindringen.  Liebgewinnen  eines  Schriftstellers. 
Ich  halte  Sie  für  etwa  25  Jahre  alt.  Wenden  Sie  noch  fünf  Jahre  an  Ihre  methodische 
Erziehung.  Die  unmethodische  (die  wichtigste)  wird  dann  vom  30.  Jahre  an  um  so  frucht- 
barer und  rascher  sein.  Im  Grunde,  wer  hat  nicht  die  Zeit,  jede  Woche  einen  Band  zu 
lesen?  Selbst  wenn  man  nicht  Macaulay  i*t  (der  einen  bis  zwei  Bände  taglich  las),  kann 
man  demnach  50  Bände  im  Jahre  zu  seiner  Krholung  lesen:  und  liest  man  sie  zweimal  — 
aber  ä  distance  —  so  kann  man  wenigstens  25  lesen.  Nun  bitte  ich  Sie,  giebt's  denn 
viel  mehr  als  50  gute  Bücher  in  der  Welt?  (ich  nehme  immer  wissenschaftliche,  historische, 
biographische  n.  s.  w.  aus).  Werseinen  Shakespeare.  Milton.  Fielding,  Addison.  Hume. 
Sterne  und  Byron  gelesen  hat,  weiss  ganz  genug  von  der  englischen  Litteratur.  welche 
doch  die  reichste  der  Welt  ist:  und  Sie  haben  später  immer  noch  Zeit,  den  Nebenflüssen 
nachzugehen.  Heute  sind  die  Leute  so  historisch  und  indirekt  geworden,  dass  sie  ihren 
Shakespeare  nicht  mehr  zu  verstehen  meinen  ohne  Webster  und  Turner,  Beaumont  und 
Fletcher.  Marlowe  und  Ben  Jonson,  Massinger  und  Lily  und  was  weiss  ich.  Ist  Ihnen 
damit  gedient  ,  so  stelle  ich  Ihnen  mal  einen  kleinen  Katalog  zusammen  des  Klassischen  im 
wahren  Sinne  de*  Wortes.    Nur  bedenken  Sie  immer,  das  ist  nur  die  Basis,  auf  der  Sie 


Karl  Hillebrand  über  da.s  Lesen  aLs  Bildungsmittel. 


451 


dann  frei  irrlichteliren  müssen:  denn  das  Irrliehteliren  ist  doch  das  allein  (ienussreiche  und 
allein  Fruchtbare  —  wenn  nur  der  Boden  gut  gedüngt  und  gepflügt  ist,  auf  dem  man  so 
in  den  Tag  hinein  säet. 

Ihr  ganz  ergebener 

K.  Hillebrand. 

Aus  einem  Briefe  vom  16.  April  1X81. 

Lud  nun  zu  Ihren  geistigen  Angelegenheiten.  Ihr  Alter.  Ihre  bevorstehende  Heirath, 
die  grosse  Verantwortlichkeit  und  Inanspruchnahme,  welche  Ihn?  Stellung  nach  sich  zieht, 
ändern  freilich  die  Sache  total.  Lassen  wir  also  ganz  die  lateinische  Sprache  und  verzichten 
wir  ebenso  absolut  auf  lateinische  Dichter,  die  in  der  Übersetzung  nicht  geniessbar  sind. 
Bleibt  immer  noch  das  gelegentliche  Lesen  der  wichtigsten  Prosaiker,  sowie  der  bereits 
anempfohlenen  (Jrieehen  (gebundener  oder  ungebundener  Kede)  in  deutscher  Übersetzung. 
Nur  müssen  Sies  nicht  machen  wie  mit  der  Odyssee ;  nicht  gleich  hintereinander  muss 
man  die  grossen  Werke  wieder  lesen:  sondern  alle  vier  bis  fünf  Jahre.  Dann  gehen  Einem 
erst  neue  Schönheiten  auf.  NiJehst  Ilias  und  Odyssee  nun  sind  die  Bücher,  die  man  wie 
seine  Bibel  kennen  muss,  die  göttliche  Komödie  (aber  um's  Himmelswillen  nicht  in  der 
Übersetzung:  besser  gar  nicht  lesen),  den  Don  (Quichotte,  den  ganzen  Shakespeare,  die  Haupt- 
romnne  Fielding's.  dem  Montaigne  und  Moliere.  den  Faust  und  Wilhelm  Meister.  Das 
ist  sehr  grosso  modo:  aber  in  Abwesenheit  klassischer  Bildung,  halte  ich  die  innige  Ver- 
trautheit. da.s  Zusammenleben  mit  diesen  Werken  für  die  einzig  mögliche  Bedingung  einer 
ächten  (ieschmacks-,  (ieistes-.  Seelenbildung.  Wohlverstanden,  nicht,  wenn  man  sie  durchliest 
als  ein  Pensum,  wie  Herr  Taine  die  ganze  englische  Litteratur  ad  hoc  tieissigst  durchgelesen, 
um  sein  Buch  zu  schreiben  und  am  Ende  doch  in  die  englische  Atmosphäre  ga  r  nicht  ein- 
gedrungen war.  —  Neben  diesem  täglichen  Brod  giebt's  dann  noch  so  viele  andere  herrliche 
Speisen,  die  man  aber  weniger  oft  gemessen  kann,  als  da  sind:  die  klassischen  Tragödien 
und  Komödien  der  (»riechen  und  Kömer,  ihre  Historiker,  die  italienischen  Dichter  wie  Ariost 
und  Tasso  oder  politische  Denker  wie  Machiavelli.  wa-s  alles  ja  ganz  kleine  Bündchen  sind; 
einige  <  'alderonsche  Dramen,  einige  von  Racine  und  Corneille,  dann  Pascal.  Labruyere,  La- 
roehefoucault.  Lesage,  Abbe  Prevost  (M a n o n  Lescaut).  Kousseaus  Confessions,  Voltaires 
Ilomane.  weiter  Chaucer.  Milton.  Swift,  Addison.  Sterne:  endlich  Wieland.  Schiller,  Kleist, 
Heine  etc.  und  Ihr  geliebter  Lessing.  Nicht  genug  kann  ich  Ihnen  die  Pflege  des  Fran- 
zösischen und  Englischen  (der  guten  Jahrhundert«!)  empfehlen.  Niebuhr  meint,  das  beste  Mittel 
um  zu  lernen,  gut  deutsch  zu  schreiben,  sei  viel  lateinisch  zu  lesen  und  schreiben;  könne 
man  das  nicht,  so  solle  man  da.s  Französische  nehmen ,  das  nie  etwas  Ungehöriges  dulde. 
Und  in  der  That  sind  alle  guten  deutschen  Prosaiker  von  Wieland.  Lessing  und  (ioethe 
bis  auf  die  Humboldt  und  Heine  perfekt  im  Französischen  gewesen. 

Nun  blieben  noch  die  anderen  Fragen,  die  Sie  anregen  und  die  eingehend  zu  beant- 
worten eine  Zeit  erfordern  würden,  die  mir  nicht  zu  fJebote  steht. 

1.  Was  versteht  ein  Knabe  von  Homer?  Wie  gcniesst  er  ihn?  <  Jar  nicht,  sagen 
Sie  und  ich  stimme  zu.  Darauf  kommt's  aber  nicht  an;  woraufs  ankommt  ist,  dass  einer- 
seits die  Lektüre  seinen  Meist  ausbildet  und  entwickelt,  ohne  dass  er  eine  Ahnung  davon 
hat  und  ihn  mit  tausend  Vorstellungen  bereichert,  ihn  an  reinste  Formen  gewöhnt  (wie  ja 
ein  Knabe  auch  den  besseren  oder  schlechteren  Dialekt  der  liegend,  die  er  bewohnt,  unbe- 
wusst  annimmt):  andererseits  darin,  dass.  wenn  er  den  Homer  mit  10  Jahren  wieder  in  die 
Hand  bekommt,  er  ihn  lesen  kann.  (  Ich  beziehe  mich  für  Alles  dieses  auf  meinen  Aufsatz 
in  der  .Bundschau"  vom  Marz  1879  Uber  Halbbildung i. 

2.  Wohl  giebt  das  hohe  Alter  den  Werken  des  Alterthums  einen  höheren  Werth. 
Fftnden  wir  heute  bei  einer  verschollenen  Völker>chaft  Asiens  ein  Kpos.  so  schön,  wie  die 
Ilias.  es  würde  für  uns  den  Werth  der  Ilias  nicht  haben  können,  an  der  drei  Jahr- 
tausende sich  erhoben,  die  «lein  (iriechenthum  und  dem  Uömerthuni,  auf  dem  alle  unsere 
Bildung  doch  beruht.  als  Basis  gedient.     Wohl   mag  zu  Christi  Zeiten  ein  Anderer  eine 


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455 


Biographische  Blätter. 


ebenso  hohe  Moral  gepredigt  haben,  als  Jesus:  aber  .Jesus  Leben  hat  achtzehn  Jahrhundert*» 
die  ganze  civilisirte  Menschheit  genährt,  getröstet:  wohl  möchte  auch  ein  anderes  Volk  eine 
Bil»el  haben  wie  das  alte  Testament;  die  Bedeutung,  die  für  uns  das  erwählte  Volk  und 
sein  literarisches  Nationalnionument  haben,  die  innere  Beziehung  zu  uns.  die  erst  Allem 
höheren  Werth  verleiht,  könnte  es  nicht  haben.  Die  Tradition,  d.  h.  der  Zusammenhang 
in  der  Zeit,  ist  ja  das  höchste  Gut  der  Menschheit,  wodurch  sie  die  individuelle  Grenze 
vernichtet;  sie  in  der  Litteratur,  wie  im  Staate  läugnen  wollen,  ist  der  Anfang  aller  Bar- 
barei, die  Rückkehr  zum  Atomismus,  von  dem  alle  Kultur  ausgegangen  ist.  —  Allein  auch 
abgesehen  von  diesem  Zuschuss  an  Werth,  den  die  Werke  der  Griechen  durch  ihr  Alter- 
thum  erhalten,  sind  sie  auch  an  sich,  absolut,  nicht  relativ,  durchaus  unerreicht  geblieben, 
wenn  ich  den  einzigen  Shakespeare,  vielleicht  noch  Dante  und  Cervantes  ausnehme.  Goethe 
steht  uns  näher,  weil  er  unserer  Zeit,  unserer  Nation  angehört  Sie  wissen,  wie  ich  ihn 
liebe,  wie  vertraut  ich  mit  ihm  bin,  bis  zu  jedem  Briefchen  oder  Gelegenheitsverschen.  das 
er  je  geschrieben,  wie  ich  Faust  und  Wilhelm  Meister  fast  auswendig  kann,  aber  un 
jene  G  rossen  reicht  er  doch  lange  nicht  heran. 

 Cg,  

Die  Porträtsammlung  der  K.  und  K.  Familien-Fideicommiss- 

bibliothek  in  Wien. 

V  o  n 

JOH.  JURECZEK. 


Die  Porträtsammlung  der  K.  und  K.  Familien-Fideicommissbibliothek  ist  eine 
der  grössten  Sammlungen  dieser  Art,  und  da  ihre  eigenartige  Aufstellung  die 
Lösung  vielfacher  Aufgaben  ermöglicht,  welchen  die  Einrichtung  anderer  grosser 
Sammlungen  nicht  entsprechen  kann,  so  inuss  sie  auch  in  Hinsicht  auf  das  Port  rat 
die  bedeutendste  genannt  werden. 

Der  Zeitpunkt  ihrer  Entstehung  ist  nicht  genau  festzustellen  wie  bei 
allen  Privatsamnilungen,  welche  erst  dann  diesen  Namen  erhalten  und  verdienen, 
wenn  durch  oft  jahrelanges  Mühen  eine  grössere  Zahl  ihnen  zugehöriger  Objekte 
sich  vereinigt  hat.  So  viel  steht  fest,  dass  die  Anlage  der  Porträtsammlung  nur 
wenige  Jahre  später,  als  jene  der  Bibliothek,  zu  der  sie  gehört,  begonnen  hat. 

Als  im  Jahre  17H1  Erzherzog  Kranz,  ( i rossherzog  von  Toskana,  seine 
Vaterstadt  Florenz  verliess.  um  an  der  Seite  seines  kaiserlichen  Oheims,  Joseph  IL. 
in  die  Regierung  der  österreichischen  Erblande  eingeführt  zu  werden,  brachte  er 
bereits  ausser  jenen  Werken,  welche  seinen  Studien  entsprechend  und  diese  er- 
gänzend angeschafft  worden  waren,  eine  bedeutende  Zahl  anderer  Werke,  haupt- 
sächlich philologischen  und  kunsthistorischen  Inhalts  mit.  sowie  eine  Sammluntr 
von  Kunstblättern,  darunter  wohl  viele  Porträts.  Die  planmässige  Sorge  für  die 
Bibliothek  begann  jedoch  erst  mit  dem  Regierungsantritte  des  Erzherzogs  Franz. 
im  Jahre  17U2.  Wenn  nun  auch  die  naturwissenschaftliche  und  philosophische 
Richtung  besonders  berücksichtigt  wurde,  so  zeigt  sich  doch  das  Bestreben,  die 
Bibliothek  zu  einer  in  allen  Fächern  reichen  Sammlung  zu  gestalten,  so  dass  >ie 
im  Jahre  1 H 1 4  bereits  40000  Bünde  zahlt:  diese  Zahl  wurde  in  der  folgenden 
Zeit  durch  reichen  Ankauf.  Erbschaften  und  Widmungen.  Einverleibimg  der 
Privatbibliotheken  der  Erzherzogin  Elisabeth,  des  Kaisers  Ferdinand,  des  Kaisers 
Franz  Joseph  und  des  Kronprinzen  Rudolph  bis  jetzt  auf  das  vierfache  erhöht. 
Mit  der  Porträtsammlung  stand  nur  eine  bedeutende,  doch  desto  interessantere  Erwer- 


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Die  Portriitsaimnlung  der  K.  u.  K.  Familien-Fideiconnuisshibliothek  in  Wien.  450 


bung  in  Verbindung:  der  1828  aus  der  gräflich  Fries  ischen  Konkursmasse  erfolgt e 
Ankauf  der  Sammlung  .1.  C.  Lavaters  mit  mehr  als  22  000  Blättern  Kupfer- 
stichen und  Handzeichnungen,  meist  Porträts,  die  zum  grossen  Theile  mit  eigen- 
händigen physiognomischeii  Bemerkungen  dieses  Sammlers  in  Hexametern  versehen 
sind.  Kaiser  Franz  hatte  dem  damaligen  Vorstande  der  Bibliothek,  Hofrnth 
Young.  persönlich  den  Auftrag  ertheilt,  ihn  auf  den  Zeitpunkt  der  Versteigerung 
aufmerksam  zu  machen,  und  auf  seine  Initiative  hin  begannen  dann  auch  die 
Verhandlungen  mit  dem  Generalkreditorenausschuss  (Geymüller,  Sina.  Eskeles  und 
Hornicker)  behufs  direkten  Ankaufs  der  Sammlung,  welche  auch  um  den  Preis 
von  2000  h\  erworben  wurde.  Dieses  persönliche  Kingreifen  des  Kaisers,  sowie 
der  Umstand,  dass  sich  in  der  Bibliothek  ausser  Lavaters  „Physiognomischen 
Fragmenten-  noch  zahlreiche  andere  AVerke  über  Physiognomik  aus  jener  Zeit 
vorfinden,  berechtigen  zum  Glauben  an  die  Tradition,  dass  die  Porträtsammlung, 
wenn  nicht  speziell  der  Vorliebe  des  Kaisers  Franz  für  diese  Studien,  so  doch 
der  ihnen  günstigen  Zeitströmung  ihre  Entstehung  mit  verdanke,  welche  von 
selbst  auf  die  Anlage  von  Porträtsammlungen  führte.  Gewiss  aber  mag  die  Liebe 
zur  Kunst  und  die  edle  Absicht  des  Kaisers,  mit  Hülfe  der  Porträts,  sowie  der 
Lebensbeschreibungen  der  Dargestellten  manches  Interessante  auf  dem  weiten 
Felde  der  Menschenkenntnis»  für  sich  aufzulesen,  bestimmend  einge  wirkt  haben. 
Die  Bibliothek  verwahrt  jetzt  noch  in  lfiO  Cahiers  über  10  000  Heftchen  solcher 
sauber  geschriebenen  Lebensdarstellungen,  welche  zum  Zwecke  des  Studiums  der 
damals  angekauften  Porträts  nach  den  Anweisungen  des  Kaisers  mit  vieler  Mühe 
zusammengestellt  worden  sind.  Zahlreiche  Aufschriften  und  Notizen,  die  von 
seiner  Hand  herrühren,  geben  Zeugniss  dafür,  dass,  wie  der  Gedanke  zur  An- 
legung der  Sammlung  von  ihm  ausgegangen  war.  er  auch  weiter  ihr  das  höchste 
Interesse  bewahrte  und  alles  selbst  anordnete.  Mit  staunensweilher  Energie 
strebte  er  die  rasche  Vervollständigung  der  Sammlung  an.  An  alle  „K.  K. 
Missionen-  (Gesandtschaften)  erging  der  Auftrag,  das  in  diesem  Fache  Vorbild- 
liche ohne  Beschränkung  der  Zahl  anzukaufen.  Damit  vertraute  Personen  mussten 
Kelsen  unternehmen,  um  Porträts  zu  sammeln  und  von  merkwürdigen  Bildnissen 
wenigstens  Kopien  zu  gewinnen.  Von  allen  Seiten  langten  Sendungen  in  Kisten 
an.  Nach  dem  Tode  des  Kaisers  Franz  waren  noch  8fi  Portefeuilles  mit  je 
100  Porträts  vorhanden,  welche  vor  1835  meist  von  Keisenden  abgeliefert  worden 
waren,  und  deren  Aufarbeitung  den  Beamten  noch  nicht  möglich  gewesen  war. 
Auch  die  Kaiserin  Karolina  Augusta  brachte  der  Sammlung  grosses  Interesse  ent- 
gegen und  gewährte  ihr  reiche  Unterstützung. 

Der  Grundstock  der  Sammlung  wurde  während  der  gewaltigsten  Kriege  ge- 
bildet, und  im  .lahre  1800  ist  sie  schon  auf  «78  Portefeuilles  mit  70000  Por- 
träts angewachsen.  Erst  dann  gelangt  angesichts  des  enormen  vorliegenden  Materials 
der  heute  noch  massgebende  Grundsatz  zur  Geltung,  dass  von  nun  an  Porträts  von 
in  irgend  welcher  Richtung  hervorragenden  Österreichern  unbedingt,  von  Ausländern 
jedoch  nur.  wenn  sie  ein  bedeutenderes  historisches  Interesse  bieten,  zu  erwerben  seien. 
Dieses  Anwachsen  der  Sammlung  ergab  aber  auch  die  zwingende  Notwendigkeit, 
sachgemässe  (  ataloge  zu  verfassen.  Der  Kaiser,  welcher  ganze  Tage  in  der  an 
seine  Appartements  stossenden  Bibliothek  zubrachte,  hatte  ein  so  ausgezeichnetes 
Gedächtnis*,  dass  er  von  fast  allen  Büchern  den  Standort  anzugeben  w*usste.  Dies 
wurde  ihm  aber  bei  weiteren  Anschaffungen  immer  schwieriger,  und  besonders 
die  Porträtsammlung  verlangte  eine  dem  Zwecke  entsprechendere  Anordnung. 
Es  wurden  also  die  Porträts  in  den  Portefeuilles  nach  Ständen  (Herufsarten) 
zusammengelegt,  und  ein  alphabetischer  Zettelkatalog,  sowie  Ständekataloge  ange- 
fertigt, die  1822  begonnen  und  deren  Reinschriften  183;')  beendet  wurden.  Die 


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457 


Biographische  Blatter. 


Namen  und  die  Vorlegblätter  wurden  kalligraphisch  ausgeführt  und  den  Regeuten- 
häusern  weitere  Vorlegblätter  mit  deren  künstlerisch  ausgeführten  Wappen  bei- 
gegeben, welche  der  Wappenmaler  .Stein,  einer  der  geschicktesten  Künstler  seines 
Faches,  zu  Beginn  der  dreissiger  .lahre  ausführte:  per  Stück  wurde  ihm  hierfür 
0  -  10  fl.  (  '.  M..  für  jedes  der  grösseren  bis  zu  20  Dukaten  gezahlt. 

Wie  Kaiser  Franz  mit  ganzer  Seele  an  seiner  Schöpfung  hing,  zeigte  er  in 
seinem  am  1.  Marz  1835  errichteten  Testamente.  Um  ihren  Bestand  zu  sichern, 
erhob  er  die  Bibliothek  mit  den  damit  verbundenen  Sammlungen  zu  einem  Primo- 
geiiitur-Fideieommisse  für  die  männlichen  Nachkommen.  Zur  Aktivirung  dieses 
Fideicommisses  wurde  von  Kaiser  Ferdinand  eine  Kommission  unter  Vorsitz  des 
(trafen  Taafte  ernannt.  Die  Verhandlungen,  insbesondere  die  Verfassung  der 
nöthigen  Inventare.  währten  bis  1849.  in  welchem  Jahre  «He  Ausfertigung  der 
Fideieommiss-L'rkunde  erfolgte.  Als  Fideicommissbehörde  wurde  185h  das  Oberst - 
hofmarsehallamt.  als  Curator  der  Kr/herzog  Ludwig  ernannt,  dem  1 8*55  Erzherzog 
Leopold  folgte.  Nach  dem  Tode  des  Kaisers  Franz  ging  die  Bibliothek,  und  mir 
ihr  die  Porträtsammluug.  in  den  Besitz  des  Kaisers  Ferdinand  über,  kam  dann  an 
Erzherzog  Franz  Carl  und  nach  dessen  Ableben  1878  an  Kaiser  Franz  .Joseph  1. 

Auch  nach  dem  Tode  des  Kaisers  Franz  wurde  der  weiteren  Kompletirung 
der  Porträtsnmmlung  im  Sinne  ihres  Stifters  das  regste  Interesse  entgegen- 
gebracht. Wenn  auch  die  beabsichtigte  Drucklegung  in  dem  bis  zum  3.  Bande 
gediehenen  Realkataloge  (die  erschienenen  Bände  enthalten  die  Manuscripten-  und 
Bücher-,  die  Landkarten-  uud  die  Ansichten-Sammlung)  wegen  der  Schwierigkeiten 
der  Bearbeitung,  welche  zeitraubende  Vorarbeiten  erforderte.  —  hauptsächlich 
aber  wegen  der  Übei-siedlung  der  Bibliothek  in  neue  Räumlichkeiten  — f  auf  einen 
späteren,  ruhigeren  Zeitpunkt  verschoben  werden  musste,  so  wurde  doch  die  rast- 
lose Biencnarheit  im  Innern  trotz  allem  fortgesetzt.  Zahlreiche  Erwerbungen 
bereicherten  fortwährend  die  Sammlung.  1H70  wurde  auf  Anregung  des  Direktors, 
"Hnfrathes  Becker,  in  derselben  Weise,  wie  es  unter  Kaiser  Franz  geschehen,  an 
die  auswärtigen  ( Jesandtschaften  der  Auftrag  ertheilt,  Bildnisse  für  die  Porträt- 
sammlung zu  anjuiriren.  Reich  war  wieder  der  Zufluss.  trotzdem  der  Standpunkt 
ein  bedeutend  schwierigerer  geworden  war.  weil  der  Ankauf  von  Doubletten  ver- 
mieden werden  musste.  Insbesondere  der  damalige  kaiserliche  Gesandte  in  Spanien. 
Graf  Ludolf,  verfolgte  die  Sache  mit  warmem  Interesse,  das  für  die  Sammlung 
um  so  werthvoller  war.  da  gerade  die  Beschaffung  von  Porträts  aus  Spanien 
die  irrössten  Schwierigkeiten  bot.  Dort  war  seit  Jahren  der  Kupferstich  sehr 
vernachlässigt,  und  selbst  die  vom  Staate  erhaltene  ehalcographisehe  Anstalt  hatte 
die  früher  ausgegebene  Porträtfolge  seit  langen  Jahren  aufgegeben.  Auch  litho- 
graphische Porträts  waren  da  schwer  zu  finden,  uinsomehr.  da  Madrid  keinen 
Laden  besass.  der  den  Namen  Kunsthandlung  verdiente,  und  man  die  Porträts 
entweder  in  den  lithographischen  Anstalten  selbst,  oder  bei  den  Antiquaren  suchen 
musste.  die  ihren  Stand  meist  auf  offener  Strasse  hatten,  wo  die  verzettelten 
Blätter  allen  I  iibihlen  der  Witterung  ausgesetzt  waren. 

Wenn  nun  noch  der  IHHH  erfolgten  Erwerbung  der.  2000  Porträts  von 
l'nirarn  enthaltenden  Göcsy  "sehen  Sammlung,  dann  der  so  wichtigen  Inventarisirung 
aller  zum  Fideicommisse  gehörigen  Gemälde  und  Miniatur|>orträts  auf  den  kaiser- 
lichen Schlössern  und  der  Anlegung  eines  Katalogs  über  die  in  den  Bücherwerken 
der  Bibliothek  enthaltenen  Porträts  vor  allem  andern  erwähnt  wird,  so  wird  die> 
geniigen,  darzuthuu.  wie  da*  Bestreben  der  Bibliothek  stets  dahin  gerichtet  blieb, 
di.-  Porträtsamtulung  in  ihrem  Wertbe  zu  erhalten;  nirgend  mehr  wie  hier  bedeutet 
ja  Stillstehen  den  Rückschritt. 

Die  Porträtsnmmlung  der  k.  u.  k.  Familien-Fideirommissbibliothek  zählt  jetzt 


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Die  Porträtsaminlunir  der  K.  u.  K.  l^iiiiilien-lMileiroinmissIiihlmthck  in  Wien.  4,")(S 


über  00  000  Porträts,  welch»-  auf  jjrl^ic-Ji  grosse  Kartons  angehängt,  in  TOM  Porte- 
feuilles *»intf«.»loirt  sind.  Mit  den  Porträts  in  den  Büeherwerken  und  in  der  Lavater- 
snmmluug  jedoch  kann  sie  auf  1^0  000  Blätter  veranschlagt  werden.  Sie  besteht 
aus  zwei  Haupttheilen.  von  weichein  der  eine  die  Mitglieder  der  regierenden  Häuser, 
der  zweite  die  übrigen  Stände  umfasst.  Der  eiste  Theil  ist  nach  den  einzelnen 
Häusern  und  in  diesen  genealogisch  (auf  Grundlage  der  Stammtafeln  von  Voigtei. 
Hühner  u.  s.  w.)  geordnet,  und  schliesst  auch  die  geistlichen  Füi-sten  ein.  In  den 
einzelnen  Ständen,  welche  alphabetisch  aneinander  gereiht  sind,  liegen  die  Porträts 
des  betreffenden  Standes  in  alphabetischer  Folge  nach  den  Namen  der  Dargestellten. 
Die  derzeit  bestehenden  ..Stünde"  sind  folgende: 

Adel,  abpetheilt  in:  Herzoge.  I-Tirsten.  Graten.  Freiherren.  Edelleute.  Ab-' 
geordnete.  Admirale,  Advokaten,  Äbte.  Ärzte,  Hohes  Alter.  Apotheker.  Astro- 
nomen. Aufrührer.  Haumeister.  Beamte.  Bibliothekare.  Bildhauer.  Bischöfe, 
Botaniker,  Buchdrucker  und  Buchhändler.  Bürger,  Bürgermeister.  Cardinale.  Che- 
miker. Consuln.  Dichter.  Domherrn.  Einsiedler.  Erzieher  und  Schulmänner.  Feld- 
herren. Frauen,  (ielehrte,  Gesandte.  ( »esehiehtsehreiber  und  Geographen.  Gottes- 
gelehrte. Handelsleute.  Handwerker,  Heilige.  Hofchargen.  Irrlehrer  und  ihre  Anhänger. 
Kammerherren,  Klosterfrauen.  Künstler  und  Kunstkenner,  Kupferstecher  und  Knpfer- 
stiehsammler.  Maler.  Mathematiker.  Militärs.  Mineralogen  und  Juweliere.  Minister. 
Präsidenten  und  in  gleicher  Kategorie  stehende  Staatsbeamte.  Missgestalten. 
Mönche.  Notare.  Oconomeu.  Pastoren.  Pfarrer.  Philosophen.  Physiker.  Prodiger. 
Priester,  Propheten.  Käthe.  Rathsherren.  Hechtsgelehrte,  Redner.  Schauspieler  und 
Ballettänzer,  Secretäre,  Sprachforscher.  Stal)softiziere.  Statthalter  und  Obergespäne. 
Superintendenten,  Sibyllen.  Tonkünstler,  Verbrecher,  Verschiedene  Porträts.  Wund- 
är/.te.  Zoologen  mit  Thierärzten  und  Inhabern  von  Menagerien. 

AVenn  nun  auch  diese  Benennungen  den  Anforderuniren  der  Neuzeit  gegen- 
über manche  Mängel  und  Lücken  aufweisen,  so  verdient  doch  das  System  für 
die  Zeit,  welche  es  geschaffen,  Anerkennung.  Gerade  in  der  Ständeeintheilung 
liegt  der  Vortheil.  welchen  die  kaiserliche  Porträtsammlung  als  solche  in  ihren 
überwältigenden  Massen  andern  ähnlichen  Sammlungen  gegenüber  stets  bewahren 
wird.  Die  meisten  Kupfei-stichkabinete  fertigen  überhaupt  keine  Kataloge  über 
die  in  ihren  Sammlungen  befindlichen  Porträts  nach  den  Namen  der  Dargestellten 
an.  so  dass  mau  erst  den  Stecher  nennen  muss.  um  ein  Porträt  zu  finden.  Eine 
Ausnahme  machen  nur  die  Pariser  National-Bibliothek.  das  Münchener  Kupfer- 
stiehkabinet,  das  Germanische  Museum  in  Nürnberg  und  die  Hofbibliothek  in  Wien: 
doch  auch  hier  sind  kritische  Porträtstudioii  schwierig,  weil  die  Porträts  unter 
dem  Künstlernamen  eingelegt  sind.  Durch  das  Zusammenlegen  der  Porträts  nach 
dem  Dargestellten  werden  diese  Forschungen  erleichtert;  durch  die  Ständeein- 
theilung aber  die  Lösung  nahezu  aller  andern  Aufgaben,  welche  überhaupt  das 
Porträt  betreffen,  unterstützt.  Bei  den  meisten  der  letzteren,  wo  also  nicht  nach 
einer  bestimmten  Person  geforscht  wird,  ist  der  ..Stand"  ein  wichtiger  Behelf,  da 
allgemeine  Aufgaben  gewöhnlich  mit  einem  solchen  zu  thun  haben.  Meist  wird 
nach  einem  Kegentonhause.  nach  Dichtern,  Schauspielern  u.  s.  w.  gesucht,  und  beim 
Durchblättern  der  Stände  ergeben  sieh  dem  Suchenden  häutig  ungeahnte  Auf- 
schlüsse. Porträts  von  Persönlichkeiten,  die  zu  finden  er  gar  nicht  gehofft  hatte. 
Ebenso  bietet  diese  Fintheilung  einer  der  wichtigsten  Aufgaben  einer  Porträtsamm- 
lung, der  ..Porträtbestimmung",  grosse  Vortheile,  da  der  namenlose  Dargestellte 
in  vielen  Fällen  Kennzeichen  an  sich  trägt,  welche  auf  seinen  Stand  hindeuten. 
Die  kaiserliche  Porträtsammlung  hat  in  dieser  Richtung  schon  unzählige  Auf- 
gaben gelöst. 

So  ist  das  Porträt  die  Domäne,   welche  di      Sammlung  unVsrhränkt  he- 
Hioi:r.i|.hisih.-  lilMtt-r  I.  00 


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4f>!> 


Biographische  Bliitter. 


herrscht,  die  ihr  alle  andere  Sammlungen,  welche  in  anderer  Bichtung  wieder 
Vollkommenes  leisten,  gerne  zuerkennen,  und  durch  welche  sie  nicht  nur  ein 
ergänzendes,  sondern  ein  unersetzliches  Glied  in  ihrer  Reihe  bildet. 

Selbstverständlich  beschränkt  sich  die  Porträtsammlung  nicht  auf  nur  »'in 
Porträt  jeder  Persönlichkeit,  sondern  strebt  nach  allen  vorhandenen  unter  sich 
verschiedenen  Darstellungen.  So  sind  von  Leopold  I.  allein  17M,  von  .Maria 
Theresia  110.  von  Ludwig  XIV.  14K  verschiedene  Porträts  vorhanden.  Auch 
die  einzelnen  Stände  weisen  imposante  Zahlen  auf:  die  ..Feldherren*  zählen  ca. 
f>000  Porträts  in  -17  Portefeuilles,  die  ..Maler",  dann  die  „Minister"  je  28  Porte- 
feuilles mit  je  3(H!U  Porträts.  Eine  separate  Abtheilung  bilden  die  „Gruppen- 
bilder", die  nicht  nur  nach  ihrem  Titel,  sondern  auch  nach  den  darauf  Dar- 
gestellten zu  finden  sind,  von  welchen  oft  ein  anderes  Porträt  nicht  besteht. 
Durch  den  Ankauf  der  obenerwähnten  Göesy'schen  Sammlung,  deren  Katalog 
separat  aufgestellt  ist.  wird  auch  der  jenseitigen  Reichshälfte  eine  reiche  Quelle 
der  Forsehung  erschlossen.  Zuletzt  wäre  hier  noch  der  zahlreichen  Porträt werke 
der  Bibliothek  zu  gedenken. 

Die  Kataloge  der  Sammlung  bestehen  aus  dem  allgemeinen  Zettelkatalog, 
der  zum  Aufsuchen  nach  den  alphabetisch  geordneten  Namen  der  Dargestellten 
dient,  und  den  gebundenen  Katalogen  der  Stände  und  der  regierenden  Häuser 
(47  Folio-Bände),  welche  das  Suchen  nach  Ständen  ermöglichen.  Ausserdem  be- 
steht noch  ein  Katalog  über  die  in  den  Pücherwerken  der  Bibliothek  enthaltenen 
Porträts  und  der  Katalog  für  die  Gruppenbilder. 

Kine  separate  Abtheilung  der  Porträtsammlung,  doch  bezüglich  der  Por- 
träts mit  ihr  einheitlich  katalogisirt ,  bildet  die  Lavater-Sauunlung.  Aus>.  r 
zahlreichen  Porträtstiehen  enthält  dieselbe  viele  meist  noch  unbekannte  Aquarelle 
und  Pastellbildnisse  aus  dem  reichen  Kreise  der  persönlichen  Beziehungen  Lavateis. 
zumeist  aus  der  klassischen  Litteraturepoche  Deutschlands  im  vorigen  .lahrhundeH. 

Fs  ist  selbstverständlich,  dass  eine  solche  l'orträtsammlung  ausser  ihren 
Katalogen  auch  eines  entsprechend  ausgedehnten  Hilfsapparates  bedarf.  Die  Hilfs- 
werke über  Kunstwissenschaft,  von  der  Kunstgeschichte  im  Allgemeinen  und  den 
Künstlerlexicis  bis  zu  den  Monographien  der  einzelnen  Künstler,  sind  zahlreich 
vertreten .  insbesondere  die  Porträtkataloge,  von  welchen  auch  die  wichtigeren 
Verlars-,  Antiquariats-  und  Auktions-Kataloge  berücksichtigt  sind.  Hin  aus- 
gebreitet angelegter  ikonographischer  .Hilfsapparat  in  Zetteln  ermöglicht  weitere, 
in  den  Hilfsbüchern  nicht  auffindbare  Auskünfte.  In  Verbindung  damit  steht  die 
möglichste  Vervollständigung  der  bezüglichen  Hilfswissenschaften:  Biographie.  Ge- 
schichte. Genealogie.  Heraldik.  Kostümkundo  u.  s.  w. 

So  konnte  die  l'orträtsammlung  der  K.  und  K.  Familien-Fideicommissbibliotle-k 
der  "Wissenschaft  schon  viele  Dienste  leisten,  trotzdem  ihre  Schätze  erst  seit  kurzer 
Zeit  bekannt  und  zugänglich  gemacht  worden  sind.  Bei  zahlreichen  Ausstellungen 
war  sie  in  hervorragender  Weise  betheiligt,  in  vielen  Werken  weisen  die  Repro- 
duktionen seltener  Blätter  auf  sie  hin.  Von  ersteren  seien  angeführt:  Die 
historischen  Ausstellungen  der  Stadt  Wien  im  .Fahre  1H73  (Porträts  von  "Wiener 
Notahilitätcn).  im  .lahre  lNJS'J  (Poiträts  von  Buchdruckern)  -  und  im  Jahre 
Ish.'J  (Türkeiibelagerung  10H3):  jene  in  Budapest  ISMO  ( Pevindikation  Ofens 
DiNti:  ;')4  Poiträts).  die  historische  Porträtausstellung  im  Künstlerhause  Ihm», 
die  Kaiserin  Maria  Theresia- Ausstellung  in  Wien  1HSS,  die  internationale  Aus- 
stellung für  Musik-  und  Theaterwesen  in  Wien  lH'.rj  (Über  1000  Gegenstände, 
darunter  7sl>  .Porträts.  '.»<•  aus  der  Lavatersammlung).  die  Ausstellung  der  Ar- 
beiten des  Malers  Kduard  Kaiser  im  K.  K.  österreichischen  Museum  für  Kunst 
und  Industrie  |Nüä(133  Porträts);  ferner  noch:  die  kulturhistorische  Ausstellung 


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4*>(l 


in  (iraz  18*3.  die  Grillparzer- Ausstellung  in  Wien  l8(Jl  und  die  Raph.  Donner- 
Ausstelluiijr  im  Künstlerhause  1893. 

Reproduktionen  der  ausgestellten  Porträts  finden  sieh  zum  Theil  in  den  be- 
treffenden Publikationen.  Von  anderen  bedeutenden  Werken,  welche  die  kaiser- 
liche Porträtsammlung  benützt  haben,  können  hier  nur  einige  angeführt  werden, 
für  welche  diese  Benutzung  in  grösserem  Maasse  erfolgte:  es  sind  dies:  Die 
Österreichisch -Ciigurorhe  Monarchie  in  Wort  und  liild:  Dr.  Krones.  Galerie 
historischer  Porträts;  Dr.  Seidlitz.  Allgemeines  historisches  Porträtwerk:  Künneke, 
Uilderatlas  zur  (ieschichte  der  deutschen  Xationallitteratur;  Teutfenbach.  Xeues 
vaterländisches  Ehrenbuch;  Auer,  die  K.  und  K.  Oberst  Stallmeister  1  "><>:> —  IhnM: 
Kandelsdorfer,  Auf  immerwährende  Zeiten. 

  tO,  

ANZEIGEN. 

Vor  nun  bald  fünfzig  Jahren. 

Vor  mir  liegt  ein  umfangreiches,  mit  grossem  Fleiss  und  vieler  mühevoller 
Sorgfalt  verfasstes  Ruch*),  recht  geeignet,  den  Männern  ein  Denkmal  zu  setzen, 
die  vor  nun  fast  fünfzig  .fahren  vergeblich  bemüht  gewesen  sind,  durch  -Reden- 
tier deutschen  Nation  die  langersehnte  und  ein  Vierfeijahrhundert  späte]-  durch 
„Thatcir  geschaffene  Einigung  zu  erwirken.  Zwar  kann  ich  nicht  mit  Wilhelm 
Jordan  singen:  ...Ich  bin  in  jenem  Zuge  mitgegangen,"  der  ..unter  dem  (ieläute  der 
Glocken  und  dem  Donner  der  Geschütze-  —  wie  Mollat  sein  Vorwort  beginnt 
am  IM.  Mai  1848.  jubelnd  begrüsst  von  zahllosem,  hoftnungsfreudigem  Volke  in 
der  alten  Krönungsstadt  Frankfurt  am  Main  zur  Pauls-Kirche  gewandelt  ist.  Aber 
miterlebt  habe  ich  diese  zuerst  so  schöne  und  dann  so  todestraurige  Zeit  und  zu 
den  -Holinungsfreudigen"  habe  ich  auch  gehört.  Mit  allem  Feuer  meiner  zweiund- 
zwanzigjährigen  Feder  habe  ich  die  Reden  und  Redner  der  Pauls- Kirche  damals 
im  -Nürnberger  Kurier"  begleitet,  dem  von  dem  geistvollsten  aller  Redakteure,  die 
mir  im  Leben  begegnet  sind,  Dr.  Kmanuel  Feust.  herausgegebenen  Organ  der  Rave- 
rischen Altliberalen  (zu  denen  Gustav  Lerchenfeld.  Graf  Hegnonberg-Dux.  Freiherr 
von  Rotenhan.  Freiherr  von  Lindenfels  und  Andere  gehörten).  Da  ist  es  nur  billig, 
dass  ich  mit  siebzigjähriger  zitternder  Hand  nochmals  der  Männer  gedenke,  die 
damals  für  uns  Deutschland  bedeuteten,  und  jener  von  Mollat  in  seinem  schon 
zitirten  Vorworte  als  -die  glänzendste  eines  nach  Einheit  und  Freiheit  ringenden 
geistig  und  sittlich  hochstehenden  Volkes-  bezeichneten  Zeit,  welche  die  Welt  je 
gesehen  hat. 

Der  Verfasser  Dr.  Georg  Mollat  beschäftigt  sich  seit  Jahren  mit  Herausgabe 
wichtiger  Dokumente  für  geschichtliche  Biographie,  wenn  ich  so  sagen  darf.  Er 
hat  in  seinem  Lesebuch  zu  einer  -Geschichte  der  deutscheu  Staatswisseiisehafteir 
Auszüge  aus  den  bedeutenderen  Werken- der  deutschen  Politiker  gegeben,  aus  welchen 
die  Charakteristik  derselben  gewonnen  werden  kann.y)  und  welche  eine  pragmatische 
Quellenkunde  für  die  Lebensarbeit  dieser  Männer  bieten.  Ausserdem  hat  er'  aus 
den  ungedruckten  Schliffen  dreier  grossei-  Denker-  (Leibuitz.  Hegel  und  Klausel 
höchst  werthvolle  Arbeiten,  welche  die  Anschauungen  dieser  Männer  über  die  Politik 

*l  Dr.  <  •' eorg  M  oll ;» t ,  Reden  und  Redner  des  ersten  deutschen  Parlamentes.  <  Mer- 
wieck-llarz.  Druck  und  Verlag  von  A.  \V.  Ziekfeldt  189Ö.  gr.  S'  XVI  und  S:{-_>  Seiten. 

f>  Ein  gleiche-  Lesebuch  hat  Mollat  auch  für  die  Staat swissenscha ft  des  Auslandes 
herausgegeben. 

•'{(  v- 

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4öl 


Hiui.Taphi.M-he  ] Mütter. 


klar  le^en.  zur  \Yrörtent.lichun<:  gebracht.  Diesen  trefflichen  Hausteinen  zur  näheren 
Kenntnis*  derer,  dir  sich  um  die  deutsche  Staafentwicklunv:  verdient  ireinaeht  hahen. 
schliefst  sich  die  neueste  Publikation  windig  an.  Pas  vorliegende  Buch  zerfällt 
in  zwei  Theile:  im  ersten  werden  in  zwanzii:  Abschnitten*)  siebzehn  Angelegenheiten 
nach  kurzer,  eiideitender  Skizzirunir  durch  wörtlichen  Abdruck  der  bedeutendsien 
Heden  erörtert.  Dieser  Theil  verdient  eine  ausführlichere  Hespreehun:r.  als  sie  in 
diese  der  ..  Hio^raphic-  <.rewidmeren  Hlätfer  passt.  Hierher  schläirt  nur  der  zweite 
Theil  ein.  welcher  biographische  Notizen  über  einunddrcissiy;  Mitglieder  des  ers!en 
deutschen  Parlamentes  bringt.  Nach  Anirabe  der  Litteratur  über  jeden ,  der  Be- 
treffenden. toLren  die  wichtigsten  Daten  aus  dein  Leben  jedes  Einzelnen.  Auszüge 
aus  dessen  Schi'iften.  charakteristische  Aussprüche,  die  wichtiireivn  Absthninumren 
und  Urteile  der  Zeitgenossen,  so  dass  dailureh  ein  prägnantes  Hild  des  Mannes  auf 
wenigen  Seiten  entwickelt,  wird.  Ks  werden  so  (alphabetisch  jjereiht)  behandelt: 
Arndt.  Hnssermann.  Heckeroth.  Heruer.  Heselei-.  Hluni.  Dahlmann.  Döllimrer.  (iayrern. 
(liskra.  (Jrimm.  Heekscher,  .lahn,  .laniszewski.  .Fordan.  Lichuowsky,  Löwe.  Mathy, 
Hadowitz.  Kiesser.  Hümelin.  Sehiiierlimr.  Simon.  Simson.  l'hland.  Vincke.  A'oirt. 
AVaifz.  Welker.  Wvdenbri'mk  und  Zimmermann.  Alan  sieht  eine  reiche  Heihe. 
Persönlich  habe  ich  von  den  (benannten  tlüchtii:  gekannt:  Gairern.  Lichnowski  und 
ridand:  näher  Hassermann.  Döllinirer  und  .Mathy.  Den  letzteren  lernte  ich  im 
Hlieinlande  zu  Mannheim  kennen.---)  und  zwar  auf  folgende  Weise.  Ich  betrachtete 
eben  eine  kolossale,  quer  über  die  Hrust  laufende  Narbe  an  einem  neben  mir  im 
Sc hwimmkostüiiie  stehenden  Manne,  als  ein  kleiner  .1  innre  Jieraukani  und  frairte: 
„Vater,  wo  hast  du  denn  den  roten  Strich  her?**  Der  (Jefrajrte  lachte  und  snirte: 
..Vom  Hu-ii-en  mit  krummen  Säbeln.-  ..Abel'  Mathy.  liel  da  ein  kleiner,  dicker 
Schwimiiiü-enosse  ein.  (es  war  der  später  (lKlN)  in  Haden  so  bekannt  gewordene 
(iustav  Strnve.)  ..ein  so  aufgeklärter  Mann  und  hat  dem  Vorurtheil  des  Duells 
nicht  zu  widerstehen  vermocht!"  Mathy  blitzte  den  Kleinen  mit  funkelnden  Auiren 
an  und  sayte  sehr  ernsthaft:  ..Ich  werde  amb  heute  mich  nicht  besinnen,  mir  mit 
eigener  Faust  Hecht  zu  schallen,  wenn  es  sein  soll.*-  Als  er  später  auf  dem  Karls- 
ruher Hahnhof  den  Hetzer  und  Freischärler  Fiekler  mit  eigener  Hand  am  Kraben 
packte  und  der  Polizei  üherirab.  wofür  er  bekanntlich  von  der  demokratischen  Partei 
in  AchT  und  Hann  irethan  wurde,  habe  ich  mich  seines  damaligen  Wortes  erinnert. 

Da  nun  zu  jener  Zeit  Hasseriiiaun.  Mathy  und  die  sonstigen  badisiheu  Up- 
]Mtsitionsinännei-  von  uns  juuiren  Sprudelköpfen  irradezu  als  Halbgötter  angesehen 
wurden,  und  ich  eigentlich  nur  um  sie  persönlich  kennen  zu  lernen  nach  Mann- 
heim gekommen  war.  benutzte  f.  h  rasch  den  Moment  und  sairte:  ..Da  wir  sozusagen 
uns  hier  im  Naturzustande  befinden,  wo  alle  Menschen  bleich  sind,  erlaubt  wohl 
der  Lrr"s*.>  FreiheitMiiann  Mathy.  dass  sich  ihm  ein  eifriger  Verehrer  vorstellt,  in 
•  ler  Person  eines  bayerischen  Studenten.-  (Hier  nannte  ich  meinen  Namen.)  Mathy 
sah  mich  lächelnd  an.  «.•'ah  lnjr  Seiue  nasse  Hand  und  erwiderte:  „Was?  ich  habe 
in  München  Verehrer  und  so-rar  unter  den  jum-en  A ristokraten?  Nun.  das  ist 
höchst  erfreulich!"  W  ir  wurden  bald  sehr  «rute  Freunde,  aber  leider  trerieth  dadurch 
die  Has<ertiiann'sche  Verla^buchhandluiii;-  in  ar^eii  Schaden.  Denn  mein  (iönuer 
Mathv  fand  an  einem  von  mir  (ich  zählte  damals  achtzehn  .Jahre)  verfassten  po- 
litischen Lustspiel  in  Platen's  Manier  so  grosses  (Gefallen,  dass  er  den  Druck  ver- 
aulassie.  Das  finanzielle  Krirebniss  wai-  höchst  betrübend;  desto  bedeutender  mein 
KrlöL'  in  Freundeskreisen,  eine  schöne  Mannheiuiei-  Jüdin  y'ab  mir  so^ar  dafür 
einen  Kuss. 

*i  Dil-      i  n!!nh'e.'lite"  sind  in  zwei,  die  ..  Verfu^suri'.'*'  i-t  in  drei  Abschnitte  zerlegt. 

V»  M;ith\  hielt  sich  .!a  sehr  -eitle  auf:  <;u-tav  Frevta-.'  erzählt  (S.  :{(».  1.  Aull.),  dass 
als  ilci-N..|!,e  von  sf.jner  Pariser  Heise  /.ui  in  kkclirtc.  sein  erster  (Jan-  in  die  Sdiwhinusehulc  war. 


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Anzeigen. 


Ks  war  zu  München  im  Jahre  Is-H».  am  80.  April,  morgens  acht  Uhr.  als 
ich  eine  Visiten-Karre  überbracht  erhielt:  ..Karl  Mathy  bitter  Baron  Voehlei-ndorff 
ihn  im  Bayrischen  Hofe  zu  besuchen/'  Sofort  eilte  ich  in  das  Hotel.  Mathy  begrüsste 
mich  mit  den  Worten:  ..Das  hätten  wir  Beide  damals  im  Schwimmbade  nicht  ge- 
ahnt, dass  ich  einmal  in  diplomatischer  Mission  nach  München  kommen  würde  -. 
Er  theilto  mir  nun  mit.  dass  König  Friedrich  Wilhelm  TV.  die  durch  das  Frank- 
furter Parlament  ihm  zugedachte  deutsche  Kaiseikrone  abgelehnt  habe,  und  dass 
er  (Mathy)  abgesandt  sei.  <liese  Krone  nunmehr  dem  Könige  von  .Bayern  anzubieten. 
..Was  meinen  Sie  dazu.  Sie  fanatischer  Triasanhänger?"  Der  einzige  Punkt  näm- 
lich, in  welchem  ich  der  von  Mathy  vertretenen  Politik  niemals  zustimmte,  war 
die  Idee  der  preussischen  Hegemonie.   Ks  hat  des  Jahres  bedurft,  um  mich 

von  der  'Nichtigkeit,  derselben  zu  überzeugen.  Ich  schüttelte  berrübr  den  Kopf: 
..Die  Geschichte  Bayerns  ist  die  < beschichte  der  verlorenen  Gelegenheiten."  sagte 
ich.  ..mau  wird  auch  diese  herrliche  Gelegenheit,  das  Deutschland  ausser  (Österreich 
und  Preussen  zusammenzufassen,  aus  der  Hand  geben.  Ich  weiss  schon,  dass  Ihr 
in  Frankfurt  mit  Kurem  Anerbieten  es  nicht  so  meint,  aber  man  könnte  es  so 
annehmen".  Da  lachte  Mathy  herzhaft  und  rief:  ..Jawohl,  wenn  Friedrich  der 
Grosse  König  von  Bayern  wäre.'-  Ohne  ein  Anstellnugsdekref  zu  erhalten,  ward 
ich  nun  Mathy "s  Legationssekretär  und  schrieb  nach  seinen  Angaben  die  Horichte 
au  die  Tteichsregierung.  Der  (auch  von  Gustav  Freytag  erwähnte)  Passus  über 
die  gleichzeitig  mit  ihm  in  Audienz  empfangene  Deputation  Münchener  Bürger 
machte  mich  so  lachen,  dass  ich  eine  Zeit  lang  am  Weiterschreiben  verhindert  war.*) 
Ausser  den  Bürgern  war  auch  während  »1er  ganzen  Audienz  Minister  von  der 
Pfordtcn  in  Uniform  anwesend,  ohne  ein  Wort  zu  sprechen  oder  eine  Miene  zu 
verziehen,  wie  Mathy  meinte:  ..Ganz  Gross-Kophtn"  (was  aber  nicht  in  den  Berieht 
kam).  Natürlich  lehnte  der  König  das  Anerbieten  rundweg  ab.  was  auch  gewiss 
weit  richtiger  gewesen  ist,  als  eine  abenteuerliche  Triaspolitik  zu  verfolgen. 

Nachdem  der  Bericht  fertig  war.  sagte  ich:  ..Nach  dem  Geschäft  das  Ver- 
gnügen; jetzt  gehen  wir  in  den  Bockkeller".")  Mathy  hatte  Bedenken,  ob  sein 
diplomatischer  Charakter  dies  gestatte,  aber  ich  beruhigte  ihn  mit  der  Ver>iche- 
rung:  _Da  sitzt  der  Hausknecht  neben  dem  Minister",  und  zitiite  die  Stelle  aus 
Don  Juan:  rHier  gilt  kein  Stand,  kein  Name,  es  lebe  die  Freiheit  hoch-.  Den- 
noch blieb  er  am  'Eingang  des  Gartens  stehen,  wohin  ich  ihm  einen  Rettig  nebst  Salz 
in  dem  üblichen  Fliesspapier  überbrachte,  über  welche  primitive  Art  des  Servirens 
er  sein  Erstaunen  nicht  verbarg.  Der  Bock  schmeckte  ihm  vortrefflich  und  er 
bemerkte,  dass  auch  er  die  .,  Bockkur"  einem  Karlshader  Aufenthalt  vorziehen 
würde.  Nachmittags  gingen  wir  in  s  Schwaiger' sehe  Volks-Theater  und  abends 
in  die  Oper.  Beim  Abschiede  schenkte  er  mir  (--  ..Orden  haben  wir  nicht  zu 
vergeben-,  sagte  er  )  zum  Andenken  an  meine  Sekretärdienste  („denn  hoffent- 
lich sind  sie  für  Ilm*  Karriere  eine  gute  Vorbedeutung")  ein  beglaubigtes  Exem- 
plar der  deutschen  Reichsverfassung,  und  ein  kleines  Dienstsiegel,    welche  beide 


*>  Mathy  diktirte  mir:  „Der  König  empfing  in  meiner  Gegenwart  eine  zahlreiche 
Deputation  Miinchener  Bürger,  welche  sich  mit  grosser  Energie  gegen  die  Grundrechte  aus- 
sprachen weil  durch  dieselbe  die  Gewerhefreiheit  eingeführt  werde  -  diese  wackeren 
Manner  hatten  offenbar  dieselbe  Aufgabe,  welche  I'yrrhus  bei  der  Zusammenkunft  mit  ('. 
Fabricius  Liscinus  seinen  Klefanten  zugetheilt  hatte:  sie  sollten  durch  ihr  Gebrüll  mich  in 
Schrecken  versetzen". 

-{■)  Freytag  S.  ;{'►{>  meint  offenbar,  ich  Bütte  Mathy  in  einen  „Keller*  geführt.  Allein 
damals  warder  Bookkeller  ein  hübscher,  freier,  mit  Baumen  bepflanzter  Platz  am  sogenannten 
„Platzl".  gegenüber  dem  Hofbriluhaus. 


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4<)3 


Biographische  Blatter. 


C  egenstände  ich  lange  als  Erinnerung  aufgehoben  habe,  bis  Freundinnen  mir  Beides 
abschmeichelten. 

Von  Cotha  und  Erfurt  aus  schickte  mir  Mathv  später  noch  alle  für  die 
„Anhänger-  bestimmten,  vertraulichen  Cirkulare  und  sonstigen  Schriften.  Aber 
ich  musste  ihm  wahrheitsgemäss  mittheilen,  dass  ich  von  meiner  Triasidee  nicht 
loskommen  könne,  und  dies  machte  nach  und  nach  unsere  Beziehungen  erkalten. 
Wir  wären  sogar  vielleicht  im  .fahre  18t)7.  wo  er  als  badischer  Minister  den  so- 
fortigen Eintritt  Badens  in  den  Norddeutschen  Bund  mit  seiner  bekannten  Energie 
betrieb,  in  Zwistigkeiten  gerathen.  Leider  nahm  ihn  der  Tod  hinweg,  bevor  er 
den  endlichen  Sieg  seiner  politischen  Lebensidee  und  meine  vollständige  Bekehrung 
mitansehen  konnte. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  den  Wunsch  aussprechen,  dass  Dr.  Molkit 
die  biographischen  Notizen  über  die  Mitglieder  des  Frankfurter  Parlamentes  noch 
weiter  vervollständige.  Ks  sind  ja  ausser  den  Obengenannten  noch  manche  be- 
deutende Männer  in  jener  glänzenden  Versammlung  gesessen,  welche  einer  Beach- 
tung der  Nachwelt  werth  sind.  O.  Frhr.  v.  Yoelderndorff. 


ArnoldE.  Bfrger.  Martin  Luther  in  kulturgeschichtlicher  Darstellung.  Erster 
Tbeil.  1483  15*25.  ((Geisteshelden .  herausgegeben  von  Dr.  Anton  Bettel- 
heim.    10.     17.  Rand.)     Berlin.  Ernst  Hofmann  &  Co.     1895.    5t Mi  S. 

Dazu  als  Einleitung  von  demselben  Verfasser  im  gleichen  Vellage:  Die 
Kulturaufgaben  der  Reformation.    1895.    300  Seiten. 

Ein  fesselndes,  eigenartiges  Bild  von  Luthers  Persönlichkeit  entrollt  uns 
Herger  in  seinem  Werke.  Schon  der  Umstand,  dass  er  der  eigentlichen  Lebens- 
beschreibung Luthers  eine  300  Seiten  umfassende  Einleitung  in  einem  besonderen 
Buche  vorausschickt,  zeigt,  dass  er  seine  Aufgabe  durchaus  selbständig  erfasst. 
Ei*  will  Luther  begreifen  aus  den  geistigen  Strömungen  seiner  Zeit  heraus.  Daher 
ist  ihm  die  intime  Kenntniss  der  Zeitanschauungen  nothwendige  Voraussetzung  für 
eine  tiefere  Würdigung  der  reformatorischen  That  und  des  Charakters  Luthers. 
In  den  ..Kulturaufgaben"  wird  uns  von  Herger  die  geistige  Kultur  des  aus- 
gehenden Mittelalteis  vorgeführt.  Das  Buch  liefert  wenn  man  absieht  von 
einigen  etwas  gewagten  Auffassungen,  wie  diejenigen  über  die  Bewegung  der 
Cluniacenser  (p.  *2H*).  die  Herger  als  eine  zu  ausschliesslich  romanische  fasst.  oder 
über  Savonarola.  den  er  wohl  kaum  mit  Hecht  als  getreuen  Sohn  der  katholischen 
Kirche  schildert  (p.  I  I  I.  157)  in  seiner  trefflichen  Verarbeitung  der  bisherigen 
Forschungen  den  erfreulic  hen  Beweis,  wie  rüstig  «he  kulturgeschichtliche  Forschung 
in  den  letzten  Jahrzehnten  vorgeschritten  ist.  -  - 

In  dem  Vorwort  zu  seinein  ..Martin  Luther  in  kulturhistorischer  Darstellung" 
setzt  sich  Berger  mit  den  bisherigen  Richtungen  der  Lutherforschung  auseinander. 
Hei  aller  Anerkennung,  die  er  den  kirchenhistorischen  wie  den  historischen  Forschern 
spendet,  vermisst  er  doch  in  ihren  Darstellungen  zweierlei. 

Die  protestantische  Theologie  ist  ihm  zu  sehr  befangen  im  apologetischen 
und  polemischen  (Gesichtskreise.  In  dem  Bemühen,  der  religiösen  Originalität 
Luthers  ja  nicht  den  geringsten  Abbruch  zu  thun.  sucht  sie  ..diese  Originalität 
\<>n  der  Kultur  ihres  Zeitpunktes  so  viel  als  möglich  zu  isolireir*.  Damit  aber 
wird  die  theologische  Forschung  den  Zeitproblemen  nicht  genügend  gerecht.  Fast 
ängstlich  sucht  sie  die  Beeinflussungen  der  zeitgenössischen  Ceistesströmungen  auf 
Luther  abzuschwächen,  und  wo  sie  auf  die  mittelalterliche  Religiosität  eingeht. 
f';is>t  sie  dieselbe  nur  al>  die  negative  Vorbereitung  der  Reformation.    Und  do<  Ii 


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..wie  soll  die  Grösse  eines  Mannes  anders  verständlich  gemacht  worden,  als  indem 
man  ihm  ein  Objekt  gegenüberstellt,  an  dem  er  gemessen  werden  kann:  die  Zustünde 
und  Probleme  seines  Zeitalters,  wiefern  er  sie  begreift,  mit  ihnen  rinirt,  für  ihre 
Lösung  arbeitet  und  die  Hahnen  der  Zukunft  vorzeichnet!" 

Die  Historiker  wiederum  betonen  Herker  zu  ausschliesslich  —  ein  Vorwurf, 
der  in  diesem  l'mfange  freilich  wohl  kaum  völlig  zutrifft  -  das  Werk  Luthers 
und  vernachlässigen  zu  sehr  seine  IVrsönlichkeit :  sie  anticipiren  zu  sehr  das 
Resultat  seiner  religiösen  Entwicklung,  ohne  sie  in  ihre  einzelnen  Stufen  psycho- 
logisch zu  zergliedern. 

Herker  will  aus  der  ..Wechselwirkung  von  Individual-  und  Massenvorgängen" 
den  durch  Luther  gebrachten  geistigen  Fortschritt  begreifen.  Schon  die  ausser- 
ordentlich glücklich  gewählte  t'bei-srhrift  für  den  gesauimten  die  Jahre  1483  bis 
1525  behandelnden  ersten  Rand  seiner  Lutherbiographie  deutet  diese  Auffassung 
an:  ..Martin  Luther  als  religiöser  Mittler".  Damit  ist  der  Gesichtswinkel 
bezeichnet,  unter  «lern  er  die  reformatorische  That  Luthers  befrachtet.  In  drei 
Stufen  vollzieht  sich  die  Mittlerschaft  Luthers,  die  naturgemäss  die  Disposition  des 
Ganzen  in  drei  Kapitel  bestimmen:  Luthers  Erwählung  zur  Mittlerschafr  (1483 
Iiis  1505).  Luthers  Erwerbung  der  Mittlerschaft  (1505—1517).  Luthers  Be- 
währung der  Mittlerschaft  (1517  — 1525). 

Zielbewusst  krystallisirt  Berger  um  diese  Punkte  das  Detail:  er  verschmäht 
grundsätzlich  alles  Anekdotenhafte  oder  gewährt  ihm  doch  nur  Kaum,  sofern  es 
zu  Luthers  Mittlei-sehaft  in  inneivr  Beziehung  steht.  Dadurch  wird  -die  Darstellung 
einheitlich  geschlossen,  loyisch  gegliedert,  und  der  Gesammteindruck  des  Buches 
ist.  dass  man  einer  durchaus  originalen  Auffassung  des  schon  so  oft  zum  Gegen- 
staude  biographische!-  Forschung  gemachten  Martin  Luther  gegenübersteht.  Hierin 
ruht  der  Werth  des  Herbeiziehen  Huches  weniger  in  neuen  thatsachlichen  Er- 
gebnissen der  Forschung,  die.  wennschon  durch  mannigfache  Lesefrüchte  aus  Luthers 
Werken  im  einzelnen  erweitert,  sich  wesentlich  auf  die  bisherige  Litteratur.  nament- 
lich auf  Köstlins  und  Kohles  umfassende  Luthei-studien.  stützt. 

i'briirens  verfügt  Herirer  über  ein  bedeutendes  Darsfellungsverniögen.  Auch 
wo  seine  Perioden  in  störende  Länge  auszuarten  scheinen  (vor  gl.  z.  R.  p.  353  354), 
versöhnt  mit  ihnen  der  Kindruck,  den  man  erhält,  dass  der  Wortreichthum  nur 
das  Korrelat  zu  einer  entsprechenden  Gedankenfülle  ist.  Freilich  würde  die  Mutigen*. 
Anwendung  von  Absätzen  (so  z.  H.  p.  92  Z.  3.  p.  125,  133,  315,  482/483)  oft 
das  Yerstäudniss  erleichtern. 

Als  besonders  gelungen  möchte  ich  bezeichnen  den  Abschnitt  ..Der  Aufgang 
der  neuen  Weltanschauung"  (p.  123-  150).  Wer  wollte  Herger  nicht  beistimmen, 
wenn  er  sich  hier  gegen  die  ..armselige  Pormulirung"  von  Luthers  Lehre  von  der 
Rechtfertigung  aus  dem  Glauben  als  des  ..materialen  Prinziiis"  der  Reformation 
wendet?  Die  Rechtfertigungslehre  alsbald  der  beherrschende  Mittelpunkt  der 
Lutherischen  Theologie  -  ist  im  Sinne  Luthers  nichts  weniger,  als  ein  Dogma, 
sie  ist  ein  höchst  persönliches  Krlebniss. 

Reachtenswerth  sind  ferner  die  Ausführungen  über  Luthers  Stellung  zur 
Prädestination  (p.  350  357),  die  Schilderung  des  Verhältnisses  Luthers  zur 
nationalen  Opposition  gegen  Rom.  sein  Konflikt  mit  den  Schwarmgeistern.  Das 
Schwanugeisterthum  fasst  Herger  nicht  als  eiue  Kntartung  der  Lutherischen 
Glaubenslehre,  sondern  als  eine  Reaktion  gegen  dieselbe  auf.  Nicht  die  miss- 
verstandeue  Lutherische  Freiheit  des  Ghristenmenscben,  sondern  die  christlich- 
sozialen  Strömungen  des  ausgehenden  Mittelalters,  für  die  das*  alttestamentliche 
Gesetz,  nicht  der  Glaube  das  Wesentliche  ist.  sind  der  geistige  Nährboden  des 
Schwarmgeisferthums.  H.  Ha  i  ge. 


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405 


Biographische  BlKtter. 


Bibliothek  roiftftischer  Denkwürdigkeiten.  Herausgegeben  von  Theodor 
Sehiemann.  Vf.  Band.  Michael  Bakunins  sozialpolitischer  Briefwechsel  mit  Alexander 
Iw.  Merzen  und  ( »garjow.  .Mit  einer  biographischen  Einleitung,  Beilagen  und  Erläute- 
rungen von  Prof.  Mich.  Dragomanow.  Autor,  Übersetzung  aus  dem  Russischen  von 
Prof.  Dr.  B.  Minzes.    Stuttgart.    J.  G.  Cotta'sche  Buchhandlung.  1KJ>,\ 

Michael  Bakunin  ist.  wie  Dragomanow  tiemerkt,  der  Ahnherr  jener  Russen,  die  in 
den  politischen  Prozessen  der  siebziger  und  achtziger  Jahre  auf  die  Frage,  womit  sie  sich 
beschäftigten,  antworteten:  -mit  Revolution".  Wenn  wir  von  seinen  Jünglingsjahren  ab- 
sehen, wo  er  sich  schriftstellerisch  beschäftigte  —  übrigens  so  konservativ  war.  dass  er 
Hemels  „Alles  Bestehende  ist  vernünftig"  auch  auf  das  Russland  Nikidaus"  1.  anwendete  — 
wenn  wir  von  dieser  Zeit  ansehen,  so  können  wir  sagen:  er  hat  sein  Leben  lang  nichts 
gethan  als  airitirt  und  konspirirt.  In  der  ganzen  Zeit  von  1S40  bis  1*17.  wo  er  doch  in 
voller  .lugendkraft  war.  er  war  1*14  geboren  worden  hat  er  nichts  gethan  als  tünf 
Zeitungsartikel  geschrieben.  In  solchen  Nichtsthuem.  wie  er  selber  war.  sah  er  aber  die 
Zukunft  und  das  Heil  der  Welt:  nicht  auf  die  Arbeiter  von  Beruf  rechnete  er  in  erster 
Linie  bei  der  bevorstehenden  grossen  rmge.staltung  aller  Dinge,  diesen  stand  er  ziemlich 
ferne,  sondern  auf  das  Lumpenproletariat,  auf  das  die  Marx  und  Engels  mit  Verachtung 
herabblickten.  Darum  hielt  er  auch  so  viel  auf  die  italienische  und  spanische  Jugend,  diese 
-jeunesse  ardente.  energhjuc .  tout  ä  tait  deplacec.  saus  carrierc,  sans  i>sue".  l'nter  l)e- 
klas.sirten  bewegt  er  sich  fast  ausschliesslich.  Sein  Briefwechsel  führt  uns  in  eine  Gesell- 
schaft, die  uns  nicht  selten  an  den  Kreis  von  jungen  Leuten  erinnert,  den  Dostojewski  in  seinem 
-Idioten"  schildert:  es  ist  alles  so  ganz  unmännlich,  ganz  unkräftig,  charakterlos,  molliisken- 
haft.  bisweilen  zum  Lachen,  bisweilen  zum  Ekeln.  Bakunin  selbst:  was  ist  das  für  ein 
Mann,  der  einen  andern  Katkow  —  /.um  Duell  herausfordert  und  dann  diesem  Duell 
auf  jede  Weise  zu  entgehen  sucht! 

Indess  darin  thut  man  Bakunin  häutig  l'nreeht.  dass  man  ihn  für  den  moralischen 
l'rheber  der  anarchistischen  Attentate  ansieht,  als  deren  letztes  Opfer  Präsident  Garnot 
rieb  Es  bilden  sich  zwar  in  seinen  Briefen  und  Schriften  Gedanken  einer  ..  Fandest  ruktion" 
der  staatlichen  Formen,  er  hat  viel  über  die  Bedeutung  von  Dolch  und  Gift  in  den  Re- 
volutionen geredet  und  1871  den  Kommunards  gerathen.  halb  Paris  zu  zerstören,  ja.  einmal 
scheint  er  selbst  den  Plan  zu  billigen,  sich  durch  gemeinen  Diebstahl  die  Mittel  zur  Re- 
volution zu  scharten,  alter  das  Tdeal  Bakunins  war  nicht  das  Attentat,  sondern  der  Genieinde- 
aufstand.  Der  Putsch  von  Benevent  im  Jahre  1*77,  der  ganz  nach  Bakunins  Rezept  aus- 
geführt worden  ist.  zeigt  dies:  die  Revolutionsmacher  proklamirten  Abschaffung  der  Steuer 
und  des  Privateigenthums  und  verbrannten  alle  offiziellen  Dokumente.  Besonders  ;mf  die 
Zerstörung  der  Dokumente  legte  Bakunin  grosses  Gewicht:  „Man  hatte  die  Amtsgebäude 
zuerst  in  Brand  stecken  sollen.**  bemerkte  er.  als  er  1S73  von  dein  Aufstand  in  Barcelona 
vernahm.  Dass  die  Sache  der  allgemeinen  Umwälzung  gefördert  werden  könne,  wenn  man 
Bomben  in  Wirthshäuser  oder  Theater  werfe,  hat  Bakunin  nie  gemeint  oder  gelehrt. 

Immerhin  bereitet  es  uns  eine  grosse  Genugthuung.  dass  Bakunin  am  Abend  seines 
Lettens  hoffnungslos  in  die  nächste  Zukunft  blickte:  er  sah  ein.  dass  die  grosse  Um- 
wälzung doch  nicht  so  gar  nahe  bevorstehe.  -Der  Bismarckianismus.  d.  h.  der  Militarismus, 
die  Polizeiwirthsehaft  und  die  Fiiianzmonopole."  schrieb  er  LS74.  zwei  Jahre  vor  seinem 
Tode,  «vereinigt  in  ein  System,  das  den  Namen  des  neuen  Staatsthums  trägt,  siegen  all- 
überall. Vielleicht  werden  zehn  oder  fünfzehn  Jahre  vergehen,  in  welchen  diese  mächtige 
und  wissenschaftliche  <!?>  Verleugnung  der  ganzen  Menschheit  (!)  siegreich  sein  wird." 

Dragomanow  hat  in  der  Einleitung  zu  der  vorliegenden  Briefausgabe  alle  biographischen 
Daten  über  Bakunin  gesammelt  und  zugleich  auch,  so  gut  es  möglich  war.  eine  Darstellung 
der  politischen  Lehre  Bakunins  gegeben.  Die  Übersetzung  könnte  immer  noch  besser  sein. 
Es  i>t  freilich  sehr  schwer,  aus  dem  Russischen  gut  zu  übersetzen.  Aber  so  saloppe  Wen- 
dungen,  wie   -das  Bestreben,   jede  Kleinigkeit  im  Leben  seiner  Freunde  zur  Theorie  zu 

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Anzeige».  41;«; 

erhoben"  (anstatt  „aus  jeder  Kleinigkeit  eine  Theorie  abzuleiten4*)  künnten  doch  vermieden 
werden.  _  E.  Guglia. 


August  Oncken.  Fran^ols  Quesna.V.  (Sonderabdruck  aus  Frankensteins  Vierteljuhi  s- 
Schrift  für  Literatur  und  Geschichte  der  Staatswissenschaften.  ls«>f>.  Leipzig.  I.  Theil. 
«►.-»  SS. ) 

Es  ist  vielleicht  ein  unbeabsichtigter  Erfolg  der  Historischen  Schule,  das.s  man  dem 
rein  Biographischen  in  der  politischen  Oekonomie  grössere  Aufmerksamkeit  schenkt  als  vor 
dem  Auftreten  von  Schmollers  Historismus.  Der  Frfolg  ist  unbeabsichtigt,  denn  die  Tiio^iaiihik 
lair  keineswegs  im  Prinzip  der  historischen  Eichtling.  In  den  letzten  zehn  Jahren  erschien 
eine  Leihe  mehr  (»der  weniger  umfangreicher  Monographien,  die  sieh  mit  den  Persönlich- 
keiten der  politischen  (»ekonomie,  mit  dem  Leben  ihrer  Theoretiker  beschäftigton  ich 
erwähne  nur  die  Werke  von  Delatour  und  Haidane  Uber  Smith,  das  Puch  von  Schelle  über 
Dupont.  Knies'  Puch  über  Karl  Friedrich  von  Paden.  brieflichen  Verkehr  mit  Mirabeau 
und  Dupont.  Besonders  für  die  Physiokraten  —  ihre  Theorien  wie  ihre  Lebensumstände 
äussert  sieh  in  neuester  Zeit  ein  starkes  Interesse,  lss*  veröffentlicht  A.  Oncken  die  erste 
Gesammtausgabe  der  Schriften  <^uesnays.  gegenwärtig  publizirt  er  eine  Biographie  '^ue>n;iys 
in  der  Frankensteinschen  Zeitschrift  für  Litterat ur  und  Geschichte  der  Stnats\vjs> en- 
sehiiften.  deren  erster  Theil  das  Leben  tjuesna.vs  bis  zu  seinem  Auftreten  als  ökonomischer 
Schriftsteller  enthält.  —  Uber  das  Leben  ^uesnays  waren  die  Quellen  bisher  nur  sehr 
dürftig.  Die  Lebende  hat  hier  mit  einer  bei  einem  Theoretiker  der  Nationalökonomie  er- 
staunlichen Kraft  gewirkt.  Aber  die  Schiller  tjuesnnys,  die  .Ökonomisten  nannte  mim  sie 
im  18.  Jahrhundert,  feierten  des  Meisters  „Tableau  economique"  als  eine  der  grössten  Knt- 
deckungen.  ihn  selbst  verehrten  sie  wie  einen  Propheten.  Oncken  fand  so  keine  leichte 
Arbeit  vor,  als  er  an  die  kritische  Prüfuni:  der  Quellen  ging.  Aber  man  limss  sagen,  der 
Verfasser  der  Biographie  hat  diesen  schwierigen  Theil  seiner  Aufgabe  glänzend  gelost.  Die 
Untersuchungen,  die  Oncken  an  den  Stätten  von  t^uesnays  Leben  und  Wirken  vornahm, 
stellen  die  Thatsaehen  aus  (^uesnays  Leben  wohl  ein  für  alle  mal  fest.  Und  auch  dort, 
wo  Oncken  auf  Vermuthungen  angewiesen  ist.  sind  diese  so  scharfsinnig  und  treffend,  so 
sehr  unter  Berücksichtigung  der  maassgebenden  Umstände  angestellt,  dass  sie  vielleicht  nur 
um  ein  Untnesshares  von  der  Wahrheit  abweichen,  in  den  meisten  Fällen  dieselbe  treffen 
dürften.  —  Line  der  schwierigsten  Aufgaben  der  Biographik  ist  die  Einordnung  der 
Schöpfungen  in  das  Leben  des  Schöpfers.  Diese  Aufgabe  komplizirt  sich  110  h.  wenn  die 
Schöpfungen  solche  eines  Gelehrten  sind.  In  (Juesnays  Leben  sehen  wir.  wie  sich  aus 
den  Erlebnissen  der  Jugend,  aus  Kindrücken,  Thätigkeiten .  die  eigentümlichen  be- 
danken gestalten,  wie  zu  diesen  Lebensresultaten  des  eigenen  Denkens  das  Denken,  die 
Werke  anderer  hinzutreten.  Und  wir  sind  nicht  überrascht,  wenn  wir  dann  das  Puch 
(Juesnays  vor  uns  sehen,  wir  empfinden  es  als  etwas  Zufälliges,  dass  ein  Puch  daraus  ge- 
worden ist:  der  abstrakte  Inhalt  des  Buches  ist  in  der  Erzähluni:  des  Lebens  seines  Ver- 
fassers konkret  geworden,  es  lebt  vor  uns  als  ein  Stück,  als  ein  Niederschlag  des  ganzen 
Lebens.  Diese  Methode  der  Biographik  übt  Oncken.  L  ud  er  übt  sie  so  fein,  dass  unser 
ganzes  Interesse  gepackt  wird,  und  dies  einzig  durch  die  wirklich  leitendige  Darstellung, 
durch  dieses  Auflösen  der  starren,  festen  Bestandteile,  der  Werke,  in  flüssiges  Leben. 
Das  lieben  (Juesnays  ist  sehr  arm  an  verblüffenden  Effekten,  wie  sie  die  „packende- 
Biographik  liebt.  Denn  dort,  wo  die  äusseren  Lebensumstände  des  Biographirten  v ich 
an  solchen  Effekten  sind,  werden  wir  oft  vom  Biographen  getäuscht,  indem  wir  das  Leben- 
dige in  seine  Darstellung  verlegen,  wo  es  doch  nur  im  Leben  des  Helden  selbst  so  mächtig 
lebendig  ist.  Quesnays  Leben  aber  ist  einfach,  bescheiden,  fast,  schüchtern,  nichts  ist  in 
ihm,  das  uns  stark  erschüttert  oder  heftig  aufregt  -  .Gelehrtenleben"  könnte  man  es  mit 
dem  oberflächlichen  Worte  der  üblichen  Phraseologie  nennen.  Dass  nun  Onckens  Biographie 
mit  so  starkem  Interesse  liest,  muss  man  daher  der  vorzüglichen  Art  zuschreiben,  mit  der 


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4r,7 


Biographische  Blatter. 


er  ein  Lehen  vor  uns  leben  lässt.  Gleicht  der  noch  ausstehende  Schluss  diesem  ersten 
Thcil,  dann  haben  wir  <  bu  ken  nicht  nur  die  erste  Biographie  Francois  »Juesnays  zu  ver- 
danken, sondern  auch  die  Mustorbiographie  eines  Gelehrtenlobens.  Franz  Blei. 


Albert  Schäffles  „Cotta".*) 

Nach  Wilhelm  Vollmers  Mustorausgabe  tles  Briefwechsels  zwischen  Schiller  und  Cotta 
war  für  den  Biographen  Cottas  nach  der  Seite  seiner  He/.iehungen  zu  Schiller  und  Goetho 
kaum  mehr  zu  thun  übrig  geblieben,  als  das  bei  Vollmer  für  sich  selbst  sprechende  Material 
zu  anziehender  Darstellung  zu  verarbeiten.  Kino  volle  Würdigung  der  politischen  und 
stiatswirthschaftlichen  Verdienste  und  Bestrebungen  des  vielseitigen  Buchhändlers  dagegen 
konnte  sich  nur  auf  umfassenden  neuen  Forschungen  aufbauen,  die  das  in  den  Grundzügen 
von  Keyscher  in  der  „Allgemeinen  Deutschen  Biographie"  richtig  entworfene  Bild  nicht 
unwesentlich  vertiefen  und  erweitern  mussten.  All>ert  Schaffte  war  für  diese  Aufgabe  der 
berufene  Mann  und  ist  ihr  in  überzeugender  Weise  gerecht  geworden.  Mit  grosser  Hin- 
gebung und  Sorgfalt  hat  er  ein  ausserordentlich  reiches,  oft  vielfach  zerstreutes  und  sprödes 
litterarisches  und  Akten-Material  durchgearbeitet  und  dabei  werthvolle  neue  Hinblicke,  vor 
Allem  aber  eine  vorher  nicht  erreichte  Vollständigkeit  des  Lebensbildes  gewonnen,  die 
seiner  Biographie  durch  die  Bewältigung  des  Stoffes  ebensowohl  wie  durch  den  Gegenstand 
volles  Anrecht  auf  einen  I'latz  in  der  Sammlung  .<  ieisteshelden  (Führende  <  Deister)*  erwirbt. 

Nach  einer  kurzen  <  iesammteharakteristik  und  einem  tibersichtliehen  Lebensabriss  des 
merkwürdigen  Mannes  geht  SchafHe  zur  Besprechung  der  verschiedenen  Hauptleistungen 
Cottas  im  einzelnen  über  und  stellt  da  füglich  sein  Wirken  al<  Verleger  und  Freund  der 
grossen  Dichter  voran.  In  den»  Bcwusstsein.  hier  kaum  etwas  Neues.  Eigenes  geben  zu 
können,  begnügt  sich  der  Biograph  dabei  mit  knappen  einrissen,  die  das  gesummte  Ver- 
halten Cottas  auf  diesem  Gebiete  klar  und  trottend  charakterisiren;  nur  das  Verhältnis  zu 
S.-hiller  und  Goethe  stellt  er  mit  liebevoller  Bewunderung  etwas  eingehender  dar.  doch 
würde  gewiss  eine  genauere  Untersuchung  des  Verlagsbetriebes  noch  manche  interessante 
Beziehung  anblecken  können,  die  jetzt  nur  gestreift  wurde,  und  noch  eindringlicher  die 
überragende  Bedeutung  Cottas  als  Geschäftsmann  aufzeigen,  der  mit  jeder  Vergrösserung 
der  Aufgaben  w.'ich-t  und  in  jedem  Krfolg  nur  den  Sporn  zu  neuen  grossartigeren  Unter- 
nehmungen sieht.  Kin  interessantes  Gegenstück  zu  ihm  ist  da  Göschen,  der  in  den  ersten 
Jahren  seines  jungen  Geschäftes  mit  grosser  Tüchtigkeit  und  Bührigkeit  sich  emporarbeitete, 
dann  aber  den  kräftigen  Unternehmungsgeist  verlor  und  sich  dem  verhangnissvollen  Grund- 
satze zuwandte,  nicht  mehr  wie  vorher  selbst  die  tüchtigsten  Schriftsteller  aufzusuchen, 
sondern  ihre  Anerbietungen  abzuwarten,  wahrend  Cotta  seine  Spannkraft  des  Geistes  sich 
bis  ins  hohe  Alter  bewahrte  und  sich  durch  umsichtige  Initiative  nicht  blos  den  umfassendsten, 
sondern  vor  allem  den  geistig  bedeutendsten  Verlag  in  Deutschland  zu  sichern  wusste.  Göschen 
hatte  auch  nie  ein  Unternehmen  wie  die  „Allgemeine  Zeitung-  gründen  können,  deren  Geburt 
und  Jugend  SchafHe  im  dritten  Abschnitt  seines  Buches  darstellt.  Denn  hier  ist  Cotta  nicht 
blos  der  Verleger,  sondern  „der  geistige  Schöpfer  und  Tonangober" ;  ihm  ist  es  zu  danken, 
dass  in  der  -Allgemeinen  Zeitung"  nicht  ein  neues  auf  Geldgewinn  berechnetes  und  darum 
dem  Geschmack  der  grossen  Masse  folgendes  Blatt  erstand,  sundern  eine  vornehme  allgemeine 
Europäische  Staatenzeitung  von  grossem  Zuschnitt,  für  Politik  und  Kultur  jeden  Inhalts,  für 
Fortschritt  und  Freiheit  im  besten  Sinne,  von  grossen  Gesichtspunkten,  von  festem  Charakter 
und  maassvoller  Form.  Kr  war  weitblickend  genug,  den  ideellen  Vortheil  und  die  ausser- 
ordentliche Macht  über  die  öffentlich«'  Meinung,  die  ihm  dieses  Blatt  verschaffte,  höher  an- 
zuschlagen als  die  materiellen  <  Ipfer.  die  er  dafür  zu  bringen,  und  die  böswilligen  Chikanen. 
die  er  dafür  zu  erdulden  hatte.    Und  so  hat  er  sein  „Schoosskind"  durch  alle  Fahrlichkciten 

■  Geisteshelden  l  Führende  Geister).    IS.  Band.    Berlin.  Ernst  llofmann  Cv  Co. 


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408 


und  Verfolgungen  mit  Ausdauer.  Muth  und  ( leschick  hindurehgeleitet  und  dadurch  sich  für 
seine  übrige  Wirksamkeit,  namentlich  die  politische,  eine  Stütze  bewahrt,  die  seinen  Kinrluss 
wesentlich  mit  begründet  hat.  Schüffle  hat  in  den  tollenden  Kapiteln  immer  wieder  Anlass, 
darauf  hinzuweisen,  /unliebst  bei  der  Besprechung  des  Verfassungspolitikers.  Ks  ist  ein 
schünes  Krgebnis  der  unermüdlichen  Forschungen  SchttfHes.  da*s  er  nun  im  einzelnen  akten- 
liui--')'.'  die  hohe  Bedeutung  in  helles  Licht  stellen  konnte,  die  Cotta  als  Volksvertreter  von 
lsi:,  -ls:}i  zukam.  Kr  erscheint  jetzt  als  einer  der  Begründer  der  württembergischen  Ver- 
fassung, und  /war  als  der  staatsmannis.h  weitest  blickende  der  damaligen  Kilni|)fer.  Denn 
seinen  geschickten,  eine  Versöhnung  anbahnenden  Vorschlagen  ist  es  zuzuschreiben.  dass 
König  Friedrich  nach  langem  Widerstreben  endlich  die  alt  württembergische  Verfassung  als 
Grundlage  des  neu  zu  schaffenden  Verfassungsvertrags  anerkannte,  und  von  diesem  Augen- 
blicke an  hat  Cotta,  der  doch  selbst  den  Koni-.'  als  persönlichen  Feind  hatte  kennen  lernen 
müssen,  -unter  Kinsetzung  seiner  hohen  Popularität  und  selbst  seiner  persönlichen  Sicherheit 
gegen  die  fortan  faktifKe  und  reaktionäre  Fortsetzung  der  Opposition,  aber  genau  für  jene 
Lösung  gestritten,  welche  .schliesslich  unter  dem  Drucke  drohender  auswärtiger  Kinmiscliung 
von  dieser  selben  Opposition  ohne  weiteres  Murren  ra.se h  angenommen  worden  ist*. 

Das  Bedeutendste,  was  Cotta  in  der  grossen  Politik  gewirkt  hat,  gehört  der  Gründung 
des  Zollvereins  an.  Dass  er  dabei  aber  nicht  blos  der  Beauftragte  von  Bayern  und  Von 
Württemberg  war.  sondern  vielmehr  wesentlich  mit  die  lebendige  Triebkraft  bildete,  das 
versteht  Schllfrle  nicht  nur  durch  seine  aktenmüssige  Darstellung  des  Verlaufs  der  Verhand- 
lungen klar  zu  stellen,  sondern  belegt  es  auch  mit  den  ausdrücklichen  Zeugnissen  der  preussischen 
CnterhUndler.  namentlich  des  Finanzministers  von  Motz.  Für  eine  Mission,  die  in  erster  Linie 
der  wirthschaftlichen  Wohlfahrt  und  Einigung  Deutschlands  diente,  war  Cotta  eben  der 
geeignete  Mann,  wie  er  durch  seine  unermüdliche  Thütigkeit  zur  Hebung  der  verschiedensten 
Zweige  des  wirthschaftlichen  Lel»ens  bewiesen  hatte. 

So  schildert  Schaffte  Cottas  politisch-volkswirthschaftliche  Thütigkeit  nach  ihrer  sach- 
lichen Bedeutung,  betont  aber  dabei  immer  in  erster  Linie  die  Persönlichkeit  seines  Helden, 
welcher  „der  echte  Sohn  der  Frühepoche  des  Liberalismus  war.  einer  der  hervorragendsten 
und  besten  Typen  des  letzteren  zu  einer  Zeit,  als  das  thatsaVhliche  Bekenntniss  zum  wahren 
Freisinn  noch  persönliche  und  sachliche  Opfer  aller  Art  kostete".  Man  kann  es  dem  Bio- 
graphen nicht  verübeln,  dass  hei  seiner  eingehenden  Versenkung  in  seinen  Gegenstand  seine 
Schrift  den  Ton  eines  Panegyrikus  gewann,  der  noch  dazu  bei  ihrer  ursprünglichen  Bestimmung, 
das  Um  jSihrige  Cediichtniss  von  Cottas  Fbernahme  der  Buchhandlung  in  der  „Allgemeinen 
Zeitung"  zu  feiern,  wohl  am  Platze  war.  bei  der  jetzigen  Buchausgabe  aber  vielleicht  besser 
etwas  gemässigt  worden  wilre.  Man  empfindet  im  Stil  manchmal  noch  ziemlich  deutlich 
diesen  Cr.sprung.  wie  ja  auch  die  Zusätze  und  Verwilderungen  gegenüber  dem  ersten  Druck 
(A.Z.  Dez.  1SS7-  -Jan.  isss.)  nur  geringfügig  sind.  Kin  weiterer  Wunsch  wäre  eine  etwas 
eingehendere  Untersuchung  der  Verlagshe/.iehungen  Cottas  ausser  zu  Schiller  und  Goethe: 
es  würde  sich  dabei  gewiss  noch  manches  Charakteristische  und  Interessante  ergeben,  jeden- 
falls ,]ht>r  eine  Unsicherheit  verschwinden,  wie  sie  sich  in  dem  bedenklichen  Fragezeichen  bei 
dem  „kritischen  ( »rakel  zu  Weissenfeis"  (S.  1  s  1  >  verräth.  Natürlich  ist  hier  Müllner  gemeint, 
iler  damals  Cottas  Litteraturblatt  redigirte.  Jedenfalls  aber  hat  Schaffte  das  Verdienst,  die 
vorher  nicht  genügend  gewürdigten  Seiten  von  Cottas  Wirken  in  eindringender,  lichtvoller 
"Weise  klar  gestellt  und  ein  < iesammtbild  seiner  IVrsönlichkeit.  gegeben  zu  haben,  d.ts  den 
grossen  Puchhündler  überzeugend  als  einen  der  führenden  Geister  seiner  Zeit  erweist. 

F. rieh  Petzet. 

 <3>  ■ 


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4<>«J 


biographische  Blätter. 


Die  Todtcn  des  ersten  Halbjahrs  1895. 

Verzeichnet  von  MAX  LAUE. 


Hiiinther  Friedrich)  Woldemur.  Killst  zu  Lippe, 

*  IK.  April  1S21  zu  Detmold.  7  20.  März 
zu  Detmold. 

Ismail  Pascha.  Kxrhedive  von  Ägypten,  * AI. 
Dez.  1*:}U  zu  Kairo,  7  2.  März  zu  Kon- 
stantinopel. 

Alm  Haker.  Sultan  von  Johore  in  Indien.  * 
18:>«,  7  .'».  .Juni  in  London. 

Maha  \Vajirunhi>.  Kronprinz  v.  Siam,  *  27. 
•I iini  1878.  j  1.  Jan.  zu  Haturkok. 

K.  K.  rVMniaischall  Albrecht  (Friedrich  ltu- 
dolf  Dominik  i.  Kr/herzog  v.  Österreich,  * 
A.  Auir.  1817  zu  Wien.  -J-  18.  Febr.  in  Areo. 

Alexis  Mirhailowitseh.  < ;  rossfürst  v.  Russland. 

*  2*.  Dez.  IST.'»  zu  Tiflis.  T  2.  März  in 
San  Berne. 

l'rinz  Wolfram:  .Maria  Leopold  v.  Baiern, 
"  2.  Juli  1879  zu  Amsee.  -J-  .MI.  Jan.  in 
München. 


I.  Fürstlichkeiten  und  hoher  Adel. 

Franz  Albrerht   Frbprinz  v.  Oettingen  -  Det- 
tingen. *  2.  Sept.  1879.  T  «».Mai  in  München. 
Kirhard  Fürst  v.  Metternich -Winneimn.r.  - 

7.  Jan.  1825»  zu  Wien,  f  28.  Febr.  .las. 
Wilhelm  Albrecht,  Fürst  v.  Montenuovo,  * 
9.  Aui*.  1821   zu  Sala^rande.  7  7.  April 
in  Wien. 

St.ma  Petrowitsch,  die  Mutter  des  Fürsten 


Nikolaus  v.  Montenegro.  *  zu  Baice.  j 
11.  Febr.  in  Venedig. 
Eulalia  Kiridie.  Prinzessin  v.  Löwenstein- Wert - 
heim-Bosenbenr.     .'U.Aul'.  1820  zu  Klein- 
heubarl). 7  Hude  Febr.  das. 
Fürstin  Hedwig-  de  Ligne,  '  29.  Juni  isir», 

•|-  14.  Febr.  zu  Paris. 
Julie  Fürstin  zu  Liechtenstein,  treb.  Grätin 
Potocka.  Dez.  1818.  -'r21.  Mai  in  Wien. 
Wilhelmine  Marie  Fli-abeth,  Prinzessin  v. 
Montleart-Sachsen-Kurland.  ;  182!».  f  2.\ 
März  in  Wien. 


II.  Staatsmänner. 


Dr.  Heinrich  v.  Friedberg.  f.  preuss.  Justiz- 
minister.  *  27.  Jan.  181;{  zu  Märkis.  h- 
Friedland.  7  2.  Juni  in  Herlin. 

Josepha  Krli.  v.  Linden,  uürttemb.  Minister 
a.  1).,  7.  Juni  181)4,  j-  Jl.  Mai  zu  Stutt- 
gart. 

Dr.  Ludw.  Auir.  v. Müller,  hair.  Kultusminister. 

<  1!>.  Auir.  184(5.  •;-  24.  Marz  in  München. 
Staatsrath  Karl  Graf  v.  Tauffkirchen,  bair. 

Minister.  *  7.  Juli  182«  zu  München,  j 

2.").  April  in  Stuttgart. 
Wirkl.  Geh.  K.  Julius  Hans  v.  Thümmel.  sächs. 

Finanzminister,  *  2"i.  Mai  J824  zu  Gotha. 

7  12.  Febr.  in  Dresden. 
Kabinet-sininister  v.  Wolffgramm,  7  IL  April 

in  Detmold. 
Johann  Frh.  Falke  v.  Lilienstein,  Sektions- 
chef im  iisterr.  Min.  d.  Äussern,  *  21.  Mai 

1827  in  Ofen,  7  28.  Mai  in  Wien. 
Floriano  Peixoto,  vorm.  Präsident  d.  Republik 

Brasilien.  7  28.  Juni  in  Divisa. 
Nikolai  Karlowit.sch  v.  Giers,  russ.  Minister- 

präs.  d.  Auswärtigen.   *  9.  Mai  1820,  f 

2«.  Jan.  zu  St.  Petersburg. 
J.  A.  Wyschnegradaky,  f.  russ.  Minister.  7 

."».  April  zu  St.  Petersburg. 
Alexander  Abasa,  f.  russ.  Finanzminister.  * 

1822.  7  "1.  Febr.  in  Nizza. 
Henry  Austin  Bruce,  Lord  Aberdare.  f.  ensrl. 

Minister.  *  181"»  zu  Dutfryn.  7  2ö.  Febr. 

in  London. 

Lord  Kandolph  Churchill,   f.  Staatssekretär 


für  Indien.  K  VA.  Febr.  1849  zu  Mienheini 

Palaee,  7  24.  Jan.  in  London. 
Geortr  Hubert  l'harles.  1.1.  Karl  of  Pembroke, 

f.  rnterstaatssekr.  d.  Krieges.       Ii.  Juli 

18.")0.  7  im  Mai  in  Bad  Nauheim. 
Walter  (^uinton  Gresham,  Staatssekr.  d.  Aus- 
wärtigen. *  17.  Miirz  18:l;>  zu  Lanesville. 

7  28.  Mai  zu  Washington. 
Pierre  Legrand,  f.  Minister.  *  13.  März  1S14 

in  Lille.  -{•  1.  .luni  in  Paris. 
Alexander  Martin,  <ren.  Albert,  f.  Arbeits- 
minister.   1815  zu  Bury,  7  28.  Mai  in  Paris. 
Ferrari,  ital.  Fnterstaatssekr.  im  Min.d.Au-w., 

7  10.  Juni  in  Bimini. 
Hasselman,  f.  niederl.  Kolonialminister. *  1*1  ">. 

t  29.  März  in  Tiel. 
Abreu  Souza,  f.  portujr.  Ministerpräs..  7  Mitte 

Jan.  in  Lissabon. 
Dschevdet- Pascha,  türk.  Minister.  *  1*22.  7 

2«.  Mai  in  Bebek. 
Sir  William  Montairu  Manning,  australischer 

Staatsmann.  *  1811.  7  7.  März  in  Svdnev. 
Frh.  Fmil  v.  Richthofen,  f.  Gesandter.  *  1810. 

7  Fnde  Juni  in  Baden-Baden. 
Wirkl.  Geh.  B.  (ieorir  Graf  v.  Werthern- 

Beirhliniren.  f.  Gesandter,  *  20.  Nov.  181  Ii. 

7  2.  Febr.  in  Beichlingen. 
Geh.  Leirationsr.  a.  D.  Ludwin  v.  Hirschfeld. 

*  1.  Okt.  1842  zu  Ludwi^slust.  7  17.  Febr. 

zu  Herl  in. 

Francesco  Man  heseCurtopassi,  ital.  Ge-andter, 
7  7.  April  in  Wien. 


III.  Politiker. 

Gutsbesitzer  in  Neuenahr  Franz  Bresgen,  Mit-  '  f.  OI>erbürLrermeister  Karl  v.  Heim,  f.  Bei.-hs- 


t:lied  des  Frankfurter  Parlaments. 
7  1.  Juni  zu  Neuenahr. 


18i:,. 


tai'-abL'eordneter.  s  20.  Dez.  1820. 7  9.  April. 
Büi-LrcrmeUter  Gottfried  Kalmring.  f.  freikons. 


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Die  Todten  dos  ersten  Halbjahrs  1*05. 


470 


Boichsta-sab-eordneter.  *  0.  Febr.  lS40zu 
Kcrp^leben.  7  2S.  Febr.  in  Weimar. 
Dr.BudolfSchleiden,f.Bei<  hsta^sabi^ordneter. 

*  22.  .luli  lsir»  zu  Holstein,  t  I-'"'"-- 

in  Frcihur-  i.  1?. 
1'.   Dirigent    d.    K-slint.'er  Maschinenfabrik 

Kmil  v.  Kessler,  f.  nl.  Beichsta-smit<:lied. 
2.  Febr.  1S41  zu  Karlsruhe.  ■}■  Iii.  Mai 

zu  Maden- 1  Jaden. 
Cutshesit/.er  Jean  Janson,  f.  nl.  Beieh-ta-s- 

mit-lied.   s  2.  Febr.  182.S  zu  Harxheim. 

7  24.  Jan.  in  Kaiserslautern. 
Burkhard  Frh.  v.  Schorlemer-Alst.  ('entnims- 

mitirlied  des  Beichsta-s.  *  -••  < »kt.  1S-J"> 

zu  Herrinirshausen.  7  17.  März  in  Münster. 
Out-bes.  Ferdinand  Kersting,  f.  Hciclistags- 

mit-licd  (I.).     20.  März  1*12.  7  2*.  Jan. 

in  Bökenförde. 
Pfarrer  Adam  Haus,  Beichstatrsmit-I.  iL).  * 

s.  April  is:i«  zu  Aschaffenbur-  7  ls-  Mära 

in  Wörth  a.  M. 
Kaufmann  Barthel  Haanen,  f.  Beichsta-smit-l. 

iL).  *  l.Amr.  JS|:l  in  Neuss.  7  IS.  Fei »r. 

in  Köln. 

«ieistl.  B.  Kduard  Müller,  f.  Beiehsta-smitirl. 
ll.).  ::  1"».  Nov.  ISIS  z„  (Quilitz,  7  Ii.  Jan. 
in  Seisse. 

.Stadtrath  Justus  Rackowski.  f.  Beichsta-s- 

mitirl.  iL").  *  17.  April  1S4."i  zu  Allen>tein. 

7  Hi.  Mai  das. 
(iiit-l»e<.  Thaddäus  Conrad,  f.  Beiehsta-smit-1. 

(I.i.      lo.  April  ISliJ  zu  Neurode.  7  I.V 

Juni  zu  Buehwald. 
Advokat  Dr.  Charles  Abel.  f.  Beichsta-smit-l. 

(Brote>t.>.     2.  Dez.  IS-J4  zu  Diedenhofen. 

7  2.  Mai  in  <  i entrinden. 
Budolf  Frh.  v.  Buddenbrock-Ottlau,  Herren- 

hausinitLrl..  *  20.  April  is-jl  zu  Köni-s- 

l.eiL'.  7  22.  Mai  in  Berlin. 
Landrath  Carl  v.  Risselmann,  kons.  Land- 

ta-sal»-,  *  12.  Au-.  is:fc>.  f  <i.  Juni  in 

Berlin. 

HofniaurenneisterBohcrt  Schmidt,  kons.  Land- 
ta-sab-.  27.  Sept.  1S40.  •{-  2J.  Febr.  in 
Steglitz. 

Vorwerkshes.  Alex.  Carl  I'aul  Brauner,  kons. 
Landta<rsab-.  :  21.  Mai  1S4.J.  7  21.  Jan. 
in  Wilkau. 

ifeinr.  »Just.  Hu-o  v.  Langendorff,  froikons. 
Landta^sabir..  2*.  Juni  1*17.  7  2:J.  März 
in  Berlin. 

Fabrikbes.  Kommerzienr.  Karl  Au-.  Linke, 
nl.  Landta-sab- .  ;:  20.  Febr.  1*21)  zu  Alt- 
I  Jebimrdsdorf.  7  IS.  Juni  in  Berlin. 

Otto  Hermann  Ottens,   nl.  Landta-sab-.. 
21.  Sept.  !*_>;>.  -;-  :;.  Juni  in  F.inishüttel. 

Landesdir.  a.  D.  Christian   Friedrich  Wirth, 


freis.  Landta-sab-.  *  21.  Dez.  182«.  7 

2(5.  April  in  Wiesbaden. 
Bittenrutshes.  Alexander  v.  Schalscha.  Cen- 

trumsinit-1.  d.  Ah-eordnetenh..      iL  Au-. 

1*4«.  7  IS.  März  in  Berlin. 
Wilhelm  Scheben.  Centrumsm.  d.  Ab-..  *  25). 

April  1S12.  7  BJ.  April  in  Köln. 
Bedakteur  Beter  Hauptmann,  Centrumsm.  d. 

Ab-.  2ö.  Sept.  IS2.">.  7  28.  Mai  in  Bonn. 
Kduard  Frh.  v.  Hayden  v.  u.  z.  Dorff,  österr. 

Beichsrathsmit-L  *  181T».  7  «».  März  zu 

Dorff. 

Dr.  Josef  Fanderlik,  Beirhsrathsmit-l.  tAlt- 

rzeehe».  *  4.  März  1*IH   zu  Olmütz.  7  8. 

Mai  in  rn-arisch-Hradisch. 
Crundbes.  Josef  Hoch,  österr.  Beichsrathsah-.. 

*  is:?r».  7  Ii.  Mai  auf  der  Fahrt  von  Bross- 

nitz  nach  Hrubschitz. 
Cross-rundhcs.   Otto    Frh.   V.  Wächter,  f. 

österr.  Beirhsrathsabir..  -  1*U.  7  21.  Juni 

in  Beichenau  { Niederösterreich ). 
Dr.  Kutschera,  Führer  der  Jun-czechen.  7 

17.  Jan.  in  l'ratr. 
Josef  Neuwirth,  österr.  Boichsrathsab- .  *  «. 

Mai  is:$0  zu  Trieseh,  7  20.  Mai  in  Maria- 

-rün. 

Dr.  Ouido  Frh.  v.  Sommaruga,  österr.  Beichs- 
rathsab-..  22.  Jan.  1S42  in  Wien,  7  11. 
Jan.  das, 

Anton  Br.  v.  Tyszkowski,  österr.  Beichsraths- 
ah-. ,Bolenkluh).  7  5).  Mai  in  Wien. 

Dr.  Au-u.st  Weeber,  östen-.  Boichsrathsab-. 
(deut>chdib.i.   '  1S2H.  7  l.ri.  Mai. 

Sir  Bobert  Peel,  f.  .Mitirl.  d.  Interhauses.  * 
1S22.  7  10.  Mai  in  London. 

ticor-e  Thompson,  f.  Barlamentsmit-l.. "  lso.J, 
7  10.  April  in  Alwrdeen. 

Louis  Marie  Uaston  Ural"  de  Douville-Mail- 
lefeu,  franz.  Deput..  s  7.  Au-  ISJ'i  zu 
Baris.  7  Knde  Jan.  in  llvere>. 

Charles  Merlin,  franz.  Senator.  7  «i.  April  in 
Douai. 

Rathier.  franz.  Deput..  7  <i.  Jan.  in  Baris. 
Dr.  jur.  Filippo  Capone,  Senator.  7  11.  Juni 

auf  der  Fahrt  nach  Ban-ani. 
demente  Corte,  Senator,  *  1S2.\  7  2:>.  März 

in  Vi-one. 

(iustav  Craf  Lagerbielke,  f.  Bräs.  d.  s.-hwed. 

Kammern.  7  (i.  März  in  Stockholm. 
Kapit.  William  Dinesen,   dän.  Ab-eordn..  7 

2S.  März  in  Kopenhagen. 
Thomas  Nielsen,  Führer  d.  dän.  -emäss.  Linken. 

7  2ii.  Mürz  in  KopenhaLren. 
Victor  V.  Hartmann,  hnnl.  Senator.  *  1S.50. 

7  Mitte  Mai  in  Bonn. 
Fiederick  Douglas,  ein  Farbi-er,  *  1S17.  7 

im  Febr.  in  Anacostia. 


IV.  Hofwtirdenträger  und  Beamte. 

Max  ( irafv.  Holnstein,  Ober>t-'illmeister  Körti^-  Max  v.  Rathenow,  K_'l.  preiisv.  Kammerherr 

LuiUvi-  II..      BJ.  Okt.  ]s.;;,.       1.  Febr.  und  Ceretnonienmeister.  '  2S.  M.irz  1SJ|{ 

in  Sr  [iw  ai  zenfeld.  zu    Bibi-rtei.  h .   7    Kode  Mai   zu  Stabel- 

A.  Kunduriotis.  Oberhofniarsrhall  .1.  K v.  w  itz. 


I  Jriechenlaiid.  7  !•'!.  Mai  in  Athen. 


Wirkl.  lieh.  Ob.  Bc-   B.  a.  D.  Dr.  <  iustav 


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471  Kioirrnphisel 

Singelmann,  f.  vortr.  Ii.  im  Min..  ■  1820. 
Y  23.  März  in  Kerlin. 
«ich.  Ob.  Iie«r.  K.  a.  D.  Eiron  Frh.  von  den 
Brincken,  f.  in»  Min.  d.  Inn..  ;-'  5.  Jan.  1X34 
zu  Frankfurt  a.  M..  7  11.  Mai  in  Char- 
lottenburg. 

(Jrossherzl.  he».  (Jeh.  Ii.  Dr.  Kernhard  Jaup, 

im  Min.  d.  Inn.  u.  d.  Justiz.  7  13.  Kehr. 

in  Dannstadt. 
(Jen.  Ol..  Med.  Ii.  (Justav  Adolf  Schönfeld, 

vortr.  K.  im  Kulti»min..  *   1831»,  7  12. 

Marz  in  Merlin. 
Ministeriair.  .loh.  Salzer,  *  1X41.  7  F.nde 

Febr.  in  Wien, 
(iros.sherzoü-l.  hess.  lieeierumrsr.  Dr.  Heese, 

7  <).  Mai  in  Danustadt. 
(ich.  ( >b.  Finanz-Ii.  Peine,  7  4.  April  in  <  'assel. 
(Jeh.  Ol».  Post-Ii.  Johannes  Triebel,  vortr. 

K.  im  lieichspostatnt.  *  1830,  7  IS.  Jan. 

in  Herlin. 

K.  K.  (ieheinir.  11.  Sektionschef  a.  I).  Karl 
Frh.  v.  Pusswald,  *  1825.  7  2  ?.  Mai  in  Wien. 
Ileii  lisgerirht.sr.  a.  D.  Dr.  jur.  Otto  Baehr,  , 

*  2.  Juni  1817  zu  Fulda,  7  17.  Febr.  in 
Cassel. 

K.  württ.  OberjiMizr.  Kdmund  Frh.  v.  Ow, 

*  10.  Okt.  1S1Ö.  7  28.  März  in  Stuttgart. 
Dr.  Heinrieh Martin,Oberappellations<rerichtsr. 

a.  1).,  *  IX!»,.  f  14.  März  in  Cassel. 

Appellationsjrerichtsr.  a.  D.   Ludwig  Heim, 
ISO»),  7  12.  Febr.  in  Nürnberg. 

Emil  Kernhard  Jacobi,  Senatspriis.  d.  Ober-  , 
verwaltunirsirerichts.    *  ">.   Dez.   1828  zu 
(Jraudenz,  7  12.  April  in  Herlin. 

Wirkl.  (Jeh.  II.  Dr.  iur.  Ferdinand  Grimm, 
(  »bertribunals-Yi.  eprilsidenta.D.,  *22.  Sept.  | 
l-x(H>  zu  Neviges.  7  27.  Febr.  in  Wies- 
baden. 

(Jeh.  Ob.  Justiz-K.  (Justav  Herrn.  Eichholtz, 

*  is.  |)ez.  ls:J7  zu  (ialitten.  7  17.  Juni 
in  Herlin. 

l'rüs.  d.  Oberlandesiror.  in  Posen  Frantz,  7 

.").  April  in  Hosen. 
K.  bair.  Hei.  hsr.  Dr.  Ludwig  v.  Neumayr,  f. 

l'räs.  d.  (»bersten  Landesirer..  *  lXlu.  7 

1.  Miliz  in  Münehen. 
K.  K.  (Jeh.  K.  Johann  Frh.  v.  Weniech,  f. 

Oberlandes-ertehtspriis..  *  1X02,  7  S.  Marz 

in  (Jraz. 

K.  K.  wirkl.  (»eh.  II.  Aloys  Mages  v.  Koni- 

pillan.  f.  OlicrlandesLrer.-HriUs..  ;  2X.  Autr. 
ix-j:}  zu  Hozen.  7  23.  Ap.  iu  Innsbruck. 
Sir  J.ime>  Bacon,  letzter  Vicekanzler  der 
Chancery  Division,  *  171*8.  7  1.  Juni  in 
London. 

Kbenezer   Kokwood  Hoar,   f.  <  Jeneralstaats- 

anwalt  d.  nonlam.  Cnion.  :  1X1(5,  7  1.  Feh. 

zu  ( 'oncord. 
Justiz-Hrokiirator  Sigmund  Schott,  *  5.  Jan. 

1X|N  in  Stuttgart.  7  4.  Juni  das. 
Wirkl.  (Jeh.   |{.  Adolf  v.  Körber,  (Jeneral- 

lands<  hai'tsdir.  in  Westpreussen.  *  ls.  Auir. 

1X17  in  San<lau.  7  11.  Miirz  in  Kairo. 
K.  K.  wirkl.  «Jeh.  Ii.  Joseph  Für-t  v.  Collo- 


e  Klatter. 

redo-Mannsfeld.  f.  Landmarsehall  v.  Nieder- 
sten.. *  20.  Febr.  1X13  zu  Wien.  7 
22.  April  das. 

Carl  (Justav  Frh.  v.  Ugglas,  f.  Ober-tau- 
halter  v.  Stockholm.  *  1X22,  7  1!>.  Febr. 
in  Stoekholni. 

Ke'.'ierunirspriis.  a.  D.  Will».  Winter,  "  1.  Dez. 
lXli.'J  zu  Di)lenbur«r.  7  «5.  März  in  F1iii>- 
hausen. 

(Jeh.  Ileir.  Ii.  Dr.  Dan.  Heinr.  Ludwiu  Bening, 
*  lxul.  7  10.  März  in  Hannover. 

(Jeh.  He«r.  Ii.  Christian  Josef  v.  Zezschwitz, 
Amtshauptmann  in  Bautzen.  *  ls.  Sept. 

I. x;  18  zu  ( JirlaeliMlorf.  7  10.  März  in  Bautzen. 
Oberlinanzrath    Karl   v.   Loeben,  Oheifor-t- 

meister  zu  Zsehnpau.  *  1831.  7  L  Juni 

in  Zschopau. 
(Jrossh.  sächs.  Finunzrath  Max  v.  d.  Osten, 

7  20.  April  in  (iiessen. 
(Jeh.  Ob.  lieir.  Ii.  Eggert  *  1821.  7  -,,->-  Mäiz 

in  Erfurt. 

lieir.  Ii.  F.  Eggli,  *  Sept.  1838  zu  Hütiii.  t 

24.  Jan.  in  Hern. 

Senator   Dr.  Arthur  (Justav  Kulenkamp  in 

Lübeck.  ;  1827.  t  10.  April  in  Montreux. 
Sir  liobert  Duff,  ( Jouverneur  v.  Neuseeland. 

t  15.  März  in  Sydney. 
Kendl.  Frh.  v.  Richthofen,  Folizeiprii-. .  * 

8.  Juni   1X80  zu  Cammerau  i.   Schi..  7 

0.  Juni  in  Honn. 
(Jeh.  Ob.  Kejr.  H.  a.  D.  Julius  Kieschke.  f. 

Oberbürgermeister  v.  Könijrsherir.  ixi!'. 

7  10.  April  in  Herlin. 
(Jeh.  Ob.  lietr.  K.  Friedrich  Bötticher,  Ober- 
bürgermeister v.  Magdeburg.  *  24.  Jan. 

1X20  zu  Mairdehurjr.  7  151.  Jan.  in  Herlin. 
Dr.  iur.  Alfred  Stübel,  f.  <  >berbiir>rermei>ter 

v.  Dresden.  *  3.  April  1827.  7  V.  Mär/. 

in  Dresden. 
(Jeh.  Iie<r.  L.  W. A.Bredt,  f.  Oberbürgermeister 

v.  Hannen.  '*  1S1X.  723.  März  in  Honnef. 
Hofrath  Theod.  Maercker,  Kurirenuei-ter  von 

Zweibrücken.  ':  1X33.  7  1.  Mai. 
Geh.  Ho<r.  Ii.  Neubourg,  f.  Bürirenueister  v. 

Stade.   :  1X09.  7  Ende  Jan.  in  Stade. 
Justizrath  Dr.  Julius  Oskar  Zenker.  Vi.  e- 

vorst.  d.  Stadt  verordneten  vers..  *  ix:57.  7 

25.  Mai  in  Leipzig. 

K.  liath  Dr.  Edmund  Schebeck,  f.  Handel- 
kammersekr.  (auch  Historikerl,  '"'  lx2n.  7 

II.  Febr.  iu  iVair. 

Carl  Oldenburg,  irro-sh.  mecklenb.  (*enoral- 

zolldirektor.  *  1X;JL  7  21.  Jan.  i.  Schwerin. 
Sir  liobert  Hamilton,  Fräs.  d.  britt.  Zollamt-. 

:<  1X.J0.  7  22.  April  in  London. 
Sir  Charles  Mills,  (Jeneralairent  der  Kap- 

kolonie  in  London.  '  1X25  in  Ischl.  7  End«'* 

März  in  London. 
Hrof.  PawlOW.  MitL'l.  d.  archlioloir.  Komm.  d. 

russ.  Ministeriums  d.  Volksanfklürunir . 

1x2:1.  7  12.  Mai  in  St.  I'etei-.biuv. 
Fürstbischf'dl.  Konsistoriair.  11.  ( Jen.-Vikari.iT-- 

Atnt.sr.  a.  D.  Schumann,     11.  Mai  1>*U 

zu  Hunzlau.  7  13.  Februar  in  Breslau. 


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Die  Todten  des  ersten  Halbjahrs  1805. 


472 


Dr.  Theod.  Regenburg,  ehem.  Stiftsamtmann. 

*  1815.  7  *.  Juni  in  Kopenhagen. 
Intendanturrath  d.  konigl.  Schauspiele  in  Ber- 
lin Kmil  Taubert,  *  2.5.  .lan.  1*44  in  Ber- 
lin. 7  10.  April  das. 

Hoftheaterintendant  Frh.  v.  Seckendorff- 
Aherdar.  |  0  Febr.  in  Altenburg. 

Carl  v.  Stegmann,  f.  Dir.  d.  Buir,  Gewerbe- 
museums in  Nürnberg.  *  18:12,  7  28.  Mai 
in  Weiherhaus. 

Dr.  .Jos.  Kduard  Wessely,  Insp.  d.  her/..  Mus. 
in  Braunschweig.  *  8.  Marz  1*20  zu  Welle- 
tau.  -  18.  Mtlrz  zu  Braunschweig. 

Sir  George  Scharf,  f.  Dir.  d.  nat.  Portrait- 
galerie  in  London,  *  1820.  -J-  1!».  April. 

I\  Johann  Bollig,  Bibliothekar  an  der  Vati- 
can.  Bild.,  7  0.  Marz  in  Uom. 

Älsfinr.  Carlni,  l'rafckt  d.  Vati.an.  Bibliothek. 
-  25.  Jan.  in  Uom. 

Hofrath  Dir.  a.  D.  des  l'ürstl.  Museunis.  Dr. 
Friedrich  Au-,  v.  Lehner,  *  in.  Okt.  1824 
zu  Geislingen.  7  :{.  Juni  in  Stuttgart, 

V.  Heerführer 

<  Jenerahiherst  Alexander  Aug.  Wilh.  v.  Pape, 
2.  Febr.  1813  in  Berlin.  7  7.  Mai  da*. 

Generallt.  Carl  Friedr.  v.  Holleufer,  *  2.  Jan. 
1801  zu  Benkendorf.  7  12.  Jan.  in  Berlin. 

Generallt.  Albert  Leo  Ottomar  v.  d.  Osten 
iren.  Sacken.  *  2:1.  Aug.  1S11  zu  «oslin, 
7  0.  April  in  Dresden. 

Generallt.  Hugo  v.  Rosenberg,  *  22.  Juni 
1*J5  zu  l'udits.  h.  •[-  17.  Febr.  in  Milits.  h. 

«ienerallt.  Franz  Fried.  Alexander  v.  Stuck- 
rad, *  20.  Febr.  1*14  zu  Ii  nein,  7  :{.  Jan. 
in  Berlin. 

(ienerallt.  Fried.  Krnst  Ferdinand  v.  Scheliha. 

*  12.  Marz  182!*  in  l'ersehütz.  7  15.  Jan. 
in  Breslau. 

t ienerallt.  Carl  Theodor  v.  Strantz,  *  2<>.  Okt. 

1820  zu  Berlin.  7  20.  April  in  Berlin. 
General  d.  Inf.  Carl  Leop.  Gustav  Frh.  v. 

Buddenbrock,  *  4.  MUrz  1S10  zu  Lam- 

irarben.  7  Knde  Mlirz  in  Düsseldorf. 
General  d.  Inf.  Albert  Christoph  Gottlieb  v. 

Barnekow,  *  2.  Aug.  l*oo  zu  Hohenwalde. 

7  im  Mai  zu  Naumburg. 
General  d.  Inf.  Gustav  'Beter  Wilhelm  v. 

Dresow,  *  5.  Febr.  182!»  zu  Irnberg. 

7  15.  Mai  in  Potsdam, 
(ienerallt.  Ad.  Carl  Aug.  Franz  Georg  Wilh. 

Kasimir  v.  Dewall,   K  11.  Juli  1*11  zu 

Giesscn.  7  Knde  Mlirz  in  Wiesbaden. 
General  d.  Inf.  Leop.  Aug.  Gotthard  Jobst 

Frh.  v.  LoBn.  *  24.  Juni  1*17  zu  Luckau. 

7  2<».  Febr.  in  M<»isbroi«  h. 
(ienerallt.  Theod.  Hubert  Carl  Frh.  v.  Loc- 

quenghien,  *  24.  Juni  1*20  zu  Fürth,  7 

11.  Jan.  in  Bonn. 
Generalniaj.  Carl  Heinr.  Üichard  v.  Loeben, 

*  7.  Dez.  l*.J:l  zu  Berlin.  7  25.  M  ai  in 
Detmold. 

Genoralm.  Wilhelm  v.  Linsingen,  *  0.  Nov. 
1*21  zu  Uitterhude,  t  2:1.  Juni  in  Herlin. 


Custos  Carl  Hörhammer,  a.  d.  Hof-  u.  Staats- 
bibl.,  *  12.  Jan.  18:54.  7  Knde  Mai  in 
München. 

Carl  Schnorr  v.  Carolsfeld.  Generaldir.  der 
bair.  Staatseisenhahnen..  *  0.  Mlirz  18:50  zu 
Dresden.  7  :51.  Jan.  in  München. 

Stadtbibliothekar  Morin  v.  Nantes.  7  7.  Feb. 

(ieh.  K.  a.  D.  Friedrich  Konstanz  v.  Criegern. 
Vors.  d.  süchs.  Landesver.  z.  I'hVge  ver- 
wundeter Krieger.  7  10.  April  i.  Dresden. 

Adolf  Brüggemann,  bevollm.  Dir.  d.  Aachener 
u.  Münchener  Feuervers.  Ges..  7  2.1.  April 
in  Aachen. 

Josef  Frh.  v.  Krükl,  Dir.  d.  osterr.  Tabaks- 
regie, 7  :51.  Mai  in  Wien. 

Beg.  U.  Alexander  Löwe,  f.  Dir.  d.  k.  k. 
l'urzellanfabrik.  *  24.  Dez.  1*07  zu  St. 
Petersburg.  7  20.  Miliz  in  Wien. 

(ieh.  lieg.  Uath  Dr.  Ludwig  Metze!,  Bureau- 
dir.  d.  preuss.  Herrenhauses.  *  1815.  7 
0.  Juni  in  Berlin. 


und  Soldaten. 

Generalarzt  a.  D.   Dr.   Carl   Ferd.  Herrn. 

Hochgeladen,  7  14.  Jan.  in  Wiesbaden. 
Traugott  Karl,  Veteran  a.  d.  Freiheitskriegen. 

*  170*.  7  11.  April  in  Leipzig, 
(ienerallt.  z.  D.  Fedor  v.  Winckler,  *  26.  Aug. 

1*1.5  zu  Mogwitz,  7  15.  Marz  in  Dresden, 
(ienerallt.  Julius  v.  Bosse,  7  20.  März  in 
Dresden. 

(Jeneralm.  Carl  Wolfgang  v.  Heygendorf.  * 

25.  Dez.  1*00  zu  Weimar.  7  17.  Febr.  in 
Dresden. 

(Jeneralm.  Uudolf  Koch,  *  11.  Juni  1*22  zu 
Blieskastell.  7  0.  Mai  in  München. 

K.  bair.  General  d.  Inf.  Carl  v.  Orff,  *  10. 
Dez.  1817  in  Alzey.  7  Jl.  Jan.  in  Wür/burg. 

K.  bair.  Genenil  d.  Inf.  Adolf  Ur.  v.  Heinleth. 

*  1*22.  7  20.  Febr.  in  München. 

K.  bair.  (ienerallt.  Wilh.  v.  Schleich,  *  1811. 

7  24.  Mürz  in  München. 
K.  bair.  Generalauditeur  Albert  v.  Grimm,  7 

2i.  Jan.  in  München. 
Württemb.  (Jeneralm.  Krnst  Frh.  Pergier  v. 

Perglas,  *  27.  Jan.  1*27.  7  22.  Mai  in 

Stuttgart. 

K.  k.  Feldmarschall  Lt.  Florian  Frh.  v.  March io. 

*  1  *<»:}.  7  *.  Febr.  in  Baden  b.  W. 

K.  k.  Generalin.  Karl  v.  Muralt,  *  1*02.  7 

25.  Jan.  in  Wien. 
K.  k.  Feldmarsi  hall  Lt.  Joseph   v.  Rott,  ~ 

l*:to.  7  11.  Mai  in  Budweis. 
K.  k.  Feldmarschall  Lt.  August  Ur.  v.  Ruff. 

7  24.  Jan.  in  Baden  b.  W. 
K.  k.  Feldmarschall  Lt.  Julius  Vogl,   7  17. 

Juni  in  Wien. 
K.  k.  Feldmarsehull  Lt..  Franz  (Jraf  Wallis. 

Frh.  auf  Karigimiain.  *  20.  Sept.  is:;s.  7 

1.  Febr.  zu  Kbelsberg. 
Wirkl.  (ieh.  U.  Alois  v.  Baumgarten,  Fel.l- 

iiiarschüll  Lt.,  *  0.  März  1*14  in  Aussee. 

7  15.  Jan.  in  Wien. 


r' 

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473 


Biographische  Blätter. 


f  Auf. 


K.  k.  Feldmarsehall  Lt.  Johann  Beck, 

.lau.  in  Schwaz. 
K.  k.  Fcldzeunnieister  Prosper Frh.  v.  Docteur, 
1*13.  7  17.  Marz  in  Mietziny 


Franz.   (Jenoral    Ua.\  mond  -  Adolphe  Sere  de 

Uivicre.  ~  is.  Februar  zu  Paris. 
Runs.  (.Vneral  v.  Olschewsky.     1»!.  Marz  in 
St.  lVter>l>iiiLr. 


K.  k.  Feldmarsehall  Lt.  Franz  Feldenhauer,     liu.ss.  (ienerallt."  Sabotkin,  7  1.  Januar  in 


jsjii.  •;-  -JH.  März  in  Wien. 
I\.  k.  Feldmarschall  l>t.  Anton  Györmörey  v. 

»iyoriuüre  u.  Teölvar.  *  1*37,  T  lti.  April 
in  liiin». 

K.  k.  Feldmarsehall  Lt.  . Toset  Gabrianyi  v. 

/••eLnive.      1*22,  7  1.  Mai  in  Wien. 
K.k.  Liiiienschill'skapitä'n  Heinrich  v.  Littrow, 

'  20.  Jan.  1*20  zu  Wien.  7  2">.  April  in 

Abhazia. 

Wirkl.  Admiral  of  tlie  tloet  SirCT.  I'hipps 

Hornby,  7  3.  Marz  in  London. 
BliT.  Adiuiral   Lord   Clarenco  Paget,   7  2:5. 

März  in  Briuhton. 
Brit.  Adiuiral  Sir  W.  Loring,      1*13.  7  huI' 

der  Iiim'I  WiL'llt. 
Hi it.  Adiuiral    Lord  Alcester,  4    12.  April 

1*21.  7  30.  März  in  London. 
Brit.  Feldmarschall  Sir  Patrick  Grant,  *  1SII4. 

7  2*.  März  in  London. 
Brit.  (ieneral  Sir  (ieorye  Che$ney,   *  1*30. 

7  31.  Marz. 
Marschall    Franeois    Certain   de  Canrobert, 
27.  Juni  !*••!*  zu  St.  Cerre.  7  2*.  Jan. 

zu  Pari>. 


Baggehuffwudt. 

Petersburg. 

:  1*10.  7  Fnde 


St.  Petersburg. 
Kuss.   (ieneral    der  Inf.  v. 

'  1*10.  7  2«.  Miirz  in  St. 
Uuss.  (ieneral  Glinka-  Mawrin, 

Miliz  in  St.  Petersburg. 
Ikii>s.  ( ieneral  Alexander  Fedoro witsch  v.  I 

1*0!).  7  22.  Miir/.  in  St.  Petersburg. 
Bely.(  ienerallt.  Baron  Vandersmissen,  7 17..luni 
in  Brüssel. 

Span.  Marschall  M.  Pavia,  7  .">.  Jan.  in  Madrid. 
Nihad  Pascha  (ei«_rentl.  Severin  Kr.  v.  Bilinski). 

1*1"».  7  14.  Marz  in  Konstantinopel. 
Sefer   Pascha  (eiirentl.   Wladislau.s   (iraf  v. 

Koscjol-Kosciclski).  v  1*20.  7  im  Miirz  in 

Bertoldstein. 
])Jln.   (».erst  Otto    Valdeinar    v.  Hoskiaer, 

1*25».  7  23.  .funi  in  Kopenhagen. 
Seil.,  (ieneral  Horvatovic,  f.  KrieL'sminister. 

7  12.  Miir/.  in  Bel-rad. 
Nordain.  (ieneral  Adam  Badeau,  :   29.  De/.. 

1*31  zu  New  York.  7  20.  Marz  das. 
(ieneral  John  Newton,  Priis.  d.  Panama- Kisen- 

l»aliii-(irs(>lls.|iaft,       1*23.  7  15.  Mai  in 

New  Vork. 


VI.  Geistliche  und  Kirchenfürsten. 


Peter  Mathias  Snickers,  Frzbisrhof  v.  l'tre.-ht. 
am  0.  Auir.  1*10*  zu  Uotterdam.  7  2.  April 
in  Ft recht. 

Amilcare  Malagola,  F.rzbischot'  \ .  Fermo.  '21. 
Dez.  1*40  zu  Modena,  7  22.  Juni. 

Julien  Florien  Desprey.  Kr/.bischof  v.  Tou- 
louse. 14.  April  1*07  zu  (»stricourt.  7  21. 
Jan.  in  Toulouse. 

Francisco  de  Paula  Benavides  y  Navarrete. 
F.r/.his«  hof  v.  Saragossa.  14.  Mai  1*10 
zu  Bae/.a.  7  1.  April  in  Saragossa. 

Frarf.-ois  Lagrange,  Bischof  v.  (  hartres.  *  i.">. 
März  1*27  in  Dun-le-lloi.  7  23.  Juni  in 
Chart  res. 

Johann  (ieorir  Schopper.  Bischof  v.  Uozsnvö. 
!).  Mürz  1*1*  zu  Pest.  7  H».  April' zu 

lio-enau. 

Dr.  Brabandere,  Bischof  v.  Brii-.'e.  7  1.  April 
dasclli-t. 

Cardinal   l.ui'.'i  Ruffb-. Scilla,   f.  Nuntius  in 

München.       Hi.  April   1*10  zu  Palermo. 

7  _".».  Mai  zu  Korn. 
Domkapittilar  Anton  Abt  i-Walthcr  v.  Mün- 

nich'  K       2*>.   Dez.  1*41    zu  Seelenheri,', 

7  l»i.  Feliniar  ZU  LinihurL'. 
(iiianliau  der  Kapuziner  Neyssen.  7  2!).  Jan. 

in  Mainz. 

JcsnitiMipater  Jakoli   Rathgeb,   7  7.  Mai  in 

Kloster  N'alkeuliurir. 
Pater  Friedrich  Woldegg  id.  i.  Friedrich  (inif 
zu  \VahHmi'_'-Wolfe..-'-Witldsee».     2!'.  Sept. 
l*»il  zu  Waldsee.  7  23.  April  zu  Dittmi- 
II  all. 


Pater  Gratzmüller,  Prior  de>  Benedictinerstifts; 

St.  Stephan  in  Auyshurir.  '  1*23.  7  17.  Mai. 
Cölestin  Brader,  Abt  d.  Cistercicnserstii'ts 

Status.  7  Auf.  Jan. 
Loren/.  Wocher,  Abt  v.  Wettintrcn  und  in- 

fulirfer  Prior  v.  Mehrerau.  !*.*>(>.  72."».  April. 
Maria  Auipista  v.  SartortUS,  ( Hierin  des  Sacre- 

Coeur- Klosters.     1*:{0  zu  Aac  hen,  7  7.  Mai 

in  Paris. 

Dr.  Sylvester  Morarin-  Andriewicz,  «_'r.  orient. 

F.rzliischof  von  Czernowitz,  '  11.  November 

1*1*  zu  Miltoka-Dra^oinir.  7  l.">.  April  in 

( 'zernowitz. 
Theodor  Friedr.  Derief  Kliefoth.  Oberkirchen- 

rathsprii.s.  a.D..    1*.  Jan.  1*10  zu  Körchow. 

7  2(».  Jan.  in  Schwerin. 
( .inst.  Theod.  Kittan.  Ml.  Nov.  1*32  zu  Fl«>s- 

bery.  7  1.  Jan.  in  Prie>snitz. 
Julius  Kraft,  erster  (ieistl.  an  Zion.  7  Mitte 

Juni  in  Berlin. 
Dr.  Karl  Niemann,  Oberkonsistoriair..  1*2<>. 

7  14.  Mai  in  Münster. 
Konsistoriair.  Dr.  Kahle,  *  1*30,  7  3.  Mar/ 

in  Mannover, 
f.  ( ieneralsnpei  int.  Theod.  Fmil  Lamberg. 

1*10.  7  •_»*.  l'ebr.  in  Biya. 
Pastor  Neander  in  Mitau.     1*(»2.  7  in  Mit  iii. 
( iencralsnperint.  Wladimir  v.  Ewert.  7  11. 

Febr.  in  Warschau. 
Dr.  C.  F.  Baislew.  ev.  luth.  Bisehof  v.  lliwen, 

ls<t'>.  7  im  Mürz  in  Kopenhagen. 
Dr.  Fredrik  Fehr.  Pastor  ]irimarius  in  Sto.  k- 

I10I10.      I*4!>.  7  Bi.  M-'i- 


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Die  Todten  «los  ersten  Halljahrs  1805. 


471 


C.  \V.  Lambert,  Londoner  Missionar,  7  2:J. 

Mai  in  Birma. 
Dr.  Ii.  \V.  Dale,  Pred.  in  Birmingham.  *  1*20, 

•;-  13.  Marz. 

VII.  Gelehrte 

1 .  ( J  e  i  s  t  e  s  w  i 

A.  u.  Prof.  Ür.  Bernhard  Riggenbach,  Theo- 
loir.  *  25.  Okt.  1818  in  Karlsruhe.  7  2. 
M;ir/.  das. 

Prof.  Dr.  Carl  Schmidt,  Theolmr.  *  20.  Juni 

1820  in  Strassburur,  i  11.  März  das. 
Prof.  Kd.  Chr.  FUrchtesott  Adam,  Tbeoluir, 

*  1812.  i  18.  Juni. 
Prof.  Moria  Carrlere,  Philos.  u.  Aesthetiker. 

*  ;').  Marz  1817  zu  (iriedel.  f  18.  Jan.  in 
München. 

Prof.  (Justav  Glogau,  Philos.  in  Kiel.  *  6.  Juni 


Pastor  Framois  Pnaux,  7  21.  Febr.  in  Paris. 
Willi.  Schultze,  Mit-I.  d.  I)in>kti»n  d.  franz. 
Brüderunitiit  in  Heirenhut  *  1845,  7  4. 
Jan.  in  Berthelsdorf. 


1814.  -J-  2:>.  Marz  in  <  irieehenland. 
Avocat  Antoine  Molllere,  Philosoph.  *  1809, 

7  18.  Miir/.  in  Lyon. 
Prof.  tieorjf  v.  Gizycki,  Ethiker.  *  H.April 

1851,  |  4.  März  in  Berlin. 
Prof.  Luid  Ferrt,  Philosoph,  *  15.  Juni  182.« 

in  Bologna,  7  17.  Miirz  in  Uom. 
Prof.  Ch.  Secretan,  Recht.sphilosoph.  *  libJan. 

IM").  ;  21.  Jan.  in  Lausanne. 
Prof.  Carl  \.  Risch,  Jurist.  *  7.  Juli  18:11 
zu  ({Ockenhausen.  7  2«».  Miirz  in  Würzburir. 
Prof.  Carl  .loh.  Fried.  Ludw.  Lüder.  Jurist. 

*  2.  Sept.  18:11.  i  2«.  April  in  Kilan-en. 
Prof.  Krnst  Rubo,  Jurist,       8.  Juli  ls.H. 

-J-  17.  Miii-z  in  Berlin. 
Prof.  Franz  Weis«,  Jurist,  *  1801»,  f  2J.  Juni 
in  (iraz. 

Karl  of  Selborne,  liechts-el..  *  1*12.  T  fi. 
Mai  in  London. 

Prof.  Wilh.  Fenlinand  Arndt,  hist.  Hilfs- 
wissenschaften, :  28.  Febr.  18.10  zu  Kulm, 
7  10.  Jan.  in  Leipzig. 

Prof.  Krnst  Steindorff,  hist.  Hilf*«-..  *  15. 
Juni  is:j«|  zu  Flensburg,  7  9.  April  in 
Göttinnen. 

Dr.  Hermann  Grote,  Numismatiker.  *  28.  Dez. 

1802  zu  Hannover.  7  J.  März  das. 
Prof.  (justav  Hirschfeld,  Archäolojr,  *  4.  Nov. 

1817.  7  20.  April  in  Wiesbaden. 
Sir  Henry  Rawlinson,  Diplomat  u.  Archüo- 

loir.  *  1810  zu  Chadlin^ton.  f  5.  Miir/ 

in  London. 

Prof.  Sir  Reginald  Stuart  Poole,  Arehäoloür. 

*  18:12  zu  London.  7  8.  Febr.  das. 

Prof.  Piaton  Wassil jowits.h  Pawlow,  Archäo- 
loir.  *  1*2:1.  7  12.  Mai  in  St.  Petersburg 

Prof.  Cesare  Cantü,  Hist,  *  8.  Dez.  1807  zu 
Brivio,  7  11.  Miirz  in  Mailand. 

Prof.  Dr.  Lud wi- Weiland,  Hist..  *  1«.  Nov. 
zu  Frankfurt  a.  M..  7  1.  Febr.  in  (iüttiniren. 

Sir  Kdward  Bunbury,  Hist..  7  im  März. 

Prof.  Julius  Opel,  Hist..  *  1820  zu  Löb- 
schütz. 7  17.  Febr.  zu  Halle. 

Assessor  a.  D.  Heinr.  Geisberg,  Justitiar  des 
Domkapitels.  Hist.,  "  1*10.  7  im  Mai  zu 
Münster  i.  W. 

Biographische  Bliittor.  I. 


)sen  sehaften. 

(Jeh.  Arehivrath  Carl  Janicke,  II  ist,  *  1.  Jan. 

1829  in  Mairdeburir.  7  15.  Febr.  in  Hannover. 
Stmltarchivar  Heinr.  Gradl,  Hist.  *  1:1.  Febr. 

1842  in  Kirer,  7  -i.  Mär«  das. 
(Jeh.  Ilofr.  Dr.  med.  Alb.  Moll,  Prli-s.  d.  Ver. 
f.  (iesih.  d.  Bodensees.  *  25.  Juni  1817 
zu  (-Jruibingen,  7  10.  März  in  Tettansr. 
Prof.  Colestin  Stampfer,  Benediktinerpater, 

Hist.  *  1824.  7  19.  Jan.  in  Meran. 
Dr.  Hermann  Meynert,  Hist,  *  20.  Dez.  1808 

zu  Dresden.  7  10.  Miirz  in  Wien. 
Sehulrath  <  Jymnasialdir.  a.  1).  (tottlieb  Stier, 
Hist..  *  12.  Auir.  1825  zu  Basel.  7  2:1.  Mai 
in  Dessau. 

f.  PfaiTer  Krnest  Chavannes,  Hist...  *  1822. 

7  <i.  Jan.  in  Lausanne. 
Advokat  Dr.  Carl  Wieland,  Hist..  *  18:12. 

7  20.  Febr.  in  Basel. 
Oberst  a.  D.  Nebetthau,  Hist.*  18:11.  7  21. 

Juni  in  Marburir. 
Prof.  am  Kxeter  Colleye  Ch.  Will.  Boase, 

Hist..  *  182!).  7  1.1.  Mürz  in  Oxford. 
Benins  Prof.  Sir  John  Robert  Seeley,  Hist. 

*  18:>1  in  Lomlon.  7  11.  Jan.  in  Cambridge. 
Prof.  Michael  Dragomanov,  slav.  (ieseh.  u. 

Litt,  7  im  Juni  in  Sofia. 
Privat<relchrter  Carl  Kiesewetter,  Culturhist, 

*  11.  April  1*51  in  Meininiren.  7 15.  April  das. 
Prof.  (Jaetano  Milanesi,  Kunsthist.  *  1812. 

7  im  Miirz  in  Florenz. 
Dr.  Nils  (Justaf  Bruzelius.  Hist..  ;  182«,  7 

2!.  April  in  Lund. 
Assistant  Keeper  am  Public  Itocord  Office 

Will.  Noel  Sainsbury,  Hist.  *  182.'),  7  Miirz 

in  London. 

Jesuit  Jos.  Stevenson,  Hist,  *  1*07,  7  s.  Febr. 
in  London. 

Staatsarchivar  Pietro  Ghinzoni,  Hist.  *  1829. 

t  21.  Febr.  in  Mailand. 
Krster  PrHfekt  d.  Vati.an.  Bibl.  Ms<rr.  lsidoro 

Carini,  Hist.  *  1*10.  f  2'».  Jan.  in  Bon». 
Offizier  van  Oezondheid  van  Het  O.  .I.  Lc«rCr 

Dr.  Julius  Jacobs,  *  1*1:1.  7  21.  Febr. 

(Volkskunde  von  niederl.  Indien.] 
Prof.  Oscar  Erdmann,  deutsche  Sprache  u. 

Litt.  *  11.  Febr.  1810  Zu  Thon..  7  Knde 

Juni  in  Kiel. 
Prof.  Hertn.  Hager,  deutsche  Sprache.  *  IS  IT 

zu  Bcichcnbach.  J-  22.  F -l>r.  in  Manchester, 
f.  (iymnasiuldir.  Ant.  Au<r.  Draeger,  Litterar- 

historiker.  *  l*2l.  7  1:5.  Febr.  in  Anrieh. 
Advokat  B.  Elischer,  (loetheforseher.  |:  1*1*. 

7  27.  Marz  in  Budapest 
Litterarhist.  Don  Ixart.  1  1*10,  |  2.\  Mai 

in  Tarrairon. 
Sir  Hvde  Clarice,  en-1.  Piniol..  *  lsj;,, 

März. 

Jl 


t  1. 


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475 


Riographisdic  Blatter. 


Prof.  P. .1.  Veth,  Indinlojr.  *  isif».  f  14.  April 

in  Arnhcim. 
Dr.  .lulius  Jacobs,  indiolot;,  *  1*4:2.  f  Knde 

Febr.  in  Macassar. 
Prof.  Franz  JosefLauth,  Acgvptoloir.*  1*.  Kehr. 

1*22  zu  Arzheim,  7  12.  Febr.  in  München. 
Prof.  Rudolf  v.  Roth,  Prof.  il.  orient.  Sprachen, 

*  3.  April  1*21  in  Stuttgart  t  Knde  Juni 
in  Tübingen. 

Dekan  v.  Canterbury  Robert  Pnyne  Smith, 
Orientalist.  *  1*18  zu  <  hippiny:  Campden, 
7  31.  Mar/  in  Canterbury. 

Dr.  F.  Fehr,  Oriental..  7  14.  Mai  in  Stockholm. 

Dr.  David  Rösin,  Rabbinica.  f  31.  Dez.  in 
Rreshiu. 

Prof.  R.  l'onstantin  Martha,  klass.  Philol.. 

*  1*20,  7  Juni  in  Paris. 

Prof.  John  Stuart  Blackie,  Prof.  d.  (! riech.. 

*  1*09  in  (ilav.'ow.  7  2.  Marz  in  Kdinburirh. 
Prof.  Arnold  Hug,  klass.  Philol..  *  1*31.  7 

17.  Juni  in  Zürich. 
Schulrath  Jos. Hoffmann,  Kreisschulinsp.  a.  D., 

*  1*27.  •;•  17.  Mai  in  Trier. 

Direktor  ( )tto  Nasemann,  21.  Jan.  1*21  zu 
Köchstedt,  f  31.  Mar/,  in  Malle. 

(iyiim.-Dir.  Carl.  Kd.  Güthling.  *  23.  Febr. 
1*24  zu  Lensrerich.  7  22.  April  in  Lieimitz. 

Hym.-Dir.  K.  Ileinr.  Christ.  Keck,  *  1*24. 
7  ü.  Febr. 

2.  Exakte  W 

James  Dwiirht  Dana,  Naturforscher.  *  12.  Febr. 

1*13  zu  Ftica,  7  l.">.  April  in  Ncwbaven. 
Thomas  Henry  Huxley,  Naturforscher.  *  4.  Mai 

1*2.*»  in  London,  f  29.  Juni. 
Prof.  Carl  Vogt,  Naturforscher.  *  ."».  Juli  1*17 

zu  C-iiessen.  7  .*».  Mai  in  (ienf. 
John  Howard  Redfleld,  Zoologe,  7  im  April 

in  Philadelphia. 
Dr.  Reinhanl  Peck,  Dir.  d.  bot.  Härtens,  7 

2*.  März  in  Oürlitz. 
Dr.  Wilh.  Neubert,  Rotaniker,  *  1809,  7  21. 

Febr.  in  Cannstadt. 
Prof.  Friedrich  Schmitz.  Rotaniker.  7  8.  März 

l*f>0.  7  2*.  Jan.  in  (ireifswald. 
Dr.  William  Cra\\  ford  Williamson.  f.  Prof.  d. 

Botanik.  x  1*10.  7  -J3.  Juni  in  Manchester. 
Prof.  Joseph  Kdouard  Bommer,  Botaniker.  * 

17.  Nov.  1*2»  in  Brüssel,  7  20.  Fein .  das. 
Daniel  Hooibrenk,  Botaniker,  '  1*12  in  Haar- 

1cm.  7  30.  April  in  llietzin<_r  b.  Wien. 
Dir.  d.  tcelm.  Hochscbule  Prof.  Carl  v.  Haus- 
hofer,   Mineralo-,  *   28.  April  1*3»  zu 

München.  7  *.  Jan.  das. 
Prof.  Aug.  Jaccard.  Hoolo-re.  *  1*34.  ~  Auf. 

Jan.  in  Rode. 
Bergrath  Moritz  Ferdinand  Gätzschmann,  * 

24.  Aiilt.  1*00  in  Leipzig.  7  im  Febr.  in 

Kleiber^. 

Bergrath  Alfred  Wilh.  Stelzner,  Heolo<_re.  ': 
1S40.  ■;•  2.",.  Febr.  in  Wiesbaden. 

Prof.  at  Tiinity  College  Valentin  Ball,  Ceo- 
loge. -J-  Mitte  Juni  in  Dublin. 

Oh.  R.  Prof.  Citri  Hermann  Knoblauch,  Phy- 


Realgym.-Rir.  Dr.  Cramer.  *  1*29.  7  2.  Mai 

in  Mühlheini  a.  Ruhr. 
(iym.-Dir.  Kunze,  *  1*40.  |  26.  April  in  Lissa. 

(Jym.-Dir.  C.  Fr.  Julius  Kipper,  *  1*44.  ~ 

2").  Juni  in  Rostock. 
Direktor  Hugo  Langguth,  *  1830.  f  14.  Mai 

in  Iserlohn. 
Konrektor  Prof.  Pietzsch,i 20.  Mai  in  Zwickau. 
Konrektor  Bollwitte,  *  1*43.  f  5.  Juni  in 

Alfeld  a.  L. 
Rektor  a.  D.  Theodor  Hecht,  *  1*28. 7 12.  Mai 

in  Breslau. 

Rektor  Stedler,  *  1828.  7  5.  Juni  in  Barsing- 
hausen. 

Rektor  Thannhäuser.  *  1801.  -  29.  Mai  in 
Foerde. 

Prof.   Friedrich  Hofmann,  f.  (.ymnasialdir.. 

*  1.  Mai  1*20  zu  Landsherg  a.  II..-J-  4.  Marz 
in  Berlin. 

Prof.  Biese  in  Putbus.   <  l8or».  f  1».  April. 
Prof.  Dr.  Jos.  Zeck,  f  7.  Mai  in  Cöln. 
Prof.  Dr.  Borgmann,  f  0.  April  in  Wiesbaden, 
(iymnasialoberl.  Scheidemantel,  7  13.  Mai  in 

Tornau. 

Hymnasialoberl.  Scholz,  *  1835.  7  4.  Mai 
in  Oppeln. 

(iymnasiall.  Krnst  Dunkel,  7  3.  Mai  in  Danzig. 
Hymnasiall.  Berckmann,  7  7.  .Mai  in  Köln. 

issenscha  ften. 

siker,  *  11.  April  1820  in  Berlin.  7  Knde 
Juni  in  Baden-Raden. 
W.  (ieh.  R.  Prof.  Franz  Neumann,  Physiker. 

*  179».  7  24.  Mai  in  Königsberg. 

i'rof.  Adolf  Elsas,  Physiker.  *  18;V>  zu  F.lber- 

fdd.  7  13.  Mai  in  Marburg. 
Prof.  Lothar  v.  Meyer,  Chemiker.  *  1».  Aug. 
1830  in  Varel,  7  13.  April  in  Tübingen. 
,  l'rof.  Carl  Boedeker,  pharmac.  Chemiker.  * 
20.  Sept.  1*1."),  7  22.  Febr.  in  Hdttingen. 
Prof.  Herhard  KrÖSS,  Chemiker.  *  1SU0.  7 

3.  Febr.  in  München. 
Dr.  August  Klinger,  Vorsteher  der  Chem. 
t'ntersncl)iin'_'s;inst..  +  1*32.  7  Mitte  Juni 
in  Stuttgart. 
Prof.   Robert  Sachse.   Airrikultiirrhemie .  7 

2f>.  April  in  Leuzsch  b.  Leipzig. 
I  )irektor  Friedrich  Autenheimer,  Mathematiker. 

1*22.  7  4.  Juni  in  Zürich. 
Prof.  Ludw.  Schläfli,  Mathematiker.  *  1*1.">, 

7  im  März  in  Bern. 
Prof.  Arthur  Cayley,  Mathematiker.  *  1*21. 

7  2<>.  Jan.  in  Cambridire. 
Prof.  James  F..  Oliver,  Mathematiker.  7  27. 
Juli   1829  in   Portland.  7  27.  Marz  in 
Rhaca. 

Prof.  Fried  r.  Tietjen,  Astronom.  *  13.  Nov. 

1*34  in  Westerstede.  7  22.  Juni  in  Berlin. 
Th.  Brorsen,  Astronom.  "  1*1»  zu  Nürburg/* 

7  1*.  Mai  in  Kiel, 
(ieneial  Mansouty,  Dir.  des  Observatoriums 

auf  dem  Pic  du  Midi.  7  1."».  Marz  in  Dax. 
Prof.  (ich.  R.  Carl  Friedr.   Wilh.  Ludwig, 


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Die  Todten  des  ersten  Halbjahrs  l*9ö. 


476 


Prof.  Aristide  Verneuil,  Chirurg.  *  1*23  in 
Paris,  7  Faule  Juni  in  Maisons-Laflitte. 
(Jen.  R.  Prof.  Kduard  Külz,  Physiolng.  *  17.  !  Sir  licurL'c  Hornidge  Porter,  < 'hirurg.  1*22 
April  1*4."».  7  1.'».  Jan.  in  Marburg,  in  Dublin.  7  17.  Juni  das. 


l'h.VMfdosr.  *ün.  Dez.  1810  in  Witzenhausen, 
{-  23.  April. 


Staatsr.   Prof.  Wladimir  Tomsa,  Physinlog. 


j. 


Anf.  April  in  Prag. 


Prof.  .lohn  Adams  Ryder,  Kmbryolog.  f  20. 

März  in  Pennsylvania. 
Dr.  I).  11.  Tuke,  psychologiral  medicin.  -J- 
Anf.  Mär/. 

Prof.  K.  Nöggerath,  Mediziner.  *  1*2*,  f  3.  Mai 

in  Wiesbaden. 
Präs.  des  London  R.  Poll,  of  Surgeons  John 

Wliittacker  Hulke,  Augenarzt,  f  F.ndeFebr. 

in  London. 

Dr.  Alexej  Nikolajevit"  Maklakov,  Augenarzt, 

*  1*3*.  i  1.  Juni  in  Moskau. 

Prof.  Lueyan  Rydel,  Augenarzt.  '  1*39,  -J- 

21).  April  in  Krakau. 
Prof.  Jacob  Gottstein,  Hals-  u.  Ohrenleiden, 

*  7.  Nov.  1*32  in  Breslau,  f  in.  Jan.  das. 
Prof.  (ieorges  Octave  Du j ardin  -  Beaumetz. 

Kliniker,  *  l«s:j:S  zu  Barcelona,  7  17.  Febr. 
in  Heaulieu. 
Prof.Ceh.  K.  Carl  Thierach,  Chirurg  *20.  April 
1822  in  Mlinchen,  7  28.  April  in  Leipzig*. 


Dr.  Kmil  Nöggerath,  (Jynäkolog.  *  2.">.  Okt. 

1*29  in  Bonn.  7  3.  Slai  in  Wiesbaden. 
Dr.  <!eorg  Laudien,  Madearzt  in  Kissingen. 

*  1*11.  7  .">.  Jan.  in  Nervi. 
Reg.  R.  Dr.  Moritz  Gauster,  Pias.  d.  Wiener 
Ärztekammer.  *  1!».  Febr.  1*2*  in  Wien, 
f  24.  März  das. 
Staatsr.  Joseph  Bertenson,  Fliren-Leibinedicus. 

7  Mitte  April  in  St.  Petersburg. 
Sanittitsr.  Dr.  Felix  Vulpius,  T  1*10,  -{-27.  April 
in  Weimar. 

Sir  (ieorge  Buchanan,  Mediziner.  *  1*;K>.  7 

f>.  Mai  in  London. 
Dr.  Loimann,  Badearzt  in  Franzensbad.  •  1*2:5. 

7  21.  Jan. 

(Miermedizinair.  Dr.  Uloth,  Deccrnent  des 
Apotheken \ve>ens  für  Hessen.  7  2:5.  Dez. 
in  Dannstadt. 

Dr.  Arnold  Mayer,  Arzt.  *  1  *<>!*.  f  Febr. 
zu  Mainz. 

Dr.  Oskar  Mahir,  hornoopath.  Arzt.  *  1*12. 
7  16.  April  in  Wien. 


VIII.  Forschungsreisende. 

Baron   Kduard  Nolde  aus  Kalleten  in  Kur-  Landeshauptmann  fioorg  Schmiele  von  der 

land.  Innerarabienreisender,  erschoss  sich  Neu-(iuinea-Kompagnie.  f  auf  dem  Post- 

am  11.  Mär/,  in  London.  dampfer  Lüheck. 

Dr.  Jelissejew,  Forschungsreiscnder.  7  Anfang 
Juni  in  St.  Petersburg. 

IX.  Schriftsteller. 

Sicgmund  Haber,  Chefredakteur  des  „l"lku,  !      Sehrifstellerverbandes.  7  2.  Febr.  1S-J1  zu 

*  11.  Sept.  1*3:»  zu  Neis.se.  7  27.  Febr.  II  einrichshajren.  7  <).  April  in  Dresden. 

in  Berlin.  Dr.  Max  Lorking,  ;:  3.  Sept.  1*30  in  Heils- 
Julius  Keller,  f.  Redakteur  d.  rYolkszeitung\  berir.  7  18.  Febr.  in  Steglitz. 

*  30.  Sept.  1*40  zu  Rosenau,  f  27.  Febr.  Martin  Gerss,  *  1*09.  7  29.  März  in  Loetzen. 
in  Berlin.  Adolf  Lippold,  *  21.  Jan.  1845  zu  Kmstthal. 

Dr.  Friedrich  Weber,  Redakteur  der  .National-  7  2*.  April  in  Leipzig. 

liberalen  Korrespondenz1*,  *  30.  Dez.  1*44  Paul  Manfe,  Kunstschriftsteller.  *  1*21.  7 

zu  Heidelberg.  7  19.  Jan.  in  Berlin.  30.  .Tan.  in  Paris. 

Ludwig  Frank,  Redakteur,  *  1*41  zu  Berlin,  Prof.  (Jaetano Milanesi,  Kunsthist..  ■]•  im  März 

7  im  März  in  New- York.  in  Florenz. 

Dr.  (Justiiv  Stockmann,  Redakteur.  *  1*23.  Regierungsr.  Dr.  Leopold  Florian  Meissner, 


10.  Mai  zu  Leipzig. 
Otto  Reisner,  Redakt.  d.  „Münchener  Neusten 
Nachrichten,  *  1*43. -J-  22.  Mai  in  Minichen. 
Dr.  Alfred  Königsberg,  Mitarbeiter  der  „Neuen 
Freien  Presse".  *  182*.  7  13.  April  in  Wien. 
Kduard  Otto,  Hrsg.  d.  „Triester  Zeitung". 

7  7.  April  in  Triest. 
Alexander  Kuys  Moore,  Chefredakt.  d.  „Mor- 
ninir  Post",  *  1S.V2,  7  Anf.  .)an.  in  London. 
William  Saunders,  Zeitungsbcs..  -|-  l.  Mai 
in  London. 

Wsewalod  Konstowsky.  Redakteur.  7  31.  Jan. 

in  Warschau. 
Aufliste  Vacquerie,  Dir.  der  Ztschr.  „Rappel-. 
1*1*  zu  Villequier,  t   P<-   l">hr.  in 

Paris. 

Dr.  Rudolf  Doehn,  Mitbegründer  d.  deutsch. 


*  10.  Juni  1*3;'>  in  Wien.  7  29.  April  in 
W  Ii  hring. 

Prof.  Dr.  Heinrich  Pröhle,  Sarrensammler.  * 
4.  Juni  1SJ2  zu  Satuelle,  7  2*.  Mai  zu 
Steglitz. 

Dr.  (iiistav  Stockmann,  Frivatgel..  *  1*23, 


17.  Mai  in  Leipzig. 


Kapitän  (  amillo  Walzel,  („F.  ZelP). *  11.  Febr. 

1*29  in  Magdeburg.  "J-  17.  März  in  Wien. 
Dr.  Ludwig  Ziemssen,  *  29.  S»>pt,  1*23  zu 

«ireifswald.  7  3.  Jan.  in  Berlin. 
Josoph  Weyl,   ;  9.  Marz  1*21  zu  Wien.  7 

lu.  April  das. 
James  Sime,  '■•  1*14.  7  21.  März  in  London. 
Wirkl.  Ceh.  R.  Dr.  tiustav  Freytag,   ■  13. 
Juli  1*10  zu  Kreuzburg.  7  3U.  April  in 
Wiesbaden. 

31* 


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477 


Biographische  Blatter. 


Leopold  v.  Sacher-Masnch,  *  27.  .hin.  1*3(> 
in  Lemberg,  y  {».  M.'ir/.  in  Lindheini  hei 
Büdingen. 

Frau  Jeanne  Marie  v.  Gayette-*  ienrirens.  Kli- 
man.* 11.  Okt.  1S17  zu  ('oll)eiL'.  y  14.  Juni 
in  Leipzig. 

Kavier  de  Retll,  Kornau.  *  1*2!».  y  23.  April 
in  Brüssel. 

Pierre  ZaCCOne,  *  1817.  y  Mitte  April  in  Paris. 
Nikolaj  Ssemenowitsch  Lesskow,  Kornau,  y 

5.  Marz  in  .St.  Petersburg. 
Rudolf  Stegmann,  Dramatiker.  *  20.  Jan.  1*33 


in  BraunsrhweiL',  y  25.  Febr.  in  Di 


en. 


Kanzlcirath  a.  D.  Fredrik  August  Dahlgren. 
Dramatiker.  *  20.  An-.  1*1«  zu  Norrf- 
mark.  y  1*).  Febr.  in  Djursholm. 

Don  .lose  Ixart,  Dramaturg,  *  1*49.  -J-  25. 
Mai  in  Tarragona. 


Jost-  Estremera,  Dramatiker,  f  1.  Febr.  in 
Madrid. 

Leberi'cht  Fessel,  mecklenburg.  Yolksdichter. 

*  1S07.  f  1».  .luni  in  Waren. 

Kicharrf  Genee,  Dichter  ii.  Komponist,  *  7. 
Febr.  1*23  in  Dan/.ig.  |  15.  Juni  in  Harfen 
b.  Wien. 

Frederick  Loeker-Lampson,  *  1*21.  y  1.  Juni 
in  London. 

(Jvmnasialdir.  Dr.  .Karl  Heinrich"  Keck,  * 
2n.  Marz  182 4  in  .Schleswig.  y  7.  Febr. 
in  Kiel. 

Ljal.omir  Nenadovitsch .  serb.  Dichter,  y  3. 

Febr.  in  Valjevo. 
Achilleus  ParatchM,-*  1*33.  y  im  Febr.  in 

Athen. 

Stand.  Sekr.  d.  franz.  Akad.  Camillc  Doucet, 

*  1«.  Mai  1S12  zu  Paris.  y  1.  April  das. 


X.  Künstler. 


Prof.  Max  Hr.  v.  Widemann ,  Bildhauer.  * 

1«.  Oktober  18p_>  zu  Kichstiitt.  f  4.  M.'irz 

in  München. 
Anton  Paul  Wagner,  Bildhauer.  *  1834  zu 

Kiiui<rinhof.  y  2«.  Jan.  in  Wien. 
Josef  Uhl,  Bildhauer,  y  1(5.  Febr.  in  Zürich. 
Johannes  Kvangelist  Riedmüller,  Bildhauer, 

*  1*15  zu  Heimartingen.  y  13.  Febr.  in 

München. 

Jules  Roulleau,  Bildhauer.  ::  1*55.  ■{■  28.  Mürz 
in  Paris. 

Jean  Turcan,  Bildhauer,  *  1*11}  zu  Arles.  y 

3.  Jan.  in  Paris. 
David  Lugeon,  Bildhauer.  *  1818  zu  Lau- 
sanne, y  Hude  Mürz  in  Lausanne. 
John  Bell,  Bildhauer,  *  1811  zu  Norfolk,  y 

im  April  in  London. 
Max  Josef  Seltz,  Kunstgraveur.  *  1811.  y 

7.  Februar  in  München. 
Louis  Schönhaupt,  Zeichner,  *  1822.  y  Ende 

Febr.  in  Mühlhausen  i.  K. 
Paul  Barfus,  Kupferstecher.  *  17.  Aug.  1823 

zu  (i  rundlich,  y  24.  Mürz  in  München. 
Theodor  Langer,  Kupferstecher,  ~*  1*19  zu 

Leipzig,  y  im  Juni  in  Dresden. 
Johann   Friedrich  Vogel,    Kupferstecher,  * 

17.  Dez.  1*29  zu  Ansbach,  y  13.  Febr.  in 

München. 

Luiiri  Angiolini,  Kupferstecher,  y  im  Jan.  in 
Mailand. 

Dr.  Louis  Brentano.  Kunstliebhaber  u.  Samm- 
ler.     ISN.  -;■  21.  Jan.  in  Frankfurt  a.  M. 

Ilu'j-o  Barthelme,  (Jeschichtsm. .  *  1822  zu 
F.ussenhaus«>n.  \  4.  Febr.  in  München. 

Alexander  Bida,   <  iesrhichtsm. .   s   1823  zu 
Toulouse,  y  3.  Jan.  in  Paris. 

Paul  Chenavard,  <  Jeschichtsm.,       9.  Dez. 
ISO?  zu  Lvon.  y  l-_>.  April  -las. 

Oustav  Gräf,  (Jeschichtsm..  *  14.  Dez.  1*21 
zu  Köniirsbepjr.  y  «.  Jan.  in  Berlin. 

Karl  Grünwedel.  » JeschichtHu. .  *  22.  April 
l*l5zu  Pappenheim,  y  ls.  Apr.  i.  München. 

Prof.  Wilh.  Lindenschmit,  ( ;e«.chiehtsm.. 
2(1.  Juni  1*29  in  München,  y  8.  Juni  das. 


Max  v.  Menz,  (Jeschichtsm.,  *  1824  in  Mün- 
chen, y  3.  Mai  das. 

Francesco  Podesti,  (Jeschichtsm..  *  1*00,  y 
9.  Febr.  in  Pom. 

Jean  Portaeis,  (ieschichtsm..  *  1.  Mai  1*1* 
zu  Vilvorde.  y  *.  Febr.  in  Brüssel. 

Kohert  Warthmüller.  (Jeschichtsm.  *  1*59  zu 
Landsberg  a.  W..  y  25.  Juni  in  Berlin. 

Charles  Iklouard  Armand  Dumaresq,  Schtoch- 


1. 


lan.  zu 


ans. 


Mitte 


Mai  1*2* 
Febr.  in 

'  1*2*  in 


tenmaler, 
März  das. 
Adolf  Schreyer,  Schlachtenm.  •  !l. 
zu   Frankfurt  a.  M..    -j-  Knde 
Paris. 

Heemskerk  van  Best,  Marinem., 

Kämpen,  y  im  Jan.  in  Haag. 
Henrv  Moore,  Marinem.,  y  22.  Juni  i.  London. 
Ilmil  Brehmer,  Portraitin.,  *  10.  Okt.  1*22 

in  Kurtsch.  y  Ii».  Febr.  in  Breslau. 
Josef  Valentin,  Portraitm..  *  1811  in  Strau- 
bing. 14.  Febr.  in  München. 
Johann  Duntze,  Landschaftsmaler.  *  1823  in 

Kadlinghausen.  y  Knrfe  Mai  in  Düsseldorf. 
August  Fritz,  Lanilschaftsm..  *  1843  in  Ober- 

rainstadt.  y  1.  Marz  in  Dortmund. 
Prof.  Josef  Quinaux,  Land«  haft>m..  *  2!l.  Mürz 

1*22  in  Namur,  y  25.  Mai  in  Brüssel. 
Leonhard  Rausch,  Landschaftern. ,  *  1813.  y 

19.  April  in  Düsseldorf. 
Josef  Schwenningen  Landschaftsm..  *  1*05, 

y  12.  Jan.  in  Wien. 
Fugene  Benjamin  Fichel,  (Jenrem..  *  30  Aug. 

182t!  in  Paris,  y  Mitte  Febr.  «las. 
Pari  Hertel,  (Jenrem..    17.  Okt.  1*37  zu  Bres- 
lau, y  Ii».  März. 
Prof.  John  Kvan  Hodgson,  ("Jenrem..  *  1.  Mürz 

1*31  zu  London,  y  Ii».  Juni  das. 
Prof.  Albert  Brendel.  Thiern...  *  7.  Juni  1*27 

zu  Berlin,  y  24.  Mai  in  Weimar. 
Johann  Deiker.  Thierm..  *  27.  Mai  1*22  in 

Wetzlar,  y  22.  Mai  in  Düsseldorf, 
(iiiillaume   Komain  Fonace,  Stilllebenm..  * 

1  *.'»*.  y  ls.  Jan.  in  Paris. 
II.  <i.  Hine,  Aquarellmaler.  11  1810.  y  21.  Mürz. 


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Die  Todten  des  ersten  Halbjahrs  1895. 


478 


Fridolin  Becker,  nictlcrl.  Maler.  |  5.  Marz  Wilhelm  J.  Martens,  *  1*4*.  y  2.  Febr.  in 

in  Maatr.  SehKnehorj*. 

Horthe  Morieol,  *  1810,  y  :{.  Marz  in  Paris.  Prof.  Charles  Soubre.  y  40.  Jan.  in  Liitti.h. 

Willi.  Kleinenbroich,  *  1*1:5.  y  22.  .Inni  in  (ieurir  Willi,  v.  Simm,  Maler  n.  Illustrator. 

Lindenthal.  *  1*20.  y  im  April  in  Berlin. 


Prof.  Ferdinand  Scholl 

servatoriums  Stuttgart.  *  1*17.  y  2*.  April 

in  Stuttgart. 
Prof.  Nevejans,  *  1*42.  y  '2.  Mai  in  Brüssel. 
Chr.  Steuer,   Dir.  il.  stadt.  Musikschule  in 

Nürnberg  *  1S:M.  y  Ii.  Marz. 
Carl  Hr.  V.  0l8Chbaur,   Vorstand   d.  Wiener 

Männer^esanirvereins,  *  7.  Febr.  1*2!>.  y 

1.  Mai  in  Wien. 
Jean  Joseph  Bott,  f.   Hofkapellmoister  in 

Hannover,  *  182(3,  f  Auf.  Mai  in  Nowvork. 
Ludwig  Rotter,  f.  Hofkapellmeister.  y  4.  April 

in  Wien. 


XI.  Musiker. 

Vorsteher  des  Kon-  1  Frau/,  v.  Suppe,  Operettenkomponist.  *  18. 

April  1*20   zu   Spalato,    y  21.   Mai  in 


Wien. 

Alfred  Tilman.  Kirchenkomponist.  *  .1.  Febr. 

1*18  in  Hriissel.  y  20.  Febr.  das. 
Prof.  (iustav  Wagner,   Komponist,  y  Auf. 

•  lau.  in  Lauban. 
Benjamin  Godard,   Komponist.   *   1*.  Aue. 

1*49  y.u  Paris,  y  11.  Jan.  in  Cannes. 
Prof.  Willi.  Krankenhagen,  *  1*20.  |  27.  Juni 

in  Maden  b.  Wien. 
Prof.  Ferd.  Sieber,  *  5.  Dez.  1822  zu  Wien, 


:- 


im 


in  Perlin. 


Kduard  Thiele,  f.  Hofkapellmeister.  *  1813,     Anselm  Ehmant,  *  25.  Dez.  18.12  zu  Frank- 


y  Mitte  Jan.  in  Dessau. 
Otto  Hohlfeld,  llofconeertnicister.  *  1854,  y 

10.  Mai  in  Darmstadt. 
J^naz  Lachner,  Komponist.  *  IL  Sept.  1*07 

zu  Koni,  y  25.  Febr.  in  Hannover. 
Kduard   Salomon,    Operettenkomponist.  y 
Mitte  Jan.  in  London. 


fürt  a.  M..  y  14.  Jan.  in  Paris. 
Prof.  (iustav  Mazzanti,  Klarinettist,  y  20. 

April  in  Berlin. 
Vieente  Celtanazor  y  Arnal,  Sänger.  *  1*15, 

j  Fnde  März. 
Peter   Nolden,    Kaunuersiinirer.   *    1*11  zu 
Düren,  y  Hude  März,  in  Hamburg. 


XII.  Architekten,  Techniker  und  Industrielle. 


(iustav  Assmann,  Cell.  Oberbaurath,  a.  I).. 

*  1*25  zu  Frankfurt  a.  <)..  y  4.  Juni  in 
Kassel. 

Friede.  Au<r.  v.  Stäche,  Oherbaurath.  * .40.  Juni 

1*14  zu  Wien,  y  Mitte  Juni  in  Craz. 
(ieorir  v.  Dollmann,  ktrl.  bair.  Oberhon>audir., 

*  1*:{L  y  4L  Marz  in  München. 

Lud.  Staberow,  Baurath,  y  28.  Marz  in  Dort- 
mund. 

Oherbaurath  Fried.  Krnst  Lehmann,  Oberin?e- 

nieur  a.  I).,  Wasserbautechniker,  y  Fnde 

Febr.  zu  Dresden, 
(ieh.  Hofrath  Dr.  Willi.  Fränkel,  Prof.  d.  In- 

•renieiuwissenschaft.  *  1841,  y  14.  April 

zu  Dresden. 
W.  Caetendyck,  Ncrj.'werksdir.  in  Haraburir. 

*  182:5.  y  24.  Jan.  das. 

Kduard  Schott,  te.  hn.  Leiter  d.  Fisenhiitte 


zu  llsenhunr.  *  l*o*  zu  Sesen,  y  im  Febr. 
in  I  Isenburg. 
(.•eor«jr  Budeni8,  llüttenbes.  in  Lollar,  y  29. 
Juni  das. 

(5eh.  Konimerzienrath  Herrn.  Gruson,  *  14. 
Marz  1*21  in  Mairdeburi;.  y  41.  Jan.  das. 

Konimerzienrath  ( >scar  Schulze,  ( •  rossindustri- 
eller.* 1827  zu  Fraureuth,  y  17.  Jan.  i.  Apolda. 

Konimerzienrath  Schüttler  in  Braunschwei  lt. 
Zuckerindnstrie.  *  1824.  y  21.  Juni  das. 

William  Klsworth  Hill,  Instrumentetibauer. 
*  1817,  y  hei  London. 

Stadtrath  Albert  Voigt,  Beirr,  d.  Maschinen- 
stickerei, y  Fnde  Mai  in  Chemnitz. 

Wilh.  Schönfeld,  Spinnereibos..  y  2.  Jan.  in 
Herford. 

K~ommerzienrath  C.  I).  Magirus,  Fciierwohr- 
requisitenfabrik.  *  1*24.  y      duni  i.  I  lm. 


XIII.  Landwirthe. 

Prof.  Dr.  Johannes  Brummer,  *  1*51.  y  15.  Ökonomierath  (iustav  Neuhauss,  *  1*2«?.  -•- 

März  in  .lena.  28.  Jan.  in  Berlin. 

(5 eh.  Ökonomierath  Richard  v.  Oehlschlägel,  Aint.srath  Becker,  y  40.  Jan.  in  Fldena. 

*  24.  Mai  1844  in  Tharandt,  y  Ki.  Mai 

in  Oberlan<_renau. 

XIV.  Buchhändler  und  Kaufleute. 

«iustav  Marcus,  Verla^sbuchh.'indler.  *  1821,  J(»s. Whitaker, Verl..    1*20.  y  15. Mai  i.  London. 

y  (i.  Febr.  in  Bonn.  Karl  Ricker,  Verl.,    1*44  zu  St.  <  ioar-haussen, 

Franz  Kirchheim,  Neri..  y  2.  M.'irz  in  Mainz.  y  II.  M.'irz  in  St.  Petersburg. 

Job.  Moritz  Konr.  Schauenburg,  Verl..     21.  Joseph  Aumüller,  Kunstverl..  :   l*oG.  -J-  t!. 

«>kt.  1*27  zu  Herford,  y  25.  Jan.  zu  Lahr.  Juni  in  München. 

Kuiri-nc  Plön,  Verl..  1   IL  Juni  1*4(1.  y  4L  Philipp  Bück,  Buchhändler.    ':  1*15.  y  IG. 

Mür/  in  Paris.  Mürz  in  Karlsruhe. 


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479 


Biographische  Blätter. 


Frederic  Chapman,  Buchhändler.  7  7.  Marz  in 
London. 

Andreas  Haase  Kdler  v.  Wranau,  Hofbuehdr.. 

T  ::.  Matz  in  Prag. 
Kdiimnd  Joubert  Vviis.  d.  Banquc  de  Paris 

et  des  Pavs-Pas.  •{•  1:}.  Mai  in  l'nris. 
Kduard  Metz,  Präs.  d.  luxemhurg.  Handels- 

kanuner.  J,-  13.  Febr.  in  Luxemburg. 
Charles  Worth,  der  pariser  Modenkönig,  *  182f> 

zu  Pourne.  f  10  Miirz  in  Paris. 
Wilh.  Huffer,  Haupt  d.  deutsehe  Kolonie  in 

Korn,  *  1S23  in  Munster,  f  Mai  in  Pom. 
A.  Jegorow,  ( l rosskau finann,  7  10.  Febr.  in 


Ferd.  Kdmund  Becker,  Banquier.  *  1833.  f 

8.  Juni  in  (iaschwitz. 
Wilh.  Hr.  v.  Gutmann,  T  17.  Mai  in  Wien, 
(»eh.  Kommerzienr.Deninger,  fl.Juni  i.  Mainz. 
Sigismund  Kohnspeyer,  Bankier.  *  1S31, 

19.  Mai  in  Königstein  i.  S. 


Kommerzienr.  Job.  Karl  (iustav 
1845,  f  10.  .Tan.  in  Leipzig. 
Geh.  Kommerzienr.  Walter  Ferner,  *  1830,  f 

f>.  Mai  in  (Jera. 
Niederl.  Konsul  Pudolf  Dackau,  7  14.  Febr. 
in  Libau. 

K.  Rath  Pudolf  Dilmar,  Fabrikant.  *  1*17  zu 
Prenzlau,  f  22.  Marz  in  Wien. 


St.  Petersburg. 

Kniiinier/ienr.  Dr.  Poliert  Simon,  |  21.  .Tan.  Karl  Friedr.  Wilh.  Meister,  Mitbegründer  der 

in  Künig-sl>erg.  Farbwerke  zu  Höchst  a.  M.,  *  1S27  in 

Baron  Herrn.  Springer,  *  1840.  7  9.  Febr.  Hamburg-,  7  3.  .Jan.  zu  Frankfurt  a.  M. 

in  Wien.  Kommerzienr.  Schlüchterrnann,  (Jmssindustri- 

Karl  Sarg,  (Jrosskuufm.,  *  is:}2,  7  14.  Miirz  ,      eller  in  Dortmund,!  21.  AI,ril  in  Montreux. 

in  Wien.  1  Friedr.  Au?.  Biesling,  Lederfabr.  in  Dresden, 

K.l.  L.  Behrens,  Banquier.  *  19.  .lan.  1824,  *  ISIS.  7  3.  Juni  in  Dresden. 

7  ls.  April  in  Hamburg.  Jakob  Ahlers,  Kaufin.,  7  17.  Juni  in  Hamburg 

XV.  Schauspieler  und  Theaterdirektoren. 


Theodor  Lehnin,  f.  Direktor  d.  Berliner  Wallner- 
theaters. *  14.  Jan.  182«  zu  Kornitten,  7 
9.  April  in  Hirschberg. 

Anton  v.  Weber,  f.  Dir.  d.  Theaters  zn  Dort- 
mund, 7  27  Jan. 

<  arl  v.  Bongardt,  f.  Theaterdir.,  *  1847.  7  27. 
Jan.  in  Detmold. 

(ieorg  Carron,  f.  Dir.  des  Theaters  zu  Metz, 

*  1*43.  7  Mitte  April  in  Paris. 

Pudolf  Frinke,  Dir.  d.  Theaters  zu  Budweis, 

*  IS  Febr.  1844  zu  Prag,  7  Vi.  April  zu 
(  iries  b.  Bozen. 

Pobert  Müller,  Theaterdirektor.  *  20  Jan.  18.12 

zu  Olmiitz,  7  20.  Febr.  das. 
Prot*.  Fritz  Brand,  Überregisseur  in  Weimar, 

7  10.  Jan.  in  Jena. 
Balletmeister   Karl  Teile  in  Wien.  *  1827. 

7      Jan.  in  Klosterneuburg. 
Josef  Ferd.  Muller  ( .  Nesmüller ).  Schauspieler. 


*  9.  März  1818  zu  Mahrisch-Trnbau.  7  9. 

Mai  in  Hamburg1, 
Herrn.  Waeser,  Schauspieler  am  deutschen 

Theater  in  C'ineinnati.  f  das. 
Friedr.  Hesse,  Hofschauspieler.  *  1809.  7 

21.  April  in  Cassel. 
Marie  KnaufT,  f.  Schauspielerin,  *  3o.  April 


1842 


9.  Febr.  da* 


James  Anderson,  Schauspieler,  *  1821.  7  3. 

MHrz  in  London. 
Comey  6reen,  Komiker.  *  1844,  7  im  März 

in  London. 

Kmil  Schubert,  Komiker.  *  1S39.  7  23.  Mai 
in  Dresden. 

Ktienne  Pradeau,  Komiker.  *  ISpi  zu  Bor- 
deaux, f  Ende  Jan.  in  Paris. 

Josef  Bietzacher,  Bassist  u.  Schauspieler.  * 
14.  Aug.  lS'Jo  zu  Schwäeh,  7  1»>.  Juni  in 
Hannover. 


XVI. 

r'auline.  Herzosrin  zu  Sagan,     «1  Juli  1823. 

7  9.  Marz  in  Berlin. 
Frau  Ausrüste  Demuth,  Sehauspielerin  -Frau 

KoUerwein-.  s  1821.  7  31.  Marz  in  Wien. 
Frau  Man  Thornycroft,  Bildhauerin.  *  1S14 

zu  TliKinham.  7  Anf.  Febr.  in  London. 
Kmilie  Ringseis,  Tochter  .loh.  Nep.  v.  Pings- 

eis'.  *  l:\Noy.  1831  zu  München,  7  3.  Febr. 


uns. 


27. 


Kmilie  Zahn,  Tochter  Louis  Spohr's.  ;,: 
Mai  ISOli  zu  <iotha.  7  im  Juni. 

Lina  Ehrenberg,  zweite  Frau  d.  Naturforsch., 
geb.  Frici-ius,  *  20.  Mai  1812  zu  Königs- 
liersr,  t  IS.  Mai  in  Xehlendorf. 

Frau  Pmiisc  Otto- Peters,  f.  Präsidentin  d.  Allg. 


Frauen. 

deutschen  Frauen ver.,  *  20.  Miirz  1S19  zu 
Meissen,  7  13.  Miirz  in  Leipzig. 
Julie  v.  Hamburger,  Prüsidentin  d.  Alexander- 
Gemeinschaft  barmherz.  Schwestern  in  St. 
Petersburg  *  1825,  7  27.  Febr.  in  St. 
Petersburg. 

Frau  Camilla  Collett,  Schriftsteller,  u.  Leiterin 
der  Frauenbewegung  in  Norwegen,  *  isp{. 
7  7.  Miirz  in  Christiania. 
Marie  Czerwinka- Pieger.  Schriftstellerin.  7 
18.  Jan.  in  Prag. 


Frau  Marie  v.  Borch,  Schriftstellerin. 

Nov.  lSä.3  in  Hamburg,  7  23.  Mai  in  Berlin. 
Miss  Mary  Carlvle-Aitken,  Nichte  Thomas 

Carkle's.  Schriftstellerin.  7  in  Kdinburgh. 


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Ans  dem  Stammbuch  eines  Biographen. 


4S0 


Aus  dem  Stammbuch  eines  Biographen. 

III. 

Paraphrase. 

„Ein  Menschenleben,  ach,  es  ist  so  wenig! 
Ein  Menschenschicksal,  ach.  es  ist  so  viel!" 

(irillparzer. 

Der  Welle  gleich,  die  fern  vom  Meeresstrande 

Spurlos  im  weiten  Ozean  verschwimmt; 

Per  Flamrae  ähnlich,  die  nach  kurzem  Brande 

Zu  einem  todten  Aschenrest  verglimmt ; 

Kin  Schatten  nur  in  täuschendem  Gewände, 

Der.  kaum  erschienen,  auch  schon  Abschied  nimmt; 

Dem  Walten  blinder  Kräfte  unterthünig 

Ein  Menschenleben,  ach.  es  ist  so  wenig! 

Allein  in  dieser  nrmen  Spanne  Zeit. 

Die  uns.  den  Bildern  eines  Traums,  gelassen. 

Welch  ein  Gedräng'  von  Schmerz  und  Seligkeit! 

Welch  ein  Gewog'  von  Lieben  und  von  Hassen! 

Ob  nichtig  auch  dies  Sein,  das  Herz  ist  weit 

Und  kühn  genug  Unendliches  zu  fassen 

Im  Eons,  das  ihm  für  ttüehtge  Stunden  fiel 

Ein  Menschenschicksal,  ach,  es  ist  so  viel! 

Betty  Pauli:  Letzte  i.'edichtc. 


Berichtigung.  In  der  Denkrede  von  Ti  irersted  t  hat  es  in  der  Fussnote  S.  271  statt 
„Universität  Stockholm"  zu  lauten  „in  der  schwedischen  (Gesellschaft  der  Ärzte  in  Stock- 
holm"; S.  272  Z.  14  v.  o.  statt  „eine"  „seine"  Habilitationsschrift:  S.  27:}  Z.  :\  v.  o.  ist 
„nur".  Z.  7  v.  o.  „gleichfalls"  zu  streichen:  Z.  11  v.  o.  statt  -auf  das  weit*'  Kehl"  „auf 
weite  Kelder";  Z.  27  v.o.  statt  „von"  „vor"  zu  lesen;  Z.  32  nach  „irgend  einer"  das  Wort 
„anderen"  einzuschalten;  in  der  letzten  Zeile  statt  „auf  diesem  (Jebiete"  „auf  diesen  <ie- 
bieten";  S.  274  Z.  10  ist  statt  „hervortritt"  „hervorhebt",  Z.  11  v.  u.  statt  ..klarer"  „klar" 
zu  lesen  ;  S.  275  ist  Z.  2'J  v.  u.  nach  „<  ianglienzellen"  „dabei"  einzuschalten  :  der  Schlusssatz 
dieses  Absatzes  hat  zu  lauten:  „die  Leistungen  des  Thierkörpers  festzustellen  und  sie  aus 
den  elementaren  Bedingungen  desselben  mit  Notwendigkeit  herzuleiten";  Z.  4  v.  u.  statt 
„desto  bedeutender"  „je  bedeutender";  S.  277  Z.  24  v.  u.  statt  „deren"  „dessen". 


Verlan:  Ern»t  Hofmann  &  Co.  In  Berlin.    Bruck:  Feloentreff  &  Co.  in  Berlin. 
Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  Anton  Bettelheim  in  Wien. 
U nhereehtinter  Abdruck  au«  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 
Cbrrsctzun gerechte  vorbehalten. 


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Verlag  der  J.  G.  Cotta'schen  Buchhandlung  Nachf.  in  Stuttgart. 

Kleine  historische  Schriften 

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Heinrich  von  Sybel. 

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Deutschen  hei  ihrem  Kintritt  in  die  (Jesehichte.  —  Prinz  Kitten  von  Savoyen.  Katha- 
rina IL  von  Kussland.  —  <!raf  Joseph  de  Maistre.  Die  Krhebunif  Kuropas  «regen  Napo- 
leon I.  —  t'her  den  Stand  der  neueren  deutschen  < .leschiehtschreilmn«?.  Die  christlich- 
germanische  Staatslehre.  —  Über  den  zweiten  Kreuzzug.  --  Kdmund  Kurke  und  Irland. 
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